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TOKOHTO
PALAESTRA.
Untersuchungen und Texte aus der deutschen und
englischen Philologie.
Herauso-esebeii
Alois Kraiidl, Gustav Roethe und Erich Schmidt.
XXXII.
S c ii i 1 1 0 r u n d d i c B ü h n e.
Von .Julius Petersen.
BERLIN.
MAYER & MÜLLER.
1004.
PALAESTRA XXXIL
Schiller und die Biiliiie.
Ein Beitrag zur Litteratur- und Theatergeschiciite
der klassischen Zeit
von
Dr. Julius Petersen,
-i—^
/r ' ' ' ^'
BERLIN.
MAYER & MÜLLER.
1*)(»4.
Eduard von der Hellen
in iicr/lielicT Vereliriiii,-- und Dankbarkeit
zugeeig-net.
Vorwort.
Die ersten beiden Kapitel dieses Buches latren bereits
im Heibst 1902 der Pbilosojthisehen Fakultät der Universität
lUM'lin vor; Kinleituni:' und Al)sehnitt 1— .'i wui'den im Sommer
]*)();} als lieiiiner Disseitation ^'edi-uekt: die P)e('ndii!nnir des
dritten Kajiitels ist din'rli neue N'crpriiclitiinuen bis ins .labi'
1004 iiinansi^c/OL'on worden.
N'a'*li AI)scl)luss des (Janzt'ii crtullc ich «lic uillkonnneno
Ptlicht. des hH-deindcn Interesses zu ijedenkcii. das mii' von
Lehrern und Krennden u'esehenkt wurde: der wärmste Dank
trilt voi' allem Proicssor Dr. Ei' ich »Schmidt, der diese
Ai'beit anre<.'te und ihi- Kai und llilie aufs reichste zu teil
A\erdeii Hess.
Stuttgart, im April 1904.
J. P.
Inhalt
Seite.
Eiiilcitiini: ... . 1 — H
Erstes Kapitel: Die Anfallen für •la.'i l'ulilikiiin.
1. Der Titel . 9-21
2. Gattung und Aktzahl 22—35
3. Per.sonenver/,ei('Iinis ... ... 85—56
4. Die Namen 50—65
5. Die Vor.stellunjr der l'er.sonen 65 — 78
6. Der Schaui)latz 79—92
7. Einheit de.'; Ortes 92-103
8. Die Zeit 103-112
9. Zeitdauer 112-131
10. Der Vorfas.ser an das Publikum 131-136
Zweites Kapitel: Die Ins/.enierun<r.
1. Der Vorhang 137-145
2. Zwischenakt 146—152
3. Aktanfant,- und Akt.schluss 152—162
4. Szenenwechsel 162—175
5. Dekoration 175-200--
6. Beleuchtun-,'. Maschinerie, theatralische Etl'ekte . 200—221 ^
7. Zahl der Personen 221-229
8. Gruppen, Statistenszenen. Aufzü<,'e 230—258
9. Kostüm und Requisiten 258—290
Drittes Kapitel: Das Spiel.
1. Die Maske 291-312
2. Theorie der Mimik 312-321
3. Form und Stellung der Spielanweisungen . . . 321—345
4. Die äussere Bewegung. Sterben 345—366
Auliang.
Seite.
5. Die malenden Gesten 366—377
6. Ausdruck der Affekte 378—417
7. Deklamation 417 — 466
Schhiss 467— 47U
1. Eine Räuberbearbeitung des jungen Tieck . . 471—477
2. Ein Dom Karlos in Prosa 477—482
Naohträge und Berichtigungen 483—485
Namenverzeichnis 486 — 497.
Hauptsächliche Abkürzungen.
A. f. (1. A. = Anzeiger für tleutsches Altertiiiii u. deutsche Litteratur
Ann. (1. Tli. — Annalen iles Theaters, Jierlin 1788«'.
IJrahiii = Otto Brahni, Schiller, 1888/92.
Hellonuann = Liidw. JJellerniann. Schillers Dramen. 2. Aufl. 1898.
lirauii = J. W. Braun. Schiller im Urteile seiner Zeitgenossen.
3 B.ie. 1882.
Dovrieul = Ed. Dcvrient, Geschichte der deutschen Schauspiel-
kunst. 1848-74.
1). L. D. = Deutsche Litteratunlenkmale dc^ 18. .Jahrhunderts,
hsg-. V. B. Seuffert u. A. Sauer.
1). Nat. Litt. = Deutsche National-Ijitteratur, hsg. v. Jos. Kürschner.
Draniat. Xaelil. -— Schillers Dramatischer Nachlass. hsg. v. G. Kettner, 1895.
Genast = Ed. Genast. Aus dem Lehen eines alten Schau-
spielers, 18G2.
(i..J. = Goethe-Jahrbuch, h.sg. v. Lu.hv. Geiger 18S(»tr.
Goed. = Schillers Sänitl. Schriften, Histor.-krit. Ausgabe v.
K. Goedeke 1807-76.
Jonas = Schillers Briefe, hsg. v. Fritz .lonas 1892—96.
Kai. = Schillers Calender. neu bearlieitet v. E. Müller 1893.
Koffka = W. Koffka, Itfland und Dall)erg, 1865.
Küster ^= Albert Küster, Schiller als Dramaturg, 1891.
Lachiii.-Muncker = Lessings Sämtl. Schriften, hsg. v. K. Lachmann;
3. Aufl. V. Fr. Juncker 1880 fl".
.>larterstei{? = Die Protokolle des Mannheimer Xationaltheaters unter
Dalbergs Leitung, 1890.
Minor ^= Schiller. Sein Leiten und seine Werke, dargestellt
V. J. Minor 189U.
Picliler = A. Pichler, Chronik des Hof- u. Nat. -Theaters in
Mannheim, 1879.
Prölss = Rob. I'rölss, Kurzgefasste Geschichte der Deutschen
Schauspielkunst, 1900.
Rieger = Max Rieger, Klinger, 1880/96.
Schütze = Schütze, Hamburg Theatergeschichte, 1794.
Streiclicr = Schillers Flucht von Stuttgart u. Aufenthalt in Mann-
heim, 1836.
Suphan = Herders Sämtl. "Werke, hsg. v. B. Suphan 1877 fF.
Teichmann == Val. Teichmanns Iviterar. Nachlass, hsg. v. Fr. Dingel-
stedt 1863.
Tlieat.-Kal. = Reichards Theater-Kalender, Gotha 1775—1800.
Theat. Forsch. --= Theatergeschichtliche Forschungen, hsg. v.B. Litzmann.
Qu. u. F. = Quellen u. Forschungen, Strassburg 1874 ff
Urlichs = Briefe an Schiller, hsg. v. Ludw. Urlichs 1877,
Tjschr. =^ Vierteljahrsschrift fürLitteraturgeschichte. 1 888—1893.
W. A. = Goethes Werke, Weimarer Ausgabe, 1887 ff.
Walter ^= Archiv u. Bibliothek des Mannheimer Theaters, hsg.
V. Friedr. Walter 1899.
Waniek = G. Waniek, Gottsched u. d. deutsche Litteratur seiner
Zeit, 1897.
Weltrich == R. Weltrich, Friedrich Schiller, Geschichte s. Thebens
u. Charakteristik s. Werke. Bd. I. 1885/89,99.
Z. f. d. Ph. = Zeitschrift für deutsche Philoloirie 1869 ff.
Einleitung.
V^on der dramatischen Poesie wurde den Zöglingen der
Stuttgarter Militärakademie als einzige Definition in die Feder
diktiert, sie stelle „durch eine vollkommen harmonische Rede
Handlungen vor, als ob sie vor unseren Augen geschähen". ^)
Diese Lehre — ol) Hang sie gab oder Abel, ist neben-
sächlich, da sie im Urunde über Batteux und Sulzer auf
Aristoteles zurückgeilt ') — nahm der junge Schiller mit sich;
das Echo erklingt in der unteidiückten Vorrede zu den Käubern
und in der Mannheimer Kede (1784) und noch die Abhand-
lung „lieber die tragische Kunst'' (1792) sagt: „Alle erzählende
Formen machen das Gegenwärtige zum Vergangenen; alle
dramatische machen das Vergangene gegenwärtig". ^)
Nun wird in den ästhetischen Schriften neben diesem
formellen Unterschied auch die Verschiedenheit von Zweck
und Wirkung betont*), aber im Briefwechsel mit Goethe aus dem
Jahie 1797 dominiert der Gegensatz, der sich aus der Gegen-
überstellung VOM Rhapsoden und Mimen ergiebt und die end-
gültige Formel lautet wiederum: „dass der Epiker die He-
gebenheit als vollkommen vor g a n g e n vorträgt und der
') Zwei Schulhefte Schillers niitget. v. Minor, Zeitschr. f. östr.
Gymn. 18S8 S. 1063. Minor, A. d. Schillerarchiv 1890 S. 19 ff.
■) Batteux, Einschränk, d. seh. Künste auf einen einz. Grundsatz
übs. V. J. A. Schlegel, Leipzig 1759 S. HG tf.
Batteux, Einleitung in die schönen Wissenschaften übs. v. llamler,
Leipzig 1756 II S. 21G.
Sulzer, Allg. Th. d. seh. Künste Leipz. 1771. I, S. 274.
') Goedeke X, S. 35.
*) Ueber das Vergnügen an tragischen Gegenständen Goed. X S. 6.
Palaestra XXXIT. 1
— ä -
Dramatiker sie als vollkommen g-eg:|en|w artig darstellt". ^)
Damit war kaum über Sulzer hinausgegangen ; die Unter-
scheidung A. W. Schlegels zwischen der dialogischen Form
und der dramatischen Wirkung ^) wurde noch nicht gemacht.
Man sieht dieser Theorie an, dass sie auf dem Boden des
Klassizismus entstanden ist und nur zu einer Zeit wieder auf-
genommen werden konnte, wo die Dichter weniger von dem
Theater, mehr von dem rein poetischen Stoff beherrscht waren:
Hermann und Dorothea hatte die Ideen in Bewegung gesetzt ^);
Goethe kam zu seinem Schluss bei einer parallelen Lektüre
der Ilias und des Sophokles *), und Schiller hatte damals
einen epischen Stoff unter den Händen, für den er nach der
dramatischen Form suchte, den Wallenstein ; „ich gehe immer
noch darum herum und warte auf eine mächtige Hand, die
mich ganz hineinwirft" hatte er am 23. Oktober 1796 an
Goethe geschrieben.
Die Formel beruht auf dei' unausgesprochenen Voraus-
setzung einer Gleichheit des Stoffes ^) ; der Stoff liegt da auf
') Ueber ep. u. dramat. Dicht., Briefw. zw. Schiller und Goethe
23. Dez. 1797. Man vergleiche Lessings Briefwechsel mit Nicolai und
Mendelssohn, wo es sich allein um die tragische Wirkung handelt und der
Unterschied auf ganz anderem Gebiet gesucht wird : „Der bewunderte
Held ist der Vorwurf der Epopee, der bedauerte des Trauerspiels' ^ — „Ein
Trauerspiel, in welchem Bewunderung zum Hauptwerke würde, würde ein
dialogisches Heldengedicht sein und. kein Trauerspiel". (Lachmanns Ausg.
1840 XII, S. 51, 58, G2, 192). Nur im Brief an Gerstenberg macht Les-
sing eine ähnliche Unterscheidung : „Bey dem Dante hören wir die Ge-
schichte als geschehen, bey Ihnen sehen wir sie als geschehend". Auch
Herder benutzt den Ugolino, den übrigens Schiller besonders geeignet
fand, um die Idee der Tragödie daran aufzuklären (Jonas VI, S. 252), zur
Gegenüberstellung: „Der einfache Ton der Empfindung, der in der Er-
zählung herrscht, soll in alle melodische Modulation, die das Drama hinun-
terwallet, verwandelt werden". (Suphan IV, S. 308).
'-') Werke ed. Böcking V, S. 21. XI, 189. Vgl. Tiecks Urteil über
Goethes Dramen. Krit. Sehr. IV, 198; Der junge Tischlermeister 1836
11, Ö. 55.
") An Körner 7. April 1797. Jonas V, S. 171.
*) W. A. IV, 12, S. 381 ff.
'') J. J. Engel, Anfangsgr. e. Theorie d. Dichtungsarten (1788) S. 18 f.
beruft sich dafür auf Uoraz. In Schiller steigen später Zweifel auf, als
-- 3 —
dem weiten Felde der Geschichte: der Epiker zeichnet ihn
aus der Katfernung- oder wie Öcliiller sagt: er geht um ihn
herum ^), der Dramatiker packt ihn und zieht ihn auf die
Bühne; die Bühne ist Gegenwart.
Öo konnte öchiller dem Aristoteles recht geben, das all*
geraein Pragmatisch-poetische der Epopee sei in der Tragödie
enthalten ^) ; besonders bezeichnend aber ist seine Stellung gegen-
über Wilh. V. Humboldt. Dessen Abhandlung über Hermann
und Dorothea trennt in ausdrücklichem Widerspruch zu Aristo-
teles das Drama vom Epos und rückt es der Lyrik näher ^),
allerdings mit dem V^orbehalt, diese Kunstphilosophie werde
für den ausübenden Künstler weder bequem noch fruchtbar
sein. Die Einschränkung gehl jedoch auf Schiller zurück, dem
das Manuskript vorgelegen hatte und dessen Kritik Humboldt
für sein Vorwort wörtlich bcimtzte. *)
„Spezielle und empirische Regeln" will Humboldt nicht
geben ; „empirische und spezielle Formeln" hatte Schiller ge-
rade für den schattenden Künstler verlangt. Nicht von Be-
gritten, sondern „vom Faktum dei- Kunst und des Dichters
und der Repräsentation ausgehend" ■') wollten Goethe und er
in dem kleinen Aufsatze „Uebcr epische und dramatische Dich-
tung' eine Fackel aufrichten, die ihnen beim eigenen Schaffen
leuchten konnte.
Zweifellos behielten aucli beide Dichter diese selbstgezogene
Grenzlinie bei ihrer Produktion im Auge; z.B. finden wir
noch beim alten Goethe in der Novelle „Wer ist der Ver-
er die epische liehandluug einer Weltunisegluiij,' erwägt. An Goethe
13. Febr. 17U8. Jonas V, 343 f.
') Dieses BUd wiederholt er; An Goethe [26. Dez. 1797] Jonas V,
S. 309.
0 An Goethe 5. Mai 1797. Jonas V, S. 189. Aristoteles Dicht-
kunst (übs. V. Curtius 1753) Cap. V S. 1 1.
') Aesthet. Versuche. Erster Theii. Braunschweig 1799. Cap. LXIII
und LXIV.
') ebda. Einleitung S. XV. Schiller an Humboldt 27. Juni 98.
Jonas V, 893. Der umgekehrte Hergang wäre sehr unwahrscheinlich.
•■) So charakterisiert Schiller den Aristoteles : an Goethe 5. Mai
1797. Jonas V, S. 188.
1*
- 4 -
räther?" eine Stelle, die sich wie eine pedantische Probe auf
jenes Exempel ausnimmt. Die Erzählung- ist in eine längei-e
Dialogpartie mit vorgesetzten Roliennamen übergegangen ;
trotzdem bleibt in den eingeklammerten Worten des Verfassers
das erzählende Präteritum erhalten:
Lucidor (höchst unzufrieden über den Vorfall, ärgerlich über die
leichtsinnig-e Behandlung-, stand still).
Das vergegenwärtigende Präsens: „steht still", das der
Bühnenanweisung eines Dramas formell gleichkäme, ist mit
Absicht vermieden. ')
Eine solche Unterscheidung war geboten, da gerade gegen
Ende des Jahrhunderts durch die Mode des Dialogromanes die
Grenze verwischt zu werden drohte. „Die dramatische Ein-
kleidung ist von einem weit allgemeinerem Umfang als die
theatralische Dichtkunst" heisst es in einer Anmei'kung zum
Don Carlos in der Thalia, und das Wort „dramatischer Roman",
von dem die erste Vorrede der Räuber spricht, war zu jener
Zeit keine Seltenheit. Meissner z. B. sagt ähnlich im Vor-
bericht zu seinem Johann von Schwaben (1780) : „Dialugirte
Geschichte, oder, wenn man will, dialogirter Halbroman, war
alles, was ich mir zum Ziel steckte".
In Wilhelm Meisters Lehrjahren ist eine Entwickelung
vom Epos zum Drama zurechtgelegt. Als Knabe weiss Wil-
') W. A. I, Bd. 24 S. IQ 8. Früher hatte Goethe in einem Briefe
an Schiller au.sdrücklich die Vermischung von erzählendem Roman und
Dialog verworfen. (23. Dez. 1797 VV. A. IV Bd. 12 8. 382.) Übrigens
linden sich diese Zwischenbemerkungen im Präteritum in den meisten Dia-
logromanen der Zeit.
Z. B. Miller, Siegwart 2. Aufl. 1777. S. 59, 72, 74, 123, 181, 209,
323 ff., 346 u. s. f., dagegen das Präsens S. 75.
Schink, Das Theater zu Ahdera. Berlin 1787—89 I, S. 47, 163,
206, 224, 228, 307,
Knigge, Reise nach Braunschweig. 2. Aufl. Hannover 1794. S. 53, 55,
dagegen das Präsens S. 30, 32, 33.
Klinger, Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. 2. Aufl. St. Peters-
burg 1<94. S. 72, 86, 131, 141, 146, 288, 320, 383, dae Präsens S. 397.
Klinger, Geschichte Giafars des Barmeeiden. St. Petersb. 1792,
S. Ol. m. 210, 343, 427, 477, 499 u. s f. des l'räsens S. 566.
In Meissoers Alcibiades, Bianca Capello, Erzählungen und Dialogeu
Ist in allen Dialogpartien das dramaiische Präsens durchgeführt.
— 5 —
heim den Unterschied noch nicht zu machen und deklamiert
in der Rolle des Tancred auch die erzählenden Verse des Epos
(also seine eigenen Bühnenanweisung-en) mit. Im weiteren
Verlauf des Romans ist dann von den Zwischenstufen die Rede:
von dialog-ierten Romanen und von der Möglichkeit eines Dra-
mas in Briefen. ^) Romane in Briefen (nach Richardsons Art)
nennt Goethe in einem Briefe an Schiller -) bereits völlig dra-
matisch ; das Drama in Briefen jedoch bleibt eine blosse
Konstruktion, um die l»rücke vom Epos zum Drama zu schlagen.
Der Dialogroman erfordert immerhin eine Situation ; das Brief-
drama verzichtet darauf, es ist der reine Dialog ausserhalb
von Oit und Zeit. Um gegenwärtig zu werden, bedarf dieser
Schemen eines Gewandes: zu dem Was gehört das Wie; den
Personen muss neben Worten auch Ton, Gestalt, Bewegung,
Umgebung verliehen werden; kurz: durch die Bühnenanweis-
ungen wird das abstiakte Mittelding zum Drama.
Damit ist der Begritf der Bühnenanweisungen bestimmt :
in ihnen vollzieht sich die — konstruierte — Metamorphose
vom Epos zum Drama; vollendet ist sie erst mii der Auf-
führung. Wenn wir mit einem Ausdruck Richard Wagners ')
von der Übersetzung des Romans für die Darstellung auf der
Schaubühne sprechen, so sind die Bühnenanweisungen die
Lautzeichen, aber noch nicht die neue Sprache selbst. „Was
von einem echten Drama autgeschrieben ist", sagt Otto Ludwig *),
„ist nichts als eine Untermalung des Gemäldes"." Beim Lesen
des Dramas bleibt ein erzählender Rest; so lange wir nur
lesen: „Saal bei Fiesko. Man hört in der Ferne eine Tanz-
') W. A. I, Bd. 22. S. 177.
'^) Siehe Anmerkung auf S. 4.
') Oper und Drama. Ges. Sehr. u. Dicht. IV, S. 9.
*) Werke (hsg. v. A. Stern u. E. Schmidt) V, S. 148. Ähnlich
Goethe im Vorwort zur Farbenlehre : „wie ein gutes Theaterstück eigent-
lich kaum zur Hälfte zu Papier gebracht werden kann, vielmehr der
grössere Teil desselben dem Glanz der Bühne, der Persönlichkeit des
Schauspielers, der Kraft seiner Stimme, der Eigenlhümlichkeit seiner Be-
wegungen, ja dem Geiste und der guten Laune des Zuschauers anheim-
gegeben bleibt". (W. A. III, Bd. 1 S. XVIII).
— 6 —
musik, und den Tumult eines Balls", so lange wir nicht sehen
und hören, so lange ist das tempus ein praesens historicum.
Da also die Bühnenanweisungen gewissermassen einen
Wechsel vorstellen, der erst bei der Auiführung eingelöst
wird, raüsste es ihre Grundeigenschaft sein, in der Darstellung
restlos aufzugehen. Ganz gelingt es indessen der Aufführung
nicht, alles hindurchzusieben : denn die Bühne kann wohl einen
Saal darstellen, aber sie kann uns nicht beweisen, dass wir
im Hause des Fiesko sind. Oder wenn wir in den Räubern
lesen : „Schenke an den Gränzen von Sachsen", so ist die
Schenke darstellbar, die geographische Bestimmung aber bleibt
ein erzählender Bodensatz, sie kommt nicht über die Schranken
des Epischen hinaus.
Um trotzdem bei der Aufführung nicht verloren zu gehen,
muss siö hinübergeschmuggelt werden ; dem Dichter, der im
Buchdrama der Führer seines Publikums sein darf, fehlt es
auch auf der Bühne nicht an dem nötigen Sprachrohr, er
kann seine Personen sagen lassen : Hier an den Grenzen
Sachsens ! Oder wenn er das unterlässt, bleibt ein letztes
Mittel übrig, den Zuschauern wird vor der Aufführung ein
Zettel in die Hand gedrückt, auf dem steht: Die erste Scene
des ersten Aktes spielt in Franken, die zweite an den Grenzen
von Sachsen u. s. w.
Anweisungen, denen Bühne und Darsteller nicht ent-
sprechen können, werden dem Publikum unverarbeitet vorge-
legt. Damit sind die 3 Adressen genannt, an die Bühnenan-
weisungen ergehen :
1. an den einzelnen Schauspieler;
2. an die durch den Regisseur verkörperte Gesamtheit
der Schauspieler, an den Dekorateur, den Maschinenmeister,
kurzum an die Bühne mit allen ihren Mitteln.
3. sie können über den Bühnenraum hinausgreifen und
sich an das Publikum wenden.
Nach einem Wort Wielands ^) setzt jede Schauspielart
einen gewissen bedingten Vertrag des Dichters und Schau-
') Versuch üb. d. Singspiel. Sämtl. Werke 1796, Bd. 26, S. 247.
— 7 —
Spielers mit dem Zuschauer voraus. Das Publikum wird an-
o-espannt, bei dem Prozess der Vergegenwärtigung mitzuhelfen;
der Ort dieser Anweisungen an das Publikum ist der Theater-
zettel ; wir stossen aber auch manchmal beim Lesen am fal-
schen Platze darauf. Mitten im Stück drängt sich oft der
Dichter ein und will etwas erzählen, was sie ihm auf der
Bühne doch nicht darstellen können. Er macht Angaben, die
man mit dem an sich unsinnigen Namen epische Bühnenan-
weisungen bezeichnen könnte.
Wenn es z. B. Kab. u. Liebe II, 6 heisst
,,er eilt schnell fort und rennt — gegen den Präsidenten",
SO ist der Gedankenstrich nur für den Erzähler ein Mittel
der Spannung, während die eiwartungsvolle Frage : auf wen
mag wohl Ferdinand stossen? bei der kein Atemholen gestat-
tenden Aufführung ungestellt bleibt.-^)
Immerhin ist dieser novellistische Rest, der wirklich auf
einen L^bergang vom Epos zum Drama hinweisen würde, für
die .Aufführung nicht belanglos; es ist eine Anweisung, die
ihre Adresse und Form veifehlt hat ; der Darsteller des Fer-
dinand entnimmt daraus, dass er über dieses plötzliche Zu-
sammentreffen sich bestürzt zeigen und zurückbeben muss. Die
korrekte Bühnenanweisung würde also so lauten, wie beim
ähnlichen Fall im Fiesko III, 9-10:
(Gianettino will hinaus und stösst auf Fiesko)
Qianettino (zurückfahrend i Ha I
In ihrer Form unkorrekte Anweisungen wird der Leser
fast in jedem Jugenddrama entdecken können als Beweis, wie
wenig noch die dichterische Phantasie dem Zwange der Bühnen-
konvention sich fügt.
Bekannt sind die cliarakteiistischen Beispiele im Urfaust :
„Margarete mit Herzklopfen herein"
oder in der letzten Scene :
„er hört die Ketten klirren und das Stroh rauschen''.
Derselbe Goethe, der dem Bühnendichter empfiehlt, „nichts
anzulegen, als was sich auf Brettern, zwischen Latten, Pappen-
') Ebenso in der Biihnenbearbeitung der Räuber IV, 12 :
Amalia : (sie will ihm nachstürzen und stösst — auf den Räuber).
— 8 —
deckel und Leinewand, durch Puppen, vor Kindern ausführen
lässt", *) stellt sich hier souverän über das Theater. Wir
haben es mit keiner Anweisung für die Aufführung- zu thun,
sondern mit einem einfachen poetischen Ausdrucksmittel. Der
reife Goethe hat statt dessen die Verse eingesetzt:
Sie ahnet nicht, dass der Geliehte lauscht,
Die Ketten klirren hört, das Stroh, das rauscht.
Für den Leser ist der naive Zauber abgestreift, aber
dem Zuschauer und Hörer wird durch den Kunstgriff des er-
fahrenen Bühnendichters mitgeteilt, was ihm sonst überhaupt
verschlossen geblieben wäre.
Auch bei Schiller, der das Zustutzen seiner Stücke für
den Theaterzweck nachträglich als „blosse Verstandessache"
zu betreiben pflegte ^), lassen sich ähnliche Korrekturen finden.
Die Bühnenanweisungen eines Dichters bilden (gleichviel, ob
das Stück zur Aufführung bestimmt war oder nicht) einen Grad-
messer für die Theaterschulung seiner Phantasie. In ihnen
spiegelt sich aber auch das Theater seiner Zeit selbst; die
Zumutungen, die der Dichter an eine Aufführung zu stellen
wagt oder zu stellen verzichtet, sind Grenzsteine für die
Leistungsfähigkeit des Theaters und der Schauspielkunst.
Nach diesen zwei Richtungen kann die Beschäftigung mit
den Bühnenanweisungen eines Dichters Ergebnisse liefern und
das soll der Zweck der folgenden Kapitel sein. ^)
*) Ans Goethes Brieftasche, Anhang zu Wagners Übers, v. Merciers
Versuch. S. 486 f. W. A. I Bd. 37 S. 314.
*) Briefe an Dalberg 1781, an Goethe 6. April 98, 31. Aug. 98,
22. Dez. 98, 5. May 1800. Jonas I, S. 37, 42, 45 ; V, S. 366. 423, 475 ;
VI, 152.
') Die Anlage meiner Arbeit entspricht im Wesentlichen der Ber-
liner Dissertation von Zickel, Die scenarischen Bemerkungen im Zeitalter
Gottscheds und Lessings (1900). Nur Teile davon sind bisher veröffent-
licht ; der Verf. gewährte mir aber auch in die ungedruckten Partien Ein-
blick, und ich bin für mehrere daraus entnommene Hinweise dankbar.
Eine Heidelberger Dissertation von Hagemann, Die Geschichte des
Theaterzettels (1900) wurde mir erst kurz vor Abschluss des ersten Ka-
pitels bekannt, sie behandelt nur das Mittelalter, verspricht jedoch eine
Fortsetzung.
Erstes Kapitel.
Die Angaben för das Publicum dxr Theaterzettel).
1. \U'V Titel.
[n den Hämlen der Wamleri nippen erlitten die Dramen-
titel im 17. und 18. Jahrhundert ungeheure .Vufschwelhiniren ;
aus ihnen wurde ein Kommentar des Stückes gemacht: noch
1757 wies die Wiener iSchaubühne so ianiratmige Satzkon-
struktionen auf wie: ..Die standhafte Chiistinn Gabinie. welche
unter der letzten zehendeii schweresten Haupt - Verfol<rung
Kaisers Diocletiani (Mithauptet worden". ^) Also nicht nur der
Name, sondern auch der Charakter und die ReliLMon der Hel-
din, ferner die Zeit, im weitesten Sinne der Schaufdatz und
der Inhalt des Stückes sind hier zusammengedrängt.
Und damals hatte doch schon längst Gottsched die Ein-
fachheit des französischen Klassizismus auch in den Titeln
einführen wollen : er hatte verlangt. da.ss nur ein Name ge-
nannt werde und dass der Titelheld sich mit der Hauptfigur
decken müsse; alle weiteren Bezeichnungen sollten vermieden
werden, und so war aus seinem „sterbenden Cato" (1731> in
der Ausgabe von 1742 „Cato" geworden. Der Name des
Helden sagt bei heroischen Stoffen — und andere konnte sich
Gottsched für die Tragödie nicht denken — beieits genug,
denn Thema, Zeit, Schauplatz sind damit verbunden; der
antikisierende Goethe ging dabei- über Gottsched hinaus, wenn
') Im Französischen des de Brueys heisst dieses Stück nur Gabinie,
Tragedie chretienue.
— 10 —
er auch unhistorischen Stoffen allein den Namen des Helden
g-ab: Elpenor. Schiller wählte diesen Monumentalstil für ge-
schichtliche Fig-uren : Wallenstcin, Warbeck, Demetrius: den
Titel Narbonne ^) für die Kinder des Hauses gab er später auf.
Bei Stülfen aus der Neuzeit ist der blosse Familienname
des Helden — für Heldinnen war er überhaupt ungeeignet —
nicht gerade häufig; noch seltener findet sich bei erfundenen
Stofi'en der blosse männliche Vorname: Klingers „Otto" wäre
hier zu erwähnen, der Geschlechtsname dieses Helden wird
auch im Stück selbst nicht genannt. Dagegen hatten weib-
liche Voinamen als französische Mode Verbreitung gefunden :
die „Eugenie" des Beaumarchais, Brandes' „Olivie* und „Ottilie"
Gotters „Mariane" (nach La Harpe's Melanie), Goethes „Stella",
Sprickmanns ,.Eulalia", Bertuchs und Klingers „Elf riede" gehören
hierher ; Schiller schloss sich an mit seiner Elfride und wenn
Frau von Stael recht berichtet, so hätte er ihr für den späteren
Warbeck den Titel Margarete genannt. ^)
Lessing war statt dessen englischem Muster nachgegangen;
mit Miss Sarah Sampson, Samuel Henzi, Emilia Galotti hatte
er in Deutschland den vollen bürgerlichen Namen eingeführt
und dadurch eine neue Mode gescliaifen. ^) Pfeils Lucie
Woodwill, Schinks Gianetta Montaldi, Wagners Evchen
Humbi-echt, Schiller endlich mit Luise Millerin, Friedrich Im-
hof, Wilhelm Teil befinden sich in der Nachfolge.
Wieder eine andere Reihe geht von Goethes Götz von
Berlichingen aus ; an ihn schliessen sich mit teils erfundenen
teils historischen vollen Adelsnamen die Karl von Adelsberg
und Robert von Hohenecken (Hahn), Fust von Stromberg
(Maier), Albert von Thurneisen (Iffland ; wegen des Titels oft
fälschlich für ein Ritterdrama gehalten) *), Clara von Hohen-
eichen (Spiess), Adelheid von Wulfingen und Johanna von
Montfaucon (Kotzebue), endlich Goethes eigener Adalbert von
') Dram. Nachl. II, S. 95. Kai. S. 192.
'') Kettner, Vierteljahrschr. IV, S. 12. Schiller an Böttiger 10. Febr.
1804, Jonas VII, S. 123. Dram. Nachl. I, S. XVII.
=>) Minor II, 121.
*) Holstein, üeutsche Litt.-Denkm. 24, S. XXIII.
— 11 —
"WeisHng-en fals erstes Stück des 2teilig"en Götz); Schiller hat
sich an dieser Moderichtung seit seinem Cosmus von Medicis
nicht mehr beteilig-t; er schrieb nicht, wie 0. Ludwig- später
vorhatte, einen Albrecht von Waldstein.
Bei fürstlichen Helden nahmen die Ritterdramatiker den
Mund voller und kamen damit den Theaterdirektoren ^) in
ihrer Neio-ung- für klanirreiche Standesbezeiclinung-en ontg-egen.
Babo schrieb „Otto von Witteisbach. Pfalzgi-af in Bayern",
Hagemann „Otto der Schütz, Landgraf von Hessen". Hagemeister
„Waldemar, Markgraf von Schleswig". Rambach „Otto mit dem
Pfeil. Markgraf von Brandenburg" u. s. w. ; Schillers „Don Car-
los, Infant von Spanien" gehört nicht in diese Reihe, sondern
schliesst sich an den „Hamlet, Prinz von Dänemark" an; bei
den späteren historischen Titelfiguren blieb jeder Zusatz we^r.
Dagegen sind bei einigen Schillerschen Plänen überhaupt nur
Rang und Geschlecht der Hauptperson bezeichnet : Gräfin von
Flandern, Herzogin von Zelle, Gräfin v. Gange, Gräfin v. S.
Geran ; es war die bequemste Form, den Stoff vorläufig fest-
zuhalten ; ob aber diese notizenhaften Titel geblieben wären,
wissen wir nicht ; findet sich doch neben der Gräfin v. S. Geran
auch Der aufgefundene Sohn. ")
Überhaupt schwankte Schiller ott in der Wahl des Titels.
Wenn sich während der Beschäftigung mit dem Stoffe das In-
teresse an den Hauptpersonen verschob, blieb das nicht
ohne Einfluss. So ging er vom Grafen v. Königsmark zur
Prinzessin von Zelle über ^). Wenn Kettner freilich behauptet,
auch Luise Millerin als Titel sei gefallen, weil in der späteren
Phase die Lady zu sehr in den Vordergrund trat, so geht er
zu weit ; wie hätte dann Don Carlos bleiben können ? That-
sache ist aber, dass Schiller nachrechnete, ob Titelheld und
bedeutendste Rolle übereinstimmten. Während Lessing ^) bei
') In Berlin wurde z. B. Othello, Statthalter in Cypern, gegeben
(Val. Teichmanns Litterar. Nachl., hsg. v. Dingelstedt S. 350).
■) Stettenheini, Schillers Fragment Die Polizey, Berlin 1893, S. 55.
') Kettner, Schillerstudieu Progr. Schulpforta 1894 S. 1 f.
•*) An Karl G. Lessing 10. Febr. 1772, Lachmanns Ausg. XII, S. 344.
— 12 —
Gelegenheit der Emilia Gralotti diese Anforderung ablehnte und
sich auf die Alten berief, bei denen Titelfiguren überhaupt
nicht aufs Theater zu kommen brauchten, schreibt Schiller an
Iffland: „Dieses zweite Stück heisst Die Piccolomini von den
beiden, am meisten darin handelnden Personen", und er möchte
ungern den fünften Akt für das dritte Stück aufheben, „weil
dann der Titel des Stücks nicht gerechtfertigt würde, da es
nicht mit den Piccolomini schlösse".^)
Der Titelheld wäre demnach rein äusserlich betrachtet
die Person, die im Stück am meisten zu thun hat; ob Spieler
oder Gegenspieler, darauf kommt es nicht an, auch lassen
sich diese Freytagschen Begriffe für die Schillersche Compo-
sition nicht immer verwenden; zur „Mittelgruppe", einem Be-
griff, den R. M. Werner ^) einführt, würden Luise Millerin,
die Braut von Messina und nach 0. Ludwig ^) seihst Maria
Stuart gehören.
Es scheint, dass für den ersten Tag des Wallenstein ur-
sprünglich allein Max als Hauptperson ins Auge gefasst war
und das Stück nur „Piccolomini" heissen sollte. ^) Der jetzige
Titel fasst zwei Hauptpersonen unter ihrem Familiennamen
zusammen, ebenso wie Gottsched Corneilles Horace als „Die
Horatier" herausgab,^) oder wie Brandes „Die Mediceer" schrieb.
Merkwürdig ist, dass Schiller, der so oft zwischen zwei
Namen schwanken musste, niemals sonst das Gleichgewicht
herstellte und beide auf dem Titel vereinigte. Das Schäferspiel
pflegte auf diese Weise seine Pärchen aufzuführen, und in der
') An Iffland 15. Okt., 28. Dez. 1798. Jonas V, S. 447, 479.
Trotzdem wollte Schiller den Max nicht als eigentliche Hauptperson oder
Helden des Stückes betrachtet wissen. (An Körner 13 Juli 1800 Jon. VI,
171 f.)
') For,schungen zur neueren Litteraturgeschichte, Festgabe für Heinzel
1898, S. 24.
=') Werke, hsg. v. A. Stern u. E. Schmidt V, S. 314.
*) Fielitz, Studien zu Schillers Dramen S. 100. An Cotta 21. Sept.
98, Jonas V, S. 434. Schon am 30. Sept. 98 schreibt aber Schiller an
Körner: „Das zweite Stück führt den Namen von den Piccolominis". Jonas
V, S. 437.
'') Deutsche Schaubühne I, S. 23. Waniek S. 398.
— 13 —
Tragödie war vor allem Shakespeare dafür Muster; Croneg-ks
Olint und Sophronia, Martinis Rhynsolt und Sapphira, Ayren-
hoffs Herman und Thusnelde, Unzers Diego und Eleonore, Dyks
Don Carlos und Elisabeth u. a. zeigen, wie beliebt dieser
Dualismus auch bei den deutschen Dramatikern des 18. Jahrhun-
derts war. Schiller dagegen pflegt im Titel einer Hauptfigur die
anderen unterzuordnen und entspiicht damit anscheinend der
von Freytag aufgestellten Forderung, das Drama solle nur
einen Haupthelden haben, um den sich alle Personen in Ab-
stufungen ordnen. ^)
Damit kommen wii- zur Beantwortung der Frage: Inwie-
fern enthalten diese Titel eine Vorbereitung des Publikums,
wieso sind sie als Bühnenanweisungen zu betrachten? Mit
Freytag zu sprechen, ist es eine alte Erfahrung, ,dass dem
Hörer nichts peinlicher wird, als Unsicherheit über den An-
teil, welchen er jeder der Hauptpersonen zuzuwenden hat".
Im 29. Stück der Dramaturgie tadelt Lessing aus diesem
Grunde den verfehlten Titel der Corneillesclien Rodogune und
im 86. Stück führt er eine Stelle Dideiuts über die Brüder
des Terenz an : „man weiss nicht für wen man sich interes-
sieren soll". -)
Während der Romandichter alle Mittel in der Hand hat,
seine Hauptpersonen von Anfang an als solche vorzustellen
und ins rechte Licht zu setzen, ist diese Aufgabe dem Dra-
matiker viel schwerer gemacht. Der Name auf dem Titel
muss bereits helfen; das Publikum wird auf die erste Nennung
im Stück aufmerksam und sieht gespannt dem Erscheinen des
Helden entgegen.
Mehr wollte Lessing nicht vom Titel: „Ein Titei muss
kein Küchenzettel sein". ^) Anders Diderot: „Darf mir der
^) Technik des Dramas. 5. Aufl. 1886. S. 261 f.
'■') Gerade umgekehrt Mercier (Wagners Übers. S. 141): „Dasjenige
Stück würde das vollkommenste seyn, in welchem man nicht erraten
könnte, welches der Hauptkarakter ist". Für den Koaian entwickelt
Hermes eine ähnliche Theorie. E. Schmidt, Richardson, Rousseau und
Goethe S. 37 f.
') Hamb. Dram. 21. St. Lachm.-Muncker IX, S. 269.
— 14 —
Dichter von "seinem Stoffe nicht so viel wissen lassen, als er
für gut befindet?"' ^) Diderot bedauert sogar keinen mehr-
sagenden Titel für sein Stück gefandeu zu haben, als „Der
Hausvater". Und doch giebt er damit schon weit mehr als
den Hinweis auf den Haupthelden; mit dem Charakter und
seiner Stellung gegenüber den übrigen Personen des Stückes
bezeichnet er die (jruudbedingungen, aus denen sich ^die Hand-
lung entwickelt.
Diese Art von l'itel nahm Diderot für sein gerne serieux
aus der Komödie herüber ; seine deutschen Nachfolger teilen
sich den Titeln nach in zwei Crruppcn, je nachdem Beruf oder
Charakter des Helden im Vordergrunde steht.
Zur ersten Gruppe gehören von Schauspielen der im di-
rekten Anschluss an Diderot entstandene „Vormund" von
Martini (1765), „Der Minister" von Gebier (1771), „Der Hof-
meister'* von Lenz (1774). xlucli Iffland gebraucht noch ein-
mal den Titel „Der V^ormund" (1795); im allgemeinen aber
zieht das spätere bürgerliche Drama bei Berufstiteln den
Plural vor, so schon Leuzens „Soldaten" (1776), Ifflands„ Mün-
del" (1784), „Jäger" (1785), „Advokaten" (1796), „Künstler"
(1801), „Hausfreunde" (1805). Unabhängig von dieser Rich-
tung steht Schiller, wenn er nach antiker Art den Chor nennt,
von dem der Hauptheld sich abhebt. ^) Er plant ein Trauer-
spiel, „dessen Handlung auf einer einzigen männlichen Figur
beruht" ^) und nennt es „Die Ritter von Malta", später „Die
Maltheser" ; in gleicher Weise hatte er bereits bei der Taufe
der „Räuber" den Schwerpunkt seines Stückes verschoben. *)
^) Theater des Herrn Diderot (Lessing) II, 334.
*j So hai, auch Goethe einmal seinen Tancred als „Die Ritter" bezeich-
net. An Schiller 22. Dez. 18U0 W. A. IV, Bd. 15, S. 162.
=*) An Iffland 19. üov. 1800. Jonas VI, S. 245.
■•) In dem kursächsischen Lauchstädt wurde das Stück 6 mal unter
dem Titel „Carl Moor" aufgeführt, wohl aus Censurgrüuden, denn ursprüng-
lich waren „Die Räuber"' von Dresden aus verboten worden. Auch in
Leipzig erschienen sie 18Ü1 nach mehr als 10 jährigem Verbot als Carl
Moor. Unter demselben Titel auch 1808 in Wien. Dort wurde später
- 16 -
Rher hätte man beim „Teil" einen' Plural erwartet, weshalb
denn auch ein Rezensent vorwurfsvoll frag-te, warum Schiller
sein Drama nicht „Die Kidg-enossenschaft" irenannt habe. ^)
Endlich ist hier noch der Plan „Die Polizey' zu nennen; eine
feste Corporation, die nicht mehr als Chor zu bezeichnen ist,
giehi dem iStück den Namen, wobei auch an Hubers Heim-
liches Gericht und dessen Nachahmungen erinnert werden kann.
Auch zur zweiten Gruppe, die einen typischen Charakter
an die Öpitze setzt, hat {Schiller seinen Beitrag geliefert: Der
Menschenfeind. Wenn mit dem Charakter innerhalb des
ytückes eine Verändeiung- vor sich ging-, konnte der Titel
diesen Verlauf der Handlung andeuten: Lessings Freigeist
ging über die Bühnen als „Der beschämte Freigeist" (zum
Unterschied von ßrawes Drama)-); ^Schiller tautte sein Frag-
ment in den „Versöhnten Menschenfeind" um.
Im allgemeinen sind dies Komödienlitel ; als die Aufgabe
der Komödie wurde ja die Charaktei'daistellung angesehen,
während die Tragödie durch Handlung wirken sollte. ^) Also
hätte eigentlich das äussere Ereignis der Tragödie den Namen
geben müssen, was sich aber nicht entsprechend häufig findet.
Entweder das historische Faktum wird ohne den Helden ge-
nannt: Der Aufruhr zu Pisa (Hahn), Der Sturm von Box-
berg (Maier), Die sizilianische Vesper (Lenz, Schiller), Die Blut-
hochzeit zuMoscau"*) (früher allein als Titel des Demetrius geplant)
auch das Wort Verschwörung^ aastössig gefunden und nur der Titel „Fiesko"
zugelassen.
Burckhardt, Theat. Forsch. I, S. 44, 129.
Journal d. Lux. u. d. Moden Sept. 1801, S. 499.
Urlichs, S. 372.
Horner, Beil. z. AUg. Zeit. 1897. Kr. 123, S. 2, 4 f.
Laube, Das Burgtheater, S. 77.
') Braun lU, S. 390, (Kgl. priv. Zeit. v. Staats- u. Gel. Sachen, Ber-
lin 1804). Der Rezensent d. Gott. Gel. Anz. möchte das Stück lieber
„Die Befreyung der Schweizer" nennen. Braun III, S. 402.
-) Hanib. Dr. 14 Stück Lachni.-Muncker IX, S. 242 ; auch in
Mannheim trug das Stück diesen Titel (Walterj.
'■') Lenz in seinen Anm. ü. Theater S. 54 stellt diesen Satz auf den Kopf.
*) Kai. S. 192. Dort auch noch andere ähnliche Entwurftitel : Die
Begebenheit zu Famagusta. Das Ereignis zu Verona beim Römerzug.
— 16 —
oder der Name der Hauptperson wird damit in Verbindung'
gebracht: „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua". Öderes
handelt sich allein um das Schicksal des Helden : „Wallensteins
Abfall und Tod" '), meist nur um den Tod: Klopstocks Titel
„Der Tod Adams", „Hermanns Tod" und ebenso „Wallensteins
Tod". Noch einfacher ist es, nach Romanart nur die Geschichte des
Helden anzukündigen, wie es Goethe mit der „Geschichte
Gottfriedens von Berlichingen" und Lenz mit seinem Neben-
titel „Die Geschichte des cumbanischen Prinzen Tandi" that,
oder dasselbe wird durch Leben und Tod ausgedrückt, wie
bei den Öhakespeareschen Historientiteln : „Life and Death of
King Richard 111"; so KUnger: „Pinhus Leben und Tod" und
Soden: „Leben und Tod Kaiser Heinrichs des Vierten". Von
dem Leben allein spricht das versteckte Schillersche Öelbst-
citat .,Life of Moor"' '). Da das Wort robber jedenfalls im
Wortschatz des Karlsschülers nicht fehlte, so weiss man
nicht, ob es ihm missfiel oder ob der Titel wirklich einmal
„Moors Leben'* hiess. (1778 war ,,Fausts Leben" vom Maler
Müller erschienen). Es würde sich dann gut die geplante
Fortsetzung „Räuber Moors letztes Schicksal" anschliessen. ^)
Das Thema des Stückes konnte auch durch die Parallele
zu einer bekannten Fabel genannt werden : Rousseaus Roman-
titel mag Lenz und Klinger zum neuen Menoza und zur neuen
Arria angeregt haben. Gewissermassen gehört hierher auch
„Der verlorene Sohn" als erster Titel der Räuber; hingegen ver-
schmähte Schiller Picards Lustspiel als Die neuen Menächmen
zu übersetzen und nannte es ,,Der Nefife als Onkel".
Hiermit war das Thema auf das einfachste, selbstverständ-
liche gegeben, „das Sujet", wie Schiller sagt. Der Stoff hat
für ihn seinen immanenten Titel; an Körner schreibt er von
') An Iffland 15. Okt. 98 Jonas V, S. 448. Goethe citiert den
dritten Teil als Wallensteins Abfall und Untergang, W. A. I, Bd. 4Ü S. 7.
Ursprünglich sollte er nur Wallenstein heissen ; an Cotta 21. Sept. 98
Jonas V, S. 434.
') Goed. I, S. 1G2.
"j An Xörner 3. Juli 85, Jonas I, 252. Vgl. Ilamond, Les dernie-
res aventures du jeune d'Olban.
— 17 —
einer Tragödie, deren Sujet er aus seiner Erzählung kenne :
„Es sind die feindlichen Brüder oder wie ich es taufen werde,
die Braut von Messina". ')
Der verlorene Sohn, Der aufgefundene Sohn, Der Haus-
vater, Der sich für einen andern ausgebende Betrüger sind
solche Probleratitel, die Schiller einstweilen wählte unter dem
Vorbehalt einer späteren Änderung. Manchmal Hess er auch
das Sujet stehen, zum „verlorenen Sohn" kehrte er für die um-
geschmolzenen Räuber zurück-), „Die feindlichen Brüder" blieben
als Xebentitel ^) und als er bei Itfland Pate stand, taufte er
dessen Stück, an den Honnete criminel (von Falbaire) und au
den späteren Titel seines Sonnenwirts anklingend : Das Ver-
brechen aus Ehrsucht.
Der zweite Bestandteil dieses Titels giebt die treibende
Kl aft der Handlung an ; wenn auch die Gegenkraft, wie sie
in diesem Oxymoron angedeutet ist, zum Ausdruck kommen
soll, so entsteht die Titelgattung, die Iffland selbst liebte. Im
bürgerlichen Drama kämpfen nach Eloessers Charakteristik *)
„die losgelösten moralischen Mächte um den Besitz des Men-
schen" ; „Liebe und Ptiicht im Streit" war der frühere Titel
(später noch Nebentitel) des Albert • von Thurneisen gewesen^)
und als Gegengabe für die Taufe seines Stückes schenkte lif-
land den Namen „Kabale und Liebe".
In ähnlicher Weise hatte früher Kaufmann über dem
Klingerschen „Wirrwarr" die Flagge „Sturm und Drang" aufge-
zogen "), unter der späterhin die ganze Geneiation segeln sollte.
Vor Kabale und Liebe liegen noch weiter Plümickes „Ge-
rechtigkeit und Grossmuth" als Nebentitel der Miss Jenny
*) 9. Sept. 1802, Jonas VI, S. 414.
') An Dalberg 6. Okt. 1781. Jonas I, S. 42 ff. Nach Walter II.
148 tindet sich in der Mannheimer Theaterbibliothek wirküch eine Zu-
sammenstellung der ausgeschiiebenen Rollen unter diesem Titel.
'■') Dazwischen steht der Titel : Die feindlichen Brüder zu Messina,
Kai. S. 192.
*) Das bürgerliche Drama S. 9 f.
"•) Holstein, D. L. D. 24, S. XXII. Ähnlich hatte der Nebentitel
von Heulelds Julie geheissen : Wettstreit der Pflicht und Liebe.
'•) Kieger 1, 1Ü3.
PalaeBtra X.'vXII, '^
- l8 -
"VVarton (1775) und Brömels „Gerechtigkeit und Rache" (1783);
aber erst nach Schillers Stück und vielleicht nicht ohne seine
Einwirkung folgt in den neunziger Jahren die ungeheure Menge
von zum Teil geschmacklosen Zusammenstellungen zweiei- Ab-
stracta; ich hebe nur wenige heraus: Kotzebues „Menschenhass
und Reue" und Sodens Fortsetzung „Versöhnung und Ruhe",
Engels „Eid und Pflicht" (früher „Die Geissei "), Zieglers
„Barbarey und Grösse", „Weltton und Herzensgüte", Schmidts
„Recbtschaffenheit und Betrug", Brandes' „Unbesonnenheit und
Irrtum". Brandes arbeitete auch seine Mediceer als „Gerech-
tigkeit und Naturgefühl" um ^). Nach und nach handelt es sich
gar nicht mehr um wirkliche Gegensätze, die Titel wurden
leer und phrasenhaft, aus den zwei Abstracten konnten sogar drei
werden : Bocks „Unschuld, Freundschaft und Liebe", Goethes
„Scherz, List und Rache", bis Grabbe endlich vier Begriffe häufte.
Diese Art der Titelgebung vermag weit mehr als ein
Name die Neugier des Publikums zu erregen; der oben er-
wähnte praktische Wert des Titels, der Hinweis auf die Haupt-
person, bleibt freilich unberücksichtigt. Eine einfache Aus-
kunft war also die Vereinigung von beidem, der Doppeltitel.
Gottsched hatte ihn verpönt, ^) auch Lessing hatte über
Voltaires Doppeltitel spöttische Bemerkungen gemacht, obwohl
er selbst bei Minna v. Baruhelm mit der Strömung gegangen
war. ^) Eine gewisse Wändertruppentradition erhielt sich
noch weiterhin aufrecht (vgl. Bodmers Telldramen von 1775)
und wo es die Dichter nicht thaten, waren die Theatei'direk-
toren aus Geschäftsinteresse freigebig. *) Grouegks Codrus
') Brandes, Meine Lebensgeschichte. Berlin 1799 III, S. 343.
') Deutsche Schaubühne III, S. XXII.
•') Nach Sonnenfels (Br. ü. d. Wiener Schaub. S. 205) hat Lessing
den Nebentitel das „Soldatenglück" beigefügt, um auch Teilheim, den eigent-
lichen Charakter der Charakterkomödie, zu seinem Recht kommen zu
lassen. ,.Wenn die Hauptperson die Ehre haben muss, ihn [den Namen]
dem Stücke zu ertheilen, so sollte das Stück vielleicht Minna und Teil-
heim geheissen haben."
■*! Am Ende des Jahrhunderts galten die Doppeltitel schon als markt-
schreierisch. Siehe Guttenbergs Münchner Theaterjournal 1800 1, S. 120;
„Uat aber ein Stück von dem DicLter nach Hecht, und Billigkeit, nur
— 19 —
wurde 1766 in Mannheim von der Porsch'schen Truppe als
„Codrus, der für sein Vaterland sterbende König" oder Unver-
änderliciie Hoheit einer könig-lichen Seele in Glück und Un-
glück" aufgeführt ; ^) Üalberg gab später dem Julius Cäsar den
Nebentitel „Die Verschwörung des Brutus" ; Schröder nannte
Calderons Alcalden „Amtmann Graumann oder die Begeben-
heiten auf dem Marsch". Besonders aber waren die Titel der
llgnerschen Truppe berüchtigt -) z. B. „Minna von Barnhelm
oder Der Major mit dem steifen Arme" ; „Romeo und Julia oder
Der unvermuthete Ausgang auf dem Kirchhof" ; „Clavigo oder
Das Leichenbegänguiss". Auch der Titel von Schillers erstem
Stück fand bei Schikaneder und andern herumziehenden Trup-
pen eine ähnliche Bereicherung: Die Räuber oder üer Fall
des Moorschen Hauses. '^)
Die beiden Titel können zwar auch den Helden oder die
Handlung doppelt bezeichnen ; in weitaus den meisten Fällen
handelt es sich jedoch um die Kombination von Hauptperson
und „Sujef.
So sind auch Schillers eigene Doppeltitel zu verstehen;
während in „Narbonne oder Die Kinder des Hauses" die Haupt-
person später aufgegeben wurde, ist in den beiden andern
Fällen das ursprünglich aufgenommene Sujet „Die feindlichen
Brüder" und „Die Bluthochzeit zu Moskau" hinter den später
gewählten Titel getreten.
Zur Vervollständigung muss noch auf eine weitere
Gruppe hingewiesen werden ; der Titel kann dem Theaterzettel
bereits in der Angabe von Schauplatz oder Zeit des Stückes
zuvorkommen.
Mit der Abstammung des Helden wird oft der Schauplatz
einen Titel erhalten und der Theater-Direktion fällt es ein, einen zweiten
dazu in t'abricieren, so trägt dieser Uebelstand zugleich das Gepräge von
den äro- liehen Spekulationen kleiner Theater an sich, welchen ihre An-
schlagzettel das sind, was die Lockvögel dem Vogelsteller !"
>) Pichler, Chronik, d. Hof- u. Islat.-Theat. zu Mannheim S. 19.
') Theater-Kai. 1783 S. 65 ff.
^) Homer, Die ersten Aufführungen der Jugenddramen Schillers in
Wien. BoU. zur AUg. Zeit. 1897 ür. 123 S. 2.
6 2*
— 20 —
genannt: Prinz von Dänemark, Infant von Spanien. Dabei
war unter Umständen auf die geographischen Kenntnisse des
Publikums Rücksicht zu nehmen: Turandot wurde von der
sächsischen Theatertruppe als „Prinzessin von Schiras" aufge-
führt; vor dem Leipziger Messpublikum aber wünschte Opitz
den Titel in „Prinzessin von Persien" verändern zu dürfen. ^)
Natürlich braucht es nicht immer der Schauplatz zu sein,
Bergers Galora von Venedig spielt in Florenz, Cumberlands
Westindier und Voltaires Schottländerin führen diese Titel ge-
rade weil die Hauptpersonen aus ihrer Heimat verschlagen
sind, wie denn Kotzebue in ähnlichen Fällen beide Länder
nannte: Die Spanier in Peru, Die Indianer in England. Die
Handlung von Goethes Mädchen von Oberkirch sollte nur in
Strassburg spielen und Die Jungfrau von Orleans beliält den
hergebrachten Namen vom Ort ihrer Heldenthaten, der niemals
der Schauplatz des Schillerschen Stückes ist; ^) zweifelhaft ist
der Student von Nassau; Schiller nahm diesen Plan auf, als
er vom Selbstmord eines Studenten aus Nassau gelesen hatte. ^)
Zeitangaben auf dem Titel kommen erst wieder zu Ende
des Jahrhunderts vor; die Schicksalstragödie legte später
Wert auf den „Tag des Schicksals "(Müllner), den vierundzwan-
zigsten und neunundzwanzigsten Februar. Das Genaueste
aber in einer Verbindung von Ort und Zeit hat Kotzebue
geleistet: „Die Hussiten vor Naumburg im Jahre 14:32"; und
in derselben Richtung vervollständigte ein späterer Bearbeiter
des Fiesco auch Schillers Titel: Fieskos Verschwörung wider
die Doria im Jahre 1548. "*)
Beim Überfliegen des Bühnenrepertoires hat sich ergeben,
wie weit Schiller an den meisten Titelmoden seiner Zeit An-
teil hatte; trotzdem muss es gelingen, für das Charakteristische
') Körner an Schiller 5. März 1802.
0 Jean Barnet nannte sein Stück : l'histoire tragique de la Pucelle
de Dom Remy autrement d'Orleans.
') Weltrich 1, S. 151.
*) Minor II, S. 606.
— 21 —
seiner Titelgebung- etwas Bestimmendes zu finden. „Ihr hört
am Titel, dass es nicht von mir ist", konnte Goethe bei der
Ankündigung des Hofmeisters schreiben '); eine so tendenziöse
Form des Nebentitels, die ironische Überschrift einer Abhand-
lung über Vor- und Nachieile der Privaterziehung, war für ihn
allerdings unmöglich. Wie bereits erwähnt, setzte Goethe über
beinahe alle Dramen (nicht Lustspiele) den Namen der Person,
die aktiv oder passiv den Mittelpunkt der Handlung bildet;
auch die Natürliche Tochter war der Teil einer Trilogie
Eugenie und für die Aufgeregten ist als früherer Titel Breme
von Bremenfeld bekannt.
So einfach nahm Schiller die Aufgabe nicht ; er suchte
Titel. Für unhistorische oder der grossen Menge nicht be-
kannte Stoffe war ihm ein Personenname zu blass. Dem
Streben nach Farbe entspringt daher die häufige Nennung des
Schauplatzes, wobei übrigens auch die rhythmische Wirkung
mitgesprochen haben kann (Die Ritter von Malta, Die Jung-
frau von Orleans, Die Kinder des Hauses, Die Braut von
Messinaj. Bei aller Prägnanz liebte er ein hingeworfenes
Fragezeichen, das auf die Lösung eines Geheimnisses neugierig
macht (Die Braut in Trauer) -). und wenn nach Schopenhauer')
der Titel ein Monogramm des Inhaltes sein soll, so tragen die
Stücke Schillers wirklich zum Teil verschlungene Initialen
statt eines nüchternen Aufdruckes.
') W. A. IV, Bd. 2 S. 158.
•) Den gleichen Titel trägt übrigens ein in Homes Grundsätzen der
Kritik häufig citiertes Stück von Congreve, das bereits J. E. Schlegel
fragmentarisch übersetzt hatte. Auch Schink begann später eine Über-
setzung, der er den Titel „Hass und Liebe" gab (Litterar. Fragmente.
Graz 1785 II, 221 ff.)
') Werke hsg. v. Grisebach, Bd. V, S. 534.
22 —
2. Oattimg und Aktzahl.
Der vorhergehende Abschnitt hat sich allein mit den
Tragödien- und Drameutiteln der Schillerschen Zeit beschäftigt,
wobei die Komödien ausser Acht blieben. Es hat sich indess
gezeigt, dass Titel, auf die früher allein das Lustspiel ein
Anrecht gehabt hatte, auch für das ernste Drama aufkamen.
Allerdings war es auch neuer Inhalt, der in die neuen Schläuche
floss. In Frankreich war es Diderot, der zwischen den Polen
der hohen Tragödie und der Komödie Zwischenstationen er-
richtete ; von Seiten des Lustspiels sollte das genre serieux,
von Seiten des Trauerspiels die tragedie domestique et boui'-
geoise die Kette schliessen. ^) Den Mustern, die Diderot selbst
für die eine Gattung schuf, gab er den Namen comedie, während
Lessing den pere de famille und den fils naturel als „Schau-
spiele" übersetzte. Für die andere Art hatte Lessing selbst
schon vorher einen Beitrag geliefert, nachdem er in der Thea-
tralischen Bibliothek bei-eits das „bürgerliche Trauerspiel" der
Engländer erwähnt hatte. ^) Sogar Gottsched hatte sich
dieser neuen Richtung nicht verschlossen und in der 4. Auf-
lage seiner Critischen Dichtkunst für die comedie larmoyante
des Nivelle de la Chaussee den Namen „bürgerliches oder ade-
liges Trauerspiel" vorgeschlagen. Damit hatte er sich moder-
ner gezeigt als Joh. El. Schlegel, der nur „Handlungen hoher
Personen, welche Leidenschaften erwecken" als Trauerspiele
anerkannte und Handlungen niedriger Personen von derselben
Wirkung unter die Komödien einreihte. ^)
Beaumarchais in Franki-eich blieb ebenso wie Lessing
nicht bei dem Ausdruck comedie für das genre serieux stehen;
seine „Eugenie" ging als drame in die Welt, ebenso „Die beiden
Freunde". Als Mercier dann seinen Neuen Versuch verfasste,
') Theat. d. H. Diderot (Lessing) II, S. 236.
") Lachm.-Muncker VI, S. 6 f.
") Deutsche Litt.-Denkm. 26 S. 207.
— 23 —
war die Gattung des Dramas in Deutschland bereits reich
eraporgebliiht, während er in Frankreich noch darum kämpfen
musste. ^) Nach ihm sollte der g'anz allgemein gefasste Be-
griff Drama die Form sein, in die jeder Inhalt gegossen werden
könnte. „Fallt, fallt ihr Mauern, die ihr die Gattungen
trennt!" rief er aus, „der Dichter muss eine freye Aussicht
in ein unermessliches Feld haben". ^)
Es wurde in der That Bresche gelegt, und als die beiden
bisher in reinlicher Trennung parallel fliessenden Ströme in
einander mündeten, entstand ein Strudel, in dem die Poetik ihren
Kurs nicht gleich zu flnden wusste.
Auf der einen Seite suchte man das Gebiet der Tragödie
zu erweitern : Sulzer will ,,.jede theatralische Vorstellung einer
wichtigen und pathetischen Handlung" hierher rechnen ; für
ihn ist ,,die Tragödie von der Komödie blos durch die grössere
Wichtigkeit und den hohen Ernst ihres Inhalts ausgezeichnet''.')
Den Gegensatz dazu stellt Lenz dar; er biegt seine innerlich
tragischen Stoffe zu glücklit-lien Schlüssen um und nennt sie
Komödien; aber auch für bluttriefende Themata vermeidet
er das Wort Tragödie : entweder sucht er das alte „Haupt- und
Staatsaktion'' *) hervor oder er greift auf das Gebiet einer
anderen Kunst hinüber: Die sizilianische Vesper, ein histori-
sches Gemälde. Gemälde ist dabei ein indifferenter Begriff,
denn auch die Komödie nennt er ein Gemälde der mensch-
lichen Gesellschaft,^) inid die tragikomischen „beiden Alten" ge-
hören zu den ersten ..Familiengemälden''.
') Mercier, Neuer Versuch (Wagner) S. 143. Überhaupt galt im
Auslande das rührende Drama als specifisch deutsche Gattung, Tieck, Krit.
Sehr. IV, 237.
■) Neuer Versuch S. 139.
■') Theorie der schönen Künste 1771 II, 1109. Er hätte sich dabei
auf Leasing berufen können. (Elamb. Dram. 55. Stück. Lachm.-Muncker
X S. 15.)
') Graf Heinrich, Dram. Nach)., hsg. v. Weinhold. Trauerspiel und
Staatsaktion werden in den Anmerkungen übers Theater S. 52 gleichge-
stellt.
•■) Selbstrezension des Neuen Menoza in d. Frankf. gel. Anz. U. Juli
1775.
— 24 —
Wagner wiederum schreibt als Gefolg-smann Merciers ein
„Schauspiel'', das mit zwei Toten und einer Wahnsinnigen
endet. Endlich hatte selbst Lessing sich in jenen Jahren auf
keinen umgrenzten Begriff eingelassen und für seinen Nathan
im Anschluss an Voltaire ^) die allerweiteste Bezeichnung ge-
wählt: „Dramatisches Gedicht".
Es darf uns nicht wundern, wenn wir bei seinem ersten
Auftreten auch den jungen Schiller unsicher sehen. Wenn er
bei den „Räubern" vom Schauspiel zum Trauerspiel überging,
so machte keine innere Veränderung diesen Wechsel notwen-
dig; auch besprach er im Wirtem bergischen Repertorium das
Stück nach wie vor als Schauspiel, obwohl er die Bühnen-
bearbeitung ausdrücklich zu Grunde legte.^) Gerade umgekehrt
war es mit dem Fiesko ; auch mit gutem Schluss gab er dies
Stück noch immer als Trauerspiel an die Bühne.
Andere Gründe als die Unsicherheit der Terminologie
werden sich kaum finden lassen; bei den „Räubern" könnte
man sogar späterhin gerade die umgekehrte Entwickelung er-
kennen : das Stück war ein Trauerspiel, solange es mit dem
gewissen Tode Moors endete ; sobald der Dichter aber an eine
Fortsetzung des Stoffes dachte, wurde es ein Schauspiel. Da-
mit nähern wir uns wenigstens der späteren Terminologie
Schillers, mit der er zu Goethe in Gegensatz steht: Goethe
nennt bereits die natürliche Tochter mit Rücksicht auf die
ganze Trilogie „ein Trauerspiel" ; Schiller bezeichnet so erst
die Katastrophe seines Wallenstein ; ^) die Piccolomini gehen
als Schauspiel voi'aus ; der ganze Komplex heisst „dramati-
sches Gedicht".
Ebenso, aber mit anderer Bedeutung, hatte er den Don
Carlos genannt. Während Kabale und Liebe von selbst in
die Gattung des bürgerlichen Trauerspiels hineingewachsen
*) Die Ghebern heissen poeme dramatique ; E. Schmidt, Lessing
2. Aufl. II S. 360.
') Goed. II, S. 354.
*) An Körner 30. Sept. 1798, Jonas V. S. 487. „Das dritte Stück
heisst "Wallenstein und ist eine eigentliche vollständige Tragödie : die Picco-
lomini können nur ein Schauspiel, der Prolog ein Lustspiel heissen".
— 25 —
war, hatte Schiller hier wieder unschlüssig" g-estanden. Er
musste vor der Kritik auf der Hut sein, die sich auf jede zu
anmassend klingende Bezeichnung grestürzt hätte; denn, hatte
Lessing- die Methode aufg-ebracht. bei BesprechuuL'en mit Titel
und Charakter des Stückes zu beginnen, so waren ihm Nach-
ahmer erstanden, bei denen pedantische Haarspalterei zur Ma-
nier wurde. H. L. Wagner wollte darum nachträg-lich seine
Kindermörderin nur ,.fürs Cabinet" g-eschrieben h^ben ^) ;
Schiller leugnete bei den Räubern von vornherein den Gedanken
an eine Aufführung ab und entschuldigte seine freie Technik
in der Vorrede als die eines dramatischen Romans. Den Dom
Carlos nun nennt zwar die Vorrede in der Rheinischen Thalia
bereits auf der ersten Zeile eine „Tragödie" und spricht von der
Möglichkeit, dass gewinnsüchtige Scbauspieldirektoren das
Stück vor der Zeit auf ihr Theaterschaifot schleppen würden:
im dritten Heft der Thalia aber wird alles ängstlich zurück-
genommen: das Pamilieng-emälde aus einem königliehen Hause
ist kein Theaterstück. Wenn Schiller sich endlich für die
Bezeichnung des Lessingschen Nathan entschied, so scheint er
damit den Begriff der Unaufführbarkeit zu verbinden ''), denn
die Bühnenbearbeitung-en heissen wieder , Trauerspiel".
Die späteren Dramen besitzen die Hühnenform ; auch in
der Fknennung fühlt sich Schiller nunmehr sicher und wenn
in den Titellisten die Polizey als Trauerspiel, Schauspiel und
Lustspiel begegnet, so ist dieser Wechsel in völligen Ver-
schiedenheiten des Planes begründet. ')
Die antik-französischen und deutschen Bezeichnungen sind
für Schiller im Wesentlichen gleichbedeutend. In den Ent-
würfen der Maltheser wechselt Tragödie und Trauerspiel; in
seinen Briefen und theoretischen Schriften zieht er Tr^tgödie
vor; im Druck trag-en die Stücke dafür meist die deutsche
') Vorrede zu Evchen Humbrecht; E. Schmidt, Wagner 2. Aufl. S. 96.
•) Nathan der Weise konnte nach Döbbelins missglücktem Versuch
a783) als unauff'ührbar gelten. E. Schmidt, Lessing 2. Aufl., II, S. 415.
Im Jahre 1801 wurde in Magdeburg und Weimar die Bühne dafür erobert
Friedr. Ludw. Schmidt, Denkwürdigkeiten, hsg. v. Uhde I, 84 ff.
',) Stettenheim, Schillers Fragment Die Polizey S. 39.
— 26 —
Benennung und al>; er bei der Jungfrau von Orleans einmal
eine Ausnahme macht, hat er deshalb gleich einen Rezensenten
auf dem Hals, der hinter dem „zweydeutigen" Wort Tragödie
etwas sucht. ^)
Die Tragödie erfordert den tragischen Tod des Helden :
so weit hatten sich nach der Verwirrung der siebziger Jahre die
Begriffe wieder geklärt: Stella wurde 1805 aus dem Schau-
spiel zum Trauerspiel ; Wilhelm Teil wurde im Gegensatz
zum Bühnen -Fiesco, obwohl auch er eine wichtige und pathe-
tische Handlung darstellte, Schauspiel '') genannt, und ebenso
hiess Torquato Tasso, der unserem modernen Gefühl, wenn
auch nicht unbestritten , als Trauerspiel gilt. Voq den
Romantikern scheint dann der Vers als die der Tragödie not-
wendig eigene Foi m angesehen worden zu sein ; danach klingt
es wenigstens, wenn A. W. Schlegel den Italienern empfiehlt,
ihre Tragödien zum Teil in Prosa zu schreiben und dann
historische Dramen zu nennen. ^) — Zwischen Drama und
Schauspiel mag eine kleine Verschiedenheit des Gebrauches
festgestellt werden ; als Charakter einzelner Stücke kommt
Drama im Laufe des Jahrhunderts immer mehr ab (nur als
lyrisches Drama, Monodrama, Duodrama hält es sich); in der
Poetik dagegen bewahi't es den besonderen Inhalt, den es
durch Beaumarchais und Mercier empfangen hatte. Bis auf
Euripides fühien Goethe und Wilhelm von Humboldt diese
Gattung zurück : ,,es sind mehr menschliche Leidenschaften
und Gesinnungen; es ist nicht mehr die tragische Furcht und
der Schrecken, es ist mehr Rührung". *) Goethe selbst hat
die Aufgeregten ein politisches ,, Drama" genannt, ohne damit
gerade diese Definition ganz zu erfüllen; als typisches Beispiel
der Gattung, die das Unauflösliche durch Rührung beiseite
bringt, führte er selbst Kotzebues „Schauspiel" Menschenhass
>) Braun III, 275.
0 In einem etwa aus dem Jahre 1802 stammenden Titelverzeichnis
steht auch der Teil als Tragödie. Kai. S. 192. Kettner, Schillerstudien,
Progr. Schulpforte 1894 S. 2.
") Werke V, S. 368.
') Goethes Briefw. m. d. Gebr. Humboldt (Bratranek) S. 77, 111.
— 27 —
und Reue an; auch Schillers Menschenfeind und Die Kinder
des Hauses wären in diesem Sinne Dramen geworden.
Sie heissen „Schauspiel",^) ebenso wie die ersten Räuber
und Wilhelm Teil. Anderen z'?ito'enössischen Dramatikern war
diese umfassende Bezeichnung' zu alltremein. Das von Klopstock
aus dem Tacitus hervor;j"esuchte fremdarti.t'e Wort Bardiet
übersetzte Babo für seine Römer in Teutschland als „drama-
tisches Heldengedicht"; ein „heroisches Schauspiel"-) nennt
er die Strelitzen ; ebenso hatte Thamos, König- v. Aegypten
von Frhr. v. Gebier ..heroisches Drama" geheissen. Wenn
darin die Absicht lag-, einer Verwechslung* mit dem bürg-er-
lichen Drama — dem Drama schlechthin — auszuweichen,
so wollte auch dieses wiederum nichts mit dem historischen
Schauspiel zu thun haben und drückte seinen Verzicht auf
g-rosse Handlung mit dem Wort .,Gemälde" aus. Aus der
Poetik der Schweizer ^) hatte Lenz diese Bezeichnung über-
nommen ; auf Die beiden Alten folgt das „Familiengemälde"
Nicht mehr als .sechs Schüsseln von Giossmann und das „bür-
gerliche Familiengemälde" Der Vetter aus Lissabon von Schröder.
Wenn Iftland danach ein „ernsthaftes Familiengemälde"*) schrieb,
so setzte er offenbar Familiengemälde gleich Komödie, indessen
bedeutet das Wort schlies.slich dasselbe, was Goethe und
Humboldt mit „Drama" ausgedrückt hatten; so nennt A. W.
Schleg-el die Elektra des Euripides ein „Familiengeraälde in
der heutigen Bedeutung des Wortes." ^)
'l Den versöhnten Menschenfeind allerdings bezeichnet Schiller in
der Thalia als Trauerspiel, obwohl Titel und Exposition auf guten Schluss
deuten. Körner dagegen spricht vom Schauspiel.
■) Dryden wollte das ..heroische Schauspiel" als neue Gattung er-
funden haben. A. W. Schlegel, Werke VI, S. 359.
^) Servaes, Die Poetik Gottscheds u. d. Schweizer Qu. u. F. LX
S. 73 ff. Weinhold, Dio sicilian. Vesper, Einl.
') Verbrechen aus Ehrsucht. Mannheim 1784.
'") Werke V, 161. Auch Schiller stellt Dramen (Mitteldinge zwischen
Lustspiel und Trauerspiel) und die beliebten Familiengemälde zusammen
Goed. X, 154.
— 28 —
Schiller, der die Räuber als das Gemälde einer verirrten
grossen Seele ankündigte, den Menschenfeind als Charakter-
gemälde und d(^n Don Carlos zweimal als Familiengemälde aus-
gab (das eine Mal war es ihm kaum ernst damit), ^) dachte
dabei nicht, diesen Ausdruck als Untertitel zu gebrauchen.
Bei anderen Dramatikern dagegen findet nach Lenz das „his-
torische Gemälde" ') weitere Pflege; Meicier schrieb in Frank-
reich sein Portrait de Philippe II; in Deutschland gehören
hierher das „historische Gemälde" Graf Peter der Däne von
Fr. V. Kleist, das „romantische Gemälde" Johanna von Mont-
faucon von Kotzebue und Sodens „historisch-romantisches
Gemälde" Franz von Sickingen, bis die Schicksalsdramen so-
gar ein „Schaudergemälde" als Titel hervorbrachten. ^)
Bei dem neutralen „Gemälde" treffen also bürgerliches
und heroisches Drama, die sich hatten aus dem Wege gehen
wollen, wieder zusammen ; da jedoch das metaphorische Wort
einen Zusatz erforderte, blieb die Scheidung leicht möglich.
Angefangen hatte man mit diesen Zusätzen noch vor
Aufkommen des Dramas bei dem Trauerspiel ; Cronegk hatte
ein ,,Christhches Trauerspiel" geschrieben, eine tragedie sainte
im Gegensatz zur antikisierenden französischen Tragödie, der
er in seinem ersten Stücke gefolgt wai'. Das ,, bürgerliche"
Trauerspiel suchte einen ähnlichen Gegensatz, und nachdem
') Minor II, S. 543.
*) Die Bezeichnung soll nebenher — ebenso wie sie Schiller für den
Don Carlos angewandt hatte — als Entschuldigung für eine freiere dra-
matische Form dienen ; Kotzebue spricht dies deutlicli im Vorbericht zu
Gustav Wasa und Bayard aus : „Nicht als eigentliche Schau- oder Trauer-
spiele, bitte ich den Leser und Beurteiler diese beiden Werke zu betrach-
ten ; sondern als historisch-dramatische Gemälde". Auch beim Wallenstein
schreibt Schiller an Goethe (18. Nov. 1796, Jonas V, 113), wenn der Stoff
die Qualifikation zur Tragödie nicht besitze, wolle er ihn trotzdem nicht
aufgeben, sondern wenigstens ein würdiges dramatisches Tableau daraus
machen. Schon in den Khein. Beitr. z. Gelehrsamkeit 3. Heft. 1. März
1779 S. 192 heisst es : „Unter historischen Gemälden scheint man gemei-
niglich nichts mehr zu verstehen, als in Gespräche übersezte einzelne
Auftritte und besondere Lagen aus der Geschichte, welche diser Art von
Vergegenwärtigung fähig sind".
'■') Freisleben, Schaudergemälde aus der wirklichen Welt. I^eer 1828.
— 29 —
einmal die Stände auf der Bühne ihre Rolle spielten, konnte
ein „militärisches Drama" ^j entstehen, ein „ländliches Schau-
spiel" "), ein „ländliches Familieng-emälde" ^), ein „Künstler-
Schauspiel" •*), ein „Ordensgemälde" ^) und dazwischen eine
Menge von „Ritterschauspielen". ^) Wenn der Götz auch
„vaterländische Stücke" nach sich zog-, so war damit bereits
eine Tendenz ausgesprochen ; einen Schritt weiter ging Schiller,
indem er das „republikanische ") Trauerspiel" Fiesko schiieb;
er suchte darin eine gewisse Fühlung mit dem Publikum,
wenn auch nicht so intim, wie Goethes (und nach ihm Klin-
gers) ^) „Schauspiel für Liebende" ; Tieck nennt einmal diesen
Untertitel einen ungenügenden Prolog. ')
Mit Hinweisen auf den Inhalt des Stückes kann sich auch
im Untertitel eine Vorbereitung auf Schauplatz und Zeit ver-
binden. Die Bezeichnung Ritterschauspiel weist in das Mittel-
alter; noch deutliciier waren Bezeichnungen, wie „ein Denkmal
der Barbarey des dreyzehnten Jahrhunderts"^") oder ein „Schau-
spiel aus den Zeiten des Faustrechts". ")
') Arno, ein müitärisches Drama v. Babo 177ü. Eine AufzähJuug
der mannichfaltigsten Untertitel bei Koberstein Gesch. d. d. Nationallitt.
5 Aufl. III, S. 400.
■) Wälder, ein ländliches Schauspiel mit Gesang v. Gotter.
•') Die Jäger, ein ländliches Faniiliengemälde von Iffland. Zach.
Werner schwankte später für seinen 24. Februar zwischen ,, Trauerspiel"
und „ländlichem Famiiiecgemälde" Teichm. S. 331.
*) Lenz, Katharina von Siena, Dramat. Nachl. (Weinhold) S. 144.
^) Zach. Werner, Die Templer auf Cypern.
") So nannte Goethe selbst 1809 seine zweiteilige Bühnen bearbeitung
des Götz.
') In der Bühnenbearbeitung blieb das aufreizende Attribut weg.
Übrigens suchte Schiller hierin vergebens mit dem Mannheimer Publikum
Fühlung: 5. Mai 1784 anReinwald: ^Republikanische Freiheit ist hier zu
Lande ein Schall ohne Bedeutung — ein leerer Name — in den Adern
der Pfäizer fliesst kein römisches Blut".
*) E. Schmidt, Lenz und Klinger S. 81.
") Ges. Sehr. v. Lenz I, Einleit. S. XXXIV.
'") Kotzebues, Adelheid v. Wulfingen 1789.
") Ziegler, Die Pilger 1792. Mathilde, Gräfin v. Giessbach,
— äoir—
Während „vaterländisch'" die Bezeichnung- für auf dem
Heimatboden spielende t5tücke war, wurde der exotische Schau-
platz, ebenso wie die fernliegende Zeit, durch das Wort „ro-
mantisch" ausgedrückt. Es war, wie A. W. Schlegel sagt, ^)
die Fratze des Romantischen, die an diesen in Peru, Kam-
tschatka oder der Ritterzeit spielenden Rührstücken die Menge
anzog; und so wurde ,,auf hundert Komödienzetteln der Name
Romantisch an rohe und verfehlte Erzeugnisse verschwendet
und entweiht".
Mit einer anderen Absicht, als Kotzebue, gebrauchte
Schiller dieses Beiwort; bei der Jungfrau von Orleans war
es ihm darum zu thun, das Publikum für das wunderbare Ein-
greifen einer höheren Macht gläubig zu stimmen.
Für eine weitere Aufgabe des Untertitels hielt es die
französische Tragödie, die Form des Stückes anzugeben : en
cinq actes et en vers lautete die gebräuchhche wenig logische
Zusammenstellung. Als nun im Laufe des Jahrhunderts die
Prosa in Deutschland zur Regel wurde, kam diese Bezeich-
nung ab. Ayrenhoff war einer der Letzten, die daran fest-
hielten; '^) alleinstehend blieb später Kotzebues Versuch, mit
der Einführung des Verses auch diese Ankündigung wieder
anzubringen: „Gustav Wasa, ein Trauerspiel in Jamben". ^)
Diese beiden Dichter treffen übrigens zufällig auch in einem
andei-en Punkte zusammen ; Ayrenhoff macht lange vor Schiller,
Kotzebue im gleichen Jahre "^j mit der Braut von Messina den
Zusatz „mit Chören" ; bei beiden handelt es sich um allge-
meine Gesänge. „Hier gewiss Chöre, nicht der Chor, wie bei
den Griechen", sagte indessen Tieck auch von dem Schiller-
schen _Stück. ■') Zwischen Ayrenhoff und Kotzebue liegen die
') Werke Bd. VI, S. 432.
■) Hernian und Thusnelde, Trauerspiel in Versen. Thiumelicus oder
Hermaus Rache, Trauerspiel in Prosa mit Chören.
') So wenigstens auf dem Wiener Theaterzettel. Laube, Burg-
theater S. 79.
*) Die Hussiten vor Kaumburg inj Jahre 1432.
'•) Krit. Sehr. II, S. 347.
Stolberg.schen ..Schauspiele mit Chören", Erneuerungen der
Antike, die auf Schiller nicht ohne Eindruck blieben. ^)
Als Schiller zuerst an die Einführung des Chores dachte,
wollte er auf die Akteinteilung- verzichten und fragte Goethe,
woher denn diese Einiichtung überhaupt stamme. -') Die
Regel geht auf die ars poetica zurück. Wieland aber ^) sah
darin nur einen Scherz des Horaz, dass er die Regel, „die
der elendeste Stümper so gut beobachten kann, als ein Äscliy-
los", als eine Sache von der ersten W'ichtigkeit behandelte.
Vorher hatte schon Joh. El. Schlegel über das Recept des
Abbe von Aubignac, der den Akt schlechthin als cinquieme
partie du Poeme draraatiiiue delinierte, gespottet: „Die aller-
leichteste Art, ein Stück von gegebener Grösse in .5 Aufzüge
zu theilen ist, wie man eine Linie in 5 Theile schneidet. —
Der Poet nimmt sich vor eine gewisse Anzahl Verse zu
machen und wenn er den 5 ten Theil davon fertig hat, nennet er
es Aufzug. "*) Ähnlich hatte in der That Gottscheds ernst-
gemeinte Regel gelautet. '") In Frank reich nennt erst Mercier
das Gesetz lächerlich, das jedes Theaterstück in fünf Akte
zwingen will : seine eigene Produktion weist 3, 4 und 5aktige
Dramen auf ; nur der Philippe IL hat 52 Scenen und keine
Akteinteilung. Dieses Stück ist aber nicht^ wie man anneh-
iLen sollte/') für die Bühne unmöglich; die vier Schauplatzan-
gaben beginnen jedesmal: le theatre represente . . . , das
Ganze besteht aus sechs Sceuenkomplexen auf gleichem Schau-
platz, die Mercier vielleicht nur deshalb nicht Akt zu nennen
') Schiller au Körner 15. Nov. 1802, 7. Januar 1803, Jonas VI, 428,
VII. S. 2.
') An Goethe 8. Dez. 93. Jonas V. S. 296.
Creizenach, Gesch. d. neueren Dramas II, S. 486.
^) Wieland, Horazens Briefe aus dem Lat. übers. Leipzig 1790 S. 204.
A. W. Schlegel, Werke VI, S. 27.
*) D. L. U. 26 S. 40.
^) Crit. Dichtk. (1730) S. 57L
•"') Neuer Versuch (Wagner) S. 334 f. Es darf nicht missverstanden
werden, wenn Minor II, 477 von der „monströsen Form von 52 Scenen
ohne jeden Abschnitt" spricht.
— 32 —
wagte, weil er nicht über die Fünf zahl hinausgehen wollte.
(Einen Öcenenwechsel innerhalb des Aktes gestattet er ja
nicht.) Aber „auf dem deutschen Theater geht alles an",
heisst es in dem sechsaktigen Triumph der Empfindsamkeit ^)
und Merciers Übersetzer Wagner streckte als doktrinärer Re-
volutionär seine eigenen Stücke in ein sechsaktiges Schema.
In die gleiche Lage kamen die Shakespearebearbeiter,
aber gezwungener Weise. Wenn Schröders zweite Hamletbe-
arbeitung -) und Dalbergs Julius Cäsar sechsaktig erschienen, so
war daran keine Verschiebung des Auf baus schuld, sondern
ein bühnentechnischer Grund : Verwandlungen, die nicht auf
oifener Scene zu bewerkstelligen waren. Da der Vorhang
innerhalb eines Aktes nicht herunterging, war das Publikum
gewöhnt an seinem Fallen die Zahl der Aufzüge nachzurech-
nen. Solange der Vorhang auch zwischen den Akten nicht fiel,
war die Angabe der Aktzahl auf dem Theaterzettel überhaupt
nicht notwendig; in der That scheint sie erst später aufge-
kommen zu sein; Friedr. Ludw. Schmidt ^) nennt 1750 als
das Jahr.
Aus der Identität von Akt (Abhandlung, Handlung) und
Aufzug entwickelte sich nun eine vorübergehende Bedeutungs-
verschiedenheit ; während Aufzug die Bezeichnung für die
äusserlich sichtbaren Einschnitte wurde, bedeutete Akt nach
wie vor die innere Gliederung. Gemmingen konnte so weit
gehen, das eine dem anderen unterzuordnen; sein „deutscher
Hausvater"' ist in der ersten Ausgabe in fünf Akte eingeteilt,
von denen die ersten vier aus je zwei Scenen bestehen.
Zwischen diesen „Scenen" durfte der Vorhang nicht fallen.
Die dritte Ausgabe setzt dagegen statt Scene ,, Aufzug" ein,
und stolz auf diese Neuerung hält sich nun der Dichter für
berechtigt, den Vorhang neunmal fallen zu lassen. •*) Das-
selbe Verfahren beobachtete die Mannheimer Bühne bei der
'J W. A. I Bd. 17, S. 63.
O Litzmann, Schröder II, S. 202f.
^) Almanach 18U9, S. 56.
■') D. Nat. Litt. 13Ü, 1 S. 14. Flaischlen, Gemmingen S. 39 f.
Übiigens gestand die Kritik dieses Auskunftsmittel nicht allgemein zu,
— 33 —
Aufführung der Räuber; „der Vorhang fiel zweimal zwischen
den Scenen . . . und so entstanden sieben Aufzüge" berichtet
Schiller selbst ^) ; das Mannheimer Bühnenmanuskript spricht
von sieben Handlungen, der Schwansche Druck des Trauer-
spiels dagegen behält die fünf Aufzüge bei.
Der gleiche Gegensatz zwiischen Dichtung und Theater-
bearbeitung begegnet uns noch bei zwei späteren Stücken Schillers.
Die Hamburger Bühnenbearbeitung des Don Carlos nennt der
Dichter in einem Brief an Schrödeisiebenaktig; das von Möller-)
herausgegebene Hamburger Manuskript hat zwar nur fünf Akte,
aber trotzdem lassen sich die beiden Einschnitte erkennen, die ein
Fallen des Vorhanges bedingen: IV, i beginnt mit einer Situation
(König, vor ihm die Infantin); in V, 7 bleibt Posas Leichnam
auf der Bühne; beidemale also kann sich der Dekorations-
wechsel nicht ohne weiteres bei offener Bühne vollziehen. ^)
An der sechsaktigen Zusammenziehung des ,, Wallenstein"
für das Mannheimer Theater *) Avar Schiller unbeteiligt ; dagegen
ging nach seiner Einrichtung die „Jungfrau von Orleans"
sechsakiig über die Bühne. Und eigentlich hat die Bühnenaus-
gabe hier sogar recht; schon bei der Ausarbeitung des Planes
hatte Schiller geklagt, dass sich der Stoff nicht in wenig grosse
Massen ordnen wolle und dass er ihn in Absicht auf Ort und
Zeit in zu viel Teile zerstückeln müsse ^) ; die Scene in Dom
siehe Reichards Theater-Journal für Deutschland St. XXI S. 39. Frh. v.
Drois, Dramaturgischer V^ersuch über den teutschen Hausvater.
'j Goed. II, S. 373.
'■) 18. Dez. 86. Jonas I, 320. Merkwürdigerweise plante Seh. da-
mals eine Buchausgabe in neun Akten.
Müller, Studien zum Don Karlos, Greifswald 1896. Dazu Elster,
Anz. f. d. Alt. 24, S. 193.
^) Auf den zweiten Einschnitt weist auch noch eine Stelle in dem
späteren Brief an Schröder (-4. Juli 87, Jonas I, S. 349) hin : „oder Sie
lassen den Vorhang mit Albas letzten Worten fallen : Ich gebe Madrid
den Frieden — und ziehen ihn mit der Scene auf, wo er mit Feria zu-
rückkommt. Schade aber für Lermas letzte Scene mit Carlos".
*) Walter II, S. 155. Kilian, Der einteilige Theaterwallenstein,
Berlin 1901, S. 86.
') An Goethe 26. Juli 1800, Jonas VI, S. 176.
PulaeHtra XXX:iI. 8
— 34 —
Rem)' ist nun nicht wie Wallensteins Lag-er ein vorkompö-
nierter Prolog, sondern ein aus Überfluss an Stoff abgestossener
erster Akt ebenso wie das später geplante Deinetriusvoispiel,
das ,,bald dem Wallensteinschen, bald dem Orleanischen ähn-
lich sein sollte" ^). Das eine (von der Orleans'schen Art)
wäre jedenfalls die Scene in Sambor gewesen: als das an-
dere fasse ich die Landbotenscene im Wirtshaus auf („diese
Scene dient der Hauptscene zum dramatischen Pi'ologus") '^) ;
beide gehören in den Entwürfen noch dem ersten Akte an.
Indem Schiller solche Amputationen vornahm, erkannte
er das Gesetz der Fünfzahl an; wo sich die Einteilung nicht
von selbst ergab, erreichte er sie durch Kunstgriffe; nachdem die
Teilung des Wallenstein vollzogen ist, schreibt er an Goethe
über das letzte Stück: „Ich habe es endlich glücklicher weise
arrangieren können, dass es auch fünf Akte hat" '').
Nach Frey tags Technik des Dramas sollte sich jeder
Stoff unter den Händen des Dichters von selbst in fünf Teile
zerlegen; Anatomie der Tragödie ist das Wort, das Henke
ungefähr zur gleichen Zeit schuf. Für Schiller, aus dem
diesei- Satz zum guten Teil abstrahiert ist, mag er meistens
zutreffen ; es ist keine Tüftelei, wenn man aus dem Zweitage-
werk Wallenstein noch die fünf Akte der ersten Konzeption er-
sehen will *). Auch in den zwei Stücken, die nach antikem
Muster die Akteinteilung überhaupt verschmähen, finden sich
solche Spuren. Eine von den ersten Aufzeichnungen zu den
Malthesern spricht von dem Chor zwischen dem I\'. und V".
Akt ^) und auch die „Braut von Messina" gliedert sich durch
Verwandlung der Dekoration in fünf Teile. Auf dem Theater
würden aber ihrer Kürze halber der zweite und dritte Ab-
schnitt veieinigt; in Weimar wurde das Stück als „Trauerspiel
mit drey Pausen'' aufgeführt und da.^ Hamburger Theater-
') Tag- und Jahreshefte 1805. W. A. I, Bd. 35 S. 191.
') Dram. Nachl. I, S. XXI, LXVI, 111, 128 ff, 168.
") 7. März 1799. Jonas VI, S. 17.
*) Bellermann II, S, 51 ff.
'•) Dram. ^'achl. II, S. 2.
— 35 —
manuskript brachte die Einteilung in vier Akte auf, die in die
meisten späteren Ausgaben überging.
Als Bühnenpraktiker also legt Schiller auf die Aktzahl
keinen Wert; ihm gilt ein ähnliches Zweckmässigkeitsprinzip,
wie es Gottsched und später Öulzer ausgesprochen hatten:
eine ohne Unterbrechung fortlaufende Handlung würde die
Zuschauer ermüden '); für den inneren Aufbau dagegen ist
ihm die von Gottsched gedankenlos nachgesprochene Regel des
Horaz wesentlich :
Neve minor quinto neu sit productior actu
Fabula.
3. Persoiienverzeichnis.
Unter den Personen Verzeichnissen der Schillerschen Dramen
nimmt das des „Fiesko" eine Sonderstellung ein. Das Be-
streben, von voinherein mehr anzugeben, als Namen, Stand
und Beziehungen der Personen, geht wohl im Keim auf Di-
derot zurück. In der Abhandlung Von der dramatischen
Dichtkunst, die er an seinen Hausvater angehängt hat, finden
sich Mitteilungen, in welchem Costüm die Personen bei einer
etwaigen Aultuhrung auftreten sollten -). Als Vorschriften
für die Schauspieler waren diese Bemerkungen von Wert, aber
sie brauchten nicht in die Hände des Publikums zu gelangen ;
trotzdem lag es zu nahe, sie im Druck mit dem Personenver-
zeichnis zu verbinden, und Beaumarchais that diesen Schritt.
In dei- „Eugenie" schickt er, abgesondert von der Rubrik Ac-
teurs ein zweites Personenregister voraus mit dei- Überschrift:
Habillement des persounages suivant le costume de chacun en
•) Grit. Dichtk. S. 570. Theorie d. schönen Künste I, S. 168 ff.
-) Tüeater des Herrn Diderot (Lessing) II, S. 281 ff. Das bürger-
liche Drama übernahm die genaue Beobachtung des Äusseren vom eng-
lischen Roman ; andererseits näherte sich dieser dem Drama, indem er
Personenverzeichnisse voranstellte, z. B. Richardsons Grandison.
— 36 —
Aug-leterre ^) ; in den „beiden Freunden" findet sich ohne
Kostümvorschriften hinter den Namen eine kurze Charakteristik
z. B. homme vif, honnete, franc et naif; der „tolle Tag"
vereinigt beides: Caracteres et habillements de la piece.
Abgesehen davon, dass schon im Titel Andeutungen über
Äusseres, Kostüm, Charakter des Helden enthalten sein konnten
(„Der Mohr von Venedig", „Götz von Berlichingen mit der
eisernen Hand", „Nathan der Weise"), wird eine Geschichte
des Theaterzettels zeigen, wie sich schon seit früher Zeit der-
artige Angaben gelegentlich in das Personen Verzeichnis ein-
schlichen. Ben Jonson z. B. giebt einmal ein zweites Per-
sonenverzeichnis : The character of the persons -), und Moliere
beschi'eibt genau das Kostüm seines Malade imaginaire ; in
Deutschland finden wir eine Kostümbeschreibung als Zuthat
des Bearbeiters Koimart zu Corneilles ,,Polyeucte"; später in
den Personenverzeichnissen der Wiener Staatsaktionen ^); auch
Lessings „Dame in Trauer" ist schliesslich eine Kostüm Vorschrift*).
Der Charakter einer Person wird bei Weisse bezeichnet:
„Richard der Dritte, Protector von Engelland, der sicli aber durch
seine Ränke auf den Königlichen Thron
erhoben"
und ähnlich heisst es in Lenzens Öicilianischer Vesper :
„Johann von Procida, ein übelgesinnter Sizilianer".
Noch weitei' geht Lenz in „Die Freunde machen den Philo-
sophen", wo er ganz Nebensächliches beifügt :
„Strephon, ein junger Deutscher, reisend aus philosophischen Ab-
sichten.
Don Alvarez, ein Grand d'Espagne, ursprünglich aus Granada, der
nicht lesen und schreiben kann".
^ ') In einer deutschen Übeisetzung der „Eugenie" o. 0. 1768 fehlt
dieses Vetzeichnis. Im gleichen Jahre 1767 wurde das Personenverzeich-
nis der Eugenie von Voltaire in „Le Depositaire" nachgeahmt. Hinter
einzelne Personen hatte bereits das Verzeichnis der „JS'anine" (1749) die
kurze Charakteristik gesetzt.
-') In Every man out of bis humour, ähnlich in The new inn.
^) Karl Weiss. Die Wiener Staatsaktionen S 71, 72 f.
■*) Eine noch genauere teilt Laube aus einem alten Wiener Theater-
zettel mit: „Eniilia, eine junge Wittwe in tiefer Trauerkleidung mit einem
Schleyer über den Kopf'. (Burgtheater S. 24),
— 37 —
An Stolle von diesen launenhaften Beispielen novellistischen
Charakters ^) findet sich die volle Konsequenz bei zwei deut-
schen Nachfolgern Beaumarchais', die ungefähr zu gleicher
Zeit auftreten. Wagners „Evchen Hurabrecht" (1779) ahmt
das Kostümverzeichnis der Eugenie mit peinlich genauer Be-
schreibung der Strassburger Trachten nach ; der andere ist
Gemmingen (1780) in der dritten Ausgabe seines ,, Deutschen
Hausvaters" ^), wo das Kostüm kurz abgethan wird und die
Chai'akteristik der Personen weit wichtiger ist. Dann folgt
chronologisch der «Fiesko*, darauf erst der „tolle Tag" (1784)
und weitere deutsche Nachahmungen in Gotters „Erb-
schleichern" (1789) und Kotzebues „Octavia" (1801), wo es
sich wiederum lediglich um Kostümangabe, in Zschokkes
„Abällino" (1795) und „Julius von Sassen" (1796), wo es
sich um die Charakteristik handelt.
Die Anregung für das Personen Verzeichnis des Fiesco
ist also wohl bei dem deutschen Hausvater zu suchen; nur
fügt Schiller noch Alter und Äusseres hinzu. Während nun
Wagner und Gemmingen erst in späteren, ausdrücklich der
Bühne gewidmeten Beai'beitungen diese Angaben machen,
stehen sie bei Schiller im ersten Druck und fallen in der
Bühnenbearbeitung weg; es wäre aber falsch, daraus die Be-
stimmung für den Leser zu folgern; die lakonische Imperativ-
form, die zu den ganz subjektiv gehaltenen Bemerkungen
Gemmingens kontrastiert, beweist das Gegenteil. Eine richtige
Teilung nimmt der Druck der Bülinenbearbeitung in der Augs-
burger Deutschen Schaubühne ^) vor, mit dem Schiller nichts
zu thun hat. Der für das Publikum bestimmte Theaterzettel
geht voraus; die Vorschriften über Maske und Kostüm sind
losgelöst und am Schlüsse des Stückes beigefügt. Diese
Teilung gilt auch hier; alle für die Schauspieler bestimmten
Angaben sind erst später zu behandeln.
') Man darf darin vielleicht manchmal Rudimente des Entwurfes
sehen ; so gab z. B. Lessing in den Entwürfen gern eine vorläufige Cha-
rakteristik der Personen. (Lachm.-Muncker IIJ, S. 252, 262, 299, 323).
'j riaischlen, Gemmingen S. 92.
•'') Varianten teüweise bei Goed. III als C mitgeteilt,
— 38 —
Zeitpunkt des Personen Verzeichnisses. Die
erste Frage ist : Welchen Punkt in der Entwicklung des
Stückes fasst das Personen Verzeichnis ins Auge? Steht es
gerade an der Schwelle oder verrät es bereits Veränderungen,
die erst innerhalb des Stückes geschehen und enthüllt es That-
sachen aus der Vergangenheit, die zu Beginn der Handlung
noch niemandem bewusst sind ? Das Publikum kann mit der
Gesamtheit der Personen des Stückes auf die gleiche Stufe
der Unwissenheit gestellt, es kann mit den Geheimnissen ein-
zelner Personen vertraut gemacht, es kann auch bereits zur
Allwissenheit des Dichters erhoben werden.
Zum Teil wird ein Unterschied schon aus den Gattungen
hervorgehen ; komische Situationen werden erzielt durch den
Kontrast zwischen dem eingeweihten Zuschauer und den han-
delnden Personen, die ahnungslos im Dunkeln tappen ; man
kann also Diderots Wort wiederholen, die Exposition der Ko-
mödie müsse gewissermassen schon im Anschlagzettel (dans
l'affiche) gegeben sein '), Eine tragische Komödie freilich wie
Lenzens ,, Neuer Menoza", wo die Geschwister wie die Paare
im Contretanz ausgewechselt werden, musste auf Überraschung
des Zuschauers ausgehen. Ebenso erfordert die Anlage des
Dramas zumeist, dass sich vor dem PubUkum die Wahrheit
erst langsam entschleiere. Nach Lessing wollen freilicii nur
die Franzosen und vor allem die Italiener überrascht sein;
er meint, der Dichter brauche das Publikum nicht zu über-
raschen; „er überrasche seine Personen, so viel er will".
Lessing, der so weit geht, auch die Prologe des Euripides,
die schon die Inhaltsangabe des Stückes vorausgeben, gegen
Hedelin zu verteidigen, nimmt als Fundament seiner Aus-
führungen ein langes Zitat aus Diderot auf -).
Der Theoretiker Diderot hätte gern schon auf dem Titel
seines Hausvaters die Verwandtschaft zwischen dem Comthur
und Sophie angedeutet: „Um wieviel würde das Interesse
0 Theat. d. Herrn Diderot (Lessing) II S. 344 f.
*) Hamb Dram. 48.-n0. Stück. Lachm. - Muncker IX, S. 387 ff.
Ebenso Schink, Dramaturg. Monate I, 53,
— 39 —
nicht gewachsen seyn, wenn man gewusst hätte, dass das
jung-e Mädchen, .... die er so hitzig verfolgt, .... seine
eigene Nichte ist?'" Aber in der Praxis hat er doch mit dem
Geheimnis zurückgehalten, und Sophie heisst auf dem Per-
sonenverzeichnis nur eine „junge Unbekannte" ^).
Umgekehrt war man zur Zeit der Wandertruppen ver-
fahren ; auf einem Neuberschen Theaterzettel der Racineschen
..Iphigenia"' (von Gottsched übersetzt) heisst es:
„Eriphile, eine Prinzessin, die selbst ihre Eltern nicht weiss, hernach
aber als eine Tochter des Theseus und der schönen
Helena erkannt wird' ■).
Im Cato war neben dem vorgeblichen Namen auch der
echte genannt: ..Arsene oder Porcia"*; ähnlich in Goethes
Stella : „Cäcilie, anfangs unter dem Namen Öommer*' : beide
Male liegt das Geheimnis nicht im Namen, sondern in den
Beziehuntren, die vorläufig unaufgedeckt bleiben. Gerade die
Hälfte des Geheimnisses kann der Theaterzettel vorausgeben,
während er den Schlüssel noch versteckt hält ; ein Beispiel ist
auch Recha, die angenommene Tochter des Nathan.
Nun kann aber auch der Zuschauer ganz im Dunkeln
bleiben, ja er kann sogar auf eine falsche Spur gelockt werden.
So steht z. B. in Zschokkes Abällino dieselbe Figur zwei-
mal unter verschiedenem Namen auf dem Theaterzettel; oder
in Ifflands ,, Spieler" heisst es :
„von Posert, vormals Hauptmann in Genuesischen Diensten",
obwohl dieser Glücksritter am Ende des Stückes als der Ga-
lanteiiekrämer Mo.sel aus Ulm entpuppt wird. Und Goethes
Geschwister wären in ihier Wirkung geschädigt, wenn im Per-
sonenverzeichnis nicht Maiianne als Wilhelms Schwester stünde.
Bei der Iphigenie war wegen der Bekanntheit der l'abel
eine Überraschung ausgeschlossen ; es war also praktisch
gleichgiltig, ob konsequenter Weise die Beziehungen ver-
schwiegen, oder ob sie genannt wurden, wie J. El. Schlegel es
bereits auf dem früheren Titel seines Stückes gethan hatte ')•
») Theater (Lessings Übers.) II, S. 334.
-) V. Reden-Esbeck, Caroline Neuber S. 173.
•■') Die Geschwister auf Taurien (später Orest und Pylades).
— 40 —
Für Schiller dagegen gab es im ähnlichen Falle keine
Wahl; in der ,, Braut von Messina" darf der ahnende Zu-
schauer vor den handelnden Personen immer nur gerade einen
Schritt Vorsprung haben; der erste Vorsprung besteht darin,
dass er der Vertraute beider Brüder zugleich wird ; aber er
darf nicht mehr wissen als jeder einzelne der Brüder: den
blossen Namen Beatrice.
Ebenfalls auf eine Geschwistererkennung läuft der Stoff
der „Kinder des Hauses" hinaus. Hier scheint Schiller noch
kein Personenverzeichnis entworfen zu haben; er hätte darin
jedenfalls dieselbe Zurückhaltung bewahrt wie in der Nieder-
schrift des Planes, wo er mit Erzählungskunst alle Spannung
beobachtete und vor der Erkenn ungsscene die Verwandtschaft
von Saintfoix und Adelaide nicht durchblicken liess.
Im Demetrius ^) ist infolge der doppelten Enthüllung die
Verwicklung weit komplizierter: in Sambor tritt der Held als
der dunkle Mönch vor uns; die aufsteigenden Akte hindurch
müssen wir mit ihm an seine Echtheit glauben, um auf dem
Höhepunkt mit ihm hinabgestürzt zu werden. Schiller hätte
— vorausgesetzt, die Scene in Sambor wäre noch ausgeführt
worden — zwei Personenverzeichnisse gebraucht : ein eigenes für
das Vorspiel in Sambor, wie er es bereits entworfen hat *)
durfte „Grischka, den Exmönch, Russen und Abentheurer im
Haus des Woiwoden" nur untei' diesem Namen aufführen ;
für die folgenden Akte war die Frage der Echtheit zu über-
gehen (auf den wahren Namen [ütrepeia] kam ja überhaupt
nichts an) und der Held nur Demetrius. Marfa nur Zarin zu
nennen.
') Auch hier hätte bereits der Titel etwas verraten können, so heisst
Cumberlands unvollendete Tragödie „The false Demetrius''; ferner ein
russisches Trauerspiel „Demetrii der Falsche'' von Suniarokow (Litt.- u.
Theaterzeit. 1782 S. 691), ebenso die russischen Stücke von Homjakow
und Ostrowsky. (Popek, Der falsche Demetrius i. d. Dichtung. Gymn.
Progr. V. Linz 1893 S. 6 f.
') Anfangs hatte er vor, den Helden nur als den „Russen" oder
„Moscov?iter" einzuführen, pram. Nachl. I, S. 88, 121, ^25.
— 4] —
Dieselbe Schwierigkeit erfährt bei der wellenförmio-en
Komposition des Warbeck eine Steigerung. Der bewiisste Be-
trüger tritt im ersten Akte so siegreich als Herzog von York
auf, dass der Zuschauer mitgerissen werden soll ^) ; ja „der
Dichter selbst muss augenblicklich den Warbeck vergessen
und bloss an den Herzog von York denken" ''). Im zweiten
Akte offenbart sich Warbeck als Betrüger, aber „sobald es
ausgemacht ist, dass dieser York nur eine Maske, so entsteht
die Neugier, wer dahinter stecken möchte" ^). Diese Span-
nung wird bis zum letzten Akt erhalten; dann folgen Schlag
auf Schlag noch zwei Enthüllungen : das Geheimnis War-
becks wird entdeckt, ei' hält sich für den Sohn des Grafen
Kildare, und die letzte Überraschung endlich trifft ihn selbst,
denn er ist doch ein Prinz von York.
Also in vier Rollen tritt er nacheinander vor den Zuschauer,
der alle Wandlungen gläubig mitmachen soll. Als Richard
von York steht er nicht auf dem Theaterzettel; eine weitere
Komplikation, nämlich die zweimalige Variation des gleichen
Motivs, ist die Ursache. Wenn die drei Prätendenten gleich-
zeitig aufträten, hätte das Personenverzeichnis nicht zwischen
ihnen zu entscheiden; nun ist aber Sinnel bereits entlarvt, ehe
Plantagnet seinen Anspruch eihebt, und Warbeck ist sogai'
schon vor Sinnel dui'chschaut ; da also der „vorgebliche Prinz
Eduard von Clarence" und ,,der wirkliche Prinz von Clarence"
unterschieden werden, trifft ilin dasselbe Los : „Warbeck, vor-
geblicher Herzog Richard von York". Das Personenverzeich-
nis stellt sich damit auf den Standpunkt des 4. Aktes; auf
die erste Täuschung wird verzichtet; auch wenn der Dichter
selbst im ersten Akt sich den Glauben an den Herzog von
York aneignete, dem Zuschauer konnte er ihn nicht mehr
suggerieren. Noch eine vierte Person ist in die Ungewissheit
hineingezogen, nämlich Kildare. Er darf, um Überraschungen
herauszusparen, weder als Warbecks Vater, wofür dieser selbst
1) Dram. Nach). II, S. 154.
') ebenda S. 133.
') ebenda S. 134.
— 42 —
ihn hält, noch als sein Erzieher g-enannt werden. Schiller
scheint hier selbst eine Zeit lang- unsicher gewesen zu sein ;
in dem ersten Personenverzeichnis ^) ist hinter dem Namen
eine Lücke gelassen ; das zweite g-eht der Frage vorsichtig
aus dem Wege ; er heisst ein ,, alter Diener des Hauses York".
Ein weiteres Enthüllungsdrama sollte die Fortsetzung der
„Räuber'" weiden. Bei der ,, Braut in Trauer" ") musste das
Publikum die Vorgeschichte besser kennen als alle Personen
auf der Bühne ; ihm im Theaterzettel Rätsel aufzugeben, hatte
daher keineu Sinn. Während das zweite Verzeichnis den Geist
des Franz Moor nennt, bezeichnet es inkonsequent die Haupt-
person bloss als „Graf Julian" ; auf dem ei'sten Verzeichnis
dagegen heisst es richtig: „Karl Moor, unerkannt unter dem
Namen Giaf Julian".
Warbeck und die Braut in Trauer machen also notwendige
Ausnahmen ; aus den übrigen Beispielen aber ergiebt sich das
Prinzip, an der Schwelle des Stückes stehen zu bleiben und
noch keine Lichtstrahlen vorauszusenden. Wie sich die Ju-
genddramen dazu verhalten, ist nicht zu ersehen, da keines
davon auf Erkennungsscenen angelegt ist. Doch fällt in
Kleinigkeiten eine grössere Mitteilsamkeit auf; z. B. nennt
ohne Notwendigkeit die Thaliafassung Domingo einen „gewe-
senen Inquisitor"; öfter noch werden Veränderungen, die in-
nerhalb des Stückes bevoi'stehen, vorausgenommen '^); z. B. in
den Räubern ist die Räubergruppe zusammengefasst als „Li-
bertiner, nachher Banditen"; also schwebt das Personen Verzeich-
nis zwischen dem ersten und dem zweiten Akt, während das des
Fiesko überhaupt erst das Ende des zweiten ins Auge fasst.
Fiesko ist bereits als ,, Haupt der Verschwörung"; Verrina,
') üram. Nachl. II, S. 159, 181.
') ebenda S. 256 f.
■') In den späteren Dramen fehlen Beispiele dafür, z. B. Etienne und
Claude Marie stehen nur als die Freier ihrer späteren Frauen da ; von
Macbeths dereinstiger Königswürde ist nicht die Rede (ebensowenig bei
Shakespeare), während es bei Bürger „hernach König von Schottland"
heisst ; auch die Eidgenossen vom Rütli heissen nur Landleute im Gegen-
satz; zu den „Verschwornen" im Fiesko,
— 43 —
Bourgognino, Kalkagno sind als ..Verschworene" bezeichnet,
während sie doch zu Besinn des Stückes noch mit Zenturione,
Zibo und iVsserato den Namen „Missverfrnüo-te" teilen müssten.
Beidemale ist das Vorgreifen durch den Titel bedingt ;
das Publikum musste auf dem Theaterzettel nach Räubern
und bei der Verschwörung des Fiesko nach Veischwoienen
suchen. Anders steht es im Don Carlos mit Marquis Posa.
Der Maltheserritter, der in der Thalia (, .Personen des ersten
Aktes") noch als „Kammerjunker des Prinzen" beiseite stand,
nimmt seit 1787 die erste Stelle unter den Granden von Spa-
nien ein ; er erobert diesen Platz aber thatsächlich erst im
dritten Akt (gerade vor dieser Scene hört die Thaliafassung
auf).
Anordnung der Personen. Damit werden wir zur
zweiten Frage geführt: nach der Anordnung der Personen.
Drei Möglichkeiten bieten sich dar:
T. Die Reihenfolge des Auftretens wird innegehalten, ein
Verfahren, das sich bei ganz kleiner (T.cssings Juden) oder
sehr grosser, von Akt zu Akt anwachsender Personenzahl
empfiehlt. Da aber Hauptiollen und Statisten dann eine
bunte Reihe bilden und es schwer ist, die Beziehungen der
Personen übersichtlich darzustellen, kommt diese Anordnung
selten vor. Goethe machte 1804 bei der Aufführung des
Götz einen Versuch damit; nach Genast ^) folgte er Mustern
aus dem 1 7. Jahihundert, was unwahi'scheinlich ist.
IL Die Bedeutung der Personen ist ausschlaggebend ; der
Held geht voran und die anderen Rollen folgen nach ihrer
Wichtig-koit ; so in Wielands ..Lady Johanna Gray", bei Tör-
ling in „Kaspar der Thorringer" und ,, Agnes Bernauerin",
bei Lessing und Goethe in ,.Emilia Galotti", , .Stella", ,,Tphi-
genie", aber nicht in ,, Nathan", ..Egmont" und der „natür-
lichen Tochter", wo die regierenden Fürstlichkeiten an die
Spitze treten. Die stummen Rollen stehen fast überall am
Ende, manchmal sogai' unter eigener Überschrift wie in
Schlegels ,, Hermann" oder mit der ausdrücklichen Angabe,
'j Tagebucli eines alten Schauspielers. 2. Aufl. I, S. 149,
— 44 —
dass sie nicht reden, wie in Klingers Medea auf dem Kau-
kasus: .,Die Eumeniden; nur Tisiphone redend", bei Schiller
die Kronbedienten und Bischöfe des Krönungszug-es in der
Jungfrau von Orleans und die Ältesten von Messina, oder sie
werden ganz summarisch aufgeführt, wie in Kabale und Liebe:
„Verschiedene Nebenpersonen".
IIL Die äussere Bedeutung tritt in den Vordergrund,
das Prinzip der Rangliste, wobei wiederum die Unbedeutend-
sten voranstehen können.
Dieses Verfahren kann, ebenso wie das zweite, Modifika-
tionen erleiden
a) durch Hervorhebung der Beziehungen
b) durch Trennung der Geschlechter.
a) In Shakespeares „Macbeth" steht Pleance, Banquos
Sohn von Banquo getrennt, und Schiller hat daran nichts ge-
ändert, obwohl er sich sonst der französischen Art, die Fami-
lienglieder zu vereinigen, anschloss. Die Moor, Walter, Miller
treten geschlossen auf; die Infantin Clara Eugenia drängt in
der Prosabearbeitung den Titelhelden, den „Sohn des Königs
erster Ehe" zurück, um sich direkt an ihre Eltern anzu-
schliessen (im Mannheimer Theaterzettel ^) freilich und ebenso
im Hamburger Manuskript nimmt sie als Kind die letzte
Stelle ein). Noch schlechter als dem Infanten geht es der
Jungfrau von Orleans ; sie verdankt der Zugehörigkeit zu
ihren Schwestern einen ganz versteckten Platz. Nicht immer
werden übrigens Geschwister durch Klammern zusammenge-
schlossen: zwischen Herzogin von Friedland und Gräfin Terzky
tritt in den Piccolomini Thekla ; im Tod, wo sie dagegen
nebeneinander stehen, werden sie nicht Schwestern genannt.
Zufällig triff't man auch gerade hier nicht selten auf ein Miss-
verständnis: es wird vom Geiste des Bruders geredet, der die
Gräfin beseele, ein Irrtum, dem bereits Wieland ') unterlag.
') Dou Carlos hag. v. Vollmer 1880 S. XXXII.
^j Fielitz, Studien zu Schillers Dramen, Leipz. 1876 S. 7 ; ebenso
Böttiger in seiner Besprechung im Journal d. Luxus u. d. Moden 1799,
Bd. 14 S. 93 ; Tieck, Krit. Sehr. III, 52. Allerdings spricht die Gräfin
pehrmals von ihrem Bruder. Picc. 790, 1401. W. T. 1573.
^45 —
Auch über Kinder und Geschwister hinaus wird die Fa-
milienzQg-ehörigkeit zum Ausdruck g-ebracht. Gianettino, Mor-
timer ^j, Rudenz sind als Neffen aufgeführt und erhalten den
entsprechenden Platz ; Amalias Beziehung zum alten Moor
wird erst in der Bühnenbearbeitung ausgesprochen.
Die Anknüpfung geschieht meist durch das Possessivum
oder den Genetiv „dessen", „des Vorigen" u. s. w. ; nur in
./rurandot'" schliesst sich Schiller an die von Werthes beibe-
haltene Art Gozzis ') an, der zwischen den Personen eine
engere Verbindung herstellte :
„B a r a k ihr Gatte, ehemals Hofmeister des
K a 1 a f , l'rinzen von Astrachan'".
Dass wie hier Herren und Untergebene verbunden sind,
kommt selten vor: im Bühnen-Fiesko ist hinter Bertha ,, Laura
derselben Mädchen" eingefügt und die ,, Damen der Königin"'
folgen im Don Carlos gleich auf die Mitglieder des König-
lichen Hauses; dann erst kommen die „Granden von {Spanien"'.
Meist weist die Rangordnung dem Peisoual einen Platz
weiter unten an; so ist Wurm, der Haussekretär des Präsi-
sidenten von diesem getrennt, und sogar Posa steht in der
Thalia als „Kammerjuuker des Prinzen"" erst hinter den Granden.
Die Freundschalt der beiden Helden findet auch in den
späteren Drucken keinen Ausdruck, während dies bei dem
Vorbild des Öchillerschen Posa, Leisewitzens Aspermonte und
ebenso bei Utways und Merciers Posa der Fall war. Auch
das Verhältnis zwischen Franz Moor und Hermann ist nicht
genannt; Lomellino, iUo, Ukelly stehen dagegen als Freunde
oder Vertraute auf dem Theaterzettel.
Öelteuer noch werden Liebesverhältnisse angedeutet ob-
wohl das sonst fast allgemeine Sitte war: siehe Shakespeare
') Sogar im Stück selbst steht beim ersten Auftreten Mortimers (1, 3)
hinter s>einem Kamen „t'aulets iselie'"; ein Zusatz des Lesedramas, der
im Theatermanuskripte fehlt.
'■) iJiese italienische Art fasste auf dem Wiener Theater Fuss. Siehe
mehrere Beispiele in der Wiener Deutschen Schaubühne, ferner Karl
Weiss, Die Wiener Haupt- und Staatsaktionen, Wien 1854, S. 59, 89,
96, lUli. Lessiug schloss sich hierin einmal dem Goldoni an (Lachm.-
Muncker IH, S. 332, 336).
— 46 --
im , .Sommernachtstraum" : Cronegk: Olint, ein heimlicher Christ,
in Sophronien verhebt; Lenz: Don Prado, in Seraphinen ver-
liebt, Goethe: Clärchen, Egmonts Gehebte. Schiller dagegen
verschweigt die Beziehuogen zwischen Karl und Amalie, Fer-
dinand und Luise ; nur in den Malthesern heissen Crequi und
St. Priest „Ritter, die sich lieben" und in der Jungfrau wer-
den Claude Marie, Etieune und Raimond als ,, Freier " zu-
sammengefasst. Das ist aber schon ein öffentliches Verhältnis ,
und bei Agnes Sorel, der „Geliebten des Königs'" wie bei
Lady Milfoid haben wir es geradezu mit Staudesbezeichnungen
zu thun.
b) Die Trennung der Geschlechter bietet dem Gardero-
bier bequemeren Überblick, weshalb z. B. Kotzebue in dem
der „Octavia" beigegebenen Kostümverzeichnis diese Anord-
nung entgegen der des Personenverzeichnisses eintreten Hess.
Meistens stehen die Männer voran; nur der Franzose Diderot
ist einmal so galant, trotz der männlichen Hauptrolle den
Damen den Vortritt zu gönneu. Eine süddeutsche Sitte war
es, sie durch eigene Überschrift auszuzeichnen, so in Gem-
mingens „Deutschem Hausvater'', in Babos „Otto von Wittels-
bacli", in Dalbergs Bearbeitung von Cumberlands „Brüdern"
und auch in dem erwähnten Druck des Bühnen-Fiesko 1789.
Wie oben gezeigt ist bei Gemmingen das Vorbild für das
Personen Verzeichnis des Fiesko zu suchen; wie dort erst hinter
der letzten männlichen Nebenrolle die Überschrift „ Weiber' ^
stellt, so folgt hier Fieskos Gemabhn erst hinter den drei auf-
rührerischen Bürgern, die nicht einmal mit Namen genannt
sind. Auch Shakespeare könnte hierauf eingewirkt haben, und
für einige späteie Stücke wäre dies anzunehmen, wenn sich
die Trennung der Geschlechter nicht einfach als logisch er-
gäbe. Ebenso wie die einzige Griechin Irene ^) in den Mal-
thesern, Klärchen und ihre Mutter in der Egmontbearbeitung ')
oder die weiblichen Rollen des Demetrius, so nehmen auch im
*J Dram. Nachl. II, S. 13, 40. Irene ist ausserdem stumme Person.
*j Schiller hat die fieihenfolge des Goethischen Personen verzeich -
msses verändert.
- 4t -
Wallenstein inmitten von Staatsversaramlungen und Waifengü-
klirr die Frauen eine ganz isolierte Stellung ein. Inkonsequent
ist nui', dass hinter die Frauengruppe noch einmal einige un-
bedeutende Männerrollen (in den Piccolomini Kornet und Kel-
lermeister) treten: das Personenverzeichnis des „Teil" geht
darin weiter, indem es die Frauengruppe vollkommen einrahmt.
Voraus gehen Gessler, dann der Adel : Attinghausen und Ru-
denz, dann die Schweizer nach Cantonen aufgezählt ; es blickt
also eine Anordnung nach politischen Gruppen durch, wie sie
im Ritterdrama nicht unbeliebt war ^). Hinter den Frauen
folgen nun die Dienstmannen und alle die Figuren, die zu
keiner der drei politischen Gruppen gehören, darunter Johannes
Paricida, der Herzog von Schwaben. Er verdankt entweder
seiner unheimlichen Erscheinung diesen Platz am Ende, der
sonst den Geistern angewiesen ist (auch der geisteihafte Gross-
inquisitor im „Don Carlos*' steht trotz seiner Machtstellung
hintenan), oder die Veranlassung liegt beide Male in dem
späten Auftreten im letzten Akt. Kleine Einwirkungen hat
überhaupt die Reihenfolge des Auftretens ausgeübt, steht doch
Bertha von Bruneck hinter Gertrud und Hedwig und Rudolph
der Harras hinter den Söldnern, während Jenni und Seppi
trotz ilirer geringen Bedeutung gleich an die Schweizer Land-
leute angehäugt sind. Die drei Cantone dagegen sind nicht
nach ihrem Erscheinen auf dem Rütli (Unterwaiden zuerst),
noch nach der Wichtigkeit für die Handlung (Uri) geordnet,
sondern nach Alter und Ansehen.
Die äussere Rangordnung bildet überhaupt von Anfang
an das Rückgrat aller Schillerscheu Personenverzeicbnisse ;
^) So in der 1. Autl. von Lengenfelders Ludwig IV.: „Inländer'
und „Ausländer" (Brahm, Kitterdr. S. 1U5; K. M. Werner, A. f. d.
Alt. VII, S. 426), oder in Ramonds elsässischem Ritterstiick „Hugo der
Siebente, Graf von Egisheim"', wo „des Grafen Hugo Parthey" und „Des
Biscliofs Parihey" duich Überschriften geschieden sind. Auch Ambühls
Tellstücke hatten die gleiche Anordnung ; in „Wilhelm Teil" sind Gessler
und seine Leute samt den Söldnern und Spiessknechten durch einen Strich
von den Schweizern geschieden ; die Reihenfolge im „Schweizerbund"
stimmt auffällig mit der Schillers überein.
— 48 —
vielleicht unter Schillers, vielleicht auch unter dem Einflüsse
der Hoftheater wurde sie nachher allgemein geltend.
Wenn in Gozzis „Turandot" die Titelheldin voran-
stand, so setzte Schiller sie hinter Altoum; von den zwei
Königinnen in „Maria Stuart" geht die machthabende der ge-
fangenen vor ; nur wo es seiner äusseren Stellung entspricht,
steht der Held an der Spitze, so Wallenstein und in der
Bühnenbearbeitung Fiesko (während des Stückes ist er ja in
der That der Beherrscher Genuas). In der Buchausgabe da-
gegen steht Andreas Doria voran, der diesen Platz ebenso
wenig wie der alte Moor, Karl der Siebente, Gessler durch
seine Bedeutung für die Handlung verdient. Wie Johanna
d'Arc so steht auch Teil ganz versteckt mitten zwischen der
Rütliversammlung; sogar unter den Männern aus Uri muss er
seinem angesehenen Schwiegervater den Vortritt lassen.
Standesbezeichnungen. Die Rangliste war auch
das Prinzip der französischen Tragödie gewesen, aber der in-
zwischen herausgebildete Gegensatz besteht darin, dass Rang
und Bedeutung nicht mehr wie früher übereinstimmen, dass
unter diesen Schweizern, die untenan stehen, die Helden des
Dramas zu suchen sind. Hatte doch Mercier es ausgesprochen,
dass der unbekannte Mann durch das Genie des Dichters weit
höher erhoben werden könne, „als diese Könige, deren stolze
^Sprache schon so lange unsre Ohren ermüdet" ^). Aber es
durfte eben dann nicht der unbekannte Mann bleiben; seinen
Stand, seine Gewohnheiten musste der Dichter so genau stu-
dieren wie die Hofetikette; das war es, was Diderot mit
dem Schlagworte condition angeregt hatte. Er selbst hatte
bereits so weit über das Ziel hinaus geschossen, dass er über-
haupt nicht mehr die Charaktere, sondern die Stände auf die
Bühne bringen wollte '").
Alle Stände hatten freilich dort noch nicht Zutritt, we-
nigstens in Deutschland, besonders in dem katholischen nicht;
1) Neuer Versuch (Wagners Übers.) S. 134 f.
'j Theat. d. Herrn Did, (Lessing) I, S. 322 ; Cäs. Flaischlen, Gem-
tningen S. 21,
— 49 —
dafür sorg'te eine gestrenge Zensur, von deren Ängstlichkeit
man sich heute kaum einen Begriff macht. Alle geistlichen
Personen waren von der Darstellung ausgeschlossen und wur-
den entweder gestrichen oder durch weltliche Figuren ersetzt;
im Götz z. M. trat ein Fürst, Landgraf oder Schirravogt von
Bamberg auf; im Julius von Tarent wurde aus dem Erz-
bischof ein Admii'al des Johanniterordcns und aus dem Kloster
ein Erzichungsstift ^). Dem Pater in den Räubern begegnete
dasselbe Los, auch Pastor Moser könnte aus diesem Grunde
gefallen sein '). Der Grossinquisitor im Don Carlos war un-
möglich ■>), Posa durfte in der Prosabearbeitung nicht als Mal-
teserritter erscheinen und statt Domingo nahm Schiller aus
St. Real den Staatssekretär Perez wieder hervor ; nur Dalberg
hatte den Mut gegen das Manuskript einen Jesuiten Domingo
auftreten zu la'^sen; wie er das wagen konnte, begriff der
Dichter selber nicht "*). Später hörte es mit dieser Freiheit in
Mannheim wieder auf: 1802 wurde aus dem Erzbischof der
.Jungfrau von Orleans ein Seneschall ■'). — Wallensteins Lager
wurde an einigen Orten nur mit Wcglassung des Kapuziners
gestattet oder wegen dieser Figur ganz verboten, was noch
1) Zum Götz : E. Mentzel, Archiv f. Frankfurts Gesch. u. Kunst IV,
122, 155.
Kilian, Theat. Forsch. I, 87; G.-J. XIV, 276.
Mannheimer Bühnenb. nach Rennschüb ed. Kilian 1889.
Zum .lulius V. Tarent:
Litt. u. Theaterzeit. 1782 I, S. 73
Ann. d. Th. 1794 H. 13 S. 53.
Martersteig, S. 257. Walter II, 137 f.
Wolter, Friedr. Wilh. Grossmanu, Diss. Bonn 1901,
S. 23 f.
-) Timmes Rezension hatte diese Figur überhaupt überflüssig gefunden.
^) Bei der Hamburger Bühnenbearb. Hess Schiller Schröder die Wahl.
(13. Juni 87, Jonas I, 345).
") An Körner 25. April 1788, Jonas II, 52. Die von SchiUer xmab-
hängige l'rosabearbcntung der Augsburger Deutschen Schaubühne Bd. 18
führt einen Kabinetsniinister Graf Domingo ein.
••) Walter II, 138. Auch der Leipziger Theaterzettel (Beilage zu
Wychgranis Schiller) führt einen „Seneschall von Hheims" auf.
I'ahiüstrii XXXII. 4
— 50 —
unter Laube in Wien gesciiali ')• Schliesslich wurden edle
Priester auf der Bühne gestattet uud nur die gemeinen Pfaifen
verbannt : in Kotzebues ,, Spaniern in Peru" behielt Las Casas
seine Kutte, während der Kapellan Valverde auf Schröders
Rat in einen Geheimschreiber verwandelt wurde '). Bei Ge-
legenheit von „Maria Stuart" kam es auch in Weimar zum
Kampf; an dem geistlichen Kostüm nahm man dort keinen
Anstoss, wie die vorhergehende Aufführung von Hagemeisters
„Jesuiten" ") zeigt; aber die Ausübung seines Amtes wurde
dem versteckten Priester Melvil untersagt, und selbst Kail
August äusserte damals gegen die prudentia mimica externa
Schilleri sein Misstrauen *). Für die späteren Stücke bestand
in Norddeutschland ^) kein Hindernis mehr; die „Jungfrau von
Orleans" entfaltete allen kirchlichen Prunk, ebenso war es für
den „Demetrius" geplant und ein Bischof von Ypern sollte
im „Warbeck" und in der ,, Gräfin von Flandern" auftreten;
auch den barmherzigen Brüdern im Teil wurde wohl nichts
mehr in den Weg gelegt ^).
Auch weltliche Stände waren übrigens nicht unbeanstan-
det gebüeben. Wie es in Figaros berühmtem Monolog heisst :
') Das Burgtheater S. 211. 368. Hebbels Tagebücher ed. Bamberg
II, 473. Auch in Lauchstädt wurde der Kapuziner auf ein Dresdener
Edikt hin verboten. (Becker an Schiller, 29. Juni 1800, Urlichs S. 371).
In Leipzig gab man ihn als Schiümeister (Körner an Schiller 25. Sept. 1801).
-) Kotzebue, Theater (1841) Bd. 4 8. 207.
^) Es ist indessen kaum anzunehmen, dass dieses Stück, in dem der
gedungene Mörder am Altar mit einem heiligen Dolch, einem umgehäugten
Kruzifix und einem Fläschchen Salböl für seine Aufgabe geweiht wird,
ohne bedeutende Abschwächung zur Aulführung kam.
*) Briefw. d. Grossherzogs Carl August mit Goethe Weimar 1863,
Bd. I, S. 259. In Leipzig durfte Melvil überhaupt nicht Priester sein,
sondern er versprach nur, es einmal zu werden (Journ. d. Lux. u. d. M.
August 1801 S. 432).
^) In Wien traten an Stelle von Geistlichkeit und Chorknaben im
Zug idealische Ordensritter. Costenoble, Aus dem Burgtheater I, 104.
'^) Mit der Zeit traten auch einsichtige Geistliche für die Freiheit
der Kunst ein (Devrient III, 408). Trotzdem war Goethe noch 1HI2 be-
reit, in „Romeo und Julia" den Pater Loienzo in einen Arzt zu verwan-
deln. (An IfHand 22. Febr. 1812).
— .') 1 —
et voilä ma comcdie flainboe, pour plairc aux princes maho-
metans, dont pas un, je crois, ne sait lire — in Dresden
fürchtete man, die Regierung- werde zopfig- genug sein, sich
bei den lächerlichen Ministern des Kaisers von China be-
troffen zu fühlen ^), und so wurden die Masken in „Turandot"
zu harmloseren Figuren verwandelt. In Wien war man noch
vorsichtiger : auch die Schauspieler selbst, denen eine Vorzen-
sur überlassen war, hielten ein Stück, wo ein weibischer un-
gei-echter König vorkam, nicht für möglich ")• ^"Sogar dem
Bastard von Orleans wurde eine einwandfreie Herkunft ge-
sichert '). Es ist daher kein Wundei", wenn es in der Denk-
schrift des Zensors Hägehn heisst: „in Kabale und Liebe be-
findet sich eine fürstliche Maitresse: diesei- Karackter ist
anstössig, also das ganze Stück nicht zulässig, ausser das
vitiose wüi-de wcgireschafft". Laube kannte eine Bearbeitung
aus dem Jahre 1808, wo aus dem Pi-äsidenten und dem Hof-
marschall ein „Vicedom" und ein ,,Obei-garderobemeister" ge-
macht sind *). Sogar das Wort Adel sollte möglichst auf dem
Theater vermieden werden, und ein Stück wie Grossmanns
„Nicht mehr als sechs Schüsseln" war wegen Beleidigung des
Adels bereits zu Maria Theresiens Zeit verboten worden ^).
Nun war freilich das Ständedrama nicht immer von
Tendenz frei geblieben. Wenn Diderot noch allen Klassen
gleiches Recht widerfahren lassen wollte, so war Mercier be-
reits ausgesprochener Paiteimann. Das Signal zum Kampfe
hatte Rousseau gegeben; er, der keine Stände, sondern Men-
schen in der Dichtung suchte, konnte eben darum den Standes-
unterschied als tragisches Motiv benutzen ^). Es war ein
•) Urlichs S. 4G6 if ; Körner an Schiller 15. Febr. 1802. Prölss,
Gesch. d. Ilofth. z. Dresden S. 319.
■-) Glossy, Z. Gesch. d. Wiener Theatercensur, Jb. d. Grillparzerges.
VII, S. 279 f, 304, 333.
^) Laube, Das Burgtheater. S. 93 ff., S. 89.
<) Siehe auch Costenoble, Aus d. Burgtheater I, S. 311, 331.
") 1782 wurde es in Wien ganz verstümmelt aufgeführt (Litt. u.
Theaterzeit. 1782 II, S. 332).
«) E. Schmidt, Richardson, Rousseau u. Goethe S. 204 (f, 214.
4*
— 52 —
Rousseaiiismus des jungen Schiller, wenn er eine neue Klassi-
fikation verlangte; ein Linnäus sollte nach Trieben und Nei-
gungen die Menschen sondern, dann würde so mancher, „dessen
Laster in einer engen bürgerlichen Sphäre und in der schmalen
Umzäunung der Gesetze jetzt ersticken muss", in eine Reihe
mit dem Ungeheuer Borgia treten '). Und nun nahte die
Zeit, wo der theatralische Bösewicht unter Ministern und
Amtleuten gesucht wurde, wo er „Kammerjunker oder wenig-
stens Geheimsekretär sein musste, um sich einer solchen Aus-
zeichnung würdig zu machen" "). Tieck nennt in den Schild-
bürgern Augustus (Iffland) als den Erfinder der Piäsidenten
und vornehmen Bösewichter, aber nächst Lessings Marinelli
steht Schillers Präsident an der Spitze dieser Gesellschaft, und
sein Haussekretär wii'd durch das ebenerwähnte Goethische
Wort mitgetroffen. Schiller nimmt später seine eigene Jugend-
dichtung mit („sie machen Kabale"), als er über das ganze
bürgerliche Drama Gericht abhält, das leere Berufstitel statt
grosser Namen auf dem Zettel stehen hat und bei dem dei-
Beruf bereits den Charakter der Personen festlegt. Seine
Satire erhält einen besonderen Hintei'grund, wenn wir ei-fahi'en,
dass er sich nur durch einen Schreiber aus fünf oder sechs be-
liebigen Kotzebuischen oder Schröderischen Stücken das Personal
mitteilen zu lassen -brauchte ^), um jene Liste aufzuzählen :
Man siehet bey uns nur Pfarrer, Kommerzienräthe,
Fähndriche, Sekretairs oder Husarenmajors.
Trotz der berechtigten Verurteilung darf nun eine Tliat-
sache nicht verkannt werden: die Liebe, die das bürgerliche
Drama den einzelnen Ständen und zwar gerade den mittleren
und unteren zuwandte, kam auch dem Drama grossen Stils zu
Gute. Bei Gottsched hatte es noch geheissen : „nur die Haupt-
personen brauchen einen Charakter ; die Bedienten derselben,
die fast allezeit in fremdem Namen handeln oder thun, dürfen
keine besondere Gemüthsart haben" '*). Nun aber war durch
') Goed. IV, S. 62.
') D. u. W. III, 12. u. 13. Buch. W. A. I, Bd. 28 S. 140, 196.
=*) An Goethe 31. Juli 1796. Jonas V. S. U.
*) Grit. l)i(;htk. (1730) S. 578.
— 53 —
Kammerdienerrollen der grosse Schröder zuerst berühmt ge-
worden, und bedeutende Schauspieler versehmähten es nicht
mehr, sich gelegentlich kleiner Rollen anzunehmen. Auch im
Fersonenverzeichnis kommt dies Interesse zum Ausdruck; da
stehen nicht mehr die Vertrauten, FeldhejTu und Untergebenen
mit ihren nackten typischen Namen bei Seite: nur bei der
Anlehnung an den klassischen Stil begnügt sich Schiller ein-"
mal mit dem blossen Namen einer Person: Diego (so auch
Goethes Arkas). Das Fersonenverzeichnis der Braut von
Messina steht darin allein; Wallensteins Tod ist nicht
mitzurechnen, da die Titulaturen aus den Piccolomini nicht
wiederholt zu werden brauchten. Sonst erhält jede Person
iigend einen Zusatz, der über ihre Verhältnisse Aufschluss
giebt. Nicht nur im bürgerlichen Trauerspiel hat der alte
Miller seinen l>eruf (wie viel darauf ankommt, beweist die
doppelte Bezeichnung: , .Stadtmusikant, oder wie man sie an
einigen Orten nennt, Kunstpl'eifer"'), sondern im Teil treten
der Pfarrer, der Sigrist, der Schmied, der Pfeifer, der Flur-
schütz auf; durch die Verschiedenheit der Berufsarten soll
auf symbolischem Wege ein ganzes Volk auf die Bühne ge-
bracht werden. Goethes Egmont hatte darin Schillers offene
Bewunderung herausgefordert ') ; auch im Warbeck sollte
später das niederländische Volk durch einen Kaufmann, einen
Schiffer, einen Fabrikanten und eine vierte Person, über die
sich der Dichter noch nicht klar war, repräsentiert werden.
Die Soldaten in ,, Wallensteins Lager", die Scharfschützen,
reitenden Jäger, Arkcbusiere, sind nach Regimentern speziali-
siert, ähnlich wie ihre Generäle. Bei den ,,Teutschen der
Hei-zoglichen Leibwache"' im Fiesco, dem Mohren von Tunis,
dem Irländer l]utler, dem Walliser Montgomery wird das
Vatei'land ebenso angegeben, wie bei der Prinzessin von Frank-
reich, Elisabeth von Valois. Untei" den Granden von Spanien
*) Goed. VI, S. 87. In Schillers Bearbeitung wurden auch die Sta-
tistenrollen „specificiert und tituliert" : Fabrikant, Bäcker, Barbier, Metz-
ger, Lastträger, drei Fischweiber. Hempelsche Schillerausgabe Bd. XVI,
S. 414 f.)
— 54 —
versieht jeder sein besonderes Amt ausser Alba und Feria;
diesem aber bleibt der Charakter: ,, Ritter des Vhesses", und
Alba hat in der Hamburger Bearbeitung auch seinen Titel
erhalten: „General der Niederländischen Armeen". Bis auf
die Vermögenslag-e können sich die Angaben ei'strecken: Th\-
baut d'Arc, ein reicher Landmann; Bertha von Bruneck, eine
reiche Erbin. Das Alter einer Person wird nur einmal ge-
nannt : „Infantin Klara Eugenia, ein Kind von drey Jahren".
Hier hatte der Theaterzettel die Bühnenerscheinung in der
Illusion des Zuschauers zu korrigieren, denn zu der Rolle
musste natürlich ein etwas grösseres Kind verwendet Averden.
Aus diesem Grunde wohl ist die Altersangabe bei Kindern
ziemlich häufig, siehe Weisses „Richard IIL", Möllers „Sophie
oder der gerechte Fürst", Gemmingens ,,teutscher Hausvater",
Kotzebues „Adelheid von Wulfingen" u. a.
„Seine Personen werden ebenso verschieden seyn, als die
einzelnen Geschöpfe, die er um sich her wahrnimmt", diese
Forderung Merciers an den Dichter seiner Zeit 0 scheint,
wenn wir die Schillerischen Personenverzeichnisse durchsehen,
von Stück zu Stück mehr erfüllt. Aber doch nur äusserlich;
innerlich war Schiller, ebenso wie Goethe, von einem solchen
Naturalismus weit entfernt. 1797 findet sich in einem Brief
an Goethe die bereits in der Egmontrezension angedeutete
Wahrnehmung, dass die Charaktere dei' griechischen Tragödie
mehr oder weniger idealische Masken und keine eigentlichen
Individuen seien; dass z. B. Kreon bloss die kalte Königs-
würde personifiziere.
Bald darauf findet er Shakespeare im ..Julius Cäsar" und
besonders im „Richard III." den Griechen äusserst nah. und
die Frucht dieser Beobachtungen') wird schliesslich als Norm
für das eigene öchatfen ausgesprochen: durch symbolische Be-
helfe soll die Poesie sich reinigen, ihre Welt enger und be-
deutender zusammenziehen.
') Neuer Versuch (Wagner) S. 21.
2) An Goethe 4. April, 7. April, 28. Nov., 29. Dez. 1797. Jonas V,
S. 168, 173 f, 292, 312 f.
— 55 —
Recht zu entwickeln vermag Schiller, wie er selbst ein-
gesteht, den Beg-riff des Symbolischen nicht; seine Erscheinungs-
formen sind eine eigene poetische Welt (wie in den Malthesern
oder der Braut von Messina), eine Repräsentation der Ge-
samtheit in einzelnen Vertretern (., Wilhelm Teil"; es ist z. B.
nicht bedeutungslos, wenn Jenny, Kuoni und Werni zunächst
ohne ihre Namen') als Fischerknabe, Hirt und Alpenjäger auf-
treten) und die p]ntwicklung einzelner Gestalten zu bedeut-
samen Typen von allgemein menschlichem Gehalt "')•
Es ist nicht recht begi'eitlich, wie 0. Ludwig ''), der die
gleiche Beobachtung an Shakespeare machte, bei den deutschen
Klassikern die Tendenz zur symbolischen Verallgemeinerung
gänzlich vermissen konnte. Ihren deutlichsten Ausdruck tindet
diese Richtung in den Personen von Goetlies „Natürlicher
Tochter'' *), von denen auch der individuelle Name abgestreift
ist und die nur als König, Herzog, Hot'meisterin, Sekretär vor
uns treten. In ganz anderer Weise, als beim bürgerlichen
Drama, wo die alltäglichen Namen nicht fehlen, geben hier
die Standesbezeichnungen den Umriss jeder Erscheinung. Schiller
bewunderte .,die hohe Symbolik, mit der Goethe den Stoff be-
handelt hat, so dass alles Stoffartige vertilgt und alles nur
Glied eines Ganzen ist" ''). Er selbst nahm seinen Figuren
die bunte äussere Bekleidung nicht, aber wenn wir etwa
einen La Valette als den Hausvater im heroischen Sinn vor
*) Goethe nannte im Gespräch mit Kiemer 1809 sogar den Bauer
mit den Würfeln in „Wallensteins Lager" eine symbolische Figur und zu-
gleich eine repräsentative, denn er stelle die ganze Klasse vor. (v. Bieder-
mann, Goethes Gespräche II. 270.)
-) Dilthey, Die Einbildungskr. d. Dichters. Philos. Aufs. f. Zeller
S. 191.
') Werke, Bd. V. S. 68, 82, 108, 193 If. Gerade umgekehrt Hebbel,
Tagebücher II, S. 50.
■•) Vorher schon in den ,, Aufgeregten".
5) An W. V. Humboldt 18. Aug. 1809 Jonas VII, 65. Caroline
Herder berichtet dagegen in einem Brief an Knebel: „Schiller soU gesagt
haben : er bedauere, dass zu viel Katur in diesem Stück sei !"
Interessant ist Carol. Herders Erklärung für die Personenbenennung:
„ Hier zeigt sich nun in den verschiedenen Situationen, wo sie [Eugenie]
— 56 —
ihm stehen sehn oder wenn er im „Demetrius" Boris als den
untergehenden Usurpator schlechthin auifasst '). so blickt durch
das individuelle Gewand die innere Öymbolik hindurch.
4. Die Namen.
Wenn Gottscheds Poetik den intuitiven dichterischen
Prozess in schulmeisterlicher Verflachung darstellte (der Poet
ersinnt eine Fabel und „sucht in der Historie solche berühmte
Leute, denen etwas ähnliches begegnet ist und von diesen
entlehnt er die Namen"^), so ist doch etwas, für Schiller
wenigstens, Zutreffendes angedeutet, nämlich das unabhängige
Auftauchen von Figuren und Namen und das Nebeneinander-
gehen, ehe beide verwachsen.
Hinter die aus Vertot herausgesuchten Maltesernamen
hat der Dichter Begriffe geschrieben, die schon voi" den Namen da
waren: Grossmeister, Confldent, Freund, -Jüngling u. a.^),
und während dieser innere, im weitesten Sinne symbolische,
Gehalt der Figuren gleich blieb, wechselte das Gewand in
den ersten Stufen des Planes öfters, z. B. St. Hilaire, Saintfoix
oder St. Priest; der gemeinsame Bestandteil dieser Namen
zeigt andererseits, dass doch keine vollkommene Willkür in
der Wahl herrschte.
Für das Trauerspiel „Die Polizei" waren überhaupt noch
keine Namen gefunden; dagegen ist ein abstraktes Personen-
verzeiclmis da: Der Sohn der Familie, die fromme Tochter,
der rVater aus der Provinz, der Broschürenschreiber, der
um Hilfe fleht, dass sie nur Stände, nicht Menschen, antrifft".
(Carol. H. an Kn. 12. April 1803 Knebels Litt. Nachl. hsg. v. Varn-
hagen u. Mundt II, S. 345 f.)
1) An Ifllaiid 19. Nov. 1800 Jonas VI, 215. Dram. Nachl. I, S. 115, 207.
^) Es ist eine ungeschickte Wiederholung des Aristoteles. Schiller
fand gerade diese Steile der Poetik (Cap. 9) recht gescheit. (An (Joethe
5. Mai 1797. Jonas V, 190.)
') Dramat. Nach). II. 3; Kettuer, Vjschr. IV, S. 555.
— 57 —
Philosoph, der Tlhiminat und geheime Gesellschafter, der
Mönch. ij
Die Namen hätten sieh jedenfalls später eingestellt. Auch
Goethe hätte ja schliesslich seine blossen Standestitel in der
Natürlichen Tochter beliebig ergänzen können , aber der
Name, der sich organisch mit der Gestalt verbinden konnte,
fand sich eben nur für Eugenie; ähnlich in den Wahl-
verwandtschaften : den Namen Ottilie trug er schon seit
den Elsässer Jugendjahren in sich^j; der Hauptmann blieb
unbenannt. Gerade der Verzicht auf eine willkürliche Be-
nennung beweist die poetische Wichtigkeit des Namens an
sich; er sollte kein schlotternder Mantel sein, sondern ein voll-
kommen passendes Kleid^). In der zweiten Hälfte des acht-
zehnten Jahrhunderts achtete man besonders auf die Vornamen:
wenn Goethe es an einer anderen Stelle von Dichtung und
Wahrheit ausspricht, wie dei' wohlklingende Name über das
ganze Leben der Person einen anmutigen Schimmer verbreiten
könne, so erinnert das beinahe an das Steckenpferd von Tristram
Shamlys Vater, wonach durch den Taufnamen die ganze Ent-
wicklung des Menschen unabänderlich bestimmt ist*). Für die
suggestive Wii-kung des Namens bi'ingt auch der sensitive
Karl Phil. Moj-itz in seinem psychologischen Roman ein Beispiel:
bei Anton Reiser konnte der blosse Klang eine bestimmte
') Dram. Nachl. II, 67.
■-') D. 11. W. III, 11. Buch. W. A. I, Bd. 28, S. 7'J.
') D. 11. W. 11, U). B. III. 11. Burh. W. A. I, Bd. -27, S. ;S11.
Bd. 28, S. -27 f. Siehe auch Wanderjaüre (W. A. I, Bd. 25, S. 246) :
„Der Xanie bhil)t doch iniuier der schönste lebendigste Stellvertreter der
Person".
') Der Eintluss Sternes tritt an einer Stelle in Gotters Erbschleichern
III, 11 hervor: „Justine heissen Sie 's' Bin schöner Name. Ein Name,
den der Namenkonner, Shandy, gewiss unter die glücklichsten gezählt
hätte." Ferner Lichtenberg, Vermischte Schriften, Göttingen 1844, Bd. V,
S. 250 f. Lichtenberg bringt diese Mode auch mit der Physiognomik in
Zusammenhang : „Ja, die angehenden Fhysiognonien schliessen sogar aus
den Namen, und die Balthasare scheinen ihnen den Friedrichen nachzu-
stehen. (Bd. IV. 02, 54.)
— 58 —
Vorstellung erwecken^). Übrigens hat auch Lessing den
Dichtern Vorsicht in der Wahl ihrer Namen empfohlen^).
Zwischen Roman und Drama bestehen hierin technische
Verschiedenheiten : wäiirend der Romandichter persönlich her-
vortreten und die Willkür seiner Wahl offen zeigen kann :
z. B. „Eduard — so nennen wir einen reichen Baron im besten
Mannesalter" oder „Dieser, den wir einstweilen Laertes nennen
wollen", verlangt das Theaterpublikum eine gewisse Garantie
für die objektive Gültigkeit des Namens; auch die äussere
Erscheinung, die beim Roman als Einführung dienen kann,
z. B. „die Amazone", „die Griechin", genügt nur selten dem
Theaterzettel. Andererseits wird auf der Bühne der Name
wirklich laut und die Klangwirkung ist zwingender.
Der junge Schiller nun bekam durch Schubart die Namen
Karl und Wilhelm überliefert ; aber mit dem Namen Wilhelm,
den noch dazu sein Freund v. Hoven trug, verband sich für
ihn das Bild des Bösewichtes nicht; er wählte Franz^) und
blieb damit nach Minor*) bei dem Namen einer früheren Figur,
des Franz Pazzi aus dem „Cosmus von Medicis". Unwahr-
scheinlicher ist es, wenn Minor annimmt, Verrina verdanke
seinen Vornamen dem liberalen Kaiser Josef. Der historische
Vorname Johann Baptista fehlt bei Robertson, Retz und
Mailly und steht nur bei Haeberlin^), dessen Benutzung von ge-
linger Bedeutung ist. Zur Wahl des neuen Namens für den
schroffen Republikaner können unauffindbare Assoziationen
beigetragen haben. Die übrigen Vornamen gehen auf die
Quellen zui'ück und zwar die Form Gianettino auf Robertson
(bei den Franzosen heisst er Jeannetin), die Namen Vincent,
Rafael u. s. w. auf die französischen Schriftsteller.
') Anton Reiser, D. L. D. 23, S. 46.
') Hamb. Dratn. 8. Stück. Lachm.-Muncker, IX, S. 218.
^) Interessant ist es, dass in Klingers Falschen Spielern die Namen
Karl und Franz gerade vertauscht sind und Franz den Helden, Karl den
Bösewicht bedeutet. Kieger II, S. 12.
*) Minor I, S. 138, 559. II, S. 43.
*) Häberlin, Gründl. histor.-polit. Nachr. v. d. Republik Genua 1747,
S. 60.
— 59 —
Diese Vermischung- von echten und verdeutschten Namens-
formen bei fremdländischen ^toften setzt sich auch in den
späteren Stücken foit. K;irl kommt neben Carlos vor; Posa
steht in den ersten Ausg-aben als Rodrigo, aber auf der ersten
Silbe betont; nach Erkenntnis dieses Irrtums^) zwangen metrische
Gründe, überall Roderich einzusetzen. Von Maria Stuart ab
wird mehr Wert auf Echtheit geleg-t ; in den Vorarbeiten zum
Demetr'ius findet sich sog^ar ein Verzeichnis russischer Vor-
namen-); trotzdem wird für die Hauptfigur nicht am Namen
Dmitri festgehalten; auch die Jungfrau wurde nur im Vor-
spiel .leannette genannt^).
Eine merkwürdige Erscheinung ist es, dass bei der inneren
Wandlung einer Person auch der Name sich verändern kann.
So bittet in Klingeis Otto der Herzog den Bischof bei der
\'ersühiuing:
.,Koniiiit lieber Bischof, verändert euren Namen I Ihr heisst
Adelbcrt: den Namen kann ich nicht dulden, ich denk immer meinen
Feind darunter, verändert ihn! Wie soll ich euch nennen? Ja so,
heisst Bonii'acius."
Ähnliches findet sich im Roman bei Goetlies Jarno-Montan
oder in Wielands Agathon. wo die weibliche Hauptfigur als
unschuldiges Mädchen Myi'is heisst, als Hetäre Danae. und
zur Tugend zurückgekehrt sich Chariklea nennt. Und bei
Schillers Lady*) wiederholt sich das Gleiche; nachdem sie sich
noch eben im Monolog Emilie genannt hat, unterschreibt sie
') Die Verbesserung seit der Ausgabe von ISül. Die Erkenntnis
stellte sich aber schon früher (vor 1797) ein, siehe Jonas V, 204. An Sophie
Mereau: ..Andern Sie, wenn es irgend möglich ist, noch die Ausspräche
des Namens Rodrigo. Es muss durchaus die zweite Silbe lang seyn."
-') Dramat. Nachl. I, 228, 254 f. Über den Namenwechsel auf Grund
verschiedener Quellen: S. LXX.
') Es entspricht dies übrigens den lateinischen Prozessakten, wo
die .lungfrau aussagt, sie sei zu Hause .Johanneta, in Frankreich aber Johanna
genannt worden. (Düntzer. Erläut. zur Jungfr. v. Orleans. 6. Aufl., S. 14(1).
') Zufällig befindet sich der Agathon unter den in Bauerbach von
Reinwald bestellten Büchern (Jonas I, S. 86). Schmieder (Ann. d. Th. 1795,
15. G. S. 11) korrigiert Schiller: die Tochter vom Geblüte der Norfolk
müsse sich Johanna Howard unterschreiben.
— 60 —
ihre Lossag-ung- Johanna Norfolk. Das Bauernniädchen Jeannette
wird mit ihrer grossen Aufgabe zar Johanna, und im Demetrius
sollte der Wechsel zwischen den Namen Marfa und Maria
von Bedeutung sein^).
Der Name wird also als Etikette für den Charakter be-
handelt; ein letzter Reflex von jenen typischen Namen, die zu
Anfang des Jahrhunderts geherrscht hatten und immerhin ein
besseres Öuggestionsmittel, als die aufdiinglichen Charakter-
namen, die sich im bürgerlichen Drama noch hielten und bis
ins 19. Jahrhundert über Anzengrubers Düsterer hinaus ihr
Dasein fristeten. Diese Art der Namengebung, die Gottsched
in seinen Vernünftigen Tadlerinnen bis zum Überdruss ange-
wandt und an Komödien wie Königs Verkehrter Welt^) gelobt
hatte, entsprang viel weniger dem Streben nach Charakteristik,
als der Verlegenheit, einen passenden bürgerlichen Namen zu
finden; denn die Anfangsbuchstaben mit folgenden Stei'nchen,
mit denen sich Romandichter behalfen, waren auf der Bühne
eben unmöglich. (Nur Diderot führt im Personenverzeichnis
des Hausvaters „M**'^ ein verschämter Armer" und „Germeuil,
Öohn des verstorbenen Herrn von **" auf).
Auch Schiller lialf sich in dieser Veiiegenheit mit dem
Namen Edelreich für seine Amalia; Schufterle ist als wirk-
licher Spitzname nicht mitzurechnen; dagegen sind noch im
Teil die Söldner Frieshard und Leuthold durch diskrete redende
Namen unterschieden.
Sonst schloss sich Schiller in erfundenen Steifen dem fort-
geschrittenen Brauche der Zeit an: seit Lessing wui'den je
nach dem Muster der Sarah, Minna, Emilia englische, deutsche,
italiciiische FamiHcnnaroen irgendwoher aufgelesen oder — meist
in Anlehnung an andere — erfunden. Klinger entnahm die
Namen Berkley, Bushy und La Feu aus Shakespeares Richard II.
und Ende gut alles gut^); ebenso kommen die Namen Mortimer
und Montgomery bei Shakespeare (Heinr. IV. u. Heinr. VI.)
V Drani. Naehl.I, S. 157,222. Es wuchert diesesMotivim 19. Jahrhundert
in Gutzkows „Ottfried", dem eine Novelle „Die Selbsttaufe" zu Grunde liegt.
-) Vern. Tadl. (1725) XLIV. Stück. S. 349.
=>) Kieger I, S. 189, 195.
— 61 —
vor; zwischen allen diesen Namensbrüdern besteht aber kein
innerer Zusammenhang-. Wenn dag-egen Lillos Millwood ihie
beiden Silben unter Lessing-s Marwood und Schillers Milford
teilte, so teilte sie beiden auch von ihrem Blute mit. So
konnte denn auch mit einem Namen der ganze Charakter
übernommen werden: Goethe nannte seinen politischen Kanne-
giessei" in den „Aufgei-egten" Breme von Bremenfeld und gab
ihn, um diese Entwendung zu rechtfertigen, als Enkel des
Holbergischen Helden aus: und als Schiller ein „Lustspiel im
Geschmack von Goethes Bürgergeneral "^) schreiben wollte,
verwendete er die Goethischen Personen, denselben Schnaps-),
dei' erst aus den beiden jjillets stammte.
Die Heldin des Warbeck (sonst Adelaide) nennt Schiller ein-
mal Prinzessin von Cleve^), und ebenso bezeichnet er ein anderes
Mal aus Versehen die Prinzessin von Zelle; beides in Erinnerung
an die Princesse de Cleves der Mad. Lafayette; in allen drei
Fällen handelt es sich um ein natürliches edles Geschöpf inner-
halb von Hofintriguen und um seine Stellunc zwischen zwei
Männei'n, an deren einen sie gefesselt ist. Die Namen von
Megen uml ]*iin/ I^]rich von Gotland gehen ebenso wie der
Rischof von Vpern aus dem Warbeck in die Gräfin von
Flandern über und sie bleiben dort dieselben Figuren : die
unternehmende Vertraute der Heldin und der abgewiesene
Freiei'. Und da der Begriff der Schillerischen Heldin etwas
Stereotypes hat, so vererben sich auch g^ewisse Vornamen von
einem Entwürfe zum anderen, so Adelaide"') (Kinder des Hauses,
Warbeck, Bi-aut in Ti'auer) und Mathilde ((iräfin von Flandern,
Rosamund, Braut in Trauer).
1) Drain. Nachl. II, S. 265.
-) In den Tag- und Jahresheften spricht Goethe geradezu von dem
Fach der Schnäpse. W. A. I, Bd. 35, S. 24.
^) Drani. Nachl. II, S. 181, 225.
*) Adelheid, Mathilde und Bertha (Fiesko, Teil) gehörten zu den
beliebtesten Namen im llitterdrama. Für den Namen Bertha sei Goethe
angeführt (D. u. W. 11, W. A. I, Bd. 28, S. 28) „Ein schönes Kind,
welches wir mit Wohlgefallen Bertha nennen, würden wir zu beleidigen
glauben, wenn wir es llrselblandine nennen sollten." Für den Namen
Mechthilde be<reistert sich Mail. Melina im Wilhelm Meister.
— 62 —
Die Sturm- und Drangzeit liebte die alltäg-lichsten bürger-
lichen Familiennamen: die Langen, Walz, Humbrecht, Läufer;
doch konnte es mitunter glücken, einen gebräuchlichen Namen
zu finden, der zugleich redenden Charakter hatte, z. B. Wild
in Sturm und Drang, Brand im Leidenden Weib — derselbe
Name, unter dem sich Schillers Held mit den feuerwerfenden
Augen im Schlosse der Väter anmelden lässt. Hierhergehört
auch Wurm, ein Kleid, das dieser kriecherischen Kreatur wie
angegossen sitzt, ohne aufdringlich zu wirken; mit seinem
Hofmarschall dagegen zog sich Schiller den Vorwurf zu, eine
Spielerei nach der alten Komödienmanier getrieben zu haben^).
Wir wissen aber, dass er gerade hier einen wirklichen Namen,
der ihm unrühmlich zu Ohren gekommen war, an den Pranger
stellte; es handelt sich um den Schwager der Chai'lotte von
Kalb^); auf einen Tiernamen überhaupt kann auch ein Stutt-
garter Hofmarschall von Bär hingelenkt haben^).
Von Namen aus dem Bekanntenkreise hatten Lessing und
Goethe bereits Gebrauch gemachf*); bei Schiller nun gelang
es, überhaupt für die meisten Personen der ersten Stücke
Namensvettern in der Bekanntschaft aufzuspüren. Die Namen
Moor, Schweizer, Razmann, Moser, Walter, Kalb, Imhof,
Hütten, Abel und der Ritter v. Stein, auch die nur erwähnten
v. Bock und Ostheimb sind nachgewiesen; schliesslich würden
sich auch Familien Miller^ und Wieser finden lassen; aber
dann bleibt immer noch die Frage, wieviel Schiller bewusst
aufgenommen hat. Ob er wirklich den Namen Walter, nach-
dem er Wieser") aufgegeben hatte, in Erinnerung an seinen
Ludwigsburger Denunzianten wählte, ist zweifelhaft ; kompro-
mittieren konnte er den Namen jedenfalls nicht, denn ihn trug
nicht nur der "Präsident, sondern auch der Held des Stückes,
und dieser allein wird häufig mit seinem Namen angeredet.
') Braun I, S. 108.
"") Brahm I, 318.
'■') Düntzer, Erläut. zu Kab. u. Liebe, S. 152.
*) E. Schmidt, Lessing, 2. Aufl. I, S. 464. Minor, G.-J. VIII, 231 ff.
<*) Miller z. B. Jonas I, 72, 164.
'■) Goed. III, S. X f.
— 63 —
Es lässt sich statt dessen eine andere Vermutuno- aufstellen :
Avie bei Milford an Milhvood, so kann öcliiller bei von Walter
an von Waller gedacht haben, den vei-wandten Helden in
Gotters Mariane^).
Ob der Dichter auf einen Namen übeihaupt Wert legt,
dafür giebt die Häufigkeit des Gebrauches ein entscheidendes
Kennzeichen : Verrinas Vorname z. P>. wird nui* einmal in
der Ijiste der Verschworenen genannt, während wir liourgog-
ninos ausdrucksvollen Namen Scipio öfters zu hören bekommen.
Diese Vornamen stehen übi'igens nicht auf dem Personen-
verzeichnis ; auch Spiegelbergs Name Moritz fehlt dort, ebenso
vernehmen wir in Wallenstein erst innerhalb des Stückes die
Namen Albrecht, p]lisabeth, Therese. Gerade umgekehrt ver-
fährt Schiller von Maria Stuart ab : die Leicester, Burleigh,
Shrewsbury führen auf dem Zettel ihre historischen Vornamen
ohne Erwähnung im Stück.
Dasselbe begegnet uns bei den Nebenpersonen. Wenn
bisher oftmals Namen im Dialog gebraucht waren, nur um
') Das Stück, dessen AuHuhruiig in Maunheiin Schiller am 20. Okt.
1782 oder am 18. Sept. 1783 gesehen haben kann (Walter II, S. 400)
zitiert er in seiner Kede (Goed. III, S. 520), und zwar als Beispiel des
Selbstmordes durch Gift, also gewissermassen an Stelle seines eigenen
Stückes. Die Besetzung der beiden Hauptrollen war dieselbe : Beck und
Car. Ziegler (Martersteig, S. 12 rt"., 70). Der Schluss des zweiten Aktes kann
auf das grosse Finale in Kabale und Liebe von Einfluss gewesen sein.
Dem wiederholten: „Bestehen Sie noch darauf?" entspricht dort: «Herr
Präsident — Können Sie noch fühllos seyn?* Die weitere Steigerung
besteht auch dort in der Drohung mit dem öffentlichen Skandal : „Tritt
ohne Zittern zum Aliar ! schrey dort laut über Gewalt! nimm das Volk
zum Zeugen, den Allgegenwärtigen zum liichterl . . . Ich steh dir bey,
dränge mich zu dir, vereinige mein Geschrey mit deiner Stimme, erzähle,
was ich hörte, was ich sah — "
Namen dieses Klangs sind überhaupt, namentlich im bürgerlichen
Drama, merkwürdig beliebt: Lina von Waller (Schink), Eugenie Waller
(Brandes), Karl Waller (Tiecks „Abschied"), Waller („Stille Wasser
sind tief von Schröder), Wanner (Itflands Herbstagj, Wallmann (Ifflands
Aussteuer), Walltron (Möller), Wallenfeld (Ifflands Spieler), Elise v. Val-
berg (Iffland), aber auch Goethes Adelheid von Walldorf, Kleists Walter
im Zerbrochenen Krug.
— 64 —
zu dessen realistischer Belebung zu dienen, so in den Räubern
Spang-eler und Bügel, im Fiesko die Bedienten Stefano. DruUo,
Antonio, im Carlos Graf Cordua und Henarez, im Wallenstein
Gustel von Blasewitz und der lange Peter, der Bauernknabe
Emmerich und der Rekrut Franz, der Bediente Nathanael. die
Generäle Karaffa, Forgatsch und Deodati, die Kürassiere
Risbeck und Meicy und der Bürgermeister Pachhälbel — alles
Namen, die im Pei'sonenverzeichnis fehlen, so tinden Avir unter
den späteren Figuren die Raoult und Montgomerv oder die
russischen Bauern Gleb, Ilia, Timoska u. s. w., deren Namen
niemals auf der Bühne laut werden. Hier stimmen natürlich
die Namen nicht mehr mit irgend einer Yorstellung überein ;
ein rein äusserlicher Grund ist bestimmend: Auch Goethe
hatte in den Bühnenbearbeituugen des Götz die Namen Fand,
Peter, Wanzenau, Blinzkopf eingeführt, worin kein Wider-
spruch zu dem bei der Natürlichen Tochter und dem Gross-
cophtha befolgten Prinzip liegt. Es ist das Werk des Theater-
direktoi's, eine Bequemlichkeit für die Rollenverteilung und die
Anoidnungen des Regisseurs, die auch den kleinen Schau-
spielern entgegenkam und ihrer Eitelkeit schmeichelte.
Für den Teil „kreierte" Schiller erst nachträglich die
Rollen der Mechthild, Elsbet, Hildegard^), „um die drei noch
übrigen Schauspielerinnen mit Antheil in das Stück hineinzu-
ziehen, weil sie nicht gern Statisten machen." Und um den
Chor in der Pjraut von Messina besser besetzen zu können,
löste er ihn in einzelne Ritter aus dem Gefolge der Brüder
auf, gab jedem seinen Namen und freute sich darüber, dass
die Schauspieler den Chor auf die Bühne bringen würden,
') An Goethe [24. Febr. 1804], Jonas VII, 128. Es könnten auch die
im Uamburgfer Theatermanuskript hinzugefügten Marie, Irnientraut, Johanna
darunter verstanden sein. Da mir der Weimarer Theaterzettel nicht zu-
gänglich ist, kann ich darüber nicht entscheiden. Unglaublich missver-
standen ist diese Hriefstelle von Duschinsky, Zeitschr. f. östr. Gymn.
50 S. 498. Er fasst als die 3 neu geschaffenen Rollen Bertha, Armgard
und Hedwig auf und hält es für möglich, dass Hedwig 3 Wochen vor der
Aulführung nach dem Muster der Lady Macdulf erfunden worden sei.
— 65 —
ohne es selbst zu wissen^). Auch bei der Rütliszene wollte
er nicht mit erstem, zweitem, drittem Schwytzer u. s. w. ope-
rieren; jede Rolle erhält ihren Namen, darunter auch Ulrich der
Schmidt, über den nur g-esprochen wird; er selbst hat nichts zu
reden. Zwölf andere stumme Personen bleiben allerdings na-
menlos: sie existieren aber auch nur, damit die überlieferte
Zahl dreiunddreissig- ^) zu Stande kommt, die für das Buchdrama
von Wichtigkeit ist ; das Theaterpublikum zählt nicht nach,
und von den zwölf Statisten war jedenfalls auf kleineren Büh-
nen wenig- zu sehen. Mit den einundzwanzig Namen aber hat
Schiller auf symbolischem Wege eine weit grössere Volksmenge
auf die Bühne gestellt, als in den Gruppenszenen seines ersten
Stückes, wo einmal achtzig Raube)- sich zusammendrängen
müssten.
5. Die Vorstelluiic: der Personen.
Unter den Fortsetzern des „Üemetrius" ist Laube der
Einzige, der auch an dem Schillerischen Fragment eingreifende
Veränderungen vornahm, indem er der Reichstagsszene expo-
nierende Auftritte voraussciiickte und so das majestätische
Anfangsbild zerstöite. So sichei- es nun auch ist, dass Schiller
diese Zersplitterung nicht gebilligt hätte, so klar sind doch
Laubes Gründe und so fraglich muss es sein, ob Schiller selbst
mit der Reichstagsszene, wie sie ist. das ganze Stück eröffnet
hätte. Als er an das Trauerspiel „Die Polizei" ging, hat
er sich ermahnt, den Zuschauer durch die Menge der
Personen nicht zu verwirren, sondern die einzelnen Figuren
') An Körner. 6. Febr. 1803. Jonas III, S. 11.
•) Bei Tschudi heisst es: „solt jeder der gemelten dry Eidgenossen
mit Im bringen 9 oder 10 Mann-'. (Bellermanus Schillerausgabe Bd. V,
S. 519). Die Gesamtzahl 33 giebt Müller. Aber schon bei der ersten
Weimarer Aufführung, und noch mehr bei der verkürzten Darstellung am
1. Dez. 1804, wurde die Zahl der Landgemeinde verringert. (Düntzer,
Erläut. z. Wilh. Teil. 6. Aufl. 1897, S. 29. 37, 199.) Übrigens ist auch
im Teil von Veit Weber (Leonh. Wächter) die Zahl 33 festgehalten.
Pftlaestra XXXll. 5
— 66 —
wie an einer Schnur aufzureihen^). Es ist damit ein praktischer
Grundsatz dramatischer Technik ausgesprochen: Massenszenen
langsam zu entwickeln und die Figuren erst einzehi zui- Geltung
zu bringen, ehe man sie alle ineinandergreifen lässt. Mit
jeder einzelnen Person des Stückes muss das Publikum bekannt
werden : man kann dieses Prinzip die Vorstellung der Personen
nennen und man kann es als den ergänzenden zweiten Teil
des Theaterzettels bezeichnen. Der Theaterzettel ist ein
Schlüssel in der Hand des Zuschauers, aber er ist wie der
Feenschlüssel im Märchen: der Beschenkte weiss zunächst
nicht, was damit anfangen, und erst nach und nach bemerkt
er, wie alle Schlösser von selbst aufspringen. Jeder Name,
der auf dem Theaterzettel steht, muss erst einmal mit Hinweis
auf eine auftretende Person genannt sein, ehe die Verbindung
zwischen Publikum und Bühne geschlossen ist. Das Buchdrama,
in dem wir die Namen der Sprechenden zwischen den abge-
setzten Reden des Dialoges lesen, hat es nicht nötig, diesen
Konnex herzustellen. Bei einer Aufführung aber z. B. des
„Gottfried von Bei'lichingen" müssten Avir über die Persön-
lichkeit dei' meisten Auftretenden im Dunkeln bleiben; bei der
Aufführung des Götz in Hamburg gab Schröder vielleicht mit
aus diesem Grunde noch eine Art Textbuch'') dem Publikum
in die Hände, wo der Gang des Stückes mit allen auftreten-
den Personen skizziert war; bei Goethes eigener Bühuenbe-
arbeitung 1804 war, wie Brahm gezeigt hat^), einer der Haupt-
punkte die Vorbereitung des Auftretens der einzelnen Personen,
und 1809 endlich sollte sogar die Reihenfolge des Personenver-
zeichnisses dem Verständnis des Publikums entgegen kommen.
Allerdings bilden bei der Theateraufführung die Schau-
spieler selbst, deren Namen, Gestalt, Stimme uns nicht fremd
sind, ein Medium, vermittelst dessen wir die Figuren erkennen.
') Dram. Nachl. II, S. 64.
') Winter, Thcat. Forsch. II, S. 28 ff.
") G.-J. II, 193 fF. Deutlich ist diese Absicht an der neuen Ein-
führung des Seibiz zu erkennen :
II, 14. Carl: Wie meld ich euch meiner Mutter, edler Herr?
Seibiz: Sag- ihr, Hans von Seibiz grüsse sie.
— 67 —
Im 18. Jahrhundert war aber die Angabe der Schauspieler-
namen bei den kleinen Truppen, die mit wechselndem Publikum
und Personal zu rechnen halten, noch nicht allgemein^) ; sogar
in Wien war sie 1780, um Kabalen zu verhüten, wieder abge-
schatft worden-); jedenfalls durfte sich der Dichter auf diese
Unterstützung- nicht verlassen.
Dies Medium fehlte gänzlich bei dem antiken Drama, wo
die Schauspieler, durch Masken unkenntlich, in der Darstellung
einer Person wechselten und wo das Personenverzeichnis nur
in der Erinnerung des Publikums an allbekannte Stoffe bestand.
Hier ist nun bei allen Figuren die Vorstellung gewissenhaft
durchgeführt, was deshalb leicht fiel, weil die wenigen Personen,
die gleichzeitig auf der liühne waren, erst einzeln auftraten.
Drei Möglichkeiten bestanden da vor allem:
1. Die Person wird vor ihrem Auftreten angekündigt.
2. Die Person wird beim Auftreten begrüsst, im Dialog
mit ihrem Namen angeredet oder erst im Laufe der Handlung
erkannt.
3. Die Person stellt sich selbst dem Publikum vor.
Das moderne Drama hat es in mancher Hinsicht schwerer
als die Antike. Sobald der aufgehende Vorhang in medias
res führt, bleibt für die auf der Bühne befindlichen Personen
nur noch das zweite Verfahi-en übrig. Allerdings ist die
Vorstellung nicht immer notwendig: z. B. wenn das Personen-
verzeichnis nur eine Frau aufweist, wie Goethes Iphigenie
oder Amalia in den Räubern, so ist jeder Zweifel ausgeschlossen;
') Litzmann, Schröder I, S. 179. Schlösser, Theat. Forsch. XIII,
S. 14 f. Pichler, Chronik des Hof- u. Nat.-Theat. in Mannheim 1879, S. 19.
Nach Hagen, Geschichte des Theat. in Preussen S. 273 machte
Schünemaun 1740 den ersten Versuch, durch Nennung der Schauspieler die
Anziehungskraft der Ankündigung zu vermehren. Reisende Virtuosen, wie
Brockmann, brachten dann auch die Sitte auf, ihre Mitwirkung am Ende
des l'ersonenverzeichuisses besonders hervorheben zu lassen. Martersteig
S. 203 (falsch erklärt S. 437), siehe den Berliner Hamletzettel: Kürschner,
Jahrb. f. d. Theater I, S. 108.
') Nicolai, Reise durch Deutschland und die Schweiz IV, S. 607.
5*
— 68 —
auch die Fürstin Isabella ist inmitten der Ältesten von Messina
gleich erkennbar und dadurch ergiebt sich wiederum Beatrice
von selbst. Oder die Pei'son verrät sich durch ihr Äusseres,
wie der Mohr im Fiesko, und durch seine Uniform der Major
in Kabale und Liebe (er wird trotzdem ang-ekündig-t). Auch
kann die Person durch die Situation, in der sie sich befindet,
hinreichend erklärt werden : wenn wir Jungfr. II mitten un-
ter den Feldherrn ein Weib vorfinden, so wissen wir, wer sie
ist, nachdem bereits im Vorspiel und im ersten Aufzuge von der
verräterischen Königin im feindlichen Lager die Rede war
(z. 295 ff, 829 ff, 925 ff)^). Im zweiten Aufzug des Teil hat
uns die Dekoration einen Edelhof zu zeigen, und wir
erraten danach sofort die Persönlichkeit des Greises,
während im Anfang desselben Stückes Alpenjäger, Fischer
und Hirt durch ihren Standpunkt im Landschaftsbilde
kenntlich gemacht sind; Kuoni trägt ausserdem einen Melknapf
auf der Schulter. Leicht zu erkennen ist hierbei eine Parallele
zur bildenden Kunst, bei der wir gleichfalls das stehende Attribut
finden, das in der Hand von Heiligen, von historischen Personen
oder Berufsklassen die Bedeutung der Gestalten vermittelt.
So stellt im Anfang von Kabale und Liebe Miller sein Violon-
zell bei Seite; wir erkennen daran den Musikus. Dasselbe war
vielleicht beabsichtigt, wenn beim ersten Auftreten Wallensteins
durch einen Pagen der Kommandostab herbeigebracht wird ^).
In den übrigen Fällen war Schiller auf eine der drei er-
wähnten Methoden angewiesen:
Ankündigung.
„Die Personen des vorhergehenden Auftritts sehen alle-
zeit die Personen des folgenden kommen" giebt Joh. El. Schlegel
als Zeichen eines regelmässigen Stückes an'-). Dasselbe ist
die Regel des Batteux*); dieser nennt vier Möglichkeiten die
Szenen zu verbinden und bezeichnet die dritte davon, die Er-
*) Im 13. Bde. der Goedekiscben Ausgabe sind ausnahmsweise die
Zeilen, nicht die Verse gezählt.
') D. L. D. 26, S. 40.
^) So ursprüng-lich im Manuskript. Goed. XII, S. 96.
■•) Einleit. i. d. seh. Wiss. (liamler) II, S. 238 f.
— 69 —
blickung als „schlechterding-s notwendig-". Gottsched setzte
auch für den einzig-en Fall, wo er ein zeitweihg-es T^eerbleiben
der 8zene gestattete, nämlich „wenn die Personen, die auf der
Bühne stehen, denen, die sie ankommen sehen, ausweichen
wollen"^), diese bequemste Art der liaison des scenes voraus.
Er selbst machte denn auch so ausgiebig-en Gebrauch davon,
dass seinem Rezensenten das häufige „Doch Cato kömmt bereits"
auffiel : in seiner „bescheidenen Antwort" verteidigte sich
Gottsched durch die Aufzählung von französischen Mustern'').
Das antike Diama war das ursprüngliche Vorbild ; dort
wird diese Ankündigung zumeist dem Chor in den Mund
gelegt, der unter freiem Himmel weithin Ausschau hält und
sich natüilicherweise auf das Herannahen neuer Personen auf-
merksam macht. Indem man denselben Brauch zwischen die
Wände einer Saaldekoration veipHanzte. bedachte man nicht
die Unwahrscheinlichkeit. Wie lächerlich wirkt z. B. in
BodmersAschylostravestie „Karl von Burgund''')dieBegrüssung:
,,Aber wir müssen mit Ehrfurcht aufstehen; ich sehe die Tochter
uusers Herren, die durchlauchtige Maria, wie das helle Licht des
Morgens, in das Zimmer tretten. Es gebühret uns sie mit ver-
ehrenden Worten anzureden"
gegenüber den Versen des Äschylus:
akk rfic f^eöjv "aov ry^bakii-oic,
<^äo<; öpiidtTat |iLV;tr,p ßapiXsojq
Auch Lessing versieht seine Personen gern mit der Fein-
hörigkeit, jedes Herannahen zu erkennen oder wenigstens zu
bemerken; besonders hat er, wie Düsel*) zeigt, die Gewohnheit,
Monologe durch die Ankündigung einer auftretenden Person
') Diese Ausnahme ist erst in d. 4. Aufi. d. Grit. Dichtk. (1751)
S. 629 erwähnt.
■) Beytr. z. krit. Hist. 5. Stück S. 39, 47 ff.
Sulzer in seiner Theorie d. seh. Künste I, 91 tadelt bereits den
Fehler der französischen und deutschen Dichter: „Sie lassen oft die An-
kunft einer neuen Person förmlich ankündigen, wo es gar nicht nöthig
wäre; als ob sie befürchteten, man würde den neu auftretenden nicht
gewahr werden, oder nicht kenneu."
') D. L. D. No. 9, hsg. v. Seuffert.
*) Düsel, Der dramat. Monolog, Theat. Forsch. XIV, S. 71 f.
— 70 —
abbrechen zu lassen. Goethe ist darin sein Partner. Von
einer „diamaturg'ischen Grille" Lessings und Goethes sollte
aber Diisel nicht reden, da dei- Grund so leicht ersichtlich ist.
Entschlussmonologe enden meist mit einem Abg-ang"; Re-
flexionsmonologe dagegen kOnnon von innen heraus über-
haupt kein Ende finden, da sich die Gedanken immer
weiter spinnen; sie müssen also entweder unterbrochen werden
— und zwar wird man die unterbrechende Person nicht
überraschend auftieten lassen, denn sonst müsste sie noch etwas
von dem Selbstgespräch höien — oder sie gehen in ein stummes
Nachdenken oder Dahinträumen über. Dann entsteht eine Pause
bis zum Aufti'eten der nächsten Person — ein neues Element
der dramatischen Technik, das mit öchiller aufkommt.
Gleich Karls Monolog im vierten Aufzug der Räuber ist ein
Heispiel dafür, oder man halte Posas Monolog (Don Carlos Itl, 9)
neben sein Vorbild, den Monolog Nathans (III, 6), dann wii'd
der Unterschied deutlich : hier lauten die letzten Worte „Er
kömmt. Er komme nur" ; dort macht Posa einige Gänge
durch das Zimmer und bleibt in ruhiger Betrachtung vor
einem Gemälde stehen. Der eintretende König sieht ihm noch
eine Zeit lang zu, ohne bemei-kt zu werden.
Notwendig blieb die xlnkündigung der kommenden Pei'son
in dem von Gottsched erwähnten Falle : wenn dadurch eine
andere Person veranlasst wird, sich zu entfernen. Z. B. Sera.
V. 68, Piesco I, 1—2, IV, 11-12, Kab. I, 3 — i, IV, 6 — 7,
Carlos I, 3 — 4. Sonst aber fällt auf, wie selten ger;ide in
den Jugendstücken die Ankündigung stattfindet und wie oft
die Personen übei-raschend eintreten^). Vom Don Carlos ab
steht Schillei' der französischen Szenenvei'bindungstechnik wieder
') Siehe Raub. Goed. II. S. 37, 59, HO, 113, 147, 181. Fiesko u.
Kab. Goed. III, S. 24, 26, 35, 42, 46, 85, 98, 102, 108, 106, 861, 366,
410, 413, 438, 455, 481. Don Carlos. Goed. v. 2, S. 190. Dagegen
Heispiele durch Ankündigung: verbundener Auftritte: Sem. v. 586, Raub.
Trsp. I, 2. Fiesko II, 11, 17. Don Carlos v. 1341, 1464, 1535,2075,
3804, 4442, 4559, 4856. Picc. v. 79, 383, 632, 1383. W. T. 1363, 2578,
3191, 3586. M. St. 379, 680, 1941, 3479, 3887. Jungfr. 545, 2442,
4183, 4231.
— 71 —
näher und in ihrer steifsten Form ..man kommt" dring-t sie
manchmal ein^). In den Jiigendstücken war dazu wenigstens
ein vernehmbares Geräusch notwendig gewesen : Schüsse (Raub.),
Klopfen (Fiesko IV, 7), die Gartenthiire^) (Raub. IV, 4), ein
Trompetensignal (Don Cailos I in d. Thalia). Oder die Person
konnte von weitem gesehen werden (Raub. Bühuenb. I, 2:
.\malia kommt langsam durch die hintern Zimraei'). Daneben
war es aber auch möglich gewesen, dass sich der Pater,
Kosinsky und Hermann mitten unter die Räuber einschleichen
konnten, ohne dass ihr Kommen bemerkt wurde. Bei Kosinsky
hätte eine Vorstellung mit der Ankündigung nicht verknüpft
werden können; Hermann wai' dem Pul)likum schon bekannt,
der Pater durch sein Äusseres erkennbar; in der Bühnenbe-
arbeitung dagegen heisst es beim Kommissar: j,Seht! Da
kommt schon so ein Hezhund der Gerechtigkeit angestiegen."
Damit sind wir endlich zu der Frage gekommen: Inwie-
weit hat Schiller die Ankündigung zur V^orstellung neu auf-
tretender Personen verwendet? In den Jugendstücken sehr
wenig, in den Räubei-n nur einmal in geschickt versteckter
Weise. Moor fragt: „Saht ihr den Schwarz nicht? sagt er
euch von keinem Brief, den er an mich hätte?" und dem
gleich darauf Eintretenden fliegt er entgegen: „Bruder, Bruder,
den Brief! den Brief!" Die Absichtlichkeit dieses Kunst-
griffes darf bezweifelt wei-den; dafür spräche der Aufruf
Spiegelbergs: „Muth, sag ich, Schweizer! Muth, Roller,
Grimm, Razraann. Sclmfterle! Muth!". wobei gerade der Name
des bereits vorgestellten Schwarz fehlt ; das zweite Beispiel
aber aus dem Fiesko könnte in seiner Ungeschicklichkeit das
Gegenteil beweisen : Leonoie flieht zum Schlüsse des ersten
Auftrittes von der Huhne unter dem Ausruf: „Fiesko kommt",
es treten aber statt seiner Giauettino und der Mohr auf, und
') Im Nathan d. Weisen (III, D hat Schiller einmal die Frage
„Kommt es nicht an uusre Thüre?" in „was rauscht an unsrer Thür?"
verändert, gewiss weniger, um das typische „kommt" zu beseitigen, als
aus metrischem Grunde.
-') Dasselbe Motiv in Bergers Galora von Venedig I, 1 beim Heran-
kommen Casoris.
— 72 —
der Zuschauer kann irreg-eführt werden, zumal da Gianettino
un vorgestellt bleibt. Nach Kettners Vermutung') sollte ur-
sprünglich wirklich ein Auftritt des Fiesko folgen, der später
durch Einschiebung des Mührenauftrittes verdrängt wurde.
Dass die jetzige Verbindung unglücklich ist, merkte Schiller
übrigens bei der Bühnenbearbeitung; Leonore vermutet dort
bloss: „Es wird mein Gemahl seyn^)." Ausserdem sagt nun
Gianettino im folgenden Auftritt: „Dieser Fiesko ist ein
Magnet" (früher nur: „Dieser Mensch ist ein Magnet"), so
dass jedem Missverständnis vorgebeugt wird. Indem hierbei
von der weissen Maske des Grafen die Rede ist, wird auch
ein Erkennungszeichen für Fiesko geboten, der in der That
2 Auftritte später in einem weissen Mantel erscheint.
In den folgenden Stücken benutzt nun Schiller mehr und
mehr die Ankündigung als Mittel zur Vorstellung. Entweder
die Personen werden gemeldet durch einen Diener: so u. a.
Hofmarschall von Kalb, Gustav Wrangel, dei- schwedische
Hauptmann, Ruileigh. Oder die Annäherung wird be-
merkt und dabei fällt der Name: so werden Ferdinand,
Questenberg samt Octavio, die Karabinicie ^Perschkas im
Lager, die beiden Königinnen in Maria Stuart, Bertrand und
Karl VII. in der Jungfr., ferner Baumgarten, Teil, Gessler und
die Urner, die zum Rütli kommen, eingeführt. An dieser
letzten Stelle ist auch eine negative Ankündigung gemacht
(v. 1097), es war nötig auf die Abwesenheit Teils besonders hin-
zuweisen. Endlich giebt es noch eine dritte Art der Ankündi-
gung, die im wesentlichen der Mechanik des Stückes dient und
die Vorstellung nur als Nebenzweck mitnimmt: die Person wird
bei ihrem Namen herbeigeiufen oder bestellt, so Raub. IV, 2 Da-
niel; V, 1 der Pastor; Carlos V, 8 — 10 der Grossinquisitor; Picc.
II, 6 die Feldheirn, darunter die noch unbekannten Maradas, For-
gatsch, Deodat, Karaffa ; W.T.V, 1—2 Macdonald und Deveroux.
') Vjschr. III, 569.
') Auch bei Plümicke heisst es nur : „Vielleicht Fiesko", und nachher
„Fiesko ist ein Magnet".
— 73 —
Anrede.
Von der Anrede macht die französische Tragödie einen
fast allzu häiitig-en Gebrauch, wozu Ijcdürfnis nach V'erstüUunir
und vor allem die Bequemlichkeit des Reimes') Veranlassung-
bieten konnte. In verschiedener Weise kann die Anrede auch
zur Erkennung der Personen verhelfen. Nicht immer braucht
es der Name zu sein; Umgangsformen und Etikette können
einen Titel erfordern, der dann wenigstens auf dem Theater-
zettel steht oder dem Publikum bekannt ist. So wird Wurm
als „Herr 8ekertare" begrüsst; die Anrede ,Eure königliche
Hoheit" genügt, um uns den Infanten von Spanien zu be-
zeichnen, und Talbot wird als „Feldherr" (z. 1621) vorgestellt
mit einem Titel, der nach dem Personenverzeichnis ihm allein
zukommt."')
Auch die Pietät kann Nennung des Namens verbieten;
auffällig ist es, dass Max seinen Vater mehrfach Octavio
anredet^); beim ersten Auftreten aber sagt er Vater und
giebt sich dadurch zu erkennen ; ebenso Mortiraer mit seinen
ersten Worten: „Man sucht euch, Oheim." Bei der Gegen-
seitigkeit der verwandtschaftlichen Beziehungen kann eine
Anrede ausreichen, um zwei Personen vorzustellen, z. B. „Liebe
Tante" in den ersten Worten des , Menschenfeind". Oder zu
Beginn der Räuber: zwei Personen sind auf der Bühne; der Greis
wird Vater genannt: nach dem Verzeichnis kann es also nur der
alte Moor sein ; er spricht von seinem öohne Karl als einer
dritten Person und giebt dadurch die zweite als Franz zu
erkennen. Auf eine ähnliche indirekte Weise, die mit der
Kombinationsgabe des Publikums rechnet, kommen wir auch
zu Beginn des Fiesko ins Klare: man hört die Namen Rosa,
Bella; auf dem Theaterzettel stehen diese beiden Personen als
Leonorens Kammermädchen ; es ist also unter der dritten,
die von ihnen „gnädige Frau* tituliert wird, Leonore
zu vermuten.
') Köster, S. 210.
*) Später redet Isabeau alle drei Heerführer Feldherru an (z. 1720).
=■) Picc. 2267, 2295. W. T. 1210, 3397, 3461.
— 74 —
Nun werden die meisten Anreden lediglich die Belebung-
des Dialoges bezwecken. Läge überall die Absicht des Dichters
vor, das Publikum mit den Namen vertraut zu machen, ^o
müssten die Anreden in der zweiten Hälfte eines Stückes be-
deutend abnehmen, Avas durchaus nicht dei- Fall ist.
Indessen giebt es Beispiele, wo die Absicht deutlich i-st,
und zwar dann, wenn sich die Anrede bereits unter den ersten
Worten des Dialoges befindet z. B. Sem. v. 515 ,.Sohn Maja"!
— „Zeus". Raub. 11,1: „Henmann!" Carlos v. 129 „Mein
Roderich", v. 386 „Mondekar''. Picc. v. 2 „Graf Lsolan",
V. 384 „Vater". M. St. v. 251 „Oheim", v. 1077 „Mylord
von Kent". Jungfr. z. 30 „Etienne", z. 35 „Claude Marie",
z. 03 „Jeannette", z. 756 „Agnes". Br. v. Mess. v. 2
„Ihr greisen Häupter dieser Stadt", v. 101 „Diego". Teil
V. 183 „Herr Stauffacher", v. i59 „Herr Walther Fürst".
Bereits in den frühesten Stücken setzt die Anwendung
dieser Vorstellungsmethode eui; später tretfen wir hingegen Stellen,
Avo die Anrede geflissentlich vermieden scheint. Wenn Isabella
zwischen ihren beiden Söhnen auftiitt, macht sie keinen Unter-
schied; erst im folgenden Auftritt beginnt mit dem herauf-
dämmernden Zwist die Sonderung: v. 465 „Du bist der ältre
Bruder" und v. 471 „Don Cesar". Deutlich ist die Absicht
im Teil I, 4: um einen Bühnenetfekt herauszusparen, darf
Melchthal nicht zu Beginn des Auftrittes angeredet und vom
Publikum erkannt werden; ei'st Stauttachers Erzählung vom
Schicksal des Vatei-s und das Hereinstür/en des Sohnes haben
den Zusannnenhang zu erklären : „Der Sohn ists? Allgerechter
Gott!" Ähnlich wird Kotzebues Gustav Wasa, der als
Knecht verkleidet auftritt, erkannt, als er bei der Er-zählung
vom Tode seines Vaters zu Boden stürzt.
Bei solchen Erkennungsszenen erfährt das Publikum
gleichzeitig mit den Mitspielenden, wen es vor sich hat. Von
den drei schwarzen Masken im ersten Aufzug des Fiosko sind Kal-
kagno und Sacco in I, 3 bereits durch gegenseitige Anrede
vorgestellt; den Namen der dritten jedoch nennt I, 7 Fiesko
erst in dem Moment, wo er selbst sie erkennt: „Eine
— 75 —
männliche Antwort, und — das ist Verrina!" Dasselbe wieder-
holt sich bei der neuen unbekannten Maske in I, 8: „Hcipio
Bourg-og-nino!" Oder in der .luiii-''tV. II. 9: .,Öo bist du dieser
edle Herzog- selbst" und im Toll \^, 2 .,Ihr seid der Herzog
von Oesteii'eich". Jedesmal hat die Erkennung- auch Einfluss
auf die Dialogzwischenschritten. Wählend in einem kon-
sequenten Bühnenmanuskript von Anfang an die Rollennamen
vor den Reden stehen') und z. H. auch Kot/ebue im erwähnten
Fall „Gustav Wasa (als Knecht verkleidet)" über die Szene
schreibt, sagt f!^chiller, wie ein Eizähler, der seinen Leser über-
raschen will, nicht mehr, als das Theaterpublikum zunächst
sieht. Er führt einen Alten, Masken. Ritter und Mönch ein
und lässt aus ihnen erst vom Moment der Erkennung ab den
alten Moor, Verrina, Bourgognino, Rurg-und, Pan-icida werden^).
I^)Ui-g-und musste zum zweiten Male vorgestellt werden, weil
er durch das geschlossene Visier unkenntlich ist; ähnlich läge
der Fall, wenn wir den schwarzen Ritter als Talbot aufzu-
fassen hätten. Bedeuteten .Johannas Worte: „so sagt ich, du
wärst Talbot" wirklich eine Erkennung, so sollte man auch
hier eine Vcräudei-ung der Dialogvoischrift erwarten. Es
g-eschieht nicht; die Fig-iir soll dem Publikum nui- ,ein
schwarzer Ritter" bleiben, „ein Unbekannter" wie die Warner
bei iShakespeaie. im Götz, in Kling-cis Otto, in Tiecks
Genovefa^).
Zur Vorstellung durch Ani-ede gehören schliesslich auch
die andern Fälle, wo die Personen erst auf der Bühne mit
einander bekannt werden, sei es durch Fi'age oder durch Vor-
M In der Biiliuenbearbeitung des Fiesko werden diese Personen g'leich
mit Namen eingeführt: ..V^errina als Maske", „Bourgognino maskiert".
Goed. III, 204, 207.
-) Ein hübsches Beispiel für dieses Umspringen findet sich in Grersten-
bergs Minona IV, 5:
Zweyter Gefangener (da er sich frey fühlt, zieht einen Dolch,
und springt auf Minonen zu) So dankt dir Aezia. (Ehe Aezia diese Worte
noch ausgesprochen und ihre That vollführt hat, liegt sie schon von Ryno
und der Wache niedergehauen.)
=•) Minor, G.-J. X, 231,
— 76 —
Stellung- im engeren Sinne. So rühmt Sonnenfels es an Lessings
Minna von Barnhelm als den glücklichsten Zufall von der
Welt, dass der Wirt das Fräulein nach Namen, Verrichtung u. s. w.
auszufragen habe^). Ähnliche Gelegenheiten können auch aus
andeien Situationen hervorgehen: dass z. B. Kosinsky von den
Räubern nach Namen und Zweck seines Kommens gefragt
wird, ist ebenso selbstverständlich, wie Fieskos Erkundigung
nach dem Namen des Malers, der vor ihn gebracht wird.
Ohne Aufforderung nennt Mercado (Carlos 4884) seinen
Namen; durch ihren Vater wird Marina dem Polenkonig vor-
gestellt. Ebenso macht eine Mittelsperson, Octavio, den Kriegs-
rat Questenberg mit Isolani und Butler bekannt^); die
besprochene Absicht darf aber hier nicht gesucht werden,
denn Isolani und Butler sind bereits bekannt, während
gerade Illo, dei- nicht vorgestellt wird, bisher nicht angeredet
war. Indessen ergiebt sich die Vorstellung vollkommen
aus der Situation und dient zur indirekten Charakteristik
und zur Anknüpfung eines Gesprächs. Mehr überrascht
das Zeremoniell auf dem Rütli, wenn die Unterwaldner und
Schwj^tzer zusammenkommen; dort handelt es sich wesentlich
um Ausfüllung der Pause bis zum Herannahen der Urner.
S e 1 b s t V 0 r s t e 1 1 u n g.
Während die beiden ersten Methoden unter Gruppen,
zum mindesten unter zwei Personen Regel sind, bleibt die dritte
für den Monolog übrig. Bei den griechischen Tragikern musste
Schiller sie am deutlichsten in den Prologen des Euripides
angewendet finden, z. B. in den von ihm übersetzten Piiöni-
zierinnen: ,Jokaste heiss ich." Diese viel getadelte und ver-
spottete Euripideische Manier hat nicht nur Verteidiger wie
Lessing, sondei'n auch moderne Nachahmer gefunden. Klinger
eröffnet seine Medea mit Versen des Schicksals: „Schicksal
') Briefe ü. d. Wiener Schaubühne S. 196. Das Motiv stammt aus
Goldonis Locandiera.
') In sk auch Butler und Maradas. Goed. XII, S. 173.
— / / —
nennen mich die Erdensöhne", seinen Oriantes mit einem Prolog-
der Nemesis: „wenn ich, Nemesis, der Rache Göttin u. s. w.",
und am Anfang von Goethes Helenaakt im Faust steht
der Vers:
Bewundert viel und viel gescholten, Helena,
der allerdings erst später hinzugefügt wurde^); ursprünglich
hatte Goethe den Earipideischen Monolog ohne eine so wesent-
liche Eigentümlichkeit, wie es die Selbstvorstellung ist, nach-
geahmt, ebenso im Anfang der Iphigeuie und im Polymetismono-
log des Elpenor, wo die Namensnennung fehlt.
Was man dem Euripides als Nachlässigkeit vorwarf, das
empfinden wir in den primitiven Anfängen des neueren Dramas
als frische Naivetät. Und so wurden die öelbsterklärungen des
Handwerkerdramas, die von Shakespeare uudGryphius genugsam
verspottet sind, von Tieck bewusst wieder aufgenommen:
Ein Zaubrer bin ich, Polykomikus genannt (Zerbino).
Ich bin der wackere Bonifacius (öenoveva).
Diese archaisierende Manier — Home und später A. W.
Schlegel vergleichen sie tretfend mit den Spruchbändern, die
auf alten Gemälden den Figuren aus dem Munde wachsen^)
— passte in den strengen Stil Schillers nicht.
Das einzige Mal, wo bei ihm eine Selbstvorstellung in der
ersten Person stattfindet, im Anfang der Rütliszene, ist es
kein Selbstgespräch und mit keiner Wendung zum Publikum
verbunden :
Wir sind
Die ersten auf dem F^latz. wir Unterwaldner.
Schiller liebt es überhaupt nicht, neue Personen monologisch
einzuführen oder ein ganzes Stück mit einem Expositions-
monolog zu eröffnen. Nur in Semele ist dies der Fall. Dort
lässt er Juno in der dritten Person sich selbst erklären durch
die Anrede erst an ihre Pfauen: „Pfauen Junos!", bald
nachher an sich selbst: ,Juno! Juno! traurig stehst du, tief
verachtet."
') W. A. I. Bd. 15, 2. S. 72.
') Homes Grunds, d. Kritik, übs. v. Meinhard. 3. Aufl. II, 250.
Schlegels Dramaturg. Vorles., Werke Bd. V, S. 142.
— 78 —
Von der Selbstapostrophe muss überhaupt die Diktion
des achtzehnten Jahi'hunderts mehr Gebrauch gemacht haben, als
unsere Sprechweise; auch im Roman finden sich Spuren: man
beobachte etwa, wie Wielands Prinz Biribinker es fertig
bringt, immer im entscheidenden Augenblick seinen unglück-
lichen Xamen auszusprechen.
Während dies auf das Selbstgespräch beschränkt bleibt,
kann auch der Dialog in einer Art, die unserer Redeform
nicht fremd ist, die Selbstvorstellung herbeiführen. Die Ab-
sicht ist zu erkennen im Anfang von Wagners Kinderraörderinn,
wenn Gröningseck sagt:
,.Meynt sie denn pardieu, der Lieutenant von G-röningseck
würde sich sonst in einen solchen Stall weisen lassen".
Die Schillerischen Beispiele sind nicht so schlagend:
Raub. I, 2:
Das sollst du noch von Spiegelberg lernen !
Fiesco I, 5:
heute war Prinz Doria lustig.
In beiden Fällen wird zwar der Name überhaupt zum
ersten Mal genannt, aber so spät, dass das Publikum bis dahin
die Person bereits erraten haben muss.
Schliesslich braucht eine Person, um sich selbst vorzu-
stellen, ihren Namen nicht unbedingt zu nennen. Wenn Mont-
gomery von dem Heimatlande Wallis spricht, so ist er mit
Zuhilfenahme des Theaterzettels zu erkennen. An das Publikum
gerichtete Selbstvorstellungen jedoch, wie die des Euripides,
die nicht nur den Namen, sondern auch Abstammung und
Verhältnisse exponieren, machen das Personen Verzeichnis über-
haupt überflüssig.
In diese Lage kam Schiller bei der Huldigung der Künste;
in der ersten Ausgabe fehlt das Verzeichnis; Schiller hielt es
für unnötig, „indem sich alle Personen selbst erklären, wenn
sie ankommen".^)
') An Frommann .3. April 1805. Jonas VII, S. 233.
— 79 —
6. Der Schauplatz.
„Der Ort der Geschichte ist Teutschhind", diese Bemerkung-
auf dem Theaterzettel der Räuber, über die wir heute gieich-
g-iltig- hinweglesen, war zu ihrer Zeit nicht bedeutungslos,
öchubart, der auch an die Verfasser der Hermannsschlacht,
des Götz und der Minna die Bitte richtete, mehr patronyniische
Stücke zu liefern'), hatte von dem jungen Genie, in dessen
Hände er den Beitrag zur Geschichte des menschlichen Herzens
legte, ausdrücklich verlangt, dass es „nicht aus Zaghaftigkeit
die 8cene in Spanien und Griechenland, sondern auf teutschem
Grund und Boden eröffne."
Spanien und Griechenland bedeuteten schliesslich nichts
weiter, als die Schauplatzlosigkeit. Wie nach Gottsched der
Dichter für eine allgemeine Fabel historische Namen entlehnte,
so entlehnte man auch den Namen irgend einer Stadt, und mit
der blossen Angabe La scene est ä Aulidc, ä Eleusis, en
Cheronese war nach Hedelin genug für den Schauplatz gesorgt;
ebenso riet Corneille, von jeder genaueren Bezeichnung inner-
halb des Stückes abzusehen, um über eine etwaige Verletzung
der Einheit hinwegzutäuschen, eine Empfehlung, die noch
durch Friedr. Nicolai wiederholt wurde"-).
Joh. El. Schlegel verglich diese Vei-allgemeinerung des
Schauplatzes mit dem Gemälde eines Menschen, der in der
Luft schwebe, weil der Boden nicht hinzugezeichnet sei'^).
Indem man, wie Gottsched, die Ilhision des Publikums ängstlich
behüten wollte, nainn man ilir jede Freiheit; das Publikum
blieb im Parterre sitzen; man gab sich keine Mühe, es nach
Griechenland zu führen, ihm von der J3ühne herab griechische
Luft entgegenvvehen zu lassen; der Schauplatz blieb „auf dem
Theater."
») G.-J. II, S. 99.
-) Corneille, Discouis des trois unitös ed. Marty Leveaux I, 117.
Nicolai, Abb. v. Trauerspiel, Bibl. d. seh. Wiss. I, 33.
=>) D. L. D. 26, S. 4 f., 223 f.
Ilanih. Drani. 44. Stück. Lachm.-Muncker IX, S. 371.
— 80 —
Seitdem aber erfuhr die Auffassung- eine wesentliciie
Änderung. Bereits Gerstenberg sagt: „Sobald der Vorhang
aufgezogen wird, denken wir nicht mehr an das Theater,
sondern an den Ort, den das Theater vorstellen soll"'). Und
beim jungen Schiller ist das frühere Verhältnis von Publikum
und Bühne sogar auf den Kopf gestellt: Die Schaubühne führt
das Publikum. „Mit ihr folgen wir der verlassenen Ariadne
durch das wiederhallende Naxos, steigen mit ihr in den Hunger-
thurm Ugolinos hinunter, betreten mit ihr das entsetzliche Blut-
gerüste."^)
Sobald nun das Theater auf diese Illusion ausging, musste
der Dichter alles daransetzen, nicht nur seine Personen, sondern
auch das Publikum auf dem Schauplatze des Stückes festen
Fuss fassen zu lassen. Joh. El. SchlegeP) hatte auf die
Antike verwiesen ; er hatte gezeigt, wie im Anfange der Electra
ausführlich die Scene geschildert, wie im Ödipus zu Koloneum
jeder Stein beschrieben sei. Das Wesentliche, dass sich
nämlich auch das athenische Publikum im Haine von Kolonos
auskannte, sprach er nicht aus, aber er hatte für das deutsche
Theater dasselbe Ziel im Auge, indem er auch da nationale
Stoffe mit sicherer Lokalisierung, gestützt durch Anspielung
auf bekannte Verhältnisse verlaugte. Durch die bayrischen,
östreicliischen, pfälzischen und anderen Gruppen der Ritter-
diamatiker wuide eine solche. Heimatkunst später erreicht.
Auf den jungen Schiller hatte Schubarts Mahnung gewirkt;
nach den Räubern sehnte er sich vom Boden des Piesko wieder
hinweg und bat Dalberg um ein interessantes deutsches
Thema zu einem Nationalschauspiel'*). Und nachdem er als
Ästhetiker den Stachel des Privatinteresses, von dem der
nationale Gegenstand seine Wirkung borge, verworfen hatte^),
führte ihn die Arbeit am Teil zur alten Neigung zurück und
er dachte auch an ein deutsches Nationalschauspiel, indem er
') A. V. Weilen, D. L. D. 30, S. LXXI.
0 Goed. III, S. 519 f.
») D. L. D. 26, S. 215.
*) An Dalberg 1. April 1782, Jonas I, 57.
'') Vom Erhabenen, Goed. X, S. 174.
— 81 —
Klopstoeks „Hei-mannsschlacht" vornahm^); den Plan einer
Bearbeitung gab er freilich bald auf.
Goethe ") hat später in der Erinnerung an die Leipziger
Aufführung des Schlegelschen „Hermann" der ganzen drama-
tischen Bardenpoesie, von der man eine nationale Schaubühne
erhofft hatte, das Urteil gesprochen; sie konnte die beabsich-
tigte Wirkung nicht erreichen, da das Publikum keinen Hei-
matsboden unter sich fühlte. Selbst Friedr. Ludw. Schröder
verpflanzte die Schmidtsche Hermannide wieder als Turandot
nach China ^), so sehr dies seinen Prinzipien zuwiderhef. Er
und in seinem Gefolge Bode, Bock, Grossmann, Gotter,
Reichaid *) waren darangegangen, die Blüten der Weltlittera-
tur in deutsche Treibhäusei- zu setzen, und zwar sollte es sich
nicht nur um die Lokalisierung von Lustspielen handeln, wo-
mit bereits die Gottschedin begonnen hatte. „Es lässt sich
zwar nicht jedes Stück nach Deutschland legen, aber wo es
möglich ist, thu' ichs" war Schröders Grundsatz ■'); auch im
sogenannten Hamburger Pi'eisausschreiben war für Übersetz-
ungen dieser Wunsch ausgesprochen; die eingereichten Original-
stücke entsprachen ihm jedoch nicht, alle drei Bruderzwist-
dramen hatten Italien zum Schauplatz ^).
Exotische Familienzwistigkeiten Hessen dem Dichter frei-
ere Hand; ein krimineller Beigeschmack war nur dort von den
Mordtaten fernzuhalten, also brauchte es keine Zaghaftigkeit
zu sein, sondern ein richtiges Gefühl konnte den Dichter in
die Fremde führen. Auch Schiller zog, als er das zweite Mal
an die feindlichen Brüder heranging, den Stoff in die ideale
Ferne, wo er zugleich einen besseren Boden für seinen Chor
fand. Die Braut von Messina könnte man, vom Titel abge-
') W. A. I, Bd. 40 S. 90. An Goethe 20. Mai 1803. Jonas VII, 41.
■•) Leipziger Theater, W. A. I, Bd. 36, S. 226 f. v. Biedermann,
Goethes Gespräche V, 275, VI, 284 f.
■') Litznjann, Schröder und Gotter S. 58.
') Meyer, F. L. Schröder, I, 313. Litzmann, Schröder II, 124 ff.
Wolter, Fr. W. Grossmann, Diss. Bonn 1901, S. 31.
'') Devrient, Briefe Iftlands an Werdy, S. 69.
'■) Litzmann, Schröder II, 155. Minor I. 304.
Palaestra XXXll. "
— 82 —
sehen, beinahe ein schauplatzloses Stück nennen; deich die
A'^orrede wendet sich ja gegen die Auifassung, „als ob hier
ein anderer Ort wäre, als der bloss ideale Raum". Die Über-
einstimmungen mit Reisewerken der Zeit, die Kettner ^) nach-
gewiesen hat, berechtigen nicht, von eigentlichen lokalen Vor-
studien zu reden; schwerlich hat Schiller zur Arbeit jemals die
Landkarte hinzugezogen, die bei den anderen späteren Dichtun-
gen eine so grosse Rolle spielte.
In den Räubern hatte er sich an allgemein bekannte geo-
graphische Begriffe gehalten: Franken, die sächsische Grenze,
die böhmischen Wälder und die Donau. Wenn statt Leipzig
im Mannheimer Manuskript die Reformationsstadt Wittenberg
eingesetzt wurde, so war man vielleicht über das Alter der
Leipziger Universität nicht unterrichtet; hierum, wie um die
notwendige Veränderung der Örtlichkeiten in Herrmanns fal-
scher Nachricht, scheint sich Schiller selbst nicht bekümmert
zu haben ^).
Im Fiesko hat er die einzige ausserhalb Genuas spie-
lende Szene III, 1 geographisch keineswegs bestimmt; der
Don Carlos weist in dieser Hinsicht einen Fortschritt auf;
das Karthäuserkloster (II, 14) wird sogleich zum Schauplatz
der vorhergehenden Szene in Beziehung gesetzt, (v. 3191 ff)
Eigentlichen Wert auf die Bestimmung des Lokals legt
jedoch erst der Dichter des „Wallen stein". Das äussert sich
schon auf dem Theaterzettel; hatte dieser in den Räubei'n nur
„Teutschland" genannt und in den drei folgenden Stücken
geschwiegen (Genua und Spanien standen auf dem Titel ; Kabale
und Liebe durfte keinen bekannten Schauplatz haben ^)), so
heisst es nun: „Vor der Stadt Pilsen in IJöhmen" und im
Tod: „Die Scenc ist in den drcy ersten Aufzügen zu Pilsen,
in den zwey letzten zu Eger".
•) Z. f. d. Ph. XX, S. 49 ff.
0 An Schwan, 2. Febr. 1782. Jonas I, 55.
") Harmlosere bürgerliche Stücke konnten dies wagen ; so spielt
Wagners ,,Keue nach der That" in Wien, Gemmingens „Deutscher Haus-
vater" i. d. 2. Ausg. in München, was aber dort bereits Ärgernis erregte-
— 83 —
Mit dieser Genauigkeit, die auch den Ortswechsel zwischen
den Akten voraussaßt, wird später nicht inehi- verfahren; in
der Jungfrau heisst es wegen zu häufiger Veränderung- und
teilweiser Unbestimmtheit des Schauplatzes: „die Scene wech-
selt in verschiedenen Gegenden Frankreichs" ; in Maria Stuart
und Teil ist dci' Schauplatz nur aus Bemerkungen hinter ein-
zelnen Personen zu ersehen: „Gefangene in England,,; „Reichs-
vogt in Schwytz und IJri'' ; „Landleute aus Schwytz, Uri,
Unterwaiden".
Dag'egen macht Schiller von den Räubern an bis zum
Teil von einem Ausdrucksmittel des Lesedramas Gebrauch:
er setzt über die einzelnen Szenen g^eographische Überschriften,
während in einem korrekten Regiebuch nur die Dekoration
beschrieben zu sein braucht. Im Schauspiel „Die Räuber"
heisst es g-anz novelüstisch : „Nahgeleg-ener Wald" (IV, 5);
im Tiauerspiel dag-eg-en „"\\'akr' (IV, 1:3); die Angaben
„Fi'anken", „An den Gränzen von Sachsen" u. s. w. sind
abei- auch in der Bühnenbearbeitung' stehen geblieben. Im
Tel! sind einzelne Punkte mit einer Genauigkeit bestimmt, die
für den Leser die Landkarte ^j notwendig- macht: „Felsenufer
des Vierwaldstättensees, Schwytz gegenüber" ; „Östliches Ufer
des Vierwaldstättensees"; „Die hohle Gasse bei Küssnacht".
Auch sollte das Lesepublikum mit ähnlichen Hülfsmitteln ver-
sehen werden, wie sie die Phantasie des Dichters bedurft
hatte, um den hindschaftlichen Hintergrund vor sich aufzu-
bauen; es hätten ursprünglich dem ej'sten Druck Stiche von
Schweizerischen Landschaften in Aberlis Geschmack beigege-
ben werden sollen ^).
Das erhöhte Interesse Schillers für den Schauplatz ist
wohl seit seinen iüstorischen Studien zu datieren. Bei dem
Wallenstein setzt es ein. Obwohl Schiller die Örtlichkeit im
') So gab z. B. Veit Weber seinem Teil (1804) eine Karte des
Vierwaldstätter Sees bei.
-) An Cotta 22. u. 27. März 1804 (Jonas VII, 135, 143) An Rein-
hart 2. April 1805 (VII, 230).
— 84 —
Jahre 1791 besucht hatte ^), gaben ihm doch die Erinnei-uno's-
bilder keinen ausreichenden Hintergrund und ei- bestellte bei
Cotta noch Spezialkarten für den Pilsener Kreis und das
Gebiet von Eg-er, dazwischen g-ing die Bestellung- einer Karte
für die Insel Malta ■). Später suchte er auch möglichst viel
Prospekte, Städtebilder, Landschaften ^) aufzutreiben ; wie sehr
er aber immer noch seine Phantasie gerade aus der Landkarte
emporwachsen Hess, hat Kettner für den Demetrius gezeigt:
die Aussicht von der russischen Grenze auf die meilenweit
auseinanderliegenden Städte Tschernigow und Nowgorod Se-
werski muss aus einer Landkarte abstrahiert sein, ohne deren
kleinen Massstab in Betracht zu ziehen *).
Ähnliche Irrtümer wurden auch gleich nach Erscheinen
des Teil von eingeborenen Schweizern berichtigt ^), und der
mit der Landkarte arbeitende Dichter muss es sich noch heute
gefallen lassen, dass man ihm auf dieser oder dem wirklichen
Schauplatz nachgeht und mit ihm rechtet, weil er Chinon nördlich
der Loire annahm, die Entfernung von Fotheringhay nach
London verkürzte oder den Fischer einmal östlich, einmal
westlich vom Yierwaldstätter See ansiedelte; übrigens war
Schiller selbst auf die Nachprüfung gefasst, wie Änderungen
in der Druckausgabe beweisen **).
Dass einmal die wirklichen Örtlichkeiten zui- J^ühne für
seinen Teil würden''), vermochte Schiller wohl kaum zu ahnen,
1) Brahm II, 228.
*) An Cotta 25. April 96. Jonas IV, 446.
') An W. V. AVolzogen 16. Juni 1804. Jonas VII, 158.
*) Dram. Nachl. I, S. LXX, S. 54 ff, 141. Übrigens sollte die Land-
karte ja auch auf der Bühne entrollt werden. Dram. Nachl. I, 71, 111,
130, 219, 224.
') Braun III, S. 439 ff.
«) Bellermann II, 507 ff.
") Siehe G. Kellers Grünen Heinrich. Dass indessen solche Ge-
danken auch im 18 Jahrhundert nicht allzu fern lagen, zeigt Klopstocks
scherzhafter Vorschlag, Hormanns Schlacht unter freiem Himmel im Bode-
tal aufzuführen.
(Klopstock an Ebert 14. Juli 1770. Lappenberg, Briefe von und
an Klopstock S, 229.)
— 85 —
aber er war sich wolil bewusst. nicht nur für die Theater zu
Weimar oder Berlin zu sehi-eiben, sondern das Nationalschau-
spiel der vSchvveizer zu schaffen. Er hielt daher eine Über-
fülle von lokalen Anspieluni-en für notwendiir, „um gegen die
Geschichte und das, was die Schweizer von ihm erwarteten,
face zu machon."') Üluig-ens lag- dies im Stoff; bereits Kästner^),
dem (iottsched zur Dramatisierung- geraten hatte, war abge-
halten worden, weil ihm die Quellen zu wenig- Lokalkolorit
boten, und Schiller selbst hatte es bereits g-eg^enüber dem
epischen Plane Goethes betont, wie gerade der Teilstoff aus
dem g-enau g'-eschilderten Schauplatz entwickelt werden müsse. ^)
..Die Gebirg-sluft, die darinnen weht, empfinde ich noch,
wenn mir die Gestalten auf Bühnenbretern zwischen Lein-
wand und Pappenfelsen entg-eg'-en ti-eten,"' so konnte Goethe
von seinem kleinen Sing'-spiel Jery und lUtely sag-en.*) Auch
Schiller hätte seinem Schweizerdrama diesen intimen Reiz, den er
aus Goethes Schilderung'-en allein nicht schöpfen konnte, gern
mitg-eg-eben ; er wai' zeitweilig- entschlossen, noch vor derDruck-
leg-ung- den Schauplatz zu besuchen, wobei es ihm aber mehr
auf den Schweizei- Leser als auf die heimischen Theater an-
kam. Für das Theater glaubte er mit Recht alles Lokale
nur skizzieren zu müssen; denselben Grundsatz hatte er bereits
bei Turandot befolg-t: .,Ich habe es mit der Geographie
nicht so g'-enau genommen, weil diese Bearbeitung- nicht für
den Leser ist und der Zuschauer auf jenem asiatischen Boden
schwerlich so bewandert ist, um die Entfernungen nachmessen
zu können".^)
Auf dem Theater darf der Dichter willkürlich verfahren;
auch die Geographie Shakespeares ist ihm erlaubt"), und
') An Iffland 5. Dez. 1803. Jonas VII, S. 98. An Körner 12. Sept.
1803. Jonas VII. 74.
-') AVaniek. Gottsched S. 411.
•') An Goethe 30. Okt. 97. Jonas V, 282.
■*) Tag- und Jahreshefte 1785 und 1804. W. A. I, Bd. 35, S. 7, 185.
■'•) An Körner 26. Februar 1802, Jonas VI, S. 858. Köster, S. 200.
'■) Dilthey, Philos. Aufsätze für Zeller S. 456.
— 86 —
schliesslich kommt es auch nur auf das an. was die sag-en-
hafte Tafel der alteng-lischen r>ühne ausdrücken sollte: dem
Publikum muss die Bedeutung der Dekoration klar g-emacht
werden.
Wenn nicht der Theaterzettel bereits vorgesorgt hat, muss
dies auf indirektem Wege geschehen. An Regehi darüber
fehlte es nicht. In Deutschland wurde auf die schon von
Hedelin betonte necessite d'expliquer les decorations par les
vers ') durch J. El. Schlegel und Nicolai aufmerksam gemacht«
Nicolai weist hin auf den Kaufmann von London : .,wenn
die Scene bald in Thorowgoods bald in Milwoods Hause ist,
so wird der Zuschauer zwar wohl sehen, dass die Scene ver-
ändert wird, aber er wird nicht wissen, wessen Haus vorge-
stellet werde, wenn er es nicht etwa aus dem gedruckten
Buche weiss."") J. El. Schlegel fordert, dass der Verfasser
den Zuschauern berichte, „was sie für Personen vor sich sehen
und an welchem Oi'te dieselben erscheinen ; und dass er gleich-
wohl sich nicht merken lasse, als ob er wisse, dass Zuschauer
zugegen sind."^) Er koordiniert also die Vorstellung der Per-
sonen und des Schauplatzes und in der That stehen bei der
Erklärung des Schauplatzes drei ähnliche Möglichkeiten zu
Gebote :
I. Der neue Schauplatz ist bereits in der vorlicrgehen-
den Szene angekündigt.
II. Unter den auftretenden Pei-sonen befinden sich Fj-emde,
denen die Örtlichkeit erst erklärt werden muss.
III. Gesprächsweise wii-d der Name erwähnt.
Von vornhei-ein sind weiterer und engerer Schauplatz
oder, wie Sulzer') unteivscheidet, allgemeine und besondere
Szene zu trennen. Derikgriff: „Franken. Saal im Moorischen
Schloss" setzt sich aus drei Faktoren zusammen; nur einci-
') Prätique du theätre. Amst. 1715. I, 54.
^) Abh. V. Trauersp. S. 3(5.
') D. L. l). 26. S. 221.
') Th. d. seh. K.ll, S. 1011.
— 87 —
davon (Saall ist die Sori,'-e des Dekoi-atcurs, dessen Werk
nach den zwei anderen Seiten hin durcli indirekte Erklärunü"
g-estützt werden muss. Spielt die Szene in der freien Natur,
so kommt es meist allein auf die g-eographische Beziehung- an ;
unter Umständen ist auch auf diese kein Wert zu legen, zumal
wenn die auftretenden Pei'sonen selbst nicht recht wissen,
wo sie sind. z. I>. in doi- furchtbaren Wildniss (Fiesko III, 1),
dem wilden Wald (Jungfr. V, 1 ), der eing-eschlossenen wilden
Waldg-egend (Teil UI, 2).
Auch bei Innenräumen kann es sich um einen neutralen
Ort handeln, von dem nichts ausg'^esag't wird, damit die ver-
schiedensten Personen ohne besondere Motivierung ab und zu
g-ehen können. Die Vorzimmer des Wirtshauses oder des
König-sschlosses waren für büi'g"erliche odei- heroische Stoffe
die g-eeignietsten Froistätten. Das eni^lische Wirtshaus indessen
war in der Entwicklung- des Dramas zum Familieniremälde
vom französischen Salon abg-elöst worden, worüber Tieck in
der .,Vei-kehrten Welt"') seinen Wirt ii-onisch khii^en lässt:
Ich weiss es noch, in wie vielen hundert Stücken bei mir in
dieser Stube hier die schönste Entwicklung vorbereitet wurde. 0,
dass ich nicht ein Hofrath geworden bin! Sieh fast alle jetzigen
Ivoniödienzettel nach, und immer steht unten : die Sceue ist im Hause
des Hofraths.
Schiller machte sich das Wirtshaus, das Goethe in den
Mitschuldig-en, im CJötz, im Faust, in der Stella verwendete,
nui- in den Räubern zu Nutze. Ferner sind als neutraler
Schauplatz die Galleric-'l im Don (^irlos (IV, 4, 13) und das
N'orziMHuer in Maria Stuart (l\'. 1) anzusehen. Die Deko-
ration von Carlos [l. 4. die durch Herumstehen von Hof-
leuten als Antichanibie kcimtlich ist, sollte näher bestimmt
sein, da sonst der Iri-tum des Prinzen und das wohlmotivierte
Auftreten Albas (v. 1519) zunächst unverständlich bleibt ^).
Klai- wird der Zusammenhanj< erst im 6. Aufti-itt durch das
Erscheinen der Königin.
■ »rPhantasus. Schriften 1828, V, S. 319 f.
■) Die Galerie war eine Lieblingsdekoration der Oper.
=•) Deutlicher hat Otway die gleiche Dekoration zu erkennen gegeben.
IV, 1 treten Don Carlos und Posa auf und Don Carlos beginnt sogleich:
— 88 —
Der Aufenthalt der Besitzer in ihrer eigenen Wohnung"
erklärt zumeist die Bedeutung von Zimmer- oder Hausdekora-
tionen und zwar deutlich, wenn sich die Personen bei Auf-
gehen des Vorhanges schon in einer bestimmten Situation be-
finden ; mit geringerer Bestimmtheit, wenn sie erst auftreten.
Dieser Unterschied ist im Teil an zwei ganz ähnlichen Deko-
rationen zu erkennen: dem Platze vor Teils (III, 1) und vor
Stauffachers Haus (I, 2). Am Aktanfang wird durch das
lebende Bild dei' beschäftigten Familie jede Erklärung gespart ;
innerhalb des Aktes dagegen war eine in der Konzeption
vielleicht vorgesehene ähnliche Anfangsgruppe (Gertrud über
den unter der Linde sitzenden Stauffacher gebeugt) verwehrt');
die Personen müssen erst auftreten und um dies Auftreten zu
motivieren und zugleich den Schauplatz zu erklären, wird
eine eigene Figur eingeführt. Hier hätte die zweite Methode
eingeschlagen werden können, der Pfeiffei- wäre als Fremder
gekommen, dem Stauffacher sein Haus zeigt; ungekünstelter
wirkt aber die dritte Art:
Bleibt doch, bis meine Wirthin kommt — Ihr seid
Mein Gast in Schwytz — — —
I. Da die Vorbereitung auf den folgenden Schauplatz
mit der zeitlichen und kausalen Verbindung vereinigt auftreten
kann, bildet sie das Verfahren, das am leichtesten unbewusst
eingeschlagen wird. Auf diesen Weg geriet auch Schiller in
den Räubern, wo sonst die Schauplatzerklärung veriuichlässigt
ist. Der Entschluss der Libertiner, in die böhmischen Wälder
zu gehen (I, 2), bereitet auf den Sciiauplatz von II, 3 voi' und
der Ruf: „nach Fi-aiiken! in acht Tagen müssen wh' dort
seyn!" klärt den Zuschauer (allerdings erst am Schlüsse des
dritten Aktes) über die Lage des Moorschen Schlosses auf;
„Nun kömmt das Zimmer der Königin, (Er geht darauf zu). Vergebens
suche ich es, ich darf mich nicht hinein wagen''. (Neue Erweiterungen
der Erkenntnis und des Vergnügens, 1757, Bd. IX).
') Darüber näheres im 2. Kapitel, Abschn. 4. ('■brigens fehlt die Fi-
gur des Pfeiffers in den Bühnenmanuskripten ; Stauttacher und gleich darauf
Gertrud treten aus dem Hause, wodurch ja der Schauplatz auch genügend
erklärt wird.
— 89 —
zugleich wird mit dei- zeitlichen Entfernuni^ eine Ungewisse
T^estimmuni-'Jcnei- Flussseirend dos dritten Aktes ausgesprochen
(der Name Donau fällt nicht auf der Bühne).
Späterhin dai'f man eine bewusste Verwendung dieses
Mittels annehmen, z. H. wenn im Don Carlos v. 119 und v.
891 der Wechsel zwischen Aranjucz und Madrid angekün-
digt wird, ebenso M. St. II, v. 2om ft" (Park von Fotheringhay),
W. T. III, 23 V. 2375 (Eger), Jungfr. z. 335 (Chinon), III,
z. 3009 (Schlachtfeld vor Rheims), Zu erwähnen ist hier
auch ein kleines, handschriftlich erhaltenes P>ruchstück des
Teil '), worin Gessler die Stätte des Apfelschusses ankündigt,
indem er dem Knappen Diethelm befiehlt, mitten in Altdorf
den Hut aufzui)flanzen. Als das Marniskiüpt schon in Ifflands
Händen wai', wollte Schiller noch diesen kloinen Auftritt (Jess-
lers zui- Einschaltung in I, 3 nachsenden; schliesslich wurde
aber nach Tschudi odoi' di-amatischeu Voibiidcrn (z. 1).
Ambühls Wilhelm Teil I.e.) der Ausrufer eingefügt. Eine
deutlich beabsichtigte Ankündigung endlich ist die genaue Be-
schreibung des Rütli (Toll 1.4 v. 724 tf).
Auf den engeren Schauplatz musste vor allem im Don
Carlos voi'bereitet werden, wo auch der Zuschauer sich in
dem Labyrinth des königlichen Schlosses zui-echtzutinden hat.
Die ..hintern Zimmer im Pavillon doi- Königin" (v. 1279 und
II, 7) und die „Zimmer der Königin" (v. 5122 und V. 11) sind
') Minor, A. d. Schillerarchiv S. 111. Koethe, Die dramat. Quellen
des Schillerschen Teil, Fesig. f. Hildebrand 1894, S. 244 f. Schiller an
Iffland 23. Jan. u. 11. Febr. 1804. Jonas VIT, 116, 123 f.
Ursprünglich g-ehörte der kleine Auftritt in den Anfang des zweiten
Aktes; in den Dekorationsangaben für Iffland (Jonas VII, 99 ff ) heisst
es: Actus II. 1) Oeffentlicher Platz zu Altdorf.
Dann fiel diese Szene weg und der Auftritt Gesslers sollte in den
ersten Akt kommen; so erklärt sich wohl die zweideutige Überschrift: ad
Act II, siehe Act I. Wahrscheinlich gehört zu diesem Auftritt auch der
auf einem Blatt von Schillers Hand erhaltene Einzug Gesslers mit sechs
Wartenknechten, Rudolf dem Harras und zwei leibeigenen Buben Diet-
helm und Kössling. üüntzer fasste ihn als zur Apfelschus.sszene gehörig
auf (Erl. z. Teil 0. Aufl. 1897, S. 249).
— 90 —
anirekündiirt ; hei TT, 10 ist die ErkläninL'" seit ISOl we^-ire-
fallcn ; in der T\haliafassun.ü- das-egen lässt die Eboli Dominiro
nach dem Nebenzimmer linker Hand bestellen (v. 2733; in
D V. 2260). Das Genaueste an Vorbereitung- auf eine Deko-
ration ist Theklas Beschreibung* des astrologischen Turmes;
diese Schildei'ung (Picc. v. 1572 ff) giebt eine bindende Vor-
schrift für den Dekorateur und setzt zugleich das Publikum
in Stand, die beschriebene T)ekoration AV. T. I, 1 zu erken-
nen. Die beiden korrespondierenden Stellen entstanden gleich-
zeitig-; als Schiller das Manuskript an Iffland schickte, Avaren
zwei Lücken vorhanden, da er über das asti'olog-ische Motiv
noch schwankte '). Übrigens wurde diese genaue Schilderung-
bei'eits von Tieck als g'-ezwungen empfunden ").
TT. Joh. El. Schlegel bewundert, Avie fein Sophokles im
Philoktet den vorsichtigen Charakter des Odysseus beobachtet
hat: erst als sie auf der Tnsel Lemnos sind, teilt dieser dem
Neoptolemos das Ziel ihrer Unternehmung- mit ^), Ei' ver-
spottet dag-eg-en die unmotivierte Art des Racine in der Be-
i-enice: Antiochus erklärt dem Arsaccs den Raum, den sie
betreten, g'-enau, abei- es ist ganz unwahrscheinlich, dass Ar-
saces zum ersten Male in diesen Saal kommen sollte. Schlegels
eigene ]\fotivierung zu Reginn des TTei-rniann, avo Sigmar
seinen erAvachsenen Sohn zum ersten 3Ialc vor Thuiskons Bild
und Mannus' Ehrenmal führt, ist indessen ebenso anfecht-
bar, Avie die des Racine.
Schiller Avar im ähnlichen Fall viel glücklicher: Hereford
hat seine fünf Söhne, denen er die Anfangsdekoration des
Warbeck erklärt, soeben erst aus England herübergebracht ;
Melchthal ist der Einzige aus UnterAvalden, der den Ort der
geheimen Zusammenkunft kennt; er muss also den von ihm
geführten i^andlcuten ein Jlalt zurufen: ,,\Vir sind am Ziel,
') An Iffland, 24. Dec. 98. Jonas V, S. 477.
') Dramaturg. Schriften I, S. 74. Goethe fand dagegen diese Stelle
als Einleitung der Astrologie sehr glücklich. An Schiller 2. Jan. 1799.
W. A. IV, Bd. 14, S. 2.
•') D. L. 1). 20 S. 4 f.
— 91 —
hier ist das Rütli". Immer sind die Personen, die über den
Schanplatz unterrichtet wei'den. s^iinzlich fremd, sowohl Jo-
hanna, wenn der schwarze Ritter in die Ferne weist: ., Schau
hin, dort hebt sich Rheims mit seinen Thürmen"', als auch
Demetrius, der sich die Aussicht an der russischen Grenze
erklären lässt. Die vier Beispiele zeigen, dass wir es mit
einem Kunstmittel der reiferen Technik Schillers zu tliun
haben; zum ersten Male scheint ei- iui Don Carlos an dessen
Anwenduni;- i^edacht zu haben und zwar bei dem Auftritt im
Karthäuserkloster. Da aber Carlos eben erst selbst seinen
We^ gefunden hat, wäre es un<rei'eimt. ^enn er den Prior
nach der Lag-e fragte; Schiller greift also zu dem geschickten
Auskunftsmittel, den Prinzen sich selbst orientieren zu lassen:
Euer Kloster
Liegt weit ab von der Strasse. Dorthin zu
Sieht man noch Thürme von Madrid. — Ganz recht,
Und hier fliesst der Mansanares.
AVenn dagegen in Maria Stuart (v. 2225) Klisabeth
fragt: .,Wie heisst dci- Landsitz?", so spielt sie nur Komödie;
zur Unterrichtung des Zuschauers hat die Antwoit .,Fothering-
ha-yscliloss" nicht zu dienen.
III. Ebenso wie die Anrede einer Person ergiebt sich
im Gespräch auch die Erwähnung dci' ÖiHichkeit zu natürlich
und häutig, als dass überall an eine technische Absicht zu
denken wäre. \\\v diu-fen sie dort annehmen, wo gleich die
ersten Worte den Schauplatz nennen, z. 15. Raub. II. 3:
„Willkommen in den böhmischen Waldein" und im ersten
Vers des Don Carlos (in dei- Thaliafassung uird das Wort
Aranjuez dagegen erst v. 16 ausgesprochen), oder wo hinter
einem ..hier", das dem Dialog genügt hätte, der Name des
Schauplatzes beigefügt ist, z. 15. Lag. v. 6(i ..hier vor Pilsen''
oder .JungtV. III, 2, z. 2450: .,Hier, Sire, in Deiner könig-
lichen Stadt Chalons."*j Im ersten Fall wiid die Angabe des
') Dieser Vers stand ursprünglich am Anfang des Aktes, denn der
Auftritt zwischen Dunois und Lahire ist erst später hinzugelcommen.
(Körner an Schiller 9. Nov. 1800.)
— 92 —
Theaterzettels wiederholt (oder eig-entlich umgekehrt, da der
Theaterzettel natüi-lich später seine endgültige Fassung- fand),
ebenso W. T. IV, 1, wo zudem an die vorhergegangene An-
kündigung des Ortswechsels (v. 2375) angeknüpft wird: .,Ei'
ist herein."
ydiwei-er linden Zimmerdekorationen im Gespräch ihre
Erklärung. Dass der erste Akt des Fiesko im Hause des
Grafen spielt, erfährt man spät; erst bei der Verabschiedung
der Gäste wird klai-, wer der Veranstalter des Maskenfestes
ist. (1, 6. ., Wir danken für Deine Bewirthung.") Im zweiten
Aufzug geben Julias erste Worte Aufklärung: .,Dcr Graf
bot mir sein Palais an." Im vierten Aufzug erkennen Avir
einmal die deutliche Absicht an der plumpen Ungeschicklichkeit:
IV, 11 „In den Konzertsal versprach Fiesko zu kommen";
in der Bühnenbeai'beitung ist daher eine kleine Änderung g^e-
trotfen; es heisst bloss .,In diesen Saal versprach Fiesko zu
kommen", denn im vorhergehenden Auftritt (IV, 7) fand
bereits die Ankündigung statt: .,rm Chinesischen Saal bin ich
zu finden, Avenn der Schuss g"-eschieht." Viel geschickter als
im Fiesko ist der gleiche Zweck im Anfang der Piccolomini
erreicht :
Isolani (sich umschauend)
Auch auf dem Rathaus, seh' ich, habt ihr euch
Schon ziemlich eingerichtet.
7. Einheit des Ortes.
Mit seiner geographischen Gewissenhaftigkeit steht Schiller
nicht allein; auch von Friedr. Ludw. SchrCxler wird erzählt,
dass er bei der Arbeit die Landkarte vor sich hatte; aber
aus einem entgegengesetzten Grunde, nämlich um die Einheit
des Ortes zu wahren. \) Man möchte kaum glauben, was
Fr. L. Schmidt berichtet, dass derselbe Schröder, der Shake-
'j F. L. Schmidt, Denkwürdigk. hrsg. v. Uhde I, 260 f.; Meyer,
F. L. Schröder.
— <)3 —
spcare auf dem dentsclien Tlioatoi- diirclisctzto und don Grötz
und Hofmeister auf die IJühue bi-achtc. in seinem Alter die
Meilen änü"stlich nachjremessen und sich dai-iibei- aufiiehalten
habe, dass 8cliilier in den Kaulx'iii die Szene zwischen l>(")hmeii
und Franken wechsehi lasse. Für den Teil soi^ar soll er
dasselbe Wort als Tadel gebraucht haben, das einst zum
Evan^'-elium der Geniezeit g^ehört hatte, nämlich „Guckkasten."')
Gerstenberi;- scheint diesen Ausdruck zuerst angewendet
zu haben; ihm kam es nur auf eine Einheit der Illusion an:
„Wir sehen mit dem guten Glauben in die I5ühne hinein, als
ob wir., in einen Guckkasten sähen." Odei- wie es an
anderer »Stelle heisst : „Ob er [der Dichter] mich von Rom
nach Alexandrien oder von Alexandiit'ii nach Rom versetzt,
ist mir sehr gleichgültig. wdIViii er niii- nur zeigt, was ich
zu sehen wünschte."') Auch für den jungen Goethe war
Shakespeares Theatei- ,.ein scliüncr Raritäten Kasten, in dem
die Geschichte der Welt vor unsciii Augen an dem unsicht-
baren Faden der Zeit vorbey wallt "l) Aber indem Goethe „in
die freye Luft sprang", entsagte er dem Theater übei'haupt;
Shakespeare galt als der Dichter, der keine P>ülmc brauchte;
zwai' hatten die Schleswig-ischeu Litteraturbriefe bei dei-
Kritik von \\'ielands Übersetzung- seine lierücksichtigung als
Theateidichter veilangt,*) aber Herder hatte die IMicke der
Zeitgenossen von dieser Richtung- wieder g-anz abg-elenkt ; aus
'} Herrmann, Das Jahrmarktsfest von Flundersweilern. S. 45.
Schon 1784 hatte Schröder in einem Briefe an Dalberg: das unzu-
treffende Urteil über die Räuber gefällt: „wird der Geschmack an diesen
Sturm- und Drangstücken ailgeuiein, so kann kein Publikum ein Stück
goutieren, das nicht wie ein Raritätenkasten alle fünf Minuten etwas an-
deres zeigt". (Minor II, 232. j Noch in seinen Bemerkungen zu Riccoboni
(1810) nennt er als grausame, unnatürliche und Guckkastenstücke nach
dem verdorbenen Geschmack des Publikums die Räuber neben anderen
Titein, wie Julius von Sassen, die Zauberin Sidonie, Fridolin, das Vehni-
gericht u. s. w. (Meyer II, 2. S. 181.)
-) A. V. Weilen, D. L. D. 30 S. LXXT. Schreiben an Herrn
Weisse, Vorrede zur Braut. 1765, S. 8 f.
') W. A. I. Bd. 37. S. 133.
M 1). L. D. 30. S. 110.
— 94 —
dem Alter Goethes stammt ja der merkwürdi.ii'e Satz, an die
Bühne habe »Shakespeare nie gedacht.^)
Sobald sie nmi für die IJühne zu schreiben begannen,
kehrten alle Genies um ; mit der Kindheit des Sturms und
Drang"S ging' die Freude am Jahrmarktstreiben dahin; auf den
Götz folgte der Clavigo; selbst Lenz erkannte mit einem Male,
dass die Veränderungen der Szene auch bei Shakespeare nur
Ausnahmen von der Regel seien und keine Entschuldigung für
junge Dichter, „die ad libitum von einem Ort zum anderen
herumschweifen, und uns glauben machen wollen, Shakespeares
Schönheiten beständen bloss in seiner Unregelmässigkeit."-)
Die entschiedenste Schwenkung aber machte Klinger: nach-
dem er bereits in den Zwillingen (1776) sich an die Einheiten
gehalten hat, verwirft er 1785 in der Vorrede zu seinem
„Theater" die vorausgehenden Jugenddichtungen, enthält sich
im „Neuen Theater" (1790) jedes Dekorationswechsels inner-
halb dei* Akte und kann zu den „Zwo Freundinnen" sogar
die P)emerkung setzen: „Ein Zimmer durch's ganze Stück. "^)
Andere Stürmer und Dränger, Avie etwa H. L. Wagner oder
Ph. Ludw. Hahn, rechneten sich von vornherein „zu den
weiseren Dichtern, die deutsch denken, ohne die französische
Mechanik des Theaters zu verachten."*)
Gegen Ende der siebziger Jahre war der wildeste Fi'ei-
heitsrausch längst vorüber und auf den jungen Schiller wh^k-
ten ausser Shakespeare selbst, dem (jötz und etwa Klingers
•) Hempelsche Ausgabe. Bd. XX VIII. S. 737
Zu Eckermaun am 25. Dez. 18"25. Dagegen die umgekehrte Ansicht
am 18. April 1827, Shakespeare habe nie an den Druck seiner Stücke,
sondern nur an die Aurtührung gedacht, (v. Biedermann, Goethes Ge-
spräche V, 257, VI, 113.J
') Über die Veränderung des Theaters im Shakespeare. Ges. Schr.^
hrsg. V. Tieck II, S. 836. E. Schmidt, Len/. u. Klinger S. 85. E. Schmidt,
H. L. Wagner. 2. Aufi. S. 66, 95.
3) F. M. Klingers Theater, Riga 1786. Rieger, Klinger I, 120 II, 109.
*) So. Schubart. — R. M. Werner, Ph. L. Hahn. (^u. u. F. XXII,
S. 13, 37. Ebenda S. 107 befindet sich auch eine Zusammenstellung über
den Ortswechsel im Sturm und Drang-Drama.
— 95 —
Otto Iianptsiirhlioh die Stücke dor Sturm- unrl Dranir/eit, die
mit den Konlei'uiiii-eii des Tlieaters nicht i,'ol)roclieii hatten.
Die IJcschränkiuif,'-: ..Ein Zimmer dui'clks stanze Stück"
ist ei<,'-entlich die einzig- konsequente Form der Einheit. Gott-
sched hatte diese Reyel mit der thfirichten Hei-rünihnig- ge-
stützt: so weniir sich die Zuschauer vom Phitze bewerten, so
weniy dürfe es (he Dekoi-ation. im Cato heisst es denn aucii :
„Der Schauphatz ist in einem Saale", interessant ist es aber,
dass CJottsched selbst im Altci' eiinnal von diesei' stren«^en
Kegel abwich ').
Sobald im Stück überhaupt ein Dekorationswechsel vor-
kommt, ist das eigentliche Gesetz gebrochen und als Trünuner
bleiben zwei von einander verschiedene Paia<jrapheu:
I. Mügrlichste Einheit dei- Dekoiatiou.
IL Mögrliehste Einheit des g-eogn-aphischen Schauplatzes.
Vci'mittelst eines einzii^en Dekoi-ationswechsels köinite die
llandlung' vou Euiopa nach Amerika versetzt werden, und es
käme nur auf die Illusion des Zuschauers an. ob er diesen
Sprung' mitmacht. l'mgekehrt können unzählig-e Verwand-
lungen uns doch nur durch die Zimmei' eines einzigen Hauses
jagen; dann handelt es sich wesentlich daium. in wie weit die
Huhne den Anforderung-en des Dichters entspi-echen kann.
Lessing- zwar will diesen rnterschied nicht gelten lassen:
„Die Scene uniss kein g-anzer Palast, sondern mir ein Teil
des Palastes sein, wie ihn das Auge aus einem und dem-
selben Standorte zu übersehen fähig- ist. Ob sie ein
ganzer Palast oder eine ganze Stadt odei- eine ganze Prodnz
ist, das macht im Grunde einerlei Ung-creimtheit". Er inter-
pretiert die Einheitsregel Gottsclicdisch und führt sie damit
ad absurdum.")
') Crit. Dichtk. (1730) S. 575. Waniek S. 676.
Fiirstenau, Zur Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu
Dresden 1861, II, S. 37ü.
O Hauib. Dram. 44. Stück, Lachm.-Muncker IX, S. 371.
— 96 —
1. Mit seinem Satz, Shakespeare würde besser mit Aris-
toteles auso-ekommen sein, als die g-anze französische Tragödie,')
hat Schiller einen Vorläufer in Joh. El. Schlegel.^) Das, wo-
gegen Schlegel kämpft, sind die Unwahrscheinlichkeiten, mit
denen die Einheit der Dekoration erkauft wurde. Dass an
dem allgemein zugänglichen Ort gerade nur die Personen sich
zusammenfinden durften, die der Dichter brauchte; dass Ver-
schwörer sorglos ilii'e heimlichen Anschläge eben da machten,
wo sich vorhin noch der Tyrann beraten hatte ; dass Gefangene
aus ihrem Kerker geholt, Sterbende noch in ilu'en letzten
Augenblicken auf die Bühne geschleppt wurden, statt dass
sich die andern zu ihnen begäben ; dass endlich wichtige Be-
standteile der Handlung nur durch frostige Erzählungen vor
den Hörer zu bringen waren : all dieser dem Stoif angetane
Zwang wurde bereits empfunden, lange ehe man sich von
den Fesseln frei zu machen wagte ^). Schon Corneille hatte
sich gefragt, ob er denn die Handlung seiner Horazier auch
in einen Saal zusammengedrängt hätte, falls er aus dem Stoife
einen Roman hätte machen wollen; er konnte nicht starr auf
einer Unveränderlichkeit des Schauplatzes bestehen und foi--
derte schliesslich nur eines, nämlich que jamais on ne chan-
geät dans le meme acte, mais seulement de Tun ä l'autre.
Auf diesem Standpunkt blieb das französische Drama im acht-
zehnten Jahrhundert; als Voltaire in Semiramis die Regel über-
trat, fand er wenig Nachfolge; sogar Mercier ging nicht
weiter als Corneille; er verlangte, „dass die Veränderung des
Orts nur in den Zwischenakten vor sich gehe, niemals zu
einer anderen Zeit'" ^). In Deutschland bewirkte Shakespeares
') An Goethe 5. Mai 97. Jonas V, 188.
'■) D. L. D. 26, S- 223: ,,Die Wahrheit zugestehen beobachten die
Engländer, die sich keiner Einheit des Ortes rühmen, dieselbe grossentheils
viel besser, als die Franzosen, die sich damit viel wissen, dass sie die
Regeln des Aristoteles so genau beobachten".
') Eloösser, Das bürgerl. Drama S. 50. Joh. El. Schlegel, D. L. D.
20, S. 11. Nicolai, Abh. v. Trsp. S. 33. Sonnenfels, Briefe ü. d. Wien.
Schaub. 113 tf. 428. Sulzer, Th. d. seh. K. II, 1012.
*) Neuer Versuch (übs. v. Wagnerj S. 194.
— 97 —
Einfluss eine Änderung'; Shakespeare selbst aber musste in
der überlieferten Foi'm als unaufführbar gelten und wurde
durch J>earbeitun<,''cn bülniengerecht gemacht, da vor der Ro-
mantik niemand auf eine Biilnieneinrichtung- nach altengiischcm
Muster zurückging.
Tieck machte im Jungen Tischlermeister diesen Vorschlag
und fand damit auch eine Bühne füi- den Götz. Wenn da-
gegen der junge Schiller im Jahre 1782 daran gedacht hatte,
Goethes Werk für die Mannlieimer Bühne einzurichten,') so
hätte er jedenfalls das Verfahren aller bisherigen Shakespeare-
bearbeiter eingeschlagen und eine VereinheitUchung des Schau-
platzes durch Weglassen und Sti-eichen gesucht. Einer der
ersten Rezensenten hatte sich ja bereits vermessen: „Wir ge-
trauen uns mit gei'inger Mühe die Schauplatzvei'änderungen
so zu reduzieren, dass sich das Schauspiel autführen Hesse. ''^)
Schillers Macbethbearbeitung ging von demselben Gesichts-
punkte aus. Verschiedene Zusammenziehungen hat sie mit
Jl. L. Wagners Macbeth gemeinsam, den Schiller, auch wenn
er ihn später nicht benutzt haben sollte,"^) in der Mannheimer
Zeit bereits kannte. Auf dem offenen Platz, der in der ersten
Szene zur Versammlung der Hexen gedient hatte, tritt auch
der König auf: die drei Szenen zu Inverness spielen in der-
selben N'orhalle; dort also, nicht im Schlosshof, spricht Ranquo
seine Wotte über die Mauerschwalbe. Der zweite Akt hat
bei Schiller wie bei Wagner keine Veränderung: Rosse und
der Greis ti'etcn im Zimmer auf, statt ausserhalb des Schlosses.
Wagner hatte bereits viel weniger Verwandlungen als Rürurer;
Schillei- übertrifft in den folgenden Akten auch Wagner, indem
er die Szene in Macduffs Schloss (IV, 2) leider weglässt und
die Hexenszenen aus Ul und iV zusammenzieht; ui-sprünglich
hatte er, wie Küster vei-nuitet, auch die Vereinigung der
') An Dalberg 1. April 1782. Jonas I, 57.
0 R. M. Werner, G.-J. II, S. 89.
') Köster, S. 102 tf, 302 f,
Palaoätra XX_Xil,
— 98 —
zweiten Hexenszene (i, 4 — ö) mit den folg-enden Auftritten
(I, 7, 8) vorg'ehabt.
Diese chirurgische Kühnheit wird schon vorher in der
Egmontbearbeitung-^) offenbar; ja dort zeigt sich noch glänzen-
der Schillers Geschicklichkeit, durch einen Austausch inner-
halb verschiedener Akte tief in den Aufbau eines Stückes
einzuschneiden, ohne doch der Handlung in ihrer Folgerichtig-
keit tötliche Verletzungen beizubringen. Durch Vei"einigung
der Volksszenen, durch Wegfall der Regentin und Macchiavells
und durch das Zurückbehalten der Klärchenszenen wurde es
möglich, innerhalb des ersten und zweiten Aktes ohne Ver-
wandlung auszukommen; die drei folgenden Akte wechseln
jeder nur einmal mit dei- Dekoration.^)
Die Praxis, den Stoff in wenige grosse Massen zu ordnen,
hatte Schiller schon an den Jugendstücken erlernt und aus-
gebildet. Durch Zusammenziehung von 1,1 und 1,3 wurde
der erste Aufzug der Räuber vereinfacht, und im Mannheimer
Bühnenmanuskript sind sogar II, 1 und II, 2 zusammenge-
nommen. Im Fiesko wird III, 1 an den zweiten Akt ange-
hängt und spielt statt in der furchtbaren Wildnis im Vor-
zimmer des Fiesko. Am besten aber lässt sich an den
Theaterbearbeitungen^) des Don Carlos erkennen, welche Ver-
einfachungen die Rühnenrücksicht bedingte: den 20 (21) Szenen
der Druekausgabe, die 13 verschiedene Dekorationen erforderte,
stehen in der Prosabearbeitung'*) 17 Szenen mit 10 verschiedenen
') Köster. S. 2 ff.
■) Das Mannheimer Bühnenmanuskript hat die 8 Szenen auf nur
3 Akte verteilt, von denen der zweite 4 Szenen enthält.
^) Im Buchdrama wird umgekehrt die Zahl der Szenen in der Über-
arbeitung von 1801 um eine vermehrt (IV, 14). Vollmers Behauptung, Schiller
habe die Fassung von ISUl für bühnenfähig gehalten, beruht auf einer irrtüm-
lichen Interpretation des Titels „Theater" für die Gesamtausgabe der
dramatischei) Werke. (Einleitung zur Don Carlos-Ausgabe 1880. S. XVIII.)
') Die Bearbeitung Bd (Boas, Nachträge III) bietet den besten Text.
Wenn Ba und Bs nur 16 Verwandlungen haben, beruht dies auf Nach-
lässigkeit. Ba (Dr. Albrecht, Hamburg und Altona 1808) hat mehrere
sinnlose Weglassungen, z. B. fehlen dort im letzten Auftritt Philipps die
Worte: „Der Sehrecken einer Buhlerini" wodurch die Kntire'i-nun"' des
— 99 —
Dekorationen, im Hamburg-er Theatermanuskript 16 Szenen
(10 Dekorationen) u-eo-enüber. Diese Erleichterung-en scheinen
aber den ]^>ül]nen noch niciit genügend entgegengekommen zu
sein: in Mannlicim kam man bei der Auttührung mit 14 Ver-
wandlungen und 7 Dekorationen aus;') man Hess es für den
ganzen ersten Aufzug bei der gleichen Parkdekoration be-
wenden und machte keinen Untei'schied zwischen Vorzimmer
uiul Zimmer der Königin, zwischen ychlafzimmer, Kabinet
und Vorzimmer des König^s.
Dass sich daraus kleine Unwahrscheiulichkeiten ergeben
mussten, ist selbstvei'ständlich ; solche fehlen aber auch in den
anderen Stücken Schillers nicht. Wenn z. B. Gianettino den
Mohi'en zu seinem Mordanschlage im eigenen Hause des Fiesko
dingt (nach Kettnei-s einleuchtender Hypothese ist dieser Auf-
tritt später eingesclioben), wenn in dei' Bühnenbearbeitung"
Veri'ina die Worte „Fiesko muss sterben" im Vorzimmer des
Fiesko spricht statt in der furchtbaren Wildnis') — derselbe vor-
sichtige Verrina, der sonst acht Ziunncr hinter sich verriegelt;
wenn in der IJraut von Messina bei der Nachricht vom Raub
dei- Beatrice die Ih'üder hin und hei- gezogen werden müssen,
nur damit keiner mehr hört, als er wissen darf, so liegt die
Ei'klärung auf der Hand; bei einem Dichter, der keinen
\\'ert auf Ersparnis von Anwandlungen legte, würden wh'
derlei nicht linden.
Carlos „liuhlcrin, Siie?" luiverfstäiullirl) wird. An Dekorationsangaben
tVhlt die von l\\ 4. (Kahiiiet des Königs). In Bs (Goed. V, 2, S. 99)
fehlt 1\', 9 (Zimmer der I'rinzessin Kboli), was durch Wegfall des vorher-
gehenden Auftrittes erklärt ist.
1} Walter II, 120 tf. Die Vereinfachung der Jambenbearbeitung,
dass l'osa 111, 8 vom König im Audienzsaal, statt im Kabinet empfangen
wird, ist in Mannheim später wieder beseitigt worden.
Noch weniger, nändich 13 Verwandlungen, hat die l'rosabcarbeitung
in der deutschen Schaubühne X\'lll, Augsburg 179U. (Siehe Anhang).
-) Sogar I'lümicke hatte diese Zusanimenziehung nicht für notwendig
gehalten, sondern im Gegenteil die Schauer der Szene gesteigert. Verrinas
Worte: Folge mir dahin, wo die Verwesung Leichname morsch frisst etc.,
regten ihn <lazu an, eine Kirchhofdekoration mit heulendem Sturmwind
vorzuschreiben. 7*
— 100 —
II. Der erste Rezensent der Räuber hatte füi' die Guck-
kastenteehnik kein Verständnis. „Angewurzelt auf dem Raum
eines Quadratschuhs, »Städte zu durchwandern, und auf dem
Zaubermantel der Fantasie im Hui über Länder zu fliegen,
ohne eine Fuszehe zu rülu'en,"') schien ilnn eine zu starke
Zumutung. Schiller abei-, der sich bemühte. Tinnnes Ein-
wände gegen sein Stück bei der Umarbeitung zu berück-
sichtigen,^) konnte nicht daran denken, in diesem Punkte eine
Änderung zu treifen. Wenn zufällig die beiden näch.sten
Dramen ihren Schauplatz auf die Mauern einer Stadt kon-
zentrierten, so Avar dazu keinerlei gewaltsames Zusammen-
drängen notwendig: die einzige aussei'halb Genuas spielende
Szene des Fiesko wurde, wie erwähnt, nur um eine Ver-
wandlung zu ersparen, ins Vorzimmer des Fiesko verlegt.
Nur der Kürzung halbei- fiel auch im Don Carlos die Szene
im Karthäuserkloster weg; Entfernungen wie die von Madrid,
dessen Türme ja noch zu sehen sind, nach dem Kloster oder
von Aranjuez nach der Hauptstadt, die vor Abend noch zu
erreiclien ist, betrugen ja nur wenige Meilen und soweit wollten
viele Gesetzgeber, ohne von der Einheitsforderung ganz abzu-
sehen, die Zügel lockern. Mercier sagt: „Wenn die Einheit
des Orts den Umfang einer grossen Stadt erlaubt, warum
sollte sie einen Raum von drey, viei- Meilen verbieten, einen
Raum, den man täglich so bequem zurücklegt?^)
Mit dieser Begründung ist die Frage eigentlich auf das
Gebiet der Einheit der Zeit hinübergespielt. In der Tliat,
bei einem Sprung, wie dem von Pilsen nach Eger im \\'allen-
steiii, kommt es ja lediglich darauf an, ob das Publikum im
Stande ist, zwischen dem dritten und vierten Akt sich einen
Zwischenraum von ein oder zwei Tagen zu denken. In den
Räubern, avo ein lirief die Verbindung zwischen Franken und
Sachsen vollzieht, ist schon eine grossere Anfoi'derung gestellt,
da die zeitliche und örtliche Trennung niclit im Zwischenakte,
') I5iaun I, S. 2.
') An Dalbeig G. Okt. 1781. Jonas I, S. 43,
'■'•) Neuer \'er.sucli ( Wayner). S, IK-l,
— 101 —
sondern innerhalb des .\kte.s klaift. Ein Züricher Rezensent
hob diesen Unterschied liervor: .,Amalia ireht ab, Karl er-
scheint und der Zuschauei* hätte zwischcnwe^-- kaum die Hand
umwenden können. Dies g-eht niclit natürlich zu, muss er
denken, und fort ist die Täuschung! Wäre hingeg-en der
Vorhang- gefallen, hätte das Orchester die kleinste Pause mit
Musik g-efüllt, so würde sich die Einbildungskraft der An-
wesenden der Veränderung der IJühiie und dem Gedanken an
die weite Entfernuni.'- leichter ang'eschmiegt haben/") Im
Teil macht dei' Held iinieiiialb des ersten Aktes zweimal den
Weg zwischen Tri inid ^^chwvz; auch, hier nahm ein sonst
verständiger Beurteiler') an dem „harten Hhakespoarischen
iSprung" Anstoss: der Vorwurf der Unwahrscheinlichkeit richtet
sich wiederum dagegen, dass der Zuschauer aus Augenblicken
ytunden machen soll.
Anders liegt der Fall, wenn die Szenen nicht durch die-
selben Personen, die sich während der Verwandlung von einem
Ort zum andern bewegt haben, verbunden sind. Wenn, um
ein starkes lieispiel zu wählen, Lenz im neuen Menoza auf
dem Theaterzettel erklärt: .,Der Schauplatz ist hie und da"^)
und nun seinen Stoff übci- die Landkarte hinwegstreut, inner-
halb eines Aktes fünfmal in Naumbui'g. dazwischen zweimal
in Leipzii^. in Dresden und auf unbestimmten rJütern Halt
macht und auf dem andern Schauplatz jedesmal andere Figuren
entgegentreten lässt, so ist otfenbar vor allem die Einheit der
Handlung gefährdet.
Tu diesem Falle war auch Schiller bedenklich. In den
Skizzen zum Demetrius'^) ist zu lesen: „Von dem Polnischen
Reichstag kommt man nach Russland in das Kloster (das
Kloster liegt an der Grenze dei- Welt), wo die Czarin sich
') Braun T, 90 ff.
-) Braun III, S. 4:3!). Dieser Sprung wäre nach dem ursprünglichen
Plan gemildert worden, indem die Szene bei Stauffacher (jetzt I, 2) als
I, 3 dazwischentreten sollte. (An Iffland 5. Dez. 1803. Jonas VII,
S. 99 tr.
■') Über solche Schauplatzangaben siehe Brahm, Ritterdrama S. 30,
') Uram. Nachl. I, S. XL, 54, 98 f.
— 102 —
aufliält. Dieser Spruiiii*, den man dem Zuschauer zumutet,
muss wohlverbor£!en und dui'cli Klarheit des Gang-es der Haiid-
lung gut gemacht werden."
Von der (rrenze dei' Welt aus (Schiller dachte sich das
weisse Meer) führt der gleiche Akt wieder an das andere
Ende Russlands zurück: „Unmittelbar aus den düstern Um-
gebungen des Klosters wird man in eine heitre freie Land-
schaft versetzt, wo Demetrius mit seiner Armee in Russlands
Grenze eintritt. Die letzten Worte der Czaiin, welche Segen
auf denselben herabflehen, knüpfen jene Scene im Kloster an,
und der grosse Sprung wird dadurch vei'mittelt. " Für Schiller
kommt es hier nui' auf die Einheit der Handlung an ; statt
der äusseren Verknüpfung sucht er nach einem Innern Band,
und in der That glückt es ihm auf diese Weise, über den
weiten Zwischenraum hinwegzutäuschen. Wenn Marfas
Phantasie die Entfernungen durchfliegt, wird auch das Publikum
mitgerissen; Demetrius ist ganz nahe:
Er ists, er zieht mit Heeresmacht heran,
Mich zu befreien, meine Schmach »zu rächen!
Hört seine Trommeln! seine Kriegstrompeten!
Wenn gleich danach die Kriegstrompeten wirklich ertönen,
ist es nur die Lösung einer bereits ei'regten Spannung.
Ein noch weiterer Zwischenraum, als der Durchmesser
des russischen Reiches, wäre in dem Entwürfe .,Das Seestück"
zu überbrücken gewesen; allerdings sollten hier alle Personen
die Reise A^on einer ozeanischen Insel nachEui'opa mitmachen.')
Wegen dieses Wechsels zwischen zwei Erdteilen waren be-
sonders die spanischen Dramen für Gottsched und andere als
Monstra verschrieen; Scliifxler noch hielt sich über Klinge-
manns Columbus auf. wo doi- erste Akt in Amci'ika, der
zweite in Madrid vor sich geht.") Schiller hielt es im gleichen
Fall für notwendig, das Publikum bei dem gi'ossen Satz, den
er ihm zumutete, an dei- Hand zu nehmen; ein kleines
') Damit war natürlich der vorhergehende Vorsatz: „Alles muss sich
in einem Tag begolicii, die Nacht mit eingeschlossen" hinfällig; es handelt
sich also wieder nur um den grossen zeitlichen Zwischenraum.
-J F. L. Schmidt, Denkwürdigk. (hsg. v. Uhde) 1, S. 20U f.
— 10.3 —
Zwischenspiel, das Auftreten des Oceanus, der den unsreheuren
ypriin^-- launiüt entscliuldigt,') sollte für die Vermittluu«:- sor^'-en.
Nui- ein einzig-es Mal hat Schiller seinen Schauplatz ge-
waltsam beschränkt: man sollte in der liraut von Messina
eine Szene im Kloster der lieatiice ei'wailen. ähnlich wie im
.Julius von Tarent dei- zweite Akt in Hiancas Kloster spielt.
Dingelstcdt in seiner Müncliener Inszenierung scheint auch
Schiller so verstanden zu haben, indem er die Schlucht im
Waldgebirge des Ätna als Lokalton der zweiten Dekoration
festhielt^). Dass lieatr-ice, wie es sich wirklich verhält, aus
ihrem Kloster bereits nach Messina abgeholt ist, obwohl sie
auch dort noch versteckt gehalten werden muss, ist eine
Konzession an die Kinheitsfoi'(loi iiiii^-. Schiller wai* hier durch
den Chor schon in der "jaii/cn Krtinduni.-' iler Fabel gebunden;
im Chor hatten Ja englische Asthetikci-. Home und Webb,^)
überhaupt den Ursprung der antiken Einheit gesehen. In
Deutschland hatte Lessing*) diese Erklärung eingeführt, und
nach ihm wollte Lenz*) die Einheit des Ortes überhaupt nur
als Einheit des Chores gelten lassen.
8. Die Zeit.
Die erste Zurechtweisung, die der junüe Schiller während
seiner Lehi-jahre vonseiten des Theaters empting, war die Um-
datieiung der Räuber. An der Mannheimer Bühne galt das
lediglich als Kostümfrage. Dem .lulius von Tarent v, urde
später das umgekehrte Los zu Teil; man strich die Zeitangabe
*) Uraniat. Nachl. 11, 251.
-) Münohener Bilderbogen, S. 71.
') H. V. Stein, Die Entstellung- der neueren Ästhetik. S. 215. Home,
Grunds, der Kritik. Meinhards üher.setzung, 3. Aufl. von Schatz, S. 290.
•*) Haml). Drani.4HSt. Lachni.-Munfker IX, .378. E.Schmidt, Lessingl,
S. 610.
•'') Lenz, Anm. ü. Theater, S. 3U,
— 104 —
.,Ende des fünfzehnten Jahrhunderts"') und führte das »Stück
im Kostüm des Jahres 1784 auf; auch bei den Räubern
sprach sich die allgemeine Stimme für die moderne Tracht
aus, und die Schauspieler schlössen sich gegen Dalberir dem an,
vermutlich nur, weil sie der altdeutschen Kleidung, die durch
das Ritterdrama alltäglich geworden, überdrüssig waren.-)
Mit dem äusseren Aufputz und mit der Vermeidung von
ein paar Zahlen und Namen war aber die Handlung nicht
mittelalterlich zu färben; der tiefer liegende moderne Charakter
schimmerte durch, und so musste denn nach Schillers eigenen
Worten „ein buntfarbiges Ding wie die Hosen des Harlequins"
entstehen.^) „Viele Th'aden, kleine und grosse Züge, Karakterc
sogar sind aus dem Schooss unserer gegenwärtigen Welt
herausgehoben und taugten nichts in dem Maximilainischen
Alter. Mit einßhi Wort, es ginge dem Stück wie einem Holz-
stich, den ich in einer Ausgabe des Virgils gefunden. Die
Trojaner hatten schöne Husarenstiefel, und der König Aga-
memnon führte ein paar Pistolen in seinem Hulfter."*)
Dieser Vergleich, mit dem sich Schiller gegen die Ver-
gewaltigung zu wehren suchte, hätte fünfzig Jahre früher
nichts Drastisches gehabt, denn damals, als Gottsched und
Mylius zuerst auf die Einführung historisch echter Kostüme
hinarbeiteten,^) sah man auch auf dem Theater Trojaner
in Husarenstiefeln und griechische Könige mit Galanterie-
degen. Sogar Ekhof spielte noch den alten Dänenkönig
Canut mit Knotenperücke und Kj'ückstock, '') und auch Les-
sing hess den groben Anachronismen in Regnards De-
mocrit, gegen die Gottsched und J. El. Schlegel ihren
Spott gerichtet hatten, ') Schutz angcdeihen. Allerdings
1) Walter 11, 137.
-) Martersteig S. 45, 88, ir.o, 34().
=>) Goed. II, S. 372.
*) An Dalberg 12. Dez. 81. .lonas I, S. 47.
•'•) Waniek, Gottsched S. 118.
") F. L. W. Meyer, F. L. Schröder 181» I, S. 129 f.
') Gottscheds Deutsche Schaubühne II T, S. XX. D. L. I). 2(),
S. 53 ff, 66.
— 105 —
wollte er nur dem komischen Dichter die Vernachlässig-ung
der historischen Wahrheit g-estatten.\)
Aber auch in der Tragödie fehlte noch das Gefühl für
die echte Darstellung einer Zeit; dies konnte sich ei'st aus-
bilden, als man daran ging, „dramatisierte Geschichte" zu
schreiben. P.odmer hatte mit seinen Ansätzen, die er später
gern neben (hin Götz stellte,-) den richtigen Weg nicht ge-
funden; auch die Ivitterdramen, die dem Götz folgten, teilten
sich noch nach zwei KichtHn<ren. von denen die eine, Klingers
Otto an der Spitze, jedes Lokal- und Zeitkoloi'it vernachlässigte;
die andern freilich gingen in dci- CJrundierung ihrer Bilder viel
weiter, als Goethe; am weitesten wohl aus lehrhafter Absicht
der Mannheimer Jakob Maier.^l
Auf den Schiller der Mannheimer Zeit scheinen dessen
Stücke wenig Eindruck gemacht zu haben, obwohl gerade um
eine stilechte Autführung des Fust von Stromberg die Mann-
heimer Huhne sich besondere Mühe gab,*) Später, in der
Abhandlung .,Über die tragische Kunst", spricht er über dies
Stück gemeinsam mit llciuiamis 'l'od und Gerstenbergs Minona
ab: ..sie würden bey noch so pünktlicher UefokMing des
Kostüme, des Volks- und des Zeitkarakters mittelmässige
Tragödien heissen."'') Im .Jahi-e 1798 fällt ihm das Drama
wieder in die Hände und er sieht es mit andern Augen an;
zwei Briefe an (ioethe untei-richten uns über die Wandlung
des Urteils:^) „Die Bemerkung habe ich dabey gemacht, dass
der Dichter eine erstaunliche Macht über das Gemüth ausüben
kann, wenn er inii- recht viele Sachen und P)estimmungen in
seinen Gegenstan<l legt. So ist diese»- Fust von Stromberg
') Hanib. Drani. 17. Stück. Lachni. -Munker X, S. 205.
-) G.-J. V, 184 f.
■') Brahni, Rittenirama, S. 88. R. M. Werner, A. f. d. A. VII, 418.
*) Iffland, Theatral. Laufbahn, D. L. D. 24, S. 53.
') Goed. X, S. 37 f.
") An Goethe 13. März 98. 20. Febr. 1802. .Jonas V. 359, VI. 356.
Mit einer einmaligen Aufführung des ., Sturm von Boxberg" in Weimar
1795 hatte Goethe Misserfolg gehabt. Burkhardt, Theatergesch. Forsch. I,
S. 17, 1J8. Goethes Tag- u. Jahresh. 1795. W. A. I, Bd. 35, S. 50.
— 100 — *
zwar überladen von liistorischen Züiren und oft iresiichten
Anspielunaon, und diese Gelehrsamkeit macht das Stück
schwerfällig und oft kalt; aber der Eindruck ist höchst be-
stimmt und nachhaltig, und der Poet erzwingt wirklich die
Stimmung, die er geben will."'
Ob nun 0. Ludwig recht hat, wenn er annimmt, Schiller
habe für seine späteren Stücke aus dem Fust von Stromberg
die Beglaubigung des Vorgangs durch massenhaft eingewirkte
historische Data, p]rwälinungen von Gesetzen, historischen
Rückblicken u. s. w. gelernt') oder ob Schillers Urteil nicht
nur symptomatisch für eine schon voi'her vollzogene Änderung
seines Geschmacks ist, fragt sich. 0. Ludwigs Beispiel, die
französische Werbung in Maria Stuart, ist .jedenfalls unglück-
lich gewählt, denn wirkliche geschichtliche Ereignisse spielen
in den Fust nicht hinein: vielmehr handelt es sich, wie schon
der L^ntcrtitel sagt, um die Sitten und (Gebräuche der Vorzeit,
also um das Kostüm im weitesten Sinne. Diese echte Kostü-
mierung kann nur auf den Leser Avirken-j und ist auch auf ihn
berechnet, wie die vielen Anmerkungen im Fust beweisen.
Schiller legt auf diese kulturhistorische Beglaubigung erst in
den allerletzten Stücken erhöhten Wert; die Ansätze dazu im
Wallenstein und in der Jungfrau von Orleans schreckten ihn
zunächst wieder ab;^) erst mit dem Plan einer zweiten Jung-
frau von Orleans, wenn dieser ernst zu neJimen ist, wird die
kulturhistorische Richtung eingeleitet und für den Teil und
Demetrius wird nunmehr eine Menge Material aufgestapelt
und der Dicliter sucht der darzustellenden Zeit alle ihre Eigen-
heiten abzulauschen.
» Bei der Erwähnung von einzelnen historischen Ereignissen
handelt es sich nicht um diese peinliche Ausmalung des
Milieus und um keine Darlegung tieferer Motive; statt das
Publikum belehren zu wollen, nutzt der Dichter das Wenige,
was er bei ihm an geschichtlichen Kenntnissen voraussetzen
») Werke V, S. 316.
"0 Ein Beispiel in neuerer Zeit der Bühnenmisserfolg von G. Haupt-
manns , Florian Oeyer."
■') An Körner 28. .luli 1800. .Jonas VI, 181 f.
— 107 —
kann, zur indirekten Zeitangabe aus. Dazu dienen g-erade
die bekanntesten lieirebenhoitcn am besten; manchmal werden
ganz plumpe Anspielungen an den Haaren herangezogen, z. H.
in Gerstenbergs Minona wird auf dem angelsächsischen Boden
von der Varusschlacht ei'zählt.
In den Räubern geht die Erwähnung des siebenjährigen
Krieges und der »Schlacht bei Prag, Friedrichs TL und des
grossen Schwerin schon auf Schubarts Skizze zurück. Der
dafür später eingesetzte Matthias Corvin und die Schlacht bei
Pest werden dem Mamdieimer Theaterpublikum wenig gesagt
haben; dafür ist die Libertinerszene mit neuen Zeitanspielungen
durchsät: die Worte Faustrecht und r^andfrie<le werden innner
wieder angebracht, es ist die Rede von ^laximilians (iemsen-
jagden, von der Frfindung des Schiesspulvers, der Druckerei
und der Entdeckuni^- Amerikas — „recht als wenn ein Schul-
knabe herzusagen hat, was ei- aus dei" Geschichte des sechs-
zehnten Jahrhunderts weiss."') Beim Lesen hätte diese Auf-
dringlichkeit natürlich noch viel ungeschickter gewh'kt; im
Druck des Traueispieles sind dajier einige dieser Zuthaten
mit Recht fortgeblieben ; .Vnachi'onismen dagegen, die das
fleissiger dui-chkorrigierte Mannheimer Manuski'ipt beseitigt
hat, blieben im Druck stehen, z. I>. die SuUys und der
Marschall von Sachsen, an dem nach der Frankfui-tci- Auf-
führung ein Rezensent Anstoss nahm.')
Im Fiesko bildet die Erwähnung Kaiser Karls eine in-
direkte Zeitangabe; in Kabale und Liebe weist der Name des
Fi'anzosenbesiegers Rodney auf die nächste Gegenwart; im
Don Carlos werden Egmont und der Aufi'uhr in Brabant an-
gebracht, dazu die Anekdote vom L^ntergang der Armada,
die im wesentlichen der Charakteristik Philipps dient und
von einem Rezensenten als Anachronismus getadelt wurde;")
deutsche Ereignisse derselben Zeit sind nicht hineinverwebt,^)
') Minor I, 403. Walter II, S. 150 f.
■') Braun I, 225.
^) Braun I, 187. (Ephemeriden d. Litt. u. d. Theat. 1797).
*) Wenigstens werden die leisen Anspielungen (v. 523, 1382 f) kaum
beachtet.
108
während der Franzose Mercier im Philippe II sich die Ge-
legenheit nicht entgehen Hess, seine Landsleute an die Pariser
Bluthochzeit zu erinnern.
Beim Wallenstein nun glaubte Schiller dem Stoff nicht
anders beizukommen, als durch das genaue Studium der Zeit-
geschichte.') Obwohl er ein historischer Dramatiker im Sinne
Tiecks und Solgers niemals war, so steht er doch hier dem
historischen Drama noch am nächsten mit dem Grundsatze, das
Historische zwar- zu überwinden, aber doch in seinem möglichsten
Umfange zu benutzen."') In dem Vorspiel, das selbst nur
Folie sein soll, werden die geschichtlichen Momente sogar zur
Hauptsache. Goethe hatte sich im Wilhelm Meister über
den historischen Hintergrund ausgesprochen, ohne den auch
ein grosser Stoff nur Familienszene sei; ei* hatte Einheitlich-
keit verlangt und am Hamlet versucht, die zerstreuten Momente
in einem Brennpunkt zu sammeln. Im Wallenstein war dazu
keinerlei Operation notwendig; der Brennpunkt ist die Idee
des grossen Krieges; die Mittel, womit der Hinteigruiid ent-
rollt wird, sind die alten; Goethe hat sie hi seiner Besprechung")
besonders hervorgehoben: .,Wir hören die vornehmsten Städte
unseres Vaterlandes nennen, der grössten Feldherrn jenes
Jahrhunderts wird gedacht, so dass wir gar bald am Orte,
in der Zeit und unter dieser Gesellschaft einheimisch werden."
Schiller hätte gern noch mehr gethan; ein Lied von
Magdeburg sollte gesungen werden und an Stelle des Kon-
stablers ein Stelzfuss aufti'eten, der aus einem Zeitungsblatt
„Regenspurgs Einnahme und die neuesten passendsten Er-
eignisse mit einigen artigen Complimenten für den Hei'zog
Bernhard mitgeteilt hätte."*) Da aber die Proben schon zu weit
vorgeschritten waren, sollte die Änderung einstweilen unter-
bleiben und der Konstabier nur mit den Worten „Aber das
Prager Blatt ist angekommen" (v. 111) das Motiv einleiten.
') An Körner 21. Nov. 96. Jonas V, 114.
-) An Körner 28. No\}. 96. An Goethe 20. Aug. 99; 24. Okt. 18U0.
Jonas V, 122; VI, 74, 232.
') Weimarischer neudekorierter Theatersaal. W. A. T, Bd. 40, 8. (i.
*) An Goethe 5. Okt. 98. Jonas V, 442,
— 109 —
Auf sein Vorhaben, diese Stelle spätei- auszufüliren, kam
Sfliiller nicht mein- /ui'iick; inzwisclien hatte er noch an
mehreren Stellen der Piceolomini, zumal bei der epischen Be-
schreibung des Krönungsbechers Gelegenheit gefunden, „histo-
rische und statistische Notizen beizubringen.''')
In der Rede des Kellermeisters wird auch das Jahr der
Handlung indirekt angegeben; das Datum des Fenstersturzes
ist genau bestimmt: 23. Mai 1018, und dann heisst es: „es
sind jetzt 1(5 Jahr."-) Die Jahreszahl selbst ist dagegen nie
ausgesprochen, ebenso wenig dei- Monat oder Tag, obwohl
dazu Gelegenheit gewesen wäre; wie leicht hätte z. H. unter
das Zirkular, das Picc. IV. 1 vorgelesen wird, das Datum
gesetzt werden kiiiineii: Pilsen. 22. F'ebruar 1():34.
8o heisst es in Miinia von iiai'nheini. als der Wirt die
Meldung für die Polizei abfasst: ..Dato, den 22. August a. c",
ebenso hat in den Räubeiii dei- l'.rief den Franz vorliest, die
Überschrift: 1. Mai. Goethe hatte in diesem Falle mei'k-
würdig verfahren; im Egniont heisst es bei dei- Verlesung des
Todesurteils: „Gegeben Brüssel am (Datum und Jahreszahl
werden undeutlich gelesen, so dass sie der Zuiiöicr nicht ver-
steht)." Das ist nicht bühnenmässig. denn dei' S('liausi)ieler
müsste inuncrhin wissen, was er unvei'ständlicii zu murmeln
hat. Aber auch Schiller setzte trotz seiner Beschäftigung mit
dem historischen Gegenstände^) den 4. Juni 15G8 nicht ein.
') W. A. I, Bd. 4U, S. 47. t)io.se Beschreibung des Bechers ist,
wie Küpke nach dem Berliner Hiihneiiinanuskript vermutete und wie durch
das von Maltzahn herausgegebene Manuskript bestätigt wird, als spätere
Einfügung anzusehen. (Herrigs Archiv Bd. 13, S. 20 ft'. Maltzahn,
Wallenstein 18»jl, S. 25.) Auch in Leipzig blieb das Gespräch über den
l'okal weg (Journ. d. Lux. u. d. Mod. 1800, I, S. 597). In Weimar sind
dagegen nach Goethes Bericht die \'er.se bereits gesprochen worden.
Übrigens drang Goethe auch bei der Audienzszene auf Verdeutlichung der
historischen Punkte (10. Kov. 179S an Schiller).
') Auf diesen Zeitpunkt seit Beginn des Krieges war schon im Prolog
(v. 80). im Lager (v. 9(571 uml im Anfang der Piceolomini hingewiesen
(v. 482).
••') Goed. IX, S. 23.
— 110 —
Oifenbar sollten Leser wie Hörer mit allen toten Zahlen
mög-lichst verschont werden ; auch auf dem Theaterzettel sind
nur für Fiesko und Jungfrau von Orleans die Jahreszahlen
genannt; überall sonst fehlen sie: in den Räubern heisst es
nur: „als Kaiser Maximilian den ewigen Landfrieden für
Deutschland stiftete"; der Zusatz „also 1495" ist den Kom-
mentatoren überlassen. 'j Also an Stelle dei* historischen
Jahreszahl sind kulturhistorische Vorbedingungen der Hand-
lung angegeben, wie es ja schon in gewissen Untertiteln z. B.
„»Schauspiel aus den Zeiten des Faustrechts" Sitte war.
Dass ein Stück in der Gegenwart spielte, wie z. B.
Kabale und Liebe, pflegte nicht eigens angegeben zu werden.
Im Menschenfeind ist wenigstens im Dialog einmal das Jahr
1784 genannt. Überhaupt liebten bürgerliches Drama und
Komödie darin mit dem vollkommenen Realismus zu spielen:
z. B. Bretzners Räuschgen (1780) II, 2: I, das lässt sich
anno 178ß gar nicht denken."
Ifflands Verbrechen aus Ehrsucht (1784): „Ihr mögt
freylich Anno 84 wohl anders schreiben, als wir Anno 40."
Diese Jahreszahl war dazu bestimmt, mit den Jahren
der Auffühi-ung fortzuschreiten; erst in den späteren Ausgaben
des Verbrechens aus Ehi'sucht blieb sie auf ..Anno 98" stehen,
ebenso wie die liäutig angebrachte Jahreszahl im „Herbsttag"
auf „Eintausend siebenliundert und neun und neunzig!"-)
Dass die Zeit des Stückes schon im Titel genannt werden
konnte, ist bereits oben erwähnt; in Kotzebues „Hussiten vor
Naumburg im Jahre 1432" giebt der Zettel noch genauere
Mitteilung: „Die Handlung beginnt am 28. July nnt Tages-
Anbruch und endet gegen Abend."
Sclion die Angabc der Jahreszeit auf dem Zettel hat
Schiller stets untei'lassen und wohl mit gutem Grund; ein be-
sonderer Zufall Hess die meisten seiner historischen Stotte
gerade zui- Wintei-szoit spielen (Fiesko in den ersten Januar-
1; Bei I'liiniicke heisst es: J)as Stück spielt in der Zeit, als der
ewige Landfriede in Deutschland errichtet ward; folglich im Kostüm des
Jahres 14!«).
'') iJie .Dramatischen Werke" lülands erschienen Leipzig 1798—1802.
— 111 —
tagen. Wallenstein. Maria Stuait und den Anfani:- der Juniif-
frau im Februar, den Schluss des Teil in den \\'eilniaclitstagen);
eine besondere lietonun^r der Jahreszeit hätte die Gruppierunnir
unter freiem Hinnnel erschwert und auch an den Dekorateur
Anforderunj,'-en g-estellt. Erst für die Marfaszene des Demetrius
wurde eine Schneelandschaft notwendiii'. wie sie übrigens füi'
Kotzebues Graf lienjowsky auf den i:rüsseren IJühnen eigens
ang'efertig't worden war;') in München freilich scheint es noch
1800 daran gefehlt zu haben: wenigstens wurde an einer Auf-
führung von Kotzebues Gustav Wasa getadelt, dass bei den
Worten: „?]ilt, dei- Schlitten steht in r>ei'eitschaft" die Kulissen
blühten und grünten niid praiiL:ti'ii von Früchten und rilunicn
wie im heissen Italien.')
Im Fiesko hätte wcL-'en des italienischen Schauplatzes
die Ki'wähnung des Winters nicht gestört: trotzdem sind in
dei' llüliiienbearbeitung alle Hinweise beseitigt; es heisst nicht
mehr wie im Hamlet: ..Rs ist gi'immkalt" und statt der
„dritten Jennei-nacht" ist jetzt vom dritten des Monats die
Rede.
Maiia Stuart kann nicht durch ilcii Todestag Darnleys
auf den neunten Februar festgelegt werden, denn der dritte
Akt, dei- auf dem giüneu Tepi)ich der Wiesen spielt zwischen
dichtem (iebüsch und den freundlichen giiinen P>äumen, atmet
Friililingsstimmung. C'berhaupt düifen indirekte Datierungen
nicht erpi-esst weiden, das Datum Simons und Judä im Teil
soll nur eine Ijauernregel zur Geltung bringen^) und „des
Korns hochwallende Gassen" in der l>raiit von Messina (v.
192) berechtigt höchstens, die Ausarbeitung dieser Chorpartie
M I'ioliler, ("hrniiik des Hof- u. Xat. -Theaters zu Mannheim. S. 151.
Schütze. Haiul). Theaterg-esch. S. 094.
'■') Münchner Theater Journal isoo I, S. 14().
') So hatte er sich auch aus Fäsi S. liartholoniä (24. August) als
ilas Datum g^emerkt, an dem die Sennen ihre Hütten verlassen. (Goed.
XIV, S. X). Für die Bauernszene des Demetrius hatte er sich eine Samm-
lung- russischer Sprichwörter angelegt. (Dram. Kachl. I, S. 145).
— 112 —
vor die Erntezeit zu setzen, Tni Don Carlos'l geraten solche
Angaben sogar in Widerspruch: ,.^^ h- haben jetzt April'' und
„Monarchin einer Sommernacht."
9. Zeitdauer.
Die beiden Gegenpole der deutschen Poetik im achtzehnten
Jahrhundei't sind Gottscheds Kritische Dichtkunst und die An-
merkungen übci's Theater von Lenz. Nirgends sind sie so
weit von einander " entfernt wie in der Zeitfrage. Gottsched^)
möchte — denn nur so kann seine rationalistische Begründung
Geltung erlangen — am liebsten, dass IJühnenzeit und wirk-
liche Dauer der Vorstellung gleichen fSchritt hielten, also drei
bis vier Stunden;'') „kömmt es hoch, so bedürfen sie sechs,
acht oder zehn Stunden zu ihi'em ganzen N'erlauf;'' seit der
dritten Auflage giebt er zwölf Stunden zu und lässt sich
schliesslich auch auf die vierundzwanzig Stunden des Aristoteles
ein. Eine Inkonsequenz, wie sie Lenz ganz liübscli im Neuen
Menoza verspottet: ein ^'ater prügelt seinen Sohn durch, weil
dieser ihm nicht erklären kann, warum man sich einbilden
müsse, das Stück daure ausgerechnet 24 Stunden, während
es sein Tag noch nicht so lang gewährt hat.
Vor allem warnt Gottsched vor der Unwahrschcinliclikeit,
dass auf dci- Schaubühne eine oder mehrere Nächte vergehen,
ohne dass der Zuschauer zum Essen, Trinken und Schlafen
'j üon Karlos hsg. v. Vollmer, Stuttgart 188U: v. 162U und v.
4741 Seit 1801 ist die zweite Angalte mit dem ganzen Auftritt wegge-
fallen.
■) Crit. Dichtk. (1730) S. 574. ;]. Aufl. (1742) S. 714. Servaes,
Die Poetik Gottscheds u. d. Schweizer Qu. u. F. (iO S. IG. Waniek,
Gottsched S. IKi f.
•'j Ebenso schroff formuliert Batteux, Einleit. i. d. seh. Wissensch.
(übs. V. Uamler) II, S. 239 den Satz: „Die Regel selbst ist, dass die
Handlung nicht länger daure, als die Vorstellung; das heisst, dass sie in
zwey, aufs höchste in drey Stunden angefangen und geendiget werde.'"
— 113 —
komme. ..Was hat es vor eine A\^ahrscheinlichkeit/' frag-t er
mit einej- aus Cervantes entnommenen Übertreibung, „wenn
man in dem ersten Auftiitte den Helden in der Wiege, weiter-
hin als Knaben, hernach als einen Jüngling-, Mann, Greis
und zuletzt gar im Sarge vorstellen wollte." Dieses
allerstärkste P>eispiel hätte in Lenz am Ende noch seinen
Veileidiger gefunden; Lenz rühmt wegen seines Zutrauens
zui- Einbildungskraft des Publikums den Hanns Öachse, der
die Griselde „in einem Auftritte freyen. heyrathen, schwanger
wei'dcn und gebähren ]ässt".^)
Zwischen diesen Extremen haben die andern keine festen
Positionen. Lessing^) äussert sich nur negativ, er spottet
über Wiehind. dei' die Dauer seiner Johanna Gray von sieben
Monaten auf zwei Tage eingeschränkt hat und weist auf aUc
Unwahrsclieinliciikciten und Unwaln-heiten hin, die die schein-
bai'e Einheit der Franzosen mit sich bringe; in seinen eigenen
.Stücken vermied er Verstösse und dem Fauststoft' wollte ei-
denselben Zwang anthun: ..Dauer des Stücks von Mitternacht
zu Mitternacht."
Nicolai") emplielilt in dei' Abhandlung vom Trauerspiel,
dem Zuschaue)' überhaupt keine Handhabe zu geben und
sichert unter dieser J Bedingung dem Dichter Freiheit zu; nach
Erscheinen des Götz verhöhnt er aber die jungen Kerlchen,
die von historischen .Schauspielen sclnvätzen, „zwanzig Jährchen
lang, jeds in drey Minuten zusammengedruckt.''^
.Schröder^) sucht als Theaterdirektor sein Publikum zu
erziehen; er wünscht, „dass auch die gi'össten Pedanten ver-
gässen, dass sie acht Tage im Parterre stehen müssten" und
liolft, dass sie beim Götz ebenso viel Jahre vergessen möchten;
bei seiner Jjcarbeitung des Kaufmanns von A'enedig hält er
^) Anmerkungen übers Theater S. 52. Vgl. Goethes Paralipomenon
zu Faust II, 3. Akt W. A. I, Bd. 15- S. 234.
■-) G3. Littbr. Lachni.-Muncker VIll, S. 108. llanib. Draiu. 44. Stück,
I.achni.-Miincker X, S. 370 ft".
•') Abhandl. v. Trsp. S. 3.'j f. Leiden Werthers des Mannes. S. 43,
*) Litzniann, Schröder II. 13H. Schröder an Gotter 9. März 1777
(hsg, V. Litzniann S. 45.J
Talacstra XXXII. 8
^ 114 —
trotzdem eine Zusammenziciiuiiii- tür notwendig-: „es spielt
anstatt der 3 Monathe und einige Tage bei »Shakespeare 3
Tage bey mii\"
Auch Mercier,^) der nur in Frankreich als Erzketzer
gelten konnte, war nicht weitergegangen; trotz seines be-
freienden Satzes: „Hat denn der Zuschauer die Uhr in der
Hand, wenn er gerührt oder stark interessirt wird?" bleibt
er doch immer noch dabei, die Zeit überhaupt zu berechnen
und weiss keine kühneren Beispiele zu nennen, als die Spanier,
die ihren Stücken einen Zeitraum von drei Tagen geben.
Mit einer ganz anderen Überzeugung konnte Herder^)
in seinem Shakespeareaufsatz von den Uhrstellern des Dramas
reden: „Dichter! Dramatischer Gott! Als solchem schlägt
Dir keine Uhr auf Turm und Tempel, sondern Du hast Raum
und Zeitmaasse zu schaifen."
Schiller hat sich nur die Frage nach, dem zeitlichen Zu-
sammenhang der einzelnen Szenen vorgelegt; er fragte nicht nach
der Dauer der ganzen Handlung. Auf dem Theaterzettel der
Räuber steht zwar „Die Zeit ohngefähr zwei Jahre," aber es
lässt sich leicht nachrechnen, dass das Stück thatsäclüich gar
nicht so lange währt; die Angabe ist nichts weiter als ein
Protest gegen die Einheit der Zeit. In den folgenden
Stücken hätte es zwei, drei oder viei- Tage heissen können,
aber es lag dem Dichter nicht daran, zu zeigen, dass er dies-
mal mit der Regel besser ausgekommen sei. Im ^'orAvort zur
Braut von Messina hat sich Scliillci- endlich ähnlich wie Herder
gegen jede Zeitberechnung erkläil. indem er seinem Wider-
spruch noch eine positive Wendung beifügte: „als ob hier
eine andere Zeit wäre, als bloss die stetige Folge der Handlung."
Gerade die Bi-aut von ]Messina ist allerdings das Stück
Schillei's, das auf einen Tag konzentriert ist, aber die Einheit
dei- Zeit ist hier die Frucht eines anderen Prinzips, das sich
in den späteren Entwüifen öfters angedeutet lindet: „Der
') Neuer Versuch (übs. v. Wagnei-) S. 41, 193 f.
"; Suphan V, S. 221.
— 115 —
Moment der Handluni^- mu.ss prägnant und dringend seyn."^)
Die Entwicklung- dieser Technik gipfelt in der Öchicksals-
trag-ödie mit dei" Hervorhebung- eines gewissen verhängnisvollen
Tages; sie setzt ein^j mit der Bestimmung des Tages als Ge-
burtstag einer Pei-son, als .Jahrestag eines Geschehnisses, als
Termin für ein bevorsteliendes Ereignis und bietet als Gewinn
wirksame .Stimmungskontraste (Menschenfeind, Braut v. Messina,
Kinder des Hauses^;), Bequemlichkeit der Exposition (Maria
Stuart) und, was Brahm gerade für Schiller hervorhebt, leichte
iiestimmung des Alters einer Person (Raub. IV, 2. Kab. III, 4.)
Das ideale Zeitpi-inzip, für das Schiller im Vorwort zur
hraut von Messina eintritt, scheint noch nicht die Norm für
seine .Jugendstücke gewesen zu sein. Im Fiesko z. B. wird
dem Leser — denn der Zuschauer achtet minder darauf —
eine Stundenzaiü nach der anderen in den Weg gestreut, die
er zusammenlesen und zu einem zeitlichen Gerüst verarbeiten
kann. Ob das Schillei-s Absicht Avar, ist die Frage; finden
sich doch sogar in den Sturm- und Drang-Dramen, die sich
tun Zusanunenrechnung gar nicht kümmern,*) nicht selten
solche Zeitangaben: z. 15. in Klingers Leidendem Weib I, 2:
Blum — — — — — — Wollen aufs Billard.
V. Brand (zieht die Uhr heraus) Sechs Uhr.
in Lenz's Die Freunde machen den Philosophen iL, 2:
Doria: Ihr Herren, es hat zwei geschlagen, wer kommt mit
mir aufs Kaifeehaus.
Otfenbar handelt es sich hier nur darum, die Personen
von der Bühne zu entfernen, denn die folgenden Szenen haben
keinerlei Zusammenhang mehr mit dem Vorausgegangenen.
Deutlich wird diese Absicht dort, wo die auf die Ulu- sehende
Person die Zeit für sich behält: z. B. Lenz, Die sizilianische
Vesper 11, 3
l'rocida (nach der Uhr sehend) Die Stunde naht heran,
1) Dram. isachl. U, S. 120.
^; Brahm, Ritterdrama S. 20. Flaischlen, Gemmingen S. V20.
'■') Dram. Nachl. U, 79. 280.
*) Shakespeare konnte dafür Muster sein; z. B. Heinrich \': 1. 1, 111,7.
8*
— 116 —
oder Waq-ners Kindermörderin, wo zweimal Personen auf diese
Weise entfernt werden:
II Pardieu! kaum noch Zeit auf die Parade zu spring-en.
V Magister (sieht auf die Uhr) Jetzt muss ich fort.
Auch im Fiesko dienen unbestimmte Zeitang-aben dazu,
die Personen von der Bühne zu bringen z. B.
I, G Brich auf Lomellin. Es wird Mitternacht
II, 18 Über dem ernsten Gespräch hat uns die Nacht überrascht.
In Wallensteins Tod ist die Zeitbestimmung sogar falsch;
Wallenstein sagt, um die Gräfin zum Gehen zu bewegen:
„Mitternacht ist da" (v. 3461), während Gordon schon Schlag
zehn Uhr die Schlüssel zu bringen liat. (v. 2828)
Auf die Uhr gesehen wird nur im Don Carlos zweimal;
Olivarez im ersten Akt nennt die Stunde nicht; der König
dagegen lässt im dritten Akt die Repetieruhr schlagen. Diese
Angabe ist seit 1801 weggeblieben, vielleicht um einen Ana-
chronismus, vielleicht auch nur um die genaue Stundenangabc
zu vermeiden. Bei dem andern Stundenschlag, durch den
Carlos und die Königin zum Abschied veranlasst werden
sollen, ist nicht einmal die Zahl der Schläge genannt; man
sollte ein Uhr vermuten ; im Mannheimer Manuskript heisst es
dagegen: „Es schlägt zwcy Uhr," vermutHch aus Missver-
ständnis der Worte:
Schlag- zwey IThr soll
Die Post vor dem Karthäuserklostor halten;
in den Prosabearbeitungen cndlicli schlägt es drei Uhr.
Der Glockenschlag um die nächtliche Zeit hat einen
besonderen Wert als Stimmungsfaktor. Hiermit erklären sich
auch die Stundenangaben in den Räubern:
IV, 5 zwölf schläg-ts drüben im Dorf
V, 1 Eben izt ruft der Nachtwächter zwey an
oder im Toll:
II, 2 Der Feuerwächter von Selislierg hat el)en zwey g-erulen.
Wenn doit an der Zeitbestimmung an sich irgend etwas
läge, so hätte schon die Verabredung zum Rütli auf eine be-
stimmte Stunde gelautet, und es wäre dann mit den korrespon-
dierenden Zeitbestinnnungen ein Spaniiungsmoment eingetreten.
— 117 —
Es kann dan^iit Jone peinliche Wirkuni'- erreicht werden,
gegen die Otto Ludwig-^) in den Öhakespearestudien eifert,
wenn er ausmalt, wie etwa die Fabrikdramatiker den Schluss
von Romeo und Julia auf die Folter i^espannt hätten; das
eine ]\lal, wo »Schiller sich dieses Mittels bedient, ist er von
jedem N'orwui'f der AufdriuLflichkeit frei: Terzky ^-iebt Gordon
den Befehl „>Schla<( zeiin biingt ihr dem Hei'zog- selbst die
Schlüssel" und Butlers Auftrag an Macdonald und Deveroux
lautet ., Wenns eilf gesclilagen." Sobald also Gordon den
Schlüssel bringt, weiss man: Wallcnstcin hat nur noch eine
Stunde zu leben. Den geschmacklosen Effekt, kurz vor dem
Eintreten der Mörder die Uhr wirklich elf schlagen zu lassen,
hat Schiller jedoch erspart,
Woim wir von den weiteren Zeitangaben absehen, durch
die die Cngeduid einer Pei'son charakterisiert werden soll,')
so bleiben im Fiesko immei' noch mehrere P)eispiele übrig, die
durch keine der aufgezählten Absichten erklärt werden; es
') Werke V, S. 111, 530 Allenfalls könnte dieser Vorwurf auf Weisse
passen, der mit vierundzwanzig- Stunden für die ganze Handlung auskommen
muss; infolgedessen mit Schlag Mitternacht anfängt und um Mittag Julia
den Trank nehmen lässt, der bei ihm gerade zwölf Stunden wirken soll.
Goethe ist dazu der gerade Gegensatz; er iUiertrifft in der Zeitlosigkeit
Shakespeare: I.orenzos Vers: „sollst Du verharren 42 Stunden" verändert
er in: „sollst Du verharren die gemess'nen Stunden."
') Hierfür Muster hei den Stünnern und Drängern:
Klinger, Die neue Arria I, 2; Laura: Wo ist .lulio? Es schlug zwe^-,
und er ist nicht hier?
Lenz. Die Soldaten I H, 8 : Gräfin (sieht nach ihrer Uhr) Ist der jun-
ge Herr noch nicht zurückgekommen?
Bei Schiller: Käub. I, 3 (Trsp.) Und es wird Abend und keine l'ost
noch da.
TV, .") Schweizer: Es wird Nacht und der
Hauptmann noch nicht dal
Razmann: Und versprach doch Schlag
acht wieder bey uns einzu-
treffen.
Fiesko IV, 8 Acht Uhr vorüber.
IV, 5 Es geht stark auf neun Uhr.
Menschenfeind I, 1 Unterdessen wirds neun Uhr und er
kommt.
— 118 —
wird dem Publikum ohne Nebenzweck die Uhr vorg-eh alten :
fünfzig Minuten auf Mitternacht (l, 8), früh vier Uhr (I, 9),
punkt zehn Uhr (111,4), Eilf Uhr ist vorüber (R^ll).
Man könnte auf die Vermutung kommen, die Quellen
hätten Schiller zu einer so genauen Datierung vei-führt, aber
bei der Prüfung wird man gerade dort auf eine auffallende
Enthaltsamkeit stossen. Einzig die Angabe Robertsons: ,,It
was no midnight, and the Citizens slept in the security of
peace" kann in den Anfang des fünften Aktes übergegangen
sein („Nach Mitternaclit — Hie und da leuchten Lampen
an einigen Häusern, die nach und nach auslöschen''). Retz
giebt fast nur Reden; eine Stelle wäre für IH, 11 zu ver-
wenden gewesen: Janettin sagt zu dem warnenden Hauptmann
„dans une heure vous entendi'ez tirer le coup de partance,"
aber gerade hier hat Schiller auf die Spannung erregende
Zeitangabe verzichtet.
Es bleibt also nichts übrig, als den Einiluss der tVanzö-
sischen Technik anzunehmen, die die Momente der Handlung
auf die Stunden eines einzigen Tages verteilt und dem Pub-
likum beständig vor Augen hält, wie sie innerhalb der gesetz-
mässigen Zeit auszukommen versteht. In Didcrots Theater
fangen beide Stücke deshalb zur frühen Morgenstunde an; im
Hausvater heisst es direkt: „Es ist tief in der Nacht; zwischen
fünf und sechs Uhr des Moi'gens'' und im Natürlichen Sohn ist
das Erste, was Dorval thut, dass er seine Uhr herauszieht:
„Es ist kaum sechs Uhr".
Ein deutsches historisches Stück, das dieser Technik des
bürgerliclien Dramas folgt, sind Die Mediceer von Brandes.
Der Verfasser hat beständig die Uiir in der Hand, er lässt
sein Stück mittags anfangen und in doi- Nacht aufhören; dei-
letzte Akt beginnt damit, dass Fcrdiiiiiiid Medicis im (iefängnis
auf die Uhr sieht: „Schon drey llii! Wie schnell rückt die
Zeit!'' Der Einfiuss dieses Vei'schwörungsstückcs auf den Fiesko
ist bereits auf Grund von anderen Ähnlichkeiten wahi-schoin-
lich gemacht worden.')
') Minor, Z. f. <l. I'h. \X, 8. (i3 (.
— 119 —
Nach dem Fiesko ist »Schiller von dieser Genauig-keit
wieder völlig abgekommen ; die Repetieruhr im Don Carlos
■wurde, wie erwähnt, später beseitigt, und als in den Picco-
lomini (V,l) Octavio fragt: .,Was ist die Glocke?", lautet die
Antwort nur noch ..Gleich ists Morgen."
Die Tageszeit kann ebenso wie die Stunde gesprächsweise
im Dialog oder direkt durch äussere Kennzeichen vermittelt
werden. Die einfachste Weise ist der Gruss:
Fiesko III. 8 Guten Abend Schwester
Kalt. I, 2 Guten Morgen Herr Sekertare
in, 6 Guten Abend .Jungfer
V. 2 Guten Abend Miller.
Im Versdrama sind die alltäglichen Wendungen weniger
am Platz : wie schleclit sich der Gru.ss in die metrische Form
fügt, zeigt der unvollständige Vei-s \V. T. V, 5 ..Gut' Nacht,
Gordon!" In den ersten Versstücken finden sich jedoch noch
einige iieispiele ( Carlos -Tiialia v. 2777; W. T. v. 32Ö1);
glücklich ist bei der Verabschiedung der Generäle Picc. IV, 6
die Ü^bergangszeit ausgedrückt:
Gut' Nacht I Ich sagte besser, guten Morgen
Ein äusseres Kennzeichen der Tageszeit bildet die J^e-
Icuchtung: indem sich die Personen auf deren Veränderung
aufmerksam machen, entstehen indirekte Vorschriften, durch
die bei mangelhafter Ausführung die Illusion des Publikums
unterstützt Avird, z. B.
Raub. III, 2 Wie herrlieh die Sonne dort untergeht I
W. T. V, 3 Es ist schon finstre Nacht.
Teil II, 2 indess wir nächtlich hier noch tagen.
Stellt auf den höchsten Bergen schon der Morgen
Die glühnde Hoch wacht aus.
Allgemeine Angaben dei- Tageszeit ergeben si<'li füi- Lust-
spiel und Drama aus den alltäglichen Gewohnheiten und Fu-
eignissen des bürgerlichen Lebens; dazu gehören der Morgen-
kaifec (Minna v. Barnhelm, Möllers Sophie od. der gerechte
Fürst, Kabale u. Liebe, Verbrechen aus Ehrsucht) die Schoko-
lade (Clavigo, Fiesko 11,1), das Neglige (Miinia v. Barnhelm,
Wagners Reue nach der That, Kab. 1,1; 11,2 u. IV,6 .,Sie
war noch im Hausgewand" l, die Messe (Emilia (^alotti. Kabale
— 120 —
u. Liebe I, 3, Don Carlos IIL 7), das Lever des Fürsten
(Kab. I, 6), das Mittagessen (Reue nach der That, Raub. III, 1),
die Parade (Nicht mehr als sechs Schlüsseln, Kab.), das
Kartenspiel (Kab., Verbrechen aus Ehrsucht). Nicht dazu
zu rechnen sind natürlich Mahlzeiten, die eine besondere Be-
deutung für die Handlung liaben, wie die beiden Bankette im
AYaUenstein ; überhaupt war füi' das Drama grossen Stils diese
Art der Rechnung nicht zu brauchen. In der Polizey kam
aber Schiller wieder darauf zui'ück und fand eine neue Idee,
indem er das wechselnde Pariser Strassenleben ins Auge fasste
und an den Passanten die Zeit erkennen lassen wollte; die
Friseurs, die Börsenbesucher, die Dineurs en ville, die Cour-
tisanen, die heimkehrenden Gäste, die Bauern, die nachts
Gemüse nach der HaUe bringen, sollten jedesmal eine be-
stimmte Tagesstunde bezeichnen.')
Die zeitliche Verbindung zweier Akte oder Szenen durch
ein dazwischenliegendes Ereignis, wie sie in Kabale u. Liebe
zweimal durch die Parade vollzogen Avird, kann auch durch
eine einmalige ausserordentliche Begebenheit bewirkt werden,
die angekündigt und erwartet wird, sich in der Pause voll-
zieht und an deren Beendigung die wiedereinsetzende Hand-
lung anknüpft. So die Prokui-atorwahl im Fiesko, das Autodafe
im Don Carlos, die Ankunft der Herzogin im Wallenstein
(Lag. V. 57 ; Picc. v. 33, 2G8 f.) Das Ereignis braucht
sogar nicht einmal zur Ausführung zu gelangen; wenn z. B.
Mortimer der Maria verspricht:
V. 2511: „Diess Schloss ersteigen wir in dieser Naclif
und Maria darauf zurückkommt:
V. 3380: ..Diese Nacht
Versprach nns Mortimer von liici- woirzii führen."
so erfahren wii-. dass der fünfte Akt einen Tag später als
der dritte spielt.
Nun kann aber auch oIhk; diese fh'ücke der zeitliche
Zwischenraum zwischen zwei Szenen unmittclbai- genannt
') Drani. Nachl. II, 7(1. Oh das wirklich so im Detail anso-efiihit
werden sollte, ist natürlich zweifelhaft; wahi'scheinlich wäre das Motiv nni'
für eine einnialig-e Zeitangabe verwertet worden.
— 121 —
werden ; flann kommt es darauf an. auf welcher Seite die
Fäden ani;oknüpft sind, und es ist zu untersehoiikMi zwischen
vorausbestimmcndor und zurückL''reifendcr Vcrbiiidunir:
a) Die voi-ausbestimmende Yerhinduni;- ist in den Staats-
aktionen, wo viel Anoi'dnuni,'en und l^.efehle .L!es,''eben werden,
besonders häufli:-, also im Fiesko und Wallenstein.') Nach
dem Wallenstein tritt sie seltener auf, nur noch M. St. 2059,
3276, Juno-fr. 4575. Teil 2ö4S tf. Bezeichnend ist es, dass
■sie bei der N'erabreduns.'" für das Rütli unterblieben ist:
Auf üdcii l'taden können wir dahin
Bei Nachtzeit wandern und uns still lierathen.
Wanny ist nicht ijesaL'-t; dieselbe Nacht kann nicht ge-
meint sein, da IMelchthal an diesem Ta.üe nicht mehr die
g-rosse Wandci'un«:' durch der Surennen ödes Eisgebir? voll-
enden kann, die er v. 998 tf. beschreibt.
Hier ist also zum Verständnis die zurückirreifendc Er-
wähnuni;- im nächsten Akt hinzuzuzielion ; während diese mit
historischer IJestiunntheit auftritt, erwartet jede vorausbe-
stinimende VerbinduiiL'- in der Fol^e iiu'e IJestätiiiuni^' oder ihr
Dementi. Unbenutzte Vorausbestimmuniren, die auf falsche
Fährte leiten, kommen mehrfach vor; man kann in ihnen meist
Rudimente eines filihei'en Planes vermuten :
Fiesko 11, IH „iMorp'en Mitta«? will ich eure Meinungen sannneln,"'
Carlos II. 1*2 V. 2'2lO „Tn ein'gen Tagen werd' ich krank,"
V. 21.S7 ..So will ich morgen Mittag Sie erwarten."
b) Die zurückL'ivifende Hestimmun^- kann zwei voraus-
^eg'anjü'ene Auftritte vei-binden z. 1?. Carlos v. 1995, 4619 oder,
was bei weitem häufii^er ist. sie ireht von der Geirenwart aus.
Seit den .lusrenddramen macht sich eine deutliche Abnahme
in der P.estimmtheit bemerkbar. Wenn man von der einen
Stelle in der Junofi-au 41H9 „Di-ei Tage schon seid ihr um-
herg-eirrt" absieht, so iindet sich die g-enaue Zählung von
Wochen, Tag-en, Stunden nur in den ersten Stücken.
Käuli. r, 2 Schon die vorige Woche
II, 1 seit eilf Monaten
I\'. ") drei volle Monde schmachte ich
') I'icc. 274, (Ki-J f, <JU4, 1301, 1347, 2050 W. T. C.so. IS21, (da-
mit in Widerspruch) 2756, ferner 2371, 2375, 3089, 3188,
— 122 —
Fiesko II, 4 Und nun sind dreissig Stunden vorbei
II, 12 dreistundlanger Prokurator
Kah. III, 5 fünf volle fürchterliche Stunden
Carlos IT, 15 v. 2266 f Die Sonne
Ging zweynial auf und zweyiual unter
TI, IT) V. 2295 Vorgestern
W. T. III, 1 V. 1287 Ich hab" ihn heut und gestern nicht gesehn.
]n Maria Stuart iiiebt es mir noch gestern und heute,
Avälircnd mit keinem vorgestern auf den ersten Tag zurück-
gegriffen wird. Seitdem fehlt (die eine Stelle in der Jungfr.
ausgenommen) jede zurückgreifende Zeitbestimmung überhaupt;
dass sie geflissentlich wegblieb, lehrt wieder die Rütliszene,
auf die zweimal (v. 1518 f und 2397 f ) zurückgegriffen Avird
ohne Angabe der verstrichenen Zeit.
Damit ist also der spätere Grundsatz Schillers erfüllt:
keine andere Zeit als bloss die stetige Folge der Handlung.
Oder wie 0. LudAvig,') ohne Schiller dabei anzuerkennen,
diesen Satz ausgedrückt hat: .,Im Drama giebt es kein Morgen,
kein Gestei'n, kein Heute, keine Uhr: alles was geschieht,
geschieht jetzt, was geschah, ist irgend einmal geschehen,
was geschehen wird, wird h-gend einmal geschehn; höchstens
können nachtr.äglich ohngefähre Zeitbestimmungen stehn und
zwar nur ganz indii-ekte konki-etc, wie z. !>. dass im Othello
.Jago einen Brief nach Venedig geschickt und wieder etwas
von da gekommen ist."
c) Die dritte Art der Verbindung ist also die konkrete.
Ein Moment der Handlung geht logisch aus dem andern
hervor. Die Verbindung durch den Jji'ief findet sich im ersten
Akt der lläuber und in Maria Stuart, wo Faulet und Mortimer
im zweiten Akt ihre Aufträge ausi-ichten. Im Don Carlos
liegt zwischen HI, 7 und IV, 23 der Aufenthalt Parmas in
Saragossa; innerhalb des fünften Aufzuges der Jungfrau von
Oi-leans vei-geht die Zeit (zwischen 5. u. 8. Auftr.), die der
geflohene Haimond l)rauclit, um die Kunde von Johannas Ge-
fangenschaft ins fianzösisclie Ijagci" zu bringen. Zwischen
Hi-aut V. Mess. [ u. II liegt der We^j^ Diegos nach dem Klos-
ter _und zui-ück, und im ersten Zwischenakt des Demetrius
') Werke V, S. 53(j; ähnlich S. 219 f.
— 123 —
mnss die Xaehriclit von der Kiiicbuiii-' des Pseiidczai'en bis
ans Ende der Welt ^'elangen.
Am deutlichsten ist dieser Anschliiss doi't, wo die Per-
sonen selbst von einer Szene zur andern hinüberführen') und
in den yehlussworten einer Szene schon die Keime zui' nächsten
Uelzen; die besten i^cispiele finden sich in doi- Jungfrau von
Orleans :
I, 1600 f. Denn eh' Du noch das Lager magst erreichen,
Und Botschaft liringen, ist die .lungfiau dort
Und pflanzt in Orleans das Siegeszeichen.
IV, 3, z. 3695. So nimm ilie Fahne I Ximm siel Sie beginnen
Den Zug. Ivein Angenldick ist zu verlieren.
IV, 13, z. 4150. Ich will euch führen.
In diesem letzten Falle muss freilich die loiiische Zeit-
verbindunir dui'ch eine dii-ekte (.,I)rei Tajue schon seid ihr
herumjreirrt" ) nachträdich koirii:iert ^^•erden.
Wenn sie nicht eigens erwähnt wei'dcn. ist mit ZiifälUi:'-
kciten, die Aufenthalt verursachen, nicht zu rechnen; der
f.'^erade We«- zwi.schen den beiden Örtlichkeiten bestimmt dann
allein die Zeitdittei-enz. Wo also der Zwischenraum nur aus
den Strassen einei' Stadt oder den Zimmern eines Hauses
besteht, i<chlies.4 sich eine Szene unmittelbai' an die andere
an, z. I>. weiui Fiesko der .luHa den Aini reicht, um sie zur
Komödie zu fühicn (III. 11); wenn Ferdinand von dei" Lady
ins Millersche Haus eilt (IT. 5). Wni-m vom Präsidenten zu
Luise (III, 2); wenn nacheinander die ohnmächtiire Beatrice
und der Leichnam Manuels auf die P)ühne iretraiien werden;
oder wenn Max zwischen dem diütten und vierten Akt der
Piccolomini nur von einem Zimmer des Terzkyschen Hauses
in das andere zum Oastmahl zu «.-ehen liat.
Wähi-end Max diesen kurzen We^' macht, versit^hen lum
ahei- noch drei Auftritte und ein Zwischenakt, denn zu Be-
iiinn des vierten Aktes trifft Max L-erade erst beim Gastmahl
ein. Die stetige Foliie dei- HandlunL;- hat hier also einen
Ih'uch ei-litten und sich zu einem epischen Nebeneinander
verschoben. Für den liomanschi-iftsteller ist es bequem, mit
') Kettner, Schillerstudien l'rogr. Schulpforta 1894. S. 3.
— 124 —
einem „Inzwischen" sein neues Kapitel anzufangen — leicht
bei einander Avohnen die Gedanken — ; dem Dramatikei" da-
gegen ist es eigentlich nicht gegeben, denselben Augenblick
zwiefach zu vergegenwärtigen. Gerade bei iSchiller steht
aber dieser Rückfall in den EIrzählungsstil nicht vereinzelt
da. Den Signalsehuss im Fiesko hört man zweimal (IV, l-i
und V. 1); im Don Carlos wird schon V, 9 erzählt, dass die
Erscheinung in den Zimmern der Königin verschwunden sei
und docli sehen wir Carlos im letzten Auftritte erst eintreten.')
Demetrius endlich müsste, bis zu Marfa die Nachricht, er
rücke gegen Tschernigow heran, gelangen kann, schon weiter
vorgedi^ungen sein, als ihn die nächste Szene zeigt. Im
Wallenstein bricht in Picc. V und Tod I derselbe ^lorgen
an, obwohl beide Akte in logische Abhängigkeit gesetzt sind,
denn die Unterschriften der Generäle befinden sicli bereits in
Wallensteins Händen (v. 121). Schliesslich kommen auch
der dritte und vierte Akt des Fiesko hart ins Gedränge, denn
Fiesko reicht der CTräfin bei'eits den Aim. mn sie zur Komödie
zu führen, und im P^eginn des vierten Aktes trilft Bourgognino
erst die Vorbereitungen zum Empfang der Gäste. Plümicke
hielt deshalb eine Abändei'ung füi- müts; bei ihm empfängt
Julia noch vorher einen Besuch und verspricht: „In weniger
als einer Stunde werd' ich bei Ihnen seyn." In seiner eigenen
Bühnenbearbeitung lässt Schiller die Anstalten Bourgogninos
wegfallen.
Ebenso thöricht, wie die Aufbauschung dieser charakte-
ristischen Kleinigkeiten zu einem Tadel, wäre der Versuch,
solche Auffälligkeiten rationalistisch zu heben, etwa zwei
Schüsse im Fiesko anzunehmen, Don Carlos in einem anderen
Vorzimmer warten oder Max sich noch einmal umkleiden
zu lassen , ehe er zum Gastmahl geht. Die Rekapitu-
lation desselben Zeitpunktes bleibt in diesen drei Fällen
unbestreitbai- ; in den übrigen muss zum mindesten festgestellt
Averden, dass in den Zwischenakten nichts vorgeht und dass
die Handlung bei demselben Zeitpunkt wieder einsetzt.
'; Der Oruiid lieg^t in der IJüliiicneiiiiichtuiiLr: weg-eii der Verwand-
lung müssen beide I'ersonen erst aul'ti-eten. Darüber Cap. II, Abschn. 4.
— 125 —
.Schon (lios allein liiitto als Verstoss aufirefasst werden
können, wenn nielit A\('ni<:stens dei- Schanplatzweclisel einen
(,'ewissen Fortschritt der Handluni^- bewii'kt hätte. Dahei"
wurde, solange man noch bei dei- Einheit des Ortes bestand,
anch eine Reo-el über den Zwischenakt aufgestellt; Dideiot')
sagt: „weil aber die Handlung nie still stehen darf, so niuss
die Bewegung, wenn sie auf dei- liühne aufhört, hinter der-
selben fortdauern" und Soniienfels') wiederholt etwa das Gleiche:
„Diese Zwischeni'äunie sind dazu bestimmt, der Handlung
einen starken Htoss vorwäi-ts zu geben: in folgendem Auf-
zuge muss man sogleich die Folgen wahrnehmen, wie der
Dichter diese Zeit sich zu Nutz gemacht.''
Die Romantikei- heben wieder dasselbe hervoi': A. W.
.Schlegel''^) ist verwundert, dass man sich am Stillstand der
Handlung weniger stosse, als an dei' Ainiahme eines beträcht-
lichen Zwischenraumes.
Als Zwischenzeit wurden von den Franzosen natürlich
nui' wenige Stunden eingci'äumt. In Deutsehland aber er-
IVeute sich schliesslich ganz entgegen der Kegel des Aristo-
teles das Drama einer grösseren zeitlichen Ungebundenheit,
als der Roman. Ein charakteristisches Heispiel dafür ist
die Zwischenrede Goethes zwischen zwei Kapiteln der
Wanderjahrc*) (2. Buch); er bittet den Leser, einen Zeitraum
von einigen Jahren anzunehmen und bei'uft sich für diese
Lizenz auf das Drama, ..da wir längst gewohnt sind, zwischen
dem Sinken und Steigen des Vorhangs in unserer persönlichen
Gegenwart dergleichen geschehen zu lassen."
Dass man diese Freiheit, die dem Zwischenakt gestattet
wurde, der Verwandlung gegenüber einschränkte, ist schon
oben bei Gelegenheit des Schauplatzwechsels betont. Die
ersten Stücke der Stürmer und Dränger hatten freilich darin
eine allzu grosse Willkür walten lassen, und es ist vielleicht
*) Theater (übers, v. Leasing) II. 372.
'') Briefe üb. d. Wiener Schaub. S. 11(1.
') A. W. Schlegel. Drani. Voi-les. Weriie \'l. S. "JS.
*) AV. A. 1, Bd. 24, S. 38U,
— 126
die einzig-e witzige Stelle in rJöntgens Nachspiel „die frohe
Frau", ^) wenn Klinkers Leidendes Weib deshalb vei'-
spottet wird: in derselben Art, nur mit viel schärferem
Witz, hatte einstmals Holberg in seinem Ulysses von Ithaca
das Drama der herumziehenden Banden so grausam verhijhnt.
Bei »Schiller ist die längste Zeit, die innerhalb eines
Aktes vergeht, die halbe W'oclie im ersten Akt der Räuber;
in den zweiten Akt des Don Carlos drang durch Hinzunahme
der Karthäuserszene ein Zwischenraum von zwei Tagen ein,
der ursprünglich im Zwischenakt lag; sonst hat meist jeder
Akt nicht mehr als einen Tag für sich; nur der ötotf des
Demetrius war Avieder weiter auseinander gerissen ; 8chiller
hatte dabei Hedenken, von Sambor nach Krakau überzuspringen
und erwog eine kleine Zwischenhandlung einzuschieben, „welche
die Zeit aufhebt."'")
An dem zeitlichen Zwischenräume wäre damit für den
nachrechnenden Verstand des Lesers nichts geändert woi'den,
wohl aber für die Illusion des Zuschauers.
Dass es darauf eigentlich ankam, war den Franzosen ent-
gangen. Der Ausdruck „Einheit der Zeit" ist eine schlechte
Analogie zu den beiden andern Einheiten. Das erste Miss-
verständnis muss sich schon aus der Zweideutigkeit des Be-
griffes Zeit entwickeln.
Die französischen Regelgeber fassten die Dauer der ganzen
Handlung ins Auge und rechneten auch die Pausen mit, die
uns der Dichter nach A. W. fSchlegcls') Wort nur in den
Gemütern der Handelnden wie in einem Si)iegel perspektivisch
erblicken lässt. Indem A. W. »Schlegel diese nicht darge-
stellten Zeiti'äume ausser Spiel lässt, schlägt er vor, den un-
passenden Ausdruck Einheit durch „Einerlciheit der vorge-
stellten und dei- wirklichen Zeit" zu ersetzen.
Batteux*) hatte diese Einerlciheit zur Vorschrift gemacht:
nämlich, „dass der Aktus nicht mehr Zeit zu seiner Handlung
') Hrsg. von .Jacobowski, Hendels Bibl. d. Gesamtlitt. No. 332. S. 71.
'') JJrani. Nachl. I, Ü7. 128 f.
") A. W. Schlegel, Werke VJ, S. 26 f, 80 f.
*) Einl. i. d. soh. Wissensch. (Kaniler) H, 240.
— 127 —
erfordert, als man auf die Vorstelhmii- wendet : eine Reirel, die un-
verbiiiclilieh zu lialteii ist." Aber schon der platte »Sulzer'). ge-
stattete Ausnahmen: ..Der J^ote. der eine Meile weit weo£-e-
schickt wird, um Xaclii'icliten einzuziehen, kann in wenigen
Minuten wieder kommen, weil der Zusehauei- das UnnKVliehe
dieser S('hnellii.'keit zwar erkennet, abei- nicht fühlt." Kin
Blick auf die Muster der i^iiechischen Trairödie. wo i;anze
Feldzü^'-e sich, während die Handluni^- auf der Bühne Aveiter-
yeht. abspielen, musstc ja stutzig- machen.
Für den Unterschied zwischen liühnenzeit und \'oi-standes-
zeit hat O. Ludwii^-) in den .Shakespearestudien den Aus-
druck ..doppelte Zciti'echnuni:" i^efunden ; man kann aber
auch hieifür mit Miuoi'^i das Bild der perspektivischen Dar-
stellunii' anwenden.
Die epische Dichtuui^- stellt überhaui)t luu' perspektivisch
dar; es ist also ein bewusstes komisches Jlerausfallen aus der
epischen Form, wenn Sterne im Koman einmal die Einerlei-
heit der Zeit herstellen will: ..Wer eininermassen üut und
fertig lieset, der wird uni:efehr anderthalb Stunden iiebraucht
haben — . Niemand kann also mit Recht saj^-en, dass ich
Obadiah — nicht Zeit genuj^- zum (iehen und Kommen ge-
lassen habc".^j
Was im Koman ein L'nikum ist, wird im Drama immer
wieder angestrebt^), und das moderne Di-ama, Ibsen an der
Spitze, hat sich wie in manchem andern, auch darin wiedei-
dem rationalistischen ideal (Gottscheds genähert.
Auch bei Schiller findet sich einmal vollkommener Realis-
mus; wenn es im Fiesko V, 9 heisst: .,ich sah ihn vor acht
Minuten noch" so stinunen wii'kliche und lUihnenzeit überein.
') Th. (1. seh. K. I, 274.
-) Werke \, '205.
'■') Minor II, (51. 5.SH.
') Tristrani Shandy (übs. v. Bode) 2. Autl. 177(i iL, S. Cap. S. ;'>().
^) Crei'/enach. Gesch. d. neueren Dran7as II. S. 492. Schienther in d.
Einleit. z. .lohn Gabriel Borkniann, (Sänitl. Werke Bd. IX, S. XXH')
macht darauf aufmerksam, wie sog-ar in den Zwischenakten die Uberein-
stimmuni; mit der wirklichen Zeit erreicht wird.
— 128 —
Ebenso Carlos v. 2ß71 „beinahe zwey Minuten lang-": hier
ist es allerdins^s mehr die willkürliche Bezeichnung einer
kurzen Zeit, wozu fSchiller mit Vorliebe die Zahl zwei ver-
wendet.^)
Minuten stehen übrigens gerade im Don Carlos öfters als
Bühnenzeit an (Stelle von Sekunden; so vor allem bei der An-
gabe von Pausen:
III, 4. J)onnngo tritt einige Minuten nach dem Herzog herein.
IV, 19. Grosse Pause. Die Herzogin von Olivarez kommt
nach einigen Minuten aus dem Ka))inet.
IV, 20. Einige Minuten bleibt sie stumm und unbeweglich
davor liegen, dann rafft sie sich auf.
Pausen von wirklich mehreren Minuten würden uner-
träglich sein, denn schon wenige (Sekunden (Stille können auf
der Bühne den quälenden Eindruck einer minutenlangen Pause
machen. Eine Gleichung:
X Bühnenminuten = y Zeitsekunden
dai'f man trotzdem nicht aufstellen,^) obwohl man sich dazu
versucht fühlen möchte, wenn (Szenen, die sich vor unsern
Augen in einer bestimmten Zeit abgespielt haben, nachträglich
auf der Bühne geschätzt werden. Das ist im Don Carlos der
Fall: die Dauer der Audienz im zweiten Akt (197 Verse)
wird als eine Stunde angegeben (v. 1990, Thalia v. 2870);
ebenso hat Lerma während der Audienz des Posa (379 Verse)
die Zeit beobachtet: „Zwo volle Stunden." (IV, 4, v. 3531).
Für diesen bedeutenden Moment, der im ersten Entwurf
überhaupt noch keinen Platz gefunden liatto, hatte (ho Ökonomie
') Z. B. W. T. II, 5 V. 1011 Zwey Minuten;
Carlos IV, 21 v. 4315 Zwo kurze Abendstunden
W W. T. IV, 12 V. 3107. zwey himmelschöne Stunden.
Carlos III, 10 v. 2982 Zwcen Tage
Bi'aut V. 13 Kicht zweimal luit der Mond die Lichtgestalt
erneut.
Käub. : Die Zeit ohngefehr zwei Jahre.
*) Solche redanterien konnten immerhin in früherer Zeit voi'kommen;
so schreibt z. 13. Barth. Feind in .seinen „Gedanken von der 0])era" (Deutsche
Gedichte, Stade 1708 S. 87): „Wenn man die Sonne auf ilem Theatro auf-
gehen lässt, so wird sie in einer viertel Stunde mitten am Horizont stehen,
woraus ein Tag von 30 Minuten muss geschlossen werden: Und auf die
Art könnte man ein Sujet von 0 Tagen gestatten."
— 129 —
des Stückes nur eine einzig-e Szene erlaubt;') trotzdem kann
die kurze Dauer durch die Illusion des Zuschauers ins Un-
endliche pj'ojiciert und die wii'kliche Zeiti'echnuntr dui-cli den
Aftekt verdunkelt wej'den; und Schiller that sich darauf Be-
sonderes zu Gute, wenn er an Wieland die Aufforderung-
richtete, er solle nur einmal versuchen, mit französischer Technik
den Marquis in einer einzigen Szene soweit kommen zu lassen.^)
Allein durch die nachträ);; liehe Jierechnuni^- wird die Phantasie
des Zuschauers wiedei- entnüchtert und dem kritischen
N'cistand Material zu<ie führt. Bei Shakespeare in der
Werbun^-'sszcue Richards III. ist von der Zeit überhaupt nicht
die Rede ; dort konnte »Schiller später die Kunst, Symbole
zu gebrauchen, beobachten.') Aber er sowohl wie Goethe
konnten auch späterhin mit der Kühnheit Skakespeares nicht
wetteifern. Als Goethe in der Götzbearbeitung" von 1804
hintei" der IJühne die Trauung- von Sickingen und Marie vor
sich gehen liess, sollte Zcitei" eine acht Minuten dauernde Musik
kompouiei'en und erst auf Zeltci's Einwand hin begnügte sich
(ioethe mit der halben Zeit."*) lud man vergdeiche etwa
iJurgunds J5ekehrung bei Shakespcaie und bei Schiller, und
das Mahl im Macbeth und Antonius und Cleopatra mit dem
Bankett im Wallenstein, dessen Dauer Schiller durch die
Reden des Kellermeisters hinzieht. Eine ideale Zeitrechnung
bleibt es deshalb immer noch, und ganz deutlich wird die
perspektivische Dai-stcUung wieder im letzten Akt des Wallen-
•) Goed. III, 180 f. VI, 35.
'') An Körner 12. Febr. 1788. Jonas II, S. 18,
') An Goethe 28. Nov. 07. Jonas V, 292.
bezeichnend für den Rationalismus des 18. Jahrh. ist es, dass
Fr. L. Schröder gerade hier mit Shakespeare nicht mitgehen konnte.
Meyer, Schröder II, 1, S. 251: „Doch giebt es Fälle, wo aller Zauber der
Diktion dreissig an sich wahre Stellen, der Beschwichtigung eines Atiekts,
und dem Übergange zu einem andern, keine Wahrheit geben können,
worüber ich Richards des dritten Szene mit der Anna anführe."
') Goethe an Zelter 30. Juli 1804.
Zelter an Goethe 4. August 1804.
Goethe an Zelter 8. August 1804.
(Briefw. I, S. 128, 130, 131).
Palaestra XXXII, 9
— 130 —
stein, wo die Stunde zwisctien zehn und elf (219 Verse) auf
der Bühne vergeht.
Dort tritt zum letzten Male die genau bestimmte Bühnen-
zeit auf; die Wirkung ist jedoch nicht mehr so peinlich, wie
im Fiesko, wo die Zeit zwischen fünfzig Minuten auf Mitter-
nacht und vier Uhr vor unseren Augen in zwei Auftritten
verstreicht. Das Leipziger Bühnenmanuskript hat hier Über-
einstimmung zu schaffen gesucht, indem es schon für das erste
Mal: „Es ist vier Uhr nach Mitternacht" einsetzte.') Kettner
hat diese Stelle als einen durcli Einschiebung der Mohren-
szene entstandenen Widerspruch glücklich erklärt; wenn es
ihm jedoch gelingt nach Herausschälung aller Mohrenszenen
ein glattes zeitliches Schema von drei Tagen zu erhalten, so
bleibt die Folgerung, dass Schiller dieses Gerippe eben nicht
vor Augen hatte; wie leicht wäre es ihm sonst gefallen, auch
die Mohrenszenen einzugliedern.
Wo wir in den Jugendstücken versuchen, aus den ver-
schiedenen zeitlichen Beziehungen der einzelnen Szenen ein
einheitliches Ganzes aufzubauen, fällt das Kartenhaus zu-
sammen. Die Frage, ob Kabale und Liebe zwei oder drei
Tage dauere, ist schlechterdings nui- mit Spitzfindigkeiten zu
lösen; im Don Carlos machen die Ankunft Posas und die
Krankheit der Eboli, im Wallenstein der Tod des Max
Schwierigkeiten.
Gerade die Bemühungen Düntzers, Bellermanns, Kettners
weisen imnici- wieder dai'auf hin, dass Schillci- über die Dauer
der Handlung keine absolute Khirheit schaffen wollte. Wenn
einmal in Maria Stuart die Rechnung glatt aufgeht, so ist
das nur (bis selbstverständliche Produkt eines musterhaften
Aufbaues. Füi- die folgenden Stücke gilt dei* in der Vorrede
zui' iii'aut von Messina ausgesprochene (irundsatz; Handhaben
für die Zeitberechnung fehlen von jetzt ab; verkehrt ist es,
'l l'liiniicko hat mit dioseni gleichzeitig einen anderen Widerspruch
beseitigt, liei ihm heisst es: „Jetzt ists ein Uhr nach Mitternacht. In
Weniger al» zwölf Stunden sollt Ihr befriedigt seyn."
— 131 —
wozu Bcllermann') beim Teil Ansätze zu machen scheint, als
Ersatz die historischen oder quellenmässigen Daten heran-
zuziehen.
10. Der A'erfasser an das Publikum.
Auf Dalberg-s Verlan^j-en verfasste 8chiller füi' die Räuber
eine Ansprache an das Publikum, die am Tuge der Vorstellung
neben dem Theaterzettel angeschlagen wurde. Der Brief
Dalbergs, worin er diesen Wunsch ausspricht und die Be-
gründung fehlen uns; wii- wissen indessen, dass Dalberg bei
eigenen l)Carbcitungen und auch bei andei-en Novitäten diese
N'erständigung mit dem Fublikuui liebte und dabei den päda-
gogischen Zweck im Auge hatte, es in seinem Urteil zurecht-
zuweisen.-)
öolclie Avertissements, soweit sie noch auf dem deutschen
Theater Mode waren, richteten sich an ein gebildetes Publikum
und wollten dieses u. a. über Entstehung des Werkes, Quellen
und Auffassung des Dichters unterrichten; allenfalls war noch
von dem Erfolg an anderen Urten die Hede; eine besonders
vornehme Art von Reklame war es, wenn seiner Zeit in
Hamburg ein »Stück dui-cli Abdruck der Ik'spi'cchuug empfohlen
wurde, die es in dei' llibliotlick der scIk'mr'm W'isseuschaften
gefunden hatte. ^)
Keinesfalls sind die stehenden Bühnen darin mit den
herumreisenden 'J'ruppeu zu vergleichen, die auf Anpreisungen
ihi'ei' .Stücke angewiesen waren und durch Aufzählung aller
►Sensationsettckte, besonders der Grossthaten, die etwa vom
') Belleniiaiiii, Schillers Dramen. 2. AuH. IT, S. 43-i f.
-) Weltrich. I, 4(KS. Martersteig S. 170. Fichler S. 93, 104. Mit sol-
chen Anküiidiguiigeii wurden u. a. vorbereitet: Fust v. Stroniberg, Die
neue Emma, Der Einsiedler von Carniel, Timon von Athen.
*) Schlösser, Theatergesch. Forsch. XIII, S. 95,
9*
— 132 —
Hanswurst zu erwarten waren, dem Publikum den Mund
wässerig machten, ohne das Verständnis der Handlung- irgend-
wie vorzubereiten. Bei diesen Truppen konnte es auch vor-
kommen, dass dem Dichter selbst oder sogar einem falschen
Dichter die Ankündigung untergeschoben wurde ; es ist z. B.
vom Jahre 1782 ein Theatei-zettel aus Nürnberg bekannt, auf
dem Lessings Faust mit einigen empfehlenden Worten des
Verfassers angezeigt wurde. ^)
Manche der stehenden Truppen — sogar schon die
Neuberin that dies — ') machten dagegen dadurch für sich
Reklame, dass sie versicherten, alle Anpreisungen zu unter-
lassen; als Schröder das zweite Mal nach Hamburg zurück-
kam, versprach er dem Publikum: „Weder grosse Anschlags-
zettel, noch Prologe aller Ai't (die immer dasselbe sagen)
sollen Ihnen l^eifall und Geld entlocken."') Er wich indessen
selbst noch oft genug von dieser Versicherung ab. Grossmann
dagegen führte als Theaterdirektor diese Enthaltsamkeit wii-k-
lich durch und machte nur einmal eine Ausnahme, als er sich
bei der Vorstellung zum Besten eines Lessingdenkmales an
das Publikum wandte.^) Schon in den 80er Jahren wollte
der Gothaer Theaterkalendei' alle Ankündigung vom Tlieater-
') Wiener Theaterausstell. 1892. Fachkatalog d. Abteil, f. d. Drama
u. Theater, hrsg. v. Glossy. S. 115, No. 36.
-) Blüniiier, Gesch. d. Theaters i. Leipzig S. 57. Schütze, Hanib.
Theatergesch. S. 217. Man sehe dagegen den sogar mit lockenden i'roben
des Stückes aufgeputzten Neuberischen Faustzettel (v. Reden - Esbeck,
Caroline Neuber).
«) Schütze S. 567. Meyer, Schröder II, S. 8. Devrient III, S. 160, 180.
•*) E. Mentzel, Arch. f. 'Frankfurts Gesch. u. Kunst IV, S. 78.
Journ. d. Luxus u. d. Moden 1791 S. 21. Grossniann war überhaupt ein
moderner Direktor; er wurde Schröder als Muster vorgehalten, weil er
das Abdanken, d. h. die Ankündigung des folgenden Stückes, nicht mehr
vom Schauspieler im Kostüm der eben gespielten Rolle vorbringen Hess.
Diese Sitte, die übrigens noch reichlich Gelegenheit zu improvisierten An-
preisungen bot, kam erst im Lauf des 19. Jahrhunderts ab. Für Dresden
steht das .lahr 1H14, für Haml)urg IS] 5 fest, für Wien erst 1886.
Prölss, Gesch. d. Hofth. z. Dresden 187« S. 367.
Fr. L. Schmidt, Denkwürdigk. (Uhde) II, S. 100.
Costenoble. Aus dem Burgtheater, Tagebuchblätter II, S. 279 f.
— 133 —
Zettel verbannt wissen; ein g-ut ein^'-erichteter Komödienzettel
müsse nichts weiter enthalten als Tag und Ort der Vorstellung-,
Titel und Verfasser, Personen und Schauspieler, sowie Preis
der Plätze. 1)
Wenn nun also Dalberg- mit seinem Wunsche schon eigent-
hch rückständig'- war. so ist »Schillers Ausführung- des Auf-
trag-es sogar nicht g'-anz frei von Anklängen an den über-
wundenen Reklamestil der Wanderti-uppen: es mag etwa an
Schikaneders Gesellschaft erinneit werden, die in den Jahren
1778 und 79 in Schwaben gespielt hatte und deren Anzeigen
dem jungen Schiller sicherlich in die Hände gefallen waren,
ohne ihm natürlich direkt zum Vorbild zu dienen.
Die von Dalberg durchkorrigierte gedruckte Fassung ist
an bombastischen Versprechungen gegenüber dem ersten Ent-
wurf Schillers, dei- im i>rief an Dalberg vorliegt,-) eingeschränkt;
trotzdem ist der 'l'oii lange nicht so einfach, wie die Erinnerung
an das Publikum, die nachmals dem Fiesko beigegeben wurde.
An Stelle der marktschreierischen Futura: .,Einen solchen Mann
wird man im Häubei- Moor beweinen und hassen, verabscheuen
und lieben"' ist dort das sachlichere Präsens und der be-
scheidene Wunsch getreten: „Dieses Schauspiel, hoffe ich, ist
Fieskos Verschwöi-ung." Der Verfasser verwahrt sich da-
gegen, das L'rteil des Publikums bestechen zu wollen; er will
nur seine Aufmerksamkeit von Anfang an in die richtigen
Hahnen lenken. Und so klingt denn aus den Ausführungen
über den Charakter des Helden schon derselbe Ton heraus,
mit dem im Wallensteinprolog dem Publikum Fingerzeige zum
Verständnis geboten wurden:
Sein Laster mir erkläret sein Verbrechen.
') Raritäten auf Koniödienzetteln wurden jetzt bereits in den Theater-
zeitschriften g-esaninielt und verspottet; siehe Theat.-Kal. 178U S. i):
1784 S. 48; 1785 S. 73; 1786 S. 71 ff.; 1797 S. 71 tf.
Ann. d. Theat. 1792 Heft 10.
Fr. L. Schmidt, Alm. f. Theat. 1809 S. 19, -20.
Fünf charakterist. Heispiele f. d. Entwicklung des Komödienzettels
zwischen 1742 u. 1777 bei Hagen, Gesch. d. Theat. in I'reussen S, 280 tf,
■) An Dalberg 12. Okt. 1781, Jonas I, S. 50 f,
— 134 —
Dieser Prolog wurde vom Darsteller des Max g-esprochen ;
dadurch schon, wie durch seine Form steht er in viel engerem
Zusammenhang mit dem Stücke selbst, dem er auch in den
Buchangaben vorangedruckt wurde. Er ist abei" nicht aus dem
Charakter des Max heraus gedichtet worden; nicht Piccolomini,
sondern der Schauspieler spricht ihn im Namen des Dichters;
darin unterscheidet er sich von den üblichen Theaterreden des
achtzehnten Jahrhunderts. So schickte z. B. Joh. El. Schlegel
seinem Canut eine Anrede Canuts des Gi'ossen an Se. Majestät
Friedrich den Fünften voraus; Fr. Ludw. Schröder Hess sich
von Bock Prolog und Epilog zu Emilia Galotti dichten, die
er in der Rolle des Marinelli sprach.^) C. Friedr. Gramer
verlangte 1776 eine enge Vei'bindung des Prologes mit dem
nachgehends zu spielenden Di'ama und gab als Muster eine
von Monodrama stai'k beeinflusste Soloszene des Clavigo.'-^)
Goethe selbst dichtete einen Epilog zu Essex im Charakter
der Königin ^), und noch Immermann vei'sah in Düsseldorf bei
einer besonderen Gelegenheit den Piinzen von Homburg mit
Nachworten des Kottwitz. *)
Indessen begann man doch bereits gegen Ende des acht-
zehnten Jahrhunderts in diesem Heraustreten einzelner Haupt-
personen aus dem Rahmen des Stücks eine Geschmacklosigkeit zu
sehen; Gotter verwarf schon 1779 in einem Brief an Dalbei-g
den Prolog als zopfige Einrichtung; '') Plümicke konnte 1781
bereits eine Abnahme der Theaterreden beklagen^) während
Schütze') 1794 Schröder wegen seiner Vorliebe dafür tadelte.
Goethe hielt an diesem Geschmack noch fest und er
wollte auch den Prolog zu Wallenstein geradezu als Rede des
Max betrachtet wissen. ,,Hr Vohs hielt ihn in dem Costüm,
') Litzniann, Schröder II, S. 129.
-) C. Friedr. Gramer, Über den Prolog-. Leipzig" 1770.
3) W. A. I, Bd. 13 S. 177 f.
I) Fellner, Gesch. e. Miisterl)iihne S. 255 ff.
'') Uhde, A. d. .Jugendzeit d. deutschen Bühne. Grenzboten 187«i
(Jg. 35) II, S. 43.
®) Plümicke, Entw. e. Theatergesch. v. Berlin S. 193.
'} Schütze, Hamb. Theatergesch. S. 095.
— 135 —
in welchem er künftig als jüngerer Piccolomini erscheinen
wird: er war hier gleichsam ein geistiger Vorläufer von sich
selbst und ein Vorredner im doppelten yinne." ^) Der Sinn
dieses Goethischen Berichtes ist nicht ganz klar, denn es soll
doch wohl nicht nur der doppelte ZAveck dieser Theaterrede
ausgedrückt werden.
Dem doppelten Anlass entspricht jedoch eine doppelte
Fassung; in der gedruckten Form tritt der Charakter einer
grossartigen Programmi-ede bei Erötfiumg des neuen Theater-
saals mehr in den Vordergrund; für <iie Aufführung jedoch
strich Goethe die „Mimen" und .,Aeren" und brachte den
Namen Wallenstein mehrmals an, um den speziellen Zweck
des Prologs mehr zu betonen.
Die Ermahnung, die ihm Goethe bei dieser Gelegenheit^)
erteilte: ,,Wie anders ist es, was man mit sich und unter
Freunden arbeitet! und was der fremden Masse im allgemeinsten
vorgetragen werden soll'', beherzigte Schiller fortan mehr und
mehr, und als Körnei'^) an Einschaltungen in den Hexenszenen
des Macbeth, <lie durch ihre Deutlichheit die abenteuerlichen
Gestalten zu sehr beleuchteten, Anstoss nahm, antwoi'tete
Schiller: ..sie schienen mir für das Theater nötliig, weil die
Masse des Publikums zu wenig Aufmerksamkeit hat und man
ihr vordenken muss."
Die Ergebnisse der voi'hei'gehenden Abschnitte haben
uns bereits gezeigt, wie Schillei's fortschreitende Technik
immer mein- bedachte, das Publikum übei- die Bedeutung der
auftretenden Pei'sonen. über den Schauplatz und die historischen
Verhältnisse in Klarheit zu setzen. In welcher Weise er
vordachte, Hesse sich noch an weiteren Beispielen nachweisen:
In den Piccolomini z. I). muss das Publikum auf die Klausel
aufmerksam gemacht werden; dass sie gesperrt gedruckt ist,
') W. A. I, Bd. 40, S. 10.
*) Goethe an Schiller (i. Okt. und lU. Nov. 1798. W. A. IV, Bd.
13 S. 283 f., 307.
=•) Körner an Schiller 2G. .Tuni 1800.
Schiller an Körner 3. Juli 1800. Jonas IV, S. 100,
— 136 —
genügt für den Leser; während ein besonders lautes Hervor-
heben im Vortrag plump wirken und vielleicht doch nicht
ausreichen würde. Statt dessen findet Schiller eine andere
Auskunft: Isolani hat gerade die Worte, auf die es ankommt,
gedankenlos nachzusprechen. Im Teil gehört hierher das
schon erwähnte Hervorheben der Abwesenheit Teils beim Rütli.
Prologe und vorgreifende Verständigungen sind damit
überflüssig gemacht; nachdem im Theaterzettel das Nötigste
gesagt ist, giebt der Dichter die Zwischenstellung zwischen
Publikum und Bühne auf und lässt der Aufführung allein
das Wort. Schon in der Ankündigung zum Fiesko war es
ja ausgesprochen: „Eigentlich sollte das Tableau für den
Künstler reden, und er selbst die Entscheidung hinter dem
Vorhang erwarten."
Zweites Kapitel.
Die Inszenierung.
1. Der Vorhang.
„Voraussetzunir des Di-amas ist, dass die Leute, die da
spielen, unter sich sind, und dass nur ein «ruter Gott den
Vorhang wegg-ezog-en hat, damit das Publikum zusehen kann"
— in diesen Worten Wilh. Öcherers^) ist die moderne Auffass-
ung des Dramas ausgesprochen. Bezeichnend ist es, dass der
Vorliang dai'in eine Rolle spielt: der Gcbr'auch des Vorhangs
trennt in der Tliat zwei Perioden in der Geschichte des
Dramas; sein Aufkommen bedeutet fiii' das Drama etwa das-
selbe, wie die N'erwendung des Rahmens für die Malerei.
Es ist der auf die dritte Dimension übertragene Rahmen.
Während der Rahmen, der ja auch der modernen Rühnc nicht
fehlt, die Raumillusion unterstützt, kommt der Vorhang wesent-
lich der Zeitvorstellung zu Hilfe;") durch beide kann erst
') Poetik S. 238.
") Diese Auliassimg- hat bei einem modernen französischen Theater-
ästhetiker Becq de Fouquieres, den Rigal, Le theätre fran(;ais avant la
Periode classique (Paris 1901 S. 275) zitiert, ihren zutreffenden Ausdruck
gefunden : Quand le rideau tombe, l'esprit du spectateur, degage de
1 etreinte du poete, redevient immediatement libre. II y a dans cette chute
du rideau, dans cetto disparition absolue du spectacle, un signe manifeste de
l'interruption de l'action dramatique. Une partie de cette action est des
lors acconiplie, et lesprit du spectateur est pret ä franchir l'espace de
temps que voudra le poete. Siehe auch oben S. 101.
— 138 —
die volle Illusion eines Wirklichkeitsausschnittes erzeugt
werden.
Das ist die Tendenz der modernen Bühne und weil auf
ihr ,, statt der Kunst Wirklichkeit, und statt der poetischen
Täuschung' ein gaukelndes Hinterg-ehen als die Aufgabe der
Poesie" erscheine,^) fand sie ihre Gegner.
Die Bühne ohne Vorhang war nichts weiter als ein für
die Schauspieler freigelassener Teil des Zuschauerraums; von
dem gemeinsamen Roden hatte das Publikum Besitz ergriifen
und Hess das Stück sich vorführen ; im modernen Drama wird
das Publikum vor das Stück geführt.
Diderot hat in der Einkleidung seines .,Natürlichen
Sohnes" diese neue Auffassung konsequent durchzudenken
versucht. Das Stück würde auch ohne Publikum zur Auf-
führung kommen; nur durch einen Zufall und ohne Wissen
der Spielenden wird der einzige Zuschauer überhaupt Zeuge
davon. Ein bedeutender Rechenfehler dringt in dieses Didei'ot-
sche Experiment allerdings dadurch ein, dass es sich um die
genaue Wiederholung eines wirklichen (Jeschehnisscs (von den
Personen, die es erlebt haben, selbst gespielt) handelt und
dass der Zuschauer eingeweiht ist: er nimmt also die Hand-
lung als aufgewärmte Wirklichkeit, nicht als Wahrheit entgegen.
Wenn damit der bisherigen Tllusion sogar Abbruch ge-
schieht, so ist dagegen für die Schauspieler etwas ganz Neues
gewonnen: sie sollen unter sich spielen; dei- Raum, in dem
sie auftreten, gehört ihnen und das Publikum ist ausgeschlossen.
Nun ei'st konnte die Theorie der Schauspielkunst von einer
Wand zwischen Bühne und Parterre reden, die der Schauspieler
beständig zu sehen habe. ^)
Das Symbol diesei- Wand ist der Vorhang, der während
der Zwischenakte Zuschauerraum und Bühne scheidet. In
Frankreich kam noch Diderot — so erstaunlich das erscheint
— trotz seiner Theorie ohne ihn aus; erst Marmontel ver-
langte 1763 sein regelmässiges Fallen.
') Tieck, Krit. Sehr. I, S. 249.
^) Ann. (i. Th. 1792 Heft 9 S. 31.
— 139 —
Diesen Yorschlair empfand man in Deutschland, als 1766
die Poetique tVan(;aise übersetzt wurde, als nichts Neues; der
Übersetzer bemerkte, dass der Zwischenaktvorhang" bei uns
schon lange gebräuchlich sei.M Wie weit wir indessen dieser
Angabe Glauben schenken dürfen, das ist eine bisher noch
nicht genügend beantwortete Frage, die ein weiteres Aus-
holen notwendig macht.
Das Fallen des vorderen Vorhanges innerhalb des Stückes
scheint als vereinzeltes Aushülfsmittel bei Szenenwechsel von
der italienischen Opernbüiine aus bereits auf die deutsche
Schauspielbühne des siebzehnten .Jahrhunderts übergegangen
zu sein. F^in Drama, worin sich an zwei Aktschlüssen die
Vorschrift: „Die Tai)peten fallen" findet, ist Kormarts „Poly-
euctus" (1669), und dass dies Stück nicht allein steht, beweist
eine Stelle in Gottscheds „Critischen P.eyträgen", wo auf ein
Wallensteindrama des siebzehnten Jahrhunderts aufmerksam
gemacht wird: ..Da das Niederlassen der Gardine bey dem Ver-
fasser die Actus abtheiict. so ist zu verwundern, warum er sie
Handlungen und nicht Aufzüge neinit : und es sollte sich viel-
leicht aus diesem Verfahren ein Urtheil in der wichtigen Frage
abfassen lassen, ob man die Aufzüge, die man bey andern
Alten schon findet, vom Aufziehen der (Jardine so genennt?"^)
Dass diese Frage, die im Grimmschen Wörterbuch allzu
selbstverständlich abgethan ist. damals eine Rolle spielen
konnte, fühlt uns einen Schritt weiter: in der Zeit Gottscheds
fiel der Zwischenaktvorhang bei den regelmässigen Dramen
nicht mehr;V) man hatte mit der französischen Einheitstechnik
auch die Bühneneinrichtuncr übernommen.
') Heinemann. Vorhangs u. Drama. Grenzboten 1890 I.
') Devrient I, S. 240. frölss S. 91, 97.
Barthold Feind in seinen Gedanken von der Opera (Deutsche Ge-
dichte, Stade 1708, S. 90, 111) schreibt: „Sehr übellässet es hinwiederum
in den Opern, wenn man einer jeden bagatelle wegen einen Vorhang muss
schiessen lassen;" er rühmt dagegen an der Pariser Oper, dass man alles
in einem Augenblick ohne Vorhang verändert.
■') Beytr. z. Grit. Historie VITI (1742), S. 127.
*} Wohl aber noch in den Stücken der vorhergehenden Generation.
So heis.st es in Henrici-Picanders Akadem. Schlendrian am Schluss des
— 140 —
In der .,Criti8chen Dichtkunst'' spricht Gottsched^) ge-
ringschätzig von den Poeten, die sich zuweilen mit dem Vor-
hange helfen, .,den sie fallen lassen und aufziehen, wenn sie
zwey Zimmer zu der Fabel nöthig haben;" dass Gottsched
selbst, Avie Heinemann annimmt, im Cato zu diesem Auskunfts-
mittel genötigt wai", glaube ich nicht; Cato sitzt allerdings zu
Beginn der fünften Handlung auf der Bühne, aber diese
Situation konnte durch Aufziehen eines Hintergrundes ge-
schaffen werden; nach zwei Auftritten heisst es wieder: „Cato
legt sich auf das Bette um zu schlafen, und der innere Vor-
hang fällt zu."
Cronegk in seinen „Gedanken über das Trauerspiel
Codrus ^ ) erwähnt diese Methode : der Tod des Codrus war
nicht auf die Bühne zu bringen, .,wenn man nicht die Einheit
des Orts beleidigen, oder welches eben so viel wäre, einen
zweiten Vorhang wollte aufziehen lassen," Zwischen diesem
zweiten Vorhang, der alten „Mittelgardine" d. h. dem Hinter-
dritten Aktes: „Die Fenster werden eing-esehniissen und die Guardine zu-
gezogen." In Königs Frauenschlendrian giebt der lustige Bediente seinem
Herrn, dem Stutzer, den ironischen Rat: „Wenn die Decke fällt, müsst
ihr durch das mittlere grosse Loch gucken, und eurer Schönen dadurch
einige verliebte Blicke zuwerfen, auch nicht eher zurücke gehen, bis die
Decke schon halb wieder aufgezogen, hernach, als wäret ihr darüber er-
schrocken, mit ein paar Sprüngen hinwoghüj)fen."
Interessant ist diese Stelle auch dadurch, dass sie die Anwesenheit
des Publikums auf der Bühne beweist; sie erinnert an französische Muster
(Moliere, Les F'ächenx I, 1; Regnard, Le Distrait I, Oj. Im Ganzen aber
durfte sich auf dem deutschen Theater das Publikum , nicht so viel erlauben,
wie auf dem französischen vor Voltaires Eingreifen. Gottsched entrüstet
sich bereits in den „Vernünftigen Tadlerinnen" (XVII, S. 131; 25. April
1725) über die Ungezogenheit der Leipziger Studenten, die zuweilen unge-
scheut auf den Schauplatz treten. In Fällen von Überfüllung des Zu-
schauerraumes wurden indessen noch in späteren Jahren (z. B. 1784 bei
Schröders Ga,stspiel in Hamburg) dem I'ublikum Plätze auf der Bühne
eingeräumt. (Schütze, Hamb. Theatergesch. S. 5.30. Fr. L. Schmidt,
Denkwürdigk., hrsg. v. Uhde I, S. 55 f.)
1) Crit. Dichtk. 1730, S. 575.
■-) Bibl. d. schönen Wissensch. u. fr. Künste (1757) I, S, 37,
— 141 —
irrund der kurzen Bühne und dem vorderen, unsei-eni heutiiren
ZwischenvorhaniT, ist stets vorsichtis" zu unterscheiden. Nur
dann ist mit ziemlicher Sicherheit der vordere Vorhaufr ge-
meint, wenn am Aktschhiss die Vorschrift: „Dei- Vorhang- fällt'"
steht ; darauf stossen wir zuerst wieder bei Christ. Fei. Weisse.')
Die Definitionen des Wortes „Aufzug"" können uns noch
weiter über die Entwickelun.L'" belehren. In den Schles-
wigischen Litteraturbriefen') (17()6) wird den Dänen die Ein-
führung- der Bezeichnungren Optog- und ()i)trit widerraten,
weil sie die Sache schlecht odei- g-ar nicht ausdi-ücken, .,denn
in den wenig-sten tragischen Stücken findet der Aufzug- des
Vorhang-es statt''; der rüekständig-e Sulzer^') (1771) erklärt
den Aufzug- als einen „Haupttheil der dramatischen Handlung-,
nach welchem die Huhne von den Schauspielern leer wird",
und Adelung- schreibt noch in der zweiten Autiag-e seines
Wörterbuches (1793) „eine Benenimng-, welche von dem Auf-
ziehen des VorhanL'-es. welches g-emeiniglich. obgleich nicht
alle Mahl, bey dem Anfanire eines solchen Haiiptheiles zu
geschehen ptteg-t, herg-enoramen ist."
Diese Daten, die noch für die zweite Hälfte des achtzehnten
.Jahrhunderts keinen festen Gebrauch annehmen lassen, werden
ergänzt, weiui wir die nühnenanweisinig-en der dramatischen
Litteratur mustei-ii. In Dyks „Coriolan" (17SB) schliessen
alle Akte mit leerer Dülme; nur hinter dem dritten heisst es:
„Der N'orhang- fällt. Im Zwischenakte Avird auf dem Theatei-
bey herunter g-elassener Gardine, eine Simfonia die Guerra
aufg-eführt." Dass die herunterg-elasscne Gardine eig-ens betont
wird, lässt noch immei' auf den früheren Zustand schliessen;
indessen finden wir ein Jahr früher bereits das umg^ekehrte
Beispiel, dass der Dichter ausdrücklich vorschreiben muss:
..Der \'orhang- wird nicht niedergelassen." Dies steht hinter
dem (bitten Akt von Gerstenbergs „Minona" (^1785). Erst
') Zickel, Die scenar. Bemerk, i. Zeitalter Gottscheds u. Lessings.
Berliner Diss. 1900, S. 37 «'.
■-) D. L, D. 30 S. 279 f,
■■') Theorie d. seh. Künste I, S. 91,
— 142 —
tei Kotzebue findet sich mit einiger Regelmässig-keit die Vor-
schrift: „Der Vorhang- fällt" an jedem Aktschlüsse.
Es ist nun die Frage, was vorausging: ob die dramatischen
Dichter, ebenso wie sie ihn einstmals übei-flüssig gemacht
hatten, den Zwischenaktvorhang wiederum erzwangen, indem
sie nicht mehr bereit waren, an jedem Aktschluss die Bühne
frei zu machen? Oder ob das Theater selbst ihnen die Hand
bot, indem es bereits bei Aktschlüssen der alten Technik den
Vorhang fallen Hess?
Eine Stelle in Nicolais „Abhandlung vom Trauerspiel"^)
weist uns auf den zweiten Hergang; wenn Frey tag ^) umge-
kehrt das poetische }3edürfnis nach wirkungsvollen Aktschlüssen
vorausgehen lässt, entspricht das dem Charakter seines Buches,
das auf die konkreten Theaterbedingungen wenig Rücksicht
nimmt. Sein Satz: „Mit dem Vorhange kam aber auch das
Bestreben, die Umgebung der auftretenden Personen nicht
nur anzudeuten, sondern in anspruchsvoller Ausführung durch
Malerei und Geräth darzustellen" ist gerade umzukehren:
Sobald man einmal unter Einfluss des Opernpi'unks auf die
Ausstattung der J^>ühne mehr Wert legte, womit sich die Vor-
liebe des bürgerlichen Dramas für intime Ausstattung von
Innenräumen verband; sobald nicht mehr das Aufziehen des
Hintergrundes und die A'eränderung der Kulissen genügten,
sondern die Arbeiter Möbel und \' ersatzstücke hin und her
tragen mussten, war man genötigt, die J3ühne zu schliessen.
Bis sich die dramatische Technik diese Neuerung zu Nutze
machte, dauerte es noch längere Zeit; erst allmählich gewinnt
der Dramatiker die Erkenntniss, dass mit dem Fallen des
N'orhangs eine stärkere Accentuierung des Aktschlusses not-
wendig wird; das Publikum, das die lUihnc selbst nicht
') Bibl. (1. seh. Wiss. u. fr. Künste (1757J I, S. 37: „es ist gar un-
erträglich, wenn wie auf einigen unserer schlecht eingerichteten Theater
geschieht, bey jeder N'eränderung der \'orhang zugezogen wird." Es
hielten also nicht alle deutschen Hühnen gleichen Schritt; die kleineren,
die nicht über die liiesenniittel der Opern vorfügten, um schwierige Ver-
wandlungen im Augenblick zu liewerkstelligen, gingen voraus.
'■'; Technik des Dramas. 5, Aufl. S. 169 f.
— 143 —
mehr im AiiL'-e behält, rmiss während der Pause durch den
Nachhall einschlai^'-ender Schlussworte oder die Erinnerung- an
eine packende Schlusseruppe gefesselt bleiben.
Unter den Zeugnissen für das Aufkommen des Vorhangs
habe ich eine Stelle in „Dichtung und Wahrheit'' übergangen;
Goethe will die Frankfurter Krönungsfeierliclikeiten zu ihrer
Zeit mit einem Schauspiel verglichen haben, „wo der N'orhang
nach Belieben heruntergelassen würde, indessen die Schau-
spieler fortspieltcn; dann werde er wieder aufgezogen und
der Zuschauei- kiinne an jenen N'erhandlungen einigermassen
wieder Theil nehmen." In dieser Form*) wird Goethe im
Jahre 1764 das Bild nicht gebraucht haben; denn die Schau-
spieler pflegten nicht fortzusjjielen. die I^ühne wurde um jene
Zeit noch immer i-egelmässig leei-, ehe der N'orhang fallen
konnte. Behalten wir nun Goethe im Auge, so lässt sich,
worauf Heinemann aufmerksam gemacht hat. an verschiedenen
Daten erkennen, von wann ab dei- \'orhang für ihn zum
Requisit w^urde: die Grenzen sind 1769 und 1787; in der
zweiten Bearbeitung der Mitschuldigen fällt das gezwungen
motivierte Abgehen Alcests weg. Im vierten Akt des Götz
(1773) bleiben am Schluss die Personen auf der Bühne ohne
eine weitere Angabe; der vierte Akt des Egmont schliesst
mit der Vorschiift: „Alba bleibt stehen. Dei- Vorhang fällt."-)
') D. u. W. 5. Huch. W. A. I. Bd. 2fi, S. 29G, 300.
An sich waren soh he Vergleiche damals nicht selten. Z. B. finden
wir in Sternes Tristrani Shandy (Bodes Übersetzung:) zweimal diese
Wendunj,':
11, (Jap. T) (Schluss) ^Izt muss der \'orhanj,' fallen — der Schaupidtz
verwandelt sich in das Wohnzimmer mit dem Kaminfeuer. "
11, Cap. 19 (Anfang) „Ich habe für eine Minute den Vorhang über
diese Scene fallen lassen."
Le.ssing gebraucht dasselbe Bild von Vergil, er lasse den Vorhang
fallen und versetze uns in eine ganz andere Scene.
(Laokoon Cap. XVIII, Blümners Ausg. S. 273.)
■■') Nach einer witzlosen Anekdote, die trotz ihrer Unverbürgtheit
charakteri.-^tisch sein kann, scheint es, als ob man nach Einführung des
Zwischenaktvorhaiiges auch die Aktschlü.sse der früheren Technik änderte
und die l'ersonen auf der Bühne Hess. Clavigo III schliesst bei Goethe:
— 144 —
Dazwischen lieg"! die entscheidende Grenze, von der ab
der Vorhang- auf dem deutschen Tlieater unentbehrlich wurde;
es ist 1774, das Auführungsjahr des Götz von Berliching-en,
für den nach Wielands Wort „ein eigen Theater" hergezaubert
werden musste/) Was sich nun im Gefolge des Götz an
Ritterdramen und Geniestücken auf die Bühne drängte, war
nur mit dem Zwischenaktvorhang aufzuführen oder überhaupt
ohne Dekoration.
Dieser zweite Versuch wurde für den Götz vorgeschlagen.
Nach vollzogener Trennung zwischen Publikum und Bühne
machte sich ein Rückschlag geltend, der die alte Verbindung
anstrebte. Tieck in seinem jungen Tischlermeister bricht
dafür eine Lanze :
„Wir brauchen gar keinen [Vorhang], der vorn die ganze Bühne
schlösse — wie Shakespear auch keinen solchen auf seinem Theater
hatte. Sorgen wir nur, dass durch Verzierung die Bühne sich ge-
schmackvoll und nicht allzu störend mit d»m übrigen Saal verbindet.
Bei den Engländern war das ganze Gebäude eine Rotunde oder ein
Viereck — — , so dass die Bühne in sich selbst ein schön geordnetes
Ganzes war, und die Zuschauenden dadurch gleichsam zu den Mit-
spielenden gehörten, ganz ähnlich dem griechischen Theater. Bei
uns ist der grelle Abschnitt der Bühne vom Schauspielhause völlig
unkünstlerisch und barbarisch; schon vorher, besonders aber, wenn
der ^'orhang aufgezogen ist, sieht das Haus nicht anders aus, als
wenn die eine Hälfte weggebrochen wäre. Wir setzen gerade darin
den Vorzug, dass Bühne und Zuschauer in gar keiner \'erbindung
sein sollen."')
Beaumarchais: Doch wars übereilt, dass ich ihm das I'apier zurückgab.
Guilbert: LasstI Lasst! Keine Grillen I
(Ab.)
Nach jener Anekdote schloss der Akt mit den Worten des Beau-
marchais: „dass ich ihm den Zettel gab, war ein Fehler von mir." Es
heisst nun: ..Hier niuss der Vorhang fallen, allein aus Nachlässigkeit des
Theatermeisters war dieses unterbliel)en. Um dieses zu bemänteln, wieder-
holte Beaumarchais diese Worte einigemal. Und wie er zum letztenmal
.sagte: dass ich ihm den Zettel gab — fiel endlich der Vorhang und man
hörte ihn noch dahinten murmeln: das war ein Fehler. — .lawohl, rief
einer aus dem Parterre, ein grosser Fehler!"
(Litt. u. Theaterzeit. 1784 III, ö. 112.)
1) R. M. Werner, 6.-J. II, 88.
') Der junge Tischlermeister II, 72 f., 2Ü6,
— 145 —
Tn Tiecks dramatui-o-ischer Novelle werden nun Shake-
speare und der Götz von Berliching'en auf einer nach alt-
eniflischem Muster errichteten Bühne angeführt; als dann
aber Schillers Räuber an die Jveihe kommen, sieht der Regisseur
ein, dass er bei einem modernen Stück ohne Vorhang- nicht
mehi- auskommen kann. Schillers erstes Drama steht bereits
vollständig- jenseits der Grenze und rechnet mit der modernen
Bühne. Der N'orhang fiel bei der Mannheimer Aufführung
sogar siebenmal, aber nur am Schluss des ersten Aktes, wo
damit nicht einmal ein besondei-er Effekt verbunden ist, ist
er im Druck des Trauerspiels erwähnt; ein Beweis dafür, wie
willkürlich gerade diese Anweisung gesetzt zu werden pflegt.')
An allen fünf Aktschlüssen ist der Vorhang in keinem
ehizigen Stücke Schillers vorgeschrieben. Wenn nun abei-
die drei ersten Akte des Bühnen-Fiesko, die ersten vier sogar
in Kabale und Liebe und dem Prosa-Don Carlos, mit leerer
Bühne schliessen, und um- am Ende des g-anzen Stückes die
N'orschrift steht: „Der N'oihaug fällt", wenn im Manuskript
der Piccolomini sogar einmal diese Angabc nachträglich getilgt
ist (am Schlüsse des zweiten Aktes), so darf uns dies schein-
bare Wiederaufnehmen der alten Technik nicht irre machen.
Immei'hin war es beim Fiesko möglich, ihn noch im Jahre
1S13 im Theater an der Wien — aus welchem Grunde, ist
unbekannt — ohne Fallen des Zwischenaktvorhanges mit von
Musik begleiteten offenen Verwan<llungen aufzuführen.^')
') iJassellje beobaciiten wir auch noch im neunzehnten Jahrhundert.
Während Grillparzer das Fallen des Vorhangs, ausser in der Ahnfrau,
regelmässig vorschreibt, hat Kleist die Angabe „Der Vorhang fällf nur
am Schluss der Familie Ghonorez und bei den zwei ersten Akten des Käth-
chen von lleiniroim im rhöbus. Hebbel vermied solche Anweisungen ge-
rtissentlich und nahm z. U. beim Moloch dem Herausgeber die Ergänzung
geradezu übel. (Briefe, hrsg. v. 11. M. Werner I, 208 f., Tagebücher, hrsg. v.
Bamberg II, 211.)
'-) Homer, Die ersten Aufführungen der Schillerschen .Jugenddramen
in Wien. Beil. z. Allg. Zeit. 18U7, >:r. 123, S. 5.
PalacBlia XXXJl, i*-'
— 146 —
2. Zwischenakt.
Dass im Zwischenakt die Bühne oifen blieb, muss uns
über die Beschränktheit der Regelg-eber, die eine Schauplatz-
veränderuno- innei'halb des Stückes untersagten, sclionend
denken lassen. Aus den Worten des Batteux:') „Ist es wohl
der Wahrscheinlichkeit g-emäss, dass Oerter. die wir vor
Aug-en sehen, sich in Wüsten, in Wälder, in Paläste ver-
wandeln?" lesen wir nunmehr vor allem den Widerspruch
g'eg'en die illusionsfeindliche Verwandlung' heraus.
Auf dem französischen Theater bekam indessen das
Publikum, aucli wenn ihm diese Hauptstörung erspart blieb,
noch g"enug' des Lästigen zu sehen. „Zwölf Kronleuchter,
die über dem Theater an der Decke hingen, wenn sie auch
Luft und freien Himmel vorstellte, kamen zwischen jedem
Akte regelmässig herab, und tanzten, nachdem der Lichtputzei-
seine Fertigkeit und Kunst daran g^ezeig-t hatte, nach dem
Takte etlicher elender Geigen wieder in die Höhe.^)
Einer missverstandenen Anregung Didei'ots zufolge^) kam
nun Beaumarchais auf die Idee, ernste Gegenstücke zu den
Moliereschen Zwischenspielen zu scliatfen und das Interesse
des Publikums während der Pause durch eine Pantomime
wachzuhalten, die alles, was sicli hinter der Szene begiebt,
zum Ausdruck bringen soll.
Einen genauen Begriff von den Zwischenaktpantomimen
der „Eugenie" erhalten wir, wenn wir die Nachahnmng
Gemmingcns in seinem deutschen Hausvatci- (1780) betrachten:
J)er \'()rhang bleibt aufgezogen, eine dunipfe bckleininonde
Musik des Orchesters; man bemerkt Unruhe in des Malers Hause,
Anne kömmt einigemale herausgelaufen, um etwas zu holen. Hernach
I{iih('. - Anne geht über eine Weile zur Hauptthüre hinaus. J3ann
kommt der Maler heraus, geht über das Theater in ein Nebenzimmer;
nach einiger Zeit wankt Lottchen in einer Art von Betäubung heraus,
gedrückt unter der J^ast des Schmerzes; sie sinkt auf einen Stuhl,
ihr (jrcsicht mit beiden Händen auf einen Tisch gelegt. Sie hebt sicli
') Einleit. i. d. seh. Wiss. (liamler 1750) H, S. 242.
■) Ann. d. Th. 178Ö. H. 1, S. 55 fi'. Kigal S. 225.
") ßettelheim, Beaumarchais S. 141.
— 147 —
auf, man sieht dass in ihr ein plötzlicher Gedanke entsteht, sie eilt
in ihr Ziiimier, kömmt schnell mit einem Schleier heraus, geht in die
Thüre hinein, wo der Vater hineingegangen ist; gleich kommt sie
wieder und stürzt zur Hausthiire hinaus. Gleich folgt der Maler,
wie er seine Tochter nicht mehr sieht, setzt er sich an die Staffelei
und malt; das Orchester geht fort, das dann aufhört, als
Anne (kömmt).
Dieses ziemlich zwecklose Hin- und Herlaufen unter-
scheidet sich nur daiin von den Pantomimen des Beaumarchais,
dass es sich nicht im Zwischenakt abspielt, sondern zwischen
zwei Auftritten desselben Aktes. Seit dei' Vorhang' die IMliue
verschloss, war eine Zwisciienaktpantomime in Deutschland
nicht niöiilich ; auch bei der deutsclien Übertrag-ung- der
Eugenie wui-de die Pantomime zum Anfang des folgenden
Aufzuges gezogen.') Und so darf auch die Mode des panto-
mimischen Aktanfanges auf Jieaumai'chais zurückgeführt werden.
An das jeu d'entreacte vor dem diitten Aufzug des tollen
'l'ages erinnert der Anfang des zweiten Aktes der Piccolo-
mini: beide Male wird die Dekoration für die Audienz erst
vor den Augen des Publikums von liedienten fertiggestellt.
In dei- ursprünglichen Ausführung sollte damit kein Akt,
sondern die zweite Szene anfangen ; es hätte sich also wirklich
um ein Zwischenspiel auf offener iJühne gehandelt. Auch in
der Egmontbearbeitung Schillers ist das stumme Auftreten
der spanischen Patrouille eingelegt, und für den Demctrius
war einmal etwas Ähnliches geplant: „wenn Demctrius abge-
gangen, nniss ein Zug über die Szene beginnen, während
welchem verwandelt \v'm\. Marsch begleitet ihn."^j In Maria
Stuai't endlich haben wir als letzten Aktanfang eine lange
Pantomime, die deutlich an die Absichten des JJeaumarchais
erinnert.
Sollte wirklich der Zwischenakt ausgefüllt werden, so
musste als Ausnahme der ^'orhang aufgezogen bleiben; dies
begegnete uns bei-eits in (rerstenbergs Minona (1785), wo
zwischen dem dritten und vierten Akt während einer Sturm-
') So in der anonymen Übersetzung o. 0. 1768.
■-') Dram. ^'acbl. I, 143.
10*
148
symplionic Trcninoi' mit seinen Wchiffen sich dem Ufor naht
und landet. Ähnliche Zwischenaktfüllunyen g-ehen voraus in
Grossmanns „Adelheit von Veitheim" (1781) III — IV und
Plümickes „Lanassa" (1782) IV— V/j
Der grosse Unterschied dieser deutscheu Zwischenspiele
von denen des Beaumarchais beruht vor allem in der wicli-
tigen Rolle, die dem Orchester zugeteilt ist. In Deutschland
hatte man eher als in Frankreich erkannt, wie barbarisch eine
Tanzmusik zwischen den Akten des Trauerspiels wirken muss-
te, und auf Übereinstimmung von Musik und Inhalt des Stückes
sein Augenmerk gerichtet. Johaini Adolf Schcilie hatte die
Anregung ausgesprochen und schon 173s duicli die Ncuberin
Gelegenheit zur Durclifühi'ung seiner (Jedankcn erhalten.")
Wenn dazwischen auch noch einmal die Mode der italienischen
Intermezzi aufkam, wie sie Koch zwischen 1758- 63 in
Hamburg pflegte,^) so gelangte doch die geschmackvollere
Richtung zum Siege, in deren Dienst sich bekannte Musiker
wie Hiller, Neefe, Andre u. a. *) stellten. Schiller hatte das
Glück für seine beiden ersten Stücke in Danzi und Fränzel
begabte Komponisten zu linden.
Diese hatten keine undankbare Aufgabe; stimnmngsvolle
Szenen, wie die fünfte Handlung der Räuber (IV, 13) oder
') Die Musik zur Adelh. v.Velth. iiatte JN'eefe, die zur Lanassa
Andre komponiert, (berliner Theater-.lournal f. d. .lalir 17S-2. Beilin
1783. S. 25.)
'0 Hanib. Drani. 26. Stück Lachni.-Muncker IX, S. 21»0tf.; Waniek,
Gottsched S. 304; v. Reden-Eslieck, CJaroline Keuber S. 220. Schütze,
Hamb. Theatergesch. S. 233 f.
♦ Die AViederabschalFung der Zwischenaktmusik, die sieh erst im Laufe
des 19. Jahrhunderts vollzog, soll von Berlin ausgegangen sein. R. Wagner,
Oper und Drama. Ges. Sehr. u. Dicht. IV, 1U4 f. Laube. Das nordd.
Theater, S. 152 tf. Hagemann, Regie, Berl. Iüü2. S. 95.
=') Blümmer, Gesch. d. Theat. z. Leipzig. S. 98. Schütze, S. 3Ü7 f.:
„Zwischen den Akten eines Lessingschen oder Schlegelschen Trauerspiels
musstcn ein paai' alberne Menschen auftreten, welche mit platten Spässen
und oft sehr mittelmässigen italischen Gesinge mitten im Gange des Stückes,
vom Stücke das Interesse der Zuschauer abzogen , und zweck- und
täu.schungswidrig belustigten."
■•) i'lümicke, Entw. e. Theatergesch. v. Berlin. S. 232.
— 149 —
der dritte Aufzug" des Fiesko waren leicht musikalisch einzu-
leiten; wenn wir aussei-dem erfahi-en, dass Danzi ein Schauer-
stück, wie den .,Schitfbruch" von Brandes, erst durch seine
Musik zur rechten Wirkuns- brachte.^ ) so können wir uns denken,
dass er sich auch den Brand des Mooi-schen Schlosses nicht
entirehen liess; ein Zusatz im Mannheimer Manuskript:
„T^randpause" scheint darauf hinzuweisen, dass hier die Musik
einen breiteren Kaum einnahm. An einzelnen Stellen war
sogar eine direkte Vci'binduuir von HandlunL'- und Musik i:e-
schatfen, so am Schlüsse der zweiten Handlung- der Räuber:
..Man blässt zum Angritf. Lerm und r4etümmel. Sie gehen
ab mit gezog^enen Deg-en" oder im Anfang- des Fiesko: „Man
hört in der Ferne eine Tanzmusik." Dass zu l^egrinn von
Kabale und Liebe Miller sein Violonzell bei Seite stellt und
dass im z\\eiten Akt die Lady am Flüg-el sitzt, braucht man
nicht als Cbei'gangsmotiv anzusehen, dairctren konnten wohl
die Flöten und Oboen, die in der Thalia den Anfang- des
Don Carlos beg-leiten. dazu bestimmt sein. Motive der Ouver-
türe weiterzuführen, ebenso wie in der Jung-frau von Orleans
(IV, 1).
In (Ion späteren Stücken ti'eten die Zwischenaktsymphonien
in nähei'e organische Vei'bindung- mit dem (ranzen. Z. IJ. in
Wallcusteins Lager. ..Nach geendiL'-teni Prolog", so berichtet
(Toetlie.-') .,gab eine heitere militärische Musik das Zeichen,
was zu ciwartcn sein möchte, und noch ehe der Vorhang in
die Höhe ging, hörte man ein wildes Lied singen,'' ?]benso
bildete ein Lied, zu dessen Begleitung bereits wieder das
Orchester einfallen konnte, den Abschluss: .,Der Vorhang
fällt, ehe der Clioi' ganz ausg-esungen."
Die Musik kami sogar der Handlung so eng angegliedert
werden, dass ein Teil des Orchesters auf oder hinter der
P>ühne Aufstellung tindet. z. 1!. im di-itten Aufzug von Wallen-
steins Tod: Sobald die Kürrassiere einzudi'ingen begiiuien,
„hört man unten einige muthige Passagen aus dem Pappen-
'j Brandes, Meine Lebensgeschichte "Berlin 1799 II. S. 275, 328.
') W A. I, Bd. 40, S. 11,
- 150 —
heimer Marsch"; je mehr sich der Saal füllt, desto auffordern-
der ei'tönen die Hörner und zum Schluss wii-d die Musik
rauschend „und geht in einen völligen Marsch über, indem auch
das Orchester einfällt, und durch den Zwischenakt fortsetzt."')
Noch geschickter ist die Zwischenaktmusik der Piccolo-
mini in die Handlung hineingezogen. Theklas Monolog am
Schluss des dritten Aufzuges ist bereits von den fernen
Klängen der Tafelmusik begleitet, die sich über den Zwischen-
akt hin fortsetzen, bis unter ihnen der nächste Aufzug er-
öffnet wird.
Gewisse opernhafte Züge der letzten Stücke lassen sich
ebenfalls durch Rücksicht auf den musikalischen Rahmen er-
klären. Bei den grossen Monologen in der Maria Stuart (HI, 1)
und der Jungfrau von Orleans (IV, 1), die vom Melodrama
beeinflusst sind,') kann die Zwischenaktmusik weiterklingen;
während aber im einen Fall die musikalische Begleitung durch
den herannahenden Jagdzug ihre Motivierung findet, ist sie
bei dem Monolog der Jungfrau von der äusseren Handlung
losgelöst; Schiller hat eine weiche Musik von Flöten und
Hoboen gewollt; wo man entgegen seiner Vorschrift von aussen
her den Siegesjubel des Ki'önungstages eindringen Hess, nmsste
eine unwirksame Disharmonie entstehen.')
Im Teil sind schliosslich drei Aktschlüsse (H, IV, V)
der Musik überlassen; füi- <len Eingang wurde dem Komponisten
sogar eine bestimmte Melodie vorgeschlagen ; aus der Ouvei-
türe sollte das Kuhreihenmotiv in den ersten Akt hinübei'-
fühi-en. Diese Melodie hatte bei-eits Kotzebue in seiner
.Johanna von Montfaucon (IV, 7) vei'wendet und dabei die
vVngabc gemacht: „Die Melodie ist zu finden in Krünitzcns
Encyklopädie."'') Der P.oi-liner Kapellmeister B. A. Weber,
') Diese Angabo stand nispriing-Iich im Maniiskrii)t. Goed. XII, S. 3'24.
-) Küster, I'reuss. .lahrh. 0«. S. 188.
•') Costenoble, Aus dem Hurgtheater Tagelnichldättor II, S, .'J14.
*) Oekonomische Encyclopaedie LIV. Theil, S. 087 ff. Krünitz seib.st
verweist noch auf andere Melodien. Es i.st dasselbe Werk, das Sohillor für
die Glocke benutzt hat. (Jonas V, 217).
— 151 —
der die Kompositionen zum Toll übernommen hatte/) suchte
zunächst auch die IMclodic aus Krüuitz auf, fand sie aber
nicht biauchbar und sah sich nach anderen in Gersten-
l)ortrs und Stoiber«-« Schweizei'reise und in Hillers wöchent-
lichen ITnterhaltun«-en um; ") von welcher er schliesslich Ge-
bi-auch machte, kommt hier niclit in Betracht. Interessant
ist es aber, dass bereits Kotzebues Verwendun«.'' der bekannten
Melodie als eine Art PlaL^at Widerspruch erfuhr.^)
Auch bei Verwandlunfr auf offener Bühne übernimmt das
Orchester öfters die Verbindunir zweier Auftiitte. Ein Bei-
spiel findet sich hierfür- in Ifflands Friedrich von Oesterreich
II, 15 — HJ: ,,?]s wird aus der Ferne ein Marsch hörbar,
der sich während der Verwandlun.ir fortsetzt, bis unter
seinen Kläni^cn Ki-zherzoi;- und (iefoliie in den Thronsaal ein-
ziehen." Dieselbe Verwendun«/, ohne dass damit der Schein
einer P>eeiiiflussunir ausiresprochen werden soll, treffen wir in
der .lunijiVau von Oileans an. Am Schluss von IV, 3 beg-innt
in der Ferne bereits der Ki'önunirsmarsch, der wähi-end der
Verwand! Ulli.'- foi'tiresetzt wird und im näciisten Auftritt immer
näher kommt. Im dritten Akt muss die kricirerische Musik
über den Spruni:' zwischen dem IIoHaiier von Chalons und der
Schlacht voi' Kiieims huiwe.iitäuschen (III, 5—6); erwähnt ist
auch bci-eits der Marsch, der im Demetrius eine Verwandlung-
bciileiten sollte.
Die Dauer des Zwischenaktes wurde ausser durch das
Lichtputzen (diese Einrichtung- war jedenfalls zu Ende des
Jahrhunderts vei-vollkonunnetl dui-ch die Dekoi-ationsverändc-
runi;- und durch das l'nikleiden der Schauspieler bedingt.
Innere Ci runde waren kaum massgebend; nur Chr. Fei. Weisse
macht im ..Ki-ispus"' die Vorschrift: „Zwischen dem dritten
*) Zunächst hatte sich Schiller an Zelter wegen der Komposition des
Kuhreihens gewandt. (16. .lan. 1804 an Zelter; .lonas VII. 113).
■) Urlichs. S. 551 if. Schillers briefliche Angaben für Weber sind
nicht erhalten. Sie lagen einem Schreiben an Iffland bei (20. Febr. 1804,
Jonas VII, S. 127).
') .lourn. d. Luxus u. d. Moden. Sept. 18U(t. S. 463 f.
— 152 —
und vierten Aufzug* wird eine läno-ere Pause gemacht als
zwisclien den vorigen," vermutlich weil dort (vor der Ankunft
des Kaisers Konstantin) der Haupteinschnitt des Stückes liegt.
Im allgemeinen wünschten Dichter wie Theaterdirektoren die
Länge der Zwischenakte möglichst beschränkt zu sehen;')
Tffland sagt das ausdi'ücklich in der Voi"rede zum Verbrechen
aus Ehrsucht: „So oft man, um dem Ameublement, so wie
ich es angab, treu zu bleiben, nöthig hätte, dasselbe bey Ver-
wandlung des Theaters abtragen zu lassen; so bitte ich, zu
Vermeidung dieses grosen Uebelstandes, es nach Gefallen zu
verändern, die Zwischenakte müssen sehr kurz, und von
Dekorateur und Schauspieler nicht in die Länge gezogen
werden." Dieselbe Sorge trug Schiller in einem Brief an
Iffland'"') für die Aufführung der Ma/ia Stuart: .,Noch bitte
ich zu verhindern, dass das Stück durch grosse Zwischenakte
nicht verlängert werde .... wenn sich Elisabeth zwischen dem
zweiten und dritten Akt ganz umkleiden wollte, so würde
das Stück um zwanzig Minuten unnöthig verlängert. Mein
Wunsch ist, dass sie bloss Mantel und Kopfputz ändere."
3. Aktanfang und Aktschluss.
„Jeder Akt in einem dramatischen Gedichte muss daher
mit irgend einem Zufalle schliessen, der eine Pause in der
Handlung macht; denn diess ist der einzige Grund, der die
') Fr. Ludw. Schmidt, Draiiiaturg. Aphorismen I, 224 f., III, 18(5.
♦*) An Ift'lan.l 22. .luni 1800. .Jonas VI, 1(53. Ilflands Antwort
(8. Nov. 1800) bei Urlichs S. 399 f.
Trotzdem scheint man das Stück allgemein zu lang gefunden zu
haben. Henriette von Knebel fand mit der Klage darüber die Zustimmung
Wielands und sogar der Schauspielerin Fried. Unzelmann: „Man sieht, dass
Schiller für das Tragische geboren ist, da er die Menschen so quälen kann
und es ist unbegreiflich, dass er sich gar nichts Arges dabei denkt, und
meint, man könnte recht gut bis um 11 Uhr des Nachts so da sitzen."
(Henr. v. Knebel an ihren Bruder am 25. Sept. u. 3. Okt. 1801;
Briefw., hrsg. v. Düntzer 1858, S. UO f. 105, 10(3.)
— 153 —
Unterbrechunir der Vorstelluno- rechtfertiircn kann. Es würde
absrcschmackt .seyn. die TIandlunfr in dci- ijrös.ston Hitze stille
stellen zu lassen, jeder würde sich dawider empören."^) Home,
dem es im Gegensatz zu den Franzosen bei allen Reireln
darauf ankommt, ob und wie M'eit sie mit der menschlichen
Natur übereinstimmen,") spricht diesen Hatz in der That aus
der Natur seiner Zeit heraus. Das behairliche achtzehnte Jahr-
hundert fand keinen Keiz darin, wenn iliiu durch ilas Fallen
des VorhauLa's die Fortsetzung: eines (iesprächs entzo<:en
wurde; die Entfernun»: sämtlicher Personen von der I Sühne
leistete dag-eg^en die beruhifrende Oewähi'. dass dort nichts
mehr zu sehen sei. Die Romantechnik des achtzehnten Jahr-
hunderts entspricht demselben Cieschmack; die Kapitelschlüsse
erschöpfen meist ihren ErzählunjL'"sstoft". wähi-end bei den Kapitel-
anfäniren bereits effektvolle Klinsätze beliebt sind.^l
Auch im Di'ama findet sich der Aktanfani:". der mitten
in eine Situation einführt, viel früher und häufiirer, als der
abrupte Schluss. Der Einfiuss des Vorhan^'-es auf die Technik
darf, wie oben irezeii^-t ist, nicht übertrieben werden; immer-
hin ist zu bedenken, dass bei Dekorationsveränderuufr der
Wechsel zwischen kurzer und lanirer l>ühne für die Hälfte
aller Aktanfänifc bereits eine Situation i,''estattete, während
für den Aktschluss die leere P>ühne noch Rei^el blieb. Das
machten sich schon vor Aufkommen des Vorhauires die Dichter
zu nutze; in Minna von liarnhelni z. H. sind es ausser dem
ersten der zweite und der vierte Akt, die mit einer Situation
eröffnet werden, während HI und V auf der kurzen Bühne
.spielen und daher mit dem Eintreten der Personen betiini.en
müssen. Wo es übeiliau|it ani;inti-, wurde in medias res ge-
führt; bei voUkoniinener l^^iuheit dei' Dekoration war natürlich
nur zu AnfauiT des Stückes eine Situation mciglich.
Hei Schiller sind die Aktanfäng-e nach der alten Technik
nur mehr verhältnismässiü: selten: zweimal, Kab. IV und
') Grundsätze d. Kritik (Mcinhanis Übers., 3. Aufl.) III. S. 2'A.
*) Ebda. I, S. lö.
•'') Riemann, Goethes lioiuantecbuik, S. 26,
— 154 —
M, St. II, beg-eo-nen sich zwei Personen auf der Bühne;
häufig-cr treten sie im Gespräch auf: Raub. IV; Fiesco I, III;
Kab. III; Carlos I; Picc. I, V; M. St. III; .lungfr. II; in
weitaus den meisten Fällen') aber befinden sich die Personen
bereits in einer bestimmten SteHung auf der Bühne und die
ersten Worte teilen das Resultat eines voiliergegangenen Ge-
spräches mit, z, B.
Don Carlos IV: Der Schlüssel fand sich also nicht?
Mit einem ähnlichen .,also" lässt Goethe gern seine Per-
sonen auftreten, z. B. im zweiten Aufzug des Götz (Bühnenb. ) :
„Ihr liebt mich, sagt ihr.''
Auch wo ein Monolog den Akt erötfnet, zieht Schiller
es vor, die Person bereits in cinei- naclidenkenden Stellung
auf der Bühne zu zeigen: Raub. IL III (Bühnenb.); Fiesko
(Bühnenb.) III, V: Kab. V; Carlos III. V; seltener tritt sie
erst auf: Raub. V, Carlos (Thalia) I, \V. T. IV, Jungfr. IV.
Vergleichen Avii- die geplanten Anfänge des ersten und zweiten
Aktes des Don Cailos in der Thaliafassung mit der späteren
Ausführung, so sehen wir wie beide Male der Eingang abge-
schnitten wird, um in den Dialog mitten hineinzuführen. Im
Teil fangen schliesslich alle fünf Aufzüge mit Situationen an,
Avobei Schillers grosse Vorliebe für Gruppenstellungen hervor-
tritt. Die Landschaft am' Vierwaldstätter See mit ihren
Staffageflguren, Attinghausen im Kreis seiner Knechte, Teil
inmitten seiner Familie, endlich die befi-eiten Schweizer im
letzten Aufzug wirken zunächst als lebende liilder. Schon
in den Piccolomini wurde der viei-te Aufzug mit dem Bild
<ler tafelnden Gesellschaft eröffnet; in Wallensteins Tod ist
die Neubrunn am Anfang des dritten Aktes übeiliaupt nur
der Gruppe zu Liebe auf der Bühne.
') So Raub. I, Fiesko II, Kab. I, Carlos IV, W. T. I. III,
M. St. I, .lungfr. l'rolo- und V, Uraut I, Teil I, II, III, IV, V.
Verschiedene Aktanfäng-e lassen es frei, ob die i'ersonen auftreten oder
schon auf der Bühne stehen: I'icc. III. \V. '1\ IT, V; M. St. IV;
.Jungfr. I, III.
— 155 —
Für eine Schlussgruppe im letzten Akt hatte sich schon
die alte Technik das Fallen des Vorhantres zu nutze ireniacht;
es war irei'ade Lessinffs besondere Ei,L''cnheit, wenn er in den
.Juirendstücken und ebenso noch in Miss Sarah Sampson und
Minna von P>arnhelm die IJühne auch am Schluss des Ganzen
leerte; im Nathan daL-eiien nähei'te ei- sich mit der Schluss-
bemerkunir mehr als in seinen büi'L''crlichen Stücken dem
bürgerhchen Drama:
Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen
fällt der Vorhang.
Das bürg-erliche Drama konnte als Fortsetzung- der comcdie
larmoyante seine versöhnenden Schlüsse kaum mehr anders
gestalten und schwelgte in allgemeiner Rührung; in Wlands
Bewusstseyn sind zehn Zeilen für die Beschreibung des
Tableaus aufgewendet. Schiller endet nur den Fiesko und
die Jungfrau mit einer Tlruppe; für die Maltheser war das-
selbe geplant; ..rmarmt mich, umaimt euren Vater! (das
Stück schliesst mit dieser Gruppe I."
Öfters bildet auch ein riruppenl)iid <len Abschluss der
mittleren Akte z. P,. M. St. 11, J-fr. 11. III.
Die Wirkung der Schlussgriippe hängt nun ganz vom
rechtzeitigen Fallen des Vorhanges ab: bei Iffland finden sich
mehrmals Vorschriften darüber z. P).
FJewusstseyn V: _Wie die Thüre hinter Ruhbergen zufällt —
lässt der Vorhang sich sanft herab."
Verbrechen aus Ehrsucht IV (spätere Fassuni.'^i: ..(Hier muss
der Vorhang schon im Fallen seyn),"
Im zweiten Akt der Jungfr. wollte Schiller durch spätes
Fallen des Vorhanges die Wirkung der Gruppe verstärken;
im Manuski'ipt findet sich die Vorschrift: „Erst jetzt fällt der
Vorhang." Ebenso stand am Schluss des Stückes ursprünglich:
.ändern der Vorhang längsam herabsinkt."
Beim zweiten Aufzug der Maria Stuart hätte Schiller
jedenfalls umgekehrt ein schnelles Fallen angeordnet, denn
während die rührenden Schlus.sgruppen in der Jungfrau ein
sanftes Ausklingen bedeuten, treibt der Fussfall Leicesters
als Schlusseffekt die Handlung auf den Höhepunkt.
— 156 —
Schiller verstaiifl sich wohl auf den Unterschied zAvischen
abgelassenem und verklingendem Schluss und wusste zwischen
beiden je nach den Bedingungen zu wählen. An Schröder M
schrieb er einmal bei Gelegenheit des Don Carlos: .,Ich
schliesse mit einer Bemerkung, die ich in den Gesetzen unserer
Seele gegründet und durch die Erfahrung bestätigt finde.
Stücke, worin grosse heftige Aifekte spielen, endigen sicli
schöner — ruhig und stille als rasch und reissend." Er ver-
teidigte damit seine Rückkehr zum ursprünglichen Schluss des
Stückes, der in der Prosabcarbeitung durch den Selbstmord
des Helden verdrängt worden war;^) das Prinzip, das er hier
aussprach, befolgte er auch bei allen Aktschlüssen. Ge-
rade die bewegtesten Stücke der Handlung, z. I>. fast alle
mittleren Akte, schliessen nicht auf dem Höhepunkt mit starren
Gruppen, sondern werden abgemildert. So erkläi-t sich nicht
nur der versöhnende Händedruck am Schluss von Kabale und
Liebe, sondern auch die Umarmung zwischen Vater und Sohn
in Wallensteins Tod II (allerdings war dies ursprünglich
gleichfalls der Schluss eines ganzen Stückes), Weitere Bei-
spiele sind Maria Stuart III und der vierte Akt der Jung-
frau von Orleans, der nicht mit den Donnerschlägen schliessen
darf. Düntzer ^) verstand daher Schillers Absicht wenig,
wenn er annahm, die letzten Auftiitte bildeten einen späteren,
wohl entbehrlichen Zusatz.
Schon im Fiesko leitet das ..Ich gehe zum Andreas"
eine Auflösung der Gruppe ein. „Gruppe in Bewegung"
setzte Goethe in der Hühnenbeai'beitung von 1HÜ4 unter den
dritten Aufzug des Götz; mit diesem Schlagwort lässt sich
die Mehrzahl der Scliillerschen Aktschlüsse bezeichnen; z. 15.
Raub. II, III; Fiesko IV; Kab. II, IV, V; Picc. H, IV
(.,Unter allgemeinem Aufbi'uch fällt der Vorhang"); W. T.
III, IV, .Jungfr. I; Toll \, III.
') 4. .Juli 1787 .Jonas I, 349 f.
'-) Körner schrieb trotzdem am 19. Febr. 1789: „Carlos Tod, glaub'
ich übrigens, ist immer theatralischer, als seine ÜiterL'-obung an die hujuisition."
'■') Erläut. z. Jungfr. v. Orleans S. 284
— 157 —
Da dem s('liaiilnstii.'f'n Piililikuiii daltoi nichts ento-in,!;', so
wurde auch dem (ieschinack (h-s achtzehnten .Jahrhunderts
i,''enüf»"t. dei* alle Vorgänge auf dei- i^)ühne bis zur Ncig-e
auszukosten verlangte. An die abrupten Sciilüsse musste
das Publikum erst gewöhnt werden.
Bei Wallensteins Tod war Schiller mit sich im Zweifel,
wie weit er diesen Ansprüchen entgegenkonunen solle; er
schrieb an Goethe '): ..b'h will es auf Ihre Entscheidung an-
kommen lassen, ob der vierte Akt mit dem Monolog- der Thekla
schliessen soll, welches rtjir das liebste wäre, oder ob die
völlige Autiösung dieser Episode noch die zwey kleinen Szenen,
welche nachfolgen, nothwendig macht." CJoethe antwortete^):
„Mit dem Monolog der Pi'inzessin würde ich auf alle Fälle
den Akt schliessen. Wie sie foi-tkommt. bleibt immer der
Phantasie überlassen." Es ist aber bezeichnend, dass die
ersten l)earbeitcr. i^'leischer und Vogel, obwohl die Zusammen-
ziehung zu einem Tag sie auf jede mögliche Kürzung anwies,
diese beiden Auftritte beibehielten, ^) Als Körner dagegen
sie in der Buchausgabe las, schrieb er: „Dass der vierte Akt
des zweiten Theiles nicht mit dem Monolog der Thekla schliesst,
wollte mir anfänglich nicht gefallen." *)
Itt'land ■') liebt als Aktschlüsse Monologe, die sich mehr
oder minder dir(d<t an das Publikum wenden: eine Person
bleibt zurück und schliesst mit einei' alltäglichen Sentenz oder
fasst den Inhalt der beendeten Szenen in prägnanten Worten
zusanuneii; dann geht sie ohne weitere Motivierung ab.
Schillers wenige Schlussmonologe linden meist damit ilu'en
wohlbegründeten Abschluss, dass ein Entschluss die Person
von dei- Bühne treibt, z. 15. Käub. V; Kab. I; Prolog der
.iungfr. ; nur Fiesko bleibt im zweiten Aufzug auf der P)ühne
stehen.
') An Goethe 17. März 99. .lonas \'I, S. 19.
') Goethe an Schiller [18. März 99] W. A. IV, Bd. 14, S. 40.
■') Kilian, Der einteilig-e Theaterwallenstein S. '21.
') Körner an Schiller 29. .Tnni 180U.
") Stiehler, Das Tfflandische liiihrstück (Theatergesch. Forsch. XVI)
S. 103.
— 158 —
Bleibt eine einzelne Person zurück, so müssen unbeding^t
ihi-e letzten AVorte besonders accentuiert werden, wozu es
zwei Wege giebt : die epigrammatische Pointe oder die rhetoi'ische
Steigerung', die im Reim ihr Mittel findet.
Pointierte Abgänge hatte bereits Lessing. z. B. Emilia I,
Nathan II; für den gereimten Aktschluss dag^egen scheint er
wenig Sinn gehabt zu haben, da er annahm, die Engländer
hätten ihn nur als Stichwort für das Orchester gebi-aucht. ')
Der zugespitzte Aktschluss wird vom Sturm und Drang
weiter ausgebildet. H. L. AVagner^) versteht es bereits, mit
einem Ausruf oder gedrängten Satz einen blitzenden Licht-
effekt auf den Schluss des Aktes zu werfen. Bei Klinger
findet Rieger^) in der Neuen Arria II einen äusserst wirkungs-
vollen Schluss:
„Paulo (nach lang-em schmerzlichen Schweigen): Amante! ich
hab mich um meine Augen gemahlt!"
Aber da der ganze Auftritt nur aus diesen ^^'orten be-
steht, kann man von einem eigentlichen bühnenmässigen Akt-
schluss nicht reden. Solche Schlusseffekte erreicht Klinger
in den späteren Stücken ; das Äusserste an Lakonismus hat er
Konradin IV geleistet:
Robert Bari: Wie soll er büssen? Strang oder Schwerdt?
(StiUe.)
König Karl: Schwerdt!
Im Gegensatz hierzu enthalten Schillers kurze Aktschlüsse
keine Erfüllung, sondern eine neue üben-aschende Wendung.
Im Egmont erkamite er die Wirkung des schönen „Weisst
Du, wo meine Heimath ist?'' und wusste diese Worte Klärchens
an die rechte vStelle, an den Schluss des vierten Aktes, zu
setzen; es wird damit schon zum letzten Akt übergeleitet.
Die kurzen Sätze, die noch nach gefallenem ^'orllang nach-
klingen, wei'fen immer ein neues Motiv hinein z. B. „Lasst
sie ledig'" (Kab. 11); ..Der Ritter wii'd künftig uugemeldet
vorgelassen" (Cai-h)s III). Das schlagendste Epigramm ist der
') Hanil). Dram. 15. Stück. Lachm.-Muncker IX, S. 247,
■•') E. Schmidt, H. L. Wagner, 2. Aufl. S. 65.
") Kieger, Fr. M. Klinger I, S. 12U.
— 159 —
dritte Aktschlus.s des Fiesko: ,.0 e.s ist zum totlaehen Gi-äfin"');
mit ähnlicher Ironie in Hiiisiciit auf (his Kommciide sehliesst
aucli der zweite Akt dei- Emilia fialotti: „Cianz ruhiy, iiiiädig-e
Fi'au'", nur dass dort die Ironie dem »Spi'echonden selbst nicht
Ijewusst ist.
Auch die Schlüsse der letzten Akte l)rin<ien iunner nocli
etwas Neues, einen überiaschenden Spi'uuy; sie peitschen die
zu Ende g-ejag-te Handluno- noch eiiunal auf: ,.Dem Manne
kann iieholfen werden'", .. Icli i:eh zum Andreas", „Dem
Fürsten Piccolomini", „Der Lord lässt sich entschuldigen, er
ist zu Schiif nach Frankreich". Durch den Schluss des
Wallenstein wurde souai' Goethe-) verblütl't : ..Dei- Schluss des
Ganzen durch die Adresse des Ui'iefs ei'schreckt eigentlich,
besonders in der weichen Stinunung. in dci- man sich befindet.
Der Fall ist wdlil auch einzig;-, dass man. nachdem all{^s. was
Furcht und Mitleiden zu ei-i'e.ücn fähig ist. erschöpft war. mit
Schrecken schliessen konnte."
Dass übrig^ens die ManicM-. am Schluss noch eine neue
Perspektive zu erötfnen, auch ihre Gefahi'en hatte. zeii;t dei"
*) Wie wenig noch der allgemeine Geschmack Sinn für die epi-
graiuniatischc Kürze hatte, zeigt die \^erwä.sserung, die IMüniielce diesem
Schluss angedeihen Hess. Auf .Julias Frage: ..Es wird doch kein Trauer-
spiel seynV" antwortet Fiesko: „Nichts woniger. Ich sah heut eine f'robe
(lavun. Alles läuft darin lustig untereinander. Soldaten, Bürger und
Nobili; — Narren, Weiber und N^erliebte. Sie werden selbst sagen, Signora,
dass es zum Todtlachen ist. (er führt sie zur Thüre, küsst ihr die Hand,
und geht von der andern Seite ab. der Vorhang fällt.)
Auch ilen Schluss des zweiten Aktes hat l'lümicke abgeschwächt,
indem er den Monolog bereits mit den Worten: „mit Gold — mit Weibtrn
unti Kronen" schliessen und Fiesko abgehen lässt. Der l'lümicke freund-
lich gesinnte Rezensent in der Berliner Litteratur und Theaterzeitung
(1784 II, S. 31 f.) fand trotzdem, dass dieser Monolog in der Bearbeitung
gewonnen habe.
Dalberg sogar hat dem knappen Schluss der Iväul)er die Spitze ab-
gebrochen, um das l'ublikum ja nicht im Dunkeln zu lassen: „Den Mann
kan geholfen werden — Er führe mich vor die Richter — ein Glücklicher
mehr. (Sonne-Untergang.) Ich sterbe gross durch eine solche That! und
vielleicht Verzeihung vom Ilinnnel durch diese That." .
•-') Goethe an Schiller [18. März 17Ü9] W. A. IV, Bd. 14, S. 46.
— 160 —
g-ewiss nur flüchtisre Gedanke für den Schluss des Demetriiis:
der Monolog" eines zweiten falschen Demetrius, der „in eine
neue Reihe von Stürmen hineinblicken läs.st und gleichsam
das Alte von neuem beginnt."')
Die Versform musste die Schlagkraft beeinträchtigen; es
ist daher erklärlich wenn in den späteren Stücken die Pointe
hinter dem rhetorischen gereimten Aktschi uss zurücktritt. Im
Don Carlos hatte Schiller von diesem noch keinen Gebrauch
gemaclit; in den Piccolomini dagegen tritt er zweimal auf, in
Wallensteins Tod, wenn wir Theklas Monolog als eigentlichen
Aktschluss rechnen, dreimal und eben so oft in Maria Stuart
und der Jungfrau. Auch der erste Akt der Phädra schliesst
gereimt, obwohl Körners Rat:^) „An einigen Stellen, glaube
ich, würden auch gereimte Jamben eine gute Wirkung machen'"
sonst wenig befolgt wurde.
Im Teil tritt das Opernliafte mit Gruppen und Musik in
den Vordergrund; im zweiten Akt sind zwar aucli die letzten
Verse gereimt, aber der eigentliche Aktschluss ist bei leerer
Bühne der Beleuchtung und der Musik überlassen.
Auch in den Prosadramen kamen übrigens bereits dekla-
matorische Aktschlüsse vor, z. B. Raub. I, Fiesko II, Kab. IV;
der Vorteil solcher Schlusstiraden ist die Ersparnis der Moti-
vierung. Ein sogenannter Abgang trägt in sich selbst die
Begründung für das Abgehen; wenn eine Person auf dem
Gipfel des Affektes angelangt, alles was sie zu sagen hat,
mit einigen abgerundeten pathetischen Sätzen abschliesst, ist
sie fertig und niemand wundeii sich, wenn sie niclit länger
auf der Bühne bleibt, während bei einem etfcktlosen Abgange
die Frage Warum? und Wohin? sogleich rege wud.^)
Die unglücklichste Form für den Abgang ist der ^Mexan-
diiuer, der nur eine geringe Prägung der Schlussworte, aber
weder die Pointe, noch jene besondere Hervorhebung", die der
plötzUcli eintretende Schlussreim bewii'kt, gestattet. In der
0 Urani. Nachl. I, S. 167.
') Körner an Schiller 25. Jan. 1805.
") So Seujele 1. siehe Weltrich S. 542,
— 161 —
französischen Tr.ifrödie bedeuten daher fast alle Aktschlüsse
eine Abschwächung-; beinalie typisch ist die Vorbereitung
durch ein allons oder allez, z. f>. in Racines Alexandre in
den vier inneren Aktschlüssen. Das Lustspiel und das Prosa-
drama steigerten diese Ängstlichkeit in der Motivierung oft
bis ins Lächerliche; wie hat sich Lessing über die Gottschedin
lustig gemacht. 1) aber wie oft findet sich auch bei ihm noch
das stereotype „Kommen Sie!"
Unter Schillers Stücken steht Don Carlos der französischen
Technik am nächsten: mit ihi-em Losungswort schliesst auch
zunächst der zweite Akt: „Kommen Sie!'"'); im Druck von
1787 ist es nur ein Szenenschluss. da sich noch der Auftritt
im Karthäusei'kloster anschliesst; trotzdem sind die jetzigen
Schlussworte deklamatorisch dankbarer:
— so will ich
Den Blitz erwarten, der uns stürzen soll!
(Sie gehen ab).
J^ei Szenenschlüssen muss wegen der folgenden Verwand-
lung die IMihiie meist Lieiäumt werden; dass bei diesem Zwang
die Motivierung oft unglücklich ist, erklärt sich leicht; anderer-
seits dürfen die Schlussworte, weil es sich um keinen eigent-
lichen Abschluss handelt, deklamatorisch nicht gar zu stark
hervorgehoben werden.
Schillei' zog sich nun mehrmals ebenso wirkungslose Akt-
schlüsse zu, indem ei' ursprüngliche Szenenschlüsse an das
Ende eines Aufzuges schob; auf diese Weise schliesst in der
Lühnenbcarbeitung der Käuber der erste Akt: „Nun dann,
so lasst uns gehen! u. s. w.", denn dass die Libertiner ohne
weiteres nach J>öhmeii aufbrechen, bleibt für den nachrechen-
den N'erstaiul unwahrscheinlich; der erste Aufzug des Fiesko
in der Bühnenbearbeitung, der zweite Aufzug des Don Carlos,
der erste Aufzug der Piccolomini („Kommen Sie!") erhalten
auf dieselbe Weise ihre schwachen Schlüsse.
h Ilanili. Drani. 13. Stück. Lachni.-Muncker IX. S. 235.
^ In Mannheim hat man diesen schwachen Aktschluss aus der Thalia
wieder herübergenommeii. In 1) sind die Verse in II, 12 eingelegt (v.
2525-2530).
Palii.slia XXXIL H
— 162 —
Ein einziges Mal war aus; einem noch äusseiiicheren
Grunde die Abschwächung dem Plane von vornherein aufge-
zwungen, das ist im dritten Akt von Kabale und Liebe.
Dass Luise mit Wui-m die Bühne verlässt, um das Sakrament
zu nehmen (noch dazu, wie Düntzer^) bemerkt, zu einer un-
geeigneten Tageszeit), erinnei't gewiss an die veraltete Technik.
Wenn indessen hier vor dem eigentlichen Höhepunkte des
Aktes die Handlung abgebrochen wird, ist die Ursache leicht
ersichtlich: die Zensur, die schon den Namen Gott aus jeder
Rolle sti'ich, hätte den heiligen p]id auf keinen Fall zugelassen.
Auch Luisens Schwur im letzten Akt: „Bei Gott! Bei dem
fürchterlich wahren!" musste in der Aufführung jedenfalls ab-
geschwächt werden.
4. Szenenwechsel.
Der Zwischenvorhang, der die Verwandlungen innerhalb
des Aktes verdeckt, ist erst eine Einrichtung des neunzehnten
Jahrhunderts. Und z-war w^urde er um dessen Mitte von Nord-
deutschland her eingeführt."'') Während Hebbel in Wien noch
1863 über die offenen Verwandlungen klagt, treten wenige
Jahre danach bereits Freytag, Laube und Dingelstedt als die
heftigsten Gegner der Neuerung auf.') Dass der Zusammen-
hang des Aktes zerstückelt werde, hielten sie für einen
grösseren Schaden als die kleine Illusionsstörung.
Im achtzehnten Jahrhundert hatte man dagegen alle Mängel
der offenen Verwandlung empfunden und durch Erhöhung der
') Erläut. z. Kab. u. Liebe, S. 62. Dieselbe Abgangsniotivierung-
findet sich ül)rigens in Shakespeares Richard IL, Akt IV, L
') Diesmal war Frankreich vorausgegang-en. A. Lewald berichtet
davon bereits 1887 in seiner Allgemeinen Theater-Revue III, S. '29L
•') Hebbel an A. Stern, 29. .Jan. 18G3; Briefw. II. S. 517.
Freytag, Technik des Dramas, S. 187.
Laube, Das norddeutsche Theater (1871) S. 151.
Dingelstedt, Eine Fausttrilogie, Reriin 187(), S. 113.
Die offene Verwandlung findet sich noch weit in das neunzehnte
Jahrhundert hinein vorgeschrieben, z. IJ. in Gutzkows Dramen.
— 163 —
Aktzahl (siehe Kap. I, Abschii. 2) eine Auskunft zu finden
gesucht.') Gemming-en') schreibt in der Vorbemerkung- zur
dritten Ausgabe seines deutschen Hausvaters: „Es hat mir
mannigmal sehr wehe gethan. wenn oft im rühi-endsten Augen-
blick eine laute Pfeife eine Theater- Veränderung ankündigte;
und dann Thüren mit Mensehenfüssen ankamen, Tische aus
dem Theater wie lebendig heraussprangen, und Bäume im
Jjoden wieder zurückkrochen."
Damit erhalten wii- ein anschauliches Bild, wie auf der
recjuisitenreichen. bereits mit wirklichen Tischen, Stühlen und
Möbehi ausgestatteten Bühne des bürgerlichen Dramas ver-
wandelt wurde. Die Autführungen Shakespeares oder der
Ivitterdramen konnten in geeigneten Bearbeitungen trotz des
viel häufigeren Dekorationswechsels fast bequemer sein, weil
man oftmals ohne Hin- und Hei'tragcn irgend welcher Gegen-
stände bloss mit den gemalten Dekorationen auskam. Wenn
z. B. zwei Szenen hintci'cinander im Freien spielten, wurde
einfacli der Hintei'gnind aufgezogen oder ein neuer Hinter-
i^Tuiid lieiuntergelassen:') die Seitenkulissen blieben dieselben.
Es ist also zwischen totaler und partieller Verwandlung
zu unterscheiden; die eine verändert das ganze Theater; bei
der anderen wird zwischen kurzer und langer Bühne ge-
wechselt und der Schauplatz der ersten Szene entweder er-
weitert oder verengert.
Der Wechsel zwischen Vorder- und Hinterbühne, der in
letzter Linie dem englischen Theater entspringt, geht in
Deutschland auf das Tlieatei' der Wandertruppen zurück, auf
I
I
') Vereinzelt steht innerhalb des Aufzuges die Vorschrift „Der
Vorhang fällt" in Törrings Kaspar der Thorringer I, 4 — 5.
■) D. Nat. - Litt. Bd. 139, S. 14. Dieselbe Klage noch bei
Fr. Ludw. Schmidt, Dramaturg. Aphorismen, Hamburg 1820 I, S. 232.
^) Davon macht Schink eine Beschreibung: „Jetzt muss in einem
Drama, wenn es dem l'ublikum behagen soll, alle Augenblicke ein Vor-
hang aufrollen, bald ein Schlo.ss. bald eine Bauernstube, bald ein Gefängniss,
bald eine Landstra.sse, bald einen Tiu'nierplatz, bald ein Feldlager pro-
duciren." (Dramaturg. Monate, Schwerin, 1790 III, 751 f.)
11*
— 164 —
dem überhaupt, wie Karl Heine ^) gezeigt hat, die Bühne des
achtzehnten Jahi-hunderts fusst. Heine macht dabei auf eine
Regiebemerkung aufmerksam, wonach die Vorderbühne eine
Walddekoration darstellte, durch welche man in ein Zimmer
sah. Prölss -) glaubt dagegen, dass bei den Wanderbühnen
die Kulissen der Yorderbühne nur konventionell als vorhang-
artige Draperie gemalt waren. Auf die Entscheidung dieser
Frage kommt es hier nicht an, denn jedenfalls wurde auf
den festen Bühnen im achtzehnten Jahrhundert die partielle
Verwandlung nur mehr zwischen ähnlichen Dekorationen:
Saal und Zimmer, AVald und Garten vorgenommen. Der
dramatischen Technik dagegen erwuchsen daraus im achtzehnten
Jahrhundert noch dieselben Bedingungen, wie im sieb-
zehnten: die Hinterbühne liess, so oft die „Mittel-Guardine"
aufgezogen wurde, eine Anfangsgruppe, unter Umständen so-
gar eine Schlussgruppe zu, während auf der Vorderbühne die
Personen regelmässig auftreten und abgehen mussten. Diesen
technischen Mechanismus beobachten wir bei Lessing so gut,
wie bei den Dichtern der Wandertruppen: in Miss Sarah
Sampson beginnen die Auftritte auf dei' Hinterbühne, die ab-
wechselnd Meilefonts, Marwoods und Sarahs Zimmer darstellt,
mit Situationen z. B. I, 3 „Melle fönt ( unaugekleidet in einem
Lehnstuhle)," während die Vorderbüluie — der neutrale Saal
des Gasthofs — den Personen nur als Durchgang dient.
') Carl Heine, Das Schauspiel der Deutschen Wan(lcrl)iihne vor Gott-
sched, Halle 1881), S. 49, 51.
Z. f. d. Phil. XXI, S. 285 tf. Ein Modell nach Heines Angaben
war auf der Wiener Theaterausstellung 18U2 ausgestellt (Fachkatalog v.
Glossy, S. 84). In Frankreich findet sich im vorklassischen Theater die-
selbe Einrichtung der Hinterbühne, während die Vonlerbühnc als Überrest
des mittelalterlichen Theaters in verschiedene Sciiauplät/.e geteilt war.
(Higal, Le theätre francais avant la periode classique I'aris 11*01 S. 248.
'') Prölss, Kurzgefasste Geschichte der Deutschen Schauspielkunst,
Leipzig 190U S. 115 f. Diese \'ermutung gewinnt an Wahrscheinlichkeit,
wenn wir bedenken, dass sogar Ekhof 1758, als er auf dem Kieler Um-
schlag spielte, aus Mangel an Dekorationen farbige l'apiertapeten verwen-
dete, von denen eine gelbe alle Zimmer, eine grüne Feld oder Wald dar-
stellte. (Uhde, Ekhof. Gottschalls Neuer i'lutarch IV, S. 15U).
— 165 —
Zwischen Lessinfr und Schiller liejrt die Einführung des
Zwischenakt- Vorhanges, der jedoch auf den Szenenwechsel
keinen Einfluss ausübte.
Die Abwechslung zwischen Anfangssituation und Auf-
treten, die wir oben an den Aktanfängen der voihanglosen
Zeit beobachtet haben, galt für die Szcnenanfänge innerhalb
der Akte weiter, ebenso an den Szenenschlüssen die Not-
wendigkeit die Bühne zu leeren; nur ein Unterschied bestand:
dass mitten im Akt die Pjühnc leer wurde, widersprach eigent-
lich dei- französischen Regel der liaison des scenes.
Diderot ') stand hültlos vor diesem Dilemma: „Die \^er-
zierung kann sich nicht verändern, ohne dass die Szene leer
bleibt. So oft also zwey Zwischenfälle eine andere Ver-
zierung erfordei'ten. würden sie in zwey verschiedenen Auf-
zügen vorgehen." \'oltaij-e fand in der Semiramis ehie un-
glückliche Lösung, indem vr iiaeli A. W. Schlegels Wort*)
die Oerter sich zu den Personen liiubegebcn liess. Wähi'end
die Königin auf dei- Pülme bleibt, wird im dritten Akt das
Kabinet in einen prächtigen Saal verwandelt.
In Deutschland lilicli man von solcher Pedanterie ent-
fernt und nach Lessings Spott dachte sicherlich niemand
mehr daran. Voltaii'es Versuch nachzuahmen. Nur bei Zauber-
stücken gab es wandelnde Dekoi-ationen (nach Tieck dürfte
eigentlich überhaupt lun- dort verwandelt werden ^) und mit
dieser l>egi'ündung machte auch Goethe M einmal den Vor-
schlag: ..Die Bühne verwandelt sich in einen Lust- und Zier-
garten ; dies kann aucii in Gegenwart der Dame geschehen,
ja auf ihi'cn Wink, da sie sich als Zauberin und Herrin dieser
13ezh-ke darstellt."'
1) Theater (Lessiiifr) I, 1<)4.
-) Drain. Vorles.. Werke VI. S. 81» f. Im deutschen Drama des
17. Jahrhunderts war das nicht ungewöhnlich: Korniarts l'olyeuctus III.
3—4, 0-7. V, 3. Maria Stuart I. .">-('). IV. 3-4. ß— 7. Haugwit/.'s
Maria Stuarda III, 2—3.
=■) Dramaturg. Sehr. II, 52.
') An IJrühl, 2. Mai 1821. Val. Teichmann, Litt. Xachl. S. 253.
— 166 —
Schüler wollte einmal im Demetrius durch einen Zug
über die Bühne die Verwandlung' verdecken und in der Jungfr.
III, 6 lässt er ebenso wäiirend der Veränderung Soldaten über
den Hintergrund schnell wegziehen ; ^) einmal aber spielen
sogar die Personen weiter, während die Bühne so ge-
schickt und unauifällig verändert wird, dass man die Ver-
wandlung garnicht mehr als solche empfindet. Einige Zeit
nach der Weimarer Aufführung der Piccolomini schrieb Körner
an Schiller ') : „Nur fragt, sich's, ob es bei der Aufführung
nicht stören wird, dass im vierten Aufzuge [jetzt W. T. IJ
so viel Szenen im astrologischen Zimmer gehalten Averden".
Schiller hätte darauf antworten können, nui* der erste Auf-
tritt spiele im astrologischen Turme, die folgenden dagegen
im Audienzzimmer. Durch einen im Hintergrund vorgezogenen
Vorhang wird die Verwandlung bewerkstelligt; nach dem
Manuskript nimmt ausserdem Seni die schwarze Tafel mit
dem Pentagi'amm mit und beseitigt so die letzten Spuren der
vorhergehenden Dekoration.
Mit den partiellen Verwandlungen, die_für die Aufführung
eine ungeheure Erleichterung bedeuteten, ist in den ersten
Stücken Schillei-s ziemlich wenig gerecJinet. Der Fiesko gab
in dieser Hinsicht dem rheinischen Theaterdirektor Grossmann
zu verzweifelten Klagen Anlass '): „Wenn der liebe feurige
Mann nur mehr Rücksicht auf Theaterkonvenienz nehmen,
und besonders vom Maschinisten, bey dem gewöhnlichen Gang
unserer Dekorationen nicht schier unmögliche Dinge verlangen
wollte. Ein Schlosshof mit Mauei-n und Gittei'werk und
Na^ht und illuminierter Saal mit einer Spanischen Wand in
einem Nu, gehen fast nie ohne Unordnung und gewaltiges
Gei'äusch ab; wie sehr das dem Dialog und der Handlung
schadet, hab' ich bev der Voi'stcllunir des Fiesco yesehen".
M .lungfr. IT. fi schoint die Tjeiche des englischen Soldaten während
der Verwandlung auf der lUihne liegen zu bleiben: aber es ist wahrschein-
lich, dass sie ohne besondere Vorschrift abgetragen wurde; siehe unten S. 171.
') Körner an Schiller, 9. April 99.
•^) Grossmann an Schwan, 20. Aug. 1783. Urlichs S. 7.
— ir,7 —
Grossmaiin dioht schlie.sslich mit LMümickc, der auf alle Be-
dürfnisse des Theaters weit besser einzuijehen wisse, und
»Schillei- ]iat diesen Wink wohl verstanden: aus dem Sehloss-
hof mit Mauern ist in di'v Üühnenbearbeitung' ein Saal ge-
worden.
Noch mehr ist der letzte ^Vkt verändeit: die Vorderbühne
stellt ein finsteres Gewölbe dar, in dem sieh nur ein einziger
Stein befindet, der, wie Schiller ausdrücklich angiebt, „auch
nach der Verwandlung noch bleiben kann." Auch die Mau-
erwände, die die vorderen Kulissen dai'stellteii, waren im Not-
fall noch füi- die nächste Dekoration — freier Platz — zu
gebrauchen. Es hätte nun eiL-'entlicii dci" CJefängnisszcne die
Strassenszene mit dem Tode Gianettinos vorausgehen müssen,
wozu die grosse Jiühne nötig war. Dann hätte l)ertha in
ihrem (iefängnis erst auftreten müssen, untl da das nicht an-
ging, ist die Strassenszene noch zum vierten Aufzug hinzuge-
nommen, wo sich die schwierige Dekoration während der
Auftritte auf der kui'zen lUihne (Chinesischer Saal) wohl vor-
bereiten lässt. Plümicke hatte in seiner Fieskobearbeitung
den letzten Akt gleichfalls in zwei Szenen: „vor dem Palast
des Andreas" und „Platz V(ir dei- Signoria" geteilt; da aber
der beschi-äiikte Kaum der damaligen Berliner liühne einen
vollständiijen Szenenwechsel nicht zuliess. kehrte er mit seinen
Voisclilägen in der Litteratur- und Theaterzeitung ') zur ersten
Anordnung Schilleis zurück und Hess den ganzen Akt ohne
X'ei'wandlung vor dem Palast d<'s Andreas spielen.
Mit den Räubern hatte Plümicke fast schlimmer gehaust,
indem er der Pequemlichkeit halber zwei Szenen umstellte:
die Szene an der Donau erötfnet bei ihm <len dritten Akt,
damit die Gruppe hinter dem Vorhang vorbeicitet werden
und die ganze Bühne einnehmen kann. ') Bei Schiller geht
') Litt.- u. Theaterzeit. 17S4 I. S. ITS tf.
') Die Änderuiis- l'lümickes hatte natürlich ihren Sinn, denn solche
Gruppen auf der Hinterbühne waren in Me/Aig auf malerische wie akusti-
sche Wirkung beeinträchtigt; dies konnte mm z. B. auch bei der Mann-
heimer Aufführung der .Jungfrau von Orleans empfinden: Dalberg schrieb:
„Die Schlussscene wünscht man sich etwas vorgerückt, weil vieles von dei-
Sterbescene verloren geht". (Walter I, S. 474).
— 168 —
dag-egen die Gartenszene auf der kurzen Bühne voraus; in-
folgedessen konnten sich die Räuber nur auf der Hinterbüline
lagern. Eine Anekdote, die von irgend einer Räuberauiführung
in Reichards Gothaer Theater-Kalender') erzälilt wh'd. bestätigt
dies: „bei der 8zene, wo Amalia Franzen mit blosem Schwer-
de aus dem Garten jagt und wo man in Ermangelung einer
Gartendekoration ein Zimmer gemacht hatte, lief Franz durch
die Mittelthüre ab und machte einen dem Publikum sichtbaren
Burzelbaum über die zur A'erwandlung im Walde bei-eits ge-
lagerten Räuber!!!"
Brauchte keine neue Anfangsgruppe enthüllt zu werden,
so Hess sich die Verwandlung unter Umständen noch ein-
facher bewerkstelligen; bei der Hamburger Aufführung des
Götz z. B. wurde der unterirdische Gang zum heimlichen
Gericht durch Herablassung einer einzigen Säule in der Mitte
zu einem Gefängnis verwandelt. ^) Nur ist nicht recht zu er-
sehen, wie dieser sechsundzwanzigste Auftritt des fünften
Aufzuges dann das erfüllen konnte, was in Schröders Inlialts-
verzeichnis angegeben wird, nämlich: „Der Schauplatz ist das
Gefängnis, worin der gefangene Götz schwermüthig bei seiner
Elisabeth sitzt". Die Praxis des siebzehnten .Jahrhundei-ts
und der Staatsaktionen, in denen die äusserst häutigen Ge-
fängnisszenen immer auf die Hinterbühne bei-echnet sind
und dui'ch Aufziehen der Mittelgardine enthüllt werden,
war offenbar keine technische Selbstverständliclikeit mehr:
hier musste Götz mit Elisabeth erst in sein eigenes Gefäng-
nis eintreten, eine Unwahrscheinlichkeit, der Schiller im Fiesko
aus dem Wege ging; in Turandot IV, 7 musste er sie allei--
dings hingehen lassen. In der von Kilian 1889 herausgege-
benen Mannhehner (»ötzbearboitung. die Rennschüb (Jjüchncr)
zugeschrieben wird, ist G()tz zu P>eginii dej- Gefängnisszenc;
im Verhör und wird erst spätei' vom Wächtoi- hoi-eingoführt.
Auch der stei'bende Weisliiigon wii-d hereingebi'acht und ehe
er stirbt, wieder weggeführt. Goethe selbst lässt in seine)-
») Theat.-Kal. 1800, S. f)7.
^) Winter, Theaterge.se h. Forsdi. II, S. 49, 30.
— 169 —
BühnenhearbeitunL' von Jsoi r.ötz nur im Gefäns-nisgarten
auftreten; wie er es mit W'eislingeii.s Tod einrichtete, ist
nicht zu ersehen; einen Ausweg fand hier Schreyvogel
(West) in seiner Wiener Bearbeitung: ,,Ein herabrollender
Bogen bedeckt die Gruppe; zugleich öffnet sicli der Hinter-
grund"'.')
Es ist dadurch cniKiglicht. mit einer (ii'uppe zu schliessen
und trotzdem ilie lUihne zu vergrössern. .Sonst blieb bei
partiellen X'erwandluiigen meist nur die Wahl zwischen .Schluss-
gruppe durch N'erkürzung der Bühne, indem ein neuer Hin-
tergrund sich vor der Gruppe senkte, — odei- Erweiterung
der Bühne durch Aufziehen des Hintergrundes, wobei für die
Eröffnung des iiäclisten Auftrittes eine Gruppe zugelassen \v;u:
.SchiUci' hat diesen zweiten Weir voi'gezoüen :
Käub. 1.2. 11. •_' (Tisp. 11.8; aber nicht im Mamiiieimer
Bühnenmanuskript, wo <ler alte Moor, auf Amalien
gestützt, auftritt). IIT. 2. LV, ö. V. 2.
Fiesko 1.5 und 1. lu (was wegen der zwei aufeiiumdei-fol-
genden Szenen unmöglich wai'. ilalier die Änderung
in dei- liühnenbeai-beitung). 111.2 und IH. S (folgen
wieder aufeinander: deshalb in der Bühnenbearbeitung
abgeändei't). ferner Büliiienl». W 1.
Don Carlos f. ;{. II. i (die lloHeute beseitigt in d. Bühnen-
bearb.), 11.7. II I. G. IV. 7. TV. 22 (beseitigt in d.
Bühnenbearb.).
Wall. Tod n, 4. IV, 9. V. :3.
Macbeth 111,8. TV. 2. V, 2. V. 8.
Jungfrau II. (). IV. 4. V.«). V. 14 (hiei- müssen wir also
eine I)i-eiteilung in kurze, Mittel- und ganze Bühne
aiuiehmen).
Teil 1.8. Hl. ;3. IV. 2. V. 3.
In allen diesen Fällen kann die Anfangsgruppe luu'
durch Aufziehen des II inter;^ rundes enthüllt werden; aus-
drücklich verlangt ist die Eröffiunig des Pi'ospekts Fiesko
I, 4 und Jungfr. II, 6.
') Kilian, Theatergesch. Forsch, II, S. 83.
— 170
Viel seltener ist die Verkiirzuntr der Bühne notwendi«: :
Carlos IV, 3—4. V, 7—8 (beseitigt in d. Bühnenb.).
Maria «tuart V, 10—11.
Macbeth IV, -t— 5.*)
Teil I, 3— i, III, 1—2.
Dazu kommt noch Wall. Tod III, 12 — 13, wo es sich
um einen ursprünglichen Aktschluss handelt.
Während nur diese wenigen Auftritte mit öchlussgruppen
endigen, die durch den Hintergrund der kurzen Bühne ver-
deckt werden, beobachten wir viel häufiger die ]Mühe,
die Schiller sich gab, um die Personen am fSzenen-
schluss von der Bühne zu schaffen: im Mannheimer Bühnen-
manuskript der Räuber heisst es II, 6 — 7: (Bediente kommen
und tragen den alten Moor ab);'"') in der Bühnenbearbeitung
des Fiesko IV, 13 — 14 wird die ohnmächtige Leonore von
') Hier mussten die Hexen hinter dem fallenden Vorhang verschwinden,
was durch einen Brief Goethes bezeugt wird. (An Schüler 16. April 18U4.
W. A. IV, Bd. 17, S. 125.)
') Plümicke hat, um die Entfernung des alten Moor zu motivieren,
einen Auftritt angehängt:
Amalia Vater meines Karls! (sie springt auf und zieht die
Glocke.)
(Daniel kömmt. Bald darauf mehr Bediente.)
Daniel. Was giebts? — Gott und alle Heiligen!
Amalia. Hülfe! Hülfe für Euern Herrn!
Daniel, (zu den Bedienten) Hier! Tragt ihn auf dem Stuhl in sein
Schlafzimmer. Ich eile den Arzt zu rufen, (ab)
Amalia. (hält den Leichnam vest umarmt) Zu spät! (betrachtet ihn)
Tod! Tod! — Alles tod! (worauf sie sich ihm ent-
reisst und abgeht.)
(Bediente. Tragen den Grafen durch die Mittelthür.)
Noch plumf)er wird in der anonymen Prosabearbeitung des Don Carlos
in der Deutschen Schaubühne Bd. IS Posas Kntfernung (V, 6) bewerk-
stelligt:
Kariös (will gehen) Ich komme! doch halt! helfen Sie mir erst den
Todten bey Seite schaffen (.schliesst den Leichnam noch einmal in die
Arme, dann zieht er ihm einen Ring vom Finger, und trägt ihn mit
Merkado ab).
— 171 —
ihren Kammerfrauen weirireführt ; im Pro.sa-Don Carlos Y. 7
Posas, in der .Ian.i:tVau IIT. 7 Talbots Leichnam abiLretrao-cn ;
der .sterl)ende Mortimer fällt dei' Wache in die Arme, um so-
gleich mitirenommcii zu wei'den; das Auftreten Lahires (Jun^fr.
V, 14) ist nur dazu da. um Isabeau zu entfernen; endlich
steht im Maniiheimci- Hauiithuch hei Teil IV, 2 — 3: .,4 Knechte,
den Stuhl mit dem Todteu abzutra^ren"': diese Angabe brauchte
Schiller im Stück gar nicht zu machen, denn es war eigent-
lich die Regel, Tote sofort zu entfernen»); wir erkennen das
in Törrings Kaspar der Thorrim;cr, wo einmal ausdi-ücklich
verlangt wird: ..Der Leichnam bleibt."'
Auch wo es garnicht zur Räumung der Bühne notwendig
wäre, werden die Leichen sogleich entfernt, z. I!. Raub. IV. 5,
Fiesko IV. 4—5"); sogar am Aktschluss (Teil IV) hätte
Schiller es gern angeordnet, wenn er der rxeschicklichkeit der
Statisten hätte trauen dürfen.
Bei der totalen Yei-wandlung nun \vai- weder Anfangs-
noch Schlusssituation gestattet; ausserdem verlangte die Ver-
änderung sämtlicher Seitenkulissen mehi' Zeit und Arbeit.
Man bemühte sich indessen um möglichste Beschleunigung,
und für die Operubühne soll Ferdinand Pjibbiena einen
neuen Mechanismus zum schnelleren Dekorationswechsel er-
funden haben. Vielleicht ist es dasselbe System, das in den
70cr .Jahren auch in den deutschen Schauspielhäusern einge-
führt wurde: die Kulissen waren verschiebbar, während sie
M Es geschah das teils »Icni narstellcr zu Liebe, teils aus ästhetisx.hen
Gründen. Das zweite betont Einsiedel in seinen Grundlagen zu einer
Theorie der Schauspielkunst. S. 22: > Auffallende körperliche Verzerrungen,
lange Gegenwart eines Leichnams werden auf der Bühne entweder lächer-
lich oder schmerzhaft: denn entweder die Illusion wird vollendet — und
dann tritt die Wirklichkeit mit ihren Schmerzen ein — oder sie wird
vertilgt — untl dann quälet uns der Streit komischer Anwandlungen und
ernsthafter Wünsche."
') Das Wegschaffen von Gianettinos Leichnam muss in der Urfassung
noch gefehlt haben, denn Ifflands l'rotokoll tadelt die widrige Leichen-
plünderung durch ein sanftes Frauenzimmer (Martersteig S- 89.)
— 172 —
vorhei' dnreh eine unter dei" liühne angebrachte Walze auf-
gezogen wurden.')
Das ^lannheimer Theater, das jedenfalls über die ver-
vollkommnete Maschinerie dei- Oper verfügte, hat, Avie aus
den Dekorationsplänen im Hauptbuch hervorgeht, bei Zimmer-
dekorationen selten von der partiellen Verwandlung Gebrauch
gemacht, sondern meist die ganze Dekoration verändei't. In-
folgedessen rechnet ein für die jNIannheimer Bühne bestimmtes
Stück wie Kabale und Liebe nicht mit dem Wechsel
zwischen Vorder- und Hinterbühne; alle yzenen sind auf die
ganze lUihne zugeschnitten und bei den zweiten Szenen jedes
Aufzuges müssen die Personen erst auftreten, so 1, 5; II, -1;
IV, 6; nur in III, 4 ist es nicht ausdrücklich bemerkt. Auch
im Don Carlos gestattet sich Schiller die partielle Ver-
wandlung nicht so oft, als er Gelegenheit gehabt hätte. Dass
sich dadurch ein chronologischer Anstoss ergab, ist oben-)
gezeigt; hätte Schiller es gemacht, wie Otway, der in seinem
,,Don Carlos" V, 4 das Aufi;ehcn des hinteren Vorhangs vor-
schreibt, so hätte er mitten in die Abschiedsszene zwischen
Carlos und der Königin hineinfühi'en köinien. Erst bei den
späteren Stücken macht er sich wieder alle Vorteile der
partiellen Vei'wandlung zu nutze.
Es kann nun gar keine Fi-age sehi, dass die Bedingungen,
die der offene Szenenwechsel stellte, auf den Aufbau jedes
Bühnenstückes von voi'iiherein einen üesetzmässiiren EinÜnss
') Hagen, Gesch. d. Theat i. Prcussen. S. 130.
Prölss, Kur/s^efasste Gesch. d. d. Schauspielkunst S. 97.
Wolter, Fr. W. Grossmaun, Diss., Bonn 1901, S. 54.
Caroline Schulze- Kummerfeld höht in ihren Erinnerungen (Riehls
Histor. Taschenb. 1873, S. 40l) die verschiebbare Kulisseneinrichtung de.s
neuen Leipziger Theaters (1707) als modern hervor. Dagegen heisst, es
im Gothaer Theaterkalcnder 1777 S. 49 von dem alten Berliner Komödien-
haus auf dem Gensdarmenmarkt: .,Die Bewegung der Kulissen wird, wie
gewöhnlich bey kleinen Theatern, durch eine in der Mitte angebrachte
Walze betrieben."
') Kap. I, S. 124.
— 173 —
ausüben musstoii. Ks kömmt iiiii- darauf au. oiiuual die Probe
zu machen, und ieli wähle dazu das vei-u aiidhnui-sreiehste
Stück Schillers, den Teil.
Iffland richtete bald nach der Mitti-ihui«^- des Planes die
Anfrag-e an den Dichtei': „Wo kaiiu kurzes, mittleres und
o-anz lan.ires Theatei- sein?"') Als Schiller im Dezembei' 1803
die Dekorationsauiiaben schickte.') hat er auf diese spezielle
Frag-e keine Auskunft uegeben. nur für die Hauptszene
schrieb er vor: ..I)ei' Kaum muss sein- ütoss seyn. weil Teil
hier den Apfel schiesst."
Indirekt ist jedoch die Antuort auf Itflands Aufrage sehr
wohl im Üekorationsplan enthalten: für alle Szenen, wo das Volk
oder die Natur (der stürmische See) mitspielt, musste von vorn-
herein die gairze lUihue iu Aussieht geuouuueu sein; danach
können wir in den is Szeueu, die diese Ucilai^c au Iftiand vorsieht,
bei'eits den beinahe i-egelmässigeu WCchscl zwischen kuizer
und langer JUihne deutlich erkennen; nur in I. 2 und I. 3
treten einmal zwei Szenen auf der kurzen IJühne nebenein- «
ander. In der endgültig^en Ausführun.ir ist dies abgestellt, in- ■
dem die Attinghausenszene zum zweiten Aufzug- hinüberg-e-
nouuneu wurde. Umgekehrt ist es beim vierten Akt. wo die
Ausführung- den überlegten Plan störte.
Der Dekorationsplan füi- Iffland enthiilt füi' diesen Auf-
zug- folgende Angaben:
1
') 28. Juli I8(to. \'al. TciLliinaniis Litt. Xachlass. lirsj.'. v. Dingel-
stedt, S. 222.
tJbrigens tiiulet sich in uiaiiehen Dramen iler Zeit hei den Dekoration.s-
üljeischriften die Grösse der Bülme vorgeschrieben z. B. :
Iflland. Verbrechen aus Ehrsucht I, 1: Kin l)ürgerliches
Zimmer nur zwey Flügel tief.
Schröder, Das Porträt der Mutter III: Ein kurzes Zimmer mit
zwei Seitenthüren.
Kotzebue, .Johanna v. Montfaucon IV. 1: Guntrams Haus-
flur — kurzes Theater.
Goethe, Götz v. Berlichingen (ßühnenb. v. 1804) IV, 1: (Kurzes
Zimmer),
"j An Iflland 5. Dez. isu3, Jonas VII, S. Dt» fl'.
— 174 —
1) Der g-othische Rittersaal [IV, 2; kurze Bühne].
2) Seeufer, Fels und Wald, der See im Sturm [IV, 1 ;
lange Bühne].
.3) Wildes Gebirg, Eisfelder. Gletscher , . . . [III, 2;
kurze Bühne].
4) Die hohle Gasse [IV, 3; lange Bühne].
5) Die Veste Rossberg bei Nacht auf einer Strickleiter
erstiegen [kurze Bühne].
Nun ist No. 3 bereits im dritten Akt vorausgenommen');
statt dessen hält jetzt die Sterbeszene Attinghausens (früher
No. 1) die beiden auf der grossen Bühne spielenden Szenen
auseinander. Während sie am Aktanfang mit einei- Gruppe
— der sterbende Attinghausen — hätte eröffnet werden können,
war dies nun unmöglich; es musste also Abhülfe geschaffen
werden und Schillei- that dies, indem er zunächst in einem
Brief an Iffland,") dann aber wahrscheinlich in allen Bühnen-
manuskripten (wenigstens wird es im Aschattenburger Manu-
skript und im Mannlieimer Hauptbuch'') bestätigt) einen kleinen
Zwischenaufti-itt einschieben Hess, worin Hedwig den ihr von
Raumgarten vei'wehi'ten Eintritt zu Attinghausens Lager und
zu ihrem Kinde erzwingt.
Es war dies ein bewährtes Mittel ; auch Goethe hatte
einmal,*) als es sich um die Aufführung des Julius Cäsar in
') Ich nehme an, dass es sich um den Auftritt zwischen Rudenz und
Bertha handelt. Höchstens wäre möglich, dass diese Szene schon als
zweiter Auftritt des zweiten Aktes in einem Zimmer spielen und die
wilde Gebirgsszenerie im 4. Aufzug einem andern Mutiv (etwa der \'er-
abredung zum Sturm auf Rossberg) dienen sollte.
•) An Itfland 14. Ai)ril 1H(I4, .Tonas VII, S. 189 f. Goed. XIV, S. 377 f.
■') Der Mannheimer Dekorationsplan (Walter II, 228 If.) scheint mir
einmal von den Absichten Schillers abzuweichen. III, 1 (Teils Hof) war
eine Dekoiation von drei Flügeln; die darauffolgende Waldgegend hatte
vier Flügel. Hedwig niu.s.ste sich also am Schluss der ersten Szene von
der Bühne entfei'nen. während sie nach Schillcjr den Abgehenden lange
mit den Augen folgt. Kr hatte sich den folgenden Auftritt otfenbar als
kurze Szene gedacht und lässt ihn deshalb mit leerer Bühne beginnen und
endigen.
*) Goethe an A. W. Schlegel 27. Okt. 18U3. W. A. IV, Bd. 10, S. 336.
- 17/^ —
üerliii handelte, einen snlclieii kurzen Zwiselienaufti'itt im
dritten Akt vorireschlayen. damit die l')änke de.s Senats und
die Leiche Cäsars nicht vor den Auycn des Publikums abg-e-
trag-en zu werden brauchten.
Dei- kleine Zwischenauftritt im Teil spielte in Mannheim
auf eine»' i^anz kurzen lüilme von einem Flü.<.''el mit einem
8ammetvorhan,y im Pi-ospekt. Dahinter konnte nun die (iruppe
vorbereitet werden; die khii-e Rechnuno- ist wieder hergestellt
und damit frezei.Lrt, wie umsieht ig der erfahrene I>ühnendichter
alle Hedin'aniiren des Hzenenweehsels voi'ausberechnete.
5. Dekoration.
,,Ein guter Schauspieler macht uns bald eine elende, un-
schickliche Dekoration vergessen, dahingegen das schönste
Theater den Mangel an guten ydiauspielern erst recht fühlbar
macht"'. Dieser Satz Goethes'), der in seinem zweiten Teil
schon oft gegen den Dekorationsluxus des neunzehnten Jahr-
hund(M'ts als Vorwurf gehandhal)t wuiule. muss nüt seiner
ersten Hälfte für die Theatei-einiiehtungen des achtzehnten
zui- entschuldigenden Erklärung dienen.
Die Verwandlungen auf offener liühnc erforderten eine
leere ]*)ühne. leer nicht nur von Personen, sondern möglichst
auch von allen körperlichen Gegenständen. Es wurde also
bei einei- Zimmereinrichtung nur gerade so viel auf die P>ühne
gestellt, als unbedingt notwendig war; die ganze unmalerische
Kahlheit des Pühnenraumes, wie sie noch bis ins neunzehnte
Jahi'hundert hinein herrsclite, lässt sich dem alten Holzschnitt-
prinzip odei-, wie lUdthaupt es thut, -■) der schematisierenden
Zeichnung eines \N'ilhelm lUisch vergleichen: erblickte man
einen echten Schrank, einen Stuhl, einen Tisch auf der liühne.
■) \V. Meisters T.ehrjahre. 2. Buch 4. Cap. W. A. I, Bd. -21 S. 158.
■-') l)iaiiiatiir<,ne des Schauspiels III, S. 364:.
— 170 —
so konnte man sicher sein, dass diese Geg-enstände zu
der Handlung in irgend einer engen Beziehung- stehen
würden.
Beaumarchais gilt in Frankreich als der Erste, dei- auf
Arrangement ausging' und durch Aufstellung überflüssiger Ge-
genstände bereits ein gewisses Milieu zum Ausdruck brachte.
Auch in Deutschland sind dem bürgerlichen Drama hierin die
ersten Fortschritte zu danken; immerhin scheint man doch
nur wenig übei' das Notwendige hinausgegangen zu sein und
mit diesen Versuchen nicht einmal allgemeinen Beifall ge-
funden zu haben. Friedr. Lud^w Schröder tadelte z. B. an
einei- Mannheimer Auiführung von Kotzebues Kind der Liebe:
..Ohne Not befand sich ein Sofa auf dem Theater, das mit
vielen Umständen hin und hergeschalft wurde'". 9 Und doch
tat man in Mannheim in dieser Richtung noch recht wenig;
auf einen individuellen Charakter jeder einzelnen Dekoration
kam es gar nicht an; Avenn zwei Innenräume wechselten,
konnten die Möbel bleiben, Avie das für den zweiten Akt des
Don Carlos im Hauptbuch zweimal ausdrücklich vermerkt ist.^)
Oder auch das Umgekehrte kam vor : im Millerschen Zimmer
stand im ersten Aufzug ein Notenpult mit Molincell, im letz-
ten Aufzug statt dessen ein Klavier — also nur gerade das,
was jedesmal gebraucht wurde. Im zweiten Akt der Picco-
lomini waren nicht elf Stühle, wie Seui zählt, auf der Bühne,
sondern nur zehn, weil Terzky hinter Wallensteins Stuhl zu
stehen hat. An anderen Theatern war man darin noch mein-
zurück; als Iffland 1796 in Weimar gastieite, konnte es noch
vor^onnnen, dass er als Dalnei' in Dienstpflicht überhaupt
keinen Stuhl vorfand, auf den er hätte in Ohnmacht sinken
') Meyer, Fr. h. Schröder II, 1, S. 73.
*) Durch lieltenswünlig-e Vermittlung des Herrn Dr. Walter in Mann-
heim durfte ich mir auf der Durchreise einen kurzen Einblick in das
Haupthuch verschaffen; einig-e Kleinigkeiten konnte ich daraus entnehmen;
im allgemeinen gewann ich al)er den Kindruck, dass alles für die Bühnen-
geschichtc der Schilierischen Stücke Wesentliche bereits in den von Wal-
ter verüHentlichten Teilen enthalten ist.
— 177 --,
können. Er sank in die Knioo und cn-anfr mit diesci" Nuance
solchen Beifall, dass er sie künftig beibehielt.^)
Nun hätte freilich eine vollständige Zimmereinrichtung-
mit echten Möbeln und allem Zubehör nicht etwa intim-
realistisch, sondern nui" illusionsstörond wii-ken müssen, so lange
sie sich nicht an Wände eines Zinmiers anlehnen konnte.
Ein geschlossener Raum fehlte; die Seitenwände waren in
Kulissen zerschnitten. Wurde eine Seitenthür oder ein Fenster
gebraucht, so schob man sie als Rechteck zwischen die Ver-
kürzung i\vv Kulissen ein;^) was an Uhren, .Spiegeln, P)ildern
notwendig war, wurde an den Kulissen aufgehängt und be-
dingte mit seinen Horizontalen noch stäi'kei'e Brechungen
der Perspektive.
Einheitlich konnten nui' die Dekoiationen wii'ken. die
eigens füi- ein Stück angefertigt wai'cn und die ganze Aus-
schmückung auf die gemalten Leinwandtiächen projicieren
konnten. Ausdrücklich gerühmt wird eine Dekoration, die
der bei'ühmte Zinnnermann, ein Schüler der italienischen
Dekorationsmalo)'. in Hamburg für den Götz ausgcfüln-t hatte :^)
„Statt des Nachttisches sieht man untei- einem Spiegel einen Tisch
mit einem sinii»eln Tepjjich behangen, den die Hand, vom
Auge beti'oi^en. inunei' aufheben will; zur Rechten einen alt-
vaterischen Schrank, mit Passgläsern geschmückt; zui' jjinken
einen Camin ; statt der Tapeten an der blossen dicken Mauer
i'ings herum die Konterfeyen der Ritter aus der Jierlichingen-
schen Familie aufgehängt, die sich, wenn sie aus den Gräbei-n
aufstehen könnten, so zu sagen selbst darinn erkennen würden.'"
Freilich waren diese Ahnenbilder untrennbar von den Kulissen
und mussten in jedem Ritterstück wiederkehren.
I)ies(> gut ausgeführte Dekoration ist sicherlich nicht
typisch für die Vei-hältnisse um das Jahr 1774; kein anderes
1) Böttiger, Entwickl. d. Iffl. Spiels, Leipzig IT'K!, S. t)l.
Funck, Ei'iim. a. m. Leben II, S. 35.
Ül)er den vollständigen Mangel von Stühlen auf dem Theater hatte
bereits Mylius geklagt. (Beytr. z. Grit. Hist. VIII, 30. Stück S. 30H|.
2) Walter II, S. 237.
•') Winter, Theatergesch. Forsch. II, S. 49.
i'alaesUa XXXII. 12
— 178 —
»Schauspielhaus verfüg-te damals ühei- die Mittel, die Schröder
aufwandte; den Luxus, für neue Stücke eigene Dekorationen
anzuschaffen, kannte nur die Oper. So sehr nun Scln-ödcr
die Gefahr, die von dem Dekorationsprunk aus di'ohte, er-
kannte,') für so geraten hielt er es doch, mit dem Geschmack
des Publikums Kompromisse zu schliessen.
Böttii^er") behauptet, Schi-öder habe in den 90er Jahren
die ganze Bühne 120 Mal verändern können. Es ist das ein
ungeheurer Reichtum gegenüber dem fundus, über den man
Jahrzehnte vorher geboten hatte. In Ifflands Almanach^)
wird das Inventar, das zur Mitte des Jahrhunderts vorhanden
zu sein pflegte, aufgezählt: „Ein Prachtsaal, eine Strasse, ein
Dorf, etliche bürgerliche Zimmer, ein Kerker, etliche Hügel
und Gebüsche." 1775 wird hier als das Jahr des Umschwungs
genannt, während Dalberg*) in seiner Denkschrift erst 1783
und 1784 als die Zeit bezeichnet, wo mit den Ritterschau-
spielen der Operngeschmack aufkam und ein verändei'tcs
Theaterdirektionssystem nach sich zog.
Für den Zustand, der sich nun entwickelte, ist das Mann-
heimer Theater interessant. Es erhielt seit 1785, wie die
anderen Bühnen, seinen italienischen Dekorationsmaler, ein
Mitglied der Familie Quaglio, der alle neuen Aufträge zui-
allgemeinen Bewunderung erfüllte ; es handelte sich dabei vor
allem um Opern und um die von Dalberg selbst bearbeiteten
Stücke z. B. Julius Cäsar und Der Einsiedler von Carmel.^)
Welche Stillosigkeit sich aber daraus zunächst entwickelte,
zeigt das Gutachten zur Hebung der Mannheimer Bühne, das
') Fr. L. Schmidt, Denkwürd. (hi-sg. v. Uhde) 11, 135.
Riehls Histor. Taschenb. 1875, N. F. V, S. 290 f: „Die Oper, die
Pest des guten Geschmacks."
«) Minerva, Taschenbuch für 1818, S. 29U.
') Almanach 1811, S. 41 tf.
*) Koffka, S. 255 ff.
Pichler, S. 116 f.
'') Iffland, Theatral. Laufbahn I). L. D. 24, S. 58 f., 75.
Koffka, S. 172.
l'ichler, S. 85, «9, 93.
— 179 —
Iffland von r>erlin aus lieferte; es helsst doi't: „Säle. Pi'aeht-
Ziniiner und fremde Kostüme sind gut besorgt ; allein die
täglichen Zimmei'. der einzig vorhandene AVald mit seinen
schlechten Setzstücken ist von dem Publikum 2G Jahre lang
gesehen worden. Diese Dekorationen ti-agen nicht mehr die
Spul" dei- Farbe, und stai'ren vom TJnrath des Gebi-auchs."
Man möchte demnach fast annehmen, dass diese einzige W'ald-
dekoration daran schuld war. dass die Mannheimer Bühne im
ersten Akt des Don Carlos keinen Dekorationswechsel vornahm.')
.Jedenfalls mussten Stücke, für die keine Kosten zu neuen
Dekorationen aufgewendet \\üi'den und keine Operndekoi'ationen
zu brauchen waren, unter diesem Zustand leiden. Für die
Jväuber wurden, wie Schiller selbst berichtet.^) zwei hon-liche
Dekorationen eigens angefertigt, die vor den übiigen
jedenfalls bedeutend hervorstachen. Wenn wii- uns nun
vergegcnwäi'tigen, wie die Ahnengalerie des Mooi'schen
Schlosses, die nicht zu den neuen Anschaffungen gehörte, dar-
gestellt wurde, so erkennen wir den Abstand von Zimmer-
mainis llanibuivcr Dekoration: Ks wurde die typische Galeiüe
genommen, ein Tisch mit einem Noiniengewande und ein
einziger Sessel aufgestellt, und an der zweiten und di'itten
Kulisse rechts und links heftete man des alten Moor, Karls,
Franzens und der Mutter l>ildnisse an.^)
Das Wandbild Karls im Schlafzinnner des alten Mooi-,
voi" d(?m dieser nach der 15ühncnbearbeitung einen Vorhang
aufziehen sollte, ist im Mannheimer Manuskri])t duich ein
Medailloid)ild. das er aus der Tasche holt, ersetzt. Unter
diesen Umständen that Schiller gut, auch in den Jiühnenbe-
ai'beitunyen des Don Carlos das Gemälde, in dessen Anblick
^) Duncker, Iffland in seinen Schriften S. 86. In den Protokollen
von 1780 (Mart ersteig- S. 332) ist auch einmal von einer l'arkdekoration
ilie Rede: „So oft die Decoration: Park .... erscheint, ist es nicht anders,
als hänge unsere Bühne ihr Schild aus, warauf geschrieben steht: Ver-
wirrung- und Langeweile."
-) Goed. II, 374. Welches die neuen Dekorationen waren, ist aus dem
Hauptltui'h nicht zu ersehen. Vielleicht die von III, "2 und VI.
•') Walter II, S. 22(J.
12*
— 180 —
Posa vor der Audienz bei Philipp versinkt, weg"zulassen; es
heisst bloss:
Er macht einige Gänge durch's Zimmer.
Dass alle Ausstattung'sg'eg'enstände nur Berechtigung
hatten, soweit sie in der Handlung eine Rolle spielten, musste
auf die Bühnenanweisungen von Einfluss sein. AVas davon
direkt eingeführt werden sollte, dazu wurde bereits eine Person
in Beziehung gesetzt, wie wir es im Anfang von Kabale und
Liebe sehen:
Miller steht eben vom Sessel auf, und stellt sein Violonzell auf
die Seite. An einem Tisch sitzt Frau Millerin —
Eine genaue Beschreibung der Räumlichkeit zu geben,
wenn er sie auch bis auf die Wanduhr genau vor sich sah,
konnte der Dichter nicht den Mut haben und er hielt es auch
nicht für seine Aufgabe. Bis weit in die zweite Hälfte des
18. Jahrhunderts gingen daher die Szenonüberschriften kaum
über die allgemeinsten Bezeichnungen: Zimmer, Saal, ^^'ald
u. s. w. hinaus. Gottsched hatte daraus sogar eine Regel
gemacht: „Dieses geht den Poeten nicht weiter an, als in so
weit er sagt, wo der Schauplatz des Stückes gewesen, darnach
sich der Theatern-Meister nachmals richten muss."*) Und Lenz
noch preist es als einen Vorteil des dramatischen Dichtei's
vor dem epischen, dass er sich um den äusseren Flitter nicht
zu kümmern brauche: „das thut der Dekorationenmahler für
ihn."0
Eine weitere Konsequenz ist nun, dass der Dichter über-
haupt nicht gezwungen Avar, seine Vorstellung vom Schau-
platz zu plastischer Anschauung herauszubilden. Ein so ein-
heitliches Bild, wie das Zimmer im Millerschen Hause kommt
daher selten zu Stande. In der Aufzählung aller möglichen
Gegenstände im Dialog galt keine Beschränkung, da der
Dichter allzu leicht vergass, wie jede Erwähnung eine indii'ekte
Bühnenvorschrift enthielt. Was der junge Schiller in den
ersten Stücken gerade braucht, das führt er im Vei-lauf der
») Grit. Dichtk. (1730), S. 583,
») Anm. ü. Theater, S. 34.
— 1 si —
Szene ein, oliiie zu [»i-ütVii. wii' es in das Gesamtbild passt.
Das Klavier, auf dem .Vmalia spielt, steht im Schlafzimmer
des alten Moor; Fieskos Schatulle mit den geheimsten Papieren
belindct sich öffentlich im liallsaal; Avenn Pistolen notwendig-
sind, so hängen sie gleich geladen an der Wand, ob es nun
in der Galerie des Moorsehen Schlosses oder im Saal des
Pi'äsidenten ist.
Von der Landschaft gilt ähnliches; die Szenerie an der
Donau ist überladen und wii" vermög'en nicht zu erkennen,
ob Schiller sie überhaupt als abgeschlossenes lUId im liühnen-
rahmen schaute und wieviel sein Gesichtsfeld umfasste. Der
Fiuss war in Mannheim im I lintergiund zu sehen und darüber
der Schein dei" untei'gehenden Sonne; dagegen wurden die
den Hügel heiabweidenden Pferde, die mit Früchten beladenen
lläume. die Weinbei'ge, die gniinen schwärmerischen Thäler
und dei- Jlügel mit dem (iali^eu den Augen des Publikums
entzogen.
Deutlicher noch bemerken wir bei dei' folgenden Szene,
die ja in der liühnenbearbeitung- wegfiel, wie wenig es dem
Dichter, der in und mit seinem Helden lebte, dai-an lag-, mit
den Augen des Publikums zu sehen. Die Szenenüberschrift
.. LändHche Gegend um das Moorische Schloss" bietet noch
nichts Plastisches; der \'ei'lauf der Szene führt sodann den
Hlick zunächst über die von der Vaterlandssonne beschienenen
Fluren, Hügel und Wälder, und nur aus der Ferne schauen
wir nach dem Schloss hinüber, nach den Schwalbennestern
im Hof, dem Gartenthürchen und der Ecke am Zaun, bis
wir aus den letzten Anweisungen: „ci- geht schnell auf das
Schloss zu" und „er steht an der Pforte" mit Überraschung-
ei'kenncn, dass das Schloss selbst dicht vor uns liegt. Das
ganze ist das Muster eines mit Erzählungskunst entwickelten
Panoramas, dem der Rahmen des Bühnenbildes vollkommen
fehU und das auch die Phantasie des Lesers nur als Wandel-
dekoration ei'fassen kami.
Auch im Fiesko zeigen uns Ivleinigkeiten, wie der junge
Schiller noch immer durch die Wände des JJühueuraumes
— 1>^2 —
hindurchblickte; es heisst z. 15. II, 4 im Erzählerstil: .,Mohr
eilt hinunter", während die IMhnenbearbeitung- (II, 1) mehr
Rücksicht auf die thatsächliche Ausführung- nimmt und ..eilt
ab" einsetzt.
Der untheatralischen Phantasie mussten erst Fesseln an-
g-eleg-t werden; entweder brachte die praktische Bühnener-
fahrung ihre Korrekturen an oder der Dichter ging bei der
Malerei in die Schule.
In seinen Regeln für Schauspieler hat Goethe den Satz
ausgesprochen :M ..Das Theater ist als ein flgurloses Tableau
anzusehen, worin der Schauspieler die Staffage macht." Bei
mehreren Gelegenheiten^) — so im Szenar der „Pandoi-a" —
nennt er auch den Namen des Künstlers, der dem Tableau
seinen Stil geben sollte: „Die Verehrung Poussins A\ii(l allge-
meiner und gerade diesei- Künstler ist es, welcher dem Deco-
rateur im landschaftlichen und architektonischen Fache die
herrlichsten Motive darbietet."
Wie sehr dieser Maler den Geschmack des achtzehnten
Jahrhunderts beherrschte, dafür mag G essner angeführt sein,
der bei seinen Spaziergängen in der Natur selbst Situationen
in Poussins Geschmack fand.^) Überhaupt wird diese Gabe,
die Natur bei'cits stilisiert zu sehen und wie ein Wei'k der
bildenden Kunst aufzufassen, — auch Goethe besass sie in
hohem Grade — von Diderot in seinem essai sur la peintui-e
als Zeichen der künstlerisch hochgebildeten Zeit betont.
Andererseits ist zu beachten, wie gei'ade die Landschaften
der Poussin, Claude Lorrain, Swanefeld u. s. w, sich in ihrer
Komposition dem P)ühncnbild näherten: ein kulissenailiger
') W. A, I, 15(1. 40, S. l»)(j. Ähnlk'h hatte er schon am 14. Au<,'-iKst
1797 aus Frankfurt an Schiller geschrieben: „Die Dekorationen sollen
überhaupt, besonders die Hintergründe Tableaus machen." W. A. IV,
Bd. 12, S. 232.
-') W. A. I, Bd. 40, S. 109, 117. Bd. 5Ü, S. 207.
^) Brief über die Landschaftsmalerei S. 2(!r>,
— 183 —
Voriiruiid an den JScitcn. der eine weite Fernsicht in der Mitte
frei lässt.
Schillei' Avar voll Anerkeinuinir für Diderots Schrift, die
Goethe mit kritischen Anmerkungen versali; erfand darin Finger-
zeiüc für den Dichter wie für den Maler.') Übei"haupt trat er,
während ihn in Dresden noch die vielen Kunstyespi-äciie g^e-
lani^weilt liabcn sollen, wähi'end seinei' ästhetischen Studien der
l)ildenden Kunst innncr näher. Und so kann es der Einzel-
foi-schunir vielleicht g-elingen, für Dekorationen oder Gruppen-
stcUunL'en in den späteren Stücken dieses oder jenes Vorbild
auf dem Nachbari,'ebiet zu entdecken, ohne dass freilich irgend
ein Schillerschcs Stück ein so dankbarer (Jeg-enstand sein
kaiui. wie etwa Goethes Faust.'')
Die Parkszene in der ^laiia Stuart mit ihrem weiten
lUick über den See hin. auf dem ein Fischer den Nachen
anlegt, Hesse wohl an ein Vorbild der Landschaftsmalerei
deidven; gerade an (iemälden liebte Schiller den weithin g^e-
ölfneten Hintergrund, wie seine Besprechung" der Konkurrenz-
bilder für die Pi'opyläen zeigt.^j
Die Tafclszene in den Piccolomini hat TieckM nicht mit
Unrecht mit einem N'eroncsc vergdichen; Schiller kannte die
Venetianei' wohl und wusstc den maleiischen Charakter ihrer
Kunst zu schätzen;'') von Veronese im besonderen wird
die ilochzeit zu C'ana in S. (iioi'gio (jetzt im Louvre), das-
selbe ilild. das von lleinse'M im Ardhingello übei-schwängdich
g^elobt war, im Geisterseher erwähnt; allerdings ist dort
g-erade das, was Tieck auch an der Gruppierung' der
') An Goethe 1-2. Dez. 9Ö. An Kürner 27. Dez. 90. Jonas V,
131, 137.
2) Morris, Goethestudien I, 2. Aufl.. S. 114 If.
•') Goed. X, S. 53U.
*) Dramaturg. Sehr. I, 65. Krit. Sehr. III, -48.
') Goed. X, S. 103. Doch soll er nach Tiecks Erzählung bei seinem
]5esiich in Dresden 1801 den Koloristen wenig Liebe entgegen gebracht
haben. (Küpke, Tieck I, 258).
•■] Werke (hrsg. v. Laube 1838) Bd. I, S. 18.
— 184 —
Piccolomini aussetzt, nämlich das geringe Hervorti-eten der
Hauptfig-uren, g-etadelt. Dankbarer für den Vergleich als
dieses berühmteste Bild des Meisters oder die Dresdener
Hochzeit zu Cana sind andere Gastmahldarstellung'en z. B.
die Mahlzeit im Hause des Levi (N^cnedig-- Akademie) odej-
das Mahl des heil. Gregor (V^icenza). Dort ninnnt die Diener-
schaft, wie bei Schiller, den Vordergrund ein, und auf die
Tafel selbst ist nur der Durchblick durch die Bög-en dei-
Architektur gestattet. Dass Schiller diese Bilder in Stichen
kannte, ist anzunehmen; es ist also wohl mögdich, dass die
Anordnung- der Dekoration und Gruppierung- dadurch befruchtet
Avurde.
Mit der Malerei ist sogar die Szenerie des Parkes von
Aranjuez, wie sie in der Thalia vorgeschrieben ist, zusammen-
zubringen. Wenn es heisst: „Die Beleuchtung- wird so ein-
gerichtet, dass die vordere Bühne dunkel bleibt, die hintere
aber munter und hell ist," so widerspricht dies durchaus der
herkömmlichen iJühnenbeleuchtung-, stinnnt aboi- mit den fran-
zösischen Landschaftern überein, die die Vorderg-i'undkulissen
dunkel hielten, um die Leuchtkraft der hellen Fernsicht zu
steig-ern.
Auch von Avirklicher Naturanschauung- war Schillers Vor-
stellung'- genährt; der Pai'k von Aranjuez hat heimatliche
Lokalfarben, sei es nun, dass Avir bei den Oi'angenalleen.
Boskag-en, Statuen und spi-ingenden Wassern an die Solitude
oder an Schwetzingen, bei dei- dazu kontrastierenden Ein-
siedelei an Hohcnheim odei' an den Dresdener Grossen Garten
denken wollen.') Die ländliche Geg-end um das Moorischc
Schloss ist eine schwäbische Landschaft, ebenso die Gegend
an der Donau, bei der übi-igens auch an den Sonnenunter-
g-ang- an dei' Donau in Millers Siegwart eriiniert werden
kann.^)
') Minor I, Sl, 82. II, 42(5, 581. Den Sch\v('t/,iii,i,a'r l'ark bozeichiiet
Charlotte von Schiller ausdrücklich als Urbild. Urlichs, Charl. v. Seh. I,
S. 98.
'0 Siegwart, 2, Aufl., Leipz. 1777, S. 14.
— 185 —
Der Poussiiiisclie Stil hatte sicli. wio Goethe {)ries. von
der blossen Aus- und Ansicht wii'kiielier dlei^enstände zur
hölicren ideellen Darstclluntr ci-hohen. In seinem letzten
Drama entfei-nte sich Schiller wieder von diesem Idealstil und
wandte sich dem entijrciicngesetzten Prinzip zu, der p]chtheit
des Schauplatzes. Während man zu Weimar in derDekoi'ation des
Teil ..nur mässi^-, wiewohl schicklich und charakteiistisclr' ver-
fuhr.') kam Schiller cincni ^^'unsclle Jl'flands entg'ci^-en. wenn
er den Schauplatz wirklichkeitsi^etreu entwai'f. deini Iftlaiul Hess
das lU'i'liiU'i- i'iihlikum i^crn eiiu' bekannte Ortlichkeit erkennen.-)
l'nd so sind dcini nielit nur im Uuchdranui, sondern auch in
den I)ekorationsanij:aben, die Schiller au LfHaiid sandte,^) statt
einei- rein tbrmalen J>eschi"eibun,i:" wirkliche Xamen aulVezählt:
der ilakenber^i'. die (Uarischen Kisirebiiiic u. s. w.
l^s yenüüte für Schiller nicht, den Dekorateui- aul'dic Ahcr-
lischen Schweizei'landschal'tcn.M duich die er selbst ani^-er('<4t
woi'den war. zu verweisen, sondern er Hess durch einen
Zeichnci' ciLicne I^ntwüi-Cc herstellen.-^) X'ielleieht wurde er
dazu durch (ioetlie veranlasst, der skizzierte Vorlagen anzu-
fertigen liebte und auch einmal im Entwurf einer Tras^ödie
den Grund dafür vermerkt: ..weil man der Worte zu viel
Liebi-auchenmüssteund sich doch Niemand heraustinden wüi'de.")"'
Die bedeutende Entwickelunii- in der Hestinmitheit der
l)ekorationsanfoi(lerun,üen, die Avir an Schillei' beobachten,
koiuite sich nur vollziehen, wenn er eines Theaters sicher
') Ta«."-- u. .lahro.sht'l'te ISdl \V. A. I. IM. .'J.'), S. ISO.
■) Ifllaml an Schiller "JS. .luli 1S03. Tcichniaiin, S. '2-2-2.
Klinjj-tMiiann, Kunst n. Xatur III, 370.
■') An IfHand .'). Dez. 1803. Jonas VII, S. Dl».
■•) Dass ein IJlatt dieses Schweizer Kunstindustrielien auf eine be-
stimmte Dekoration eingewirkt habe, ist nicht anzunehmen, dagegen konnten
die kolorierten J^adierungen wohl auf die allgemeine Lokalfärbung von
Einfluss sein. Trotz ihres geringen Kunstwertes waren diese Arbeiten
damals sehr belielit (Sulzer, Th. d. seh. Künste II, <)55). In Weimar hatte
schon 1771) Herzogin Amalia einige Blätter erworl)en (Wagner, Briefe an
Merck I, 155). Goethe besuchte Aberli auf der Schweizerreise 177Ü.
•'•) An Ifrtand ü. Nov. 1803. Jonas VII, Ü3.
'') W. A. I, Bd. 11, S. 343.
— 186 —
war, das alle "Mittel daran setzte, jede kleinste Vorschrift zu
erfüllen. Er besass dieses später in der Berliner Bühne unter
Ifflands Direktion; aber auch Weimar that, Avas in seinen
Kräften stand, und dort konnte Schiller bei den Proben selbst
zuireijen sein. Als Regisseur seiner eigenen Stücke Avar er zur
g-enauen plastischen Vorstellung aller Einzelheiten gezwungen.
Schon sein Verhältnis zur Mannheimer Bühne hatte ihm
einmal eine so verhältnismässig präzise Vorschrift gestattet,
wie im zAveiten Aufzug von Kabale und Liebe: ..zurrechten
Hand steht ein Sofa, zur linken ein Flügel."') Die Thalia-
fassung des Don Carlos geht zunächst darin weiter ; sobald
aber die Verbindung mit dem Mannheimer Theater abge-
brochen ist, wagt sich Schiller den fremden Theaterdirektoren
gegenüber mit keinerlei V'orschriften heraus und die Bühnen-
bearbeitungen des Don Carlos sind in Bezug auf Dekorations-
angaben das Kahlste, was er geschrieben hat.
In Weimar dagegen nimmt er gleich wieder den Standpunkt
des Regisseurs ein und der vierte Aufzug der Piccolomini
\vm\ mit einer so langen und ins Einzelne gehenden Anweisung
eröffnet, Avic Schiller sie nie vorlier gCAvagt hätte und Avie sie
auch bei anderen Di-amatikern der Zeit noch selten ist. Und
in Berlin folgte man allen Anordnungen so genau, dass es
auf den ersten Blick fast erscheint, als hätte der Berichter-
statter ^) seine JJeschreibung mit einigen Ausschmückungen
aus der Buchausgabe abgeschrieben:
,.Ein alt g-othischer Saal, zwar in unverkrüppeltem gothischen
Geschmack, doch ohne die Sitten der Zeit zu beleidigen, war von
Herrn Verona für dieses Schauspiel gemalt worden. Ein freistehen-
der Säulengang quer über die Bühne hin, scheidet ein Drittel des
Saales von dem vordem Raum. Vor diesem Säulengange war die
erste Tafel zu acht Personen, deren vordere Seite nach den Zuschau-
ern zu unbesetzt war. Hinter den Säulen war auf beiden Seiten
eine Tafel von sechs Personen, im Hintergrunde eine Tafel von acht
Personen, welche auf beiden Seiten besetzt war. Alle Tafeln waren
*) Rechts und links wurde damals vom Zuschauer aus gerechnet ;
im Teil I, 1 ist dies ausdrücklich ausgesprochen.
"') Jahrb. d. preuss. Monarchie 17Ü9; Braun II, 361 f.
— 187 —
mit Tisclitüchfrn beleij-t, tlie mit Fransen besotzt waren. Die Ge-
richte waren voll.ständit,' und nach damalis^er Sitte überhäuft. Es
ward aus Bechern getrunken und aus sprossen .silberartigen Kannen
kredenzt.
Die Schenke war mit Bechern, Kannen, Humpen, einem gro.ssen
Schwenkkessel und grossen Schüsseln be.setzt; die Beleuchtung des
Saales geschah durch gros.se Gueridons im alten Kostüme, die Tafeln
selbst waren mit runden Leuchtern in der.sell)en Form besetzt. Das
astrologi.sche Zimmer war ganz nach der Beschreibung eingerichtet,
welche der Dichter davon gegeben hat".
Was bei dieser Schilderunj.'- .sofort aiittäilt. das ist das
schon erwähnte Prinzip der Echtheit, das in IJeilin (htmals
bis zur Überti'eibunii" durchgeführt w ui'de. Iffland, dem. ob-
wohl er sich dei* UnterstützuuL'" SchinUels l)ediente, ein eige-
ner feinerei' (Jeschniack in Dekorationen nicht nachiicrühnit
wird'), kaiui iWv ersten Ani'i'i:uni:cii (hirch 1 )all)erL! ciiiitraniicn
haben, wenii^stens rühmt ei' in seiner Theatrah.schen Lauf-
bahn ') die Dekoration des Julius Cä.sar in Mainiheim. wo
• las Kapitolium nacli einem trctreuen Abriss darf.;cstellt -wurde,
[ftlauds Nachfol.<:er. der Graf von Hrühl s^inir in dieser Rich-
tunii- noch weiter, und so entstand damals bereits in Pieiiin
eine Alt Meininiiertum und Flatens Spott im Romantischen
Ödipus war nicht iiiuvA unberechtigt:
..So niusste neulich aus Berlin sogar
J^is Aranjuez ein Maler sich mit Extrapost
Begeben, blos um nachzusehji im Garten dort,
Wo die von Schillers l)uhlerischer Eboli
Gepflückte Hyazinthe steht".
fioethe konnte als 'fheatei-jeitei' von Weiniai' aus diesem
Aufwand, mit dem zu wetteifern ihm die Mittel fehlten, neid-
los zusehen. In spätei'ei' Zeit, als er selbst mit dem Theater
nichts melir zu .schaffen hatte, hat er sich über den Rerlincr
Luxus ausg-esprochen^) und trotz der Anerkennung', wie genau
') Teichmann S. 108.
-) D. L. D. 24, S. 58 f.
■') Gespräch mit Lobe. .Ulli IS'iO. v. Biedermann. Goethes Gespräche
Bd. IV, S. 47, 5-2.
— 188 —
alle Absichten des Dichters zur Erfüllung g-elangten. auch die
Nachteile hervorgehoben :
„Erst müssen die Decorationsmaler und Maschinisten dem Pub-
licum nichts Neues mehr bieten können, das Publicum von dem
Prunk bis zum Ekel übersättigt sein, dann wird man zur Besinnung
kommen — ".
In der früheren Zeit dachte Goethe noch nicht so streng,
und dass auch yehiller dem Dekorationsluxus freundlich ge-
sinnt war und ihm Vorschub leistete, indem er dem Deko-
rationsmaler und Maschinisten immer wieder Gelegenheit zu
neuen überraschenden Leistungen bot, beweisen die letzten
Stücke, der Teil und vor allem der Demetrius.
Ein anderer Schritt auf dem Wege der Echtheit war
die Einführung der geschlossenen Zimmerdekoration ^). Goethe
hat sich in Dichtung und \\^ahrheit ') absprechend über diese
Neuerung geäussert, die er als verfehlte Konsequenz der
Diderotschen Natüi-lichkeitstheorie auffasst; Schiller hat sie
wohl überhaupt nicht kennen gelernt. Auf dem Berliner
Schauspielhaus wurden die Versuche erst 1825 gemacht und
misslangen ; nur die Vervollkommnung der Bühnenbeleuchtung
konnte diese Neuerung möglich machen. Vorher hatte man
schon bei der Privatauttuhi'ang des Faust beim Fürsten Rad-
ziM'ill 1819 Fausts Arbeitszimmer als vollkommenes Zimmer
dargestellt; in Königsbei'ü war 1808 von Breysig ein ganzer
Theaterbau darauf eingerichtet worden; der Erste aber Avar
bereits Friedrich Ludw. Schröder y-ewesen, der seit 1790 in
') Devrient III, KiS. IV, 228.
Hagen, Gesch. d. Theat. i. Preussen S. tJH9 if.
Brühl an Goethe 2(5. Mai 1H19, Teichmann, Lit. Nachl. S. 248.
Schütze, Hamburg. Theatergesch. S. 700.
Fr. L. Schmidt, Denkwürdigk. II, ISO.
Auch in Paris kamen in den neunziger Jahren die Kulissen ab (.Journ.
d. Lux. u. d. Mod. Okt. 1798, S. 575) und Böttiger nennt die Pariser
Theater als Vorbilder der Schröderschen Einrichtung. (Fleischers Minerva
1818, S. 209).
■-') W. A. I Bd. 28, S. G5.
— 189 —
HambiD'ir an Stelle der Flüo-cl Seitenprospekte beinahe senk-
recht zum Hintergründe aufstellte.
Der Kami)f gegen die Gebrechen der perspcktivisclien
Kulissendekoration, wie sie von der italienischen Oper ausge-
bildet war '), wurde oft von falschen Gesichtspunkten aus
g-eleitet. Nur weniire wollten wie Tieck an die Stelle des
unvollkommenen Truires eine wirkliche Architektur setzen, an
die sich die Spielenden jLreistig' und körperlich anlehnen könn-
ten *). Die meiste Geg"nerschaft ging darauf aus. fiii- die Kunst
des Dckorationsmalei's noch nichi- Selbstäiidii:keit zu ircwiinien,
und es ist bezeichnend, dass l'iii' die ersten Versuche mit der
geschlossenen Dekoration der Name Panorama eing-eführt
wurde; es handelte sich eben nicht um einen Kaum, sondei-n
um Gemälde. Der Hauptverfechtcr dieser Richtung, lireysig
ging daher so weit, das neue Prinzip auch auf die freie Na-
tur auszudehnen und eine geschlossene Walddekoration zu
schaffen, die das Auftreten der Pei'sonen übei'liaupt nui' von
voi'idier zuliess.
So wenig nahm die entwickelte Dekorationsmalerei auf
das Drama Rücksicht; sie fühlte sich nicht mehr in dienender
Stellung, sondern als selbständige Kunst. Die (Jefahr, die
bereits Gottsched ^) als drohend erkannt hatte, war nun he-
i-eingebrochen und der symbolische Kampf zwischen Poet und
Maschinist, wie ihn Tieck in der Verkehrten Welt ausfechten
lässt, endete oft mit dem Sieg des Zweiten: „Und sie sollen
die Dekorationen vorziehn!'' Und was wii- in Tiecks ge-
stiefeltem Kater als guten Witz lesen: „Die Dckoi-ation wird
herausgerufen'', das ereignete sich in Wirklichkeit so manches
Mal ').
Die berühmten italienischen Dekorationsmaler Ribbiena,
Servandoni, Quaglio, Colomba waren Fürsten des Theaters;
Servandoni, der am Stuttgarter Hof eine enorme l>esoldung
1) Prülss, Kurzgef, Gesch. d. D. Schauspielk. lüOt), S. 90 f.
■■) Dramaturg. Sehr. 11, 297 ff.
Der juiige Tischlernieister II. S. 71 f.
■') IMiaiitasus, Schriften IH-J.S lid. \\ S. 429, 27<>.
-— 190 --
örhielt ^), hatte es vorher in Paris fcrtif;- o-ebraeht, die leben-
den Personen überhaupt von der J>ühne zu verbannen und in
einem stundenlangen speetacle de decoration die Geschichten der
Pandora, des Tasso, des Leander und der Hero als Gemälde
vor den Zuschauern vorbeiziehen lassen ^).
Die Einwände, die Diderot noch erhoben hatte, dass die
schönste Verzierung- doch nur ein Gemälde zweiter Ordnung-
sein dürfe ■^), galten nun nichts mehr; die übermächtig g-e-
Avordene Dekorationskunst machte dieselben Rechte geltend,
wie die selbständige Malerei; sie Hess sich nicht verwehren,
ebenso wie die Landschaftsmalerei, ihre Perspektiven mit
ytaflfagefiguren zu beleben. Nicht nur auf kleinen Winkel-
bülmen konnte man Rokokokulissen mit weidenden Schafen
linden und einen Hintergrund, auf dem eine lustwandelnde
Gesellschaft von Spaziergängern beständige leblose Zuschauer
abgaben*). Als Goethe 1797 auf der Reise nach der Schweiz
sich in Frankfurt aufhielt, besuchte er das Atelier eines ita-
lienischen Dekorationsmalers Fuentes und bewunderte dessen
Leistungen. Die gemalten Zuschauer erwähnt er ausdrücklicli,
ohne sich daran zu stossen; ja, als Abkehr von der Wirklich-
keitsdarstcllung und Natürlichkeit musste ihm diese Kunst
sogar einen Fortschritt bedeuten; er wurde zu einer Abliand-
lung „Uebcr AVahrheit und W'ahrscheinliclikeit der Kunst-
werke" angeregt, in der er die Berechtigung der gemalten
Statfagefiguren ganz ernsthaft verteidigte ^). Nachdem diese
0 Sittanl, Gesch. (1. Musik u.d. Theaters am Württembergf. HofelT.S (51.
-') Tiautniaim, Zur Entwicklung-sg-eschichte der Theater-Decoratioii in
Scliiieiders Werk Die Internationale Ausstelluno- für Musik und Theater-
wesen. Wien 1892 S. 297 f.
Bapst, Essai sur l'histoire du theätre S. 477 f.
=0 Theat. d. H. Diderot. II, 420, 428. Auch Sulzer (Th. d. seh. K.
II, 1230) sagt vom Dekorateur: Er hat das Seiuige zum Schauspiehl am
besten gethan, wenn der Zuschauer g-ar nicht an seine Arl)eit denkt.
*) Brandes, Meine Lebensg-eschichte II, S. 124.
') W. A. I, Bd. 47, S. 257 ff. III, Bd. 2, S. 81 ff.
Die Theorie der älteren italienisclien Dekorationsmalerei (Serlio) liatte
lebende Personen nicht gestattet. Flechsig, Die Dekoration der modernen
Bühne in Italien. Diss. Leipzig 1894 S. 79.
— 191 —
1708 in (Ion Propyläen erschienen wai-, fand sie im Joui-nal
des Luxus und der Moden ') Widerspruch durch einen Leip-
zi<,'-er, namens Ch. A. Micliaelis. der gc^^cn die Vci-einiuunu-
von Malerei und Plastik protestierte. Allein Goethe hat
diesen Einwänden vielleicht weniger licachtunü" fj'eschenkt, als
dem folyenden Auf)!;atz des .Jouinals. <lei' von den Kunst-
stücken, die auf dem Londoner Theater mit bewej.dichen De-
korationen geleistet wurden, berichtete. Auf die Untei'stützung-
von »Seiten dieser Künste scheint er auch bei eigenen Dich-
tungen gerechnet zu haben; bei dem Entwui-f einer Tragödie kann
man im Zweifel sein, ob das fci'ne Herannahen eines Zuges
nicht durch einen beweglichen Hintergrund dargestellt werden
sollte'-), und die Wali)uriiisnaclit im Faust ist nur als Wandel-
dckoration deidvbar. Wenn sich also Goethe später gegen den
Aufwand an ]\Iascliiiiei-ie aussprach, so war es doch nur die
Übersättigung daran, gegen die er sich wendete, nicht die
ganze Richtung. Im .Jahre 181,5 kam ein Schüler jenes
Fuentes, IJeuther nach Weimar, der. wie Goethe berichtet''),
„durch perspektivische Mittel unsere kleinen Räume in's
Gränzeiilose zu erweiteiTi. duix'h chai'akteristische Aichitektnr
zu vcrmanniclifaltigen. und durch (Jeschinack und Zierlichkeit
höchst angenehm zu machen wusste''.
Und kommen wii- nun zu .Schiller, so tindeii wir ihn im
Demetrius in deutlicliem Kinvcrständnis mit dem Stil der
Upcrndekoration. Deim Hiirziig in ^loskaii ') handelt es sich
darum, eine unabsehbare Menge darzustellen: „Eine lange
Strasse hinab sieht man gemahlte Zuschauei', Kopf an Koi)f.
ebenso auf Fenstern und Dächern — Dieser reiche Anblick
des Menschengedränges muss auf einmal das Auge treifen.
wenn eine Gardine gezogen wird". Eine andere Eigenschaft
der Opernbühne hatte Schillei' schon in den ersten Stücken
*) Jourii. d. Lux. u. (1. Mod. März 1799. S. 121 ff.. 12') ff".
-) W. A. I, Bd. 11, S. 338, 343.
'■') Tas"- n. Jalireslicfte 1815, W. A. I, IM. 3fi. S. lOl. Ivlinge-
iiianii. Kunst ii. Xatnr I, 480 U'.
') Ürani. Naclil. I, S. lOo, 201.
— 192 —
ansrenommon. nämlich die Tiefe des Raumes, die es ermöfi^-
lichte. ,.8eenerien und Gruppen hintereinandei- aufzuthürmen
und Chöre und Aufzüge aus dem fernsten Hintergrunde in
Front hervorrücken zu lassen*)."
Die Achse des Schillerschen Theatei's Aveist in die Tiefen-
dimension. Er begnügt sich nicht mit dem sehr langen aber
ganz schmalen Sti'eifen, auf dem die Romantiker nach Bas-
reliefart die Personen operieren lassen wollten; er verfügt
gern über mehrere Räume und gewinnt sie durch ein Hinter-
einander z. B. bei der Tafelszene der Piccolomini, während
Goethe ein Nebeneinander bevorzugte und in den Mit-
schuldigen wie in der Wette die Breite dei" Bühne durch eine
Zwischenwand halbierte. Eine Lieblingsvorstellung Schillers
— man mag dabei an die lange Zimmei'flucht der Militär-
akademie denken — war der Durchblick durch verschiedene
Räume und das weit von hinten her sichtbare Auftreten der
Personen aus der Tiefe.
„Aussicht von vielen Zimmern" heisst es im fünften Akt
der Räuber, und Amalia kommt im ersten Aufzug dei" Bühnen-
bearbeitung „langsam durch die hintci'n Zimmer." Tu Kabale
und Liebe II, 2 erscheint dei- Major durch das \'orziunner,
und im Don Carlos wird wiederholt von diesei- Tiefe der
Bühne Gebrauch gemacht:
III, 9 Der König erscheint in dem angrenzenden Zimmer, wo
er einige Befehle giebt.
V, 2 Alba entfernt sich. Man sielit ihn noch eine Zeitlang
im \'orhofe verweilen und Befehle austheilen.
V, 9 Alle entfernen sich. Der König folgt ihnen durch zwei
Zimmer und riegelt alle Thüren.
Die dritte Vorschi-ift ist seit der Ausgabe von 1801
weggefallen; in den lUihnenbearbeitungeii fehlen alle drei,
weil die kleineren Theater dadui'ch vor eine unmögliche Auf-
gabe gestellt Avorden wären.
') Aus Sempers Gutachten zum Dresdener Theaterbau 1838. l'rölss,
rjcs-h. d. Hofth. zu Drpsdcn, S.' 495.
— 193 —
Im Wallenstein verspi-ach sich Schiller noch einmal be-
sondere Wirkun<>- von dem letzten Abgehen Wallensteins, das
dinch einen langen Gang hin verfolgt werden soll; später
rechnet er mit diesen Durchblicken nicht mehr.
Ob der lange Gang bei der Aufführung in Weimar dar-
gestellt wurde, ist die Frage ; wenigstens berichtete Böttiger
bei Gelegenheit von Ifflands Gastspiel als Franz Moor, dass
das Thcatei- nicht genug Tiefe habe, um die Aussicht in einige
Hinterzimracr zu öffnen;') trotzdem lässt sich vermuten, dass
»Schiller nichts Unmögliches verlangte, denn er nahm gerade
beim Wallenstein über die theatralische Ausführbarkeit der
Dekorationen Rücksprache mit Goethe,') In den folgenden
Stücken war er noch vorsichtiger; wenn es im Druck der
Jungfrau voi- der Montgomeryszene heisst: „Johanna zeigt
sich in der Ferne," so ist diese Anweisung, die noch an die
-lugendstücke erinnert, in den Ijühnenbearbeitungen ersetzt
duich: „erscheint auf einer Anhöhe." Am deutlichsten aber
ist die gewissenhafte Rücksichtnahme auf den zur \'erfügung
stehenden Raum im Teil zu erkennen. Schiller schrieb für
den Apfelschuss die grösste Tiefe des Theaters vor, die
möglich war, denn er brauchte die ganze Länge der Diagonale
als Entfernung des Schützen von seinem Ziel. Es ist interessant,
ihn hierin mit semen \'orgängern zu vergleichen.^) Im Urner
Tellenspiel und bei Ruef) sind, obgleich dei- mittelalterliche
Schauplatz vollen S[)ieli'aum gelassen hätte, keine Entfernungen
angegeben, llenzi konnte 2(mi Schi-ittc annehmen, da er den
') Böttiger, Die Entwickl. d. Iffland. Spiels S. 318. Auf zwei Stichen
ini Taschenbuch für Damen 1805 fühlt der Gang seitwärts in die Kulissen-
gasse und öffnet sich nicht dem Auge des Zuschauers.
-) An Iffland 24. Dez. 1798. Jonas V, 477.
Goethe an Schiller 29. Dez. 98. W. A. IV, Bd. 13, S. 362.
^) Koethe, Die dramat. Quellen des Schülerschen Teil. Festg. f.
Hildebrand 1894. S. 264.
■*) Bächtold, Schweizerische Schauspiele des sechzehnten Jahrhunderts
III, S. 28, 95.
Flechsig. Die Dekoration der modernen Bühne in Italien. Diss.
Leipz. 1894, S. 81 f.
Palaestra XXXIL 13
— 194 —
Schuss hinter die Szene verleg^te; ebenso kann es in Ambühls
Schweizerbund 200 Schritt heissen. weil der Auftritt erst
nach dem Schuss mit dem Beifallklatschen des \'olkes be-
ginnt und Walther schon mit dem Pfeil am Apfel herang^e-
sprung-en kommt. In Ambühls Teil wird der Schuss selbst
auf der Bühne dargestellt, aber der Knabe steht auf der
Seite des Theaters, wo er nicht zu sehen ist; die Entfernung
ist auf 120 Schi'itt vermindert. Schiller lässt Schützen und
Ziel zugleich sichtbar sein; er verküi'zt also die Schussweite
auf 80 Schi-itte.
Vollkommener Realismus wird dabei immer noch nicht
möglich gewesen sein; der Illusion des Publikums blieb noch
eine Aufgabe, denn Walther durfte nicht einmal im äussersten
Hintergrund der Bühne stehen, wo seine Figur Schatten ge-
worfen hätte und jedenfalls zu dem in perspektivischer Ver-
küi-zung gemalten Prospekt in ein allzu auifallendes Missver-
hältnis getreten wäre.
Mit den ungeheuren Perspektiven, wie sie die Bibbiena
und Servandoni, als Ausläufer der Barockkunst, in die Theater-
dekoration eingefühi't hatten, waren überhaupt mancherlei
Nachteile verbunden. Da diese Durchblicke durch eine un-
endliche Flucht von Sälen und Hallen nur eine illusorische
Tiefe bildeten, war ein Auftreten von hinten her ausgeschlossen,
ja es durfte eigentlich überhaupt niemand auf dei- Hinter-
bühne Stellung fassen, es sei denn, dass er einen Riesen dar-
zustellen hatte.')
Dieser Schwierigkeit stand auch Schiller gegenüber, so-
bald er mit der perspektivischen Dekoration rechnete z. B.
in der Zwinguriszene. Das Gerüst mit den Ai'beitern durfte,
wenn es im ganzen Umfange sichtbar sein und den Hinter-
*) Bapst, Essai sur l'histoire du theätre S. 384.
Auf dem französischen Theater scheint man darauf besonders g-eachtet
zu haben. Seckendorf (V^orlesungen über Reklamation und Mimik II,
S. 277) berichtet: „Man ist im Ballet zu l'aris so weit gegangen, dass
man die Berspektife durch mehrere, verschieden grosse Personen, als eine
gekleidet, bei Auftritten aus grosser Entfernung, hat beobachten lassen
und die Wirkung soll günstig gewesen sein."
— 195 —
grund ausfüllen sollte, nicht in natürlichen Verhältnissen er-
scheinen. Es blieb also nur übrig-, es entweder mehr in den Vorder-
j^-rund an die Seite zu schieben und den Hinterirrund frei
zu lassen, wobei der auf der ganzen Szene lastende Eindruck
des drohenden Zwing-schlosses hätte g-eopfert werden müssen
— oder für eine perspektivische Yerkürzunir zu sorgen; diese
musste sich dann natürlich auch auf die Personen erstrecken.
Gemalte Arbeiter waren bei dei" rastlosen Bewegung, die
auf der Hinterbühne herrschen sollte, ausgeschlossen. Schiller
kam infolgedessen auf die glückliche Auskunft, die Werk-
leute durcii Kinder darzustellen; ein Mittel, dessen sich
später auch Goethe bei der Einrichtung seiner Proserpina
bediente. M
Vielleicht daif man die Konsequenzen, die aus der Rück-
sicht auf liüiinenpeispcktive erwachsen mussten, noch weiter
verfolgen. Fischer, Alpenjäger, Hirt sind im Anfange des
Teil symbolische Figuren, die mit ihren symmetrischen Lied-
strophen, durch ihre auf Matten, Fels und See verteilte Auf-
stellung das ganze Schweizer \'olk in seinen drei Haupt-
berufsarten verkörpern. Warum ist diese Symmetrie gestört
und in die Funktionen des Fischers der Fischerknabe einge-
treten? Vielleicht nur deshalb, weil die (xestalt des ausge-
wachsenen Mannes zu dem verkleinerten Kahn in der Tiefe
der Bühne in Widerspruch getreten wäre.
Es ist eine lange Lehrzeit, die der Theaterdichter Schiller
durchlaufen musste, bis er diese berechnende Kegickunst be-
herrschte. Seine ersten Beobachtungen im Ludwigsburger
Opernhause-) konnten ihn in der Keiuitnis der Theater-
perspektive kaum fördern. Wenn sich dort zwischen den
schon in \'erkürzung gemalten Kulissen der Hintergrund
öffnete und den Ausblick in die wirkliche Natur frei liess,
wo man ganze Regimenter vorüberziehen sah, so war das eine
Unersättlichkeit, die mit ihrer Vergewaltigung der Sinne jede
Ökonomie des Geschmacks zu Boden trat.
') Genast I, 238.
■) Just. Kerner. Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. 2. Aufl 188ö, S. 117,
lo-
— 196 —
Am Mannheimer Theater musste sich dei' Dichtci- der
Räuber die ersten Korrekturen gefallen lassen. Im Schauspiel
heisst es: „Ein altes verfallenes Schloss in der Mitte", im
Trauerspiel dagegen hat das alte verfallene Raubschloss „vorn
auf der Bühne" seinen Platz gefunden.^)
An den perspektivischen Prospekt konnte der Turm, aus
dem der alte Moor hervortreten sollte, natürlich nicht ange-
klebt werden; dazu kam noch die schlechte Akustik des
Mannheimer Theaters.^)
Auch noch der Fiesko rechnet, wie in Erinnerung an das
Ludwigsburger Theater mit einer ganz ungeheuren Tiefe der
Bühne und verlangt perspektivische Unmöglichkeiten. Das
Thomasthor, das im fünften Aufzug hmter dem Palast der
Doria, auf dessen Altane Andreas erscheint, den Abschluss
der Bülme bildet, muss noch ziemlich unverkürzt erscheinen,
denn die Verschworenen dringen von dort aus ein. Wenn
das Thor gesprengt ist, erblickt man den Hafen, „worin viele
Schiffe liegen, mit Lichtern erhellt und Soldaten besezt";^)
eine dieser Galeeren müsste immer noch gross genug sein,
dass Fiesko und Verrina das Brett betreten können, das zu
ihr hinüber führt. Dieser letzten Unmöglichkeit weicht die
moderne Regie aus, indem sie nur eine kleine Gondel am Ufer
liegen lässt, die zu der unsichtbaren Galeere übersetzen soll.*)
Welche Einrichtung man bei der ersten Aufführung des Werkes
') Diese Änderung steht auch in Zusammenhang mit der Mannheimer
Einteilung in sieben Aufzüge; die Turmdelioration, für die vorher nur die
Hinterbühne zur Verfügung gestanden hätte, konnte nun hinter dem Vor-
hang hergerichtet werden. Ebenso Braut v. Mess. II: Aus einem an-
stossenden I'avillon, der ganz nah am J'roscenium angebracht ist, tritt
Beatrice. (Hamb. Manuskr.)
-') Martersteig, S. 347.
'^) So in der Bühnenbearbeitung. Im Druck ist von den Soldaten
nicht die Rede. Über die nachlässige Behandlung dieser szenischen
Schwierigkeiten siehe A. Lewald, Allg. Theater-Revue III, S. 291 f.
Im Leipziger Manuskript ertrinkt Fiesko nicht, sondern wird erstochen;
infolgedessen ist der Hafen unnötig und die Dekoration heisst nur: Eine
Hauptstrasse in Genua.
*) Bulthaujjt. Dramaturgie des Schauspiels I, S. 950,
— 197 —
traf, ist uns nicht aufbewahrt; das Mannheimer Hauptbuch
weist für den Fiesko eine leere »Seite auf, was um so bedauer-
licher ist, als .Schiller selbst sich mit den Proben gerade dieses
.Stückes viel Mühe gab.
P>ei diesen Proben muss Schiller auf so manche An-
sprüche zu verzichten g-elernt haben; als er etwa einen Monat
nach der Mannheimer Autführung den umgeformten Fiesko an
Grossmann schickt, empfiehlt er bereits sein nächstes Stück
wegen des gelingen Aufwandes „an Maschineric und Statisten"
und ebenso preist er später die IJühncnbearbeitungen des Don
Carlos an als das l)este an theatralischer Wirkung, was er
ohneJiilfe von Si)ektakel und Oj)enidekoration geleistet habe.^)
Nur gezwungen hat sich Schiller in diesen Verzicht
hineingefunden; die Enthaltsamkeit von allem Aufwand äusserer
Mittel bedeutete für ihn doch eine ?]ntbehrung und im Ganzen
betrachtet sind sogar die Mannheimer Erfahrungen weniger
als fruchtbringende Lehrzeit, wie vielmehr als niederschlagende
p]rnücliterung aufzufassen. Am klarsten geht dies aus dem
lirief hervor, den Schiller von Dresden aus an Fi'icdr. Ludw.
Schröder, auf dessen llaniburgei' Theater er damals seine ganze
Hoffnung setzte, schrieb:')
„Aber mein Verlangen nach Ihrer Bekanntschaft ist sehr eigen-
niizig-. Ich habe bis jezt Forderungen an die Schaubühne gestellt,
die noch keines von allen Theatern die ich kenne, befriedigte. In
Mannheim habe ich vollends, aus Ursachen, die hier zu weitläuftig
wären, beinahe allen Enthousiasmus für das Drama verloren. Jetzt
fängt er wieder an, in mir aufzulelien, aber mir graut vor der schreck-
lichen Mishandlung auf unsern TJühnen. Mit ungeduldiger Sehnsucht
habe ich bisher nach derjenigen Bühne geschmachtet, wo ich meine[r]
Phantasie einige Kühnheiten erlauben darf u. den freien Flug meiner
Kinpfindung nicht so erstaunlich gehemmt sehen muss. Ich kenne
nunmehr die Gränzen recht gut, welche bretterne Wände und alle noth-
wendigen Umstände des Theatergesetzes dem Dichter verschreiben, aber
es giel)t engere Gränzen die sich der kleine Geist und der dürftige Künstler
sezt, das Genie des grossen Schauspielers u. Denkers aber übersjjringt."
Die letzte Wendung spricht deutlich aus, dass es vor
allem die grosse Persönlichkeit eines künstlerisch bedeutenden
"^rÄn Grossmann 8. Febr. 84, 5. April 87. .Jonas I, 177, 335.
^) An Schröder 12. Oktober 1786, Jonas I, 311.
— 198 —
Theaterleiters war, nach der Schiller, durch Dalbergs vornehme
Kälte ahgestossen, sich sehnte; daneben kamen auch die
reichen äusseren Mittel in Betracht, mit denen das Hamburger
Theater verschwenderisch umg-ehen konnte. Beide Wünsche
sollten später an anderen Orten ihre Erfüllung finden, der
eine in Weimar, der andere durch die Berliner Bühne.
Wenn er an die Berliner Aufführung seiner Stücke
dachte, brauchte Schiller sich kaum mehr irgend eine Be-
schränkung aufzuerlegen; schliesslich scheint er beim Reichs-
tagsakt des Demetrius auch die Erfahrung, die er in Mann-
heim mit der Aufstellung des Turmes gemacht hatte, ver-
gessen zu haben ; er muss sich daher bei heutigen Aufführungen
des Fragmentes wieder dieselbe Korrektur gefallen lassen:
der Thron des Königs von Polen wird auf die Seite geschoben,
während er nach Schillers Anordnung die hinterste Tiefe des
Theaters einnehmen und den Mittelpunkt des zentral kom-
ponierten Bühnenbildes darstellen sollte. Wenn Kettner') sich
mit aller Entschiedenheit gegen diese moderne Bühnenpraxis
wendet, so verkennt er doch wohl die Unmöglichkeit, den
Schillerschen Vorschriften nachzukommen. Gerade Laube,
der Einzige unter den Fortsetzern, der die erste szenische
Angabe veränderte, hatte in Wien und Leipzig die Inszenierung
der Reichstagsszene praktisch erprobt') und wenn er dabei
zur Überzeugung kam, Schiller selbst hätte an den andert-
halb Akten noch vieles geändert, so kann man ihm nur zu-
stimmen.
Das Durchkorrigieren für den Theaterzweck war erst die
letzte Phase der Schillerschen Arbeitsmethode; bei den Räubern
bereits hatte er die durchaus moderne Auffassung des Theater-
dichters vertreten, der sein Stück nicht auf dem Papier,
sondern erst auf den lirettern fertigstellt; ebenso liat er sich
später in einem Brief an Körner^) über den Wallenstein aus-
gesprochen. Und welche Veränderungen der Teil noch kurz
') JJrani. Nachl. I, S. XXXIV.
') Das Burgtheater, S. 372 f.
Das noi'ddeiitsohe Theater, S. 155.
3) 30. Sept. 1708, Jonas V, S. 43(j.
— 199 —
vor der Aufführiinfr erfuhr, ist oben an mehreren Stellen g-e-
zeijn^t worden; der Demctrius hat diese letzte Phase, der sicher
vieles zum Opfer g-efallen wäre, nicht durchgemacht.
Übrigens ist die Reichstagsszene ein Beispiel dafür, wie
Schiller die Dekoration sich immer schon in Verbindung mit
den PorsoiienL'"ni{)pen vorstellte. Auf das wirksamste wurde
die (Iruppenbiidunir unterstützt, indem man den ebenen Bühnen-
boden verliess und durch Estraden und Treppen, Hügel und
Felsen, Mauei-n und Brücken für mannigfaltige Aufstellungs-
punkte sorgte. Je grösser die Bühne, desto notwendiger war
es, sie in Stufen aufsteigen zu lassen und je zahlreicher die
Volksmenge erscheinen sollte, desto mehr kam es darauf an,
ein unmalcrisches Drängen zu vermeiden.
Dass die vielen Hügel, die im Ritterdrama als Dekoration
vorgeschrieben wurden und so auch die Anhöhe in den Räubern
(III, 2) bereits mit dieser Wirkung rechneten, darf wohl nicht
angenommen werden; Kotzebue dagegen muss als der erste
Dramatiker gelten, der sich die p]rkenntnis in vollem Masse
zu Nutze machte. Wo er mit grösseren Mengen oder auch
nur mit der ganzen Tiefe der lUihne zu rechnen hat, z. li. in
der Sonncnjuiiirfrau, in .lohanna v. Montfaucon, Gustav Wasa,
den Hussiten vor Naumburg, lässt er den Boden schräg oder
stufenförmig ansteigen und verbaut die Büline mit Versatz-
stücken.
Johanna von Montfaucon köiuite hierin auf die Deko-
rationen der .Jungfrau von Orleans (II, 4) eingewirkt haben.
Im vierten Aufzug führt hinten ein Felsenpfad in die Höhe;
im fünften Akt bildet den Hintergrund eine Brücke, über die
Johanna von Montfaucon in glänzender Rüstung mit ihrem
Gefolge eilt, um später auf der Vorderbühne aufzutreten.
Wenn man Schillers Vorliebe dafür, das Herannahen von
Personen vor ihrem eigentlichen Auftreten bereits sichtbar
werden zu lassen, in Anrechnung bringt, so lässt sich wohl
denken, dass er dem praktischen Einfall Kotzebues folgte.
Im Teil forderte nun dei' Schauplatz selbst dazu heraus,
aus seiner gebirgigen Natur Vorteil zu ziehen. Dei- erste
— 200 —
Aufzug zeigt Hirt und Alpenjäger zu beiden Seiten auf er-
höhtem Standpunkt; bei Gesslers Tod ist wiederum der hinten
ansteigende Felsenweg verwendet, auf dem die Wanderer,
ehe sie die Szene betreten, gesehen werden; in der letzten
Szene endlich wird die ganze Dekoration mit den von Land-
leuten besetzten Anhöhen und dem Steg im Hintergrunde
lediglich aufgebaut, um ein grosses Schlussbild zur Geltung
zu bringen. Auch hier ist die Dekoration erst mit den
Gruppen zusammen entworfen; als Schiller die Dekorations-
angaben an Iffland schickte, liess er gerade den letzten
Schauplatz noch unbestimmt.
6. Beleuchtung, Maschinerie, theatralische Effekte.
„Bey der Beleuchtung ist daran erinnert worden, dass
selbige nach der Grösse des Platzes und der Farbe der Flügel
eingerichtet werden müsse und dass es niemals zu helle seyn
könne."') Dieser Satz wurde in Ekhofs Schweriner Schau-
spielerakademie zu Protokoll genommen. Dass sich über einen
der wichtigsten Punkte der Theatereinrichtung nicht mehr
sagen liess, beweist einen Tiefstand, dci- durch den Mangel
an geeignetem Beleuclitungsmaterial hinreichend erklärt wird.
Auf keinem anderen Gebiet waren im Jahrhundert der Er-
findungen dem Theater noch solche Fortschritte vorbehalten.
Die Einführung der geschlossenen Zimmerdekoration war, wie
wir sahen, zunächst daran gescheitert, dass das Licht, das
von den Seitengassen aus auf die Bühne fiel, nicht entbehrt
werden konnte. Noch innner si)endctc dazu von oben hei'ab
der alte Kronleuclitcr seinen Schein,') und in manchen Stücken
z. B. in Weimar beim Alarcos und bald danach bei der Braut
») Theater-Kalender 1779, S. 30.
■■*) Eine Anekdote in Reichards Theater-Kalender 1770, S. 83 erzählt,
wie einem Schauspieler, der als Toter auf der Bühne lag, vom Kronleuchter
herab das Wachs ins Gesicht träufelte.
— 201 —
von Messina h'm<s or bis in den Bühnenraum herab.') Ur-
sprüns,'-lich hatte die Huhne selbst stets zu ihrer eio"enen l.e-
leuchtuny- mithelfen müssen; so bekla^rte sich z. B. Mylius
darüber, dass es Mode sei, auf die Tische Leuchter hinzu-
stellen, «^deichviel ob es Tai,'- oder Nacht sei.^) [Später
versuchte man auch öfters eine Beleuchtunju'' von hinten her^),
z. J>. in Hamburtr beim Heimlichen Gericht des Götz, wo ja der
unheimliche Eindruck unterstützt wurde, wenn von den
»Spielenden nur die Silhouetten zu sehen waren.
Das Material bestand zunächst noch aus Kerzen, die in den
Pausen geputzt oder j^^ewechselt werden mussten; daneben
scheint auch Öl verwendet worden zu sein; ein V^erzeichnis der
Ludwi<rsburg-er Oper zählt für eine Vorstellunir 170 Stück Wachs-
lichte, 1176 Stück Unschlittkerzen, 430 Pfund Baumöl u. s. w. auf.*)
Mit diesen Mitteln erreichte die Opernbühne jedenfalls
alles, was an Beleuclitunirseftckten zu jener Zeit überhaupt
mö<(lich war. Und wieviel man von ihr hierin verlantren
konnte, zeiiren die N'orschi'iften in Schillers lyrischer Operette:
Als Zeus und Merkur erscheinen, tritt eine „plözliche Klar-
heit" ein: Zeus „rekt die Hand aus, ein Regenbogen steht
im Saal": „er rekt die Hand aus, die Sonne verschwindet,
(!s wird plözlich Nacht."
Der Mannheimer Bühne scheint Schiller darin nicht viel
zugetraut zu haben; dass bei Karls vSchwur „Höre mich Mond
und Gestirne" der Mond wirklich sichtbar wurde, hatte er
offenbar gar nicht erwartet, denn im Wirtembergischem Keper-
toi-ium beschi'eibt er sein [erstaunen :
„Sie müssen wissen, dass der Mond, wie ich noch auf keiner Bühne
gfesehen.g'eniächlich über den Theaterhorizont lief, und nach Maasgab seines
Laufs ein natürliches schröckliches Licht in der Gegfend verbreitete."')
1) Braun III. S. 286.
-) Beytr. z. Crit. Hist. VITI, 30. St. S. 3üG.
■') Hagen, Gesch. d. Theat. i. I'reussen, S. 094.
*) Sittard, Gesch. d. 'i'lu'at. u. d. xMusik am VVürtt. Hofe II, S. 153.
tiber die spätere Xcrvoilkonininung der Beleuchtung bis zum Gas:
Klingeniann, Kunst u. Natur T, S. 37. fil.
■') Goed. II, 374. Einen ..Mond mit blechernem Spiegel" hatte man
für 12 Gulden IH Kreuzer angeschafft (Brahm I, löü). Wie es auf dei-
— 202 —
Die herkömmliche Art war, nur den Schein des Mondes
von oben herabfallen zu lassen und dies mag' Schiller wohl
auch mit seiner Vorschrift „Mondnacht" im Bühnenmanuskript
gemeint haben; im Druck des Trauerspiels heisst es nun aus-
drücklich: „Wald. Mond. Nacht"; im Schauspiel war vom
Mond überhaupt noch nichts vorg-eschrieben worden.
Dass die l^eleuchtung-svorschi-ift als Bestandteil der
Dekorationsangabe über der Szene steht, ist nicht durchaus
Reg-el. Im Fiesko steht die direkte Anweisung über III, 1;
III, 2; IV, l; V, 1; für IV, 11 wird sie indirekt ersetzt:
„Hier ist niemand als die verführerische Nacht" .... „Wäre
die Nacht nicht so dichte u. s. w.", ebenso Kab. III, 6 durch
Wurms Gruss: „Guten Abend, Jung-fer."
In Wallensteins Lager ist die Beleuchtung völlig absichts-
los durch die Anweisung: „lässt das Halsband in der Sonne
spielen" bestimmt; in Wallensteins Tod endlich treten nur
indirekte Zeitang^aben auf z. B.
V, 3: Es ist schon finstre Nacht.
In den letzten Stücken stehen dann wieder direkte Über-
schriften: Jungfr. V, Braut IV, Teil II, 2.
Der Form nach sind es mehr Zeitangaben als kon-
krete Beleuchtungsvorschriften, z. B.
Fiesko V, 1 : „Nach Mitternacht"
Kab. V, 1 : „Abends zwischen Licht"
Teil. V, 1: „Es ist eben Tagesanbruch"
nur im Don Carlos war die andere Form gewählt in der
letzten Szene: „Es ist ganz finster" (Bühnenbearb. : „Das
Theater ist ganz finster").
Sollte sich die Beleuchtung während der Szene verändern,
so konnte dies gleichfalls bereits in der Überschrift verlangt
werden z. B. Teil H, 2: „Der See, über welchem anfangs
ein Mondregenbogen zu sehen ist." Plümickc schrieb über
den letzten Auftritt des Fiesko: „Es wird allmälig Tag";
Schmiere damit "'ehalten wurde, davon g-iebt eine Anekdote in Reichards
Theat. Kai. 17H7, S. (!() nnj^cfahr eine Vorstellung': Der Mond erschien,
an einem Bindfaden <,'ez(ig-en, auf dem Theater und zwar zu früh. Karl
Moor schnitt ihn ab, so dass er brennend zur Erde fiel.
— 203 —
Schiller hat im zweiten Akt dieselbe Angabe gespalten: in
der Überschrift steht „Morgendämmerung" und innerhalb des
Auftrittes heisst es dann: „Die Sonne geht auf über Genua."
Die Creschwindigkeit der IMhnenzeit wird bei He-
leuchtungsveränderungen sinnlich w^ahrnehmbai* und oftmals
allzu deutlich. Z. B. in der Jungfrau von Orleans liegen
zwischen der Vorschrift:
(Der Sturm leg-t sich, es winl hell im<l heiter)
und Raimonds Worten:
Der Sturm hat ausgetobt
Und friedlich strahlend geht die Sonne nieder,
nur 14 Verse.
Da nun der Übergang doch nur mit ruckweiser Absicht-
lichkeit bewerkstelligt werden kann, so sind mit jeder Be-
leuchtungsveränderung Missstände verbunden. Ein Theater-
praktiker, wie Paul Lindau/) sagt darüber: ., Unmerklich kann
der IJeleuchtungswechsel nie vollzogen werden. . . . Das Publi-
kum merkts immer und wird zerstreut. Der Ueleuchtungs-
wechsel nmss stets bei Tileichgiltigem vorgenommen werden,
niemals bei StinHnuni.'svollem. das er nur einleiten soll. Die
.\ngaben des Dichtei's im Buche sind fast immer falsch. Der
Dichter vermerkt den Heleuchtungswechsel regelmässig zu spät."
Diese Beobachtung trifft bei Schiller unbedingt zu. Erst
als Ruodi und Kuoni sich über den Sturm zu unterhalten be-
ginnen, heisst es im Teil: .,Die Landschaft verändert sich,
man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten
von Wolken laufen über die Gegend." Tn den Räubern steht
die Bemerkung: „Es wii'd immer tinstrer" in der stimmangs-
voUen Pause voi- dem Auftreten Hermanns im Walde, der Sonnen-
aufgang im Fiesko ist erst dann erwähnt, als Fiesko mit
otfcnen Armen dem königlichen Tag entgegeneilt, und der
Sonnenuntergang am Schluss der .Jungfrau von Orleans erst,
als der Tod der Heldin eifektvoUer Beleuchtung bedarf.
Es ist dieses Zuspätkommen der Vorschrift schliesslich
nur ein Moment epischer Erzählungstechnik, die ihre Stimmungs-
') Vorspiele auf dem Theater, S. 56 f.
— 204 —
efFekte bis zu dem Augenblick aufbewahrt, wo sie auf den
Leser oder Hörer wirken sollen. Im Drama, das für Leser
und Bühne zugleich bestimmt ist, ist der richtige Platz für
die direkte Vorschrift kaum zu finden; am besten Avird der
doppelten Aufgabe die indirekte Anweisung gerecht, bei der
allerdings jede nähere Anordnung, vor allem der Moment des
Eintretens, dem Regisseur überlassen ist, z. E.
Fiesko II, 18 : lieber dem ernsten Gespräch hat uns die Nacht
überrascht.
W. T. IV, 8: Der Sonne Licht ist unter,
Herabsteigt ein verhängnisvoller Abend.
Jungfr. V, 2: Der Sturm hat ausgetobt
Und friedlich strahlend geht die Sonne nieder.
Braut If, 1: Schon neigt die Sonne sich zu ihrem Ziel.
Teil II, 2: Doch seht, indess wir nächtlich hier noch tagen.
Stellt auf den höchsten Bergen schon der Morgen
Die glühnde Hochwacht aus.
Bei den indirekten Angaben der späteren Stücke liegt
das Hauptgewicht auf dem symbolischen Pai'allelismus zwischen
Naturerscheinung und Handlung. Schon am Schluss der
Räuber hatte Dalberg Sonnenuntergang eintreten lassen.-^)
Beim Fiesko, auch bei dem glücklichen Schluss der Bühnen-
bearbeitung, hatte sich Schiller den Sonnenaufgang übei' dem
freien Genua noch versagt — ein Effekt, den PUimicke nicht
verschmähte — ; beim Teil dagegen notierte er sich schon in
den ersten Exzerpten:-)
„Hohes Joch der Berge, mit ewigem Eis, goldroth von der
Sonne beschienen, wenn schwarze Nacht die Thäler bedeckt.
NB. mit dieser Erscheinung kann sich der Akt, wo n)an im
Rütli ist, endigen."
' Von der Wirkung dieses Aktschlusses, den die Musik zu
unterstützen hatte, versprach er sich viel und er verlangte
von dem Dekorationsmaler alle Rücksicht darauf:^)
„Die höchsten Bergspitzen müssen also transparent seyn, so
dass sie anfänglich von vornen weiss, und zuletzt, wenn die Morgen-
sonne kommt, von hinten roth können beleuchtet werden. Weil die
') Goedeke II, 335.
*) Goed. XIV, S. VII.
0 An Ifflaud 5, Dez. J8Ü3. Jonas \n, S. 99 ff,
— 205 —
Morg'enröthe in der Schwfiz wirklich ein i)rächtiq'es Schauspiel ist,
so kann sich die Ei-findunt,' und Kunst des Decorateurs hier auf eine
erfreuliche Art zeigen."
Hier mat( man Goethes Erzähluiiijon, auf denen ein fiuter
Teil der Naturscliilderungen im Teil beruht, heraushören.
Übrif(ens verführte schon der Tellstotf an und füi- sich dazu,
die Natur selbst mitspielen zu hissen. Goethe ei'zählte später.^)
welche Kollc er auch in seinem epischen Tellplane den Natur-
ersclicinung-en angewiesen habe: ,,lch sah den See im ruliiüen
Mondenschein, erleuchtete Nebel in den Tiefen der (iebii-g-e.
Ich sah ihn im Glänze der lieblidisten Mori^ensonne, ein
Jauchzen und Leben in Wald und Wiesen. Dann stellte ich
einen Hturm dar, einen (iewittersturm, der sich aus den
»Schluchten auf den »See wirft", und auf eine Vermutung Ecker-
manns gab er zu, dass die pi-ächtige .Sonnenaufgangsschil-
derung, mit der der zweite Teil des Faust beginnt, aus dem
Golde seiner Teil-Lokalitäten genninzt sei.
Für das gleichmässige Licht dei- (iestiiiie hat das Theater
nur dieselben Mittel wie füi" den gewaltsamen Feuerschein.
Dieselbe Beobachtung wie bei jeder andern Heleuchtungsver-
änderung machen wir daher auch beim Ausbrechen eines Brandes:
zu einer langsamen Entwicklung ist bei dem schnellen Gang
der Handlung keine Zeit. Die Angaben treten zu spät auf;
höchstens kann durch Verteilung eine gewisse Steigci'ung ange-
ordnet werden; so in den Räubern:
„Es rtiegen Steine und Feuerbrände"
„Das Schloss brennt"
„Das Feuer nimmt überhand."
Im Fiesko geht es viel schneller; kaum ist der Moln- mit
seinem Trupp von Dieben in die undiegenden Häuser einge-
fallen, so heisst es auch schon; „einige Häuser brennen.'"
Plümickc, dei' in unwichtigen Kleinigkeiten wirkliche
theatralische Verbesserungen angebracht hat, hat hier ge-
ändert; statt der sichtbar brennenden Häuser schreibt er nur
Stuimläuten vor; er lässt den Mohren und seine Leute mit
l^unton, Stroh und Pechkränzen bereits von der Arbeit kommen
') 0. Mai IS-JT. V. JJiedermann, Goethes Gespräche VI, S. 133 f.
— 206 —
Und statt: „Wir wollen eins anzünden und plündern" heisst
es bei ihm: „Zwei Kirchen sind ani^ezündet .... wir wollen
jetzt im Jesuiterdom einheitzen.'" Auch in iSchilleis JBühnen-
bearbeituno-en fehlen die brennenden Häuser; im Mannheimer
Manuskript kommt der Mohr überhaupt im letzten Akt nicht
mehr vor; im Leipziger wird er gleich gefangen gebracht:
„Diesen Mohren fanden wir eine brennende Lunte in die
Lorenzo Kirche werfen."
Das dritte Mal, wo ychiller eine Feuersbrunst braucht,
zeigt er sie schon zu Beginn der Szene auf ihrem Höhepunkt :
„Man sieht das englische Lager in vollen Flammen stehen";
im Hamburger Bühnenmanuskript ist auch innerhalb des Auf-
trittes der Feuerschein noch einmal erwähnt: „Johanna er-
scheint auf einer Anhöhe von Flammen beleuchtet"; ob das
Feuer bis zum Ende des 'Aktes erlöschen oder noch auf die
Versöhnung mit Burgund seinen Schein werfen soll, ist nicht
angegeben. Auf den auch im Teil ursprünglich geplanten
Effekt: „Das Gerüste kann auch angezündet werden" hat
Schiller schliesslich verzichtet und lässt im letzten Akt nur
die Freudenfeuer von den Bergen lodern.
Die Feuersbrunst, besonders wenn sie mit dem Zusammen-
stürzen eines Saales verbunden war, hatte trotz der unvoll-
kommenen Bühneneinrichtung schon zu den Lieblingseffekten
der Wandertruppen gehört und wurde vom Ritterdrama seit
dem Götz\ gern wieder aufgenommen. Besondere Wirkung
tat auf dem Theater der letzte Akt (nach der Buchausgabe
IV, 5) von Törrings Kaspar der Thorringer ;^) auch in der
Bühnenbearbeituiig des Götz von 1804, die durcli mancherlei
theatralische Zutaten bereichert ist, nimmt der Brand (V, G. 7)
einen breiteren Raum ein als in der Fassung von 1773. An
Stücke, zu denen sie gar nicht gehörte, wurde diese Schluss-
wirkung sogar angehängt; so endet Stephanies Macbethbe-
arbeitung mit Brand und PJinsturz des Schlosses, und für
Bürgers Macbeth wurde auf manchen Bühnen derselbe Schluss
'j Schütze, Hanihurg. Theatcrg-esch, S. 622.
— 207 —
beibehalten;') bis auf »Schiller hat sich diese Tradition jedoch
nicht vererbt.
Übrig-ens püc^^t nicht nur der IJeleuchtunffsinspizent zu
späte Angaben zu erhalten; dieselbe Re^rel üilt auch für alle
anderen Vorgäng'e, die hintei- der Szene in die Handlung-
eingreifen. Schiller legt darin manchmal so wenig Wert auf
Genauig-keit, da;ss er die indirekte Anweisung vor die direkte
setzt, d. h. die Pei'sonen hören etwas, ehe es eing-etreten
ist z. B.
Raub. 11,3: llazniann (aufspringend l Horch ein Schuss! (Schiessen
und Lermen).
II. 10: (Trsp.) Hört wie ihre Hörner tönen! Sehet wie drohend
ihre Säbel daher blinken! Wie? noch unschlüssig'? Seyd
ihr toll? Seyd ihr wahnwitzig?" — Ich danke euch mein
Leben nicht, ich schäme mich eures Opfers! (man hört
in der Ferne Trompeten).
Fiesko IV, 6 : Schild wachen am Hofthor. Wer draussen? (man pocht).
.lungfr. V, 10: Johanna. Die Franken rücken an, vertheid'ge dich!
(Trompeten ertönen).
Zum allmählichen Anwachsen eines Geräusches ist oft
keine Zeit g^elassen; so wird der Autlauf in Maria Stuart
IV, 7 erst in dem Augenblick angegeben, als die Königin auf
ihn aufmerkt (allei'dings wird in diesem Augenblick durch
liurleighs Gehen die Tür geöffnet); der Tunuilt bei der An-
kunft der Jungfrau macht sich erst am Schluss von Raoults
Rede bemerkbar:
Sie folgt dem Heer, gleich wird sie selbst hier seyn.
(Man hört Glocken und ein Geklirr von Waffen, die an einander
geschlagen werden).
und im Fiesko hört man den Siegesmarsch erst nach Leonorens
Tod, direkt ehe der Einzug beginnt.
Dies ist allerdings nicht durchgehends Regel; der Tumult
der Wallensteinschen Kommandeurs (Picc. TI) setzt bereits
bei etwas Gleichgiltigem ein (nach v. 1290). auch das Heran-
nahen Schweizers und seiner Würgengel ebenso wie die Em-
pörung im dritten Aufzug von Wallensteins Tod sind wohl
vorbereitet und gesteigert.
') Hagen, Gesch. d. Theaters in I'reussen, S. 298, 299.
Köster, S. 58.
— 208 —
Da der Moment des Hörbarwerdens sieh nicht g-enau fest-
legen lässt. wird die Entwicklung- des Tumultes liäuflg' mit in-
direkten Angaben begonnen und dann direkt fortg-eführt, z. B.
Raub, y, 1, wo Daniel zunächst das Herannahen der feurigen
Reiter und den Alarm des Dorfes meldet und es erst später
direkt heisst:
(Das Getümmel wird hörbarer);
ähnlich im zweiten Akt des Fiesko vom vierten Auftritt ab;
die direkte Angabe tritt erst im sechsten ein:
(Getümmel um den l'allast nimmt zu.)
ebenso W. T. HI, 17 ff vom Verse 2024 ab.
Plötzlich eintretende Vorgänge, z. B. ein fSchuss, ein
Trompetensignal können genau an der stelle, wo sie eintreten,
vorgeschrieben sein; eine indirekte Angabe tritt aber regel-
mässig hinzu, die Personen auf der Bühne machen sich da-
rauf aufmerksam, denn meistens soll ein bestimmter Eindruck
auf sie bewh-kt 'werden; ausserdem werden erst hierdurch die
Zuschauer sicher, dass es sich um keine zufällige Störung
hinter der Bühne, sondern um einen notwendigen Bestandteil
des kStückes handelt.
Mehrere Schüsse werden selten einzeln angegeben, wie
in den Räubern iX, 5 :
„Man schiesst"
„Man schiesst wieder"
„Man hört noch einen Schuss".
Wenn hier vollends die Personen die Erläuterung hinzu-
fügen: „Horch! ein Pistolschuss!", so ist das überflüssig und
steif; es hätte das blosse Aufmerken genügt, wie z. ]i.
W: T. HI:
(Es geschehen zwey Schüsse. Illo und Terzky eilen ans Fenster.)
Wallenstein: Was ist das?
oder im Don Carlos IV, 22 :
(Geräusch im Kabinet)
Alba: Was war das? Still!
Der Charakter einer Ei'scheinung braucht natürlich nur
dann in der indii-ektcn Angabe ausgedrückt zu sein, wenn
keine direkte vorausgeht, z. B. Teil I, 4:
„Ich höre klojtfen."
— 209 —
Stellt nun die indii-ektc Angabe allein, so darf man über-
haupt bezweifeln, ob das Geräusch bis zu den Ohren des
Publikums dringen soll.
AVenn z. B. ein Regisseur die Räuberbande im vierten
Akte schnarchen liesse, so wäre das eine grosse Geschmack-
losigkeit. Ob das Meeresbrausen, das in der Braut von
Messina Beatricens Sinne täuscht, hörbar sein soll, ist dagegen
die Frage. Die Nachahmung des Wasserrauschens gehörte zu
den leicht ausführbaren und beliebten Aufgaben des Theater-
meisters ;^) von einem Servandonischen Ballet wurde sogar be-
richtet, das Wasser sei so täuschend nachgeahmt, dass die
Zuschauer die Kühlung davon zu fühlen glaubten.-j
Im Fiesko ist denn auch das Meeresbrausen ^) direkt
verlangt:
V, 1: Alles ist ruhig. Nur das Meer wallt etwas ungestüm,
ebenso im Teil:
V. 136 b : (heftige Donnerschläge, der See rauscht auf).
Wird das Meeresbrausen in der Braut von Messiua nicht
dargestellt, so muss auch dann, wenn Jicatrice das wh'kliclie
Nahen von Menschen zu unterscheiden beginnt, ein aufdring-
liches (icräuscli unterbleiben. Die Annähei'ung von Menschen
soll in den seltensten Fällen vom Publikum vernommen werden,
höchstens im Fiesko, wenn es von den zwölf Handwerkern
heisst: „Sie stürmen die Treppe hinauf." Ein direkter Feliler
wäre es, in den Piccolomini bei den Versen 1682 f, :
„Was war das? Hört ihr nichts? Mir war\s, als hört' ich
Im Tafclzinnner heft'gen Streit und Lärmen"
und 175():
„Ich höre Lärmen — Fremde Stimmen nahen"
') Goethe rühmte seinem „Direktor der Natur" diese Kunst besonders
nach. Auf Miedings Tod. W. A. I, Bd. 10, S. 13(5.
■-; Theat.-Kal. 178U, S. 28.
•') Das Meeresbrausen wurde aucli gern vom Orchester unterstützt
z. B, im Melodrama „Ariadne". Kotzebue beginnt seinen „Eremit auf
Formentera" folgendermassen : „Im Hintergrunde der Ocean. Noch brauset
das Meer und die Wellen brechen sich am steilen Ufer .... Alles dieses
kündiget die erste Symphonie au, in deren ersten Hälfte der Vorhang sich
öffnet."
Palaestra XXXll. 14
— 210 —
irgend ein Geräusch vernehmbar werden zu lassen: offenbar
fingiert die Gräfin die Störung nur, das erste Mal um die
Liebenden allein zu lassen, das zweite Mal um sie zu trennen.
Allerdings finden sich bei der Annähei'iing von Personen
auch manchmal direkte Angaben, z. B.
Fiesko II, 16 (man hürt kommen.)
III, 3 (Man hört den Mohren.)
Bühnenb. V, 1 (Man hört die Riegel aufschieben.)
Es ist indessen die Frage, ob alle die Zumutungen, die
in den Jugenddramen an die sinnliche \'ermittlung der feinsten
Details gestellt werden, ernst geraeint sind und ob sie nicht
trotz ihrer Form sich nur an die Phantasie des Lesers und
Hörers wenden, etwa ebenso wie der Pulvergeruch in den
Räubern und der Bisamduft, den der Hofmarschall von Kalb
über das ganze Parterre zu breiten hat.
Unverkennbar ist die Erzählungsform bei einigen anderen
Bühnenanweisungen des Fiesko, z. B. bei dem Sturmläuten.
Auf dessen ersten Beginn hin sagt Arabella:
„Hören Sie? Das wimmert vom Thurm der Dominikaner.'"
Dieser erklärende Inhalt, der wolil in die indirekten Angaben
gelegt werden konnte, wird gleich darauf auch den direkten
Anweisungen mitgegeben :
(es stürmt auf drei anderen Thürmen)
(Sturmläuten in der Vorstadt.)
Das Publikum konnte natürlich davon nur den Eindruck eines
gesteigerten Lärmes haben, und weiter hatte das Theater nichts
auszuführen.
Auf diesen Spektakel, den Schüsse und Trommelsignale,
Fackel- und Feuei-schein unterstützten, kam es ja auch allein
an, um dem nächtlichen Kampfe einen schaurig wirkenden
Hintergi'und zu vcrleilien.
Dei- Dichter des Liedes von der Glocke hat mit dem
Silbei'khmg des Mettenglöckleins in der Rütliiiacht, mit der
Klosterglocke im Don Carlos und Denietrius, dem Notsignal
im Teil (IV, 1), den Siegesglocken in der Jungfrau von
Orleans (I) und im Teil (V, Ij, dem Sturmläuten im Fiesko
und Don Carlos (Y, 5, seit 1801 gestrichen) die ganze
— 211 —
Stimmunfrsskala durchlaufen. Zu r-ührenden Wirkungen hat
auch Jlriaiid (U'ters Glockengeläut hinter der fSzene angeordnet;^)
sein Albert von Thurneisen schlies.st in der ersten Fassung
mit den Glockenschlägen, die den fahnenflüchtigen Offizier zur
Richtstätte rufen; auch Spiess hat in seiner Maria Stuart
auf den billigen Effekt des Sterbeglöckchens nicht verzichtet;
Schiller verschmäht ihn: dagegen lässt er bei Attinghausens
Tod die Burgglocke läuten, ebenso wie Iftiand es beim '^Pod
der Königin Elisabeth im Friedrich von Oesterreich gethan hatte.
Jede Erinnerung an die unerbittlich fortschreitende Zeit
bringt in erregten Momenten eine unheimliche Wirkung her-
vor ^). Iffland erzählt in seiner theatralischen Laufbahn ^),
wie er mit seinen Freunden durch den Perpendikelschlag einer
Tui-muhr in grausige Erregung versetzt wurde und wie sie
nun den missglückten Versuch machten, durch dieses Geräusch
in (k'i- Geisterszene des Hamlet Wirkungen zu erzielen; eine
.Vnekdote. durch die vielleicht Kotzebue angeregt wurde, auf
denselben l']tfekt hi den Jtlussiten (III, i) auszugehen:
„ich hör' und bebe, wenn die Räder
Der alten Thurniuhr die Gewichte senken".
Der Uhrschlag kommt vor allem in den nächtlichen
Öchauerszencn der .Stürmer und Dränger vor, z. li.
Klinjj'ers Otto 111,0 Horch! mich <lünkt, die Glocke ruft zuey
im Doif.
Müllers Genoveva IV, 12 „Die Uhr schlägt Mitternacht Stark
llahnengekräh unten im Dorf".
Ganz ähnlich heisst es in den Käubern:
IV, 0 zwölf schlägts drüben im Dorf
V, 1 Eben izt ruft der Nachtwächter zwey an.
Auch die anderen tStimmungsmittel mit denen Schiller die
Trauerszene in den Käubern ausstattete, haben ihre Vorbilder
') Stiehler, Das Ifflandische Rührstück, Theat. Forsch. XVI, S. 123.
'") Über die Zeit als einen furchtbaren Gegenstand, der in die Klasse
des Konteniplativerhabenen fällt, spricht Schiller in der Schrift Vom Er-
habenen, Goed. X, S. 142.
') D. L. D. Nr. 24 S. 36. Theat.-Kal. 1783 S. 117 f.
Uhde, Ekhof. Gottschalls Neuer Plutarch IV, S. 215.
Ilodermann, Gesch. d. Gothaischen Iloftheaters. Theat. Forsch. IX, S. 99.
— 212 —
im Sturm- und Drangdrama, das seinerseits »Szenen ^\ie den
dritten Akt von Shakespeares Lear zum Muster nahm. Wenn
die Verfasser des Otto und der ZAN'illinge oder des Karl von
Adelsberg- die Yerzweitlungsausbrüehe ihrer Helden von Stur-
meswüten und Euleng-eschrei begleiten Hessen, — ausge-
sprochen ist der Parallelismus ^ ) in den Zwillingen III. 1 :
„Hörst du nicht, Avie lieblich die Natur mit Guelfo dahin-
braust?" — so forderten sie den Spott der Kritiker vom
alten Standpunkte heraus^); die Tragödie französischen Mus-
ters kannte solche äussei-e Mittel nicht. ^)
In seine Inventarisierung der Motive des Ritterdramas
hat Brahm*) auch die Rubrik „Unwetter" aufgenommen; wenn
dabei konstatiert wird, dass dieses Motiv auf die spätei-en
Schillerschen Stücke (Wallenstein, Jungfrau, Teil) fortgewirkt
habe, so hat die rein äusserliche Zusammenstellung wenig
Wert, da nicht einmal unterschieden ist, wo es sich um eine
eigene Zuthat Schillers oder, wie beim Teil, um einen unent-
behrlichen Bestandteil des Stolfes handelt.
In den Jugendstücken, die vom Ritterdrama zweifellos
mehr abhängig sind, zieht Schiller noch nicht alle Register.
Plümicke wusste aus der „Furchtbaren Wildniss" im Fiesko
eine ganz andere Szenerie zu machen, und auch seine Mittel
blieben noch schwach gegenüber dem Vorbild, das der Sturm
und Drang bei Shakespeare gefunden hatte:
„Blast, Wind" und sprengt die Backen I Wütet! Blast!
Kassie nach Herzenslust! Spei Feuer, flute Regen".
An Lears Aufruf der tosenden Elemente erinnern erst
im Teil die Worte:
„Käset ihr Winde, flammt herab ihr Blitze,
Ihr Wolken berstet, giesst herunter Ströme
Des Himmel und ersäuft das Land".
') Faust, Vorspiel auf dem Theater:
Wer lässt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?
Das Abondroth im ernsten Sinne glühn?
') R. M. Werner, l'hil. Ludw. Hahn S. 42, 53.
") Waniek S. 4U0.
*) B:ahni Tas Kitterdrama S. 143, 154,
— 213 —
Nur machen sie sich ini Munde des Fischers etwas ge-
sucht, was bereits Körner tadelte. ^)
Auf dem Theater konnte natürlich mit den damaligen
Mitteln -) nur das Geräusch des Haiiels und Regens darge-
stellt werden, nicht das heruntergiesscnde Wasser selbst.
Auch an den Naturalismus, etwa die .Jungfrau nach dem
ytui'mc im fünften Akt durchnässt aufti'eten zu hissen, dachte
Schiller jedenfalls nicht, obwohl der iSciiauspielkunst des acht-
zehnten .Tahrhiuiderts solclie Versuche nicht fern lagen. Wenn
Brentano in seinei' Gustav Wasa-Parodic die von aussen kom-
menden Viehhändler das Wasser von sich abschütteln lässt,
könnte sich das Mohl auf eine wirkliche Aufführung beziehen;
auch Goethe hätte in den Aufgeregten II, ö zu solchen Aus-
schreitungen leicht Anlass geben können:
Gräfin: Du siehst wild aus. Fricilerike. wie du durchnässt bist!
Friederike (das Wasser vom Hute abschwingend),
und dass sie sogar bei Schröder auf dem Hamburger Theater
voi'kamen, beweist ein l>ericht^) über die Aufführung des
liofmeistei-s von Lenz: .,Madam Schröder war als Gustchen
die AVahihcit selbst. Sie stürzte sich wirklich ins Wasser,
ihr Gewand h\<r an, ihr Maai' tiiefte, sie hing gleich einer
') Körner an Schiller 17. Mär/ 1H()4.
'■) Schütze berichtet in seiner llanil)urgischen Theatergeschichte S. 701
von den Einrichtungen Schröders: „Kalphoniuni, Erbsenbüchsen, Trommel
und schmetternder Bretterfall thun das ihrige, um Blitze, Donner und Ha-
gelsturm Aug und Ohren zu versinnlichen". Bei dem Heulen des Sturmes
musste das Orchester n)ithelt'en. wie aus Brentanos Gustav Wasa hervor-
geht: Zweyter Schauspieler: „Ich bitte recht sehr um die Bassgeige, den
Sturm etwas zu unterstützen". — Auch für das Volksgemurmel wird dort
die Bassgeige gebraucht.
Wie wenig man sich auf den meisten Theatern auf das richtige Ein-
greifen der Maschinerie verlassen konnte, beweist eine Bemerkung in Dyks
Coriolan (Nebentheater 17S() II. S. riö): „Ich ersuche die Maschinenmeister
bey den Theatern von oben herab, und nicht, wie öfters geschieht, aus der
Coulisse heraus blitzen zu lassen. Ueberhaupt müssen sie sich den Gang
der zwey folgenden Szenen wohl bekannt machen, um die abgezweckte
Wirkung nicht zu vernichten, anstatt zu bewirken."
'j Meyer, Fr. L. Schröder I, S. 800.
— 214 —
Sterbenden über dem Arm ihres Vaters, der sie ins Leben
zurücktrug".
Die Donnermaschine setzt Schiller erst in den letzten
Stücken in Ijcwegung', zum ersten Male in der Macbethbear-
beitung. Wie das Trompetensignal den König, so kündet der
Donner bei Shakespeare als stehendes Leitmotiv das Auftreten
der Hexen an ; Sclnller leitet nur ihr erstes Erscheinen damit
ein und lässt sie auch am Ende des ersten Auftrittes unter
Donner und Blitz wieder verschwinden; für die späteren
Szenen braucht er dieses Suggestionsmittel, an dessen Stelle
ihm die Musik zur Verfügung stand,') nicht mehr und verleiht
nur noch den Erscheinungen im vierten Aufzug durch Donner-
schläge Nachdruck.
Dagegen lässt er in der Jungfrau von Orleans wieder
den schwarzen Ritter unter „Donner, Nacht und Blitz" ver-
schwinden und wirft am Schluss des vierten Aufzuges dem
für rohe Effekte dankbaren Publikum einen Brocken zu; „der
donnernde Dens ex machina wird seine Wirkung nicht ver-
fehlen" schrieb er damals an Goethe. ^) Auch nach dem
grossen PJinzug im Dcmctrius dachte er wieder daran, den-
selben Effekt zu wiederholen und durch einen plötzlich los-
brechenden Sturm das Volk abergläubisch zu stimmen.^)
Hekate und der scliwarze Ritter versinken bei Schiller
in gleicher Weise; nach der Tradition der Macbethbearbeiter
jedoch,*) die sich aus England herschrieb, erschien und ver-
schwand Hekate, ebenso wie die andern Hexen, in einer
Flugmaschine. Dass Jiürger noch bei dieser Tradition stehen
blieb, zeigen die Verse der eingelegten Hexenszene am Schluss
des ersten Aktes:
') Die Reichardtsche Musik, die zur lUiig-erschen Bearbeitung- koui-
pnniort war, passte zu der Schillerischen F^inteilung nicht, wurde aber
trotzdem dazu aufgeführt. In seinen 15enierkungen über die Aufführung
schrieb Goethe: „Nach der Hexenscene sollte etwas Musik sein, ehe Mal-
colm und Macduff eintreten". (W. A. IV, Bd. If) S. 126),
') An Goethe 8. April 1801. Jonas VI, S. 2GG.
'■') Dram. Nachl. I, S. 2Ul.
') Küster, S. 44,
— 215 —
Dreimal Hui von Land nnd Meer
Rannt uns Ross und Wag'en her.
Eine Wölk ist die Karosse;
Donnerstürme sind die Rosse.
Hui Hui Hui! heran, heran!
Rollt uns auf den Burg-Altan.
(Rauschend ab).
Auch in Wai/nens Macbeth heis.st es 111, 12:
drey Hexen treten auf, Hekate kommt von der andern Seite in
einem Wagen von Fleder-Mäussen gezogen
und nach er :
Ht'kate erhebt sich in die Lufft.
Bei der ei'.^ten Auffiihruiiir von Schillers Macbeth scheint
noch dieselbe Maschinerie N'erwendung" ^refunden zu haben;
wenig-stens sairt dies die Besprechung- im Journal des Luxus
und der Moden ' l : man hätte die Hecate nach den Ikgrilfcn
eines alten und neuen Zauberspuks eher in Flammen aus dem
Abirrund, als im Woikenwatren vom Himmel kommend er-
wartet. Schiller hat, wie aus Briefen an Körner hervorfreht^),
den Macbeth, ehe er ilm in Druck j.'-ab, einer Übeiarbeitung
unterzoi:en; wahrscheinlich hat er bei dieser Gelegenheit den
Einwand berücksichtio't.
1) .lournal des Luxus u. d. Moden 18U(» S. 310.
-) An Körner 5. März 18ol. Jonas VI, S. 247. 171.
Dass die Druckausgabe nicht die Form darstellt, in der das Stück in
Weimar gegeben wurde, scheint noch aus einer anderen Stelle hervorzu-
gehen, bei der wiederum Hekate beteiligt ist. Bei Shakespeare-Eschenburg
ist sie während der verschiedenen Erscheinungen auf der Bühne: bei Schiller
ist das zweite Auftreten gestrichen und durch den Vers: _Ich will unsichtbar
um euch seyn" (Z. 2*2.3(5), ersetzt. Nun scheint aber die Überschrift „Die vier
Hexen" eine Spurderall^en Fassung darzustellen. Wir finden sie inderhist.-krit.
Ausg. S. 103 Zeile 2344, aber — wir finden sie weder in den Drucken, die ^'oU-
mer zu seiner Ausgabe benutzte, noch im Stuttgarter Theatermanuskript.
Da die Varianten hier unter den l'roben anderer Übersetzungen erstickt
sind, fehlt jede Erklärung für dieses rätselhafte Eindringen. Kösters Ver-
mutung eines Hexenensembles wird nun auch hinfällig. (Schiller als Dra-
maturg S. 110.)
^) Allerdings zeigt auch das Stuttgarter Theatermanuskript, das bereits
vor der Weimarer ersten Aufiührung abgesanilt wurde, keine Spur der
Flugmaschinerie.
— 216 —
Auch an der Erscheinung des schwarzen Ritters wurde
kritisiert. Dalberg ordnete nach der ersten Aufführung- in
Mannheim an, der Geist solle beim Eintritt der Johanna aus
der Erde ihr entgegenkommen und sie erschrecken; ein Ge-
danke, auf den Schiller nicht verfallen konnte, da ihm die
Trugbilder der Ilias und der Geist von Hamlets Vater vor
Augen standen.^)
Die Erscheinung des alten Hamlet hat bereits auf den
Don Carlos eingewirkt; das Motiv, den Prinzen als das Ge-
spenst seines Grossvaters durch die erschrockenen Schild-
wachen hindurchwandeln zu lassen, geht zweifellos auf Shake-
speare zurück.^) Nun ist es aber interessant, dass der Hamlet-
bearbeiter Friedr. Ludw. Schröder, dem es doch nicht einfiel,
den Geist von Hamlets Vater, dessen Daseinsberechtigung
Lessing erwiesen hatte, ^) zu streichen, schon an dem scliein-
baren Gespenst im Don Carlos Anstoss nahm.*) Sicherlich
nicht allein wegen der Plumpheit des Betruges, sondern weil
das Wunderbare dem achtzehnten Jahi'hundert etwas durcli-
aus Fremdes war; den schwarzen Ritter liess Schröder natür-
erst recht nicht gelten: „Die Erscheinung der Mutter Gottes
als Traum kann eben das bey dem Mädchen bewirken."^)
Schröder hatte dabei oflfenbai' denselben Gedanken, den Freytag
in seiner Technik des Dramas ausspricht:^) der Einhalt ge-
bietende schwarze Ritter sei das (jlcgenstück zur Erscheinung
der Himmelskönigin, die Fahne und Scliwert in das Drama
liefert. Die Inkonsequenz, dass nur die eine Vision sichtbar
wird, lässt sich aus Zensurrücksichten hinlänglich erklären;
Schiller dui-fte in einem Bühnenstück nicht dasselbe wagen,
was Goethe im Faust; durfte doch bei der Aufführung in
^) Auf einer Al)l)ililuiig im Taschenh. f, Damen 1804 steigt der
schwarze Ritter aus dem Boden auf. Übrigens Hessen manche Theater
auch den Geist des alten Hamlet aus dem Schlünde der Erde hervorkommen.
Journal d. Lux. u. d. Mod. .luni 17ü;j, S. 385.
') Minor II, 548.
•') Hamb. Dram. 11. Stück. Lachm.-Muncker IX, S. 229.
') An Schröder 4. Juli 87. Jonas I, S. 349.
•■) Urlichs S. 437.
'') Technik <les Dramas, S. 53,
— 217 —
Dresden iiielit einmal der Name Mutter Gottes i^-euanut werden ;
es musste der Genius Frankreichs dafür eintreten.^)
Als Traumerscheinuno- hätte die Mutter Gottes nicht
wahrnehmbar sein dürfen, darin hatte der Rationalismus des
achtzehnten .Jahrhuiidci'ts seine lUMlonken und auch Schillers
WahrscheinlichkeitssiiHi machte vor dem .Sichtbarwerden einer
Phantasie Halt, wie die schoiuniicslose Kritik der Klärchen-
vision im I^^izinont zeis-t.^) Wirkliche Gespenster auftreten zu
lassen, hatte er sich daye^ren, wie Streicher belichtet,^) schon
in den .Juirendplänen nicht iiescheut; aus der späteren Zeit
findet sich ein Titel ..Das (iespenst", und bei der Draut in
Trauer, die auf demselben Titelvei'zeichnis steht, fraift sich
Schiller soL-ar. ob zwei Geister zu bleicher Zeit auftreten
dürften und wie sich dann zu verhalten hätten. Hei Goethes
Iphi,ü"enie hielt er (li(^ KiNchciinniL;- dei' Kui'ien ei^i'entlich fiir
unerlässlich : „Ohne Furien ist kein Orest";^) vielleicht hatte
ihn darin dei' ^^rosse Kindruck bestäi'kt, den bei der Autführuui,''
der CJluckschcn Iphi^enie in Weimar isoi der Chor der den
Orest umschlinszenden Fui'ien machte. ■')
Trotz des ManiiX'ls an sinnlicher Fvraft, den er an Goethes
Werk em|)fand, waizte er ihm doch in seiner iiearbeitun^'
keine Ciewalt anzuthun; beim hVmont daireijen setzte er seine
Aulfassuiii:- durch, l'bei- die erste Weiuiai'er Aurt'ühriini,'- be-
richtete IJöttif^er:")
„Die am Schlu.ss eing'eführte Vision konnte natürlich, als ein
unsichtbares Traumbild, den Zuschauern nur dadurch versinnlicht
werden, dass der schlafemle P^i^rniont durch gewisse sprechende He-
wegungen des Kopfes und der Flände das andeute, was ihm jetzt in
') Braun III, 218.
■-■) Goed. VI, S. 90 f.
•') Schillers Flucht von Stuttgart u. xVut'enth. in Mannheim. JS3().
S. 192 f.
') An Goethe 22. .hin. 1802. .fonas VI, S. 837.
■') .lournal des Luxus u. d. Moden .lan. 1801, S, 32. Goethe an
Kirnis 21. Nov. 1800 W. A. IV, JU. 16, S, 152. Für die Kostümierung
waren antike Vasengemälde vorbildlich, wozu Böttiger seinen archäologischen
Rat geliehen hatte.
'') Entwicklung des II'HandiscIien Spiels, S. 3(50 f.
— 218 —
einer Art von Verzückung in den höheren Regionen sichtbar wurde.
Hier galt es also eine Pantomime im Schlafe, wo doch die Sinne
gebunden und die Hände in ihrem G-ebrauch bis auf wenige halb
starre Bewegungen gelähmt seyn mussten. Freylich wirkte die den
Schlummer begleitende Musik auch etwas zur Versinnlichung dessen,
was jetzt das geistige Auge des Sehers erblickte. Allein auch so
blieb die Pantomime eines Träumenden eine schwere, nur von einem
grossen Künstler zu lösende Aufgabe."
In dieser Form wurde der Schluss auch an andern Bühnen
z. J). in Mainz, Berlin und Mannheim g-eg-eben. Das uns
erhaltene Mannheimer ]\Ianuskript steht also hierin der eigent-
lichen tSchillerschen Bearbeitung näher, als das von Diezmann
und Goedeke herausgegebene. Die Beschreibung des Traumes,
die Schiller nach den Woi'ten: .jA'^erschwunden ist der Kranz"'
Egmont in den Mund legt, hatte ja nur Sinn, wenn die Er-
scheinung selbst wegfiel. Die Tautologie im Weimarer Manu-
skript schreibt sich daher, dass nach dem Wunsche des Publi-
kums') in den späteren Auiführungen das Ti'aumbild wieder
eingesetzt wui'de. Als Fouque 1813 einer Weimarer Auf-
führung beigewohnt hatte, äusserte er Goethe gegenüber seine
Begeisterung gerade über die Schlussvision, und Goethe ant-
wortete: „Ja, und stellen Sie sich vor, just das wollte man
mir früher abdisputiren, wenigstens für die theatralische Dar-
stellung. Und sogar mein lieber Schiller war mit dabei und
liess als damaliger Lenker der hiesigen Schauspiele die Er-
scheinung bei der Aufführung auch Avii'klich fort."')
Dass etwa Iffland, der den J]gmont in Weimar zum
ersten Male spielte, auf den Schluss Einfluss ausgeübt hätte,
ist demnach nicht anzunehmen. Überhaupt darf Iffland kaum
für irgend eine Änderung verantwoi'tlich gemacht werden, wie
dies bei einer anderen Stelle geschielit. I^ei der ersten Auf-
führung erschien mit Ferdinand und Silva ein N'ermummter
im Hintergrunde des Gefängnisses ; Egmont drang auf ihn
ein und entlai'vte ihn durch Wegreissung des schwarzen
') W. A. J, Bd. 40, S. 93.
'^) V. Biedermann, Goethes Ges|)räche ili, S. 112.
— 219 —
Caskets als Alba.') Wenn nun Diezinann in dioscni Thcatcr-
streich einen Einfall des effektlüsternen IfHand sah, so beruhte
das auf einer üanz falschen Auifassunu" der Ifflandisehen
Kunst, denn diesei' suchte in richtiy'er Erkenntnis seiner
Mittel jedem rohen Eifekt aus dem We^e zu irehen und setzte
seine Rollen als ein Mosaik von feinei' Detailmalerei zusammen,
die freilieh von allerlei Mätzchen nicht tVei blieb. Gerade
Hchillersche Theatercoups sind jedoch von Iftiand r)fters li'e-
mildei't worden; Goethe tadelte seine zu Avüi'di!.'e Auffassung
des Franz Moor,'') z. iL schleuderte er den gebrechlichen
Vater nicht in den Sessel zurück, sondern wich nur mit den
Worten .,Ich verlasse Euch" davon, ohne sogar „im Tode"
hinzuziifüi^en;^) am Schlüsse des liühnen-Fiesko änderte er*)
das Wegschleudei'ii des zerbrochenen Zepters:
..Kill Diadem erkämpfen ist gross! — es weggeben göttlich!
Seid frei Genue.ser; — (Er gibt das Scejjter zurück.) Hinweg damit,
ifh l)edart' sein nielit. Hinwecr!
') Schloenbach niadite im l)re.><<lener Sciiilierlmcli iMid, S. 187 Mit-
teilungen iilier das Mannheimer Tiieatermanuskript, die von seiner beispiel-
losen Unznverlässigkeit zeugen. Er berichtet: wo es im Weimari.schen
Manuskript l)eim Eintritt von Ferdinand un<l Silva in Egmonts Kerker
hei.sst: ..Ein Vermummter im Hintergründe", steht im Mannheimer:
„Ferdinand und A]l)a, von zwei Vermummten und einigen Gewaftneten be-
gleitet." Zwei .lahre später gab er das Mannheimer Manuskript in iler
Bibliothek der Deutschen Klassiker. Hildlmrghausen 18()2, Hd. X. S. lö!» ti'.
heraus und druckte: ., Ferdinand und Silva, von zwei Vermummten und
einigen Gewatfneten begleitet."
Übrigens ist die Mehrzahl der V^ermummten immerhin zu beachten.
Böttiger hatte in seiner Entwickelung S. 365 geschrieben: ..Gewiss wäre
vieles von dieser Unwahr.scheinlickkeit verschwunden, wenn nicht bloss
Alba, sondern eine ganze Gesellschaft schwarz vermummter Masken mit
Sylva und der Wache eingetreten wären. Man hätte diess alsdann für
eine katholische Brüderschaft genommen, wie sie in katholischen Ländern
vordem auch Verbrecher, die sich zum Tode vorbereiteten, zu besuchen
pflegten."
-'» \V. .V. I. I5d. Kl. S. 17-J. V. BicdcMiiaiin. (ioethes Gespräche 11,
S. 128.
■') Ifflands Almanach fürs Theater 18U7, S. H!» if.
••) Reinh. Steig, Euphorion IX, S. 121.
— 220 —
Wenn also der yrobe Eifekt, der aucli in Berlin unter
Ifflands Auuen unterblieb. M der Kunst dieses Schauspielers
schon iiav nicht lai;', so Hess man endlicli völlig' unbeachtet,
dass IfHand den Ei^mont spielte und dass diese Einführuni(
doch nur der Rolle Albas zu Danke g^eschah. Und Graif,
der Darsteller des Alba, hat denn, wie Genast^) berichtet,
auch späterhin nicht dai'auf verzichten A\'ollen und auf alle
Einwürfe erwidert: »Schiller hat es so gewollt.
Auf (icnasts Zuverlässigkeit sollen keine Häuser gebaut
werden; immerhin ist zu beachten, dass er seine Erinnerung
zu prüfen hatte, denn er trat bereits ausdrücklich der Schön-
färberei Palleskes entgegen. Und endlich wird seine J^e-
hauptung- durch einen nicht zu unterschätzenden Zeugen er-
härtet, nämlich durch Goethe selbst, der in drei (Tcsprächen,
im Dezember 1806 mit dem .,Weimarei' Veteranen" Heimich
Schmidt, im Dezember 1818 mit Fouque und im Januar 1825
mit Eekermann diese Änderung Schiller zugeschoben hat.^)
Zu Eckermann sprach er von einem Sinn für das Grausame,
der Schiller noch von den Räubei'n her angeklebt habe; zu
Heinrich Schmidt soll er gesagt haben: .,In Schillersche Stücke
hätt' es auch wohl gepasst; allein das ist mein Genre nicht."
Diesen Zeugnissen gegenüber köinien Palleske, Diez-
mann, P>ulthaupt, denen sich . auch l^oxberger und Köster an-
geschlossen haben, nichts weiter aufbi'ingeu, als die Über-
zeugung von dem aristokratischen Geschmack Schillers. Allein
wenn wir bei Durchsicht des dramatischen Nachlasses beobachten,
mit was für Einfällen Schiller vorübergehend experimentiert
hat, so ergiebt sich durchaus keine Konsequenz seines Cie-
schmackes.
Beim Demetrius begegnen wir nicht nui- demselben Salto-
mortale in eine Opernwelt, das <ler Egmoiitrezension zum
') Ifflands Alnianach fürs Theater 1808, S. IV ff. Dort, ist auch
der Berliner Schausjjieler Beschert als träumender Egniont abgebildet und
sein stummes Spiel besehrieben.
•) Tagebuch eines alten Schauspielers, 2. Autl. I, 113.
^) V. Biedermann, Goethes Gespräche 11, 124. 111, 112. V, 137.
— 221 —
Opfer Licfalleii wai- — Axiiiia .sollte nach ilii'eni Tode dem Ro-
manow imCjcfänü'ni.s erscheinen und den Czareiilliioii |)rophezeien
— .sondern aucii die Er.schcinunv des Verniiiiimiten wiedei'liolt
.sich: statt des Patriarchen Hiob dachte .Schiller vorüberii-ehend da-
ran, den verkappten Boris im Kloster auftreten und zuletzt
von Marfa entlarven zu lassen.')
Der theatralische »Sinn, der aus dem .stoti'e jede dankbare
Situation herauszupressen und die Hauptpersonen innner und
immer wieder zu konfrontieren sucht, ist hier einige Male
mit dem Dichter durchg^egangen; aber er ist bei der endgiil-
tig"en Ausführung doch stets in die Grenzen des guten (Je-
schmackes zurückg'-ezwungen woi-den.
Die Kgmontbearbeitung hat Schiller in wenigen Tagen
körperlichen Leidens ohne Zeit zum .Vusi'cifen fertiggestellt;
der Theatci'.streich des Alba ist ein eben.solches Experiment
wie jene unau.sg-egorenen Einfälle im dramati.->;chen Nachlass;
er hat .so wenig mit dei' reifen Kunst Schillers zu thun, dass
er nicht einmal zur Charakteristik seines (jcschmackes etwas
I^]ntscheidendcs beiträgt.
7. Zalil der Personen.
I)('i' (xeg^ensatz zwi.schen Schauspieltruppe und Opern-
theatcr beginnt bereits um die Mitte dc^ achtzehnten Jahr-
hunderts seine Wirkungen auf das deutsche Di-ama au.szuüben.
in der vierten Autlage seiner Kritischen Dichtkunst erwähnte
Gottsched bereits den auf der Üpernbülnie überhandnehmenden
Dekorationsluxus '') und wie sehr sich die Mittel in Bezug auf
die Zahl des Personals unterschieden, konnte er bei der Auf-
führung seiner eigenen \\'erke beobachten: bei seiner Bear-
beitung- von Kacines Iphigenie hatte er mit Rücksicht auf
die Schauspielgesellschaften eine Rolle streichen müssen; als
M Drain, Xachl. 1. S. XLT, T.VIT, 120. 154. 103. 'JOT. '221. 234.
') Clit. Dichtk. 4. AiiH. 1751 ä. ü2G.
— 222 —
man abei' seinen Cato auf der BraunschAveiger Opernbühne
mit allem Prunk inszenierte, trat Cäsar mit einem Gefolge
von 24 Soldaten auf.'j.
Als die Ritterdramen Mode wurden, traten auch herum-
ziehende Truppen z. B. fSchikaneder mit der Oper in Kon-
kurrenz; immerhin musste noch manche stehende Schaubühne
sich einschränken, z. B. musste 1791 bei der Weimarer Bel-
lomoschen Gesellschaft der Theatermeister eine Statistenrolle
übernehmen, was die Schnelligkeit der Verwandlungen sehr
beeinträchtigte.'^).
In seinem Promemoria zur Gründung des Mannheimer
Theaters hatte Brandes geschrieben: „Ein vollständiges Schau-
spiel fordert ohne Souffleur, Decorateur etc. wenigstens 16
Personen Doch könnten mit 16 Personen keine Stücke
ä la Shakespeare oder ä la Goethe gegeben werden".^) Bei
den ersten Engagements wurde dieser Anschlag nur wenig
überschritten ; ^) später indessen konnte man sich in Mannheim
an Shakespeare und den Götz von I)erlichingen wagen. Trotz-
dem' schrieb Iffland in seinem Referat über die erste Gestalt
des Fiesko im Mannheimer Theaterausschuss : „Der Senatoren
sind so viele, dass es fast jedem 1'lieater unmöglich fallen
muss, sie ohne Lächerlichkeiten zu besetzen.'^)
Durch die Stuttgarter Autführungen, wo zu einer Oper
gegen 500 herzogliche Soldaten verwendet wurden, verwöhnt^)
hatte Schiller in den Räubern verschwenderisch gehaust; an
die Zahl 80, die er für die Räuberbande indirekt angiebt, hat
man sich jedoch in Mannheim nicht gekehrt; nach dem Haupt-
buah wurden 18 Comparsen in Räuberklcider gesteckt.
') Waniek, Gottsched S. 12(J. 188.
'^) Aiinalen des Theaters 1791 Heft 8 S. 7ü. Von den elenden Mit-
teln der lielloniosehen Gesellschaft macht Gotter in einem Brief an Dal-
herg 9. März 178(5 eine stark aufgetragene Schilderung. Grenzboten 187G
(Jg. 35) II, S. 55.
') Koffka S. 19 f.
*) Tichler S. 4« f.
') Martersteig S. 89.
6) Weltrich 1, S. ()85, 087, G89,
— 223 —
Diircli die Mannheimer Erfahrunf^en wurde Schiller öko-
nomischer; vielleicht hatten im Ficsko ur.si)rünüiicli wii'klich
alle zwüll" kSenutoren auftreten .sollen, die auf (;Iianettinos Liste
stehen; die Unklarheit bei den Brüdern Asscrato, die bald
als vier bald als eine Person behandelt werden, ist auffallend ;
in der Bülmenbearbeitun^- sind sie g"anz weg-gefallen. Am
besten aber zeis'en die Bühnenmanuski-ipte des Don Carlos,
wie ychiller seine Anforderungen herabstinmien nmsste. Gegen
zwanzig Rollen des dramatischen Gedichtes weist das Dresde-
ner achtzehn Öprechrollen ((Jrossinquisitor, Prior und Mercado
sind gespart; der Oftizier Graf Cordua ') neu ins Verzeichnis
aufgenonunen), die bei Goedeke abgedruckte Fassung |}s sieb-
zehn (die Rolle des Oftiziers in V, 5 ist Lernia zugeteih): das
Hamburger Manuskript -) ohne Grossinquisitor sechzehn auf
(auch Farnese ist fortgeblieben); aus den (iranden in II, 7
sind völlig stumme Personen geworden; unter den Statisten
sind die antichambrierenden Höflinge (H, 4) und da« grosse
Gefolge der Königin (IV, 1. UM weggefallen; wie gezwungen
aber diese Si)arsamkeit war, das zeigt die Bitte an Schröder,
so viel spanische Granden auf die Huhne zu stellen, als er
Röcke habe.^)
Wenn bei den Nebenpersonen gar keine feste Zahl vor-
geschrieben wird, so ist der Grund dafür nicht nur Zurück-
haltung, sondern auch Geringschätzung. Wie wenig sich der
Dichter ursprünglich mit ilinen abgab, sehen wir an den Bei-
spielen, wo Nebenpersonen übeiiiaupt unpei-siudich eingeführt
werden :
Raul). (Trsp.) 1,3: man wartet auf \)
Carlos V, 3: Es geschieht ein Schuss durch die Gitterthüre.
') Der Name v. 4104. Ebenso fand IJurgoyn erst in den Bühnen-
manuskripten der Maria Stuart einen Fiat-/ im l'ersonenverzeichnis.
■■') Die Mannheimer .Jambenbearbeitung, die uns mit manchen Verän-
derungen vorliegt, zählt dagegen achtzehn l'ersonen. nämlich auch Farnese
und einen zweiten I'agen der Königin, der an Merkados Stelle tritt, ob-
wohl Schiller diesen nur gestrichen hatte, um eine Rolle zu sparen.
'■') An Schröder 13. Juni 1787, Jonas I, 340.
*) Im Mannheimer Manuskript heisst es statt dessen: (Der Kellner
bringt Weinj.
— 224 —
So werden anfang's alle Nebenpersonen mit der Gleich-
iiültigkeit de« Erzählers, nicht mit der verantwortungsvollen
Präzision des Regisseurs behandelt, z. B. :
Raub. 11,3: Neue Räuber.
IV, 5: ab mit einem Geschwader.')
Fiesko IV, 1: Wachen nehmen ihren Posten.
V, 7 : Ein Trupp Diebe.
Bühnenb. V, 15 : Das Heer der Verschwornen —
Carlos (Thalia) 111,1: mit einiger Begleitung.
Zwei Beispiele aus dem Teil mögen dag^egen die spätere
Gewissenhaftigkeit zeigen :
11,1 Kuoni und noch sechs Knechte stehen um ihn her ....
111,3 Rössel mann der Pfarrer und Peter mann der Sigrist, kom-
men herbei mit drei andern Männern.
Und dem beim Don Carlos so bescheiden an Schröder
gerichteten Wunsche lässt sich schon beim Wallenstein die
sichere Forderung in einem Brief an IfÜand'^) gegenüberstellen :
„Auf eine Anzahl von 20 bis 30 gemeiner Kürassiere, welche
zugleich gesehen werden, ist auch gerechnet."
Beim Wallenstein betonte der erste Verfasser einer einteili-
gen Bearbeitung deren Notwendigkeit Avegen des grossen Per-
sonals, das mittleren und kleinen Gesellschaften die Auffülii-ung
verbiete;') umgekehrt hatte Schiller geglaubt, durch die Teilung
des Ganzen die Schwierigkeit der Rollenbesetzung zu ver-
mindern.'^)
Alle bisherigen Shakespearebearbeiter hatten einzelne
Rollen streichen, oder, was Serlo im ^^'ilhelm Meister empfiehlt,
„mehrere Personen in Eine drängen müssen"; auch später trat
Goethe nochmals für diese Schrödersche Bcarbeitungsform im
Gegensatz zur Romantik ein. Schiller ging gegenüber seinen
*) Im Trauerspiel: (ab mit einem Geschwader und Herrmann). Das
MaTinheimer Manuskript musste natürlich mehr Genauigkeit schalten: „ab
mit Grimm und einigen Räubern, Kosinsky, Ratzman". .Ebenso l'lümicke:
(ab mit einem Geschwader, wol)ei Grimm, Ratzmann und Kosinsky. Herr-
maiin folgt ihnen).
-J An Iffland IS. Febr. 1790. .loiias \'l, S. 10,
'■') Kilian, Der einteilige Theaterwallenstein S. 9,
■*) An Körner 30. Se])t. 17Ü8. Jonas V, 437,
— 225 —
Vor^''äng"ern ^) sehr schonend mit dorn Macbeth um, indem er
nur drei Personen strich: dafür mussten nun einzehie Hchau-
spielcr mehrere kleine Rollen zugleich übernehmen. Öoirar
der Primadonna Jagemann wurden di-ei kleine Partien zu*,'-e-
mutet, wogegen sie Einspruch ei'hob, obwohl sie aus ihrei-
Mannheimer Zeit daran hätte gewöhnt sein müssen.-) Dem.
Caspers spielte den Malkolm und den jungen Sei ward, und
hierbei trat der Übelstand solcher Doppelrollen hervor: das
Publikum vermochte die beiden Personen nicht auseinander-
zuhalten. Der (Jothaer Theater-Kalender') hatte aus diesen
(iründen nicht so unrecht, wenn er sich schon im Jahre 1783
gegen das überhandnehmende Doppel - Rollenspiel wendete.
Der p]mj)f('hlung. lieber auf die personenreichen »Stücke zu
vci'zichten. konnten die Theaterdirektoren freilich nicht folgen.
Jn der Jungfrau von (Ji'leans verschmolzen Talbot und
der schwarze Ritter zu einer Doppelrolle, und in Leipzig über-
nahm Ochsenheimer ausserdem noch den Soldaten, der im letzten
Akt von der Warte aus den Kampf schildert.*)
') Küster S. (iO. Der Theaterzettel einer Frankfurter Aufführung
aus dem .Jahre 1782 — vermutlich war es die Fischersche Bearbeitunof —
hat nur 12 l'ersouen. E. Mentzel, Archiv f. Frankfurts Gesch. u. Kunst.
N. F. 111, S. 288.
■') Urlichs S.^358. In Mannheim soll sie in einem halben .Jahr sieben
Statistenrollen ausgefüllt haben. Koffka S. 283.
•') Theat.-Kal. 1783, S. 37: „Täuschung ist das erste Attribut der
Schaubühne und nie wird sie grausamer gestört, als wenn man Einen und
denselben Akteur in einem und demselben Stück, zwey ganz verschiedene
Rollen machen sieht, wenn mau ihn im Hamlet, als Trabanten, und wenige
Zeit darauf wieder als Herzog von Gonzaga erblickt, oder wenn er im
Güz von Berlichingen, als treuer Georg sein Liedchen im Stalle pfeift,
und kurz vorher als Olearius im bischöflichen J'alast zu Bamberg, hinter
den grossen Pokalen schwelgt. Lieber wollte ich wie in Scarrons komischem
lioman, dass der Schauspieler seine Krone auf den Stuhl legte und diesen
König seyn Hess, um sie wieder aufzusetzen, und als König fortzutragiren,
wenn nun das Reimgebetchen des Vertrauten glücklich zu Ende gebracht ist.''
') .Journ. d. Lux. u. d. Mod. Okt. 1801. S. 557. Ochsenheimer
fasste seitdem Tall)üt u. schwarzen Ritter als zusammengehörig auf, wie
sein Brief an SchiUer zeigt (24. Kov. 1801, Urlichs S. 452). Schiller
selbst trennte beide Rollen, sobald ein neuer Schauspieler in Weimar zur
Verfügung stand. (An Goethe [IC. Dez. 1803] Jonas VII, S. 78.j
Palaestra XXXU. lö
— 226 —
Beim Teil musste Schiller dem P)i-eslauer Theater beinahe
abraten wegen des zahlreichen Personals, das er auf gegen
sechsunddreissig sprechende Rollen einschätzte;^) dabei hatte
er in der Ausarbeitung- gespart, wo er konnte: Landenberg
fiel weg; schon an anderer Stelle verwendete Personen wie
Kuoni, Ruodi, Werni (in D der Steinmetz) nahmen am Rütli
wiederum teil, und zwischen dem Fischer auf dem westlichen
und östlichen Ufer des Sees bestand kein Unterschied mehr.
Mit siebzehn Schauspielern wurden schliesslich dreissig männ-
liche Rollen in Weimar besetzt, „ohne dass es nöthig gewesen
wäre, die Hauptrollen zu duplieren."') Für die Doppeli'ollen
machte Schiller auch an auswärtige Direktoren Vorschläge,
die jedenfalls der Weimarer Besetzung ungefähr entsprachen:
Winkelried — und Johannes von Oestreich
Itel Reding — und Kuoni, auch Stüssi
Werni — und Meier von Samen, auch Wanderer im 4. A.
Friesshardt — und Frohnvogt^)
Leuthold — und Meister Steinmetz
Rudolph Harras — und Ausrufer
Sigrist und Rösselmann — auch Gesellen und Handlanger
Jenni und Seppi können durch Mädchen gespielt werden.
Die Zahl der Rütliverschworenen musste, wie bereits er-
wähnt,^) erheblich herabgesetzt werden; ein Verfahren, das
durchaus mit Goethes Prinzipien über Komparserie übei-haupt
übereinstimmte: „Die Wirklichkeit, die aus Hunderttausenden
besteht, kann auf einem so engen Raum, wie die Bühne bietet,
doch nicht verkörpert werden; ob man da zehn oder hundert
Mann erscheinen lässt, bleibt sich gleich; man möge sich die
andern dazu denken!"^)
') An Schwarz 20. Febr. 1804. Jonas VII, 127.
'■') An Iffland 11. Februar 1804. An Schwarz 24. März 18()4. An
Herzfeld 24. März 1304. (Jonas VII, S. 123 f., 132, 133.)
•') Genast will in Weimar Frohnvogt und Rösselmann gesjjielt haben.
(Tageb. e. alten Schausj). I, 140.) Nach Gotthardi (Weimarische Theater-
bilder I, 105) gab später Unzelniann die Rolle des Kösselmann mit T'arricida
zusamn)en.
*) Kap. I, 4 S. 65 Ann». 2.
") v. Biedermann, Goethes Gespräche III, 202.
— 227 —
Da die Frauenrollen im Teil in der Minderzahl waren,
so war die l^esetzunc der Knaben durch Schauspielerinnen
leicht mö.L''lich. Es blieben dann iminei- noch einiire Schau-
spielcrinncn übriy, und um alles Material auszunutzen, schuf
Schiller schliesslich noch neue Frauenrollen.*)
Auch Kinder nahmen an den «rrossen Gruppenszenen teil,
wozu etwa Kotzebues Hussiten vor Naumbuj-g- hätten vor-
bildlich sein können, ohne dass bei Schiller dieselbe Rühr-
seli^'-keit erweckt werden sollte. Aktiv in die Handlunir ein-
greifende Kindci'rollen, wie sie seit Miss Sarah Sampson,
Ug^olino und (iötz in bürg-erlichen und Ritterstiicken beinahe
unentbehrliche Mode waren, ^) hat Schiller weder um durch
die konti-astici'endc Naivetüt zu rühren, noch aus pädaiioirischcm
Interesse jemals erfunden; wenn er in der E^^montrezension
den Wegfall der neun Kinder bedauert, so ist es doch nur
das rühiende Bild des Vatei's, das er nicht vorenthalten haben
möchte. Im Don Carlos und Teil lagen die Rollen im Stoff
gegeben und waren nicht zu umgehen. Aber auch hier Ix;-
trachtet sie Schiller durchaus von der praktischen Seite; da
Walther Teil doch einmal von einem geschickten Kinde oder
einer Schauspielerin dargestellt werden musste, ist an seiner
Rolle nichts gespart; dem kleinen Wilhelm dagegen ist die
Aufgabe möglichst bequem gemacht. Ebenso ist, worauf Möller^)
hingewiesen hat, in den liühnenbearbeitungen des Don Carlos
der Jnfantin ihre Rolle wesentlich erleichtert.
i\uch Statisteni'ollen lässt Schiller, selbst wenn sie in die
Handlung eingreifen, möglichst wenig zu Worte konniien.
Wallenstein nimmt dem eintretenden Pagen (W. T. 1, ij die
Meldung aus dem Munde:
') Siehe oben, Kap. I, 4 S. 64.
') R. M. Werner, Ph. Ludw. Hahn, (^i. u. Forsch. XXIT, S. 22.
Z. f. östr. Gyinn. 1879, S. 280 ff.
Minor, u. Sauer, Studien z. Goethephilologie, S. 204.
C Flaischlen O. H. v. Geniniingen, S. 123.
Stiehler, Das IlJiandische ilührstück, Theatergesch. Forsch. XVI,
2Ü ir.
•'') Möller, Studien zum Don Carlos, Greifswald 189G, S. 77.
15*
- 228 —
Der schwed'sche Oberst? Ist er 's? Nun, er komme.
Ähnlich wird in der Jungfrau von Orleans (I, 3) die Nach-
richt des Ritters, dass die schottischen Völker sich empören,
durch Dunois vermittelt.
Die Entwürfe des Nachlasses zeigen, wie Schiller, schon
ehe er an die Ausarbeitung ging, mit den wenigen Weimarer
Schauspielern vorsichtig rechnete.^) Daneben entwarf ei" auch
die Berliner Besetzung, und dabei bedurfte er einer geringeren
Ängstlichkeit. Dort hatte er den Krönungszug in der Jung-
frau von Orleans reicher dargestellt gesehen, als seine eigene
Phantasie gewagt hatte ; und nur indem er an jene Mittel
dachte, konnte er beim Demetrius einen unerhörten Aufwand
an Personen und Kostümen verlangen.
Ebenso wie in der Rütliszene scheint er auch beim
Reichstag, wenigstens für das Buchdrama, die historische
Teilnehmerzahl haben festhalten wollen und nach seinen
Kollektaneen war er dabei auf eine Zahl von übei' 150 Per-
sonen gekommen.''^) So wie er ausgefühi't ist. hat der erste
Akt neben Gruppen von Bischöfen, Palatinen, Landboten,
Edelleuten, Stallknechten, die unisono rufen, siebzehn einzelne
Sprechrollen, avozu im zweiten Aufzug noch sechzehn weitere
hinzutreten. Dabei sind die Hauptrollen Boris, Axinia,
Romanow, Zusky, Utrepeia, Casimir und viele Mittelrollen
noch den folgenden Akten vorbelialten. Welche Anschwellung
also gegcnübei- dem ursprünglichenPlan, wo Schiller noch mit ein-
unddreissig, dann mit zwciunddreissig Sprechrollen für das ganze
Stück (die später abgestossene Szene in Sambor mit Palatinus,
Lodoiska und den Russen mitgerechnet) auszukommen hoffte
und dafür bereits sechs Weimarer Schauspieler doppelt in
Anspruch nehmen musste.')
Die letzte Phase, die in der Korrektur für den Bühnen-
zweck bestand, hat das Fragment der ersten Akte noch niclit
') Dram. Nachl. I, 207, 219, 232, 297. II, 11, 40, 80, 102, 129, 145.
Laube, Das Burgtheater, S. 372.
2) Dram. Nachl. I, S. 3 tt"., 246.
") Dram. Nachl. I, S. 219, 232.
— 229 —
durchgemacht; es kann irai- kein Zweifel sein, dass Schiller
dabei selbst seine verschwenderische Phantasie unter die
Kuratel des Theaterverstandes gestellt hätte. Denn auch die
berliner Mittel hätten schliesslich zu einem solchen Aufwand
nicht ausgereicht.
Indem die Fortsetzer^) nicht pietätlos genug sein durften,
an dem grossen Wurf der Keichstagsszene wesentliches zu
ändern, brachten sie alle in ihre Werke ein grosses Missver-
hältnis hinein. Da in den späteren Akten die grösste Spar-
samkeit geboten war, kamen die Russen gegenüber den Polen
durchweg zu kurz. Schon die liaucrnszene des zweiten Aktes
fehlt bei Maltitz und Laube, spätere Volksszenen kommen
nur bei Gruppe und Zimmermann vor; Demetrius bleibt auch
weiterhin in seiner alten polnischen Umgebung; seine russischen
Anhänirer, von denen Soltikotf in den durch Kürner verötfcnt-
lichten 15ruclistücken genannt ist, fehlen bei Kühne, Gruppe
und Laube, riuuntränglicli notwendiir waren ja von Hinzu-
kommenden nur Loris, Axinia, Schuisky und der Macliinator x.
Horis fehlt bei Sievers, und Laube spart sogar den fabricator
doli, indem er ihn mit dem Kosakcnhctman vom polnischen
Reichstag Komla (bei Schiller Korela) vereinigt; auch durch
nochmalige Verwendung des Sapieha füllt er die folgenden
Akte.
So mussten alle diese Fortsetzungen einem grossen Dom
gleich werden, der auf halber Höhe mit einem Notdach abge-
schlossen ist, nicht nur weil die Pläne des Meisters unbekannt
oder unverstanden waren, sondern weil es an dem einfachen
Material, den P>austeinen. cebrach.
') Fopek, Der falsche Denjetrius in d. Dichtung-. Gymn.-rrogr.
Linz 1893, -94, -95, S. 2Ü f.
— 230 —
8. Gruppen, Statistenszeiieii, Aufzüge.
Auf ihi-er von Zuschauern eingeengten Bühne hatte die
französische Tragödie keine Gelegenheit zu breiterer Gruppen-
entfaltung gehabt; ') Racine wagte nur, als er für die Damen
von yt. Cyi' schrieb, am Schluss seiner Athalia eine grössere
Menge auf das Theater zu bringen; Voltaire tat e;s in der
Semiramis und verdrängte dadurch die Zuschauer vom Theater.
Indessen überliess der Geschmack der Zeit die grossen
Gruppenwirkungen der Oper; wenn Diderot '') von tableau
redet und die Stellungen auf dem Theater als Kompositionen
für die Malerei sehen möchte, so denkt er schliesslich doch
nur an die rührenden Situationen der wenigen Hauptpersonen ;
der Maler, dessen Kunst ihm dabei vorschwebte, war Grenze
mit seinen Familienbildern; dass dagegen auf der Bühne je-
mals die Wirkung eines grossen Historienbildes erreicht werden
könnte, diesen Gedanken hatte man, seit er durch Dubos ver-
neint worden war, ^) nicht wieder aufgenommen. Mercier *)
warnt, obwohl er dem Dichter Beobachtungen bei allen Festen,
Versammlungen und Aufzügen anempfiehlt, vor der sklavischen
Naturnachahmung; man solle es nicht etwa wie in Italien
machen, wo vierzig Personen auf einmal auf der Bühne sind,
nur um eine Versammlung besser vorzustellen.
In Deutschland galt dieselbe Regel ; noch der erste
Rezensent der Räuber'^) meinte, die meisten Nebenpersonen
hätten als überflüssig wegbleiben können; .,wozu die ganze
Rotte ? zu nichts als das Stück hier und da langweilig zu machen
und einige sehr niedrige Szenen hier aufzuführen?"
Die deutsciien Stürmer und Dränger verleihen unter dem
Einflüsse Diderots gewissen fi'uchtbaren Momenten der Spannung
oder Rührung durch Anordnung einer malerischen Gruppe
Nachdruck. Und es ist überraschend, mit welcher Schärfe
') Bapst, Essai sur l'histoire du theätre S. 360.
0 Theater d. fl. Diderot I, ISl. 182. II, 456.
■'') Servaes, Die Poetik der Schweizer und Gottscheds S. 78.
*) Neuer Versuch S. 187 f, 248.
') BrauQ I, S. 4 ff .
— 231 —
sie bereit« bestimmte Situationen weniirer Personen als Bild
schauen, z. ]]. Klin.irer in der neuen Arria die Schlussgruppe
des zweiten Aktes') oder Lenz die Anfangso-ruppe in .,Die
Freunde machen den Philosophen" Y, 2:
T)as Brautgemach in Don Prados Hause. Das Brautbett auf-
geputzt. Auf einem Winkeltisrh eine halb ausgebrannte Wachskerze.
Seraphine (sitzt an demselbigen auf einem Stuhl, die Hand
auf den Tisch gestützt, mit der sie die Augen bedeckt, in einem
reizenden Negligee)
Graf Prado (im Schlafrock steht vor ihr)
Prado: Nun meine Seraphine. (er versucht ihr ins Gesicht zu
sehen; sie ohne aus ihrer Stellung zu kommen, wirft ihm den linken
Arm auf den Nacken).
Diese Schildennig wirkt beinahe wie die Beschreibung
eines Gemahles ; ein Zusammenhang mit der neu ausgebildeten
Kunst dei* liildcrbeschreibung, wie sie von Lichtenberg ge-
pflegt wurde, ist nicht unwahrschcinlie-h: vermittelt wurde
dieses Streben nach Anschauuugsscliärfe jedenfalls durch den
Roman; manche Autoren arbeiteten direkt ihrem IHustrator
Chodowiecki in die Hände.")
Und im p]rzählungsstil bleiben manche abstrakte An-
weisungen stecken, (he die nähere Ausmalung der Phantasie
des Lesers überlassen. Z. I>. Limiz. Die yoldaten 11,2
Pirzel (steht auf in einer sehr malerischen Stellung, halb nach der
Gruppe zugekehrt).
Ziemlich häufig finden wir das Wort „Gruppe" auch in
Schillers Jugendstücken, z. B.
Raub. V, 7 (Trsp.): (er verbirgt sein Gesicht an ihrem Busen. Eine
Gruppe voll Rührung. Pause).
Fiesko V, 12: (Verschworene stehen in todter Pause und schauer-
vollen Gruppen).
Dass bereits der Eindruck auf das Publikum, Rührung
und Schauer, mitbeschrieben wird, ist durchaus Romanstil:
bühnenmässig dagegen ist die besondere Vorschrift der Pause.
•) E. Schmidt. Lenz u. Klinger S. IUI.
2) Riemann, Euphorion VII, S. 499. Ein Drama, das eingestandener
Massen nach Stichen von Hogarth und Chodowiecki ge;u'l)oitet ist, ist „Der
Lüderliche" von Bretzner.
— 232 —
die dem Publikum Zeit lässt, das eindrucksvolle Bild in sich
aufzunehmen. Die Gruppe bedeutet jedesmal einen momentanen
Stillstand; wenn Sulzer dafür das Wort „Aug-enblick"') ge-
braucht, so zeigt er sich deutlich als Schüler Lessings. Auch
die Gruppe gehört ins Gebiet der Malerei; sie ergreift den
prägnantesten Moment und ihr dankbarster Gegenstand sind
die Ruhepunkte zwischen zwei Bewegungen, ein Händedruck,
eine Umarmung, ein Kniefall. Z. B.
Raub (Trsp.) V, 8: (Er nimmt ihre Hände und steht mitten
zwischen beiden).
Fiesko (Bühnenb.) IV, 10: Leonore (mit schmeichelnder Sanft-
mut vor Julien knieend).
W. T. III, 21: (Max und Thekla halten einander unbeweglich
in den Armen).
Die Anweisungen der späteren Stücke sind konkreter
als die der Jugenddramen; am ausgeführtesten in der Angabe
ist die rührende Gruppe an der Leiche Attinghausens. (Teil
IV, 2).
Bei Schiller sind indessen solche rührende Situationen
verhältnismässig selten gegenüber der Überladung in Ifflands
und Kotzebues Stücken.') Kotzebue reiht ein mit Roman-
phrasen geschildertes Tableau an das andere, und jedes könnte
seine eigene ünterschi'ift tragen, z. B. „Die geängstete Mutter
beim Auszug ihrer Kinder" in den Hussiten vor Naumburg
m, 5:
„Die gedämpfte Trommel beginnt zu wirbeln. Bertha will
schreyen und kann nicht mehr. Nur ein dumpfes Halt ! stöhnt noch
aus dem gepressten Busen. Sie macht eine Bewegung als wolle sie
hinstürzen nach dem Trommelschläger. Die Kräfte verlassen sie —
ihre Knie wanken — sie sinkt ohnmächtig in Wolfs Arme; der sie
sanft auf den Boden legt, so dass ihr Haupt und ein Arm auf der
steinernen Bank ruhn. Er steht mit gefalteten Händen und be-
trachtet sie mit stummem Schmerz. — Der ßurgmeister sieht starr
und düster vor sich hin. — Indessen wirbelt die Trommel immer
fort, und nach und nach treten langsam von allen Seiten weinende
') Theorie d. schönen Künste I, S. 93.
0 Stiehler, Das Ifflandische Rührstück. Theatergesch. Forsch. XVI,
S. 130.
— 233 —
Mütter auf. die ihre Kinder theils an der Hand führen theils auf
den Armen tragen. — Bey ihrem Anblick erwacht Wolf aus seiner
Betäubung. Er öffnet die Hausthür und winkt seinen acht Kindern,
die heraustreten. Mit stiller Wehmuth lässt er sie alle um die ohn-
mächtige Mutter niederknieen, legt ihre herabhängende Hand auf das
Haupt des jüngsten, betet dann selbst still, und streckt die Hände
segnend über die Kinder aus. — Alle Mütter segnen ihre Kinder in
verschiedenen Gruppen, umarmen sie zum letztenmal. — "
Das Gegenstück dazu ist „das Wiedersehen" V, 3:
„Die übrigen Kinder eilen jubelnd und die Zweige schwingend
herbey. .Jede Mutter, jeder Vater stürzen den ihrigen entgegen.
In einem Augenblick bilden sich eine Menge verschiedener Gruppen."
Man verifleiche damit, wie weniir Raum im Teil (IV, 2)
die ähnliche »Situation einiiinnnt, wenn Iledwii: ihr irerettetes
Kind in die Arme .schliesst. Immerhin hat doch auch Schiller
auf diesen rührenden Moment, der in andern Teildramen keine
Rolle spielt, nicht verzichten wollen und ihn in ziemlich ^"-e-
zwungener Weise — denn warum ist der Knabe nicht gleich
zu der besorgten Mutter zurückgeeilt? — in der Sterbeszene
Attinghausens unterL'-ebracht. Die Neigung für rührende
Situationen lag zu sehr im (Jeschmack der Zeit; auch für die
tränenreichen Versöhnungsgruppen in der Jungfrau von
Orleans (III, 3) haben wir heute keinen Sinn mehr. Übrigens
wurde das Zuviel, das Kotzebuc that, doch auch damals bereits
verspottet: in Brentanos Gustav Wasa freuen sich die Studenten
über die schönen Motive für Stammbuchblätter und Pfeifen-
köpfe, die ihnen auf der I>ühne geboten werden.^)
Häufiger als die i'ührenden, treten bei Schiller die pathe-
tischen Gruppen auf; eine Lieblingspose seiner Helden nament-
lich in den Jugendstücken ist das ?efasste Dazwischentreten
in die Mitte einer erregten Menge.") Z. 15.
Fiesko II, 9: (indem er mit Hoheit unter sie tritt)
V, 6 (Bühenb.): (winkt ihnen zurückzuweichen, und
tritt dann mit ruhiger Grösse hervor.)
0 D. L. D. Nr. 15, S. 111.
^) Bei Spiegelberg in den Räubern i.st dieselbe Stellung parodiert:
I, 6 (Bühnenb.):
(er stellt sich mitten unter sie mit beschwörendem Ton)
(mit verschrenkten Armen mitten unter sie hinstehend).
— 234 —
Kab. 11, 6: Ferdinand (tritt gelassen und standhaft unter sie hin.)
Brautv.Mess.111,4 : Don Cesar: (mit Ansehen zwischen sie tretend.)
Die Nebenpersonen stehen meist imHalbkreis herum; mehrmals
ist diese symmetrische Anordnung ausdrücklich vorgeschrieben:
Raub. iTrsp.) V, 6: (sie formieren einen halben Mond um die
beiden und hängen schauernd über ihren Flinten.)
Fiesko IV, 3 (Bühnenb.): Alle (treten in einen halben Zirkel
um ihn herum.)
Carlos IIT, 7: (Alle nehmen die Hüte ab und weichen zu beiden
Seiten aus, indem sie einen halben Kreis um sie bilden.)
V, 3 : (Die Granden stellen sich in einen halben Kreis
um die beiden.)
in Bs. V. 3: (Die Uebrigen bilden einen halben Mond um ihn
und Carlos.)
In den späteren Stücken weicht Schiller von der zentralen
Gruppenkomposition zu Gunsten einer mehr malerischen
Wirkung ab. Er unterscheidet nunmehr die beiden Seiten
der Huhne und liebt es, die Hauptpersonen auf der einen
Seite zu isolieren.') So schon im Don Carlos V, 5:
(Alle drängen sich um den König herum und knieen mit ge-
zogenen Schwertern vor ihm nieder. Karlos bleibt allein und von
allen verlassen bey dem Leichnam.)
M. St. III, 3: (Alles weicht auf die Seite, nur Maria bleibt,
auf die Kennedy gelehnt.)
Braut IV, 3: (Der erste Ilalbchor bringt den Leichnam Don
Manuels auf einer Bahre getragen, die er auf der leer gelassenen
Seite der Scene niedersetzt.)
Auch da, wo der alte Halbkreis vorgeschrieben wird, ist
die tote Symmetrie in Standpunkt und Haltung der einzelnen
Figuren vermieden, so im fünften Aufzug des Teil:
(Die Landleute, Männer, Weiber und Kinder stehen und sitzen
auf den Balken des zerbrochenen Gerüstes mahlerisch gruppiert in
einem grossen Halbkreis umher.)
Es ist nun die Frage, wie weit die (jlrui)pen schon in der Ur-
konzeption des Planes plastisch vor derDichtei-phantasie standen.
') Man unterschied (vom Schauspieler aus) die linke Seite als beweg-
1 iche, die rechte als feste Seite. Klingemann (Kunst u. Natur I, IT)! f.):
.,so wird man z. B. auch in der Szene zwischen den beiih'ii Königinnen. Marien
die linke, Elisabeth aber die rechteSeitede.s Theaters einiiehinen lassen, eben weil
das heftige eindringende Spiel jener durchaus den aktiven Teil des Körpers in
Thäfigkeit setzt, indess Elisabeth, welche Stolz, Hohn und Verachtung aus-
zudrücken hat, sich gerade in dem entgegengesetzten Verhältnisse befindet.
— 235 —
Schiller schrieb am 18. März 1796 an Goethe:^) „Bey
mir ist die Empfindunsr anfangs ohne bestimmten und klaren
Geg-enstand; dieser bildet sich erst später. Eine irc wisse
musikalische Gemüthsstimmung- ireht vorher, und auf diese
folg"t bey mir erst die poetische Idee." Diese Selbstbeobach-
tung- erinnert an das berühmte Bekenntnis Otto Ludwig-s;
auch dort ist der erste Keim eine musikalische Gemütsstimmung'.
Aber die weitere Stufe, <iie Entwicklung einer Farbener-
scheinung:, aus der die Gestalten des Stückes in bestimmten
Gruppen und Stelhingcn. mit charakteristischen Geberden
hervortreten, scheint bei Schiller zu fehlen. Bei ihm begännt
nunmehr die reflektierende Verstandesarbeit, so dass er sich
beinahe der EntstehunL^^art seiner Produkte schämen möchte.-)
Die poetischen Momente des Planes werden g^esammelt und
mit Ausschliessung'' aller konkreten Einzelheiten in eine logische
Reihe g'ebracht. Ein Niederschlag- dieses Stadiums ist uns
im ersten Entwurf zum Don Carlos erhalten^): Fünf Schritte
an Stelle der Akte, eine genaue Analyse aller psycholog'ischen
Triebfedern, aber kein einzig''es zur Bühnensituation ausgepräg'tes
dramatisches Bild. Es lassen sich daraus mit Elster *) Schlüsse
auf einen ursprünirlichen Mangel an plastischei- Phantasiebe-
g'abung'' ziehen: ebenso müssen aber die umg''ekehrten Beobach-
tung'-en beachtet werden, die sich an den späteren Entwürfen
machen lassen; bei der Polizey z. B. macht Kettner'') darauf auf-
merksam: „Es ist schon bezeichnend, dass dem Dichter die Form
der Expositionsszene eher aufireht, als ihr dramatischer Inhalt."
In den Malthesern steht noch der breiter ausgeführte
Entwurf des ersten Aktes mit seiner zahlenmässig'-en Auf-
reihung' der loirischen Momente auf der bleichen Stufe wie
Vi Jonas IV. 4:30. Ähnlich an Körner 25. Mai 17'J-_>. Jonas III, S. "202.
') An Goethe 31. Aug. 1794. An Körner 4. Sept. 1794. Jonas. III.
481. IV, 0.
■'') Goed. III, S. 180 ff.
*) Elster, Studien zur Entstehungsgeschichte des Don Carlos.
Ders., Forschungen z. d. Philologie, Festgabe für Hildebrand 1894
S. 278 ff. Brahm II, 57.
") Schillerstudien S. 19.
— 236 —
der Don Carlos-Entwui-f. Aber dann verändert sich der Lauf
des Prozesses; Schiller geht nicht mehr vom Allg^emeinen ins
Besondre, und es war Goedekes Fehler, wenn er die Nach-
lasspapiere nach diesem Prinzip ordnen wollte.') Schiller
wird nicht mehr, wie Streicher ") das für die Jug-endstücke
schilderte, mit dem ganzen Plan im Gedächtnis fertig, ehe er
einen Strich niederschreibt; die historischen Vorstudien liefern
ihm eine tTberfülle von Motiven, die er einstweilen alle auf-
nimmt, um erst während der Arbeit vorsichtig abzuwägen
und zu rechnen "*) ; bereits beim Wallenstein schreibt er zunächst
abgerissene poetische Momente nieder und hat später das
Schema des Stückes nur in den einzelnen Papieren zerstreut
liegen. *) Tn dieses Chaos aber werden Bühnensituationen
reichlich eingestreut, die der geschärfte Theaterblick des
Dichters vorausschaut. Bei der Gräfin von Flandern findet
sich gleich auf dem ersten Blatt eine Aufzählung: „Haupt-
motive fürs Theater;" in der Prinzessin von Zelle dasselbe
mit der Überschrift „Dramatische Scenen wären" '"), und im
Warbeck sind bereits die Gruppen mit einer Plastik gesehen,
wie sie kaum den Bühnenanweisungen der ausgeführten
Partieen eigen ist ^) :
^Kildare tritt herein, Warbeck steht
am meisten von ihm entfernt und hat das Gesicht zu Boden geschlagen."
„Warbeck zeigt sich dem Botschafter
in der Stellung den Plantagenet umarmend "
Aus den Skizzen zum „Demetrius" konnte sogar eine
Stelle mit nur geringen Änderungen in die Ausführung '')
übernommen werden:
(Allgemeines Aufstehen, auch der König steigt, vom Thron, die Land-
boten greifen zu den Säbeln, und zücken sie rechts und links auf Sapieha.
Bischöffe treten rechts und links dazwischen und so bildet sich ein Tableau,
welches einige Pausen lang dasselbe bleibt).
') Dram. Nachl. II, S. Vm.
') Streicher, Schillers Flucht S. 42 f.
•'•) E. Schmidt, Charakteristiken I, S. 343.
*) An Körner 12. .Tan. 1791, 21. März 1796 .Jonas III, 129. V, 417.
*) Dram. Nachl. II, S. 198, 220.
•0 Ebda II, 173, 175.
') Dram. Nachl. I, S. 21, 184.
— 237 —
Den unleug-baren Gewinn an konkreter N'oi-stelluni.'- würde
man allein der Thcaterei-falii-unL'- und liülnienvertrautiieit zu-
schreiben, wenn nicht »Schiller selbst auf ein anderes Gebiet
hinwiese, nämlich die bildende Kunst.
liald nach der ersten Bekanntschaft mit Goethe be-
wunderte Schiller nicht oline Neid ,.die überleirene sichei-e
Sinnlichkeit und den durch Kunstkenntnis aller Art geläuterten
Kunstsinn.'' Das Gefühl dieses Mang-els, das ihn vorüber-
^»•ehend an seinen eiirencn Dichterg'aben irre werden liess,
bedeutete bereits die Wendung zur Arbeit an sich selbst.
1790 bemerkte er in Diderots essai sur la peinture die nütz-
lichsten Fing-erzeig-e für den Dichter wie für den Maler und
zwei Jahre später berichtete er an (ioethe, der Anblick der
Kupferstiche habe in ihm eine plastische J^>csonnenhcit erweckt,
die der Schilderuni,'- ira Kampf mit dem Di-achen zu Gute
komme. ') Ein Jahr vorbei- schon hatte Goethe bei Hermann
und Dorothea alle Vorteile der bildenden Kunst benutzt; das
Nebensächliche, l"^bertlüssig-e. das bei dem g-leichzeitig sinnlich
vor Augen stehenden Gemälde autt'allender hervoi-tritt als in
der succesiven Vorstellung- der Phantasie, hatte er ins Aug-e
zu fassen g'elernt.''*)
Dass die formale Bestimmtheit der bildenden Kunst zu-
nächst auf Epos und Jiallade ihi-en Eintluss ausübte, lieg-t
zufälli.L; an der damaligen Beschäftigung beider Dichter. Auf
den (Jcwinn, den vor allem Drama und Theater von dort her
ziehen konnten, brauchte sie nicht erst Humboldts Pariser
P>rief hinzuweisen, der 1799 vom deutschen Theater mehr
ästhetische Jiefriedigung des Auges vei-laugte.'*)
Schon zwei Jahre früher hatte Goethe im Hinblick auf
die bildende Kunst alle Grundsätze seiner Weimarer Regie-
führung entwickelt: „So tiel mir neulich auf, dass man auf
unserm Theater, wenn man an Gruppen denkt, immer nur
') An Goethe 21. Aug. U8. .Jonas V, 416.
■') Goethe an Schiller. H. April 17Ü7. W. A. Bd. 12, S. 85.
^) 18. Aug. 1799. Bratranek, Goethes Briefw. ni. d. Gebr. Humboldt.
Leipzig 1876, S. lUü tf.
— 238 --
sentimentale oder pathetische hervorbring-t, da doch noch hundert
andere denkbar sind. So erschienen mir diese Tage einig-e
Scenen im Aristophanes völlig wie antike Basreliefen und sind
gewiss auch in diesem Sinne vorgestellt worden. Es kommt
im Ganzen und im Einzelnen alles darauf an: dass alles von
einander abgesondert, dass kein Moment dem andern gleich
sey ; so wie bey den Charakteren, dass sie zwar bedeutend
von einander abstehen, aber doch immer unter Ein Geschlecht
gehören."')
Vordem hatte auf dem deutschen Theater der Regisseur,
der wirkungsvolle Gruppen zu arrangiei'en im Stande war,
gefehlt. Bei der Inszenierung der Räuber, die Tieck im Jungen
Tischlermeister schildert, glaubt er auf dem Boden der alt-
englischen Bühneneinrichtung malerische AMrkungen zu ge-
winnen und hebt im Gegensatz dazu heiTor, „wie unbedeutend,
unbestimmt und nicht kenntlich, ja gemein und platt sich
dieses Herumhegen von Menschengestalten auf unseren ge-
bräuchlichen Theatern immer ausnimmt. "2)
In welcher Weise diese gebräuchliche Anordnung war,
kann man sich etwa nach einer Regievorschrift Ifflands (Friedr.
V. Oesterreich V, 15) vorstellen:
(Sie legen sich in verschiedenen Gruppen ohne Ordnung, an
den Boden, an die Bäume, an Erdstücke, so dass ihrer Viele inner-
halb der Zugänge, Wenige auf dem Platze sind.j
Die Gruppen wui'den also ganz an die Seite gedrängt;
die eigentliche Bühne blieb für die Hauptpersonen immer frei.
Dazu kommt noch bei den Räubern, dass Szenen auf der
kurzen Bühne vorausgingen und dass also, wie oben gezeigt,
für die gelagerten Räuber nui- die Hinterbühne zur Verfügung
stand.
In Wallensteins Lager wird nun den Nebenpersonen die
ganze Bühne eingci'üumt. Und Goethe widmete der Aufgabe,
im Bühnenrahmen eine Fülle von beständig wechselnden
') Goethe an Schiller 8. April 1797. VV. A. I\', Bd. 12, S. Bt').
^) Der junge Tischlermeister II, 215. Siehe auch Dramaturg. Sehr.
II, 145.
— 239 —
basreliefarti<ren J^iildern sich ablösen zu lassen, einen unei-
müdlichen p]il'er. Genast') berichtet:
Hofrath Meyer niusste alle niög^lichen Holzschnitte, welche
Scenen aus dem Lag-erleben des dreissig-jährigen Krieges darstellten,
herbeischaft'en, um die Gruppen auf der Bühne danach zu stellen ;
sogar eine alte Ofenplatte, worauf eine Lagerscene aus dem sieb-
zehnten Jahrhundert sich befand, wurde einem Kneipenwirth in Jena
zu diesem Zwecke entführt.
Der Zufall-) weist un.s auf den Namen eines Künstlers,
dessen lilätter für die (JrupiJcnstelluniren Motive iieri,'eireben
haben können, nämlich Kuiiendas. den Herzog- Karl August
in einem Brief an Goethe als Vorbild für die Kostüme hin-
stellt. L^nter den .Stichen dieses Meisters sind mehiere Lairer-
szenen darg-estellt ; ein iilatt.-^) das die Bezeichnung- träg4:
„(K 2) G. P. Rug^endas pinx. Autrusta Li 18 d'Ag'Osta
A" 1G95 Chri.stiano Rugendas,'' mutet uns beinahe wie eine
Illustration zu Wallensteins Lag-er an: im Ilinterirrunde Zelte;
rechts ein Kochfeuer und an einem Tisch zechende und
würfelnde Soldaten ; links auf Tonnen einig-e Spielleute und in
der Mitte Tanzende. Wenn wir annehmen dürften, dass
Schiller selbst dieses Blatt zu Gesicht bekommen habe, könnte
man hier den Ursprung»- eines Motives erkennen, nämlich des
Spielmannes und des Tanzes, die Schiller erst nachträg-lich
einfügte, um die Szene beim Eintritt des Kapuziners bunt
und belebt zu machen.-*) Das andere Blatt derselben Folg-e
(K 1) stellt übrig-ens auch einen Mönch im Träger dar.
Zur Entscheidung der Frage, wie weit Werke der bilden-
den Kunst überhaupt auf die Situationen Schillerschei- Stücke
eingewirkt haben, werden zufällige Funde mehr beitragen
können, als methodische Forschung. Die Stoffe der meisten
') Tageb. e. alten Schausp. 2. Aufl. I, S. 87, 99.
*) Herzog Karl August an Goethe ;^1. .Jan. 1799. Briefw. I, 2.50.
^) Graf Stillfried, Leben und Kun.stleistungen des Malers u. Kupfer-
stechers G. Ph. Rugendas, Berlin 1879. S. 157, Nr. 554. Uie anderen
Lagerszenen, die Stillfried aufzählt, sind mir nicht bekannt, scheinen aber
nach der Beschreibung weniger herzugeben: No. 308, 311, 419—422,
431-434, 491.
*) An Goethe 18. Okt. 98 j. Jonas V, 445.
^ 240 —
»Stücke waren zu bekannt und zu häufig dargestellt, als dass
man auf einzelne Abbildungen sein Augenmerk richten könnte.
Zumal die Geschichte Teils muss schon zu unzähligen Dar-
stellungen den vStoff gegeben habend; in den Aufgeregten lässt
Goethe die Stellung „der drei Eidgenossen auf dem Griitli-
berge" parodieren und zwar nach den Gemälden und Kupfer-
stichen, aus denen diese Gruppe allgemein bekannt sei.
Andererseits könnten die Autführungen Schillerscher
Stücke auf die Kunst eingewirkt haben, so dass wir aus
einem Bild die Vorstellung vom Arrangement einer Szene
gewännen.^) Aber auch hier wh'd sich wenig ergeben;
selbst die Stiche in den Theaterzeitschriften sind keine ge-
treuen Wiedergaben, da sie zumeist das breite Bühnenbild in
ein hohes Foiinat zwängen und damit die Gruppen vollkommen
verschieben. Im übrigen gilt von allen diesen Bildern, was
Goethe in den Wanderjahren') ausspricht: „Der Maler hin-
gegen, der vom Theater auch wieder seinen A^ortheil ziehen
möchte, wird sich immer im Nachtheil finden.''
Wir sind also, um uns eine Vorstellmig von der Regie
zu bilden, im Wesentlichen doch nur auf litterarische Quellen
angewiesen.
Wenn -Goethe über die einzelnen Personen, wie über die
Figui-en eines Schachbretts disponierte,') so war das auf dem
deutschen Theater etwas ganz Neues; dies geht aus dem zwischen
Bewunderung und Spott geteilten Staunen der Zeitgenossen hervor.
Keine einzelne Figur durfte zu sehr im Vordergrund
ihren Standpunkt wählen; „diess ist der grösste Missstand'*,
f ') Heineniann, Tell-Ikonogiaphie.
*) Ein Stich von Wallensteins Lager, unzweifelhaft nach einer Auf-
führung, ist in Hellernianns Schiller S. 197 reproduziert, leider ohne An-
gabe der Herkunft. Kbendort S. 203 ist auch ein Weimarer Gemälde,
das Max' und Theklas Trennung (W. T. III, 23j darstellt, wiedergegeben;
von ihm gilt das oben über Formatverschiebung Gesagte.
=•) W. A. I, Bd. 25, S. 20.
■•) Genast I, S. 87, Ü9. v. Biedermann, Goethes Gespräche V^III,
S. 168. Gotthardi, Weim. Theaterbilder I, 173.
Als feste liegel übernommen von Klingemann, Kunst u. Natur I, 15U.
l)agegen: Saat von Goethe gesäet. Weimar u. Leipzig 18u3, S. 20.
— 241 —
sag-te (joethe, „denn die Ficui' tritt aus (lem Rahmen heraus,
innerhalb dessen sie mit dem Scenen^^-^emählde und den Mit-
spielenden ein Ganzes macht."') Bei jedem Schiitt dei- vor-
((eschricbcn war, und bei jeder Verschiebung der ötelIun,L;cn
war der Eindruck des Gesamtbildes berechnet; selbst, wenn
nur zwei Personen auf der Bühne waren, musste ihre Auf-
stellung'' den Rahmen des 1 )iihnenbildes ausfüllen ; -) alle toten,
leeren Räume wurden vei-mieden; mehrere Personen durften
sich nicht häufen und drängen, sondern wurden verteilt und
doch wui'de dai-auf vesehen. dass unter einei' Meni^e die
►Stellungen der llaupttiyuren besonders zur Geltung- kamen.
Ein Untersciiied gegenübei* der Komposition der Malerei
bestand schliesslich darin, dass die zenti-ale (jruppierung
weniger statthaben durfte. Goethe em|)fand, wie Genast be-
lichtet, die C/ruppen in der Mitte vor dem SoufÜeurkasten
als besonders stöi'end, weil dadurch die Seiten leer wui'den.
Die Architektur tiitt auf den Seiten eines Gemäldes als
lebendei- Faktor der Komposition in die Fläche, wälirend
die Kulissen des Theateis tote Bestandteile bilden, die
zui' Füllung- des Bühnenraumes nichts beitrag-en. Ferner
lassen sich die konvergierenden Blickiichtuiigen der seitwärts
sitzenden Beschauer, nur wenn die Mitte offrn bh'ibt. auf
die Gruppen der Hinterbülme leiten.
') Keyehi l'ür Schauspieler. W. A. I, Bd. -iU. S. Uu. Gotthardi,
Weiin. Theateiliilder I, UH.
Dazu kam noch der Missstand der allzu grellen Kanipenbeleuchtung'.
Güz, \'ersuch einer zahlreichen Folge leidenschaftlicher Entwürfe für
empfindsame Kunst- und Schauspiel freunde. Augsburg 1783. S. "ioT:
E. T. A. Hofi'niann, Seltsame Leiden eines Theaterdirektors. F. Ludw.
Schmidt, Dramaturg. Aphorismen I, 1^2, II, S. lU. Seckendorf. ^'or-
lesungen über Deklamation u. Mimik II. S. 2!)!» f.
2j Auch Schröder verlangte übrigens in den IJemorkungen zu liiccolioni
von seinen Schauspielern, es müsse zwischen den J'ersonen Entfernung ge-
halten werden, um das Theater einigermassen auszufüllen. Meyer, Schröder
II, 2 S. 209. lieinhold spottete (Saat v. Goethe gesäet S. 22): „Es ist
vielmehr in iliesem Lande eine Hauptregel, sich drey Schritte vom Leibe
zu bleiben."
Palaestra XXXn. llj
— 242 —
Eine Illustration zu diesen Theorien der Weimarer Regie-
führung- bietet die Stellung-, die 8cliiller im viei-ten Aufzug- der
Piccolomini vorschreibt ;
„Oktavio Piccolomini koimiit im Gespräch mit Maradas und
beyde stellen sich ganz vorne hin, auf eine Seite des Proszeniums.
Auf die entgegengesetzte Seite tritt Max Piccolomini, allein, in sich
gekehrt, und ohne Antheil an der übrigen Handlung. Den mittleren
Raum zwischen beyden, doch einige Schritte mehr zurück, erfüllen
Buttler, Isolani, Götz, Tiefenbach, Kolalto und Ijald darauf Graf Terzky."
Dass den einzehien Personen die Stellungen vorgeschiicben
wurden, kam in der Mitte des achtzelniten Jahrhunderts^)
li:aum vor. Beaumarchais hatte eine Neuerung eingeführt;
im avertissement, das er seinen „Beiden Freunden" voraus-
schickte, hiess es: „Pour faciliter les positions theaträles aux
acteurs de province ou de societe qui jouent ce (h-ame, on a
fait inprimer au commencement de chaque scene le nom des
personnages dans l'ordre oü les comediens fran^ais se sont
places, de la droite ä la gauclie, au regard des spectateurs."
J^ezeichnend ist es, dass der Dichter nicht seine eigenen
Intentionen dui'chzusetzen den Mut hatte, sondei'n die An-
oi'dnung dci' Paiiser Schauspielei' als geltend übernahm. Als
in Deutschland (iottcr im Anscliluss an Beaumaichais das
Mannheimer Manuskript seiner Erbschleicher -) mit eigenen
Vorschriften zu versehen wagte, bat er noch um Entschul-
digung: „Die Stellungen und Gemälde sind für den erfahrenen
Schauspiele!' vielleicht zu genau voi-gesclnieben. Audi denkt
man sich diese Dinge am Pult oft anders, als sie sich auf
dem Theater ausnehmen.'" Übrigens pflegten solche Stellungen,
auch wenn sie von Theaterkennern angegeben waren, nicht
bcobaclitet zu weiden; als Schröder 17iJ2 in Frankfurt seine
„Unglückliche Ehe aus Delikatesse'' sah, klagte er: „Die
Stellungen waren gerade das (iegentheil der Vorschlaft. "^)
In <lem Halbkreise, der, so lange keine Möbel oder Ver-
satzstücke Stützpunkte für die Gruppierung boten, die ge-
bräuchliche Aufstellungsform war, konnten nun auch in vcr-
') Wohl aber im sechszehnten und siebzehnten .lalirliuiukTt.
2; Walter II. S. 18.
'; Meyer, Schröder 11, tiS,
— 243 —
.steckter Weise einzelne Plätze bestimmt werden. Z. I>. wenn
es in den Ränbern ( II. 3) heisst: „Öchuftei'le zupft Schweizern'',
so ist flaniit die Notwendig-keit. dass beide nebeneinander-
stellen, ausi^esijroclien: wenn Fiesko (IV. 6) in der Menpe dei'
Nobili sich leise bei Vei'iina, Bourg-ognino und Sacco erkundigt,
ob alles vorbereitet ist, so müssen diese drei direkt um ilm
gn'uppiei't sein; ebenso muss im Don Carlos (V, 9) Domingo
neben Alba stehen, wenn er leise zu ihm sag-t: „Reden Sic ihn an."
In sein Aufstellung-ssystem trug Goethe übrig-ens auch
einige unkünstlcrische Gesichtspunkte hinein; so tindet sich
in den Kegeln für Schauspielei- die Vorschrift: „Auf der
rechten Seite stellt immer die geachtete Person: Frauenzimmer.
Ältere. \'ornehmere'" — eine verwunderliche Pedanterie, zu-
mal da in einer anderen Reg-el den Schauspielern gestattet
wird, auch die linke Hand zu reichen, „denn auf der Dühne
g-ilt kein Rechts oder Links, man muss nur immer suchen das
vorzustellende Jjild durch keine widrig-e Stellung- zu verun-
stalten.'-^j
Ferner sollten nach Goethes Regel die Fig-uren immer
dem Publikum mit vollem Ang^esicht gegenüberstehen; gerade
die Stelle in Humboldts Pariser Brief, worin Talma, weil er
sich nicht scheue, dem Publikum den Rücken zuzukehren,
gelobt wird -), scheint keine Anregung auf die Weimarer
Regieführuiig ausgeübt zu haben. Den Schauspielern aus
(ioethes Schule ist diese Regel noch mehr in Fleisch und
l)lut übergegangen, als der Meister jedenfalls selbst beab-
sichtigte.^) Als einmal in Weimar in Goethes Abwesenheit
der Hamlet aufgeführt wurde, gab es eine sehr un-
glückliche Wirkung, weil der Geist im vollen Lampenlicht
vorn über die Bühne gehen musste, nur damit A\'oltf als
') W. A. I, Bd. lU, S. IGi). Klingemann (Kunst u. Natur I, läl f.)
g-iebt dafür eine Erklärung: .,13ie zur rechten Haiul stehenden J'ersonen
sind ferner in der Regel X'ornehuiere und haben öfter Herablassung und
dergleichen auszudrücken, wobei gern der linke Theil des Körpers, als der
passivere, wirkt, indess der rechte in Ruhe bleibt."
-) Bratanek, Goethes Briefw. ni. d. Gebr. Humboldt, S. 9U.
^) Laube, Das Burgtheater, S. 177.
16*
— 244 —
Hamlet en face zu sehen war.^j In \Mllielm Meister hatte
Goethe darüber nichts jjesag't; die Rückenstellung-. die auch
Garrick in <lieser Szene einnahm ^), war die Tradition der sich
später auch Wolff, jedenfalls mit Goetlies Zustimmun.o-, wieder
anschloss.
Goethe selbst hatte den Zusatz gemacht: „Geschieht es
um des Charakteristischen und der Nothwendigkeit Avillen. so
g-eschehe es mit Vorsicht und Anmuth"; dass in der That die
Rückenstellung' gar nicht so selten war. scheint aus einem
Brief Goethes an Schiller hervorzug^ehen, woi'in er den Vor-
schlag' macht: ,.AVollten Sie nicht auch AVallenstein noch einen
rothen Mantel g'eben, er sieht von hinten den andern so sehr
ähnlich."^)
Welche Stellung- Schiller diesen Frag-en geg^enüber ein-
nahm, darüber g'eben seine Bühnenanweisungen keinen Auf-
schluss, während andere Dramatiker wenigstens bei Neben-
fig'uren es schüchtern wagten, Rückenstellung'en vorzuschreiben.^)
Es ist wohl anzunehmen, dass auch Schiller im Ganzen
einer freieren Beweg^ung geneigt war als Goethe. Indem
dieser nach und nach unter dem Einfluss der Antike die
malerischen Gesichtspunkte zu Gunsten der statuarischen
Einzelerscheinung fallen liess, konnte ei- mit seinem (Grund-
satz der symbolisclien Piehelfe den späteren tigurenreiciien
Stücken Schillers niciit mehr die gieiciien Dienste leisten, und
Schiller blickte jedenfalls bei den letzten Stücken mehi' nach
der Berliner Bühne hin. Nach Schillers Tod wurde der
Weimarer Stil immei- steifer, und als Iftland, dessen erstes
Gastspiel 1796 dem Theater neue Bahnen gewiesen hatte,
') Martersteig, P. A. Woltt', S. 53, 5().
Genast 11, S. 118 f.
2) Lichtenberg, Briefe aus England, Vermischte Schriften 1S44, S. "214.
■') 30. Januar 1799, W. A. 1\', Bd, 14, S. 15.
*) So Babo, Strelitzen 111, 4: „Die Streli/en versammeln sich in der
Tiefe des Saales in einem Kreise um den Suchanin, und f(dglich steht die
vordere Hälfte dieses Kreises (mit Erlaulniiss der bekannten Theater-
Etikette) niit den Rücken gegen den Vorgi'uiul . . .".
— 245 —
1812 noch einmal zurückkehrte, fand er sich selbst in die
YerändeninL'"on nicht mehr hinein.
Mit der lebendiiren Darstellung der Volksszenen im Julius
Cäsar 1803 hatte indessen das Weimarer Theater noch ein-
mal l)elcbend auf Schillers Produktion srewirkt und das Schiff-
lein des Dramatikers L-^ehoben.^) p]ine alte Neiirung und An-
lage wurde damit wieder bei ihm ireweckt; schon in den
Räubern steht Schillei- in der I ferrschaft über die Massen als
Meister da, und untei' den iresamten Stürmern und Drängern
lässt sich kein Vorbild finden, dem er diese Kunst und Sicher-
heit hätte ablernen können; keiner verstand es in dem Masse,
die verschiedenen Personen, die er gleichzeitig auf die P>ühne
stellte, im Auge zu behalten und in einander greifen zu
lassen.
Dieselbe theatralische Cmsicht. mit der sich Schiller in
seinem letzten Werk für die eiregte Szene zwischen Demetrius
und den Rebellen'') ermahnt: ,,Marfa darf jedoch in dieser
Scene nicht zu müssig stehen"," bewies er schon in den
Räuljeiii : Spiegelberg ist, während sich die übrigen T^ibertiner
um Moor schaaren. in steter IJeweLriuiLf und wird vom Dichter
wählend des iranzen Auftrittes nicht aus dem Auge
gelassen.
Diese Kunst, verschiedene Gruppen gleiciizeitig in unab-
häui^iger Bewegung zu halten, setzte nun Schiller auch in
Stand, die Aufmerksamkeit des Publikums an die Zügel zu
nehmen und dorthin zu lenken, wo er sie jedesmal haben
wollte. Aus dieser Technik, die sich am glänzendsten im
vierten Aufzug der Piccolomini offenbart^ ). zog er im Teil
greifbare Vorteile: während des Apfelschusses ist durch den
Zusammenstoss von Rudenz und Gessler die Aufmerksamkeit
in Anspruch genommen, bis sie auf einmal durch Stautfachers
Ruf auf das inzwischen geschehene Ereignis zurückgeführt
wird. Es ist also uar nicht nötiL^ wie Tieck vorschluL'^, während
M An Goethe [± Oktober] 1803. .Jonas VII. S. Sl. Genast I, 144.
2) Dram. Nachl. I, S. 165.
•') Freytag, Technik des I)ran)as, S. 20G,
— 246 —
des Schusses Teil und sein Kind liinter den vortretenden
Gruppen zu verstecken.')
In der Bewegung- Aller Aveiss Schiller stets die F]inzclnen
zu Worte kommen zu lassen und hebt sich in allmählicher
Steigerung das Unisono bis zum Höhepunkt auf. Auch dann
sind es meist kurze Sätze, die ein Durcheinander statt des
Miteinander erlauben, z. B. in den Räubern: „Wohin? Was?"
(III, 2), „Mordio! Mordio! Schweizer — Spiegclberg
— Reisst sie auseinander — " (IV, 13). Die Auflaufszene
im Egmont hat von Schillers Hand kleine Verbessei-ungen
erfahren; Sätze, die Goethe dem ganzen Volk in den Mund
legt, hat Schiller unter einzelne Bürger verteilt. Übi'igens
wollte auch schon Goethe selbst die Einstimmigkeit auflösen
und die Worte: „Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!"
so Aviederholen lassen, „dass Jeder ein andci-es ausruft, uiul
es eine Art Kanon wird."
In den späteren Stücken musste die Versform ihren Takt
in das Stimmciichaos der Masse hineintragen und zur Gleich-
mässigkeit zwingen. Dafür flnden die Tutti-Reden eher weniger
Verwendung; die Erregung der Masse bleibt jetzt häutig olnie
Worte: unter wildem Tumult, nicht mit einem cinstinnnigen
Schlachtruf, folgen Piccolominis Kürassiei'e ihrem Führer: und
die Ritter im ersten Aufzug der Jungfrau von Orleans geben
nur durch ein Getöse mit Lanzen und Schilden Zeichen ihres
Muts. Selten sind einzelne spontane Ausrufe im Nacheinander
des Versrythmus aufgereiht, wie im Don C'arlos l\'. 23
v. 4457, 446(5 oder bei der Abstinnnuiig in den Piccolomini
(U, 7) oder im Reichstagsakt des Dcmetrius:
Erzbischoff von Leniberg.
Ich stimme wie der J'rimas.
Mehrere Bischöffe.
Wie der I'rimas.
Mehrere Palatinen.
Auch ich!
') Krit. Sehr. IV, 26H.
2) Köster. S. 5 ff.
— 247 —
Odo walsky.
Und ich !
Landboten (rasch aufeinander).
Wir alle!
Meist ist CS der Ruf eines Vorsprechers, der von der
Mcn<re einstimmig' wiederholt wird, so schon in Wallensteins
Lager v. 1040:
„ i'icooloiiiini soll unser Sprecher seyn".
doch macht Schiller bei weitem nicht den plumpen (iehraucli
wie die Epigonen im neunzehnten Jahrhundert; man vergleiche
etwa, wie in Laubes Demetrius duirli . das g^anze Stück hin-
durch die Menge innner wiedei- mit dem Feldg-eschrei ., Vivat
Marina, Russiao regina"' hereinplatzt, das bei Schiller nur
einmal den Abschluss einer Szene bildet und auch da noch
zwischen zwei (ii'uppen vei'teilt ist.
Die (Jabe, die Masse in unndiiLf ucsteigcrtei' Hcweg^ung"
zu eihalten. ist inn' einem Stücke Schillers schädlich g^eworden,
nämlich der Üiaut von Mes.sina. Der Chor — Karl August
bezeichnete ihn, um den Widerspruch auszudrücken, als .,be-
wartnete Poeten"') — hat nach Schillers eigener Krklärum;'0
einen ZAviespältigen Charakter, .,einen allgemein menschlichen
iieinnlich, weini er sich im Zustand der rulii>:eii Reflexion be-
tindet, und einen specitischeii, wenn er in Leidenschatt i^eräth
und zur handelnden Person wird."' Im zweiten Charakter
steht ei' den handelnden Personen zu nahe; die Schuld liegt
nicht nui-, wie W. v. Ifundjoldt meinte,') äusserlich an dem
modernen Pjodürtnis nach Motivierung-, sondern eben an dem
ang-eborenen di-amatischen Sinn des Dichters, der die Menge
auf dei' RülnK^ voi- sich sieht und der sie nicht sehen kann,
ohne ihr Leben und leidenschaftliche Teilnahme an der
HandlnuL'' einzuhauchen. Lud wenn sieh Schiller nun vor-
nimmt, die ganze lÜindheit, l!eschräid<tlieit und dunipfe Leiden-
schaftlichkeit dei' MeniiC darzustellen, so greift er auch wieder
') Briefw. zw. Karl .\u<,aist u. Goethe I, S. 2!»l), 11. Kehr. 1.S03.
-■) .Schiller an Körner 10. Mar/, 180;3. .Jonas V'II. 21.
') W. V. Humboldt an Schiller 22. Okt. 1803.
— 248 —
zur modernen Technik der g'esteiirerten Massenszenen und
lässt den Streit mit den hastig-en Wechselreden der Einzelnen
anfangen; das volle Unisono hebt er nur für die Höhepunkte
der leidenschaftlichen Erregung auf.
Ob die Weimarer Aufführung die Widersprüche be-
friedigend gelöst hat, wissen wir nicht ^) ; an der lierliner
Darstellung setzte Zelter^) die allzu grosse Beweglichkeit des
Choi'cs aus. Zelter, der ursprünglich zur Weimarer Aufführung
hinzugezogen werden sollte ^), stellte sich den Choi- zu beiden
Seiten dicht an den Kulissen auf Tribünen stehend als eine
lebendige Wand vor, die von den Hauptgruppen durch grösst-
möglichen ZAvischenraum getrennt bleibe; zur Deklamation
sollten gedämpfte Paukenschläge den Takt geben. Er hatte
dabei das Gefühl, dass zu Gunsten eines einheitlichen Stiles
dem allgemeinen Charakter des Chores das Übergewicht ver-
liehen werden müsste. Interessant ist es nun, diesen Ideen
eine moderne Inszenierung gegenüberzusetzen, die ebenso
konsequent den spezifischen Charakter betonte. Dingelstedt
hielt sicli bei der Münchener Musteraufführung *) nicht an die
Vorschrift Schillers, die einen stilisierten reigenartigen p]inzug
des Chores angiebt, sondern er Hess zwei wilde, wirre Haufen
staubbedeckt, kampfgerüstet, mit einem flatternden Fähnlein
über jeder Schar, eine Riesentreppc herabpoltern. Während des
ganzen ersten A ufzuges blieben diese Krieger in äusserer Bewegung
und lagerten sich in wechselnden Gruppen auf den Stufen der
Treppe, wobei sie von Sklaven mit Speise undTrank gelabt wurden.
Die Jiühnengeschichte der Schillcrschen Dramen kann
von einer Menge solcher Experimente erzählen, die die Ab-
sichten des Dichters selbst unbeachtet Hessen, um anderen
'j Wenn das Gemälde auf der Weimarer Bibliothek (Bellerniann,
Schiller S. 22;')) Rückschlüsse auf die Autführunt,'- erlaubte, so hätte der
Chor ziemlich stark an der Bewegung der Hauptfiguren teilgenommen.
Schiller hatte „eine belebte Aktion auch bei denen, welche nicht selbst
reden", allerdings auch „eine möglichst symmetrische Disposition der
Figuren" verlangt. lAn Iffiand 24. Febr. 1S03. .Tonas VII, 17.)
2) Zelter an Goethe 1. .luli 1803. Briefw. I, S. äS ff.
•') Schiller an Zelter 2S. Februar. .lonas VIT. 8. J7,
') Dingelste.it, Münchener Bilderbogen S, 71 If.
— 249 —
Bühnenverhältnis?5cn oder einer anderen Geschmacksrichtung
Rechnung zu tragen.
Tiecks Räuberinszenierung im .luni^en 'risciilermeister
wurde bereits erwähnt; sie stellt eine merkwürdige Mischung
von guten Einfällen und romantischer Ironie dar. Das Stück
wird aufgeführt, um für die jagdliebcnden i>anauscn aus der
Nachbarschaft eine Hetze zu veranstalten. Was dieses rohe
Publikum am meisten ei'götzt hätte, lässt ychiller hinter der
lUihne vorgehen: <len Kampf, in tlem die Räuber sich durch-
schlagen. Tieck lässt ihn autführen und das AUertollstc her-
vorbringen, ..wie man es sonst nur in <lem Circus der Kunst-
reiter zu sehen gewohnt ist"': ')
„Alles schreit, lärmt, Trompeten schmettern, Waldhörner tönen.
Büchsen, Gewehre und Pistolen knallen, dazwischen die Hunde. . . .
Die Dogen, so aligerichtet, reissen viele Soldaten von hinten nieder, die
BuUenbeisser rennen die Stufen hinan, um die Krie<rer anzupacken, und
als diese mehr als babylonische Verwirrung, das Zeter und Spektakel eine
geraume Zeit gewährt hat, fliehen die Soldaten, und die siegenden Käuher
stürzen jubelnd nach. Den Boden, die innere Bühne und die verschiedenen
Stufen rechts und links bedr<ken die Leiber getödteter und verwundeter
Krieger, alle ... in höchst malerischen Stellungen Nun schlössen
sich die Vorhänge und venleckten Alles."
Vielleicht wurde Tieck zu diesem (ledanken durch eine
wirkliche Autführung angeregt; Schikanedcr, der mit diesem
Experiment zuerst in Regensburg hervorgetreten war, hatte
sicherlich Nachfolge gefnnden. und dieselbe Truppe, von der
Tieck bei Fürth eine Walltionautfühiung im Freien — eben-
falls eine Spezialität Schikanedei-s — sehen konnte, mag auch
den .,Fall des Moorschen Hauses" zu ihren Repertoirestücken
gezählt haben.
Jedenfalls hätte Tieck nicht erwartet, dass diese Insze-
nierung jemals ernst genonunen werden könnte. Immermann
in Düsseldorf konnte Schillers .lugendwerk nicht ernst nehmen
') Der junge Tischlermeister 11, 305 ff, 21.'».
V. Komorczinski, Schikaneder S. 7 f, 10 f, IS.
Theat.-Kal. 1787 S. 89 f.
Tieck, Phantasus. Schriften 1828 V, S. 441.
Köpke, Ludwig Tieck I, S. 1(54 f.
— 250 —
und setzte Tiecks Einfall mit Aufwand von einigen fünfzis"
Soldaten und mehreren Pfunden Pulvers in die That um. *)
Er wollte dem Demos ein leckeres Würstchen reichen, aber
die Erbitteruno- über den Unverstand des Publikums kann die
YersündiiTunö- gegen Schiller, die mit dieser seltsamen Rache
verbunden Avar. doch nicht g-anz entschuldig-en.
Gerade durch Weirlassen aller Kampfszenen hatte ja der
Dichter der Räuber irezei.rrt, wie sehr er sich im Ge<^ensatz
zu' den Ritterdi-amatikern auf echte theatralische Wirkung-
vei'stand. Im F^'iesko vei'lor er diese Mässig-ung' und unterlag"
zum Teil untoi' f]influss der Quellen dem Stofflichen; in der
liühncnbearbeitung nimmt der Kampf sogar (IV, 15), obwohl
die Verwechslung zwischen Gianettino und Leonore wegfiel
und der Tod Gianettinos also gai- nicht auf die Bühne zu
kommen brauchte, fast einen bedeutenderen Raum ein. Es
kam dies der Mode des Ritterdramas entg-egren, die g^erade
damals auf dem Höhepunkt ihrer Herrschaft über die deutschen
Theater stand. -) p]benso wenig' übrigens, wie die meisten
Ritterdramatiker, g^iebt Schiller bühnenmässig-e Anweisung^en
für die Dai'stellung" der Kämpfe.
Eines der wenigen Rittei'stücke, worin auch dafür g'-esorg^t
ist, ist .Johanna von Montfaucon. Kotzobuc ei'weist sich dort
als g-eschickter Kenner des Theaters; für die Schlacht im
letzten Akt Hess er die Bühne durch Felsen verbauen und
hinter diesen Felsen das eig-entliche (Gefecht hin- und hei'-
wog'-en — .,die Felsen sind so g^estellt, dass sie die Fechtenden
von Zeit zu Zeit verberg^en." Übrig^ens hatte man auch schon
in Mannheim bei der Auffühi'unL'' des .Julius Cäsar das Schlacht-
') Fellner, Geschichte einer Musterbühne S. 189, 4SI f.
2) Allenlino-s waren lani^e nicht alle Theater damals im Stande, auf
diese Mode so viel Mittel zu verwenden, wie das Mannheimer. Noch 178(5
schrieb Gotter an Dalberg über dessen Bearbeitung eines eng-lischen Stückes
(Oronooko v. Southern), der Pomp und Spektakel, der in Mannheim zum
KrM^ des Stückes beitrage, stehe dem Stück bei anderen Hähnen, ..wo
es zu diesen Aufzügen, Gefechten, l'rospecten etc. an nichts weniger als
— Allem gebricht", ini Wege.
— 251 —
feld im letzten Akt mit durcheinandergeworfenen Felsmassen
bedeckt. ^)
Dadurch konnte ein L-uter Teil der lächerlichen Wirkuni:,
die Theaterschlachten immer mit sich bringen, vermieden
werden. Und das war nötig, denn das Publikum jener Zeit
war nicht mehr anspi-uchslos genug, bei Ungesciücklichkeiten
ernst zu bleiben. In der Juni^tVau ist im Stile Shake-
speares — auch Tiecks Gcnoveva konnte Voihild sein — die
Schlacht in Einzok'-efechte aufgeh'jst. <leneii huiLfe Wechsel-
reden vorausgehen ; die rii'U[)peni:e fechte aber wurden bei der
Leipziger Aufführung belacht, und der Jicrichterstatter für das
Journal des Luxus und der Moden -) spricht es aus, solche
Schlachten würden nie ganz ihr armseliges Ansehen verliei-en,
..sobald wir nicht darin den römischen Sinn annehmen, durch
Symbole uns manches der Repräsentation nicht fähige ersetzen
zu lassen.''
Die letzten Worte kennzeichnen den Verfasser als An-
hänger der Weimai-er Schule ; Ersetzung der Natürlichkeit
durch Symbole war ja Goethes Schlagwoit in allen äusseren
theatralischen Dini.'on: und so muss man ainiehmen, dass dieser
(rnindsatz auch für die Kampfs/eniMi auf dem Weimarer
Theater massgebend war. I-'s wird auf »'ine Kcilie von
plastischen StelluiiL-eii und Linzelijruppen aiii^ckouimen sein;
die Shakespeareschen Fechtszenen wurden vom Tairzmeister
einstudiert'^) und mit vollem Ernst ausgefühi't, wie es ja schon
Wilhelm und Laertes im Wilhelm Meister gethan hatten;
bei Romeo und .Jalia liess Goethe den Kampf zwischen Mer-
cutio und Tybalt in ganz langsamem Temi)0 vor sich gehen ^)
und in der Kritik eine!' Macbethauttuhrung hatte er noch
mannigfaltigere Motive des Gefechts ^) verlangt.
') Iffland, Meine theatralische Lautitahn D. L. J). -24 8. ö8 f.
') Journ. .1. Lux. u. d. Mod. Okt. 1801 S. 557 f.
^) Wähle, Schriften der Goethegresellsch. VI. S. .'320.
') V. Biedermann, Goethes Gespräche VIII, S. 198. Gotthardi.
Weimarische Theaterhilder I, 98.
■•) Goethe an Schiller 30. Sept. 1800. W. A. IV, Bd. 15, S. 127.
— 252 —
Allein das Publikum, das in Weimar durch rioethes Er-
ziehung in die i^'leiclic Riehtunir ii-elonkt war, vei'sairte an
anderen Orten; in Lauchstädt wurde der Kampf zwischen
Macbeth und Macdutf von den Studenten ausgeptitfen, so dass
man die eiirentlichen ychlachtszenen irarnicht darzustellen
way'te. ^)
An einer sreschulten Komparserie fehlte es noch dazu
auf den meisten Theatern; am besten war man dort daran,
wo das Ilalletpersonal verwendet werden konnte; bei der
Räuberauttuhruiii;- in Hamburg: tiel deshalb die Wahrheit der
Darstelluni;- auf. ') Meist A\urden indessen Soldaten gebraucht,
und als die Weimarer in Lauchstädt Macbeth spielten, mussten
sie sogar zu Bauern ihre Zuflucht nehmen.
Als lifland ^) in seinem Almanach über die bedeutende
Personalvermehrung, zu der die P)ü]ine dui'ch das Ritterdrama
gezwungen war, spricht, beklagt er den Schaden für die
Scliauspielkunst, weil zur Darsteh ung der vielen Ritter und
Knappen, KamptVichter und Ratslierrn eine Menge von Un-
berufenen auf die Bühne gezogen Averden nuissten.
Neben Schlacliten und Turnieren gaben dazu namentlicli
die grossen Aufzüge frelegenheit ; Itt'hmd selbst aber hat
während seiner Ikrliner Üii'ektion dieser Gefahr für die
Schauspielkunst Vorschub geleistet. Von dem Voi'wurf ist
er nicht freizuspreclien, und vielleicht trifft auch die Vermutung
zu, dass er den Aufwand aus Geschäftsinteresse betrieb,
nämlich um die Hei'liner italienische Ojjei- zu schädigen. *)
Erst seit der P>er]iner Darstellung des Kröiumgszuges in
der .Jungfrau von Orleans und " des Reichstagsaufzuges in
') Becker an Schiller 29. Juni 1800. Urlichs S. .•371.
"■') Braun I, 24. Friedr. Ludw. Schmidt, Dramaturgische. A])horisiiieii
I, S. 172.
^) Ol) alle Beiträge zu den Alnianachen ans Ittlands eig'cner Feder
stammen, ist nicht bestätigt; Duncker und Funck schienen dies für selbst-
verständlich zu halten. Bei Ifi'lands rastlosem Fleiss besteht auch kein
lUnlenken, ihm wenigstens di(! wichtigsten, so auch den hier zitierten Auf-
satz zuzuweisen.
') Zelter an Goethe 7. Sept. 1803. Brief w. I, S. 88.
— 253 —
Zacharias W'ei'iiors ..\\'('ili(' dof Kraft" wai^cii iiiiii die kleinsten
Talente dieselben enormen AnforderniiLicn zn stellen. Das
frühere kitterdiania war noeli nicht iiiw so anmassend anf-
S'etreten ; aneh die Autzüi^e im Fiesko (\'. 12. lüihnenb. V.
5), den man in Äusserlichkeiten zinn Rittenh'ama rechnen
kann, in ItTlands Friedricli von Österreich (11. Kl) und Kotze-
bues Gustav Wasa (V. ')) halten sich noch in den (Jrenzen;
h()chstens 15abos Otto von Witteisbach scheint eine Ausnahme
zu machen: dem llochzeitszuge im ersten Akt sollen öd Maini
Leibwache vorausgehen und 5<> Mann Leibwache folgen.
Aber abticsehen davon, dass (He Zahl nicht bindend war,
muss man sich wohl denken, dass dieselben Soldaten am Ende
des Zuges wiederkehrten. Das war g-ebräuchlich. und es
wui'de z. li. auch bei der Leipziger Auttuhruug dei' Jungfrau
von Orleans so gehalten: allerdings erregten dort ilie zur Ver-
längerung des Zuges wiedeikehrenden Personen (ielächtei"
und Unwillen.
W'eini Zelter von dei- IJeiiiner Autfülirung berichtet, der
vierte Akt sei mit mehr denn 800 Personen besetzt gewesen,
so ist das übertrieben. Itf land selbst giebt in seinem Almanach
für 1811 Rechenschaft uiul zählt jede Person des Zuges auf;
dei- Zug selbst hatte demnach über 20(» 'reiiiicliinci'; das Volk
bestand aus 43 Personen; für den einen Akt wurden 297,
für das ganze Stück 3(52 verschiedene Kostüme gebi-ancht.
Iti'laiids Rechenschaft schwankt zwischen Stolz und
schlechtemCJewissen; er beklagt den ihm anfgezwuivu-enen Luxus
und schildert ihn doch mit der gleichen Liebe, nnt der er ihn
angeordnet hatte. ') Die Verantwortung schiebt er ScJiiller
') Eine illuniiiiieite AlibiMung des ganzen Zuges (21 Zoll hoch und
20 Zoll l)reit) erschien bei dem Verleger des Alnianaohs (Fried. Braune),
gezeichnet von H. Dähling. gestochen von F. .jügel. Angezeigt in Ilf-
lands Almanach 180U. Auch in Hamburg hat die Gruppe der Geistlichkeit
den eigentlichen Mittelpunkt des Zuges gebildet; im .Journal des Luxus
und der Moden lautet die Beschreibung: „Bei der Hauptprachtszene, der
Krünungsfeierlichkeit, waren an hundert Personen auf der Bühne, meist
neu ausstaftirt. Alles überstrahlte iler Kheimser Erzbischoll" im I'oiititica-
libus. Als er erschien, brach auch die Menge in den unbändigsten Beifall
aus. Journ. d. Lux. u. d. Mod. März 1802 S. 15U.
— 25i —
zu: „Diese Anordnung- des Dichters war dem Publikum be-
kannt und man musste sie entweder befolg'en oder der Vor-
stellunii' entsagen.'' Um aber zu zeigen, wie sehr Iffland über
»Schillers Anordnung' hinausgegangen war, mag" dieselbe Gruppe
der Geistlichkeit in der Vorschrift und in dei- Ausführung"
g-eg-enüberg-estellt werden :
Schiller
('iKiikiialieii mit dcni Haiiplifass,
dann zwei BischöHe mit der 8.
Anipoule,
Erzbischoff mit dem Crucifix.
Iffland.
Ein Geistlicher mit dem Kreuze.
Zwei Geistliche mit Leuchtern und
Kerzen.
Sechs Geistliche.
Acht Canonici von Rheims.
Vier Geistliche mit Leuchtern und
Kerzen.
Sechs Diakonen.
Ein Bischof.
Vier Geistliche.
Ein Geistlicher, welcher das grosse
erzbischöiliche Kreuz vorträgt.
Ein Erzbischof.
Zwei Bischöfe.
Ein Geistlicher.
Übi'igens wurde .später in Berlin an diesei- Anordnung"
des Zuges eine Ändei'iuig- angebracht. Dalbei-g' bereits hatte
in Mannlioini Kritik geübt: „Bischöfe und lhi"Klci-iis gangen
bey Kröiningen. EinweiJmngen etc. nie dem Zuge voraus.
»Sie erwarteten die zu Ki'öncndon und Einzuweyhcnden beim
Eintritt in die Kirche am Portal derselben".') Als Graf
JJrühl 1818 in Berlin das Stück neu einiichtete,') liess er aus
demselben (ii-unde den Klerus aus den Vorhallen des Münsters
dem Zug"e entgegen kommen, den König- unter dem Ti"ag"-
iiimmel empfang'-en und ihm den Weihrauch anbieten. Durch
die negegnung" der beiden Züge wurde natürlich die P)"acht
des Bühnenbildes nur noch yestelyert.
*) Pichler, S. 178.
'■'; Teichmann, S. 124 f.
- 255 —
Auch (Joctlic hatte sich doi' Mode nicht u'aiiz ont-
zo.uen 1111(1 war dei* Nciituni:' zu Autzüi^cii cntyci^eii luckouinicu.
Als er 18U3 den Cäsar unverkürzt iiab. hatte er den Leichen-
zug- weiter auscredehnt, indem er blasende Instrumente, Fahnen-
träger, Liktoren, Freigelassene, Klageweiber u. dergl. uiit-
ziehen Hess,') Auch in seiner (;Jötzbearbeituiig von 1804 sind
zwei kleine Aufzüge neu hinzugekommen: der lirautzug
8ickingens und (he Mummerei dei- Adelheid.
Aber die (xoethischen Aufzüge halten sich doch nur in
sehr bescheidenen Grenzen; sie gehen nicht von dem Prinzip
ab, das für die ganze Bühnenkunst Goethes massgebend war,
der basrelief artigen Wirkung.
Auch Schillers erste Anweisung im Manuskript liess den
Ki'önungszug nur im Profil über die lUihne gehen: ,.Der Zug
kommt aus dem zweiten Flügel . . . er geht (luer über die
IJühne und auf dei- entgegengesetzten Seite hinunter in die
Kirche hinein.'" Diese für die Druckausgabe zu spezielle
N'orschrift tiel später weg; auf den grossen lUihnen, wo man
im Hintergründe den Dom haben wollte, wurde sie zudem
doch nicht befolgt. Zur rechten Entfaltung konnte ja .auch
der Zug auf dem geraden Wege nicht kommen; dazu war
eine Wendung notwendig, die ihn im l'.ogen vorbeiführtc.
Für den Hochzeitszug im Teil gewann Schiller diese ge-
wundene Bahn durch den huiten aufsteigenden Felsenweg; auch
beim Demetrius trug ei- bereits dafür Sorge und schrieb in den
Entwurf: „Eine Schiffbrücke über die Moskwa kann vor-
kommen, wodurch der Zug dupUert wird."'-)
Der Plan dieses grossen Aufzuges im Demetrius zeigt
am besten, dass es Schiller mit der Missbilligung, die er über
die IfHandische Prachtinszenieruiig in Berlin g(>äussei't haben
soll, nicht allzu ernst gewesen sein kann. Bei dei- \\alil
') All A. W. Schlegel ö. Okt. 18U3. W. A. IV, Bd. 16, S. 31JI.
Auch in „Küiueo und Julia" hätte Goethe gern, wenn die Bühne
gereicht hätte, den Leichenzug Julias vorgestellt. So legte er wenigstens
die Erzählung des Tagen ein. (G.-J. XVIII, S. 63.)
■') Draui. ^'achl. I, S. 160.
— 256 —
zwischen Warbeck und Demeti'ius führte er füi- das zweite
»Stück an, „dass es Viel für die Auyen hat'"*), und als er nach
dei' Rückkehr von Berlin an die Arbeit geht, fasst er den
Einzug- in Moskau „als die Hauptscene des Ötücks in Rück-
sicht auf stoffartiges Interesse" ins Aug-e. Er steht so sehr
unter dem Eindruck dessen, was er in Berlin gesehen hat,
dass er sich selbst ermahnen muss, keine direkte Wiederholung'
des Krönungszuges zu bringen.
Die andere Disposition des Einzuges besteht aber im
Wesentlichen in einei- Überti'umpfung an äusserer Pracht.
Nicht nur durch die Dekoration, eine Brücke und einen
Triumphbogen, und durch die grössere Teilnahme der Zu-
scliauer sollte das Bild bereichert werden; im Zug sollten
reichgeschmückte Pferde die Augen fesseln und Demetrius
selbst sollte beritten erscheinen.
Damit kam Schiller auf den 1 Joden der Oper. Die Stutt-
garter Hofoper, auf der einmal in einem Stück dreihundei't
berittene Mohren auf der liühne erschienen sein sollen,') wai'
zu seiner Jugendzeit in ganz Deutschland wegen dieses Luxus
bei'ühmt.") Man kann es vielleicht diesen Eindrücken zu-
schreiben, wenn Schiller schon in den Räubern kein Bedenken
trug, Karl Moor zu Pferde ersciieinen zu lassen.*} Die Pferde,
die in der Szene an der Donau den Hügel herunter weiden,
sind ein Bestandsteil des dramatischen Romanos; nur
durch eine Nachlässigkeit können sie im Druck der Bühnen-
bearbeitung stellen geblieben sein ; im Mannheimer Manu-
ski-ipt fehlen sie natürlich. Übrigens ist in Mannheim auch
das Pferd Moors nicht auf die Jiühne gekonuncn; vor den
') Drain. Nachl. I, 115, 219.
0 Weltlich I, 085.
") Z. B. in Knig-gcs Heise nach Hrauiischwei^', 2. Aufl., S. 89 f. wird
die Stuttgarter Ilufltiihne. wo J'ferde und Wa^^en auf das Theater l<oninien,
erwähnt.
^) Man nimmt aher hesser ein litterarisches \'orbild an: den
Räuberhauptmann Iiü(iue Guinart, der bei Cervantes zu Pferde, vier l'istolen
an der Seite, ansprengt. (Minor I, 314.)
— 257 —
\\'oi'ten: „Führt inoinen Kappen ab'' steht im lUihneiimanu-
skrii)t: ..(Noeli hinter der Seene zurückrufend).''
Im Fiesko lie.s.s sich Schillei' bereits diese Erfahrung;' ge-
sagt sein; obwohl Robertson, Rctz und Maiily ausdrüeklicli
betonen, dass Doria auf einem Pferd sich rettete, war »Schiller
hier mit Rücksicht auf die Auöülirung- enthaltsam. ^)
Es ist auftauend, wie vorsichtig- bereits manche Stürmer
und Dräng-er diese »Schwierig-keit umg^ing-cn, z. P». Lenz'^), dem
sonst 15ühnensinn nicht nachzui'ühraen ist; auch Maler Müller
in der Cienovefa. wo der Anfang- des Tui-niers (IV, 8) nur
von aussen beobachtet wird; nachdem aber die Pferde g-e-
fallen sind und die Ritter zu Fusse weiter kämpfen, (iftnet
sich IV. 9 der innere Teil der Schranken. Das Turnier im
(Jtto von W'ittelsbach tindet hinter der Szene statt: in der
Ag-nes Rernauerin werden keine Pferde beim Turnier erwähnt,
dagegen erscheinen im letzten Akt beim (jerichtszug der
Nicedom. der (Jberi-ichter und einig-e Räte beritten und, wie
aus einer kumischen liallade über die Auttuhrung- dieses
Stückes in einei- rheinischen Stadt -^i hei-vorgeht, wurde die
N'orschrift wirklich befolgt.
AUmählich machten die Theaterdirektoren die Kifahrung-,
dass sie durch nichts das Publikum mehr anziehen konnten,
als durch Zirkuskünste. Schikaneder liess Turniere zu Pferde
wirklich auttuhren, und aus Möllers Graf W'aUtron machte er
ein grosses Zeltlager im Freien, wo die Oftiziere beiitten
erschienen und die (n-ätin im Reisewagen aug-efahren kam.
Die Spekulation der Rühnensclniftsteller richtet sich bald
nach dieser Neig-ung- des Publikums. Hatte z. B. Kotzebue
') Den Götz hatte die Besprechung im Hamburg-ischen Correspomienten
wegen der Vorstellung von Tferden für unautt'ührbar gehalten; vSchrüder
strich in seiner IJearlteitung die ganze Reichsexekutionsarniee. Auch Goethe
seihst nahm später in seiner Bühnenl)earlieitung Rücksicht darauf. (Winter,
Theatergesch. Forsch. II, S. 24, 40.)
-) Sizianische Vesper IV, 2.
^) Litteratur- u. Theaterzeitung 1784 IV, 8. 1 ti'.
PalaeHtra XXXU. 1"
-- 258 —
noch in Johanna von Montfaucon auf ein rührendes Bihl ^)
verzichtet, weil er kein Pferd auf die Bühne bi'ing-en wollte.
80 lässt er nunmehr in Gustav Wasa (\'. 6) den Helden auf
einem weissen Zelter einreiten.
Wenn 8chiller im Teil zum ersten Male seit den Räubern
wieder Pferde auf die Bühne bi'achte, so haben wir das nicht
als Nachg-iebig-keit g-'eoen die Mode aufzufassen, wenngleich
die Mode diesen Luxus nur ei'möglichte. Hier A\'ar er künst-
lerisch berechtigt, denn wie viel eindrucksvoller wird der
rasche Tod Gesslers, wenn der Tyrann noch eben stolz zu
Rosse das knieende Bauernweib in den Staub trat. Übrig-cns
sollten, wie es scheint, nicht nur Gessler und Harras beritten
sein, sondern auch im ersten Akt Landenbergs Reiter. Der Zuruf
„Reit zu!" (v. 175) ist sog^ar in keinem der bekannten Theater-
manuski'ipte getilgt, während das Aschatfenburger und das
Hamburger Manuskript im vierten Akt den unglücklichen Er-
satz: „Oder mein Fuss g-eht über Dich hinweg'" (v. 2764)
eingeführt haben.
9. Kostüm und Requisiten.
Dass sich der Dichter selbst um die Kleidung' seiner
Personen irgend zu bekümmern habe. \\'ar auf dem französischen
klassisclien Theatei' eine gänzlich unbekannte Forderung-.
Kousseaus Satz: „onsait bien ([ue Corneille n'etait pas tailleur
ni Ci'cbillon perruquier" reichte hin, um alle Ycrnachlässig-ung-en
zu entschuldigen. -)
') Johanna will dem von der .lag-d zurückkehrenden Gatten entgeg-en:
„Ich will ihn heschleichen, ihm den Zügel halten und wenn er auf den
ung-eschickten Knappen .schelten will, so sinke ich lachend in seine Arme."
Diese Kpisode darf nicht zur Ausführung- g-clang-en, und der Kitter niuss
im selben Aug-enblick schon zu Fuss in den Schlosshof treten.
■-) Bapst, Essai sur Ihistoire du theätre S. 400, 400.
Tieck, Draniaturfj. Sehr. II, S. 211 tt'.
Ann. des 'J'heaters 178H Heft 1 S. 55 li".
lil'land, Almanach 18U7 S. 145 f.
^ 259 —
Voltaire wai" der Erste, der darin selbständige Neuerinifren
tiaf: im Vorwoit zu seinem Brutus rühmte er sich, den
rörnisclien Senat in roten Roben auf die lUihnc gebracht zu
liaben, womit er sich freilich als schlechter Kenner des Alter-
tums erwies. Im Wesentlichen scheinen die Unterschiede,
die das fi-anzösische Theaterkostüni zwischen moderner, antikei-
odei- türkischei' Tracht machte, doch nui- in der KopflxMh'ck-
ung: Hut. Casquet odei' Turban bestanden zu haben; hingegen
ei'liessen der gesellschaftliche Chai'akter des Theaters und die
Foi'dei'ung des Anstandes dem Schausjtieler weder Knoten-
perrücke und Oalanteriedegen, Reifrock und Taschentuch,
noch seidene Strümpfe und Handschuhe in irgend einer Rolle.
Während nun in Frankreich die praktische Dui-chführung
dei' Neuerungen von einzelnen Schauspielern — Mad. Favai't,
die 1758 als Bäuerin m Holzschuhen auftrat, der Clairon
und des Lecahi, die 1755 in Voltaires (Jrphelin de la Chine
chinesisches Gewand anlegten — in die liand genommen
w ni-de, verhielten sich in Deutscliland die Schauspieler gerade
mngekehrt. Hier hatten schon in den vierziger Jahren (Jott-
sched und Mylius sich für ein liistorisch-echtes Kostüm ver-
wandt, aber den Versuch, den daraufhin die Neubersche Trui)pe
mit dem Cato machte, gestaltete sie selbst zu einer otfenen
\'erhöhnung (Jottscheds. ^) Am Eigensinn der Schauspieler
scheiterte zunächst jeder Fortschritt; auch Lessing wurde
durch die Gegnerschaft gegen Gottsched zur Bekämpfung der
Bestrebungen engagiert ; dazu kam, dass man Inder folgenden
Zeit mein- vom englischen, als vom französischen Theater abhängig
wurde und dass dort ein Garrick iumier noch im Gesellschafts-
kleid auftrat. '-) Lichtenberg hat ihn veiteidigt, weil er Handel
im französischen Kleid spielte und dabei den Satz ausgesprochen :
') Mylius, Beytr. '/. crit Hist. d. «1. Spracht- \'11I. 8. 812 If,
üottsche.l. Crit. Dichtk. 4. Auf]. 8. (}27.
V. Iie(len-E.sbe(;k, Caroline Neuber S. 75, '27(5.
Waniek, Gottsched S. 118, 44-2.
-) Theat.-Kal. 1781: Abbüdung- Garricks als Macbeth und Lear in
moderner Tracht.
17*
— 2*10. —
„Wo der Antiquar in den Köpfen eines Publikums über einen
gewissen Ai'tikel noch schlummert, da soll der 8chausi)ieler
nicht der Erste sein, der ihn wecken will." ^)
Der Ruhm, die antike Kleidung- auf dem deutschen
Theater eingeführt zu haben, wird Charlotte P>randes zuge-
schrieben, die in Gotha mit Unterstützung- des Hofes und von
Archäologen beraten, ein Muster aufstellte ; wenn wir indessen
die Abbildungen in den Theaterzeitschriften betrachten, be-
lehrt uns ein Blick auf die hohe Frisur und den bauschigen
Rock, wieviel Conventionelles auch dieser sog-enannten alt-
g-riechischen Tracht noch anhaftete. '-)
Der erste Schauspieldirektor, der Einsicht besass, war
schon vor der Brandes in Koch aufgetreten; bei der Eröff-
nung des Leipziger Theaters mit Schlegels Hermann 1766
hatte er die ersten Annäherungen an ein wahres Kostüm
versucht; den zweiten Voi-stoss machte er 1774 mit der Ber-
liner Auttuhrang- des Götz. Die Kostüme waren nach Vor-
lagen des Kupferstechei"s Meil verfertigt und wirkten so über-
raschend, dass Nicolai und Lessing den ganzen Erfolg des
Stückes eigentlich dem Zeichner zuschieben wollten. ^)
Kochs Leistung wurde indessen schon im gleichen Jahr
durch Schröders Hamburger (Jötzaufführung weit in Schatten
gestellt. Die xVckermann-Schrödersche Truppe \\ar schon
früher durch prunkvollei'c und mit echter Goldstickerei ver-
sehene Kleider allen andern voraus gewesen, und Schröder
') Lichtenberg, Briefe aus Kiig-Iand. N'eiiiii.schte Schriften lH-i4 Bd.
111 S. 23(5 tf.
•') Brandes, Meine Lebensg-eschichte II, 173, 184, 20ü, 277. III, 209.
Hoderniann, Gesch. d. üothaischen Hoftheaters (Theat. Forsch.
IX) S. 8. Theat.-Kal. 177(3. Litt. u. Theat.-Zeit. 1782, T.
Dai'ür, dass wenigstens das üraH-Sinzenich'schc Bild zuverlässig ist,
spricht die Reklame, die Brandes selbst dafür machte, auf dem Umschlag
des vierten Heftes der Rheinischen Beiträge 17.S0.
'■*) Devrient I, 13;'). II, 297 f.
Nicolai an Gebier 8. Okt. 1774.
Lessing a. s. Bruder 30. April 1774.
Teichmann S. 21 f. Winter, Theat. Forsch. 11 8. 17 f.
K. M. Werner, Goethe-Jahrb. II, 97.
— 261 —
bildete fortan diese von seiner Mutter überkommene Neig-ung
zu wirkliobem Luxus aus; von seinem späteren Bestand, zu
dem er zweimal die Frankfurter KrönnuL^sirarderobc aufgekauft
haben soll, wei'den WunderdiuL^e erzählt. ^)
Das Berliner Theater trat ihm darin seit der Direktion
von WarsiuL-- an die Seite-); unter Iffland kam das Bestreben
der peinlichen Echtheit hinzu, das Graf Brühl noch weiter
ausbildete. Mit dem Dekorationsluxus ging, wie überall, der
Kostümi)runk Hand in Hand, und Tieck'l war es vor allem,
der die drohende Gefahr erkannte:
.Wenn man erst Kleinigkeiten untersucht, nachschlägt, deshalb
korrespondiert, sich aus fernen Gegenden belehren lä-sst, ob ein Soldat
ilamals diese oder jene Nuance einer Farbe getragen habe, so liegt
es als Notwendigkeit ganz nahe, sich das wirkliche Koller zu ver-
schaffen, in welchem Gustav Adolf fiel, oiier Wallenstein ermordet
wurde.... Mögen wir Chroniken. Kupferstiche und Hildergallerien
plündern, so viel wir wollen, so bin ich überzeugt, dass uns jeder Schneider
aus dem 1-4 ten oder löten Jahrhundert verlachte, wenn er unsere auf-
gestutzten Modelle sehen könnte."
Die ersten Folgen zeigten sich zunächst darin, dass das
licrliner Publikum durch den Luxus verwöhnt wurde; nirgends
wurde; so viel an den Kostümen bemäkelt, als gerade in
IJerliii.
Tieck nun, der Iffland für die geschmacklose Echtheit
veiantwortlich macht, möchte das Theaterkostüm wieder auf
den Standpunkt von 1790, auf Engels oder Schröders Kleider-
ordnungen, zurückführen: für das g-anze Mittelalter und die
Ritterzeit hält er eine und dieselbe Tracht für ausreichend;
auf die Zeit des dreissig-jähi-igen Krieg"es sowie auf die Teters
des Grossen*) soll .sodann Rücksicht genommen werden und
.,ist man dabei nur einigrermassen der griechischen und römischen
Kleidung gewiss, ohne zu arg zu Verstössen, so hat, die
') Schütze, S. 321, 401.
Böttiger, Fleischers Minerva IS 18 8 292.
2) Val. Teichmann, S. 55 f.
•') Dramaturg. Sehr. II, 215 ff.
') Kücksicht auf die Modestücke von Kratter, liabo u. s. w,
— 262 —
neuesten Kleider hinzugerechnet, jedes Theater wohl, was es
braucht.^)
In den fünfzig Jahren der vorgezeichneten Entwicklung
steht nun Schillers dramatische Wirksamkeit mitten darin, und
seine Stücke mussten zu den ersten Objekten gehören, an
denen sich die Entwicklung vollzog.
Wenn Koch das Verdienst gebührt, das Kostüm, das in
den letzten .Jahrzehnten des achtzehnten Jahi'hunderts die
deutsche Bühne beherrschte, eingeführt zu haben, die soge-
nannte altdeutsche Kleidung, so hat er damit zugleich die
Tracht für die ersten Schillerschen Stücke, für die Räuber,-)
Fiesko und Don Carlos bestimmt. Man kann sich von diesem
Kostüm, einer Mischung von spanischer Tracht und deutscher
Bürgerkleidung, etwa eine Vorstellung machen nach den
Kupfern Meils in Engels Mimik, die den Schauspieler Scholz
als Otto von Witteisbach darstellen: im Gi'ossen und Ganzen
dasselbe Äussere erblicken wir auch auf Brockmanns Bildern
als Hamlet,
Die charakteristischen Bestandteile sind weite Beinkleider,
bauschige Ärmel und ein grosser runder Fedci'hut. Der
Federbusch auf dem Kopf wai- für den Heldendarsteller beinahe
*) Die Annalei) des Theaters 1788 H. 1 S. ö!) o-ebeii uni,'-et'ähr den
gleifhen Bestand alsiiotwendip: fürdieTheatertrarderoliean : 1) Idealische Tracht.
2) Römische Tracht. 3) Roniantische Kleiduni,'. 4) Rittertracht. 5) Tracht
aus dem mittlereii Zeitalter. (5) Moderne Charakterkleidung-. 7) Asiatische
oder Türkische Tracht. !)) Moderne Konversationskleidung.
2) Bei den Räubern hatte sich der Schauspielerausschuss gegen das
altdeutsche Kostüm ausgesprochen l Martersteig S. 45 f.), und zwar ein-
mal wegen ilcr zu häufigen Verwendung und zweitens aus dem verständ-
lichen Grunde, dass die Charakteristik der Räuber zu schwer darin auszu-
drücken sei: „allen jenen Kleidern, wenn sie auch mit noch so viel Ge-
schmack angeordnet sind, würde man es ansehen, dass sie neu sind ge-
macht worden."
Aus derselben Ursache mag man an anderen Orten, so in Frankfurt
unil Königsberg, auf die Geschmacklosigkeit verfallen sein, die Haupt-
personen in altdeutscher, die Räuber aber in moderner Studententracht
auftreten zu la.ssen. In Leipzig wurde das Stück trotz der veränderten
Zeitanspielungen von Landfrieden u. s. w. ganz in iiioiicrner Tracht ge-
geben. (Br&un I, 25, 225, 2Ü7.)
— 263 —
unenthchrlich ; für Max Piccolornini ist er indirekt vorg-e-
schricbcii (W. T. v. 3043); auch Wallenstein bekam in Weimar
ein Barett mit Reih er federn^), und von der Hambui"<rer Dar-
stellerin der Junirfrau wird berichtet: .,sie bezauberte unter
dem Nicken des irewaltiiren Helmbusches alle ihre Krie<jer."")
Die SclnvinsrunL'-en des Busciies dienten als Ausdrucksbe-
Avog'unij'en und wurden als solche nur allzu oft missbraucht.
In seinem Almanach^) warnte daher Iffland:
_l)ie hohe F"e(ler soll mit Geschmack tretrasjen werden. Wenn
iler Kopf ohne Ursach hin und her o'eworten, herüber untl hinüber
ifewendet wird: so erhält die Feder zitternde, kleinliche, nichts sagende
Bewegungen. Bei sorgfältigen, ernsten Bewegungen des Kopfes
kann die hohe Feder von Deutung werden, ilen Ausdruck verstärken,
ein Baldachin für den Blick werden."
Als Ran.irabzeiclicii ist die Fedei' von \Vichtig-keit, und
Itfhiud hatte in seinem Mannheimer Kleiderrej/lement aus dem
Jahre 1702 dafür i/euaue Vor.schriften i.ieL-'eben.'*) Auch
f^chillci' leirte auf den Busch seines Räuberhauptmannes grossen
Wert, und er ist das einzige Kostümstück, das er in einem
Brief an Dalben/- ausdrücklich vej'langte: ..Einen Busch trägt
er auf dem Hut, denn dieses kommt namentlich im .Stück vor,
zu der Zeit, da er sein Amt niederlegt."-^)
Damit macht also der Dichter selbst den Theaterleiter
auf die latenten Kostümvor.schriften im Dialog aufmerksam.
Ob nuin sich im übi-igen in Mannheim viel nach dem Dichter
gei-ichtet hat. ist die Frage. Iffland z. F.. stellte spätei* bei
seinem Weimai'cr fJastspiel^) den Franz Moor nicht im letzten
Aufzug im Schlafrock dar. sondern von Anfang bis zu Ende
1) Goethe an Schiller .:!(». .lan 09. W. A. IV. Bd. 13, S. 15. Reiher-
federn sind auf dem Weimarer Gemälde, das Graff als W^allenstein zeigt
(Bellerniann. Schiller S. 2()S\ nicht zu sehen, dagegen auf dem ebemla
S. '200 wiedergegebenen Hild Ifilands in dieser Rolle.
2) .Journ. d. Lux. u. d. Moden März 1802, S. 5o.
•') Ifl'lands Almanach 1.S07. S. 137. Seckendorf. Vorles. ü. Dekl.
u. Mimik II. .321 f.
'} Pichler, S. 331 If.
^) 0. Okt. 17S1 an Dalberg. Jonas I, -42 ff.
") Böttiger, Kntwickelung des Ifflandischen Spiels.
— 264 —
in der schwarzen «panischen Ti^aclit, die dnrch eine kleine
Veränderuni;' vom dritten Aufzug ab als Trauei'kleiduni;- .yclten
konnte. Vielleicht lag" diese Vereinfachung- daran, dass Iffland
auf Reisen war und nicht seine ganze Gardei'obe bei sich
führte; aber auch andere Berichte bestätigen, dass Iffland
den Schlafrock nicht trug'); dieser Vorschrift sollen nur
Ochsenheimer in Dresden-Leipzig und Schmidt in Magdeburg
nachgekommen sein'").
Die späteren Mannheimei' Darsteller des Franz kleideten
sich nur zwischen dem zweiten und dritten Akt um: Franz
erschien zuerst im blauen Atlaskleid mit weissem Mantel und
dann erst ganz schwarz. Die Libertiner kamen als Käuber
umgekleidet wieder, und Karl Moor trug im vierten Aufzug
als Graf Brand wieder ein anderes Kleid. In dieser Hinsicht
wusste man also auf den Gang des Stückes einzugehen, ohne
dass der Dichter besondei-e Voi-sciniften gemacht hatte. Wie
Herrmanns Verkappung beschaffen war, geht aus dem Mann-
heimer Hauptbuche nicht hervor; der alte Moor dagegen er-
schien im viei'tcn Akt im aschgrauen Leinenkittel, denn die
Überfeinheit der Meininger, ihn im Paradekostüm, in dem er auf-
gebahrt war, aus dem Turm steigen zu lassen,^) lag dem
damaligen Theater ebenso fei'u, wie dem Dichter selbst.
Im Fiesko sind mehrere Umkleidungen vorgeschi-ieben,
da im ersten Aufzug alle Personen maskiert erscheinen.
Bei der direkten Kostümangabe im Personenverzeichnis
ist davon nichts vermei-kt; diese Angaben, die für die
beiden Doria Scharlach, füi' alle Nobili, sowie Leonore
und .lulia schwarze Kleidung voi'schreiben, sind übei'haupl
sehr späiiich gegom'iber der genauen (iai'derobe, wie sio, bei
Heaumarchais und H. I^. VVagnei- und später in Dyks Schwerer
Wahl, in Gotters Hasen und Erbschleichern, in Kotzebucs
') ItTlaiids Almaiuich 18U7 entwickelt seine Auffassuiiii: der Rolle
und stellt ihn in einiL^cn Kupfern von Catel dar.
2) Funck, hirinnernni,'-en aus meinem Tjel)eTi II, S. lO.'J f. Kiii Hild
Ochsenheiniers im Sflilafrock ist rejirodu/iert in HcUciiiianns SchilUsr
(Dichter und Darsteller VlI) 8. 42.
■'; Liniiau, Vürsj)iele auf dem Theater, S. Of).
— 265 —
Octavia bezeichnet ist. Die Mannheimer AuffiilirunLf seheint
hier zu des Dichters Ani.'ahen wenii:- liiir/uüetaii zu haben;
dass der TTeld von Anfang- bis zu VamIv sein ISallUleid anbe-
hielt, wurde in den Protokollen iretadelt; .,uian wünschte am
Ende des vierten Aktes, dass er Stiefel und einen Harnisch
anhabe."') Dass der Dichtci' selbst hiervon nichts vesasit
hatte, beweist eine «rewisse GleichiriltiiTkeit lieirenübcr dem
Kostüme; in dei- lUichaustrabc heisst es weniirstens am Anfanir
des fünften Aufzui/cs: .. Fiesko kommt L'ewatthet" ; in den
Quellen war ausdrücklich betont, dass dei- Erti'iid<ende duich
den schweren Panzer hinabv-ezoL-cn wurde.
Die allgemeine AuL'-abe: ..Die Tracht ist tlurchaus alt-
deutsch" soll wohl weniiiei'. wie Minoi- vermutet, dem Ver-
such, ein echtes italienisches Kostiim zu ei'proben, vorbeuiren,
als vielmehr der AuflIuhrunL:- im modernen (resellschaftskostüm.
Wie weniü' mnn in ^rannheim. che I ff lainl ans Ruder kam,
beim Kostiim auf den Ausdi'uck der Zeit Wei't leiste, ist
bereits erwähnt; (icmmiiuren hatte sich in seiner Mann-
heimischen Dramatin-Lne ( 177'.») vcri^ehcns datre^'^en auf^relehnt; -)
als ein Eintluss scinci- IJcmühuni^fn kiMUite höchstens der
Versuch igelten. dei- im ixleicln^i .lahi'c mit der Auf-
M Später achtete Schiller auf solche Unterschiede: im Walh'iistein
heisst es III, 13: .AVallenste in (im Harnisch)." Allenlinirs wurden fortan
vollständi^-e ümkleidun<>-en wetzen der Ausdehnuni»- der Zwischenakte
iiiüLr]ichst vermieden ; Rlisahcth sollte in Maria Stuart, wie erwähnt, für die
.lapl in Fotherinirhay nur Mantel und Kopfputz ändern. Auch die Identi-
fikation von 'Palhot und schwarzem Ritter möchte man versucht sein, als
Kostümrücksicht aufzufa.s.sen. In Mannheim z. li. war TaHiot der Einziire. der
in schwarzer Küstun«.'' auftrat. Aber trotzdem hatte man für den schwarzen
Kitter eine ei<,^ene KieiduuL»- aus der ZauiterHöte hervorg-esucht : Dalhers;
fand, dass er darin etwas schornsteinfeLrerisch aussehe. WaJter IT, 474.
I'ichler. S. 17S)
Auch in Weimar fand eine (Imkleidunir statt: als Schiller für den
schwarzen Ritter einen anderen Schauspieler vorschlu«,', liefürwortete er es
damit. <lass Oratf, der Darsteller des Talbot, sich des Umziehens weg-en mit
<lies("r Rolle nur playe. (An Goethe [10. Sept. 180.3]. .Jonas VII, 78.)
-) Flaischlen, Gemmingen, S. 75, 153,
— 266 —
führun? der Mediceer o-cmaclit wtiido. TJrandes') berichtet
darüber:
..In Manheini wurde die er.ste Vorstelhini,' dieses Schauspiels
im strengsten Costume gesehen; bewirkte aVier, wider Erwarten,
wenig Sensation V)eini Publikum ?'ndlifh kam er [Freiherr v.
Dalberg] auf den Gedanken, ob nicht vielleicht eben diese zu strenge
Beobachtung des Costume dem Stücke nachtheilig seyn könnte, und
das Interesse desselben, durch die altwelsche Kleidung, welche in der
That die Fiiruren der Schauspieler einigermassen verunstaltete, ge-
stdiwächt würde. Um sich nun deshalb ausser Zweifel zu setzen,
Hess er die /.weyte \'orstellung dieses Schauspiels in modernen
Kleidern geben, und nun erhielt solche den lautesten Beifall."
l^randes zielit daraus die Folo-eriiiiü-, dass man gut tue.
nur die Stücke, die in Spi'ache und Sitte einen historischen
Charakter traü-cn, z. B. Hamlet, Lear, Otto von Witteisbach,
Airncs Ijernauerin in echtei- Tracht zu i,'"eben, die anderen
aber bei dem konventioiiclicii ivustüm zu behissen — ein
Priir/.ip dem Ih'andos während seiner eiiz'enen Direktion aus
Kostünunanicel öfters folgte.
Die .\niiaben von Ih-andes sind indessen nicht i-ichtis:!-;
die erste .Auttuhrun? fand am 5. Dezember 1779 statt, eine
zweite, bei der man. wenn es diesen I'nterschied überhaupt
irab, statt des altitalienisclicn das altdeutsche Kostüm wählte,
am 18. Api'il 17s(»: bei der dritten am 28. Api-il 17S8 yab
Dalberi;- zu Pi-otokoU: ..Die moderne Traclit tvvvj: allerdings
etwas dazu bei, dass dies Stück heute weniger als in der
ersten Vorstelhuig (wo es in altdeutscher Ti-acht gespielt
wurde) gefallen hat." Man hatte oftenbar nur aus Überdruss
an der altdcutsclHMi die moderne Tracht gcAvählt; gegen eine
ftolchc VergewaltiL'um;' wollte Schiller Verwahrung einlegen;
an die erste Autluhrung der Mediceer, an die sich sogar
Dalberg nicht mein- erinnerte, wird er nicht gedacht
haben.
') Minor I, 402; IT, nf).
Brandes, Sänitl. dramat. Schriften, Leipzig 17'J0, Bd. V. S. IX tf.
Meine Lebensgeschichte III, 139.
.Martersteig, S. KitJ, 259.
Walter II, S. 187, 401,
— 267 —
Bei der schwarzen Traclit der Nobili ist an Goethes
Farbonlelii-eM erinnert worden: ..Die schwai'ze Farbe sollte
den venetianischcn Edelmann an eine repnblikaniseho (Jleieh-
heit erinnern." Es ist indessen kanm anznnehnKMi. dass die
Farbe bei Schiller einen symbolischen Wert b(?sass. Der
irleichzeitiire Roman hat mit solchen ^Mitteln bereits gearbeitet;
in ]Millcrs »Sieiiwart - ) wird diese Mode, die mit Werther
befrann, bereits übertrieben : Thcicscns und ^larianens Kleider,
die mit ihrem ( Jemütszustaiid zusammenstimmen, wei-den jedes-
mal i.'-enau beschrieben. Im Diama liebt es Klini.'Vi'. die
Stimmung- seiner Personen durch das (iewand auszudrücken,
so im Leidenden Weib TV. 4 und in «Icn Zwillinijen IV. 1
wo Camilla ihr Kleid aussucht:
„Nein, dieses wenl' ii^h nicht anziehn. Mutter."
-Wariin) ?"
„Die FarVic ist mir zu lu-ll. rinl irli weiss nicht, mich ileucht
— nach meinem Gefühl wiird' ich lielier schwarz stehen."
Das Trauerircwand als Stimmunirsausdruck hat Schiller
öfters verwendet, so bei Hertha in iler Bühnenbe-
arbeituni;' dos Fiesko, bei Maria StUMit und bei Thibaut in
<ler .luniilVau von Orleans (IV. M: zu untcischeiden sind
davon natürlich die (leleirenheiten. wo wi'ucu eines Todesfalles
die Tranerfai'be ireircben war, wie in den Käubern uiul in
der Braut von Messina. In Maria Stuart dient die letzte
Kleidung' der Heldin (..Sie ist weiss und festlich -ekleidet
u. s. w."), die mit ihi'cm ei'sten .\uftreten uml mit den
Trauergewändern tler ('uiücluniLf kontrastiert, zum Ausdruck
dei- TodesfiT'udiijkeit.
Im all,i.:emeinen ptle^it <lie weibliche KleiduuL: hei Schiller
seltenei' und weniiier Licnau anircgcben zu sein als die männ-
liche; es kann dies an dem monotonen Modekostüm dei' Zeit
lieiren, das für weibliche Gewänder fast nur die weisse Farbe
zuliess. Auch im Siegwart tragen Thcrese und Mariane
') Eckanlt, Erläut. zu Fiosko.
W. A. IT. B.l. I, S. si:5.
^) Siegwart, 2. AuH. Leipzig, Wcygaml 1777, S. 1"'7. .inu. :J26,
454, 512, 529, 531, 595.
— 268 —
meist niii- weisse Kleiler. und die Abtönung g-eschieht durch
rosenrote. himnielblau3 oder schwarze Schleifen und liänder;
auch Werthers Lotte trägt ein weisses Kleid mit bhissroten
Schleifen, und dasselbe Kostüm tritt wieder auf in Wagners
Reue nach dei' That und Evchen Humbrecht, bei Lenz im
Tugendhaften Taugenichts und in der Catharina.^) Im Aveissen
Kleid müssen wir uns also auch Luise Miller, Thekla, Johanna
d'Arc vorgestellt denken; füi' Lady Milford und die Königin
Elisabeth wird dies im Mannheimei- Hauptbuch bestätigt; bei
.Tohanna war es IH, 4 indirekt vorgeschrieben:
Du koninist als Priesterin geschmückt, Johanna?
Dalberg schrieb jedoch nach der Mannheimer Autführung ins
Protokoll: .,Wäre der Rock der .Johanna nicht besser und in
der Farbe wirksamer zum Harnisch, wenn er rotli oder blau
wäre? '-)
Auch für die männliche Tr'acht nahm schon damals die
Mannigfaltigkeit der Farben ab.^) Iffland ^) beklagt aufs
äusserste diese Einförmigkeit auf der Bühne:
...letzt, wo überhaupt für die Männer und zwar im Schnitte des
halben Anzu^fes. nur die Haupttarben, schwarz, braun und V)lau, so wie
für die Frauenzimmer beinahe nur die weisse Farbe, im Leben wie auf der
Bühne, geltend ist, wird eben dadurch der Unterscheidung und dem An-
stände nicht Erleichterung gegeben. Väter, Kammerdiener, Liebhaber,
Bedienten, Damen, Zofen, alle gehen auf der Bühne mehrentheils in einer
Farbe, und es geschieht nur zu oft, dass sie sich auf eine und dieselbe
Weise benehmen.
') Lenz, Dram. Xachl. hsg. v. Weinhold S. 177, ^Ki ^.Sf).
2) Walter If, 474. In Wien missfiel 1820 das rote Gewand, das
Mad. Stich in dieser Rolle trug. Costenoble, Aus d. Burgtheator I. 104.
^) Goethe erwähnt die Gesellschaftsmode in der Farbenlehre: „Ge-
bildete Menschen haben einige Abneigung vor Farben. Es kann dieses
theils aus Schwäche des Organs, theils aus Unsicherheit des CJeschmacks
geschehen, die sich gern in das völlige Nichts flüchtet. Die Frauen gehen
nunmehr fast durchweg weiss und die Männer schwarz. — — — Inwie-
fern der trübe nordische Himmel die Farben nach und nach vertrieben
hat, lies.se sich vielleicht auch noch untersuchen." W. A. II, Bd, 1 S,
841, 843.
V Almanach 1807 S. 135. Jg. 1811, S. 4 ii;
— 269 —
Es ^'■iel)t \'(>rst('IIiiiiLri'ii. wo alle Mäiiiier in schwar/cr Failic, alle
Fraueii/iniiiicr in wcns.ser Farlie untereiiiaiuler vfikelircii. so, dass wenn
nicht n()th(lürtti<,'-er Weise zum Schlüsse iler Haiidluiig etliche Gerichts-
frohnen in der herkünindichen Kriminal-Livree erschienen, das Ganze der
Versammlung- in einem Leichenhause ähnlich sehen würde.
Wer angfehende Spieler nur einiq-ermassen g-enau beobachtet, kann
es wissen, wie sehr diese Sitte und der Mangrel an aller äusseren Unter-
scheidung', auf die A'ernachlässiLruntr ihrer Haltnnir und ihres ganzen Be-
tragens Einliuss hat." '.)
Das Kostüm von Kabale und Liebe bot weiiii^stens etwas
mehi' JUmtheit als die meisten biirf;ei-liclien Stiicke. Die
Kriniinal-ljivi'ce der (ienelitsfroiineii fejilte iiielit, die riiitbrm
des Majoi's bi'aelite Abweelislunt^-. aiieli der Präsident war
durcli seinen Stern aiisoezeielinet. Der i'ote plüsehene Staats-
i'ock Millers-') mit dem weissen Manselietteidiemd (1. 1 11.4),
den ei' je(lo('li an/n/Jeiu'n nicht ( Jele<,'"enli('il tindet. zei^t \\ie
Schiller hiei' die äu.ssere Krsehcinunu' seiner Peisonen vor sieh
sah. Das reiche, aber «geschmacklose IJolkleid des Hoi'mar-
schalls nnd das freie, aber reizende Neyli^ee der Lady, ebenso
in Don Cai-Jos die Erscheinung- der Kboli: „in einem idealischen
') Schröder in seinen Bemerkungen zu liiccoboni stimmt diesen
Klagen Ifflands ausdrücklieh bei. Meyer, Schröder IL 2 S. 212 f ; ebenso
Fr. L. Schmidt, Dramaturg. Aphorismen L 215, II 34 f.) In seinem
Mannheimer Kleiderreglement hatte It't'land wenigstens Vorsorge für einige
kleine Unterschiede getragen ; es heLsstdort: „Die Aktrizen, welche in den
bürgerlichen Stücken die Mädgeu spielen, tragen: „Weder Kleid, noch
Caraco, sondern Rock und Leibchen, niemals weiss, wenn die Lieb-
haberin es trägt, mit welcher sie sich vorher zu besprechen haben."
■) Der rote I'lüschrock sollte vielleicht bereits eine veraltete Mode
ausdrücken. Gramer erzählt 1771 von Klopstock, dass er darin die neueste
Mode verletze, dass er zu den perlfarbenen Unterkleidern seines Galarockes
beim Spazierengehen einen roten plü.schenen Rock trage. (Klopstock, In
Fragmenten von Tellow an Eli.sa. Frankf. u. Leipz. 1771 S. 7S). Musäus
bemerkt dazu in seinen „i'hysiognomischen Reisen'" (3. AuH. Alteidjurg
1781 II, S. r)7, 72): „In dieser Tracht war er nun wohl an keinem Hof
in Deutschland Assembleefähig gewesen.*' Mit der Wertherzeit kam Blau
als die Mmlefarbe auf; Goethe erklärt in der Farbenlehre ihre Aufnahme aus
praktischen (iründen, „weil es eine dauerhafte Farbe des Tuches ist." (W.
A. III, Bd. 1 S. 332. j
^ 270 —
Geschmack, schön abei- einfach (:ekleiilet" lassen das Kostüm
als Bestandteil der Charaktei*maske erkennen.
Der englische Roman mit seinen schaifcn Beobachtungen
hatte den Sinn für das Charakteristische des Kostüms^) ausye-
hildet und mag ihn erst auf die Bühne übertragen haben.
Das scheint aus Lichtenbergs Beschreibung Olai-ricks hei-vor-
zugehen; „Selbst den Strumpf, der ihm so herabhängt, kann
man denken, hat ihm vielleicht Fielding herabgezogen, und
den Hut. der da so seitwärts sitzt, Sterne oder Goldsmith zu-
rückgcstossen." Das bürgerliche Drama hat vom Roman
gelernt ; in ( lemmingens Deutschem Hausvater sind z. B. die
meisten Kostümangaben charakterisierend; für den Hausvater
heisst es: „tCinfache Kleidung'", für Monheim : ,,JM jeder
Gelegenheit einen andei'en Rock, Stern und Band", für Sophie:
„An Empfindelei ein wenig krank, welches man auch an ihrer
Kleidung bemerkt.'" Den Konti-ast zwischen der prachtvollen
Kleidung der Amaldi und dem einfachen Kleid der Sophie
soll Schiller von Gemmingen für den Fiesko und füi" Kabale
und Liebe übernommen haben. ^) Das pi-unkende Gewand als
Charakteristik der Oberflächlichkeit begegnet uns auch noch
im Teil (779 tfj.
Durch kleine Äusserlichkeiten konnte auch ein vorüber-
gehender Zustand der Personen angedeutet wei-don: in der
„Miss Fanny" (1770) von Brandes heisst es:
Nelton (In einer Unordnung, die denen Umständen, darin er sich
befindet, gemäss ist.)
Ebenso soll Philipps Anzug in Don Carlos (\', ü) die Spuren
der gehabten Ohnmacht zeigen. Und ebenso, wie Sir Samp-
sam und Waitwell im Anfang der Miss Sarah in Reisekleidei'n
aufti-eten, so steht auch für das Kostüm des Octavio (W. T.
11, 4) die Vorschrift: „reisefertig." Im Teil ist für Bertha
(111,2) eigens das Jagdkleid vorgeschrieben.
Dass auf die Jahreszeit ii'gend welche Rücksicht genommen
wurde, lässt sich nicht beobachten; denn dass Luise in der
Szene mit Wurm, che sie zum Herzog eilen will, einen Mantel
') Ricmann. Goethes UomaTitechnik S. 21!», 240, 270.
0 Minor II, 124.
— 271 — ^
imnsii'f't. soll wohl kniiin auf den \\ iiilcr hiiiwciscii. I)a-
<,''C,i,''('ii koiinlc die 1\i<i'('szfit ' ihren Ausdruck linden: das Ne-
<iiiiiv, von dem Lossini:" in Miss Sai'ali niid Minna. Waiiner
in der Rone nach der That nnd dci- Kindennörih'rin. tSchilier
in Kabale und Liebe Gebranch machten, inid das oftmals den
technischen Zweck hatte, das Abi^ehen dei' Personen zu mo-
tivieren, wai' ein Zeichen der Moi'i:enstunde. l'nd dem Schlaf-
rock des Kranz Moor in den Räubern entspricht das Naclit-
kleid. mit dem im letzten Akt des Don Carlos die Könii:in
aus ihrem Zimmei' tritt. Doch niusste JSchillei- hier kein
fi-rosses Zutrauen zu dci Schicklichkeit der Schaus])ielerinnen
haben, denn in der ProsabearbeitunL-- heisst es: .. llii- Air/ue-
ist No.eli.eee. aber sehi' anständig;" ebenso wui'de im dritten
Aufzue- für den Könii;' <lie nestinnnuuLi : ..von oben hei'ab
halb auseekleidet" eingeschränkt; es heisst mir noch: ..ohne
Hut, Mantel und Orden." Im llamburL'Ci- ^Manuskript tritt
die Köni<:in übeihaupt nicht im Nachtiiewand auf: sie schickt
nur ihre Kanunerfrauen \ve^-. Kbenso fehlt das Nachtkleid
im letzten Akt von W'allensteins Tod: die (J rätin 'Pei-zky tritt
nur mit ehiem Lichte auf. und Wallenstein lässt sich nur
Mantel, Ringkrayen und Feldbinde abnehmen. Kür die Inti-
mitäten des bürg-erlichen Dramas ist fortan kein Platz mehr.
Im Wallenstein bet^innen mm untei- dei- TeilnahuK» Goethes
die historischen Kostümstu(hen Schillers. Wallensteins Lai^'cr
zeigt davon die meisten Spuren; auch nniss die Weimarer
Darstellung- wohl vollständig mit den indirekten Angaben des
Dichters übereingestimmt haben, weil diese Vorschi'iftcn zum
Teil das Sekundäre waren; die Entstehungsgeschichte des
Stückes spielte sich ja auf den Theaterproben ab. Die grünen
Röcke und silbernen Tressen dei' llolkschen Jäger (v. 119,
121), die feinen Spitzenki-agen, die gelben Kolletter und der
Federhut der Terzkyschen Karabiniers (v. 188 ff, 7S\)) richten
sich nach Bildern aus der Zeit des dreissigj ährigen Kiiegcs,
die ihierseits Muster für die neuangefertigten Kostüme waren.
Wenn wir uns wieder an den Namen Rugendas halten, dessen
Blätter allerdings aus einer etwas späteren Zeit stannnen, so
I
— 272 —
finden wir eine Fulue von Kostümblättei-n mit den Unter-
schriften: Tronipetta, Tenente, Goi'netta, yoldado ä Cavallo
u. s. w. ')
Wie vorsichtig man vorgini,--, kann die Stelle, wo von
Qaestenberg die Rede ist, beweisen. Goethe hatte Bedenken,
ob im di'eissigjährigen Krieg wirklieh Perrücken getragen
worden seien; infolgedessen wurde der Vers: „Und von A\'ien
die alte Perücke" umgeändert in: „Und der spanische steife
Kragen"; als aber Goethe auf der Jenaer Ofenplatte - ein
Vorbild entdeckte, setzte man die alte Fassung wieder ein.
Der Gefahr, dass dies echte Kostüm zum Zerrbild wurde,
scheint man dabei aus dem Wege gegangen zu sein. JSchillei-
selbst betonte in seinem Zusatz zu Goetiies Besprechung für
die Allgemeine Zeitung, dass man die Aufgabe, „das bar-
barische Kostüm jener Zeit, welches dargestellt wei'den musste,
dem Auge gefällig zu behandeln und eine schickliche Mitte
zwischen dem Abgeschmackten und dem Edlen zu tretfen. so
viel es möglich sein wollte, zu lösen verstand." ^)
Es kamen ja für Goethe auch noch andere Gesichtspunkte
in Betracht, als der der Echtheit. Er sah darauf, dass die
^) Naumanns Archiv f. d. zeichn. Künste XII. S. 116 ff.
2) W. A. I, Bd. 40, S. 66.
In Böttigers Bericht (Journ. d. Lux. u. d. Mod. 1791) Bd. 14 S.
90 f) heisst es: „Der kaiserliche Kriegsrath und Kamnierherr von Questen-
berg tlösste in seiner spaniseh-teutschen Hofgala mit den bis zur Schulter
geschlitzten und herabhängenden Ermein des Überkleides, seinem aus Drap
d'Or gefertigten Schlitzwams und bauschend unterbundenen llautilechausses
nicht Gelächter sondern Achtung ein. Es war die treueste Kopie nach
©hier wahren Antike aus jenem Zeitalter. Eben diess galt von dem l'racht-
gewande der Herzogin und der sämmtlichen Generale, welche nach den
vorliegenden Mustern sorgfältig ausstudiert waren Auch die
Tracht des schwedischen Obersten im schwarzen Waffenrock und herab-
gekrenipten Federhut gab der ganzen Figur eine lebendige Wahrheit, und
setzte sie allen übi'igen des Wallensteinischen Lagers aufl'allend entgegen."
Auch Caroline Herder berichtete vom Glanz der Kostüme; sie schrieb
an Kneliel am 2. Febr. 1799: „Die süperben Kleidungen (Alles in Atlas)
der damaligen Zeit haben dem historischen Stück einen einzigen und
seltenen Glanz gegeben'" (Knebels Litt. Machl. hrsg. v. \'arnhagen u.
Mundt II, 322.;
— 273 —
Farben der einzelnen Kostüme untereinander und voi' allem,
dass sie mit dei' Dekoration zusammenstimmten. Er verlang^te
daher von der Dekoration, dass sie schwach und duftiy. am
besten in einem bräunlichen Ton <,'-ehalten sei, „damit jedei-
Anzui^- im Voidergrunde sich ablöse und die i,''ehörij,'"e Wirkunfic
thue. . . . Ist abci- der Dekorationsmalei- von einem so i^ünsti«ien
unbestimmten Tone abzuweichen j^enöthiirt, und ist ei- in dem
Falle, etwa ein rothes oder g-elbcs Zimmer, ein weisses Zelt
oder einen g"rünen (»arten darzustellen, so sollen die Schauspieler
kluii" sein und in ihi-eii Anzüj^en dergleichen Farben vei-meiden.
Tritt ein Schauspiele)" mit einer rothcn l'niform und i:rünen
l^>einkleidern in ein rothes Zimmer, so vei-schwindet dei- Ober-
körper und man sieht bloss die IJeine; tritt er mit demselbiiren
Anzüge in einen yrünen (iarten, so verschwinden seine lieine
und sein Oberkörper g^eht auttallend hei'voi." Diese Prinzipien,
die (joethe in später Zeit in einem (Jespiäch mit Ecker-
mann entwickelte, wei'den wohl bereits für die ersten -lahi-e
seinei' Theaterleitung" massgebend gewesen sein*) und schon
b(üm Wallenstein die Wahl der Farben beeintlusst haben.
So erklärt sich vielleicht, dass WrauL-'d trotz des ..blauen"
Regimentes in einer schwarzen l'nifoi'm erschien.
Den gleichen Aufwand, den sich das Weimarer Theater
bei seinci' Xeueröftnung' gestattete, koimte es den späteren
Schillerschen Stücken nicht mehr zu Teil werden lassen; schon
bei Wallensteins Tod machte man für die Kürassiere keine
neuen Ausgaben, sondern stellte ihre Uniform aus den Voi"-
räten zusammen. '^) An der Darstellung" der Maria Stuart
wurde die N'ernachlässigung des Kostüms getadelt.^) Und in
welche Verlegenheit man bei der Jungfrau von Orleans kam,
davon macht Genast*) eine Beschreibung": „Wollene Sergen,
') V. Biedermann, Goethes Gespräche VII. S. 217. Am 17. Febr. IJ^SU.
Allerdings nennt Klingemann die gleichen Grundsätze als Eigentum
des erst 18J5 nach Weimar gekommenen Beuther, dem Goethe mancherlei
Anregung verdanken mag. (Kun.st u. Natur I, 449.)
-j Goethe an Kirms 27. Mai 1799. W. A. IV, Bd. 14, S. öG.
') Journ. d. Lux. u. d. Mod. .lull ISOO: Braun II, S. 3«". fV.
*) Genast I, S. 140.
Palaestra XXXn. 1^
— 274 —
pappene Helme und Rüstungen, die mit »Silberzindel überzogen
waren, mussten den Prunk des Krönungszuges darstellen und
als Krönungsmantel wollte Kirms eine alte blauseidene Gardine
verwenden, bis Schiller und Goethe endlich die Anschaffung
eines roten Mantels durchsetzten."
Die Aufführung gerade der Jungfrau von Orleans ge-
schah in Weimar unter einem besonders unglücklichen Stern,
dazu kommt noch, dass sich Goethes Interesse überhaupt von
den historischen Kostümstudien abgewandt zu haben scheint;
nur wenn es sich um antike Tracht handelte, Avurde noch
grosse Sorgfalt an den Tag gelegt, z. P>. bei den Kostümen
zu Schlegels Jon. die im Jouriuil des Luxus und der Moden
1802 abgebildet wai'en. Die falteni-eichen Gewänder ent-
sprachen auch viel mehr dem späteren Weimai'er Stil und
dem Streben nach statuarischer Erscheinung und fliessenden
Bewegungen; als Goethe von der Aufführung der Proserpina 1815
berichtet,*) betont er ausdi-ücklich diese angenehme Wii'kung.
Hogarths wellenförmige Schönheitslinie beherrschte den
Theatergeschmack; auch Iffland liess sich diese Gesichts-
punkte nicht entgehen; den Pygmalion spielte er im Mantel;
als Oberpriester in Kotzebues Sonnenjungfrau wählte er das
Kostüm hauptsächlich mit Rücksicht auf die Rundung aller
eckigen Bewegungen durch. das lang hei-abfliessende Gewand.
Böttiger') setzte über seine Bcspi'cchung dieser Rolle das
Motto Ekhofs: „Die Schauspielkunst ist belebte Bildnerey"
und bewunderte, wie Iffland es verstanden habe, „seine Stärke
in mahlerischen Stellungen und Geberden, seine Kcnntniss
der theatralischen Drapperic, und seine Einsichten in den Ge-
brauch des Faltenwurfs bey langen Gewändern in einer Rolle
zu zeigen, wobey es wenigei- auf den Ausdruck der Empfindung,
als auf die Schönheit der Action ankäme,"
Es ist möglich, dass damals iffland dem Wcimai-er Stil
den Weg wies. Später wurde das, was er angestrebt
hatte, weit übertrieben; „das stete Zupfen und I)ra})pii'en. das
einen schönen Faltenwurf hervorbringen soll" wurde, nachdem
1) W. A. I, Bd. 40, S. 111 f.
^) Böttiger, Entwickl. tl. llTlandischen Spiels, S. 247 tf.
— 27.') —
Goethe selbst längst von der Leitung zurückiretreten war. an
der berühmtesten Weimarer Schauspielerin als auffallend
empfunden.^) Wie sehr aber auch Goethes (ieschmack von
dem der ältei'en Schauspielergencration sich unterschied, er-
gibt sich, wenn man sein lobendes Urteil") über die bewegte
Plastik der Mad. Hendel-Schütz (früher Eunicke, als Mad.
Meyer die Berliner Dai'stellerin der Jungfrau und der Tsabella),
die mit sogenannten „i)lastisch - mimischen Darstellungen"
Deutschland bereiste, mit dem Friedr. Ludw. Schröders^) zu-
sunnnenhält; Schröder schrieb: „Wenn Unnatur die höchste
Stufe dei- Kunst ist, so hat sie solche vollkommen erreicht."
Schiller hätte in diesem Punkte wohl mehr auf Seiten
von Schröder gestanden ; schon sein absprechendes Urteil über
Ifflands Pygmalion'*) ist von dem Goethes vollkommen unter-
schieden, wähi'cnd es mit Schröder übereinstimmt.
Füi- das Augenmerk Ifflands auf Echtheit und Pracht
der Kostüme hatte Schiller jedenfalls mehr Interesse. Dass
ihm der Aufwand und Prunk in Berlin zu viel wurde, darf
kaum angenommen werden. Als das Berliner Theater die
Kostümbilder der Jungtrau von Orleans, andern Theatern zur
Nachahmung, iu den Handel gab,'') äusserte Schiller in einem
') Frau V. Ahlefeld an Knebel 4. Febr. 1825. (Düntzer, Br. a. Knebels
Nachl. II, S. 195.) Saat v. Goethe gesät, S. 25. Seckendorf, Vorles. üb.
Dekl. u. Mimik II. 335 ff. Schauspieler der nächsten Generation fühlten
sich überhaupt nur im griechischen Kostüm wohl. (Costenoble, Aus d.
Burgth. I, 23.)
') W. A. I, Bd. 36, S. 58.
^) Schröder an Böttiger 29. Mai 1810. Raumers Histor. Taschenb.
hrsg. V. Riehl N. F. V, 1875, S. 29U.
*) Goethe an Schiller 28. April, 2. Mai 98. W. A. IV, Bd. 13,
S. 125, 133.
Schiller an Goethe 24. April, l. Mai 96. Jonas V, S. 369, 375.
Friedr. Ludw. Schmidt, Dramaturg. Aphorismen III, S. 93.
") Kostüme auf d. Königl. Nat.-Theater in Berlin in Kommission bei
Ungar, hrsg. v. Wittich 1799 ff. Seit 1817 erschienen ,,Neue Kostüme" im
Verlag von Wittich. Vorbildlich waren die Kostümbildersammlungen der
Pariser Theater; übrigens hatte der Mannheimer Kupferstecher Wolf diese
bereits in den 90 er Jahren nachgeahmt (Walter II, S. 111). Ein Werk
über Kostüme und Dekoration wurde von Veit Weber (dem Telldramatiker)
18*
— 276 —
Brief an den Hcranso-eber seine liefriediiiunu- und vorspraeli.
mit dem Demetrius neue reiche Motive zu liefern.') Von den
Kostümstudien, die er bei seiner letzten Ai-beit bei'eits g-e-
maclit hatte, finden sich wenig- Spuren im Nachlass; nur für
die Geistlichkeit hatte er sich aufnotiert:
Kleidung der Geistlichen besteht in langen schwarzen Röcken,
worüber noch ein schwarzer Mantel. Auf dem Kopf schwarze Hauben,
bei 3 Ellen weit, die in der Mitte eine harte runde Platte, als einen
grossen Teller, haben, die hinten am Kopf herunterhängt. In der
Hand haben sie einen Stab, Posok, wenn sie auf der Gasse gehen.
Dieser ist oben Fingers lang in einem beinah rechten Winkel um-
gebogen.")
Hatte beim Wallenstein Iffland sich noch die W'eimarei-
Kostümzeich nung-en schicken lassen,^) so war umgekehrt
späterhin das Berliner Theater in Deutschland für die äussere
Ausstattung- vorbildlich; beim Teil hatte der Berliner Garde-
robier sog-ar den Triumpf, dass Talma für das theätre frangais
um die Kostümzeichnungen nachsuchte.'*)
Wir kommen nun zu der Frage: aufweiche verschiedene
Weise hat Schiller überhaupt seine Vorschriften über Kostüme
zum Ausdruck gebracht?
Die direkten Angaben auf dem Personenverzeichnis finden
sich nur beim Fiesko und auch da sind sie späi'lich. I>ei den
übrig-en Stücken sind die dii'ekten Vorschriften in den Briefen
an einzelne Theaterdirektoren ausgesprochen. Der Brief an
Dalberg- über die Räuber und der an Iffland über Maria
Stuart sind bereits ei-wähnt ; für den Teil sind be-
sonders die i^)i'iefc an Eei'zfold nach Hamburg- und an Schwai'z
nach Breslau von Wichtigkeit.'*) In dem zweiten heisst es:
in den Annalen des Theaters 1788, H. 2, S. 9 angekündigt; es scheint
aber nicht herausgekommen zu sein.
') Schiller an Wittich 23. Nov. 1804, Jonas VH, S. 188.
0 Dram. Nachl. I, 257.
^) Goethe an Kirms 23. Nov. 98, an Schiller 29. Dez. 98.
W. A. IV, Bd. 13, S. 31Ü, 363.
*) Val. Teichmanns. Litterar. Nachl. S. 124.
Martersteig, 1'. A. Wolff, S. 130 f.
"*) An ilerzfeld 24. März 18U4. Jonas VII, 132.
Au Schwarz 24. März löU4. Jonas VII, 133,
— 277 —
«Vom Kostüme lesf ich einige Zeichnuno-en bey. Übrigens
gilt bey diesem Stücke ganz das Kostüm des Mittelalters, und das
Kigenthümliche der alten Schweizertracht ist besonders in den weiten
i'umphosen; — die ganz gemeinen Landleute können zum Theil im
Hemd, mit bunten Hosenträgern spielen, und viele Kleider erspart
werden. Auf dem Kopf tragen Einige Barette, Andere schwarze
oder bunte Hüte. Johann von Oestreich ist in weisser Mönchskutte;
darunter kann er ein kostbares Hitterkleid und einen mit Edelsteinen
besetzten Gürtel tragen, welches nach seiner Erkennung kann ge-
sehen werden. Stier von Uri ist auf einer Seite gelb, auf der
andern schwarz und führt ein grosses Kuhhorn mit Silber be-
schlagen."
I'jwähiit ist in diesem r.riefe aütli die dritte Art der
direkten Vorschrift, nämlich die autorisierten Kostümbilder,
wie sie z. 15. beim W.illciistein und beim Teil von Weimar
ans versehicivt wurden. Für <len Teil bestellte iSchillcr bei
Melchior Kraus koh)i'ierte Stiche, die dem Druck beiirej,'"cben
weiden sollten. Wciien dei' ^.q'ossen Jferstellunyskosten wurden
indessen statt dei' geplanten zw()lt' luu' di'ei illuminierte Kupfer
aus*reführt, die eiirzelne Situationen des Stückes darstellten. Das
er.stc zeiyt Teil, die linke Hand mit dem Apfel auf die Armbrust ^-"e-
stützt. <lie rechte mit dem zweiten Pfeil vorhaltend; das
zweite stellt in einei' entsetzlich steifen (iruppe den Schwur
Walther Für.sts, Stauffacho's und Melchthals dai-; nach Weimarer
Pi'inzip .sind alle drei beinahe en face dem Jieschauer ifeyen-
übeivestellt. und strecken ihm die drei Handflächen in Kopf-
iKihe entircL-en. Alle viei" Schweizei- tray-en j^^anz weite, ge-
sticifte Pumphosen, die mir <lie halben Oberschenkel bedecken;
auf der lirust sieht man das Hemd mit den f,'"ekreuzten Hosen-
ti-änein. daiüber eine kurze .Jacke, die bei Teil yelb, bei
Walther i''ürst violet, bei Stauifacher yrün und bei Melchthal
ziegelrot ist; auf dem Kopfe haben alle ein schwarzes JBarett,
«las in den Farben ihrer .Jacken durchbi'ocheii ist. Gessler.
(Um das dritte Hild darstellt, hat einen grossen schwarz-gelben
Federhut. einen Spitzenkragen, einen roten Mantel über dem
hellblauen Walfenrock und eine grosse Gnadenkettc.
') An Cotta 22. Mai 1804. 27. .Juni 1804. .Jona.s VU, 102.
— 278 —
Nun Avar noch eine vierte Art der direkten Angabe
möglich, nämlich die Beschreibung beim Aufti-eten der
Personen, die am meisten dem Lesedrama entspricht. Vor allem
war sie bei Umkleidungen innerhalb des Stückes das Gegebene,
so in den Räubern bei den Trauerkleidern für Franz und
Amalia (Trsp. III, 1) und bei Franzens Schlafrock (V, 1);
im Fiesko bei den Masken und dem Scharlachmantel
Gianettinos, in Kabale und Liebe bei der Lady (11, 1); im
Don Carlos bei der Prinzessin (II, 7) und bei der letzten
Vermummung des Prinzen (V, 11), endlicli bei Johannas erstem
Auftreten in der Rüstung (Jgfr. II, 4) und im Schmuck der
Priesterin (III, 4).
Wo das Kostüm nur beim ersten Auftreten beschrieben
ist, sollte es meist durch das ganze Stück hin das gleiche
bleiben: so beim Präsidenten (I, 5) und Hofmarschall (I, 6)
in Kabale und Liebe; bei Seni (Picc. II, 1) und im Teil bei
Attinghausen und Rudenz (II, 1).
Wähi-end das Kostüm des Rudenz direkt nui- allgemein
als „Ritterkleidung" bezeichnet ist, erlialten wir die nähere
Schilderung erst im Dialog durch Attinghausens Worte:
In Seide prangst Du,
Die Pfauenfeder trägst Du stolz zur Schau
Und schlägst den Purpurmantel um die Schultern.
Dies ist also die indirekte Kostümangabe, deren Auf-
treten im Dialog auf irgend eine Weise begründet sein muss.
Es kann, noch ehe die Person selbst auftritt, von ihr
geredet und an Stelle des Namens ihre äussere Erscheinung
bezeichnet werden. Ein genaues Beispiel dafür findet sich
in Grossmanns „Nicht mehr als sechs Schüsseln" III, 1, wo
sich die Bedienten über die Gäste unterhalten:
Friedrich: Der Hofrath hatte sich mit dem alten Geheimen-
rath an ein Fenster gestellt —
Louise: mit dem, der die wollene Perrücke, die abgekappten
Schuhe und die langen Westen trägt.
Friedrich: Ja, heute hatte er eine Weste an, da war Dir
ein fjfanzer Obstgarten drauf, und dann hat er ein Paar Kamaschen
die noch funkelnagelneu waren.
— 279 —
In Wallciistoins Lairer wird auf diese Weise die alte
Perrückc mit der güldenen (Inadenkette [Questenbert,'- v. 71 ff.]
erwähnt und es ist von dem s/rauen Männlcin, das nächtlieh
bei Wallenstein eins-eht [Scni, v. 372 ff.] die Rede.
Am ofeschicktesten ist die Kostümbeschreibun2f dann
motiviei-t, wenn das Äussere als Erkennungszeichen in der
Handlung eine wichtige Kolle spielt, z. 15. beim gi'ünen Mantel
und später dem verhängnisvollen gelben Busch und Scharlach
Gianettinos im Piesko. Oder in der .lunufiau v. Orleans
V, 11;
Soldat. Sieh! Hall! Wer trätet den himmelblauen Mantel
Verbrämt mit Gold ?
Johanna ( lebhaft). Das ist mein Herr, der König.
Diese Art Teichoskopie kann nun auch das Auftreten
herannahender Personen vorbei'citeii; ebenso kann nach dem
Abgehen einer Person von den ihi' Xachsehenden eine Unter-
haltung über das Kostüm begonnen werden. Z. 15. in Klingers
Zwillingen 11, 1, wo Guelfo durchs Fenster den IJruder mit
seiner l>raut ankommen sieht:
„Sieh den Herrn im rothen Kleide mit Gold, wie herzoglich
prächtig! .... Siehst Du sie? 0 Grimaldi. im weissen Kleide! . . •
Der Stern auf seiner Brust, wie er blinkt."
Oder .letters Worte im Kgmont II. 1 :
„Hast Du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten
Art, nach Spani.schem Schnitt."
In Wallensteins Lagei- werden .so die Holkischen .Jäger
eingeführt:
Was für Grünrück mögen das sein?
und in der Jungfrau von Oileans unterhalten sich Margot
und Louisen, nachdem der Krönungszug in die Kirche gegangen
ist, über die Kischeinung der Schwester.
In seiner Bearbeitung lässt Schiller Jetters Worte über
Egmonts Kleidung, während dieser selbst noch auf dei- Bülme
sichtbar ist, sprechen; es kann aber sogar die Beurteilung des
Kostüms im Gespräch mit den Personen selbst erfolgen. Das
hübscheste Beispiel ist, w^enn Clärchen das spanische Kostüm
Egmonts, das goldene Vliess, den lierrlichen Sanunet, die
Passementarbeit und das Gestickte bewundert. Im Teil gc-
— 280 —
hören lüerher die erwähnten Worte Attinghausens zu Rudenz;
in Wcillensteins Lager werden die sauberen Spitzenkragen,
die feine Wäsche und der Federhut der Terzkyschen Kara-
biniers beachtet ; im Fiesko kiitisiert Julia das einfache Äussere
Leonorens (II, 1).
Die beste Gelegenheit zu solchen Bemerkungen bieten
die An- und Auskleideszene auf der Bühne. Lessings Toiletten-
szene in Miss Sarah, die jedoch wenig Konkretes giebt, geht
auf Lillos Kaufmann von London zurück und brachte ihrer-
seits deutsche Nachahmungen hervor, die mehr auf die Einzel-
heiten eingingen, so Klingers „Neue Arria" IV, 1 und vor
allem „Elfriede" III, 1, wo Elfriede am Putztisch sich nach
dem genau beschriebenen Bild richtet, das in den Händen des
Königs ist. Schiller lässt den Fiesko die Stelle von Julias
Kammerfrau vertreten (III, 10); in Kabale und Liebe wird
an die Ankleideszene, die schon vorbei ist, durch Sophiens
Worte erinnert:
Oder ist es vielleicht Zufall, dass eben heute die kostbarsten
Brillanten an ihnen blizen? Zufall, dass eben heute der reichste
Stoif Sie bekleiden muss —
Endlich können auch Kostüme erwähnt wei'dcn, die die
Personen auf der JMhne gar nicht tragen, z. 15. der rot-
plüschene Rock Millers. Bei einer Altonaer Aufführung 1796
richtete man sich wii'klich danach und Miller ti'at im Plüscli-
rock auf;') ein ähnliches Versehen begegnete Schiller selbst
bei der Braut von Messina: als Prinzess Caroline bei einem
Weimarer Maskenfest als die Titelfigur dieses Stückes ver-
kleidet aufti-eten wollte, schrieb Schillei' an Amalic v. Imhof:
„Für unsere liebe l>raut v. Messina sende ich Ihnen noch die
Ver.se, worin der Anzug beschrieben ist."") Es kann sich
nur um die Verse 817— 842 handeln, wo das Gewand, das
Don Manuel im liazar als Geschenk für P)eatrice wählen will,
geschildert wii'd; ein Kostüm also, das lieatrice niemals auf
der Bühne träü-t.
') Ann. d. Th. 1797, 19. Heft, S. 28 f.
0 Schiller an Am. v. Imhoff [19. Febr. 1803]. Jonas VII, S. 17.
— 281 —
Eben80 Avio Schillrr in den späteren Stücken «Icr indirekten
Dekorationsbcsclireibuny mehr Raum g-ab, z. 15. bei Tlieklas
ErzähluiiLT vom astrologischen Turm oder bei (Gertruds
Schihlcrunir des .Stauffacherschen Hauses,') so liat auch hier
die Freude an der poetischen ScliiUlerunL'', die sich auch in
Schillei's l)alladendiclitun*r äussert, undramatische l')Cstandteile
als Prunkfäden in das (iewebe eiiiirewirkt.
Auch die Toib-ttenszene, die .Schiller im Entwurf für die
Prinzesshi von Zeih' plante ^) („Sie schmückt sieli. um ihre
Schönheit geltend zu machen, um ihre Nebenbulderinnen zu
verdunkeln, und seine Eitelkeit zu reizen") hätte sich in der
breiten Schilderunir von den Juirendstücken sicherlich weit
unterschieden, etwa ebenso wie die piuidcvolle Schmuckszene
in Goethes Xatürlicher Tochter (II. .5) von der (Jretchenszene
im Faust.
I5ei den S('hinnckL!ei:enständen, den Hestandteilen des
Kostüms, die Schillci- am häufig'sten hei'vorhebt, spricht oft
aucli die l'erson selbst von dem. was sie an sich trägt: so
Amalia, weini sie sich die Pei'len vom Halse reisst, Karl
Moor, wenn ei' dem Pater seine viei' kostbaren Ringe ent-
g^eg-en-streckt, Fiesko. der seinen Demant für (Jianettinos Todes-
nachricht aussetzt und Ferdinaml. di'r seinen wasserklaren
IJrillanten mit <lem Si»iei;ei der Wahrheit vergleicht. Damit
sind wir zu di'ii Teilen des Kostümes g^ekommen, die weg^en
ihrer Kleinheit am wenigsten auf der Pühne zu saiien haben;
mit Recht hat daher Schiller später den Abschied des Carlos
von Posas Leiche verändert: Caiios zieht dem Toten ni(dit
mehr *k'n \\\ivj vom Fin::er, weil das Publikum es g'-ai'nicht
g-esehen hätte.
M Ein Rezensent (Braun IlL 437) schrieb «lenn auch: „Man merkt
es: dem Dichter war's darum zu thun, seinem Leser gelegentlich ein
schweizerisches Bauernhaus zu beschreiben: eine Frau würde in der Wirk-
lichkeit aus den Wappenschildern, Sprüchen u. s. w., die ans Haus gemalt
sind, keinen Wohlstand beweisen wollen. '•
-) Dram. Nachl. II, 233.
— 282 —
Gewisse Bestandteile des Kostüms brauchten nun über-
liaupt nicht vorgeschrieben zu sein, weil sie als Überreste der
alten konventionellen Gesellschaftstracht selbstverständlich und
unentbehrlich waren, z. R. Handschuhe, Deg-en, Fächer,
Schnupftuch. In Mannheim bestand die strenge Verordnung,
dass keine Schauspielerin ohne Handschuhe auftreten dürfe;
17S6 wurde wenigstens der Zusatz gemacht: .,Nur die Bauern-
kleidung leidet eine Ausnahme und wird ohne Handschuhe
getragen."') In Weimai- fiel es 1801 beim Gastspiel von
Friederike Unzelmann als Maria Stuart auf, dass sie in der
Szene mit Elisabeth sich in der Erregung ihrer Handschuhe
entledigte und sie der Kennedy übergab. -)
Den Hut trugen die Schauspieler stets auf der Bühne,
auch wenn diese ein Zimmer vorstellte. Dass im Don Carlos
III, s die Granden im Audienzsaal bedeckt sind und erst bei
Philipps Eintritt die Hüte abnehmen, darf uns also nicht
wundern. Miller setzt sicli in seinem eigenen Hause, als die
Gerichtsdiener eindringen (Kab. II, 7) den Hut auf und macht
sich mit seinem spanischen Rohr zum Angriff gefasst; Franz
Moor hat, auch als er im Schlafrock auftritt, Gelegenheit,
seine goldene Hutschnur herunterzureissen und sich zu er-
drosseln, und Chodowieckis Stiche zu den Räubern im Theater-
Kalender 1783 zeigen auch.Amalia zu den Füssen des alten
Moor in einem grossen Hut; ebenso erscheint bei ihm Lady
Milford in Illustrationen zu Kabale und Liebe. Ausnahmen
davon mussten besonders vorgeschrieben werden, so heisst es
z. B. in dem Familiengemälde „Die schwere Wahl" von Dyk
im Personenverzeichnis :
Karl . . . ohne Hut, Stock und Degen, als wo eines davon
ausdrücklich angezeigt ist.
^) Walter I, 451.
2) Journ. d. Lux. u. d. Med. Okt. 1801, S. 568. Sogar in Berlin
selbst nahm man noch später einen allerdings berechtigten Anstoss daran,
dass die Fürstin in Elise v. Valberg ohne Handschuhe zu ihrem Gemahl
kam. (Brief Raheis vom 10. Mai 18H, Ivewalds Allgemeine Theatcr-
Kevue II, S. 64.j
— 283 —
Übrigens diente die Kopfbedeckung auch als eine brauch-
bare Handhabe im Agieren, ja sie konnte zu feineren Aus-
drucksbewegungen verwendet werden. ') Z. B. in Grüssmainis
„Nicht mehr als sechs Schüssehi", wo der Hofrat T, 1 seine
steigende Erregung dadurch zu erkennen gibt:
(seine Mütze abiiehniend.)
(setzt seine Mütze wieder auf.)
(reisst seine Mütze vom Koj)f, und wirft sie mit Unsjestüm
zur Erde.)
(setzt seine Mütze wieder auf.)
In Kabale und Liebe dient für Wurm der Hut zum
Gegenstand eines nuancierten Spiels.
Ebenso hat das Schnupftuch, das den Schauspielern, die
nichts mit den Händen anzufangen wussten, lieschäftigung
gab, früher zu den unentbehrlichen Gegenständen gehört:
Devrient vermutet nach einem IJild Chodowieckis, dass es
sogar noch bei Schröder ein bedeutendes Vehikel des Spiels
gebildet habe 2); in Weimar nahm (ioethe daran Anstoss und
diktierte Wolff und Grünei': .,Üer Schauspieler lasse kein
Schiuipftuch auf dem Theater sehen. "'^j
„Die Traurigkeit der Theaterheldinnen retirirt sich hinter
ein weissgewaschenes Schnupftuch" schrieb Schiller noch in
dem Aufsatz „Ueber das gegenwärtige tcutsche Theater''*);
im Fiesko bleibt (H, 4) Leonorens tränenfeuchtes Schnupf-
tuch auf dem Sofa liegen und im Don Carlos ist es dasselbe
Requisit, das, in Anlehnung an Othello, zuerst den Verdacht
auf Carlos lenkt, (v. 2e)17.)
Ebenso wie das Schnupftuch verbot Goethe auch ein
anderes früher unentbehrliches Requisit: .,Um eine freie Be-
wegung der Arme zu erlangen, tragen die Acteurs niemals
einen Stock. "^)
•) J. J. Engel, Ideen zu einer Mimik Berlin 1785. 10. Brief S. 107.
2) Devrient II, 304.
:') W. A. I, Bd. 40, S. 104.
') Goed. II, S. 347.
•') W. A. I, Bd. 40, S. 156.
— 284 —
Dass Karl Moor mit einem solchen verseilen sein sollte,
kommt uns merkwürdii.'- voi-. aber es ist aussei- dem r)Usch
das Einziire. was iSchiller im lirief an Dalberg- ausdrücklich
verlauijt. Manchmal wurde auch dieses Garderobestück jrc-
nauer beschrieben ; in Kotzebues Adelheid von Wultingen
Avird der Stab des ^Nlistivoi bezeichnet: ..ein langer Stab, auf
dessen Spitze das ausgeschnitzte Bihl eines Piären oder ir^'-end
eines anderen Avilden Thieres befestigt ist" ; im Teil ist es
der Stab Attinghausens; .,ein Stab, worauf ein Gemscnhorn",
und wir können auch noch erkennen, woher die Idee dazu
stammt: unter den Exzerpten Schillers aus Job. v. Müller
befindet sich die Aufzeichnung: .,Der Stab des ersten Abts
zu Engelbcrg aus Ahorn mit einem riemshörnchen."')
Erst in den letzten Stücken wird auf das nationale Kolorit
dieser Gegenstände geachtet; am Don Carlos hatte nocii ein
Rezensent aussetzen können, dass der Held ein Portefeuille
mit einem Schattem-iss führe wie ein Plaisant des achtzehnten
Jahrhunderts-); am meisten Vorstudien enthält dagegen der
Demetrius. Wie das Kleinod, das der Held an sich trägt,
beschatfen sein sollte, überlegte sicii Schiller sorgfältig; aller-
dings kam es auch auf eine genaue Beschreibung im Stück
an, weil die Erkennung des Demetiius dadurch veranlasst
Avird.*)
Labten die T\e([uisiten eine so bedeutende Einwirkung auf
den Gang dei- Handlung aus, so erirab sich meist von selbst
eine nähei-e Beschreibung im Dialog, z. P). schon bei den
beiden Silhouetten im Fiesko; es ist von Wichtigkeit, dass
die eine an einem himmelblauen, die andere an einem feuer-
farb getlammten P>ande hing.
Diese Gegenstände pflegen beim Auftreten dei- Person
noch nicht an ihr gesehen zu werden; sie linden erst in dem
Augenblick p]rwähnung, wo sie gebraucht Averden; sobald sie
•) Goed. XIV, S. VII.
2) Ephemerifleii d. Litt. u. d. Theat., Üciliii 17.S7. 10. u. 17. Nov.
■^) Drain. iN'achl. I, S. 124. Hebbel legt im Gegensat/ zu Schiller
auf die Jieschreibung des Kreu/cs gar keinen Wert,
— 285 —
. jedoch L'clii'aiiclit \V('r(l('ii. sind sie auch stets zuc Ifaiid. Wie
im Schaiis])i('l ..Die Käiilx'i'" das Klavier j^leich in des alten
Moors .Scidatzimmer steht, so hat in der Jjühiieiibearbeituny
die Käubci'bande ihre Musikinstrumente ;Lrleich bei sich, wie
reisende Stadtmusikanteu; im Wallenstein lieiit ebenso un-
motiviert Theklas Gnitarre umher (Picc. IJl. 0. W. T. IH. 4).
Fiesko wirft die schweren Geldbeutel nur so lieium. und
Iffland hatte dalier nicht Unrecht, wenn er dies in seinem
Mannheimer Referat beanstandete: „In einer dieser Scenen
(Teilt Fiesko so mit dem Oelde um, wie ein armer Mann, der
unvernnithet das beste Loos gewinnt" ;') so hat auch die Kboli
gleich ein kostbares Wehrgehäng für ihren Pagen in Üeicit-
schaft. und noch im Teil beol)achten wir diescll)e \'er-
schwendungssuclit, die für den Dichter ebenso charakteristisch
ist wie für seme Personen, bei HeiHia. wenn sie ihr Ge-
schmeide unter das Volk wirft (1. •}).
Die liühncnbearbeitung der Räuber bi-ingt gegenüber
dem ."Schauspiel bereits eine Vei'besserung. Wenn Franz zu
Daniel sagt, IV, 2:
Fort, fülle (liesiMi lieclu'r mit Wein,
so kann sich niemand erklären, wo Franz in seiner Alnien-
galerie auf einmal den P)echer herzaubert; im „Trauei'spiel"
heisst es daher nur noch:
Fülle einen JJecher mit Wein.
Wenn Daniel dann zurückkommt, heisst es: „mit Wein",
ebenso :
Fiesko 1\', 13: er zeigt das Gift der Versammlung.
Kai). V, 7: wirft Gift in ein Glas Limonade.
M. St. \'. ö: Sie trägt einen goUlnen Becher mit Wein.
Während später die F^rzählungsform verschmäht und theater-
mässig nur das äusserlich Erkennbare vorgesehrieben w ird. z. R. :
Jgfr. V, 3: Köhlerweili kommt aus der Hütte mit einem
Becher.
Teil II, 1 : Er trinkt aus einem Becher, der dann in der Reihe
herumgeht.
V, '2: Geht hinein und kommt bald mit einem Becher wieder.
V Martersteig, S. 8Ü.
— 286 —
Auf die Bezeichnung;- der aufjLretragenen Speisen hat
Schiller keine besondere Sor^ifalt verwendet; mit dem Anfan«r
von Kabale und Liebe vergleiche man etwa, Avie einem in
Möllers Sophie I, 2 mit dem Frühstück des Stockmeiste)-s der
Mund wässrig»- gemacht wird:
(Bringt zwey Kaffeeschalen und Zucker dazu, und zwey Butter-
seninieln, auch ein Fläschchen Wein nebst einem Teller mit Schinken
und Semmeln).
üas bürgerliche Drama hat. wozu sein Zusammenhang-
mit dem Roman beiti-ug-, oft die Requisiten unbühnenmässig-
g-enau beschrieben, ein Beispiel Kotzebues Menschenhass und
Reue, wo dei" Unbekannte Zimmermanns P)uch über die Ein-
samkeit hervorzieht, während es richtig-er g-eheissen hätte:
„ein Buch"; wenn auf den Titel etwas ankam, musste er in-
direkt genannt werden. So hat Schiller in solchen Fällen
meistens verfahren, z. B. Fiesko II, 18:
(Er öffnet die Schatoulle, nimmt ein Paket Briefe heraus, die
er alle über die Tafel spreitet.) Hier Soldaten von Parma — hier
französisches Geld — — hier vier Galeeren vom Pabst.
Manchmal — dies entspricht durchaus dem Stil des acht-
zehnten Jahi-hunderts — sind die Requisiten überhaupt nicht
direkt angeg-eben, sondern nur versteckt im Dialog- erwähnt, z. B.:
Raub. II, 1: „Nimm dieses Packet".
Fiesko III, 5: Diese Pulver gab mir Signora . . .
Der Souffleur, dem die Anfertigung- des Requisitenzettels
obzuliegen pflegte,') hatte also fleissige Durchsicht zu halten,
um sich nichts entgehen zu lassen.
Dass dabei oft Missverständnisse vorkamen, lässt sich
denken; man war geneigt, figürliche Ausdrücke wörtlich zu
nehmen; die Frage z. B., ob Hamlet eine Schreibtafel bei
sich trage, wurde fast allgemein bejaht; Garrick und ebenso
Schröder schrieben wirklich die Worte: „Man kann lächeln
und immer lächeln '' nieder; -) auch in der Nach-
i) Ann. d. Theat. 1792. 9. Heft, S. 17.
2) Litzniann II. S. 257. Lichtenberg, Briefe aus England (Verni.
Schriften III, 251 1. Scbink berichtet in seiner Hamburg. Theaterzeitung
sogar von einem Schauspieler, der sich, um beim Schreiben besser zu .sehen,
eine Lampe aus den Kulissen holte (Hamb. Theaterzeit. 1792, S. 230).
— 28? —
aiimuiii^' dieser Szene in Kliiiirers Neuer Aii'ia IH. 4 zieht
.lulio. wie ausdnieklicli aiiLiei^eben ist. eine Sclireil)tafel
hcrvoi'.
Die Missverständnisse aus ^\■ül■tliehe^ Auffas.suui:- Schillei--
seher liilder. die in den Anekdoten der 'IMieaterzeitschnften
erzählt \ver(hMi. sind unter diesen Umständen nielit einmal
völUf,'' uniilauhhaft : ein berühmter Sehauspicler soll als Kai'l
Moor bei den Worten: „Nehmt ihn zniiiek diesen blutii^en
iJuseh" einen dunkelrot ^'•efärbten Federbuseli von sieh i^c-
schleudei-t haben; M eine unbedeutende Schauspielerin habe
als Grätin Lava.üiia bei der Stelle „Auch diesen Dolch, dei-
mein Hei'z durchfuhr" statt des Liebesbriefes einen wirklichen
Dolch hervorgezo<,''en -), und ein F-erdinand von \\'alter habe
mit den Worten: „Warum Dein (Jift in so schönen (ret'ässen"
das (ilas mit dei' veri.'ifteten Limonade in die Höhe g-ehoben. ^)
Dass eine (;!rälin Tcrzky am Schluss des Wallenstein dem
Oktavio einen <,''rossen Schlüsselbund übei'i'cicht (v. 8824),
können wii- ja sog'ar heute noch manchmal erleben.
Damals nun war bei der platten Diktion der Modedramen
die Bildersprache Schillers ,i:anz un.i^ewohnt; dazu kam noch
die Motivieruniislosi^keit, mit der auch wirklich notwendit^e
Requisiten ein<^etuhrt wurden.
In den Dramen des achtzehnten Jahihunderts war man
es nicht anders «^--ewohnt: charaktei'istisch ist z. 1!. der Dolch,
mit dem Ag-nese in iieryers (ialora von N'enediy ihre Tochter
ersticht; sie holt ihn vorher schon heraus und sag't:
Kigentlich weiss ich nicht, was ich für einen Gebrauch liavon
machen will, es ist nur zur V'orsor<,'e.
Goethe hat vom W'allenstein ab Schiller zu strengerer
Motivierung- angehalten. Die Verse:
Ein Hauptmann, den ein andrer erstach,
Licss mir ein paar glückliche Würfel nach
1) Ifflands Almanach lSü8, S. 194. Auch Esslair trug- als Karl
Moor einen roten Busch. (Lewakls Allg. Theater-Kevue II, S. 59 f.J
2) Theat.-Kal. 1797, S. 93.
3) Theat.-Kal. 1790, S. 86.
— 288 —
stammen von ihm. Obwohl er sich im Gespi-äcli mit Ecker-
mann ^) auf keine weitere -eigene Zutat besinnen konnte,
lässt sich vielleicht auch noch v. 95 des Lagei's:
Hab sie so eben im Glücksrad gewonnen
auf dieselbe Rechnung setzen; die Reimstellung- lässt die Vei-
mutung zu. dass dieser Vers zusammen mit den drei folgen-
den erst spätei- eingefügt wurde.
Auch Hedwigs Frage, als Teil die Armbrust mitnimmt:
Was willst Du mit der Armbrust? Lass sie hier,
worauf Teil antwortet:
Mir fehlt der Arm, wenn mir die Waffe fehlt.
klingt eigentlich in ihrer Gewissenhaftigkeit tSchiller fremd.
Dass Goethe auch auf den Teil hierin Eintluss hatte,
hat er späterhin Elckermarin gegenüber-) erklärt; die Verse
VValthers :
Und das muss wahr se^'n Herr — nen Apfel schiesst
IJer Vater Dir vom Baum auf hundert Schritte,
durch die Gessler erst auf die Idee des Apfelschusses ge-
bracht werden soll, hat Schiller nicht ohne \\'iderstreben erst
später auf seinen Rat eingefügt.
Das war vielleicht allzu pedantisch; für die Jugend-
dichtungen aber trifft Goethes Tadel der Unmotiviertheit
zweifellos zu.
Das Stärkste ist der Betrug, der m den Räubern voll-
führt wird. Woher hat Franz, der sich soeben ci'st seinen
Anschlag ausgedacht hat, das Packet mit den Dokumenten
und das präparierte Schwert? Und vor allem, woher hat er
das iiild Amalias?
In Maler Müllers Golo und Genovefa IV, 5, die übrigens
Schiller nicht gekannt haben kann, wird derselbe Betrug, aber
besser vorbereitet, in Szene gesetzt. Golo sagt: „hintergeh sie mit
dei- falschen Nachricht von Siegfrieds Tode; Steffen soll Dii-
helfen, er hat alhis dazu in Rereitschaft.'" Und trotzdem
') Zu Eckermann 25. Mai 1831. v. Biedermann, Goethes Gespr.
VIII, S. 88.
■; Zu Grüner 11). Aug. 1822. Zu Eckermann 18. Jan. 182;'), ebda.
1\', lÜü. V, 137. Schiller au Iffland IG. März 18U4. Jonas VII, 130.
— 289 —
(M'kennt im nächsten Aufti-itt Genovefa tsofrleieli die falschen
VV^ äffen.
Im Geisterseher^) hat Schiller später noch einmal von
demselben Motiv Gehrauch g-emacht, und es fällt auf,
wie gewissenhaft er dort verfuhr. Als der 8izilianer erzählt:
„Als die Gräfin ihn genauer in's Gesicht fasste, war es ihr
Trauring", setzt ihn der Prinz sofort durch die Frage: „Ihr
'l'raui'ing! Aber wie gelangten Sie zu diesem?'' in Verlegen-
heit. Und bald darauf findet der Prinz auch den Schlüssel
zu dem Rätsel.
Der Geisterscher war darauf angelegt, für alle Geheim-
nisse schliesslich die gewissenhaftesten Aufklärungen zu geben.
Dies stimmt mit Schillers Anschauungen übei* Roman und
Drama überein: als das Erfordernis des Romans sah er
an, es durch Durchsichtigkeit der Handlung und Wohlmotiviert-
heit „dem Verstände immer i'eclit zu machen", wälu'cnd er
das Ahndungsvolle , das Unbegreitüche , das subjectiv
Wunderbai'e als Eigenheit der Tragödie betrachtete, „welches
sich zwar mit der poetischen Tiefe und Dunkelheit, aber
nicht mit der Klarheit sich verträgt, die im Roman lierschen
muss."2)
Als Schiller an Wilhelm Meister Kritik übte^), tadelte
er infolgedessen das zu freie Si)iel dei' iMubildungskraft, das
sich in der geheimnisvollen W irksamkeit des 'furmes äussere,
und bezeichnete es als theatralische Maschinerie.
Es ist interessant, wie hier die Grundanschauungen der
beiden Dichter auseinandergingen.
Als der Erfolg dem Theatraliker Schiller späterhin
Recht gab, wurde Goethe nachdenklich und glaubte die
') Goed. IV, S. 244. 250.
-') An Goethe 20. Okt. 97. .lonas V, S. 27S.
^) An Goethe 8. .Juli, 9. .Juli 1790, 12. Dez. 97. Jonas V, 20 f.,
25, 297.
i'iilMOstra XXXU, 10
— 290 —
Schuld seiner eig-enen geringeren dramatischen Erfolge in der
allzugrossen Gewissenhaftigkeit zu erkennen^); von 8chiller
aber sagte er: „Ein sorgfältiges Motivieren war nicht seine
»Sache, woher denn auch die grössere Theaterwirkung seiner
Stücke kommen mag.'*
') Zu Eckerniann 18. Januar 1825 und 2o. Mai 1831.
(v. Biedermann. Goethes Gespräche V. 137. VIII, 88.)
Drittes Kapitel.
1. Die Maske.
„Lavatcrs Physiognomik .sollte das erste Buch in jeder
Theaterbibliothek seyii. Nichts ist für deu Schauspieler
wichtige j-, als die Gesichter verschiedener Karaktere zu kennen
und Lavatcr kann, muss hier der Führer sein." Dieser Satz
in Reichards Theatei'jouinalM darf uns auf keine falschen
Wege führen; ein bedeutender Eintluss Lavaters auf das
Theater bestand nicht, und dei- Däne Rahbeck erweist sich
dui-cli diese Behauptung als kein besonders genauer Kenner
der „Physiognomischen Fragmente"; so wenig Anregung und
Belehi'ung findet in ihnen der Darsteller thatsächlich.
Damit soll der enge Zusammenhang zwischen Theater
und Physiognomik überhaupt keineswegs geleugnet wei'den;
das Theater war die Kinderstube der Physiognomik, wo sie
im Spiel und ohne Systemzwang bereits alle späteren Offen-
barungen früh vei'kündigte.
Als PseudoWissenschaft war sie etwas Uraltes; es sei
nur an das Fastnachtspiel des fünfzehnten J ahrhunderts-j
M Theater-Journal für Deutschland 177Ü XIII, S. S. Kahheck, Briefe
eines alten Schauspielers an seinen Sohn, übers, v. Reichel. Kopenh. u.
Leipzig 1785. Dass ein psychologisches Studium iler Physiognomik für
den Schauspieler notwendig sei. betont auch v. Eiusiedel, Grundlagen zu
einer Th((orie d. Schauspielkunst, Leipzig 1797, S. 84 f.
') Keller, Fastnachtspielc lid. I, Xr. 17. „Ein Spiel von Fürsten
und Herren."
19*
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erinnert, worin der Allerweltsmeister Aristoteles verhöhnt wird,
weil er sich vermisst, am Gesicht zu erkennen,
„warzu ider mensch sei gericht."
Dieselben Darsteller, die sich damals zum vSpott über die
Physiognomik hergaben, haben ihr aber sicherlich bereits ge-
dient, denn es kann g-ar kein Zweifel sein, dass ihre Masken,
wie es ja im Beg-riif der Maske liegt, den Charakter der Rolle
mög"lichst zum Ausdruck brachten, also physiogfnomisch waren.
Lavater war nur zu theaterfremd, sonst hätte er die be-
rühmten fSchauspieler für seine Tiieorie ebenso wie die gn-ossen
Maler ins Feld geführt; so erwcähnt er nur einmal ganz kurz
den Physiog'nomisten G arrick. ^ )
Wenn nun die Physiognomik des achtzehnten Jahrhunderts
Gesetze, die das Theater längst gelten Hess, auf das wirkliche
Leben übertrug, so gewann das Theater selbst dabei zunächst
am wenigsten. Anders liegt es beim Roman; dort dringt in
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von England her ein
ganz neues Element ein, und erst vom Roman aus geht die
Freude an der Personalbeschreibung ins Drama über^). Das
Drama hatte nun wiederum eine Rückwirkung auf das Theater:
durch die genaueren Vorschriften des Dichters wurde der
»Schauspieler vor neue Aufgaben gestellt und die Mannig-
faltigkeit dei' Theatermasken bereichert.
Im letzten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts spiegelt
das Drama die physiognomische Mode wieder. In Ifflands
„Albert von Thurncisen" wird eine Hilhouettensammlung ge-
mustert; in Jjretznei's schwachem Ijustspiel „Karl und yophie
«. 1) Physiogn. Fragni. I illl^)), S. 181.
') Riemann, Euphorion VII, S. 497 ff.
So stellt z. B. Mercier den Dramatikern direkt englische Romane
als Vorbild hin: „Seht, wie Richardson tief in die Geheimnisse einer
Familie eindringt, wie er ihre Absichten, ihren Zweck, ihren Rarakter zu
haschen weiss; wie er sie von allen Seiten her zeigt; er studiert
ihre Geberden, ihre Stellungen, ihre kleinsten Bewegungen, er malt ihre
Blicke, sogar den Ton ihrer Stimme drückt er aus. (Neuer Versuch
S. 25.3 f.) Voraus ging Diderots .J^^loge de Richardson" Ebenso empfahl
Lessing den Schauspielern die Luktüre des „Tristram Shandy". Höttiger,
Entwickl. d. Iffl. Spiels S 24ü.
— 293 —
oder Die Physiognomisten'" liegt es im Thema, dassalle Personen
physiogniomiseli durchg-eliechelt werden ; natürlich mit den
falschesten Resultaten, denn es handelt sich um eine Ver-
spottung- dieser Mode. Von den ersten JStüi'mern und Di'ängern
dag-eg-en werden die physiog-nomischen Bestrebungen ganz ernst
g"enonnnen; wii* hören direkte Anklänge an die „Frag-mente",
wenn in Kling^ers „Neuer Arria" Solina in ihrem Geliebten
den lilick Cäsars sucht, wenn (Jalbino, getreu Lavaters
Empfehlung, den Höfling Ludoviko einei- physiognomischen
Diagnose unteiv.ieht, oder wenn in Wagners .,Reue nach der
That" dei' Held aus dem i)i!de der (Jeliebtcn ihren Charakter
herausliest:
„Sehen Sie diese hohe sanftgewülbte Stiine; das wahre Ideal
der Sanftnmth und der Zärtlichkeit: himmlische Seelenruh scheint
darauf zu schweben: — Dieser fast unmerkliche Uebergang zur Xase.
wie viele Gleichheit und Festigkeit im Charakter drückt er nicht
aus! — Die Nase selbst und die Wellenlinien weiter zum Kinn
herab, kann man sich was schöners, was edlers an einem Mädchen
denken? Unschuld, Sittsamkeit, Empfindung, alles liegt da drinn;
ihr gutes Herz zeigt sich im Ganzen und ist in jedem einzelnen
Theile sichtbar.'"
Während der stürmische Klinger sich mit der hei'oischen
Physiognomik Goethes') bei'ührt, hören wir aus Wagners
.Schilderung den echten Lavatei- heraus mit dem liebens-
würdigen Optimismus seiner Physiognomik, die ein „Pfeiler
der Freundschaft und Achtung" sein will, die nur auf das
Gute sieht und die Versicherung vorausschickt, keine Menschen-
seele habe sich vor ihrem Blicke zu füi'chten').
Der junge Tragiker dagegen, der erhabene Verbrecher
durch den allmächtigen Ruf der Dichtung vorlud^), konnte
mit dei' Satirc des Musäus übereinstimmen, wenn ilieser als
') E. V. d. Hellen, Goethes Anteil an Lavaters Physiognom. Frag-
menten. S. 186 iF.
') Physiognom. Fragm. zur Beförderung der Menschenkenntnis und
Menschenliebe I, 12. 11, 27 ff. III, .30 fl'.
') Goed. III, 514.
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Er^änzuiiK auch eine Physiognomik des Lasters fordertet.
Schiller verlangte sogar von seinen Freunden die Anlage zu
kühnen Tugenden oder A'crbrechen"'); wie wenig konnte es
ihn also interessieren, in einem Durchschnittsgesicht die Vor-
züge bürgerlicher Friedfertigkeit zu linden: ,,Einc unthätigc
und schwache öeele, die niemal in Leidenschaften überwallt,
hat gar keine Physiognomie, Avenn nicht eben der ]\Iangel
derselben die Physiognomie dei- Simpel ist."^)
Auch als Dramatiker sieht er nur die Hauptpersonen,
die ihn interessieren, mit einiger Schärfe vor sich. Während
des jungen Goethe vei'schwenderischcr .Vnschauungsi'eichtum
im Gottfried von Berlichingen den Zigeunei-knaben mit seinem
eingedrückten Nasbein, den Haaren Avie ein Doi'nstrauch,
Augen wie's Irrlicht auf der Haidc, Zähnen wie Helfenbein.
zum Greifen vor uns hinstellt, hat Schiller für Karl Moors
Gesellen nur wenig Farben auf der Palette: Spiegelbergs
Pralätsbauch und SchAveizers Narben auf der Stirne sind das
einzige, Avas charakterisiert Avird. Der junge Dichter mag
selbst einen gCAvissen Mangel empfunden haben, und das ist
vielleicht der Gi'und, Aveshalb er sich beim Fiesko zAvang,
schon im Personenvei'zeichnis die Erscheinung der einzelnen
Personen festzuhalten ; aber im A\-esentlichen bleibt die Be-
schreibung auch da bei den inneren Charakterzügen.
Immei'hin veranlasste die Fülle der Gesichter zu feineren
Kontrasten und Abtönungen, Avährend in den Räubern und
auch Avieder in den späteren Stücken die Personenbeschi'eibung
>) Physiognom. Reisen. 3. Aufl. Altenb. 1781. I. 45. II, 2()-2f., 205.
Schiller interessierte sich für Musäus (An Keinwald 15. .Tiini 1783,
Jonas I, 133). Dass er Lavaters Werli wohl kannte, zeigt Spiegelbergs
Emj3fehlung, diejenigen für die Bande zu werben, die am meisten wider
die l'hysiognoniik eifern. Dies bezieht sich auf l'hysiogn. Fragni. I, 19:
^Die meisten eifern wider ilie l'hysiognoniik. weil sie das Licht derselben
scheuen Nicht alle, die widor die l'hysiognoniik eifern, sind böse
Menschen Alier das darf ich behaupten: Beynahe alle böse, schlimme
Menschen eifern darwider." An Ansehen hatte Lavater bereits durch
seinen Besuch auf der Solitude (1774) eingebüsst. (Minor I, 285.)
') An Körner 29. Aug. 87. Jonas I, 399.
^) Goed. I, 171.
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nur in einer Richtung- auf das Extreme losjreht.^) Für das
Abstossende offenbart sich dabei ein schärferes Beobachtungs-
vermöiren als für die gewinnenden Züge.
Amalia ergeht sich vor dem Bilde ihres Geliebten nur
in Schwärmereien: „Die träge Farbe reicht nicht, den himm-
lischen Geist nachzuspiegeln, der in seinem feurigen Auge
herrschte"; wie anders versteht es Franz, der mit dem Auge
des Hasses sieht, in wenigen »Sti'ichen den liruder zu zeichnen:
„Sein langer Gänsehals — seine schwarzen feuerwerfenden
Augen — sein finsteres übei'hangendes buschiehtes Augen-
braun". Und nun gar, welche Überfülle des Ausdrucks steht
ihm bei dem ekelerregenden Phantasiebilde des siechen Lüst-
lings (I, 3) zur Verfügung! Dort erkennen wir deutlich,
woher die Farben entnommen sind ; es ist das medizinische
Studium, das des jungen Dichters Blick einseitig für das
Pathologische geschärft hat.
Auf die physiologischen Jugendkeinitnisse geht auch
Schillei's spätere physiognomische Theoiüe zurück. Die in
„Anmut und Würde"") entwickelte Lehre von den „vei'festeten
Bewegungen", den „in Züge übergegangenen Gebärden", die
dei- moderne Physioi^nomikei* Piderit noch seinem System zu
(ii-unde legt^), findet sieh schon 17S2 in der Abhandlung „über
den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit
seiner geistigen"'*) ausgefühit: „Wird der zur Fertigkeit ge-
wordene Affekt dauernder Karakter, so werden auch
diese konsensuellen Züge der Maschine tiefer eingegraben, sie
bleiben, wenn ich das Woi't von dem Pathologen entlehnen
darf, deuteropathisch zurück, und werden endlich organiscii.
So formii't sich endlich die feste perennirende Physiognomie
des Menschen, dass es beinahe leichtei' ist, die Seele nachher
noch umzuändern als die IJiidunir."
^) Anders der junge Goethe, dessen l)erauschter Franz in iler hin-
reissenden Schönheit Adelheids doch bereits den lauernden Zug entdeckt.
-') Goed. X, 79. 81. 89. 9(5 f.
') E'iderit, Miuiik u. Physiognomik. 2. Aufl. DctinoM 188«!. S. 189 ff.
•") Goed. I, 171. Dazu Minor I, 27G, 281 f.
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Diese Theorie ist nicht Schillers Eigentum, sondern bereits
AUiremeingut der Zeit; auch von Lavater selbst war sie an-
erkannt, besonders nachdem sie ihm von Lichtenberg entgegen-
gehalten war.^)
Lichtenberg nun zieht auch bereits die dramatische Poesie
in den Kreis seiner Betrachtungen : Shakespeare sei verhält-
nismässig arm an eigentlich physiognomischen, dagegen voll
der herrlichsten pathognomischen Beobachtungen.
Wie weit diese Behauptung für Shakespeare wirklich
zutrifft, lasse ich dahingestellt; für Schiller lässt sie sich mit
vollem Rechte wiederholen : entsprechend der Theorie, die
eine Physiognomik einzelner organischer Teile anzweifelt, sind
viel weniger die festen als die veränderlichen Gesiehtsteile
charakterisiert. Die Nase — nach Lavater „eines der wicli-
tigsten, der entscheidendsten, sensibelsten, und zugleich un-
verstellbarsten Theile des menschlichen Angesichts"') — ist
nur bei Franz Moor bezeichnet: „Warum gerade mir die
Lappländers Nase?"; das herausgequollene Kinn bei Wurm;
die Stirnform — „das unverstcllbarste, sicherste Monument,
die Festung, die Residenz, die Gränze des menschlichen
Geistes"^) — nur bei Isabella in der Braut von Messina.
Dagegen sind die Stirnfalten bei Verrina sowohl wie bei
Octavio (W, T. 1642) in bedeutsamer Weise hervorgehoben,
im Gegensatz dazu die offene Stirn Wallensteins (W. T. 746 if.,
2460); noch mehr verraten die Gesichtsmuskeln: beim alten
Moor ist es der „sanftmütige Zug um den Mund, der ihn aus
Tausenden kenntlich macht": .Julia Imperiali hat „im Gesicht
eyien bösen moquanten Karakter."
\\'ährend Lichtenberg die fetten Gesichter beneidet, die
unter dem Speck ihre Regungen verbergen, indessen bei den
Mageren die Seele unmittelbai- unter der Epidermis sitzt,
•) Fhysiogn. Fiagin. I, 31, 63. III, lu f. IV, 35 ff'. Lichtenberg,
Vermischte Schriften (1844) IV, 45, 49, 59, 03, 64, 67. Heinse, Ardhing-
hello hrsg. v. liiiiihe I, 257. Nicolai, Heise durch Deutschld. u. d. Schweiz
I, 135. V. d. llclieii, Goethes Anteil an Lavaters Fhysiogn. Fragni. S. 6.
■-') l'hysiogn. Fragin. I, 2.J7. IV, 257 tf.
') Bbda. I, 124, 219 If.
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macht Schillers Physiognomik auch die Abirezehrthcit <les
Gesichtes von der ruhelosen Leidenschaft abhängig. Wenn
er mit BeziehunL-- auf Shakespeares hageren Cassius davon
spricht, wie der schleichende Zorn die Säfte des Thebens aus-
trockne und bleiche Gesichter mache, denen der innere Gram
aus den hohlen, tiefliegenden Augen blicke, so gibt diese
Stelle^) auch einen Kommentar /u dem „hageren Wollüstling"
Kalkagno, auf dessen Gesicht Yerrina noch eine besondere
Unruhe arbeiten sieht. Auch auf den Wangen Leonorens,
die schon im Personenverzeichnis als ..blass" angegeben ist,
..kränkelt die misfärbige I.eidenschaft" ; das frische Kot .Julias
dagegen muss man sich — was die Bühnendarstellung kaum
deutlich machen kann — als Toilettenkunst denken. (U. 2.)
Das Ausdrucksvollste an den Schillerschen Figuren sind
iilick, Haltung und Gan^-; sie zeichnen besonders den Helden
aus: „Heldenmuth und Unerschrockenheit ströhmen Leben
und Kraft durch Adern und Muskeln. Funken sj)rühen aus
den Augen, die lirust steigt.... dei- Stolz richtet den
Körper auf, so wie die Seele steigt.''^) Während die
Schleicher Franz und Wurm durch den Basiliskenblick und
die kleinen tückischen MausauL-en «.'ezeichnet sind. bezwiuL-'t
Karl Mooi- mit seinem ..lilick, der die Herrlichkeit, den Pomp,
die Triumpfe der Grossen vernichtet", nicht nur Amalia,
sondern auch Kosinsky und sogar Franz; Leonore schwärmt
von dem wetterleuchtenden Auge Fieskos und seinem stolzen
Gang, „als wenn das Durchlauchtige Genua auf seinen jungen
Schultern sich wiegte"; Deveroux fürchtet den Blick Wallen-
steins mehi- als seinen Degen, und Don Cesar hat mit seinen
Flammenaui^eii JJeati-icens innere Ruhe gestört (v. 1089 if.).
Die Farbe des Auges ist selten bestimmt, nur bei Karl
Moo)-. Luise Miller, König Philipp und Isabella; natürlich
niemals als direkte Vorschrift, da sie weder vom Schausjjieler
v'ei'ändei-t. noch vom entfernteren Publikum eikanut werden
kaini.
') Uoed. I, 170.
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Welche Rolle die Augenfarbe in der Frage nach dem
Modell des Dichters spielen kann, sehen Avir an Goethes
schwarzäugiger Lotte im Werther; bei 8chiller sind es die
Vergissmeinnichtaugen Luisens, die auf die Mannheimer Schau-
spielerin Karoline Ziegler hinweisen. Wenn Diderot^) ge-
schrieben hatte : „Man gebe seinen Personen eine gewisse
Physiognomie, aber nie die Physiognomie der Schauspieler.
Der Schauspieler muss sich nach der Rolle, und nicht die
Rolle nach dem Schauspieler bequemen" — so hat Schiller
in Kabale und Liebe diesem Rat zuwidergehandelt. Aber
für das Äussere, namentlich Millers, dessen Rolle Beil
geradezu auf den Leib geschrieben sein soll, hat sich doch
nur wenig ergeben.
Zu Karl Moors buschigen Augenbrauen und dem langen
Gänsehals mag der Dichter sich selbst Modell gestanden
haben '^), doch erstreckt sich die Übereinstimmung nicht bis
zur Augenfarbe und sicherlich auch nicht auf das rötliche
Haar Schillers. Übrigens ist wohl ein subjektives Element
dabei, wenn dieser in der physiologischen Abhandlung gerade
der Höhe des Halses und dei- Haarfarbe physiognomische
Jiedeutung abstreitet, .,wenn auch Lavatei" noch durch zehcn
Quartbände schwärmen sollte."
Die Physiognomik der Haare ist eine der ältesten und
vulgärsten; das
non tibi sit rufus unquam specialis aii)icus^)
wurde schon auf dem mittelalterlichen Theater durch die
Maske des Bösewichts illustriert. Noch bei den Stürmern
und Drängern wirkt die Tradition (vgl. den Rotkopf Ludoviko
in Klingers neuer Arria (IV, 5) oder die .Justizrätin in
Wagners Reue nach der That), und wie mächtig sie war, zeigt
Schiller, der seiner eigenen Farbe zum Trotz Wurm rothaarig,
allerdings brandrot, dargestellt wünschte. Auch Franz Moor,
') Theater (Lessings Übers ) II, 387.
'0 Weltrich I, 325. Minor I, 320.
^) Ruodlieb, hrsg. v. Seiler, S. 50, 245. Creizenach, Gesoh. d. neueren
Dramas I, 123.
— 299 —
bei (1cm dies nicht ausgesprochen ist, wurde meistens im
Trcg-ensatz zum schwarzloekigen Bruder in der üblichen Perrücke
des Bösewichts i,''espielt: durch einen Höcker und schielende
Auiren pfleirtc der Eindinick noch verstärkt zu werden.
Iffland. der diese Mittel verschmähte, und den Edelmann im
Äusseren herauskehrte, wusste doch, dass er nicht überall
der rohen Karrikatur yeirenüber werde durchdringen können;
in Wien wagte er den Franz nicht zu spielen, weil er Ochsen-
heimers rote Perrücke — damit bezeichnete er die ganze Auf-
fassung — scheute.')
Die traditionelle Maske, die sich beim Franz Moor zum
rJlück nicht erhalten hat, kann als 8chauspielerzutat mit der
Figur eines Dichters fest verwachsen; wir sind z. 1>. ge-
zwungen, uns Gretchen mit blonden Zöpfen vorzustellen, ob-
gleich Goethe nichts darüber ausgesprochen hat.^j
J'>ei dem Frauenhaar dürfen wir nicht vergessen, dass die
Mode, es ungepudert zu ti'agen, noch ziemlich junL-" war ;
Lessings Appiani spricht den ausdrücklichen Wunsch aus. das
Haar der Braut ..in seinem eigenen braunen Glänze, in Locken,
wie sie die Natur schlug", zu sehen; damals hatte aber der
junge Goethe bereits die offene Locken pracht der (Jeliebten
besungen :
Fest waren wir an sie gehangen.
Wir streichelten die runden Waniren.
Und gleiteten oft mit Verlangen
Von da herab zur rundern Brust.
Wie die Helden der Geniezeit es lieben, den Kamm
aus den Haaren der Geliebten zu ziehen und sich in die
herabfallenden Lockenketten zu schliniren.^) so wühlt auch
') Ifflands Almanach 1><07. S. 57 tf.. 72 f. Büttiger, Kntwickl.
d. li'fi. Siticls, S. 103. Ileinr. Schniiiit, Erinn. e. Weini. Veteranen, S. 119.
Funck, Erinn. a. ni. Leben 11, KKJ f. Theat.-Kal. 17S4, S. 112.
■') In diesem Falle hat freilich die bildende Kunst zuerst den Typus
festgelegt. (G.-.J. XVII, 260).
') Klingers Leidendes Weib fesselt Brand mit ihren Haaren; Almire
windet ihre Ijocken als Liebesketten in die dunkeln Grisaldos; Fernando
wickelt seine Arme in Stellas Idond herabfiutendes Haar. E. Schmidt.
Lenz u. Klinger, S. ii2. R. Weissenfeis, Cioethe im Sturm und Drang I, -12*J.
— 300 —
Ficsko in <len Haaren der Julia Inipcriali und brinirt ihre
liinauf^L-'ezwunirene hohe Fri.sur in Unordnung. Von der Haar-
farbe erfahren wir dabei nichts, ebenso wenig bei Maria
Stuart („Die schöne Locke, dieses seidne Haar"); dagegen
hören wir von der Blondine Luise Miller, von den goldenen
Locken der Jungfrau, den braunen der Isabella.
Eine bedeutende Rolle spielt die Haarfarbe bei den
ältei'en ^lännern, wo sie als Symptom der Rüstigkeit oder
des erlittenen Kummers auftritt: Wallenstein hat sich noch
sein braunes Öcheitelhaar erhalten, während Gordon und
Rutler bereits ergraut sind. Mit den Silberlocken des ver-
ehrungswürdigen Greises wird in der ganzen Periode ein be-
sonderer Kultus^) getrieben; dahin gehört es, wenn im fürchter-
lichen Traum des Franz Moor eine einzige Locke von dem
silbernen Haupthaar des Vaters die Schale der Sünde zu Roden
drückt, wenn Schweizer bei denselben heiligen Locken den
Racheschwur leistet; wenn Andreas Doria dem Lomellin seine
letzte eisgraue Haarlocke als Vermächtnis für Genua mitgibt.
Wenn Schillers Personen (Daniel, Andreas Doria, Miller,
König Philipp) mit Vorliebe von ihren eigenen grauen Haaren
sprechen, so erkennen wir das Voi'bild dafür bei Klinger.-)
') Brahni, Kitterdrania S. 55, 199, 202.
Flaischlen, Gemmingen, S. 119.
Eloesser, Das bürgerl. Drama, S. 42.
^) Otto I, 5: Wieburg: meine grauen Haare
II, 2: Herzog: meine graue Haare
III, 1: Wie bürg: Lass dir noch was von einem alten Manne
sagen, dessen Haare weiss worden sind!
III, S: Herzog: Aber, wird er mich kennen? seinen alten
Vater, dem er Gram gemacht hat, seine Haare
weiss gefärbt, mehr als das Alter.
Zwillinge II, 2: Alter Guelfo: meine grauen Haare .sollen sicli weiss
färben.
Simsone Grisaldo II. 2: Fernando: 0 Bastiano! Meine Haare .sind vor
der Zeit grau worden um Dich.
Sturm u. Drang I, 2: TJerkley: Ich bin ein grauer alter Kerl
II Sehen Sie meine grauen Haare
V, 12; und meine grau." Haare, mein alter Kopf.
— 301 —
Zu jenen Greisen, die wie die Vätei' in Kliniiei-s Dramen
aus Gram vor der Zeit i:ealtert sind, i^eliürt auch dci- alle
Moor. Der Kummer hat ihn zu einem aehtzii^.jlihriuen Mainie
g-emacht, während Karl das wirkliche Alter seines Vatei's
verrät, indem er ihn in dei' lUlhnenbearbeitunu" „8echzi<4:jähri^'-er"
ani'edet.
Der Unterschied zwischen dem tatsächlichen Alter inid
dem scheinbaren, das sich im Äussern kuiubibt und für die
Maske des Schaus])ielers massgebend ist, tritt niri.'ends so
schi'otf auf; immerhin muss l)eachtet werden, dass manche
indii-ekten Altersang-aben nui' subjektiv das Aussehen charak-
terisieren, z. 1>. wenn Karl Mooi' zu Anialia saiit:
Sie können nicht drcy uml zwanzig .Tahre alt .seyn.')
oder Dom Karlos (in der Thalia) zum Paaren:
Du bist sechszehn .Jahr alt,
mehr Itist du nicht —
Ein ausdrücklichei- Kontiast zwischen u iiklichem und
vortreblichem Alter war spätei- wiedei- bei den Kindern des
Hauses-) vort^esehen :
„Sie [Madelonj war zur Zeit des Stücks 34 .lahr und gab sich
für 27 aus. Saintfoix ist 20, alter wird für 23 ausgegeben."
Wallenstein sieht jünyer aus, als er ist, denn er liat
sich in den letzten Kriej,'esjahren nicht verändert (Picc.
739 tt'.):
Mein Vater
Hat nicht gealtert — Wie sein Hild in mir gelebt,
So steht er blühend jetzt vor meinen Augen.
Thekla hat den Vater neun Jahi-e lan? nicht fresehen
(W. T. 1823); wenn man mit dieser Zeitangabe eine andere
(Picc. 737) kombiniert:
Kaum zähltest du acht .Tahre.
Als du sein Angesicht zuletzt gesehn.
SO erg-ibt sich l'hekhis Alter als siebzehn .Jahre; Schiller
hat sich das wohl überlegt, wie seine zweimalig'-e Korrektur,
*) Im Trauerspiel: zwei und zwanzig Jahr.
■j Drani. Xachl. II, 84. Gleichzeitig heisst es. Saintfoix sei 12 .Fahre
jünger als Madeion
— 302 —
von fünf Jahren zu sechs und schliesslich zu acht, be-
weist.^)
Überhaupt war Schiller in den Altersangaben der einzelnen
Personen g-enauer als in den Zeitbe8timmung"en der Handlung, das
erkennen wir aus den späteren Entwürfen z. 73. den Kindern
des Hauses , oder auch bei den Malthesern , wo ein
Verzeichnis der einzelnen Figui'en nach ihren Alters-
stufen angelegt ist.'') Im Fiesko sind die direkten Altersan-
gaben wh'klich auf das Personenverzeichnis gesetzt worden,
wie es sonst eigentlich nui' bei den Kinderrollen üblich war.')
Endlich kann das Alter auch innerhalb des Stückes beim
ersten Auftreten einer Person direkt genannt werden, so beim
Grossinquisitor und bei Attinghausen; ausserhalb des Stückes
blieb dem Dichter die Möglichkeit, seine Vorscliiiften brieflich
den Theaterdirektoren mitzuteilen, wie Schiller es bei Maria
Stuart*) tat:
Maria ist in dem Stück etwa 25 und Elisabeth höchstens 3ü
Jahre alt Mortimer braucht nicht älter als 21 oder 22 .Jahre
zu seyn.
Das Häufigste abei' sind die indü'ekten Angaben im
Munde der Personen, wozu mehrmals durch den Geburtstag*)
Anlass gegeben wird:
Raub. III, 2: ich bin vier und zwanzig Jahr alt.
IV, 2: heute ein und siebenzig- .Jahr alt.
Kab. III, 4: der morgen sechzig alt wird.
IV, 7: Sechszehn gewesen.
Carlos V. liS (Thalia): kaum zwei und zwanzig Frühlingen
entflogen.
*) Hier hat die Verbesserung keinen metrischen Grund, wie im
Don Carlos v. 311, wo der Wortlaut der Thalia:
„An mir verloren waren — Sieben Jahre"
seit 17H7 verändert ist in:
„iJer Liebe zarten Keim zertrat? Sechs Jahre
Hatt' ich gelebt ■'
») Drani. Nachl. II, 23, 86.
') Siehe oben S. 54.
*) An Iffland 22. Juni, 19. Nov. 1800, .lonas VI, 164, 216.
'•) Siehe oben S. 115.
— 303 —
V. 973: ein ilreyiniiizwanzigjähr'g-er Jüii<fling.
V. 2U37 f.: und riiilipp
Wird sechzi^f Jahr alt.
Menschenfeind I. 8: Ich bin heute fünfzis: .Jahr alt.
W. T. 2548 rt". : Wohl dreissif,' Jahre sinds. Da strebte schon
Der kühne Mut im zwanzigjähr'gen Jüngling.
Manchmal ist auch nur das Altersverhältnis zwischen
zwei Personen unbestimmt ausgesprochen, wie zwischen (iordon
und Wallenstein, Don Manuel und Don Cesar.
Gewisse Altersstufen sind in den ersten Stücken typisch,
so sechzig-- Jahi-e für die Väter: den alten Moor, X'eirina,
Miller, König- Philipp, den Chor in den Malthesern; .irerade
lunfzii,'- Jahre alt sind dat^-egen Hütten, La Valette, W'allen-
stein; zwischen zwanzig und vierundzwanzig Jahren liegt das
Alter der jugendlichen Jlelden und Tjiebhabei' : Ivosinsky,
Kiesko, Jjourgognino, Don Carlos, Crequi, Sahitloix, Mortinier.
Demetrius.
Bei Wallenstein stimmt die runde Zahl zufällig mit dem
historisch richtigen Alter überein; bei Philipp II. ist es um
neunzehn Jahre erhöht; bei Fiesko nur um eines, so dass er
gerade das Altei* des Dichters hatte. Das Alter von Don
Carlos und Demetrius ist dagegen herabgesetzt.
Die Frauenrollen sind fast durchgehends der Quelle
gegenüber verjüngt, so schon die Königin im Don Carlos, die
nach St. Real im Beginn ihres vierundzwanzigsten Jahres
stehen sollte; am stärksten die beiden Königinnen in Maria
Stuart (Maria war um zwanzig, Elisabeth um vierundzwanzig
Jahre älter, als Schiller angab) ; aber auch Marfa im Demeti'ius'j,
wo der Dichter selbst vermerkte :
Die Czarin Marfa wird nur 40 Jahre alt angenommen, ihr
Sühn Demetrius wäre jetzt 20 — Der Geschichte nach wäre er etwa
25 und die Czarin müsste über 43 angenommen werdi-n.
Es spielte dabei sicherlich auch die Rücksicht auf die
Schauspielerinnen mit; das ersehen wir deutlich aus einem
lirief an Goethe, worin es sich um die Besetzung des Wallen-
') JJram. Naihl. I, 2t)2.
— 304 —
stein handelt. Die Grätin soll von der Darstellerin der
Mütterrollen i;espielt werden : damit sich aber die jüngere
Darstellerin der Hei'zog-in nicht beklagen könne, rechnet
Schiller aus, dass die Herzogin wirklich jünger sei.^)
Wenn wir nun auch das Äussere der Personen mit der
geschichtlichen Wahrheit vergleichen, so treffen wir auf eben-
solche Abweichungen. Prinzessin Eboli ist nicht einäugig,
und es war übertriebene Feindeuterei eines Rezensenten-),
wenn er ihr gutes Gehör (Ausg. v. 1787, v. 1709 ff.) damit
erklärte. Von Wallenstein hatte der Dichter selbst einige
•Jahre früher das historische Porträt gezeichnet, und Brahm^)
hat bereits hervorgehoben, wie wenig „die reinen edlen
Züge, die hoheitblickende Gestalt, die majestätisch leuchtende
Stirn" in der Dichtung (W. T. v. 746 ff., 2460) mit dieser
Beschreibung des Historikers zusammenstimmen:
Finster verschlossen, unergründlich, sparte er seine Worte mehr
als seine Geschenke, und das wenige, was er sprach, wurde mit einem
widrigen Ton ausgestossen Er war von grosser Statur und
hager, gelblicher Gesichtsfarbe, rötlichen kurzen Haaren, kleinen
aber funkeluden Augen. Ein furchtbarer, zurückschreckender Ernst
sass auf seiner Stirne.
Dem dritten Bande seines „Theaters" gab Schiller schliess-
lich doch ein echtes Bildnis Wallensteins bei*), das er inzwischen
entdeckt hatte, und das mit der edeln, glatten Stirn wirklich
mein- der poetischen als der historischen Beschreibung entspricht.
p]benso erhielt der erste Band des Theaters ein soge-
nanntes echtes Bild der .Jungfrau von Orleans, das Jage-
mann, der Bruder der Schauspielerin, aus Frankreich mitge-
bracht hatte.^) Der Ungerschen vVusgabe im Jahre 1801 war
') Gerade an MUe. Malkolmi (später Mad. Woltf), die die Herzogin
spielte, wird auc-h sonst getadelt, dass sie gar zu ungern ihre Jugend ver-
leugne. (Einige Briefe über Schillers Maria Stuart und über die Auf-
führung derselben auf dem Weimarischen Hoftheater. Jena 18UU, S. 131.)
') Braun 1, 164.
'j Brahm II, 218. Goed. VllI, S. 144.
') An Cotta 1. März 1805. Jonas VII, 217.
'') An Cotta 13. Dez. 1804, 3. Febr., 10. Febr., 25 Febr. 18U5.
Jonas VII, 105, 210, 211, 213. Briefw. mit Cotta, hrsg. v. Vollmer, S. 54G.
— .'^05 —
ein anderes Bild vorg-esetzt, ein Minervakopf nach einer
Kamee in Goethes Besitz.^) Nicht als Kind, dessen zarter
Körpei' nur durch den Fanatismus Kraft erhält, die schwere
Rüstuni^- zu tragen, sondern als majestätische griechische
Heroinengestalt hat sich also der Dichter seine Heldin zunächst
vorgestellt; erinnei't doch auch Raouls Schilderung an das
Bild der ägisschwingenden Göttin.'^) Jagemanns Zeichnung
dagegen stellt ein dunkelgelocktes Kindergesicht dar, dem es
cutspriclit. wenn nun im ..Theater'" nicht melir von ,,goldnen"
sondern von ..dunkeln Hingen" die Rede ist. Während der
Dichtung ist ein Hinüberneigen zur romantischen Auffassung
zu bemerken, vielleicht im Zusammenhang mit einem Wunsch,
der schliesslich doch ohne Erfüllung blieb, nämlich die Rolle in
I>erlin durch Friederike Unzelmann dargestellt zu sehn. Aus
Dresden schrieb Schiller an Iffland^): ..Nach allem, was ich
von Mad. Unzelmann hüi-e. muss ich wünschen, dass ihi' die
Rolle der Jojiainia zufalleu möge. Die kleine Fiüur, welche
die grösste Einwendung dagegen scheint, hat bei der Johanna.
so Avie ich sie in dem Stücke g-enannt habe, nicht soviel zu
bedeuten, Aveil sie nicht dui'ch köi'perliche Stärke, sondern durch
übernatürliche Mittel im Kampf überwindet. Sie könnte also,
was dieses betrifft, ein Kind seyn, wie dei- Oberon, und doch
ein furchtbares Wesen bleiben,"
Dass die Figur des Darstellers die Verwirklichung der
dichterischen Vorstellung beeinträchtigen kann, diese Erfah-
rung musste Schiller bereits bei seinem ersten Karl Moor
machen: „Schade nui-. dass Hr. Bock für seine Rolle nicht
Person genug hat. Ich hatte mir den Räuber hager und
gross gedacht."^)
Angaben über Gestalt und Grösse treten im Fiesko am
i-eichlichsten auf: der Titelheld schlank. Kalkagno hager,
■) An Unger 28. Nov. ISOO, 7. April, 2G. April, 30. April 1801.
Jonas VI, S. 223, 267, 269. 274.
-) Vgl. auch z. 3529: So lange du der strengen Pallas gleichst.
=*) An Iffland 2. Sept. 1801. Jonas VI, 298.
*) Goed. II, 374.
Palaestxa XXXII. 20
— 306 —
Leonore schmächtig', Julia gross und voll, Gianettino grösser
als Verrina (I, 10); sie waren vielleicht mit den Mannheimei-
Darstellern in Übereinstimmung- g-ebracht. Später heisst nur
noch Luise Millerin „schlank", Seni „ein kleines graues Männ-
lein" (Lager v. 372, W. T. 1581), Attinghausen (Teil II, 1)
„von hoher edler Statur."
Nicht nui- in diesem einen Punkte nimmt die Bestimmtheit
ab, sondern die Personalbeschreibung tritt überhaupt in den
späteren Stücken zurück. Die im übrigen zunehmende Freude
an Schilderungen wird überwogen durch die fortschreitende
Tendenz zur Typisierung. Schon in den Jugenddichtungen
stand dem individuellen Ausdruck der Hässlichkeit und des
Lasters ein ziemlich farbloser Enthusiasmus für die Schönheit
gegenüber. Diese zweite Neigung wächst sich aus, während
die Liebe zur charakteristischen Hässlichkeit abstirbt, wie am
deutlichsten an Macbeths Hexen zu sehn ist.
Für die Schönheit der Heldinnen wiederholt sich immer
wieder der blasseste Superlativ, auf dessen Verwirklichung
durch die Bühnendarstellung nicht gerechnet Averden kann,
auch kommt es darauf garnicht an.
Carlos V. 45: die schönste Frau auf dieser Welt,
M. St. V. 509: die schönste aller Frauen, welche leben.
Jgfr. z. 153 f. : weil Gott
Mit reicher Schönheit ihren Leib geschmückt.
Braut V. 1531: der Glanz der göttlichen Gestalt
Teil V. 1701 : die Krone aller Frauen.
Eine konkretere Ausführung war notwendig in der Braut
von Messina, wo die Schilderung des Äusseren zur Ent-
deckung der gemeinsamen Mutter beiträgt; in Anbetracht
dieses Zweckes ist jedoch auch hier die Beschreibung fast zu
allgemein gehalten:
Der braunen Locken dunkle Ringe seh' ich
Des weissen Halses edle Form beschatten,
Ich seh' der Stirne rein gewölbten Bogen,
Des grossen Auges dunkelhellen Glanz,
Auch ihrer Stimme seelenvolle Töne
Erwachen mir
— 307 —
Wir kommen nun überhaupt zu der Frage nach dem
technischen Zweck und den Mittehi der Personalbeschreibung.
Objektive Vorschriften für die Schauspielermaske stellen in
erster Linie die Angaben dar, die der Dichter direkt auf dem
Personenverzeichiiis (Fiesko) oder beim Auftreten der Personen
macht:
Semele 62a: Juno (in Gestalt einer Alten)
338a: Zeus (in Jünglingsgestalt)
Raub. IV, 5: ein Alter, ausgemergelt wie ein Gerippe.
V,2: Anialia (niil fliegenden Haaren)
W. T. V,12: Gräfin Terzky tritt auf, bleich und entsteUt.
Andei's verhält es sich mit der indirekten Beschreibung,
die einer Person in den Mund gelegt ist. Sie findet ihren
Platz mit Vorliebe in der Exposition, wofür dei- erste Akt von
Emilia Galotti ein Voi'bild sein konnte ; bei Schiller entwickelt
so der erste Aufti'itt des Fiosko das Äussere des Helden. Ein
besonderes Muster konnte Emilia (lalotti auch sein in der
bequemen Art. von dem Hilde auszugelien. Das Bild bi'aucht
nicht einmal die Person selbst darzustellen, z. B. weist im
Götz .\delheids Fräulein, wie sie von Weislingens Einzug
erzählt, auf das Porträt Kaiser Maximilians:
Er glich dem Kaiser hier, als wenn er sein Sohn wäre. Die
Nase nur etwas kleiner, eben so freundliche lichtbi'aune Augen, eben
so ein blondes schönes Haar, und gewachsen Avie eine Puppe. Ein
halb trauriger Zug auf seinem Gesicht war so interessant.
In den Räubern werden Avir dreimal vor das Bild des
Helden geführt, aber an keiner »Stelle ist die (Jelegenheit zu
einer auch nur annähernd so genauen Schildei-ung ausgenutzt;
ebenso wenig in der Maria Stuart, wo Mortimer, und aus
seiner Hand Leicester Mai'ias Bild empfangen. Auch bei der
Kontrastierung zweier Figuren (z. Jj. Carlos v. 2330 — 2367
oder M. St. 1642 ff.) dehnt Schiller den Vergleich selten auf
das Äussere aus; nur Leicester tut dies, aber mit einer dem
Ohr der citeln Königin wohlklingenden Heuchelei. (M. St.
2006 ff.)
Lichtenberg hat bereits bei Shakespeare darauf auf-
merksam gemacht, wie viel darauf ankommt, wer solche Be-
20*
— 308 —
merkungen ausspricht, und wie die Beschreibung für das
Subjekt charakteristischer sein kann als für das Objekt. M
Natürlich ist ebenso wichtig, auf wessen Olir die Beschreibung
berechnet ist.
Aus Semeies verzerrtem Bild der Juno spricht der leicht-
fertige Gatte Zeus, der sich mit der frivolen Beschreibung bei
dem einfältigen Kinde einschmeicheln wollte ; des Franz Moor
Zerfallenheit mit sich selbst äussert sich in der Selbstkarrikatur :
„Warum gerade mir die Lappländers Nase? Gerade mir dieses
Mohrenmaul? Diese Hottentotten Augen?", und wie sehr seine
von Hass diktierte Charakteristik Kai"ls zu der verstiegenen Ent-
zückung Amalias: „Schön wie Engel voll Walhalla's Wonne'' in
Widerspruch steht, darauf ist schon oben hingewiesen.
Fieskos Äusseres wird unter der Anregung des Mann-
heimer Antikensaals durch Vergleich mit Bildwerken charak-
terisiert, aber während Romano an ihm die grosse Linie zu
einem Brutuskopf studiert, ist er für die schwärmerische
Leonore ein blühender Apoll, verschmolzen in den männlich-
schönen Antinous.
Am hübschesten können wir die Subjektivität der ver-
schiedenen Schilderungen ersehen an der Ei-scheinung der
Luise Millerin. Der wohlwollende Vaterstolz des alten Miller
(„Das Mädel ist schön — schlank — führt seinen netten
Fus"), die Begierde Wurms („das schönste Exemplar einer
Blondine, die nicht zu viel gesagt, neben den ersten Schön-
heiten des Hofes noch Figur machen würde"), die kritische
Eifersucht der Rivalin („Sehr interessant, und doch keine
Schönheit") und schliesslich die Resignation des sich betrogen
wähnenden Liebhabers („Alles so schön — so voll Eben-
maas — so göttlich vollkommen! Ueberal das Werk seiner
himmlischen Schäferstunde! Bei Gott! als wäre die grosse
Welt nur entstanden, den Schöpfer für dieses Meistei-stück in
Laune zu sezen") — jedes betrachtet sie mit anderem Auge.
Die Eifersucht spricht auch aus der hässlichen Herab-
Verm. Schriften (1844) IV, S. 48.
— 809 —
setzuiiir Leonorens durch Julia Imperiali, ebenso gehört ein
hoher Grad von Eifersucht, verbunden mit blinder Eitelkeit
dazu, damit Elisabeth Leice.sters verlogenen Vergleich mit
Maria in gläubiger J^.cfriedigung hinnimmt, (v. 2006 if.)
Während hier die kriecherische Höllingsschraeichelei die
Wahrheit auf den Kopf stellt, nehmen wir Max Piccolominis
durch Verehrung und Liebe eingegebene Verherrlichung Wallen-
steins (W. T. v. 746 if.) als unbewusste Idealisierung auf;
die jugendliche Begeisterungsfähigkeit gibt ihm das Recht
dazu, ebenso wie allen Liebhabern, die das Lob der Ange-
beteten singen.
Besonders schwer wiegt dagegen die Anerkennung weib-
licher Schönheit im Munde der Alten. Lessing^) hat im
Laokoon gewürdigt, wie wirkungsvoll Homer die Schönheit
der Helena durch den Eindmck auf die Ältesten Trojas her-
vorzuheben versteht; an diese Stelle mochte Schiller wohl
denken, als er den Greis Shrewsbury sich für Marias Schön-
heit begeistern Hess (M. St. 1395 ff.); Elisabeths Antwort
weist darauf hin:
Das müssen Reize sondergleichen sej'n.
Die einen Greis in solches Feuer setzen.
Objektiv überzeugend muss die indirekte Schilderung dort
wirken, wo sie allein genügt, die Erkennung einer Person zu
veranlassen. Dem Dichter der Braut von Messina lag nichts
daran, dieses Motiv zur rechten Glaubhaftigkeit herauszu-
arbeiten; besser hätte eine solche Gewissenhaftigkeit in den
Stil des Trauerspiels „Die Polizey" gepasst, für das eine
ähnliche Idee") vorgemerkt war:
Das Signalement eines Menschen, den die Polizey aufsucht,
ist bis zum Unverkennbaren treffend.
Auf eine genaue Beschreibung von Ivopf bis zu Fuss
kommt es dabei gar nicht immer an; eine charakteristische
Einzelheit kann hinreichen, wie z. B. der verkürzte Arm des
Demetrius.^)
') Laokoon XXI, Blümners Ausg. S. 292 f.
-) Dram. Nachl. II, 70.
') Dram. Nachl. 1, 11, 126 f., 237, 241.
— 310 —
Die Familienähnlichkeit, die dem Prätendenten Warbeck
den Weg- bahnt und auch in den Kindern des Hauses von
Wichtigkeit sein sollte'), spielt in den ausgeführten Stücken
Schillers ebenfalls eine Rolle, z. B. Carlos v. 3655—3660,
Braut V. 501 ff. Sogar die beiden so unähnlichen Brüder in
den Räubern müssen in Stimme oder Gang etwas Gemein-
sames haben, denn Hermann verwechselt sie in der Nachtszene
am Turm.
Den Theaterintentionen entspricht es mehr, die äusseren
Erscheinungen möglichst auseinanderzuhalten; so legte z. B.
Dingelstedt bei der Braut von Messina Wert darauf, den
blonden Normannen Don Manuel (der mit der Mutter Ähn-
lichkeit hat) und den tiefdunkeln Südländei" Don Cesar (der
Schwester ähnlich) zu unterscheiden: und wenn Karl und
Franz Moor durch denselben Schauspieler verkörpert wurden,
kam es natürlich erst recht darauf an, sie mit allen Mitteln
zu kontrastieren.^)
Während dies eine renommistenhafte Viiiuosenspezialität^)
war, hatten solche Doppelrollen in den A^erwechslungsstücken
wenigstens einige Berechtigung ; aber vielleicht Avar es auch bei
dem Hamburger Herzfeld nui- Rollensucht, wenn Schiller auf
seine Veranlassung den Schluss des ., Neffen als Onkel" ändern
und das Zusammentreffen der beiden Menäclnnen in nicht
eben glücklicher Weise umgehen musste^); meistens — so in
Weimar und auch früher in Hamburg bei Regnards Zwillin-
gen — hatte man einen hohen Grad von Ähnlichkeit bei ver-
schiedenen Schauspielern zu Wege gebracht.
') Dram. Nachl. II, 93, 118, 154.
-j Fellner, Gesch. e. Musterbühne S. 142. Costenoble, Aus d. liurg-
theater II, 270 Tieck, Der junge Tischlermeister II, 351.
') Sogar Ekhof unterlag der Rollensucht: Schlösser, Thoat. Forsch.
XIII, S. 49. Reichards Selbstbiographie (1877) S. 138 f.
*] Herzfeld an Schiller 24. Februar 1804. Urlichs S. 549.
Schiller an Herzfeld 17. Juli 1803. Jonas VII, 59.
Köster, S. 269. Meyer, Schröder I, 297.
Im Hamburger Manuskript wird die Verwechslung noch durch eine
Zutat motiviert: der Onkel hat eine echte, der verkleidete Neffe eine nach-
gemachte Säbelnarbe auf der StLru.
— 311 —
Im Don Carlos ist dieses Motiv nicht so weit heraus-
«rearbeitet, wie man erwarten könnte. Wenn Carlos als Geist
seines Grossvaters die Schildwachen durchschreitet, könnte
die Familienähnlichkeit den hohlen Betru^r einig-ermassen
fflaubhaft machen; aber darauf ist verzichtet, denn der
vermeintliche Geist trägt eine Maske vor dem Gesicht und
bcglaubifrt sich nur durch das Zepter in seinen Händen; in
der Prosabearbeitung wenigstens, wo das Mönchsgewand aus
Zensurrücksicht durch einen Purpurmantel ersetzt ist und sich
dadurch die ganze Maskerade noch plumper gestaltet, ist
trotz der Gesichtsmaske diese kleine Motivierung- noch hinzu-
g-etan :
(las Gesicht war bleich, aber ganz dem verstorbenen Kaiser
ähnlich.
An der Unglaubhaftigkeit solcher Vermummung-en stiess
man sich im achtzehnten .Jahrhundert wenig; vereinzelt steht
eine Rezension des Fiesko'j, die es unnatürlich findet, dass
IJourgogniino seine Bertha nicht g-leich erkennt und dass die
arme Leonore so jämmerlich umkommen muss. Wenn man
im achtzehnten .Jaliihuuderl schon im tägliclicii Leben allerlei
Verkleidungsscherze liebte, so machte erst recht der Roman
die reichste V^erwendung davon; wälir'cnd freilich dort der
Dichter Glauben erzwingen kaini, wird seine Erfindung in der
versinnlichendeu liühnendarstellung fast immer als zu grob
dastehen. Das verwöhnte Publikum wird allmählich miss-
trauisch und lässt sich nicht mehr einreden, es sei so viel
klüger als die Personen auf der Bühne und durchschaue
jede Täuschung-, während diese blind herumtappen.
In den Stücken nach dem Don Carlos findet das Yer-
wechslungsmotiv keinen Platz mehr; aber Schiller hat seine
Vorliebe dafür doch nicht ganz überwunden; auf diese als
Knaben verkleideten Mädchen, die Kotzebue in seinen grossen
Stücken als Rührmotiv immer wieder bringt'), stossen wir in
') Braun I, 31.
"') So Afanasja im „Graf Benjowsky", Elvira in den „Spaniern in
Peru", Miranda im „Bayard".
— 312 —
den Plänen der Maltheser. des Warbeck, der Gräfin von
Flandern, der Flibustiers und des Demetrius; auch die Prin-
zessin von Zelle sollte auf einem Maskenball zweimal uner-
kannt ihrem Gemahl geg^enübertreten, und in der „Polizev"
sind „unaufhörliche Verkleidungen der Polizeispionen" vorge-
merkt.*)
Über die Beschaifenheit der Vermuramung ist manchmal
garnichts gesagt: bei Hermann in den Räubern z. B. besteht
die Vorschrift in dem einzigen Worte „verkappt"^). Auch
hierin zeigt sich wieder die glückliche Leichtfertigkeit des
Motivierens, die sich nicht erst den Kopf darüber zerbricht.
mit welchen Mitteln solche Unwahrscheinlichkeiten glaubhaft
zu machen seien.
2. Theorie der Mimik.
Physiognomik und Mimik wej-den im achtzehnten Jahr-
hundert in einem Atem genannt ; sie sind untrennbare Ge-
schwister, denen man indessen kein gleiches Recht zugestand.
Denn während die Selbständigkeit der Physiognomik bekämpft
wurde von Gegnern, die sie nur als eine erstarrte Mimik gelten
Hessen, war die Mimik selbst schon seit Descartes als ein all-
gemein anerkaiuites System ausgebaut, und die strittigen Probleme
sind tiefer zu suchen. In der Theorie der Scliauspielkunst, der
•) Dram. Nachl. I, 97. II, 4, 70, 141, 211, 234, 250.
*) Vgl. dagegen Zschokkes „Abällino", wo auf die Verkleidung alles
ankommt. Im Personenverzeichnis heisst es: „Er trägt gewöhnlirh über
dem linken Auge ein Pflaster; einen falschen Zwickelbart, und das Kinn
hinter einem schwarzen Tuch versteckt. Die Haare oben sind unter einer
ledernen Kappe zusammengezwängt, worüber er noch den Hut trägt."
Dann im entscheidenden Augenblick (V, 7): „(er zieht die Lederkappe vom
Kopf, das Pflaster vom Gesicht, faltet die verzogenen Mienen in ihre
natürliche Ordnung zurück, und steht dem Gesichte und der Stimme nach
als Flodoardo vor ihr)."
') J. J. Engel, Ideen zu einer Mimik. Berlin 1785, S. 6 f.
Oberländer, Theat. Forsch. XV, S. 26, 171 f.
H. V. Stein, Entstehung der neueren Ästhetik, S. 232.
— 313 —
ano-ewandten Mimik, interessierte besonders die Frao-e, ob der
Schauspieler nur unter Herrschaft des Affektes den wahren Aus-
druck finde oder ob er die Zeichensprache ohne inneren Anteil
reproduzieien könne. Der Getrensatz ist durch die Namen
Riccoboni und Remond von St. Albine ausgedrückt, und es ist be-
zeichnend, dass mit Riccoboni trerade die Praxis des Schau-
spielers sich ireiren das züg^ellose Nachempfinden der KoUe
erklärte.
in Deutschland war es um^-'ekehi't eine (Trupi)C von
Schauspielern, die später für das in der Rolle aufgehende,
von Laune und iieo^eisterung" getrajrene Naturspiel Partei ei'-
L'riff; es waren die Schüler Ekhofs. die sich in Mannheim
zusammenfanden. Schon das Wort ..Schauspieler" bedeutete
ihnen eigentlich eine Herabsetzung- ihres vei-innerlichten Be-
rufes, und sie ersetzten es durch ., Menschendarsteller". Über
ihren Meister, der weniirstens in Schwei'in noch Riccobonis
Standpunkt einnahm,') gingen sie weit hinaus und zum Teil
jedenfalls auch über ihre eigene Praxis; nur BeiP) mit seinem
starken Naturell mag das Programm wirklich in die Tat um-
gesetzt haben: schon von Ifflands Mannheimer Spiel ircwinnen
wir dagegen den Kindnick vorsiciitiger Berechnung; später
wurde er auch in der Theorie ein Vertreter der Mässigung und
vermahnte. wiederinn mit l'.erufunL"' auf Kkhof. die jungen Talente,
sich selbst beim Spiel prüfend im Auge zu behalten.^) Wie
anders klangen seine früheren Mannheimer Kanfarenstösse^):
Sprache, Bild, Blick. Schritt. Hebung- des Arms, alles muss im
Nu — aus dem Guss eines Gefühls entstehen. . . Laune ist es, welche
dem Körper die Eig'enschaft mitteilt, dass er allemal gfanz genau mit
der Sprache ireht, um den Ausdruck deutlicher zu machen, oder zu
h H. Devrient, Theat. Forsch. XI, S. 237, 251.
2) In seinem Nekrolog- (Ann. d. Theat. 1795, Heft 15. S. 28) heisst
es: „Bei ihm that die Kun.st im Verhältniss mit seinem grossen Genie
wenig; eine Rolle, die ihm wichtig war, umfasste sein Geist schnell, und
nun hörte er auf, Schauspieler zu seyn; seine Darstellung war nicht mehr
Täuschung — es war alles Natur."
^) Theatral. Laufbahn (D. L. D. 24) S. 38 f. Almanach 1807. S. 21;
1808, S. 8 f.; 18] 2, S. 103.
') Fragni. üb. Menschendarstellung S. 35, 63.
— 314 —
verstärken: Der grosse Atisflruok hingregen (ich möchte ihn den
Garrickschen Ausdruck nennen) kann nur das Werk der Begeisterung:
seyn. . . Die versammelte Menge schwindet vor dem Schauspieler —
in einem schwarzen Chaos ist er allein — ganz so der Mensch, der
er seyn will, dass er tödten muss wie Barnwell, und vergeben wie
Calas.
Das Glaubensbekenntnis der Mannheimer Naturalisten ist
in den Antworten auf Dalbergs Di'amaturg-ische Preisfragen
ausgesprochen^); in den Mannheimer Protokollen sehen wir
einen stillen Kampf sich abspielen, denn wir beobachten zu-
gleich den zielbewussten Widerstand Dalbergs, der den aus-
schreitenden Kultus der Laune einzudännnen bestrebt ist.
Mit Vorliebe verweist er seine Schauspieler deshalb auf das
Studium von Homes „Grundsätzen der Kritik"; in einer
späteren dramaturgischen Frage^) stellt er sie auch vor Engels
.,Mimik" und verlangt von ihnen Zusätze und Prüfungen aus
der eigenen Erfahrung.
Dieses Werk war besonders geeignet. Aveil auch in ihm
der Schatten des grossen Ekhof lieraufbeschworen wurde; er
erscheint hier mehr als Schauspieler der alten Schule, wie
denn überhaupt die .,Ideen zu einer Mimik" in der früheren
Generation wurzeln. Engel knüpft mit seinem damals viel
gepriesenen Werke an Lessing an. l^essing, der in den
.,Beyträgen" zu Riccoboni, in dei- ., Theatralischen Bibliothek"
zu St. Albine Stellung genommen hatte, vermittelte in der
„Dramaturgie" den Gegensatz durch eine psychologische Ver-
tiefung des Problems. Seiner scharfsinnigen Beobachtung
verdankt er die Antithese zur Auffassung St. Albines: die
♦ mechanische Ausführung mimischer Bewegungen hat rück-
wirkende Kraft auf den Scclenzustand des Schauspielers
und vermag so die Wahi'heit des Ausdrucks hervorzu-
') Martersteig, Die Protokolle des Mannheimer Nationaltheaters unter
Dalberg aus den Jahren 1781 — 1789.
Rhein. Beitr. z. Gelehrsamkeit 1781 II, S. 304 ff., 3G4 ff., 449 ft'.
-) Goed. III, 594. Gotter hatte bereits 1782 Dalbergs werktätige
Teilnahme an Engels Werk zu erwecken gesucht. Grenzboten 1876,
(Jg. 35) II, S. 47.
— 315 —
brins"on.^) Damit ist die Berech tig-unsr einer mimiselien Gesetz-
irebung- erwiesen, und Lessiner selbst forderte am Schluss mit
P)ernfnnir auf die Schauspielkunst der Alten ..speciclle. von
jedermann anerkannte, mit Deutlichkeit und Pi;icision abge-
fasste Kegeln". Wenn Engel bedauerte, dass Lessing selbst
sein anL""ekündiütes Buch über die körjterliche Beredsamkeit
nicht ausgeführt habe, so schmeichelte er sich vielleicht, diese
Lücke auszufüllen.
Abel" schnell wurde sein Ruhm verdunkelt; das folgende
Jahrzehnt braciite Goethes ,, Wilhelm Meister" hervor, der
bald als Katechismus füi" den Schauspielei- galt. Das Natui'-
spiel fand dort eine mindestens ebenso scharfe Verurteilung'
als bei p]ngel. Wilhelm selbst, mehr noch Aurelie verfallen
in den Fehler, sich selbst darzustellen oder von der Rolle zu
sehr hingerissen zu werden; ihnen steht aber Serlo sieghaft
gegenüber — Friedr. Ludw. Schröder, dessen Schule dem
launenhaften Natui'spiel ein Ende machte.-)
Aus der spätei-en Kritik A. W. Schlegels*) über Engels
Mimik iKiren wir heraus, was man dort vermisste, aber im
.AVilhehn Meister" finden konnte; Goethes Roman zeigt, wie die
Darstellung einer Rolle bis in die Einzelheiten aus der Gesamt-
autfassung ihres Charakters heraus zu entwickeln sei. An
ihn schliesst sich nun eine kleine theoietische Schrift des
Freiherrn von Einsiedel*) an, in der die .,iiniei'e oder psycho-
logische .\kzion" der körperlichen gegenüber in den Vordei'-
') Hanih. Diam. 3. Stück. Lachni.-Muiicker IX. I!t4.
Wiiiidt. Der Ausdruck der Gennit.sl»o\veg:uiigen. Essays, S. 235.
In den Annalen des Theaters 1788, lieft 1. S. 42 wird Lc.><sinL's
Regel wiederholt.
-) Litzmann, Schröder II, 310.
Eggert, Goethe u. Diderot. Euphorion IV, 301 ti'.
Fr. L. Schmidt, Denkwürdigkeiten 1. 1G8.
^) Drani. Vorles., Werke VI, S. 411 : „Dieses Buch enthält manches
Brauchbare über die ersten Elemente der Geberdensprache; der Haupt-
irrthum des Verfassers war, dass er es für eine vollständige Mimik hielt,
wiewohl er darin durchaus nur vom Ausdrucke der Leidenschaften handelt,
und keine Silbe über Charakter-Darstelluntr sagt.''
') Gr undlagen zu einer Theorie der Schauspielkunst. Leipzig 17'J7.
— 316 —
irriind tritt: hatte Enbrel ein "Ritterdraina zum Paradiirnia sre-
wählt, so empfahl Einsiedel den Antang-ern ruhige Stücke wie
Tasso und Iphigenie zum Studium. Doch scheint Goethe selbst
mit diesem Gefolgsmann weniger zufrieden g^ewesen zu sein
als Schiller, der sich lobend über das kleine Buch aussprach
und ihm vielleicht auch Anregung^en verdankte: gerade in
dieser Zeit beginnt sein Interesse für das Theater wieder zu
steigen und er plant sogar selbst die Untei-nehmung eines
Theater-Kalenders.^)
Dieser kurze Überblick über die Entwicklung- der mimischen
Theorie mag für das folgende einen Hintei-grund geben ; die
wenigen angeführten Werke genügen, obwohl sie nur einen
verschwindenden Bruchteil der di'amaturgischen Litteratur jener
Zeit bilden. .,Ich will eine Theaterzeitung schreiben
Ich eine Theaterchi'onik. . . . Ich einen Theateralmanach. . . .
Ich einen Geist des Theaters. . . .", so ruft bei Lenz im
..Pandaemonium Germanicum" ein ganzer Chor von Jour-
nalisten durcheinander ; und Schink, der selbst später ein Viel-
schreiber wurde, eröffnet seine „Dramaturgischen Fragmente"
mit dem gewiss richtigen Satz : .,Man hat wohl nie mehr über
und für das Theater geschrieben, als in diesen Zeitläuften,
und nie hat wohl die Kunst weniger dabei gewonnen, als in
dieser schreibeseligen Epoche."
Es gibt wenig grössere deutsche l'heaterstädte, die nicht
damals ihren Namen für die Dramaturgie eines kleinen Lessing
herleihen durften. Mannheim, dessen Nationaltheater in
mancher Beziehung an die Hamburger Entreprise anknüpfte,
hatte diese Ehre bereits 1779 durch Gemmingen erfahren;
und beinahe hätte das Jahr 1784 eine Wiederholung des Titels
„Mannheimische Dramaturgie" gebracht, und zwar durch den
jungen Schiller.-)
') An Goethe 22. Nov., 12. Dez. 97. Jonas V, 288, 298.
An Unger 22. Dez. 97. .Tonas V, 302 f.
Später taucht dieser Plan wieder auf:
An Gotta 27. .Juni 1804. Jonas VII, 162.
■') Goed. II, 340 ff.
An Reinwald 5. Mai, an A. v. Klein 5. Juni, an Dalberg
7. .Juni, 2. Juli 84. Jonas I, 186, 189 ff., 199, 208.
— 317 —
Wir wissen nicht recht, ob wir das Scheitern dieses
Planes bedauern sollen, denn der fünfundzwanszig-jährig-e
Schiller war .sicherlich noch nicht reif zum ebenbürtig'en Nach-
folger des Hamburger Di-aniaturgen. In der Rheinischen
Thalia und in dem kleinen Beitrag' für Göcking-ks „Journal
von und für Deutschland" haben wir den Ei'satz für jenes
Dokument der Mannheimer Entwicklung'sstufe zu suchen; für
die Anschauungen der vor Mannheim liegenden Zeit gibt das
„ Wirtembergische Repertorium" Aufschlüsse.
Der darin enthaltene Aufsatz ..Ueber das gegenwärtige
teutsche Theater" zeig'-t. wie viel der junge Schiller noch durch
nähere Berührung mit dem Theater zu lernen hatte; autfallend
ist es, wie er sich hier in manchem mit den Mannheimern
berührt,^) nur dass er als Dilettant das naturalistische Ideal
viel konsequenter verfolgen kann : Auf das selbstvergessene
Aufgehen in der Rolle kommt auch ihm mehr an als auf die
Berücksichtigung des Zuschauers : der Schauspieler wird sogar
mit dem Nachtwandler verglichen, den schon der Gedanke,
beobachtet zu sein, zum Sturz bi-ing-t. Ohne Verständnis für
Lessings feine BeobachtuuLr wird die Praxis des Durchschnitts-
schauspielei's g-ebrandmarkt als handwerksmässifre Koketterie
mit den Grimassen der Leidenschaft: .,Gewöhnlich haben
unsere Spieler für jedes Genus von Leidenschaft eine aparte
Leibesbewegung einstudirt, die sie mit einer Fertigkeit, die
zuweilen gar — dem Affekt vorspringt, an den Mann
zu bringen wissen.'' Die einzige Stelle der Hamburgischen
Dramaturgie, auf die verwiesen wird, ist das sechzehnte
Stück, wo von der Darstellung der Zaire durch An-
fänger und Dilettanten die Rede ist; daran knüpft Schillei-
sogleich die kühne Behauptung : „Es ist noch die Frage,
ob eine Rolle durch einen blossen Liebhaber nicht mehr
als dui-cli einen Schauspieler von Handwerk gewinne?"
So weit führte ihn der Glaube an eigene Schauspielergaben
») Goed. II, 340 ff. Weltrich I, 582 ff. Der Aufsatz erschien erst
nach der Mannheimer Aufführung, ist aber jedenfalls bereits vorher
abgefasst worden und nicht durch sie beeinflusst.
— 318 —
und die Überzeugung, dass echte Leidenschaft den richtigen
Ausdruck erzwingen müsse. Schon die vei'unglückte Fiesko-
Vorlesung in Mannheim war eine schmerzUche Belehrung.
Die Mannheimer Schauspieler machten, wie gesagt, nicht
so weit Ernst mit ihrer Theorie, dass Schiller nicht in ihi'em
Kreise bereits zur Abkehr von diesem dilettantischen Naturalis-
mus gelangen konnte.
Die Lehre :
Und siegt Natur, so muss die Kunst entweichen
konnte er sicherlich schon damals in sich aufnehmen,
und man glaubt sie am Ende der Mannheimer Zeit aus einer
Rezension in der Rheinischen Thalia^) herauszuhören, wo
das übertriebene Spiel einer Darstellerin in die Grenzen mass-
haltender Kunst verwiesen wird : „Mad. Rennschüb würde
eine der besten Schauspielerinnen seyn, wenn sie den Unter-
schied zwischen Aifekt und Geschrei, Weinen und Heulen,
Schluchzen und Rührung immer in acht nehmen wollte.'' Trotz-
dem stand er in Dresden noch so weit auf dem alten Standpunkt,
dass er füi- den Carlos einen Schauspieler, „der mehr Genie
als Cultur, mehr Leidenschaft als Welt hat", wünschte.^)
Seit der Entfernung von Mannheim hatte Schill ei- die intime
Fühlung mit dem Theater verloren ; der Leipzig-Dresdener Schau-
spieler Reinecke war sicherlich zu sehr eitler Mrtuos, als dass
er sich in kunsttheoretische Erörtei'ungen eingelassen hätte, und
wenn etwa Schiller mit Körner solche Themata berührte, so waren
für sie die Gesichtspunkte einer abstrakten Ästhetik massgebend.
Von der philosophischen Spekulation aus kehrte er nun zu
den Problemen der Schauspielkunst zui'ück. Nach Kants Formel
muss die „schöne Kunst als Natur anzusehen sein, ob man
sich ihrer zwar als Kunst bewusst ist"; wenn sich nun alle
Spuren der Entstehung in der freien Foi'm zu verlieren haben,
so dürfen weder die eingelernten Regeln noch das rohe Ma-
terial, also die Individualität des Schauspielers, sichtbar werden.
•) Goed. III, 584. Vgl.
1. Mai 1784. Jonas I, 182.
*) An Schröder 13. Juni 1787. Jonas I, 346.
— 319 —
Drei Kategorien von Schauspielern stellt Schiller auf^); die beiden
grossen Künstler, die er in die erste Klasse einreiht, wo die reine
Objektivität des Gegenstandes eri'eicht wird, sind ihm nur vom
Hörensagen bekannt: Ekhof und Schröder : dagegen rechnet
er die von iimi pei'sönlich verehrte Mad. Albrecht zur zweiten
Klasse, den mittclmässigen Künstlern, die im subjektiven Er-
fassen der Rolle sich selbst geben. Theoretisch wird also
bereits der Satz begründet, den später in Wilhelm Meister
Jarnos Erfahrung ausspricht: „Wei- sich nur selbst spielen
kann, ist kein Schauspieler."
Und doch ist damit keine vollständige Abkehi" von
den .Jugendtheorien ausgesprochen. In einer Anmerkung
zu „Anmut und Würde" wird der alte Gegensatz zwischen
Kunst und Natur noch einmal aufgenommen und nach Kants
Lehre versöhnt. Von den zwei Forderungen an den Schau-
spieler'"^) ist die erste, die Wahrheit der Darstellung, nur
dui'ch Kunst zu erreichen : die zweite, die Schönheit der
Darstellung muss dagegen als fi-eiwilliges Werk der Natur
ihi'e Erfüllung finden. Wie aber soll der Künstler, da er sie
nicht erlernen darf, zu dei' Grazie kommen? — Wenn Schiller
auf diese Frage ei'widei't: „Er soll dafür sorgen, dass die
Menschheit in ihm selbst zur Zeitigung komme", so meinen
wir einen alten Satz Ifflands. der übei-all reichen Widerhall
gefunden hatte, hei-auszuhören: „Das sicherste Mittel, ein
edler Mann zu scheinen, ist, wenn man sich Mühe giebt es
zu sein."^) Ein Rest des mannheimer Naturalismus blieb also
') An Körner 28. Febr. 93. Jonas III, 291 ff.
■) Goed. X. 85. Dieselben zwei Fnnkte sind es auch schon im
Wirtemberg. Repertorium, Goed. II, 345 f. : „eine unmerkliche Wahr-
nehmung des Gegenwärtigen, die ilen Spieler eben so leicht an dem Ueber-
spaunten und Unanständigen vorbei über die schmale Brücke der Wahrheit
und Schönheit führt.'" Nur war die damalige Definition gerade umgekehrt: die
Wahrheit bestand in der Selbstvergessenheit des Darstellers, die Schönheit
dagegen in der Mässigung der Natur aus Berechnung auf den Zuschauer.
") Fragmente über Menschendarstellung, S. 54, 63. Zum Kontrast
sei der von Lessing übersetzte Riccoboni angeführt (Beytr. z. Hist. u.
Aufn. d. Theaters. Stuttgart. 1750. IV, S. 517.') Sein Rezept lautet ganz
anders: „Wenn der Schauspieler leichte und unvorbereitete Gestus hat,
— 320 —
lebendig und wurde in das Prooramm der neuen Weimarer
idealistischen Schauspielkunst, so weit Schiller auf sie Eintiuss
hatte, hinüberg-erettet.
Wenn Schiller in den folgenden Jahren an der Theater-
leitung Goethes teilnahm, so blieb sein Interesse der formalen
Ausbildung der Schauspieler fern; Caroline von Wolzogen^)
hält beidei* Zusammenarbeiten Avohl richtig auseinander, wenn
sie schreibt: „Schiller wirkte auf das Fühlen und innige Ver-
stehen der Rollen; Goethe auf die Erscheinung im Leben."
Goethe selbst war auf dem Standpunkt des Wilhelm
Meister nicht stehen geblieben: dei- Weimarer Stil, wie er in
Reinholds Schrift „Saat von Goethe gesät" karrikiert ist,
führte immer mehr zur Überschätzung der schönen Bewegung
und näherte sich dem Ideal der mimischen Plastik. Goethe
darf nun durchaus nicht allein für die Yeräussei'lichung der
Schauspielkunst im beginnenden neunzehnten Jahrhundert ver-
antwortlich gemacht werden; es waren Zeittendenzen, die auch
an anderen Orten zum Ausdruck kamen, z. B. bei der in
Berlin geschulten Mad. Hendel-Schütz,') und die auch unab-
hängig von Weimar ihre theoretische Vertretung fanden, wie
in den „Vorträgen über Mimik und Deklamation" des Frei-
herrn von Seckendorf (Patrick Peale).
Schiller hat diese Entwicklung nicht bis zu ihrem Höhe-
punkt begleitet; bei seinen Lebzeiten hat er ihr nicht geradezu
widersprochen; und doch gewinnen wir den Eindruck, dass er
so ist sein Spiel edel. Die Leichtigkeit im Gange, die Einfalt iu der
Stellung, die Annehmlichkeit und das Ungezwungne im Arme, die sind es,
welche diese so gewünschte Eigenschaft verschaflen. Wenn wir keine Aufmerk-
samkeit auf unsre Gestalt merken lassen , und der Zuschauer glaubt nur unsere
Seele wirken zu sehen, alsdann ist das Edle auf seinem höchsten Punkt."
') Schillers Leben (Cotta'sche Handbibliothek) S. 23G.
') Vgl. oben S. 274 f. Ihr durch Rehbergs Zeichnungen vermitteltes
Vorbild, Ijady Hamilton, hatte Goethe bereits 1787 in Neapel kennen ge-
lernt (Italien. Reise, Hempel Bd. 24, S 198, 314 f.). Wie diese Richtung
der Schauspielkunst die bildende Kunst zum Vorbild nahm, so wurde sie
wiederum deren Gegenstand. So erschienen in Berlin die Zeichnungen der
Gebr. Henschel nach Ifflands Stellungen und später in Frankfurt ein grosses
Werk von Jos. Nie. Peroux, Pantomimische Stellungen von Henriette
Hendel, 26 Blätter, gest. v. H. Ritter. Nebst e. bist. Erklär, v. V^ogt.
— 3-21 —
einei- tompcramentvoUeren Beweglichkeit g-eneig-t blieb. Es rauss
z. B. auffallen, dass er bei der ersten Aufführung der Picco-
lomini mit der Darstellerin der Gräfin Terzky, die von aus-
wärts kam und Goethes Schule noch nicht durchlaufen hatte,
besonders zufrieden war/)
Mehr noch als Goethe behielt er geg-en die französische
Schauspielkunst — „des falschen Anstands pi-unkende Ge-
bärde" — eine starke Abneigung-, die sich auch bei den
Proben zum Tancred geäussert haben soll.-) Wenn nach
Reinholds späterer Kari'ikatur^) man sich im Weimarer tragi-
schen Stil an Stelle aller Umarmungen drei Schritte vom Leibe
blieb, so ist das wahre Bild ungeheuerlich verzerrt, aber ein
Körnchen Richtigkeit muss doch dabei sein, denn als der Schau-
spieler Vohs als Mortimer die Voi'schrift (III, ö):
(Er presst sie heftig an sich.)
im Sinne des Dichters befolgte, erregte er, weil er die Gren-
zen dei- Mässigung überschritt^), das Missfallen des bereits an
den reservierten Stil irewöhnten Publikums.
3. Form und Stellmif? der SiMclanweisuiigeu.
Ein formeller Hauptuntci-schied ist zu machen zwischen
den symptomatischen Anweisungen, die dem Schauspieler
die äusseren Kennzeichen der Gemütsbewegung vorschreiben,
und den allgemeinen Vorschriften, die den Affekt selbst ins
Auge fassen, statt der Mittel und Wege das Ziel zeigen und
den Eindruck charakterisieren, den der Zuschauei- aus den
Bewegungen des Schauspielers gewinnen soll.
') Steffens, Was ich erlebte. Breslau 1841 IV, S. 112.
'-) Genast. (1. Aufl.) I, 115.
=•) Saat von Goethe gesät S. 22, .30.
*) Einige Briefe über Schillers Maria Stuart, Jena 18UU S. 119.
Weimars Album 1840 S. 153 f.
Weber, Zur Geschichte des Weimarischen Theaters, Weimar 1865,
S. 48.
Palaestra XXXn. 21
— 322 —
Zwei Beispiele, wo beide Arten tautologisch nebeneinan-
der stehen, mögen den Unterschied erläutern:
Fiesko (stand die ganze Zeit über, den Kopf auf die Brust
gesunken, in einer denkenden Stellung).
Karl OS (besinnt sich und fährt mit der Hand über die Stime).
Die symptomatischen Auweisung-en: „den Kopf auf die
Brust gesunken" und „fährt mit der Hand über die Stirne"
drücken dasselbe aus, wie die mein* allgemeinen: ,,in einer
denkenden Stellung" und „besinnt sich".^)
Nun wäre es reizvoll, einen Zusammenhang zwisclien der
Stellung des Dichters zu den theoretischen Fragen und seinen
Bühnenanweisungen, in denen sich praktisch das Verhältnis
zum Darsteller ausdrückt, zu suchen. Es müsste z. B. den
jugendlichen Anschauungen aus der Stuttgarter* Zeit ent-
sprechen, wenn der Dichter der Räuber und des Fiesko nicht
wagen würde, den Schauspielern mechanische Ausdrucksbewe-
gungen vorzuschreiben; es müsste ihm nur darauf ankommen,
sie mit den Affekten selbst zu erfüllen; ihre leidenschaftliche
Nachempfindung würde unbewusst den richtigen Weg ein-
schlagen.
Es darf uns indessen nicht überraschen, wenn wir gerade
das Umgekehrte beobachten. Die in den Dialog der Jugend-
stücke eingestreuten Bemerkungen sind nämlich keine Bühnen-
anweisungen im eigentlichen Sinne; auf die Scliauspieler als
Helfershelfer in der Verwirklichung rechnet der junge Dichter
gamicht, wenn er alles, was in seinem Innern nach Gestaltung
ringt, zum sprechenden Ausdruck zu bringen strebt. Er stellt
sich eine viel zu grosse Aufgabe; damit er sie lösen kann,
muss ein Stück Epiker in ihm bleiben, und so tragen in der
Tat manche Anweisungen novellistischen Charakter.
Andererseits aber ist er mehr als Di-amatiker, denn er
selbst ist bereits der erste schauspielerische Darsteller seiner
^) Dem späteren Brauch entspricht es nicht mehr, bei symptomatischen
Anweisungen das Motiv hinzuzufügen ; hatte es z. B. Carlos v. 1859 geheissen :
„(das Gesicht voll Scham in das Kissen verbergend)" so wurden l.SOl die
Worte: „voll Scham" gestrichen. Vgl. unten S. 33ü.
— 328 —
Figuren. Von der Art seiner poetischen Produktion wissen
wir, dass er die Gedanken unter Stampfen, Schnauben und
Brausen zu Papier brachte: in Oirgersheim fand man ihn bei
Tage im vei'dunkelten Zimmer in Hemdsärmeln herumrennen,
gestikulieren und ,,ganz barbarisch krakeelen"; er hatte gerade
den Mohren am Kragen.^) In sich selbst Hess er die Leiden-
schaften seiner Helden wüteU; und der Ausdruck, den er dafür
fand, war seine eigene verzei'rte Mimik. Wie er einst als
Clavigo auf der Stuttgarter Bühne gerast hatte, so tun es
auch seine Figuren, und zwar sind gerade den Helden, in
denen er selbst aufgeht.-) Karl Moor und Ficsko, die mass-
losesten Leidenschaftsäusserungen zugeschrieben :
Räuber 1,2: (schäumend auf die Erde stampfend)
Trsp. IV,17: (halb rasend auf und nieder)
Fiasko V,12: (viehisch um sich hauend)
(mit frechem Zähnblöken gen Himmel).
Die Identifikation des Dichters mit seinem Helden ist eine
charakteristische P^igentümlichkeit der Sturm- und Drangperiode.
Schiller, der weniger der Maler seiner Helden als ihr I^usenfreund
sein will, vertritt dieses innerliche Miterleben noch teilweise in
*) Minor, A. d. Schillerarchiv S. 57.
Weltrich I, 287. 845.
■) So heisst es in der Theosophie des Julius (Goed. IV, -iSf.) schon
vom Anhören einer grossen Tat: „Wenn wir z. B. eine Handlung der
Grossmut, der Tapferkeit, der Klugheit bewundern, regt sich da nicht ein
geheimes Bewusstsein in unserm Herzen, dass wir fähig wären ein gleiches
zu tunV Ja unser Körper selbst stimmt sich in diesem Augenblick
in die Gebärden des handelnden Menschen, und zeigt offenbar, dass unsre
Seele in diesen Zustand übergegangen."
Vom schaffenden Künstler aber wird gesagt: „Ich bin überzeugt,
dass in dem glücklichen Momente des Ideales, der Künstler, der Philosoph
und der Dichter die grossen und guten Menschen wirklich sind, deren Bild
sie entwerfen'".
Anders wieder in dem Brief an Reinwald 14. April 1783 (Jonas I,
112 f.): „Gleichwie aus einem einfachen weissen Strahl, je nachdem er auf
Flächen fällt, tausend und wieder tausend Farben entstehen, so bin ich zu
glauben geneigt, dass in unsrer Seele alle Karaktere nach ihren Urstoffen
schlafen, und durch Wirklichkeit und Natur oder künstliche Täuschung ein
daurendes oder nur illusorisch — und augenblickliches Daseyn gewinnen.
Alle Geburten unsrer Phantasie wären also zuletzt nur Wir selbst".
21*
— 324 —
den Briefen über ästhetische Erziehnno-;^) erst unter dem ver-
tieften Studium der Griechen vollzieht sich die grosse Wand-
lung; an die Stelle der gefühlsAvarmen Individualisierung der
Charaktere tritt nun die Behandlung als „idealische Masken".
Die neue Kunst wird zuerst am Wallenstein angewendet, avo
der Dichter nur noch für Max durch seine Zuneigung interessiert
ist, während er alle anderen KoUen „mit der reinen Liebe des
Künstlers traktiert".^)
Eine Mässigung in allen Leidenschaftsäusserungen, eine
Bevorzugung typischer statt individueller Ausdrucksbewegun-
gen, zusammenhängend mit einem Zurücktreten der sympto-
matischen Ausdrucksvorschriften, ja mit einer Abnahme der
Bühnenanweisungen überhaupt, gehören zur Charakteristik
dieses neuen Stils.
Im grossen tragischen Stil liegt es. dass die Gestalten
uns viel ferner bleiben, während das bürgerliche Drama seine
Personen in kleinen Äusserlichkeiten unter die Lupe nunmt.
Vor allem aber ist es die Versform, die nunmehr die prosaischen
Bühnenanweisungen als etwas Unorganisches auszustossen oder
wenigstens einzuschränken sucht.
Dei' Übergang vollzieht sicli im Don Cai'los, dem noch so
vieles vom bürgei-Jichen Drama anhaftet. Die verschiedenen
Fassungen dieses Stückes, dem mehr als zwanzig Jahre von
Schillers Entwicklung ihre Spuren aufgedrückt haben, gestatten
uns hier die erwünschten Beobachtungen. Die später weg-
gefallene Eingangspantomine in der Thalia, die nicht ohne
weiteres als vorbelialtene Lücke für einen künftigen Monolog
') Über die ästhetische Erziehung 15. Brief. Goed. X. 323.
Dilthey, Die Einbildungskraft des Dichters. Philos. Aufs. f. Zeller S. 351.
Auch Home hatte vom Dramatiker verlangt, er müsse sich in ilie
Leidenschaften und Charaktere seiner Personen einleben, ihnen nicht als
Zuschauer gegenüberstehen. Dadurch erreiche Shakespeare immer den wahren
Ausilruck, die volle Individualität der vorgeführten Figuren : er scdiaffe
wie die Natur seine Werke.
") An Kömer 21. März, 28. Nov. ÜG. An Huinlioldt 21. März !»(!.
An Goethe 28. Nov. 90. Jonas IV. 431, 430. V, 11!), 122.
— 325 —
trelten soll, ist z. B. noch durchaus in der Art des bürgerlichen
Dramas gedacht. Und wie hier der Pnnz heftig auf und nieder
lenut mit wechselnder Traurigkeit und Wut in seinen Gebärden,
so lässt er sich auch weiterhin wie ein »Sturm- und Drangheld
in allen Leidenschaftsäusserungen gehen. Schon der erste
Druck des ganzen Stückes (1787) und dann vor allem die
Überarbeitung von l^ul haben vieles gemässigt oder ganz
entfernt; neben der Rolle des Prinzen hat dabei vor allem
die des Königs mehr Zurückhaltung und Würde gewonnen.
Hatte er z. B. in der Thalia auf die Tränen der Königin (1,6)
.,heftig erschüttert*' geantwortet, so heisst es nun nuj- noch:
„in einiger Bewegung". Auf den Verdacht Domingos hin war
er in der Thalia (v. 8943) ohnmächtig auf den Sessel zurück-
gesunken, und Domingo hatte Alba zu Hilfe gerufen; 1787
heisst es statt dessen:
Der König steht auf und zieht <lie Glocke.
Und wie der Prinz nicht mehr im Überschwang der
Freude Medina Sidonia in die Arme schliesst, so bewahrt
auch der Monarch das Zeremoniell und reicht dem Begnadigten
nur die Hand zum Kusse, statt ihn wie früher vom Boden
aufzuheben.
Wenn wir kurz die Frage berühren, in welchem Ver-
hältnis die verschiedenen Personen überhaupt mit Spielvor-
scluiften bedaciit sind, so ist es für die .Jugendstücke beinahe
selbstverständlich, dass die leichste Gestikulation den Helden
zugeschrieben ist. Eine konsequent durchgeführte Absicht,
durch Lebhaftigkeit des Spiels das Temperament der Personen
zu charakterisieren und etwa einer bedächtigen, vornehm zurück-
haltenden FigurM weniger Spielvorschriften zuzuteilen, lässt
') J. .1. Engel, der auf dem Boden des Konversationsstückes steht,
schreibt in seinen „Ideen zu einer Mimik" (I. 38;: „Die vornehmen Stände
reden von Entzücken, wo Vergnügen schon zu viel wäre; sie verbeugen
sich tief, wo sie kaum mit der leichtesten Bewegung des Hauptes danken
sollten ; sie brechen in Umarmungen aus, wo der wahre xVusdruck vielleicht
nur ein nicht unfreundliches Annähern um ein Paar Schritte wäre."
Umgekehrt 35 Jahre später Fr. L. Schmidt (Dramaturg. Aphorismen
I. 12i): „Man wird ferner bemerken, dass, je gebüdeter der Redner, oder je
erhabener der Standpunkt ist, je weniger wird er überhaupt gestikuliren."
— 326 —
sich nicht überall beobachten. Nur bei einer Figur des Don
Carlos finden wir es deutlich ausgesprochen: „Der Gross-
inquisitor darf fast gar keine Mimik haben, seine ganze Sache
ist Deklamation, deutliche starke Vorlegung des Textes." ')
Dem entspricht es, wenn 1801 bis auf die eine Anweisung:
(Mit unwilligem Kopfschütteln.)
alle anderen Bewegungsvorschriften aus dieser Rolle gestrichen
sind. ^)
Die Zahl der Bühnenanweisungen nahm in den ersten
Stücken zu: in den Räubern sind die im Trauerspiel hinzu-
gekommenen Auftritte reichlicher belebt; der Fiesko übertrifft
sie noch, und im letzten Akt von Kabale und Liebe erreicht
die Zahl der Spielvorschriften ihren Höhepunkt. Dann folgt
in den Versstücken eine stetige Abnahme bis zur Braut von
Messina. Immerhin kommt es nicht bis zu der vollständigen
Kahlheit an Spielanweisungen, wie in der französischen Tra-
gödie. In seiner Phädra-Übersetzung sah sich Schiller zu
mehreren Hinzufügungen^) veranlasst und ersetzte z. B. Racines
Ausruf: „Phedre?" durch stummes Spiel. 775 b:
(Hippolyt macht eine Bewegung des Erstaunens.)
Wenn die Bühnenmanuskripte der späteren Stücke mehr
szenarische Vorschriften aufweisen als die Drucke, so handelt
es sich selten um Hinzufügungen für den Theaterzweck; diese
überschüssigen Anweisungen gehören meistens bereits der
ersten Niederschrift an, wie wir bei Maria Stuart erkennen.
Dort nähern wir uns in der englischen Übersetzung von
Mellish, deren Vorlage keineswegs zur Aufführung bestimmt
war, dem Urmanuskript und finden fast alle die Bühnen-
So hatte auch Knigge die Regel gegeben: „man soll nicht bei unbe-
deutenden, affektlosen Unterredungen, gleich den Leuten aus der niedrigsten
Volksklasse, n)it Kopf, Armen und anderen Gliedern herumfahren und um
sich schlagen;" (Üb. d. Umgang mit Menschen. Meyers Volksbücher S. 36).
•) An Schröder 13. Juni 1787. Jonas I, 346.
0 Es hiess vor 1801 zu v. 5262 (reicht ihm die Hand),
5265 (mit lauerndem Gesicht)
5279 (mit Feuer).
=') Z. B. 124 a, lU2a, 266 a, 560 a, 589, 716 b, 760, 1216.
— 327 —
anweisung-en. die die Theatermanuskripte vor dem Druck vor-
aushaben. Die Bühnenfassunß-en stellen seit Don Carlos fast
durchwoir^) ein vor dem Druck Heißendes .Stadium dar; für die
Buchausgabe tilgte Schiller solche Anweisungen aus Gründen,
die wir im folgenden erkennen werden.
Zunächst kehren wii" zum Don Carlos zurück, um eine
Anschauung von der Reduktion in den verschiedenen Fassungen
zu gewinnen. Zur Stichprobe wähle ich den ersten Auftritt
zwischen Carlos und der Königin; unter den 318 Versen in
der Thalia bleibt an 33 Stellen Platz für Anweisungen des
Dichters; im Druck von 1787 ist das Verhältnis auf 12
Bühnenanweisungen zu 223 Versen herabgesunken, wobei nur
eine einzige VV'eglassung (v. 1019) durch Entfernung der um-
gebenden Verse veranlasst ist. 1801 ist die Zahl der Bühnen-
anweisungen wieder um zwei vermindert, ohne dass der Weg-
fall von 38 Versen damit in Zusammenhang stünde.
Im einen Fall sind zwei Anweisungen in eine zusammen-
gezogen; das andere Beispiel wollen wir uns genauer ansehen;
es hiess in der Thalia v. 917 b:
(Karlos geht in schrecklicher Bewegung auf und nieder)
im Druck von 1787 v. 846 b:
(Kariös ist in o-rosser Bewegung.);
seit 1801 ist bei demselben Wortlaut der Verse (738 f.) die
Anweisung überhaupt weggeblieben.
Während das erste Mal aus Mässigung die symptomatische
Vorschrift durch eine allgemeine ersetzt wurde, liegt der
Grund zur Änderung das zweite Mal im Formgefühl des
Dichters; denn die prosaische Anweisung stand zwischen zwei
Versen einer fortlaufenden Periode und hätte für das Auge
wie beim Vorlesen für das Gehör den Fluss der Rede gestört.
Aus demselben Grunde ist die Anweisung:
(Karlos sieht zur Erde und schweigt)
die 1787 mitten in Domingos Rede (v. 4) stand, 1805 an das
Ende eines Verses und einer Periode gerückt (nach v. 8).
Bald darauf linden wir eine ähnliche Stelle; statt:
') Ausgenommen Jungfr. v. Orl. (An Goethe 28. April 1801. Jonas
VI, 273). Dort weicht in der Tat das Bühnenmanuskript weniger vom
Druck ab als bei den anderen Stücken.
— 328 —
Doch (ernsthaft und finster)
hab' ich immer sagen hören, tlass
heisst es seit 1801 :
(Ernsthaft und finster.)
Doch hab' ich immer sagen hören, dass
Solche Kleinigkeiten zeigen, wie der Dichter bei späteren
Drucken sein Werk als Buchdrama betrachtet: nur das ge-
lesene Wort, nicht die bei der Aufführung ausgeführte Be-
wegung unterbricht ja den Vers^). Im Bühneutext dagegen
hat die Anweisung genau an dei- Stelle zu stehen, avo sie voll-
zogen werden soll; so heisst es z. B. in der Prosabear-
beitung:
Wenn es ist — wenn es doch ist — Und ist es denn nicht
schon? — Wenn das aufgehäufte Mass Ihrer Schuld und meines
Argwohns auch nur um die Schwere eines Athems steigt — (ihre
Hand nehmend) — Avenn ich der Betrogene bin — wenn ich es bin
— (er lässt ihre Hand los).
Ganz richtig ist hier das Anpacken der Königin für den
Moment der höchsten Energie in der Aufwallung des Königs
aufgespart: im Versdrama dagegen (auch in der jambischen
Theatej'bearbeitung) tritt es verfrüht ein ^), damit die Verse
bis zum deklamatorischen Höhepunkt ungehemmt foiteilen
können :
(Er nimmt ihre Hand.)
Wenn es ist,
Doch ist — und ist es denn nicht schon? Wenn Ihrer
Verschuldung volles aufgehäuftes Mass
Auch nur um eines Athems Schwere steigt —
Wenn ich der Hintergangne bin —
(Er lässt ihre Hand los.)
Solche Verschiebungen finden sich in den späteren Stücken
noch häufiger^); in den vier folgenden Fällen z. B. bedeutet
') Mehrmals finden wir es auch, dass durch eine Anweisung unter-
brochene Verse unvollständig bleiben, z. B. W. T. 2047, 2084, 3662.
') Die zweite Anweisung, das Loslassen, bleibt an der alten Stelle,
obwohl sie gleichfalls einen Vers zerreisst; aVjer es ist nicht dasselbe: der
König macht hier wirklich eine Pause und geht in einen andern Ton über.
*) Auch in der Prosa der späteren Zeit, so im Parasit IV, 4:
Selicour (zu Madame Belmont, leise) Verraten Sie mich nicht
— Das gilt Ihnen, mein Lieber I (zu Karl Firmin.)
— 329 —
jedesmal (]er Gedankenstrich den Platz, wo dio aus dem
mitten Verse herausgedrängte Anweisung eigentlich zu stehen
hätte:
W. T. V. 2924 f. So unbereitet musste dieser Schlag
Sie treffen I Armes Kind ! — Wie ist's? Pirholt sie sich?
(Indem er sich zur Herzogin wendet.)
Jgfr. z. 1739 f. Wer fing den Zank an? Redet! — Edler I.ord!
(zu Talbot).
z. 2608 rt'. nhre Hand bedeutend fassend)
Und — zählt auf mich, wenn ihr dereinst des Freundes
Bedürfen solltet!
Teil V. 929 f. Geh nicht nach Altorf — Hörst du? Heute nicht.
Den einen Tag nur schenke Dich lien Deinen!
(er fasst seine Hand.)
Zum Kontrast seien einige Stellen dei' Jugenddramen an-
geführt, wo die Anweisungen an ihrem Platze stehen, aber
einfach nicht mitzulesen sind, wenn mau den Zusammenhang
der gesprochenen Worte aufrecht erhalten will:
P'iesko Hl. 3: (sie legt einige Galanterien auf ein Tischgen.)
Auch diesen Dolch, der mein Herz durchfuhr (seinen Liebesbrief.)
Auch diesen — und (indem sie sich lautweinend hinausstürzen will.)
behalte nichts, als die Wunde!
V, 13: — dann übereilen sich (verächtlich.) zwei Augen,
und (mit schröklichem Nachdruk.) ich — ermorde — mein Weib!
(beissend lächelnd.) Das ist das Meisterstük.
Kab. IV, 3: — Aber (indem seine Wut sich erneuert ) an meine
Blume soll mir das Ungeziefer nicht kriechen, oder ich will es (den
Marschall fassend und ihn unsanft herumschüttelnd) .>^o und so und
wieder so durcheinander quetschen.
Die Worte selbst geben in doiii letzten Beispiel den
Takt zur Bewegung; bezeichnend für diese Gleichzeitigkeit
V, 8:
Firm in (lebhaft): Ein Älemoire! Dasselbe vielleicht, das ich Sie
heute lesen sah. (zum Minister.)
Aber es handelt sich auch hier um Verse, die in der französischen Vorlage
ungeteilt bleiben:
Dorival. (bas ä Mad. Dorlis.) (Haut ä Charles.)
Ne nie trahissez pas. Cest k vous que s" adresse.
Im andern Fall fehlen die Anweisungen im Französischen überhaupt.
— 830 —
ist in den Jug^endstücken die häufige Partizipialforra der An-
weisungen, während in den späteren Dramen oft das Perfektum
eintritt, und statt „indem" ein ..nachdem" die Anweisung
einleitet.
Zurückgreifende Vorschriften finden sich zwar bereits
in den Prosadramen, namentlich wenn die Bewegungen solcher
Personen, die eine Zeitlang am Gespräch nicht teilnahmen,
nachgeholt werden:
Raub. I, 2: Spiegelberg (der sich die ganze Zeit über mit
den Pantomimen eines Projektmachers im Stubeneck
abgearbeit hat. springt wild auf.)
Trsp. IV, 13: Schweizer (der ihn erstochen hat).
Fiesko V. 12: Fiesko (stand die ganze Zeit über, den Kopf
auf die Brust gesunken);
in den Versdramen jedoch sind solche präteritale Angaben
viel häufiger; auch werden dort manchmal Bewegungen des
Redenden selber^) nachgeholt: Wall. Lager v. 621 b:
(er hat nach und nach bey den letzten Worten, die er mit erhobener
Stimme spricht, seinen Rückzug genommen, indem die Kroaten die
übrigen Soldaten von ihm abwehren.)
M. St. 17 f.
Paul et. Die überliefr' ich — Sieh! Was schimmert hier?
(er hat einen geheimen Ressort geöffnet und zieht aus einem
verborgenen Fach Geschmeide hervor.)
Der Gedankenstrich bezeichnet wiederum die Stelle, wo
die Bewegung einsetzen musstc. Nur wenn sie in eine Pause
fällt, steht auch in den Versdramen die Vorschrift regel-
mässig an ihrem Platze, z. B.
Carlos 2475 (Hier macht er eine Bewegung, die ihn zu sich
selbst bringt. Er sieht mit Befremdung auf.)
W. T. 3175 (Sie sinkt hier in Nachdenken und fährt dann mit
Zeichen des Grauens auf.)
') Goethe hat auch in solchem Falle das I'räsens, z. B. Iphigenie
v. 1565 b.
(Er geht gegen den Tempel unter den letzten Worten, ohne zu
bemerken, dass Iphigenie nicht folgt, endlich kehrt er sich um.)
— 331 —
Das Gegenteil der präteritalen. die vorausgreifenden.
futurischen Anweisungen sind minder häutig: sie beziehen sich
hauptsächlich auf anhaltende l>e\vegungen. für die ein be-
stimmter Zeitpunkt nicht festgesetzt wird. Jn P)ühnenmanus-
kripten wird so das Tempo eines ganzen Auftiittes schon im
Anfang vorgeschrieben, z. B. im Hamburirer Manuskript des
Don Carlos IV, 13:
(muss sehr rasch gesprochen werden)
oder im Berliner Manuskript des Wallenstein V, 10:
(Dieser Auftritt mu.ss ganz ohne Pausen gesprochen werden)
oder im Bühnen-Fiesko IV, 1:
(Die Unterredung ist wegen den Anwesenden etwas leise).
Auch die einzelne Pei'son kann eine summarische In-
struktion im voraus erhalten:
Don Carlos 4851 (Er sinkt an dem Leichnam nieder und nimmt
an dem folgenden keinen Antheil mehr, l
M. St. 27H4 (J)r geht während der folgenden Rede Mortimers
verzweiflungsvoll auf und nieder.)
Indessen wird das Verharren in einer und derselben
Stellung oder Tätigkeit durch mehrmaliges Wiederholen der
Anweisung eindringlicher hcivorgehoben, z. B. Jungfr. IV, 11 :
z. 4059 sie steht unbeweglich
z. 4087 Johanna steht unbeweglich
z. 4099 Johanna steht unbeweglich
z. 4121 Johanna bleibt unbeweglich.
Gegenüber dieser absichtlichen Verteihnig ist sonst in den
späteren Stücken durchaus die Zusammenziehung mehrerer Vor-
schriften üblich'); präteritale und präsentische Angaben werden
') Picc. 2163 b (Octavio hat unterschrieben und reicht Terzky die
Schrift, der sie dem Isolani giebt. Dieser geht an
den Tisch zu unterschreiben.)
W. T. 1143b. (Buttler hat den Brief gelesen, seine Knie zittern,
er greift nach einem Stuhl, setzt sich nieder.)
M. St. 1507 (Die Königin hat den Brief genommen. Während
sie ihn liest, sprechen Mortimer und Leicester einige
Worte heimlich mit einander.)
Braut 2157 (ist mit ausgebreiteten Armen auf sie zugeeilt, und
tritt mit Schrecken zurück.)
2309 (zu Beatricen, welche sich zwischen sie und die Bahre
geworfen.)
Teil 3101 (Geht hinein und kommt bald mit einem Becher wieder.)
— 332 —
verbunden, und Bewe^un^en verschiedener Personen zu einander
in Beziehung gesetzt. Durch diese Konzentration gelingt es,
die Anweisungen nur am Anfang oder 8chluss oder an Ruhe-
punkten der Rede unterzubringen: je länger die Reden, desto
seltener sind also im Versdrama die Stellen, wo Spielanwei-
sungen Wurzel fassen können.
Daraus ergibt sieli eine neue Funktion der Anweisungen;
sie dienen geradezu zur Gliederung der Rede, Namentlich
an Monologen lässt sich dies beobachten, z. B. Picc. III, 9,
Avo Theklas Rede ursprünglich nach den Versen 1898 und
1906 durch die Anweisungen:
(Man hört die Tafelmusik von ferne.)
(Die Tafelmusik wird lauter.)
unterbrochen war, von denen später die erste ausfiel; ähnlich
teilen die Angaben über Johannas Annäherung den Monolog
]\Iontgomcrys (Jgfr. II, 6); zumeist aber werden durch Bewe-
gungen des Redenden selbst die Pausen ausgefüllt, z. B. W. T.
1,4; in, 18.
Beim Ver'gleich der Prosa- mit den Versdramen fällt auf,
Avie später'hin die Bewegungen der äusseren Handlung das
Übergewicht bekommen, w^ährend die eigentlichen Ausdrucks-
vorschriften zurücktreten. Die erhölite Sprache bedarf ihrer
viel weniger als die Pi'osa, die durcli solche Mittel von der
Alltagsrede gesondert werden muss; dem Vers ist sein Aus-
druck immanent, und das einzige, was der Dichter noch immer
hinzufügen muss, ist die Angabc, an wen die Worte gerichtet
sind. In der Braut von Messina besteht trotz der geringen
Personenzahl darin der grösste Teil aller Anweisungen. Und
werfen wir einen Blick auf Goethe, so sehen wir, dass die
si)ärlichen Vorschriften in Iijhigenic, Tasso, der Natüilichen
Tochter sich hauptsächlich auf die notwendigen Bewegungen
der äusseren Handlung, zum grossen Teil auf Auftreten und
Al)g('lieu der Personen beschränken.
Dieses quantitative Verhältnis dei" Bühnenanweisungen in
Vers- und Prosadramen wird bei allen Dichtern ungefähr das
gleiche sein; immer wird sich am Prosadialog ein grösserer
Reichtum von Zwischenbemerkungen emporranken, während
— 338 —
sich die g-eschlossene Versfomi flieser Sohlinsr^ewüchse nllzn-
o-orn wie einer Art Unkraut erwehrt.
Zur Zeit der klassischen französischen Tragödie, als der
Vers allmächtig- war. war man so weit gegangen, den Zwischen-
bemerkungen überhaupt jede Daseinsberechtigung abzusprechen.
Und zwar Avar die Pi'osaform ein HauptL-i'und; bei Hedelin
heisst es (in .Steinwehrs ^) Übersetzung): ,,Über das mischet
man auf solche Weise Prose unter die Verse; und noch dazu
eine sehr schlechte, kalte und unbequeme Prose. Weil diese
Anmerkungen den Zusammenhang im Lesen unterbrechen, so
trennen sie die Urthcile und Leidenschaften in ihrer Folge.
Indem die Aufmerksamkeit bey dem Verstände des Lesers
getheilt wird, so zei'streuen sich auch die Bilder, welche durch
den Verstand der Verse eingepi'äget wurden. Kurz, die Acht-
samkeit wird nachlässiger, und das Vergnügen geringer."
Später war es gerade Frankreich, von wo der Lmschwung
ausging: sobald die Prosa wiedei- Eingang fand, wucherten
sogleich im bürgerlichen Drama die Bühnenvorschriften reichlich
empor. Der Name Diderot ist hier an erster Stelle zu nennen;
bei deutschen Di'amatikern aber, namentlich bei solchen aus
dem Schauspielerstande wie (i rossmann. MöMer. Zieider u. a.
M Pnitique du Theätre, Anistenlani 1715 I. 471'. Franz Hedelin,
Abtes von Aubignac Gründlicher Unterricht von Ausübung- der Thea-
tralischen Dichtkunst aus dem Französischen übersetzet durch Wolf Balthasar
Adolph von Steinwehr Hamburg 1737 S. 65 ff. Dort findet sich auch fol-
gende Stelle: ,,[ch weis auch wohl, dass viele von unsern Poeten, dem
Leser den ^'erstand des Stückes zu erleichtern in ihren gedruckten Stücken
einige Anmerkungen gemachet haben, darinn sie da,sjenige hinzusetzen, was
die Verse nicht sagen, z. E. : Hier erscheinet ein eröffneter Tempel: Hier
zeiget sich ein prächtiger Pallast mit vielen Säulen: Hier müssen sich die
l'ersonen in dieser Ordnung setzen : Hier küsset der Liebhaber seiner
Schönen die Hand: Hier redet der König seinem Vertrauten ins Ohr:
Hier gehet der l'rinz im Zorn heraus; und hundert andere dergleichen
Anmerkungen, die der Poete hiedurch zwar zu seiner Materie nothwendig
machen will, die man aber sonst an keinem Orte in seinem Stücke lieset.
Allein in diesen Anmerkungen redet der Poete; wir haben aber schon
droben gesaget, dass er vor seine Person in dieser Art rietlichte gar nichts
sagen solle."
— 334 —
steigerte sich i^egen Ende des achtzehnten Jahrhunderts diese
Mode zur Übertreibung, Damals hatte sich eigentlich die
Kleinmalerei des büi-gerlichen Dramas bereits überlebt; als die
Kritik der Romantiker einsetzte, war der Vers wieder zur
Herrschaft gelangt; man Avollte das Dichterwort vernehmen,
nicht das Arrangement des Regisseurs: ,.Die ausführlichen
theatralischen Anweisungen kommen heraus wie ein Wechsel,
welchen der Dichter auf die Schauspieler stellt, weil er selbst
nicht zahlen will oder kann." Für die banalen Auswüchse,
die sich die Herde der Familiendramatiker zu schulden kommen
liess\), machte A. W. SchlegeP) Diderot verantwortlich, und
zwar meinte er wohl hauptsächlich den Theoretiker, aber auch
gegen Schiller erhob er den Vorwurf, durch seine Jugend-
dramen ein schlechtes Beispiel gegeben zu haben.
Nun sind- die detaillierten Anweisungen durchaus nicht
immer an den Schauspieler^) gerichtet, sondern zum Teil an
1) Vgl. Börne. Dramaturg. Blätter, Ges. Sehr. 2. Aufl. I, 14 ff. über
Zieglers „Lorbeerkranz". Ein Teil der dort verspotteten Anweisungen
findet sich freilich auch bei Schiller.
') A. W. Schlegel, Werke VI, 145. VII, 48.
•') Vorschriften, die sich ausgesprochen an den Schauspieler wenden,
findet man bei Schiller nur in den Bühnenbearbeitungen. Z. B. im Mann-
heimer Fiesko V, 6:
Fiasko (behauptet in dieser Szene durchaus eine erhabne Kaltblütig-
keit und Ruhe, welche dem Schauspieler mit allem Nachdruck
empfolen wird).
oder in der jamb Bearb. des Don Carlos (Hm und Mh) bei v. 3216:
König (nach einer langen Pause, welche auszufüllen dem Geist des
Schauspielers überlassen wird).
oder in der Vorschrift für den Chor im Manuskript der Bmut von Messina.
Andere Dramatiker reden auch in der Buchausgabe den Schauspieler
an, z. B. Grossmann in „Nicht mehr als sechs Schüsseln" IT, 8: „Es
ist die Sache des Schauspielers und der Schauspielerin, bey diesen
wenigen Worten in Ton und Blick den feurigsten Ausdruck wechselseitiger
Liebe zu legen. Vorschreiben lässt sich so was nicht, und wenn mans
könnte — der Stünijjer machts doch nicht und dem Schauspieler sagts sein
Mitgefühl, wa.s der Dichter will." Oder Bretzner im „Räuschgen" II, 3 :
„Da diese Pantomine bloss dem Schauspieler überlassen ist; so traut der
V^erfasser dem.selben so viel Geschmack zu, keine Burleske daraus zu machen,
sondern immer den Mann von Lebensart durchschimmern zu lassen."
— 33J> —
das lesende Publikum als ein Surrog^at für die fehlende Bühnen-
verwirklichung. Auch dürfen wir beim büro-erlichen Drama
niemals den engen Zusammenhang mit dem Roman und de)-
moralischen Erzählung vergessen: die stoffliche Gemeinschaft
übte einen so starken Einfluss auf die Form aus, dass sogar
Dramatiker, die direkt für das Theater schrieben, ihren Bühnen-
anweisung'en einen erzählenden Charakter Hessen, ja sich gradezu
in Romanphrasen verirrten.^)
Der Ausdruck „novellistische Anweisung" ist schon mehr-
fach gebraucht; er ist dort zulässig, wo die Vorschrift einen
erzählenden Inhalt hat, den nicht die Bewegung des Schau-
spielers, sondern nur das gesprochene Wort dem Zuschauer
verständlich macht, oder wo sie den Affekt erklärt und Motive
zur Handlung nennt, die sich erst nachträglich aus dieser
selbst erschliessen lassen.
Und nicht nur bei den vom Roman' ) angeregten bürgerlichen
Dramatikern, sondern auch bei einem so ausgesprochenen
Theaterdichter wie Carlo Gozzi finden wii- diese naive Er-
zählungsform; in Tui'andot heisst es:
Recitato lenigma, Turandotte furiosa si lacera dal viso il velo
per sorprender Calaf;
und auch Werthes Hess in seiner Übersetzung das Motiv:
„um den Cahif zu verwirren" stehen, während Schiller einfach
schreibt :
(Mit den letzten Worten reisst sie sich ihren Schleier ab.)
') Vgl. Kotzebues „Sonnenjungfrau'' :
II, 3 Alonso (einen Augenblick schwankend, ob er herunter
stürzen oder Cora zu Hilfe eilen soll, wird von der Liebe für das
Letztere bestimmt, und kniet nieder neben Cora, welche er zu er-
wecken sucht).
IV, 3 RoUa (lässt Haupt und Arme sinken, und heftet sein
nasses Auge an den Boden).
-) Wie solche Anweisungen tatsächlich aus dem Roman ins Drama
übergehen, dafür hat Riemann in seinem Aufsatz über .1. .T. Engels „Herr
Lorenz Stark" (Euphorien VII S 507.) ein hübsches Beispiel gegeben;
im Roman heisst es: „Sie log mit einem Kopfschütteln, um nicht mit einem
ausdrücklichen Nein zu lügen", und in dem vom Schauspieler Fr. L. Schmidt
dramatisierten Lorenz Stark ist diese undramatische Erzählung des Motivs
geblieben: „(schüttelt mit dem Kopfe, um nicht ausdrücklich zu lügen.)"
— 336 —
Dies entspricht dem Prinzip seiner späteren Stücke, nnr
das vorzuschreiben, was dem Publikum äusserlich sichtbar
gemacht werden kann. In den Jugendstücken dagegen sind
novellistische Anweisungen nicht selten z. B.
Raub. (Trsp.): III, 2: (Schweizer hat sich unter Moors Rede unver-
merkt wegfgeschlichen um ihm Wasser zu
holen). ')
IV, 12: Amalia (hat den Ring erkannt).
Ein einziges Wörtchen kann manchmal den Eindruck dei-
Erzählung herbeiführen, z. B. „endlich" und „selbst" in den
folgenden Beispielen :
Kab. V, 3: Miller (bleibt endlich stehen und betrachtet den
Major mit trauriger Miene).
Fiesko IV, 7 : (alle Nobili erblassen. Fiesko selbst verändert
die Farbe).
In der Bühnenbearbeitung steht an der zweiten Stelle nur :
(Schreckvolle Pause) ;
nach dem Stil der späteren Dramen wäre indessen auch das
charakterisierende Beiwort weggefallen, das in den .Jugend-
stücken noch häufig ein Moment der epischen Schilderung enthält :
Raub. (Trsp.) V, 7: (mit unbeschreiblicher Hoheit)
Fiesko IV, 14: (mit schöner Entzückung)
Kab. V. 8: (mit furchtbar erhobener Stimme).
Am Don Cai-los lässt sich wiederum am besten die Wandlung
erkennen; in der Thaliafassung hcisst es noch:
V. 2612 a: eine schrekliche lange Stille von beiden Seiten.
V. 2G12: in fürchterlichem Ausbruch des Schmerzes.
Statt dessen ist seit 1801 eingetreten:
V. 1857 a: Eine lange Stille von beiden Seiten.
V. 1857: im Ausbruch des heftigsten Schmerzes.
Cliarakterifttiscli füi" die Erzählungsform ist es auch, dass
in den Prosadramen die Bühnenanweisungen häufig mit einer
gewissen stilistischen Liebe beliandelt sind; Wiederholungen
desselben Wortes werden vermieden; statt in den Räubeiii
(Trsp.) IV, 14 dreimal „Schiessen" anzuordnen, wechselt
Schiller ab:
'j Im Scliaiispicl hei.sst es riclitigor: (Schweizer verliert sich unver-
merkt.)
— 337 —
(man hört schiessen)
(man schiesst zum zweitenmal)
(man hört noch einen Schuss);
ähnlich im Don Carlos (Thalia) 2685 ff.
(Stillschweigen)
(wiederum Pause)
Damit ein eben gesprochenes Wort nicht wiederholt
werde ^). knüpft namentlich in den Prosadramen die Anweisung
häufig an den Dialog an:
FieskoII, 4: Mohr. Verzeiht. Ich hätte Lust zu noch mehr Zechinen.
Fiesko (lacht, giebt ihm eine).
III, 2 : Diese majestätische Stadt, (mit offnen Armen dagegen eilend)
Kab. 11,6: Deine Hand in die meinige (er fasst diese heftig).
Ein Gegenstück') zu der letzten Stelle finden wir in der
P>raut V. Messina v. -498, wo das gleiche Wort wiederholt wird;
So will ich diese Bruderhand ergreifen —
(er reicht ihm die Hand hin);
auch beobachten wir in demselben Stück, dass entfernte An-
weisungen nun umgekehrt untereinander in Ijcziehung gesetzt
werden :
1770 a (zum zweiten Chor)
1772 a (da derselbe zögert)
Im \'ersdrama stehen die prosaischen Anweisungen für
sich, ausgeschieden aus dem geschlossenen Dialog; dem ent-
spriclit die moderne Einklammerung, wähi-end Stücke der
früheren Zeit sie nur durcii kleineren Di'uck absonderten. Bei
Schiller dürfen wir diesen Unterschied indessen nicht auf
eigene .Vnordiuuig. sondern lediglich auf die Verschiedenheit
des Druckci-eibrauches zurückführen: die Schwanschen und
Cotta'.schen Ausgaben z. B. haben Klammern, während die
Göschenschen sie verschmähen. So erklärt sich, dass die An-
') Dass umgekehrt der Dialog sich einmal an eine Bühnenanweisung
anschlösse, wäre ein Kuriosuni, wie man es vielleicht in folgender Stelle
von Klingers „Medea auf dem Kaukasus" III erblicken darf:
C>ber(lruide. Lass sie glauben, wenn sie nur gehorchen. (Der Mond
erscheint). Er blinkt aus der Wolke hervor und wird voll
beym Opfer glänzen.
■■') Vereinzelt kommt auch noch in den späteren Stücken die Abhän-
gigkeit der Anweisung vom Dialog vor z. B. Carlos .3628: Pico. 1416;
M. St. 20 a, 1725 a, 3049.
Palaestra XXXll. 22
— 338 —
Weisungen des Don Carlos erst im „Tlieater", also im ersten
Cotta'schen Druck, in Klammern gesetzt wurden, ohne dass
Schiller in dem uns erhaltenen Druckmanuskript die Vorschrift
dazu erteilt liätte. Ebenso vei'hält es sich bei der ersten
Fassung der Räuber.
Da im dramatischen Roman die Anweisungen allzuleicht
zum poetischen Ausdrucksmittel werden, das gleichberechtigt
neben dem gesprochenen Worte steht, passen sie sich auch
im Ton dem Texte manchmal an^). So in den drei Prosadramen.
Wenn die Bewegungen des Mohren vorgeschrieben werden,
geschieht das mit Ausdrücken, wie sie Muley Hassan selbst ge-
brauchen könnte : .,nistet sich hart an ihn''; „will sich abführen."
Ähnlich wird beim Hofmarscliall schon in die Anweisungen
die Komik hineingelegt, die bei der Darstellung hervortreten soll :
(mit einem Schaafsgesicht)
(Hofmarschall macht sich auf die Beine)
(der diese ganze Zeit über mit einem Geistesbankerott
auf den Zettel sah)
Oder es begegnet, dass sich der pathetisclie Schwung
eines Monologes aucli der Zwischenbemerkung mitteilt:
(Die Sonne geht auf über Genua)
An anderen Stellen des Fiesko, in erregten Auftritten,
die der Dichter atemlos mitdurchlebte, beobachten wir die Hast
dei' Niederschrift, die ebenso wie den Dialog die Anweisungen
nur als abgerissene Ausrufe liinwarf:
I,lü: (lässt die Hände sinken; ein Todtengesicht)
(plözlich auf, fasst ein Schwerd)
11,7: (Das Yolk stürmt herein. Die Thüre in Trümmer)
Für die Bühnenbearbeitung fand sicli später die Rulie, diese
Brocken stilistisch abzurunden:
n,10: (lässt die Hände sinken und zeigt ein Todtengesicht)
(aufstehend, ein Schwert fassend)
n,4: (Das Volk stürzt ins Zimmer, dass beide Thüren
in Trümmer fallen)
In den Versdramen wird durch den formellen Kontrast
eine Assimilation verhindert; es müsste denn gerade
^) Dies war auch der Eindruck von Schillers Mannheimer Fiesko-Vor-
lesung: „Er sagt alles in dem nämlichen, hochtrabenden Ton her, ob es
heisst: Er macht die Thihc zu, oder ob es eine Maii|)tstcIIe seines Helden
ist." (Streicher S. 95.)
— 339 —
die Anweisung selbst sich zum Verse formen, und in der
Tat — dieser Fall steht vereinzelt da') — stossen wir im Teil
auf einen wohlgebauten Fünffüssler:
(Das Hörn von Uri wird mit Macht geblasen.)
Ein ebenso merkwürdiger Zufall ist es, wenn mehrmals un-
vollständige Verse durch die folgende Anweisung ergänzt werden:
Iphigenie in Aulis v. 177: ward keiner noch gebohrenl (er geht ab)
Macbeth z. 3435: Ruft: Halt, genug! (Sie gehen fechtend ab)
Jgfr. z. 780: Fort! Keine Zeit verloren ! (treibt ihn fort)
z. 1984: Gott und die Jungfrau! (Trommeln und
Trompeten)
Turandot z. 185: Im Hospital versorgen, (er hält inne)
z. 2708: Ich euch verrathen ! Guter Gott! (vorsieh)
Teil V. 1090: Hiersind wireinig. (Schüttelt ihm die Hand).
Wenn lledelin seiner Zeit die Bühnenanweisungen als
schlechte Prosa innerhalb der Verse verpönte, so gab er auch eine
Regel, wiesle zu umgehen seien: ..Foltrlich müssen alle Gedanken
des Poeten, sie mögen auf die Auszicrung der »Schaubühne, oder
auf die Bewegungen, Kleidungen und Mienen der Personen
gehen, die zum Verstände des Stückes nöthig sind, durch die
Verso ausLiedrücket werden, die er hersagen lasset.''^) Den
indirekten Anweisungen, die wir in allen vorhergehenden Ab-
schnitten mit in Betracht ziehen mussten, sollte also allein die
Aufgabe zufallen, das Spiel der einzelnen Personen anzuord-
nen, üass dies möglich war, bewies die Überlieferung der
antiken Dramen, auf die sich Hedelins Gesetzgebung stützte.
Di-ei Hauptformen sind zu unterscheiden, in denen die
Bewegungen einer Person indirekt zur Vorschrift kommen:
I. Der Redende sagt selbst, was er im Augenblick tut.
Auch in den Prosadramen Schillers drängt sich diese Ankün-
digung eigener Bewegungen in die erhobene Sprache der
feierlichsten Momente, z. B. des Schwurs. ein:
') Höchstens noch Jgfr. z. 39:30 f.
Claude Marie, Etienne und Bertrand zeigen sich
und bleiben schüchtern in der Ferne stehen.
Im Drama des Mittelalters kommen versifizierte Spielanweisungen vor.
'■') Hedelin, I'rätique du Theätre 1,49. Steinwehrs Übersetzung S. 46.
22*
— 340 —
Raub. IT,3: Hier werf ich meinen Dolch we^-, und meine Pistolen
und dies Fläschgen mit Gift —
Seht ! hier bind ich meine rechte Hand an diesen Eichen-
ast —
IV,5: Hier knie ich — hier strek ich empor die drey Finger
in die Schauer der Nacht —
In der Prosa muss der poetisch gehobene Ausdruck durch
Feierlichkeit des Momentes und Ei'regung' des Sprechenden
bedingt sein; die Versspi'ache dag"eg-en hat es nicht nötig,
eine solche Proklamation der eigenen Handlung zu motivieren,
auch wenn die Verwendung manchmal etAvas bewusst erscheint:
Carlos V. 1189: Auf meinen Knieen bitt' ich drum.
W. T. T. 3781 : Ich hebe meine Hand auf.
Jgfr. z. 1783: Lasst diesen Händedruck die Wunde heilen.
z. 2097 f: Weggeworfen hab ich Schwert und Schild,
Zu deinen Füssen sink ich wehrlos, flehend hin.
Teil V. 8288: So reich ich diesem Jüngling meine Rechte!
Dem. V. 1237: Du heiliger Grenzpfeiler, den ich fasse.
IL Der »Sprechende erlässt eine Aufforderung, deren Er-
füllung vorauszusetzen ist oder durch die folgenden Worte.
z.B. ein „Gut", bestätigt wird:
Fiesko IT, 9: So rize mir hurtig mit deinem Dolche den Arm
auf, bis Blut darnach läuft — Ich werde thun,
als hätt' ich dich erst frisch auf der That ergriften. Gut.
II, 17: Ziehen Sie jenen Vorhang auf. Diesen lassen
Sie fallen. Gut.
Eine hinweisende Bewegung des Redenden gehört meist zur Auf-
forderung, ja diese kann überliaupt korrespondierende 1 )ewegungcn
verlangen, von denen der Redende selbst bereits sein Teil erfüllt:
W. T. 1103 f.: Buttler. Nicht ungestraft sollt ihr mich höhnen. Zieht.
Octavio. Steckt ein.
Hier ist in der Antwort die Ablehnung enthalten ; manch-
mal auch wird zu dem Befehl nur angesetzt:
Raub. II, 3: Schafft ihn ans meinen Augen,
oder es wird der Aufforderung übci'haupt nicht entsjH'ochen :
Jgfr. z. 4702: Lasst sie den Arm aufstreifen, seht die Punkte,
Womit die Hülle sie gezeichnet hat!
IIT. Der Spi-cchende beobachtet die Bewegungen andi'er
Personen^) und i'cdet sie daraufhin an, oft in impcrativischer
— 841 —
Form. Vor allem Kliiiizers autgedoiuierte, aber innerlich
kalte Rlietorik strömt in langen Partien aus, in denen der
Geg-cnüberstcliende die arbeitenden Gesichtszüge des Mit-
s})ielendcn analysiert :
Zwillinge I, 4: Alter Guelfo. Es kocht was in ihm! Sieh
den Drachenblick I . . . . Ich niuss sehen, wie
sich Leidenschaften l)ei meinen Kindern
zeichnen. Was beisst er die Zähne? was
zieht er die Faust zusammen? was wölkt sich
die Stirne? So steht man vorm Feinde?
Mann, dein Gesicht gefällt mir nicht.
Neue Arria 1,2: Ha Julio! auf! dein Genius auf! Gluth in
deinen Augen! was drehst du die Achsel?
will deine Seele heraus?
.... Narr! lass mich was göttliches auf
deiner Stirn sehn, dass sich mein Geist vor
dir neige! Bey der Grösse des Menschen!
das war ein Blick, der eine Welt zerschlüge!
Schillers Gebiancliindcn.JugendstückenerinnertandiesesA^orbild:
Raub. III. 1: Knirsche nur mit den Zähnen — spej-^e Feuer
unil Mord aus den Augen.
IV, 11 (^Trsp.): Wild rollen deine Augen — Bleich wie Schnee
deine Lippen!
FieskoV, 12: schielt nicht so geisterbloich auf dieses Spiel der
Natur.
Kab. U,')-. Hlick wog! deine Lippen beben. Dein Auge rollt
fürchterlich.
Die späteren fStücke bleiben fern von Ll^bertreibung und be-
dienen sich statt des positiven Imperativs inu' noch der Bitte,
eine ])eAvegung einzustellen:
') Diderot (Theater II, 386) hatte dies dem Dramatiker empfohlen:
..Wenn dem Dichter diese eingebildeten I'hysiognomieen gleich zu Anfange
nützlich seyn können: wie viele Vortheile wird er nicht vollends aus den
geschwinden und überhingehenden Eindrücken ziehen können, nach welchen
sich diese Physiognomieen in ileni \'erlaufto des ganzen Stückes, ja auch
oft in dem Verlautlo einer einzigen Scene. abämlern? — Du entfärbst dich
— Du zitterst — Du hintergehst mich. Spricht man im gemeinen Leben mit
jemand, so merkt man genau auf ihn, und sucht aus seinen Augen, aus
seinen Bewegungen, aus seinen Zügen, aus seiner Stimme, was in dem
Innersten seines Herzens vorgehet, zu errathen. Aber selten geschiehet das
auf dem Theater. Und warum? Ohne Zweifel, weil wir noch weit von
der Wahrheit entfernt sind."
— 342 —
W. T. 74Ü: Nein! wende nicht dein Angesicht zu mir.
2055 f. : Nein, Base Terzky ! Seht mich nicht erwartend,
Nicht hoffend an !
2386: 0 wende deine Augen
Nicht von mir weg.
Natürlich kann sich diese Beobachtung auch auf dritte
Personen beziehen :
Fiesko IV, 6: Ich habe dort auf dem linken Flügel Gesichter
bleich werden und Kniee schlottern gesehen.
Jgfr. 4904: Sie schlägt die Augen auf und lebt:
ja es kann sogar eine Handlung, die sich schon in einem
früheren Auftritte vor unsern Augen abspielte, durch die nach-
trägliche Erzählung eines Beobachters bestimmt werden (Carlos
V. 2623 ff., 4663 ff., Picc. 1526 ff".).
Diese dritte Form der indirekten Anweisung ist die ge-
gebene für alle unwillkürlichen Ausdruckserscheinungen, die
gar nicht in der Macht des Schauspielers stehen, z. B. Erröten
und Erbleichen, und deren (Sichtbai'werden dem Publikum nur
durch die Worte der Mitspieler und durch ergänzende Aus-
drucksbewegungen suggeriert werden kann. Diese subjektive
Beobachtung der Mitspielenden braucht aber nicht einmal
richtig zu sein, zumal dann, wenn sie von Misstrauen ein-
gegeben ist, z. B. wenn Franz Moor sich einbildet, Daniels
böses Gewissen zu erkennen:
Sieh mir fest ins Auge! Wie deine Knie schlottern! Wie du
zitterst !
oder wenn im Fiesko (I, 1) die eifersüchtige Leonore Bellas
Verlegenheit zu bemerken glaubt:
Du entfärbst dich.
In solchen Fällen hört der Begriff der Bühnenanweisung
auf; dasselbe gilt von den Beispielen, wo der Sprechende, um
anschaulicher zu werden, seine Beobachtung zu einem Vergleich
zuspitzt. Es war eine besondere Mode namentlich bei den
polternden Vätern des büi-gerlichen Trauerspiels, sich in drasti-
schen Vergleichen zu überbieten, wobei es gar nicht mehr auf
die beschriebene Stelhing ankam, sondern lediglich auf Ori£ri-
— 848 —
nalität des Ausdrucks.^) H. L. Wag-ners Figuren z. B. sind
förmlich auf der Ja^d nach grotesken Bildern von gesuchter
Ursprünglichkeit :
Reue nach der That IV : sitzt er nicht da, als wenn er iinserm Herr Gott
den Essig- ausge.sotten hätte.
— — warum der Kerl so da sass, als hätt er
Teufelsdreck gefressen.
Kindermörderin II: sitzt er nicht da und macht ein Gesicht wie eine
Kreuzspinne.
IV: Wie das wieder da steht, als wenn ihm Gott
nicht gnädig war.
Schiller, der solche Bilder der Phantasie seiner jugend-
lichen Helden entspringen lässt. überbietet Wagner an Frische
und Kühnheit:
Raub. II, 3: Pater. 0 Pharao! Pharao!
Moor. Hört ihrs wohl? Habt ihr den Seufzer
bemerkt ? Steht er nicht da, als wollte er
Feuer vom Himmel auf die Rotte Korah
herunter beten, richtet mit einem Achsel-
zucken, verdammt mit einem christlichen Ach! —
Kab. IV, 3 : Wie er da steht der Schmerzenssohn! — Da steht,
dem sechsten Schöpfungstag zum Schimpfe!
Als wenn ihn ein Tübinger Buchhändler dem
Allmächtigen nachgedruckt hätte!
Auch fin- ihre eigene Stellung suchen Schillers Figuren
gern nach einem Vergleich :
Raub. IV, 2: Steh ich nicht hier wie ein Gerichteter vor
dem tödlichen Block?
W. T. 1792: Da steh ich. ein entlaubter Stamm!
Für die Haltung, die der Schauspieler dabei einzunehmen hat,
ergibt sich aus diesen Worten so gut wie nichts.
Ubci'haupt ist bei den indirekten AnweisunL-^en. denen die
Präzision und die Objektivität der direkten fehlt, häutig die
') Wie gewaltsam und schwerfällig solche Vergleiche an den Haaren
herbeigezogen wunien. zeigen zwei Beispiele aus den Ritterdramen J. Maiers:
Sturm V. Boxberg III, 13: Da steh' ich starr vor Verwunderung, wie der
steinerne Atzmann in der Mitte des Chores, der
das Psalterbuch dem Sänger vorhält, und nicht
weis warum.
Fust V. Stromberg V. 8 : aber izt stehest du da. und verzerrest das Ge-
sicht dabei, wie ein vermummter Teufel, dem die
Wahrheit auf die Klauen getreten hat.
— 344 —
Frage zu stellen, wie weit sie bildlich gemeint sind.
Zu welchen Missverständnissen die Schillersche Sprache hierin
Anlass gehen kann, ist bereits bei Gelegenheit der Requisiten ^)
erwähnt. Gräfin Terzky z. B. wird keinen Schlüsselbund
überreichen, obwohl sie sagt:
ich schloss es ab
Und liefre hier die Schlüssel aus.
Wenn vielleicht auch die Worte des Dunois (Jgfr. 4104) :
Hier werf ich meinen Ritterhand schuh hin
nur als eine Formel aufzufassen sind, so könnte man ebenso-
gut dasselbe bei den Worten des Chores in der Braut von
Messina (v. 258) annehmen :
Knieend verehr ich dein herrliches Haupt.
An dieser Stelle aber wird man durch das Hamburger Bühnen-
manuskript des Stückes berichtigt, das beim Auftreten Isa-
bellas und ihrer Söhne direkt vorschreibt:
(Die Ritter lassen sich auf ein Knie nieder.)
Die indirekte Anweisung wird also durch eine (Urekte be-
stätigt; ebenso gut kann sie auch verneint werden:
Raub. IV, 5: Glaubt ihr, ich werde zittern? Geister meiner
Erwürgten ! ich werde nicht zittern. (Heftig
zitternd.)
In einem solchen Falle, wo die eine der anderen wider-
spricht, ist die doppelte Vorschrift nicht überflüssig; meistens
aber — namentlich in den Jugendstücken — tritt sie als ent-
behrliche Häufung auf:
Fiasko 1,12: Kalkagno (knieet nieder). Hier kniet noch ein Genueser,
und legt seinen furchtbaren Stahl zu den Füssen
der Unschuld.
V, 12: Und in mir wirft sich (indem er niederfällt) der
grosse und kleine Rath der Republik knieend
vor seinen Herrn.
Goethe hat es gerade in seinen späteren Werken manch-
mal für notwendig gelullten, auf die latenten Vorschriften direkt
mit dem Finger zu zeigen, z. B. in der Pandora 470 b:
Epimetheus hat Epinieleia'n aufgehoben, führt sie tröstend um-
her, dass ihre Stellungen zu Thileros Worten passen.
Allerdings ist Pandora Fragment, und aus demselben Grunde
') Vgl. oben S. 287.
— 345 —
bleiben auch einige Anweisuniicn im z\\t'itcn Teil dos Faust
noch im Stil der Paralipomena stecken:
9181 b. (Alles vom Chor Ausgesprochene geschieht nach und nach.)
9695a. Euphorien in dem oben beschriebenen Kostüm
10 7r>7b. (Es geschieht wie vorgeschrieben.)
Noch übel-flüssiger erscheinen die bestätigenden direkten
Anweisungen bei Kleist^) in der Entkieidungsszene der Fa-
milie Sehroft'onstein :
2479ff. So nehm' ich dir ilcn Hut vom ilaupto. (Erthut's.) stüre
Der Locken steife Ordnung, (Er thufs.) drücke kühn
Das Tuch hinweg. (Er thnt's).
Schiller dagegen hat in den spätei'en Stücken solche
Tautologien gespart. Am Don Caiios k()inien wir mit diesci'
*J>cobachtung beginnen; die N'orschrit'ten in der Thalia:
830 (dem Prinzen um den Hals fallend)
1346 (seinen Arm um Rodrigo's Hals schlingend)
sind schon seit dem Druck von 1787 getilgt, weil sie in den
zugehrtrigeii A'ersen (jetzt 131 tt".. 1013) enthalten sind.
Ähnlich ist in Wallensteins Tod bei den Vei-sen :
l!»r)4 f. Ihr seyd gerührt — ich seh den edeln Zorn
Aus euren kriegerischen Augen blitzen,
die überflüssige Angabc:
(Die Kürassiere gerathen in Bewegung)
aus dem Manuskript gestrichen.
Und im „Netten als Onkel" (Cioed. XIV. S. 132. 20) sehen
wir die in der französischen \'orlage enthaltene Anweisung
,,riant", die im ]>ühnenmanuskript mitübei'setzt ist. im Diuck
beseitigt, weil die folgende Entgegnung: ..Woiiiber lachst du?"
sie hinreichend zum Ausdruck brini.'t.
4. Die äus.sere Bewegung. Sterben.
Mit .. ]>ewegung" übersetzte Lessing das \\ort ..gestc" in
Riccobonis ..Art du Theätre". Wie .später (ioethe. als er
W'olif und (rrüner in die Lehre nalnn, gesagt haben soll : „Mit
dem (rchcn wollen wir anfangen"^), so hatte bereits Riccoboni
') Vgl. auch l'enthesilea 3018 ff.
■-) V. Biedermann, Goethes Gespräche I, 247.
— 846 —
mit diesen allgemeinsten Vorschriften sein System eröifnet und
sich gegen einen etwaigen Vorwurf verteidigt: „Wenn Sie
aber überlegen, dass man, wenn man auf der Bühne erscheint,
sich eher zeigt, als man redt, so Averden Sie zugestehen, dass
das Tragen das erste ist, wovon man sich unterrichten rauss."
Die deutschen Wandei'truppen hatten in solchen Ausser-
lichkeiten das eigentliche Wesen ihrer Kunst gesehen; das
Auftreten der Personen, ihre Einreihung in den Halbzirkel
der Mitspielenden, die Zepteraktionen der Könige und die
Ehrenbezeugungen, womit die Stände unterschieden wurden —
das alles führte man mit Steifheit aus nach festen Regeln, in
die der Balletmeister den Anfänger einweihte.^) Auch Ekhof,
der aus der Schönemannschen Schule hervorgegangen war, legte
noch auf solche Dinge Wert; so soll er einmal zwei jungen
Granden den Gruss vor dem Königsthron beigebracht haben").
Dass diese Bemühung als ein Kuriosum erwähnt wird, zeigt,
wie in der folgenden naturalistischen Zeit sich der repräsenta-
tive Stil dei' Staatsaktionen verloren hat. Audi in ]Mannlieim
scheint man darin achtlos gewesen zu sein; wenigstens
nötigten die bisherigen Erfahrungen Schiller, beim Don Carlos
an Schröder in Hamburg die besondere Bitte zu richten : „Und
Sie als König Philipp sind gebeten — auf das spanische Eti-
kette — Ihrer Vasallen zu sehen." ^)
Es ist vielleicht in Schillers militärisch-höfischer Erziehung
begründet^), dass er schon in seinen ersten Dramen viel mehr
Weil auf die Etikette legt als andere zeitgenössische Dra-
matiker; wir brauchen nur einmal den aus dem .,Don Carlos"
erwachsenen „Roderico" Klingers, wo jede Spur eines Zei-e-
moniells fehlt, mit diesem zu vergleichen. Beim Hamburger
Bühnenmanuskript ist sogar ausdrücklich am Schluss des Per-
sonenverzeiclinisses ausser dem altspanischen Kostüm „spani-
sches (3ei'emoniel'' verlangt. Worin im einzelnen das nationale
•) Ifflands Almanach 1807 S. 143, 149 f. Brandes, Meine Lebens-
geschichte I, 169. Devrient, Theat. Forsch. XI, S. 277.
-) Ifflands Almanach f. 1807, S. 256.)
') 13. Juni 1787. .Jonas I, 346.
') Minor I, 217. Vt,'l. /,. B. v. 575 b: ..soweit es die Gegenwart <ler
Königfin erlaubt."
— 847 -
Koloi'it der Bewegungen bestehet, hat Hchiller freilich nicht
vorgeschrieben; auch kann man von keinen besonderen V^or-
studien für diesen Zweck sprechen, während sich solche beim
Teil und Denietrius-) beobachten lassen.
Wenn in der natui-alistischen Periode die angelernte Grazie
zum Gespött gewoi'don war. so wurde unter Goethes Weimarer
Direktion der Tanzmeister wieder in sein Recht eingesetzt.
Zum ernsten Tempel füget sich das Ganze,
Und die Bewegung borget Reiz vom Tanze,
das war es, was auch Schiller an dem strengen Stil der
französischen Schauspielkunst zu rühmen wusste.'^) Goetlie
nun hat in seinen ..Regeln füi' Schausjjieler" geradezu mit «Jen
J>egritfen der Tanzkunst opeiicrt : „Eine schöne nachdenkende
Stellung z. B. für einen .jungen Mann ist diese : wenn ich. die
Brust und den ganzen Körper gerade herausgekehrt, in der
vierten Tanzstellung vci'bieibe. meinen Kopf etwas auf die
Seite neige, mit den Augen auf die Erde starre und beide
Arme hängen lasse.''*) Ebenso erinnert die Vorschlaft für das
Auftreten an die Führuni.-' des Schritttanzes, dei- in schi'ägen
Linien ainnntige Fiunren und l>e\veL'ungen entwickelt : ..Wer
zu einem Monolog aus dei- hinten) Coulisse auf das Theater
tritt, thnt wohl, wenn ei- sich in der Diagonale bewegt, so dass
er an der entgegengesetzten Seite des Prosceniums anlangt ;
wie denn überhaupt die Diagonalbewegungcn sehr reizend sind."
') In Turandot hat er von Gozzi her eine besondere Art des Grusses
übernoninien, die wohl als chinesich grelten mochte: ..die Hand auf <ler Stirn."
'■') Gerade die ganz fremden nissischen Gebräuche veranlassten auch
andere Dramatiker, besondere Vorschriften an die Schauspieler zu richten,
z. B. Babo in den ,,Strelitzen'". Oder Kotzebue, in dessen „Graf Ben-
jowsky" (11,5) es heisst: .,Die Schauspielerin hüte sich, einen Knix zu
machen. Die russischen Damen £,n-üssen, indem sie sich mit dem halben
Leibe vorwärtsbeuiren.
•') V<?1. Goed. X, 84.
') W. A. I, Bd. 40 S. 167. Welche Folgen die.se Vorliebe des Theater-
leiters hatte, sehen wir aus einem Brief des Herzogs Karl August nach
der Aufführung von „Mahomet": „sage Vohsen, dass er noch lebhafter
wie gestern sey. nicht immer auf einem Flecke stehen bleibe, mehr gehe
und hauptsächlich seine Füsse durch alle fünf Positionen öfter abwech.seln
lasse, aus der vierten bringt er sie gar nicht heraus." (Briefw. I, 2GU.)
— 348 —
Diese Prinzipien üiideii aucli in den Bühnenanweisuni^en
gelegentlich Ausdruck, z. B. in der Theaterbearbeitung des
„Götz von Eerliehingen" V. 9 :
(Zwej' koimiien aus den letzten Coulissen, gehen in der J3iago-
nale. und begegnen .sich in der Mitte des Theaters.)
iSciiiller hat eine ähnlich genaue Vorschrift nur beim Auf-
treten der beiden Halbchöre in der .,Bi'aut von Messina" ge-
macht : ..von zwei entgegengesetzten Seiten, der eine aus der
Tiefe, der andere aus dem Vordei'grand''; im Hamburgei' Manu-
ski'ipt kommt sogar der eine „rechts und aus der vordem
Coulisse'', der andere ,, links und aus der liintersten Coulisse.''
Diese regiebuclimässige Form fehlt im allgemeinen in den
J^ucliausgabcn ; der Leser soll, statt dass seine Phantasie zur
genauen Vorstellung des theatralischen Arrangements gezwungen
wird, das poetische AVerk ohne jeden Gedanken an den Eühnen-
mechanismus geniesscn. So konkrete Theaterworte ^) wie Ku-
lisse kommen sogar in den Theatermannskripten Schillers selten
vor; CS bleiben statt dessen die imaginären l)egriife der poeti-
schen Vorstellung, die bei der Aufführung symbolisiei't werden.
Beim Auftreten heisst es nicht einmal „vom Hintergrunde"
oder „von der Seite", sondern „vom Thomasthor", „vom Hafen",
„aus dem Schloss", „aus einem Kabinet", „kommt aus dem
Seitenzimmer".
Wenn das .,A\"()her" nicht gesagt wii'd, so genügen die
einfachen Bezeichnungen , .kommt", ..tritt auf"". ..tritt ein**,
„erscheint", zwischen denen ein Unterschied kaum zu machen
ist ; auffällig ist z. B., dass „tritt ein" nicht nur bei Innen-
räumen, sondern aucli einmal in einer Waldgegend (1'ell Hl, 2)
gebraucht Avii-d. Eher besteht ein Unterschied zwischen „ent-
fernt sich" und dem entschiedeneren ..geht ab"; Avenn es z. li.
im Teil Hl, 1 heisst: ,,( Knaben entfernen sich)**, so bleiben
die Kindei' offenbar auf der IJiihne und begeben sich bloss
wiedci- nach dem Hintergrund, wo sie im Anfang des Aktes
spielten. I^benso bedeutet „geht" noch nicht so viel wie ..geht
ab", vgl. Jgfr. z. 25(i().
Vgl. oben S. 834. Anni. 3.
— 349 —
Die Monotonie wlivl mitorbrochen darcli Zusätze, die die
Stimmung des Aufti-etenden oder Abgehenden zum Ausdruck
bringen, z. B. „kommt ängstlich"', „düster hereintretend", „tritt
schüchtern herein", „geht traurig ab", „zornig ab"; unter Um-
ständen erfordert der Aifekt sogar eine gesteigerte Bewegung:
„hüpft frohlockend herein". ..fliehen zerstört auf die P>ühne",
..athemlos hei-einstürzend". ..Iiü)ift hinaus". ..taumeln hinaus",
..stürzt hinaus". Beim Auftreten fehlt auch manchmal das
Zeitwoit ganz: ..eilig". ..in Eile". ..in vollem Lauf"; ja wo auf
die Art des Auftretens nichts ankouunt, genügt der blosse Name
der Person in der Überschrift des neuen Auftritts — so namentlich
in den späteren Stücken. Die Einteilung ist freilich nicht immei"
konsequent: es wird durchaus nicht jeder hinzukommenden
Nebenperson zu Liebe ein neuer Auftritt begonnen; umgekehrt
geschieht dies bei Pei-sonen. die schon vorher auf der Bühne
waren, abei' nunmehr eist in den Vordergi'und treten und am
(ies|)räch teilnehmen. z.B. Picc. 1\'. .">.(;; -Igfr. IV, 11.
Fi'ühei", da die >Schaus[)i(>lkunst von dem Begiütfe der
Wohlauständigkeit beherrscht wurde, diu'ften die Darsteller
nicht eher anfangen zu spi'echen. als bis sie auf die Vorder-
bühne getreten waren und eine feste Stellung zwischen den
Mitspielenden dem Publikum gegenübei' eingenonunen hatten.
In Schillers Zeit bestand dieser Zwang nicht mehr; ein
Zeugnis sind seine eigenen Dramen, in denen die Personen
mit einer gewissen Vorliebe bereits im besprach auftreten^)
und während der ersten Worte dem N'ordergrunde zustreben;
freilich kommt es auch vor, dass der Dialog erst auf der Vorder-
bühue beginnt, z. B. wenn Johanna ( Jgfr. 111,9) den schwarzen
Ritter verfolgt „bis auf die vordere Bühne, wo er stille steht
und sie erwartet." Oder im letzten Auftritt desselben Stückes,
wo sich die Personen der Verwandlung wegen^) auf dei- Hinter-
bühne betinden müssen: .Johanna liegt, obwohl dies eine dank-
barere Gruppe gegeben hätte, nicht vei'wundet am 15oden,
•) Fiesko I, 2. TV, 4. VI. Kah. Tl. 4. 5. (5. W. T. TIT, 4. M.
St. IV, 2. Teil I, 1 V. 07. T, 2. ^^ T v. 2f«H. Tni Manuskript von
W. T. II. 1 konnneu Wallonstein und ()ctaviu im Ocspräcli vorwärts.
'-■; \g\. ol.en S. 109.
— 350 —
sondern in den Annen des Herzogs und des Königs. Diese
treten mit ihr langsam vorwärts.
Bei Monologen schreitet der Sprechende regelmässig bis
zum Vordergründe vor, ehe er beginnt^); bei personenreichen
Szenen besteht wiederum dieselbe Notwendigkeit, z. B. im
vierten Aufzug der Piccolomini oder vor dem Dom zu Rheims
in der Jungfrau von Orleans; die Gruppen wechseln in der
Besetzung des Vordergrundes, und die am Gespräch Unbetei-
ligten ziehen sich jedesmal nach hinten zurück. (W. T.
1426—1460; Jgfr. 3805—3867; Teil 1480—1538).
Es ist nicht etwa die Rücksicht auf den Souffleurkasten,
sondern es handelt sich ausser um akustische Gi'ünde bei
diesem Vorschieben der Sprechenden hauptsächlich darum, die
Aufmerksamkeit des Publikums auf sie zu lenken. Sogar
Avenn eine Person während einer wichtigen Pause des inneren
Kampfes die Blicke auf sich ziehen soll, wird sie im Vorder-
grunde isoliert, z. B. Max Piccolomini in Wallensteins Tod 11,1 :
Wallenstein. Ich will Dir Zeit vergönnen, Dich zu fassen.
(Er steht auf, geht nach hinten. Max steht lange unbeweglich, in den
heftigsten Schmerz versetzt, wie er eine Bewegung macht, kommt
Wallenstein zurück und stellt sich vor ihn.)
In anderer "Weise zogen sich in den Jugendstücken ein-
zelne Personen in den Hintergrund zurück:
Kab. 11,4: Lady hat sich unterdess bis an das äusserste Ende des
Zimmers zurückgezogen, und hält das Gesicht mit beiden
Händen bedeckt. Er folgt ihr dahin.
III.4 : Louise hat sich im Hintergrund des Zimmers niedergesetzt,
und hält das Gesicht mit beiden Händen bedeckt.
V,7 : Ferdinand wendet sich, sobald sie das Glas an den Mund
setzt, mit einer plötzlichen Erblassung weg, und eilt nach
dem hintersten Winkel des Zimmers.
In diesen Fällen handelt es sich jedesmal um die im
Augenblick wichtigere der beiden Personen, die sich keines-
wegs der Aufmerksamkeit des Publikums entziehen soll;
das Zurückweichen ist keine äussere Bewegung, sondern der
Ausdruck des Schauderns.
') Z. B. Kah. III,.''): „Sie bleibt noch eine Zeit lang ohne Bewegung
und stuniiii in dem Ses.s(d liegen, endlich steht sie auf, kommt vorwärts,
und sieht furclitsuni herum."
— 351 —
Weiter uuten wird von solchen Äusserungen des Aifektes
die in gegenseitiger Annäherung und Elntfernung der Spielenden
bestehen, die Rede sein. Hier soll nui- kurz erwähnt werden,
mit welcher Präzision in den Jugendstiicken diese Bewegungen
manchmal bezeichnet sind, z. IJ. das Zurückweichen des Er-
staunens :
Fiesko 1,8: einen Schritt zurük
11,9: sechs Schritte zurük
IV, 12: weicht drei Schritte zurük
Kab. 11,6: weicht einige Schritte zurüke.
Die genauen Zahlenangaben, die beim ei'sten Blick an die
abgemessenen Schritte der Goethischen Regie denken lassen,
sind natürlich keineswegs als Bühnenvorschriften aufzufassen;
es ist p]rzählungsfoi'm; die sechs Schritte sind sogar eine Über-
treibung, die in wörtlicher Ausführung nur komisch wirken könnte. 'j
Wie das Gehen kann auch das Sichsetzen das Kennzeichen
einer Gemütsbewegung sein und der inneren Unruhe, der Wut,
dem Schrecken, der Verzweiflung Ausdruck verleihen:
Raul). 1,2: wirft sich wiM in einen Sessel
Fiesko 1,10: hält beide Hände vors Gesicht, und wankt in den Sopha
Kab. 11,2: fällt mit Entsetzen in den Sopha
Es kommt abei- auch vor, da^s das Sichsetzen als mecha-
nische Handlung vorgeschrieben wird, nur um nachlier das
Aufspringen als Ausdi'ucksbewegung zu ermöglichen. Verrina
z. B. (Fiesko 1,11) nötigt Kalkagno und Sacco zum Sitzen,
als er ihnen die Schandtat Gianettinos offenbaren will; auf
diese Weise wird der Ausdruck der Bestiirzung vorbereitet,
mit dem beide auffahren und die Sessel zurückwerfen.
Manchmal wird nur diese zweite Vorschrift, die als Aus-
drucksbewegung wichtig ist. gegeben, während die erste, ihre not-
wendige Voraussetzung, wegbleibt; z. B. im Don Carlos v. 2283
heisst es „mit Heftigkeit aufstehend", ohne dass vorher vom
Sitzen die Rede ist') ; ebenso fehlt im Wallenstein einmal das
M Iffland, Almanach f. d. Theater 1809 S. 07.
-) Hier scheint diese \'orschrift von Anfang an gefehlt zu haben;
an einer ähnlichen Stelle (v. 31.34: „blcilit in seiner vorigen Stellung sitzen")
ist die ursprünglich vorausgehende \'orsilirift „setzt sich wietier" durch
nachlässige Kürzung weggefallen.
— 352 —
Xiedersitzen zwischen zwei Vorschriften des Aufstehens (W. T.
521a, 617); umgekehrt bleibt im Fiesko (11,4) nach der An-
weisung ,, setzt sich'' der Moment des Wiederaufstehens un-
bezeichnet.
Die Vorschriften über Sitzen oder Stehen sind namentlich
am Anfange eines Aktes oder einer neuen Szene, wenn
sich die Personen bereits auf der Bühne befinden, von Wich-
tigkeit; zuweilen stehen sie in Verbindung mit den näheren
Dekorationsangaben, z. P>. am Anfang von Kabale und Liebe^),
Avo Frau Millerin am Tisch sitzt und der Musikus eben vom
Sessel aufsteht. Zu Beginn der „Räuber'* stehen beide Personen,
denn erst nach einer "Weile heisst es vom alten Moor „indem
.er sich niedersetzt'"; umgekehrt wiederum spricht die Königin
im vierten Aufzug des Don Carlos ihre ersten Worte „indem
sie aufsteht". In der klassizistischen Tragödie französischen
Musters sind solche Angaben nicht häufig: wir Avissen ja aus
der Klage des Mylius, dass die Stühle auf dem Theater der
Gottschedschen Zeit etwas Seltenes waren. Es wurde damit
nur langsam besser'), weil beim offenen Szenenwechsel alle
auf der Vorderbühne aufgestellten Gegenstände ein grosses
Hindernis bedeuteten. Daraus erklärt sich auch, dass ent-
sprechende Anforderungen in den Bühnenbearbeitungen weg-
fielen; im Don Carlos V, 9 heisst es bei Philipps Worten
..War er mir also gestorben!":
(Er setzt sich nieder, den Kopf auf den Arm gestützt),
bald danach (v. 5075):
König (steht auf).
, Beide Anweisungen sind in sämtlichen Bühncnbearbeitun-
gen entweder ganz gestrichen oder durch andere (im Ham-
burger Mski. : ..mit einigem Schmerz") ersetzt.
Das i'cnlistische Konversationsstück koinite dagegen ohne all-
gemeines Sitzen nichtmelir auskommen; Schiller unterscheidet sich
aboi- von anderen bürgei'lichcn Dramatikern auch in „Kabale
1111(1 Liebe' darin, dass er ungern alle Personen Platz nehmen
') Vgl. oben S. 180.
''} Vgl. oben S. 176 f.
— 353 —
lässt.^) Bei seinem JBesuch im Mill ersehen Hause bekommt
Wurm in ziemlich unhöflicher Weise einen Stuhl angeboten;
es heisst darauf:
(legt Hut und Stock weg, setzt sich).
Dass der Geiger und seine Frau dasselbe tun, ist nicht gesagt,
und aus einer der folgenden Vorschriften:
(voll Zorn seine Frau vor den Hinteni stossend)
geht Avohl das Gegenteil hervor.
Als bei der Beratung Fiesko allen Verschworenen Plätze
anbietet, lehnt Bourgognino ab und spaziert im Zimmer umher:
„Ich size ungern, wenn ich ans Umreissen denke." Und da das
Aufspringen und Umherlaufen eine der häufigsten und all-
gemeinsten Äusserungen jeder Erregung ist, so führt auch bei
den sitzenden Personen die erste lebhaftere Wendung des
Gesprächs stets einen Wechsel herbei, vergl. die grosse Szene
zwischen Carlos und Prinzessin Eboli.
Mit Vorliebe bleibt auch von zwei Pei-sonen eine stehend.
Bei königlichen Audienzen oder überhaupt dort, wo es sich
um einen Standes- oder Altersunterschied handelt, scheint
das selbstverständlich; unter Umständen aber ist eine besondere
Absicht vorhanden, die stehenbleibende Person zu demütigen,
z. B. wenn in „Kabale und Liebe" die Lady vornehm-nach-
lässig auf das Sofa geworfen Luise Millerin empfängt.
Schauspielerisch kommt die sitzende Person weniger zur
Geltung und damit hängt es wohl auch zusammen, dass sie
niemals lange auf ihrem Platz verharrt.
Bei entscheidenden Höhepunkten befindet sich die Haupt-
person immer im Stehen. Eine Ausnahme davon scheint W. T.
11,2 zu bilden, wo Wallenstein dem Max seinen Abfall ent-
deckt: Wallenstein setzt sich dazu, während er Max stehen
') Dagegen setzen sich im Wallenstein die Personen mehrmals in
konventioneller Art. Überhaupt haben die beiden grossen Stücke der Trilogie
hierin besonders viel Vorschriften, weil sie, wie Kabale und Liebe, aus-
schliesslich in Innenräumen spielen. Vgl. Pico. 1011a. 1209b. 1271b.
1770 a. 2279 a, 2295 a. W. T. 234 a. 357 a. 386 a. G17. 691a. 710 b.
1052a. 1087a. 1143 b. 1161b. 1190a. 1208a. 1660b. 2915a. 2941b.
3385 a. 3403 a.
Palaestra XXXII. 23
— 354 —
lässt. Tatsäclüicli ist aber in (liesem Moment Max der Spieler,
dem die Aufmerksamkeit des Publikums zugewandt sein soll,
denn alles kommt darauf an, wie er diese Enthüllung aufnimmt.
Das einzelne Wort, Avährend dessen man aufsteht oder
sich setzt, erhält natürlich dui'ch diese Bewegung einen beson-
deren Nachdruck. Wenn wir nun auch die feinsten und
kleinlichsten Nuancen realistischer Schauspielkunst in den
Dialog der Schillerschen Stücke, namentlich der Vei'sdramen,
nicht hineintragen dürfen, so stehen doch auch dort die äusser-
lichsten Bewegungen immer in gewisser Beziehung zum ge-
sprochenen Wort, Wenn sicli Teil während seines grossen
Monologes (IV,3) auf die Bank von Stein nicderlässt, so ist
das zunächst nur angeordnet, um dem Helden eine Abwechs-
lung seiner Stellung zu gewähren^) ; aber es ist dazu gerade eine
von weicherer Stimmung beherrschte Partie gewählt. Dass
das Wort Lichtenbergs^), man 'habe andere Gedanken im Liegen,
andere im Stehen, auch auf dem Theater gelten müsse, hoben
die dramaturgischen Schriftsteller jener Zeit gern hervor.
Die kleinen Spielnüancen, die sicli aus irgend einer
Nebenbeschäftigung ei-geben, sind in den Bühnenanweisungen
selten voi'gezcichnet; immcrliin lässt sicli im (TOgensatz zur
vorausgehenden Zeit eine, gewisse Neigung dafür im Sturm-
und Drangdrama erkennen. Beim Maler Müller z. B, (Golo
und Gcnovefa IV, 2j wird Bernhard gerade barbiert, als die
Nachricht von Genovefas Gefangenschaft eintrifft; bei Lenz
im „Hofmeister" (111,2) sind genau die Stollen bezeichnet, wo der
Schulmeister seine Brille auf- und abzusetzen hat. Namentlich das
Motiv des Trinkens ist seit dem Götz eingebürgei't, ebenso wie das
des Schachspiels^); auch das Klavier- und Lautenspiel wird nicht
nur als Stimnnuigsfaktor verwendet, sondern zugleich als Ge-
legenheit, die Personen in einei' bestimmten Situation zu zeigen.
') Figaros Monolog im „tollen Tag" (V, 3) ist. diirch «olflie Vor-
schriften mehrfach gegliedert.
■') Vermischte Schriften (Ausgabe v. 18-i4) 1,13.
■') In der Litteratui'- und Theaterzeitung (]78"2 IV, S. 743) wurde
das Schachspiel im (lötz, Natlian, ( Htd v. Wittelshadi iilK'rHüssig gefniidcii.
— 355 —
Bei fSchiller dienen dazu namentlich die Akt- oder Szenen-
aufänge: so sitzen Karl Moor lesend und Spiegelberg trinkend
in der Schenke; Miller stellt gerade sein Instrument bei Seite
(Kab. I), und die Lady (Kab. 11,1), sitzt vor dem Flügel;
ferner gehören hierher das Kaffeetrinken der Mutter Millerin
und ihre andere, nur indirekt angedeutete Gewohnheit („Stell
den verraaledeyten Kaffee ein und das Tobakschnupfen'' )^), die
später weggefallenen Gärtnerarbeiten der Hofdamen in Aranjuez,
die weiblieiien Arbeiten im Walienstein(\V. T, 111,1), endlich das
Familienidyll in Teils Hause (HLl). Aber auch innerlialb der
Akte lindetsich Gelegenheit zu solchen Episoden, wie dasZui'echt-
stellen von Romanos Gemälde (Fiesko H.IT). die Beschäftigung
Fieskos mit JaliasToilettc ( IIl . 1 o i. oder das Niedei'sitzen des korpu-
lenten Tiefenbach : ., Vergebt ihr Herrn, das Stehen wird mir sauer. ''
Schon bei den ersten Aufführungen pflegten dazu von
Seite der Schauspieler eine Menge Züge hinzugefügt zu
werden. Iffland gestaltete die Rolle des Franz Moor ganz um,
und wenn Dalberg bei einer späteren Räuberauffüln'ung tadelte,
dass Frairz im fünften Akt nach ( ieistern iiasche^), so stammt diese
^) Das Schnupfen findet si\h gleichzeitig- in Ifflands „Verbrechen aus
Ehrsucht" direkt vorgeschrieben: „geht heftig umher und braucht ohne sein
Wissen viel Tobak."
■-) KoHka 349 ff. Martersteig 196 f. 437. Minor II, 1.S9. Iffland
scheint diesen Zug trotz Uaibergs Tadel beibehalten zu haben; Büttiger
hat ihn beim Weimarer Gastspiel noch beobachtet (Entwickl. des Iffland.
Spiels S. 310); in Ifflands Almanach 1807 S. 74 ist er erklärt: „Er glaubt
jemand hinter sich, hält unwillkiihrlich Arm und Hand nach der entgegen-
gesetzten Seite, wohin auch die festgewurzelten Schritte gerichtet scheinen.
Von Ungefähr berührt die angstvoll ausgestreckte Hand sein
eigenes Gewand — so entsteht plötzlich der Gedanke, wohin von der Gefahr
ab die ganze Gestalt als zum sichern Port sich gewendet hatte — Geister
nahen — er verhüllt das Haupt und stürzt mit einem Schrei davon."
In seiner kleinlichen Motivierung widerspricht dieser Zug nicht der
oben (S. 219) ausgesprochenen Charakteristik.
Erinnert sei übrigens an den ähnlichen Efl"ekt, den Goethe in Leipzig
an Caroline Schulze in der Rolle der .Julia bewunderte (Denkwürdigkeiten
der Car. Schulze-Kummerfeld hsg. v. Uhde, Riehls Hist. Taschenb. 1873
S. 409). Auch dieser Zug wurde traditionell und z. B. durch eine Münchener
Schauspielerin 1778 nachgeahmt (Lewaids Allg. Theaterrevue 183.5, S. 417).
23*
— 356 —
Zutat sicherlich nicht von Schiller, sondern von dem Schau-
spieler. Iffiand scheint sie auch für sich allein behalten zu haben,
während andere Züg-e Nachahmung' fanden und fester mit der
Rolle verwuchsen als manche Anweisung des Dichters. So soll
z. B. in der Rolle des Wurm bereits Ochsenheimer') das später
stereotyp gewordene Spiel in der Diktierszene eingeführt haben :
das Abfasern des Rockes, das Aufziehen der Uhr u. s. w.
Es war die Zeit der aufkommenden Gastspielreisen, und
jeder Virtuose war auf der Jagd nach besonderen Mätzchen,
mit denen er die Konkurrenten überbot'); diese Erfindungen
wurden nicht nur von einer Schar mittelmässiger Nachahmer
weiter kolportiert, sondern auch in den Theaterkalendern und
dramaturgischen Schriften gesammelt. Man konnte sich mit der
gefährlichen Wertschätzung solcher Züge auf den Vorgang
Lessings berufen, der das zuckende Kleiderzupfen^j an Madame
Hensels sterbender Miss Sara der Anerkennung gewürdigt hatte.
Um dies Lob wurde die Schauspielerin beneidet; die ehrgeizige
Caroline Schulze"*) nahm die Priorität für sich in Anspruch;
andere überboten sogar den grausigen Effekt. So soll z. B. in
Wien^) eine Luise Millerin, um die Wirkung des Giftes zu
veranschaulichen, hörbar mit den Zähnen geklappert haben,
während ein Berliner Talbot mit grässlichem Naturalismus den
Kinnbackenkrampf des Sterbenden nachahmte^).
') Ein Bild Ochsenheimers als Wurm ist in Bellermanns Schiller
(Dichter und Darsteller VII S. 73) wiedergegeben.
') Wir hören z. B., dass Fr. L. Schröder durch eine kleine Nuance
in Wien den Sieg über Brockmanns Lear davontrug (Litzmann, Schröder II, 247).
') Hamb. Dram. 13. Stück. Lachm.-Muncker IX, S. 239. Eine
tragische Ironie des Schauspielerlebens sei hier erwähnt, nämlich
die Beschreibung von Schröders Tod, die Fr. L. Schmidt (Drama-
turg. Aphorismen II, 177) gibt: „Das Zupfen mit den Fingern auf dem
Betttuch, das Greifen in die Luft, welches die Umstehenden um so mehr
erschütterte, da es dieselben Bewegungen waren, mit welchen er den
Wahnsinn Lears so meisterhaft dargestellt hatte."
*) Denkwürdigk., hsg. v. Uhde, Riehls Histor. Taschenb. 1873 S. 398.
'^) Horner, Beil. z. Allg. Zeit. 1897 No. 123 S. 6.
") Devrient IV, 25. Ekhof schon, dem sonst französische Steifheit
vorgeworfen wird, .soll eine Sterbeszene ekelhaft naturalistisch dargestellt
haben (Meyer, Schröder I, 190).
— 357 —
Der Mediziner Schiller hatte in „Kabale und Liebe", viel-
leicht durch Lessing- angeregt, die Versuchung zu solchen Aus-
schreitungen nalicgelegt; in der ..Jungfrau von Orleans" war er
aber weit davon entfernt. Der Weimarer JStil erhob den Anstand
im Tode wieder zum Gesetz; Einsiedels^) Worte: ., Die Mimik
müsste bey einem theatralischen Tode den Poussiergi-iffel weg-
legen und dem weicheren Pinsel der Phantasie den letzten
tragischen Zug übertragen," drücken etwas phi'asenhaft verhüllt
dasselbe aus, was Goethes Prinzip der symboUschen Darstellung
bezweckte. Später ging Goethe in der Mässigung vielleicht
weiter, als Schiller selbst zugegeben hätte, und musste sich
dafür freche Bemerkungen in Reinholds Schmähschrift") gefallen
lassen: .,Eine kleine Verzerrun;/ des Gesichts, ohngefähr, als
wenn Kinder ein Rhabarbertränkchen zu sich nehmen sollen,
lässt sich nun einmal nicht gut verbieten, übrigens aber wird
die höchste Ruhe empfolden, alldieweil die Griechen ihr Gift
wie unsre Damen Eis nehmen."
Der Tod auf der Bühne geliört zu den wichtigsten Fragen
in der diamaturgischen Gesetzgebung des achtzehnten Jahr-
hunderts. Wie in der ganzen Ästhetik, so galt besonders auf
dem Theater der Begriff der Nachahmung als die Richtschnur;
beim theatralischen Tod indessen musste die Befolgung dieses
Prinzips zu greulichen Naturalismen führen, wie sie der gute
(ieschmack an den blutigen Staatsaktionen verdammte. Im
regelmässigen Drama wurde deshalb Brauch, den gewaltsamen
Todschlag hinter die Bühne zu verlegen. Als Voltaire^) sich
erlaubte. Cäsars Ennordung auf offener Szene darzustellen,
fragte er. warum nur gei-ade der Selbstmord dort gestattet sein
solle, und dachte nicht an die Erklärung, dass der gefasste,
freiwillige Tod wcniizer Anlass zu vei'zerrter Darstellung biete
als die Qualen eines dahinblutenden Opfers, das von der Gewalt-
tat überrascht wird. In Gottscheds Beiträgen ist noch der
') Grundlagen z. e. Theorie d. Schauspielkunst S. 10. Jean Pauls
^ Jubelsenior" wiederholt diesen Satz wörtlich. Sämtl. Werke 1826 Bd. XX
S. 58 ff.
'■') Saat von Goethe gesät S. 22.
^) Discours sur la tragedie. Theätre (Paris 1801) II, S. 17.
— 358 —
Rat geg-eben, die Personen lieber nicht vor den Augen der
Zuschauer sterben zu lassen; wenn es aber doch geschehe,
dann solle man als Todesart die schnelle Erwürgung wählen.^)
Diese Empfehlung beruht sicherlich auf demselben Grund,
aus dem später die Vergiftung im ganzen Drama des acht-
zehnten Jahrhunderts die bevorzugte Todesart wurde: es
floss kein Blut, und so war eine wirklichkeitsgetreue Darstel-
lung auch ohne das verpönte Mittel der Blutblasen^) möglich.
Von dem Gesetz der Nachahmung vermochte man nicht
loszukommen, und auch Joh. El. Schlegel blieb in der Form von
ihm abhängig, wenn er empfahl, nur das solle der Schau-
spieler nachbilden, was bei dem schrecklichen Augenblick des
Todes noch Süsses und Sanftes wahrzunehmen sei. In der
Sache ist ja damit bereits etwas Ähnliches vorempfunden, wie
später in dem Weimarer Begriü" des Symbols zum Ausdruck kam.
Für das Verlegen des Todes hinter die Bühne wurde auf
die Voi'bilder des antiken Dramas^) verwiesen, doch fehlte
oft die lebendige Vorstellung und die Einsicht, dass damit
dem Publikum nichts Grässliches ei-.spart ist, sondern dass im
Gegenteil der Mord, dui-ch die Hilfeschreie des unsichtbaren
Opfers versinnlieht, viel entsetzlichei- wirkt, als wenn das
Publikum Augenzeuge wäre.'*) An die Art, wie Aschylus
'; Beitr. z. Grit. Hist. IV'. 15. Stück (1736), 390 ff. Umgekehrt liess
Schiller in der Othello-Bearbeitung von Joh. Heinr. Voss Desdemona nicht
erwürgt werden, sondern durch Dolchstiche sterben.
-'J Barth. Feind, Deutsche Gedichte Stade 1708 S. 1(>7. D. L. D.
26, S. 108. Litt. u. Theat.-Zeit. 1771), III, S. 469 ff., 17S(l I, S. 131.
Martersteig S. 58, 74. Devrient II, 366. Auf dem grossen Hamburger Theater
soll sich noch 1782 der Schauspieler Unzelmann einer Blutblase bedient haben.
') Schiller wurde auf den Vergleich zwischen dem antiken Tod hinter
der Bühne und dem Brauch des modernen Dramas bereits durch seinen
Lehrer Nast geführt, doch war dieser weit entfernt, daraus Gesetze für
den modernen Dramatiker herzuleiten (Minor I, 163). Dass der Mord hinter
der Bühne viel schauerlicher wirke, hatte bereits Addison und später Home
(Grunds, d. Kritik III, 274) bemerkt.
*) Vgl. .lean Paul, Vorschule der Aesthetik ^2. Aufl. 1813) I. 45 f.:
„Auf der Bühne ist nicht der sichtbare Tod tragisch, sond(M-n der Weg zu
ihm. Fast kalt sieht man den Mordstoss ; und dass diese Kälte nicht von
der blossen Gemeinheit der sichtbaren Wirklichkeit entstehe, beweiset das
— 859 —
den Tod Aüamomnoiis im i^lciclieii Augenblick durch den Seher-
mund der Kas.sandra dem Zuschauer vei-mittelt. erinnert es,
wenn Schiller die Hinrichtung der Maria Stuart im Ketlex
zeifft, in der Einwirkung auf das Gemüt Leice.stei's, der aus
wenigen (Geräuschen den ganzen Vorgang vor seiner liell-
sciierisch erregten Phantasie erstehen lässt. Aber auch hier
streift die Wii'kung nahe an das Peinliche, und in Stuttgart
musste nach der ei'sten Aufführung dieser Auftiitt Avegbleibeu,
weil der Herzog den Kindruck nicht zu ertraLii-n vermochte.')
Trotzdem bei Hinrichtungen der Tod hinter der Bühne
Regel bleiben musste, hat das Ritterdrama in .Vnknüpfung an
die Staatsaktionen dei- Wandertruppen") noch oft das Schaftott
auf die Bühne gebracht; in Klingers „Koniadin" sieht man
auf der rechten Seite noch gerade die Stufen des Blutgerüstes
ansteigen, wodurch das Publikum nui' in Versuchung geführt
werden kann, um die Ecke zu spähen. In der .,Mai'ia
Stuart" von Spiess befindet sich auf der Bühne ein Podium,
das die Königin betritt und auf dem ihi' bei'eits die Augen
verbunden werden 'M; die eigentliche Hinrichtung aber findet
vor dem Volke auf einem Altan hinter der Bühne statt, wohin
Maiia durch die Mitteltür abgeführt wird:
(Eine traiuige kleine Stille, mau hört einen Schlag — und
drcy Schläge mit der Glocke),
(alles erschrickt aufs heftigste.)
Schiller, der die peinliche Schilderung der Zurustungen
(V. 3471— 347S) nicht erspart, .schont das Publikum, indem er es
den grausamen Schlag nicht vernehmen lässt: wir erkennen nur
aus Leicesters Zusammenbrechen, dass er ihn gehört hat, und
Li'sen, wo sie wiederkommt. Hingegen das verdeckte Tödten gibt der
t'hantasie ihre Unendlichkeit zurück: ja daher ist, weil sie den Todesweg
rückwärts macht, eine Leiche wenigstens tragi-scher als ein Tod.''
') Vgl. Schillers Briefwechsel mit Cotta, hsg. v. Vollmer S. 391.
-) "Wo der Hanswui-st noch mitspielte, war das kunstgerechte
Köpfen sein Meisterstück (Brandes, Meine Lebensgeschichte IL 202 f.).
Aber sogar in einem ernsten Stück wie dem „Kaufmann von London"
wurde bei der Ilgnerschen Truppe Barnwell auf der Bühne gehängt.
(Schütze, Hamb. Theatergesch. S. [)o.) Brahm, Rittenhaiua S. 117. Ann.
d. Theaters 1794 Heft 13 S. 50.
•') Teichmanns Lit. Nachl. ( Dingelstedt) S. 42.
— 360 —
hören aus einem dumpfen Getöse von Stimmen die Bestätigung
der vollzogenen Tat. Schiller hat diesen Tod hinter der
Bühne unendlich feiner zu behandeln gewusst als Spiess;
allerdings war er auch nicht zu solcher Deutlichkeit gezwun-
gen, weil sein Stück damit noch kein Ende hat.
Denn darin liegt ja gerade die Schwierigkeit des Todes
hinter der Bühne, dass das Publikum Gewissheit erhalten muss
von dem, was es nicht sieht. Nicht immer konnte dazu eine
so zarte symbolische Andeutung gewählt werden, wie sie
Goethe bei Clärchens Tode gefunden hat:
„Eine Musik, Clärchens Tod bezeichnend, beginnt; die Lampe,
welche Brackenburg auszulöschen vergessen, flammt noch einigemal
auf, dann erlischt sie;
der gewisse Tod Egmonts z. B., zu dem die Schlussmusik
— eine Siegessymphonie — in der Stimmung kontrastiert,
wurde nicht zu zwingender Deutlichkeit gebracht für ein
durch theatralische Brutalität abgestumpftes Publikum. Dessen
Durchschnittsmeinung hören wir aus einer Rezension in dei*
„Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften'' ') heraus : „So
ungeschickt es auch immer von Seiten des dramatischen
Dichters wäre, seinen Helden durch einen ungefähren und un-
erwarteten Vorfall retten zu lassen, so ist es doch nur allzu
natürlich, dass in dem Herzen des Zuschauers der Wunsch
auch nach der unwahrscheinlichsten Rettung erwachen und
nicht anders vernichtet werden könne, als dadurch, dass er
wirklich erfährt, Egmont sei todt." Wenn in dieser Kritik
noch ein Nachspiel verlangt wird, z. B. ein Auftritt von über
das Theater eilenden Bürgern, die den Tod Egmonts beklagen,
so war das ein beliebtes Mittel, Zweifel des Publikums zu
befriedigen. Jiereits die „Schuldige Unschuld oder Maria
Stuarda" des Herrn von Haugwitz (1683) schliesst aus diesem
Grunde mit einem Auftritt zwischen Elisabeth und Davison,
worin die Königin die Vollstreckung des Urteils erfährt.')
') Braun, Goethe im Urteil seiner Zeitgenossen II, 69.
') Schiller hat die entsprechenden Auftritte natürlich nicht aus die-
sem Grunde angefügt, sondern um der äusserlich triumphierenden Königin
das Urteil zu sprechen. Das Gemeinsame mit Haugwitz (es liegt vor
— 361 —
Eine andere Methode war es. die Leiche zu zeii;eii; so
pÜe^^te man im siebzehnten Jahrhundert (hn-cli Aufziehen des
hinteren Vorhanges nach vollzogener Enthauptung das Castrum
doloris wieder zu eröffnen — vgl. Kormarts „Polyeuetus"
(1669) und ..Maria Stuart" (1672). Im achtzehnten Jahr-
hundert jedoch war man dem Erscheinen von Leichen auf der
Bühne abhold (vgl. oben S. 171); in der „Litteratur- und
Theaterzeitung" (1780) findet sich der unglaubliche Satz:
.,Clavigo würde seht' gewinnen, wenn die Leichenprozession
wegfiel"; ebenso wurde im „.Journal von und für Deutsch-
land" (1784) getadelt, dass in Dyks „Kssex" dei- Enthauptete
im Sarg vorbeigetragen werde'); bei Schiller scheint dasselbe
Motiv keinen Widerspruch mehr erfahren zu haben, auch
konnte sich ja der Dichter auf die historische Tatsache, dass
Wallenstein in seinen roten Fusstcppich gehüllt fortgetragen
wurde, berufen.
Wie wenig der angedeutete Schluss als poetische (iewiss-
heit galt, davon war bereits oben'^) die Rede. Dass man bei
den „Käubern" eine unbefriedigende Lücke empfand, dafür ist
nicht nur die Fortsetzung der Frau von Wallenrodt ein Hei-
spiel, sondern auch der Dichter selbst, der bereit war, seinem
allem in der Verteilung des Schnnukes an die Kammerfrauen) beruht auf"
den Quellen; dass Schiller diesen Vorgänger gekannt habe, ist nicht an-
zunehmen; etwas anderes war es ja, wenn er beim Teil auf so alte und
ältere Stücke zurückgriff, um sich mit der altschweizerischen Überlieferung
bekannt zu machen (Roethe. Die dramat. Quellen des Schillerschen Teil.
Festg. f. Hildebrand 1894).
') Litt. u. Theaterztg. 178U I, S. 181. 1783111, S. 39 f., 182 «". Auch
im „Teir' von Veit Weber wird Gessler erst als Leiche auf die Bühne
getragen, während Teil von der Bühne aus schiesst. Im Ritterdrama war
das Vorübertragen von Leichen in Särgen ein beliebtes Motiv (Brahm,
Ritterdrama S. 116).
■) Vgl. S. 153. In diesem Weiterdenken des Publikums ist es auch
jedenfalls begründet, wenn am Szenenschluss die Personen meistens nach ver-
schiedenen Seiten abgehen; das Publikum kann nur dann glauben, dass das Ge-
spräch zu Ende sei. Bei dem oben (S. 51) erwähnten Wiener Zensor ging
die Angst vor dem gefährlichen Weiterdenken so weit, dass er vorschrieb :
„Die Zensur hat darauf zu sehen, dass nie zwey verliebte Personen mit-
einander allein vom Theater abtreten."
— 362 —
Helden nach znfälliirer Rctinns^ ein Weiterleben zu ire:statten.
Der Kleingläubigkeit des Publikums, das mit L'eschmaek-
loser Romanphantasie weiterdichtete, hat Schiller beim Wallen-
stein mit dem Gedicht ..Tliekla. Eine Geisterstimme" ge-
antwortet; beim Don Caiios') dagegen hatte er es füi- not-
wendig gehalten, (rewissheit zu scliatfen und den Helden auf
der Bühne durch Selbstmord enden zu lassen. Er liattc dafür
Körners") Beifall geerntet: „Carlos Tod, glaub" ich übrigens.
ist immer theatralischer, als seine Uebergebung" ; allerdings
konnte, da die Zensur das Auftreten des Grossinquisitors
verbot, der eclite Schluss nicht reclit zur Geltung konunen.
Aus einem anderen Grunde ist in der Leipziger Be-
arbeitung des Piesko der Tod des Helden verändert ; das Er-
trinken ist für den Schauspieler eine allzu undankbare Todes-
art, und Avohl aus diesem Grunde, kaum deshalb weil Verrina
die Oberhand behält, soll Reinecke sich geweigert haben, in
dieser Rolle zu sterben^); mit der Änderung, wonach' Fiesko ihn
erdolcht, wird er eher zufrieden gewesen sein. Auch mit Amaliens
Tod in den ..Räubern"' war man von Theaterseite aus nicht
einverstanden, ohne dass dei' (irund ersichtlich wäre, Avai'um
Dalbcrg sie zur Zeit des Landfriedens lieber erschiessen als
erstechen lassen wollte. Schillers Antwort : ..Der Eifekt muss
erstaunlich seyn, und kömmt mir auch lüubermässiger vor'', ist
jedenfalls Ironie. Im Druck des Trauei'spiels blieb denn auch
M So in den Prosanianuskripten. Aber auch noch die liearheitun?.
die seit 1792 auf dem Weimarer Theater gespielt wunle (Hurkhanlt.
Theat. Forsch. I, S. 134. Jonas III, 158, 164. Urlichs S. 118 f.), muss
»mit dem Selbstmord geschlossen haben; es ist das wenigstens aus dem
Bericht Reinholds (Saat v. Goethe gesät S. 101) über das Leipziger
Gastspiel von 1807 zu schliessen: „In der letzten Scene, wo Cailos
sich den Dolch in die Brust stösst, ergritt' Hr. Oels diesen ver-
borgenen Dolch schon vor dem Anfange seiner Rede, schwang solchen
sogar einigemal in die Höhe und erstach sich dann ganz jjathetisch." In
dieser verlorenen Bearbeitung trat auch der Prior auf, der in ilen anderen
Theatermanuskripten fehlt. Obwohl Reinhold einmal l'rosa zitiert, waren es
sicherlich Verse, wie auch aus einem anderen Bericht (Morgenblatt 1807
Nr. "249, 250) hervorgeht.
-) Körner an Schiller 19. Febr. 1789. \"gl. oben S. J50.
•'') Speidel u. Wittmann, Bilder aus d. Schillerzeit S. 84.
— 363 —
der Tod denselbe ; im Mannheimer Manuskript ist er in Selbst-
mord umgewandelt.
Eine andere Verbesserung" ist hier von Wichtigkeit: im
Schauspiel heisst es einfach: „(Er eraiordet sie)"'); in dei-
Bühnenbearbeitung dagegen sind der Stei'benden noch einige
Worte in den Mund gelegt; ebenso beim alten Moor, der im
Trauers|)iel mitten in einer Rede Karls seinen Geist aufgab,
während er im Trauerspiel mit den Worten: ..Gott! Meine
Kinder!"' verscheidet.
Diese Rücksichtnahme auf den Schauspieler, für «Icn die
brechende Stinmie das deutlichste Mittel ist, den Tod zu mar-
kieren, war schon zu (iottsclieds Zeiten zur Vorschrift ei"-
hoben worden. Mylius hatte vei'langt, die Personen sollten
leise sagen: „Ich stei'be" — eine Regel, der in der Tat die
meisten Stücke jener Zeit entspi"cchen. Auch Schiller hat
weiterhin meist dafür gesorgt, dass der Tod als ein \'er-
stummen keniitlicli wii"d, so schon im Fiesko:
V, 3: Gianettino (bäumt sich krainptii,'- in die Höh). I'estI
Fiesivo - - (stirlit).
V, 11 : Leonorc fällt mit einem gebrochenen Laut.
V, IG: Fiesko (ruft aus den Wellen). Hilf Genua! Hilf!
Hilf deinem Herzog!
Nur bei Talbot und Gessler bleibt der letzte Todeskampf
wortlos, aber um den Sterbenden hat sich eine Ciruppc ge-
bildet, die die Aufmerksamkeit auf ihn lenkt und das Heran-
nahen des Todes beobachtet; so wiitl im Teil iudii'ekt der
Moment des Verscheidens bezeichnet :
Sieh wie er bleich wird — .Tetzt, jetzt tritt der Tod
Ihm an das Herz — die Augen sind gebrochen.
Aus der Beobachtung und Feststellung durch die Um-
stehenden ergibt sich der eingetretene Tod für das Publikum
erst als Gewissheit; diesem Zweck entspricht z. B. auch das
aus Shakespeare ^und dem ...lulius von Tarent" stammende
*) Ebenso bei Spiegelberir : ..Er sticht ihn tod", bei Franz Moor:
„erdros.selt sich"", bei Schweizer: ,, schiesst sich vor die Stirn", ohne dass
die Sterljenden auch nur einen Ton zu reden bekommen.
- 364 —
Motiv, dass dem Toten noch eine Aufforderung ins Ohr ge-
rufen wird, auf die er nicht mehr antwortet:
Raub. V, 1: Schweizer Gebt acht wie hurtig er auf
die Reine springt? (rüttelt ihn.) Heh du! Es gibt
einen Vater zu ermorden.
Grimm. Gib dir keine Müh. Er ist maustodt.
An einer anderen Stelle der „Räuber" wird diese Wir-
kung allerdings fälschlich erreicht, denn Amalias Schrei:
..Tod ! alles Tod !", mit dem in der Bühnenbearbeitung die
ganze Szene schliesst, lässt auch das Publikum an den wirk-
lichen Tod glauben. Dass das nachherige Wiederaufleben
nun eine vollständige Überraschung bedeutet, kam dem Dichter
wohl erst bei der Aufführung recht zum Bewusstsein; in
seiner Selbstrezension spottet er deshalb über das zähe Frosch-
leben des Alten.
Da wirklichei" Tod, Scheintod, Ohnmacht auf der Bühne
nur mit den gleichen Mitteln auszudrücken sind'), so ist es
notwendig, das Publikum indirekt über die P>edeutung zu
unterrichten. Beim „Don Carlos" beobachten Avir das Um-
gekehrte wie bei den .,Räubei-n" : wenn am Schluss die Kö-
nigin ohnmächtig niedersinkt und von Carlos mit den Worten
aufgefangen wird: „Ist sie todt? O Himmel und Erde",
könnte der Zuschauer irregeführt werden. In der Prosa-
fassung ruft deshalb Derma dem Prinzen zu: „Sie lebt! Es
ist nur eine Ohnmacht! — Der Schrecken — "
Die Ungewissheit ist dann besonders stark, wenn das plötz-
liche Zusammenbrechen aus einer inneren Erschütterung heraus
erfolgt, deren Stärke eigentlich erst aus dieser Wirkung zu
ermessen ist. Etwas andres ist es, wenn ein äusserer Kampf
vorausgeht, in dessen Ausführung sich eher andeuten lässt,
ob die Verletzunir tötlich sein soll.
1) Seckendorf (Vorles. üb. Dekl. u. Mimik II, 222 f.) gibt daher die
Regel : „Da man den Tod auf der Bühne nur durch gänzliche Schlaffheit
der Glieder bezeichnen kann, so muss man der Ohnmacht nothwendig etwas
mehr Halt des Körpers geben, wenn auch Kopf, Arme und Füsse Er-
schlaffung zeigen."
— 365 —
Bei Verwundungen machte wiederum die Darstellung- des
Blutes Schwierig-keiten : obwohl dies Mittel allgemeine Ver-
urteilung' fand, soll sich noch Schröder als Jago der Blutblase
bedient haben.*) Von Ekhof wird dasselbe erzählt, aber als
auf dem Mannheimer Theater Boek ihn nachahmte, diktierte
Dalberg sein striktes Verbot: „Hiermit seien dergleichen
tragische Farcen von unserer Bühne verbannt."-)
Statt auf sein Lieblingsbuch, Homes Grundsätze dei-
Kritik, hätte Dalberg dabei auf die Haniburgische Di-ania-
turg-ie verweisen können, wo Lessing ^) bei Gelegenheit von
Heufelds Julie dieselbe Regel gibt: „Herr Heufeld verlangt,
dass, wenn Julie von ihrer Mutter aufgehoben wird, sich in
ihrem Gesichte Blut zeigen soll .... Gut, wenn in solchen
Fällen die erhitzte Einbildungskraft Blut zu sehen glaubt ;
aber das Auge muss es nicht wirklich sehen."
Diese Stelle mochte Schiller beim Don Carlos vor Augen
haben, als er in einem Manuskript die Worte der kleinen
Infantin „Sie blutet! — Ach meine Mutter blutet" und ebenso
Albas ,,und Blut auf ihi'om (xesicht" eigcnhändii;' durchstrich,
damit keine Schauspieleiin zu natui'alistischei- Darstellung
versucht werde. Im Diuck konnten Albas Worte stehen
bleiben, da sie sich ja nur mehr an die Einbildungskraft des
Zuschauers richten, denn die Königin ist inzwischen abge-
gangen. Die erste Stelle fiel in der Redaktion von 18(»1 weg,
aber vielleicht nur der Kürzung halber, denn in den späteren
Stücken*) scheut Schillei- vor dem Worte Blut nicht mehr
zurück :
Jg-fr. z. 3048: Tal bot (reisst den Verband ab).
So strömet hin, ihr Bäche meines Bluts,
z. 3387: Ihr Blut entfliesst.
In dem Weimarer Piünzip der symbolischen Darstellung
war ja jeder naturalistische Gedanke ausgeschlossen; um so
verwunderlicher klingt es, weim Genast*) erzählt, Schiller habe
0 Devrient II, 366. Schütze S. 5U9.
*) Martersteig S. 74, 58.
3) Hand.. Uram. 9. Stück. Lachm.-Munckcr IX. S. 220.
*) Genast I, 113.
— 366 —
die Lady Macbeth nach dei- Ki-mordungsszene mit rot ange-
strichenen Händen gewünsclit, wie es englische Tradition war.
Dem braucht man keinen Glauben zu schenken; gerade beim
Macbeth hat sich ja Schiller von englischen Traditionen fern-
g-ehalten, wie schon der Schluss zeigt, avo nicht Macbeths
Kopf, sondern Rüstung- und Krone des Erschlagenen auf die
Bühne gebracht werden.
5. Die malenden Oesten.
„Malende" und „ausdruckende Geberden" sind die beiden
Klassen, in die nach Engels Mimik^) die körperliche Bered-
samkeit zerfällt. Diese Einteilung läuft auf einen ähnlichen
Unterschied hinaus, wie ihn Schiller später in „Anmut und
Würde"') zwischen willkürlichen und sympathetischen Bewe-
gungen macht: „Die willkührliche Bewegung erfolgt auf eine
Handlung des Geraüths, welche also vergangen ist, wenn die
Bewegung geschieht. Die sympathetische Bewegung hingegen
begleitet die Handlung des Gemüths, und den Empflndungs-
zustand desselben, durch den es zu dieser Handlung vermocht
wird, und muss daher mit beyden als gleichlaufend be-
trachtet werden."
Wenn man nicht wie Schiller die Beziehung zum Gefühls-
motiv ins Auge fasst, sondern an das gesprochene Wort an-
knüpft, verschiebt sich das Verhältnis: die sympathetischen
Ausdrucks- oder Triebbewegungen eilen der Rede voraus; die
^willkürliciien, malenden Gesten begleiten und ergänzen sie.
Daher kann das geheuchelte Wort in Widerspruch zu den
unwillkürlichen Triebbewegungen treten; die Willkürbewe-
gungen dagegen bleiben immer in Ü^bereinstimmung mit dem
Inhalt der Rede, den sie accentuieren und anschaulich zu
») J. J. Engel, Ideen zu einer Mimik, Berlin 1785 I, S. 59 ff. Wumlt,
Völkeri).sychol()gie 1, 1 S. 122. Die neueren Werke von Hughes (Mimik)
und liudoli)h (Der Ausdruck der Gemütsbewegungen des Menschen,
Dresden 1904) waren mir nicht erreichbar.
-') Goed. X, 81 ü:
— 367 —
machen .suchen. Oder sie ersetzen 8o,i;ar das ifesprochene
Wort, wcshall) sie ihre hauptsächliche Verwendung- in der
Pantoniine und im Ballet linden.
Im Yortrai;' des Redners und des Rezitators sind sie als
helobendes Kunstmittel am Platze; ebenso in einer wortreichen
dramatischen Sprache, die explosive Affektäussei'ung-en vermei-
det und dafür die Beschreibung der Gefühlsvoriräng'e über-
nimmt — in einer iretra.irenen Rede, die ihren Fluss nicht
(lui'cli heftige Körperbewegungen zeirissen. sondciii in an-
schmiegendem Rhythnms begleitet wünscht — also vor allem
im X^ortrag dei' französischen Tragödie. Die deutschen
Alf'xandi'inerdramen hatten diesen Stil übernommen, und von
den Schauspielern der älteren Schule erhalten wir daher immer
wieder dieselbe Beschreibung, wie sie in Wellenlinien mit den
Armen die Luft durchsegelten und wie sie kaum ein Begriffs-
wort aussprachen, ohne mit den Händen seine Form nach-
zubilden.
Gegenüber dem Namen „Willkürbewegungcn". der auch
in der modernen PsychologieM (»eltung hat, halte ich hier liebei-
an Engels Bezeichiuuig fest, die iu der Schauspielkunst des
achtzehnten Jahrhiniderts gebräuchlich war und die zwei ver-
schiedenen ( Gattungen, die in diesem Begriff zusammentliessen,
trifft. Die naclibildenden P>ewegungen, die den Inhalt der Rede
veranschaulichen, und die inhaltlosen .Vrmschwinüungen. die
nur auf das Auge des Beschauers durch schöne Linien einen
Reiz ausüben wollen — beide sind ursprünglich verschieden,
aber in gleichem Masse Helen beide als malende Kunst, als
Unnatur und '^Panzmeistergrazie dem Begriff einer natüi'lichen
Schauspielkunst, die lediglich den innerlichen Gefühlsausdruck
suchte, zum 0|)fer.
„Die Schauspieler A. und r^>. spielen beide Essex; der
erste malt, der zweite fühlt ihn" — in diesen Satz wurde
in Mannheim auf eine Preisfrage Dalbergs der ganze Unter-
schied zwischen dem Anstand der IVanzösischen Schauspielkunst
') Wiiiidt, NülkiMpsychoIogio 1, 1, 8. 32.
i
— 368 —
und der Natur der jung-en Ekhofschüler, die hierin wiederum
über ihren Meister hinausgingen, gedrängt')-
Die Geringschätzung, mit der hier der Ausdruck „malen"
ganz allgemein gebraucht ist, fehlt ihm noch bei Lessing, bei
dem er in engerem Sinne die nachbildende Bewegung bezeichnet.
In der „Hamburgischen Dramaturgie"-) wird zwar Ekhofs
Enthaltsamkeit von allen leeren, affektierten Armbewegungen
hervorgehoben, aber andererseits sein Reichtum an malenden
Gesten gelobt, „durch die er allgemeinen Betrachtungen gleich-
sam Figur und Körper giebt, und seine innersten Empfindungen
in sichtbare Gegenstände verwandelt." Ein Beispiel gibt
Lessing an einer anderen Stelle : „wer hat den Mann gelehrt,
mit ein paar erhobenen Fingern, hierhin und dahin bewegt,
mit einem einzigen Kopfdrehen, uns auf einmal zu zeigen, was
das für ein Land ist, dieses Vaterland des Mericourt? Ein
gefährliches, ein böses Land! Tot linguae, quot membra viro ! — "
Mehr Recht noch ist diesen, dem Inhalt der Rede nachhelfen-
den Bewegungen in dem Jugendfragment „Der Schauspieler"
zugestanden, wo Lessing genau die Handbewegung vorschreibt,
die die Erzählung:
„Und warf mich ihm zu Füssen"
begleiten soll, ebenso das Tiefersenken der Hand bei den
Worten :
„Erniedrige dich nur."
Die Beispiele sind aus Schlegels Canut entnommen. Ebenso
wählte später Goethe, als er seine „Regeln für Schauspieler"
gab, ein bestimmtes Stück zur Demonstration, und es ist ein
glücklicher Zufall, dass er damals gerade die „Braut von
Messina" einstudierte; wir können uns nun auch in solchen
kleinen Zügen, die in den Besprechungen nicht erhalten sind,
ein Bild von der Weimarer Aufführung machen.
Goethe gibt zunächst die allgemeine Regel: „Die mahlende
Gebäi'dc darf selten Qemaclit werden, doch auch nicht yanz
') Marterstcig S. 109.
-) Hamb. Dram. 4., 17., 20. Stück. Lachm.-Muncker IX, S 197 ff.,
253, 2«i7.
— 30'.) -
unterlassen bleiben. ... Es muss iremahlt werden, doch so,
als wenn es nicht absichtlich geschähe." Mehr noch lässt sich
aus den zwei speziellen Vorschriften, die weiter unten erwähnt
werden sollen, erkennen, dass Goethe den malenden Gebärden
wenio-er Recht zugestand als Lessing. So reaktionär auch der
Weimarer Stil mit seinen abgemessenen Bewegungen, seiner
belebten Bildnerei, seinen der antiken Plastik abgelernten
Attitüden erscheint, so war doch die vorausgehende natura-
listische Periode, die jede ausdrucksleere Bewegung ver-
schmähte, nicht ganz ohne Einfluss geblieben.
Aus den Bühnenanweisungen selbst lässt sich das wenigste
auf die Anwendung der malenden Bewegungen schliessen,
denn sie sind in den allerseltensten Fällen vom Dichter aus-
drücklich verlangt. Die äusserlichen Vortragsgesten mussten
dem Gutdünken des Schauspielers überla.sscn bleiben und
waren schlechterdings nicht zu beschreiben; dasselbe gilt in
geringerem Masse von den illustrierenden und hinweisenden
Bewegungen; und nur die Pantomime vorzuschreiben, war
Sache des Dichters. Bereits Lessing hat diese Bewegungen
ähnlich eingeteilt; nachdem er mit dem unbedeutenden
Portebras aufgeräumt hat, verspricht er bei anderer Gelegen-
heit die „Gradation von bedeutenden zu mahlerischen, von
mahlerischen zu pantomimischen Gesten, ihren Unterschied
und ihren (Gebrauch in Beyspielen zu erläutern — " ein Vor-
satz, der leider nicht mehr zur Ausführung kam. Unter Pan-
tomime scheint er dabei die körperliche Nachbildung eines Be-
griffes verstanden zu haben, denn er wünscht sie beim
Vortrag moralischer Stellen vermieden. Wir wollen hingegen
diesen Namen nur auf die stummen Bewegungen anwenden,
die das gesprochene Wort nicht begleiten, sondern ersetzen.
Die Pantomime bringt in einer Pause die Vorstellungen
und Absichten einer Person zum Ausdruck, z. B. :
Raub. I, '2: Spiegelberg (der sich die ganze Zeit über mit
den Pantomimen eines Projektmachers im Stubeneck
abgearbeitet hat, springt wild aufj.
') Goethe an W. v. Humboldt 28. Okt. 1799. W. A. IV, Bd. 14,
S. 209. Wähle, Sehr. d. Goetheges. VI, S. 142 ff.
Palaestra XXXH. 24
— 370 —
Fiesko I, 2 : (auf und ab, sich den Hof machend) .
Kab. IV, 9: Hof mar schall (tritt herein, macht dem Rücken
der Ladj-^ tausend Verbeugungen; da sie ihn nicht be-
merkt, kommt er näher, stellt sich hinter ihren Sessel,
sucht den Zipfel ihres Kleides wegzukriegen und drückt
einen Kuss darauf).
Ebenso kann zwischen mehreren Personen ein stummes
Gespräch hin und hergehen, das mit Blicken, Winken und
Andeutungen Frage und Antwort vermittelt, z. B. :
Carlos 4855 : sie geben sich untereinander verlegene Winke,
W. T. 3778a: Gordon (ohne zu antworten, weist mit der Hand
nach hinten).
M. St. 2469 a: Giebt der Amme ein Zeichen, sich auf ihren Posten
zu begeben.
3449 a: Faulet überliefert der Amme ein Schmuckkästchen nebst
einem Papier, und bedeutet ihr durch Zeichen, dass es
ein Verzeichniss der gebrachten Dinge enthalte.
Braut V. M. 2512: Beatrice (zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den
Leichnam).
Teil 2805: Gessler giebt Zeichen mit der Hand, die er mit Heftig-
keit wiederholt, da sie nicht gleich verstanden werden.
Den Übergang vom stummen Spiel zu den Bewegungen,
die das Wort begleiten, bilden die ergänzenden Gebärden.
Ein Satz wird abgebrochen; der Redende scheut ein allzu-
starkes Wort auszuspreclien und deutet es pantomimisch an :
Z. B. Babos „Strelitzen" II. 7:
Habt Ihr sie so geschwind — („tödten lassen?" — will er
sagen; aber er deutet es durch eine Geberde an. die simpel, edel und
deutlich seyn kann, ohne in's Lächerliche zu fallen.)
Goethes „Mitschuldige" 111,2:
(macht ihr pantomimisch das Stehlen vor) Eh!
Oder die gewagten Gesten des Mephistopheles in der
Hexenküche :
Sieh' her, das ist das Wappen, das ich führe !
(Er macht eine unanständige Geberde.)
und in dem Auftritt „A\'ald und Höhle":
Und dann die hohe Intuition' — (Mit einer Geberde)
Ich darf nicht sagen wie — zu sciilicssen.
Es mussten hier fremde Beispiele herangezogen werden,
weil die Verwendung bei Schiller äusserst selten ist: iKk-hstens
— 371 —
den Mordauftrag Giancttinos an (]on ^Fohren dai'f man dahin
rechnen :
Du kannst sie nur (auf seine Brust deutend) hieher verfehlen.
Allenfalls noch eine Stelle in der Thaliafassung- des Don
Carlos :
V. 50 f. : ich will ja wenig- —
will ja nicht mehr, als ich mit so viel Annen
unireichen kann — —
Hier feiilt die Anweisung, dass Cai-los beide Ai-me aus-
strecke; sie wäre ergänzend als nähere Bestimmung des
..so viel" und zugleich illustrierend als Nachbildung des
Wortes ,, umreichen".
Die illustrierenden oder nachbildendcnGesten sind „malend"
im eigentlichen Sinne des Wortes; hierher gehören Lessings
P.cispiele aus dem „Schauspieler"; irgend ein Begriff: rund,
bi'oit. hoch, tief wird durch die entsprechende Handbewegung
versinnlicht. In der älteren Schauspielkunst ging man so weit,
auch die körperlichen Formen konkreter Gegenstände nachzu-
bilden — das verstand vei-mutlich Lessing unter der Be-
zeichnunir pantomimisch; eine Fülle von Beispielen, die in ihrer
Geschmacklosigkeit übertrieben erscheinen, sind in den Theater-
scJii'iften gesammelt.^)
Solche P>ewegungen sind eigene Zutaten des Schauspielers
und vom Dichter fast nie vorgeschrieben; höchstens wo sie
ganz leicht und doch charakteristisch auftreten, z. B. Fiesko I, 2:
Mohr (bläst durch die Finger). Pub! Federleicht.
Wie hier das Leichte, so könnte im folgenden Falle der Be-
griff des Runden durch eine Handbewegung umschi'ieben
werden :
') Es sei nur eines erwähnt, nämlich die Schilderung, die Engel von
einem Odoardo bei den Worten: „Schütten Sie nicht Ihren Tropfen Gift
in einen P^imer I" entwirft : ,,Erst erhob er, ganz nach der Regel des
Kiecoboni, den rechten Arm, legte den Zeigefinger an den Daumen unti
senkte beyde gegen die Erde, als ob er etwas von ihnen herabfliessen liesse:
das war der Tropfen I Dann hielt er beyde Hände ziemlich weit von ein-
ander, spreizte alle Finger und schien etwas von nicht geringem Umfange
damit zu umspannen: das war der Eimer!" (Ideen zu einer Mimik 1785 II,
IG. 49.)
24*
— 372 —
Picc. V. 2163: Isolani (auf seine Korpulenz zeigend).
Ihr habt die Last auch gar zu gross gemacht.
Das Fehlen weiterei' Vorschriften beweist keinesAvei,'"s,
dass Schiller den Vortrag" seiner Stücke von diesen illustrieren-
den Gesten g'anz frei wünschte ; gerade in den späteren Stücken
bei den lang-en Schilder ungen und Berichten des schwedischen
Hauptmanns, Raouls, Stauffachers ist dieser dem Schauspieler
überlassene Schmuck beinahe unentbehrlich.^) Am meisten
vielleicht in der „Braut von Messina", wo die analytische
Technik es mit sich bringt, dass der grössere Teil des Dialoges
aus Erzählungen besteht. Hier hat Goethe seinen Schülern
einmal ein Beispiel gegeben an den Worten Manuels (v. 827 ff.):
Dazu den Mantel wählt von glänzender
Seide gewebt, in bleichem Purpur schimmernd,
Ueber der Achsel heft' ihn eine goldne
Cikade —
Man kann sich vorstellen, dass etwa die Wörter „Mantel"
und „Achsel" durch die beliebten Wellenbewegungen ausge-
malt wurden; davon spricht Goethe nicht, dagegen warnt er
den Schauspieler, bei den letzten Worten mit der Hand seine
eigene Achsel zu berühren. Dies wäre eine am verkehi'ten
') Es können auch ursprüngliche Ausdrucksbewegungen bei lebhafter
Schilderung eines Vorfalles malend reproduziert werden: so karrikiert in
„Minna von Barnhelm" (III, 4) der Wirt das Nacheilen Minnas ; vgl. auch
Wagners „Reue nach der That" I: „Sie recht ihren abscheulichen Fehl-
tritt fühlen zu lassen, lüpfte ich mich, als sie Abschied nahm — sehen
Sie — nur so ein klein wenig in meinem Armstuhl . . . .^' Dahin ge-
hört auch W. T. 3319:
' „Und wenn er mich nun mit der Pike sieht
Dastehn, mir auf den Rock sieht — sieh — so — so —
Umgekehrt können ursprünglich malende Bewegungen sich zu aus-
drückenden steigern, z. B. Fiesko II, 17, wo Verrina mit einer i)ackenden
Beschreibung von Romanos Gemälde beginnt und sich der Situation so
lebhaft hingibt, dass sein Zorn gegen die Tyrannen losbricht und seine
Wut sich schliesslich an dem Bilde selbst auslässt. Ein Beitrag zu jener
Lehre von der Rückwirkung körperlicher Bewegungen auf den Seeleiizu-
stand. Vgl. oben S. 814 f., 323 Anm. 2, ferner Goed. 1, 102. X, 82. Dessoir,
Gesch. d. neueren Psychologie S. 324 f. Wundt, Völkerpsychologie 1,1.
S. G5 f.
— 373 —
Platze an^^ewandte hinweisende Gebärde, und Goethes Mahnung
zeicrt, dass auch damit Missbrauch iretriebcn wurde.
Der Ausdruck ..hinweisend" entspricht wohl dem, was
Lessing mit ..bedeutend" sagen wollte. An Ekhofs Rolle in
Cronegks ..Olint und Sophronia" hat er ein Beispiel gegeben,
wie eine allgemeine Sentenz durch individualisiei-ende, d. h.
iiinweisende Gesten sinnlich wirksam gemacht werden kann.^)
Es handelt sich um zwei Verse, die Evander zu seinem Sohne
Olint spricht:
„Da sie zu leichtlich glaubt, irrt muntre Jugend oft,
Das Alter quält sich selbst, weil es zu wenig hofft."
Nun verlangt Lessing die erste Zeile gegen Olint hinge-
sprochen, weil seine unerfahrene Jugend diese Betrachtung
veranlasse; bei der zweiten Zeile hingegen müssen die Hände
..sich notwendig gegen die Brust ziehen, um zu bemerken,
dass Evander diesen Satz aus eigener Erfahrung habe, dass
er selbst der Alte sey, von dem er gelte." —
Woini wir die äusserlichc Unterscheidung^) machen
zwischen den hinweisenden Bewegungen, die gegen andere
Personen und Gegenstände gerichtet sind, und denen, die
das eigene Ich bezeichnen, so erscheinen die ersten haupt-
sächlich als das Korrelat zu jedem stark betonten Demon-
strativpronomen; erst durch die entschiedene Richtung des
Blicks oder durch eine Handbewegung erhält es seine Bestimmung.
1) Hamb. Dram. 4. Stück. Lachm.-Muncker IX, S. 199 f.
■) Welche Wichtigkeit man auch noch im Anfang des neunzehnten
•Jahrhunderts den hinweisenden Gesten beimass und mit welchem Forma-
lismus sie wiederum behandelt wurden, zeigt die schwerfällige Unter-
scheidung Seckendorfs zwischen der substantivischen Demonstration, die
sich auf Ort, Sache, Personen, Zeit bezieht, und der adjektivischen: .,Die
rein substantifische Demonstration hat zum Merkmal, dass die äussere
Seite des Arms die obere, folglich die innere die untere wird. Die
adjektifische Demonstration hingegen kehrt die innere Seite des Armes
und der Hand nach Oben Die substantifische Demonstration zeigt
den Singular durch den Zeige-Finger an, während sich die übrigen Finger
senken. Den Plural aber zeigt sie an durch vier Finger, mit Ausschluss
des Daumen, der gerade hier sein sehr technisches Verhältnis bewährt,"
(Vorles. üb. Dekl. u. Mimik II, S. 177 ff.)
— 374 —
An solchen „Sieh", „hier", „dieser", mit denen die Sprache
mimisch belebt und in Aktion umgesetzt wird^), ist der Dialog
der Schillerschen Jugendstücke ausserordentlich reich; das
stärkste Beispiel findet sich im Fiesko, avo einmal drei ver-
schiedene Demonstrationen gehäuft sind:
IV, 13 : Diese verdient meinen ganzen Zorn, denn sie liat diesem
Engel dieses Pulver gemischt.
Es ist bereits oben^) darauf aufmerksam gemacht, wie
viele Requisiten überhaupt nur durch solche Hinweise einge-
führt sind, und wie manche Missverständnisse dadurch hervor-
gerufen werden konnten. Andererseits haben bedeutende Schau-
spieler auch feinere Nuancen anzubringen gewusst; z. B machte
Flecks Wallenstein grossen Eindruck, als er bei den Worten :
Ich hatte, was ihm Freyheit schaffen konnte
den Kommandostab ergriff.^)
In Fällen, wo der Hinweis nicht ohne Aveiteres verständ-
lich ist, hat ihn bereits Schiller direkt verlangt:
Raub. (Bühnenb.) Y, 6 : So lohnte dir dein begünstigter Sohn! (auf den
Thurm zeigend)
Fiesko 111,4: Ich habe neulich einen Gelüst nach euerm Kopf
gehabt, (indem er auf den Brief deut<?t) Hier
war er wieder —
Kab. 11,2: Präsident (seinen Orden entblössend). Legt Hand
an im Namen des Herzogs.
IV, 3: Ich will jneinen Finderlohn haben, (hier zeigt er
ihm die Pistolen.)
Picc. V. 148: (indem er sich vor ihn hinstellt und seinen Anzug
mustert)
Es ist noch lang nicht alles Gold gemünzt.
Jgfr. z. 4887 : Ich bin befreit — Ich bins um diesen Preis I
(zeigt auf Johanna.)
Natürlich braucht nicht jedes Demonstrativum duivli eine
HandbcAvegung Nachhilfe zu erhalten; oft könnte das nur
geschmacklos wirken, z. 1>. Carlos 1G46:
Weiss dieser Kopf, was dieses Herz beschwert?
') Minor I, 351.
-) Vgl. S. 286 f., 344.
■') Genast II, 184 f. Minder glücklich war eine Nuance Ifflands. der bei
den Worten: „Es braucht der Waffen nicht" (W. T. 22G6 das Schwert
zog und von sich schleuderte (Briefe üb. Ifflands Spiel in Leipzig zu Ende
des Junius 1804. S. 124).
— 375 —
Indessen masr zu jener Zeit so manche Darstellerin der
Eboli erst auf des Prinzen Kopf und dann auf seine Brust
«gewiesen haben, und die Tlindcutung- auf das Herz lag vielleicht
sogar in des Dichters Absicht.
Diese liewcgunir, die uns heute iilump vorkommt, war im
aclitzehntcn .Jahrhundert autfallend beliebt, besonders in der
verstärkten Form des Handauflegens:
Goethe, Gottfr. v. Berl. V, (5: Adelheid. Ich würde nicht schöner ruhen
als hier. (Sie legt ihre Hand auf seine Brust;
er küsst sie.)
Kotzebue, Kind d. Licltp Iir,4: Amalia: Haben Sie mir nicht oft gesagt,
nur das Herz adelt? (Sie legt ihm die Hand
aufs Herz.) 0 wahrlich! ich werde einen
Edelmann heirathen.
.Vus diesem allgemeinen Gebrauch erklären sich auch die
folgenden, etwas roh anmutenden Anweisungen »Schillers :
Käub. 1,3: (ihr auf die Brust klopfend.) Hier, hier
herrschte Karl wie ein Gott in seinem
Tempel . .
Kab. IV, 7: (Louise folgt ihr und hält ihr die Hand
vor den Busen) Hat dieses Herz auch die
lachende Gestalt Ihres Standes?
Die cmpliiidsame Zeit, die ihi' Herz kokett zur Schau trug,
liebte jede Regung durch ein Hindeuten auf den Sitz der
Gefühle zu begleiten; der Hinweis auf die eigene Brust ist
daher nicht minder häutig; bei Itfland und Kotzebue^) bc-
') Auch wenn von einer anwesenden dritten Person die Rede war,
wurde auf sie gedeutet; hierfür bietet eine Stelle im Hamburger Manuskript
des .,Neffen als Onkel" (11,2) ein hübsches Beispiel. Valcour spricht von
seinem Freunde Dorsigny, den er anwesend glaubt. Da er aber nicht
merken darf, dass dieser sich inzwischen entfernt hat, heisst es;
„. . . wo ich so glücklich war, Ihrem Herrn Bruder hier (zeigt
mit der Hand ohne sich umzusehen) einen wesentlichen Dienst zu
erzeigen."
0 Iffland, Alhr. V. Thurneisen I, 5: Ich fühle so hier (auf das' Herz
deutend) auch wohl, wie dem Vater
zu Muthe seyn muss.
II, 3 : Er sagt so wenig von dem, was
hier vorgeht, (aufs Herz deutend.)
— 376 —
gegnet uns diese rührende Bewegung" immer wieder, aber wir
finden sie auch bereits beim jungen Goethe:
Gottfr. V. Berl. IV, 6: Franz (vor sich auf die Brust deutend.) Hier ists
noch wärmer.
Bei Schiller ist sie einmal durch den heftigen Affekt
motiviert:
Raub. V, 1: Ich kann nicht beten — hier hier! (Auf Brust
und Stirn schlagend) Alles so öd — so verdorret,
aber ein anderes Mal ist die Geste ganz leer und kon-
ventionell :
Carlos (Thal.) V. 2756 ff.: ewger Abschied
von dieser Wollust ist der Preiss.
(Die Hand auf die Brust gelegt.)
Der Preiss
ist meine Unschuld . , . meine Tugend.
Hier spiegelt sich die damalige Schauspielergewohnheit,
bei der Erwähnung nicht nur des Herzens, sondern jedes
Gefühls und jeder innerlichen Eigenschaft, sei es Liebe, Dank-
barkeit, Tugend, Unschuld, mit der Hand die Brust zu be-
rühren^). Dies zeigt auch in Ifflands Almanach 1807 ein
Kotzebue, Kind d. Liebe II, 6: Ich würde auch nicht fragen, wie heisst der
Mann? sondern (aufs Herz deutend) vvie ists
hier mit dem Mann beschaffen?
Gustav Wasa 1,4: (aufs Herz deutend) Hier lebt er!
1,5: Bqhn. Ich dachte
Ihr schriebt den Namen auf ein Täfelchen.
Gustav (aufsein Herz deutend) Hier steht er.
Übrigens suchte man diese äusserliche Geste auch als Reflexbe-
wegung phj'siologisch zu motivieren. Göz in seinen illustrierten An-
weisungen zu Lenanio u. Blandiiie schreibt: „Sie hat eine ihrer Hände an
ihr pochendes Herz sinken lassen, nicht so ser um den Sinn des Wortes
Mich! zu begleiten, sondern vilmehr in der Absicht um, durch den
natürlichen Instinkt angetrieben, mit dem Händedruck die heftigem Herz-
schläge zu dämpfen. (Versuch e. zahlr. Folge leiden.schaftl. Entwürfe für
empfinds. Kunst- u. Schauspiel-Freunde. Augsburg 1783, S. 1-15.)
') In Knigges „Reise nach Braunschweig" (2. Aufl. Hannover 17i»4
8. 30) gibt ein Schmierendirektor auf der Probe folgende Weisung:
„Wenn du mein Gewissen sagst, musst du den Zeigefinger auf die
Herzgrube legen, al)er nicht zu tief, sonst zeigt es den Magen an. Ich
weiss nicht, Ihr Leute habt noch immer keinen Begriff von ächter Gestiku-
lation."
— 377 —
Bild der Berliner Schauspielerin Mad. Fleck als Thekia in
,,Wallensteins Tod"; bei dem Verse:
„Mein erst Enipfiiiden war des Himmels (llück''
legt sie gleichfalls die rechte Hand aufs Herz und blickt auf-
wärts zum Himmel.
Ein anderes Bild aus .,Wallenstcin", das 1803 erschien
und, ohne auf eine bestimmte Aufführung zurückzugehen, doch
in Zusammenhang mit dem schauspielerischen Stil steht ^),
zeigt den Auftritt zwischen Octavio und Max (Picc. V, 1):
die Worte (v. 2505)
Ist (las Kommando mir gegeben
begleitet Octavio wiederum, indem er auf seine Brust deutet.
Dass in Weimar das Hinweisen auf die eigene Person
nur bei besonderem Nachdruck zugelassen war, davon unter-
richtet uns ein Paragraph von Goethes Regchi :
„Die mahlende (iebärde mit der Hand gegen die Brust,
sein eigenes Ich zu bezeichnen, geschehe so selten als nur immer
möglich, und nur dann, wenn es der Sinn unbedingt fordert,
als z. J>. in folgender Stelle der Braut von Messina:
Ich — habe keinen Hass mehr mitgebracht,
Kaum weiss ich noch, warum wir blutig stritten.
Hier kann das erste Ich füglich mit der mahlenden Gebärde"
durch Bewegung der Hand gegen die Brust bezeichnet werden."
Der heutige Geschmack würde den liinweisenden Gestus
nicht für unbedingt erforderlich halten; dass er indessen vom
Dichter gewünscht wurde, scheint der Gedankenstrich auszu-
drücken. Wenn man sich die grosse Bedeutung der malenden Be-
wegungen in der Schauspielkunst des achtzehnten .lalirhunderts
vergegenwäi'tigt, dann ist zu verstehen, dass Schiller auch
hierin vom Zeitgeschmack nicht ganz unabhängig sein konnte.
') Taschenbuch auf das Jahr 1804. Es ist nach einer Zeichnung von
Wächter durch Lips gestochen. Vgl. Briefw. zw. Schiller u. Cotta, hsg-
V. Vollmer. S. 3ü7. 410.
— 378 —
6. Ausdruck der Affekte.
Das Problem des Zusammenhaiiirs zAvischen der seelischen
Empfinduni;- und ihren körperlichen Ausdrucksfoi-men hat
bereits den jungen iSchiller in seiner zweiten Dissertation')
beschäftigt und dort zur Formulierung folgenden Satzes ge-
führt: .j.Teder Affekt iiat seine specitiken Äusserungen, und
so zu sagen, seinen eigenthümlichen Dialekt, an dem man ihn
kennt".
Eine Unterordnung der mannigfaltigsten Erscheinungsformen
unter gemeinsame Grundgesetze liegt im Interesse des Physio-
logen — den beobachtenden Poeten hingegen müssen inner-
halb dieser Grammatik der Gebärdensprache Aveniger die
Grundregeln als vielmehr die Mannigfaltigkeiten und feinsten
Nuancen interessieren ; statt der gesetzmässigen Vereinfachung
kommt es für ihn auf die Besonderheit an, in der sich der
einzelne Charakter als Individuum kundgibt. Aber derselbe
Dichter, der an seinen Figuren diese individuelle Mimik sorg-
fältig herausgearbeitet hat. muss darauf Verzicht leisten, so-
bald er die Charaktere auf die Bühne stellt; dort ist er nicht
mehr der erklärende und vermittelnde Dolmetsch; seine Figuren
treten selbständig vor das grosse Publikum hin, und dies
hat keine Zeit, sich mit P^igenheiten ihres Ausdrucks vertraut
zu machen; es ist in derselben Lage wie der Beschauer eines
Gemäldes; es kann nur auf das Allgemeingültige eingehen,
dessen Bedeutung ihm sofort klar ist. Auf dem Theater also
gilt, wenn man so sagen dai'f, eine normierte Bühnensprache
auch in den Gebärden.
I Jlieraus erklärt es sich, dass der Roman in gewissem
Sinne schauspielerischer, reicher an mimischen Ausdrucks-
m()gl ich keifen ist als das Drama"). Dieser Unterschied zwischen
beiden Dichtungsgattungen lässt sich am besten an Goethe
beobachten: wähi-end in seinen Dramen, namentlich in denen
der späteren Zeil, Spuren individualisierender Mimik selten
») Goed. I, 16».
-) 0. Ludwig, Werke hse. v. A. Stern n. E. Schmidt. Bd. VI,
S. ü7.
— 379 —
sind, nimmt in der erzählenden Dichtiinir die Vorliebe für die
Beobachtung- charakteristischer Ausdrucksformen zu'). So
wird in „Dichtung" und Wahrheit" mit der allgemeinen Be-
trachtung-, dass sich in einer eng- zusammengeschlossenen Ge-
sellschaft eine eig-ene Gebärdensprache, eine Art Gauneridiom,
herausbilden könne, die eig-enartig-e Angewohnheit Lilis, das
.,Streichen" eingeleitet; Mignon im „Wilhelm Meister" liat
ihre besondere Art von Gruss, und in der pädagogischen
Provinz sind sogar verschiedene Abstufungen von symbolischen
Grussformen erfunden; zur höchsten Wirkung aber gelanget
dies Motiv in den „Wahlverwandtschaften" mit Ottiliens
cigenartig-er ablehnender Geste, die zunächst vom Geiiilfen in
einem Hrief ganz beiläufig erwähnt und nun aufgespart wird
für das entscheidende Zusammentreffen mit Eduard im ^^'irts-
haus. (2. Teil. Kaj). KJ).
Jedesmal gehört eine vorausgehende oder nachfolgende
p]rläuterung des Dichters dazu"), und darin beruht eben die
Schwierigkeit, solche individuelle Gesten im Drama anzu-
bringen. Vereinzelt kommen sie auch da voi". namentlich
wenn noch ein bestinuntei- Nebenzweck damit verbunden ist,
wie in Lessings „Nathan" beim Tempelherrn, dessen Familien-
ähnlichkeit sich in einer ci'erbten (iewohnlieitsbewegung kund-
gibt. Eine ziemlich überflüssig-e Verwendung hat ilies Motiv
in den „Räubern" gefunden : Razmann beschreibt TI, 3, wie
sich der höchste (irad des Zornes beim Hauptmann zu äussern
pflegt :
„ich sah ihn die Unterlippe zwischen die Zähne Ivlemnien,
welches er nur thut, wenn or am grimmigsten ist — "
') Riemann, Goethes Komantechnik S. 226. 264. 270.
■) Der eigenartige Ausdruck einzelner Personen wurde namentlich im
englischen Roman beobachtet. Als z. B. im „Tristram Shandy" der Onkel
zum ersten Male einige Takte aus se'nem Regimentsmarsche pfeift, muss
Sterne dies erklären: „Sie müssen wLssen, dies war der gewöhnliche Canal,
wodurch er seinem Atlect Luft gab, wenn ihn etwas ärgerte oder über-
raschte; besonders aber, wenn ihm etwas gesagt wurde, das er für sehr
ungereimt hielt." (Bodes Übers. 2. Aufl. 1776 I, 41). Mit dieser Er-
läuterung ist das Zeichen für den weiteren Verlauf des Romanes in Kurs
gesetzt.
— 380 —
und er bereitet dadurch den Auftritt mit dem Pater vor, avo
diese Bewehrung" in der Tat an Karl Moor beobachtet wird:
„Hauptmann I — Sturm! Wetter und Hölle! — Hauptmann! —
wie er die Unter-Lippe zwischen die Zähne klemmt!''
Aber weder ist die Beweg^ung so ausserordentlich, dass sie
besonders hervorgehoben zu werden verdiente, noch ist die
Gelegenheit, wo sie eintritt, ein so wichtiger Höhepunkt, dass
sie die A^orbereitung rechtfertigte.
In dem Streben nach möglichster Mannigfaltigkeit und
Individualisierung') der symptomatischen mimischen Angaben,
das dei- junge Dramatiker Schiller mit den Romandichtern
gemein hat"), liegt ein gewisser Gegensatz zur physiologischen
Schematisierung, der sich noch steigert, wenn -vvir den Auf-
satz „lieber das gegenwärtige teutsclie Theater" betrachten.
Dort ist mit wahi-er Verachtung von den Schauspielern
gesprochen, die tatsächlich „für jedes Genus von Leiden-
schaft eine aparte Leibesbewegung" in Bereitschaft haben —
für den Stolz das Kopfdrehen und Anstemmen des Ellen-
bogens, für den Zorn die geballte Faust und das Knirschen
der Zähne, für die Traurigkeit die Benutzung des weissge-
waschenen Schnupftuchs^).
Wenn nun in den späteren Stücken die Spielvorschriften
nicht mehr so ins Einzelne gehen und dem Schauspiele)' die
Wahl seiner Ausdrucksmittel wieder freigelassen wird, so liegt
darin keineswegs eine Entfernung vom Theater, sondern im
Gegenteil eher eine Rücksicht auf die Aufführung. Die Ab-
') Bei den späteren Stücken dürfen wir eher von einer Individuali-
sierung in den Afiekten sprechen, die mit der symbolischen, repräsentativen
Bedeutung der einzelnen Personen zusammenhängt. Wir sehen z. B.,
während die Personen der .lugendstücke auf allen Registern spielen, im
Wallenstein die Wut lediglich auf Illo beschränkt.
') Die romanhaft genauen Anweisungen finden wir wieder im natura-
listischen Drama des neunzehnten Jahrhunderts, z. B. in Hauptmanns ..Vor
Sonnenaufgang". Auch dort sind sie durch den engen Zusammenhang mit
dem naturalistischen Heobachtungsroman erklärt.
•') Goed. II, 34G f.
— 381 —
nähme der symptomatischen Vorschriften bedeutet in erster
Linie eine Ausscheidung' romanhafter Elemente, (Ue der
Dramatiker nur so lange übernimmt, als er direkt zum Publi-
kum zu sprechen glaubt und sich auf die Vermittlcri'olle des
Schauspielers nicht verlässt. In den späteren Stücken Schillers
ist dagegen dem Schauspieler gegeben, was des Schauspielers
ist; die Spielanweisungen .schreiben meistens nui- noch den
psychologischen Inhalt des Affektes vor, zum Teil freilich in
einer Art, die die Mitte hält zwischen dei- symptomatischen
und der ganz allgemeinen Form'). Es wird von bestimmton
Zeichen des Affektes gesprochen, ohne dass diese beschrieben
werden, z. B. :
Picc. 276 a: mit Zeichen des Erstaunens
W. T. 1739: Terzky und lUo zeigen Schrecken und Wuth
3678: dann drückt er durch Gebärden seinen Schmerz aus
M. St. 386 b: Die Amme entfernt sich mit Zeichen der Verwunderung
Jgfr. 700 : Dunois macht eine heftige Bewegung des Zorns
Braut 2195 a: zum Chor, der Bestürzung und Verlegenheit ausdrückt,
Teil 1889 b: Alle geben Zeichen des Schreckens.
Diese Form der Anweisungen setzt jene obenei-wähnte
allgemeingültige Gebärdensprache voraus, in der sich Dichtei-,
Schauspieler und Publikum untereinander verstehen. Sie hat
ihre Geschichte. Avie jede Sprache: vielleicht entwickelt und
verändert sie sich sogar noch schneller, und es ist leicht
möglich, dass uns die Gebärdensprache des achtzehnten Jahr-
hunderts heute fremder vorkommt als die Schriftsprache.
Schillers mimischer Ausdruck dai-f infolgedessen nur in Zu-
sammenhang mit dem der Zeitgenossen und der damaligen
Schauspielkunst betrachtet werden.
Die romanhaften Anweisungen sind oftmals theatralisch
überhaupt unausführbar; vor allem gilt dies von den unwill-
kürlichen physiologischen Gebärden, wie Engel sie bezeichnet,
der Träne des Kummers, dem Erblassen der Angst, dem Er-
röten der Scham: ,,Da man nichts Unmögliches fordern kann,
so erlässt man dem Schauspieler jene unfreiwilligen \'er-
•) Vgl. oben S. 321 f.
— 382 —
änderungcn g^erne, und ist zufrieden, wenn er nur die frei-
Avillig-en getreu, aber mit Bescheidenheit nachahmt.'")
Tränen. Die unfreiwilligen Tränen können durch eine
freiwillige Bew^egung, nämlich das Verbergen des Antlitzes
im Schnupftuch, ersetzt werden; so hat z. B. Lessing regel-
mässig die Vorschrift des Augenwischens, und ebenso finden
wir bei Schiller, zumal in den früheren Stücken'), häufig die
mechanischen Anweisungen
er wischt sich die Augen,
ihre Thränen trocknend.
In ,, Maria Stuart" (v. 1528 a) ist eine wirklich geheuchelte
Empfindung auf diese Weise angedeutet; sonst handelt
es sich meist um schwächere Grade des Schmerzes oder der
Rührung, während bei starken Ausbrüchen das Wort „weinen"
nicht umgangen wird.
In der Prosabearbeitung des Don Carlos lässt sich dagegen
die Absicht, bühnenmässigzu sein, erkennen, w^enn die Vorschrift:
Die Marquisin trocknet sich die Augen
eingetreten ist statt :
Die Marquisin tritt mit weinenden Augen zurück (v. 827b).
In zwei anderen Fällen setzt die Prosafassung aus der-
selben Absicht heraus die innere Bewegung an Stelle ihrer
Erscheinungsform; es heisst:
gerührt sehen sicli beide an
schmerzhaft
statt :
Thränen stürzen aus seinen Augen (v. 3360)
unter hervorstürzenden Thränen (v. 4200).
') J. J. Engel, Ideen zu einer Mimik. 2. Aufl. 1804. I, S. 116.
In der Abhandlung „Vom Erhabenen" (Goed. X. 157 f.) sondert
auch Schiller die Bewegungen, die vom Willen des Menschen abhängen
und die, die „ihm bloss als Thier angehören und als solche bloss dem
Naturgesetz folgen. . . . Der Instinkt erzeugt sie unmittelbar, und blind
gehorchen sie seinen Gesetzen. Dahin gehören z. B. die Werkzeuge des
Blutuiiilaufs, des Atheniholens, und die ganze Oberfläche der Haut.""
-') Raul). 111,2 IV, 2. Fiesko V, 13. Kab. 11,2. V, 3. (Goed. 11,
S. 11!>, 131. III, S. 152. 393. 487.) Carlos (Thalia) v. 2159. Picc.
V. 674. Auf dieselbe Weise wird der Ausbruch des Angstschweisses ange-
deutet: Kab. IV, 3: wischt sich die Stirn.
— 383 —
An Stelle der kleinlichen Bewef^un? des Au^renwiscliens.
die Ja mit Cioethes Verbot des Sclinupftuclies^) in Weimar
weytiel, treten später einfachere Ausdrueksformen-) von grösserer
Wucht und Eindring-lichkeit, z. B.
Teil 3195 b: verhüllt sich das Gesicht.
Abwenden, Verbergen oder Verhüllen des Gesichtes ist in den
späteren Dramen der regelmässige Ausdruck des Schmerzes.
Indirekt werden Tränen häutig, auch später noch, voi'ge-
schrieben^); doch könnte man dcii Ausdruck manchmal für
bildlich halten, z. 1>. :
Kai). II, 3 (Goeil. III, 404): Das Gewicht <iieser Thräneu nmsst du noch
fühlen.
Carlos V. 2S5() f: Warmen Dank
Für diese g-rossmuthvolle Thräne, I'rinz.
Es hat aber sicherlich Schauspielei- gegeben, die auch
bei solchen Stellen das Taschentuch an die Augen führten,
und es gab Dramatiker, die es bei solchen CTelegenheiteu
wirklich verlangt hätten. Aus der empfindsamen Periode
lebte im bürgerlichen Drama die Träne der Rührung fort, und
noch im Anfang des neunzehnten Jahi'hunderts klagte der
Schau.spieler Fr. Ludw. Schmidt, dass die \'oi'schiift zum
Weinen oft allzu leichthin üeijeben Avürde."*) In den Siebziger-
') Vgl. oben S. 283.
') In der Jungfrau v. Orl. treten diese mechanischen Anweisungen
mit den erzählenden verbunden auf:
13G1. König verbirgt das Gesicht heftig weinend
1435. Agnes Sorel heftig weinend verbirgt ihr Gesicht an des
Königs Brust.
^) Z. B. iiäub. 1,3: Liebstes Kind, du weinest? wehe über den, der
diese kö.stliche Tropfen aus so himndischen
Augen presst —
Fiesko 11,4: Meine Frau war hier. . . . Dieses Schnupftuch
ist feucht.
Menschenfeind 8: .Ta, wenn du weinen niusst, so hast du keine
Zeit, mich zu hören.
Braut V. 1(1.34: Sieh meine Thränen! Meine Todesangst!
••) Fr. L. Schmidt, Dramaturg. Aphorismen It, 42. Stiehler, Theat.
Foisrh. XVT. S. l;!n (F. Alle Sympttinie dfi- ivührung sind in einer .\n-
— 384 —
Jahren hatte die Empfindsamkeit, die die grossmuts volle Träne
als eine Wollust pries, ihren Höhepunkt; in ihren Yorstellung-en
wuchs Schiller auf, wie wir aus dem phrasenhaften Schluss
der zweiten Tug-endrede^j erkennen:
Eine einzige fallende Träne der Wonne, Franziska, eine Einzige
gleich einer Welt — Franziska verdient sie zu weinen!
Sog-ar Don Carlos noch rühmt „des Weinens süsse Freuden"
seinem rauhen Yater gegenüber:
1079 ff. : Die ewige
Beglaubigung der Menschheit sind ja Thränen,
Sein Aug ist trocken, ihn gebar kein Weib.
Philipp bleibt unbewegt; um so eindrucksvoller wirkt
dann im vierten Akt (v. 4465 ff.) die unglaubliche Nachricht :
Der König hat geweint.
Der Anblick des Weinenden wird uns erspart, während im
Fiesko (Y, 16) Yerrina auf der Bühne Tränen vergiesst;
waren doch die ersten Zähren des rauhen Kriegers ein Lieb-
lingsmotiv des Ritterdi'amas.
Dass ein Darsteller in seiner Rolle zu wirklichen Tränen
hingerissen wurde (vgl. Hamlet II, 2), galt in späterer Zeit
als Fehler, während in der Mitte des achtzehnten Jahi-hunderts
noch vielfach jener antike Schauspieler rühmlich zitiert wui'dc,
der den Aschenkrug seines eigenen Sohnes in die Hand
nahm. u.m echte Tränen zu finden.
Y a s 0 m 0 1 0 r i s c h e S y m p t o m c. Ein ähnliches Beispiel ,
das sicli in den dramaturgischen Schriften wiederholt, ist die
Leistung des Franzosen ]5aron, der es fertig brachte, in seiner
Rolle, erkennbar für das Publikum, zu erröten und zu er-
blassen. Dieser Ruhm stachelte zur Nacheiferung an, und so
wurde es aucii an dem Mannheimer Boek gepriesen, dass er
die Farbe seines Gesichtes wie Augen und Hände in seiner
Gewalt zu haben scheine'^).
Weisung Kotzebues im „Gustav AVasa" (1,10) vereinigt:
Banner (erwidert Gustavs Umarmung mit Heftigkeit, wischt sich
eine Thräne aus den Augen, drückt dem Burgmeister stumm
die Hand, und geht rasch fort).
') Goed. 1, 102.
■) Rhein. Beitr. z. Gelehrsamk. 1780. S. 266. Vgl. übrigens die
Behandlung dieser Frage im „Geisterseher" (Goed. IV, S. 258).
— 385 —
Tiulesseii rechneten hühnenerfahrenc Di-amatiker mit der
Unmriiilichkeit dieser Aiifirabc; so maclit z. B. Gro.ssmann in
„Nicht mehr als sechs Schüssehi" zu der Vorschrift .,errötend"
die kui'iose Anmerkung-:
„Ich weiss wohl, dass das Erroethen und Erblassen wegen des
einmal aufgelegten Carmins nicht wohl zu niachem ist ; auch soll es
der Schauspieler nicht machen, sondern der Zuschauer soll es nur
sehen, dessen Sache es ist: nicht zu sehen und doch zu glauben.
Und im folgenden Auftritt ruft er aus:
Carniin ! lass doch zu, ilass der Ijieutenant hier blass werden könne.
In 8cliillci's Ju£renddi'amen sind Erröten und besonders
das Erblassen häutii,'- vorgeschrieben, namentlich in „Kabale
und Liebe":
ir, 3: Lady (wendet sich bleich von ihm weg).
11,4: Louise (setzt sich todtenbleich nieder),
n, n: Präsident (vor Wuth blass I.
Zum letztenmal tiitt die dii'ekte Vorschrift in „Maria Stuart"
auf, dort bereits in übertragenem Sinn :
2421a: Maria (vor Zorn glühend, doch mit einer edeln Würde).
N'orher schon beobachten wir an mehreren Beispielen^),
wie solche direkte Anweisungen in den Bühnenbearbeitungen,
wenn auch nicht konsequent, beseitigt werden. Die indirekten
') So in den „Räubern", wo aus „blass" im Trauerspiel „erschrocken"
wird (Goed. IL S. 13(), 13. 288, 9j; mehrmals im „Fiesko":
j Druck 111,10: Julia (wird roth, und geht schleunig
I ins Kabinet).
l Bühnenb. III, 9: Julia (geht schleunig ins Kabinet).
j Druck IV, 7: (alle Nobili erblassen. Fiesko selbst ver-
1 ändert die Farbe).
I Uühnenb. IV, 4: (SchreckvoUe Pause).
j Druck IV, 13 : (da sie sich entfärbt, lacht er hämisch auf).
I Bühnenb. IV, 10: (er hält inne, um ihre Bestürzung zu
I sehen).
Im Don Carlos heisst es nur in einem Prosamanuskript (Bs) bei Posas
letztem Auftritt mit der Königin :
(noch ganz ausser sich, blass wie ein Todter, mit zerstörtem Gesicht,
zitternd an allen Gliedern);
in zwei andern (Ba und Bd) dagegen :
(noch ausser sich, zitternd an allen Gliedern).
Palaestra XXXU. 25
— 386 —
Ang^aben dagegen bleiben äusserst liäufig^). und zwar wii-d
das Erröten manchmal von den Personen selbst gefühlt und
bekannt^), wälirend das Erblassen ausschliesslich von anderen
beobachtet wird. Die damit verbundene Frage nach dem
Befinden Avar, Avie R. M. Wei-ner^) gezeigt hat, eine typische
Formel, um zwei Personen ins Gespräch zu bringen; dahin
gehören also bei Schiller:
Raub. I, 1 : Aber ist euch auch wohl, Vater? Ihr seht so blass.
Kab. I, 4: Du bist blass, Ijouise?
Dabei war in der Elxposition die Frage nach dem Grund
des veränderten Aussehens ein geschickter Anstoss zur Er-
zählung vorausgegangener Geschehnisse, z. B.
Carlos 148 f. : Ein unnatürlich Roth
Entzündet sich auf Ihren blassen Wangen
Und Ihre Lippen zittern fieberhaft.
Was muss ich glauben, theurer Prinz?
Das Erröten ist nicht nur ein Kennzeichen der Scham
und Verlegenheit, sondei-n allen erregenden Affekten gemein-
sam, ebenso Avie das Erbleichen als Intensitätssymptom aller
') Vgl. oben S. 342.
') Fiesko IV, 12: „Wäre die Nacht nicht so dichte, du würdest meine
flamnirothe Wangen sehen".
Carlos V. 22Gf. : „0 stille, Prinz, von diesen kindischen
Geschichten, die mich jetzt noch schamroth machen.'"
(Thalia) v. 2575 f.: ,Ja, liebes Mädchen, roth
Musst du mich wenlen lassen."
t Jgfr. 2894 f.: .... Was meine Wangen färbte
War die Verwirrung nicht der blöden Scham."
Vgl. auch Phädra 199, wo Schiller Racines:
„Oenone, la rougeur me couvre le visage"
in der Übersetzung belebte:
„Fühl her, wie meine Wange glüht, Oenone."
■') Ph. L. Hahn. (^u. u. Forsch. XXII, S. 108 tf.
An „Kabale und Ijiebe" werden wir besonders in Wagners „Reue
nach der That" erinnert:
Langen (Kommt und stutzt) Himmel ! Sie weinen:
mein Rickchen weint! und warum?
— 387 —
hemmenden Aifekte auftritt. Eci starken Gemütsbewegungen
wechselt beides ab, z. ß. :
( (unter merkbarem Herzklopfen)
Kab. II, 3 : | (-gjjtfärbt sich und zittert)
Carlos 1265 b.: Xarlos fängt an heftig zu zittern und wechselsweise
zu erblassen und zu erröthen.
Zum Erröten gesellt sich das Herzklopfen, während das
Erbleichen von Zittern begleitet wird, das sich bis zur Ohn-
macht steigern kann:
Kab. I, 7: (schneeblass und zitternd).
V, 2: (sinkt leichenblass nieder).
Jgfr. 3381 f. : Was ist der Jungfrau ? Sie erbleicht, sie sinkt.
(Johanna schwindelt und will sinken.)
Das Herzklopfen ist für den Schauspieler anzudeuten, indem
er entweder an die Stelle des Herzens fasst, um dessen Schlag
zu beschwichtigen:
Jgfr. 3956: (Johanna fährt mit der Hand nach der Brust)
oder durch heftigeres Atmen:
Kab. II. 5: 0 lass mich Athem schöpfen an dieser Brust.
III, 5. Wie wird mir? Warum geht mein Odem so ängstlich.
Dieses Ringen nach Atem, das die physiologische Be-
dingung des Seufzers ist, kann sich in starker Beklemmung
bis zu dem Rufe Clavigos und Gretchens: „Luft! Luft!"
steigern; für alle Stürmer und Dränger ist dieser Ausdruck
einer starken Erregung besonders bezeichnend').
Xun sind die Tnnervationsveränderungen nicht eigentlich der
charakteristische Ausdruck für einen bestimmten Atfekt; sie
beginnen unerkennbar bereits bei der leisesten inneren Regung,
noch ehe die sichtbaren Ausdrucksbewegungen einsetzen; ver-
stärkt treten sie dann als deren Begleiterscheinungen auf.
Sogar das Erröten ist so wenig das einzige Kennzeichen der
Scham, dass Engel^j mit Aristoteles sagen konnte: „Die
Scham ist im Auge." Das Erbleichen wiederum unterstützt
nur den Gesichtsausdruck des Schreckens : beide verbinden
') Müller. Golo u. Genov. III, 8 : A d o 1 f. 0, Luft ! (Reisst den Wams auf. )
Wagner, Kindermörderin VI: Humbrecht ireisst sich die Westenknöpf
alle auf;. Die ganze Welt wird mir zu
enge! (tief Athem holend.) Puuh!
') Ideen zu einer Mimik I, 2S5.
25*
— 388 —
sich auch in der Sprache, wie wir gerade an den kühnen
Bildern Schillers beobachten können:
Der schreckenbleiche Mund (Kraniche des Ibykus).
Dein todtenblasser Blick (Carlos 355).
Ausdruck des Blickes. Der Glanz der Augen^) ge-
hört noch mit zu den eben besprochenen Ausdruckserscheinungen
des Blutumlaufs; er tritt bei erregenden Aifckten zusammen
mit der Röte der Wangen auf:
Braut 548 f. : Von hoher Röthe Glut seh ich die Wang-en
Des Bruders glänzen, und sein Auge blitzt;
wähi-end die Mattigkeit des Auges den deprimierenden Affekt
begleitet:
Carlos 4113: (im Vorübergehen lässt er einen matten, sterbenden
Blick auf den Marquis fallen.)
Drei Faktoren sind es hauptsächlich, durch die der Aus-
druck des Auges zu stände kommt: die Richtung, die Schnellig-
keit, die Energie des Blickes.
Die Spannung der Augapfelmuskeln zeigt den Grad der
Aufmerksamkeit an: von der schlaffen Selbstvergessenheit der
bewundernden Hingabe') steigert sich die Festigkeit über den
prüfenden, forschenden, argwöhnischen Blick der Beobachtung
hinaus bis zum starren Ausdruck des durchbohrenden Hasses,
der vernichtenden Wut, des Entsetzens, ja bis zur Erschöpfung,
die wieder das Bewusstsein eines Zieles verliert und ins
Leere starrt^).
') Piderit, Mimik u. Physiognomik. 2. Aufl. S. 77 f.
■) Raub. III, 2: Moor (in den Anblick verschwimmt).
Kab. II, 3: (Pause, worinn sie ihn schmelzend ansieht).
V, 7: mit trunkenem Aug auf ihrem Anblick verweilend.
Ferner Carlos 3271, Pico. 721 b., Braut 507 b.
') Fiesko II, 3: (sieht ihr betäubt nach.)
V, 13: (den stieren Blick in einen Winkel geheftet.)
Kab. IV, 4: (die Augen grass in einen Winkel geworfen.)
V^ 1: (schaut lange mit einem schmerzlichen starren Blik
vor sich hinaus.)
V, 7: (Er steht auf der andern Seite und sieht starr vor
sich hinaus.)
Ferner Carlos 3979. W. T. llHOa, 3421b.
— 389 —
Auch kommt es auf die Stelluna' der Personen zu ein-
ander an') und darauf, ob die Beobachtung- eine einseitige ist
oder ob beide sich ins Auge sehen. Die vorsichtige Pinifung,
(He noch unsicher ist, will unbemerkt sein; dei' Beobachtende
bleibt doshalb abseits oder er begibt sich sogar zu seinem
Zwecke in weitere Entfernung-); er lässt. ohne dem Objekt das
ganze Gesicht zuzuwenden, die IJlicke seitwärts schweifen
und hält sich bereit, sie rasch zurückzuziehen. Die besonderen
Bezeichnungen des jungen Schiller für diesen Blick sind
..forschend", ..laurend", .,tückisch", ..schielend"^).
Etwas anderes ist die herausfordernde Musterung: der
Beobachter wendet sich dem Objekt voll zu: er misst es
von Kopf bis zu Fuss'*), odei- ei- rückt ihm näher und sucht
mit durchdringendem Blick das Auge des Gegners:
JJäul). (Trsp.) IV, 1: (sieht ihr scharf ins Gesicht.)
Fiasko IV, 12: (ihm starr und wild unter die Augen.)
Kab. V, 1: (er hält sie fester, blickt sie eine Weile starr und
durchdringend an.)
Jgfr. 2723 f. : (Du Chatel tritt einige Schritte näher und sucht
in den xVugen des Herzogs zu lesen.)
') Tleiike. N'urträge über Plastik, Mimik u. Drama. Rostock 1892.
S. 51 n\
■) Vgl. Carlos 1738a, Picc. 2155 b. 2181a, W. T. 1569.
•') Fiesko I, 9 : (Fiesko tritt vor einen Spiegel und schielt über das
Papier.)
V, 12: (wirft von der Seite einen forschenden Blik darauf,
den er starr uml langsam unter Verzerrungen zurück-
zieht).
Kab. I, 7: (einen laurenden Blik auf ihn werfend.)
V, 7: (zuweilen furchtsam und verstohlen nach ihm hinüber
schielend.)
Carlos (Thaliai 1(50: Karlos (welcher diese ganze Rede durch die Augen
tückisch auf ihn geheftet hat.)
M. St. 2229: (Sie fixirt mit den Augen die Maria, indem sie zu
Paulet weiter spricht.)
■') Raub. (Bühnenb.) IV, 11 : (misst ihn mit einem grossen Blick.)
Fiesko I, 9: (Mohr betrachtet ihn vom Fuss bis zum
Wirbel.)
Kab. III, 6: (wiederum Pause, worin sie den Sekretair
von oben bis unten ansieht.)
Ferner W. T. 1830 a, Teil 3150 a.
— 390 —
Wenn der Beobachtete den Blick nicht auszuhalten ver-
mag, so Aveudet er sein Auge seitwärts:
Carlos (Thalia) 2221a: (nachdem sie umsonst gesucht hat, seinen herum-
schweifenden Blicken zu begegnen.)
W. T. 2065 b: (Thekla seinen Blick vermeidend, zeigt mit der Hand
auf ihren Vater);
wenn er ihn erwidert, so entsteht ein stummes Gespräch:
Carlos 3707: (Beide sehen einander mit unverwandten Augen an).
Bei wichtigen Auseinandersetzungen stehen sich beide
Teile mit offenem Blick gegenüber, denn:
Weit besser spricht sich's, weit eindringender,
"Wenn deine Blicke seinem Blick begegnen.
Diese Stelle in den „Phönizierinnen" (463 f.) ist so frei über-
setzt, dass man sie geradezu als Schillers Eigentum bezeichnen
kann; ebenso einige Verse der ,,Iphigenie"^), in denen der
Chor den einen entscheidenden Blick zwischen Paris und
Helena schildert. Die Liebe auf den ersten Blick ist eigentlich
ein Romanmotiv: auf der offenen Bühne fehlt die Analyse des
seelischen Vorgangs, die uns der Erzähler geben kann. In
der Oper zwar, z. B. bei Richard AVagnei-, übernimmt das
Orchester während eines langen Stillstandes der Handlung
diese psychologische Vermittlung; das Drama dagegen kann
dies Motiv nur dann zur theatralischen Wirkung bringen,
wenn es den tiefen Eindruck sogleich in äussere Handlung
umsetzt. So in der „Jungfrau von Orleans", wo Johanna
das Schwert, mit dem sie schon das entblösste Haupt Lionels
bedroht, plötzlich sinken lässt. Zwischen diesen beiden P>e-
wcLaingen aber lieiit auch hier ein Stillstand. .Johanna bleibt
unbeweglich stehen ; dadurch und dui'ch seine lange Dauer
erhält der Blick J^edeutung und Nachdruck.
In den langen Blicken äussert sich jede Hingabe, die
Liebe, die J3ewundcrung, die Dankbarkeit, das Mitleid:
') 691 ff. Helencns Auge kam dir da entgegen.
Und liebewund zog sie's zurück.
Helenen kam dein Blick entgegen,
Und liebetrunken zogst zu ihn zurück.
— 391 —
]{äiih. (Tisp.) I. 0: (nach einigem Xachdenken, wobei er einen langen
Blick auf Schweizeni heftet.)
V. 7: (er heftet einen verweilenden Blick auf die Bande.)
Fiesko I. 10: Bert ha (niisst ihn mit einem langen Buk) Unglück-
licher Vater I
Au.s den hastig geschleuderten Blicken dagegen sprechen die
aktiven Aifekte:
P'iesko 11.17: (Zuweilen betrachtet er die andern tliegend und scharf.)
M. St. 2444: (Elisabeth, für Zorn sprachlos, schiesst wüthende Blicke
auf Marien.)
Die .seitwärts umher.schweifenden unstäten lUicke') kenn-
zeichnen besonders das schlechte (xewissen. die Angst, die
innere Unruhe; in der höchsten Kri'egung .steigert sich dieser
unsichere Wechsel der lUickiichtungen bis zum verdrehten
Augenrollen, das zugleich der Ausdruck des heftigsten inneren
Kampfes ist:
Fiesko (Bühnenl).) IV, 10: (blickt forschend mit rollenden Augen im Saal
herum, dann mit einem .schrecklichen Blick zum
Himmel. I
Teil 1990 b: (Teil steht in fürchterlichem Kampf, mit den
Häiulen zuckend, und die rollenden Augen bald
auf den Landgraf, bald zum Himmel gerichtet.)
Der Blick zum Himmel ist von vielseitiger Bedeutung;
Hein.se^) z. B. klagt im ..Ardinghello'' einmal über die Mangel-
haftigkeit präziser Ausdruck.sbewegungcn in der bildenden
Kunst: „Ein zinn Himmel gekehrtes Auge, nehmen wir das
edelste (ilied, wie vielerlei kann dies zum Beispiel nicht aus-
drücken.'' In der Malerei linden wir vor allem bei den
Italienern des sechszehnten Jahrhunderts den verzückten,
exaltierten Blick. Aber auch die stille inbrünstige .Vndacht,
ebenso das Bekenntnis der Schuld wie die Beteurung der
Unschuld richten das Auge aufwärts. Der Erschütterte sucht
in einem Blick nach oben Kraft :
Raub. V, 2: (in der fürchterlichsten Beklemmung gen Himmel
sehend) ;
') Carlos 1302. Ticc. 1412 b, M. St. 27.^9 a. Teil 3104 a.
=) Ardinghello, hsg. v. Laube. I, S. 253.
— 392 —
und so wird dies Aufwärtsschauen nicht nur zum Ausdruck
der ratlosen Verzweiflung:
Kab. III. 6: Louise (mit einem Blik zum Himmel) Das noch!
das auch noch I — — Im Thurm ? Und warum im
Thurm ?
sondern auch der tiefen P^rgritfenheit, so am Schluss von
"VValiensteins Tod:
(Octavio erschrickt und blickt schmerzvoll zum Himmel.)
In den niedergeschlagenen Augen dagegen äussert sich
die Verlegenheit, die Verwirrung, die Scham, zugleich die
niederschlagende Enttäuschung und Betrübnis').
Nun gibt es fast noch mehr Beispiele, wo nicht die Aus-
drucksform, sondern der Ausdi'ucksinhalt des Blickes ange-
geben ist : es hätte indessen wenig Wert, einzelne Fälle auf-
zuzählen, wo der siegjauchzende, der bedeutende, der grosse,
der volle, der schwere, oder der feine, ernste, bedenkliclie,
gespannte, stutzige, verwundernde, erschi'ockene, fürchterliche
Blick sich finden.
Mimik des Gesichts. Das Auge selbst Ist dabei niclit
der einzige, ja nicht einmal der hauptsächliche Träger des
Ausdrucks; zum gespannten Blick z. B. gehören die „hohen
Augenbraunen"-): Avie denn überliaupt die Muskeln, die die
Augenbrauen und die fStirn bewegen, fast wichtiger sind als
die des Augapfels. So erkläi't sich die seltsame, unplastischc
Verbindung, die Schiller, dessen J^alladendichtung im mimischen
Ausdruck minder be.sonnen ist, im „Gang nach dem Eisen-
hammer" gebraucht:
Drauf rollt der Graf die finstern Braun.
') Raub. IV, 4: (sieht zur Erde.)
(Trsj).) ^', (5: (steht, den Blick in den Boden gewurzelt)
Fiesko 11,13: (Gianettino heftet den Blick sprachlos zu Boden)
(Biihnenb.) V, 0: Niemand giebt Antwort — Alle Augen kriechen
am Boden.)
Ferner Carlos 8 b, 448, 231)5, 4811. l'icc. 043 b. Jgfr. 35 f
-) Goethes Faust v. 41. Cotta'sche Jubiläums - Ausgabe Bd. 13,
S. 5. 260.
— 393 —
Währoii'l boi 2"espannter Aufmerksamkeit die Stirne durch
das Hochziehen der Augenbrauen in horizontale Falten irc-
dräng"t wird, verbinden sich beim fin.stei'n Ausdruck mit
den herabirezog'enen Brauen die senkrechten Stirnfalten:
liäub. IL 2: Meine Aug-Braunen sollen über euch herhangen wie
Gewitter-Wolken, meine Stirne soll euer Wetterglas
seyn 1
Heide, horizontale wie senkrechte Stirnfalten vereiniiren sich
beim Ausdruck des Schreckens, wie wii- ihn an der J^aokoon-
Skulptu)-M wahrnehmen.
Es ist nun auffallend, wie selten die Stirnbewei,''ungen
direkt anireireben sind:
W. T. 779: (mit linsterm Stirnfalten);
viel häuli-cr sind sie indirekt bezeichnet, z. 15. bei Lenz (Der
neue Menoza 11, 7) wo der Ari^ci' dui'cli ciMeii drastischen
Verfrleich illu.striert wii'd;
was ziehst du denn die Stirn wie ein altes Ilandschuhleder?
bei Schiller in dem eben erwähnten Beispiel aus den Käubern,
und später wieder mit einem iranz ähnlichen l^ild in der
Jungfrau von Orleans:
z. 2371 f. : Des Zornes Donnerwolke schmilzt
• Von seiner Stirne thränenthauend hin.
Noch mehr als die Stirnbeweiruniren traL-'en zum (iesichts-
ausdruck die IJeweiruns/en des Mundes bei. Zwar sollte nach
der Kegel des Kiccoboni. di(^ auch \\ L. Scjiröder'-) seinen
Schauspielern vorlegte, nur der obere Teil des Gesichts, ins-
besondere die Stirn in unablässiger Bewegung sein, während
der Mund der Artikulation dienen und sich nur zum Lachen
verziehen .sollte. Aber bei Schiller sind gerade die symp-
') Vgl. Goed. X, Ißl. Einsiedel dagegen (S. 89) wollte im Anschluss
an ein Bild Garricks als Richard ITI. den Ausdruck des Schreckens den
unteren Gesichtspartien zuweisen: „Der Ausdruck des Zornes ruht vor-
züglich auf den obern Theilen des Gesichts und am sprechendsten ist der
grässliche Zug der Stirne — der Ausdruck des Schreckens ruht mehr auf
den untern Theilen, und am sichtbarsten bezeichnet ihn die Unterlippe, die
abwärts fällt und bewegliche lebende Züge bildet."
-) Meyer, Schröder 11, 2, S. 203 f.
— 394 —
tomatischen Mundbcwegungen besonders häufig', wobei in Be-
tracht kommt, dass dies des Dichters eigene Mimik war; die
Unterlippe zeigte nach Caroline v. Wolzogens .Schilderung^
„das »Spiel seiner momentanen Empfindung".
Als Streicher-) den jungen Schiller zum ersten ]\lale sah,
fiel ihm das öftere Lächeln während des Redens auf; dasselbe
überlegene Lächeln beobachten wir auch an den Helden der
ersten Stücke, Karl Moor und Fiesko, mehrmals. Ausserdem
findet sich das schmei'zvolle (Kab. III, 6), das ironische
(Carlos 1704 a), das beissende Lächeln (Fiesko V, 13) und
jene ^fundbewegung, die in Schillers Jugendsprache^) und
überhaupt im Schwäbischen „schmollen" heisst. Als Gianettino
arglos dem Fiesko Glück zu seinen Unternehmungen wünsclit,
erAviedert dieser, indem er „schmollt" ; im Leipziger Manuskript
heisst es statt dessen „lächelt heuchlerisch vor sich hin"; beides
ist identisch.
Es gibt auch ein Lächeln des Ingrimms, das mit Zähne-
knirschen verbunden ist; Arger und verhaltene Wut äussern
sich durch Aufeinanderbeissen der Zähne oder Nagen an der
Untei-lippe, wie es bei Karl Moor als Zeichen des stärksten
Grimmes erklärt ist*). In Kabale und Liebe tritt es mit dem
Zähneknirschen vereinigt auf:
III. 4: Ferdinand (das Gesiclit verzerrt, nnd an der Unter-
lippe nagend). Gibst dn ihn auf?
Louise. Nein! Sieh mich an lieber Walter. Nicht
so bitter die Zähne geknirscht.
'I Schillers Leben (Cotta'sche Handbibliothek) S. 271. Ahnlich
Scharffenstein (Weltrich S. 324).
2) Streicher S. 65.
=') Vgl. Goed. I, 240. 284. 400. II, 32. 120. III, 84. 106. Es ist
dies die ältere Bedeutung, die auch das mittelhochdeutsche „smielen" und
englisch „to smile" haben. Tu unserem heutigen Gebrauch dagegen findet
sich dies Wort in einem Brief an Körner vom 17. März 1788. (Jonas
II, 30).
') Vgl. oben S. 37!) f. Ferner Goed. II, 323. n. ITL 127, i<t.
157, 11. 382, 10.
— SOÖ —
ÜbriiTcns spielt in den iiiiniisclicii \'orschi'it'ton aller
Stürmer und Drän<rer das verzerrte Spiel des Mundes eine
g^rosse Rolle; ein irrasses Heispiel sei aus Klingers Simsone
Grisaldo II, 10 erwähnt:
Bastiano. Du bliitst am Muntl. Curio 1
Curio. loh hab mir die Zähne ausgel)isseii. hab mir die Zunge
durchgebissen und das Blut steigt mir aus meiner
tollen Brust auf.
Zu diesen Ausschreituniren gehört denn auch das Zähne-
blccken, mit dem Fiesko den Himmel herausfordert, oder der
Ingrimm, mit dem Franz Moor (Raub. Trsp. V, 6) in die
Ketten beisst'), endlich das Zähneklappern der Angst, mit
dem Miller (Kab. IL 6) auf den Präsidenten losgeht. Sogar
das Schäumen der Wut') MJrd zur Vorschrift:
Direkt: Raub. I. 2: (srhäumeud auf die Erde stampfend.)
Fiesi<(i V, S: (schäumend, fürchterlich.)
Indirekt: Raub. (Trsp.) V, ti: Ha Schandbube! dass ich nicht all mein
Gift in diesem Schaum auf dein Angesicht
geifern kann!
In den späteren Stücken können solche Übertreibungen nicht
mehr auftreten; wohl kommen auch dort starke At!ekte zur
Entladung, die das Gesicht aufs äussci'ste vei'zerren müssen,
aber dem Schauspieler ist nicht mehr zugemutet, diese Er-
scheinungen zu verwirklichen; der höchste (Ji-ad des Schmerzes
und Entsetzens findet seinen Aiisdi iick im \'ei-Jiüllen oder Ab-
wenden des Gesichtes.
BcAvegungen des Oberkörpers und der Arme.
Mit den Bewegungen des Obei'körpers nähern -wir uns wicdei'
dem (icbiet der malenden Gesten, bereits das l\oi>fschütteln,
das wii- als verneinende Pantomime oder als Unterstützunir
') Ein für T^enz charakteristischer Ausdruck ist es, dass seine I'ersonen.
wenn sie keinen Rat wissen, sich in die Finger beissen.
Der Engländer V, 1: (beisst sich in die Hände)
Ebenso in „Amor vincit omnia" IV (Anm. ü. Theater S. 112) und den
„Wolken" (Dram. Nachl. S. 322).
') Einem naturalistischen Schauspieler der früheren Zeit wurde wirklich
nachgesagt, er habe bei der Darstellung von "Wutszenen Seife in den Mund
genommen (Devrient II, 408).
— 396 —
einer Negation finden, wird als g-efühlsmässio' gesteigerte
Ablehnung zum Ausdruck des Bedenkens und Unwillens:
Fiesko II, 9: (schüttelt den Kopf, bedenklich).
Carlos 5190 b: (Mit unwilligem Kopfschütteln).
Auch das zweifelnde Achselzucken') steht auf der Grenze;
es verleiht zuucächst nur äusserlich dem gesprochenen Wort
verstärkenden Nachdruck (W. T. 2589, Jgfr. T.üol, aber es
kann sich ebenso zum selbständigen Gefühlsausdruck er-
heben:
Fiesko V, 14: Lome 11 in (hämisch die Achsel zuckend).
tSchiller selbst hat diese flicsscndcn Übergänge w^ohl ei-
kannt; in der Abhandlung .,Über Anmut und Würde"') ist
es ausgesprochen, dass auch die willkürliche Bewegung, die
einen bewussten Zweck verfolgt, durch die Art, wie sie voll-
zogen wird, sympathetisch bestimmt werden, d. h. einen
Emptindungsgehalt aufnehmen kann. Das eigentliche Organ
der Avillkürlichen IJewegungen sind die Arme; sie sind die
unmittelbaren Untertanen des Willens und haben den Beruf
der Zweckmässigkeit; deshalb beobachten wii' nun gerade an
ihren Bewegungen auch das Umgekehrte : auch wenn der
Empfindungsausdruek als das eigentlich treibende Moment das
Übergewicht gewinnt, behält die Richtung der Bewegung noch
einen zweckmässigen Anschein. Fast jede Armbewegung tritt,
weil sie nun einmal irgend eine Richtung einschlagen muss,
zu einem Gegenstand in Beziehung und wird somit zum Symbol,
zur übertragenen Zweckmässigkeit.
') Auch hier haben wir es mit einem charakteristischen Bestandteil
von Schillers eigener Mimik zu tun; als solcher wird es von Voss d. .7.
in einem Briefe erwähnt: .,Schiller hatte auch einige Recensierblicke und
ein ganz eigenes Achselzucken von kritischer Bedeutung." (Graf, Goethe
und Schiller in Briefen v. Heinr. Voss d. J. 8. 32.)
Übrigens hat sich auch in dieser Bewegung die Geniezeit merkwürdige
Übertreibungen gestattet, z. B. Gerstenberg in „Minona" IV :
Oberdruid (zieht die Schultern mit einer seltsamen Grimasse bis
über die Ohren in die Höhe).
') Goed. X, S. 82. Vgl. oben S. 366 f.
•') "NVundt. Völkerpsychologie I, 1. S. 74. 175 ff.
— 307 —
P)Ci dem Handauflcocn auf die Brust, dem Zeichen dei-
P^rg'ebcnlieit') lä.sst sieh z. 1>. die Venvandtsehat't uiit den
oben behandelten malenden Gesten leicht erkennen. Das
Ballen der Faust und das drohende Emporheben erinnert
daran, dass der Arm die ursprüngliche Waffe des Menschen
ist, mit der er dem, der seinen Zorn erregt, gegenübertritt.
Etwas Ähnliches gilt von den Bewegungen, die gegen den
eigenen Körper gerichtet sind; wir finden z. 1>. bei Schiller
das Einstemmen der Arme in die Hüften als Zeichen des
Hohnes und Trotzes'); es liibt der eigenen Ifaltunii;- Festigkeit.
Der sich Besinnende, dei' mit (h-r Hand übei' (lie Stirn fälirt^).
ci'weckt den Anschein, als wolle er einen entweichenden Ge-
danken zurückhalten. Wiederum fasst der, der im Arger über
eine selbstverschuldete Dummheit sich vor den Kopf schlägt*),
die Stirn als den Sitz des schlummei-nden Verstandes auf, den
er damit wecken oder strafen will. .Vus solchen Angriffen
gegen die eigene Person gehen schliesslich die Äusserungen
selbstvernichtender Wut hervoi-, in denen sich die X'erzweiflung'
des alten Moor (Raub. H, 2) kundgibt:
sich die Haare ausiaut'eiui.
sein Gesicht zerfleischend.
schlägt mit geballter Faust wider Brust und Stirn.
wütet wider sich selber.
Aber auch gegen leblose Gegen.stände kann sich der Affekt
entladen. An dem Beispiel des Xei'xes, der das Meer peitschen
liess, hat Home^) gezeigt, wie im Zorn zuweilen ein un-
*) Braut 100 b: Die Ältesten entfernen sich schweigend, die Hand
auf der Brust.
■) Fiesko I, 4: steht still mit angestemmten Armen.
IH, 4: ei' stellt sich trozig neben ihn, stemmt den Ellenbogen an.
') Fiesko 1,10: Cdie Hand vor die Stirne) Was will ich aber?
*) Raub. I, 2 (S. 35, 22): (Sich vorn Kopf schlagend.)
(Trsp.)IV, 8 (S. 291, itj): (die Faust wider die Stirn).
Fiesko H, 3: Kalkagno (sieht ihr betäubt nach, dann ab, mit
einem Schlag vor die Stirn). Dummkopf!
^) Grunds, d. Kritik (Meinhards Übers. 3. Aufl.) ], 21G f. Eine
Personifikation in der umgekehrten Tendenz ist das Küssen der Erde
(Raub. IV, 1). Ahnlich sind die symbolischen Armljewegungen Teils nach
seiner Kettung zu erklären (21ÜS a).
— 398 —
schuldisrcs Objekt personifiziert und an ihm der Orimm aus-
ifelassen wird. Dies führt zui- sinnlosen ZerstörungsAvut, wie
sie auch in „Kabale und Liebe" einmal auftritt:
III, 4: Ferdinand (hat in der Zerstreuung' und Wut eine
Violine ergriffen und auf derselben zu spielen versucht
— Jetzt zerreisst er die Saiten, zerschmettert das
Instrument auf dem Boden und bricht in ein lautes
Gelächter aus).
Nur wenige Arm- und HandbeAvegungen erscheinen, auch wenn
sie bei besonnenerem Gemütszustande auftreten, gänzlich unwill-
kürlich, ohne einen Schein von Zweckmässigkeit ; so etwa das
Händezusammenschlagen der Verwunderung und des Ent-
setzens^), das sich bis zum Händeringen der Verzweiflung^)
steigern kann. Aber mit diesem Händeringen ist wiederum
das Händefalten^) nahe verwandt, das beim Gebet als Aus-
druck der Unterwürfigkeit seine ursprüngliche symbolische
Pjcdeutung hat: der Besiegte bot dem Sieger die Hände zum
Fesseln dar.
Mit dem willkürlichen Gehalt, der vielen dieser sym-
pathetischen Gebärden noch innewohnt, hängt es zusammen,
dass gerade die Armbewegungen besonders unter dem Gesetz
der abgemessenen schönen Linie standen. Goethe gibt eine
genaue Regel, wie zuerst die Hand, dann der Ellenbogen und
schliesslich der ganze Arm zu bewegen sei; der Oberarm
müsse sich so lange als möglich an den Leib anschliessen:
„Denn wenn ich meinen Arm, wenn von gewöhnlichen Dingen
die Rede ist, nur wenig erhebe, um so viel mehr Effekt bringt
es dann hervor, wenn ich ihn ganz emporhalte.'' Das er-
wähnte ßild^) von Melch. Kraus, worauf die drei Eidgenossen
beim Schwur die Hände nicht über Kopfhöhe erheben, steht
') Z. B. Goed. II, 101,18. III, 129,18. 141, ig. 490,24.
-) Goed. II, 191, 1.-,. 295, 21. III, 445, 7. Carlos v. 3986.
Teil 181.
^) Raub. (Trsp.) V, G: (die Hände gefalten mit Inbrunst.)
Fiesko IV, 11: (mit Grazie ihre Hände faltend.)
Kab. IV, 5: (indem er die Hände schrecklich faltet.)
*) Vgl. oben S. 277.
— 399 —
in P>ezichunfr zum Weimarer Stil; violloiolit -wirkte noch Jon os
rJcsctz (\g^ franzü>;ischcn Theaters nach, das Kiccoboni'i ver-
mittelt hatte: „Es ist eine ganz bekannte Kegel, dass man
die Hand nicht höher, als das Auge ist, bringen darf. Wenn
den Schauspieler aber eine heftige Leidenschaft dahin reisst,
so kann er alle diese Regeln vergessen : er kann sich mit
mehr Geschwindigkeit bewegen und die Arme wohl bis übei-
den Kopf erheben."
Der junge Schiller Hess sich durch diese Regel nicht be-
engen: nicht nur in der höchsten Exaltation treten die
gesteigerten Armbewegungen ein -- z. 15. wenn Leonore
(Fiesko V, 5) ihre Arme schwärmend in die Luft wirft oder
Don Carlos (v. 1291), die Arme zum Hiuuncl emporgeworfen,
ausser Fassung durchs Zimmer stürzt — sondern da^ Empor-
strecken der Arme kommt auch als bewusstere Bewegung vor.
Bei Anrufungen Gottes verstärkt es den Blick gen Himmel;
es gehört zu den erwähnten symbolischen Gesten namentlich
als Beteuerung der Unschuld,^), die ilu'e reinen Hände dem
höchsten Richter entgegenhält:
Kab. V. 1: Jezt weiss ich nichts mehr (mit aufgehobener Rechte)
stehe dir, Gott Richter I für diese Seele nicht mehr.
V, 8: (Eine schrekliche Bewegung des Arms gegen den
Himmel) Von mir nicht, von mir nicht, Richter der
Welt ;
eine besondere Eigentümlichkeit h^cliillcrs ist hierbei die Ver-
einigung zweier Personen^), die ihre Hände gemeinsam empor-
strecken :
Kab. V, 7 : (ihre Hand fassend und emporhaltend.)
Carlos (Thal.) 1330: (er fasst Rodrigo's Hand und hält sie gegen den HiinTnel.)
Gegenseitige Bewegungen zweier Personen.
Das ]3erühren mit der Hand ist zunächst ein Zeichen steii^en-
•) Beytr. z. Hist. u. Aufnahme d. Theaters. 4. Stück. S. 492.
Seckendorf, Vorles. ü. Dekl. u. Mimik II, 278.
'I So noch in den späteren Dramen indirekt: W. T. 3782, Teil 3180.
") Auch das Hand auf die Brust Legen der Ergebenheit wird zur
Doppelbewegung :
Fiesko I, 0: (er fasst Gianettinos Hand und hält sie gegen seine
Brust.)
— 400 —
der Vertraulichkeit; es crewinnt einen feierlichen Nachdruck
mit dem Handauflegen auf das Haupt. Während das rührende
Drama mit dem väterlichen Segen äusserst freigebig war^),
spai't Schiller das Handauflegen für die bedeutendsten Momente
auf und verwendet es nicht nur beim Segen sondern auch
bei der Verurteilung und beim Fluch:
Fiesko I, 12: Verrina (feierlicher, seine Hand auf Berthas Haupt
gelegt) Verflucht sei die Luft, die dich fächelt I
Kab. V, 7: (furchtbarfeierlich, indem er die Hand auf ihren Kopf
sinken lässt).
Im gewöhnlichen Dialog trieben die Schauspieler oft aus Ver-
legenheit, wohin sie mit ihren Händen sollten, Missbrauch mit
dem vertraulichen Erfassen der Hand-); aber auch von den
Dramatikern finden wir diese Vorschrift auffallend häufig aus-
gesprochen. In den Stücken von Lenz') stellt sich das Er-
greifen der Hand mit jedem herzlicheren Ton. zumal bei der
Eröffnung von Liebesszenen ein; Iflflands Personen fassen in
') Knigge (Reise nach Braunschweig. 2. Aufl. S. 188) verspottet
deshalb Kotzebue, in dessen „Indianern in England" Herr Smith gleich im
ersten Auftritte vier Segen austeilt.
-') In Weimar, wo die einzelnen Personen möglichsten Abstand halten
sollten, wird diese Annäherung nur in leidenschaftlichen Momenten erlaubt
worden sein; Goethes Theaterregeln stimmen hierin wiederum mit denen
Fr. L. Schröders überein (Vgl. S. 241 Anm. 2). In dessen Bemerkungen
zu Riccoboni heisst es: „Weder der gesittete Mann, noch der Bauer fasst
ein Frauenzimmer immer bei der Hand ; noch weniger der Mann den Manu.
Diese Gewohnheit kommt von der Verlegenheit, was man mit den Händen
anfangen soll; diese Verlegenheit von dem Wahn, dass die Hände immer
in Bewegung seyn müssen. Beobachtet man, während drei Stunden, eine
Gesellschaft von vier und zwanzig Personen, so wird man finden, dass die
gegenseitigen Hände nicht so oft berührt Averden, als auf dem Theater, unter
vier I'ersonen in einer halben Stunde; wären auch in jener Gesellschaft
ein paar Gecken gewesen. Wenn es gar so weit geht, dass der oder die
Untergeordnete in einem leidenschaftlosen Gespräche die Hand des
Fürsten oder der Fürstin ergreift, so fühlt der Mann von Welt einen
elektrischen Schlag. Ich habe Nathan den Weisen Saladins Arm berühren,
und ihm den ganzen Auftritt so nahe stehen sehen, dass keine Person
zwischen ihnen durch konnte." —
Auch im Don Carlos (3201 b) fasste ursprünglich Posa Philipps
Hand; seit der Umarbeitung von 1801 ist diese Vertraulichkeit beseitigt.
") Vgl. D. Nat.- Litt. 80, II. S. 11, 21, 72, 98, 99, 100, lOS, 119.
— 401 —
lilx'rwallendor Ivülinini;- ..mit einem Strom des Gefühls" die
Hand des (äegenübei.stelieiideu; bei Scliiller endlich tinden
wir die verschiedensten Motive für diese Bewegung': sie ge-
schieht mit überleg'enem Lächeln (Raub. I. 2. S. 31), mitleidig-
(Fiesko II, 2. 8. 44), liebevoll (Fiesko I\ , 14. S. 130), gütig:
(Carlos 4155), zärtlich (Picc. 1715), mit steigender Wärme
(Picc. 782 b), mit einsciimeichelndem Interesse (Carlos 1609 a),
heftig bewegt (W. T. 2062 a). stillwüthend (Fiesko, Bühnenb.
II. 10. 8. 236).
Die Zärtlichkeit äussert sich noch besonders im auf die
Wange Klopfen (Carlos, Thal. v. 2155); die liebevolle Aner-
kennung im Schlag auf die Schulter:
Kab. I, 7 : (freumllioh, indem er ihn auf die Achsel klopft).
Et^\•as anderes ist das langsame Handautiegen auf die Schulter,
das besonders gewichtige, eindi-ingliche "Worte begleitet:
Kab. II, 1 : (bedeutend, indem sie eine Hand auf Sophiens Achsel
fallen lässt).
Carlos lolla: (Karlos legt ihm eine Hand auf die Schulter und sieht
ihm ernst und feierlich ins Gesicht.)
Was von dem Krgi-eifen dei' Hand gesagt A\urdc. gilt
noch in vei'stärktem Masse von dem Nicderknieen; es gehört
zu jenen exaltierten Bewegungen, mit denen man im täglichen
Leben äusserst sparsam, auf dem Theater um so verschwen-
derischer ist"). In Schillers Dramen ist mit dem Kniefall
meistens eine Bitte um Erhörung verbunden, so bei Liebeser-
klärungen (Käub. I, 3. S. 55; Fiesko H, 3. S. 47; Carlos
624 a. 7<)5a. 4395; M. St. 2072 b), aber auch bei der Bitte
um Hillc. üui I^]rbarmen, um (inade. Die inbrünstigste Form
ist das L'mfassen der Kniee des anderen"^), z. 15. wenn Amalia
1) Stiehler, Theat. Forsch. XVI, S. 134.
^) Gegen den Missbrauch erhob vor allem Lichtenberg seine Stimme.
Vermischte Schriften (1844) II, S. 24. Fr. L. Schmidt, Di'amaturg.
Aphorismen III, 1S4 f.
■■) Besonders l)ei Lenz:
Der neue Meiio/a II, 1: Graf (umfas.st ihre Kniee und (blickt sein Gesicht
an dieselben.)
11,5: Graf (küsst ihr das Knie).
Palaestra XXXII. 26
■— 402 —
um den Tod bittet (Raub. V. 2) oder Baumgarten um Rettung
fleht (Teil 111 a).
Auch bei Anrufungen des Himmels sinkt der Betende
nieder, und zwar nicht nur bei der Bitte, sondern auch beim
Eid (Fiesko 1, 12). Ebenso bei eindringlicher Besciiwörung
einer Person:
Kab. V, 7: Ferdinand (fällt in fürchterlicher Beweg^ung vor ihr
nieder), Louise! Hast du den Marschall geliebt?
oder bei einem plötzlichen Geständnis (Kab. II, 5. S. 411 ;
Carlos 2588, 4132), mit dem meistens zugleich die Bitte um
Vergebung verbunden ist.
Zu dem Kniefall der Huldigung lässt es der gnädige
Herrsche]' nicht kommen oder er mildert ihn. indem er den
Gedemütigten selbst aufhebt. Ho begnadigt Philipp in der
Thaliafassung Medina; Chatillon macht dieses Zeremoniell für
die Versöhnung mit Bui-gund vorher ab (2460 ff.): auch die
Jungfrau will den Kniefall dei- Agnes Sorel nicht dulden
(3500, 3517 b); nur Elisabeth in „Maria »Stuart" erfüllt die
Erwartung nicht (2253 ff.)
Auch mit der Umarmung, in der die Begnadigung und
Erhörung der Bitte häufig gipfelt, war man auf dem
Theater freigebig. Nur auf dei' Weimarer Bühne waren
die Umarmungen wie alle vertraulichen Annäherungen ein-
geschi'änkt; der Ärger eines von auswärts gekommenen
»Schauspielers, der sich in diesen vornehmen Stil nicht
finden konnte, äussert sich deshalb in der Schmähschrift
„Saat von Goethe gesät": in der Tragödie sei es Regel, sich
drei Schritt vom J^eibe zu bleiben ; im bürgerlichen Stück sei
wenigstens eine steife Umäi-mclung erlaubt^). Dieser Unter-
schied ist bezeichnend ; die Umai-mungcn waren ein integrieren-
der Jjestandteil des rührenden Familiengcmäldes und daraus
schlechterdings nicht zu entfernen.
Freilich kommt die Umarmung nicht nur als Symptom der
Rührung, sondern auch als leere konventionelle Piegrüssungsform
vor. Aber wenn in „Kabale und Liebe" (1, ü) der affektici'te Hof-
') Reinhold, Saat v. Ooethe gesät. S. 22. 30.
— 40J} —
marschall den Präsidenten zur lieirrüs.sunfr und beim Abschied
in die Arme schliesst, so i.st eine komische Wirkung' beab-
sichtig-t, denn zu Ende des achtzehnten .Jalu'hunderts war
man in den g-esellschaftlichen Formen bereits etAvas zurück-
haltender g-eworden, und Knigge^) z. B. schreibt: „Man sollte
niemand, als etwa Eltern, Geschwister oder alte bewährte
Freunde, umarmen und immer das Umarmen, das übrigens als
blosse Höflichkeitsbezeugung ausser Gebrauch gekommen ist,
von dem andern abwarten."
In weitaus den meisten Fällen ist die Umarmung
ein überschwänglicher Ausdruck dei* Ergriffenheit'); auch
Schiller war darin nicht g-anz frei von dem Geschmack
der Zeit, und so vererbt sich noch in die späteren Dramen
etwas von dieser Absicht, zu rühren. Dem Familienstücke
näliern sich in der „Jungfrau von Orleans" die Auftritte
in Chalons (III, 3. 4.) mit den hausväterlichen Bemühungen
um einen Gatten für Johanna und mit der allgemeinen Ver-
söhnung, die sich nicht anders als in g-ruppen weiser Um-
aimung äussern kann:
(in demselben Aug-enblick eilen die drei burg-undischen Ritter
auf Dünois, La Hire und den Erzbischoff zu und umarmen einander.
Beide Fürsten liegen eine Zeitlang einander sprachlos in den Armen.)
Die Umarmung ist aber auch Schillers eigenste Ausdrucks-
form für den Affekt der Freude. Der Jubelruf: „Seid um-
schlungen, Millionen!" ist zu erklären aus einer Stelle in der
„Theosophic des Julius": „Es gibt Augenblicke im Leben,
wo wii- aufgelegt sind, jede Blume und jedes entlegene Ge-
stirne, jeden Wurm und jeden geahndeten höheren Geist an
den Busen zu drücken — ein Umarmen der ganzen Natur
gleich unsrer Geliebten"^). In solcher Stimmung fällt Don
Carlos dem Pagen um den Hals, ebenso belohnt diesen gleich
darauf Prinzessin Eboli (Thalia 1819, 2175), und die Thalia-
fassung schliesst mit der Umarmung Medinas, in der der
Prinz seine Freude über die königliche Gnade ausdrückt.
') Üb. d. Umgang mit Menschen (Meyers Volksbücher) S. 21.
») Stiehler, Theat. Forsch. XVI, S. 133.
=*) Goed. IV. S. 47.
26*
— 404 —
Diese Stelle fiel später der strenger flurchg-efiilirten spanischen
Etikette zum Opfer; geblieben ist dagegen die freudige Um-
armung Albas und Domingos nach dem Sturz des Maltesers^).
In den Liebesszenen ist die lange Umarmung, die nicht
mit der schnellen Aufwallung vorübergeht, in allen wechseln-
den Phasen mit Erzählungskunst nuanciert, z. B. Raub.
(Trsp.) IV, 12 :
(sein Gesicht an ihren Busen verbergend)
(sie kämpft ohnmächtig gegen seine Bestürmung)
(sie drückt ihn fester an die Brust)
(an ihrem Halse gefesselt)
(R. Moor seiner nicht mehr mächtig, berührt ihren Mund,
und ihre Küsse begegnen sich. Moor hängt stürmisch an ihren
Lippen, sie sinkt halb ohnmächtig auf das Kanapee).
Ergreifen der Hand, Kniefall und Umarmung lassen sich
zusammenfassen unter dem J^egriff der Annäherung. Auch
ohne diese Steigerung kann das Nähertreten allein eine
Ausdi'ucksbewegung bilden, und zwar äussert sich darin in
erster Linie das steigende Interesse ^). Mit der Tcilnalnne
verbindet sich die Besorgnis, die in der Annäherung an die
gefährdete Pei'son Ausdruck findet^), und unter diesem \ov-
wand drängt sich z. li. auch der Mohr an Fiesko heivaii.
Aber auch die eigene Angst sucht Zuflucht (Fiesko V, 15.
S. 155, 19; Kab. II, 4. S. 407, 12; Carlos 3793; AV. T. 1583 b).
Da, wo das Näherkommen keinen drohenden Chai'akter hat.
wie etwa Franz Mooi's wildes Losgehen auf Pastor Moser
(Raub. V, 1. S. J85, 13.) oder des Präsidenten Annäherung
an Miller (Kab. II, (i. S. 416, 15), ist es meistens das Zeichen
zunehmenden Vertrauens (Fiesko 1,9. S. 27, I6 ; Carlos Thal.
') So wirft sich auch Bourgoguino Verrina um den Hals, und Fiesko
drückt an Leonorens Leiche Kalkaguo „mit gräs.slicher Freude" in seine
Arme (Fiesko III, 5. V, 13).
2) Raub. II, 1. S. 02,9; Fiesko L 5. S. 19, 11. '24. 20. is: Kab,
IV, 7. S. 4G3, 5; Carlos 1752 b; .Igfr. 3299. 3310; Teil 3147 a.
^} Fiesko IV, 14. S. 129, y; Kab. IV, 9. S. 409, i?2; Carlos 4H23.
5020.
— 405 —
I7ft: Pk-c -JIT;}: M. St. 2.'U9b: Bfaiit 4SI a): es äussert sich
ilaiiii <lcr Mut, ein freies Wort zu wa^ii. z. 15.:
Kab. 11,0: (kommt ihm näher, herzhafter.)
Carlos 31801»: (der König ist bewegt; der Mar()uis Iiemerkt es und
tritt einige Schritte näher.)
3201b: (Er nähert sich ihm kühn, iiml iiuleui er feste und
feurige Blicke auf ihn richtet.)
l'berliaupt tulirt. während das Schwanken den in einem inneren
Kampfe netindliclicn fern hält, der iMitschluss ihn dem Mit-
spielenden näher (Kab. iE, 5. S. 411. ü. 1\'. N. S. 4<»6, 19.
\V. T. 227JI.
Die verschiedenen Stufen in der Skala der ainiähernden
lieweLiunL-en enthalten fa.st durchwein' etwas Uejahendes, ein
Moment der i^ust oiler IJe^äcrde; die L'nhist dairetren findet
in dei' Abkehr, die verstärkt als Zurückweichen und Flucht
auftritt, ihren Ausdruck. Das yanze Spiel, in dem die Em-
plindun,i;en zweier Personen korrespondieren, läuft als An-
näherunir oder Entfernung' auf ju'-erader liahn hin und her, so
dass Ein.siedels Theorie der Schauspielkunst versuchen konnte,
das <ja.\YAG rJestikuIationssystem auf diese lleobaclituny aufzu-
bauen: ..Alle innere Rcg-unii'en in ihicn nianiiiLifaltij^'en Nuancen
sind als (Ji'adazionen des Peirehrens oder Verabscheuens
in Ansehung des mimischen Ausdrucks zu betrachten. . . .
L'mannuny ist der höchste Grad des Ausdrucks von Begehren,
und Flucht mit Schaudei' der höchste Ausdruck vom Verab-
scheuen" M.
So findet das vertrauliche F^rgreifen der Hand seinen
Geg-ensatz in dem plötzlichen Loslassen, das den Ausdruck der
i)efremdung bildet:
Kab. I, 4: (erschrikt und lässt jdötzlich .seine Hand fahren),
fernei- Carlos 4011; \V. T. 1192 b; Teil 932 a, 3140.
') Grundlagen zu einer Theorie d. Schauspielkunst, S. 64 ff. Ähnlich
heisst es bereits beim jungen Schiller iGoed. 1,170): „Der Hass äussert
sich im Körper gleichsam durch eine zurükstossende Kraft, wenn im Gegen-
theil selbst unser Körper durch jeden Händedruk, jede Umarmung in den
Körper des Freundes übergehen will, gleichwie die Seelen harmonisch sich
mischen."
— 406 —
Dem festen Blick, der Annäherung' sucht, ist das Weg-
wenden des Auges entgegengesetzt, worin sich Verlegenheit,
schlechtes Gewissen, aber auch Unmut und Ablehnung kund-
geben. Die Abkehr des ganzen Gesichtes ist eine Ver-
stärkung; entweder handelt es sich, wie beim Verhüllen des
Gesichtes, um ein scheues Verbei-gen der Rührung, des
Schmerzes; oder der Ekel, der einen vei'ächtlichen Gegen-
stand nicht länger anschauen mag, äussert sich als Abscheu.
An Stelle des Abwendens hatten die Stürmer und Dränger
stärkere Symptome der Verachtung gewählt; auch Schiller
lässt in den Räubern seine Amalia den „schamlosen Lästerer"
Franz ins Gesicht schlagen, während es statt dessen in der
Bühnenbearbeitung massvoll heisst:
sich abwendend.
Ob sich eine solche Vorschrift auf Gesicht oder ganzen
Körper bezieht, kommt selten zum Ausdruck; nur bei starken
Graden der Verachtung oder der verschlossenen Ablelinung
ist ausdrücklich das Zukehren des Rückens vorgeschrieben:
Fiesko I, 8: Bourg-ognino (dreht ihm den Rüken, will gehen).
Ich werde Sie verachten.
M. St. 3320 b: (Er nähert sich ihr in tiehender Stellung, sie kehrt
ihm den Rücken zu).
Eine gleich entschiedene Form der Ablehnung ist das unwillige
Zurücktreten (Raub. 1. 2. . S. ■16, i. 11,3. S. 47,19; Carlos
Thal. V. 234 a) ; dui'ch dieselbe Bewegung erfährt die Abkelir
des Schmerzes sogar noch eine Verstärkung:
Raub. V, 2: (geht weit von ihm weg.)
Kab. II, 3: (schmerzhaft von ihm weggehend.)
V, 3: (gepresst von ihm weggehend.)
Von dieser langsamen, bedachten Entfernung ist das plötzliche
Zurücktreten zu unterscheiden, das jedesmal ein Moment der
Überraschung enthält; auf die abgezählten Schritte, die im
Fiesko dieser Bewegung zugemessen sind, ist schon oben^)
hingewiesen; hier sei aus demselben Stück noch das Heispiel
einer indirekten Anweisung hinzugefügt:
II, 14: JJoria wird Monarch, und Kaiser Karl wird ihn schiizen
— du tritst zurük?
») Vgl. S. 351.
— 407 —
Aus den anderen Stücken, auch noch den späteren (z. B.
l^raut V. 1108 a, 1160 b) Hessen sich noch zahh'eiche Fälle
anführen, wo das befremdete, das verwundernde, das betretene
Zui-ückweichen, das bestürzte Zurückfahren, das Zurückprallen,
Zurückbeben. Zurücksprini^en des Schreckens vorgeschrieben
sind, endlich das Zurückschaudern und Zurücktaumeln des Ent-
setzens, wie es Liciitenbcri/ an (Jarricks Stellung als Hamlet
dem (reist gegenüber beschrieben hatte.
Zur Flucht führt das mit Scham verbundene Entsetzen:
es wird zur Abgangsmotivierung bei schrecklichen Geständ-
nissen, deren Eindruck der Fliehende nicht auszuhalten ver-
mag; so rennt Goethes Franz im ..Giitz von Berlichingen" mit
dem Rufe ..Gift! Gift!" davon; Cäcilia im „.Julius von Tarent"
(II, 6) geht schleunig ab, nachdem sie Julius mit der Mit-
teilung überra.scht hat: .,lhi' Vater hat uns für einander be-
stimmt"; Hermann in den .,Räubern" (Trsp. LV, 11) stürzt
hinaus mit dem nekenntnis: .,Sie leben", ebenso im nächsten
Auftiitt Karl Moor, nachdem er sich Amalien zu erkennen
gegeben. Auch Ferdinand (Kab. I.Ti will fortrennen, als er
sich von seinem Vater durchschaut fühlt, und Lady Milford
(II, 3), nachdem sie ihre Schande erzählt hat. stürzt weg
und wird nur durch den nacheilenden Major zurückgehalten.
Bewegungen des ganzen Köipei's. Die bisher ein-
geschlagene Reihenfolge ging davon aus, <lass die Gemütsbe-
wegungen in den oberen Körperteilen am schnellsten und
leichtesten erkennbar werden und erst als heftige Erregungen
den ganzen Körper in Anspruch nehmen. Nur die stärksten
ErschütterunL'-en wirken auf die HewcL-'ungen der Beine: der
lieftige Ai-gcr und dei- wütende Zorn stampfen auf den P»oden^);
jede starke innere Unruhe äussert sich in ziellosem Umher-
laufen.
') Vg-l. Raub. I, 2 CS. 47, 12). I, 3 (S. 55, 2l). 11, 1 (S. 61, 2l), III, 2
(S. 126, 11), Trsp. V,6 (S .325, 7); Fiesko 11,14 (S. 66, le); W. T. 1729.
3724; M. St. 3313. Die Wut drückt sich ausserdem durch Zähneknirschen
aus (vgl. S. 394). der Arger, indem man sich vor den Kopf schlägt (vgl. S. 397).
Bei Schiller genügt meistens ein Symptom, während sich bei andern Drama-
— 408 —
Ganze Reden werden im Auf- und Niederg-ehen ire-
sprochen^), z. B. Karl Moors: „Menschen — Menschen!
falsche, heuchlerische Krokodilbrut!'' (I, 2) oder sein Monolog- :
„Höre sie nicht, Rächer im Himmel." (H, 3.) Auch Wallen-
stein spricht seinen grossen Monolog" (W. T. I, 4) im Gehen
und bleibt in den Pausen sinnend stehen; meistens aber bildet
umg-ekehrt die Bewegung: eine Vorbereitung* der Woi"te; sie
g-eht dem Monolog- voraus (z. B.Carlos, Thal. HI, 7; liraut
980 a), odei- füllt die Pausen zwischen einzelnen Absätzen
der Rede (Carlos 2940 a; Picc. 986 a; W. T. 192 a; 3541 a,
3565 b; Braut 1067 a).
Das Gewicht der Gedanken, die eine Person beschäftig-en,
kann durch die Art der Schritte chai-akterisiert werden; so
geht Fiesko, während er seine g-rossen und kühnen Pläne
entwirft, mit starken, majestätischen, hci'oischen »Schritten
umher (S. 73, 8; 77, i; 83, 15; 85, 12; 131, 7): anders ist sein
Gang, als ihn Andreas Dorias Grösse in Vei'wirrung gesetzt hat:
V, 2: (er geht einige Schritte tiefsinnig auf und nieder.)
Am deutlichsten aber ist die Zerstreuung und Dumpfheit,
die sich nicht zu sanmielu vermag-), in dem Umhergehen der
Luise Millerin charakterisiert:
tikern, namentlich bei den Stürmern und Drängern oftmals zwei Aus-
drucksbewegungen vereinen, z. B. :.
Lessing, Minna v. Barnh. III, 7: (bitter, indem ersieh vor die Stirne schlägt
und mit dem Fasse auftritt.)
Lenz, Der Hofmeister I, 1: (Fasst sich an den Kopf und stampft
mit dem Fuss).
Müller. Golo u. Genovefa II, 1: (stampft und knirscht).
Törring, Kasp. d. Thorringer I, 2: (stampft, schlägt sich vor die Stirne).
0 Später rühmte Böttiger an Iffland: „Überhaupt freut es mich, dass
Iffland beym Kampf in der Seele, beyni Monolog, da wo starke Entschlüs.se
gefasst, grosse Worte gesprochen werden sollen, still steht, nicht
auf und niederläuft, wie unsre gewöhnlichen Theaterperipatetiker. Garrick
sprach alle seine Monologen, auch das Seyn und Nichtseyn, fast immer nur
auf Einer Stelle eingewurzelt. (Entwickl. d. Iti'land. Spiels. S. 47 f.) Auch
Goethe billigte es, dass der Haniletmonolog in einer und derselben Stellung
gesprochen werde (Heinr. Schmidt, Erinn. e. Weim. Veteranen S. lOOl.
^j Diese drückende Stimmung kann auch auf mehreren Personen
lasten, z. B. Kab. V, 3: „Beide gehen, ohne ein Wort zu reden, einige
Pausen lang auf den entgegengesetzten Seiten des Zimmers auf und ab."
- 409 —
Kab. II r. 6: ijeht auf und nieiler. den Ko])f gesenkt, als suchte sie
was auf dem Boden.
Lii den Juizeiidstückeii kommen dureli <his Linlieiiautcn
l'inville. Zorn. Krbitteninir und Wut zum Ausdruckt;
die späteren Dramen daiieiicn bczeiclnien das Motiv meistens
allsiemeiner: ..voll L'nruh", „mit lieftiij:- arbeitendem Gemüt",
..mit sich selbst kämpfend", und nur ein einziires Mal ist auch
später noch ein bestimmter Att'ekt irenaucr an;rrcg'eben :
M. 8t. ;i7S5a: Er eeht während <lcr folirenden Rede Mortiniers ver-
zweiflunirsvoll auf und nieder.
Im .Stui'in- und ! )rani:(liama hätte das Auf- und Nieder-
iichen nicht i.-'enügt, um den höchsten Grad der Verzwciflunir
zum Ausdruck zu briuL-'en-l; doi"t wütet iler Verzweifelte
widei' sich selbst, ei- i'auft si<.'h die Ifaarc aus^), zerHeischt
sich das Gesicht, oder wirft sich zu HodcnM. wie Komco in
Lorenzos Zelle. Nicht nur unmittelhai'. sondein auch auf
lautren Umweiren wiikt das altendische Theater auf diese
irewaltsamen Ausbrüche des Atfektes. Der beliebteste Aus-
druck der Verzweitiun;^-. den die »Stürmer und DräUL^er kennen,
findet sich schon bei den enirlischen Komödianten'^) und ver-
erbte sich von da aus auf die deutsclien Wandertruppen:
Er feilt in VerzweiHung, läutft mit dem Kopf an die Wan<l,
dass das Blut unter dem Hut herfür driniret
') V-I. Sem. 413. Kiiuli. III. 2. S. 1-J3, h; Kah. L ö. II, ti. IV. (j.
S. 377. 1. 416, jt. 458. 14.
'') Vg-1. Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre I. S: ..vollkonimen glück-
lich waren wir nur. wenn wir recht rasen, mit den Füssen stampfen und
uns wohl gar vor Wuth und Verzweiflung auf die Erde werfen durfton.''
W. A. I. Bd. 21, S. 40. Weissenfeis, Goethe im Sturm u. Drang, S. 32.
^) Im „Theater-Kalender" 1780. S. 66, wird von einer Schau.spielerin
berichtet, die sich als Claudia Galott i falsche Locken einnadelte, um sie
herausreissen zu können. I)as.selbe berichtet der „Freimüthige"' 1803 S. 95
von einem Schausjjieler Christel, der den Odoardo spielte.
0 Bei Lenz fällt man auch zum Ausdruck der Bewunderung und
Beschämung mit dem Gesicht auf die Erde. Die Soldaten III, 10. Die
Freunde machen den Philosophen V, 2.
■') Devrient I. 169.
— 410 —
Es ist interessant, die Geschichte dieser einzelnen Ausdrucksbe-
wegung zu verfolgen. Im achtzehnten Jahrhundert waren solche
Ausschreitungen auf den grossen stehenden Bühnen jedenfalls
verpönt^), aber bei den Wanderti'uppen fanden sie noch immer
Beifall, je mehr die Bretter dröhnten und die Kulissen
flatterten. Mit allen Kohheiten der herumziehenden Banden
stimmen die Atfektsymptome der ersten Stürmer und Dränger
so auffallend überein, dass man an eine Einwirkung glauben
muss. Nun fand der Sturm und Drang den Weg auf die
Bühne in der Form des Kitterdramas, das wiederum besonders
bei den Wandertruppen in Aufnahme kam und dort die letzten
Staatsaktionen ablöste. So entstand eine Wechselwirkung
zwischen Theater und Drama, dui'ch die die Masslosigkeit nur
genährt wurde. Wenn ( j erstenbergs Ugolino gegen die
Kerkermauern anlief, so war dieser Höhepunkt einer raffiniert
gesteigerten Verzweiflung aus der Situation wohl verständlich,
aber Klingers Helden bei'auschten sich bereits ohne Grund
an der Vorstellung des herumspritzenden (iehirns, und schliess-
lich blieben diese stiei-mässigen Wutausbrüche nicht einmal
auf die kraftsti'otzenden Helden beschränkt: im anonymen
Ritterdrama „Hainz von Stain der Wilde'' weiss sogar ein
alter Wahrsager nichts Besseres zu tun, als die Festigkeit
seines Schädels an der Wand zu erproben.
Auf ..Ugolino" werden die beiden Verzweittungsanfälle
Karl Moors zurückgeführt :
Raub. IV, 3: Wider die Wand rennend,
V, 2: wider eine Eiche rennend;
in den späteren Dramen Schillers, selbst bei den Wutaus-
brüchen Fieskos an T^eonorens Leiche, geht die ungezügelte
Wildheit nicht mein- so weit; das iränderingen erhält dagegen
mehr Gewicht und wird später der hauptsächliche Ausdruck
') Nach dem Sündenregister, das auf die Wiener Schauspieler
Bergopzoomer und Sto|)hanie d. Ä. gehäuft ist, müsste man freilich auch
ihnen solche Geschmacklosigkeiten zutrauen. Diesen Stil hat Schink in
seinem „Theater zu Alidora" (S. 204. '258) persifliert; er zeichnet dort
in dem grossen Strepsiades einen Kulissenreisser und gibt ihm im Leben
wie auf der Bühne die Lieblingsbewegung des gegen die Wand Rennens.
— 411 —
der Verzweiflung-^). Im Roman lebt zwar die Übertreibung
noch länger fort, sogar bei Goethe-), dessen Melina die f^tirn
i^egcn die Wand stösst, und dessen Felix nur durch seiueii
V^ater daran gehindert wird ; aber im Drama verliert sich die
Masslosigkeit, die auf ein geschmackvolles Theaterpublikum
nur lächerlich wirken konnte, ziemlich rasch; selbst Klinger
lässt es in der „Medea in Ivorinth" nur mehr beim Anlauf
bewenden ;
ler will mit dem Kopf gegen die Säulen stossen);
und wenn später noch einmal in Tiecks Zerbino davon die
Rede ist, so klingt es schon mehr wie eine Parodie:
Vernunft räth mir, den Kopf hier gegen Eichen
Zu rennen, dass es nur vorüber sei.
In der zunehmenden Mässigung gehen Drama und Schau-
spielkunst gleichen Schritt, und die Beobachtung dieser Ent-
wicklung^) ist doshalb keineswegs auf Schiller zu beschränken. Kr
unterscheidet sich indessen darin von den Zeitgenossen, dass
bei ihm eine deutliche Grenzlinie zu ziehen ist, die mit dem
Übergang zur Versform zusammenfällt. In einem Rrief an
Goethe^) hat Schiller später den p]influss des Rhythmus her-
vorgehoben, der alle Chai-aktere und Situationen nach einem
Gesetz behandelt und den Dichter nötigt, „von allem noch so
charakteristisch-verschiedenen etwas allgemeines, rein mensch-
liches zu verlangen. Er bildet auf diese Weise die Atmosphäre
für die poetische Schöpfung, das gröbere bleibt zurück, nur
das geistige kann von <liesem dünnen Elemente getragen
werden." Dieser Macht der Versform beugte sich Schiller
bereits während der Arbeit am Don Carlos.
Indessen ist hieraus auch noch nicht alles zu erklären,
denn der Vei's ist nur die äussere Form für ein inneres
Prinzip; für die folgenden Stücke war das Masshalten
') M. St. 3997. Jgfr. 1109. 331.3.
-) Wilh. Meisters Lehrjahre IV, 8. Wanderjahre I, 4. W. A. I.
Bd. 22, S. 52. Bd. 24, S. 65.
^) Vgl. oben S. 324 f.
') An Goethe 24. Nov. 1797. Jonas V, S. 290.
— 412 —
auch schon durcli Schillers ästhctisclic Überzeuirano- g-eboten.
Winckelmanns und Kants Einfluss vereinig-tcn sieh in der
Fordci'unu" der moi-aliselien Frcilieit. die sicli durch Ruhe im
Leiden ausdrückt'). Kicht das Leiden an sich, sondern der
Widerstand dagegen ist pathetiscli und der Darstclluni!' wüi-dig:
..(hdier sind alle absolut liöclisten Grade des Affektes dem
Künstler sowohl als dem Leser untersagt; denn alle unter-
drücken die innerlich widerstehende Kraft, oder setzen viel-
mehr die Unterdrückung'- derselben schon voraus, weil kein
Affekt seinen absolut höchsten Cirad erreichen kann, solange
die Intelligenz im Menschen noch einigen Widerstand leistet."'
Diese innerlich widerstehende Kraft sucht die Gewalt
über alle Muskeln zu wahren; in der Haltung des gesamten
Körpers tritt sie hervor. Für die späteren ötücke sind des-
halb Anweisungen wie die folgenden, in denen Selbstbe-
herrschung und Zusammennehmen zum Ausdruck kommen,
charakteristisch:
W. T. 1731) b: Wallenstein bleibt fest und gefasst stehen.
M. St. 4033 b: Sie bezwingt sich und steht mit ruhiger Fassung da.
Teil 1991b: er ratt't sieh zusammen und legt an.
Wie starken Kintluss die Affekte auf die Haltung dt's Körpei's
gewinnen können, ist vom jungen Schillci' in der medizinischen
Dissertation') ausgeführt: .,Hel(lenmuth und Unerschrokeidieit
ströhmen Leben und Kraft durch Adei'ii und Muskeln, Funken
sprühen aus den Augen, die Brust steigt, alle Glieder i'üsten
sich gleichsam zum Streit, der Mensch hat das Ansehen des
Rosses, Sehreken und Furcht erlöschen das Feuer der Augen,
die (Glieder sinken kraftlos und schwer, das Mark scheint in
den Knochen erfroi'en zu seyn, das lUut fällt dem Herzen zui-
Last, allgemeine Ohnmacht lähmt die Instrumente des Lebens."
Die höchste Anspannung allei' Oi'gane erfolgt bei der
Freude; wir haben oben^) die Umarmung- als eine Äusserung
') Goed. X, S. 112. läO. Ifjo Anm., I(i2.
-) Goed. I, 170.
=') Vgl. S. 403.
- 413 —
dieses Affektes kennen iielernt: ein noch liäufiirerer Aus-
druck aber ist das sich »Strecken und Auisitrinoen'l. z. H.:
Raub. I, 3: froh aufspringend.
V, 2: Aufblühend in eivstatischer Wonne.
Fiasko 1,13: indem er heroisch aufspringt.
11,15: sich froh .streckend.
Kab. V, 5: wie ein Halbnarr in die Höhe springend.
Der Gc^^ensatz dazu sind Ersclilaffuni;- und Ei'starreir).
Der .Schmerz führt zum .Senken des Haui)tes. zum Xachlas.sen
aller Mu.skeln. schliesslich zum \\'anken und Suchen nach
Halt :
Raub, in, 2: legt sein Haupt auf Grimms Brust.
Fiesko I, 10: hält beide Hände vors Gesicht und Avankt in den Sopha.
n, 2: wirft sich .schmerzvoll in einen Sessel.
V, 13: todesmatt zurückwankend.
Kab. II, i: setzt sich todenbleich nieder.
Carlos (Thal.) 845b: Sie lehnt sich an die Oberhofmeisterin und bedeckt
das Gesicht.
Ferner AV. T. 1660 b, 1703 b. 3678 b, 3758, Teil 194 b.
Es geht aus dem oben erwähnten Prinzip des AVider-
standes gegen das Leiden hervor, dass die vollständige Ohn-
macht, die den Sieg- des tierischen Org^anismus über die
Willenskraft bedeutet, in den späteren Stücken nicht uiehr
so häutige Verwendung- finden kann^l. Im (Gegensatz zu
anderen Sturm- und Drang'-figuren, z. ]>. den Lenz'schen
Schwächlingen, die sich durch jede Erregung- umblasen lassen,
haben schon Schillers Jugendhelden mehr Mai'k in sich ; in
den späteren Stücken aber bleibt die Ohnmacht übei'haupt
*) So heisst es auch bei Home (Grunds, d. Kritik. Mcinhards Übers.
3. Aufl. S. 120 f. I: „So wird die äusserste Freude durch Hüpfen, Tanzen
oder andre Stellungen, die den Körper heben, ausgedrückt; und die
äusserste Betrübnis durch Stellungen, die ihn niederdrücken. . . . Stolz.
Grossmuth, Tapferkeit und alle erhebenden Leidenschaften werden durch
Geberden ausgedrückt, die alle in dem Wunsche übereinkommen, dass sie
den Körper heben, .so sehr sie auch von anderen Seiten verschieden sind."
■) Die Erstarrung namentlich in den Jugendstücken z. B. :
Raub. V, 2: steht stumm und starr wie eine Bildsäule.
Fiesko I, 12: Bourgognino erstarrt.
') Vgl. S. 325.
— 414 —
den weiblichen Personen vorbehalten ; nur Walter Fürst
schwankt nach dem Apfelschuss, und Teil sinkt, als er den
geretteten Knaben umfängt, kraftlos zusammen.
Wie beim theatralischen Tod. so ist es auch hier für
den Schauspieler eine Erleichterung, wenn ihm Worte in den
Mund gelegt sind, die die herannahende Schwäche, auch wenn
sie nicht zur Ohnmacht führt, ausdrücken, z. B. :
Raub. V, 2 (S. 194): Meine Sehnen werden schlapp, der Dolch sinkt
aus meinen Händen.
(S. 19GJ: Haltet mich! Um Gottes willen, haltet mich! Es
wird mir so Nacht vor den Augen.
Fiesko I, 1 (S. 10): 0 deinen Arm her — halte mich, Bella!
Carlos 3800 : Ich kann nicht mehr — das ist zu viel.
Es ist zu untei'scheiden zwischen dieser durch Nachlassen
der Stimme, durch Schwanken und Zittern vorbereiteten Ohn-
macht, bei der noch Zeit bleibt, einen Stuhl zu ergreifen oder
in die Arme der Hinzueilenden zu sinken^), und im Gegen-
satz dazu dem unvermittelten Zusammenbrechen.
Die halsbrechenden Künste, mit denen so manche Schau-
spielerin, „als ob sie vom Blitz getroffen würde und mit einer
Gewalt, als ob sie sich die Hirnschale zerschmettern wollte",
der ganzen Länge nach hinschlug, sind nach J. J. EngeP) in
die Luftspringerbude zu verweisen; aber oft genug finden wir
diesen Effekt schon von den Dichtern vorgeschrieben''), und
sogar in Schillers Jugendstücken fehlt er nicht:
Fiesko X^ 15: (sinkt durchdonnert zu Boden.)
Kab. V, 7: Ferdinand (starr und einer Bildsäule gleich, in langer
todter Pause hingewurzelt, fällt endlich wie von einem
Donnerschlag nieder.
') W. T, 3043: (Thekla schwindelnd, fasst einen Sessel.)
3051 b: (Thekla, welche die letzten Reden mit allen
Zeichen wachsender Angst begleitet, verfällt in
ein heftiges Zittern, sie will sinken, Fräulein
Neubrunn eilt hinzu und empfängt sie in ihren
Armen.)
^) Ideen zu e. Mimik I, S. 53.
") Kotzebue, Joh. v. Montfaucon V. 4: (Johanna schlägt sinnlos zu
Boden, indem sie sich das Haar
zerrauft.)
Möller, Graf Walltron TT, f. u. V, 3: (.schlägt sinnlos zur Erde.)
— 415 —
In beiden Fällen ist es der Gipfelpunkt einer unsreheuren Er-
regung-, die wir furchtbar anwachsen sahen; um so mehr muss
auffallen, dass öchiller später dem jungen Voss den Rat ge-
geben haben soll, den vierten Akt seinej- Othellobearbeitung
gleich mit der Ohnmacht des Helden zu beginnen : man werde
aus der furchtbaren Wirkung auf die furchtbare Ursache
schliessen').
Endlich ist noch auf die fingierte Ohnmacht einzugehen,
die mit denselben Mitteln dargestellt wird wie die echte, aber
deutlich, wenn auch nicht zu plump, von dieser unterschieden
werden muss. Die Mitspielenden, nicht aber das Publikum
sollen dadurch getäuscht werden. Die Simulation kann in der
Anweisung des Dichters ausdrücklich verlangt sein; wo dies
unterbleibt, entstehen Tnterpretatiousschwietigkeiten, z. B. bei
der Ohnmacht der Lady Macbeth. Schiller, der diese Figur
als absolut büsen Charakter einem Jago und Franz Moor an
die Seite stellte-), musste nach der ('l)erlieferung^) auch die
weibliche Schwäche für erlogen halten :
11,10 z. 1253: Lady (stellt sich, als ob sie ohnmächtig- werdel.
Simulation. Der Unterschied zwischen symptomatischen
und psychologischen Anweisungen ist hierbei von besonderer
Wichtigkeit. Die symptomatische Foi-m nämlich gibt, da die
Art der Ausdrucksbewegung dieselbe bleibt, ob nun der
Affekt echt oder erheuchelt ist, gar keine Gelegenheit, die
Verstellung direkt zu kennzeichnen. Sie muss sich aus der
Situation und dem Charakter der Person ergeben, z. 1 j. :
Raub. I, 3 (S. 53): mit verhülltem Gesicht.
II, 2 (S. 70): ^vihl auf llerrmann losgeheml.
Umherirrend im Zimmer.
III, 1 (S. 112): fällt ihm um den Hals.
M. St. 1527 : ihre Thränen trocknend.
Bei den psychologischen Angaben, die den Affekt selbst
nennen, muss dagegen seine Unwahrheit betont werden:
*) V. Vincke, Shakespeare-Jahrbuch XV, S. 227.
-) Goed. X, 25.
'} Küster S. .34. 295.
— 416 —
Raub. TT. 2 (S. 71): wie erstaunt.
Fiesko (Bühnenb.) V, (J (S. 348): mit angenoniiiienem Zorn.
Ivab. TV, 5(S. 456): heuchelt eine .schuldlo.se Miene.
Carlos (Thalia) 3432: mit affektirtem Leichtsinn.
Pico. 2155 b: mit anscheinender Gleichgültig-keit.
Es können sich aber auch beide Formen vereinig-en, woraus
in diesem Falle kein Pleonasmus entsteht:
M. St. 2235 a: stellt sich überrascht und erstaunt, einen
tinstern Blick auf T^eicestern werfend.
Mit der Fraise nun, durch welche Mittel der Darstellei-
das geheuchelte Spiel kenntlich zu machen hat. kommen wir
auf dasselbe interessante Grenzgebiet der theatralischen Kunst,
an dem wir oben bereits einmal voi'beigingen'). Es handelte
sich darum, dass eine Schauspielerin, die ohnehin schon ge-
schminkt ist, dem Publikum geschminkt erscheinen soll.
Ebenso wie dort, muss hier die Farbe so dick aufgetragen
werden, der Schauspieler muss so plump spielen, dass er auf
(Ion Zuschauer unwahrscheinlich Avirkt. Bei dieser Doppcl-
täu.schung ti'itt also „der sonderbare Fall ein. wo der gute
Schauspieler es wie der schlechte machen und in sein Spiel
ausdrücklich etwas Missheiliges, Falsches, Verfehltes hinein-
legen muss." Engel"') zitiert bei dieser Gelegenheit den Aus-
spruch, den Garrick einem unvollkommenen Schauspieler
gegenüber getan haben soll:- „Sie haben die Rolle des Trunkenen
mit viel Wahi'heit und Anstand gespielt, aber — Ihr linker
Fuss war mir zu nüchtern.'" Ebenso nun wie bei der unge-
schickten Darstellung wird bei der geschickten Simulation irgend
ein Glied, das an dem Gesamtausdruck nicht teilnimmt, ein
Jalsciier Blick, eine gezwungene, allzuhastige ]jewegung die
innere Unwahrheit verraten.
Schiller selbst hat noch feiner unterschieden. Er trennt,
worin wir ihm obcn^j bereits folgten, zweierlei Ausdrucks-
bewegungen: erstens die ganz unwillküiiichen, die unmittel-
bar von der Empfindung ausgehen; zweitens solche, die der
') Vgl. S. 297.
2) Ideen zu einer Mimik I. 309 ff., 317 ff.
») Vgl. S. 396.
- 417 —
Art nach Avillkürlich sein könnten, „die aber der blinde Natur-
trieb der Freiheit ab<rewinnt.'' Beide Arten machen durch
ihr Zusaninicnwirkcii den Ausdruck des Affektes zu einem
volistäudig-en und übereinstininienden Ganzen. Sobald die
Bewegungen der ersten Art vorhei-i'schen, ist die Natur in den
Affekt wirklich versetzt, aber der Wille kämpft dagegen an
— dies ist der innere Widerstand gegen das Leiden, der
Ausdruck moralischer Kraft, in dem Schiller den Gegenstand
pathetischer DarsteHung erblickt. Findet man dagegen nur
die Bewegungen der zweiten Art. .,so zeigt dieses an, dass
die Person den Affekt will, und die Natur ihn verweigert" —
dies ist der Fall bei affektierten Personen, bei schlechten
Komödianten, bei jedem erkünstelten und erheuchelten Si)ier).
Engels und Schillers Ansichten laufen praktisch auf
dasselbe hinaus; die positive Kehrseite besteht bei beiden
darin, dass an dem echten, uimiittelbaren Ausdi-uek der ganze
Körper gleichmässig teilzunehiueii hat. Also auch dann, wenn
die direkte Voi-schrift des Dichters das charaktei'istische
Symptom nur einem einzigen Köi'perteil zuweist, müssen sich
die übrigen Glieder mit dieser führenden Ausdrucksbewegung
in Harmonie setzen.
7. Deklamation.
Dieselbe innere Einheit, die die körperlichen Bewegungen
in Einklang hält, verbindet sie auch mit dem sprachlichen
Ausdruck, und so ist Hamlets Regel: „Passt die Gebärde dem
Wort, das Wort der (Jebärde an", ein Grundgesetz der Schau-
spielkunst. Die häutig'sten aller Bühnenanweisungen wenden
sich deshalb weder besonders an die stimmlichen noch an die
mimischen Ausdrucksmittel, sondern charakterisieren in der
Form eines einfachen Adverbiums den Seelenzustand und die
Stimmung, aus denen der Gesamtausdruck hervorgeht.
1) Goeil. X, 111.
l'alapstra XXXI 1. 27
— 418 —
Diese eiö-entlich psychologischen Anweisun.ircn wird man
trotzdem den Deklamationsvorschriften zuzählen, einmal weil
das Wort im Drama überwiegt und der Deklamation zwei
Drittel des Ausdrucks zufallen, ferner aber auch rein äusser-
lich. weil sie ihrer grammatischen Foi-m nach nicht gut allein
stehen können und sich regelmässig an das gesprochene Wort
anlehnen.
Dass sie vor allem die Farbe des Sprechtones zu be-
stimmen haben, lassen einzelne dieser Adverbia sogleich er-
kennen, z. B. aufbrausend, bitter, gerührt, hitzig, schmelzend,
schwer. Aber auch bei anderen Vorschriften, die zunächst
an eine Bewegung des Körpers denken lassen, z. B. ..auf-
fahrend", ist der Stinunausdruck das Wesentliche').
Nun liegt es in der ganzen Methode dieser Cntei'suchung,
dass die häutigei-en und i'cgclmässigen Erscheinungen geringere
Beachtung linden als die charakteristischen Seltenheiten. Ich
habe in den Bühnenanweisungen Schillers über 150 ver-
schiedene Adverbia gezählt, aber es hätte wenig Wert, hier die
vollständige Liste zu geben; nur die häufigsten seien genannt:
„bedeutend", „dringend", „entschlossen", „ei'nsthaft", „er-
staunt", ..feurig", „heftig", „kalt", „lebhaft", „treuhei-zig",
„trotzig", „ungeduldig".
Die grösste Mannigfaltigkeit weisen natürlich die Jugend-
stücke auf; indessen gibt es auch einzelne Adverbia, die auf
die späteren Dramen beschränkt sind, z. B. „ahnungsvoll"
(W. T. 3759. M. St. 2158), „offiziös" (M. St. -JCfiö). ..pressirt«
(Picc. 593. 1737. 2196; W. T. 133.).
') Vgl. den Widerspruch Fr. L. Schmidts in seinen Dramaturg-.
Aphorismen (11,84): „Die Vorschrift Au ffahrend verführt den Darsteller
nicht selten zu einem falschen Ausdruck: er erhebt in den meisten Fällen
die Stimme schreiend, liis zum Erschrecken. Das .\uffahren liesteht nicht
immer in der Erhebung des Tones; im Gegentheil, dieser kann zur Be-
zeichnung dieses Ausdrucks sogar schwächer, in sich g^epresster seyn
und dumpf ertönen, während den Körper ein electrischer Schlag durch-
zuckt."
— 419 —
Gleichwertig'- mit den Adverbien, wenn auch minder häufio^,
sind die mit Präpositionen zusammeng-esetzten Substantiva,
z. B. „in Beweg-ung", „mit Feuer", „in Begeisterung-". Mehr
Interesse aber verdienen die Mischungen verschiedener For-
men, durch die die feineren Nuancen des Tones bezeichnet
werden sollen. Davon mögen einige Proben folgen:
Mehrere Adverbia:
heftig und vergessen Seui. 181, 350.
kurz und störrisch Raub. S. 289, 7.
voll und befehlend Fiesko S. 77, lO.
leichtfertig dreust 124, 20.
schmelzend zärtlich und etwas schelmisch 132. 24.
gros und warm 154, 17.
überrascht und betroffen, doch sogleich
wieder gefasst Carlos (Thal.) 2238.
dringend und ungeduldig Picc. 584.
kalt und streng M. St. 2268.
Adverbia und Substantiva:
äuserst stolz und mit Würde Fiesko 77, 4.
mit Wehmuth und etwas bitter 87, 14.
aufgeregt und mit Hitze 124, 22.
matt unterliegend mit beweglichem Ton 125, 22.
gerührt und voll Bewunderung Carlos 3794.
Mehrere Substantiva.
mit "Wärme und Zärtlichkeit Fiesko 346, 27.
mit Sanftmut und Hoheit Kai). 400, 7.
mit Ernst und Stärke 406, 24.
mit Feinheit und Grazie Carlos (Th.) 2581.
voll Erwartung und Erstaunen Carlos 4588.
mit Lebhaftigkeit und Adel W. T. 3855.
A d j e k t i V a und Substantiva.
mit aulfahrender Erbitterung Fiesko 45, 20.
in stürmischer Aufwallung 115, 3; Carlos (Th.) 522.
mit feinster Bitterkeit 132, 16.
mit schrükhafter Beruhigung 150, 4.
mit dem Ausdruck eines wütenden
Wahnsinns 308, 9.
im Ausdruck des heftigsten Leidens 243, 3; Kab. 406, 10.
im Ton des tiefsten inwendigen
Leidens Kab. 437, 23.
mit wilder feuriger Empfindung 456, 5.
27*
— 420 —
mit dem vollen Ausdruk der Liebe Kah. -498, 26; Carlos (Th.l 2577.
im Ausdruck der unbändigsten Wuth 503, 18.
in der fürchterlichsten Angst 505, 6; Carlos (Th.) 2.324.
mit listiger Verwundeiung Carlos (Th.) 2194.
mit leichter Galanterie 2286.
mit einschmeichelndem Interesse 2293.
in fürchterlichem Ausbruch des Schmerzes 2612.
mit ruhigem Ernst und mit Würde 2646.
mit Sanftmut und Würde, aber mit
zitternder Stimme 3794.
mit tief verwundeter Seele Braut 2808.
Es ist vor allem die Tonfarbe, die hierdurch auf Um-
wegen bestimmt werden soll; indessen zeigt die gesuchte Form,
wie schwer das, was dem Dichter im Ohre klingt, festzu-
halten ist. Der Ton ist etwas Individuelleres als die mimischen
Ausdrucksmittel ; auch ist deren Beobachtung durch das Auge
allgemeiner ausgebildet als das feine Gehör. Die ypi-ache
wirkt unmittelbar veranschaulichend und bedient sich sogar,
um einen Ton zu bezeichnen, der Anschauungsformen ..hoch"
und „tief" ; alles Sichtbare vermag sie deutlicher zu be-
schreiben als das Gehörte; dabei Hndet sie eine Unterstützung
in der bildenden Kunst, die jeden mimischen Ausdruck
dauernd festzuhalten im stände ist; eine Fixiei'ung des Tones
abei- war voi- den Zeiten de.^ Phonographen nicht möglich.
Dieser Unterschied wurde vonseiten der Bühuenschrift-
steller wohl empfunden; ein lieispiel ist der als Kupferstecher
wie als Dichter gleich dilettantische lleir v. Göz, dem die
Sprache für die N'ciinittlung seiiiei- Bühnenvorschriften nicht
ansreiclite; er hat deshalb in seinem klehicn Drama .,Lcnardo
und Ijlandine" die Allsdrucksbewegungen durch 10»> Radie-
rungen vorgezeichnet; für den Ton aber fand er keine Vcr-
dolmetschung und klagte, dass es nicht möglich sei. durch
musikalisclie Koten hier abzuhelfend: „Schade, dass man sich
noch nicht über mererc Zeichen einverstanden hat, wodurch
die Tonabänderungen in der Deklama/ioii und (iestikulazion
') Versuch einer zal roichen Folge Lcidenschaftliciier Entwürfe für
Empfindsame Kunst- und Schauspiel-Freunde. Augsl)urg 1783. S. 22f. 63 f.
— 421 —
festg-eli alten und einleuchtend g^emaclit werden könnten; vileieht
bedürfte e« nur eines Mannes, der sich bereits um die
Würde eines aliremeinen Lerers verdient gemacht hätte."
Ct. V. Seckendorf hat sich später in seinen ..Vorlesungen über
Deklamation und Mimik"' ein ähnliches Ziel iiesteckt, aber
seine Übertraiiun.ir spezifisch musikalischer Prinzipien auf
die Rede konnte die Kunst des Vortrags mir in die Irre
führen.
Dieser Vorwurf wurde bereits gegen den Weimarer »Stil
erhoben, aber mit Unrecht zos: man (ioethc selbst zur Ver-
antwortung. Wenn in den „Kegeln für Schauspieler" die
Deklamierkunst eine ])i'osaisehe Tonktnist lieisst'l. so wii'd doch
zugleich der wichtiiro Unterschied betont, dass sie im Umfang
ihrer Töne weit beschi-änktei' sei als die Musik und (hiss sie
nie die Abhängigkeit von einem fremden Zwecke vergessen
dürfe. Und geiade vor den beiden Klippen, denen die ver-
äusserlichte Deklamation spätei- wiedei- zmn ()j)fer üel, wird
gewarnt: vor der ^lonotonie und vor dem zu schnellen Ton-
wechsel, dem sinkenden Voi'trai.'-.
In den Grundgesetzen freilich, die die rhythmische Rede
mit der Musik gemeinsam hat, wui'(h^ diese; als Führerin an-
erkannt; Goethe soll auf dei' Probe den Taktstock gescliwungen
haben, was anfangs notwendig war. um den Schauspielern
überhaupt das fehlende ihythmisclie ( iefülil eiuzudi-illen: aber
auch für die besondeie Aeceutuieiuni.'' und die Atemveiteilung
hatten Kegeln der Tonkunst Geltung. So hat es denn (ioethes
Schüler P. A \Voltf-) noch später ausiicsprochen: ..Der Decla-
mator muss seine Aufgabe wie dei- Sängei' behandeln. Ki'
muss seine Reden auf Noten setzen, die Worte von gi-össei-em
Gewicht, die herauszuheben sind, untersti'eichen, auf welche
die Kraft eines bestimmten Aecentes oder cinei' Empfindung
zu legen ist, doppelt, dreifach uiitcrstieichen."
') W. A. I, 15(1. 40, S. 147. Wähle. Sehr. .1. Goetheges. VI,
S. 42. 166.
-■) Martersteig, 1'. A. W'i.lir. S. .^02.
— 422 —
Wenn es freilich nur auf diese Unterstreichung') ankäme,
dann dürfte man nicht von der schwierigen Vermittlung
deklamatorischer Anweisungen reden; sie kann auch der
Dichter bereits vornehmen, und er pflegte es in jener Zeit
ausgiebiger zu tun, als unserem modernen Bedürfnis entspricht.
Wir kommen damit zu den symptomatischen Vorschriften
des sprachlichen Ausdrucks. In gewissem Sinne gehört dazu
schon der Rhythmus selbst, soweit er durch die Verseinteilung
bestimmt ist; für die meisten Schauspieler bestand darin sogar
eine lästige Vorschrift. Es muss hier kurz auf die bekannte'')
Tatsache eingegangen werden, dass die Schauspieler unter der
Übermacht des Konversationsstückes die rhythmische Sprache
verlernt hatten. Iffland, der Zeitlebens ein Feind des Verses
blieb''), hielt es für angebracht, die dichterische Sprache durch
Einfügung eines „0 Gott" und anderer Interjektionen zum
Konversationston hei-abzuziehen ; aber auch von der berühmten
Friederike Unzelmann. die wenigstens rhythmisches Gefühl
hatte*), wird dasselbe erzählt wie von den Leipzig-Dresdener
Schauspielern Opitz. Heinecke, Schirmer u. a., nämlich dass
sie sich ihre Rollen als Prosa habe ausschreiben lassen, w^eil
ihr sonst ein sinnvoller Vortrag unmöglich schien.
Schiller war genötigt worden, aus diesem Grunde Prosa-
raanuskripte des Don Carlos an die meisten Bühnen zu geben ^);
') So erzählt z. B. Brandes l)ereits von dem deklamatorischen Unter-
richt, den er beim Theaternieister der Schönemannschen Truppe empfinjr:
„Jener unterstrich, in den mir zugetheilten Rollen, die Hauptwörter, worauf
ich den Accent legen sollte."
■) Koberstein, Grundr. d. d. Nationallitt. 5. Aufl. II, S. 1661.
') Ticcks Schriften 1828 I, S. XVIII f.
A. W. Schlegel, Werke VII, 68.
Klingemann, Kunst u. Natur I, 385.
Devrient III, 294.
*) Schiller an Körner 23. Sept. 1801. Jonas VI, 301.
Wähle, Sehr. d. Goetheges. VI, 128.
Genast I, 89 f. 139.
*) An Göschen 9. Okt. 86. An Schröder 18. Dez. 86. Jonas T,
310. 321. Vgl. auch .Anhang 2. Die I'rosabearheituiig Schillers scheint
noch 1810 in Frankfurt a. M. gegeben worden zu sein (Gar. v. Wolzogens
— 42;J —
auch den Wallenstcin hatte er in Prosa beironncn. und er
war bereit, für das Stuttgarter Theater die beiden grossen
Stücke der Trilogie wieder prosaisch umzustilisieren ' l.
Indessen zwang der Wunscli des Publikums den doi'tigen
Theaterleiter, darauf zu verzichten. Naclideni dann Schiller
im September 1801 bei der Leipziger Aufführung der
„Jungfrau von Orleans" seine Verse hatte misshandeln hören
und nachdem er auch an Mad. Unzelmanns \\'eimarer
Gastspiel denselben HauL'' zur natüi-lichen Vortragsweise und
zum Konversationston beobachtet hatte, wurde er nochmals
vorübergehend irre und schrieb missmutig an Körner): ..Alles
zieht zur Prosa hinab, und ich habe mir witklicli im Krn.st
die Frage aufgeworfen: ob ich bei meinem gegenwärtigen
Stücke [Turandot oder VVarbeck], sowie bei allen, die auf
dem Theater wirken .sollen, nicht lieber gleich in Prosa
schreiben soll, da die Declamation doch alles thut. um den
Bau der Verse zu zerstören, und das Publicum nur an die
Lit. Nachlass 11, 3J2); in Leipzig wurde sie noch 1807 gespielt, nachdem
kurz vorher die WeiiDarer die Versbcarbeitung gegeben hatten (vgl. S. 302).
Der Berichterstatter [D. .loh. Schulze], der im Morgenblatt 1807 (No. 249,
250) beide Aurt'ührungen verglich, hatte keine Ahnung, wer der Urheber
der prosaischen Verstümmelung sei, als er schrieb: „Wie auch der Ver-
fasser dieser Bearbeitung heisscn mag, dem Khrenmaniie gebührt der Ruhm,
dass er keine Mühe gespart, um dem Don Karlos möglichst allen Werth
zu rauben. Die .lan)l)en sind natürlich in Prosa verwandelt; kein kleines
Glück für die Sccondaische Gesellschaft, die von Versen und gebundener
Rede einmal nichts hören mag. . . . Alle AVorte des Dominicaners werden
hier dem Minister Don Antonio Ferez [vgl. S. 49] in den Mund gelegt.
— Wie dies möglich ist, wie Perez die Worte des Mönchs sprechen kann,
und dennoch Perez seyn, und in dessen Geiste handeln, dies sind Fragen,
deren Auflösung Du von mir nicht erwarten darfst. — Du wirst mit mir
eine Gesellschaft bedauern, die Deutschlands klassische Stücke auf diese
unverzeihliche Weise verstümmelt. — "
') An Cotta 18. Okt. 98. Jonis V, 45. llaselmeier an Schiller
8. Dez. 98. ürlichs S. 3U8. Andere Dramatiker taten dies wirklich;
wenigstens behauptete Babo. ..er schreibe alle seine Stücke in Versen, und
nur um der grössern Deutlichkeit und Simplizität willen wähle er bei der
Abschrift die prosaische Form und Einkleidung." (Annalen d. Theaters
1790. Heft r>. S. 102.)
') .'). Okt. und K). Nov. 18U1. .lonas VI, 30-3. 31f>,
— 424 —
liebe bequeme Natur g-eAvöhnt ist. Wenn ich anders die-
selbe Liebe, welche ich für meine Arbeit noth wendig
haben muss, mit einer Ausführung: in Prosa vereinigen
kann, so Averde ich mich avoIiI noch dazu entschliessen."
Allein die notwendige Liebe des Künstlers, die poetische
Innigkeit behielt den Sieg über die praktischen Rücksichten,
und bald darauf konnte Schiller den Freund beruhigen: ..Sorge
nicht, dass ich den Jamben entsagen werde."
Wenn wir die Geschichte des Dramas als die Resultate
zweier zusammenwirkender Mächte, der Poesie und des Theaters,
betrachten, so kommen wir hier an einen Entwicklungspunkt,
wo das Poetische über das Schauspielerische den Sieg gewann.
Der Bühnentradition, den Fähigkeiten der Schauspieler, den
Stimmen angesehener Theoretiker, z. B. J. J. Engels, zum Trotz
setzte sich der Vei's durch, emporgetragen von einer neuen
Zeitströmung, die die i'hythmische Sprache als die organische
Form des Poetischen proklamierte.
Die Romantik, die als die notwendige Reaktion gegen
die Plattheit des bürgerlichen Dramas auftrat, konnte die
poetischen Forderungen um so konsequenter verfechten, als
sie von den praktischen Rücksichten auf das Tlieater zunächst
ganz absah. Und so konnte A. W, Schlegel in seinen Horen-
beiträgen, die unter Schillers Eintiuss stehen^), weiter gchn
als Schiller selbst, der gewisse theatralische Vorzüge der Prosa
immerhin anzuerkennen wusste^).
Andererseits aber hätte die romantische Schule nicht
genug Einfluss auf die lebende Bühne gehabt, um liier ihre
*) Hayni, Die romantische Schule, S. 15-i f. Küster S. 97 f. Wähle,
Sehr. (l. Goetheges. VI, S. 134 f. In Schlegels „Briefen über Poesie,
Sylbenniass und Sprache" (Hören 1795, eilftes Stück; 1796, erstes und
zweites Stück) hiess es: „wenn der dramatische Dichter diesen Schmuck
verwirft oder vernachlä-ssigt, so muss er zugleich alle Ansprüche auf
eigentlich dichterische Schönheiten des Dialogs aufgeben." In dem Auf-
satz „Etwas über William Shakespeare bey Gelegenheit Wilhelm Meisters"
(Heren 1790, viertes Stück S. 91 ff.) bekämpft er Engel und seine Partei,
die die Prosa aus Gründen der Natürlichkeit forderten.
■-) An Kürner 1(5. Nov. 18U1. Jonas VI, 315.
— 425 —
Sache durchzusetzen: die Bahnbrochor waren Goethe und
Scliillei'. Und zwar Goethe hauptsächlich als l'heatei'leitcr,
denn es Avaren nicht Iphiirenie und Tasso. sondci'n Schillers
irrosse dramatische Dichtuno-en vom Wallcnstrin ab. dui'ch die
die Bühne für das Versdrama erobert wurde; abei' Schiller
selbst hätte diesen Kam))!" schwerlich durchiret'ührt ohne den
starken Rückhalt, den ihm die Weimarer Bühne bot.
Beide Dichter ylniren planmässitr zu Werke, indem sie
die allmähliche ErziehuuL'' der Schauspieler und (\os Publikums
als die nächstlie,i.'ende Aufirabe erf'assteu. ..]Maii muss das
Publikum an alles s'ewöhnen," schrieb Schiller an Goethe, als
er die metrischen Manniirfaltiirkeiten der ..Mai'ia Stuart" an-
kündiij^te*), und Goethe wiederum beffrüsstc Fr. Schletrels
Alarcos, weil er dem Schauspieler Gelegenheit gebe, sich in
den ..äusserst obligaten Silbenmassen" zu üben-). Der Ein-
fluss auf das Publikum war leicht gewonnen: es gewöhnte
sich so rasch an die neue Form, dass berechnende Dramatiker,
um nicht aus dei- Mode zu kouuneu. zum Vers überzugehen
genötigt waren. Kotzebuf. dem Feinde der Romantik, genügte
schliesslich nicht einmal der jambische Vers; er Hess sich von
der romantischen Mode, das Drama zu einem Blumenbeet der
verschiedensten N'ersailen zu macheu. so weit anstecken, dass
er z. B. seiner Octavia geschmackloser Weise einen hexa-
metrischen Monolog in den Mund legte.
Auch bei Scliiller kommen die fremden Metreu nicht
immer der dramatischen Wiikung zu Gute; die Daktylen in
der .,Mai-ia Stuart" (111. 1) ents})re(dien zwar glücklich der
lyrischen Situation, ebenso die Trochäen, in denen die .Juiil'-
frau (LV, 1 ) Kassandrattiue anschlägt: auch die Trimeter ])assen
sich bei Don Cesars Totenopfer (Braut 2587 tf.) dem feieiiichen
Moment wohl an — in dei- Montgoraeryszene dagegen ei'scheinen
sie als poetische Verschwendung, denn das Prachtgewand ent-
spi-icht keineswegs der dramatischen Bedeutung dieser p]pisode,
sondei'u verstärkt eher ihren antik-epischen Chai'akter. Im
') Goethe, Weimarisches Hoftheater W. A. Hd. 4o, S. 75.
An Goethe 3. Sept. 1799. .Jonas VI, 84.
-; Goethe an Schiller 9. Mai 18U2. W. A. IV. Bd. IG, S. 83.
— 426 —
„Teil" kehrte Schiller wieder (liirchirehend zum Blankvers
zurück, (lern er durch freie Eehandlunir eine Manniiifaltiirkeit
ahirewonnen hat, die ihn zur prosaischen Prägnanz und zum
poetischen Schwunf;' srleich ausdrucksfähiir macht und den
Dichter sogar in Stand setzt, innerhalb der Stileinheit die
Sprechweise einzelner Personen leise zu individualisieren').
Tonstärke. Der Vers trägt die Gesetze seines Vor-
trags in sich; im geregelten Wechsel zwischen Hebungen und
Senkungen setzt ei- Accente fest, die in der Prosa erst durch
Unterstreichung bestimmt werden. Während somit das Heraus-
heben besonderer Silben im Vers zur Notwendigkeit wird,
operiert die leidenschaftlose Pi'osa des Konversationsstückes
überhaupt weniger mit der Tonstärke als mit Tonhöhe und
Tempo.
Ich wähle, um dies zu veranschaulichen, dasselbe Beispiel,
dessen sich einst Fr. L. Schröder bediente; er sprach zu
]3öttiger über die Betonung des kurzen Satzes: Das kann
nicht sein! ..Hier wird der gewöhnliche Schauspieler gewiss
so accentuiren : das kann nicht sein! Aber das ist grund-
falsch und blosse Manier. Man höre wie jeder Vernünftige
es im gemeinen Leben ausspricht. Kv logt auf keines dei-
vier Worte einen entschiedenen Acceiit. Aber er spricht es
kürzer oder langsamer, lauter oder leiser, nach der jedes-
maligen Stimmung seiner Seele, und nach den augenblickliciien
Einwirkungen der ihn umgebenden Menschen, aus. Nur dies
letztere wahi- auszudrücken, ist das Geschäft des Schauspielers,
der seine Kunst versteiit-j.
Sobald nun dieser einfache Satz sich dem V'ersrhythmus
cinoi'dnet. fällt auf zwei von den bisher gleichwertigen Silben
der stäi'kere Ton; ilauiit wird zugleich ein intensiverer Ge-
fühlsnachdnick bedingt und der Konvei'sationston des Vorti'ags
aufgehoben. Diese)- selbe Satz, dor in der Prosa nicht genug
Gewiclit hätte, kann im Iiliythmus der Träger des leiden-
'l Minor, Neuhochdeutsche Metrik. 'J. Aul). S. 248.
■-') Böttinfer, Fr. L. Schröder in Ilaniliuri,'- im Snnmier 17!)'). Fleischers
Minerva 1818, S, 287,
— 427 —
scbaftlif'hston Ausdrucks werden ; damit finden Avir die Be-
obaclitunir erklärt, die Schiller machte, als er die iirspi-ünir-
liche Prosa seines „Wallenstein'' in eine poetisch-rhythmische
Sprache verwandelte: es fiel ihm auf. dass in der Versfoiin
crerade den poetisch bedeutenden »Stellen ..eine nuii^re Dar-
stelluns,^ und eine bis zum Gemeinen irehendc Einfalt des
Ausdrucks recht wohl anstehen"'). Und zufällii^- tiiiden wir
(rerade in den Piccolomini denselben von Schi'öder heranire-
zogenen fSatz an einer leidenschaftlichen Stelle eintreten:
2430: Es kann nicht seynl kann nicht seyn! kann nicht seyn!
Dass dieselben Worte mehrmals auf einander folgen. entsi)richt
dem dramatischen Stil Lessinirs"): dass indessen ihre P>etonunir
wechselt, ist Schillers Ei;:enart^). Dieser merkwürdige IJrauch
macht die Speirunir auch im Vers notwendisr; bei der zweiten
Ifebuni: konnte sie unterbleiben, da auch der versniiLieiibte
Schauspieler das ..sevn"' betont hätte: der Accentwcchsel in
der AMederholunir dag-epen hätte ohne besonderen Finirerzeiir
dui'ch einen rhythmischen P.arbaren veikannt werden k()nnen.
Nun bezeichnen diese Sperrungen nicht mir die PetonunL»"
einzelnei' Silben, sondern sie schreiben dem iranzen Vers ein
crescendo vor. In dm iresteigertcn Wiedei-holuni^en der
Lessinsjschen S])i'ache \\c<A ein Vor\värtsdräni:en. ein An-
schwellen der Tonhöhe wie der Tonstärke; das beobachten wir
auch am Vei-s des 1)(mi Carlos, der am meisten unter Lcssings
EinHuss steht:
1-29 f.: Ist es möglich?
Ists wahr? Js;ts wirklich? bist dus? — 0 ilu bistsl
186: Ist keine Stelle — keine — keine, wo
Thalia 811 f.: und jezt
jezt — jezt — errüthe für dich selbst Natur.
Auf keinen Fall bleiben die mehi'fach wiederholten Wörter
in der g-leichen Tonhöhe und Tonstärke; wohl aber Hessen
') An Goethe 24. Xov. 1797. .Jonas V, S. 289 f.
'^) Zarncke. Üb. d. fünffüss. Jambus bei Lessing, Schiller u. Goethe.
Kleine Schriften I. 368.
•') Vgl. dagegen Nathan 3794. wo der Ton zweimal auf ..sein" lileilit:
Ihr Bruder! — Kann nicht sein! nicht sein! Sein Herz.
— 428 —
sie- sich aiif]i im diniiniiondo abstufen^), und darauf scheint
es hinzuweisen, wenn im letzten Beisjiiel nur das eine ...jetzt''
iresperrt ist und nicht die folgenden. Aber dieses Herab-
sinken Aväre doch nur am Ausgang' einer Pei'iode wirkungs-
voll; hiei- dagegen ist die (Steigerung unerlässlich-j. Schiller
wendet — das erkläi't diesen Fall — die Sperrung nicht
konsequent an; bei zwei Gegensätzen z. J>. wird oft nur das
erste A\'ort unterstrichen unter der Voraussetzung, dass damit
der Sinn hinreichend unterstützt ist und der Voi'ti-agende das
zweite von selbst heraushebt. In den Jugenddramen bedeutet
die Sperrung überhaupt noch keine klare Vorschrift für Ver-
stärkung des Tones. Wenn z. Jj. in Franzens Monolog in
den „Räubern"' (11,1) die Wörter Zorn, Sorge, Gram.
Furcht, Schrek u. s. w. untei'strichen sind, so ist das
die Art, wie in einer wissenschaftlichen Abhandlung die
logische Ik'grift'sgliederung dem Auge des Lesers ei'leichtert
wird, aber keinem Vortragenden dürfte es einfallen, jedes
dieser Wörter herauszuschreien. Aus demselben Grunde,
nämlich um dem Leser einen klaren Überblick zu ermöglichen,
bleibt die Sperrung üblich bei Eigennamen, namentlich wo sie
zum ersten Male aufti'eten. Lnmerhin ist hier eine Beziehung
zum Vortrag vorhanden, denn der Schauspieler wird dadurch
aufgefordert, diese Wörter besonders deutlich zu artikuliei"en.
Und so steht dieser Brauch in Übereinstimmung mit einer
') Seckeiiilorf (NOrles. üb. Uekl. u. Mimik I, 271) erwähnt hierfür
Leicestcrs Monolog (M. St. V, 10. v. ;3861 li".):
Uni.sonst! Un)son.stI Mich fasst der Hölle Grauen,
Ich kann, ich kann das Schreckliche nicht schauen,
Kann sie nicht sterben sehen —
Seckendorf spricht hier von Accenten der Schwäche; „das wieder-
holte Wort ist jedesmal der schwächere Ton und gewinnt dadurch an
Ausdruck."
'■) Das crescendo der Wiederholung wird in der Prosa direkt ange-
wiesen z. B. Kab. V, 1 :
Wie dann? (iiachilrüeklicher, lauter) Wie dann. Unglück-
selige?
— 429 —
von Goethes Schauspick'i-i'e^olir'i: ..Auf die KiLiciinainen inuss
im Allg"emeinen ein stärkerer Ausdiuck in der Au.sspraclie
geleg't werden als trewöhnlidi. weil j^o ein Name dem Zuhörer
besonders auffallen soll. Denn sehr oft ist es der Fall, dass
von einer Person sehon im ersten Acte gesprochen wird,
welche erst im dritten und oft noch später vorkommt. Das
Publicum soll nun darauf aufmerksam L-'cmacht werden, und
wie kann das andei's iieschehen als durch deutliciie energische
Aussprache?"
Es ist bereits oben ein Ucispiel gegeben für Schillers
Vorliebe, bei der gesteigei'ten A\'iedei-holung derselben Worte
oder beim Tarallelismus mit der IJetonun*:- zu wechsehi. Dafür
seien noch zwei Stellen aus dem Don Carlos angeführt:
1987: Nur da — goiatle da mir. wo es uns
.'>14."3: Sie haben Recht. Sie müssen. Dass Sie können
l)eide Male fällt die erste Spei'rung auf. weil sie dem Vers-
rhythmus wi(lers])ii('lit. In den ci-stcn Küssen sind solche
') W. A. I. Bd. 40. S. 14.}. l.öfif. i§ 13, § •27f.l
Bei den freniden Ki<rennamen ist die IJetonun"-. die durch den Vers
festgelegt wird, von Wichtiglcoit : so tindet sich z. B. im Don Carlos ur-
sprünglich die falsche Aussi)rache: .. Hödrigö" : in den Phönizierinnen:
„Poljnices"; beides wurde in späteren Ausgaben korrigiert. („Rödrigö''
auch bei Kleist in der Familie Ghonorez. doch kaum aus Unkenntnis, da
Klei.st sich überhaupt die grös.ste Freiheit in der Betonung von Eigennamen
gestattet. Minde-Pouet Kleist Stil S. Gl.)
Bei französischen Namen .setzte Schiller die Kenntnis der Aussprache
voraus; dass er Dünois und Du Chatel schreibt, bezweckt keine Belehrung des
Schauspielers, denn .schwierigere Namen sind in ihrer französischen Ortho-
graphie belassen, und das stumme e ist z. B. ausgeschrieben, auch wo es
nicht als metrische Silbe gilt, wie bei den Namen Claude Marie. La
Hire u. s. w.
Anders verhalt sich Schiller liei englischen Namen; so schreibt er
z. B. auf dem I'ersonenverzeichnis und in den szenarLschen Bemerkungen
der „Maria Stuart": „Leicester"; im Vers dagegen „Lester'". In der
„Jungfrau von Orleans" heisst es „Sal-sburj-", und im Stuttgarter Manu-
skript des Macbeth lesen wir statt Fife und Fleance innerhalb des Verses
„Feif"* und „Flinz". Hier beweist der Unterschied des Bühnenmanuskriptes
vom Druck deutlich, dass Schiller mit der phonetischen Schreibung vor
allem dem Schauspieler die Aussprache erleichtern wollte.
— 480 —
Freiheiten'), die viel zur nianniirtaiti.t'-en Ausdrucksfäliiirkeit
des dramatischen Verses beitrafren, eher zulässig als in dei-
Mitte, wo der Rhythmus erst vollständig- zur Herrschaft ge-
langt; infolgedessen kommt die v. ersetzte Betonung gerade im
ersten Fusse am häutigsten vor. Aber auch im letzten Fuss
ist sie wiederum nicht selten, doch hat Schiller dort solche
gegen den Rhythmus ankämpfende Sperrungen manchmal nach-
träglich beseitigt:
z. B. Carlos 345 f. (Thalia 650 f.)
Marquis. Mir ahndet
ein schreckenvoller Aug-enblick.
Carlos. Mir selbst.
2731 ff. (Thalia 3932 f.)
Das Volk kann irren — irrt gewiss. W a s es
behauptet, darf den König nicht erschüttern.
Wenn wir die Sperrungen in den Versdramen mustern,
fällt uns auf, dass sie ausser den Eigennamen hauptsächlich
Pronomina beti'effen, und dass sie in ihrer meist hinweisenden,
verdeutlichenden Funktion dem Gefühlsausdruck weniger dienen
als der verstandesmässigen Klarheit. Das ist überhaupt eine
Aufgabe der Tonstärke, und Einsiedel') unterschied desiialb
ganz richtig den Ton als das Organ des Gefühls, den Laut
als das Organ des Verstandes. Wir werden dabei an die
malenden Gesten erinnert, deren Aufgabe es gleichfalls war,
bestimmte Worte zu accentuieren und durch verstandesmässigen
Nachdruck namentlich die Pionomina zu bestimmen.
Der Zusammenhang ist nicht bloss äusserlich. Es gibt
in der Tat eine Art malende Deklamation, deren Mittel vor
allem der Wechsel der Tonstärke ist; ebenso wie die malen-
den Gesten wurde sie im achtzehnten Jahrhundert häufiger
verwendet, als unsei-em Geschmack entspricht. Z. B. wurde
') Minor, Neuhoch.l. Metrik. 2. Aufl. S. 248.
Zarncke, Kl. Schriften I, 378 f.
Belling, Die Metrik Schillers S. 177.
Küster S. 96 f.
'') Grundlagen zu e. Theorie d. Schauspielk. S. 54.
— 431 —
es (1cm berülimtcn FlcckM vorircworfcn. er liahc als riouvcriicur
in Kotzebues „Graf Benjowsky" die Worte „Jeder Doniiei-
brülle dir den Fluch deines Vaters zu" mit wahrhaft donnern-
dei- Stimme, und dann „Jedes .Säuseln des Windes lasse dii-
den letzten Seufzei- deines sterbenden Vaters hören'" leise
und flüsternd g-esprochen. Als im neunzehnten .lahrhundei't
diese tonspiclerische Ai't des VortraL'"cs wieder aufkam, wurde
sie als eine schädliche Nachwirkung- der Weimarer Schule
aufifefasst'j ; aber es war wiederum ungerecht, Goethe dafür
vei'antwortlich zu machen. Im „Wilhelm Meister" ist eben
diese Unart — eine Wortdeklamation, die auf einzelnen
Stollen lastete und die Empfindung des (ianzen nicht aus-
drückte^) — an Mad. Melina getadelt, und Goethes Geschmack
hatte sich seitdem scliwcrlich so vollkommen vei'ändert. Freilich
darf dieses Frteil im Komaii auch nicht einseitig- intei-pretiei-t
werden, und keincsweg-s gilt die Folgerung-, dass Goethe die
Wortdcklamation übei'haupt völlig- verworfen und ihr niclit
stellenweise eine berechtigte Wirkung«- eingeräumt habe. Um
uns hierüber klai- zu werden, müssen wir kurz auf den CJntcr-
schied eing-ehen, den (ioethe zwischen zwei Hauptarten des
Vortrages macht ^).
Die Rezitation ist der objektive Voitrag ohne leiden-
schaftliche Selbstentäusserung-; es ist die anschauliche Sprech-
weise, die der Schauspieler bei ei-zählcnden und beschi-eiben-
den Partien wählen Avii-d: „ei- legt auf das Schauerliche den
schauerlichen, auf das Zärtliche den zäi'tlichen, auf das Feier-
liche den feierlichen Ton. al)er dieses sind bloss Folgen und
Wii-kungen des Kiiidrucks, welchen der Gegenstand ' auf den
Recitierenden macht: er ändert dadurch seinen eigentümlichen
') Devrieut III, 68. Dass <,'eraile Fleck, den noch Tieck als Meister
des natürlichen Vortras-s rühmt, sich zu. -lieser Manier verirrte, klingt freilich un-
wahrschoinlich. Für uns kommt es hier nicht auf die Charakteristik Flecks
an, sondern auf das Beispiel einer damals allgemein verbreiteten Unart.
-') JJevrient IV, Kiö.
=*) Lehrjahre I, 5. VV. A. 1, Bd. '21. S. 1()!>.
*) Palleske, Die Kunst des Vortrags. 2. Aufl. S. 107 f. W. A. I,
Bd. 40. S. 144 tf.
— 432 —
Charakter nicht, er verläuiiiiet sein Naturell, seine Individualität
dadurch nicht, und ist mit einem Fortepiano zu vergleichen,
auf welchem ich in seinem natürlichen, durch die Bauart er-
haltenen Tone spiele." Die Deklamation dagegen, die ge-
steigerte Rezitation, wird vom Gefühl getragen; der Vor-
tragende hat seinen angebornen Charakter zu vei-lassen und
sich der leidenschaftlichen Empfindung dci- Rolle hinzugeben:
„Hier bedient sich der Spieler auf dem Fortepiano der
Dämpfung und aller Mutationen, die das Instrument besitzt."
Dies ist in der Tat ein ähnlicher Unterschied wie zwischen
malenden und ausdrückenden Gebärden \); Schiller hätte
vielleicht auch beim Vortrag eine willkürliche und eine
sympathetische Art getrennt. Bei der Rezitation herrscht Avie
bei den willkürlichen Bewegungen die bewusste Zweckmässig-
keit; es kommt auf die verstandesmässige Verdeutlichung des
Sinnes^) und die Belebung der Anschauung an ; die Deklamation
dagegen hat ebenso wie die sympathetischen Gebärden ihren
unmittelbaren Ursprung in der Empfindung. Bei der Rezitation
lässt deshalb Goethe die erwähnte Art der Tonmalerei zu und
macht nur die eine Bedingung, dass niemals ein einzelnes
Wort wie abgeschnitten aus dem ruhigen Voi'trag herausge-
rissen Averde, sondern dass man den Ton bereits vorher an-
schwellen und erst allmähhch fallen lasse.
Schillers Stellung zu diesen Grundsätzen ist schwer zu
bestimmen. Was wir von seiner eigenen Vortragsweise er-
fahren, zeigt nur, dass ei- zu seinem Schaden allzuschnell
aus dci" ruhigen Rezitation in die stürmisch hingerissene
Deklamation vci-fiel. Aber später hat ihn die eigene Vortrags-
kunst sicherlich nicht mehr in dem Masse befriedigt wie einst in
Mannheim^); und wir sind nicht berechtigt, den Mangel an
künstlerischei- Sparsamkeit als ein bewusstes Prinzip aufzufassen.
Noch weniger ist aus den Bühnenanweisungen zu er-
schliessen. Waren schon die malenden Gesten kaum in direkten
1) Vgl. S. 3G6f.
-) So fand z. B. Goethe bei einem Stücke wie „Nathan der Weise'',
wo der Verstand fast allein spreche, „eine klare auseinandersetzende Rocitation
die vorzüglichste Ul)liegenhcit." (VV. A. I, IM. 40, S. 76.)
s^ Streicher S. 94.
Vorscliriften zu l)estimmen, so <iilt dies erst recht von der
malenden Deklamation; sie muss ganz dem Geschmack und
den Mitteln dos Schauspielers überlassen bleiben.
Die wenigen direkten Angaben über Tonstäi'ke betreifen
die leidenschaftlich g-esteigerte Deklamation; abzusehen ist
dabei von der Vorschrift „leise", wenn sie heimlich beiseite ge-
sprochene Worte bezeichnet, die das Publikum'), aber nicht die
viel näher stehenden Mitspieler hören sollen. Diese Freiheit
einer heute veralteten Ijühnentcchnik ist kein Ausdrucksmittel
der natürlichen Rede. Dagegen gibt es ein Leisesprechen, in
dem jlie Schwäche und Erschöpfung zu Tage tritt; diese
Mattigkeit erreicht den äussersten Grad, wenn die Stimme
überhaupt versagt, wenn der Ansatz zur Rede gemacht wird,
ohne dass es gelingt, ein deutliches Wort hervorzubringen:
Picc. 2313 b: versucht zu antworten, stockt aber und schlägt den
Blick verlegen zu Boden.
W. 'l\ llGl b: Sein Geniüth arbeitet heftig, er versucht zu reden und
vermag es nicht.
Auch mitten in der Rede kann das Versagen der Stimme ein-
tieteii; di(^ Energie des Redenden kämpft dagegen an, und es
entstellt nun das Schwanken und Reben der Stinune, der ge-
brochene Ton. das Stottern, das Lallen, das Schluchzen, z. B.
Raub. V. 1 (S. 176, 9): eure Stimme ist bang und lallet
Fiesko 1,10 (S. 33,19): mit hohlem gebrochnem Ton
Kall. IT. 8 (S. 397, 14): mit einer Beängstigung, dass ihr die Worte
versagen.
II, 5 (S. 411, 17): mit stillem bebenden Ton
III, 6 (S. 446, 24: mit erschöpfter hinsterbender Stimme.
Das Entscheidende ist hierbei nicht die Schwäche, sondern
die schwankende Unsicherheit der Stimme ; im Gegensatz
dazu gibt es auch eine stille Entschlossenheit, die ohne jeden
Stimmaufwand, aber mit frleichmässiü"er Festigkeit ihre Ent-
V) Es gibt aber auch ein leises Scheingespräch, das selbst vom Publikum
nicht gehört wird, z. B. Carlos 4110. M. St. 1507 b. Jgfr. 723.
Im Manuskript der „Piccolomini" kam es sogar zu einem scheinbaren
Scheingespräch, indem Octavio zu Maradas (IV, 6) sagte:
Erzeigt mir den Gefallen, sprecht mit mir —
Wovon Ihr wollt — thut nur als ob Ihr sprächt —
Palapstra XXXn. 28
— 434 —
scheidungfen kundgibt. Seckendorf^) bemerkt hierzu: „Jeder
verneinende Zustand erzeugt das Kreszendo, jeder bejahende
das Dekreszendo." In diesem bejahenden Zustand der Ent-
schlossenheit spricht Philipp am Schluss des Don Carlos seine
fürchterliche Entscheidung aus:
König (kalt und still zum Grossinquisitor).
Kardinal, ich habe
Das Meinig-e gethan. Thun Sie das Ihre.
Im crescendo dagegen äussert sich der gereizte Wider-
spruch des Zornes und die wilde Wut ; bei Schiller findet
sich die Vorschrift „lauter" in den späteren Stücken haupt-
sächlich da, wo eine Person am Reden verliindert werden
soll und sich deshalb mit verstärkter Stimmgewalt durch-
zusetzen sucht, z. B. Carlos 4102. Wall. Lag. 615 a. Picc. 2240 a.
Teil 1853 a. In den Jugendstücken ist dem Anwachsen der
Stimme mehr Spielraum gelassen, z. B.
Fiesko V, 13: mit leiser schwebender Stimme, die stufenweis bis zum
Toben steigt
Kab. IV, 7: mit einer Heftigkeit, die nach und nach bis beinahe
zum Toben steigt.
Das Maximum der Stimmstärke fällt in den Jugendstücken
mit dem Höhepunkt des Affektes zusammen; zum Kraftstil
der Sturm- und Di-angzeit^) gehörte ebenso wie die mimische
Übertreibung der masslose Stimmaufwand. Im Ritterdrama,
wo dieser Stil fortlebte, wai' das Schreien manchmal geradezu
notwendig, um durch das Waffengeklirr, die Ti-ompetensignale,
das unaufhörliche Getöse, das die Bühne erfüllte, durchzu-
dringen^); aber auch ohne diese Nötigung setzten die I)ai'-
steller solche Voi'schriftcn bereitwillig in die Tat um, weil
sie ihi-er Wirkung auf das Publikum sicher waren^). Die
Paraderolle allei- stimmkräftigen Heldenspieler Avai- deshalb
Babos Otto von \\'ittelsl)ach ; er wird als lauter Sprecher
0 Vorles. üb. Dekl. u. Mimik I, 240.
^) E. Schmidt, Lenz u. Klinger, S. 95.
•') Iffland, Almanach f. 1812. S. 74.
*) Lessing, Hamb. Drain. 5. Stück. Lachm.-Munckor IX, S. 205.
— 435 —
bereits bei einer ü-leichgültig-en Gelegenheit charakterisiert^
wie furchtbar muss er also loslegen bei dem Ausbruch:
0 könnt' ich nur die Stimme des Donners entlehnen, um diese
unerhörte Beleidigung über alle Länder zu brüllen"*).
Bei Schiller ist Gianettino Doria durch seine polternde Art
charakterisiert; seiner ei'sten Vorschrift „lermcnd" entspricht
auch sein Ende: „fällt mit Gebrülle". Aber auch die zarteste
weibliche Figur desselben Stückes nimmt an den Über-
treibungen') teil:
V, ö: Leonore (immer wildphantasierend, nach allen Gegenden
schreiend.)
Der ungehemmten Entladung des Affektes tritt in den
späteren Stücken der innei'e Widerstand entgegen ; das unter-
drückte Leiden macht sich nicht mehr im wilden Ausbruch,
sondern im schweren Seufzer Luft^).
Tonhöhe. Im Fiesko sind mehr als in den anderen
Dramen die Stimmen der einzelnen Personen unterschieden.
Bereits auf dem Personenverzeichnis sind dazu Ansätze ge-
macht, wenn Andreas Dorias sti'enge befehlende Kürze oder
seines Neffen rauhe anstössige Spivache charakterisiei't werden,
aber auch indirekt ist im Verlauf des Stückes von (iianettinos
bäurisclier (I, 1) und rauher Bassstimme (I, 11) die Rede.
Die indirekte Form aber vermag nicht nur das regel-
mässige Stimmregister eines Charakters zu bezeichnen, sondern
') Sein Vorbild ist Klingers Otto II, 9:
„Brüll, brüll, brüll, Otto! — hah, dass sie sterben für'm Geschrey — "
Aber auch ohne die Motivierung durch einen starken Affekt wird das
Brüllen im Sturm und Drangdrama vorgeschrieben; als z. B. in Leuzens
Soldaten II, 2 ein Offizier ein Glas Punsch haben will, heisst es:
(Brüllt entsetzlich)
(Brüllt mit einer erschrecklichen Stimme).
"0 Das Schreien ist namentlich im Fiesko häufig, vgl. Goed. III,
S. 37,2. 52,.^. 61,24. 111,12. 127,7. 134,5. 145,15. IGl, 12. In den
späteren Stücken bezieht sich die Vorschrift nicht mehr auf die zusammen-
hängende Rede, sondern auf einzelne, zum Teil unartikulierte Ausrufe, z. B.
W. T. 3731. 3752. M. St. 3349. Jgfr. 4028. Braut 2311. TeU 1850.
^) Henke, Die Gruppe des Laokoon od. üb. d. krit. Stillstand trag.
Erschütterung. Leipzig 1862, S. 36.
28*
— 436 —
auch den ausserordentlichen Ton, in dem bestimmte Sätze ge-
sprochen werden z. B.
Raub. IV, 4: Du weinst Amalia? — und das sprach er mit
einer Stimme — mir wars, als ob die Natur sich ver-
jüngete — die genossenen Lenze der Liebe dämmerten
auf mit dep Stimme!
Kab. IV, 8: Nehmen Sie ihn hin, und das spricht sie mit einem
Tone, begleitet sie mit einem Blike — —
Beide Male lässt sich wieder die Armut der Sprache beob-
achten, der präzise Worte fehlen, um die Farbe eines Tones zu be-
stimmen. Indessen bedeutet die Angabe in den „Räubern"
doch mehr, als man auf den ersten Blick erkennt; bei den
Worten „Du weinst, Amalia" ist der echte Ton Karl Mooi's
hervorg-ebrochen^), während er vorher als (^raf Brand seine
Sprache verstellt hatte. Diese Verändei'ung' der Stimme gehört
nicht nur zu jeder Voi'kleiduui;' (sie ist dii'ekt vorgeschi'icben
bei Hcrnnanns A'erkappung- Raub. II, 2, bei Fieskos Auftreten
als Warner Dorias V, 1 und bei Bei'thas Verkleidung als
Knabe V, 8), sondern auch zur Veileugnuug des wahren
Charakters :
Fiesko IV, 1.8: nimmt einen aufgebrachten Ton an
den Ton in Kälte verändert.
Mit der \'orIiebe der Stürmer und Dränger für gemischte
Affekte und gi-ell kontrastierende Stimmungen hängt es zu-
sammen, wenn in den .lugendstückcn die Stimme vom Gipfel
der Leidenschaft plötzlich zur vollständigen Toulosigkeit lierab-
sinkt, z. B.
Fiesko V, 13: in hohles Bel)en hinabgefallen;
in den spateren Stücken dagegen finden Avir die Tonhöhe mit
der anwachsenden p]mptindung stetig steigen ; dem entsprechen
die Vorschi-iftcn „mit erhobner Stimme'" (Carlos 1100. Wall.
Lag. <)21 1)); .,mit erliöhter Stinune-' (Picc. 1207). ,, mit steigen-
dem Ton" (W. T. .'i()Ol. 1'ell 575), und am deutlichsten folgende
Anweisung :
Teil 2437: or si)rielit das folgende mit dem Ton eines Sehei's —
seine Stimme steigt bis 7Air Begeisterung.
*) Vgl. auch Fiesko III, .3: ..Das war wieder achter Ooldklaiig der
Liebe."
— 437 —
Dass die höclisten Tonstufen roirelmässiir auf die leiden-
schaftlichsten »Stellen ti-effen, darf ti'otzdem nicht als ausnahmloses
Gesetz i,''elten. Zu Schillers Zeit wurde von einzelnen Schau-
spielern, wie Reinecke, Fleck, Ifflan<l. später vor allem von
V^ssiaii' eine ci£;"ene Kunst darin j^esehen. j^ei-ade die Tlcihc-
punkte der Rede duivh Fallenlassen der Stinnni' zur (ieltun;.'"
zu bringen^). Eine direkte Ausseruni;' Schillers hierüber ist
nicht überliefert, doch hätte ei- zweifellos diese aus dem Vor-
trag der Prosaredo erwachsene Manier mit unter den negi-itt'
des Konversationstones irerechnet.
Andererseits verwarf er dt'ii siniienden Vorti'ag-I inid
missbilliirte das rcLielmässige Steigen ilcs Tones gegen das
Knde jedes einzelnen X'ei'ses hin. das ..TTinaufpfeifen bei
der Deklamation"'^). Es war dies die Angewohnheit
einzelner Weimarer Schauspieler, ohne dass es dem Wei-
marer Stil entsprochen hätte. Dagegen hatte (loethc —
und hiei'in stimmte ihm auch Schiller sicherlich zu — die
Regel gegeben, jede Rede so tief und langsam als möglich zu
beginnen, um füi- die Entwickelung der Stimme bei leiden-
schaftlichen StelhMi S|)iolraum zu haben'').
Tempo. \\'(Min somit die leidiMischaftslose Rede langsam
einsetzt, so weiden die Voi-schriften des Dichters vor allem
auf ausdrucksvolle ßeschleunigung des Tempo sich beziehen.
Das „Mouvement" der Stinnnc, d. h. den wechselnden (irad
der Schnelligkeit, durch den die Monotonie vermieden und die
Intensität der Gefühlsaccente ersetzt werden kaim, hat Lessing
in der „Hamburgisclicn Dramaturgie"'"') behandelt und gezeigt,
') Devrient Ilf, 283. Tieck, Dramaturg. Schriften I, 95 ff. Hebbels
Tagebücher, hsg. v. Bamberg T, 90. 114.
'■') So heisst es in einem Mannskriitt der -Braut von Messina": „Es
Itraucht wohl niciit erinnert zu werden, dass die Jleden des Chors nicht
im Conversazionston zu sjjrechen sind, sondern mit einem Pathos und einer
gewissen Feierlichkeit, doch ja nicht in singendem Ton recitirt werden
müssen." (Goed. XIV, S. 21).
•■') Genast I, 115.
') W. A. I, Bd. 40. S. 143 f. Heinr. Schmidt. Krinn. c. Weim.
Veteranen S. 112. .Martersteig, P. A. Woltf. S. 297.
■•) Lachm.-MuMcker IX. S. 215 f.
— 438 —
wie gerade in dieser Freiheit sich die gesprochene Rede
von der gleichmässig taktierenden Musik unterscheidet.
Die Prosa ist darin ungebundener als der Vers; während
deshalb dort das Mouvement ganz der künstlei'ischen Einsicht
des Schauspielers überlassen ist, wahrt sich im Vers der
Dichter einen Einfluss auf das Gewicht der einzelnen Silben.
Der Gebrauch mehrsilbiger Senkungen, namentlich in den
ersten Füssen, beflügelt das Tempo und wird deshalb häufig
bei hastigen Ausrufen angewendet, z. B. Carlos 1009; Picc. 23;
M. St. 3303; Jgfr. 388. 2263. 2273. 2306; Braut 1140; Teil
2920. Umgekehrt kann durch versetzte Betonung und Neben-
einandertreten schwei-er Silben das Tempo verlangsamt und ein
feierlicher Eindruck erzielt werden, z. B. Picc. 685; Braut 1323.
1384; Teil 79, 80. Indem die einzelne betonte Silbe sogar so
schwer belastet wird, dass sie einen ganzen Takt ausfüllt, wird
es möglich, dass scheinbar zweifüssige oder dreifüssige Verse,
deren Unvollständigkeit oft erst durch nachträgliche Kürzung
absichtlich gewonnen wurde, mehr Takte in Anspruch nehmen,
als dem Auge sichtbar ist, z. B. Carlos 1291; Picc. 2261;
W. T. 246.
Die direkten Vorschriften für langsames Tempo sind
selten; dabei werden sie gerne noch mit einem zweiten Adver-
bium, das die Stimmung charakterisiert, verbunden:
Fiesko II, 2: langsam und laurend.
Kah. II, 3: langsam und mit Nachdruk.
Die Anweisungen „rasch", .jSchnell", ..hastig", in denen
(iie Ungeduld, die Freude, die Kühnheit der Gedanken zum
Ausdruck kommt, treten dagegen meistens allein auf. Häufig
beziehen sie sich weniger auf die Rede selbst, als auf das
rasche Einsetzen; so namentlich bei Unterbrechungen eines
anderen. Nur dadui'ch gelingt es, das Wort an sich zu
reissen, dass man den bisher Redenden an Gcscliwindigkeit
überflügelt und sicli nicht aufs neue von ihm einholen lässt.
Bei ganz erregten .\uftritten können sogai" mehr als zwei
Personen diesen Wettkampf eingehen, z. B. Zibo, Zenturionc
und Asserato beim l'ericht von doi- Pi'okuratorcnwahl:
— 430 -
Fiesko II, 5: rasch ins "Wort fallend
fällt ihm wieder ins Wort
hizisfor fort.
Die Untci-brec'liunir kann <aneli allein diireli den Gedankenstrich,
mit dem eine l^ede abbi'ieht. be/eiehnet sein: die folgenden
Verse enthalten manchmal die indirekte Bestätisiung, z. B.
M. St. 60').- Verzeiht. Milord, dass ich euch trieich zu Anfang
Ins Wort niuss fallen —
Der Gegensatz da/u ist das Innehalten des Redenden,
weil er eine Antwort erwartet; auch in dieser Funktion kann
ein Gedankenstrich (hirch die folgenden AVorte z. 1j. ..Keine
Antwort?", ..Du schweigst?" bestimmt weiden. Damit ist
(He direkte Anweisung überfliissig gemacht, die in den Jugend-
stücken häufiger voi'konunt;
Raub. IV. 4: Amalia ^iljt ihm keine Antwort.
Carlos 4027: Kr hält inne. Karlos Antwort zu erfahren: dieser
verharrt in seinem Stillschweigen.
Solche Untei'brechungen fallen nicht mehr unter den Begriff
des Tempo; ebensowenig die anderen Hemmungen der Rede,
z. P>. das Stocken und Stottern der Verlegenheit, das Stammeln
der Wut. Dies sind mehr Mittel des Konversationstones
und finden in den letzten Stücken Schillers geringere Vcr-
wen»hing als in dem ersten, von Lessing beeinfiussten Versdi-ama.
Der Rhythmus des Stottei-ns, wenn man so sagen darf, bleibt
in der Prosa der Improvisation des Scliauspielers überlassen;
im Vers dagegen rechnet der Dichter mit diesen überschüssigen
Silben z. R.
Turandot 906 f. : Tod odei' Turandot !
Tartaglia (stotternd).
Tu— Turandot!
Im übrigen genügte meistens auch hierbei der Gedankenstrich^),
der die wiederholten Silben trennt, und so ist z. R. im Don
Carlos bei den X'ersen 1541 tf. die Vorschrift „stotternd" seit
der Rearbeitunir von lH(tl wegseblieben.
') Im Manuskript der „Turandot" scheint Schiller sich noch eines
anderen Mittels bedient zu haben , wie aus Körners Brief vom
15. Februar 1802 zu schliessen ist: „In der Rolle des Tartaglia finde ich
einige Worte doppelt unterstrichen. Bei einigen Stellen scheint dadurch
ilas VV'ojt angedeutet zu werden, bei ileni er stottern soll.'"
— 440 —
In t erp u n k t i o n. Dass die Tnterpunktion nicht nur dem
Leser den Sinn zu erleichtern habe, sondei'ii aueli eine bindende
Vorschrift für den Vortrag darstelle, hat erst Goethe den
Schauspielern klai* zu machen verstanden. Vorher begeg-neten
die Versuche des Dichters, seine Absichten zur Geltung- zu
bringen, der g-rössten Gering-schätzung-, und der junge Iffland^)
z. B. beklagte sieh bitter über solche Zumutungen : ,,Wer ist
wohl mehr von dieser Wuth, in Pünktchen angeredet zu Avei"den,
wo der Verstand sich nichts denken kann, in Strichen zur
Überg-abe des Gefühls aufgefordert zu werden, geplagt, als
die Schauspieler? — Denn das ist ausgemacht, dass der
Dichter für jeden solchen Strich, womit er die Rolle belehnt
hat, ein prächtiges Gemälde des Schmei'zes, oder einen
nervigten .Ausdruck grosser Leidenschaft in der Darstellung
erwartet. — " Mit Entschiedenheit lehnt sich dei' Naturalist
gegen die Fesseln auf, die dem Geist des Schauspielers ange-
legt werden sollen, und spricht dem iMenschendarsteller die
Freiheit zu, nicht das gedruckte Blatt, sondern sein Blut
interpungieren zu lassen. .,Denn der Befehl des Bluts, ge-
reizt von der Gabe der Versetzung, das Hinreissen des augen-
blicklichen auf den höchsten Grad vei-feinerten Geschmacks,
ist Stempel der Wahrheit. Diese Wahrheit im ganzen Ich!
ist, dünkt mich, die Sache, worüber die Dichter, die kritteln-
den merciers, dem Schauspieler nicht sagen können, wie er
sie erlangen soll.".
Kein grösserer Gegensatz lässt sich diesen Überhebungen
des Schauspielerdünkels gegenüberstellen als die Gewissen-
haftigkeit, mit der sich später P. A. Woltf-) den gei-ing-
fügigsten Andeutungen des Dichters unterwarf: ..Eine grosse
Aufmerksamkeit und Genauigkeit erfordern die Interpunktionen.
Das Komma, das Kolon, der Punkt, die Ausrufungs- und
Fragezeichen sind sjircchende Noten für den Declamator; und
es wäre zu wünschen, dass wir noch kleinere Unterscheidungs-
zeichen hätten, sie würden ,jene leiseren Ijiinta bezeichen, die
') Fragm. üb. Men.schenclarstell. S. 85 ff.
'■) Üb. (1. Voitrag- im Traiiorspiel. Marter.st(Mi>-, I'. A. Wolff. S. 3(»2.
— 441 —
den vorschifdoiion rJi-a<lon dos (Jofülils anu'ehören. die linlboii
Töne, welche g-leichförmiiio Emi)Hiidiini;cii unterscheiden, dass
sie ohne sich zu berühi-en aufeinander folgen ; sie würden die
Stelle andeuten können, wo ein Anhalten, ein Ausruhen, ein
Forttreiben der Töne nötii;' ist. um den Geist und das Flerz
des Zuhörei's zu durchdringen."
Das war Goethes fSchulo; auf deu Weimarer Pi'obcn
wurden, wie wii* auch aus andei'en Zeu<:nissen erfahren, alle
Interpunktionen beachtet und Komma. Semikolon. Ausrufe-
zeichen als Zeitmasse abLicstiift'). Audi Sciiiller. müsste man
annehmen, wurde dadurch vei'anlasst, der Interi)uni:iei'uui:
seiner späteren Stücke gi-össerc Sori-'falt zuzuwenden : und
dies scheint bestätiiit zu werden «hn'ch einen an Cotta iiv-
richteten Urief, der die Weisuni^- enthält, dem Druckmanuski'ipt
der ,, ih-aut von Messina"' in allen Kleini.i;keiten auf das iic-
naueste zu foliren^). Früher ptlei-te Schiller das Manuskrii)t
nicht mit dieser (iewissenhaftii/keit druckfertii:' zu machen,
und so ersehen wir z. 1>. aus der Kori'espondenz mit Göschen,
welche Freiheit er beim ..Don Carlos" dem Korrektoi' liess^).
Die Interpunktion der späteren Stücke ist mit mehr
Sichci'lnüt als autorisiert zu betrachten ; aber wenn wir
dai'aufhin dort die i^rössere Mainiiüfaltiykeit und feinere
UnterscheiduuL;- suchen wollten, müssten wii' gerade das
GcLaMiteil beobachten. In den späteren Dramen wie in deu
(Jedichteii hen-scht mit übei'wiciiender Kinförmiykeit das
Komma vor. so dass bei'eits Körner in seiner Ausi>abe zur
Gliederun.ü- grösserer Perioden das Semikolon einführen nuisste.
Dieses Zeichen scheint für Schiller selbst eine andere Funktion
gehabt zu haben, als unserem Gebrauch entspricht-*), und so
sehen wir z. 15. in den l)eiden späteren Drucken der Aeneis-
übersetzuni:- fast alle guten Semikola, die vielleicht vom
Kori'ektoi- der .,Neucn Thalia" stammten, beseitigt und duix'li
') Genast I, 177.
0 An Cotta 11. Febr. 1803. Jonas VII, J2.
') An Göschon 3. März 1787. Jonas I, 331.
■•) Vgl. IIclilicls Tagebücher, h.sg. v. Bamberg II, S. 123.
— 442 —
monotone Kommata ersetzt. Das Komma nun liat nicht aus-
scliliesslicli orammatisch - syntaktische, sondern überwiegend
phonetisch-doklamatorische Bedeutuni!'; es fehlt oft, obwohl es
,f;rammatisch notwendig:' wäre, an Stollen, wo kein Innehalten
des Redenden erfoli^t; es wird dai.'oi;on ani^cwondet bei dekla-
matorischen Pausen, die mit der syntaktischen Gliederunir
durchaus nicht zusammenfallen. Auf diese Eigenheiten der
Schillerschen Intei'punktion ist hier nicht näher einzugehen :
es soll nur noch kurz dem Zeichen, das für Schillers Jugend-
stücke charakteristisch ist. Aufmerksamkeit zugewandt werden,
nämlich dem Gedankcnsti'ich.
Die Dramen der Stürmer und Dränger wimmeln von
Gedankenstrichen, so dass wii' bei manchen Stücken, z. B.
der Shakespeareübersetzung ..Amor vincit omnia" von Lenz,
kaum wissen, ob wir einen vollständigen oder fragmentarischen
Text vor uns haben. Ein innerer Grund ist die Vorliebe für
gemischte Affekte und für raschen Stimmungswechsel, der
den Zusammenhang der Rede zerreisst und sich nur in ab-
rupten Ausrufen kundgibt. Wie in der Mimik, so wurde
auch in der Sprache das Symptomatische beobachtet^), und so
tritt der Gedankenstrich ein bei der abgebi'ochencn Rede, behn
Anakolutli, bei Stocken und Stottern und bei dei- Pause, die
') Dieser Stil geht auf Diderot zurück, vgl. ^Theater" (übers, v.
TiCssing) I. 207 f.: ..Was rührt uns ))ey dein Anblicke eine.s Menschen, der
von gewaltigen Leidenschaften bestürmt wird, am meisten? Seine lieden?
Manchmal. Aber das, was allezeit rühret, sind Schreye, unarticulirte Töne,
abgebrochene Worte, einzelne Sylben. die ihm dann und wann entfahren. . .
Indem die Heftigkeit der Empfindung das Athemholen unterbricht, ....
trennen sich die Sylben der Wörter, und der Mensch fällt von einer Idee
auf die andere. Er fängt eine Menge Reden an. Er endiget keine; und
ausser einigen Empfindungen, die er bei dem ersten Anfalle auslässt, und
auf die er ohne Unterlass wieder zurückkommt, ist alles Übrige weiter
nichts, als ein schwaches und verwirrtes Getöse, eine Folge sterbender
Töne uml erstickter Accente, welche der Schauspieler besser versteht als
der Dichter."
Diderot also üljerlässt diese Ausdrucksmittel den Schauspielern.
Daher verstehen wir deren ?]ntrü.stung, wenn die Dichter trotzdem ihrer
Kunst vorgreifen wollten.
— 443 —
oinon Woclisol dos Tonos vormittplt. Tu oinor solclion Pause
kann der tratrisehe Wendepunkt des g-anzen Stückes liejren,
wie ITenke') in seiner Studie über den kritischen Still-
stand tiai.'isclier KrscJiüttei'unLr i.'ezei<rt hat; freilich darf
man diesem Pi'inzi|» zu Liebe nicht L-erade in jedem dritten
Akte eine für das ganze Stück entscheidende Pause suchen:
für den Dichter der ..Räuber"' z. J5. bedeutet die Szene an
i\vr Donau mit dem Seufzer Karl Moors .,Dahin! Dahin!
IJnwiderbrinirlich !" doch nur eine lyrische ?]pisode, Avährend
die Peripetie im vieiteii Akt in der Szene am Turm erfobt.
Dort macht sich dci' Affekt ungehemmt Luft; erst in den
Dramen der Ixeife winl dagegen der gewaltsame Ausbruch
durch den iinieivn Widei-stand untei'drückt. und es kommt zu
jenem Seufzer der tragischen Erschütterung, wie ihn auch
die Künstler der Laokoong-ruppe als fruchtbaren Moment d(>r
Darstellung erfasst haben. Deshalb ist llenkes Beispiel aus
„Maria Stuart" glücklicher g-ewälilt: in den Vei-scn 23()Sf. :
Denn wenn ihr jetzt nicht se^enbringend, herrlich.
Wie eine Gottheit von mir scheidet — Schwester!
bedeutet der Gedankenstrich vor dem Ausruf ..Schwester!"
einen Seufzer der Erstarruni:' : pirttzlich crkeinit Maria, dass
alle Versuche, die Gegnerin zu ei-wcicheii. aussichtslos sind;
nunmehi' lässt sie ihrem langverhaltcnen Groll freien Lauf
und besciihMuiigt selbst ihr unabwendbares Geschick.
Audi ohne diese Intei'pretatioii Henkcs würden wir noch
andere Heispielc finden, wo der Gedankenstrich irgend eine
Bewegung üq^ Sprechenden anzudeuten hat und eine um-
ständlicheic Anweisung- ersetzt; gerade in den Versdr;imcn,
wo die piosaischen Zwischenbemerkungen eingeschränkt werden,
ist diese \'erwendung häutig-). Aber auch als blosse L>e-
zeichnung einer Pause tindet ei' sich in den späteren Stücken
noch oft, wenn auch sparsamei* als frühci-, gebraucht. Der
.,Don Carlos" der .,Thalia" ist noch Avie ein Prosadrama
*) Henke, Die Grupjje iles I^aokoon oder über den kritischen Still-
stand tragischer Erschiitteruiii," S. (iO f. (Jö. (il. 73.
-) Vgl. S. .3-29. 380. ;:i77.
— 444 —
interpuntriert; in den spätei-eii I^earbeitunßren sind da^reircn
alle Häufungen von zwei odei- drei .Strichen beseitiß't^). Am
Ende des Vei'ses sah Schiller die Gedankensti'iche später nicht
mehr i-ern und setzte sie in iz'anz i'ichtiiicr nieti'ischer p]r-
kenntnis an den Versanfanir; hauptsächlich abei' treten sie im
Innern Vers als Bezeich nun«* des Sinneseinschnittes auf. Es
mög-en als Beispiel einige Yei'se aus Schillers Phädra-Über-
sctzung' neben das Original gestellt werden, weil sie charak-
teristisch sind für den Unterschied zwischen dem Alexandriner,
der das ?]njambement verschniälit. und dem Blankvers. <lessen
Verwendbarkeit für die dramatische Sprache ebenso wie für
die Übersetzung fremdei' Versmasse gerade in dem Antagonis-
mus des Vei'ses und Satzes bci'uht. Kacines Verse:
Est-ce Phedre qui fuit, oii plutot (^uoii entraine?
Tourquoi, seigiieur, pouniuoi ces niarques de douleur?
Je vous vois saus e})i'e. interdit, sans couleur.
hat Schiller folgendermassen übersetzt :
764 ff. : Flieht dort nicht Phadra oder wird vielmehr
Gewaltsam fortgezos'en ? — Herr, was sezt
Dich so in Wallung? — Ich seh dich ohne Schwert,
Bleich, voll Entsetzen —
Die Beobachtung, die sich liier aufdrängt, ist zu verallge-
meinern: der Gedankenstrich im inneren Vers bedeutet fast
regelmässig') die Stelle, wo der Alexandriner schloss.
') Dass in dem ersten Uruck der ..Braut von Messina" vor Vers 2559
eine i,'anze Zeile von Gedankenstrichen steht, hat sicherlich keinen be-
sonderen Sinn. In den beiden Bühnenmanuskripten fehlen sie, ohne dass
eine andere Anweisung an die Stelle getreten wäre. Wahrscheinlich
staju<len diese Striche doch nur zufällig in der Druckvorlage, die der
Dichter ausdrücklich auch in Kleinigkeiten für massgebend erklärt hatte
(Vgl. S. 441, Anm. 2) nml der lioshall) allzu peinlich gefolgt wurde.
^) Es sei noih ein IJcisjdcl angeführt, wo vier Quinare (1253 ff.)
genau drei Alexandrinern entsiireclicri:
iiacine: Mais ä te condamiicr tu m as trop engage:
.Jamals pere en effet fut-il plus outrage!
Justes dieux, qui voyez la douleur »lul m'accable,
S<hiller: Doch zu gerechte Ursach gabst Du mir
Dich zu verdammen — Nein gewiss, nie ward
Ein \'ator mehr beleidigt — Grosse Götter
Ihr seht den Schmerz, der mich zu Boden drückt.
— 445 —
Und noch eine Wahrnehmnnsr. die .sich an dieses Beispiel
anknüpfen lässt, ist für .Schillers Vers charakteristisch : der
letzte Satz, der sich auf zwei Verse verteilt, bildet, sobald
man ihn zusammennimmt, wiederum einen ircschlossenen Fünf-
füssler und sog"ar einen besseren, als die Einteilung" des
Druckes darbietet. Diese Erscheinun.L''^), die sich besonders
im Don Carlos häufig' beim stumpfen A'ersausgang- wiederholt,
zeigt, dass dem Dichter oftmals ein anderer Rhythmus im Ohr
lag-, als zu Papier g^ebracht ist.
Vers- Seh luss. Das Brechen des Khytlinuis hat bereits
Zarncke") auf den Vers Lessing-s zurückgeführt, und zwar
sehen wir diesen Einfiuss, der sich später wieder mehr ver-
liei-t, während der Arbeit am Don Cai-Jos mächtig' auwaciison.
In den ersten Auftritten der Thaliafassung haben die Verse
am meisten i'hythmisciie Selbstäiuhg-keit, z. 1>. :
Nur brechen sie «liss f,'rauenvolle Schweigen,
nur iifnen sie ihr Her/ dem Vaterherzen.
Aber .schon im Di'uck von 1787 sehen wii-. wie die ])oinali('
g-jeiche Wortfoli/e sich der Ver.seinteilung' nicht mehr einordnet:
Brechen Sie
ilies räthselhafte Schweigen. Oeffnon Sie
Ihr Herz dem Vaterherzen.
In den letzten Akten des Stückes sind die Verse noch
abgferi.ssener, wofür inii- ein ik'isjiiel auireführt werden soll:
4188 ft-.: - Das
Verbrechen, dessen ich Sie zeihto — ich
Beging es selbst —
Solche wiederholte Isoliei'ung'- einsilbiger Wörter, die als
Sinnesauftakt zur folgenden Zeile g^ehören, hat Schiller später
nicht mehr gebilligt, wie wir aus einer Kritik Körner.scher
Verse erkennen: „Du hast zuweilen den ,him])en mit dem
Artikel g"eschlo.ssen und das Snl)stantiv, worauf er sich bezieht,
in den folgenden hinüberi^enonnnen. Einmal passiert das, aber
') Minor, Neuhochdeiitsciie Metrii<. 2. Autl. S. lUfj. 233. 240.
-) Kleine Schriften I, 360 ft". 381. Die Weiterführung Bellings (Die
Metrik Schil]ers)ist fleissig. aber iiiinicthodisch; beim Don Carlos fehlt die Genesis
der Unregelmässigkeiten, weil die älteren Fa.ssungen nicht berücksichtigt sind.
— 446 —
in zwei aufeinanderfolg-enden .Jamben duldet man es nicht" ^).
Es waren allerdings keine dramatischen Verse, auf welche
sich diese Regel zunächst bezog, aber Schiller hat sie auch
bei den späteren Dramen angewandt und bereits im Wallen-
stein hat er die Zeilen lieber nach dem Gehör geschrieben'),
statt sie für das Auge als Fünffilssler abzuteilen, z. B.
Picc. 13 ff.
Schon ziemlich eingerichtet — Nun I Nun ! der Soldat
Behilft und schickt sich wie er kann.
Erst wenn wir das Wort „Soldat" in den folgenden Vers
hinübernehmen, ei'halten wir zwei Fünffüssler, aber damit auch
jenes schroffe Enjambement, wie es noch beim „Don Carlos"
gebräuchlich war.
Diese metrische Abschweifung war notwendig zur Grund-
legung dessen, worauf es hier ankommt, nämlich des Unter-
schiedes zwischen gesprochenem und geschriebenem Vers.
Der Gegensatz kam Schiller vielleicht erst richtig zu Be-
wusstsein beim „Wallenstein", dessen Form er zunächst für
die lUihne, nicht für die Buchausgabe lierstoUte. Bei dei-
Übersendung des Manuskriptes schrieb er an Körner: „Auch
musst Du Dich an einigen lückenhaften Jamben nicht stossen,
weil diese Bearbeitung zum Gebrauch des Theaters ist, wobei
es auf diese Reinheit und Integrität nicht ankommt. Es
konnnt bloss auf das Wesen und auf den Eindruck des
Ganzen an"^).
') An Körner 26. März 179U. Jonas III, 66. An einzelnen Stellen
d«s Don Carlos hat Schiller diese Härte im Jahre 1801 korrigiert, z. B.
3001 f. 4146 f. 4936 f. 5073 f. 5093 f. 5245 ft". 5249 f. Ebenso hat er die
Isolierung einsilbiger Wörter am Vorsanfang beseitigt, z. B. 5172 f. 5263 f.
Es hiess ursprünglich:
Wenn Einer Gnade finden
darf — Warum wnnlcti dreimal hundert tausend
statt des jetzigen Wortlautes:
Darf Einer Gnade finden.
Mit welchem Rechte wurden hundert tausend
-) Ähnlich W. T. 414 f.
^) An Körner 25. März 1799. .lonas V^I, 22.
- 447 —
In zwei benachbarten vier- und sechsfüssigen Versen')
wird, sobald Mir den Verseinsclinitt überbrücken und sie als
ein Ganzes nehmen, die Unreg-elmässiykeit gehoben; auch übei-
(h'ei Verse kann sich dieser Ausgleich hinziehen (z. B. W. T.
()35 — 087), und so kommen wir auf den Begriff der rhyth-
mischen Periode, die so lange über den regelmässigen Vers-
einschnitt hinwegträgt, bis sich Vers und Satzrhythmus wieder
zusammengefunden haben. Die langatmig dahinstürmende
Periode ist das eigentliche Ausdi'ucksmittel der leidenscluiftlicli
])elebten dramatischen Sprache, während die in sich gerundeten
Verse der wohlüberlegten fertigen Sentenz zukommen. Mit
der Vorliebe für geprägte Sätze hängt es zusammen, dass
die Integrität der Verse in den späteren Dramen Schillers
zunimmt. Aber vielleicht trug auch ein äusserer Grund ein
wenig dazu bei, nämlich die Schwierigkeit, die das Enjambement
dem Schauspieler bereitete. Bei den ersten Aufführungen des
,;"\\'allenstein" muss noch viel Uni;eschick zu Tage getreten
sein, wie wir aus einem lU'riclit vom .Juli 1799 heraushören:
,,Kin Fehler bei unserer Truppe ist, dass sie zu wenig IJbuni:-
in der Deklamation von Versen verräth. Sie skandiei-eu
entweder oder heben den Ton 'j:Q'^cn das Ende der Zeile und
verweilen bei dem Schlüsse, auch wenn der Sinn den Ruhe-
punkt nicht gestattet." Da sich Scliillei-. wie es in demselben
Schreiben") heisst, unermüdlich mit der Belehrung der Schau-
spieler abgab, veranlassten ihn vielleicht die Erfahi'ungen zu
künftigem Entgegenkommen. Nur in einei" Hinsicht steigert
sich noch die Kühnheit des Enjambements, nämlich insofern
als sogar Komposita durch die Versteilung auscinanderge-
rissen wej'den, z. B. in dei- ..Jungfrau von Orleans'': Länder-/ Ge-
waltige, Mauren- / Zertrümmerer, Gott- / Gesendete, im Teil:
Gewalt- / Beginnen: aber hier fällt die Gefahr des Skandierens
weg, weil der Schauspieler zum Hinüberziehen gezwungen ist.
Spätei- hat Goethe^) die Regel gegeben: „Hat man .lamben
zu deklamieren, so ist zu bemerken, dass man jeden Anfang
1) Vergl. auch I'icc. 73 f. SU f. W. T. 2930 f. 3U31 f. :M. St. ViVl f.
2) Braun II, 3()i).
') W. A. I, Bd. 40. S. 153.
— 448 —
eines Verses durch ein Ichnnes. ivanin merkbares Innehalten
bezeichnet; doch muss der Gang- der Declamation dadurch
nicht gestört werden." Dieses Innehalten hätte den früheren
Versih'anien Schillers weniger ontspiochen als gerade dei-
..liraut von Messina", die Goethe damals einstudierte. Dort
haben die meisten Verszeilen rhythmische Selbständigkeit,
worauf schon der ausgedehnte Gebrauch dei- Stichomythie
und die häufige Anwendung des Reimes hinweisen. Dei-
Keim tritt, wie wir oben') g-esehen haben, zuerst am Akt-
schluss auf; dann aber auch beim Szenenschi uss (zuerst W. T.
V, 2), dann am Schluss eines Auftrittes beim Abgang" (zuerst
M. St. I, 7) und schliesslich bei allen Stellen, wo die Sprache
einen lyrischen Schwung- annimmt, z. B. bei den leidenschaft-
lichen Reden Moi'timers.
Der Schlussreim verstärkt das Zusammenklingen von
Vers und Satzrhythmus, das Schiller späterhin am Ende einer
längeren Periode als Bedüifnis empfand; in dem oben er-
wähnten Brief an Körner'-) hatte er diese Regel ausgesprochen:
..Audi ist es ges^en die Harmonie, einen langen Pei'ioden, der
durch mehrei'e Jamben durehlautft. voi-n oder mitten in einem
Vers zu beschliessen. Man will einen Ruhepunkt und wird
ungern fortgerissen." Mit diesen Worten hat er wiederum
seinen eigenen Brauch im Don Carlos verurteilt; dort ist auf
diesen notwendigen Ruhepunkt so Avenig Rücksicht genonnnen,
dass nicht einmal am Ende langer Auftritte ein abgeschlossener
Vers steht. So lauten z. B. ursprünglich im Auftritt mit der
Königin (I, 5) die letzten Worte des Prinzen: „Ha! ich ver-
siehe!"; darauf entfernt er sich mit Posa; die Königin bleibt
eine Zeitlang allein auf der Bühne und sieht sich uni'uhig
nach den Damen um; der König mit seinem Gefolge tritt auf;
es folgt eine Pause der Befremdung — und erst nach diesei-
langen rnterbrechung führen die ersten Worte des Königs
den unvollständigen Vers weiter: „So allein, Madame?" Man
sieht, wie diesei- \'ers wieder nur für das Auc-c berechnet ist.
1) Vgl. S. lOn.
0 Vgl. S. 440. Aiun. 1.
— 449 —
denn herauszuluircn ist die Zusanimenu'eliöri.o-keit bei der Auf-
führung- nicht; später verlor sie auch der Dichter selbst
aus dem Aug-e und stricli in der Bearbeitung- von 1801
die Worte des Prinzen; füi- den Druck von 1802 ergänzte
er dann den Überrest des ursprüngiichen Verses zum selb-
ständig-en Fünffüssler:
Was seil' ich? Sie hier! So allein, Madame?
Pause. Nur dann, wenn die neue Person mit einem
eiligen Ausruf hereinstürzt, oder wenn sie die letzten Worte
vernommen hat und gleich daran anknüpft, setzt sich mit
dem neuen Auftritt der Dialog ohne Unterbrechung fort;
meistens dagegen ist ein kurzer Stillstand zu überwinden.
Diese notwendige Pause kann ausgedehnt werden, sobald sie
zum Ausdrucksmittel der Verlegenheit oder Befi-emdung
wird, z. H. an der eben erwähnten Stelle des Don
Carlos, wo dci- König ursprünglich „einen Augenblick",
später „eine Zeitlang" schweigt, ehe er sein Misstrauen in
Worte zu fassen vermag.
Die Bedeutung der Pausen in der Rede iiatte Dal-
bei-g seinen Mannheimer Schauspielern als F'rage vorge-
legt, und ihre Antworten^) können uns auch für die An-
') Martersteig: S. 215. Ifflaiid. Fraq-mente üb. Menschendarstellung
S. 97 ff. Über die Dauer der Pause (vgl. oben S. 128) sagte Iffland:
„Es mag seyn, dass eine Pause im gemeinen Leben einige oder eine Minute
daure; allein auf der Bühne, wo alles dem Zeiträume angemessen seyn
muss, worinne die ganze Handlung gedrängt ist, .... habe ich zufolge an-
haltender Beobachtung gesehen, dass sie nur äusserst selten länger als ein
aushaltender Athenizug dauren darf." — Büttiger fand später die Bestätigung
in Ifflands eigenem Spiele (P^ntwickl. d. Iffl. Spiels S. 321).
Die Dichter schrieljcn häufig minutenlange Pausen vor, so Schiller
im „Don Carlos"; Lenz im „Neuen Menoza": „Es herrscht eine minuten-
lange Stille" ; Meissner im „Johann von Schwaben" : „er folgt ihr schweigend
in ihr Gemach, wirft sich stumm in einen Sessel, vor dem sie eine Minute
lang stehen bleibt."
Schiller selbst fasst den Begriff „Pause" als eine Art Zeitmass und
gebraucht deshalb den Plural :
Kab. V, 3: einige Pausen lang.
In den „Räubern" kommt der substantivierte Infinitiv „das Pausen" vor.
Valacstra XXXII. 20
— 450 —
Wendung dieses Mittels in Schillers Dramen zur Erklärung
dienen.
lifland definiert die Pause als Betäubung" des Seelen-
vermögens durch eine upei-wartete Begebenheit; sie tritt des-
halb vor allem als Ausdruck des Erstaunens, der Bewunderung,
der Rührung^) auf und kann sich bis zur Bestürzung, ja bis
zur vollständigen Erstarrung steigern, z. B. Kab. V, 7:
in langer todter Pause hingewurzelt.
Beck fasst die Pause als den Übergang von einem Affekt
zum andern auf, veranlasst entweder durch ein unerwartetes
Ereignis oder durcli die Reflexion, die den Ausbruch der
Rede hemmt. So finden wii- bei Schiller statt „Pause" die
Vorschriften „besinnt sich", ,, verweilt über einem grossen Ge-
danken", oder es wird eine Stellung oder Bewegung ange-
geben, die das Nachdenken symptomatisch sichtbar macht :
Kab. I, 3 : sie steht nachdenkend.
IV, 6: Lady macht einen Gang durch den Saal.
V, 2: nach einem qualvollen Kampf.
In solchen Pausen des inneren Kampfes vollziehen sich
die wichtigsten Entschlüsse, deren Motivierung der Dichter
sich auf Kosten des Scliauspielers erleichtert; dahin gehört
z. B. das „Es ist geschehen" der Lady Milford, nachdem sie
in einer bedenklichen Theaterpause sich entschieden hat, mit
dem Herzog zu brechen-).
Weitei- kennt Beck das Innehalten auch als Steige-
rungsmittel, als Ruhepunkt der Vorbereitung für den Aus-
biiich des höchsten Attektes; hiei'bei verweist er selbst auf
die Pause vor dem grossen „Nein!" des Franz Moor, das
durch Irlands Kunst vielleicht eine höhere l)edeutung gewann,
als der Dichtei- urs|)rünglich ei'wartet hattc^).
') Vj'uui grosse I'ause der Rührung fand Schiller bereits in der Vor-
lage der „Räuber" l)ei Schuljart vor: „Diss ist die Pause der heftigsten
Leidenschaft, die den Lijjjjen das Schweigen gebietet, um die Redner des
Herzens auftretten zu bissen" (Weltrich I, 187).
'^) IJulthaupt, Dramaturgie des Schauspiels I, 262. III, 231.
') Goed. II, 374. III, 515.
— 451 —
Eines erkennen wir aus allen Antworten der Mannheimer
Schauspieler deutlich, nämlich den Gegensatz zum Stil der
französischen Schausi)ielkunst, auf den sie sich gerade in der
Anwendung dieses Kunstmittels etwas zu Gute taten.
Von der italienischen Komödie her hatten zwar die Kunst-
pausen auf dem französischen Theater Eingang gefunden ;
aber in der Tragödie galt das längere Schweigen nach wie
vor als dichterische Armut^). Wenn schon die feste Cäsur
des Alexandriners die wechselnden Sinneseinschnitte verbot,
so lag das gefühlsmässige Innehalten vollends nicht im Charakter
der Figuren, die über ihr inneres Leben zu i-eden, aber nicht
es in beredtem Schweigen zum Ausdruck zu bringen ver-
standen. „Les personnages de Racine ne se comprennent que
par ce qu'ils expriment .... Ils ne peuvent pas se taire,
ou ils ne seraient plus" — so hat der moderne Dichter des
Schweigens^) diese altklugen Pedanten ihrer Empfindung^)
charakterisiert. Aber bereits im achtzehnten .Jahrhundert
hatte Diderof) es ausgespj'ochen, dass im Schauspiele zu viel
geredet werde; er verlangte deshalb ganze stumme Szenen,
in denen sich der Übei'schwang der Gefühle nur in Blicken
und Bewegungen äussere. Damit wird die Pause zum
Stimmungsmittel, und als solches tritt sie bereits bei den
Stürmern und Drängern auf.
Schiller hat noch spätei' in den ästhetischen Schi'iften^)
die schreckliche Wirkung eines langen Stillschweigens hervor-
gehoben: „Eine tiefe Stille giebt der p]inbildungskraft einen
freyen Spielraum und spannt die Erwai'tung auf etwas Furcht-
bares, welches kommen soll." Zur höchsten künstlei'iochen
Wirkung ist die lastende Stimmungspause in „Kabale und
Liebe" verwendet, und zwar gerade am Anfang grosser Auf-
tritte, in denen eine entscheidende Aussprache erfolgen rauss.
') Oberländer, Theat. Forsch. XV, S. 21.
Düsel, Theat. Forsch. XIV, S. 21.
'^) Maeterlinck, Le Tresor des Humbles, S. 33.
') Goed. II, 343.
*) Theater (Lessings Übers.) I, 192.
'') Goed. X, 144.
29*
— 452 —
So vor der Szene zwischen Lady Milford und Luise (IV. 7).
und besonders vor dem letzten Auftritt zwischen Luise und
Ferdinand^), der mit der Vorschrift beginnt:
Grosses Stillschweigen, das diesen Auftritt ankündigen niuss.
Immer wieder werden hier die Versuche, ein g-leichgiiltiges
Gespräch zu beginnen, zu Boden gedrückt durch die unbe-
stimmte Erwartung des Furchtbaren, das auf beiden lastet.
Diese Kunst der vStimmungsmalerei trägt ein gut Teil zu dei-
modernen Wirkung bei, die gerade „Kabale und Liebe" heute
noch auf der Bühne ausübt. Späterhin liat Schiller solche
Stimmungen wieder in Worten auszudrücken vei'sucht, z. B.
Picc. 1899:
Es geht ein finstrer Geist durch unser Haus,
aber auch die schreckliche Pause der Erwartung hat er im
„Wallenstein" noch ausgenutzt, z. B. wenn der Feldherr lang-
sam in dem langen Gang verschwindet; und ebenso im ..Egmont"
bei dem stummen Auftreten dei- Patrouille (Itl, 3). Eine
lange vorbereitende Pause findet sich bereits in den ..Räubern'"
vor Herrmanns Auftreten in dei- Szene am Tui'm. Wenn nun
dort noch ein anderes Stimmungsmittel hinzutritt, nämlich das
Lied, so maclite Schiller bereits beim ersten Drama die Er-
fahrung, dass in solchen Anfordei'ungen die grösste Ein-
schränkung geboten sei.
Liedeinlagen. Zwar hingen im achtzehnten Jahr-
hundert Schauspiel und Oper enger zusammen als heute, und
gerade die Hauptki'äftc, namentlich des weiblichen Geschlechts,
wirkten häufig auf beiden Gebieten; aber in Mannheim scheint
mau die Gesangcinlagcn im Schauspiel nicht gern gesehen zu
haben, und vcrniutlich iiuf Dalbergs Wunsch, sicherlich nicht
freiwillig, beseitigte Schiller in dei- Bühnenbearbeitung sämt-
liche Lieder, obwohl sein l^'j-eund Zumsteeg sie bereits kom-
') Diese lange l'ause wurde geradezu sprichwörtlich; vgl. Ininier-
manns „Münchhausen"' Cap. H: „Nach einer Pause, die so feierlich war,
als diejenige zu sein pflegt, welche die Komödianten vor der grossen
Soene ma(;hen, in welcher die Liebe dadurch über die Kabale siegt, dass
Ferdinand seiner Louise Rattenpulver eingibt, einer Pause, lang uml lastend,
wie die vorstehende Periode, sagte das Fräulein schüchtern zum Freiherrn. . ."
— 453 —
poniort hatte. iSoirar das Räubeiiierl „Ein freies Leben
fuhren wir", auf das Plümicke nicht verzichtete, wurde ire-
strichen. Die unirenüL'ende Auskunft, einzehie Lieder zur
Musikbeg-leituniT sprechen zu hissen, war (hunals nicht üblich,
vielleicht weil die Kunst der melodi-ainatischen i\ezitation im
lyrischen Drama ihi'c eii-ene PfieL-'stätte hatte. Und so musste
auch in den Theaterbeai-beituniren des ..Don Carlos" die
Romanze, in der Prinzessin Eboli ihie uniieduldiire ?j'wartunir
zum Ausdruck bringt, we<rfallenM: ebenso im „Egmont"
(Märchens Lieder"). Für Thekla im ., W'allenstein" fand sich
daLa'La'U in A\'cimai' in Caroline Jagemann eine im Cresanir
wie im Spiel deich bedeutende Künstlerin.
Das Lied: ..Der Eichwald braust" steht an der Stelle eines
Monoloi.''es, denn Thekla muss eine Zeitlanir allein auf der liühne
zurückbleiben, ehe die (iiäfin wiederkehrt. Indessen scheint
Schiller Theklas (iesanirin den anderen P.ühnenmanuskrijjten, \vo
er wegfallen musste. durch kein Selbsti/espi-äch ersetzt zu haben.
p]r scheut durchaus nicht den voi'überirehenden Stillstand
zwischen zwei Auftiitten und lässt eine Pei-son eine Zeitlang
stumm warten, z. B. Franz Moor nach Pastor Mosers Weg-
gehen (V, 1), den Präsidenten, ehe Ferdinand kommt (Kab.
I, 6) und im Teil (1. 2) Stauffacher nach der EntfernuiiL'- des
Pfeiffers von i^uzern. Wenn er auch nicht, wie bereits
H. L. Wagner es tat, die langen, durch leere P>ewegungen
ausgefüllten Übergangspausen des naturalistischen Dramas
konsef|uent <lurchführt. so vei-meidet er doch gern die inhalt-
losen Hrückenmonologe, die keinen andern Zweck haben, als
den Zwischenraum zwischen zwei Dialogszenen auszufüllen.
Richtung der Rede. Ehe wir näher auf den Monolog
eingehen, seien die Vorschriften, an wen sich im Dialog der
Redende zu wenden hat, kurz erwähnt. Diese Anweisungen
') Bei Fr. L. Schröder fragte Schiller noch an: „Ob die Schauspielerin,
der Sie die Prinzessin Eltoli zuthcilen. eine leidliche Arie sing-en kann?
J)s ist im Stiikke darauf gerechnet und wenn es also nicht wäre so musste
ich damit eine Änderung treffen." (18. Dez. 86. .Jonas I, 321.)
') Köster S. 4.
— 454 —
können am wenig-sten entbehrt werden; selbst in der fran-
zösischen Tragödie fehlten sie nicht ganz, und Corneille war
deshalb in Gegensatz zu Hedelin getreten, weil er fürchtete,
im fünften Akte, wo alle Personen zusammenkämen, würden
die Schauspieler ohne besondere Anweisung nicht wissen, an
wen die Worte zu richten seien^).
Die Verteilung unter wenige Personen lässt sich aus
dem Sinn erschliessen, wobei die veränderte Richtung durch den
Gedankenstrich^) verdeutlicht wird, der z. B. im folgenden
Fall eintritt, weil der Vers nicht durch eine neue Anweisung
(„zu den andern Reitern") unterbrochen werden soll:
Teil 177 f.: Erster Reiter (zum Hirten und Fischer).
Ihr habt ihm fortgeholfen,
Ihr sollt uns büssen — Fallt in ihre Herde!
Die Hütte reisset ein, brennt und schlagt nieder!
Die indirekte Form, nämlich die Anrede mit Namen, ist
auch bei grosser Personenzahl die beste Art, Klarheit zu
schaffen :
Teil 37: Mach hurtig, Jenny.
42: 's kommt Regen, Fährmann,
doch hat Schiller keinen Wert darauf gelegt, dadurch direkte
Vorschriften zu sparen (vgl. Teil 46), und in der „Braut von
Messina", die an anderen Anweisungen sehr enthaltsam ist,
bleiben diese, auch wo sie entbehrlich wären, reichlich stehen.
Die häufigste Form ist ein „zu" mit folgendem Namen,
aber auch der vollere Ausdruck „wendet sich gegen "
ist nicht selten, und er sagt in der Tat mehr; denn es ist
ja auch ein Widerspruch zwischen Blickrichtung und Rede
möglich, z. B.:
M. St. '2229 a: Sie fixiert mit den Augen die Maria, indem sie zu
Faulet weiter spricht.
') Zickel, Die scenar. Bem. im Zeitalter Gottscheds u. Lessings.
Berl. Diss. S. 8.
-) Vgl. auch W. T. 1047 tl.: Macht Euch
Darüber keine Sorge ! — Das gelang !
Glück sey uns auch so günstig bey den andern !
Die ersten Worte sind noch dem abgehenden Isolan nachgerufen; der Ge-
dankenstri'^'h bedeutet also den Zeitpunkt, wo er das Zimmer verlassen hat;
von da ab beginnt Üctavios Selbstgespräch.
— 455 —
Ein volles Zuwonden zur anL'"er('dcten Person war auf
dem Weimarer Theater überhaupt nicht erlaubt, denn Goethe
nannte es eine missverstandene Natürlichkeit, wenn die Schau-
spieler unter einander spielten, als ob kein Dritter vorhanden
wäre. Er verbot deshalb die Profilstollunir und sicwann die
Möirlichkeit, mit dem Publikum auch den Aiig'crcdeteu ins
Auge zu fassen, durch die andere Vorschrift, dass unter zwei
zusammen Agierenden der yprecheude stets ein wenig zurück-
trete^).
Gegen das Publikum sprechen bedeutet natürlich nicht
ein Sprechen mit den Zuschauern, wie es dem Weimarer Stil
fälschlich vorgeworfen wurde; diese Wendung ad spoctatores
wurde nur bei Stücken fi'cmden Stiles beibc^halten, und
Schiller z. H. änderte sie weder bei der Übersetzung der
französischen Lustspiele, noch in 'riiraiidot (1137. 1100. 1258.
1303).
Ein fremdes Element war auch das Ajtaite, das auf dein
südländischen Theater seinen lioden hatte, und dem wir in
„Turandot" am häutigsten begegnen. I>ei dei- Intrigue und
bei Verstellungen war es am wenigsten entbehi'lich, und dai-aus
erklärt sich, dass es mit diesen Motiven in Schillers eigenen
Stücken abnimmt. Meist sind es kurze Ausrufe; nur im
., Wallenstein" tritt ein Rückfall ein, indem der Grätin Teizky
ein Aparte zugewiesen ist (Picc. 1391 — 1410), das wegen
seiner Länge uimatüilich wirkt und schwer zu spielen ist').
Auch in der Samborszeiu; des „Demeti'ius"' hat Lodoiska IG
Verse für sich zu sprechen, aber es ist mehr Monolog als
Aparte, denn die zweite Person, Demetrius, ist während dessen
in tiefe Gedanken verloi'on und kommt erst bei der Anrede
zu sich^).
Schiller schreibt meist ,,vor sich'", während ,,bei Seite"
die heimlich zu einem andern gesprochenen Worte betrifft
(Picc. 2126. 220H. 2244. W. T. 146(). 1555. 2020). Als
■) W. A. I, Bd. 40. S. 154 f.
-) Kilian, Der einteilige Theater- Wallenstein. S. 29.
') ürani. Kachl. I, S. 74.
— 456 —
weitere Bezeichnunar für das Selbstcespräeh kommt die Klammer
vor (z. B. Carlos 1781. 1799 if.); auch der Gedankenstrich
hat wiederum die Funktion, laut und leise Gesprochenes zu
scheiden (Kab. IV, 7, 8. 360, io-2ü. Carlos -2991).
Endlich aber lässt sich dieser Wechsel auch durch
äussere Bewegung-en unterstützen. Der zu sich selbst
^Sprechende entfernt sich von den Mitspielenden und kommt
erst zurück, wenn er sich wieder an diese wendet. So schon
in der Bühnenbearbeitung- der ..Räuber" IV, 17:
R. Moor (tritt ausser sich auf die Seite). Hörst du's Moor? Hörst du's?
Es fängt an zu ta2:en ! Fürchterlich! fürchterlich!
Ähnlich Don Carlos 1738 — 1742 und an der erwähnten Stelle
des Demetrius (v. 284-301).
Damit ist die Unwahrscheinlichkeit gemildert, dass der
Mitspielende g"ar nichts von den Worten bemerkt'), die die
Zuschauer deutlich vernehmen. Das ^Vparte unterliegt darin
anderen Bedingungen als der Monolog, der nach dem Brauch
des achtzehnten Jahrhunderts sehr wohl belauscht werden
kann, z. B. in Goethes „Mitschuldigen" (II, 3), wo Söller
Sophiens Monolog anhört, ohne dass sie etwas von seinen
Zwischenbemerkungen vernimmt.
Monolog. Beiseitesprechen und Monolog hätte Gott-
sched '^) gern als gleich unnatürlich vcrm'tcilt, doch musste
er den Monolog im starken Affekt und dann in kürzestei-
Fassung zulassen. Alle Theoretiker des achtzehnten Jahi'-
hunderts ^) konnten sich mit diesem für die damalige Technik
unentbehrlichen Hülfsmittel nur unter grossen Schwierigkeiten
abfinden, weil sie das Pi-jnzip der Nachahmung überall zum
Prüfstein machten.
*) In den „Räubern" kommt auch das scheinbare Aparte vor, das für
die Ohren des Mitspielenden bestimmt ist: I, 1 (S. 15) halb vor sich;
I, 3 (S. 51) wie vor sich, aber laut.
2) Waniek, S. 118. Servaes, Die J'oetik Uottscheds u. d. Schweizer.
Qu. u. Forsch. LX, S. 33 f.
*) Düsel, Der dramatische Monolog- in der Poetik des 17. u. 18. .lahr-
hunderts. Theat. Forsch. XIV.
— 457 —
Als etwas Unnatürliches wii'd der ^fonoloi;' (odei* wie im
achtzehnten .lahi'hundert iiesaLit wurde. ..die Monoloiic") zuirc-
g-elassen, um zAvei Auftritte auseinanderzuhalten: so ist der
Brückenmonolog' z. B. bei Sonnenfels^) motiviert: ..Nach dem
angenommenen Gesetze, die Schaubühne nicht leer zu lassen,
dienen die kleinen Monolog^en. zwischen die Zusammenkunft
zwoer Personen zu treten, die sich nach der Absicht des
Dichters nicht sehen sollen."
Als natürlich begründet g-alt dageg'-en ein kurzer abg"e-
rissener ^Monolog auf dem Höhepunkt des Affekts; auch dafür
soll wiederum Sonnenfels auLreführt werden: ..Man ist über-
haupt von dem runatiiilichen der Monologe so sehr überführet,
dass man übereiiiLiekommen. sie überall für fehlerhaft anzu-
sehen, wo nicht die Leidenschaft auf das Höchste g-espannet,
und das Herz gleichsam zu enge ist, den inneren Kampf in
sich zu fassen. - In solchen Augenblicken stösst der unruhe-
volle Mensch einzelne unzusammenhängende Reden aus; er
spricht nicht, er artikulii't gebrochne Töne, er ist unstätt,
sitzt, steht, läuft hin und wieder, g-ebehrdet sich wunderbahr-
lich. Das ist das Muster, die Reg-el der Monolog-e ; für den
Schriftsteller und Schauspieler — ''
Endlich aber gab es in der Praxis noch ein drittes Mittel,
dem Selbstg-espräch Pjerechtigung einzuräumen, nämlich indem
man es als die besondere Anirewohnheit gewisser Personen
hinstellte. In dieser Form hat der Monolog seltsamer Weise
namentlich in die Technik des Romans Eing-ang gefunden, wo
er als Mittel intimer Offenbarung an Stelle des Briefes trat.
Wieland z. B. sucht die langen Monolog^e seines Ag"athon
aus dieser Eigenheit des Helden zu erklären, und Goethe
hat auf dieses Motiv eine eanze Novelle autVebaut ^).
') Briefe üb. d. Wiener Schaubühne, S. 650. 655.
2) „Wer ist der A'erräther"' in .,Wilh. Meisters Wamlcrjahren".
Vg-1. Riemann, Goethes Roniantechnik, S. 373 ff.
Auch das bürg-erliche Drama liebte diese Motivierung gleich in der
Exposition anzubringen, vgl. Tfflands „Verbrechen aus Ehrsucht" I, 2;
Kotzebues „Menschenhass und Reue" I, 1.
— 458 —
Charakteristisch für das ganze achtzehnte Jahrhundert
ist, dass man den Monoloir immer als etwas wirklich Ge-
sprochenes auffasst, niemals als Symbol der Gedanken.
Während man das Beiseitesprechen als eine Lizenz des Dichters
gelten liess, der auf diese Weise unausgesprochene Gedanken
dem Publikum vermittelt, war man weit entfernt, dasselbe
Prinzip auch auf den Monolog auszudehnen. Ei-st zur Zeit
der Romantik wurde diese Konsequenz gezogen, und in
Seckendorfs „Vorlesungen über Deklamation und Mimik" ')
finden wir deshalb die ganzen Natürlichkeitsbedenken des acht-
zehnten Jahrhunderts abgelehnt.
Eine Hauptfrage in der Auffassung des Monologes ist
die, ob er auch von Mitspielenden belauscht w^erden kann.
Meistens wird dieser Schwierigkeit durch ein rechtzeitiges
Abbrechen beim Herannahen andrer Personen aus dem Wege
gegangen ^ ) ; trotzdem zeigen sich in einzelnen Fällen fast
alle Dramatiker von Lessing bis auf Heinr. v, Kleist von der
Natürlichkeitstheorie hierin abhängig. Schiller ist es nicht
nur in den ersten Stücken, z. B.
Kab. IV, 9: Sie glühen -- Sie sprechen mit sich selbst
V, 1: Tochter! ich sprach vorhin etwas. Ich glaubte allein
zu seyn. Du hast mich behorcht . . . ,
') I, S. 200: „Stellt man die Frage nur so auf: Wann pflegen
Menschen in der Einsamkeit ihre Gedanken laut werden zu lassen? so
macht man die Kunst abhängig von der NachätTung der Wirklichkeit, das
heisst, sie hört auf, freie Kunst zu seyn. Uas Denken selbst wird durch
den Monolog, das innerste Empfinden durch ihn repräsentirt. Das, woran
ein innerer Grund uns hindert, es andern zu sagen, sagen wir uns selbst,
sey's, dass dabei unsere Gedanken laut werden oder nicht. Frei schaltet
die Kunst, einmal lässt sie diesen innern Wechsel durch Worte sich kund
thun, einmal nur durch Gesten und Mienen; und die innere Wahrheit des
Selbstgesprächs geht nur verloren auf zweierlei Weise:
1) 'Wenn darin etwas gesagt wird, was der mit sich Selbst-
sprechende nicht wissen kahn.
2) Wenn etwas gesagt wird, nicht um den Zustand seines Innern
zu zeicen, nicht als innerer Zustand, sondern um nur dem
Zuschauer Mittheilungen zu machen, streng genommen, gleich
viel durch wen.''
-') Vgl. oben S. 70.
— 459 —
sondern auch noch im ..Wallenstein", wo Gordons Selbstge-
spräch von Buttler g-ehört wird (VV. T. 3G80). Wenn auch
noch in „Turandot" Altoums laute Gedanken durch Pantalon
glossiert Averden :
Rappelts der Majestät? Was kömmt sie an.
Dass sie in Versen mit sich selber spricht?
so ist diese Ironie freilich nicht »Schillers Art, sondern eine
Anpassung an den Stil Gozzis.
Mustern wir nun die einzelnen Dramen auf ihren Reich-
tum an Monologen, so hat eine blosse Statistik zunächst
keinen Wert, solange nicht die Bedingungen des gegebenen
Stoffes, die Häutigkeit des Dekorationswechsels, die Personen-
zahl und die Charaktere der Hauptpersonen mit in Rechnung
gezogen werden. Aber auch dann bleibt das Ergebnis folgen-
des: die Zahl der Monologe nimmt-ab, die einzelnen Monologe
wachsen an Bedeutung. In den ..Räubern" zählen Avir neunzehn
Selbstgespräche, die teilweise ganz kurz, zum Teil auch unter-
geordneten Personen in den Mund gelegt sind ; im „Teil"
sind es nur noch zwei, darunter der eine grosse Monolog
des Helden vor der Tat.
Die grosse Zahl der Monologe in den ersten Dramen ist
nicht einmal eine technische Notwendigkeit. Da der Dichter auf
die Einheit des Ortes verzichtet hatte, bedurfte er nicht
mehr der vielen Verbindungsmonologe zwischen einzelnen Auf-
tritten. Auch die Verj)Hiclitung der liaison des scenes (vgl.
S. U)5) war aufgehoben, und Schiller hatte kein Bedenken,
die Bühne zwischen zwei Auftritten leer zu lassen; in den
Räubern entsteht eine solche Lücke sogar durch die :Hach-
barschaft zweier Monologe (IV, 2, S. 132; im Trauerspiel
IV, 2 und IV, 3).
Andererseits ist die Abnahme der Monologe nicht aus
Natürlichkeitsgründen zu erklären; im Gegenteil zieht Schiller
den Monolog der Vertrautenszene vor, wie Turandot III, 1
beweist (bei fiozzi war es das Gespräch Adelmas mit einer
Sklavin). Die Ursache liegt vielmehr einmal in der seltneren
Verwendung des heimliclien Intrigucnspiels, und ferner in der
— 4fin —
wachsenden Ausdehnuni^' und Ikdeutung des einzelnen Mono-
loges, dei- zu einem poetischen Höhepunkt wird und deshalb
nicht verschwendet werden darf.
Inwiefern die fStelluiiir des Monoloiics den ganzen Gani,'
der HandluniT beeinflusst, wie der monologische Aktanfang
einen jambischen, das volle Einsetzen mit einer Dialogszene
trochäischen Rhythmus schafft, das hat DüseU) feinsinnig aus-
geführt. Ebenso kann man auch von einem Rliythmus des
^lonologes selbst spreclien und den steigenden und fallenden
^lonolog unterscheiden.
Beispiele des fallenden Monologes sind voi- allem die
Selbstoffenbarungen des Heuchlers, der, sobald er allein ist,
die Maske abwirft und im schärfsten Gegensatz zu seinem
bisherigen Benehmen hervoi-tritt. Am wirkungsvollsten setzt
ein solcher Monolog mit dem höhnischen Nachrufen hinter dem
Angeführten ein, z. B. Franz Moors ., Tröste dich, Alter!" (I, 1),
des Mohren .,8tehn wir so miteinander?" (Fiesko IH, 7),
Mortimers .,Geh', falsche, gleissnerische Königin!" (M. 8t.
II, 6). Auch die Versuche, den Davoneilenden zurückzuhalten
und das Gespräch noch fortzusetzen (Carlos 1886; Teil 943)
gehören hierher, Avie überhaupt alle Anknüpfungen an den
letzten Auftritt-), z. B. Posas „Wohl gesprochen, Herzog"
(Carlos 2951), Theklas .,Dank dir für deinen AVink!" (Picc.
1887) und die Worte, die Johanna dem toten Montgomery
zuruft (Jgfr. 220131.
Der fallende Monolog also geht von dem Höhepunkt aus,
auf dem der vorausgehende Auftritt schloss; die Reflexion
des Alleingebliebenen verarbeitet die Eindrücke, die das Er-
lebnis hinterliess. Aber sogar der neue Akt kann mit einem
fallenden Monolog einsetzen, sobald es sich darum handelt,
ein Ereignis des Zwischenaktes zu verarbeiten; ein Beispiel
ist Wallenstcins „Du hasts erreicht, Octavio" (W. T. III, 13;
') Theat. Forsch. \l\\ S. 35.
') Z. n. auch <ler Kirisat/.: „Wär.s iiiü<,'lich?"' (Carlos IV. 6. W.T.I, 4)
und Leicesters Monolos,' (M. St. V, 10), der mit der vollen T.adung des
Affektes beg-innt.
— 461 —
ursprüng-lich Anfan.ir dos zweiten AufziiLtes) und Rüttlers ,,Kr
ist herein" (W. T. IV, 1). Die liezeiclinuni,»- ..fallend" bezieht
sich zunächst nui- auf den Einsatz, denn durchaus nicht immer
braucht der Monolotr am Schluss die Ruhe und das innere
Gleichg-ewicht herzustellen (z. B. Carlos III, 10), sondern er
kann zu einem neuen Plan und Entschluss aufsteigen und
wieder mit einer Hebun<r enden (z. B. Carlos II, 9).
Den Ansprüchen der Natürlichkeit g-eschieht durch den
fallenden Monolog" insofern Genüge, als sich die Person g^leich
beim Einsetzen auf einer Höhe des Affektes befindet, die das
»Selbstg-espräch motiviert. Noch mehr indessen entspricht diesen
Forderungen der steig" ende ^lomdog-, dei* aus dumpfem
Dahinbrüten sich laniisam zui- zusammenhäng-enden Rede ent-
wickelt. Das ist die Form des Monologes, die Home') em-
pfohlen hat: ,,ln einem atfekt vollen Monolog" fäng-t man damit
an, dass man laut denkt und bloss die stärksten Gefühle
werden dann ausgredrückt. In dem Masse, wie man hitziger
wird, fängt man an, sich einzubilden, dass man von Andern
gehört wird, und gei'äth allmählig in eine zusammenhängende
Rede.
Beispiele für die stumme Eröffnung sind bei fSchiller
nicht selten:
Raub. II, 1 : nachdenkend in seinem Zininier
Kai). III. ö: Sie bleibt noch eine Zeit lang- ohne Bewegung und
stumm in dem Sessel liegen, endlich steht sie auf,
kommt vorwärts und sieht furchtsam herum.
IV, 4: nach einem langen Stillschweigen, worinn seine Züge
einen schreklichen Gedanken entwikeln.
Carlos V, 9: Endlich bleibt er gedankenvoll stehen, die Augen 7Air
Knie gesenkt, bis seine (remüthsbewegung nach und
nach laut wird.
Steigend setzen die vorbereitenden Monologe ein, die dem
Ausdruck der ungeduldigen Erwartung (W. T. ILI, II;
M. St. V, 11: Braut IL I) oder der Ratlosigkeit (Jgfr. II, 6)
dienen. Sie schliessen mit einer Hebung, wenn dei" Monolog
in einer Entscheidung gipfelt, z. 13. Franz Moors: ..Triumph!
') Grunds, d. Kritik, ühs. v. Meinhard, 3. Auti. II, 250.
— 46Ö —
— t)er Plan ist fertig" (Trsp. 11, 1) oder Fieskos: „Ich bin
entschlossen!'' (111, 3), oder wenn sogar die Ausführung des
Entschlusses sogleich erfolgt (Kab. IV, 8. M. St. IV, ]0).
Ebenso wie der fallende Monolog als Anknüpfung an das
Vorhergegangene den Akt eröffnen konnte, so können Ent-
schlussmonologe an das Ende des Aktes oder einer Szene
treten (z. B. Kab. II, 7), um zu dem Kommenden hinüber-
zuleiten. Der Entschluss ist Abgangsmotivierung, und um
den Abgang dankbarer zu gestalten, soll Schiller für eine
spätere Aufführung der „Jungfrau von Oileans" noch einige
Schlussverse zu IV, 3 gedichtet haben^). Deren Echtheit ist
jedoch nicht verbürgt, und es fällt auf, dass dieser Abgang
nicht gereimt ist, wie es Schillers spätere Gewohnheit war.
Sicher echt ist dagegen ein nachträglich gedichteter Monolog
Posas (nach IV, 17), worin mit einem klingenden Abgang die
Verdeutlichung des Vorhabens verbunden ist^).
Die Entschlussmonologe vor der Tat sind charakteristisch
für Schiller, zu dem hierin H. v. Kleist^) im grössten Gegen-
satz steht. Kleist gibt nicht das Entstehen eines Planes; für
ihn hat die Überlegung ihren Zeitpunkt nach der Tat; seine
Personen erzählen uns fertige Tatsachen oder kommen mit
fertigen Entschlüssen auf die Bühne, aber die Form der Rede
ist knapp, abgerissen und minder vorbereitet als in Schillers
späteren Monologen.
AVenn wii- vom Rhythmus eines Monologes "sprechen, so
begreifen wir dai-in auch das innere Leben, das Hin- und
') Goed. XV, 1. S. 420.
') Goed. V, 2. S. 37G. Minor, Aus d. Schillerarchiv, S. KU f.
Nachträglich weggefallen ist dagegen im ,,Wallenstein" ein Monolog Buttlers,
der früher den Schluss des zweiten Aktes bildete. Diese genaue Rechen-
schaft über sein Vorhaben entsprach dem verschlossenen Charakter wenig;
ausserdem hatte der Gedankengang mit dem inzwischen gedichteten Ent-
schlussmonolog Elisabeths in „Maria Stuart" zu viel Ähnlichkeit (Goetl. XII,
346. Kürner an Schiller IG. .Jan. 1800. Kettner, Zeitschr. f. d. l'hil.
XVI, S. 54 f.),
•■') Düsel, Theat. Forsch. XIV, S. 70. 86. Minde-Pouet, Kleists Stil
S. 20 ff.
— 46,^ ^
Herwogen, in dem die aufsteigenden Gegensätze ilii'cn Aus-
gleich finden, also mit einem Wort: das Dialogische. Das
Nachrufen hinter dem eben Forteilenden, die Apostrophe eines
Abwesenden (Fiesko II, 19), das Anrufen Gottes (Raub. II, 8.
S. 96), endlich die Anrede an sich selbst, das wirkliche
.Selbstgespräch, in dem sich der Redende in zwei Parteien
teilt, sind solche dialogische Elemente. Der innei'e Gegensatz
kommt auch in den äussei'cn Bewegungen zum Ausdruck, in
dem Auf- und Niedergehen, das plötzlich durch einen widei-
sprechenden Gedanken uehommt wird, oder in dem Springen
von einer Seite auf die andere, wochirch sich die eine Person
zu verdoppeln scheint (Fiesko III, 7). Vor allem aber ist
die Sprache das Mittel, diesen inneren Kampf zu charak-
terisieren. Im dialogischen Monolog jagen und drängen sich
die Gedanken; keinei- kommt zur vollen Aussprache; von dem
wogenden Meer der Leidenschaft wei'den nur die aufspritzen-
den Wellenkämme sichtbar, und die kui'zen Ausrufe, die unwill-
kürlichen Retlexlaute sind wie das Wetterleuchten dieses
Sturmes; ein Beispiel ist Fi-anz Moors Monolog in den
,.Räubern'' (II, 1):
(tief sinnend I Wie? - Nun? — Was? Nein! — Ha! (auffahrend)
Schrek — Was Ivann der Schrek nicht? —
Dieser coupici'tc Stil, der in Lessings Sprache vorbereitet
ist, rausstc im Versdrama seine Einschränkung erfahren, denn
im Rhythmus liegt ein oi'dnendcs Prinzip, eine Sammlung und
Gliederung des Chaotisclieii. Im ,,Doii Carlos" haben wir
trotzdem im Selbstgespi-äeh der Pi'inzessin Eboli (II, 9) noch
das Muster eines dialogischen Moiiologcs vor uns, aber später
entstehen die Gedanken nicht mehr so scheinbar improvisiert
während des Redens: sie wachsen nicht mehr so ui-sprünglich
auf dem Felde einer bestimmten di-amatischcn Situation,
sondern werden wie ein gebundener Blumensti'auss darge-
reicht.
Wenn man diesen Monologstil an dem Shakespeares misst,
wird man leicht ungerecht und tadelt, wie Otto Ludwig^),
') Werke, hsg. v. A. Stern u. E. Schmidt V, S. 137, 282 ff.
— 464 —
dass in Schillers Bergschaclit tlie geprägten Tlialei" nnd
Dukatenstiicke blinkend und locker im Gestein stecken, dass
seine Dichtung sich mit Sentenzen wie mit Christbaumschmuck
behängt, statt sie als natiii*licho Früchte i-eifen zu lassen.
Abel- man darf nicht vergessen, dass Schillers spätere Monologe
eine andere Funktion haben als die Shakespeares, dass sie
nicht mehr so unbedingt im Dienst der dramatischen Ent-
wicklung stehen und sie als notwendige Pfeiler stützen,
sondern dass sie aus dci" Situation als selbständige Träger
poetischer Schönheiten herauswachsen. Hamlets. „Sein oder
Nichtsein" ist nur aus dem ganzen Di-ama zu verstehen;
Johannas: ..Lebt wohl, ihr Berge" hätte Schiller mit Weg-
lassung der letzten Strophe in seine Gedichtsammlung auf-
nehmen können so gut wie den lyiischen Monolog der , .Kindes-
mörderin" oder „die Klage der Ceres".
Auch die natürliche Motivierung, wie sie in dem fallen-
den oder steigenden Eingang lag, ist in den grossen Monologen
der späteren Dramen entbehrlich; an ihre Stelle tritt eine
überlegte Disposition; die Jungfrau (IV, 1) und Teil (IV, 3)
gehen erst von der Schilderung der äusseren Situation zur
Entwicklung ihres Seelenzustandes über. In den psycho-
logischen Partien aber jagen sich nicht die Gedanken und
Vorstellungen, ohne einander das Wort zu lassen, sondern eines
reiht sich an das andere, und jede Stimmung wird in vollem
Ausklingen erschöpft. An die Stelle der symptomatischen
Natui'iiachahmung tritt die symbolische Repräsentation.
Wenn die grossen Monologe der letzten Dramen mit
G^sangsarien verglichen wurden^), so hätte Schiller den Vor-
1) Köster (Preuss. Jahrb. 68. Jg. 1891. S. 192 flf.) hat auf den P^in-
fluss des lyrischen Dramas aufmerksam gemacht, das dem einzelnen Schau-
spieler eine I'araderoUo darbot. Die Einförmigkeit der langen Rede wurde
durch die musikalische Begleitung gehoben, und dieses Mittel sehen wir
auch bei Schiller in Anwendung treten. Bei Theklas Monolog (Picc. III, 9)
sind es die Klänge der Tafelmusik; in „Maria Stuart" (III, l)dieHürner
der königlichen Jagd, in der „.lungfrau von Orleans" (IV, 1) Flöten und
Hoboen, im „Teil"' (IV^, 3; die Musik des Brautzuges. Schon in der
Konzeption hat Schiller dieses Mitwirken der Musik vorgesehen, wie der
für den „Denietrius" geplante Monolog der Loiioiska beweist: „Ihr Monolog,
wenn er abgegangen un<l wenn die Hörner ertönen." (Dram. Nachl. I, 111.)
— 465 —
wiirf vioUciclit nicht einmal als solchen empfunden, denn gerade
in (ici- Oper sah er späterhin ein Vorbild der repräsentieren-
den Kunst. Der i^TOsse Umsclnvunti-. den hierin seine An-
schauungen nahmen, wirft ein Licht auf die Entwicklung- von
Schillers dramatischem Stil. Bezeichnete er in Mannheim ein-
mal die Oper als ein Autodafe über Natur und Dichtkunst^),
SO hatte er bei'eits 1797 das Vertrauen, dass aus ihr, wie aus
den Chören des alten Bacchusfestes, das Trauerspiel in einer
edlern Gestalt sich loswickeln sollte: „In der Oper erlässt
man wii'klich jene servile Katurnachahmunü-. und obg-leich nur
untei' dem Namen von Tndult^enz, könnte sich auf diesem
Weg-c das Ideale auf das Theater stehlen''^).
Diese Absage an den Naturalismus bezieht sich auch auf
den Vortrag-. Aber eine völlige Entfernung- von der natürlichen
(Jrundlag-e ist damit doch nicht ausg-esprochen ; der Stil ver-
dankt sein inneres Leben der echten Natur, und Schiller hätte
seine Beobachtung- übei' die poetisch-rhythmische Sprache^)
wohl auch auf den Vortrag- ausi^edehnt: nämlich, dass g-erade
an d(Mi leidenschaftlichen Stellen die Natui- in ihrer Einfalt
hervorbrechen könne, wähi'end die gleichgültigeren Partien
dui-eii eine schöne Spraclie und kunstvollen Vortrag- poetische
Dignität erhalten.
') An Körner 10. Febr. 1785. Jonas I, 227. Nach Weltrich S. 689
hätte Schiller dabei das lyrische Drama „Py^n'^-lion'- von Rousseau, kom-
l)oniert von Benda, im Auge gehabt. Indessen wurde dieses kleine Stück,
auf das die Bezeichnung „grosse Opera" durchaus nicht passt, im ganzen
Februar 1785 nicht gegeben. Am 10. Febr. Avar überhaupt keine Oper,
sondern es stand ein Lustspiel von Gotter auf dem Repertoire (Walter II,
222). Dagegen war in jenen Wochen das Hauptzugstück die pomphafte
Nationaloper „Günther von Schwarzburg" von A. v. Klein und Holzbauer,
die am 6. Februar zum vierten Male gegeben wnirde. „Der Zulauf war
ungewöhnlich" „ein volles Haus" „zum Triumph der Kasse"
lauten Schillers Bemerkungen über die drei ersten Vorstellungen in der
„lilicin. Tlialia". (Goed. III, S. 583 ff.) Diese Oper muss auch im Brief
;iTi Kürner gemeint sein.
•-) An Goethe 29. Dez. 1797. Jonas V, 313.
') An Goethe 24. Nov. 1797. Jonas V, 289.
Palaestra XXXn. ^^
— 466 —
Nun ist gerade die Deklamation das Gebiet, wo Seliiller
den grössten Einfluss auf die Entwicklung des deutsclien
Theaters gewann. Aber es darf auch niclit verschwiegen
werden, dass seine Naclnvirkung dei* Schauspielkunst niclit
durchweg zum Vorteil gereichte').
Das Scblagwoi't Idealismus deckte einen Eintausch dei*
stilisierten Natur gegen manierierte Unnatur; die Rhetorik des
Epigonendramas nötigte den Schauspieler, mit leeren Klang-
wirkungen und Schönrednerei über innere Hohlheit hinweg-
zutäuschen.
Ein grossei' Teil der Eingenommenheit, die im neunzehnten
Jahrhundert Otto Lu(h\ig und andere gei-ade gegen Schillers
Sprache bezeugten, ei'klärt sich daraus, dass sie, von Nach-
ahmern abgegriffen, als Karrikatur vor ihren Augen stand.
Die Kritik besticht, so lange Avir das von Schiller abhängige
.Jambendrama des neunzehnten Jahrhunderts nicht von ihm
selbst zu ti'ennen vermögen. Aber Avir sehen Schiller in neuem
Lichte, Avcnn Avir das glücklich aus dem Wege geräumte
Epigonentum vergessen lernen.
') Tieck, Dramaturg-. Sehr. I. 7(j1.
Schluss.
Don vorausg'eg'ano-enen Kapiteln bleibt der Vorwurf
liott'entlieli erspart, über iinwiphtit;cii Äussei'lichkciten die
iji'ossc GesaraterselioinmiLT des Dichters Schiller vernach-
lässjo-f lind verkleinert zu haben. Es ist wahi'. Schillers Name
ist hiei- in einem Atom genannt nicht nui- mit (jioethe, sondern
mit Kotzebue, lifland, Gi-ossmann, Möller mid Avie sie alle
hcisscn, die zur selben Zeit unter den ,s>-leichen l>edingiingen
für das Theater schrieben ; es i^alt eben, den gemeinsamen
l^>oden zu untersuchen, auf dem Schillers Dichtung zwischen
diesem Unterholz wurzelt.
Unter dem einzigen Gesichtspunkte der geschickten Ver-
wendung theatralischer Mittel wäre der Platz neben Kotzebue
nicht einmal eine Unehre, aber es ist oben oft genug hervor-
getreten, wie Schiller auch darin ihn und andere Theaterbe-
herrscher überragt, wie dasselbe Mittel, das doi't nur dem
äusseren Etfekt dient, hier zum bedeutenden Motiv und zur
poetischen Notwendigkeit erhoben ist.
Dass er solche Mittel überhaupt verwendete, kann den
Theaterdichter nicht herabsetzen; im Gegenteil, man wird
Schiller nur gerecht, wenn man das schauspielerische, echt
theatralische Element, das die Lebensader aller seiner Stücke
bildet, nicht verkennt. Das Drama ist die oi"ganische Ver-
bindung zwischen dem Poetischen und dem Schauspielerischen.
30*
— 468 —
Diese Definition, die Heg-els Ästhetik^) zn einer Zeit ,i;-ab. da
Schillei' unbesti'itten den dramatischen Stil beherrschte, ist im
Grunde doch nur eine Weiterbildung- der Goethe-Schillerschen
Theorie. Das Epische wird „durch die Innerlichkeit des
Subjektes als g'eg-enwärtig Handelnden" vermittelt; diese
lyrische Konzentration, die Umsetzung- des objektiv Er-
zählten in sinnlich wirkende Handlung, ist eben das Schau-
spielerische.
Es ist in höherem Grade als das Poetische vom Zeitge-
schmack und von noch äusserlichercn Bedingungen abhängig;
reizvoll ist deshalb die Beobachtung, wie es auch auf Schillers
Produktion in Avechselnden Graden und Formen eingeAvirkt
hat. In den „Räubern" und im „Fiesko" pulsiert der thea-
tralische Aderschlag am stärksten, Avenn auch unregelmässig;
alles ist als theatralisches Spiel gedacht, aber zuweilen in
romanhafte Form gehüllt — ja zuM'eilcn auf eine Bühne be-
rechnet, Avie s:ie die damaligen A\^rhältnisse nicht boten.
Unter der Abkühlung, die die notAvendige Anpassung mit sich
brachte, litt das Poetische, und so Avurde in den Bühnenbe-
arbeitungen, namentlich in denen dc^ Fiesko, die organische
Verbindung Avieder zerstört. Nach den praktischen Erfahrungen,
die der Dicliter inzwischen in sich aufgenommen hat, halten
sich in „Kabale und Liebe" von vornhei-ein beide Elemente
die Wage; Aveitero Konzessionen i\]^ das Theater konnte er
von sich Aveisen").
A'on da al) gcAvinnt das Poetische das ÜbergeAvicht.
Beim „Don Carlos" AvoUte Schillei' sich im ersten kühnen
Wurf nicht durch den Gedanken an papierne Wände
und Kulissen ernüchtern lassen"); schauspieleriscli ist jedei'
Auftritt konzipioi-t, sogar die grosse Szene zAvischen
Philipp und Posa, aber die i)oetische Fülle der Ausführnni.--
hat das (ianze der Dühiie entIVemdet. Und so klagt Schillei"
') Werke (LS3S) X, 3. S. 470 ff.
O. I.u.hvi<,', Werke V, 500.
-) An Dalberg- l'J. .I;iii. X'). Jonas T, 227.
'■') An Schröder IS. De/. HC. .lonas I, 320.
— 409 —
auch später nocliM über die poetische Gemütlichkeit, die
ins Breite ti'eibc : .,Der Jambe vermeiirt die theatralische
Wirkun.if nicht, und oft ireniert ei- den Ausdruck. Solche
Stücke ü-ewinnen oft am meisten, wenn sie nur Skitzen
sind."
Schiller selbst erkennt klar die beiden einander entgegen-
wirkenden Faktoren: seine ..individuelle Tendenz ad intra",
d. h. die poetische Innigkeit, die ihn beim Ti cgenstande fest-
halte, und dem gegenüber die .^gleichfalls i)oetisch berechtigte
Forderung, sich auf das Dramatischwirkende zu konzentrieren,
dem Schauspieler kraftvolle und trettend gezeichnete Skizzen
zur Veikörperung darzubieten'). Beides in Einklang zu
bringen, hält er für seine Aufgabe, und nur vor einem will
er sich hüten, nämlich vor dem Theatralischen im schlechten
Sinne, dem hohlen ?]tfekt ohne i)oetischen Gehalt, vor der
,, Wirkung ad exti-a, wie sie zuweilen auch einem gemeinen
Talent und einer blossen Geschicklichkeit gelingt."
Dass er sich auch davon nicht immer ganz tVei halten konnte,
war bei der rastlosen Bemühung um neue Motive und Aus-
drucksmöglichkeiten, bei der oftmals gewaltsam angespannten
Arbeitshast unausbleiblich. Die gewissenhafte Selbstkritik
des Dichtei's hat indessen diese Schwäche zuerst empfunden,
und so mag schliesslich unsere üntei'suchung ihr Siegel em-
l)faiit:en durch das bescheidene Bekenntnis, das Schiller in
einem seiner letzten Briefe') aussprach: .,Die Werke des
dramatischen Dichters werden schneller als andere xr^n dem
Zeitstrom ergritfen, er kommt selbst wider Willen, mit der
grossen Masse in eine vielseitige Berührung, bei der man
nicht immei- rein bleibt. Anfangs gefällt es, den Herrscher
0 An Goethe 1. Dez. J7Ü7. Au Körner 10. Xov. IHÖl. Jonas V,
2'J2. VI, 315.
-) An Goethe 0. .Tuli 1802. .Tonas VI. 401.
') An Humboldt 2. April 1805. Jonas VII, 22(5.
— 470 —
zu machen über die (lemütlier, aber welchem Herrscher be-
geirnet es nicht, dass er auch wieder der Diener seiner
Diener wird, um seine Herrschaft zu behaupten; und so
kann es leicht geschehen seyn, dass ich, indem ich die
deutschen Bühnen mit dem Geräusch meiner Stücke er-
füllte, auch von den deutschen Bühnen etwas angenommen
habe.''
Anhang.
1. Eine Riiiiberbearbeitung des jungen Tieck.
Das volkstümliche Weiterwirken des Schillei-schen Erst-
Iiiii.'S(Iramas im Norden und Süden Deutschlands ist zu unter-
sclieidon. Noch heute leben im Yolksdrama Bayerns und
Ostreichs Züije aus Schillers Banditenszenen fort'), und schon
ifleicji nach dem Erscheinen des Stückes zeigte sich das
tempei'amentvolle Süddeutschland besonders für die kühne
Käuberromantik enipfändich. für die Taten des grossen Haupt-
manns Moor, den es mit Rinaldo und Schinderhannes zum
Dreigestirn vereinigte. p]in berechnender Theaterdirektor
wie vSchikaneder kannte sein Publikum und wusstc, dass das
Gefeclit, in dem sich ein lläutlein Häuber, jeder mit fünf
Paar Pistolen und drei Kugelbüchsen bewaffnet und von
einigen wilden DoL-gen untei'stützt, durch die zwanzigfache
Übei'macht der Soldaten durchschlägt — dass diese Grosstat
einen Mittelpunkt des Interesses bihlen musste und keinesfalls
in den Zwischenakt hinabsinken durfte').
Dei- nüchternere Norden nainn auf dei" Bühne die Familien-
tragödie entgegen, die ihm Plümickes Bearbeitung rationalistisch
zurechtgemacht hatte. Durch Plümickes „Räuber" wurde eine Zeit-
lang der echte Text in Noi-ddeutschland vollständig untei'drückt;
die VerAvässerung wurde nicht nur auf dem Thcatei- gegeben,
sondern erlebte im Di'uck rasch eine zweite Auflage und Hess
auch die Buchausiraben des Originals nicht aufkommen. Der
') Behrend. Zeitschr. des Vereins für Volkskunde 1902. S. 82(i tf.
-) Vgl. S. 240.
— 472 —
Poet Kosegarten wandte sich noch im Jahr 1796 an den Ver-
fasser selbst, weil es ihm bisher nicht gelungen sei, andere
als die „verstümmelten, verschnittenen, ver-PIümiketen'' Aus-
gaben der Jugenddramen zu Gesicht zu bekommen'); ein noch
stärkeres Zeugnis aber für die Herrschaft Plümickes legte,
wie wir im folgenden sehen werden, der junge Tieck ab.
Auf der Königlichen IJibliothek zu P>ci'lin'-') befindet sich
ein geschriebenes Oktavheftchen mit dem Titel :
Die Räuber
Trauerspiel in fünf Aufzügen
von
F. L. Tieck.
Zweiter Theil.
1789.
Die Übergehung des Namens Schiller, die Bezeichnung
, .Zweiter Teil" und ein darauf folgendes eigenes Personen-
verzeichnis ei'wecken zunächst die Voi'stelhuig, es handle sich
um eine Fortsetzung. Tatsächhcli aber haben wii' nur eine
]jearbeitung des fünften Aufzuges voi' uns; die ersten vier
sind entwedei' verloren gegangen oder, was fast wahrschein-
licher ist, sie waren niemals da. Erst mit dem fünften Auf-
zug begann ja die Schwierigkeit, die verschiedenen Texte zu
verschmelzen. Welche Texte wai-en dies? Als die eigentlich
authentische Fassung musstc zu jener Zeit das ,, Trauerspiel"
gelten, also die Hearbeitung für das Mannheimer Theater, die
in Schwan'scheu Drucken Aveiterlebte, während das ..Schau-
spiel" erst wieder durch die Aufnahme in das „Theater" 1806
zu vollen Ehren gelangte^). Tieck, der spätere Schutzpatron
') Briefwechsel zw. Schiller u. Cotta. hsg. v. Vollmer. S. 223.
-) Für die gütigst gewährte Benutzung danke ich dein N'orstand der
Hand.schriftenal)teilung, Herrn rrofessor Stern. Ferner bin ich für eine
nochmalige Vergleichung der zitierten Stellen mit dem Original meinem
Freunde Dr. A. Leffson verpflichtet.
^) Die erste Fassung' war von Schiller selbst für das „Theater"
bestimmt worden, doch scheint sogar er vorübergehend über kein Exemplar
mehr verfügt zu haben. (Schiller an Cotta 14. Nov. 17Ü7. 27. Nov. 18U2.
7. .Jan. 1803. Cotta an Schiller 24. Dez. 1797. 9. Dez. 1802. Briefwechsel,
hsg. V. Vollmer S. 270. 279. 477. 478. 479.
— 473 —
aller jüirendlich unaus.cegorenen Genialität, hat schon zu »Schillers
Lebzeiten der ersten Fassunir zu ihrem Rechte vcrholfenM; dass
sie auch dem JünirlingTieck bereits bekannt war und von ihm in
Einzelheiten vorgezog-en wurde, zeigt diese Bearbeitung.
Zu Grunde irelegt ist freilich nicht das ..Schauspiel",
auch nicht das ..Trauerspiel"', sondern der Text, der in Berlin
verbreitet war — Plümickes ..lüiuber"". Plümickes Text
stellt bereits eine N'ermeuuiniu- beider Schillerschen Bear-
beitungen dar: diese Verwildeiung suchte Tieck durch ein
neues Propt'reis aus der ersten Fassung Schillers zu veredeln.
Der fünfte Aufzug beginnt nicht, wie im Schausj)iel,
mit Daniels Abschiedsmonolog, sondern wie im Trauerspiel und
bei Plümicke stürzt gleich zu Anfang Franz im Schlafhabit
herein: ..Verrathen! Verrathcn! Geister ausgespien aus
Gräbern! — ''. f^ine kleine Zutat abgerechnet, die der chrono-
logischen Klarheit dienen soll — Daniel antwortet auf die
Frage nach Karls Verbleiben: ..Ich weis nicht, mein Gebieter!
Es war noch hoch am Tage, als er sich entfernte" — be-
stehen Plümickes Andei-uniren. denen Tieck folgt, vorerst
wesentlich in KürzuiiL'^eii des Ti-auerspiel-Textes (Goed. Tl.
ol4— 318); nur füi' die Ki-zählung des Traumes ist der Woit-
laut des Schauspiels mit seinem ein<liucksvolleii biblischen Ton
benutzt (Goed. II, S. 180).
\'om ersten Toben Schweizers und seiner Leute an be-
ginnt nun bei Plümicke eine pleonastische Vermengung des
Schauspiel- und Trauerspieltextes. Franz erdrosselt sich wie
im Schauspiel, aber er besitzt das Froschleben seines Stief-
vaters; Grimm schneidet die Schnur um seinen Hals entzwei
luid erweckt ihn durch heftiges Rütteln wieder zum Leben;
wie im Trauerspiel wird er darauf in Ketten fortgeschleppt.
Hier weicht Tieck von Plümicke ab. Ki" verzichtet auf
das rJegenübertreten beider Brüder, das Schiller selbst wohl
späterhin als moralische Lumöiilichkeit- ) empfunden hätte;
1) Köpke, Ludw. Tieck I, 256. II, 194.
'') So nannte er sogar das Zusaninientretfen von Maria Stuart und
Elisabeth (An Goethe 3. Sept. 1799. Jonas VI, 84).
— 474 —
er £röniit Fi'anz den Tod : abci' Sclnveizer dai'f nicht sterben,
weil ihm noch eine wichtige Rolle bei dem Plümickischen
Schluss zugedacht ist. Damit ist also Tieck zu einer eigenen
Abänderung" genötigt, die folgcndermassen lautet :
Schweizer. He du! Es g-iebt noch einen Vater zu morden! —
Ja, ja! er freut sich nicht! er ist niaustod! — Schleppt ihn von hier fort,
wir wollen ihn mitten in die Flammen werfen, dass kein Stäubchen von
seinem verfluchten Körper je wiedergefunden wird. — Fördert euch, fördert
euch, eh' die Flamme uns alle erstickt!
Räuber (gt'bn mit dem Leicliiiam ;ili)
(Wald.)
Sechster Auftritt.
Moor. Karl.
In diesem Szcnensehluss offenbart sich insofern Ver-
ti-autheit mit den praktischen Theaterforderungen, als für das
Abtragen der Leiche gesorgt ist. Schiller selbst hatte diese
Notwendigkeit, die durch die folgende Verwandlung bedingt
ist, im Schauspiel ausser Acht gelassen.
Plümickes Text in Übereinstimmung mit dem Trauer-
spiel (Goed. II, 320 — o2;3) ist nun die weitere Voi'lage bis
zui" Wiederkehr Schweizers und seiner Wüi'gengel; hiei' muss
Tieck einen eigenen Übergang suchen, der sich fi'cilich
schwäclilich genug ausnimmt:
Siebenter Auftritt.
V 0 r i g e. Schweizer. R ä u b e r.
Sclnveizer. Er hat sich selbst gericlitet. ich fand ihn erdrosselt. Sein
Schlos iiinter ihm ist Asche, versunken seines Namens (ledächtniss.
Moor. Wo ist mein Sohn?
Karl. Tod! Tod! Er mordete sich selbst!
Moor. Die Weg-c der Vorsehung sind seltsam!
Karl, .la wohl seltsam. Seltsam nnd iTirchterlich; — aber Freuden-
thränen am Ziel!
Moor. Wo werd' ich sie weinen?
Karl (stüi/t ilnii in iii.' .\rmi'). Am Ilcrzcn deines Karls!
JJamit ist wied(!i' in den Text Plümickes und des 'fi-auei--
spiels (Goed. II, S. 327—385) eingelenkt, der uns bis gegen
den Schhiss weiterfühi-t. Den Kürzuni^en und Zusammen-
— 475 —
ziclmiiücn') Plümickcs folg-f Ticck: nur an einer Stelle weicht
er ab, indem ei' wieder soijleich für das Abtragen der Leiche
sorgt. Mitten in seinem Verzweiflungsausbruch besinnt sieh
Karl Moor auf dieses Theatergesetz:
Darum von mir, Wonne der Lielte! Von mir, Freude des Lebens I
Das ist \'ergcltuni,f I — Schaift mir den Leichnam t'ortl Ich könnte rasend
werden I
Räuber (trapfon die Leiclie weg)
Die grosse eigene Zutat Plümiekes. den 8chluss. über-
nimmt Tieck beinahe wörtlich. Es ist oben -) gezeigt, wie
Avenig der angedeutete Sehluss dem theatralischen Bedürfnis
der gi'ossen Masse Gewissheit geben konnte, und wie sogar
der Dichter selbst an ihm irre wurde, indem er einen zAveiten
Teil dci' ..Räuber" bedachte. Plümickc nun Hess den Helden
auf der P>ühne stei'ben; er gelangte freilich zu einem doppel-
köpHgen tSchluss, indem ej' auf Schillers letzte Worte zu ver-
zichten docli nicht übers }Tcrz brachte. Nachdem Karl Moor
Schweizer und Kosinsky verabschiedet hat, heisst es weiter
in Tiecks Wortlaut:
Beide (i-ntlcnien sich mit verliüllteni (»csicht, bleiben im Hiiit('rji;-ruiide)
Karl (naeh einer Pause, sein- lieiter) Und auch ich bin ein guter Uürg-er!
— Krfiiir ich nicht das entsezlichste Gesetz? Ehr ich es nicht? Räch'
ich es nicht? — Ich crinn're mich, einen armen Schelm gesprochen zu
liaben, als ich heriibeikam^), der um Tagelohn arbeitet und eilf lebendige
Kinder hat. - ^lan hat tausend Dukaten geboten, wer den grossen Räuber
lebendig liefert. Dem Mann kann geholfen werden!
Schweizer (bält ilm mit au.s;y^ebreiteten .\nnen aiil) ilaltl Wohin da?
Bei Gott, Moor! Du sollst keinen Schritt von liier. Was wäre mir
') An einer Stelle (Goed. II. 329, 9) ist durch eine Zutat ein schroffer
Übergang Schillers in ungeschickter Weise zu mildern gesucht. Zwischen
den Worten: ..Dein vermeinter Fluch!" und dem gefasstcn: .,So vergeh
denn. Amalia!" bricht Karls Zorn gegen die Räuber los:
(in iiusserstor Wiitli.) Ha! Wer hat mich hergelockt? (fi:eht mii, j>c-
zogenem Degen auf die Räuber) Wer von Euch hat mich hieherge-
lockt, Ihr Kreaturen des Abgrunds? (alhnäblif,' gefasster) Nun
denn! Nun! — Vergeh' Amalie!
-') Vgl. S. 159, Anm. 1 und S. 36L
•') Hinter „herüberkam" ist irrtümlich nochmals eingefügt: „einen
armen Mann gesprochen zu haben", was auf einen nachträglichen Vorgleich
mit Schillers Wortlaut hinweist.
— 476 —
Seegen und Seelijrkeit ohne dich? — Kosinskyl geh' I vollzieh deines Haupt-
manns Testament! Verlas uns!
Kosinsky (ist unentschlüssig)
Schweizer rdränend) Geh' diesen Augenblick, sag' ich !
Kosinsky (.siclit sieh eiiiifi-emal um, fi:elit ab)
Scliweizer (wehmiitlii}?) Armer, guter Hauptmann! Du auf dem
liade? Du unter Henkers Händen? (fürchterlich, eutsclilossen) Nein! Nein!
Nein ! Frei lebte Moor, — frei mus Moor sterben ! (Pause. Fülnt ihn
weiter vor) Sieh mich starr an, Moor! Aug' in's Aug'! — So! — Steht
dein Entschluss vest, unerschütterlich vest?
Karl. So gewis ich verdammt bin!
Schweizer (zieht einen Dolch, diirchstösst ilni) Wohlan ! So sterbe
denn Moor durch Schweizer! — (will sicli erstechenj Und Schweizer mit ihm!
Karl. Halt! (taumelt kraftlos auf ihn zu, entwindet ihm den Dolch, wirft
ilin weit wpir, wirft die Arme um ihn) Ich danke dir Bruder! (sinkt) Vater!
— Amaliel — Schwei — zer! (erstirbt)
Der Schluss musste, obwohl er nicht Tiecks Eigentum
ist, hier mitgeteilt werden; denn es ist für die Bearbeitung
charakteristisch, dass sie diesen Ausklang beibehielt. Nach
der Unselbständigkeit, die nur gelegentlich durch altkluge
Proben früher Theaterkenntnis unterbi'ochen wird, ist das
Datum 1789 nicht zu bezweifeln. Tieck war, als er dies
Potpourri verfasste, sechzehn Jahre alt.
Der Verfasser des .,jungen Tischlermeisters" mag sich an den
Jugendversuch wieder erinnert haben. In der dramaturgischen
Novelle wird bei »ler Räuber- Aufführung:- ein ähnlicher Weg einge-
schlagen; dort handelt es sich um die Verbindung der beiden
Schillerschen Fassungen. Das „Trauerspiel" liegt zu Grunde; es
erhält aber bereits im zweiten Akt bei Spiegelbei-gs Erzählung
stärkere Lichter aufgesetzt durch einige kraftvolle Züge aus
der älteren Fassung. Im fünften Akt endlich dringt das
Schauspiel durch: da Karl und Franz in der Hand desselben
Darstellers lagen, blieb die Gegenüberstellung beider Brüder
auch hier ausgeschlossen.
Tiecks Novelle hat allerlei dramaturgische Kuriositäten
verwertet und ausser dem Virtuosenstück Jerrmanns') auch
') Vgl. S. 31U, Anm. 2.
— 477
die iri-osse Räubcrsclilacht Schikaueder.s anirebracht; aber
Plümickes Anteil ht ausoesclialtet, obwohl es Tieck mit der
ironisch behandelten Autführinii^- sicher Avenig'er Kriist war
als mit der Bearbeituni-' in der .Jünolinirszeit
Dom Karlos, Infant von Spanien.
Traucrsi)iel in 5 Aufzügen
für die Bühne bearbeitet
von ])....! und P> . . . r.
179(1.
(Deutsche Schaubühne X\'I1T. Augsburg- 1790.)
Während der ..Ficsko" der ..Deutschen Schaubühne"
(i'jd. 0) für die Historisch-Kritische Scliillerausgabe herange-
zogen wurde, hat der „Dam Ivarlos'" keine Bei'ücksichtigung'
gefunden. Und das mit Reclit; denn im „Fiesko" dürfen wii"
das von fremder Hand überai'beitete Theatermanuskript Schillers
für die Münchencr Xationalbühne sehen; der „Dom Karlos''
dageg-en ist völlig unabhängig von des Dichters eigenen J^e-
ai'beitungcn. Ein kui'zer Vergleich lohnt um so mehr.
Die Form ist Prosa, und zwai- haben die Bearbeiter der
schwierig-en Aufgabe, den Rhytlnnus aufzuheben, mehr Mühe
zugewandt als Schiller selbst, aber ebenso wenig' mit vollem
Erfolg'. Denn entweder klingen die Verse doch noch leise durch :
Die schönen Tage in Aranjuetz sind nun vorbey, und Eure königliche
Hoheit sind nicht im geringsten heiterer, wie zuvor,
oder durch den platten Konversationston wird die Sprache
gar zu sehr trivialisiert, z. B.'):
V. 509 ff. (508 ff. l: Möge der Himmel ihr den frühesten Sinn ihres Lebens
schenken.
V. 576 f. (650 f. ) : Indessen starb Fernandos Tante —
V. 001 (1035): Ich weiss alles, was du mir sagen kannst; aber ich
bin einmal entschlossen, Flandern zu retten.
V. 1776 (2069): Wie schwach sind nicht die Gründe jener Stoiker, welche
das Glück der Liebe einer Waare gleich schätzen
1) In Klanniiern ist nach Vollmers Ausgabe die Verszählung des
Druckes von 1787 angegeben, der der Bearbeitung zu Grunde liegt.
— 478 —
An Personenzahl erlegt .sicli die Bearbeitung weniger
Sparsamkeit auf, als »Schiller in seinen eigenen Bühnenmanus-
kripten^). Es sind mit dem Üflizier der Leibwache 18 Sprccli-
rollen; auch stumme Personen, wie die im Vorzimmer der
Königin herumstellenden Granden, die Schiller strich, sind
hier stehen geblieben.
Dagegen wird Schiller übertroffen in der Energie der
Zusammenziehung. Die I)earbeitung lässt möglichst wenig
Auftritte ganz verloren gehen, sondern sucht die notwendige
Vereinfachung des Szenenwechsels durch Verschiebung und
Vereinigung entlegener Auftritte zu erreichen.
Den ersten Akt ohne Verwandlung durchzuführen, lag
nahe: nachdem Carlos und Posa abgegangen sind, kommt die
Königin mit ihren Damen die Allee herauf; dieselbe Verein-
fachung wurde ja auch in Mannheim^) an Schillers Jamben-
fassung vorgenommen, obwohl das Soufflierbuch nichts davon
veri'ät.
Der zweite Akt wird, wie in Schillei-s eigenen Bear-
beitungen, auf drei Szenen reduziert:
II, 1: Saal im künig-]. Pallaste zu Madiiil.
II, 3: Ein Vorsaal vor dem Zimmer der Königin.
II, G: Ein Kabinet der Prinzessin Eboli.
Wie bei Schiller schliessen sich an den Monolog der P]boli
sogleich die Aufti'itte mit Domingo und mit Alba; nur mit
dem Unterschied, dass Alba nicht im Vorzimmer wartet,
sondern ein Page seine Ankunft meldet:
Herzog Alba ist eben vorgefahren.
Der Aktschluss lautet:
Eboli Man läutet mir, ich muss zur Königin. Auf Wieder-
sehn 1 (;ii».)
Vom. (zu Alba.) glücklich gewonnen ist das Spiel I
Alba. Und Trotz sey geboten dem muthigen Knaben, und der
scheinen Französinnl (Sic gehen Ann in Arm ab.)
Wenn nun die Auftritte im Karthäuserklostei- liiei" weg-
bleiben, so lassen die anonymen Bearbeiter sie doch nicht.
') Vgl. S. 22.J.
2) Vgl. s. yy.
— 479 —
wie Schiller, ^anz verloren gehen, sondern vereinigen im
dritten Akt Teile daraus mit dem späteren Zusammentreffen
zwischen Posa und Carlos, das sie aus dem vierten Aufzug
(ö. Auftr.) vorausnehmen. Nach den Auftritten im Schlaf-
gemach des Königs heisst es:
Sechster Auftritt.
(Der Audienzsaal.)
J)nni Karlos, Marquis Posa.
Karlos. (ihn in Arm hereinführend) Vor einer Viertelstunde versammelt
sich der Hof nicht, wir können also hier ungestörter als an jedem andern
Orte sprechen. Aber warum verweiltest du denn so lange, mein Kodrigo?
Po.sa. Welche harte Prüfung für die Ungedult eines Freundes I
Die Sonne gieng zweynial unter, seit dem ich meinen Karlos nicht sah.
Xun vor allem meinen Glückswunsch, du bist mit deinem Vater ausgesöhnt,
du gehst nach Flandern.
Nachdem darauf Karlos die iM'eignissc des ersten Aktes er-
zählt hat. heisst es weitei':
Posa. Und du entdecktest ihr dein Geheimniss?
Karlos. Willkührlich nicht, aber du weisst. wie wenig ich Ver-
stellung kenne: und doch fürchte ich nichts.
Posa. Ich um so mehrl Ich kenne die Ebolil Weh der Königin
und dir, wenn sie dein Geheimniss argwöhnt I — Karlos! willst du mir eine
Bitte gewähren?
Karlos. Bitte? Rodrigo ! liin ich nicht dein Freund?
Posa. Eine srrnsse wichtige Bitte I — Karlos, gib mir deine
Brieftasche.
Nachdem Posa den lirief empfangen hat. entfernt er sich
auf das Geräuscli der herannahenden (rrauden, und diese ver-
sammeln sich zur Audienz. Da Posa noch eben auf der
Bühne war, so ist nun der Übergang zu seinem Empfang beim
König sehr bequem zu vermitteln; Philipp hat kauin den
AVun.sch geäussert, ihn zu sprechen, als Alba bereits wieder-
kommt :
Ich war so glücklich, den Marquis in der Gallerie zu finden. Er
erwartet Euer Majestät Befehle.
Königr. Lasst ihn kommen! (zu Lerma) Ihr nehmt heut meine
Stelle in geheimen Rath! (winkt ihm ahzuj^ehen, die übrigen gehen ehen-
fidls ah.)
Neunter Auftritt.
Der König. Marq. Posa.
— 480 —
Diese leichte Vei-hinduiii:' ist aher auch der einziirc Voi--
teil. den die irewaltsame Verrenkun*:- des Aufbaus mit sich
hriuL't; im übrii^en ist die Entlehnunif aus dem vierten Akt
höchst uuiiiücklicli; denn wie wenig" ist es begründet, dass
Posa schon vor der Audienzszene des Prinzen Brieftasche an
sich nimmt, und vor allem: wie soll Karlos dann auf den
Verdacht kommen, dass es im Auftrag- des Königs geschah?
Dagegen muss man die Zusammenziehung im vierten
Akt ganz geschickt nennen. Auftritt 1 — ß fallen weg; an
die Auftritte im Kabinett des Königs (7 — 12) schliesst sich
ein Monolog Posas, durch den der sechste Auftritt zum Teil
ersetzt Avii-d. Nachdem Posa abgegangen ist, dringt Carlos
ein, der vom Unfall der Königin geliört hat und den König
auf der Stelle zui" Reclienschaft ziehen will. Lcrma eilt
hinter ihm her und will ihn zurückhalten; bei dieser Ge-
legenheit teilt er dem Prinzen seine Warnung mit.
Auf weitere Zusammenziehungen ist in diesem Akte ver-
zichtet; es folgen noch drei Verwandlungen:
IV, G : Zimmer der Prinzessin Eljoli.
IV, 9: Zimmer der Königin.
IV, IG: Zimmer des Königs.
Dabei ist im Zimmer der Königin noch ein nichtssagender
Auftiitt eingelegt; es soll vermieden werden, dass Posas
Audienz unmittelbar die des Alba und Domingo ablöst. In-
folgedessen heisst es:
Königin. Dann muss ich warten, bis ers wird — Wohl denen, die
'/u gewinnen haben, wann ers wird.
(sio macht Ihnen eine Veibpupfunfj, hcydc ab.)
Vierzehnter Auftritt.
Königin, Olivarez.
Königin. (Uhuet.)
Oli?. (aus (lern Kai)inet koniniond.) Was befehlen Eure Majest.
Königin. Schicken Sie doch jemand zur Fürstin, der mir Nachricht
bringt, ob sie schon abgereiset ist?
Oliv, 'ah, und Manj. Posa cintrcttcnd.)
Funfzelinter Auftritt.
Königin. M a r (j u i s 1 ' o s a.
AVie in Schillers eigenen lieai'beitungen ist nunmehr im
letzten Auftritt das noclmialige llin/ukommen der PCboli weg-
gefallen.
— 481 —
Der fünfte Akt bleibt in der Szenenfolgc unverändert;
der Gro.ssinqui.sitor fällt natürlich weg; er ist entbehrlich, da
Carlos am Öchluss nicht der Inquisition übergeben wird. Der
Pi-inz stirbt auf der Eühne, aber nicht wie in Schillers Prosa-
bearbeitung- durch Selbstmord, sondern konsequenter, aber viel
brutaler durch seinen Vater.
Karlos. Gute Nacht dann, Mutter 1 Küssen Sie Ihren Sohn!
KÖuig'in (.sinkt in seinen Arni.>
Königr. (zieht rasch sein Schwert und ersticht seinen Sohn.)
Kariös, (sinkend) Gottl rettet die Königin! sie ist unschuldig!
(fällt todt nieder).
Die Königin Ohnmächtig — alle Granden in Bewegung — Der König lässt
das .Schwert sinken —
Der Vorhang fällt.
Dass der Prinz zum Schluss die Unschuld der Königin
beteuert, erinnert an Schillers eigene Prosabearbeitung, kann
aber gut selbstämlige Erfindung'- sein: da.sselbe gilt von dem
inancherlei (iemeinsanien mit Schillers jambischen Eühnen-
manuski'ipten. Die eigentliche Grundlage bildet der Druck
von ] 787, aus dem vieles übernommen ist, was in Schillers
eigenen Theaterbearbeitungen wegfiel.
Auch kleine Widersprüche Schillers sind getilgt worden;
z. 1). sagt Karlos zum Pagen:
Nicht wahr, der König gab dir diesen Brief? — Es ist nicht
ihre Hand.
und liel)t dadurch den Gegensatz auf, der zwischen v. 1268,
2303 und 3G22 tf. besteht. Im Auftritt mit der Prinzessin
Eboli ist das Lautenspiel geblieben statt Schillers unglück-
licher Auskunft mit dem Buch (in • seiner Prosabearbeitrng).
Die Stelle, die eigentlich nur zum Gesang in der „Thaha"
pa.sste :
Es war, ich glaube gar, die Rede von der Liebe?
ist deshalb fortgelassen; auch heisst es:
Vortrefflich Prinzessin! ganz unvergleichlich! wollen Sie diese
Romanze nicht noch einmal spielen?
Während in Schillers Druck noch das Rudiment aus der
„Thalia" steht:
Ganz unvergleichlich, Fürstin! Singen Sie
Mir diese Stelle doch noch einmal.
Palaestra XXJüI. 31
— 482 —
Ein neuer Widerspruch dagegen dringt in die fremde
Bearbeitung ein, indem Posa, obwohl der Auftritt im Kar-
thäuserkloster fortgefallen ist. noch immer von dieser Begegnung
erzählt :
Den Tag nachher, als wir uns zum letzten mal im Karthäuser-
kloster sahen, Hess mich der König rufen.
Die rücksichtslose Zusammenziehung im dritten Akt, die
dies verschuldet hat, ist überhaupt das Schlimmste in der
ganzen Bearbeitung.
Trotzdem braucht man sie nicht allzutief unter Schillers
eigene Prosamanuskripte zu stellen und darf sie etwas höher
einschätzen als Plümickes Verballhornungen der ersten Stücke,
wenn sie auch nicht mit der gleichen Prätension auftrat.
Sie blieb wenig beachtet; ob und wo sie etwa zur Auf-
führung gelangte, um die Beantwortung dieser Frage konnte
ich mich, da das ]>uch zum Abschluss drängte, nicht mehr
umtun. Ebenso wenig um die Feststellung der Verfasser^).
') An Brümel ist bei B .... 1 schwerlich zu denken, da die Sprache
unverkennbar nach Oberdeutschland weist.
Nachträge und Berichtigungen.
Zu S. 1, Anm. 4: Es ist zu beachten, dass gerade diese Partie in der
späteren Bearbeitung der Abhandlung (Kl. Pros. Sehr.
Bd. 4) wegfiel, weil sie mit den inzwischen gewonnenen
Ergebnissen nicht übereinstimmte.
S. 2, Anm. 1: Den Unterschied zwischen Epos und Drama unter dem
Gesichtspunkt des Rhapsoden hat Goethe noch einmal
in den .,Xoten u. Abhandl. z. Westöstl. Divan" (1819)
ausgeführt (W. A. I, Bd. 7, S. 118 ff.)
Vgl. Büttiger, Litterar. Zustände u. Zeitgen. II, 251.
Vgl. noch Becker an Schiller 27. Juli ISül. Urlichs
S. 436.
Der Titel „Der Menschenfeind" erscheint jetzt als der
spätere, weil Schiller in den Kl. Pros. Sehr. (1802)
zu ihm zurückkehrte.
Vgl. Klingemann, Kunst u. Natur III, 265.
Vgl. Goed. X, 31 : „Um diese Gefühle mit ihnen zu
theilen, muss man eine römische Gesinnung besitzen."
Lies : Plantagenet.
Eine eigene Stellung nimmt das Personenverzeichnis
der sog. Prachtausgabe des „Don Carlos" (1802) ein.
Die sonst durch Klammern zusammengefasste» „Granden
von Spanien" und „Damen der Königin" sind unter
eigenen Überschiüften an den Schluss gesetzt. Der
opulente Druck hätte die Klammern nicht gestattet;
an dieser durch Raummangel veranlassten Änderung
ist deshalb Schiller kein Anteil zuzuschreiben.
S. 49, Anm. 3: Auch Schröder liess den Auftritt mit dem Grossinquisitor
wegfallen (Böttiger, Minerva 1818. S. 311).
S. 49, Anm. 5: Das Mannheimer Theatermanuskript der „Jungfrau
von Orleans" war aus Leipzig bezogen (ürlichs S. 459.
461); daher die Übereinstimmung.
31*
s.
10
Anm
2
s.
14
Ann)
4
s.
15,
Zeile
15
s.
15,
Anm
1
s.
29,
Anm.
7
S.41,
Zeile
22
S.
47
— 484 —
S. 64, Anm. 1: Der Weimarer Theaterzettel ist, Avie mir entg-angen
war, in der Hempel'schen Schillerausgabe (Maltzahn)
Bd. VI abgedruckt; es kann sich danach nur um
Mechthild, Elsbeth, Hildegard handeln.
S. 68: Auch Attinghausens Knechte im „Teil" (II, 1) sind
durch Berufsattribute gekennzeichnet: sie treten mit
Rechen und Sensen auf, obwohl es nicht die Jahres-
zeit der Ernte ist.
S. 93, Anm. 3: Vom „Savoyardenkasten der Komödie"' spricht Schiller
im Wirt. Repert. (Goed. II, 341, 16).
S. 98, Anm. 3: Die Audienz, die die Königin Alba und Domingo er-
teilt, kann natürlich nicht in der Galerie stattfinden.
Der Auftritt IV, 14 (früher I\', 23) trat an diesen IMatz.
um das Forteilen des Prinzen und sein Eindringen bei
der Prinzessin Eboli nicht unmittelbar aneinanderstossen
zu lassen. Wenn die ihm zukommende Dekorations-
bezeichnung: ,, Zimmer der Königin'" wegblieb, so ist
das nur als nachlässige Redaktion zu erklären. Ebenso
wenn eine Angabe über das Auftreten der Personen
fehlt; vor 1801 war sie nicht nötig, weil die Königin
sich bereits auf der Bühne befand, während Alba und
Domingo im vorhergehenden Auftrittangemeldet wurden.
S. 120, Zeile 3: Lies: Nicht mehr als sechs Schüsseln.
S. 132, Anm. 4: In Weimar soll das Abdanken am 4. November 1815
abgeschafft worden sein (Gotthardi, Weim. Theater-
bilder II, lü).
S. 138, Anm. 2: Vgl. Engel, Mimik II, 20S.
S. 141, Zeile 26: Lies: Simfonia di Guerra.
S. 148, Anm. 3: Lies: Blümner.
S. 102, Anm. 2: Nach der ersten Aufführung der „Maria Stuart" hielt
Schiller selb.st weitere Kürzungen für notwendig (An
r Becker 15. Juni 1800. Jonas VI, S. 161).
S. 153, Anm. 1: Wie dagegen dem jungen Schiller die abl)rechende
Funktion dos Vorlianges bereits geläuiig war, zeigen
die Verse aus der „Melancholie an Laura" (Goed. I, 298):
Wie der \'orhang an der Trauerbühne
Niederrauschet bei der sciiünsten Scene.
S. 168, Zeile 28: Es ist ein Irrtum, dass Kalaf in seinem Gewahrsam
er.st auftreten müsse. Vielmehr spielen die Auftritte
1—6 auf der Vorderbühne, und nachdem die Personen
sich entfernt haben, zeigt der aufgehende Mittelvorhang
Kalaf und Brigella in ihren Stellungen.
— 485 —
S. Uli), ZoilcSv. u.: Dor fünfte Akt, der ..Jun<>-frau von Orleans" lässt sich
auch so (lenken, dass Auftr. 1—6 auf der kurzen, 7 und 8
auf der »anzen Bühne spielten; dann wieder 9—13
auf der kurzen Bühne, wobei Johanna und Lionel erst
auftreten niüssten; endlich 14 wieder in der ganzen Tiefe.
S. 215, Anni. 2: Lies: An Körner 5. März, 27. April 1801. Jonas VI,
S. 247. 271.
S. 217, Anni. 5: Die erste Auttührung der Gluckschen ..Tphigenie" fand
bereits 1800 am 27. Dezember statt.
S. 22t), Aiim. 3: Winkelried und l'arricida lagen in Weimar tatsächlich
in einer Hand (ünzelmann\ ebenso Reding und Kuoni
(Wolif ); dagegen nicht Werni (Benda, der auch Leuthold
spielte) und Meier von Sarnen (Brand). 1 )ie übrigen Doppel-
rollen sind aus dem Theaterzettel, der 16 männliche
Schauspieler autführt, nicht ersichtlich, da die Darsteller
von Stüssi, Petermann, Frohnvogt, Ausrufer u. s. w.
nicht genannt werden. Jedenfalls stimmen die Vor-
schläge, die Schiller für das Breslauer Theater machte,
nicht ganz mit der Weimarer Besetzung überein.
S. 231. Anm. 2: Zunächst war es freilich der dreibändige Roman: „Das
Leben eines Lüderlichen" (1787—88), der nach Chodo-
wiecki und ITogarth geschrieben wurde. Der Ausgang
ist nachträglich dramatisiert als „Der Lüderliche" (1789).
S. 239: Die Vermutung, dass Schiller durch die Stiche des
Rugendas angeregt wurde, lässt sich damit stützen,
dass er bei seinem Besuche in Weimar vom 10. — 15.
September 1798 bei Heinr. Meyer, dem Maler und Kunst-
forscher, wohnte. Nach seiner Rückkehr meldet er dann
am 21. Sept. das Hinzukommen des Kapuziners; am
8. Okt. die Einführung des Tanzes.
S. 249, Zeile 15: Lies: Doggen.
S. 257, Anm. 2: Lies: Sizilianische Vesper.
S. 291: Lies: Drittes Kapitel. Das Spiel.
S. 295, Anm. 4: Vgl. „Verbrecher aus verlorner Ehre" : „einem Gesicht,
worauf so viele wüthende Atfektc, gleich den ver-
stümmelten Leichen auf einem Wahlplaz, verbreitet
lagen" (Goed. IV, 83).
S. 310, Zeile 6 v. u. : Irrtümlich ist hier Schiller selbst mit dem Hamburger
Schluss des „Netfen als Onkel" in Verbindung gebracht,
während aus den in Anm. 4 zitierten Briefen hervorgeht,
dasseran derungeschickten Änderungkeinen Anteil hatte,
S. 424, Zeile 9: Lies: Resultante.
Namen- Verzeichnis.
Abel 1.
Aberli 83. 185.
Ackermann 260.
Addison 358.
Adelung 141.
Albrecht, Sophie 319.
Ambühl 47. 89. 194.
Andre 148.
Anzengruber 60.
Aristophanes 238.
Aristoteles 1. 3. 56. 96.
387.
Äschylus 69. 358 f.
Ayrenhoff 13.
Babo 11. 27. 29. 46. 244.
261. 262. 266. 347.
423. 434.
Barnet 20.
Baron 384.
Batteux 1. 68. 112. 126.
Beaumarchais 10. 22. 26.
50. 146. 147. 148.
264. 354.
Beck 63. 450.
Becker 252. 483. 484.
Beil 313.
Benda 465.
Ben Jonson 36.
Berger 20. 71. 287.
Bergopzoomer 410.
I. Personen.
Bertuch 10.
Beschert 220.
Beuther 191. 273.
Bibbiena 171. 189. 194.
Bock 18. 81. 134.
Bode 81.
Bodmer 18. 69. 105.
Boek 805. 365. 384.
Börne 334.
Böttiger 10. 44. 177. 178. 193. 217.
125. 292. 219. 263. 272. 274. 275. 292.
299. 408. 426. 449. 483.
Brandes, Charlotte 260.
— Joh. Christ. 10. 12. 63. 80.
118. 149. 209. 222. 266. 270.
346. 422.
V. Brawe 15.
Brentano 213. 233.
Bretzner 110. 231. 292. 334. 485.
Brej^sig 188. 189.
Brockmann 67. 262. 356.
Brömel 18. 482.
de Brueys 9.
Brühl, Graf 165. 187. 254, 261.
Bürger 42. 97. 206. 214 f.
253. 257
354. 370
146.
35 f. 37
176. 242
(Jalderon 19.
Caspers, Fanny 225.
Cervantes 113. 256.
Chodowiecki 230. 282. 283. 485.
Christel 409.
487 —
Clairon. nippolyte 259.
Claude Lorrain 182.
Colomba 189.
Congreve 21. 483.
Corneille 12. 13. 36. 79. 96. 258.
454.
Cotta 12. 16. 83. 84. 277. 304.
316. 337. 338. 359. 377. 423.
441. 472.
Gramer 134. 269.
CrebiUon 258.
V. Cronegk 13. 18. 28. 46. 140. 372.
Cumberland 20. 40. 46.
V. «alberg 8. 17. 32. 46. 49. 80.
93. 97. 100. 104. 131. 132. 159.
167. 178. 187. 198. 204. 216.
250. 254. 263. 265. 266. 268.
276. 284. 314. 316. 355. 362.
.36r). 367. 449. 452. 468.
Dante 2.
Dan/i 148. 149.
Dcscartes 312.
Diderot 13. 14. 22. 35. 38. 46. 48.
51. 60. 118. 125. 138.146.165.
182. 183. 188. 190. 230. 237.
292. 298. 315. 333. 341. 442.
451.
Dingelstedt 103. 162. 248. 310.
Döhbelin 25.
Dryden 27.
Duljos 230.
Dyk 213. 264. 282. 3<;i. 367.
Eckermann 94. 205. 220. 273. 288.
290.
V. Ein.sicdel 171. 291. 315. 316.
357. 393. 405. 430.
Ekhof 104. 164. 200. 274. 310.
313. 314. 319. .346. 356. 365.
368.
Engel 2. 18. 261. 262. 283. 312.
314. 315. 316. 325. 335. 366.
367. 371. 381. 382. 387. 414.
416. 417. 424. 484.
Eschenburg 215.
Esslair 287. 437.
Eiiripides 26. 27. 38. 76. 77. 78.
Falbaire 17.
Favart. Mad. 259.
Feind 128. 139. 358.
Fielding 270.
Fischer 225.
Fleck, .Toh. Fr. Ferd. 374. 431.
437.
Fleck, Sophie Luise 377.
Fleischer 157.
V. F'ouque 218.
Fränzel 148.
Freisleben 28.
Freytag 12. 13. 34. 142. 162. 216.
Fuentes 190. 191.
Garrick 244. 259. 270. 286. 292.
314. 393. 407. 408. 416.
V. Gebier 14. 27. 260.
V. Gemmingen 32. 37. 46. 54. 82.
146. 163. 227. 265. 270. 316.
Genast 43. 220. 239. 241. 278.
365. 374. 422. 441.
V. Gerstenberg 2. 75. 80. 93. 105.
107. 141. 147. 151. 227. 396.
410.
Gessner 182.
Gluck 217. 485.
Göckingk 317.
Goldoni 45. 70.
Goldsniith 270.
Göntgen 126.
Göschen 337. 422. 441.
Gotter 10. 29. 37. 63. 81. 113. 134.
222. 242. 250. 264. 314. 465.
4R8
Gottsched 8. 9. 12. 18. 22. 31. 35.
39. 52. 56. 60. 69. 70. 79. 81.
85. 95. 102. 104. 112. 127. 139.
140. 180. 189. 221 f. 259. 352.
357. 363. 456.
Gottschedin 161.
V. Göz 241. 376. 420.
Gozzi 45. 48. 81. 335. 347. 459.
Grabbe 18.
Graff, Anton 260.
— Joh. Jak. 220. 263. 265.
Grenze 230.
Grillparzer 145.
Grossmann 27. 51. 81. 132. 148.
166. 167. 172. 197. 278. 283.
333. 334. 385. 467. 484.
Grüner 283. 345.
Gruppe 229.
Gryphius 77.
Gutzkow 60. 162.
Häberlin 58.
Hägelin 51.
Hagemann 11.
Hagemeister 11. 50.
Hahn 10. 15. 94. 212. 227. 386.
Hamilton. Lady 320.
La Harpe 10.
Haselmeier 423.
Hang 1.
V. Haugwitz 165. 360.
Hauptmann 106. 380.
Hebbel 50. 55. 145. 162. 284. 437.
441.
Hedelin v. Aubignac 31. 38. 79.
86. 333, 339. 454.
Hegel 468.
Hein.se 183. 296. 391.
Hendel-Schütz, Henr. 275. .320.
Henrici-Picander 139.
Henschel 320.
JJen.sel-Seyler, Mad, 356.
Henzi 193.
Herder. Joh. Gottfr. 2. 93. 114.
— Karoline 55 f. 272.
Hermes 13. 231.
Herzfeld 276. 310.
Heufeld 17. 365.
Hiller 148. 151.
Hoffmann 241.
Hogarth 231. 274. 485.
Holberg 61. 126.
Holzbauer 465.
Home 21. 77. 103. 152 f. 314. 324.
358. 365. 397. 413. 461. 483.
Homer 2. 217. 309.
Horaz 2. 31. 35.
Huber 15.
V. Humboldt 3. 26. 27. 55. 237.
243. 247. 324. 369. 469.
Jagemann, Caroline 225. 275.
— Ferdinand 304. 305.
Ibsen 127.
Jean Paul 357. 358.
Jerrmann 476.
Iffland 10. 12. 14. 16. 17. 27
39. 52. 56. 63. 85. 89. 90.
120. 151. 152. 155. 157.
173. 174. 176. 177. 178.
185. 186. 187. 193. 200.
211. 218. 219. 220. 222.
226. 227. 232. 238. 244.
251. 252. 253. 254. 255.
261. 263. 264. 265. 268.
274. 275. 276. 282. 28o.
292. 299. 302. 305. 313.
346. 352. 355. 356. 374.
376. 383. 400. 403. 408.
437. 440. 449. 450. 457.
ligner 19. 359.
Immermann 134. 249 f. 452.
Josef IL, Kaiser 58.
453.
. 29.
110.
171.
179.
204.
224.
248.
258.
269.
288.
319.
375.
422.
467.
— 4R0 —
V. Kalb, f'harlotte «2.
Kant 318. 319. 412.
Karl Augfust, Herzog- v. Weimar
50. 239. 247. 347.
Kästner 85.
Kaufmann 17.
Keller 84.
Kerner 195.
Kirms 273. 274. 276.
V. Klein 310. 4()5.
V. Kleist, Fr. 28.
— Heinr. 63. 134. 145. 345. 429.
458. 462
Klingemann 102. 191. 201. 234.
240. 243. 273. 422.
Klino'er 4. 10. 16. 17. 29. 44. 58.
59. 60. 62. 76. 81. 94. 105.
115. 117. 126. 158. 211. 212.
231. 267. 279. 280. 287. 293.
298. 299. 300 f. 337. 341. 346.
359. 395. 410. 411. 4.35.
Klopstock 16. 27. 81. H. 105. 269.
V. Knebel 152.
V. Knigg-e4.256. 326. 376. 400. 403.
Koth 148. 260. 262.
König: 60. 140.
Kormart 36. 139. 361.
Körner 2. 12. 16. 20. 24. 27.
31. 49. 50. 51. 65. 85. 91.
106. 108. 129. 135. 156. 157.
160. 166. 183. 198. 213. 215.
229. 235. 247. 318. 319. 324.
362. 422. 423. 424. 439. 441.
445. 446. 448. 465 469. 485.
Kosegarton 472.
Kotzebue 10. 18. 20. 26. 28. 29.
30. 37. 46. 50. 52. 54. 74. 75.
110. 111. 142. 150. 151. 173.
176. 199. 209. 213. 228 2.32 f.
250. 253. 257. 258. 264 274.
282. 286. 311. 335. 347. 375.
376. 384. 400. 414. 425. 431.
457. 467.
Kühne 145. 229.
Kratter 261.
Kraus 277. 398.
Lafayette 61.
Laube 36. 50. 51. 65. 148. 162.
198. 229. 247. 484.
Lavater 291. 293. 294. 296.
Lecain 259.
V. Leisewitz 45.49. 81. 103. 363. 407.
Lengenfelder 47.
Lenz 14. 15. 16. 21. 23. 27. 28.
29. 36. 38. 46. 62. 93. 94.
101. 10.3. 112. 113. 115. 117.
180. 213. 231. 257. 268. 316.
354. 393. 395. 400. 401. 408.
409. 413. 435. 442. 449. 485.
Lessing 2. 8. 10. 11. 13. 15. 18. 22.
23. 24. 25. 36. 37. 38. 43. 45.
52. 58. 60. 61. 69. 70. 71. 76.
79. 9.5. 103. 104. 109. 11.3.119.
132. 143. 148. 1.53. 155. 158.
159. 161. 164. 165. 227. 232.
259. 260. 270. 271. 280. 292.
299. .307. .309. 314. 315. 316.
317. 319. .345. 354. 356. 365.
368. 369. 371. 372. 373. 379.
382. 400. 408. 409. 427. 432.
434. 437. 439. 445. 458. 463.
Lichtenberg 57. 244. 259. 260. 270.
286. 296. 307. 354. 401. 407.
Lillo 61. 63. 86. 280. 314. 359.
Lips 377.
Lobe 187.
Ludwig 5. 10. 12. 55. 106. 117.
122. 127. 235. 378. 463. 466.
468.
Maeterlinck 451.
Maier 10. 15. 105 131. 343.
Alailly 58. 257.
V. Maltitz 229.
400 —
Marmontel 138.
Martini 13. 14.
Meil 260. 262.
Meissner 4. 449.
Mellish 326.
Mendelssohn 2.
Meroier 8. 13. 22 f. 24. 26. 28.
31. 45. 48. 51. 54, 96. 100.
108. 114. 230. 292.
Mereau, Sophie 59.
Meyer 239. 485.
Michaelis 191.
Miller 4. 184. 267.
Moliere 36. 140. 146.
Möller 54. 63. 119. 257. 286. 333.
414. 467.
Moritz 57.
Müller. Friedrich, Maler 16. 211.
257. 288. 354. 387. 408.
V. Müller, .loh. 65. 284.
Müllner 20.
Musäus 269. 293. 294.
Mylius 104. 177. 201. 259. 352. 363.
Nast 358.
Neefe 148.
Neuber, Karoliiie 39. 132. 148. 259.
Nicolai 2. 67. 79. 86. 96. 113. 142.
260. 29().
Nivcllc de la Chau.ssee 22.
Ochsenheinier 225. 264. 299. 356.
Oels 362.
Opitz 422.
Otway 87. 172.
Peroux 320.
I'fcil 10.
l'icard 16. 310. 328. 329. 345. 375.
435.
I'laten. Graf 187.
IMümicke 17. 72. 99. 110. 124. 1.30.
134. 148. 159. 167. 170. 202.
20.5. 212. 453. 471—477.482.
Toussin 182. 185.
Torsch 19,
Quaglio 178.
Racine 39. 90. 161. 221. 230. 326.
386. 444. 451.
RadziAvill, Fürst 188.
Rahbeck 291.
Rambach 11.
Raniond 16. 47.
S. Real 49.
Regnard 104. 140. 310.
Rehberg 320.
Reichard 81. 200. 202. 291. 310.
Reichardt 214.
Reinhold (Saat von Goethe gesät)
240. 241. 275. 320. 321. 357.
362. 402.
Reinecke 318. 362. 422. 437.
Reinwald 29. 59. 294. 316. 323.
Remond de Ste. Albine 313. 314.
Rennschüb (Büchner) 168.
— seine Frau 318.
Retz 58. 118. 257.
Riccoboni 93. 241. 269. 313. 314.
319. 345. 371. 393. 399. 400.
Richardson 5. 35. 292.
Riemer 55.
Robertson 58. 118. 257.
Rousseau Ki. 51. 258. 274. 275.
465.
Ruef 193.
Rugendas 239. 271 f. 485.
Sachs 113.
Scarron 225.
Scheibe 148.
Schikaneder 19. 133. 222. 249. 257.
471. 477.
— 491 —
Schiller. Charlotte 184.
Schink 4. 21. 38. 63. 163. 286.
316. 410.
Sfhinkel 187.
Schirmer 422.
Schlegel, Aug. Wilh. 2. 26. 27.
30. 77. 125. 126. 165. 174.
255. 274. 315. 334. 422. 424.
— Friedr. 200. 425.
— Joh. Elias 21. 22. 31. 31». 43.
68. 80. 81. 86. 90. m. 104.
134. 260. 358. 368.
Schmidt, Friedr. Ludw. 25. 32. 92.
151. 103. 241. 2.^)2. 264. 269.
275. 325. 330. 356. 383. 401.
408. 418. 437.
— Heinr. 220. 299.
— Joh. Friedr. 81.
Scholz 262.
Schörieinanii 07. 346. 422.
Schopenhauer 21.
Schreyvogei 169.
Schröder 27. 32. 33. 50. 52. 53.
63. 66. 81. 92. 93. 102. 113.
129. 132. 134. 156. 168. 173.
176. 178. 188. 197. 213. 216.
223. 224. 241. 242. 257. 260.
261. 269. 275. 283. 286. 315.
318. 319. 326. 346. 356. 365.
393. 400. 422. 420. 427. 453.
46H. 4S3.
Schubart 5S. 79. sO. 94. Iu7. 450.
Schulze 172. 355. 350.
Schwan 33. 82. 16(5. 337. 472.
Schwarz 226. 270.
V. Seckendorf 194. 241. 263. 275.
320. 364. 372. 399. 421. 428.
434. 458.
Seconda 423.
Servandoui 189 f. 194. 209.
Shakespeare 11. 16. 19. 20. 30. 42.
44. 45. 46. 50. 54. 55 60.
04. 77. 85. 93. 94. 90. 97.
101. 111. 114. 115. 117. 122.
127. 129. 131. 144. 145. 162.
163. 174. 178. 187. 206 f. 211.
212. 214. 215. 216. 222. 224.
225. 243. 245. 250. 251. 255.
262. 266. 283. 286. 296. 297.
307. 356. 358. 363. 365. 366.
384. 393. 407. 408. 409. 415.
417. 424. 442. 463. 464.
Sinzenich 260.
V. Soden 16. 18. 28.
Solger 108.
Sonnenfels 18. 76. 96. 125. 457.
Sophokles 2. 80. 90.
8j)iess 10. 211. 359.
Sprickmann 10.
Stein wehr 333.
Stephanie d. Ä. 410.
— d. J. 206.
Sterne 57. 127. 143. 27l). 292. 379.
Stolherg, Graf 31. 151.
Streicher 217. 230. 338. 394. 432.
Sulzer 1. 23. 35. 69. 86. 90. 127.
141. 232.
Öwanefeld 182.
Tacitus 27.
Talma 243. 270.
Terenz 13.
Tieck 2. 29. 44. 52. 03. 77. 87.
90. 97. 108. 138. 144. 145.
165. 183. 189. 238. 245 f. 249 f.
251. 258. 411. 422. 431. 437.
406. 471—477.
Timme 100.
Törring, Graf 43. 163. 171. 206.
257. 266. 408.
Tschudi 65. 89.
Unger 304. 305. 316.
Unzelmann, Friederike 152. 282.
305. 422. 423.
— Karl Wilh.. ihr .Mann 358.
— Karl Wolfe-., ihr Sohn 226.
Unzer 13. 131.
402
Torgil 10^. 143.
Verona 1H6.
Veroiiese 183 f.
Vertot 50.
Vopel 157.
Vohs 134. 3-21. 347.
^'oltarre 14. 18. 20. 24. 96. 140.
165. 280. 259. 317. 321. 347.
357.
Vo,s,s 35S. 396. 415.
Wächter, Elit'rli. 377.
— Leonh. s. Veit Weber.
Wagner, Heinr. Leopold 8. 10.
24. 25. 32. 37. 62. 78. 82. 94.
97. 116. 119. 120 158. 264.
268. 271. 293. 298. 343. 372.
387. 453.
— Richard 5. 148. 390.
V. Wallenrodt 361.
War.sinsr 261.
Wel)lj 103.
Wol.or. B. An.^elni l-')!). löl.
— Veit (Leonh. Wächter) 65. 83.
275. 301.
Weisse 36. 54. 93. 117. 141. 151 f.
314. 355.
Werner 20. 29. 253.
Werthes 336.
Wielan.l 6. 31. 43. 44. 59. 78. 93.
113. 129. 143. 305. 457.
Winckelmann 412.
Wollt; Pius Alex. 243. 244. 283.
345. 421. 437. 440.
— Amalie, geb. Malkolnii 304.
V Wolzogen, Karoline 320. 394. 422.
Zelter 129. 151. 248. 252. 253.
Ziegler, Karoline 63. 298.
— Fried. .Jul. Wilh. 18. 29. 333.
334.
Zinnnennann, Dekorationsmaler 177.
179.
— Fortsetzer des Denietriiis 299.
Zschokke 37. 39. 93. 312.
Zuin.stee<r 452.
II. Werke von (woethe und Schiller.
a ) Goethe.
Aufgeregten, Die 21. 55. 60. 213.
,240.
Brieftasche 8.
Briefwechsel mit Schiller 1. 2. 3.
4. 5. 8. 14. 28. 33. 34. 52.
54. 56. 64. 81. 85. 90. 96.
108. 129. 135. 157. 159. 170.
183. 193. 214. 225. 235. 237.
23S. 2.39. 244. 245. 251. 263.
275. 2S9. 303. 316. 324. 411.
425. 427. 465. 468. 469. 473.
liürgergeneral 61.
Clavigo 19. 94. 119. 134. 143. 323.
361. 387.
Dichtung u. AVahrheit 52. 57. 61.
143. 188. 379.
Egmont 46. 53. 98. 109. 143. 147.
158. 217-221. 227. 246. 279.
360. 452. 453.
Elpenor 10. 77.
Farbenlehre 5. 267. 268. 269.
Faust 7 f. 77. 87. 113. 183. 188.
191. 205. 212. 216. 281. 299.
345. 370. 387. 392.
Geschwi.ster 39.
493 —
[Goftho (Forts.)]
Gespräche 55. 04. 187. 205. 218.
219. 22U. 22<). 240. 251. 273.
288. 290.
Götz V. Berliching-en 10. 11. 16.
29. 36. 43. 49. 63. 64. 66.
79. 87. 93. 97. 105. 1 13. 129.
143. 145. 168. 169. 173. 177.
201. 2U6. 222. 225. 227. 255.
257. 260. 294. 295. 307. 348.
354. 375. 376. 407.
Grosskophta 64.
Herinaiin u. Dorothea 2. 3. 237.
Jery u. Bätely 85.
Iphig-enie 39. 43. 53. 67. 77. 217.
316. 330. 332. 425.
Mädchen v. Olierkinh 2(i.
Malionict 347.
Miedings Tod 209.
Mitschuldigen, Die 87. 143. 370.
456.
Natürliche Tochter 21. 24. 55. 57.
64. 281. 332.
Pandora 182. 344.
Proserpina 194. 274.
Regeln für Schauspieler 182. 241.
243. 244. 347. 368. 369. 372.
377. 383. 400. 421. 429. 431.
432. 440. 447. 455.
Romeo u. Julia 50. 117. 251. 255.
Scherz, List u. Rache 18.
Stella 10. 26. 29. 39. 43. 87. 2H9.
Tancred 14. 321.
Tasso 26. 316. 332. 425.
Triumph d. Empfindsamkeit 32.
Wahlverwandtschaften 57. 58. 379.
Wahrheit u. Wahrscheinlichkeit
d. Kunstwerke 190.
Weimarisches Hoftheater 425.
Werther 267. 268. 269. 298.
Westüstl. Divan 483.
Wette 192.
[Goethe f Forts.)]
Wilhelm Meisters Lehrjahre 4. 58.
61. 108. 175. 224. 244. 251.
289. 315. 319. .320. 379. 409.
411. 424. 431.
Wilhelm Meisters Wanderjahre 3 f.
57. 125. 240. 379. 411. 457.
h) Schiller.
Aeneisühersetzung 441.
Anmut nn<l Würde 295. 319. 366.
367. 396. 417. 432. 4S3.
Braut in Trauer 21. 24. 42. 61.
217. 483.
Braut von Me.ssina 17. 19. 21. 34.
40. 44. 53. 55. 64. 68. 74. 81.
82. 99. 103. 111. 114. 115.
122. 123. 128. 130. 154. 196.
201. 202. 2(14. 209. 234. 247 f.
267. 2S0 f. 296. 297. 300. 303.
306. 309. 310. 326. 331. 332.
334. 337. 344. 348. 368. 370.
372. 377. 381. 383. 388. 397.
405. 407. 4()8. 420. 425. 435.
437. 438. 441. 444. 448. 454.
461.
Briefe üb. ästhet. Erziehung 324.
Cosmus V. Medicis 11. 58.
Demetrius 10. 15. 19. 34. 40. 50.
56. 59. 60. 64. 65. 76. 84. 91.
101. 102. 106. 111. 122. 124.
12(i. 147. 151. 160. 166. 188.
191. 198. 199. 210. 214. 220.
221. 228. 236. 245. 246 f. 255.
256. 27(). 284. 303. 309. 312.
340. 347. 455. 456. 464.
Don Carlos 4. 11. 20. 24. 25. 28.
33. 42. 43. 45. 47. 49. 53. 54.
59. 64. 70. 71. 73. 74. 76. 82.
87. 89. 90. 91. 98. 100. 107.
112. 116. 119. 120. 121. 122.
124. 126. 128. 129. 130. 145.
494 —
rSchiller (Forts.-)!
149. 154. 156. 158. 160. 161
169. 170. 171. 172. 176. 184.
187. 192. 197. 202. 208. 210.
216. 223. 224. 227. 2.34. 285.
236. 243. 246. 262. 268. 269.
270. 271. 275. 278. 281. 282.
283. 284. 285. 297. 300. 301.
302. 303. 304. 306. 307. 310.
311. 318 322. 324. 325. 326.
327. 328. 330. 331. 334. 336.
337. 338. 340. 342. 345. 346.
352. 353. 355. 362. 364. 365.
370. 371. 374. 376. 382. 383.
384. 385. 386. 387. 388. 389.
390. 391. 392. 394. 396. 398.
399. 400. 401. 402. 403. 404.
405. 406. 408. 411. 413. 414.
416. 419. 420. 423. 427. 429.
430. 433. 434. 436. 438. 439.
441. 443. 445. 446. 448. 449.
453. 456. 460. 461. 462. 463.
468. 477—482. 483. 484.
Ef^niont 46. 53. 98. 147. 158.
217-221. 246. 279. 452. 453.
Elfride 10.
Erhabenen, Vom 80. 382. 451.
Fiesko 5. 6. 7. 20. 29. 35. 37. 42.
43. 45. 48. 58. 58. 61. 63. 64.
68. 70. 71. 72. 74. 75. 76. 78.
80. 82. 87. 92. 98. 99. 100.
107. IIU. 111. 115. 116. 117.
118. 119. 121. 122. 123. 124.
127. 130. 183. 136. 145. 149.
154. 155. 156. 159. 160. 161.
166. 167. 1()S. 169. 171. ISl.
182. 186. 196. 197. 202. 203.
204. 205. 206. 207. 208. 209.
210. 219. 222. 223. 224. 231,
232. 233. 234. 243. 250. 253.
257. 262. 264. 265. 266. 2(i7.
270. 276. 278. 279. 280. 281.
284. 285. 286. 287. 294. 296.
rSfliülfi- (Forts.)l
297. .300. 302. 303. 305. 306.
307. .308. 309. 311. 318. 322.
323. 326. 329. 330. 334. 336.
337. 338. 340. 341. 342. 344.
348. 349. 351. 352. 353. 355.
362. 363. 370. 871. 372. 374.
882. 383. 384. 885. 886. 388.
389. 391. 392. 394. 395. 396.
397. 398. 399. 400. 401. 402.
404. 406. 407. 408. 410. 413.
414. 416. 419. 433. 434. 435.
436. 438. 460. 462. 463. 468. 477.
Flibustiers 312.
«edichte 388. 392. 403. 464.
Geg-enwärt. teutsche Theater. Über
das 283. 317. 819. 380. 484.
Geisterseher 183. 289. 884.
Gespenst 217.
Gräfin von Flandern 11. 50. 61.
236. 312.
Imhof 10. 62.
Iphig-enie in Aulis 339. 390.
.luno-f'rau von Orleans 20. 21. 26.
80. 33. 34. 44. 46. 48. 49. 50.
51. 53. 54. 59. 60. 64. 68. 70.
72. 73. 74. 75. 78. 83. 84. 87.
89. 91. 106. 110. 111. 121.
122. 128. 129. 149. 150. 151.
154. 155. 156. 157. 160. 166.
167. 169. 171. 193. 199. 202.
203. 204. 206. 207. 210. 212.
213. 214. 216. 228. 233. 246.
251. 252. 253. 254. 255. 263.
265. 267. 26S. 273. 274. 275.
278. 279. 2S5. 300. 304. 305.
306. 327. 329. 331. 332. 339.
840. 342. 344. 349. 350. 356.
357. 363. 365. 872. 374. 381.
888. 886. 387. 389. 390. 892.
393. 396. 402. 403. 404. 411.
423. 425. 429. 433. 435. 4.38.
447. 460. 461. 462. 464. 483. 485.
495 —
rScliillcr (Forts.)l
Kabale und Liebe 7. 10. 11. 16 f.
24. 44. 45. 4fi. 50. 51. 52. 53.
59. 60. G2. 68. 70. 72. 73. 82.
100. 107. 110. 115. 119. 120.
122. 123. 130. 145. 149. 153.
156. 157. 158. 160. 162. 172.
176. 180. 181. 186. 192. 202.
234. 268. 269. 270. 271. 278.
280. 281. 282. 283. 285. 286.
287. 296. 297. 298. 300. 302.
303. 306. 308. 326. 329. 336.
337. 338. 341. 343. 349 350.
351. 352. 355. 356. 357. 370.
374. 375. 382. 383. 3S5. 3s6.
387. 388. 3S9. 392. 394. 395.
398. 399. 400. 401. 402. 401.
405. 406. 407. 408. 4o9. 413.
414. 416. 420. 428. 433. 434.
436. 43S. 449. 4.50. 452. 453.
456. 458. 461. 462. 468.
Kinder des Hauses 10. 19. 21. 27.
40. 61. 115. 301. 302. 310.
Macbeth 42. 44. 97. 135. 169. 170.
207. 214. 225. 251. 252. -306.
339. .366. 415. 429.
Maltheser 14. 21. 25. 34. 46. 55.
62. 84. 155. 235. 302. 303.
312.
Maria Stuart 12.
63. 72. 73. 7
89. 91. 106.
130. 147. 150.
156. 159. 160.
207. 211. 223.
273. 276. 282.
303. 304. 306.
326. 330. 331.
361. 370. 3S1.
391. 401. 402.
409. 411. 412.
419. 425. 428.
45. 4S. .50,
4. 83. 84.
111. 120.
152. 154.
170. 171.
234. 265.
285. 300.
.307. 309.
337. 359.
382. 385.
405. 406.
415. 416.
429. 433.
52.
87.
122.
155.
183.
267.
302.
321.
360.
389.
407.
418.
435.
[.«^chillor (Fort.s.)]
43H. 439. 443. 447. 448. 454.
460. 461. 462. 464. 473. 484.
Menschenfeind 15. 27. 28. 62. 73.
110. 115. 117. 303. .383. 483.
Nathan der Weise 25. 71.
Neffe als Onkel 16. 310. .345. 375.
455. 4S5.
Othello 358. 415.
Parasit 32S. 329. 455.
Phädra 160. 326. 386. 444.
Philosoph i.sohe Briefe -323. 403.
Phönizierinnen 39(J. 429.
Polizey 1.5. 25. 56. 65. 120. 2-35.
309. 312.
Prinzessin von Zelle 11. 61. 236.
2S1.
lläiiber 1. 4. 6. 14. 16. 19. 24. 25.
27. 28. 33. 42. 43. 45. 46. 48.
49. 58. 60. 62. 64. 65. 67. 70.
71. 72. 74. 76. 78. 79. 82. 83.
86. 87. 88. 91. 98. 100. 107.
109. 114. 115. 116. 117. 120.
121. 122. 126. 128. 131. 133.
145. 148. 149. 154. 156. 157.
159. 160. 161. 167. 168. 169.
171. 181. 184. 192. 193. 196.
198. 201. 202. 203. 204. 205.
207. 208. 209. 210. 211. 219.
223. 224. 230. 231. 232. 233.
234. 238. 243. 245. 246. 249.
250. 252. 256. 257. 262. 263.
264. 267. 271. 276. 278, 281.
282. 284. 285. 286. 287. 288.
294. 295. 296. 297. 298. 299.
300. .301. 302. 303. 305. 307.
308. 310. 312. 317. 322. 326.
330. 336. 33S. 340. 341. 342.
343. 344. 351. 352. 355. 361.
362. 363. 364. 369. 374. 375.
376. 379. 380. 382. 385. 386.
388. 389. 391. 393. 394. 395.
397. 398. 401. 402. 404. 406.
- 496 —
[Sohillpr (Forts.)]
407. 40S. -409. 410. 413. 414.
415. 416. 419. 428. 436. 4.39.
448. 449. 450. 452. 453. 456.
459. 460. 461. 463. 46R.
471-477.
Räuber Mooj-s letzte.s Schicksal
16. 24.
Rosamund 61.
Schaubühne als moral. An.stalt 1.
Seestück 102.
Semele 70. 74. 77. 160. 201. 307.
308. 409. 419.
Student von Nassau '20.
Teil 10. 15. 26. 27. 42. 45. 47. 48.
50. 53. 54. 55. 61. 64. 65. 68.
72. 74. 75. 76. 77. 80. 83. 84.
85. 87. 88. 89. 90. 93. 101.
106. 111. 116. 119. 121. 122.
131. 136. 150. 154. 160. 169.
170. 171. 173. 174. 175. 185.
188. 193. 194. 195. 198. 199.
200. 202. 203. 204. 205. 206.
208. 209. 210. 211. 212. 224.
226. 227. 228. 232. 233. 234.
240. 245. 246. 255. 258. 270.
276. 277. 278. 279 f. 281. 284.
285. 288. 302. 306. 329. 3-51.
339. 340. 347. 348. 349. 350.
354. 355. 361. 363. 370. 381.
383. 389. 391. 397. 398. 399.
402. 404. 405. 412. 413. 414.
426. 434. 436. 453. 454. 459.
460. 464. 484. 485.
Tug^end, in ihren Folg-en betrachtet
384.
Turandot 20. 45. 48. 51. 85. 168.
835. 889. 347. 423. 439. 455.
459. 484.
rSehillei- (Fort.«.)]
Trasfische Kunst 1. 483.
Verbrecher aus verlor. Ehre 17. 4S5.
Vergnügen an trag. Gegenständen
1. 48.3.
Wallenstein 2. 10. 11. 12. 15. 16.
24. 28. 38. 34. 44. 45. 47. 48.
49. 53. 55. 68. 64. 68. 70. 72.
78. 74. 76. 82. 83. 84. 89. 90.
91. 92. 100. 106. 108. 109. 111.
116. 117. 119. 120. 121. 122.
123. 124. 128. 129. 130. 133.
134. 135. 136. 145. 149. 150.
154. 156. 157. 159. 160. 161.
169. 170. 176. 183. 186. 192.
193. 198. 202. 204. 208. 209.
212. 224. 227. 232. 236. 238.
239. 240. 242. 244. 245. 246.
247. 261. 268. 265. 268. 270.
271. 272, 273. 276. 277. 278.
279. 280. 281. 285. 287. 288.
296. 297. 300. 301. 308. 304,
306. 807. 309. 321. 324. 328.
829. 380. 331. 832. 337. 840.
842. 343. 344. 345. 849. 850.
351. 353. 354. 361. 362. 370.
372. 374. 377. 380. 381. 382.
888. 389. 390. 392. 393. 896.
399. 401. 404. 405. 407. 408.
412. 413. 414. 418. 419. 423.
425. 427. 433. 435. 436. 438.
446. 447. 448. 452. 453. 454.
455. 459. 460. 461. 462. 464.
484. 485.
Warbeck 10. 41. 50. 53. 61. 90.
236. 256. 310. 312. 423. 483.
Zusammenhang d. tier. Matur des
Menschen mit s. geistigen 295.
378. 405. 412.
497
III. Theaterstädte.
Altona 280.
Berlin 11. 67. 85. 109. 172. 173 ff.
185. 18(i. 187. 188. 198. 218.
219. 226. 228. 229. 244. 248.
252. 253. 254. 255. 250. 260.
261. 275. 276. 282. 305. 320.
331. 356. 377. 473.
Braunschweis: 222.
Breslau 226. 276. 485.
Dresden 14. 20. 50. 132. 217. 223.
264. 305. 318. 422.
Düsseldorf 134. 249 f.
Frankfurt a. M. 107. 132. 19(».
225. 242. 262. 422.
Fürth 249.
Gotha 211. 26U.
Haniburi? 32. 33. 34. 44. 49. 54.
64. 66. 81. 99. 111. 131. 132.
140. 148. 168. 177. 179. 189.
197. 198. 201. 206. 213. 223.
226. 252. 253. 257. 258. 260.
263. 271. 276. 310. 316. 317.
331. 344. 346. 348. 358. 359.
365. 375.
König-sberg 188. 262.
Lauehstädt 14. 50. 252.
Leipzig 14. 20. 49. 50. 109. 13(1.
132. 140. 148. 172. 196. 198.
206. 225. 251. 253. 260. 262.
264. 318. 355. 362. 374. 394.
422. 423.
Ludwigsburg 195. 19(1 201.
Magdeburg 25. 140. 264.
Mainz 218.
Mannhein\ 15 17. 19. 29. 32. 33.
37. 44. 45. 49. 63. 67. 82. 97.
98. 99. 103. 104. 105. 107.
111. 145. 149. 161. 167. 171.
172. 17.5. 176. 178. 179. 181.
186. 187. 196. 197. 198. 201.
204. 206. 216. 218. 219. 222.
223. 224. 225. 242. 250. 254.
256. 262. 263. 265. 26(5. 275.
282. 28.5. 298. 305. 306. 313.
314. 316. 317. 318. 334. 338.
346. 363. 365. 367. 384. 432.
449. 451. 4.52. 465. 172. 478.
Meiningen 187. 2(54.
München 1(J3. 111. 248. 310. 355. 477.
Nürnberg 132.
Paris 139. 162. 188. 190. 194. 276.
Regensburg 249.
Schwerin 200. 313.
Stuttgart 189. 215. 222. 256. 322.
323. 359. 423. 429.
Weimar 25. 50. 64. 65. 6(5. 85.
105. 108. 109. 1(56. 17(5. 185.
186. 187. 193. 198. 200. 217.
218. 222. 225. 226. 228. 240.
242. 243. 244. 245. 248. 251.
252. 263. 265. 271. 273. 274.
275. 276. 277. 283. 310. 320.
321. 347. 357. 358. 362. 368.
369. 377. 383. 400. 402. 421.
423. 425. 431. 437. 441. 447.
484. 485.
Wien 9. 14. 19. 30. SU. 45. 50. 51.
67. 132.145. 150. 162.169. 198.
228. 243. 268. 275. 356. 361.
362. 484.
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