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Full text of "Schiller und die Bühne, ein Beitrag zur Litteratur und Theatergeschichte der klassischen Zeit"

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TOKOHTO 


PALAESTRA. 


Untersuchungen  und  Texte  aus  der  deutschen  und 
englischen  Philologie. 

Herauso-esebeii 


Alois  Kraiidl,  Gustav  Roethe  und  Erich  Schmidt. 

XXXII. 

S  c  ii  i  1 1  0  r  u  n  d  d  i  c   B  ü  h  n  e. 
Von  .Julius  Petersen. 


BERLIN. 

MAYER  &   MÜLLER. 

1004. 


PALAESTRA  XXXIL 


Schiller  und  die  Biiliiie. 


Ein  Beitrag  zur  Litteratur-  und  Theatergeschiciite 
der  klassischen  Zeit 


von 


Dr.  Julius  Petersen, 


-i—^ 


/r  ' ' '  ^' 


BERLIN. 
MAYER  &   MÜLLER. 
1*)(»4. 


Eduard  von  der  Hellen 

in    iicr/lielicT    Vereliriiii,--   und    Dankbarkeit 

zugeeig-net. 


Vorwort. 

Die  ersten  beiden  Kapitel  dieses  Buches  latren  bereits 
im  Heibst  1902  der  Pbilosojthisehen  Fakultät  der  Universität 
lUM'lin  vor;  Kinleituni:'  und  Al)sehnitt  1— .'i  wui'den  im  Sommer 
]*)();}  als  lieiiiner  Disseitation  ^'edi-uekt:  die  P)e('ndii!nnir  des 
dritten  Kajiitels  ist  din'rli  neue  N'crpriiclitiinuen  bis  ins  .labi' 
1004   iiinansi^c/OL'on  worden. 

N'a'*li  AI)scl)luss  des  (Janzt'ii  crtullc  ich  «lic  uillkonnneno 
Ptlicht.  des  hH-deindcn  Interesses  zu  ijedenkcii.  das  mii'  von 
Lehrern  und  Krennden  u'esehenkt  wurde:  der  wärmste  Dank 
trilt  voi'  allem  Proicssor  Dr.  Ei' ich  »Schmidt,  der  diese 
Ai'beit  anre<.'te  und  ihi-  Kai  und  llilie  aufs  reichste  zu  teil 
A\erdeii   Hess. 

Stuttgart,  im  April   1904. 

J.  P. 


Inhalt 


Seite. 
Eiiilcitiini:  ...  .       1 — H 

Erstes  Kapitel:     Die  Anfallen  für  •la.'i  l'ulilikiiin. 

1.  Der  Titel  . 9-21 

2.  Gattung  und  Aktzahl 22—35 

3.  Per.sonenver/,ei('Iinis      ...  ...     85—56 

4.  Die  Namen 50—65 

5.  Die  Vor.stellunjr  der  l'er.sonen 65 — 78 

6.  Der  Schaui)latz 79—92 

7.  Einheit  de.';  Ortes 92-103 

8.  Die  Zeit 103-112 

9.  Zeitdauer 112-131 

10.  Der  Vorfas.ser  an  das  Publikum 131-136 


Zweites  Kapitel:     Die  Ins/.enierun<r. 

1.  Der  Vorhang 137-145 

2.  Zwischenakt 146—152 

3.  Aktanfant,-  und  Akt.schluss 152—162 

4.  Szenenwechsel 162—175 

5.  Dekoration 175-200-- 

6.  Beleuchtun-,'.  Maschinerie,  theatralische  Etl'ekte .  200—221    ^ 

7.  Zahl  der  Personen 221-229 

8.  Gruppen,  Statistenszenen.  Aufzü<,'e 230—258 

9.  Kostüm  und  Requisiten 258—290 

Drittes  Kapitel:     Das  Spiel. 

1.  Die  Maske 291-312 

2.  Theorie  der  Mimik 312-321 

3.  Form  und  Stellung  der  Spielanweisungen  .     .     .  321—345 

4.  Die  äussere  Bewegung.     Sterben 345—366 


Auliang. 


Seite. 

5.  Die  malenden  Gesten 366—377 

6.  Ausdruck  der  Affekte 378—417 

7.  Deklamation       417 — 466 


Schhiss 467— 47U 


1.  Eine  Räuberbearbeitung  des  jungen  Tieck     .     .  471—477 

2.  Ein  Dom  Karlos  in  Prosa 477—482 


Naohträge  und  Berichtigungen 483—485 

Namenverzeichnis 486 — 497. 


Hauptsächliche  Abkürzungen. 


A.  f.  (1.  A.  =  Anzeiger  für  tleutsches  Altertiiiii  u.  deutsche  Litteratur 

Ann.  (1.  Tli.  —  Annalen  iles  Theaters,  Jierlin  1788«'. 

IJrahiii  =  Otto  Brahni,  Schiller,  1888/92. 

Hellonuann  =  Liidw.  JJellerniann.  Schillers  Dramen.   2.  Aufl.   1898. 

lirauii  =  J.  W.  Braun.  Schiller  im  Urteile  seiner  Zeitgenossen. 

3  B.ie.  1882. 

Dovrieul  =  Ed.  Dcvrient,    Geschichte  der    deutschen  Schauspiel- 

kunst. 1848-74. 

1).  L.  D.  =  Deutsche    Litteratunlenkmale    dc^    18.  .Jahrhunderts, 

hsg-.  V.  B.  Seuffert  u.  A.  Sauer. 

1).  Nat.  Litt.         =  Deutsche  National-Ijitteratur,  hsg.  v.  Jos.  Kürschner. 

Draniat.  Xaelil.    -—   Schillers  Dramatischer  Nachlass.  hsg.  v.  G.  Kettner,  1895. 

Genast  =  Ed.    Genast.    Aus    dem    Lehen    eines    alten    Schau- 

spielers, 18G2. 

(i..J.  =  Goethe-Jahrbuch,  h.sg.  v.  Lu.hv.  Geiger  18S(»tr. 

Goed.  =  Schillers    Sänitl.    Schriften,    Histor.-krit.  Ausgabe    v. 

K.  Goedeke  1807-76. 

Jonas  =  Schillers  Briefe,  hsg.  v.  Fritz  .lonas  1892—96. 

Kai.  =  Schillers  Calender.  neu  bearlieitet  v.  E.  Müller  1893. 

Koffka  =  W.  Koffka,  Itfland  und  Dall)erg,  1865. 

Küster  ^=  Albert  Küster,  Schiller  als  Dramaturg,  1891. 

Lachiii.-Muncker  =  Lessings  Sämtl.  Schriften,  hsg.  v.  K.  Lachmann; 
3.  Aufl.  V.   Fr.  Juncker  1880  fl". 

.>larterstei{?  =  Die  Protokolle  des  Mannheimer  Xationaltheaters  unter 

Dalbergs  Leitung,  1890. 

Minor  ^=  Schiller.     Sein  Leiten    und    seine  Werke,    dargestellt 

V.  J.  Minor  189U. 

Picliler  =  A.    Pichler,    Chronik    des    Hof-    u.    Nat. -Theaters  in 

Mannheim,  1879. 

Prölss  =  Rob.  I'rölss,    Kurzgefasste  Geschichte  der  Deutschen 

Schauspielkunst,  1900. 

Rieger  =  Max  Rieger,  Klinger,  1880/96. 

Schütze  =  Schütze,  Hamburg    Theatergeschichte,  1794. 


Streiclicr  =  Schillers  Flucht  von  Stuttgart  u.  Aufenthalt  in  Mann- 

heim, 1836. 

Suphan  =  Herders  Sämtl.  "Werke,  hsg.  v.  B.  Suphan  1877  fF. 

Teichmann  ==  Val.  Teichmanns  Iviterar.  Nachlass,  hsg.  v.  Fr.  Dingel- 

stedt  1863. 

Tlieat.-Kal.  =  Reichards  Theater-Kalender,  Gotha  1775—1800. 

Theat.  Forsch.      --=  Theatergeschichtliche  Forschungen,  hsg.  v.B.  Litzmann. 

Qu.  u.  F.  =  Quellen  u.  Forschungen,  Strassburg  1874  ff 

Urlichs  =  Briefe  an  Schiller,  hsg.  v.  Ludw.  Urlichs  1877, 

Tjschr.  =^  Vierteljahrsschrift  fürLitteraturgeschichte.  1 888—1893. 

W.  A.  =  Goethes  Werke,  Weimarer  Ausgabe,  1887  ff. 

Walter  ^=  Archiv  u.  Bibliothek  des  Mannheimer  Theaters,    hsg. 

V.  Friedr.  Walter  1899. 

Waniek  =  G.  Waniek,  Gottsched  u.  d.  deutsche  Litteratur  seiner 

Zeit,  1897. 

Weltrich  ==  R.  Weltrich,  Friedrich  Schiller,  Geschichte  s.  Thebens 

u.  Charakteristik  s.  Werke.     Bd.  I.     1885/89,99. 

Z.  f.  d.  Ph.  =  Zeitschrift  für  deutsche  Philoloirie  1869  ff. 


Einleitung. 


V^on  der  dramatischen  Poesie  wurde  den  Zöglingen  der 
Stuttgarter  Militärakademie  als  einzige  Definition  in  die  Feder 
diktiert,  sie  stelle  „durch  eine  vollkommen  harmonische  Rede 
Handlungen  vor,  als  ob  sie  vor  unseren  Augen  geschähen".  ^) 

Diese  Lehre  —  ol)  Hang  sie  gab  oder  Abel,  ist  neben- 
sächlich, da  sie  im  Urunde  über  Batteux  und  Sulzer  auf 
Aristoteles  zurückgeilt  ')  —  nahm  der  junge  Schiller  mit  sich; 
das  Echo  erklingt  in  der  unteidiückten  Vorrede  zu  den  Käubern 
und  in  der  Mannheimer  Kede  (1784)  und  noch  die  Abhand- 
lung „lieber  die  tragische  Kunst''  (1792)  sagt:  „Alle  erzählende 
Formen  machen  das  Gegenwärtige  zum  Vergangenen;  alle 
dramatische  machen  das  Vergangene  gegenwärtig".  ^) 

Nun  wird  in  den  ästhetischen  Schriften  neben  diesem 
formellen  Unterschied  auch  die  Verschiedenheit  von  Zweck 
und  Wirkung  betont*),  aber  im  Briefwechsel  mit  Goethe  aus  dem 
Jahie  1797  dominiert  der  Gegensatz,  der  sich  aus  der  Gegen- 
überstellung VOM  Rhapsoden  und  Mimen  ergiebt  und  die  end- 
gültige Formel  lautet  wiederum:  „dass  der  Epiker  die  He- 
gebenheit  als  vollkommen   vor  g  a  n  g  e  n  vorträgt  und  der 


')  Zwei  Schulhefte  Schillers  niitget.  v.  Minor,  Zeitschr.  f.  östr. 
Gymn.     18S8  S.  1063.     Minor,  A.  d.  Schillerarchiv  1890  S.  19  ff. 

■)  Batteux,  Einschränk,  d.  seh.  Künste  auf  einen  einz.  Grundsatz 
übs.  V.  J.  A.  Schlegel,  Leipzig  1759  S.  HG  tf. 

Batteux,  Einleitung  in  die  schönen  Wissenschaften  übs.  v.  llamler, 
Leipzig  1756  II  S.  21G. 

Sulzer,  Allg.  Th.  d.  seh.  Künste     Leipz.  1771.     I,  S.  274. 

')  Goedeke  X,  S.  35. 

*)  Ueber  das  Vergnügen  an  tragischen  Gegenständen  Goed.  X  S.  6. 
Palaestra  XXXIT.  1 


—  ä  - 

Dramatiker  sie  als  vollkommen  g-eg:|en|w artig  darstellt".  ^) 
Damit  war  kaum  über  Sulzer  hinausgegangen ;  die  Unter- 
scheidung A.  W.  Schlegels  zwischen  der  dialogischen  Form 
und  der  dramatischen  Wirkung  ^)  wurde  noch  nicht  gemacht. 

Man  sieht  dieser  Theorie  an,  dass  sie  auf  dem  Boden  des 
Klassizismus  entstanden  ist  und  nur  zu  einer  Zeit  wieder  auf- 
genommen werden  konnte,  wo  die  Dichter  weniger  von  dem 
Theater,  mehr  von  dem  rein  poetischen  Stoff  beherrscht  waren: 
Hermann  und  Dorothea  hatte  die  Ideen  in  Bewegung  gesetzt  ^); 
Goethe  kam  zu  seinem  Schluss  bei  einer  parallelen  Lektüre 
der  Ilias  und  des  Sophokles  *),  und  Schiller  hatte  damals 
einen  epischen  Stoff  unter  den  Händen,  für  den  er  nach  der 
dramatischen  Form  suchte,  den  Wallenstein ;  „ich  gehe  immer 
noch  darum  herum  und  warte  auf  eine  mächtige  Hand,  die 
mich  ganz  hineinwirft"  hatte  er  am  23.  Oktober  1796  an 
Goethe  geschrieben. 

Die  Formel  beruht  auf  dei'  unausgesprochenen  Voraus- 
setzung  einer  Gleichheit  des  Stoffes  ^) ;  der  Stoff  liegt  da  auf 

')  Ueber  ep.  u.  dramat.  Dicht.,  Briefw.  zw.  Schiller  und  Goethe 
23.  Dez.  1797.  Man  vergleiche  Lessings  Briefwechsel  mit  Nicolai  und 
Mendelssohn,  wo  es  sich  allein  um  die  tragische  Wirkung  handelt  und  der 
Unterschied  auf  ganz  anderem  Gebiet  gesucht  wird :  „Der  bewunderte 
Held  ist  der  Vorwurf  der  Epopee,  der  bedauerte  des  Trauerspiels' ^  —  „Ein 
Trauerspiel,  in  welchem  Bewunderung  zum  Hauptwerke  würde,  würde  ein 
dialogisches  Heldengedicht  sein  und.  kein  Trauerspiel".  (Lachmanns  Ausg. 
1840  XII,  S.  51,  58,  G2,  192).  Nur  im  Brief  an  Gerstenberg  macht  Les- 
sing eine  ähnliche  Unterscheidung :  „Bey  dem  Dante  hören  wir  die  Ge- 
schichte als  geschehen,  bey  Ihnen  sehen  wir  sie  als  geschehend".  Auch 
Herder  benutzt  den  Ugolino,  den  übrigens  Schiller  besonders  geeignet 
fand,  um  die  Idee  der  Tragödie  daran  aufzuklären  (Jonas  VI,  S.  252),  zur 
Gegenüberstellung:  „Der  einfache  Ton  der  Empfindung,  der  in  der  Er- 
zählung herrscht,  soll  in  alle  melodische  Modulation,  die  das  Drama  hinun- 
terwallet, verwandelt  werden".     (Suphan  IV,  S.  308). 

'-')  Werke  ed.  Böcking  V,  S.  21.  XI,  189.  Vgl.  Tiecks  Urteil  über 
Goethes  Dramen.  Krit.  Sehr.  IV,  198;  Der  junge  Tischlermeister  1836 
11,  Ö.  55. 

")  An  Körner    7.  April  1797.     Jonas  V,  S.  171. 

*)  W.  A.  IV,  12,  S.  381  ff. 

'')  J.  J.  Engel,  Anfangsgr.  e.  Theorie  d.  Dichtungsarten  (1788)  S.  18  f. 
beruft  sich  dafür  auf  Uoraz.     In  Schiller  steigen    später  Zweifel    auf,    als 


--     3     — 

dem  weiten  Felde  der  Geschichte:  der  Epiker  zeichnet  ihn 
aus  der  Katfernung-  oder  wie  Öcliiller  sagt:  er  geht  um  ihn 
herum  ^),  der  Dramatiker  packt  ihn  und  zieht  ihn  auf  die 
Bühne;  die  Bühne  ist  Gegenwart. 

Öo  konnte  öchiller  dem  Aristoteles  recht  geben,  das  all* 
geraein  Pragmatisch-poetische  der  Epopee  sei  in  der  Tragödie 
enthalten  ^) ;  besonders  bezeichnend  aber  ist  seine  Stellung  gegen- 
über Wilh.  V.  Humboldt.  Dessen  Abhandlung  über  Hermann 
und  Dorothea  trennt  in  ausdrücklichem  Widerspruch  zu  Aristo- 
teles das  Drama  vom  Epos  und  rückt  es  der  Lyrik  näher  ^), 
allerdings  mit  dem  V^orbehalt,  diese  Kunstphilosophie  werde 
für  den  ausübenden  Künstler  weder  bequem  noch  fruchtbar 
sein.  Die  Einschränkung  gehl  jedoch  auf  Schiller  zurück,  dem 
das  Manuskript  vorgelegen  hatte  und  dessen  Kritik  Humboldt 
für  sein  Vorwort  wörtlich  bcimtzte.  *) 

„Spezielle  und  empirische  Regeln"  will  Humboldt  nicht 
geben  ;  „empirische  und  spezielle  Formeln"  hatte  Schiller  ge- 
rade für  den  schattenden  Künstler  verlangt.  Nicht  von  Be- 
gritten,  sondern  „vom  Faktum  dei-  Kunst  und  des  Dichters 
und  der  Repräsentation  ausgehend"  ■')  wollten  Goethe  und  er 
in  dem  kleinen  Aufsatze  „Uebcr  epische  und  dramatische  Dich- 
tung' eine  Fackel  aufrichten,  die  ihnen  beim  eigenen  Schaffen 
leuchten  konnte. 

Zweifellos  behielten  aucli  beide  Dichter  diese  selbstgezogene 
Grenzlinie  bei  ihrer  Produktion  im  Auge;  z.B.  finden  wir 
noch    beim    alten    Goethe    in  der  Novelle    „Wer  ist  der  Ver- 

er  die  epische  liehandluug  einer  Weltunisegluiij,'  erwägt.  An  Goethe 
13.  Febr.  17U8.     Jonas  V,  343  f. 

')  Dieses  BUd  wiederholt  er;  An  Goethe  [26.  Dez.  1797]  Jonas  V, 
S.  309. 

0  An  Goethe  5.  Mai  1797.     Jonas  V,  S.  189.      Aristoteles  Dicht- 
kunst (übs.  V.  Curtius  1753)  Cap.  V  S.   1 1. 

')  Aesthet.  Versuche.    Erster  Theii.  Braunschweig  1799.  Cap.  LXIII 
und  LXIV. 

')    ebda.  Einleitung    S.  XV.      Schiller  an    Humboldt    27.  Juni   98. 
Jonas  V,  893.     Der  umgekehrte  Hergang  wäre  sehr  unwahrscheinlich. 

•■)  So  charakterisiert    Schiller    den    Aristoteles :    an  Goethe    5.  Mai 
1797.     Jonas  V,  S.  188. 

1* 


-    4    - 

räther?"  eine  Stelle,  die  sich  wie  eine  pedantische  Probe  auf 
jenes  Exempel  ausnimmt.  Die  Erzählung-  ist  in  eine  längei-e 
Dialogpartie  mit  vorgesetzten  Roliennamen  übergegangen ; 
trotzdem  bleibt  in  den  eingeklammerten  Worten  des  Verfassers 
das  erzählende  Präteritum  erhalten: 

Lucidor  (höchst  unzufrieden  über  den  Vorfall,  ärgerlich  über  die 
leichtsinnig-e  Behandlung-,  stand  still). 

Das  vergegenwärtigende  Präsens:  „steht  still",  das  der 
Bühnenanweisung  eines  Dramas  formell  gleichkäme,  ist  mit 
Absicht  vermieden.  ') 

Eine  solche  Unterscheidung  war  geboten,  da  gerade  gegen 
Ende  des  Jahrhunderts  durch  die  Mode  des  Dialogromanes  die 
Grenze  verwischt  zu  werden  drohte.  „Die  dramatische  Ein- 
kleidung ist  von  einem  weit  allgemeinerem  Umfang  als  die 
theatralische  Dichtkunst"  heisst  es  in  einer  Anmei'kung  zum 
Don  Carlos  in  der  Thalia,  und  das  Wort  „dramatischer  Roman", 
von  dem  die  erste  Vorrede  der  Räuber  spricht,  war  zu  jener 
Zeit  keine  Seltenheit.  Meissner  z.  B.  sagt  ähnlich  im  Vor- 
bericht zu  seinem  Johann  von  Schwaben  (1780) :  „Dialugirte 
Geschichte,  oder,  wenn  man  will,  dialogirter  Halbroman,  war 
alles,  was  ich  mir  zum  Ziel  steckte". 

In  Wilhelm  Meisters  Lehrjahren  ist  eine  Entwickelung 
vom  Epos  zum  Drama  zurechtgelegt.     Als  Knabe  weiss  Wil- 


')  W.  A.  I,  Bd.  24  S.  IQ 8.  Früher  hatte  Goethe  in  einem  Briefe 
an  Schiller  au.sdrücklich  die  Vermischung  von  erzählendem  Roman  und 
Dialog  verworfen.  (23.  Dez.  1797  VV.  A.  IV  Bd.  12  8.  382.)  Übrigens 
linden  sich  diese  Zwischenbemerkungen  im  Präteritum  in  den  meisten  Dia- 
logromanen der  Zeit. 

Z.  B.  Miller,  Siegwart  2.  Aufl.  1777.  S.  59,  72,  74,  123,  181,  209, 

323  ff.,     346  u.  s.  f.,  dagegen  das  Präsens  S.  75. 
Schink,  Das  Theater  zu  Ahdera.       Berlin  1787—89  I,    S.  47,  163, 
206,  224,  228,  307, 

Knigge,  Reise  nach  Braunschweig.  2.  Aufl.  Hannover  1794.  S.  53,  55, 
dagegen  das  Präsens  S.  30,  32,  33. 

Klinger,  Fausts  Leben,  Thaten  und  Höllenfahrt.  2.  Aufl.  St.  Peters- 
burg 1<94.     S.  72,  86,   131,  141,  146,  288,  320,  383,  dae  Präsens  S.  397. 

Klinger,  Geschichte  Giafars  des  Barmeeiden.  St.  Petersb.  1792, 
S.  Ol.  m.  210,  343,  427,  477,  499  u.  s    f.  des  l'räsens  S.  566. 

In  Meissoers  Alcibiades,  Bianca  Capello,  Erzählungen  und  Dialogeu 
Ist  in  allen  Dialogpartien  das  dramaiische  Präsens  durchgeführt. 


—     5     — 

heim  den  Unterschied  noch  nicht  zu  machen  und  deklamiert 
in  der  Rolle  des  Tancred  auch  die  erzählenden  Verse  des  Epos 
(also  seine  eigenen  Bühnenanweisung-en)  mit.  Im  weiteren 
Verlauf  des  Romans  ist  dann  von  den  Zwischenstufen  die  Rede: 
von  dialog-ierten  Romanen  und  von  der  Möglichkeit  eines  Dra- 
mas in  Briefen.  ^)  Romane  in  Briefen  (nach  Richardsons  Art) 
nennt  Goethe  in  einem  Briefe  an  Schiller  -)  bereits  völlig  dra- 
matisch ;  das  Drama  in  Briefen  jedoch  bleibt  eine  blosse 
Konstruktion,  um  die  l»rücke  vom  Epos  zum  Drama  zu  schlagen. 
Der  Dialogroman  erfordert  immerhin  eine  Situation ;  das  Brief- 
drama verzichtet  darauf,  es  ist  der  reine  Dialog  ausserhalb 
von  Oit  und  Zeit.  Um  gegenwärtig  zu  werden,  bedarf  dieser 
Schemen  eines  Gewandes:  zu  dem  Was  gehört  das  Wie;  den 
Personen  muss  neben  Worten  auch  Ton,  Gestalt,  Bewegung, 
Umgebung  verliehen  werden;  kurz:  durch  die  Bühnenanweis- 
ungen wird  das  abstiakte  Mittelding  zum  Drama. 

Damit  ist  der  Begritf  der  Bühnenanweisungen  bestimmt : 
in  ihnen  vollzieht  sich  die  —  konstruierte  —  Metamorphose 
vom  Epos  zum  Drama;  vollendet  ist  sie  erst  mii  der  Auf- 
führung. Wenn  wir  mit  einem  Ausdruck  Richard  Wagners  ') 
von  der  Übersetzung  des  Romans  für  die  Darstellung  auf  der 
Schaubühne  sprechen,  so  sind  die  Bühnenanweisungen  die 
Lautzeichen,  aber  noch  nicht  die  neue  Sprache  selbst.  „Was 
von  einem  echten  Drama  autgeschrieben  ist",  sagt  Otto  Ludwig  *), 
„ist  nichts  als  eine  Untermalung  des  Gemäldes"."  Beim  Lesen 
des  Dramas  bleibt  ein  erzählender  Rest;  so  lange  wir  nur 
lesen:    „Saal  bei  Fiesko.     Man  hört  in  der  Ferne  eine  Tanz- 


')  W.  A.  I,  Bd.  22.     S.  177. 

'^)  Siehe  Anmerkung  auf  S.  4. 

')  Oper  und  Drama.     Ges.  Sehr.  u.  Dicht.  IV,  S.  9. 

*)  Werke  (hsg.  v.  A.  Stern  u.  E.  Schmidt)  V,  S.  148.  Ähnlich 
Goethe  im  Vorwort  zur  Farbenlehre :  „wie  ein  gutes  Theaterstück  eigent- 
lich kaum  zur  Hälfte  zu  Papier  gebracht  werden  kann,  vielmehr  der 
grössere  Teil  desselben  dem  Glanz  der  Bühne,  der  Persönlichkeit  des 
Schauspielers,  der  Kraft  seiner  Stimme,  der  Eigenlhümlichkeit  seiner  Be- 
wegungen, ja  dem  Geiste  und  der  guten  Laune  des  Zuschauers  anheim- 
gegeben bleibt".     (W.  A.  III,  Bd.  1  S.  XVIII). 


—     6     — 

musik,  und  den  Tumult  eines  Balls",  so  lange  wir  nicht  sehen 
und  hören,  so  lange  ist  das  tempus  ein  praesens  historicum. 

Da  also  die  Bühnenanweisungen  gewissermassen  einen 
Wechsel  vorstellen,  der  erst  bei  der  Auiführung  eingelöst 
wird,  raüsste  es  ihre  Grundeigenschaft  sein,  in  der  Darstellung 
restlos  aufzugehen.  Ganz  gelingt  es  indessen  der  Aufführung 
nicht,  alles  hindurchzusieben :  denn  die  Bühne  kann  wohl  einen 
Saal  darstellen,  aber  sie  kann  uns  nicht  beweisen,  dass  wir 
im  Hause  des  Fiesko  sind.  Oder  wenn  wir  in  den  Räubern 
lesen :  „Schenke  an  den  Gränzen  von  Sachsen",  so  ist  die 
Schenke  darstellbar,  die  geographische  Bestimmung  aber  bleibt 
ein  erzählender  Bodensatz,  sie  kommt  nicht  über  die  Schranken 
des  Epischen  hinaus. 

Um  trotzdem  bei  der  Aufführung  nicht  verloren  zu  gehen, 
muss  siö  hinübergeschmuggelt  werden ;  dem  Dichter,  der  im 
Buchdrama  der  Führer  seines  Publikums  sein  darf,  fehlt  es 
auch  auf  der  Bühne  nicht  an  dem  nötigen  Sprachrohr,  er 
kann  seine  Personen  sagen  lassen :  Hier  an  den  Grenzen 
Sachsens !  Oder  wenn  er  das  unterlässt,  bleibt  ein  letztes 
Mittel  übrig,  den  Zuschauern  wird  vor  der  Aufführung  ein 
Zettel  in  die  Hand  gedrückt,  auf  dem  steht:  Die  erste  Scene 
des  ersten  Aktes  spielt  in  Franken,  die  zweite  an  den  Grenzen 
von  Sachsen  u.  s.  w. 

Anweisungen,  denen  Bühne  und  Darsteller  nicht  ent- 
sprechen können,  werden  dem  Publikum  unverarbeitet  vorge- 
legt. Damit  sind  die  3  Adressen  genannt,  an  die  Bühnenan- 
weisungen ergehen : 

1.  an  den  einzelnen  Schauspieler; 

2.  an  die  durch  den  Regisseur  verkörperte  Gesamtheit 
der  Schauspieler,  an  den  Dekorateur,  den  Maschinenmeister, 
kurzum  an  die  Bühne  mit  allen  ihren  Mitteln. 

3.  sie  können  über  den  Bühnenraum  hinausgreifen  und 
sich  an  das  Publikum  wenden. 

Nach    einem  Wort  Wielands  ^)    setzt  jede    Schauspielart 

einen    gewissen    bedingten  Vertrag    des   Dichters    und  Schau- 

')  Versuch  üb.  d.  Singspiel.    Sämtl.  Werke  1796,   Bd.  26,  S.  247. 


—     7     — 

Spielers  mit  dem  Zuschauer  voraus.  Das  Publikum  wird  an- 
o-espannt,  bei  dem  Prozess  der  Vergegenwärtigung  mitzuhelfen; 
der  Ort  dieser  Anweisungen  an  das  Publikum  ist  der  Theater- 
zettel ;  wir  stossen  aber  auch  manchmal  beim  Lesen  am  fal- 
schen Platze  darauf.  Mitten  im  Stück  drängt  sich  oft  der 
Dichter  ein  und  will  etwas  erzählen,  was  sie  ihm  auf  der 
Bühne  doch  nicht  darstellen  können.  Er  macht  Angaben,  die 
man  mit  dem  an  sich  unsinnigen  Namen  epische  Bühnenan- 
weisungen bezeichnen  könnte. 

Wenn  es  z.  B.  Kab.  u.  Liebe  II,  6  heisst 

,,er  eilt  schnell  fort  und  rennt  —  gegen  den  Präsidenten", 
SO  ist    der    Gedankenstrich    nur    für    den  Erzähler  ein  Mittel 
der  Spannung,   während  die  eiwartungsvolle  Frage :    auf  wen 
mag  wohl  Ferdinand  stossen?  bei  der  kein  Atemholen  gestat- 
tenden Aufführung  ungestellt  bleibt.-^) 

Immerhin  ist  dieser  novellistische  Rest,  der  wirklich  auf 
einen  L^bergang  vom  Epos  zum  Drama  hinweisen  würde,  für 
die  .Aufführung  nicht  belanglos;  es  ist  eine  Anweisung,  die 
ihre  Adresse  und  Form  veifehlt  hat ;  der  Darsteller  des  Fer- 
dinand entnimmt  daraus,  dass  er  über  dieses  plötzliche  Zu- 
sammentreffen sich  bestürzt  zeigen  und  zurückbeben  muss.  Die 
korrekte  Bühnenanweisung  würde  also  so  lauten,  wie  beim 
ähnlichen  Fall  im  Fiesko  III,  9-10: 

(Gianettino  will  hinaus  und  stösst  auf  Fiesko) 
Qianettino  (zurückfahrend  i     Ha  I 

In  ihrer  Form  unkorrekte  Anweisungen  wird  der  Leser 
fast  in  jedem  Jugenddrama  entdecken  können  als  Beweis,  wie 
wenig  noch  die  dichterische  Phantasie  dem  Zwange  der  Bühnen- 
konvention sich  fügt. 

Bekannt  sind  die  cliarakteiistischen  Beispiele  im  Urfaust : 

„Margarete    mit  Herzklopfen  herein" 
oder    in    der    letzten    Scene : 

„er  hört  die  Ketten  klirren  und  das  Stroh  rauschen''. 
Derselbe  Goethe,  der  dem  Bühnendichter  empfiehlt,  „nichts 
anzulegen,  als  was  sich  auf  Brettern,  zwischen  Latten,  Pappen- 

')  Ebenso  in  der  Biihnenbearbeitung  der  Räuber  IV,  12 : 

Amalia  :  (sie  will  ihm  nachstürzen  und  stösst  —  auf  den  Räuber). 


—     8     — 

deckel  und  Leinewand,  durch  Puppen,  vor  Kindern  ausführen 
lässt",  *)  stellt  sich  hier  souverän  über  das  Theater.  Wir 
haben  es  mit  keiner  Anweisung  für  die  Aufführung-  zu  thun, 
sondern  mit  einem  einfachen  poetischen  Ausdrucksmittel.  Der 
reife  Goethe  hat  statt  dessen  die  Verse  eingesetzt: 

Sie  ahnet  nicht,  dass  der  Geliehte  lauscht, 
Die  Ketten  klirren  hört,  das  Stroh,  das  rauscht. 

Für  den  Leser  ist  der  naive  Zauber  abgestreift,  aber 
dem  Zuschauer  und  Hörer  wird  durch  den  Kunstgriff  des  er- 
fahrenen Bühnendichters  mitgeteilt,  was  ihm  sonst  überhaupt 
verschlossen  geblieben  wäre. 

Auch  bei  Schiller,  der  das  Zustutzen  seiner  Stücke  für 
den  Theaterzweck  nachträglich  als  „blosse  Verstandessache" 
zu  betreiben  pflegte  ^),  lassen  sich  ähnliche  Korrekturen  finden. 
Die  Bühnenanweisungen  eines  Dichters  bilden  (gleichviel,  ob 
das  Stück  zur  Aufführung  bestimmt  war  oder  nicht)  einen  Grad- 
messer für  die  Theaterschulung  seiner  Phantasie.  In  ihnen 
spiegelt  sich  aber  auch  das  Theater  seiner  Zeit  selbst;  die 
Zumutungen,  die  der  Dichter  an  eine  Aufführung  zu  stellen 
wagt  oder  zu  stellen  verzichtet,  sind  Grenzsteine  für  die 
Leistungsfähigkeit  des  Theaters  und  der  Schauspielkunst. 

Nach  diesen  zwei  Richtungen  kann  die  Beschäftigung  mit 
den  Bühnenanweisungen  eines  Dichters  Ergebnisse  liefern  und 
das  soll  der  Zweck  der  folgenden  Kapitel  sein.  ^) 

*)  Ans  Goethes  Brieftasche,  Anhang  zu  Wagners  Übers,  v.  Merciers 
Versuch.     S.  486  f.     W.  A.  I  Bd.  37  S.  314. 

*)  Briefe  an  Dalberg  1781,  an  Goethe  6.  April  98,  31.  Aug.  98, 
22.  Dez.  98,  5.  May  1800.  Jonas  I,  S.  37,  42,  45 ;  V,  S.  366.  423,  475 ; 
VI,  152. 

')  Die  Anlage  meiner  Arbeit  entspricht  im  Wesentlichen  der  Ber- 
liner Dissertation  von  Zickel,  Die  scenarischen  Bemerkungen  im  Zeitalter 
Gottscheds  und  Lessings  (1900).  Nur  Teile  davon  sind  bisher  veröffent- 
licht ;  der  Verf.  gewährte  mir  aber  auch  in  die  ungedruckten  Partien  Ein- 
blick, und  ich  bin  für  mehrere  daraus  entnommene  Hinweise  dankbar. 

Eine  Heidelberger  Dissertation  von  Hagemann,  Die  Geschichte  des 
Theaterzettels  (1900)  wurde  mir  erst  kurz  vor  Abschluss  des  ersten  Ka- 
pitels bekannt,  sie  behandelt  nur  das  Mittelalter,  verspricht  jedoch  eine 
Fortsetzung. 


Erstes  Kapitel. 


Die  Angaben  för  das  Publicum  dxr  Theaterzettel). 

1.   \U'V  Titel. 

[n  den  Hämlen  der  Wamleri nippen  erlitten  die  Dramen- 
titel  im  17.  und  18.  Jahrhundert  ungeheure  .Vufschwelhiniren ; 
aus  ihnen  wurde  ein  Kommentar  des  Stückes  gemacht:  noch 
1757  wies  die  Wiener  iSchaubühne  so  ianiratmige  Satzkon- 
struktionen auf  wie:  ..Die  standhafte  Chiistinn  Gabinie.  welche 
unter  der  letzten  zehendeii  schweresten  Haupt  -  Verfol<rung 
Kaisers  Diocletiani  (Mithauptet  worden".  ^)  Also  nicht  nur  der 
Name,  sondern  auch  der  Charakter  und  die  ReliLMon  der  Hel- 
din, ferner  die  Zeit,  im  weitesten  Sinne  der  Schaufdatz  und 
der  Inhalt  des  Stückes  sind  hier  zusammengedrängt. 

Und  damals  hatte  doch  schon  längst  Gottsched  die  Ein- 
fachheit des  französischen  Klassizismus  auch  in  den  Titeln 
einführen  wollen  :  er  hatte  verlangt.  da.ss  nur  ein  Name  ge- 
nannt werde  und  dass  der  Titelheld  sich  mit  der  Hauptfigur 
decken  müsse;  alle  weiteren  Bezeichnungen  sollten  vermieden 
werden,  und  so  war  aus  seinem  „sterbenden  Cato"  (1731>  in 
der  Ausgabe  von  1742  „Cato"  geworden.  Der  Name  des 
Helden  sagt  bei  heroischen  Stoffen  —  und  andere  konnte  sich 
Gottsched  für  die  Tragödie  nicht  denken  —  beieits  genug, 
denn  Thema,  Zeit,  Schauplatz  sind  damit  verbunden;  der 
antikisierende  Goethe  ging  dabei-  über  Gottsched  hinaus,  wenn 


')  Im  Französischen  des  de  Brueys  heisst  dieses  Stück  nur  Gabinie, 
Tragedie  chretienue. 


—     10    — 

er  auch  unhistorischen  Stoffen  allein  den  Namen  des  Helden 
g-ab:  Elpenor.  Schiller  wählte  diesen  Monumentalstil  für  ge- 
schichtliche Fig-uren :  Wallenstcin,  Warbeck,  Demetrius:  den 
Titel  Narbonne  ^)  für  die  Kinder  des  Hauses  gab  er  später  auf. 

Bei  Stülfen  aus  der  Neuzeit  ist  der  blosse  Familienname 
des  Helden  —  für  Heldinnen  war  er  überhaupt  ungeeignet  — 
nicht  gerade  häufig;  noch  seltener  findet  sich  bei  erfundenen 
Stofi'en  der  blosse  männliche  Vorname:  Klingers  „Otto"  wäre 
hier  zu  erwähnen,  der  Geschlechtsname  dieses  Helden  wird 
auch  im  Stück  selbst  nicht  genannt.  Dagegen  hatten  weib- 
liche Voinamen  als  französische  Mode  Verbreitung  gefunden  : 
die  „Eugenie"  des  Beaumarchais,  Brandes'  „Olivie*  und  „Ottilie" 
Gotters  „Mariane"  (nach  La  Harpe's  Melanie),  Goethes  „Stella", 
Sprickmanns  ,.Eulalia",  Bertuchs  und  Klingers  „Elf riede"  gehören 
hierher ;  Schiller  schloss  sich  an  mit  seiner  Elfride  und  wenn 
Frau  von  Stael  recht  berichtet,  so  hätte  er  ihr  für  den  späteren 
Warbeck  den  Titel  Margarete  genannt.  ^) 

Lessing  war  statt  dessen  englischem  Muster  nachgegangen; 
mit  Miss  Sarah  Sampson,  Samuel  Henzi,  Emilia  Galotti  hatte 
er  in  Deutschland  den  vollen  bürgerlichen  Namen  eingeführt 
und  dadurch  eine  neue  Mode  gescliaifen.  ^)  Pfeils  Lucie 
Woodwill,  Schinks  Gianetta  Montaldi,  Wagners  Evchen 
Humbi-echt,  Schiller  endlich  mit  Luise  Millerin,  Friedrich  Im- 
hof,  Wilhelm  Teil  befinden  sich  in  der  Nachfolge. 

Wieder  eine  andere  Reihe  geht  von  Goethes  Götz  von 
Berlichingen  aus ;  an  ihn  schliessen  sich  mit  teils  erfundenen 
teils  historischen  vollen  Adelsnamen  die  Karl  von  Adelsberg 
und  Robert  von  Hohenecken  (Hahn),  Fust  von  Stromberg 
(Maier),  Albert  von  Thurneisen  (Iffland ;  wegen  des  Titels  oft 
fälschlich  für  ein  Ritterdrama  gehalten)  *),  Clara  von  Hohen- 
eichen  (Spiess),  Adelheid  von  Wulfingen  und  Johanna  von 
Montfaucon  (Kotzebue),  endlich  Goethes  eigener  Adalbert  von 

')  Dram.  Nachl.  II,  S.  95.     Kai.  S.  192. 

'')  Kettner,  Vierteljahrschr.  IV,  S.  12.     Schiller  an  Böttiger  10.  Febr. 
1804,  Jonas  VII,  S.  123.     Dram.  Nachl.  I,  S.  XVII. 
=>)  Minor  II,  121. 
*)  Holstein,  üeutsche  Litt.-Denkm.  24,  S.  XXIII. 


—    11   — 

"WeisHng-en  fals  erstes  Stück  des  2teilig"en  Götz);  Schiller  hat 
sich  an  dieser  Moderichtung  seit  seinem  Cosmus  von  Medicis 
nicht  mehr  beteilig-t;  er  schrieb  nicht,  wie  0.  Ludwig-  später 
vorhatte,  einen  Albrecht  von  Waldstein. 

Bei  fürstlichen  Helden  nahmen  die  Ritterdramatiker  den 
Mund  voller  und  kamen  damit  den  Theaterdirektoren  ^)  in 
ihrer  Neio-ung-  für  klanirreiche  Standesbezeiclinung-en  ontg-egen. 
Babo  schrieb  „Otto  von  Witteisbach.  Pfalzgi-af  in  Bayern", 
Hagemann  „Otto  der  Schütz,  Landgraf  von  Hessen".  Hagemeister 
„Waldemar,  Markgraf  von  Schleswig".  Rambach  „Otto  mit  dem 
Pfeil.  Markgraf  von  Brandenburg"  u.  s.  w. ;  Schillers  „Don  Car- 
los, Infant  von  Spanien"  gehört  nicht  in  diese  Reihe,  sondern 
schliesst  sich  an  den  „Hamlet,  Prinz  von  Dänemark"  an;  bei 
den  späteren  historischen  Titelfiguren  blieb  jeder  Zusatz  we^r. 
Dagegen  sind  bei  einigen  Schillerschen  Plänen  überhaupt  nur 
Rang  und  Geschlecht  der  Hauptperson  bezeichnet :  Gräfin  von 
Flandern,  Herzogin  von  Zelle,  Gräfin  v.  Gange,  Gräfin  v.  S. 
Geran ;  es  war  die  bequemste  Form,  den  Stoff  vorläufig  fest- 
zuhalten ;  ob  aber  diese  notizenhaften  Titel  geblieben  wären, 
wissen  wir  nicht ;  findet  sich  doch  neben  der  Gräfin  v.  S.  Geran 
auch  Der  aufgefundene  Sohn.  ") 

Überhaupt  schwankte  Schiller  ott  in  der  Wahl  des  Titels. 
Wenn  sich  während  der  Beschäftigung  mit  dem  Stoffe  das  In- 
teresse an  den  Hauptpersonen  verschob,  blieb  das  nicht 
ohne  Einfluss.  So  ging  er  vom  Grafen  v.  Königsmark  zur 
Prinzessin  von  Zelle  über  ^).  Wenn  Kettner  freilich  behauptet, 
auch  Luise  Millerin  als  Titel  sei  gefallen,  weil  in  der  späteren 
Phase  die  Lady  zu  sehr  in  den  Vordergrund  trat,  so  geht  er 
zu  weit ;  wie  hätte  dann  Don  Carlos  bleiben  können  ?  That- 
sache  ist  aber,  dass  Schiller  nachrechnete,  ob  Titelheld  und 
bedeutendste  Rolle  übereinstimmten.     Während  Lessing  ^)   bei 


')   In  Berlin    wurde    z.   B.  Othello,    Statthalter  in  Cypern,  gegeben 
(Val.  Teichmanns  Litterar.  Nachl.,  hsg.  v.  Dingelstedt  S.  350). 

■)  Stettenheini,  Schillers  Fragment  Die  Polizey,  Berlin  1893,  S.  55. 

')  Kettner,  Schillerstudieu    Progr.  Schulpforta  1894  S.  1  f. 

•*)  An  Karl  G.  Lessing  10.  Febr.  1772,  Lachmanns  Ausg.  XII,  S.  344. 


—     12     — 

Gelegenheit  der  Emilia  Gralotti  diese  Anforderung  ablehnte  und 
sich  auf  die  Alten  berief,  bei  denen  Titelfiguren  überhaupt 
nicht  aufs  Theater  zu  kommen  brauchten,  schreibt  Schiller  an 
Iffland:  „Dieses  zweite  Stück  heisst  Die  Piccolomini  von  den 
beiden,  am  meisten  darin  handelnden  Personen",  und  er  möchte 
ungern  den  fünften  Akt  für  das  dritte  Stück  aufheben,  „weil 
dann  der  Titel  des  Stücks  nicht  gerechtfertigt  würde,  da  es 
nicht  mit  den  Piccolomini  schlösse".^) 

Der  Titelheld  wäre  demnach  rein  äusserlich  betrachtet 
die  Person,  die  im  Stück  am  meisten  zu  thun  hat;  ob  Spieler 
oder  Gegenspieler,  darauf  kommt  es  nicht  an,  auch  lassen 
sich  diese  Freytagschen  Begriffe  für  die  Schillersche  Compo- 
sition  nicht  immer  verwenden;  zur  „Mittelgruppe",  einem  Be- 
griff, den  R.  M.  Werner  ^)  einführt,  würden  Luise  Millerin, 
die  Braut  von  Messina  und  nach  0.  Ludwig  ^)  seihst  Maria 
Stuart  gehören. 

Es  scheint,  dass  für  den  ersten  Tag  des  Wallenstein  ur- 
sprünglich allein  Max  als  Hauptperson  ins  Auge  gefasst  war 
und  das  Stück  nur  „Piccolomini"  heissen  sollte.  ^)  Der  jetzige 
Titel  fasst  zwei  Hauptpersonen  unter  ihrem  Familiennamen 
zusammen,  ebenso  wie  Gottsched  Corneilles  Horace  als  „Die 
Horatier"  herausgab,^)  oder  wie  Brandes  „Die  Mediceer"  schrieb. 

Merkwürdig  ist,  dass  Schiller,  der  so  oft  zwischen  zwei 
Namen  schwanken  musste,  niemals  sonst  das  Gleichgewicht 
herstellte  und  beide  auf  dem  Titel  vereinigte.  Das  Schäferspiel 
pflegte  auf  diese  Weise  seine  Pärchen  aufzuführen,  und  in  der 

')  An  Iffland  15.  Okt.,  28.  Dez.  1798.  Jonas  V,  S.  447,  479. 
Trotzdem  wollte  Schiller  den  Max  nicht  als  eigentliche  Hauptperson  oder 
Helden  des  Stückes  betrachtet  wissen.  (An  Körner  13  Juli  1800  Jon.  VI, 
171  f.) 

')  For,schungen  zur  neueren  Litteraturgeschichte,  Festgabe  für  Heinzel 
1898,  S.  24. 

=')  Werke,  hsg.  v.  A.  Stern  u.  E.  Schmidt  V,  S.  314. 

*)  Fielitz,  Studien  zu  Schillers  Dramen  S.  100.  An  Cotta  21.  Sept. 
98,  Jonas  V,  S.  434.  Schon  am  30.  Sept.  98  schreibt  aber  Schiller  an 
Körner:  „Das  zweite  Stück  führt  den  Namen  von  den  Piccolominis".  Jonas 
V,  S.  437. 

'')  Deutsche  Schaubühne  I,  S.  23.     Waniek  S.  398. 


—     13     — 

Tragödie  war  vor  allem  Shakespeare  dafür  Muster;  Croneg-ks 
Olint  und  Sophronia,  Martinis  Rhynsolt  und  Sapphira,  Ayren- 
hoffs  Herman  und  Thusnelde,  Unzers  Diego  und  Eleonore,  Dyks 
Don  Carlos  und  Elisabeth  u.  a.  zeigen,  wie  beliebt  dieser 
Dualismus  auch  bei  den  deutschen  Dramatikern  des  18.  Jahrhun- 
derts war.  Schiller  dagegen  pflegt  im  Titel  einer  Hauptfigur  die 
anderen  unterzuordnen  und  entspiicht  damit  anscheinend  der 
von  Freytag  aufgestellten  Forderung,  das  Drama  solle  nur 
einen  Haupthelden  haben,  um  den  sich  alle  Personen  in  Ab- 
stufungen ordnen.  ^) 

Damit  kommen  wii-  zur  Beantwortung  der  Frage:  Inwie- 
fern enthalten  diese  Titel  eine  Vorbereitung  des  Publikums, 
wieso  sind  sie  als  Bühnenanweisungen  zu  betrachten?  Mit 
Freytag  zu  sprechen,  ist  es  eine  alte  Erfahrung,  ,dass  dem 
Hörer  nichts  peinlicher  wird,  als  Unsicherheit  über  den  An- 
teil, welchen  er  jeder  der  Hauptpersonen  zuzuwenden  hat". 
Im  29.  Stück  der  Dramaturgie  tadelt  Lessing  aus  diesem 
Grunde  den  verfehlten  Titel  der  Corneillesclien  Rodogune  und 
im  86.  Stück  führt  er  eine  Stelle  Dideiuts  über  die  Brüder 
des  Terenz  an :  „man  weiss  nicht  für  wen  man  sich  interes- 
sieren soll".  -) 

Während  der  Romandichter  alle  Mittel  in  der  Hand  hat, 
seine  Hauptpersonen  von  Anfang  an  als  solche  vorzustellen 
und  ins  rechte  Licht  zu  setzen,  ist  diese  Aufgabe  dem  Dra- 
matiker viel  schwerer  gemacht.  Der  Name  auf  dem  Titel 
muss  bereits  helfen;  das  Publikum  wird  auf  die  erste  Nennung 
im  Stück  aufmerksam  und  sieht  gespannt  dem  Erscheinen  des 
Helden  entgegen. 

Mehr  wollte  Lessing  nicht  vom  Titel:  „Ein  Titei  muss 
kein  Küchenzettel  sein".  ^)    Anders  Diderot:    „Darf   mir  der 

^)  Technik  des  Dramas.     5.  Aufl.  1886.     S.  261  f. 

'■')  Gerade  umgekehrt  Mercier  (Wagners  Übers.  S.  141):  „Dasjenige 
Stück  würde  das  vollkommenste  seyn,  in  welchem  man  nicht  erraten 
könnte,  welches  der  Hauptkarakter  ist".  Für  den  Koaian  entwickelt 
Hermes  eine  ähnliche  Theorie.  E.  Schmidt,  Richardson,  Rousseau  und 
Goethe  S.  37  f. 

')  Hamb.  Dram.  21.  St.  Lachm.-Muncker  IX,  S.  269. 


—    14    — 

Dichter  von  "seinem  Stoffe  nicht  so  viel  wissen  lassen,  als  er 
für  gut  befindet?"'  ^)  Diderot  bedauert  sogar  keinen  mehr- 
sagenden Titel  für  sein  Stück  gefandeu  zu  haben,  als  „Der 
Hausvater".  Und  doch  giebt  er  damit  schon  weit  mehr  als 
den  Hinweis  auf  den  Haupthelden;  mit  dem  Charakter  und 
seiner  Stellung  gegenüber  den  übrigen  Personen  des  Stückes 
bezeichnet  er  die  (jruudbedingungen,  aus  denen  sich  ^die  Hand- 
lung entwickelt. 

Diese  Art  von  l'itel  nahm  Diderot  für  sein  gerne  serieux 
aus  der  Komödie  herüber ;  seine  deutschen  Nachfolger  teilen 
sich  den  Titeln  nach  in  zwei  Crruppcn,  je  nachdem  Beruf  oder 
Charakter  des  Helden  im  Vordergrunde  steht. 

Zur  ersten  Gruppe  gehören  von  Schauspielen  der  im  di- 
rekten Anschluss  an  Diderot  entstandene  „Vormund"  von 
Martini  (1765),  „Der  Minister"  von  Gebier  (1771),  „Der  Hof- 
meister'* von  Lenz  (1774).  xlucli  Iffland  gebraucht  noch  ein- 
mal den  Titel  „Der  V^ormund"  (1795);  im  allgemeinen  aber 
zieht  das  spätere  bürgerliche  Drama  bei  Berufstiteln  den 
Plural  vor,  so  schon  Leuzens  „Soldaten"  (1776),  Ifflands„  Mün- 
del" (1784),  „Jäger"  (1785),  „Advokaten"  (1796),  „Künstler" 
(1801),  „Hausfreunde"  (1805).  Unabhängig  von  dieser  Rich- 
tung steht  Schiller,  wenn  er  nach  antiker  Art  den  Chor  nennt, 
von  dem  der  Hauptheld  sich  abhebt.  ^)  Er  plant  ein  Trauer- 
spiel, „dessen  Handlung  auf  einer  einzigen  männlichen  Figur 
beruht"  ^)  und  nennt  es  „Die  Ritter  von  Malta",  später  „Die 
Maltheser" ;  in  gleicher  Weise  hatte  er  bereits  bei  der  Taufe 
der  „Räuber"  den  Schwerpunkt  seines  Stückes  verschoben.  *) 


^)  Theater  des  Herrn  Diderot  (Lessing)  II,  334. 
*j  So  hai,  auch  Goethe  einmal  seinen  Tancred  als  „Die  Ritter"  bezeich- 
net.    An  Schiller  22.  Dez.  18U0  W.  A.  IV,  Bd.  15,  S.  162. 
=*)  An  Iffland  19.  üov.  1800.     Jonas  VI,  S.  245. 
■•)  In  dem  kursächsischen  Lauchstädt  wurde  das  Stück  6  mal  unter 
dem  Titel  „Carl  Moor"  aufgeführt,  wohl  aus  Censurgrüuden,  denn  ursprüng- 
lich   waren    „Die    Räuber"'    von    Dresden  aus  verboten  worden.     Auch  in 
Leipzig   erschienen   sie  18Ü1    nach    mehr   als  10  jährigem  Verbot  als  Carl 
Moor.     Unter  demselben  Titel  auch  1808    in  Wien.      Dort    wurde   später 


-    16    - 

Rher  hätte  man  beim  „Teil"  einen' Plural  erwartet,  weshalb 
denn  auch  ein  Rezensent  vorwurfsvoll  frag-te,  warum  Schiller 
sein  Drama  nicht  „Die  Kidg-enossenschaft"  irenannt  habe.  ^) 
Endlich  ist  hier  noch  der  Plan  „Die  Polizey'  zu  nennen;  eine 
feste  Corporation,  die  nicht  mehr  als  Chor  zu  bezeichnen  ist, 
giehi  dem  iStück  den  Namen,  wobei  auch  an  Hubers  Heim- 
liches Gericht  und  dessen  Nachahmungen  erinnert  werden  kann. 
Auch  zur  zweiten  Gruppe,  die  einen  typischen  Charakter 
an  die  Öpitze  setzt,  hat  {Schiller  seinen  Beitrag  geliefert:  Der 
Menschenfeind.  Wenn  mit  dem  Charakter  innerhalb  des 
ytückes  eine  Verändeiung-  vor  sich  ging-,  konnte  der  Titel 
diesen  Verlauf  der  Handlung  andeuten:  Lessings  Freigeist 
ging  über  die  Bühnen  als  „Der  beschämte  Freigeist"  (zum 
Unterschied  von  ßrawes  Drama)-);  ^Schiller  tautte  sein  Frag- 
ment in  den   „Versöhnten  Menschenfeind"  um. 

Im  allgemeinen  sind  dies  Komödienlitel ;  als  die  Aufgabe 
der  Komödie  wurde  ja  die  Charaktei'daistellung  angesehen, 
während  die  Tragödie  durch  Handlung  wirken  sollte.  ^)  Also 
hätte  eigentlich  das  äussere  Ereignis  der  Tragödie  den  Namen 
geben  müssen,  was  sich  aber  nicht  entsprechend  häufig  findet. 
Entweder  das  historische  Faktum  wird  ohne  den  Helden  ge- 
nannt: Der  Aufruhr  zu  Pisa  (Hahn),  Der  Sturm  von  Box- 
berg (Maier),  Die  sizilianische  Vesper  (Lenz,  Schiller),  Die  Blut- 
hochzeit zuMoscau"*)  (früher  allein  als  Titel  des  Demetrius  geplant) 
auch  das  Wort  Verschwörung^  aastössig  gefunden  und  nur  der  Titel  „Fiesko" 
zugelassen. 

Burckhardt,  Theat.  Forsch.  I,  S.  44,  129. 

Journal  d.  Lux.  u.  d.  Moden  Sept.  1801,  S.  499. 

Urlichs,  S.  372. 

Horner,  Beil.  z.  AUg.  Zeit.  1897.  Kr.  123,  S.  2,  4  f. 

Laube,  Das  Burgtheater,  S.  77. 

')  Braun  lU,  S.  390,  (Kgl.  priv.  Zeit.  v.  Staats-  u.  Gel.  Sachen,  Ber- 
lin 1804).  Der  Rezensent  d.  Gott.  Gel.  Anz.  möchte  das  Stück  lieber 
„Die  Befreyung  der  Schweizer"  nennen.     Braun  III,  S.  402. 

-)  Hanib.  Dr.  14  Stück  Lachni.-Muncker  IX,  S.  242 ;  auch  in 
Mannheim  trug  das  Stück  diesen  Titel  (Walterj. 

'■')  Lenz  in  seinen  Anm.  ü.  Theater  S.  54  stellt  diesen  Satz  auf  den  Kopf. 

*)  Kai.  S.  192.  Dort  auch  noch  andere  ähnliche  Entwurftitel :  Die 
Begebenheit  zu  Famagusta.     Das  Ereignis  zu  Verona  beim  Römerzug. 


—     16     — 

oder  der  Name  der  Hauptperson  wird  damit  in  Verbindung' 
gebracht:  „Die  Verschwörung  des  Fiesko  zu  Genua".  Öderes 
handelt  sich  allein  um  das  Schicksal  des  Helden :  „Wallensteins 
Abfall  und  Tod"  '),  meist  nur  um  den  Tod:  Klopstocks  Titel 
„Der  Tod  Adams",  „Hermanns  Tod"  und  ebenso  „Wallensteins 
Tod".  Noch  einfacher  ist  es,  nach  Romanart  nur  die  Geschichte  des 
Helden  anzukündigen,  wie  es  Goethe  mit  der  „Geschichte 
Gottfriedens  von  Berlichingen"  und  Lenz  mit  seinem  Neben- 
titel „Die  Geschichte  des  cumbanischen  Prinzen  Tandi"  that, 
oder  dasselbe  wird  durch  Leben  und  Tod  ausgedrückt,  wie 
bei  den  Öhakespeareschen  Historientiteln :  „Life  and  Death  of 
King  Richard  111";  so  KUnger:  „Pinhus  Leben  und  Tod"  und 
Soden:  „Leben  und  Tod  Kaiser  Heinrichs  des  Vierten".  Von 
dem  Leben  allein  spricht  das  versteckte  Schillersche  Öelbst- 
citat  .,Life  of  Moor"'  ').  Da  das  Wort  robber  jedenfalls  im 
Wortschatz  des  Karlsschülers  nicht  fehlte,  so  weiss  man 
nicht,  ob  es  ihm  missfiel  oder  ob  der  Titel  wirklich  einmal 
„Moors  Leben'*  hiess.  (1778  war  ,,Fausts  Leben"  vom  Maler 
Müller  erschienen).  Es  würde  sich  dann  gut  die  geplante 
Fortsetzung  „Räuber  Moors  letztes  Schicksal"  anschliessen.  ^) 

Das  Thema  des  Stückes  konnte  auch  durch  die  Parallele 
zu  einer  bekannten  Fabel  genannt  werden :  Rousseaus  Roman- 
titel mag  Lenz  und  Klinger  zum  neuen  Menoza  und  zur  neuen 
Arria  angeregt  haben.  Gewissermassen  gehört  hierher  auch 
„Der  verlorene  Sohn"  als  erster  Titel  der  Räuber;  hingegen  ver- 
schmähte Schiller  Picards  Lustspiel  als  Die  neuen  Menächmen 
zu  übersetzen  und  nannte  es  ,,Der  Nefife  als  Onkel". 

Hiermit  war  das  Thema  auf  das  einfachste,  selbstverständ- 
liche gegeben,  „das  Sujet",  wie  Schiller  sagt.  Der  Stoff  hat 
für  ihn  seinen  immanenten  Titel;    an  Körner  schreibt    er  von 


')  An  Iffland  15.  Okt.  98  Jonas  V,  S.  448.  Goethe  citiert  den 
dritten  Teil  als  Wallensteins  Abfall  und  Untergang,  W.  A.  I,  Bd.  4Ü  S.  7. 
Ursprünglich  sollte  er  nur  Wallenstein  heissen ;  an  Cotta  21.  Sept.  98 
Jonas  V,  S.  434. 

')  Goed.  I,  S.  1G2. 

"j  An  Xörner  3.  Juli  85,  Jonas  I,  252.  Vgl.  Ilamond,  Les  dernie- 
res  aventures  du  jeune  d'Olban. 


—     17     — 

einer  Tragödie,  deren  Sujet  er  aus  seiner  Erzählung  kenne : 
„Es  sind  die  feindlichen  Brüder  oder  wie  ich  es  taufen  werde, 
die  Braut  von  Messina".   ') 

Der  verlorene  Sohn,  Der  aufgefundene  Sohn,  Der  Haus- 
vater, Der  sich  für  einen  andern  ausgebende  Betrüger  sind 
solche  Probleratitel,  die  Schiller  einstweilen  wählte  unter  dem 
Vorbehalt  einer  späteren  Änderung.  Manchmal  Hess  er  auch 
das  Sujet  stehen,  zum  „verlorenen  Sohn"  kehrte  er  für  die  um- 
geschmolzenen Räuber  zurück-),  „Die  feindlichen  Brüder"  blieben 
als  Xebentitel  ^)  und  als  er  bei  Itfland  Pate  stand,  taufte  er 
dessen  Stück,  an  den  Honnete  criminel  (von  Falbaire)  und  au 
den  späteren  Titel  seines  Sonnenwirts  anklingend :  Das  Ver- 
brechen aus  Ehrsucht. 

Der  zweite  Bestandteil  dieses  Titels  giebt  die  treibende 
Kl  aft  der  Handlung  an  ;  wenn  auch  die  Gegenkraft,  wie  sie 
in  diesem  Oxymoron  angedeutet  ist,  zum  Ausdruck  kommen 
soll,  so  entsteht  die  Titelgattung,  die  Iffland  selbst  liebte.  Im 
bürgerlichen  Drama  kämpfen  nach  Eloessers  Charakteristik  *) 
„die  losgelösten  moralischen  Mächte  um  den  Besitz  des  Men- 
schen" ;  „Liebe  und  Ptiicht  im  Streit"  war  der  frühere  Titel 
(später  noch  Nebentitel)  des  Albert •  von  Thurneisen  gewesen^) 
und  als  Gegengabe  für  die  Taufe  seines  Stückes  schenkte  lif- 
land  den  Namen  „Kabale  und  Liebe". 

In  ähnlicher  Weise  hatte  früher  Kaufmann  über  dem 
Klingerschen  „Wirrwarr"  die  Flagge  „Sturm  und  Drang"  aufge- 
zogen "),  unter  der  späterhin  die  ganze  Geneiation  segeln  sollte. 

Vor  Kabale  und  Liebe  liegen  noch  weiter  Plümickes  „Ge- 
rechtigkeit   und    Grossmuth"    als  Nebentitel    der  Miss   Jenny 

*)  9.  Sept.  1802,  Jonas  VI,  S.  414. 

')  An  Dalberg  6.  Okt.  1781.  Jonas  I,  S.  42  ff.  Nach  Walter  II. 
148  tindet  sich  in  der  Mannheimer  Theaterbibliothek  wirküch  eine  Zu- 
sammenstellung der  ausgeschiiebenen  Rollen  unter  diesem  Titel. 

'■')  Dazwischen  steht  der  Titel :  Die  feindlichen  Brüder  zu  Messina, 
Kai.  S.  192. 

*)  Das  bürgerliche  Drama  S.  9  f. 

"•)  Holstein,  D.  L.  D.  24,  S.  XXII.  Ähnlich  hatte  der  Nebentitel 
von  Heulelds  Julie  geheissen :  Wettstreit  der  Pflicht  und  Liebe. 

'•)  Kieger  1,  1Ü3. 
PalaeBtra  X.'vXII,  '^ 


-     l8     - 

"VVarton  (1775)  und  Brömels  „Gerechtigkeit  und  Rache"  (1783); 
aber  erst  nach  Schillers  Stück  und  vielleicht  nicht  ohne  seine 
Einwirkung  folgt  in  den  neunziger  Jahren  die  ungeheure  Menge 
von  zum  Teil  geschmacklosen  Zusammenstellungen  zweiei-  Ab- 
stracta;  ich  hebe  nur  wenige  heraus:  Kotzebues  „Menschenhass 
und  Reue"  und  Sodens  Fortsetzung  „Versöhnung  und  Ruhe", 
Engels  „Eid  und  Pflicht"  (früher  „Die  Geissei "),  Zieglers 
„Barbarey  und  Grösse",  „Weltton  und  Herzensgüte",  Schmidts 
„Recbtschaffenheit  und  Betrug",  Brandes'  „Unbesonnenheit  und 
Irrtum".  Brandes  arbeitete  auch  seine  Mediceer  als  „Gerech- 
tigkeit und  Naturgefühl"  um  ^).  Nach  und  nach  handelt  es  sich 
gar  nicht  mehr  um  wirkliche  Gegensätze,  die  Titel  wurden 
leer  und  phrasenhaft,  aus  den  zwei  Abstracten  konnten  sogar  drei 
werden  :  Bocks  „Unschuld,  Freundschaft  und  Liebe",  Goethes 
„Scherz,  List  und  Rache",  bis  Grabbe  endlich  vier  Begriffe  häufte. 
Diese  Art  der  Titelgebung  vermag  weit  mehr  als  ein 
Name  die  Neugier  des  Publikums  zu  erregen;  der  oben  er- 
wähnte praktische  Wert  des  Titels,  der  Hinweis  auf  die  Haupt- 
person, bleibt  freilich  unberücksichtigt.  Eine  einfache  Aus- 
kunft war  also  die  Vereinigung  von  beidem,  der  Doppeltitel. 
Gottsched  hatte  ihn  verpönt,  ^)  auch  Lessing  hatte  über 
Voltaires  Doppeltitel  spöttische  Bemerkungen  gemacht,  obwohl 
er  selbst  bei  Minna  v.  Baruhelm  mit  der  Strömung  gegangen 
war.  ^)  Eine  gewisse  Wändertruppentradition  erhielt  sich 
noch  weiterhin  aufrecht  (vgl.  Bodmers  Telldramen  von  1775) 
und  wo  es  die  Dichter  nicht  thaten,  waren  die  Theatei'direk- 
toren    aus    Geschäftsinteresse    freigebig.  *)     Grouegks    Codrus 

')  Brandes,  Meine  Lebensgeschichte.     Berlin  1799  III,  S.  343. 

')  Deutsche  Schaubühne  III,  S.  XXII. 

•')  Nach  Sonnenfels  (Br.  ü.  d.  Wiener  Schaub.  S.  205)  hat  Lessing 
den  Nebentitel  das  „Soldatenglück"  beigefügt,  um  auch  Teilheim,  den  eigent- 
lichen Charakter  der  Charakterkomödie,  zu  seinem  Recht  kommen  zu 
lassen.  ,.Wenn  die  Hauptperson  die  Ehre  haben  muss,  ihn  [den  Namen] 
dem  Stücke  zu  ertheilen,  so  sollte  das  Stück  vielleicht  Minna  und  Teil- 
heim geheissen  haben." 

■*!  Am  Ende  des  Jahrhunderts  galten  die  Doppeltitel  schon  als  markt- 
schreierisch. Siehe  Guttenbergs  Münchner  Theaterjournal  1800  1,  S.  120; 
„Uat  aber   ein  Stück    von    dem  DicLter   nach  Hecht,    und  Billigkeit,    nur 


—     19     — 

wurde  1766  in  Mannheim  von  der  Porsch'schen  Truppe  als 
„Codrus,  der  für  sein  Vaterland  sterbende  König"  oder  Unver- 
änderliciie  Hoheit  einer  könig-lichen  Seele  in  Glück  und  Un- 
glück" aufgeführt ;  ^)  Üalberg  gab  später  dem  Julius  Cäsar  den 
Nebentitel  „Die  Verschwörung  des  Brutus" ;  Schröder  nannte 
Calderons  Alcalden  „Amtmann  Graumann  oder  die  Begeben- 
heiten auf  dem  Marsch".  Besonders  aber  waren  die  Titel  der 
llgnerschen  Truppe  berüchtigt  -)  z.  B.  „Minna  von  Barnhelm 
oder  Der  Major  mit  dem  steifen  Arme"  ;  „Romeo  und  Julia  oder 
Der  unvermuthete  Ausgang  auf  dem  Kirchhof" ;  „Clavigo  oder 
Das  Leichenbegänguiss".  Auch  der  Titel  von  Schillers  erstem 
Stück  fand  bei  Schikaneder  und  andern  herumziehenden  Trup- 
pen eine  ähnliche  Bereicherung:  Die  Räuber  oder  üer  Fall 
des  Moorschen  Hauses.  '^) 

Die  beiden  Titel  können  zwar  auch  den  Helden  oder  die 
Handlung  doppelt  bezeichnen ;  in  weitaus  den  meisten  Fällen 
handelt  es  sich  jedoch  um  die  Kombination  von  Hauptperson 
und  „Sujef. 

So  sind  auch  Schillers  eigene  Doppeltitel  zu  verstehen; 
während  in  „Narbonne  oder  Die  Kinder  des  Hauses"  die  Haupt- 
person später  aufgegeben  wurde,  ist  in  den  beiden  andern 
Fällen  das  ursprünglich  aufgenommene  Sujet  „Die  feindlichen 
Brüder"  und  „Die  Bluthochzeit  zu  Moskau"  hinter  den  später 
gewählten  Titel  getreten. 

Zur  Vervollständigung  muss  noch  auf  eine  weitere 
Gruppe  hingewiesen  werden ;  der  Titel  kann  dem  Theaterzettel 
bereits  in  der  Angabe  von  Schauplatz  oder  Zeit  des  Stückes 
zuvorkommen. 

Mit  der  Abstammung  des  Helden  wird  oft  der  Schauplatz 

einen  Titel  erhalten  und  der  Theater-Direktion  fällt  es  ein,  einen  zweiten 
dazu  in  t'abricieren,  so  trägt  dieser  Uebelstand  zugleich  das  Gepräge  von 
den  äro- liehen  Spekulationen  kleiner  Theater  an  sich,  welchen  ihre  An- 
schlagzettel das  sind,  was  die  Lockvögel  dem  Vogelsteller !" 

>)  Pichler,  Chronik,  d.  Hof-  u.  Islat.-Theat.  zu  Mannheim  S.  19. 

')  Theater-Kai.  1783  S.  65  ff. 

^)  Homer,  Die    ersten  Aufführungen    der  Jugenddramen  Schillers  in 

Wien.     BoU.  zur  AUg.  Zeit.  1897  ür.  123  S.  2. 

6  2* 


—     20     — 

genannt:  Prinz  von  Dänemark,  Infant  von  Spanien.  Dabei 
war  unter  Umständen  auf  die  geographischen  Kenntnisse  des 
Publikums  Rücksicht  zu  nehmen:  Turandot  wurde  von  der 
sächsischen  Theatertruppe  als  „Prinzessin  von  Schiras"  aufge- 
führt; vor  dem  Leipziger  Messpublikum  aber  wünschte  Opitz 
den  Titel  in  „Prinzessin  von  Persien"  verändern  zu  dürfen.  ^) 
Natürlich  braucht  es  nicht  immer  der  Schauplatz  zu  sein, 
Bergers  Galora  von  Venedig  spielt  in  Florenz,  Cumberlands 
Westindier  und  Voltaires  Schottländerin  führen  diese  Titel  ge- 
rade weil  die  Hauptpersonen  aus  ihrer  Heimat  verschlagen 
sind,  wie  denn  Kotzebue  in  ähnlichen  Fällen  beide  Länder 
nannte:  Die  Spanier  in  Peru,  Die  Indianer  in  England.  Die 
Handlung  von  Goethes  Mädchen  von  Oberkirch  sollte  nur  in 
Strassburg  spielen  und  Die  Jungfrau  von  Orleans  beliält  den 
hergebrachten  Namen  vom  Ort  ihrer  Heldenthaten,  der  niemals 
der  Schauplatz  des  Schillerschen  Stückes  ist;  ^)  zweifelhaft  ist 
der  Student  von  Nassau;  Schiller  nahm  diesen  Plan  auf,  als 
er  vom  Selbstmord  eines  Studenten  aus  Nassau  gelesen  hatte.  ^) 
Zeitangaben  auf  dem  Titel  kommen  erst  wieder  zu  Ende 
des  Jahrhunderts  vor;  die  Schicksalstragödie  legte  später 
Wert  auf  den  „Tag  des  Schicksals  "(Müllner),  den  vierundzwan- 
zigsten und  neunundzwanzigsten  Februar.  Das  Genaueste 
aber  in  einer  Verbindung  von  Ort  und  Zeit  hat  Kotzebue 
geleistet:  „Die  Hussiten  vor  Naumburg  im  Jahre  14:32";  und 
in  derselben  Richtung  vervollständigte  ein  späterer  Bearbeiter 
des  Fiesco  auch  Schillers  Titel:  Fieskos  Verschwörung  wider 
die  Doria  im  Jahre  1548.  "*) 


Beim  Überfliegen  des  Bühnenrepertoires  hat  sich  ergeben, 
wie  weit  Schiller  an  den  meisten  Titelmoden  seiner  Zeit  An- 
teil hatte;  trotzdem  muss  es  gelingen,  für  das  Charakteristische 

')  Körner  an  Schiller  5.  März  1802. 

0  Jean  Barnet  nannte  sein  Stück :    l'histoire  tragique  de  la  Pucelle 
de  Dom  Remy  autrement  d'Orleans. 
')  Weltrich  1,  S.  151. 
*)  Minor  II,  S.  606. 


—     21      — 

seiner  Titelgebung-  etwas  Bestimmendes  zu  finden.  „Ihr  hört 
am  Titel,  dass  es  nicht  von  mir  ist",  konnte  Goethe  bei  der 
Ankündigung  des  Hofmeisters  schreiben  ');  eine  so  tendenziöse 
Form  des  Nebentitels,  die  ironische  Überschrift  einer  Abhand- 
lung über  Vor-  und  Nachieile  der  Privaterziehung,  war  für  ihn 
allerdings  unmöglich.  Wie  bereits  erwähnt,  setzte  Goethe  über 
beinahe  alle  Dramen  (nicht  Lustspiele)  den  Namen  der  Person, 
die  aktiv  oder  passiv  den  Mittelpunkt  der  Handlung  bildet; 
auch  die  Natürliche  Tochter  war  der  Teil  einer  Trilogie 
Eugenie  und  für  die  Aufgeregten  ist  als  früherer  Titel  Breme 
von  Bremenfeld  bekannt. 

So  einfach  nahm  Schiller  die  Aufgabe  nicht ;  er  suchte 
Titel.  Für  unhistorische  oder  der  grossen  Menge  nicht  be- 
kannte Stoffe  war  ihm  ein  Personenname  zu  blass.  Dem 
Streben  nach  Farbe  entspringt  daher  die  häufige  Nennung  des 
Schauplatzes,  wobei  übrigens  auch  die  rhythmische  Wirkung 
mitgesprochen  haben  kann  (Die  Ritter  von  Malta,  Die  Jung- 
frau von  Orleans,  Die  Kinder  des  Hauses,  Die  Braut  von 
Messinaj.  Bei  aller  Prägnanz  liebte  er  ein  hingeworfenes 
Fragezeichen,  das  auf  die  Lösung  eines  Geheimnisses  neugierig 
macht  (Die  Braut  in  Trauer)  -).  und  wenn  nach  Schopenhauer') 
der  Titel  ein  Monogramm  des  Inhaltes  sein  soll,  so  tragen  die 
Stücke  Schillers  wirklich  zum  Teil  verschlungene  Initialen 
statt  eines  nüchternen  Aufdruckes. 


')  W.  A.  IV,  Bd.  2  S.  158. 

•)  Den  gleichen  Titel  trägt  übrigens  ein  in  Homes  Grundsätzen  der 
Kritik  häufig  citiertes  Stück  von  Congreve,  das  bereits  J.  E.  Schlegel 
fragmentarisch  übersetzt  hatte.  Auch  Schink  begann  später  eine  Über- 
setzung, der  er  den  Titel  „Hass  und  Liebe"  gab  (Litterar.  Fragmente. 
Graz  1785  II,  221  ff.) 

')  Werke  hsg.  v.  Grisebach,  Bd.  V,  S.  534. 


22     — 


2.  Oattimg  und  Aktzahl. 

Der  vorhergehende  Abschnitt  hat  sich  allein  mit  den 
Tragödien-  und  Drameutiteln  der  Schillerschen  Zeit  beschäftigt, 
wobei  die  Komödien  ausser  Acht  blieben.  Es  hat  sich  indess 
gezeigt,  dass  Titel,  auf  die  früher  allein  das  Lustspiel  ein 
Anrecht  gehabt  hatte,  auch  für  das  ernste  Drama  aufkamen. 
Allerdings  war  es  auch  neuer  Inhalt,  der  in  die  neuen  Schläuche 
floss.  In  Frankreich  war  es  Diderot,  der  zwischen  den  Polen 
der  hohen  Tragödie  und  der  Komödie  Zwischenstationen  er- 
richtete ;  von  Seiten  des  Lustspiels  sollte  das  genre  serieux, 
von  Seiten  des  Trauerspiels  die  tragedie  domestique  et  boui'- 
geoise  die  Kette  schliessen.  ^)  Den  Mustern,  die  Diderot  selbst 
für  die  eine  Gattung  schuf,  gab  er  den  Namen  comedie,  während 
Lessing  den  pere  de  famille  und  den  fils  naturel  als  „Schau- 
spiele" übersetzte.  Für  die  andere  Art  hatte  Lessing  selbst 
schon  vorher  einen  Beitrag  geliefert,  nachdem  er  in  der  Thea- 
tralischen Bibliothek  bei-eits  das  „bürgerliche  Trauerspiel"  der 
Engländer  erwähnt  hatte.  ^)  Sogar  Gottsched  hatte  sich 
dieser  neuen  Richtung  nicht  verschlossen  und  in  der  4.  Auf- 
lage seiner  Critischen  Dichtkunst  für  die  comedie  larmoyante 
des  Nivelle  de  la  Chaussee  den  Namen  „bürgerliches  oder  ade- 
liges Trauerspiel"  vorgeschlagen.  Damit  hatte  er  sich  moder- 
ner gezeigt  als  Joh.  El.  Schlegel,  der  nur  „Handlungen  hoher 
Personen,  welche  Leidenschaften  erwecken"  als  Trauerspiele 
anerkannte  und  Handlungen  niedriger  Personen  von  derselben 
Wirkung  unter  die  Komödien  einreihte.  ^) 

Beaumarchais  in  Franki-eich  blieb  ebenso  wie  Lessing 
nicht  bei  dem  Ausdruck  comedie  für  das  genre  serieux  stehen; 
seine  „Eugenie"  ging  als  drame  in  die  Welt,  ebenso  „Die  beiden 
Freunde".    Als  Mercier  dann  seinen  Neuen  Versuch  verfasste, 


')  Theat.  d.  H.  Diderot  (Lessing)  II,  S.  236. 

")  Lachm.-Muncker  VI,  S.  6  f. 

")  Deutsche  Litt.-Denkm.  26  S.  207. 


—     23     — 

war  die  Gattung  des  Dramas  in  Deutschland  bereits  reich 
eraporgebliiht,  während  er  in  Frankreich  noch  darum  kämpfen 
musste.  ^)  Nach  ihm  sollte  der  g'anz  allgemein  gefasste  Be- 
griff Drama  die  Form  sein,  in  die  jeder  Inhalt  gegossen  werden 
könnte.  „Fallt,  fallt  ihr  Mauern,  die  ihr  die  Gattungen 
trennt!"  rief  er  aus,  „der  Dichter  muss  eine  freye  Aussicht 
in  ein  unermessliches  Feld  haben".  ^) 

Es  wurde  in  der  That  Bresche  gelegt,  und  als  die  beiden 
bisher  in  reinlicher  Trennung  parallel  fliessenden  Ströme  in 
einander  mündeten,  entstand  ein  Strudel,  in  dem  die  Poetik  ihren 
Kurs  nicht  gleich  zu  flnden  wusste. 

Auf  der  einen  Seite  suchte  man  das  Gebiet  der  Tragödie 
zu  erweitern :  Sulzer  will  ,,.jede  theatralische  Vorstellung  einer 
wichtigen  und  pathetischen  Handlung"  hierher  rechnen ;  für 
ihn  ist  ,,die  Tragödie  von  der  Komödie  blos  durch  die  grössere 
Wichtigkeit  und  den  hohen  Ernst  ihres  Inhalts  ausgezeichnet''.') 
Den  Gegensatz  dazu  stellt  Lenz  dar;  er  biegt  seine  innerlich 
tragischen  Stoffe  zu  glücklit-lien  Schlüssen  um  und  nennt  sie 
Komödien;  aber  auch  für  bluttriefende  Themata  vermeidet 
er  das  Wort  Tragödie :  entweder  sucht  er  das  alte  „Haupt-  und 
Staatsaktion''  *)  hervor  oder  er  greift  auf  das  Gebiet  einer 
anderen  Kunst  hinüber:  Die  sizilianische  Vesper,  ein  histori- 
sches Gemälde.  Gemälde  ist  dabei  ein  indifferenter  Begriff, 
denn  auch  die  Komödie  nennt  er  ein  Gemälde  der  mensch- 
lichen Gesellschaft,^)  inid  die  tragikomischen  „beiden  Alten"  ge- 
hören zu  den  ersten  ..Familiengemälden''. 


')  Mercier,  Neuer  Versuch  (Wagner)  S.  143.  Überhaupt  galt  im 
Auslande  das  rührende  Drama  als  specifisch  deutsche  Gattung,  Tieck,  Krit. 
Sehr.  IV,  237. 

■)  Neuer  Versuch  S.  139. 

■')  Theorie  der  schönen  Künste  1771  II,  1109.  Er  hätte  sich  dabei 
auf  Leasing  berufen  können.  (Elamb.  Dram.  55.  Stück.  Lachm.-Muncker 
X  S.  15.) 

')  Graf  Heinrich,  Dram.  Nach).,  hsg.  v.  Weinhold.  Trauerspiel  und 
Staatsaktion  werden  in  den  Anmerkungen  übers  Theater  S.  52  gleichge- 
stellt. 

•■)  Selbstrezension  des  Neuen  Menoza  in  d.  Frankf.  gel.  Anz.  U.  Juli 
1775. 


—     24     — 

Wagner  wiederum  schreibt  als  Gefolg-smann  Merciers  ein 
„Schauspiel'',  das  mit  zwei  Toten  und  einer  Wahnsinnigen 
endet.  Endlich  hatte  selbst  Lessing  sich  in  jenen  Jahren  auf 
keinen  umgrenzten  Begriff  eingelassen  und  für  seinen  Nathan 
im  Anschluss  an  Voltaire  ^)  die  allerweiteste  Bezeichnung  ge- 
wählt: „Dramatisches  Gedicht". 

Es  darf  uns  nicht  wundern,  wenn  wir  bei  seinem  ersten 
Auftreten  auch  den  jungen  Schiller  unsicher  sehen.  Wenn  er 
bei  den  „Räubern"  vom  Schauspiel  zum  Trauerspiel  überging, 
so  machte  keine  innere  Veränderung  diesen  Wechsel  notwen- 
dig; auch  besprach  er  im  Wirtem bergischen  Repertorium  das 
Stück  nach  wie  vor  als  Schauspiel,  obwohl  er  die  Bühnen- 
bearbeitung ausdrücklich  zu  Grunde  legte.^)  Gerade  umgekehrt 
war  es  mit  dem  Fiesko ;  auch  mit  gutem  Schluss  gab  er  dies 
Stück  noch  immer  als  Trauerspiel  an  die  Bühne. 

Andere  Gründe  als  die  Unsicherheit  der  Terminologie 
werden  sich  kaum  finden  lassen;  bei  den  „Räubern"  könnte 
man  sogar  späterhin  gerade  die  umgekehrte  Entwickelung  er- 
kennen :  das  Stück  war  ein  Trauerspiel,  solange  es  mit  dem 
gewissen  Tode  Moors  endete ;  sobald  der  Dichter  aber  an  eine 
Fortsetzung  des  Stoffes  dachte,  wurde  es  ein  Schauspiel.  Da- 
mit nähern  wir  uns  wenigstens  der  späteren  Terminologie 
Schillers,  mit  der  er  zu  Goethe  in  Gegensatz  steht:  Goethe 
nennt  bereits  die  natürliche  Tochter  mit  Rücksicht  auf  die 
ganze  Trilogie  „ein  Trauerspiel"  ;  Schiller  bezeichnet  so  erst 
die  Katastrophe  seines  Wallenstein ;  ^)  die  Piccolomini  gehen 
als  Schauspiel  voi'aus ;  der  ganze  Komplex  heisst  „dramati- 
sches Gedicht". 

Ebenso,  aber  mit  anderer  Bedeutung,  hatte  er  den  Don 
Carlos  genannt.  Während  Kabale  und  Liebe  von  selbst  in 
die    Gattung    des    bürgerlichen    Trauerspiels    hineingewachsen 

*)  Die  Ghebern  heissen  poeme  dramatique ;  E.  Schmidt,  Lessing 
2.  Aufl.  II  S.  360. 

')  Goed.  II,  S.  354. 

*)  An  Körner  30.  Sept.  1798,  Jonas  V.  S.  487.  „Das  dritte  Stück 
heisst  "Wallenstein  und  ist  eine  eigentliche  vollständige  Tragödie  :  die  Picco- 
lomini können  nur  ein  Schauspiel,  der  Prolog  ein  Lustspiel  heissen". 


—     25     — 

war,  hatte  Schiller  hier  wieder  unschlüssig"  g-estanden.  Er 
musste  vor  der  Kritik  auf  der  Hut  sein,  die  sich  auf  jede  zu 
anmassend  klingende  Bezeichnung  grestürzt  hätte;  denn,  hatte 
Lessing-  die  Methode  aufg-ebracht.  bei  BesprechuuL'en  mit  Titel 
und  Charakter  des  Stückes  zu  beginnen,  so  waren  ihm  Nach- 
ahmer erstanden,  bei  denen  pedantische  Haarspalterei  zur  Ma- 
nier wurde.  H.  L.  Wagner  wollte  darum  nachträg-lich  seine 
Kindermörderin  nur  ,.fürs  Cabinet"  g-eschrieben  h^ben  ^) ; 
Schiller  leugnete  bei  den  Räubern  von  vornherein  den  Gedanken 
an  eine  Aufführung  ab  und  entschuldigte  seine  freie  Technik 
in  der  Vorrede  als  die  eines  dramatischen  Romans.  Den  Dom 
Carlos  nun  nennt  zwar  die  Vorrede  in  der  Rheinischen  Thalia 
bereits  auf  der  ersten  Zeile  eine  „Tragödie"  und  spricht  von  der 
Möglichkeit,  dass  gewinnsüchtige  Scbauspieldirektoren  das 
Stück  vor  der  Zeit  auf  ihr  Theaterschaifot  schleppen  würden: 
im  dritten  Heft  der  Thalia  aber  wird  alles  ängstlich  zurück- 
genommen: das  Pamilieng-emälde  aus  einem  königliehen  Hause 
ist  kein  Theaterstück.  Wenn  Schiller  sich  endlich  für  die 
Bezeichnung  des  Lessingschen  Nathan  entschied,  so  scheint  er 
damit  den  Begriff  der  Unaufführbarkeit  zu  verbinden  ''),  denn 
die  Bühnenbearbeitung-en  heissen  wieder  , Trauerspiel". 

Die  späteren  Dramen  besitzen  die  Hühnenform  ;  auch  in 
der  Fknennung  fühlt  sich  Schiller  nunmehr  sicher  und  wenn 
in  den  Titellisten  die  Polizey  als  Trauerspiel,  Schauspiel  und 
Lustspiel  begegnet,  so  ist  dieser  Wechsel  in  völligen  Ver- 
schiedenheiten des  Planes  begründet.  ') 

Die  antik-französischen  und  deutschen  Bezeichnungen  sind 
für  Schiller  im  Wesentlichen  gleichbedeutend.  In  den  Ent- 
würfen der  Maltheser  wechselt  Tragödie  und  Trauerspiel;  in 
seinen  Briefen  und  theoretischen  Schriften  zieht  er  Tr^tgödie 
vor;   im    Druck   trag-en    die    Stücke  dafür  meist  die  deutsche 

')  Vorrede  zu  Evchen  Humbrecht;  E.  Schmidt,  Wagner  2.  Aufl.  S.  96. 

•)  Nathan  der  Weise  konnte  nach  Döbbelins  missglücktem  Versuch 
a783)  als  unauff'ührbar  gelten.  E.  Schmidt,  Lessing  2.  Aufl.,  II,  S.  415. 
Im  Jahre  1801  wurde  in  Magdeburg  und  Weimar  die  Bühne  dafür  erobert 
Friedr.  Ludw.  Schmidt,  Denkwürdigkeiten,  hsg.  v.  Uhde  I,  84  ff. 

',)  Stettenheim,  Schillers  Fragment  Die  Polizey  S.  39. 


—     26     — 

Benennung  und  al>;  er  bei  der  Jungfrau  von  Orleans  einmal 
eine  Ausnahme  macht,  hat  er  deshalb  gleich  einen  Rezensenten 
auf  dem  Hals,  der  hinter  dem  „zweydeutigen"  Wort  Tragödie 
etwas  sucht.  ^) 

Die  Tragödie  erfordert  den  tragischen  Tod  des  Helden : 
so  weit  hatten  sich  nach  der  Verwirrung  der  siebziger  Jahre  die 
Begriffe  wieder  geklärt:  Stella  wurde  1805  aus  dem  Schau- 
spiel zum  Trauerspiel ;  Wilhelm  Teil  wurde  im  Gegensatz 
zum  Bühnen -Fiesco,  obwohl  auch  er  eine  wichtige  und  pathe- 
tische Handlung  darstellte,  Schauspiel  '')  genannt,  und  ebenso 
hiess  Torquato  Tasso,  der  unserem  modernen  Gefühl,  wenn 
auch  nicht  unbestritten ,  als  Trauerspiel  gilt.  Voq  den 
Romantikern  scheint  dann  der  Vers  als  die  der  Tragödie  not- 
wendig eigene  Foi  m  angesehen  worden  zu  sein ;  danach  klingt 
es  wenigstens,  wenn  A.  W.  Schlegel  den  Italienern  empfiehlt, 
ihre  Tragödien  zum  Teil  in  Prosa  zu  schreiben  und  dann 
historische  Dramen  zu  nennen.  ^)  —  Zwischen  Drama  und 
Schauspiel  mag  eine  kleine  Verschiedenheit  des  Gebrauches 
festgestellt  werden ;  als  Charakter  einzelner  Stücke  kommt 
Drama  im  Laufe  des  Jahrhunderts  immer  mehr  ab  (nur  als 
lyrisches  Drama,  Monodrama,  Duodrama  hält  es  sich);  in  der 
Poetik  dagegen  bewahi't  es  den  besonderen  Inhalt,  den  es 
durch  Beaumarchais  und  Mercier  empfangen  hatte.  Bis  auf 
Euripides  fühien  Goethe  und  Wilhelm  von  Humboldt  diese 
Gattung  zurück  :  ,,es  sind  mehr  menschliche  Leidenschaften 
und  Gesinnungen;  es  ist  nicht  mehr  die  tragische  Furcht  und 
der  Schrecken,  es  ist  mehr  Rührung".  *)  Goethe  selbst  hat 
die  Aufgeregten  ein  politisches  ,, Drama"  genannt,  ohne  damit 
gerade  diese  Definition  ganz  zu  erfüllen;  als  typisches  Beispiel 
der  Gattung,  die  das  Unauflösliche  durch  Rührung  beiseite 
bringt,  führte  er  selbst  Kotzebues  „Schauspiel"  Menschenhass 

>)  Braun  III,  275. 

0  In  einem  etwa  aus  dem  Jahre  1802  stammenden  Titelverzeichnis 
steht  auch  der  Teil  als  Tragödie.  Kai.  S.  192.  Kettner,  Schillerstudien, 
Progr.  Schulpforte  1894  S.  2. 

")  Werke  V,  S.  368. 

')  Goethes  Briefw.  m.  d.  Gebr.  Humboldt  (Bratranek)   S.  77,  111. 


—      27      — 

und  Reue  an;   auch  Schillers  Menschenfeind  und    Die  Kinder 
des  Hauses  wären  in  diesem  Sinne  Dramen  geworden. 

Sie  heissen  „Schauspiel",^)  ebenso  wie  die  ersten  Räuber 
und  Wilhelm  Teil.  Anderen  z'?ito'enössischen  Dramatikern  war 
diese  umfassende  Bezeichnung'  zu  alltremein.  Das  von  Klopstock 
aus  dem  Tacitus  hervor;j"esuchte  fremdarti.t'e  Wort  Bardiet 
übersetzte  Babo  für  seine  Römer  in  Teutschland  als  „drama- 
tisches Heldengedicht";  ein  „heroisches  Schauspiel"-)  nennt 
er  die  Strelitzen ;  ebenso  hatte  Thamos,  König-  v.  Aegypten 
von  Frhr.  v.  Gebier  ..heroisches  Drama"  geheissen.  Wenn 
darin  die  Absicht  lag-,  einer  Verwechslung*  mit  dem  bürg-er- 
lichen  Drama  —  dem  Drama  schlechthin  —  auszuweichen, 
so  wollte  auch  dieses  wiederum  nichts  mit  dem  historischen 
Schauspiel  zu  thun  haben  und  drückte  seinen  Verzicht  auf 
g-rosse  Handlung  mit  dem  Wort  .,Gemälde"  aus.  Aus  der 
Poetik  der  Schweizer  ^)  hatte  Lenz  diese  Bezeichnung  über- 
nommen ;  auf  Die  beiden  Alten  folgt  das  „Familiengemälde" 
Nicht  mehr  als  .sechs  Schüsseln  von  Giossmann  und  das  „bür- 
gerliche Familiengemälde"  Der  Vetter  aus  Lissabon  von  Schröder. 
Wenn  Iftland  danach  ein  „ernsthaftes  Familiengemälde"*)  schrieb, 
so  setzte  er  offenbar  Familiengemälde  gleich  Komödie,  indessen 
bedeutet  das  Wort  schlies.slich  dasselbe,  was  Goethe  und 
Humboldt  mit  „Drama"  ausgedrückt  hatten;  so  nennt  A.  W. 
Schleg-el  die  Elektra  des  Euripides  ein  „Familiengeraälde  in 
der  heutigen   Bedeutung  des  Wortes."  ^) 


'l  Den  versöhnten  Menschenfeind  allerdings  bezeichnet  Schiller  in 
der  Thalia  als  Trauerspiel,  obwohl  Titel  und  Exposition  auf  guten  Schluss 
deuten.     Körner  dagegen  spricht  vom  Schauspiel. 

■)  Dryden  wollte  das  ..heroische  Schauspiel"  als  neue  Gattung  er- 
funden haben.     A.  W.  Schlegel,  Werke  VI,  S.  359. 

^)  Servaes,  Die  Poetik  Gottscheds  u.  d.  Schweizer  Qu.  u.  F.  LX 
S.  73  ff.     Weinhold,  Dio  sicilian.  Vesper,  Einl. 

')  Verbrechen  aus  Ehrsucht.  Mannheim  1784. 

'")  Werke  V,  161.  Auch  Schiller  stellt  Dramen  (Mitteldinge  zwischen 
Lustspiel  und  Trauerspiel)  und  die  beliebten  Familiengemälde  zusammen 
Goed.  X,  154. 


—     28     — 

Schiller,  der  die  Räuber  als  das  Gemälde  einer  verirrten 
grossen  Seele  ankündigte,  den  Menschenfeind  als  Charakter- 
gemälde und  d(^n  Don  Carlos  zweimal  als  Familiengemälde  aus- 
gab (das  eine  Mal  war  es  ihm  kaum  ernst  damit),  ^)  dachte 
dabei  nicht,  diesen  Ausdruck  als  Untertitel  zu  gebrauchen. 
Bei  anderen  Dramatikern  dagegen  findet  nach  Lenz  das  „his- 
torische Gemälde"  ')  weitere  Pflege;  Meicier  schrieb  in  Frank- 
reich sein  Portrait  de  Philippe  II;  in  Deutschland  gehören 
hierher  das  „historische  Gemälde"  Graf  Peter  der  Däne  von 
Fr.  V.  Kleist,  das  „romantische  Gemälde"  Johanna  von  Mont- 
faucon  von  Kotzebue  und  Sodens  „historisch-romantisches 
Gemälde"  Franz  von  Sickingen,  bis  die  Schicksalsdramen  so- 
gar ein  „Schaudergemälde"  als  Titel  hervorbrachten.  ^) 

Bei  dem  neutralen  „Gemälde"  treffen  also  bürgerliches 
und  heroisches  Drama,  die  sich  hatten  aus  dem  Wege  gehen 
wollen,  wieder  zusammen ;  da  jedoch  das  metaphorische  Wort 
einen  Zusatz  erforderte,  blieb  die  Scheidung  leicht  möglich. 

Angefangen  hatte  man  mit  diesen  Zusätzen  noch  vor 
Aufkommen  des  Dramas  bei  dem  Trauerspiel ;  Cronegk  hatte 
ein  ,,Christhches  Trauerspiel"  geschrieben,  eine  tragedie  sainte 
im  Gegensatz  zur  antikisierenden  französischen  Tragödie,  der 
er  in  seinem  ersten  Stücke  gefolgt  wai'.  Das  ,, bürgerliche" 
Trauerspiel    suchte    einen    ähnlichen  Gegensatz,  und  nachdem 

')  Minor  II,  S.  543. 

*)  Die  Bezeichnung  soll  nebenher  —  ebenso  wie  sie  Schiller  für  den 
Don  Carlos  angewandt  hatte  —  als  Entschuldigung  für  eine  freiere  dra- 
matische Form  dienen ;  Kotzebue  spricht  dies  deutlicli  im  Vorbericht  zu 
Gustav  Wasa  und  Bayard  aus :  „Nicht  als  eigentliche  Schau-  oder  Trauer- 
spiele, bitte  ich  den  Leser  und  Beurteiler  diese  beiden  Werke  zu  betrach- 
ten ;  sondern  als  historisch-dramatische  Gemälde".  Auch  beim  Wallenstein 
schreibt  Schiller  an  Goethe  (18.  Nov.  1796,  Jonas  V,  113),  wenn  der  Stoff 
die  Qualifikation  zur  Tragödie  nicht  besitze,  wolle  er  ihn  trotzdem  nicht 
aufgeben,  sondern  wenigstens  ein  würdiges  dramatisches  Tableau  daraus 
machen.  Schon  in  den  Khein.  Beitr.  z.  Gelehrsamkeit  3.  Heft.  1.  März 
1779  S.  192  heisst  es  :  „Unter  historischen  Gemälden  scheint  man  gemei- 
niglich nichts  mehr  zu  verstehen,  als  in  Gespräche  übersezte  einzelne 
Auftritte  und  besondere  Lagen  aus  der  Geschichte,  welche  diser  Art  von 
Vergegenwärtigung  fähig  sind". 

'■')  Freisleben,  Schaudergemälde  aus  der  wirklichen  Welt.  I^eer  1828. 


—     29     — 

einmal  die  Stände  auf  der  Bühne  ihre  Rolle  spielten,  konnte 
ein  „militärisches  Drama"  ^j  entstehen,  ein  „ländliches  Schau- 
spiel" "),  ein  „ländliches  Familieng-emälde"  ^),  ein  „Künstler- 
Schauspiel"  •*),  ein  „Ordensgemälde"  ^)  und  dazwischen  eine 
Menge  von  „Ritterschauspielen".  ^)  Wenn  der  Götz  auch 
„vaterländische  Stücke"  nach  sich  zog-,  so  war  damit  bereits 
eine  Tendenz  ausgesprochen  ;  einen  Schritt  weiter  ging  Schiller, 
indem  er  das  „republikanische  ")  Trauerspiel"  Fiesko  schiieb; 
er  suchte  darin  eine  gewisse  Fühlung  mit  dem  Publikum, 
wenn  auch  nicht  so  intim,  wie  Goethes  (und  nach  ihm  Klin- 
gers) ^)  „Schauspiel  für  Liebende" ;  Tieck  nennt  einmal  diesen 
Untertitel  einen  ungenügenden  Prolog.  ') 

Mit  Hinweisen  auf  den  Inhalt  des  Stückes  kann  sich  auch 
im  Untertitel  eine  Vorbereitung  auf  Schauplatz  und  Zeit  ver- 
binden. Die  Bezeichnung  Ritterschauspiel  weist  in  das  Mittel- 
alter; noch  deutliciier  waren  Bezeichnungen,  wie  „ein  Denkmal 
der  Barbarey  des  dreyzehnten  Jahrhunderts"^")  oder  ein  „Schau- 
spiel aus  den  Zeiten  des  Faustrechts".  ") 


')  Arno,  ein  müitärisches  Drama  v.  Babo  177ü.  Eine  AufzähJuug 
der  mannichfaltigsten  Untertitel  bei  Koberstein  Gesch.  d.  d.  Nationallitt. 
5  Aufl.  III,  S.  400. 

■)  Wälder,  ein  ländliches  Schauspiel  mit  Gesang  v.  Gotter. 

•')  Die  Jäger,  ein  ländliches  Faniiliengemälde  von  Iffland.  Zach. 
Werner  schwankte  später  für  seinen  24.  Februar  zwischen  ,, Trauerspiel" 
und  „ländlichem  Famiiiecgemälde"  Teichm.  S.  331. 

*)  Lenz,  Katharina  von  Siena,  Dramat.  Nachl.  (Weinhold)  S.  144. 

^)  Zach.  Werner,  Die  Templer  auf  Cypern. 

")  So  nannte  Goethe  selbst  1809  seine  zweiteilige  Bühnen bearbeitung 
des  Götz. 

')  In  der  Bühnenbearbeitung  blieb  das  aufreizende  Attribut  weg. 
Übrigens  suchte  Schiller  hierin  vergebens  mit  dem  Mannheimer  Publikum 
Fühlung:  5.  Mai  1784  anReinwald:  ^Republikanische  Freiheit  ist  hier  zu 
Lande  ein  Schall  ohne  Bedeutung  —  ein  leerer  Name  —  in  den  Adern 
der  Pfäizer  fliesst  kein  römisches  Blut". 

*)  E.  Schmidt,  Lenz  und  Klinger  S.  81. 

")  Ges.  Sehr.  v.  Lenz  I,  Einleit.  S.  XXXIV. 

'")  Kotzebues,  Adelheid  v.  Wulfingen  1789. 

")  Ziegler,  Die  Pilger  1792.     Mathilde,  Gräfin  v.  Giessbach, 


—  äoir— 

Während  „vaterländisch'"  die  Bezeichnung-  für  auf  dem 
Heimatboden  spielende  t5tücke  war,  wurde  der  exotische  Schau- 
platz, ebenso  wie  die  fernliegende  Zeit,  durch  das  Wort  „ro- 
mantisch" ausgedrückt.  Es  war,  wie  A.  W.  Schlegel  sagt,  ^) 
die  Fratze  des  Romantischen,  die  an  diesen  in  Peru,  Kam- 
tschatka oder  der  Ritterzeit  spielenden  Rührstücken  die  Menge 
anzog;  und  so  wurde  ,,auf  hundert  Komödienzetteln  der  Name 
Romantisch  an  rohe  und  verfehlte  Erzeugnisse  verschwendet 
und  entweiht". 

Mit  einer  anderen  Absicht,  als  Kotzebue,  gebrauchte 
Schiller  dieses  Beiwort;  bei  der  Jungfrau  von  Orleans  war 
es  ihm  darum  zu  thun,  das  Publikum  für  das  wunderbare  Ein- 
greifen einer  höheren  Macht  gläubig  zu  stimmen. 


Für  eine  weitere  Aufgabe  des  Untertitels  hielt  es  die 
französische  Tragödie,  die  Form  des  Stückes  anzugeben :  en 
cinq  actes  et  en  vers  lautete  die  gebräuchhche  wenig  logische 
Zusammenstellung.  Als  nun  im  Laufe  des  Jahrhunderts  die 
Prosa  in  Deutschland  zur  Regel  wurde,  kam  diese  Bezeich- 
nung ab.  Ayrenhoff  war  einer  der  Letzten,  die  daran  fest- 
hielten; '^)  alleinstehend  blieb  später  Kotzebues  Versuch,  mit 
der  Einführung  des  Verses  auch  diese  Ankündigung  wieder 
anzubringen:  „Gustav  Wasa,  ein  Trauerspiel  in  Jamben".  ^) 
Diese  beiden  Dichter  treffen  übrigens  zufällig  auch  in  einem 
andei-en  Punkte  zusammen  ;  Ayrenhoff  macht  lange  vor  Schiller, 
Kotzebue  im  gleichen  Jahre  "^j  mit  der  Braut  von  Messina  den 
Zusatz  „mit  Chören"  ;  bei  beiden  handelt  es  sich  um  allge- 
meine Gesänge.  „Hier  gewiss  Chöre,  nicht  der  Chor,  wie  bei 
den  Griechen",  sagte  indessen  Tieck  auch  von  dem  Schiller- 
schen  _Stück.  ■')     Zwischen  Ayrenhoff  und  Kotzebue  liegen  die 

')   Werke  Bd.  VI,  S.  432. 

■)  Hernian  und  Thusnelde,  Trauerspiel  in  Versen.  Thiumelicus  oder 
Hermaus  Rache,  Trauerspiel  in  Prosa  mit  Chören. 

')  So  wenigstens  auf  dem  Wiener  Theaterzettel.  Laube,  Burg- 
theater S.  79. 

*)  Die  Hussiten  vor  Kaumburg  inj  Jahre  1432. 

'•)  Krit.  Sehr.  II,  S.  347. 


Stolberg.schen    ..Schauspiele    mit  Chören",    Erneuerungen    der 
Antike,  die  auf  Schiller  nicht  ohne  Eindruck  blieben.  ^) 

Als  Schiller  zuerst  an  die  Einführung  des  Chores  dachte, 
wollte  er  auf  die  Akteinteilung-  verzichten  und  fragte  Goethe, 
woher  denn  diese  Einiichtung  überhaupt  stamme.  -')  Die 
Regel  geht  auf  die  ars  poetica  zurück.  Wieland  aber  ^)  sah 
darin  nur  einen  Scherz  des  Horaz,  dass  er  die  Regel,  „die 
der  elendeste  Stümper  so  gut  beobachten  kann,  als  ein  Äscliy- 
los",  als  eine  Sache  von  der  ersten  W'ichtigkeit  behandelte. 
Vorher  hatte  schon  Joh.  El.  Schlegel  über  das  Recept  des 
Abbe  von  Aubignac,  der  den  Akt  schlechthin  als  cinquieme 
partie  du  Poeme  draraatiiiue  delinierte,  gespottet:  „Die  aller- 
leichteste  Art,  ein  Stück  von  gegebener  Grösse  in  .5  Aufzüge 
zu  theilen  ist,  wie  man  eine  Linie  in  5  Theile  schneidet.  — 
Der  Poet  nimmt  sich  vor  eine  gewisse  Anzahl  Verse  zu 
machen  und  wenn  er  den  5  ten  Theil  davon  fertig  hat,  nennet  er 
es  Aufzug.  "*)  Ähnlich  hatte  in  der  That  Gottscheds  ernst- 
gemeinte Regel  gelautet.  '")  In  Frank  reich  nennt  erst  Mercier 
das  Gesetz  lächerlich,  das  jedes  Theaterstück  in  fünf  Akte 
zwingen  will :  seine  eigene  Produktion  weist  3,  4  und  5aktige 
Dramen  auf ;  nur  der  Philippe  IL  hat  52  Scenen  und  keine 
Akteinteilung.  Dieses  Stück  ist  aber  nicht^  wie  man  anneh- 
iLen  sollte/')  für  die  Bühne  unmöglich;  die  vier  Schauplatzan- 
gaben beginnen  jedesmal:  le  theatre  represente  .  .  .  ,  das 
Ganze  besteht  aus  sechs  Sceuenkomplexen  auf  gleichem  Schau- 
platz, die  Mercier  vielleicht  nur  deshalb  nicht  Akt  zu  nennen 


')  Schiller  au  Körner  15.  Nov.  1802,  7.  Januar  1803,  Jonas  VI,  428, 
VII.  S.  2. 

')  An  Goethe  8.  Dez.  93.     Jonas  V.  S.  296. 

Creizenach,  Gesch.  d.  neueren  Dramas  II,  S.  486. 

^)  Wieland,  Horazens  Briefe  aus  dem  Lat.  übers.  Leipzig  1790  S.  204. 
A.  W.  Schlegel,  Werke  VI,  S.  27. 

*)  D.  L.  U.  26  S.  40. 

^)  Crit.  Dichtk.  (1730)  S.  57L 

•"')  Neuer  Versuch  (Wagner)  S.  334  f.  Es  darf  nicht  missverstanden 
werden,  wenn  Minor  II,  477  von  der  „monströsen  Form  von  52  Scenen 
ohne  jeden  Abschnitt"  spricht. 


—     32     — 

wagte,  weil  er  nicht  über  die  Fünf  zahl  hinausgehen  wollte. 
(Einen  Öcenenwechsel  innerhalb  des  Aktes  gestattet  er  ja 
nicht.)  Aber  „auf  dem  deutschen  Theater  geht  alles  an", 
heisst  es  in  dem  sechsaktigen  Triumph  der  Empfindsamkeit  ^) 
und  Merciers  Übersetzer  Wagner  streckte  als  doktrinärer  Re- 
volutionär seine  eigenen  Stücke  in  ein  sechsaktiges  Schema. 

In  die  gleiche  Lage  kamen  die  Shakespearebearbeiter, 
aber  gezwungener  Weise.  Wenn  Schröders  zweite  Hamletbe- 
arbeitung -)  und  Dalbergs  Julius  Cäsar  sechsaktig  erschienen,  so 
war  daran  keine  Verschiebung  des  Auf  baus  schuld,  sondern 
ein  bühnentechnischer  Grund :  Verwandlungen,  die  nicht  auf 
oifener  Scene  zu  bewerkstelligen  waren.  Da  der  Vorhang 
innerhalb  eines  Aktes  nicht  herunterging,  war  das  Publikum 
gewöhnt  an  seinem  Fallen  die  Zahl  der  Aufzüge  nachzurech- 
nen. Solange  der  Vorhang  auch  zwischen  den  Akten  nicht  fiel, 
war  die  Angabe  der  Aktzahl  auf  dem  Theaterzettel  überhaupt 
nicht  notwendig;  in  der  That  scheint  sie  erst  später  aufge- 
kommen zu  sein;  Friedr.  Ludw.  Schmidt  ^)  nennt  1750  als 
das  Jahr. 

Aus  der  Identität  von  Akt  (Abhandlung,  Handlung)  und 
Aufzug  entwickelte  sich  nun  eine  vorübergehende  Bedeutungs- 
verschiedenheit ;  während  Aufzug  die  Bezeichnung  für  die 
äusserlich  sichtbaren  Einschnitte  wurde,  bedeutete  Akt  nach 
wie  vor  die  innere  Gliederung.  Gemmingen  konnte  so  weit 
gehen,  das  eine  dem  anderen  unterzuordnen;  sein  „deutscher 
Hausvater"'  ist  in  der  ersten  Ausgabe  in  fünf  Akte  eingeteilt, 
von  denen  die  ersten  vier  aus  je  zwei  Scenen  bestehen. 
Zwischen  diesen  „Scenen"  durfte  der  Vorhang  nicht  fallen. 
Die  dritte  Ausgabe  setzt  dagegen  statt  Scene  ,, Aufzug"  ein, 
und  stolz  auf  diese  Neuerung  hält  sich  nun  der  Dichter  für 
berechtigt,  den  Vorhang  neunmal  fallen  zu  lassen.  •*)  Das- 
selbe Verfahren    beobachtete   die  Mannheimer  Bühne    bei    der 

'J  W.  A.  I  Bd.  17,  S.  63. 
O  Litzmann,  Schröder  II,  S.  202f. 
^)  Almanach  18U9,  S.  56. 

■')  D.  Nat.  Litt.  13Ü,  1  S.  14.  Flaischlen,  Gemmingen  S.  39  f. 
Übiigens  gestand    die  Kritik    dieses  Auskunftsmittel   nicht   allgemein   zu, 


—     33     — 

Aufführung  der  Räuber;  „der  Vorhang  fiel  zweimal  zwischen 
den  Scenen  .  .  .  und  so  entstanden  sieben  Aufzüge"  berichtet 
Schiller  selbst  ^) ;  das  Mannheimer  Bühnenmanuskript  spricht 
von  sieben  Handlungen,  der  Schwansche  Druck  des  Trauer- 
spiels dagegen  behält  die  fünf  Aufzüge  bei. 

Der  gleiche  Gegensatz  zwiischen  Dichtung  und  Theater- 
bearbeitung begegnet  uns  noch  bei  zwei  späteren  Stücken  Schillers. 
Die  Hamburger  Bühnenbearbeitung  des  Don  Carlos  nennt  der 
Dichter  in  einem  Brief  an  Schrödeisiebenaktig;  das  von  Möller-) 
herausgegebene  Hamburger  Manuskript  hat  zwar  nur  fünf  Akte, 
aber  trotzdem  lassen  sich  die  beiden  Einschnitte  erkennen,  die  ein 
Fallen  des  Vorhanges  bedingen:  IV,  i  beginnt  mit  einer  Situation 
(König,  vor  ihm  die  Infantin);  in  V,  7  bleibt  Posas  Leichnam 
auf  der  Bühne;  beidemale  also  kann  sich  der  Dekorations- 
wechsel nicht  ohne  weiteres  bei  offener  Bühne  vollziehen.  ^) 

An  der  sechsaktigen  Zusammenziehung  des  ,, Wallenstein" 
für  das  Mannheimer  Theater  *)  Avar  Schiller  unbeteiligt ;  dagegen 
ging  nach  seiner  Einrichtung  die  „Jungfrau  von  Orleans" 
sechsakiig  über  die  Bühne.  Und  eigentlich  hat  die  Bühnenaus- 
gabe hier  sogar  recht;  schon  bei  der  Ausarbeitung  des  Planes 
hatte  Schiller  geklagt,  dass  sich  der  Stoff  nicht  in  wenig  grosse 
Massen  ordnen  wolle  und  dass  er  ihn  in  Absicht  auf  Ort  und 
Zeit  in  zu  viel  Teile  zerstückeln  müsse  ^) ;  die  Scene  in  Dom 


siehe  Reichards  Theater-Journal  für  Deutschland  St.  XXI  S.  39.     Frh.  v. 
Drois,  Dramaturgischer  V^ersuch  über  den  teutschen  Hausvater. 

'j  Goed.  II,  S.  373. 

'■)  18.  Dez.  86.  Jonas  I,  320.  Merkwürdigerweise  plante  Seh.  da- 
mals eine  Buchausgabe  in  neun  Akten. 

Müller,  Studien  zum  Don  Karlos,  Greifswald   1896.     Dazu  Elster, 
Anz.  f.  d.  Alt.  24,  S.  193. 

^)  Auf  den  zweiten  Einschnitt  weist  auch  noch  eine  Stelle  in  dem 
späteren  Brief  an  Schröder  (-4.  Juli  87,  Jonas  I,  S.  349)  hin :  „oder  Sie 
lassen  den  Vorhang  mit  Albas  letzten  Worten  fallen :  Ich  gebe  Madrid 
den  Frieden  —  und  ziehen  ihn  mit  der  Scene  auf,  wo  er  mit  Feria  zu- 
rückkommt.    Schade  aber  für  Lermas  letzte  Scene  mit  Carlos". 

*)  Walter  II,  S.  155.  Kilian,  Der  einteilige  Theaterwallenstein, 
Berlin  1901,  S.  86. 

')  An  Goethe  26.  Juli  1800,     Jonas  VI,  S.  176. 

PulaeHtra  XXX:iI.  8 


—     34     — 

Rem)'  ist  nun  nicht  wie  Wallensteins  Lag-er  ein  vorkompö- 
nierter  Prolog,  sondern  ein  aus  Überfluss  an  Stoff  abgestossener 
erster  Akt  ebenso  wie  das  später  geplante  Deinetriusvoispiel, 
das  ,,bald  dem  Wallensteinschen,  bald  dem  Orleanischen  ähn- 
lich sein  sollte"  ^).  Das  eine  (von  der  Orleans'schen  Art) 
wäre  jedenfalls  die  Scene  in  Sambor  gewesen:  als  das  an- 
dere fasse  ich  die  Landbotenscene  im  Wirtshaus  auf  („diese 
Scene  dient  der  Hauptscene  zum  dramatischen  Pi'ologus")  '^) ; 
beide  gehören  in  den  Entwürfen  noch  dem  ersten  Akte  an. 

Indem  Schiller  solche  Amputationen  vornahm,  erkannte 
er  das  Gesetz  der  Fünfzahl  an;  wo  sich  die  Einteilung  nicht 
von  selbst  ergab,  erreichte  er  sie  durch  Kunstgriffe;  nachdem  die 
Teilung  des  Wallenstein  vollzogen  ist,  schreibt  er  an  Goethe 
über  das  letzte  Stück:  „Ich  habe  es  endlich  glücklicher  weise 
arrangieren  können,  dass  es  auch  fünf  Akte  hat"  ''). 

Nach  Frey  tags  Technik  des  Dramas  sollte  sich  jeder 
Stoff  unter  den  Händen  des  Dichters  von  selbst  in  fünf  Teile 
zerlegen;  Anatomie  der  Tragödie  ist  das  Wort,  das  Henke 
ungefähr  zur  gleichen  Zeit  schuf.  Für  Schiller,  aus  dem 
diesei-  Satz  zum  guten  Teil  abstrahiert  ist,  mag  er  meistens 
zutreffen ;  es  ist  keine  Tüftelei,  wenn  man  aus  dem  Zweitage- 
werk Wallenstein  noch  die  fünf  Akte  der  ersten  Konzeption  er- 
sehen will  *).  Auch  in  den  zwei  Stücken,  die  nach  antikem 
Muster  die  Akteinteilung  überhaupt  verschmähen,  finden  sich 
solche  Spuren.  Eine  von  den  ersten  Aufzeichnungen  zu  den 
Malthesern  spricht  von  dem  Chor  zwischen  dem  I\'.  und  V". 
Akt  ^)  und  auch  die  „Braut  von  Messina"  gliedert  sich  durch 
Verwandlung  der  Dekoration  in  fünf  Teile.  Auf  dem  Theater 
würden  aber  ihrer  Kürze  halber  der  zweite  und  dritte  Ab- 
schnitt veieinigt;  in  Weimar  wurde  das  Stück  als  „Trauerspiel 
mit    drey    Pausen''    aufgeführt    und    da.^  Hamburger  Theater- 

')  Tag-  und  Jahreshefte  1805.     W.  A.  I,  Bd.  35  S.  191. 
')  Dram.  Nachl.  I,  S.  XXI,  LXVI,  111,  128  ff,  168. 
")  7.  März  1799.     Jonas  VI,  S.  17. 
*)  Bellermann  II,  S,  51  ff. 
'•)  Dram.  ^'achl.  II,  S.  2. 


—     35     — 

manuskript  brachte  die  Einteilung  in  vier  Akte  auf,  die  in  die 
meisten  späteren  Ausgaben  überging. 

Als  Bühnenpraktiker  also  legt  Schiller  auf  die  Aktzahl 
keinen  Wert;  ihm  gilt  ein  ähnliches  Zweckmässigkeitsprinzip, 
wie  es  Gottsched  und  später  Öulzer  ausgesprochen  hatten: 
eine  ohne  Unterbrechung  fortlaufende  Handlung  würde  die 
Zuschauer  ermüden  ');  für  den  inneren  Aufbau  dagegen  ist 
ihm  die  von  Gottsched  gedankenlos  nachgesprochene  Regel  des 
Horaz  wesentlich : 

Neve  minor  quinto  neu  sit  productior  actu 
Fabula. 


3.  Persoiienverzeichnis. 

Unter  den  Personen  Verzeichnissen  der  Schillerschen  Dramen 
nimmt  das  des  „Fiesko"  eine  Sonderstellung  ein.  Das  Be- 
streben, von  voinherein  mehr  anzugeben,  als  Namen,  Stand 
und  Beziehungen  der  Personen,  geht  wohl  im  Keim  auf  Di- 
derot zurück.  In  der  Abhandlung  Von  der  dramatischen 
Dichtkunst,  die  er  an  seinen  Hausvater  angehängt  hat,  finden 
sich  Mitteilungen,  in  welchem  Costüm  die  Personen  bei  einer 
etwaigen  Aultuhrung  auftreten  sollten  -).  Als  Vorschriften 
für  die  Schauspieler  waren  diese  Bemerkungen  von  Wert,  aber 
sie  brauchten  nicht  in  die  Hände  des  Publikums  zu  gelangen ; 
trotzdem  lag  es  zu  nahe,  sie  im  Druck  mit  dem  Personenver- 
zeichnis zu  verbinden,  und  Beaumarchais  that  diesen  Schritt. 
In  dei-  „Eugenie"  schickt  er,  abgesondert  von  der  Rubrik  Ac- 
teurs  ein  zweites  Personenregister  voraus  mit  dei-  Überschrift: 
Habillement  des  persounages  suivant  le  costume  de  chacun  en 


•)  Grit.  Dichtk.  S.  570.     Theorie  d.  schönen  Künste  I,  S.  168  ff. 

-)  Tüeater  des  Herrn  Diderot  (Lessing)  II,  S.  281  ff.  Das  bürger- 
liche Drama  übernahm  die  genaue  Beobachtung  des  Äusseren  vom  eng- 
lischen Roman ;  andererseits  näherte  sich  dieser  dem  Drama,  indem  er 
Personenverzeichnisse  voranstellte,  z.  B.  Richardsons  Grandison. 


—     36     — 

Aug-leterre  ^) ;  in  den  „beiden  Freunden"  findet  sich  ohne 
Kostümvorschriften  hinter  den  Namen  eine  kurze  Charakteristik 
z.  B.  homme  vif,  honnete,  franc  et  naif;  der  „tolle  Tag" 
vereinigt  beides:  Caracteres  et  habillements  de  la  piece. 

Abgesehen  davon,  dass  schon  im  Titel  Andeutungen  über 
Äusseres,  Kostüm,  Charakter  des  Helden  enthalten  sein  konnten 
(„Der  Mohr  von  Venedig",  „Götz  von  Berlichingen  mit  der 
eisernen  Hand",  „Nathan  der  Weise"),  wird  eine  Geschichte 
des  Theaterzettels  zeigen,  wie  sich  schon  seit  früher  Zeit  der- 
artige Angaben  gelegentlich  in  das  Personen  Verzeichnis  ein- 
schlichen. Ben  Jonson  z.  B.  giebt  einmal  ein  zweites  Per- 
sonenverzeichnis :  The  character  of  the  persons  -),  und  Moliere 
beschi'eibt  genau  das  Kostüm  seines  Malade  imaginaire ;  in 
Deutschland  finden  wir  eine  Kostümbeschreibung  als  Zuthat 
des  Bearbeiters  Koimart  zu  Corneilles  ,,Polyeucte";  später  in 
den  Personenverzeichnissen  der  Wiener  Staatsaktionen  ^);  auch 
Lessings  „Dame  in  Trauer"  ist  schliesslich  eine  Kostüm  Vorschrift*). 

Der  Charakter  einer  Person  wird  bei  Weisse  bezeichnet: 

„Richard  der  Dritte,  Protector  von  Engelland,  der  sicli  aber  durch 
seine    Ränke    auf    den   Königlichen    Thron 
erhoben" 
und  ähnlich  heisst  es  in  Lenzens  Öicilianischer  Vesper : 

„Johann  von  Procida,  ein  übelgesinnter  Sizilianer". 
Noch  weitei'  geht  Lenz  in  „Die  Freunde    machen    den  Philo- 
sophen", wo  er  ganz  Nebensächliches  beifügt : 

„Strephon,  ein  junger  Deutscher,  reisend  aus  philosophischen  Ab- 
sichten. 

Don  Alvarez,  ein  Grand  d'Espagne,  ursprünglich  aus  Granada,  der 

nicht  lesen  und  schreiben  kann". 

^  ')  In  einer  deutschen  Übeisetzung  der  „Eugenie"  o.  0.  1768  fehlt 
dieses  Vetzeichnis.  Im  gleichen  Jahre  1767  wurde  das  Personenverzeich- 
nis der  Eugenie  von  Voltaire  in  „Le  Depositaire"  nachgeahmt.  Hinter 
einzelne  Personen  hatte  bereits  das  Verzeichnis  der  „JS'anine"  (1749)  die 
kurze  Charakteristik  gesetzt. 

-')  In  Every  man  out  of  bis  humour,  ähnlich  in  The  new  inn. 

^)  Karl  Weiss.  Die  Wiener  Staatsaktionen  S  71,  72  f. 

■*)  Eine  noch  genauere  teilt  Laube  aus  einem  alten  Wiener  Theater- 
zettel mit:  „Eniilia,  eine  junge  Wittwe  in  tiefer  Trauerkleidung  mit  einem 
Schleyer  über  den  Kopf'.   (Burgtheater  S.  24), 


—     37     — 

An  Stolle  von  diesen  launenhaften  Beispielen  novellistischen 
Charakters  ^)  findet  sich  die  volle  Konsequenz  bei  zwei  deut- 
schen Nachfolgern  Beaumarchais',  die  ungefähr  zu  gleicher 
Zeit  auftreten.  Wagners  „Evchen  Hurabrecht"  (1779)  ahmt 
das  Kostümverzeichnis  der  Eugenie  mit  peinlich  genauer  Be- 
schreibung der  Strassburger  Trachten  nach ;  der  andere  ist 
Gemmingen  (1780)  in  der  dritten  Ausgabe  seines  ,, Deutschen 
Hausvaters"  ^),  wo  das  Kostüm  kurz  abgethan  wird  und  die 
Chai'akteristik  der  Personen  weit  wichtiger  ist.  Dann  folgt 
chronologisch  der  «Fiesko*,  darauf  erst  der  „tolle  Tag"  (1784) 
und  weitere  deutsche  Nachahmungen  in  Gotters  „Erb- 
schleichern" (1789)  und  Kotzebues  „Octavia"  (1801),  wo  es 
sich  wiederum  lediglich  um  Kostümangabe,  in  Zschokkes 
„Abällino"  (1795)  und  „Julius  von  Sassen"  (1796),  wo  es 
sich  um  die  Charakteristik  handelt. 

Die  Anregung  für  das  Personen  Verzeichnis  des  Fiesco 
ist  also  wohl  bei  dem  deutschen  Hausvater  zu  suchen;  nur 
fügt  Schiller  noch  Alter  und  Äusseres  hinzu.  Während  nun 
Wagner  und  Gemmingen  erst  in  späteren,  ausdrücklich  der 
Bühne  gewidmeten  Beai'beitungen  diese  Angaben  machen, 
stehen  sie  bei  Schiller  im  ersten  Druck  und  fallen  in  der 
Bühnenbearbeitung  weg;  es  wäre  aber  falsch,  daraus  die  Be- 
stimmung für  den  Leser  zu  folgern;  die  lakonische  Imperativ- 
form, die  zu  den  ganz  subjektiv  gehaltenen  Bemerkungen 
Gemmingens  kontrastiert,  beweist  das  Gegenteil.  Eine  richtige 
Teilung  nimmt  der  Druck  der  Bülinenbearbeitung  in  der  Augs- 
burger Deutschen  Schaubühne  ^)  vor,  mit  dem  Schiller  nichts 
zu  thun  hat.  Der  für  das  Publikum  bestimmte  Theaterzettel 
geht  voraus;  die  Vorschriften  über  Maske  und  Kostüm  sind 
losgelöst  und  am  Schlüsse  des  Stückes  beigefügt.  Diese 
Teilung  gilt  auch  hier;  alle  für  die  Schauspieler  bestimmten 
Angaben  sind  erst  später  zu  behandeln. 

')  Man  darf  darin  vielleicht  manchmal  Rudimente  des  Entwurfes 
sehen ;  so  gab  z.  B.  Lessing  in  den  Entwürfen  gern  eine  vorläufige  Cha- 
rakteristik der  Personen.     (Lachm.-Muncker  IIJ,  S.  252,  262,  299,  323). 

'j  riaischlen,  Gemmingen  S.  92. 

•'')  Varianten  teüweise  bei  Goed.  III  als  C  mitgeteilt, 


—      38     — 

Zeitpunkt  des  Personen  Verzeichnisses.  Die 
erste  Frage  ist :  Welchen  Punkt  in  der  Entwicklung  des 
Stückes  fasst  das  Personen  Verzeichnis  ins  Auge?  Steht  es 
gerade  an  der  Schwelle  oder  verrät  es  bereits  Veränderungen, 
die  erst  innerhalb  des  Stückes  geschehen  und  enthüllt  es  That- 
sachen  aus  der  Vergangenheit,  die  zu  Beginn  der  Handlung 
noch  niemandem  bewusst  sind  ?  Das  Publikum  kann  mit  der 
Gesamtheit  der  Personen  des  Stückes  auf  die  gleiche  Stufe 
der  Unwissenheit  gestellt,  es  kann  mit  den  Geheimnissen  ein- 
zelner Personen  vertraut  gemacht,  es  kann  auch  bereits  zur 
Allwissenheit  des  Dichters  erhoben  werden. 

Zum  Teil  wird  ein  Unterschied  schon  aus  den  Gattungen 
hervorgehen ;  komische  Situationen  werden  erzielt  durch  den 
Kontrast  zwischen  dem  eingeweihten  Zuschauer  und  den  han- 
delnden Personen,  die  ahnungslos  im  Dunkeln  tappen ;  man 
kann  also  Diderots  Wort  wiederholen,  die  Exposition  der  Ko- 
mödie müsse  gewissermassen  schon  im  Anschlagzettel  (dans 
l'affiche)  gegeben  sein  '),  Eine  tragische  Komödie  freilich  wie 
Lenzens  ,, Neuer  Menoza",  wo  die  Geschwister  wie  die  Paare 
im  Contretanz  ausgewechselt  werden,  musste  auf  Überraschung 
des  Zuschauers  ausgehen.  Ebenso  erfordert  die  Anlage  des 
Dramas  zumeist,  dass  sich  vor  dem  PubUkum  die  Wahrheit 
erst  langsam  entschleiere.  Nach  Lessing  wollen  freilicii  nur 
die  Franzosen  und  vor  allem  die  Italiener  überrascht  sein; 
er  meint,  der  Dichter  brauche  das  Publikum  nicht  zu  über- 
raschen; „er  überrasche  seine  Personen,  so  viel  er  will". 
Lessing,  der  so  weit  geht,  auch  die  Prologe  des  Euripides, 
die  schon  die  Inhaltsangabe  des  Stückes  vorausgeben,  gegen 
Hedelin  zu  verteidigen,  nimmt  als  Fundament  seiner  Aus- 
führungen ein  langes  Zitat  aus  Diderot  auf  -). 

Der  Theoretiker  Diderot  hätte  gern  schon  auf  dem  Titel 
seines  Hausvaters  die  Verwandtschaft  zwischen  dem  Comthur 
und    Sophie   angedeutet:     „Um    wieviel    würde  das  Interesse 


0  Theat.  d.  Herrn  Diderot  (Lessing)  II  S.  344  f. 
*)  Hamb     Dram.  48.-n0.  Stück.      Lachm.  -  Muncker  IX,  S.  387    ff. 
Ebenso  Schink,  Dramaturg.  Monate  I,  53, 


—     39     — 

nicht  gewachsen  seyn,  wenn  man  gewusst  hätte,  dass  das 
jung-e  Mädchen,  ....  die  er  so  hitzig  verfolgt,  ....  seine 
eigene  Nichte  ist?'"  Aber  in  der  Praxis  hat  er  doch  mit  dem 
Geheimnis  zurückgehalten,  und  Sophie  heisst  auf  dem  Per- 
sonenverzeichnis nur  eine  „junge  Unbekannte"  ^). 

Umgekehrt  war  man  zur  Zeit  der  Wandertruppen  ver- 
fahren ;  auf  einem  Neuberschen  Theaterzettel  der  Racineschen 
..Iphigenia"'  (von  Gottsched  übersetzt)  heisst  es: 

„Eriphile,  eine  Prinzessin,  die  selbst  ihre  Eltern  nicht  weiss,  hernach 
aber  als  eine  Tochter  des  Theseus  und  der  schönen 
Helena   erkannt  wird'  ■). 

Im  Cato  war  neben  dem  vorgeblichen  Namen  auch  der 
echte  genannt:  ..Arsene  oder  Porcia"*;  ähnlich  in  Goethes 
Stella  :  „Cäcilie,  anfangs  unter  dem  Namen  Öommer*' :  beide 
Male  liegt  das  Geheimnis  nicht  im  Namen,  sondern  in  den 
Beziehuntren,  die  vorläufig  unaufgedeckt  bleiben.  Gerade  die 
Hälfte  des  Geheimnisses  kann  der  Theaterzettel  vorausgeben, 
während  er  den  Schlüssel  noch  versteckt  hält ;  ein  Beispiel  ist 
auch  Recha,  die  angenommene  Tochter  des  Nathan. 

Nun  kann  aber  auch  der  Zuschauer  ganz  im  Dunkeln 
bleiben,  ja  er  kann  sogar  auf  eine  falsche  Spur  gelockt  werden. 
So  steht  z.  B.  in  Zschokkes  Abällino  dieselbe  Figur  zwei- 
mal unter  verschiedenem  Namen  auf  dem  Theaterzettel;  oder 
in  Ifflands  ,, Spieler"  heisst  es : 

„von  Posert,  vormals  Hauptmann  in  Genuesischen  Diensten", 
obwohl  dieser  Glücksritter  am  Ende  des  Stückes  als  der  Ga- 
lanteiiekrämer  Mo.sel  aus  Ulm  entpuppt  wird.      Und   Goethes 
Geschwister  wären  in  ihier  Wirkung  geschädigt,  wenn  im  Per- 
sonenverzeichnis nicht  Maiianne  als  Wilhelms  Schwester  stünde. 

Bei  der  Iphigenie  war  wegen  der  Bekanntheit  der  l'abel 
eine  Überraschung  ausgeschlossen ;  es  war  also  praktisch 
gleichgiltig,  ob  konsequenter  Weise  die  Beziehungen  ver- 
schwiegen, oder  ob  sie  genannt  wurden,  wie  J.  El.  Schlegel  es 
bereits  auf  dem  früheren  Titel  seines  Stückes  gethan  hatte  ')• 

»)  Theater  (Lessings  Übers.)  II,  S.  334. 

-)  V.  Reden-Esbeck,  Caroline  Neuber  S.  173. 

•■')  Die  Geschwister  auf  Taurien  (später  Orest  und  Pylades). 


—     40     — 

Für  Schiller  dagegen  gab  es  im  ähnlichen  Falle  keine 
Wahl;  in  der  ,, Braut  von  Messina"  darf  der  ahnende  Zu- 
schauer vor  den  handelnden  Personen  immer  nur  gerade  einen 
Schritt  Vorsprung  haben;  der  erste  Vorsprung  besteht  darin, 
dass  er  der  Vertraute  beider  Brüder  zugleich  wird ;  aber  er 
darf  nicht  mehr  wissen  als  jeder  einzelne  der  Brüder:  den 
blossen  Namen  Beatrice. 

Ebenfalls  auf  eine  Geschwistererkennung  läuft  der  Stoff 
der  „Kinder  des  Hauses"  hinaus.  Hier  scheint  Schiller  noch 
kein  Personenverzeichnis  entworfen  zu  haben;  er  hätte  darin 
jedenfalls  dieselbe  Zurückhaltung  bewahrt  wie  in  der  Nieder- 
schrift des  Planes,  wo  er  mit  Erzählungskunst  alle  Spannung 
beobachtete  und  vor  der  Erkenn ungsscene  die  Verwandtschaft 
von  Saintfoix  und  Adelaide  nicht  durchblicken  liess. 

Im  Demetrius  ^)  ist  infolge  der  doppelten  Enthüllung  die 
Verwicklung  weit  komplizierter:  in  Sambor  tritt  der  Held  als 
der  dunkle  Mönch  vor  uns;  die  aufsteigenden  Akte  hindurch 
müssen  wir  mit  ihm  an  seine  Echtheit  glauben,  um  auf  dem 
Höhepunkt  mit  ihm  hinabgestürzt  zu  werden.  Schiller  hätte 
—  vorausgesetzt,  die  Scene  in  Sambor  wäre  noch  ausgeführt 
worden  —  zwei  Personenverzeichnisse  gebraucht :  ein  eigenes  für 
das  Vorspiel  in  Sambor,  wie  er  es  bereits  entworfen  hat  *) 
durfte  „Grischka,  den  Exmönch,  Russen  und  Abentheurer  im 
Haus  des  Woiwoden"  nur  untei'  diesem  Namen  aufführen ; 
für  die  folgenden  Akte  war  die  Frage  der  Echtheit  zu  über- 
gehen (auf  den  wahren  Namen  [ütrepeia]  kam  ja  überhaupt 
nichts  an)  und  der  Held  nur  Demetrius.  Marfa  nur  Zarin  zu 
nennen. 


')  Auch  hier  hätte  bereits  der  Titel  etwas  verraten  können,  so  heisst 
Cumberlands  unvollendete  Tragödie  „The  false  Demetrius'';  ferner  ein 
russisches  Trauerspiel  „Demetrii  der  Falsche''  von  Suniarokow  (Litt.-  u. 
Theaterzeit.  1782  S.  691),  ebenso  die  russischen  Stücke  von  Homjakow 
und  Ostrowsky.  (Popek,  Der  falsche  Demetrius  i.  d.  Dichtung.  Gymn. 
Progr.  V.  Linz  1893  S.  6  f. 

')  Anfangs  hatte  er  vor,  den  Helden  nur  als  den  „Russen"  oder 
„Moscov?iter"  einzuführen,     pram.  Nachl.  I,  S.  88,  121,  ^25. 


—     4]      — 

Dieselbe  Schwierigkeit  erfährt  bei  der  wellenförmio-en 
Komposition  des  Warbeck  eine  Steigerung.  Der  bewiisste  Be- 
trüger tritt  im  ersten  Akte  so  siegreich  als  Herzog  von  York 
auf,  dass  der  Zuschauer  mitgerissen  werden  soll  ^) ;  ja  „der 
Dichter  selbst  muss  augenblicklich  den  Warbeck  vergessen 
und  bloss  an  den  Herzog  von  York  denken"  '').  Im  zweiten 
Akte  offenbart  sich  Warbeck  als  Betrüger,  aber  „sobald  es 
ausgemacht  ist,  dass  dieser  York  nur  eine  Maske,  so  entsteht 
die  Neugier,  wer  dahinter  stecken  möchte"  ^).  Diese  Span- 
nung wird  bis  zum  letzten  Akt  erhalten;  dann  folgen  Schlag 
auf  Schlag  noch  zwei  Enthüllungen :  das  Geheimnis  War- 
becks wird  entdeckt,  ei'  hält  sich  für  den  Sohn  des  Grafen 
Kildare,  und  die  letzte  Überraschung  endlich  trifft  ihn  selbst, 
denn  er  ist  doch  ein  Prinz  von  York. 

Also  in  vier  Rollen  tritt  er  nacheinander  vor  den  Zuschauer, 
der  alle  Wandlungen  gläubig  mitmachen  soll.  Als  Richard 
von  York  steht  er  nicht  auf  dem  Theaterzettel;  eine  weitere 
Komplikation,  nämlich  die  zweimalige  Variation  des  gleichen 
Motivs,  ist  die  Ursache.  Wenn  die  drei  Prätendenten  gleich- 
zeitig aufträten,  hätte  das  Personenverzeichnis  nicht  zwischen 
ihnen  zu  entscheiden;  nun  ist  aber  Sinnel  bereits  entlarvt,  ehe 
Plantagnet  seinen  Anspruch  eihebt,  und  Warbeck  ist  sogai' 
schon  vor  Sinnel  dui'chschaut ;  da  also  der  „vorgebliche  Prinz 
Eduard  von  Clarence"  und  ,,der  wirkliche  Prinz  von  Clarence" 
unterschieden  werden,  trifft  ilin  dasselbe  Los :  „Warbeck,  vor- 
geblicher Herzog  Richard  von  York".  Das  Personenverzeich- 
nis stellt  sich  damit  auf  den  Standpunkt  des  4.  Aktes;  auf 
die  erste  Täuschung  wird  verzichtet;  auch  wenn  der  Dichter 
selbst  im  ersten  Akt  sich  den  Glauben  an  den  Herzog  von 
York  aneignete,  dem  Zuschauer  konnte  er  ihn  nicht  mehr 
suggerieren.  Noch  eine  vierte  Person  ist  in  die  Ungewissheit 
hineingezogen,  nämlich  Kildare.  Er  darf,  um  Überraschungen 
herauszusparen,  weder  als  Warbecks  Vater,  wofür  dieser  selbst 


1)  Dram.  Nach).  II,  S.  154. 
')  ebenda  S.  133. 
')  ebenda  S.  134. 


—     42     — 

ihn  hält,  noch  als  sein  Erzieher  g-enannt  werden.  Schiller 
scheint  hier  selbst  eine  Zeit  lang-  unsicher  gewesen  zu  sein  ; 
in  dem  ersten  Personenverzeichnis  ^)  ist  hinter  dem  Namen 
eine  Lücke  gelassen ;  das  zweite  g-eht  der  Frage  vorsichtig 
aus  dem  Wege ;  er  heisst  ein  ,, alter  Diener  des  Hauses  York". 

Ein  weiteres  Enthüllungsdrama  sollte  die  Fortsetzung  der 
„Räuber'"  weiden.  Bei  der  ,, Braut  in  Trauer"  ")  musste  das 
Publikum  die  Vorgeschichte  besser  kennen  als  alle  Personen 
auf  der  Bühne ;  ihm  im  Theaterzettel  Rätsel  aufzugeben,  hatte 
daher  keineu  Sinn.  Während  das  zweite  Verzeichnis  den  Geist 
des  Franz  Moor  nennt,  bezeichnet  es  inkonsequent  die  Haupt- 
person bloss  als  „Graf  Julian" ;  auf  dem  ei'sten  Verzeichnis 
dagegen  heisst  es  richtig:  „Karl  Moor,  unerkannt  unter  dem 
Namen  Giaf  Julian". 

Warbeck  und  die  Braut  in  Trauer  machen  also  notwendige 
Ausnahmen ;  aus  den  übrigen  Beispielen  aber  ergiebt  sich  das 
Prinzip,  an  der  Schwelle  des  Stückes  stehen  zu  bleiben  und 
noch  keine  Lichtstrahlen  vorauszusenden.  Wie  sich  die  Ju- 
genddramen dazu  verhalten,  ist  nicht  zu  ersehen,  da  keines 
davon  auf  Erkennungsscenen  angelegt  ist.  Doch  fällt  in 
Kleinigkeiten  eine  grössere  Mitteilsamkeit  auf;  z.  B.  nennt 
ohne  Notwendigkeit  die  Thaliafassung  Domingo  einen  „gewe- 
senen Inquisitor";  öfter  noch  werden  Veränderungen,  die  in- 
nerhalb des  Stückes  bevoi'stehen,  vorausgenommen  '^);  z.  B.  in 
den  Räubern  ist  die  Räubergruppe  zusammengefasst  als  „Li- 
bertiner,  nachher  Banditen";  also  schwebt  das  Personen  Verzeich- 
nis zwischen  dem  ersten  und  dem  zweiten  Akt,  während  das  des 
Fiesko  überhaupt  erst  das  Ende  des  zweiten  ins  Auge  fasst. 
Fiesko    ist    bereits  als  ,, Haupt  der  Verschwörung";    Verrina, 

')  üram.  Nachl.  II,  S.  159,  181. 

')  ebenda  S.  256  f. 

■')  In  den  späteren  Dramen  fehlen  Beispiele  dafür,  z.  B.  Etienne  und 
Claude  Marie  stehen  nur  als  die  Freier  ihrer  späteren  Frauen  da ;  von 
Macbeths  dereinstiger  Königswürde  ist  nicht  die  Rede  (ebensowenig  bei 
Shakespeare),  während  es  bei  Bürger  „hernach  König  von  Schottland" 
heisst ;  auch  die  Eidgenossen  vom  Rütli  heissen  nur  Landleute  im  Gegen- 
satz; zu  den  „Verschwornen"  im  Fiesko, 


—     43     — 

Bourgognino,  Kalkagno  sind  als  ..Verschworene"  bezeichnet, 
während  sie  doch  zu  Besinn  des  Stückes  noch  mit  Zenturione, 
Zibo  und  iVsserato  den  Namen  „Missverfrnüo-te"  teilen  müssten. 

Beidemale  ist  das  Vorgreifen  durch  den  Titel  bedingt ; 
das  Publikum  musste  auf  dem  Theaterzettel  nach  Räubern 
und  bei  der  Verschwörung  des  Fiesko  nach  Veischwoienen 
suchen.  Anders  steht  es  im  Don  Carlos  mit  Marquis  Posa. 
Der  Maltheserritter,  der  in  der  Thalia  (, .Personen  des  ersten 
Aktes")  noch  als  „Kammerjunker  des  Prinzen"  beiseite  stand, 
nimmt  seit  1787  die  erste  Stelle  unter  den  Granden  von  Spa- 
nien ein ;  er  erobert  diesen  Platz  aber  thatsächlich  erst  im 
dritten  Akt  (gerade  vor  dieser  Scene  hört  die  Thaliafassung 
auf). 

Anordnung  der  Personen.  Damit  werden  wir  zur 
zweiten  Frage  geführt:  nach  der  Anordnung  der  Personen. 
Drei  Möglichkeiten  bieten  sich  dar: 

T.  Die  Reihenfolge  des  Auftretens  wird  innegehalten,  ein 
Verfahren,  das  sich  bei  ganz  kleiner  (T.cssings  Juden)  oder 
sehr  grosser,  von  Akt  zu  Akt  anwachsender  Personenzahl 
empfiehlt.  Da  aber  Hauptiollen  und  Statisten  dann  eine 
bunte  Reihe  bilden  und  es  schwer  ist,  die  Beziehungen  der 
Personen  übersichtlich  darzustellen,  kommt  diese  Anordnung 
selten  vor.  Goethe  machte  1804  bei  der  Aufführung  des 
Götz  einen  Versuch  damit;  nach  Genast  ^)  folgte  er  Mustern 
aus  dem   1 7.  Jahihundert,  was  unwahi'scheinlich  ist. 

IL  Die  Bedeutung  der  Personen  ist  ausschlaggebend ;  der 
Held  geht  voran  und  die  anderen  Rollen  folgen  nach  ihrer 
Wichtig-koit ;  so  in  Wielands  ..Lady  Johanna  Gray",  bei  Tör- 
ling  in  „Kaspar  der  Thorringer"  und  ,, Agnes  Bernauerin", 
bei  Lessing  und  Goethe  in  ,.Emilia  Galotti",  , .Stella",  ,,Tphi- 
genie",  aber  nicht  in  ,, Nathan",  ..Egmont"  und  der  „natür- 
lichen Tochter",  wo  die  regierenden  Fürstlichkeiten  an  die 
Spitze  treten.  Die  stummen  Rollen  stehen  fast  überall  am 
Ende,  manchmal  sogai'  unter  eigener  Überschrift  wie  in 
Schlegels  ,, Hermann"    oder    mit    der    ausdrücklichen  Angabe, 

'j  Tagebucli  eines  alten  Schauspielers.     2.  Aufl.  I,  S.  149, 


—     44     — 

dass  sie  nicht  reden,  wie  in  Klingers  Medea  auf  dem  Kau- 
kasus:  .,Die  Eumeniden;  nur  Tisiphone  redend",  bei  Schiller 
die  Kronbedienten  und  Bischöfe  des  Krönungszug-es  in  der 
Jungfrau  von  Orleans  und  die  Ältesten  von  Messina,  oder  sie 
werden  ganz  summarisch  aufgeführt,  wie  in  Kabale  und  Liebe: 
„Verschiedene  Nebenpersonen". 

IIL  Die  äussere  Bedeutung  tritt  in  den  Vordergrund, 
das  Prinzip  der  Rangliste,  wobei  wiederum  die  Unbedeutend- 
sten voranstehen  können. 

Dieses  Verfahren  kann,  ebenso  wie  das  zweite,  Modifika- 
tionen erleiden 

a)  durch  Hervorhebung  der  Beziehungen 

b)  durch  Trennung  der  Geschlechter. 

a)  In  Shakespeares  „Macbeth"  steht  Pleance,  Banquos 
Sohn  von  Banquo  getrennt,  und  Schiller  hat  daran  nichts  ge- 
ändert, obwohl  er  sich  sonst  der  französischen  Art,  die  Fami- 
lienglieder zu  vereinigen,  anschloss.  Die  Moor,  Walter,  Miller 
treten  geschlossen  auf;  die  Infantin  Clara  Eugenia  drängt  in 
der  Prosabearbeitung  den  Titelhelden,  den  „Sohn  des  Königs 
erster  Ehe"  zurück,  um  sich  direkt  an  ihre  Eltern  anzu- 
schliessen  (im  Mannheimer  Theaterzettel  ^)  freilich  und  ebenso 
im  Hamburger  Manuskript  nimmt  sie  als  Kind  die  letzte 
Stelle  ein).  Noch  schlechter  als  dem  Infanten  geht  es  der 
Jungfrau  von  Orleans ;  sie  verdankt  der  Zugehörigkeit  zu 
ihren  Schwestern  einen  ganz  versteckten  Platz.  Nicht  immer 
werden  übrigens  Geschwister  durch  Klammern  zusammenge- 
schlossen: zwischen  Herzogin  von  Friedland  und  Gräfin  Terzky 
tritt  in  den  Piccolomini  Thekla ;  im  Tod,  wo  sie  dagegen 
nebeneinander  stehen,  werden  sie  nicht  Schwestern  genannt. 
Zufällig  triff't  man  auch  gerade  hier  nicht  selten  auf  ein  Miss- 
verständnis: es  wird  vom  Geiste  des  Bruders  geredet,  der  die 
Gräfin  beseele,  ein  Irrtum,  dem  bereits  Wieland  ')  unterlag. 

')  Dou  Carlos  hag.  v.  Vollmer  1880  S.  XXXII. 

^j  Fielitz,  Studien  zu  Schillers  Dramen,  Leipz.  1876  S.  7  ;  ebenso 
Böttiger  in  seiner  Besprechung  im  Journal  d.  Luxus  u.  d.  Moden  1799, 
Bd.  14  S.  93 ;  Tieck,  Krit.  Sehr.  III,  52.  Allerdings  spricht  die  Gräfin 
pehrmals  von  ihrem  Bruder.     Picc.  790,  1401.     W.  T.  1573. 


^45     — 

Auch  über  Kinder  und  Geschwister  hinaus  wird  die  Fa- 
milienzQg-ehörigkeit  zum  Ausdruck  g-ebracht.  Gianettino,  Mor- 
timer  ^j,  Rudenz  sind  als  Neffen  aufgeführt  und  erhalten  den 
entsprechenden  Platz ;  Amalias  Beziehung  zum  alten  Moor 
wird  erst  in  der  Bühnenbearbeitung  ausgesprochen. 

Die  Anknüpfung  geschieht  meist  durch  das  Possessivum 
oder  den  Genetiv  „dessen",  „des  Vorigen"  u.  s.  w. ;  nur  in 
./rurandot'"  schliesst  sich  Schiller  an  die  von  Werthes  beibe- 
haltene Art  Gozzis  ')  an,  der  zwischen  den  Personen  eine 
engere  Verbindung  herstellte : 

„B  a  r  a  k  ihr  Gatte,  ehemals  Hofmeister  des 

K  a  1  a  f ,  l'rinzen  von  Astrachan'". 

Dass  wie  hier  Herren  und  Untergebene  verbunden  sind, 
kommt  selten  vor:  im  Bühnen-Fiesko  ist  hinter  Bertha  ,, Laura 
derselben  Mädchen"  eingefügt  und  die  ,, Damen  der  Königin"' 
folgen  im  Don  Carlos  gleich  auf  die  Mitglieder  des  König- 
lichen Hauses;  dann  erst  kommen  die  „Granden  von  {Spanien"'. 

Meist  weist  die  Rangordnung  dem  Peisoual  einen  Platz 
weiter  unten  an;  so  ist  Wurm,  der  Haussekretär  des  Präsi- 
sidenten  von  diesem  getrennt,  und  sogar  Posa  steht  in  der 
Thalia  als  „Kammerjuuker  des  Prinzen""  erst  hinter  den  Granden. 

Die  Freundschalt  der  beiden  Helden  findet  auch  in  den 
späteren  Drucken  keinen  Ausdruck,  während  dies  bei  dem 
Vorbild  des  Öchillerschen  Posa,  Leisewitzens  Aspermonte  und 
ebenso  bei  Utways  und  Merciers  Posa  der  Fall  war.  Auch 
das  Verhältnis  zwischen  Franz  Moor  und  Hermann  ist  nicht 
genannt;  Lomellino,  iUo,  Ukelly  stehen  dagegen  als  Freunde 
oder  Vertraute  auf  dem  Theaterzettel. 

Öelteuer  noch  werden  Liebesverhältnisse  angedeutet  ob- 
wohl das  sonst  fast  allgemeine  Sitte  war:    siehe   Shakespeare 

')  Sogar  im  Stück  selbst  steht  beim  ersten  Auftreten  Mortimers  (1,  3) 
hinter  s>einem  Kamen  „t'aulets  iselie'";  ein  Zusatz  des  Lesedramas,  der 
im  Theatermanuskripte  fehlt. 

'■)  iJiese  italienische  Art  fasste  auf  dem  Wiener  Theater  Fuss.  Siehe 
mehrere  Beispiele  in  der  Wiener  Deutschen  Schaubühne,  ferner  Karl 
Weiss,  Die  Wiener  Haupt-  und  Staatsaktionen,  Wien  1854,  S.  59,  89, 
96,  lUli.  Lessiug  schloss  sich  hierin  einmal  dem  Goldoni  an  (Lachm.- 
Muncker  IH,  S.  332,  336). 


—     46     -- 

im  , .Sommernachtstraum" :  Cronegk:  Olint,  ein  heimlicher  Christ, 
in  Sophronien  verhebt;  Lenz:  Don  Prado,  in  Seraphinen  ver- 
liebt, Goethe:  Clärchen,  Egmonts  Gehebte.  Schiller  dagegen 
verschweigt  die  Beziehuogen  zwischen  Karl  und  Amalie,  Fer- 
dinand und  Luise ;  nur  in  den  Malthesern  heissen  Crequi  und 
St.  Priest  „Ritter,  die  sich  lieben"  und  in  der  Jungfrau  wer- 
den Claude  Marie,  Etieune  und  Raimond  als  ,, Freier "  zu- 
sammengefasst.  Das  ist  aber  schon  ein  öffentliches  Verhältnis , 
und  bei  Agnes  Sorel,  der  „Geliebten  des  Königs'"  wie  bei 
Lady  Milfoid  haben  wir  es  geradezu  mit  Staudesbezeichnungen 
zu  thun. 

b)  Die  Trennung  der  Geschlechter  bietet  dem  Gardero- 
bier bequemeren  Überblick,  weshalb  z.  B.  Kotzebue  in  dem 
der  „Octavia"  beigegebenen  Kostümverzeichnis  diese  Anord- 
nung entgegen  der  des  Personenverzeichnisses  eintreten  Hess. 
Meistens  stehen  die  Männer  voran;  nur  der  Franzose  Diderot 
ist  einmal  so  galant,  trotz  der  männlichen  Hauptrolle  den 
Damen  den  Vortritt  zu  gönneu.  Eine  süddeutsche  Sitte  war 
es,  sie  durch  eigene  Überschrift  auszuzeichnen,  so  in  Gem- 
mingens  „Deutschem  Hausvater'',  in  Babos  „Otto  von  Wittels- 
bacli",  in  Dalbergs  Bearbeitung  von  Cumberlands  „Brüdern" 
und  auch  in  dem  erwähnten  Druck    des  Bühnen-Fiesko  1789. 

Wie  oben  gezeigt  ist  bei  Gemmingen  das  Vorbild  für  das 
Personen  Verzeichnis  des  Fiesko  zu  suchen;  wie  dort  erst  hinter 
der  letzten  männlichen  Nebenrolle  die  Überschrift  „ Weiber' ^ 
stellt,  so  folgt  hier  Fieskos  Gemabhn  erst  hinter  den  drei  auf- 
rührerischen Bürgern,  die  nicht  einmal  mit  Namen  genannt 
sind.  Auch  Shakespeare  könnte  hierauf  eingewirkt  haben,  und 
für  einige  späteie  Stücke  wäre  dies  anzunehmen,  wenn  sich 
die  Trennung  der  Geschlechter  nicht  einfach  als  logisch  er- 
gäbe. Ebenso  wie  die  einzige  Griechin  Irene  ^)  in  den  Mal- 
thesern,  Klärchen  und  ihre  Mutter  in  der  Egmontbearbeitung  ') 
oder  die  weiblichen  Rollen  des  Demetrius,  so  nehmen  auch  im 

*J  Dram.  Nachl.  II,  S.  13,  40.      Irene  ist  ausserdem  stumme  Person. 
*j    Schiller   hat    die  fieihenfolge   des    Goethischen    Personen  verzeich - 
msses  verändert. 


-     4t     - 

Wallenstein  inmitten  von  Staatsversaramlungen  und  Waifengü- 
klirr  die  Frauen  eine  ganz  isolierte  Stellung  ein.  Inkonsequent 
ist  nui',  dass  hinter  die  Frauengruppe  noch  einmal  einige  un- 
bedeutende Männerrollen  (in  den  Piccolomini  Kornet  und  Kel- 
lermeister) treten:  das  Personenverzeichnis  des  „Teil"  geht 
darin  weiter,  indem  es  die  Frauengruppe  vollkommen  einrahmt. 
Voraus  gehen  Gessler,  dann  der  Adel :  Attinghausen  und  Ru- 
denz,  dann  die  Schweizer  nach  Cantonen  aufgezählt ;  es  blickt 
also  eine  Anordnung  nach  politischen  Gruppen  durch,  wie  sie 
im  Ritterdrama  nicht  unbeliebt  war  ^).  Hinter  den  Frauen 
folgen  nun  die  Dienstmannen  und  alle  die  Figuren,  die  zu 
keiner  der  drei  politischen  Gruppen  gehören,  darunter  Johannes 
Paricida,  der  Herzog  von  Schwaben.  Er  verdankt  entweder 
seiner  unheimlichen  Erscheinung  diesen  Platz  am  Ende,  der 
sonst  den  Geistern  angewiesen  ist  (auch  der  geisteihafte  Gross- 
inquisitor im  „Don  Carlos*'  steht  trotz  seiner  Machtstellung 
hintenan),  oder  die  Veranlassung  liegt  beide  Male  in  dem 
späten  Auftreten  im  letzten  Akt.  Kleine  Einwirkungen  hat 
überhaupt  die  Reihenfolge  des  Auftretens  ausgeübt,  steht  doch 
Bertha  von  Bruneck  hinter  Gertrud  und  Hedwig  und  Rudolph 
der  Harras  hinter  den  Söldnern,  während  Jenni  und  Seppi 
trotz  ilirer  geringen  Bedeutung  gleich  an  die  Schweizer  Land- 
leute angehäugt  sind.  Die  drei  Cantone  dagegen  sind  nicht 
nach  ihrem  Erscheinen  auf  dem  Rütli  (Unterwaiden  zuerst), 
noch  nach  der  Wichtigkeit  für  die  Handlung  (Uri)  geordnet, 
sondern  nach  Alter  und  Ansehen. 

Die    äussere  Rangordnung    bildet   überhaupt  von  Anfang 
an    das    Rückgrat    aller    Schillerscheu  Personenverzeicbnisse ; 


^)  So  in  der  1.  Autl.  von  Lengenfelders  Ludwig  IV.:  „Inländer' 
und  „Ausländer"  (Brahm,  Kitterdr.  S.  1U5;  K.  M.  Werner,  A.  f.  d. 
Alt.  VII,  S.  426),  oder  in  Ramonds  elsässischem  Ritterstiick  „Hugo  der 
Siebente,  Graf  von  Egisheim"',  wo  „des  Grafen  Hugo  Parthey"  und  „Des 
Biscliofs  Parihey"  duich  Überschriften  geschieden  sind.  Auch  Ambühls 
Tellstücke  hatten  die  gleiche  Anordnung ;  in  „Wilhelm  Teil"  sind  Gessler 
und  seine  Leute  samt  den  Söldnern  und  Spiessknechten  durch  einen  Strich 
von  den  Schweizern  geschieden ;  die  Reihenfolge  im  „Schweizerbund" 
stimmt  auffällig  mit  der  Schillers  überein. 


—     48     — 

vielleicht  unter  Schillers,  vielleicht  auch  unter  dem  Einflüsse 
der  Hoftheater  wurde  sie  nachher  allgemein  geltend. 

Wenn  in  Gozzis  „Turandot"  die  Titelheldin  voran- 
stand, so  setzte  Schiller  sie  hinter  Altoum;  von  den  zwei 
Königinnen  in  „Maria  Stuart"  geht  die  machthabende  der  ge- 
fangenen vor ;  nur  wo  es  seiner  äusseren  Stellung  entspricht, 
steht  der  Held  an  der  Spitze,  so  Wallenstein  und  in  der 
Bühnenbearbeitung  Fiesko  (während  des  Stückes  ist  er  ja  in 
der  That  der  Beherrscher  Genuas).  In  der  Buchausgabe  da- 
gegen steht  Andreas  Doria  voran,  der  diesen  Platz  ebenso 
wenig  wie  der  alte  Moor,  Karl  der  Siebente,  Gessler  durch 
seine  Bedeutung  für  die  Handlung  verdient.  Wie  Johanna 
d'Arc  so  steht  auch  Teil  ganz  versteckt  mitten  zwischen  der 
Rütliversammlung;  sogar  unter  den  Männern  aus  Uri  muss  er 
seinem  angesehenen  Schwiegervater  den  Vortritt  lassen. 

Standesbezeichnungen.  Die  Rangliste  war  auch 
das  Prinzip  der  französischen  Tragödie  gewesen,  aber  der  in- 
zwischen herausgebildete  Gegensatz  besteht  darin,  dass  Rang 
und  Bedeutung  nicht  mehr  wie  früher  übereinstimmen,  dass 
unter  diesen  Schweizern,  die  untenan  stehen,  die  Helden  des 
Dramas  zu  suchen  sind.  Hatte  doch  Mercier  es  ausgesprochen, 
dass  der  unbekannte  Mann  durch  das  Genie  des  Dichters  weit 
höher  erhoben  werden  könne,  „als  diese  Könige,  deren  stolze 
^Sprache  schon  so  lange  unsre  Ohren  ermüdet"  ^).  Aber  es 
durfte  eben  dann  nicht  der  unbekannte  Mann  bleiben;  seinen 
Stand,  seine  Gewohnheiten  musste  der  Dichter  so  genau  stu- 
dieren wie  die  Hofetikette;  das  war  es,  was  Diderot  mit 
dem  Schlagworte  condition  angeregt  hatte.  Er  selbst  hatte 
bereits  so  weit  über  das  Ziel  hinaus  geschossen,  dass  er  über- 
haupt nicht  mehr  die  Charaktere,  sondern  die  Stände  auf  die 
Bühne  bringen  wollte  '"). 

Alle  Stände  hatten  freilich  dort  noch  nicht  Zutritt,  we- 
nigstens in  Deutschland,  besonders  in  dem  katholischen  nicht; 


1)  Neuer  Versuch  (Wagners  Übers.)  S.  134  f. 

'j  Theat.  d.  Herrn  Did,  (Lessing)  I,  S.  322 ;    Cäs.  Flaischlen,  Gem- 
tningen  S.  21, 


—     49     — 

dafür  sorg'te  eine  gestrenge  Zensur,  von  deren  Ängstlichkeit 
man  sich  heute  kaum  einen  Begriff  macht.  Alle  geistlichen 
Personen  waren  von  der  Darstellung  ausgeschlossen  und  wur- 
den entweder  gestrichen  oder  durch  weltliche  Figuren  ersetzt; 
im  Götz  z.  M.  trat  ein  Fürst,  Landgraf  oder  Schirravogt  von 
Bamberg  auf;  im  Julius  von  Tarent  wurde  aus  dem  Erz- 
bischof ein  Admii'al  des  Johanniterordcns  und  aus  dem  Kloster 
ein  Erzichungsstift  ^).  Dem  Pater  in  den  Räubern  begegnete 
dasselbe  Los,  auch  Pastor  Moser  könnte  aus  diesem  Grunde 
gefallen  sein  ').  Der  Grossinquisitor  im  Don  Carlos  war  un- 
möglich ■>),  Posa  durfte  in  der  Prosabearbeitung  nicht  als  Mal- 
teserritter erscheinen  und  statt  Domingo  nahm  Schiller  aus 
St.  Real  den  Staatssekretär  Perez  wieder  hervor ;  nur  Dalberg 
hatte  den  Mut  gegen  das  Manuskript  einen  Jesuiten  Domingo 
auftreten  zu  la'^sen;  wie  er  das  wagen  konnte,  begriff  der 
Dichter  selber  nicht  "*).  Später  hörte  es  mit  dieser  Freiheit  in 
Mannheim  wieder  auf:  1802  wurde  aus  dem  Erzbischof  der 
.Jungfrau  von  Orleans  ein  Seneschall  ■').  —  Wallensteins  Lager 
wurde  an  einigen  Orten  nur  mit  Wcglassung  des  Kapuziners 
gestattet    oder    wegen    dieser  Figur    ganz  verboten,  was  noch 


1)  Zum  Götz :  E.  Mentzel,  Archiv  f.  Frankfurts  Gesch.  u.  Kunst  IV, 
122,  155. 
Kilian,  Theat.  Forsch.  I,  87;  G.-J.  XIV,  276. 
Mannheimer  Bühnenb.  nach  Rennschüb  ed.  Kilian  1889. 
Zum  .lulius  V.  Tarent: 

Litt.  u.  Theaterzeit.  1782  I,  S.  73 
Ann.  d.  Th.  1794  H.  13  S.  53. 
Martersteig,  S.  257.     Walter  II,  137  f. 
Wolter,  Friedr.  Wilh.  Grossmanu,    Diss.    Bonn    1901, 
S.  23  f. 
-)  Timmes  Rezension  hatte  diese  Figur  überhaupt  überflüssig  gefunden. 
^)  Bei  der  Hamburger  Bühnenbearb.  Hess  Schiller  Schröder  die  Wahl. 

(13.  Juni  87,  Jonas  I,  345). 
")  An  Körner  25.  April  1788,  Jonas  II,  52.     Die  von  SchiUer  xmab- 
hängige  l'rosabearbcntung  der  Augsburger    Deutschen    Schaubühne  Bd.  18 
führt  einen   Kabinetsniinister  Graf  Domingo  ein. 

••)  Walter  II,  138.      Auch    der  Leipziger  Theaterzettel    (Beilage  zu 
Wychgranis  Schiller)  führt  einen  „Seneschall  von  Hheims"  auf. 

I'ahiüstrii  XXXII.  4 


—     50     — 

unter  Laube  in  Wien  gesciiali  ')•  Schliesslich  wurden  edle 
Priester  auf  der  Bühne  gestattet  uud  nur  die  gemeinen  Pfaifen 
verbannt :  in  Kotzebues  ,, Spaniern  in  Peru"  behielt  Las  Casas 
seine  Kutte,  während  der  Kapellan  Valverde  auf  Schröders 
Rat  in  einen  Geheimschreiber  verwandelt  wurde  ').  Bei  Ge- 
legenheit von  „Maria  Stuart"  kam  es  auch  in  Weimar  zum 
Kampf;  an  dem  geistlichen  Kostüm  nahm  man  dort  keinen 
Anstoss,  wie  die  vorhergehende  Aufführung  von  Hagemeisters 
„Jesuiten"  ")  zeigt;  aber  die  Ausübung  seines  Amtes  wurde 
dem  versteckten  Priester  Melvil  untersagt,  und  selbst  Kail 
August  äusserte  damals  gegen  die  prudentia  mimica  externa 
Schilleri  sein  Misstrauen  *).  Für  die  späteren  Stücke  bestand 
in  Norddeutschland  ^)  kein  Hindernis  mehr;  die  „Jungfrau  von 
Orleans"  entfaltete  allen  kirchlichen  Prunk,  ebenso  war  es  für 
den  „Demetrius"  geplant  und  ein  Bischof  von  Ypern  sollte 
im  „Warbeck"  und  in  der  ,, Gräfin  von  Flandern"  auftreten; 
auch  den  barmherzigen  Brüdern  im  Teil  wurde  wohl  nichts 
mehr  in  den  Weg  gelegt  ^). 

Auch  weltliche  Stände  waren  übrigens  nicht  unbeanstan- 
det gebüeben.     Wie  es  in  Figaros  berühmtem  Monolog  heisst : 

')  Das  Burgtheater  S.  211.  368.  Hebbels  Tagebücher  ed.  Bamberg 
II,  473.  Auch  in  Lauchstädt  wurde  der  Kapuziner  auf  ein  Dresdener 
Edikt  hin  verboten.  (Becker  an  Schiller,  29.  Juni  1800,  Urlichs  S.  371). 
In  Leipzig  gab  man  ihn  als  Schiümeister  (Körner  an  Schiller  25.  Sept.  1801). 

-)  Kotzebue,  Theater  (1841)  Bd.  4  8.  207. 

^)  Es  ist  indessen  kaum  anzunehmen,  dass  dieses  Stück,  in  dem  der 
gedungene  Mörder  am  Altar  mit  einem  heiligen  Dolch,  einem  umgehäugten 
Kruzifix  und  einem  Fläschchen  Salböl  für  seine  Aufgabe  geweiht  wird, 
ohne  bedeutende  Abschwächung  zur  Aulführung  kam. 

*)  Briefw.  d.  Grossherzogs  Carl  August  mit  Goethe  Weimar  1863, 
Bd.  I,  S.  259.  In  Leipzig  durfte  Melvil  überhaupt  nicht  Priester  sein, 
sondern  er  versprach  nur,  es  einmal  zu  werden  (Journ.  d.  Lux.  u.  d.  M. 
August  1801  S.  432). 

^)  In  Wien  traten  an  Stelle  von  Geistlichkeit  und  Chorknaben  im 
Zug  idealische  Ordensritter.  Costenoble,  Aus  dem  Burgtheater  I,  104. 

'^)  Mit  der  Zeit  traten  auch  einsichtige  Geistliche  für  die  Freiheit 
der  Kunst  ein  (Devrient  III,  408).  Trotzdem  war  Goethe  noch  1HI2  be- 
reit, in  „Romeo  und  Julia"  den  Pater  Loienzo  in  einen  Arzt  zu  verwan- 
deln.    (An  IfHand  22.  Febr.  1812). 


—     .')  1     — 

et  voilä  ma  comcdie  flainboe,  pour  plairc  aux  princes  maho- 
metans,  dont  pas  un,  je  crois,  ne  sait  lire  —  in  Dresden 
fürchtete  man,  die  Regierung-  werde  zopfig-  genug  sein,  sich 
bei  den  lächerlichen  Ministern  des  Kaisers  von  China  be- 
troffen zu  fühlen  ^),  und  so  wurden  die  Masken  in  „Turandot" 
zu  harmloseren  Figuren  verwandelt.  In  Wien  war  man  noch 
vorsichtiger :  auch  die  Schauspieler  selbst,  denen  eine  Vorzen- 
sur überlassen  war,  hielten  ein  Stück,  wo  ein  weibischer  un- 
gei-echter  König  vorkam,  nicht  für  möglich  ")•  ^"Sogar  dem 
Bastard  von  Orleans  wurde  eine  einwandfreie  Herkunft  ge- 
sichert ').  Es  ist  daher  kein  Wundei",  wenn  es  in  der  Denk- 
schrift des  Zensors  Hägehn  heisst:  „in  Kabale  und  Liebe  be- 
findet sich  eine  fürstliche  Maitresse:  diesei-  Karackter  ist 
anstössig,  also  das  ganze  Stück  nicht  zulässig,  ausser  das 
vitiose  wüi-de  wcgireschafft".  Laube  kannte  eine  Bearbeitung 
aus  dem  Jahre  1808,  wo  aus  dem  Pi-äsidenten  und  dem  Hof- 
marschall  ein  „Vicedom"  und  ein  ,,Obei-garderobemeister"  ge- 
macht sind  *).  Sogar  das  Wort  Adel  sollte  möglichst  auf  dem 
Theater  vermieden  werden,  und  ein  Stück  wie  Grossmanns 
„Nicht  mehr  als  sechs  Schüsseln"  war  wegen  Beleidigung  des 
Adels  bereits  zu  Maria  Theresiens  Zeit  verboten  worden  ^). 

Nun  war  freilich  das  Ständedrama  nicht  immer  von 
Tendenz  frei  geblieben.  Wenn  Diderot  noch  allen  Klassen 
gleiches  Recht  widerfahren  lassen  wollte,  so  war  Mercier  be- 
reits ausgesprochener  Paiteimann.  Das  Signal  zum  Kampfe 
hatte  Rousseau  gegeben;  er,  der  keine  Stände,  sondern  Men- 
schen in  der  Dichtung  suchte,  konnte  eben  darum  den  Standes- 
unterschied   als    tragisches   Motiv    benutzen  ^).      Es    war    ein 

•)  Urlichs  S.  4G6  if ;  Körner  an  Schiller  15.  Febr.  1802.  Prölss, 
Gesch.  d.  Ilofth.  z.  Dresden  S.  319. 

■-)  Glossy,  Z.  Gesch.  d.  Wiener  Theatercensur,  Jb.  d.  Grillparzerges. 
VII,  S.  279  f,  304,  333. 

^)  Laube,  Das  Burgtheater.  S.  93  ff.,  S.  89. 

<)  Siehe  auch  Costenoble,  Aus  d.  Burgtheater  I,  S.  311,  331. 

")  1782  wurde  es  in  Wien  ganz  verstümmelt  aufgeführt  (Litt.  u. 
Theaterzeit.  1782  II,  S.  332). 

«)  E.  Schmidt,  Richardson,  Rousseau  u.  Goethe  S.  204  (f,  214. 

4* 


—     52     — 

Rousseaiiismus  des  jungen  Schiller,  wenn  er  eine  neue  Klassi- 
fikation verlangte;  ein  Linnäus  sollte  nach  Trieben  und  Nei- 
gungen die  Menschen  sondern,  dann  würde  so  mancher,  „dessen 
Laster  in  einer  engen  bürgerlichen  Sphäre  und  in  der  schmalen 
Umzäunung  der  Gesetze  jetzt  ersticken  muss",  in  eine  Reihe 
mit  dem  Ungeheuer  Borgia  treten  ').  Und  nun  nahte  die 
Zeit,  wo  der  theatralische  Bösewicht  unter  Ministern  und 
Amtleuten  gesucht  wurde,  wo  er  „Kammerjunker  oder  wenig- 
stens Geheimsekretär  sein  musste,  um  sich  einer  solchen  Aus- 
zeichnung würdig  zu  machen"  ").  Tieck  nennt  in  den  Schild- 
bürgern Augustus  (Iffland)  als  den  Erfinder  der  Piäsidenten 
und  vornehmen  Bösewichter,  aber  nächst  Lessings  Marinelli 
steht  Schillers  Präsident  an  der  Spitze  dieser  Gesellschaft,  und 
sein  Haussekretär  wii'd  durch  das  ebenerwähnte  Goethische 
Wort  mitgetroffen.  Schiller  nimmt  später  seine  eigene  Jugend- 
dichtung mit  („sie  machen  Kabale"),  als  er  über  das  ganze 
bürgerliche  Drama  Gericht  abhält,  das  leere  Berufstitel  statt 
grosser  Namen  auf  dem  Zettel  stehen  hat  und  bei  dem  dei- 
Beruf  bereits  den  Charakter  der  Personen  festlegt.  Seine 
Satire  erhält  einen  besonderen  Hintei'grund,  wenn  wir  ei-fahi'en, 
dass  er  sich  nur  durch  einen  Schreiber  aus  fünf  oder  sechs  be- 
liebigen Kotzebuischen  oder  Schröderischen  Stücken  das  Personal 
mitteilen  zu  lassen  -brauchte  ^),  um  jene  Liste  aufzuzählen : 

Man  siehet  bey  uns  nur  Pfarrer,  Kommerzienräthe, 

Fähndriche,  Sekretairs  oder  Husarenmajors. 
Trotz  der  berechtigten  Verurteilung  darf  nun  eine  Tliat- 
sache  nicht  verkannt  werden:  die  Liebe,  die  das  bürgerliche 
Drama  den  einzelnen  Ständen  und  zwar  gerade  den  mittleren 
und  unteren  zuwandte,  kam  auch  dem  Drama  grossen  Stils  zu 
Gute.  Bei  Gottsched  hatte  es  noch  geheissen :  „nur  die  Haupt- 
personen brauchen  einen  Charakter ;  die  Bedienten  derselben, 
die  fast  allezeit  in  fremdem  Namen  handeln  oder  thun,  dürfen 
keine  besondere  Gemüthsart  haben"  '*).     Nun  aber  war  durch 

')  Goed.  IV,  S.  62. 

')  D.  u.  W.  III,  12.  u.  13.  Buch.     W.  A.  I,  Bd.  28  S.  140,  196. 

=*)  An  Goethe  31.  Juli  1796.     Jonas  V.  S.  U. 

*)  Grit.  l)i(;htk.  (1730)  S.  578. 


—     53     — 

Kammerdienerrollen  der  grosse  Schröder  zuerst  berühmt  ge- 
worden, und  bedeutende  Schauspieler  versehmähten  es  nicht 
mehr,  sich  gelegentlich  kleiner  Rollen  anzunehmen.  Auch  im 
Fersonenverzeichnis  kommt  dies  Interesse  zum  Ausdruck;  da 
stehen  nicht  mehr  die  Vertrauten,  FeldhejTu  und  Untergebenen 
mit  ihren  nackten  typischen  Namen  bei  Seite:  nur  bei  der 
Anlehnung  an  den  klassischen  Stil  begnügt  sich  Schiller  ein-" 
mal  mit  dem  blossen  Namen  einer  Person:  Diego  (so  auch 
Goethes  Arkas).  Das  Fersonenverzeichnis  der  Braut  von 
Messina  steht  darin  allein;  Wallensteins  Tod  ist  nicht 
mitzurechnen,  da  die  Titulaturen  aus  den  Piccolomini  nicht 
wiederholt  zu  werden  brauchten.  Sonst  erhält  jede  Person 
iigend  einen  Zusatz,  der  über  ihre  Verhältnisse  Aufschluss 
giebt.  Nicht  nur  im  bürgerlichen  Trauerspiel  hat  der  alte 
Miller  seinen  l>eruf  (wie  viel  darauf  ankommt,  beweist  die 
doppelte  Bezeichnung:  , .Stadtmusikant,  oder  wie  man  sie  an 
einigen  Orten  nennt,  Kunstpl'eifer"'),  sondern  im  Teil  treten 
der  Pfarrer,  der  Sigrist,  der  Schmied,  der  Pfeifer,  der  Flur- 
schütz auf;  durch  die  Verschiedenheit  der  Berufsarten  soll 
auf  symbolischem  Wege  ein  ganzes  Volk  auf  die  Bühne  ge- 
bracht werden.  Goethes  Egmont  hatte  darin  Schillers  offene 
Bewunderung  herausgefordert  ') ;  auch  im  Warbeck  sollte 
später  das  niederländische  Volk  durch  einen  Kaufmann,  einen 
Schiffer,  einen  Fabrikanten  und  eine  vierte  Person,  über  die 
sich  der  Dichter  noch  nicht  klar  war,  repräsentiert  werden. 
Die  Soldaten  in  ,, Wallensteins  Lager",  die  Scharfschützen, 
reitenden  Jäger,  Arkcbusiere,  sind  nach  Regimentern  speziali- 
siert, ähnlich  wie  ihre  Generäle.  Bei  den  ,,Teutschen  der 
Hei-zoglichen  Leibwache"'  im  Fiesco,  dem  Mohren  von  Tunis, 
dem  Irländer  l]utler,  dem  Walliser  Montgomery  wird  das 
Vatei'land  ebenso  angegeben,  wie  bei  der  Prinzessin  von  Frank- 
reich, Elisabeth  von  Valois.     Untei"  den  Granden  von  Spanien 


*)  Goed.  VI,  S.  87.  In  Schillers  Bearbeitung  wurden  auch  die  Sta- 
tistenrollen „specificiert  und  tituliert" :  Fabrikant,  Bäcker,  Barbier,  Metz- 
ger, Lastträger,  drei  Fischweiber.  Hempelsche  Schillerausgabe  Bd.  XVI, 
S.  414  f.) 


—     54     — 

versieht  jeder  sein  besonderes  Amt  ausser  Alba  und  Feria; 
diesem  aber  bleibt  der  Charakter:  ,, Ritter  des  Vhesses",  und 
Alba  hat  in  der  Hamburger  Bearbeitung  auch  seinen  Titel 
erhalten:  „General  der  Niederländischen  Armeen".  Bis  auf 
die  Vermögenslag-e  können  sich  die  Angaben  ei'strecken:  Th\- 
baut  d'Arc,  ein  reicher  Landmann;  Bertha  von  Bruneck,  eine 
reiche  Erbin.  Das  Alter  einer  Person  wird  nur  einmal  ge- 
nannt :  „Infantin  Klara  Eugenia,  ein  Kind  von  drey  Jahren". 
Hier  hatte  der  Theaterzettel  die  Bühnenerscheinung  in  der 
Illusion  des  Zuschauers  zu  korrigieren,  denn  zu  der  Rolle 
musste  natürlich  ein  etwas  grösseres  Kind  verwendet  Averden. 
Aus  diesem  Grunde  wohl  ist  die  Altersangabe  bei  Kindern 
ziemlich  häufig,  siehe  Weisses  „Richard  IIL",  Möllers  „Sophie 
oder  der  gerechte  Fürst",  Gemmingens  ,,teutscher  Hausvater", 
Kotzebues  „Adelheid  von  Wulfingen"  u.  a. 

„Seine  Personen  werden  ebenso  verschieden  seyn,  als  die 
einzelnen  Geschöpfe,  die  er  um  sich  her  wahrnimmt",  diese 
Forderung  Merciers  an  den  Dichter  seiner  Zeit  0  scheint, 
wenn  wir  die  Schillerischen  Personenverzeichnisse  durchsehen, 
von  Stück  zu  Stück  mehr  erfüllt.  Aber  doch  nur  äusserlich; 
innerlich  war  Schiller,  ebenso  wie  Goethe,  von  einem  solchen 
Naturalismus  weit  entfernt.  1797  findet  sich  in  einem  Brief 
an  Goethe  die  bereits  in  der  Egmontrezension  angedeutete 
Wahrnehmung,  dass  die  Charaktere  dei'  griechischen  Tragödie 
mehr  oder  weniger  idealische  Masken  und  keine  eigentlichen 
Individuen  seien;  dass  z.  B.  Kreon  bloss  die  kalte  Königs- 
würde personifiziere. 

Bald  darauf  findet  er  Shakespeare  im  ..Julius  Cäsar"  und 
besonders  im  „Richard  III."  den  Griechen  äusserst  nah.  und 
die  Frucht  dieser  Beobachtungen')  wird  schliesslich  als  Norm 
für  das  eigene  öchatfen  ausgesprochen:  durch  symbolische  Be- 
helfe soll  die  Poesie  sich  reinigen,  ihre  Welt  enger  und  be- 
deutender zusammenziehen. 


')  Neuer  Versuch  (Wagner)  S.  21. 

2)  An  Goethe  4.  April,  7.  April,  28.  Nov.,  29.  Dez.  1797.     Jonas  V, 
S.  168,  173  f,  292,  312  f. 


—     55     — 

Recht  zu  entwickeln  vermag  Schiller,  wie  er  selbst  ein- 
gesteht, den  Beg-riff  des  Symbolischen  nicht;  seine  Erscheinungs- 
formen sind  eine  eigene  poetische  Welt  (wie  in  den  Malthesern 
oder  der  Braut  von  Messina),  eine  Repräsentation  der  Ge- 
samtheit in  einzelnen  Vertretern  (., Wilhelm  Teil";  es  ist  z.  B. 
nicht  bedeutungslos,  wenn  Jenny,  Kuoni  und  Werni  zunächst 
ohne  ihre  Namen')  als  Fischerknabe,  Hirt  und  Alpenjäger  auf- 
treten) und  die  p]ntwicklung  einzelner  Gestalten  zu  bedeut- 
samen Typen  von  allgemein  menschlichem  Gehalt  "')• 

Es  ist  nicht  recht  begi'eitlich,  wie  0.  Ludwig  ''),  der  die 
gleiche  Beobachtung  an  Shakespeare  machte,  bei  den  deutschen 
Klassikern  die  Tendenz  zur  symbolischen  Verallgemeinerung 
gänzlich  vermissen  konnte.  Ihren  deutlichsten  Ausdruck  tindet 
diese  Richtung  in  den  Personen  von  Goetlies  „Natürlicher 
Tochter''  *),  von  denen  auch  der  individuelle  Name  abgestreift 
ist  und  die  nur  als  König,  Herzog,  Hot'meisterin,  Sekretär  vor 
uns  treten.  In  ganz  anderer  Weise,  als  beim  bürgerlichen 
Drama,  wo  die  alltäglichen  Namen  nicht  fehlen,  geben  hier 
die  Standesbezeichnungen  den  Umriss  jeder  Erscheinung.  Schiller 
bewunderte  .,die  hohe  Symbolik,  mit  der  Goethe  den  Stoff  be- 
handelt hat,  so  dass  alles  Stoffartige  vertilgt  und  alles  nur 
Glied  eines  Ganzen  ist"  '').  Er  selbst  nahm  seinen  Figuren 
die  bunte  äussere  Bekleidung  nicht,  aber  wenn  wir  etwa 
einen  La  Valette  als  den  Hausvater    im  heroischen  Sinn    vor 


*)  Goethe  nannte  im  Gespräch  mit  Kiemer  1809  sogar  den  Bauer 
mit  den  Würfeln  in  „Wallensteins  Lager"  eine  symbolische  Figur  und  zu- 
gleich eine  repräsentative,  denn  er  stelle  die  ganze  Klasse  vor.  (v.  Bieder- 
mann, Goethes  Gespräche  II.  270.) 

-)  Dilthey,  Die  Einbildungskr.  d.  Dichters.  Philos.  Aufs.  f.  Zeller 
S.  191. 

')  Werke,  Bd.  V.  S.  68,  82,  108,  193  If.  Gerade  umgekehrt  Hebbel, 
Tagebücher  II,  S.  50. 

■•)  Vorher  schon  in  den  ,, Aufgeregten". 

5)  An  W.  V.  Humboldt  18.  Aug.  1809  Jonas  VII,  65.  Caroline 
Herder  berichtet  dagegen  in  einem  Brief  an  Knebel:  „Schiller  soU  gesagt 
haben :  er  bedauere,  dass  zu  viel   Katur  in  diesem  Stück  sei !" 

Interessant  ist  Carol.  Herders  Erklärung  für  die  Personenbenennung: 
„  Hier  zeigt  sich  nun  in  den  verschiedenen  Situationen,   wo    sie  [Eugenie] 


—     56     — 

ihm  stehen  sehn  oder  wenn  er  im  „Demetrius"  Boris  als  den 
untergehenden  Usurpator  schlechthin  auifasst  ').  so  blickt  durch 
das  individuelle  Gewand  die  innere  Öymbolik  hindurch. 


4.   Die  Namen. 

Wenn  Gottscheds  Poetik  den  intuitiven  dichterischen 
Prozess  in  schulmeisterlicher  Verflachung  darstellte  (der  Poet 
ersinnt  eine  Fabel  und  „sucht  in  der  Historie  solche  berühmte 
Leute,  denen  etwas  ähnliches  begegnet  ist  und  von  diesen 
entlehnt  er  die  Namen"^),  so  ist  doch  etwas,  für  Schiller 
wenigstens,  Zutreffendes  angedeutet,  nämlich  das  unabhängige 
Auftauchen  von  Figuren  und  Namen  und  das  Nebeneinander- 
gehen, ehe  beide  verwachsen. 

Hinter  die  aus  Vertot  herausgesuchten  Maltesernamen 
hat  der  Dichter  Begriffe  geschrieben,  die  schon  voi"  den  Namen  da 
waren:  Grossmeister,  Confldent,  Freund,  -Jüngling  u.  a.^), 
und  während  dieser  innere,  im  weitesten  Sinne  symbolische, 
Gehalt  der  Figuren  gleich  blieb,  wechselte  das  Gewand  in 
den  ersten  Stufen  des  Planes  öfters,  z.  B.  St.  Hilaire,  Saintfoix 
oder  St.  Priest;  der  gemeinsame  Bestandteil  dieser  Namen 
zeigt  andererseits,  dass  doch  keine  vollkommene  Willkür  in 
der  Wahl  herrschte. 

Für  das  Trauerspiel  „Die  Polizei"  waren  überhaupt  noch 
keine  Namen  gefunden;  dagegen  ist  ein  abstraktes  Personen- 
verzeiclmis  da:  Der  Sohn  der  Familie,  die  fromme  Tochter, 
der  rVater    aus  der    Provinz,     der     Broschürenschreiber,    der 

um  Hilfe  fleht,  dass  sie  nur    Stände,  nicht  Menschen,  antrifft". 

(Carol.  H.  an  Kn.  12.  April  1803  Knebels  Litt.  Nachl.  hsg.  v.  Varn- 
hagen  u.  Mundt  II,  S.  345  f.) 

1)  An  Ifllaiid  19.  Nov.  1800  Jonas  VI,  215.   Dram.  Nachl.  I,  S.  115,  207. 

^)  Es  ist  eine  ungeschickte  Wiederholung  des  Aristoteles.  Schiller 
fand  gerade  diese  Steile  der  Poetik  (Cap.  9)  recht  gescheit.  (An  (Joethe 
5.  Mai  1797.    Jonas  V,  190.) 

')  Dramat.  Nach).  II.  3;  Kettuer,  Vjschr.  IV,  S.  555. 


—     57     — 

Philosoph,     der    Tlhiminat     und    geheime    Gesellschafter,    der 
Mönch. ij 

Die  Namen  hätten  sieh  jedenfalls  später  eingestellt.  Auch 
Goethe  hätte  ja  schliesslich  seine  blossen  Standestitel  in  der 
Natürlichen  Tochter  beliebig  ergänzen  können ,  aber  der 
Name,  der  sich  organisch  mit  der  Gestalt  verbinden  konnte, 
fand  sich  eben  nur  für  Eugenie;  ähnlich  in  den  Wahl- 
verwandtschaften :  den  Namen  Ottilie  trug  er  schon  seit 
den  Elsässer  Jugendjahren  in  sich^j;  der  Hauptmann  blieb 
unbenannt.  Gerade  der  Verzicht  auf  eine  willkürliche  Be- 
nennung beweist  die  poetische  Wichtigkeit  des  Namens  an 
sich;  er  sollte  kein  schlotternder  Mantel  sein,  sondern  ein  voll- 
kommen passendes  Kleid^).  In  der  zweiten  Hälfte  des  acht- 
zehnten Jahrhunderts  achtete  man  besonders  auf  die  Vornamen: 
wenn  Goethe  es  an  einer  anderen  Stelle  von  Dichtung  und 
Wahrheit  ausspricht,  wie  dei'  wohlklingende  Name  über  das 
ganze  Leben  der  Person  einen  anmutigen  Schimmer  verbreiten 
könne,  so  erinnert  das  beinahe  an  das  Steckenpferd  von  Tristram 
Shamlys  Vater,  wonach  durch  den  Taufnamen  die  ganze  Ent- 
wicklung des  Menschen  unabänderlich  bestimmt  ist*).  Für  die 
suggestive  Wii-kung  des  Namens  bi'ingt  auch  der  sensitive 
Karl  Phil.  Moj-itz  in  seinem  psychologischen  Roman  ein  Beispiel: 
bei   Anton    Reiser   konnte   der    blosse  Klang    eine    bestimmte 


')     Dram.  Nachl.  II,  67. 

■-')  D.  11.  W.  III,  11.  Buch.     W.  A.  I,  Bd.  28,  S.  7'J. 

')  D.  11.  W.  11,  U).  B.  III.  11.  Burh.  W.  A.  I,  Bd.  -27,  S.  ;S11. 
Bd.  28,  S.  -27  f.  Siehe  auch  Wanderjaüre  (W.  A.  I,  Bd.  25,  S.  246) : 
„Der  Xanie  bhil)t  doch  iniuier  der  schönste  lebendigste  Stellvertreter  der 
Person". 

')  Der  Eintluss  Sternes  tritt  an  einer  Stelle  in  Gotters  Erbschleichern 
III,  11  hervor:  „Justine  heissen  Sie 's'  Bin  schöner  Name.  Ein  Name, 
den  der  Namenkonner,  Shandy,  gewiss  unter  die  glücklichsten  gezählt 
hätte."  Ferner  Lichtenberg,  Vermischte  Schriften,  Göttingen  1844,  Bd.  V, 
S.  250  f.  Lichtenberg  bringt  diese  Mode  auch  mit  der  Physiognomik  in 
Zusammenhang :  „Ja,  die  angehenden  Fhysiognonien  schliessen  sogar  aus 
den  Namen,  und  die  Balthasare  scheinen  ihnen  den  Friedrichen  nachzu- 
stehen.    (Bd.  IV.  02,  54.) 


—     58      — 

Vorstellung  erwecken^).  Übrigens  hat  auch  Lessing  den 
Dichtern  Vorsicht  in  der  Wahl  ihrer  Namen  empfohlen^). 

Zwischen  Roman  und  Drama  bestehen  hierin  technische 
Verschiedenheiten :  wäiirend  der  Romandichter  persönlich  her- 
vortreten und  die  Willkür  seiner  Wahl  offen  zeigen  kann : 
z.  B.  „Eduard  —  so  nennen  wir  einen  reichen  Baron  im  besten 
Mannesalter"  oder  „Dieser,  den  wir  einstweilen  Laertes  nennen 
wollen",  verlangt  das  Theaterpublikum  eine  gewisse  Garantie 
für  die  objektive  Gültigkeit  des  Namens;  auch  die  äussere 
Erscheinung,  die  beim  Roman  als  Einführung  dienen  kann, 
z.  B.  „die  Amazone",  „die  Griechin",  genügt  nur  selten  dem 
Theaterzettel.  Andererseits  wird  auf  der  Bühne  der  Name 
wirklich  laut  und  die  Klangwirkung  ist  zwingender. 

Der  junge  Schiller  nun  bekam  durch  Schubart  die  Namen 
Karl  und  Wilhelm  überliefert ;  aber  mit  dem  Namen  Wilhelm, 
den  noch  dazu  sein  Freund  v.  Hoven  trug,  verband  sich  für 
ihn  das  Bild  des  Bösewichtes  nicht;  er  wählte  Franz^)  und 
blieb  damit  nach  Minor*)  bei  dem  Namen  einer  früheren  Figur, 
des  Franz  Pazzi  aus  dem  „Cosmus  von  Medicis".  Unwahr- 
scheinlicher ist  es,  wenn  Minor  annimmt,  Verrina  verdanke 
seinen  Vornamen  dem  liberalen  Kaiser  Josef.  Der  historische 
Vorname  Johann  Baptista  fehlt  bei  Robertson,  Retz  und 
Mailly  und  steht  nur  bei  Haeberlin^),  dessen  Benutzung  von  ge- 
linger  Bedeutung  ist.  Zur  Wahl  des  neuen  Namens  für  den 
schroffen  Republikaner  können  unauffindbare  Assoziationen 
beigetragen  haben.  Die  übrigen  Vornamen  gehen  auf  die 
Quellen  zui'ück  und  zwar  die  Form  Gianettino  auf  Robertson 
(bei  den  Franzosen  heisst  er  Jeannetin),  die  Namen  Vincent, 
Rafael  u.  s.  w.  auf  die  französischen  Schriftsteller. 


')  Anton  Reiser,  D.  L.  D.  23,  S.  46. 

')  Hamb.  Dratn.     8.  Stück.     Lachm.-Muncker,  IX,  S.  218. 

^)  Interessant  ist  es,  dass  in  Klingers  Falschen  Spielern  die  Namen 
Karl  und  Franz  gerade  vertauscht  sind  und  Franz  den  Helden,  Karl  den 
Bösewicht  bedeutet.     Kieger  II,  S.  12. 

*)  Minor  I,  S.  138,  559.     II,  S.  43. 

*)  Häberlin,  Gründl.  histor.-polit.  Nachr.  v.  d.  Republik  Genua  1747, 
S.  60. 


—     59     — 

Diese  Vermischung-  von  echten  und  verdeutschten  Namens- 
formen  bei  fremdländischen  ^toften  setzt  sich  auch  in  den 
späteren  Stücken  foit.  K;irl  kommt  neben  Carlos  vor;  Posa 
steht  in  den  ersten  Ausg-aben  als  Rodrigo,  aber  auf  der  ersten 
Silbe  betont;  nach  Erkenntnis  dieses  Irrtums^)  zwangen  metrische 
Gründe,  überall  Roderich  einzusetzen.  Von  Maria  Stuart  ab 
wird  mehr  Wert  auf  Echtheit  geleg-t ;  in  den  Vorarbeiten  zum 
Demetr'ius  findet  sich  sog^ar  ein  Verzeichnis  russischer  Vor- 
namen-); trotzdem  wird  für  die  Hauptfigur  nicht  am  Namen 
Dmitri  festgehalten;  auch  die  Jungfrau  wurde  nur  im  Vor- 
spiel .leannette  genannt^). 

Eine  merkwürdige  Erscheinung  ist  es,  dass  bei  der  inneren 
Wandlung  einer  Person  auch  der  Name  sich  verändern  kann. 
So  bittet    in   Klingeis   Otto   der  Herzog   den  Bischof  bei   der 

\'ersühiuing: 

.,Koniiiit  lieber  Bischof,  verändert  euren  Namen  I  Ihr  heisst 
Adelbcrt:  den  Namen  kann  ich  nicht  dulden,  ich  denk  immer  meinen 
Feind  darunter,  verändert  ihn!  Wie  soll  ich  euch  nennen?  Ja  so, 
heisst  Bonii'acius." 

Ähnliches  findet  sich  im  Roman  bei  Goetlies  Jarno-Montan 
oder  in  Wielands  Agathon.  wo  die  weibliche  Hauptfigur  als 
unschuldiges  Mädchen  Myi'is  heisst,  als  Hetäre  Danae.  und 
zur  Tugend  zurückgekehrt  sich  Chariklea  nennt.  Und  bei 
Schillers  Lady*)  wiederholt  sich  das  Gleiche;  nachdem  sie  sich 
noch  eben   im  Monolog  Emilie  genannt  hat,    unterschreibt   sie 


')  Die  Verbesserung  seit  der  Ausgabe  von  ISül.  Die  Erkenntnis 
stellte  sich  aber  schon  früher  (vor  1797)  ein,  siehe  Jonas  V,  204.  An  Sophie 
Mereau:  ..Andern  Sie,  wenn  es  irgend  möglich  ist,  noch  die  Ausspräche 
des  Namens  Rodrigo.     Es  muss  durchaus  die  zweite  Silbe  lang  seyn." 

-')  Dramat.  Nachl.  I,  228,  254  f.  Über  den  Namenwechsel  auf  Grund 
verschiedener  Quellen:     S.  LXX. 

')  Es  entspricht  dies  übrigens  den  lateinischen  Prozessakten,  wo 
die  .lungfrau  aussagt,  sie  sei  zu  Hause  .Johanneta,  in  Frankreich  aber  Johanna 
genannt  worden.     (Düntzer.  Erläut.  zur  Jungfr.  v.  Orleans.  6.  Aufl.,  S.  14(1). 

')  Zufällig  befindet  sich  der  Agathon  unter  den  in  Bauerbach  von 
Reinwald  bestellten  Büchern  (Jonas  I,  S.  86).  Schmieder  (Ann.  d.  Th.  1795, 
15.  G.  S.  11)  korrigiert  Schiller:  die  Tochter  vom  Geblüte  der  Norfolk 
müsse  sich  Johanna  Howard  unterschreiben. 


—     60     — 

ihre  Lossag-ung-  Johanna  Norfolk.  Das  Bauernniädchen  Jeannette 
wird  mit  ihrer  grossen  Aufgabe  zar  Johanna,  und  im  Demetrius 
sollte  der  Wechsel  zwischen  den  Namen  Marfa  und  Maria 
von  Bedeutung  sein^). 

Der  Name  wird  also  als  Etikette  für  den  Charakter  be- 
handelt; ein  letzter  Reflex  von  jenen  typischen  Namen,  die  zu 
Anfang  des  Jahrhunderts  geherrscht  hatten  und  immerhin  ein 
besseres  Öuggestionsmittel,  als  die  aufdiinglichen  Charakter- 
namen, die  sich  im  bürgerlichen  Drama  noch  hielten  und  bis 
ins  19.  Jahrhundert  über  Anzengrubers  Düsterer  hinaus  ihr 
Dasein  fristeten.  Diese  Art  der  Namengebung,  die  Gottsched 
in  seinen  Vernünftigen  Tadlerinnen  bis  zum  Überdruss  ange- 
wandt und  an  Komödien  wie  Königs  Verkehrter  Welt^)  gelobt 
hatte,  entsprang  viel  weniger  dem  Streben  nach  Charakteristik, 
als  der  Verlegenheit,  einen  passenden  bürgerlichen  Namen  zu 
finden;  denn  die  Anfangsbuchstaben  mit  folgenden  Stei'nchen, 
mit  denen  sich  Romandichter  behalfen,  waren  auf  der  Bühne 
eben  unmöglich.  (Nur  Diderot  führt  im  Personenverzeichnis 
des  Hausvaters  „M**'^  ein  verschämter  Armer"  und  „Germeuil, 
Öohn  des  verstorbenen  Herrn  von  **"  auf). 

Auch  Schiller  lialf  sich  in  dieser  Veiiegenheit  mit  dem 
Namen  Edelreich  für  seine  Amalia;  Schufterle  ist  als  wirk- 
licher Spitzname  nicht  mitzurechnen;  dagegen  sind  noch  im 
Teil  die  Söldner  Frieshard  und  Leuthold  durch  diskrete  redende 
Namen  unterschieden. 

Sonst  schloss  sich  Schiller  in  erfundenen  Steifen  dem  fort- 
geschrittenen Brauche  der  Zeit  an:  seit  Lessing  wui'den  je 
nach  dem  Muster  der  Sarah,  Minna,  Emilia  englische,  deutsche, 
italiciiische  FamiHcnnaroen  irgendwoher  aufgelesen  oder  —  meist 
in  Anlehnung  an  andere  —  erfunden.  Klinger  entnahm  die 
Namen  Berkley,  Bushy  und  La  Feu  aus  Shakespeares  Richard  II. 
und  Ende  gut  alles  gut^);  ebenso  kommen  die  Namen  Mortimer 
und  Montgomery  bei  Shakespeare  (Heinr.  IV.   u.  Heinr.  VI.) 

V  Drani.  Naehl.I,  S.  157,222.  Es  wuchert  diesesMotivim  19.  Jahrhundert 
in  Gutzkows  „Ottfried",  dem  eine  Novelle  „Die  Selbsttaufe"  zu  Grunde  liegt. 
-)  Vern.  Tadl.  (1725)  XLIV.  Stück.     S.  349. 
=>)  Kieger  I,  S.  189,  195. 


—     61      — 

vor;  zwischen  allen  diesen  Namensbrüdern  besteht  aber  kein 
innerer  Zusammenhang-.  Wenn  dag-egen  Lillos  Millwood  ihie 
beiden  Silben  unter  Lessing-s  Marwood  und  Schillers  Milford 
teilte,  so  teilte  sie  beiden  auch  von  ihrem  Blute  mit.  So 
konnte  denn  auch  mit  einem  Namen  der  ganze  Charakter 
übernommen  werden:  Goethe  nannte  seinen  politischen  Kanne- 
giessei"  in  den  „Aufgei-egten"  Breme  von  Bremenfeld  und  gab 
ihn,  um  diese  Entwendung  zu  rechtfertigen,  als  Enkel  des 
Holbergischen  Helden  aus:  und  als  Schiller  ein  „Lustspiel  im 
Geschmack  von  Goethes  Bürgergeneral "^)  schreiben  wollte, 
verwendete  er  die  Goethischen  Personen,  denselben  Schnaps-), 
dei'  erst  aus  den  beiden   jjillets  stammte. 

Die  Heldin  des  Warbeck  (sonst  Adelaide)  nennt  Schiller  ein- 
mal Prinzessin  von  Cleve^),  und  ebenso  bezeichnet  er  ein  anderes 
Mal  aus  Versehen  die  Prinzessin  von  Zelle;  beides  in  Erinnerung 
an  die  Princesse  de  Cleves  der  Mad.  Lafayette;  in  allen  drei 
Fällen  handelt  es  sich  um  ein  natürliches  edles  Geschöpf  inner- 
halb von  Hofintriguen  und  um  seine  Stellunc  zwischen  zwei 
Männei'n,  an  deren  einen  sie  gefesselt  ist.  Die  Namen  von 
Megen  uml  ]*iin/  I^]rich  von  Gotland  gehen  ebenso  wie  der 
Rischof  von  Vpern  aus  dem  Warbeck  in  die  Gräfin  von 
Flandern  über  und  sie  bleiben  dort  dieselben  Figuren :  die 
unternehmende  Vertraute  der  Heldin  und  der  abgewiesene 
Freiei'.  Und  da  der  Begriff  der  Schillerischen  Heldin  etwas 
Stereotypes  hat,  so  vererben  sich  auch  g^ewisse  Vornamen  von 
einem  Entwürfe  zum  anderen,  so  Adelaide"')  (Kinder  des  Hauses, 
Warbeck,  Bi-aut  in  Ti'auer)  und  Mathilde  ((iräfin  von  Flandern, 
Rosamund,  Braut  in  Trauer). 

1)  Drain.  Nachl.  II,  S.  265. 

-)  In  den  Tag-  und  Jahresheften  spricht  Goethe  geradezu  von  dem 
Fach  der  Schnäpse.     W.  A.  I,  Bd.  35,  S.  24. 

^)  Drani.  Nachl.  II,  S.  181,  225. 

*)  Adelheid,  Mathilde  und  Bertha  (Fiesko,  Teil)  gehörten  zu  den 
beliebtesten  Namen  im  llitterdrama.  Für  den  Namen  Bertha  sei  Goethe 
angeführt  (D.  u.  W.  11,  W.  A.  I,  Bd.  28,  S.  28)  „Ein  schönes  Kind, 
welches  wir  mit  Wohlgefallen  Bertha  nennen,  würden  wir  zu  beleidigen 
glauben,  wenn  wir  es  llrselblandine  nennen  sollten."  Für  den  Namen 
Mechthilde  be<reistert  sich  Mail.  Melina  im  Wilhelm  Meister. 


—      62     — 

Die  Sturm-  und  Drangzeit  liebte  die  alltäg-lichsten  bürger- 
lichen Familiennamen:  die  Langen,  Walz,  Humbrecht,  Läufer; 
doch  konnte  es  mitunter  glücken,  einen  gebräuchlichen  Namen 
zu  finden,  der  zugleich  redenden  Charakter  hatte,  z.  B.  Wild 
in  Sturm  und  Drang,  Brand  im  Leidenden  Weib  —  derselbe 
Name,  unter  dem  sich  Schillers  Held  mit  den  feuerwerfenden 
Augen  im  Schlosse  der  Väter  anmelden  lässt.  Hierhergehört 
auch  Wurm,  ein  Kleid,  das  dieser  kriecherischen  Kreatur  wie 
angegossen  sitzt,  ohne  aufdringlich  zu  wirken;  mit  seinem 
Hofmarschall  dagegen  zog  sich  Schiller  den  Vorwurf  zu,  eine 
Spielerei  nach  der  alten  Komödienmanier  getrieben  zu  haben^). 
Wir  wissen  aber,  dass  er  gerade  hier  einen  wirklichen  Namen, 
der  ihm  unrühmlich  zu  Ohren  gekommen  war,  an  den  Pranger 
stellte;  es  handelt  sich  um  den  Schwager  der  Chai'lotte  von 
Kalb^);  auf  einen  Tiernamen  überhaupt  kann  auch  ein  Stutt- 
garter Hofmarschall  von  Bär  hingelenkt  haben^). 

Von  Namen  aus  dem  Bekanntenkreise  hatten  Lessing  und 
Goethe  bereits  Gebrauch  gemachf*);  bei  Schiller  nun  gelang 
es,  überhaupt  für  die  meisten  Personen  der  ersten  Stücke 
Namensvettern  in  der  Bekanntschaft  aufzuspüren.  Die  Namen 
Moor,  Schweizer,  Razmann,  Moser,  Walter,  Kalb,  Imhof, 
Hütten,  Abel  und  der  Ritter  v.  Stein,  auch  die  nur  erwähnten 
v.  Bock  und  Ostheimb  sind  nachgewiesen;  schliesslich  würden 
sich  auch  Familien  Miller^  und  Wieser  finden  lassen;  aber 
dann  bleibt  immer  noch  die  Frage,  wieviel  Schiller  bewusst 
aufgenommen  hat.  Ob  er  wirklich  den  Namen  Walter,  nach- 
dem er  Wieser")  aufgegeben  hatte,  in  Erinnerung  an  seinen 
Ludwigsburger  Denunzianten  wählte,  ist  zweifelhaft ;  kompro- 
mittieren konnte  er  den  Namen  jedenfalls  nicht,  denn  ihn  trug 
nicht  nur  der  "Präsident,  sondern  auch  der  Held  des  Stückes, 
und  dieser  allein    wird  häufig   mit  seinem   Namen  angeredet. 


')  Braun  I,  S.  108. 

"")  Brahm  I,  318. 

'■')  Düntzer,  Erläut.  zu  Kab.  u.  Liebe,  S.  152. 

*)  E.  Schmidt,  Lessing,  2.  Aufl.  I,  S.  464.     Minor,  G.-J.  VIII,  231  ff. 

<*)  Miller  z.  B.  Jonas  I,  72,  164. 

'■)  Goed.  III,  S.  X  f. 


—      63      — 

Es  lässt  sich  statt  dessen  eine  andere  Vermutuno-  aufstellen : 
Avie  bei  Milford  an  Milhvood,  so  kann  öcliiller  bei  von  Walter 
an  von  Waller  gedacht  haben,  den  vei-wandten  Helden  in 
Gotters  Mariane^). 

Ob  der  Dichter  auf  einen  Namen  übeihaupt  Wert  legt, 
dafür  giebt  die  Häufigkeit  des  Gebrauches  ein  entscheidendes 
Kennzeichen :  Verrinas  Vorname  z.  P>.  wird  nui*  einmal  in 
der  Ijiste  der  Verschworenen  genannt,  während  wir  liourgog- 
ninos  ausdrucksvollen  Namen  Scipio  öfters  zu  hören  bekommen. 

Diese  Vornamen  stehen  übi'igens  nicht  auf  dem  Personen- 
verzeichnis ;  auch  Spiegelbergs  Name  Moritz  fehlt  dort,  ebenso 
vernehmen  wir  in  Wallenstein  erst  innerhalb  des  Stückes  die 
Namen  Albrecht,  p]lisabeth,  Therese.  Gerade  umgekehrt  ver- 
fährt Schiller  von  Maria  Stuart  ab  :  die  Leicester,  Burleigh, 
Shrewsbury  führen  auf  dem  Zettel  ihre  historischen  Vornamen 
ohne  Erwähnung  im  Stück. 

Dasselbe  begegnet  uns  bei  den  Nebenpersonen.  Wenn 
bisher  oftmals  Namen    im   Dialog   gebraucht  waren,    nur    um 


')  Das  Stück,  dessen  AuHuhruiig  in  Maunheiin  Schiller  am  20.  Okt. 
1782  oder  am  18.  Sept.  1783  gesehen  haben  kann  (Walter  II,  S.  400) 
zitiert  er  in  seiner  Kede  (Goed.  III,  S.  520),  und  zwar  als  Beispiel  des 
Selbstmordes  durch  Gift,  also  gewissermassen  an  Stelle  seines  eigenen 
Stückes.  Die  Besetzung  der  beiden  Hauptrollen  war  dieselbe  :  Beck  und 
Car.  Ziegler  (Martersteig,  S.  12  rt".,  70).  Der  Schluss  des  zweiten  Aktes  kann 
auf  das  grosse  Finale  in  Kabale  und  Liebe  von  Einfluss  gewesen  sein. 
Dem  wiederholten:  „Bestehen  Sie  noch  darauf?"  entspricht  dort:  «Herr 
Präsident  —  Können  Sie  noch  fühllos  seyn?*  Die  weitere  Steigerung 
besteht  auch  dort  in  der  Drohung  mit  dem  öffentlichen  Skandal :  „Tritt 
ohne  Zittern  zum  Aliar  !  schrey  dort  laut  über  Gewalt!  nimm  das  Volk 
zum  Zeugen,  den  Allgegenwärtigen  zum  liichterl  .  .  .  Ich  steh  dir  bey, 
dränge  mich  zu  dir,  vereinige  mein  Geschrey  mit  deiner  Stimme,  erzähle, 
was  ich  hörte,  was  ich  sah  — " 

Namen  dieses  Klangs  sind  überhaupt,  namentlich  im  bürgerlichen 
Drama,  merkwürdig  beliebt:  Lina  von  Waller  (Schink),  Eugenie  Waller 
(Brandes),  Karl  Waller  (Tiecks  „Abschied"),  Waller  („Stille  Wasser 
sind  tief  von  Schröder),  Wanner  (Itflands  Herbstagj,  Wallmann  (Ifflands 
Aussteuer),  Walltron  (Möller),  Wallenfeld  (Ifflands  Spieler),  Elise  v.  Val- 
berg  (Iffland),  aber  auch  Goethes  Adelheid  von  Walldorf,  Kleists  Walter 
im  Zerbrochenen  Krug. 


—     64     — 

zu  dessen  realistischer  Belebung  zu  dienen,  so  in  den  Räubern 
Spang-eler  und  Bügel,  im  Fiesko  die  Bedienten  Stefano.  DruUo, 
Antonio,  im  Carlos  Graf  Cordua  und  Henarez,  im  Wallenstein 
Gustel  von  Blasewitz  und  der  lange  Peter,  der  Bauernknabe 
Emmerich  und  der  Rekrut  Franz,  der  Bediente  Nathanael.  die 
Generäle  Karaffa,  Forgatsch  und  Deodati,  die  Kürassiere 
Risbeck  und  Meicy  und  der  Bürgermeister  Pachhälbel  —  alles 
Namen,  die  im  Pei'sonenverzeichnis  fehlen,  so  tinden  Avir  unter 
den  späteren  Figuren  die  Raoult  und  Montgomerv  oder  die 
russischen  Bauern  Gleb,  Ilia,  Timoska  u.  s.  w.,  deren  Namen 
niemals  auf  der  Bühne  laut  werden.  Hier  stimmen  natürlich 
die  Namen  nicht  mehr  mit  irgend  einer  Yorstellung  überein  ; 
ein  rein  äusserlicher  Grund  ist  bestimmend:  Auch  Goethe 
hatte  in  den  Bühnenbearbeituugen  des  Götz  die  Namen  Fand, 
Peter,  Wanzenau,  Blinzkopf  eingeführt,  worin  kein  Wider- 
spruch zu  dem  bei  der  Natürlichen  Tochter  und  dem  Gross- 
cophtha  befolgten  Prinzip  liegt.  Es  ist  das  Werk  des  Theater- 
direktoi's,  eine  Bequemlichkeit  für  die  Rollenverteilung  und  die 
Anoidnungen  des  Regisseurs,  die  auch  den  kleinen  Schau- 
spielern entgegenkam  und  ihrer  Eitelkeit  schmeichelte. 

Für  den  Teil  „kreierte"  Schiller  erst  nachträglich  die 
Rollen  der  Mechthild,  Elsbet,  Hildegard^),  „um  die  drei  noch 
übrigen  Schauspielerinnen  mit  Antheil  in  das  Stück  hineinzu- 
ziehen, weil  sie  nicht  gern  Statisten  machen."  Und  um  den 
Chor  in  der  Pjraut  von  Messina  besser  besetzen  zu  können, 
löste  er  ihn  in  einzelne  Ritter  aus  dem  Gefolge  der  Brüder 
auf,  gab  jedem  seinen  Namen  und  freute  sich  darüber,  dass 
die    Schauspieler    den  Chor   auf    die  Bühne    bringen   würden, 


')  An  Goethe  [24.  Febr.  1804],  Jonas  VII,  128.  Es  könnten  auch  die 
im  Uamburgfer  Theatermanuskript  hinzugefügten  Marie,  Irnientraut,  Johanna 
darunter  verstanden  sein.  Da  mir  der  Weimarer  Theaterzettel  nicht  zu- 
gänglich ist,  kann  ich  darüber  nicht  entscheiden.  Unglaublich  missver- 
standen ist  diese  Hriefstelle  von  Duschinsky,  Zeitschr.  f.  östr.  Gymn. 
50  S.  498.  Er  fasst  als  die  3  neu  geschaffenen  Rollen  Bertha,  Armgard 
und  Hedwig  auf  und  hält  es  für  möglich,  dass  Hedwig  3  Wochen  vor  der 
Aulführung  nach  dem  Muster  der  Lady  Macdulf  erfunden  worden  sei. 


—      65      — 

ohne  es  selbst  zu  wissen^).  Auch  bei  der  Rütliszene  wollte 
er  nicht  mit  erstem,  zweitem,  drittem  Schwytzer  u.  s.  w.  ope- 
rieren; jede  Rolle  erhält  ihren  Namen,  darunter  auch  Ulrich  der 
Schmidt,  über  den  nur  g-esprochen  wird;  er  selbst  hat  nichts  zu 
reden.  Zwölf  andere  stumme  Personen  bleiben  allerdings  na- 
menlos: sie  existieren  aber  auch  nur,  damit  die  überlieferte 
Zahl  dreiunddreissig- ^)  zu  Stande  kommt,  die  für  das  Buchdrama 
von  Wichtigkeit  ist ;  das  Theaterpublikum  zählt  nicht  nach, 
und  von  den  zwölf  Statisten  war  jedenfalls  auf  kleineren  Büh- 
nen wenig-  zu  sehen.  Mit  den  einundzwanzig  Namen  aber  hat 
Schiller  auf  symbolischem  Wege  eine  weit  grössere  Volksmenge 
auf  die  Bühne  gestellt,  als  in  den  Gruppenszenen  seines  ersten 
Stückes,  wo  einmal  achtzig  Raube)-  sich  zusammendrängen 
müssten. 


5.    Die  Vorstelluiic:  der  Personen. 

Unter  den  Fortsetzern  des  „Üemetrius"  ist  Laube  der 
Einzige,  der  auch  an  dem  Schillerischen  Fragment  eingreifende 
Veränderungen  vornahm,  indem  er  der  Reichstagsszene  expo- 
nierende Auftritte  voraussciiickte  und  so  das  majestätische 
Anfangsbild  zerstöite.  So  sichei-  es  nun  auch  ist,  dass  Schiller 
diese  Zersplitterung  nicht  gebilligt  hätte,  so  klar  sind  doch 
Laubes  Gründe  und  so  fraglich  muss  es  sein,  ob  Schiller  selbst 
mit  der  Reichstagsszene,  wie  sie  ist.  das  ganze  Stück  eröffnet 
hätte.  Als  er  an  das  Trauerspiel  „Die  Polizei"  ging,  hat 
er  sich  ermahnt,  den  Zuschauer  durch  die  Menge  der 
Personen  nicht  zu    verwirren,    sondern  die  einzelnen  Figuren 

')  An  Körner.     6.  Febr.  1803.     Jonas  III,  S.  11. 

•)  Bei  Tschudi  heisst  es:  „solt  jeder  der  gemelten  dry  Eidgenossen 
mit  Im  bringen  9  oder  10  Mann-'.  (Bellermanus  Schillerausgabe  Bd.  V, 
S.  519).  Die  Gesamtzahl  33  giebt  Müller.  Aber  schon  bei  der  ersten 
Weimarer  Aufführung,  und  noch  mehr  bei  der  verkürzten  Darstellung  am 
1.  Dez.  1804,  wurde  die  Zahl  der  Landgemeinde  verringert.  (Düntzer, 
Erläut.  z.  Wilh.  Teil.  6.  Aufl.  1897,  S.  29.  37,  199.)  Übrigens  ist  auch 
im  Teil  von  Veit  Weber  (Leonh.  Wächter)  die  Zahl  33  festgehalten. 
Pftlaestra  XXXll.  5 


—      66      — 

wie  an  einer  Schnur  aufzureihen^).  Es  ist  damit  ein  praktischer 
Grundsatz  dramatischer  Technik  ausgesprochen:  Massenszenen 
langsam  zu  entwickeln  und  die  Figuren  erst  einzehi  zui-  Geltung 
zu  bringen,  ehe  man  sie  alle  ineinandergreifen  lässt.  Mit 
jeder  einzelnen  Person  des  Stückes  muss  das  Publikum  bekannt 
werden :  man  kann  dieses  Prinzip  die  Vorstellung  der  Personen 
nennen  und  man  kann  es  als  den  ergänzenden  zweiten  Teil 
des  Theaterzettels  bezeichnen.  Der  Theaterzettel  ist  ein 
Schlüssel  in  der  Hand  des  Zuschauers,  aber  er  ist  wie  der 
Feenschlüssel  im  Märchen:  der  Beschenkte  weiss  zunächst 
nicht,  was  damit  anfangen,  und  erst  nach  und  nach  bemerkt 
er,  wie  alle  Schlösser  von  selbst  aufspringen.  Jeder  Name, 
der  auf  dem  Theaterzettel  steht,  muss  erst  einmal  mit  Hinweis 
auf  eine  auftretende  Person  genannt  sein,  ehe  die  Verbindung 
zwischen  Publikum  und  Bühne  geschlossen  ist.  Das  Buchdrama, 
in  dem  wir  die  Namen  der  Sprechenden  zwischen  den  abge- 
setzten Reden  des  Dialoges  lesen,  hat  es  nicht  nötig,  diesen 
Konnex  herzustellen.  Bei  einer  Aufführung  aber  z.  B.  des 
„Gottfried  von  Bei'lichingen"  müssten  Avir  über  die  Persön- 
lichkeit dei'  meisten  Auftretenden  im  Dunkeln  bleiben;  bei  der 
Aufführung  des  Götz  in  Hamburg  gab  Schröder  vielleicht  mit 
aus  diesem  Grunde  noch  eine  Art  Textbuch'')  dem  Publikum 
in  die  Hände,  wo  der  Gang  des  Stückes  mit  allen  auftreten- 
den Personen  skizziert  war;  bei  Goethes  eigener  Bühuenbe- 
arbeitung  1804  war,  wie  Brahm  gezeigt  hat^),  einer  der  Haupt- 
punkte die  Vorbereitung  des  Auftretens  der  einzelnen  Personen, 
und  1809  endlich  sollte  sogar  die  Reihenfolge  des  Personenver- 
zeichnisses dem  Verständnis  des  Publikums  entgegen  kommen. 
Allerdings  bilden  bei  der  Theateraufführung  die  Schau- 
spieler selbst,  deren  Namen,  Gestalt,  Stimme  uns  nicht  fremd 
sind,  ein  Medium,  vermittelst  dessen  wir  die  Figuren  erkennen. 

')  Dram.  Nachl.  II,  S.  64. 
')  Winter,  Thcat.  Forsch.  II,  S.  28  ff. 

")  G.-J.  II,  193  fF.     Deutlich    ist   diese  Absicht  an  der  neuen   Ein- 
führung des  Seibiz  zu  erkennen  : 

II,  14.     Carl:  Wie  meld  ich  euch  meiner  Mutter,  edler  Herr? 
Seibiz:  Sag-  ihr,  Hans  von  Seibiz  grüsse  sie. 


—      67      — 

Im  18.  Jahrhundert  war  aber  die  Angabe  der  Schauspieler- 
namen bei  den  kleinen  Truppen,  die  mit  wechselndem  Publikum 
und  Personal  zu  rechnen  halten,  noch  nicht  allgemein^) ;  sogar 
in  Wien  war  sie  1780,  um  Kabalen  zu  verhüten,  wieder  abge- 
schatft  worden-);  jedenfalls  durfte  sich  der  Dichter  auf  diese 
Unterstützung-  nicht  verlassen. 

Dies  Medium  fehlte  gänzlich  bei  dem  antiken  Drama,  wo 
die  Schauspieler,  durch  Masken  unkenntlich,  in  der  Darstellung 
einer  Person  wechselten  und  wo  das  Personenverzeichnis  nur 
in  der  Erinnerung  des  Publikums  an  allbekannte  Stoffe  bestand. 
Hier  ist  nun  bei  allen  Figuren  die  Vorstellung  gewissenhaft 
durchgeführt,  was  deshalb  leicht  fiel,  weil  die  wenigen  Personen, 
die  gleichzeitig  auf  der  liühne  waren,  erst  einzeln  auftraten. 
Drei  Möglichkeiten  bestanden   da  vor  allem: 

1.  Die  Person  wird  vor  ihrem  Auftreten  angekündigt. 

2.  Die  Person  wird  beim  Auftreten  begrüsst,  im  Dialog 
mit  ihrem  Namen  angeredet  oder  erst  im  Laufe  der  Handlung 
erkannt. 

3.  Die  Person  stellt  sich  selbst  dem  Publikum  vor. 

Das  moderne  Drama  hat  es  in  mancher  Hinsicht  schwerer 
als  die  Antike.  Sobald  der  aufgehende  Vorhang  in  medias 
res  führt,  bleibt  für  die  auf  der  Bühne  befindlichen  Personen 
nur  noch  das  zweite  Verfahi-en  übrig.  Allerdings  ist  die 
Vorstellung  nicht  immer  notwendig:  z.  B.  wenn  das  Personen- 
verzeichnis nur  eine  Frau  aufweist,  wie  Goethes  Iphigenie 
oder  Amalia  in  den  Räubern,  so  ist  jeder  Zweifel  ausgeschlossen; 


')  Litzmann,  Schröder  I,  S.  179.  Schlösser,  Theat.  Forsch.  XIII, 
S.  14  f.     Pichler,  Chronik  des  Hof-  u.  Nat.-Theat.  in  Mannheim  1879,  S.  19. 

Nach  Hagen,  Geschichte  des  Theat.  in  Preussen  S.  273  machte 
Schünemaun  1740  den  ersten  Versuch,  durch  Nennung  der  Schauspieler  die 
Anziehungskraft  der  Ankündigung  zu  vermehren.  Reisende  Virtuosen,  wie 
Brockmann,  brachten  dann  auch  die  Sitte  auf,  ihre  Mitwirkung  am  Ende 
des  l'ersonenverzeichuisses  besonders  hervorheben  zu  lassen.  Martersteig 
S.  203  (falsch  erklärt  S.  437),  siehe  den  Berliner  Hamletzettel:  Kürschner, 
Jahrb.  f.  d.  Theater  I,  S.  108. 

')  Nicolai,  Reise  durch  Deutschland  und  die  Schweiz  IV,  S.  607. 

5* 


—     68     — 

auch  die  Fürstin  Isabella  ist  inmitten  der  Ältesten  von  Messina 
gleich  erkennbar  und  dadurch  ergiebt  sich  wiederum  Beatrice 
von  selbst.  Oder  die  Pei'son  verrät  sich  durch  ihr  Äusseres, 
wie  der  Mohr  im  Fiesko,  und  durch  seine  Uniform  der  Major 
in  Kabale  und  Liebe  (er  wird  trotzdem  ang-ekündig-t).  Auch 
kann  die  Person  durch  die  Situation,  in  der  sie  sich  befindet, 
hinreichend  erklärt  werden  :  wenn  wir  Jungfr.  II  mitten  un- 
ter den  Feldherrn  ein  Weib  vorfinden,  so  wissen  wir,  wer  sie 
ist,  nachdem  bereits  im  Vorspiel  und  im  ersten  Aufzuge  von  der 
verräterischen  Königin  im  feindlichen  Lager  die  Rede  war 
(z.  295  ff,  829  ff,  925  ff)^).  Im  zweiten  Aufzug  des  Teil  hat 
uns  die  Dekoration  einen  Edelhof  zu  zeigen,  und  wir 
erraten  danach  sofort  die  Persönlichkeit  des  Greises, 
während  im  Anfang  desselben  Stückes  Alpenjäger,  Fischer 
und  Hirt  durch  ihren  Standpunkt  im  Landschaftsbilde 
kenntlich  gemacht  sind;  Kuoni  trägt  ausserdem  einen  Melknapf 
auf  der  Schulter.  Leicht  zu  erkennen  ist  hierbei  eine  Parallele 
zur  bildenden  Kunst,  bei  der  wir  gleichfalls  das  stehende  Attribut 
finden,  das  in  der  Hand  von  Heiligen,  von  historischen  Personen 
oder  Berufsklassen  die  Bedeutung  der  Gestalten  vermittelt. 
So  stellt  im  Anfang  von  Kabale  und  Liebe  Miller  sein  Violon- 
zell  bei  Seite;  wir  erkennen  daran  den  Musikus.  Dasselbe  war 
vielleicht  beabsichtigt,  wenn  beim  ersten  Auftreten  Wallensteins 
durch  einen  Pagen  der  Kommandostab  herbeigebracht  wird  ^). 
In  den  übrigen  Fällen  war  Schiller  auf  eine  der  drei  er- 
wähnten Methoden  angewiesen: 

Ankündigung. 
„Die  Personen  des  vorhergehenden  Auftritts  sehen  alle- 
zeit die  Personen  des  folgenden  kommen"  giebt  Joh.  El.  Schlegel 
als  Zeichen  eines  regelmässigen  Stückes  an'-).  Dasselbe  ist 
die  Regel  des  Batteux*);  dieser  nennt  vier  Möglichkeiten  die 
Szenen  zu  verbinden  und  bezeichnet  die  dritte  davon,  die  Er- 

*)  Im   13.  Bde.  der  Goedekiscben   Ausgabe    sind  ausnahmsweise  die 
Zeilen,  nicht  die  Verse  gezählt. 
')  D.  L.  D.  26,  S.  40. 

^)  So  ursprüng-lich  im  Manuskript.     Goed.  XII,  S.  96. 
■•)  Einleit.  i.  d.  seh.   Wiss.  (liamler)  II,  S.  238  f. 


—     69     — 

blickung  als   „schlechterding-s   notwendig-".      Gottsched  setzte 
auch  für  den  einzig-en  Fall,  wo  er  ein  zeitweihg-es  T^eerbleiben 
der  8zene  gestattete,  nämlich  „wenn  die  Personen,  die  auf  der 
Bühne   stehen,    denen,    die  sie   ankommen   sehen,    ausweichen 
wollen"^),    diese  bequemste  Art  der  liaison  des  scenes  voraus. 
Er  selbst  machte  denn  auch   so  ausgiebig-en  Gebrauch  davon, 
dass  seinem  Rezensenten  das  häufige  „Doch  Cato  kömmt  bereits" 
auffiel :     in    seiner    „bescheidenen    Antwort"    verteidigte   sich 
Gottsched  durch  die  Aufzählung  von  französischen  Mustern''). 
Das  antike  Diama  war  das   ursprüngliche   Vorbild  ;   dort 
wird    diese    Ankündigung    zumeist    dem    Chor    in    den    Mund 
gelegt,  der  unter   freiem  Himmel    weithin  Ausschau    hält  und 
sich  natüilicherweise  auf  das  Herannahen  neuer  Personen  auf- 
merksam macht.     Indem  man  denselben  Brauch    zwischen  die 
Wände   einer  Saaldekoration  veipHanzte.   bedachte  man   nicht 
die    Unwahrscheinlichkeit.      Wie   lächerlich    wirkt    z.    B.    in 
BodmersAschylostravestie  „Karl  von  Burgund''')dieBegrüssung: 
,,Aber  wir  müssen  mit  Ehrfurcht  aufstehen;  ich  sehe  die  Tochter 
uusers  Herren,    die  durchlauchtige  Maria,    wie    das   helle   Licht   des 
Morgens,    in   das   Zimmer    tretten.     Es   gebühret    uns   sie  mit  ver- 
ehrenden Worten  anzureden" 
gegenüber  den  Versen  des  Äschylus: 

akk  rfic   f^eöjv  "aov  ry^bakii-oic, 
<^äo<;    öpiidtTat    |iLV;tr,p    ßapiXsojq 
Auch  Lessing  versieht  seine  Personen  gern  mit  der  Fein- 
hörigkeit, jedes  Herannahen  zu  erkennen   oder   wenigstens   zu 
bemerken;  besonders  hat  er,  wie  Düsel*)  zeigt,  die  Gewohnheit, 
Monologe    durch  die  Ankündigung   einer   auftretenden   Person 


')  Diese  Ausnahme  ist  erst  in  d.  4.  Aufi.  d.  Grit.  Dichtk.  (1751) 
S.  629  erwähnt. 

■)  Beytr.  z.  krit.  Hist.     5.  Stück  S.  39,  47  ff. 

Sulzer  in  seiner  Theorie  d.  seh.  Künste  I,  91  tadelt  bereits  den 
Fehler  der  französischen  und  deutschen  Dichter:  „Sie  lassen  oft  die  An- 
kunft einer  neuen  Person  förmlich  ankündigen,  wo  es  gar  nicht  nöthig 
wäre;  als  ob  sie  befürchteten,  man  würde  den  neu  auftretenden  nicht 
gewahr  werden,  oder  nicht  kenneu." 

')  D.  L.  D.  No.  9,  hsg.  v.  Seuffert. 

*)  Düsel,  Der  dramat.  Monolog,  Theat.  Forsch.  XIV,  S.  71  f. 


—      70     — 

abbrechen  zu  lassen.  Goethe  ist  darin  sein  Partner.  Von 
einer  „diamaturg'ischen  Grille"  Lessings  und  Goethes  sollte 
aber  Diisel  nicht  reden,  da  dei-  Grund  so  leicht  ersichtlich  ist. 
Entschlussmonologe  enden  meist  mit  einem  Abg-ang";  Re- 
flexionsmonologe dagegen  kOnnon  von  innen  heraus  über- 
haupt kein  Ende  finden,  da  sich  die  Gedanken  immer 
weiter  spinnen;  sie  müssen  also  entweder  unterbrochen  werden 
—  und  zwar  wird  man  die  unterbrechende  Person  nicht 
überraschend  auftieten  lassen,  denn  sonst  müsste  sie  noch  etwas 
von  dem  Selbstgespräch  höien  —  oder  sie  gehen  in  ein  stummes 
Nachdenken  oder  Dahinträumen  über.  Dann  entsteht  eine  Pause 
bis  zum  Aufti'eten  der  nächsten  Person  —  ein  neues  Element 
der  dramatischen  Technik,  das  mit  öchiller  aufkommt. 

Gleich  Karls  Monolog  im  vierten  Aufzug  der  Räuber  ist  ein 
Heispiel  dafür,  oder  man  halte  Posas  Monolog  (Don  Carlos  Itl,  9) 
neben  sein  Vorbild,  den  Monolog  Nathans  (III,  6),  dann  wii'd 
der  Unterschied  deutlich :  hier  lauten  die  letzten  Worte  „Er 
kömmt.  Er  komme  nur" ;  dort  macht  Posa  einige  Gänge 
durch  das  Zimmer  und  bleibt  in  ruhiger  Betrachtung  vor 
einem  Gemälde  stehen.  Der  eintretende  König  sieht  ihm  noch 
eine  Zeit  lang  zu,  ohne  bemei-kt  zu  werden. 

Notwendig  blieb  die  xlnkündigung  der  kommenden  Pei'son 
in  dem  von  Gottsched  erwähnten  Falle :  wenn  dadurch  eine 
andere  Person  veranlasst  wird,  sich  zu  entfernen.  Z.  B.  Sera. 
V.  68,  Piesco  I,  1—2,  IV,  11-12,  Kab.  I,  3  — i,  IV,  6  —  7, 
Carlos  I,  3 — 4.  Sonst  aber  fällt  auf,  wie  selten  ger;ide  in 
den  Jugendstücken  die  Ankündigung  stattfindet  und  wie  oft 
die  Personen  übei-raschend  eintreten^).  Vom  Don  Carlos  ab 
steht  Schillei'  der  französischen  Szenenvei'bindungstechnik  wieder 


')  Siehe  Raub.  Goed.  II.  S.  37,  59,  HO,  113,  147,  181.  Fiesko  u. 
Kab.  Goed.  III,  S.  24,  26,  35,  42,  46,  85,  98,  102,  108,  106,  861,  366, 
410,  413,  438,  455,  481.  Don  Carlos.  Goed.  v.  2,  S.  190.  Dagegen 
Heispiele  durch  Ankündigung:  verbundener  Auftritte:  Sem.  v.  586,  Raub. 
Trsp.  I,  2.  Fiesko  II,  11,  17.  Don  Carlos  v.  1341,  1464,  1535,2075, 
3804,  4442,  4559,  4856.  Picc.  v.  79,  383,  632,  1383.  W.  T.  1363,  2578, 
3191,  3586.  M.  St.  379,  680,  1941,  3479,  3887.  Jungfr.  545,  2442, 
4183,  4231. 


—     71      — 

näher  und  in  ihrer  steifsten  Form  ..man  kommt"  dring-t  sie 
manchmal  ein^).  In  den  Jiigendstücken  war  dazu  wenigstens 
ein  vernehmbares  Geräusch  notwendig  gewesen :  Schüsse  (Raub.), 
Klopfen  (Fiesko  IV,  7),  die  Gartenthiire^)  (Raub.  IV,  4),  ein 
Trompetensignal  (Don  Cailos  I  in  d.  Thalia).  Oder  die  Person 
konnte  von  weitem  gesehen  werden  (Raub.  Bühuenb.  I,  2: 
.\malia  kommt  langsam  durch  die  hintern  Zimraei').  Daneben 
war  es  aber  auch  möglich  gewesen,  dass  sich  der  Pater, 
Kosinsky  und  Hermann  mitten  unter  die  Räuber  einschleichen 
konnten,  ohne  dass  ihr  Kommen  bemerkt  wurde.  Bei  Kosinsky 
hätte  eine  Vorstellung  mit  der  Ankündigung  nicht  verknüpft 
werden  können;  Hermann  wai'  dem  Pul)likum  schon  bekannt, 
der  Pater  durch  sein  Äusseres  erkennbar;  in  der  Bühnenbe- 
arbeitung dagegen  heisst  es  beim  Kommissar:  j,Seht!  Da 
kommt  schon  so  ein  Hezhund  der  Gerechtigkeit  angestiegen." 
Damit  sind  wir  endlich  zu  der  Frage  gekommen:  Inwie- 
weit hat  Schiller  die  Ankündigung  zur  V^orstellung  neu  auf- 
tretender Personen  verwendet?  In  den  Jugendstücken  sehr 
wenig,  in  den  Räubei-n  nur  einmal  in  geschickt  versteckter 
Weise.  Moor  fragt:  „Saht  ihr  den  Schwarz  nicht?  sagt  er 
euch  von  keinem  Brief,  den  er  an  mich  hätte?"  und  dem 
gleich  darauf  Eintretenden  fliegt  er  entgegen:  „Bruder,  Bruder, 
den  Brief!  den  Brief!"  Die  Absichtlichkeit  dieses  Kunst- 
griffes darf  bezweifelt  wei-den;  dafür  spräche  der  Aufruf 
Spiegelbergs:  „Muth,  sag  ich,  Schweizer!  Muth,  Roller, 
Grimm,  Razraann.  Sclmfterle!  Muth!".  wobei  gerade  der  Name 
des  bereits  vorgestellten  Schwarz  fehlt ;  das  zweite  Beispiel 
aber  aus  dem  Fiesko  könnte  in  seiner  Ungeschicklichkeit  das 
Gegenteil  beweisen :  Leonoie  flieht  zum  Schlüsse  des  ersten 
Auftrittes  von  der  Huhne  unter  dem  Ausruf:  „Fiesko  kommt", 
es  treten  aber  statt  seiner  Giauettino  und   der  Mohr  auf,  und 

')  Im  Nathan  d.  Weisen  (III,  D  hat  Schiller  einmal  die  Frage 
„Kommt  es  nicht  an  uusre  Thüre?"  in  „was  rauscht  an  unsrer  Thür?" 
verändert,  gewiss  weniger,  um  das  typische  „kommt"  zu  beseitigen,  als 
aus  metrischem  Grunde. 

-')  Dasselbe  Motiv  in  Bergers  Galora  von  Venedig  I,  1  beim  Heran- 
kommen Casoris. 


—     72     — 

der  Zuschauer  kann  irreg-eführt  werden,  zumal  da  Gianettino 
un vorgestellt  bleibt.  Nach  Kettners  Vermutung')  sollte  ur- 
sprünglich wirklich  ein  Auftritt  des  Fiesko  folgen,  der  später 
durch  Einschiebung  des  Mührenauftrittes  verdrängt  wurde. 
Dass  die  jetzige  Verbindung  unglücklich  ist,  merkte  Schiller 
übrigens  bei  der  Bühnenbearbeitung;  Leonore  vermutet  dort 
bloss:  „Es  wird  mein  Gemahl  seyn^)."  Ausserdem  sagt  nun 
Gianettino  im  folgenden  Auftritt:  „Dieser  Fiesko  ist  ein 
Magnet"  (früher  nur:  „Dieser  Mensch  ist  ein  Magnet"),  so 
dass  jedem  Missverständnis  vorgebeugt  wird.  Indem  hierbei 
von  der  weissen  Maske  des  Grafen  die  Rede  ist,  wird  auch 
ein  Erkennungszeichen  für  Fiesko  geboten,  der  in  der  That 
2  Auftritte  später  in  einem  weissen  Mantel  erscheint. 

In  den  folgenden  Stücken  benutzt  nun  Schiller  mehr  und 
mehr  die  Ankündigung  als  Mittel  zur  Vorstellung.  Entweder 
die  Personen  werden  gemeldet  durch  einen  Diener:  so  u.  a. 
Hofmarschall  von  Kalb,  Gustav  Wrangel,  dei-  schwedische 
Hauptmann,  Ruileigh.  Oder  die  Annäherung  wird  be- 
merkt und  dabei  fällt  der  Name:  so  werden  Ferdinand, 
Questenberg  samt  Octavio,  die  Karabinicie  ^Perschkas  im 
Lager,  die  beiden  Königinnen  in  Maria  Stuart,  Bertrand  und 
Karl  VII.  in  der  Jungfr.,  ferner  Baumgarten,  Teil,  Gessler  und 
die  Urner,  die  zum  Rütli  kommen,  eingeführt.  An  dieser 
letzten  Stelle  ist  auch  eine  negative  Ankündigung  gemacht 
(v.  1097),  es  war  nötig  auf  die  Abwesenheit  Teils  besonders  hin- 
zuweisen. Endlich  giebt  es  noch  eine  dritte  Art  der  Ankündi- 
gung, die  im  wesentlichen  der  Mechanik  des  Stückes  dient  und 
die  Vorstellung  nur  als  Nebenzweck  mitnimmt:  die  Person  wird 
bei  ihrem  Namen  herbeigeiufen  oder  bestellt,  so  Raub.  IV,  2  Da- 
niel; V,  1  der  Pastor;  Carlos  V,  8 — 10  der  Grossinquisitor;  Picc. 
II,  6  die  Feldheirn,  darunter  die  noch  unbekannten  Maradas, For- 
gatsch,  Deodat,  Karaffa  ;  W.T.V,  1—2  Macdonald  und  Deveroux. 


')  Vjschr.  III,  569. 

')  Auch  bei  Plümicke  heisst  es  nur :  „Vielleicht  Fiesko",  und  nachher 
„Fiesko  ist  ein  Magnet". 


—      73     — 

Anrede. 

Von  der  Anrede  macht  die  französische  Tragödie  einen 
fast  allzu  häiitig-en  Gebrauch,  wozu  Ijcdürfnis  nach  V'erstüUunir 
und  vor  allem  die  Bequemlichkeit  des  Reimes')  Veranlassung- 
bieten  konnte.  In  verschiedener  Weise  kann  die  Anrede  auch 
zur  Erkennung  der  Personen  verhelfen.  Nicht  immer  braucht 
es  der  Name  zu  sein;  Umgangsformen  und  Etikette  können 
einen  Titel  erfordern,  der  dann  wenigstens  auf  dem  Theater- 
zettel steht  oder  dem  Publikum  bekannt  ist.  So  wird  Wurm 
als  „Herr  8ekertare"  begrüsst;  die  Anrede  ,Eure  königliche 
Hoheit"  genügt,  um  uns  den  Infanten  von  Spanien  zu  be- 
zeichnen, und  Talbot  wird  als  „Feldherr"  (z.  1621)  vorgestellt 
mit  einem  Titel,  der  nach  dem  Personenverzeichnis  ihm  allein 
zukommt."') 

Auch  die  Pietät  kann  Nennung  des  Namens  verbieten; 
auffällig  ist  es,  dass  Max  seinen  Vater  mehrfach  Octavio 
anredet^);  beim  ersten  Auftreten  aber  sagt  er  Vater  und 
giebt  sich  dadurch  zu  erkennen ;  ebenso  Mortiraer  mit  seinen 
ersten  Worten:  „Man  sucht  euch,  Oheim."  Bei  der  Gegen- 
seitigkeit der  verwandtschaftlichen  Beziehungen  kann  eine 
Anrede  ausreichen,  um  zwei  Personen  vorzustellen,  z.  B.  „Liebe 
Tante"  in  den  ersten  Worten  des  , Menschenfeind".  Oder  zu 
Beginn  der  Räuber:  zwei  Personen  sind  auf  der  Bühne;  der  Greis 
wird  Vater  genannt:  nach  dem  Verzeichnis  kann  es  also  nur  der 
alte  Moor  sein ;  er  spricht  von  seinem  öohne  Karl  als  einer 
dritten  Person  und  giebt  dadurch  die  zweite  als  Franz  zu 
erkennen.  Auf  eine  ähnliche  indirekte  Weise,  die  mit  der 
Kombinationsgabe  des  Publikums  rechnet,  kommen  wir  auch 
zu  Beginn  des  Fiesko  ins  Klare:  man  hört  die  Namen  Rosa, 
Bella;  auf  dem  Theaterzettel  stehen  diese  beiden  Personen  als 
Leonorens  Kammermädchen ;  es  ist  also  unter  der  dritten, 
die  von  ihnen  „gnädige  Frau*  tituliert  wird,  Leonore 
zu  vermuten. 

')  Köster,  S.  210. 

*)  Später  redet  Isabeau  alle  drei  Heerführer  Feldherru  an  (z.  1720). 

=■)  Picc.  2267,  2295.     W.  T.  1210,  3397,  3461. 


—     74     — 

Nun  werden  die  meisten  Anreden  lediglich  die  Belebung- 
des  Dialoges  bezwecken.  Läge  überall  die  Absicht  des  Dichters 
vor,  das  Publikum  mit  den  Namen  vertraut  zu  machen,  ^o 
müssten  die  Anreden  in  der  zweiten  Hälfte  eines  Stückes  be- 
deutend abnehmen,  Avas  durchaus  nicht  dei-  Fall  ist. 

Indessen  giebt  es  Beispiele,  wo  die  Absicht  deutlich  i-st, 
und  zwar  dann,  wenn  sich  die  Anrede  bereits  unter  den  ersten 
Worten  des  Dialoges  befindet  z.  B.  Sem.  v.  515  ,.Sohn  Maja"! 
—  „Zeus".  Raub.  11,1:  „Henmann!"  Carlos  v.  129  „Mein 
Roderich",  v.  386  „Mondekar''.  Picc.  v.  2  „Graf  Lsolan", 
V.  384  „Vater".  M.  St.  v.  251  „Oheim",  v.  1077  „Mylord 
von  Kent".  Jungfr.  z.  30  „Etienne",  z.  35  „Claude  Marie", 
z.  03  „Jeannette",  z.  756  „Agnes".  Br.  v.  Mess.  v.  2 
„Ihr  greisen  Häupter  dieser  Stadt",  v.  101  „Diego".  Teil 
V.   183    „Herr    Stauffacher",    v.    i59    „Herr  Walther   Fürst". 

Bereits  in  den  frühesten  Stücken  setzt  die  Anwendung 
dieser  Vorstellungsmethode  eui;  später  tretfen  wir  hingegen  Stellen, 
Avo  die  Anrede  geflissentlich  vermieden  scheint.  Wenn  Isabella 
zwischen  ihren  beiden  Söhnen  auftiitt,  macht  sie  keinen  Unter- 
schied; erst  im  folgenden  Auftritt  beginnt  mit  dem  herauf- 
dämmernden Zwist  die  Sonderung:  v.  465  „Du  bist  der  ältre 
Bruder"  und  v.  471  „Don  Cesar".  Deutlich  ist  die  Absicht 
im  Teil  I,  4:  um  einen  Bühnenetfekt  herauszusparen,  darf 
Melchthal  nicht  zu  Beginn  des  Auftrittes  angeredet  und  vom 
Publikum  erkannt  werden;  ei'st  Stauttachers  Erzählung  vom 
Schicksal  des  Vatei-s  und  das  Hereinstür/en  des  Sohnes  haben 
den  Zusannnenhang  zu  erklären :  „Der  Sohn  ists?  Allgerechter 
Gott!"  Ähnlich  wird  Kotzebues  Gustav  Wasa,  der  als 
Knecht  verkleidet  auftritt,  erkannt,  als  er  bei  der  Er-zählung 
vom  Tode  seines  Vaters  zu  Boden  stürzt. 

Bei  solchen  Erkennungsszenen  erfährt  das  Publikum 
gleichzeitig  mit  den  Mitspielenden,  wen  es  vor  sich  hat.  Von 
den  drei  schwarzen  Masken  im  ersten  Aufzug  des  Fiosko  sind  Kal- 
kagno  und  Sacco  in  I,  3  bereits  durch  gegenseitige  Anrede 
vorgestellt;  den  Namen  der  dritten  jedoch  nennt  I,  7  Fiesko 
erst   in    dem   Moment,    wo    er    selbst    sie    erkennt:     „Eine 


—     75     — 

männliche  Antwort,  und  —  das  ist  Verrina!"  Dasselbe  wieder- 
holt sich  bei  der  neuen  unbekannten  Maske  in  I,  8:  „Hcipio 
Bourg-og-nino!"  Oder  in  der  .luiii-''tV.  II.  9:  .,Öo  bist  du  dieser 
edle  Herzog-  selbst"  und  im  Toll  \^,  2  .,Ihr  seid  der  Herzog 
von  Oesteii'eich".  Jedesmal  hat  die  Erkennung-  auch  Einfluss 
auf  die  Dialogzwischenschritten.  Wählend  in  einem  kon- 
sequenten Bühnenmanuskript  von  Anfang  an  die  Rollennamen 
vor  den  Reden  stehen')  und  z.  H.  auch  Kot/ebue  im  erwähnten 
Fall  „Gustav  Wasa  (als  Knecht  verkleidet)"  über  die  Szene 
schreibt,  sagt  f!^chiller,  wie  ein  Eizähler,  der  seinen  Leser  über- 
raschen will,  nicht  mehr,  als  das  Theaterpublikum  zunächst 
sieht.  Er  führt  einen  Alten,  Masken.  Ritter  und  Mönch  ein 
und  lässt  aus  ihnen  erst  vom  Moment  der  Erkennung  ab  den 
alten  Moor,  Verrina,  Bourgognino,  Rurg-und,  Pan-icida  werden^). 
I^)Ui-g-und  musste  zum  zweiten  Male  vorgestellt  werden,  weil 
er  durch  das  geschlossene  Visier  unkenntlich  ist;  ähnlich  läge 
der  Fall,  wenn  wir  den  schwarzen  Ritter  als  Talbot  aufzu- 
fassen hätten.  Bedeuteten  .Johannas  Worte:  „so  sagt  ich,  du 
wärst  Talbot"  wirklich  eine  Erkennung,  so  sollte  man  auch 
hier  eine  Vcräudei-ung  der  Dialogvoischrift  erwarten.  Es 
g-eschieht  nicht;  die  Fig-iir  soll  dem  Publikum  nui-  ,ein 
schwarzer  Ritter"  bleiben,  „ein  Unbekannter"  wie  die  Warner 
bei  iShakespeaie.  im  Götz,  in  Kling-cis  Otto,  in  Tiecks 
Genovefa^). 

Zur  Vorstellung  durch  Ani-ede  gehören  schliesslich  auch 
die  andern  Fälle,  wo  die  Personen  erst  auf  der  Bühne  mit 
einander  bekannt  werden,  sei  es  durch  Fi'age  oder  durch  Vor- 


M  In  der  Biiliuenbearbeitung  des  Fiesko  werden  diese  Personen  g'leich 
mit  Namen  eingeführt:  ..V^errina  als  Maske",  „Bourgognino  maskiert". 
Goed.  III,  204,  207. 

-)  Ein  hübsches  Beispiel  für  dieses  Umspringen  findet  sich  in  Grersten- 
bergs  Minona  IV,  5: 

Zweyter  Gefangener  (da  er  sich  frey  fühlt,  zieht  einen  Dolch, 
und  springt  auf  Minonen  zu)  So  dankt  dir  Aezia.  (Ehe  Aezia  diese  Worte 
noch  ausgesprochen  und  ihre  That  vollführt  hat,  liegt  sie  schon  von  Ryno 
und  der  Wache  niedergehauen.) 

=•)  Minor,  G.-J.  X,  231, 


—     76     — 

Stellung-  im  engeren  Sinne.  So  rühmt  Sonnenfels  es  an  Lessings 
Minna  von  Barnhelm  als  den  glücklichsten  Zufall  von  der 
Welt,  dass  der  Wirt  das  Fräulein  nach  Namen,  Verrichtung  u.  s.  w. 
auszufragen  habe^).  Ähnliche  Gelegenheiten  können  auch  aus 
andeien  Situationen  hervorgehen:  dass  z.  B.  Kosinsky  von  den 
Räubern  nach  Namen  und  Zweck  seines  Kommens  gefragt 
wird,  ist  ebenso  selbstverständlich,  wie  Fieskos  Erkundigung 
nach  dem  Namen  des  Malers,  der  vor  ihn  gebracht  wird. 
Ohne  Aufforderung  nennt  Mercado  (Carlos  4884)  seinen 
Namen;  durch  ihren  Vater  wird  Marina  dem  Polenkonig  vor- 
gestellt. Ebenso  macht  eine  Mittelsperson,  Octavio,  den  Kriegs- 
rat Questenberg  mit  Isolani  und  Butler  bekannt^);  die 
besprochene  Absicht  darf  aber  hier  nicht  gesucht  werden, 
denn  Isolani  und  Butler  sind  bereits  bekannt,  während 
gerade  Illo,  dei-  nicht  vorgestellt  wird,  bisher  nicht  angeredet 
war.  Indessen  ergiebt  sich  die  Vorstellung  vollkommen 
aus  der  Situation  und  dient  zur  indirekten  Charakteristik 
und  zur  Anknüpfung  eines  Gesprächs.  Mehr  überrascht 
das  Zeremoniell  auf  dem  Rütli,  wenn  die  Unterwaldner  und 
Schwj^tzer  zusammenkommen;  dort  handelt  es  sich  wesentlich 
um  Ausfüllung  der  Pause  bis  zum  Herannahen  der  Urner. 

S  e  1  b  s  t  V  0  r  s  t  e  1 1  u  n  g. 

Während  die  beiden  ersten  Methoden  unter  Gruppen, 
zum  mindesten  unter  zwei  Personen  Regel  sind,  bleibt  die  dritte 
für  den  Monolog  übrig.  Bei  den  griechischen  Tragikern  musste 
Schiller  sie  am  deutlichsten  in  den  Prologen  des  Euripides 
angewendet  finden,  z.  B.  in  den  von  ihm  übersetzten  Piiöni- 
zierinnen:  ,Jokaste  heiss  ich."  Diese  viel  getadelte  und  ver- 
spottete Euripideische  Manier  hat  nicht  nur  Verteidiger  wie 
Lessing,  sondei'n  auch  moderne  Nachahmer  gefunden.  Klinger 
eröffnet  seine  Medea   mit  Versen   des   Schicksals:    „Schicksal 


')  Briefe  ü.  d.  Wiener  Schaubühne  S.  196.     Das  Motiv   stammt  aus 
Goldonis  Locandiera. 

')  In  sk  auch  Butler  und  Maradas.     Goed.  XII,  S.  173. 


—      /  /      — 

nennen  mich  die  Erdensöhne",  seinen  Oriantes  mit  einem  Prolog- 
der  Nemesis:  „wenn  ich,  Nemesis,  der  Rache  Göttin  u.  s.  w.", 
und  am  Anfang  von  Goethes  Helenaakt  im  Faust  steht 
der  Vers: 

Bewundert  viel  und  viel  gescholten,  Helena, 
der  allerdings  erst  später  hinzugefügt  wurde^);  ursprünglich 
hatte  Goethe  den  Earipideischen  Monolog  ohne  eine  so  wesent- 
liche Eigentümlichkeit,  wie  es  die  Selbstvorstellung  ist,  nach- 
geahmt, ebenso  im  Anfang  der  Iphigeuie  und  im  Polymetismono- 
log  des  Elpenor,  wo  die  Namensnennung  fehlt. 

Was  man  dem  Euripides  als  Nachlässigkeit  vorwarf,  das 
empfinden  wir  in  den  primitiven  Anfängen  des  neueren  Dramas 
als  frische  Naivetät.  Und  so  wurden  die  öelbsterklärungen  des 
Handwerkerdramas,  die  von  Shakespeare  uudGryphius  genugsam 
verspottet  sind,  von  Tieck  bewusst  wieder  aufgenommen: 

Ein  Zaubrer  bin  ich,  Polykomikus  genannt  (Zerbino). 
Ich  bin  der  wackere  Bonifacius  (öenoveva). 

Diese  archaisierende  Manier — Home  und  später  A.  W. 
Schlegel  vergleichen  sie  tretfend  mit  den  Spruchbändern,  die 
auf  alten  Gemälden  den  Figuren  aus  dem  Munde  wachsen^) 
—  passte  in  den  strengen  Stil  Schillers  nicht. 

Das  einzige  Mal,  wo  bei  ihm  eine  Selbstvorstellung  in  der 
ersten  Person  stattfindet,  im  Anfang  der  Rütliszene,  ist  es 
kein  Selbstgespräch  und  mit  keiner  Wendung  zum  Publikum 
verbunden : 

Wir  sind 
Die  ersten  auf  dem   F^latz.  wir  Unterwaldner. 

Schiller  liebt  es  überhaupt  nicht,  neue  Personen  monologisch 
einzuführen  oder  ein  ganzes  Stück  mit  einem  Expositions- 
monolog zu  eröffnen.  Nur  in  Semele  ist  dies  der  Fall.  Dort 
lässt  er  Juno  in  der  dritten  Person  sich  selbst  erklären  durch 
die  Anrede  erst  an  ihre  Pfauen:  „Pfauen  Junos!",  bald 
nachher  an  sich  selbst:  ,Juno!  Juno!  traurig  stehst  du,  tief 
verachtet." 


')  W.  A.  I.     Bd.   15,  2.  S.  72. 

')  Homes    Grunds,    d.    Kritik,    übs.    v.    Meinhard.     3.  Aufl.  II,  250. 
Schlegels  Dramaturg.  Vorles.,  Werke  Bd.  V,  S.  142. 


—     78      — 

Von  der  Selbstapostrophe  muss  überhaupt  die  Diktion 
des  achtzehnten  Jahi'hunderts  mehr  Gebrauch  gemacht  haben,  als 
unsere  Sprechweise;  auch  im  Roman  finden  sich  Spuren:  man 
beobachte  etwa,  wie  Wielands  Prinz  Biribinker  es  fertig 
bringt,  immer  im  entscheidenden  Augenblick  seinen  unglück- 
lichen Xamen  auszusprechen. 

Während  dies  auf  das  Selbstgespräch  beschränkt  bleibt, 
kann  auch  der  Dialog  in  einer  Art,  die  unserer  Redeform 
nicht  fremd  ist,  die  Selbstvorstellung  herbeiführen.  Die  Ab- 
sicht ist  zu  erkennen  im  Anfang  von  Wagners  Kinderraörderinn, 
wenn  Gröningseck  sagt: 

,.Meynt    sie    denn    pardieu,    der    Lieutenant    von    G-röningseck 

würde  sich  sonst  in  einen  solchen  Stall  weisen  lassen". 
Die  Schillerischen  Beispiele  sind  nicht  so  schlagend: 

Raub.  I,  2: 

Das  sollst  du  noch  von  Spiegelberg  lernen ! 

Fiesco  I,  5: 

heute  war  Prinz  Doria  lustig. 

In  beiden  Fällen  wird  zwar  der  Name  überhaupt  zum 
ersten  Mal  genannt,  aber  so  spät,  dass  das  Publikum  bis  dahin 
die  Person  bereits  erraten  haben  muss. 

Schliesslich  braucht  eine  Person,  um  sich  selbst  vorzu- 
stellen, ihren  Namen  nicht  unbedingt  zu  nennen.  Wenn  Mont- 
gomery  von  dem  Heimatlande  Wallis  spricht,  so  ist  er  mit 
Zuhilfenahme  des  Theaterzettels  zu  erkennen.  An  das  Publikum 
gerichtete  Selbstvorstellungen  jedoch,  wie  die  des  Euripides, 
die  nicht  nur  den  Namen,  sondern  auch  Abstammung  und 
Verhältnisse  exponieren,  machen  das  Personen  Verzeichnis  über- 
haupt überflüssig. 

In  diese  Lage  kam  Schiller  bei  der  Huldigung  der  Künste; 
in  der  ersten  Ausgabe  fehlt  das  Verzeichnis;  Schiller  hielt  es 
für  unnötig,  „indem  sich  alle  Personen  selbst  erklären,  wenn 
sie  ankommen".^) 


')  An  Frommann  .3.  April  1805.     Jonas  VII,  S.  233. 


—     79     — 

6.   Der  Schauplatz. 

„Der  Ort  der  Geschichte  ist  Teutschhind",  diese  Bemerkung- 
auf  dem  Theaterzettel  der  Räuber,  über  die  wir  heute  gieich- 
g-iltig-  hinweglesen,  war  zu  ihrer  Zeit  nicht  bedeutungslos, 
öchubart,  der  auch  an  die  Verfasser  der  Hermannsschlacht, 
des  Götz  und  der  Minna  die  Bitte  richtete,  mehr  patronyniische 
Stücke  zu  liefern'),  hatte  von  dem  jungen  Genie,  in  dessen 
Hände  er  den  Beitrag  zur  Geschichte  des  menschlichen  Herzens 
legte,  ausdrücklich  verlangt,  dass  es  „nicht  aus  Zaghaftigkeit 
die  8cene  in  Spanien  und  Griechenland,  sondern  auf  teutschem 
Grund  und  Boden  eröffne." 

Spanien  und  Griechenland  bedeuteten  schliesslich  nichts 
weiter,  als  die  Schauplatzlosigkeit.  Wie  nach  Gottsched  der 
Dichter  für  eine  allgemeine  Fabel  historische  Namen  entlehnte, 
so  entlehnte  man  auch  den  Namen  irgend  einer  Stadt,  und  mit 
der  blossen  Angabe  La  scene  est  ä  Aulidc,  ä  Eleusis,  en 
Cheronese  war  nach  Hedelin  genug  für  den  Schauplatz  gesorgt; 
ebenso  riet  Corneille,  von  jeder  genaueren  Bezeichnung  inner- 
halb des  Stückes  abzusehen,  um  über  eine  etwaige  Verletzung 
der  Einheit  hinwegzutäuschen,  eine  Empfehlung,  die  noch 
durch  Friedr.  Nicolai  wiederholt  wurde"-). 

Joh.  El.  Schlegel  verglich  diese  Vei-allgemeinerung  des 
Schauplatzes  mit  dem  Gemälde  eines  Menschen,  der  in  der 
Luft  schwebe,  weil  der  Boden  nicht  hinzugezeichnet  sei'^). 
Indem  man,  wie  Gottsched,  die  Ilhision  des  Publikums  ängstlich 
behüten  wollte,  nainn  man  ilir  jede  Freiheit;  das  Publikum 
blieb  im  Parterre  sitzen;  man  gab  sich  keine  Mühe,  es  nach 
Griechenland  zu  führen,  ihm  von  der  J3ühne  herab  griechische 
Luft  entgegenvvehen  zu  lassen;  der  Schauplatz  blieb  „auf  dem 
Theater." 


»)  G.-J.  II,  S.  99. 

-)  Corneille,    Discouis    des    trois    unitös   ed.  Marty  Leveaux    I,  117. 
Nicolai,  Abb.  v.  Trauerspiel,  Bibl.  d.  seh.  Wiss.  I,  33. 

=>)  D.  L.  D.  26,  S.  4  f.,  223  f. 
Ilanih.  Drani.  44.  Stück.  Lachm.-Muncker  IX,  S.  371. 


—     80     — 

Seitdem  aber  erfuhr  die  Auffassung-  eine  wesentliciie 
Änderung.  Bereits  Gerstenberg  sagt:  „Sobald  der  Vorhang 
aufgezogen  wird,  denken  wir  nicht  mehr  an  das  Theater, 
sondern  an  den  Ort,  den  das  Theater  vorstellen  soll"').  Und 
beim  jungen  Schiller  ist  das  frühere  Verhältnis  von  Publikum 
und  Bühne  sogar  auf  den  Kopf  gestellt:  Die  Schaubühne  führt 
das  Publikum.  „Mit  ihr  folgen  wir  der  verlassenen  Ariadne 
durch  das  wiederhallende  Naxos,  steigen  mit  ihr  in  den  Hunger- 
thurm  Ugolinos  hinunter,  betreten  mit  ihr  das  entsetzliche  Blut- 
gerüste."^) 

Sobald  nun  das  Theater  auf  diese  Illusion  ausging,  musste 
der  Dichter  alles  daransetzen,  nicht  nur  seine  Personen,  sondern 
auch  das  Publikum  auf  dem  Schauplatze  des  Stückes  festen 
Fuss  fassen  zu  lassen.  Joh.  El.  SchlegeP)  hatte  auf  die 
Antike  verwiesen ;  er  hatte  gezeigt,  wie  im  Anfange  der  Electra 
ausführlich  die  Scene  geschildert,  wie  im  Ödipus  zu  Koloneum 
jeder  Stein  beschrieben  sei.  Das  Wesentliche,  dass  sich 
nämlich  auch  das  athenische  Publikum  im  Haine  von  Kolonos 
auskannte,  sprach  er  nicht  aus,  aber  er  hatte  für  das  deutsche 
Theater  dasselbe  Ziel  im  Auge,  indem  er  auch  da  nationale 
Stoffe  mit  sicherer  Lokalisierung,  gestützt  durch  Anspielung 
auf  bekannte  Verhältnisse  verlaugte.  Durch  die  bayrischen, 
östreicliischen,  pfälzischen  und  anderen  Gruppen  der  Ritter- 
diamatiker  wuide  eine  solche.  Heimatkunst  später  erreicht. 

Auf  den  jungen  Schiller  hatte  Schubarts  Mahnung  gewirkt; 
nach  den  Räubern  sehnte  er  sich  vom  Boden  des  Piesko  wieder 
hinweg  und  bat  Dalberg  um  ein  interessantes  deutsches 
Thema  zu  einem  Nationalschauspiel'*).  Und  nachdem  er  als 
Ästhetiker  den  Stachel  des  Privatinteresses,  von  dem  der 
nationale  Gegenstand  seine  Wirkung  borge,  verworfen  hatte^), 
führte  ihn  die  Arbeit  am  Teil  zur  alten  Neigung  zurück  und 
er  dachte  auch  an  ein  deutsches   Nationalschauspiel,  indem  er 

')  A.  V.  Weilen,  D.  L.  D.  30,  S.  LXXI. 

0  Goed.  III,  S.  519  f. 

»)  D.  L.  D.  26,  S.  215. 

*)  An  Dalberg  1.  April  1782,  Jonas  I,  57. 

'')  Vom  Erhabenen,  Goed.  X,  S.  174. 


—     81     — 

Klopstoeks  „Hei-mannsschlacht"  vornahm^);  den  Plan  einer 
Bearbeitung  gab  er  freilich  bald  auf. 

Goethe  ")  hat  später  in  der  Erinnerung  an  die  Leipziger 
Aufführung  des  Schlegelschen  „Hermann"  der  ganzen  drama- 
tischen Bardenpoesie,  von  der  man  eine  nationale  Schaubühne 
erhofft  hatte,  das  Urteil  gesprochen;  sie  konnte  die  beabsich- 
tigte Wirkung  nicht  erreichen,  da  das  Publikum  keinen  Hei- 
matsboden unter  sich  fühlte.  Selbst  Friedr.  Ludw.  Schröder 
verpflanzte  die  Schmidtsche  Hermannide  wieder  als  Turandot 
nach  China  ^),  so  sehr  dies  seinen  Prinzipien  zuwiderhef.  Er 
und  in  seinem  Gefolge  Bode,  Bock,  Grossmann,  Gotter, 
Reichaid  *)  waren  darangegangen,  die  Blüten  der  Weltlittera- 
tur  in  deutsche  Treibhäusei-  zu  setzen,  und  zwar  sollte  es  sich 
nicht  nur  um  die  Lokalisierung  von  Lustspielen  handeln,  wo- 
mit bereits  die  Gottschedin  begonnen  hatte.  „Es  lässt  sich 
zwar  nicht  jedes  Stück  nach  Deutschland  legen,  aber  wo  es 
möglich  ist,  thu'  ichs"  war  Schröders  Grundsatz  ■');  auch  im 
sogenannten  Hamburger  Pi'eisausschreiben  war  für  Übersetz- 
ungen dieser  Wunsch  ausgesprochen;  die  eingereichten  Original- 
stücke entsprachen  ihm  jedoch  nicht,  alle  drei  Bruderzwist- 
dramen hatten  Italien  zum  Schauplatz  ^). 

Exotische  Familienzwistigkeiten  Hessen  dem  Dichter  frei- 
ere Hand;  ein  krimineller  Beigeschmack  war  nur  dort  von  den 
Mordtaten  fernzuhalten,  also  brauchte  es  keine  Zaghaftigkeit 
zu  sein,  sondern  ein  richtiges  Gefühl  konnte  den  Dichter  in 
die  Fremde  führen.  Auch  Schiller  zog,  als  er  das  zweite  Mal 
an  die  feindlichen  Brüder  heranging,  den  Stoff  in  die  ideale 
Ferne,  wo  er  zugleich  einen  besseren  Boden  für  seinen  Chor 
fand.     Die  Braut  von  Messina  könnte  man,  vom    Titel   abge- 


')  W.  A.  I,  Bd.  40  S.  90.     An  Goethe  20.  Mai  1803.  Jonas  VII,  41. 

■•)  Leipziger   Theater,    W.  A.  I,    Bd.  36,  S.  226  f.     v.  Biedermann, 
Goethes  Gespräche  V,  275,  VI,  284  f. 

■')  Litznjann,  Schröder  und  Gotter  S.  58. 

')  Meyer,    F.  L.  Schröder,    I,    313.      Litzmann,  Schröder  II,   124  ff. 
Wolter,  Fr.  W.  Grossmann,  Diss.  Bonn  1901,  S.  31. 

'')  Devrient,  Briefe  Iftlands  an  Werdy,  S.  69. 

'■)  Litzmann,  Schröder  II,  155.     Minor  I.  304. 
Palaestra  XXXll.  " 


—     82     — 

sehen,  beinahe  ein  schauplatzloses  Stück  nennen;  deich  die 
A'^orrede  wendet  sich  ja  gegen  die  Auifassung,  „als  ob  hier 
ein  anderer  Ort  wäre,  als  der  bloss  ideale  Raum".  Die  Über- 
einstimmungen mit  Reisewerken  der  Zeit,  die  Kettner  ^)  nach- 
gewiesen hat,  berechtigen  nicht,  von  eigentlichen  lokalen  Vor- 
studien zu  reden;  schwerlich  hat  Schiller  zur  Arbeit  jemals  die 
Landkarte  hinzugezogen,  die  bei  den  anderen  späteren  Dichtun- 
gen eine  so  grosse  Rolle  spielte. 

In  den  Räubern  hatte  er  sich  an  allgemein  bekannte  geo- 
graphische Begriffe  gehalten:  Franken,  die  sächsische  Grenze, 
die  böhmischen  Wälder  und  die  Donau.  Wenn  statt  Leipzig 
im  Mannheimer  Manuskript  die  Reformationsstadt  Wittenberg 
eingesetzt  wurde,  so  war  man  vielleicht  über  das  Alter  der 
Leipziger  Universität  nicht  unterrichtet;  hierum,  wie  um  die 
notwendige  Veränderung  der  Örtlichkeiten  in  Herrmanns  fal- 
scher Nachricht,  scheint  sich  Schiller  selbst  nicht  bekümmert 
zu  haben  ^). 

Im  Fiesko  hat  er  die  einzige  ausserhalb  Genuas  spie- 
lende Szene  III,  1  geographisch  keineswegs  bestimmt;  der 
Don  Carlos  weist  in  dieser  Hinsicht  einen  Fortschritt  auf; 
das  Karthäuserkloster  (II,  14)  wird  sogleich  zum  Schauplatz 
der  vorhergehenden  Szene  in  Beziehung  gesetzt,  (v.  3191  ff) 
Eigentlichen  Wert  auf  die  Bestimmung  des  Lokals  legt 
jedoch  erst  der  Dichter  des  „Wallen stein".  Das  äussert  sich 
schon  auf  dem  Theaterzettel;  hatte  dieser  in  den  Räubei'n  nur 
„Teutschland"  genannt  und  in  den  drei  folgenden  Stücken 
geschwiegen  (Genua  und  Spanien  standen  auf  dem  Titel ;  Kabale 
und  Liebe  durfte  keinen  bekannten  Schauplatz  haben  ^)),  so 
heisst  es  nun:  „Vor  der  Stadt  Pilsen  in  IJöhmen"  und  im 
Tod:  „Die  Scenc  ist  in  den  drcy  ersten  Aufzügen  zu  Pilsen, 
in  den  zwey  letzten  zu  Eger". 


•)  Z.  f.  d.  Ph.  XX,  S.  49  ff. 

0  An  Schwan,  2.  Febr.  1782.     Jonas  I,  55. 

")  Harmlosere  bürgerliche  Stücke  konnten  dies  wagen ;  so  spielt 
Wagners  ,,Keue  nach  der  That"  in  Wien,  Gemmingens  „Deutscher  Haus- 
vater" i.  d.  2.  Ausg.  in  München,  was  aber  dort  bereits  Ärgernis  erregte- 


—     83     — 

Mit  dieser  Genauigkeit,  die  auch  den  Ortswechsel  zwischen 
den  Akten  voraussaßt,  wird  später  nicht  inehi-  verfahren;  in 
der  Jungfrau  heisst  es  wegen  zu  häufiger  Veränderung-  und 
teilweiser  Unbestimmtheit  des  Schauplatzes:  „die  Scene  wech- 
selt in  verschiedenen  Gegenden  Frankreichs" ;  in  Maria  Stuart 
und  Teil  ist  dci'  Schauplatz  nur  aus  Bemerkungen  hinter  ein- 
zelnen Personen  zu  ersehen:  „Gefangene  in  England,,;  „Reichs- 
vogt in  Schwytz  und  IJri''  ;  „Landleute  aus  Schwytz,  Uri, 
Unterwaiden". 

Dag'egen  macht  Schiller  von  den  Räubern  an  bis  zum 
Teil  von  einem  Ausdrucksmittel  des  Lesedramas  Gebrauch: 
er  setzt  über  die  einzelnen  Szenen  g^eographische  Überschriften, 
während  in  einem  korrekten  Regiebuch  nur  die  Dekoration 
beschrieben  zu  sein  braucht.  Im  Schauspiel  „Die  Räuber" 
heisst  es  g-anz  novelüstisch :  „Nahgeleg-ener  Wald"  (IV,  5); 
im  Tiauerspiel  dag-eg-en  „"\\'akr'  (IV,  1:3);  die  Angaben 
„Fi'anken",  „An  den  Gränzen  von  Sachsen"  u.  s.  w.  sind 
abei-  auch  in  der  Bühnenbearbeitung'  stehen  geblieben.  Im 
Tel!  sind  einzelne  Punkte  mit  einer  Genauigkeit  bestimmt,  die 
für  den  Leser  die  Landkarte  ^j  notwendig-  macht:  „Felsenufer 
des  Vierwaldstättensees,  Schwytz  gegenüber" ;  „Östliches  Ufer 
des  Vierwaldstättensees";  „Die  hohle  Gasse  bei  Küssnacht". 
Auch  sollte  das  Lesepublikum  mit  ähnlichen  Hülfsmitteln  ver- 
sehen werden,  wie  sie  die  Phantasie  des  Dichters  bedurft 
hatte,  um  den  hindschaftlichen  Hintergrund  vor  sich  aufzu- 
bauen; es  hätten  ursprünglich  dem  ej'sten  Druck  Stiche  von 
Schweizerischen  Landschaften  in  Aberlis  Geschmack  beigege- 
ben werden  sollen  ^). 

Das  erhöhte  Interesse  Schillers  für  den  Schauplatz  ist 
wohl  seit  seinen  iüstorischen  Studien  zu  datieren.  Bei  dem 
Wallenstein  setzt  es  ein.     Obwohl  Schiller  die  Örtlichkeit  im 

')  So  gab  z.  B.  Veit  Weber  seinem  Teil  (1804)  eine  Karte  des 
Vierwaldstätter  Sees  bei. 

-)  An  Cotta  22.  u.  27.  März  1804  (Jonas  VII,  135,  143)  An  Rein- 
hart 2.  April  1805  (VII,  230). 


—     84     — 

Jahre  1791  besucht  hatte  ^),  gaben  ihm  doch  die  Erinnei-uno's- 
bilder  keinen  ausreichenden  Hintergrund  und  ei-  bestellte  bei 
Cotta  noch  Spezialkarten  für  den  Pilsener  Kreis  und  das 
Gebiet  von  Eg-er,  dazwischen  g-ing  die  Bestellung-  einer  Karte 
für  die  Insel  Malta  ■).  Später  suchte  er  auch  möglichst  viel 
Prospekte,  Städtebilder,  Landschaften  ^)  aufzutreiben ;  wie  sehr 
er  aber  immer  noch  seine  Phantasie  gerade  aus  der  Landkarte 
emporwachsen  Hess,  hat  Kettner  für  den  Demetrius  gezeigt: 
die  Aussicht  von  der  russischen  Grenze  auf  die  meilenweit 
auseinanderliegenden  Städte  Tschernigow  und  Nowgorod  Se- 
werski  muss  aus  einer  Landkarte  abstrahiert  sein,  ohne  deren 
kleinen  Massstab  in  Betracht  zu  ziehen  *). 

Ähnliche  Irrtümer  wurden  auch  gleich  nach  Erscheinen 
des  Teil  von  eingeborenen  Schweizern  berichtigt  ^),  und  der 
mit  der  Landkarte  arbeitende  Dichter  muss  es  sich  noch  heute 
gefallen  lassen,  dass  man  ihm  auf  dieser  oder  dem  wirklichen 
Schauplatz  nachgeht  und  mit  ihm  rechtet,  weil  er  Chinon  nördlich 
der  Loire  annahm,  die  Entfernung  von  Fotheringhay  nach 
London  verkürzte  oder  den  Fischer  einmal  östlich,  einmal 
westlich  vom  Yierwaldstätter  See  ansiedelte;  übrigens  war 
Schiller  selbst  auf  die  Nachprüfung  gefasst,  wie  Änderungen 
in  der  Druckausgabe  beweisen  **). 

Dass  einmal  die  wirklichen  Örtlichkeiten  zui-  J^ühne  für 
seinen  Teil  würden''),  vermochte  Schiller  wohl  kaum  zu  ahnen, 


1)  Brahm  II,  228. 

*)  An  Cotta  25.  April  96.     Jonas  IV,  446. 

')  An  W.  V.  AVolzogen  16.  Juni  1804.     Jonas  VII,  158. 

*)  Dram.  Nachl.  I,  S.  LXX,  S.  54  ff,  141.  Übrigens  sollte  die  Land- 
karte ja  auch  auf  der  Bühne  entrollt  werden.  Dram.  Nachl.  I,  71,  111, 
130,  219,  224. 

')  Braun  III,  S.  439  ff. 

«)  Bellermann  II,  507  ff. 

")  Siehe  G.  Kellers  Grünen  Heinrich.  Dass  indessen  solche  Ge- 
danken auch  im  18  Jahrhundert  nicht  allzu  fern  lagen,  zeigt  Klopstocks 
scherzhafter  Vorschlag,  Hormanns  Schlacht  unter  freiem  Himmel  im  Bode- 
tal  aufzuführen. 

(Klopstock  an  Ebert  14.  Juli  1770.  Lappenberg,  Briefe  von  und 
an  Klopstock  S,  229.) 


—     85     — 

aber  er  war  sich  wolil  bewusst.  nicht  nur  für  die  Theater  zu 
Weimar  oder  Berlin  zu  sehi-eiben,  sondern  das  Nationalschau- 
spiel der  vSchvveizer  zu  schaffen.  Er  hielt  daher  eine  Über- 
fülle von  lokalen  Anspieluni-en  für  notwendiir,  „um  gegen  die 
Geschichte  und  das,  was  die  Schweizer  von  ihm  erwarteten, 
face  zu  machon."')  Üluig-ens  lag-  dies  im  Stoff;  bereits  Kästner^), 
dem  (iottsched  zur  Dramatisierung-  geraten  hatte,  war  abge- 
halten worden,  weil  ihm  die  Quellen  zu  wenig-  Lokalkolorit 
boten,  und  Schiller  selbst  hatte  es  bereits  g-eg^enüber  dem 
epischen  Plane  Goethes  betont,  wie  gerade  der  Teilstoff  aus 
dem  g-enau  g'-eschilderten  Schauplatz  entwickelt  werden  müsse. ^) 

..Die  Gebirg-sluft,  die  darinnen  weht,  empfinde  ich  noch, 
wenn  mir  die  Gestalten  auf  Bühnenbretern  zwischen  Lein- 
wand und  Pappenfelsen  entg-eg'-en  ti-eten,"'  so  konnte  Goethe 
von  seinem  kleinen  Sing'-spiel  Jery  und  lUtely  sag-en.*)  Auch 
Schiller  hätte  seinem  Schweizerdrama  diesen  intimen  Reiz,  den  er 
aus  Goethes  Schilderung'-en  allein  nicht  schöpfen  konnte,  gern 
mitg-eg-eben ;  er  wai'  zeitweilig-  entschlossen,  noch  vor  derDruck- 
leg-ung-  den  Schauplatz  zu  besuchen,  wobei  es  ihm  aber  mehr 
auf  den  Schweizei-  Leser  als  auf  die  heimischen  Theater  an- 
kam. Für  das  Theater  glaubte  er  mit  Recht  alles  Lokale 
nur  skizzieren  zu  müssen;  denselben  Grundsatz  hatte  er  bereits 
bei  Turandot  befolg-t:  .,Ich  habe  es  mit  der  Geographie 
nicht  so  g'-enau  genommen,  weil  diese  Bearbeitung-  nicht  für 
den  Leser  ist  und  der  Zuschauer  auf  jenem  asiatischen  Boden 
schwerlich  so  bewandert  ist,  um  die  Entfernungen  nachmessen 
zu  können".^) 

Auf  dem  Theater  darf  der  Dichter  willkürlich  verfahren; 
auch    die    Geographie    Shakespeares    ist  ihm    erlaubt"),    und 


')  An  Iffland  5.  Dez.  1803.     Jonas  VII,  S.  98.     An  Körner  12.  Sept. 
1803.     Jonas  VII.  74. 

-')  AVaniek.    Gottsched    S.    411. 

•')  An    Goethe    30.   Okt.  97.     Jonas  V,  282. 

■*)  Tag-  und  Jahreshefte  1785  und  1804.  W.  A.  I,     Bd.  35,  S.  7,  185. 

■'•)  An  Körner  26.  Februar  1802,  Jonas  VI,  S.  858.     Köster,  S.  200. 

'■)  Dilthey,  Philos.  Aufsätze  für  Zeller  S.  456. 


—     86     — 

schliesslich  kommt  es  auch  nur  auf  das  an.  was  die  sag-en- 
hafte  Tafel  der  alteng-lischen  r>ühne  ausdrücken  sollte:  dem 
Publikum  muss  die  Bedeutung  der  Dekoration  klar  g-emacht 
werden. 

Wenn  nicht  der  Theaterzettel  bereits  vorgesorgt  hat,  muss 
dies  auf  indirektem  Wege  geschehen.  An  Regehi  darüber 
fehlte  es  nicht.  In  Deutschland  wurde  auf  die  schon  von 
Hedelin  betonte  necessite  d'expliquer  les  decorations  par  les 
vers  ')  durch  J.  El.  Schlegel  und  Nicolai  aufmerksam  gemacht« 
Nicolai  weist  hin  auf  den  Kaufmann  von  London :  .,wenn 
die  Scene  bald  in  Thorowgoods  bald  in  Milwoods  Hause  ist, 
so  wird  der  Zuschauer  zwar  wohl  sehen,  dass  die  Scene  ver- 
ändert wird,  aber  er  wird  nicht  wissen,  wessen  Haus  vorge- 
stellet  werde,  wenn  er  es  nicht  etwa  aus  dem  gedruckten 
Buche  weiss."")  J.  El.  Schlegel  fordert,  dass  der  Verfasser 
den  Zuschauern  berichte,  „was  sie  für  Personen  vor  sich  sehen 
und  an  welchem  Oi'te  dieselben  erscheinen ;  und  dass  er  gleich- 
wohl sich  nicht  merken  lasse,  als  ob  er  wisse,  dass  Zuschauer 
zugegen  sind."^)  Er  koordiniert  also  die  Vorstellung  der  Per- 
sonen und  des  Schauplatzes  und  in  der  That  stehen  bei  der 
Erklärung  des  Schauplatzes  drei  ähnliche  Möglichkeiten  zu 
Gebote : 

I.  Der  neue  Schauplatz  ist  bereits  in  der  vorlicrgehen- 

den  Szene  angekündigt. 
II.  Unter  den  auftretenden  Pei-sonen  befinden  sich  Fj-emde, 

denen  die  Örtlichkeit  erst  erklärt  werden  muss. 

III.  Gesprächsweise  wii-d  der  Name  erwähnt. 

Von    vornhei-ein    sind    weiterer    und   engerer   Schauplatz 

oder,    wie   Sulzer')    unteivscheidet,    allgemeine    und    besondere 

Szene  zu  trennen.    Derikgriff:  „Franken.    Saal  im  Moorischen 

Schloss"    setzt  sich  aus  drei  Faktoren    zusammen;    nur  einci- 


')  Prätique  du  theätre.     Amst.   1715.     I,  54. 
^)  Abh.  V.  Trauersp.     S.  3(5. 
')  D.  L.  l).  26.     S.  221. 
')  Th.  d.  seh.  K.ll,  S.  1011. 


—     87     — 

davon  (Saall  ist  die  Sori,'-e  des  Dekoi-atcurs,  dessen  Werk 
nach  den  zwei  anderen  Seiten  hin  durcli  indirekte  Erklärunü" 
g-estützt  werden  muss.  Spielt  die  Szene  in  der  freien  Natur, 
so  kommt  es  meist  allein  auf  die  g-eographische  Beziehung-  an ; 
unter  Umständen  ist  auch  auf  diese  kein  Wert  zu  legen,  zumal 
wenn  die  auftretenden  Pei'sonen  selbst  nicht  recht  wissen, 
wo  sie  sind.  z.  I>.  in  doi-  furchtbaren  Wildniss  (Fiesko  III,  1), 
dem  wilden  Wald  (Jungfr.  V,  1 ),  der  eing-eschlossenen  wilden 
Waldg-egend  (Teil  UI,  2). 

Auch  bei  Innenräumen  kann  es  sich  um  einen  neutralen 
Ort  handeln,  von  dem  nichts  ausg'^esag't  wird,    damit  die  ver- 
schiedensten Personen  ohne  besondere  Motivierung  ab  und  zu 
g-ehen    können.      Die    Vorzimmer    des  Wirtshauses    oder    des 
König-sschlosses  waren   für   büi'g"erliche   odei-    heroische  Stoffe 
die  g-eeignietsten  Froistätten.    Das  eni^lische  Wirtshaus  indessen 
war    in    der  Entwicklung-    des  Dramas    zum  Familieniremälde 
vom  französischen  Salon  abg-elöst  worden,    worüber  Tieck    in 
der  .,Vei-kehrten  Welt"')  seinen  Wirt  ii-onisch  khii^en  lässt: 
Ich  weiss  es  noch,  in  wie  vielen    hundert  Stücken  bei  mir  in 
dieser  Stube  hier  die  schönste  Entwicklung    vorbereitet    wurde.     0, 
dass  ich  nicht  ein  Hofrath    geworden    bin!     Sieh    fast    alle   jetzigen 
Ivoniödienzettel  nach,  und  immer  steht  unten :  die  Sceue  ist  im  Hause 
des  Hofraths. 

Schiller  machte  sich  das  Wirtshaus,  das  Goethe  in  den 
Mitschuldig-en,  im  CJötz,  im  Faust,  in  der  Stella  verwendete, 
nui-  in  den  Räubern  zu  Nutze.  Ferner  sind  als  neutraler 
Schauplatz  die  Galleric-'l  im  Don  (^irlos  (IV,  4,  13)  und  das 
N'orziMHuer  in  Maria  Stuart  (l\'.  1)  anzusehen.  Die  Deko- 
ration von  Carlos  [l.  4.  die  durch  Herumstehen  von  Hof- 
leuten als  Antichanibie  kcimtlich  ist,  sollte  näher  bestimmt 
sein,  da  sonst  der  Iri-tum  des  Prinzen  und  das  wohlmotivierte 
Auftreten  Albas  (v.  1519)  zunächst  unverständlich  bleibt  ^). 
Klai-  wird  der  Zusammenhanj<  erst  im  6.  Aufti-itt  durch  das 
Erscheinen  der  Königin. 

■  »rPhantasus.  Schriften  1828,  V,  S.  319  f. 

■)  Die  Galerie  war  eine  Lieblingsdekoration  der  Oper. 

=•)  Deutlicher  hat  Otway  die  gleiche  Dekoration  zu  erkennen  gegeben. 
IV,  1  treten  Don  Carlos  und  Posa  auf  und  Don  Carlos  beginnt   sogleich: 


—     88     — 

Der  Aufenthalt  der  Besitzer  in  ihrer  eigenen  Wohnung" 
erklärt  zumeist  die  Bedeutung  von  Zimmer-  oder  Hausdekora- 
tionen und  zwar  deutlich,  wenn  sich  die  Personen  bei  Auf- 
gehen des  Vorhanges  schon  in  einer  bestimmten  Situation  be- 
finden ;  mit  geringerer  Bestimmtheit,  wenn  sie  erst  auftreten. 
Dieser  Unterschied  ist  im  Teil  an  zwei  ganz  ähnlichen  Deko- 
rationen zu  erkennen:  dem  Platze  vor  Teils  (III,  1)  und  vor 
Stauffachers  Haus  (I,  2).  Am  Aktanfang  wird  durch  das 
lebende  Bild  dei' beschäftigten  Familie  jede  Erklärung  gespart ; 
innerhalb  des  Aktes  dagegen  war  eine  in  der  Konzeption 
vielleicht  vorgesehene  ähnliche  Anfangsgruppe  (Gertrud  über 
den  unter  der  Linde  sitzenden  Stauffacher  gebeugt)  verwehrt'); 
die  Personen  müssen  erst  auftreten  und  um  dies  Auftreten  zu 
motivieren  und  zugleich  den  Schauplatz  zu  erklären,  wird 
eine  eigene  Figur  eingeführt.  Hier  hätte  die  zweite  Methode 
eingeschlagen  werden  können,  der  Pfeiffei-  wäre  als  Fremder 
gekommen,  dem  Stauffacher  sein  Haus  zeigt;  ungekünstelter 
wirkt  aber  die  dritte  Art: 

Bleibt  doch,  bis  meine  Wirthin  kommt  —  Ihr  seid 

Mein  Gast  in  Schwytz  —  —   — 

I.  Da  die  Vorbereitung  auf  den  folgenden  Schauplatz 
mit  der  zeitlichen  und  kausalen  Verbindung  vereinigt  auftreten 
kann,  bildet  sie  das  Verfahren,  das  am  leichtesten  unbewusst 
eingeschlagen  wird.  Auf  diesen  Weg  geriet  auch  Schiller  in 
den  Räubern,  wo  sonst  die  Schauplatzerklärung  veriuichlässigt 
ist.  Der  Entschluss  der  Libertiner,  in  die  böhmischen  Wälder 
zu  gehen  (I,  2),  bereitet  auf  den  Sciiauplatz  von  II,  3  voi'  und 
der  Ruf:  „nach  Fi-aiiken!  in  acht  Tagen  müssen  wh'  dort 
seyn!"  klärt  den  Zuschauer  (allerdings  erst  am  Schlüsse  des 
dritten  Aktes)    über  die  Lage  des  Moorschen  Schlosses    auf; 


„Nun  kömmt  das  Zimmer  der  Königin,  (Er  geht  darauf  zu).  Vergebens 
suche  ich  es,  ich  darf  mich  nicht  hinein  wagen''.  (Neue  Erweiterungen 
der  Erkenntnis  und  des  Vergnügens,  1757,  Bd.  IX). 

')  Darüber  näheres  im  2.  Kapitel,  Abschn.  4.  ('■brigens  fehlt  die  Fi- 
gur des  Pfeiffers  in  den  Bühnenmanuskripten  ;  Stauttacher  und  gleich  darauf 
Gertrud  treten  aus  dem  Hause,  wodurch  ja  der  Schauplatz  auch  genügend 
erklärt  wird. 


—     89     — 

zugleich  wird  mit  dei-  zeitlichen  Entfernuni^  eine  Ungewisse 
T^estimmuni-'Jcnei-  Flussseirend  dos  dritten  Aktes  ausgesprochen 
(der  Name  Donau  fällt  nicht  auf  der  Bühne). 

Späterhin  dai'f  man  eine  bewusste  Verwendung  dieses 
Mittels  annehmen,  z.  H.  wenn  im  Don  Carlos  v.  119  und  v. 
891  der  Wechsel  zwischen  Aranjucz  und  Madrid  angekün- 
digt wird,  ebenso  M.  St.  II,  v.  2om  ft"  (Park  von  Fotheringhay), 
W.  T.  III,  23  V.  2375  (Eger),  Jungfr.  z.  335  (Chinon),  III, 
z.  3009  (Schlachtfeld  vor  Rheims),  Zu  erwähnen  ist  hier 
auch  ein  kleines,  handschriftlich  erhaltenes  P>ruchstück  des 
Teil  '),  worin  Gessler  die  Stätte  des  Apfelschusses  ankündigt, 
indem  er  dem  Knappen  Diethelm  befiehlt,  mitten  in  Altdorf 
den  Hut  aufzui)flanzen.  Als  das  Marniskiüpt  schon  in  Ifflands 
Händen  wai',  wollte  Schiller  noch  diesen  kloinen  Auftritt  (Jess- 
lers  zui-  Einschaltung  in  I,  3  nachsenden;  schliesslich  wurde 
aber  nach  Tschudi  odoi'  di-amatischeu  Voibiidcrn  (z.  1). 
Ambühls  Wilhelm  Teil  I.e.)  der  Ausrufer  eingefügt.  Eine 
deutlich  beabsichtigte  Ankündigung  endlich  ist  die  genaue  Be- 
schreibung des  Rütli  (Toll   1.4  v.  724  tf). 

Auf  den  engeren  Schauplatz  musste  vor  allem  im  Don 
Carlos  voi'bereitet  werden,  wo  auch  der  Zuschauer  sich  in 
dem  Labyrinth  des  königlichen  Schlosses  zui-echtzutinden  hat. 
Die  ..hintern  Zimmer  im  Pavillon  doi-  Königin"  (v.  1279  und 
II,  7)  und  die  „Zimmer  der  Königin"  (v.  5122  und  V.  11)  sind 

')  Minor,  A.  d.  Schillerarchiv  S.  111.  Koethe,  Die  dramat.  Quellen 
des  Schillerschen  Teil,  Fesig.  f.  Hildebrand  1894,  S.  244  f.  Schiller  an 
Iffland  23.  Jan.  u.  11.  Febr.  1804.     Jonas  VIT,  116,  123  f. 

Ursprünglich  g-ehörte  der  kleine  Auftritt  in  den  Anfang  des  zweiten 
Aktes;  in  den  Dekorationsangaben  für  Iffland  (Jonas  VII,  99  ff )  heisst 
es:  Actus  II.     1)  Oeffentlicher  Platz  zu  Altdorf. 

Dann  fiel  diese  Szene  weg  und  der  Auftritt  Gesslers  sollte  in  den 
ersten  Akt  kommen;  so  erklärt  sich  wohl  die  zweideutige  Überschrift:  ad 
Act  II,  siehe  Act  I.  Wahrscheinlich  gehört  zu  diesem  Auftritt  auch  der 
auf  einem  Blatt  von  Schillers  Hand  erhaltene  Einzug  Gesslers  mit  sechs 
Wartenknechten,  Rudolf  dem  Harras  und  zwei  leibeigenen  Buben  Diet- 
helm und  Kössling.  üüntzer  fasste  ihn  als  zur  Apfelschus.sszene  gehörig 
auf  (Erl.  z.  Teil  0.  Aufl.  1897,  S.  249). 


—     90     — 

anirekündiirt ;  hei  TT,  10  ist  die  ErkläninL'"  seit  ISOl  we^-ire- 
fallcn ;  in  der  T\haliafassun.ü-  das-egen  lässt  die  Eboli  Dominiro 
nach  dem  Nebenzimmer  linker  Hand  bestellen  (v.  2733;  in 
D  V.  2260).  Das  Genaueste  an  Vorbereitung-  auf  eine  Deko- 
ration ist  Theklas  Beschreibung*  des  astrologischen  Turmes; 
diese  Schildei'ung  (Picc.  v.  1572  ff)  giebt  eine  bindende  Vor- 
schrift für  den  Dekorateur  und  setzt  zugleich  das  Publikum 
in  Stand,  die  beschriebene  T)ekoration  AV.  T.  I,  1  zu  erken- 
nen. Die  beiden  korrespondierenden  Stellen  entstanden  gleich- 
zeitig-; als  Schiller  das  Manuskript  an  Iffland  schickte,  Avaren 
zwei  Lücken  vorhanden,  da  er  über  das  asti'olog-ische  Motiv 
noch  schwankte  ').  Übrigens  wurde  diese  genaue  Schilderung- 
bei'eits  von  Tieck  als  g'-ezwungen  empfunden  "). 

TT.  Joh.  El.  Schlegel  bewundert,  Avie  fein  Sophokles  im 
Philoktet  den  vorsichtigen  Charakter  des  Odysseus  beobachtet 
hat:  erst  als  sie  auf  der  Tnsel  Lemnos  sind,  teilt  dieser  dem 
Neoptolemos  das  Ziel  ihrer  Unternehmung-  mit  ^),  Ei'  ver- 
spottet dag-eg-en  die  unmotivierte  Art  des  Racine  in  der  Be- 
i-enice:  Antiochus  erklärt  dem  Arsaccs  den  Raum,  den  sie 
betreten,  g'-enau,  abei-  es  ist  ganz  unwahrscheinlich,  dass  Ar- 
saces  zum  ersten  Male  in  diesen  Saal  kommen  sollte.  Schlegels 
eigene  ]\fotivierung  zu  Reginn  des  TTei-rniann,  avo  Sigmar 
seinen  erAvachsenen  Sohn  zum  ersten  3Ialc  vor  Thuiskons  Bild 
und  Mannus'  Ehrenmal  führt,  ist  indessen  ebenso  anfecht- 
bar, Avie  die  des  Racine. 

Schiller  Avar  im  ähnlichen  Fall  viel  glücklicher:  Hereford 
hat  seine  fünf  Söhne,  denen  er  die  Anfangsdekoration  des 
Warbeck  erklärt,  soeben  erst  aus  England  herübergebracht ; 
Melchthal  ist  der  Einzige  aus  UnterAvalden,  der  den  Ort  der 
geheimen  Zusammenkunft  kennt;  er  muss  also  den  von  ihm 
geführten  i^andlcuten  ein  Jlalt   zurufen:    ,,\Vir  sind  am  Ziel, 

')  An  Iffland,  24.  Dec.  98.     Jonas  V,  S.  477. 

')  Dramaturg.  Schriften  I,  S.  74.  Goethe  fand  dagegen  diese  Stelle 
als  Einleitung  der  Astrologie  sehr  glücklich.  An  Schiller  2.  Jan.  1799. 
W.  A.  IV,  Bd.  14,  S.  2. 

•')  D.  L.  1).  20  S.  4  f. 


—     91      — 

hier  ist  das  Rütli".  Immer  sind  die  Personen,  die  über  den 
Schanplatz  unterrichtet  wei'den.  s^iinzlich  fremd,  sowohl  Jo- 
hanna, wenn  der  schwarze  Ritter  in  die  Ferne  weist:  ., Schau 
hin,  dort  hebt  sich  Rheims  mit  seinen  Thürmen"',  als  auch 
Demetrius,  der  sich  die  Aussicht  an  der  russischen  Grenze 
erklären  lässt.  Die  vier  Beispiele  zeigen,  dass  wir  es  mit 
einem  Kunstmittel  der  reiferen  Technik  Schillers  zu  tliun 
haben;  zum  ersten  Male  scheint  ei-  iui  Don  Carlos  an  dessen 
Anwenduni;-  i^edacht  zu  haben  und  zwar  bei  dem  Auftritt  im 
Karthäuserkloster.  Da  aber  Carlos  eben  erst  selbst  seinen 
We^  gefunden  hat,  wäre  es  un<rei'eimt.  ^enn  er  den  Prior 
nach  der  Lag-e  fragte;  Schiller  greift  also  zu  dem  geschickten 
Auskunftsmittel,  den  Prinzen  sich  selbst  orientieren  zu  lassen: 

Euer  Kloster 
Liegt  weit  ab  von  der  Strasse.     Dorthin  zu 
Sieht  man  noch  Thürme  von  Madrid.  —  Ganz  recht, 
Und  hier  fliesst  der  Mansanares. 

AVenn  dagegen  in  Maria  Stuart  (v.  2225)  Klisabeth 
fragt:  .,Wie  heisst  dci-  Landsitz?",  so  spielt  sie  nur  Komödie; 
zur  Unterrichtung  des  Zuschauers  hat  die  Antwoit  .,Fothering- 
ha-yscliloss"  nicht  zu  dienen. 

III.  Ebenso  wie  die  Anrede  einer  Person  ergiebt  sich 
im  Gespräch  auch  die  Erwähnung  dci'  ÖiHichkeit  zu  natürlich 
und  häutig,  als  dass  überall  an  eine  technische  Absicht  zu 
denken  wäre.  \\\v  diu-fen  sie  dort  annehmen,  wo  gleich  die 
ersten  Worte  den  Schauplatz  nennen,  z.  15.  Raub.  II.  3: 
„Willkommen  in  den  böhmischen  Waldein"  und  im  ersten 
Vers  des  Don  Carlos  (in  dei-  Thaliafassung  uird  das  Wort 
Aranjuez  dagegen  erst  v.  16  ausgesprochen),  oder  wo  hinter 
einem  ..hier",  das  dem  Dialog  genügt  hätte,  der  Name  des 
Schauplatzes  beigefügt  ist,  z.  15.  Lag.  v.  6(i  ..hier  vor  Pilsen'' 
oder  .JungtV.  III,  2,  z.  2450:  .,Hier,  Sire,  in  Deiner  könig- 
lichen Stadt  Chalons."*j     Im  ersten  Fall  wiid  die  Angabe  des 

')  Dieser  Vers  stand  ursprünglich  am  Anfang  des  Aktes,  denn  der 
Auftritt  zwischen  Dunois  und  Lahire  ist  erst  später  hinzugelcommen. 
(Körner  an  Schiller  9.  Nov.  1800.) 


—     92     — 

Theaterzettels  wiederholt  (oder  eig-entlich  umgekehrt,  da  der 
Theaterzettel  natüi-lich  später  seine  endgültige  Fassung-  fand), 
ebenso  W.  T.  IV,  1,  wo  zudem  an  die  vorhergegangene  An- 
kündigung des  Ortswechsels  (v.  2375)  angeknüpft  wird:  .,Ei' 
ist  herein." 

ydiwei-er  linden  Zimmerdekorationen  im  Gespräch  ihre 
Erklärung.  Dass  der  erste  Akt  des  Fiesko  im  Hause  des 
Grafen  spielt,  erfährt  man  spät;  erst  bei  der  Verabschiedung 
der  Gäste  wird  klai-,  wer  der  Veranstalter  des  Maskenfestes 
ist.  (1,  6.  .,  Wir  danken  für  Deine  Bewirthung.")  Im  zweiten 
Aufzug  geben  Julias  erste  Worte  Aufklärung:  .,Dcr  Graf 
bot  mir  sein  Palais  an."  Im  vierten  Aufzug  erkennen  Avir 
einmal  die  deutliche  Absicht  an  der  plumpen  Ungeschicklichkeit: 
IV,  11  „In  den  Konzertsal  versprach  Fiesko  zu  kommen"; 
in  der  Bühnenbeai'beitung  ist  daher  eine  kleine  Änderung  g^e- 
trotfen;  es  heisst  bloss  .,In  diesen  Saal  versprach  Fiesko  zu 
kommen",  denn  im  vorhergehenden  Auftritt  (IV,  7)  fand 
bereits  die  Ankündigung  statt:  .,rm  Chinesischen  Saal  bin  ich 
zu  finden,  Avenn  der  Schuss  g"-eschieht."  Viel  geschickter  als 
im  Fiesko  ist  der  gleiche  Zweck  im  Anfang  der  Piccolomini 
erreicht : 

Isolani  (sich  umschauend) 
Auch  auf  dem  Rathaus,  seh'  ich,  habt  ihr  euch 
Schon  ziemlich  eingerichtet. 


7.   Einheit  des  Ortes. 

Mit  seiner  geographischen  Gewissenhaftigkeit  steht  Schiller 
nicht  allein;  auch  von  Friedr.  Ludw.  SchrCxler  wird  erzählt, 
dass  er  bei  der  Arbeit  die  Landkarte  vor  sich  hatte;  aber 
aus  einem  entgegengesetzten  Grunde,  nämlich  um  die  Einheit 
des  Ortes  zu  wahren. \)  Man  möchte  kaum  glauben,  was 
Fr.  L.  Schmidt  berichtet,  dass  derselbe  Schröder,  der  Shake- 

'j  F.  L.  Schmidt,  Denkwürdigk.  hrsg.  v.  Uhde  I,  260  f.;  Meyer, 
F.  L.  Schröder. 


—     <)3     — 

spcare  auf  dem  dentsclien  Tlioatoi-  diirclisctzto  und  don  Grötz 
und  Hofmeister  auf  die  IJühue  bi-achtc.  in  seinem  Alter  die 
Meilen  änü"stlich  nachjremessen  und  sich  dai-iibei-  aufiiehalten 
habe,  dass  8cliilier  in  den  Kaulx'iii  die  Szene  zwischen  l>(")hmeii 
und  Franken  wechsehi  lasse.  Für  den  Teil  soi^ar  soll  er 
dasselbe  Wort  als  Tadel  gebraucht  haben,  das  einst  zum 
Evan^'-elium  der  Geniezeit  g^ehört  hatte,  nämlich  „Guckkasten."') 
Gerstenberi;-  scheint  diesen  Ausdruck  zuerst  angewendet 
zu  haben;  ihm  kam  es  nur  auf  eine  Einheit  der  Illusion  an: 
„Wir  sehen  mit  dem  guten  Glauben  in  die  I5ühne  hinein,  als 
ob  wir.,  in  einen  Guckkasten  sähen."  Odei-  wie  es  an 
anderer  »Stelle  heisst :  „Ob  er  [der  Dichter]  mich  von  Rom 
nach  Alexandrien  oder  von  Alexandiit'ii  nach  Rom  versetzt, 
ist  mir  sehr  gleichgültig.  wdIViii  er  niii-  nur  zeigt,  was  ich 
zu  sehen  wünschte."')  Auch  für  den  jungen  Goethe  war 
Shakespeares  Theatei-  ,.ein  scliüncr  Raritäten  Kasten,  in  dem 
die  Geschichte  der  Welt  vor  unsciii  Augen  an  dem  unsicht- 
baren Faden  der  Zeit  vorbey wallt "l)  Aber  indem  Goethe  „in 
die  freye  Luft  sprang",  entsagte  er  dem  Theater  übei'haupt; 
Shakespeare  galt  als  der  Dichter,  der  keine  P>ülmc  brauchte; 
zwai'  hatten  die  Schleswig-ischeu  Litteraturbriefe  bei  dei- 
Kritik  von  \\'ielands  Übersetzung-  seine  lierücksichtigung  als 
Theateidichter  veilangt,*)  aber  Herder  hatte  die  IMicke  der 
Zeitgenossen  von  dieser  Richtung-  wieder  g-anz  abg-elenkt ;  aus 


'}  Herrmann,  Das  Jahrmarktsfest  von  Flundersweilern.     S.  45. 

Schon  1784  hatte  Schröder  in  einem  Briefe  an  Dalberg:  das  unzu- 
treffende Urteil  über  die  Räuber  gefällt:  „wird  der  Geschmack  an  diesen 
Sturm-  und  Drangstücken  ailgeuiein,  so  kann  kein  Publikum  ein  Stück 
goutieren,  das  nicht  wie  ein  Raritätenkasten  alle  fünf  Minuten  etwas  an- 
deres zeigt".  (Minor  II,  232. j  Noch  in  seinen  Bemerkungen  zu  Riccoboni 
(1810)  nennt  er  als  grausame,  unnatürliche  und  Guckkastenstücke  nach 
dem  verdorbenen  Geschmack  des  Publikums  die  Räuber  neben  anderen 
Titein,  wie  Julius  von  Sassen,  die  Zauberin  Sidonie,  Fridolin,  das  Vehni- 
gericht  u.  s.  w.  (Meyer  II,  2.     S.  181.) 

-)  A.  V.  Weilen,  D.  L.  D.  30  S.  LXXT.  Schreiben  an  Herrn 
Weisse,  Vorrede  zur  Braut.     1765,  S.  8  f. 

')  W.  A.  I.     Bd.  37.     S.  133. 

M  1).  L.  D.  30.     S.  110. 


—     94     — 

dem  Alter  Goethes  stammt  ja  der  merkwürdi.ii'e  Satz,    an  die 
Bühne  habe  »Shakespeare  nie  gedacht.^) 

Sobald  sie  nmi  für  die  IJühne  zu  schreiben  begannen, 
kehrten  alle  Genies  um  ;  mit  der  Kindheit  des  Sturms  und 
Drang"S  ging'  die  Freude  am  Jahrmarktstreiben  dahin;  auf  den 
Götz  folgte  der  Clavigo;  selbst  Lenz  erkannte  mit  einem  Male, 
dass  die  Veränderungen  der  Szene  auch  bei  Shakespeare  nur 
Ausnahmen  von  der  Regel  seien  und  keine  Entschuldigung  für 
junge  Dichter,  „die  ad  libitum  von  einem  Ort  zum  anderen 
herumschweifen,  und  uns  glauben  machen  wollen,  Shakespeares 
Schönheiten  beständen  bloss  in  seiner  Unregelmässigkeit."-) 
Die  entschiedenste  Schwenkung  aber  machte  Klinger:  nach- 
dem er  bereits  in  den  Zwillingen  (1776)  sich  an  die  Einheiten 
gehalten  hat,  verwirft  er  1785  in  der  Vorrede  zu  seinem 
„Theater"  die  vorausgehenden  Jugenddichtungen,  enthält  sich 
im  „Neuen  Theater"  (1790)  jedes  Dekorationswechsels  inner- 
halb dei*  Akte  und  kann  zu  den  „Zwo  Freundinnen"  sogar 
die  P)emerkung  setzen:  „Ein  Zimmer  durch's  ganze  Stück. "^) 
Andere  Stürmer  und  Dränger,  Avie  etwa  H.  L.  Wagner  oder 
Ph.  Ludw.  Hahn,  rechneten  sich  von  vornherein  „zu  den 
weiseren  Dichtern,  die  deutsch  denken,  ohne  die  französische 
Mechanik  des  Theaters  zu  verachten."*) 

Gegen  Ende  der  siebziger  Jahre  war  der  wildeste  Fi'ei- 
heitsrausch  längst  vorüber  und  auf  den  jungen  Schiller  wh^k- 
ten  ausser  Shakespeare  selbst,  dem  (jötz  und  etwa  Klingers 


•)  Hempelsche  Ausgabe.     Bd.  XX VIII.     S.  737 

Zu  Eckermaun  am  25.  Dez.  18"25.  Dagegen  die  umgekehrte  Ansicht 
am  18.  April  1827,  Shakespeare  habe  nie  an  den  Druck  seiner  Stücke, 
sondern  nur  an  die  Aurtührung  gedacht,  (v.  Biedermann,  Goethes  Ge- 
spräche V,  257,  VI,  113.J 

')  Über  die  Veränderung  des  Theaters  im  Shakespeare.  Ges.  Schr.^ 
hrsg.  V.  Tieck  II,  S.  836.  E.  Schmidt,  Len/.  u.  Klinger  S.  85.  E.  Schmidt, 
H.  L.  Wagner.     2.  Aufi.  S.  66,  95. 

3)  F.  M.  Klingers  Theater,  Riga  1786.     Rieger,  Klinger  I,  120  II,  109. 

*)  So.  Schubart.  —  R.  M.  Werner,  Ph.  L.  Hahn.  (^u.  u.  F.  XXII, 
S.  13,  37.  Ebenda  S.  107  befindet  sich  auch  eine  Zusammenstellung  über 
den  Ortswechsel  im  Sturm  und  Drang-Drama. 


—      95      — 

Otto  Iianptsiirhlioh  die  Stücke  dor  Sturm-  unrl  Dranir/eit,  die 
mit  den   Konlei'uiiii-eii  des  Tlieaters  nicht  i,'ol)roclieii  hatten. 

Die  IJcschränkiuif,'-:  ..Ein  Zimmer  dui'clks  stanze  Stück" 
ist  ei<,'-entlich  die  einzig-  konsequente  Form  der  Einheit.  Gott- 
sched hatte  diese  Reyel  mit  der  thfirichten  Hei-rünihnig-  ge- 
stützt: so  weniir  sich  die  Zuschauer  vom  Phitze  bewerten,  so 
weniy  dürfe  es  (he  Dekoi-ation.  im  Cato  heisst  es  denn  aucii : 
„Der  Schauphatz  ist  in  einem  Saale",  interessant  ist  es  aber, 
dass  CJottsched  selbst  im  Altci'  eiinnal  von  diesei'  stren«^en 
Kegel  abwich  '). 

Sobald  im  Stück  überhaupt  ein  Dekorationswechsel  vor- 
kommt, ist  das  eigentliche  Gesetz  gebrochen  und  als  Trünuner 
bleiben  zwei  von  einander  verschiedene   Paia<jrapheu: 

I.  Mügrlichste  Einheit  dei-   Dekoiatiou. 

IL  Mögrliehste  Einheit  des  g-eogn-aphischen  Schauplatzes. 

Vci'mittelst  eines  einzii^en  Dekoi-ationswechsels  köinite  die 
llandlung'  vou  Euiopa  nach  Amerika  versetzt  werden,  und  es 
käme  nur  auf  die  Illusion  des  Zuschauers  an.  ob  er  diesen 
Sprung'  mitmacht.  l'mgekehrt  können  unzählig-e  Verwand- 
lungen uns  doch  nur  durch  die  Zimmei'  eines  einzigen  Hauses 
jagen;  dann  handelt  es  sich  wesentlich  daium.  in  wie  weit  die 
Huhne  den  Anforderung-en  des  Dichters  entspi-echen  kann. 
Lessing-  zwar  will  diesen  rnterschied  nicht  gelten  lassen: 
„Die  Scene  uniss  kein  g-anzer  Palast,  sondern  mir  ein  Teil 
des  Palastes  sein,  wie  ihn  das  Auge  aus  einem  und  dem- 
selben Standorte  zu  übersehen  fähig-  ist.  Ob  sie  ein 
ganzer  Palast  oder  eine  ganze  Stadt  odei-  eine  ganze  Prodnz 
ist,  das  macht  im  Grunde  einerlei  Ung-creimtheit".  Er  inter- 
pretiert die  Einheitsregel  Gottsclicdisch  und  führt  sie  damit 
ad  absurdum.") 

')  Crit.  Dichtk.  (1730)  S.  575.     Waniek  S.  676. 
Fiirstenau,  Zur  Geschichte  der  Musik  und  des  Theaters  am  Hofe  zu 
Dresden  1861,  II,  S.  37ü. 

O  Hauib.  Dram.  44.  Stück,  Lachm.-Muncker  IX,  S.  371. 


—     96     — 

1.  Mit  seinem  Satz,  Shakespeare  würde  besser  mit  Aris- 
toteles auso-ekommen  sein,  als  die  g-anze  französische  Tragödie,') 
hat  Schiller  einen  Vorläufer  in  Joh.  El.  Schlegel.^)  Das,  wo- 
gegen Schlegel  kämpft,  sind  die  Unwahrscheinlichkeiten,  mit 
denen  die  Einheit  der  Dekoration  erkauft  wurde.  Dass  an 
dem  allgemein  zugänglichen  Ort  gerade  nur  die  Personen  sich 
zusammenfinden  durften,  die  der  Dichter  brauchte;  dass  Ver- 
schwörer sorglos  ilii'e  heimlichen  Anschläge  eben  da  machten, 
wo  sich  vorhin  noch  der  Tyrann  beraten  hatte ;  dass  Gefangene 
aus  ihrem  Kerker  geholt,  Sterbende  noch  in  ilu'en  letzten 
Augenblicken  auf  die  Bühne  geschleppt  wurden,  statt  dass 
sich  die  andern  zu  ihnen  begäben ;  dass  endlich  wichtige  Be- 
standteile der  Handlung  nur  durch  frostige  Erzählungen  vor 
den  Hörer  zu  bringen  waren  :  all  dieser  dem  Stoif  angetane 
Zwang  wurde  bereits  empfunden,  lange  ehe  man  sich  von 
den  Fesseln  frei  zu  machen  wagte  ^).  Schon  Corneille  hatte 
sich  gefragt,  ob  er  denn  die  Handlung  seiner  Horazier  auch 
in  einen  Saal  zusammengedrängt  hätte,  falls  er  aus  dem  Stoife 
einen  Roman  hätte  machen  wollen;  er  konnte  nicht  starr  auf 
einer  Unveränderlichkeit  des  Schauplatzes  bestehen  und  foi-- 
derte  schliesslich  nur  eines,  nämlich  que  jamais  on  ne  chan- 
geät  dans  le  meme  acte,  mais  seulement  de  Tun  ä  l'autre. 
Auf  diesem  Standpunkt  blieb  das  französische  Drama  im  acht- 
zehnten Jahrhundert;  als  Voltaire  in  Semiramis  die  Regel  über- 
trat, fand  er  wenig  Nachfolge;  sogar  Mercier  ging  nicht 
weiter  als  Corneille;  er  verlangte,  „dass  die  Veränderung  des 
Orts  nur  in  den  Zwischenakten  vor  sich  gehe,  niemals  zu 
einer  anderen  Zeit'"  ^).     In  Deutschland  bewirkte  Shakespeares 


')  An    Goethe    5.  Mai  97.     Jonas  V,  188. 

'■)  D.  L.  D.  26,  S-  223:  ,,Die  Wahrheit  zugestehen  beobachten  die 
Engländer,  die  sich  keiner  Einheit  des  Ortes  rühmen,  dieselbe  grossentheils 
viel  besser,  als  die  Franzosen,  die  sich  damit  viel  wissen,  dass  sie  die 
Regeln  des  Aristoteles  so  genau  beobachten". 

')  Eloösser,  Das  bürgerl.  Drama  S.  50.  Joh.  El.  Schlegel,  D.  L.  D. 
20,  S.  11.  Nicolai,  Abh.  v.  Trsp.  S.  33.  Sonnenfels,  Briefe  ü.  d.  Wien. 
Schaub.  113  tf.  428.     Sulzer,  Th.  d.  seh.  K.  II,  1012. 

*)  Neuer  Versuch  (übs.  v.  Wagnerj  S.  194. 


—     97     — 

Einfluss  eine  Änderung';  Shakespeare  selbst  aber  musste  in 
der  überlieferten  Foi'm  als  unaufführbar  gelten  und  wurde 
durch  J>earbeitun<,''cn  bülniengerecht  gemacht,  da  vor  der  Ro- 
mantik niemand  auf  eine  Biilnieneinrichtung-  nach  altengiischcm 
Muster  zurückging. 

Tieck  machte  im  Jungen  Tischlermeister  diesen  Vorschlag 
und  fand  damit  auch  eine  Bühne  füi-  den  Götz.  Wenn  da- 
gegen der  junge  Schiller  im  Jahre  1782  daran  gedacht  hatte, 
Goethes  Werk  für  die  Mannlieimer  Bühne  einzurichten,')  so 
hätte  er  jedenfalls  das  Verfahren  aller  bisherigen  Shakespeare- 
bearbeiter eingeschlagen  und  eine  VereinheitUchung  des  Schau- 
platzes durch  Weglassen  und  Sti-eichen  gesucht.  Einer  der 
ersten  Rezensenten  hatte  sich  ja  bereits  vermessen:  „Wir  ge- 
trauen uns  mit  gei'inger  Mühe  die  Schauplatzvei'änderungen 
so  zu  reduzieren,  dass  sich  das  Schauspiel  autführen  Hesse. ''^) 

Schillers  Macbethbearbeitung  ging  von  demselben  Gesichts- 
punkte aus.  Verschiedene  Zusammenziehungen  hat  sie  mit 
Jl.  L.  Wagners  Macbeth  gemeinsam,  den  Schiller,  auch  wenn 
er  ihn  später  nicht  benutzt  haben  sollte,"^)  in  der  Mannheimer 
Zeit  bereits  kannte.  Auf  dem  offenen  Platz,  der  in  der  ersten 
Szene  zur  Versammlung  der  Hexen  gedient  hatte,  tritt  auch 
der  König  auf:  die  drei  Szenen  zu  Inverness  spielen  in  der- 
selben N'orhalle;  dort  also,  nicht  im  Schlosshof,  spricht  Ranquo 
seine  Wotte  über  die  Mauerschwalbe.  Der  zweite  Akt  hat 
bei  Schiller  wie  bei  Wagner  keine  Veränderung:  Rosse  und 
der  Greis  ti'etcn  im  Zimmer  auf,  statt  ausserhalb  des  Schlosses. 
Wagner  hatte  bereits  viel  weniger  Verwandlungen  als  Rürurer; 
Schillei-  übertrifft  in  den  folgenden  Akten  auch  Wagner,  indem 
er  die  Szene  in  Macduffs  Schloss  (IV,  2)  leider  weglässt  und 
die  Hexenszenen  aus  Ul  und  iV  zusammenzieht;  ui-sprünglich 
hatte    er,    wie  Küster    vei-nuitet,    auch    die    Vereinigung    der 


')  An  Dalberg  1.  April  1782.     Jonas  I,  57. 
0  R.  M.  Werner,  G.-J.  II,  S.  89. 
')  Köster,  S.  102  tf,  302  f, 

Palaoätra  XX_Xil, 


—     98     — 

zweiten  Hexenszene  (i,  4 — ö)  mit  den  folg-enden  Auftritten 
(I,  7,  8)  vorg'ehabt. 

Diese  chirurgische  Kühnheit  wird  schon  vorher  in  der 
Egmontbearbeitung-^)  offenbar;  ja  dort  zeigt  sich  noch  glänzen- 
der Schillers  Geschicklichkeit,  durch  einen  Austausch  inner- 
halb verschiedener  Akte  tief  in  den  Aufbau  eines  Stückes 
einzuschneiden,  ohne  doch  der  Handlung  in  ihrer  Folgerichtig- 
keit tötliche  Verletzungen  beizubringen.  Durch  Vei"einigung 
der  Volksszenen,  durch  Wegfall  der  Regentin  und  Macchiavells 
und  durch  das  Zurückbehalten  der  Klärchenszenen  wurde  es 
möglich,  innerhalb  des  ersten  und  zweiten  Aktes  ohne  Ver- 
wandlung auszukommen;  die  drei  folgenden  Akte  wechseln 
jeder  nur  einmal  mit  dei-  Dekoration.^) 

Die  Praxis,  den  Stoff  in  wenige  grosse  Massen  zu  ordnen, 
hatte  Schiller  schon  an  den  Jugendstücken  erlernt  und  aus- 
gebildet. Durch  Zusammenziehung  von  1,1  und  1,3  wurde 
der  erste  Aufzug  der  Räuber  vereinfacht,  und  im  Mannheimer 
Bühnenmanuskript  sind  sogar  II,  1  und  II,  2  zusammenge- 
nommen. Im  Fiesko  wird  III,  1  an  den  zweiten  Akt  ange- 
hängt und  spielt  statt  in  der  furchtbaren  Wildnis  im  Vor- 
zimmer des  Fiesko.  Am  besten  aber  lässt  sich  an  den 
Theaterbearbeitungen^)  des  Don  Carlos  erkennen,  welche  Ver- 
einfachungen die  Rühnenrücksicht  bedingte:  den  20  (21)  Szenen 
der  Druekausgabe,  die  13  verschiedene  Dekorationen  erforderte, 
stehen  in  der  Prosabearbeitung'*)  17  Szenen  mit  10  verschiedenen 


')  Köster.     S.  2  ff. 

■)  Das  Mannheimer  Bühnenmanuskript  hat  die  8  Szenen  auf  nur 
3  Akte  verteilt,  von  denen  der  zweite  4  Szenen  enthält. 

^)  Im  Buchdrama  wird  umgekehrt  die  Zahl  der  Szenen  in  der  Über- 
arbeitung von  1801  um  eine  vermehrt  (IV,  14).  Vollmers  Behauptung,  Schiller 
habe  die  Fassung  von  ISUl  für  bühnenfähig  gehalten,  beruht  auf  einer  irrtüm- 
lichen Interpretation  des  Titels  „Theater"  für  die  Gesamtausgabe  der 
dramatischei)  Werke.   (Einleitung  zur  Don  Carlos-Ausgabe  1880.  S.  XVIII.) 

')  Die  Bearbeitung  Bd  (Boas,  Nachträge  III)  bietet  den  besten  Text. 
Wenn  Ba  und  Bs  nur  16  Verwandlungen  haben,  beruht  dies  auf  Nach- 
lässigkeit. Ba  (Dr.  Albrecht,  Hamburg  und  Altona  1808)  hat  mehrere 
sinnlose  Weglassungen,  z.  B.  fehlen  dort  im  letzten  Auftritt  Philipps  die 
Worte:    „Der  Sehrecken    einer  Buhlerini"     wodurch    die  Kntire'i-nun"'    des 


—     99     — 

Dekorationen,  im  Hamburg-er  Theatermanuskript  16  Szenen 
(10  Dekorationen)  u-eo-enüber.  Diese  Erleichterung-en  scheinen 
aber  den  ]^>ül]nen  noch  niciit  genügend  entgegengekommen  zu 
sein:  in  Mannlicim  kam  man  bei  der  Auttührung  mit  14  Ver- 
wandlungen und  7  Dekorationen  aus;')  man  Hess  es  für  den 
ganzen  ersten  Aufzug  bei  der  gleichen  Parkdekoration  be- 
wenden und  machte  keinen  Untei'schied  zwischen  Vorzimmer 
uiul  Zimmer  der  Königin,  zwischen  ychlafzimmer,  Kabinet 
und  Vorzimmer  des  König^s. 

Dass  sich  daraus  kleine  Unwahrscheiulichkeiten  ergeben 
mussten,  ist  selbstvei'ständlich ;  solche  fehlen  aber  auch  in  den 
anderen  Stücken  Schillers  nicht.  Wenn  z.  B.  Gianettino  den 
Mohi'en  zu  seinem  Mordanschlage  im  eigenen  Hause  des  Fiesko 
dingt  (nach  Kettnei-s  einleuchtender  Hypothese  ist  dieser  Auf- 
tritt später  eingesclioben),  wenn  in  dei'  Bühnenbearbeitung" 
Veri'ina  die  Worte  „Fiesko  muss  sterben"  im  Vorzimmer  des 
Fiesko  spricht  statt  in  der  furchtbaren  Wildnis')  —  derselbe  vor- 
sichtige Verrina,  der  sonst  acht  Ziunncr  hinter  sich  verriegelt; 
wenn  in  der  IJraut  von  Messina  bei  der  Nachricht  vom  Raub 
dei-  Beatrice  die  Ih'üder  hin  und  hei-  gezogen  werden  müssen, 
nur  damit  keiner  mehr  hört,  als  er  wissen  darf,  so  liegt  die 
Ei'klärung  auf  der  Hand;  bei  einem  Dichter,  der  keinen 
\\'ert  auf  Ersparnis  von  Anwandlungen  legte,  würden  wh' 
derlei  nicht  linden. 


Carlos  „liuhlcrin,  Siie?"  luiverfstäiullirl)  wird.  An  Dekorationsangaben 
tVhlt  die  von  l\\  4.  (Kahiiiet  des  Königs).  In  Bs  (Goed.  V,  2,  S.  99) 
fehlt  1\',  9  (Zimmer  der  I'rinzessin  Kboli),  was  durch  Wegfall  des  vorher- 
gehenden Auftrittes  erklärt  ist. 

1}  Walter  II,  120  tf.  Die  Vereinfachung  der  Jambenbearbeitung, 
dass  l'osa  111,  8  vom  König  im  Audienzsaal,  statt  im  Kabinet  empfangen 
wird,  ist  in  Mannheim  später  wieder  beseitigt  worden. 

Noch  weniger,  nändich  13  Verwandlungen,  hat  die  l'rosabcarbeitung 
in  der  deutschen  Schaubühne  X\'lll,  Augsburg  179U.     (Siehe  Anhang). 

-)  Sogar  I'lümicke  hatte  diese  Zusanimenziehung  nicht  für  notwendig 
gehalten,  sondern  im  Gegenteil  die  Schauer  der  Szene  gesteigert.  Verrinas 
Worte:  Folge  mir  dahin,  wo  die  Verwesung  Leichname  morsch  frisst  etc., 
regten  ihn  <lazu  an,  eine  Kirchhofdekoration  mit  heulendem  Sturmwind 
vorzuschreiben.  7* 


—     100     — 

II.  Der  erste  Rezensent  der  Räuber  hatte  füi'  die  Guck- 
kastenteehnik  kein  Verständnis.  „Angewurzelt  auf  dem  Raum 
eines  Quadratschuhs,  »Städte  zu  durchwandern,  und  auf  dem 
Zaubermantel  der  Fantasie  im  Hui  über  Länder  zu  fliegen, 
ohne  eine  Fuszehe  zu  rülu'en,"')  schien  ilnn  eine  zu  starke 
Zumutung.  Schiller  abei-,  der  sich  bemühte.  Tinnnes  Ein- 
wände gegen  sein  Stück  bei  der  Umarbeitung  zu  berück- 
sichtigen,^) konnte  nicht  daran  denken,  in  diesem  Punkte  eine 
Änderung  zu  treifen.  Wenn  zufällig  die  beiden  näch.sten 
Dramen  ihren  Schauplatz  auf  die  Mauern  einer  Stadt  kon- 
zentrierten, so  Avar  dazu  keinerlei  gewaltsames  Zusammen- 
drängen notwendig:  die  einzige  aussei'halb  Genuas  spielende 
Szene  des  Fiesko  wurde,  wie  erwähnt,  nur  um  eine  Ver- 
wandlung zu  ersparen,  ins  Vorzimmer  des  Fiesko  verlegt. 
Nur  der  Kürzung  halbei-  fiel  auch  im  Don  Carlos  die  Szene 
im  Karthäuserkloster  weg;  Entfernungen  wie  die  von  Madrid, 
dessen  Türme  ja  noch  zu  sehen  sind,  nach  dem  Kloster  oder 
von  Aranjuez  nach  der  Hauptstadt,  die  vor  Abend  noch  zu 
erreiclien  ist,  betrugen  ja  nur  wenige  Meilen  und  soweit  wollten 
viele  Gesetzgeber,  ohne  von  der  Einheitsforderung  ganz  abzu- 
sehen, die  Zügel  lockern.  Mercier  sagt:  „Wenn  die  Einheit 
des  Orts  den  Umfang  einer  grossen  Stadt  erlaubt,  warum 
sollte  sie  einen  Raum  von  drey,  viei-  Meilen  verbieten,  einen 
Raum,  den  man  täglich  so  bequem  zurücklegt?^) 

Mit  dieser  Begründung  ist  die  Frage  eigentlich  auf  das 
Gebiet  der  Einheit  der  Zeit  hinübergespielt.  In  der  Tliat, 
bei  einem  Sprung,  wie  dem  von  Pilsen  nach  Eger  im  \\'allen- 
steiii,  kommt  es  ja  lediglich  darauf  an,  ob  das  Publikum  im 
Stande  ist,  zwischen  dem  dritten  und  vierten  Akt  sich  einen 
Zwischenraum  von  ein  oder  zwei  Tagen  zu  denken.  In  den 
Räubern,  avo  ein  lirief  die  Verbindung  zwischen  Franken  und 
Sachsen  vollzieht,  ist  schon  eine  grossere  Anfoi'derung  gestellt, 
da  die  zeitliche  und  örtliche  Trennung  niclit  im  Zwischenakte, 

')  I5iaun  I,  S.  2. 

')  An  Dalbeig  G.  Okt.  1781.     Jonas  I,  S.  43, 

'■'•)  Neuer  \'er.sucli  ( Wayner).     S,  IK-l, 


—       101       — 

sondern  innerhalb  des  .\kte.s  klaift.  Ein  Züricher  Rezensent 
hob  diesen  Unterschied  liervor:  .,Amalia  ireht  ab,  Karl  er- 
scheint und  der  Zuschauei*  hätte  zwischcnwe^--  kaum  die  Hand 
umwenden  können.  Dies  g-eht  niclit  natürlich  zu,  muss  er 
denken,  und  fort  ist  die  Täuschung!  Wäre  hingeg-en  der 
Vorhang-  gefallen,  hätte  das  Orchester  die  kleinste  Pause  mit 
Musik  g-efüllt,  so  würde  sich  die  Einbildungskraft  der  An- 
wesenden der  Veränderung  der  IJühiie  und  dem  Gedanken  an 
die  weite  Entfernuni.'-  leichter  ang'eschmiegt  haben/")  Im 
Teil  macht  dei'  Held  iinieiiialb  des  ersten  Aktes  zweimal  den 
Weg  zwischen  Tri  inid  ^^chwvz;  auch,  hier  nahm  ein  sonst 
verständiger  Beurteiler')  an  dem  „harten  Hhakespoarischen 
iSprung"  Anstoss:  der  Vorwurf  der  Unwahrscheinlichkeit  richtet 
sich  wiederum  dagegen,  dass  der  Zuschauer  aus  Augenblicken 
ytunden  machen  soll. 

Anders  liegt  der  Fall,  wenn  die  Szenen  nicht  durch  die- 
selben Personen,  die  sich  während  der  Verwandlung  von  einem 
Ort  zum  andern  bewegt  haben,  verbunden  sind.  Wenn,  um 
ein  starkes  lieispiel  zu  wählen,  Lenz  im  neuen  Menoza  auf 
dem  Theaterzettel  erklärt:  .,Der  Schauplatz  ist  hie  und  da"^) 
und  nun  seinen  Stoff  übci-  die  Landkarte  hinwegstreut,  inner- 
halb eines  Aktes  fünfmal  in  Naumbui'g.  dazwischen  zweimal 
in  Leipzii^.  in  Dresden  und  auf  unbestimmten  rJütern  Halt 
macht  und  auf  dem  andern  Schauplatz  jedesmal  andere  Figuren 
entgegentreten  lässt,  so  ist  otfenbar  vor  allem  die  Einheit  der 
Handlung  gefährdet. 

Tu  diesem  Falle  war  auch  Schiller  bedenklich.  In  den 
Skizzen  zum  Demetrius'^)  ist  zu  lesen:  „Von  dem  Polnischen 
Reichstag  kommt  man  nach  Russland  in  das  Kloster  (das 
Kloster  liegt  an  der  Grenze   dei-  Welt),    wo    die  Czarin  sich 


')  Braun  T,  90  ff. 

-)  Braun  III,  S.  4:3!).  Dieser  Sprung  wäre  nach  dem  ursprünglichen 
Plan  gemildert  worden,  indem  die  Szene  bei  Stauffacher  (jetzt  I,  2)  als 
I,    3    dazwischentreten    sollte.      (An    Iffland    5.    Dez.    1803.     Jonas    VII, 

S.  99  tr. 

■')  Über  solche  Schauplatzangaben  siehe  Brahm,  Ritterdrama  S.  30, 
')  Uram.  Nachl.  I,  S.  XL,  54,  98  f. 


—     102     — 

aufliält.  Dieser  Spruiiii*,  den  man  dem  Zuschauer  zumutet, 
muss  wohlverbor£!en  und  dui'cli  Klarheit  des  Gang-es  der  Haiid- 
lung  gut  gemacht  werden." 

Von  der  (rrenze  dei'  Welt  aus  (Schiller  dachte  sich  das 
weisse  Meer)  führt  der  gleiche  Akt  wieder  an  das  andere 
Ende  Russlands  zurück:  „Unmittelbar  aus  den  düstern  Um- 
gebungen des  Klosters  wird  man  in  eine  heitre  freie  Land- 
schaft versetzt,  wo  Demetrius  mit  seiner  Armee  in  Russlands 
Grenze  eintritt.  Die  letzten  Worte  der  Czaiin,  welche  Segen 
auf  denselben  herabflehen,  knüpfen  jene  Scene  im  Kloster  an, 
und  der  grosse  Sprung  wird  dadurch  vei'mittelt. "  Für  Schiller 
kommt  es  hier  nui'  auf  die  Einheit  der  Handlung  an ;  statt 
der  äusseren  Verknüpfung  sucht  er  nach  einem  Innern  Band, 
und  in  der  That  glückt  es  ihm  auf  diese  Weise,  über  den 
weiten  Zwischenraum  hinwegzutäuschen.  Wenn  Marfas 
Phantasie  die  Entfernungen  durchfliegt,  wird  auch  das  Publikum 
mitgerissen;  Demetrius  ist  ganz  nahe: 

Er  ists,  er  zieht  mit  Heeresmacht  heran, 
Mich  zu  befreien,  meine  Schmach  »zu  rächen! 
Hört  seine  Trommeln!  seine  Kriegstrompeten! 
Wenn  gleich   danach    die  Kriegstrompeten    wirklich    ertönen, 
ist  es  nur  die  Lösung  einer  bereits  ei'regten  Spannung. 

Ein  noch  weiterer  Zwischenraum,  als  der  Durchmesser 
des  russischen  Reiches,  wäre  in  dem  Entwürfe  .,Das  Seestück" 
zu  überbrücken  gewesen;  allerdings  sollten  hier  alle  Personen 
die  Reise  A^on  einer  ozeanischen  Insel  nachEui'opa  mitmachen.') 
Wegen  dieses  Wechsels  zwischen  zwei  Erdteilen  waren  be- 
sonders die  spanischen  Dramen  für  Gottsched  und  andere  als 
Monstra  verschrieen;  Scliifxler  noch  hielt  sich  über  Klinge- 
manns Columbus  auf.  wo  doi-  erste  Akt  in  Amci'ika,  der 
zweite  in  Madrid  vor  sich  geht.")  Schiller  hielt  es  im  gleichen 
Fall  für  notwendig,  das  Publikum  bei  dem  gi'ossen  Satz,  den 
er    ihm    zumutete,    an    dei-    Hand    zu    nehmen;    ein    kleines 

')  Damit  war  natürlich  der  vorhergehende  Vorsatz:  „Alles  muss  sich 
in  einem  Tag  begolicii,  die  Nacht  mit  eingeschlossen"  hinfällig;  es  handelt 
sich  also  wieder  nur  um  den  grossen  zeitlichen  Zwischenraum. 

-J  F.  L.  Schmidt,  Denkwürdigk.     (hsg.  v.  Uhde)  1,  S.  20U  f. 


—      10.3      — 

Zwischenspiel,  das  Auftreten  des  Oceanus,  der  den  unsreheuren 
ypriin^--  launiüt  entscliuldigt,')  sollte  für  die  Vermittluu«:-  sor^'-en. 
Nui-  ein  einzig-es  Mal  hat  Schiller  seinen  Schauplatz  ge- 
waltsam beschränkt:  man  sollte  in  der  liraut  von  Messina 
eine  Szene  im  Kloster  der  lieatiice  ei'wailen.  ähnlich  wie  im 
.Julius  von  Tarent  dei-  zweite  Akt  in  Hiancas  Kloster  spielt. 
Dingelstcdt  in  seiner  Müncliener  Inszenierung  scheint  auch 
Schiller  so  verstanden  zu  haben,  indem  er  die  Schlucht  im 
Waldgebirge  des  Ätna  als  Lokalton  der  zweiten  Dekoration 
festhielt^).  Dass  lieatr-ice,  wie  es  sich  wirklich  verhält,  aus 
ihrem  Kloster  bereits  nach  Messina  abgeholt  ist,  obwohl  sie 
auch  dort  noch  versteckt  gehalten  werden  muss,  ist  eine 
Konzession  an  die  Kinheitsfoi'(loi  iiiii^-.  Schiller  wai*  hier  durch 
den  Chor  schon  in  der  "jaii/cn  Krtinduni.-'  iler  Fabel  gebunden; 
im  Chor  hatten  Ja  englische  Asthetikci-.  Home  und  Webb,^) 
überhaupt  den  Ursprung  der  antiken  Einheit  gesehen.  In 
Deutschland  hatte  Lessing*)  diese  Erklärung  eingeführt,  und 
nach  ihm  wollte  Lenz*)  die  Einheit  des  Ortes  überhaupt  nur 
als  Einheit  des  Chores  gelten  lassen. 


8.  Die  Zeit. 


Die  erste  Zurechtweisung,  die  der  junüe  Schiller  während 
seiner  Lehi-jahre  vonseiten  des  Theaters  empting,  war  die  Um- 
datieiung  der  Räuber.  An  der  Mannheimer  Bühne  galt  das 
lediglich  als  Kostümfrage.  Dem  .lulius  von  Tarent  v,  urde 
später  das  umgekehrte  Los  zu  Teil;  man  strich  die  Zeitangabe 


*)  Uraniat.  Nachl.  11,  251. 

-)  Münohener  Bilderbogen,  S.  71. 

')  H.  V.  Stein,  Die  Entstellung-  der  neueren  Ästhetik.  S.  215.  Home, 

Grunds,  der  Kritik.     Meinhards  üher.setzung,  3.  Aufl.  von  Schatz,  S.  290. 

•*)  Haml).  Drani.4HSt.  Lachni.-Munfker  IX,  .378.  E.Schmidt,  Lessingl, 
S.  610. 

•'')  Lenz,  Anm.  ü.  Theater,  S.  3U, 


—      104      — 

.,Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts"')  und  führte  das  »Stück 
im  Kostüm  des  Jahres  1784  auf;  auch  bei  den  Räubern 
sprach  sich  die  allgemeine  Stimme  für  die  moderne  Tracht 
aus,  und  die  Schauspieler  schlössen  sich  gegen  Dalberir  dem  an, 
vermutlich  nur,  weil  sie  der  altdeutschen  Kleidung,  die  durch 
das  Ritterdrama  alltäglich  geworden,  überdrüssig  waren.-) 

Mit  dem  äusseren  Aufputz  und  mit  der  Vermeidung  von 
ein  paar  Zahlen  und  Namen  war  aber  die  Handlung  nicht 
mittelalterlich  zu  färben;  der  tiefer  liegende  moderne  Charakter 
schimmerte  durch,  und  so  musste  denn  nach  Schillers  eigenen 
Worten  „ein  buntfarbiges  Ding  wie  die  Hosen  des  Harlequins" 
entstehen.^)  „Viele  Th'aden,  kleine  und  grosse  Züge,  Karakterc 
sogar  sind  aus  dem  Schooss  unserer  gegenwärtigen  Welt 
herausgehoben  und  taugten  nichts  in  dem  Maximilainischen 
Alter.  Mit  einßhi  Wort,  es  ginge  dem  Stück  wie  einem  Holz- 
stich, den  ich  in  einer  Ausgabe  des  Virgils  gefunden.  Die 
Trojaner  hatten  schöne  Husarenstiefel,  und  der  König  Aga- 
memnon führte  ein  paar  Pistolen  in  seinem  Hulfter."*) 

Dieser  Vergleich,  mit  dem  sich  Schiller  gegen  die  Ver- 
gewaltigung zu  wehren  suchte,  hätte  fünfzig  Jahre  früher 
nichts  Drastisches  gehabt,  denn  damals,  als  Gottsched  und 
Mylius  zuerst  auf  die  Einführung  historisch  echter  Kostüme 
hinarbeiteten,^)  sah  man  auch  auf  dem  Theater  Trojaner 
in  Husarenstiefeln  und  griechische  Könige  mit  Galanterie- 
degen. Sogar  Ekhof  spielte  noch  den  alten  Dänenkönig 
Canut  mit  Knotenperücke  und  Kj'ückstock, '')  und  auch  Les- 
sing hess  den  groben  Anachronismen  in  Regnards  De- 
mocrit,  gegen  die  Gottsched  und  J.  El.  Schlegel  ihren 
Spott    gerichtet    hatten,  ')    Schutz     angcdeihen.       Allerdings 


1)  Walter  11,  137. 
-)  Martersteig  S.  45,  88,  ir.o,  34(). 
=>)  Goed.  II,  S.  372. 

*)  An  Dalberg  12.  Dez.  81.  .lonas  I,  S.  47. 
•'•)  Waniek,  Gottsched  S.  118. 

")  F.  L.  W.  Meyer,  F.  L.  Schröder  181»  I,  S.  129  f. 
')  Gottscheds    Deutsche    Schaubühne    II T,    S.    XX.     D.    L.    I).     2(), 
S.  53  ff,  66. 


—      105      — 

wollte    er  nur    dem    komischen  Dichter    die  Vernachlässig-ung 
der  historischen  Wahrheit  g-estatten.\) 

Aber  auch  in  der  Tragödie  fehlte  noch  das  Gefühl  für 
die  echte  Darstellung  einer  Zeit;  dies  konnte  sich  ei'st  aus- 
bilden, als  man  daran  ging,  „dramatisierte  Geschichte"  zu 
schreiben.  P.odmer  hatte  mit  seinen  Ansätzen,  die  er  später 
gern  neben  (hin  Götz  stellte,-)  den  richtigen  Weg  nicht  ge- 
funden; auch  die  Ivitterdramen,  die  dem  Götz  folgten,  teilten 
sich  noch  nach  zwei  KichtHn<ren.  von  denen  die  eine,  Klingers 
Otto  an  der  Spitze,  jedes  Lokal-  und  Zeitkoloi'it  vernachlässigte; 
die  andern  freilich  gingen  in  dci-  CJrundierung  ihrer  Bilder  viel 
weiter,  als  Goethe;  am  weitesten  wohl  aus  lehrhafter  Absicht 
der  Mannheimer  Jakob  Maier.^l 

Auf  den  Schiller  der  Mannheimer  Zeit  scheinen  dessen 
Stücke  wenig  Eindruck  gemacht  zu  haben,  obwohl  gerade  um 
eine  stilechte  Autführung  des  Fust  von  Stromberg  die  Mann- 
heimer Huhne  sich  besondere  Mühe  gab,*)  Später,  in  der 
Abhandlung  .,Über  die  tragische  Kunst",  spricht  er  über  dies 
Stück  gemeinsam  mit  llciuiamis 'l'od  und  Gerstenbergs  Minona 
ab:  ..sie  würden  bey  noch  so  pünktlicher  UefokMing  des 
Kostüme,  des  Volks-  und  des  Zeitkarakters  mittelmässige 
Tragödien  heissen."'')  Im  .Jahi-e  1798  fällt  ihm  das  Drama 
wieder  in  die  Hände  und  er  sieht  es  mit  andern  Augen  an; 
zwei  Briefe  an  (ioethe  untei-richten  uns  über  die  Wandlung 
des  Urteils:^)  „Die  Bemerkung  habe  ich  dabey  gemacht,  dass 
der  Dichter  eine  erstaunliche  Macht  über  das  Gemüth  ausüben 
kann,  wenn  er  inii-  recht  viele  Sachen  und  P)estimmungen  in 
seinen  Gegenstan<l    legt.     So    ist    diese»-   Fust  von  Stromberg 

')  Hanib.  Drani.  17.  Stück.  Lachni. -Munker  X,  S.  205. 

-)  G.-J.  V,  184  f. 

■')  Brahni,  Rittenirama,  S.  88.     R.  M.  Werner,  A.  f.  d.  A.  VII,  418. 

*)  Iffland,  Theatral.  Laufbahn,  D.  L.  D.  24,  S.  53. 

')  Goed.  X,  S.  37  f. 

")  An  Goethe  13.  März  98.  20.  Febr.  1802.  .Jonas  V.  359,  VI.  356. 
Mit  einer  einmaligen  Aufführung  des  ., Sturm  von  Boxberg"  in  Weimar 
1795  hatte  Goethe  Misserfolg  gehabt.  Burkhardt,  Theatergesch.  Forsch.  I, 
S.  17,  1J8.     Goethes  Tag-  u.  Jahresh.  1795.     W.  A.  I,  Bd.  35,  S.  50. 


—      100     —  * 

zwar  überladen  von  liistorischen  Züiren  und  oft  iresiichten 
Anspielunaon,  und  diese  Gelehrsamkeit  macht  das  Stück 
schwerfällig  und  oft  kalt;  aber  der  Eindruck  ist  höchst  be- 
stimmt und  nachhaltig,  und  der  Poet  erzwingt  wirklich  die 
Stimmung,  die  er  geben  will."' 

Ob  nun  0.  Ludwig  recht  hat,  wenn  er  annimmt,  Schiller 
habe  für  seine  späteren  Stücke  aus  dem  Fust  von  Stromberg 
die  Beglaubigung  des  Vorgangs  durch  massenhaft  eingewirkte 
historische  Data,  p]rwälinungen  von  Gesetzen,  historischen 
Rückblicken  u.  s.  w.  gelernt')  oder  ob  Schillers  Urteil  nicht 
nur  symptomatisch  für  eine  schon  voi'her  vollzogene  Änderung 
seines  Geschmacks  ist,  fragt  sich.  0.  Ludwigs  Beispiel,  die 
französische  Werbung  in  Maria  Stuart,  ist  .jedenfalls  unglück- 
lich gewählt,  denn  wirkliche  geschichtliche  Ereignisse  spielen 
in  den  Fust  nicht  hinein:  vielmehr  handelt  es  sich,  wie  schon 
der  L^ntcrtitel  sagt,  um  die  Sitten  und  (Gebräuche  der  Vorzeit, 
also  um  das  Kostüm  im  weitesten  Sinne.  Diese  echte  Kostü- 
mierung kann  nur  auf  den  Leser  Avirken-j  und  ist  auch  auf  ihn 
berechnet,  wie  die  vielen  Anmerkungen  im  Fust  beweisen. 
Schiller  legt  auf  diese  kulturhistorische  Beglaubigung  erst  in 
den  allerletzten  Stücken  erhöhten  Wert;  die  Ansätze  dazu  im 
Wallenstein  und  in  der  Jungfrau  von  Orleans  schreckten  ihn 
zunächst  wieder  ab;^)  erst  mit  dem  Plan  einer  zweiten  Jung- 
frau von  Orleans,  wenn  dieser  ernst  zu  neJimen  ist,  wird  die 
kulturhistorische  Richtung  eingeleitet  und  für  den  Teil  und 
Demetrius  wird  nunmehr  eine  Menge  Material  aufgestapelt 
und  der  Dicliter  sucht  der  darzustellenden  Zeit  alle  ihre  Eigen- 
heiten abzulauschen. 

»  Bei  der  Erwähnung  von  einzelnen  historischen  Ereignissen 
handelt  es  sich  nicht  um  diese  peinliche  Ausmalung  des 
Milieus  und  um  keine  Darlegung  tieferer  Motive;  statt  das 
Publikum  belehren  zu  wollen,  nutzt  der  Dichter  das  Wenige, 
was  er  bei    ihm    an  geschichtlichen  Kenntnissen  voraussetzen 

»)  Werke  V,  S.  316. 

"0  Ein  Beispiel  in  neuerer  Zeit  der  Bühnenmisserfolg  von  G.  Haupt- 
manns , Florian  Oeyer." 

■')  An  Körner  28.  .luli  1800.     .Jonas  VI,  181   f. 


—      107      — 

kann,  zur  indirekten  Zeitangabe  aus.  Dazu  dienen  g-erade 
die  bekanntesten  lieirebenhoitcn  am  besten;  manchmal  werden 
ganz  plumpe  Anspielungen  an  den  Haaren  herangezogen,  z.  H. 
in  Gerstenbergs  Minona  wird  auf  dem  angelsächsischen  Boden 
von  der  Varusschlacht  ei'zählt. 

In  den  Räubern  geht  die  Erwähnung  des  siebenjährigen 
Krieges  und  der  »Schlacht  bei  Prag,  Friedrichs  TL  und  des 
grossen  Schwerin  schon  auf  Schubarts  Skizze  zurück.  Der 
dafür  später  eingesetzte  Matthias  Corvin  und  die  Schlacht  bei 
Pest  werden  dem  Mamdieimer  Theaterpublikum  wenig  gesagt 
haben;  dafür  ist  die  Libertinerszene  mit  neuen  Zeitanspielungen 
durchsät:  die  Worte  Faustrecht  und  r^andfrie<le  werden  innner 
wieder  angebracht,  es  ist  die  Rede  von  ^laximilians  (iemsen- 
jagden,  von  der  Frfindung  des  Schiesspulvers,  der  Druckerei 
und  der  Entdeckuni^-  Amerikas  —  „recht  als  wenn  ein  Schul- 
knabe herzusagen  hat,  was  ei-  aus  dei"  Geschichte  des  sechs- 
zehnten Jahrhunderts  weiss."')  Beim  Lesen  hätte  diese  Auf- 
dringlichkeit natürlich  noch  viel  ungeschickter  gewh'kt;  im 
Druck  des  Traueispieles  sind  dajier  einige  dieser  Zuthaten 
mit  Recht  fortgeblieben ;  .Vnachi'onismen  dagegen,  die  das 
fleissiger  dui-chkorrigierte  Mannheimer  Manuski'ipt  beseitigt 
hat,  blieben  im  Druck  stehen,  z.  I>.  die  SuUys  und  der 
Marschall  von  Sachsen,  an  dem  nach  der  Frankfui-tci-  Auf- 
führung ein  Rezensent  Anstoss  nahm.') 

Im  Fiesko  bildet  die  Erwähnung  Kaiser  Karls  eine  in- 
direkte Zeitangabe;  in  Kabale  und  Liebe  weist  der  Name  des 
Fi'anzosenbesiegers  Rodney  auf  die  nächste  Gegenwart;  im 
Don  Carlos  werden  Egmont  und  der  Aufi'uhr  in  Brabant  an- 
gebracht, dazu  die  Anekdote  vom  L^ntergang  der  Armada, 
die  im  wesentlichen  der  Charakteristik  Philipps  dient  und 
von  einem  Rezensenten  als  Anachronismus  getadelt  wurde;") 
deutsche  Ereignisse  derselben  Zeit  sind  nicht  hineinverwebt,^) 

')  Minor  I,  403.     Walter  II,  S.  150  f. 
■')  Braun  I,  225. 

^)  Braun  I,  187.     (Ephemeriden  d.  Litt.  u.  d.  Theat.  1797). 
*)  Wenigstens  werden  die  leisen  Anspielungen  (v.  523,  1382  f)  kaum 
beachtet. 


108 


während  der  Franzose  Mercier  im  Philippe  II  sich  die  Ge- 
legenheit nicht  entgehen  Hess,  seine  Landsleute  an  die  Pariser 
Bluthochzeit  zu  erinnern. 

Beim  Wallenstein  nun  glaubte  Schiller  dem  Stoff  nicht 
anders  beizukommen,  als  durch  das  genaue  Studium  der  Zeit- 
geschichte.') Obwohl  er  ein  historischer  Dramatiker  im  Sinne 
Tiecks  und  Solgers  niemals  war,  so  steht  er  doch  hier  dem 
historischen  Drama  noch  am  nächsten  mit  dem  Grundsatze,  das 
Historische  zwar-  zu  überwinden,  aber  doch  in  seinem  möglichsten 
Umfange  zu  benutzen."')  In  dem  Vorspiel,  das  selbst  nur 
Folie  sein  soll,  werden  die  geschichtlichen  Momente  sogar  zur 
Hauptsache.  Goethe  hatte  sich  im  Wilhelm  Meister  über 
den  historischen  Hintergrund  ausgesprochen,  ohne  den  auch 
ein  grosser  Stoff  nur  Familienszene  sei;  ei*  hatte  Einheitlich- 
keit verlangt  und  am  Hamlet  versucht,  die  zerstreuten  Momente 
in  einem  Brennpunkt  zu  sammeln.  Im  Wallenstein  war  dazu 
keinerlei  Operation  notwendig;  der  Brennpunkt  ist  die  Idee 
des  grossen  Krieges;  die  Mittel,  womit  der  Hinteigruiid  ent- 
rollt wird,  sind  die  alten;  Goethe  hat  sie  hi  seiner  Besprechung") 
besonders  hervorgehoben:  .,Wir  hören  die  vornehmsten  Städte 
unseres  Vaterlandes  nennen,  der  grössten  Feldherrn  jenes 
Jahrhunderts  wird  gedacht,  so  dass  wir  gar  bald  am  Orte, 
in  der  Zeit  und  unter  dieser  Gesellschaft  einheimisch  werden." 

Schiller  hätte  gern  noch  mehr  gethan;  ein  Lied  von 
Magdeburg  sollte  gesungen  werden  und  an  Stelle  des  Kon- 
stablers  ein  Stelzfuss  aufti'eten,  der  aus  einem  Zeitungsblatt 
„Regenspurgs  Einnahme  und  die  neuesten  passendsten  Er- 
eignisse mit  einigen  artigen  Complimenten  für  den  Hei'zog 
Bernhard  mitgeteilt  hätte."*)  Da  aber  die  Proben  schon  zu  weit 
vorgeschritten  waren,  sollte  die  Änderung  einstweilen  unter- 
bleiben und  der  Konstabier  nur  mit  den  Worten  „Aber  das 
Prager  Blatt  ist  angekommen"    (v.  111)    das  Motiv  einleiten. 

')  An  Körner  21.  Nov.  96.     Jonas  V,  114. 

-)  An  Körner  28.  No\}.  96.  An  Goethe  20.  Aug.  99;  24.  Okt.  18U0. 
Jonas  V,  122;  VI,  74,  232. 

')  Weimarischer  neudekorierter  Theatersaal.     W.  A.  T,  Bd.  40,  8.  (i. 
*)  An  Goethe  5.  Okt.  98.     Jonas  V,  442, 


—      109      — 

Auf  sein  Vorhaben,  diese  Stelle  spätei-  auszufüliren,  kam 
Sfliiller  nicht  mein-  /ui'iick;  inzwisclien  hatte  er  noch  an 
mehreren  Stellen  der  Piceolomini,  zumal  bei  der  epischen  Be- 
schreibung des  Krönungsbechers  Gelegenheit  gefunden,  „histo- 
rische und  statistische  Notizen  beizubringen.''') 

In  der  Rede  des  Kellermeisters  wird  auch  das  Jahr  der 
Handlung  indirekt  angegeben;  das  Datum  des  Fenstersturzes 
ist  genau  bestimmt:  23.  Mai  1018,  und  dann  heisst  es:  „es 
sind  jetzt  1(5  Jahr."-)  Die  Jahreszahl  selbst  ist  dagegen  nie 
ausgesprochen,  ebenso  wenig  dei-  Monat  oder  Tag,  obwohl 
dazu  Gelegenheit  gewesen  wäre;  wie  leicht  hätte  z.  H.  unter 
das  Zirkular,  das  Picc.  IV.  1  vorgelesen  wird,  das  Datum 
gesetzt  werden  kiiiineii:   Pilsen.  22.   F'ebruar   1():34. 

8o  heisst  es  in  Miinia  von  iiai'nheini.  als  der  Wirt  die 
Meldung  für  die  Polizei  abfasst:  ..Dato,  den  22.  August  a.  c", 
ebenso  hat  in  den  Räubeiii  dei-  l'.rief  den  Franz  vorliest,  die 
Überschrift:  1.  Mai.  Goethe  hatte  in  diesem  Falle  mei'k- 
würdig  verfahren;  im  Egniont  heisst  es  bei  dei-  Verlesung  des 
Todesurteils:  „Gegeben  Brüssel  am  (Datum  und  Jahreszahl 
werden  undeutlich  gelesen,  so  dass  sie  der  Zuiiöicr  nicht  ver- 
steht)." Das  ist  nicht  bühnenmässig.  denn  dei'  S('liausi)ieler 
müsste  inuncrhin  wissen,  was  er  unvei'ständlicii  zu  murmeln 
hat.  Aber  auch  Schiller  setzte  trotz  seiner  Beschäftigung  mit 
dem  historischen  Gegenstände^)   den  4.   Juni  15G8    nicht  ein. 

')  W.  A.  I,  Bd.  4U,  S.  47.  t)io.se  Beschreibung  des  Bechers  ist, 
wie  Küpke  nach  dem  Berliner  Hiihneiiinanuskript  vermutete  und  wie  durch 
das  von  Maltzahn  herausgegebene  Manuskript  bestätigt  wird,  als  spätere 
Einfügung  anzusehen.  (Herrigs  Archiv  Bd.  13,  S.  20  ft'.  Maltzahn, 
Wallenstein  18»jl,  S.  25.)  Auch  in  Leipzig  blieb  das  Gespräch  über  den 
l'okal  weg  (Journ.  d.  Lux.  u.  d.  Mod.  1800,  I,  S.  597).  In  Weimar  sind 
dagegen  nach  Goethes  Bericht  die  \'er.se  bereits  gesprochen  worden. 
Übrigens  drang  Goethe  auch  bei  der  Audienzszene  auf  Verdeutlichung  der 
historischen  Punkte  (10.  Kov.  179S  an  Schiller). 

')  Auf  diesen  Zeitpunkt  seit  Beginn  des  Krieges  war  schon  im  Prolog 
(v.  80).  im  Lager  (v.  9(571  uml  im  Anfang  der  Piceolomini  hingewiesen 
(v.  482). 

••')  Goed.  IX,  S.  23. 


—     110     — 

Oifenbar  sollten  Leser  wie  Hörer  mit  allen  toten  Zahlen 
mög-lichst  verschont  werden ;  auch  auf  dem  Theaterzettel  sind 
nur  für  Fiesko  und  Jungfrau  von  Orleans  die  Jahreszahlen 
genannt;  überall  sonst  fehlen  sie:  in  den  Räubern  heisst  es 
nur:  „als  Kaiser  Maximilian  den  ewigen  Landfrieden  für 
Deutschland  stiftete";  der  Zusatz  „also  1495"  ist  den  Kom- 
mentatoren überlassen. 'j  Also  an  Stelle  dei*  historischen 
Jahreszahl  sind  kulturhistorische  Vorbedingungen  der  Hand- 
lung angegeben,  wie  es  ja  schon  in  gewissen  Untertiteln  z.  B. 
„»Schauspiel  aus  den  Zeiten  des  Faustrechts"  Sitte  war. 

Dass  ein  Stück  in  der  Gegenwart  spielte,  wie  z.  B. 
Kabale  und  Liebe,  pflegte  nicht  eigens  angegeben  zu  werden. 
Im  Menschenfeind  ist  wenigstens  im  Dialog  einmal  das  Jahr 
1784  genannt.  Überhaupt  liebten  bürgerliches  Drama  und 
Komödie   darin   mit  dem  vollkommenen  Realismus  zu  spielen: 

z.  B.  Bretzners  Räuschgen   (1780)  II,  2:  I,  das    lässt  sich 

anno  178ß  gar  nicht  denken." 

Ifflands   Verbrechen    aus    Ehrsucht   (1784):    „Ihr   mögt 

freylich  Anno  84  wohl  anders  schreiben,  als  wir  Anno  40." 
Diese  Jahreszahl  war  dazu  bestimmt,  mit  den  Jahren 
der  Auffühi-ung  fortzuschreiten;  erst  in  den  späteren  Ausgaben 
des  Verbrechens  aus  Ehi'sucht  blieb  sie  auf  ..Anno  98"  stehen, 
ebenso  wie  die  liäutig  angebrachte  Jahreszahl  im  „Herbsttag" 
auf  „Eintausend  siebenliundert  und  neun  und  neunzig!"-) 

Dass  die  Zeit  des  Stückes  schon  im  Titel  genannt  werden 
konnte,  ist  bereits  oben  erwähnt;  in  Kotzebues  „Hussiten  vor 
Naumburg  im  Jahre  1432"  giebt  der  Zettel  noch  genauere 
Mitteilung:  „Die  Handlung  beginnt  am  28.  July  nnt  Tages- 
Anbruch  und  endet  gegen  Abend." 

Sclion  die  Angabc  der  Jahreszeit  auf  dem  Zettel  hat 
Schiller  stets  untei'lassen  und  wohl  mit  gutem  Grund;  ein  be- 
sonderer Zufall  Hess  die  meisten  seiner  historischen  Stotte 
gerade  zui-  Wintei-szoit  spielen  (Fiesko  in  den  ersten  Januar- 


1;  Bei  I'liiniicke  heisst  es:  J)as  Stück  spielt  in  der  Zeit,  als  der 
ewige  Landfriede  in  Deutschland  errichtet  ward;  folglich  im  Kostüm  des 
Jahres  14!«). 

'')  iJie  .Dramatischen  Werke"  lülands  erschienen  Leipzig  1798—1802. 


—    111    — 

tagen.  Wallenstein.  Maria  Stuait  und  den  Anfani:-  der  Juniif- 
frau  im  Februar,  den  Schluss  des  Teil  in  den  \\'eilniaclitstagen); 
eine  besondere  lietonun^r  der  Jahreszeit  hätte  die  Gruppierunnir 
unter  freiem  Hinnnel  erschwert  und  auch  an  den  Dekorateur 
Anforderunj,'-en  g-estellt.  Erst  für  die  Marfaszene  des  Demetrius 
wurde  eine  Schneelandschaft  notwendiii'.  wie  sie  übrigens  füi' 
Kotzebues  Graf  lienjowsky  auf  den  i:rüsseren  IJühnen  eigens 
ang'efertig't  worden  war;')  in  München  freilich  scheint  es  noch 
1800  daran  gefehlt  zu  haben:  wenigstens  wurde  an  einer  Auf- 
führung von  Kotzebues  Gustav  Wasa  getadelt,  dass  bei  den 
Worten:  „?]ilt,  dei- Schlitten  steht  in  r>ei'eitschaft"  die  Kulissen 
blühten  und  grünten  niid  praiiL:ti'ii  von  Früchten  und  rilunicn 
wie  im  heissen  Italien.') 

Im  Fiesko  hätte  wcL-'en  des  italienischen  Schauplatzes 
die  Ki'wähnung  des  Winters  nicht  gestört:  trotzdem  sind  in 
dei'  llüliiienbearbeitung  alle  Hinweise  beseitigt;  es  heisst  nicht 
mehr  wie  im  Hamlet:  ..Rs  ist  gi'immkalt"  und  statt  der 
„dritten  Jennei-nacht"  ist  jetzt  vom  dritten  des  Monats  die 
Rede. 

Maiia  Stuart  kann  nicht  durch  ilcii  Todestag  Darnleys 
auf  den  neunten  Februar  festgelegt  werden,  denn  der  dritte 
Akt,  dei-  auf  dem  giüneu  Tepi)ich  der  Wiesen  spielt  zwischen 
dichtem  (iebüsch  und  den  freundlichen  giiinen  P>äumen,  atmet 
Friililingsstimmung.  C'berhaupt  düifen  indirekte  Datierungen 
nicht  erpi-esst  weiden,  das  Datum  Simons  und  Judä  im  Teil 
soll  nur  eine  Ijauernregel  zur  Geltung  bringen^)  und  „des 
Korns  hochwallende  Gassen"  in  der  l>raiit  von  Messina  (v. 
192)  berechtigt  höchstens,  die  Ausarbeitung  dieser  Chorpartie 


M  I'ioliler,  ("hrniiik  des  Hof-  u.  Xat. -Theaters  zu  Mannheim.  S.  151. 
Schütze.  Haiul).  Theaterg-esch.     S.  094. 

'■')  Münchner  Theater  Journal   isoo  I,  S.  14(). 

')  So  hatte  er  sich  auch  aus  Fäsi  S.  liartholoniä  (24.  August)  als 
ilas  Datum  g^emerkt,  an  dem  die  Sennen  ihre  Hütten  verlassen.  (Goed. 
XIV,  S.  X).  Für  die  Bauernszene  des  Demetrius  hatte  er  sich  eine  Samm- 
lung- russischer  Sprichwörter  angelegt.     (Dram.  Kachl.  I,  S.  145). 


—     112     — 

vor  die  Erntezeit  zu  setzen,  Tni  Don  Carlos'l  geraten  solche 
Angaben  sogar  in  Widerspruch:  ,.^^  h-  haben  jetzt  April''  und 
„Monarchin  einer  Sommernacht." 


9.  Zeitdauer. 

Die  beiden  Gegenpole  der  deutschen  Poetik  im  achtzehnten 
Jahrhundei't  sind  Gottscheds  Kritische  Dichtkunst  und  die  An- 
merkungen übci's  Theater  von  Lenz.  Nirgends  sind  sie  so 
weit  von  einander "  entfernt  wie  in  der  Zeitfrage.  Gottsched^) 
möchte  —  denn  nur  so  kann  seine  rationalistische  Begründung 
Geltung  erlangen  —  am  liebsten,  dass  IJühnenzeit  und  wirk- 
liche Dauer  der  Vorstellung  gleichen  fSchritt  hielten,  also  drei 
bis  vier  Stunden;'')  „kömmt  es  hoch,  so  bedürfen  sie  sechs, 
acht  oder  zehn  Stunden  zu  ihi'em  ganzen  N'erlauf;''  seit  der 
dritten  Auflage  giebt  er  zwölf  Stunden  zu  und  lässt  sich 
schliesslich  auch  auf  die  vierundzwanzig  Stunden  des  Aristoteles 
ein.  Eine  Inkonsequenz,  wie  sie  Lenz  ganz  liübscli  im  Neuen 
Menoza  verspottet:  ein  ^'ater  prügelt  seinen  Sohn  durch,  weil 
dieser  ihm  nicht  erklären  kann,  warum  man  sich  einbilden 
müsse,  das  Stück  daure  ausgerechnet  24  Stunden,  während 
es  sein  Tag  noch  nicht  so  lang  gewährt  hat. 

Vor  allem  warnt  Gottsched  vor  der  Unwahrschcinliclikeit, 
dass  auf  dci-  Schaubühne  eine  oder  mehrere  Nächte  vergehen, 
ohne  dass  der  Zuschauer  zum   Essen,  Trinken    und   Schlafen 

'j  üon  Karlos  hsg.  v.  Vollmer,  Stuttgart  188U:  v.  162U  und  v. 
4741  Seit  1801  ist  die  zweite  Angalte  mit  dem  ganzen  Auftritt  wegge- 
fallen. 

■)  Crit.  Dichtk.  (1730)  S.  574.  ;].  Aufl.  (1742)  S.  714.  Servaes, 
Die  Poetik  Gottscheds  u.  d.  Schweizer  Qu.  u.  F.  (iO  S.  IG.  Waniek, 
Gottsched  S.  IKi  f. 

•'j  Ebenso  schroff  formuliert  Batteux,  Einleit.  i.  d.  seh.  Wissensch. 
(übs.  V.  Uamler)  II,  S.  239  den  Satz:  „Die  Regel  selbst  ist,  dass  die 
Handlung  nicht  länger  daure,  als  die  Vorstellung;  das  heisst,  dass  sie  in 
zwey,  aufs  höchste  in  drey  Stunden  angefangen  und  geendiget  werde.'" 


—     113     — 

komme.  ..Was  hat  es  vor  eine  A\^ahrscheinlichkeit/'  frag-t  er 
mit  einej-  aus  Cervantes  entnommenen  Übertreibung,  „wenn 
man  in  dem  ersten  Auftiitte  den  Helden  in  der  Wiege,  weiter- 
hin als  Knaben,  hernach  als  einen  Jüngling-,  Mann,  Greis 
und  zuletzt  gar  im  Sarge  vorstellen  wollte."  Dieses 
allerstärkste  P>eispiel  hätte  in  Lenz  am  Ende  noch  seinen 
Veileidiger  gefunden;  Lenz  rühmt  wegen  seines  Zutrauens 
zui-  Einbildungskraft  des  Publikums  den  Hanns  Öachse,  der 
die  Griselde  „in  einem  Auftritte  freyen.  heyrathen,  schwanger 
wei'dcn  und  gebähren  ]ässt".^) 

Zwischen  diesen  Extremen  haben  die  andern  keine  festen 
Positionen.  Lessing^)  äussert  sich  nur  negativ,  er  spottet 
über  Wiehind.  dei'  die  Dauer  seiner  Johanna  Gray  von  sieben 
Monaten  auf  zwei  Tage  eingeschränkt  hat  und  weist  auf  aUc 
Unwahrsclieinliciikciten  und  Unwaln-heiten  hin,  die  die  schein- 
bai'e  Einheit  der  Franzosen  mit  sich  bringe;  in  seinen  eigenen 
.Stücken  vermied  er  Verstösse  und  dem  Fauststoft'  wollte  ei- 
denselben  Zwang  anthun:  ..Dauer  des  Stücks  von  Mitternacht 
zu  Mitternacht." 

Nicolai")  emplielilt  in  dei'  Abhandlung  vom  Trauerspiel, 
dem  Zuschaue)'  überhaupt  keine  Handhabe  zu  geben  und 
sichert  unter  dieser  J Bedingung  dem  Dichter  Freiheit  zu;  nach 
Erscheinen  des  Götz  verhöhnt  er  aber  die  jungen  Kerlchen, 
die  von  historischen  .Schauspielen  sclnvätzen,  „zwanzig  Jährchen 
lang,  jeds  in  drey  Minuten  zusammengedruckt.''^ 

.Schröder^)  sucht  als  Theaterdirektor  sein  Publikum  zu 
erziehen;  er  wünscht,  „dass  auch  die  gi'össten  Pedanten  ver- 
gässen,  dass  sie  acht  Tage  im  Parterre  stehen  müssten"  und 
liolft,  dass  sie  beim  Götz  ebenso  viel  Jahre  vergessen  möchten; 
bei  seiner  Jjcarbeitung  des  Kaufmanns  von  A'enedig   hält  er 

^)  Anmerkungen  übers  Theater  S.  52.  Vgl.  Goethes  Paralipomenon 
zu  Faust  II,  3.  Akt     W.  A.  I,  Bd.  15-  S.  234. 

■-)  G3.  Littbr.  Lachni.-Muncker  VIll,  S.  108.  llanib.  Draiu.  44.  Stück, 
I.achni.-Miincker  X,  S.  370  ft". 

•')  Abhandl.  v.  Trsp.      S.  3.'j  f.      Leiden  Werthers  des  Mannes.  S.  43, 

*)  Litzniann,  Schröder  II.  13H.  Schröder  an  Gotter  9.  März  1777 
(hsg,  V.  Litzniann  S.  45.J 

Talacstra  XXXII.  8 


^     114     — 

trotzdem  eine  Zusammenziciiuiiii-  tür  notwendig-:  „es  spielt 
anstatt  der  3  Monathe  und  einige  Tage  bei  »Shakespeare  3 
Tage  bey  mii\" 

Auch  Mercier,^)  der  nur  in  Frankreich  als  Erzketzer 
gelten  konnte,  war  nicht  weitergegangen;  trotz  seines  be- 
freienden Satzes:  „Hat  denn  der  Zuschauer  die  Uhr  in  der 
Hand,  wenn  er  gerührt  oder  stark  interessirt  wird?"  bleibt 
er  doch  immer  noch  dabei,  die  Zeit  überhaupt  zu  berechnen 
und  weiss  keine  kühneren  Beispiele  zu  nennen,  als  die  Spanier, 
die  ihren  Stücken  einen  Zeitraum  von  drei  Tagen  geben. 

Mit  einer  ganz  anderen  Überzeugung  konnte  Herder^) 
in  seinem  Shakespeareaufsatz  von  den  Uhrstellern  des  Dramas 
reden:  „Dichter!  Dramatischer  Gott!  Als  solchem  schlägt 
Dir  keine  Uhr  auf  Turm  und  Tempel,  sondern  Du  hast  Raum 
und  Zeitmaasse  zu  schaifen." 

Schiller  hat  sich  nur  die  Frage  nach,  dem  zeitlichen  Zu- 
sammenhang der  einzelnen  Szenen  vorgelegt;  er  fragte  nicht  nach 
der  Dauer  der  ganzen  Handlung.  Auf  dem  Theaterzettel  der 
Räuber  steht  zwar  „Die  Zeit  ohngefähr  zwei  Jahre,"  aber  es 
lässt  sich  leicht  nachrechnen,  dass  das  Stück  thatsäclüich  gar 
nicht  so  lange  währt;  die  Angabe  ist  nichts  weiter  als  ein 
Protest  gegen  die  Einheit  der  Zeit.  In  den  folgenden 
Stücken  hätte  es  zwei,  drei  oder  viei-  Tage  heissen  können, 
aber  es  lag  dem  Dichter  nicht  daran,  zu  zeigen,  dass  er  dies- 
mal mit  der  Regel  besser  ausgekommen  sei.  Im  ^'orAvort  zur 
Braut  von  Messina  hat  sich  Scliillci-  endlich  ähnlich  wie  Herder 
gegen  jede  Zeitberechnung  erkläil.  indem  er  seinem  Wider- 
spruch noch  eine  positive  Wendung  beifügte:  „als  ob  hier 
eine  andere  Zeit  wäre,  als  bloss  die  stetige  Folge  der  Handlung." 

Gerade  die  Bi-aut  von  ]Messina  ist  allerdings  das  Stück 
Schillei's,  das  auf  einen  Tag  konzentriert  ist,  aber  die  Einheit 
dei-  Zeit  ist  hier  die  Frucht  eines  anderen  Prinzips,  das  sich 
in    den   späteren  Entwüifen   öfters    angedeutet   lindet:    „Der 


')  Neuer  Versuch  (übs.  v.  Wagnei-)  S.  41,  193  f. 
";  Suphan  V,  S.  221. 


—      115     — 

Moment  der  Handluni^-  mu.ss  prägnant  und  dringend  seyn."^) 
Die  Entwicklung-  dieser  Technik  gipfelt  in  der  Öchicksals- 
trag-ödie  mit  dei"  Hervorhebung-  eines  gewissen  verhängnisvollen 
Tages;  sie  setzt  ein^j  mit  der  Bestimmung  des  Tages  als  Ge- 
burtstag einer  Pei-son,  als  .Jahrestag  eines  Geschehnisses,  als 
Termin  für  ein  bevorsteliendes  Ereignis  und  bietet  als  Gewinn 
wirksame  .Stimmungskontraste  (Menschenfeind,  Braut  v.  Messina, 
Kinder  des  Hauses^;),  Bequemlichkeit  der  Exposition  (Maria 
Stuart)  und,  was  Brahm  gerade  für  Schiller  hervorhebt,  leichte 
iiestimmung  des  Alters  einer  Person  (Raub.  IV,  2.  Kab.  III,  4.) 
Das  ideale  Zeitpi-inzip,  für  das  Schiller  im  Vorwort  zur 
hraut  von  Messina  eintritt,  scheint  noch  nicht  die  Norm  für 
seine  .Jugendstücke  gewesen  zu  sein.  Im  Fiesko  z.  B.  wird 
dem  Leser  —  denn  der  Zuschauer  achtet  minder  darauf  — 
eine  Stundenzaiü  nach  der  anderen  in  den  Weg  gestreut,  die 
er  zusammenlesen  und  zu  einem  zeitlichen  Gerüst  verarbeiten 
kann.  Ob  das  Schillei-s  Absicht  Avar,  ist  die  Frage;  finden 
sich  doch  sogar  in  den  Sturm-  und  Drang-Dramen,  die  sich 
tun  Zusanunenrechnung  gar  nicht  kümmern,*)  nicht  selten 
solche  Zeitangaben:  z.   15.  in  Klingers  Leidendem  Weib  I,  2: 

Blum  —  —  —  —  —  —     Wollen  aufs  Billard. 

V.  Brand  (zieht  die  Uhr  heraus)  Sechs  Uhr. 

in  Lenz's  Die  Freunde  machen  den  Philosophen  iL,  2: 

Doria:    Ihr  Herren,    es  hat  zwei  geschlagen,    wer  kommt  mit 
mir  aufs  Kaifeehaus. 

Otfenbar  handelt  es  sich  hier  nur  darum,  die  Personen 
von  der  Bühne  zu  entfernen,  denn  die  folgenden  Szenen  haben 
keinerlei  Zusammenhang  mehr  mit  dem  Vorausgegangenen. 
Deutlich  wird  diese  Absicht  dort,  wo  die  auf  die  Ulu-  sehende 
Person  die  Zeit  für  sich  behält:  z.  B.  Lenz,  Die  sizilianische 
Vesper  11,  3 

l'rocida  (nach  der  Uhr  sehend)  Die  Stunde  naht  heran, 

1)  Dram.  isachl.  U,  S.  120. 

^;  Brahm,  Ritterdrama  S.  20.     Flaischlen,  Gemmingen  S.  V20. 

'■')  Dram.  Nachl.  U,  79.     280. 

*)  Shakespeare  konnte  dafür  Muster  sein;  z.  B.  Heinrich  \':  1. 1,  111,7. 

8* 


—      116     — 

oder  Waq-ners  Kindermörderin,  wo  zweimal  Personen  auf  diese 
Weise  entfernt  werden: 

II  Pardieu!   kaum  noch  Zeit  auf  die  Parade  zu  spring-en. 

V  Magister  (sieht  auf  die  Uhr)  Jetzt  muss  ich  fort. 

Auch  im  Fiesko  dienen  unbestimmte  Zeitang-aben  dazu, 
die  Personen  von  der  Bühne  zu  bringen  z.  B. 

I,  G  Brich  auf  Lomellin.     Es  wird  Mitternacht 

II,  18  Über  dem  ernsten  Gespräch  hat  uns  die  Nacht  überrascht. 

In  Wallensteins  Tod  ist  die  Zeitbestimmung  sogar  falsch; 
Wallenstein  sagt,  um  die  Gräfin  zum  Gehen  zu  bewegen: 
„Mitternacht  ist  da"  (v.  3461),  während  Gordon  schon  Schlag 
zehn  Uhr  die  Schlüssel  zu  bringen  liat.     (v.  2828) 

Auf  die  Uhr  gesehen  wird  nur  im  Don  Carlos  zweimal; 
Olivarez  im  ersten  Akt  nennt  die  Stunde  nicht;  der  König 
dagegen  lässt  im  dritten  Akt  die  Repetieruhr  schlagen.  Diese 
Angabe  ist  seit  1801  weggeblieben,  vielleicht  um  einen  Ana- 
chronismus, vielleicht  auch  nur  um  die  genaue  Stundenangabc 
zu  vermeiden.  Bei  dem  andern  Stundenschlag,  durch  den 
Carlos  und  die  Königin  zum  Abschied  veranlasst  werden 
sollen,  ist  nicht  einmal  die  Zahl  der  Schläge  genannt;  man 
sollte  ein  Uhr  vermuten ;  im  Mannheimer  Manuskript  heisst  es 
dagegen:  „Es  schlägt  zwcy  Uhr,"  vermutHch  aus  Missver- 
ständnis der  Worte: 

Schlag-  zwey  IThr  soll 
Die  Post  vor  dem  Karthäuserklostor  halten; 

in  den  Prosabearbeitungen  cndlicli  schlägt  es  drei  Uhr. 

Der  Glockenschlag  um  die  nächtliche  Zeit  hat  einen 
besonderen  Wert  als  Stimmungsfaktor.  Hiermit  erklären  sich 
auch  die  Stundenangaben  in  den  Räubern: 

IV,  5  zwölf  schläg-ts  drüben  im  Dorf 

V,  1   Eben  izt  ruft  der  Nachtwächter  zwey  an 
oder  im  Toll: 

II,  2  Der  Feuerwächter  von  Selislierg  hat  el)en  zwey  g-erulen. 
Wenn  doit  an  der  Zeitbestimmung  an  sich  irgend  etwas 
läge,  so  hätte  schon  die  Verabredung  zum  Rütli  auf  eine  be- 
stimmte Stunde  gelautet,  und  es  wäre  dann  mit  den  korrespon- 
dierenden Zeitbestinnnungen  ein  Spaniiungsmoment  eingetreten. 


—      117     — 

Es  kann  dan^iit  Jone  peinliche  Wirkuni'-  erreicht  werden, 
gegen  die  Otto  Ludwig-^)  in  den  Öhakespearestudien  eifert, 
wenn  er  ausmalt,  wie  etwa  die  Fabrikdramatiker  den  Schluss 
von  Romeo  und  Julia  auf  die  Folter  i^espannt  hätten;  das 
eine  ]\lal,  wo  »Schiller  sich  dieses  Mittels  bedient,  ist  er  von 
jedem  N'orwui'f  der  AufdriuLflichkeit  frei:  Terzky  ^-iebt  Gordon 
den  Befehl  „>Schla<(  zeiin  biingt  ihr  dem  Hei'zog-  selbst  die 
Schlüssel"  und  Butlers  Auftrag  an  Macdonald  und  Deveroux 
lautet  .,  Wenns  eilf  gesclilagen."  Sobald  also  Gordon  den 
Schlüssel  bringt,  weiss  man:  Wallcnstcin  hat  nur  noch  eine 
Stunde  zu  leben.  Den  geschmacklosen  Effekt,  kurz  vor  dem 
Eintreten  der  Mörder  die  Uhr  wirklich  elf  schlagen  zu  lassen, 
hat  Schiller  jedoch  erspart, 

Woim  wir  von  den  weiteren  Zeitangaben  absehen,  durch 
die  die  Cngeduid  einer  Pei'son  charakterisiert  werden  soll,') 
so  bleiben  im  Fiesko  immei'  noch  mehrere  P)eispiele  übrig,  die 
durch  keine   der   aufgezählten  Absichten  erklärt  werden;    es 

')  Werke  V,  S.  111,  530  Allenfalls  könnte  dieser  Vorwurf  auf  Weisse 
passen,  der  mit  vierundzwanzig-  Stunden  für  die  ganze  Handlung  auskommen 
muss;  infolgedessen  mit  Schlag  Mitternacht  anfängt  und  um  Mittag  Julia 
den  Trank  nehmen  lässt,  der  bei  ihm  gerade  zwölf  Stunden  wirken  soll. 
Goethe  ist  dazu  der  gerade  Gegensatz;  er  iUiertrifft  in  der  Zeitlosigkeit 
Shakespeare:  I.orenzos  Vers:  „sollst  Du  verharren  42  Stunden"  verändert 
er  in:  „sollst  Du  verharren  die  gemess'nen  Stunden." 

')  Hierfür   Muster  hei   den  Stünnern   und    Drängern: 
Klinger,  Die  neue  Arria  I,  2;  Laura:  Wo  ist  .lulio?     Es  schlug  zwe^-, 

und  er  ist  nicht  hier? 
Lenz.  Die  Soldaten  I H,  8 :  Gräfin  (sieht  nach  ihrer  Uhr)  Ist  der  jun- 

ge Herr   noch  nicht  zurückgekommen? 
Bei  Schiller:  Käub.     I,  3  (Trsp.)  Und    es    wird    Abend    und    keine  l'ost 

noch  da. 
TV,  .")  Schweizer:    Es    wird    Nacht    und    der 
Hauptmann  noch  nicht  dal 
Razmann:    Und  versprach  doch  Schlag 
acht  wieder  bey  uns  einzu- 
treffen. 
Fiesko  IV,  8  Acht  Uhr  vorüber. 

IV,  5  Es  geht  stark  auf  neun  Uhr. 
Menschenfeind  I,  1  Unterdessen    wirds    neun    Uhr    und  er 
kommt. 


—     118     — 

wird  dem  Publikum  ohne  Nebenzweck  die  Uhr  vorg-eh alten : 
fünfzig  Minuten  auf  Mitternacht  (l,  8),  früh  vier  Uhr  (I,  9), 
punkt  zehn  Uhr  (111,4),  Eilf  Uhr  ist  vorüber  (R^ll). 

Man  könnte  auf  die  Vermutung  kommen,  die  Quellen 
hätten  Schiller  zu  einer  so  genauen  Datierung  vei-führt,  aber 
bei  der  Prüfung  wird  man  gerade  dort  auf  eine  auffallende 
Enthaltsamkeit  stossen.  Einzig  die  Angabe  Robertsons:  ,,It 
was  no  midnight,  and  the  Citizens  slept  in  the  security  of 
peace"  kann  in  den  Anfang  des  fünften  Aktes  übergegangen 
sein  („Nach  Mitternaclit  —  Hie  und  da  leuchten  Lampen 
an  einigen  Häusern,  die  nach  und  nach  auslöschen'').  Retz 
giebt  fast  nur  Reden;  eine  Stelle  wäre  für  IH,  11  zu  ver- 
wenden gewesen:  Janettin  sagt  zu  dem  warnenden  Hauptmann 
„dans  une  heure  vous  entendi'ez  tirer  le  coup  de  partance," 
aber  gerade  hier  hat  Schiller  auf  die  Spannung  erregende 
Zeitangabe  verzichtet. 

Es  bleibt  also  nichts  übrig,  als  den  Einiluss  der  tVanzö- 
sischen  Technik  anzunehmen,  die  die  Momente  der  Handlung 
auf  die  Stunden  eines  einzigen  Tages  verteilt  und  dem  Pub- 
likum beständig  vor  Augen  hält,  wie  sie  innerhalb  der  gesetz- 
mässigen  Zeit  auszukommen  versteht.  In  Didcrots  Theater 
fangen  beide  Stücke  deshalb  zur  frühen  Morgenstunde  an;  im 
Hausvater  heisst  es  direkt:  „Es  ist  tief  in  der  Nacht;  zwischen 
fünf  und  sechs  Uhr  des  Moi'gens''  und  im  Natürlichen  Sohn  ist 
das  Erste,  was  Dorval  thut,  dass  er  seine  Uhr  herauszieht: 
„Es  ist  kaum  sechs  Uhr". 

Ein  deutsches  historisches  Stück,  das  dieser  Technik  des 
bürgerliclien  Dramas  folgt,  sind  Die  Mediceer  von  Brandes. 
Der  Verfasser  hat  beständig  die  Uiir  in  der  Hand,  er  lässt 
sein  Stück  mittags  anfangen  und  in  doi-  Nacht  aufhören;  dei- 
letzte  Akt  beginnt  damit,  dass  Fcrdiiiiiiid  Medicis  im  (iefängnis 
auf  die  Uhr  sieht:  „Schon  drey  llii!  Wie  schnell  rückt  die 
Zeit!''  Der  Einfiuss  dieses  Vei'schwörungsstückcs  auf  den  Fiesko 
ist  bereits  auf  Grund  von  anderen  Ähnlichkeiten  wahi-schoin- 
lich  gemacht  worden.') 


')  Minor,  Z.  f.  <l.  I'h.  \X,  8.  (i3  (. 


—     119     — 

Nach  dem  Fiesko  ist  »Schiller  von  dieser  Genauig-keit 
wieder  völlig  abgekommen ;  die  Repetieruhr  im  Don  Carlos 
■wurde,  wie  erwähnt,  später  beseitigt,  und  als  in  den  Picco- 
lomini  (V,l)  Octavio  fragt:  .,Was  ist  die  Glocke?",  lautet  die 
Antwort  nur  noch  ..Gleich  ists  Morgen." 

Die  Tageszeit  kann  ebenso  wie  die  Stunde  gesprächsweise 
im  Dialog    oder  direkt  durch  äussere  Kennzeichen  vermittelt 
werden.     Die  einfachste  Weise  ist  der  Gruss: 
Fiesko  III.  8     Guten  Abend  Schwester 

Kalt.  I,  2     Guten  Morgen  Herr  Sekertare 
in,  6     Guten  Abend  .Jungfer 
V.  2     Guten  Abend  Miller. 

Im  Versdrama  sind  die  alltäglichen  Wendungen  weniger 
am  Platz :  wie  schleclit  sich  der  Gru.ss  in  die  metrische  Form 
fügt,  zeigt  der  unvollständige  Vei-s  \V.  T.  V,  5  ..Gut'  Nacht, 
Gordon!"  In  den  ersten  Versstücken  finden  sich  jedoch  noch 
einige  iieispiele  ( Carlos -Tiialia  v.  2777;  W.  T.  v.  32Ö1); 
glücklich  ist  bei  der  Verabschiedung  der  Generäle  Picc.  IV,  6 
die  Ü^bergangszeit  ausgedrückt: 

Gut'  Nacht  I    Ich  sagte  besser,  guten  Morgen 

Ein  äusseres  Kennzeichen  der  Tageszeit  bildet  die  J^e- 
Icuchtung:  indem  sich  die  Personen  auf  deren  Veränderung 
aufmerksam  machen,  entstehen  indirekte  Vorschriften,  durch 
die  bei  mangelhafter  Ausführung  die  Illusion  des  Publikums 
unterstützt  Avird,  z.  B. 

Raub.  III,  2  Wie  herrlieh   die  Sonne  dort  untergeht I 
W.  T.  V,  3  Es  ist  schon  finstre  Nacht. 

Teil  II,  2  indess  wir  nächtlich  hier  noch  tagen. 

Stellt   auf  den  höchsten  Bergen  schon  der  Morgen 
Die  glühnde  Hoch  wacht  aus. 

Allgemeine  Angaben  dei-  Tageszeit  ergeben  si<'li  füi-  Lust- 
spiel und  Drama  aus  den  alltäglichen  Gewohnheiten  und  Fu- 
eignissen  des  bürgerlichen  Lebens;  dazu  gehören  der  Morgen- 
kaifec  (Minna  v.  Barnhelm,  Möllers  Sophie  od.  der  gerechte 
Fürst,  Kabale  u.  Liebe,  Verbrechen  aus  Ehrsucht)  die  Schoko- 
lade (Clavigo,  Fiesko  11,1),  das  Neglige  (Miinia  v.  Barnhelm, 
Wagners  Reue  nach  der  That,  Kab.  1,1;  11,2  u.  IV,6  .,Sie 
war  noch  im  Hausgewand"  l,  die  Messe  (Emilia  (^alotti.  Kabale 


—     120     — 

u.  Liebe  I,  3,  Don  Carlos  IIL  7),  das  Lever  des  Fürsten 
(Kab.  I,  6),  das  Mittagessen  (Reue  nach  der  That,  Raub.  III,  1), 
die  Parade  (Nicht  mehr  als  sechs  Schlüsseln,  Kab.),  das 
Kartenspiel  (Kab.,  Verbrechen  aus  Ehrsucht).  Nicht  dazu 
zu  rechnen  sind  natürlich  Mahlzeiten,  die  eine  besondere  Be- 
deutung für  die  Handlung  liaben,  wie  die  beiden  Bankette  im 
AYaUenstein ;  überhaupt  war  füi'  das  Drama  grossen  Stils  diese 
Art  der  Rechnung  nicht  zu  brauchen.  In  der  Polizey  kam 
aber  Schiller  wieder  darauf  zui'ück  und  fand  eine  neue  Idee, 
indem  er  das  wechselnde  Pariser  Strassenleben  ins  Auge  fasste 
und  an  den  Passanten  die  Zeit  erkennen  lassen  wollte;  die 
Friseurs,  die  Börsenbesucher,  die  Dineurs  en  ville,  die  Cour- 
tisanen,  die  heimkehrenden  Gäste,  die  Bauern,  die  nachts 
Gemüse  nach  der  HaUe  bringen,  sollten  jedesmal  eine  be- 
stimmte Tagesstunde  bezeichnen.') 

Die  zeitliche  Verbindung  zweier  Akte  oder  Szenen  durch 
ein  dazwischenliegendes  Ereignis,  wie  sie  in  Kabale  u.  Liebe 
zweimal  durch  die  Parade  vollzogen  Avird,  kann  auch  durch 
eine  einmalige  ausserordentliche  Begebenheit  bewirkt  werden, 
die  angekündigt  und  erwartet  wird,  sich  in  der  Pause  voll- 
zieht und  an  deren  Beendigung  die  wiedereinsetzende  Hand- 
lung anknüpft.  So  die  Prokui-atorwahl  im  Fiesko,  das  Autodafe 
im  Don  Carlos,  die  Ankunft  der  Herzogin  im  Wallenstein 
(Lag.  V.  57 ;  Picc.  v.  33,  2G8  f.)  Das  Ereignis  braucht 
sogar  nicht  einmal  zur  Ausführung  zu  gelangen;  wenn  z.  B. 
Mortimer  der  Maria  verspricht: 

V.  2511:  „Diess  Schloss  ersteigen  wir  in  dieser  Naclif 
und  Maria  darauf  zurückkommt: 

V.  3380:  ..Diese  Nacht 

Versprach  nns  Mortimer  von  liici-  woirzii führen." 

so  erfahren  wii-.  dass  der  fünfte  Akt  einen  Tag  später  als 
der  dritte  spielt. 

Nun    kann    aber    auch    oIhk;   diese  fh'ücke    der  zeitliche 

Zwischenraum    zwischen    zwei    Szenen  unmittclbai-    genannt 

')  Drani.  Nachl.  II,  7(1.  Oh  das  wirklich  so  im  Detail  anso-efiihit 
werden  sollte,  ist  natürlich  zweifelhaft;  wahi'scheinlich  wäre  das  Motiv  nni' 
für  eine  einnialig-e  Zeitangabe  verwertet  worden. 


—      121      — 

werden ;  flann  kommt  es  darauf  an.  auf  welcher  Seite  die 
Fäden  ani;oknüpft  sind,  und  es  ist  zu  untersehoiikMi  zwischen 
vorausbestimmcndor  und  zurückL''reifendcr  Vcrbiiidunir: 

a)  Die  voi-ausbestimmende  Yerhinduni;-  ist  in  den  Staats- 
aktionen, wo  viel  Anoi'dnuni,'en  und  l^.efehle  .L!es,''eben  werden, 
besonders  häufli:-,  also  im  Fiesko  und  Wallenstein.')  Nach 
dem  Wallenstein  tritt  sie  seltener  auf,  nur  noch  M.  St.  2059, 
3276,  Juno-fr.  4575.  Teil  2ö4S  tf.  Bezeichnend  ist  es,  dass 
■sie  bei  der  N'erabreduns.'"  für  das  Rütli  unterblieben  ist: 

Auf  üdcii  l'taden  können  wir  dahin 
Bei  Nachtzeit  wandern   und   uns   still  lierathen. 
Wanny    ist  nicht  ijesaL'-t;    dieselbe  Nacht  kann  nicht  ge- 
meint    sein,    da  IMelchthal    an    diesem  Ta.üe    nicht    mehr    die 
g-rosse  Wandci'un«:'   durch   der  Surennen   ödes  Eisgebir?    voll- 
enden kann,  die  er  v.  998  tf.  beschreibt. 

Hier  ist  also  zum  Verständnis  die  zurückirreifendc  Er- 
wähnuni;-  im  nächsten  Akt  hinzuzuzielion ;  während  diese  mit 
historischer  IJestiunntheit  auftritt,  erwartet  jede  vorausbe- 
stinimende  VerbinduiiL'-  in  der  Fol^e  iiu'e  IJestätiiiuni^'  oder  ihr 
Dementi.  Unbenutzte  Vorausbestimmuniren,  die  auf  falsche 
Fährte  leiten,  kommen  mehrfach  vor;  man  kann  in  ihnen  meist 
Rudimente  eines  filihei'en  Planes  vermuten  : 

Fiesko  11,  IH   „iMorp'en  Mitta«?  will  ich  eure  Meinungen  sannneln,"' 
Carlos  II.  1*2  V.  2'2lO    „Tn  ein'gen  Tagen  werd'  ich  krank," 

V.  21.S7    ..So  will  ich  morgen  Mittag  Sie  erwarten." 

b)  Die  zurückL'ivifende  Hestimmun^-  kann  zwei  voraus- 
^eg'anjü'ene  Auftritte  vei-binden  z.  1?.  Carlos  v.  1995,  4619  oder, 
was  bei  weitem  häufii^er  ist.  sie  ireht  von  der  Geirenwart  aus. 
Seit  den  .lusrenddramen  macht  sich  eine  deutliche  Abnahme 
in  der  P.estimmtheit  bemerkbar.  Wenn  man  von  der  einen 
Stelle  in  der  Junofi-au  41H9  „Di-ei  Tage  schon  seid  ihr  um- 
herg-eirrt"  absieht,  so  iindet  sich  die  g-enaue  Zählung  von 
Wochen,  Tag-en,  Stunden  nur  in  den  ersten  Stücken. 

Käuli.   r,  2    Schon  die  vorige  Woche 
II,  1    seit  eilf  Monaten 

I\'.  ")    drei  volle  Monde  schmachte  ich 

')  I'icc.  274,  (Ki-J  f,  <JU4,  1301,  1347,  2050  W.  T.  C.so.  IS21,  (da- 
mit  in  Widerspruch)  2756,  ferner  2371,  2375,  3089,  3188, 


—      122     — 

Fiesko  II,  4    Und  nun  sind  dreissig  Stunden  vorbei 

II,  12    dreistundlanger  Prokurator 
Kah.  III,  5    fünf  volle  fürchterliche  Stunden 
Carlos  IT,  15  v.  2266  f  Die  Sonne 

Ging  zweynial  auf  und  zweyiual  unter 
TI,  IT)  V.  2295    Vorgestern 

W.  T.  III,  1  V.  1287    Ich  hab"  ihn  heut  und  gestern  nicht  gesehn. 

]n  Maria  Stuart  iiiebt  es  mir  noch  gestern  und  heute, 
Avälircnd  mit  keinem  vorgestern  auf  den  ersten  Tag  zurück- 
gegriffen wird.  Seitdem  fehlt  (die  eine  Stelle  in  der  Jungfr. 
ausgenommen)  jede  zurückgreifende  Zeitbestimmung  überhaupt; 
dass  sie  geflissentlich  wegblieb,  lehrt  wieder  die  Rütliszene, 
auf  die  zweimal  (v.  1518  f  und  2397  f )  zurückgegriffen  Avird 
ohne  Angabe  der  verstrichenen  Zeit. 

Damit  ist  also  der  spätere  Grundsatz  Schillers  erfüllt: 
keine  andere  Zeit    als  bloss   die  stetige  Folge  der  Handlung. 

Oder  wie  0.  LudAvig,')  ohne  Schiller  dabei  anzuerkennen, 
diesen  Satz  ausgedrückt  hat:  .,Im  Drama  giebt  es  kein  Morgen, 
kein  Gestei'n,  kein  Heute,  keine  Uhr:  alles  was  geschieht, 
geschieht  jetzt,  was  geschah,  ist  irgend  einmal  geschehen, 
was  geschehen  wird,  wird  h-gend  einmal  geschehn;  höchstens 
können  nachtr.äglich  ohngefähre  Zeitbestimmungen  stehn  und 
zwar  nur  ganz  indii-ekte  konki-etc,  wie  z.  !>.  dass  im  Othello 
.Jago  einen  Brief  nach  Venedig  geschickt  und  wieder  etwas 
von  da  gekommen  ist." 

c)  Die  dritte  Art  der  Verbindung  ist  also  die  konkrete. 
Ein  Moment  der  Handlung  geht  logisch  aus  dem  andern 
hervor.  Die  Verbindung  durch  den  Jji'ief  findet  sich  im  ersten 
Akt  der  lläuber  und  in  Maria  Stuart,  wo  Faulet  und  Mortimer 
im  zweiten  Akt  ihre  Aufträge  ausi-ichten.  Im  Don  Carlos 
liegt  zwischen  HI,  7  und  IV,  23  der  Aufenthalt  Parmas  in 
Saragossa;  innerhalb  des  fünften  Aufzuges  der  Jungfrau  von 
Oi-leans  vei-geht  die  Zeit  (zwischen  5.  u.  8.  Auftr.),  die  der 
geflohene  Haimond  l)rauclit,  um  die  Kunde  von  Johannas  Ge- 
fangenschaft ins  fianzösisclie  Ijagci"  zu  bringen.  Zwischen 
Hi-aut  V.  Mess.  [  u.  II  liegt  der  We^j^  Diegos  nach  dem  Klos- 
ter _und  zui-ück,  und    im    ersten    Zwischenakt   des    Demetrius 

')  Werke  V,  S.  53(j;  ähnlich  S.  219  f. 


—     123     — 

mnss  die  Xaehriclit    von   der  Kiiicbuiii-'    des  Pseiidczai'en    bis 
ans  Ende  der  Welt  ^'elangen. 

Am  deutlichsten  ist  dieser  Anschliiss  doi't,  wo  die  Per- 
sonen selbst  von  einer  Szene  zur  andern  hinüberführen')  und 
in  den  yehlussworten  einer  Szene  schon  die  Keime  zui'  nächsten 
Uelzen;  die  besten  i^cispiele  finden  sich  in  doi-  Jungfrau  von 
Orleans : 

I,  1600  f.    Denn  eh'   Du  noch  das  Lager  magst  erreichen, 
Und  Botschaft  liringen,  ist  die  .lungfiau  dort 
Und  pflanzt  in  Orleans  das  Siegeszeichen. 
IV,  3,  z.  3695.    So  nimm  ilie  Fahne I  Ximm  siel  Sie  beginnen 

Den  Zug.  Ivein  Angenldick  ist  zu  verlieren. 
IV,  13,  z.  4150.    Ich  will  euch  führen. 

In  diesem  letzten  Falle  muss  freilich  die  loiiische  Zeit- 
verbindunir  dui'ch  eine  dii-ekte  (.,I)rei  Tajue  schon  seid  ihr 
herumjreirrt" )  nachträdich  koirii:iert  ^^•erden. 

Wenn  sie  nicht  eigens  erwähnt  wei'dcn.  ist  mit  ZiifälUi:'- 
kciten,  die  Aufenthalt  verursachen,  nicht  zu  rechnen;  der 
f.'^erade  We«-  zwi.schen  den  beiden  Örtlichkeiten  bestimmt  dann 
allein  die  Zeitdittei-enz.  Wo  also  der  Zwischenraum  nur  aus 
den  Strassen  einei'  Stadt  oder  den  Zimmern  eines  Hauses 
besteht,  i<chlies.4  sich  eine  Szene  unmittelbai'  an  die  andere 
an,  z.  I>.  weiui  Fiesko  der  .luHa  den  Aini  reicht,  um  sie  zur 
Komödie  zu  fühicn  (III.  11);  wenn  Ferdinand  von  dei"  Lady 
ins  Millersche  Haus  eilt  (IT.  5).  Wni-m  vom  Präsidenten  zu 
Luise  (III,  2);  wenn  nacheinander  die  ohnmächtiire  Beatrice 
und  der  Leichnam  Manuels  auf  die  P)ühne  iretraiien  werden; 
oder  wenn  Max  zwischen  dem  diütten  und  vierten  Akt  der 
Piccolomini  nur  von  einem  Zimmer  des  Terzkyschen  Hauses 
in  das  andere  zum  Oastmahl  zu  «.-ehen  liat. 

Wähi-end  Max  diesen  kurzen  We^'  macht,  versit^hen  lum 
ahei-  noch  drei  Auftritte  und  ein  Zwischenakt,  denn  zu  Be- 
iiinn  des  vierten  Aktes  trifft  Max  L-erade  erst  beim  Gastmahl 
ein.  Die  stetige  Foliie  dei-  HandlunL;-  hat  hier  also  einen 
Ih'uch  ei-litten  und  sich  zu  einem  epischen  Nebeneinander 
verschoben.     Für  den  liomanschi-iftsteller  ist  es  bequem,    mit 


')  Kettner,  Schillerstudien  l'rogr.  Schulpforta  1894.     S.  3. 


—      124     — 

einem  „Inzwischen"  sein  neues  Kapitel  anzufangen  —  leicht 
bei  einander  Avohnen  die  Gedanken  — ;  dem  Dramatikei"  da- 
gegen ist  es  eigentlich  nicht  gegeben,  denselben  Augenblick 
zwiefach  zu  vergegenwärtigen.  Gerade  bei  iSchiller  steht 
aber  dieser  Rückfall  in  den  EIrzählungsstil  nicht  vereinzelt 
da.  Den  Signalsehuss  im  Fiesko  hört  man  zweimal  (IV,  l-i 
und  V.  1);  im  Don  Carlos  wird  schon  V,  9  erzählt,  dass  die 
Erscheinung  in  den  Zimmern  der  Königin  verschwunden  sei 
und  docli  sehen  wir  Carlos  im  letzten  Auftritte  erst  eintreten.') 
Demetrius  endlich  müsste,  bis  zu  Marfa  die  Nachricht,  er 
rücke  gegen  Tschernigow  heran,  gelangen  kann,  schon  weiter 
vorgedi^ungen  sein,  als  ihn  die  nächste  Szene  zeigt.  Im 
Wallenstein  bricht  in  Picc.  V  und  Tod  I  derselbe  ^lorgen 
an,  obwohl  beide  Akte  in  logische  Abhängigkeit  gesetzt  sind, 
denn  die  Unterschriften  der  Generäle  befinden  sicli  bereits  in 
Wallensteins  Händen  (v.  121).  Schliesslich  kommen  auch 
der  dritte  und  vierte  Akt  des  Fiesko  hart  ins  Gedränge,  denn 
Fiesko  reicht  der  CTräfin  bei'eits  den  Aim.  mn  sie  zur  Komödie 
zu  führen,  und  im  P^eginn  des  vierten  Aktes  trilft  Bourgognino 
erst  die  Vorbereitungen  zum  Empfang  der  Gäste.  Plümicke 
hielt  deshalb  eine  Abändei'ung  füi-  müts;  bei  ihm  empfängt 
Julia  noch  vorher  einen  Besuch  und  verspricht:  „In  weniger 
als  einer  Stunde  werd'  ich  bei  Ihnen  seyn."  In  seiner  eigenen 
Bühnenbearbeitung  lässt  Schiller  die  Anstalten  Bourgogninos 
wegfallen. 

Ebenso  thöricht,  wie  die  Aufbauschung  dieser  charakte- 
ristischen Kleinigkeiten  zu  einem  Tadel,  wäre  der  Versuch, 
solche  Auffälligkeiten  rationalistisch  zu  heben,  etwa  zwei 
Schüsse  im  Fiesko  anzunehmen,  Don  Carlos  in  einem  anderen 
Vorzimmer  warten  oder  Max  sich  noch  einmal  umkleiden 
zu  lassen ,  ehe  er  zum  Gastmahl  geht.  Die  Rekapitu- 
lation desselben  Zeitpunktes  bleibt  in  diesen  drei  Fällen 
unbestreitbai- ;  in  den  übrigen  muss  zum  mindesten  festgestellt 
Averden,  dass  in  den  Zwischenakten  nichts  vorgeht  und  dass 
die  Handlung  bei  demselben  Zeitpunkt  wieder  einsetzt. 

';  Der  Oruiid  lieg^t  in  der  IJüliiicneiiiiichtuiiLr:  weg-eii  der  Verwand- 
lung müssen  beide  I'ersonen  erst  aul'ti-eten.     Darüber  Cap.  II,    Abschn.  4. 


—      125     — 

.Schon  (lios  allein  liiitto  als  Verstoss  aufirefasst  werden 
können,  wenn  nielit  A\('ni<:stens  dei-  Schanplatzweclisel  einen 
(,'ewissen  Fortschritt  der  Handluni^-  bewii'kt  hätte.  Dahei" 
wurde,  solange  man  noch  bei  dei-  Einheit  des  Ortes  bestand, 
anch  eine  Reo-el  über  den  Zwischenakt  aufgestellt;  Dideiot') 
sagt:  „weil  aber  die  Handlung  nie  still  stehen  darf,  so  niuss 
die  Bewegung,  wenn  sie  auf  dei-  liühne  aufhört,  hinter  der- 
selben fortdauern"  und  Soniienfels')  wiederholt  etwa  das  Gleiche: 
„Diese  Zwischeni'äunie  sind  dazu  bestimmt,  der  Handlung 
einen  starken  Htoss  vorwäi-ts  zu  geben:  in  folgendem  Auf- 
zuge muss  man  sogleich  die  Folgen  wahrnehmen,  wie  der 
Dichter  diese  Zeit  sich  zu  Nutz  gemacht.'' 

Die  Romantikei-  heben  wieder  dasselbe  hervoi':  A.  W. 
.Schlegel''^)  ist  verwundert,  dass  man  sich  am  Stillstand  der 
Handlung  weniger  stosse,  als  an  dei'  Ainiahme  eines  beträcht- 
lichen Zwischenraumes. 

Als  Zwischenzeit  wurden  von  den  Franzosen  natürlich 
nui'  wenige  Stunden  eingci'äumt.  In  Deutsehland  aber  er- 
IVeute  sich  schliesslich  ganz  entgegen  der  Kegel  des  Aristo- 
teles das  Drama  einer  grösseren  zeitlichen  Ungebundenheit, 
als  der  Roman.  Ein  charakteristisches  Heispiel  dafür  ist 
die  Zwischenrede  Goethes  zwischen  zwei  Kapiteln  der 
Wanderjahrc*)  (2.  Buch);  er  bittet  den  Leser,  einen  Zeitraum 
von  einigen  Jahren  anzunehmen  und  bei'uft  sich  für  diese 
Lizenz  auf  das  Drama,  ..da  wir  längst  gewohnt  sind,  zwischen 
dem  Sinken  und  Steigen  des  Vorhangs  in  unserer  persönlichen 
Gegenwart  dergleichen  geschehen  zu  lassen." 

Dass  man  diese  Freiheit,  die  dem  Zwischenakt  gestattet 
wurde,  der  Verwandlung  gegenüber  einschränkte,  ist  schon 
oben  bei  Gelegenheit  des  Schauplatzwechsels  betont.  Die 
ersten  Stücke  der  Stürmer  und  Dränger  hatten  freilich  darin 
eine  allzu  grosse  Willkür  walten  lassen,  und  es  ist  vielleicht 


*)  Theater  (übers,  v.  Leasing)  II.  372. 

'')  Briefe  üb.  d.  Wiener  Schaub.     S.  11(1. 

')  A.  W.  Schlegel.  Drani.  Voi-les.  Weriie  \'l.  S.  "JS. 

*)  AV.  A.  1,  Bd.  24,  S.  38U, 


—      126 


die  einzig-e  witzige  Stelle  in  rJöntgens  Nachspiel  „die  frohe 
Frau",  ^)  wenn  Klinkers  Leidendes  Weib  deshalb  vei'- 
spottet  wird:  in  derselben  Art,  nur  mit  viel  schärferem 
Witz,  hatte  einstmals  Holberg  in  seinem  Ulysses  von  Ithaca 
das  Drama  der  herumziehenden  Banden  so  grausam  verhijhnt. 

Bei  »Schiller  ist  die  längste  Zeit,  die  innerhalb  eines 
Aktes  vergeht,  die  halbe  W'oclie  im  ersten  Akt  der  Räuber; 
in  den  zweiten  Akt  des  Don  Carlos  drang  durch  Hinzunahme 
der  Karthäuserszene  ein  Zwischenraum  von  zwei  Tagen  ein, 
der  ursprünglich  im  Zwischenakt  lag;  sonst  hat  meist  jeder 
Akt  nicht  mehr  als  einen  Tag  für  sich;  nur  der  ötotf  des 
Demetrius  war  Avieder  weiter  auseinander  gerissen ;  8chiller 
hatte  dabei  Hedenken,  von  Sambor  nach  Krakau  überzuspringen 
und  erwog  eine  kleine  Zwischenhandlung  einzuschieben,  „welche 
die  Zeit  aufhebt."'") 

An  dem  zeitlichen  Zwischenräume  wäre  damit  für  den 
nachrechnenden  Verstand  des  Lesers  nichts  geändert  woi'den, 
wohl  aber  für  die  Illusion  des  Zuschauers. 

Dass  es  darauf  eigentlich  ankam,  war  den  Franzosen  ent- 
gangen. Der  Ausdruck  „Einheit  der  Zeit"  ist  eine  schlechte 
Analogie  zu  den  beiden  andern  Einheiten.  Das  erste  Miss- 
verständnis muss  sich  schon  aus  der  Zweideutigkeit  des  Be- 
griffes Zeit  entwickeln. 

Die  französischen  Regelgeber  fassten  die  Dauer  der  ganzen 
Handlung  ins  Auge  und  rechneten  auch  die  Pausen  mit,  die 
uns  der  Dichter  nach  A.  W.  fSchlegcls')  Wort  nur  in  den 
Gemütern  der  Handelnden  wie  in  einem  Si)iegel  perspektivisch 
erblicken  lässt.  Indem  A.  W.  »Schlegel  diese  nicht  darge- 
stellten Zeiti'äume  ausser  Spiel  lässt,  schlägt  er  vor,  den  un- 
passenden Ausdruck  Einheit  durch  „Einerlciheit  der  vorge- 
stellten und  dei-  wirklichen  Zeit"  zu  ersetzen. 

Batteux*)  hatte  diese  Einerlciheit  zur  Vorschrift  gemacht: 
nämlich,  „dass  der  Aktus  nicht  mehr  Zeit  zu  seiner  Handlung 

')  Hrsg.  von  .Jacobowski,  Hendels  Bibl.  d.  Gesamtlitt.  No.  332.  S.  71. 

'')  JJrani.  Nachl.  I,  Ü7.  128  f. 

")  A.  W.  Schlegel,  Werke  VJ,  S.  26  f,  80  f. 

*)   Einl.  i.  d.  soh.  Wissensch.  (Kaniler)  H,  240. 


—      127     — 

erfordert,  als  man  auf  die  Vorstelhmii-  wendet :  eine  Reirel,  die  un- 
verbiiiclilieh  zu  lialteii  ist."  Aber  schon  der  platte  »Sulzer'). ge- 
stattete Ausnahmen:  ..Der  J^ote.  der  eine  Meile  weit  weo£-e- 
schickt  wird,  um  Xaclii'icliten  einzuziehen,  kann  in  wenigen 
Minuten  wieder  kommen,  weil  der  Zusehauei-  das  UnnKVliehe 
dieser  S('hnellii.'keit  zwar  erkennet,  abei-  nicht  fühlt."  Kin 
Blick  auf  die  Muster  der  i^iiechischen  Trairödie.  wo  i;anze 
Feldzü^'-e  sich,  während  die  Handluni^-  auf  der  Bühne  Aveiter- 
yeht.  abspielen,  musstc  ja  stutzig-  machen. 

Für  den  Unterschied  zwischen  liühnenzeit  und  \'oi-standes- 
zeit  hat  O.  Ludwii^-)  in  den  .Shakespearestudien  den  Aus- 
druck ..doppelte  Zciti'echnuni:"  i^efunden ;  man  kann  aber 
auch  hieifür  mit  Miuoi'^i  das  Bild  der  perspektivischen  Dar- 
stellunii'  anwenden. 

Die  epische  Dichtuui^-  stellt  überhaui)t  luu'  perspektivisch 
dar;  es  ist  also  ein  bewusstes  komisches  Jlerausfallen  aus  der 
epischen  Form,  wenn  Sterne  im  Koman  einmal  die  Einerlei- 
heit  der  Zeit  herstellen  will:  ..Wer  eininermassen  üut  und 
fertig  lieset,  der  wird  uni:efehr  anderthalb  Stunden  iiebraucht 
haben  — .  Niemand  kann  also  mit  Recht  saj^-en,  dass  ich 
Obadiah  —  nicht  Zeit  genuj^-  zum  (iehen  und  Kommen  ge- 
lassen habc".^j 

Was  im  Koman  ein  L'nikum  ist,  wird  im  Drama  immer 
wieder  angestrebt^),  und  das  moderne  Di-ama,  Ibsen  an  der 
Spitze,  hat  sich  wie  in  manchem  andern,  auch  darin  wiedei- 
dem  rationalistischen  ideal  (Gottscheds  genähert. 

Auch  bei  Schiller  findet  sich  einmal  vollkommener  Realis- 
mus; wenn  es  im  Fiesko  V,  9  heisst:  .,ich  sah  ihn  vor  acht 
Minuten  noch"  so  stinunen  wii'kliche  und  lUihnenzeit  überein. 


')  Th.  (1.  seh.  K.  I,  274. 

-)  Werke  \,  '205. 

'■')  Minor  II,  (51.     5.SH. 

')  Tristrani  Shandy  (übs.  v.  Bode)  2.  Autl.  177(i  iL,   S.  Cap.     S.  ;'>(). 

^)  Crei'/enach.  Gesch.  d.  neueren  Dran7as  II.  S.  492.  Schienther  in  d. 
Einleit.  z.  .lohn  Gabriel  Borkniann,  (Sänitl.  Werke  Bd.  IX,  S.  XXH') 
macht  darauf  aufmerksam,  wie  sog-ar  in  den  Zwischenakten  die  Uberein- 
stimmuni;  mit   der  wirklichen  Zeit  erreicht  wird. 


—     128     — 

Ebenso  Carlos  v.  2ß71  „beinahe  zwey  Minuten  lang-":  hier 
ist  es  allerdins^s  mehr  die  willkürliche  Bezeichnung  einer 
kurzen  Zeit,  wozu  fSchiller  mit  Vorliebe  die  Zahl  zwei  ver- 
wendet.^) 

Minuten  stehen  übrigens  gerade  im  Don  Carlos  öfters  als 
Bühnenzeit  an  (Stelle  von  Sekunden;  so  vor  allem  bei  der  An- 
gabe von  Pausen: 

III,  4.     J)onnngo  tritt  einige  Minuten  nach  dem  Herzog  herein. 

IV,  19.     Grosse    Pause.     Die    Herzogin    von    Olivarez    kommt 
nach  einigen  Minuten  aus  dem  Ka))inet. 

IV,  20.     Einige  Minuten   bleibt    sie    stumm    und    unbeweglich 

davor  liegen,  dann  rafft  sie  sich  auf. 

Pausen  von  wirklich  mehreren  Minuten  würden  uner- 
träglich sein,  denn  schon  wenige  (Sekunden  (Stille  können  auf 
der  Bühne  den  quälenden  Eindruck  einer  minutenlangen  Pause 
machen.     Eine  Gleichung: 

X  Bühnenminuten  =  y  Zeitsekunden 
dai'f  man  trotzdem  nicht  aufstellen,^)  obwohl  man  sich  dazu 
versucht  fühlen  möchte,  wenn  (Szenen,  die  sich  vor  unsern 
Augen  in  einer  bestimmten  Zeit  abgespielt  haben,  nachträglich 
auf  der  Bühne  geschätzt  werden.  Das  ist  im  Don  Carlos  der 
Fall:  die  Dauer  der  Audienz  im  zweiten  Akt  (197  Verse) 
wird  als  eine  Stunde  angegeben  (v.  1990,  Thalia  v.  2870); 
ebenso  hat  Lerma  während  der  Audienz  des  Posa  (379  Verse) 
die  Zeit  beobachtet:  „Zwo  volle  Stunden."  (IV,  4,  v.  3531). 
Für  diesen  bedeutenden  Moment,  der  im  ersten  Entwurf 
überhaupt  noch  keinen  Platz  gefunden  liatto,  hatte  (ho  Ökonomie 

')  Z.  B.  W.  T.  II,  5  V.  1011  Zwey  Minuten; 

Carlos  IV,  21  v.  4315  Zwo  kurze  Abendstunden 
W  W.  T.  IV,  12  V.  3107.  zwey  himmelschöne  Stunden. 

Carlos  III,  10  v.  2982  Zwcen  Tage 
Bi'aut  V.  13  Kicht  zweimal  luit    der  Mond   die  Lichtgestalt 

erneut. 
Käub. :  Die  Zeit  ohngefehr  zwei  Jahre. 
*)  Solche  redanterien  konnten  immerhin  in  früherer  Zeit  voi'kommen; 
so  schreibt  z.  13.  Barth.  Feind  in  .seinen  „Gedanken  von  der  0])era"  (Deutsche 
Gedichte,  Stade  1708  S.  87):  „Wenn  man  die  Sonne  auf  ilem  Theatro  auf- 
gehen lässt,  so  wird  sie  in  einer  viertel  Stunde  mitten  am  Horizont  stehen, 
woraus  ein  Tag  von  30  Minuten  muss  geschlossen  werden:  Und  auf  die 
Art  könnte  man  ein  Sujet  von  0  Tagen  gestatten." 


—      129     — 

des  Stückes  nur  eine  einzig-e  Szene  erlaubt;')  trotzdem  kann 
die  kurze  Dauer  durch  die  Illusion  des  Zuschauers  ins  Un- 
endliche pj'ojiciert  und  die  wii'kliche  Zeiti'echnuntr  dui-cli  den 
Aftekt  verdunkelt  wej'den;  und  Schiller  that  sich  darauf  Be- 
sonderes zu  Gute,  wenn  er  an  Wieland  die  Aufforderung- 
richtete,  er  solle  nur  einmal  versuchen,  mit  französischer  Technik 
den  Marquis  in  einer  einzigen  Szene  soweit  kommen  zu  lassen.^) 
Allein  durch  die  nachträ);; liehe  Jierechnuni^-  wird  die  Phantasie 
des  Zuschauers  wiedei-  entnüchtert  und  dem  kritischen 
N'cistand  Material  zu<ie  führt.  Bei  Shakespeare  in  der 
Werbun^-'sszcue  Richards  III.  ist  von  der  Zeit  überhaupt  nicht 
die  Rede ;  dort  konnte  »Schiller  später  die  Kunst,  Symbole 
zu  gebrauchen,  beobachten.')  Aber  er  sowohl  wie  Goethe 
konnten  auch  späterhin  mit  der  Kühnheit  Skakespeares  nicht 
wetteifern.  Als  Goethe  in  der  Götzbearbeitung"  von  1804 
hintei"  der  IJühne  die  Trauung-  von  Sickingen  und  Marie  vor 
sich  gehen  liess,  sollte  Zcitei"  eine  acht  Minuten  dauernde  Musik 
kompouiei'en  und  erst  auf  Zeltci's  Einwand  hin  begnügte  sich 
(ioethe  mit  der  halben  Zeit."*)  lud  man  vergdeiche  etwa 
iJurgunds  J5ekehrung  bei  Shakespcaie  und  bei  Schiller,  und 
das  Mahl  im  Macbeth  und  Antonius  und  Cleopatra  mit  dem 
Bankett  im  Wallenstein,  dessen  Dauer  Schiller  durch  die 
Reden  des  Kellermeisters  hinzieht.  Eine  ideale  Zeitrechnung 
bleibt  es  deshalb  immer  noch,  und  ganz  deutlich  wird  die 
perspektivische  Dai-stcUung  wieder  im  letzten  Akt  des  Wallen- 


•)  Goed.  III,  180  f.  VI,  35. 

'')  An  Körner  12.  Febr.   1788.     Jonas  II,  S.  18, 

')  An  Goethe  28.  Nov.  07.     Jonas  V,  292. 

bezeichnend  für  den  Rationalismus  des  18.  Jahrh.  ist  es,  dass 
Fr.  L.  Schröder  gerade  hier  mit  Shakespeare  nicht  mitgehen  konnte. 
Meyer,  Schröder  II,  1,  S.  251:  „Doch  giebt  es  Fälle,  wo  aller  Zauber  der 
Diktion  dreissig  an  sich  wahre  Stellen,  der  Beschwichtigung  eines  Atiekts, 
und  dem  Übergange  zu  einem  andern,  keine  Wahrheit  geben  können, 
worüber  ich  Richards  des  dritten  Szene  mit  der  Anna  anführe." 

')  Goethe  an  Zelter  30.  Juli  1804. 

Zelter  an  Goethe  4.  August  1804. 

Goethe  an  Zelter  8.  August  1804. 

(Briefw.  I,  S.  128,  130,  131). 
Palaestra  XXXII,  9 


—     130     — 

stein,  wo  die  Stunde  zwisctien  zehn  und  elf  (219  Verse)  auf 
der  Bühne  vergeht. 

Dort  tritt  zum  letzten  Male  die  genau  bestimmte  Bühnen- 
zeit auf;  die  Wirkung  ist  jedoch  nicht  mehr  so  peinlich,  wie 
im  Fiesko,  wo  die  Zeit  zwischen  fünfzig  Minuten  auf  Mitter- 
nacht und  vier  Uhr  vor  unseren  Augen  in  zwei  Auftritten 
verstreicht.  Das  Leipziger  Bühnenmanuskript  hat  hier  Über- 
einstimmung zu  schaffen  gesucht,  indem  es  schon  für  das  erste 
Mal:  „Es  ist  vier  Uhr  nach  Mitternacht"  einsetzte.')  Kettner 
hat  diese  Stelle  als  einen  durcli  Einschiebung  der  Mohren- 
szene entstandenen  Widerspruch  glücklich  erklärt;  wenn  es 
ihm  jedoch  gelingt  nach  Herausschälung  aller  Mohrenszenen 
ein  glattes  zeitliches  Schema  von  drei  Tagen  zu  erhalten,  so 
bleibt  die  Folgerung,  dass  Schiller  dieses  Gerippe  eben  nicht 
vor  Augen  hatte;  wie  leicht  wäre  es  ihm  sonst  gefallen,  auch 
die  Mohrenszenen  einzugliedern. 

Wo  wir  in  den  Jugendstücken  versuchen,  aus  den  ver- 
schiedenen zeitlichen  Beziehungen  der  einzelnen  Szenen  ein 
einheitliches  Ganzes  aufzubauen,  fällt  das  Kartenhaus  zu- 
sammen. Die  Frage,  ob  Kabale  und  Liebe  zwei  oder  drei 
Tage  dauere,  ist  schlechterdings  nui-  mit  Spitzfindigkeiten  zu 
lösen;  im  Don  Carlos  machen  die  Ankunft  Posas  und  die 
Krankheit  der  Eboli,  im  Wallenstein  der  Tod  des  Max 
Schwierigkeiten. 

Gerade  die  Bemühungen  Düntzers,  Bellermanns,  Kettners 
weisen  imnici-  wieder  dai'auf  hin,  dass  Schillci-  über  die  Dauer 
der  Handlung  keine  absolute  Khirheit  schaffen  wollte.  Wenn 
einmal  in  Maria  Stuart  die  Rechnung  glatt  aufgeht,  so  ist 
das  nur  (bis  selbstverständliche  Produkt  eines  musterhaften 
Aufbaues.  Füi-  die  folgenden  Stücke  gilt  dei*  in  der  Vorrede 
zui'  iii'aut  von  Messina  ausgesprochene  (irundsatz;  Handhaben 
für  die  Zeitberechnung  fehlen  von  jetzt  ab;    verkehrt    ist  es, 


'l  l'liiniicko  hat  mit  dioseni  gleichzeitig  einen  anderen  Widerspruch 
beseitigt,  liei  ihm  heisst  es:  „Jetzt  ists  ein  Uhr  nach  Mitternacht.  In 
Weniger  al»  zwölf  Stunden  sollt  Ihr  befriedigt  seyn." 


—     131     — 

wozu  Bcllermann')  beim  Teil  Ansätze  zu  machen  scheint,  als 
Ersatz  die  historischen  oder  quellenmässigen  Daten  heran- 
zuziehen. 


10.    Der  A'erfasser  an  das  Publikum. 

Auf  Dalberg-s  Verlan^j-en  verfasste  8chiller  füi'  die  Räuber 
eine  Ansprache  an  das  Publikum,  die  am  Tuge  der  Vorstellung 
neben  dem  Theaterzettel  angeschlagen  wurde.  Der  Brief 
Dalbergs,  worin  er  diesen  Wunsch  ausspricht  und  die  Be- 
gründung fehlen  uns;  wii-  wissen  indessen,  dass  Dalberg  bei 
eigenen  l)Carbcitungen  und  auch  bei  andei-en  Novitäten  diese 
N'erständigung  mit  dem  Fublikuui  liebte  und  dabei  den  päda- 
gogischen Zweck  im  Auge  hatte,  es  in  seinem  Urteil  zurecht- 
zuweisen.-) 

öolclie  Avertissements,  soweit  sie  noch  auf  dem  deutschen 
Theater  Mode  waren,  richteten  sich  an  ein  gebildetes  Publikum 
und  wollten  dieses  u.  a.  über  Entstehung  des  Werkes,  Quellen 
und  Auffassung  des  Dichters  unterrichten;  allenfalls  war  noch 
von  dem  Erfolg  an  anderen  Urten  die  Hede;  eine  besonders 
vornehme  Art  von  Reklame  war  es,  wenn  seiner  Zeit  in 
Hamburg  ein  »Stück  dui-cli  Abdruck  der  Ik'spi'cchuug  empfohlen 
wurde,  die  es  in  dei'  llibliotlick  der  scIk'mr'm  W'isseuschaften 
gefunden  hatte. ^) 

Keinesfalls  sind  die  stehenden  Bühnen  darin  mit  den 
herumreisenden  'J'ruppeu  zu  vergleichen,  die  auf  Anpreisungen 
ihi'ei'  .Stücke  angewiesen  waren  und  durch  Aufzählung  aller 
►Sensationsettckte,  besonders    der  Grossthaten,    die    etwa    vom 


')  Belleniiaiiii,  Schillers  Dramen.     2.  AuH.  IT,  S.  43-i  f. 

-)  Weltrich.  I,  4(KS.  Martersteig  S.  170.  Fichler  S.  93,  104.  Mit  sol- 
chen Anküiidiguiigeii  wurden  u.  a.  vorbereitet:  Fust  v.  Stroniberg,  Die 
neue  Emma,  Der  Einsiedler  von  Carniel,  Timon  von  Athen. 

*)  Schlösser,    Theatergesch.  Forsch.  XIII,  S.  95, 

9* 


—     132     — 

Hanswurst  zu  erwarten  waren,  dem  Publikum  den  Mund 
wässerig  machten,  ohne  das  Verständnis  der  Handlung-  irgend- 
wie vorzubereiten.  Bei  diesen  Truppen  konnte  es  auch  vor- 
kommen, dass  dem  Dichter  selbst  oder  sogar  einem  falschen 
Dichter  die  Ankündigung  untergeschoben  wurde ;  es  ist  z.  B. 
vom  Jahre  1782  ein  Theatei-zettel  aus  Nürnberg  bekannt,  auf 
dem  Lessings  Faust  mit  einigen  empfehlenden  Worten  des 
Verfassers  angezeigt  wurde.  ^) 

Manche  der  stehenden  Truppen  —  sogar  schon  die 
Neuberin  that  dies  — ')  machten  dagegen  dadurch  für  sich 
Reklame,  dass  sie  versicherten,  alle  Anpreisungen  zu  unter- 
lassen; als  Schröder  das  zweite  Mal  nach  Hamburg  zurück- 
kam, versprach  er  dem  Publikum:  „Weder  grosse  Anschlags- 
zettel, noch  Prologe  aller  Ai't  (die  immer  dasselbe  sagen) 
sollen  Ihnen  l^eifall  und  Geld  entlocken."')  Er  wich  indessen 
selbst  noch  oft  genug  von  dieser  Versicherung  ab.  Grossmann 
dagegen  führte  als  Theaterdirektor  diese  Enthaltsamkeit  wii-k- 
lich  durch  und  machte  nur  einmal  eine  Ausnahme,  als  er  sich 
bei  der  Vorstellung  zum  Besten  eines  Lessingdenkmales  an 
das  Publikum  wandte.^)  Schon  in  den  80er  Jahren  wollte 
der  Gothaer  Theaterkalendei'  alle  Ankündigung  vom  Tlieater- 

')  Wiener  Theaterausstell.  1892.  Fachkatalog  d.  Abteil,  f.  d.  Drama 
u.  Theater,  hrsg.  v.  Glossy.     S.  115,  No.  36. 

-)  Blüniiier,  Gesch.  d.  Theaters  i.  Leipzig  S.  57.  Schütze,  Hanib. 
Theatergesch.  S.  217.  Man  sehe  dagegen  den  sogar  mit  lockenden  i'roben 
des  Stückes  aufgeputzten  Neuberischen  Faustzettel  (v.  Reden  -  Esbeck, 
Caroline  Neuber). 

«)  Schütze  S.  567.  Meyer,  Schröder  II,  S.  8.  Devrient  III,  S.  160,  180. 

•*)  E.  Mentzel,  Arch.  f.  'Frankfurts  Gesch.  u.  Kunst  IV,  S.  78. 
Journ.  d.  Luxus  u.  d.  Moden  1791  S.  21.  Grossniann  war  überhaupt  ein 
moderner  Direktor;  er  wurde  Schröder  als  Muster  vorgehalten,  weil  er 
das  Abdanken,  d.  h.  die  Ankündigung  des  folgenden  Stückes,  nicht  mehr 
vom  Schauspieler  im  Kostüm  der  eben  gespielten  Rolle  vorbringen  Hess. 
Diese  Sitte,  die  übrigens  noch  reichlich  Gelegenheit  zu  improvisierten  An- 
preisungen bot,  kam  erst  im  Lauf  des  19.  Jahrhunderts  ab.  Für  Dresden 
steht  das  .lahr  1H14,  für  Haml)urg  IS] 5  fest,  für  Wien  erst  1886. 

Prölss,  Gesch.  d.  Hofth.  z.  Dresden  187«  S.  367. 

Fr.  L.  Schmidt,  Denkwürdigk.  (Uhde)  II,  S.  100. 

Costenoble.  Aus  dem  Burgtheater,  Tagebuchblätter  II,  S.  279  f. 


—     133     — 

Zettel  verbannt  wissen;  ein  g-ut  ein^'-erichteter  Komödienzettel 
müsse  nichts  weiter  enthalten  als  Tag  und  Ort  der  Vorstellung-, 
Titel  und  Verfasser,  Personen  und  Schauspieler,  sowie  Preis 
der  Plätze.  1) 

Wenn  nun  also  Dalberg-  mit  seinem  Wunsche  schon  eigent- 
hch  rückständig'-  war.  so  ist  »Schillers  Ausführung-  des  Auf- 
trag-es  sogar  nicht  g'-anz  frei  von  Anklängen  an  den  über- 
wundenen Reklamestil  der  Wanderti-uppen:  es  mag  etwa  an 
Schikaneders  Gesellschaft  erinneit  werden,  die  in  den  Jahren 
1778  und  79  in  Schwaben  gespielt  hatte  und  deren  Anzeigen 
dem  jungen  Schiller  sicherlich  in  die  Hände  gefallen  waren, 
ohne  ihm  natürlich  direkt  zum  Vorbild  zu  dienen. 

Die  von  Dalberg  durchkorrigierte  gedruckte  Fassung  ist 
an  bombastischen  Versprechungen  gegenüber  dem  ersten  Ent- 
wurf Schillers,  dei-  im  i>rief  an  Dalberg  vorliegt,-)  eingeschränkt; 
trotzdem  ist  der  'l'oii  lange  nicht  so  einfach,  wie  die  Erinnerung 
an  das  Publikum,  die  nachmals  dem  Fiesko  beigegeben  wurde. 
An  Stelle  der  marktschreierischen  Futura:  .,Einen  solchen  Mann 
wird  man  im  Häubei-  Moor  beweinen  und  hassen,  verabscheuen 
und  lieben"'  ist  dort  das  sachlichere  Präsens  und  der  be- 
scheidene Wunsch  getreten:  „Dieses  Schauspiel,  hoffe  ich,  ist 
Fieskos  Verschwöi-ung."  Der  Verfasser  verwahrt  sich  da- 
gegen, das  L'rteil  des  Publikums  bestechen  zu  wollen;  er  will 
nur  seine  Aufmerksamkeit  von  Anfang  an  in  die  richtigen 
Hahnen  lenken.  Und  so  klingt  denn  aus  den  Ausführungen 
über  den  Charakter  des  Helden  schon  derselbe  Ton  heraus, 
mit  dem  im  Wallensteinprolog  dem  Publikum  Fingerzeige  zum 
Verständnis  geboten  wurden: 

Sein  Laster  mir  erkläret  sein  Verbrechen. 


')  Raritäten  auf  Koniödienzetteln  wurden  jetzt  bereits  in  den  Theater- 
zeitschriften g-esaninielt  und  verspottet;  siehe  Theat.-Kal.  178U  S.  i): 
1784  S.  48;  1785  S.  73;  1786  S.  71  ff.;  1797  S.  71  tf. 

Ann.  d.  Theat.  1792  Heft  10. 

Fr.  L.  Schmidt,  Alm.  f.  Theat.  1809  S.  19,  -20. 

Fünf  charakterist.  Heispiele  f.  d.  Entwicklung  des  Komödienzettels 
zwischen  1742  u.  1777  bei  Hagen,  Gesch.  d.  Theat.  in  I'reussen  S,  280  tf, 

■)  An  Dalberg  12.  Okt.  1781,  Jonas  I,  S.  50  f, 


—     134     — 

Dieser  Prolog  wurde  vom  Darsteller  des  Max  g-esprochen  ; 
dadurch  schon,  wie  durch  seine  Form  steht  er  in  viel  engerem 
Zusammenhang  mit  dem  Stücke  selbst,  dem  er  auch  in  den 
Buchangaben  vorangedruckt  wurde.  Er  ist  abei"  nicht  aus  dem 
Charakter  des  Max  heraus  gedichtet  worden;  nicht  Piccolomini, 
sondern  der  Schauspieler  spricht  ihn  im  Namen  des  Dichters; 
darin  unterscheidet  er  sich  von  den  üblichen  Theaterreden  des 
achtzehnten  Jahrhunderts.  So  schickte  z.  B.  Joh.  El.  Schlegel 
seinem  Canut  eine  Anrede  Canuts  des  Gi'ossen  an  Se.  Majestät 
Friedrich  den  Fünften  voraus;  Fr.  Ludw.  Schröder  Hess  sich 
von  Bock  Prolog  und  Epilog  zu  Emilia  Galotti  dichten,  die 
er  in  der  Rolle  des  Marinelli  sprach.^)  C.  Friedr.  Gramer 
verlangte  1776  eine  enge  Vei'bindung  des  Prologes  mit  dem 
nachgehends  zu  spielenden  Di'ama  und  gab  als  Muster  eine 
von  Monodrama  stai'k  beeinflusste  Soloszene  des  Clavigo.'-^) 
Goethe  selbst  dichtete  einen  Epilog  zu  Essex  im  Charakter 
der  Königin  ^),  und  noch  Immermann  vei'sah  in  Düsseldorf  bei 
einer  besonderen  Gelegenheit  den  Piinzen  von  Homburg  mit 
Nachworten  des  Kottwitz.  *) 

Indessen  begann  man  doch  bereits  gegen  Ende  des  acht- 
zehnten Jahrhunderts  in  diesem  Heraustreten  einzelner  Haupt- 
personen aus  dem  Rahmen  des  Stücks  eine  Geschmacklosigkeit  zu 
sehen;  Gotter  verwarf  schon  1779  in  einem  Brief  an  Dalbei-g 
den  Prolog  als  zopfige  Einrichtung;  '')  Plümicke  konnte  1781 
bereits  eine  Abnahme  der  Theaterreden  beklagen^)  während 
Schütze')  1794  Schröder  wegen  seiner  Vorliebe  dafür  tadelte. 

Goethe  hielt  an  diesem  Geschmack  noch  fest  und  er 
wollte  auch  den  Prolog  zu  Wallenstein  geradezu  als  Rede  des 
Max  betrachtet  wissen.     ,,Hr  Vohs  hielt  ihn  in  dem  Costüm, 


')  Litzniann,  Schröder  II,  S.  129. 
-)  C.  Friedr.  Gramer,  Über  den  Prolog-.  Leipzig"  1770. 
3)  W.  A.  I,  Bd.  13  S.  177  f. 
I)  Fellner,  Gesch.  e.  Miisterl)iihne  S.  255  ff. 

'')  Uhde,    A.    d.   .Jugendzeit   d.    deutschen    Bühne.    Grenzboten    187«i 
(Jg.  35)  II,  S.  43. 

®)  Plümicke,  Entw.  e.  Theatergesch.  v.  Berlin  S.  193. 
'}  Schütze,  Hamb.  Theatergesch.  S.  095. 


—      135     — 

in  welchem  er  künftig  als  jüngerer  Piccolomini  erscheinen 
wird:  er  war  hier  gleichsam  ein  geistiger  Vorläufer  von  sich 
selbst  und  ein  Vorredner  im  doppelten  yinne."  ^)  Der  Sinn 
dieses  Goethischen  Berichtes  ist  nicht  ganz  klar,  denn  es  soll 
doch  wohl  nicht  nur  der  doppelte  ZAveck  dieser  Theaterrede 
ausgedrückt  werden. 

Dem  doppelten  Anlass  entspricht  jedoch  eine  doppelte 
Fassung;  in  der  gedruckten  Form  tritt  der  Charakter  einer 
grossartigen  Programmi-ede  bei  Erötfiumg  des  neuen  Theater- 
saals mehr  in  den  Vordergrund;  für  <iie  Aufführung  jedoch 
strich  Goethe  die  „Mimen"  und  .,Aeren"  und  brachte  den 
Namen  Wallenstein  mehrmals  an,  um  den  speziellen  Zweck 
des  Prologs  mehr  zu  betonen. 

Die  Ermahnung,  die  ihm  Goethe  bei  dieser  Gelegenheit^) 
erteilte:  ,,Wie  anders  ist  es,  was  man  mit  sich  und  unter 
Freunden  arbeitet!  und  was  der  fremden  Masse  im  allgemeinsten 
vorgetragen  werden  soll'',  beherzigte  Schiller  fortan  mehr  und 
mehr,  und  als  Körnei'^)  an  Einschaltungen  in  den  Hexenszenen 
des  Macbeth,  <lie  durch  ihre  Deutlichheit  die  abenteuerlichen 
Gestalten  zu  sehr  beleuchteten,  Anstoss  nahm,  antwoi'tete 
Schiller:  ..sie  schienen  mir  für  das  Theater  nötliig,  weil  die 
Masse  des  Publikums  zu  wenig  Aufmerksamkeit  hat  und  man 
ihr  vordenken  muss." 

Die  Ergebnisse  der  voi'hei'gehenden  Abschnitte  haben 
uns  bereits  gezeigt,  wie  Schillei's  fortschreitende  Technik 
immer  mein-  bedachte,  das  Publikum  übei-  die  Bedeutung  der 
auftretenden  Pei'sonen.  über  den  Schauplatz  und  die  historischen 
Verhältnisse  in  Klarheit  zu  setzen.  In  welcher  Weise  er 
vordachte,  Hesse  sich  noch  an  weiteren  Beispielen  nachweisen: 
In  den  Piccolomini  z.  I).  muss  das  Publikum  auf  die  Klausel 
aufmerksam  gemacht  werden;    dass  sie  gesperrt  gedruckt  ist, 


')  W.  A.  I,  Bd.  40,  S.  10. 

*)  Goethe  an  Schiller   (i.  Okt.    und  lU.  Nov.   1798.     W.  A.  IV,  Bd. 
13  S.  283  f.,  307. 

=•)  Körner  an  Schiller  2G.  .Tuni  1800. 

Schiller  an  Körner  3.  Juli  1800.     Jonas  IV,  S.  100, 


—      136     — 

genügt  für  den  Leser;  während  ein  besonders  lautes  Hervor- 
heben im  Vortrag  plump  wirken  und  vielleicht  doch  nicht 
ausreichen  würde.  Statt  dessen  findet  Schiller  eine  andere 
Auskunft:  Isolani  hat  gerade  die  Worte,  auf  die  es  ankommt, 
gedankenlos  nachzusprechen.  Im  Teil  gehört  hierher  das 
schon  erwähnte  Hervorheben  der  Abwesenheit  Teils  beim  Rütli. 
Prologe  und  vorgreifende  Verständigungen  sind  damit 
überflüssig  gemacht;  nachdem  im  Theaterzettel  das  Nötigste 
gesagt  ist,  giebt  der  Dichter  die  Zwischenstellung  zwischen 
Publikum  und  Bühne  auf  und  lässt  der  Aufführung  allein 
das  Wort.  Schon  in  der  Ankündigung  zum  Fiesko  war  es 
ja  ausgesprochen:  „Eigentlich  sollte  das  Tableau  für  den 
Künstler  reden,  und  er  selbst  die  Entscheidung  hinter  dem 
Vorhang  erwarten." 


Zweites  Kapitel. 

Die  Inszenierung. 

1.   Der  Vorhang. 

„Voraussetzunir  des  Di-amas  ist,  dass  die  Leute,  die  da 
spielen,  unter  sich  sind,  und  dass  nur  ein  «ruter  Gott  den 
Vorhang  wegg-ezog-en  hat,  damit  das  Publikum  zusehen  kann" 
—  in  diesen  Worten  Wilh.  Öcherers^)  ist  die  moderne  Auffass- 
ung des  Dramas  ausgesprochen.  Bezeichnend  ist  es,  dass  der 
Vorliang  dai'in  eine  Rolle  spielt:  der  Gcbr'auch  des  Vorhangs 
trennt  in  der  Tliat  zwei  Perioden  in  der  Geschichte  des 
Dramas;  sein  Aufkommen  bedeutet  fiii'  das  Drama  etwa  das- 
selbe, wie  die  N'erwendung  des  Rahmens  für  die  Malerei. 
Es  ist  der  auf  die  dritte  Dimension  übertragene  Rahmen. 
Während  der  Rahmen,  der  ja  auch  der  modernen  Rühnc  nicht 
fehlt,  die  Raumillusion  unterstützt,  kommt  der  Vorhang  wesent- 
lich der  Zeitvorstellung    zu    Hilfe;")    durch    beide    kann   erst 


')  Poetik  S.  238. 

")  Diese  Auliassimg-  hat  bei  einem  modernen  französischen  Theater- 
ästhetiker Becq  de  Fouquieres,  den  Rigal,  Le  theätre  fran(;ais  avant  la 
Periode  classique  (Paris  1901  S.  275)  zitiert,  ihren  zutreffenden  Ausdruck 
gefunden :  Quand  le  rideau  tombe,  l'esprit  du  spectateur,  degage  de 
1  etreinte  du  poete,  redevient  immediatement  libre.  II  y  a  dans  cette  chute 
du  rideau,  dans  cetto  disparition  absolue  du  spectacle,  un  signe  manifeste  de 
l'interruption  de  l'action  dramatique.  Une  partie  de  cette  action  est  des 
lors  acconiplie,  et  lesprit  du  spectateur  est  pret  ä  franchir  l'espace  de 
temps  que  voudra  le  poete.     Siehe  auch  oben  S.  101. 


—     138     — 

die  volle  Illusion  eines  Wirklichkeitsausschnittes  erzeugt 
werden. 

Das  ist  die  Tendenz  der  modernen  Bühne  und  weil  auf 
ihr  ,, statt  der  Kunst  Wirklichkeit,  und  statt  der  poetischen 
Täuschung'  ein  gaukelndes  Hinterg-ehen  als  die  Aufgabe  der 
Poesie"  erscheine,^)  fand  sie  ihre  Gegner. 

Die  Bühne  ohne  Vorhang  war  nichts  weiter  als  ein  für 
die  Schauspieler  freigelassener  Teil  des  Zuschauerraums;  von 
dem  gemeinsamen  Roden  hatte  das  Publikum  Besitz  ergriifen 
und  Hess  das  Stück  sich  vorführen ;  im  modernen  Drama  wird 
das  Publikum  vor  das  Stück  geführt. 

Diderot  hat  in  der  Einkleidung  seines  .,Natürlichen 
Sohnes"  diese  neue  Auffassung  konsequent  durchzudenken 
versucht.  Das  Stück  würde  auch  ohne  Publikum  zur  Auf- 
führung kommen;  nur  durch  einen  Zufall  und  ohne  Wissen 
der  Spielenden  wird  der  einzige  Zuschauer  überhaupt  Zeuge 
davon.  Ein  bedeutender  Rechenfehler  dringt  in  dieses  Didei'ot- 
sche  Experiment  allerdings  dadurch  ein,  dass  es  sich  um  die 
genaue  Wiederholung  eines  wirklichen  (Jeschehnisscs  (von  den 
Personen,  die  es  erlebt  haben,  selbst  gespielt)  handelt  und 
dass  der  Zuschauer  eingeweiht  ist:  er  nimmt  also  die  Hand- 
lung als  aufgewärmte  Wirklichkeit,  nicht  als  Wahrheit  entgegen. 

Wenn  damit  der  bisherigen  Tllusion  sogar  Abbruch  ge- 
schieht, so  ist  dagegen  für  die  Schauspieler  etwas  ganz  Neues 
gewonnen:  sie  sollen  unter  sich  spielen;  dei-  Raum,  in  dem 
sie  auftreten,  gehört  ihnen  und  das  Publikum  ist  ausgeschlossen. 
Nun  ei'st  konnte  die  Theorie  der  Schauspielkunst  von  einer 
Wand  zwischen  Bühne  und  Parterre  reden,  die  der  Schauspieler 
beständig  zu  sehen  habe.  ^) 

Das  Symbol  diesei-  Wand  ist  der  Vorhang,  der  während 
der  Zwischenakte  Zuschauerraum  und  Bühne  scheidet.  In 
Frankreich  kam  noch  Diderot  —  so  erstaunlich  das  erscheint 
—  trotz  seiner  Theorie  ohne  ihn  aus;  erst  Marmontel  ver- 
langte 1763  sein  regelmässiges  Fallen. 


')  Tieck,  Krit.  Sehr.  I,  S.  249. 
^)  Ann.  (i.  Th.  1792  Heft  9  S.  31. 


—     139     — 

Diesen  Yorschlair  empfand  man  in  Deutschland,  als  1766 
die  Poetique  tVan(;aise  übersetzt  wurde,  als  nichts  Neues;  der 
Übersetzer  bemerkte,  dass  der  Zwischenaktvorhang"  bei  uns 
schon  lange  gebräuchlich  sei.M  Wie  weit  wir  indessen  dieser 
Angabe  Glauben  schenken  dürfen,  das  ist  eine  bisher  noch 
nicht  genügend  beantwortete  Frage,  die  ein  weiteres  Aus- 
holen notwendig  macht. 

Das  Fallen  des  vorderen  Vorhanges  innerhalb  des  Stückes 
scheint  als  vereinzeltes  Aushülfsmittel  bei  Szenenwechsel  von 
der  italienischen  Opernbüiine  aus  bereits  auf  die  deutsche 
Schauspielbühne  des  siebzehnten  .Jahrhunderts  übergegangen 
zu  sein.  F^in  Drama,  worin  sich  an  zwei  Aktschlüssen  die 
Vorschrift:  „Die  Tai)peten  fallen"  findet,  ist  Kormarts  „Poly- 
euctus"  (1669),  und  dass  dies  Stück  nicht  allein  steht,  beweist 
eine  Stelle  in  Gottscheds  „Critischen  P.eyträgen",  wo  auf  ein 
Wallensteindrama  des  siebzehnten  Jahrhunderts  aufmerksam 
gemacht  wird:  ..Da  das  Niederlassen  der  Gardine  bey  dem  Ver- 
fasser die  Actus  abtheiict.  so  ist  zu  verwundern,  warum  er  sie 
Handlungen  und  nicht  Aufzüge  neinit :  und  es  sollte  sich  viel- 
leicht aus  diesem  Verfahren  ein  Urtheil  in  der  wichtigen  Frage 
abfassen  lassen,  ob  man  die  Aufzüge,  die  man  bey  andern 
Alten  schon  findet,  vom  Aufziehen  der  (Jardine  so  genennt?"^) 

Dass  diese  Frage,  die  im  Grimmschen  Wörterbuch  allzu 
selbstverständlich  abgethan  ist.  damals  eine  Rolle  spielen 
konnte,  fühlt  uns  einen  Schritt  weiter:  in  der  Zeit  Gottscheds 
fiel  der  Zwischenaktvorhang  bei  den  regelmässigen  Dramen 
nicht  mehr;V)  man  hatte  mit  der  französischen  Einheitstechnik 
auch  die  Bühneneinrichtuncr  übernommen. 


')  Heinemann.  Vorhangs  u.  Drama.     Grenzboten  1890  I. 

')  Devrient  I,  S.  240.     frölss  S.  91,  97. 

Barthold  Feind  in  seinen  Gedanken  von  der  Opera  (Deutsche  Ge- 
dichte, Stade  1708,  S.  90,  111)  schreibt:  „Sehr  übellässet  es  hinwiederum 
in  den  Opern,  wenn  man  einer  jeden  bagatelle  wegen  einen  Vorhang  muss 
schiessen  lassen;"  er  rühmt  dagegen  an  der  Pariser  Oper,  dass  man  alles 
in  einem  Augenblick  ohne  Vorhang    verändert. 

■')  Beytr.  z.  Grit.  Historie  VITI  (1742),  S.  127. 

*}  Wohl  aber  noch  in  den  Stücken  der  vorhergehenden  Generation. 
So  heis.st  es    in  Henrici-Picanders  Akadem.    Schlendrian    am    Schluss    des 


—     140     — 


In  der  .,Criti8chen  Dichtkunst''  spricht  Gottsched^)  ge- 
ringschätzig  von  den  Poeten,  die  sich  zuweilen  mit  dem  Vor- 
hange helfen,  .,den  sie  fallen  lassen  und  aufziehen,  wenn  sie 
zwey  Zimmer  zu  der  Fabel  nöthig  haben;"  dass  Gottsched 
selbst,  Avie  Heinemann  annimmt,  im  Cato  zu  diesem  Auskunfts- 
mittel genötigt  wai",  glaube  ich  nicht;  Cato  sitzt  allerdings  zu 
Beginn  der  fünften  Handlung  auf  der  Bühne,  aber  diese 
Situation  konnte  durch  Aufziehen  eines  Hintergrundes  ge- 
schaffen werden;  nach  zwei  Auftritten  heisst  es  wieder:  „Cato 
legt  sich  auf  das  Bette  um  zu  schlafen,  und  der  innere  Vor- 
hang fällt  zu." 

Cronegk  in  seinen  „Gedanken  über  das  Trauerspiel 
Codrus  ^ )  erwähnt  diese  Methode :  der  Tod  des  Codrus  war 
nicht  auf  die  Bühne  zu  bringen,  .,wenn  man  nicht  die  Einheit 
des  Orts  beleidigen,  oder  welches  eben  so  viel  wäre,  einen 
zweiten  Vorhang  wollte  aufziehen  lassen,"  Zwischen  diesem 
zweiten  Vorhang,  der  alten  „Mittelgardine"  d.  h.  dem  Hinter- 


dritten Aktes:  „Die  Fenster  werden  eing-esehniissen  und  die  Guardine  zu- 
gezogen." In  Königs  Frauenschlendrian  giebt  der  lustige  Bediente  seinem 
Herrn,  dem  Stutzer,  den  ironischen  Rat:  „Wenn  die  Decke  fällt,  müsst 
ihr  durch  das  mittlere  grosse  Loch  gucken,  und  eurer  Schönen  dadurch 
einige  verliebte  Blicke  zuwerfen,  auch  nicht  eher  zurücke  gehen,  bis  die 
Decke  schon  halb  wieder  aufgezogen,  hernach,  als  wäret  ihr  darüber  er- 
schrocken, mit  ein  paar  Sprüngen  hinwoghüj)fen." 

Interessant  ist  diese  Stelle  auch  dadurch,  dass  sie  die  Anwesenheit 
des  Publikums  auf  der  Bühne  beweist;  sie  erinnert  an  französische  Muster 
(Moliere,  Les  F'ächenx  I,  1;  Regnard,  Le  Distrait  I,  Oj.  Im  Ganzen  aber 
durfte  sich  auf  dem  deutschen  Theater  das  Publikum  , nicht  so  viel  erlauben, 
wie  auf  dem  französischen  vor  Voltaires  Eingreifen.  Gottsched  entrüstet 
sich  bereits  in  den  „Vernünftigen  Tadlerinnen"  (XVII,  S.  131;  25.  April 
1725)  über  die  Ungezogenheit  der  Leipziger  Studenten,  die  zuweilen  unge- 
scheut  auf  den  Schauplatz  treten.  In  Fällen  von  Überfüllung  des  Zu- 
schauerraumes wurden  indessen  noch  in  späteren  Jahren  (z.  B.  1784  bei 
Schröders  Ga,stspiel  in  Hamburg)  dem  I'ublikum  Plätze  auf  der  Bühne 
eingeräumt.  (Schütze,  Hamb.  Theatergesch.  S.  5.30.  Fr.  L.  Schmidt, 
Denkwürdigk.,  hrsg.  v.  Uhde  I,  S.  55  f.) 

1)  Crit.  Dichtk.  1730,  S.  575. 

■-)  Bibl.  d.  schönen  Wissensch.  u.  fr.  Künste  (1757)  I,  S,  37, 


—      141      — 

irrund  der  kurzen  Bühne  und  dem  vorderen,  unsei-eni  heutiiren 
ZwischenvorhaniT,  ist  stets  vorsichtis"  zu  unterscheiden.  Nur 
dann  ist  mit  ziemlicher  Sicherheit  der  vordere  Vorhaufr  ge- 
meint, wenn  am  Aktschhiss  die  Vorschrift:  „Dei-  Vorhang-  fällt'" 
steht ;  darauf  stossen  wir  zuerst  wieder  bei  Christ.  Fei.  Weisse.') 

Die  Definitionen  des  Wortes  „Aufzug""  können  uns  noch 
weiter  über  die  Entwickelun.L'"  belehren.  In  den  Schles- 
wigischen  Litteraturbriefen')  (17()6)  wird  den  Dänen  die  Ein- 
führung- der  Bezeichnungren  Optog-  und  ()i)trit  widerraten, 
weil  sie  die  Sache  schlecht  odei-  g-ar  nicht  ausdi-ücken,  .,denn 
in  den  wenig-sten  tragischen  Stücken  findet  der  Aufzug-  des 
Vorhang-es  statt'';  der  rüekständig-e  Sulzer^')  (1771)  erklärt 
den  Aufzug-  als  einen  „Haupttheil  der  dramatischen  Handlung-, 
nach  welchem  die  Huhne  von  den  Schauspielern  leer  wird", 
und  Adelung-  schreibt  noch  in  der  zweiten  Autiag-e  seines 
Wörterbuches  (1793)  „eine  Benenimng-,  welche  von  dem  Auf- 
ziehen des  VorhanL'-es.  welches  g-emeiniglich.  obgleich  nicht 
alle  Mahl,  bey  dem  Anfanire  eines  solchen  Haiiptheiles  zu 
geschehen  ptteg-t,  herg-enoramen  ist." 

Diese  Daten,  die  noch  für  die  zweite  Hälfte  des  achtzehnten 
.Jahrhunderts  keinen  festen  Gebrauch  annehmen  lassen,  werden 
ergänzt,  weiui  wir  die  nühnenanweisinig-en  der  dramatischen 
Litteratur  mustei-ii.  In  Dyks  „Coriolan"  (17SB)  schliessen 
alle  Akte  mit  leerer  Dülme;  nur  hinter  dem  dritten  heisst  es: 
„Der  N'orhang-  fällt.  Im  Zwischenakte  Avird  auf  dem  Theatei- 
bey  herunter  g-elassener  Gardine,  eine  Simfonia  die  Guerra 
aufg-eführt."  Dass  die  herunterg-elasscne  Gardine  eig-ens  betont 
wird,  lässt  noch  immei'  auf  den  früheren  Zustand  schliessen; 
indessen  finden  wir  ein  Jahr  früher  bereits  das  umg^ekehrte 
Beispiel,  dass  der  Dichter  ausdrücklich  vorschreiben  muss: 
..Der  \'orhang-  wird  nicht  niedergelassen."  Dies  steht  hinter 
dem    (bitten  Akt  von  Gerstenbergs    „Minona"    (^1785).     Erst 


')  Zickel,  Die    scenar.   Bemerk,    i.    Zeitalter  Gottscheds  u.  Lessings. 
Berliner  Diss.  1900,  S.  37  «'. 
■-)  D.  L,  D.     30  S.  279  f, 
■■')  Theorie  d.  seh.  Künste  I,  S.  91, 


—     142     — 

tei  Kotzebue  findet  sich  mit  einiger  Regelmässig-keit  die  Vor- 
schrift: „Der  Vorhang-  fällt"  an  jedem  Aktschlüsse. 

Es  ist  nun  die  Frage,  was  vorausging:  ob  die  dramatischen 
Dichter,  ebenso  wie  sie  ihn  einstmals  übei-flüssig  gemacht 
hatten,  den  Zwischenaktvorhang  wiederum  erzwangen,  indem 
sie  nicht  mehr  bereit  waren,  an  jedem  Aktschluss  die  Bühne 
frei  zu  machen?  Oder  ob  das  Theater  selbst  ihnen  die  Hand 
bot,  indem  es  bereits  bei  Aktschlüssen  der  alten  Technik  den 
Vorhang  fallen  Hess? 

Eine  Stelle  in  Nicolais  „Abhandlung  vom  Trauerspiel"^) 
weist  uns  auf  den  zweiten  Hergang;  wenn  Frey  tag  ^)  umge- 
kehrt das  poetische  }3edürfnis  nach  wirkungsvollen  Aktschlüssen 
vorausgehen  lässt,  entspricht  das  dem  Charakter  seines  Buches, 
das  auf  die  konkreten  Theaterbedingungen  wenig  Rücksicht 
nimmt.  Sein  Satz:  „Mit  dem  Vorhange  kam  aber  auch  das 
Bestreben,  die  Umgebung  der  auftretenden  Personen  nicht 
nur  anzudeuten,  sondern  in  anspruchsvoller  Ausführung  durch 
Malerei  und  Geräth  darzustellen"  ist  gerade  umzukehren: 
Sobald  man  einmal  unter  Einfluss  des  Opernpi'unks  auf  die 
Ausstattung  der  J^>ühne  mehr  Wert  legte,  womit  sich  die  Vor- 
liebe des  bürgerlichen  Dramas  für  intime  Ausstattung  von 
Innenräumen  verband;  sobald  nicht  mehr  das  Aufziehen  des 
Hintergrundes  und  die  A'eränderung  der  Kulissen  genügten, 
sondern  die  Arbeiter  Möbel  und  \' ersatzstücke  hin  und  her 
tragen  mussten,  war  man  genötigt,  die  J3ühne  zu  schliessen. 
Bis  sich  die  dramatische  Technik  diese  Neuerung  zu  Nutze 
machte,  dauerte  es  noch  längere  Zeit;  erst  allmählich  gewinnt 
der  Dramatiker  die  Erkenntniss,  dass  mit  dem  Fallen  des 
N'orhangs  eine  stärkere  Accentuierung  des  Aktschlusses  not- 
wendig wird;    das    Publikum,     das    die    lUihnc    selbst    nicht 


')  Bibl.  (1.  seh.  Wiss.  u.  fr.  Künste  (1757J  I,  S.  37:  „es  ist  gar  un- 
erträglich, wenn  wie  auf  einigen  unserer  schlecht  eingerichteten  Theater 
geschieht,  bey  jeder  N'eränderung  der  \'orhang  zugezogen  wird."  Es 
hielten  also  nicht  alle  deutschen  Hühnen  gleichen  Schritt;  die  kleineren, 
die  nicht  über  die  liiesenniittel  der  Opern  vorfügten,  um  schwierige  Ver- 
wandlungen im  Augenblick  zu  liewerkstelligen,  gingen  voraus. 

'■';  Technik  des  Dramas.     5,  Aufl.  S.  169  f. 


—     143     — 

mehr  im  AiiL'-e  behält,  rmiss  während  der  Pause  durch  den 
Nachhall  einschlai^'-ender  Schlussworte  oder  die  Erinnerung-  an 
eine  packende  Schlusseruppe  gefesselt  bleiben. 

Unter  den  Zeugnissen  für  das  Aufkommen  des  Vorhangs 
habe  ich  eine  Stelle  in  „Dichtung  und  Wahrheit''  übergangen; 
Goethe  will  die  Frankfurter  Krönungsfeierliclikeiten  zu  ihrer 
Zeit  mit  einem  Schauspiel  verglichen  haben,  „wo  der  N'orhang 
nach  Belieben  heruntergelassen  würde,  indessen  die  Schau- 
spieler fortspieltcn;  dann  werde  er  wieder  aufgezogen  und 
der  Zuschauei-  kiinne  an  jenen  N'erhandlungen  einigermassen 
wieder  Theil  nehmen."  In  dieser  Form*)  wird  Goethe  im 
Jahre  1764  das  Bild  nicht  gebraucht  haben;  denn  die  Schau- 
spieler pflegten  nicht  fortzusjjielen.  die  I^ühne  wurde  um  jene 
Zeit  noch  immer  i-egelmässig  leei-,  ehe  der  N'orhang  fallen 
konnte.  Behalten  wir  nun  Goethe  im  Auge,  so  lässt  sich, 
worauf  Heinemann  aufmerksam  gemacht  hat.  an  verschiedenen 
Daten  erkennen,  von  wann  ab  dei-  \'orhang  für  ihn  zum 
Requisit  w^urde:  die  Grenzen  sind  1769  und  1787;  in  der 
zweiten  Bearbeitung  der  Mitschuldigen  fällt  das  gezwungen 
motivierte  Abgehen  Alcests  weg.  Im  vierten  Akt  des  Götz 
(1773)  bleiben  am  Schluss  die  Personen  auf  der  Bühne  ohne 
eine  weitere  Angabe;  der  vierte  Akt  des  Egmont  schliesst 
mit  der  Vorschiift:  „Alba  bleibt  stehen.     Dei-  Vorhang  fällt."-) 


')  D.  u.  W.  5.  Huch.     W.  A.  I.  Bd.  2fi,  S.  29G,  300. 

An  sich  waren  soh  he  Vergleiche  damals  nicht  selten.  Z.  B.  finden 
wir  in  Sternes  Tristrani  Shandy  (Bodes  Übersetzung:)  zweimal  diese 
Wendunj,': 

11,  (Jap.  T)  (Schluss)  ^Izt  muss  der  \'orhanj,'  fallen  —  der  Schaupidtz 
verwandelt  sich  in  das  Wohnzimmer  mit  dem  Kaminfeuer. " 

11,  Cap.  19  (Anfang)  „Ich  habe  für  eine  Minute  den  Vorhang  über 
diese  Scene  fallen  lassen." 

Le.ssing  gebraucht  dasselbe  Bild  von  Vergil,  er  lasse  den  Vorhang 
fallen  und  versetze  uns  in  eine  ganz  andere  Scene. 

(Laokoon  Cap.  XVIII,  Blümners  Ausg.  S.  273.) 

■■')  Nach  einer  witzlosen  Anekdote,  die  trotz  ihrer  Unverbürgtheit 
charakteri.-^tisch  sein  kann,  scheint  es,  als  ob  man  nach  Einführung  des 
Zwischenaktvorhaiiges  auch  die  Aktschlü.sse  der  früheren  Technik  änderte 
und  die  l'ersonen  auf  der  Bühne  Hess.     Clavigo  III  schliesst  bei  Goethe: 


—      144     — 

Dazwischen  lieg"!  die  entscheidende  Grenze,  von  der  ab 
der  Vorhang-  auf  dem  deutschen  Tlieater  unentbehrlich  wurde; 
es  ist  1774,  das  Auführungsjahr  des  Götz  von  Berliching-en, 
für  den  nach  Wielands  Wort  „ein  eigen  Theater"  hergezaubert 
werden  musste/)  Was  sich  nun  im  Gefolge  des  Götz  an 
Ritterdramen  und  Geniestücken  auf  die  Bühne  drängte,  war 
nur  mit  dem  Zwischenaktvorhang  aufzuführen  oder  überhaupt 
ohne  Dekoration. 

Dieser  zweite  Versuch  wurde  für  den  Götz  vorgeschlagen. 
Nach  vollzogener  Trennung  zwischen  Publikum  und  Bühne 
machte  sich  ein  Rückschlag  geltend,  der  die  alte  Verbindung 
anstrebte.  Tieck  in  seinem  jungen  Tischlermeister  bricht 
dafür  eine  Lanze : 

„Wir  brauchen  gar  keinen  [Vorhang],  der  vorn  die  ganze  Bühne 
schlösse  —  wie  Shakespear  auch  keinen  solchen  auf  seinem  Theater 
hatte.  Sorgen  wir  nur,  dass  durch  Verzierung  die  Bühne  sich  ge- 
schmackvoll und  nicht  allzu  störend  mit  d»m  übrigen  Saal  verbindet. 
Bei  den  Engländern  war  das  ganze  Gebäude  eine  Rotunde  oder  ein 
Viereck  —  — ,  so  dass  die  Bühne  in  sich  selbst  ein  schön  geordnetes 
Ganzes  war,  und  die  Zuschauenden  dadurch  gleichsam  zu  den  Mit- 
spielenden gehörten,  ganz  ähnlich  dem  griechischen  Theater.  Bei 
uns  ist  der  grelle  Abschnitt  der  Bühne  vom  Schauspielhause  völlig 
unkünstlerisch  und  barbarisch;  schon  vorher,  besonders  aber,  wenn 
der  ^'orhang  aufgezogen  ist,  sieht  das  Haus  nicht  anders  aus,  als 
wenn  die  eine  Hälfte  weggebrochen  wäre.  Wir  setzen  gerade  darin 
den  Vorzug,  dass  Bühne  und  Zuschauer  in  gar  keiner  \'erbindung 
sein  sollen."') 


Beaumarchais:  Doch  wars  übereilt,  dass  ich  ihm  das  I'apier  zurückgab. 
Guilbert:  LasstI  Lasst!  Keine  Grillen I 

(Ab.) 

Nach  jener  Anekdote  schloss  der  Akt  mit  den  Worten  des  Beau- 
marchais: „dass  ich  ihm  den  Zettel  gab,  war  ein  Fehler  von  mir."  Es 
heisst  nun:  ..Hier  niuss  der  Vorhang  fallen,  allein  aus  Nachlässigkeit  des 
Theatermeisters  war  dieses  unterbliel)en.  Um  dieses  zu  bemänteln,  wieder- 
holte Beaumarchais  diese  Worte  einigemal.  Und  wie  er  zum  letztenmal 
.sagte:  dass  ich  ihm  den  Zettel  gab  —  fiel  endlich  der  Vorhang  und  man 
hörte  ihn  noch  dahinten  murmeln:  das  war  ein  Fehler.  —  .lawohl,  rief 
einer  aus  dem  Parterre,  ein  grosser  Fehler!" 

(Litt.  u.  Theaterzeit.  1784  III,  ö.  112.) 

1)  R.  M.  Werner,  6.-J.  II,  88. 

')  Der  junge  Tischlermeister  II,  72  f.,  2Ü6, 


—     145     — 

Tn  Tiecks  dramatui-o-ischer  Novelle  werden  nun  Shake- 
speare und  der  Götz  von  Berliching'en  auf  einer  nach  alt- 
eniflischem  Muster  errichteten  Bühne  angeführt;  als  dann 
aber  Schillers  Räuber  an  die  Jveihe  kommen,  sieht  der  Regisseur 
ein,  dass  er  bei  einem  modernen  Stück  ohne  Vorhang-  nicht 
mehi-  auskommen  kann.  Schillers  erstes  Drama  steht  bereits 
vollständig-  jenseits  der  Grenze  und  rechnet  mit  der  modernen 
Bühne.  Der  N'orhang  fiel  bei  der  Mannheimer  Aufführung 
sogar  siebenmal,  aber  nur  am  Schluss  des  ersten  Aktes,  wo 
damit  nicht  einmal  ein  besondei-er  Effekt  verbunden  ist,  ist 
er  im  Druck  des  Trauerspiels  erwähnt;  ein  Beweis  dafür,  wie 
willkürlich  gerade  diese  Anweisung  gesetzt  zu  werden  pflegt.') 

An  allen  fünf  Aktschlüssen  ist  der  Vorhang  in  keinem 
ehizigen  Stücke  Schillers  vorgeschrieben.  Wenn  nun  abei- 
die  drei  ersten  Akte  des  Bühnen-Fiesko,  die  ersten  vier  sogar 
in  Kabale  und  Liebe  und  dem  Prosa-Don  Carlos,  mit  leerer 
Bühne  schliessen,  und  um-  am  Ende  des  g-anzen  Stückes  die 
N'orschrift  steht:  „Der  N'oihaug  fällt",  wenn  im  Manuskript 
der  Piccolomini  sogar  einmal  diese  Angabc  nachträglich  getilgt 
ist  (am  Schlüsse  des  zweiten  Aktes),  so  darf  uns  dies  schein- 
bare Wiederaufnehmen  der  alten  Technik  nicht  irre  machen. 
Immei'hin  war  es  beim  Fiesko  möglich,  ihn  noch  im  Jahre 
1S13  im  Theater  an  der  Wien  —  aus  welchem  Grunde,  ist 
unbekannt  —  ohne  Fallen  des  Zwischenaktvorhanges  mit  von 
Musik  begleiteten  offenen  Verwan<llungen  aufzuführen.^') 


')  iJassellje  beobaciiten  wir  auch  noch  im  neunzehnten  Jahrhundert. 
Während  Grillparzer  das  Fallen  des  Vorhangs,  ausser  in  der  Ahnfrau, 
regelmässig  vorschreibt,  hat  Kleist  die  Angabe  „Der  Vorhang  fällf  nur 
am  Schluss  der  Familie  Ghonorez  und  bei  den  zwei  ersten  Akten  des  Käth- 
chen  von  lleiniroim  im  rhöbus.  Hebbel  vermied  solche  Anweisungen  ge- 
rtissentlich  und  nahm  z.  U.  beim  Moloch  dem  Herausgeber  die  Ergänzung 
geradezu  übel.  (Briefe,  hrsg.  v.  11.  M.  Werner  I,  208  f.,  Tagebücher,  hrsg.  v. 
Bamberg  II,  211.) 

'-)   Homer,  Die  ersten  Aufführungen    der   Schillerschen  .Jugenddramen 
in  Wien.     Beil.  z.  Allg.  Zeit.  18U7,  >:r.  123,  S.  5. 

PalacBlia  XXXJl,  i*-' 


—     146     — 
2.   Zwischenakt. 

Dass  im  Zwischenakt  die  Bühne  oifen  blieb,  muss  uns 
über  die  Beschränktheit  der  Regelg-eber,  die  eine  Schauplatz- 
veränderuno- innei'halb  des  Stückes  untersagten,  sclionend 
denken  lassen.  Aus  den  Worten  des  Batteux:')  „Ist  es  wohl 
der  Wahrscheinlichkeit  g-emäss,  dass  Oerter.  die  wir  vor 
Aug-en  sehen,  sich  in  Wüsten,  in  Wälder,  in  Paläste  ver- 
wandeln?" lesen  wir  nunmehr  vor  allem  den  Widerspruch 
g'eg'en  die  illusionsfeindliche  Verwandlung'  heraus. 

Auf  dem  französischen  Theater  bekam  indessen  das 
Publikum,  aucli  wenn  ihm  diese  Hauptstörung  erspart  blieb, 
noch  g"enug'  des  Lästigen  zu  sehen.  „Zwölf  Kronleuchter, 
die  über  dem  Theater  an  der  Decke  hingen,  wenn  sie  auch 
Luft  und  freien  Himmel  vorstellte,  kamen  zwischen  jedem 
Akte  regelmässig  herab,  und  tanzten,  nachdem  der  Lichtputzei- 
seine  Fertigkeit  und  Kunst  daran  g^ezeig-t  hatte,  nach  dem 
Takte  etlicher  elender  Geigen  wieder  in  die  Höhe.^) 

Einer  missverstandenen  Anregung  Didei'ots  zufolge^)  kam 
nun  Beaumarchais  auf  die  Idee,  ernste  Gegenstücke  zu  den 
Moliereschen  Zwischenspielen  zu  scliatfen  und  das  Interesse 
des  Publikums  während  der  Pause  durch  eine  Pantomime 
wachzuhalten,  die  alles,  was  sicli  hinter  der  Szene  begiebt, 
zum  Ausdruck  bringen  soll. 

Einen  genauen  Begriff  von  den  Zwischenaktpantomimen 
der  „Eugenie"  erhalten  wir,  wenn  wir  die  Nachahnmng 
Gemmingcns  in  seinem  deutschen  Hausvatci-  (1780)  betrachten: 

J)er  \'()rhang  bleibt  aufgezogen,  eine  dunipfe  bckleininonde 
Musik  des  Orchesters;  man  bemerkt  Unruhe  in  des  Malers  Hause, 
Anne  kömmt  einigemale  herausgelaufen,  um  etwas  zu  holen.  Hernach 
I{iih('.  -  Anne  geht  über  eine  Weile  zur  Hauptthüre  hinaus.  J3ann 
kommt  der  Maler  heraus,  geht  über  das  Theater  in  ein  Nebenzimmer; 
nach  einiger  Zeit  wankt  Lottchen  in  einer  Art  von  Betäubung  heraus, 
gedrückt  unter  der  J^ast  des  Schmerzes;  sie  sinkt  auf  einen  Stuhl, 
ihr  (jrcsicht  mit  beiden  Händen  auf  einen  Tisch  gelegt.     Sie  hebt  sicli 


')  Einleit.  i.  d.  seh.  Wiss.  (liamler  1750)  H,  S.  242. 
■)  Ann.  d.  Th.  178Ö.  H.  1,  S.  55  fi'.  Kigal  S.  225. 
")  ßettelheim,  Beaumarchais  S.  141. 


—     147     — 

auf,  man  sieht  dass  in  ihr  ein  plötzlicher  Gedanke  entsteht,  sie  eilt 
in  ihr  Ziiimier,  kömmt  schnell  mit  einem  Schleier  heraus,  geht  in  die 
Thüre  hinein,  wo  der  Vater  hineingegangen  ist;  gleich  kommt  sie 
wieder  und  stürzt  zur  Hausthiire  hinaus.  Gleich  folgt  der  Maler, 
wie  er  seine  Tochter  nicht  mehr  sieht,  setzt  er  sich  an  die  Staffelei 
und  malt;  das  Orchester  geht  fort,  das  dann  aufhört,  als 
Anne  (kömmt). 

Dieses  ziemlich  zwecklose  Hin-  und  Herlaufen  unter- 
scheidet sich  nur  daiin  von  den  Pantomimen  des  Beaumarchais, 
dass  es  sich  nicht  im  Zwischenakt  abspielt,  sondern  zwischen 
zwei  Auftritten  desselben  Aktes.  Seit  dei'  Vorhang'  die  IMliue 
verschloss,  war  eine  Zwisciienaktpantomime  in  Deutschland 
nicht  niöiilich ;  auch  bei  der  deutsclien  Übertrag-ung-  der 
Eugenie  wui-de  die  Pantomime  zum  Anfang  des  folgenden 
Aufzuges  gezogen.')  Und  so  darf  auch  die  Mode  des  panto- 
mimischen Aktanfanges  auf  Jieaumai'chais  zurückgeführt  werden. 

An  das  jeu  d'entreacte  vor  dem  diitten  Aufzug  des  tollen 
'l'ages  erinnert  der  Anfang  des  zweiten  Aktes  der  Piccolo- 
mini:  beide  Male  wird  die  Dekoration  für  die  Audienz  erst 
vor  den  Augen  des  Publikums  von  liedienten  fertiggestellt. 
In  dei-  ursprünglichen  Ausführung  sollte  damit  kein  Akt, 
sondern  die  zweite  Szene  anfangen ;  es  hätte  sich  also  wirklich 
um  ein  Zwischenspiel  auf  offener  iJühne  gehandelt.  Auch  in 
der  Egmontbearbeitung  Schillers  ist  das  stumme  Auftreten 
der  spanischen  Patrouille  eingelegt,  und  für  den  Demctrius 
war  einmal  etwas  Ähnliches  geplant:  „wenn  Demctrius  abge- 
gangen, nniss  ein  Zug  über  die  Szene  beginnen,  während 
welchem  verwandelt  \v'm\.  Marsch  begleitet  ihn."^j  In  Maria 
Stuai't  endlich  haben  wir  als  letzten  Aktanfang  eine  lange 
Pantomime,  die  deutlich  an  die  Absichten  des  JJeaumarchais 
erinnert. 

Sollte  wirklich  der  Zwischenakt  ausgefüllt  werden,  so 
musste  als  Ausnahme  der  ^'orhang  aufgezogen  bleiben;  dies 
begegnete  uns  bei-eits  in  (rerstenbergs  Minona  (1785),  wo 
zwischen  dem  dritten  und  vierten  Akt  während  einer  Sturm- 

')  So  in  der  anonymen  Übersetzung  o.  0.  1768. 
■-')  Dram.  ^'acbl.  I,  143. 

10* 


148 


symplionic  Trcninoi'  mit  seinen  Wchiffen  sich  dem  Ufor  naht 
und  landet.  Ähnliche  Zwischenaktfüllunyen  g-ehen  voraus  in 
Grossmanns  „Adelheit  von  Veitheim"  (1781)  III  — IV  und 
Plümickes  „Lanassa"  (1782)  IV— V/j 

Der  grosse  Unterschied  dieser  deutscheu  Zwischenspiele 
von  denen  des  Beaumarchais  beruht  vor  allem  in  der  wicli- 
tigen  Rolle,  die  dem  Orchester  zugeteilt  ist.  In  Deutschland 
hatte  man  eher  als  in  Frankreich  erkannt,  wie  barbarisch  eine 
Tanzmusik  zwischen  den  Akten  des  Trauerspiels  wirken  muss- 
te,  und  auf  Übereinstimmung  von  Musik  und  Inhalt  des  Stückes 
sein  Augenmerk  gerichtet.  Johaini  Adolf  Schcilie  hatte  die 
Anregung  ausgesprochen  und  schon  173s  duicli  die  Ncuberin 
Gelegenheit  zur  Durclifühi'ung  seiner  (Jedankcn  erhalten.") 
Wenn  dazwischen  auch  noch  einmal  die  Mode  der  italienischen 
Intermezzi  aufkam,  wie  sie  Koch  zwischen  1758-  63  in 
Hamburg  pflegte,^)  so  gelangte  doch  die  geschmackvollere 
Richtung  zum  Siege,  in  deren  Dienst  sich  bekannte  Musiker 
wie  Hiller,  Neefe,  Andre  u.  a.  *)  stellten.  Schiller  hatte  das 
Glück  für  seine  beiden  ersten  Stücke  in  Danzi  und  Fränzel 
begabte  Komponisten  zu  linden. 

Diese  hatten  keine  undankbare  Aufgabe;  stimnmngsvolle 
Szenen,  wie  die  fünfte  Handlung  der  Räuber    (IV,  13)    oder 

')  Die  Musik  zur  Adelh.  v.Velth.  iiatte  JN'eefe,  die  zur  Lanassa 
Andre  komponiert,  (berliner  Theater-.lournal  f.  d.  .lalir  17S-2.  Beilin 
1783.     S.  25.) 

'0  Hanib.  Drani.  26.  Stück  Lachni.-Muncker  IX,  S.  21»0tf.;  Waniek, 
Gottsched  S.  304;  v.  Reden-Eslieck,  CJaroline  Keuber  S.  220.  Schütze, 
Hamb.  Theatergesch.  S.  233  f. 

♦  Die  AViederabschalFung  der  Zwischenaktmusik,  die  sieh  erst  im  Laufe 
des  19.  Jahrhunderts  vollzog,  soll  von  Berlin  ausgegangen  sein.  R.  Wagner, 
Oper  und  Drama.  Ges.  Sehr.  u.  Dicht.  IV,  1U4  f.  Laube.  Das  nordd. 
Theater,  S.  152  tf.     Hagemann,  Regie,  Berl.  Iüü2.     S.  95. 

=')  Blümmer,  Gesch.  d.  Theat.  z.  Leipzig.  S.  98.  Schütze,  S.  3Ü7  f.: 
„Zwischen  den  Akten  eines  Lessingschen  oder  Schlegelschen  Trauerspiels 
musstcn  ein  paai'  alberne  Menschen  auftreten,  welche  mit  platten  Spässen 
und  oft  sehr  mittelmässigen  italischen  Gesinge  mitten  im  Gange  des  Stückes, 
vom  Stücke  das  Interesse  der  Zuschauer  abzogen ,  und  zweck-  und 
täu.schungswidrig  belustigten." 

■•)  i'lümicke,  Entw.  e.  Theatergesch.  v.  Berlin.     S.  232. 


—      149     — 

der  dritte  Aufzug"  des  Fiesko  waren  leicht  musikalisch  einzu- 
leiten; wenn  wir  aussei-dem  erfahi-en,  dass  Danzi  ein  Schauer- 
stück, wie  den  .,Schitfbruch"  von  Brandes,  erst  durch  seine 
Musik  zur  rechten  Wirkuns-  brachte.^ )  so  können  wir  uns  denken, 
dass  er  sich  auch  den  Brand  des  Mooi-schen  Schlosses  nicht 
entirehen  liess;  ein  Zusatz  im  Mannheimer  Manuskript: 
„T^randpause"  scheint  darauf  hinzuweisen,  dass  hier  die  Musik 
einen  breiteren  Kaum  einnahm.  An  einzelnen  Stellen  war 
sogar  eine  direkte  Vci'binduuir  von  HandlunL'-  und  Musik  i:e- 
schatfen,  so  am  Schlüsse  der  zweiten  Handlung-  der  Räuber: 
..Man  blässt  zum  Angritf.  Lerm  und  r4etümmel.  Sie  gehen 
ab  mit  gezog^enen  Deg-en"  oder  im  Anfang-  des  Fiesko:  „Man 
hört  in  der  Ferne  eine  Tanzmusik."  Dass  zu  l^egrinn  von 
Kabale  und  Liebe  Miller  sein  Violonzell  bei  Seite  stellt  und 
dass  im  z\\eiten  Akt  die  Lady  am  Flüg-el  sitzt,  braucht  man 
nicht  als  Cbei'gangsmotiv  anzusehen,  dairctren  konnten  wohl 
die  Flöten  und  Oboen,  die  in  der  Thalia  den  Anfang-  des 
Don  Carlos  beg-leiten.  dazu  bestimmt  sein.  Motive  der  Ouver- 
türe weiterzuführen,  ebenso  wie  in  der  Jung-frau  von  Orleans 
(IV,  1). 

In  (Ion  späteren  Stücken  ti'eten  die  Zwischenaktsymphonien 
in  nähei'e  organische  Vei'bindung-  mit  dem  (ranzen.  Z.  IJ.  in 
Wallcusteins  Lager.  ..Nach  geendiL'-teni  Prolog",  so  berichtet 
(Toetlie.-')  .,gab  eine  heitere  militärische  Musik  das  Zeichen, 
was  zu  ciwartcn  sein  möchte,  und  noch  ehe  der  Vorhang  in 
die  Höhe  ging,  hörte  man  ein  wildes  Lied  singen,''  ?]benso 
bildete  ein  Lied,  zu  dessen  Begleitung  bereits  wieder  das 
Orchester  einfallen  konnte,  den  Abschluss:  .,Der  Vorhang 
fällt,  ehe  der  Clioi'  ganz  ausg-esungen." 

Die  Musik  kami  sogar  der  Handlung  so  eng  angegliedert 
werden,  dass  ein  Teil  des  Orchesters  auf  oder  hinter  der 
P>ühne  Aufstellung  tindet.  z.  1!.  im  di-itten  Aufzug  von  Wallen- 
steins  Tod:  Sobald  die  Kürrassiere  einzudi'ingen  begiiuien, 
„hört  man  unten  einige   muthige  Passagen    aus   dem  Pappen- 


'j  Brandes,  Meine  Lebensgeschichte  "Berlin  1799  II.  S.  275,  328. 
')  W    A.  I,  Bd.  40,  S.  11, 


-      150     — 

heimer  Marsch";  je  mehr  sich  der  Saal  füllt,  desto  auffordern- 
der ei'tönen  die  Hörner  und  zum  Schluss  wii-d  die  Musik 
rauschend  „und  geht  in  einen  völligen  Marsch  über,  indem  auch 
das  Orchester  einfällt,  und  durch  den  Zwischenakt  fortsetzt."') 
Noch  geschickter  ist  die  Zwischenaktmusik  der  Piccolo- 
mini  in  die  Handlung  hineingezogen.  Theklas  Monolog  am 
Schluss  des  dritten  Aufzuges  ist  bereits  von  den  fernen 
Klängen  der  Tafelmusik  begleitet,  die  sich  über  den  Zwischen- 
akt hin  fortsetzen,  bis  unter  ihnen  der  nächste  Aufzug  er- 
öffnet wird. 

Gewisse  opernhafte  Züge  der  letzten  Stücke  lassen  sich 
ebenfalls  durch  Rücksicht  auf  den  musikalischen  Rahmen  er- 
klären. Bei  den  grossen  Monologen  in  der  Maria  Stuart  (HI,  1) 
und  der  Jungfrau  von  Orleans  (IV,  1),  die  vom  Melodrama 
beeinflusst  sind,')  kann  die  Zwischenaktmusik  weiterklingen; 
während  aber  im  einen  Fall  die  musikalische  Begleitung  durch 
den  herannahenden  Jagdzug  ihre  Motivierung  findet,  ist  sie 
bei  dem  Monolog  der  Jungfrau  von  der  äusseren  Handlung 
losgelöst;  Schiller  hat  eine  weiche  Musik  von  Flöten  und 
Hoboen  gewollt;  wo  man  entgegen  seiner  Vorschrift  von  aussen 
her  den  Siegesjubel  des  Ki'önungstages  eindringen  Hess,  nmsste 
eine  unwirksame  Disharmonie  entstehen.') 

Im  Teil  sind  schliosslich  drei  Aktschlüsse  (H,  IV,  V) 
der  Musik  überlassen;  füi-  <len  Eingang  wurde  dem  Komponisten 
sogar  eine  bestimmte  Melodie  vorgeschlagen ;  aus  der  Ouvei- 
türe  sollte  das  Kuhreihenmotiv  in  den  ersten  Akt  hinübei'- 
fühi-en.  Diese  Melodie  hatte  bei-eits  Kotzebue  in  seiner 
.Johanna  von  Montfaucon  (IV,  7)  vei'wendet  und  dabei  die 
vVngabc  gemacht:  „Die  Melodie  ist  zu  finden  in  Krünitzcns 
Encyklopädie."'')     Der  P.oi-liner   Kapellmeister    B.  A.  Weber, 


')  Diese  Angabo  stand  nispriing-Iich  im  Maniiskrii)t.  Goed.  XII,  S.  3'24. 

-)  Küster,  I'reuss.  .lahrh.  0«.  S.  188. 

•')  Costenoble,  Aus  dem  Hurgtheater  Tagelnichldättor  II,  S,  .'J14. 

*)  Oekonomische  Encyclopaedie  LIV.  Theil,  S.  087  ff.  Krünitz  seib.st 
verweist  noch  auf  andere  Melodien.  Es  i.st  dasselbe  Werk,  das  Sohillor  für 
die  Glocke  benutzt  hat.     (Jonas  V,  217). 


—     151      — 

der  die  Kompositionen  zum  Toll  übernommen  hatte/)  suchte 
zunächst  auch  die  IMclodic  aus  Krüuitz  auf,  fand  sie  aber 
nicht  biauchbar  und  sah  sich  nach  anderen  in  Gersten- 
l)ortrs  und  Stoiber«-«  Schweizei'reise  und  in  Hillers  wöchent- 
lichen ITnterhaltun«-en  um;  ")  von  welcher  er  schliesslich  Ge- 
bi-auch  machte,  kommt  hier  niclit  in  Betracht.  Interessant 
ist  es  aber,  dass  bereits  Kotzebues  Verwendun«.''  der  bekannten 
Melodie  als  eine  Art  PlaL^at  Widerspruch  erfuhr.^) 

Auch  bei  Verwandlunfr  auf  offener  Bühne  übernimmt  das 
Orchester  öfters  die  Verbindunir  zweier  Auftiitte.  Ein  Bei- 
spiel findet  sich  hierfür-  in  Ifflands  Friedrich  von  Oesterreich 
II,  15 — HJ:  ,,?]s  wird  aus  der  Ferne  ein  Marsch  hörbar, 
der  sich  während  der  Verwandlun.ir  fortsetzt,  bis  unter 
seinen  Kläni^cn  Ki-zherzoi;-  und  (iefoliie  in  den  Thronsaal  ein- 
ziehen." Dieselbe  Verwendun«/,  ohne  dass  damit  der  Schein 
einer  P>eeiiiflussunir  ausiresprochen  werden  soll,  treffen  wir  in 
der  .lunijiVau  von  Oileans  an.  Am  Schluss  von  IV,  3  beg-innt 
in  der  Ferne  bereits  der  Ki'önunirsmarsch,  der  wähi-end  der 
Verwand! Ulli.'-  foi'tiresetzt  wird  und  im  näciisten  Auftritt  immer 
näher  kommt.  Im  dritten  Akt  muss  die  kricirerische  Musik 
über  den  Spruni:'  zwischen  dem  IIoHaiier  von  Chalons  und  der 
Schlacht  voi'  Kiieims  huiwe.iitäuschen  (III,  5—6);  erwähnt  ist 
auch  bci-eits  der  Marsch,  der  im  Demetrius  eine  Verwandlung- 
bciileiten  sollte. 

Die  Dauer  des  Zwischenaktes  wurde  ausser  durch  das 
Lichtputzen  (diese  Einrichtung-  war  jedenfalls  zu  Ende  des 
Jahrhunderts  vei-vollkonunnetl  dui-ch  die  Dekoi-ationsverändc- 
runi;-  und  durch  das  l'nikleiden  der  Schauspieler  bedingt. 
Innere  Ci runde  waren  kaum  massgebend;  nur  Chr.  Fei.  Weisse 
macht  im  ..Ki-ispus"'  die  Vorschrift:     „Zwischen    dem  dritten 


*)  Zunächst  hatte  sich  Schiller  an  Zelter  wegen  der  Komposition  des 
Kuhreihens  gewandt.     (16.  .lan.  1804  an  Zelter;  .lonas  VII.  113). 

■)  Urlichs.  S.  551  if.  Schillers  briefliche  Angaben  für  Weber  sind 
nicht  erhalten.  Sie  lagen  einem  Schreiben  an  Iffland  bei  (20.  Febr.  1804, 
Jonas  VII,  S.  127). 

')  .lourn.  d.  Luxus  u.  d.  Moden.     Sept.  18U(t.     S.  463  f. 


—     152     — 

und  vierten  Aufzug*  wird  eine  läno-ere  Pause  gemacht  als 
zwisclien  den  vorigen,"  vermutlich  weil  dort  (vor  der  Ankunft 
des  Kaisers  Konstantin)  der  Haupteinschnitt  des  Stückes  liegt. 
Im  allgemeinen  wünschten  Dichter  wie  Theaterdirektoren  die 
Länge  der  Zwischenakte  möglichst  beschränkt  zu  sehen;') 
Tffland  sagt  das  ausdi'ücklich  in  der  Voi"rede  zum  Verbrechen 
aus  Ehrsucht:  „So  oft  man,  um  dem  Ameublement,  so  wie 
ich  es  angab,  treu  zu  bleiben,  nöthig  hätte,  dasselbe  bey  Ver- 
wandlung des  Theaters  abtragen  zu  lassen;  so  bitte  ich,  zu 
Vermeidung  dieses  grosen  Uebelstandes,  es  nach  Gefallen  zu 
verändern,  die  Zwischenakte  müssen  sehr  kurz,  und  von 
Dekorateur  und  Schauspieler  nicht  in  die  Länge  gezogen 
werden."  Dieselbe  Sorge  trug  Schiller  in  einem  Brief  an 
Iffland'"')  für  die  Aufführung  der  Ma/ia  Stuart:  .,Noch  bitte 
ich  zu  verhindern,  dass  das  Stück  durch  grosse  Zwischenakte 
nicht  verlängert  werde  ....  wenn  sich  Elisabeth  zwischen  dem 
zweiten  und  dritten  Akt  ganz  umkleiden  wollte,  so  würde 
das  Stück  um  zwanzig  Minuten  unnöthig  verlängert.  Mein 
Wunsch  ist,  dass  sie  bloss  Mantel  und  Kopfputz  ändere." 


3.    Aktanfang  und  Aktschluss. 

„Jeder  Akt  in  einem  dramatischen  Gedichte  muss  daher 
mit  irgend  einem  Zufalle  schliessen,  der  eine  Pause  in  der 
Handlung  macht;    denn  diess  ist  der    einzige  Grund,   der  die 


')  Fr.  Ludw.  Schmidt,  Draiiiaturg.  Aphorismen  I,  224  f.,  III,  18(5. 
♦*)  An  Ift'lan.l  22.  .luni  1800.  .Jonas  VI,  1(53.  Ilflands  Antwort 
(8.  Nov.  1800)  bei  Urlichs  S.  399  f. 

Trotzdem  scheint  man  das  Stück  allgemein  zu  lang  gefunden  zu 
haben.  Henriette  von  Knebel  fand  mit  der  Klage  darüber  die  Zustimmung 
Wielands  und  sogar  der  Schauspielerin  Fried.  Unzelmann:  „Man  sieht,  dass 
Schiller  für  das  Tragische  geboren  ist,  da  er  die  Menschen  so  quälen  kann 
und  es  ist  unbegreiflich,  dass  er  sich  gar  nichts  Arges  dabei  denkt,  und 
meint,  man  könnte  recht  gut  bis  um  11  Uhr  des  Nachts  so  da  sitzen." 

(Henr.  v.  Knebel  an  ihren  Bruder  am  25.  Sept.  u.  3.  Okt.  1801; 
Briefw.,  hrsg.  v.  Düntzer  1858,  S.  UO  f.  105,  10(3.) 


—     153     — 

Unterbrechunir  der  Vorstelluno-  rechtfertiircn  kann.  Es  würde 
absrcschmackt  .seyn.  die  TIandlunfr  in  dci-  ijrös.ston  Hitze  stille 
stellen  zu  lassen,  jeder  würde  sich  dawider  empören."^)  Home, 
dem  es  im  Gegensatz  zu  den  Franzosen  bei  allen  Reireln 
darauf  ankommt,  ob  und  wie  M'eit  sie  mit  der  menschlichen 
Natur  übereinstimmen,")  spricht  diesen  Hatz  in  der  That  aus 
der  Natur  seiner  Zeit  heraus.  Das  behairliche  achtzehnte  Jahr- 
hundert fand  keinen  Keiz  darin,  wenn  iliiu  durch  ilas  Fallen 
des  VorhauLa's  die  Fortsetzung:  eines  (iesprächs  entzo<:en 
wurde;  die  Entfernun»:  sämtlicher  Personen  von  der  I Sühne 
leistete  dag-eg^en  die  beruhifrende  Oewähi'.  dass  dort  nichts 
mehr  zu  sehen  sei.  Die  Romantechnik  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts entspricht  demselben  Cieschmack;  die  Kapitelschlüsse 
erschöpfen  meist  ihren  ErzählunjL'"sstoft".  wähi-end  bei  den  Kapitel- 
anfäniren  bereits  effektvolle  Klinsätze  beliebt  sind.^l 

Auch  im  Di'ama  findet  sich  der  Aktanfani:".  der  mitten 
in  eine  Situation  einführt,  viel  früher  und  häufiirer,  als  der 
abrupte  Schluss.  Der  Einfiuss  des  Vorhan^'-es  auf  die  Technik 
darf,  wie  oben  irezeii^-t  ist,  nicht  übertrieben  werden;  immer- 
hin ist  zu  bedenken,  dass  bei  Dekorationsveränderuufr  der 
Wechsel  zwischen  kurzer  und  lanirer  l>ühne  für  die  Hälfte 
aller  Aktanfänifc  bereits  eine  Situation  i,''estattete,  während 
für  den  Aktschluss  die  leere  P>ühne  noch  Rei^el  blieb.  Das 
machten  sich  schon  vor  Aufkommen  des  Vorhauires  die  Dichter 
zu  nutze;  in  Minna  von  liarnhelni  z.  H.  sind  es  ausser  dem 
ersten  der  zweite  und  der  vierte  Akt,  die  mit  einer  Situation 
eröffnet  werden,  während  HI  und  V  auf  der  kurzen  Bühne 
.spielen  und  daher  mit  dem  Eintreten  der  Personen  betiini.en 
müssen.  Wo  es  übeiliau|it  ani;inti-,  wurde  in  medias  res  ge- 
führt; bei  voUkoniinener  l^^iuheit  dei'  Dekoration  war  natürlich 
nur  zu  AnfauiT  des  Stückes  eine  Situation  mciglich. 

Hei  Schiller  sind  die  Aktanfäng-e  nach  der  alten  Technik 
nur   mehr    verhältnismässiü:    selten:    zweimal,    Kab.    IV    und 


')  Grundsätze  d.   Kritik  (Mcinhanis  Übers.,  3.  Aufl.)  III.  S.  2'A. 

*)  Ebda.  I,  S.  lö. 

•'')  Riemann,  Goethes  lioiuantecbuik,  S.  26, 


—     154     — 

M,  St.  II,  beg-eo-nen  sich  zwei  Personen  auf  der  Bühne; 
häufig-cr  treten  sie  im  Gespräch  auf:  Raub.  IV;  Fiesco  I,  III; 
Kab.  III;  Carlos  I;  Picc.  I,  V;  M.  St.  III;  .lungfr.  II;  in 
weitaus  den  meisten  Fällen')  aber  befinden  sich  die  Personen 
bereits  in  einer  bestimmten  SteHung  auf  der  Bühne  und  die 
ersten  Worte  teilen  das  Resultat  eines  voiliergegangenen  Ge- 
spräches mit,  z,  B. 

Don  Carlos  IV:  Der  Schlüssel  fand  sich  also  nicht? 

Mit  einem  ähnlichen  .,also"  lässt  Goethe  gern  seine  Per- 
sonen auftreten,  z.  B.  im  zweiten  Aufzug  des  Götz  (Bühnenb. ) : 
„Ihr  liebt  mich,  sagt  ihr.'' 

Auch  wo  ein  Monolog  den  Akt  erötfnet,  zieht  Schiller 
es  vor,  die  Person  bereits  in  cinei-  naclidenkenden  Stellung 
auf  der  Bühne  zu  zeigen:  Raub.  IL  III  (Bühnenb.);  Fiesko 
(Bühnenb.)  III,  V:  Kab.  V;  Carlos  III.  V;  seltener  tritt  sie 
erst  auf:  Raub.  V,  Carlos  (Thalia)  I,  \V.  T.  IV,  Jungfr.  IV. 
Vergleichen  Avii-  die  geplanten  Anfänge  des  ersten  und  zweiten 
Aktes  des  Don  Cailos  in  der  Thaliafassung  mit  der  späteren 
Ausführung,  so  sehen  wir  wie  beide  Male  der  Eingang  abge- 
schnitten wird,  um  in  den  Dialog  mitten  hineinzuführen.  Im 
Teil  fangen  schliesslich  alle  fünf  Aufzüge  mit  Situationen  an, 
Avobei  Schillers  grosse  Vorliebe  für  Gruppenstellungen  hervor- 
tritt. Die  Landschaft  am'  Vierwaldstätter  See  mit  ihren 
Staffageflguren,  Attinghausen  im  Kreis  seiner  Knechte,  Teil 
inmitten  seiner  Familie,  endlich  die  befi-eiten  Schweizer  im 
letzten  Aufzug  wirken  zunächst  als  lebende  liilder.  Schon 
in  den  Piccolomini  wurde  der  viei-te  Aufzug  mit  dem  Bild 
<ler  tafelnden  Gesellschaft  eröffnet;  in  Wallensteins  Tod  ist 
die  Neubrunn  am  Anfang  des  dritten  Aktes  übeiliaupt  nur 
der  Gruppe  zu  Liebe  auf  der  Bühne. 


')  So  Raub.  I,  Fiesko  II,  Kab.  I,  Carlos  IV,  W.  T.  I.  III, 
M.  St.  I,  .lungfr.  l'rolo-  und  V,  Uraut  I,  Teil  I,  II,  III,  IV,  V. 
Verschiedene  Aktanfäng-e  lassen  es  frei,  ob  die  i'ersonen  auftreten  oder 
schon  auf  der  Bühne  stehen:  I'icc.  III.  \V.  '1\  IT,  V;  M.  St.  IV; 
.Jungfr.  I,  III. 


—     155     — 

Für  eine  Schlussgruppe  im  letzten  Akt  hatte  sich  schon 
die  alte  Technik  das  Fallen  des  Vorhantres  zu  nutze  ireniacht; 
es  war  irei'ade  Lessinffs  besondere  Ei,L''cnheit,  wenn  er  in  den 
.Juirendstücken  und  ebenso  noch  in  Miss  Sarah  Sampson  und 
Minna  von  P>arnhelm  die  IJühne  auch  am  Schluss  des  Ganzen 
leerte;  im  Nathan  daL-eiien  nähei'te  ei-  sich  mit  der  Schluss- 
bemerkunir  mehr  als  in  seinen  büi'L''crlichen  Stücken  dem 
bürgerhchen  Drama: 

Unter  stummer  Wiederholung  allseitiger  Umarmungen 
fällt  der  Vorhang. 

Das  bürg-erliche  Drama  konnte  als  Fortsetzung-  der  comcdie 
larmoyante  seine  versöhnenden  Schlüsse  kaum  mehr  anders 
gestalten  und  schwelgte  in  allgemeiner  Rührung;  in  Wlands 
Bewusstseyn  sind  zehn  Zeilen  für  die  Beschreibung  des 
Tableaus  aufgewendet.  Schiller  endet  nur  den  Fiesko  und 
die  Jungfrau  mit  einer  Tlruppe;  für  die  Maltheser  war  das- 
selbe geplant;  ..rmarmt  mich,  umaimt  euren  Vater!  (das 
Stück  schliesst  mit  dieser  Gruppe I." 

Öfters  bildet  auch  ein  riruppenl)iid  <len  Abschluss  der 
mittleren  Akte  z.   P,.  M.  St.   11,  J-fr.   11.  III. 

Die  Wirkung  der  Schlussgriippe  hängt  nun  ganz  vom 
rechtzeitigen  Fallen  des  Vorhanges  ab:  bei  Iffland  finden  sich 
mehrmals  Vorschriften  darüber  z.   P). 

FJewusstseyn  V:  _Wie  die  Thüre  hinter  Ruhbergen  zufällt  — 
lässt  der  Vorhang  sich  sanft  herab." 

Verbrechen  aus  Ehrsucht  IV  (spätere  Fassuni.'^i:  ..(Hier  muss 
der  Vorhang  schon  im  Fallen  seyn)," 

Im  zweiten  Akt  der  Jungfr.  wollte  Schiller  durch  spätes 
Fallen  des  Vorhanges  die  Wirkung  der  Gruppe  verstärken; 
im  Manuski'ipt  findet  sich  die  Vorschrift:  „Erst  jetzt  fällt  der 
Vorhang."  Ebenso  stand  am  Schluss  des  Stückes  ursprünglich: 
.ändern  der  Vorhang  längsam  herabsinkt." 

Beim  zweiten  Aufzug  der  Maria  Stuart  hätte  Schiller 
jedenfalls  umgekehrt  ein  schnelles  Fallen  angeordnet,  denn 
während  die  rührenden  Schlus.sgruppen  in  der  Jungfrau  ein 
sanftes  Ausklingen  bedeuten,  treibt  der  Fussfall  Leicesters 
als  Schlusseffekt  die  Handlung  auf  den  Höhepunkt. 


—     156     — 

Schiller  verstaiifl  sich  wohl  auf  den  Unterschied  zAvischen 
abgelassenem  und  verklingendem  Schluss  und  wusste  zwischen 
beiden  je  nach  den  Bedingungen  zu  wählen.  An  Schröder  M 
schrieb  er  einmal  bei  Gelegenheit  des  Don  Carlos:  .,Ich 
schliesse  mit  einer  Bemerkung,  die  ich  in  den  Gesetzen  unserer 
Seele  gegründet  und  durch  die  Erfahrung  bestätigt  finde. 
Stücke,  worin  grosse  heftige  Aifekte  spielen,  endigen  sicli 
schöner  —  ruhig  und  stille  als  rasch  und  reissend."  Er  ver- 
teidigte damit  seine  Rückkehr  zum  ursprünglichen  Schluss  des 
Stückes,  der  in  der  Prosabcarbeitung  durch  den  Selbstmord 
des  Helden  verdrängt  worden  war;^)  das  Prinzip,  das  er  hier 
aussprach,  befolgte  er  auch  bei  allen  Aktschlüssen.  Ge- 
rade die  bewegtesten  Stücke  der  Handlung,  z.  I>.  fast  alle 
mittleren  Akte,  schliessen  nicht  auf  dem  Höhepunkt  mit  starren 
Gruppen,  sondern  werden  abgemildert.  So  erkläi-t  sich  nicht 
nur  der  versöhnende  Händedruck  am  Schluss  von  Kabale  und 
Liebe,  sondern  auch  die  Umarmung  zwischen  Vater  und  Sohn 
in  Wallensteins  Tod  II  (allerdings  war  dies  ursprünglich 
gleichfalls  der  Schluss  eines  ganzen  Stückes),  Weitere  Bei- 
spiele sind  Maria  Stuart  III  und  der  vierte  Akt  der  Jung- 
frau von  Orleans,  der  nicht  mit  den  Donnerschlägen  schliessen 
darf.  Düntzer  ^)  verstand  daher  Schillers  Absicht  wenig, 
wenn  er  annahm,  die  letzten  Auftiitte  bildeten  einen  späteren, 
wohl  entbehrlichen  Zusatz. 

Schon  im  Fiesko  leitet  das  ..Ich  gehe  zum  Andreas" 
eine  Auflösung  der  Gruppe  ein.  „Gruppe  in  Bewegung" 
setzte  Goethe  in  der  Hühnenbeai'beitung  von  1HÜ4  unter  den 
dritten  Aufzug  des  Götz;  mit  diesem  Schlagwort  lässt  sich 
die  Mehrzahl  der  Scliillerschen  Aktschlüsse  bezeichnen;  z.  15. 
Raub.  II,  III;  Fiesko  IV;  Kab.  II,  IV,  V;  Picc.  H,  IV 
(.,Unter  allgemeinem  Aufbi'uch  fällt  der  Vorhang");  W.  T. 
III,  IV,  .Jungfr.  I;  Toll   \,  III. 


')  4.  .Juli  1787  .Jonas  I,  349  f. 

'-)  Körner  schrieb  trotzdem  am  19.  Febr.  1789:    „Carlos  Tod,  glaub' 
ich  übrigens,  ist  immer  theatralischer,  als  seine  ÜiterL'-obung  an  die  hujuisition." 
'■')  Erläut.  z.  Jungfr.  v.  Orleans  S.  284 


—     157     — 

Da  dem  s('liaiilnstii.'f'n  Piililikuiii  daltoi  nichts  ento-in,!;',  so 
wurde  auch  dem  (ieschinack  (h-s  achtzehnten  .Jahrhunderts 
i,''enüf»"t.  dei*  alle  Vorgänge  auf  dei-  i^)ühne  bis  zur  Ncig-e 
auszukosten  verlangte.  An  die  abrupten  Sciilüsse  musste 
das  Publikum  erst  gewöhnt  werden. 

Bei  Wallensteins  Tod  war  Schiller  mit  sich  im  Zweifel, 
wie  weit  er  diesen  Ansprüchen  entgegenkonunen  solle;  er 
schrieb  an  Goethe  '):  ..b'h  will  es  auf  Ihre  Entscheidung  an- 
kommen lassen,  ob  der  vierte  Akt  mit  dem  Monolog-  der  Thekla 
schliessen  soll,  welches  rtjir  das  liebste  wäre,  oder  ob  die 
völlige  Autiösung  dieser  Episode  noch  die  zwey  kleinen  Szenen, 
welche  nachfolgen,  nothwendig  macht."  CJoethe  antwortete^): 
„Mit  dem  Monolog  der  Pi'inzessin  würde  ich  auf  alle  Fälle 
den  Akt  schliessen.  Wie  sie  foi-tkommt.  bleibt  immer  der 
Phantasie  überlassen."  Es  ist  aber  bezeichnend,  dass  die 
ersten  l)earbeitcr.  i^'leischer  und  Vogel,  obwohl  die  Zusammen- 
ziehung zu  einem  Tag  sie  auf  jede  mögliche  Kürzung  anwies, 
diese  beiden  Auftritte  beibehielten,  ^)  Als  Körner  dagegen 
sie  in  der  Buchausgabe  las,  schrieb  er:  „Dass  der  vierte  Akt 
des  zweiten  Theiles  nicht  mit  dem  Monolog  der  Thekla  schliesst, 
wollte  mir  anfänglich  nicht  gefallen."  *) 

Itt'land  ■')  liebt  als  Aktschlüsse  Monologe,  die  sich  mehr 
oder  minder  dir(d<t  an  das  Publikum  wenden:  eine  Person 
bleibt  zurück  und  schliesst  mit  einei'  alltäglichen  Sentenz  oder 
fasst  den  Inhalt  der  beendeten  Szenen  in  prägnanten  Worten 
zusanuneii;  dann  geht  sie  ohne  weitere  Motivierung  ab. 
Schillers  wenige  Schlussmonologe  linden  meist  damit  ilu'en 
wohlbegründeten  Abschluss,  dass  ein  Entschluss  die  Person 
von  dei-  Bühne  treibt,  z.  15.  Käub.  V;  Kab.  I;  Prolog  der 
.iungfr. ;  nur  Fiesko  bleibt  im  zweiten  Aufzug  auf  der  P)ühne 
stehen. 


')  An  Goethe  17.  März  99.     .lonas  \'I,  S.  19. 
')  Goethe  an  Schiller  [18.  März  99]  W.  A.  IV,  Bd.  14,  S.  40. 
■')  Kilian,  Der  einteilig-e  Theaterwallenstein  S.  '21. 
')  Körner  an  Schiller  29.  .Tnni  180U. 

")  Stiehler,  Das  Tfflandische  liiihrstück   (Theatergesch.  Forsch.  XVI) 
S.  103. 


—      158     — 

Bleibt  eine  einzelne  Person  zurück,  so  müssen  unbeding^t 
ihi-e  letzten  AVorte  besonders  accentuiert  werden,  wozu  es 
zwei  Wege  giebt :  die  epigrammatische  Pointe  oder  die  rhetoi'ische 
Steigerung',  die  im  Reim  ihr  Mittel  findet. 

Pointierte  Abgänge  hatte  bereits  Lessing.  z.  B.  Emilia  I, 
Nathan  II;  für  den  gereimten  Aktschluss  dag^egen  scheint  er 
wenig  Sinn  gehabt  zu  haben,  da  er  annahm,  die  Engländer 
hätten  ihn  nur  als  Stichwort  für   das  Orchester  gebi-aucht. ') 

Der  zugespitzte  Aktschluss  wird  vom  Sturm  und  Drang 
weiter  ausgebildet.  H.  L.  AVagner^)  versteht  es  bereits,  mit 
einem  Ausruf  oder  gedrängten  Satz  einen  blitzenden  Licht- 
effekt auf  den  Schluss  des  Aktes  zu  werfen.  Bei  Klinger 
findet  Rieger^)  in  der  Neuen  Arria  II  einen  äusserst  wirkungs- 
vollen Schluss: 

„Paulo  (nach  lang-em    schmerzlichen  Schweigen):   Amante!  ich 

hab  mich  um  meine  Augen  gemahlt!" 

Aber  da  der  ganze  Auftritt  nur  aus  diesen  ^^'orten  be- 
steht, kann  man  von  einem  eigentlichen  bühnenmässigen  Akt- 
schluss nicht  reden.  Solche  Schlusseffekte  erreicht  Klinger 
in  den  späteren  Stücken ;  das  Äusserste  an  Lakonismus  hat  er 
Konradin  IV  geleistet: 

Robert  Bari: Wie  soll  er  büssen?     Strang   oder  Schwerdt? 

(StiUe.) 
König  Karl:  Schwerdt! 

Im  Gegensatz  hierzu  enthalten  Schillers  kurze  Aktschlüsse 
keine  Erfüllung,  sondern  eine  neue  üben-aschende  Wendung. 
Im  Egmont  erkamite  er  die  Wirkung  des  schönen  „Weisst 
Du,  wo  meine  Heimath  ist?''  und  wusste  diese  Worte  Klärchens 
an  die  rechte  vStelle,  an  den  Schluss  des  vierten  Aktes,  zu 
setzen;  es  wird  damit  schon  zum  letzten  Akt  übergeleitet. 
Die  kurzen  Sätze,  die  noch  nach  gefallenem  ^'orllang  nach- 
klingen, wei'fen  immer  ein  neues  Motiv  hinein  z.  B.  „Lasst 
sie  ledig'"  (Kab.  11);  ..Der  Ritter  wii'd  künftig  uugemeldet 
vorgelassen"  (Cai-h)s  III).     Das  schlagendste  Epigramm  ist  der 


')  Hanil).  Dram.     15.  Stück.  Lachm.-Muncker  IX,  S.  247, 
■•')  E.  Schmidt,  H.  L.  Wagner,  2.  Aufl.     S.  65. 
")  Kieger,  Fr.  M.  Klinger  I,  S.  12U. 


—     159     — 

dritte  Aktschlus.s  des  Fiesko:  ,.0  e.s  ist  zum  totlaehen  Gi-äfin"'); 
mit  ähnlicher  Ironie  in  Hiiisiciit  auf  (his  Kommciide  sehliesst 
aucli  der  zweite  Akt  dei-  Emilia  fialotti:  „Cianz  ruhiy,  iiiiädig-e 
Fi'au'",  nur  dass  dort  die  Ironie  dem  »Spi'echonden  selbst  nicht 
Ijewusst  ist. 

Auch  die  Schlüsse  der  letzten  Akte  l)rin<ien  iunner  nocli 
etwas  Neues,  einen  überiaschenden  Spi'uuy;  sie  peitschen  die 
zu  Ende  g-ejag-te  Handluno-  noch  eiiunal  auf:  ,.Dem  Manne 
kann  iieholfen  werden'",  .. Icli  i:eh  zum  Andreas",  „Dem 
Fürsten  Piccolomini",  „Der  Lord  lässt  sich  entschuldigen,  er 
ist  zu  Schiif  nach  Frankreich".  Durch  den  Schluss  des 
Wallenstein  wurde  souai'  Goethe-)  verblütl't :  ..Dei- Schluss  des 
Ganzen  durch  die  Adresse  des  Ui'iefs  ei'schreckt  eigentlich, 
besonders  in  der  weichen  Stinunung.  in  dci-  man  sich  befindet. 
Der  Fall  ist  wdlil  auch  einzig;-,  dass  man.  nachdem  all{^s.  was 
Furcht  und  Mitleiden  zu  ei-i'e.ücn  fähig  ist.  erschöpft  war.  mit 
Schrecken  schliessen  konnte." 

Dass  übrig^ens  die  ManicM-.  am  Schluss  noch  eine  neue 
Perspektive  zu  erötfnen,  auch  ihre  Gefahi'en  hatte.    zeii;t  dei" 


*)  Wie  wenig  noch  der  allgemeine  Geschmack  Sinn  für  die  epi- 
graiuniatischc  Kürze  hatte,  zeigt  die  \^erwä.sserung,  die  IMüniielce  diesem 
Schluss  angedeihen  Hess.  Auf  .Julias  Frage:  ..Es  wird  doch  kein  Trauer- 
spiel seynV"  antwortet  Fiesko:  „Nichts  woniger.  Ich  sah  heut  eine  f'robe 
(lavun.  Alles  läuft  darin  lustig  untereinander.  Soldaten,  Bürger  und 
Nobili;  —  Narren,  Weiber  und  N^erliebte.  Sie  werden  selbst  sagen,  Signora, 
dass  es  zum  Todtlachen  ist.  (er  führt  sie  zur  Thüre,  küsst  ihr  die  Hand, 
und  geht  von  der  andern  Seite  ab.     der  Vorhang  fällt.) 

Auch  ilen  Schluss  des  zweiten  Aktes  hat  l'lümicke  abgeschwächt, 
indem  er  den  Monolog  bereits  mit  den  Worten:  „mit  Gold  —  mit  Weibtrn 
unti  Kronen"  schliessen  und  Fiesko  abgehen  lässt.  Der  l'lümicke  freund- 
lich gesinnte  Rezensent  in  der  Berliner  Litteratur  und  Theaterzeitung 
(1784  II,  S.  31  f.)  fand  trotzdem,  dass  dieser  Monolog  in  der  Bearbeitung 
gewonnen  habe. 

Dalberg  sogar  hat  dem  knappen  Schluss  der  Iväul)er  die  Spitze  ab- 
gebrochen, um  das  l'ublikum  ja  nicht  im  Dunkeln  zu  lassen:  „Den  Mann 
kan  geholfen  werden  —  Er  führe  mich  vor  die  Richter  —  ein  Glücklicher 
mehr.  (Sonne-Untergang.)  Ich  sterbe  gross  durch  eine  solche  That!  und 
vielleicht  Verzeihung  vom  Ilinnnel  durch  diese  That."  . 

•-')  Goethe  an  Schiller  [18.  März  17Ü9]  W.  A.  IV,  Bd.  14,  S.  46. 


—     160     — 

g-ewiss  nur  flüchtisre  Gedanke  für  den  Schluss  des  Demetriiis: 
der  Monolog"  eines  zweiten  falschen  Demetrius,  der  „in  eine 
neue  Reihe  von  Stürmen  hineinblicken  läs.st  und  gleichsam 
das  Alte  von  neuem  beginnt."') 

Die  Versform  musste  die  Schlagkraft  beeinträchtigen;  es 
ist  daher  erklärlich  wenn  in  den  späteren  Stücken  die  Pointe 
hinter  dem  rhetorischen  gereimten  Aktschi uss  zurücktritt.  Im 
Don  Carlos  hatte  Schiller  von  diesem  noch  keinen  Gebrauch 
gemaclit;  in  den  Piccolomini  dagegen  tritt  er  zweimal  auf,  in 
Wallensteins  Tod,  wenn  wir  Theklas  Monolog  als  eigentlichen 
Aktschluss  rechnen,  dreimal  und  eben  so  oft  in  Maria  Stuart 
und  der  Jungfrau.  Auch  der  erste  Akt  der  Phädra  schliesst 
gereimt,  obwohl  Körners  Rat:^)  „An  einigen  Stellen,  glaube 
ich,  würden  auch  gereimte  Jamben  eine  gute  Wirkung  machen'" 
sonst  wenig  befolgt  wurde. 

Im  Teil  tritt  das  Opernliafte  mit  Gruppen  und  Musik  in 
den  Vordergrund;  im  zweiten  Akt  sind  zwar  aucli  die  letzten 
Verse  gereimt,  aber  der  eigentliche  Aktschluss  ist  bei  leerer 
Bühne  der  Beleuchtung  und  der  Musik  überlassen. 

Auch  in  den  Prosadramen  kamen  übrigens  bereits  dekla- 
matorische Aktschlüsse  vor,  z.  B.  Raub.  I,  Fiesko  II,  Kab.  IV; 
der  Vorteil  solcher  Schlusstiraden  ist  die  Ersparnis  der  Moti- 
vierung. Ein  sogenannter  Abgang  trägt  in  sich  selbst  die 
Begründung  für  das  Abgehen;  wenn  eine  Person  auf  dem 
Gipfel  des  Affektes  angelangt,  alles  was  sie  zu  sagen  hat, 
mit  einigen  abgerundeten  pathetischen  Sätzen  abschliesst,  ist 
sie  fertig  und  niemand  wundeii  sich,  wenn  sie  niclit  länger 
auf  der  Bühne  bleibt,  während  bei  einem  etfcktlosen  Abgange 
die  Frage  Warum?  und  Wohin?  sogleich  rege  wud.^) 

Die  unglücklichste  Form  für  den  Abgang  ist  der  ^Mexan- 
diiuer,  der  nur  eine  geringe  Prägung  der  Schlussworte,  aber 
weder  die  Pointe,  noch  jene  besondere  Hervorhebung",  die  der 
plötzUcli    eintretende  Schlussreim  bewii'kt,    gestattet.     In  der 


0  Urani.  Nachl.  I,  S.  167. 

')  Körner  an  Schiller  25.  Jan.  1805. 

")  So  Seujele  1.  siehe  Weltrich  S.  542, 


—     161     — 

französischen  Tr.ifrödie  bedeuten  daher  fast  alle  Aktschlüsse 
eine  Abschwächung-;  beinalie  typisch  ist  die  Vorbereitung 
durch  ein  allons  oder  allez,  z.  f>.  in  Racines  Alexandre  in 
den  vier  inneren  Aktschlüssen.  Das  Lustspiel  und  das  Prosa- 
drama steigerten  diese  Ängstlichkeit  in  der  Motivierung  oft 
bis  ins  Lächerliche;  wie  hat  sich  Lessing  über  die  Gottschedin 
lustig  gemacht. 1)  aber  wie  oft  findet  sich  auch  bei  ihm  noch 
das  stereotype  „Kommen  Sie!" 

Unter  Schillers  Stücken  steht  Don  Carlos  der  französischen 
Technik  am  nächsten:  mit  ihi-em  Losungswort  schliesst  auch 
zunächst  der  zweite  Akt:  „Kommen  Sie!'"');  im  Druck  von 
1787  ist  es  nur  ein  Szenenschluss.  da  sich  noch  der  Auftritt 
im  Karthäusei'kloster  anschliesst;  trotzdem  sind  die  jetzigen 
Schlussworte  deklamatorisch  dankbarer: 

—  so  will  ich 
Den  Blitz  erwarten,    der   uns  stürzen  soll! 
(Sie  gehen  ab). 

J^ei  Szenenschlüssen  muss  wegen  der  folgenden  Verwand- 
lung die  IMihiie  meist  Lieiäumt  werden;  dass  bei  diesem  Zwang 
die  Motivierung  oft  unglücklich  ist,  erklärt  sich  leicht;  anderer- 
seits dürfen  die  Schlussworte,  weil  es  sich  um  keinen  eigent- 
lichen Abschluss  handelt,  deklamatorisch  nicht  gar  zu  stark 
hervorgehoben  werden. 

Schillei'  zog  sich  nun  mehrmals  ebenso  wirkungslose  Akt- 
schlüsse zu,  indem  ei'  ursprüngliche  Szenenschlüsse  an  das 
Ende  eines  Aufzuges  schob;  auf  diese  Weise  schliesst  in  der 
Lühnenbcarbeitung  der  Käuber  der  erste  Akt:  „Nun  dann, 
so  lasst  uns  gehen!  u.  s.  w.",  denn  dass  die  Libertiner  ohne 
weiteres  nach  J>öhmeii  aufbrechen,  bleibt  für  den  nachrechen- 
den N'erstaiul  unwahrscheinlich;  der  erste  Aufzug  des  Fiesko 
in  der  Bühnenbearbeitung,  der  zweite  Aufzug  des  Don  Carlos, 
der  erste  Aufzug  der  Piccolomini  („Kommen  Sie!")  erhalten 
auf  dieselbe  Weise  ihre  schwachen  Schlüsse. 

h  Ilanili.  Drani.  13.   Stück.    Lachni.-Muncker  IX.  S.  235. 

^  In  Mannheim  hat  man  diesen  schwachen  Aktschluss  aus  der  Thalia 
wieder  herübergenommeii.  In  1)  sind  die  Verse  in  II,  12  eingelegt  (v. 
2525-2530). 

Palii.slia  XXXIL  H 


—     162     — 

Ein  einziges  Mal  war  aus;  einem  noch  äusseiiicheren 
Grunde  die  Abschwächung  dem  Plane  von  vornherein  aufge- 
zwungen, das  ist  im  dritten  Akt  von  Kabale  und  Liebe. 
Dass  Luise  mit  Wui-m  die  Bühne  verlässt,  um  das  Sakrament 
zu  nehmen  (noch  dazu,  wie  Düntzer^)  bemerkt,  zu  einer  un- 
geeigneten Tageszeit),  erinnei't  gewiss  an  die  veraltete  Technik. 
Wenn  indessen  hier  vor  dem  eigentlichen  Höhepunkte  des 
Aktes  die  Handlung  abgebrochen  wird,  ist  die  Ursache  leicht 
ersichtlich:  die  Zensur,  die  schon  den  Namen  Gott  aus  jeder 
Rolle  sti'ich,  hätte  den  heiligen  p]id  auf  keinen  Fall  zugelassen. 
Auch  Luisens  Schwur  im  letzten  Akt:  „Bei  Gott!  Bei  dem 
fürchterlich  wahren!"  musste  in  der  Aufführung  jedenfalls  ab- 
geschwächt werden. 


4.    Szenenwechsel. 

Der  Zwischenvorhang,  der  die  Verwandlungen  innerhalb 
des  Aktes  verdeckt,  ist  erst  eine  Einrichtung  des  neunzehnten 
Jahrhunderts.  Und  z-war  w^urde  er  um  dessen  Mitte  von  Nord- 
deutschland her  eingeführt."'')  Während  Hebbel  in  Wien  noch 
1863  über  die  offenen  Verwandlungen  klagt,  treten  wenige 
Jahre  danach  bereits  Freytag,  Laube  und  Dingelstedt  als  die 
heftigsten  Gegner  der  Neuerung  auf.')  Dass  der  Zusammen- 
hang des  Aktes  zerstückelt  werde,  hielten  sie  für  einen 
grösseren  Schaden  als  die  kleine  Illusionsstörung. 

Im  achtzehnten  Jahrhundert  hatte  man  dagegen  alle  Mängel 
der  offenen  Verwandlung  empfunden  und  durch  Erhöhung  der 

')  Erläut.  z.  Kab.  u.  Liebe,  S.  62.  Dieselbe  Abgangsniotivierung- 
findet   sich  ül)rigens   in  Shakespeares  Richard  IL,  Akt  IV,  L 

')  Diesmal  war  Frankreich  vorausgegang-en.  A.  Lewald  berichtet 
davon  bereits  1887  in  seiner  Allgemeinen  Theater-Revue  III,  S.  '29L 

•')  Hebbel  an  A.  Stern,  29.  .Jan.  18G3;  Briefw.  II.    S.  517. 

Freytag,  Technik  des  Dramas,   S.  187. 

Laube,  Das  norddeutsche  Theater  (1871)  S.  151. 

Dingelstedt,   Eine  Fausttrilogie,  Reriin  187(),  S.  113. 

Die  offene  Verwandlung  findet  sich  noch  weit  in  das  neunzehnte 
Jahrhundert  hinein  vorgeschrieben,  z.  IJ.  in  Gutzkows  Dramen. 


—     163     — 

Aktzahl  (siehe  Kap.  I,  Abschii.  2)  eine  Auskunft  zu  finden 
gesucht.')  Gemming-en')  schreibt  in  der  Vorbemerkung-  zur 
dritten  Ausgabe  seines  deutschen  Hausvaters:  „Es  hat  mir 
mannigmal  sehr  wehe  gethan.  wenn  oft  im  rühi-endsten  Augen- 
blick eine  laute  Pfeife  eine  Theater- Veränderung  ankündigte; 
und  dann  Thüren  mit  Mensehenfüssen  ankamen,  Tische  aus 
dem  Theater  wie  lebendig  heraussprangen,  und  Bäume  im 
Jjoden  wieder  zurückkrochen." 

Damit  erhalten  wii-  ein  anschauliches  Bild,  wie  auf  der 
recjuisitenreichen.  bereits  mit  wirklichen  Tischen,  Stühlen  und 
Möbehi  ausgestatteten  Bühne  des  bürgerlichen  Dramas  ver- 
wandelt wurde.  Die  Autführungen  Shakespeares  oder  der 
Ivitterdramen  konnten  in  geeigneten  Bearbeitungen  trotz  des 
viel  häufigeren  Dekorationswechsels  fast  bequemer  sein,  weil 
man  oftmals  ohne  Hin-  und  Hei'tragcn  irgend  welcher  Gegen- 
stände bloss  mit  den  gemalten  Dekorationen  auskam.  Wenn 
z.  B.  zwei  Szenen  hintci'cinander  im  Freien  spielten,  wurde 
einfacli  der  Hintei'gnind  aufgezogen  oder  ein  neuer  Hinter- 
i^Tuiid  lieiuntergelassen:')  die  Seitenkulissen  blieben  dieselben. 

Es  ist  also  zwischen  totaler  und  partieller  Verwandlung 
zu  unterscheiden;  die  eine  verändert  das  ganze  Theater;  bei 
der  anderen  wird  zwischen  kurzer  und  langer  Bühne  ge- 
wechselt und  der  Schauplatz  der  ersten  Szene  entweder  er- 
weitert oder  verengert. 

Der  Wechsel  zwischen  Vorder-  und  Hinterbühne,  der  in 
letzter  Linie  dem  englischen  Theater  entspringt,  geht  in 
Deutschland  auf  das  Tlieatei'  der  Wandertruppen  zurück,  auf 


I 
I 


')  Vereinzelt  steht  innerhalb  des  Aufzuges  die  Vorschrift  „Der 
Vorhang  fällt"  in  Törrings  Kaspar  der  Thorringer  I,  4 — 5. 

■)  D.  Nat.  -  Litt.  Bd.  139,  S.  14.  Dieselbe  Klage  noch  bei 
Fr.  Ludw.    Schmidt,  Dramaturg.  Aphorismen,  Hamburg  1820  I,   S.  232. 

^)  Davon  macht  Schink  eine  Beschreibung:  „Jetzt  muss  in  einem 
Drama,  wenn  es  dem  l'ublikum  behagen  soll,  alle  Augenblicke  ein  Vor- 
hang aufrollen,  bald  ein  Schlo.ss.  bald  eine  Bauernstube,  bald  ein  Gefängniss, 
bald  eine  Landstra.sse,  bald  einen  Tiu'nierplatz,  bald  ein  Feldlager  pro- 
duciren."    (Dramaturg.  Monate,    Schwerin,  1790  III,  751  f.) 

11* 


—     164     — 

dem  überhaupt,  wie  Karl  Heine  ^)  gezeigt  hat,  die  Bühne  des 
achtzehnten  Jahi-hunderts  fusst.  Heine  macht  dabei  auf  eine 
Regiebemerkung  aufmerksam,  wonach  die  Vorderbühne  eine 
Walddekoration  darstellte,  durch  welche  man  in  ein  Zimmer 
sah.  Prölss  -)  glaubt  dagegen,  dass  bei  den  Wanderbühnen 
die  Kulissen  der  Yorderbühne  nur  konventionell  als  vorhang- 
artige  Draperie  gemalt  waren.  Auf  die  Entscheidung  dieser 
Frage  kommt  es  hier  nicht  an,  denn  jedenfalls  wurde  auf 
den  festen  Bühnen  im  achtzehnten  Jahrhundert  die  partielle 
Verwandlung  nur  mehr  zwischen  ähnlichen  Dekorationen: 
Saal  und  Zimmer,  AVald  und  Garten  vorgenommen.  Der 
dramatischen  Technik  dagegen  erwuchsen  daraus  im  achtzehnten 
Jahrhundert  noch  dieselben  Bedingungen,  wie  im  sieb- 
zehnten: die  Hinterbühne  liess,  so  oft  die  „Mittel-Guardine" 
aufgezogen  wurde,  eine  Anfangsgruppe,  unter  Umständen  so- 
gar eine  Schlussgruppe  zu,  während  auf  der  Vorderbühne  die 
Personen  regelmässig  auftreten  und  abgehen  mussten.  Diesen 
technischen  Mechanismus  beobachten  wir  bei  Lessing  so  gut, 
wie  bei  den  Dichtern  der  Wandertruppen:  in  Miss  Sarah 
Sampson  beginnen  die  Auftritte  auf  dei'  Hinterbühne,  die  ab- 
wechselnd Meilefonts,  Marwoods  und  Sarahs  Zimmer  darstellt, 
mit  Situationen  z.  B.  I,  3  „Melle fönt  ( unaugekleidet  in  einem 
Lehnstuhle),"  während  die  Vorderbüluie  —  der  neutrale  Saal 
des  Gasthofs    —    den    Personen    nur    als   Durchgang    dient. 


')  Carl  Heine,  Das  Schauspiel  der  Deutschen  Wan(lcrl)iihne  vor  Gott- 
sched, Halle  1881),  S.  49,  51. 

Z.  f.  d.  Phil.  XXI,  S.  285  tf.  Ein  Modell  nach  Heines  Angaben 
war  auf  der  Wiener  Theaterausstellung  18U2  ausgestellt  (Fachkatalog  v. 
Glossy,  S.  84).  In  Frankreich  findet  sich  im  vorklassischen  Theater  die- 
selbe Einrichtung  der  Hinterbühne,  während  die  Vonlerbühnc  als  Überrest 
des  mittelalterlichen  Theaters  in  verschiedene  Sciiauplät/.e  geteilt  war. 
(Higal,  Le  theätre  francais  avant  la  periode  classique  I'aris  11*01  S.  248. 

'')  Prölss,  Kurzgefasste  Geschichte  der  Deutschen  Schauspielkunst, 
Leipzig  190U  S.  115  f.  Diese  \'ermutung  gewinnt  an  Wahrscheinlichkeit, 
wenn  wir  bedenken,  dass  sogar  Ekhof  1758,  als  er  auf  dem  Kieler  Um- 
schlag spielte,  aus  Mangel  an  Dekorationen  farbige  l'apiertapeten  verwen- 
dete, von  denen  eine  gelbe  alle  Zimmer,  eine  grüne  Feld  oder  Wald  dar- 
stellte.    (Uhde,  Ekhof.  Gottschalls  Neuer  i'lutarch  IV,  S.  15U). 


—      165     — 

Zwischen  Lessinfr  und  Schiller  liejrt  die  Einführung  des 
Zwischenakt- Vorhanges,  der  jedoch  auf  den  Szenenwechsel 
keinen  Einfluss  ausübte. 

Die  Abwechslung  zwischen  Anfangssituation  und  Auf- 
treten, die  wir  oben  an  den  Aktanfängen  der  voihanglosen 
Zeit  beobachtet  haben,  galt  für  die  Szcnenanfänge  innerhalb 
der  Akte  weiter,  ebenso  an  den  Szenenschlüssen  die  Not- 
wendigkeit die  Bühne  zu  leeren;  nur  ein  Unterschied  bestand: 
dass  mitten  im  Akt  die  Pjühnc  leer  wurde,  widersprach  eigent- 
lich dei-  französischen  Regel  der  liaison  des  scenes. 

Diderot  ')  stand  hültlos  vor  diesem  Dilemma:  „Die  \^er- 
zierung  kann  sich  nicht  verändern,  ohne  dass  die  Szene  leer 
bleibt.  So  oft  also  zwey  Zwischenfälle  eine  andere  Ver- 
zierung erfordei'ten.  würden  sie  in  zwey  verschiedenen  Auf- 
zügen vorgehen."  \'oltaij-e  fand  in  der  Semiramis  ehie  un- 
glückliche Lösung,  indem  vr  iiaeli  A.  W.  Schlegels  Wort*) 
die  Oerter  sich  zu  den  Personen  liiubegebcn  liess.  Wähi'end 
die  Königin  auf  dei-  Pülme  bleibt,  wird  im  dritten  Akt  das 
Kabinet  in  einen  prächtigen  Saal  verwandelt. 

In  Deutschland  lilicli  man  von  solcher  Pedanterie  ent- 
fernt und  nach  Lessings  Spott  dachte  sicherlich  niemand 
mehr  daran.  Voltaii'es  Versuch  nachzuahmen.  Nur  bei  Zauber- 
stücken gab  es  wandelnde  Dekoi-ationen  (nach  Tieck  dürfte 
eigentlich  überhaupt  lun-  dort  verwandelt  werden  ^)  und  mit 
dieser  l>egi'ündung  machte  auch  Goethe  M  einmal  den  Vor- 
schlag: ..Die  Bühne  verwandelt  sich  in  einen  Lust-  und  Zier- 
garten ;  dies  kann  aucii  in  Gegenwart  der  Dame  geschehen, 
ja  auf  ihi'cn  Wink,  da  sie  sich  als  Zauberin  und  Herrin  dieser 
13ezh-ke  darstellt."' 


1)  Theater  (Lessiiifr)  I,   1<)4. 

-)  Drain.  Vorles..  Werke  VI.  S.  81»  f.  Im  deutschen  Drama  des 
17.  Jahrhunderts  war  das  nicht  ungewöhnlich:  Korniarts  l'olyeuctus  III. 
3—4,  0-7.  V,  3.  Maria  Stuart  I.  .">-(').  IV.  3-4.  ß— 7.  Haugwit/.'s 
Maria  Stuarda  III,  2—3. 

=■)  Dramaturg.  Sehr.  II,  52. 

')  An  IJrühl,  2.  Mai  1821.     Val.  Teichmann,  Litt.  Xachl.  S.  253. 


—     166     — 

Schüler  wollte  einmal  im  Demetrius  durch  einen  Zug 
über  die  Bühne  die  Verwandlung'  verdecken  und  in  der  Jungfr. 
III,  6  lässt  er  ebenso  wäiirend  der  Veränderung  Soldaten  über 
den  Hintergrund  schnell  wegziehen ;  ^)  einmal  aber  spielen 
sogar  die  Personen  weiter,  während  die  Bühne  so  ge- 
schickt und  unauifällig  verändert  wird,  dass  man  die  Ver- 
wandlung garnicht  mehr  als  solche  empfindet.  Einige  Zeit 
nach  der  Weimarer  Aufführung  der  Piccolomini  schrieb  Körner 
an  Schiller ') :  „Nur  fragt,  sich's,  ob  es  bei  der  Aufführung 
nicht  stören  wird,  dass  im  vierten  Aufzuge  [jetzt  W.  T.  IJ 
so  viel  Szenen  im  astrologischen  Zimmer  gehalten  Averden". 
Schiller  hätte  darauf  antworten  können,  nui*  der  erste  Auf- 
tritt spiele  im  astrologischen  Turme,  die  folgenden  dagegen 
im  Audienzzimmer.  Durch  einen  im  Hintergrund  vorgezogenen 
Vorhang  wird  die  Verwandlung  bewerkstelligt;  nach  dem 
Manuskript  nimmt  ausserdem  Seni  die  schwarze  Tafel  mit 
dem  Pentagi'amm  mit  und  beseitigt  so  die  letzten  Spuren  der 
vorhergehenden  Dekoration. 

Mit  den  partiellen  Verwandlungen,  die_für  die  Aufführung 
eine  ungeheure  Erleichterung  bedeuteten,  ist  in  den  ersten 
Stücken  Schillei-s  ziemlich  wenig  gerecJinet.  Der  Fiesko  gab 
in  dieser  Hinsicht  dem  rheinischen  Theaterdirektor  Grossmann 
zu  verzweifelten  Klagen  Anlass '):  „Wenn  der  liebe  feurige 
Mann  nur  mehr  Rücksicht  auf  Theaterkonvenienz  nehmen, 
und  besonders  vom  Maschinisten,  bey  dem  gewöhnlichen  Gang 
unserer  Dekorationen  nicht  schier  unmögliche  Dinge  verlangen 
wollte.  Ein  Schlosshof  mit  Mauei-n  und  Gittei'werk  und 
Na^ht  und  illuminierter  Saal  mit  einer  Spanischen  Wand  in 
einem  Nu,  gehen  fast  nie  ohne  Unordnung  und  gewaltiges 
Gei'äusch  ab;  wie  sehr  das  dem  Dialog  und  der  Handlung 
schadet,   hab'  ich   bev   der  Voi'stcllunir   des  Fiesco  yesehen". 


M  .lungfr.  IT.  fi  schoint  die  Tjeiche  des  englischen  Soldaten  während 
der  Verwandlung  auf  der  lUihne  liegen  zu  bleiben:  aber  es  ist  wahrschein- 
lich, dass  sie  ohne  besondere  Vorschrift  abgetragen  wurde;  siehe  unten  S.  171. 

')  Körner  an    Schiller,  9.  April  99. 

•^)  Grossmann  an   Schwan,  20.  Aug.  1783.     Urlichs  S.  7. 


—     ir,7    — 

Grossmaiin  dioht  schlie.sslich  mit  LMümickc,  der  auf  alle  Be- 
dürfnisse des  Theaters  weit  besser  einzuijehen  wisse,  und 
»Schillei-  ]iat  diesen  Wink  wohl  verstanden:  aus  dem  Sehloss- 
hof  mit  Mauern  ist  in  di'v  Üühnenbearbeitung'  ein  Saal  ge- 
worden. 

Noch  mehr  ist  der  letzte  ^Vkt  verändeit:  die  Vorderbühne 
stellt  ein  finsteres  Gewölbe  dar,  in  dem  sieh  nur  ein  einziger 
Stein  befindet,  der,  wie  Schiller  ausdrücklich  angiebt,  „auch 
nach  der  Verwandlung  noch  bleiben  kann."  Auch  die  Mau- 
erwände, die  die  vorderen  Kulissen  dai'stellteii,  waren  im  Not- 
fall noch  füi-  die  nächste  Dekoration  —  freier  Platz  —  zu 
gebrauchen.  Es  hätte  nun  eiL-'entlicii  dci"  CJefängnisszcne  die 
Strassenszene  mit  dem  Tode  Gianettinos  vorausgehen  müssen, 
wozu  die  grosse  Jiühne  nötig  war.  Dann  hätte  l)ertha  in 
ihrem  (iefängnis  erst  auftreten  müssen,  untl  da  das  nicht  an- 
ging, ist  die  Strassenszene  noch  zum  vierten  Aufzug  hinzuge- 
nommen, wo  sich  die  schwierige  Dekoration  während  der 
Auftritte  auf  der  kui'zen  lUihne  (Chinesischer  Saal)  wohl  vor- 
bereiten lässt.  Plümicke  hatte  in  seiner  Fieskobearbeitung 
den  letzten  Akt  gleichfalls  in  zwei  Szenen:  „vor  dem  Palast 
des  Andreas"  und  „Platz  V(ir  dei-  Signoria"  geteilt;  da  aber 
der  beschi-äiikte  Kaum  der  damaligen  Berliner  liühne  einen 
vollständiijen  Szenenwechsel  nicht  zuliess.  kehrte  er  mit  seinen 
Voisclilägen  in  der  Litteratur-  und  Theaterzeitung  ')  zur  ersten 
Anordnung  Schilleis  zurück  und  Hess  den  ganzen  Akt  ohne 
X'ei'wandlung  vor  dem  Palast  d<'s   Andreas  spielen. 

Mit  den  Räubern  hatte  Plümicke  fast  schlimmer  gehaust, 
indem  er  der  Pequemlichkeit  halber  zwei  Szenen  umstellte: 
die  Szene  an  der  Donau  erötfnet  bei  ihm  <len  dritten  Akt, 
damit  die  Gruppe  hinter  dem  Vorhang  vorbeicitet  werden 
und  die  ganze  Bühne  einnehmen    kann.  ')      Bei  Schiller  geht 

')  Litt.-  u.  Theaterzeit.  17S4  I.  S.  ITS  tf. 

')  Die  Änderuiis-  l'lümickes  hatte  natürlich  ihren  Sinn,  denn  solche 
Gruppen  auf  der  Hinterbühne  waren  in  Me/Aig  auf  malerische  wie  akusti- 
sche Wirkung  beeinträchtigt;  dies  konnte  mm  z.  B.  auch  bei  der  Mann- 
heimer Aufführung  der  .Jungfrau  von  Orleans  empfinden:  Dalberg  schrieb: 
„Die  Schlussscene  wünscht  man  sich  etwas  vorgerückt,  weil  vieles  von  dei- 
Sterbescene  verloren  geht".     (Walter  I,  S.  474). 


—     168     — 

dag-egen  die  Gartenszene  auf  der  kurzen  Bühne  voraus;  in- 
folgedessen konnten  sich  die  Räuber  nur  auf  der  Hinterbüline 
lagern.  Eine  Anekdote,  die  von  irgend  einer  Räuberauiführung 
in  Reichards  Gothaer  Theater-Kalender')  erzälilt  wh'd.  bestätigt 
dies:  „bei  der  8zene,  wo  Amalia  Franzen  mit  blosem  Schwer- 
de  aus  dem  Garten  jagt  und  wo  man  in  Ermangelung  einer 
Gartendekoration  ein  Zimmer  gemacht  hatte,  lief  Franz  durch 
die  Mittelthüre  ab  und  machte  einen  dem  Publikum  sichtbaren 
Burzelbaum  über  die  zur  A'erwandlung  im  Walde  bei-eits  ge- 
lagerten Räuber!!!" 

Brauchte  keine  neue  Anfangsgruppe  enthüllt  zu  werden, 
so  Hess  sich  die  Verwandlung  unter  Umständen  noch  ein- 
facher bewerkstelligen;  bei  der  Hamburger  Aufführung  des 
Götz  z.  B.  wurde  der  unterirdische  Gang  zum  heimlichen 
Gericht  durch  Herablassung  einer  einzigen  Säule  in  der  Mitte 
zu  einem  Gefängnis  verwandelt.  ^)  Nur  ist  nicht  recht  zu  er- 
sehen, wie  dieser  sechsundzwanzigste  Auftritt  des  fünften 
Aufzuges  dann  das  erfüllen  konnte,  was  in  Schröders  Inlialts- 
verzeichnis  angegeben  wird,  nämlich:  „Der  Schauplatz  ist  das 
Gefängnis,  worin  der  gefangene  Götz  schwermüthig  bei  seiner 
Elisabeth  sitzt".  Die  Praxis  des  siebzehnten  .Jahrhundei-ts 
und  der  Staatsaktionen,  in  denen  die  äusserst  häutigen  Ge- 
fängnisszenen immer  auf  die  Hinterbühne  bei-echnet  sind 
und  dui'ch  Aufziehen  der  Mittelgardine  enthüllt  werden, 
war  offenbar  keine  technische  Selbstverständliclikeit  mehr: 
hier  musste  Götz  mit  Elisabeth  erst  in  sein  eigenes  Gefäng- 
nis eintreten,  eine  Unwahrscheinlichkeit,  der  Schiller  im  Fiesko 
aus  dem  Wege  ging;  in  Turandot  IV,  7  musste  er  sie  allei-- 
dings  hingehen  lassen.  In  der  von  Kilian  1889  herausgege- 
benen Mannhehner  (»ötzbearboitung.  die  Rennschüb  (Jjüchncr) 
zugeschrieben  wird,  ist  G()tz  zu  P>eginii  dej-  Gefängnisszenc; 
im  Verhör  und  wird  erst  spätei'  vom  Wächtoi-  hoi-eingoführt. 
Auch  der  stei'bende  Weisliiigon  wii-d  hereingebi'acht  und  ehe 
er  stirbt,  wieder  weggeführt.     Goethe  selbst    lässt    in    seine)- 

»)  Theat.-Kal.  1800,  S.  f)7. 

^)  Winter,  Theaterge.se h.  Forsdi.  II,  S.  49,  30. 


—      169      — 

BühnenhearbeitunL'  von  Jsoi  r.ötz  nur  im  Gefäns-nisgarten 
auftreten;  wie  er  es  mit  W'eislingeii.s  Tod  einrichtete,  ist 
nicht  zu  ersehen;  einen  Ausweg  fand  hier  Schreyvogel 
(West)  in  seiner  Wiener  Bearbeitung:  ,,Ein  herabrollender 
Bogen  bedeckt  die  Gruppe;  zugleich  öffnet  sicli  der  Hinter- 
grund"'.') 

Es  ist  dadurch  cniKiglicht.  mit  einer  (ii'uppe  zu  schliessen 
und  trotzdem  ilie  lUihne  zu  vergrössern.  .Sonst  blieb  bei 
partiellen  X'erwandluiigen  meist  nur  die  Wahl  zwischen  .Schluss- 
gruppe durch  N'erkürzung  der  Bühne,  indem  ein  neuer  Hin- 
tergrund sich  vor  der  Gruppe  senkte,  —  odei-  Erweiterung 
der  Bühne  durch  Aufziehen  des  Hintergrundes,  wobei  für  die 
Eröffnung  des  iiäclisten  Auftrittes  eine  Gruppe  zugelassen  \v;u: 

.SchiUci'  hat  diesen  zweiten  Weir  voi'gezoüen  : 
Käub.    1.2.    11.  •_'    (Tisp.   11.8;    aber    nicht    im    Mamiiieimer 

Bühnenmanuskript,    wo    <ler    alte  Moor,  auf  Amalien 

gestützt,  auftritt).  IIT.  2.   LV,  ö.   V.  2. 
Fiesko  1.5  und   1.  lu   (was  wegen  der  zwei    aufeiiumdei-fol- 

genden  Szenen    unmöglich  wai'.    ilalier  die  Änderung 

in  dei-  liühnenbeai-beitung).    111.2  und   IH.  S    (folgen 

wieder  aufeinander:  deshalb  in  der  Bühnenbearbeitung 

abgeändei't).  ferner  Büliiienl».   W  1. 
Don  Carlos  f.  ;{.    II.  i   (die  lloHeute  beseitigt    in  d.   Bühnen- 

bearb.),    11.7.    II I.  G.    IV.  7.    TV.  22    (beseitigt  in  d. 

Bühnenbearb.). 
Wall.  Tod  n,  4.  IV,  9.  V.  :3. 
Macbeth  111,8.  TV.  2.  V,  2.  V.  8. 
Jungfrau  II.  ().   IV.  4.    V.«).    V.  14    (hiei-    müssen    wir    also 

eine  I)i-eiteilung  in  kurze,    Mittel-  und  ganze    Bühne 

aiuiehmen). 
Teil   1.8.   Hl.  ;3.   IV.  2.   V.  3. 

In  allen  diesen  Fällen  kann  die  Anfangsgruppe  luu' 
durch  Aufziehen  des  II inter;^ rundes  enthüllt  werden;  aus- 
drücklich verlangt  ist  die  Eröffiunig  des  Pi'ospekts  Fiesko 
I,  4  und  Jungfr.  II,  6. 

')  Kilian,  Theatergesch.  Forsch,  II,  S.  83. 


—      170 


Viel  seltener  ist   die  Verkiirzuntr  der  Bühne   notwendi«:  : 

Carlos  IV,  3—4.     V,  7—8   (beseitigt   in   d.  Bühnenb.). 

Maria  «tuart  V,  10—11. 

Macbeth  IV,  -t— 5.*) 

Teil  I,  3— i,  III,  1—2. 

Dazu  kommt  noch  Wall.  Tod  III,  12 — 13,  wo  es  sich 
um  einen  ursprünglichen  Aktschluss  handelt. 

Während  nur  diese  wenigen  Auftritte  mit  öchlussgruppen 
endigen,  die  durch  den  Hintergrund  der  kurzen  Bühne  ver- 
deckt werden,  beobachten  wir  viel  häufiger  die  ]Mühe, 
die  Schiller  sich  gab,  um  die  Personen  am  fSzenen- 
schluss  von  der  Bühne  zu  schaffen:  im  Mannheimer  Bühnen- 
manuskript der  Räuber  heisst  es  II,  6 — 7:  (Bediente  kommen 
und  tragen  den  alten  Moor  ab);'"')  in  der  Bühnenbearbeitung 
des    Fiesko  IV,  13 — 14    wird    die    ohnmächtige  Leonore  von 


')  Hier  mussten  die  Hexen  hinter  dem  fallenden  Vorhang  verschwinden, 
was  durch  einen  Brief  Goethes  bezeugt  wird.  (An  Schüler  16.  April  18U4. 
W.  A.  IV,  Bd.  17,  S.  125.) 

')  Plümicke  hat,  um  die  Entfernung  des  alten  Moor  zu  motivieren, 
einen  Auftritt  angehängt: 

Amalia Vater  meines  Karls!    (sie    springt    auf   und    zieht   die 

Glocke.) 
(Daniel  kömmt.     Bald  darauf  mehr  Bediente.) 
Daniel.  Was  giebts?  —    Gott  und  alle  Heiligen! 

Amalia.  Hülfe!  Hülfe  für  Euern  Herrn! 

Daniel,  (zu  den  Bedienten)  Hier!  Tragt  ihn  auf  dem  Stuhl  in  sein 

Schlafzimmer.     Ich  eile  den  Arzt  zu  rufen,  (ab) 
Amalia.  (hält  den  Leichnam  vest  umarmt)  Zu  spät!  (betrachtet  ihn) 
Tod!    Tod!    —  Alles  tod!    (worauf  sie  sich    ihm    ent- 
reisst  und  abgeht.) 
(Bediente.     Tragen  den  Grafen  durch  die  Mittelthür.) 


Noch  plumf)er  wird  in  der  anonymen  Prosabearbeitung  des  Don  Carlos 
in  der  Deutschen  Schaubühne  Bd.  IS  Posas  Kntfernung  (V,  6)  bewerk- 
stelligt: 

Kariös  (will  gehen)  Ich  komme!  doch  halt!  helfen  Sie  mir  erst  den 
Todten  bey  Seite  schaffen  (.schliesst  den  Leichnam  noch  einmal  in  die 
Arme,  dann  zieht  er  ihm  einen  Ring  vom  Finger,  und  trägt  ihn  mit 
Merkado  ab). 


—     171     — 

ihren  Kammerfrauen  weirireführt ;  im  Pro.sa-Don  Carlos  Y.  7 
Posas,  in  der  .Ian.i:tVau  IIT.  7  Talbots  Leichnam  abiLretrao-cn ; 
der  .sterl)ende  Mortimer  fällt  dei'  Wache  in  die  Arme,  um  so- 
gleich mitirenommcii  zu  wei'den;  das  Auftreten  Lahires  (Jun^fr. 
V,  14)  ist  nur  dazu  da.  um  Isabeau  zu  entfernen;  endlich 
steht  im  Maniiheimci-  Hauiithuch  hei  Teil  IV,  2 — 3:  .,4  Knechte, 
den  Stuhl  mit  dem  Todteu  abzutra^ren"':  diese  Angabe  brauchte 
Schiller  im  Stück  gar  nicht  zu  machen,  denn  es  war  eigent- 
lich die  Regel,  Tote  sofort  zu  entfernen»);  wir  erkennen  das 
in  Törrings  Kaspar  der  Thorrim;cr,  wo  einmal  ausdi-ücklich 
verlangt  wird:  ..Der  Leichnam  bleibt."' 

Auch  wo  es  garnicht  zur  Räumung  der  Bühne  notwendig 
wäre,  werden  die  Leichen  sogleich  entfernt,  z.  I!.  Raub.  IV.  5, 
Fiesko  IV.  4—5");  sogar  am  Aktschluss  (Teil  IV)  hätte 
Schiller  es  gern  angeordnet,  wenn  er  der  rxeschicklichkeit  der 
Statisten  hätte  trauen  dürfen. 

Bei  der  totalen  Yei-wandlung  nun  \vai-  weder  Anfangs- 
noch  Schlusssituation  gestattet;  ausserdem  verlangte  die  Ver- 
änderung sämtlicher  Seitenkulissen  mehi'  Zeit  und  Arbeit. 
Man  bemühte  sich  indessen  um  möglichste  Beschleunigung, 
und  für  die  Operubühne  soll  Ferdinand  Pjibbiena  einen 
neuen  Mechanismus  zum  schnelleren  Dekorationswechsel  er- 
funden haben.  Vielleicht  ist  es  dasselbe  System,  das  in  den 
70cr  .Jahren  auch  in  den  deutschen  Schauspielhäusern  einge- 
führt wurde:    die   Kulissen  waren  verschiebbar,    während    sie 


M  Es  geschah  das  teils  »Icni  narstellcr  zu  Liebe,  teils  aus  ästhetisx.hen 
Gründen.  Das  zweite  betont  Einsiedel  in  seinen  Grundlagen  zu  einer 
Theorie  der  Schauspielkunst.  S.  22:  >  Auffallende  körperliche  Verzerrungen, 
lange  Gegenwart  eines  Leichnams  werden  auf  der  Bühne  entweder  lächer- 
lich oder  schmerzhaft:  denn  entweder  die  Illusion  wird  vollendet  —  und 
dann  tritt  die  Wirklichkeit  mit  ihren  Schmerzen  ein  —  oder  sie  wird 
vertilgt  —  untl  dann  quälet  uns  der  Streit  komischer  Anwandlungen  und 
ernsthafter  Wünsche." 

')  Das  Wegschaffen  von  Gianettinos  Leichnam  muss  in  der  Urfassung 
noch  gefehlt  haben,  denn  Ifflands  l'rotokoll  tadelt  die  widrige  Leichen- 
plünderung durch  ein  sanftes  Frauenzimmer  (Martersteig  S-  89.) 


—     172     — 

vorhei'  dnreh  eine  unter    dei"  liühne    angebrachte  Walze   auf- 
gezogen wurden.') 

Das  ^lannheimer  Theater,  das  jedenfalls  über  die  ver- 
vollkommnete Maschinerie  dei-  Oper  verfügte,  hat,  Avie  aus 
den  Dekorationsplänen  im  Hauptbuch  hervorgeht,  bei  Zimmer- 
dekorationen selten  von  der  partiellen  Verwandlung  Gebrauch 
gemacht,  sondern  meist  die  ganze  Dekoration  verändei't.  In- 
folgedessen rechnet  ein  für  die  jNIannheimer  Bühne  bestimmtes 
Stück  wie  Kabale  und  Liebe  nicht  mit  dem  Wechsel 
zwischen  Vorder-  und  Hinterbühne;  alle  yzenen  sind  auf  die 
ganze  lUihne  zugeschnitten  und  bei  den  zweiten  Szenen  jedes 
Aufzuges  müssen  die  Personen  erst  auftreten,  so  1,  5;  II,  -1; 
IV,  6;  nur  in  III,  4  ist  es  nicht  ausdrücklich  bemerkt.  Auch 
im  Don  Carlos  gestattet  sich  Schiller  die  partielle  Ver- 
wandlung nicht  so  oft,  als  er  Gelegenheit  gehabt  hätte.  Dass 
sich  dadurch  ein  chronologischer  Anstoss  ergab,  ist  oben-) 
gezeigt;  hätte  Schiller  es  gemacht,  wie  Otway,  der  in  seinem 
,,Don  Carlos"  V,  4  das  Aufi;ehcn  des  hinteren  Vorhangs  vor- 
schreibt, so  hätte  er  mitten  in  die  Abschiedsszene  zwischen 
Carlos  und  der  Königin  hineinfühi'en  köinien.  Erst  bei  den 
späteren  Stücken  macht  er  sich  wieder  alle  Vorteile  der 
partiellen  Vei'wandlung  zu  nutze. 

Es  kann  nun  gar  keine  Fi-age  sehi,  dass  die  Bedingungen, 
die  der  offene  Szenenwechsel  stellte,  auf  den  Aufbau  jedes 
Bühnenstückes  von  voi'iiherein    einen    üesetzmässiiren  EinÜnss 


')  Hagen,  Gesch.  d.  Theat    i.   Prcussen.      S.  130. 

Prölss,  Kur/s^efasste  Gesch.  d.  d.    Schauspielkunst    S.  97. 

Wolter,  Fr.  W.  Grossmaun,  Diss.,  Bonn  1901,   S.  54. 

Caroline  Schulze- Kummerfeld  höht  in  ihren  Erinnerungen  (Riehls 
Histor.  Taschenb.  1873,  S.  40l)  die  verschiebbare  Kulisseneinrichtung  de.s 
neuen  Leipziger  Theaters  (1707)  als  modern  hervor.  Dagegen  heisst,  es 
im  Gothaer  Theaterkalcnder  1777  S.  49  von  dem  alten  Berliner  Komödien- 
haus auf  dem  Gensdarmenmarkt:  .,Die  Bewegung  der  Kulissen  wird,  wie 
gewöhnlich  bey  kleinen  Theatern,  durch  eine  in  der  Mitte  angebrachte 
Walze  betrieben." 

')  Kap.  I,  S.  124. 


—     173     — 

ausüben  musstoii.  Ks  kömmt  iiiii-  darauf  au.  oiiuual  die  Probe 
zu  machen,  und  ieli  wähle  dazu  das  vei-u  aiidhnui-sreiehste 
Stück  Schillers,  den  Teil. 

Iffland  richtete  bald  nach  der  Mitti-ihui«^-  des  Planes  die 
Anfrag-e  an  den  Dichtei':  „Wo  kaiiu  kurzes,  mittleres  und 
o-anz  lan.ires  Theatei-  sein?"')  Als  Schiller  im  Dezembei'  1803 
die  Dekorationsauiiaben  schickte.')  hat  er  auf  diese  spezielle 
Frag-e  keine  Auskunft  uegeben.  nur  für  die  Hauptszene 
schrieb  er  vor:  ..I)ei'  Kaum  muss  sein-  ütoss  seyn.  weil  Teil 
hier  den  Apfel  schiesst." 

Indirekt  ist  jedoch  die  Antuort  auf  Itflands  Aufrage  sehr 
wohl  im  Üekorationsplan  enthalten:  für  alle  Szenen,  wo  das  Volk 
oder  die  Natur  (der  stürmische  See)  mitspielt,  musste  von  vorn- 
herein die  gairze  lUihue  iu  Aussieht  geuouuueu  sein;  danach 
können  wir  in  den  is  Szeueu,  die  diese  Ucilai^c  au  Iftiand  vorsieht, 
bei'eits  den  beinahe  i-egelmässigeu  WCchscl  zwischen  kuizer 
und  langer  JUihne  deutlich  erkennen;  nur  in  I.  2  und  I.  3 
treten  einmal  zwei  Szenen    auf  der    kurzen  IJühne    nebenein-  « 

ander.     In  der  endgültig^en  Ausführun.ir  ist  dies  abgestellt,  in-  ■ 

dem  die  Attinghausenszene  zum  zweiten  Aufzug-  hinüberg-e- 
nouuneu  wurde.  Umgekehrt  ist  es  beim  vierten  Akt.  wo  die 
Ausführung-  den  überlegten  Plan  störte. 

Der  Dekorationsplan  füi-  Iffland  enthiilt  füi'  diesen  Auf- 
zug- folgende  Angaben: 


1 


')  28.  Juli  I8(to.     \'al.  TciLliinaniis  Litt.  Xachlass.    lirsj.'.  v.  Dingel- 
stedt,  S.  222. 

tJbrigens  tiiulet  sich  in  uiaiiehen  Dramen  iler  Zeit  hei  den  Dekoration.s- 
üljeischriften  die  Grösse  der  Bülme  vorgeschrieben  z.  B. : 

Iflland.    Verbrechen    aus    Ehrsucht    I,    1:     Kin    l)ürgerliches 

Zimmer  nur  zwey  Flügel  tief. 
Schröder,  Das  Porträt  der  Mutter  III:  Ein  kurzes  Zimmer  mit 

zwei  Seitenthüren. 
Kotzebue,    .Johanna    v.    Montfaucon  IV.   1:     Guntrams  Haus- 
flur —  kurzes  Theater. 
Goethe,  Götz  v.  Berlichingen  (ßühnenb.  v.  1804)  IV,  1:  (Kurzes 

Zimmer), 
"j  An  Iflland  5.  Dez.  isu3,  Jonas  VII,  S.  Dt»  fl'. 


—     174     — 

1)  Der  g-othische  Rittersaal  [IV,  2;  kurze  Bühne]. 

2)  Seeufer,  Fels  und  Wald,  der  See  im  Sturm  [IV,  1 ; 
lange  Bühne]. 

.3)  Wildes  Gebirg,  Eisfelder.  Gletscher  ,  .  .  .  [III,  2; 
kurze  Bühne]. 

4)  Die  hohle  Gasse  [IV,  3;  lange  Bühne]. 

5)  Die  Veste  Rossberg  bei  Nacht  auf  einer  Strickleiter 
erstiegen  [kurze  Bühne]. 

Nun  ist  No.  3  bereits  im  dritten  Akt  vorausgenommen'); 
statt  dessen  hält  jetzt  die  Sterbeszene  Attinghausens  (früher 
No.  1)  die  beiden  auf  der  grossen  Bühne  spielenden  Szenen 
auseinander.  Während  sie  am  Aktanfang  mit  einei-  Gruppe 
—  der  sterbende  Attinghausen  —  hätte  eröffnet  werden  können, 
war  dies  nun  unmöglich;  es  musste  also  Abhülfe  geschaffen 
werden  und  Schillei-  that  dies,  indem  er  zunächst  in  einem 
Brief  an  Iffland,")  dann  aber  wahrscheinlich  in  allen  Bühnen- 
manuskripten (wenigstens  wird  es  im  Aschattenburger  Manu- 
skript und  im  Mannlieimer  Hauptbuch'')  bestätigt)  einen  kleinen 
Zwischenaufti-itt  einschieben  Hess,  worin  Hedwig  den  ihr  von 
Raumgarten  vei'wehi'ten  Eintritt  zu  Attinghausens  Lager  und 
zu  ihrem  Kinde  erzwingt. 

Es  war  dies  ein  bewährtes  Mittel ;  auch  Goethe  hatte 
einmal,*)  als  es  sich  um   die  Aufführung    des  Julius  Cäsar  in 


')  Ich  nehme  an,  dass  es  sich  um  den  Auftritt  zwischen  Rudenz  und 
Bertha  handelt.  Höchstens  wäre  möglich,  dass  diese  Szene  schon  als 
zweiter  Auftritt  des  zweiten  Aktes  in  einem  Zimmer  spielen  und  die 
wilde  Gebirgsszenerie  im  4.  Aufzug  einem  andern  Mutiv  (etwa  der  \'er- 
abredung  zum  Sturm  auf  Rossberg)  dienen  sollte. 

•)  An  Itfland  14.  Ai)ril  1H(I4,  .Tonas  VII,  S.  189  f.     Goed.  XIV,  S.  377  f. 

■')  Der  Mannheimer  Dekorationsplan  (Walter  II,  228  If.)  scheint  mir 
einmal  von  den  Absichten  Schillers  abzuweichen.  III,  1  (Teils  Hof)  war 
eine  Dekoiation  von  drei  Flügeln;  die  darauffolgende  Waldgegend  hatte 
vier  Flügel.  Hedwig  niu.s.ste  sich  also  am  Schluss  der  ersten  Szene  von 
der  Bühne  entfei'nen.  während  sie  nach  Schillcjr  den  Abgehenden  lange 
mit  den  Augen  folgt.  Kr  hatte  sich  den  folgenden  Auftritt  otfenbar  als 
kurze  Szene  gedacht  und  lässt  ihn  deshalb  mit  leerer  Bühne  beginnen  und 
endigen. 

*)  Goethe  an  A.  W.  Schlegel  27.  Okt.  18U3.    W.  A.  IV,  Bd.  10,  S.  336. 


-     17/^     — 

üerliii  handelte,  einen  snlclieii  kurzen  Zwiselienaufti'itt  im 
dritten  Akt  vorireschlayen.  damit  die  l')änke  de.s  Senats  und 
die  Leiche  Cäsars  nicht  vor  den  Auycn  des  Publikums  abg-e- 
trag-en  zu  werden  brauchten. 

Dei-  kleine  Zwischenauftritt  im  Teil  spielte  in  Mannheim 
auf  eine»'  i^anz  kurzen  lüilme  von  einem  Flü.<.''el  mit  einem 
8ammetvorhan,y  im  Pi-ospekt.  Dahinter  konnte  nun  die  (iruppe 
vorbereitet  werden;  die  khii-e  Rechnuno-  ist  wieder  hergestellt 
und  damit  frezei.Lrt,  wie  umsieht  ig  der  erfahrene  I>ühnendichter 
alle  Hedin'aniiren  des  Hzenenweehsels  voi'ausberechnete. 


5.  Dekoration. 

,,Ein  guter  Schauspieler  macht  uns  bald  eine  elende,  un- 
schickliche Dekoration  vergessen,  dahingegen  das  schönste 
Theater  den  Mangel  an  guten  ydiauspielern  erst  recht  fühlbar 
macht"'.  Dieser  Satz  Goethes'),  der  in  seinem  zweiten  Teil 
schon  oft  gegen  den  Dekorationsluxus  des  neunzehnten  Jahr- 
hund(M'ts  als  Vorwurf  gehandhal)t  wuiule.  muss  nüt  seiner 
ersten  Hälfte  für  die  Theatei-einiiehtungen  des  achtzehnten 
zui-  entschuldigenden  Erklärung  dienen. 

Die  Verwandlungen  auf  offener  liühnc  erforderten  eine 
leere  ]*)ühne.  leer  nicht  nur  von  Personen,  sondern  möglichst 
auch  von  allen  körperlichen  Gegenständen.  Es  wurde  also 
bei  einei-  Zimmereinrichtung  nur  gerade  so  viel  auf  die  P>ühne 
gestellt,  als  unbedingt  notwendig  war;  die  ganze  unmalerische 
Kahlheit  des  Pühnenraumes,  wie  sie  noch  bis  ins  neunzehnte 
Jahi'hundert  hinein  herrsclite,  lässt  sich  dem  alten  Holzschnitt- 
prinzip odei-,  wie  lUdthaupt  es  thut, -■)  der  schematisierenden 
Zeichnung  eines  \N'ilhelm  lUisch  vergleichen:  erblickte  man 
einen  echten  Schrank,  einen  Stuhl,  einen  Tisch  auf  der  liühne. 


■)  \V.  Meisters  T.ehrjahre.  2.  Buch  4.  Cap.     W.  A.  I,  Bd.  -21  S.  158. 
■-')  l)iaiiiatiir<,ne  des  Schauspiels  III,  S.  364:. 


—      170     — 

so  konnte  man  sicher  sein,  dass  diese  Geg-enstände  zu 
der  Handlung  in  irgend  einer  engen  Beziehung-  stehen 
würden. 

Beaumarchais  gilt  in  Frankreich  als  der  Erste,  dei-  auf 
Arrangement  ausging'  und  durch  Aufstellung  überflüssiger  Ge- 
genstände bereits  ein  gewisses  Milieu  zum  Ausdruck  brachte. 
Auch  in  Deutschland  sind  dem  bürgerlichen  Drama  hierin  die 
ersten  Fortschritte  zu  danken;  immerhin  scheint  man  doch 
nur  wenig  übei'  das  Notwendige  hinausgegangen  zu  sein  und 
mit  diesen  Versuchen  nicht  einmal  allgemeinen  Beifall  ge- 
funden zu  haben.  Friedr.  Lud^w  Schröder  tadelte  z.  B.  an 
einei-  Mannheimer  Auiführung  von  Kotzebues  Kind  der  Liebe: 
..Ohne  Not  befand  sich  ein  Sofa  auf  dem  Theater,  das  mit 
vielen  Umständen  hin  und  hergeschalft  wurde'".  9  Und  doch 
tat  man  in  Mannheim  in  dieser  Richtung  noch  recht  wenig; 
auf  einen  individuellen  Charakter  jeder  einzelnen  Dekoration 
kam  es  gar  nicht  an;  Avenn  zwei  Innenräume  wechselten, 
konnten  die  Möbel  bleiben,  Avie  das  für  den  zweiten  Akt  des 
Don  Carlos  im  Hauptbuch  zweimal  ausdrücklich  vermerkt  ist.^) 
Oder  auch  das  Umgekehrte  kam  vor :  im  Millerschen  Zimmer 
stand  im  ersten  Aufzug  ein  Notenpult  mit  Molincell,  im  letz- 
ten Aufzug  statt  dessen  ein  Klavier  —  also  nur  gerade  das, 
was  jedesmal  gebraucht  wurde.  Im  zweiten  Akt  der  Picco- 
lomini  waren  nicht  elf  Stühle,  wie  Seui  zählt,  auf  der  Bühne, 
sondern  nur  zehn,  weil  Terzky  hinter  Wallensteins  Stuhl  zu 
stehen  hat.  An  anderen  Theatern  war  man  darin  noch  mein- 
zurück;  als  Iffland  1796  in  Weimar  gastieite,  konnte  es  noch 
vor^onnnen,  dass  er  als  Dalnei'  in  Dienstpflicht  überhaupt 
keinen  Stuhl  vorfand,  auf  den  er  hätte    in  Ohnmacht    sinken 


')  Meyer,  Fr.  h.  Schröder  II,  1,  S.  73. 

*)  Durch  lieltenswünlig-e  Vermittlung  des  Herrn  Dr.  Walter  in  Mann- 
heim durfte  ich  mir  auf  der  Durchreise  einen  kurzen  Einblick  in  das 
Haupthuch  verschaffen;  einig-e  Kleinigkeiten  konnte  ich  daraus  entnehmen; 
im  allgemeinen  gewann  ich  al)er  den  Kindruck,  dass  alles  für  die  Bühnen- 
geschichtc  der  Schilierischen  Stücke  Wesentliche  bereits  in  den  von  Wal- 
ter verüHentlichten  Teilen  enthalten  ist. 


—      177      --, 

können.  Er  sank  in  die  Knioo  und  cn-anfr  mit  diesci"  Nuance 
solchen  Beifall,  dass  er  sie  künftig  beibehielt.^) 

Nun  hätte  freilich  eine  vollständige  Zimmereinrichtung- 
mit  echten  Möbeln  und  allem  Zubehör  nicht  etwa  intim- 
realistisch, sondern  nui"  illusionsstörond  wii-ken  müssen,  so  lange 
sie  sich  nicht  an  Wände  eines  Zinmiers  anlehnen  konnte. 
Ein  geschlossener  Raum  fehlte;  die  Seitenwände  waren  in 
Kulissen  zerschnitten.  Wurde  eine  Seitenthür  oder  ein  Fenster 
gebraucht,  so  schob  man  sie  als  Rechteck  zwischen  die  Ver- 
kürzung i\vv  Kulissen  ein;^)  was  an  Uhren,  .Spiegeln,  P)ildern 
notwendig  war,  wurde  an  den  Kulissen  aufgehängt  und  be- 
dingte mit  seinen  Horizontalen  noch  stäi'kei'e  Brechungen 
der  Perspektive. 

Einheitlich  konnten  nui'  die  Dekoiationen  wii'ken.  die 
eigens  füi-  ein  Stück  angefertigt  wai'cn  und  die  ganze  Aus- 
schmückung auf  die  gemalten  Leinwandtiächen  projicieren 
konnten.  Ausdrücklich  gerühmt  wird  eine  Dekoration,  die 
der  bei'ühmte  Zinnnermann,  ein  Schüler  der  italienischen 
Dekorationsmalo)'.  in  Hamburg  für  den  Götz  ausgcfüln-t  hatte :^) 
„Statt  des  Nachttisches  sieht  man  untei-  einem  Spiegel  einen  Tisch 
mit  einem  sinii»eln  Tepjjich  behangen,  den  die  Hand,  vom 
Auge  beti'oi^en.  inunei'  aufheben  will;  zur  Rechten  einen  alt- 
vaterischen Schrank,  mit  Passgläsern  geschmückt;  zui'  jjinken 
einen  Camin ;  statt  der  Tapeten  an  der  blossen  dicken  Mauer 
i'ings  herum  die  Konterfeyen  der  Ritter  aus  der  Jierlichingen- 
schen  Familie  aufgehängt,  die  sich,  wenn  sie  aus  den  Gräbei-n 
aufstehen  könnten,  so  zu  sagen  selbst  darinn  erkennen  würden.'" 
Freilich  waren  diese  Ahnenbilder  untrennbar  von  den  Kulissen 
und  mussten  in  jedem  Ritterstück  wiederkehren. 

I)ies(>  gut  ausgeführte  Dekoration  ist  sicherlich  nicht 
typisch  für  die  Vei-hältnisse  um  das  Jahr  1774;  kein  anderes 


1)  Böttiger,  Entwickl.  d.  Iffl.  Spiels,  Leipzig  IT'K!,  S.  t)l. 
Funck,  Ei'iim.  a.  m.  Leben  II,  S.  35. 

Ül)er   den  vollständigen  Mangel  von  Stühlen  auf  dem  Theater  hatte 
bereits  Mylius  geklagt.  (Beytr.  z.  Grit.  Hist.  VIII,  30.  Stück  S.  30H|. 

2)  Walter  II,  S.  237. 

•')  Winter,  Theatergesch.  Forsch.  II,  S.  49. 
i'alaesUa  XXXII.  12 


—     178     — 

»Schauspielhaus  verfüg-te  damals  ühei-  die  Mittel,  die  Schröder 
aufwandte;  den  Luxus,  für  neue  Stücke  eigene  Dekorationen 
anzuschaffen,  kannte  nur  die  Oper.  So  sehr  nun  Scln-ödcr 
die  Gefahr,  die  von  dem  Dekorationsprunk  aus  di'ohte,  er- 
kannte,') für  so  geraten  hielt  er  es  doch,  mit  dem  Geschmack 
des  Publikums  Kompromisse  zu  schliessen. 

Böttii^er")  behauptet,  Schi-öder  habe  in  den  90er  Jahren 
die  ganze  Bühne  120  Mal  verändern  können.  Es  ist  das  ein 
ungeheurer  Reichtum  gegenüber  dem  fundus,  über  den  man 
Jahrzehnte  vorher  geboten  hatte.  In  Ifflands  Almanach^) 
wird  das  Inventar,  das  zur  Mitte  des  Jahrhunderts  vorhanden 
zu  sein  pflegte,  aufgezählt:  „Ein  Prachtsaal,  eine  Strasse,  ein 
Dorf,  etliche  bürgerliche  Zimmer,  ein  Kerker,  etliche  Hügel 
und  Gebüsche."  1775  wird  hier  als  das  Jahr  des  Umschwungs 
genannt,  während  Dalberg*)  in  seiner  Denkschrift  erst  1783 
und  1784  als  die  Zeit  bezeichnet,  wo  mit  den  Ritterschau- 
spielen der  Operngeschmack  aufkam  und  ein  verändei'tcs 
Theaterdirektionssystem  nach  sich  zog. 

Für  den  Zustand,  der  sich  nun  entwickelte,  ist  das  Mann- 
heimer Theater  interessant.  Es  erhielt  seit  1785,  wie  die 
anderen  Bühnen,  seinen  italienischen  Dekorationsmaler,  ein 
Mitglied  der  Familie  Quaglio,  der  alle  neuen  Aufträge  zui- 
allgemeinen  Bewunderung  erfüllte  ;  es  handelte  sich  dabei  vor 
allem  um  Opern  und  um  die  von  Dalberg  selbst  bearbeiteten 
Stücke  z.  B.  Julius  Cäsar   und   Der  Einsiedler  von  Carmel.^) 

Welche  Stillosigkeit  sich  aber  daraus  zunächst  entwickelte, 
zeigt  das  Gutachten  zur  Hebung  der  Mannheimer  Bühne,  das 


')  Fr.  L.  Schmidt,  Denkwürd.  (hi-sg.  v.  Uhde)  11,  135. 

Riehls  Histor.  Taschenb.  1875,     N.  F.  V,  S.  290  f:  „Die  Oper,  die 
Pest  des  guten  Geschmacks." 

«)  Minerva,  Taschenbuch  für  1818,  S.  29U. 
')  Almanach  1811,  S.  41  tf. 
*)  Koffka,  S.  255  ff. 

Pichler,  S.  116  f. 
'')  Iffland,  Theatral.  Laufbahn  I).  L.  D.  24,  S.  58  f.,  75. 

Koffka,  S.  172. 

l'ichler,  S.  85,  «9,  93. 


—      179      — 

Iffland  von  r>erlin  aus  lieferte;  es  helsst  doi't:  „Säle.  Pi'aeht- 
Ziniiner  und  fremde  Kostüme  sind  gut  besorgt ;  allein  die 
täglichen  Zimmei'.  der  einzig  vorhandene  AVald  mit  seinen 
schlechten  Setzstücken  ist  von  dem  Publikum  2G  Jahre  lang 
gesehen  worden.  Diese  Dekorationen  ti-agen  nicht  mehr  die 
Spul"  dei-  Farbe,  und  stai'ren  vom  TJnrath  des  Gebi-auchs." 
Man  möchte  demnach  fast  annehmen,  dass  diese  einzige  W'ald- 
dekoration  daran  schuld  war.  dass  die  Mannheimer  Bühne  im 
ersten  Akt  des  Don  Carlos  keinen  Dekorationswechsel  vornahm.') 

.Jedenfalls  mussten  Stücke,  für  die  keine  Kosten  zu  neuen 
Dekorationen  aufgewendet  \\üi'den  und  keine  Operndekoi'ationen 
zu  brauchen  waren,  unter  diesem  Zustand  leiden.  Für  die 
Jväuber  wurden,  wie  Schiller  selbst  berichtet.^)  zwei  hon-liche 
Dekorationen  eigens  angefertigt,  die  vor  den  übiigen 
jedenfalls  bedeutend  hervorstachen.  Wenn  wii-  uns  nun 
vergegcnwäi'tigen,  wie  die  Ahnengalerie  des  Mooi'schen 
Schlosses,  die  nicht  zu  den  neuen  Anschaffungen  gehörte,  dar- 
gestellt wurde,  so  erkennen  wir  den  Abstand  von  Zimmer- 
mainis  llanibuivcr  Dekoration:  Ks  wurde  die  typische  Galeiüe 
genommen,  ein  Tisch  mit  einem  Noiniengewande  und  ein 
einziger  Sessel  aufgestellt,  und  an  der  zweiten  und  di'itten 
Kulisse  rechts  und  links  heftete  man  des  alten  Moor,  Karls, 
Franzens  und  der  Mutter  l>ildnisse  an.^) 

Das  Wandbild  Karls  im  Schlafzinnner  des  alten  Mooi-, 
voi"  d(?m  dieser  nach  der  15ühncnbearbeitung  einen  Vorhang 
aufziehen  sollte,  ist  im  Mannheimer  Manuskri])t  duich  ein 
Medailloid)ild.  das  er  aus  der  Tasche  holt,  ersetzt.  Unter 
diesen  Umständen  that  Schiller  gut,  auch  in  den  Jiühnenbe- 
ai'beitunyen  des  Don  Carlos  das  Gemälde,    in  dessen  Anblick 


^)  Duncker,  Iffland  in  seinen  Schriften  S.  86.  In  den  Protokollen 
von  1780  (Mart ersteig-  S.  332)  ist  auch  einmal  von  einer  l'arkdekoration 
ilie  Rede:  „So  oft  die  Decoration:  Park  ....  erscheint,  ist  es  nicht  anders, 
als  hänge  unsere  Bühne  ihr  Schild  aus,  warauf  geschrieben  steht:  Ver- 
wirrung- und  Langeweile." 

-)  Goed.  II,  374.  Welches  die  neuen  Dekorationen  waren,  ist  aus  dem 
Hauptltui'h  nicht  zu  ersehen.     Vielleicht  die  von  III,  "2  und   VI. 

•')  Walter  II,  S.  22(J. 

12* 


—     180     — 

Posa  vor  der  Audienz  bei  Philipp   versinkt,  weg"zulassen;    es 
heisst  bloss: 

Er  macht  einige  Gänge  durch's  Zimmer. 
Dass  alle  Ausstattung'sg'eg'enstände  nur  Berechtigung 
hatten,  soweit  sie  in  der  Handlung  eine  Rolle  spielten,  musste 
auf  die  Bühnenanweisungen  von  Einfluss  sein.  AVas  davon 
direkt  eingeführt  werden  sollte,  dazu  wurde  bereits  eine  Person 
in  Beziehung  gesetzt,  wie  wir  es  im  Anfang  von  Kabale  und 
Liebe  sehen: 

Miller  steht  eben  vom  Sessel  auf,  und  stellt  sein  Violonzell  auf 
die  Seite.     An  einem  Tisch  sitzt  Frau  Millerin  — 

Eine  genaue  Beschreibung  der  Räumlichkeit  zu  geben, 
wenn  er  sie  auch  bis  auf  die  Wanduhr  genau  vor  sich  sah, 
konnte  der  Dichter  nicht  den  Mut  haben  und  er  hielt  es  auch 
nicht  für  seine  Aufgabe.  Bis  weit  in  die  zweite  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts  gingen  daher  die  Szenonüberschriften  kaum 
über  die  allgemeinsten  Bezeichnungen:  Zimmer,  Saal,  ^^'ald 
u.  s.  w.  hinaus.  Gottsched  hatte  daraus  sogar  eine  Regel 
gemacht:  „Dieses  geht  den  Poeten  nicht  weiter  an,  als  in  so 
weit  er  sagt,  wo  der  Schauplatz  des  Stückes  gewesen,  darnach 
sich  der  Theatern-Meister  nachmals  richten  muss."*)  Und  Lenz 
noch  preist  es  als  einen  Vorteil  des  dramatischen  Dichtei's 
vor  dem  epischen,  dass  er  sich  um  den  äusseren  Flitter  nicht 
zu  kümmern  brauche:  „das  thut  der  Dekorationenmahler  für 
ihn."0 

Eine  weitere  Konsequenz  ist  nun,  dass  der  Dichter  über- 
haupt nicht  gezwungen  Avar,  seine  Vorstellung  vom  Schau- 
platz zu  plastischer  Anschauung  herauszubilden.  Ein  so  ein- 
heitliches Bild,  wie  das  Zimmer  im  Millerschen  Hause  kommt 
daher  selten  zu  Stande.  In  der  Aufzählung  aller  möglichen 
Gegenstände  im  Dialog  galt  keine  Beschränkung,  da  der 
Dichter  allzu  leicht  vergass,  wie  jede  Erwähnung  eine  indii'ekte 
Bühnenvorschrift  enthielt.  Was  der  junge  Schiller  in  den 
ersten  Stücken  gerade  braucht,    das  führt  er  im  Vei-lauf   der 


»)  Grit.  Dichtk.  (1730),  S.  583, 
»)  Anm.  ü.  Theater,  S.  34. 


—     1  si     — 

Szene  ein,  oliiie  zu  [»i-ütVii.  wii'  es  in  das  Gesamtbild  passt. 
Das  Klavier,  auf  dem  .Vmalia  spielt,  steht  im  Schlafzimmer 
des  alten  Moor;  Fieskos  Schatulle  mit  den  geheimsten  Papieren 
belindct  sich  öffentlich  im  liallsaal;  Avenn  Pistolen  notwendig- 
sind,  so  hängen  sie  gleich  geladen  an  der  Wand,  ob  es  nun 
in  der  Galerie  des  Moorsehen  Schlosses  oder  im  Saal  des 
Pi'äsidenten  ist. 

Von  der  Landschaft  gilt  ähnliches;  die  Szenerie  an  der 
Donau  ist  überladen  und  wii"  vermög'en  nicht  zu  erkennen, 
ob  Schiller  sie  überhaupt  als  abgeschlossenes  lUId  im  liühnen- 
rahmen  schaute  und  wieviel  sein  Gesichtsfeld  umfasste.  Der 
Fiuss  war  in  Mannheim  im  I  lintergiund  zu  sehen  und  darüber 
der  Schein  dei"  untei'gehenden  Sonne;  dagegen  wurden  die 
den  Hügel  heiabweidenden  Pferde,  die  mit  Früchten  beladenen 
lläume.  die  Weinbei'ge,  die  gniinen  schwärmerischen  Thäler 
und  dei-  Jlügel  mit  dem  (iali^eu  den  Augen  des  Publikums 
entzogen. 

Deutlicher  noch  bemerken  wir  bei  dei'  folgenden  Szene, 
die  ja  in  der  liühnenbearbeitung-  wegfiel,  wie  wenig  es  dem 
Dichter,  der  in  und  mit  seinem  Helden  lebte,  dai-an  lag-,  mit 
den  Augen  des  Publikums  zu  sehen.  Die  Szenenüberschrift 
..  LändHche  Gegend  um  das  Moorische  Schloss"  bietet  noch 
nichts  Plastisches;  der  \'ei'lauf  der  Szene  führt  sodann  den 
Hlick  zunächst  über  die  von  der  Vaterlandssonne  beschienenen 
Fluren,  Hügel  und  Wälder,  und  nur  aus  der  Ferne  schauen 
wir  nach  dem  Schloss  hinüber,  nach  den  Schwalbennestern 
im  Hof,  dem  Gartenthürchen  und  der  Ecke  am  Zaun,  bis 
wir  aus  den  letzten  Anweisungen:  „ci-  geht  schnell  auf  das 
Schloss  zu"  und  „er  steht  an  der  Pforte"  mit  Überraschung- 
ei'kenncn,  dass  das  Schloss  selbst  dicht  vor  uns  liegt.  Das 
ganze  ist  das  Muster  eines  mit  Erzählungskunst  entwickelten 
Panoramas,  dem  der  Rahmen  des  Bühnenbildes  vollkommen 
fehU  und  das  auch  die  Phantasie  des  Lesers  nur  als  Wandel- 
dekoration ei'fassen  kami. 

Auch  im  Fiesko  zeigen  uns  Ivleinigkeiten,  wie  der  junge 
Schiller   noch    immer    durch    die    Wände    des   JJühueuraumes 


—      1>^2     — 

hindurchblickte;  es  heisst  z.  15.  II,  4  im  Erzählerstil:  .,Mohr 
eilt  hinunter",  während  die  IMhnenbearbeitung-  (II,  1)  mehr 
Rücksicht  auf  die  thatsächliche  Ausführung-  nimmt  und  ..eilt 
ab"  einsetzt. 

Der  untheatralischen  Phantasie  mussten  erst  Fesseln  an- 
g-eleg-t  werden;  entweder  brachte  die  praktische  Bühnener- 
fahrung ihre  Korrekturen  an  oder  der  Dichter  ging  bei  der 
Malerei  in  die  Schule. 

In  seinen  Regeln  für  Schauspieler  hat  Goethe  den  Satz 
ausgesprochen :M  ..Das  Theater  ist  als  ein  flgurloses  Tableau 
anzusehen,  worin  der  Schauspieler  die  Staffage  macht."  Bei 
mehreren  Gelegenheiten^)  —  so  im  Szenar  der  „Pandoi-a"  — 
nennt  er  auch  den  Namen  des  Künstlers,  der  dem  Tableau 
seinen  Stil  geben  sollte:  „Die  Verehrung  Poussins  A\ii(l  allge- 
meiner und  gerade  diesei-  Künstler  ist  es,  welcher  dem  Deco- 
rateur  im  landschaftlichen  und  architektonischen  Fache  die 
herrlichsten  Motive  darbietet." 

Wie  sehr  dieser  Maler  den  Geschmack  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  beherrschte,  dafür  mag  G  essner  angeführt  sein, 
der  bei  seinen  Spaziergängen  in  der  Natur  selbst  Situationen 
in  Poussins  Geschmack  fand.^)  Überhaupt  wird  diese  Gabe, 
die  Natur  bei'cits  stilisiert  zu  sehen  und  wie  ein  Wei'k  der 
bildenden  Kunst  aufzufassen,  —  auch  Goethe  besass  sie  in 
hohem  Grade  —  von  Diderot  in  seinem  essai  sur  la  peintui-e 
als  Zeichen  der  künstlerisch  hochgebildeten  Zeit  betont. 

Andererseits  ist  zu  beachten,  wie  gei'ade  die  Landschaften 
der  Poussin,  Claude  Lorrain,  Swanefeld  u.  s.  w,  sich  in  ihrer 
Komposition    dem    P)ühncnbild    näherten:    ein    kulissenailiger 


')  W.  A,  I,  15(1.  40,  S.  l»)(j.  Ähnlk'h  hatte  er  schon  am  14.  Au<,'-iKst 
1797  aus  Frankfurt  an  Schiller  geschrieben:  „Die  Dekorationen  sollen 
überhaupt,  besonders  die  Hintergründe  Tableaus  machen."  W.  A.  IV, 
Bd.  12,  S.  232. 

-')  W.  A.  I,  Bd.  40,  S.  109,  117.     Bd.  5Ü,  S.  207. 

^)  Brief  über  die  Landschaftsmalerei  S.  2(!r>, 


—      183     — 

Voriiruiid  an  den  JScitcn.  der  eine  weite  Fernsicht  in  der  Mitte 
frei  lässt. 

Schillei'  Avar  voll  Anerkeinuinir  für  Diderots  Schrift,  die 
Goethe  mit  kritischen  Anmerkungen  versali;  erfand  darin  Finger- 
zeiüc  für  den  Dichter  wie  für  den  Maler.')  Übei"haupt  trat  er, 
während  ihn  in  Dresden  noch  die  vielen  Kunstyespi-äciie  g^e- 
lani^weilt  liabcn  sollen,  wähi'end  seinei'  ästhetischen  Studien  der 
l)ildenden  Kunst  innncr  näher.  Und  so  kann  es  der  Einzel- 
foi-schunir  vielleicht  g-elingen,  für  Dekorationen  oder  Gruppen- 
stcUunL'en  in  den  späteren  Stücken  dieses  oder  jenes  Vorbild 
auf  dem  Nachbari,'ebiet  zu  entdecken,  ohne  dass  freilich  irgend 
ein  Schillerschcs  Stück  ein  so  dankbarer  (Jeg-enstand  sein 
kaiui.  wie  etwa  Goethes  Faust.'') 

Die  Parkszene  in  der  ^laiia  Stuart  mit  ihrem  weiten 
lUick  über  den  See  hin.  auf  dem  ein  Fischer  den  Nachen 
anlegt,  Hesse  wohl  an  ein  Vorbild  der  Landschaftsmalerei 
deidven;  gerade  an  (iemälden  liebte  Schiller  den  weithin  g^e- 
ölfneten  Hintergrund,  wie  seine  Besprechung"  der  Konkurrenz- 
bilder für  die  Pi'opyläen  zeigt.^j 

Die  Tafclszene  in  den  Piccolomini  hat  TieckM  nicht  mit 
Unrecht  mit  einem  N'eroncsc  vergdichen;  Schiller  kannte  die 
Venetianei'  wohl  und  wusstc  den  maleiischen  Charakter  ihrer 
Kunst  zu  schätzen;'')  von  Veronese  im  besonderen  wird 
die  ilochzeit  zu  C'ana  in  S.  (iioi'gio  (jetzt  im  Louvre),  das- 
selbe ilild.  das  von  lleinse'M  im  Ardhingello  übei-schwängdich 
g^elobt  war,  im  Geisterseher  erwähnt;  allerdings  ist  dort 
g-erade    das,     was    Tieck     auch     an     der    Gruppierung'     der 


')  An  Goethe  1-2.  Dez.  9Ö.  An  Kürner  27.  Dez.  90.  Jonas  V, 
131,  137. 

2)  Morris,  Goethestudien  I,  2.  Aufl..  S.  114  If. 

•')  Goed.  X,  S.  53U. 

*)  Dramaturg.  Sehr.  I,  65.     Krit.  Sehr.  III,  -48. 

')  Goed.  X,  S.  103.  Doch  soll  er  nach  Tiecks  Erzählung  bei  seinem 
]5esiich  in  Dresden  1801  den  Koloristen  wenig  Liebe  entgegen  gebracht 
haben.     (Küpke,  Tieck  I,  258). 

•■]   Werke  (hrsg.  v.  Laube  1838)  Bd.  I,  S.  18. 


—      184     — 

Piccolomini  aussetzt,  nämlich  das  geringe  Hervorti-eten  der 
Hauptfig-uren,  g-etadelt.  Dankbarer  für  den  Vergleich  als 
dieses  berühmteste  Bild  des  Meisters  oder  die  Dresdener 
Hochzeit  zu  Cana  sind  andere  Gastmahldarstellung'en  z.  B. 
die  Mahlzeit  im  Hause  des  Levi  (N^cnedig-- Akademie)  odej- 
das  Mahl  des  heil.  Gregor  (V^icenza).  Dort  ninnnt  die  Diener- 
schaft, wie  bei  Schiller,  den  Vordergrund  ein,  und  auf  die 
Tafel  selbst  ist  nur  der  Durchblick  durch  die  Bög-en  dei- 
Architektur  gestattet.  Dass  Schiller  diese  Bilder  in  Stichen 
kannte,  ist  anzunehmen;  es  ist  also  wohl  mögdich,  dass  die 
Anordnung-  der  Dekoration  und  Gruppierung-  dadurch  befruchtet 
Avurde. 

Mit  der  Malerei  ist  sogar  die  Szenerie  des  Parkes  von 
Aranjuez,  wie  sie  in  der  Thalia  vorgeschrieben  ist,  zusammen- 
zubringen. Wenn  es  heisst:  „Die  Beleuchtung-  wird  so  ein- 
gerichtet, dass  die  vordere  Bühne  dunkel  bleibt,  die  hintere 
aber  munter  und  hell  ist,"  so  widerspricht  dies  durchaus  der 
herkömmlichen  iJühnenbeleuchtung-,  stinnnt  aboi-  mit  den  fran- 
zösischen Landschaftern  überein,  die  die  Vorderg-i'undkulissen 
dunkel  hielten,  um  die  Leuchtkraft  der  hellen  Fernsicht  zu 
steig-ern. 

Auch  von  Avirklicher  Naturanschauung-  war  Schillers  Vor- 
stellung'- genährt;  der  Pai'k  von  Aranjuez  hat  heimatliche 
Lokalfarben,  sei  es  nun,  dass  Avir  bei  den  Oi'angenalleen. 
Boskag-en,  Statuen  und  spi-ingenden  Wassern  an  die  Solitude 
oder  an  Schwetzingen,  bei  dei-  dazu  kontrastierenden  Ein- 
siedelei an  Hohcnheim  odei'  an  den  Dresdener  Grossen  Garten 
denken  wollen.')  Die  ländliche  Geg-end  um  das  Moorischc 
Schloss  ist  eine  schwäbische  Landschaft,  ebenso  die  Gegend 
an  der  Donau,  bei  der  übi-igens  auch  an  den  Sonnenunter- 
g-ang-  an  dei'  Donau  in  Millers  Siegwart  eriiniert  werden 
kann.^) 


')  Minor  I,  Sl,  82.  II,  42(5,  581.  Den  Sch\v('t/,iii,i,a'r  l'ark  bozeichiiet 
Charlotte  von  Schiller  ausdrücklich  als  Urbild.  Urlichs,  Charl.  v.  Seh.  I, 
S.  98. 

'0  Siegwart,  2,  Aufl.,  Leipz.  1777,  S.  14. 


—     185     — 

Der  Poussiiiisclie  Stil  hatte  sicli.  wio  Goethe  {)ries.  von 
der  blossen  Aus-  und  Ansicht  wii'kiielier  dlei^enstände  zur 
hölicren  ideellen  Darstclluntr  ci-hohen.  In  seinem  letzten 
Drama  entfei-nte  sich  Schiller  wieder  von  diesem  Idealstil  und 
wandte  sich  dem  entijrciicngesetzten  Prinzip  zu,  der  p]chtheit 
des  Schauplatzes.  Während  man  zu  Weimar  in  derDekoi'ation  des 
Teil  ..nur  mässi^-,  wiewohl  schicklich  und  charakteiistisclr'  ver- 
fuhr.') kam  Schiller  cincni  ^^'unsclle  Jl'flands  entg'ci^-en.  wenn 
er  den  Schauplatz  wirklichkeitsi^etreu  entwai'f.  deini  Iftlaiul  Hess 
das  lU'i'liiU'i- i'iihlikum  i^crn  eiiu'  bekannte  Ortlichkeit  erkennen.-) 
l'nd  so  sind  dcini  nielit  nur  im  Uuchdranui,  sondern  auch  in 
den  I)ekorationsanij:aben,  die  Schiller  au  LfHaiid  sandte,^)  statt 
einei-  rein  tbrmalen  J>eschi"eibun,i:"  wirkliche  Xamen  aulVezählt: 
der  ilakenber^i'.  die  (Uarischen  Kisirebiiiic  u.  s.  w. 

l^s  yenüüte  für  Schiller  nicht,  den  Dekorateui-  aul'dic  Ahcr- 
lischen  Schweizei'landschal'tcn.M  duich  die  er  selbst  ani^-er('<4t 
woi'den  war.  zu  verweisen,  sondern  er  Hess  durch  einen 
Zeichnci'  ciLicne  I^ntwüi-Cc  herstellen.-^)  X'ielleieht  wurde  er 
dazu  durch  (ioetlie  veranlasst,  der  skizzierte  Vorlagen  anzu- 
fertigen liebte  und  auch  einmal  im  Entwurf  einer  Tras^ödie 
den  Grund  dafür  vermerkt:  ..weil  man  der  Worte  zu  viel 
Liebi-auchenmüssteund  sich  doch  Niemand  heraustinden  wüi'de.")"' 

Die  bedeutende  Entwickelunii-  in  der  Hestinmitheit  der 
l)ekorationsanfoi(lerun,üen,  die  Avir  an  Schillei'  beobachten, 
koiuite    sich    nur  vollziehen,   wenn    er    eines    Theaters    sicher 

')  Ta«."--  u.  .lahro.sht'l'te  ISdl  \V.   A.   I.   IM.  .'J.'),  S.   ISO. 

■)  Ifllaml  an  Schiller  "JS.  .luli  1S03.     Tcichniaiin,  S.  '2-2-2. 
Klinjj-tMiiann,  Kunst  n.  Xatur  III,  370. 

■')  An  IfHand  .').  Dez.  1803.     Jonas  VII,  S.  Dl». 

■•)  Dass  ein  IJlatt  dieses  Schweizer  Kunstindustrielien  auf  eine  be- 
stimmte Dekoration  eingewirkt  habe,  ist  nicht  anzunehmen,  dagegen  konnten 
die  kolorierten  J^adierungen  wohl  auf  die  allgemeine  Lokalfärbung  von 
Einfluss  sein.  Trotz  ihres  geringen  Kunstwertes  waren  diese  Arbeiten 
damals  sehr  belielit  (Sulzer,  Th.  d.  seh.  Künste  II,  <)55).  In  Weimar  hatte 
schon  1771)  Herzogin  Amalia  einige  Blätter  erworl)en  (Wagner,  Briefe  an 
Merck  I,  155).     Goethe  besuchte  Aberli  auf  der  Schweizerreise  177Ü. 

•'•)  An  Ifrtand  ü.  Nov.  1803.     Jonas  VII,  Ü3. 

'')  W.  A.  I,  Bd.  11,  S.  343. 


—     186     — 

war,  das  alle  "Mittel  daran  setzte,  jede  kleinste  Vorschrift  zu 
erfüllen.  Er  besass  dieses  später  in  der  Berliner  Bühne  unter 
Ifflands  Direktion;  aber  auch  Weimar  that,  Avas  in  seinen 
Kräften  stand,  und  dort  konnte  Schiller  bei  den  Proben  selbst 
zuireijen  sein.  Als  Regisseur  seiner  eigenen  Stücke  Avar  er  zur 
g-enauen  plastischen  Vorstellung  aller  Einzelheiten  gezwungen. 
Schon  sein  Verhältnis  zur  Mannheimer  Bühne  hatte  ihm 
einmal  eine  so  verhältnismässig  präzise  Vorschrift  gestattet, 
wie  im  zAveiten  Aufzug  von  Kabale  und  Liebe:  ..zurrechten 
Hand  steht  ein  Sofa,  zur  linken  ein  Flügel."')  Die  Thalia- 
fassung des  Don  Carlos  geht  zunächst  darin  weiter ;  sobald 
aber  die  Verbindung  mit  dem  Mannheimer  Theater  abge- 
brochen ist,  wagt  sich  Schiller  den  fremden  Theaterdirektoren 
gegenüber  mit  keinerlei  V'orschriften  heraus  und  die  Bühnen- 
bearbeitungen des  Don  Carlos  sind  in  Bezug  auf  Dekorations- 
angaben das  Kahlste,  was  er  geschrieben  hat. 

In  Weimar  dagegen  nimmt  er  gleich  wieder  den  Standpunkt 
des  Regisseurs  ein  und  der  vierte  Aufzug  der  Piccolomini 
\vm\  mit  einer  so  langen  und  ins  Einzelne  gehenden  Anweisung 
eröffnet,  Avic  Schiller  sie  nie  vorlier  gCAvagt  hätte  und  Avie  sie 
auch  bei  anderen  Di-amatikern  der  Zeit  noch  selten  ist.  Und 
in  Berlin  folgte  man  allen  Anordnungen  so  genau,  dass  es 
auf  den  ersten  Blick  fast  erscheint,  als  hätte  der  Berichter- 
statter ^)  seine  JJeschreibung  mit  einigen  Ausschmückungen 
aus  der  Buchausgabe  abgeschrieben: 

,.Ein  alt  g-othischer  Saal,  zwar  in  unverkrüppeltem  gothischen 
Geschmack,  doch  ohne  die  Sitten  der  Zeit  zu  beleidigen,  war  von 
Herrn  Verona  für  dieses  Schauspiel  gemalt  worden.  Ein  freistehen- 
der Säulengang  quer  über  die  Bühne  hin,  scheidet  ein  Drittel  des 
Saales  von  dem  vordem  Raum.  Vor  diesem  Säulengange  war  die 
erste  Tafel  zu  acht  Personen,  deren  vordere  Seite  nach  den  Zuschau- 
ern zu  unbesetzt  war.  Hinter  den  Säulen  war  auf  beiden  Seiten 
eine  Tafel  von  sechs  Personen,  im  Hintergrunde  eine  Tafel  von  acht 
Personen,  welche  auf  beiden  Seiten  besetzt  war.     Alle  Tafeln  waren 


*)  Rechts  und  links   wurde    damals    vom  Zuschauer   aus    gerechnet ; 
im  Teil  I,  1  ist  dies  ausdrücklich  ausgesprochen. 

"')  Jahrb.  d.  preuss.  Monarchie  17Ü9;  Braun  II,  361  f. 


—     187     — 

mit  Tisclitüchfrn  beleij-t,  tlie  mit  Fransen  besotzt  waren.  Die  Ge- 
richte waren  voll.ständit,'  und  nach  damalis^er  Sitte  überhäuft.  Es 
ward  aus  Bechern  getrunken  und  aus  sprossen  .silberartigen  Kannen 
kredenzt. 

Die  Schenke  war  mit  Bechern,  Kannen,  Humpen,  einem  gro.ssen 
Schwenkkessel  und  grossen  Schüsseln  be.setzt;  die  Beleuchtung  des 
Saales  geschah  durch  gros.se  Gueridons  im  alten  Kostüme,  die  Tafeln 
selbst  waren  mit  runden  Leuchtern  in  der.sell)en  Form  besetzt.  Das 
astrologi.sche  Zimmer  war  ganz  nach  der  Beschreibung  eingerichtet, 
welche  der  Dichter  davon  gegeben  hat". 

Was  bei  dieser  Schilderunj.'-  .sofort  aiittäilt.  das  ist  das 
schon  erwähnte  Prinzip  der  Echtheit,  das  in  IJeilin  (htmals 
bis  zur  Überti'eibunii"  durchgeführt  w  ui'de.  Iffland,  dem.  ob- 
wohl er  sich  dei*  UnterstützuuL'"  SchinUels  l)ediente,  ein  eige- 
ner feinerei'  (Jeschniack  in  Dekorationen  nicht  nachiicrühnit 
wird'),  kaiui  iWv  ersten  Ani'i'i:uni:cii  (hirch  1  )all)erL! ciiiitraniicn 
haben,  wenii^stens  rühmt  ei'  in  seiner  Theatrah.schen  Lauf- 
bahn ')  die  Dekoration  des  Julius  Cä.sar  in  Mainiheim.  wo 
•  las  Kapitolium  nacli  einem  trctreuen  Abriss  darf.;cstellt  -wurde, 
[ftlauds  Nachfol.<:er.  der  Graf  von  Hrühl  s^inir  in  dieser  Rich- 
tunii-  noch  weiter,  und  so  entstand  damals  bereits  in  Pieiiin 
eine  Alt  Meininiiertum  und  Flatens  Spott  im  Romantischen 
Ödipus  war  nicht  iiiuvA  unberechtigt: 

..So  niusste  neulich  aus  Berlin  sogar 
J^is  Aranjuez  ein  Maler  sich  mit  Extrapost 
Begeben,  blos  um  nachzusehji  im  Garten  dort, 
Wo  die  von  Schillers  l)uhlerischer  Eboli 
Gepflückte  Hyazinthe  steht". 

fioethe  konnte  als  'fheatei-jeitei'  von  Weiniai'  aus  diesem 
Aufwand,  mit  dem  zu  wetteifern  ihm  die  Mittel  fehlten,  neid- 
los zusehen.  In  spätei'ei'  Zeit,  als  er  selbst  mit  dem  Theater 
nichts  melir  zu  .schaffen  hatte,  hat  er  sich  über  den  Rerlincr 
Luxus  ausg-esprochen^)  und  trotz  der  Anerkennung',  wie  genau 


')  Teichmann  S.  108. 
-)  D.  L.  D.  24,  S.  58  f. 

■')  Gespräch  mit  Lobe.  .Ulli  IS'iO.     v.  Biedermann.  Goethes  Gespräche 
Bd.  IV,  S.  47,  5-2. 


—     188     — 

alle  Absichten  des  Dichters  zur  Erfüllung  g-elangten.  auch  die 
Nachteile  hervorgehoben : 

„Erst  müssen  die  Decorationsmaler  und  Maschinisten  dem  Pub- 
licum nichts  Neues  mehr  bieten  können,  das  Publicum  von  dem 
Prunk  bis  zum  Ekel  übersättigt  sein,  dann  wird  man  zur  Besinnung 
kommen  — ". 

In  der  früheren  Zeit  dachte  Goethe  noch  nicht  so  streng, 
und  dass  auch  yehiller  dem  Dekorationsluxus  freundlich  ge- 
sinnt war  und  ihm  Vorschub  leistete,  indem  er  dem  Deko- 
rationsmaler und  Maschinisten  immer  wieder  Gelegenheit  zu 
neuen  überraschenden  Leistungen  bot,  beweisen  die  letzten 
Stücke,  der  Teil  und  vor  allem  der  Demetrius. 

Ein  anderer  Schritt  auf  dem  Wege  der  Echtheit  war 
die  Einführung  der  geschlossenen  Zimmerdekoration  ^).  Goethe 
hat  sich  in  Dichtung  und  \\^ahrheit ')  absprechend  über  diese 
Neuerung  geäussert,  die  er  als  verfehlte  Konsequenz  der 
Diderotschen  Natüi-lichkeitstheorie  auffasst;  Schiller  hat  sie 
wohl  überhaupt  nicht  kennen  gelernt.  Auf  dem  Berliner 
Schauspielhaus  wurden  die  Versuche  erst  1825  gemacht  und 
misslangen ;  nur  die  Vervollkommnung  der  Bühnenbeleuchtung 
konnte  diese  Neuerung  möglich  machen.  Vorher  hatte  man 
schon  bei  der  Privatauttuhi'ang  des  Faust  beim  Fürsten  Rad- 
ziM'ill  1819  Fausts  Arbeitszimmer  als  vollkommenes  Zimmer 
dargestellt;  in  Königsbei'ü  war  1808  von  Breysig  ein  ganzer 
Theaterbau  darauf  eingerichtet  worden;  der  Erste  aber  Avar 
bereits  Friedrich  Ludw.  Schröder  y-ewesen,    der  seit  1790  in 


')  Devrient  III,  KiS.  IV,  228. 

Hagen,  Gesch.  d.  Theat.  i.  Preussen  S.  tJH9  if. 
Brühl  an  Goethe  2(5.  Mai  1H19,  Teichmann,  Lit.  Nachl.  S.  248. 
Schütze,  Hamburg.     Theatergesch.  S.  700. 
Fr.  L.  Schmidt,  Denkwürdigk.  II,  ISO. 
Auch  in  Paris  kamen  in  den  neunziger  Jahren  die  Kulissen  ab  (.Journ. 
d.  Lux.    u.    d.    Mod.     Okt.  1798,  S.  575)    und  Böttiger  nennt  die  Pariser 
Theater  als  Vorbilder  der  Schröderschen  Einrichtung.     (Fleischers  Minerva 
1818,  S.  209). 

■-')  W.  A.  I  Bd.  28,  S.  G5. 


—     189     — 

HambiD'ir  an  Stelle  der  Flüo-cl  Seitenprospekte  beinahe  senk- 
recht zum  Hintergründe  aufstellte. 

Der  Kami)f  gegen  die  Gebrechen  der  perspcktivisclien 
Kulissendekoration,  wie  sie  von  der  italienischen  Oper  ausge- 
bildet war '),  wurde  oft  von  falschen  Gesichtspunkten  aus 
g-eleitet.  Nur  weniire  wollten  wie  Tieck  an  die  Stelle  des 
unvollkommenen  Truires  eine  wirkliche  Architektur  setzen,  an 
die  sich  die  Spielenden  jLreistig'  und  körperlich  anlehnen  könn- 
ten *).  Die  meiste  Geg"nerschaft  ging  darauf  aus.  fiii-  die  Kunst 
des  Dckorationsmalei's  noch  nichi-  Selbstäiidii:keit  zu  ircwiinien, 
und  es  ist  bezeichnend,  dass  l'iii'  die  ersten  Versuche  mit  der 
geschlossenen  Dekoration  der  Name  Panorama  eing-eführt 
wurde;  es  handelte  sich  eben  nicht  um  einen  Kaum,  sondei-n 
um  Gemälde.  Der  Hauptverfechtcr  dieser  Richtung,  lireysig 
ging  daher  so  weit,  das  neue  Prinzip  auch  auf  die  freie  Na- 
tur auszudehnen  und  eine  geschlossene  Walddekoration  zu 
schaffen,  die  das  Auftreten  der  Pei'sonen  übei'liaupt  nui'  von 
voi'idier  zuliess. 

So  wenig  nahm  die  entwickelte  Dekorationsmalerei  auf 
das  Drama  Rücksicht;  sie  fühlte  sich  nicht  mehr  in  dienender 
Stellung,  sondern  als  selbständige  Kunst.  Die  (Jefahr,  die 
bereits  Gottsched  ^)  als  drohend  erkannt  hatte,  war  nun  he- 
i-eingebrochen  und  der  symbolische  Kampf  zwischen  Poet  und 
Maschinist,  wie  ihn  Tieck  in  der  Verkehrten  Welt  ausfechten 
lässt,  endete  oft  mit  dem  Sieg  des  Zweiten:  „Und  sie  sollen 
die  Dekorationen  vorziehn!''  Und  was  wii-  in  Tiecks  ge- 
stiefeltem Kater  als  guten  Witz  lesen:  „Die  Dckoi-ation  wird 
herausgerufen'',  das  ereignete  sich  in  Wirklichkeit  so  manches 
Mal '). 

Die  berühmten  italienischen  Dekorationsmaler  Ribbiena, 
Servandoni,  Quaglio,  Colomba  waren  Fürsten  des  Theaters; 
Servandoni,    der    am  Stuttgarter  Hof   eine  enorme  l>esoldung 


1)  Prülss,  Kurzgef,  Gesch.  d.  D.  Schauspielk.     lüOt),  S.  90  f. 
■■)  Dramaturg.  Sehr.  11,  297  ff. 

Der  juiige  Tischlernieister  II.  S.  71  f. 
■')   IMiaiitasus,  Schriften  IH-J.S   lid.   \\  S.  429,  27<>. 


-—     190     -- 

örhielt  ^),  hatte  es  vorher  in  Paris  fcrtif;-  o-ebraeht,  die  leben- 
den Personen  überhaupt  von  der  J>ühne  zu  verbannen  und  in 
einem  stundenlangen  speetacle  de  decoration  die  Geschichten  der 
Pandora,  des  Tasso,  des  Leander  und  der  Hero  als  Gemälde 
vor  den  Zuschauern  vorbeiziehen  lassen  ^). 

Die  Einwände,  die  Diderot  noch  erhoben  hatte,  dass  die 
schönste  Verzierung-  doch  nur  ein  Gemälde  zweiter  Ordnung- 
sein dürfe  ■^),  galten  nun  nichts  mehr;  die  übermächtig  g-e- 
Avordene  Dekorationskunst  machte  dieselben  Rechte  geltend, 
wie  die  selbständige  Malerei;  sie  Hess  sich  nicht  verwehren, 
ebenso  wie  die  Landschaftsmalerei,  ihre  Perspektiven  mit 
ytaflfagefiguren  zu  beleben.  Nicht  nur  auf  kleinen  Winkel- 
bülmen  konnte  man  Rokokokulissen  mit  weidenden  Schafen 
linden  und  einen  Hintergrund,  auf  dem  eine  lustwandelnde 
Gesellschaft  von  Spaziergängern  beständige  leblose  Zuschauer 
abgaben*).  Als  Goethe  1797  auf  der  Reise  nach  der  Schweiz 
sich  in  Frankfurt  aufhielt,  besuchte  er  das  Atelier  eines  ita- 
lienischen Dekorationsmalers  Fuentes  und  bewunderte  dessen 
Leistungen.  Die  gemalten  Zuschauer  erwähnt  er  ausdrücklicli, 
ohne  sich  daran  zu  stossen;  ja,  als  Abkehr  von  der  Wirklich- 
keitsdarstcllung  und  Natürlichkeit  musste  ihm  diese  Kunst 
sogar  einen  Fortschritt  bedeuten;  er  wurde  zu  einer  Abliand- 
lung  „Uebcr  AVahrheit  und  W'ahrscheinliclikeit  der  Kunst- 
werke" angeregt,  in  der  er  die  Berechtigung  der  gemalten 
Statfagefiguren  ganz  ernsthaft  verteidigte  ^).     Nachdem   diese 

0  Sittanl, Gesch. (1.  Musik  u.d. Theaters  am  Württembergf.  HofelT.S  (51. 

-')  Tiautniaim,  Zur  Entwicklung-sg-eschichte  der  Theater-Decoratioii  in 
Scliiieiders  Werk  Die  Internationale  Ausstelluno-  für  Musik  und  Theater- 
wesen.    Wien  1892  S.  297  f. 

Bapst,  Essai  sur  l'histoire  du  theätre  S.  477  f. 

=0  Theat.  d.  H.  Diderot.  II,  420,  428.  Auch  Sulzer  (Th.  d.  seh.  K. 
II,  1230)  sagt  vom  Dekorateur:  Er  hat  das  Seiuige  zum  Schauspiehl  am 
besten  gethan,  wenn  der  Zuschauer  g-ar  nicht  an  seine  Arl)eit  denkt. 

*)  Brandes,  Meine  Lebensg-eschichte  II,  S.  124. 

')  W.  A.  I,  Bd.  47,  S.  257  ff.     III,  Bd.  2,  S.  81  ff. 

Die  Theorie  der  älteren  italienisclien  Dekorationsmalerei  (Serlio)  liatte 
lebende  Personen  nicht  gestattet.  Flechsig,  Die  Dekoration  der  modernen 
Bühne  in  Italien.     Diss.     Leipzig  1894  S.  79. 


—     191     — 

1708  in  (Ion  Propyläen  erschienen  wai-,  fand  sie  im  Joui-nal 
des  Luxus  und  der  Moden  ')  Widerspruch  durch  einen  Leip- 
zi<,'-er,  namens  Ch.  A.  Micliaelis.  der  gc^^cn  die  Vci-einiuunu- 
von  Malerei  und  Plastik  protestierte.  Allein  Goethe  hat 
diesen  Einwänden  vielleicht  weniger  licachtunü"  fj'eschenkt,  als 
dem  folyenden  Auf)!;atz  des  .Jouinals.  <lei'  von  den  Kunst- 
stücken, die  auf  dem  Londoner  Theater  mit  bewej.dichen  De- 
korationen geleistet  wurden,  berichtete.  Auf  die  Untei'stützung- 
von  »Seiten  dieser  Künste  scheint  er  auch  bei  eigenen  Dich- 
tungen gerechnet  zu  haben;  bei  dem Entwui-f  einer  Tragödie  kann 
man  im  Zweifel  sein,  ob  das  fci'ne  Herannahen  eines  Zuges 
nicht  durch  einen  beweglichen  Hintergrund  dargestellt  werden 
sollte'-),  und  die  Wali)uriiisnaclit  im  Faust  ist  nur  als  Wandel- 
dckoration  deidvbar.  Wenn  sich  also  Goethe  später  gegen  den 
Aufwand  an  ]\Iascliiiiei-ie  aussprach,  so  war  es  doch  nur  die 
Übersättigung  daran,  gegen  die  er  sich  wendete,  nicht  die 
ganze  Richtung.  Im  .Jahre  181,5  kam  ein  Schüler  jenes 
Fuentes,  IJeuther  nach  Weimar,  der.  wie  Goethe  berichtet''), 
„durch  perspektivische  Mittel  unsere  kleinen  Räume  in's 
Gränzeiilose  zu  erweiteiTi.  duix'h  chai'akteristische  Aichitektnr 
zu  vcrmanniclifaltigen.  und  durch  (Jeschinack  und  Zierlichkeit 
höchst  angenehm  zu  machen  wusste''. 

Und  kommen  wii-  nun  zu  .Schiller,  so  tindeii  wir  ihn  im 
Demetrius  in  deutlicliem  Kinvcrständnis  mit  dem  Stil  der 
Upcrndekoration.  Deim  Hiirziig  in  ^loskaii  ')  handelt  es  sich 
darum,  eine  unabsehbare  Menge  darzustellen:  „Eine  lange 
Strasse  hinab  sieht  man  gemahlte  Zuschauei',  Kopf  an  Koi)f. 
ebenso  auf  Fenstern  und  Dächern  —  Dieser  reiche  Anblick 
des  Menschengedränges  muss  auf  einmal  das  Auge  treifen. 
wenn  eine  Gardine  gezogen  wird".  Eine  andere  Eigenschaft 
der  Opernbühne    hatte  Schillei'    schon    in  den  ersten  Stücken 


*)  Jourii.  d.  Lux.  u.  (1.  Mod.  März    1799.      S.  121  ff..    12')    ff". 
-)  W.  A.  I,  Bd.  11,  S.  338,  343. 

'■')  Tas"-    n.    Jalireslicfte  1815,     W.  A.  I,    IM.  3fi.    S.  lOl.     Ivlinge- 
iiianii.   Kunst   ii.  Xatnr  I,  480   U'. 

')  Ürani.  Naclil.  I,  S.  lOo,  201. 


—     192     — 

ansrenommon.  nämlich  die  Tiefe  des  Raumes,  die  es  ermöfi^- 
lichte.  ,.8eenerien  und  Gruppen  hintereinandei-  aufzuthürmen 
und  Chöre  und  Aufzüge  aus  dem  fernsten  Hintergrunde  in 
Front  hervorrücken  zu  lassen*)." 

Die  Achse  des  Schillerschen  Theatei's  Aveist  in  die  Tiefen- 
dimension. Er  begnügt  sich  nicht  mit  dem  sehr  langen  aber 
ganz  schmalen  Sti'eifen,  auf  dem  die  Romantiker  nach  Bas- 
reliefart die  Personen  operieren  lassen  wollten;  er  verfügt 
gern  über  mehrere  Räume  und  gewinnt  sie  durch  ein  Hinter- 
einander z.  B.  bei  der  Tafelszene  der  Piccolomini,  während 
Goethe  ein  Nebeneinander  bevorzugte  und  in  den  Mit- 
schuldigen wie  in  der  Wette  die  Breite  dei"  Bühne  durch  eine 
Zwischenwand  halbierte.  Eine  Lieblingsvorstellung  Schillers 
—  man  mag  dabei  an  die  lange  Zimmei'flucht  der  Militär- 
akademie denken  —  war  der  Durchblick  durch  verschiedene 
Räume  und  das  weit  von  hinten  her  sichtbare  Auftreten  der 
Personen  aus  der  Tiefe. 

„Aussicht  von  vielen  Zimmern"  heisst  es  im  fünften  Akt 
der  Räuber,  und  Amalia  kommt  im  ersten  Aufzug  dei"  Bühnen- 
bearbeitung „langsam  durch  die  hintci'n  Zimmer."  Tu  Kabale 
und  Liebe  II,  2  erscheint  dei-  Major  durch  das  \'orziunner, 
und  im  Don  Carlos  wird  wiederholt  von  diesei-  Tiefe  der 
Bühne  Gebrauch  gemacht: 

III,  9  Der  König  erscheint  in  dem  angrenzenden  Zimmer,  wo 
er  einige  Befehle  giebt. 

V,  2  Alba  entfernt  sich.  Man  sielit  ihn  noch  eine  Zeitlang 
im  \'orhofe  verweilen  und  Befehle  austheilen. 

V,  9  Alle  entfernen  sich.  Der  König  folgt  ihnen  durch  zwei 
Zimmer  und  riegelt  alle  Thüren. 

Die  dritte  Vorschi-ift  ist  seit  der  Ausgabe  von  1801 
weggefallen;  in  den  lUihnenbearbeitungeii  fehlen  alle  drei, 
weil  die  kleineren  Theater  dadui'ch  vor  eine  unmögliche  Auf- 
gabe gestellt  Avorden  wären. 

')  Aus  Sempers  Gutachten  zum  Dresdener  Theaterbau  1838.  l'rölss, 
rjcs-h.  d.  Hofth.  zu   Drpsdcn,  S.' 495. 


—     193     — 

Im  Wallenstein  verspi-ach  sich  Schiller  noch  einmal  be- 
sondere Wirkun<>-  von  dem  letzten  Abgehen  Wallensteins,  das 
dinch  einen  langen  Gang  hin  verfolgt  werden  soll;  später 
rechnet  er  mit  diesen  Durchblicken  nicht  mehr. 

Ob  der  lange  Gang  bei  der  Aufführung  in  Weimar  dar- 
gestellt wurde,  ist  die  Frage ;  wenigstens  berichtete  Böttiger 
bei  Gelegenheit  von  Ifflands  Gastspiel  als  Franz  Moor,  dass 
das  Thcatei-  nicht  genug  Tiefe  habe,  um  die  Aussicht  in  einige 
Hinterzimracr  zu  öffnen;')  trotzdem  lässt  sich  vermuten,  dass 
»Schiller  nichts  Unmögliches  verlangte,  denn  er  nahm  gerade 
beim  Wallenstein  über  die  theatralische  Ausführbarkeit  der 
Dekorationen  Rücksprache  mit  Goethe,')  In  den  folgenden 
Stücken  war  er  noch  vorsichtiger;  wenn  es  im  Druck  der 
Jungfrau  voi-  der  Montgomeryszene  heisst:  „Johanna  zeigt 
sich  in  der  Ferne,"  so  ist  diese  Anweisung,  die  noch  an  die 
-lugendstücke  erinnert,  in  den  Ijühnenbearbeitungen  ersetzt 
duich:  „erscheint  auf  einer  Anhöhe."  Am  deutlichsten  aber 
ist  die  gewissenhafte  Rücksichtnahme  auf  den  zur  \'erfügung 
stehenden  Raum  im  Teil  zu  erkennen.  Schiller  schrieb  für 
den  Apfelschuss  die  grösste  Tiefe  des  Theaters  vor,  die 
möglich  war,  denn  er  brauchte  die  ganze  Länge  der  Diagonale 
als  Entfernung  des  Schützen  von  seinem  Ziel.  Es  ist  interessant, 
ihn  hierin  mit  semen  \'orgängern  zu  vergleichen.^)  Im  Urner 
Tellenspiel  und  bei  Ruef)  sind,  obgleich  dei-  mittelalterliche 
Schauplatz  vollen  S[)ieli'aum  gelassen  hätte,  keine  Entfernungen 
angegeben,     llenzi   konnte   2(mi  Schi-ittc  annehmen,  da  er  den 


')  Böttiger,  Die  Entwickl.  d.  Iffland.  Spiels  S.  318.  Auf  zwei  Stichen 
ini  Taschenbuch  für  Damen  1805  fühlt  der  Gang  seitwärts  in  die  Kulissen- 
gasse und  öffnet  sich  nicht  dem  Auge  des  Zuschauers. 

-)  An  Iffland  24.  Dez.  1798.     Jonas  V,  477. 

Goethe  an  Schiller  29.  Dez.  98.     W.  A.  IV,  Bd.  13,  S.  362. 

^)  Koethe,  Die  dramat.  Quellen  des  Schülerschen  Teil.  Festg.  f. 
Hildebrand  1894.     S.  264. 

■*)  Bächtold,  Schweizerische  Schauspiele  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
III,  S.  28,  95. 

Flechsig.  Die  Dekoration  der  modernen  Bühne  in  Italien.  Diss. 
Leipz.  1894,  S.  81  f. 

Palaestra  XXXIL  13 


—     194     — 

Schuss  hinter  die  Szene  verleg^te;  ebenso  kann  es  in  Ambühls 
Schweizerbund  200  Schritt  heissen.  weil  der  Auftritt  erst 
nach  dem  Schuss  mit  dem  Beifallklatschen  des  \'olkes  be- 
ginnt und  Walther  schon  mit  dem  Pfeil  am  Apfel  herang^e- 
sprung-en  kommt.  In  Ambühls  Teil  wird  der  Schuss  selbst 
auf  der  Bühne  dargestellt,  aber  der  Knabe  steht  auf  der 
Seite  des  Theaters,  wo  er  nicht  zu  sehen  ist;  die  Entfernung 
ist  auf  120  Schi'itt  vermindert.  Schiller  lässt  Schützen  und 
Ziel  zugleich  sichtbar  sein;  er  verküi'zt  also  die  Schussweite 
auf  80  Schi-itte. 

Vollkommener  Realismus  wird  dabei  immer  noch  nicht 
möglich  gewesen  sein;  der  Illusion  des  Publikums  blieb  noch 
eine  Aufgabe,  denn  Walther  durfte  nicht  einmal  im  äussersten 
Hintergrund  der  Bühne  stehen,  wo  seine  Figur  Schatten  ge- 
worfen hätte  und  jedenfalls  zu  dem  in  perspektivischer  Ver- 
küi-zung  gemalten  Prospekt  in  ein  allzu  auifallendes  Missver- 
hältnis getreten  wäre. 

Mit  den  ungeheuren  Perspektiven,  wie  sie  die  Bibbiena 
und  Servandoni,  als  Ausläufer  der  Barockkunst,  in  die  Theater- 
dekoration eingefühi't  hatten,  waren  überhaupt  mancherlei 
Nachteile  verbunden.  Da  diese  Durchblicke  durch  eine  un- 
endliche Flucht  von  Sälen  und  Hallen  nur  eine  illusorische 
Tiefe  bildeten,  war  ein  Auftreten  von  hinten  her  ausgeschlossen, 
ja  es  durfte  eigentlich  überhaupt  niemand  auf  dei-  Hinter- 
bühne Stellung  fassen,  es  sei  denn,  dass  er  einen  Riesen  dar- 
zustellen hatte.') 

Dieser  Schwierigkeit  stand  auch  Schiller  gegenüber,  so- 
bald er  mit  der  perspektivischen  Dekoration  rechnete  z.  B. 
in  der  Zwinguriszene.  Das  Gerüst  mit  den  Ai'beitern  durfte, 
wenn  es  im  ganzen  Umfange  sichtbar    sein    und    den  Hinter- 


*)  Bapst,  Essai  sur  l'histoire  du  theätre  S.  384. 

Auf  dem  französischen  Theater  scheint  man  darauf  besonders  g-eachtet 
zu  haben.  Seckendorf  (V^orlesungen  über  Reklamation  und  Mimik  II, 
S.  277)  berichtet:  „Man  ist  im  Ballet  zu  l'aris  so  weit  gegangen,  dass 
man  die  Berspektife  durch  mehrere,  verschieden  grosse  Personen,  als  eine 
gekleidet,  bei  Auftritten  aus  grosser  Entfernung,  hat  beobachten  lassen 
und  die  Wirkung  soll  günstig  gewesen  sein." 


—     195     — 

grund  ausfüllen  sollte,  nicht  in  natürlichen  Verhältnissen  er- 
scheinen. Es  blieb  also  nur  übrig-,  es  entweder  mehr  in  den  Vorder- 
j^-rund  an  die  Seite  zu  schieben  und  den  Hinterirrund  frei 
zu  lassen,  wobei  der  auf  der  ganzen  Szene  lastende  Eindruck 
des  drohenden  Zwing-schlosses  hätte  g-eopfert  werden  müssen 
—  oder  für  eine  perspektivische  Yerkürzunir  zu  sorgen;  diese 
musste  sich  dann  natürlich  auch  auf  die  Personen  erstrecken. 
Gemalte  Arbeiter  waren  bei  dei"  rastlosen  Bewegung,  die 
auf  der  Hinterbühne  herrschen  sollte,  ausgeschlossen.  Schiller 
kam  infolgedessen  auf  die  glückliche  Auskunft,  die  Werk- 
leute durcii  Kinder  darzustellen;  ein  Mittel,  dessen  sich 
später  auch  Goethe  bei  der  Einrichtung  seiner  Proserpina 
bediente.  M 

Vielleicht  daif  man  die  Konsequenzen,  die  aus  der  Rück- 
sicht auf  liüiinenpeispcktive  erwachsen  mussten,  noch  weiter 
verfolgen.  Fischer,  Alpenjäger,  Hirt  sind  im  Anfange  des 
Teil  symbolische  Figuren,  die  mit  ihren  symmetrischen  Lied- 
strophen, durch  ihre  auf  Matten,  Fels  und  See  verteilte  Auf- 
stellung das  ganze  Schweizer  \'olk  in  seinen  drei  Haupt- 
berufsarten verkörpern.  Warum  ist  diese  Symmetrie  gestört 
und  in  die  Funktionen  des  Fischers  der  Fischerknabe  einge- 
treten? Vielleicht  nur  deshalb,  weil  die  (xestalt  des  ausge- 
wachsenen Mannes  zu  dem  verkleinerten  Kahn  in  der  Tiefe 
der  Bühne  in  Widerspruch  getreten  wäre. 

Es  ist  eine  lange  Lehrzeit,  die  der  Theaterdichter  Schiller 
durchlaufen  musste,  bis  er  diese  berechnende  Kegickunst  be- 
herrschte. Seine  ersten  Beobachtungen  im  Ludwigsburger 
Opernhause-)  konnten  ihn  in  der  Keiuitnis  der  Theater- 
perspektive kaum  fördern.  Wenn  sich  dort  zwischen  den 
schon  in  \'erkürzung  gemalten  Kulissen  der  Hintergrund 
öffnete  und  den  Ausblick  in  die  wirkliche  Natur  frei  liess, 
wo  man  ganze  Regimenter  vorüberziehen  sah,  so  war  das  eine 
Unersättlichkeit,  die  mit  ihrer  Vergewaltigung  der  Sinne  jede 
Ökonomie  des  Geschmacks  zu  Boden  trat. 


')  Genast  I,  238. 

■)  Just.  Kerner.  Bilderbuch  aus  meiner  Knabenzeit.  2.  Aufl  188ö,  S.  117, 

lo- 


—     196     — 

Am  Mannheimer  Theater  musste  sich  dei'  Dichtci-  der 
Räuber  die  ersten  Korrekturen  gefallen  lassen.  Im  Schauspiel 
heisst  es:  „Ein  altes  verfallenes  Schloss  in  der  Mitte",  im 
Trauerspiel  dagegen  hat  das  alte  verfallene  Raubschloss  „vorn 
auf  der  Bühne"  seinen  Platz  gefunden.^) 

An  den  perspektivischen  Prospekt  konnte  der  Turm,  aus 
dem  der  alte  Moor  hervortreten  sollte,  natürlich  nicht  ange- 
klebt werden;  dazu  kam  noch  die  schlechte  Akustik  des 
Mannheimer  Theaters.^) 

Auch  noch  der  Fiesko  rechnet,  wie  in  Erinnerung  an  das 
Ludwigsburger  Theater  mit  einer  ganz  ungeheuren  Tiefe  der 
Bühne  und  verlangt  perspektivische  Unmöglichkeiten.  Das 
Thomasthor,  das  im  fünften  Aufzug  hmter  dem  Palast  der 
Doria,  auf  dessen  Altane  Andreas  erscheint,  den  Abschluss 
der  Bülme  bildet,  muss  noch  ziemlich  unverkürzt  erscheinen, 
denn  die  Verschworenen  dringen  von  dort  aus  ein.  Wenn 
das  Thor  gesprengt  ist,  erblickt  man  den  Hafen,  „worin  viele 
Schiffe  liegen,  mit  Lichtern  erhellt  und  Soldaten  besezt";^) 
eine  dieser  Galeeren  müsste  immer  noch  gross  genug  sein, 
dass  Fiesko  und  Verrina  das  Brett  betreten  können,  das  zu 
ihr  hinüber  führt.  Dieser  letzten  Unmöglichkeit  weicht  die 
moderne  Regie  aus,  indem  sie  nur  eine  kleine  Gondel  am  Ufer 
liegen  lässt,  die  zu  der  unsichtbaren  Galeere  übersetzen  soll.*) 
Welche  Einrichtung  man  bei  der  ersten  Aufführung  des  Werkes 


')  Diese  Änderung  steht  auch  in  Zusammenhang  mit  der  Mannheimer 
Einteilung  in  sieben  Aufzüge;  die  Turmdelioration,  für  die  vorher  nur  die 
Hinterbühne  zur  Verfügung  gestanden  hätte,  konnte  nun  hinter  dem  Vor- 
hang hergerichtet  werden.  Ebenso  Braut  v.  Mess.  II:  Aus  einem  an- 
stossenden  I'avillon,  der  ganz  nah  am  J'roscenium  angebracht  ist,  tritt 
Beatrice.  (Hamb.  Manuskr.) 

-')  Martersteig,  S.  347. 

'^)  So  in  der  Bühnenbearbeitung.  Im  Druck  ist  von  den  Soldaten 
nicht  die  Rede.  Über  die  nachlässige  Behandlung  dieser  szenischen 
Schwierigkeiten  siehe  A.  Lewald,  Allg.  Theater-Revue  III,  S.  291  f. 

Im  Leipziger  Manuskript  ertrinkt  Fiesko  nicht,  sondern  wird  erstochen; 
infolgedessen  ist  der  Hafen  unnötig  und  die  Dekoration  heisst  nur:  Eine 
Hauptstrasse  in  Genua. 

*)  Bulthaujjt.  Dramaturgie  des  Schauspiels  I,  S.  950, 


—      197     — 

traf,  ist  uns  nicht  aufbewahrt;  das  Mannheimer  Hauptbuch 
weist  für  den  Fiesko  eine  leere  »Seite  auf,  was  um  so  bedauer- 
licher ist,  als  .Schiller  selbst  sich  mit  den  Proben  gerade  dieses 
.Stückes  viel  Mühe  gab. 

P>ei  diesen  Proben  muss  Schiller  auf  so  manche  An- 
sprüche zu  verzichten  g-elernt  haben;  als  er  etwa  einen  Monat 
nach  der  Mannheimer  Autführung  den  umgeformten  Fiesko  an 
Grossmann  schickt,  empfiehlt  er  bereits  sein  nächstes  Stück 
wegen  des  gelingen  Aufwandes  „an  Maschineric  und  Statisten" 
und  ebenso  preist  er  später  die  IJühncnbearbeitungen  des  Don 
Carlos  an  als  das  l)este  an  theatralischer  Wirkung,  was  er 
ohneJiilfe  von  Si)ektakel  und  Oj)enidekoration  geleistet  habe.^) 

Nur  gezwungen  hat  sich  Schiller  in  diesen  Verzicht 
hineingefunden;  die  Enthaltsamkeit  von  allem  Aufwand  äusserer 
Mittel  bedeutete  für  ihn  doch  eine  ?]ntbehrung  und  im  Ganzen 
betrachtet  sind  sogar  die  Mannheimer  Erfahrungen  weniger 
als  fruchtbringende  Lehrzeit,  wie  vielmehr  als  niederschlagende 
p]rnücliterung  aufzufassen.  Am  klarsten  geht  dies  aus  dem 
lirief  hervor,  den  Schiller  von  Dresden  aus  an  Fi'icdr.  Ludw. 
Schröder,  auf  dessen  llaniburgei'  Theater  er  damals  seine  ganze 
Hoffnung  setzte,  schrieb:') 

„Aber  mein  Verlangen  nach  Ihrer  Bekanntschaft  ist  sehr  eigen- 
niizig-.  Ich  habe  bis  jezt  Forderungen  an  die  Schaubühne  gestellt, 
die  noch  keines  von  allen  Theatern  die  ich  kenne,  befriedigte.  In 
Mannheim  habe  ich  vollends,  aus  Ursachen,  die  hier  zu  weitläuftig 
wären,  beinahe  allen  Enthousiasmus  für  das  Drama  verloren.  Jetzt 
fängt  er  wieder  an,  in  mir  aufzulelien,  aber  mir  graut  vor  der  schreck- 
lichen Mishandlung  auf  unsern  TJühnen.  Mit  ungeduldiger  Sehnsucht 
habe  ich  bisher  nach  derjenigen  Bühne  geschmachtet,  wo  ich  meine[r] 
Phantasie  einige  Kühnheiten  erlauben  darf  u.  den  freien  Flug  meiner 
Kinpfindung  nicht  so  erstaunlich  gehemmt  sehen  muss.  Ich  kenne 
nunmehr  die  Gränzen  recht  gut,  welche  bretterne  Wände  und  alle  noth- 
wendigen  Umstände  des  Theatergesetzes  dem  Dichter  verschreiben,  aber 
es  giel)t  engere  Gränzen  die  sich  der  kleine  Geist  und  der  dürftige  Künstler 
sezt,  das  Genie  des  grossen  Schauspielers  u.  Denkers  aber  übersjjringt." 

Die  letzte  Wendung  spricht  deutlich  aus,  dass  es  vor 
allem  die  grosse  Persönlichkeit  eines  künstlerisch  bedeutenden 

"^rÄn  Grossmann  8.  Febr.  84,  5.  April  87.     .Jonas  I,  177,  335. 
^)  An  Schröder  12.  Oktober  1786,  Jonas  I,  311. 


—     198     — 

Theaterleiters  war,  nach  der  Schiller,  durch  Dalbergs  vornehme 
Kälte  ahgestossen,  sich  sehnte;  daneben  kamen  auch  die 
reichen  äusseren  Mittel  in  Betracht,  mit  denen  das  Hamburger 
Theater  verschwenderisch  umg-ehen  konnte.  Beide  Wünsche 
sollten  später  an  anderen  Orten  ihre  Erfüllung  finden,  der 
eine  in  Weimar,  der  andere  durch  die  Berliner  Bühne. 

Wenn  er  an  die  Berliner  Aufführung  seiner  Stücke 
dachte,  brauchte  Schiller  sich  kaum  mehr  irgend  eine  Be- 
schränkung aufzuerlegen;  schliesslich  scheint  er  beim  Reichs- 
tagsakt des  Demetrius  auch  die  Erfahrung,  die  er  in  Mann- 
heim mit  der  Aufstellung  des  Turmes  gemacht  hatte,  ver- 
gessen zu  haben ;  er  muss  sich  daher  bei  heutigen  Aufführungen 
des  Fragmentes  wieder  dieselbe  Korrektur  gefallen  lassen: 
der  Thron  des  Königs  von  Polen  wird  auf  die  Seite  geschoben, 
während  er  nach  Schillers  Anordnung  die  hinterste  Tiefe  des 
Theaters  einnehmen  und  den  Mittelpunkt  des  zentral  kom- 
ponierten Bühnenbildes  darstellen  sollte.  Wenn  Kettner')  sich 
mit  aller  Entschiedenheit  gegen  diese  moderne  Bühnenpraxis 
wendet,  so  verkennt  er  doch  wohl  die  Unmöglichkeit,  den 
Schillerschen  Vorschriften  nachzukommen.  Gerade  Laube, 
der  Einzige  unter  den  Fortsetzern,  der  die  erste  szenische 
Angabe  veränderte,  hatte  in  Wien  und  Leipzig  die  Inszenierung 
der  Reichstagsszene  praktisch  erprobt')  und  wenn  er  dabei 
zur  Überzeugung  kam,  Schiller  selbst  hätte  an  den  andert- 
halb Akten  noch  vieles  geändert,  so  kann  man  ihm  nur  zu- 
stimmen. 

Das  Durchkorrigieren  für  den  Theaterzweck  war  erst  die 
letzte  Phase  der  Schillerschen  Arbeitsmethode;  bei  den  Räubern 
bereits  hatte  er  die  durchaus  moderne  Auffassung  des  Theater- 
dichters vertreten,  der  sein  Stück  nicht  auf  dem  Papier, 
sondern  erst  auf  den  lirettern  fertigstellt;  ebenso  liat  er  sich 
später  in  einem  Brief  an  Körner^)  über  den  Wallenstein  aus- 
gesprochen.    Und  welche  Veränderungen  der  Teil  noch  kurz 

')  JJrani.  Nachl.  I,  S.  XXXIV. 
')  Das  Burgtheater,  S.  372  f. 

Das  noi'ddeiitsohe  Theater,  S.  155. 
3)  30.  Sept.  1708,  Jonas  V,  S.  43(j. 


—     199     — 

vor  der  Aufführiinfr  erfuhr,  ist  oben  an  mehreren  Stellen  g-e- 
zeijn^t  worden;  der  Demctrius  hat  diese  letzte  Phase,  der  sicher 
vieles  zum  Opfer  g-efallen  wäre,  nicht  durchgemacht. 

Übrigens  ist  die  Reichstagsszene  ein  Beispiel  dafür,  wie 
Schiller  die  Dekoration  sich  immer  schon  in  Verbindung  mit 
den  PorsoiienL'"ni{)pen  vorstellte.  Auf  das  wirksamste  wurde 
die  (Iruppenbiidunir  unterstützt,  indem  man  den  ebenen  Bühnen- 
boden verliess  und  durch  Estraden  und  Treppen,  Hügel  und 
Felsen,  Mauei-n  und  Brücken  für  mannigfaltige  Aufstellungs- 
punkte sorgte.  Je  grösser  die  Bühne,  desto  notwendiger  war 
es,  sie  in  Stufen  aufsteigen  zu  lassen  und  je  zahlreicher  die 
Volksmenge  erscheinen  sollte,  desto  mehr  kam  es  darauf  an, 
ein  unmalcrisches  Drängen  zu  vermeiden. 

Dass  die  vielen  Hügel,  die  im  Ritterdrama  als  Dekoration 
vorgeschrieben  wurden  und  so  auch  die  Anhöhe  in  den  Räubern 
(III,  2)  bereits  mit  dieser  Wirkung  rechneten,  darf  wohl  nicht 
angenommen  werden;  Kotzebue  dagegen  muss  als  der  erste 
Dramatiker  gelten,  der  sich  die  p]rkenntnis  in  vollem  Masse 
zu  Nutze  machte.  Wo  er  mit  grösseren  Mengen  oder  auch 
nur  mit  der  ganzen  Tiefe  der  lUihne  zu  rechnen  hat,  z.  li.  in 
der  Sonncnjuiiirfrau,  in  .lohanna  v.  Montfaucon,  Gustav  Wasa, 
den  Hussiten  vor  Naumburg,  lässt  er  den  Boden  schräg  oder 
stufenförmig  ansteigen  und  verbaut  die  Büline  mit  Versatz- 
stücken. 

Johanna  von  Montfaucon  köiuite  hierin  auf  die  Deko- 
rationen der  .Jungfrau  von  Orleans  (II,  4)  eingewirkt  haben. 
Im  vierten  Aufzug  führt  hinten  ein  Felsenpfad  in  die  Höhe; 
im  fünften  Akt  bildet  den  Hintergrund  eine  Brücke,  über  die 
Johanna  von  Montfaucon  in  glänzender  Rüstung  mit  ihrem 
Gefolge  eilt,  um  später  auf  der  Vorderbühne  aufzutreten. 
Wenn  man  Schillers  Vorliebe  dafür,  das  Herannahen  von 
Personen  vor  ihrem  eigentlichen  Auftreten  bereits  sichtbar 
werden  zu  lassen,  in  Anrechnung  bringt,  so  lässt  sich  wohl 
denken,  dass  er  dem  praktischen  Einfall  Kotzebues  folgte. 

Im  Teil  forderte  nun  dei'  Schauplatz  selbst  dazu  heraus, 
aus  seiner   gebirgigen    Natur  Vorteil    zu   ziehen.     Dei-   erste 


—     200     — 

Aufzug  zeigt  Hirt  und  Alpenjäger  zu  beiden  Seiten  auf  er- 
höhtem Standpunkt;  bei  Gesslers  Tod  ist  wiederum  der  hinten 
ansteigende  Felsenweg  verwendet,  auf  dem  die  Wanderer, 
ehe  sie  die  Szene  betreten,  gesehen  werden;  in  der  letzten 
Szene  endlich  wird  die  ganze  Dekoration  mit  den  von  Land- 
leuten besetzten  Anhöhen  und  dem  Steg  im  Hintergrunde 
lediglich  aufgebaut,  um  ein  grosses  Schlussbild  zur  Geltung 
zu  bringen.  Auch  hier  ist  die  Dekoration  erst  mit  den 
Gruppen  zusammen  entworfen;  als  Schiller  die  Dekorations- 
angaben an  Iffland  schickte,  liess  er  gerade  den  letzten 
Schauplatz  noch  unbestimmt. 


6.    Beleuchtung,  Maschinerie,  theatralische  Effekte. 

„Bey  der  Beleuchtung  ist  daran  erinnert  worden,  dass 
selbige  nach  der  Grösse  des  Platzes  und  der  Farbe  der  Flügel 
eingerichtet  werden  müsse  und  dass  es  niemals  zu  helle  seyn 
könne."')  Dieser  Satz  wurde  in  Ekhofs  Schweriner  Schau- 
spielerakademie zu  Protokoll  genommen.  Dass  sich  über  einen 
der  wichtigsten  Punkte  der  Theatereinrichtung  nicht  mehr 
sagen  liess,  beweist  einen  Tiefstand,  dci-  durch  den  Mangel 
an  geeignetem  Beleuclitungsmaterial  hinreichend  erklärt  wird. 
Auf  keinem  anderen  Gebiet  waren  im  Jahrhundert  der  Er- 
findungen dem  Theater  noch  solche  Fortschritte  vorbehalten. 
Die  Einführung  der  geschlossenen  Zimmerdekoration  war,  wie 
wir  sahen,  zunächst  daran  gescheitert,  dass  das  Licht,  das 
von  den  Seitengassen  aus  auf  die  Bühne  fiel,  nicht  entbehrt 
werden  konnte.  Noch  innner  si)endctc  dazu  von  oben  hei'ab 
der  alte  Kronleuclitcr  seinen  Schein,')  und  in  manchen  Stücken 
z.  B.  in  Weimar  beim  Alarcos  und  bald  danach  bei  der  Braut 


»)  Theater-Kalender  1779,  S.  30. 

■■*)  Eine  Anekdote  in  Reichards  Theater-Kalender  1770,  S.  83  erzählt, 
wie  einem  Schauspieler,  der  als  Toter  auf  der  Bühne  lag,  vom  Kronleuchter 
herab  das  Wachs  ins  Gesicht  träufelte. 


—     201     — 

von  Messina  h'm<s  or  bis  in  den  Bühnenraum  herab.')  Ur- 
sprüns,'-lich  hatte  die  Huhne  selbst  stets  zu  ihrer  eio"enen  l.e- 
leuchtuny-  mithelfen  müssen;  so  bekla^rte  sich  z.  B.  Mylius 
darüber,  dass  es  Mode  sei,  auf  die  Tische  Leuchter  hinzu- 
stellen, «^deichviel  ob  es  Tai,'-  oder  Nacht  sei.^)  [Später 
versuchte  man  auch  öfters  eine  Beleuchtunju''  von  hinten  her^), 
z.  J>.  in  Hamburtr  beim  Heimlichen  Gericht  des  Götz,  wo  ja  der 
unheimliche  Eindruck  unterstützt  wurde,  wenn  von  den 
»Spielenden  nur  die  Silhouetten  zu  sehen  waren. 

Das  Material  bestand  zunächst  noch  aus  Kerzen,  die  in  den 
Pausen  geputzt  oder  j^^ewechselt  werden  mussten;  daneben 
scheint  auch  Öl  verwendet  worden  zu  sein;  ein  V^erzeichnis  der 
Ludwi<rsburg-er  Oper  zählt  für  eine  Vorstellunir  170  Stück  Wachs- 
lichte, 1176 Stück Unschlittkerzen,  430  Pfund  Baumöl  u. s.  w.  auf.*) 

Mit  diesen  Mitteln  erreichte  die  Opernbühne  jedenfalls 
alles,  was  an  Beleuclitunirseftckten  zu  jener  Zeit  überhaupt 
mö<(lich  war.  Und  wieviel  man  von  ihr  hierin  verlantren 
konnte,  zeiiren  die  N'orschi'iften  in  Schillers  lyrischer  Operette: 
Als  Zeus  und  Merkur  erscheinen,  tritt  eine  „plözliche  Klar- 
heit" ein:  Zeus  „rekt  die  Hand  aus,  ein  Regenbogen  steht 
im  Saal":  „er  rekt  die  Hand  aus,  die  Sonne  verschwindet, 
(!s  wird  plözlich  Nacht." 

Der  Mannheimer  Bühne  scheint  Schiller  darin  nicht  viel 
zugetraut  zu  haben;  dass  bei  Karls  vSchwur  „Höre  mich  Mond 
und  Gestirne"  der  Mond  wirklich  sichtbar  wurde,  hatte  er 
offenbar  gar  nicht  erwartet,  denn  im  Wirtembergischem  Keper- 
toi-ium  beschi'eibt  er  sein  [erstaunen : 

„Sie  müssen  wissen,  dass  der  Mond,  wie  ich  noch  auf  keiner  Bühne 

gfesehen.g'eniächlich  über  den  Theaterhorizont  lief,  und  nach  Maasgab  seines 

Laufs  ein  natürliches  schröckliches  Licht  in  der  Gegfend  verbreitete."') 

1)  Braun  III.  S.  286. 

-)  Beytr.  z.  Crit.  Hist.  VITI,  30.  St.  S.  3üG. 

■')  Hagen,  Gesch.  d.  Theat.  i.   I'reussen,  S.  094. 

*)  Sittard,  Gesch.  d.  'i'lu'at.  u.  d.  xMusik  am  VVürtt.  Hofe  II,  S.  153. 

tiber  die  spätere  Xcrvoilkonininung  der  Beleuchtung  bis  zum  Gas: 
Klingeniann,  Kunst  u.  Natur  T,  S.  37.  fil. 

■')  Goed.  II,  374.  Einen  ..Mond  mit  blechernem  Spiegel"  hatte  man 
für  12  Gulden  IH  Kreuzer  angeschafft  (Brahm  I,   löü).     Wie    es    auf  dei- 


—     202     — 

Die  herkömmliche  Art  war,  nur  den  Schein  des  Mondes 
von  oben  herabfallen  zu  lassen  und  dies  mag'  Schiller  wohl 
auch  mit  seiner  Vorschrift  „Mondnacht"  im  Bühnenmanuskript 
gemeint  haben;  im  Druck  des  Trauerspiels  heisst  es  nun  aus- 
drücklich: „Wald.  Mond.  Nacht";  im  Schauspiel  war  vom 
Mond  überhaupt  noch  nichts  vorg-eschrieben  worden. 

Dass  die  l^eleuchtung-svorschi-ift  als  Bestandteil  der 
Dekorationsangabe  über  der  Szene  steht,  ist  nicht  durchaus 
Reg-el.  Im  Fiesko  steht  die  direkte  Anweisung  über  III,  1; 
III,  2;  IV,  l;  V,  1;  für  IV,  11  wird  sie  indirekt  ersetzt: 
„Hier  ist  niemand  als  die  verführerische  Nacht"  ....  „Wäre 
die  Nacht  nicht  so  dichte  u.  s.  w.",  ebenso  Kab.  III,  6  durch 
Wurms  Gruss:  „Guten  Abend,  Jung-fer." 

In  Wallensteins  Lager  ist  die  Beleuchtung  völlig  absichts- 
los durch  die  Anweisung:  „lässt  das  Halsband  in  der  Sonne 
spielen"  bestimmt;  in  Wallensteins  Tod  endlich  treten  nur 
indirekte  Zeitang^aben  auf  z.  B. 

V,  3:  Es  ist  schon  finstre  Nacht. 

In  den  letzten  Stücken  stehen  dann  wieder  direkte  Über- 
schriften: Jungfr.  V,  Braut  IV,  Teil  II,  2. 

Der    Form    nach    sind    es     mehr  Zeitangaben    als   kon- 
krete Beleuchtungsvorschriften,  z.  B. 
Fiesko  V,  1 :  „Nach  Mitternacht" 
Kab.     V,  1 :  „Abends  zwischen  Licht" 
Teil.    V,  1:  „Es  ist  eben  Tagesanbruch" 
nur  im    Don  Carlos    war    die    andere   Form   gewählt    in    der 
letzten    Szene:    „Es    ist    ganz  finster"    (Bühnenbearb. :    „Das 
Theater  ist  ganz  finster"). 

Sollte  sich  die  Beleuchtung  während  der  Szene  verändern, 
so  konnte  dies  gleichfalls  bereits  in  der  Überschrift  verlangt 
werden  z.  B.  Teil  H,  2:  „Der  See,  über  welchem  anfangs 
ein  Mondregenbogen  zu  sehen  ist."  Plümickc  schrieb  über 
den  letzten  Auftritt  des  Fiesko:     „Es    wird    allmälig    Tag"; 


Schmiere  damit  "'ehalten  wurde,  davon  g-iebt  eine  Anekdote  in  Reichards 
Theat.  Kai.  17H7,  S.  (!()  nnj^cfahr  eine  Vorstellung':  Der  Mond  erschien, 
an  einem  Bindfaden  <,'ez(ig-en,  auf  dem  Theater  und  zwar  zu  früh.  Karl 
Moor  schnitt  ihn  ab,  so  dass  er  brennend  zur  Erde  fiel. 


—     203     — 

Schiller  hat  im  zweiten  Akt  dieselbe  Angabe  gespalten:  in 
der  Überschrift  steht  „Morgendämmerung"  und  innerhalb  des 
Auftrittes  heisst  es  dann:  „Die  Sonne  geht  auf  über  Genua." 
Die  Creschwindigkeit  der  IMhnenzeit  wird  bei  He- 
leuchtungsveränderungen  sinnlich  w^ahrnehmbai*  und  oftmals 
allzu  deutlich.  Z.  B.  in  der  Jungfrau  von  Orleans  liegen 
zwischen  der  Vorschrift: 

(Der  Sturm  leg-t  sich,  es  winl  hell  im<l  heiter) 

und  Raimonds  Worten: 

Der  Sturm  hat  ausgetobt 
Und  friedlich  strahlend  geht  die  Sonne  nieder, 
nur  14  Verse. 

Da  nun  der  Übergang  doch  nur  mit  ruckweiser  Absicht- 
lichkeit bewerkstelligt  werden  kann,  so  sind  mit  jeder  Be- 
leuchtungsveränderung Missstände  verbunden.  Ein  Theater- 
praktiker, wie  Paul  Lindau/)  sagt  darüber:  ., Unmerklich  kann 
der  IJeleuchtungswechsel  nie  vollzogen  werden.  .  .  .  Das  Publi- 
kum merkts  immer  und  wird  zerstreut.  Der  Ueleuchtungs- 
wechsel  nmss  stets  bei  Tileichgiltigem  vorgenommen  werden, 
niemals  bei  StinHnuni.'svollem.  das  er  nur  einleiten  soll.  Die 
.\ngaben  des  Dichtei's  im  Buche  sind  fast  immer  falsch.  Der 
Dichter  vermerkt  den  Heleuchtungswechsel  regelmässig  zu  spät." 

Diese  Beobachtung  trifft  bei  Schiller  unbedingt  zu.  Erst 
als  Ruodi  und  Kuoni  sich  über  den  Sturm  zu  unterhalten  be- 
ginnen, heisst  es  im  Teil:  .,Die  Landschaft  verändert  sich, 
man  hört  ein  dumpfes  Krachen  von  den  Bergen,  Schatten 
von  Wolken  laufen  über  die  Gegend."  Tn  den  Räubern  steht 
die  Bemerkung:  „Es  wii'd  immer  tinstrer"  in  der  stimmangs- 
voUen  Pause  voi-  dem  Auftreten  Hermanns  im  Walde,  der  Sonnen- 
aufgang im  Fiesko  ist  erst  dann  erwähnt,  als  Fiesko  mit 
otfcnen  Armen  dem  königlichen  Tag  entgegeneilt,  und  der 
Sonnenuntergang  am  Schluss  der  .Jungfrau  von  Orleans  erst, 
als  der  Tod  der  Heldin  eifektvoUer  Beleuchtung  bedarf. 

Es  ist  dieses  Zuspätkommen  der  Vorschrift  schliesslich 
nur  ein  Moment  epischer  Erzählungstechnik,  die  ihre  Stimmungs- 

')  Vorspiele  auf  dem  Theater,  S.  56  f. 


—     204     — 

efFekte  bis  zu  dem  Augenblick  aufbewahrt,  wo  sie  auf  den 
Leser  oder  Hörer  wirken  sollen.  Im  Drama,  das  für  Leser 
und  Bühne  zugleich  bestimmt  ist,  ist  der  richtige  Platz  für 
die  direkte  Vorschrift  kaum  zu  finden;  am  besten  Avird  der 
doppelten  Aufgabe  die  indirekte  Anweisung  gerecht,  bei  der 
allerdings  jede  nähere  Anordnung,  vor  allem  der  Moment  des 
Eintretens,  dem  Regisseur  überlassen  ist,  z.  E. 

Fiesko    II,  18 :  lieber  dem  ernsten  Gespräch  hat  uns  die  Nacht 

überrascht. 
W.  T.  IV,  8:  Der  Sonne  Licht  ist  unter, 

Herabsteigt  ein   verhängnisvoller  Abend. 
Jungfr.  V,  2:  Der  Sturm  hat  ausgetobt 

Und  friedlich  strahlend  geht  die  Sonne   nieder. 
Braut     If,  1:  Schon  neigt  die  Sonne  sich  zu  ihrem  Ziel. 
Teil       II,  2:  Doch  seht,  indess  wir  nächtlich  hier   noch  tagen. 
Stellt  auf  den  höchsten  Bergen  schon  der  Morgen 
Die  glühnde  Hochwacht  aus. 

Bei  den  indirekten  Angaben  der  späteren  Stücke  liegt 
das  Hauptgewicht  auf  dem  symbolischen  Pai'allelismus  zwischen 
Naturerscheinung  und  Handlung.  Schon  am  Schluss  der 
Räuber  hatte  Dalberg  Sonnenuntergang  eintreten  lassen.-^) 
Beim  Fiesko,  auch  bei  dem  glücklichen  Schluss  der  Bühnen- 
bearbeitung, hatte  sich  Schiller  den  Sonnenaufgang  übei'  dem 
freien  Genua  noch  versagt  —  ein  Effekt,  den  PUimicke  nicht 
verschmähte  — ;  beim  Teil  dagegen  notierte  er  sich  schon  in 
den  ersten  Exzerpten:-) 

„Hohes  Joch  der  Berge,    mit    ewigem    Eis,    goldroth    von    der 

Sonne  beschienen,  wenn  schwarze  Nacht  die  Thäler  bedeckt. 

NB.  mit  dieser  Erscheinung    kann    sich  der  Akt,    wo   n)an    im 

Rütli  ist,  endigen." 
'  Von  der  Wirkung  dieses  Aktschlusses,  den  die  Musik  zu 
unterstützen  hatte,    versprach  er  sich  viel    und    er    verlangte 
von  dem  Dekorationsmaler  alle  Rücksicht  darauf:^) 

„Die  höchsten  Bergspitzen  müssen  also  transparent  seyn,  so 
dass  sie  anfänglich  von  vornen  weiss,  und  zuletzt,  wenn  die  Morgen- 
sonne kommt,  von  hinten  roth  können  beleuchtet  werden.     Weil  die 


')  Goedeke  II,  335. 

*)  Goed.  XIV,  S.  VII. 

0  An  Ifflaud  5,  Dez.  J8Ü3.     Jonas  \n,  S.  99  ff, 


—     205     — 

Morg'enröthe  in  der  Schwfiz  wirklich  ein  i)rächtiq'es  Schauspiel  ist, 
so  kann  sich  die  Ei-findunt,'  und  Kunst  des  Decorateurs  hier  auf  eine 
erfreuliche  Art  zeigen." 

Hier  mat(  man  Goethes  Erzähluiiijon,  auf  denen  ein  fiuter 
Teil  der  Naturscliilderungen  im  Teil  beruht,  heraushören. 
Übrif(ens  verführte  schon  der  Tellstotf  an  und  füi-  sich  dazu, 
die  Natur  selbst  mitspielen  zu  hissen.  Goethe  ei'zählte  später.^) 
welche  Kollc  er  auch  in  seinem  epischen  Tellplane  den  Natur- 
ersclicinung-en  angewiesen  habe:  ,,lch  sah  den  See  im  ruliiüen 
Mondenschein,  erleuchtete  Nebel  in  den  Tiefen  der  (iebii-g-e. 
Ich  sah  ihn  im  Glänze  der  lieblidisten  Mori^ensonne,  ein 
Jauchzen  und  Leben  in  Wald  und  Wiesen.  Dann  stellte  ich 
einen  Hturm  dar,  einen  (iewittersturm,  der  sich  aus  den 
»Schluchten  auf  den  »See  wirft",  und  auf  eine  Vermutung  Ecker- 
manns gab  er  zu,  dass  die  pi-ächtige  .Sonnenaufgangsschil- 
derung, mit  der  der  zweite  Teil  des  Faust  beginnt,  aus  dem 
Golde  seiner  Teil-Lokalitäten  genninzt  sei. 

Für  das  gleichmässige  Licht  dei-  (iestiiiie  hat  das  Theater 
nur  dieselben  Mittel  wie  füi"  den  gewaltsamen  Feuerschein. 
Dieselbe  Beobachtung  wie  bei  jeder  andern  Heleuchtungsver- 
änderung  machen  wir  daher  auch  beim  Ausbrechen  eines  Brandes: 
zu  einer  langsamen  Entwicklung  ist  bei  dem  schnellen  Gang 
der  Handlung  keine  Zeit.  Die  Angaben  treten  zu  spät  auf; 
höchstens  kann  durch  Verteilung  eine  gewisse  Steigci'ung  ange- 
ordnet werden;  so  in  den  Räubern: 

„Es  rtiegen  Steine  und  Feuerbrände" 

„Das  Schloss  brennt" 

„Das  Feuer  nimmt  überhand." 

Im  Fiesko  geht  es  viel  schneller;  kaum  ist  der  Moln-  mit 
seinem  Trupp  von  Dieben  in  die  undiegenden  Häuser  einge- 
fallen, so  heisst  es  auch  schon;  „einige  Häuser  brennen.'" 

Plümickc,  dei'  in  unwichtigen  Kleinigkeiten  wirkliche 
theatralische  Verbesserungen  angebracht  hat,  hat  hier  ge- 
ändert; statt  der  sichtbar  brennenden  Häuser  schreibt  er  nur 
Stuimläuten  vor;  er  lässt  den  Mohren  und  seine  Leute  mit 
l^unton,  Stroh  und  Pechkränzen  bereits  von  der  Arbeit  kommen 


')  0.  Mai  IS-JT.     V.  JJiedermann,  Goethes  Gespräche  VI,  S.  133  f. 


—     206     — 

Und  statt:  „Wir  wollen  eins  anzünden  und  plündern"  heisst 
es  bei  ihm:  „Zwei  Kirchen  sind  ani^ezündet  ....  wir  wollen 
jetzt  im  Jesuiterdom  einheitzen.'"  Auch  in  iSchilleis  JBühnen- 
bearbeituno-en  fehlen  die  brennenden  Häuser;  im  Mannheimer 
Manuskript  kommt  der  Mohr  überhaupt  im  letzten  Akt  nicht 
mehr  vor;  im  Leipziger  wird  er  gleich  gefangen  gebracht: 
„Diesen  Mohren  fanden  wir  eine  brennende  Lunte  in  die 
Lorenzo  Kirche  werfen." 

Das  dritte  Mal,  wo  ychiller  eine  Feuersbrunst  braucht, 
zeigt  er  sie  schon  zu  Beginn  der  Szene  auf  ihrem  Höhepunkt : 
„Man  sieht  das  englische  Lager  in  vollen  Flammen  stehen"; 
im  Hamburger  Bühnenmanuskript  ist  auch  innerhalb  des  Auf- 
trittes der  Feuerschein  noch  einmal  erwähnt:  „Johanna  er- 
scheint auf  einer  Anhöhe  von  Flammen  beleuchtet";  ob  das 
Feuer  bis  zum  Ende  des 'Aktes  erlöschen  oder  noch  auf  die 
Versöhnung  mit  Burgund  seinen  Schein  werfen  soll,  ist  nicht 
angegeben.  Auf  den  auch  im  Teil  ursprünglich  geplanten 
Effekt:  „Das  Gerüste  kann  auch  angezündet  werden"  hat 
Schiller  schliesslich  verzichtet  und  lässt  im  letzten  Akt  nur 
die  Freudenfeuer  von  den  Bergen  lodern. 

Die  Feuersbrunst,  besonders  wenn  sie  mit  dem  Zusammen- 
stürzen eines  Saales  verbunden  war,  hatte  trotz  der  unvoll- 
kommenen Bühneneinrichtung  schon  zu  den  Lieblingseffekten 
der  Wandertruppen  gehört  und  wurde  vom  Ritterdrama  seit 
dem  Götz\  gern  wieder  aufgenommen.  Besondere  Wirkung 
tat  auf  dem  Theater  der  letzte  Akt  (nach  der  Buchausgabe 
IV,  5)  von  Törrings  Kaspar  der  Thorringer ;^)  auch  in  der 
Bühnenbearbeituiig  des  Götz  von  1804,  die  durcli  mancherlei 
theatralische  Zutaten  bereichert  ist,  nimmt  der  Brand  (V,  G.  7) 
einen  breiteren  Raum  ein  als  in  der  Fassung  von  1773.  An 
Stücke,  zu  denen  sie  gar  nicht  gehörte,  wurde  diese  Schluss- 
wirkung sogar  angehängt;  so  endet  Stephanies  Macbethbe- 
arbeitung mit  Brand  und  PJinsturz  des  Schlosses,  und  für 
Bürgers  Macbeth  wurde  auf  manchen  Bühnen  derselbe  Schluss 


'j  Schütze,  Hanihurg.     Theatcrg-esch,  S.  622. 


—     207     — 

beibehalten;')  bis  auf  »Schiller  hat  sich  diese  Tradition  jedoch 
nicht  vererbt. 

Übrig-ens  püc^^t  nicht  nur  der  IJeleuchtunffsinspizent  zu 
späte  Angaben  zu  erhalten;  dieselbe  Re^rel  üilt  auch  für  alle 
anderen  Vorgäng'e,  die  hintei-  der  Szene  in  die  Handlung- 
eingreifen.  Schiller  legt  darin  manchmal  so  wenig  Wert  auf 
Genauig-keit,  da;ss  er  die  indirekte  Anweisung  vor  die  direkte 
setzt,  d.  h.  die  Pei'sonen  hören  etwas,  ehe  es  eing-etreten 
ist  z.  B. 

Raub.  11,3:  llazniann  (aufspringend l  Horch  ein  Schuss!  (Schiessen 
und  Lermen). 
II.  10:  (Trsp.)  Hört  wie  ihre  Hörner  tönen!  Sehet  wie  drohend 
ihre  Säbel  daher  blinken!  Wie?  noch  unschlüssig'?  Seyd 
ihr  toll?  Seyd  ihr  wahnwitzig?" —  Ich  danke  euch  mein 
Leben  nicht,  ich  schäme  mich  eures  Opfers!  (man  hört 
in  der  Ferne  Trompeten). 

Fiesko  IV,  6  :  Schild  wachen  am  Hofthor.  Wer  draussen?  (man  pocht). 

.lungfr.  V,  10:  Johanna.     Die    Franken  rücken    an,    vertheid'ge    dich! 
(Trompeten  ertönen). 

Zum  allmählichen  Anwachsen  eines  Geräusches  ist  oft 
keine  Zeit  g^elassen;  so  wird  der  Autlauf  in  Maria  Stuart 
IV,  7  erst  in  dem  Augenblick  angegeben,  als  die  Königin  auf 
ihn  aufmerkt  (allei'dings  wird  in  diesem  Augenblick  durch 
liurleighs  Gehen  die  Tür  geöffnet);  der  Tunuilt  bei  der  An- 
kunft der  Jungfrau  macht  sich  erst  am  Schluss  von  Raoults 
Rede  bemerkbar: 

Sie  folgt  dem  Heer,  gleich  wird  sie  selbst  hier  seyn. 

(Man  hört  Glocken  und  ein  Geklirr  von  Waffen,  die  an  einander 

geschlagen  werden). 

und  im  Fiesko  hört  man  den  Siegesmarsch  erst  nach  Leonorens 
Tod,  direkt  ehe  der  Einzug  beginnt. 

Dies  ist  allerdings  nicht  durchgehends  Regel;  der  Tumult 
der  Wallensteinschen  Kommandeurs  (Picc.  TI)  setzt  bereits 
bei  etwas  Gleichgiltigem  ein  (nach  v.  1290).  auch  das  Heran- 
nahen Schweizers  und  seiner  Würgengel  ebenso  wie  die  Em- 
pörung im  dritten  Aufzug  von  Wallensteins  Tod  sind  wohl 
vorbereitet  und  gesteigert. 


')  Hagen,  Gesch.  d.  Theaters  in  I'reussen,  S.  298,  299. 
Köster,  S.  58. 


—     208     — 

Da  der  Moment  des  Hörbarwerdens  sieh  nicht  g-enau  fest- 
legen lässt.  wird  die  Entwicklung-  des  Tumultes  liäuflg'  mit  in- 
direkten Angaben  begonnen  und  dann  direkt  fortg-eführt,  z.  B. 
Raub,  y,  1,  wo  Daniel  zunächst  das  Herannahen  der  feurigen 
Reiter  und  den  Alarm  des  Dorfes  meldet  und  es  erst   später 

direkt  heisst: 

(Das  Getümmel  wird  hörbarer); 

ähnlich  im  zweiten  Akt  des  Fiesko  vom  vierten  Auftritt  ab; 

die  direkte  Angabe  tritt  erst  im  sechsten  ein: 

(Getümmel  um  den  l'allast  nimmt  zu.) 

ebenso  W.  T.  HI,  17  ff  vom  Verse  2024  ab. 

Plötzlich  eintretende  Vorgänge,  z.  B.  ein  fSchuss,  ein 
Trompetensignal  können  genau  an  der  stelle,  wo  sie  eintreten, 
vorgeschrieben  sein;  eine  indirekte  Angabe  tritt  aber  regel- 
mässig hinzu,  die  Personen  auf  der  Bühne  machen  sich  da- 
rauf aufmerksam,  denn  meistens  soll  ein  bestimmter  Eindruck 
auf  sie  bewh-kt  'werden;  ausserdem  werden  erst  hierdurch  die 
Zuschauer  sicher,  dass  es  sich  um  keine  zufällige  Störung 
hinter  der  Bühne,  sondern  um  einen  notwendigen  Bestandteil 
des  kStückes  handelt. 

Mehrere  Schüsse  werden  selten  einzeln  angegeben,  wie 
in  den  Räubern  iX,  5 : 

„Man  schiesst" 

„Man  schiesst  wieder" 

„Man  hört  noch  einen  Schuss". 

Wenn  hier  vollends  die  Personen  die  Erläuterung  hinzu- 
fügen: „Horch!  ein  Pistolschuss!",  so  ist  das  überflüssig  und 
steif;  es  hätte  das  blosse  Aufmerken  genügt,  wie  z.  ]i. 
W:  T.  HI: 

(Es  geschehen  zwey  Schüsse.     Illo  und  Terzky  eilen  ans  Fenster.) 
Wallenstein:  Was  ist  das? 
oder  im  Don  Carlos  IV,  22 : 

(Geräusch  im  Kabinet) 
Alba:  Was  war  das?     Still! 

Der  Charakter  einer  Ei'scheinung  braucht  natürlich  nur 
dann  in  der  indii-ektcn  Angabe  ausgedrückt  zu  sein,  wenn 
keine  direkte  vorausgeht,  z.  B.  Teil  I,  4: 

„Ich  höre  klojtfen." 


—     209     — 

Stellt  nun  die  indii-ektc  Angabe  allein,  so  darf  man  über- 
haupt bezweifeln,  ob  das  Geräusch  bis  zu  den  Ohren  des 
Publikums  dringen  soll. 

AVenn  z.  B.  ein  Regisseur  die  Räuberbande  im  vierten 
Akte  schnarchen  liesse,  so  wäre  das  eine  grosse  Geschmack- 
losigkeit. Ob  das  Meeresbrausen,  das  in  der  Braut  von 
Messina  Beatricens  Sinne  täuscht,  hörbar  sein  soll,  ist  dagegen 
die  Frage.  Die  Nachahmung  des  Wasserrauschens  gehörte  zu 
den  leicht  ausführbaren  und  beliebten  Aufgaben  des  Theater- 
meisters ;^)  von  einem  Servandonischen  Ballet  wurde  sogar  be- 
richtet, das  Wasser  sei  so  täuschend  nachgeahmt,  dass  die 
Zuschauer  die  Kühlung  davon  zu  fühlen  glaubten.-j 

Im  Fiesko  ist  denn  auch  das  Meeresbrausen  ^)  direkt 
verlangt: 

V,  1:  Alles  ist  ruhig.     Nur  das  Meer  wallt  etwas  ungestüm, 
ebenso  im  Teil: 

V.  136  b :  (heftige  Donnerschläge,  der  See  rauscht  auf). 

Wird  das  Meeresbrausen  in  der  Braut  von  Messiua  nicht 
dargestellt,  so  muss  auch  dann,  wenn  Jicatrice  das  wh'kliclie 
Nahen  von  Menschen  zu  unterscheiden  beginnt,  ein  aufdring- 
liches (icräuscli  unterbleiben.  Die  Annähei'ung  von  Menschen 
soll  in  den  seltensten  Fällen  vom  Publikum  vernommen  werden, 
höchstens  im  Fiesko,  wenn  es  von  den  zwölf  Handwerkern 
heisst:  „Sie  stürmen  die  Treppe  hinauf."  Ein  direkter  Feliler 
wäre  es,  in  den  Piccolomini  bei  den  Versen  1682  f, : 

„Was  war  das?  Hört  ihr  nichts?  Mir  war\s,  als  hört'  ich 
Im  Tafclzinnner  heft'gen  Streit  und  Lärmen" 
und  175(): 

„Ich  höre  Lärmen  —  Fremde  Stimmen  nahen" 


')  Goethe  rühmte  seinem  „Direktor  der  Natur"  diese  Kunst  besonders 
nach.     Auf  Miedings  Tod.  W.  A.  I,  Bd.  10,  S.  13(5. 

■-;  Theat.-Kal.  178U,  S.  28. 

•')  Das  Meeresbrausen  wurde  aucli  gern  vom  Orchester  unterstützt 
z.  B,  im  Melodrama  „Ariadne".  Kotzebue  beginnt  seinen  „Eremit  auf 
Formentera"  folgendermassen :  „Im  Hintergrunde  der  Ocean.  Noch  brauset 
das  Meer  und  die  Wellen  brechen  sich  am  steilen  Ufer  ....  Alles  dieses 
kündiget  die  erste  Symphonie  au,  in  deren  ersten  Hälfte  der  Vorhang  sich 
öffnet." 

Palaestra  XXXll.  14 


—     210     — 

irgend  ein  Geräusch  vernehmbar  werden  zu  lassen:  offenbar 
fingiert  die  Gräfin  die  Störung  nur,  das  erste  Mal  um  die 
Liebenden  allein  zu  lassen,  das  zweite  Mal  um  sie  zu  trennen. 
Allerdings  finden  sich  bei  der  Annähei'iing  von  Personen 
auch  manchmal  direkte  Angaben,  z.  B. 

Fiesko         II,  16  (man  hürt  kommen.) 

III,  3  (Man  hört  den  Mohren.) 
Bühnenb.  V,  1  (Man  hört  die  Riegel  aufschieben.) 
Es  ist  indessen  die  Frage,  ob  alle  die  Zumutungen,  die 
in  den  Jugenddramen  an  die  sinnliche  \'ermittlung  der  feinsten 
Details  gestellt  werden,  ernst  geraeint  sind  und  ob  sie  nicht 
trotz  ihrer  Form  sich  nur  an  die  Phantasie  des  Lesers  und 
Hörers  wenden,  etwa  ebenso  wie  der  Pulvergeruch  in  den 
Räubern  und  der  Bisamduft,  den  der  Hofmarschall  von  Kalb 
über  das  ganze  Parterre  zu  breiten  hat. 

Unverkennbar  ist  die  Erzählungsform  bei  einigen  anderen 
Bühnenanweisungen  des  Fiesko,  z.  B.  bei  dem  Sturmläuten. 
Auf  dessen  ersten  Beginn  hin  sagt  Arabella: 

„Hören  Sie?     Das  wimmert  vom  Thurm  der  Dominikaner.'" 

Dieser  erklärende  Inhalt,  der  wolil  in  die  indirekten  Angaben 
gelegt  werden  konnte,  wird  gleich  darauf  auch  den  direkten 
Anweisungen  mitgegeben : 

(es  stürmt  auf  drei  anderen  Thürmen) 

(Sturmläuten  in  der  Vorstadt.) 
Das  Publikum  konnte  natürlich  davon  nur  den  Eindruck  eines 
gesteigerten  Lärmes  haben,  und  weiter  hatte  das  Theater  nichts 
auszuführen. 

Auf  diesen  Spektakel,  den  Schüsse  und  Trommelsignale, 
Fackel-  und  Feuei-schein  unterstützten,  kam  es  ja  auch  allein 
an,  um  dem  nächtlichen  Kampfe  einen  schaurig  wirkenden 
Hintergi'und  zu  vcrleilien. 

Dei-  Dichter  des  Liedes  von  der  Glocke  hat  mit  dem 
Silbei'khmg  des  Mettenglöckleins  in  der  Rütliiiacht,  mit  der 
Klosterglocke  im  Don  Carlos  und  Denietrius,  dem  Notsignal 
im  Teil  (IV,  1),  den  Siegesglocken  in  der  Jungfrau  von 
Orleans  (I)  und  im  Teil  (V,  Ij,  dem  Sturmläuten  im  Fiesko 
und    Don    Carlos    (Y,    5,    seit    1801    gestrichen)    die    ganze 


—     211     — 

Stimmunfrsskala  durchlaufen.  Zu  r-ührenden  Wirkungen  hat 
auch  Jlriaiid  (U'ters  Glockengeläut  hinter  der  fSzene  angeordnet;^) 
sein  Albert  von  Thurneisen  schlies.st  in  der  ersten  Fassung 
mit  den  Glockenschlägen,  die  den  fahnenflüchtigen  Offizier  zur 
Richtstätte  rufen;  auch  Spiess  hat  in  seiner  Maria  Stuart 
auf  den  billigen  Effekt  des  Sterbeglöckchens  nicht  verzichtet; 
Schiller  verschmäht  ihn:  dagegen  lässt  er  bei  Attinghausens 
Tod  die  Burgglocke  läuten,  ebenso  wie  Iftiand  es  beim  '^Pod 
der  Königin  Elisabeth  im  Friedrich  von  Oesterreich  gethan  hatte. 

Jede  Erinnerung  an  die  unerbittlich  fortschreitende  Zeit 
bringt  in  erregten  Momenten  eine  unheimliche  Wirkung  her- 
vor ^).  Iffland  erzählt  in  seiner  theatralischen  Laufbahn  ^), 
wie  er  mit  seinen  Freunden  durch  den  Perpendikelschlag  einer 
Tui-muhr  in  grausige  Erregung  versetzt  wurde  und  wie  sie 
nun  den  missglückten  Versuch  machten,  durch  dieses  Geräusch 
in  (k'i-  Geisterszene  des  Hamlet  Wirkungen  zu  erzielen;  eine 
.Vnekdote.  durch  die  vielleicht  Kotzebue  angeregt  wurde,  auf 
denselben  l']tfekt  hi  den  Jtlussiten  (III,  i)  auszugehen: 
„ich  hör'  und  bebe,  wenn  die  Räder 

Der  alten  Thurniuhr  die  Gewichte  senken". 

Der  Uhrschlag  kommt  vor  allem  in  den  nächtlichen 
Öchauerszencn  der  .Stürmer  und  Dränger  vor,  z.  li. 

Klinjj'ers  Otto  111,0     Horch!    mich  <lünkt,    die  Glocke  ruft  zuey 
im  Doif. 

Müllers   Genoveva  IV,  12     „Die  Uhr  schlägt  Mitternacht Stark 

llahnengekräh  unten  im  Dorf". 

Ganz  ähnlich  heisst  es  in  den  Käubern: 

IV,  0  zwölf  schlägts  drüben  im  Dorf 
V,  1  Eben  izt  ruft  der  Nachtwächter  zwey  an. 

Auch  die  anderen  tStimmungsmittel  mit  denen  Schiller  die 
Trauerszene  in  den  Käubern  ausstattete,  haben  ihre  Vorbilder 

')  Stiehler,  Das  Ifflandische  Rührstück,    Theat.  Forsch.  XVI,  S.  123. 

'")  Über  die  Zeit  als  einen  furchtbaren  Gegenstand,  der  in  die  Klasse 
des  Konteniplativerhabenen  fällt,  spricht  Schiller  in  der  Schrift  Vom  Er- 
habenen, Goed.  X,  S.  142. 

')  D.  L.  D.  Nr.  24  S.  36.     Theat.-Kal.  1783  S.  117  f. 

Uhde,  Ekhof.  Gottschalls  Neuer  Plutarch  IV,  S.  215. 

Ilodermann,  Gesch.  d.  Gothaischen  Iloftheaters.  Theat.  Forsch.  IX,  S.  99. 


—     212     — 

im  Sturm-  und  Drangdrama,  das  seinerseits  »Szenen  ^\ie  den 
dritten  Akt  von  Shakespeares  Lear  zum  Muster  nahm.  Wenn 
die  Verfasser  des  Otto  und  der  ZAN'illinge  oder  des  Karl  von 
Adelsberg-  die  Yerzweitlungsausbrüehe  ihrer  Helden  von  Stur- 
meswüten  und  Euleng-eschrei  begleiten  Hessen,  —  ausge- 
sprochen ist  der  Parallelismus  ^ )  in  den  Zwillingen  III.  1 : 
„Hörst  du  nicht,  Avie  lieblich  die  Natur  mit  Guelfo  dahin- 
braust?"  —  so  forderten  sie  den  Spott  der  Kritiker  vom 
alten  Standpunkte  heraus^);  die  Tragödie  französischen  Mus- 
ters kannte  solche  äussei-e  Mittel  nicht. ^) 

In  seine  Inventarisierung  der  Motive  des  Ritterdramas 
hat  Brahm*)  auch  die  Rubrik  „Unwetter"  aufgenommen;  wenn 
dabei  konstatiert  wird,  dass  dieses  Motiv  auf  die  spätei-en 
Schillerschen  Stücke  (Wallenstein,  Jungfrau,  Teil)  fortgewirkt 
habe,  so  hat  die  rein  äusserliche  Zusammenstellung  wenig 
Wert,  da  nicht  einmal  unterschieden  ist,  wo  es  sich  um  eine 
eigene  Zuthat  Schillers  oder,  wie  beim  Teil,  um  einen  unent- 
behrlichen Bestandteil  des  Stolfes  handelt. 

In  den  Jugendstücken,  die  vom  Ritterdrama  zweifellos 
mehr  abhängig  sind,  zieht  Schiller  noch  nicht  alle  Register. 
Plümicke  wusste  aus  der  „Furchtbaren  Wildniss"  im  Fiesko 
eine  ganz  andere  Szenerie  zu  machen,  und  auch  seine  Mittel 
blieben  noch  schwach  gegenüber  dem  Vorbild,  das  der  Sturm 
und  Drang  bei  Shakespeare  gefunden  hatte: 

„Blast,  Wind"  und  sprengt  die  Backen I  Wütet!  Blast! 

Kassie  nach  Herzenslust!  Spei  Feuer,  flute  Regen". 
An   Lears  Aufruf  der  tosenden  Elemente    erinnern  erst 
im  Teil  die  Worte: 

„Käset  ihr  Winde,  flammt  herab  ihr  Blitze, 

Ihr  Wolken  berstet,  giesst  herunter  Ströme 

Des  Himmel  und  ersäuft  das  Land". 


')  Faust,  Vorspiel  auf  dem  Theater: 

Wer  lässt  den  Sturm  zu  Leidenschaften  wüthen? 

Das  Abondroth  im  ernsten  Sinne  glühn? 
')  R.  M.  Werner,  l'hil.  Ludw.  Hahn  S.  42,  53. 
")  Waniek  S.  4U0. 
*)  B:ahni    Tas  Kitterdrama  S.  143,  154, 


—     213     — 

Nur  machen  sie  sich  ini  Munde  des  Fischers  etwas  ge- 
sucht, was  bereits  Körner  tadelte.  ^) 

Auf  dem  Theater  konnte  natürlich  mit  den  damaligen 
Mitteln  -)  nur  das  Geräusch  des  Haiiels  und  Regens  darge- 
stellt werden,  nicht  das  heruntergiesscnde  Wasser  selbst. 
Auch  an  den  Naturalismus,  etwa  die  .Jungfrau  nach  dem 
ytui'mc  im  fünften  Akt  durchnässt  aufti'eten  zu  hissen,  dachte 
Schiller  jedenfalls  nicht,  obwohl  der  iSciiauspielkunst  des  acht- 
zehnten .Tahrhiuiderts  solclie  Versuche  nicht  fern  lagen.  Wenn 
Brentano  in  seinei'  Gustav  Wasa-Parodic  die  von  aussen  kom- 
menden Viehhändler  das  Wasser  von  sich  abschütteln  lässt, 
könnte  sich  das  Mohl  auf  eine  wirkliche  Aufführung  beziehen; 
auch  Goethe  hätte  in  den  Aufgeregten  II,  ö  zu  solchen  Aus- 
schreitungen leicht  Anlass  geben  können: 

Gräfin:   Du  siehst  wild  aus.   Fricilerike.  wie  du  durchnässt  bist! 

Friederike  (das  Wasser  vom  Hute  abschwingend), 
und  dass  sie  sogar  bei  Schröder  auf  dem  Hamburger  Theater 
voi'kamen,  beweist  ein  l>ericht^)  über  die  Aufführung  des 
liofmeistei-s  von  Lenz:  .,Madam  Schröder  war  als  Gustchen 
die  AVahihcit  selbst.  Sie  stürzte  sich  wirklich  ins  Wasser, 
ihr  Gewand    h\<r    an,    ihr  Maai'   tiiefte,    sie  hing  gleich  einer 

')  Körner  an  Schiller  17.  Mär/  1H()4. 

'■)  Schütze  berichtet  in  seiner  llanil)urgischen  Theatergeschichte  S.  701 
von  den  Einrichtungen  Schröders:  „Kalphoniuni,  Erbsenbüchsen,  Trommel 
und  schmetternder  Bretterfall  thun  das  ihrige,  um  Blitze,  Donner  und  Ha- 
gelsturm Aug  und  Ohren  zu  versinnlichen".  Bei  dem  Heulen  des  Sturmes 
musste  das  Orchester  n)ithelt'en.  wie  aus  Brentanos  Gustav  Wasa  hervor- 
geht: Zweyter  Schauspieler:  „Ich  bitte  recht  sehr  um  die  Bassgeige,  den 
Sturm  etwas  zu  unterstützen".  —  Auch  für  das  Volksgemurmel  wird  dort 
die  Bassgeige  gebraucht. 

Wie  wenig  man  sich  auf  den  meisten  Theatern  auf  das  richtige  Ein- 
greifen der  Maschinerie  verlassen  konnte,  beweist  eine  Bemerkung  in  Dyks 
Coriolan  (Nebentheater  17S()  II.  S.  riö):  „Ich  ersuche  die  Maschinenmeister 
bey  den  Theatern  von  oben  herab,  und  nicht,  wie  öfters  geschieht,  aus  der 
Coulisse  heraus  blitzen  zu  lassen.  Ueberhaupt  müssen  sie  sich  den  Gang 
der  zwey  folgenden  Szenen  wohl  bekannt  machen,  um  die  abgezweckte 
Wirkung  nicht  zu  vernichten,  anstatt  zu  bewirken." 

'j  Meyer,  Fr.  L.  Schröder  I,  S.  800. 


—     214     — 

Sterbenden  über  dem  Arm  ihres  Vaters,  der  sie  ins  Leben 
zurücktrug". 

Die  Donnermaschine  setzt  Schiller  erst  in  den  letzten 
Stücken  in  Ijcwegung',  zum  ersten  Male  in  der  Macbethbear- 
beitung. Wie  das  Trompetensignal  den  König,  so  kündet  der 
Donner  bei  Shakespeare  als  stehendes  Leitmotiv  das  Auftreten 
der  Hexen  an ;  Sclnller  leitet  nur  ihr  erstes  Erscheinen  damit 
ein  und  lässt  sie  auch  am  Ende  des  ersten  Auftrittes  unter 
Donner  und  Blitz  wieder  verschwinden;  für  die  späteren 
Szenen  braucht  er  dieses  Suggestionsmittel,  an  dessen  Stelle 
ihm  die  Musik  zur  Verfügung  stand,')  nicht  mehr  und  verleiht 
nur  noch  den  Erscheinungen  im  vierten  Aufzug  durch  Donner- 
schläge Nachdruck. 

Dagegen  lässt  er  in  der  Jungfrau  von  Orleans  wieder 
den  schwarzen  Ritter  unter  „Donner,  Nacht  und  Blitz"  ver- 
schwinden und  wirft  am  Schluss  des  vierten  Aufzuges  dem 
für  rohe  Effekte  dankbaren  Publikum  einen  Brocken  zu;  „der 
donnernde  Dens  ex  machina  wird  seine  Wirkung  nicht  ver- 
fehlen" schrieb  er  damals  an  Goethe.  ^)  Auch  nach  dem 
grossen  PJinzug  im  Dcmctrius  dachte  er  wieder  daran,  den- 
selben Effekt  zu  wiederholen  und  durch  einen  plötzlich  los- 
brechenden Sturm  das  Volk  abergläubisch  zu  stimmen.^) 

Hekate  und  der  scliwarze  Ritter  versinken  bei  Schiller 
in  gleicher  Weise;  nach  der  Tradition  der  Macbethbearbeiter 
jedoch,*)  die  sich  aus  England  herschrieb,  erschien  und  ver- 
schwand Hekate,  ebenso  wie  die  andern  Hexen,  in  einer 
Flugmaschine.  Dass  Jiürger  noch  bei  dieser  Tradition  stehen 
blieb,  zeigen  die  Verse  der  eingelegten  Hexenszene  am  Schluss 
des  ersten  Aktes: 


')  Die  Reichardtsche  Musik,  die  zur  lUiig-erschen  Bearbeitung-  koui- 
pnniort  war,  passte  zu  der  Schillerischen  F^inteilung  nicht,  wurde  aber 
trotzdem  dazu  aufgeführt.  In  seinen  15enierkungen  über  die  Aufführung 
schrieb  Goethe:  „Nach  der  Hexenscene  sollte  etwas  Musik  sein,  ehe  Mal- 
colm und  Macduff  eintreten".     (W.  A.  IV,  Bd.  If)  S.  126), 

')  An  Goethe  8.  April  1801.     Jonas  VI,  S.  2GG. 

'■')  Dram.  Nachl.  I,  S.  2Ul. 

')  Küster,  S.  44, 


—     215     — 

Dreimal  Hui  von  Land  nnd  Meer 
Rannt  uns  Ross  und  Wag'en  her. 
Eine  Wölk  ist  die  Karosse; 
Donnerstürme  sind  die  Rosse. 
Hui  Hui  Hui!  heran,  heran! 
Rollt  uns  auf  den  Burg-Altan. 
(Rauschend  ab). 

Auch  in  Wai/nens  Macbeth  heis.st  es  111,  12: 

drey  Hexen  treten  auf,   Hekate   kommt  von   der  andern  Seite  in 
einem  Wagen  von  Fleder-Mäussen  gezogen 
und  nach er : 

Ht'kate  erhebt  sich  in  die  Lufft. 

Bei  der  ei'.^ten  Auffiihruiiir  von  Schillers  Macbeth  scheint 
noch  dieselbe  Maschinerie  N'erwendung"  ^refunden  zu  haben; 
wenig-stens  sairt  dies  die  Besprechung-  im  Journal  des  Luxus 
und  der  Moden '  l :  man  hätte  die  Hecate  nach  den  Ikgrilfcn 
eines  alten  und  neuen  Zauberspuks  eher  in  Flammen  aus  dem 
Abirrund,  als  im  Woikenwatren  vom  Himmel  kommend  er- 
wartet. Schiller  hat,  wie  aus  Briefen  an  Körner  hervorfreht^), 
den  Macbeth,  ehe  er  ilm  in  Druck  j.'-ab,  einer  Übeiarbeitung 
unterzoi:en;  wahrscheinlich  hat  er  bei  dieser  Gelegenheit  den 
Einwand  berücksichtio't. 


1)  .lournal  des  Luxus  u.  d.  Moden   18U(»  S.  310. 

-)  An  Körner  5.  März  18ol.     Jonas  VI,  S.  247.  171. 

Dass  die  Druckausgabe  nicht  die  Form  darstellt,  in  der  das  Stück  in 
Weimar  gegeben  wurde,  scheint  noch  aus  einer  anderen  Stelle  hervorzu- 
gehen, bei  der  wiederum  Hekate  beteiligt  ist.  Bei  Shakespeare-Eschenburg 
ist  sie  während  der  verschiedenen  Erscheinungen  auf  der  Bühne:  bei  Schiller 
ist  das  zweite  Auftreten  gestrichen  und  durch  den  Vers:  _Ich  will  unsichtbar 
um  euch  seyn"  (Z.  2*2.3(5),  ersetzt.  Nun  scheint  aber  die  Überschrift  „Die  vier 
Hexen"  eine  Spurderall^en  Fassung  darzustellen.  Wir  finden  sie  inderhist.-krit. 
Ausg.  S.  103  Zeile  2344,  aber  —  wir  finden  sie  weder  in  den  Drucken,  die  ^'oU- 
mer  zu  seiner  Ausgabe  benutzte,  noch  im  Stuttgarter  Theatermanuskript. 
Da  die  Varianten  hier  unter  den  l'roben  anderer  Übersetzungen  erstickt 
sind,  fehlt  jede  Erklärung  für  dieses  rätselhafte  Eindringen.  Kösters  Ver- 
mutung eines  Hexenensembles  wird  nun  auch  hinfällig.  (Schiller  als  Dra- 
maturg S.  110.) 

^)  Allerdings  zeigt  auch  das  Stuttgarter  Theatermanuskript,  das  bereits 
vor  der  Weimarer  ersten  Aufiührung  abgesanilt  wurde,  keine  Spur  der 
Flugmaschinerie. 


—     216     — 

Auch  an  der  Erscheinung  des  schwarzen  Ritters  wurde 
kritisiert.  Dalberg  ordnete  nach  der  ersten  Aufführung-  in 
Mannheim  an,  der  Geist  solle  beim  Eintritt  der  Johanna  aus 
der  Erde  ihr  entgegenkommen  und  sie  erschrecken;  ein  Ge- 
danke, auf  den  Schiller  nicht  verfallen  konnte,  da  ihm  die 
Trugbilder  der  Ilias  und  der  Geist  von  Hamlets  Vater  vor 
Augen  standen.^) 

Die  Erscheinung  des  alten  Hamlet  hat  bereits  auf  den 
Don  Carlos  eingewirkt;  das  Motiv,  den  Prinzen  als  das  Ge- 
spenst seines  Grossvaters  durch  die  erschrockenen  Schild- 
wachen hindurchwandeln  zu  lassen,  geht  zweifellos  auf  Shake- 
speare zurück.^)  Nun  ist  es  aber  interessant,  dass  der  Hamlet- 
bearbeiter Friedr.  Ludw.  Schröder,  dem  es  doch  nicht  einfiel, 
den  Geist  von  Hamlets  Vater,  dessen  Daseinsberechtigung 
Lessing  erwiesen  hatte, ^)  zu  streichen,  schon  an  dem  scliein- 
baren  Gespenst  im  Don  Carlos  Anstoss  nahm.*)  Sicherlich 
nicht  allein  wegen  der  Plumpheit  des  Betruges,  sondern  weil 
das  Wunderbare  dem  achtzehnten  Jahi'hundert  etwas  durcli- 
aus  Fremdes  war;  den  schwarzen  Ritter  liess  Schröder  natür- 
erst  recht  nicht  gelten:  „Die  Erscheinung  der  Mutter  Gottes 
als  Traum  kann  eben  das  bey  dem  Mädchen  bewirken."^) 
Schröder  hatte  dabei  oflfenbai'  denselben  Gedanken,  den  Freytag 
in  seiner  Technik  des  Dramas  ausspricht:^)  der  Einhalt  ge- 
bietende schwarze  Ritter  sei  das  (jlcgenstück  zur  Erscheinung 
der  Himmelskönigin,  die  Fahne  und  Scliwert  in  das  Drama 
liefert.  Die  Inkonsequenz,  dass  nur  die  eine  Vision  sichtbar 
wird,  lässt  sich  aus  Zensurrücksichten  hinlänglich  erklären; 
Schiller  dui-fte  in  einem  Bühnenstück  nicht  dasselbe  wagen, 
was  Goethe    im   Faust;    durfte  doch    bei    der  Aufführung    in 

^)  Auf  einer  Al)l)ililuiig  im  Taschenh.  f,  Damen  1804  steigt  der 
schwarze  Ritter  aus  dem  Boden  auf.  Übrigens  Hessen  manche  Theater 
auch  den  Geist  des  alten  Hamlet  aus  dem  Schlünde  der  Erde  hervorkommen. 
Journal  d.  Lux.  u.  d.  Mod.  .luni  17ü;j,  S.  385. 

')  Minor  II,  548. 

•')  Hamb.  Dram.  11.  Stück.    Lachm.-Muncker  IX,  S.  229. 

')  An  Schröder  4.  Juli  87.     Jonas  I,  S.  349. 

•■)  Urlichs  S.  437. 

'')  Technik  <les  Dramas,  S.  53, 


—     217      — 

Dresden  iiielit  einmal  der  Name  Mutter  Gottes  i^-euanut  werden ; 
es  musste  der  Genius  Frankreichs  dafür  eintreten.^) 

Als  Traumerscheinuno-  hätte  die  Mutter  Gottes  nicht 
wahrnehmbar  sein  dürfen,  darin  hatte  der  Rationalismus  des 
achtzehnten  .Jahrhuiidci'ts  seine  lUMlonken  und  auch  Schillers 
WahrscheinlichkeitssiiHi  machte  vor  dem  .Sichtbarwerden  einer 
Phantasie  Halt,  wie  die  schoiuniicslose  Kritik  der  Klärchen- 
vision im  I^^izinont  zeis-t.^)  Wirkliche  Gespenster  auftreten  zu 
lassen,  hatte  er  sich  daye^ren,  wie  Streicher  belichtet,^)  schon 
in  den  .Juirendplänen  nicht  iiescheut;  aus  der  späteren  Zeit 
findet  sich  ein  Titel  ..Das  (iespenst",  und  bei  der  Draut  in 
Trauer,  die  auf  demselben  Titelvei'zeichnis  steht,  fraift  sich 
Schiller  soL-ar.  ob  zwei  Geister  zu  bleicher  Zeit  auftreten 
dürften  und  wie  sich  dann  zu  verhalten  hätten.  Hei  Goethes 
Iphi,ü"enie  hielt  er  (li(^  KiNchciinniL;-  dei'  Kui'ien  ei^i'entlich  fiir 
unerlässlich  :  „Ohne  Furien  ist  kein  Orest";^)  vielleicht  hatte 
ihn  darin  dei'  ^^rosse  Kindruck  bestäi'kt,  den  bei  der  Autführuui,'' 
der  CJluckschcn  Iphi^enie  in  Weimar  isoi  der  Chor  der  den 
Orest  umschlinszenden  Fui'ien  machte.  ■') 

Trotz  des  ManiiX'ls  an  sinnlicher  Fvraft,  den  er  an  Goethes 
Werk  em|)fand,  waizte  er  ihm  doch  in  seiner  iiearbeitun^' 
keine  Ciewalt  anzuthun;  beim  hVmont  daireijen  setzte  er  seine 
Aulfassuiii:-  durch,  l'bei-  die  erste  Weiuiai'er  Aurt'ühriini,'-  be- 
richtete  IJöttif^er:") 

„Die  am  Schlu.ss  eing'eführte  Vision  konnte  natürlich,  als  ein 
unsichtbares  Traumbild,  den  Zuschauern  nur  dadurch  versinnlicht 
werden,  dass  der  schlafemle  P^i^rniont  durch  gewisse  sprechende  He- 
wegungen  des  Kopfes  und  der  Flände  das  andeute,  was  ihm  jetzt  in 


')  Braun  III,  218. 

■-■)  Goed.  VI,  S.  90  f. 

•')  Schillers  Flucht  von  Stuttgart  u.  xVut'enth.  in  Mannheim.  JS3(). 
S.  192  f. 

')  An  Goethe  22.  .hin.  1802.     .fonas  VI,  S.  837. 

■')  .lournal  des  Luxus  u.  d.  Moden  .lan.  1801,  S,  32.  Goethe  an 
Kirnis  21.  Nov.  1800  W.  A.  IV,  JU.  16,  S,  152.  Für  die  Kostümierung 
waren  antike  Vasengemälde  vorbildlich,  wozu  Böttiger  seinen  archäologischen 
Rat  geliehen  hatte. 

'')  Entwicklung  des  II'HandiscIien  Spiels,  S.  3(50  f. 


—     218     — 

einer  Art  von  Verzückung  in  den  höheren  Regionen  sichtbar  wurde. 
Hier  galt  es  also  eine  Pantomime  im  Schlafe,  wo  doch  die  Sinne 
gebunden  und  die  Hände  in  ihrem  G-ebrauch  bis  auf  wenige  halb 
starre  Bewegungen  gelähmt  seyn  mussten.  Freylich  wirkte  die  den 
Schlummer  begleitende  Musik  auch  etwas  zur  Versinnlichung  dessen, 
was  jetzt  das  geistige  Auge  des  Sehers  erblickte.  Allein  auch  so 
blieb  die  Pantomime  eines  Träumenden  eine  schwere,  nur  von  einem 
grossen  Künstler  zu  lösende  Aufgabe." 

In  dieser  Form  wurde  der  Schluss  auch  an  andern  Bühnen 
z.  J).  in  Mainz,  Berlin  und  Mannheim  g-eg-eben.  Das  uns 
erhaltene  Mannheimer  ]\Ianuskript  steht  also  hierin  der  eigent- 
lichen tSchillerschen  Bearbeitung  näher,  als  das  von  Diezmann 
und  Goedeke  herausgegebene.  Die  Beschreibung  des  Traumes, 
die  Schiller  nach  den  Woi'ten:  .jA'^erschwunden  ist  der  Kranz"' 
Egmont  in  den  Mund  legt,  hatte  ja  nur  Sinn,  wenn  die  Er- 
scheinung selbst  wegfiel.  Die  Tautologie  im  Weimarer  Manu- 
skript schreibt  sich  daher,  dass  nach  dem  Wunsche  des  Publi- 
kums') in  den  späteren  Auiführungen  das  Ti'aumbild  wieder 
eingesetzt  wui'de.  Als  Fouque  1813  einer  Weimarer  Auf- 
führung beigewohnt  hatte,  äusserte  er  Goethe  gegenüber  seine 
Begeisterung  gerade  über  die  Schlussvision,  und  Goethe  ant- 
wortete: „Ja,  und  stellen  Sie  sich  vor,  just  das  wollte  man 
mir  früher  abdisputiren,  wenigstens  für  die  theatralische  Dar- 
stellung. Und  sogar  mein  lieber  Schiller  war  mit  dabei  und 
liess  als  damaliger  Lenker  der  hiesigen  Schauspiele  die  Er- 
scheinung bei  der  Aufführung  auch  Avii'klich  fort."') 

Dass  etwa  Iffland,  der  den  J]gmont  in  Weimar  zum 
ersten  Male  spielte,  auf  den  Schluss  Einfluss  ausgeübt  hätte, 
ist  demnach  nicht  anzunehmen.  Überhaupt  darf  Iffland  kaum 
für  irgend  eine  Änderung  verantwoi'tlich  gemacht  werden,  wie 
dies  bei  einer  anderen  Stelle  geschielit.  I^ei  der  ersten  Auf- 
führung erschien  mit  Ferdinand  und  Silva  ein  N'ermummter 
im  Hintergrunde  des  Gefängnisses ;  Egmont  drang  auf  ihn 
ein    und    entlai'vte    ihn    durch    Wegreissung    des    schwarzen 


')  W.  A.  J,  Bd.  40,  S.  93. 

'^)  V.  Biedermann,  Goethes  Ges|)räche  ili,   S.  112. 


—     219     — 

Caskets  als  Alba.')  Wenn  nun  Diezinann  in  dioscni  Thcatcr- 
streich  einen  Einfall  des  effektlüsternen  IfHand  sah,  so  beruhte 
das  auf  einer  üanz  falschen  Auifassunu"  der  Ifflandisehen 
Kunst,  denn  diesei'  suchte  in  richtiy'er  Erkenntnis  seiner 
Mittel  jedem  rohen  Eifekt  aus  dem  We^e  zu  irehen  und  setzte 
seine  Rollen  als  ein  Mosaik  von  feinei'  Detailmalerei  zusammen, 
die  freilieh  von  allerlei  Mätzchen  nicht  tVei  blieb.  Gerade 
Hchillersche  Theatercoups  sind  jedoch  von  Iftiand  r)fters  li'e- 
mildei't  worden;  Goethe  tadelte  seine  zu  Avüi'di!.'e  Auffassung 
des  Franz  Moor,'')  z.  iL  schleuderte  er  den  gebrechlichen 
Vater  nicht  in  den  Sessel  zurück,  sondern  wich  nur  mit  den 
Worten  .,Ich  verlasse  Euch"  davon,  ohne  sogar  „im  Tode" 
hinzuziifüi^en;^)  am  Schlüsse  des  liühnen-Fiesko  änderte  er*) 
das  Wegschleudei'ii  des  zerbrochenen  Zepters: 

..Kill  Diadem  erkämpfen  ist  gross!  —  es  weggeben  göttlich! 

Seid  frei  Genue.ser;  —  (Er  gibt  das  Scejjter  zurück.)     Hinweg  damit, 

ifh  l)edart'  sein  nielit.     Hinwecr! 


')  Schloenbach  niadite  im  l)re.><<lener  Sciiilierlmcli  iMid,  S.  187  Mit- 
teilungen iilier  das  Mannheimer  Tiieatermanuskript,  die  von  seiner  beispiel- 
losen Unznverlässigkeit  zeugen.  Er  berichtet:  wo  es  im  Weimari.schen 
Manuskript  l)eim  Eintritt  von  Ferdinand  un<l  Silva  in  Egmonts  Kerker 
hei.sst:  ..Ein  Vermummter  im  Hintergründe",  steht  im  Mannheimer: 
„Ferdinand  und  A]l)a,  von  zwei  Vermummten  und  einigen  Gewaftneten  be- 
gleitet." Zwei  .lahre  später  gab  er  das  Mannheimer  Manuskript  in  iler 
Bibliothek  der  Deutschen  Klassiker.  Hildlmrghausen  18()2,  Hd.  X.  S.  lö!»  ti'. 
heraus  und  druckte:  ., Ferdinand  und  Silva,  von  zwei  Vermummten  und 
einigen  Gewatfneten  begleitet." 

Übrigens  ist  die  Mehrzahl  der  V^ermummten  immerhin  zu  beachten. 
Böttiger  hatte  in  seiner  Entwickelung  S.  365  geschrieben:  ..Gewiss  wäre 
vieles  von  dieser  Unwahr.scheinlickkeit  verschwunden,  wenn  nicht  bloss 
Alba,  sondern  eine  ganze  Gesellschaft  schwarz  vermummter  Masken  mit 
Sylva  und  der  Wache  eingetreten  wären.  Man  hätte  diess  alsdann  für 
eine  katholische  Brüderschaft  genommen,  wie  sie  in  katholischen  Ländern 
vordem  auch  Verbrecher,  die  sich  zum  Tode  vorbereiteten,  zu  besuchen 
pflegten." 

-'»  \V.  .V.  I.  I5d.  Kl.  S.  17-J.  V.  BicdcMiiaiin.  (ioethes  Gespräche  11, 
S.  128. 

■')  Ifflands  Almanach  fürs  Theater  18U7,  S.  H!»  if. 

••)  Reinh.  Steig,  Euphorion  IX,  S.  121. 


—     220     — 

Wenn  also  der  yrobe  Eifekt,  der  aucli  in  Berlin  unter 
Ifflands  Auuen  unterblieb. M  der  Kunst  dieses  Schauspielers 
schon  iiav  nicht  lai;',  so  Hess  man  endlicli  völlig'  unbeachtet, 
dass  IfHand  den  Ei^mont  spielte  und  dass  diese  Einführuni( 
doch  nur  der  Rolle  Albas  zu  Danke  g^eschah.  Und  Graif, 
der  Darsteller  des  Alba,  hat  denn,  wie  Genast^)  berichtet, 
auch  späterhin  nicht  dai'auf  verzichten  A\'ollen  und  auf  alle 
Einwürfe  erwidert:  »Schiller  hat  es  so  gewollt. 

Auf  (icnasts  Zuverlässigkeit  sollen  keine  Häuser  gebaut 
werden;  immerhin  ist  zu  beachten,  dass  er  seine  Erinnerung 
zu  prüfen  hatte,  denn  er  trat  bereits  ausdrücklich  der  Schön- 
färberei Palleskes  entgegen.  Und  endlich  wird  seine  J^e- 
hauptung-  durch  einen  nicht  zu  unterschätzenden  Zeugen  er- 
härtet, nämlich  durch  Goethe  selbst,  der  in  drei  (Tcsprächen, 
im  Dezember  1806  mit  dem  .,Weimarei'  Veteranen"  Heimich 
Schmidt,  im  Dezember  1818  mit  Fouque  und  im  Januar  1825 
mit  Eekermann  diese  Änderung  Schiller  zugeschoben  hat.^) 
Zu  Eckermann  sprach  er  von  einem  Sinn  für  das  Grausame, 
der  Schiller  noch  von  den  Räubei'n  her  angeklebt  habe;  zu 
Heinrich  Schmidt  soll  er  gesagt  haben:  .,In  Schillersche  Stücke 
hätt'  es  auch  wohl  gepasst;  allein  das  ist  mein  Genre  nicht." 

Diesen  Zeugnissen  gegenüber  köinien  Palleske,  Diez- 
mann,  P>ulthaupt,  denen  sich .  auch  l^oxberger  und  Köster  an- 
geschlossen haben,  nichts  weiter  aufbi'ingeu,  als  die  Über- 
zeugung von  dem  aristokratischen  Geschmack  Schillers.  Allein 
wenn  wir  bei  Durchsicht  des  dramatischen  Nachlasses  beobachten, 
mit  was  für  Einfällen  Schiller  vorübergehend  experimentiert 
hat,  so  ergiebt  sich  durchaus  keine  Konsequenz  seines  Cie- 
schmackes. 

Beim  Demetrius  begegnen  wir  nicht  nui-  demselben  Salto- 
mortale    in    eine    Opernwelt,    das    <ler    Egmoiitrezension    zum 

')  Ifflands  Alnianach  fürs  Theater  1808,  S.  IV  ff.  Dort,  ist  auch 
der  Berliner  Schausjjieler  Beschert  als  träumender  Egniont  abgebildet  und 
sein  stummes  Spiel  besehrieben. 

•)  Tagebuch  eines  alten  Schauspielers,  2.  Autl.  I,  113. 

^)  V.  Biedermann,  Goethes  Gespräche  11,  124.     111,  112.     V,  137. 


—     221     — 

Opfer  Licfalleii  wai-  —  Axiiiia  .sollte  nach  ilii'eni  Tode  dem  Ro- 
manow imCjcfänü'ni.s  erscheinen  und  den  Czareiilliioii  |)rophezeien 
—  .sondern  aucii  die  Er.schcinunv  des  Verniiiiimiten  wiedei'liolt 
.sich:  statt  des  Patriarchen  Hiob  dachte  .Schiller  vorüberii-ehend  da- 
ran, den  verkappten  Boris  im  Kloster  auftreten  und  zuletzt 
von  Marfa  entlarven  zu  lassen.') 

Der  theatralische  »Sinn,  der  aus  dem  .stoti'e  jede  dankbare 
Situation  herauszupressen  und  die  Hauptpersonen  innner  und 
immer  wieder  zu  konfrontieren  sucht,  ist  hier  einige  Male 
mit  dem  Dichter  durchg^egangen;  aber  er  ist  bei  der  endgiil- 
tig"en  Ausführung  doch  stets  in  die  Grenzen  des  guten  (Je- 
schmackes  zurückg'-ezwungen  woi-den. 

Die  Kgmontbearbeitung  hat  Schiller  in  wenigen  Tagen 
körperlichen  Leidens  ohne  Zeit  zum  .Vusi'cifen  fertiggestellt; 
der  Theatci'.streich  des  Alba  ist  ein  eben.solches  Experiment 
wie  jene  unau.sg-egorenen  Einfälle  im  dramati.->;chen  Nachlass; 
er  hat  .so  wenig  mit  dei'  reifen  Kunst  Schillers  zu  thun,  dass 
er  nicht  einmal  zur  Charakteristik  seines  (jcschmackes  etwas 
I^]ntscheidendcs  beiträgt. 


7.  Zalil  der  Personen. 

I)('i'  (xeg^ensatz  zwi.schen  Schauspieltruppe  und  Opern- 
theatcr  beginnt  bereits  um  die  Mitte  dc^  achtzehnten  Jahr- 
hunderts seine  Wirkungen  auf  das  deutsche  Di-ama  au.szuüben. 
in  der  vierten  Autlage  seiner  Kritischen  Dichtkunst  erwähnte 
Gottsched  bereits  den  auf  der  Üpernbülnie  überhandnehmenden 
Dekorationsluxus '')  und  wie  sehr  sich  die  Mittel  in  Bezug  auf 
die  Zahl  des  Personals  unterschieden,  konnte  er  bei  der  Auf- 
führung seiner  eigenen  \\'erke  beobachten:  bei  seiner  Bear- 
beitung- von  Kacines  Iphigenie  hatte  er  mit  Rücksicht  auf 
die  Schauspielgesellschaften   eine   Rolle  streichen  müssen;   als 


M  Drain,  Xachl.  1.  S.  XLT,  T.VIT,  120.  154.  103.  'JOT.  '221.  234. 
')  Clit.  Dichtk.  4.  AiiH.  1751  ä.  ü2G. 


—     222     — 

man  abei'  seinen  Cato  auf  der  BraunschAveiger  Opernbühne 
mit  allem  Prunk  inszenierte,  trat  Cäsar  mit  einem  Gefolge 
von  24  Soldaten  auf.'j. 

Als  die  Ritterdramen  Mode  wurden,  traten  auch  herum- 
ziehende Truppen  z.  B.  fSchikaneder  mit  der  Oper  in  Kon- 
kurrenz; immerhin  musste  noch  manche  stehende  Schaubühne 
sich  einschränken,  z.  B.  musste  1791  bei  der  Weimarer  Bel- 
lomoschen  Gesellschaft  der  Theatermeister  eine  Statistenrolle 
übernehmen,  was  die  Schnelligkeit  der  Verwandlungen  sehr 
beeinträchtigte.'^). 

In  seinem  Promemoria  zur  Gründung  des  Mannheimer 
Theaters  hatte  Brandes  geschrieben:  „Ein  vollständiges  Schau- 
spiel   fordert    ohne    Souffleur,    Decorateur   etc.  wenigstens  16 

Personen Doch  könnten  mit  16  Personen  keine  Stücke 

ä  la  Shakespeare  oder  ä  la  Goethe  gegeben  werden".^)  Bei 
den  ersten  Engagements  wurde  dieser  Anschlag  nur  wenig 
überschritten ;  ^)  später  indessen  konnte  man  sich  in  Mannheim 
an  Shakespeare  und  den  Götz  von  I)erlichingen  wagen.  Trotz- 
dem' schrieb  Iffland  in  seinem  Referat  über  die  erste  Gestalt 
des  Fiesko  im  Mannheimer  Theaterausschuss :  „Der  Senatoren 
sind  so  viele,  dass  es  fast  jedem  1'lieater  unmöglich  fallen 
muss,  sie  ohne  Lächerlichkeiten  zu  besetzen.'^) 

Durch  die  Stuttgarter  Autführungen,  wo  zu  einer  Oper 
gegen  500  herzogliche  Soldaten  verwendet  wurden,  verwöhnt^) 
hatte  Schiller  in  den  Räubern  verschwenderisch  gehaust;  an 
die  Zahl  80,  die  er  für  die  Räuberbande  indirekt  angiebt,  hat 
man  sich  jedoch  in  Mannheim  nicht  gekehrt;  nach  dem  Haupt- 
buah  wurden  18  Comparsen  in  Räuberklcider  gesteckt. 

')  Waniek,  Gottsched  S.  12(J.  188. 

'^)  Aiinalen  des  Theaters  1791  Heft  8  S.  7ü.  Von  den  elenden  Mit- 
teln der  lielloniosehen  Gesellschaft  macht  Gotter  in  einem  Brief  an  Dal- 
herg  9.  März  178(5  eine  stark  aufgetragene  Schilderung.  Grenzboten  187G 
(Jg.  35)  II,  S.  55. 

')  Koffka  S.  19  f. 

*)  Tichler  S.  4«  f. 

')  Martersteig  S.  89. 

6)  Weltrich  1,  S.  ()85,  087,  G89, 


—     223     — 

Diircli  die  Mannheimer  Erfahrunf^en  wurde  Schiller  öko- 
nomischer; vielleicht  hatten  im  Ficsko  ur.si)rünüiicli  wii'klich 
alle  zwüll"  kSenutoren  auftreten  .sollen,  die  auf  (;Iianettinos  Liste 
stehen;  die  Unklarheit  bei  den  Brüdern  Asscrato,  die  bald 
als  vier  bald  als  eine  Person  behandelt  werden,  ist  auffallend ; 
in  der  Bülmenbearbeitun^-  sind  sie  g"anz  weg-gefallen.  Am 
besten  aber  zeis'en  die  Bühnenmanuski-ipte  des  Don  Carlos, 
wie  ychiller  seine  Anforderungen  herabstinmien  nmsste.  Gegen 
zwanzig  Rollen  des  dramatischen  Gedichtes  weist  das  Dresde- 
ner achtzehn  Öprechrollen  ((Jrossinquisitor,  Prior  und  Mercado 
sind  gespart;  der  Oftizier  Graf  Cordua  ')  neu  ins  Verzeichnis 
aufgenonunen),  die  bei  Goedeke  abgedruckte  Fassung  |}s  sieb- 
zehn (die  Rolle  des  Oftiziers  in  V,  5  ist  Lernia  zugeteih):  das 
Hamburger  Manuskript  -)  ohne  Grossinquisitor  sechzehn  auf 
(auch  Farnese  ist  fortgeblieben);  aus  den  (iranden  in  II,  7 
sind  völlig  stumme  Personen  geworden;  unter  den  Statisten 
sind  die  antichambrierenden  Höflinge  (H,  4)  und  da«  grosse 
Gefolge  der  Königin  (IV,  1.  UM  weggefallen;  wie  gezwungen 
aber  diese  Si)arsamkeit  war,  das  zeigt  die  Bitte  an  Schröder, 
so  viel  spanische  Granden  auf  die  Huhne  zu  stellen,  als  er 
Röcke  habe.^) 

Wenn  bei  den  Nebenpersonen  gar  keine  feste  Zahl  vor- 
geschrieben wird,  so  ist  der  Grund  dafür  nicht  nur  Zurück- 
haltung, sondern  auch  Geringschätzung.  Wie  wenig  sich  der 
Dichter  ursprünglich  mit  ilinen  abgab,  sehen  wir  an  den  Bei- 
spielen, wo  Nebenpersonen  übeiiiaupt  unpei-siudich  eingeführt 
werden : 

Raul).  (Trsp.)  1,3:  man  wartet  auf  \) 

Carlos  V,  3:  Es  geschieht  ein  Schuss  durch  die  Gitterthüre. 

')  Der  Name  v.  4104.  Ebenso  fand  IJurgoyn  erst  in  den  Bühnen- 
manuskripten der  Maria  Stuart  einen  Fiat-/  im  l'ersonenverzeichnis. 

■■')  Die  Mannheimer  .Jambenbearbeitung,  die  uns  mit  manchen  Verän- 
derungen vorliegt,  zählt  dagegen  achtzehn  l'ersonen.  nämlich  auch  Farnese 
und  einen  zweiten  I'agen  der  Königin,  der  an  Merkados  Stelle  tritt,  ob- 
wohl  Schiller  diesen  nur  gestrichen  hatte,  um  eine  Rolle  zu  sparen. 

'■')  An  Schröder  13.  Juni  1787,  Jonas  I,  340. 

*)  Im  Mannheimer  Manuskript  heisst  es  statt  dessen:  (Der  Kellner 
bringt  Weinj. 


—     224     — 

So  werden  anfang's  alle  Nebenpersonen  mit   der  Gleich- 
iiültigkeit  de«  Erzählers,   nicht  mit  der    verantwortungsvollen 
Präzision  des  Regisseurs  behandelt,  z.  B. : 
Raub.  11,3:  Neue  Räuber. 

IV, 5:  ab  mit  einem  Geschwader.') 
Fiesko  IV,  1:  Wachen  nehmen  ihren  Posten. 
V,  7 :  Ein  Trupp  Diebe. 

Bühnenb.  V,  15 :  Das  Heer  der  Verschwornen  — 
Carlos  (Thalia)  111,1:  mit  einiger  Begleitung. 

Zwei  Beispiele  aus  dem  Teil  mögen  dag^egen  die  spätere 
Gewissenhaftigkeit  zeigen : 

11,1  Kuoni  und  noch  sechs  Knechte  stehen  um  ihn  her  .... 
111,3  Rössel  mann  der  Pfarrer  und   Peter  mann  der  Sigrist,   kom- 
men herbei  mit  drei  andern  Männern. 

Und  dem  beim  Don  Carlos  so  bescheiden  an  Schröder 
gerichteten  Wunsche  lässt  sich  schon  beim  Wallenstein  die 
sichere  Forderung  in  einem  Brief  an  IfÜand'^)  gegenüberstellen : 

„Auf  eine  Anzahl  von  20  bis  30   gemeiner  Kürassiere,    welche 
zugleich  gesehen  werden,  ist  auch  gerechnet." 

Beim  Wallenstein  betonte  der  erste  Verfasser  einer  einteili- 
gen Bearbeitung  deren  Notwendigkeit  Avegen  des  grossen  Per- 
sonals, das  mittleren  und  kleinen  Gesellschaften  die  Auffülii-ung 
verbiete;')  umgekehrt  hatte  Schiller  geglaubt,  durch  die  Teilung 
des  Ganzen  die  Schwierigkeit  der  Rollenbesetzung  zu  ver- 
mindern.'^) 

Alle  bisherigen  Shakespearebearbeiter  hatten  einzelne 
Rollen  streichen,  oder,  was  Serlo  im  ^^'ilhelm  Meister  empfiehlt, 
„mehrere  Personen  in  Eine  drängen  müssen";  auch  später  trat 
Goethe  nochmals  für  diese  Schrödersche  Bcarbeitungsform  im 
Gegensatz  zur  Romantik  ein.     Schiller  ging  gegenüber  seinen 


*)  Im  Trauerspiel:  (ab  mit  einem  Geschwader  und  Herrmann).  Das 
MaTinheimer  Manuskript  musste  natürlich  mehr  Genauigkeit  schalten:  „ab 
mit  Grimm  und  einigen  Räubern,  Kosinsky,  Ratzman".  .Ebenso  l'lümicke: 
(ab  mit  einem  Geschwader,  wol)ei  Grimm,  Ratzmann  und  Kosinsky.  Herr- 
maiin  folgt  ihnen). 

-J  An  Iffland  IS.  Febr.  1790.     .loiias  \'l,  S.  10, 

'■')  Kilian,  Der  einteilige  Theaterwallenstein  S.  9, 

■*)  An  Körner  30.  Se])t.  17Ü8.     Jonas  V,  437, 


—     225     — 

Vor^''äng"ern  ^)  sehr  schonend  mit  dorn  Macbeth  um,  indem  er 
nur  drei  Personen  strich:  dafür  mussten  nun  einzehie  Hchau- 
spielcr  mehrere  kleine  Rollen  zugleich  übernehmen.  Öoirar 
der  Primadonna  Jagemann  wurden  di-ei  kleine  Partien  zu*,'-e- 
mutet,  wogegen  sie  Einspruch  ei'hob,  obwohl  sie  aus  ihrei- 
Mannheimer  Zeit  daran  hätte  gewöhnt  sein  müssen.-)  Dem. 
Caspers  spielte  den  Malkolm  und  den  jungen  Sei  ward,  und 
hierbei  trat  der  Übelstand  solcher  Doppelrollen  hervor:  das 
Publikum  vermochte  die  beiden  Personen  nicht  auseinander- 
zuhalten. Der  (Jothaer  Theater-Kalender')  hatte  aus  diesen 
(iründen  nicht  so  unrecht,  wenn  er  sich  schon  im  Jahre  1783 
gegen  das  überhandnehmende  Doppel  -  Rollenspiel  wendete. 
Der  p]mj)f('hlung.  lieber  auf  die  personenreichen  »Stücke  zu 
vci'zichten.  konnten  die  Theaterdirektoren  freilich  nicht  folgen. 
Jn  der  Jungfrau  von  (Ji'leans  verschmolzen  Talbot  und 
der  schwarze  Ritter  zu  einer  Doppelrolle,  und  in  Leipzig  über- 
nahm Ochsenheimer  ausserdem  noch  den  Soldaten,  der  im  letzten 
Akt  von  der  Warte  aus  den  Kampf  schildert.*) 

')  Küster  S.  (iO.  Der  Theaterzettel  einer  Frankfurter  Aufführung 
aus  dem  .Jahre  1782  —  vermutlich  war  es  die  Fischersche  Bearbeitunof  — 
hat  nur  12  l'ersouen.  E.  Mentzel,  Archiv  f.  Frankfurts  Gesch.  u.  Kunst. 
N.  F.  111,  S.  288. 

■')  Urlichs  S.^358.  In  Mannheim  soll  sie  in  einem  halben  .Jahr  sieben 
Statistenrollen  ausgefüllt  haben.     Koffka  S.  283. 

•')  Theat.-Kal.  1783,  S.  37:  „Täuschung  ist  das  erste  Attribut  der 
Schaubühne  und  nie  wird  sie  grausamer  gestört,  als  wenn  man  Einen  und 
denselben  Akteur  in  einem  und  demselben  Stück,  zwey  ganz  verschiedene 
Rollen  machen  sieht,  wenn  mau  ihn  im  Hamlet,  als  Trabanten,  und  wenige 
Zeit  darauf  wieder  als  Herzog  von  Gonzaga  erblickt,  oder  wenn  er  im 
Güz  von  Berlichingen,  als  treuer  Georg  sein  Liedchen  im  Stalle  pfeift, 
und  kurz  vorher  als  Olearius  im  bischöflichen  J'alast  zu  Bamberg,  hinter 
den  grossen  Pokalen  schwelgt.  Lieber  wollte  ich  wie  in  Scarrons  komischem 
lioman,  dass  der  Schauspieler  seine  Krone  auf  den  Stuhl  legte  und  diesen 
König  seyn  Hess,  um  sie  wieder  aufzusetzen,  und  als  König  fortzutragiren, 
wenn  nun  das  Reimgebetchen  des  Vertrauten  glücklich  zu  Ende  gebracht  ist.'' 

')  .Journ.  d.  Lux.  u.  d.  Mod.  Okt.  1801.  S.  557.  Ochsenheimer 
fasste  seitdem  Tall)üt  u.  schwarzen  Ritter  als  zusammengehörig  auf,  wie 
sein  Brief  an  SchiUer  zeigt  (24.  Kov.  1801,  Urlichs  S.  452).  Schiller 
selbst  trennte  beide  Rollen,  sobald  ein  neuer  Schauspieler  in  Weimar  zur 
Verfügung  stand.     (An  Goethe  [IC.  Dez.  1803]  Jonas  VII,  S.  78.j 

Palaestra  XXXU.  lö 


—     226     — 

Beim  Teil  musste  Schiller  dem  P)i-eslauer  Theater  beinahe 
abraten  wegen  des  zahlreichen  Personals,  das  er  auf  gegen 
sechsunddreissig  sprechende  Rollen  einschätzte;^)  dabei  hatte 
er  in  der  Ausarbeitung-  gespart,  wo  er  konnte:  Landenberg 
fiel  weg;  schon  an  anderer  Stelle  verwendete  Personen  wie 
Kuoni,  Ruodi,  Werni  (in  D  der  Steinmetz)  nahmen  am  Rütli 
wiederum  teil,  und  zwischen  dem  Fischer  auf  dem  westlichen 
und  östlichen  Ufer  des  Sees  bestand  kein  Unterschied  mehr. 
Mit  siebzehn  Schauspielern  wurden  schliesslich  dreissig  männ- 
liche Rollen  in  Weimar  besetzt,  „ohne  dass  es  nöthig  gewesen 
wäre,  die  Hauptrollen  zu  duplieren."')  Für  die  Doppeli'ollen 
machte  Schiller  auch  an  auswärtige  Direktoren  Vorschläge, 
die  jedenfalls  der  Weimarer  Besetzung  ungefähr  entsprachen: 

Winkelried  —  und  Johannes  von  Oestreich 

Itel  Reding  —  und  Kuoni,  auch  Stüssi 

Werni  —  und  Meier  von  Samen,  auch  Wanderer  im  4.  A. 

Friesshardt  —  und  Frohnvogt^) 

Leuthold  —  und  Meister  Steinmetz 

Rudolph  Harras  —  und  Ausrufer 

Sigrist  und  Rösselmann  —  auch  Gesellen  und  Handlanger 

Jenni  und  Seppi  können  durch  Mädchen  gespielt  werden. 

Die  Zahl  der  Rütliverschworenen  musste,  wie  bereits  er- 
wähnt,^) erheblich  herabgesetzt  werden;  ein  Verfahren,  das 
durchaus  mit  Goethes  Prinzipien  über  Komparserie  übei-haupt 
übereinstimmte:  „Die  Wirklichkeit,  die  aus  Hunderttausenden 
besteht,  kann  auf  einem  so  engen  Raum,  wie  die  Bühne  bietet, 
doch  nicht  verkörpert  werden;  ob  man  da  zehn  oder  hundert 
Mann  erscheinen  lässt,  bleibt  sich  gleich;  man  möge  sich  die 
andern  dazu  denken!"^) 


')  An  Schwarz  20.  Febr.  1804.     Jonas  VII,  127. 

'■')  An  Iffland  11.  Februar  1804.  An  Schwarz  24.  März  18()4.  An 
Herzfeld  24.  März  1304.     (Jonas  VII,  S.  123  f.,  132,  133.) 

•')  Genast  will  in  Weimar  Frohnvogt  und  Rösselmann  gesjjielt  haben. 
(Tageb.  e.  alten  Schausj).  I,  140.)  Nach  Gotthardi  (Weimarische  Theater- 
bilder I,  105)  gab  später  Unzelniann  die  Rolle  des  Kösselmann  mit  T'arricida 
zusamn)en. 

*)  Kap.  I,  4  S.  65  Ann».  2. 

")  v.  Biedermann,  Goethes  Gespräche  III,  202. 


—     227     — 

Da  die  Frauenrollen  im  Teil  in  der  Minderzahl  waren, 
so  war  die  l^esetzunc  der  Knaben  durch  Schauspielerinnen 
leicht  mö.L''lich.  Es  blieben  dann  iminei-  noch  einiire  Schau- 
spielcrinncn  übriy,  und  um  alles  Material  auszunutzen,  schuf 
Schiller  schliesslich  noch  neue  Frauenrollen.*) 

Auch  Kinder  nahmen  an  den  «rrossen  Gruppenszenen  teil, 
wozu  etwa  Kotzebues  Hussiten  vor  Naumbuj-g-  hätten  vor- 
bildlich sein  können,  ohne  dass  bei  Schiller  dieselbe  Rühr- 
seli^'-keit  erweckt  werden  sollte.  Aktiv  in  die  Handlunir  ein- 
greifende Kindci'rollen,  wie  sie  seit  Miss  Sarah  Sampson, 
Ug^olino  und  (iötz  in  bürg-erlichen  und  Ritterstiicken  beinahe 
unentbehrliche  Mode  waren, ^)  hat  Schiller  weder  um  durch 
die  konti-astici'endc  Naivetüt  zu  rühren,  noch  aus  pädaiioirischcm 
Interesse  jemals  erfunden;  wenn  er  in  der  E^^montrezension 
den  Wegfall  der  neun  Kinder  bedauert,  so  ist  es  doch  nur 
das  rühiende  Bild  des  Vatei's,  das  er  nicht  vorenthalten  haben 
möchte.  Im  Don  Carlos  und  Teil  lagen  die  Rollen  im  Stoff 
gegeben  und  waren  nicht  zu  umgehen.  Aber  auch  hier  Ix;- 
trachtet  sie  Schiller  durchaus  von  der  praktischen  Seite;  da 
Walther  Teil  doch  einmal  von  einem  geschickten  Kinde  oder 
einer  Schauspielerin  dargestellt  werden  musste,  ist  an  seiner 
Rolle  nichts  gespart;  dem  kleinen  Wilhelm  dagegen  ist  die 
Aufgabe  möglichst  bequem  gemacht.  Ebenso  ist,  worauf  Möller^) 
hingewiesen  hat,  in  den  liühnenbearbeitungen  des  Don  Carlos 
der  Jnfantin  ihre  Rolle  wesentlich  erleichtert. 

i\uch  Statisteni'ollen  lässt  Schiller,  selbst  wenn  sie  in  die 
Handlung  eingreifen,  möglichst  wenig  zu  Worte  konniien. 
Wallenstein  nimmt  dem  eintretenden  Pagen  (W.  T.  1,  ij  die 
Meldung  aus  dem  Munde: 


')  Siehe  oben,  Kap.  I,  4  S.  64. 

')  R.  M.  Werner,  Ph.  Ludw.  Hahn,  (^i.  u.  Forsch.  XXIT,  S.  22. 

Z.  f.  östr.  Gyinn.  1879,  S.  280  ff. 

Minor,  u.  Sauer,  Studien  z.  Goethephilologie,  S.  204. 

C  Flaischlen  O.  H.  v.  Geniniingen,  S.  123. 

Stiehler,  Das  IlJiandische  ilührstück,   Theatergesch.  Forsch.  XVI, 

2Ü  ir. 

•'')  Möller,  Studien  zum  Don  Carlos,  Greifswald  189G,  S.  77. 

15* 


-      228     — 
Der  schwed'sche  Oberst?  Ist  er 's?  Nun,  er  komme. 

Ähnlich  wird  in  der  Jungfrau  von  Orleans  (I,  3)  die  Nach- 
richt des  Ritters,  dass  die  schottischen  Völker  sich  empören, 
durch  Dunois  vermittelt. 

Die  Entwürfe  des  Nachlasses  zeigen,  wie  Schiller,  schon 
ehe  er  an  die  Ausarbeitung  ging,  mit  den  wenigen  Weimarer 
Schauspielern  vorsichtig  rechnete.^)  Daneben  entwarf  ei"  auch 
die  Berliner  Besetzung,  und  dabei  bedurfte  er  einer  geringeren 
Ängstlichkeit.  Dort  hatte  er  den  Krönungszug  in  der  Jung- 
frau von  Orleans  reicher  dargestellt  gesehen,  als  seine  eigene 
Phantasie  gewagt  hatte ;  und  nur  indem  er  an  jene  Mittel 
dachte,  konnte  er  beim  Demetrius  einen  unerhörten  Aufwand 
an  Personen  und  Kostümen  verlangen. 

Ebenso  wie  in  der  Rütliszene  scheint  er  auch  beim 
Reichstag,  wenigstens  für  das  Buchdrama,  die  historische 
Teilnehmerzahl  haben  festhalten  wollen  und  nach  seinen 
Kollektaneen  war  er  dabei  auf  eine  Zahl  von  übei'  150  Per- 
sonen gekommen.''^)  So  wie  er  ausgefühi't  ist.  hat  der  erste 
Akt  neben  Gruppen  von  Bischöfen,  Palatinen,  Landboten, 
Edelleuten,  Stallknechten,  die  unisono  rufen,  siebzehn  einzelne 
Sprechrollen,  avozu  im  zweiten  Aufzug  noch  sechzehn  weitere 
hinzutreten.  Dabei  sind  die  Hauptrollen  Boris,  Axinia, 
Romanow,  Zusky,  Utrepeia,  Casimir  und  viele  Mittelrollen 
noch  den  folgenden  Akten  vorbelialten.  Welche  Anschwellung 
also  gegcnübei-  dem  ursprünglichenPlan,  wo  Schiller  noch  mit  ein- 
unddreissig,  dann  mit  zwciunddreissig  Sprechrollen  für  das  ganze 
Stück  (die  später  abgestossene  Szene  in  Sambor  mit  Palatinus, 
Lodoiska  und  den  Russen  mitgerechnet)  auszukommen  hoffte 
und  dafür  bereits  sechs  Weimarer  Schauspieler  doppelt  in 
Anspruch  nehmen  musste.') 

Die  letzte  Phase,  die  in  der  Korrektur  für  den  Bühnen- 
zweck bestand,  hat  das  Fragment  der  ersten  Akte  noch  niclit 


')  Dram.  Nachl.  I,  207,  219,  232,  297.     II,  11,  40,  80,  102,  129,  145. 

Laube,  Das  Burgtheater,  S.  372. 
2)  Dram.  Nachl.  I,  S.  3  tt".,  246. 
")  Dram.  Nachl.  I,  S.  219,  232. 


—     229     — 

durchgemacht;  es  kann  irai-  kein  Zweifel  sein,  dass  Schiller 
dabei  selbst  seine  verschwenderische  Phantasie  unter  die 
Kuratel  des  Theaterverstandes  gestellt  hätte.  Denn  auch  die 
berliner  Mittel  hätten  schliesslich  zu  einem  solchen  Aufwand 
nicht  ausgereicht. 

Indem  die  Fortsetzer^)  nicht  pietätlos  genug  sein  durften, 
an  dem  grossen  Wurf  der  Keichstagsszene  wesentliches  zu 
ändern,  brachten  sie  alle  in  ihre  Werke  ein  grosses  Missver- 
hältnis hinein.  Da  in  den  späteren  Akten  die  grösste  Spar- 
samkeit geboten  war,  kamen  die  Russen  gegenüber  den  Polen 
durchweg  zu  kurz.  Schon  die  liaucrnszene  des  zweiten  Aktes 
fehlt  bei  Maltitz  und  Laube,  spätere  Volksszenen  kommen 
nur  bei  Gruppe  und  Zimmermann  vor;  Demetrius  bleibt  auch 
weiterhin  in  seiner  alten  polnischen  Umgebung;  seine  russischen 
Anhänirer,  von  denen  Soltikotf  in  den  durch  Kürner  verötfcnt- 
lichten  15ruclistücken  genannt  ist,  fehlen  bei  Kühne,  Gruppe 
und  Laube,  riuuntränglicli  notwendiir  waren  ja  von  Hinzu- 
kommenden nur  Loris,  Axinia,  Schuisky  und  der  Macliinator  x. 
Horis  fehlt  bei  Sievers,  und  Laube  spart  sogar  den  fabricator 
doli,  indem  er  ihn  mit  dem  Kosakcnhctman  vom  polnischen 
Reichstag  Komla  (bei  Schiller  Korela)  vereinigt;  auch  durch 
nochmalige  Verwendung  des  Sapieha  füllt  er  die  folgenden 
Akte. 

So  mussten  alle  diese  Fortsetzungen  einem  grossen  Dom 
gleich  werden,  der  auf  halber  Höhe  mit  einem  Notdach  abge- 
schlossen ist,  nicht  nur  weil  die  Pläne  des  Meisters  unbekannt 
oder  unverstanden  waren,  sondern  weil  es  an  dem  einfachen 
Material,  den  P>austeinen.  cebrach. 


')  Fopek,    Der    falsche    Denjetrius     in    d.    Dichtung-.      Gymn.-rrogr. 
Linz  1893,  -94,  -95,  S.  2Ü  f. 


—     230     — 

8.  Gruppen,  Statistenszeiieii,  Aufzüge. 

Auf  ihi-er  von  Zuschauern  eingeengten  Bühne  hatte  die 
französische  Tragödie  keine  Gelegenheit  zu  breiterer  Gruppen- 
entfaltung gehabt; ')  Racine  wagte  nur,  als  er  für  die  Damen 
von  yt.  Cyi'  schrieb,  am  Schluss  seiner  Athalia  eine  grössere 
Menge  auf  das  Theater  zu  bringen;  Voltaire  tat  e;s  in  der 
Semiramis  und  verdrängte  dadurch  die  Zuschauer  vom  Theater. 

Indessen  überliess  der  Geschmack  der  Zeit  die  grossen 
Gruppenwirkungen  der  Oper;  wenn  Diderot '')  von  tableau 
redet  und  die  Stellungen  auf  dem  Theater  als  Kompositionen 
für  die  Malerei  sehen  möchte,  so  denkt  er  schliesslich  doch 
nur  an  die  rührenden  Situationen  der  wenigen  Hauptpersonen ; 
der  Maler,  dessen  Kunst  ihm  dabei  vorschwebte,  war  Grenze 
mit  seinen  Familienbildern;  dass  dagegen  auf  der  Bühne  je- 
mals die  Wirkung  eines  grossen  Historienbildes  erreicht  werden 
könnte,  diesen  Gedanken  hatte  man,  seit  er  durch  Dubos  ver- 
neint worden  war,  ^)  nicht  wieder  aufgenommen.  Mercier  *) 
warnt,  obwohl  er  dem  Dichter  Beobachtungen  bei  allen  Festen, 
Versammlungen  und  Aufzügen  anempfiehlt,  vor  der  sklavischen 
Naturnachahmung;  man  solle  es  nicht  etwa  wie  in  Italien 
machen,  wo  vierzig  Personen  auf  einmal  auf  der  Bühne  sind, 
nur  um  eine  Versammlung  besser  vorzustellen. 

In  Deutschland  galt  dieselbe  Regel ;  noch  der  erste 
Rezensent  der  Räuber'^)  meinte,  die  meisten  Nebenpersonen 
hätten  als  überflüssig  wegbleiben  können;  .,wozu  die  ganze 
Rotte  ?  zu  nichts  als  das  Stück  hier  und  da  langweilig  zu  machen 
und  einige  sehr  niedrige  Szenen  hier  aufzuführen?" 

Die  deutsciien  Stürmer  und  Dränger  verleihen  unter  dem 
Einflüsse  Diderots  gewissen  fi'uchtbaren  Momenten  der  Spannung 
oder  Rührung  durch  Anordnung  einer  malerischen  Gruppe 
Nachdruck.      Und   es    ist  überraschend,   mit  welcher  Schärfe 


')  Bapst,  Essai  sur  l'histoire  du  theätre  S.  360. 

0  Theater  d.  fl.  Diderot  I,  ISl.  182.  II,  456. 

■'')  Servaes,  Die  Poetik  der  Schweizer  und  Gottscheds  S.  78. 

*)  Neuer  Versuch  S.  187  f,  248. 

')  BrauQ  I,  S.  4  ff . 


—     231     — 

sie  bereit«  bestimmte  Situationen  weniirer  Personen  als  Bild 
schauen,  z.  ]].  Klin.irer  in  der  neuen  Arria  die  Schlussgruppe 
des  zweiten  Aktes')  oder  Lenz  die  Anfangso-ruppe  in  .,Die 
Freunde  machen  den  Philosophen"  Y,  2: 

T)as  Brautgemach  in  Don  Prados  Hause.  Das  Brautbett  auf- 
geputzt.    Auf  einem  Winkeltisrh  eine  halb  ausgebrannte  Wachskerze. 

Seraphine  (sitzt  an  demselbigen  auf  einem  Stuhl,  die  Hand 
auf  den  Tisch  gestützt,  mit  der  sie  die  Augen  bedeckt,  in  einem 
reizenden  Negligee) 

Graf  Prado  (im  Schlafrock  steht  vor  ihr) 

Prado:  Nun  meine  Seraphine.  (er  versucht  ihr  ins  Gesicht  zu 
sehen;  sie  ohne  aus  ihrer  Stellung  zu  kommen,  wirft  ihm  den  linken 
Arm  auf  den  Nacken). 

Diese  Schildennig  wirkt  beinahe  wie  die  Beschreibung 
eines  Gemahles ;  ein  Zusammenhang  mit  der  neu  ausgebildeten 
Kunst  dei*  liildcrbeschreibung,  wie  sie  von  Lichtenberg  ge- 
pflegt wurde,  ist  nicht  unwahrschcinlie-h:  vermittelt  wurde 
dieses  Streben  nach  Anschauuugsscliärfe  jedenfalls  durch  den 
Roman;  manche  Autoren  arbeiteten  direkt  ihrem  IHustrator 
Chodowiecki  in  die  Hände.") 

Und  im  p]rzählungsstil  bleiben  manche  abstrakte  An- 
weisungen stecken,  (he  die  nähere  Ausmalung  der  Phantasie 
des  Lesers  überlassen.     Z.   I>.   Limiz.   Die  yoldaten  11,2 

Pirzel  (steht  auf  in  einer  sehr  malerischen  Stellung,  halb  nach  der 
Gruppe  zugekehrt). 

Ziemlich  häufig  finden  wir  das  Wort  „Gruppe"  auch  in 
Schillers  Jugendstücken,  z.  B. 

Raub.  V,  7  (Trsp.):  (er  verbirgt  sein  Gesicht  an  ihrem  Busen.  Eine 

Gruppe  voll  Rührung.     Pause). 
Fiesko  V,  12:  (Verschworene    stehen  in  todter  Pause  und  schauer- 
vollen Gruppen). 

Dass  bereits  der  Eindruck  auf  das  Publikum,  Rührung 
und  Schauer,  mitbeschrieben  wird,  ist  durchaus  Romanstil: 
bühnenmässig  dagegen  ist  die  besondere  Vorschrift  der  Pause. 


•)  E.  Schmidt.  Lenz  u.  Klinger  S.  IUI. 

2)  Riemann,  Euphorion  VII,  S.  499.  Ein  Drama,  das  eingestandener 
Massen  nach  Stichen  von  Hogarth  und  Chodowiecki  ge;u'l)oitet  ist,  ist  „Der 
Lüderliche"  von  Bretzner. 


—     232     — 

die  dem  Publikum  Zeit  lässt,  das  eindrucksvolle  Bild  in  sich 
aufzunehmen.  Die  Gruppe  bedeutet  jedesmal  einen  momentanen 
Stillstand;  wenn  Sulzer  dafür  das  Wort  „Aug-enblick"')  ge- 
braucht,  so  zeigt  er  sich  deutlich  als  Schüler  Lessings.  Auch 
die  Gruppe  gehört  ins  Gebiet  der  Malerei;  sie  ergreift  den 
prägnantesten  Moment  und  ihr  dankbarster  Gegenstand  sind 
die  Ruhepunkte  zwischen  zwei  Bewegungen,  ein  Händedruck, 
eine  Umarmung,  ein  Kniefall.     Z.  B. 

Raub  (Trsp.)  V,  8:  (Er  nimmt  ihre  Hände  und  steht  mitten 
zwischen  beiden). 

Fiesko  (Bühnenb.)  IV,  10:  Leonore  (mit  schmeichelnder  Sanft- 
mut vor  Julien  knieend). 

W.  T.  III,  21:  (Max  und  Thekla  halten  einander  unbeweglich 
in  den  Armen). 

Die  Anweisungen  der  späteren  Stücke  sind  konkreter 
als  die  der  Jugenddramen;  am  ausgeführtesten  in  der  Angabe 
ist  die  rührende  Gruppe  an  der  Leiche  Attinghausens.  (Teil 
IV,  2). 

Bei  Schiller  sind  indessen  solche  rührende  Situationen 
verhältnismässig  selten  gegenüber  der  Überladung  in  Ifflands 
und  Kotzebues  Stücken.')  Kotzebue  reiht  ein  mit  Roman- 
phrasen geschildertes  Tableau  an  das  andere,  und  jedes  könnte 
seine  eigene  ünterschi'ift  tragen,  z.  B.  „Die  geängstete  Mutter 
beim  Auszug  ihrer  Kinder"  in  den  Hussiten  vor  Naumburg 
m,  5: 

„Die  gedämpfte  Trommel  beginnt  zu  wirbeln.  Bertha  will 
schreyen  und  kann  nicht  mehr.  Nur  ein  dumpfes  Halt !  stöhnt  noch 
aus  dem  gepressten  Busen.  Sie  macht  eine  Bewegung  als  wolle  sie 
hinstürzen  nach  dem  Trommelschläger.  Die  Kräfte  verlassen  sie  — 
ihre  Knie  wanken  —  sie  sinkt  ohnmächtig  in  Wolfs  Arme;  der  sie 
sanft  auf  den  Boden  legt,  so  dass  ihr  Haupt  und  ein  Arm  auf  der 
steinernen  Bank  ruhn.  Er  steht  mit  gefalteten  Händen  und  be- 
trachtet sie  mit  stummem  Schmerz.  —  Der  ßurgmeister  sieht  starr 
und  düster  vor  sich  hin.  —  Indessen  wirbelt  die  Trommel  immer 
fort,  und  nach  und    nach  treten  langsam    von   allen  Seiten  weinende 


')  Theorie  d.  schönen  Künste  I,  S.  93. 

0  Stiehler,  Das  Ifflandische  Rührstück.     Theatergesch.  Forsch.  XVI, 
S.  130. 


—     233     — 

Mütter  auf.  die  ihre  Kinder  theils  an  der  Hand  führen  theils  auf 
den  Armen  tragen.  —  Bey  ihrem  Anblick  erwacht  Wolf  aus  seiner 
Betäubung.  Er  öffnet  die  Hausthür  und  winkt  seinen  acht  Kindern, 
die  heraustreten.  Mit  stiller  Wehmuth  lässt  er  sie  alle  um  die  ohn- 
mächtige Mutter  niederknieen,  legt  ihre  herabhängende  Hand  auf  das 
Haupt  des  jüngsten,  betet  dann  selbst  still,  und  streckt  die  Hände 
segnend  über  die  Kinder  aus.  —  Alle  Mütter  segnen  ihre  Kinder  in 
verschiedenen  Gruppen,  umarmen  sie  zum  letztenmal.  — " 

Das  Gegenstück  dazu  ist  „das  Wiedersehen"  V,  3: 

„Die  übrigen  Kinder  eilen  jubelnd  und  die  Zweige  schwingend 
herbey.  .Jede  Mutter,  jeder  Vater  stürzen  den  ihrigen  entgegen. 
In  einem  Augenblick  bilden  sich  eine  Menge  verschiedener  Gruppen." 

Man  verifleiche  damit,  wie  weniir  Raum  im  Teil  (IV,  2) 
die  ähnliche  »Situation  einiiinnnt,  wenn  Iledwii:  ihr  irerettetes 
Kind  in  die  Arme  .schliesst.  Immerhin  hat  doch  auch  Schiller 
auf  diesen  rührenden  Moment,  der  in  andern  Teildramen  keine 
Rolle  spielt,  nicht  verzichten  wollen  und  ihn  in  ziemlich  ^"-e- 
zwungener  Weise  —  denn  warum  ist  der  Knabe  nicht  gleich 
zu  der  besorgten  Mutter  zurückgeeilt?  —  in  der  Sterbeszene 
Attinghausens  unterL'-ebracht.  Die  Neigung  für  rührende 
Situationen  lag  zu  sehr  im  (Jeschmack  der  Zeit;  auch  für  die 
tränenreichen  Versöhnungsgruppen  in  der  Jungfrau  von 
Orleans  (III,  3)  haben  wir  heute  keinen  Sinn  mehr.  Übrigens 
wurde  das  Zuviel,  das  Kotzebuc  that,  doch  auch  damals  bereits 
verspottet:  in  Brentanos  Gustav  Wasa  freuen  sich  die  Studenten 
über  die  schönen  Motive  für  Stammbuchblätter  und  Pfeifen- 
köpfe, die  ihnen  auf  der  I>ühne  geboten  werden.^) 

Häufiger  als  die  i'ührenden,  treten  bei  Schiller  die  pathe- 
tischen Gruppen  auf;  eine  Lieblingspose  seiner  Helden  nament- 
lich in  den  Jugendstücken  ist  das  ?efasste  Dazwischentreten 
in  die  Mitte  einer  erregten  Menge.")     Z.  15. 

Fiesko  II,  9:  (indem  er  mit  Hoheit  unter  sie  tritt) 

V,  6     (Bühenb.):    (winkt    ihnen    zurückzuweichen,    und 
tritt  dann  mit  ruhiger  Grösse  hervor.) 

0  D.  L.  D.  Nr.  15,  S.  111. 

^)  Bei  Spiegelberg  in  den  Räubern  i.st  dieselbe  Stellung  parodiert: 
I,  6  (Bühnenb.): 

(er  stellt  sich  mitten  unter  sie  mit  beschwörendem  Ton) 
(mit  verschrenkten  Armen  mitten  unter  sie  hinstehend). 


—     234     — 

Kab.  11,  6:  Ferdinand  (tritt  gelassen  und  standhaft  unter  sie  hin.) 

Brautv.Mess.111,4  :  Don  Cesar:  (mit  Ansehen  zwischen  sie  tretend.) 

Die  Nebenpersonen  stehen  meist  imHalbkreis  herum;  mehrmals 

ist  diese  symmetrische  Anordnung  ausdrücklich  vorgeschrieben: 

Raub.  iTrsp.)  V,  6:  (sie  formieren  einen    halben  Mond  um  die 

beiden  und  hängen  schauernd  über  ihren  Flinten.) 

Fiesko  IV,  3  (Bühnenb.):  Alle  (treten  in  einen  halben  Zirkel 
um  ihn  herum.) 

Carlos  IIT,  7:  (Alle  nehmen  die  Hüte  ab  und  weichen  zu  beiden 
Seiten  aus,  indem  sie  einen  halben  Kreis  um  sie  bilden.) 

V,  3 :  (Die  Granden  stellen    sich    in  einen  halben  Kreis 
um  die  beiden.) 

in  Bs.  V.  3:  (Die  Uebrigen  bilden  einen  halben  Mond  um  ihn 
und  Carlos.) 

In  den  späteren  Stücken  weicht  Schiller  von  der  zentralen 
Gruppenkomposition  zu  Gunsten  einer  mehr  malerischen 
Wirkung  ab.  Er  unterscheidet  nunmehr  die  beiden  Seiten 
der  Huhne  und  liebt  es,  die  Hauptpersonen  auf  der  einen 
Seite  zu  isolieren.')     So  schon  im  Don  Carlos  V,  5: 

(Alle  drängen  sich  um  den  König  herum  und  knieen  mit  ge- 
zogenen Schwertern  vor  ihm  nieder.  Karlos  bleibt  allein  und  von 
allen  verlassen  bey  dem  Leichnam.) 

M.  St.  III,  3:  (Alles  weicht  auf  die  Seite,  nur  Maria  bleibt, 
auf  die  Kennedy  gelehnt.) 

Braut  IV,  3:  (Der  erste  Ilalbchor  bringt  den  Leichnam  Don 
Manuels  auf  einer  Bahre  getragen,  die  er  auf  der  leer  gelassenen 
Seite  der  Scene  niedersetzt.) 

Auch  da,  wo  der  alte  Halbkreis  vorgeschrieben  wird,  ist 
die  tote  Symmetrie  in  Standpunkt  und  Haltung  der  einzelnen 
Figuren  vermieden,  so  im  fünften  Aufzug  des  Teil: 

(Die  Landleute,  Männer,  Weiber  und  Kinder  stehen  und  sitzen 
auf  den  Balken  des  zerbrochenen  Gerüstes  mahlerisch  gruppiert  in 
einem  grossen  Halbkreis  umher.) 

Es  ist  nun  die  Frage,  wie  weit  die  (jlrui)pen  schon  in  der  Ur- 
konzeption  des  Planes  plastisch  vor  derDichtei-phantasie  standen. 

')  Man  unterschied  (vom  Schauspieler  aus)  die  linke  Seite  als  beweg- 
1  iche,  die  rechte  als  feste  Seite.  Klingemann  (Kunst  u.  Natur  I,  IT)!  f.): 
.,so  wird  man  z.  B.  auch  in  der  Szene  zwischen  den  beiih'ii  Königinnen.  Marien 
die  linke,  Elisabeth  aber  die  rechteSeitede.s  Theaters einiiehinen  lassen,  eben  weil 
das  heftige  eindringende  Spiel  jener  durchaus  den  aktiven  Teil  des  Körpers  in 
Thäfigkeit  setzt,  indess  Elisabeth,  welche  Stolz,  Hohn  und  Verachtung  aus- 
zudrücken hat,  sich  gerade  in  dem  entgegengesetzten  Verhältnisse  befindet. 


—     235     — 

Schiller  schrieb  am  18.  März  1796  an  Goethe:^)  „Bey 
mir  ist  die  Empfindunsr  anfangs  ohne  bestimmten  und  klaren 
Geg-enstand;  dieser  bildet  sich  erst  später.  Eine  irc wisse 
musikalische  Gemüthsstimmung-  ireht  vorher,  und  auf  diese 
folg"t  bey  mir  erst  die  poetische  Idee."  Diese  Selbstbeobach- 
tung- erinnert  an  das  berühmte  Bekenntnis  Otto  Ludwig-s; 
auch  dort  ist  der  erste  Keim  eine  musikalische  Gemütsstimmung'. 
Aber  die  weitere  Stufe,  <iie  Entwicklung  einer  Farbener- 
scheinung:, aus  der  die  Gestalten  des  Stückes  in  bestimmten 
Gruppen  und  Stelhingcn.  mit  charakteristischen  Geberden 
hervortreten,  scheint  bei  Schiller  zu  fehlen.  Bei  ihm  begännt 
nunmehr  die  reflektierende  Verstandesarbeit,  so  dass  er  sich 
beinahe  der  EntstehunL^^art  seiner  Produkte  schämen  möchte.-) 
Die  poetischen  Momente  des  Planes  werden  g^esammelt  und 
mit  Ausschliessung''  aller  konkreten  Einzelheiten  in  eine  logische 
Reihe  g'ebracht.  Ein  Niederschlag-  dieses  Stadiums  ist  uns 
im  ersten  Entwurf  zum  Don  Carlos  erhalten^):  Fünf  Schritte 
an  Stelle  der  Akte,  eine  genaue  Analyse  aller  psycholog'ischen 
Triebfedern,  aber  kein  einzig''es  zur  Bühnensituation  ausgepräg'tes 
dramatisches  Bild.  Es  lassen  sich  daraus  mit  Elster  *)  Schlüsse 
auf  einen  ursprünirlichen  Mangel  an  plastischei-  Phantasiebe- 
g'abung''  ziehen:  ebenso  müssen  aber  die  umg''ekehrten  Beobach- 
tung'-en  beachtet  werden,  die  sich  an  den  späteren  Entwürfen 
machen  lassen;  bei  der  Polizey  z.  B.  macht  Kettner'')  darauf  auf- 
merksam: „Es  ist  schon  bezeichnend,  dass  dem  Dichter  die  Form 
der  Expositionsszene  eher  aufireht,  als  ihr  dramatischer  Inhalt." 

In  den  Malthesern  steht  noch  der  breiter  ausgeführte 
Entwurf  des  ersten  Aktes  mit  seiner  zahlenmässig'-en  Auf- 
reihung' der    loirischen  Momente    auf  der  bleichen  Stufe    wie 


Vi  Jonas  IV.  4:30.     Ähnlich  an  Körner  25.  Mai  17'J-_>.  Jonas  III,  S.  "202. 

')  An  Goethe  31.  Aug.  1794.     An  Körner  4.  Sept.  1794.     Jonas.  III. 
481.  IV,  0. 

■'')  Goed.  III,  S.  180  ff. 

*)  Elster,  Studien  zur  Entstehungsgeschichte  des  Don  Carlos. 

Ders.,  Forschungen  z.  d.  Philologie,  Festgabe  für  Hildebrand  1894 
S.  278  ff.     Brahm  II,  57. 

")  Schillerstudien  S.  19. 


—     236      — 

der  Don  Carlos-Entwui-f.  Aber  dann  verändert  sich  der  Lauf 
des  Prozesses;  Schiller  geht  nicht  mehr  vom  Allg^emeinen  ins 
Besondre,  und  es  war  Goedekes  Fehler,  wenn  er  die  Nach- 
lasspapiere nach  diesem  Prinzip  ordnen  wollte.')  Schiller 
wird  nicht  mehr,  wie  Streicher  ")  das  für  die  Jug-endstücke 
schilderte,  mit  dem  ganzen  Plan  im  Gedächtnis  fertig,  ehe  er 
einen  Strich  niederschreibt;  die  historischen  Vorstudien  liefern 
ihm  eine  tTberfülle  von  Motiven,  die  er  einstweilen  alle  auf- 
nimmt, um  erst  während  der  Arbeit  vorsichtig  abzuwägen 
und  zu  rechnen  "*) ;  bereits  beim  Wallenstein  schreibt  er  zunächst 
abgerissene  poetische  Momente  nieder  und  hat  später  das 
Schema  des  Stückes  nur  in  den  einzelnen  Papieren  zerstreut 
liegen.  *)  Tn  dieses  Chaos  aber  werden  Bühnensituationen 
reichlich  eingestreut,  die  der  geschärfte  Theaterblick  des 
Dichters  vorausschaut.  Bei  der  Gräfin  von  Flandern  findet 
sich  gleich  auf  dem  ersten  Blatt  eine  Aufzählung:  „Haupt- 
motive fürs  Theater;"  in  der  Prinzessin  von  Zelle  dasselbe 
mit  der  Überschrift  „Dramatische  Scenen  wären"  '"),  und  im 
Warbeck  sind  bereits  die  Gruppen  mit  einer  Plastik  gesehen, 
wie    sie    kaum     den    Bühnenanweisungen     der     ausgeführten 

Partieen  eigen  ist  ^) : 

^Kildare  tritt  herein,   Warbeck  steht 

am  meisten  von  ihm  entfernt  und  hat  das  Gesicht  zu  Boden  geschlagen." 

„Warbeck  zeigt  sich  dem  Botschafter 

in  der  Stellung  den  Plantagenet  umarmend  " 

Aus  den  Skizzen  zum  „Demetrius"  konnte  sogar  eine 
Stelle  mit  nur  geringen  Änderungen  in  die  Ausführung '') 
übernommen  werden: 

(Allgemeines  Aufstehen,  auch  der  König  steigt,  vom  Thron,  die  Land- 
boten greifen  zu  den  Säbeln,  und  zücken  sie  rechts  und  links  auf  Sapieha. 
Bischöffe  treten  rechts  und  links  dazwischen  und  so  bildet  sich  ein  Tableau, 
welches  einige  Pausen  lang  dasselbe  bleibt). 

')  Dram.  Nachl.  II,  S.  Vm. 

')  Streicher,  Schillers  Flucht  S.  42  f. 

•'•)  E.  Schmidt,  Charakteristiken  I,  S.  343. 

*)  An  Körner  12.  .Tan.  1791,  21.  März  1796  .Jonas  III,  129.  V,  417. 

*)  Dram.  Nachl.  II,  S.  198,  220. 

•0  Ebda  II,  173,  175. 

')  Dram.  Nachl.  I,  S.  21,  184. 


—     237     — 

Den  unleug-baren  Gewinn  an  konkreter  N'oi-stelluni.'-  würde 
man  allein  der  Thcaterei-falii-unL'-  und  liülnienvertrautiieit  zu- 
schreiben, wenn  nicht  »Schiller  selbst  auf  ein  anderes  Gebiet 
hinwiese,  nämlich  die  bildende  Kunst. 

liald  nach  der  ersten  Bekanntschaft  mit  Goethe  be- 
wunderte Schiller  nicht  oline  Neid  ,.die  überleirene  sichei-e 
Sinnlichkeit  und  den  durch  Kunstkenntnis  aller  Art  geläuterten 
Kunstsinn.''  Das  Gefühl  dieses  Mang-els,  das  ihn  vorüber- 
^»•ehend  an  seinen  eiirencn  Dichterg'aben  irre  werden  liess, 
bedeutete  bereits  die  Wendung  zur  Arbeit  an  sich  selbst. 
1790  bemerkte  er  in  Diderots  essai  sur  la  peinture  die  nütz- 
lichsten Fing-erzeig-e  für  den  Dichter  wie  für  den  Maler  und 
zwei  Jahre  später  berichtete  er  an  (ioethe,  der  Anblick  der 
Kupferstiche  habe  in  ihm  eine  plastische  J^>csonnenhcit  erweckt, 
die  der  Schilderuni,'-  ira  Kampf  mit  dem  Di-achen  zu  Gute 
komme.  ')  Ein  Jahr  vorbei-  schon  hatte  Goethe  bei  Hermann 
und  Dorothea  alle  Vorteile  der  bildenden  Kunst  benutzt;  das 
Nebensächliche,  l"^bertlüssig-e.  das  bei  dem  g-leichzeitig  sinnlich 
vor  Augen  stehenden  Gemälde  autt'allender  hervoi-tritt  als  in 
der  succesiven  Vorstellung-  der  Phantasie,  hatte  er  ins  Aug-e 
zu  fassen  g'elernt.''*) 

Dass  die  formale  Bestimmtheit  der  bildenden  Kunst  zu- 
nächst auf  Epos  und  Jiallade  ihi-en  Eintluss  ausübte,  lieg-t 
zufälli.L;  an  der  damaligen  Beschäftigung  beider  Dichter.  Auf 
den  (Jcwinn,  den  vor  allem  Drama  und  Theater  von  dort  her 
ziehen  konnten,  brauchte  sie  nicht  erst  Humboldts  Pariser 
P>rief  hinzuweisen,  der  1799  vom  deutschen  Theater  mehr 
ästhetische  Jiefriedigung  des  Auges  vei-laugte.'*) 

Schon  zwei  Jahre  früher  hatte  Goethe  im  Hinblick  auf 
die  bildende  Kunst  alle  Grundsätze  seiner  Weimarer  Regie- 
führung entwickelt:  „So  tiel  mir  neulich  auf,  dass  man  auf 
unserm   Theater,  wenn   man  an  Gruppen    denkt,    immer    nur 


')  An  Goethe  21.  Aug.  U8.     .Jonas  V,  416. 

■')  Goethe  an  Schiller.     H.  April  17Ü7.     W.  A.  Bd.  12,  S.  85. 

^)  18.  Aug.  1799.     Bratranek,  Goethes  Briefw.  ni.  d.  Gebr.  Humboldt. 

Leipzig  1876,  S.  lUü  tf. 


—     238     -- 

sentimentale  oder  pathetische  hervorbring-t,  da  doch  noch  hundert 
andere  denkbar  sind.  So  erschienen  mir  diese  Tage  einig-e 
Scenen  im  Aristophanes  völlig  wie  antike  Basreliefen  und  sind 
gewiss  auch  in  diesem  Sinne  vorgestellt  worden.  Es  kommt 
im  Ganzen  und  im  Einzelnen  alles  darauf  an:  dass  alles  von 
einander  abgesondert,  dass  kein  Moment  dem  andern  gleich 
sey ;  so  wie  bey  den  Charakteren,  dass  sie  zwar  bedeutend 
von  einander  abstehen,  aber  doch  immer  unter  Ein  Geschlecht 
gehören."') 

Vordem  hatte  auf  dem  deutschen  Theater  der  Regisseur, 
der  wirkungsvolle  Gruppen  zu  arrangiei'en  im  Stande  war, 
gefehlt.  Bei  der  Inszenierung  der  Räuber,  die  Tieck  im  Jungen 
Tischlermeister  schildert,  glaubt  er  auf  dem  Boden  der  alt- 
englischen Bühneneinrichtung  malerische  AMrkungen  zu  ge- 
winnen und  hebt  im  Gegensatz  dazu  heiTor,  „wie  unbedeutend, 
unbestimmt  und  nicht  kenntlich,  ja  gemein  und  platt  sich 
dieses  Herumhegen  von  Menschengestalten  auf  unseren  ge- 
bräuchlichen Theatern  immer  ausnimmt. "2) 

In  welcher  Weise  diese  gebräuchliche  Anordnung  war, 
kann  man  sich  etwa  nach  einer  Regievorschrift  Ifflands  (Friedr. 
V.  Oesterreich  V,  15)  vorstellen: 

(Sie  legen  sich  in  verschiedenen  Gruppen  ohne  Ordnung,  an 
den  Boden,  an  die  Bäume,  an  Erdstücke,  so  dass  ihrer  Viele  inner- 
halb der  Zugänge,  Wenige  auf  dem  Platze  sind.j 

Die  Gruppen  wui'den  also  ganz  an  die  Seite  gedrängt; 
die  eigentliche  Bühne  blieb  für  die  Hauptpersonen  immer  frei. 
Dazu  kommt  noch  bei  den  Räubern,  dass  Szenen  auf  der 
kurzen  Bühne  vorausgingen  und  dass  also,  wie  oben  gezeigt, 
für  die  gelagerten  Räuber  nui-  die  Hinterbühne  zur  Verfügung 
stand. 

In  Wallensteins  Lager  wird  nun  den  Nebenpersonen  die 
ganze  Bühne  eingci'üumt.  Und  Goethe  widmete  der  Aufgabe, 
im    Bühnenrahmen    eine    Fülle    von    beständig    wechselnden 


')  Goethe  an  Schiller  8.  April  1797.    VV.  A.  I\',  Bd.  12,  S.  Bt'). 
^)  Der  junge  Tischlermeister  II,  215.     Siehe  auch  Dramaturg.  Sehr. 
II,  145. 


—     239     — 

basreliefarti<ren  J^iildern    sich  ablösen    zu    lassen,    einen    unei- 
müdlichen  p]il'er.     Genast')  berichtet: 

Hofrath  Meyer  niusste  alle  niög^lichen  Holzschnitte,  welche 
Scenen  aus  dem  Lag-erleben  des  dreissig-jährigen  Krieges  darstellten, 
herbeischaft'en,  um  die  Gruppen  auf  der  Bühne  danach  zu  stellen ; 
sogar  eine  alte  Ofenplatte,  worauf  eine  Lagerscene  aus  dem  sieb- 
zehnten Jahrhundert  sich  befand,  wurde  einem  Kneipenwirth  in  Jena 
zu  diesem  Zwecke  entführt. 

Der  Zufall-)  weist  un.s  auf  den  Namen  eines  Künstlers, 
dessen  lilätter  für  die  (JrupiJcnstelluniren  Motive  iieri,'eireben 
haben  können,  nämlich  Kuiiendas.  den  Herzog-  Karl  August 
in  einem  Brief  an  Goethe  als  Vorbild  für  die  Kostüme  hin- 
stellt. L^nter  den  .Stichen  dieses  Meisters  sind  mehiere  Lairer- 
szenen  darg-estellt ;  ein  iilatt.-^)  das  die  Bezeichnung-  träg4: 
„(K  2)  G.  P.  Rug^endas  pinx.  Autrusta  Li  18  d'Ag'Osta 
A"  1G95  Chri.stiano  Rugendas,''  mutet  uns  beinahe  wie  eine 
Illustration  zu  Wallensteins  Lag-er  an:  im  Ilinterirrunde  Zelte; 
rechts  ein  Kochfeuer  und  an  einem  Tisch  zechende  und 
würfelnde  Soldaten ;  links  auf  Tonnen  einig-e  Spielleute  und  in 
der  Mitte  Tanzende.  Wenn  wir  annehmen  dürften,  dass 
Schiller  selbst  dieses  Blatt  zu  Gesicht  bekommen  habe,  könnte 
man  hier  den  Ursprung»-  eines  Motives  erkennen,  nämlich  des 
Spielmannes  und  des  Tanzes,  die  Schiller  erst  nachträg-lich 
einfügte,  um  die  Szene  beim  Eintritt  des  Kapuziners  bunt 
und  belebt  zu  machen.-*)  Das  andere  Blatt  derselben  Folg-e 
(K  1)  stellt  übrig-ens  auch  einen  Mönch  im  Träger  dar. 

Zur  Entscheidung  der  Frage,  wie  weit  Werke  der  bilden- 
den Kunst  überhaupt  auf  die  Situationen  Schillerschei-  Stücke 
eingewirkt  haben,  werden  zufällige  Funde  mehr  beitragen 
können,  als  methodische  Forschung.     Die  Stoffe    der    meisten 


')  Tageb.  e.  alten  Schausp.     2.  Aufl.  I,  S.  87,  99. 

*)  Herzog  Karl  August  an  Goethe  ;^1.  .Jan.  1799.     Briefw.  I,  2.50. 

^)  Graf  Stillfried,  Leben  und  Kun.stleistungen  des  Malers  u.  Kupfer- 
stechers G.  Ph.  Rugendas,  Berlin  1879.  S.  157,  Nr.  554.  Uie  anderen 
Lagerszenen,  die  Stillfried  aufzählt,  sind  mir  nicht  bekannt,  scheinen  aber 
nach  der  Beschreibung  weniger  herzugeben:  No.  308,  311,  419—422, 
431-434,  491. 

*)  An  Goethe  18.  Okt.  98 j.     Jonas  V,  445. 


^     240     — 

»Stücke  waren  zu  bekannt  und  zu  häufig  dargestellt,  als  dass 
man  auf  einzelne  Abbildungen  sein  Augenmerk  richten  könnte. 
Zumal  die  Geschichte  Teils  muss  schon  zu  unzähligen  Dar- 
stellungen den  vStoff  gegeben  habend;  in  den  Aufgeregten  lässt 
Goethe  die  Stellung  „der  drei  Eidgenossen  auf  dem  Griitli- 
berge"  parodieren  und  zwar  nach  den  Gemälden  und  Kupfer- 
stichen, aus  denen  diese  Gruppe  allgemein  bekannt  sei. 

Andererseits  könnten  die  Autführungen  Schillerscher 
Stücke  auf  die  Kunst  eingewirkt  haben,  so  dass  wir  aus 
einem  Bild  die  Vorstellung  vom  Arrangement  einer  Szene 
gewännen.^)  Aber  auch  hier  wh'd  sich  wenig  ergeben; 
selbst  die  Stiche  in  den  Theaterzeitschriften  sind  keine  ge- 
treuen Wiedergaben,  da  sie  zumeist  das  breite  Bühnenbild  in 
ein  hohes  Foiinat  zwängen  und  damit  die  Gruppen  vollkommen 
verschieben.  Im  übrigen  gilt  von  allen  diesen  Bildern,  was 
Goethe  in  den  Wanderjahren')  ausspricht:  „Der  Maler  hin- 
gegen, der  vom  Theater  auch  wieder  seinen  A^ortheil  ziehen 
möchte,  wird  sich  immer  im  Nachtheil  finden.'' 

Wir  sind  also,  um  uns  eine  Vorstellmig  von  der  Regie 
zu  bilden,  im  Wesentlichen  doch  nur  auf  litterarische  Quellen 
angewiesen. 

Wenn  -Goethe  über  die  einzelnen  Personen,  wie  über  die 
Figui-en  eines  Schachbretts  disponierte,')  so  war  das  auf  dem 
deutschen  Theater  etwas  ganz  Neues;  dies  geht  aus  dem  zwischen 
Bewunderung  und  Spott  geteilten  Staunen  der  Zeitgenossen  hervor. 

Keine  einzelne  Figur  durfte  zu  sehr  im  Vordergrund 
ihren  Standpunkt  wählen;    „diess   ist  der  grösste  Missstand'*, 

f      ')  Heineniann,  Tell-Ikonogiaphie. 

*)  Ein  Stich  von  Wallensteins  Lager,  unzweifelhaft  nach  einer  Auf- 
führung, ist  in  Hellernianns  Schiller  S.  197  reproduziert,  leider  ohne  An- 
gabe der  Herkunft.  Kbendort  S.  203  ist  auch  ein  Weimarer  Gemälde, 
das  Max'  und  Theklas  Trennung  (W.  T.  III,  23j  darstellt,  wiedergegeben; 
von  ihm  gilt  das  oben  über  Formatverschiebung  Gesagte. 

=•)  W.  A.  I,  Bd.  25,  S.  20. 

■•)  Genast  I,  S.  87,  Ü9.  v.  Biedermann,  Goethes  Gespräche  V^III, 
S.  168.     Gotthardi,  Weim.  Theaterbilder  I,  173. 

Als  feste  liegel  übernommen  von  Klingemann,  Kunst  u.  Natur  I,  15U. 
l)agegen:  Saat  von  Goethe  gesäet.     Weimar  u.  Leipzig  18u3,  S.  20. 


—     241     — 

sag-te  (joethe,  „denn  die  Ficui'  tritt  aus  (lem  Rahmen  heraus, 
innerhalb  dessen  sie  mit  dem  Scenen^^-^emählde  und  den  Mit- 
spielenden ein  Ganzes  macht."')  Bei  jedem  Schiitt  dei-  vor- 
((eschricbcn  war,  und  bei  jeder  Verschiebung  der  ötelIun,L;cn 
war  der  Eindruck  des  Gesamtbildes  berechnet;  selbst,  wenn 
nur  zwei  Personen  auf  der  Bühne  waren,  musste  ihre  Auf- 
stellung'' den  Rahmen  des  1  )iihnenbildes  ausfüllen ;  -)  alle  toten, 
leeren  Räume  wurden  vei-mieden;  mehrere  Personen  durften 
sich  nicht  häufen  und  drängen,  sondern  wurden  verteilt  und 
doch  wui'de  dai-auf  vesehen.  dass  unter  einei'  Meni^e  die 
►Stellungen  der  llaupttiyuren  besonders  zur  Geltung-  kamen. 

Ein  Untersciiied  gegenübei*  der  Komposition  der  Malerei 
bestand  schliesslich  darin,  dass  die  zenti-ale  (jruppierung 
weniger  statthaben  durfte.  Goethe  em|)fand,  wie  Genast  be- 
lichtet, die  C/ruppen  in  der  Mitte  vor  dem  SoufÜeurkasten 
als  besonders  stöi'end,  weil  dadurch  die  Seiten  leer  wui'den. 
Die  Architektur  tiitt  auf  den  Seiten  eines  Gemäldes  als 
lebendei-  Faktor  der  Komposition  in  die  Fläche,  wälirend 
die  Kulissen  des  Theateis  tote  Bestandteile  bilden,  die 
zui'  Füllung-  des  Bühnenraumes  nichts  beitrag-en.  Ferner 
lassen  sich  die  konvergierenden  Blickiichtuiigen  der  seitwärts 
sitzenden  Beschauer,  nur  wenn  die  Mitte  offrn  bh'ibt.  auf 
die  Gruppen  der  Hinterbülme  leiten. 


')  Keyehi  l'ür  Schauspieler.  W.  A.  I,  Bd.  -iU.  S.  Uu.  Gotthardi, 
Weiin.  Theateiliilder  I,  UH. 

Dazu  kam  noch  der  Missstand  der  allzu  grellen  Kanipenbeleuchtung'. 
Güz,  \'ersuch  einer  zahlreichen  Folge  leidenschaftlicher  Entwürfe  für 
empfindsame  Kunst-  und  Schauspiel  freunde.  Augsburg  1783.  S.  "ioT: 
E.  T.  A.  Hofi'niann,  Seltsame  Leiden  eines  Theaterdirektors.  F.  Ludw. 
Schmidt,  Dramaturg.  Aphorismen  I,  1^2,  II,  S.  lU.  Seckendorf.  ^'or- 
lesungen  über  Deklamation  u.  Mimik  II.  S.  2!)!»  f. 

2j  Auch  Schröder  verlangte  übrigens  in  den  IJemorkungen  zu  liiccolioni 
von  seinen  Schauspielern,  es  müsse  zwischen  den  J'ersonen  Entfernung  ge- 
halten werden,  um  das  Theater  einigermassen  auszufüllen.  Meyer,  Schröder 
II,  2  S.  209.  lieinhold  spottete  (Saat  v.  Goethe  gesäet  S.  22):  „Es  ist 
vielmehr  in  iliesem  Lande  eine  Hauptregel,  sich  drey  Schritte  vom  Leibe 
zu  bleiben." 

Palaestra  XXXn.  llj 


—     242     — 

Eine  Illustration  zu  diesen  Theorien  der  Weimarer  Regie- 
führung-  bietet  die  Stellung-,  die  8cliiller  im  viei-ten  Aufzug-  der 
Piccolomini  vorschreibt ; 

„Oktavio  Piccolomini  koimiit  im  Gespräch  mit  Maradas  und 
beyde  stellen  sich  ganz  vorne  hin,  auf  eine  Seite  des  Proszeniums. 
Auf  die  entgegengesetzte  Seite  tritt  Max  Piccolomini,  allein,  in  sich 
gekehrt,  und  ohne  Antheil  an  der  übrigen  Handlung.  Den  mittleren 
Raum  zwischen  beyden,  doch  einige  Schritte  mehr  zurück,  erfüllen 
Buttler,  Isolani,  Götz,  Tiefenbach,  Kolalto  und  Ijald  darauf  Graf  Terzky." 

Dass  den  einzehien  Personen  die  Stellungen  vorgeschiicben 
wurden,  kam  in  der  Mitte  des  achtzelniten  Jahrhunderts^) 
li:aum  vor.  Beaumarchais  hatte  eine  Neuerung  eingeführt; 
im  avertissement,  das  er  seinen  „Beiden  Freunden"  voraus- 
schickte, hiess  es:  „Pour  faciliter  les  positions  theaträles  aux 
acteurs  de  province  ou  de  societe  qui  jouent  ce  (h-ame,  on  a 
fait  inprimer  au  commencement  de  chaque  scene  le  nom  des 
personnages  dans  l'ordre  oü  les  comediens  fran^ais  se  sont 
places,  de  la  droite  ä  la  gauclie,  au  regard  des  spectateurs." 
J^ezeichnend  ist  es,  dass  der  Dichter  nicht  seine  eigenen 
Intentionen  dui'chzusetzen  den  Mut  hatte,  sondei'n  die  An- 
oi'dnung  dci'  Paiiser  Schauspielei'  als  geltend  übernahm.  Als 
in  Deutschland  (iottcr  im  Anscliluss  an  Beaumaichais  das 
Mannheimer  Manuskript  seiner  Erbschleicher  -)  mit  eigenen 
Vorschriften  zu  versehen  wagte,  bat  er  noch  um  Entschul- 
digung: „Die  Stellungen  und  Gemälde  sind  für  den  erfahrenen 
Schauspiele!'  vielleicht  zu  genau  voi-gesclnieben.  Audi  denkt 
man  sich  diese  Dinge  am  Pult  oft  anders,  als  sie  sich  auf 
dem  Theater  ausnehmen.'"  Übrigens  pflegten  solche  Stellungen, 
auch  wenn  sie  von  Theaterkennern  angegeben  waren,  nicht 
bcobaclitet  zu  weiden;  als  Schröder  17iJ2  in  Frankfurt  seine 
„Unglückliche  Ehe  aus  Delikatesse''  sah,  klagte  er:  „Die 
Stellungen  waren  gerade  das  (iegentheil  der  Vorschlaft. "^) 

In  <lem  Halbkreise,  der,  so  lange  keine  Möbel  oder  Ver- 
satzstücke Stützpunkte  für  die  Gruppierung  boten,  die  ge- 
bräuchliche Aufstellungsform  war,   konnten    nun  auch  in  vcr- 

')  Wohl  aber  im  sechszehnten  und  siebzehnten  .lalirliuiukTt. 
2;  Walter  II.  S.  18. 
';  Meyer,  Schröder  11,  tiS, 


—     243     — 

.steckter  Weise  einzelne  Plätze  bestimmt  werden.  Z.  I>.  wenn 
es  in  den  Ränbern  ( II.  3)  heisst:  „Öchuftei'le  zupft  Schweizern'', 
so  ist  flaniit  die  Notwendig-keit.  dass  beide  nebeneinander- 
stellen, ausi^esijroclien:  wenn  Fiesko  (IV.  6)  in  der  Menpe  dei' 
Nobili  sich  leise  bei  Vei'iina,  Bourg-ognino  und  Sacco  erkundigt, 
ob  alles  vorbereitet  ist,  so  müssen  diese  drei  direkt  um  ilm 
gn'uppiei't  sein;  ebenso  muss  im  Don  Carlos  (V,  9)  Domingo 
neben  Alba  stehen,  wenn  er  leise  zu  ihm  sag-t:  „Reden  Sic  ihn  an." 

In  sein  Aufstellung-ssystem  trug  Goethe  übrig-ens  auch 
einige  unkünstlcrische  Gesichtspunkte  hinein;  so  tindet  sich 
in  den  Kegeln  für  Schauspielei-  die  Vorschrift:  „Auf  der 
rechten  Seite  stellt  immer  die  geachtete  Person:  Frauenzimmer. 
Ältere.  \'ornehmere'"  —  eine  verwunderliche  Pedanterie,  zu- 
mal da  in  einer  anderen  Reg-el  den  Schauspielern  gestattet 
wird,  auch  die  linke  Hand  zu  reichen,  „denn  auf  der  Dühne 
g-ilt  kein  Rechts  oder  Links,  man  muss  nur  immer  suchen  das 
vorzustellende  Jjild  durch  keine  widrig-e  Stellung-  zu  verun- 
stalten.'-^j 

Ferner  sollten  nach  Goethes  Regel  die  Fig-uren  immer 
dem  Publikum  mit  vollem  Ang^esicht  gegenüberstehen;  gerade 
die  Stelle  in  Humboldts  Pariser  Brief,  worin  Talma,  weil  er 
sich  nicht  scheue,  dem  Publikum  den  Rücken  zuzukehren, 
gelobt  wird  -),  scheint  keine  Anregung  auf  die  Weimarer 
Regieführuiig  ausgeübt  zu  haben.  Den  Schauspielern  aus 
(ioethes  Schule  ist  diese  Regel  noch  mehr  in  Fleisch  und 
l)lut  übergegangen,  als  der  Meister  jedenfalls  selbst  beab- 
sichtigte.^) Als  einmal  in  Weimar  in  Goethes  Abwesenheit 
der  Hamlet  aufgeführt  wurde,  gab  es  eine  sehr  un- 
glückliche Wirkung,  weil  der  Geist  im  vollen  Lampenlicht 
vorn    über    die    Bühne    gehen    musste,    nur    damit  A\'oltf  als 

')  W.  A.  I,  Bd.  lU,  S.  IGi).  Klingemann  (Kunst  u.  Natur  I,  läl  f.) 
g-iebt  dafür  eine  Erklärung:  .,13ie  zur  rechten  Haiul  stehenden  J'ersonen 
sind  ferner  in  der  Regel  X'ornehuiere  und  haben  öfter  Herablassung  und 
dergleichen  auszudrücken,  wobei  gern  der  linke  Theil  des  Körpers,  als  der 
passivere,  wirkt,  indess  der  rechte  in  Ruhe  bleibt." 

-)  Bratanek,  Goethes  Briefw.  ni.  d.  Gebr.  Humboldt,  S.  9U. 

^)  Laube,  Das  Burgtheater,  S.  177. 

16* 


—     244     — 

Hamlet  en  face  zu  sehen  war.^j  In  \Mllielm  Meister  hatte 
Goethe  darüber  nichts  jjesag't;  die  Rückenstellung-.  die  auch 
Garrick  in  <lieser  Szene  einnahm  ^),  war  die  Tradition  der  sich 
später  auch  Wolff,  jedenfalls  mit  Goetlies  Zustimmun.o-,  wieder 
anschloss. 

Goethe  selbst  hatte  den  Zusatz  gemacht:  „Geschieht  es 
um  des  Charakteristischen  und  der  Nothwendigkeit  Avillen.  so 
g-eschehe  es  mit  Vorsicht  und  Anmuth";  dass  in  der  That  die 
Rückenstellung'  gar  nicht  so  selten  war.  scheint  aus  einem 
Brief  Goethes  an  Schiller  hervorzug^ehen,  woi'in  er  den  Vor- 
schlag' macht:  ,.AVollten  Sie  nicht  auch  AVallenstein  noch  einen 
rothen  Mantel  g'eben,  er  sieht  von  hinten  den  andern  so  sehr 
ähnlich."^) 

Welche  Stellung-  Schiller  diesen  Frag-en  geg^enüber  ein- 
nahm, darüber  g'eben  seine  Bühnenanweisungen  keinen  Auf- 
schluss,  während  andere  Dramatiker  wenigstens  bei  Neben- 
fig'uren  es  schüchtern  wagten,  Rückenstellung'en  vorzuschreiben.^) 

Es  ist  wohl  anzunehmen,  dass  auch  Schiller  im  Ganzen 
einer  freieren  Beweg^ung  geneigt  war  als  Goethe.  Indem 
dieser  nach  und  nach  unter  dem  Einfluss  der  Antike  die 
malerischen  Gesichtspunkte  zu  Gunsten  der  statuarischen 
Einzelerscheinung  fallen  liess,  konnte  ei-  mit  seinem  (Grund- 
satz der  symbolisclien  Piehelfe  den  späteren  tigurenreiciien 
Stücken  Schillers  niciit  mehr  die  gieiciien  Dienste  leisten,  und 
Schiller  blickte  jedenfalls  bei  den  letzten  Stücken  mehi'  nach 
der  Berliner  Bühne  hin.  Nach  Schillers  Tod  wurde  der 
Weimarer  Stil  immei-  steifer,  und  als  Iftland,  dessen  erstes 
Gastspiel    1796    dem  Theater    neue    Bahnen    gewiesen  hatte, 


')  Martersteig,  P.  A.  Woltt',  S.  53,  5(). 
Genast  11,  S.  118  f. 

2)  Lichtenberg,  Briefe  aus  England,  Vermischte  Schriften  1S44,  S.  "214. 

■')  30.  Januar  1799,  W.  A.  1\',  Bd,  14,  S.  15. 

*)  So  Babo,  Strelitzen  111,  4:  „Die  Streli/en  versammeln  sich  in  der 
Tiefe  des  Saales  in  einem  Kreise  um  den  Suchanin,  und  f(dglich  steht  die 
vordere  Hälfte  dieses  Kreises  (mit  Erlaulniiss  der  bekannten  Theater- 
Etikette)  niit  den  Rücken  gegen  den  Vorgi'uiul  .  .  .". 


—     245     — 

1812   noch    einmal   zurückkehrte,    fand  er  sich   selbst    in  die 
YerändeninL'"on  nicht  mehr  hinein. 

Mit  der  lebendiiren  Darstellung  der  Volksszenen  im  Julius 
Cäsar  1803  hatte  indessen  das  Weimarer  Theater  noch  ein- 
mal l)elcbend  auf  Schillers  Produktion  srewirkt  und  das  Schiff- 
lein des  Dramatikers  L-^ehoben.^)  p]ine  alte  Neiirung  und  An- 
lage wurde  damit  wieder  bei  ihm  ireweckt;  schon  in  den 
Räubern  steht  Schillei-  in  der  I ferrschaft  über  die  Massen  als 
Meister  da,  und  untei'  den  iresamten  Stürmern  und  Drängern 
lässt  sich  kein  Vorbild  finden,  dem  er  diese  Kunst  und  Sicher- 
heit hätte  ablernen  können;  keiner  verstand  es  in  dem  Masse, 
die  verschiedenen  Personen,  die  er  gleichzeitig  auf  die  P>ühne 
stellte,  im  Auge  zu  behalten  und  in  einander  greifen  zu 
lassen. 

Dieselbe  theatralische  Cmsicht.  mit  der  sich  Schiller  in 
seinem  letzten  Werk  für  die  eiregte  Szene  zwischen  Demetrius 
und  den  Rebellen'')  ermahnt:  ,,Marfa  darf  jedoch  in  dieser 
Scene  nicht  zu  müssig  stehen","  bewies  er  schon  in  den 
Räuljeiii :  Spiegelberg  ist,  während  sich  die  übrigen  T^ibertiner 
um  Moor  schaaren.  in  steter  IJeweLriuiLf  und  wird  vom  Dichter 
wählend  des  iranzen  Auftrittes  nicht  aus  dem  Auge 
gelassen. 

Diese  Kunst,  verschiedene  Gruppen  gleiciizeitig  in  unab- 
häui^iger  Bewegung  zu  halten,  setzte  nun  Schiller  auch  in 
Stand,  die  Aufmerksamkeit  des  Publikums  an  die  Zügel  zu 
nehmen  und  dorthin  zu  lenken,  wo  er  sie  jedesmal  haben 
wollte.  Aus  dieser  Technik,  die  sich  am  glänzendsten  im 
vierten  Aufzug  der  Piccolomini  offenbart^ ).  zog  er  im  Teil 
greifbare  Vorteile:  während  des  Apfelschusses  ist  durch  den 
Zusammenstoss  von  Rudenz  und  Gessler  die  Aufmerksamkeit 
in  Anspruch  genommen,  bis  sie  auf  einmal  durch  Stautfachers 
Ruf  auf  das  inzwischen  geschehene  Ereignis  zurückgeführt 
wird.    Es  ist  also  uar  nicht  nötiL^  wie  Tieck  vorschluL'^,  während 


M  An  Goethe  [±  Oktober]  1803.     .Jonas  VII.  S.  Sl.  Genast  I,  144. 

2)  Dram.  Nachl.  I,  S.  165. 

•')  Freytag,  Technik  des  I)ran)as,  S.  20G, 


—     246     — 

des  Schusses  Teil  und  sein  Kind  liinter  den  vortretenden 
Gruppen  zu  verstecken.') 

In  der  Bewegung-  Aller  Aveiss  Schiller  stets  die  F]inzclnen 
zu  Worte  kommen  zu  lassen  und  hebt  sich  in  allmählicher 
Steigerung  das  Unisono  bis  zum  Höhepunkt  auf.  Auch  dann 
sind  es  meist  kurze  Sätze,  die  ein  Durcheinander  statt  des 
Miteinander  erlauben,  z.  B.  in  den  Räubern:  „Wohin?  Was?" 

(III,   2),    „Mordio!    Mordio! Schweizer  —  Spiegclberg 

—  Reisst  sie  auseinander  — "  (IV,  13).  Die  Auflaufszene 
im  Egmont  hat  von  Schillers  Hand  kleine  Verbessei-ungen 
erfahren;  Sätze,  die  Goethe  dem  ganzen  Volk  in  den  Mund 
legt,  hat  Schiller  unter  einzelne  Bürger  verteilt.  Übi'igens 
wollte  auch  schon  Goethe  selbst  die  Einstimmigkeit  auflösen 
und  die  Worte:  „Sicherheit  und  Ruhe!  Ordnung  und  Freiheit!" 
so  Aviederholen  lassen,  „dass  Jeder  ein  andci-es  ausruft,  uiul 
es  eine  Art  Kanon  wird." 

In  den  späteren  Stücken  musste  die  Versform  ihren  Takt 
in  das  Stimmciichaos  der  Masse  hineintragen  und  zur  Gleich- 
mässigkeit  zwingen.  Dafür  flnden  die  Tutti-Reden  eher  weniger 
Verwendung;  die  Erregung  der  Masse  bleibt  jetzt  häutig  olnie 
Worte:  unter  wildem  Tumult,  nicht  mit  einem  cinstinnnigen 
Schlachtruf,  folgen  Piccolominis  Kürassiei'e  ihrem  Führer:  und 
die  Ritter  im  ersten  Aufzug  der  Jungfrau  von  Orleans  geben 
nur  durch  ein  Getöse  mit  Lanzen  und  Schilden  Zeichen  ihres 
Muts.  Selten  sind  einzelne  spontane  Ausrufe  im  Nacheinander 
des  Versrythmus  aufgereiht,  wie  im  Don  C'arlos  l\'.  23 
v.  4457,  446(5  oder  bei  der  Abstinnnuiig  in  den  Piccolomini 
(U,  7)  oder  im  Reichstagsakt  des  Dcmetrius: 

Erzbischoff  von  Leniberg. 
Ich  stimme  wie  der  J'rimas. 

Mehrere  Bischöffe. 

Wie  der  I'rimas. 

Mehrere  Palatinen. 
Auch  ich! 


')  Krit.  Sehr.  IV,  26H. 
2)  Köster.  S.  5  ff. 


—     247     — 

Odo  walsky. 

Und  ich  ! 
Landboten  (rasch  aufeinander). 
Wir  alle! 

Meist  ist  CS  der  Ruf  eines  Vorsprechers,  der  von  der 
Mcn<re  einstimmig'  wiederholt  wird,  so  schon  in  Wallensteins 
Lager  v.  1040: 

„  i'icooloiiiini  soll  unser  Sprecher  seyn". 
doch  macht  Schiller  bei  weitem  nicht  den  plumpen  (iehraucli 
wie  die  Epigonen  im  neunzehnten  Jahrhundert;  man  vergleiche 
etwa,  wie  in  Laubes  Demetrius  duirli  .  das  g^anze  Stück  hin- 
durch die  Menge  innner  wiedei-  mit  dem  Feldg-eschrei  ., Vivat 
Marina,  Russiao  regina"'  hereinplatzt,  das  bei  Schiller  nur 
einmal  den  Abschluss  einer  Szene  bildet  und  auch  da  noch 
zwischen  zwei  (ii'uppen  vei'teilt  ist. 

Die  (Jabe,  die  Masse  in  unndiiLf  ucsteigcrtei'  Hcweg^ung" 
zu  eihalten.  ist  inn'  einem  Stücke  Schillers  schädlich  g^eworden, 
nämlich  der  Üiaut  von  Mes.sina.  Der  Chor  —  Karl  August 
bezeichnete  ihn,  um  den  Widerspruch  auszudrücken,  als  .,be- 
wartnete  Poeten"')  —  hat  nach  Schillers  eigener  Krklärum;'0 
einen  ZAviespältigen  Charakter,  .,einen  allgemein  menschlichen 
iieinnlich,  weini  er  sich  im  Zustand  der  rulii>:eii  Reflexion  be- 
tindet,  und  einen  specitischeii,  wenn  er  in  Leidenschatt  i^eräth 
und  zur  handelnden  Person  wird."'  Im  zweiten  Charakter 
steht  ei'  den  handelnden  Personen  zu  nahe;  die  Schuld  liegt 
nicht  nui-,  wie  W.  v.  Ifundjoldt  meinte,')  äusserlich  an  dem 
modernen  Pjodürtnis  nach  Motivierung-,  sondern  eben  an  dem 
ang-eborenen  di-amatischen  Sinn  des  Dichters,  der  die  Menge 
auf  dei'  RülnK^  voi-  sich  sieht  und  der  sie  nicht  sehen  kann, 
ohne  ihr  Leben  und  leidenschaftliche  Teilnahme  an  der 
HandlnuL''  einzuhauchen.  Lud  wenn  sieh  Schiller  nun  vor- 
nimmt, die  ganze  lÜindheit,  l!eschräid<tlieit  und  dunipfe  Leiden- 
schaftlichkeit dei'  MeniiC  darzustellen,  so  greift  er  auch  wieder 


')  Briefw.  zw.   Karl   .\u<,aist  u.  Goethe  I,  S.  2!»l),     11.   Kehr.   1.S03. 
-■)  .Schiller  an   Körner  10.  Mar/,  180;3.     .Jonas  V'II.  21. 
')  W.  V.  Humboldt  an  Schiller  22.  Okt.  1803. 


—     248     — 

zur  modernen  Technik  der  g'esteiirerten  Massenszenen  und 
lässt  den  Streit  mit  den  hastig-en  Wechselreden  der  Einzelnen 
anfangen;  das  volle  Unisono  hebt  er  nur  für  die  Höhepunkte 
der  leidenschaftlichen  Erregung  auf. 

Ob  die  Weimarer  Aufführung  die  Widersprüche  be- 
friedigend gelöst  hat,  wissen  wir  nicht  ^) ;  an  der  lierliner 
Darstellung  setzte  Zelter^)  die  allzu  grosse  Beweglichkeit  des 
Choi'cs  aus.  Zelter,  der  ursprünglich  zur  Weimarer  Aufführung 
hinzugezogen  werden  sollte  ^),  stellte  sich  den  Choi-  zu  beiden 
Seiten  dicht  an  den  Kulissen  auf  Tribünen  stehend  als  eine 
lebendige  Wand  vor,  die  von  den  Hauptgruppen  durch  grösst- 
möglichen  ZAvischenraum  getrennt  bleibe;  zur  Deklamation 
sollten  gedämpfte  Paukenschläge  den  Takt  geben.  Er  hatte 
dabei  das  Gefühl,  dass  zu  Gunsten  eines  einheitlichen  Stiles 
dem  allgemeinen  Charakter  des  Chores  das  Übergewicht  ver- 
liehen werden  müsste.  Interessant  ist  es  nun,  diesen  Ideen 
eine  moderne  Inszenierung  gegenüberzusetzen,  die  ebenso 
konsequent  den  spezifischen  Charakter  betonte.  Dingelstedt 
hielt  sicli  bei  der  Münchener  Musteraufführung  *)  nicht  an  die 
Vorschrift  Schillers,  die  einen  stilisierten  reigenartigen  p]inzug 
des  Chores  angiebt,  sondern  er  Hess  zwei  wilde,  wirre  Haufen 
staubbedeckt,  kampfgerüstet,  mit  einem  flatternden  Fähnlein 
über  jeder  Schar,  eine  Riesentreppc  herabpoltern.  Während  des 
ganzen  ersten  A  ufzuges  blieben  diese  Krieger  in  äusserer  Bewegung 
und  lagerten  sich  in  wechselnden  Gruppen  auf  den  Stufen  der 
Treppe,  wobei  sie  von  Sklaven  mit  Speise  undTrank  gelabt  wurden. 

Die  Jiühnengeschichte  der  Schillcrschen  Dramen  kann 
von  einer  Menge  solcher  Experimente  erzählen,  die  die  Ab- 
sichten des  Dichters    selbst    unbeachtet    Hessen,    um    anderen 

'j  Wenn  das  Gemälde  auf  der  Weimarer  Bibliothek  (Bellerniann, 
Schiller  S.  22;'))  Rückschlüsse  auf  die  Autführunt,'-  erlaubte,  so  hätte  der 
Chor  ziemlich  stark  an  der  Bewegung  der  Hauptfiguren  teilgenommen. 
Schiller  hatte  „eine  belebte  Aktion  auch  bei  denen,  welche  nicht  selbst 
reden",  allerdings  auch  „eine  möglichst  symmetrische  Disposition  der 
Figuren"  verlangt.     lAn  Iffiand  24.  Febr.  1S03.     .Tonas  VII,  17.) 

2)  Zelter  an  Goethe  1.  .luli  1803.     Briefw.  I,  S.  äS  ff. 

•')  Schiller  an  Zelter  2S.   Februar.     .lonas  VIT.  8.   J7, 

')  Dingelste.it,  Münchener  Bilderbogen  S,  71  If. 


—     249     — 

Bühnenverhältnis?5cn    oder   einer  anderen  Geschmacksrichtung 
Rechnung  zu  tragen. 

Tiecks  Räuberinszenierung  im  .luni^en  'risciilermeister 
wurde  bereits  erwähnt;  sie  stellt  eine  merkwürdige  Mischung 
von  guten  Einfällen  und  romantischer  Ironie  dar.  Das  Stück 
wird  aufgeführt,  um  für  die  jagdliebcnden  i>anauscn  aus  der 
Nachbarschaft  eine  Hetze  zu  veranstalten.  Was  dieses  rohe 
Publikum  am  meisten  ei'götzt  hätte,  lässt  ychiller  hinter  der 
lUihne  vorgehen:  <len  Kampf,  in  tlem  die  Räuber  sich  durch- 
schlagen. Tieck  lässt  ihn  autführen  und  das  AUertollstc  her- 
vorbringen, ..wie  man  es  sonst  nur  in  <lem  Circus  der  Kunst- 
reiter zu  sehen  gewohnt  ist"':  ') 

„Alles  schreit,  lärmt,  Trompeten  schmettern,  Waldhörner  tönen. 
Büchsen,  Gewehre  und  Pistolen  knallen,  dazwischen  die  Hunde.  .  .  . 
Die  Dogen,  so  aligerichtet,  reissen  viele  Soldaten  von  hinten  nieder,  die 
BuUenbeisser  rennen  die  Stufen  hinan,  um  die  Krie<rer  anzupacken,  und 
als  diese  mehr  als  babylonische  Verwirrung,  das  Zeter  und  Spektakel  eine 
geraume  Zeit  gewährt  hat,  fliehen  die  Soldaten,  und  die  siegenden  Käuher 
stürzen  jubelnd  nach.  Den  Boden,  die  innere  Bühne  und  die  verschiedenen 
Stufen  rechts  und  links    bedr<ken   die  Leiber  getödteter    und  verwundeter 

Krieger,  alle  ...  in  höchst  malerischen  Stellungen Nun  schlössen 

sich  die  Vorhänge  und  venleckten  Alles." 

Vielleicht  wurde  Tieck  zu  diesem  (ledanken  durch  eine 
wirkliche  Autführung  angeregt;  Schikanedcr,  der  mit  diesem 
Experiment  zuerst  in  Regensburg  hervorgetreten  war,  hatte 
sicherlich  Nachfolge  gefnnden.  und  dieselbe  Truppe,  von  der 
Tieck  bei  Fürth  eine  Walltionautfühiung  im  Freien  —  eben- 
falls eine  Spezialität  Schikanedei-s  —  sehen  konnte,  mag  auch 
den  .,Fall  des  Moorschen  Hauses"  zu  ihren  Repertoirestücken 
gezählt  haben. 

Jedenfalls  hätte  Tieck  nicht  erwartet,  dass  diese  Insze- 
nierung jemals  ernst  genonunen  werden  könnte.  Immermann 
in  Düsseldorf  konnte  Schillers  .lugendwerk  nicht  ernst  nehmen 

')  Der  junge  Tischlermeister  11,  305  ff,  21.'». 
V.  Komorczinski,  Schikaneder  S.  7  f,  10  f,  IS. 
Theat.-Kal.  1787  S.  89  f. 
Tieck,  Phantasus.  Schriften  1828  V,  S.  441. 
Köpke,  Ludwig  Tieck  I,  S.  1(54  f. 


—     250     — 

und  setzte  Tiecks  Einfall  mit  Aufwand  von  einigen  fünfzis" 
Soldaten  und  mehreren  Pfunden  Pulvers  in  die  That  um.  *) 
Er  wollte  dem  Demos  ein  leckeres  Würstchen  reichen,  aber 
die  Erbitteruno-  über  den  Unverstand  des  Publikums  kann  die 
YersündiiTunö-  gegen  Schiller,  die  mit  dieser  seltsamen  Rache 
verbunden  Avar.  doch  nicht  g-anz  entschuldig-en. 

Gerade  durch  Weirlassen  aller  Kampfszenen  hatte  ja  der 
Dichter  der  Räuber  irezei.rrt,  wie  sehr  er  sich  im  Ge<^ensatz 
zu'  den  Ritterdi-amatikern  auf  echte  theatralische  Wirkung- 
vei'stand.  Im  F^'iesko  vei'lor  er  diese  Mässig-ung'  und  unterlag" 
zum  Teil  untoi'  f]influss  der  Quellen  dem  Stofflichen;  in  der 
liühncnbearbeitung  nimmt  der  Kampf  sogar  (IV,  15),  obwohl 
die  Verwechslung  zwischen  Gianettino  und  Leonore  wegfiel 
und  der  Tod  Gianettinos  also  gai-  nicht  auf  die  Bühne  zu 
kommen  brauchte,  fast  einen  bedeutenderen  Raum  ein.  Es 
kam  dies  der  Mode  des  Ritterdramas  entg-egren,  die  g^erade 
damals  auf  dem  Höhepunkt  ihrer  Herrschaft  über  die  deutschen 
Theater  stand.  -)  p]benso  wenig'  übrigens,  wie  die  meisten 
Ritterdramatiker,  g^iebt  Schiller  bühnenmässig-e  Anweisung^en 
für  die  Dai'stellung"  der  Kämpfe. 

Eines  der  wenigen  Rittei'stücke,  worin  auch  dafür  g'-esorg^t 
ist,  ist  .Johanna  von  Montfaucon.  Kotzobuc  ei'weist  sich  dort 
als  g-eschickter  Kenner  des  Theaters;  für  die  Schlacht  im 
letzten  Akt  Hess  er  die  Bühne  durch  Felsen  verbauen  und 
hinter  diesen  Felsen  das  eig-entliche  (Gefecht  hin-  und  hei'- 
wog'-en  —  .,die  Felsen  sind  so  g^estellt,  dass  sie  die  Fechtenden 
von  Zeit  zu  Zeit  verberg^en."  Übrig^ens  hatte  man  auch  schon 
in  Mannheim  bei  der  Auffühi'unL''  des  .Julius  Cäsar  das  Schlacht- 


')  Fellner,  Geschichte  einer  Musterbühne  S.  189,  4SI  f. 

2)  Allenlino-s  waren  lani^e  nicht  alle  Theater  damals  im  Stande,  auf 
diese  Mode  so  viel  Mittel  zu  verwenden,  wie  das  Mannheimer.  Noch  178(5 
schrieb  Gotter  an  Dalberg  über  dessen  Bearbeitung  eines  eng-lischen  Stückes 
(Oronooko  v.  Southern),  der  Pomp  und  Spektakel,  der  in  Mannheim  zum 
KrM^  des  Stückes  beitrage,  stehe  dem  Stück  bei  anderen  Hähnen,  ..wo 
es  zu  diesen  Aufzügen,  Gefechten,  l'rospecten  etc.  an  nichts  weniger  als 
—  Allem  gebricht",  ini  Wege. 


—     251     — 

feld  im  letzten  Akt  mit  durcheinandergeworfenen  Felsmassen 
bedeckt.  ^) 

Dadurch  konnte  ein  L-uter  Teil  der  lächerlichen  Wirkuni:, 
die  Theaterschlachten  immer  mit  sich  bringen,  vermieden 
werden.  Und  das  war  nötig,  denn  das  Publikum  jener  Zeit 
war  nicht  mehr  anspi-uchslos  genug,  bei  Ungesciücklichkeiten 
ernst  zu  bleiben.  In  der  Juni^tVau  ist  im  Stile  Shake- 
speares —  auch  Tiecks  Gcnoveva  konnte  Voihild  sein  —  die 
Schlacht  in  Einzok'-efechte  aufgeh'jst.  <leneii  huiLfe  Wechsel- 
reden vorausgehen ;  die  rii'U[)peni:e fechte  aber  wurden  bei  der 
Leipziger  Aufführung  belacht,  und  der  Jicrichterstatter  für  das 
Journal  des  Luxus  und  der  Moden  -)  spricht  es  aus,  solche 
Schlachten  würden  nie  ganz  ihr  armseliges  Ansehen  verliei-en, 
..sobald  wir  nicht  darin  den  römischen  Sinn  annehmen,  durch 
Symbole  uns  manches  der  Repräsentation  nicht  fähige  ersetzen 
zu  lassen.'' 

Die  letzten  Worte  kennzeichnen  den  Verfasser  als  An- 
hänger der  Weimai-er  Schule ;  Ersetzung  der  Natürlichkeit 
durch  Symbole  war  ja  Goethes  Schlagwoit  in  allen  äusseren 
theatralischen  Dini.'on:  und  so  muss  man  ainiehmen,  dass  dieser 
(rnindsatz  auch  für  die  Kampfs/eniMi  auf  dem  Weimarer 
Theater  massgebend  war.  I-'s  wird  auf  »'ine  Kcilie  von 
plastischen  StelluiiL-eii  und  Linzelijruppen  aiii^ckouimen  sein; 
die  Shakespeareschen  Fechtszenen  wurden  vom  Tairzmeister 
einstudiert'^)  und  mit  vollem  Ernst  ausgefühi't,  wie  es  ja  schon 
Wilhelm  und  Laertes  im  Wilhelm  Meister  gethan  hatten; 
bei  Romeo  und  .Jalia  liess  Goethe  den  Kampf  zwischen  Mer- 
cutio  und  Tybalt  in  ganz  langsamem  Temi)0  vor  sich  gehen  ^) 
und  in  der  Kritik  eine!'  Macbethauttuhrung  hatte  er  noch 
mannigfaltigere  Motive  des  Gefechts  ^)  verlangt. 


')  Iffland,  Meine  theatralische  Lautitahn  D.  L.  J).  -24  8.  ö8  f. 
')  Journ.  .1.  Lux.  u.  d.  Mod.     Okt.    1801  S.  557  f. 
^)  Wähle,  Schriften  der  Goethegresellsch.  VI.  S.  .'320. 
')  V.    Biedermann,    Goethes    Gespräche    VIII,     S.     198.      Gotthardi. 
Weimarische  Theaterhilder  I,  98. 

■•)  Goethe  an  Schiller  30.  Sept.  1800.     W.  A.  IV,  Bd.  15,  S.  127. 


—     252     — 

Allein  das  Publikum,  das  in  Weimar  durch  rioethes  Er- 
ziehung in  die  i^'leiclic  Riehtunir  ii-elonkt  war,  vei'sairte  an 
anderen  Orten;  in  Lauchstädt  wurde  der  Kampf  zwischen 
Macbeth  und  Macdutf  von  den  Studenten  ausgeptitfen,  so  dass 
man  die  eiirentlichen  ychlachtszenen  irarnicht  darzustellen 
way'te.  ^) 

An  einer  sreschulten  Komparserie  fehlte  es  noch  dazu 
auf  den  meisten  Theatern;  am  besten  war  man  dort  daran, 
wo  das  Ilalletpersonal  verwendet  werden  konnte;  bei  der 
Räuberauttuhruiii;-  in  Hamburg:  tiel  deshalb  die  Wahrheit  der 
Darstelluni;-  auf.  ')  Meist  A\urden  indessen  Soldaten  gebraucht, 
und  als  die  Weimarer  in  Lauchstädt  Macbeth  spielten,  mussten 
sie  sogar  zu  Bauern  ihre  Zuflucht  nehmen. 

Als  lifland  ^)  in  seinem  Almanach  über  die  bedeutende 
Personalvermehrung,  zu  der  die  P)ü]ine  dui'ch  das  Ritterdrama 
gezwungen  war,  spricht,  beklagt  er  den  Schaden  für  die 
Scliauspielkunst,  weil  zur  Darsteh ung  der  vielen  Ritter  und 
Knappen,  KamptVichter  und  Ratslierrn  eine  Menge  von  Un- 
berufenen auf  die  Bühne  gezogen  Averden  nuissten. 

Neben  Schlacliten  und  Turnieren  gaben  dazu  namentlicli 
die  grossen  Aufzüge  frelegenheit ;  Itt'hmd  selbst  aber  hat 
während  seiner  Ikrliner  Üii'ektion  dieser  Gefahr  für  die 
Schauspielkunst  Vorschub  geleistet.  Von  dem  Voi'wurf  ist 
er  nicht  freizuspreclien,  und  vielleicht  trifft  auch  die  Vermutung 
zu,  dass  er  den  Aufwand  aus  Geschäftsinteresse  betrieb, 
nämlich  um  die  Hei'liner  italienische  Ojjei-  zu  schädigen.  *) 

Erst  seit  der  P>er]iner  Darstellung  des  Kröiumgszuges  in 
der  .Jungfrau    von    Orleans    und "  des    Reichstagsaufzuges    in 


')  Becker  an  Schiller  29.  Juni  1800.     Urlichs  S.  .•371. 

"■')  Braun  I,  24.  Friedr.  Ludw.  Schmidt,  Dramaturgische.  A])horisiiieii 
I,  S.  172. 

^)  Ol)  alle  Beiträge  zu  den  Alnianachen  ans  Ittlands  eig'cner  Feder 
stammen,  ist  nicht  bestätigt;  Duncker  und  Funck  schienen  dies  für  selbst- 
verständlich zu  halten.  Bei  Ifi'lands  rastlosem  Fleiss  besteht  auch  kein 
lUnlenken,  ihm  wenigstens  di(!  wichtigsten,  so  auch  den  hier  zitierten  Auf- 
satz zuzuweisen. 

')  Zelter  an  Goethe  7.  Sept.  1803.     Brief w.  I,  S.  88. 


—     253     — 

Zacharias  W'ei'iiors  ..\\'('ili('  dof  Kraft"  wai^cii  iiiiii  die  kleinsten 
Talente  dieselben  enormen  AnforderniiLicn  zn  stellen.  Das 
frühere  kitterdiania  war  noeli  nicht  iiiw  so  anmassend  anf- 
S'etreten ;  aneh  die  Autzüi^e  im  Fiesko  (\'.  12.  lüihnenb.  V. 
5),  den  man  in  Äusserlichkeiten  zinn  Rittenh'ama  rechnen 
kann,  in  ItTlands  Friedricli  von  Österreich  (11.  Kl)  und  Kotze- 
bues  Gustav  Wasa  (V.  '))  halten  sich  noch  in  den  (Jrenzen; 
h()chstens  15abos  Otto  von  Witteisbach  scheint  eine  Ausnahme 
zu  machen:  dem  llochzeitszuge  im  ersten  Akt  sollen  öd  Maini 
Leibwache  vorausgehen  und  5<>  Mann  Leibwache  folgen. 
Aber  abticsehen  davon,  dass  (He  Zahl  nicht  bindend  war, 
muss  man  sich  wohl  denken,  dass  dieselben  Soldaten  am  Ende 
des  Zuges  wiederkehrten.  Das  war  g-ebräuchlich.  und  es 
wui'de  z.  li.  auch  bei  der  Leipziger  Auttuhruug  dei'  Jungfrau 
von  Orleans  so  gehalten:  allerdings  erregten  dort  ilie  zur  Ver- 
längerung des  Zuges  wiedeikehrenden  Personen  (ielächtei" 
und  Unwillen. 

W'eini  Zelter  von  dei-  IJeiiiner  Autfülirung  berichtet,  der 
vierte  Akt  sei  mit  mehr  denn  800  Personen  besetzt  gewesen, 
so  ist  das  übertrieben.  Itf  land  selbst  giebt  in  seinem  Almanach 
für  1811  Rechenschaft  uiul  zählt  jede  Person  des  Zuges  auf; 
dei-  Zug  selbst  hatte  demnach  über  20(»  'reiiiicliinci';  das  Volk 
bestand  aus  43  Personen;  für  den  einen  Akt  wurden  297, 
für  das  ganze  Stück  3(52  verschiedene  Kostüme  gebi-ancht. 

Iti'laiids  Rechenschaft  schwankt  zwischen  Stolz  und 
schlechtemCJewissen;  er  beklagt  den  ihm  anfgezwuivu-enen  Luxus 
und  schildert  ihn  doch  mit  der  gleichen  Liebe,  nnt  der  er  ihn 
angeordnet  hatte.  ')     Die    Verantwortung   schiebt   er  ScJiiller 

')  Eine  illuniiiiieite  AlibiMung  des  ganzen  Zuges  (21  Zoll  hoch  und 
20  Zoll  l)reit)  erschien  bei  dem  Verleger  des  Alnianaohs  (Fried.  Braune), 
gezeichnet  von  H.  Dähling.  gestochen  von  F.  .jügel.  Angezeigt  in  Ilf- 
lands  Almanach  180U.  Auch  in  Hamburg  hat  die  Gruppe  der  Geistlichkeit 
den  eigentlichen  Mittelpunkt  des  Zuges  gebildet;  im  .Journal  des  Luxus 
und  der  Moden  lautet  die  Beschreibung:  „Bei  der  Hauptprachtszene,  der 
Krünungsfeierlichkeit,  waren  an  hundert  Personen  auf  der  Bühne,  meist 
neu  ausstaftirt.  Alles  überstrahlte  iler  Kheimser  Erzbischoll"  im  I'oiititica- 
libus.  Als  er  erschien,  brach  auch  die  Menge  in  den  unbändigsten  Beifall 
aus.     Journ.  d.  Lux.  u.  d.  Mod.     März  1802  S.  15U. 


—     25i     — 

zu:  „Diese  Anordnung-  des  Dichters  war  dem  Publikum  be- 
kannt und  man  musste  sie  entweder  befolg'en  oder  der  Vor- 
stellunii'  entsagen.''  Um  aber  zu  zeigen,  wie  sehr  Iffland  über 
»Schillers  Anordnung'  hinausgegangen  war,  mag"  dieselbe  Gruppe 
der  Geistlichkeit  in  der  Vorschrift  und  in  dei-  Ausführung" 
g-eg-enüberg-estellt  werden : 


Schiller 


('iKiikiialieii  mit  dcni  Haiiplifass, 
dann    zwei    BischöHe    mit    der   8. 

Anipoule, 
Erzbischoff  mit  dem  Crucifix. 


Iffland. 

Ein  Geistlicher  mit  dem  Kreuze. 
Zwei  Geistliche  mit  Leuchtern  und 

Kerzen. 
Sechs  Geistliche. 
Acht  Canonici  von  Rheims. 
Vier  Geistliche  mit  Leuchtern  und 

Kerzen. 
Sechs  Diakonen. 
Ein  Bischof. 
Vier  Geistliche. 
Ein  Geistlicher,  welcher  das  grosse 

erzbischöiliche  Kreuz  vorträgt. 
Ein  Erzbischof. 
Zwei  Bischöfe. 
Ein  Geistlicher. 


Übi'igens  wurde  .später  in  Berlin  an  diesei-  Anordnung" 
des  Zuges  eine  Ändei'iuig-  angebracht.  Dalbei-g'  bereits  hatte 
in  Mannlioini  Kritik  geübt:  „Bischöfe  und  lhi"Klci-iis  gangen 
bey  Kröiningen.  EinweiJmngen  etc.  nie  dem  Zuge  voraus. 
»Sie  erwarteten  die  zu  Ki'öncndon  und  Einzuweyhcnden  beim 
Eintritt  in  die  Kirche  am  Portal  derselben".')  Als  Graf 
JJrühl  1818  in  Berlin  das  Stück  neu  einiichtete,')  liess  er  aus 
demselben  (ii-unde  den  Klerus  aus  den  Vorhallen  des  Münsters 
dem  Zug"e  entgegen  kommen,  den  König-  unter  dem  Ti"ag"- 
iiimmel  empfang'-en  und  ihm  den  Weihrauch  anbieten.  Durch 
die  negegnung"  der  beiden  Züge  wurde  natürlich  die  P)"acht 
des  Bühnenbildes  nur  noch  yestelyert. 


*)  Pichler,  S.  178. 

'■';  Teichmann,  S.  124  f. 


-     255     — 

Auch  (Joctlic  hatte  sich  doi'  Mode  nicht  u'aiiz  ont- 
zo.uen  1111(1  war  dei*  Nciituni:'  zu  Autzüi^cii  cntyci^eii  luckouinicu. 
Als  er  18U3  den  Cäsar  unverkürzt  iiab.  hatte  er  den  Leichen- 
zug- weiter  auscredehnt,  indem  er  blasende  Instrumente,  Fahnen- 
träger, Liktoren,  Freigelassene,  Klageweiber  u.  dergl.  uiit- 
ziehen  Hess,')  Auch  in  seiner  (;Jötzbearbeituiig  von  1804  sind 
zwei  kleine  Aufzüge  neu  hinzugekommen:  der  lirautzug 
8ickingens  und  (he  Mummerei  dei-  Adelheid. 

Aber  die  (xoethischen  Aufzüge  halten  sich  doch  nur  in 
sehr  bescheidenen  Grenzen;  sie  gehen  nicht  von  dem  Prinzip 
ab,  das  für  die  ganze  Bühnenkunst  Goethes  massgebend  war, 
der  basrelief artigen   Wirkung. 

Auch  Schillers  erste  Anweisung  im  Manuskript  liess  den 
Ki'önungszug  nur  im  Profil  über  die  lUihne  gehen:  ,.Der  Zug 
kommt  aus  dem  zweiten  Flügel  .  .  .  er  geht  (luer  über  die 
IJühne  und  auf  dei-  entgegengesetzten  Seite  hinunter  in  die 
Kirche  hinein.'"  Diese  für  die  Druckausgabe  zu  spezielle 
N'orschrift  tiel  später  weg;  auf  den  grossen  lUihnen,  wo  man 
im  Hintergründe  den  Dom  haben  wollte,  wurde  sie  zudem 
doch  nicht  befolgt.  Zur  rechten  Entfaltung  konnte  ja  .auch 
der  Zug  auf  dem  geraden  Wege  nicht  kommen;  dazu  war 
eine  Wendung  notwendig,  die  ihn  im   l'.ogen  vorbeiführtc. 

Für  den  Hochzeitszug  im  Teil  gewann  Schiller  diese  ge- 
wundene Bahn  durch  den  huiten  aufsteigenden  Felsenweg;  auch 
beim  Demetrius  trug  ei-  bereits  dafür  Sorge  und  schrieb  in  den 
Entwurf:  „Eine  Schiffbrücke  über  die  Moskwa  kann  vor- 
kommen, wodurch  der  Zug  dupUert  wird."'-) 

Der  Plan  dieses  grossen  Aufzuges  im  Demetrius  zeigt 
am  besten,  dass  es  Schiller  mit  der  Missbilligung,  die  er  über 
die  IfHandische  Prachtinszenieruiig  in  Berlin  g(>äussei't  haben 
soll,    nicht  allzu    ernst    gewesen  sein    kann.     Bei    dei-    \\alil 

')  All  A.  W.  Schlegel  ö.  Okt.  18U3.     W.  A.  IV,  Bd.  16,  S.  31JI. 
Auch  in  „Küiueo  und  Julia"  hätte  Goethe  gern,  wenn  die  Bühne 
gereicht  hätte,  den  Leichenzug  Julias  vorgestellt.     So  legte  er  wenigstens 
die  Erzählung  des  Tagen  ein.     (G.-J.  XVIII,  S.  63.) 

■')  Draui.  ^'achl.  I,  S.  160. 


—     256     — 

zwischen  Warbeck  und  Demeti'ius  führte  er  füi-  das  zweite 
»Stück  an,  „dass  es  Viel  für  die  Auyen  hat'"*),  und  als  er  nach 
dei'  Rückkehr  von  Berlin  an  die  Arbeit  geht,  fasst  er  den 
Einzug-  in  Moskau  „als  die  Hauptscene  des  Ötücks  in  Rück- 
sicht auf  stoffartiges  Interesse"  ins  Aug-e.  Er  steht  so  sehr 
unter  dem  Eindruck  dessen,  was  er  in  Berlin  gesehen  hat, 
dass  er  sich  selbst  ermahnen  muss,  keine  direkte  Wiederholung' 
des  Krönungszuges  zu  bringen. 

Die  andere  Disposition  des  Einzuges  besteht  aber  im 
Wesentlichen  in  einei-  Überti'umpfung  an  äusserer  Pracht. 
Nicht  nur  durch  die  Dekoration,  eine  Brücke  und  einen 
Triumphbogen,  und  durch  die  grössere  Teilnahme  der  Zu- 
scliauer  sollte  das  Bild  bereichert  werden;  im  Zug  sollten 
reichgeschmückte  Pferde  die  Augen  fesseln  und  Demetrius 
selbst  sollte  beritten  erscheinen. 

Damit  kam  Schiller  auf  den  1  Joden  der  Oper.  Die  Stutt- 
garter Hofoper,  auf  der  einmal  in  einem  Stück  dreihundei't 
berittene  Mohren  auf  der  liühne  erschienen  sein  sollen,')  wai' 
zu  seiner  Jugendzeit  in  ganz  Deutschland  wegen  dieses  Luxus 
bei'ühmt.")  Man  kann  es  vielleicht  diesen  Eindrücken  zu- 
schreiben, wenn  Schiller  schon  in  den  Räubern  kein  Bedenken 
trug,  Karl  Moor  zu  Pferde  ersciieinen  zu  lassen.*}  Die  Pferde, 
die  in  der  Szene  an  der  Donau  den  Hügel  herunter  weiden, 
sind  ein  Bestandsteil  des  dramatischen  Romanos;  nur 
durch  eine  Nachlässigkeit  können  sie  im  Druck  der  Bühnen- 
bearbeitung stellen  geblieben  sein ;  im  Mannheimer  Manu- 
ski-ipt  fehlen  sie  natürlich.  Übrigens  ist  in  Mannheim  auch 
das  Pferd  Moors  nicht   auf  die  Jiühne    gekonuncn;    vor    den 


')  Drain.  Nachl.  I,  115,  219. 
0  Weltlich  I,  085. 

")  Z.  B.  in  Knig-gcs  Heise  nach  Hrauiischwei^',  2.  Aufl.,  S.  89  f.  wird 
die  Stuttgarter  Ilufltiihne.  wo  J'ferde  und  Wa^^en  auf  das  Theater  l<oninien, 
erwähnt. 

^)  Man  nimmt  aher  hesser  ein  litterarisches  \'orbild  an:  den 
Räuberhauptmann  Iiü(iue  Guinart,  der  bei  Cervantes  zu  Pferde,  vier  l'istolen 
an  der  Seite,  ansprengt.     (Minor  I,  314.) 


—     257     — 

\\'oi'ten:   „Führt  inoinen  Kappen  ab''    steht    im    lUihneiimanu- 
skrii)t:  ..(Noeli  hinter  der  Seene  zurückrufend).'' 

Im  Fiesko  lie.s.s  sich  Schillei'  bereits  diese  Erfahrung;'  ge- 
sagt sein;  obwohl  Robertson,  Rctz  und  Maiily  ausdrüeklicli 
betonen,  dass  Doria  auf  einem  Pferd  sich  rettete,  war  »Schiller 
hier  mit  Rücksicht  auf  die  Auöülirung-  enthaltsam.  ^) 

Es  ist  auftauend,  wie  vorsichtig-  bereits  manche  Stürmer 
und  Dräng-er  diese  »Schwierig-keit  umg^ing-cn,  z.  P».  Lenz'^),  dem 
sonst  15ühnensinn  nicht  nachzui'ühraen  ist;  auch  Maler  Müller 
in  der  Cienovefa.  wo  der  Anfang-  des  Tui-niers  (IV,  8)  nur 
von  aussen  beobachtet  wird;  nachdem  aber  die  Pferde  g-e- 
fallen  sind  und  die  Ritter  zu  Fusse  weiter  kämpfen,  (iftnet 
sich  IV.  9  der  innere  Teil  der  Schranken.  Das  Turnier  im 
(Jtto  von  W'ittelsbach  tindet  hinter  der  Szene  statt:  in  der 
Ag-nes  Rernauerin  werden  keine  Pferde  beim  Turnier  erwähnt, 
dagegen  erscheinen  im  letzten  Akt  beim  (jerichtszug  der 
Nicedom.  der  (Jberi-ichter  und  einig-e  Räte  beritten  und,  wie 
aus  einer  kumischen  liallade  über  die  Auttuhrung-  dieses 
Stückes  in  einei-  rheinischen  Stadt -^i  hei-vorgeht,  wurde  die 
N'orschrift  wirklich  befolgt. 

AUmählich  machten  die  Theaterdirektoren  die  Kifahrung-, 
dass  sie  durch  nichts  das  Publikum  mehr  anziehen  konnten, 
als  durch  Zirkuskünste.  Schikaneder  liess  Turniere  zu  Pferde 
wirklich  auttuhren,  und  aus  Möllers  Graf  W'aUtron  machte  er 
ein  grosses  Zeltlager  im  Freien,  wo  die  Oftiziere  beiitten 
erschienen  und  die  (n-ätin  im  Reisewagen  aug-efahren  kam. 

Die  Spekulation  der  Rühnensclniftsteller  richtet  sich  bald 
nach   dieser  Neig-ung-   des  Publikums.     Hatte   z.  B.  Kotzebue 

')  Den  Götz  hatte  die  Besprechung  im  Hamburg-ischen  Correspomienten 
wegen  der  Vorstellung  von  Tferden  für  unautt'ührbar  gehalten;  vSchrüder 
strich  in  seiner  IJearlteitung  die  ganze  Reichsexekutionsarniee.  Auch  Goethe 
seihst  nahm  später  in  seiner  Bühnenl)earlieitung  Rücksicht  darauf.  (Winter, 
Theatergesch.  Forsch.  II,  S.  24,  40.) 

-)  Sizianische  Vesper  IV,  2. 

^)  Litteratur-  u.  Theaterzeitung  1784  IV,  8.  1  ti'. 
PalaeHtra  XXXU.  1" 


--     258     — 

noch  in  Johanna  von  Montfaucon  auf  ein  rührendes  Bihl  ^) 
verzichtet,  weil  er  kein  Pferd  auf  die  Bühne  bi'ing-en  wollte. 
80  lässt  er  nunmehr  in  Gustav  Wasa  (\'.  6)  den  Helden  auf 
einem  weissen  Zelter  einreiten. 

Wenn  8chiller  im  Teil  zum  ersten  Male  seit  den  Räubern 
wieder  Pferde  auf  die  Bühne  bi'achte,  so  haben  wir  das  nicht 
als  Nachg-iebig-keit  g-'eoen  die  Mode  aufzufassen,  wenngleich 
die  Mode  diesen  Luxus  nur  ei'möglichte.  Hier  A\'ar  er  künst- 
lerisch berechtigt,  denn  wie  viel  eindrucksvoller  wird  der 
rasche  Tod  Gesslers,  wenn  der  Tyrann  noch  eben  stolz  zu 
Rosse  das  knieende  Bauernweib  in  den  Staub  trat.  Übrig-cns 
sollten,  wie  es  scheint,  nicht  nur  Gessler  und  Harras  beritten 
sein,  sondern  auch  im  ersten  Akt  Landenbergs  Reiter.  Der  Zuruf 
„Reit  zu!"  (v.  175)  ist  sog^ar  in  keinem  der  bekannten  Theater- 
manuski'ipte  getilgt,  während  das  Aschatfenburger  und  das 
Hamburger  Manuskript  im  vierten  Akt  den  unglücklichen  Er- 
satz: „Oder  mein  Fuss  g-eht  über  Dich  hinweg'"  (v.  2764) 
eingeführt  haben. 


9.   Kostüm  und  Requisiten. 

Dass  sich  der  Dichter  selbst  um  die  Kleidung'  seiner 
Personen  irgend  zu  bekümmern  habe.  \\'ar  auf  dem  französischen 
klassisclien  Theatei'  eine  gänzlich  unbekannte  Forderung-. 
Kousseaus  Satz:  „onsait  bien  ([ue  Corneille  n'etait  pas  tailleur 
ni  Ci'cbillon  perruquier"  reichte  hin,  um  alle  Ycrnachlässig-ung-en 
zu  entschuldigen.  -) 


')  Johanna  will  dem  von  der  .lag-d  zurückkehrenden  Gatten  entgeg-en: 
„Ich  will  ihn  heschleichen,    ihm    den  Zügel    halten    und  wenn   er   auf  den 
ung-eschickten  Knappen  .schelten  will,  so  sinke  ich  lachend  in  seine  Arme." 
Diese  Kpisode    darf  nicht  zur  Ausführung-  g-clang-en,    und    der  Kitter  niuss 
im  selben  Aug-enblick  schon  zu  Fuss  in  den  Schlosshof  treten. 
■-)  Bapst,  Essai  sur  Ihistoire  du  theätre  S.  400,  400. 
Tieck,  Draniaturfj.  Sehr.  II,  S.  211  tt'. 
Ann.  des  'J'heaters  178H  Heft  1  S.  55  li". 
lil'land,  Almanach  18U7  S.  145  f. 


^     259     — 

Voltaire  wai"  der  Erste,  der  darin  selbständige  Neuerinifren 
tiaf:  im  Vorwoit  zu  seinem  Brutus  rühmte  er  sich,  den 
rörnisclien  Senat  in  roten  Roben  auf  die  lUihnc  gebracht  zu 
liaben,  womit  er  sich  freilich  als  schlechter  Kenner  des  Alter- 
tums erwies.  Im  Wesentlichen  scheinen  die  Unterschiede, 
die  das  fi-anzösische  Theaterkostüni  zwischen  moderner,  antikei- 
odei-  türkischei'  Tracht  machte,  doch  nui-  in  der  KopflxMh'ck- 
ung:  Hut.  Casquet  odei'  Turban  bestanden  zu  haben;  hingegen 
ei'liessen  der  gesellschaftliche  Chai'akter  des  Theaters  und  die 
Foi'dei'ung  des  Anstandes  dem  Schausjtieler  weder  Knoten- 
perrücke  und  Oalanteriedegen,  Reifrock  und  Taschentuch, 
noch  seidene  Strümpfe  und  Handschuhe  in  irgend  einer  Rolle. 

Während  nun  in  Frankreich  die  praktische  Dui-chführung 
dei'  Neuerungen  von  einzelnen  Schauspielern  —  Mad.  Favai't, 
die  1758  als  Bäuerin  m  Holzschuhen  auftrat,  der  Clairon 
und  des  Lecahi,  die  1755  in  Voltaires  (Jrphelin  de  la  Chine 
chinesisches  Gewand  anlegten  —  in  die  liand  genommen 
w  ni-de,  verhielten  sich  in  Deutscliland  die  Schauspieler  gerade 
mngekehrt.  Hier  hatten  schon  in  den  vierziger  Jahren  (Jott- 
sched  und  Mylius  sich  für  ein  liistorisch-echtes  Kostüm  ver- 
wandt, aber  den  Versuch,  den  daraufhin  die  Neubersche  Trui)pe 
mit  dem  Cato  machte,  gestaltete  sie  selbst  zu  einer  otfenen 
\'erhöhnung  (Jottscheds.  ^)  Am  Eigensinn  der  Schauspieler 
scheiterte  zunächst  jeder  Fortschritt;  auch  Lessing  wurde 
durch  die  Gegnerschaft  gegen  Gottsched  zur  Bekämpfung  der 
Bestrebungen  engagiert ;  dazu  kam,  dass  man  Inder  folgenden 
Zeit  mein-  vom  englischen,  als  vom  französischen  Theater  abhängig 
wurde  und  dass  dort  ein  Garrick  iumier  noch  im  Gesellschafts- 
kleid auftrat.  '-)  Lichtenberg  hat  ihn  veiteidigt,  weil  er  Handel 
im  französischen  Kleid  spielte  und  dabei  den  Satz  ausgesprochen : 


')  Mylius,  Beytr.  '/.  crit  Hist.  d.  «1.  Spracht-  \'11I.  8.  812  If, 
üottsche.l.  Crit.  Dichtk.  4.  Auf].  8.  (}27. 
V.  Iie(len-E.sbe(;k,  Caroline  Neuber  S.  75,  '27(5. 
Waniek,  Gottsched  S.  118,  44-2. 
-)  Theat.-Kal.  1781:    Abbüdung-  Garricks    als    Macbeth    und  Lear  in 
moderner  Tracht. 

17* 


—     2*10.     — 

„Wo  der  Antiquar  in  den  Köpfen  eines  Publikums  über  einen 
gewissen  Ai'tikel  noch  schlummert,  da  soll  der  8chausi)ieler 
nicht  der  Erste  sein,  der  ihn  wecken  will."  ^) 

Der  Ruhm,  die  antike  Kleidung-  auf  dem  deutschen 
Theater  eingeführt  zu  haben,  wird  Charlotte  P>randes  zuge- 
schrieben, die  in  Gotha  mit  Unterstützung-  des  Hofes  und  von 
Archäologen  beraten,  ein  Muster  aufstellte ;  wenn  wir  indessen 
die  Abbildungen  in  den  Theaterzeitschriften  betrachten,  be- 
lehrt uns  ein  Blick  auf  die  hohe  Frisur  und  den  bauschigen 
Rock,  wieviel  Conventionelles  auch  dieser  sog-enannten  alt- 
g-riechischen  Tracht  noch  anhaftete. '-) 

Der  erste  Schauspieldirektor,  der  Einsicht  besass,  war 
schon  vor  der  Brandes  in  Koch  aufgetreten;  bei  der  Eröff- 
nung des  Leipziger  Theaters  mit  Schlegels  Hermann  1766 
hatte  er  die  ersten  Annäherungen  an  ein  wahres  Kostüm 
versucht;  den  zweiten  Voi-stoss  machte  er  1774  mit  der  Ber- 
liner Auttuhrang-  des  Götz.  Die  Kostüme  waren  nach  Vor- 
lagen des  Kupferstechei"s  Meil  verfertigt  und  wirkten  so  über- 
raschend, dass  Nicolai  und  Lessing  den  ganzen  Erfolg  des 
Stückes  eigentlich  dem  Zeichner  zuschieben  wollten.  ^) 

Kochs  Leistung  wurde  indessen  schon  im  gleichen  Jahr 
durch  Schröders  Hamburger  (Jötzaufführung  weit  in  Schatten 
gestellt.  Die  xVckermann-Schrödersche  Truppe  \\ar  schon 
früher  durch  prunkvollei'c  und  mit  echter  Goldstickerei  ver- 
sehene Kleider  allen  andern   voraus   gewesen,    und   Schröder 


')  Lichtenberg,  Briefe  aus   Kiig-Iand.   N'eiiiii.schte  Schriften  lH-i4    Bd. 
111  S.  23(5  tf. 

•')  Brandes,  Meine  Lebensg-eschichte  II,  173,  184,  20ü,  277.  III,  209. 
Hoderniann,    Gesch.   d.    üothaischen   Hoftheaters    (Theat.   Forsch. 
IX)  S.  8.  Theat.-Kal.  177(3.     Litt.  u.  Theat.-Zeit.  1782,  T. 

Dai'ür,  dass  wenigstens  das  üraH-Sinzenich'schc  Bild    zuverlässig  ist, 
spricht  die  Reklame,    die  Brandes  selbst  dafür  machte,   auf  dem  Umschlag 
des  vierten  Heftes  der  Rheinischen  Beiträge  17.S0. 
'■*)  Devrient  I,  13;').  II,  297  f. 
Nicolai  an  Gebier  8.  Okt.  1774. 
Lessing  a.  s.  Bruder  30.  April  1774. 
Teichmann  S.  21  f.     Winter,  Theat.  Forsch.  11  8.  17  f. 
K.  M.  Werner,  Goethe-Jahrb.  II,  97. 


—     261     — 

bildete  fortan  diese  von  seiner  Mutter  überkommene  Neig-ung 
zu  wirkliobem  Luxus  aus;  von  seinem  späteren  Bestand,  zu 
dem  er  zweimal  die  Frankfurter  KrönnuL^sirarderobc  aufgekauft 
haben  soll,  wei'den  WunderdiuL^e  erzählt.  ^) 

Das  Berliner  Theater  trat  ihm  darin  seit  der  Direktion 
von  WarsiuL--  an  die  Seite-);  unter  Iffland  kam  das  Bestreben 
der  peinlichen  Echtheit  hinzu,  das  Graf  Brühl  noch  weiter 
ausbildete.  Mit  dem  Dekorationsluxus  ging,  wie  überall,  der 
Kostümi)runk  Hand  in  Hand,  und  Tieck'l  war  es  vor  allem, 
der  die  drohende  Gefahr  erkannte: 

.Wenn  man  erst  Kleinigkeiten  untersucht,  nachschlägt,  deshalb 
korrespondiert,  sich  aus  fernen  Gegenden  belehren  lä-sst,  ob  ein  Soldat 
ilamals  diese  oder  jene  Nuance  einer  Farbe  getragen  habe,  so  liegt 
es  als  Notwendigkeit  ganz  nahe,  sich  das  wirkliche  Koller  zu  ver- 
schaffen, in  welchem  Gustav  Adolf  fiel,  oiier  Wallenstein  ermordet 
wurde....  Mögen  wir  Chroniken.  Kupferstiche  und  Hildergallerien 
plündern,  so  viel  wir  wollen,  so  bin  ich  überzeugt,  dass  uns  jeder  Schneider 
aus  dem  1-4 ten  oder  löten  Jahrhundert  verlachte,  wenn  er  unsere  auf- 
gestutzten Modelle  sehen  könnte." 

Die  ersten  Folgen  zeigten  sich  zunächst  darin,  dass  das 
licrliner  Publikum  durch  den  Luxus  verwöhnt  wurde;  nirgends 
wurde;  so  viel  an  den  Kostümen  bemäkelt,  als  gerade  in 
IJerliii. 

Tieck  nun,  der  Iffland  für  die  geschmacklose  Echtheit 
veiantwortlich  macht,  möchte  das  Theaterkostüm  wieder  auf 
den  Standpunkt  von  1790,  auf  Engels  oder  Schröders  Kleider- 
ordnungen, zurückführen:  für  das  g-anze  Mittelalter  und  die 
Ritterzeit  hält  er  eine  und  dieselbe  Tracht  für  ausreichend; 
auf  die  Zeit  des  dreissig-jähi-igen  Krieg"es  sowie  auf  die  Teters 
des  Grossen*)  soll  .sodann  Rücksicht  genommen  werden  und 
.,ist  man  dabei  nur  einigrermassen  der  griechischen  und  römischen 
Kleidung   gewiss,    ohne    zu    arg    zu    Verstössen,    so    hat,    die 


')  Schütze,  S.  321,  401. 

Böttiger,  Fleischers  Minerva  IS  18  8    292. 
2)  Val.  Teichmann,  S.  55  f. 
•')  Dramaturg.  Sehr.  II,  215  ff. 
')  Kücksicht  auf  die  Modestücke  von  Kratter,  liabo  u.  s.  w, 


—     262     — 

neuesten  Kleider  hinzugerechnet,  jedes  Theater  wohl,  was  es 
braucht.^) 

In  den  fünfzig  Jahren  der  vorgezeichneten  Entwicklung 
steht  nun  Schillers  dramatische  Wirksamkeit  mitten  darin,  und 
seine  Stücke  mussten  zu  den  ersten  Objekten  gehören,  an 
denen  sich  die  Entwicklung  vollzog. 

Wenn  Koch  das  Verdienst  gebührt,  das  Kostüm,  das  in 
den  letzten  .Jahrzehnten  des  achtzehnten  Jahi'hunderts  die 
deutsche  Bühne  beherrschte,  eingeführt  zu  haben,  die  soge- 
nannte altdeutsche  Kleidung,  so  hat  er  damit  zugleich  die 
Tracht  für  die  ersten  Schillerschen  Stücke,  für  die  Räuber,-) 
Fiesko  und  Don  Carlos  bestimmt.  Man  kann  sich  von  diesem 
Kostüm,  einer  Mischung  von  spanischer  Tracht  und  deutscher 
Bürgerkleidung,  etwa  eine  Vorstellung  machen  nach  den 
Kupfern  Meils  in  Engels  Mimik,  die  den  Schauspieler  Scholz 
als  Otto  von  Witteisbach  darstellen:  im  Gi'ossen  und  Ganzen 
dasselbe  Äussere  erblicken  wir  auch  auf  Brockmanns  Bildern 
als  Hamlet, 

Die  charakteristischen  Bestandteile  sind  weite  Beinkleider, 
bauschige  Ärmel  und  ein  grosser  runder  Fedci'hut.  Der 
Federbusch  auf  dem  Kopf  wai-  für  den  Heldendarsteller  beinahe 

*)  Die  Annalei)  des  Theaters  1788  H.  1  S.  ö!)  o-ebeii  uni,'-et'ähr  den 
gleifhen  Bestand  alsiiotwendip:  fürdieTheatertrarderoliean :  1)  Idealische  Tracht. 
2)  Römische  Tracht.  3)  Roniantische  Kleiduni,'.  4)  Rittertracht.  5)  Tracht 
aus  dem  mittlereii  Zeitalter.  (5)  Moderne  Charakterkleidung-.  7)  Asiatische 
oder  Türkische  Tracht.  !))  Moderne  Konversationskleidung. 

2)  Bei  den  Räubern  hatte  sich  der  Schauspielerausschuss  gegen  das 
altdeutsche  Kostüm  ausgesprochen  l Martersteig  S.  45  f.),  und  zwar  ein- 
mal wegen  ilcr  zu  häufigen  Verwendung  und  zweitens  aus  dem  verständ- 
lichen Grunde,  dass  die  Charakteristik  der  Räuber  zu  schwer  darin  auszu- 
drücken sei:  „allen  jenen  Kleidern,  wenn  sie  auch  mit  noch  so  viel  Ge- 
schmack angeordnet  sind,  würde  man  es  ansehen,  dass  sie  neu  sind  ge- 
macht worden." 

Aus  derselben  Ursache  mag  man  an  anderen  Orten,  so  in  Frankfurt 
unil  Königsberg,  auf  die  Geschmacklosigkeit  verfallen  sein,  die  Haupt- 
personen in  altdeutscher,  die  Räuber  aber  in  moderner  Studententracht 
auftreten  zu  la.ssen.  In  Leipzig  wurde  das  Stück  trotz  der  veränderten 
Zeitanspielungen  von  Landfrieden  u.  s.  w.  ganz  in  iiioiicrner  Tracht  ge- 
geben.    (Br&un  I,  25,  225,  2Ü7.) 


—     263     — 

unenthchrlich ;  für  Max  Piccolornini  ist  er  indirekt  vorg-e- 
schricbcii  (W.  T.  v.  3043);  auch  Wallenstein  bekam  in  Weimar 
ein  Barett  mit  Reih  er  federn^),  und  von  der  Hambui"<rer  Dar- 
stellerin der  Junirfrau  wird  berichtet:  .,sie  bezauberte  unter 
dem  Nicken  des  irewaltiiren  Helmbusches  alle  ihre  Krie<jer."") 
Die  SclnvinsrunL'-en  des  Busciies  dienten  als  Ausdrucksbe- 
Avog'unij'en  und  wurden  als  solche  nur  allzu  oft  missbraucht. 
In  seinem  Almanach^)  warnte  daher  Iffland: 

_l)ie  hohe  F"e(ler  soll  mit  Geschmack  tretrasjen  werden.  Wenn 
iler  Kopf  ohne  Ursach  hin  und  her  o'eworten,  herüber  untl  hinüber 
ifewendet  wird:  so  erhält  die  Feder  zitternde,  kleinliche,  nichts  sagende 
Bewegungen.  Bei  sorgfältigen,  ernsten  Bewegungen  des  Kopfes 
kann  die  hohe  Feder  von  Deutung  werden,  ilen  Ausdruck  verstärken, 
ein  Baldachin  für  den  Blick  werden." 

Als  Ran.irabzeiclicii  ist  die  Fedei'  von  \Vichtig-keit,  und 
Itfhiud  hatte  in  seinem  Mannheimer  Kleiderrej/lement  aus  dem 
Jahre  1702  dafür  i/euaue  Vor.schriften  i.ieL-'eben.'*)  Auch 
f^chillci'  leirte  auf  den  Busch  seines  Räuberhauptmannes  grossen 
Wert,  und  er  ist  das  einzige  Kostümstück,  das  er  in  einem 
Brief  an  Dalben/-  ausdrücklich  vej'langte:  ..Einen  Busch  trägt 
er  auf  dem  Hut,  denn  dieses  kommt  namentlich  im  .Stück  vor, 
zu  der  Zeit,  da  er  sein   Amt  niederlegt."-^) 

Damit  macht  also  der  Dichter  selbst  den  Theaterleiter 
auf  die  latenten  Kostümvor.schriften  im  Dialog  aufmerksam. 
Ob  nuin  sich  im  übi-igen  in  Mannheim  viel  nach  dem  Dichter 
gei-ichtet  hat.  ist  die  Frage.  Iffland  z.  F..  stellte  spätei*  bei 
seinem  Weimai'cr  fJastspiel^)  den  Franz  Moor  nicht  im  letzten 
Aufzug  im  Schlafrock  dar.  sondern  von  Anfang  bis  zu  Ende 


1)  Goethe  an  Schiller  .:!(».  .lan  09.  W.  A.  IV.  Bd.  13,  S.  15.  Reiher- 
federn  sind  auf  dem  Weimarer  Gemälde,  das  Graff  als  W^allenstein  zeigt 
(Bellerniann.  Schiller  S.  2()S\  nicht  zu  sehen,  dagegen  auf  dem  ebemla 
S.  '200  wiedergegebenen   Hild   Ifilands  in  dieser  Rolle. 

2)  .Journ.  d.  Lux.  u.  d.  Moden  März  1802,  S.  5o. 

•')  Ifl'lands  Almanach  1.S07.  S.  137.  Seckendorf.  Vorles.  ü.  Dekl. 
u.  Mimik  II.  .321   f. 

'}  Pichler,  S.  331  If. 

^)  0.  Okt.  17S1  an  Dalberg.     Jonas  I,  -42  ff. 

")  Böttiger,  Kntwickelung  des  Ifflandischen  Spiels. 


—      264      — 

in  der  schwarzen  «panischen  Ti^aclit,  die  dnrch  eine  kleine 
Veränderuni;'  vom  dritten  Aufzug  ab  als  Trauei'kleiduni;-  .yclten 
konnte.  Vielleicht  lag"  diese  Vereinfachung-  daran,  dass  Iffland 
auf  Reisen  war  und  nicht  seine  ganze  Gardei'obe  bei  sich 
führte;  aber  auch  andere  Berichte  bestätigen,  dass  Iffland 
den  Schlafrock  nicht  trug');  dieser  Vorschrift  sollen  nur 
Ochsenheimer  in  Dresden-Leipzig  und  Schmidt  in  Magdeburg 
nachgekommen  sein'"). 

Die  späteren  Mannheimei'  Darsteller  des  Franz  kleideten 
sich  nur  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Akt  um:  Franz 
erschien  zuerst  im  blauen  Atlaskleid  mit  weissem  Mantel  und 
dann  erst  ganz  schwarz.  Die  Libertiner  kamen  als  Käuber 
umgekleidet  wieder,  und  Karl  Moor  trug  im  vierten  Aufzug 
als  Graf  Brand  wieder  ein  anderes  Kleid.  In  dieser  Hinsicht 
wusste  man  also  auf  den  Gang  des  Stückes  einzugehen,  ohne 
dass  der  Dichter  besondei-e  Voi-sciniften  gemacht  hatte.  Wie 
Herrmanns  Verkappung  beschaffen  war,  geht  aus  dem  Mann- 
heimer Hauptbuche  nicht  hervor;  der  alte  Moor  dagegen  er- 
schien im  viei'tcn  Akt  im  aschgrauen  Leinenkittel,  denn  die 
Überfeinheit  der  Meininger,  ihn  im  Paradekostüm,  in  dem  er  auf- 
gebahrt war,  aus  dem  Turm  steigen  zu  lassen,^)  lag  dem 
damaligen  Theater  ebenso  fei'u,  wie  dem  Dichter  selbst. 

Im  Fiesko  sind  mehrere  Umkleidungen  vorgeschi-ieben, 
da  im  ersten  Aufzug  alle  Personen  maskiert  erscheinen. 
Bei  der  direkten  Kostümangabe  im  Personenverzeichnis 
ist  davon  nichts  vermei-kt;  diese  Angaben,  die  für  die 
beiden  Doria  Scharlach,  füi'  alle  Nobili,  sowie  Leonore 
und  .lulia  schwarze  Kleidung  voi'schreiben,  sind  übei'haupl 
sehr  späiiich  gegom'iber  der  genauen  (iai'derobe,  wie  sio,  bei 
Heaumarchais  und  H.  I^.  VVagnei-  und  später  in  Dyks  Schwerer 
Wahl,  in  Gotters  Hasen    und    Erbschleichern,    in    Kotzebucs 


')  ItTlaiids  Almaiuich  18U7  entwickelt  seine  Auffassuiiii:  der  Rolle 
und  stellt  ihn  in  einiL^cn   Kupfern  von  Catel  dar. 

2)  Funck,  hirinnernni,'-en  aus  meinem  Tjel)eTi  II,  S.  lO.'J  f.  Kiii  Hild 
Ochsenheiniers  im  Sflilafrock  ist  rejirodu/iert  in  HcUciiiianns  SchilUsr 
(Dichter  und   Darsteller  VlI)  8.  42. 

■';  Liniiau,  Vürsj)iele  auf  dem  Theater,  S.  Of). 


—     265     — 

Octavia  bezeichnet  ist.  Die  Mannheimer  AuffiilirunLf  seheint 
hier  zu  des  Dichters  Ani.'ahen  wenii:-  liiir/uüetaii  zu  haben; 
dass  der  TTeld  von  Anfang-  bis  zu  VamIv  sein  ISallUleid  anbe- 
hielt, wurde  in  den  Protokollen  iretadelt;  .,uian  wünschte  am 
Ende  des  vierten  Aktes,  dass  er  Stiefel  und  einen  Harnisch 
anhabe."')  Dass  der  Dichtci'  selbst  hiervon  nichts  vesasit 
hatte,  beweist  eine  «rewisse  GleichiriltiiTkeit  lieirenübcr  dem 
Kostüme;  in  dei-  lUichaustrabc  heisst  es  weniirstens  am  Anfanir 
des  fünften  Aufzui/cs:  ..  Fiesko  kommt  L'ewatthet" ;  in  den 
Quellen  war  ausdrücklich  betont,  dass  dei-  Erti'iid<ende  duich 
den  schweren  Panzer  hinabv-ezoL-cn  wurde. 

Die  allgemeine  AuL'-abe:  ..Die  Tracht  ist  tlurchaus  alt- 
deutsch" soll  wohl  weniiiei'.  wie  Minoi-  vermutet,  dem  Ver- 
such, ein  echtes  italienisches  Kostiim  zu  ei'proben,  vorbeuiren, 
als  vielmehr  der  AuflIuhrunL:-  im  modernen  (resellschaftskostüm. 
Wie  weniü'  mnn  in  ^rannheim.  che  I ff lainl  ans  Ruder  kam, 
beim  Kostiim  auf  den  Ausdi'uck  der  Zeit  Wei't  leiste,  ist 
bereits  erwähnt;  (icmmiiuren  hatte  sich  in  seiner  Mann- 
heimischen  Dramatin-Lne  ( 177'.»)  vcri^ehcns  datre^'^en  auf^relehnt;  -) 
als  ein  Eintluss  scinci-  IJcmühuni^fn  kiMUite  höchstens  der 
Versuch     igelten.     dei-     im     ixleicln^i     .lahi'c     mit     der    Auf- 


M  Später  achtete  Schiller  auf  solche  Unterschiede:  im  Walh'iistein 
heisst  es  III,  13:  .AVallenste  in  (im  Harnisch)."  Allenlinirs  wurden  fortan 
vollständi^-e  ümkleidun<>-en  wetzen  der  Ausdehnuni»-  der  Zwischenakte 
iiiüLr]ichst  vermieden  ;  Rlisahcth  sollte  in  Maria  Stuart,  wie  erwähnt,  für  die 
.lapl  in  Fotherinirhay  nur  Mantel  und  Kopfputz  ändern.  Auch  die  Identi- 
fikation von  'Palhot  und  schwarzem  Ritter  möchte  man  versucht  sein,  als 
Kostümrücksicht  aufzufa.s.sen.  In  Mannheim  z.  li.  war  TaHiot  der  Einziire.  der 
in  schwarzer  Küstun«.''  auftrat.  Aber  trotzdem  hatte  man  für  den  schwarzen 
Kitter  eine  ei<,^ene  KieiduuL»-  aus  der  ZauiterHöte  hervorg-esucht :  Dalhers; 
fand,  dass  er  darin  etwas  schornsteinfeLrerisch  aussehe.  WaJter  IT,  474. 
I'ichler.  S.   17S) 

Auch  in  Weimar  fand  eine  (Imkleidunir  statt:  als  Schiller  für  den 
schwarzen  Ritter  einen  anderen  Schauspieler  vorschlu«,',  liefürwortete  er  es 
damit.  <lass  Oratf,  der  Darsteller  des  Talbot,  sich  des  Umziehens  weg-en  mit 
<lies("r  Rolle  nur  playe.     (An  Goethe  [10.  Sept.  180.3].     .Jonas  VII,  78.) 

-)  Flaischlen,  Gemmingen,  S.  75,   153, 


—     266     — 

führun?  der    Mediceer    o-cmaclit    wtiido.     TJrandes')   berichtet 
darüber: 

..In  Manheini   wurde    die    er.ste  Vorstelhini,'    dieses    Schauspiels 
im    strengsten    Costume    gesehen;     bewirkte    aVier,    wider    Erwarten, 

wenig  Sensation  V)eini  Publikum ?'ndlifh  kam    er    [Freiherr  v. 

Dalberg]  auf  den  Gedanken,  ob  nicht  vielleicht  eben  diese  zu  strenge 
Beobachtung  des  Costume  dem  Stücke  nachtheilig  seyn  könnte,  und 
das  Interesse  desselben,  durch  die  altwelsche  Kleidung,  welche  in  der 
That  die  Fiiruren  der  Schauspieler  einigermassen  verunstaltete,  ge- 
stdiwächt  würde.  Um  sich  nun  deshalb  ausser  Zweifel  zu  setzen, 
Hess  er  die  /.weyte  \'orstellung  dieses  Schauspiels  in  modernen 
Kleidern  geben,  und  nun  erhielt  solche  den  lautesten  Beifall." 

l^randes  zielit  daraus  die  Folo-eriiiiü-,  dass  man  gut  tue. 
nur  die  Stücke,  die  in  Spi'ache  und  Sitte  einen  historischen 
Charakter  traü-cn,  z.  B.  Hamlet,  Lear,  Otto  von  Witteisbach, 
Airncs  Ijernauerin  in  echtei-  Tracht  zu  i,'"eben,  die  anderen 
aber  bei  dem  konventioiiclicii  ivustüm  zu  behissen  —  ein 
Priir/.ip  dem  Ih'andos  während  seiner  eiiz'enen  Direktion  aus 
Kostünunanicel  öfters  folgte. 

Die  .\niiaben  von  Ih-andes  sind  indessen  nicht  i-ichtis:!-; 
die  erste  .Auttuhrun?  fand  am  5.  Dezember  1779  statt,  eine 
zweite,  bei  der  man.  wenn  es  diesen  I'nterschied  überhaupt 
irab,  statt  des  altitalienisclicn  das  altdeutsche  Kostüm  wählte, 
am  18.  Api'il  17s(»:  bei  der  dritten  am  28.  Api-il  17S8  yab 
Dalberi;-  zu  Pi-otokoU:  ..Die  moderne  Traclit  tvvvj:  allerdings 
etwas  dazu  bei,  dass  dies  Stück  heute  weniger  als  in  der 
ersten  Vorstelhuig  (wo  es  in  altdeutscher  Ti-acht  gespielt 
wurde)  gefallen  hat."  Man  hatte  oftenbar  nur  aus  Überdruss 
an  der  altdcutsclHMi  die  moderne  Tracht  gcAvählt;  gegen  eine 
ftolchc  VergewaltiL'um;'  wollte  Schiller  Verwahrung  einlegen; 
an  die  erste  Autluhrung  der  Mediceer,  an  die  sich  sogar 
Dalberg  nicht  mein-  erinnerte,  wird  er  nicht  gedacht 
haben. 


')  Minor  I,  402;  IT,  nf). 

Brandes,  Sänitl.  dramat.  Schriften,    Leipzig  17'J0,  Bd.  V.   S.  IX  tf. 

Meine  Lebensgeschichte  III,  139. 
.Martersteig,  S.  KitJ,  259. 
Walter  II,  S.  187,  401, 


—      267     — 

Bei  der  schwarzen  Traclit  der  Nobili  ist  an  Goethes 
Farbonlelii-eM  erinnert  worden:  ..Die  schwai'ze  Farbe  sollte 
den  venetianischcn  Edelmann  an  eine  repnblikaniseho  (Jleieh- 
heit  erinnern."  Es  ist  indessen  kanm  anznnehnKMi.  dass  die 
Farbe  bei  Schiller  einen  symbolischen  Wert  b(?sass.  Der 
irleichzeitiire  Roman  hat  mit  solchen  ^Mitteln  bereits  gearbeitet; 
in  ]Millcrs  »Sieiiwart  - )  wird  diese  Mode,  die  mit  Werther 
befrann,  bereits  übertrieben :  Thcicscns  und  ^larianens  Kleider, 
die  mit  ihrem  ( Jemütszustaiid  zusammenstimmen,  wei-den  jedes- 
mal i.'-enau  beschrieben.  Im  Diama  liebt  es  Klini.'Vi'.  die 
Stimmung-  seiner  Personen  durch  das  (iewand  auszudrücken, 
so  im  Leidenden  Weib  TV.  4  und  in  «Icn  Zwillinijen  IV.  1 
wo  Camilla  ihr  Kleid  aussucht: 

„Nein,  dieses  wenl'  ii^h  nicht  anziehn.  Mutter." 

-Wariin)  ?" 

„Die  FarVic  ist  mir  zu  lu-ll.  rinl  irli  weiss  nicht,  mich  ileucht 
—  nach  meinem  Gefühl  wiird'  ich  lielier  schwarz  stehen." 

Das  Trauerircwand  als  Stimmunirsausdruck  hat  Schiller 
öfters  verwendet,  so  bei  Hertha  in  iler  Bühnenbe- 
arbeituni;'  dos  Fiesko,  bei  Maria  StUMit  und  bei  Thibaut  in 
<ler  .luniilVau  von  Orleans  (IV.  M:  zu  untcischeiden  sind 
davon  natürlich  die  (leleirenheiten.  wo  wi'ucu  eines  Todesfalles 
die  Tranerfai'be  ireircben  war,  wie  in  den  Käubern  uiul  in 
der  Braut  von  Messina.  In  Maria  Stuart  dient  die  letzte 
Kleidung'  der  Heldin  (..Sie  ist  weiss  und  festlich  -ekleidet 
u.  s.  w."),  die  mit  ihi'cm  ei'sten  .\uftreten  uml  mit  den 
Trauergewändern  tler  ('uiücluniLf  kontrastiert,  zum  Ausdruck 
dei-  TodesfiT'udiijkeit. 

Im  all,i.:emeinen  ptle^it  <lie  weibliche  KleiduuL:  hei  Schiller 
seltenei'  und  weniiier  Licnau  anircgcben  zu  sein  als  die  männ- 
liche; es  kann  dies  an  dem  monotonen  Modekostüm  dei'  Zeit 
lieiren,  das  für  weibliche  Gewänder  fast  nur  die  weisse  Farbe 
zuliess.       Auch    im    Siegwart    tragen    Thcrese    und    Mariane 

')   Eckanlt,  Erläut.  zu   Fiosko. 

W.  A.  IT.  B.l.   I,  S.  si:5. 
^)  Siegwart,  2.  AuH.     Leipzig,    Wcygaml   1777,    S.    1"'7.    .inu.    :J26, 
454,  512,  529,  531,  595. 


—     268     — 

meist  niii-  weisse  Kleiler.  und  die  Abtönung  g-eschieht  durch 
rosenrote.  himnielblau3  oder  schwarze  Schleifen  und  liänder; 
auch  Werthers  Lotte  trägt  ein  weisses  Kleid  mit  bhissroten 
Schleifen,  und  dasselbe  Kostüm  tritt  wieder  auf  in  Wagners 
Reue  nach  dei'  That  und  Evchen  Humbrecht,  bei  Lenz  im 
Tugendhaften  Taugenichts  und  in  der  Catharina.^)  Im  Aveissen 
Kleid  müssen  wir  uns  also  auch  Luise  Miller,  Thekla,  Johanna 
d'Arc  vorgestellt  denken;  füi'  Lady  Milford  und  die  Königin 
Elisabeth  wird  dies  im  Mannheimei-  Hauptbuch  bestätigt;  bei 
.Tohanna  war  es  IH,  4  indirekt  vorgeschrieben: 

Du   koninist  als  Priesterin  geschmückt,    Johanna? 

Dalberg  schrieb  jedoch  nach  der  Mannheimer  Autführung  ins 
Protokoll:  .,Wäre  der  Rock  der  .Johanna  nicht  besser  und  in 
der  Farbe  wirksamer  zum  Harnisch,  wenn  er  rotli  oder  blau 
wäre?  '-) 

Auch  für  die  männliche  Tr'acht  nahm  schon  damals  die 
Mannigfaltigkeit  der  Farben  ab.^)  Iffland  ^)  beklagt  aufs 
äusserste  diese  Einförmigkeit  auf  der  Bühne: 

...letzt,  wo  überhaupt  für  die  Männer  und  zwar  im  Schnitte  des 
halben  Anzu^fes.  nur  die  Haupttarben,  schwarz,  braun  und  V)lau,  so  wie 
für  die  Frauenzimmer  beinahe  nur  die  weisse  Farbe,  im  Leben  wie  auf  der 
Bühne,  geltend  ist,  wird  eben  dadurch  der  Unterscheidung  und  dem  An- 
stände nicht  Erleichterung  gegeben.  Väter,  Kammerdiener,  Liebhaber, 
Bedienten,  Damen,  Zofen,  alle  gehen  auf  der  Bühne  mehrentheils  in  einer 
Farbe,  und  es  geschieht  nur  zu  oft,  dass  sie  sich  auf  eine  und  dieselbe 
Weise  benehmen. 


')  Lenz,  Dram.  Xachl.  hsg.  v.  Weinhold    S.  177,  ^Ki  ^.Sf). 

2)  Walter  If,  474.  In  Wien  missfiel  1820  das  rote  Gewand,  das 
Mad.  Stich   in  dieser  Rolle  trug.     Costenoble,  Aus    d.  Burgtheator  I.    104. 

^)  Goethe  erwähnt  die  Gesellschaftsmode  in  der  Farbenlehre:  „Ge- 
bildete Menschen  haben  einige  Abneigung  vor  Farben.  Es  kann  dieses 
theils  aus  Schwäche  des  Organs,  theils  aus  Unsicherheit  des  CJeschmacks 
geschehen,  die  sich  gern  in  das  völlige  Nichts  flüchtet.  Die  Frauen  gehen 
nunmehr  fast  durchweg  weiss  und  die  Männer  schwarz.  —  —  —  Inwie- 
fern der  trübe  nordische  Himmel  die  Farben  nach  und  nach  vertrieben 
hat,  lies.se  sich  vielleicht  auch  noch  untersuchen."  W.  A.  II,  Bd,  1  S, 
841,  843. 

V  Almanach  1807  S.  135.     Jg.  1811,  S.  4  ii; 


—     269     — 

Es  ^'■iel)t  \'(>rst('IIiiiiLri'ii.  wo  alle  Mäiiiier  in  schwar/cr  Failic,  alle 
Fraueii/iniiiicr  in  wcns.ser  Farlie  untereiiiaiuler  vfikelircii.  so,  dass  wenn 
nicht  n()th(lürtti<,'-er  Weise  zum  Schlüsse  iler  Haiidluiig  etliche  Gerichts- 
frohnen  in  der  herkünindichen  Kriminal-Livree  erschienen,  das  Ganze  der 
Versammlung-  in  einem  Leichenhause  ähnlich  sehen  würde. 

Wer  angfehende  Spieler  nur  einiq-ermassen  g-enau  beobachtet,  kann 
es  wissen,  wie  sehr  diese  Sitte  und  der  Mangrel  an  aller  äusseren  Unter- 
scheidung', auf  die  A'ernachlässiLruntr  ihrer  Haltnnir  und  ihres  ganzen  Be- 
tragens Einliuss  hat."  '.) 

Das  Kostüm  von  Kabale  und  Liebe  bot  weiiii^stens  etwas 
mehi'  JUmtheit  als  die  meisten  biirf;ei-liclien  Stiicke.  Die 
Kriniinal-ljivi'ce  der  (ienelitsfroiineii  fejilte  iiielit,  die  riiitbrm 
des  Majoi's  bi'aelite  Abweelislunt^-.  aiieli  der  Präsident  war 
durcli  seinen  Stern  aiisoezeielinet.  Der  i'ote  plüsehene  Staats- 
i'ock  Millers-')  mit  dem  weissen  Manselietteidiemd  (1.  1  11.4), 
den  ei'  je(lo('li  an/n/Jeiu'n  nicht  ( Jele<,'"enli('il  tindet.  zei^t  \\ie 
Schiller  hiei'  die  äu.ssere  Krsehcinunu'  seiner  Peisonen  vor  sieh 
sah.  Das  reiche,  aber  «geschmacklose  IJolkleid  des  Hoi'mar- 
schalls  nnd  das  freie,  aber  reizende  Neyli^ee  der  Lady,  ebenso 
in  Don  Cai-Jos  die  Erscheinung-  der  Kboli:   „in  einem  idealischen 


')  Schröder  in  seinen  Bemerkungen  zu  liiccoboni  stimmt  diesen 
Klagen  Ifflands  ausdrücklieh  bei.  Meyer,  Schröder  IL  2  S.  212  f ;  ebenso 
Fr.  L.  Schmidt,  Dramaturg.  Aphorismen  L  215,  II  34  f.)  In  seinem 
Mannheimer  Kleiderreglement  hatte  It't'land  wenigstens  Vorsorge  für  einige 
kleine  Unterschiede  getragen ;  es  heLsstdort:  „Die  Aktrizen,  welche  in  den 
bürgerlichen  Stücken  die  Mädgeu  spielen,  tragen:  „Weder  Kleid,  noch 
Caraco,  sondern  Rock  und  Leibchen,  niemals  weiss,  wenn  die  Lieb- 
haberin es  trägt,  mit  welcher  sie  sich  vorher  zu  besprechen  haben." 

■)  Der  rote  I'lüschrock  sollte  vielleicht  bereits  eine  veraltete  Mode 
ausdrücken.  Gramer  erzählt  1771  von  Klopstock,  dass  er  darin  die  neueste 
Mode  verletze,  dass  er  zu  den  perlfarbenen  Unterkleidern  seines  Galarockes 
beim  Spazierengehen  einen  roten  plü.schenen  Rock  trage.  (Klopstock,  In 
Fragmenten  von  Tellow  an  Eli.sa.  Frankf.  u.  Leipz.  1771  S.  7S).  Musäus 
bemerkt  dazu  in  seinen  „i'hysiognomischen  Reisen'"  (3.  AuH.  Alteidjurg 
1781  II,  S.  r)7,  72):  „In  dieser  Tracht  war  er  nun  wohl  an  keinem  Hof 
in  Deutschland  Assembleefähig  gewesen.*'  Mit  der  Wertherzeit  kam  Blau 
als  die  Mmlefarbe  auf;  Goethe  erklärt  in  der  Farbenlehre  ihre  Aufnahme  aus 
praktischen  (iründen,  „weil  es  eine  dauerhafte  Farbe  des  Tuches  ist."  (W. 
A.  III,  Bd.  1  S.  332.  j 


^     270     — 

Geschmack,  schön  abei-  einfach  (:ekleiilet"  lassen  das  Kostüm 
als  Bestandteil  der  Charaktei*maske  erkennen. 

Der  englische  Roman  mit  seinen  schaifcn  Beobachtungen 
hatte  den  Sinn  für  das  Charakteristische  des  Kostüms^)  ausye- 
hildet  und  mag  ihn  erst  auf  die  Bühne  übertragen  haben. 
Das  scheint  aus  Lichtenbergs  Beschreibung  Olai-ricks  hei-vor- 
zugehen;  „Selbst  den  Strumpf,  der  ihm  so  herabhängt,  kann 
man  denken,  hat  ihm  vielleicht  Fielding  herabgezogen,  und 
den  Hut.  der  da  so  seitwärts  sitzt,  Sterne  oder  Goldsmith  zu- 
rückgcstossen."  Das  bürgerliche  Drama  hat  vom  Roman 
gelernt ;  in  ( lemmingens  Deutschem  Hausvater  sind  z.  B.  die 
meisten  Kostümangaben  charakterisierend;  für  den  Hausvater 
heisst  es:  „tCinfache  Kleidung'",  für  Monheim :  ,,JM  jeder 
Gelegenheit  einen  andei'en  Rock,  Stern  und  Band",  für  Sophie: 
„An  Empfindelei  ein  wenig  krank,  welches  man  auch  an  ihrer 
Kleidung  bemerkt.'"  Den  Konti-ast  zwischen  der  prachtvollen 
Kleidung  der  Amaldi  und  dem  einfachen  Kleid  der  Sophie 
soll  Schiller  von  Gemmingen  für  den  Fiesko  und  füi"  Kabale 
und  Liebe  übernommen  haben.  ^)  Das  pi-unkende  Gewand  als 
Charakteristik  der  Oberflächlichkeit  begegnet  uns  auch  noch 
im  Teil  (779  tfj. 

Durch  kleine  Äusserlichkeiten  konnte  auch  ein  vorüber- 
gehender Zustand  der  Personen  angedeutet  wei-don:  in  der 
„Miss  Fanny"  (1770)  von  Brandes  heisst  es: 

Nelton  (In  einer  Unordnung,  die  denen  Umständen,  darin  er  sich 
befindet,  gemäss  ist.) 
Ebenso  soll  Philipps  Anzug  in  Don  Carlos  (\',  ü)  die  Spuren 
der  gehabten  Ohnmacht  zeigen.  Und  ebenso,  wie  Sir  Samp- 
sam  und  Waitwell  im  Anfang  der  Miss  Sarah  in  Reisekleidei'n 
aufti-eten,  so  steht  auch  für  das  Kostüm  des  Octavio  (W.  T. 
11,  4)  die  Vorschrift:  „reisefertig."  Im  Teil  ist  für  Bertha 
(111,2)  eigens  das  Jagdkleid  vorgeschrieben. 

Dass  auf  die  Jahreszeit  ii'gend  welche  Rücksicht  genommen 
wurde,  lässt  sich  nicht  beobachten;  denn  dass  Luise  in  der 
Szene  mit  Wurm,  che  sie  zum  Herzog  eilen  will,  einen  Mantel 


')  Ricmann.  Goethes  UomaTitechnik  S.  21!»,  240,  270. 
0  Minor  II,  124. 


—     271     — ^ 

imnsii'f't.  soll  wohl  kniiin  auf  den  \\  iiilcr  hiiiwciscii.  I)a- 
<,''C,i,''('ii  koiinlc  die  1\i<i'('szfit '  ihren  Ausdruck  linden:  das  Ne- 
<iiiiiv,  von  dem  Lossini:"  in  Miss  Sai'ali  niid  Minna.  Waiiner 
in  der  Rone  nach  der  That  nnd  dci-  Kindennörih'rin.  tSchilier 
in  Kabale  und  Liebe  Gebranch  machten,  inid  das  oftmals  den 
technischen  Zweck  hatte,  das  Abi^ehen  dei'  Personen  zu  mo- 
tivieren, wai'  ein  Zeichen  der  Moi'i:enstunde.  l'nd  dem  Schlaf- 
rock des  Kranz  Moor  in  den  Räubern  entspricht  das  Naclit- 
kleid.  mit  dem  im  letzten  Akt  des  Don  Carlos  die  Könii:in 
aus  ihrem  Zimmei'  tritt.  Doch  niusste  JSchillei-  hier  kein 
fi-rosses  Zutrauen  zu  dci  Schicklichkeit  der  Schaus])ielerinnen 
haben,  denn  in  der  ProsabearbeitunL--  heisst  es:  .. llii-  Air/ue- 
ist  No.eli.eee.  aber  sehi'  anständig;"  ebenso  wui'de  im  dritten 
Aufzue-  für  den  Könii;'  <lie  nestinnnuuLi :  ..von  oben  hei'ab 
halb  auseekleidet"  eingeschränkt;  es  heisst  mir  noch:  ..ohne 
Hut,  Mantel  und  Orden."  Im  llamburL'Ci-  ^Manuskript  tritt 
die  Köni<:in  übeihaupt  nicht  im  Nachtiiewand  auf:  sie  schickt 
nur  ihre  Kanunerfrauen  \ve^-.  Kbenso  fehlt  das  Nachtkleid 
im  letzten  Akt  von  W'allensteins  Tod:  die  (J rätin  'Pei-zky  tritt 
nur  mit  ehiem  Lichte  auf.  und  Wallenstein  lässt  sich  nur 
Mantel,  Ringkrayen  und  Feldbinde  abnehmen.  Kür  die  Inti- 
mitäten  des  bürg-erlichen  Dramas  ist  fortan  kein  Platz  mehr. 

Im  Wallenstein  bet^innen  mm  untei-  dei-  TeilnahuK»  Goethes 
die  historischen  Kostümstu(hen  Schillers.  Wallensteins  Lai^'cr 
zeigt  davon  die  meisten  Spuren;  auch  nniss  die  Weimarer 
Darstellung-  wohl  vollständig  mit  den  indirekten  Angaben  des 
Dichters  übereingestimmt  haben,  weil  diese  Vorschi'iftcn  zum 
Teil  das  Sekundäre  waren;  die  Entstehungsgeschichte  des 
Stückes  spielte  sich  ja  auf  den  Theaterproben  ab.  Die  grünen 
Röcke  und  silbernen  Tressen  dei'  llolkschen  Jäger  (v.  119, 
121),  die  feinen  Spitzenki-agen,  die  gelben  Kolletter  und  der 
Federhut  der  Terzkyschen  Karabiniers  (v.  188  ff,  7S\))  richten 
sich  nach  Bildern  aus  der  Zeit  des  dreissigj ährigen  Kiiegcs, 
die  ihierseits  Muster  für  die  neuangefertigten  Kostüme  waren. 
Wenn  wir  uns  wieder  an  den  Namen  Rugendas  halten,  dessen 
Blätter  allerdings  aus  einer  etwas  späteren  Zeit  stannnen,  so 


I 


—     272     — 

finden  wir  eine  Fulue  von  Kostümblättei-n  mit  den  Unter- 
schriften: Tronipetta,  Tenente,  Goi'netta,  yoldado  ä  Cavallo 
u.  s.  w.  ') 

Wie  vorsichtig  man  vorgini,--,  kann  die  Stelle,  wo  von 
Qaestenberg  die  Rede  ist,  beweisen.  Goethe  hatte  Bedenken, 
ob  im  di'eissigjährigen  Krieg  wirklieh  Perrücken  getragen 
worden  seien;  infolgedessen  wurde  der  Vers:  „Und  von  A\'ien 
die  alte  Perücke"  umgeändert  in:  „Und  der  spanische  steife 
Kragen";  als  aber  Goethe  auf  der  Jenaer  Ofenplatte  -  ein 
Vorbild  entdeckte,  setzte  man  die  alte  Fassung  wieder  ein. 
Der  Gefahr,  dass  dies  echte  Kostüm  zum  Zerrbild  wurde, 
scheint  man  dabei  aus  dem  Wege  gegangen  zu  sein.  JSchillei- 
selbst  betonte  in  seinem  Zusatz  zu  Goetiies  Besprechung  für 
die  Allgemeine  Zeitung,  dass  man  die  Aufgabe,  „das  bar- 
barische Kostüm  jener  Zeit,  welches  dargestellt  wei'den  musste, 
dem  Auge  gefällig  zu  behandeln  und  eine  schickliche  Mitte 
zwischen  dem  Abgeschmackten  und  dem  Edlen  zu  tretfen.  so 
viel  es  möglich  sein  wollte,   zu  lösen  verstand."  ^) 

Es  kamen  ja  für  Goethe  auch  noch  andere  Gesichtspunkte 
in  Betracht,  als  der  der  Echtheit.     Er    sah  darauf,    dass  die 


^)  Naumanns  Archiv  f.  d.  zeichn.  Künste  XII.  S.   116  ff. 

2)  W.  A.  I,  Bd.  40,  S.  66. 

In  Böttigers  Bericht  (Journ.  d.  Lux.  u.  d.  Mod.  1791)  Bd.  14  S. 
90  f)  heisst  es:  „Der  kaiserliche  Kriegsrath  und  Kamnierherr  von  Questen- 
berg  tlösste  in  seiner  spaniseh-teutschen  Hofgala  mit  den  bis  zur  Schulter 
geschlitzten  und  herabhängenden  Ermein  des  Überkleides,  seinem  aus  Drap 
d'Or  gefertigten  Schlitzwams  und  bauschend  unterbundenen  llautilechausses 
nicht  Gelächter  sondern  Achtung  ein.  Es  war  die  treueste  Kopie  nach 
©hier  wahren  Antike  aus  jenem  Zeitalter.  Eben  diess  galt  von  dem  l'racht- 
gewande  der  Herzogin    und    der    sämmtlichen  Generale,    welche   nach  den 

vorliegenden    Mustern     sorgfältig    ausstudiert    waren Auch    die 

Tracht  des  schwedischen  Obersten  im  schwarzen  Waffenrock  und  herab- 
gekrenipten  Federhut  gab  der  ganzen  Figur  eine  lebendige  Wahrheit,  und 
setzte  sie  allen  übi'igen  des  Wallensteinischen  Lagers  aufl'allend  entgegen." 

Auch  Caroline  Herder  berichtete  vom  Glanz  der  Kostüme;  sie  schrieb 
an  Kneliel  am  2.  Febr.  1799:  „Die  süperben  Kleidungen  (Alles  in  Atlas) 
der  damaligen  Zeit  haben  dem  historischen  Stück  einen  einzigen  und 
seltenen  Glanz  gegeben'"  (Knebels  Litt.  Machl.  hrsg.  v.  \'arnhagen  u. 
Mundt  II,  322.; 


—      273     — 

Farben  der  einzelnen  Kostüme  untereinander  und  voi'  allem, 
dass  sie  mit  dei'  Dekoration  zusammenstimmten.  Er  verlang^te 
daher  von  der  Dekoration,  dass  sie  schwach  und  duftiy.  am 
besten  in  einem  bräunlichen  Ton  <,'-ehalten  sei,  „damit  jedei- 
Anzui^-  im  Voidergrunde  sich  ablöse  und  die  i,''ehörij,'"e  Wirkunfic 
thue.  .  .  .  Ist  abci-  der  Dekorationsmalei-  von  einem  so  i^ünsti«ien 
unbestimmten  Tone  abzuweichen  j^enöthiirt,  und  ist  ei-  in  dem 
Falle,  etwa  ein  rothes  oder  g-elbcs  Zimmer,  ein  weisses  Zelt 
oder  einen  g"rünen  (»arten  darzustellen,  so  sollen  die  Schauspieler 
kluii"  sein  und  in  ihi-eii  Anzüj^en  dergleichen  Farben  vei-meiden. 
Tritt  ein  Schauspiele)"  mit  einer  rothcn  l'niform  und  i:rünen 
l^>einkleidern  in  ein  rothes  Zimmer,  so  vei-schwindet  dei-  Ober- 
körper und  man  sieht  bloss  die  IJeine;  tritt  er  mit  demselbiiren 
Anzüge  in  einen  yrünen  (iarten,  so  verschwinden  seine  lieine 
und  sein  Oberkörper  g^eht  auttallend  hei'voi."  Diese  Prinzipien, 
die  (joethe  in  später  Zeit  in  einem  (Jespiäch  mit  Ecker- 
mann entwickelte,  wei'den  wohl  bereits  für  die  ersten  -lahi-e 
seinei'  Theaterleitung"  massgebend  gewesen  sein*)  und  schon 
b(üm  Wallenstein  die  Wahl  der  Farben  beeintlusst  haben. 
So  erklärt  sich  vielleicht,  dass  WrauL-'d  trotz  des  ..blauen" 
Regimentes  in  einer  schwarzen  l'nifoi'm  erschien. 

Den  gleichen  Aufwand,  den  sich  das  Weimarer  Theater 
bei  seinci'  Xeueröftnung'  gestattete,  koimte  es  den  späteren 
Schillerschen  Stücken  nicht  mehr  zu  Teil  werden  lassen;  schon 
bei  Wallensteins  Tod  machte  man  für  die  Kürassiere  keine 
neuen  Ausgaben,  sondern  stellte  ihre  Uniform  aus  den  Voi"- 
räten  zusammen.  '^)  An  der  Darstellung"  der  Maria  Stuart 
wurde  die  N'ernachlässigung  des  Kostüms  getadelt.^)  Und  in 
welche  Verlegenheit  man  bei  der  Jungfrau  von  Orleans  kam, 
davon  macht  Genast*)  eine  Beschreibung":     „Wollene  Sergen, 


')  V.  Biedermann,  Goethes  Gespräche  VII.  S.  217.    Am  17.  Febr.  IJ^SU. 

Allerdings  nennt  Klingemann  die  gleichen  Grundsätze  als  Eigentum 
des  erst  18J5  nach  Weimar  gekommenen  Beuther,  dem  Goethe  mancherlei 
Anregung  verdanken  mag.     (Kun.st  u.  Natur  I,  449.) 

-j  Goethe  an  Kirms  27.  Mai  1799.     W.  A.  IV,  Bd.  14,  S.  öG. 

')   Journ.  d.  Lux.  u.  d.  Mod.  .lull   ISOO:   Braun  II,  S.  3«".  fV. 

*)  Genast  I,  S.  140. 
Palaestra  XXXn.  1^ 


—     274     — 

pappene  Helme  und  Rüstungen,  die  mit  »Silberzindel  überzogen 
waren,  mussten  den  Prunk  des  Krönungszuges  darstellen  und 
als  Krönungsmantel  wollte  Kirms  eine  alte  blauseidene  Gardine 
verwenden,  bis  Schiller  und  Goethe  endlich  die  Anschaffung 
eines  roten  Mantels  durchsetzten." 

Die  Aufführung  gerade  der  Jungfrau  von  Orleans  ge- 
schah in  Weimar  unter  einem  besonders  unglücklichen  Stern, 
dazu  kommt  noch,  dass  sich  Goethes  Interesse  überhaupt  von 
den  historischen  Kostümstudien  abgewandt  zu  haben  scheint; 
nur  wenn  es  sich  um  antike  Tracht  handelte,  Avurde  noch 
grosse  Sorgfalt  an  den  Tag  gelegt,  z.  P>.  bei  den  Kostümen 
zu  Schlegels  Jon.  die  im  Jouriuil  des  Luxus  und  der  Moden 
1802  abgebildet  wai'en.  Die  falteni-eichen  Gewänder  ent- 
sprachen auch  viel  mehr  dem  späteren  Weimai'er  Stil  und 
dem  Streben  nach  statuarischer  Erscheinung  und  fliessenden 
Bewegungen;  als  Goethe  von  der  Aufführung  der  Proserpina  1815 
berichtet,*)  betont  er  ausdi-ücklich  diese  angenehme  Wii'kung. 

Hogarths  wellenförmige  Schönheitslinie  beherrschte  den 
Theatergeschmack;  auch  Iffland  liess  sich  diese  Gesichts- 
punkte nicht  entgehen;  den  Pygmalion  spielte  er  im  Mantel; 
als  Oberpriester  in  Kotzebues  Sonnenjungfrau  wählte  er  das 
Kostüm  hauptsächlich  mit  Rücksicht  auf  die  Rundung  aller 
eckigen  Bewegungen  durch. das  lang  hei-abfliessende  Gewand. 
Böttiger')  setzte  über  seine  Bcspi'cchung  dieser  Rolle  das 
Motto  Ekhofs:  „Die  Schauspielkunst  ist  belebte  Bildnerey" 
und  bewunderte,  wie  Iffland  es  verstanden  habe,  „seine  Stärke 
in  mahlerischen  Stellungen  und  Geberden,  seine  Kcnntniss 
der  theatralischen  Drapperic,  und  seine  Einsichten  in  den  Ge- 
brauch des  Faltenwurfs  bey  langen  Gewändern  in  einer  Rolle 
zu  zeigen,  wobey  es  wenigei-  auf  den  Ausdruck  der  Empfindung, 
als  auf  die  Schönheit  der  Action  ankäme," 

Es  ist  möglich,  dass  damals  iffland  dem  Wcimai-er  Stil 
den  Weg  wies.  Später  wurde  das,  was  er  angestrebt 
hatte,  weit  übertrieben;  „das  stete  Zupfen  und  I)ra})pii'en.  das 
einen  schönen  Faltenwurf  hervorbringen  soll"  wurde,  nachdem 


1)  W.  A.  I,  Bd.  40,  S.  111  f. 

^)  Böttiger,  Entwickl.  tl.  llTlandischen  Spiels,  S.  247  tf. 


—     27.')      — 

Goethe  selbst  längst  von  der  Leitung  zurückiretreten  war.  an 
der  berühmtesten  Weimarer  Schauspielerin  als  auffallend 
empfunden.^)  Wie  sehr  aber  auch  Goethes  (ieschmack  von 
dem  der  ältei'en  Schauspielergencration  sich  unterschied,  er- 
gibt sich,  wenn  man  sein  lobendes  Urteil")  über  die  bewegte 
Plastik  der  Mad.  Hendel-Schütz  (früher  Eunicke,  als  Mad. 
Meyer  die  Berliner  Dai'stellerin  der  Jungfrau  und  der  Tsabella), 
die  mit  sogenannten  „i)lastisch  -  mimischen  Darstellungen" 
Deutschland  bereiste,  mit  dem  Friedr.  Ludw.  Schröders^)  zu- 
sunnnenhält;  Schröder  schrieb:  „Wenn  Unnatur  die  höchste 
Stufe  dei-  Kunst  ist,    so  hat  sie  solche  vollkommen  erreicht." 

Schiller  hätte  in  diesem  Punkte  wohl  mehr  auf  Seiten 
von  Schröder  gestanden ;  schon  sein  absprechendes  Urteil  über 
Ifflands  Pygmalion'*)  ist  von  dem  Goethes  vollkommen  unter- 
schieden, wähi'cnd  es  mit  Schröder  übereinstimmt. 

Füi-  das  Augenmerk  Ifflands  auf  Echtheit  und  Pracht 
der  Kostüme  hatte  Schiller  jedenfalls  mehr  Interesse.  Dass 
ihm  der  Aufwand  und  Prunk  in  Berlin  zu  viel  wurde,  darf 
kaum  angenommen  werden.  Als  das  Berliner  Theater  die 
Kostümbilder  der  Jungtrau  von  Orleans,  andern  Theatern  zur 
Nachahmung,  iu  den  Handel  gab,'')  äusserte  Schiller  in  einem 

')  Frau  V.  Ahlefeld  an  Knebel  4.  Febr.  1825.  (Düntzer,  Br.  a.  Knebels 
Nachl.  II,  S.  195.)  Saat  v.  Goethe  gesät,  S.  25.  Seckendorf,  Vorles.  üb. 
Dekl.  u.  Mimik  II.  335  ff.  Schauspieler  der  nächsten  Generation  fühlten 
sich  überhaupt  nur  im  griechischen  Kostüm  wohl.  (Costenoble,  Aus  d. 
Burgth.  I,  23.) 

')  W.  A.  I,  Bd.  36,  S.  58. 

^)  Schröder  an  Böttiger  29.  Mai  1810.  Raumers  Histor.  Taschenb. 
hrsg.  V.  Riehl  N.  F.  V,  1875,  S.  29U. 

*)  Goethe  an  Schiller  28.  April,  2.  Mai  98.  W.  A.  IV,  Bd.  13, 
S.  125,  133. 

Schiller  an  Goethe  24.  April,  l.  Mai  96.     Jonas  V,   S.  369,  375. 
Friedr.  Ludw.  Schmidt,  Dramaturg.  Aphorismen  III,  S.  93. 

")  Kostüme  auf  d.  Königl.  Nat.-Theater  in  Berlin  in  Kommission  bei 
Ungar,  hrsg.  v.  Wittich  1799  ff.  Seit  1817  erschienen  ,,Neue  Kostüme"  im 
Verlag  von  Wittich.  Vorbildlich  waren  die  Kostümbildersammlungen  der 
Pariser  Theater;  übrigens  hatte  der  Mannheimer  Kupferstecher  Wolf  diese 
bereits  in  den  90  er  Jahren  nachgeahmt  (Walter  II,  S.  111).  Ein  Werk 
über  Kostüme  und  Dekoration  wurde  von  Veit  Weber  (dem  Telldramatiker) 

18* 


—     276     — 

Brief  an  den  Hcranso-eber  seine  liefriediiiunu-  und  vorspraeli. 
mit  dem  Demetrius  neue  reiche  Motive  zu  liefern.')  Von  den 
Kostümstudien,  die  er  bei  seiner  letzten  Ai-beit  bei'eits  g-e- 
maclit  hatte,  finden  sich  wenig-  Spuren  im  Nachlass;  nur  für 
die  Geistlichkeit  hatte  er  sich  aufnotiert: 

Kleidung  der  Geistlichen  besteht  in  langen  schwarzen  Röcken, 
worüber  noch  ein  schwarzer  Mantel.  Auf  dem  Kopf  schwarze  Hauben, 
bei  3  Ellen  weit,  die  in  der  Mitte  eine  harte  runde  Platte,  als  einen 
grossen  Teller,  haben,  die  hinten  am  Kopf  herunterhängt.  In  der 
Hand  haben  sie  einen  Stab,  Posok,  wenn  sie  auf  der  Gasse  gehen. 
Dieser  ist  oben  Fingers  lang  in  einem  beinah  rechten  Winkel  um- 
gebogen.") 

Hatte  beim  Wallenstein  Iffland  sich  noch  die  W'eimarei- 
Kostümzeich nung-en  schicken  lassen,^)  so  war  umgekehrt 
späterhin  das  Berliner  Theater  in  Deutschland  für  die  äussere 
Ausstattung-  vorbildlich;  beim  Teil  hatte  der  Berliner  Garde- 
robier sog-ar  den  Triumpf,  dass  Talma  für  das  theätre  frangais 
um  die  Kostümzeichnungen  nachsuchte.'*) 

Wir  kommen  nun  zu  der  Frage:  aufweiche  verschiedene 
Weise  hat  Schiller  überhaupt  seine  Vorschriften  über  Kostüme 
zum  Ausdruck  gebracht? 

Die  direkten  Angaben  auf  dem  Personenverzeichnis  finden 
sich  nur  beim  Fiesko  und  auch  da  sind  sie  späi'lich.  I>ei  den 
übrig-en  Stücken  sind  die  dii'ekten  Vorschriften  in  den  Briefen 
an  einzelne  Theaterdirektoren  ausgesprochen.  Der  Brief  an 
Dalberg-  über  die  Räuber  und  der  an  Iffland  über  Maria 
Stuart  sind  bereits  ei-wähnt ;  für  den  Teil  sind  be- 
sonders die  i^)i'iefc  an  Eei'zfold  nach  Hamburg-  und  an  Schwai'z 
nach   Breslau  von  Wichtigkeit.'*)     In  dem  zweiten  heisst  es: 


in  den  Annalen    des  Theaters  1788,    H.  2,    S.  9  angekündigt;    es    scheint 
aber  nicht  herausgekommen  zu  sein. 

')  Schiller  an  Wittich  23.  Nov.  1804,  Jonas  VH,  S.  188. 

0  Dram.  Nachl.  I,  257. 

^)  Goethe  an  Kirms  23.  Nov.  98,  an  Schiller  29.  Dez.  98. 

W.  A.  IV,  Bd.  13,  S.  31Ü,  363. 
*)  Val.  Teichmanns.  Litterar.  Nachl.     S.  124. 

Martersteig,  1'.  A.  Wolff,  S.  130  f. 
"*)  An  ilerzfeld  24.  März  18U4.     Jonas  VII,  132. 
Au  Schwarz  24.  März    löU4.     Jonas  VII,   133, 


—     277     — 

«Vom  Kostüme  lesf  ich  einige  Zeichnuno-en  bey.  Übrigens 
gilt  bey  diesem  Stücke  ganz  das  Kostüm  des  Mittelalters,  und  das 
Kigenthümliche  der  alten  Schweizertracht  ist  besonders  in  den  weiten 
i'umphosen;  —  die  ganz  gemeinen  Landleute  können  zum  Theil  im 
Hemd,  mit  bunten  Hosenträgern  spielen,  und  viele  Kleider  erspart 
werden.  Auf  dem  Kopf  tragen  Einige  Barette,  Andere  schwarze 
oder  bunte  Hüte.  Johann  von  Oestreich  ist  in  weisser  Mönchskutte; 
darunter  kann  er  ein  kostbares  Hitterkleid  und  einen  mit  Edelsteinen 
besetzten  Gürtel  tragen,  welches  nach  seiner  Erkennung  kann  ge- 
sehen werden.  Stier  von  Uri  ist  auf  einer  Seite  gelb,  auf  der 
andern  schwarz  und  führt  ein  grosses  Kuhhorn  mit  Silber  be- 
schlagen." 

I'jwähiit  ist  in  diesem  r.riefe  aütli  die  dritte  Art  der 
direkten  Vorschrift,  nämlich  die  autorisierten  Kostümbilder, 
wie  sie  z.  15.  beim  W.illciistein  und  beim  Teil  von  Weimar 
ans  versehicivt  wurden.  Für  <len  Teil  bestellte  iSchillcr  bei 
Melchior  Kraus  koh)i'ierte  Stiche,  die  dem  Druck  beiirej,'"cben 
weiden  sollten.  Wciien  dei'  ^.q'ossen  Jferstellunyskosten  wurden 
indessen  statt  dei'  geplanten  zw()lt'  luu'  di'ei  illuminierte  Kupfer 
aus*reführt,  die  eiirzelne  Situationen  des  Stückes  darstellten.  Das 
er.stc  zeiyt  Teil,  die  linke  Hand  mit  dem  Apfel  auf  die  Armbrust  ^-"e- 
stützt.  <lie  rechte  mit  dem  zweiten  Pfeil  vorhaltend;  das 
zweite  stellt  in  einei'  entsetzlich  steifen  (iruppe  den  Schwur 
Walther  Für.sts,  Stauffacho's  und  Melchthals  dai-;  nach  Weimarer 
Pi'inzip  .sind  alle  drei  beinahe  en  face  dem  Jieschauer  ifeyen- 
übeivestellt.  und  strecken  ihm  die  drei  Handflächen  in  Kopf- 
iKihe  entircL-en.  Alle  viei"  Schweizei-  tray-en  j^^anz  weite,  ge- 
sticifte  Pumphosen,  die  mir  <lie  halben  Oberschenkel  bedecken; 
auf  der  lirust  sieht  man  das  Hemd  mit  den  f,'"ekreuzten  Hosen- 
ti-änein.  daiüber  eine  kurze  .Jacke,  die  bei  Teil  yelb,  bei 
Walther  i''ürst  violet,  bei  Stauifacher  yrün  und  bei  Melchthal 
ziegelrot  ist;  auf  dem  Kopfe  haben  alle  ein  schwarzes  JBarett, 
«las  in  den  Farben  ihrer  .Jacken  durchbi'ocheii  ist.  Gessler. 
(Um  das  dritte  Hild  darstellt,  hat  einen  grossen  schwarz-gelben 
Federhut.  einen  Spitzenkragen,  einen  roten  Mantel  über  dem 
hellblauen  Walfenrock  und  eine  grosse  Gnadenkettc. 

')  An  Cotta  22.  Mai  1804.     27.  .Juni  1804.     .Jona.s  VU,  102. 


—     278     — 

Nun  Avar  noch  eine  vierte  Art  der  direkten  Angabe 
möglich,  nämlich  die  Beschreibung  beim  Aufti-eten  der 
Personen,  die  am  meisten  dem  Lesedrama  entspricht.  Vor  allem 
war  sie  bei  Umkleidungen  innerhalb  des  Stückes  das  Gegebene, 
so  in  den  Räubern  bei  den  Trauerkleidern  für  Franz  und 
Amalia  (Trsp.  III,  1)  und  bei  Franzens  Schlafrock  (V,  1); 
im  Fiesko  bei  den  Masken  und  dem  Scharlachmantel 
Gianettinos,  in  Kabale  und  Liebe  bei  der  Lady  (11,  1);  im 
Don  Carlos  bei  der  Prinzessin  (II,  7)  und  bei  der  letzten 
Vermummung  des  Prinzen  (V,  11),  endlicli  bei  Johannas  erstem 
Auftreten  in  der  Rüstung  (Jgfr.  II,  4)  und  im  Schmuck  der 
Priesterin  (III,  4). 

Wo  das  Kostüm  nur  beim  ersten  Auftreten  beschrieben 
ist,  sollte  es  meist  durch  das  ganze  Stück  hin  das  gleiche 
bleiben:  so  beim  Präsidenten  (I,  5)  und  Hofmarschall  (I,  6) 
in  Kabale  und  Liebe;  bei  Seni  (Picc.  II,  1)  und  im  Teil  bei 
Attinghausen  und  Rudenz  (II,   1). 

Wähi-end  das  Kostüm  des  Rudenz  direkt  nui-  allgemein 
als  „Ritterkleidung"  bezeichnet  ist,  erlialten  wir  die  nähere 
Schilderung  erst  im  Dialog  durch  Attinghausens  Worte: 

In  Seide  prangst  Du, 
Die  Pfauenfeder  trägst  Du  stolz  zur  Schau 
Und  schlägst  den  Purpurmantel  um  die  Schultern. 

Dies  ist  also  die  indirekte  Kostümangabe,  deren  Auf- 
treten im  Dialog  auf  irgend  eine  Weise  begründet  sein  muss. 

Es  kann,  noch  ehe  die  Person  selbst  auftritt,  von  ihr 
geredet  und  an  Stelle  des  Namens  ihre  äussere  Erscheinung 
bezeichnet  werden.  Ein  genaues  Beispiel  dafür  findet  sich 
in  Grossmanns  „Nicht  mehr  als  sechs  Schüsseln"  III,  1,  wo 
sich  die  Bedienten  über  die  Gäste  unterhalten: 

Friedrich:  Der  Hofrath  hatte  sich  mit  dem  alten  Geheimen- 
rath  an  ein  Fenster  gestellt  — 

Louise:  mit  dem,  der  die  wollene  Perrücke,  die  abgekappten 
Schuhe  und  die  langen  Westen  trägt. 

Friedrich:  Ja,  heute  hatte  er  eine  Weste  an,  da  war  Dir 
ein  fjfanzer  Obstgarten  drauf,  und  dann  hat  er  ein  Paar  Kamaschen 
die  noch  funkelnagelneu  waren. 


—     279     — 

In  Wallciistoins  Lairer  wird  auf  diese  Weise  die  alte 
Perrückc  mit  der  güldenen  (Inadenkette  [Questenbert,'-  v.  71  ff.] 
erwähnt  und  es  ist  von  dem  s/rauen  Männlcin,  das  nächtlieh 
bei  Wallenstein  eins-eht  [Scni,  v.  372  ff.]  die  Rede. 

Am  ofeschicktesten  ist  die  Kostümbeschreibun2f  dann 
motiviei-t,  wenn  das  Äussere  als  Erkennungszeichen  in  der 
Handlung  eine  wichtige  Kolle  spielt,  z.  15.  beim  gi'ünen  Mantel 
und  später  dem  verhängnisvollen  gelben  Busch  und  Scharlach 
Gianettinos  im  Piesko.  Oder  in  der  .lunufiau  v.  Orleans 
V,  11; 

Soldat.     Sieh!    Hall!  Wer  trätet  den  himmelblauen  Mantel 

Verbrämt  mit  Gold  ? 
Johanna  ( lebhaft).  Das  ist  mein  Herr,  der  König. 

Diese  Art  Teichoskopie  kann  nun  auch  das  Auftreten 
herannahender  Personen  vorbei'citeii;  ebenso  kann  nach  dem 
Abgehen  einer  Person  von  den  ihi'  Xachsehenden  eine  Unter- 
haltung über  das  Kostüm  begonnen  werden.  Z.  15.  in  Klingers 
Zwillingen  11,  1,  wo  Guelfo  durchs  Fenster  den  IJruder  mit 
seiner  l>raut  ankommen  sieht: 

„Sieh  den  Herrn    im    rothen    Kleide    mit  Gold,    wie    herzoglich 
prächtig!  ....     Siehst  Du  sie?     0  Grimaldi.  im  weissen  Kleide!  .  .  • 
Der  Stern  auf  seiner  Brust,  wie  er  blinkt." 
Oder  .letters  Worte  im  Kgmont  II.   1  : 

„Hast   Du  das  Kleid    gesehen?     Das    war    nach    der    neuesten 
Art,  nach  Spani.schem  Schnitt." 

In  Wallensteins  Lagei-  werden  .so  die  Holkischen  .Jäger 
eingeführt: 

Was  für  Grünrück  mögen  das  sein? 

und  in  der  Jungfrau  von  Oileans  unterhalten  sich  Margot 
und  Louisen,  nachdem  der  Krönungszug  in  die  Kirche  gegangen 
ist,  über  die  Kischeinung  der  Schwester. 

In  seiner  Bearbeitung  lässt  Schiller  Jetters  Worte  über 
Egmonts  Kleidung,  während  dieser  selbst  noch  auf  dei-  Bülme 
sichtbar  ist,  sprechen;  es  kann  aber  sogar  die  Beurteilung  des 
Kostüms  im  Gespräch  mit  den  Personen  selbst  erfolgen.  Das 
hübscheste  Beispiel  ist,  w^enn  Clärchen  das  spanische  Kostüm 
Egmonts,  das  goldene  Vliess,  den  lierrlichen  Sanunet,  die 
Passementarbeit   und  das  Gestickte  bewundert.     Im    Teil    gc- 


—     280      — 

hören  lüerher  die  erwähnten  Worte  Attinghausens  zu  Rudenz; 
in  Wcillensteins  Lager  werden  die  sauberen  Spitzenkragen, 
die  feine  Wäsche  und  der  Federhut  der  Terzkyschen  Kara- 
biniers  beachtet ;  im  Fiesko  kiitisiert  Julia  das  einfache  Äussere 
Leonorens  (II,  1). 

Die  beste  Gelegenheit  zu  solchen  Bemerkungen  bieten 
die  An-  und  Auskleideszene  auf  der  Bühne.  Lessings  Toiletten- 
szene in  Miss  Sarah,  die  jedoch  wenig  Konkretes  giebt,  geht 
auf  Lillos  Kaufmann  von  London  zurück  und  brachte  ihrer- 
seits deutsche  Nachahmungen  hervor,  die  mehr  auf  die  Einzel- 
heiten eingingen,  so  Klingers  „Neue  Arria"  IV,  1  und  vor 
allem  „Elfriede"  III,  1,  wo  Elfriede  am  Putztisch  sich  nach 
dem  genau  beschriebenen  Bild  richtet,  das  in  den  Händen  des 
Königs  ist.  Schiller  lässt  den  Fiesko  die  Stelle  von  Julias 
Kammerfrau  vertreten  (III,  10);  in  Kabale  und  Liebe  wird 
an  die  Ankleideszene,  die  schon  vorbei  ist,  durch  Sophiens 
Worte  erinnert: 

Oder  ist  es  vielleicht  Zufall,    dass  eben  heute    die    kostbarsten 

Brillanten  an  ihnen    blizen?     Zufall,    dass    eben    heute    der    reichste 

Stoif  Sie  bekleiden  muss  — 

Endlich  können  auch  Kostüme  erwähnt  wei'dcn,  die  die 
Personen  auf  der  JMhne  gar  nicht  tragen,  z.  15.  der  rot- 
plüschene  Rock  Millers.  Bei  einer  Altonaer  Aufführung  1796 
richtete  man  sich  wii'klich  danach  und  Miller  ti'at  im  Plüscli- 
rock  auf;')  ein  ähnliches  Versehen  begegnete  Schiller  selbst 
bei  der  Braut  von  Messina:  als  Prinzess  Caroline  bei  einem 
Weimarer  Maskenfest  als  die  Titelfigur  dieses  Stückes  ver- 
kleidet aufti-eten  wollte,  schrieb  Schillei'  an  Amalic  v.  Imhof: 
„Für  unsere  liebe  l>raut  v.  Messina  sende  ich  Ihnen  noch  die 
Ver.se,  worin  der  Anzug  beschrieben  ist."")  Es  kann  sich 
nur  um  die  Verse  817— 842  handeln,  wo  das  Gewand,  das 
Don  Manuel  im  liazar  als  Geschenk  für  P)eatrice  wählen  will, 
geschildert  wii'd;  ein  Kostüm  also,  das  lieatrice  niemals  auf 
der  Bühne  träü-t. 


')  Ann.  d.  Th.  1797,  19.  Heft,  S.  28  f. 

0  Schiller  an  Am.  v.  Imhoff  [19.  Febr.  1803].     Jonas   VII,  S.  17. 


—     281     — 

Eben80  Avio  Schillrr  in  den  späteren  Stücken  «Icr  indirekten 
Dekorationsbcsclireibuny  mehr  Raum  g-ab,  z.  15.  bei  Tlieklas 
ErzähluiiLT  vom  astrologischen  Turm  oder  bei  (Gertruds 
Schihlcrunir  des  .Stauffacherschen  Hauses,')  so  liat  auch  hier 
die  Freude  an  der  poetischen  ScliiUlerunL'',  die  sich  auch  in 
Schillei's  l)alladendiclitun*r  äussert,  undramatische  l')Cstandteile 
als  Prunkfäden  in  das  (iewebe  eiiiirewirkt. 

Auch  die  Toib-ttenszene,  die  .Schiller  im  Entwurf  für  die 
Prinzesshi  von  Zeih'  plante  ^)  („Sie  schmückt  sieli.  um  ihre 
Schönheit  geltend  zu  machen,  um  ihre  Nebenbulderinnen  zu 
verdunkeln,  und  seine  Eitelkeit  zu  reizen")  hätte  sich  in  der 
breiten  Schilderunir  von  den  Juirendstücken  sicherlich  weit 
unterschieden,  etwa  ebenso  wie  die  piuidcvolle  Schmuckszene 
in  Goethes  Xatürlicher  Tochter  (II.  .5)  von  der  (Jretchenszene 
im  Faust. 

I5ei  den  S('hinnckL!ei:enständen,  den  Hestandteilen  des 
Kostüms,  die  Schillci-  am  häufig'sten  hei'vorhebt,  spricht  oft 
aucli  die  l'erson  selbst  von  dem.  was  sie  an  sich  trägt:  so 
Amalia,  weini  sie  sich  die  Pei'len  vom  Halse  reisst,  Karl 
Moor,  wenn  ei'  dem  Pater  seine  viei'  kostbaren  Ringe  ent- 
g^eg-en-streckt,  Fiesko.  der  seinen  Demant  für  (Jianettinos  Todes- 
nachricht aussetzt  und  Ferdinaml.  di'r  seinen  wasserklaren 
IJrillanten  mit  <lem  Si»iei;ei  der  Wahrheit  vergleicht.  Damit 
sind  wir  zu  di'ii  Teilen  des  Kostümes  g^ekommen,  die  weg^en 
ihrer  Kleinheit  am  wenigsten  auf  der  Pühne  zu  saiien  haben; 
mit  Recht  hat  daher  Schiller  später  den  Abschied  des  Carlos 
von  Posas  Leiche  verändert:  Caiios  zieht  dem  Toten  ni(dit 
mehr  *k'n  \\\ivj  vom  Fin::er,  weil  das  Publikum  es  g'-ai'nicht 
g-esehen  hätte. 


M  Ein  Rezensent  (Braun  IlL  437)  schrieb  «lenn  auch:  „Man  merkt 
es:  dem  Dichter  war's  darum  zu  thun,  seinem  Leser  gelegentlich  ein 
schweizerisches  Bauernhaus  zu  beschreiben:  eine  Frau  würde  in  der  Wirk- 
lichkeit aus  den  Wappenschildern,  Sprüchen  u.  s.  w.,  die  ans  Haus  gemalt 
sind,  keinen  Wohlstand  beweisen  wollen. '• 

-)  Dram.  Nachl.  II,  233. 


—     282     — 

Gewisse  Bestandteile  des  Kostüms  brauchten  nun  über- 
liaupt  nicht  vorgeschrieben  zu  sein,  weil  sie  als  Überreste  der 
alten  konventionellen  Gesellschaftstracht  selbstverständlich  und 
unentbehrlich  waren,  z.  R.  Handschuhe,  Deg-en,  Fächer, 
Schnupftuch.  In  Mannheim  bestand  die  strenge  Verordnung, 
dass  keine  Schauspielerin  ohne  Handschuhe  auftreten  dürfe; 
17S6  wurde  wenigstens  der  Zusatz  gemacht:  .,Nur  die  Bauern- 
kleidung leidet  eine  Ausnahme  und  wird  ohne  Handschuhe 
getragen."')  In  Weimai-  fiel  es  1801  beim  Gastspiel  von 
Friederike  Unzelmann  als  Maria  Stuart  auf,  dass  sie  in  der 
Szene  mit  Elisabeth  sich  in  der  Erregung  ihrer  Handschuhe 
entledigte  und  sie  der  Kennedy  übergab.  -) 

Den  Hut  trugen  die  Schauspieler  stets  auf  der  Bühne, 
auch  wenn  diese  ein  Zimmer  vorstellte.  Dass  im  Don  Carlos 
III,  s  die  Granden  im  Audienzsaal  bedeckt  sind  und  erst  bei 
Philipps  Eintritt  die  Hüte  abnehmen,  darf  uns  also  nicht 
wundern.  Miller  setzt  sicli  in  seinem  eigenen  Hause,  als  die 
Gerichtsdiener  eindringen  (Kab.  II,  7)  den  Hut  auf  und  macht 
sich  mit  seinem  spanischen  Rohr  zum  Angriff  gefasst;  Franz 
Moor  hat,  auch  als  er  im  Schlafrock  auftritt,  Gelegenheit, 
seine  goldene  Hutschnur  herunterzureissen  und  sich  zu  er- 
drosseln, und  Chodowieckis  Stiche  zu  den  Räubern  im  Theater- 
Kalender  1783  zeigen  auch.Amalia  zu  den  Füssen  des  alten 
Moor  in  einem  grossen  Hut;  ebenso  erscheint  bei  ihm  Lady 
Milford  in  Illustrationen  zu  Kabale  und  Liebe.  Ausnahmen 
davon  mussten  besonders  vorgeschrieben  werden,  so  heisst  es 
z.  B.  in  dem  Familiengemälde  „Die  schwere  Wahl"  von  Dyk 
im  Personenverzeichnis : 

Karl  .  .  .    ohne  Hut,   Stock  und    Degen,  als    wo   eines    davon 
ausdrücklich  angezeigt  ist. 

^)  Walter  I,  451. 

2)  Journ.  d.  Lux.  u.  d.  Med.  Okt.  1801,  S.  568.  Sogar  in  Berlin 
selbst  nahm  man  noch  später  einen  allerdings  berechtigten  Anstoss  daran, 
dass  die  Fürstin  in  Elise  v.  Valberg  ohne  Handschuhe  zu  ihrem  Gemahl 
kam.  (Brief  Raheis  vom  10.  Mai  18H,  Ivewalds  Allgemeine  Theatcr- 
Kevue  II,  S.  64.j 


—     283     — 

Übrigens  diente  die  Kopfbedeckung  auch  als  eine  brauch- 
bare Handhabe  im  Agieren,  ja  sie  konnte  zu  feineren  Aus- 
drucksbewegungen  verwendet  werden. ')  Z.  B.  in  Grüssmainis 
„Nicht  mehr  als  sechs  Schüssehi",  wo  der  Hofrat  T,  1  seine 
steigende  Erregung  dadurch  zu  erkennen  gibt: 

(seine  Mütze  abiiehniend.) 
(setzt  seine  Mütze  wieder  auf.) 

(reisst    seine    Mütze    vom    Koj)f,    und  wirft  sie    mit  Unsjestüm 
zur  Erde.) 

(setzt  seine  Mütze  wieder  auf.) 

In  Kabale  und  Liebe  dient  für  Wurm  der  Hut  zum 
Gegenstand  eines  nuancierten  Spiels. 

Ebenso  hat  das  Schnupftuch,  das  den  Schauspielern,  die 
nichts  mit  den  Händen  anzufangen  wussten,  lieschäftigung 
gab,  früher  zu  den  unentbehrlichen  Gegenständen  gehört: 
Devrient  vermutet  nach  einem  IJild  Chodowieckis,  dass  es 
sogar  noch  bei  Schröder  ein  bedeutendes  Vehikel  des  Spiels 
gebildet  habe  2);  in  Weimar  nahm  (ioethe  daran  Anstoss  und 
diktierte  Wolff  und  Grünei':  .,Üer  Schauspieler  lasse  kein 
Schiuipftuch  auf  dem  Theater  sehen. "'^j 

„Die  Traurigkeit  der  Theaterheldinnen  retirirt  sich  hinter 
ein  weissgewaschenes  Schnupftuch"  schrieb  Schiller  noch  in 
dem  Aufsatz  „Ueber  das  gegenwärtige  tcutsche  Theater''*); 
im  Fiesko  bleibt  (H,  4)  Leonorens  tränenfeuchtes  Schnupf- 
tuch auf  dem  Sofa  liegen  und  im  Don  Carlos  ist  es  dasselbe 
Requisit,  das,  in  Anlehnung  an  Othello,  zuerst  den  Verdacht 
auf  Carlos  lenkt,  (v.  2e)17.) 

Ebenso  wie  das  Schnupftuch  verbot  Goethe  auch  ein 
anderes  früher  unentbehrliches  Requisit:  .,Um  eine  freie  Be- 
wegung der  Arme  zu  erlangen,  tragen  die  Acteurs  niemals 
einen  Stock. "^) 


•)  J.  J.  Engel,  Ideen  zu  einer  Mimik  Berlin  1785.     10.  Brief  S.  107. 

2)  Devrient  II,  304. 

:')  W.  A.  I,  Bd.  40,  S.  104. 

')  Goed.  II,  S.  347. 

•')  W.  A.  I,  Bd.  40,  S.  156. 


—     284     — 

Dass  Karl  Moor  mit  einem  solchen  verseilen  sein  sollte, 
kommt  uns  merkwürdii.'-  voi-.  aber  es  ist  aussei-  dem  r)Usch 
das  Einziire.  was  iSchiller  im  lirief  an  Dalberg-  ausdrücklich 
verlauijt.  Manchmal  wurde  auch  dieses  Garderobestück  jrc- 
nauer  beschrieben ;  in  Kotzebues  Adelheid  von  Wultingen 
Avird  der  Stab  des  ^Nlistivoi  bezeichnet:  ..ein  langer  Stab,  auf 
dessen  Spitze  das  ausgeschnitzte  Bihl  eines  Piären  oder  ir^'-end 
eines  anderen  Avilden  Thieres  befestigt  ist" ;  im  Teil  ist  es 
der  Stab  Attinghausens;  .,ein  Stab,  worauf  ein  Gemscnhorn", 
und  wir  können  auch  noch  erkennen,  woher  die  Idee  dazu 
stammt:  unter  den  Exzerpten  Schillers  aus  Job.  v.  Müller 
befindet  sich  die  Aufzeichnung:  .,Der  Stab  des  ersten  Abts 
zu  Engelbcrg  aus  Ahorn  mit  einem  riemshörnchen."') 

Erst  in  den  letzten  Stücken  wird  auf  das  nationale  Kolorit 
dieser  Gegenstände  geachtet;  am  Don  Carlos  hatte  nocii  ein 
Rezensent  aussetzen  können,  dass  der  Held  ein  Portefeuille 
mit  einem  Schattem-iss  führe  wie  ein  Plaisant  des  achtzehnten 
Jahrhunderts-);  am  meisten  Vorstudien  enthält  dagegen  der 
Demetrius.  Wie  das  Kleinod,  das  der  Held  an  sich  trägt, 
beschatfen  sein  sollte,  überlegte  sicii  Schiller  sorgfältig;  aller- 
dings kam  es  auch  auf  eine  genaue  Beschreibung  im  Stück 
an,  weil  die  Erkennung  des  Demetiius  dadurch  veranlasst 
Avird.*) 

Labten  die  T\e([uisiten  eine  so  bedeutende  Einwirkung  auf 
den  Gang  dei-  Handlung  aus,  so  erirab  sich  meist  von  selbst 
eine  nähei-e  Beschreibung  im  Dialog,  z.  P).  schon  bei  den 
beiden  Silhouetten  im  Fiesko;  es  ist  von  Wichtigkeit,  dass 
die  eine  an  einem  himmelblauen,  die  andere  an  einem  feuer- 
farb  getlammten  P>ande  hing. 

Diese  Gegenstände  pflegen  beim  Auftreten  dei-  Person 
noch  nicht  an  ihr  gesehen  zu  werden;  sie  linden  erst  in  dem 
Augenblick  p]rwähnung,  wo  sie  gebraucht  Averden;  sobald  sie 


•)  Goed.  XIV,  S.  VII. 

2)  Ephemerifleii    d.  Litt.  u.  d.  Theat.,   Üciliii  17.S7.     10.  u.  17.  Nov. 
■^)  Drain.  iN'achl.  I,  S.  124.     Hebbel    legt   im  Gegensat/    zu    Schiller 
auf  die  Jieschreibung  des  Kreu/cs  gar  keinen  Wert, 


—     285     — 

. jedoch  L'clii'aiiclit  \V('r(l('ii.  sind  sie  auch  stets  zuc  Ifaiid.  Wie 
im  Schaiis])i('l  ..Die  Käiilx'i'"  das  Klavier  j^leich  in  des  alten 
Moors  .Scidatzimmer  steht,  so  hat  in  der  Jjühiieiibearbeituny 
die  Käubci'bande  ihre  Musikinstrumente  ;Lrleich  bei  sich,  wie 
reisende  Stadtmusikanteu;  im  Wallenstein  lieiit  ebenso  un- 
motiviert Theklas  Gnitarre  umher  (Picc.  IJl.  0.  W.  T.  IH.  4). 

Fiesko  wirft  die  schweren  Geldbeutel  nur  so  lieium.  und 
Iffland  hatte  dalier  nicht  Unrecht,  wenn  er  dies  in  seinem 
Mannheimer  Referat  beanstandete:  „In  einer  dieser  Scenen 
(Teilt  Fiesko  so  mit  dem  Oelde  um,  wie  ein  armer  Mann,  der 
unvernnithet  das  beste  Loos  gewinnt" ;')  so  hat  auch  die  Kboli 
gleich  ein  kostbares  Wehrgehäng  für  ihren  Pagen  in  Üeicit- 
schaft.  und  noch  im  Teil  beol)achten  wir  diescll)e  \'er- 
schwendungssuclit,  die  für  den  Dichter  ebenso  charakteristisch 
ist  wie  für  seme  Personen,  bei  HeiHia.  wenn  sie  ihr  Ge- 
schmeide unter  das  Volk  wirft  (1.  •}). 

Die  liühncnbearbeitung  der  Räuber  bi-ingt  gegenüber 
dem  ."Schauspiel  bereits  eine  Vei'besserung.  Wenn  Franz  zu 
Daniel  sagt,  IV,  2: 

Fort,  fülle  (liesiMi  lieclu'r  mit  Wein, 
so  kann    sich    niemand  erklären,    wo  Franz  in   seiner  Alnien- 
galerie  auf  einmal    den  P)echer  herzaubert;    im  „Trauei'spiel" 
heisst  es  daher  nur  noch: 

Fülle  einen  JJecher  mit  Wein. 

Wenn  Daniel  dann  zurückkommt,  heisst  es:  „mit  Wein", 
ebenso : 

Fiesko     1\',  13:  er  zeigt  das  Gift  der  Versammlung. 

Kai).         V,     7:  wirft  Gift  in  ein  Glas  Limonade. 

M.   St.      \'.     ö:  Sie  trägt  einen  goUlnen  Becher  mit  Wein. 

Während  später  die  F^rzählungsform  verschmäht  und  theater- 
mässig  nur  das  äusserlich  Erkennbare  vorgesehrieben  w  ird.  z.  R. : 

Jgfr.  V,  3:  Köhlerweili    kommt    aus    der    Hütte    mit    einem 

Becher. 
Teil   II,  1 :  Er  trinkt  aus  einem  Becher,  der  dann  in  der  Reihe 

herumgeht. 
V,  '2:  Geht  hinein  und  kommt  bald  mit  einem  Becher  wieder. 

V  Martersteig,  S.  8Ü. 


—     286     — 

Auf  die  Bezeichnung;-  der  aufjLretragenen  Speisen  hat 
Schiller  keine  besondere  Sor^ifalt  verwendet;  mit  dem  Anfan«r 
von  Kabale  und  Liebe  vergleiche  man  etwa,  Avie  einem  in 
Möllers  Sophie  I,  2  mit  dem  Frühstück  des  Stockmeiste)-s  der 
Mund  wässrig»-  gemacht  wird: 

(Bringt  zwey  Kaffeeschalen  und  Zucker  dazu,  und  zwey  Butter- 
seninieln,  auch  ein  Fläschchen  Wein  nebst  einem  Teller  mit  Schinken 
und  Semmeln). 

üas  bürgerliche  Drama  hat.  wozu  sein  Zusammenhang- 
mit  dem  Roman  beiti-ug-,  oft  die  Requisiten  unbühnenmässig- 
g-enau  beschrieben,  ein  Beispiel  Kotzebues  Menschenhass  und 
Reue,  wo  dei"  Unbekannte  Zimmermanns  P)uch  über  die  Ein- 
samkeit hervorzieht,  während  es  richtig-er  g-eheissen  hätte: 
„ein  Buch";  wenn  auf  den  Titel  etwas  ankam,  musste  er  in- 
direkt genannt  werden.  So  hat  Schiller  in  solchen  Fällen 
meistens  verfahren,  z.  B.  Fiesko  II,  18: 

(Er  öffnet  die  Schatoulle,  nimmt  ein  Paket  Briefe  heraus,  die 
er  alle  über  die  Tafel  spreitet.)  Hier  Soldaten  von  Parma  —  hier 
französisches  Geld  —  —  hier  vier  Galeeren  vom  Pabst. 

Manchmal  —  dies  entspricht  durchaus  dem  Stil  des  acht- 
zehnten Jahi-hunderts  —  sind  die  Requisiten  überhaupt  nicht 
direkt  angeg-eben,  sondern  nur  versteckt  im  Dialog-  erwähnt,  z.  B.: 

Raub.     II,  1:  „Nimm  dieses  Packet". 

Fiesko  III,  5:  Diese  Pulver  gab  mir  Signora  .  .  . 

Der  Souffleur,  dem  die  Anfertigung-  des  Requisitenzettels 
obzuliegen  pflegte,')  hatte  also  fleissige  Durchsicht  zu  halten, 
um  sich  nichts  entgehen  zu  lassen. 

Dass  dabei  oft  Missverständnisse  vorkamen,  lässt  sich 
denken;  man  war  geneigt,  figürliche  Ausdrücke  wörtlich  zu 
nehmen;  die  Frage  z.  B.,  ob  Hamlet  eine  Schreibtafel  bei 
sich  trage,  wurde  fast  allgemein  bejaht;  Garrick  und  ebenso 
Schröder  schrieben  wirklich  die  Worte:  „Man  kann  lächeln 
und  immer    lächeln ''    nieder;  -)    auch    in    der    Nach- 


i)  Ann.  d.  Theat.  1792.     9.  Heft,  S.  17. 

2)  Litzniann  II.  S.  257.  Lichtenberg,  Briefe  aus  England  (Verni. 
Schriften  III,  251 1.  Scbink  berichtet  in  seiner  Hamburg.  Theaterzeitung 
sogar  von  einem  Schauspieler,  der  sich,  um  beim  Schreiben  besser  zu  .sehen, 
eine  Lampe  aus  den  Kulissen  holte  (Hamb.  Theaterzeit.  1792,  S.  230). 


—     28?     — 

aiimuiii^'  dieser  Szene  in  Kliiiirers  Neuer  Aii'ia  IH.  4  zieht 
.lulio.  wie  ausdnieklicli  aiiLiei^eben  ist.  eine  Sclireil)tafel 
hcrvoi'. 

Die  Missverständnisse  aus  ^\■ül■tliehe^  Auffas.suui:-  Schillei-- 
seher  liilder.  die  in  den  Anekdoten  der  'IMieaterzeitschnften 
erzählt  \ver(hMi.  sind  unter  diesen  Umständen  nielit  einmal 
völUf,''  uniilauhhaft :  ein  berühmter  Sehauspicler  soll  als  Kai'l 
Moor  bei  den  Worten:  „Nehmt  ihn  zniiiek  diesen  blutii^en 
iJuseh"  einen  dunkelrot  ^'•efärbten  Federbuseli  von  sieh  i^c- 
schleudei-t  haben;  M  eine  unbedeutende  Schauspielerin  habe 
als  Grätin  Lava.üiia  bei  der  Stelle  „Auch  diesen  Dolch,  dei- 
mein  Hei'z  durchfuhr"  statt  des  Liebesbriefes  einen  wirklichen 
Dolch  hervorgezo<,''en  -),  und  ein  F-erdinand  von  \\'alter  habe 
mit  den  Worten:  „Warum  Dein  (Jift  in  so  schönen  (ret'ässen" 
das  (ilas  mit  dei'  veri.'ifteten  Limonade  in  die  Höhe  g-ehoben.  ^) 
Dass  eine  (;!rälin  Tcrzky  am  Schluss  des  Wallenstein  dem 
Oktavio  einen  <,''rossen  Schlüsselbund  übei'i'cicht  (v.  8824), 
können  wii-  ja  sog'ar  heute  noch  manchmal  erleben. 

Damals  nun  war  bei  der  platten  Diktion  der  Modedramen 
die  Bildersprache  Schillers  ,i:anz  un.i^ewohnt;  dazu  kam  noch 
die  Motivieruniislosi^keit,  mit  der  auch  wirklich  notwendit^e 
Requisiten  ein<^etuhrt  wurden. 

In  den  Dramen  des  achtzehnten  Jahihunderts  war  man 
es  nicht  anders  «^--ewohnt:  charaktei'istisch  ist  z.  1!.  der  Dolch, 
mit  dem  Ag-nese  in  iieryers  (ialora  von  N'enediy  ihre  Tochter 
ersticht;  sie  holt  ihn  vorher  schon  heraus  und  sag't: 

Kigentlich  weiss  ich  nicht,    was  ich  für   einen  Gebrauch  liavon 
machen  will,  es  ist  nur  zur  V'orsor<,'e. 

Goethe  hat  vom  W'allenstein  ab  Schiller  zu  strengerer 
Motivierung-  angehalten.     Die  Verse: 

Ein  Hauptmann,  den  ein  andrer  erstach, 
Licss  mir  ein  paar  glückliche  Würfel  nach 


1)  Ifflands  Almanach    lSü8,    S.  194.      Auch    Esslair   trug-   als    Karl 
Moor  einen  roten  Busch.     (Lewakls  Allg.  Theater-Kevue  II,  S.  59  f.J 

2)  Theat.-Kal.  1797,  S.  93. 

3)  Theat.-Kal.  1790,  S.  86. 


—     288     — 

stammen  von  ihm.  Obwohl  er  sich  im  Gespi-äcli  mit  Ecker- 
mann ^)  auf  keine  weitere  -eigene  Zutat  besinnen  konnte, 
lässt  sich  vielleicht  auch  noch  v.  95  des  Lagei's: 

Hab  sie  so  eben  im  Glücksrad  gewonnen 
auf  dieselbe  Rechnung  setzen;  die  Reimstellung-  lässt  die  Vei- 
mutung  zu.  dass  dieser  Vers  zusammen  mit  den    drei   folgen- 
den erst  spätei-  eingefügt  wurde. 

Auch  Hedwigs  Frage,   als  Teil   die  Armbrust  mitnimmt: 
Was  willst  Du  mit  der  Armbrust?  Lass  sie  hier, 
worauf  Teil  antwortet: 

Mir  fehlt  der  Arm,  wenn  mir  die  Waffe  fehlt. 

klingt  eigentlich    in    ihrer  Gewissenhaftigkeit  tSchiller   fremd. 
Dass  Goethe  auch    auf    den  Teil    hierin    Eintluss    hatte, 
hat  er  späterhin  Elckermarin   gegenüber-)    erklärt;    die  Verse 
VValthers : 

Und  das  muss  wahr  se^'n  Herr  —    nen  Apfel  schiesst 
IJer  Vater  Dir  vom  Baum  auf  hundert  Schritte, 

durch  die  Gessler  erst  auf  die  Idee  des  Apfelschusses  ge- 
bracht werden  soll,  hat  Schiller  nicht  ohne  \\'iderstreben  erst 
später  auf  seinen  Rat  eingefügt. 

Das  war  vielleicht  allzu  pedantisch;  für  die  Jugend- 
dichtungen aber  trifft  Goethes  Tadel  der  Unmotiviertheit 
zweifellos  zu. 

Das  Stärkste  ist  der  Betrug,  der  m  den  Räubern  voll- 
führt wird.  Woher  hat  Franz,  der  sich  soeben  ci'st  seinen 
Anschlag  ausgedacht  hat,  das  Packet  mit  den  Dokumenten 
und  das  präparierte  Schwert?  Und  vor  allem,  woher  hat  er 
das  iiild  Amalias? 

In  Maler  Müllers  Golo  und  Genovefa  IV,  5,  die  übrigens 
Schiller  nicht  gekannt  haben  kann,  wird  derselbe  Betrug,  aber 
besser  vorbereitet,  in  Szene  gesetzt.  Golo  sagt:  „hintergeh  sie  mit 
dei-  falschen  Nachricht  von  Siegfrieds  Tode;  Steffen  soll  Dii- 
helfen,    er  hat    alhis  dazu    in    Rereitschaft.'"     Und    trotzdem 


')  Zu  Eckermann  25.  Mai  1831.  v.  Biedermann,  Goethes  Gespr. 
VIII,  S.  88. 

■;  Zu  Grüner  11).  Aug.  1822.  Zu  Eckermann  18.  Jan.  182;'),  ebda. 
1\',  lÜü.  V,  137.     Schiller  au  Iffland  IG.  März  18U4.     Jonas  VII,  130. 


—     289     — 

(M'kennt  im  nächsten  Aufti-itt  Genovefa    tsofrleieli   die  falschen 
VV^  äffen. 

Im  Geisterseher^)  hat  Schiller  später  noch  einmal  von 
demselben  Motiv  Gehrauch  g-emacht,  und  es  fällt  auf, 
wie  gewissenhaft  er  dort  verfuhr.  Als  der  8izilianer  erzählt: 
„Als  die  Gräfin  ihn  genauer  in's  Gesicht  fasste,  war  es  ihr 
Trauring",  setzt  ihn  der  Prinz  sofort  durch  die  Frage:  „Ihr 
'l'raui'ing!  Aber  wie  gelangten  Sie  zu  diesem?''  in  Verlegen- 
heit. Und  bald  darauf  findet  der  Prinz  auch  den  Schlüssel 
zu  dem  Rätsel. 

Der  Geisterscher  war  darauf  angelegt,  für  alle  Geheim- 
nisse schliesslich  die  gewissenhaftesten  Aufklärungen  zu  geben. 
Dies  stimmt  mit  Schillers  Anschauungen  übei*  Roman  und 
Drama  überein:  als  das  Erfordernis  des  Romans  sah  er 
an,  es  durch  Durchsichtigkeit  der  Handlung  und  Wohlmotiviert- 
heit „dem  Verstände  immer  i'eclit  zu  machen",  wälu'cnd  er 
das  Ahndungsvolle ,  das  Unbegreitüche ,  das  subjectiv 
Wunderbai'e  als  Eigenheit  der  Tragödie  betrachtete,  „welches 
sich  zwar  mit  der  poetischen  Tiefe  und  Dunkelheit,  aber 
nicht  mit  der  Klarheit  sich  verträgt,  die  im  Roman  lierschen 
muss."2) 

Als  Schiller  an  Wilhelm  Meister  Kritik  übte^),  tadelte 
er  infolgedessen  das  zu  freie  Si)iel  dei'  iMubildungskraft,  das 
sich  in  der  geheimnisvollen  W  irksamkeit  des  'furmes  äussere, 
und  bezeichnete  es  als  theatralische  Maschinerie. 

Es  ist  interessant,  wie  hier  die  Grundanschauungen  der 
beiden  Dichter  auseinandergingen. 

Als  der  Erfolg  dem  Theatraliker  Schiller  späterhin 
Recht    gab,    wurde    Goethe    nachdenklich    und    glaubte    die 

')  Goed.  IV,  S.  244.  250. 
-')  An  Goethe  20.  Okt.  97.     .lonas  V,  S.  27S. 

^)  An  Goethe  8.  .Juli,  9.  .Juli  1790,  12.  Dez.  97.  Jonas  V,  20  f., 
25,  297. 

i'iilMOstra  XXXU,  10 


—     290     — 

Schuld  seiner  eig-enen  geringeren  dramatischen  Erfolge  in  der 
allzugrossen  Gewissenhaftigkeit  zu  erkennen^);  von  8chiller 
aber  sagte  er:  „Ein  sorgfältiges  Motivieren  war  nicht  seine 
»Sache,  woher  denn  auch  die  grössere  Theaterwirkung  seiner 
Stücke  kommen  mag.'* 


')  Zu  Eckerniann  18.  Januar  1825  und  2o.  Mai  1831. 
(v.  Biedermann.  Goethes  Gespräche  V.  137.  VIII,  88.) 


Drittes  Kapitel. 


1.    Die  Maske. 

„Lavatcrs  Physiognomik  .sollte  das  erste  Buch  in  jeder 
Theaterbibliothek  seyii.  Nichts  ist  für  deu  Schauspieler 
wichtige j-,  als  die  Gesichter  verschiedener  Karaktere  zu  kennen 
und  Lavatcr  kann,  muss  hier  der  Führer  sein."  Dieser  Satz 
in  Reichards  Theatei'jouinalM  darf  uns  auf  keine  falschen 
Wege  führen;  ein  bedeutender  Eintluss  Lavaters  auf  das 
Theater  bestand  nicht,  und  dei-  Däne  Rahbeck  erweist  sich 
dui-cli  diese  Behauptung  als  kein  besonders  genauer  Kenner 
der  „Physiognomischen  Fragmente";  so  wenig  Anregung  und 
Belehi'ung  findet  in  ihnen  der  Darsteller  thatsächlich. 

Damit  soll  der  enge  Zusammenhang  zwischen  Theater 
und  Physiognomik  überhaupt  keineswegs  geleugnet  wei'den; 
das  Theater  war  die  Kinderstube  der  Physiognomik,  wo  sie 
im  Spiel  und  ohne  Systemzwang  bereits  alle  späteren  Offen- 
barungen früh  vei'kündigte. 

Als  PseudoWissenschaft  war  sie  etwas  Uraltes;  es  sei 
nur    an    das    Fastnachtspiel    des    fünfzehnten    J  ahrhunderts-j 


M  Theater-Journal  für  Deutschland  177Ü  XIII,  S.  S.  Kahheck,  Briefe 
eines  alten  Schauspielers  an  seinen  Sohn,  übers,  v.  Reichel.  Kopenh.  u. 
Leipzig  1785.  Dass  ein  psychologisches  Studium  iler  Physiognomik  für 
den  Schauspieler  notwendig  sei.  betont  auch  v.  Eiusiedel,  Grundlagen  zu 
einer  Th((orie  d.  Schauspielkunst,  Leipzig  1797,  S.  84  f. 

')  Keller,  Fastnachtspielc  lid.  I,  Xr.  17.  „Ein  Spiel  von  Fürsten 
und  Herren." 

19* 


—     292     — 

erinnert,  worin  der  Allerweltsmeister  Aristoteles  verhöhnt  wird, 
weil  er  sich  vermisst,  am  Gesicht  zu  erkennen, 

„warzu  ider  mensch  sei  gericht." 

Dieselben  Darsteller,  die  sich  damals  zum  vSpott  über  die 
Physiognomik  hergaben,  haben  ihr  aber  sicherlich  bereits  ge- 
dient, denn  es  kann  g-ar  kein  Zweifel  sein,  dass  ihre  Masken, 
wie  es  ja  im  Beg-riif  der  Maske  liegt,  den  Charakter  der  Rolle 
mög"lichst  zum  Ausdruck  brachten,  also  physiogfnomisch  waren. 

Lavater  war  nur  zu  theaterfremd,  sonst  hätte  er  die  be- 
rühmten fSchauspieler  für  seine  Tiieorie  ebenso  wie  die  gn-ossen 
Maler  ins  Feld  geführt;  so  erwcähnt  er  nur  einmal  ganz  kurz 
den  Physiog'nomisten  G  arrick.  ^ ) 

Wenn  nun  die  Physiognomik  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
Gesetze,  die  das  Theater  längst  gelten  Hess,  auf  das  wirkliche 
Leben  übertrug,  so  gewann  das  Theater  selbst  dabei  zunächst 
am  wenigsten.  Anders  liegt  es  beim  Roman;  dort  dringt  in 
der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  von  England  her  ein 
ganz  neues  Element  ein,  und  erst  vom  Roman  aus  geht  die 
Freude  an  der  Personalbeschreibung  ins  Drama  über^).  Das 
Drama  hatte  nun  wiederum  eine  Rückwirkung  auf  das  Theater: 
durch  die  genaueren  Vorschriften  des  Dichters  wurde  der 
»Schauspieler  vor  neue  Aufgaben  gestellt  und  die  Mannig- 
faltigkeit dei'  Theatermasken  bereichert. 

Im  letzten  Viertel  des  achtzehnten  Jahrhunderts  spiegelt 
das  Drama  die  physiognomische  Mode  wieder.  In  Ifflands 
„Albert  von  Thurncisen"  wird  eine  Hilhouettensammlung  ge- 
mustert; in  Jjretznei's  schwachem  Ijustspiel  „Karl  und  yophie 

«.  1)  Physiogn.  Fragni.  I  illl^)),  S.  181. 
')  Riemann,  Euphorion  VII,  S.  497  ff. 

So  stellt  z.  B.  Mercier  den  Dramatikern  direkt  englische  Romane 
als  Vorbild  hin:  „Seht,  wie  Richardson  tief  in  die  Geheimnisse  einer 
Familie  eindringt,  wie  er  ihre  Absichten,  ihren  Zweck,  ihren  Rarakter  zu 

haschen  weiss; wie  er  sie    von    allen  Seiten  her   zeigt;    er    studiert 

ihre  Geberden,  ihre  Stellungen,  ihre  kleinsten  Bewegungen,  er  malt  ihre 
Blicke,  sogar  den  Ton  ihrer  Stimme  drückt  er  aus.  (Neuer  Versuch 
S.  25.3  f.)  Voraus  ging  Diderots  .J^^loge  de  Richardson"  Ebenso  empfahl 
Lessing  den  Schauspielern  die  Luktüre  des  „Tristram  Shandy".  Höttiger, 
Entwickl.  d.  Iffl.  Spiels  S    24ü. 


—      293     — 

oder  Die  Physiognomisten'"  liegt  es  im  Thema,  dassalle  Personen 
physiogniomiseli  durchg-eliechelt  werden ;  natürlich  mit  den 
falschesten  Resultaten,  denn  es  handelt  sich  um  eine  Ver- 
spottung- dieser  Mode.  Von  den  ersten  JStüi'mern  und  Di'ängern 
dag-eg-en  werden  die  physiog-nomischen  Bestrebungen  ganz  ernst 
g"enonnnen;  wii*  hören  direkte  Anklänge  an  die  „Frag-mente", 
wenn  in  Kling^ers  „Neuer  Arria"  Solina  in  ihrem  Geliebten 
den  lilick  Cäsars  sucht,  wenn  (Jalbino,  getreu  Lavaters 
Empfehlung,  den  Höfling  Ludoviko  einei-  physiognomischen 
Diagnose  unteiv.ieht,  oder  wenn  in  Wagners  .,Reue  nach  der 
That"  dei'  Held  aus  dem  i)i!de  der  (Jeliebtcn  ihren  Charakter 
herausliest: 

„Sehen  Sie  diese  hohe  sanftgewülbte  Stiine;  das  wahre  Ideal 
der  Sanftnmth  und  der  Zärtlichkeit:  himmlische  Seelenruh  scheint 
darauf  zu  schweben:  —  Dieser  fast  unmerkliche  Uebergang zur  Xase. 
wie  viele  Gleichheit  und  Festigkeit  im  Charakter  drückt  er  nicht 
aus!  —  Die  Nase  selbst  und  die  Wellenlinien  weiter  zum  Kinn 
herab,  kann  man  sich  was  schöners,  was  edlers  an  einem  Mädchen 
denken?  Unschuld,  Sittsamkeit,  Empfindung,  alles  liegt  da  drinn; 
ihr  gutes  Herz  zeigt  sich  im  Ganzen  und  ist  in  jedem  einzelnen 
Theile  sichtbar.'" 

Während  der  stürmische  Klinger  sich  mit  der  hei'oischen 
Physiognomik  Goethes')  bei'ührt,  hören  wir  aus  Wagners 
.Schilderung  den  echten  Lavatei-  heraus  mit  dem  liebens- 
würdigen Optimismus  seiner  Physiognomik,  die  ein  „Pfeiler 
der  Freundschaft  und  Achtung"  sein  will,  die  nur  auf  das 
Gute  sieht  und  die  Versicherung  vorausschickt,  keine  Menschen- 
seele habe  sich  vor  ihrem  Blicke  zu  füi'chten'). 

Der  junge  Tragiker  dagegen,  der  erhabene  Verbrecher 
durch  den  allmächtigen  Ruf  der  Dichtung  vorlud^),  konnte 
mit  dei'  Satirc    des   Musäus  übereinstimmen,    wenn  ilieser  als 


')  E.  V.  d.  Hellen,    Goethes  Anteil    an   Lavaters  Physiognom.  Frag- 
menten. S.  186  iF. 

')  Physiognom.    Fragm.    zur  Beförderung    der  Menschenkenntnis  und 
Menschenliebe  I,  12.  11,  27  ff.  III,  .30  fl'. 
')  Goed.  III,  514. 


—      294      — 

Er^änzuiiK  auch  eine  Physiognomik  des  Lasters  fordertet. 
Schiller  verlangte  sogar  von  seinen  Freunden  die  Anlage  zu 
kühnen  Tugenden  oder  A'crbrechen"');  wie  wenig  konnte  es 
ihn  also  interessieren,  in  einem  Durchschnittsgesicht  die  Vor- 
züge bürgerlicher  Friedfertigkeit  zu  linden:  ,,Einc  unthätigc 
und  schwache  öeele,  die  niemal  in  Leidenschaften  überwallt, 
hat  gar  keine  Physiognomie,  Avenn  nicht  eben  der  ]\Iangel 
derselben  die  Physiognomie  dei-  Simpel  ist."^) 

Auch  als  Dramatiker  sieht  er  nur  die  Hauptpersonen, 
die  ihn  interessieren,  mit  einiger  Schärfe  vor  sich.  Während 
des  jungen  Goethe  vei'schwenderischcr  .Vnschauungsi'eichtum 
im  Gottfried  von  Berlichingen  den  Zigeunei-knaben  mit  seinem 
eingedrückten  Nasbein,  den  Haaren  Avie  ein  Doi'nstrauch, 
Augen  wie's  Irrlicht  auf  der  Haidc,  Zähnen  wie  Helfenbein. 
zum  Greifen  vor  uns  hinstellt,  hat  Schiller  für  Karl  Moors 
Gesellen  nur  wenig  Farben  auf  der  Palette:  Spiegelbergs 
Pralätsbauch  und  SchAveizers  Narben  auf  der  Stirne  sind  das 
einzige,  Avas  charakterisiert  Avird.  Der  junge  Dichter  mag 
selbst  einen  gCAvissen  Mangel  empfunden  haben,  und  das  ist 
vielleicht  der  Gi'und,  Aveshalb  er  sich  beim  Fiesko  zAvang, 
schon  im  Personenvei'zeichnis  die  Erscheinung  der  einzelnen 
Personen  festzuhalten ;  aber  im  A\-esentlichen  bleibt  die  Be- 
schreibung auch  da  bei  den  inneren  Charakterzügen. 

Immei'hin  veranlasste  die  Fülle  der  Gesichter  zu  feineren 
Kontrasten  und  Abtönungen,  Avährend  in  den  Räubern  und 
auch  Avieder  in  den  späteren  Stücken  die  Personenbeschi'eibung 

>)  Physiognom.  Reisen.    3.  Aufl.   Altenb.  1781.    I.  45.  II,  2()-2f.,  205. 

Schiller  interessierte  sich  für  Musäus  (An  Keinwald  15.  .Tiini  1783, 
Jonas  I,  133).  Dass  er  Lavaters  Werli  wohl  kannte,  zeigt  Spiegelbergs 
Emj3fehlung,  diejenigen  für  die  Bande  zu  werben,  die  am  meisten  wider 
die  l'hysiognoniik  eifern.  Dies  bezieht  sich  auf  l'hysiogn.  Fragni.  I,  19: 
^Die  meisten  eifern  wider  ilie  l'hysiognoniik.   weil  sie  das  Licht  derselben 

scheuen Nicht  alle,  die  widor  die  l'hysiognoniik    eifern,    sind  böse 

Menschen Alier  das  darf  ich  behaupten:  Beynahe  alle  böse,  schlimme 

Menschen  eifern  darwider."  An  Ansehen  hatte  Lavater  bereits  durch 
seinen  Besuch  auf  der  Solitude  (1774)  eingebüsst.     (Minor  I,  285.) 

')  An  Körner  29.  Aug.  87.     Jonas  I,  399. 

^)  Goed.  I,  171. 


—     295     — 

nur  in  einer  Richtung-  auf  das  Extreme  losjreht.^)  Für  das 
Abstossende  offenbart  sich  dabei  ein  schärferes  Beobachtungs- 
vermöiren  als  für  die  gewinnenden  Züge. 

Amalia  ergeht  sich  vor  dem  Bilde  ihres  Geliebten  nur 
in  Schwärmereien:  „Die  träge  Farbe  reicht  nicht,  den  himm- 
lischen Geist  nachzuspiegeln,  der  in  seinem  feurigen  Auge 
herrschte";  wie  anders  versteht  es  Franz,  der  mit  dem  Auge 
des  Hasses  sieht,  in  wenigen  »Sti'ichen  den  liruder  zu  zeichnen: 
„Sein  langer  Gänsehals  —  seine  schwarzen  feuerwerfenden 
Augen  —  sein  finsteres  übei'hangendes  buschiehtes  Augen- 
braun". Und  nun  gar,  welche  Überfülle  des  Ausdrucks  steht 
ihm  bei  dem  ekelerregenden  Phantasiebilde  des  siechen  Lüst- 
lings (I,  3)  zur  Verfügung!  Dort  erkennen  wir  deutlich, 
woher  die  Farben  entnommen  sind  ;  es  ist  das  medizinische 
Studium,  das  des  jungen  Dichters  Blick  einseitig  für  das 
Pathologische  geschärft  hat. 

Auf  die  physiologischen  Jugendkeinitnisse  geht  auch 
Schillei's  spätere  physiognomische  Theoiüe  zurück.  Die  in 
„Anmut  und  Würde"")  entwickelte  Lehre  von  den  „vei'festeten 
Bewegungen",  den  „in  Züge  übergegangenen  Gebärden",  die 
dei-  moderne  Physioi^nomikei*  Piderit  noch  seinem  System  zu 
(ii-unde  legt^),  findet  sieh  schon  17S2  in  der  Abhandlung  „über 
den  Zusammenhang  der  thierischen  Natur  des  Menschen  mit 
seiner  geistigen"'*)  ausgefühit:  „Wird  der  zur  Fertigkeit  ge- 
wordene Affekt  dauernder  Karakter,  so  werden  auch 
diese  konsensuellen  Züge  der  Maschine  tiefer  eingegraben,  sie 
bleiben,  wenn  ich  das  Woi't  von  dem  Pathologen  entlehnen 
darf,  deuteropathisch  zurück,  und  werden  endlich  organiscii. 
So  formii't  sich  endlich  die  feste  perennirende  Physiognomie 
des  Menschen,  dass  es  beinahe  leichtei'  ist,  die  Seele  nachher 
noch  umzuändern  als  die   IJiidunir." 

^)  Anders  der  junge  Goethe,    dessen  l)erauschter  Franz    in    iler    hin- 
reissenden Schönheit  Adelheids  doch  bereits   den  lauernden  Zug  entdeckt. 
-')  Goed.  X,  79.  81.  89.  9(5  f. 

')  E'iderit,  Miuiik  u.  Physiognomik.     2.  Aufl.   DctinoM  188«!.  S.  189  ff. 
•")  Goed.  I,  171.     Dazu  Minor  I,  27G,  281  f. 


—     296     — 

Diese  Theorie  ist  nicht  Schillers  Eigentum,  sondern  bereits 
AUiremeingut  der  Zeit;  auch  von  Lavater  selbst  war  sie  an- 
erkannt, besonders  nachdem  sie  ihm  von  Lichtenberg  entgegen- 
gehalten war.^) 

Lichtenberg  nun  zieht  auch  bereits  die  dramatische  Poesie 
in  den  Kreis  seiner  Betrachtungen :  Shakespeare  sei  verhält- 
nismässig arm  an  eigentlich  physiognomischen,  dagegen  voll 
der  herrlichsten  pathognomischen  Beobachtungen. 

Wie  weit  diese  Behauptung  für  Shakespeare  wirklich 
zutrifft,  lasse  ich  dahingestellt;  für  Schiller  lässt  sie  sich  mit 
vollem  Rechte  wiederholen :  entsprechend  der  Theorie,  die 
eine  Physiognomik  einzelner  organischer  Teile  anzweifelt,  sind 
viel  weniger  die  festen  als  die  veränderlichen  Gesiehtsteile 
charakterisiert.  Die  Nase  —  nach  Lavater  „eines  der  wicli- 
tigsten,  der  entscheidendsten,  sensibelsten,  und  zugleich  un- 
verstellbarsten Theile  des  menschlichen  Angesichts"')  —  ist 
nur  bei  Franz  Moor  bezeichnet:  „Warum  gerade  mir  die 
Lappländers  Nase?";  das  herausgequollene  Kinn  bei  Wurm; 
die  Stirnform  —  „das  unverstcllbarste,  sicherste  Monument, 
die  Festung,  die  Residenz,  die  Gränze  des  menschlichen 
Geistes"^)  —  nur  bei  Isabella  in  der  Braut  von  Messina. 

Dagegen  sind  die  Stirnfalten  bei  Verrina  sowohl  wie  bei 
Octavio  (W,  T.  1642)  in  bedeutsamer  Weise  hervorgehoben, 
im  Gegensatz  dazu  die  offene  Stirn  Wallensteins  (W.  T.  746  if., 
2460);  noch  mehr  verraten  die  Gesichtsmuskeln:  beim  alten 
Moor  ist  es  der  „sanftmütige  Zug  um  den  Mund,  der  ihn  aus 
Tausenden  kenntlich  macht":  .Julia  Imperiali  hat  „im  Gesicht 
eyien  bösen  moquanten  Karakter." 

\\'ährend  Lichtenberg  die  fetten  Gesichter  beneidet,  die 
unter  dem  Speck  ihre  Regungen  verbergen,  indessen  bei  den 
Mageren    die    Seele    unmittelbai-    unter    der   Epidermis    sitzt, 

•)  Fhysiogn.  Fiagin.  I,  31,  63.  III,  lu  f.  IV,  35  ff'.  Lichtenberg, 
Vermischte  Schriften  (1844)  IV,  45,  49,  59,  03,  64,  67.  Heinse,  Ardhing- 
hello  hrsg.  v.  liiiiihe  I,  257.  Nicolai,  Heise  durch  Deutschld.  u.  d.  Schweiz 
I,  135.     V.  d.  llclieii,  Goethes  Anteil  an  Lavaters  Fhysiogn.  Fragni.  S.  6. 

■-')   l'hysiogn.  Fragin.  I,  2.J7.   IV,  257  tf. 

')  Bbda.  I,  124,  219  If. 


—     297     — 

macht  Schillers  Physiognomik  auch  die  Abirezehrthcit  <les 
Gesichtes  von  der  ruhelosen  Leidenschaft  abhängig.  Wenn 
er  mit  BeziehunL--  auf  Shakespeares  hageren  Cassius  davon 
spricht,  wie  der  schleichende  Zorn  die  Säfte  des  Thebens  aus- 
trockne und  bleiche  Gesichter  mache,  denen  der  innere  Gram 
aus  den  hohlen,  tiefliegenden  Augen  blicke,  so  gibt  diese 
Stelle^)  auch  einen  Kommentar  /u  dem  „hageren  Wollüstling" 
Kalkagno,  auf  dessen  Gesicht  Yerrina  noch  eine  besondere 
Unruhe  arbeiten  sieht.  Auch  auf  den  Wangen  Leonorens, 
die  schon  im  Personenverzeichnis  als  ..blass"  angegeben  ist, 
..kränkelt  die  misfärbige  I.eidenschaft"  ;  das  frische  Kot  .Julias 
dagegen  muss  man  sich  —  was  die  Bühnendarstellung  kaum 
deutlich  machen  kann  —  als  Toilettenkunst  denken.     (U.  2.) 

Das  Ausdrucksvollste  an  den  Schillerschen  Figuren  sind 
iilick,  Haltung  und  Gan^-;  sie  zeichnen  besonders  den  Helden 
aus:  „Heldenmuth  und  Unerschrockenheit  ströhmen  Leben 
und  Kraft  durch  Adern  und  Muskeln.  Funken  sj)rühen  aus 
den  Augen,  die  lirust  steigt....  dei-  Stolz  richtet  den 
Körper  auf,  so  wie  die  Seele  steigt.''^)  Während  die 
Schleicher  Franz  und  Wurm  durch  den  Basiliskenblick  und 
die  kleinen  tückischen  MausauL-en  «.'ezeichnet  sind.  bezwiuL-'t 
Karl  Mooi-  mit  seinem  ..lilick,  der  die  Herrlichkeit,  den  Pomp, 
die  Triumpfe  der  Grossen  vernichtet",  nicht  nur  Amalia, 
sondern  auch  Kosinsky  und  sogar  Franz;  Leonore  schwärmt 
von  dem  wetterleuchtenden  Auge  Fieskos  und  seinem  stolzen 
Gang,  „als  wenn  das  Durchlauchtige  Genua  auf  seinen  jungen 
Schultern  sich  wiegte";  Deveroux  fürchtet  den  Blick  Wallen- 
steins  mehi-  als  seinen  Degen,  und  Don  Cesar  hat  mit  seinen 
Flammenaui^eii   JJeati-icens    innere  Ruhe  gestört   (v.    1089    if.). 

Die  Farbe  des  Auges  ist  selten  bestimmt,  nur  bei  Karl 
Moo)-.  Luise  Miller,  König  Philipp  und  Isabella;  natürlich 
niemals  als  direkte  Vorschrift,  da  sie  weder  vom  Schausjjieler 
v'ei'ändei-t.  noch  vom  entfernteren  Publikum  eikanut  werden 
kaini. 

')  Uoed.  I,  170. 


—     298     — 

Welche  Rolle  die  Augenfarbe  in  der  Frage  nach  dem 
Modell  des  Dichters  spielen  kann,  sehen  Avir  an  Goethes 
schwarzäugiger  Lotte  im  Werther;  bei  8chiller  sind  es  die 
Vergissmeinnichtaugen  Luisens,  die  auf  die  Mannheimer  Schau- 
spielerin Karoline  Ziegler  hinweisen.  Wenn  Diderot^)  ge- 
schrieben hatte  :  „Man  gebe  seinen  Personen  eine  gewisse 
Physiognomie,  aber  nie  die  Physiognomie  der  Schauspieler. 
Der  Schauspieler  muss  sich  nach  der  Rolle,  und  nicht  die 
Rolle  nach  dem  Schauspieler  bequemen"  —  so  hat  Schiller 
in  Kabale  und  Liebe  diesem  Rat  zuwidergehandelt.  Aber 
für  das  Äussere,  namentlich  Millers,  dessen  Rolle  Beil 
geradezu  auf  den  Leib  geschrieben  sein  soll,  hat  sich  doch 
nur  wenig  ergeben. 

Zu  Karl  Moors  buschigen  Augenbrauen  und  dem  langen 
Gänsehals  mag  der  Dichter  sich  selbst  Modell  gestanden 
haben '^),  doch  erstreckt  sich  die  Übereinstimmung  nicht  bis 
zur  Augenfarbe  und  sicherlich  auch  nicht  auf  das  rötliche 
Haar  Schillers.  Übrigens  ist  wohl  ein  subjektives  Element 
dabei,  wenn  dieser  in  der  physiologischen  Abhandlung  gerade 
der  Höhe  des  Halses  und  dei-  Haarfarbe  physiognomische 
Jiedeutung  abstreitet,  .,wenn  auch  Lavatei"  noch  durch  zehcn 
Quartbände  schwärmen  sollte." 

Die  Physiognomik  der  Haare  ist  eine  der  ältesten  und 
vulgärsten;  das 

non  tibi  sit  rufus  unquam  specialis  aii)icus^) 

wurde  schon  auf  dem  mittelalterlichen  Theater  durch  die 
Maske  des  Bösewichts  illustriert.  Noch  bei  den  Stürmern 
und  Drängern  wirkt  die  Tradition  (vgl.  den  Rotkopf  Ludoviko 
in  Klingers  neuer  Arria  (IV,  5)  oder  die  .Justizrätin  in 
Wagners  Reue  nach  der  That),  und  wie  mächtig  sie  war,  zeigt 
Schiller,  der  seiner  eigenen  Farbe  zum  Trotz  Wurm  rothaarig, 
allerdings  brandrot,  dargestellt  wünschte.     Auch  Franz  Moor, 


')  Theater  (Lessings  Übers )  II,  387. 
'0  Weltrich  I,  325.     Minor  I,  320. 

^)  Ruodlieb,  hrsg.  v.  Seiler,  S.  50,  245.     Creizenach,  Gesoh.  d.  neueren 
Dramas  I,  123. 


—     299     — 

bei  (1cm  dies  nicht  ausgesprochen  ist,  wurde  meistens  im 
Trcg-ensatz  zum  schwarzloekigen  Bruder  in  der  üblichen  Perrücke 
des  Bösewichts  i,''espielt:  durch  einen  Höcker  und  schielende 
Auiren  pfleirtc  der  Eindinick  noch  verstärkt  zu  werden. 
Iffland.  der  diese  Mittel  verschmähte,  und  den  Edelmann  im 
Äusseren  herauskehrte,  wusste  doch,  dass  er  nicht  überall 
der  rohen  Karrikatur  yeirenüber  werde  durchdringen  können; 
in  Wien  wagte  er  den  Franz  nicht  zu  spielen,  weil  er  Ochsen- 
heimers  rote  Perrücke  —  damit  bezeichnete  er  die  ganze  Auf- 
fassung —  scheute.') 

Die  traditionelle  Maske,  die  sich  beim  Franz  Moor  zum 
rJlück  nicht  erhalten  hat,  kann  als  8chauspielerzutat  mit  der 
Figur  eines  Dichters  fest  verwachsen;  wir  sind  z.  1>.  ge- 
zwungen, uns  Gretchen  mit  blonden  Zöpfen  vorzustellen,  ob- 
gleich Goethe  nichts  darüber  ausgesprochen  hat.^j 

J'>ei  dem  Frauenhaar  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  die 
Mode,  es  ungepudert  zu  ti'agen,  noch  ziemlich  junL-"  war ; 
Lessings  Appiani  spricht  den  ausdrücklichen  Wunsch  aus.  das 
Haar  der  Braut  ..in  seinem  eigenen  braunen  Glänze,  in  Locken, 
wie  sie  die  Natur  schlug",  zu  sehen;  damals  hatte  aber  der 
junge  Goethe  bereits  die  offene  Locken pracht  der  (Jeliebten 
besungen : 

Fest  waren  wir  an  sie  gehangen. 

Wir  streichelten  die  runden  Waniren. 

Und  gleiteten  oft  mit  Verlangen 

Von  da  herab  zur  rundern  Brust. 
Wie  die    Helden    der    Geniezeit   es    lieben,    den    Kamm 
aus  den  Haaren   der  Geliebten    zu    ziehen    und    sich    in    die 
herabfallenden  Lockenketten   zu  schliniren.^)    so    wühlt    auch 


')  Ifflands  Almanach  1><07.  S.  57  tf..  72  f.  Büttiger,  Kntwickl. 
d.  li'fi.  Siticls,  S.  103.  Ileinr.  Schniiiit,  Erinn.  e.  Weini.  Veteranen,  S.  119. 
Funck,  Erinn.  a.  ni.  Leben  11,  KKJ  f.     Theat.-Kal.  17S4,  S.  112. 

■')  In  diesem  Falle  hat  freilich  die  bildende  Kunst  zuerst  den  Typus 
festgelegt.  (G.-.J.  XVII,  260). 

')  Klingers  Leidendes  Weib  fesselt  Brand  mit  ihren  Haaren;  Almire 
windet  ihre  Ijocken  als  Liebesketten  in  die  dunkeln  Grisaldos;  Fernando 
wickelt  seine  Arme  in  Stellas  Idond  herabfiutendes  Haar.  E.  Schmidt. 
Lenz  u.  Klinger,  S.  ii2.     R.  Weissenfeis,  Cioethe  im  Sturm  und  Drang  I,  -12*J. 


—     300     — 

Ficsko  in  <len  Haaren  der  Julia  Inipcriali  und  brinirt  ihre 
liinauf^L-'ezwunirene  hohe  Fri.sur  in  Unordnung.  Von  der  Haar- 
farbe erfahren  wir  dabei  nichts,  ebenso  wenig  bei  Maria 
Stuart  („Die  schöne  Locke,  dieses  seidne  Haar");  dagegen 
hören  wir  von  der  Blondine  Luise  Miller,  von  den  goldenen 
Locken  der  Jungfrau,  den  braunen  der  Isabella. 

Eine  bedeutende  Rolle  spielt  die  Haarfarbe  bei  den 
ältei'en  ^lännern,  wo  sie  als  Symptom  der  Rüstigkeit  oder 
des  erlittenen  Kummers  auftritt:  Wallenstein  hat  sich  noch 
sein  braunes  Öcheitelhaar  erhalten,  während  Gordon  und 
Rutler  bereits  ergraut  sind.  Mit  den  Silberlocken  des  ver- 
ehrungswürdigen Greises  wird  in  der  ganzen  Periode  ein  be- 
sonderer Kultus^)  getrieben;  dahin  gehört  es,  wenn  im  fürchter- 
lichen Traum  des  Franz  Moor  eine  einzige  Locke  von  dem 
silbernen  Haupthaar  des  Vaters  die  Schale  der  Sünde  zu  Roden 
drückt,  wenn  Schweizer  bei  denselben  heiligen  Locken  den 
Racheschwur  leistet;  wenn  Andreas  Doria  dem  Lomellin  seine 
letzte  eisgraue  Haarlocke  als  Vermächtnis  für  Genua  mitgibt. 

Wenn  Schillers  Personen  (Daniel,  Andreas  Doria,  Miller, 
König  Philipp)  mit  Vorliebe  von  ihren  eigenen  grauen  Haaren 
sprechen,  so  erkennen  wir  das  Voi'bild  dafür  bei  Klinger.-) 


')  Brahni,  Kitterdrania  S.  55,  199,  202. 
Flaischlen,  Gemmingen,  S.  119. 
Eloesser,  Das  bürgerl.  Drama,  S.  42. 
^)  Otto     I,  5:  Wieburg:  meine  grauen  Haare 
II,  2:  Herzog:  meine  graue  Haare 
III,  1:  Wie  bürg:  Lass  dir  noch  was  von  einem  alten  Manne 

sagen,  dessen  Haare  weiss  worden  sind! 
III,  S:  Herzog:  Aber,    wird  er  mich  kennen?    seinen   alten 
Vater,  dem  er  Gram  gemacht  hat,  seine  Haare 
weiss  gefärbt,  mehr  als  das  Alter. 
Zwillinge  II,  2:  Alter  Guelfo:  meine  grauen  Haare  .sollen  sicli  weiss 
färben. 
Simsone  Grisaldo  II.  2:  Fernando:  0    Bastiano!    Meine    Haare    .sind    vor 

der  Zeit  grau  worden  um  Dich. 
Sturm  u.  Drang    I,  2:  TJerkley:  Ich  bin  ein  grauer  alter  Kerl 
II  Sehen  Sie  meine  grauen   Haare 

V,  12;  und  meine  grau."  Haare,  mein  alter  Kopf. 


—     301     — 

Zu  jenen  Greisen,  die  wie  die  Vätei'  in  Kliniiei-s  Dramen 
aus  Gram  vor  der  Zeit  i:ealtert  sind,  i^eliürt  auch  dci-  alle 
Moor.  Der  Kummer  hat  ihn  zu  einem  aehtzii^.jlihriuen  Mainie 
g-emacht,  während  Karl  das  wirkliche  Alter  seines  Vatei's 
verrät,  indem  er  ihn  in  dei'  lUlhnenbearbeitunu"  „8echzi<4:jähri^'-er" 
ani'edet. 

Der  Unterschied  zwischen  dem  tatsächlichen  Alter  inid 
dem  scheinbaren,  das  sich  im  Äussern  kuiubibt  und  für  die 
Maske  des  Schaus])ielers  massgebend  ist,  tritt  niri.'ends  so 
schi'otf  auf;  immerhin  muss  l)eachtet  werden,  dass  manche 
indii-ekten  Altersang-aben  nui'  subjektiv  das  Aussehen  charak- 
terisieren, z.  1>.  wenn  Karl  Mooi'  zu  Anialia  saiit: 

Sie  können  nicht  drcy  uml  zwanzig  .Tahre  alt  .seyn.') 

oder  Dom  Karlos  (in  der  Thalia)  zum  Paaren: 

Du  bist  sechszehn  .Jahr  alt, 
mehr  Itist  du  nicht  — 

Ein  ausdrücklichei-  Kontiast  zwischen  u  iiklichem  und 
vortreblichem  Alter  war  spätei-  wiedei-  bei  den  Kindern  des 
Hauses-)  vort^esehen : 

„Sie  [Madelonj  war  zur  Zeit  des  Stücks  34  .lahr  und  gab  sich 
für  27  aus.     Saintfoix  ist  20,  alter  wird  für  23  ausgegeben." 

Wallenstein  sieht  jünyer  aus,  als  er  ist,  denn  er  liat 
sich  in  den  letzten  Kriej,'esjahren  nicht  verändert  (Picc. 
739  tt'.): 

Mein  Vater 
Hat  nicht  gealtert  —   Wie  sein  Hild  in  mir  gelebt, 
So  steht  er  blühend  jetzt  vor  meinen  Augen. 

Thekla  hat  den  Vater  neun  Jahi-e  lan?  nicht  fresehen 
(W.  T.  1823);  wenn  man  mit  dieser  Zeitangabe  eine  andere 
(Picc.  737)  kombiniert: 

Kaum  zähltest  du  acht  .Tahre. 
Als  du  sein  Angesicht  zuletzt  gesehn. 

SO    erg-ibt    sich    l'hekhis  Alter    als    siebzehn    .Jahre;    Schiller 
hat  sich  das  wohl  überlegt,    wie  seine  zweimalig'-e  Korrektur, 


*)  Im  Trauerspiel:  zwei  und  zwanzig  Jahr. 

■j  Drani.  Xachl.  II,  84.     Gleichzeitig  heisst  es.  Saintfoix  sei  12  .Fahre 
jünger  als  Madeion 


—     302     — 

von    fünf    Jahren    zu    sechs    und  schliesslich    zu    acht,    be- 
weist.^) 

Überhaupt  war  Schiller  in  den  Altersangaben  der  einzelnen 
Personen  g-enauer  als  in  den  Zeitbe8timmung"en  der  Handlung,  das 
erkennen  wir  aus  den  späteren  Entwürfen  z.  73.  den  Kindern 
des  Hauses ,  oder  auch  bei  den  Malthesern ,  wo  ein 
Verzeichnis  der  einzelnen  Figui'en  nach  ihren  Alters- 
stufen angelegt  ist.'')  Im  Fiesko  sind  die  direkten  Altersan- 
gaben wh'klich  auf  das  Personenverzeichnis  gesetzt  worden, 
wie  es  sonst  eigentlich  nui'  bei  den  Kinderrollen  üblich  war.') 

Endlich  kann  das  Alter  auch  innerhalb  des  Stückes  beim 
ersten  Auftreten  einer  Person  direkt  genannt  werden,  so  beim 
Grossinquisitor  und  bei  Attinghausen;  ausserhalb  des  Stückes 
blieb  dem  Dichter  die  Möglichkeit,  seine  Vorscliiiften  brieflich 
den  Theaterdirektoren  mitzuteilen,  wie  Schiller  es  bei  Maria 
Stuart*)  tat: 

Maria  ist  in  dem  Stück  etwa    25  und  Elisabeth    höchstens   3ü 

Jahre  alt Mortimer  braucht  nicht    älter  als  21  oder   22  .Jahre 

zu  seyn. 

Das  Häufigste  abei'  sind  die  indü'ekten  Angaben  im 
Munde  der  Personen,  wozu  mehrmals  durch  den  Geburtstag*) 
Anlass  gegeben  wird: 

Raub.  III,  2:  ich  bin  vier  und  zwanzig  Jahr  alt. 

IV,  2:  heute  ein  und  siebenzig-  .Jahr  alt. 
Kab.  III,  4:  der  morgen  sechzig  alt  wird. 

IV,  7:  Sechszehn  gewesen. 
Carlos  V.  liS  (Thalia):    kaum    zwei    und    zwanzig    Frühlingen 
entflogen. 


*)  Hier    hat    die    Verbesserung    keinen    metrischen    Grund,    wie    im 
Don  Carlos  v.  311,  wo  der  Wortlaut  der  Thalia: 

„An  mir  verloren  waren  —  Sieben  Jahre" 
seit  17H7  verändert  ist  in: 

„iJer  Liebe  zarten  Keim  zertrat?  Sechs  Jahre 

Hatt'  ich  gelebt ■' 

»)  Drani.  Nachl.  II,  23,  86. 

')  Siehe  oben  S.  54. 

*)  An  Iffland  22.  Juni,  19.  Nov.  1800,  .lonas  VI,  164,  216. 

'•)  Siehe  oben  S.  115. 


—     303     — 

V.  973:  ein  ilreyiniiizwanzigjähr'g-er  Jüii<fling. 
V.  2U37  f.:  und   riiilipp 

Wird  sechzi^f  Jahr  alt. 
Menschenfeind  I.  8:  Ich  bin  heute  fünfzis:  .Jahr  alt. 

W.  T.  2548  rt". :  Wohl  dreissif,'  Jahre  sinds.     Da  strebte  schon 
Der  kühne  Mut   im  zwanzigjähr'gen  Jüngling. 

Manchmal  ist  auch  nur  das  Altersverhältnis  zwischen 
zwei  Personen  unbestimmt  ausgesprochen,  wie  zwischen  (iordon 
und  Wallenstein,  Don  Manuel  und  Don  Cesar. 

Gewisse  Altersstufen  sind  in  den  ersten  Stücken  typisch, 
so  sechzig--  Jahi-e  für  die  Väter:  den  alten  Moor,  X'eirina, 
Miller,  König-  Philipp,  den  Chor  in  den  Malthesern;  .irerade 
lunfzii,'-  Jahre  alt  sind  dat^-egen  Hütten,  La  Valette,  W'allen- 
stein;  zwischen  zwanzig  und  vierundzwanzig  Jahren  liegt  das 
Alter  der  jugendlichen  Jlelden  und  Tjiebhabei' :  Ivosinsky, 
Kiesko,  Jjourgognino,  Don  Carlos,  Crequi,  Sahitloix,  Mortinier. 
Demetrius. 

Bei  Wallenstein  stimmt  die  runde  Zahl  zufällig  mit  dem 
historisch  richtigen  Alter  überein;  bei  Philipp  II.  ist  es  um 
neunzehn  Jahre  erhöht;  bei  Fiesko  nur  um  eines,  so  dass  er 
gerade  das  Altei*  des  Dichters  hatte.  Das  Alter  von  Don 
Carlos  und  Demetrius  ist  dagegen  herabgesetzt. 

Die  Frauenrollen  sind  fast  durchgehends  der  Quelle 
gegenüber  verjüngt,  so  schon  die  Königin  im  Don  Carlos,  die 
nach  St.  Real  im  Beginn  ihres  vierundzwanzigsten  Jahres 
stehen  sollte;  am  stärksten  die  beiden  Königinnen  in  Maria 
Stuart  (Maria  war  um  zwanzig,  Elisabeth  um  vierundzwanzig 
Jahre  älter,  als  Schiller  angab) ;  aber  auch  Marfa  im  Demeti'ius'j, 
wo  der  Dichter  selbst  vermerkte : 

Die  Czarin  Marfa  wird  nur  40  Jahre  alt  angenommen,  ihr 
Sühn  Demetrius  wäre  jetzt  20  —  Der  Geschichte  nach  wäre  er  etwa 
25  und  die  Czarin  müsste  über  43  angenommen  werdi-n. 

Es  spielte  dabei  sicherlich  auch  die  Rücksicht  auf  die 
Schauspielerinnen  mit;  das  ersehen  wir  deutlich  aus  einem 
lirief  an  Goethe,  worin  es  sich  um  die  Besetzung  des  Wallen- 

')  JJram.  Naihl.  I,  2t)2. 


—     304     — 

stein  handelt.  Die  Grätin  soll  von  der  Darstellerin  der 
Mütterrollen  i;espielt  werden :  damit  sich  aber  die  jüngere 
Darstellerin  der  Hei'zog-in  nicht  beklagen  könne,  rechnet 
Schiller  aus,  dass  die  Herzogin  wirklich  jünger  sei.^) 

Wenn  wir  nun  auch  das  Äussere  der  Personen  mit  der 
geschichtlichen  Wahrheit  vergleichen,  so  treffen  wir  auf  eben- 
solche Abweichungen.  Prinzessin  Eboli  ist  nicht  einäugig, 
und  es  war  übertriebene  Feindeuterei  eines  Rezensenten-), 
wenn  er  ihr  gutes  Gehör  (Ausg.  v.  1787,  v.  1709  ff.)  damit 
erklärte.  Von  Wallenstein  hatte  der  Dichter  selbst  einige 
•Jahre  früher  das  historische  Porträt  gezeichnet,  und  Brahm^) 
hat  bereits  hervorgehoben,  wie  wenig  „die  reinen  edlen 
Züge,  die  hoheitblickende  Gestalt,  die  majestätisch  leuchtende 
Stirn"  in  der  Dichtung  (W.  T.  v.  746  ff.,  2460)  mit  dieser 
Beschreibung  des  Historikers  zusammenstimmen: 

Finster  verschlossen,  unergründlich,  sparte  er  seine  Worte  mehr 
als  seine  Geschenke,  und  das  wenige,  was  er  sprach,  wurde  mit  einem 

widrigen  Ton  ausgestossen Er  war  von    grosser    Statur   und 

hager,  gelblicher  Gesichtsfarbe,  rötlichen  kurzen  Haaren,  kleinen 
aber  funkeluden  Augen.  Ein  furchtbarer,  zurückschreckender  Ernst 
sass  auf  seiner  Stirne. 

Dem  dritten  Bande  seines  „Theaters"  gab  Schiller  schliess- 
lich doch  ein  echtes  Bildnis  Wallensteins  bei*),  das  er  inzwischen 
entdeckt  hatte,  und  das  mit  der  edeln,  glatten  Stirn  wirklich 
mein-  der  poetischen  als  der  historischen  Beschreibung  entspricht. 

p]benso  erhielt  der  erste  Band  des  Theaters  ein  soge- 
nanntes echtes  Bild  der  .Jungfrau  von  Orleans,  das  Jage- 
mann, der  Bruder  der  Schauspielerin,  aus  Frankreich  mitge- 
bracht hatte.^)     Der  Ungerschen  vVusgabe  im  Jahre  1801  war 


')  Gerade  an  MUe.  Malkolmi  (später  Mad.  Woltf),  die  die  Herzogin 
spielte,  wird  auc-h  sonst  getadelt,  dass  sie  gar  zu  ungern  ihre  Jugend  ver- 
leugne. (Einige  Briefe  über  Schillers  Maria  Stuart  und  über  die  Auf- 
führung derselben  auf  dem  Weimarischen  Hoftheater.     Jena  18UU,  S.  131.) 

')  Braun  1,  164. 

'j  Brahm  II,  218.     Goed.  VllI,  S.  144. 

')  An  Cotta  1.  März  1805.     Jonas  VII,  217. 

'')  An  Cotta  13.  Dez.  1804,  3.  Febr.,  10.  Febr.,  25  Febr.  18U5. 
Jonas  VII,  105,  210,  211,  213.    Briefw.  mit  Cotta,  hrsg.  v.  Vollmer,  S.  54G. 


—     .'^05     — 

ein  anderes  Bild  vorg-esetzt,  ein  Minervakopf  nach  einer 
Kamee  in  Goethes  Besitz.^)  Nicht  als  Kind,  dessen  zarter 
Körpei'  nur  durch  den  Fanatismus  Kraft  erhält,  die  schwere 
Rüstuni^-  zu  tragen,  sondern  als  majestätische  griechische 
Heroinengestalt  hat  sich  also  der  Dichter  seine  Heldin  zunächst 
vorgestellt;  erinnei't  doch  auch  Raouls  Schilderung  an  das 
Bild  der  ägisschwingenden  Göttin.'^)  Jagemanns  Zeichnung 
dagegen  stellt  ein  dunkelgelocktes  Kindergesicht  dar,  dem  es 
cutspriclit.  wenn  nun  im  ..Theater'"  nicht  melir  von  ,,goldnen" 
sondern  von  ..dunkeln  Hingen"  die  Rede  ist.  Während  der 
Dichtung  ist  ein  Hinüberneigen  zur  romantischen  Auffassung 
zu  bemerken,  vielleicht  im  Zusammenhang  mit  einem  Wunsch, 
der  schliesslich  doch  ohne  Erfüllung  blieb,  nämlich  die  Rolle  in 
I>erlin  durch  Friederike  Unzelmann  dargestellt  zu  sehn.  Aus 
Dresden  schrieb  Schiller  an  Iffland^):  ..Nach  allem,  was  ich 
von  Mad.  Unzelmann  hüi-e.  muss  ich  wünschen,  dass  ihi'  die 
Rolle  der  Jojiainia  zufalleu  möge.  Die  kleine  Fiüur,  welche 
die  grösste  Einwendung  dagegen  scheint,  hat  bei  der  Johanna. 
so  Avie  ich  sie  in  dem  Stücke  g-enannt  habe,  nicht  soviel  zu 
bedeuten,  Aveil  sie  nicht  dui'ch  köi'perliche  Stärke,  sondern  durch 
übernatürliche  Mittel  im  Kampf  überwindet.  Sie  könnte  also, 
was  dieses  betrifft,  ein  Kind  seyn,  wie  dei-  Oberon,  und  doch 
ein  furchtbares  Wesen  bleiben," 

Dass  die  Figur  des  Darstellers  die  Verwirklichung  der 
dichterischen  Vorstellung  beeinträchtigen  kann,  diese  Erfah- 
rung musste  Schiller  bereits  bei  seinem  ersten  Karl  Moor 
machen:  „Schade  nui-.  dass  Hr.  Bock  für  seine  Rolle  nicht 
Person  genug  hat.  Ich  hatte  mir  den  Räuber  hager  und 
gross  gedacht."^) 

Angaben  über  Gestalt  und  Grösse  treten  im  Fiesko  am 
i-eichlichsten  auf:     der  Titelheld    schlank.    Kalkagno    hager, 


■)  An  Unger    28.   Nov.  ISOO,    7.  April,    2G.  April,    30.  April    1801. 
Jonas  VI,  S.  223,  267,  269.  274. 

-)  Vgl.  auch  z.  3529:    So  lange  du  der  strengen  Pallas  gleichst. 
=*)  An  Iffland  2.  Sept.  1801.     Jonas  VI,  298. 
*)  Goed.  II,  374. 
Palaestxa  XXXII.  20 


—     306     — 

Leonore  schmächtig',  Julia  gross  und  voll,  Gianettino  grösser 
als  Verrina  (I,  10);  sie  waren  vielleicht  mit  den  Mannheimei- 
Darstellern  in  Übereinstimmung-  g-ebracht.  Später  heisst  nur 
noch  Luise  Millerin  „schlank",  Seni  „ein  kleines  graues  Männ- 
lein"  (Lager  v.  372,  W.  T.  1581),  Attinghausen  (Teil  II,  1) 
„von  hoher  edler  Statur." 

Nicht  nui-  in  diesem  einen  Punkte  nimmt  die  Bestimmtheit 
ab,  sondern  die  Personalbeschreibung  tritt  überhaupt  in  den 
späteren  Stücken  zurück.  Die  im  übrigen  zunehmende  Freude 
an  Schilderungen  wird  überwogen  durch  die  fortschreitende 
Tendenz  zur  Typisierung.  Schon  in  den  Jugenddichtungen 
stand  dem  individuellen  Ausdruck  der  Hässlichkeit  und  des 
Lasters  ein  ziemlich  farbloser  Enthusiasmus  für  die  Schönheit 
gegenüber.  Diese  zweite  Neigung  wächst  sich  aus,  während 
die  Liebe  zur  charakteristischen  Hässlichkeit  abstirbt,  wie  am 
deutlichsten  an  Macbeths  Hexen  zu  sehn  ist. 

Für  die  Schönheit  der  Heldinnen  wiederholt  sich  immer 
wieder  der  blasseste  Superlativ,  auf  dessen  Verwirklichung 
durch  die  Bühnendarstellung  nicht  gerechnet  Averden  kann, 
auch  kommt  es  darauf  garnicht  an. 

Carlos      V.  45:  die  schönste  Frau  auf  dieser  Welt, 
M.  St.   V.  509:  die  schönste  aller  Frauen,  welche  leben. 
Jgfr.  z.  153  f. :  weil  Gott 

Mit  reicher  Schönheit  ihren  Leib  geschmückt. 
Braut  V.  1531:  der  Glanz  der  göttlichen  Gestalt 
Teil     V.  1701 :  die  Krone  aller  Frauen. 

Eine  konkretere  Ausführung  war  notwendig  in  der  Braut 
von  Messina,  wo  die  Schilderung  des  Äusseren  zur  Ent- 
deckung der  gemeinsamen  Mutter  beiträgt;  in  Anbetracht 
dieses  Zweckes  ist  jedoch  auch  hier  die  Beschreibung  fast  zu 
allgemein  gehalten: 

Der  braunen  Locken  dunkle  Ringe  seh'  ich 
Des  weissen  Halses  edle  Form  beschatten, 
Ich  seh'  der  Stirne  rein  gewölbten  Bogen, 
Des  grossen  Auges  dunkelhellen  Glanz, 
Auch  ihrer  Stimme  seelenvolle  Töne 
Erwachen  mir 


—      307      — 

Wir  kommen  nun  überhaupt  zu  der  Frage  nach  dem 
technischen  Zweck  und  den  Mittehi  der  Personalbeschreibung. 
Objektive  Vorschriften  für  die  Schauspielermaske  stellen  in 
erster  Linie  die  Angaben  dar,  die  der  Dichter  direkt  auf  dem 
Personenverzeichiiis  (Fiesko)  oder  beim  Auftreten  der  Personen 
macht: 

Semele  62a:  Juno  (in  Gestalt  einer  Alten) 

338a:  Zeus  (in  Jünglingsgestalt) 
Raub.  IV, 5:  ein  Alter,  ausgemergelt  wie  ein  Gerippe. 

V,2:  Anialia  (niil  fliegenden  Haaren) 
W.  T.  V,12:  Gräfin  Terzky  tritt  auf,  bleich  und  entsteUt. 

Andei's  verhält  es  sich  mit  der  indirekten  Beschreibung, 
die  einer  Person  in  den  Mund  gelegt  ist.  Sie  findet  ihren 
Platz  mit  Vorliebe  in  der  Exposition,  wofür  dei-  erste  Akt  von 
Emilia  Galotti  ein  Voi'bild  sein  konnte ;  bei  Schiller  entwickelt 
so  der  erste  Aufti'itt  des  Fiosko  das  Äussere  des  Helden.  Ein 
besonderes  Muster  konnte  Emilia  (lalotti  auch  sein  in  der 
bequemen  Art.  von  dem  Hilde  auszugelien.  Das  Bild  bi'aucht 
nicht  einmal  die  Person  selbst  darzustellen,  z.  B.  weist  im 
Götz  .\delheids  Fräulein,  wie  sie  von  Weislingens  Einzug 
erzählt,  auf  das  Porträt  Kaiser  Maximilians: 

Er  glich  dem  Kaiser  hier,  als  wenn   er  sein    Sohn    wäre.  Die 

Nase  nur  etwas  kleiner,  eben  so  freundliche  lichtbi'aune  Augen,  eben 

so  ein  blondes  schönes  Haar,  und  gewachsen    Avie    eine   Puppe.  Ein 
halb  trauriger  Zug  auf  seinem  Gesicht  war  so  interessant. 

In  den  Räubern  werden  Avir  dreimal  vor  das  Bild  des 
Helden  geführt,  aber  an  keiner  »Stelle  ist  die  (Jelegenheit  zu 
einer  auch  nur  annähernd  so  genauen  Schildei-ung  ausgenutzt; 
ebenso  wenig  in  der  Maria  Stuart,  wo  Mortimer,  und  aus 
seiner  Hand  Leicester  Mai'ias  Bild  empfangen.  Auch  bei  der 
Kontrastierung  zweier  Figuren  (z.  Jj.  Carlos  v.  2330 — 2367 
oder  M.  St.  1642  ff.)  dehnt  Schiller  den  Vergleich  selten  auf 
das  Äussere  aus;  nur  Leicester  tut  dies,  aber  mit  einer  dem 
Ohr  der  citeln  Königin  wohlklingenden  Heuchelei.  (M.  St. 
2006  ff.) 

Lichtenberg    hat    bereits    bei    Shakespeare    darauf   auf- 
merksam gemacht,  wie  viel  darauf  ankommt,    wer  solche  Be- 

20* 


—     308     — 

merkungen  ausspricht,  und  wie  die  Beschreibung  für  das 
Subjekt  charakteristischer  sein  kann  als  für  das  Objekt.  M 
Natürlich  ist  ebenso  wichtig,  auf  wessen  Olir  die  Beschreibung 
berechnet  ist. 

Aus  Semeies  verzerrtem  Bild  der  Juno  spricht  der  leicht- 
fertige Gatte  Zeus,  der  sich  mit  der  frivolen  Beschreibung  bei 
dem  einfältigen  Kinde  einschmeicheln  wollte ;  des  Franz  Moor 
Zerfallenheit  mit  sich  selbst  äussert  sich  in  der  Selbstkarrikatur : 
„Warum  gerade  mir  die  Lappländers  Nase?  Gerade  mir  dieses 
Mohrenmaul?  Diese  Hottentotten  Augen?",  und  wie  sehr  seine 
von  Hass  diktierte  Charakteristik  Kai"ls  zu  der  verstiegenen  Ent- 
zückung Amalias:  „Schön  wie  Engel  voll  Walhalla's  Wonne''  in 
Widerspruch  steht,  darauf  ist  schon  oben  hingewiesen. 

Fieskos  Äusseres  wird  unter  der  Anregung  des  Mann- 
heimer Antikensaals  durch  Vergleich  mit  Bildwerken  charak- 
terisiert, aber  während  Romano  an  ihm  die  grosse  Linie  zu 
einem  Brutuskopf  studiert,  ist  er  für  die  schwärmerische 
Leonore  ein  blühender  Apoll,  verschmolzen  in  den  männlich- 
schönen Antinous. 

Am  hübschesten  können  wir  die  Subjektivität  der  ver- 
schiedenen Schilderungen  ersehen  an  der  Ei-scheinung  der 
Luise  Millerin.  Der  wohlwollende  Vaterstolz  des  alten  Miller 
(„Das  Mädel  ist  schön  —  schlank  —  führt  seinen  netten 
Fus"),  die  Begierde  Wurms  („das  schönste  Exemplar  einer 
Blondine,  die  nicht  zu  viel  gesagt,  neben  den  ersten  Schön- 
heiten des  Hofes  noch  Figur  machen  würde"),  die  kritische 
Eifersucht  der  Rivalin  („Sehr  interessant,  und  doch  keine 
Schönheit")  und  schliesslich  die  Resignation  des  sich  betrogen 
wähnenden  Liebhabers  („Alles  so  schön  —  so  voll  Eben- 
maas —  so  göttlich  vollkommen!  Ueberal  das  Werk  seiner 
himmlischen  Schäferstunde!  Bei  Gott!  als  wäre  die  grosse 
Welt  nur  entstanden,  den  Schöpfer  für  dieses  Meistei-stück  in 
Laune  zu  sezen")  —  jedes  betrachtet  sie  mit  anderem  Auge. 

Die  Eifersucht  spricht   auch    aus  der   hässlichen  Herab- 


Verm.  Schriften  (1844)  IV,  S.  48. 


—     809     — 

setzuiiir  Leonorens  durch  Julia  Imperiali,  ebenso  gehört  ein 
hoher  Grad  von  Eifersucht,  verbunden  mit  blinder  Eitelkeit 
dazu,  damit  Elisabeth  Leice.sters  verlogenen  Vergleich  mit 
Maria  in  gläubiger  J^.cfriedigung  hinnimmt,  (v.  2006  if.) 

Während  hier  die  kriecherische  Höllingsschraeichelei  die 
Wahrheit  auf  den  Kopf  stellt,  nehmen  wir  Max  Piccolominis 
durch  Verehrung  und  Liebe  eingegebene  Verherrlichung  Wallen- 
steins  (W.  T.  v.  746  if.)  als  unbewusste  Idealisierung  auf; 
die  jugendliche  Begeisterungsfähigkeit  gibt  ihm  das  Recht 
dazu,  ebenso  wie  allen  Liebhabern,  die  das  Lob  der  Ange- 
beteten singen. 

Besonders  schwer  wiegt  dagegen  die  Anerkennung  weib- 
licher Schönheit  im  Munde  der  Alten.  Lessing^)  hat  im 
Laokoon  gewürdigt,  wie  wirkungsvoll  Homer  die  Schönheit 
der  Helena  durch  den  Eindmck  auf  die  Ältesten  Trojas  her- 
vorzuheben versteht;  an  diese  Stelle  mochte  Schiller  wohl 
denken,  als  er  den  Greis  Shrewsbury  sich  für  Marias  Schön- 
heit begeistern  Hess  (M.  St.  1395  ff.);  Elisabeths  Antwort 
weist  darauf  hin: 

Das  müssen  Reize  sondergleichen  sej'n. 
Die  einen  Greis  in  solches  Feuer  setzen. 

Objektiv  überzeugend  muss  die  indirekte  Schilderung  dort 
wirken,  wo  sie  allein  genügt,  die  Erkennung  einer  Person  zu 
veranlassen.  Dem  Dichter  der  Braut  von  Messina  lag  nichts 
daran,  dieses  Motiv  zur  rechten  Glaubhaftigkeit  herauszu- 
arbeiten; besser  hätte  eine  solche  Gewissenhaftigkeit  in  den 
Stil  des  Trauerspiels  „Die  Polizey"  gepasst,  für  das  eine 
ähnliche  Idee")  vorgemerkt  war: 

Das    Signalement    eines   Menschen,    den    die  Polizey    aufsucht, 
ist  bis  zum  Unverkennbaren  treffend. 

Auf  eine  genaue  Beschreibung  von  Ivopf  bis  zu  Fuss 
kommt  es  dabei  gar  nicht  immer  an;  eine  charakteristische 
Einzelheit  kann  hinreichen,  wie  z.  B.  der  verkürzte  Arm  des 
Demetrius.^) 


')  Laokoon  XXI,  Blümners  Ausg.  S.  292  f. 

-)  Dram.  Nachl.  II,  70. 

')  Dram.  Nachl.  1,  11,  126  f.,  237,  241. 


—     310     — 

Die  Familienähnlichkeit,  die  dem  Prätendenten  Warbeck 
den  Weg-  bahnt  und  auch  in  den  Kindern  des  Hauses  von 
Wichtigkeit  sein  sollte'),  spielt  in  den  ausgeführten  Stücken 
Schillers  ebenfalls  eine  Rolle,  z.  B.  Carlos  v.  3655—3660, 
Braut  V.  501  ff.  Sogar  die  beiden  so  unähnlichen  Brüder  in 
den  Räubern  müssen  in  Stimme  oder  Gang  etwas  Gemein- 
sames haben,  denn  Hermann  verwechselt  sie  in  der  Nachtszene 
am  Turm. 

Den  Theaterintentionen  entspricht  es  mehr,  die  äusseren 
Erscheinungen  möglichst  auseinanderzuhalten;  so  legte  z.  B. 
Dingelstedt  bei  der  Braut  von  Messina  Wert  darauf,  den 
blonden  Normannen  Don  Manuel  (der  mit  der  Mutter  Ähn- 
lichkeit hat)  und  den  tiefdunkeln  Südländei"  Don  Cesar  (der 
Schwester  ähnlich)  zu  unterscheiden:  und  wenn  Karl  und 
Franz  Moor  durch  denselben  Schauspieler  verkörpert  wurden, 
kam  es  natürlich  erst  recht  darauf  an,  sie  mit  allen  Mitteln 
zu  kontrastieren.^) 

Während  dies  eine  renommistenhafte  Viiiuosenspezialität^) 
war,  hatten  solche  Doppelrollen  in  den  A^erwechslungsstücken 
wenigstens  einige  Berechtigung ;  aber  vielleicht  Avar  es  auch  bei 
dem  Hamburger  Herzfeld  nui-  Rollensucht,  wenn  Schiller  auf 
seine  Veranlassung  den  Schluss  des  ., Neffen  als  Onkel"  ändern 
und  das  Zusammentreffen  der  beiden  Menäclnnen  in  nicht 
eben  glücklicher  Weise  umgehen  musste^);  meistens  —  so  in 
Weimar  und  auch  früher  in  Hamburg  bei  Regnards  Zwillin- 
gen —  hatte  man  einen  hohen  Grad  von  Ähnlichkeit  bei  ver- 
schiedenen Schauspielern  zu  Wege  gebracht. 

')  Dram.  Nachl.  II,  93,  118,  154. 

-j  Fellner,  Gesch.  e.  Musterbühne  S.  142.  Costenoble,  Aus  d.  liurg- 
theater  II,  270     Tieck,  Der  junge  Tischlermeister  II,  351. 

')  Sogar  Ekhof  unterlag  der  Rollensucht:  Schlösser,  Thoat.  Forsch. 
XIII,  S.  49.     Reichards  Selbstbiographie  (1877)  S.  138  f. 

*]  Herzfeld  an  Schiller  24.  Februar  1804.     Urlichs  S.  549. 
Schiller  an  Herzfeld  17.  Juli  1803.     Jonas  VII,  59. 
Köster,  S.  269.     Meyer,  Schröder  I,  297. 

Im  Hamburger  Manuskript  wird  die  Verwechslung  noch  durch  eine 
Zutat  motiviert:  der  Onkel  hat  eine  echte,  der  verkleidete  Neffe  eine  nach- 
gemachte Säbelnarbe  auf  der  StLru. 


—     311      — 

Im  Don  Carlos  ist  dieses  Motiv  nicht  so  weit  heraus- 
«rearbeitet,  wie  man  erwarten  könnte.  Wenn  Carlos  als  Geist 
seines  Grossvaters  die  Schildwachen  durchschreitet,  könnte 
die  Familienähnlichkeit  den  hohlen  Betru^r  einig-ermassen 
fflaubhaft  machen;  aber  darauf  ist  verzichtet,  denn  der 
vermeintliche  Geist  trägt  eine  Maske  vor  dem  Gesicht  und 
bcglaubifrt  sich  nur  durch  das  Zepter  in  seinen  Händen;  in 
der  Prosabearbeitung  wenigstens,  wo  das  Mönchsgewand  aus 
Zensurrücksicht  durch  einen  Purpurmantel  ersetzt  ist  und  sich 
dadurch  die  ganze  Maskerade  noch  plumper  gestaltet,  ist 
trotz  der  Gesichtsmaske  diese  kleine  Motivierung-  noch  hinzu- 
g-etan : 

(las   Gesicht  war  bleich,    aber    ganz    dem    verstorbenen    Kaiser 
ähnlich. 

An  der  Unglaubhaftigkeit  solcher  Vermummung-en  stiess 
man  sich  im  achtzehnten  .Jahrhundert  wenig;  vereinzelt  steht 
eine  Rezension  des  Fiesko'j,  die  es  unnatürlich  findet,  dass 
IJourgogniino  seine  Bertha  nicht  g-leich  erkennt  und  dass  die 
arme  Leonore  so  jämmerlich  umkommen  muss.  Wenn  man 
im  achtzehnten  .Jaliihuuderl  schon  im  tägliclicii  Leben  allerlei 
Verkleidungsscherze  liebte,  so  machte  erst  recht  der  Roman 
die  reichste  V^erwendung  davon;  wälir'cnd  freilich  dort  der 
Dichter  Glauben  erzwingen  kaini,  wird  seine  Erfindung  in  der 
versinnlichendeu  liühnendarstellung  fast  immer  als  zu  grob 
dastehen.  Das  verwöhnte  Publikum  wird  allmählich  miss- 
trauisch  und  lässt  sich  nicht  mehr  einreden,  es  sei  so  viel 
klüger  als  die  Personen  auf  der  Bühne  und  durchschaue 
jede  Täuschung-,  während  diese  blind  herumtappen. 

In  den  Stücken  nach  dem  Don  Carlos  findet  das  Yer- 
wechslungsmotiv  keinen  Platz  mehr;  aber  Schiller  hat  seine 
Vorliebe  dafür  doch  nicht  ganz  überwunden;  auf  diese  als 
Knaben  verkleideten  Mädchen,  die  Kotzebue  in  seinen  grossen 
Stücken  als  Rührmotiv  immer  wieder  bringt'),  stossen   wir  in 


')  Braun  I,  31. 

"')  So  Afanasja    im  „Graf  Benjowsky",    Elvira    in    den    „Spaniern  in 
Peru",  Miranda  im  „Bayard". 


—     312     — 

den  Plänen  der  Maltheser.  des  Warbeck,  der  Gräfin  von 
Flandern,  der  Flibustiers  und  des  Demetrius;  auch  die  Prin- 
zessin von  Zelle  sollte  auf  einem  Maskenball  zweimal  uner- 
kannt ihrem  Gemahl  geg^enübertreten,  und  in  der  „Polizev" 
sind  „unaufhörliche  Verkleidungen  der  Polizeispionen"  vorge- 
merkt.*) 

Über  die  Beschaifenheit  der  Vermuramung  ist  manchmal 
garnichts  gesagt:  bei  Hermann  in  den  Räubern  z.  B.  besteht 
die  Vorschrift  in  dem  einzigen  Worte  „verkappt"^).  Auch 
hierin  zeigt  sich  wieder  die  glückliche  Leichtfertigkeit  des 
Motivierens,  die  sich  nicht  erst  den  Kopf  darüber  zerbricht. 
mit  welchen  Mitteln  solche  Unwahrscheinlichkeiten  glaubhaft 
zu  machen  seien. 


2.    Theorie  der  Mimik. 

Physiognomik  und  Mimik  wej-den  im  achtzehnten  Jahr- 
hundert in  einem  Atem  genannt ;  sie  sind  untrennbare  Ge- 
schwister, denen  man  indessen  kein  gleiches  Recht  zugestand. 
Denn  während  die  Selbständigkeit  der  Physiognomik  bekämpft 
wurde  von  Gegnern,  die  sie  nur  als  eine  erstarrte  Mimik  gelten 
Hessen,  war  die  Mimik  selbst  schon  seit  Descartes  als  ein  all- 
gemein anerkaiuites  System  ausgebaut,  und  die  strittigen  Probleme 
sind  tiefer  zu  suchen.    In  der  Theorie  der  Scliauspielkunst,  der 


•)  Dram.  Nachl.  I,  97.     II,  4,  70,  141,  211,  234,  250. 

*)  Vgl.  dagegen  Zschokkes  „Abällino",  wo  auf  die  Verkleidung  alles 
ankommt.  Im  Personenverzeichnis  heisst  es:  „Er  trägt  gewöhnlirh  über 
dem  linken  Auge  ein  Pflaster;  einen  falschen  Zwickelbart,  und  das  Kinn 
hinter  einem  schwarzen  Tuch  versteckt.  Die  Haare  oben  sind  unter  einer 
ledernen  Kappe  zusammengezwängt,  worüber  er  noch  den  Hut  trägt." 
Dann  im  entscheidenden  Augenblick  (V,  7):  „(er  zieht  die  Lederkappe  vom 
Kopf,  das  Pflaster  vom  Gesicht,  faltet  die  verzogenen  Mienen  in  ihre 
natürliche  Ordnung  zurück,  und  steht  dem  Gesichte  und  der  Stimme  nach 
als  Flodoardo  vor  ihr)." 

')  J.  J.  Engel,  Ideen  zu  einer  Mimik.     Berlin  1785,  S.  6  f. 
Oberländer,  Theat.  Forsch.  XV,  S.  26,  171  f. 
H.  V.  Stein,  Entstehung  der  neueren  Ästhetik,  S.  232. 


—      313      — 

ano-ewandten  Mimik,  interessierte  besonders  die  Frao-e,  ob  der 
Schauspieler  nur  unter  Herrschaft  des  Affektes  den  wahren  Aus- 
druck finde  oder  ob  er  die  Zeichensprache  ohne  inneren  Anteil 
reproduzieien  könne.  Der  Getrensatz  ist  durch  die  Namen 
Riccoboni  und  Remond  von  St.  Albine  ausgedrückt,  und  es  ist  be- 
zeichnend, dass  mit  Riccoboni  trerade  die  Praxis  des  Schau- 
spielers sich  ireiren  das  züg^ellose  Nachempfinden  der  KoUe 
erklärte. 

in  Deutschland  war  es  um^-'ekehi't  eine  (Trupi)C  von 
Schauspielern,  die  später  für  das  in  der  Rolle  aufgehende, 
von  Laune  und  iieo^eisterung"  getrajrene  Naturspiel  Partei  ei'- 
L'riff;  es  waren  die  Schüler  Ekhofs.  die  sich  in  Mannheim 
zusammenfanden.  Schon  das  Wort  ..Schauspieler"  bedeutete 
ihnen  eigentlich  eine  Herabsetzung-  ihres  vei-innerlichten  Be- 
rufes, und  sie  ersetzten  es  durch  ., Menschendarsteller".  Über 
ihren  Meister,  der  weniirstens  in  Schwei'in  noch  Riccobonis 
Standpunkt  einnahm,')  gingen  sie  weit  hinaus  und  zum  Teil 
jedenfalls  auch  über  ihre  eigene  Praxis;  nur  BeiP)  mit  seinem 
starken  Naturell  mag  das  Programm  wirklich  in  die  Tat  um- 
gesetzt haben:  schon  von  Ifflands  Mannheimer  Spiel  ircwinnen 
wir  dagegen  den  Kindnick  vorsiciitiger  Berechnung;  später 
wurde  er  auch  in  der  Theorie  ein  Vertreter  der  Mässigung  und 
vermahnte. wiederinn  mit  l'.erufunL"'  auf  Kkhof.  die  jungen  Talente, 
sich  selbst  beim  Spiel  prüfend  im  Auge  zu  behalten.^)  Wie 
anders  klangen  seine  früheren  Mannheimer  Kanfarenstösse^): 

Sprache,  Bild,  Blick.  Schritt.  Hebung-  des  Arms,  alles  muss  im 
Nu  —  aus  dem  Guss  eines  Gefühls  entstehen.  .  .  Laune  ist  es,  welche 
dem  Körper  die  Eig'enschaft  mitteilt,  dass  er  allemal  gfanz  genau  mit 
der  Sprache  ireht,  um  den  Ausdruck  deutlicher  zu  machen,    oder    zu 

h  H.  Devrient,  Theat.  Forsch.  XI,  S.  237,  251. 

2)  In  seinem  Nekrolog-  (Ann.  d.  Theat.  1795,  Heft  15.  S.  28)  heisst 
es:  „Bei  ihm  that  die  Kun.st  im  Verhältniss  mit  seinem  grossen  Genie 
wenig;  eine  Rolle,  die  ihm  wichtig  war,  umfasste  sein  Geist  schnell,  und 
nun  hörte  er  auf,  Schauspieler  zu  seyn;  seine  Darstellung  war  nicht  mehr 
Täuschung  —  es  war  alles  Natur." 

^)  Theatral.  Laufbahn  (D.  L.  D.  24)  S.  38  f.  Almanach  1807.  S.  21; 
1808,  S.  8  f.;  18] 2,  S.  103. 

')  Fragni.  üb.  Menschendarstellung  S.  35,  63. 


—     314      — 

verstärken:  Der  grosse  Atisflruok  hingregen  (ich  möchte  ihn  den 
Garrickschen  Ausdruck  nennen)  kann  nur  das  Werk  der  Begeisterung: 
seyn.  .  .  Die  versammelte  Menge  schwindet  vor  dem  Schauspieler  — 
in  einem  schwarzen  Chaos  ist  er  allein  —  ganz  so  der  Mensch,  der 
er  seyn  will,  dass  er  tödten  muss  wie  Barnwell,  und  vergeben  wie 
Calas. 

Das  Glaubensbekenntnis  der  Mannheimer  Naturalisten  ist 
in  den  Antworten  auf  Dalbergs  Di'amaturg-ische  Preisfragen 
ausgesprochen^);  in  den  Mannheimer  Protokollen  sehen  wir 
einen  stillen  Kampf  sich  abspielen,  denn  wir  beobachten  zu- 
gleich den  zielbewussten  Widerstand  Dalbergs,  der  den  aus- 
schreitenden Kultus  der  Laune  einzudännnen  bestrebt  ist. 
Mit  Vorliebe  verweist  er  seine  Schauspieler  deshalb  auf  das 
Studium  von  Homes  „Grundsätzen  der  Kritik";  in  einer 
späteren  dramaturgischen  Frage^)  stellt  er  sie  auch  vor  Engels 
.,Mimik"  und  verlangt  von  ihnen  Zusätze  und  Prüfungen  aus 
der  eigenen  Erfahrung. 

Dieses  Werk  war  besonders  geeignet.  Aveil  auch  in  ihm 
der  Schatten  des  grossen  Ekhof  lieraufbeschworen  wurde;  er 
erscheint  hier  mehr  als  Schauspieler  der  alten  Schule,  wie 
denn  überhaupt  die  .,Ideen  zu  einer  Mimik"  in  der  früheren 
Generation  wurzeln.  Engel  knüpft  mit  seinem  damals  viel 
gepriesenen  Werke  an  Lessing  an.  l^essing,  der  in  den 
.,Beyträgen"  zu  Riccoboni,  in  dei-  ., Theatralischen  Bibliothek" 
zu  St.  Albine  Stellung  genommen  hatte,  vermittelte  in  der 
„Dramaturgie"  den  Gegensatz  durch  eine  psychologische  Ver- 
tiefung des  Problems.  Seiner  scharfsinnigen  Beobachtung 
verdankt  er  die  Antithese  zur  Auffassung  St.  Albines:  die 
♦  mechanische  Ausführung  mimischer  Bewegungen  hat  rück- 
wirkende Kraft  auf  den  Scclenzustand  des  Schauspielers 
und    vermag     so     die     Wahi'heit     des    Ausdrucks     hervorzu- 

')  Martersteig,  Die  Protokolle  des  Mannheimer  Nationaltheaters  unter 
Dalberg  aus  den  Jahren  1781 — 1789. 

Rhein.  Beitr.  z.  Gelehrsamkeit  1781  II,  S.  304  ff.,  3G4  ff.,  449  ft'. 

-)  Goed.  III,  594.  Gotter  hatte  bereits  1782  Dalbergs  werktätige 
Teilnahme  an  Engels  Werk  zu  erwecken  gesucht.  Grenzboten  1876, 
(Jg.  35)  II,  S.  47. 


—     315     — 

brins"on.^)  Damit  ist  die  Berech tig-unsr  einer  mimiselien  Gesetz- 
irebung-  erwiesen,  und  Lessiner  selbst  forderte  am  Schluss  mit 
P)ernfnnir  auf  die  Schauspielkunst  der  Alten  ..speciclle.  von 
jedermann  anerkannte,  mit  Deutlichkeit  und  Pi;icision  abge- 
fasste  Kegeln".  Wenn  Engel  bedauerte,  dass  Lessing  selbst 
sein  anL""ekündiütes  Buch  über  die  körjterliche  Beredsamkeit 
nicht  ausgeführt  habe,  so  schmeichelte  er  sich  vielleicht,  diese 
Lücke  auszufüllen. 

Abel"  schnell  wurde  sein  Ruhm  verdunkelt;  das  folgende 
Jahrzehnt  braciite  Goethes  ,, Wilhelm  Meister"  hervor,  der 
bald  als  Katechismus  füi"  den  Schauspielei-  galt.  Das  Natui'- 
spiel  fand  dort  eine  mindestens  ebenso  scharfe  Verurteilung' 
als  bei  p]ngel.  Wilhelm  selbst,  mehr  noch  Aurelie  verfallen 
in  den  Fehler,  sich  selbst  darzustellen  oder  von  der  Rolle  zu 
sehr  hingerissen  zu  werden;  ihnen  steht  aber  Serlo  sieghaft 
gegenüber  —  Friedr.  Ludw.  Schröder,  dessen  Schule  dem 
launenhaften  Natui'spiel  ein  Ende  machte.-) 

Aus  der  spätei-en  Kritik  A.  W.  Schlegels*)  über  Engels 
Mimik  iKiren  wir  heraus,  was  man  dort  vermisste,  aber  im 
.AVilhehn  Meister"  finden  konnte;  Goethes  Roman  zeigt,  wie  die 
Darstellung  einer  Rolle  bis  in  die  Einzelheiten  aus  der  Gesamt- 
autfassung ihres  Charakters  heraus  zu  entwickeln  sei.  An 
ihn  schliesst  sich  nun  eine  kleine  theoietische  Schrift  des 
Freiherrn  von  Einsiedel*)  an,  in  der  die  .,iiniei'e  oder  psycho- 
logische .\kzion"  der  körperlichen  gegenüber  in    den  Vordei'- 


')  Hanih.   Diam.  3.  Stück.     Lachni.-Muiicker  IX.   I!t4. 

Wiiiidt.   Der  Ausdruck  der  Gennit.sl»o\veg:uiigen.     Essays,  S.  235. 
In  den  Annalen  des  Theaters  1788,    lieft   1.   S.  42  wird  Lc.><sinL's 
Regel  wiederholt. 

-)  Litzmann,  Schröder  II,  310. 

Eggert,  Goethe  u.  Diderot.  Euphorion  IV,  301  ti'. 
Fr.  L.  Schmidt,  Denkwürdigkeiten  1.  1G8. 
^)  Drani.  Vorles.,  Werke  VI,  S.  411  :  „Dieses  Buch  enthält  manches 
Brauchbare  über  die  ersten  Elemente  der  Geberdensprache;  der  Haupt- 
irrthum  des  Verfassers  war,  dass  er  es  für  eine  vollständige  Mimik  hielt, 
wiewohl  er  darin  durchaus  nur  vom  Ausdrucke  der  Leidenschaften  handelt, 
und  keine  Silbe  über  Charakter-Darstelluntr  sagt.'' 

')  Gr  undlagen  zu  einer  Theorie   der  Schauspielkunst.     Leipzig  17'J7. 


—     316     — 

irriind  tritt:  hatte  Enbrel  ein  "Ritterdraina  zum  Paradiirnia  sre- 
wählt,  so  empfahl  Einsiedel  den  Antang-ern  ruhige  Stücke  wie 
Tasso  und  Iphigenie  zum  Studium.  Doch  scheint  Goethe  selbst 
mit  diesem  Gefolgsmann  weniger  zufrieden  g^ewesen  zu  sein 
als  Schiller,  der  sich  lobend  über  das  kleine  Buch  aussprach 
und  ihm  vielleicht  auch  Anregung^en  verdankte:  gerade  in 
dieser  Zeit  beginnt  sein  Interesse  für  das  Theater  wieder  zu 
steigen  und  er  plant  sogar  selbst  die  Untei-nehmung  eines 
Theater-Kalenders.^) 

Dieser  kurze  Überblick  über  die  Entwicklung-  der  mimischen 
Theorie  mag  für  das  folgende  einen  Hintei-grund  geben ;  die 
wenigen  angeführten  Werke  genügen,  obwohl  sie  nur  einen 
verschwindenden  Bruchteil  der  di'amaturgischen  Litteratur  jener 

Zeit  bilden.     .,Ich    will    eine    Theaterzeitung    schreiben 

Ich  eine  Theaterchi'onik.  .  .  .  Ich  einen  Theateralmanach.  .  . . 
Ich  einen  Geist  des  Theaters.  .  .  .",  so  ruft  bei  Lenz  im 
..Pandaemonium  Germanicum"  ein  ganzer  Chor  von  Jour- 
nalisten durcheinander ;  und  Schink,  der  selbst  später  ein  Viel- 
schreiber wurde,  eröffnet  seine  „Dramaturgischen  Fragmente" 
mit  dem  gewiss  richtigen  Satz :  .,Man  hat  wohl  nie  mehr  über 
und  für  das  Theater  geschrieben,  als  in  diesen  Zeitläuften, 
und  nie  hat  wohl  die  Kunst  weniger  dabei  gewonnen,  als  in 
dieser  schreibeseligen  Epoche." 

Es  gibt  wenig  grössere  deutsche  l'heaterstädte,  die  nicht 
damals  ihren  Namen  für  die  Dramaturgie  eines  kleinen  Lessing 
herleihen  durften.  Mannheim,  dessen  Nationaltheater  in 
mancher  Beziehung  an  die  Hamburger  Entreprise  anknüpfte, 
hatte  diese  Ehre  bereits  1779  durch  Gemmingen  erfahren; 
und  beinahe  hätte  das  Jahr  1784  eine  Wiederholung  des  Titels 
„Mannheimische  Dramaturgie"  gebracht,  und  zwar  durch  den 
jungen  Schiller.-) 

')  An  Goethe  22.  Nov.,  12.  Dez.  97.     Jonas  V,  288,  298. 

An  Unger  22.  Dez.  97.     .Tonas  V,  302  f. 
Später  taucht  dieser  Plan  wieder  auf: 

An  Gotta  27.  .Juni  1804.     Jonas  VII,  162. 
■')  Goed.  II,  340  ff. 

An   Reinwald    5.    Mai,    an    A.    v.    Klein    5.    Juni,    an    Dalberg 
7.  .Juni,  2.  Juli  84.     Jonas  I,  186,  189  ff.,  199,  208. 


—     317     — 

Wir  wissen  nicht  recht,  ob  wir  das  Scheitern  dieses 
Planes  bedauern  sollen,  denn  der  fünfundzwanszig-jährig-e 
Schiller  war  .sicherlich  noch  nicht  reif  zum  ebenbürtig'en  Nach- 
folger des  Hamburger  Di-aniaturgen.  In  der  Rheinischen 
Thalia  und  in  dem  kleinen  Beitrag'  für  Göcking-ks  „Journal 
von  und  für  Deutschland"  haben  wir  den  Ei'satz  für  jenes 
Dokument  der  Mannheimer  Entwicklung'sstufe  zu  suchen;  für 
die  Anschauungen  der  vor  Mannheim  liegenden  Zeit  gibt  das 
„  Wirtembergische  Repertorium"  Aufschlüsse. 

Der  darin  enthaltene  Aufsatz  ..Ueber  das  gegenwärtige 
teutsche  Theater"  zeig'-t.  wie  viel  der  junge  Schiller  noch  durch 
nähere  Berührung  mit  dem  Theater  zu  lernen  hatte;  autfallend 
ist  es,  wie  er  sich  hier  in  manchem  mit  den  Mannheimern 
berührt,^)  nur  dass  er  als  Dilettant  das  naturalistische  Ideal 
viel  konsequenter  verfolgen  kann :  Auf  das  selbstvergessene 
Aufgehen  in  der  Rolle  kommt  auch  ihm  mehr  an  als  auf  die 
Berücksichtigung  des  Zuschauers :  der  Schauspieler  wird  sogar 
mit  dem  Nachtwandler  verglichen,  den  schon  der  Gedanke, 
beobachtet  zu  sein,  zum  Sturz  bi-ing-t.  Ohne  Verständnis  für 
Lessings  feine  BeobachtuuLr  wird  die  Praxis  des  Durchschnitts- 
schauspielei's  g-ebrandmarkt  als  handwerksmässifre  Koketterie 
mit  den  Grimassen  der  Leidenschaft:  .,Gewöhnlich  haben 
unsere  Spieler  für  jedes  Genus  von  Leidenschaft  eine  aparte 
Leibesbewegung  einstudirt,  die  sie  mit  einer  Fertigkeit,  die 
zuweilen  gar  —  dem  Affekt  vorspringt,  an  den  Mann 
zu  bringen  wissen.''  Die  einzige  Stelle  der  Hamburgischen 
Dramaturgie,  auf  die  verwiesen  wird,  ist  das  sechzehnte 
Stück,  wo  von  der  Darstellung  der  Zaire  durch  An- 
fänger und  Dilettanten  die  Rede  ist;  daran  knüpft  Schillei- 
sogleich  die  kühne  Behauptung :  „Es  ist  noch  die  Frage, 
ob  eine  Rolle  durch  einen  blossen  Liebhaber  nicht  mehr 
als  dui-cli  einen  Schauspieler  von  Handwerk  gewinne?" 
So  weit  führte  ihn  der  Glaube    an    eigene  Schauspielergaben 


»)  Goed.  II,  340  ff.  Weltrich  I,  582  ff.  Der  Aufsatz  erschien  erst 
nach  der  Mannheimer  Aufführung,  ist  aber  jedenfalls  bereits  vorher 
abgefasst  worden  und  nicht  durch  sie  beeinflusst. 


—     318     — 

und  die  Überzeugung,  dass  echte  Leidenschaft  den  richtigen 
Ausdruck  erzwingen  müsse.  Schon  die  vei'unglückte  Fiesko- 
Vorlesung  in  Mannheim  war  eine  schmerzUche  Belehrung. 

Die  Mannheimer  Schauspieler  machten,  wie  gesagt,  nicht 
so  weit  Ernst  mit  ihrer  Theorie,  dass  Schiller  nicht  in  ihi'em 
Kreise  bereits  zur  Abkehr  von  diesem  dilettantischen  Naturalis- 
mus gelangen  konnte. 

Die  Lehre  : 

Und  siegt  Natur,  so  muss  die  Kunst  entweichen 
konnte  er  sicherlich  schon  damals  in  sich  aufnehmen, 
und  man  glaubt  sie  am  Ende  der  Mannheimer  Zeit  aus  einer 
Rezension  in  der  Rheinischen  Thalia^)  herauszuhören,  wo 
das  übertriebene  Spiel  einer  Darstellerin  in  die  Grenzen  mass- 
haltender  Kunst  verwiesen  wird :  „Mad.  Rennschüb  würde 
eine  der  besten  Schauspielerinnen  seyn,  wenn  sie  den  Unter- 
schied zwischen  Aifekt  und  Geschrei,  Weinen  und  Heulen, 
Schluchzen  und  Rührung  immer  in  acht  nehmen  wollte.''  Trotz- 
dem stand  er  in  Dresden  noch  so  weit  auf  dem  alten  Standpunkt, 
dass  er  füi-  den  Carlos  einen  Schauspieler,  „der  mehr  Genie 
als  Cultur,  mehr  Leidenschaft  als  Welt  hat",  wünschte.^) 

Seit  der  Entfernung  von  Mannheim  hatte  Schill ei-  die  intime 
Fühlung  mit  dem  Theater  verloren ;  der  Leipzig-Dresdener  Schau- 
spieler Reinecke  war  sicherlich  zu  sehr  eitler  Mrtuos,  als  dass 
er  sich  in  kunsttheoretische  Erörtei'ungen  eingelassen  hätte,  und 
wenn  etwa  Schiller  mit  Körner  solche  Themata  berührte,  so  waren 
für  sie  die  Gesichtspunkte  einer  abstrakten  Ästhetik  massgebend. 

Von  der  philosophischen  Spekulation  aus  kehrte  er  nun  zu 
den  Problemen  der  Schauspielkunst  zui'ück.  Nach  Kants  Formel 
muss  die  „schöne  Kunst  als  Natur  anzusehen  sein,  ob  man 
sich  ihrer  zwar  als  Kunst  bewusst  ist";  wenn  sich  nun  alle 
Spuren  der  Entstehung  in  der  freien  Foi'm  zu  verlieren  haben, 
so  dürfen  weder  die  eingelernten  Regeln  noch  das  rohe  Ma- 
terial, also  die  Individualität  des  Schauspielers,  sichtbar  werden. 


•)  Goed.   III,  584.     Vgl. 
1.  Mai  1784.     Jonas  I,  182. 

*)  An  Schröder  13.  Juni  1787.     Jonas  I,  346. 


—     319     — 

Drei  Kategorien  von  Schauspielern  stellt  Schiller  auf^);  die  beiden 
grossen  Künstler,  die  er  in  die  erste  Klasse  einreiht,  wo  die  reine 
Objektivität  des  Gegenstandes  eri'eicht  wird,  sind  ihm  nur  vom 
Hörensagen  bekannt:  Ekhof  und  Schröder :  dagegen  rechnet 
er  die  von  iimi  pei'sönlich  verehrte  Mad.  Albrecht  zur  zweiten 
Klasse,  den  mittclmässigen  Künstlern,  die  im  subjektiven  Er- 
fassen der  Rolle  sich  selbst  geben.  Theoretisch  wird  also 
bereits  der  Satz  begründet,  den  später  in  Wilhelm  Meister 
Jarnos  Erfahrung  ausspricht:  „Wei-  sich  nur  selbst  spielen 
kann,  ist  kein  Schauspieler." 

Und  doch  ist  damit  keine  vollständige  Abkehi"  von 
den  .Jugendtheorien  ausgesprochen.  In  einer  Anmerkung 
zu  „Anmut  und  Würde"  wird  der  alte  Gegensatz  zwischen 
Kunst  und  Natur  noch  einmal  aufgenommen  und  nach  Kants 
Lehre  versöhnt.  Von  den  zwei  Forderungen  an  den  Schau- 
spieler'"^) ist  die  erste,  die  Wahrheit  der  Darstellung,  nur 
dui'ch  Kunst  zu  erreichen :  die  zweite,  die  Schönheit  der 
Darstellung  muss  dagegen  als  fi-eiwilliges  Werk  der  Natur 
ihi'e  Erfüllung  finden.  Wie  aber  soll  der  Künstler,  da  er  sie 
nicht  erlernen  darf,  zu  dei' Grazie  kommen?  —  Wenn  Schiller 
auf  diese  Frage  ei'widei't:  „Er  soll  dafür  sorgen,  dass  die 
Menschheit  in  ihm  selbst  zur  Zeitigung  komme",  so  meinen 
wir  einen  alten  Satz  Ifflands.  der  übei-all  reichen  Widerhall 
gefunden  hatte,  hei-auszuhören:  „Das  sicherste  Mittel,  ein 
edler  Mann  zu  scheinen,  ist,  wenn  man  sich  Mühe  giebt  es 
zu  sein."^)     Ein  Rest  des  mannheimer  Naturalismus  blieb  also 


')  An  Körner  28.  Febr.  93.     Jonas  III,  291  ff. 

■)  Goed.  X.  85.  Dieselben  zwei  Fnnkte  sind  es  auch  schon  im 
Wirtemberg.  Repertorium,  Goed.  II,  345  f. :  „eine  unmerkliche  Wahr- 
nehmung des  Gegenwärtigen,  die  ilen  Spieler  eben  so  leicht  an  dem  Ueber- 
spaunten  und  Unanständigen  vorbei  über  die  schmale  Brücke  der  Wahrheit 
und  Schönheit  führt.'"  Nur  war  die  damalige  Definition  gerade  umgekehrt:  die 
Wahrheit  bestand  in  der  Selbstvergessenheit  des  Darstellers,  die  Schönheit 
dagegen  in   der  Mässigung  der  Natur  aus  Berechnung  auf  den  Zuschauer. 

")  Fragmente  über  Menschendarstellung,  S.  54,  63.  Zum  Kontrast 
sei  der  von  Lessing  übersetzte  Riccoboni  angeführt  (Beytr.  z.  Hist.  u. 
Aufn.  d.  Theaters.  Stuttgart.  1750.  IV,  S.  517.')  Sein  Rezept  lautet  ganz 
anders:     „Wenn  der   Schauspieler  leichte  und   unvorbereitete   Gestus   hat, 


—     320     — 

lebendig  und  wurde  in  das  Prooramm  der  neuen  Weimarer 
idealistischen  Schauspielkunst,  so  weit  Schiller  auf  sie  Eintiuss 
hatte,  hinüberg-erettet. 

Wenn  Schiller  in  den  folgenden  Jahren  an  der  Theater- 
leitung Goethes  teilnahm,  so  blieb  sein  Interesse  der  formalen 
Ausbildung  der  Schauspieler  fern;  Caroline  von  Wolzogen^) 
hält  beidei*  Zusammenarbeiten  Avohl  richtig  auseinander,  wenn 
sie  schreibt:  „Schiller  wirkte  auf  das  Fühlen  und  innige  Ver- 
stehen der  Rollen;  Goethe  auf  die  Erscheinung  im  Leben." 

Goethe  selbst  war  auf  dem  Standpunkt  des  Wilhelm 
Meister  nicht  stehen  geblieben:  dei-  Weimarer  Stil,  wie  er  in 
Reinholds  Schrift  „Saat  von  Goethe  gesät"  karrikiert  ist, 
führte  immer  mehr  zur  Überschätzung  der  schönen  Bewegung 
und  näherte  sich  dem  Ideal  der  mimischen  Plastik.  Goethe 
darf  nun  durchaus  nicht  allein  für  die  Yeräussei'lichung  der 
Schauspielkunst  im  beginnenden  neunzehnten  Jahrhundert  ver- 
antwortlich gemacht  werden;  es  waren  Zeittendenzen,  die  auch 
an  anderen  Orten  zum  Ausdruck  kamen,  z.  B.  bei  der  in 
Berlin  geschulten  Mad.  Hendel-Schütz,')  und  die  auch  unab- 
hängig von  Weimar  ihre  theoretische  Vertretung  fanden,  wie 
in  den  „Vorträgen  über  Mimik  und  Deklamation"  des  Frei- 
herrn von  Seckendorf  (Patrick  Peale). 

Schiller  hat  diese  Entwicklung  nicht  bis  zu  ihrem  Höhe- 
punkt begleitet;  bei  seinen  Lebzeiten  hat  er  ihr  nicht  geradezu 
widersprochen;  und  doch  gewinnen  wir  den  Eindruck,  dass  er 

so  ist  sein  Spiel  edel.  Die  Leichtigkeit  im  Gange,  die  Einfalt  iu  der 
Stellung,  die  Annehmlichkeit  und  das  Ungezwungne  im  Arme,  die  sind  es, 
welche  diese  so  gewünschte  Eigenschaft  verschaflen.  Wenn  wir  keine  Aufmerk- 
samkeit auf  unsre  Gestalt  merken  lassen ,  und  der  Zuschauer  glaubt  nur  unsere 
Seele  wirken  zu  sehen,  alsdann  ist  das  Edle  auf  seinem  höchsten  Punkt." 

')  Schillers  Leben  (Cotta'sche  Handbibliothek)  S.  23G. 

')  Vgl.  oben  S.  274  f.  Ihr  durch  Rehbergs  Zeichnungen  vermitteltes 
Vorbild,  Ijady  Hamilton,  hatte  Goethe  bereits  1787  in  Neapel  kennen  ge- 
lernt (Italien.  Reise,  Hempel  Bd.  24,  S  198,  314  f.).  Wie  diese  Richtung 
der  Schauspielkunst  die  bildende  Kunst  zum  Vorbild  nahm,  so  wurde  sie 
wiederum  deren  Gegenstand.  So  erschienen  in  Berlin  die  Zeichnungen  der 
Gebr.  Henschel  nach  Ifflands  Stellungen  und  später  in  Frankfurt  ein  grosses 
Werk  von  Jos.  Nie.  Peroux,  Pantomimische  Stellungen  von  Henriette 
Hendel,  26  Blätter,  gest.  v.  H.  Ritter.     Nebst  e.  bist.  Erklär,  v.  V^ogt. 


—     3-21      — 

einei-  tompcramentvoUeren  Beweglichkeit  g-eneig-t  blieb.  Es  rauss 
z.  B.  auffallen,  dass  er  bei  der  ersten  Aufführung  der  Picco- 
lomini  mit  der  Darstellerin  der  Gräfin  Terzky,  die  von  aus- 
wärts kam  und  Goethes  Schule  noch  nicht  durchlaufen  hatte, 
besonders  zufrieden  war/) 

Mehr  noch  als  Goethe  behielt  er  geg-en  die  französische 
Schauspielkunst  —  „des  falschen  Anstands  pi-unkende  Ge- 
bärde" —  eine  starke  Abneigung-,  die  sich  auch  bei  den 
Proben  zum  Tancred  geäussert  haben  soll.-)  Wenn  nach 
Reinholds  späterer  Kari'ikatur^)  man  sich  im  Weimarer  tragi- 
schen Stil  an  Stelle  aller  Umarmungen  drei  Schritte  vom  Leibe 
blieb,  so  ist  das  wahre  Bild  ungeheuerlich  verzerrt,  aber  ein 
Körnchen  Richtigkeit  muss  doch  dabei  sein,  denn  als  der  Schau- 
spieler Vohs  als  Mortimer  die  Voi'schrift  (III, ö): 

(Er  presst  sie  heftig  an  sich.) 

im  Sinne  des  Dichters  befolgte,  erregte  er,  weil  er  die  Gren- 
zen dei-  Mässigung  überschritt^),  das  Missfallen  des  bereits  an 
den  reservierten  Stil  irewöhnten  Publikums. 


3.  Form  und  Stellmif?  der  SiMclanweisuiigeu. 

Ein  formeller  Hauptuntci-schied  ist  zu  machen  zwischen 
den  symptomatischen  Anweisungen,  die  dem  Schauspieler 
die  äusseren  Kennzeichen  der  Gemütsbewegung  vorschreiben, 
und  den  allgemeinen  Vorschriften,  die  den  Affekt  selbst  ins 
Auge  fassen,  statt  der  Mittel  und  Wege  das  Ziel  zeigen  und 
den  Eindruck  charakterisieren,  den  der  Zuschauei-  aus  den 
Bewegungen  des  Schauspielers  gewinnen  soll. 


')  Steffens,  Was  ich  erlebte.     Breslau  1841  IV,  S.  112. 
'-)  Genast.   (1.  Aufl.)  I,  115. 
=•)  Saat  von  Goethe  gesät  S.  22,  .30. 

*)  Einige  Briefe  über  Schillers  Maria  Stuart,  Jena  18UU  S.  119. 
Weimars  Album  1840  S.  153  f. 

Weber,  Zur  Geschichte  des  Weimarischen  Theaters,  Weimar  1865, 
S.  48. 
Palaestra  XXXn.  21 


—     322     — 

Zwei  Beispiele,  wo  beide  Arten  tautologisch  nebeneinan- 
der stehen,  mögen  den  Unterschied  erläutern: 

Fiesko  (stand   die  ganze  Zeit   über,    den  Kopf  auf  die  Brust 

gesunken,  in  einer  denkenden  Stellung). 

Karl  OS  (besinnt  sich  und  fährt  mit  der  Hand  über  die  Stime). 

Die  symptomatischen  Auweisung-en:  „den  Kopf  auf  die 
Brust  gesunken"  und  „fährt  mit  der  Hand  über  die  Stirne" 
drücken  dasselbe  aus,  wie  die  mein*  allgemeinen:  ,,in  einer 
denkenden  Stellung"  und  „besinnt  sich".^) 

Nun  wäre  es  reizvoll,  einen  Zusammenhang  zwisclien  der 
Stellung  des  Dichters  zu  den  theoretischen  Fragen  und  seinen 
Bühnenanweisungen,  in  denen  sich  praktisch  das  Verhältnis 
zum  Darsteller  ausdrückt,  zu  suchen.  Es  müsste  z.  B.  den 
jugendlichen  Anschauungen  aus  der  Stuttgarter*  Zeit  ent- 
sprechen, wenn  der  Dichter  der  Räuber  und  des  Fiesko  nicht 
wagen  würde,  den  Schauspielern  mechanische  Ausdrucksbewe- 
gungen vorzuschreiben;  es  müsste  ihm  nur  darauf  ankommen, 
sie  mit  den  Affekten  selbst  zu  erfüllen;  ihre  leidenschaftliche 
Nachempfindung  würde  unbewusst  den  richtigen  Weg  ein- 
schlagen. 

Es  darf  uns  indessen  nicht  überraschen,  wenn  wir  gerade 
das  Umgekehrte  beobachten.  Die  in  den  Dialog  der  Jugend- 
stücke  eingestreuten  Bemerkungen  sind  nämlich  keine  Bühnen- 
anweisungen im  eigentlichen  Sinne;  auf  die  Scliauspieler  als 
Helfershelfer  in  der  Verwirklichung  rechnet  der  junge  Dichter 
gamicht,  wenn  er  alles,  was  in  seinem  Innern  nach  Gestaltung 
ringt,  zum  sprechenden  Ausdruck  zu  bringen  strebt.  Er  stellt 
sich  eine  viel  zu  grosse  Aufgabe;  damit  er  sie  lösen  kann, 
muss  ein  Stück  Epiker  in  ihm  bleiben,  und  so  tragen  in  der 
Tat  manche  Anweisungen  novellistischen  Charakter. 

Andererseits  aber  ist  er  mehr  als  Di-amatiker,  denn  er 
selbst  ist  bereits  der  erste  schauspielerische  Darsteller  seiner 


^)  Dem  späteren  Brauch  entspricht  es  nicht  mehr,  bei  symptomatischen 
Anweisungen  das  Motiv  hinzuzufügen ;  hatte  es  z.  B.  Carlos  v.  1859  geheissen : 
„(das  Gesicht  voll  Scham  in  das  Kissen  verbergend)"  so  wurden  l.SOl  die 
Worte:  „voll  Scham"  gestrichen.     Vgl.  unten  S.  33ü. 


—      328     — 

Figuren.  Von  der  Art  seiner  poetischen  Produktion  wissen 
wir,  dass  er  die  Gedanken  unter  Stampfen,  Schnauben  und 
Brausen  zu  Papier  brachte:  in  Oirgersheim  fand  man  ihn  bei 
Tage  im  vei'dunkelten  Zimmer  in  Hemdsärmeln  herumrennen, 
gestikulieren  und  ,,ganz  barbarisch  krakeelen";  er  hatte  gerade 
den  Mohren  am  Kragen.^)  In  sich  selbst  Hess  er  die  Leiden- 
schaften seiner  Helden  wüteU;  und  der  Ausdruck,  den  er  dafür 
fand,  war  seine  eigene  verzei'rte  Mimik.  Wie  er  einst  als 
Clavigo  auf  der  Stuttgarter  Bühne  gerast  hatte,  so  tun  es 
auch  seine  Figuren,  und  zwar  sind  gerade  den  Helden,  in 
denen  er  selbst  aufgeht.-)  Karl  Moor  und  Ficsko,  die  mass- 
losesten Leidenschaftsäusserungen  zugeschrieben : 

Räuber  1,2:     (schäumend  auf  die  Erde  stampfend) 

Trsp.  IV,17:  (halb  rasend  auf  und  nieder) 

Fiasko  V,12:  (viehisch  um  sich  hauend) 

(mit  frechem  Zähnblöken  gen  Himmel). 

Die  Identifikation  des  Dichters  mit  seinem  Helden  ist  eine 
charakteristische  P^igentümlichkeit  der  Sturm-  und  Drangperiode. 
Schiller,  der  weniger  der  Maler  seiner  Helden  als  ihr  I^usenfreund 
sein  will,  vertritt  dieses  innerliche  Miterleben  noch  teilweise  in 

*)  Minor,  A.  d.  Schillerarchiv  S.  57. 
Weltrich  I,  287.  845. 

■)  So  heisst  es  in  der  Theosophie  des  Julius  (Goed.  IV,  -iSf.)  schon 
vom  Anhören  einer  grossen  Tat:  „Wenn  wir  z.  B.  eine  Handlung  der 
Grossmut,  der  Tapferkeit,  der  Klugheit  bewundern,  regt  sich  da  nicht  ein 
geheimes  Bewusstsein  in  unserm  Herzen,  dass  wir  fähig  wären  ein  gleiches 

zu  tunV Ja  unser  Körper  selbst  stimmt  sich  in  diesem  Augenblick 

in  die  Gebärden  des  handelnden  Menschen,  und  zeigt  offenbar,  dass  unsre 
Seele  in  diesen  Zustand  übergegangen." 

Vom  schaffenden  Künstler  aber  wird  gesagt:  „Ich  bin  überzeugt, 
dass  in  dem  glücklichen  Momente  des  Ideales,  der  Künstler,  der  Philosoph 
und  der  Dichter  die  grossen  und  guten  Menschen  wirklich  sind,  deren  Bild 
sie  entwerfen'". 

Anders  wieder  in  dem  Brief  an  Reinwald  14.  April  1783  (Jonas  I, 
112 f.):  „Gleichwie  aus  einem  einfachen  weissen  Strahl,  je  nachdem  er  auf 
Flächen  fällt,  tausend  und  wieder  tausend  Farben  entstehen,  so  bin  ich  zu 
glauben  geneigt,  dass  in  unsrer  Seele  alle  Karaktere  nach  ihren  Urstoffen 
schlafen,  und  durch  Wirklichkeit  und  Natur  oder  künstliche  Täuschung  ein 
daurendes  oder  nur  illusorisch  —  und  augenblickliches  Daseyn  gewinnen. 
Alle  Geburten  unsrer  Phantasie  wären  also  zuletzt  nur  Wir  selbst". 

21* 


—     324     — 

den  Briefen  über  ästhetische  Erziehnno-;^)  erst  unter  dem  ver- 
tieften Studium  der  Griechen  vollzieht  sich  die  grosse  Wand- 
lung; an  die  Stelle  der  gefühlsAvarmen  Individualisierung  der 
Charaktere  tritt  nun  die  Behandlung  als  „idealische  Masken". 
Die  neue  Kunst  wird  zuerst  am  Wallenstein  angewendet,  avo 
der  Dichter  nur  noch  für  Max  durch  seine  Zuneigung  interessiert 
ist,  während  er  alle  anderen  KoUen  „mit  der  reinen  Liebe  des 
Künstlers  traktiert".^) 

Eine  Mässigung  in  allen  Leidenschaftsäusserungen,  eine 
Bevorzugung  typischer  statt  individueller  Ausdrucksbewegun- 
gen, zusammenhängend  mit  einem  Zurücktreten  der  sympto- 
matischen Ausdrucksvorschriften,  ja  mit  einer  Abnahme  der 
Bühnenanweisungen  überhaupt,  gehören  zur  Charakteristik 
dieses  neuen  Stils. 

Im  grossen  tragischen  Stil  liegt  es.  dass  die  Gestalten 
uns  viel  ferner  bleiben,  während  das  bürgerliche  Drama  seine 
Personen  in  kleinen  Äusserlichkeiten  unter  die  Lupe  nunmt. 
Vor  allem  aber  ist  es  die  Versform,  die  nunmehr  die  prosaischen 
Bühnenanweisungen  als  etwas  Unorganisches  auszustossen  oder 
wenigstens  einzuschränken  sucht. 

Dei'  Übergang  vollzieht  sicli  im  Don  Cai'los,  dem  noch  so 
vieles  vom  bürgei-Jichen  Drama  anhaftet.  Die  verschiedenen 
Fassungen  dieses  Stückes,  dem  mehr  als  zwanzig  Jahre  von 
Schillers  Entwicklung  ihre  Spuren  aufgedrückt  haben,  gestatten 
uns  hier  die  erwünschten  Beobachtungen.  Die  später  weg- 
gefallene Eingangspantomine  in  der  Thalia,  die  nicht  ohne 
weiteres  als  vorbelialtene  Lücke  für  einen  künftigen  Monolog 


')  Über  die  ästhetische  Erziehung  15.  Brief.    Goed.  X.  323. 

Dilthey,  Die  Einbildungskraft  des  Dichters.  Philos.  Aufs.  f.  Zeller  S.  351. 

Auch  Home  hatte  vom  Dramatiker  verlangt,  er  müsse  sich  in  ilie 
Leidenschaften  und  Charaktere  seiner  Personen  einleben,  ihnen  nicht  als 
Zuschauer  gegenüberstehen.  Dadurch  erreiche  Shakespeare  immer  den  wahren 
Ausilruck,  die  volle  Individualität  der  vorgeführten  Figuren :  er  scdiaffe 
wie  die  Natur  seine  Werke. 

")  An  Kömer  21.  März,  28.  Nov.  ÜG.  An  Huinlioldt  21.  März  !»(!. 
An  Goethe  28.  Nov.  90.     Jonas  IV.  431,  430.    V,  11!),  122. 


—     325     — 

trelten  soll,  ist  z.  B.  noch  durchaus  in  der  Art  des  bürgerlichen 
Dramas  gedacht.  Und  wie  hier  der  Pnnz  heftig  auf  und  nieder 
lenut  mit  wechselnder  Traurigkeit  und  Wut  in  seinen  Gebärden, 
so  lässt  er  sich  auch  weiterhin  wie  ein  »Sturm-  und  Drangheld 
in  allen  Leidenschaftsäusserungen  gehen.  Schon  der  erste 
Druck  des  ganzen  Stückes  (1787)  und  dann  vor  allem  die 
Überarbeitung  von  l^ul  haben  vieles  gemässigt  oder  ganz 
entfernt;  neben  der  Rolle  des  Prinzen  hat  dabei  vor  allem 
die  des  Königs  mehr  Zurückhaltung  und  Würde  gewonnen. 
Hatte  er  z.  B.  in  der  Thalia  auf  die  Tränen  der  Königin  (1,6) 
.,heftig  erschüttert*'  geantwortet,  so  heisst  es  nun  nuj-  noch: 
„in  einiger  Bewegung".  Auf  den  Verdacht  Domingos  hin  war 
er  in  der  Thalia  (v.  8943)  ohnmächtig  auf  den  Sessel  zurück- 
gesunken, und  Domingo  hatte  Alba  zu  Hilfe  gerufen;  1787 
heisst  es  statt  dessen: 

Der  König  steht  auf  und  zieht  <lie  Glocke. 

Und  wie  der  Prinz  nicht  mehr  im  Überschwang  der 
Freude  Medina  Sidonia  in  die  Arme  schliesst,  so  bewahrt 
auch  der  Monarch  das  Zeremoniell  und  reicht  dem  Begnadigten 
nur  die  Hand  zum  Kusse,  statt  ihn  wie  früher  vom  Boden 
aufzuheben. 

Wenn  wir  kurz  die  Frage  berühren,  in  welchem  Ver- 
hältnis die  verschiedenen  Personen  überhaupt  mit  Spielvor- 
scluiften  bedaciit  sind,  so  ist  es  für  die  .Jugendstücke  beinahe 
selbstverständlich,  dass  die  leichste  Gestikulation  den  Helden 
zugeschrieben  ist.  Eine  konsequent  durchgeführte  Absicht, 
durch  Lebhaftigkeit  des  Spiels  das  Temperament  der  Personen 
zu  charakterisieren  und  etwa  einer  bedächtigen,  vornehm  zurück- 
haltenden FigurM    weniger  Spielvorschriften   zuzuteilen,    lässt 

')  J.  .1.  Engel,  der  auf  dem  Boden  des  Konversationsstückes  steht, 
schreibt  in  seinen  „Ideen  zu  einer  Mimik"  (I.  38;:  „Die  vornehmen  Stände 
reden  von  Entzücken,  wo  Vergnügen  schon  zu  viel  wäre;  sie  verbeugen 
sich  tief,  wo  sie  kaum  mit  der  leichtesten  Bewegung  des  Hauptes  danken 
sollten ;  sie  brechen  in  Umarmungen  aus,  wo  der  wahre  xVusdruck  vielleicht 
nur  ein  nicht  unfreundliches  Annähern  um  ein  Paar  Schritte  wäre." 

Umgekehrt  35  Jahre  später  Fr.  L.  Schmidt  (Dramaturg.  Aphorismen 
I.  12i):  „Man  wird  ferner  bemerken,  dass,  je  gebüdeter  der  Redner,  oder  je 
erhabener  der  Standpunkt  ist,  je  weniger  wird  er  überhaupt  gestikuliren." 


—     326     — 

sich  nicht  überall  beobachten.  Nur  bei  einer  Figur  des  Don 
Carlos  finden  wir  es  deutlich  ausgesprochen:  „Der  Gross- 
inquisitor darf  fast  gar  keine  Mimik  haben,  seine  ganze  Sache 
ist  Deklamation,  deutliche  starke  Vorlegung  des  Textes."  ') 
Dem  entspricht  es,  wenn  1801  bis  auf  die  eine  Anweisung: 
(Mit  unwilligem  Kopfschütteln.) 

alle  anderen  Bewegungsvorschriften  aus  dieser  Rolle  gestrichen 
sind.  ^) 

Die  Zahl  der  Bühnenanweisungen  nahm  in  den  ersten 
Stücken  zu:  in  den  Räubern  sind  die  im  Trauerspiel  hinzu- 
gekommenen Auftritte  reichlicher  belebt;  der  Fiesko  übertrifft 
sie  noch,  und  im  letzten  Akt  von  Kabale  und  Liebe  erreicht 
die  Zahl  der  Spielvorschriften  ihren  Höhepunkt.  Dann  folgt 
in  den  Versstücken  eine  stetige  Abnahme  bis  zur  Braut  von 
Messina.  Immerhin  kommt  es  nicht  bis  zu  der  vollständigen 
Kahlheit  an  Spielanweisungen,  wie  in  der  französischen  Tra- 
gödie. In  seiner  Phädra-Übersetzung  sah  sich  Schiller  zu 
mehreren  Hinzufügungen^)  veranlasst  und  ersetzte  z.  B.  Racines 
Ausruf:  „Phedre?"  durch  stummes  Spiel.  775  b: 
(Hippolyt  macht  eine  Bewegung  des  Erstaunens.) 

Wenn  die  Bühnenmanuskripte  der  späteren   Stücke  mehr 
szenarische  Vorschriften  aufweisen  als  die  Drucke,  so  handelt 
es  sich  selten  um  Hinzufügungen  für  den  Theaterzweck;  diese 
überschüssigen    Anweisungen    gehören    meistens    bereits    der 
ersten  Niederschrift  an,  wie  wir  bei  Maria    Stuart    erkennen. 
Dort    nähern    wir    uns    in    der    englischen    Übersetzung    von 
Mellish,    deren  Vorlage   keineswegs  zur  Aufführung  bestimmt 
war,    dem    Urmanuskript   und   finden   fast    alle    die  Bühnen- 
So  hatte  auch  Knigge  die  Regel  gegeben:  „man  soll  nicht  bei  unbe- 
deutenden, affektlosen  Unterredungen,  gleich  den  Leuten  aus  der  niedrigsten 
Volksklasse,  n)it  Kopf,  Armen  und  anderen  Gliedern  herumfahren  und  um 
sich  schlagen;"  (Üb.  d.  Umgang  mit  Menschen.  Meyers  Volksbücher  S.  36). 
•)  An  Schröder  13.  Juni  1787.     Jonas  I,  346. 
0  Es  hiess  vor  1801  zu  v.  5262  (reicht  ihm  die  Hand), 
5265  (mit  lauerndem  Gesicht) 
5279  (mit  Feuer). 
=')  Z.  B.  124  a,  lU2a,  266  a,  560  a,  589,  716  b,  760,  1216. 


—     327     — 

anweisung-en.  die  die  Theatermanuskripte  vor  dem  Druck  vor- 
aushaben. Die  Bühnenfassunß-en  stellen  seit  Don  Carlos  fast 
durchwoir^)  ein  vor  dem  Druck  Heißendes  .Stadium  dar;  für  die 
Buchausgabe  tilgte  Schiller  solche  Anweisungen  aus  Gründen, 
die  wir  im  folgenden  erkennen  werden. 

Zunächst  kehren  wii"  zum  Don  Carlos  zurück,  um  eine 
Anschauung  von  der  Reduktion  in  den  verschiedenen  Fassungen 
zu  gewinnen.  Zur  Stichprobe  wähle  ich  den  ersten  Auftritt 
zwischen  Carlos  und  der  Königin;  unter  den  318  Versen  in 
der  Thalia  bleibt  an  33  Stellen  Platz  für  Anweisungen  des 
Dichters;  im  Druck  von  1787  ist  das  Verhältnis  auf  12 
Bühnenanweisungen  zu  223  Versen  herabgesunken,  wobei  nur 
eine  einzige  VV'eglassung  (v.  1019)  durch  Entfernung  der  um- 
gebenden Verse  veranlasst  ist.  1801  ist  die  Zahl  der  Bühnen- 
anweisungen wieder  um  zwei  vermindert,  ohne  dass  der  Weg- 
fall von  38  Versen  damit  in  Zusammenhang  stünde. 

Im  einen  Fall  sind  zwei  Anweisungen  in  eine  zusammen- 
gezogen; das  andere  Beispiel  wollen  wir  uns  genauer  ansehen; 
es  hiess  in  der  Thalia  v.  917  b: 

(Karlos  geht  in  schrecklicher  Bewegung  auf  und  nieder) 
im  Druck  von  1787  v.  846  b: 

(Kariös  ist  in  o-rosser  Bewegung.); 

seit  1801  ist  bei  demselben  Wortlaut  der  Verse  (738  f.)  die 
Anweisung  überhaupt  weggeblieben. 

Während  das  erste  Mal  aus  Mässigung  die  symptomatische 
Vorschrift  durch  eine  allgemeine  ersetzt  wurde,  liegt  der 
Grund  zur  Änderung  das  zweite  Mal  im  Formgefühl  des 
Dichters;  denn  die  prosaische  Anweisung  stand  zwischen  zwei 
Versen  einer  fortlaufenden  Periode  und  hätte  für  das  Auge 
wie  beim  Vorlesen  für  das  Gehör  den  Fluss  der  Rede  gestört. 

Aus  demselben  Grunde  ist  die  Anweisung: 
(Karlos  sieht  zur  Erde  und  schweigt) 
die  1787  mitten  in  Domingos  Rede  (v.  4)  stand,  1805  an  das 
Ende    eines    Verses   und    einer  Periode   gerückt  (nach  v.  8). 
Bald  darauf  linden  wir  eine  ähnliche  Stelle;  statt: 

')  Ausgenommen  Jungfr.  v.  Orl.  (An  Goethe  28.  April  1801.  Jonas 
VI,  273).  Dort  weicht  in  der  Tat  das  Bühnenmanuskript  weniger  vom 
Druck  ab  als  bei  den  anderen  Stücken. 


—     328     — 

Doch  (ernsthaft  und  finster) 

hab'  ich  immer  sagen  hören,  tlass 

heisst  es  seit  1801 : 

(Ernsthaft  und  finster.) 
Doch  hab'  ich  immer  sagen  hören,  dass 
Solche  Kleinigkeiten  zeigen,  wie  der  Dichter  bei  späteren 
Drucken  sein  Werk  als  Buchdrama  betrachtet:  nur  das  ge- 
lesene Wort,  nicht  die  bei  der  Aufführung  ausgeführte  Be- 
wegung unterbricht  ja  den  Vers^).  Im  Bühneutext  dagegen 
hat  die  Anweisung  genau  an  dei-  Stelle  zu  stehen,  avo  sie  voll- 
zogen werden  soll;  so  heisst  es  z.  B.  in  der  Prosabear- 
beitung: 

Wenn  es  ist  —  wenn  es  doch  ist  —  Und  ist  es  denn  nicht 
schon?  —  Wenn  das  aufgehäufte  Mass  Ihrer  Schuld  und  meines 
Argwohns  auch  nur  um  die  Schwere  eines  Athems  steigt  —  (ihre 
Hand  nehmend)  —  Avenn  ich  der  Betrogene  bin  —  wenn  ich  es  bin 
—  (er  lässt  ihre  Hand  los). 

Ganz  richtig  ist  hier  das  Anpacken  der  Königin  für  den 
Moment  der  höchsten  Energie  in  der  Aufwallung  des  Königs 
aufgespart:  im  Versdrama  dagegen  (auch  in  der  jambischen 
Theatej'bearbeitung)  tritt  es  verfrüht  ein  ^),  damit  die  Verse 
bis  zum  deklamatorischen  Höhepunkt  ungehemmt  foiteilen 
können : 

(Er  nimmt  ihre  Hand.) 

Wenn  es  ist, 
Doch  ist  —  und  ist  es  denn  nicht  schon?     Wenn  Ihrer 
Verschuldung  volles  aufgehäuftes  Mass 
Auch  nur  um  eines  Athems  Schwere  steigt  — 
Wenn  ich  der  Hintergangne  bin  — 

(Er  lässt  ihre  Hand  los.) 
Solche  Verschiebungen  finden  sich  in  den  späteren  Stücken 
noch  häufiger^);  in  den  vier    folgenden  Fällen  z.  B.  bedeutet 


')  Mehrmals  finden  wir  es  auch,  dass  durch    eine  Anweisung    unter- 
brochene Verse  unvollständig  bleiben,  z.  B.  W.  T.  2047,  2084,  3662. 

')  Die  zweite  Anweisung,    das  Loslassen,  bleibt  an  der   alten  Stelle, 

obwohl  sie  gleichfalls  einen  Vers  zerreisst;  aVjer  es  ist  nicht  dasselbe:  der 

König  macht  hier  wirklich  eine  Pause  und  geht  in  einen  andern    Ton  über. 

*)  Auch  in  der  Prosa  der  späteren  Zeit,  so  im  Parasit  IV,  4: 

Selicour    (zu  Madame  Belmont,    leise)    Verraten    Sie    mich    nicht 

—  Das  gilt  Ihnen,  mein  Lieber  I  (zu  Karl  Firmin.) 


—     329     — 

jedesmal  (]er  Gedankenstrich  den  Platz,  wo  dio  aus  dem 
mitten  Verse  herausgedrängte  Anweisung  eigentlich  zu  stehen 
hätte: 

W.  T.  V.  2924  f.  So  unbereitet  musste  dieser  Schlag 

Sie  treffen  I  Armes  Kind !  —  Wie  ist's?  Pirholt  sie  sich? 
(Indem  er  sich  zur  Herzogin  wendet.) 

Jgfr.  z.  1739  f.  Wer  fing  den  Zank  an?  Redet!  —  Edler  I.ord! 
(zu  Talbot). 

z.  2608  rt'.  nhre  Hand  bedeutend  fassend) 

Und  —  zählt  auf  mich,  wenn  ihr  dereinst  des  Freundes 
Bedürfen  solltet! 
Teil  V.  929  f.  Geh  nicht  nach  Altorf  —  Hörst  du?  Heute  nicht. 
Den  einen  Tag  nur  schenke  Dich  lien  Deinen! 
(er  fasst  seine  Hand.) 

Zum  Kontrast  seien  einige  Stellen  dei'  Jugenddramen  an- 
geführt, wo  die  Anweisungen  an  ihrem  Platze  stehen,  aber 
einfach  nicht  mitzulesen  sind,  wenn  mau  den  Zusammenhang 
der    gesprochenen  Worte  aufrecht  erhalten  will: 

P'iesko  Hl.  3:  (sie  legt  einige  Galanterien  auf  ein  Tischgen.) 
Auch  diesen  Dolch,  der  mein  Herz  durchfuhr  (seinen  Liebesbrief.) 
Auch  diesen  —  und  (indem  sie  sich  lautweinend  hinausstürzen  will.) 
behalte  nichts,  als  die  Wunde! 

V,  13:  —  dann  übereilen  sich  (verächtlich.)  zwei  Augen, 
und  (mit  schröklichem  Nachdruk.)  ich  —  ermorde  —  mein  Weib! 
(beissend  lächelnd.)  Das  ist  das  Meisterstük. 

Kab.  IV,  3:  —  Aber  (indem  seine  Wut  sich  erneuert )  an  meine 
Blume  soll  mir  das  Ungeziefer  nicht  kriechen,  oder  ich  will  es  (den 
Marschall  fassend  und  ihn  unsanft  herumschüttelnd)  .>^o  und  so  und 
wieder  so  durcheinander  quetschen. 

Die  Worte  selbst  geben  in  doiii  letzten  Beispiel  den 
Takt  zur  Bewegung;    bezeichnend    für    diese  Gleichzeitigkeit 

V,  8: 

Firm  in  (lebhaft):     Ein  Älemoire!    Dasselbe   vielleicht,    das  ich  Sie 
heute  lesen  sah.  (zum  Minister.) 
Aber  es  handelt  sich  auch  hier  um  Verse,  die  in  der  französischen  Vorlage 
ungeteilt  bleiben: 

Dorival.  (bas  ä  Mad.  Dorlis.)     (Haut  ä  Charles.) 

Ne  nie  trahissez  pas.     Cest  k  vous  que  s"  adresse. 
Im  andern  Fall  fehlen  die  Anweisungen  im  Französischen  überhaupt. 


—     830     — 

ist  in  den  Jug^endstücken  die  häufige  Partizipialforra  der  An- 
weisungen, während  in  den  späteren  Dramen  oft  das  Perfektum 
eintritt,  und  statt  „indem"  ein  ..nachdem"  die  Anweisung 
einleitet. 

Zurückgreifende  Vorschriften  finden  sich  zwar  bereits 
in  den  Prosadramen,  namentlich  wenn  die  Bewegungen  solcher 
Personen,  die  eine  Zeitlang  am  Gespräch  nicht  teilnahmen, 
nachgeholt  werden: 

Raub.  I,  2:  Spiegelberg  (der  sich  die  ganze  Zeit  über  mit 
den  Pantomimen  eines  Projektmachers  im  Stubeneck 
abgearbeit  hat.  springt  wild  auf.) 

Trsp.  IV,  13:  Schweizer  (der  ihn  erstochen  hat). 
Fiesko  V.  12:  Fiesko  (stand  die    ganze  Zeit  über,    den   Kopf 
auf  die  Brust  gesunken); 

in  den  Versdramen  jedoch  sind  solche  präteritale  Angaben 
viel  häufiger;  auch  werden  dort  manchmal  Bewegungen  des 
Redenden  selber^)  nachgeholt:  Wall.  Lager  v.  621  b: 

(er  hat  nach  und  nach  bey  den  letzten  Worten,  die  er  mit  erhobener 
Stimme  spricht,  seinen  Rückzug  genommen,  indem  die  Kroaten  die 
übrigen  Soldaten  von  ihm  abwehren.) 

M.  St.   17  f. 

Paul  et.     Die  überliefr'  ich  —  Sieh!  Was  schimmert  hier? 

(er  hat  einen  geheimen  Ressort   geöffnet  und    zieht   aus   einem 
verborgenen  Fach  Geschmeide  hervor.) 

Der  Gedankenstrich  bezeichnet  wiederum  die  Stelle,  wo 
die  Bewegung  einsetzen  musstc.  Nur  wenn  sie  in  eine  Pause 
fällt,  steht  auch  in  den  Versdramen  die  Vorschrift  regel- 
mässig an  ihrem  Platze,  z.  B. 

Carlos  2475  (Hier  macht  er  eine  Bewegung,  die  ihn  zu  sich 
selbst  bringt.     Er  sieht  mit  Befremdung  auf.) 

W.  T.  3175  (Sie  sinkt  hier  in  Nachdenken  und  fährt  dann  mit 
Zeichen  des  Grauens  auf.) 


')  Goethe  hat  auch    in    solchem  Falle    das   I'räsens,    z.  B.  Iphigenie 
v.  1565  b. 

(Er   geht    gegen    den    Tempel  unter    den    letzten    Worten,    ohne  zu 
bemerken,  dass  Iphigenie  nicht  folgt,  endlich  kehrt  er  sich  um.) 


—     331     — 

Das  Gegenteil  der  präteritalen.  die  vorausgreifenden. 
futurischen  Anweisungen  sind  minder  häutig:  sie  beziehen  sich 
hauptsächlich  auf  anhaltende  l>e\vegungen.  für  die  ein  be- 
stimmter Zeitpunkt  nicht  festgesetzt  wird.  Jn  P)ühnenmanus- 
kripten  wird  so  das  Tempo  eines  ganzen  Auftiittes  schon  im 
Anfang  vorgeschrieben,  z.  B.  im  Hamburirer  Manuskript  des 
Don  Carlos  IV,  13: 

(muss  sehr  rasch  gesprochen  werden) 
oder  im  Berliner  Manuskript  des  Wallenstein  V,  10: 

(Dieser  Auftritt  mu.ss  ganz  ohne  Pausen  gesprochen  werden) 

oder  im  Bühnen-Fiesko  IV,  1: 

(Die  Unterredung  ist  wegen  den  Anwesenden  etwas  leise). 

Auch  die  einzelne  Pei'son  kann  eine  summarische  In- 
struktion im  voraus  erhalten: 

Don  Carlos  4851  (Er  sinkt  an  dem  Leichnam  nieder  und  nimmt 
an  dem  folgenden  keinen  Antheil  mehr,  l 

M.  St.  27H4  (J)r  geht  während  der    folgenden  Rede  Mortimers 
verzweiflungsvoll  auf  und  nieder.) 

Indessen    wird    das    Verharren    in    einer    und    derselben 
Stellung  oder   Tätigkeit    durch    mehrmaliges  Wiederholen  der 
Anweisung  eindringlicher  hcivorgehoben,  z.  B.  Jungfr.  IV,  11 : 
z.  4059  sie  steht  unbeweglich 
z.  4087  Johanna  steht  unbeweglich 
z.  4099  Johanna  steht  unbeweglich 
z.  4121  Johanna  bleibt  unbeweglich. 
Gegenüber  dieser  absichtlichen  Verteihnig  ist  sonst  in  den 
späteren  Stücken  durchaus  die  Zusammenziehung  mehrerer  Vor- 
schriften üblich');  präteritale  und  präsentische  Angaben  werden 

')  Picc.  2163  b  (Octavio  hat    unterschrieben    und   reicht  Terzky    die 
Schrift,  der  sie  dem    Isolani  giebt.     Dieser   geht  an 
den  Tisch  zu  unterschreiben.) 
W. T.  1143b.  (Buttler  hat   den  Brief  gelesen,    seine  Knie  zittern, 

er  greift  nach  einem  Stuhl,  setzt  sich  nieder.) 
M.  St.  1507      (Die  Königin  hat    den   Brief  genommen.     Während 
sie  ihn  liest,  sprechen  Mortimer  und  Leicester  einige 
Worte  heimlich  mit  einander.) 
Braut  2157     (ist  mit  ausgebreiteten  Armen  auf  sie   zugeeilt,    und 
tritt  mit  Schrecken  zurück.) 
2309     (zu  Beatricen,  welche  sich  zwischen  sie  und  die  Bahre 
geworfen.) 
Teil  3101     (Geht  hinein  und  kommt  bald  mit  einem  Becher  wieder.) 


—     332     — 

verbunden,  und  Bewe^un^en  verschiedener  Personen  zu  einander 
in  Beziehung  gesetzt.  Durch  diese  Konzentration  gelingt  es, 
die  Anweisungen  nur  am  Anfang  oder  8chluss  oder  an  Ruhe- 
punkten der  Rede  unterzubringen:  je  länger  die  Reden,  desto 
seltener  sind  also  im  Versdrama  die  Stellen,  wo  Spielanwei- 
sungen Wurzel  fassen  können. 

Daraus  ergibt  sieli  eine  neue  Funktion  der  Anweisungen; 
sie  dienen  geradezu  zur  Gliederung  der  Rede,  Namentlich 
an  Monologen  lässt  sich  dies  beobachten,  z.  B.  Picc.  III,  9, 
Avo  Theklas  Rede  ursprünglich  nach  den  Versen  1898  und 
1906  durch  die  Anweisungen: 

(Man  hört  die  Tafelmusik  von  ferne.) 
(Die  Tafelmusik  wird  lauter.) 
unterbrochen  war,  von  denen  später  die  erste  ausfiel;  ähnlich 
teilen  die  Angaben  über  Johannas  Annäherung  den  Monolog 
]\Iontgomcrys  (Jgfr.  II,  6);  zumeist  aber  werden  durch  Bewe- 
gungen des  Redenden  selbst  die  Pausen  ausgefüllt,  z.  B.  W.  T. 
1,4;  in,  18. 

Beim  Ver'gleich  der  Prosa-  mit  den  Versdramen  fällt  auf, 
Avie  später'hin  die  Bewegungen  der  äusseren  Handlung  das 
Übergewicht  bekommen,  w^ährend  die  eigentlichen  Ausdrucks- 
vorschriften zurücktreten.  Die  erhölite  Sprache  bedarf  ihrer 
viel  weniger  als  die  Pi'osa,  die  durcli  solche  Mittel  von  der 
Alltagsrede  gesondert  werden  muss;  dem  Vers  ist  sein  Aus- 
druck immanent,  und  das  einzige,  was  der  Dichter  noch  immer 
hinzufügen  muss,  ist  die  Angabc,  an  wen  die  Worte  gerichtet 
sind.  In  der  Braut  von  Messina  besteht  trotz  der  geringen 
Personenzahl  darin  der  grösste  Teil  aller  Anweisungen.  Und 
werfen  wir  einen  Blick  auf  Goethe,  so  sehen  wir,  dass  die 
si)ärlichen  Vorschriften  in  Iijhigenic,  Tasso,  der  Natüilichen 
Tochter  sich  hauptsächlich  auf  die  notwendigen  Bewegungen 
der  äusseren  Handlung,  zum  grossen  Teil  auf  Auftreten  und 
Al)g('lieu  der  Personen  beschränken. 

Dieses  quantitative  Verhältnis  dei"  Bühnenanweisungen  in 
Vers-  und  Prosadramen  wird  bei  allen  Dichtern  ungefähr  das 
gleiche  sein;  immer  wird  sich  am  Prosadialog  ein  grösserer 
Reichtum   von   Zwischenbemerkungen    emporranken,    während 


—     338     — 

sich  die  g-eschlossene  Versfomi  flieser  Sohlinsr^ewüchse    nllzn- 
o-orn  wie  einer  Art  Unkraut  erwehrt. 

Zur  Zeit  der  klassischen  französischen  Tragödie,  als  der 
Vers  allmächtig-  war.  war  man  so  weit  gegangen,  den  Zwischen- 
bemerkungen überhaupt  jede  Daseinsberechtigung  abzusprechen. 
Und  zwar  Avar  die  Pi'osaform  ein  HauptL-i'und;  bei  Hedelin 
heisst  es  (in  .Steinwehrs ^)  Übersetzung):  ,,Über  das  mischet 
man  auf  solche  Weise  Prose  unter  die  Verse;  und  noch  dazu 
eine  sehr  schlechte,  kalte  und  unbequeme  Prose.  Weil  diese 
Anmerkungen  den  Zusammenhang  im  Lesen  unterbrechen,  so 
trennen  sie  die  Urthcile  und  Leidenschaften  in  ihrer  Folge. 
Indem  die  Aufmerksamkeit  bey  dem  Verstände  des  Lesers 
getheilt  wird,  so  zei'streuen  sich  auch  die  Bilder,  welche  durch 
den  Verstand  der  Verse  eingepi'äget  wurden.  Kurz,  die  Acht- 
samkeit wird  nachlässiger,  und  das  Vergnügen  geringer." 

Später  war  es  gerade  Frankreich,  von  wo  der  Lmschwung 
ausging:  sobald  die  Prosa  wiedei-  Eingang  fand,  wucherten 
sogleich  im  bürgerlichen  Drama  die  Bühnenvorschriften  reichlich 
empor.  Der  Name  Diderot  ist  hier  an  erster  Stelle  zu  nennen; 
bei  deutschen  Di'amatikern  aber,  namentlich  bei  solchen  aus 
dem  Schauspielerstande  wie  (i rossmann.  MöMer.  Zieider  u.  a. 


M  Pnitique  du  Theätre,  Anistenlani  1715  I.  471'.  Franz  Hedelin, 
Abtes  von  Aubignac  Gründlicher  Unterricht  von  Ausübung-  der  Thea- 
tralischen Dichtkunst  aus  dem  Französischen  übersetzet  durch  Wolf  Balthasar 
Adolph  von  Steinwehr  Hamburg  1737  S.  65  ff.  Dort  findet  sich  auch  fol- 
gende Stelle:  ,,[ch  weis  auch  wohl,  dass  viele  von  unsern  Poeten,  dem 
Leser  den  ^'erstand  des  Stückes  zu  erleichtern  in  ihren  gedruckten  Stücken 
einige  Anmerkungen  gemachet  haben,  darinn  sie  da,sjenige  hinzusetzen,  was 
die  Verse  nicht  sagen,  z.  E. :  Hier  erscheinet  ein  eröffneter  Tempel:  Hier 
zeiget  sich  ein  prächtiger  Pallast  mit  vielen  Säulen:  Hier  müssen  sich  die 
l'ersonen  in  dieser  Ordnung  setzen :  Hier  küsset  der  Liebhaber  seiner 
Schönen  die  Hand:  Hier  redet  der  König  seinem  Vertrauten  ins  Ohr: 
Hier  gehet  der  l'rinz  im  Zorn  heraus;  und  hundert  andere  dergleichen 
Anmerkungen,  die  der  Poete  hiedurch  zwar  zu  seiner  Materie  nothwendig 
machen  will,  die  man  aber  sonst  an  keinem  Orte  in  seinem  Stücke  lieset. 
Allein  in  diesen  Anmerkungen  redet  der  Poete;  wir  haben  aber  schon 
droben  gesaget,  dass  er  vor  seine  Person  in  dieser  Art  rietlichte  gar  nichts 
sagen  solle." 


—     334     — 

steigerte  sich  i^egen  Ende  des  achtzehnten  Jahrhunderts  diese 
Mode  zur  Übertreibung,  Damals  hatte  sich  eigentlich  die 
Kleinmalerei  des  büi-gerlichen  Dramas  bereits  überlebt;  als  die 
Kritik  der  Romantiker  einsetzte,  war  der  Vers  wieder  zur 
Herrschaft  gelangt;  man  Avollte  das  Dichterwort  vernehmen, 
nicht  das  Arrangement  des  Regisseurs:  ,.Die  ausführlichen 
theatralischen  Anweisungen  kommen  heraus  wie  ein  Wechsel, 
welchen  der  Dichter  auf  die  Schauspieler  stellt,  weil  er  selbst 
nicht  zahlen  will  oder  kann."  Für  die  banalen  Auswüchse, 
die  sich  die  Herde  der  Familiendramatiker  zu  schulden  kommen 
liess\),  machte  A.  W.  SchlegeP)  Diderot  verantwortlich,  und 
zwar  meinte  er  wohl  hauptsächlich  den  Theoretiker,  aber  auch 
gegen  Schiller  erhob  er  den  Vorwurf,  durch  seine  Jugend- 
dramen ein  schlechtes  Beispiel  gegeben  zu  haben. 

Nun  sind-  die  detaillierten  Anweisungen  durchaus  nicht 
immer  an  den  Schauspieler^)  gerichtet,    sondern   zum  Teil   an 

1)  Vgl.  Börne.  Dramaturg.  Blätter,  Ges.  Sehr.  2.  Aufl.  I,  14 ff.  über 
Zieglers  „Lorbeerkranz".  Ein  Teil  der  dort  verspotteten  Anweisungen 
findet  sich  freilich  auch  bei  Schiller. 

')  A.  W.  Schlegel,  Werke  VI,  145.    VII,  48. 

•')  Vorschriften,  die  sich  ausgesprochen  an  den  Schauspieler  wenden, 
findet  man  bei  Schiller  nur  in  den  Bühnenbearbeitungen.  Z.  B.  im  Mann- 
heimer Fiesko  V,  6: 

Fiasko  (behauptet  in  dieser  Szene  durchaus  eine  erhabne  Kaltblütig- 
keit und  Ruhe,  welche  dem  Schauspieler  mit  allem  Nachdruck 
empfolen  wird). 
oder  in  der  jamb  Bearb.  des  Don  Carlos  (Hm  und  Mh)  bei  v.  3216: 

König   (nach  einer  langen  Pause,  welche  auszufüllen  dem  Geist  des 
Schauspielers  überlassen  wird). 
oder  in  der  Vorschrift  für  den  Chor  im  Manuskript  der  Bmut  von  Messina. 

Andere  Dramatiker  reden  auch  in  der  Buchausgabe  den  Schauspieler 
an,  z.  B.  Grossmann  in  „Nicht  mehr  als  sechs  Schüsseln"  IT,  8:  „Es 
ist  die  Sache  des  Schauspielers  und  der  Schauspielerin,  bey  diesen 
wenigen  Worten  in  Ton  und  Blick  den  feurigsten  Ausdruck  wechselseitiger 
Liebe  zu  legen.  Vorschreiben  lässt  sich  so  was  nicht,  und  wenn  mans 
könnte  —  der  Stünijjer  machts  doch  nicht  und  dem  Schauspieler  sagts  sein 
Mitgefühl,  wa.s  der  Dichter  will."  Oder  Bretzner  im  „Räuschgen"  II,  3 : 
„Da  diese  Pantomine  bloss  dem  Schauspieler  überlassen  ist;  so  traut  der 
V^erfasser  dem.selben  so  viel  Geschmack  zu,  keine  Burleske  daraus  zu  machen, 
sondern  immer  den  Mann  von  Lebensart  durchschimmern  zu  lassen." 


—     33J>     — 

das  lesende  Publikum  als  ein  Surrog^at  für  die  fehlende  Bühnen- 
verwirklichung.  Auch  dürfen  wir  beim  büro-erlichen  Drama 
niemals  den  engen  Zusammenhang  mit  dem  Roman  und  de)- 
moralischen  Erzählung  vergessen:  die  stoffliche  Gemeinschaft 
übte  einen  so  starken  Einfluss  auf  die  Form  aus,  dass  sogar 
Dramatiker,  die  direkt  für  das  Theater  schrieben,  ihren  Bühnen- 
anweisung'en  einen  erzählenden  Charakter  Hessen,  ja  sich  gradezu 
in  Romanphrasen  verirrten.^) 

Der  Ausdruck  „novellistische  Anweisung"  ist  schon  mehr- 
fach gebraucht;  er  ist  dort  zulässig,  wo  die  Vorschrift  einen 
erzählenden  Inhalt  hat,  den  nicht  die  Bewegung  des  Schau- 
spielers, sondern  nur  das  gesprochene  Wort  dem  Zuschauer 
verständlich  macht,  oder  wo  sie  den  Affekt  erklärt  und  Motive 
zur  Handlung  nennt,  die  sich  erst  nachträglich  aus  dieser 
selbst  erschliessen  lassen. 

Und  nicht  nur  bei  den  vom  Roman' )  angeregten  bürgerlichen 
Dramatikern,  sondern  auch  bei  einem  so  ausgesprochenen 
Theaterdichter  wie  Carlo  Gozzi  finden  wii-  diese  naive  Er- 
zählungsform; in  Tui'andot  heisst  es: 

Recitato  lenigma,  Turandotte  furiosa  si  lacera    dal  viso  il  velo 

per  sorprender  Calaf; 
und  auch  Werthes    Hess    in   seiner    Übersetzung    das    Motiv: 
„um  den  Cahif  zu  verwirren"  stehen,  während  Schiller  einfach 
schreibt : 

(Mit  den  letzten  Worten  reisst  sie  sich  ihren  Schleier  ab.) 


')  Vgl.  Kotzebues  „Sonnenjungfrau'' : 

II,  3  Alonso  (einen  Augenblick  schwankend,  ob  er  herunter 
stürzen  oder  Cora  zu  Hilfe  eilen  soll,  wird  von  der  Liebe  für  das 
Letztere  bestimmt,  und  kniet  nieder  neben  Cora,  welche  er  zu  er- 
wecken sucht). 

IV,  3  RoUa  (lässt  Haupt  und  Arme  sinken,  und  heftet  sein 
nasses  Auge  an  den  Boden). 

-)  Wie  solche  Anweisungen  tatsächlich  aus  dem  Roman  ins  Drama 
übergehen,  dafür  hat  Riemann  in  seinem  Aufsatz  über  .1.  .T.  Engels  „Herr 
Lorenz  Stark"  (Euphorien  VII  S  507.)  ein  hübsches  Beispiel  gegeben; 
im  Roman  heisst  es:  „Sie  log  mit  einem  Kopfschütteln,  um  nicht  mit  einem 
ausdrücklichen  Nein  zu  lügen",  und  in  dem  vom  Schauspieler  Fr.  L.  Schmidt 
dramatisierten  Lorenz  Stark  ist  diese  undramatische  Erzählung  des  Motivs 
geblieben:  „(schüttelt  mit  dem  Kopfe,  um  nicht  ausdrücklich  zu  lügen.)" 


—     336     — 

Dies  entspricht  dem  Prinzip  seiner  späteren  Stücke,  nnr 
das  vorzuschreiben,  was  dem  Publikum  äusserlich  sichtbar 
gemacht  werden  kann.  In  den  Jugendstücken  dagegen  sind 
novellistische  Anweisungen  nicht  selten  z.  B. 

Raub.  (Trsp.):  III,  2:   (Schweizer  hat  sich  unter  Moors  Rede  unver- 
merkt   wegfgeschlichen    um    ihm    Wasser    zu 
holen). ') 
IV,  12:  Amalia  (hat  den  Ring  erkannt). 

Ein  einziges  Wörtchen  kann  manchmal  den  Eindruck  dei- 
Erzählung  herbeiführen,  z.  B.  „endlich"  und  „selbst"  in  den 
folgenden  Beispielen : 

Kab.  V,  3:    Miller  (bleibt  endlich   stehen  und  betrachtet  den 
Major  mit  trauriger  Miene). 

Fiesko  IV,  7 :  (alle  Nobili   erblassen.     Fiesko    selbst    verändert 
die  Farbe). 

In  der  Bühnenbearbeitung  steht  an  der  zweiten  Stelle  nur : 
(Schreckvolle  Pause) ; 
nach  dem  Stil  der  späteren  Dramen  wäre  indessen    auch  das 
charakterisierende  Beiwort   weggefallen,    das  in    den  .Jugend- 
stücken noch  häufig  ein  Moment  der  epischen  Schilderung  enthält : 

Raub.  (Trsp.)  V,     7:  (mit  unbeschreiblicher  Hoheit) 

Fiesko  IV,  14:  (mit  schöner  Entzückung) 

Kab.  V.     8:  (mit  furchtbar  erhobener  Stimme). 

Am  Don  Cai-los  lässt  sich  wiederum  am  besten  die  Wandlung 
erkennen;  in  der  Thaliafassung  hcisst  es  noch: 

V.  2612  a:  eine  schrekliche  lange  Stille  von  beiden  Seiten. 

V.  2G12:     in  fürchterlichem  Ausbruch  des  Schmerzes. 

Statt  dessen  ist  seit  1801  eingetreten: 

V.  1857  a:  Eine  lange  Stille  von  beiden  Seiten. 
V.  1857:     im  Ausbruch  des  heftigsten  Schmerzes. 

Cliarakterifttiscli  füi"  die  Erzählungsform  ist  es  auch,  dass 
in  den  Prosadramen  die  Bühnenanweisungen  häufig  mit  einer 
gewissen  stilistischen  Liebe  beliandelt  sind;  Wiederholungen 
desselben  Wortes  werden  vermieden;  statt  in  den  Räubeiii 
(Trsp.)  IV,  14  dreimal  „Schiessen"  anzuordnen,  wechselt 
Schiller  ab: 

'j  Im  Scliaiispicl  hei.sst  es  riclitigor:  (Schweizer  verliert  sich  unver- 
merkt.) 


—     337     — 

(man  hört  schiessen) 
(man  schiesst  zum  zweitenmal) 
(man  hört  noch  einen  Schuss); 
ähnlich  im  Don  Carlos  (Thalia)  2685  ff. 
(Stillschweigen) 
(wiederum  Pause) 
Damit    ein    eben    gesprochenes    Wort    nicht    wiederholt 
werde ^).  knüpft  namentlich  in  den  Prosadramen  die  Anweisung 
häufig  an  den  Dialog  an: 

FieskoII, 4:    Mohr.  Verzeiht.  Ich  hätte  Lust   zu  noch  mehr  Zechinen. 

Fiesko   (lacht,  giebt  ihm  eine). 

III,  2 :    Diese  majestätische  Stadt,  (mit  offnen  Armen  dagegen  eilend) 

Kab.  11,6:    Deine  Hand  in  die  meinige  (er  fasst  diese  heftig). 

Ein  Gegenstück')  zu  der  letzten  Stelle  finden  wir  in   der 

P>raut  V.  Messina  v.  -498,  wo  das  gleiche  Wort  wiederholt  wird; 

So  will  ich  diese  Bruderhand  ergreifen  — 
(er  reicht  ihm  die  Hand  hin); 

auch  beobachten  wir  in  demselben  Stück,   dass  entfernte  An- 
weisungen nun  umgekehrt  untereinander  in  Ijcziehung  gesetzt 

werden : 

1770  a  (zum  zweiten  Chor) 

1772  a  (da  derselbe  zögert) 
Im  \'ersdrama  stehen  die  prosaischen  Anweisungen  für 
sich,  ausgeschieden  aus  dem  geschlossenen  Dialog;  dem  ent- 
spriclit  die  moderne  Einklammerung,  wähi-end  Stücke  der 
früheren  Zeit  sie  nur  durcii  kleineren  Di'uck  absonderten.  Bei 
Schiller  dürfen  wir  diesen  Unterschied  indessen  nicht  auf 
eigene  .Vnordiuuig.  sondern  lediglich  auf  die  Verschiedenheit 
des  Druckci-eibrauches  zurückführen:  die  Schwanschen  und 
Cotta'.schen  Ausgaben  z.  B.  haben  Klammern,  während  die 
Göschenschen  sie  verschmähen.     So  erklärt  sich,  dass  die  An- 


')  Dass  umgekehrt  der  Dialog  sich  einmal  an  eine  Bühnenanweisung 
anschlösse,  wäre  ein  Kuriosuni,  wie  man  es  vielleicht  in  folgender  Stelle 
von  Klingers  „Medea  auf  dem  Kaukasus"  III  erblicken  darf: 

C>ber(lruide.    Lass  sie  glauben,  wenn  sie  nur  gehorchen.    (Der  Mond 
erscheint).    Er  blinkt  aus  der  Wolke    hervor    und    wird    voll 
beym  Opfer  glänzen. 
■■')  Vereinzelt  kommt  auch  noch  in  den  späteren  Stücken  die  Abhän- 
gigkeit   der  Anweisung    vom  Dialog    vor  z.  B.    Carlos  .3628:    Pico.  1416; 
M.  St.  20  a,  1725  a,  3049. 
Palaestra  XXXll.  22 


—     338     — 

Weisungen  des  Don  Carlos  erst  im  „Tlieater",  also  im  ersten 
Cotta'schen  Druck,  in  Klammern  gesetzt  wurden,  ohne  dass 
Schiller  in  dem  uns  erhaltenen  Druckmanuskript  die  Vorschrift 
dazu  erteilt  liätte.  Ebenso  vei'hält  es  sich  bei  der  ersten 
Fassung  der  Räuber. 

Da  im  dramatischen  Roman  die  Anweisungen  allzuleicht 
zum  poetischen  Ausdrucksmittel  werden,    das  gleichberechtigt 
neben  dem  gesprochenen  Worte    steht,    passen   sie    sich  auch 
im  Ton  dem  Texte  manchmal  an^).   So  in  den  drei  Prosadramen. 
Wenn   die  Bewegungen  des   Mohren   vorgeschrieben   werden, 
geschieht  das  mit  Ausdrücken,  wie  sie  Muley  Hassan  selbst  ge- 
brauchen könnte :  .,nistet  sich  hart  an  ihn'';  „will  sich  abführen." 
Ähnlich  wird  beim  Hofmarscliall    schon    in    die  Anweisungen 
die  Komik  hineingelegt,  die  bei  der  Darstellung  hervortreten  soll : 
(mit  einem  Schaafsgesicht) 
(Hofmarschall  macht  sich  auf  die  Beine) 
(der   diese   ganze    Zeit   über    mit   einem  Geistesbankerott 
auf  den  Zettel  sah) 
Oder  es  begegnet,    dass    sich    der    pathetisclie  Schwung 
eines  Monologes  aucli  der  Zwischenbemerkung  mitteilt: 
(Die  Sonne  geht  auf  über  Genua) 
An  anderen  Stellen   des  Fiesko,    in   erregten  Auftritten, 
die  der  Dichter  atemlos  mitdurchlebte,  beobachten  wir  die  Hast 
dei'  Niederschrift,  die  ebenso  wie  den  Dialog  die  Anweisungen 
nur  als  abgerissene  Ausrufe  liinwarf: 

I,lü:     (lässt  die  Hände  sinken;   ein  Todtengesicht) 

(plözlich  auf,  fasst  ein  Schwerd) 
11,7:  (Das  Yolk  stürmt  herein.     Die  Thüre  in  Trümmer) 
Für  die  Bühnenbearbeitung  fand  sicli  später  die  Rulie,  diese 
Brocken  stilistisch  abzurunden: 

n,10:  (lässt  die  Hände  sinken  und  zeigt  ein  Todtengesicht) 
(aufstehend,  ein  Schwert  fassend) 
n,4:  (Das  Volk  stürzt  ins  Zimmer,  dass  beide  Thüren 
in  Trümmer  fallen) 

In  den  Versdramen  wird  durch  den  formellen  Kontrast 
eine    Assimilation     verhindert;      es     müsste     denn     gerade 

^)  Dies  war  auch  der  Eindruck  von  Schillers  Mannheimer  Fiesko-Vor- 
lesung:  „Er  sagt  alles  in  dem  nämlichen,  hochtrabenden  Ton  her,  ob  es 
heisst:  Er  macht  die  Thihc  zu,  oder  ob  es  eine  Maii|)tstcIIe  seines  Helden 
ist."     (Streicher  S.  95.) 


—     339     — 

die  Anweisung  selbst  sich  zum  Verse  formen,  und  in  der 
Tat  —  dieser  Fall  steht  vereinzelt  da')  —  stossen  wir  im  Teil 
auf  einen  wohlgebauten  Fünffüssler: 

(Das  Hörn  von  Uri  wird  mit  Macht  geblasen.) 

Ein  ebenso  merkwürdiger  Zufall  ist  es,  wenn  mehrmals  un- 
vollständige Verse  durch  die  folgende  Anweisung  ergänzt  werden: 

Iphigenie  in  Aulis  v.  177:  ward  keiner  noch  gebohrenl   (er  geht  ab) 

Macbeth  z.  3435:  Ruft:  Halt,  genug!  (Sie  gehen  fechtend  ab) 

Jgfr.  z.     780:  Fort!  Keine  Zeit  verloren  !  (treibt  ihn  fort) 

z.  1984:  Gott  und  die  Jungfrau!     (Trommeln  und 

Trompeten) 

Turandot  z.     185:  Im  Hospital  versorgen,     (er  hält  inne) 

z.  2708:  Ich  euch  verrathen !  Guter  Gott!  (vorsieh) 

Teil  V.  1090:  Hiersind  wireinig.  (Schüttelt  ihm  die  Hand). 

Wenn  lledelin  seiner  Zeit  die  Bühnenanweisungen  als 
schlechte  Prosa  innerhalb  der  Verse  verpönte,  so  gab  er  auch  eine 
Regel,  wiesle  zu  umgehen  seien:  ..Foltrlich  müssen  alle  Gedanken 
des  Poeten,  sie  mögen  auf  die  Auszicrung  der  »Schaubühne,  oder 
auf  die  Bewegungen,  Kleidungen  und  Mienen  der  Personen 
gehen,  die  zum  Verstände  des  Stückes  nöthig  sind,  durch  die 
Verso  ausLiedrücket  werden,  die  er  hersagen  lasset.''^)  Den 
indirekten  Anweisungen,  die  wir  in  allen  vorhergehenden  Ab- 
schnitten mit  in  Betracht  ziehen  mussten,  sollte  also  allein  die 
Aufgabe  zufallen,  das  Spiel  der  einzelnen  Personen  anzuord- 
nen, üass  dies  möglich  war,  bewies  die  Überlieferung  der 
antiken  Dramen,  auf  die  sich  Hedelins  Gesetzgebung  stützte. 

Di-ei  Hauptformen  sind  zu  unterscheiden,  in  denen  die 
Bewegungen  einer  Person  indirekt  zur  Vorschrift  kommen: 

I.  Der  Redende  sagt  selbst,  was  er  im  Augenblick  tut. 
Auch  in  den  Prosadramen  Schillers  drängt  sich  diese  Ankün- 
digung eigener  Bewegungen  in  die  erhobene  Sprache  der 
feierlichsten  Momente,  z.  B.  des  Schwurs.  ein: 


')  Höchstens  noch  Jgfr.  z.  39:30  f. 

Claude  Marie,  Etienne  und  Bertrand  zeigen  sich 
und  bleiben  schüchtern  in  der  Ferne  stehen. 
Im   Drama  des  Mittelalters  kommen  versifizierte  Spielanweisungen  vor. 

'■')  Hedelin,   I'rätique  du  Theätre  1,49.     Steinwehrs  Übersetzung  S.  46. 

22* 


—     340     — 

Raub.  IT,3:    Hier  werf  ich   meinen  Dolch    we^-,    und   meine  Pistolen 
und  dies  Fläschgen  mit  Gift  — 

Seht !  hier  bind  ich  meine  rechte  Hand  an  diesen  Eichen- 
ast — 
IV,5:    Hier  knie  ich    —   hier  strek  ich  empor  die  drey  Finger 
in  die  Schauer  der  Nacht  — 

In  der  Prosa  muss  der  poetisch  gehobene  Ausdruck  durch 
Feierlichkeit  des  Momentes  und  Ei'regung'  des  Sprechenden 
bedingt  sein;  die  Versspi'ache  dag"eg-en  hat  es  nicht  nötig, 
eine  solche  Proklamation  der  eigenen  Handlung  zu  motivieren, 
auch  wenn  die  Verwendung  manchmal  etAvas  bewusst  erscheint: 

Carlos  V.  1189:  Auf  meinen  Knieen  bitt'  ich  drum. 

W.  T.  T.  3781 :  Ich  hebe  meine  Hand  auf. 

Jgfr.  z.  1783:  Lasst  diesen  Händedruck  die  Wunde  heilen. 
z.  2097  f:  Weggeworfen  hab  ich  Schwert  und  Schild, 

Zu  deinen  Füssen  sink  ich  wehrlos,  flehend  hin. 

Teil  V.  8288:  So  reich  ich  diesem  Jüngling  meine  Rechte! 

Dem.  V.  1237:  Du  heiliger  Grenzpfeiler,  den  ich  fasse. 

IL  Der  »Sprechende  erlässt  eine  Aufforderung,  deren  Er- 
füllung vorauszusetzen  ist  oder  durch  die  folgenden  Worte. 
z.B.  ein  „Gut",  bestätigt  wird: 

Fiesko  IT,  9:    So  rize    mir   hurtig  mit  deinem  Dolche  den  Arm 
auf,    bis   Blut  darnach  läuft   —    Ich  werde  thun, 
als  hätt'  ich  dich  erst  frisch  auf  der  That  ergriften.  Gut. 
II,  17:    Ziehen    Sie   jenen    Vorhang     auf.      Diesen    lassen 
Sie  fallen.     Gut. 

Eine  hinweisende  Bewegung  des  Redenden  gehört  meist  zur  Auf- 
forderung, ja  diese  kann  überliaupt  korrespondierende  1  )ewegungcn 
verlangen,  von  denen  der  Redende  selbst  bereits  sein  Teil  erfüllt: 
W.  T.  1103  f.:  Buttler.  Nicht  ungestraft  sollt  ihr  mich  höhnen.  Zieht. 
Octavio.    Steckt  ein. 

Hier  ist  in  der  Antwort  die  Ablehnung  enthalten ;  manch- 
mal auch  wird  zu  dem  Befehl  nur  angesetzt: 

Raub.  II,  3:        Schafft  ihn  ans  meinen  Augen, 
oder  es  wird  der  Aufforderung   übci'haupt   nicht  entsjH'ochen : 

Jgfr.  z.  4702:     Lasst  sie  den  Arm  aufstreifen,  seht  die  Punkte, 
Womit  die  Hülle  sie  gezeichnet  hat! 

IIT.  Der  Spi-cchende  beobachtet  die  Bewegungen  andi'er 
Personen^)  und  i'cdet  sie  daraufhin  an,  oft  in  impcrativischer 


—     841      — 

Form.  Vor  allem  Kliiiizers  autgedoiuierte,  aber  innerlich 
kalte  Rlietorik  strömt  in  langen  Partien  aus,  in  denen  der 
Geg-cnüberstcliende  die  arbeitenden  Gesichtszüge  des  Mit- 
s})ielendcn  analysiert : 

Zwillinge  I,  4:  Alter  Guelfo.  Es  kocht  was  in  ihm!  Sieh 
den  Drachenblick  I  .  .  .  .  Ich  niuss  sehen,  wie 
sich  Leidenschaften  l)ei  meinen  Kindern 
zeichnen.  Was  beisst  er  die  Zähne?  was 
zieht  er  die  Faust  zusammen?  was  wölkt  sich 
die  Stirne?  So  steht  man  vorm  Feinde? 
Mann,  dein  Gesicht  gefällt  mir  nicht. 
Neue  Arria  1,2:  Ha  Julio!  auf!  dein  Genius  auf!  Gluth  in 
deinen  Augen!  was  drehst  du  die  Achsel? 
will  deine  Seele  heraus? 

....  Narr!     lass  mich   was  göttliches  auf 
deiner  Stirn    sehn,    dass   sich  mein  Geist  vor 
dir   neige!     Bey    der    Grösse    des  Menschen! 
das  war  ein  Blick,  der  eine  Welt  zerschlüge! 
Schillers  Gebiancliindcn.JugendstückenerinnertandiesesA^orbild: 
Raub.  III.  1:     Knirsche    nur    mit    den   Zähnen  —  spej-^e  Feuer 
unil  Mord  aus  den  Augen. 
IV,  11  (^Trsp.):     Wild  rollen  deine  Augen   —    Bleich  wie  Schnee 
deine  Lippen! 
FieskoV,  12:     schielt  nicht  so  geisterbloich  auf  dieses  Spiel  der 
Natur. 
Kab.  U,')-.     Hlick  wog!  deine  Lippen  beben.     Dein  Auge  rollt 
fürchterlich. 
Die  späteren  fStücke    bleiben    fern  von   Ll^bertreibung    und  be- 
dienen sich  statt  des  positiven  Imperativs  inu'  noch  der  Bitte, 
eine  ])eAvegung  einzustellen: 

')  Diderot  (Theater  II,  386)  hatte  dies  dem  Dramatiker  empfohlen: 
..Wenn  dem  Dichter  diese  eingebildeten  I'hysiognomieen  gleich  zu  Anfange 
nützlich  seyn  können:  wie  viele  Vortheile  wird  er  nicht  vollends  aus  den 
geschwinden  und  überhingehenden  Eindrücken  ziehen  können,  nach  welchen 
sich  diese  Physiognomieen  in  ileni  \'erlaufto  des  ganzen  Stückes,  ja  auch 
oft  in  dem  Verlautlo  einer  einzigen  Scene.  abämlern?  —  Du  entfärbst  dich 
—  Du  zitterst  —  Du  hintergehst  mich.  Spricht  man  im  gemeinen  Leben  mit 
jemand,  so  merkt  man  genau  auf  ihn,  und  sucht  aus  seinen  Augen,  aus 
seinen  Bewegungen,  aus  seinen  Zügen,  aus  seiner  Stimme,  was  in  dem 
Innersten  seines  Herzens  vorgehet,  zu  errathen.  Aber  selten  geschiehet  das 
auf  dem  Theater.  Und  warum?  Ohne  Zweifel,  weil  wir  noch  weit  von 
der  Wahrheit  entfernt  sind." 


—     342     — 

W.  T.  74Ü:    Nein!  wende  nicht  dein  Angesicht  zu  mir. 

2055  f. :    Nein,    Base  Terzky !     Seht  mich  nicht   erwartend, 
Nicht  hoffend  an ! 
2386:  0  wende  deine  Augen 

Nicht  von  mir  weg. 

Natürlich   kann    sich  diese  Beobachtung  auch  auf  dritte 

Personen  beziehen : 

Fiesko  IV,  6:    Ich   habe  dort   auf  dem   linken  Flügel  Gesichter 
bleich  werden  und  Kniee  schlottern  gesehen. 
Jgfr.  4904:    Sie  schlägt  die  Augen  auf  und  lebt: 

ja  es  kann  sogar  eine  Handlung,  die  sich  schon  in  einem 
früheren  Auftritte  vor  unsern  Augen  abspielte,  durch  die  nach- 
trägliche Erzählung  eines  Beobachters  bestimmt  werden  (Carlos 
V.  2623  ff.,   4663  ff.,  Picc.  1526  ff".). 

Diese  dritte  Form  der  indirekten  Anweisung  ist  die  ge- 
gebene für  alle  unwillkürlichen  Ausdruckserscheinungen,  die 
gar  nicht  in  der  Macht  des  Schauspielers  stehen,  z.  B.  Erröten 
und  Erbleichen,  und  deren  (Sichtbai'werden  dem  Publikum  nur 
durch  die  Worte  der  Mitspieler  und  durch  ergänzende  Aus- 
drucksbewegungen suggeriert  werden  kann.  Diese  subjektive 
Beobachtung  der  Mitspielenden  braucht  aber  nicht  einmal 
richtig  zu  sein,  zumal  dann,  wenn  sie  von  Misstrauen  ein- 
gegeben ist,  z.  B.  wenn  Franz  Moor  sich  einbildet,  Daniels 
böses  Gewissen  zu  erkennen: 

Sieh  mir  fest  ins  Auge!     Wie  deine  Knie  schlottern!     Wie  du 
zitterst ! 

oder  wenn  im  Fiesko  (I,  1)  die  eifersüchtige  Leonore  Bellas 
Verlegenheit  zu  bemerken  glaubt: 

Du  entfärbst  dich. 

In  solchen  Fällen  hört  der  Begriff  der  Bühnenanweisung 
auf;  dasselbe  gilt  von  den  Beispielen,  wo  der  Sprechende,  um 
anschaulicher  zu  werden,  seine  Beobachtung  zu  einem  Vergleich 
zuspitzt.  Es  war  eine  besondere  Mode  namentlich  bei  den 
polternden  Vätern  des  büi-gerlichen  Trauerspiels,  sich  in  drasti- 
schen Vergleichen  zu  überbieten,  wobei  es  gar  nicht  mehr  auf 
die  beschriebene  Stelhing  ankam,  sondern  lediglich  auf  Ori£ri- 


—      848      — 

nalität  des  Ausdrucks.^)  H.  L.  Wag-ners  Figuren  z.  B.  sind 
förmlich  auf  der  Ja^d  nach  grotesken  Bildern  von  gesuchter 
Ursprünglichkeit : 

Reue  nach  der  That  IV :  sitzt  er  nicht  da,  als  wenn  er  iinserm  Herr  Gott 
den  Essig-  ausge.sotten  hätte. 
—    —    warum  der  Kerl  so  da  sass,  als  hätt  er 
Teufelsdreck  gefressen. 
Kindermörderin  II:  sitzt  er  nicht  da  und  macht  ein  Gesicht  wie  eine 
Kreuzspinne. 
IV:  Wie   das   wieder  da  steht,    als  wenn  ihm  Gott 
nicht  gnädig  war. 

Schiller,  der  solche  Bilder  der  Phantasie  seiner  jugend- 
lichen Helden  entspringen  lässt.  überbietet  Wagner  an  Frische 
und  Kühnheit: 

Raub.  II,  3:    Pater.    0  Pharao!     Pharao! 

Moor.  Hört  ihrs  wohl?  Habt  ihr  den  Seufzer 
bemerkt  ?  Steht  er  nicht  da,  als  wollte  er 
Feuer  vom  Himmel  auf  die  Rotte  Korah 
herunter  beten,  richtet  mit  einem  Achsel- 
zucken, verdammt  mit  einem  christlichen  Ach!  — 
Kab.  IV,  3 :  Wie  er  da  steht  der  Schmerzenssohn!  —  Da  steht, 
dem  sechsten  Schöpfungstag  zum  Schimpfe! 
Als  wenn  ihn  ein  Tübinger  Buchhändler  dem 
Allmächtigen  nachgedruckt  hätte! 

Auch  fin-  ihre  eigene  Stellung  suchen  Schillers  Figuren 
gern  nach  einem  Vergleich : 

Raub.  IV,  2:  Steh    ich    nicht    hier    wie    ein    Gerichteter    vor 

dem  tödlichen  Block? 
W.  T.  1792:    Da  steh  ich.  ein  entlaubter  Stamm! 

Für  die  Haltung,  die  der  Schauspieler  dabei  einzunehmen  hat, 
ergibt  sich  aus  diesen  Worten  so  gut  wie  nichts. 

Ubci'haupt  ist  bei  den  indirekten  AnweisunL-^en.  denen  die 
Präzision  und  die  Objektivität    der   direkten  fehlt,    häutig  die 


')  Wie  gewaltsam  und  schwerfällig  solche  Vergleiche  an  den  Haaren 
herbeigezogen  wunien.  zeigen  zwei  Beispiele  aus  den  Ritterdramen  J.  Maiers: 
Sturm  V.  Boxberg  III,  13:  Da  steh'  ich  starr  vor  Verwunderung,    wie  der 
steinerne  Atzmann  in  der  Mitte  des  Chores,  der 
das  Psalterbuch  dem  Sänger  vorhält,  und  nicht 
weis  warum. 
Fust  V.  Stromberg  V.  8 :  aber  izt  stehest  du  da.  und  verzerrest  das    Ge- 
sicht dabei,  wie  ein  vermummter  Teufel,  dem  die 
Wahrheit  auf  die  Klauen  getreten  hat. 


—     344     — 

Frage  zu  stellen,  wie  weit  sie  bildlich  gemeint  sind. 
Zu  welchen  Missverständnissen  die  Schillersche  Sprache  hierin 
Anlass  gehen  kann,  ist  bereits  bei  Gelegenheit  der  Requisiten  ^) 
erwähnt.  Gräfin  Terzky  z.  B.  wird  keinen  Schlüsselbund 
überreichen,  obwohl  sie  sagt: 

ich  schloss  es  ab 
Und  liefre  hier  die  Schlüssel  aus. 

Wenn  vielleicht  auch  die  Worte  des  Dunois  (Jgfr.  4104) : 

Hier  werf  ich  meinen  Ritterhand  schuh  hin 
nur  als  eine  Formel  aufzufassen  sind,   so  könnte  man  ebenso- 
gut  dasselbe   bei  den  Worten    des  Chores   in  der  Braut  von 
Messina  (v.  258)  annehmen  : 

Knieend  verehr  ich  dein  herrliches  Haupt. 
An  dieser  Stelle  aber  wird  man  durch  das  Hamburger  Bühnen- 
manuskript des  Stückes    berichtigt,    das   beim  Auftreten  Isa- 
bellas und  ihrer  Söhne  direkt  vorschreibt: 

(Die  Ritter  lassen  sich  auf  ein  Knie  nieder.) 
Die   indirekte  Anweisung  wird    also   durch   eine   (Urekte    be- 
stätigt; ebenso  gut  kann  sie  auch  verneint  werden: 

Raub.  IV,  5:  Glaubt  ihr,  ich  werde  zittern?  Geister  meiner 
Erwürgten !  ich  werde  nicht  zittern.  (Heftig 
zitternd.) 

In  einem  solchen  Falle,  wo  die  eine  der  anderen  wider- 
spricht, ist  die  doppelte  Vorschrift  nicht  überflüssig;  meistens 
aber  —  namentlich  in  den  Jugendstücken  —  tritt  sie  als  ent- 
behrliche Häufung  auf: 

Fiasko  1,12:  Kalkagno  (knieet  nieder).    Hier  kniet  noch  ein  Genueser, 
und  legt  seinen  furchtbaren  Stahl  zu  den  Füssen 
der  Unschuld. 
V,  12:  Und  in  mir  wirft  sich  (indem  er  niederfällt)  der 

grosse    und    kleine  Rath    der  Republik  knieend 
vor  seinen  Herrn. 
Goethe  hat  es  gerade  in  seinen  späteren  Werken  manch- 
mal für  notwendig  gelullten,  auf  die  latenten  Vorschriften  direkt 
mit  dem  Finger  zu  zeigen,  z.  B.  in  der  Pandora  470  b: 

Epimetheus  hat  Epinieleia'n  aufgehoben,  führt  sie  tröstend  um- 
her, dass  ihre  Stellungen  zu  Thileros  Worten  passen. 

Allerdings  ist  Pandora  Fragment,  und  aus  demselben  Grunde 

')  Vgl.  oben  S.  287. 


—     345      — 

bleiben  auch  einige  Anweisuniicn    im  z\\t'itcn  Teil   dos  Faust 

noch  im  Stil  der  Paralipomena  stecken: 

9181  b.  (Alles  vom  Chor  Ausgesprochene  geschieht  nach  und  nach.) 
9695a.  Euphorien  in  dem  oben  beschriebenen  Kostüm 

10  7r>7b.  (Es  geschieht  wie  vorgeschrieben.) 

Noch  übel-flüssiger  erscheinen  die  bestätigenden  direkten 
Anweisungen  bei  Kleist^)  in  der  Entkieidungsszene  der  Fa- 
milie Sehroft'onstein : 

2479ff.    So  nehm' ich  dir  ilcn  Hut  vom  ilaupto.  (Erthut's.)  stüre 
Der  Locken  steife  Ordnung,  (Er  thufs.)  drücke  kühn 
Das  Tuch  hinweg.  (Er  thnt's). 
Schiller    dagegen    hat    in    den    spätei'en    Stücken    solche 
Tautologien    gespart.     Am   Don  Caiios  k()inien  wir  mit  diesci' 
*J>cobachtung  beginnen;  die   N'orschrit'ten  in  der  Thalia: 
830    (dem  Prinzen  um  den  Hals  fallend) 
1346    (seinen  Arm  um  Rodrigo's  Hals  schlingend) 
sind  schon  seit  dem  Druck  von  1787  getilgt,  weil  sie  in  den 
zugehrtrigeii  A'ersen  (jetzt  131  tt"..   1013)  enthalten  sind. 
Ähnlich  ist  in   Wallensteins  Tod  bei  den  Vei-sen  : 
l!»r)4  f.    Ihr  seyd  gerührt  —  ich  seh  den  edeln  Zorn 
Aus  euren  kriegerischen  Augen  blitzen, 
die  überflüssige  Angabc: 

(Die  Kürassiere  gerathen  in  Bewegung) 

aus  dem  Manuskript  gestrichen. 

Und  im  „Netten  als  Onkel"  (Cioed.  XIV.  S.  132.  20)  sehen 
wir  die  in  der  französischen  \'orlage  enthaltene  Anweisung 
,,riant",  die  im  ]>ühnenmanuskript  mitübei'setzt  ist.  im  Diuck 
beseitigt,  weil  die  folgende  Entgegnung:  ..Woiiiber  lachst  du?" 
sie  hinreichend  zum  Ausdruck  brini.'t. 


4.   Die  äus.sere  Bewegung.    Sterben. 

Mit  .. ]>ewegung"  übersetzte  Lessing  das  \\ort  ..gestc"  in 
Riccobonis  ..Art  du  Theätre".  Wie  .später  (ioethe.  als  er 
W'olif  und  (rrüner  in  die  Lehre  nalnn,  gesagt  haben  soll :  „Mit 
dem  (rchcn  wollen  wir  anfangen"^),  so  hatte  bereits  Riccoboni 


')  Vgl.  auch  l'enthesilea  3018 ff. 

■-)  V.  Biedermann,  Goethes  Gespräche  I,  247. 


—     846     — 

mit  diesen  allgemeinsten  Vorschriften  sein  System  eröifnet  und 
sich  gegen  einen  etwaigen  Vorwurf  verteidigt:  „Wenn  Sie 
aber  überlegen,  dass  man,  wenn  man  auf  der  Bühne  erscheint, 
sich  eher  zeigt,  als  man  redt,  so  Averden  Sie  zugestehen,  dass 
das  Tragen  das  erste  ist,  wovon  man  sich  unterrichten  rauss." 

Die  deutschen  Wandei'truppen  hatten  in  solchen  Ausser- 
lichkeiten  das  eigentliche  Wesen  ihrer  Kunst  gesehen;  das 
Auftreten  der  Personen,  ihre  Einreihung  in  den  Halbzirkel 
der  Mitspielenden,  die  Zepteraktionen  der  Könige  und  die 
Ehrenbezeugungen,  womit  die  Stände  unterschieden  wurden  — 
das  alles  führte  man  mit  Steifheit  aus  nach  festen  Regeln,  in 
die  der  Balletmeister  den  Anfänger  einweihte.^)  Auch  Ekhof, 
der  aus  der  Schönemannschen  Schule  hervorgegangen  war,  legte 
noch  auf  solche  Dinge  Wert;  so  soll  er  einmal  zwei  jungen 
Granden  den  Gruss  vor  dem  Königsthron  beigebracht  haben"). 
Dass  diese  Bemühung  als  ein  Kuriosum  erwähnt  wird,  zeigt, 
wie  in  der  folgenden  naturalistischen  Zeit  sich  der  repräsenta- 
tive Stil  dei'  Staatsaktionen  verloren  hat.  Audi  in  ]Mannlieim 
scheint  man  darin  achtlos  gewesen  zu  sein;  wenigstens 
nötigten  die  bisherigen  Erfahrungen  Schiller,  beim  Don  Carlos 
an  Schröder  in  Hamburg  die  besondere  Bitte  zu  richten :  „Und 
Sie  als  König  Philipp  sind  gebeten  —  auf  das  spanische  Eti- 
kette —  Ihrer  Vasallen  zu  sehen."  ^) 

Es  ist  vielleicht  in  Schillers  militärisch-höfischer  Erziehung 
begründet^),  dass  er  schon  in  seinen  ersten  Dramen  viel  mehr 
Weil  auf  die  Etikette  legt  als  andere  zeitgenössische  Dra- 
matiker; wir  brauchen  nur  einmal  den  aus  dem  .,Don  Carlos" 
erwachsenen  „Roderico"  Klingers,  wo  jede  Spur  eines  Zei-e- 
moniells  fehlt,  mit  diesem  zu  vergleichen.  Beim  Hamburger 
Bühnenmanuskript  ist  sogar  ausdrücklich  am  Schluss  des  Per- 
sonenverzeiclinisses  ausser  dem  altspanischen  Kostüm  „spani- 
sches (3ei'emoniel''  verlangt.     Worin  im  einzelnen  das  nationale 

•)  Ifflands  Almanach  1807  S.  143,  149  f.  Brandes,  Meine  Lebens- 
geschichte I,  169.     Devrient,  Theat.  Forsch.  XI,  S.  277. 

-)  Ifflands  Almanach  f.  1807,  S.  256.) 

')  13.  Juni  1787.     .Jonas  I,  346. 

')  Minor  I,  217.  Vt,'l.  /,.  B.  v.  575  b:  ..soweit  es  die  Gegenwart  <ler 
Königfin  erlaubt." 


—     847      - 

Koloi'it  der  Bewegungen  bestehet,  hat  Hchiller  freilich  nicht 
vorgeschrieben;  auch  kann  man  von  keinen  besonderen  V^or- 
studien  für  diesen  Zweck  sprechen,  während  sich  solche  beim 
Teil  und  Denietrius-)  beobachten  lassen. 

Wenn  in  der  natui-alistischen  Periode  die  angelernte  Grazie 
zum  Gespött  gewoi'don  war.  so  wurde  unter  Goethes  Weimarer 
Direktion  der  Tanzmeister  wieder  in  sein  Recht  eingesetzt. 
Zum  ernsten  Tempel  füget  sich  das  Ganze, 
Und  die  Bewegung  borget  Reiz  vom  Tanze, 
das  war  es,  was  auch  Schiller  an  dem  strengen  Stil  der 
französischen  Schauspielkunst  zu  rühmen  wusste.'^)  Goetlie 
nun  hat  in  seinen  ..Regeln  füi'  Schausjjieler"  geradezu  mit  «Jen 
J>egritfen  der  Tanzkunst  opeiicrt :  „Eine  schöne  nachdenkende 
Stellung  z.  B.  für  einen  .jungen  Mann  ist  diese :  wenn  ich.  die 
Brust  und  den  ganzen  Körper  gerade  herausgekehrt,  in  der 
vierten  Tanzstellung  vci'bieibe.  meinen  Kopf  etwas  auf  die 
Seite  neige,  mit  den  Augen  auf  die  Erde  starre  und  beide 
Arme  hängen  lasse.''*)  Ebenso  erinnert  die  Vorschlaft  für  das 
Auftreten  an  die  Führuni.-'  des  Schritttanzes,  dei-  in  schi'ägen 
Linien  ainnntige  Fiunren  und  l>e\veL'ungen  entwickelt :  ..Wer 
zu  einem  Monolog  aus  dei-  hinten)  Coulisse  auf  das  Theater 
tritt,  thnt  wohl,  wenn  ei-  sich  in  der  Diagonale  bewegt,  so  dass 
er  an  der  entgegengesetzten  Seite  des  Prosceniums  anlangt ; 
wie  denn  überhaupt  die  Diagonalbewegungcn  sehr  reizend  sind." 


')  In  Turandot  hat  er  von  Gozzi  her  eine  besondere  Art  des  Grusses 
übernoninien,  die  wohl  als  chinesich  grelten  mochte:  ..die  Hand  auf  <ler  Stirn." 

'■')  Gerade  die  ganz  fremden  nissischen  Gebräuche  veranlassten  auch 
andere  Dramatiker,  besondere  Vorschriften  an  die  Schauspieler  zu  richten, 
z.  B.  Babo  in  den  ,,Strelitzen'".  Oder  Kotzebue,  in  dessen  „Graf  Ben- 
jowsky"  (11,5)  es  heisst:  .,Die  Schauspielerin  hüte  sich,  einen  Knix  zu 
machen.  Die  russischen  Damen  £,n-üssen,  indem  sie  sich  mit  dem  halben 
Leibe  vorwärtsbeuiren. 

•')  V<?1.  Goed.  X,  84. 

')  W.  A.  I,  Bd.  40  S.  167.  Welche  Folgen  die.se  Vorliebe  des  Theater- 
leiters hatte,  sehen  wir  aus  einem  Brief  des  Herzogs  Karl  August  nach 
der  Aufführung  von  „Mahomet":  „sage  Vohsen,  dass  er  noch  lebhafter 
wie  gestern  sey.  nicht  immer  auf  einem  Flecke  stehen  bleibe,  mehr  gehe 
und  hauptsächlich  seine  Füsse  durch  alle  fünf  Positionen  öfter  abwech.seln 
lasse,  aus  der  vierten  bringt  er  sie  gar  nicht  heraus."     (Briefw.  I,  2GU.) 


—     348     — 

Diese  Prinzipien  üiideii  aucli  in  den  Bühnenanweisuni^en 
gelegentlich  Ausdruck,  z.  B.  in  der  Theaterbearbeitung  des 
„Götz  von  Eerliehingen"  V.  9 : 

(Zwej'  koimiien  aus  den  letzten  Coulissen,  gehen  in  der  J3iago- 
nale.  und  begegnen  .sich  in  der  Mitte  des  Theaters.) 

iSciiiller  hat  eine  ähnlich  genaue  Vorschrift  nur  beim  Auf- 
treten der  beiden  Halbchöre  in  der  .,Bi'aut  von  Messina"  ge- 
macht :  ..von  zwei  entgegengesetzten  Seiten,  der  eine  aus  der 
Tiefe,  der  andere  aus  dem  Vordei'grand'';  im  Hamburgei' Manu- 
ski'ipt  kommt  sogar  der  eine  „rechts  und  aus  der  vordem 
Coulisse'',  der  andere  ,, links  und  aus  der  liintersten  Coulisse.'' 

Diese  regiebuclimässige  Form  fehlt  im  allgemeinen  in  den 
J^ucliausgabcn ;  der  Leser  soll,  statt  dass  seine  Phantasie  zur 
genauen  Vorstellung  des  theatralischen  Arrangements  gezwungen 
wird,  das  poetische  AVerk  ohne  jeden  Gedanken  an  den  Eühnen- 
mechanismus  geniesscn.  So  konkrete  Theaterworte  ^)  wie  Ku- 
lisse kommen  sogar  in  den  Theatermannskripten  Schillers  selten 
vor;  CS  bleiben  statt  dessen  die  imaginären  l)egriife  der  poeti- 
schen Vorstellung,  die  bei  der  Aufführung  symbolisiei't  werden. 
Beim  Auftreten  heisst  es  nicht  einmal  „vom  Hintergrunde" 
oder  „von  der  Seite",  sondern  „vom  Thomasthor",  „vom  Hafen", 
„aus  dem  Schloss",  „aus  einem  Kabinet",  „kommt  aus  dem 
Seitenzimmer". 

Wenn  das  .,A\"()her"  nicht  gesagt  wii'd,  so  genügen  die 
einfachen  Bezeichnungen  , .kommt",  ..tritt  auf"".  ..tritt  ein**, 
„erscheint",  zwischen  denen  ein  Unterschied  kaum  zu  machen 
ist ;  auffällig  ist  z.  B.,  dass  „tritt  ein"  nicht  nur  bei  Innen- 
räumen, sondern  aucli  einmal  in  einer  Waldgegend  (1'ell  Hl,  2) 
gebraucht  Avii-d.  Eher  besteht  ein  Unterschied  zwischen  „ent- 
fernt sich"  und  dem  entschiedeneren  ..geht  ab";  Avenn  es  z.  li. 
im  Teil  Hl,  1  heisst:  ,,( Knaben  entfernen  sich)**,  so  bleiben 
die  Kindei'  offenbar  auf  der  IJiihne  und  begeben  sich  bloss 
wiedci-  nach  dem  Hintergrund,  wo  sie  im  Anfang  des  Aktes 
spielten.  I^benso  bedeutet  „geht"  noch  nicht  so  viel  wie  ..geht 
ab",  vgl.  Jgfr.  z.  25(i(). 


Vgl.  oben  S.  834.    Anni.  3. 


—     349     — 

Die  Monotonie  wlivl  mitorbrochen  darcli  Zusätze,  die  die 
Stimmung  des  Aufti-etenden  oder  Abgehenden  zum  Ausdruck 
bringen,  z.  B.  „kommt  ängstlich"',  „düster  hereintretend",  „tritt 
schüchtern  herein",  „geht  traurig  ab",  „zornig  ab";  unter  Um- 
ständen erfordert  der  Aifekt  sogar  eine  gesteigerte  Bewegung: 
„hüpft  frohlockend  herein".  ..fliehen  zerstört  auf  die  P>ühne", 
..athemlos  hei-einstürzend".  ..Iiü)ift  hinaus".  ..taumeln  hinaus", 
..stürzt  hinaus".  Beim  Auftreten  fehlt  auch  manchmal  das 
Zeitwoit  ganz:  ..eilig".  ..in  Eile".  ..in  vollem  Lauf";  ja  wo  auf 
die  Art  des  Auftretens  nichts  ankouunt,  genügt  der  blosse  Name 
der  Person  in  der  Überschrift  des  neuen  Auftritts —  so  namentlich 
in  den  späteren  Stücken.  Die  Einteilung  ist  freilich  nicht  immei" 
konsequent:  es  wird  durchaus  nicht  jeder  hinzukommenden 
Nebenperson  zu  Liebe  ein  neuer  Auftritt  begonnen;  umgekehrt 
geschieht  dies  bei  Pei-sonen.  die  schon  vorher  auf  der  Bühne 
waren,  abei'  nunmehr  eist  in  den  Vordergi'und  treten  und  am 
(ies|)räch  teilnehmen.  z.B.   Picc.    1\'.  .">.(;;  -Igfr.   IV,   11. 

Fi'ühei",  da  die  >Schaus[)i(>lkunst  von  dem  Begiütfe  der 
Wohlauständigkeit  beherrscht  wurde,  diu'ften  die  Darsteller 
nicht  eher  anfangen  zu  spi'echen.  als  bis  sie  auf  die  Vorder- 
bühne getreten  waren  und  eine  feste  Stellung  zwischen  den 
Mitspielenden  dem  Publikum  gegenübei'    eingenonunen  hatten. 

In  Schillers  Zeit  bestand  dieser  Zwang  nicht  mehr;  ein 
Zeugnis  sind  seine  eigenen  Dramen,  in  denen  die  Personen 
mit  einer  gewissen  Vorliebe  bereits  im  besprach  auftreten^) 
und  während  der  ersten  Worte  dem  N'ordergrunde  zustreben; 
freilich  kommt  es  auch  vor,  dass  der  Dialog  erst  auf  der  Vorder- 
bühue  beginnt,  z.  B.  wenn  Johanna  ( Jgfr.  111,9)  den  schwarzen 
Ritter  verfolgt  „bis  auf  die  vordere  Bühne,  wo  er  stille  steht 
und  sie  erwartet."  Oder  im  letzten  Auftritt  desselben  Stückes, 
wo  sich  die  Personen  der  Verwandlung  wegen^)  auf  dei-  Hinter- 
bühne betinden  müssen:  .Johanna  liegt,  obwohl  dies  eine  dank- 
barere Gruppe    gegeben    hätte,    nicht    vei'wundet    am   15oden, 

•)  Fiesko  I,  2.  TV,  4.  VI.  Kah.  Tl.  4.  5.  (5.  W.  T.  TIT,  4.  M. 
St.  IV,  2.  Teil  I,  1  V.  07.  T,  2.  ^^  T  v.  2f«H.  Tni  Manuskript  von 
W.  T.   II.   1    konnneu  Wallonstein  und   ()ctaviu  im  Ocspräcli  vorwärts. 

'-■;   \g\.  ol.en  S.   109. 


—     350     — 

sondern  in  den  Annen  des  Herzogs  und  des  Königs.  Diese 
treten  mit  ihr  langsam  vorwärts. 

Bei  Monologen  schreitet  der  Sprechende  regelmässig  bis 
zum  Vordergründe  vor,  ehe  er  beginnt^);  bei  personenreichen 
Szenen  besteht  wiederum  dieselbe  Notwendigkeit,  z.  B.  im 
vierten  Aufzug  der  Piccolomini  oder  vor  dem  Dom  zu  Rheims 
in  der  Jungfrau  von  Orleans;  die  Gruppen  wechseln  in  der 
Besetzung  des  Vordergrundes,  und  die  am  Gespräch  Unbetei- 
ligten ziehen  sich  jedesmal  nach  hinten  zurück.  (W.  T. 
1426—1460;  Jgfr.  3805—3867;  Teil  1480—1538). 

Es  ist  nicht  etwa  die  Rücksicht  auf  den  Souffleurkasten, 
sondern  es  handelt  sich  ausser  um  akustische  Gi'ünde  bei 
diesem  Vorschieben  der  Sprechenden  hauptsächlich  darum,  die 
Aufmerksamkeit  des  Publikums  auf  sie  zu  lenken.  Sogar 
Avenn  eine  Person  während  einer  wichtigen  Pause  des  inneren 
Kampfes  die  Blicke  auf  sich  ziehen  soll,  wird  sie  im  Vorder- 
grunde isoliert,  z.  B.  Max  Piccolomini  in  Wallensteins  Tod  11,1 : 

Wallenstein.    Ich  will  Dir  Zeit  vergönnen,  Dich  zu  fassen. 
(Er  steht  auf,  geht  nach  hinten.     Max    steht  lange  unbeweglich,    in    den 
heftigsten    Schmerz     versetzt,     wie     er     eine     Bewegung    macht,    kommt 
Wallenstein  zurück  und  stellt  sich  vor  ihn.) 

In  anderer  "Weise  zogen  sich  in  den  Jugendstücken  ein- 
zelne Personen  in  den  Hintergrund  zurück: 

Kab.  11,4:  Lady  hat  sich  unterdess  bis  an  das  äusserste  Ende  des 
Zimmers  zurückgezogen,  und  hält  das  Gesicht  mit  beiden 
Händen  bedeckt.  Er  folgt  ihr  dahin. 
III.4 :  Louise  hat  sich  im  Hintergrund  des  Zimmers  niedergesetzt, 
und  hält  das  Gesicht  mit  beiden  Händen  bedeckt. 
V,7 :  Ferdinand  wendet  sich,  sobald  sie  das  Glas  an  den  Mund 
setzt,  mit  einer  plötzlichen  Erblassung  weg,  und  eilt  nach 
dem  hintersten  Winkel  des  Zimmers. 

In  diesen  Fällen  handelt  es  sich  jedesmal  um  die  im 
Augenblick  wichtigere  der  beiden  Personen,  die  sich  keines- 
wegs der  Aufmerksamkeit  des  Publikums  entziehen  soll; 
das  Zurückweichen  ist  keine  äussere  Bewegung,  sondern  der 
Ausdruck  des  Schauderns. 

')  Z.  B.  Kah.  III,.''):  „Sie  bleibt  noch  eine  Zeit  lang  ohne  Bewegung 
und  stuniiii  in  dem  Ses.s(d  liegen,  endlich  steht  sie  auf,  kommt  vorwärts, 
und  sieht   furclitsuni   herum." 


—     351     — 

Weiter  uuten  wird  von  solchen  Äusserungen  des  Aifektes 
die  in  gegenseitiger  Annäherung  und  Elntfernung  der  Spielenden 
bestehen,  die  Rede  sein.  Hier  soll  nui-  kurz  erwähnt  werden, 
mit  welcher  Präzision  in  den  Jugendstiicken  diese  Bewegungen 
manchmal  bezeichnet  sind,  z.  IJ.  das  Zurückweichen  des  Er- 
staunens : 

Fiesko  1,8:    einen  Schritt  zurük 
11,9:    sechs  Schritte  zurük 
IV, 12:    weicht  drei  Schritte  zurük 
Kab.  11,6:    weicht  einige  Schritte  zurüke. 
Die  genauen  Zahlenangaben,  die  beim  ei'sten  Blick  an  die 
abgemessenen  Schritte   der  Goethischen  Regie  denken   lassen, 
sind  natürlich  keineswegs  als  Bühnenvorschriften  aufzufassen; 
es  ist  p]rzählungsfoi'm;  die  sechs  Schritte  sind  sogar  eine  Über- 
treibung, die  in  wörtlicher  Ausführung  nur  komisch  wirken  könnte. 'j 
Wie  das  Gehen  kann  auch  das  Sichsetzen  das  Kennzeichen 
einer  Gemütsbewegung  sein  und  der  inneren  Unruhe,  der  Wut, 
dem  Schrecken,  der  Verzweiflung  Ausdruck  verleihen: 

Raul).  1,2:    wirft  sich  wiM  in  einen  Sessel 
Fiesko  1,10:    hält  beide  Hände  vors  Gesicht,  und  wankt  in  den  Sopha 
Kab.  11,2:    fällt  mit  Entsetzen  in  den  Sopha 

Es  kommt  abei-  auch  vor,  da^s  das  Sichsetzen  als  mecha- 
nische Handlung  vorgeschrieben  wird,  nur  um  nachlier  das 
Aufspringen  als  Ausdi'ucksbewegung  zu  ermöglichen.  Verrina 
z.  B.  (Fiesko  1,11)  nötigt  Kalkagno  und  Sacco  zum  Sitzen, 
als  er  ihnen  die  Schandtat  Gianettinos  offenbaren  will;  auf 
diese  Weise  wird  der  Ausdruck  der  Bestiirzung  vorbereitet, 
mit  dem  beide  auffahren  und  die  Sessel  zurückwerfen. 

Manchmal  wird  nur  diese  zweite  Vorschrift,  die  als  Aus- 
drucksbewegung wichtig  ist.  gegeben,  während  die  erste,  ihre  not- 
wendige Voraussetzung,  wegbleibt;  z.  B.  im  Don  Carlos  v.  2283 
heisst  es  „mit  Heftigkeit  aufstehend",  ohne  dass  vorher  vom 
Sitzen  die  Rede  ist') ;  ebenso  fehlt  im  Wallenstein  einmal  das 


M  Iffland,  Almanach  f.  d.  Theater  1809  S.  07. 

-)  Hier  scheint  diese  \'orschrift  von  Anfang  an  gefehlt  zu  haben; 
an  einer  ähnlichen  Stelle  (v.  31.34:  „blcilit  in  seiner  vorigen  Stellung  sitzen") 
ist  die  ursprünglich  vorausgehende  \'orsilirift  „setzt  sich  wietier"  durch 
nachlässige   Kürzung  weggefallen. 


—     352     — 

Xiedersitzen  zwischen  zwei  Vorschriften  des  Aufstehens  (W.  T. 
521a,  617);  umgekehrt  bleibt  im  Fiesko  (11,4)  nach  der  An- 
weisung ,, setzt  sich''  der  Moment  des  Wiederaufstehens  un- 
bezeichnet. 

Die  Vorschriften  über  Sitzen  oder  Stehen  sind  namentlich 
am  Anfange  eines  Aktes  oder  einer  neuen  Szene,  wenn 
sich  die  Personen  bereits  auf  der  Bühne  befinden,  von  Wich- 
tigkeit; zuweilen  stehen  sie  in  Verbindung  mit  den  näheren 
Dekorationsangaben,  z.  P>.  am  Anfang  von  Kabale  und  Liebe^), 
Avo  Frau  Millerin  am  Tisch  sitzt  und  der  Musikus  eben  vom 
Sessel  aufsteht.  Zu  Beginn  der  „Räuber'*  stehen  beide  Personen, 
denn  erst  nach  einer  "Weile  heisst  es  vom  alten  Moor  „indem 
.er  sich  niedersetzt'";  umgekehrt  wiederum  spricht  die  Königin 
im  vierten  Aufzug  des  Don  Carlos  ihre  ersten  Worte  „indem 
sie  aufsteht".  In  der  klassizistischen  Tragödie  französischen 
Musters  sind  solche  Angaben  nicht  häufig:  wir  Avissen  ja  aus 
der  Klage  des  Mylius,  dass  die  Stühle  auf  dem  Theater  der 
Gottschedschen  Zeit  etwas  Seltenes  waren.  Es  wurde  damit 
nur  langsam  besser'),  weil  beim  offenen  Szenenwechsel  alle 
auf  der  Vorderbühne  aufgestellten  Gegenstände  ein  grosses 
Hindernis  bedeuteten.  Daraus  erklärt  sich  auch,  dass  ent- 
sprechende Anforderungen  in  den  Bühnenbearbeitungen  weg- 
fielen; im  Don  Carlos  V,  9  heisst  es  bei  Philipps  Worten 
..War  er  mir  also  gestorben!": 

(Er  setzt  sich  nieder,  den  Kopf  auf  den  Arm  gestützt), 
bald  danach  (v.  5075): 

König  (steht  auf). 

,  Beide  Anweisungen  sind  in  sämtlichen  Bühncnbearbeitun- 

gen  entweder  ganz  gestrichen  oder  durch  andere  (im  Ham- 
burger Mski. :  ..mit  einigem  Schmerz")  ersetzt. 

Das  i'cnlistische  Konversationsstück  koinite  dagegen  ohne  all- 
gemeines Sitzen  nichtmelir  auskommen;  Schiller  unterscheidet  sich 
aboi-  von  anderen  bürgei'lichcn  Dramatikern  auch  in  „Kabale 
1111(1  Liebe'  darin,  dass  er  ungern  alle  Personen  Platz  nehmen 

')  Vgl.  oben  S.  180. 
''}  Vgl.  oben  S.   176  f. 


—     353     — 

lässt.^)  Bei  seinem  JBesuch  im  Mill ersehen  Hause  bekommt 
Wurm  in  ziemlich  unhöflicher  Weise  einen  Stuhl  angeboten; 
es  heisst  darauf: 

(legt  Hut  und  Stock  weg,  setzt  sich). 

Dass  der  Geiger  und  seine  Frau  dasselbe  tun,  ist  nicht  gesagt, 
und  aus  einer  der  folgenden  Vorschriften: 

(voll  Zorn  seine  Frau  vor  den  Hinteni  stossend) 
geht  Avohl  das  Gegenteil  hervor. 

Als  bei  der  Beratung  Fiesko  allen  Verschworenen  Plätze 
anbietet,  lehnt  Bourgognino  ab  und  spaziert  im  Zimmer  umher: 
„Ich  size  ungern,  wenn  ich  ans  Umreissen  denke."  Und  da  das 
Aufspringen  und  Umherlaufen  eine  der  häufigsten  und  all- 
gemeinsten Äusserungen  jeder  Erregung  ist,  so  führt  auch  bei 
den  sitzenden  Personen  die  erste  lebhaftere  Wendung  des 
Gesprächs  stets  einen  Wechsel  herbei,  vergl.  die  grosse  Szene 
zwischen  Carlos  und  Prinzessin  Eboli. 

Mit  Vorliebe  bleibt  auch  von  zwei  Pei-sonen  eine  stehend. 
Bei  königlichen  Audienzen  oder  überhaupt  dort,  wo  es  sich 
um  einen  Standes-  oder  Altersunterschied  handelt,  scheint 
das  selbstverständlich;  unter  Umständen  aber  ist  eine  besondere 
Absicht  vorhanden,  die  stehenbleibende  Person  zu  demütigen, 
z.  B.  wenn  in  „Kabale  und  Liebe"  die  Lady  vornehm-nach- 
lässig auf  das  Sofa  geworfen  Luise  Millerin  empfängt. 

Schauspielerisch  kommt  die  sitzende  Person  weniger  zur 
Geltung  und  damit  hängt  es  wohl  auch  zusammen,  dass  sie 
niemals  lange  auf  ihrem  Platz  verharrt. 

Bei  entscheidenden  Höhepunkten  befindet  sich  die  Haupt- 
person immer  im  Stehen.  Eine  Ausnahme  davon  scheint  W.  T. 
11,2  zu  bilden,  wo  Wallenstein  dem  Max  seinen  Abfall  ent- 
deckt:   Wallenstein  setzt  sich  dazu,    während  er  Max  stehen 


')  Dagegen  setzen  sich  im  Wallenstein  die  Personen  mehrmals  in 
konventioneller  Art.  Überhaupt  haben  die  beiden  grossen  Stücke  der  Trilogie 
hierin  besonders  viel  Vorschriften,  weil  sie,  wie  Kabale  und  Liebe,  aus- 
schliesslich in  Innenräumen  spielen.  Vgl.  Pico.  1011a.  1209b.  1271b. 
1770  a.  2279  a,  2295  a.  W.  T.  234  a.  357  a.  386  a.  G17.  691a.  710  b. 
1052a.  1087a.  1143  b.  1161b.  1190a.  1208a.  1660b.  2915a.  2941b. 
3385  a.  3403  a. 

Palaestra  XXXII.  23 


—     354     — 

lässt.  Tatsäclüicli  ist  aber  in  (liesem  Moment  Max  der  Spieler, 
dem  die  Aufmerksamkeit  des  Publikums  zugewandt  sein  soll, 
denn  alles  kommt  darauf  an,  wie  er  diese  Enthüllung  aufnimmt. 

Das  einzelne  Wort,  Avährend  dessen  man  aufsteht  oder 
sich  setzt,  erhält  natürlich  dui'ch  diese  Bewegung  einen  beson- 
deren Nachdruck.  Wenn  wir  nun  auch  die  feinsten  und 
kleinlichsten  Nuancen  realistischer  Schauspielkunst  in  den 
Dialog  der  Schillerschen  Stücke,  namentlich  der  Vei'sdramen, 
nicht  hineintragen  dürfen,  so  stehen  doch  auch  dort  die  äusser- 
lichsten  Bewegungen  immer  in  gewisser  Beziehung  zum  ge- 
sprochenen Wort,  Wenn  sicli  Teil  während  seines  grossen 
Monologes  (IV,3)  auf  die  Bank  von  Stein  nicderlässt,  so  ist 
das  zunächst  nur  angeordnet,  um  dem  Helden  eine  Abwechs- 
lung seiner  Stellung  zu  gewähren^) ;  aber  es  ist  dazu  gerade  eine 
von  weicherer  Stimmung  beherrschte  Partie  gewählt.  Dass 
das  Wort  Lichtenbergs^),  man 'habe  andere  Gedanken  im  Liegen, 
andere  im  Stehen,  auch  auf  dem  Theater  gelten  müsse,  hoben 
die  dramaturgischen  Schriftsteller  jener  Zeit  gern  hervor. 

Die  kleinen  Spielnüancen,  die  sicli  aus  irgend  einer 
Nebenbeschäftigung  ei-geben,  sind  in  den  Bühnenanweisungen 
selten  voi'gezcichnet;  immcrliin  lässt  sicli  im  (TOgensatz  zur 
vorausgehenden  Zeit  eine,  gewisse  Neigung  dafür  im  Sturm- 
und Drangdrama  erkennen.  Beim  Maler  Müller  z.  B,  (Golo 
und  Gcnovefa  IV, 2j  wird  Bernhard  gerade  barbiert,  als  die 
Nachricht  von  Genovefas  Gefangenschaft  eintrifft;  bei  Lenz 
im  „Hofmeister"  (111,2)  sind  genau  die  Stollen  bezeichnet,  wo  der 
Schulmeister  seine  Brille  auf- und  abzusetzen  hat.  Namentlich  das 
Motiv  des  Trinkens  ist  seit  dem  Götz  eingebürgei't,  ebenso  wie  das 
des  Schachspiels^);  auch  das  Klavier-  und  Lautenspiel  wird  nicht 
nur  als  Stimnnuigsfaktor  verwendet,  sondern  zugleich  als  Ge- 
legenheit, die  Personen  in  einei'  bestimmten  Situation  zu  zeigen. 


')  Figaros  Monolog  im  „tollen  Tag"  (V,  3)  ist.  diirch  «olflie  Vor- 
schriften mehrfach  gegliedert. 

■')  Vermischte  Schriften  (Ausgabe  v.  18-i4)  1,13. 

■')  In  der  Litteratui'-  und  Theaterzeitung  (]78"2  IV,  S.  743)  wurde 
das  Schachspiel   im  (lötz,   Natlian,  (  Htd  v.  Wittelshadi  iilK'rHüssig  gefniidcii. 


—     355     — 

Bei  fSchiller  dienen  dazu  namentlich  die  Akt-  oder  Szenen- 
aufänge:  so  sitzen  Karl  Moor  lesend  und  Spiegelberg  trinkend 
in  der  Schenke;  Miller  stellt  gerade  sein  Instrument  bei  Seite 
(Kab.  I),  und  die  Lady  (Kab.  11,1),  sitzt  vor  dem  Flügel; 
ferner  gehören  hierher  das  Kaffeetrinken  der  Mutter  Millerin 
und  ihre  andere,  nur  indirekt  angedeutete  Gewohnheit  („Stell 
den  verraaledeyten  Kaffee  ein  und  das  Tobakschnupfen'' )^),  die 
später  weggefallenen  Gärtnerarbeiten  der  Hofdamen  in  Aranjuez, 
die  weiblieiien  Arbeiten  im  Walienstein(\V.  T,  111,1),  endlich  das 
Familienidyll  in  Teils  Hause  (HLl).  Aber  auch  innerlialb  der 
Akte  lindetsich Gelegenheit  zu  solchen  Episoden,  wie  dasZui'echt- 
stellen  von  Romanos  Gemälde  (Fiesko  H.IT).  die  Beschäftigung 
Fieskos  mit  JaliasToilettc  ( IIl .  1  o  i.  oder  das  Niedei'sitzen  des  korpu- 
lenten Tiefenbach :  .,  Vergebt  ihr  Herrn,  das  Stehen  wird  mir  sauer. '' 

Schon  bei  den  ersten  Aufführungen  pflegten  dazu  von 
Seite  der  Schauspieler  eine  Menge  Züge  hinzugefügt  zu 
werden.  Iffland  gestaltete  die  Rolle  des  Franz  Moor  ganz  um, 
und  wenn  Dalberg  bei  einer  späteren  Räuberauffüln'ung  tadelte, 
dass  Frairz  im  fünften  Akt  nach  ( ieistern  iiasche^),  so  stammt  diese 

^)  Das  Schnupfen  findet  si\h  gleichzeitig-  in  Ifflands  „Verbrechen  aus 
Ehrsucht"  direkt  vorgeschrieben:  „geht  heftig  umher  und  braucht  ohne  sein 
Wissen  viel  Tobak." 

■-)  KoHka  349  ff.  Martersteig  196 f.  437.  Minor  II,  1.S9.  Iffland 
scheint  diesen  Zug  trotz  Uaibergs  Tadel  beibehalten  zu  haben;  Büttiger 
hat  ihn  beim  Weimarer  Gastspiel  noch  beobachtet  (Entwickl.  des  Iffland. 
Spiels  S.  310);  in  Ifflands  Almanach  1807  S.  74  ist  er  erklärt:  „Er  glaubt 
jemand  hinter  sich,  hält  unwillkiihrlich  Arm  und  Hand  nach  der  entgegen- 
gesetzten Seite,  wohin  auch  die  festgewurzelten  Schritte  gerichtet  scheinen. 

Von  Ungefähr    berührt    die    angstvoll    ausgestreckte    Hand    sein 

eigenes  Gewand  —  so  entsteht  plötzlich  der  Gedanke,  wohin  von  der  Gefahr 
ab  die  ganze  Gestalt  als  zum  sichern  Port  sich  gewendet  hatte  —  Geister 
nahen  —  er  verhüllt  das  Haupt  und  stürzt  mit  einem  Schrei  davon." 

In  seiner  kleinlichen  Motivierung  widerspricht  dieser  Zug  nicht  der 
oben  (S.  219)  ausgesprochenen  Charakteristik. 

Erinnert  sei  übrigens  an  den  ähnlichen  Efl"ekt,  den  Goethe  in  Leipzig 
an  Caroline  Schulze  in  der  Rolle  der  .Julia  bewunderte  (Denkwürdigkeiten 
der  Car.  Schulze-Kummerfeld  hsg.  v.  Uhde,  Riehls  Hist.  Taschenb.  1873 
S.  409).  Auch  dieser  Zug  wurde  traditionell  und  z.  B.  durch  eine  Münchener 
Schauspielerin  1778  nachgeahmt  (Lewaids  Allg.  Theaterrevue  183.5,  S.  417). 

23* 


—     356      — 

Zutat  sicherlich  nicht  von  Schiller,  sondern  von  dem  Schau- 
spieler. Iffiand  scheint  sie  auch  für  sich  allein  behalten  zu  haben, 
während  andere  Züg-e  Nachahmung'  fanden  und  fester  mit  der 
Rolle  verwuchsen  als  manche  Anweisung  des  Dichters.  So  soll 
z.  B.  in  der  Rolle  des  Wurm  bereits  Ochsenheimer')  das  später 
stereotyp  gewordene  Spiel  in  der  Diktierszene  eingeführt  haben : 
das  Abfasern  des  Rockes,  das  Aufziehen  der  Uhr  u.  s.  w. 

Es  war  die  Zeit  der  aufkommenden  Gastspielreisen,  und 
jeder  Virtuose  war  auf  der  Jagd  nach  besonderen  Mätzchen, 
mit  denen  er  die  Konkurrenten  überbot');  diese  Erfindungen 
wurden  nicht  nur  von  einer  Schar  mittelmässiger  Nachahmer 
weiter  kolportiert,  sondern  auch  in  den  Theaterkalendern  und 
dramaturgischen  Schriften  gesammelt.  Man  konnte  sich  mit  der 
gefährlichen  Wertschätzung  solcher  Züge  auf  den  Vorgang 
Lessings  berufen,  der  das  zuckende  Kleiderzupfen^j  an  Madame 
Hensels  sterbender  Miss  Sara  der  Anerkennung  gewürdigt  hatte. 
Um  dies  Lob  wurde  die  Schauspielerin  beneidet;  die  ehrgeizige 
Caroline  Schulze"*)  nahm  die  Priorität  für  sich  in  Anspruch; 
andere  überboten  sogar  den  grausigen  Effekt.  So  soll  z.  B.  in 
Wien^)  eine  Luise  Millerin,  um  die  Wirkung  des  Giftes  zu 
veranschaulichen,  hörbar  mit  den  Zähnen  geklappert  haben, 
während  ein  Berliner  Talbot  mit  grässlichem  Naturalismus  den 
Kinnbackenkrampf  des  Sterbenden  nachahmte^). 


')  Ein  Bild  Ochsenheimers  als  Wurm  ist  in  Bellermanns  Schiller 
(Dichter  und  Darsteller  VII  S.  73)  wiedergegeben. 

')  Wir  hören  z.  B.,  dass  Fr.  L.  Schröder  durch  eine  kleine  Nuance 
in  Wien  den  Sieg  über  Brockmanns  Lear  davontrug  (Litzmann,  Schröder  II,  247). 

')  Hamb.  Dram.  13.  Stück.  Lachm.-Muncker  IX,  S.  239.  Eine 
tragische  Ironie  des  Schauspielerlebens  sei  hier  erwähnt,  nämlich 
die  Beschreibung  von  Schröders  Tod,  die  Fr.  L.  Schmidt  (Drama- 
turg. Aphorismen  II,  177)  gibt:  „Das  Zupfen  mit  den  Fingern  auf  dem 
Betttuch,  das  Greifen  in  die  Luft,  welches  die  Umstehenden  um  so  mehr 
erschütterte,  da  es  dieselben  Bewegungen  waren,  mit  welchen  er  den 
Wahnsinn  Lears  so  meisterhaft  dargestellt  hatte." 

*)    Denkwürdigk.,  hsg.  v.  Uhde,  Riehls  Histor.  Taschenb.  1873  S.  398. 

'^)    Horner,  Beil.  z.  Allg.  Zeit.  1897  No.  123  S.  6. 

")  Devrient  IV,  25.  Ekhof  schon,  dem  sonst  französische  Steifheit 
vorgeworfen  wird,  .soll  eine  Sterbeszene  ekelhaft  naturalistisch  dargestellt 
haben  (Meyer,  Schröder  I,  190). 


—     357     — 

Der  Mediziner  Schiller  hatte  in  „Kabale  und  Liebe",  viel- 
leicht durch  Lessing-  angeregt,  die  Versuchung  zu  solchen  Aus- 
schreitungen nalicgelegt;  in  der  ..Jungfrau  von  Orleans"  war  er 
aber  weit  davon  entfernt.  Der  Weimarer  JStil  erhob  den  Anstand 
im  Tode  wieder  zum  Gesetz;  Einsiedels^)  Worte:  ., Die  Mimik 
müsste  bey  einem  theatralischen  Tode  den  Poussiergi-iffel  weg- 
legen und  dem  weicheren  Pinsel  der  Phantasie  den  letzten 
tragischen  Zug  übertragen,"  drücken  etwas  phi'asenhaft  verhüllt 
dasselbe  aus,  was  Goethes  Prinzip  der  symboUschen  Darstellung 
bezweckte.  Später  ging  Goethe  in  der  Mässigung  vielleicht 
weiter,  als  Schiller  selbst  zugegeben  hätte,  und  musste  sich 
dafür  freche  Bemerkungen  in  Reinholds  Schmähschrift")  gefallen 
lassen:  .,Eine  kleine  Verzerrun;/  des  Gesichts,  ohngefähr,  als 
wenn  Kinder  ein  Rhabarbertränkchen  zu  sich  nehmen  sollen, 
lässt  sich  nun  einmal  nicht  gut  verbieten,  übrigens  aber  wird 
die  höchste  Ruhe  empfolden,  alldieweil  die  Griechen  ihr  Gift 
wie  unsre  Damen  Eis  nehmen." 

Der  Tod  auf  der  Bühne  geliört  zu  den  wichtigsten  Fragen 
in  der  diamaturgischen  Gesetzgebung  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts. Wie  in  der  ganzen  Ästhetik,  so  galt  besonders  auf 
dem  Theater  der  Begriff  der  Nachahmung  als  die  Richtschnur; 
beim  theatralischen  Tod  indessen  musste  die  Befolgung  dieses 
Prinzips  zu  greulichen  Naturalismen  führen,  wie  sie  der  gute 
(ieschmack  an  den  blutigen  Staatsaktionen  verdammte.  Im 
regelmässigen  Drama  wurde  deshalb  Brauch,  den  gewaltsamen 
Todschlag  hinter  die  Bühne  zu  verlegen.  Als  Voltaire^)  sich 
erlaubte.  Cäsars  Ennordung  auf  offener  Szene  darzustellen, 
fragte  er.  warum  nur  gei-ade  der  Selbstmord  dort  gestattet  sein 
solle,  und  dachte  nicht  an  die  Erklärung,  dass  der  gefasste, 
freiwillige  Tod  wcniizer  Anlass  zu  vei'zerrter  Darstellung  biete 
als  die  Qualen  eines  dahinblutenden  Opfers,  das  von  der  Gewalt- 
tat überrascht   wird.     In   Gottscheds   Beiträgen   ist  noch  der 


')  Grundlagen  z.  e.  Theorie  d.  Schauspielkunst  S.  10.  Jean  Pauls 
^  Jubelsenior"  wiederholt  diesen  Satz  wörtlich.  Sämtl.  Werke  1826  Bd.  XX 
S.  58  ff. 

'■')    Saat  von  Goethe  gesät  S.  22. 

^)    Discours  sur  la  tragedie.     Theätre  (Paris  1801)  II,  S.  17. 


—     358     — 

Rat  geg-eben,  die  Personen  lieber  nicht  vor  den  Augen  der 
Zuschauer  sterben  zu  lassen;  wenn  es  aber  doch  geschehe, 
dann  solle  man  als  Todesart  die  schnelle  Erwürgung  wählen.^) 
Diese  Empfehlung  beruht  sicherlich  auf  demselben  Grund, 
aus  dem  später  die  Vergiftung  im  ganzen  Drama  des  acht- 
zehnten Jahrhunderts  die  bevorzugte  Todesart  wurde:  es 
floss  kein  Blut,  und  so  war  eine  wirklichkeitsgetreue  Darstel- 
lung auch  ohne  das  verpönte  Mittel  der  Blutblasen^)  möglich. 

Von  dem  Gesetz  der  Nachahmung  vermochte  man  nicht 
loszukommen,  und  auch  Joh.  El.  Schlegel  blieb  in  der  Form  von 
ihm  abhängig,  wenn  er  empfahl,  nur  das  solle  der  Schau- 
spieler nachbilden,  was  bei  dem  schrecklichen  Augenblick  des 
Todes  noch  Süsses  und  Sanftes  wahrzunehmen  sei.  In  der 
Sache  ist  ja  damit  bereits  etwas  Ähnliches  vorempfunden,  wie 
später  in  dem  Weimarer  Begriü"  des  Symbols  zum  Ausdruck  kam. 

Für  das  Verlegen  des  Todes  hinter  die  Bühne  wurde  auf 
die  Voi'bilder  des  antiken  Dramas^)  verwiesen,  doch  fehlte 
oft  die  lebendige  Vorstellung  und  die  Einsicht,  dass  damit 
dem  Publikum  nichts  Grässliches  ei-.spart  ist,  sondern  dass  im 
Gegenteil  der  Mord,  dui-ch  die  Hilfeschreie  des  unsichtbaren 
Opfers  versinnlieht,  viel  entsetzlichei-  wirkt,  als  wenn  das 
Publikum  Augenzeuge    wäre.'*)     An  die  Art,    wie    Aschylus 

';  Beitr.  z.  Grit.  Hist.  IV'.  15.  Stück  (1736),  390  ff.  Umgekehrt  liess 
Schiller  in  der  Othello-Bearbeitung  von  Joh.  Heinr.  Voss  Desdemona  nicht 
erwürgt  werden,  sondern  durch  Dolchstiche  sterben. 

-'J  Barth.  Feind,  Deutsche  Gedichte  Stade  1708  S.  1(>7.  D.  L.  D. 
26,  S.  108.  Litt.  u.  Theat.-Zeit.  1771),  III,  S.  469 ff.,  17S(l  I,  S.  131. 
Martersteig  S.  58,  74.  Devrient  II,  366.  Auf  dem  grossen  Hamburger  Theater 
soll  sich  noch  1782  der  Schauspieler  Unzelmann  einer  Blutblase  bedient  haben. 

')  Schiller  wurde  auf  den  Vergleich  zwischen  dem  antiken  Tod  hinter 
der  Bühne  und  dem  Brauch  des  modernen  Dramas  bereits  durch  seinen 
Lehrer  Nast  geführt,  doch  war  dieser  weit  entfernt,  daraus  Gesetze  für 
den  modernen  Dramatiker  herzuleiten  (Minor  I,  163).  Dass  der  Mord  hinter 
der  Bühne  viel  schauerlicher  wirke,  hatte  bereits  Addison  und  später  Home 
(Grunds,  d.  Kritik  III,  274)  bemerkt. 

*)  Vgl.  .lean  Paul,  Vorschule  der  Aesthetik  ^2.  Aufl.  1813)  I.  45  f.: 
„Auf  der  Bühne  ist  nicht  der  sichtbare  Tod  tragisch,  sond(M-n  der  Weg  zu 
ihm.  Fast  kalt  sieht  man  den  Mordstoss ;  und  dass  diese  Kälte  nicht  von 
der  blossen  Gemeinheit  der  sichtbaren  Wirklichkeit  entstehe,   beweiset  das 


—      859      — 

den  Tod  Aüamomnoiis  im  i^lciclieii  Augenblick  durch  den  Seher- 
mund der  Kas.sandra  dem  Zuschauer  vei-mittelt.  erinnert  es, 
wenn  Schiller  die  Hinrichtung  der  Maria  Stuart  im  Ketlex 
zeifft,  in  der  Einwirkung  auf  das  Gemüt  Leice.stei's,  der  aus 
wenigen  (Geräuschen  den  ganzen  Vorgang  vor  seiner  liell- 
sciierisch  erregten  Phantasie  erstehen  lässt.  Aber  auch  hier 
streift  die  Wii'kung  nahe  an  das  Peinliche,  und  in  Stuttgart 
musste  nach  der  ei'sten  Aufführung  dieser  Auftiitt  Avegbleibeu, 
weil  der  Herzog  den  Kindruck  nicht  zu  ertraLii-n  vermochte.') 
Trotzdem  bei  Hinrichtungen  der  Tod  hinter  der  Bühne 
Regel  bleiben  musste,  hat  das  Ritterdrama  in  .Vnknüpfung  an 
die  Staatsaktionen  dei-  Wandertruppen")  noch  oft  das  Schaftott 
auf  die  Bühne  gebracht;  in  Klingers  „Koniadin"  sieht  man 
auf  der  rechten  Seite  noch  gerade  die  Stufen  des  Blutgerüstes 
ansteigen,  wodurch  das  Publikum  nui'  in  Versuchung  geführt 
werden  kann,  um  die  Ecke  zu  spähen.  In  der  .,Mai'ia 
Stuart"  von  Spiess  befindet  sich  auf  der  Bühne  ein  Podium, 
das  die  Königin  betritt  und  auf  dem  ihi'  bei'eits  die  Augen 
verbunden  werden 'M;  die  eigentliche  Hinrichtung  aber  findet 
vor  dem  Volke  auf  einem  Altan  hinter  der  Bühne  statt,  wohin 
Maiia  durch  die  Mitteltür  abgeführt  wird: 

(Eine  traiuige  kleine  Stille,  mau  hört  einen  Schlag  —  und 
drcy  Schläge  mit  der  Glocke), 
(alles  erschrickt  aufs  heftigste.) 
Schiller,   der  die  peinliche  Schilderung  der  Zurustungen 
(V.  3471— 347S)  nicht  erspart,  .schont  das  Publikum,  indem  er  es 
den  grausamen  Schlag  nicht  vernehmen  lässt:  wir  erkennen  nur 
aus  Leicesters  Zusammenbrechen,  dass  er  ihn  gehört  hat,  und 

Li'sen,  wo  sie  wiederkommt.  Hingegen  das  verdeckte  Tödten  gibt  der 
t'hantasie  ihre  Unendlichkeit  zurück:  ja  daher  ist,  weil  sie  den  Todesweg 
rückwärts  macht,  eine  Leiche  wenigstens  tragi-scher  als  ein  Tod.'' 

')  Vgl.  Schillers  Briefwechsel  mit  Cotta,  hsg.  v.  Vollmer  S.  391. 

-)  "Wo  der  Hanswui-st  noch  mitspielte,  war  das  kunstgerechte 
Köpfen  sein  Meisterstück  (Brandes,  Meine  Lebensgeschichte  IL  202  f.). 
Aber  sogar  in  einem  ernsten  Stück  wie  dem  „Kaufmann  von  London" 
wurde  bei  der  Ilgnerschen  Truppe  Barnwell  auf  der  Bühne  gehängt. 
(Schütze,  Hamb.  Theatergesch.  S.  [)o.)  Brahm,  Rittenhaiua  S.  117.  Ann. 
d.  Theaters  1794  Heft  13  S.  50. 

•')  Teichmanns  Lit.  Nachl.  ( Dingelstedt)  S.  42. 


—     360     — 

hören  aus  einem  dumpfen  Getöse  von  Stimmen  die  Bestätigung 
der  vollzogenen  Tat.  Schiller  hat  diesen  Tod  hinter  der 
Bühne  unendlich  feiner  zu  behandeln  gewusst  als  Spiess; 
allerdings  war  er  auch  nicht  zu  solcher  Deutlichkeit  gezwun- 
gen, weil  sein  Stück  damit  noch  kein  Ende  hat. 

Denn  darin  liegt  ja  gerade  die  Schwierigkeit  des  Todes 
hinter  der  Bühne,  dass  das  Publikum  Gewissheit  erhalten  muss 
von  dem,  was  es  nicht  sieht.  Nicht  immer  konnte  dazu  eine 
so  zarte  symbolische  Andeutung  gewählt  werden,  wie  sie 
Goethe  bei  Clärchens  Tode  gefunden  hat: 

„Eine  Musik,  Clärchens  Tod  bezeichnend,  beginnt;  die  Lampe, 
welche  Brackenburg  auszulöschen  vergessen,  flammt  noch  einigemal 
auf,  dann  erlischt  sie; 

der  gewisse  Tod  Egmonts  z.  B.,  zu  dem  die  Schlussmusik 
—  eine  Siegessymphonie  —  in  der  Stimmung  kontrastiert, 
wurde  nicht  zu  zwingender  Deutlichkeit  gebracht  für  ein 
durch  theatralische  Brutalität  abgestumpftes  Publikum.  Dessen 
Durchschnittsmeinung  hören  wir  aus  einer  Rezension  in  dei* 
„Neuen  Bibliothek  der  schönen  Wissenschaften'' ')  heraus  :  „So 
ungeschickt  es  auch  immer  von  Seiten  des  dramatischen 
Dichters  wäre,  seinen  Helden  durch  einen  ungefähren  und  un- 
erwarteten Vorfall  retten  zu  lassen,  so  ist  es  doch  nur  allzu 
natürlich,  dass  in  dem  Herzen  des  Zuschauers  der  Wunsch 
auch  nach  der  unwahrscheinlichsten  Rettung  erwachen  und 
nicht  anders  vernichtet  werden  könne,  als  dadurch,  dass  er 
wirklich  erfährt,  Egmont  sei  todt."  Wenn  in  dieser  Kritik 
noch  ein  Nachspiel  verlangt  wird,  z.  B.  ein  Auftritt  von  über 
das  Theater  eilenden  Bürgern,  die  den  Tod  Egmonts  beklagen, 
so  war  das  ein  beliebtes  Mittel,  Zweifel  des  Publikums  zu 
befriedigen.  Jiereits  die  „Schuldige  Unschuld  oder  Maria 
Stuarda"  des  Herrn  von  Haugwitz  (1683)  schliesst  aus  diesem 
Grunde  mit  einem  Auftritt  zwischen  Elisabeth  und  Davison, 
worin  die  Königin  die  Vollstreckung  des  Urteils  erfährt.') 


')  Braun,  Goethe  im  Urteil  seiner  Zeitgenossen  II,  69. 

')  Schiller  hat  die  entsprechenden  Auftritte  natürlich  nicht  aus  die- 
sem Grunde  angefügt,  sondern  um  der  äusserlich  triumphierenden  Königin 
das  Urteil    zu    sprechen.      Das  Gemeinsame    mit  Haugwitz    (es  liegt   vor 


—     361     — 

Eine  andere  Methode  war  es.  die  Leiche  zu  zeii;eii;  so 
pÜe^^te  man  im  siebzehnten  Jahrhundert  (hn-cli  Aufziehen  des 
hinteren  Vorhanges  nach  vollzogener  Enthauptung  das  Castrum 
doloris  wieder  zu  eröffnen  —  vgl.  Kormarts  „Polyeuetus" 
(1669)  und  ..Maria  Stuart"  (1672).  Im  achtzehnten  Jahr- 
hundert jedoch  war  man  dem  Erscheinen  von  Leichen  auf  der 
Bühne  abhold  (vgl.  oben  S.  171);  in  der  „Litteratur-  und 
Theaterzeitung"  (1780)  findet  sich  der  unglaubliche  Satz: 
.,Clavigo  würde  seht'  gewinnen,  wenn  die  Leichenprozession 
wegfiel";  ebenso  wurde  im  „.Journal  von  und  für  Deutsch- 
land" (1784)  getadelt,  dass  in  Dyks  „Kssex"  dei-  Enthauptete 
im  Sarg  vorbeigetragen  werde');  bei  Schiller  scheint  dasselbe 
Motiv  keinen  Widerspruch  mehr  erfahren  zu  haben,  auch 
konnte  sich  ja  der  Dichter  auf  die  historische  Tatsache,  dass 
Wallenstein  in  seinen  roten  Fusstcppich  gehüllt  fortgetragen 
wurde,  berufen. 

Wie  wenig  der  angedeutete  Schluss  als  poetische  (iewiss- 
heit  galt,  davon  war  bereits  oben'^)  die  Rede.  Dass  man  bei 
den  „Käubern"  eine  unbefriedigende  Lücke  empfand,  dafür  ist 
nicht  nur  die  Fortsetzung  der  Frau  von  Wallenrodt  ein  Hei- 
spiel, sondern  auch  der  Dichter  selbst,  der  bereit  war,  seinem 


allem  in  der  Verteilung  des  Schnnukes  an  die  Kammerfrauen)  beruht  auf" 
den  Quellen;  dass  Schiller  diesen  Vorgänger  gekannt  habe,  ist  nicht  an- 
zunehmen; etwas  anderes  war  es  ja,  wenn  er  beim  Teil  auf  so  alte  und 
ältere  Stücke  zurückgriff,  um  sich  mit  der  altschweizerischen  Überlieferung 
bekannt  zu  machen  (Roethe.  Die  dramat.  Quellen  des  Schillerschen  Teil. 
Festg.  f.  Hildebrand  1894). 

')  Litt.  u.  Theaterztg.  178U  I,  S.  181.  1783111,  S.  39  f.,  182  «".  Auch 
im  „Teir'  von  Veit  Weber  wird  Gessler  erst  als  Leiche  auf  die  Bühne 
getragen,  während  Teil  von  der  Bühne  aus  schiesst.  Im  Ritterdrama  war 
das  Vorübertragen  von  Leichen  in  Särgen  ein  beliebtes  Motiv  (Brahm, 
Ritterdrama  S.  116). 

■)  Vgl.  S.  153.  In  diesem  Weiterdenken  des  Publikums  ist  es  auch 
jedenfalls  begründet,  wenn  am  Szenenschluss  die  Personen  meistens  nach  ver- 
schiedenen Seiten  abgehen;  das  Publikum  kann  nur  dann  glauben,  dass  das  Ge- 
spräch zu  Ende  sei.  Bei  dem  oben  (S.  51)  erwähnten  Wiener  Zensor  ging 
die  Angst  vor  dem  gefährlichen  Weiterdenken  so  weit,  dass  er  vorschrieb : 
„Die  Zensur  hat  darauf  zu  sehen,  dass  nie  zwey  verliebte  Personen  mit- 
einander allein  vom  Theater  abtreten." 


—      362     — 

Helden  nach  znfälliirer  Rctinns^  ein  Weiterleben  zu  ire:statten. 
Der  Kleingläubigkeit  des  Publikums,  das  mit  L'eschmaek- 
loser  Romanphantasie  weiterdichtete,  hat  Schiller  beim  Wallen- 
stein mit  dem  Gedicht  ..Tliekla.  Eine  Geisterstimme"  ge- 
antwortet; beim  Don  Caiios')  dagegen  hatte  er  es  füi-  not- 
wendig gehalten,  (rewissheit  zu  scliatfen  und  den  Helden  auf 
der  Bühne  durch  Selbstmord  enden  zu  lassen.  Er  liattc  dafür 
Körners")  Beifall  geerntet:  „Carlos  Tod,  glaub"  ich  übrigens. 
ist  immer  theatralischer,  als  seine  Uebergebung" ;  allerdings 
konnte,  da  die  Zensur  das  Auftreten  des  Grossinquisitors 
verbot,  der  eclite  Schluss  nicht  reclit  zur  Geltung  konunen. 

Aus  einem  anderen  Grunde  ist  in  der  Leipziger  Be- 
arbeitung des  Piesko  der  Tod  des  Helden  verändert ;  das  Er- 
trinken ist  für  den  Schauspieler  eine  allzu  undankbare  Todes- 
art, und  Avohl  aus  diesem  Grunde,  kaum  deshalb  weil  Verrina 
die  Oberhand  behält,  soll  Reinecke  sich  geweigert  haben,  in 
dieser  Rolle  zu  sterben^);  mit  der  Änderung,  wonach'  Fiesko  ihn 
erdolcht,  wird  er  eher  zufrieden  gewesen  sein.  Auch  mit  Amaliens 
Tod  in  den  ..Räubern"'  war  man  von  Theaterseite  aus  nicht 
einverstanden,  ohne  dass  dei'  (irund  ersichtlich  wäre,  Avai'um 
Dalbcrg  sie  zur  Zeit  des  Landfriedens  lieber  erschiessen  als 
erstechen  lassen  wollte.  Schillers  Antwort :  ..Der  Eifekt  muss 
erstaunlich  seyn,  und  kömmt  mir  auch  lüubermässiger  vor'',  ist 
jedenfalls  Ironie.     Im  Druck  des  Trauei'spiels  blieb  denn  auch 


M  So  in  den  Prosanianuskripten.  Aber  auch  noch  die  liearheitun?. 
die  seit  1792  auf  dem  Weimarer  Theater  gespielt  wunle  (Hurkhanlt. 
Theat.  Forsch.  I,  S.  134.  Jonas  III,  158,  164.  Urlichs  S.  118  f.),  muss 
»mit  dem  Selbstmord  geschlossen  haben;  es  ist  das  wenigstens  aus  dem 
Bericht  Reinholds  (Saat  v.  Goethe  gesät  S.  101)  über  das  Leipziger 
Gastspiel  von  1807  zu  schliessen:  „In  der  letzten  Scene,  wo  Cailos 
sich  den  Dolch  in  die  Brust  stösst,  ergritt'  Hr.  Oels  diesen  ver- 
borgenen Dolch  schon  vor  dem  Anfange  seiner  Rede,  schwang  solchen 
sogar  einigemal  in  die  Höhe  und  erstach  sich  dann  ganz  jjathetisch."  In 
dieser  verlorenen  Bearbeitung  trat  auch  der  Prior  auf,  der  in  ilen  anderen 
Theatermanuskripten  fehlt.  Obwohl  Reinhold  einmal  l'rosa  zitiert,  waren  es 
sicherlich  Verse,  wie  auch  aus  einem  anderen  Bericht  (Morgenblatt  1807 
Nr.  "249,  250)  hervorgeht. 

-)  Körner  an  Schiller  19.  Febr.  1789.   \"gl.  oben  S.  J50. 

•'')  Speidel  u.  Wittmann,  Bilder  aus  d.  Schillerzeit  S.  84. 


—      363     — 

der  Tod  denselbe ;  im  Mannheimer  Manuskript  ist  er  in  Selbst- 
mord umgewandelt. 

Eine  andere  Verbesserung"  ist  hier  von  Wichtigkeit:  im 
Schauspiel  heisst  es  einfach:  „(Er  eraiordet  sie)"');  in  dei- 
Bühnenbearbeitung  dagegen  sind  der  Stei'benden  noch  einige 
Worte  in  den  Mund  gelegt;  ebenso  beim  alten  Moor,  der  im 
Trauers|)iel  mitten  in  einer  Rede  Karls  seinen  Geist  aufgab, 
während  er  im  Trauerspiel  mit  den  Worten:  ..Gott!  Meine 
Kinder!"'  verscheidet. 

Diese  Rücksichtnahme  auf  den  Schauspieler,  für  «Icn  die 
brechende  Stinmie  das  deutlichste  Mittel  ist,  den  Tod  zu  mar- 
kieren, war  schon  zu  (iottsclieds  Zeiten  zur  Vorschrift  ei"- 
hoben  worden.  Mylius  hatte  vei'langt,  die  Personen  sollten 
leise  sagen:  „Ich  stei'be"  —  eine  Regel,  der  in  der  Tat  die 
meisten  Stücke  jener  Zeit  entspi"cchen.  Auch  Schiller  hat 
weiterhin  meist  dafür  gesorgt,  dass  der  Tod  als  ein  \'er- 
stummen  keniitlicli  wii"d,  so  schon  im  Fiesko: 

V,  3:    Gianettino    (bäumt  sich    krainptii,'-  in  die  Höh).     I'estI 

Fiesivo  -  -   (stirlit). 
V,  11 :  Leonorc  fällt  mit  einem  gebrochenen  Laut. 
V,  IG:    Fiesko    (ruft    aus    den  Wellen).      Hilf  Genua!     Hilf! 
Hilf  deinem  Herzog! 

Nur  bei  Talbot  und  Gessler  bleibt  der  letzte  Todeskampf 
wortlos,  aber  um  den  Sterbenden  hat  sich  eine  Ciruppc  ge- 
bildet, die  die  Aufmerksamkeit  auf  ihn  lenkt  und  das  Heran- 
nahen des  Todes  beobachtet;  so  wiitl  im  Teil  iudii'ekt  der 
Moment  des  Verscheidens  bezeichnet : 

Sieh  wie  er  bleich  wird  —  .Tetzt,  jetzt  tritt  der  Tod 
Ihm  an  das  Herz  —  die  Augen  sind  gebrochen. 

Aus  der  Beobachtung  und  Feststellung  durch  die  Um- 
stehenden ergibt  sich  der  eingetretene  Tod  für  das  Publikum 
erst  als  Gewissheit;  diesem  Zweck  entspricht  z.  B.  auch  das 
aus  Shakespeare  ^und    dem    ...lulius    von   Tarent"    stammende 

*)  Ebenso  bei  Spiegelberir :  ..Er  sticht  ihn  tod",  bei  Franz  Moor: 
„erdros.selt  sich"",  bei  Schweizer:  ,, schiesst  sich  vor  die  Stirn",  ohne  dass 
die   Sterljenden  auch  nur  einen  Ton  zu  reden  bekommen. 


-      364     — 

Motiv,    dass   dem  Toten   noch  eine  Aufforderung  ins  Ohr  ge- 
rufen wird,  auf  die  er  nicht  mehr  antwortet: 

Raub.  V,  1:  Schweizer Gebt  acht  wie  hurtig  er  auf 

die  Reine  springt?   (rüttelt  ihn.)  Heh  du!    Es  gibt 

einen  Vater  zu  ermorden. 

Grimm.     Gib  dir  keine  Müh.     Er  ist  maustodt. 

An  einer  anderen  Stelle  der  „Räuber"  wird  diese  Wir- 
kung allerdings  fälschlich  erreicht,  denn  Amalias  Schrei: 
..Tod  !  alles  Tod  !",  mit  dem  in  der  Bühnenbearbeitung  die 
ganze  Szene  schliesst,  lässt  auch  das  Publikum  an  den  wirk- 
lichen Tod  glauben.  Dass  das  nachherige  Wiederaufleben 
nun  eine  vollständige  Überraschung  bedeutet,  kam  dem  Dichter 
wohl  erst  bei  der  Aufführung  recht  zum  Bewusstsein;  in 
seiner  Selbstrezension  spottet  er  deshalb  über  das  zähe  Frosch- 
leben des  Alten. 

Da  wirklichei"  Tod,  Scheintod,  Ohnmacht  auf  der  Bühne 
nur  mit  den  gleichen  Mitteln  auszudrücken  sind'),  so  ist  es 
notwendig,  das  Publikum  indirekt  über  die  P>edeutung  zu 
unterrichten.  Beim  „Don  Carlos"  beobachten  Avir  das  Um- 
gekehrte wie  bei  den  .,Räubei-n"  :  wenn  am  Schluss  die  Kö- 
nigin ohnmächtig  niedersinkt  und  von  Carlos  mit  den  Worten 
aufgefangen  wird:  „Ist  sie  todt?  O  Himmel  und  Erde", 
könnte  der  Zuschauer  irregeführt  werden.  In  der  Prosa- 
fassung ruft  deshalb  Derma  dem  Prinzen  zu:  „Sie  lebt!  Es 
ist  nur  eine  Ohnmacht!  —  Der  Schrecken  — " 

Die  Ungewissheit  ist  dann  besonders  stark,  wenn  das  plötz- 
liche Zusammenbrechen  aus  einer  inneren  Erschütterung  heraus 
erfolgt,  deren  Stärke  eigentlich  erst  aus  dieser  Wirkung  zu 
ermessen  ist.  Etwas  andres  ist  es,  wenn  ein  äusserer  Kampf 
vorausgeht,  in  dessen  Ausführung  sich  eher  andeuten  lässt, 
ob  die  Verletzunir  tötlich  sein  soll. 


1)  Seckendorf  (Vorles.  üb.  Dekl.  u.  Mimik  II,  222  f.)  gibt  daher  die 
Regel :  „Da  man  den  Tod  auf  der  Bühne  nur  durch  gänzliche  Schlaffheit 
der  Glieder  bezeichnen  kann,  so  muss  man  der  Ohnmacht  nothwendig  etwas 
mehr  Halt  des  Körpers  geben,  wenn  auch  Kopf,  Arme  und  Füsse  Er- 
schlaffung zeigen." 


—     365     — 

Bei  Verwundungen  machte  wiederum  die  Darstellung-  des 
Blutes  Schwierig-keiten :  obwohl  dies  Mittel  allgemeine  Ver- 
urteilung' fand,  soll  sich  noch  Schröder  als  Jago  der  Blutblase 
bedient  haben.*)  Von  Ekhof  wird  dasselbe  erzählt,  aber  als 
auf  dem  Mannheimer  Theater  Boek  ihn  nachahmte,  diktierte 
Dalberg  sein  striktes  Verbot:  „Hiermit  seien  dergleichen 
tragische  Farcen  von  unserer  Bühne  verbannt."-) 

Statt  auf  sein  Lieblingsbuch,  Homes  Grundsätze  dei- 
Kritik,  hätte  Dalberg  dabei  auf  die  Haniburgische  Di-ania- 
turg-ie  verweisen  können,  wo  Lessing ^)  bei  Gelegenheit  von 
Heufelds  Julie  dieselbe  Regel  gibt:  „Herr  Heufeld  verlangt, 
dass,  wenn  Julie  von  ihrer  Mutter  aufgehoben  wird,  sich  in 
ihrem  Gesichte  Blut  zeigen  soll  ....  Gut,  wenn  in  solchen 
Fällen  die  erhitzte  Einbildungskraft  Blut  zu  sehen  glaubt ; 
aber  das  Auge  muss  es  nicht  wirklich  sehen." 

Diese  Stelle  mochte  Schiller  beim  Don  Carlos  vor  Augen 
haben,  als  er  in  einem  Manuskript  die  Worte  der  kleinen 
Infantin  „Sie  blutet!  —  Ach  meine  Mutter  blutet"  und  ebenso 
Albas  ,,und  Blut  auf  ihi'om  (xesicht"  eigcnhändii;'  durchstrich, 
damit  keine  Schauspieleiin  zu  natui'alistischei-  Darstellung 
versucht  werde.  Im  Diuck  konnten  Albas  Worte  stehen 
bleiben,  da  sie  sich  ja  nur  mehr  an  die  Einbildungskraft  des 
Zuschauers  richten,  denn  die  Königin  ist  inzwischen  abge- 
gangen. Die  erste  Stelle  fiel  in  der  Redaktion  von  18(»1  weg, 
aber  vielleicht  nur  der  Kürzung  halber,  denn  in  den  späteren 
Stücken*)  scheut  Schillei-  vor  dem  Worte  Blut  nicht  mehr 
zurück : 

Jg-fr.  z.  3048:    Tal  bot    (reisst  den  Verband  ab). 

So  strömet  hin,  ihr  Bäche  meines  Bluts, 
z.  3387:    Ihr  Blut  entfliesst. 

In  dem  Weimarer  Piünzip  der  symbolischen  Darstellung 
war  ja  jeder  naturalistische  Gedanke  ausgeschlossen;  um  so 
verwunderlicher  klingt  es,  weim  Genast*)  erzählt,  Schiller  habe 


0  Devrient  II,  366.     Schütze  S.  5U9. 

*)  Martersteig  S.  74,  58. 

3)  Hand..  Uram.     9.  Stück.    Lachm.-Munckcr  IX.  S.  220. 

*)  Genast  I,  113. 


—     366     — 

die  Lady  Macbeth  nach  dei-  Ki-mordungsszene  mit  rot  ange- 
strichenen Händen  gewünsclit,  wie  es  englische  Tradition  war. 
Dem  braucht  man  keinen  Glauben  zu  schenken;  gerade  beim 
Macbeth  hat  sich  ja  Schiller  von  englischen  Traditionen  fern- 
g-ehalten,  wie  schon  der  Schluss  zeigt,  avo  nicht  Macbeths 
Kopf,  sondern  Rüstung-  und  Krone  des  Erschlagenen  auf  die 
Bühne  gebracht  werden. 


5.    Die  malenden  Oesten. 

„Malende"  und  „ausdruckende  Geberden"  sind  die  beiden 
Klassen,  in  die  nach  Engels  Mimik^)  die  körperliche  Bered- 
samkeit zerfällt.  Diese  Einteilung  läuft  auf  einen  ähnlichen 
Unterschied  hinaus,  wie  ihn  Schiller  später  in  „Anmut  und 
Würde"')  zwischen  willkürlichen  und  sympathetischen  Bewe- 
gungen macht:  „Die  willkührliche  Bewegung  erfolgt  auf  eine 
Handlung  des  Geraüths,  welche  also  vergangen  ist,  wenn  die 
Bewegung  geschieht.  Die  sympathetische  Bewegung  hingegen 
begleitet  die  Handlung  des  Gemüths,  und  den  Empflndungs- 
zustand  desselben,  durch  den  es  zu  dieser  Handlung  vermocht 
wird,  und  muss  daher  mit  beyden  als  gleichlaufend  be- 
trachtet werden." 

Wenn  man  nicht  wie  Schiller  die  Beziehung  zum  Gefühls- 
motiv ins  Auge  fasst,  sondern  an  das  gesprochene  Wort  an- 
knüpft, verschiebt  sich  das  Verhältnis:  die  sympathetischen 
Ausdrucks-  oder  Triebbewegungen  eilen  der  Rede  voraus;  die 
^willkürliciien,  malenden  Gesten  begleiten  und  ergänzen  sie. 
Daher  kann  das  geheuchelte  Wort  in  Widerspruch  zu  den 
unwillkürlichen  Triebbewegungen  treten;  die  Willkürbewe- 
gungen dagegen  bleiben  immer  in  Ü^bereinstimmung  mit  dem 
Inhalt  der  Rede,    den    sie    accentuieren    und    anschaulich    zu 

»)  J.  J.  Engel,  Ideen  zu  einer  Mimik,  Berlin  1785  I,  S.  59 ff.  Wumlt, 
Völkeri).sychol()gie  1, 1  S.  122.  Die  neueren  Werke  von  Hughes  (Mimik) 
und  liudoli)h  (Der  Ausdruck  der  Gemütsbewegungen  des  Menschen, 
Dresden  1904)  waren  mir  nicht  erreichbar. 

-')    Goed.  X,  81  ü: 


—     367     — 

machen  .suchen.  Oder  sie  ersetzen  8o,i;ar  das  ifesprochene 
Wort,  wcshall)  sie  ihre  hauptsächliche  Verwendung-  in  der 
Pantoniine  und  im  Ballet  linden. 

Im  Yortrai;'  des  Redners  und  des  Rezitators  sind  sie  als 
helobendes  Kunstmittel  am  Platze;  ebenso  in  einer  wortreichen 
dramatischen  Sprache,  die  explosive  Affektäussei'ung-en  vermei- 
det und  dafür  die  Beschreibung  der  Gefühlsvoriräng'e  über- 
nimmt —  in  einer  iretra.irenen  Rede,  die  ihren  Fluss  nicht 
(lui'cli  heftige  Körperbewegungen  zeirissen.  sondciii  in  an- 
schmiegendem Rhythnms  begleitet  wünscht  —  also  vor  allem 
im  X^ortrag  dei'  französischen  Tragödie.  Die  deutschen 
Alf'xandi'inerdramen  hatten  diesen  Stil  übernommen,  und  von 
den  Schauspielern  der  älteren  Schule  erhalten  wir  daher  immer 
wieder  dieselbe  Beschreibung,  wie  sie  in  Wellenlinien  mit  den 
Armen  die  Luft  durchsegelten  und  wie  sie  kaum  ein  Begriffs- 
wort aussprachen,  ohne  mit  den  Händen  seine  Form  nach- 
zubilden. 

Gegenüber  dem  Namen  „Willkürbewegungcn".  der  auch 
in  der  modernen  PsychologieM  (»eltung  hat,  halte  ich  hier  liebei- 
an  Engels  Bezeichiuuig  fest,  die  iu  der  Schauspielkunst  des 
achtzehnten  Jahrhiniderts  gebräuchlich  war  und  die  zwei  ver- 
schiedenen ( Gattungen,  die  in  diesem  Begriff  zusammentliessen, 
trifft.  Die  naclibildenden  P>ewegungen,  die  den  Inhalt  der  Rede 
veranschaulichen,  und  die  inhaltlosen  .Vrmschwinüungen.  die 
nur  auf  das  Auge  des  Beschauers  durch  schöne  Linien  einen 
Reiz  ausüben  wollen  —  beide  sind  ursprünglich  verschieden, 
aber  in  gleichem  Masse  Helen  beide  als  malende  Kunst,  als 
Unnatur  und  '^Panzmeistergrazie  dem  Begriff  einer  natüi'lichen 
Schauspielkunst,  die  lediglich  den  innerlichen  Gefühlsausdruck 
suchte,  zum  0|)fer. 

„Die  Schauspieler  A.  und  r^>.  spielen  beide  Essex;  der 
erste  malt,  der  zweite  fühlt  ihn"  —  in  diesen  Satz  wurde 
in  Mannheim  auf  eine  Preisfrage  Dalbergs  der  ganze  Unter- 
schied zwischen  dem  Anstand  der  IVanzösischen  Schauspielkunst 


')  Wiiiidt,  NülkiMpsychoIogio  1,  1,  8.  32. 


i 


—     368     — 

und  der  Natur  der  jung-en  Ekhofschüler,  die  hierin  wiederum 
über  ihren  Meister  hinausgingen,  gedrängt')- 

Die  Geringschätzung,  mit  der  hier  der  Ausdruck  „malen" 
ganz  allgemein  gebraucht  ist,  fehlt  ihm  noch  bei  Lessing,  bei 
dem  er  in  engerem  Sinne  die  nachbildende  Bewegung  bezeichnet. 
In  der  „Hamburgischen  Dramaturgie"-)  wird  zwar  Ekhofs 
Enthaltsamkeit  von  allen  leeren,  affektierten  Armbewegungen 
hervorgehoben,  aber  andererseits  sein  Reichtum  an  malenden 
Gesten  gelobt,  „durch  die  er  allgemeinen  Betrachtungen  gleich- 
sam Figur  und  Körper  giebt,  und  seine  innersten  Empfindungen 
in  sichtbare  Gegenstände  verwandelt."  Ein  Beispiel  gibt 
Lessing  an  einer  anderen  Stelle :  „wer  hat  den  Mann  gelehrt, 
mit  ein  paar  erhobenen  Fingern,  hierhin  und  dahin  bewegt, 
mit  einem  einzigen  Kopfdrehen,  uns  auf  einmal  zu  zeigen,  was 
das  für  ein  Land  ist,  dieses  Vaterland  des  Mericourt?  Ein 
gefährliches,  ein  böses  Land!  Tot  linguae,  quot  membra  viro !  — " 

Mehr  Recht  noch  ist  diesen,  dem  Inhalt  der  Rede  nachhelfen- 
den Bewegungen  in  dem  Jugendfragment  „Der  Schauspieler" 
zugestanden,  wo  Lessing  genau  die  Handbewegung  vorschreibt, 
die  die  Erzählung: 

„Und  warf  mich  ihm  zu  Füssen" 
begleiten   soll,    ebenso    das  Tiefersenken    der  Hand    bei    den 

Worten : 

„Erniedrige  dich  nur." 

Die  Beispiele  sind  aus  Schlegels  Canut  entnommen.  Ebenso 
wählte  später  Goethe,  als  er  seine  „Regeln  für  Schauspieler" 
gab,  ein  bestimmtes  Stück  zur  Demonstration,  und  es  ist  ein 
glücklicher  Zufall,  dass  er  damals  gerade  die  „Braut  von 
Messina"  einstudierte;  wir  können  uns  nun  auch  in  solchen 
kleinen  Zügen,  die  in  den  Besprechungen  nicht  erhalten  sind, 
ein  Bild  von  der  Weimarer  Aufführung  machen. 

Goethe  gibt  zunächst  die  allgemeine  Regel:  „Die  mahlende 
Gebäi'dc  darf  selten  Qemaclit  werden,    doch  auch    nicht  yanz 


')  Marterstcig  S.  109. 

-)  Hamb.  Dram.  4.,    17.,    20.  Stück.     Lachm.-Muncker  IX,  S  197  ff., 
253,  2«i7. 


—      30'.)       - 

unterlassen  bleiben.  ...  Es  muss  iremahlt  werden,  doch  so, 
als  wenn  es  nicht  absichtlich  geschähe."  Mehr  noch  lässt  sich 
aus  den  zwei  speziellen  Vorschriften,  die  weiter  unten  erwähnt 
werden  sollen,  erkennen,  dass  Goethe  den  malenden  Gebärden 
wenio-er  Recht  zugestand  als  Lessing.  So  reaktionär  auch  der 
Weimarer  Stil  mit  seinen  abgemessenen  Bewegungen,  seiner 
belebten  Bildnerei,  seinen  der  antiken  Plastik  abgelernten 
Attitüden  erscheint,  so  war  doch  die  vorausgehende  natura- 
listische Periode,  die  jede  ausdrucksleere  Bewegung  ver- 
schmähte, nicht  ganz  ohne  Einfluss  geblieben. 

Aus  den  Bühnenanweisungen  selbst  lässt  sich  das  wenigste 
auf  die  Anwendung  der  malenden  Bewegungen  schliessen, 
denn  sie  sind  in  den  allerseltensten  Fällen  vom  Dichter  aus- 
drücklich verlangt.  Die  äusserlichen  Vortragsgesten  mussten 
dem  Gutdünken  des  Schauspielers  überla.sscn  bleiben  und 
waren  schlechterdings  nicht  zu  beschreiben;  dasselbe  gilt  in 
geringerem  Masse  von  den  illustrierenden  und  hinweisenden 
Bewegungen;  und  nur  die  Pantomime  vorzuschreiben,  war 
Sache  des  Dichters.  Bereits  Lessing  hat  diese  Bewegungen 
ähnlich  eingeteilt;  nachdem  er  mit  dem  unbedeutenden 
Portebras  aufgeräumt  hat,  verspricht  er  bei  anderer  Gelegen- 
heit die  „Gradation  von  bedeutenden  zu  mahlerischen,  von 
mahlerischen  zu  pantomimischen  Gesten,  ihren  Unterschied 
und  ihren  (Gebrauch  in  Beyspielen  zu  erläutern  — "  ein  Vor- 
satz, der  leider  nicht  mehr  zur  Ausführung  kam.  Unter  Pan- 
tomime scheint  er  dabei  die  körperliche  Nachbildung  eines  Be- 
griffes verstanden  zu  haben,  denn  er  wünscht  sie  beim 
Vortrag  moralischer  Stellen  vermieden.  Wir  wollen  hingegen 
diesen  Namen  nur  auf  die  stummen  Bewegungen  anwenden, 
die  das  gesprochene  Wort   nicht   begleiten,    sondern  ersetzen. 

Die  Pantomime  bringt  in  einer  Pause  die  Vorstellungen 
und  Absichten  einer  Person  zum  Ausdruck,  z.  B. : 

Raub.  I,  '2:  Spiegelberg  (der  sich  die  ganze  Zeit  über  mit 
den  Pantomimen  eines  Projektmachers  im  Stubeneck 
abgearbeitet  hat,  springt  wild  aufj. 

')  Goethe  an  W.  v.  Humboldt  28.  Okt.  1799.  W.  A.  IV,  Bd.  14, 
S.  209.     Wähle,  Sehr.  d.  Goetheges.  VI,  S.  142  ff. 

Palaestra  XXXH.  24 


—     370     — 

Fiesko  I,  2 :  (auf  und  ab,  sich  den  Hof  machend) . 

Kab.  IV,  9:  Hof  mar  schall  (tritt  herein,  macht  dem  Rücken 
der  Ladj-^  tausend  Verbeugungen;  da  sie  ihn  nicht  be- 
merkt, kommt  er  näher,  stellt  sich  hinter  ihren  Sessel, 
sucht  den  Zipfel  ihres  Kleides  wegzukriegen  und  drückt 
einen  Kuss  darauf). 

Ebenso  kann  zwischen  mehreren  Personen  ein  stummes 
Gespräch  hin  und  hergehen,  das  mit  Blicken,  Winken  und 
Andeutungen  Frage  und  Antwort  vermittelt,  z.  B. : 

Carlos  4855 :    sie  geben  sich  untereinander  verlegene  Winke, 
W.  T.  3778a:  Gordon    (ohne    zu    antworten,    weist    mit    der    Hand 

nach  hinten). 
M.  St.  2469  a:  Giebt  der  Amme    ein  Zeichen,    sich  auf    ihren  Posten 
zu  begeben. 
3449  a:  Faulet  überliefert  der  Amme  ein  Schmuckkästchen  nebst 
einem  Papier,  und  bedeutet  ihr  durch  Zeichen,  dass  es 
ein  Verzeichniss  der  gebrachten  Dinge  enthalte. 
Braut  V.  M.  2512:    Beatrice    (zeigt    mit   abgewandtem  Gesicht    auf  den 
Leichnam). 
Teil  2805:    Gessler  giebt  Zeichen  mit  der  Hand,  die  er  mit  Heftig- 
keit wiederholt,  da  sie  nicht  gleich  verstanden  werden. 

Den  Übergang  vom  stummen  Spiel  zu  den  Bewegungen, 
die  das  Wort  begleiten,  bilden  die  ergänzenden  Gebärden. 
Ein  Satz  wird  abgebrochen;  der  Redende  scheut  ein  allzu- 
starkes Wort  auszuspreclien  und  deutet  es  pantomimisch  an : 

Z.  B.  Babos  „Strelitzen"  II.  7: 

Habt   Ihr   sie   so    geschwind    —    („tödten  lassen?"    —  will  er 
sagen;  aber  er  deutet  es  durch  eine  Geberde  an.  die  simpel,  edel  und 
deutlich  seyn  kann,  ohne  in's  Lächerliche  zu  fallen.) 
Goethes  „Mitschuldige"  111,2: 

(macht  ihr  pantomimisch  das  Stehlen  vor)  Eh! 
Oder     die     gewagten     Gesten    des    Mephistopheles     in     der 
Hexenküche : 

Sieh'  her,  das  ist  das  Wappen,  das  ich  führe ! 
(Er  macht  eine  unanständige  Geberde.) 

und  in  dem  Auftritt  „A\'ald  und  Höhle": 

Und  dann  die  hohe  Intuition'  —  (Mit  einer  Geberde) 
Ich  darf  nicht  sagen  wie  —  zu  sciilicssen. 

Es  mussten  hier  fremde  Beispiele  herangezogen  werden, 
weil  die  Verwendung  bei  Schiller  äusserst  selten  ist:  iKk-hstens 


—     371     — 

den  Mordauftrag  Giancttinos  an  (]on  ^Fohren  dai'f  man  dahin 
rechnen : 

Du  kannst  sie  nur  (auf  seine  Brust  deutend)  hieher  verfehlen. 

Allenfalls  noch  eine  Stelle  in  der  Thaliafassung-  des  Don 
Carlos : 

V.  50  f. :  ich  will  ja  wenig-  — 

will  ja  nicht  mehr,  als  ich  mit  so  viel  Annen 
unireichen  kann  —  — 
Hier    feiilt    die    Anweisung,     dass    Cai-los    beide    Ai-me    aus- 
strecke;   sie    wäre    ergänzend    als    nähere  Bestimmung  des 
..so   viel"    und  zugleich    illustrierend    als  Nachbildung  des 
Wortes  ,, umreichen". 

Die  illustrierenden  oder  nachbildendcnGesten  sind  „malend" 
im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes;  hierher  gehören  Lessings 
P.cispiele  aus  dem  „Schauspieler";  irgend  ein  Begriff:  rund, 
bi'oit.  hoch,  tief  wird  durch  die  entsprechende  Handbewegung 
versinnlicht.  In  der  älteren  Schauspielkunst  ging  man  so  weit, 
auch  die  körperlichen  Formen  konkreter  Gegenstände  nachzu- 
bilden —  das  verstand  vei-mutlich  Lessing  unter  der  Be- 
zeichnunir  pantomimisch;  eine  Fülle  von  Beispielen,  die  in  ihrer 
Geschmacklosigkeit  übertrieben  erscheinen,  sind  in  den  Theater- 
scJii'iften  gesammelt.^) 

Solche  P>ewegungen  sind  eigene  Zutaten  des  Schauspielers 
und  vom  Dichter  fast  nie  vorgeschrieben;  höchstens  wo  sie 
ganz  leicht  und  doch  charakteristisch  auftreten,  z.  B.  Fiesko  I,  2: 

Mohr  (bläst  durch  die  Finger).     Pub!  Federleicht. 

Wie  hier  das  Leichte,  so  könnte  im  folgenden  Falle  der  Be- 
griff des  Runden  durch  eine  Handbewegung  umschi'ieben 
werden : 


')  Es  sei  nur  eines  erwähnt,  nämlich  die  Schilderung,  die  Engel  von 
einem  Odoardo  bei  den  Worten:  „Schütten  Sie  nicht  Ihren  Tropfen  Gift 
in  einen  P^imer  I"  entwirft :  ,,Erst  erhob  er,  ganz  nach  der  Regel  des 
Kiecoboni,  den  rechten  Arm,  legte  den  Zeigefinger  an  den  Daumen  unti 
senkte  beyde  gegen  die  Erde,  als  ob  er  etwas  von  ihnen  herabfliessen  liesse: 
das  war  der  Tropfen  I  Dann  hielt  er  beyde  Hände  ziemlich  weit  von  ein- 
ander, spreizte  alle  Finger  und  schien  etwas  von  nicht  geringem  Umfange 
damit  zu  umspannen:  das  war  der  Eimer!"  (Ideen  zu  einer  Mimik  1785  II, 
IG.  49.) 

24* 


—     372     — 

Picc.  V.  2163:    Isolani  (auf  seine  Korpulenz  zeigend). 

Ihr  habt  die  Last  auch  gar  zu  gross  gemacht. 

Das    Fehlen    weiterei'   Vorschriften   beweist    keinesAvei,'"s, 
dass  Schiller  den  Vortrag"  seiner  Stücke  von  diesen  illustrieren- 
den Gesten  g'anz  frei  wünschte ;  gerade  in  den  späteren  Stücken 
bei  den  lang-en  Schilder ungen  und  Berichten  des  schwedischen 
Hauptmanns,  Raouls,  Stauffachers  ist  dieser  dem  Schauspieler 
überlassene    Schmuck    beinahe    unentbehrlich.^)     Am   meisten 
vielleicht    in    der    „Braut   von  Messina",   wo    die   analytische 
Technik  es  mit  sich  bringt,  dass  der  grössere  Teil  des  Dialoges 
aus  Erzählungen  besteht.     Hier    hat  Goethe   seinen   Schülern 
einmal  ein  Beispiel  gegeben  an  den  Worten  Manuels  (v.  827  ff.): 
Dazu  den  Mantel  wählt  von  glänzender 
Seide  gewebt,  in  bleichem  Purpur  schimmernd, 
Ueber  der  Achsel  heft'  ihn  eine  goldne 
Cikade  — 

Man  kann  sich  vorstellen,  dass  etwa  die  Wörter  „Mantel" 
und  „Achsel"  durch  die  beliebten  Wellenbewegungen  ausge- 
malt wurden;  davon  spricht  Goethe  nicht,  dagegen  warnt  er 
den  Schauspieler,  bei  den  letzten  Worten  mit  der  Hand  seine 
eigene  Achsel  zu  berühren.     Dies   wäre    eine    am  verkehi'ten 


')  Es  können  auch  ursprüngliche  Ausdrucksbewegungen  bei  lebhafter 
Schilderung  eines  Vorfalles  malend  reproduziert  werden:  so  karrikiert  in 
„Minna  von  Barnhelm"  (III,  4)  der  Wirt  das  Nacheilen  Minnas ;  vgl.  auch 
Wagners  „Reue  nach  der  That"  I:  „Sie  recht  ihren  abscheulichen  Fehl- 
tritt fühlen  zu  lassen,  lüpfte  ich  mich,  als  sie  Abschied  nahm  —  sehen 
Sie  —  nur  so  ein  klein  wenig  in  meinem  Armstuhl  .  .  .  .^'  Dahin  ge- 
hört auch  W.  T.  3319: 
'  „Und  wenn  er  mich  nun  mit  der  Pike  sieht 

Dastehn,  mir  auf  den  Rock  sieht  —  sieh  —  so  —  so  — 

Umgekehrt  können  ursprünglich  malende  Bewegungen  sich  zu  aus- 
drückenden steigern,  z.  B.  Fiesko  II,  17,  wo  Verrina  mit  einer  i)ackenden 
Beschreibung  von  Romanos  Gemälde  beginnt  und  sich  der  Situation  so 
lebhaft  hingibt,  dass  sein  Zorn  gegen  die  Tyrannen  losbricht  und  seine 
Wut  sich  schliesslich  an  dem  Bilde  selbst  auslässt.  Ein  Beitrag  zu  jener 
Lehre  von  der  Rückwirkung  körperlicher  Bewegungen  auf  den  Seeleiizu- 
stand.  Vgl.  oben  S.  814  f.,  323  Anm.  2,  ferner  Goed.  1, 102.  X,  82.  Dessoir, 
Gesch.  d.  neueren  Psychologie  S.  324  f.  Wundt,  Völkerpsychologie  1,1. 
S.  G5  f. 


—      373      — 

Platze  an^^ewandte  hinweisende  Gebärde,  und  Goethes  Mahnung 
zeicrt,  dass  auch  damit  Missbrauch  iretriebcn  wurde. 

Der  Ausdruck  ..hinweisend"  entspricht  wohl  dem,  was 
Lessing  mit  ..bedeutend"  sagen  wollte.  An  Ekhofs  Rolle  in 
Cronegks  ..Olint  und  Sophronia"  hat  er  ein  Beispiel  gegeben, 
wie  eine  allgemeine  Sentenz  durch  individualisiei-ende,  d.  h. 
iiinweisende  Gesten  sinnlich  wirksam  gemacht  werden  kann.^) 
Es  handelt  sich  um  zwei  Verse,  die  Evander  zu  seinem  Sohne 
Olint  spricht: 

„Da  sie  zu  leichtlich  glaubt,  irrt  muntre  Jugend  oft, 
Das  Alter  quält  sich  selbst,  weil  es  zu  wenig  hofft." 
Nun  verlangt  Lessing  die  erste  Zeile  gegen  Olint  hinge- 
sprochen, weil  seine  unerfahrene  Jugend  diese  Betrachtung 
veranlasse;  bei  der  zweiten  Zeile  hingegen  müssen  die  Hände 
..sich  notwendig  gegen  die  Brust  ziehen,  um  zu  bemerken, 
dass  Evander  diesen  Satz  aus  eigener  Erfahrung  habe,  dass 
er  selbst  der  Alte  sey,  von  dem  er  gelte."  — 

Woini  wir  die  äusserlichc  Unterscheidung^)  machen 
zwischen  den  hinweisenden  Bewegungen,  die  gegen  andere 
Personen  und  Gegenstände  gerichtet  sind,  und  denen,  die 
das  eigene  Ich  bezeichnen,  so  erscheinen  die  ersten  haupt- 
sächlich als  das  Korrelat  zu  jedem  stark  betonten  Demon- 
strativpronomen; erst  durch  die  entschiedene  Richtung  des 
Blicks  oder  durch  eine  Handbewegung  erhält  es  seine  Bestimmung. 


1)  Hamb.  Dram.     4.  Stück.     Lachm.-Muncker  IX,  S.  199  f. 

■)  Welche  Wichtigkeit  man  auch  noch  im  Anfang  des  neunzehnten 
•Jahrhunderts  den  hinweisenden  Gesten  beimass  und  mit  welchem  Forma- 
lismus sie  wiederum  behandelt  wurden,  zeigt  die  schwerfällige  Unter- 
scheidung Seckendorfs  zwischen  der  substantivischen  Demonstration,  die 
sich  auf  Ort,  Sache,  Personen,  Zeit  bezieht,  und  der  adjektivischen:  .,Die 
rein  substantifische  Demonstration  hat  zum  Merkmal,  dass  die  äussere 
Seite  des  Arms  die  obere,  folglich  die  innere  die  untere  wird.  Die 
adjektifische  Demonstration  hingegen  kehrt  die  innere  Seite  des  Armes 

und  der  Hand  nach  Oben Die  substantifische  Demonstration  zeigt 

den  Singular  durch  den  Zeige-Finger  an,  während  sich  die  übrigen  Finger 
senken.  Den  Plural  aber  zeigt  sie  an  durch  vier  Finger,  mit  Ausschluss 
des  Daumen,  der  gerade  hier  sein  sehr  technisches  Verhältnis  bewährt," 
(Vorles.  üb.  Dekl.  u.  Mimik  II,  S.  177  ff.) 


—     374     — 

An  solchen  „Sieh",  „hier",  „dieser",  mit  denen  die  Sprache 
mimisch  belebt  und  in  Aktion  umgesetzt  wird^),  ist  der  Dialog 
der  Schillerschen  Jugendstücke  ausserordentlich  reich;  das 
stärkste  Beispiel  findet  sich  im  Fiesko,  avo  einmal  drei  ver- 
schiedene Demonstrationen  gehäuft  sind: 

IV,  13 :  Diese  verdient  meinen  ganzen  Zorn,  denn  sie  liat  diesem 
Engel  dieses  Pulver  gemischt. 

Es  ist  bereits  oben^)  darauf  aufmerksam  gemacht,  wie 
viele  Requisiten  überhaupt  nur  durch  solche  Hinweise  einge- 
führt sind,  und  wie  manche  Missverständnisse  dadurch  hervor- 
gerufen werden  konnten.  Andererseits  haben  bedeutende  Schau- 
spieler auch  feinere  Nuancen  anzubringen  gewusst;  z.  B  machte 
Flecks  Wallenstein  grossen  Eindruck,  als  er  bei  den  Worten : 

Ich  hatte,  was  ihm  Freyheit  schaffen  konnte 
den  Kommandostab  ergriff.^) 

In  Fällen,  wo  der  Hinweis  nicht  ohne  Aveiteres  verständ- 
lich ist,  hat  ihn  bereits  Schiller  direkt  verlangt: 

Raub.  (Bühnenb.)  Y,  6 :  So    lohnte  dir    dein    begünstigter    Sohn!    (auf  den 
Thurm  zeigend) 
Fiesko  111,4:  Ich  habe  neulich   einen    Gelüst   nach    euerm  Kopf 
gehabt,    (indem    er   auf   den    Brief   deut<?t)    Hier 
war  er  wieder  — 
Kab.  11,2:  Präsident  (seinen  Orden  entblössend).    Legt  Hand 
an  im  Namen  des  Herzogs. 
IV,  3:  Ich  will  jneinen    Finderlohn  haben,    (hier    zeigt    er 
ihm  die  Pistolen.) 
Picc.  V.  148:  (indem   er  sich  vor  ihn  hinstellt  und  seinen  Anzug 
mustert) 

Es  ist  noch  lang  nicht  alles  Gold  gemünzt. 
Jgfr.  z.  4887 :  Ich  bin  befreit  —  Ich  bins  um  diesen  Preis  I 
(zeigt  auf  Johanna.) 
Natürlich  braucht  nicht  jedes  Demonstrativum  duivli  eine 
HandbcAvegung  Nachhilfe    zu    erhalten;    oft    könnte    das    nur 
geschmacklos  wirken,  z.  1>.  Carlos  1G46: 

Weiss  dieser  Kopf,  was  dieses  Herz  beschwert? 

')  Minor  I,  351. 

-)  Vgl.  S.  286  f.,  344. 

■')  Genast  II,  184  f.  Minder  glücklich  war  eine  Nuance  Ifflands.  der  bei 
den  Worten:  „Es  braucht  der  Waffen  nicht"  (W.  T.  22G6  das  Schwert 
zog  und  von  sich  schleuderte  (Briefe  üb.  Ifflands  Spiel  in  Leipzig  zu  Ende 
des  Junius  1804.  S.  124). 


—     375     — 

Indessen  masr  zu  jener  Zeit  so  manche  Darstellerin  der 
Eboli  erst  auf  des  Prinzen  Kopf  und  dann  auf  seine  Brust 
«gewiesen  haben,  und  die  Tlindcutung-  auf  das  Herz  lag  vielleicht 
sogar  in  des  Dichters  Absicht. 

Diese  liewcgunir,  die  uns  heute  iilump  vorkommt,  war  im 
aclitzehntcn  .Jahrhundert  autfallend  beliebt,  besonders  in  der 
verstärkten  Form  des  Handauflegens: 

Goethe,  Gottfr.  v.  Berl.   V,  (5:  Adelheid.     Ich  würde  nicht  schöner  ruhen 

als  hier.  (Sie  legt  ihre  Hand  auf  seine  Brust; 
er  küsst  sie.) 

Kotzebue, Kind  d.  Licltp  Iir,4:  Amalia:    Haben   Sie   mir  nicht  oft  gesagt, 

nur  das  Herz  adelt?  (Sie  legt  ihm  die  Hand 
aufs  Herz.)  0  wahrlich!  ich  werde  einen 
Edelmann  heirathen. 

.Vus  diesem  allgemeinen  Gebrauch  erklären  sich  auch  die 
folgenden,  etwas  roh  anmutenden  Anweisungen  »Schillers : 

Käub.  1,3:  (ihr  auf  die  Brust  klopfend.)  Hier,  hier 
herrschte  Karl  wie  ein  Gott  in  seinem 
Tempel  .  . 
Kab.  IV,  7:  (Louise  folgt  ihr  und  hält  ihr  die  Hand 
vor  den  Busen)  Hat  dieses  Herz  auch  die 
lachende  Gestalt  Ihres  Standes? 

Die  cmpliiidsame  Zeit,  die  ihi'  Herz  kokett  zur  Schau  trug, 
liebte  jede  Regung  durch  ein  Hindeuten  auf  den  Sitz  der 
Gefühle  zu  begleiten;  der  Hinweis  auf  die  eigene  Brust  ist 
daher  nicht  minder    häutig;    bei    Itfland    und  Kotzebue^)  bc- 


')  Auch  wenn  von  einer  anwesenden  dritten  Person  die  Rede  war, 
wurde  auf  sie  gedeutet;  hierfür  bietet  eine  Stelle  im  Hamburger  Manuskript 
des  .,Neffen  als  Onkel"  (11,2)  ein  hübsches  Beispiel.  Valcour  spricht  von 
seinem  Freunde  Dorsigny,  den  er  anwesend  glaubt.  Da  er  aber  nicht 
merken  darf,  dass  dieser  sich  inzwischen  entfernt  hat,  heisst  es; 

„.  .  .  wo  ich  so  glücklich  war,  Ihrem  Herrn  Bruder  hier  (zeigt 
mit  der  Hand  ohne  sich  umzusehen)  einen  wesentlichen  Dienst  zu 
erzeigen." 

0  Iffland,  Alhr.  V.  Thurneisen  I,  5:  Ich  fühle  so    hier   (auf   das' Herz 

deutend)  auch  wohl,  wie  dem  Vater 
zu  Muthe  seyn  muss. 
II,  3 :  Er  sagt   so  wenig   von  dem,    was 
hier  vorgeht,  (aufs  Herz  deutend.) 


—     376     — 

gegnet  uns  diese  rührende  Bewegung"  immer  wieder,  aber  wir 
finden  sie  auch  bereits  beim  jungen  Goethe: 

Gottfr.  V.  Berl.  IV,  6:  Franz  (vor  sich  auf  die  Brust  deutend.)     Hier  ists 
noch  wärmer. 

Bei  Schiller    ist    sie    einmal    durch    den    heftigen  Affekt 
motiviert: 

Raub.  V,  1:  Ich  kann    nicht    beten    —    hier    hier!    (Auf  Brust 
und  Stirn  schlagend)  Alles  so  öd  —  so  verdorret, 
aber    ein    anderes    Mal   ist    die    Geste    ganz    leer    und   kon- 
ventionell : 

Carlos  (Thal.)  V.  2756  ff.:  ewger  Abschied 

von  dieser  Wollust  ist  der  Preiss. 

(Die  Hand  auf  die  Brust  gelegt.) 

Der  Preiss 
ist  meine  Unschuld  .  ,  .  meine  Tugend. 
Hier  spiegelt  sich  die  damalige  Schauspielergewohnheit, 
bei  der  Erwähnung  nicht  nur  des  Herzens,  sondern  jedes 
Gefühls  und  jeder  innerlichen  Eigenschaft,  sei  es  Liebe,  Dank- 
barkeit, Tugend,  Unschuld,  mit  der  Hand  die  Brust  zu  be- 
rühren^).    Dies    zeigt    auch    in    Ifflands  Almanach    1807    ein 


Kotzebue,  Kind  d.  Liebe  II,  6:  Ich  würde  auch  nicht  fragen,  wie  heisst  der 

Mann?  sondern  (aufs  Herz  deutend)  vvie  ists 
hier  mit  dem  Mann  beschaffen? 
Gustav  Wasa  1,4:  (aufs  Herz  deutend)  Hier  lebt  er! 
1,5:  Bqhn.  Ich  dachte 

Ihr  schriebt  den  Namen  auf  ein  Täfelchen. 
Gustav  (aufsein  Herz  deutend)  Hier  steht  er. 
Übrigens  suchte  man  diese  äusserliche  Geste  auch  als  Reflexbe- 
wegung phj'siologisch  zu  motivieren.  Göz  in  seinen  illustrierten  An- 
weisungen zu  Lenanio  u.  Blandiiie  schreibt:  „Sie  hat  eine  ihrer  Hände  an 
ihr  pochendes  Herz  sinken  lassen,  nicht  so  ser  um  den  Sinn  des  Wortes 
Mich!  zu  begleiten,  sondern  vilmehr  in  der  Absicht  um,  durch  den 
natürlichen  Instinkt  angetrieben,  mit  dem  Händedruck  die  heftigem  Herz- 
schläge zu  dämpfen.  (Versuch  e.  zahlr.  Folge  leiden.schaftl.  Entwürfe  für 
empfinds.  Kunst-  u.  Schauspiel-Freunde.     Augsburg  1783,  S.  1-15.) 

')  In  Knigges  „Reise  nach  Braunschweig"  (2.  Aufl.  Hannover  17i»4 
8.  30)  gibt  ein  Schmierendirektor  auf  der  Probe  folgende  Weisung: 
„Wenn  du  mein  Gewissen  sagst,  musst  du  den  Zeigefinger  auf  die 
Herzgrube  legen,  al)er  nicht  zu  tief,  sonst  zeigt  es  den  Magen  an.  Ich 
weiss  nicht,  Ihr  Leute  habt  noch  immer  keinen  Begriff  von  ächter  Gestiku- 
lation." 


—     377      — 

Bild  der  Berliner  Schauspielerin    Mad.    Fleck    als  Thekia    in 
,,Wallensteins  Tod";  bei  dem  Verse: 

„Mein  erst  Enipfiiiden  war  des  Himmels  (llück'' 

legt  sie  gleichfalls  die  rechte  Hand  aufs  Herz  und  blickt  auf- 
wärts zum  Himmel. 

Ein  anderes  Bild  aus  .,Wallenstcin",  das  1803  erschien 
und,  ohne  auf  eine  bestimmte  Aufführung  zurückzugehen,  doch 
in  Zusammenhang  mit  dem  schauspielerischen  Stil  steht  ^), 
zeigt  den  Auftritt  zwischen  Octavio  und  Max  (Picc.  V,  1): 
die  Worte  (v.  2505) 

Ist  (las  Kommando  mir  gegeben 

begleitet  Octavio  wiederum,  indem  er  auf  seine  Brust  deutet. 

Dass  in  Weimar  das  Hinweisen  auf  die  eigene  Person 
nur  bei  besonderem  Nachdruck  zugelassen  war,  davon  unter- 
richtet uns  ein  Paragraph  von  Goethes  Regchi : 

„Die  mahlende  (iebärde    mit  der  Hand  gegen  die   Brust, 
sein  eigenes  Ich  zu  bezeichnen,  geschehe  so  selten  als  nur  immer 
möglich,  und  nur  dann,    wenn  es  der  Sinn  unbedingt  fordert, 
als  z.  J>.  in  folgender  Stelle  der  Braut  von  Messina: 
Ich  —  habe  keinen  Hass  mehr  mitgebracht, 
Kaum  weiss  ich  noch,  warum  wir  blutig  stritten. 
Hier  kann  das  erste  Ich  füglich  mit   der  mahlenden  Gebärde" 
durch  Bewegung  der  Hand  gegen  die  Brust  bezeichnet  werden." 

Der  heutige  Geschmack  würde  den  liinweisenden  Gestus 
nicht  für  unbedingt  erforderlich  halten;  dass  er  indessen  vom 
Dichter  gewünscht  wurde,  scheint  der  Gedankenstrich  auszu- 
drücken. Wenn  man  sich  die  grosse  Bedeutung  der  malenden  Be- 
wegungen in  der  Schauspielkunst  des  achtzehnten  .lalirhunderts 
vergegenwäi'tigt,  dann  ist  zu  verstehen,  dass  Schiller  auch 
hierin  vom  Zeitgeschmack  nicht  ganz  unabhängig  sein  konnte. 


')  Taschenbuch  auf  das  Jahr  1804.  Es  ist  nach  einer  Zeichnung  von 
Wächter  durch  Lips  gestochen.  Vgl.  Briefw.  zw.  Schiller  u.  Cotta,  hsg- 
V.  Vollmer.     S.  3ü7.  410. 


—     378     — 

6.    Ausdruck  der  Affekte. 

Das  Problem  des  Zusammenhaiiirs  zAvischen  der  seelischen 
Empfinduni;-  und  ihren  körperlichen  Ausdrucksfoi-men  hat 
bereits  den  jungen  iSchiller  in  seiner  zweiten  Dissertation') 
beschäftigt  und  dort  zur  Formulierung  folgenden  Satzes  ge- 
führt: .j.Teder  Affekt  iiat  seine  specitiken  Äusserungen,  und 
so  zu  sagen,  seinen  eigenthümlichen  Dialekt,  an  dem  man  ihn 
kennt". 

Eine  Unterordnung  der  mannigfaltigsten  Erscheinungsformen 
unter  gemeinsame  Grundgesetze  liegt  im  Interesse  des  Physio- 
logen —  den  beobachtenden  Poeten  hingegen  müssen  inner- 
halb dieser  Grammatik  der  Gebärdensprache  Aveniger  die 
Grundregeln  als  vielmehr  die  Mannigfaltigkeiten  und  feinsten 
Nuancen  interessieren  ;  statt  der  gesetzmässigen  Vereinfachung 
kommt  es  für  ihn  auf  die  Besonderheit  an,  in  der  sich  der 
einzelne  Charakter  als  Individuum  kundgibt.  Aber  derselbe 
Dichter,  der  an  seinen  Figuren  diese  individuelle  Mimik  sorg- 
fältig herausgearbeitet  hat.  muss  darauf  Verzicht  leisten,  so- 
bald er  die  Charaktere  auf  die  Bühne  stellt;  dort  ist  er  nicht 
mehr  der  erklärende  und  vermittelnde  Dolmetsch;  seine  Figuren 
treten  selbständig  vor  das  grosse  Publikum  hin,  und  dies 
hat  keine  Zeit,  sich  mit  P^igenheiten  ihres  Ausdrucks  vertraut 
zu  machen;  es  ist  in  derselben  Lage  wie  der  Beschauer  eines 
Gemäldes;  es  kann  nur  auf  das  Allgemeingültige  eingehen, 
dessen  Bedeutung  ihm  sofort  klar  ist.  Auf  dem  Theater  also 
gilt,  wenn  man  so  sagen  dai'f,  eine  normierte  Bühnensprache 
auch  in  den  Gebärden. 

I  Jlieraus  erklärt  es  sich,  dass  der  Roman  in  gewissem 
Sinne  schauspielerischer,  reicher  an  mimischen  Ausdrucks- 
m()gl  ich  keifen  ist  als  das  Drama").  Dieser  Unterschied  zwischen 
beiden  Dichtungsgattungen  lässt  sich  am  besten  an  Goethe 
beobachten:  wähi-end  in  seinen  Dramen,  namentlich  in  denen 
der  späteren    Zeil,    Spuren  individualisierender   Mimik    selten 

»)  Goed.  I,  16». 

-)  0.  Ludwig,  Werke  hse.  v.  A.  Stern  n.  E.  Schmidt.  Bd.  VI, 
S.  ü7. 


—     379     — 

sind,  nimmt  in  der  erzählenden  Dichtiinir  die  Vorliebe  für  die 
Beobachtung-  charakteristischer  Ausdrucksformen  zu').  So 
wird  in  „Dichtung"  und  Wahrheit"  mit  der  allgemeinen  Be- 
trachtung-, dass  sich  in  einer  eng-  zusammengeschlossenen  Ge- 
sellschaft eine  eig-ene  Gebärdensprache,  eine  Art  Gauneridiom, 
herausbilden  könne,  die  eig-enartig-e  Angewohnheit  Lilis,  das 
.,Streichen"  eingeleitet;  Mignon  im  „Wilhelm  Meister"  liat 
ihre  besondere  Art  von  Gruss,  und  in  der  pädagogischen 
Provinz  sind  sogar  verschiedene  Abstufungen  von  symbolischen 
Grussformen  erfunden;  zur  höchsten  Wirkung  aber  gelanget 
dies  Motiv  in  den  „Wahlverwandtschaften"  mit  Ottiliens 
cigenartig-er  ablehnender  Geste,  die  zunächst  vom  Geiiilfen  in 
einem  Hrief  ganz  beiläufig  erwähnt  und  nun  aufgespart  wird 
für  das  entscheidende  Zusammentreffen  mit  Eduard  im  ^^'irts- 
haus.     (2.  Teil.  Kaj).   KJ). 

Jedesmal  gehört  eine  vorausgehende  oder  nachfolgende 
p]rläuterung  des  Dichters  dazu"),  und  darin  beruht  eben  die 
Schwierigkeit,  solche  individuelle  Gesten  im  Drama  anzu- 
bringen. Vereinzelt  kommen  sie  auch  da  voi".  namentlich 
wenn  noch  ein  bestinuntei-  Nebenzweck  damit  verbunden  ist, 
wie  in  Lessings  „Nathan"  beim  Tempelherrn,  dessen  Familien- 
ähnlichkeit sich  in  einer  ci'erbten  (iewohnlieitsbewegung  kund- 
gibt. Eine  ziemlich  überflüssig-e  Verwendung  hat  ilies  Motiv 
in  den  „Räubern"  gefunden  :  Razmann  beschreibt  TI,  3,  wie 
sich  der  höchste  (irad  des  Zornes  beim  Hauptmann  zu  äussern 
pflegt : 

„ich    sah    ihn    die    Unterlippe    zwischen    die    Zähne    Ivlemnien, 
welches  er  nur  thut,  wenn  or  am  grimmigsten  ist  — " 


')  Riemann,  Goethes  Komantechnik  S.  226.  264.  270. 

■)  Der  eigenartige  Ausdruck  einzelner  Personen  wurde  namentlich  im 
englischen  Roman  beobachtet.  Als  z.  B.  im  „Tristram  Shandy"  der  Onkel 
zum  ersten  Male  einige  Takte  aus  se'nem  Regimentsmarsche  pfeift,  muss 
Sterne  dies  erklären:  „Sie  müssen  wLssen,  dies  war  der  gewöhnliche  Canal, 
wodurch  er  seinem  Atlect  Luft  gab,  wenn  ihn  etwas  ärgerte  oder  über- 
raschte; besonders  aber,  wenn  ihm  etwas  gesagt  wurde,  das  er  für  sehr 
ungereimt  hielt."  (Bodes  Übers.  2.  Aufl.  1776  I,  41).  Mit  dieser  Er- 
läuterung ist  das  Zeichen  für  den  weiteren  Verlauf  des  Romanes  in  Kurs 
gesetzt. 


—     380     — 

und  er  bereitet  dadurch  den  Auftritt  mit  dem  Pater  vor,  avo 
diese  Bewehrung"  in  der  Tat  an  Karl  Moor  beobachtet  wird: 

„Hauptmann  I  —  Sturm!  Wetter  und  Hölle!  —  Hauptmann!  — 
wie  er  die  Unter-Lippe  zwischen  die  Zähne  klemmt!'' 

Aber  weder  ist  die  Beweg^ung  so  ausserordentlich,  dass  sie 
besonders  hervorgehoben  zu  werden  verdiente,  noch  ist  die 
Gelegenheit,  wo  sie  eintritt,  ein  so  wichtiger  Höhepunkt,  dass 
sie  die  A^orbereitung  rechtfertigte. 

In  dem  Streben  nach  möglichster  Mannigfaltigkeit  und 
Individualisierung')  der  symptomatischen  mimischen  Angaben, 
das  dei-  junge  Dramatiker  Schiller  mit  den  Romandichtern 
gemein  hat"),  liegt  ein  gewisser  Gegensatz  zur  physiologischen 
Schematisierung,  der  sich  noch  steigert,  wenn  -vvir  den  Auf- 
satz „lieber  das  gegenwärtige  teutsclie  Theater"  betrachten. 
Dort  ist  mit  wahi-er  Verachtung  von  den  Schauspielern 
gesprochen,  die  tatsächlich  „für  jedes  Genus  von  Leiden- 
schaft eine  aparte  Leibesbewegung"  in  Bereitschaft  haben  — 
für  den  Stolz  das  Kopfdrehen  und  Anstemmen  des  Ellen- 
bogens, für  den  Zorn  die  geballte  Faust  und  das  Knirschen 
der  Zähne,  für  die  Traurigkeit  die  Benutzung  des  weissge- 
waschenen  Schnupftuchs^). 

Wenn  nun  in  den  späteren  Stücken  die  Spielvorschriften 
nicht  mehr  so  ins  Einzelne  gehen  und  dem  Schauspiele)'  die 
Wahl  seiner  Ausdrucksmittel  wieder  freigelassen  wird,  so  liegt 
darin  keineswegs  eine  Entfernung  vom  Theater,  sondern  im 
Gegenteil  eher  eine  Rücksicht  auf  die  Aufführung.     Die  Ab- 


')  Bei  den  späteren  Stücken  dürfen  wir  eher  von  einer  Individuali- 
sierung in  den  Afiekten  sprechen,  die  mit  der  symbolischen,  repräsentativen 
Bedeutung  der  einzelnen  Personen  zusammenhängt.  Wir  sehen  z.  B., 
während  die  Personen  der  .lugendstücke  auf  allen  Registern  spielen,  im 
Wallenstein  die  Wut  lediglich  auf  Illo  beschränkt. 

')  Die  romanhaft  genauen  Anweisungen  finden  wir  wieder  im  natura- 
listischen Drama  des  neunzehnten  Jahrhunderts,  z.  B.  in  Hauptmanns  ..Vor 
Sonnenaufgang".  Auch  dort  sind  sie  durch  den  engen  Zusammenhang  mit 
dem  naturalistischen  Heobachtungsroman  erklärt. 

•')  Goed.  II,  34G  f. 


—     381     — 

nähme  der  symptomatischen  Vorschriften  bedeutet  in  erster 
Linie  eine  Ausscheidung'  romanhafter  Elemente,  (Ue  der 
Dramatiker  nur  so  lange  übernimmt,  als  er  direkt  zum  Publi- 
kum zu  sprechen  glaubt  und  sich  auf  die  Vermittlcri'olle  des 
Schauspielers  nicht  verlässt.  In  den  späteren  Stücken  Schillers 
ist  dagegen  dem  Schauspieler  gegeben,  was  des  Schauspielers 
ist;  die  Spielanweisungen  .schreiben  meistens  nui-  noch  den 
psychologischen  Inhalt  des  Affektes  vor,  zum  Teil  freilich  in 
einer  Art,  die  die  Mitte  hält  zwischen  dei-  symptomatischen 
und  der  ganz  allgemeinen  Form').  Es  wird  von  bestimmton 
Zeichen  des  Affektes  gesprochen,  ohne  dass  diese  beschrieben 
werden,  z.  B. : 

Picc.  276 a:  mit  Zeichen  des  Erstaunens 

W.  T.  1739:    Terzky  und  lUo  zeigen  Schrecken  und  Wuth 

3678:    dann  drückt  er  durch  Gebärden  seinen  Schmerz  aus 

M.  St.  386  b:  Die  Amme  entfernt  sich  mit  Zeichen  der  Verwunderung 
Jgfr.  700 :    Dunois  macht  eine  heftige  Bewegung  des  Zorns 

Braut  2195  a:  zum  Chor,  der  Bestürzung  und  Verlegenheit  ausdrückt, 
Teil  1889  b:  Alle  geben  Zeichen  des  Schreckens. 

Diese  Form  der  Anweisungen  setzt  jene  obenei-wähnte 
allgemeingültige  Gebärdensprache  voraus,  in  der  sich  Dichtei-, 
Schauspieler  und  Publikum  untereinander  verstehen.  Sie  hat 
ihre  Geschichte.  Avie  jede  Sprache:  vielleicht  entwickelt  und 
verändert  sie  sich  sogar  noch  schneller,  und  es  ist  leicht 
möglich,  dass  uns  die  Gebärdensprache  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts heute  fremder  vorkommt  als  die  Schriftsprache. 
Schillers  mimischer  Ausdruck  dai-f  infolgedessen  nur  in  Zu- 
sammenhang mit  dem  der  Zeitgenossen  und  der  damaligen 
Schauspielkunst  betrachtet  werden. 


Die  romanhaften  Anweisungen  sind  oftmals  theatralisch 
überhaupt  unausführbar;  vor  allem  gilt  dies  von  den  unwill- 
kürlichen physiologischen  Gebärden,  wie  Engel  sie  bezeichnet, 
der  Träne  des  Kummers,  dem  Erblassen  der  Angst,  dem  Er- 
röten der  Scham:  ,,Da  man  nichts  Unmögliches  fordern  kann, 
so   erlässt    man    dem    Schauspieler   jene    unfreiwilligen    \'er- 


•)  Vgl.  oben  S.  321  f. 


—     382     — 

änderungcn  g^erne,  und  ist  zufrieden,  wenn  er  nur  die  frei- 
Avillig-en  getreu,  aber  mit  Bescheidenheit  nachahmt.'") 

Tränen.  Die  unfreiwilligen  Tränen  können  durch  eine 
freiwillige  Bew^egung,  nämlich  das  Verbergen  des  Antlitzes 
im  Schnupftuch,  ersetzt  werden;  so  hat  z.  B.  Lessing  regel- 
mässig die  Vorschrift  des  Augenwischens,  und  ebenso  finden 
wir  bei  Schiller,  zumal  in  den  früheren  Stücken'),  häufig  die 
mechanischen  Anweisungen 

er  wischt  sich  die  Augen, 
ihre  Thränen  trocknend. 

In  ,, Maria  Stuart"  (v.  1528  a)  ist  eine  wirklich  geheuchelte 
Empfindung  auf  diese  Weise  angedeutet;  sonst  handelt 
es  sich  meist  um  schwächere  Grade  des  Schmerzes  oder  der 
Rührung,  während  bei  starken  Ausbrüchen  das  Wort  „weinen" 
nicht  umgangen  wird. 

In  der  Prosabearbeitung  des  Don  Carlos  lässt  sich  dagegen 
die  Absicht,  bühnenmässigzu  sein,  erkennen,  w^enn  die  Vorschrift: 

Die  Marquisin  trocknet  sich  die  Augen 

eingetreten  ist  statt : 

Die  Marquisin  tritt  mit  weinenden  Augen  zurück    (v.  827b). 

In  zwei  anderen  Fällen  setzt  die  Prosafassung  aus  der- 
selben Absicht  heraus  die  innere  Bewegung  an  Stelle  ihrer 
Erscheinungsform;  es  heisst: 

gerührt  sehen  sicli  beide  an 

schmerzhaft 


statt : 


Thränen  stürzen  aus  seinen  Augen  (v.  3360) 
unter  hervorstürzenden  Thränen  (v.  4200). 


')  J.  J.  Engel,  Ideen  zu  einer  Mimik.  2.  Aufl.  1804.  I,  S.  116. 
In  der  Abhandlung  „Vom  Erhabenen"  (Goed.  X.  157  f.)  sondert 
auch  Schiller  die  Bewegungen,  die  vom  Willen  des  Menschen  abhängen 
und  die,  die  „ihm  bloss  als  Thier  angehören  und  als  solche  bloss  dem 
Naturgesetz  folgen.  .  .  .  Der  Instinkt  erzeugt  sie  unmittelbar,  und  blind 
gehorchen  sie  seinen  Gesetzen.  Dahin  gehören  z.  B.  die  Werkzeuge  des 
Blutuiiilaufs,  des  Atheniholens,  und  die  ganze  Oberfläche  der  Haut."" 

-')  Raul).  111,2  IV,  2.  Fiesko  V,  13.  Kab.  11,2.  V,  3.  (Goed.  11, 
S.  11!>,  131.  III,  S.  152.  393.  487.)  Carlos  (Thalia)  v.  2159.  Picc. 
V.  674.  Auf  dieselbe  Weise  wird  der  Ausbruch  des  Angstschweisses  ange- 
deutet: Kab.  IV,  3:  wischt  sich  die  Stirn. 


—     383     — 

An  Stelle  der  kleinlichen  Bewef^un?  des  Au^renwiscliens. 
die  Ja  mit  Cioethes  Verbot  des  Sclinupftuclies^)  in  Weimar 
weytiel,  treten  später  einfachere  Ausdrueksformen-)  von  grösserer 
Wucht  und  Eindring-lichkeit,  z.  B. 

Teil  3195  b:  verhüllt  sich  das  Gesicht. 
Abwenden,  Verbergen  oder  Verhüllen  des  Gesichtes  ist  in  den 
späteren  Dramen  der  regelmässige  Ausdruck  des  Schmerzes. 
Indirekt  werden  Tränen  häutig,  auch  später  noch,  voi'ge- 
schrieben^);  doch  könnte  man  dcii  Ausdruck  manchmal  für 
bildlich  halten,  z.   1>. : 

Kai).  II,  3  (Goeil.  III,  404):  Das    Gewicht    <iieser    Thräneu    nmsst    du    noch 
fühlen. 
Carlos  V.  2S5()  f:  Warmen  Dank 

Für  diese  g-rossmuthvolle  Thräne,  I'rinz. 

Es  hat  aber  sicherlich  Schauspielei-  gegeben,  die  auch 
bei  solchen  Stellen  das  Taschentuch  an  die  Augen  führten, 
und  es  gab  Dramatiker,  die  es  bei  solchen  CTelegenheiteu 
wirklich  verlangt  hätten.  Aus  der  empfindsamen  Periode 
lebte  im  bürgerlichen  Drama  die  Träne  der  Rührung  fort,  und 
noch  im  Anfang  des  neunzehnten  Jahi'hunderts  klagte  der 
Schau.spieler  Fr.  Ludw.  Schmidt,  dass  die  \'oi'schiift  zum 
Weinen  oft  allzu  leichthin  üeijeben  Avürde."*)     In  den  Siebziger- 


')  Vgl.  oben  S.  283. 

')  In  der  Jungfrau  v.  Orl.    treten    diese    mechanischen  Anweisungen 
mit  den  erzählenden  verbunden  auf: 

13G1.    König  verbirgt  das  Gesicht  heftig  weinend 
1435.    Agnes  Sorel  heftig  weinend    verbirgt    ihr  Gesicht   an  des 
Königs  Brust. 
^)  Z.  B.  iiäub.  1,3:   Liebstes  Kind,  du  weinest?  wehe  über  den,  der 
diese     kö.stliche    Tropfen     aus    so    himndischen 
Augen  presst  — 
Fiesko  11,4:  Meine  Frau  war  hier.  .  .  .    Dieses  Schnupftuch 
ist  feucht. 
Menschenfeind  8:  .Ta,  wenn   du    weinen  niusst,    so    hast   du  keine 
Zeit,  mich  zu  hören. 
Braut  V.  1(1.34:  Sieh  meine  Thränen!  Meine  Todesangst! 
••)  Fr.  L.  Schmidt,  Dramaturg.   Aphorismen    It,  42.     Stiehler,  Theat. 
Foisrh.   XVT.  S.   l;!n  (F.      Alle  Sympttinie   dfi-  ivührung    sind   in   einer  .\n- 


—     384     — 

Jahren  hatte  die  Empfindsamkeit,  die  die  grossmuts volle  Träne 
als  eine  Wollust  pries,  ihren  Höhepunkt;  in  ihren  Yorstellung-en 
wuchs  Schiller  auf,  wie  wir  aus  dem  phrasenhaften  Schluss 
der  zweiten  Tug-endrede^j  erkennen: 

Eine  einzige  fallende  Träne  der  Wonne,  Franziska,  eine  Einzige 
gleich  einer  Welt  —  Franziska  verdient  sie  zu  weinen! 

Sog-ar  Don  Carlos  noch  rühmt  „des  Weinens  süsse  Freuden" 
seinem  rauhen  Yater  gegenüber: 

1079  ff. :  Die  ewige 

Beglaubigung  der  Menschheit  sind  ja  Thränen, 
Sein  Aug  ist  trocken,  ihn  gebar  kein  Weib. 

Philipp  bleibt  unbewegt;  um  so  eindrucksvoller  wirkt 
dann  im  vierten  Akt  (v.  4465  ff.)  die  unglaubliche  Nachricht : 

Der  König  hat  geweint. 
Der  Anblick  des  Weinenden    wird  uns    erspart,    während  im 
Fiesko    (Y,  16)    Yerrina    auf   der   Bühne    Tränen    vergiesst; 
waren  doch  die  ersten  Zähren  des  rauhen  Kriegers  ein  Lieb- 
lingsmotiv des  Ritterdi'amas. 

Dass  ein  Darsteller  in  seiner  Rolle  zu  wirklichen  Tränen 
hingerissen  wurde  (vgl.  Hamlet  II,  2),  galt  in  späterer  Zeit 
als  Fehler,  während  in  der  Mitte  des  achtzehnten  Jahi-hunderts 
noch  vielfach  jener  antike  Schauspieler  rühmlich  zitiert  wui'dc, 
der  den  Aschenkrug  seines  eigenen  Sohnes  in  die  Hand 
nahm.    u.m  echte  Tränen  zu  finden. 

Y  a  s  0  m  0 1 0  r  i  s  c  h  e  S  y  m  p  t o  m  c.  Ein  ähnliches  Beispiel , 
das  sicli  in  den  dramaturgischen  Schriften  wiederholt,  ist  die 
Leistung  des  Franzosen  ]5aron,  der  es  fertig  brachte,  in  seiner 
Rolle,  erkennbar  für  das  Publikum,  zu  erröten  und  zu  er- 
blassen. Dieser  Ruhm  stachelte  zur  Nacheiferung  an,  und  so 
wurde  es  aucii  an  dem  Mannheimer  Boek  gepriesen,  dass  er 
die  Farbe  seines  Gesichtes  wie  Augen  und  Hände  in  seiner 
Gewalt  zu  haben  scheine'^). 

Weisung  Kotzebues  im  „Gustav  AVasa"  (1,10)  vereinigt: 

Banner  (erwidert  Gustavs  Umarmung  mit    Heftigkeit,    wischt   sich 
eine  Thräne  aus  den  Augen,  drückt  dem  Burgmeister  stumm 
die  Hand,  und  geht  rasch  fort). 
')  Goed.  1, 102. 

■)  Rhein.  Beitr.  z.  Gelehrsamk.  1780.  S.  266.  Vgl.  übrigens  die 
Behandlung  dieser  Frage  im  „Geisterseher"  (Goed.  IV,  S.  258). 


—     385     — 

Tiulesseii  rechneten  hühnenerfahrenc  Di-amatiker  mit  der 
Unmriiilichkeit  dieser  Aiifirabc;  so  maclit  z.  B.  Gro.ssmann  in 
„Nicht  mehr  als  sechs  Schüssehi"  zu  der  Vorschrift  .,errötend" 
die  kui'iose  Anmerkung-: 

„Ich  weiss  wohl,  dass  das  Erroethen   und  Erblassen  wegen  des 

einmal  aufgelegten  Carmins  nicht  wohl  zu  niachem  ist ;    auch  soll  es 

der  Schauspieler   nicht  machen,    sondern  der   Zuschauer   soll    es   nur 

sehen,  dessen  Sache  es  ist:    nicht    zu    sehen   und    doch    zu   glauben. 

Und  im  folgenden  Auftritt  ruft  er  aus: 

Carniin  !  lass  doch  zu,  ilass  der  Ijieutenant  hier  blass  werden  könne. 

In  8cliillci's  Ju£renddi'amen  sind  Erröten  und  besonders 
das  Erblassen  häutii,'-  vorgeschrieben,  namentlich  in  „Kabale 
und  Liebe": 

ir,  3:     Lady  (wendet  sich  bleich  von  ihm  weg). 
11,4:     Louise  (setzt  sich  todtenbleich  nieder), 
n,  n:     Präsident  (vor  Wuth  blass I. 
Zum  letztenmal  tiitt  die  dii'ekte  Vorschrift  in  „Maria  Stuart" 
auf,  dort  bereits  in  übertragenem  Sinn  : 

2421a:  Maria  (vor  Zorn  glühend,  doch  mit  einer  edeln  Würde). 

N'orher  schon  beobachten  wir  an  mehreren  Beispielen^), 
wie  solche  direkte  Anweisungen  in  den  Bühnenbearbeitungen, 
wenn  auch  nicht  konsequent,  beseitigt  werden.     Die  indirekten 


')  So  in  den  „Räubern",  wo  aus  „blass"  im  Trauerspiel  „erschrocken" 
wird  (Goed.  IL  S.  13(),  13.  288,  9j;  mehrmals  im  „Fiesko": 

j      Druck  111,10:  Julia  (wird    roth,    und   geht  schleunig 

I  ins  Kabinet). 

l  Bühnenb.  III,  9:  Julia  (geht  schleunig  ins  Kabinet). 

j  Druck  IV,  7:  (alle  Nobili  erblassen.  Fiesko  selbst  ver- 
1  ändert  die  Farbe). 

I  Uühnenb.  IV,  4:  (SchreckvoUe  Pause). 

j  Druck  IV,  13 :  (da  sie  sich  entfärbt,  lacht  er  hämisch  auf). 
I  Bühnenb.  IV,  10:  (er  hält  inne,  um  ihre  Bestürzung  zu 
I  sehen). 

Im  Don  Carlos  heisst  es  nur  in  einem  Prosamanuskript  (Bs)  bei  Posas 
letztem  Auftritt  mit  der  Königin : 

(noch  ganz  ausser  sich,  blass  wie  ein  Todter,  mit  zerstörtem  Gesicht, 
zitternd  an  allen  Gliedern); 
in  zwei  andern  (Ba  und  Bd)  dagegen : 

(noch  ausser  sich,  zitternd  an  allen  Gliedern). 
Palaestra  XXXU.  25 


—     386     — 

Ang^aben  dagegen  bleiben  äusserst  liäufig^).  und  zwar  wii-d 
das  Erröten  manchmal  von  den  Personen  selbst  gefühlt  und 
bekannt^),  wälirend  das  Erblassen  ausschliesslich  von  anderen 
beobachtet  wird.  Die  damit  verbundene  Frage  nach  dem 
Befinden  Avar,  Avie  R.  M.  Wei-ner^)  gezeigt  hat,  eine  typische 
Formel,  um  zwei  Personen  ins  Gespräch  zu  bringen;  dahin 
gehören  also  bei  Schiller: 

Raub.  I,  1 :  Aber  ist  euch  auch  wohl,  Vater?     Ihr  seht  so  blass. 
Kab.  I,  4:  Du  bist  blass,  Ijouise? 

Dabei  war  in  der  Elxposition  die  Frage  nach  dem  Grund 
des  veränderten  Aussehens  ein  geschickter  Anstoss  zur  Er- 
zählung vorausgegangener  Geschehnisse,  z.  B. 

Carlos  148  f. :  Ein  unnatürlich  Roth 

Entzündet  sich  auf  Ihren  blassen  Wangen 
Und  Ihre  Lippen  zittern  fieberhaft. 
Was  muss  ich  glauben,  theurer  Prinz? 

Das  Erröten  ist  nicht  nur  ein  Kennzeichen  der  Scham 
und  Verlegenheit,  sondei-n  allen  erregenden  Affekten  gemein- 
sam, ebenso  Avie  das  Erbleichen    als  Intensitätssymptom    aller 


')  Vgl.  oben  S.  342. 

')  Fiesko  IV,  12:  „Wäre  die  Nacht  nicht  so  dichte,  du  würdest  meine 
flamnirothe  Wangen  sehen". 
Carlos  V.  22Gf. :  „0  stille,  Prinz,  von  diesen  kindischen 

Geschichten,  die  mich  jetzt  noch  schamroth  machen.'" 

(Thalia)  v.  2575 f.:  ,Ja,  liebes  Mädchen,  roth 

Musst  du  mich  wenlen  lassen." 
t  Jgfr.  2894 f.:  ....  Was  meine  Wangen  färbte 

War  die  Verwirrung  nicht  der  blöden  Scham." 
Vgl.  auch  Phädra  199,  wo  Schiller  Racines: 

„Oenone,  la  rougeur  me  couvre  le  visage" 
in  der  Übersetzung  belebte: 

„Fühl  her,  wie  meine  Wange  glüht,  Oenone." 
■')  Ph.  L.  Hahn.  (^u.  u.  Forsch.  XXII,    S.   108  tf. 
An   „Kabale  und   Ijiebe"    werden    wir  besonders  in  Wagners    „Reue 
nach  der  That"  erinnert: 

Langen  (Kommt  und  stutzt)  Himmel !  Sie  weinen: 
mein  Rickchen  weint!  und  warum? 


—     387     — 

hemmenden  Aifekte  auftritt.     Eci  starken  Gemütsbewegungen 
wechselt  beides  ab,  z.  ß. : 

(  (unter  merkbarem  Herzklopfen) 
Kab.  II,  3  :   |   (-gjjtfärbt  sich  und  zittert) 
Carlos  1265  b.:  Xarlos  fängt    an    heftig  zu  zittern  und  wechselsweise 
zu  erblassen  und  zu  erröthen. 

Zum  Erröten  gesellt  sich  das  Herzklopfen,  während  das 
Erbleichen  von  Zittern  begleitet  wird,  das  sich  bis  zur  Ohn- 
macht steigern  kann: 

Kab.  I,  7:  (schneeblass  und  zitternd). 
V,  2:  (sinkt  leichenblass  nieder). 
Jgfr.  3381  f. :  Was  ist  der  Jungfrau  ?     Sie  erbleicht,  sie  sinkt. 
(Johanna  schwindelt  und  will  sinken.) 
Das   Herzklopfen  ist  für  den  Schauspieler  anzudeuten,  indem 
er  entweder  an  die  Stelle  des  Herzens  fasst,  um  dessen  Schlag 
zu  beschwichtigen: 

Jgfr.  3956:  (Johanna  fährt  mit  der  Hand  nach  der  Brust) 

oder  durch  heftigeres  Atmen: 

Kab.  II.  5:  0  lass  mich  Athem  schöpfen  an  dieser  Brust. 

III,  5.  Wie  wird  mir?  Warum  geht  mein  Odem  so  ängstlich. 

Dieses  Ringen  nach  Atem,  das  die  physiologische  Be- 
dingung des  Seufzers  ist,  kann  sich  in  starker  Beklemmung 
bis  zu  dem  Rufe  Clavigos  und  Gretchens:  „Luft!  Luft!" 
steigern;  für  alle  Stürmer  und  Dränger  ist  dieser  Ausdruck 
einer  starken  Erregung  besonders  bezeichnend'). 

Xun  sind  die  Tnnervationsveränderungen  nicht  eigentlich  der 
charakteristische  Ausdruck  für  einen  bestimmten  Atfekt;  sie 
beginnen  unerkennbar  bereits  bei  der  leisesten  inneren  Regung, 
noch  ehe  die  sichtbaren  Ausdrucksbewegungen  einsetzen;  ver- 
stärkt treten  sie  dann  als  deren  Begleiterscheinungen  auf. 
Sogar  das  Erröten  ist  so  wenig  das  einzige  Kennzeichen  der 
Scham,  dass  Engel^j  mit  Aristoteles  sagen  konnte:  „Die 
Scham  ist  im  Auge."  Das  Erbleichen  wiederum  unterstützt 
nur  den  Gesichtsausdruck    des    Schreckens :    beide   verbinden 


')  Müller.  Golo  u.  Genov.  III,  8 :  A  d  o  1  f.    0,  Luft !  (Reisst  den  Wams  auf. ) 

Wagner,  Kindermörderin  VI:  Humbrecht  ireisst  sich  die  Westenknöpf 

alle  auf;.     Die    ganze  Welt  wird  mir  zu 

enge!  (tief  Athem  holend.)  Puuh! 

')  Ideen  zu  einer  Mimik  I,  2S5. 

25* 


—     388     — 

sich    auch    in    der    Sprache,    wie    wir  gerade  an  den  kühnen 
Bildern  Schillers  beobachten  können: 

Der  schreckenbleiche  Mund  (Kraniche  des  Ibykus). 
Dein  todtenblasser  Blick  (Carlos  355). 

Ausdruck  des  Blickes.  Der  Glanz  der  Augen^)  ge- 
hört noch  mit  zu  den  eben  besprochenen  Ausdruckserscheinungen 
des  Blutumlaufs;  er  tritt  bei  erregenden  Aifckten  zusammen 
mit  der  Röte  der  Wangen  auf: 

Braut  548  f. :  Von  hoher  Röthe  Glut  seh  ich  die  Wang-en 
Des  Bruders  glänzen,  und  sein  Auge  blitzt; 

wähi-end  die  Mattigkeit  des  Auges  den  deprimierenden  Affekt 

begleitet: 

Carlos  4113:  (im  Vorübergehen   lässt   er    einen    matten,    sterbenden 
Blick  auf  den  Marquis  fallen.) 

Drei  Faktoren  sind  es  hauptsächlich,  durch  die  der  Aus- 
druck des  Auges  zu  stände  kommt:  die  Richtung,  die  Schnellig- 
keit, die  Energie  des  Blickes. 

Die  Spannung  der  Augapfelmuskeln  zeigt  den  Grad  der 
Aufmerksamkeit  an:  von  der  schlaffen  Selbstvergessenheit  der 
bewundernden  Hingabe')  steigert  sich  die  Festigkeit  über  den 
prüfenden,  forschenden,  argwöhnischen  Blick  der  Beobachtung 
hinaus  bis  zum  starren  Ausdruck  des  durchbohrenden  Hasses, 
der  vernichtenden  Wut,  des  Entsetzens,  ja  bis  zur  Erschöpfung, 
die  wieder  das  Bewusstsein  eines  Zieles  verliert  und  ins 
Leere  starrt^). 


')  Piderit,  Mimik  u.  Physiognomik.     2.  Aufl.     S.  77  f. 
■)    Raub.  III,  2:  Moor  (in  den  Anblick  verschwimmt). 

Kab.  II,  3:  (Pause,  worinn  sie  ihn  schmelzend  ansieht). 

V,  7:  mit  trunkenem  Aug  auf  ihrem  Anblick  verweilend. 
Ferner  Carlos  3271,  Pico.  721  b.,  Braut  507  b. 
')     Fiesko  II,  3:  (sieht  ihr  betäubt  nach.) 

V,  13:  (den  stieren  Blick  in  einen  Winkel  geheftet.) 
Kab.  IV,  4:  (die  Augen  grass  in  einen  Winkel  geworfen.) 

V^  1:  (schaut  lange  mit  einem  schmerzlichen  starren  Blik 

vor  sich  hinaus.) 
V,  7:  (Er  steht  auf  der  andern  Seite  und  sieht  starr  vor 
sich  hinaus.) 
Ferner  Carlos  3979.  W.  T.  llHOa,  3421b. 


—     389     — 

Auch  kommt  es  auf  die  Stelluna'  der  Personen  zu  ein- 
ander an')  und  darauf,  ob  die  Beobachtung-  eine  einseitige  ist 
oder  ob  beide  sich  ins  Auge  sehen.  Die  vorsichtige  Pinifung, 
(He  noch  unsicher  ist,  will  unbemerkt  sein;  dei'  Beobachtende 
bleibt  doshalb  abseits  oder  er  begibt  sich  sogar  zu  seinem 
Zwecke  in  weitere  Entfernung-);  er  lässt.  ohne  dem  Objekt  das 
ganze  Gesicht  zuzuwenden,  die  IJlicke  seitwärts  schweifen 
und  hält  sich  bereit,  sie  rasch  zurückzuziehen.  Die  besonderen 
Bezeichnungen  des  jungen  Schiller  für  diesen  Blick  sind 
..forschend",  ..laurend",  .,tückisch",  ..schielend"^). 

Etwas    anderes    ist    die   herausfordernde  Musterung:  der 
Beobachter    wendet    sich    dem    Objekt    voll    zu:    er  misst  es 
von   Kopf  bis  zu  Fuss'*),    odei-  ei-   rückt  ihm  näher  und  sucht 
mit  durchdringendem  Blick  das  Auge  des  Gegners: 
JJäul).  (Trsp.)  IV,  1:  (sieht  ihr  scharf  ins  Gesicht.) 

Fiasko  IV,  12:  (ihm  starr  und  wild  unter  die  Augen.) 

Kab.  V,  1:  (er  hält  sie  fester,    blickt  sie  eine  Weile  starr  und 
durchdringend  an.) 
Jgfr.  2723  f. :  (Du  Chatel    tritt  einige  Schritte  näher    und    sucht 
in  den  xVugen  des  Herzogs  zu  lesen.) 
')  Tleiike.   N'urträge    über  Plastik,    Mimik  u.  Drama.     Rostock    1892. 
S.  51  n\ 

■)  Vgl.  Carlos  1738a,  Picc.  2155  b.  2181a,  W.  T.  1569. 
•')  Fiesko  I,  9 :  (Fiesko  tritt  vor    einen  Spiegel    und  schielt  über   das 
Papier.) 
V,  12:  (wirft  von  der  Seite  einen    forschenden    Blik    darauf, 
den  er  starr  uml  langsam  unter  Verzerrungen  zurück- 
zieht). 
Kab.  I,  7:  (einen  laurenden  Blik  auf  ihn  werfend.) 

V,  7:  (zuweilen  furchtsam  und  verstohlen  nach  ihm  hinüber 
schielend.) 
Carlos  (Thaliai  1(50:  Karlos  (welcher  diese  ganze  Rede    durch  die  Augen 
tückisch  auf  ihn  geheftet  hat.) 
M.  St.  2229:  (Sie    fixirt    mit    den  Augen    die    Maria,    indem  sie  zu 
Paulet  weiter  spricht.) 
■')  Raub.  (Bühnenb.)  IV,  11 :  (misst  ihn  mit  einem  grossen  Blick.) 

Fiesko  I,  9:  (Mohr  betrachtet    ihn  vom  Fuss  bis  zum 

Wirbel.) 
Kab.  III,  6:  (wiederum  Pause,  worin  sie  den  Sekretair 
von  oben  bis  unten  ansieht.) 
Ferner  W.  T.  1830  a,  Teil  3150  a. 


—     390     — 

Wenn  der  Beobachtete   den  Blick  nicht  auszuhalten  ver- 
mag, so  Aveudet  er  sein  Auge  seitwärts: 

Carlos  (Thalia)  2221a:  (nachdem  sie  umsonst    gesucht    hat,    seinen  herum- 
schweifenden Blicken  zu  begegnen.) 
W.  T.  2065  b:  (Thekla  seinen  Blick  vermeidend,  zeigt  mit  der  Hand 
auf  ihren  Vater); 

wenn  er  ihn  erwidert,  so  entsteht  ein  stummes  Gespräch: 

Carlos  3707:  (Beide  sehen  einander  mit  unverwandten  Augen  an). 
Bei    wichtigen    Auseinandersetzungen    stehen  sich    beide 
Teile  mit  offenem  Blick  gegenüber,  denn: 

Weit  besser  spricht  sich's,  weit  eindringender, 
"Wenn  deine  Blicke  seinem  Blick  begegnen. 

Diese  Stelle  in  den  „Phönizierinnen"  (463  f.)  ist  so  frei  über- 
setzt, dass  man  sie  geradezu  als  Schillers  Eigentum  bezeichnen 
kann;  ebenso  einige  Verse  der  ,,Iphigenie"^),  in  denen  der 
Chor  den  einen  entscheidenden  Blick  zwischen  Paris  und 
Helena  schildert.  Die  Liebe  auf  den  ersten  Blick  ist  eigentlich 
ein  Romanmotiv:  auf  der  offenen  Bühne  fehlt  die  Analyse  des 
seelischen  Vorgangs,  die  uns  der  Erzähler  geben  kann.  In 
der  Oper  zwar,  z.  B.  bei  Richard  AVagnei-,  übernimmt  das 
Orchester  während  eines  langen  Stillstandes  der  Handlung 
diese  psychologische  Vermittlung;  das  Drama  dagegen  kann 
dies  Motiv  nur  dann  zur  theatralischen  Wirkung  bringen, 
wenn  es  den  tiefen  Eindruck  sogleich  in  äussere  Handlung 
umsetzt.  So  in  der  „Jungfrau  von  Orleans",  wo  Johanna 
das  Schwert,  mit  dem  sie  schon  das  entblösste  Haupt  Lionels 
bedroht,  plötzlich  sinken  lässt.  Zwischen  diesen  beiden  P>e- 
wcLaingen  aber  lieiit  auch  hier  ein  Stillstand.  .Johanna  bleibt 
unbeweglich  stehen ;  dadurch  und  dui'ch  seine  lange  Dauer 
erhält  der  Blick  J^edeutung  und  Nachdruck. 

In  den    langen   Blicken    äussert    sich  jede    Hingabe,    die 
Liebe,  die  J3ewundcrung,  die  Dankbarkeit,  das  Mitleid: 


')     691  ff.  Helencns  Auge  kam  dir  da  entgegen. 
Und  liebewund  zog  sie's  zurück. 
Helenen  kam  dein  Blick  entgegen, 
Und  liebetrunken  zogst  zu  ihn  zurück. 


—     391      — 

]{äiih.   (Tisp.)  I.  0:  (nach    einigem    Xachdenken,     wobei    er    einen    langen 
Blick  auf  Schweizeni  heftet.) 
V.  7:  (er  heftet  einen  verweilenden  Blick  auf  die  Bande.) 
Fiesko  I.  10:  Bert  ha  (niisst  ihn  mit  einem    langen    Buk)  Unglück- 
licher Vater  I 

Au.s  den  hastig  geschleuderten  Blicken  dagegen  sprechen  die 
aktiven  Aifekte: 

P'iesko  11.17:  (Zuweilen  betrachtet  er  die  andern  tliegend  und  scharf.) 
M.  St.  2444:  (Elisabeth,  für  Zorn  sprachlos,  schiesst  wüthende  Blicke 
auf  Marien.) 

Die  .seitwärts  umher.schweifenden  unstäten  lUicke')  kenn- 
zeichnen besonders  das  schlechte  (xewissen.  die  Angst,  die 
innere  Unruhe;  in  der  höchsten  Kri'egung  .steigert  sich  dieser 
unsichere  Wechsel  der  lUickiichtungen  bis  zum  verdrehten 
Augenrollen,  das  zugleich  der  Ausdruck  des  heftigsten  inneren 
Kampfes  ist: 

Fiesko  (Bühnenl).)  IV,  10:  (blickt  forschend  mit  rollenden  Augen  im  Saal 
herum,  dann  mit  einem  .schrecklichen  Blick  zum 
Himmel.  I 
Teil  1990  b:  (Teil  steht  in  fürchterlichem  Kampf,  mit  den 
Häiulen  zuckend,  und  die  rollenden  Augen  bald 
auf  den  Landgraf,  bald  zum  Himmel  gerichtet.) 

Der  Blick  zum  Himmel  ist  von  vielseitiger  Bedeutung; 
Hein.se^)  z.  B.  klagt  im  ..Ardinghello''  einmal  über  die  Mangel- 
haftigkeit präziser  Ausdruck.sbewegungcn  in  der  bildenden 
Kunst:  „Ein  zinn  Himmel  gekehrtes  Auge,  nehmen  wir  das 
edelste  (ilied,  wie  vielerlei  kann  dies  zum  Beispiel  nicht  aus- 
drücken.'' In  der  Malerei  linden  wir  vor  allem  bei  den 
Italienern  des  sechszehnten  Jahrhunderts  den  verzückten, 
exaltierten  Blick.  Aber  auch  die  stille  inbrünstige  .Vndacht, 
ebenso  das  Bekenntnis  der  Schuld  wie  die  Beteurung  der 
Unschuld  richten  das  Auge  aufwärts.  Der  Erschütterte  sucht 
in  einem  Blick  nach  oben  Kraft : 

Raub.  V,  2:  (in    der    fürchterlichsten    Beklemmung     gen     Himmel 
sehend) ; 


')  Carlos  1302.     Ticc.  1412  b,  M.  St.  27.^9  a.  Teil  3104  a. 
=)  Ardinghello,  hsg.  v.  Laube.     I,  S.  253. 


—     392     — 

und  so  wird   dies  Aufwärtsschauen  nicht   nur    zum  Ausdruck 
der  ratlosen  Verzweiflung: 

Kab.  III.  6:  Louise  (mit  einem  Blik  zum  Himmel)  Das  noch! 
das  auch  noch  I  —  —  Im  Thurm  ?  Und  warum  im 
Thurm  ? 

sondern    auch    der    tiefen    P^rgritfenheit,    so    am    Schluss    von 
"VValiensteins  Tod: 

(Octavio  erschrickt  und   blickt   schmerzvoll  zum  Himmel.) 

In  den  niedergeschlagenen  Augen  dagegen  äussert  sich 
die  Verlegenheit,  die  Verwirrung,  die  Scham,  zugleich  die 
niederschlagende  Enttäuschung  und  Betrübnis'). 

Nun  gibt  es  fast  noch  mehr  Beispiele,  wo  nicht  die  Aus- 
drucksform, sondern  der  Ausdi'ucksinhalt  des  Blickes  ange- 
geben ist :  es  hätte  indessen  wenig  Wert,  einzelne  Fälle  auf- 
zuzählen, wo  der  siegjauchzende,  der  bedeutende,  der  grosse, 
der  volle,  der  schwere,  oder  der  feine,  ernste,  bedenkliclie, 
gespannte,  stutzige,  verwundernde,  erschi'ockene,  fürchterliche 
Blick  sich  finden. 

Mimik  des  Gesichts.  Das  Auge  selbst  Ist  dabei  niclit 
der  einzige,  ja  nicht  einmal  der  hauptsächliche  Träger  des 
Ausdrucks;  zum  gespannten  Blick  z.  B.  gehören  die  „hohen 
Augenbraunen"-):  Avie  denn  überliaupt  die  Muskeln,  die  die 
Augenbrauen  und  die  fStirn  bewegen,  fast  wichtiger  sind  als 
die  des  Augapfels.  So  erkläi't  sich  die  seltsame,  unplastischc 
Verbindung,  die  Schiller,  dessen  J^alladendichtung  im  mimischen 
Ausdruck  minder  be.sonnen  ist,  im  „Gang  nach  dem  Eisen- 
hammer" gebraucht: 

Drauf  rollt  der  Graf  die  finstern  Braun. 


')     Raub.  IV,  4:  (sieht  zur  Erde.) 

(Trsj).)  ^',  (5:  (steht,  den  Blick  in  den  Boden  gewurzelt) 
Fiesko  11,13:  (Gianettino  heftet  den  Blick  sprachlos  zu  Boden) 
(Biihnenb.)  V,  0:  Niemand   giebt  Antwort    —    Alle    Augen   kriechen 
am   Boden.) 
Ferner  Carlos  8  b,  448,  231)5,  4811.     l'icc.  043  b.  Jgfr.  35  f 
-)  Goethes    Faust    v.    41.      Cotta'sche    Jubiläums  -  Ausgabe    Bd.   13, 
S.  5.  260. 


—     393     — 

Währoii'l  boi  2"espannter  Aufmerksamkeit  die  Stirne  durch 
das  Hochziehen  der  Augenbrauen  in  horizontale  Falten  irc- 
dräng"t  wird,  verbinden  sich  beim  fin.stei'n  Ausdruck  mit 
den  herabirezog'enen  Brauen  die  senkrechten  Stirnfalten: 

liäub.  IL  2:  Meine  Aug-Braunen    sollen    über  euch  herhangen  wie 

Gewitter-Wolken,    meine    Stirne  soll  euer  Wetterglas 

seyn  1 

Heide,  horizontale  wie   senkrechte    Stirnfalten  vereiniiren  sich 

beim  Ausdruck  des  Schreckens,  wie  wii-  ihn  an  der  J^aokoon- 

Skulptu)-M  wahrnehmen. 

Es  ist  nun  auffallend,  wie  selten  die  Stirnbewei,''ungen 
direkt  anireireben  sind: 

W.  T.  779:  (mit  linsterm  Stirnfalten); 

viel  häuli-cr  sind  sie  indirekt  bezeichnet,  z.  15.  bei  Lenz  (Der 
neue  Menoza  11,  7)  wo  der  Ari^ci'  dui'cli  ciMeii  drastischen 
Verfrleich  illu.striert  wii'd; 

was  ziehst  du  denn  die  Stirn  wie   ein  altes  Ilandschuhleder? 

bei  Schiller  in  dem  eben  erwähnten  Beispiel  aus  den  Käubern, 
und  später  wieder  mit  einem  iranz  ähnlichen  l^ild  in  der 
Jungfrau  von  Orleans: 

z.  2371  f. :  Des  Zornes  Donnerwolke  schmilzt 

•  Von  seiner  Stirne  thränenthauend  hin. 

Noch  mehr  als  die  Stirnbeweiruniren  traL-'en  zum  (iesichts- 
ausdruck  die  IJeweiruns/en  des  Mundes  bei.  Zwar  sollte  nach 
der  Kegel  des  Kiccoboni.  di(^  auch  \\  L.  Scjiröder'-)  seinen 
Schauspielern  vorlegte,  nur  der  obere  Teil  des  Gesichts,  ins- 
besondere die  Stirn  in  unablässiger  Bewegung  sein,  während 
der  Mund  der  Artikulation  dienen  und  sich  nur  zum  Lachen 
verziehen  .sollte.     Aber    bei  Schiller    sind    gerade    die    symp- 


')  Vgl.  Goed.  X,  Ißl.  Einsiedel  dagegen  (S.  89)  wollte  im  Anschluss 
an  ein  Bild  Garricks  als  Richard  ITI.  den  Ausdruck  des  Schreckens  den 
unteren  Gesichtspartien  zuweisen:  „Der  Ausdruck  des  Zornes  ruht  vor- 
züglich auf  den  obern  Theilen  des  Gesichts  und  am  sprechendsten  ist  der 
grässliche  Zug  der  Stirne  —  der  Ausdruck  des  Schreckens  ruht  mehr  auf 
den  untern  Theilen,  und  am  sichtbarsten  bezeichnet  ihn  die  Unterlippe,  die 
abwärts  fällt  und  bewegliche  lebende  Züge  bildet." 

-)  Meyer,  Schröder  11,  2,  S.  203  f. 


—     394     — 

tomatischen  Mundbcwegungen  besonders  häufig',  wobei  in  Be- 
tracht kommt,  dass  dies  des  Dichters  eigene  Mimik  war;  die 
Unterlippe  zeigte  nach  Caroline  v.  Wolzogens  .Schilderung^ 
„das  »Spiel  seiner  momentanen  Empfindung". 

Als  Streicher-)  den  jungen  Schiller  zum  ersten  ]\lale  sah, 
fiel  ihm  das  öftere  Lächeln  während  des  Redens  auf;  dasselbe 
überlegene  Lächeln  beobachten  wir  auch  an  den  Helden  der 
ersten  Stücke,  Karl  Moor  und  Fiesko,  mehrmals.  Ausserdem 
findet  sich  das  schmei'zvolle  (Kab.  III,  6),  das  ironische 
(Carlos  1704  a),  das  beissende  Lächeln  (Fiesko  V,  13)  und 
jene  ^fundbewegung,  die  in  Schillers  Jugendsprache^)  und 
überhaupt  im  Schwäbischen  „schmollen"  heisst.  Als  Gianettino 
arglos  dem  Fiesko  Glück  zu  seinen  Unternehmungen  wünsclit, 
erAviedert  dieser,  indem  er  „schmollt"  ;  im  Leipziger  Manuskript 
heisst  es  statt  dessen  „lächelt  heuchlerisch  vor  sich  hin";  beides 
ist  identisch. 

Es  gibt  auch  ein  Lächeln  des  Ingrimms,  das  mit  Zähne- 
knirschen verbunden  ist;  Arger  und  verhaltene  Wut  äussern 
sich  durch  Aufeinanderbeissen  der  Zähne  oder  Nagen  an  der 
Untei-lippe,  wie  es  bei  Karl  Moor  als  Zeichen  des  stärksten 
Grimmes  erklärt  ist*).  In  Kabale  und  Liebe  tritt  es  mit  dem 
Zähneknirschen  vereinigt  auf: 

III.  4:  Ferdinand  (das  Gesiclit  verzerrt,  nnd  an  der  Unter- 
lippe nagend).     Gibst  dn  ihn  auf? 
Louise.     Nein!     Sieh  mich  an  lieber  Walter.     Nicht 
so  bitter  die  Zähne  geknirscht. 


'I  Schillers  Leben  (Cotta'sche  Handbibliothek)  S.  271.  Ahnlich 
Scharffenstein  (Weltrich  S.  324). 

2)  Streicher  S.  65. 

=')  Vgl.  Goed.  I,  240.  284.  400.  II,  32.  120.  III,  84.  106.  Es  ist 
dies  die  ältere  Bedeutung,  die  auch  das  mittelhochdeutsche  „smielen"  und 
englisch  „to  smile"  haben.  Tu  unserem  heutigen  Gebrauch  dagegen  findet 
sich  dies  Wort  in  einem  Brief  an  Körner  vom  17.  März  1788.  (Jonas 
II,  30). 

')  Vgl.  oben  S.  37!)  f.  Ferner  Goed.  II,  323.  n.  ITL  127,  i<t. 
157,  11.     382,  10. 


—      SOÖ      — 

ÜbriiTcns  spielt  in  den  iiiiniisclicii  \'orschi'it'ton  aller 
Stürmer  und  Drän<rer  das  verzerrte  Spiel  des  Mundes  eine 
g^rosse  Rolle;  ein  irrasses  Heispiel  sei  aus  Klingers  Simsone 
Grisaldo  II,  10  erwähnt: 

Bastiano.     Du  bliitst  am  Muntl.  Curio  1 

Curio.  loh  hab  mir  die  Zähne  ausgel)isseii.  hab  mir  die  Zunge 
durchgebissen  und  das  Blut  steigt  mir  aus  meiner 
tollen  Brust  auf. 

Zu  diesen  Ausschreituniren  gehört  denn  auch  das  Zähne- 
blccken,  mit  dem  Fiesko  den  Himmel  herausfordert,  oder  der 
Ingrimm,  mit  dem  Franz  Moor  (Raub.  Trsp.  V,  6)  in  die 
Ketten  beisst'),  endlich  das  Zähneklappern  der  Angst,  mit 
dem  Miller  (Kab.  IL  6)  auf  den  Präsidenten  losgeht.  Sogar 
das  Schäumen  der  Wut')  MJrd  zur  Vorschrift: 

Direkt:  Raub.  I.  2:  (srhäumeud  auf  die  Erde  stampfend.) 
Fiesi<(i  V,  S:  (schäumend,  fürchterlich.) 
Indirekt:  Raub.  (Trsp.)  V,  ti:  Ha    Schandbube!     dass    ich    nicht    all    mein 

Gift  in  diesem    Schaum    auf  dein  Angesicht 
geifern  kann! 

In  den  späteren  Stücken  können  solche  Übertreibungen  nicht 
mehr  auftreten;  wohl  kommen  auch  dort  starke  At!ekte  zur 
Entladung,  die  das  Gesicht  aufs  äussci'ste  vei'zerren  müssen, 
aber  dem  Schauspieler  ist  nicht  mehr  zugemutet,  diese  Er- 
scheinungen zu  verwirklichen;  der  höchste  (Ji-ad  des  Schmerzes 
und  Entsetzens  findet  seinen  Aiisdi  iick  im  \'ei-Jiüllen  oder  Ab- 
wenden des  Gesichtes. 

BcAvegungen  des  Oberkörpers  und  der  Arme. 
Mit  den  Bewegungen  des  Obei'körpers  nähern  -wir  uns  wicdei' 
dem  (icbiet  der  malenden  Gesten,  bereits  das  l\oi>fschütteln, 
das  wii-  als    verneinende   Pantomime    oder    als    Unterstützunir 


')  Ein  für  T^enz  charakteristischer  Ausdruck  ist  es,  dass  seine  I'ersonen. 
wenn  sie  keinen  Rat  wissen,  sich  in  die  Finger  beissen. 

Der  Engländer  V,  1:  (beisst  sich  in  die  Hände) 
Ebenso  in  „Amor  vincit  omnia"    IV    (Anm.  ü.  Theater    S.  112)    und    den 
„Wolken"  (Dram.  Nachl.  S.  322). 

')  Einem  naturalistischen  Schauspieler  der  früheren  Zeit  wurde  wirklich 
nachgesagt,  er  habe  bei  der  Darstellung  von  "Wutszenen  Seife  in  den  Mund 
genommen  (Devrient  II,  408). 


—     396     — 

einer  Negation  finden,  wird  als  g-efühlsmässio'  gesteigerte 
Ablehnung  zum  Ausdruck  des  Bedenkens  und  Unwillens: 

Fiesko  II,  9:  (schüttelt  den  Kopf,  bedenklich). 
Carlos  5190  b:  (Mit  unwilligem  Kopfschütteln). 

Auch  das  zweifelnde  Achselzucken')  steht  auf  der  Grenze; 
es  verleiht  zuucächst  nur  äusserlich  dem  gesprochenen  Wort 
verstärkenden  Nachdruck  (W.  T.  2589,  Jgfr.  T.üol,  aber  es 
kann  sich  ebenso  zum  selbständigen  Gefühlsausdruck  er- 
heben: 

Fiesko  V,  14:  Lome  11  in  (hämisch  die  Achsel  zuckend). 

tSchiller  selbst  hat  diese  flicsscndcn  Übergänge  w^ohl  ei- 
kannt;  in  der  Abhandlung  .,Über  Anmut  und  Würde"')  ist 
es  ausgesprochen,  dass  auch  die  willkürliche  Bewegung,  die 
einen  bewussten  Zweck  verfolgt,  durch  die  Art,  wie  sie  voll- 
zogen wird,  sympathetisch  bestimmt  werden,  d.  h.  einen 
Emptindungsgehalt  aufnehmen  kann.  Das  eigentliche  Organ 
der  Avillkürlichen  IJewegungen  sind  die  Arme;  sie  sind  die 
unmittelbaren  Untertanen  des  Willens  und  haben  den  Beruf 
der  Zweckmässigkeit;  deshalb  beobachten  wii'  nun  gerade  an 
ihren  Bewegungen  auch  das  Umgekehrte :  auch  wenn  der 
Empfindungsausdruek  als  das  eigentlich  treibende  Moment  das 
Übergewicht  gewinnt,  behält  die  Richtung  der  Bewegung  noch 
einen  zweckmässigen  Anschein.  Fast  jede  Armbewegung  tritt, 
weil  sie  nun  einmal  irgend  eine  Richtung  einschlagen  muss, 
zu  einem  Gegenstand  in  Beziehung  und  wird  somit  zum  Symbol, 
zur  übertragenen  Zweckmässigkeit. 


')  Auch  hier  haben  wir  es  mit  einem  charakteristischen  Bestandteil 
von  Schillers  eigener  Mimik  zu  tun;  als  solcher  wird  es  von  Voss  d.  .7. 
in  einem  Briefe  erwähnt:  .,Schiller  hatte  auch  einige  Recensierblicke  und 
ein  ganz  eigenes  Achselzucken  von  kritischer  Bedeutung."  (Graf,  Goethe 
und  Schiller  in  Briefen  v.  Heinr.  Voss  d.  J.  8.  32.) 

Übrigens  hat  sich  auch  in  dieser  Bewegung  die  Geniezeit  merkwürdige 
Übertreibungen  gestattet,  z.  B.  Gerstenberg  in  „Minona"  IV  : 

Oberdruid  (zieht  die  Schultern    mit  einer  seltsamen  Grimasse  bis 
über  die  Ohren  in  die  Höhe). 

')  Goed.  X,  S.  82.     Vgl.  oben  S.  366  f. 

•')  "NVundt.  Völkerpsychologie  I,  1.     S.  74.  175  ff. 


—     307     — 

P)Ci  dem  Handauflcocn  auf  die  Brust,  dem  Zeichen  dei- 
P^rg'ebcnlieit')  lä.sst  sieh  z.  1>.  die  Venvandtsehat't  uiit  den 
oben  behandelten  malenden  Gesten  leicht  erkennen.  Das 
Ballen  der  Faust  und  das  drohende  Emporheben  erinnert 
daran,  dass  der  Arm  die  ursprüngliche  Waffe  des  Menschen 
ist,  mit  der  er  dem,  der  seinen  Zorn  erregt,  gegenübertritt. 
Etwas  Ähnliches  gilt  von  den  Bewegungen,  die  gegen  den 
eigenen  Körper  gerichtet  sind;  wir  finden  z.  1>.  bei  Schiller 
das  Einstemmen  der  Arme  in  die  Hüften  als  Zeichen  des 
Hohnes  und  Trotzes');  es  liibt  der  eigenen  Ifaltunii;- Festigkeit. 
Der  sich  Besinnende,  dei' mit  (h-r  Hand  übei' (lie  Stirn  fälirt^). 
ci'weckt  den  Anschein,  als  wolle  er  einen  entweichenden  Ge- 
danken zurückhalten.  Wiederum  fasst  der,  der  im  Arger  über 
eine  selbstverschuldete  Dummheit  sich  vor  den  Kopf  schlägt*), 
die  Stirn  als  den  Sitz  des  schlummei-nden  Verstandes  auf,  den 
er  damit  wecken  oder  strafen  will.  .Vus  solchen  Angriffen 
gegen  die  eigene  Person  gehen  schliesslich  die  Äusserungen 
selbstvernichtender  Wut  hervoi-,  in  denen  sich  die  X'erzweiflung' 
des  alten  Moor  (Raub.  H,  2)  kundgibt: 

sich  die  Haare  ausiaut'eiui. 

sein  Gesicht  zerfleischend. 

schlägt  mit  geballter  Faust  wider  Brust  und  Stirn. 

wütet  wider  sich  selber. 
Aber  auch  gegen  leblose  Gegen.stände    kann    sich   der  Affekt 
entladen.    An  dem  Beispiel  des  Xei'xes,  der  das  Meer  peitschen 
liess,    hat    Home^)    gezeigt,    wie    im    Zorn    zuweilen    ein  un- 


*)  Braut  100 b:  Die  Ältesten    entfernen    sich    schweigend,    die  Hand 

auf  der  Brust. 
■)  Fiesko  I,  4:  steht  still  mit  angestemmten  Armen. 

IH,  4:  ei'  stellt  sich  trozig  neben  ihn,  stemmt  den  Ellenbogen  an. 
')  Fiesko  1,10:  Cdie  Hand  vor  die  Stirne)  Was  will  ich  aber? 
*)  Raub.    I,  2    (S.  35,  22):  (Sich  vorn  Kopf  schlagend.) 
(Trsp.)IV,  8    (S.  291,  itj):  (die  Faust  wider  die  Stirn). 
Fiesko  H,  3:  Kalkagno    (sieht    ihr   betäubt    nach,    dann    ab,    mit 
einem  Schlag  vor  die  Stirn).     Dummkopf! 
^)  Grunds,    d.    Kritik    (Meinhards    Übers.    3.    Aufl.)    ],  21G  f.      Eine 
Personifikation    in    der    umgekehrten    Tendenz    ist    das    Küssen    der  Erde 
(Raub.  IV,  1).     Ahnlich  sind  die  symbolischen  Armljewegungen  Teils  nach 
seiner  Kettung  zu  erklären  (21ÜS  a). 


—     398     — 

schuldisrcs  Objekt  personifiziert  und  an  ihm  der  Orimm  aus- 
ifelassen  wird.  Dies  führt  zui-  sinnlosen  ZerstörungsAvut,  wie 
sie  auch  in  „Kabale  und  Liebe"  einmal  auftritt: 

III,  4:  Ferdinand  (hat  in  der  Zerstreuung'  und  Wut  eine 
Violine  ergriffen  und  auf  derselben  zu  spielen  versucht 
—  Jetzt  zerreisst  er  die  Saiten,  zerschmettert  das 
Instrument  auf  dem  Boden  und  bricht  in  ein  lautes 
Gelächter  aus). 

Nur  wenige  Arm-  und  HandbeAvegungen  erscheinen,  auch  wenn 
sie  bei  besonnenerem  Gemütszustande  auftreten,  gänzlich  unwill- 
kürlich, ohne  einen  Schein  von  Zweckmässigkeit ;  so  etwa  das 
Händezusammenschlagen  der  Verwunderung  und  des  Ent- 
setzens^), das  sich  bis  zum  Händeringen  der  Verzweiflung^) 
steigern  kann.  Aber  mit  diesem  Händeringen  ist  wiederum 
das  Händefalten^)  nahe  verwandt,  das  beim  Gebet  als  Aus- 
druck der  Unterwürfigkeit  seine  ursprüngliche  symbolische 
Pjcdeutung  hat:  der  Besiegte  bot  dem  Sieger  die  Hände  zum 
Fesseln  dar. 

Mit  dem  willkürlichen  Gehalt,  der  vielen  dieser  sym- 
pathetischen Gebärden  noch  innewohnt,  hängt  es  zusammen, 
dass  gerade  die  Armbewegungen  besonders  unter  dem  Gesetz 
der  abgemessenen  schönen  Linie  standen.  Goethe  gibt  eine 
genaue  Regel,  wie  zuerst  die  Hand,  dann  der  Ellenbogen  und 
schliesslich  der  ganze  Arm  zu  bewegen  sei;  der  Oberarm 
müsse  sich  so  lange  als  möglich  an  den  Leib  anschliessen: 
„Denn  wenn  ich  meinen  Arm,  wenn  von  gewöhnlichen  Dingen 
die  Rede  ist,  nur  wenig  erhebe,  um  so  viel  mehr  Effekt  bringt 
es  dann  hervor,  wenn  ich  ihn  ganz  emporhalte.''  Das  er- 
wähnte ßild^)  von  Melch.  Kraus,  worauf  die  drei  Eidgenossen 
beim  Schwur  die  Hände  nicht  über  Kopfhöhe  erheben,    steht 


')  Z.  B.  Goed.  II,  101,18.     III,  129,18.     141,  ig.    490,24. 

-)  Goed.    II,    191, 1.-,.      295, 21.     III,    445,  7.     Carlos  v.  3986. 

Teil  181. 
^)     Raub.  (Trsp.)  V,  G:  (die  Hände  gefalten  mit  Inbrunst.) 

Fiesko  IV,  11:  (mit  Grazie  ihre  Hände  faltend.) 
Kab.  IV,  5:  (indem  er  die  Hände  schrecklich  faltet.) 
*)  Vgl.  oben  S.   277. 


—     399     — 

in  P>ezichunfr  zum  Weimarer  Stil;  violloiolit -wirkte  noch  Jon os 
rJcsctz  (\g^  franzü>;ischcn  Theaters  nach,  das  Kiccoboni'i  ver- 
mittelt hatte:  „Es  ist  eine  ganz  bekannte  Kegel,  dass  man 
die  Hand  nicht  höher,  als  das  Auge  ist,  bringen  darf.  Wenn 
den  Schauspieler  aber  eine  heftige  Leidenschaft  dahin  reisst, 
so  kann  er  alle  diese  Regeln  vergessen :  er  kann  sich  mit 
mehr  Geschwindigkeit  bewegen  und  die  Arme  wohl  bis  übei- 
den  Kopf  erheben." 

Der  junge  Schiller  Hess  sich  durch  diese  Regel  nicht  be- 
engen: nicht  nur  in  der  höchsten  Exaltation  treten  die 
gesteigerten  Armbewegungen  ein  --  z.  15.  wenn  Leonore 
(Fiesko  V,  5)  ihre  Arme  schwärmend  in  die  Luft  wirft  oder 
Don  Carlos  (v.  1291),  die  Arme  zum  Hiuuncl  emporgeworfen, 
ausser  Fassung  durchs  Zimmer  stürzt  —  sondern  da^  Empor- 
strecken der  Arme  kommt  auch  als  bewusstere  Bewegung  vor. 
Bei  Anrufungen  Gottes  verstärkt  es  den  Blick  gen  Himmel; 
es  gehört  zu  den  erwähnten  symbolischen  Gesten  namentlich 
als  Beteuerung  der  Unschuld,^),  die  ilu'e  reinen  Hände  dem 
höchsten  Richter  entgegenhält: 

Kab.  V.  1:  Jezt  weiss  ich  nichts  mehr  (mit  aufgehobener  Rechte) 

stehe  dir,  Gott  Richter  I  für  diese  Seele  nicht  mehr. 
V,  8:  (Eine    schrekliche    Bewegung    des     Arms    gegen    den 

Himmel)    Von    mir  nicht,    von  mir  nicht,    Richter  der 

Welt ; 

eine  besondere  Eigentümlichkeit  h^cliillcrs  ist  hierbei  die  Ver- 
einigung zweier  Personen^),  die  ihre  Hände  gemeinsam  empor- 
strecken : 

Kab.  V,  7 :  (ihre  Hand  fassend  und  emporhaltend.) 
Carlos  (Thal.)  1330:  (er  fasst  Rodrigo's  Hand  und  hält  sie  gegen  den  HiinTnel.) 

Gegenseitige  Bewegungen  zweier  Personen. 
Das  ]3erühren  mit  der  Hand  ist  zunächst  ein  Zeichen  steii^en- 


•)  Beytr.  z.  Hist.  u.  Aufnahme  d.  Theaters.     4.  Stück.     S.  492. 

Seckendorf,  Vorles.  ü.  Dekl.  u.  Mimik  II,  278. 
'I  So  noch  in  den  späteren  Dramen  indirekt:  W.  T.  3782,  Teil  3180. 
")  Auch  das  Hand    auf  die  Brust  Legen    der    Ergebenheit    wird  zur 
Doppelbewegung : 

Fiesko  I,  0:  (er  fasst  Gianettinos  Hand    und    hält    sie  gegen  seine 
Brust.) 


—     400     — 

der  Vertraulichkeit;  es  crewinnt  einen  feierlichen  Nachdruck 
mit  dem  Handauflegen  auf  das  Haupt.  Während  das  rührende 
Drama  mit  dem  väterlichen  Segen  äusserst  freigebig  war^), 
spai't  Schiller  das  Handauflegen  für  die  bedeutendsten  Momente 
auf  und  verwendet  es  nicht  nur  beim  Segen  sondern  auch 
bei  der  Verurteilung  und  beim  Fluch: 

Fiesko  I,  12:  Verrina  (feierlicher,   seine  Hand  auf  Berthas  Haupt 
gelegt)  Verflucht  sei  die  Luft,  die  dich  fächelt  I 
Kab.  V,  7:  (furchtbarfeierlich,  indem  er  die  Hand  auf  ihren  Kopf 
sinken  lässt). 

Im  gewöhnlichen  Dialog  trieben  die  Schauspieler  oft  aus  Ver- 
legenheit, wohin  sie  mit  ihren  Händen  sollten,  Missbrauch  mit 
dem  vertraulichen  Erfassen  der  Hand-);  aber  auch  von  den 
Dramatikern  finden  wir  diese  Vorschrift  auffallend  häufig  aus- 
gesprochen. In  den  Stücken  von  Lenz')  stellt  sich  das  Er- 
greifen der  Hand  mit  jedem  herzlicheren  Ton.  zumal  bei  der 
Eröffnung  von  Liebesszenen   ein;    Iflflands  Personen  fassen  in 


')  Knigge  (Reise  nach  Braunschweig.  2.  Aufl.  S.  188)  verspottet 
deshalb  Kotzebue,  in  dessen  „Indianern  in  England"  Herr  Smith  gleich  im 
ersten  Auftritte  vier  Segen  austeilt. 

-')  In  Weimar,  wo  die  einzelnen  Personen  möglichsten  Abstand  halten 
sollten,  wird  diese  Annäherung  nur  in  leidenschaftlichen  Momenten  erlaubt 
worden  sein;  Goethes  Theaterregeln  stimmen  hierin  wiederum  mit  denen 
Fr.  L.  Schröders  überein  (Vgl.  S.  241  Anm.  2).  In  dessen  Bemerkungen 
zu  Riccoboni  heisst  es:  „Weder  der  gesittete  Mann,  noch  der  Bauer  fasst 
ein  Frauenzimmer  immer  bei  der  Hand ;  noch  weniger  der  Mann  den  Manu. 
Diese  Gewohnheit  kommt  von  der  Verlegenheit,  was  man  mit  den  Händen 
anfangen  soll;  diese  Verlegenheit  von  dem  Wahn,  dass  die  Hände  immer 
in  Bewegung  seyn  müssen.  Beobachtet  man,  während  drei  Stunden,  eine 
Gesellschaft  von  vier  und  zwanzig  Personen,  so  wird  man  finden,  dass  die 
gegenseitigen  Hände  nicht  so  oft  berührt  Averden,  als  auf  dem  Theater,  unter 
vier  I'ersonen  in  einer  halben  Stunde;  wären  auch  in  jener  Gesellschaft 
ein  paar  Gecken  gewesen.  Wenn  es  gar  so  weit  geht,  dass  der  oder  die 
Untergeordnete  in  einem  leidenschaftlosen  Gespräche  die  Hand  des 
Fürsten  oder  der  Fürstin  ergreift,  so  fühlt  der  Mann  von  Welt  einen 
elektrischen  Schlag.  Ich  habe  Nathan  den  Weisen  Saladins  Arm  berühren, 
und  ihm  den  ganzen  Auftritt  so  nahe  stehen  sehen,  dass  keine  Person 
zwischen  ihnen  durch  konnte."  — 

Auch  im  Don  Carlos  (3201  b)  fasste  ursprünglich  Posa  Philipps 
Hand;  seit  der  Umarbeitung  von  1801  ist  diese  Vertraulichkeit    beseitigt. 

")  Vgl.  D.  Nat.-  Litt.  80,  II.     S.  11,  21,  72,  98,  99,  100,  lOS,  119. 


—      401       — 

lilx'rwallendor  Ivülinini;-  ..mit  einem  Strom  des  Gefühls"  die 
Hand  des  (äegenübei.stelieiideu;  bei  Scliiller  endlich  tinden 
wir  die  verschiedensten  Motive  für  diese  Bewegung':  sie  ge- 
schieht mit  überleg'enem  Lächeln  (Raub.  I.  2.  S.  31),  mitleidig- 
(Fiesko  II,  2.  8.  44),  liebevoll  (Fiesko  I\ ,  14.  S.  130),  gütig: 
(Carlos  4155),  zärtlich  (Picc.  1715),  mit  steigender  Wärme 
(Picc.  782  b),  mit  einsciimeichelndem  Interesse  (Carlos  1609  a), 
heftig  bewegt  (W.  T.  2062  a).  stillwüthend  (Fiesko,  Bühnenb. 
II.  10.  8.  236). 

Die  Zärtlichkeit  äussert  sich  noch  besonders  im  auf  die 
Wange  Klopfen  (Carlos,  Thal.  v.  2155);  die  liebevolle  Aner- 
kennung im  Schlag  auf  die  Schulter: 

Kab.  I,  7 :  (freumllioh,  indem  er  ihn  auf  die  Achsel  klopft). 

Et^\•as  anderes  ist  das  langsame  Handautiegen  auf  die  Schulter, 
das  besonders  gewichtige,  eindi-ingliche  "Worte  begleitet: 

Kab.  II,  1 :  (bedeutend,   indem  sie  eine  Hand  auf  Sophiens  Achsel 
fallen  lässt). 
Carlos  lolla:  (Karlos  legt  ihm  eine  Hand  auf  die  Schulter  und  sieht 
ihm  ernst  und  feierlich  ins  Gesicht.) 

Was  von  dem  Krgi-eifen  dei'  Hand  gesagt  A\urdc.  gilt 
noch  in  vei'stärktem  Masse  von  dem  Nicderknieen;  es  gehört 
zu  jenen  exaltierten  Bewegungen,  mit  denen  man  im  täglichen 
Leben  äusserst  sparsam,  auf  dem  Theater  um  so  verschwen- 
derischer ist").  In  Schillers  Dramen  ist  mit  dem  Kniefall 
meistens  eine  Bitte  um  Erhörung  verbunden,  so  bei  Liebeser- 
klärungen (Käub.  I,  3.  S.  55;  Fiesko  H,  3.  S.  47;  Carlos 
624  a.  7<)5a.  4395;  M.  St.  2072 b),  aber  auch  bei  der  Bitte 
um  Hillc.  üui  I^]rbarmen,  um  (inade.  Die  inbrünstigste  Form 
ist  das  L'mfassen  der  Kniee  des  anderen"^),  z.   15.  wenn  Amalia 


1)  Stiehler,  Theat.  Forsch.  XVI,  S.  134. 

^)  Gegen  den  Missbrauch  erhob  vor  allem  Lichtenberg  seine  Stimme. 
Vermischte  Schriften  (1844)  II,  S.  24.  Fr.  L.  Schmidt,  Di'amaturg. 
Aphorismen  III,  1S4  f. 

■■)  Besonders  l)ei  Lenz: 
Der  neue  Meiio/a  II,  1:  Graf  (umfas.st  ihre  Kniee  und  (blickt  sein  Gesicht 
an  dieselben.) 
11,5:  Graf  (küsst  ihr  das  Knie). 
Palaestra  XXXII.  26 


■—     402     — 

um  den  Tod  bittet  (Raub.  V.  2)  oder  Baumgarten  um  Rettung 
fleht  (Teil  111  a). 

Auch  bei  Anrufungen  des  Himmels  sinkt  der  Betende 
nieder,  und  zwar  nicht  nur  bei  der  Bitte,  sondern  auch  beim 
Eid  (Fiesko  1,  12).  Ebenso  bei  eindringlicher  Besciiwörung 
einer  Person: 

Kab.  V,  7:  Ferdinand  (fällt  in  fürchterlicher  Beweg^ung  vor  ihr 
nieder),     Louise!  Hast  du  den  Marschall  geliebt? 
oder  bei  einem  plötzlichen  Geständnis   (Kab.  II,  5.    S.    411 ; 
Carlos  2588,  4132),  mit  dem  meistens    zugleich  die  Bitte  um 
Vergebung  verbunden  ist. 

Zu  dem  Kniefall  der  Huldigung  lässt  es  der  gnädige 
Herrsche]'  nicht  kommen  oder  er  mildert  ihn.  indem  er  den 
Gedemütigten  selbst  aufhebt.  Ho  begnadigt  Philipp  in  der 
Thaliafassung  Medina;  Chatillon  macht  dieses  Zeremoniell  für 
die  Versöhnung  mit  Bui-gund  vorher  ab  (2460  ff.):  auch  die 
Jungfrau  will  den  Kniefall  dei-  Agnes  Sorel  nicht  dulden 
(3500,  3517  b);  nur  Elisabeth  in  „Maria  »Stuart"  erfüllt  die 
Erwartung  nicht  (2253  ff.) 

Auch  mit  der  Umarmung,  in  der  die  Begnadigung  und 
Erhörung  der  Bitte  häufig  gipfelt,  war  man  auf  dem 
Theater  freigebig.  Nur  auf  dei'  Weimarer  Bühne  waren 
die  Umarmungen  wie  alle  vertraulichen  Annäherungen  ein- 
geschi'änkt;  der  Ärger  eines  von  auswärts  gekommenen 
»Schauspielers,  der  sich  in  diesen  vornehmen  Stil  nicht 
finden  konnte,  äussert  sich  deshalb  in  der  Schmähschrift 
„Saat  von  Goethe  gesät":  in  der  Tragödie  sei  es  Regel,  sich 
drei  Schritt  vom  J^eibe  zu  bleiben ;  im  bürgerlichen  Stück  sei 
wenigstens  eine  steife  Umäi-mclung  erlaubt^).  Dieser  Unter- 
schied ist  bezeichnend ;  die  Umai-mungcn  waren  ein  integrieren- 
der Jjestandteil  des  rührenden  Familiengcmäldes  und  daraus 
schlechterdings  nicht  zu  entfernen. 

Freilich  kommt  die  Umarmung  nicht  nur  als  Symptom  der 
Rührung,  sondern  auch  als  leere  konventionelle  Piegrüssungsform 
vor.  Aber  wenn  in  „Kabale  und  Liebe"  (1,  ü)  der  affektici'te  Hof- 


')  Reinhold,  Saat  v.  Ooethe  gesät.     S.  22.  30. 


—     40J}      — 

marschall  den  Präsidenten  zur  lieirrüs.sunfr  und  beim  Abschied 
in  die  Arme  schliesst,  so  i.st  eine  komische  Wirkung'  beab- 
sichtig-t,  denn  zu  Ende  des  achtzehnten  .Jalu'hunderts  war 
man  in  den  g-esellschaftlichen  Formen  bereits  etAvas  zurück- 
haltender g-eworden,  und  Knigge^)  z.  B.  schreibt:  „Man  sollte 
niemand,  als  etwa  Eltern,  Geschwister  oder  alte  bewährte 
Freunde,  umarmen  und  immer  das  Umarmen,  das  übrigens  als 
blosse  Höflichkeitsbezeugung  ausser  Gebrauch  gekommen  ist, 
von  dem  andern  abwarten." 

In  weitaus  den  meisten  Fällen  ist  die  Umarmung 
ein  überschwänglicher  Ausdruck  dei*  Ergriffenheit');  auch 
Schiller  war  darin  nicht  g-anz  frei  von  dem  Geschmack 
der  Zeit,  und  so  vererbt  sich  noch  in  die  späteren  Dramen 
etwas  von  dieser  Absicht,  zu  rühren.  Dem  Familienstücke 
näliern  sich  in  der  „Jungfrau  von  Orleans"  die  Auftritte 
in  Chalons  (III,  3.  4.)  mit  den  hausväterlichen  Bemühungen 
um  einen  Gatten  für  Johanna  und  mit  der  allgemeinen  Ver- 
söhnung, die  sich  nicht  anders  als  in  g-ruppen weiser  Um- 
aimung  äussern  kann: 

(in  demselben  Aug-enblick  eilen    die    drei    burg-undischen  Ritter 
auf  Dünois,  La  Hire  und  den  Erzbischoff  zu  und  umarmen  einander. 
Beide  Fürsten  liegen  eine  Zeitlang  einander  sprachlos  in  den  Armen.) 
Die  Umarmung  ist  aber  auch  Schillers  eigenste  Ausdrucks- 
form für  den  Affekt    der    Freude.     Der  Jubelruf:    „Seid  um- 
schlungen, Millionen!"  ist  zu  erklären  aus  einer  Stelle  in  der 
„Theosophic  des  Julius":     „Es    gibt  Augenblicke    im  Leben, 
wo  wii-  aufgelegt    sind,   jede  Blume  und  jedes    entlegene  Ge- 
stirne,  jeden  Wurm  und  jeden    geahndeten  höheren  Geist  an 
den  Busen  zu  drücken    —    ein  Umarmen    der   ganzen    Natur 
gleich    unsrer   Geliebten"^).     In    solcher  Stimmung   fällt  Don 
Carlos  dem  Pagen  um  den  Hals,  ebenso  belohnt  diesen  gleich 
darauf  Prinzessin  Eboli  (Thalia  1819,  2175),  und  die  Thalia- 
fassung   schliesst   mit    der    Umarmung  Medinas,    in    der    der 
Prinz    seine    Freude    über    die    königliche  Gnade    ausdrückt. 


')  Üb.  d.  Umgang  mit  Menschen  (Meyers  Volksbücher)  S.  21. 
»)  Stiehler,  Theat.  Forsch.  XVI,  S.  133. 
=*)  Goed.  IV.  S.  47. 

26* 


—     404     — 

Diese  Stelle  fiel  später  der  strenger  flurchg-efiilirten  spanischen 
Etikette  zum  Opfer;  geblieben  ist  dagegen  die  freudige  Um- 
armung Albas  und  Domingos  nach  dem  Sturz  des  Maltesers^). 

In  den  Liebesszenen  ist  die  lange  Umarmung,  die  nicht 
mit  der  schnellen  Aufwallung  vorübergeht,  in  allen  wechseln- 
den Phasen  mit  Erzählungskunst  nuanciert,  z.  B.  Raub. 
(Trsp.)  IV,  12  : 

(sein  Gesicht  an  ihren  Busen  verbergend) 

(sie  kämpft  ohnmächtig  gegen  seine  Bestürmung) 

(sie  drückt  ihn  fester  an  die  Brust) 

(an  ihrem  Halse  gefesselt) 

(R.  Moor  seiner  nicht  mehr  mächtig,  berührt  ihren  Mund, 
und  ihre  Küsse  begegnen  sich.  Moor  hängt  stürmisch  an  ihren 
Lippen,  sie  sinkt  halb  ohnmächtig  auf  das  Kanapee). 

Ergreifen  der  Hand,  Kniefall  und  Umarmung  lassen  sich 
zusammenfassen  unter  dem  J^egriff  der  Annäherung.  Auch 
ohne  diese  Steigerung  kann  das  Nähertreten  allein  eine 
Ausdi'ucksbewegung  bilden,  und  zwar  äussert  sich  darin  in 
erster  Linie  das  steigende  Interesse  ^).  Mit  der  Tcilnalnne 
verbindet  sich  die  Besorgnis,  die  in  der  Annäherung  an  die 
gefährdete  Pei'son  Ausdruck  findet^),  und  unter  diesem  \ov- 
wand  drängt  sich  z.  li.  auch  der  Mohr  an  Fiesko  heivaii. 
Aber  auch  die  eigene  Angst  sucht  Zuflucht  (Fiesko  V,  15. 
S.  155,  19;  Kab.  II,  4.  S.  407,  12;  Carlos  3793;  AV.  T.  1583  b). 
Da,  wo  das  Näherkommen  keinen  drohenden  Chai'akter  hat. 
wie  etwa  Franz  Mooi's  wildes  Losgehen  auf  Pastor  Moser 
(Raub.  V,  1.  S.  J85,  13.)  oder  des  Präsidenten  Annäherung 
an  Miller  (Kab.  II,  (i.  S.  416,  15),  ist  es  meistens  das  Zeichen 
zunehmenden  Vertrauens  (Fiesko  1,9.  S.  27,  I6 ;  Carlos  Thal. 


')  So  wirft  sich  auch  Bourgoguino  Verrina  um  den  Hals,  und  Fiesko 
drückt  an  Leonorens  Leiche  Kalkaguo  „mit  gräs.slicher  Freude"  in  seine 
Arme  (Fiesko  III,  5.  V,  13). 

2)  Raub.  II,  1.  S.  02,9;  Fiesko  L  5.  S.  19,  11.  '24.  20.  is:  Kab, 
IV,  7.  S.  4G3,  5;  Carlos  1752  b;  .Igfr.  3299.  3310;  Teil  3147  a. 

^}  Fiesko  IV,  14.  S.  129,  y;  Kab.  IV,  9.  S.  409,  i?2;  Carlos  4H23. 
5020. 


—     405      — 

I7ft:  Pk-c  -JIT;}:  M.  St.  2.'U9b:  Bfaiit  4SI  a):  es  äussert  sich 
ilaiiii  <lcr  Mut,  ein  freies  Wort  zu  wa^ii.  z.   15.: 

Kab.  11,0:  (kommt  ihm  näher,  herzhafter.) 
Carlos  31801»:  (der  König  ist    bewegt;    der  Mar()uis  Iiemerkt   es  und 
tritt  einige  Schritte  näher.) 
3201b:  (Er    nähert    sich    ihm    kühn,    iiml  iiuleui    er  feste  und 
feurige  Blicke  auf  ihn  richtet.) 

l'berliaupt  tulirt.  während  das  Schwanken  den  in  einem  inneren 
Kampfe  netindliclicn  fern  hält,  der  iMitschluss  ihn  dem  Mit- 
spielenden näher  (Kab.  iE,  5.  S.  411.  ü.  1\'.  N.  S.  4<»6,  19. 
\V.  T.  227JI. 

Die  verschiedenen  Stufen  in  der  Skala  der  ainiähernden 
lieweLiunL-en  enthalten  fa.st  durchwein'  etwas  Uejahendes,  ein 
Moment  der  i^ust  oiler  IJe^äcrde;  die  L'nhist  dairetren  findet 
in  dei'  Abkehr,  die  verstärkt  als  Zurückweichen  und  Flucht 
auftritt,  ihren  Ausdruck.  Das  yanze  Spiel,  in  dem  die  Em- 
plindun,i;en  zweier  Personen  korrespondieren,  läuft  als  An- 
näherunir  oder  Entfernung'  auf  ju'-erader  liahn  hin  und  her,  so 
dass  Ein.siedels  Theorie  der  Schauspielkunst  versuchen  konnte, 
das  <ja.\YAG  rJestikuIationssystem  auf  diese  lleobaclituny  aufzu- 
bauen: ..Alle  innere  Rcg-unii'en  in  ihicn  nianiiiLifaltij^'en  Nuancen 
sind  als  (Ji'adazionen  des  Peirehrens  oder  Verabscheuens 
in  Ansehung  des  mimischen  Ausdrucks  zu  betrachten.  .  .  . 
L'mannuny  ist  der  höchste  Grad  des  Ausdrucks  von  Begehren, 
und  Flucht  mit  Schaudei'  der  höchste  Ausdruck  vom  Verab- 
scheuen" M. 

So  findet  das  vertrauliche  F^rgreifen  der  Hand  seinen 
Geg-ensatz  in  dem  plötzlichen  Loslassen,  das  den  Ausdruck  der 
i)efremdung  bildet: 

Kab.  I,  4:  (erschrikt  und  lässt  jdötzlich  .seine  Hand  fahren), 
fernei-  Carlos  4011;  \V.  T.  1192  b;  Teil  932  a,  3140. 

')  Grundlagen  zu  einer  Theorie  d.  Schauspielkunst,  S.  64  ff.  Ähnlich 
heisst  es  bereits  beim  jungen  Schiller  iGoed.  1,170):  „Der  Hass  äussert 
sich  im  Körper  gleichsam  durch  eine  zurükstossende  Kraft,  wenn  im  Gegen- 
theil  selbst  unser  Körper  durch  jeden  Händedruk,  jede  Umarmung  in  den 
Körper  des  Freundes  übergehen  will,  gleichwie  die  Seelen  harmonisch  sich 
mischen." 


—      406     — 

Dem  festen  Blick,  der  Annäherung'  sucht,  ist  das  Weg- 
wenden des  Auges  entgegengesetzt,  worin  sich  Verlegenheit, 
schlechtes  Gewissen,  aber  auch  Unmut  und  Ablehnung  kund- 
geben. Die  Abkehr  des  ganzen  Gesichtes  ist  eine  Ver- 
stärkung; entweder  handelt  es  sich,  wie  beim  Verhüllen  des 
Gesichtes,  um  ein  scheues  Verbei-gen  der  Rührung,  des 
Schmerzes;  oder  der  Ekel,  der  einen  vei'ächtlichen  Gegen- 
stand nicht  länger  anschauen  mag,  äussert   sich   als  Abscheu. 

An  Stelle  des  Abwendens  hatten  die  Stürmer  und  Dränger 
stärkere  Symptome  der  Verachtung  gewählt;  auch  Schiller 
lässt  in  den  Räubern  seine  Amalia  den  „schamlosen  Lästerer" 
Franz  ins  Gesicht  schlagen,  während  es  statt  dessen  in  der 
Bühnenbearbeitung  massvoll  heisst: 

sich  abwendend. 
Ob    sich    eine    solche    Vorschrift    auf    Gesicht    oder    ganzen 
Körper  bezieht,  kommt  selten  zum  Ausdruck;  nur  bei  starken 
Graden   der  Verachtung    oder    der    verschlossenen  Ablelinung 
ist  ausdrücklich  das  Zukehren  des  Rückens  vorgeschrieben: 

Fiesko  I,  8:  Bourg-ognino  (dreht    ihm   den   Rüken,    will     gehen). 
Ich  werde  Sie  verachten. 
M.  St.  3320  b:  (Er    nähert    sich    ihr    in  tiehender  Stellung,    sie  kehrt 
ihm  den  Rücken  zu). 
Eine  gleich  entschiedene  Form  der  Ablehnung  ist  das  unwillige 
Zurücktreten    (Raub.    1. 2.  .  S.  ■16,  i.    11,3.    S.  47,19;    Carlos 
Thal.  V.  234  a) ;  dui'ch  dieselbe  Bewegung  erfährt  die  Abkelir 
des  Schmerzes  sogar  noch  eine  Verstärkung: 
Raub.  V,  2:  (geht  weit  von  ihm  weg.) 
Kab.  II,  3:  (schmerzhaft  von  ihm  weggehend.) 
V,  3:  (gepresst  von  ihm  weggehend.) 
Von  dieser  langsamen,  bedachten  Entfernung  ist  das  plötzliche 
Zurücktreten  zu  unterscheiden,    das  jedesmal  ein  Moment  der 
Überraschung   enthält;    auf  die  abgezählten   Schritte,    die  im 
Fiesko  dieser    Bewegung    zugemessen    sind,    ist  schon   oben^) 
hingewiesen;  hier  sei  aus  demselben  Stück  noch  das  Heispiel 
einer  indirekten  Anweisung  hinzugefügt: 

II,  14:  JJoria  wird  Monarch,  und  Kaiser  Karl  wird  ihn  schiizen 
—  du  tritst  zurük? 

»)  Vgl.  S.  351. 


—      407      — 

Aus  den  anderen  Stücken,  auch  noch  den  späteren  (z.  B. 
l^raut  V.  1108  a,  1160  b)  Hessen  sich  noch  zahh'eiche  Fälle 
anführen,  wo  das  befremdete,  das  verwundernde,  das  betretene 
Zui-ückweichen,  das  bestürzte  Zurückfahren,  das  Zurückprallen, 
Zurückbeben.  Zurücksprini^en  des  Schreckens  vorgeschrieben 
sind,  endlich  das  Zurückschaudern  und  Zurücktaumeln  des  Ent- 
setzens, wie  es  Liciitenbcri/  an  (Jarricks  Stellung  als  Hamlet 
dem  (reist  gegenüber  beschrieben  hatte. 

Zur  Flucht  führt  das  mit  Scham  verbundene  Entsetzen: 
es  wird  zur  Abgangsmotivierung  bei  schrecklichen  Geständ- 
nissen, deren  Eindruck  der  Fliehende  nicht  auszuhalten  ver- 
mag; so  rennt  Goethes  Franz  im  ..Giitz  von  Berlichingen"  mit 
dem  Rufe  ..Gift!  Gift!"  davon;  Cäcilia  im  „.Julius  von  Tarent" 
(II,  6)  geht  schleunig  ab,  nachdem  sie  Julius  mit  der  Mit- 
teilung überra.scht  hat:  .,lhi'  Vater  hat  uns  für  einander  be- 
stimmt"; Hermann  in  den  .,Räubern"  (Trsp.  LV,  11)  stürzt 
hinaus  mit  dem  nekenntnis:  .,Sie  leben",  ebenso  im  nächsten 
Auftiitt  Karl  Moor,  nachdem  er  sich  Amalien  zu  erkennen 
gegeben.  Auch  Ferdinand  (Kab.  I.Ti  will  fortrennen,  als  er 
sich  von  seinem  Vater  durchschaut  fühlt,  und  Lady  Milford 
(II,  3),  nachdem  sie  ihre  Schande  erzählt  hat.  stürzt  weg 
und  wird  nur  durch  den    nacheilenden  Major   zurückgehalten. 

Bewegungen  des  ganzen  Köipei's.  Die  bisher  ein- 
geschlagene Reihenfolge  ging  davon  aus,  <lass  die  Gemütsbe- 
wegungen in  den  oberen  Körperteilen  am  schnellsten  und 
leichtesten  erkennbar  werden  und  erst  als  heftige  Erregungen 
den  ganzen  Körper  in  Anspruch  nehmen.  Nur  die  stärksten 
ErschütterunL'-en  wirken  auf  die  HewcL-'ungen  der  Beine:  der 
lieftige  Ai-gcr  und  dei-  wütende  Zorn  stampfen  auf  den  P»oden^); 
jede  starke  innere  Unruhe  äussert  sich  in  ziellosem  Umher- 
laufen. 


')  Vg-l.  Raub.  I,  2  CS.  47,  12).  I,  3  (S.  55,  2l).  11, 1  (S.  61,  2l),  III,  2 
(S.  126,  11),  Trsp.  V,6  (S  .325,  7);  Fiesko  11,14  (S.  66,  le);  W.  T.  1729. 
3724;  M.  St.  3313.  Die  Wut  drückt  sich  ausserdem  durch  Zähneknirschen 
aus  (vgl.  S.  394).  der  Arger,  indem  man  sich  vor  den  Kopf  schlägt  (vgl.  S.  397). 
Bei  Schiller  genügt  meistens  ein  Symptom,  während  sich  bei  andern  Drama- 


—      408      — 

Ganze  Reden  werden  im  Auf-  und  Niederg-ehen  ire- 
sprochen^),  z.  B.  Karl  Moors:  „Menschen  —  Menschen! 
falsche,  heuchlerische  Krokodilbrut!''  (I,  2)  oder  sein  Monolog- : 
„Höre  sie  nicht,  Rächer  im  Himmel."  (H,  3.)  Auch  Wallen- 
stein spricht  seinen  grossen  Monolog"  (W.  T.  I,  4)  im  Gehen 
und  bleibt  in  den  Pausen  sinnend  stehen;  meistens  aber  bildet 
umg-ekehrt  die  Bewegung:  eine  Vorbereitung*  der  Woi"te;  sie 
g-eht  dem  Monolog-  voraus  (z.  B.Carlos,  Thal.  HI,  7;  liraut 
980  a),  odei-  füllt  die  Pausen  zwischen  einzelnen  Absätzen 
der  Rede  (Carlos  2940  a;  Picc.  986  a;  W.  T.  192  a;  3541  a, 
3565  b;  Braut  1067  a). 

Das  Gewicht  der  Gedanken,  die  eine  Person  beschäftig-en, 
kann  durch  die  Art  der  Schritte  chai-akterisiert  werden;  so 
geht  Fiesko,  während  er  seine  g-rossen  und  kühnen  Pläne 
entwirft,  mit  starken,  majestätischen,  hci'oischen  »Schritten 
umher  (S.  73,  8;  77,  i;  83,  15;  85,  12;  131,  7):  anders  ist  sein 
Gang,  als  ihn  Andreas  Dorias  Grösse  in  Vei'wirrung  gesetzt  hat: 

V,  2:  (er  geht  einige  Schritte  tiefsinnig  auf  und  nieder.) 

Am  deutlichsten  aber  ist  die  Zerstreuung  und  Dumpfheit, 
die  sich  nicht  zu  sanmielu  vermag-),  in  dem  Umhergehen  der 
Luise  Millerin  charakterisiert: 


tikern,    namentlich    bei    den    Stürmern    und    Drängern    oftmals   zwei  Aus- 
drucksbewegungen vereinen,  z.  B. :. 

Lessing,  Minna  v.  Barnh.  III,  7:  (bitter,  indem  ersieh  vor  die  Stirne  schlägt 

und  mit  dem  Fasse  auftritt.) 
Lenz,  Der  Hofmeister  I,  1:  (Fasst    sich    an    den    Kopf    und  stampft 

mit  dem  Fuss). 
Müller.   Golo  u.  Genovefa  II,  1:  (stampft  und  knirscht). 
Törring,  Kasp.  d.  Thorringer  I,  2:  (stampft,  schlägt  sich  vor  die  Stirne). 

0  Später  rühmte  Böttiger  an  Iffland:  „Überhaupt  freut  es  mich,  dass 
Iffland  beym  Kampf  in  der  Seele,  beyni  Monolog,  da  wo  starke  Entschlüs.se 
gefasst,  grosse  Worte  gesprochen  werden  sollen,  still  steht,  nicht 
auf  und  niederläuft,  wie  unsre  gewöhnlichen  Theaterperipatetiker.  Garrick 
sprach  alle  seine  Monologen,  auch  das  Seyn  und  Nichtseyn,  fast  immer  nur 
auf  Einer  Stelle  eingewurzelt.  (Entwickl.  d.  Iti'land.  Spiels.  S.  47  f.)  Auch 
Goethe  billigte  es,  dass  der  Haniletmonolog  in  einer  und  derselben  Stellung 
gesprochen  werde     (Heinr.    Schmidt,   Erinn.   e.  Weim.  Veteranen  S.   lOOl. 

^j  Diese  drückende  Stimmung  kann  auch  auf  mehreren  Personen 
lasten,  z.  B.  Kab.  V,  3:  „Beide  gehen,  ohne  ein  Wort  zu  reden,  einige 
Pausen  lang  auf  den  entgegengesetzten  Seiten   des  Zimmers  auf  und  ab." 


-      409     — 

Kab.  II r.  6:  ijeht  auf  und  nieiler.  den  Ko])f  gesenkt,  als  suchte  sie 
was  auf  dem  Boden. 

Lii  den  Juizeiidstückeii  kommen  dureli  <his  Linlieiiautcn 
l'inville.  Zorn.  Krbitteninir  und  Wut  zum  Ausdruckt; 
die  späteren  Dramen  daiieiicn  bczeiclnien  das  Motiv  meistens 
allsiemeiner:  ..voll  L'nruh",  „mit  lieftiij:-  arbeitendem  Gemüt", 
..mit  sich  selbst  kämpfend",  und  nur  ein  einziires  Mal  ist  auch 
später  noch  ein  bestimmter  Att'ekt  irenaucr  an;rrcg'eben : 

M.  8t.  ;i7S5a:  Er   eeht  während    <lcr  folirenden  Rede  Mortiniers  ver- 
zweiflunirsvoll  auf  und  nieder. 

Im  .Stui'in-  und  !  )rani:(liama  hätte  das  Auf-  und  Nieder- 
iichen  nicht  i.-'enügt,  um  den  höchsten  Grad  der  Verzwciflunir 
zum  Ausdruck  zu  briuL-'en-l;  doi"t  wütet  iler  Verzweifelte 
widei'  sich  selbst,  ei-  i'auft  si<.'h  die  Ifaarc  aus^),  zerHeischt 
sich  das  Gesicht,  oder  wirft  sich  zu  HodcnM.  wie  Komco  in 
Lorenzos  Zelle.  Nicht  nur  unmittelhai'.  sondein  auch  auf 
lautren  Umweiren  wiikt  das  altendische  Theater  auf  diese 
irewaltsamen  Ausbrüche  des  Atfektes.  Der  beliebteste  Aus- 
druck der  Verzweitiun;^-.  den  die  »Stürmer  und  DräUL^er  kennen, 
findet  sich  schon  bei  den  enirlischen  Komödianten'^)  und  ver- 
erbte sich  von  da  aus  auf  die  deutsclien  Wandertruppen: 

Er  feilt  in  VerzweiHung,    läutft    mit    dem  Kopf  an  die  Wan<l, 
dass  das  Blut  unter  dem  Hut  herfür  driniret 


')  V-I.  Sem.  413.  Kiiuli.  III.  2.  S.  1-J3,  h;  Kah.  L  ö.  II,  ti.  IV.  (j. 
S.  377.  1.  416,  jt.  458.  14. 

'')  Vg-1.  Goethe,  Wilhelm  Meisters  Lehrjahre  I.  S:  ..vollkonimen  glück- 
lich waren  wir  nur.  wenn  wir  recht  rasen,  mit  den  Füssen  stampfen  und 
uns  wohl  gar  vor  Wuth  und  Verzweiflung  auf  die  Erde  werfen  durfton.'' 
W.  A.  I.  Bd.  21,  S.  40.     Weissenfeis,  Goethe  im  Sturm   u.  Drang,  S.  32. 

^)  Im  „Theater-Kalender"  1780.  S.  66,  wird  von  einer  Schau.spielerin 
berichtet,  die  sich  als  Claudia  Galott i  falsche  Locken  einnadelte,  um  sie 
herausreissen  zu  können.  I)as.selbe  berichtet  der  „Freimüthige"'  1803  S.  95 
von  einem  Schausjjieler  Christel,  der  den  Odoardo  spielte. 

0  Bei  Lenz  fällt  man  auch  zum  Ausdruck  der  Bewunderung  und 
Beschämung  mit  dem  Gesicht  auf  die  Erde.  Die  Soldaten  III,  10.  Die 
Freunde  machen  den  Philosophen  V,  2. 

■')  Devrient  I.  169. 


—     410     — 

Es  ist  interessant,  die  Geschichte  dieser  einzelnen  Ausdrucksbe- 
wegung zu  verfolgen.  Im  achtzehnten  Jahrhundert  waren  solche 
Ausschreitungen  auf  den  grossen  stehenden  Bühnen  jedenfalls 
verpönt^),  aber  bei  den  Wanderti'uppen  fanden  sie  noch  immer 
Beifall,  je  mehr  die  Bretter  dröhnten  und  die  Kulissen 
flatterten.  Mit  allen  Kohheiten  der  herumziehenden  Banden 
stimmen  die  Atfektsymptome  der  ersten  Stürmer  und  Dränger 
so  auffallend  überein,  dass  man  an  eine  Einwirkung  glauben 
muss.  Nun  fand  der  Sturm  und  Drang  den  Weg  auf  die 
Bühne  in  der  Form  des  Kitterdramas,  das  wiederum  besonders 
bei  den  Wandertruppen  in  Aufnahme  kam  und  dort  die  letzten 
Staatsaktionen  ablöste.  So  entstand  eine  Wechselwirkung 
zwischen  Theater  und  Drama,  dui'ch  die  die  Masslosigkeit  nur 
genährt  wurde.  Wenn  ( j  erstenbergs  Ugolino  gegen  die 
Kerkermauern  anlief,  so  war  dieser  Höhepunkt  einer  raffiniert 
gesteigerten  Verzweiflung  aus  der  Situation  wohl  verständlich, 
aber  Klingers  Helden  bei'auschten  sich  bereits  ohne  Grund 
an  der  Vorstellung  des  herumspritzenden  (iehirns,  und  schliess- 
lich blieben  diese  stiei-mässigen  Wutausbrüche  nicht  einmal 
auf  die  kraftsti'otzenden  Helden  beschränkt:  im  anonymen 
Ritterdrama  „Hainz  von  Stain  der  Wilde''  weiss  sogar  ein 
alter  Wahrsager  nichts  Besseres  zu  tun,  als  die  Festigkeit 
seines  Schädels  an  der  Wand  zu  erproben. 

Auf  ..Ugolino"  werden  die  beiden  Verzweittungsanfälle 
Karl  Moors  zurückgeführt  : 

Raub.  IV,  3:  Wider  die  Wand  rennend, 
V,  2:  wider  eine  Eiche  rennend; 

in  den  späteren  Dramen  Schillers,  selbst  bei  den  Wutaus- 
brüchen Fieskos  an  T^eonorens  Leiche,  geht  die  ungezügelte 
Wildheit  nicht  mein-  so  weit;  das  iränderingen  erhält  dagegen 
mehr  Gewicht  und  wird  später  der    hauptsächliche  Ausdruck 

')  Nach  dem  Sündenregister,  das  auf  die  Wiener  Schauspieler 
Bergopzoomer  und  Sto|)hanie  d.  Ä.  gehäuft  ist,  müsste  man  freilich  auch 
ihnen  solche  Geschmacklosigkeiten  zutrauen.  Diesen  Stil  hat  Schink  in 
seinem  „Theater  zu  Alidora"  (S.  204.  '258)  persifliert;  er  zeichnet  dort 
in  dem  grossen  Strepsiades  einen  Kulissenreisser  und  gibt  ihm  im  Leben 
wie  auf  der  Bühne  die  Lieblingsbewegung  des  gegen    die  Wand  Rennens. 


—      411     — 

der  Verzweiflung-^).  Im  Roman  lebt  zwar  die  Übertreibung 
noch  länger  fort,  sogar  bei  Goethe-),  dessen  Melina  die  f^tirn 
i^egcn  die  Wand  stösst,  und  dessen  Felix  nur  durch  seiueii 
V^ater  daran  gehindert  wird ;  aber  im  Drama  verliert  sich  die 
Masslosigkeit,  die  auf  ein  geschmackvolles  Theaterpublikum 
nur  lächerlich  wirken  konnte,  ziemlich  rasch;  selbst  Klinger 
lässt  es  in  der  „Medea  in  Ivorinth"  nur  mehr  beim  Anlauf 
bewenden ; 

ler  will  mit  dem  Kopf  gegen  die  Säulen  stossen); 

und  wenn  später  noch  einmal  in  Tiecks  Zerbino  davon  die 
Rede  ist,  so  klingt  es  schon  mehr  wie  eine  Parodie: 

Vernunft  räth  mir,  den  Kopf  hier  gegen  Eichen 
Zu  rennen,  dass  es  nur  vorüber  sei. 

In  der  zunehmenden  Mässigung  gehen  Drama  und  Schau- 
spielkunst gleichen  Schritt,  und  die  Beobachtung  dieser  Ent- 
wicklung^) ist  doshalb  keineswegs  auf  Schiller  zu  beschränken.  Kr 
unterscheidet  sich  indessen  darin  von  den  Zeitgenossen,  dass 
bei  ihm  eine  deutliche  Grenzlinie  zu  ziehen  ist,  die  mit  dem 
Übergang  zur  Versform  zusammenfällt.  In  einem  Rrief  an 
Goethe^)  hat  Schiller  später  den  p]influss  des  Rhythmus  her- 
vorgehoben, der  alle  Chai-aktere  und  Situationen  nach  einem 
Gesetz  behandelt  und  den  Dichter  nötigt,  „von  allem  noch  so 
charakteristisch-verschiedenen  etwas  allgemeines,  rein  mensch- 
liches zu  verlangen.  Er  bildet  auf  diese  Weise  die  Atmosphäre 
für  die  poetische  Schöpfung,  das  gröbere  bleibt  zurück,  nur 
das  geistige  kann  von  <liesem  dünnen  Elemente  getragen 
werden."  Dieser  Macht  der  Versform  beugte  sich  Schiller 
bereits  während  der  Arbeit  am  Don  Carlos. 

Indessen  ist  hieraus  auch  noch  nicht  alles  zu  erklären, 
denn  der  Vei's  ist  nur  die  äussere  Form  für  ein  inneres 
Prinzip;     für    die    folgenden     Stücke     war    das    Masshalten 


')  M.  St.  3997.     Jgfr.  1109.  331.3. 

-)  Wilh.    Meisters    Lehrjahre  IV,  8.      Wanderjahre  I,  4.     W.  A.  I. 
Bd.  22,  S.  52.    Bd.  24,  S.  65. 
^)  Vgl.  oben  S.  324  f. 
')  An   Goethe  24.  Nov.  1797.     Jonas  V,  S.  290. 


—     412     — 

auch  schon  durcli  Schillers  ästhctisclic  Überzeuirano-  g-eboten. 
Winckelmanns  und  Kants  Einfluss  vereinig-tcn  sieh  in  der 
Fordci'unu"  der  moi-aliselien  Frcilieit.  die  sicli  durch  Ruhe  im 
Leiden  ausdrückt').  Kicht  das  Leiden  an  sich,  sondern  der 
Widerstand  dagegen  ist  pathetiscli  und  der  Darstclluni!'  wüi-dig: 
..(hdier  sind  alle  absolut  liöclisten  Grade  des  Affektes  dem 
Künstler  sowohl  als  dem  Leser  untersagt;  denn  alle  unter- 
drücken die  innerlich  widerstehende  Kraft,  oder  setzen  viel- 
mehr die  Unterdrückung'-  derselben  schon  voraus,  weil  kein 
Affekt  seinen  absolut  höchsten  Cirad  erreichen  kann,  solange 
die  Intelligenz  im  Menschen  noch  einigen  Widerstand  leistet."' 

Diese  innerlich  widerstehende  Kraft  sucht  die  Gewalt 
über  alle  Muskeln  zu  wahren;  in  der  Haltung  des  gesamten 
Körpers  tritt  sie  hervor.  Für  die  späteren  ötücke  sind  des- 
halb Anweisungen  wie  die  folgenden,  in  denen  Selbstbe- 
herrschung und  Zusammennehmen  zum  Ausdruck  kommen, 
charakteristisch: 

W.  T.  1731)  b:  Wallenstein  bleibt  fest  und  gefasst  stehen. 
M.  St.  4033  b:  Sie  bezwingt    sich  und   steht   mit  ruhiger  Fassung  da. 
Teil  1991b:  er  ratt't  sieh  zusammen  und  legt  an. 

Wie  starken  Kintluss  die  Affekte  auf  die  Haltung  dt's  Körpei's 
gewinnen  können,  ist  vom  jungen  Schillci'  in  der  medizinischen 
Dissertation')  ausgeführt:  .,Hel(lenmuth  und  Unerschrokeidieit 
ströhmen  Leben  und  Kraft  durch  Adei'ii  und  Muskeln,  Funken 
sprühen  aus  den  Augen,  die  Brust  steigt,  alle  Glieder  i'üsten 
sich  gleichsam  zum  Streit,  der  Mensch  hat  das  Ansehen  des 
Rosses,  Sehreken  und  Furcht  erlöschen  das  Feuer  der  Augen, 
die  (Glieder  sinken  kraftlos  und  schwer,  das  Mark  scheint  in 
den  Knochen  erfroi'en  zu  seyn,  das  lUut  fällt  dem  Herzen  zui- 
Last,  allgemeine  Ohnmacht  lähmt  die  Instrumente  des  Lebens." 

Die  höchste  Anspannung  allei'  Oi'gane  erfolgt  bei  der 
Freude;  wir  haben  oben^)  die  Umarmung-  als  eine  Äusserung 


')  Goed.  X,  S.  112.  läO.  Ifjo  Anm.,  I(i2. 
-)  Goed.  I,  170. 
=')  Vgl.  S.  403. 


-      413     — 

dieses    Affektes    kennen    iielernt:    ein    noch    liäufiirerer    Aus- 
druck aber  ist  das  sich  »Strecken  und  Auisitrinoen'l.  z.   H.: 

Raub.  I,  3:  froh  aufspringend. 

V,  2:  Aufblühend  in  eivstatischer  Wonne. 
Fiasko  1,13:  indem  er  heroisch  aufspringt. 
11,15:  sich  froh  .streckend. 
Kab.  V,  5:  wie  ein  Halbnarr  in  die  Höhe  springend. 

Der  Gc^^ensatz  dazu  sind  Ersclilaffuni;-  und  Ei'starreir). 
Der  .Schmerz  führt  zum  .Senken  des  Haui)tes.  zum  Xachlas.sen 
aller  Mu.skeln.  schliesslich  zum  \\'anken  und  Suchen  nach 
Halt : 

Raub,  in,  2:  legt  sein  Haupt  auf  Grimms  Brust. 
Fiesko  I,  10:  hält  beide  Hände  vors  Gesicht  und  Avankt  in  den  Sopha. 
n,  2:  wirft  sich  .schmerzvoll  in  einen  Sessel. 
V,  13:  todesmatt  zurückwankend. 
Kab.  II,  i:  setzt  sich  todenbleich  nieder. 
Carlos  (Thal.)  845b:  Sie  lehnt  sich    an    die  Oberhofmeisterin    und    bedeckt 

das  Gesicht. 
Ferner  AV.  T.   1660  b,  1703  b.  3678  b,  3758,  Teil  194  b. 

Es  geht  aus  dem  oben  erwähnten  Prinzip  des  AVider- 
standes  gegen  das  Leiden  hervor,  dass  die  vollständige  Ohn- 
macht, die  den  Sieg-  des  tierischen  Org^anismus  über  die 
Willenskraft  bedeutet,  in  den  späteren  Stücken  nicht  uiehr 
so  häutige  Verwendung-  finden  kann^l.  Im  (Gegensatz  zu 
anderen  Sturm-  und  Drang'-figuren,  z.  ]>.  den  Lenz'schen 
Schwächlingen,  die  sich  durch  jede  Erregung-  umblasen  lassen, 
haben  schon  Schillers  Jugendhelden  mehr  Mai'k  in  sich ;  in 
den  späteren  Stücken    aber   bleibt    die    Ohnmacht    übei'haupt 


*)  So  heisst  es  auch  bei  Home  (Grunds,  d.  Kritik.  Mcinhards  Übers. 
3.  Aufl.  S.  120  f. I:  „So  wird  die  äusserste  Freude  durch  Hüpfen,  Tanzen 
oder  andre  Stellungen,  die  den  Körper  heben,  ausgedrückt;  und  die 
äusserste  Betrübnis  durch  Stellungen,  die  ihn  niederdrücken.  .  .  .  Stolz. 
Grossmuth,  Tapferkeit  und  alle  erhebenden  Leidenschaften  werden  durch 
Geberden  ausgedrückt,  die  alle  in  dem  Wunsche  übereinkommen,  dass  sie 
den  Körper  heben,  .so  sehr  sie  auch  von  anderen  Seiten  verschieden  sind." 

■)  Die  Erstarrung  namentlich  in  den  Jugendstücken  z.  B. : 
Raub.  V,  2:  steht  stumm  und  starr  wie  eine  Bildsäule. 

Fiesko  I,  12:  Bourgognino  erstarrt. 

')  Vgl.  S.  325. 


—     414     — 

den  weiblichen  Personen  vorbehalten ;  nur  Walter  Fürst 
schwankt  nach  dem  Apfelschuss,  und  Teil  sinkt,  als  er  den 
geretteten  Knaben  umfängt,  kraftlos  zusammen. 

Wie  beim  theatralischen  Tod.  so  ist  es  auch  hier  für 
den  Schauspieler  eine  Erleichterung,  wenn  ihm  Worte  in  den 
Mund  gelegt  sind,  die  die  herannahende  Schwäche,  auch  wenn 
sie  nicht  zur  Ohnmacht  führt,  ausdrücken,  z.  B. : 

Raub.  V,  2  (S.  194):  Meine    Sehnen    werden    schlapp,    der    Dolch    sinkt 
aus  meinen  Händen. 
(S.  19GJ:  Haltet  mich!    Um  Gottes  willen,  haltet  mich!     Es 
wird  mir  so  Nacht  vor  den  Augen. 
Fiesko  I,  1  (S.  10):  0  deinen  Arm  her  —   halte  mich,  Bella! 
Carlos  3800 :  Ich  kann  nicht  mehr  —  das  ist  zu  viel. 

Es  ist  zu  untei'scheiden  zwischen  dieser  durch  Nachlassen 
der  Stimme,  durch  Schwanken  und  Zittern  vorbereiteten  Ohn- 
macht, bei  der  noch  Zeit  bleibt,  einen  Stuhl  zu  ergreifen  oder 
in  die  Arme  der  Hinzueilenden  zu  sinken^),  und  im  Gegen- 
satz dazu  dem  unvermittelten  Zusammenbrechen. 

Die  halsbrechenden  Künste,  mit  denen  so  manche  Schau- 
spielerin, „als  ob  sie  vom  Blitz  getroffen  würde  und  mit  einer 
Gewalt,  als  ob  sie  sich  die  Hirnschale  zerschmettern  wollte", 
der  ganzen  Länge  nach  hinschlug,  sind  nach  J.  J.  EngeP)  in 
die  Luftspringerbude  zu  verweisen;  aber  oft  genug  finden  wir 
diesen  Effekt  schon  von  den  Dichtern  vorgeschrieben''),  und 
sogar  in  Schillers  Jugendstücken  fehlt  er  nicht: 

Fiesko  X^  15:  (sinkt  durchdonnert  zu  Boden.) 
Kab.  V,  7:  Ferdinand  (starr  und  einer  Bildsäule  gleich,  in  langer 
todter  Pause  hingewurzelt,  fällt  endlich  wie  von  einem 
Donnerschlag  nieder. 

')        W.   T,  3043:     (Thekla  schwindelnd,  fasst  einen  Sessel.) 

3051  b:  (Thekla,  welche  die  letzten  Reden  mit  allen 
Zeichen  wachsender  Angst  begleitet,  verfällt  in 
ein  heftiges  Zittern,  sie  will  sinken,  Fräulein 
Neubrunn  eilt  hinzu  und  empfängt  sie  in  ihren 
Armen.) 
^)  Ideen  zu  e.  Mimik  I,  S.  53. 

")  Kotzebue,  Joh.  v.  Montfaucon  V.  4:  (Johanna     schlägt    sinnlos     zu 

Boden,  indem  sie  sich  das  Haar 
zerrauft.) 
Möller,  Graf  Walltron  TT,  f.  u.  V,  3:  (.schlägt  sinnlos  zur  Erde.) 


—     415     — 

In  beiden  Fällen  ist  es  der  Gipfelpunkt  einer  unsreheuren  Er- 
regung-, die  wir  furchtbar  anwachsen  sahen;  um  so  mehr  muss 
auffallen,  dass  öchiller  später  dem  jungen  Voss  den  Rat  ge- 
geben haben  soll,  den  vierten  Akt  seinej-  Othellobearbeitung 
gleich  mit  der  Ohnmacht  des  Helden  zu  beginnen :  man  werde 
aus  der  furchtbaren  Wirkung  auf  die  furchtbare  Ursache 
schliessen'). 

Endlich  ist  noch  auf  die  fingierte  Ohnmacht  einzugehen, 
die  mit  denselben  Mitteln  dargestellt  wird  wie  die  echte,  aber 
deutlich,  wenn  auch  nicht  zu  plump,  von  dieser  unterschieden 
werden  muss.  Die  Mitspielenden,  nicht  aber  das  Publikum 
sollen  dadurch  getäuscht  werden.  Die  Simulation  kann  in  der 
Anweisung  des  Dichters  ausdrücklich  verlangt  sein;  wo  dies 
unterbleibt,  entstehen  Tnterpretatiousschwietigkeiten,  z.  B.  bei 
der  Ohnmacht  der  Lady  Macbeth.  Schiller,  der  diese  Figur 
als  absolut  büsen  Charakter  einem  Jago  und  Franz  Moor  an 
die  Seite  stellte-),  musste  nach  der  ('l)erlieferung^)  auch  die 
weibliche  Schwäche  für  erlogen  halten : 

11,10  z.  1253:  Lady  (stellt  sich,  als  ob  sie  ohnmächtig-  werdel. 

Simulation.  Der  Unterschied  zwischen  symptomatischen 
und  psychologischen  Anweisungen  ist  hierbei  von  besonderer 
Wichtigkeit.  Die  symptomatische  Foi-m  nämlich  gibt,  da  die 
Art  der  Ausdrucksbewegung  dieselbe  bleibt,  ob  nun  der 
Affekt  echt  oder  erheuchelt  ist,  gar  keine  Gelegenheit,  die 
Verstellung  direkt  zu  kennzeichnen.  Sie  muss  sich  aus  der 
Situation  und  dem  Charakter  der  Person  ergeben,  z.  1  j.  : 
Raub.  I,  3  (S.  53):  mit  verhülltem  Gesicht. 

II,  2  (S.  70):  ^vihl  auf  llerrmann  losgeheml. 
Umherirrend  im  Zimmer. 
III,  1  (S.  112):  fällt  ihm  um  den  Hals. 
M.  St.  1527 :  ihre  Thränen  trocknend. 

Bei  den  psychologischen  Angaben,  die  den  Affekt  selbst 
nennen,  muss  dagegen  seine  Unwahrheit  betont  werden: 


*)  V.  Vincke,  Shakespeare-Jahrbuch  XV,  S.  227. 

-)  Goed.  X,  25. 

'}  Küster  S.  .34.  295. 


—     416      — 

Raub.  TT.  2  (S.    71):  wie  erstaunt. 
Fiesko  (Bühnenb.)  V,  (J  (S.  348):  mit  angenoniiiienem  Zorn. 

Ivab.  TV,  5(S.  456):  heuchelt  eine  .schuldlo.se  Miene. 
Carlos  (Thalia)  3432:    mit  affektirtem  Leichtsinn. 

Pico.  2155  b:  mit  anscheinender  Gleichgültig-keit. 

Es  können    sich    aber  auch  beide  Formen  vereinig-en,  woraus 
in  diesem  Falle  kein  Pleonasmus  entsteht: 

M.  St.  2235  a:  stellt  sich   überrascht    und    erstaunt,    einen 
tinstern  Blick  auf  T^eicestern  werfend. 

Mit  der  Fraise  nun,  durch  welche  Mittel  der  Darstellei- 
das  geheuchelte  Spiel  kenntlich  zu  machen  hat.  kommen  wir 
auf  dasselbe  interessante  Grenzgebiet  der  theatralischen  Kunst, 
an  dem  wir  oben  bereits  einmal  voi'beigingen').  Es  handelte 
sich  darum,  dass  eine  Schauspielerin,  die  ohnehin  schon  ge- 
schminkt ist,  dem  Publikum  geschminkt  erscheinen  soll. 
Ebenso  wie  dort,  muss  hier  die  Farbe  so  dick  aufgetragen 
werden,  der  Schauspieler  muss  so  plump  spielen,  dass  er  auf 
(Ion  Zuschauer  unwahrscheinlich  Avirkt.  Bei  dieser  Doppcl- 
täu.schung  ti'itt  also  „der  sonderbare  Fall  ein.  wo  der  gute 
Schauspieler  es  wie  der  schlechte  machen  und  in  sein  Spiel 
ausdrücklich  etwas  Missheiliges,  Falsches,  Verfehltes  hinein- 
legen muss."  Engel"')  zitiert  bei  dieser  Gelegenheit  den  Aus- 
spruch, den  Garrick  einem  unvollkommenen  Schauspieler 
gegenüber  getan  haben  soll:-  „Sie  haben  die  Rolle  des  Trunkenen 
mit  viel  Wahi'heit  und  Anstand  gespielt,  aber  —  Ihr  linker 
Fuss  war  mir  zu  nüchtern.'"  Ebenso  nun  wie  bei  der  unge- 
schickten Darstellung  wird  bei  der  geschickten  Simulation  irgend 
ein  Glied,  das  an  dem  Gesamtausdruck  nicht  teilnimmt,  ein 
Jalsciier  Blick,  eine  gezwungene,  allzuhastige  ]jewegung  die 
innere  Unwahrheit  verraten. 

Schiller  selbst  hat  noch  feiner  unterschieden.  Er  trennt, 
worin  wir  ihm  obcn^j  bereits  folgten,  zweierlei  Ausdrucks- 
bewegungen: erstens  die  ganz  unwillküiiichen,  die  unmittel- 
bar von  der  Empfindung   ausgehen;    zweitens  solche,    die  der 


')  Vgl.  S.  297. 

2)  Ideen  zu  einer  Mimik  I.  309  ff.,  317  ff. 

»)  Vgl.  S.  396. 


-     417     — 

Art  nach  Avillkürlich  sein  könnten,  „die  aber  der  blinde  Natur- 
trieb der  Freiheit  ab<rewinnt.''  Beide  Arten  machen  durch 
ihr  Zusaninicnwirkcii  den  Ausdruck  des  Affektes  zu  einem 
volistäudig-en  und  übereinstininienden  Ganzen.  Sobald  die 
Bewegungen  der  ersten  Art  vorhei-i'schen,  ist  die  Natur  in  den 
Affekt  wirklich  versetzt,  aber  der  Wille  kämpft  dagegen  an 
—  dies  ist  der  innere  Widerstand  gegen  das  Leiden,  der 
Ausdruck  moralischer  Kraft,  in  dem  Schiller  den  Gegenstand 
pathetischer  DarsteHung  erblickt.  Findet  man  dagegen  nur 
die  Bewegungen  der  zweiten  Art.  .,so  zeigt  dieses  an,  dass 
die  Person  den  Affekt  will,  und  die  Natur  ihn  verweigert"  — 
dies  ist  der  Fall  bei  affektierten  Personen,  bei  schlechten 
Komödianten,  bei  jedem  erkünstelten  und  erheuchelten  Si)ier). 
Engels  und  Schillers  Ansichten  laufen  praktisch  auf 
dasselbe  hinaus;  die  positive  Kehrseite  besteht  bei  beiden 
darin,  dass  an  dem  echten,  uimiittelbaren  Ausdi-uek  der  ganze 
Körper  gleichmässig  teilzunehiueii  hat.  Also  auch  dann,  wenn 
die  direkte  Voi-schrift  des  Dichters  das  charaktei'istische 
Symptom  nur  einem  einzigen  Köi'perteil  zuweist,  müssen  sich 
die  übrigen  Glieder  mit  dieser  führenden  Ausdrucksbewegung 
in  Harmonie  setzen. 


7.  Deklamation. 

Dieselbe  innere  Einheit,  die  die  körperlichen  Bewegungen 
in  Einklang  hält,  verbindet  sie  auch  mit  dem  sprachlichen 
Ausdruck,  und  so  ist  Hamlets  Regel:  „Passt  die  Gebärde  dem 
Wort,  das  Wort  der  (Jebärde  an",  ein  Grundgesetz  der  Schau- 
spielkunst. Die  häutig'sten  aller  Bühnenanweisungen  wenden 
sich  deshalb  weder  besonders  an  die  stimmlichen  noch  an  die 
mimischen  Ausdrucksmittel,  sondern  charakterisieren  in  der 
Form  eines  einfachen  Adverbiums  den  Seelenzustand  und  die 
Stimmung,  aus  denen  der  Gesamtausdruck  hervorgeht. 


1)  Goeil.  X,  111. 

l'alapstra  XXXI 1.  27 


—     418     — 

Diese  eiö-entlich  psychologischen  Anweisun.ircn  wird  man 
trotzdem  den  Deklamationsvorschriften  zuzählen,  einmal  weil 
das  Wort  im  Drama  überwiegt  und  der  Deklamation  zwei 
Drittel  des  Ausdrucks  zufallen,  ferner  aber  auch  rein  äusser- 
lich.  weil  sie  ihrer  grammatischen  Foi-m  nach  nicht  gut  allein 
stehen  können  und  sich  regelmässig  an  das  gesprochene  Wort 
anlehnen. 

Dass  sie  vor  allem  die  Farbe  des  Sprechtones  zu  be- 
stimmen haben,  lassen  einzelne  dieser  Adverbia  sogleich  er- 
kennen, z.  B.  aufbrausend,  bitter,  gerührt,  hitzig,  schmelzend, 
schwer.  Aber  auch  bei  anderen  Vorschriften,  die  zunächst 
an  eine  Bewegung  des  Körpers  denken  lassen,  z.  B.  ..auf- 
fahrend", ist  der  Stinunausdruck  das  Wesentliche'). 

Nun  liegt  es  in  der  ganzen  Methode  dieser  Cntei'suchung, 
dass  die  häutigei-en  und  i'cgclmässigen  Erscheinungen  geringere 
Beachtung  linden  als  die  charakteristischen  Seltenheiten.  Ich 
habe  in  den  Bühnenanweisungen  Schillers  über  150  ver- 
schiedene Adverbia  gezählt,  aber  es  hätte  wenig  Wert,  hier  die 
vollständige  Liste  zu  geben;  nur  die  häufigsten  seien  genannt: 
„bedeutend",  „dringend",  „entschlossen",  „ei'nsthaft",  „er- 
staunt", ..feurig",  „heftig",  „kalt",  „lebhaft",  „treuhei-zig", 
„trotzig",  „ungeduldig". 

Die  grösste  Mannigfaltigkeit  weisen  natürlich  die  Jugend- 
stücke auf;  indessen  gibt  es  auch  einzelne  Adverbia,  die  auf 
die  späteren  Dramen  beschränkt  sind,  z.  B.  „ahnungsvoll" 
(W.  T.  3759.  M.  St.  2158),  „offiziös"  (M.  St.  -JCfiö).  ..pressirt« 
(Picc.  593.   1737.  2196;   W.  T.   133.). 


')  Vgl.  den  Widerspruch  Fr.  L.  Schmidts  in  seinen  Dramaturg-. 
Aphorismen  (11,84):  „Die  Vorschrift  Au  ffahrend  verführt  den  Darsteller 
nicht  selten  zu  einem  falschen  Ausdruck:  er  erhebt  in  den  meisten  Fällen 
die  Stimme  schreiend,  liis  zum  Erschrecken.  Das  .\uffahren  liesteht  nicht 
immer  in  der  Erhebung  des  Tones;  im  Gegentheil,  dieser  kann  zur  Be- 
zeichnung dieses  Ausdrucks  sogar  schwächer,  in  sich  g^epresster  seyn 
und  dumpf  ertönen,  während  den  Körper  ein  electrischer  Schlag  durch- 
zuckt." 


—     419     — 

Gleichwertig'-  mit  den  Adverbien,  wenn  auch  minder  häufio^, 
sind  die  mit  Präpositionen  zusammeng-esetzten  Substantiva, 
z.  B.  „in  Beweg-ung",  „mit  Feuer",  „in  Begeisterung-".  Mehr 
Interesse  aber  verdienen  die  Mischungen  verschiedener  For- 
men, durch  die  die  feineren  Nuancen  des  Tones  bezeichnet 
werden  sollen.     Davon  mögen  einige  Proben  folgen: 

Mehrere  Adverbia: 
heftig  und  vergessen  Seui.  181,  350. 

kurz  und  störrisch  Raub.  S.  289,  7. 

voll  und  befehlend  Fiesko  S.  77,  lO. 

leichtfertig  dreust  124,  20. 

schmelzend  zärtlich  und  etwas  schelmisch  132.  24. 
gros  und  warm  154,  17. 

überrascht  und  betroffen,  doch  sogleich 

wieder  gefasst  Carlos  (Thal.)  2238. 

dringend  und  ungeduldig  Picc.  584. 

kalt  und  streng  M.  St.  2268. 

Adverbia    und    Substantiva: 
äuserst  stolz  und  mit  Würde        Fiesko  77,  4. 
mit  Wehmuth  und  etwas  bitter  87,  14. 

aufgeregt  und  mit  Hitze  124,  22. 

matt  unterliegend  mit  beweglichem  Ton  125,  22. 
gerührt  und  voll  Bewunderung    Carlos  3794. 

Mehrere    Substantiva. 
mit  "Wärme  und  Zärtlichkeit      Fiesko  346,  27. 
mit  Sanftmut  und  Hoheit  Kai).  400,  7. 

mit  Ernst  und  Stärke  406,  24. 

mit  Feinheit  und  Grazie  Carlos  (Th.)  2581. 
voll  Erwartung  und  Erstaunen  Carlos  4588. 
mit  Lebhaftigkeit  und  Adel      W.  T.  3855. 

A  d  j  e  k  t  i  V  a    und    Substantiva. 
mit  aulfahrender  Erbitterung        Fiesko  45,  20. 
in  stürmischer  Aufwallung  115,  3;  Carlos  (Th.)   522. 

mit  feinster  Bitterkeit  132,  16. 

mit  schrükhafter  Beruhigung  150,  4. 

mit    dem    Ausdruck     eines     wütenden 

Wahnsinns  308,  9. 

im  Ausdruck  des  heftigsten  Leidens      243,  3;  Kab.  406,  10. 
im    Ton    des     tiefsten    inwendigen 

Leidens  Kab.  437,  23. 

mit  wilder  feuriger  Empfindung  456,  5. 

27* 


—     420     — 

mit  dem  vollen  Ausdruk  der  Liebe        Kah.  -498,  26;  Carlos  (Th.l  2577. 

im  Ausdruck  der  unbändigsten  Wuth  503, 18. 

in  der  fürchterlichsten  Angst  505,  6;  Carlos  (Th.)  2.324. 

mit  listiger  Verwundeiung  Carlos  (Th.)  2194. 

mit  leichter  Galanterie  2286. 

mit  einschmeichelndem  Interesse  2293. 

in  fürchterlichem  Ausbruch  des  Schmerzes       2612. 

mit  ruhigem  Ernst  und  mit  Würde  2646. 

mit  Sanftmut    und  Würde,    aber    mit 

zitternder  Stimme  3794. 

mit  tief  verwundeter  Seele  Braut  2808. 

Es  ist  vor  allem  die  Tonfarbe,  die  hierdurch  auf  Um- 
wegen bestimmt  werden  soll;  indessen  zeigt  die  gesuchte  Form, 
wie  schwer  das,  was  dem  Dichter  im  Ohre  klingt,  festzu- 
halten ist.  Der  Ton  ist  etwas  Individuelleres  als  die  mimischen 
Ausdrucksmittel ;  auch  ist  deren  Beobachtung  durch  das  Auge 
allgemeiner  ausgebildet  als  das  feine  Gehör.  Die  ypi-ache 
wirkt  unmittelbar  veranschaulichend  und  bedient  sich  sogar, 
um  einen  Ton  zu  bezeichnen,  der  Anschauungsformen  ..hoch" 
und  „tief" ;  alles  Sichtbare  vermag  sie  deutlicher  zu  be- 
schreiben als  das  Gehörte;  dabei  Hndet  sie  eine  Unterstützung 
in  der  bildenden  Kunst,  die  jeden  mimischen  Ausdruck 
dauernd  festzuhalten  im  stände  ist;  eine  Fixiei'ung  des  Tones 
abei-  war  voi-  den  Zeiten  de.^  Phonographen  nicht  möglich. 

Dieser  Unterschied  wurde  vonseiten  der  Bühuenschrift- 
steller  wohl  empfunden;  ein  lieispiel  ist  der  als  Kupferstecher 
wie  als  Dichter  gleich  dilettantische  lleir  v.  Göz,  dem  die 
Sprache  für  die  N'ciinittlung  seiiiei-  Bühnenvorschriften  nicht 
ansreiclite;  er  hat  deshalb  in  seinem  klehicn  Drama  .,Lcnardo 
und  Ijlandine"  die  Allsdrucksbewegungen  durch  10»>  Radie- 
rungen vorgezeichnet;  für  den  Ton  aber  fand  er  keine  Vcr- 
dolmetschung  und  klagte,  dass  es  nicht  möglich  sei.  durch 
musikalisclie  Koten  hier  abzuhelfend:  „Schade,  dass  man  sich 
noch  nicht  über  mererc  Zeichen  einverstanden  hat,  wodurch 
die  Tonabänderungen    in    der  Deklama/ioii    und  (iestikulazion 

')  Versuch  einer  zal roichen  Folge  Lcidenschaftliciier  Entwürfe  für 
Empfindsame  Kunst-  und  Schauspiel-Freunde.    Augsl)urg  1783.    S.  22f.  63  f. 


—     421      — 

festg-eli alten  und  einleuchtend  g^emaclit  werden  könnten;  vileieht 
bedürfte  e«  nur  eines  Mannes,  der  sich  bereits  um  die 
Würde  eines  aliremeinen  Lerers  verdient  gemacht  hätte." 
Ct.  V.  Seckendorf  hat  sich  später  in  seinen  ..Vorlesungen  über 
Deklamation  und  Mimik"'  ein  ähnliches  Ziel  iiesteckt,  aber 
seine  Übertraiiun.ir  spezifisch  musikalischer  Prinzipien  auf 
die  Rede  konnte  die  Kunst  des  Vortrags  mir  in  die  Irre 
führen. 

Dieser  Vorwurf  wurde  bereits  gegen  den  Weimarer  »Stil 
erhoben,  aber  mit  Unrecht  zos:  man  (ioethc  selbst  zur  Ver- 
antwortung. Wenn  in  den  „Kegeln  für  Schauspieler"  die 
Deklamierkunst  eine  ])i'osaisehe  Tonktnist  lieisst'l.  so  wii'd  doch 
zugleich  der  wichtiiro  Unterschied  betont,  dass  sie  im  Umfang 
ihrer  Töne  weit  beschi-änktei'  sei  als  die  Musik  und  (hiss  sie 
nie  die  Abhängigkeit  von  einem  fremden  Zwecke  vergessen 
dürfe.  Und  geiade  vor  den  beiden  Klippen,  denen  die  ver- 
äusserlichte  Deklamation  spätei-  wiedei-  zmn  ()j)fer  üel,  wird 
gewarnt:  vor  der  ^lonotonie  und  vor  dem  zu  schnellen  Ton- 
wechsel, dem  sinkenden  Voi'trai.'-. 

In  den  Grundgesetzen  freilich,  die  die  rhythmische  Rede 
mit  der  Musik  gemeinsam  hat,  wui'(h^  diese;  als  Führerin  an- 
erkannt; Goethe  soll  auf  dei'  Probe  den  Taktstock  gescliwungen 
haben,  was  anfangs  notwendig  war.  um  den  Schauspielern 
überhaupt  das  fehlende  ihythmisclie  ( iefülil  eiuzudi-illen:  aber 
auch  für  die  besondeie  Aeceutuieiuni.''  und  die  Atemveiteilung 
hatten  Kegeln  der  Tonkunst  Geltung.  So  hat  es  denn  (ioethes 
Schüler  P.  A  \Voltf-)  noch  später  ausiicsprochen:  ..Der  Decla- 
mator  muss  seine  Aufgabe  wie  dei-  Sängei'  behandeln.  Ki' 
muss  seine  Reden  auf  Noten  setzen,  die  Worte  von  gi-össei-em 
Gewicht,  die  herauszuheben  sind,  untersti'eichen,  auf  welche 
die  Kraft  eines  bestimmten  Aecentes  oder  cinei'  Empfindung 
zu  legen  ist,  doppelt,  dreifach  uiitcrstieichen." 


')  W.    A.   I,    15(1.  40,      S.    147.     Wähle.    Sehr.    .1.    Goetheges.    VI, 
S.  42.  166. 

-■)  Martersteig,  1'.  A.    W'i.lir.     S.  .^02. 


—     422     — 

Wenn  es  freilich  nur  auf  diese  Unterstreichung')  ankäme, 
dann  dürfte  man  nicht  von  der  schwierigen  Vermittlung 
deklamatorischer  Anweisungen  reden;  sie  kann  auch  der 
Dichter  bereits  vornehmen,  und  er  pflegte  es  in  jener  Zeit 
ausgiebiger  zu  tun,  als  unserem  modernen  Bedürfnis  entspricht. 

Wir  kommen  damit  zu  den  symptomatischen  Vorschriften 
des  sprachlichen  Ausdrucks.  In  gewissem  Sinne  gehört  dazu 
schon  der  Rhythmus  selbst,  soweit  er  durch  die  Verseinteilung 
bestimmt  ist;  für  die  meisten  Schauspieler  bestand  darin  sogar 
eine  lästige  Vorschrift.  Es  muss  hier  kurz  auf  die  bekannte'') 
Tatsache  eingegangen  werden,  dass  die  Schauspieler  unter  der 
Übermacht  des  Konversationsstückes  die  rhythmische  Sprache 
verlernt  hatten.  Iffland,  der  Zeitlebens  ein  Feind  des  Verses 
blieb''),  hielt  es  für  angebracht,  die  dichterische  Sprache  durch 
Einfügung  eines  „0  Gott"  und  anderer  Interjektionen  zum 
Konversationston  hei-abzuziehen ;  aber  auch  von  der  berühmten 
Friederike  Unzelmann.  die  wenigstens  rhythmisches  Gefühl 
hatte*),  wird  dasselbe  erzählt  wie  von  den  Leipzig-Dresdener 
Schauspielern  Opitz.  Heinecke,  Schirmer  u.  a.,  nämlich  dass 
sie  sich  ihre  Rollen  als  Prosa  habe  ausschreiben  lassen,  w^eil 
ihr  sonst  ein  sinnvoller  Vortrag  unmöglich  schien. 

Schiller  war  genötigt  worden,  aus  diesem  Grunde  Prosa- 
raanuskripte  des  Don  Carlos  an  die  meisten  Bühnen  zu  geben ^); 


')  So  erzählt  z.  B.  Brandes  l)ereits  von  dem  deklamatorischen  Unter- 
richt, den  er  beim  Theaternieister  der  Schönemannschen  Truppe  empfinjr: 
„Jener  unterstrich,  in  den  mir  zugetheilten  Rollen,  die  Hauptwörter,  worauf 
ich  den  Accent  legen  sollte." 

■)  Koberstein,  Grundr.  d.  d.  Nationallitt.     5.  Aufl.  II,  S.  1661. 
')  Ticcks  Schriften  1828  I,  S.  XVIII  f. 
A.  W.  Schlegel,  Werke  VII,  68. 
Klingemann,  Kunst  u.  Natur  I,  385. 
Devrient  III,  294. 
*)  Schiller  an   Körner  23.  Sept.  1801.     Jonas  VI,  301. 
Wähle,  Sehr.  d.  Goetheges.  VI,  128. 
Genast  I,  89  f.  139. 
*)  An  Göschen    9.    Okt.    86.      An    Schröder  18.  Dez.  86.      Jonas  T, 
310.  321.     Vgl.  auch  .Anhang    2.     Die  I'rosabearheituiig    Schillers    scheint 
noch  1810  in  Frankfurt  a.  M.  gegeben  worden  zu  sein  (Gar.  v.  Wolzogens 


—    42;J    — 

auch  den  Wallenstcin  hatte  er  in  Prosa  beironncn.  und  er 
war  bereit,  für  das  Stuttgarter  Theater  die  beiden  grossen 
Stücke  der  Trilogie  wieder  prosaisch  umzustilisieren '  l. 
Indessen  zwang  der  Wunscli  des  Publikums  den  doi'tigen 
Theaterleiter,  darauf  zu  verzichten.  Naclideni  dann  Schiller 
im  September  1801  bei  der  Leipziger  Aufführung  der 
„Jungfrau  von  Orleans"  seine  Verse  hatte  misshandeln  hören 
und  nachdem  er  auch  an  Mad.  Unzelmanns  \\'eimarer 
Gastspiel  denselben  HauL''  zur  natüi-lichen  Vortragsweise  und 
zum  Konversationston  beobachtet  hatte,  wurde  er  nochmals 
vorübergehend  irre  und  schrieb  missmutig  an  Körner):  ..Alles 
zieht  zur  Prosa  hinab,  und  ich  habe  mir  witklicli  im  Krn.st 
die  Frage  aufgeworfen:  ob  ich  bei  meinem  gegenwärtigen 
Stücke  [Turandot  oder  VVarbeck],  sowie  bei  allen,  die  auf 
dem  Theater  wirken  .sollen,  nicht  lieber  gleich  in  Prosa 
schreiben  soll,  da  die  Declamation  doch  alles  thut.  um  den 
Bau  der  Verse  zu  zerstören,    und    das    Publicum    nur  an  die 


Lit.  Nachlass  11,  3J2);  in  Leipzig  wurde  sie  noch  1807  gespielt,  nachdem 
kurz  vorher  die  WeiiDarer  die  Versbcarbeitung  gegeben  hatten  (vgl.  S.  302). 
Der  Berichterstatter  [D.  .loh.  Schulze],  der  im  Morgenblatt  1807  (No.  249, 
250)  beide  Aurt'ührungen  verglich,  hatte  keine  Ahnung,  wer  der  Urheber 
der  prosaischen  Verstümmelung  sei,  als  er  schrieb:  „Wie  auch  der  Ver- 
fasser dieser  Bearbeitung  heisscn  mag,  dem  Khrenmaniie  gebührt  der  Ruhm, 
dass  er  keine  Mühe  gespart,  um  dem  Don  Karlos  möglichst  allen  Werth 
zu  rauben.  Die  .lan)l)en  sind  natürlich  in  Prosa  verwandelt;  kein  kleines 
Glück  für  die  Sccondaische  Gesellschaft,  die  von  Versen  und  gebundener 
Rede  einmal  nichts  hören  mag.  .  .  .  Alle  AVorte  des  Dominicaners  werden 
hier  dem  Minister  Don  Antonio  Ferez  [vgl.  S.  49]  in  den  Mund  gelegt. 
—  Wie  dies  möglich  ist,  wie  Perez  die  Worte  des  Mönchs  sprechen  kann, 
und  dennoch  Perez  seyn,  und  in  dessen  Geiste  handeln,  dies  sind  Fragen, 
deren  Auflösung  Du  von  mir  nicht  erwarten  darfst.  —  Du  wirst  mit  mir 
eine  Gesellschaft  bedauern,  die  Deutschlands  klassische  Stücke  auf  diese 
unverzeihliche  Weise  verstümmelt.  — " 

')  An  Cotta  18.  Okt.  98.  Jonis  V,  45.  llaselmeier  an  Schiller 
8.  Dez.  98.  ürlichs  S.  3U8.  Andere  Dramatiker  taten  dies  wirklich; 
wenigstens  behauptete  Babo.  ..er  schreibe  alle  seine  Stücke  in  Versen,  und 
nur  um  der  grössern  Deutlichkeit  und  Simplizität  willen  wähle  er  bei  der 
Abschrift  die  prosaische  Form  und  Einkleidung."  (Annalen  d.  Theaters 
1790.     Heft  r>.  S.   102.) 

')  .').  Okt.  und  K).  Nov.  18U1.     .lonas  VI,  30-3.  31f>, 


—     424      — 

liebe  bequeme  Natur  g-eAvöhnt  ist.  Wenn  ich  anders  die- 
selbe Liebe,  welche  ich  für  meine  Arbeit  noth wendig 
haben  muss,  mit  einer  Ausführung:  in  Prosa  vereinigen 
kann,  so  Averde  ich  mich  avoIiI  noch  dazu  entschliessen." 
Allein  die  notwendige  Liebe  des  Künstlers,  die  poetische 
Innigkeit  behielt  den  Sieg  über  die  praktischen  Rücksichten, 
und  bald  darauf  konnte  Schiller  den  Freund  beruhigen:  ..Sorge 
nicht,  dass  ich  den  Jamben  entsagen  werde." 

Wenn  wir  die  Geschichte  des  Dramas  als  die  Resultate 
zweier  zusammenwirkender  Mächte,  der  Poesie  und  des  Theaters, 
betrachten,  so  kommen  wir  hier  an  einen  Entwicklungspunkt, 
wo  das  Poetische  über  das  Schauspielerische  den  Sieg  gewann. 
Der  Bühnentradition,  den  Fähigkeiten  der  Schauspieler,  den 
Stimmen  angesehener  Theoretiker,  z.  B.  J.  J.  Engels,  zum  Trotz 
setzte  sich  der  Vei's  durch,  emporgetragen  von  einer  neuen 
Zeitströmung,  die  die  i'hythmische  Sprache  als  die  organische 
Form  des  Poetischen  proklamierte. 

Die  Romantik,  die  als  die  notwendige  Reaktion  gegen 
die  Plattheit  des  bürgerlichen  Dramas  auftrat,  konnte  die 
poetischen  Forderungen  um  so  konsequenter  verfechten,  als 
sie  von  den  praktischen  Rücksichten  auf  das  Tlieater  zunächst 
ganz  absah.  Und  so  konnte  A.  W,  Schlegel  in  seinen  Horen- 
beiträgen,  die  unter  Schillers  Eintiuss  stehen^),  weiter  gchn 
als  Schiller  selbst,  der  gewisse  theatralische  Vorzüge  der  Prosa 
immerhin  anzuerkennen  wusste^). 

Andererseits  aber  hätte  die  romantische  Schule  nicht 
genug  Einfluss  auf  die    lebende  Bühne  gehabt,    um  liier  ihre 


*)  Hayni,  Die  romantische  Schule,  S.  15-i  f.  Küster  S.  97  f.  Wähle, 
Sehr.  (l.  Goetheges.  VI,  S.  134  f.  In  Schlegels  „Briefen  über  Poesie, 
Sylbenniass  und  Sprache"  (Hören  1795,  eilftes  Stück;  1796,  erstes  und 
zweites  Stück)  hiess  es:  „wenn  der  dramatische  Dichter  diesen  Schmuck 
verwirft  oder  vernachlä-ssigt,  so  muss  er  zugleich  alle  Ansprüche  auf 
eigentlich  dichterische  Schönheiten  des  Dialogs  aufgeben."  In  dem  Auf- 
satz „Etwas  über  William  Shakespeare  bey  Gelegenheit  Wilhelm  Meisters" 
(Heren  1790,  viertes  Stück  S.  91  ff.)  bekämpft  er  Engel  und  seine  Partei, 
die  die  Prosa  aus  Gründen  der  Natürlichkeit  forderten. 

■-)  An  Kürner  1(5.  Nov.  18U1.     Jonas  VI,  315. 


—     425     — 

Sache  durchzusetzen:  die  Bahnbrochor  waren  Goethe  und 
Scliillei'.  Und  zwar  Goethe  hauptsächlich  als  l'heatei'leitcr, 
denn  es  Avaren  nicht  Iphiirenie  und  Tasso.  sondci'n  Schillers 
irrosse  dramatische  Dichtuno-en  vom  Wallcnstrin  ab.  dui'ch  die 
die  Bühne  für  das  Versdrama  erobert  wurde;  abei'  Schiller 
selbst  hätte  diesen  Kam))!"  schwerlich  durchiret'ührt  ohne  den 
starken  Rückhalt,  den  ihm  die  Weimarer  Bühne  bot. 

Beide  Dichter  ylniren  planmässitr  zu  Werke,  indem  sie 
die  allmähliche  ErziehuuL''  der  Schauspieler  und  (\os  Publikums 
als  die  nächstlie,i.'ende  Aufirabe  erf'assteu.  ..]Maii  muss  das 
Publikum  an  alles  s'ewöhnen,"  schrieb  Schiller  an  Goethe,  als 
er  die  metrischen  Manniirfaltiirkeiten  der  ..Mai'ia  Stuart"  an- 
kündiij^te*),  und  Goethe  wiederum  beffrüsstc  Fr.  Schletrels 
Alarcos,  weil  er  dem  Schauspieler  Gelegenheit  gebe,  sich  in 
den  ..äusserst  obligaten  Silbenmassen"  zu  üben-).  Der  Ein- 
fluss  auf  das  Publikum  war  leicht  gewonnen:  es  gewöhnte 
sich  so  rasch  an  die  neue  Form,  dass  berechnende  Dramatiker, 
um  nicht  aus  dei-  Mode  zu  kouuneu.  zum  Vers  überzugehen 
genötigt  waren.  Kotzebuf.  dem  Feinde  der  Romantik,  genügte 
schliesslich  nicht  einmal  der  jambische  Vers;  er  Hess  sich  von 
der  romantischen  Mode,  das  Drama  zu  einem  Blumenbeet  der 
verschiedensten  N'ersailen  zu  macheu.  so  weit  anstecken,  dass 
er  z.  B.  seiner  Octavia  geschmackloser  Weise  einen  hexa- 
metrischen Monolog  in  den  Mund  legte. 

Auch  bei  Scliiller  kommen  die  fremden  Metreu  nicht 
immer  der  dramatischen  Wiikung  zu  Gute;  die  Daktylen  in 
der  .,Mai-ia  Stuart"  (111.  1)  ents})re(dien  zwar  glücklich  der 
lyrischen  Situation,  ebenso  die  Trochäen,  in  denen  die  .Juiil'- 
frau  (LV,  1 )  Kassandrattiue  anschlägt:  auch  die  Trimeter  ])assen 
sich  bei  Don  Cesars  Totenopfer  (Braut  2587  tf.)  dem  feieiiichen 
Moment  wohl  an  —  in  dei-  Montgoraeryszene  dagegen  ei'scheinen 
sie  als  poetische  Verschwendung,  denn  das  Prachtgewand  ent- 
spi-icht  keineswegs  der  dramatischen  Bedeutung  dieser  p]pisode, 
sondei'u    verstärkt    eher    ihren    antik-epischen  Chai'akter.     Im 

')  Goethe,  Weimarisches  Hoftheater  W.  A.  Hd.  4o,  S.  75. 

An  Goethe  3.  Sept.  1799.     .Jonas  VI,  84. 
-;  Goethe  an  Schiller  9.  Mai  18U2.     W.  A.  IV.     Bd.  IG,  S.  83. 


—     426     — 

„Teil"  kehrte  Schiller  wieder  (liirchirehend  zum  Blankvers 
zurück,  (lern  er  durch  freie  Eehandlunir  eine  Manniiifaltiirkeit 
ahirewonnen  hat,  die  ihn  zur  prosaischen  Prägnanz  und  zum 
poetischen  Schwunf;'  srleich  ausdrucksfähiir  macht  und  den 
Dichter  sogar  in  Stand  setzt,  innerhalb  der  Stileinheit  die 
Sprechweise  einzelner  Personen  leise  zu  individualisieren'). 

Tonstärke.  Der  Vers  trägt  die  Gesetze  seines  Vor- 
trags in  sich;  im  geregelten  Wechsel  zwischen  Hebungen  und 
Senkungen  setzt  ei-  Accente  fest,  die  in  der  Prosa  erst  durch 
Unterstreichung  bestimmt  werden.  Während  somit  das  Heraus- 
heben besonderer  Silben  im  Vers  zur  Notwendigkeit  wird, 
operiert  die  leidenschaftlose  Pi'osa  des  Konversationsstückes 
überhaupt  weniger  mit  der  Tonstärke  als  mit  Tonhöhe  und 
Tempo. 

Ich  wähle,  um  dies  zu  veranschaulichen,  dasselbe  Beispiel, 
dessen  sich  einst  Fr.  L.  Schröder  bediente;  er  sprach  zu 
]3öttiger  über  die  Betonung  des  kurzen  Satzes:  Das  kann 
nicht  sein!  ..Hier  wird  der  gewöhnliche  Schauspieler  gewiss 
so  accentuiren :  das  kann  nicht  sein!  Aber  das  ist  grund- 
falsch und  blosse  Manier.  Man  höre  wie  jeder  Vernünftige 
es  im  gemeinen  Leben  ausspricht.  Kv  logt  auf  keines  dei- 
vier  Worte  einen  entschiedenen  Acceiit.  Aber  er  spricht  es 
kürzer  oder  langsamer,  lauter  oder  leiser,  nach  der  jedes- 
maligen Stimmung  seiner  Seele,  und  nach  den  augenblickliciien 
Einwirkungen  der  ihn  umgebenden  Menschen,  aus.  Nur  dies 
letztere  wahi-  auszudrücken,  ist  das  Geschäft  des  Schauspielers, 
der  seine  Kunst  versteiit-j. 

Sobald  nun  dieser  einfache  Satz  sich  dem  V'ersrhythmus 
cinoi'dnet.  fällt  auf  zwei  von  den  bisher  gleichwertigen  Silben 
der  stäi'kere  Ton;  ilauiit  wird  zugleich  ein  intensiverer  Ge- 
fühlsnachdnick  bedingt  und  der  Konvei'sationston  des  Vorti'ags 
aufgehoben.  Diese)-  selbe  Satz,  dor  in  der  Prosa  nicht  genug 
Gewiclit  hätte,    kann  im    Iiliythmus    der    Träger    des    leiden- 

'l  Minor,  Neuhochdeutsche  Metrik.     'J.   Aul).     S.  248. 
■-')  Böttinfer,  Fr.  L.  Schröder  in  Ilaniliuri,'-  im  Snnmier  17!)').     Fleischers 
Minerva  1818,  S,  287, 


—     427     — 

scbaftlif'hston  Ausdrucks  werden ;  damit  finden  Avir  die  Be- 
obaclitunir  erklärt,  die  Schiller  machte,  als  er  die  iirspi-ünir- 
liche  Prosa  seines  „Wallenstein''  in  eine  poetisch-rhythmische 
Sprache  verwandelte:  es  fiel  ihm  auf.  dass  in  der  Versfoiin 
crerade  den  poetisch  bedeutenden  »Stellen  ..eine  nuii^re  Dar- 
stelluns,^  und  eine  bis  zum  Gemeinen  irehendc  Einfalt  des 
Ausdrucks  recht  wohl  anstehen"').  Und  zufällii^-  tiiiden  wir 
(rerade  in  den  Piccolomini  denselben  von  Schi'öder  heranire- 
zogenen  fSatz  an  einer  leidenschaftlichen  Stelle  eintreten: 
2430:  Es  kann  nicht  seynl  kann  nicht  seyn!  kann  nicht  seyn! 

Dass  dieselben  Worte  mehrmals  auf  einander  folgen.  entsi)richt 
dem  dramatischen  Stil  Lessinirs"):  dass  indessen  ihre  P>etonunir 
wechselt,  ist  Schillers  Ei;:enart^).  Dieser  merkwürdige  IJrauch 
macht  die  Speirunir  auch  im  Vers  notwendisr;  bei  der  zweiten 
Ifebuni:  konnte  sie  unterbleiben,  da  auch  der  versniiLieiibte 
Schauspieler  das  ..sevn"'  betont  hätte:  der  Accentwcchsel  in 
der  AMederholunir  dag-epen  hätte  ohne  besonderen  Finirerzeiir 
dui'ch  einen  rhythmischen  P.arbaren  veikannt  werden  k()nnen. 
Nun  bezeichnen  diese  Sperrungen  nicht  mir  die  PetonunL»" 
einzelnei'  Silben,  sondern  sie  schreiben  dem  iranzen  Vers  ein 
crescendo  vor.  In  dm  iresteigertcn  Wiedei-holuni^en  der 
Lessinsjschen  S])i'ache  \\c<A  ein  Vor\värtsdräni:en.  ein  An- 
schwellen der  Tonhöhe  wie  der  Tonstärke;  das  beobachten  wir 
auch  am  Vei-s  des  1)(mi  Carlos,  der  am  meisten  unter  Lcssings 
EinHuss  steht: 

1-29  f.:  Ist  es  möglich? 

Ists  wahr?  Js;ts  wirklich?  bist  dus?  —  0  ilu  bistsl 
186:  Ist  keine  Stelle  —  keine  —  keine,  wo 
Thalia  811  f.:  und  jezt 

jezt  —  jezt  —  errüthe  für  dich  selbst  Natur. 

Auf  keinen  Fall  bleiben  die  mehi'fach  wiederholten  Wörter 
in  der  g-leichen    Tonhöhe    und    Tonstärke;    wohl   aber  Hessen 


')  An  Goethe  24.  Xov.  1797.     .Jonas  V,  S.  289  f. 
'^)  Zarncke.  Üb.  d.  fünffüss.  Jambus  bei  Lessing,  Schiller  u.  Goethe. 
Kleine  Schriften  I.  368. 

•')  Vgl.  dagegen  Nathan  3794.  wo  der  Ton  zweimal  auf  ..sein"  lileilit: 
Ihr  Bruder!  —   Kann  nicht  sein!  nicht  sein!  Sein  Herz. 


—     428     — 

sie- sich  aiif]i  im  diniiniiondo  abstufen^),  und  darauf  scheint 
es  hinzuweisen,  wenn  im  letzten  Beisjiiel  nur  das  eine  ...jetzt'' 
iresperrt  ist  und  nicht  die  folgenden.  Aber  dieses  Herab- 
sinken Aväre  doch  nur  am  Ausgang'  einer  Pei'iode  wirkungs- 
voll; hiei-  dagegen  ist  die  (Steigerung  unerlässlich-j.  Schiller 
wendet  —  das  erkläi't  diesen  Fall  —  die  Sperrung  nicht 
konsequent  an;  bei  zwei  Gegensätzen  z.  J>.  wird  oft  nur  das 
erste  A\'ort  unterstrichen  unter  der  Voraussetzung,  dass  damit 
der  Sinn  hinreichend  unterstützt  ist  und  der  Voi'ti-agende  das 
zweite  von  selbst  heraushebt.  In  den  Jugenddramen  bedeutet 
die  Sperrung  überhaupt  noch  keine  klare  Vorschrift  für  Ver- 
stärkung des  Tones.  Wenn  z.  Jj.  in  Franzens  Monolog  in 
den  „Räubern"'  (11,1)  die  Wörter  Zorn,  Sorge,  Gram. 
Furcht,  Schrek  u.  s.  w.  untei'strichen  sind,  so  ist  das 
die  Art,  wie  in  einer  wissenschaftlichen  Abhandlung  die 
logische  Ik'grift'sgliederung  dem  Auge  des  Lesers  ei'leichtert 
wird,  aber  keinem  Vortragenden  dürfte  es  einfallen,  jedes 
dieser  Wörter  herauszuschreien.  Aus  demselben  Grunde, 
nämlich  um  dem  Leser  einen  klaren  Überblick  zu  ermöglichen, 
bleibt  die  Sperrung  üblich  bei  Eigennamen,  namentlich  wo  sie 
zum  ersten  Male  aufti'eten.  Lnmerhin  ist  hier  eine  Beziehung 
zum  Vortrag  vorhanden,  denn  der  Schauspieler  wird  dadurch 
aufgefordert,  diese  Wörter  besonders  deutlich  zu  artikuliei"en. 
Und    so   steht    dieser    Brauch    in  Übereinstimmung  mit  einer 


')  Seckeiiilorf  (NOrles.  üb.  Uekl.  u.  Mimik    I,  271)    erwähnt    hierfür 
Leicestcrs  Monolog  (M.  St.  V,  10.  v.  ;3861  li".): 

Uni.sonst!  Un)son.stI  Mich  fasst  der  Hölle  Grauen, 
Ich  kann,  ich  kann  das  Schreckliche  nicht  schauen, 
Kann  sie  nicht  sterben  sehen  — 
Seckendorf  spricht  hier  von    Accenten   der  Schwäche;    „das    wieder- 
holte   Wort    ist    jedesmal    der    schwächere    Ton    und  gewinnt    dadurch  an 
Ausdruck." 

'■)  Das  crescendo  der  Wiederholung    wird  in    der    Prosa  direkt  ange- 
wiesen z.  B.  Kab.  V,  1 : 

Wie  dann?  (iiachilrüeklicher,  lauter)  Wie  dann.  Unglück- 
selige? 


—     429     — 

von  Goethes  Schauspick'i-i'e^olir'i:  ..Auf  die  KiLiciinainen  inuss 
im  Allg"emeinen  ein  stärkerer  Ausdiuck  in  der  Au.sspraclie 
geleg't  werden  als  trewöhnlidi.  weil  j^o  ein  Name  dem  Zuhörer 
besonders  auffallen  soll.  Denn  sehr  oft  ist  es  der  Fall,  dass 
von  einer  Person  sehon  im  ersten  Acte  gesprochen  wird, 
welche  erst  im  dritten  und  oft  noch  später  vorkommt.  Das 
Publicum  soll  nun  darauf  aufmerksam  L-'cmacht  werden,  und 
wie  kann  das  andei's  iieschehen  als  durch  deutliciie  energische 
Aussprache?" 

Es    ist  bereits  oben   ein    Ucispiel    gegeben    für  Schillers 
Vorliebe,  bei  der  gesteigei'ten  A\'iedei-holung  derselben  Worte 
oder  beim  Tarallelismus  mit  der  IJetonun*:-  zu  wechsehi.    Dafür 
seien  noch  zwei  Stellen  aus  dem  Don  Carlos  angeführt: 
1987:  Nur  da  —  goiatle  da  mir.  wo  es  uns 
.'>14."3:  Sie  haben  Recht.     Sie  müssen.     Dass  Sie  können 

l)eide  Male  fällt  die  erste  Spei'rung  auf.  weil  sie  dem  Vers- 
rhythmus   wi(lers])ii('lit.       In    den    ci-stcn   Küssen    sind    solche 


')  W.  A.  I.  Bd.  40.     S.  14.}.   l.öfif.     i§  13,  §  •27f.l 

Bei  den  freniden  Ki<rennamen  ist  die  IJetonun"-.  die  durch  den  Vers 
festgelegt  wird,  von  Wichtiglcoit :  so  tindet  sich  z.  B.  im  Don  Carlos  ur- 
sprünglich die  falsche  Aussi)rache:  .. Hödrigö" :  in  den  Phönizierinnen: 
„Poljnices";  beides  wurde  in  späteren  Ausgaben  korrigiert.  („Rödrigö'' 
auch  bei  Kleist  in  der  Familie  Ghonorez.  doch  kaum  aus  Unkenntnis,  da 
Klei.st  sich  überhaupt  die  grös.ste  Freiheit  in  der  Betonung  von  Eigennamen 
gestattet.     Minde-Pouet  Kleist  Stil  S.  Gl.) 

Bei  französischen  Namen  .setzte  Schiller  die  Kenntnis  der  Aussprache 
voraus;  dass  er  Dünois  und  Du  Chatel  schreibt,  bezweckt  keine  Belehrung  des 
Schauspielers,  denn  .schwierigere  Namen  sind  in  ihrer  französischen  Ortho- 
graphie belassen,  und  das  stumme  e  ist  z.  B.  ausgeschrieben,  auch  wo  es 
nicht  als  metrische  Silbe  gilt,  wie  bei  den  Namen  Claude  Marie.  La 
Hire  u.  s.  w. 

Anders  verhalt  sich  Schiller  liei  englischen  Namen;  so  schreibt  er 
z.  B.  auf  dem  I'ersonenverzeichnis  und  in  den  szenarLschen  Bemerkungen 
der  „Maria  Stuart":  „Leicester";  im  Vers  dagegen  „Lester'".  In  der 
„Jungfrau  von  Orleans"  heisst  es  „Sal-sburj-",  und  im  Stuttgarter  Manu- 
skript des  Macbeth  lesen  wir  statt  Fife  und  Fleance  innerhalb  des  Verses 
„Feif"*  und  „Flinz".  Hier  beweist  der  Unterschied  des  Bühnenmanuskriptes 
vom  Druck  deutlich,  dass  Schiller  mit  der  phonetischen  Schreibung  vor 
allem  dem  Schauspieler  die  Aussprache  erleichtern  wollte. 


—     480     — 

Freiheiten'),  die  viel  zur  nianniirtaiti.t'-en  Ausdrucksfäliiirkeit 
des  dramatischen  Verses  beitrafren,  eher  zulässig  als  in  dei- 
Mitte,  wo  der  Rhythmus  erst  vollständig-  zur  Herrschaft  ge- 
langt; infolgedessen  kommt  die  v. ersetzte  Betonung  gerade  im 
ersten  Fusse  am  häutigsten  vor.  Aber  auch  im  letzten  Fuss 
ist  sie  wiederum  nicht  selten,  doch  hat  Schiller  dort  solche 
gegen  den  Rhythmus  ankämpfende  Sperrungen  manchmal  nach- 
träglich beseitigt: 

z.  B.  Carlos  345  f.  (Thalia  650  f.) 

Marquis.  Mir  ahndet 

ein  schreckenvoller  Aug-enblick. 
Carlos.  Mir  selbst. 

2731  ff.  (Thalia  3932  f.) 

Das  Volk  kann  irren  —  irrt  gewiss.     W  a  s  es 
behauptet,  darf  den  König  nicht  erschüttern. 

Wenn  wir  die  Sperrungen  in  den  Versdramen  mustern, 
fällt  uns  auf,  dass  sie  ausser  den  Eigennamen  hauptsächlich 
Pronomina  beti'effen,  und  dass  sie  in  ihrer  meist  hinweisenden, 
verdeutlichenden  Funktion  dem  Gefühlsausdruck  weniger  dienen 
als  der  verstandesmässigen  Klarheit.  Das  ist  überhaupt  eine 
Aufgabe  der  Tonstärke,  und  Einsiedel')  unterschied  desiialb 
ganz  richtig  den  Ton  als  das  Organ  des  Gefühls,  den  Laut 
als  das  Organ  des  Verstandes.  Wir  werden  dabei  an  die 
malenden  Gesten  erinnert,  deren  Aufgabe  es  gleichfalls  war, 
bestimmte  Worte  zu  accentuieren  und  durch  verstandesmässigen 
Nachdruck  namentlich  die  Pionomina  zu  bestimmen. 

Der  Zusammenhang  ist  nicht  bloss  äusserlich.  Es  gibt 
in  der  Tat  eine  Art  malende  Deklamation,  deren  Mittel  vor 
allem  der  Wechsel  der  Tonstärke  ist;  ebenso  wie  die  malen- 
den Gesten  wurde  sie  im  achtzehnten  Jahrhundert  häufiger 
verwendet,  als  unsei-em  Geschmack   entspricht.     Z.  B.  wurde 

')  Minor,  Neuhoch.l.  Metrik.     2.  Aufl.     S.  248. 
Zarncke,  Kl.  Schriften  I,  378  f. 
Belling,  Die  Metrik  Schillers  S.  177. 
Küster  S.  96  f. 

'')  Grundlagen  zu  e.  Theorie  d.  Schauspielk.  S.  54. 


—     431     — 

es  (1cm  berülimtcn  FlcckM  vorircworfcn.  er  liahc  als  riouvcriicur 
in  Kotzebues  „Graf  Benjowsky"  die  Worte  „Jeder  Doniiei- 
brülle  dir  den  Fluch  deines  Vaters  zu"  mit  wahrhaft  donnern- 
dei-  Stimme,  und  dann  „Jedes  .Säuseln  des  Windes  lasse  dii- 
den  letzten  Seufzei-  deines  sterbenden  Vaters  hören'"  leise 
und  flüsternd  g-esprochen.  Als  im  neunzehnten  .lahrhundei't 
diese  tonspiclerische  Ai't  des  VortraL'"cs  wieder  aufkam,  wurde 
sie  als  eine  schädliche  Nachwirkung-  der  Weimarer  Schule 
aufifefasst'j ;  aber  es  war  wiederum  ungerecht,  Goethe  dafür 
vei'antwortlich  zu  machen.  Im  „Wilhelm  Meister"  ist  eben 
diese  Unart  —  eine  Wortdeklamation,  die  auf  einzelnen 
Stollen  lastete  und  die  Empfindung  des  (ianzen  nicht  aus- 
drückte^) —  an  Mad.  Melina  getadelt,  und  Goethes  Geschmack 
hatte  sich  seitdem  scliwcrlich  so  vollkommen  vei'ändert.  Freilich 
darf  dieses  Frteil  im  Komaii  auch  nicht  einseitig-  intei-pretiei-t 
werden,  und  keincsweg-s  gilt  die  Folgerung-,  dass  Goethe  die 
Wortdcklamation  übei'haupt  völlig-  verworfen  und  ihr  niclit 
stellenweise  eine  berechtigte  Wirkung«-  eingeräumt  habe.  Um 
uns  hierüber  klai-  zu  werden,  müssen  wir  kurz  auf  den  CJntcr- 
schied  eing-ehen,  den  (ioethe  zwischen  zwei  Hauptarten  des 
Vortrages  macht  ^). 

Die  Rezitation  ist  der  objektive  Voitrag  ohne  leiden- 
schaftliche Selbstentäusserung-;  es  ist  die  anschauliche  Sprech- 
weise, die  der  Schauspieler  bei  ei-zählcnden  und  beschi-eiben- 
den  Partien  wählen  Avii-d:  „ei-  legt  auf  das  Schauerliche  den 
schauerlichen,  auf  das  Zärtliche  den  zäi'tlichen,  auf  das  Feier- 
liche den  feierlichen  Ton.  al)er  dieses  sind  bloss  Folgen  und 
Wii-kungen  des  Kiiidrucks,  welchen  der  Gegenstand  '  auf  den 
Recitierenden  macht:  er  ändert  dadurch  seinen  eigentümlichen 


')  Devrieut  III,  68.  Dass  <,'eraile  Fleck,  den  noch  Tieck  als  Meister 
des  natürlichen  Vortras-s  rühmt,  sich  zu. -lieser  Manier  verirrte,  klingt  freilich  un- 
wahrschoinlich.  Für  uns  kommt  es  hier  nicht  auf  die  Charakteristik  Flecks 
an,  sondern  auf  das  Beispiel  einer  damals  allgemein  verbreiteten  Unart. 

-')  JJevrient  IV,  Kiö. 

=*)  Lehrjahre  I,  5.     VV.  A.  1,  Bd.  '21.  S.  1()!>. 

*)  Palleske,  Die  Kunst  des  Vortrags.  2.  Aufl.  S.  107  f.  W.  A.  I, 
Bd.  40.  S.  144  tf. 


—     432     — 

Charakter  nicht,  er  verläuiiiiet  sein  Naturell,  seine  Individualität 
dadurch  nicht,  und  ist  mit  einem  Fortepiano  zu  vergleichen, 
auf  welchem  ich  in  seinem  natürlichen,  durch  die  Bauart  er- 
haltenen Tone  spiele."  Die  Deklamation  dagegen,  die  ge- 
steigerte Rezitation,  wird  vom  Gefühl  getragen;  der  Vor- 
tragende hat  seinen  angebornen  Charakter  zu  vei-lassen  und 
sich  der  leidenschaftlichen  Empfindung  dci-  Rolle  hinzugeben: 
„Hier  bedient  sich  der  Spieler  auf  dem  Fortepiano  der 
Dämpfung  und  aller  Mutationen,  die  das  Instrument  besitzt." 

Dies  ist  in  der  Tat  ein  ähnlicher  Unterschied  wie  zwischen 
malenden  und  ausdrückenden  Gebärden  \);  Schiller  hätte 
vielleicht  auch  beim  Vortrag  eine  willkürliche  und  eine 
sympathetische  Art  getrennt.  Bei  der  Rezitation  herrscht  Avie 
bei  den  willkürlichen  Bewegungen  die  bewusste  Zweckmässig- 
keit; es  kommt  auf  die  verstandesmässige  Verdeutlichung  des 
Sinnes^)  und  die  Belebung  der  Anschauung  an ;  die  Deklamation 
dagegen  hat  ebenso  wie  die  sympathetischen  Gebärden  ihren 
unmittelbaren  Ursprung  in  der  Empfindung.  Bei  der  Rezitation 
lässt  deshalb  Goethe  die  erwähnte  Art  der  Tonmalerei  zu  und 
macht  nur  die  eine  Bedingung,  dass  niemals  ein  einzelnes 
Wort  wie  abgeschnitten  aus  dem  ruhigen  Voi'trag  herausge- 
rissen Averde,  sondern  dass  man  den  Ton  bereits  vorher  an- 
schwellen und  erst  allmähhch  fallen  lasse. 

Schillers  Stellung  zu  diesen  Grundsätzen  ist  schwer  zu 
bestimmen.  Was  wir  von  seiner  eigenen  Vortragsweise  er- 
fahren, zeigt  nur,  dass  ei-  zu  seinem  Schaden  allzuschnell 
aus  dci"  ruhigen  Rezitation  in  die  stürmisch  hingerissene 
Deklamation  vci-fiel.  Aber  später  hat  ihn  die  eigene  Vortrags- 
kunst sicherlich  nicht  mehr  in  dem  Masse  befriedigt  wie  einst  in 
Mannheim^);  und  wir  sind  nicht  berechtigt,  den  Mangel  an 
künstlerischei-  Sparsamkeit  als  ein  bewusstes  Prinzip  aufzufassen. 

Noch  weniger  ist  aus  den  Bühnenanweisungen  zu  er- 
schliessen.   Waren  schon  die  malenden  Gesten  kaum  in  direkten 


1)  Vgl.  S.  3G6f. 

-)  So  fand  z.  B.  Goethe  bei  einem  Stücke  wie  „Nathan  der  Weise'', 
wo  der  Verstand  fast  allein  spreche,  „eine  klare  auseinandersetzende  Rocitation 
die  vorzüglichste  Ul)liegenhcit."     (VV.  A.  I,  IM.  40,  S.  76.) 

s^  Streicher  S.  94. 


Vorscliriften  zu  l)estimmen,  so  <iilt  dies  erst  recht  von  der 
malenden  Deklamation;  sie  muss  ganz  dem  Geschmack  und 
den  Mitteln  dos  Schauspielers  überlassen  bleiben. 

Die  wenigen  direkten  Angaben  über  Tonstäi'ke  betreifen 
die  leidenschaftlich  g-esteigerte  Deklamation;  abzusehen  ist 
dabei  von  der  Vorschrift  „leise",  wenn  sie  heimlich  beiseite  ge- 
sprochene Worte  bezeichnet,  die  das  Publikum'),  aber  nicht  die 
viel  näher  stehenden  Mitspieler  hören  sollen.  Diese  Freiheit 
einer  heute  veralteten  Ijühnentcchnik  ist  kein  Ausdrucksmittel 
der  natürlichen  Rede.  Dagegen  gibt  es  ein  Leisesprechen,  in 
dem  jlie  Schwäche  und  Erschöpfung  zu  Tage  tritt;  diese 
Mattigkeit  erreicht  den  äussersten  Grad,  wenn  die  Stimme 
überhaupt  versagt,  wenn  der  Ansatz  zur  Rede  gemacht  wird, 
ohne  dass  es  gelingt,  ein  deutliches  Wort  hervorzubringen: 

Picc.  2313  b:  versucht  zu  antworten,   stockt  aber    und    schlägt   den 
Blick  verlegen  zu  Boden. 
W.  'l\  llGl  b:  Sein  Geniüth  arbeitet  heftig,  er  versucht  zu  reden  und 
vermag  es  nicht. 

Auch  mitten  in  der  Rede  kann  das  Versagen  der  Stimme  ein- 
tieteii;  di(^  Energie  des  Redenden  kämpft  dagegen  an,  und  es 
entstellt  nun  das  Schwanken  und  Reben  der  Stinune,  der  ge- 
brochene Ton.  das  Stottern,  das  Lallen,  das  Schluchzen,  z.  B. 
Raub.  V.  1  (S.  176,  9):  eure  Stimme  ist  bang  und  lallet 
Fiesko  1,10  (S.  33,19):  mit  hohlem  gebrochnem  Ton 
Kall.  IT.  8  (S.  397, 14):  mit    einer    Beängstigung,    dass    ihr    die   Worte 
versagen. 
II,  5  (S. 411, 17):  mit  stillem  bebenden  Ton 
III,  6  (S.  446,  24:  mit  erschöpfter  hinsterbender  Stimme. 

Das  Entscheidende  ist  hierbei  nicht  die  Schwäche,  sondern 
die  schwankende  Unsicherheit  der  Stimme ;  im  Gegensatz 
dazu  gibt  es  auch  eine  stille  Entschlossenheit,  die  ohne  jeden 
Stimmaufwand,    aber  mit    frleichmässiü"er  Festigkeit  ihre  Ent- 


V)  Es  gibt  aber  auch  ein  leises  Scheingespräch,  das  selbst  vom  Publikum 
nicht  gehört  wird,  z.  B.  Carlos  4110.     M.  St.  1507  b.     Jgfr.  723. 

Im  Manuskript  der  „Piccolomini"  kam  es  sogar  zu  einem  scheinbaren 
Scheingespräch,  indem  Octavio  zu  Maradas  (IV,  6)  sagte: 
Erzeigt  mir  den  Gefallen,  sprecht  mit  mir  — 
Wovon  Ihr  wollt  —  thut  nur  als  ob  Ihr  sprächt  — 

Palapstra  XXXn.  28 


—     434     — 

scheidungfen  kundgibt.  Seckendorf^)  bemerkt  hierzu:  „Jeder 
verneinende  Zustand  erzeugt  das  Kreszendo,  jeder  bejahende 
das  Dekreszendo."  In  diesem  bejahenden  Zustand  der  Ent- 
schlossenheit spricht  Philipp  am  Schluss  des  Don  Carlos  seine 
fürchterliche  Entscheidung  aus: 

König  (kalt  und  still  zum  Grossinquisitor). 

Kardinal,  ich  habe 
Das  Meinig-e  gethan.     Thun  Sie  das  Ihre. 

Im  crescendo  dagegen  äussert  sich  der  gereizte  Wider- 
spruch des  Zornes  und  die  wilde  Wut ;  bei  Schiller  findet 
sich  die  Vorschrift  „lauter"  in  den  späteren  Stücken  haupt- 
sächlich da,  wo  eine  Person  am  Reden  verliindert  werden 
soll  und  sich  deshalb  mit  verstärkter  Stimmgewalt  durch- 
zusetzen sucht,  z.  B.  Carlos  4102.  Wall.  Lag.  615  a.  Picc.  2240  a. 
Teil  1853  a.  In  den  Jugendstücken  ist  dem  Anwachsen  der 
Stimme  mehr  Spielraum  gelassen,  z.  B. 

Fiesko  V,  13:  mit  leiser  schwebender  Stimme,  die  stufenweis  bis  zum 
Toben  steigt 
Kab.  IV,  7:  mit  einer  Heftigkeit,    die    nach  und  nach    bis  beinahe 
zum  Toben  steigt. 

Das  Maximum  der  Stimmstärke  fällt  in  den  Jugendstücken 
mit  dem  Höhepunkt  des  Affektes  zusammen;  zum  Kraftstil 
der  Sturm-  und  Di-angzeit^)  gehörte  ebenso  wie  die  mimische 
Übertreibung  der  masslose  Stimmaufwand.  Im  Ritterdrama, 
wo  dieser  Stil  fortlebte,  wai'  das  Schreien  manchmal  geradezu 
notwendig,  um  durch  das  Waffengeklirr,  die  Ti-ompetensignale, 
das  unaufhörliche  Getöse,  das  die  Bühne  erfüllte,  durchzu- 
dringen^); aber  auch  ohne  diese  Nötigung  setzten  die  I)ai'- 
steller  solche  Voi'schriftcn  bereitwillig  in  die  Tat  um,  weil 
sie  ihi-er  Wirkung  auf  das  Publikum  sicher  waren^).  Die 
Paraderolle  allei-  stimmkräftigen  Heldenspieler  Avai-  deshalb 
Babos  Otto    von  \\'ittelsl)ach ;    er    wird    als    lauter    Sprecher 


0  Vorles.  üb.  Dekl.  u.  Mimik  I,  240. 

^)  E.  Schmidt,  Lenz  u.  Klinger,  S.  95. 

•')  Iffland,  Almanach  f.  1812.  S.  74. 

*)  Lessing,  Hamb.    Drain.     5.   Stück.     Lachm.-Munckor  IX,   S.  205. 


—     435     — 

bereits  bei  einer  ü-leichgültig-en  Gelegenheit  charakterisiert^ 
wie  furchtbar  muss  er  also  loslegen  bei  dem  Ausbruch: 

0  könnt'   ich  nur  die  Stimme  des  Donners  entlehnen,  um  diese 
unerhörte  Beleidigung  über  alle  Länder  zu  brüllen"*). 

Bei  Schiller  ist  Gianettino  Doria  durch  seine  polternde  Art 
charakterisiert;  seiner  ei'sten  Vorschrift  „lermcnd"  entspricht 
auch  sein  Ende:  „fällt  mit  Gebrülle".  Aber  auch  die  zarteste 
weibliche  Figur  desselben  Stückes  nimmt  an  den  Über- 
treibungen') teil: 

V,  ö:  Leonore  (immer  wildphantasierend,  nach  allen  Gegenden 
schreiend.) 

Der  ungehemmten  Entladung  des  Affektes  tritt  in  den 
späteren  Stücken  der  innei'e  Widerstand  entgegen ;  das  unter- 
drückte Leiden  macht  sich  nicht  mehr  im  wilden  Ausbruch, 
sondern  im  schweren  Seufzer  Luft^). 

Tonhöhe.  Im  Fiesko  sind  mehr  als  in  den  anderen 
Dramen  die  Stimmen  der  einzelnen  Personen  unterschieden. 
Bereits  auf  dem  Personenverzeichnis  sind  dazu  Ansätze  ge- 
macht, wenn  Andreas  Dorias  sti'enge  befehlende  Kürze  oder 
seines  Neffen  rauhe  anstössige  Spivache  charakterisiei't  werden, 
aber  auch  indirekt  ist  im  Verlauf  des  Stückes  von  (iianettinos 
bäurisclier    (I,  1)  und    rauher  Bassstimme  (I,  11)  die  Rede. 

Die  indirekte  Form  aber  vermag  nicht  nur  das  regel- 
mässige Stimmregister  eines  Charakters  zu  bezeichnen,  sondern 


')  Sein  Vorbild  ist  Klingers  Otto  II,  9: 
„Brüll,  brüll,  brüll,  Otto!  —  hah,  dass  sie  sterben  für'm  Geschrey  — " 
Aber  auch   ohne   die   Motivierung  durch    einen   starken    Affekt   wird    das 
Brüllen  im  Sturm  und    Drangdrama  vorgeschrieben;    als  z.  B.   in  Leuzens 
Soldaten  II,  2  ein  Offizier  ein  Glas  Punsch  haben  will,  heisst  es: 
(Brüllt  entsetzlich) 

(Brüllt  mit  einer  erschrecklichen  Stimme). 
"0  Das  Schreien  ist  namentlich  im  Fiesko  häufig,  vgl.  Goed.  III, 
S.  37,2.  52,.^.  61,24.  111,12.  127,7.  134,5.  145,15.  IGl,  12.  In  den 
späteren  Stücken  bezieht  sich  die  Vorschrift  nicht  mehr  auf  die  zusammen- 
hängende Rede,  sondern  auf  einzelne,  zum  Teil  unartikulierte  Ausrufe,  z.  B. 
W.  T.  3731.  3752.    M.  St.  3349.    Jgfr.  4028.    Braut  2311.    TeU  1850. 

^)  Henke,  Die  Gruppe  des  Laokoon    od.    üb.  d.  krit.  Stillstand  trag. 
Erschütterung.     Leipzig  1862,  S.  36. 

28* 


—     436     — 

auch  den  ausserordentlichen  Ton,  in  dem  bestimmte  Sätze  ge- 
sprochen werden  z.  B. 

Raub.  IV,  4:  Du  weinst  Amalia?  —  und  das  sprach  er  mit 
einer  Stimme  —  mir  wars,  als  ob  die  Natur  sich  ver- 
jüngete  —  die  genossenen  Lenze  der  Liebe  dämmerten 
auf  mit  dep  Stimme! 
Kab.  IV,  8:  Nehmen  Sie  ihn  hin,  und  das  spricht  sie  mit  einem 
Tone,  begleitet  sie  mit  einem  Blike  —  — 

Beide  Male  lässt  sich  wieder  die  Armut  der  Sprache  beob- 
achten, der  präzise  Worte  fehlen,  um  die  Farbe  eines  Tones  zu  be- 
stimmen. Indessen  bedeutet  die  Angabe  in  den  „Räubern" 
doch  mehr,  als  man  auf  den  ersten  Blick  erkennt;  bei  den 
Worten  „Du  weinst,  Amalia"  ist  der  echte  Ton  Karl  Mooi's 
hervorg-ebrochen^),  während  er  vorher  als  (^raf  Brand  seine 
Sprache  verstellt  hatte.  Diese  Verändei'ung'  der  Stimme  gehört 
nicht  nur  zu  jeder  Voi'kleiduui;'  (sie  ist  dii'ekt  vorgeschi'icben 
bei  Hcrnnanns  A'erkappung-  Raub.  II,  2,  bei  Fieskos  Auftreten 
als  Warner  Dorias  V,  1  und  bei  Bei'thas  Verkleidung  als 
Knabe  V,  8),  sondern  auch  zur  Veileugnuug  des  wahren 
Charakters : 

Fiesko  IV,  1.8:  nimmt  einen  aufgebrachten  Ton  an 
den  Ton  in  Kälte  verändert. 

Mit  der  \'orIiebe  der  Stürmer  und  Dränger  für  gemischte 
Affekte  und  gi-ell  kontrastierende  Stimmungen  hängt  es  zu- 
sammen, wenn  in  den  .lugendstückcn  die  Stimme  vom  Gipfel 
der  Leidenschaft  plötzlich  zur  vollständigen  Toulosigkeit  lierab- 
sinkt,  z.  B. 

Fiesko  V,  13:  in  hohles  Bel)en  hinabgefallen; 
in  den  spateren  Stücken  dagegen  finden  Avir  die  Tonhöhe  mit 
der  anwachsenden  p]mptindung  stetig  steigen ;  dem  entsprechen 
die  Vorschi-iftcn  „mit  erhobner  Stimme'"  (Carlos  1100.  Wall. 
Lag.  <)21  1));  .,mit  erliöhter  Stinune-'  (Picc.  1207).  ,, mit  steigen- 
dem Ton"  (W.  T.  .'i()Ol.  1'ell  575),  und  am  deutlichsten  folgende 
Anweisung : 

Teil  2437:  or  si)rielit  das  folgende  mit  dem  Ton  eines  Sehei's  — 
seine  Stimme  steigt  bis  7Air  Begeisterung. 


*)  Vgl.  auch  Fiesko  III,  .3:    ..Das    war  wieder    achter  Ooldklaiig  der 
Liebe." 


—     437     — 

Dass  die  höclisten  Tonstufen  roirelmässiir  auf  die  leiden- 
schaftlichsten »Stellen  ti-effen,  darf  ti'otzdem  nicht  als  ausnahmloses 
Gesetz  i,''elten.  Zu  Schillers  Zeit  wurde  von  einzelnen  Schau- 
spielern, wie  Reinecke,  Fleck,  Ifflan<l.  später  vor  allem  von 
V^ssiaii'  eine  ci£;"ene  Kunst  darin  j^esehen.  j^ei-ade  die  Tlcihc- 
punkte  der  Rede  duivh  Fallenlassen  der  Stinnni'  zur  (ieltun;.'" 
zu  bringen^).  Eine  direkte  Ausseruni;'  Schillers  hierüber  ist 
nicht  überliefert,  doch  hätte  ei-  zweifellos  diese  aus  dem  Vor- 
trag der  Prosaredo  erwachsene  Manier  mit  unter  den  negi-itt' 
des  Konversationstones  irerechnet. 

Andererseits  verwarf  er  dt'ii  siniienden  Vorti'ag-I  inid 
missbilliirte  das  rcLielmässige  Steigen  ilcs  Tones  gegen  das 
Knde  jedes  einzelnen  X'ei'ses  hin.  das  ..TTinaufpfeifen  bei 
der  Deklamation"'^).  Es  war  dies  die  Angewohnheit 
einzelner  Weimarer  Schauspieler,  ohne  dass  es  dem  Wei- 
marer Stil  entsprochen  hätte.  Dagegen  hatte  (loethc  — 
und  hiei'in  stimmte  ihm  auch  Schiller  sicherlich  zu  —  die 
Regel  gegeben,  jede  Rede  so  tief  und  langsam  als  möglich  zu 
beginnen,  um  füi-  die  Entwickelung  der  Stimme  bei  leiden- 
schaftlichen StelhMi  S|)iolraum  zu  haben''). 

Tempo.  \\'(Min  somit  die  leidiMischaftslose  Rede  langsam 
einsetzt,  so  weiden  die  Voi-schriften  des  Dichters  vor  allem 
auf  ausdrucksvolle  ßeschleunigung  des  Tempo  sich  beziehen. 
Das  „Mouvement"  der  Stinnnc,  d.  h.  den  wechselnden  (irad 
der  Schnelligkeit,  durch  den  die  Monotonie  vermieden  und  die 
Intensität  der  Gefühlsaccente  ersetzt  werden  kaim,  hat  Lessing 
in  der  „Hamburgisclicn  Dramaturgie"'"')  behandelt  und  gezeigt, 

')  Devrient  Ilf,  283.  Tieck,  Dramaturg.  Schriften  I,  95  ff.  Hebbels 
Tagebücher,  hsg.  v.  Bamberg  T,  90.  114. 

'■')  So  heisst  es  in  einem  Mannskriitt  der  -Braut  von  Messina":  „Es 
Itraucht  wohl  niciit  erinnert  zu  werden,  dass  die  Jleden  des  Chors  nicht 
im  Conversazionston  zu  sjjrechen  sind,  sondern  mit  einem  Pathos  und  einer 
gewissen  Feierlichkeit,  doch  ja  nicht  in  singendem  Ton  recitirt  werden 
müssen."     (Goed.  XIV,  S.  21). 

•■')  Genast  I,  115. 

')  W.  A.  I,  Bd.  40.  S.  143  f.  Heinr.  Schmidt.  Krinn.  c.  Weim. 
Veteranen  S.  112.     .Martersteig,  P.  A.  Woltf.  S.  297. 

■•)  Lachm.-MuMcker  IX.  S.  215  f. 


—     438     — 

wie    gerade    in    dieser    Freiheit   sich    die    gesprochene    Rede 
von  der  gleichmässig  taktierenden  Musik  unterscheidet. 

Die  Prosa  ist  darin  ungebundener  als  der  Vers;  während 
deshalb  dort  das  Mouvement  ganz  der  künstlei'ischen  Einsicht 
des  Schauspielers  überlassen  ist,  wahrt  sich  im  Vers  der 
Dichter  einen  Einfluss  auf  das  Gewicht  der  einzelnen  Silben. 
Der  Gebrauch  mehrsilbiger  Senkungen,  namentlich  in  den 
ersten  Füssen,  beflügelt  das  Tempo  und  wird  deshalb  häufig 
bei  hastigen  Ausrufen  angewendet,  z.  B.  Carlos  1009;  Picc.  23; 
M.  St.  3303;  Jgfr.  388.  2263.  2273.  2306;  Braut  1140;  Teil 
2920.  Umgekehrt  kann  durch  versetzte  Betonung  und  Neben- 
einandertreten  schwei-er  Silben  das  Tempo  verlangsamt  und  ein 
feierlicher  Eindruck  erzielt  werden,  z.  B.  Picc.  685;  Braut  1323. 
1384;  Teil  79,  80.  Indem  die  einzelne  betonte  Silbe  sogar  so 
schwer  belastet  wird,  dass  sie  einen  ganzen  Takt  ausfüllt,  wird 
es  möglich,  dass  scheinbar  zweifüssige  oder  dreifüssige  Verse, 
deren  Unvollständigkeit  oft  erst  durch  nachträgliche  Kürzung 
absichtlich  gewonnen  wurde,  mehr  Takte  in  Anspruch  nehmen, 
als  dem  Auge  sichtbar  ist,  z.  B.  Carlos  1291;  Picc.  2261; 
W.  T.  246. 

Die  direkten  Vorschriften  für  langsames  Tempo  sind 
selten;  dabei  werden  sie  gerne  noch  mit  einem  zweiten  Adver- 
bium, das  die  Stimmung  charakterisiert,  verbunden: 

Fiesko  II,  2:  langsam  und  laurend. 
Kah.  II,  3:  langsam  und  mit  Nachdruk. 

Die  Anweisungen  „rasch",  .jSchnell",  ..hastig",  in  denen 
(iie  Ungeduld,  die  Freude,  die  Kühnheit  der  Gedanken  zum 
Ausdruck  kommt,  treten  dagegen  meistens  allein  auf.  Häufig 
beziehen  sie  sich  weniger  auf  die  Rede  selbst,  als  auf  das 
rasche  Einsetzen;  so  namentlich  bei  Unterbrechungen  eines 
anderen.  Nur  dadui'ch  gelingt  es,  das  Wort  an  sich  zu 
reissen,  dass  man  den  bisher  Redenden  an  Gcscliwindigkeit 
überflügelt  und  sicli  nicht  aufs  neue  von  ihm  einholen  lässt. 
Bei  ganz  erregten  .\uftritten  können  sogai"  mehr  als  zwei 
Personen  diesen  Wettkampf  eingehen,  z.  B.  Zibo,  Zenturionc 
und  Asserato  beim   l'ericht  von  doi-  Pi'okuratorcnwahl: 


—     430       - 

Fiesko  II,  5:  rasch  ins  "Wort  fallend 

fällt  ihm  wieder  ins  Wort 
hizisfor  fort. 
Die  Untci-brec'liunir  kann  <aneli  allein  diireli  den  Gedankenstrich, 
mit  dem  eine    l^ede  abbi'ieht.    be/eiehnet  sein:    die  folgenden 
Verse  enthalten  manchmal  die  indirekte  Bestätisiung,  z.  B. 
M.  St.  60').-  Verzeiht.  Milord,  dass  ich  euch  trieich  zu  Anfang 
Ins  Wort  niuss  fallen   — 

Der  Gegensatz  da/u  ist  das  Innehalten  des  Redenden, 
weil  er  eine  Antwort  erwartet;  auch  in  dieser  Funktion  kann 
ein  Gedankenstrich  (hirch  die  folgenden  AVorte  z.  1j.  ..Keine 
Antwort?",  ..Du  schweigst?"  bestimmt  weiden.  Damit  ist 
(He  direkte  Anweisung  überfliissig  gemacht,  die  in  den  Jugend- 
stücken häufiger  voi'konunt; 

Raub.  IV.  4:   Amalia  ^iljt  ihm  keine  Antwort. 
Carlos  4027:  Kr    hält   inne.    Karlos    Antwort     zu    erfahren:    dieser 
verharrt  in  seinem  Stillschweigen. 

Solche  Untei'brechungen  fallen  nicht  mehr  unter  den  Begriff 
des  Tempo;  ebensowenig  die  anderen  Hemmungen  der  Rede, 
z.  P>.  das  Stocken  und  Stottern  der  Verlegenheit,  das  Stammeln 
der  Wut.  Dies  sind  mehr  Mittel  des  Konversationstones 
und  finden  in  den  letzten  Stücken  Schillers  geringere  Vcr- 
wen»hing  als  in  dem  ersten,  von  Lessing  beeinfiussten  Versdi-ama. 
Der  Rhythmus  des  Stottei-ns,  wenn  man  so  sagen  darf,  bleibt 
in  der  Prosa  der  Improvisation  des  Scliauspielers  überlassen; 
im  Vers  dagegen  rechnet  der  Dichter  mit  diesen  überschüssigen 
Silben  z.  R. 

Turandot  906  f. :  Tod  odei'  Turandot ! 

Tartaglia  (stotternd). 

Tu— Turandot! 

Im  übrigen  genügte  meistens  auch  hierbei  der  Gedankenstrich^), 
der  die  wiederholten  Silben  trennt,  und  so  ist  z.  R.  im  Don 
Carlos  bei  den  X'ersen  1541  tf.  die  Vorschrift  „stotternd"  seit 
der  Rearbeitunir  von  lH(tl  wegseblieben. 


')  Im  Manuskript  der  „Turandot"  scheint  Schiller  sich  noch  eines 
anderen  Mittels  bedient  zu  haben ,  wie  aus  Körners  Brief  vom 
15.  Februar  1802  zu  schliessen  ist:  „In  der  Rolle  des  Tartaglia  finde  ich 
einige  Worte  doppelt  unterstrichen.  Bei  einigen  Stellen  scheint  dadurch 
ilas  VV'ojt  angedeutet  zu  werden,  bei  ileni  er  stottern  soll.'" 


—     440     — 

In  t  erp  u n  k t  i  o  n.  Dass  die  Tnterpunktion  nicht  nur  dem 
Leser  den  Sinn  zu  erleichtern  habe,  sondei'ii  aueli  eine  bindende 
Vorschrift  für  den  Vortrag  darstelle,  hat  erst  Goethe  den 
Schauspielern  klai*  zu  machen  verstanden.  Vorher  begeg-neten 
die  Versuche  des  Dichters,  seine  Absichten  zur  Geltung-  zu 
bringen,  der  g-rössten  Gering-schätzung-,  und  der  junge  Iffland^) 
z.  B.  beklagte  sieh  bitter  über  solche  Zumutungen :  ,,Wer  ist 
wohl  mehr  von  dieser  Wuth,  in  Pünktchen  angeredet  zu  Avei"den, 
wo  der  Verstand  sich  nichts  denken  kann,  in  Strichen  zur 
Überg-abe  des  Gefühls  aufgefordert  zu  werden,  geplagt,  als 
die  Schauspieler?  —  Denn  das  ist  ausgemacht,  dass  der 
Dichter  für  jeden  solchen  Strich,  womit  er  die  Rolle  belehnt 
hat,  ein  prächtiges  Gemälde  des  Schmei'zes,  oder  einen 
nervigten  .Ausdruck  grosser  Leidenschaft  in  der  Darstellung 
erwartet.  — "  Mit  Entschiedenheit  lehnt  sich  dei'  Naturalist 
gegen  die  Fesseln  auf,  die  dem  Geist  des  Schauspielers  ange- 
legt werden  sollen,  und  spricht  dem  iMenschendarsteller  die 
Freiheit  zu,  nicht  das  gedruckte  Blatt,  sondern  sein  Blut 
interpungieren  zu  lassen.  .,Denn  der  Befehl  des  Bluts,  ge- 
reizt von  der  Gabe  der  Versetzung,  das  Hinreissen  des  augen- 
blicklichen auf  den  höchsten  Grad  vei-feinerten  Geschmacks, 
ist  Stempel  der  Wahrheit.  Diese  Wahrheit  im  ganzen  Ich! 
ist,  dünkt  mich,  die  Sache,  worüber  die  Dichter,  die  kritteln- 
den merciers,  dem  Schauspieler  nicht  sagen  können,  wie  er 
sie  erlangen  soll.". 

Kein  grösserer  Gegensatz  lässt  sich  diesen  Überhebungen 
des  Schauspielerdünkels  gegenüberstellen  als  die  Gewissen- 
haftigkeit, mit  der  sich  später  P.  A.  Woltf-)  den  gei-ing- 
fügigsten  Andeutungen  des  Dichters  unterwarf:  ..Eine  grosse 
Aufmerksamkeit  und  Genauigkeit  erfordern  die  Interpunktionen. 
Das  Komma,  das  Kolon,  der  Punkt,  die  Ausrufungs-  und 
Fragezeichen  sind  sjircchende  Noten  für  den  Declamator;  und 
es  wäre  zu  wünschen,  dass  wir  noch  kleinere  Unterscheidungs- 
zeichen hätten,  sie  würden  ,jene  leiseren  Ijiinta  bezeichen,  die 


')  Fragm.  üb.  Men.schenclarstell.  S.  85  ff. 

'■)  Üb.  (1.  Voitrag-  im  Traiiorspiel.     Marter.st(Mi>-,  I'.  A.  Wolff.  S.  3(»2. 


—     441      — 

den  vorschifdoiion  rJi-a<lon  dos  (Jofülils  anu'ehören.  die  linlboii 
Töne,  welche  g-leichförmiiio  Emi)Hiidiini;cii  unterscheiden,  dass 
sie  ohne  sich  zu  berühi-en  aufeinander  folgen ;  sie  würden  die 
Stelle  andeuten  können,  wo  ein  Anhalten,  ein  Ausruhen,  ein 
Forttreiben  der  Töne  nötii;'  ist.  um  den  Geist  und  das  Flerz 
des  Zuhörei's  zu  durchdringen." 

Das  war  Goethes  fSchulo;  auf  deu  Weimarer  Pi'obcn 
wurden,  wie  wii*  auch  aus  andei'en  Zeu<:nissen  erfahren,  alle 
Interpunktionen  beachtet  und  Komma.  Semikolon.  Ausrufe- 
zeichen als  Zeitmasse  abLicstiift').  Audi  Sciiiller.  müsste  man 
annehmen,  wurde  dadurch  vei'anlasst,  der  Interi)uni:iei'uui: 
seiner  späteren  Stücke  gi-össerc  Sori-'falt  zuzuwenden :  und 
dies  scheint  bestätiiit  zu  werden  «hn'ch  einen  an  Cotta  iiv- 
richteten  Urief,  der  die  Weisuni^-  enthält,  dem  Druckmanuski'ipt 
der  ,, ih-aut  von  Messina"'  in  allen  Kleini.i;keiten  auf  das  iic- 
naueste  zu  foliren^).  Früher  ptlei-te  Schiller  das  Manuskrii)t 
nicht  mit  dieser  (iewissenhaftii/keit  druckfertii:'  zu  machen, 
und  so  ersehen  wir  z.  1>.  aus  der  Kori'espondenz  mit  Göschen, 
welche  Freiheit  er  beim  ..Don  Carlos"  dem   Korrektoi'  liess^). 

Die  Interpunktion  der  späteren  Stücke  ist  mit  mehr 
Sichci'lnüt  als  autorisiert  zu  betrachten ;  aber  wenn  wir 
dai'aufhin  dort  die  i^rössere  Mainiiüfaltiykeit  und  feinere 
UnterscheiduuL;-  suchen  wollten,  müssten  wii'  gerade  das 
GcLaMiteil  beobachten.  In  den  späteren  Dramen  wie  in  deu 
(Jedichteii  hen-scht  mit  übei'wiciiender  Kinförmiykeit  das 
Komma  vor.  so  dass  bei'eits  Körner  in  seiner  Ausi>abe  zur 
Gliederun.ü-  grösserer  Perioden  das  Semikolon  einführen  nuisste. 
Dieses  Zeichen  scheint  für  Schiller  selbst  eine  andere  Funktion 
gehabt  zu  haben,  als  unserem  Gebrauch  entspricht-*),  und  so 
sehen  wir  z.  15.  in  den  l)eiden  späteren  Drucken  der  Aeneis- 
übersetzuni:-  fast  alle  guten  Semikola,  die  vielleicht  vom 
Kori'ektoi-  der  .,Neucn  Thalia"  stammten,  beseitigt  und  duix'li 

')  Genast  I,  177. 

0  An  Cotta  11.  Febr.  1803.     Jonas  VII,  J2. 

')  An  Göschon  3.  März  1787.     Jonas  I,  331. 

■•)  Vgl.   IIclilicls  Tagebücher,  h.sg.  v.  Bamberg  II,  S.  123. 


—     442     — 

monotone  Kommata  ersetzt.  Das  Komma  nun  liat  nicht  aus- 
scliliesslicli  orammatisch  -  syntaktische,  sondern  überwiegend 
phonetisch-doklamatorische  Bedeutuni!';  es  fehlt  oft,  obwohl  es 
,f;rammatisch  notwendig:'  wäre,  an  Stollen,  wo  kein  Innehalten 
des  Redenden  erfoli^t;  es  wird  dai.'oi;on  ani^cwondet  bei  dekla- 
matorischen Pausen,  die  mit  der  syntaktischen  Gliederunir 
durchaus  nicht  zusammenfallen.  Auf  diese  Eigenheiten  der 
Schillerschen  Intei'punktion  ist  hier  nicht  näher  einzugehen : 
es  soll  nur  noch  kurz  dem  Zeichen,  das  für  Schillers  Jugend- 
stücke charakteristisch  ist.  Aufmerksamkeit  zugewandt  werden, 
nämlich  dem  Gedankcnsti'ich. 

Die  Dramen  der  Stürmer  und  Dränger  wimmeln  von 
Gedankenstrichen,  so  dass  wii'  bei  manchen  Stücken,  z.  B. 
der  Shakespeareübersetzung  ..Amor  vincit  omnia"  von  Lenz, 
kaum  wissen,  ob  wir  einen  vollständigen  oder  fragmentarischen 
Text  vor  uns  haben.  Ein  innerer  Grund  ist  die  Vorliebe  für 
gemischte  Affekte  und  für  raschen  Stimmungswechsel,  der 
den  Zusammenhang  der  Rede  zerreisst  und  sich  nur  in  ab- 
rupten Ausrufen  kundgibt.  Wie  in  der  Mimik,  so  wurde 
auch  in  der  Sprache  das  Symptomatische  beobachtet^),  und  so 
tritt  der  Gedankenstrich  ein  bei  der  abgebi'ochencn  Rede,  behn 
Anakolutli,  bei  Stocken  und  Stottern  und   bei  dei-  Pause,  die 


')  Dieser  Stil  geht  auf  Diderot  zurück,  vgl.  ^Theater"  (übers,  v. 
TiCssing)  I.  207  f.:  ..Was  rührt  uns  ))ey  dein  Anblicke  eine.s  Menschen,  der 
von  gewaltigen  Leidenschaften  bestürmt  wird,  am  meisten?  Seine  lieden? 
Manchmal.  Aber  das,  was  allezeit  rühret,  sind  Schreye,  unarticulirte  Töne, 
abgebrochene  Worte,  einzelne  Sylben.  die  ihm  dann  und  wann  entfahren.  .  . 
Indem  die  Heftigkeit  der  Empfindung  das  Athemholen  unterbricht,  .... 
trennen  sich  die  Sylben  der  Wörter,  und  der  Mensch  fällt  von  einer  Idee 
auf  die  andere.  Er  fängt  eine  Menge  Reden  an.  Er  endiget  keine;  und 
ausser  einigen  Empfindungen,  die  er  bei  dem  ersten  Anfalle  auslässt,  und 
auf  die  er  ohne  Unterlass  wieder  zurückkommt,  ist  alles  Übrige  weiter 
nichts,  als  ein  schwaches  und  verwirrtes  Getöse,  eine  Folge  sterbender 
Töne  uml  erstickter  Accente,  welche  der  Schauspieler  besser  versteht  als 
der   Dichter." 

Diderot  also  üljerlässt  diese  Ausdrucksmittel  den  Schauspielern. 
Daher  verstehen  wir  deren  ?]ntrü.stung,  wenn  die  Dichter  trotzdem  ihrer 
Kunst  vorgreifen  wollten. 


—     443     — 

oinon  Woclisol  dos  Tonos  vormittplt.  Tu  oinor  solclion  Pause 
kann  der  tratrisehe  Wendepunkt  des  g-anzen  Stückes  liejren, 
wie  ITenke')  in  seiner  Studie  über  den  kritischen  Still- 
stand tiai.'isclier  KrscJiüttei'unLr  i.'ezei<rt  hat;  freilich  darf 
man  diesem  Pi'inzi|»  zu  Liebe  nicht  L-erade  in  jedem  dritten 
Akte  eine  für  das  ganze  Stück  entscheidende  Pause  suchen: 
für  den  Dichter  der  ..Räuber"'  z.  J5.  bedeutet  die  Szene  an 
i\vr  Donau  mit  dem  Seufzer  Karl  Moors  .,Dahin!  Dahin! 
IJnwiderbrinirlich !"  doch  nur  eine  lyrische  ?]pisode,  Avährend 
die  Peripetie  im  vieiteii  Akt  in  der  Szene  am  Turm  erfobt. 
Dort  macht  sich  dci'  Affekt  ungehemmt  Luft;  erst  in  den 
Dramen  der  Ixeife  winl  dagegen  der  gewaltsame  Ausbruch 
durch  den  iinieivn  Widei-stand  untei'drückt.  und  es  kommt  zu 
jenem  Seufzer  der  tragischen  Erschütterung,  wie  ihn  auch 
die  Künstler  der  Laokoong-ruppe  als  fruchtbaren  Moment  d(>r 
Darstellung  erfasst  haben.  Deshalb  ist  llenkes  Beispiel  aus 
„Maria  Stuart"  glücklicher   g-ewälilt:    in   den  Vei-scn  23()Sf. : 

Denn  wenn  ihr  jetzt  nicht  se^enbringend,  herrlich. 

Wie  eine  Gottheit  von  mir  scheidet  —  Schwester! 

bedeutet  der  Gedankenstrich  vor  dem  Ausruf  ..Schwester!" 
einen  Seufzer  der  Erstarruni:' :  pirttzlich  crkeinit  Maria,  dass 
alle  Versuche,  die  Gegnerin  zu  ei-wcicheii.  aussichtslos  sind; 
nunmehi'  lässt  sie  ihrem  langverhaltcnen  Groll  freien  Lauf 
und  besciihMuiigt  selbst  ihr  unabwendbares  Geschick. 

Audi  ohne  diese  Intei'pretatioii  Henkcs  würden  wir  noch 
andere  Heispielc  finden,  wo  der  Gedankenstrich  irgend  eine 
Bewegung  üq^  Sprechenden  anzudeuten  hat  und  eine  um- 
ständlicheic  Anweisung-  ersetzt;  gerade  in  den  Versdr;imcn, 
wo  die  piosaischen  Zwischenbemerkungen  eingeschränkt  werden, 
ist  diese  \'erwendung  häutig-).  Aber  auch  als  blosse  L>e- 
zeichnung  einer  Pause  tindet  ei'  sich  in  den  späteren  Stücken 
noch  oft,  wenn  auch  sparsamei*  als  frühci-,  gebraucht.  Der 
.,Don    Carlos"    der    .,Thalia"    ist    noch    Avie    ein    Prosadrama 

*)  Henke,  Die  Grupjje  iles  I^aokoon    oder  über    den    kritischen  Still- 
stand tragischer  Erschiitteruiii,"  S.  (iO  f.  (Jö.  (il.  73. 
-)  Vgl.  S.  .3-29.  380.  ;:i77. 


—     444     — 

interpuntriert;  in  den  spätei-eii  I^earbeitunßren  sind  da^reircn 
alle  Häufungen  von  zwei  odei-  drei  .Strichen  beseitiß't^).  Am 
Ende  des  Vei'ses  sah  Schiller  die  Gedankensti'iche  später  nicht 
mehr  i-ern  und  setzte  sie  in  iz'anz  i'ichtiiicr  nieti'ischer  p]r- 
kenntnis  an  den  Versanfanir;  hauptsächlich  abei'  treten  sie  im 
Innern  Vers  als  Bezeich  nun«*  des  Sinneseinschnittes  auf.  Es 
mög-en  als  Beispiel  einige  Yei'se  aus  Schillers  Phädra-Über- 
sctzung'  neben  das  Original  gestellt  werden,  weil  sie  charak- 
teristisch sind  für  den  Unterschied  zwischen  dem  Alexandriner, 
der  das  ?]njambement  verschniälit.  und  dem  Blankvers.  <lessen 
Verwendbarkeit  für  die  dramatische  Sprache  ebenso  wie  für 
die  Übersetzung  fremdei'  Versmasse  gerade  in  dem  Antagonis- 
mus des  Vei'ses  und  Satzes  bci'uht.     Kacines  Verse: 

Est-ce  Phedre  qui  fuit,  oii  plutot  (^uoii  entraine? 
Tourquoi,  seigiieur,  pouniuoi  ces  niarques  de  douleur? 
Je  vous  vois  saus  e})i'e.  interdit,  sans  couleur. 

hat  Schiller  folgendermassen  übersetzt : 

764  ff. :  Flieht  dort  nicht  Phadra  oder  wird  vielmehr 
Gewaltsam  fortgezos'en  ?  —  Herr,  was  sezt 
Dich  so  in  Wallung?  —  Ich  seh  dich  ohne  Schwert, 
Bleich,  voll  Entsetzen  — 

Die  Beobachtung,  die  sich  liier  aufdrängt,  ist  zu  verallge- 
meinern: der  Gedankenstrich  im  inneren  Vers  bedeutet  fast 
regelmässig')  die  Stelle,  wo  der  Alexandriner  schloss. 

')  Dass  in  dem  ersten  Uruck  der  ..Braut  von  Messina"  vor  Vers  2559 
eine  i,'anze  Zeile  von  Gedankenstrichen  steht,  hat  sicherlich  keinen  be- 
sonderen Sinn.  In  den  beiden  Bühnenmanuskripten  fehlen  sie,  ohne  dass 
eine  andere  Anweisung  an  die  Stelle  getreten  wäre.  Wahrscheinlich 
staju<len  diese  Striche  doch  nur  zufällig  in  der  Druckvorlage,  die  der 
Dichter  ausdrücklich  auch  in  Kleinigkeiten  für  massgebend  erklärt  hatte 
(Vgl.  S.  441,  Anm.  2)  nml  der  lioshall)  allzu  peinlich  gefolgt  wurde. 

^)  Es  sei  noih  ein  IJcisjdcl  angeführt,  wo  vier  Quinare  (1253  ff.) 
genau  drei  Alexandrinern  entsiireclicri: 

iiacine:  Mais  ä  te  condamiicr  tu  m  as  trop  engage: 
.Jamals  pere  en  effet  fut-il  plus  outrage! 
Justes  dieux,  qui  voyez  la  douleur  »lul  m'accable, 
S<hiller:  Doch  zu  gerechte  Ursach  gabst  Du  mir 

Dich  zu  verdammen  —  Nein  gewiss,  nie  ward 

Ein  \'ator  mehr  beleidigt  —  Grosse  Götter 

Ihr  seht  den  Schmerz,  der  mich  zu  Boden  drückt. 


—     445     — 

Und  noch  eine  Wahrnehmnnsr.  die  .sich  an  dieses  Beispiel 
anknüpfen  lässt,  ist  für  .Schillers  Vers  charakteristisch :  der 
letzte  Satz,  der  sich  auf  zwei  Verse  verteilt,  bildet,  sobald 
man  ihn  zusammennimmt,  wiederum  einen  ircschlossenen  Fünf- 
füssler  und  sog"ar  einen  besseren,  als  die  Einteilung"  des 
Druckes  darbietet.  Diese  Erscheinun.L''^),  die  sich  besonders 
im  Don  Carlos  häufig'  beim  stumpfen  A'ersausgang-  wiederholt, 
zeigt,  dass  dem  Dichter  oftmals  ein  anderer  Rhythmus  im  Ohr 
lag-,  als  zu  Papier  g^ebracht  ist. 

Vers- Seh  luss.  Das  Brechen  des  Khytlinuis  hat  bereits 
Zarncke")  auf  den  Vers  Lessing-s  zurückgeführt,  und  zwar 
sehen  wir  diesen  Einfiuss,  der  sich  später  wieder  mehr  ver- 
liei-t,  während  der  Arbeit  am  Don  Cai-Jos  mächtig'  auwaciison. 
In  den  ersten  Auftritten  der  Thaliafassung  haben  die  Verse 
am  meisten  i'hythmisciie  Selbstäiuhg-keit,  z.   1>. : 

Nur  brechen  sie  «liss  f,'rauenvolle  Schweigen, 
nur  iifnen  sie  ihr  Her/  dem   Vaterherzen. 

Aber  .schon  im  Di'uck  von  1787  sehen  wii-.  wie  die  ])oinali(' 
g-jeiche  Wortfoli/e  sich  der  Ver.seinteilung'  nicht  mehr  einordnet: 

Brechen  Sie 

ilies  räthselhafte  Schweigen.     Oeffnon  Sie 

Ihr  Herz  dem  Vaterherzen. 

In  den  letzten  Akten   des  Stückes    sind    die  Verse  noch 
abgferi.ssener,  wofür  inii-  ein   ik'isjiiel  auireführt  werden  soll: 
4188  ft-.:  -  Das 

Verbrechen,  dessen  ich  Sie  zeihto  —  ich 
Beging  es  selbst  — 

Solche  wiederholte  Isoliei'ung'-  einsilbiger  Wörter,  die  als 
Sinnesauftakt  zur  folgenden  Zeile  g^ehören,  hat  Schiller  später 
nicht  mehr  gebilligt,  wie  wir  aus  einer  Kritik  Körner.scher 
Verse  erkennen:  „Du  hast  zuweilen  den  ,him])en  mit  dem 
Artikel  g"eschlo.ssen  und  das  Snl)stantiv,  worauf  er  sich  bezieht, 
in  den  folgenden  hinüberi^enonnnen.     Einmal  passiert  das,  aber 


')  Minor,  Neuhochdeiitsciie  Metrii<.     2.  Autl.     S.  lUfj.  233.  240. 

-)  Kleine  Schriften  I,  360  ft".  381.  Die  Weiterführung  Bellings  (Die 
Metrik  Schil]ers)ist  fleissig.  aber  iiiinicthodisch;  beim  Don  Carlos  fehlt  die  Genesis 
der  Unregelmässigkeiten,  weil  die  älteren  Fa.ssungen  nicht  berücksichtigt  sind. 


—    446     — 

in  zwei  aufeinanderfolg-enden  .Jamben  duldet  man  es  nicht" ^). 
Es  waren  allerdings  keine  dramatischen  Verse,  auf  welche 
sich  diese  Regel  zunächst  bezog,  aber  Schiller  hat  sie  auch 
bei  den  späteren  Dramen  angewandt  und  bereits  im  Wallen- 
stein hat  er  die  Zeilen  lieber  nach  dem  Gehör  geschrieben'), 
statt  sie  für  das  Auge  als  Fünffilssler  abzuteilen,  z.  B. 
Picc.  13  ff. 

Schon  ziemlich  eingerichtet  —  Nun  I  Nun !  der  Soldat 
Behilft  und  schickt  sich  wie  er  kann. 

Erst  wenn  wir  das  Wort  „Soldat"  in  den  folgenden  Vers 
hinübernehmen,  ei'halten  wir  zwei  Fünffüssler,  aber  damit  auch 
jenes  schroffe  Enjambement,  wie  es  noch  beim  „Don  Carlos" 
gebräuchlich  war. 

Diese  metrische  Abschweifung  war  notwendig  zur  Grund- 
legung dessen,  worauf  es  hier  ankommt,  nämlich  des  Unter- 
schiedes zwischen  gesprochenem  und  geschriebenem  Vers. 
Der  Gegensatz  kam  Schiller  vielleicht  erst  richtig  zu  Be- 
wusstsein  beim  „Wallenstein",  dessen  Form  er  zunächst  für 
die  lUihne,  nicht  für  die  Buchausgabe  lierstoUte.  Bei  dei- 
Übersendung  des  Manuskriptes  schrieb  er  an  Körner:  „Auch 
musst  Du  Dich  an  einigen  lückenhaften  Jamben  nicht  stossen, 
weil  diese  Bearbeitung  zum  Gebrauch  des  Theaters  ist,  wobei 
es  auf  diese  Reinheit  und  Integrität  nicht  ankommt.  Es 
konnnt  bloss  auf  das  Wesen  und  auf  den  Eindruck  des 
Ganzen  an"^). 


')  An  Körner  26.  März  179U.  Jonas  III,  66.  An  einzelnen  Stellen 
d«s  Don  Carlos  hat  Schiller  diese  Härte  im  Jahre  1801  korrigiert,  z.  B. 
3001  f.  4146  f.  4936  f.  5073  f.  5093  f.  5245  ft".  5249  f.  Ebenso  hat  er  die 
Isolierung  einsilbiger  Wörter  am  Vorsanfang  beseitigt,  z.  B.  5172  f.  5263  f. 
Es  hiess  ursprünglich: 

Wenn  Einer  Gnade  finden 
darf  —   Warum  wnnlcti  dreimal  hundert  tausend 
statt  des  jetzigen  Wortlautes: 

Darf  Einer  Gnade  finden. 
Mit  welchem  Rechte  wurden  hundert  tausend 
-)  Ähnlich  W.  T.  414  f. 
^)  An  Körner  25.  März  1799.     .lonas  V^I,  22. 


-     447     — 

In  zwei  benachbarten  vier-  und  sechsfüssigen  Versen') 
wird,  sobald  Mir  den  Verseinsclinitt  überbrücken  und  sie  als 
ein  Ganzes  nehmen,  die  Unreg-elmässiykeit  gehoben;  auch  übei- 
(h'ei  Verse  kann  sich  dieser  Ausgleich  hinziehen  (z.  B.  W.  T. 
()35 — 087),  und  so  kommen  wir  auf  den  Begriff  der  rhyth- 
mischen Periode,  die  so  lange  über  den  regelmässigen  Vers- 
einschnitt hinwegträgt,  bis  sich  Vers  und  Satzrhythmus  wieder 
zusammengefunden  haben.  Die  langatmig  dahinstürmende 
Periode  ist  das  eigentliche  Ausdi'ucksmittel  der  leidenscluiftlicli 
])elebten  dramatischen  Sprache,  während  die  in  sich  gerundeten 
Verse  der  wohlüberlegten  fertigen  Sentenz  zukommen.  Mit 
der  Vorliebe  für  geprägte  Sätze  hängt  es  zusammen,  dass 
die  Integrität  der  Verse  in  den  späteren  Dramen  Schillers 
zunimmt.  Aber  vielleicht  trug  auch  ein  äusserer  Grund  ein 
wenig  dazu  bei,  nämlich  die  Schwierigkeit,  die  das  Enjambement 
dem  Schauspieler  bereitete.  Bei  den  ersten  Aufführungen  des 
,;"\\'allenstein"  muss  noch  viel  Uni;eschick  zu  Tage  getreten 
sein,  wie  wir  aus  einem  lU'riclit  vom  .Juli  1799  heraushören: 
,,Kin  Fehler  bei  unserer  Truppe  ist,  dass  sie  zu  wenig  IJbuni:- 
in  der  Deklamation  von  Versen  verräth.  Sie  skandiei-eu 
entweder  oder  heben  den  Ton  'j:Q'^cn  das  Ende  der  Zeile  und 
verweilen  bei  dem  Schlüsse,  auch  wenn  der  Sinn  den  Ruhe- 
punkt nicht  gestattet."  Da  sich  Scliillei-.  wie  es  in  demselben 
Schreiben")  heisst,  unermüdlich  mit  der  Belehrung  der  Schau- 
spieler abgab,  veranlassten  ihn  vielleicht  die  Erfahi'ungen  zu 
künftigem  Entgegenkommen.  Nur  in  einei"  Hinsicht  steigert 
sich  noch  die  Kühnheit  des  Enjambements,  nämlich  insofern 
als  sogar  Komposita  durch  die  Versteilung  auscinanderge- 
rissen  wej'den,  z.  B.  in  dei-  ..Jungfrau  von  Orleans'':  Länder-/  Ge- 
waltige, Mauren-  /  Zertrümmerer,  Gott-  /  Gesendete,  im  Teil: 
Gewalt-  /  Beginnen:  aber  hier  fällt  die  Gefahr  des  Skandierens 
weg,  weil  der  Schauspieler  zum  Hinüberziehen  gezwungen  ist. 

Spätei-  hat  Goethe^)  die  Regel  gegeben:  „Hat  man  .lamben 
zu  deklamieren,  so  ist  zu  bemerken,    dass  man  jeden  Anfang 

1)  Vergl.  auch  I'icc.  73  f.  SU  f.     W.  T.  2930  f.  3U31  f.  :M.  St.  ViVl  f. 

2)  Braun  II,  3()i). 

')  W.  A.  I,  Bd.  40.  S.  153. 


—     448     — 

eines  Verses  durch  ein  Ichnnes.  ivanin  merkbares  Innehalten 
bezeichnet;  doch  muss  der  Gang-  der  Declamation  dadurch 
nicht  gestört  werden."  Dieses  Innehalten  hätte  den  früheren 
Versih'anien  Schillers  weniger  ontspiochen  als  gerade  dei- 
..liraut  von  Messina",  die  Goethe  damals  einstudierte.  Dort 
haben  die  meisten  Verszeilen  rhythmische  Selbständigkeit, 
worauf  schon  der  ausgedehnte  Gebrauch  dei-  Stichomythie 
und  die  häufige  Anwendung  des  Reimes  hinweisen.  Dei- 
Keim  tritt,  wie  wir  oben')  g-esehen  haben,  zuerst  am  Akt- 
schluss  auf;  dann  aber  auch  beim  Szenenschi uss  (zuerst  W.  T. 
V,  2),  dann  am  Schluss  eines  Auftrittes  beim  Abgang"  (zuerst 
M.  St.  I,  7)  und  schliesslich  bei  allen  Stellen,  wo  die  Sprache 
einen  lyrischen  Schwung-  annimmt,  z.  B.  bei  den  leidenschaft- 
lichen Reden  Moi'timers. 

Der  Schlussreim  verstärkt  das  Zusammenklingen  von 
Vers  und  Satzrhythmus,  das  Schiller  späterhin  am  Ende  einer 
längeren  Periode  als  Bedüifnis  empfand;  in  dem  oben  er- 
wähnten Brief  an  Körner'-)  hatte  er  diese  Regel  ausgesprochen: 
..Audi  ist  es  ges^en  die  Harmonie,  einen  langen  Pei'ioden,  der 
durch  mehrei'e  Jamben  durehlautft.  voi-n  oder  mitten  in  einem 
Vers  zu  beschliessen.  Man  will  einen  Ruhepunkt  und  wird 
ungern  fortgerissen."  Mit  diesen  Worten  hat  er  wiederum 
seinen  eigenen  Brauch  im  Don  Carlos  verurteilt;  dort  ist  auf 
diesen  notwendigen  Ruhepunkt  so  Avenig  Rücksicht  genonnnen, 
dass  nicht  einmal  am  Ende  langer  Auftritte  ein  abgeschlossener 
Vers  steht.  So  lauten  z.  B.  ursprünglich  im  Auftritt  mit  der 
Königin  (I,  5)  die  letzten  Worte  des  Prinzen:  „Ha!  ich  ver- 
siehe!"; darauf  entfernt  er  sich  mit  Posa;  die  Königin  bleibt 
eine  Zeitlang  allein  auf  der  Bühne  und  sieht  sich  uni'uhig 
nach  den  Damen  um;  der  König  mit  seinem  Gefolge  tritt  auf; 
es  folgt  eine  Pause  der  Befremdung  —  und  erst  nach  diesei- 
langen  rnterbrechung  führen  die  ersten  Worte  des  Königs 
den  unvollständigen  Vers  weiter:  „So  allein,  Madame?"  Man 
sieht,  wie  diesei-  \'ers  wieder  nur  für  das  Auc-c  berechnet  ist. 


1)  Vgl.  S.  lOn. 

0  Vgl.  S.  440.  Aiun.  1. 


—     449     — 

denn  herauszuluircn  ist  die  Zusanimenu'eliöri.o-keit  bei  der  Auf- 
führung- nicht;  später  verlor  sie  auch  der  Dichter  selbst 
aus  dem  Aug-e  und  stricli  in  der  Bearbeitung-  von  1801 
die  Worte  des  Prinzen;  füi-  den  Druck  von  1802  ergänzte 
er  dann  den  Überrest  des  ursprüngiichen  Verses  zum  selb- 
ständig-en  Fünffüssler: 

Was  seil'  ich?  Sie  hier!  So  allein,  Madame? 

Pause.  Nur  dann,  wenn  die  neue  Person  mit  einem 
eiligen  Ausruf  hereinstürzt,  oder  wenn  sie  die  letzten  Worte 
vernommen  hat  und  gleich  daran  anknüpft,  setzt  sich  mit 
dem  neuen  Auftritt  der  Dialog  ohne  Unterbrechung  fort; 
meistens  dagegen  ist  ein  kurzer  Stillstand  zu  überwinden. 
Diese  notwendige  Pause  kann  ausgedehnt  werden,  sobald  sie 
zum  Ausdrucksmittel  der  Verlegenheit  oder  Befi-emdung 
wird,  z.  H.  an  der  eben  erwähnten  Stelle  des  Don 
Carlos,  wo  dci-  König  ursprünglich  „einen  Augenblick", 
später  „eine  Zeitlang"  schweigt,  ehe  er  sein  Misstrauen  in 
Worte  zu  fassen  vermag. 

Die  Bedeutung  der  Pausen  in  der  Rede  iiatte  Dal- 
bei-g  seinen  Mannheimer  Schauspielern  als  F'rage  vorge- 
legt,   und    ihre  Antworten^)    können    uns   auch    für    die   An- 


')  Martersteig:  S.  215.  Ifflaiid.  Fraq-mente  üb.  Menschendarstellung 
S.  97  ff.  Über  die  Dauer  der  Pause  (vgl.  oben  S.  128)  sagte  Iffland: 
„Es  mag  seyn,  dass  eine  Pause  im  gemeinen  Leben  einige  oder  eine  Minute 
daure;  allein  auf  der  Bühne,  wo  alles  dem  Zeiträume  angemessen  seyn 
muss,  worinne  die  ganze  Handlung  gedrängt  ist,  ....  habe  ich  zufolge  an- 
haltender Beobachtung  gesehen,  dass  sie  nur  äusserst  selten  länger  als  ein 
aushaltender  Athenizug  dauren  darf."  —  Büttiger  fand  später  die  Bestätigung 
in  Ifflands  eigenem  Spiele  (P^ntwickl.  d.  Iffl.  Spiels  S.  321). 

Die  Dichter  schrieljcn  häufig  minutenlange  Pausen  vor,  so  Schiller 
im  „Don  Carlos";  Lenz  im  „Neuen  Menoza":  „Es  herrscht  eine  minuten- 
lange Stille" ;  Meissner  im  „Johann  von  Schwaben" :  „er  folgt  ihr  schweigend 
in  ihr  Gemach,  wirft  sich  stumm  in  einen  Sessel,  vor  dem  sie  eine  Minute 
lang  stehen  bleibt." 

Schiller  selbst  fasst  den  Begriff  „Pause"  als  eine  Art  Zeitmass  und 
gebraucht  deshalb  den  Plural : 

Kab.  V,  3:  einige  Pausen  lang. 
In  den   „Räubern"    kommt    der  substantivierte  Infinitiv    „das  Pausen"   vor. 
Valacstra  XXXII.  20 


—     450     — 

Wendung    dieses  Mittels   in    Schillers  Dramen    zur  Erklärung 
dienen. 

lifland  definiert  die  Pause  als  Betäubung"  des  Seelen- 
vermögens durch  eine  upei-wartete  Begebenheit;  sie  tritt  des- 
halb vor  allem  als  Ausdruck  des  Erstaunens,  der  Bewunderung, 
der  Rührung^)  auf  und  kann  sich  bis  zur  Bestürzung,  ja  bis 
zur  vollständigen  Erstarrung  steigern,  z.  B.  Kab.  V,  7: 

in  langer  todter  Pause  hingewurzelt. 

Beck  fasst  die  Pause  als  den  Übergang  von  einem  Affekt 
zum  andern  auf,  veranlasst  entweder  durch  ein  unerwartetes 
Ereignis  oder  durcli  die  Reflexion,  die  den  Ausbruch  der 
Rede  hemmt.  So  finden  wii-  bei  Schiller  statt  „Pause"  die 
Vorschriften  „besinnt  sich",  ,, verweilt  über  einem  grossen  Ge- 
danken", oder  es  wird  eine  Stellung  oder  Bewegung  ange- 
geben, die  das  Nachdenken  symptomatisch  sichtbar  macht : 

Kab.  I,  3 :  sie  steht  nachdenkend. 

IV,  6:  Lady  macht  einen  Gang  durch  den  Saal. 
V,  2:  nach  einem  qualvollen  Kampf. 

In  solchen  Pausen  des  inneren  Kampfes  vollziehen  sich 
die  wichtigsten  Entschlüsse,  deren  Motivierung  der  Dichter 
sich  auf  Kosten  des  Scliauspielers  erleichtert;  dahin  gehört 
z.  B.  das  „Es  ist  geschehen"  der  Lady  Milford,  nachdem  sie 
in  einer  bedenklichen  Theaterpause  sich  entschieden  hat,  mit 
dem  Herzog  zu  brechen-). 

Weitei-  kennt  Beck  das  Innehalten  auch  als  Steige- 
rungsmittel, als  Ruhepunkt  der  Vorbereitung  für  den  Aus- 
biiich  des  höchsten  Attektes;  hiei'bei  verweist  er  selbst  auf 
die  Pause  vor  dem  grossen  „Nein!"  des  Franz  Moor,  das 
durch  Irlands  Kunst  vielleicht  eine  höhere  l)edeutung  gewann, 
als  der  Dichtei-  urs|)rünglich  ei'wartet  hattc^). 


')  Vj'uui  grosse  I'ause  der  Rührung  fand  Schiller  bereits  in  der  Vor- 
lage der  „Räuber"  l)ei  Schuljart  vor:  „Diss  ist  die  Pause  der  heftigsten 
Leidenschaft,  die  den  Lijjjjen  das  Schweigen  gebietet,  um  die  Redner  des 
Herzens  auftretten  zu  bissen"  (Weltrich  I,  187). 

'^)  IJulthaupt,  Dramaturgie  des  Schauspiels  I,  262.  III,  231. 

')  Goed.  II,  374.  III,  515. 


—     451     — 

Eines  erkennen  wir  aus  allen  Antworten  der  Mannheimer 
Schauspieler  deutlich,  nämlich  den  Gegensatz  zum  Stil  der 
französischen  Schausi)ielkunst,  auf  den  sie  sich  gerade  in  der 
Anwendung  dieses  Kunstmittels  etwas  zu  Gute  taten. 

Von  der  italienischen  Komödie  her  hatten  zwar  die  Kunst- 
pausen auf  dem  französischen  Theater  Eingang  gefunden ; 
aber  in  der  Tragödie  galt  das  längere  Schweigen  nach  wie 
vor  als  dichterische  Armut^).  Wenn  schon  die  feste  Cäsur 
des  Alexandriners  die  wechselnden  Sinneseinschnitte  verbot, 
so  lag  das  gefühlsmässige  Innehalten  vollends  nicht  im  Charakter 
der  Figuren,  die  über  ihr  inneres  Leben  zu  i-eden,  aber  nicht 
es  in  beredtem  Schweigen  zum  Ausdruck  zu  bringen  ver- 
standen. „Les  personnages  de  Racine  ne  se  comprennent  que 
par  ce  qu'ils  expriment  ....  Ils  ne  peuvent  pas  se  taire, 
ou  ils  ne  seraient  plus"  —  so  hat  der  moderne  Dichter  des 
Schweigens^)  diese  altklugen  Pedanten  ihrer  Empfindung^) 
charakterisiert.  Aber  bereits  im  achtzehnten  .Jahrhundert 
hatte  Diderof)  es  ausgespj'ochen,  dass  im  Schauspiele  zu  viel 
geredet  werde;  er  verlangte  deshalb  ganze  stumme  Szenen, 
in  denen  sich  der  Übei'schwang  der  Gefühle  nur  in  Blicken 
und  Bewegungen  äussere.  Damit  wird  die  Pause  zum 
Stimmungsmittel,  und  als  solches  tritt  sie  bereits  bei  den 
Stürmern  und  Drängern  auf. 

Schiller  hat  noch  spätei'  in  den  ästhetischen  Schi'iften^) 
die  schreckliche  Wirkung  eines  langen  Stillschweigens  hervor- 
gehoben: „Eine  tiefe  Stille  giebt  der  p]inbildungskraft  einen 
freyen  Spielraum  und  spannt  die  Erwai'tung  auf  etwas  Furcht- 
bares, welches  kommen  soll."  Zur  höchsten  künstlei'iochen 
Wirkung  ist  die  lastende  Stimmungspause  in  „Kabale  und 
Liebe"  verwendet,  und  zwar  gerade  am  Anfang  grosser  Auf- 
tritte, in  denen  eine  entscheidende  Aussprache  erfolgen  rauss. 

')  Oberländer,  Theat.  Forsch.  XV,  S.  21. 

Düsel,  Theat.  Forsch.  XIV,  S.  21. 
'^)  Maeterlinck,  Le  Tresor  des  Humbles,  S.  33. 
')  Goed.  II,  343. 

*)  Theater  (Lessings  Übers.)  I,  192. 
'')  Goed.  X,  144. 

29* 


—     452     — 

So  vor  der  Szene  zwischen  Lady  Milford  und  Luise  (IV.  7). 
und  besonders  vor  dem  letzten  Auftritt  zwischen  Luise  und 
Ferdinand^),  der  mit  der  Vorschrift  beginnt: 

Grosses  Stillschweigen,  das  diesen  Auftritt  ankündigen  niuss. 
Immer  wieder  werden  hier  die  Versuche,  ein  g-leichgiiltiges 
Gespräch  zu  beginnen,  zu  Boden  gedrückt  durch  die  unbe- 
stimmte Erwartung  des  Furchtbaren,  das  auf  beiden  lastet. 
Diese  Kunst  der  vStimmungsmalerei  trägt  ein  gut  Teil  zu  dei- 
modernen  Wirkung  bei,  die  gerade  „Kabale  und  Liebe"  heute 
noch  auf  der  Bühne  ausübt.  Späterhin  liat  Schiller  solche 
Stimmungen  wieder  in  Worten  auszudrücken  vei'sucht,  z.  B. 
Picc.  1899: 

Es  geht  ein  finstrer  Geist  durch  unser  Haus, 
aber  auch  die  schreckliche  Pause  der  Erwartung  hat  er  im 
„Wallenstein"  noch  ausgenutzt,  z.  B.  wenn  der  Feldherr  lang- 
sam in  dem  langen  Gang  verschwindet;  und  ebenso  im  ..Egmont" 
bei  dem  stummen  Auftreten  dei-  Patrouille  (Itl,  3).  Eine 
lange  vorbereitende  Pause  findet  sich  bereits  in  den  ..Räubern'" 
vor  Herrmanns  Auftreten  in  dei-  Szene  am  Tui'm.  Wenn  nun 
dort  noch  ein  anderes  Stimmungsmittel  hinzutritt,  nämlich  das 
Lied,  so  maclite  Schiller  bereits  beim  ersten  Drama  die  Er- 
fahrung, dass  in  solchen  Anfordei'ungen  die  grösste  Ein- 
schränkung geboten  sei. 

Liedeinlagen.  Zwar  hingen  im  achtzehnten  Jahr- 
hundert Schauspiel  und  Oper  enger  zusammen  als  heute,  und 
gerade  die  Hauptki'äftc,  namentlich  des  weiblichen  Geschlechts, 
wirkten  häufig  auf  beiden  Gebieten;  aber  in  Mannheim  scheint 
mau  die  Gesangcinlagcn  im  Schauspiel  nicht  gern  gesehen  zu 
haben,  und  vcrniutlich  iiuf  Dalbergs  Wunsch,  sicherlich  nicht 
freiwillig,  beseitigte  Schiller  in  dei-  Bühnenbearbeitung  sämt- 
liche Lieder,   obwohl  sein   l^'j-eund  Zumsteeg  sie  bereits    kom- 


')  Diese  lange  l'ause  wurde  geradezu  sprichwörtlich;  vgl.  Ininier- 
manns  „Münchhausen"'  Cap.  H:  „Nach  einer  Pause,  die  so  feierlich  war, 
als  diejenige  zu  sein  pflegt,  welche  die  Komödianten  vor  der  grossen 
Soene  ma(;hen,  in  welcher  die  Liebe  dadurch  über  die  Kabale  siegt,  dass 
Ferdinand  seiner  Louise  Rattenpulver  eingibt,  einer  Pause,  lang  uml  lastend, 
wie  die  vorstehende  Periode,  sagte  das  Fräulein  schüchtern  zum  Freiherrn. . ." 


—     453     — 

poniort  hatte.  iSoirar  das  Räubeiiierl  „Ein  freies  Leben 
fuhren  wir",  auf  das  Plümicke  nicht  verzichtete,  wurde  ire- 
strichen.  Die  unirenüL'ende  Auskunft,  einzehie  Lieder  zur 
Musikbeg-leituniT  sprechen  zu  hissen,  war  (hunals  nicht  üblich, 
vielleicht  weil  die  Kunst  der  melodi-ainatischen  i\ezitation  im 
lyrischen  Drama  ihi'c  eii-ene  PfieL-'stätte  hatte.  Und  so  musste 
auch  in  den  Theaterbeai-beituniren  des  ..Don  Carlos"  die 
Romanze,  in  der  Prinzessin  Eboli  ihie  uniieduldiire  ?j'wartunir 
zum  Ausdruck  bringt,  we<rfallenM:  ebenso  im  „Egmont" 
(Märchens  Lieder").  Für  Thekla  im  ., W'allenstein"  fand  sich 
daLa'La'U  in  A\'cimai'  in  Caroline  Jagemann  eine  im  Cresanir 
wie  im  Spiel  deich  bedeutende  Künstlerin. 

Das  Lied:  ..Der  Eichwald  braust"  steht  an  der  Stelle  eines 
Monoloi.''es,  denn  Thekla  muss  eine  Zeitlanir  allein  auf  der  liühne 
zurückbleiben,  ehe  die  (iiäfin  wiederkehrt.  Indessen  scheint 
Schiller  Theklas  (iesanirin  den  anderen  P.ühnenmanuskrijjten,  \vo 
er  wegfallen  musste.  durch  kein  Selbsti/espi-äch  ersetzt  zu  haben. 
p]r  scheut  durchaus  nicht  den  voi'überirehenden  Stillstand 
zwischen  zwei  Auftiitten  und  lässt  eine  Pei-son  eine  Zeitlang 
stumm  warten,  z.  B.  Franz  Moor  nach  Pastor  Mosers  Weg- 
gehen (V,  1),  den  Präsidenten,  ehe  Ferdinand  kommt  (Kab. 
I,  6)  und  im  Teil  (1.  2)  Stauffacher  nach  der  EntfernuiiL'-  des 
Pfeiffers  von  i^uzern.  Wenn  er  auch  nicht,  wie  bereits 
H.  L.  Wagner  es  tat,  die  langen,  durch  leere  P>ewegungen 
ausgefüllten  Übergangspausen  des  naturalistischen  Dramas 
konsef|uent  <lurchführt.  so  vei-meidet  er  doch  gern  die  inhalt- 
losen Hrückenmonologe,  die  keinen  andern  Zweck  haben,  als 
den  Zwischenraum  zwischen  zwei  Dialogszenen  auszufüllen. 

Richtung  der  Rede.  Ehe  wir  näher  auf  den  Monolog 
eingehen,  seien  die  Vorschriften,  an  wen  sich  im  Dialog  der 
Redende  zu  wenden  hat,  kurz  erwähnt.     Diese  Anweisungen 


')  Bei  Fr.  L.  Schröder  fragte  Schiller  noch  an:  „Ob  die  Schauspielerin, 
der  Sie  die  Prinzessin  Eltoli  zuthcilen.  eine  leidliche  Arie  sing-en  kann? 
J)s  ist  im  Stiikke  darauf  gerechnet  und  wenn  es  also  nicht  wäre  so  musste 
ich  damit  eine  Änderung  treffen."     (18.  Dez.  86.     .Jonas  I,  321.) 

')  Köster  S.  4. 


—     454     — 

können  am  wenig-sten  entbehrt  werden;  selbst  in  der  fran- 
zösischen Tragödie  fehlten  sie  nicht  ganz,  und  Corneille  war 
deshalb  in  Gegensatz  zu  Hedelin  getreten,  weil  er  fürchtete, 
im  fünften  Akte,  wo  alle  Personen  zusammenkämen,  würden 
die  Schauspieler  ohne  besondere  Anweisung  nicht  wissen,  an 
wen  die  Worte  zu  richten  seien^). 

Die  Verteilung  unter  wenige  Personen  lässt  sich  aus 
dem  Sinn  erschliessen,  wobei  die  veränderte  Richtung  durch  den 
Gedankenstrich^)  verdeutlicht  wird,  der  z.  B.  im  folgenden 
Fall  eintritt,  weil  der  Vers  nicht  durch  eine  neue  Anweisung 
(„zu  den  andern  Reitern")  unterbrochen  werden  soll: 
Teil  177  f.:  Erster  Reiter  (zum  Hirten  und  Fischer). 
Ihr  habt  ihm  fortgeholfen, 

Ihr  sollt  uns  büssen  —  Fallt  in  ihre  Herde! 

Die  Hütte  reisset  ein,  brennt  und  schlagt  nieder! 

Die  indirekte  Form,  nämlich  die  Anrede  mit  Namen,  ist 
auch  bei  grosser  Personenzahl  die  beste  Art,  Klarheit  zu 
schaffen : 

Teil  37:  Mach  hurtig,  Jenny. 

42:  's  kommt  Regen,  Fährmann, 

doch  hat  Schiller  keinen  Wert  darauf  gelegt,  dadurch  direkte 
Vorschriften  zu  sparen  (vgl.  Teil  46),  und  in  der  „Braut  von 
Messina",  die  an  anderen  Anweisungen  sehr  enthaltsam  ist, 
bleiben  diese,  auch  wo  sie  entbehrlich  wären,  reichlich  stehen. 
Die  häufigste  Form  ist  ein    „zu"   mit  folgendem   Namen, 

aber  auch  der    vollere  Ausdruck    „wendet  sich  gegen " 

ist  nicht  selten,  und  er  sagt  in  der  Tat  mehr;  denn  es  ist 
ja  auch  ein  Widerspruch  zwischen  Blickrichtung  und  Rede 
möglich,  z.  B.: 

M.  St.  '2229  a:  Sie  fixiert    mit  den  Augen    die   Maria,    indem  sie  zu 
Faulet  weiter  spricht. 

')  Zickel,  Die  scenar.  Bem.  im  Zeitalter  Gottscheds  u.  Lessings. 
Berl.  Diss.  S.  8. 

-)  Vgl.  auch  W.  T.  1047  tl.:  Macht  Euch 

Darüber  keine  Sorge !  —  Das  gelang ! 
Glück  sey  uns  auch  so  günstig  bey  den  andern ! 
Die  ersten  Worte  sind  noch  dem  abgehenden  Isolan  nachgerufen;  der  Ge- 
dankenstri'^'h  bedeutet  also  den  Zeitpunkt,  wo  er  das  Zimmer  verlassen  hat; 
von  da  ab  beginnt  Üctavios  Selbstgespräch. 


—     455     — 

Ein  volles  Zuwonden  zur  anL'"er('dcten  Person  war  auf 
dem  Weimarer  Theater  überhaupt  nicht  erlaubt,  denn  Goethe 
nannte  es  eine  missverstandene  Natürlichkeit,  wenn  die  Schau- 
spieler unter  einander  spielten,  als  ob  kein  Dritter  vorhanden 
wäre.  Er  verbot  deshalb  die  Profilstollunir  und  sicwann  die 
Möirlichkeit,  mit  dem  Publikum  auch  den  Aiig'crcdeteu  ins 
Auge  zu  fassen,  durch  die  andere  Vorschrift,  dass  unter  zwei 
zusammen  Agierenden  der  yprecheude  stets  ein  wenig  zurück- 
trete^). 

Gegen  das  Publikum  sprechen  bedeutet  natürlich  nicht 
ein  Sprechen  mit  den  Zuschauern,  wie  es  dem  Weimarer  Stil 
fälschlich  vorgeworfen  wurde;  diese  Wendung  ad  spoctatores 
wurde  nur  bei  Stücken  fi'cmden  Stiles  beibc^halten,  und 
Schiller  z.  H.  änderte  sie  weder  bei  der  Übersetzung  der 
französischen  Lustspiele,  noch  in 'riiraiidot  (1137.  1100.  1258. 
1303). 

Ein  fremdes  Element  war  auch  das  Ajtaite,  das  auf  dein 
südländischen  Theater  seinen  lioden  hatte,  und  dem  wir  in 
„Turandot"  am  häutigsten  begegnen.  I>ei  dei-  Intrigue  und 
bei  Verstellungen  war  es  am  wenigsten  entbehi'lich,  und  dai-aus 
erklärt  sich,  dass  es  mit  diesen  Motiven  in  Schillers  eigenen 
Stücken  abnimmt.  Meist  sind  es  kurze  Ausrufe;  nur  im 
., Wallenstein"  tritt  ein  Rückfall  ein,  indem  der  Grätin  Teizky 
ein  Aparte  zugewiesen  ist  (Picc.  1391  — 1410),  das  wegen 
seiner  Länge  uimatüilich  wirkt  und  schwer  zu  spielen  ist'). 
Auch  in  der  Samborszeiu;  des  „Demeti'ius"'  hat  Lodoiska  IG 
Verse  für  sich  zu  sprechen,  aber  es  ist  mehr  Monolog  als 
Aparte,  denn  die  zweite  Person,  Demetrius,  ist  während  dessen 
in  tiefe  Gedanken  verloi'on  und  kommt  erst  bei  der  Anrede 
zu  sich^). 

Schiller  schreibt  meist  ,,vor  sich'",  während  ,,bei  Seite" 
die  heimlich  zu  einem  andern  gesprochenen  Worte  betrifft 
(Picc.  2126.  220H.  2244.       W.  T.    146().    1555.    2020).      Als 


■)  W.  A.  I,  Bd.  40.  S.  154  f. 

-)  Kilian,  Der  einteilige  Theater- Wallenstein.  S.  29. 

')  ürani.  Kachl.  I,  S.  74. 


—     456     — 

weitere  Bezeichnunar  für  das  Selbstcespräeh  kommt  die  Klammer 
vor  (z.  B.  Carlos  1781.  1799  if.);  auch  der  Gedankenstrich 
hat  wiederum  die  Funktion,  laut  und  leise  Gesprochenes  zu 
scheiden  (Kab.  IV,  7,  8.  360,  io-2ü.  Carlos  -2991). 

Endlich  aber  lässt  sich  dieser  Wechsel  auch  durch 
äussere  Bewegung-en  unterstützen.  Der  zu  sich  selbst 
^Sprechende  entfernt  sich  von  den  Mitspielenden  und  kommt 
erst  zurück,  wenn  er  sich  wieder  an  diese  wendet.  So  schon 
in  der  Bühnenbearbeitung-  der  ..Räuber"  IV,  17: 

R.  Moor  (tritt  ausser  sich  auf  die  Seite).  Hörst  du's  Moor?   Hörst  du's? 
Es  fängt  an  zu  ta2:en !  Fürchterlich!  fürchterlich! 

Ähnlich  Don  Carlos  1738  —  1742  und  an  der  erwähnten  Stelle 
des  Demetrius  (v.  284-301). 

Damit  ist  die  Unwahrscheinlichkeit  gemildert,  dass  der 
Mitspielende  g"ar  nichts  von  den  Worten  bemerkt'),  die  die 
Zuschauer  deutlich  vernehmen.  Das  ^Vparte  unterliegt  darin 
anderen  Bedingungen  als  der  Monolog,  der  nach  dem  Brauch 
des  achtzehnten  Jahrhunderts  sehr  wohl  belauscht  werden 
kann,  z.  B.  in  Goethes  „Mitschuldigen"  (II,  3),  wo  Söller 
Sophiens  Monolog  anhört,  ohne  dass  sie  etwas  von  seinen 
Zwischenbemerkungen  vernimmt. 

Monolog.  Beiseitesprechen  und  Monolog  hätte  Gott- 
sched '^)  gern  als  gleich  unnatürlich  vcrm'tcilt,  doch  musste 
er  den  Monolog  im  starken  Affekt  und  dann  in  kürzestei- 
Fassung  zulassen.  Alle  Theoretiker  des  achtzehnten  Jahi'- 
hunderts  ^)  konnten  sich  mit  diesem  für  die  damalige  Technik 
unentbehrlichen  Hülfsmittel  nur  unter  grossen  Schwierigkeiten 
abfinden,  weil  sie  das  Pi-jnzip  der  Nachahmung  überall  zum 
Prüfstein  machten. 


*)  In  den  „Räubern"  kommt  auch  das  scheinbare  Aparte  vor,  das  für 
die  Ohren  des  Mitspielenden  bestimmt  ist:  I,  1  (S.  15)  halb  vor  sich; 
I,  3  (S.  51)  wie  vor  sich,  aber  laut. 

2)  Waniek,  S.  118.  Servaes,  Die  J'oetik  Uottscheds  u.  d.  Schweizer. 
Qu.  u.  Forsch.  LX,  S.  33  f. 

*)  Düsel,  Der  dramatische  Monolog-  in  der  Poetik  des  17.  u.  18.  .lahr- 
hunderts.    Theat.  Forsch.  XIV. 


—     457     — 

Als  etwas  Unnatürliches  wii'd  der  ^fonoloi;'  (odei*  wie  im 
achtzehnten  .lahi'hundert  iiesaLit  wurde.  ..die  Monoloiic")  zuirc- 
g-elassen,  um  zAvei  Auftritte  auseinanderzuhalten:  so  ist  der 
Brückenmonolog'  z.  B.  bei  Sonnenfels^)  motiviert:  ..Nach  dem 
angenommenen  Gesetze,  die  Schaubühne  nicht  leer  zu  lassen, 
dienen  die  kleinen  Monolog^en.  zwischen  die  Zusammenkunft 
zwoer  Personen  zu  treten,  die  sich  nach  der  Absicht  des 
Dichters  nicht  sehen  sollen." 

Als  natürlich  begründet  g-alt  dageg'-en  ein  kurzer  abg"e- 
rissener  ^Monolog  auf  dem  Höhepunkt  des  Affekts;  auch  dafür 
soll  wiederum  Sonnenfels  auLreführt  werden:  ..Man  ist  über- 
haupt von  dem  runatiiilichen  der  Monologe  so  sehr  überführet, 
dass  man  übereiiiLiekommen.  sie  überall  für  fehlerhaft  anzu- 
sehen, wo  nicht  die  Leidenschaft  auf  das  Höchste  g-espannet, 
und  das  Herz  gleichsam  zu  enge  ist,  den  inneren  Kampf  in 
sich  zu  fassen.  -  In  solchen  Augenblicken  stösst  der  unruhe- 
volle Mensch  einzelne  unzusammenhängende  Reden  aus;  er 
spricht  nicht,  er  artikulii't  gebrochne  Töne,  er  ist  unstätt, 
sitzt,  steht,  läuft  hin  und  wieder,  g-ebehrdet  sich  wunderbahr- 
lich.  Das  ist  das  Muster,  die  Reg-el  der  Monolog-e ;  für  den 
Schriftsteller  und  Schauspieler  — '' 

Endlich  aber  gab  es  in  der  Praxis  noch  ein  drittes  Mittel, 
dem  Selbstg-espräch  Pjerechtigung  einzuräumen,  nämlich  indem 
man  es  als  die  besondere  Anirewohnheit  gewisser  Personen 
hinstellte.  In  dieser  Form  hat  der  Monolog  seltsamer  Weise 
namentlich  in  die  Technik  des  Romans  Eing-ang  gefunden,  wo 
er  als  Mittel  intimer  Offenbarung  an  Stelle  des  Briefes  trat. 
Wieland  z.  B.  sucht  die  langen  Monolog^e  seines  Ag"athon 
aus  dieser  Eigenheit  des  Helden  zu  erklären,  und  Goethe 
hat  auf  dieses  Motiv  eine  eanze  Novelle  autVebaut  ^). 


')  Briefe  üb.  d.  Wiener  Schaubühne,  S.  650.  655. 

2)  „Wer  ist  der  A'erräther"'  in  .,Wilh.  Meisters  Wamlcrjahren". 
Vg-1.  Riemann,  Goethes  Roniantechnik,  S.  373  ff. 

Auch  das  bürg-erliche  Drama  liebte  diese  Motivierung  gleich  in  der 
Exposition  anzubringen,  vgl.  Tfflands  „Verbrechen  aus  Ehrsucht"  I,  2; 
Kotzebues  „Menschenhass  und  Reue"  I,  1. 


—     458     — 

Charakteristisch  für  das  ganze  achtzehnte  Jahrhundert 
ist,  dass  man  den  Monoloir  immer  als  etwas  wirklich  Ge- 
sprochenes auffasst,  niemals  als  Symbol  der  Gedanken. 
Während  man  das  Beiseitesprechen  als  eine  Lizenz  des  Dichters 
gelten  liess,  der  auf  diese  Weise  unausgesprochene  Gedanken 
dem  Publikum  vermittelt,  war  man  weit  entfernt,  dasselbe 
Prinzip  auch  auf  den  Monolog  auszudehnen.  Ei-st  zur  Zeit 
der  Romantik  wurde  diese  Konsequenz  gezogen,  und  in 
Seckendorfs  „Vorlesungen  über  Deklamation  und  Mimik" ') 
finden  wir  deshalb  die  ganzen  Natürlichkeitsbedenken  des  acht- 
zehnten Jahrhunderts  abgelehnt. 

Eine  Hauptfrage  in  der  Auffassung  des  Monologes  ist 
die,  ob  er  auch  von  Mitspielenden  belauscht  w^erden  kann. 
Meistens  wird  dieser  Schwierigkeit  durch  ein  rechtzeitiges 
Abbrechen  beim  Herannahen  andrer  Personen  aus  dem  Wege 
gegangen  ^ ) ;  trotzdem  zeigen  sich  in  einzelnen  Fällen  fast 
alle  Dramatiker  von  Lessing  bis  auf  Heinr.  v,  Kleist  von  der 
Natürlichkeitstheorie  hierin  abhängig.  Schiller  ist  es  nicht 
nur  in  den  ersten  Stücken,  z.  B. 

Kab.  IV,  9:  Sie  glühen  --  Sie  sprechen  mit  sich  selbst 

V,  1:  Tochter!  ich  sprach  vorhin  etwas.     Ich    glaubte  allein 
zu  seyn.     Du  hast  mich  behorcht  .  . .  , 


')  I,  S.  200:  „Stellt  man  die  Frage  nur  so  auf:  Wann  pflegen 
Menschen  in  der  Einsamkeit  ihre  Gedanken  laut  werden  zu  lassen?  so 
macht  man  die  Kunst  abhängig  von  der  NachätTung  der  Wirklichkeit,  das 
heisst,  sie  hört  auf,  freie  Kunst  zu  seyn.  Uas  Denken  selbst  wird  durch 
den  Monolog,  das  innerste  Empfinden  durch  ihn  repräsentirt.  Das,  woran 
ein  innerer  Grund  uns  hindert,  es  andern  zu  sagen,  sagen  wir  uns  selbst, 
sey's,  dass  dabei  unsere  Gedanken  laut  werden  oder  nicht.  Frei  schaltet 
die  Kunst,  einmal  lässt  sie  diesen  innern  Wechsel  durch  Worte  sich  kund 
thun,  einmal  nur  durch  Gesten  und  Mienen;  und  die  innere  Wahrheit  des 
Selbstgesprächs  geht  nur  verloren  auf  zweierlei  Weise: 

1)  'Wenn  darin  etwas   gesagt    wird,    was    der    mit    sich    Selbst- 

sprechende nicht  wissen  kahn. 

2)  Wenn  etwas  gesagt  wird,  nicht  um  den  Zustand  seines  Innern 
zu  zeicen,  nicht  als  innerer  Zustand,  sondern  um  nur  dem 
Zuschauer  Mittheilungen  zu  machen,  streng  genommen,  gleich 
viel  durch  wen.'' 

-')  Vgl.  oben  S.  70. 


—     459     — 

sondern  auch  noch  im  ..Wallenstein",  wo  Gordons  Selbstge- 
spräch von  Buttler  g-ehört  wird  (VV.  T.  3G80).  Wenn  auch 
noch  in  „Turandot"  Altoums  laute  Gedanken  durch  Pantalon 
glossiert  Averden : 

Rappelts  der  Majestät?  Was  kömmt  sie  an. 

Dass  sie  in  Versen  mit  sich  selber  spricht? 

so  ist  diese  Ironie  freilich  nicht  »Schillers  Art,  sondern  eine 
Anpassung  an  den  Stil  Gozzis. 

Mustern  wir  nun  die  einzelnen  Dramen  auf  ihren  Reich- 
tum an  Monologen,  so  hat  eine  blosse  Statistik  zunächst 
keinen  Wert,  solange  nicht  die  Bedingungen  des  gegebenen 
Stoffes,  die  Häutigkeit  des  Dekorationswechsels,  die  Personen- 
zahl und  die  Charaktere  der  Hauptpersonen  mit  in  Rechnung 
gezogen  werden.  Aber  auch  dann  bleibt  das  Ergebnis  folgen- 
des: die  Zahl  der  Monologe  nimmt-ab,  die  einzelnen  Monologe 
wachsen  an  Bedeutung.  In  den  ..Räubern"  zählen  Avir  neunzehn 
Selbstgespräche,  die  teilweise  ganz  kurz,  zum  Teil  auch  unter- 
geordneten Personen  in  den  Mund  gelegt  sind ;  im  „Teil" 
sind  es  nur  noch  zwei,  darunter  der  eine  grosse  Monolog 
des  Helden  vor  der  Tat. 

Die  grosse  Zahl  der  Monologe  in  den  ersten  Dramen  ist 
nicht  einmal  eine  technische  Notwendigkeit.  Da  der  Dichter  auf 
die  Einheit  des  Ortes  verzichtet  hatte,  bedurfte  er  nicht 
mehr  der  vielen  Verbindungsmonologe  zwischen  einzelnen  Auf- 
tritten. Auch  die  Verj)Hiclitung  der  liaison  des  scenes  (vgl. 
S.  U)5)  war  aufgehoben,  und  Schiller  hatte  kein  Bedenken, 
die  Bühne  zwischen  zwei  Auftritten  leer  zu  lassen;  in  den 
Räubern  entsteht  eine  solche  Lücke  sogar  durch  die  :Hach- 
barschaft  zweier  Monologe  (IV,  2,  S.  132;  im  Trauerspiel 
IV,  2  und  IV,  3). 

Andererseits  ist  die  Abnahme  der  Monologe  nicht  aus 
Natürlichkeitsgründen  zu  erklären;  im  Gegenteil  zieht  Schiller 
den  Monolog  der  Vertrautenszene  vor,  wie  Turandot  III,  1 
beweist  (bei  fiozzi  war  es  das  Gespräch  Adelmas  mit  einer 
Sklavin).  Die  Ursache  liegt  vielmehr  einmal  in  der  seltneren 
Verwendung  des  heimliclien  Intrigucnspiels,  und  ferner  in  der 


—    4fin    — 

wachsenden  Ausdehnuni^'  und  Ikdeutung  des  einzelnen  Mono- 
loges,  dei-  zu  einem  poetischen  Höhepunkt  wird  und  deshalb 
nicht  verschwendet  werden  darf. 

Inwiefern  die  fStelluiiir  des  Monoloiics  den  ganzen  Gani,' 
der  HandluniT  beeinflusst,  wie  der  monologische  Aktanfang 
einen  jambischen,  das  volle  Einsetzen  mit  einer  Dialogszene 
trochäischen  Rhythmus  schafft,  das  hat  DüseU)  feinsinnig  aus- 
geführt. Ebenso  kann  man  auch  von  einem  Rliythmus  des 
^lonologes  selbst  spreclien  und  den  steigenden  und  fallenden 
^lonolog  unterscheiden. 

Beispiele  des  fallenden  Monologes  sind  voi-  allem  die 
Selbstoffenbarungen  des  Heuchlers,  der,  sobald  er  allein  ist, 
die  Maske  abwirft  und  im  schärfsten  Gegensatz  zu  seinem 
bisherigen  Benehmen  hervoi-tritt.  Am  wirkungsvollsten  setzt 
ein  solcher  Monolog  mit  dem  höhnischen  Nachrufen  hinter  dem 
Angeführten  ein,  z.  B.  Franz  Moors  ., Tröste  dich,  Alter!"  (I,  1), 
des  Mohren  .,8tehn  wir  so  miteinander?"  (Fiesko  IH,  7), 
Mortimers  .,Geh',  falsche,  gleissnerische  Königin!"  (M.  8t. 
II,  6).  Auch  die  Versuche,  den  Davoneilenden  zurückzuhalten 
und  das  Gespräch  noch  fortzusetzen  (Carlos  1886;  Teil  943) 
gehören  hierher,  Avie  überhaupt  alle  Anknüpfungen  an  den 
letzten  Auftritt-),  z.  B.  Posas  „Wohl  gesprochen,  Herzog" 
(Carlos  2951),  Theklas  .,Dank  dir  für  deinen  AVink!"  (Picc. 
1887)  und  die  Worte,  die  Johanna  dem  toten  Montgomery 
zuruft  (Jgfr.  220131. 

Der  fallende  Monolog  also  geht  von  dem  Höhepunkt  aus, 
auf  dem  der  vorausgehende  Auftritt  schloss;  die  Reflexion 
des  Alleingebliebenen  verarbeitet  die  Eindrücke,  die  das  Er- 
lebnis hinterliess.  Aber  sogar  der  neue  Akt  kann  mit  einem 
fallenden  Monolog  einsetzen,  sobald  es  sich  darum  handelt, 
ein  Ereignis  des  Zwischenaktes  zu  verarbeiten;  ein  Beispiel 
ist  Wallenstcins  „Du  hasts  erreicht,  Octavio"  (W.  T.  III,  13; 


')  Theat.  Forsch.  \l\\  S.  35. 

')  Z.  n.  auch  <ler  Kirisat/.:  „Wär.s  iiiü<,'lich?"'  (Carlos  IV.  6.  W.T.I,  4) 
und  Leicesters  Monolos,'  (M.  St.  V,  10),  der  mit  der  vollen  T.adung  des 
Affektes  beg-innt. 


—     461      — 

ursprüng-lich  Anfan.ir  dos  zweiten  AufziiLtes)  und  Rüttlers  ,,Kr 
ist  herein"  (W.  T.  IV,  1).  Die  liezeiclinuni,»-  ..fallend"  bezieht 
sich  zunächst  nui-  auf  den  Einsatz,  denn  durchaus  nicht  immer 
braucht  der  Monolotr  am  Schluss  die  Ruhe  und  das  innere 
Gleichg-ewicht  herzustellen  (z.  B.  Carlos  III,  10),  sondern  er 
kann  zu  einem  neuen  Plan  und  Entschluss  aufsteigen  und 
wieder  mit  einer  Hebun<r  enden  (z.  B.  Carlos  II,  9). 

Den  Ansprüchen  der  Natürlichkeit  g-eschieht  durch  den 
fallenden  Monolog"  insofern  Genüge,  als  sich  die  Person  g^leich 
beim  Einsetzen  auf  einer  Höhe  des  Affektes  befindet,  die  das 
»Selbstg-espräch  motiviert.  Noch  mehr  indessen  entspricht  diesen 
Forderungen  der  steig" ende  ^lomdog-,  dei*  aus  dumpfem 
Dahinbrüten  sich  laniisam  zui-  zusammenhäng-enden  Rede  ent- 
wickelt. Das  ist  die  Form  des  Monologes,  die  Home')  em- 
pfohlen hat:  ,,ln  einem  atfekt vollen  Monolog"  fäng-t  man  damit 
an,  dass  man  laut  denkt  und  bloss  die  stärksten  Gefühle 
werden  dann  ausgredrückt.  In  dem  Masse,  wie  man  hitziger 
wird,  fängt  man  an,  sich  einzubilden,  dass  man  von  Andern 
gehört  wird,  und  gei'äth  allmählig  in  eine  zusammenhängende 
Rede. 

Beispiele  für  die  stumme  Eröffnung  sind  bei  fSchiller 
nicht  selten: 

Raub.  II,  1 :  nachdenkend  in  seinem  Zininier 

Kai).  III.  ö:  Sie  bleibt  noch    eine  Zeit    lang-    ohne    Bewegung  und 

stumm  in    dem    Sessel  liegen,    endlich    steht    sie    auf, 

kommt  vorwärts  und  sieht  furchtsam  herum. 
IV,  4:  nach  einem   langen  Stillschweigen,    worinn  seine  Züge 

einen  schreklichen  Gedanken  entwikeln. 
Carlos  V,  9:  Endlich  bleibt  er  gedankenvoll   stehen,  die  Augen  7Air 

Knie    gesenkt,    bis  seine  (remüthsbewegung    nach  und 

nach  laut  wird. 

Steigend  setzen  die  vorbereitenden  Monologe  ein,  die  dem 
Ausdruck  der  ungeduldigen  Erwartung  (W.  T.  ILI,  II; 
M.  St.  V,  11:  Braut  IL  I)  oder  der  Ratlosigkeit  (Jgfr.  II,  6) 
dienen.  Sie  schliessen  mit  einer  Hebung,  wenn  dei"  Monolog 
in  einer  Entscheidung  gipfelt,  z.  13.  Franz  Moors:  ..Triumph! 


')  Grunds,  d.  Kritik,  ühs.  v.  Meinhard,  3.  Auti.  II,  250. 


—     46Ö     — 

—  t)er  Plan  ist  fertig"  (Trsp.  11,  1)  oder  Fieskos:  „Ich  bin 
entschlossen!''  (111,  3),  oder  wenn  sogar  die  Ausführung  des 
Entschlusses  sogleich  erfolgt  (Kab.  IV,  8.  M.  St.  IV,  ]0). 

Ebenso  wie  der  fallende  Monolog  als  Anknüpfung  an  das 
Vorhergegangene  den  Akt  eröffnen  konnte,  so  können  Ent- 
schlussmonologe an  das  Ende  des  Aktes  oder  einer  Szene 
treten  (z.  B.  Kab.  II,  7),  um  zu  dem  Kommenden  hinüber- 
zuleiten. Der  Entschluss  ist  Abgangsmotivierung,  und  um 
den  Abgang  dankbarer  zu  gestalten,  soll  Schiller  für  eine 
spätere  Aufführung  der  „Jungfrau  von  Oileans"  noch  einige 
Schlussverse  zu  IV,  3  gedichtet  haben^).  Deren  Echtheit  ist 
jedoch  nicht  verbürgt,  und  es  fällt  auf,  dass  dieser  Abgang 
nicht  gereimt  ist,  wie  es  Schillers  spätere  Gewohnheit  war. 
Sicher  echt  ist  dagegen  ein  nachträglich  gedichteter  Monolog 
Posas  (nach  IV,  17),  worin  mit  einem  klingenden  Abgang  die 
Verdeutlichung  des  Vorhabens  verbunden  ist^). 

Die  Entschlussmonologe  vor  der  Tat  sind  charakteristisch 
für  Schiller,  zu  dem  hierin  H.  v.  Kleist^)  im  grössten  Gegen- 
satz steht.  Kleist  gibt  nicht  das  Entstehen  eines  Planes;  für 
ihn  hat  die  Überlegung  ihren  Zeitpunkt  nach  der  Tat;  seine 
Personen  erzählen  uns  fertige  Tatsachen  oder  kommen  mit 
fertigen  Entschlüssen  auf  die  Bühne,  aber  die  Form  der  Rede 
ist  knapp,  abgerissen  und  minder  vorbereitet  als  in  Schillers 
späteren  Monologen. 

AVenn  wii-  vom  Rhythmus  eines  Monologes  "sprechen,  so 
begreifen  wir    dai-in    auch  das    innere    Leben,    das   Hin-  und 


')  Goed.  XV,  1.  S.  420. 

')  Goed.  V,  2.  S.  37G.  Minor,  Aus  d.  Schillerarchiv,  S.  KU  f. 
Nachträglich  weggefallen  ist  dagegen  im  ,,Wallenstein"  ein  Monolog  Buttlers, 
der  früher  den  Schluss  des  zweiten  Aktes  bildete.  Diese  genaue  Rechen- 
schaft über  sein  Vorhaben  entsprach  dem  verschlossenen  Charakter  wenig; 
ausserdem  hatte  der  Gedankengang  mit  dem  inzwischen  gedichteten  Ent- 
schlussmonolog Elisabeths  in  „Maria  Stuart"  zu  viel  Ähnlichkeit  (Goetl.  XII, 
346.  Kürner  an  Schiller  IG.  .Jan.  1800.  Kettner,  Zeitschr.  f.  d.  l'hil. 
XVI,  S.  54  f.), 

•■')  Düsel,  Theat.  Forsch.  XIV,  S.  70.  86.  Minde-Pouet,  Kleists  Stil 
S.  20  ff. 


—     46,^     ^ 

Herwogen,  in  dem  die  aufsteigenden  Gegensätze  ilii'cn  Aus- 
gleich finden,  also  mit  einem  Wort:  das  Dialogische.  Das 
Nachrufen  hinter  dem  eben  Forteilenden,  die  Apostrophe  eines 
Abwesenden  (Fiesko  II,  19),  das  Anrufen  Gottes  (Raub.  II,  8. 
S.  96),  endlich  die  Anrede  an  sich  selbst,  das  wirkliche 
.Selbstgespräch,  in  dem  sich  der  Redende  in  zwei  Parteien 
teilt,  sind  solche  dialogische  Elemente.  Der  innei'e  Gegensatz 
kommt  auch  in  den  äussei'cn  Bewegungen  zum  Ausdruck,  in 
dem  Auf-  und  Niedergehen,  das  plötzlich  durch  einen  widei- 
sprechenden  Gedanken  uehommt  wird,  oder  in  dem  Springen 
von  einer  Seite  auf  die  andere,  wochirch  sich  die  eine  Person 
zu  verdoppeln  scheint  (Fiesko  III,  7).  Vor  allem  aber  ist 
die  Sprache  das  Mittel,  diesen  inneren  Kampf  zu  charak- 
terisieren. Im  dialogischen  Monolog  jagen  und  drängen  sich 
die  Gedanken;  keinei-  kommt  zur  vollen  Aussprache;  von  dem 
wogenden  Meer  der  Leidenschaft  wei'den  nur  die  aufspritzen- 
den Wellenkämme  sichtbar,  und  die  kui'zen  Ausrufe,  die  unwill- 
kürlichen Retlexlaute  sind  wie  das  Wetterleuchten  dieses 
Sturmes;  ein  Beispiel  ist  Fi-anz  Moors  Monolog  in  den 
,.Räubern''  (II,   1): 

(tief sinnend I  Wie?    -  Nun?  —  Was?  Nein!  —  Ha!  (auffahrend) 
Schrek  —  Was  Ivann  der  Schrek  nicht?  — 

Dieser  coupici'tc  Stil,  der  in  Lessings  Sprache  vorbereitet 
ist,  rausstc  im  Versdrama  seine  Einschränkung  erfahren,  denn 
im  Rhythmus  liegt  ein  oi'dnendcs  Prinzip,  eine  Sammlung  und 
Gliederung  des  Chaotisclieii.  Im  ,,Doii  Carlos"  haben  wir 
trotzdem  im  Selbstgespi-äeh  der  Pi'inzessin  Eboli  (II,  9)  noch 
das  Muster  eines  dialogischen  Moiiologcs  vor  uns,  aber  später 
entstehen  die  Gedanken  nicht  mehr  so  scheinbar  improvisiert 
während  des  Redens:  sie  wachsen  nicht  mehr  so  ui-sprünglich 
auf  dem  Felde  einer  bestimmten  di-amatischcn  Situation, 
sondern  werden  wie  ein  gebundener  Blumensti'auss  darge- 
reicht. 

Wenn  man  diesen  Monologstil  an  dem  Shakespeares  misst, 
wird  man   leicht    ungerecht    und   tadelt,    wie    Otto  Ludwig^), 


')  Werke,  hsg.  v.  A.  Stern  u.  E.  Schmidt  V,  S.  137,  282  ff. 


—     464     — 

dass  in  Schillers  Bergschaclit  tlie  geprägten  Tlialei"  nnd 
Dukatenstiicke  blinkend  und  locker  im  Gestein  stecken,  dass 
seine  Dichtung  sich  mit  Sentenzen  wie  mit  Christbaumschmuck 
behängt,  statt  sie  als  natiii*licho  Früchte  i-eifen  zu  lassen. 
Abel-  man  darf  nicht  vergessen,  dass  Schillers  spätere  Monologe 
eine  andere  Funktion  haben  als  die  Shakespeares,  dass  sie 
nicht  mehr  so  unbedingt  im  Dienst  der  dramatischen  Ent- 
wicklung stehen  und  sie  als  notwendige  Pfeiler  stützen, 
sondern  dass  sie  aus  dci"  Situation  als  selbständige  Träger 
poetischer  Schönheiten  herauswachsen.  Hamlets.  „Sein  oder 
Nichtsein"  ist  nur  aus  dem  ganzen  Di-ama  zu  verstehen; 
Johannas:  ..Lebt  wohl,  ihr  Berge"  hätte  Schiller  mit  Weg- 
lassung der  letzten  Strophe  in  seine  Gedichtsammlung  auf- 
nehmen können  so  gut  wie  den  lyiischen  Monolog  der  , .Kindes- 
mörderin" oder  „die  Klage  der  Ceres". 

Auch  die  natürliche  Motivierung,  wie  sie  in  dem  fallen- 
den oder  steigenden  Eingang  lag,  ist  in  den  grossen  Monologen 
der  späteren  Dramen  entbehrlich;  an  ihre  Stelle  tritt  eine 
überlegte  Disposition;  die  Jungfrau  (IV,  1)  und  Teil  (IV,  3) 
gehen  erst  von  der  Schilderung  der  äusseren  Situation  zur 
Entwicklung  ihres  Seelenzustandes  über.  In  den  psycho- 
logischen Partien  aber  jagen  sich  nicht  die  Gedanken  und 
Vorstellungen,  ohne  einander  das  Wort  zu  lassen,  sondern  eines 
reiht  sich  an  das  andere,  und  jede  Stimmung  wird  in  vollem 
Ausklingen  erschöpft.  An  die  Stelle  der  symptomatischen 
Natui'iiachahmung  tritt  die  symbolische  Repräsentation. 

Wenn  die  grossen  Monologe  der  letzten  Dramen  mit 
G^sangsarien  verglichen  wurden^),  so  hätte  Schiller  den  Vor- 

1)  Köster  (Preuss.  Jahrb.  68.  Jg.  1891.  S.  192  flf.)  hat  auf  den  P^in- 
fluss  des  lyrischen  Dramas  aufmerksam  gemacht,  das  dem  einzelnen  Schau- 
spieler eine  I'araderoUo  darbot.  Die  Einförmigkeit  der  langen  Rede  wurde 
durch  die  musikalische  Begleitung  gehoben,  und  dieses  Mittel  sehen  wir 
auch  bei  Schiller  in  Anwendung  treten.  Bei  Theklas  Monolog  (Picc.  III,  9) 
sind  es  die  Klänge  der  Tafelmusik;  in  „Maria  Stuart"  (III,  l)dieHürner 
der  königlichen  Jagd,  in  der  „.lungfrau  von  Orleans"  (IV,  1)  Flöten  und 
Hoboen,  im  „Teil"'  (IV^,  3;  die  Musik  des  Brautzuges.  Schon  in  der 
Konzeption  hat  Schiller  dieses  Mitwirken  der  Musik  vorgesehen,  wie  der 
für  den  „Denietrius"  geplante  Monolog  der  Loiioiska  beweist:  „Ihr  Monolog, 
wenn  er  abgegangen  un<l  wenn  die  Hörner  ertönen."    (Dram.  Nachl.  I,  111.) 


—     465     — 

wiirf  vioUciclit  nicht  einmal  als  solchen  empfunden,  denn  gerade 
in  (ici-  Oper  sah  er  späterhin  ein  Vorbild  der  repräsentieren- 
den Kunst.  Der  i^TOsse  Umsclnvunti-.  den  hierin  seine  An- 
schauungen nahmen,  wirft  ein  Licht  auf  die  Entwicklung-  von 
Schillers  dramatischem  Stil.  Bezeichnete  er  in  Mannheim  ein- 
mal die  Oper  als  ein  Autodafe  über  Natur  und  Dichtkunst^), 
SO  hatte  er  bei'eits  1797  das  Vertrauen,  dass  aus  ihr,  wie  aus 
den  Chören  des  alten  Bacchusfestes,  das  Trauerspiel  in  einer 
edlern  Gestalt  sich  loswickeln  sollte:  „In  der  Oper  erlässt 
man  wii'klich  jene  servile  Katurnachahmunü-.  und  obg-leich  nur 
untei'  dem  Namen  von  Tndult^enz,  könnte  sich  auf  diesem 
Weg-c  das  Ideale  auf  das  Theater  stehlen''^). 

Diese  Absage  an  den  Naturalismus  bezieht  sich  auch  auf 
den  Vortrag-.  Aber  eine  völlige  Entfernung-  von  der  natürlichen 
(Jrundlag-e  ist  damit  doch  nicht  ausg-esprochen ;  der  Stil  ver- 
dankt sein  inneres  Leben  der  echten  Natur,  und  Schiller  hätte 
seine  Beobachtung-  übei'  die  poetisch-rhythmische  Sprache^) 
wohl  auch  auf  den  Vortrag-  ausi^edehnt:  nämlich,  dass  g-erade 
an  d(Mi  leidenschaftlichen  Stellen  die  Natui-  in  ihrer  Einfalt 
hervorbrechen  könne,  wähi'end  die  gleichgültigeren  Partien 
dui-eii  eine  schöne  Spraclie  und  kunstvollen  Vortrag-  poetische 
Dignität  erhalten. 


')  An  Körner  10.  Febr.  1785.  Jonas  I,  227.  Nach  Weltrich  S.  689 
hätte  Schiller  dabei  das  lyrische  Drama  „Py^n'^-lion'-  von  Rousseau,  kom- 
l)oniert  von  Benda,  im  Auge  gehabt.  Indessen  wurde  dieses  kleine  Stück, 
auf  das  die  Bezeichnung  „grosse  Opera"  durchaus  nicht  passt,  im  ganzen 
Februar  1785  nicht  gegeben.  Am  10.  Febr.  Avar  überhaupt  keine  Oper, 
sondern  es  stand  ein  Lustspiel  von  Gotter  auf  dem  Repertoire  (Walter  II, 
222).  Dagegen  war  in  jenen  Wochen  das  Hauptzugstück  die  pomphafte 
Nationaloper  „Günther  von  Schwarzburg"  von  A.  v.  Klein  und  Holzbauer, 
die  am  6.  Februar  zum    vierten  Male  gegeben  wnirde.     „Der    Zulauf   war 

ungewöhnlich" „ein  volles  Haus" „zum  Triumph    der  Kasse" 

lauten  Schillers  Bemerkungen  über  die  drei  ersten  Vorstellungen  in  der 
„lilicin.  Tlialia".  (Goed.  III,  S.  583  ff.)  Diese  Oper  muss  auch  im  Brief 
;iTi   Kürner  gemeint  sein. 

•-)  An  Goethe  29.  Dez.  1797.     Jonas  V,  313. 

')  An  Goethe  24.  Nov.  1797.     Jonas  V,  289. 
Palaestra  XXXn.  ^^ 


—      466     — 

Nun  ist  gerade  die  Deklamation  das  Gebiet,  wo  Seliiller 
den  grössten  Einfluss  auf  die  Entwicklung  des  deutsclien 
Theaters  gewann.  Aber  es  darf  auch  niclit  verschwiegen 
werden,  dass  seine  Naclnvirkung  dei*  Schauspielkunst  niclit 
durchweg  zum  Vorteil  gereichte'). 

Das  Scblagwoi't  Idealismus  deckte  einen  Eintausch  dei* 
stilisierten  Natur  gegen  manierierte  Unnatur;  die  Rhetorik  des 
Epigonendramas  nötigte  den  Schauspieler,  mit  leeren  Klang- 
wirkungen und  Schönrednerei  über  innere  Hohlheit  hinweg- 
zutäuschen. 

Ein  grossei'  Teil  der  Eingenommenheit,  die  im  neunzehnten 
Jahrhundert  Otto  Lu(h\ig  und  andere  gei-ade  gegen  Schillers 
Sprache  bezeugten,  ei'klärt  sich  daraus,  dass  sie,  von  Nach- 
ahmern abgegriffen,  als  Karrikatur  vor  ihren  Augen  stand. 
Die  Kritik  besticht,  so  lange  Avir  das  von  Schiller  abhängige 
.Jambendrama  des  neunzehnten  Jahrhunderts  nicht  von  ihm 
selbst  zu  ti'ennen  vermögen.  Aber  Avir  sehen  Schiller  in  neuem 
Lichte,  Avcnn  Avir  das  glücklich  aus  dem  Wege  geräumte 
Epigonentum  vergessen  lernen. 


')  Tieck,  Dramaturg-.  Sehr.  I.  7(j1. 


Schluss. 


Don  vorausg'eg'ano-enen  Kapiteln  bleibt  der  Vorwurf 
liott'entlieli  erspart,  über  iinwiphtit;cii  Äussei'lichkciten  die 
iji'ossc  GesaraterselioinmiLT  des  Dichters  Schiller  vernach- 
lässjo-f  lind  verkleinert  zu  haben.  Es  ist  wahi'.  Schillers  Name 
ist  hiei-  in  einem  Atom  genannt  nicht  nui-  mit  (jioethe,  sondern 
mit  Kotzebue,  lifland,  Gi-ossmann,  Möller  mid  Avie  sie  alle 
hcisscn,  die  zur  selben  Zeit  unter  den  ,s>-leichen  l>edingiingen 
für  das  Theater  schrieben ;  es  i^alt  eben,  den  gemeinsamen 
l^>oden  zu  untersuchen,  auf  dem  Schillers  Dichtung  zwischen 
diesem  Unterholz  wurzelt. 

Unter  dem  einzigen  Gesichtspunkte  der  geschickten  Ver- 
wendung theatralischer  Mittel  wäre  der  Platz  neben  Kotzebue 
nicht  einmal  eine  Unehre,  aber  es  ist  oben  oft  genug  hervor- 
getreten, wie  Schiller  auch  darin  ihn  und  andere  Theaterbe- 
herrscher überragt,  wie  dasselbe  Mittel,  das  doi't  nur  dem 
äusseren  Etfekt  dient,  hier  zum  bedeutenden  Motiv  und  zur 
poetischen  Notwendigkeit  erhoben  ist. 

Dass  er  solche  Mittel  überhaupt  verwendete,  kann  den 
Theaterdichter  nicht  herabsetzen;  im  Gegenteil,  man  wird 
Schiller  nur  gerecht,  wenn  man  das  schauspielerische,  echt 
theatralische  Element,  das  die  Lebensader  aller  seiner  Stücke 
bildet,  nicht  verkennt.  Das  Drama  ist  die  oi"ganische  Ver- 
bindung zwischen  dem  Poetischen  und  dem  Schauspielerischen. 

30* 


—     468     — 

Diese  Definition,  die  Heg-els  Ästhetik^)  zn  einer  Zeit  ,i;-ab.  da 
Schillei'  unbesti'itten  den  dramatischen  Stil  beherrschte,  ist  im 
Grunde  doch  nur  eine  Weiterbildung-  der  Goethe-Schillerschen 
Theorie.  Das  Epische  wird  „durch  die  Innerlichkeit  des 
Subjektes  als  g'eg-enwärtig  Handelnden"  vermittelt;  diese 
lyrische  Konzentration,  die  Umsetzung-  des  objektiv  Er- 
zählten in  sinnlich  wirkende  Handlung,  ist  eben  das  Schau- 
spielerische. 

Es  ist  in  höherem  Grade  als  das  Poetische  vom  Zeitge- 
schmack und  von  noch  äusserlichercn  Bedingungen  abhängig; 
reizvoll  ist  deshalb  die  Beobachtung,  wie  es  auch  auf  Schillers 
Produktion  in  Avechselnden  Graden  und  Formen  eingeAvirkt 
hat.  In  den  „Räubern"  und  im  „Fiesko"  pulsiert  der  thea- 
tralische Aderschlag  am  stärksten,  Avenn  auch  unregelmässig; 
alles  ist  als  theatralisches  Spiel  gedacht,  aber  zuweilen  in 
romanhafte  Form  gehüllt  —  ja  zuM'eilcn  auf  eine  Bühne  be- 
rechnet, Avie  s:ie  die  damaligen  A\^rhältnisse  nicht  boten. 
Unter  der  Abkühlung,  die  die  notAvendige  Anpassung  mit  sich 
brachte,  litt  das  Poetische,  und  so  Avurde  in  den  Bühnenbe- 
arbeitungen, namentlich  in  denen  dc^  Fiesko,  die  organische 
Verbindung  Avieder  zerstört.  Nach  den  praktischen  Erfahrungen, 
die  der  Dicliter  inzwischen  in  sich  aufgenommen  hat,  halten 
sich  in  „Kabale  und  Liebe"  von  vornhei-ein  beide  Elemente 
die  Wage;  Aveitero  Konzessionen  i\]^  das  Theater  konnte  er 
von  sich  Aveisen"). 

A'on  da  al)  gcAvinnt  das  Poetische  das  ÜbergeAvicht. 
Beim  „Don  Carlos"  AvoUte  Schillei'  sich  im  ersten  kühnen 
Wurf  nicht  durch  den  Gedanken  an  papierne  Wände 
und  Kulissen  ernüchtern  lassen");  schauspieleriscli  ist  jedei' 
Auftritt  konzipioi-t,  sogar  die  grosse  Szene  zAvischen 
Philipp  und  Posa,  aber  die  i)oetische  Fülle  der  Ausführnni.-- 
hat  das  (ianze  der  Dühiie  entIVemdet.     Und  so  klagt  Schillei" 


')  Werke  (LS3S)  X,  3.  S.  470  ff. 

O.  I.u.hvi<,',  Werke  V,  500. 
-)  An  Dalberg-  l'J.  .I;iii.  X').     Jonas  T,  227. 
'■')  An  Schröder  IS.  De/.  HC.     .lonas  I,  320. 


—     409     — 

auch  später  nocliM  über  die  poetische  Gemütlichkeit,  die 
ins  Breite  ti'eibc :  .,Der  Jambe  vermeiirt  die  theatralische 
Wirkun.if  nicht,  und  oft  ireniert  ei-  den  Ausdruck.  Solche 
Stücke  ü-ewinnen  oft  am  meisten,  wenn  sie  nur  Skitzen 
sind." 

Schiller  selbst  erkennt  klar  die  beiden  einander  entgegen- 
wirkenden Faktoren:  seine  ..individuelle  Tendenz  ad  intra", 
d.  h.  die  poetische  Innigkeit,  die  ihn  beim  Ti cgenstande  fest- 
halte, und  dem  gegenüber  die  .^gleichfalls  i)oetisch  berechtigte 
Forderung,  sich  auf  das  Dramatischwirkende  zu  konzentrieren, 
dem  Schauspieler  kraftvolle  und  trettend  gezeichnete  Skizzen 
zur  Veikörperung  darzubieten').  Beides  in  Einklang  zu 
bringen,  hält  er  für  seine  Aufgabe,  und  nur  vor  einem  will 
er  sich  hüten,  nämlich  vor  dem  Theatralischen  im  schlechten 
Sinne,  dem  hohlen  ?]tfekt  ohne  i)oetischen  Gehalt,  vor  der 
,,  Wirkung  ad  exti-a,  wie  sie  zuweilen  auch  einem  gemeinen 
Talent  und  einer   blossen  Geschicklichkeit  gelingt." 

Dass  er  sich  auch  davon  nicht  immer  ganz  tVei  halten  konnte, 
war  bei  der  rastlosen  Bemühung  um  neue  Motive  und  Aus- 
drucksmöglichkeiten, bei  der  oftmals  gewaltsam  angespannten 
Arbeitshast  unausbleiblich.  Die  gewissenhafte  Selbstkritik 
des  Dichtei's  hat  indessen  diese  Schwäche  zuerst  empfunden, 
und  so  mag  schliesslich  unsere  üntei'suchung  ihr  Siegel  em- 
l)faiit:en  durch  das  bescheidene  Bekenntnis,  das  Schiller  in 
einem  seiner  letzten  Briefe')  aussprach:  .,Die  Werke  des 
dramatischen  Dichters  werden  schneller  als  andere  xr^n  dem 
Zeitstrom  ergritfen,  er  kommt  selbst  wider  Willen,  mit  der 
grossen  Masse  in  eine  vielseitige  Berührung,  bei  der  man 
nicht  immei-  rein  bleibt.     Anfangs  gefällt    es,    den  Herrscher 


0  An  Goethe  1.  Dez.  J7Ü7.     Au    Körner  10.   Xov.  IHÖl.     Jonas  V, 
2'J2.     VI,  315. 

-)  An  Goethe  0.  .Tuli  1802.     .Tonas  VI.  401. 

')  An  Humboldt  2.  April  1805.     Jonas  VII,  22(5. 


—      470     — 

zu  machen  über  die  (lemütlier,  aber  welchem  Herrscher  be- 
geirnet  es  nicht,  dass  er  auch  wieder  der  Diener  seiner 
Diener  wird,  um  seine  Herrschaft  zu  behaupten;  und  so 
kann  es  leicht  geschehen  seyn,  dass  ich,  indem  ich  die 
deutschen  Bühnen  mit  dem  Geräusch  meiner  Stücke  er- 
füllte, auch  von  den  deutschen  Bühnen  etwas  angenommen 
habe.'' 


Anhang. 

1.    Eine  Riiiiberbearbeitung  des  jungen  Tieck. 

Das  volkstümliche  Weiterwirken  des  Schillei-schen  Erst- 
Iiiii.'S(Iramas  im  Norden  und  Süden  Deutschlands  ist  zu  unter- 
sclieidon.  Noch  heute  leben  im  Yolksdrama  Bayerns  und 
Ostreichs  Züije  aus  Schillers  Banditenszenen  fort'),  und  schon 
ifleicji  nach  dem  Erscheinen  des  Stückes  zeigte  sich  das 
tempei'amentvolle  Süddeutschland  besonders  für  die  kühne 
Käuberromantik  enipfändich.  für  die  Taten  des  grossen  Haupt- 
manns Moor,  den  es  mit  Rinaldo  und  Schinderhannes  zum 
Dreigestirn  vereinigte.  p]in  berechnender  Theaterdirektor 
wie  vSchikaneder  kannte  sein  Publikum  und  wusstc,  dass  das 
Gefeclit,  in  dem  sich  ein  lläutlein  Häuber,  jeder  mit  fünf 
Paar  Pistolen  und  drei  Kugelbüchsen  bewaffnet  und  von 
einigen  wilden  DoL-gen  untei'stützt,  durch  die  zwanzigfache 
Übei'macht  der  Soldaten  durchschlägt  —  dass  diese  Grosstat 
einen  Mittelpunkt  des  Interesses  bihlen  musste  und  keinesfalls 
in  den  Zwischenakt  hinabsinken  durfte'). 

Dei-  nüchternere  Norden  nainn  auf  dei"  Bühne  die  Familien- 
tragödie entgegen,  die  ihm  Plümickes  Bearbeitung  rationalistisch 
zurechtgemacht  hatte.  Durch  Plümickes  „Räuber"  wurde  eine  Zeit- 
lang der  echte  Text  in  Noi-ddeutschland  vollständig  untei'drückt; 
die  VerAvässerung  wurde  nicht  nur  auf  dem  Thcatei-  gegeben, 
sondern  erlebte  im  Di'uck  rasch  eine  zweite  Auflage  und  Hess 
auch  die  Buchausiraben  des  Originals  nicht  aufkommen.     Der 


')  Behrend.  Zeitschr.  des  Vereins  für  Volkskunde  1902.  S.  82(i  tf. 
-)  Vgl.  S.  240. 


—     472     — 

Poet  Kosegarten  wandte  sich  noch  im  Jahr  1796  an  den  Ver- 
fasser selbst,  weil  es  ihm  bisher  nicht  gelungen  sei,  andere 
als  die  „verstümmelten,  verschnittenen,  ver-PIümiketen''  Aus- 
gaben der  Jugenddramen  zu  Gesicht  zu  bekommen');  ein  noch 
stärkeres  Zeugnis  aber  für  die  Herrschaft  Plümickes  legte, 
wie  wir  im  folgenden  sehen  werden,  der  junge  Tieck  ab. 

Auf  der  Königlichen  IJibliothek  zu  P>ci'lin'-')  befindet  sich 
ein  geschriebenes  Oktavheftchen  mit  dem  Titel : 

Die  Räuber 

Trauerspiel  in  fünf  Aufzügen 
von 
F.  L.  Tieck. 
Zweiter  Theil. 
1789. 
Die    Übergehung     des    Namens     Schiller,     die     Bezeichnung 
, .Zweiter  Teil"    und  ein    darauf    folgendes    eigenes   Personen- 
verzeichnis ei'wecken  zunächst  die  Voi'stelhuig,  es  handle  sich 
um  eine  Fortsetzung.     Tatsächhcli    aber  haben    wii'    nur  eine 
]jearbeitung   des    fünften  Aufzuges    voi'  uns;    die  ersten  vier 
sind  entwedei'  verloren  gegangen    oder,    was  fast  wahrschein- 
licher ist,  sie  waren  niemals  da.     Erst  mit  dem  fünften  Auf- 
zug begann  ja  die  Schwierigkeit,  die  verschiedenen  Texte  zu 
verschmelzen.     Welche  Texte  wai-en  dies?     Als  die  eigentlich 
authentische  Fassung  musstc  zu  jener  Zeit  das  ,, Trauerspiel" 
gelten,  also  die  Hearbeitung  für  das  Mannheimer  Theater,  die 
in  Schwan'scheu  Drucken  Aveiterlebte,    während    das   ..Schau- 
spiel" erst  wieder  durch  die  Aufnahme  in  das  „Theater"  1806 
zu  vollen  Ehren  gelangte^).     Tieck,   der  spätere  Schutzpatron 


')  Briefwechsel  zw.  Schiller  u.  Cotta.  hsg.  v.  Vollmer.     S.  223. 

-)  Für  die  gütigst  gewährte  Benutzung  danke  ich  dein  N'orstand  der 
Hand.schriftenal)teilung,  Herrn  rrofessor  Stern.  Ferner  bin  ich  für  eine 
nochmalige  Vergleichung  der  zitierten  Stellen  mit  dem  Original  meinem 
Freunde  Dr.  A.  Leffson  verpflichtet. 

^)  Die  erste  Fassung'  war  von  Schiller  selbst  für  das  „Theater" 
bestimmt  worden,  doch  scheint  sogar  er  vorübergehend  über  kein  Exemplar 
mehr  verfügt  zu  haben.  (Schiller  an  Cotta  14.  Nov.  17Ü7.  27.  Nov.  18U2. 
7.  .Jan.  1803.  Cotta  an  Schiller  24.  Dez.  1797.  9.  Dez.  1802.  Briefwechsel, 
hsg.  V.  Vollmer  S.  270.  279.  477.  478.  479. 


—     473     — 

aller  jüirendlich  unaus.cegorenen  Genialität,  hat  schon  zu  »Schillers 
Lebzeiten  der  ersten  Fassunir  zu  ihrem  Rechte  vcrholfenM;  dass 
sie  auch  dem  JünirlingTieck  bereits  bekannt  war  und  von  ihm  in 
Einzelheiten  vorgezog-en  wurde,  zeigt  diese  Bearbeitung. 

Zu  Grunde  irelegt  ist  freilich  nicht  das  ..Schauspiel", 
auch  nicht  das  ..Trauerspiel"',  sondern  der  Text,  der  in  Berlin 
verbreitet  war  —  Plümickes  ..lüiuber"".  Plümickes  Text 
stellt  bereits  eine  N'ermeuuiniu-  beider  Schillerschen  Bear- 
beitungen dar:  diese  Verwildeiung  suchte  Tieck  durch  ein 
neues  Propt'reis  aus  der  ersten  Fassung  Schillers  zu  veredeln. 

Der  fünfte  Aufzug  beginnt  nicht,  wie  im  Schausj)iel, 
mit  Daniels  Abschiedsmonolog,  sondern  wie  im  Trauerspiel  und 
bei  Plümicke  stürzt  gleich  zu  Anfang  Franz  im  Schlafhabit 
herein:  ..Verrathen!  Verrathcn!  Geister  ausgespien  aus 
Gräbern!  — ''.  f^ine  kleine  Zutat  abgerechnet,  die  der  chrono- 
logischen Klarheit  dienen  soll  —  Daniel  antwortet  auf  die 
Frage  nach  Karls  Verbleiben:  ..Ich  weis  nicht,  mein  Gebieter! 
Es  war  noch  hoch  am  Tage,  als  er  sich  entfernte"  —  be- 
stehen Plümickes  Andei-uniren.  denen  Tieck  folgt,  vorerst 
wesentlich  in  KürzuiiL'^eii  des  Ti-auerspiel-Textes  (Goed.  Tl. 
ol4— 318);  nur  füi'  die  Ki-zählung  des  Traumes  ist  der  Woit- 
laut  des  Schauspiels  mit  seinem  ein<liucksvolleii  biblischen  Ton 
benutzt  (Goed.  II,  S.  180). 

\'om  ersten  Toben  Schweizers  und  seiner  Leute  an  be- 
ginnt nun  bei  Plümicke  eine  pleonastische  Vermengung  des 
Schauspiel-  und  Trauerspieltextes.  Franz  erdrosselt  sich  wie 
im  Schauspiel,  aber  er  besitzt  das  Froschleben  seines  Stief- 
vaters; Grimm  schneidet  die  Schnur  um  seinen  Hals  entzwei 
luid  erweckt  ihn  durch  heftiges  Rütteln  wieder  zum  Leben; 
wie  im  Trauerspiel  wird  er  darauf  in  Ketten  fortgeschleppt. 

Hier  weicht  Tieck  von  Plümicke  ab.  Ki"  verzichtet  auf 
das  rJegenübertreten  beider  Brüder,  das  Schiller  selbst  wohl 
späterhin    als    moralische    Lumöiilichkeit- )    empfunden   hätte; 

1)  Köpke,  Ludw.  Tieck  I,  256.  II,  194. 

'')  So  nannte  er  sogar  das  Zusaninientretfen  von  Maria  Stuart  und 
Elisabeth  (An  Goethe  3.  Sept.  1799.  Jonas  VI,  84). 


—      474     — 

er  £röniit  Fi'anz  den  Tod :  abci'  Sclnveizer  dai'f  nicht  sterben, 
weil  ihm  noch  eine  wichtige  Rolle  bei  dem  Plümickischen 
Schluss  zugedacht  ist.  Damit  ist  also  Tieck  zu  einer  eigenen 
Abänderung"  genötigt,  die  folgcndermassen  lautet : 

Schweizer.  He  du!  Es  g-iebt  noch  einen  Vater  zu  morden!  — 
Ja,  ja!  er  freut  sich  nicht!  er  ist  niaustod!  —  Schleppt  ihn  von  hier  fort, 
wir  wollen  ihn  mitten  in  die  Flammen  werfen,  dass  kein  Stäubchen  von 
seinem  verfluchten  Körper  je  wiedergefunden  wird.  —  Fördert  euch,  fördert 
euch,  eh'  die  Flamme  uns  alle  erstickt! 

Räuber   (gt'bn  mit  dem  Leicliiiam  ;ili) 

(Wald.) 

Sechster  Auftritt. 

Moor.     Karl. 

In  diesem  Szcnensehluss  offenbart  sich  insofern  Ver- 
ti-autheit  mit  den  praktischen  Theaterforderungen,  als  für  das 
Abtragen  der  Leiche  gesorgt  ist.  Schiller  selbst  hatte  diese 
Notwendigkeit,  die  durch  die  folgende  Verwandlung  bedingt 
ist,  im  Schauspiel  ausser  Acht  gelassen. 

Plümickes  Text  in  Übereinstimmung  mit  dem  Trauer- 
spiel (Goed.  II,  320 — o2;3)  ist  nun  die  weitere  Voi'lage  bis 
zui"  Wiederkehr  Schweizers  und  seiner  Wüi'gengel;  hiei'  muss 
Tieck  einen  eigenen  Übergang  suchen,  der  sich  fi'cilich 
schwäclilich  genug  ausnimmt: 

Siebenter  Auftritt. 

V  0  r  i  g  e.    Schweizer.    R  ä  u  b  e  r. 

Sclnveizer.  Er  hat  sich  selbst  gericlitet.  ich  fand  ihn  erdrosselt.  Sein 
Schlos  iiinter  ihm  ist  Asche,  versunken  seines  Namens  (ledächtniss. 

Moor.     Wo  ist  mein  Sohn? 

Karl.     Tod!  Tod!     Er  mordete  sich  selbst! 

Moor.     Die  Weg-c  der  Vorsehung  sind  seltsam! 

Karl,  .la  wohl  seltsam.  Seltsam  nnd  iTirchterlich;  —  aber  Freuden- 
thränen  am  Ziel! 

Moor.     Wo  werd'  ich  sie  weinen? 

Karl  (stüi/t  ilnii  in  iii.'  .\rmi').     Am  Ilcrzcn  deines  Karls! 

JJamit  ist  wied(!i'  in  den  Text  Plümickes  und  des  'fi-auei-- 
spiels  (Goed.  II,  S.  327—385)  eingelenkt,  der  uns  bis  gegen 
den    Schhiss    weiterfühi-t.     Den    Kürzuni^en    und    Zusammen- 


—     475      — 

ziclmiiücn')  Plümickcs  folg-f  Ticck:  nur  an  einer  Stelle  weicht 
er  ab,  indem  ei'  wieder  soijleich  für  das  Abtragen  der  Leiche 
sorgt.  Mitten  in  seinem  Verzweiflungsausbruch  besinnt  sieh 
Karl  Moor  auf  dieses  Theatergesetz: 

Darum  von  mir,  Wonne  der  Lielte!  Von  mir,  Freude  des  Lebens  I 
Das  ist  \'ergcltuni,f  I  —  Schaift  mir  den  Leichnam  t'ortl  Ich  könnte  rasend 
werden  I 

Räuber  (trapfon  die  Leiclie  weg) 

Die  grosse  eigene  Zutat  Plümiekes.  den  8chluss.  über- 
nimmt Tieck  beinahe  wörtlich.  Es  ist  oben  -)  gezeigt,  wie 
Avenig  der  angedeutete  Sehluss  dem  theatralischen  Bedürfnis 
der  gi'ossen  Masse  Gewissheit  geben  konnte,  und  wie  sogar 
der  Dichter  selbst  an  ihm  irre  wurde,  indem  er  einen  zAveiten 
Teil  dci'  ..Räuber"  bedachte.  Plümickc  nun  Hess  den  Helden 
auf  der  P>ühne  stei'ben;  er  gelangte  freilich  zu  einem  doppel- 
köpHgen  tSchluss,  indem  ej'  auf  Schillers  letzte  Worte  zu  ver- 
zichten docli  nicht  übers  }Tcrz  brachte.  Nachdem  Karl  Moor 
Schweizer  und  Kosinsky  verabschiedet  hat,  heisst  es  weiter 
in  Tiecks  Wortlaut: 

Beide  (i-ntlcnien  sich  mit  verliüllteni  (»csicht,  bleiben  im  Hiiit('rji;-ruiide) 
Karl  (naeh  einer  Pause,  sein-  lieiter)  Und  auch  ich  bin  ein  guter  Uürg-er! 
—  Krfiiir  ich  nicht  das  entsezlichste  Gesetz?  Ehr  ich  es  nicht?  Räch' 
ich  es  nicht?  —  Ich  crinn're  mich,  einen  armen  Schelm  gesprochen  zu 
liaben,  als  ich  heriibeikam^),  der  um  Tagelohn  arbeitet  und  eilf  lebendige 
Kinder  hat.  -  ^lan  hat  tausend  Dukaten  geboten,  wer  den  grossen  Räuber 
lebendig  liefert.     Dem  Mann  kann  geholfen  werden! 

Schweizer  (bält  ilm  mit  au.s;y^ebreiteten  .\nnen  aiil)  ilaltl  Wohin  da? 
Bei    Gott,    Moor!     Du    sollst    keinen    Schritt    von    liier.     Was    wäre    mir 


')  An  einer  Stelle  (Goed.  II.  329,  9)  ist  durch  eine  Zutat  ein  schroffer 
Übergang  Schillers  in  ungeschickter  Weise  zu  mildern  gesucht.  Zwischen 
den  Worten:  ..Dein  vermeinter  Fluch!"  und  dem  gefasstcn:  .,So  vergeh 
denn.  Amalia!"  bricht  Karls  Zorn  gegen  die  Räuber  los: 

(in  iiusserstor  Wiitli.)  Ha!    Wer    hat    mich   hergelockt?  (fi:eht  mii,  j>c- 
zogenem  Degen  auf  die  Räuber)       Wer  von  Euch  hat    mich    hieherge- 
lockt,     Ihr     Kreaturen     des    Abgrunds?      (alhnäblif,'  gefasster)    Nun 
denn!     Nun!  —  Vergeh'  Amalie! 
-')  Vgl.  S.  159,  Anm.  1  und  S.  36L 

•')  Hinter  „herüberkam"  ist  irrtümlich  nochmals  eingefügt:  „einen 
armen  Mann  gesprochen  zu  haben",  was  auf  einen  nachträglichen  Vorgleich 
mit  Schillers  Wortlaut  hinweist. 


—     476      — 

Seegen  und  Seelijrkeit  ohne  dich?  —  Kosinskyl  geh' I  vollzieh  deines  Haupt- 
manns Testament!  Verlas  uns! 

Kosinsky    (ist  unentschlüssig) 

Schweizer   rdränend)    Geh'  diesen  Augenblick,  sag'  ich ! 

Kosinsky   (.siclit  sieh  eiiiifi-emal  um,  fi:elit  ab) 

Scliweizer  (wehmiitlii}?)  Armer,  guter  Hauptmann!  Du  auf  dem 
liade?  Du  unter  Henkers  Händen?  (fürchterlich,  eutsclilossen)  Nein!  Nein! 
Nein !  Frei  lebte  Moor,  —  frei  mus  Moor  sterben !  (Pause.  Fülnt  ihn 
weiter  vor)  Sieh  mich  starr  an,  Moor!  Aug'  in's  Aug'!  —  So!  —  Steht 
dein   Entschluss  vest,  unerschütterlich  vest? 

Karl.     So  gewis  ich  verdammt  bin! 

Schweizer  (zieht  einen  Dolch,  diirchstösst  ilni)  Wohlan  !  So  sterbe 
denn  Moor  durch  Schweizer!  —  (will  sicli  erstechenj     Und  Schweizer  mit  ihm! 

Karl.  Halt!  (taumelt  kraftlos  auf  ihn  zu,  entwindet  ihm  den  Dolch,  wirft 
ilin  weit  wpir,  wirft  die  Arme  um  ihn)      Ich   danke   dir    Bruder!     (sinkt)     Vater! 

—  Amaliel  —  Schwei — zer!  (erstirbt) 


Der  Schluss  musste,  obwohl  er  nicht  Tiecks  Eigentum 
ist,  hier  mitgeteilt  werden;  denn  es  ist  für  die  Bearbeitung 
charakteristisch,  dass  sie  diesen  Ausklang  beibehielt.  Nach 
der  Unselbständigkeit,  die  nur  gelegentlich  durch  altkluge 
Proben  früher  Theaterkenntnis  unterbi'ochen  wird,  ist  das 
Datum  1789  nicht  zu  bezweifeln.  Tieck  war,  als  er  dies 
Potpourri  verfasste,  sechzehn  Jahre  alt. 

Der  Verfasser  des  .,jungen  Tischlermeisters"  mag  sich  an  den 
Jugendversuch  wieder  erinnert  haben.  In  der  dramaturgischen 
Novelle  wird  bei  »ler  Räuber- Aufführung:-  ein  ähnlicher  Weg  einge- 
schlagen; dort  handelt  es  sich  um  die  Verbindung  der  beiden 
Schillerschen  Fassungen.  Das  „Trauerspiel"  liegt  zu  Grunde;  es 
erhält  aber  bereits  im  zweiten  Akt  bei  Spiegelbei-gs  Erzählung 
stärkere  Lichter  aufgesetzt  durch  einige  kraftvolle  Züge  aus 
der  älteren  Fassung.  Im  fünften  Akt  endlich  dringt  das 
Schauspiel  durch:  da  Karl  und  Franz  in  der  Hand  desselben 
Darstellers  lagen,  blieb  die  Gegenüberstellung  beider  Brüder 
auch  hier  ausgeschlossen. 

Tiecks  Novelle  hat  allerlei  dramaturgische  Kuriositäten 
verwertet   und  ausser   dem  Virtuosenstück   Jerrmanns')   auch 


')  Vgl.  S.  31U,  Anm.  2. 


—     477 


die  iri-osse  Räubcrsclilacht  Schikaueder.s  anirebracht;  aber 
Plümickes  Anteil  ht  ausoesclialtet,  obwohl  es  Tieck  mit  der 
ironisch  behandelten  Autführinii^-  sicher  Avenig'er  Kriist  war 
als  mit  der  Bearbeituni-'  in  der  .Jünolinirszeit 


Dom  Karlos,  Infant  von  Spanien. 

Traucrsi)iel  in  5  Aufzügen 

für  die  Bühne  bearbeitet 
von    ])....!    und    P>  .  .  .  r. 
179(1. 
(Deutsche  Schaubühne  X\'I1T.  Augsburg-  1790.) 
Während    der    ..Ficsko"     der    ..Deutschen    Schaubühne" 
(i'jd.  0)  für  die  Historisch-Kritische  Scliillerausgabe    herange- 
zogen wurde,  hat  der    „Dam  Ivarlos'"  keine  Bei'ücksichtigung' 
gefunden.     Und  das  mit  Reclit;  denn  im  „Fiesko"  dürfen  wii" 
das  von  fremder  Hand  überai'beitete  Theatermanuskript  Schillers 
für  die  Münchencr  Xationalbühne  sehen;    der    „Dom  Karlos'' 
dageg-en  ist  völlig    unabhängig  von    des  Dichters  eigenen  J^e- 
ai'beitungcn.     Ein  kui'zer  Vergleich  lohnt  um  so  mehr. 

Die  Form  ist  Prosa,  und  zwai-  haben  die  Bearbeiter  der 
schwierig-en  Aufgabe,  den  Rhytlnnus  aufzuheben,  mehr  Mühe 
zugewandt  als  Schiller  selbst,  aber  ebenso  wenig'  mit  vollem 
Erfolg'.  Denn  entweder  klingen  die  Verse  doch  noch  leise  durch  : 

Die  schönen  Tage  in  Aranjuetz  sind  nun  vorbey,  und  Eure  königliche 
Hoheit  sind  nicht  im  geringsten  heiterer,  wie  zuvor, 
oder    durch    den    platten  Konversationston    wird   die  Sprache 
gar  zu  sehr  trivialisiert,  z.  B.'): 

V.  509  ff.  (508  ff.  l:  Möge  der  Himmel  ihr  den  frühesten  Sinn  ihres  Lebens 

schenken. 
V.  576  f.  (650  f. ) :     Indessen  starb  Fernandos  Tante  — 
V.  001     (1035):        Ich  weiss  alles,    was  du    mir    sagen  kannst;    aber    ich 

bin  einmal  entschlossen,  Flandern  zu  retten. 
V.  1776     (2069):        Wie  schwach  sind  nicht  die  Gründe  jener  Stoiker,  welche 

das  Glück  der  Liebe  einer  Waare  gleich  schätzen 


1)  In    Klanniiern    ist    nach    Vollmers  Ausgabe    die   Verszählung    des 
Druckes  von  1787  angegeben,  der  der  Bearbeitung  zu  Grunde  liegt. 


—     478     — 

An  Personenzahl  erlegt  .sicli  die  Bearbeitung  weniger 
Sparsamkeit  auf,  als  »Schiller  in  seinen  eigenen  Bühnenmanus- 
kripten^).  Es  sind  mit  dem  Üflizier  der  Leibwache  18  Sprccli- 
rollen;  auch  stumme  Personen,  wie  die  im  Vorzimmer  der 
Königin  herumstellenden  Granden,  die  Schiller  strich,  sind 
hier  stehen  geblieben. 

Dagegen  wird  Schiller  übertroffen  in  der  Energie  der 
Zusammenziehung.  Die  I)earbeitung  lässt  möglichst  wenig 
Auftritte  ganz  verloren  gehen,  sondern  sucht  die  notwendige 
Vereinfachung  des  Szenenwechsels  durch  Verschiebung  und 
Vereinigung  entlegener  Auftritte  zu  erreichen. 

Den  ersten  Akt  ohne  Verwandlung  durchzuführen,  lag 
nahe:  nachdem  Carlos  und  Posa  abgegangen  sind,  kommt  die 
Königin  mit  ihren  Damen  die  Allee  herauf;  dieselbe  Verein- 
fachung wurde  ja  auch  in  Mannheim^)  an  Schillers  Jamben- 
fassung vorgenommen,  obwohl  das  Soufflierbuch  nichts  davon 
veri'ät. 

Der  zweite  Akt  wird,  wie  in  Schillei-s  eigenen  Bear- 
beitungen, auf  drei  Szenen  reduziert: 

II,  1:  Saal  im  künig-].  Pallaste  zu  Madiiil. 
II,  3:  Ein  Vorsaal  vor  dem  Zimmer  der  Königin. 
II,  G:  Ein  Kabinet  der  Prinzessin  Eboli. 
Wie  bei  Schiller  schliessen  sich    an    den   Monolog    der  P]boli 
sogleich  die  Aufti'itte  mit    Domingo    und  mit  Alba;    nur    mit 
dem    Unterschied,    dass    Alba    nicht    im    Vorzimmer    wartet, 
sondern  ein  Page  seine  Ankunft  meldet: 

Herzog  Alba  ist  eben  vorgefahren. 
Der  Aktschluss  lautet: 

Eboli Man  läutet  mir,  ich  muss  zur  Königin.  Auf  Wieder- 
sehn 1  (;ii».) 

Vom.  (zu  Alba.)    glücklich  gewonnen  ist  das  Spiel  I 
Alba.     Und    Trotz    sey    geboten    dem    muthigen  Knaben,    und    der 
scheinen  Französinnl      (Sic  gehen  Ann  in  Arm  ab.) 

Wenn  nun  die  Auftritte  im  Karthäuserklostei-  liiei"  weg- 
bleiben, so  lassen    die  anonymen   Bearbeiter    sie    doch    nicht. 

')  Vgl.  S.  22.J. 
2)  Vgl.  s.  yy. 


—     479     — 

wie  Schiller,  ^anz  verloren  gehen,  sondern  vereinigen  im 
dritten  Akt  Teile  daraus  mit  dem  späteren  Zusammentreffen 
zwischen  Posa  und  Carlos,  das  sie  aus  dem  vierten  Aufzug 
(ö.  Auftr.)  vorausnehmen.  Nach  den  Auftritten  im  Schlaf- 
gemach des  Königs  heisst  es: 

Sechster  Auftritt. 

(Der  Audienzsaal.) 

J)nni  Karlos,  Marquis  Posa. 

Karlos.  (ihn  in  Arm  hereinführend)  Vor  einer  Viertelstunde  versammelt 
sich  der  Hof  nicht,  wir  können  also  hier  ungestörter  als  an  jedem  andern 
Orte  sprechen.     Aber  warum  verweiltest  du  denn  so  lange,  mein  Kodrigo? 

Po.sa.  Welche  harte  Prüfung  für  die  Ungedult  eines  Freundes I 
Die  Sonne  gieng  zweynial  unter,  seit  dem  ich  meinen  Karlos  nicht  sah. 
Xun  vor  allem  meinen  Glückswunsch,  du  bist  mit  deinem  Vater  ausgesöhnt, 
du  gehst  nach  Flandern. 

Nachdem  darauf  Karlos  die  iM'eignissc  des  ersten  Aktes  er- 
zählt hat.  heisst  es  weitei': 

Posa.     Und  du  entdecktest  ihr  dein  Geheimniss? 

Karlos.  Willkührlich  nicht,  aber  du  weisst.  wie  wenig  ich  Ver- 
stellung kenne:  und  doch  fürchte  ich  nichts. 

Posa.  Ich  um  so  mehrl  Ich  kenne  die  Ebolil  Weh  der  Königin 
und  dir,  wenn  sie  dein  Geheimniss  argwöhnt I  —  Karlos!  willst  du  mir  eine 
Bitte  gewähren? 

Karlos.     Bitte?  Rodrigo !  liin  ich  nicht  dein  Freund? 

Posa.  Eine  srrnsse  wichtige  Bitte  I  —  Karlos,  gib  mir  deine 
Brieftasche. 

Nachdem  Posa  den  lirief  empfangen  hat.  entfernt  er  sich 
auf  das  Geräuscli  der  herannahenden  (rrauden,  und  diese  ver- 
sammeln sich  zur  Audienz.  Da  Posa  noch  eben  auf  der 
Bühne  war,  so  ist  nun  der  Übergang  zu  seinem  Empfang  beim 
König  sehr  bequem  zu  vermitteln;  Philipp  hat  kauin  den 
AVun.sch  geäussert,  ihn  zu  sprechen,  als  Alba  bereits  wieder- 
kommt : 

Ich  war  so  glücklich,  den  Marquis  in  der  Gallerie  zu  finden.  Er 
erwartet  Euer  Majestät  Befehle. 

Königr.  Lasst  ihn  kommen!  (zu  Lerma)  Ihr  nehmt  heut  meine 
Stelle  in  geheimen  Rath!  (winkt  ihm  ahzuj^ehen,  die  übrigen  gehen  ehen- 
fidls  ah.) 

Neunter  Auftritt. 

Der  König.  Marq.  Posa. 


—     480     — 

Diese  leichte  Vei-hinduiii:'  ist  aher  auch  der  einziirc  Voi-- 
teil.  den  die  irewaltsame  Verrenkun*:-  des  Aufbaus  mit  sich 
hriuL't;  im  übrii^en  ist  die  Entlehnunif  aus  dem  vierten  Akt 
höchst  uuiiiücklicli;  denn  wie  wenig"  ist  es  begründet,  dass 
Posa  schon  vor  der  Audienzszene  des  Prinzen  Brieftasche  an 
sich  nimmt,  und  vor  allem:  wie  soll  Karlos  dann  auf  den 
Verdacht  kommen,  dass  es  im  Auftrag-   des  Königs  geschah? 

Dagegen  muss  man  die  Zusammenziehung  im  vierten 
Akt  ganz  geschickt  nennen.  Auftritt  1  — ß  fallen  weg;  an 
die  Auftritte  im  Kabinett  des  Königs  (7  —  12)  schliesst  sich 
ein  Monolog  Posas,  durch  den  der  sechste  Auftritt  zum  Teil 
ersetzt  Avii-d.  Nachdem  Posa  abgegangen  ist,  dringt  Carlos 
ein,  der  vom  Unfall  der  Königin  geliört  hat  und  den  König 
auf  der  Stelle  zui"  Reclienschaft  ziehen  will.  Lcrma  eilt 
hinter  ihm  her  und  will  ihn  zurückhalten;  bei  dieser  Ge- 
legenheit teilt  er  dem  Prinzen  seine  Warnung  mit. 

Auf  weitere  Zusammenziehungen  ist  in  diesem  Akte  ver- 
zichtet; es  folgen  noch  drei  Verwandlungen: 
IV,  G :  Zimmer  der  Prinzessin  Eljoli. 
IV,  9:  Zimmer  der  Königin. 
IV,  IG:  Zimmer  des  Königs. 

Dabei  ist  im  Zimmer  der  Königin  noch  ein  nichtssagender 
Auftiitt  eingelegt;  es  soll  vermieden  werden,  dass  Posas 
Audienz  unmittelbar  die  des  Alba  und  Domingo  ablöst.  In- 
folgedessen heisst  es: 

Königin.  Dann  muss  ich  warten,  bis  ers  wird  —  Wohl  denen,  die 
'/u  gewinnen  haben,  wann  ers  wird. 

(sio  macht  Ihnen  eine   Veibpupfunfj,  hcydc  ab.) 

Vierzehnter  Auftritt. 

Königin,  Olivarez. 
Königin.  (Uhuet.) 

Oli?.  (aus  (lern  Kai)inet  koniniond.)    Was  befehlen  Eure  Majest. 
Königin.     Schicken  Sie  doch  jemand  zur  Fürstin,  der  mir  Nachricht 
bringt,  ob  sie  schon  abgereiset  ist? 

Oliv,   'ah,  und  Manj.  Posa  cintrcttcnd.) 

Funfzelinter  Auftritt. 

Königin.  M  a  r  (j  u  i  s  1 '  o  s  a. 
AVie  in  Schillers  eigenen   lieai'beitungen    ist  nunmehr  im 
letzten  Auftritt  das  noclmialige  llin/ukommen  der  PCboli  weg- 
gefallen. 


—     481     — 

Der  fünfte  Akt  bleibt  in  der  Szenenfolgc  unverändert; 
der  Gro.ssinqui.sitor  fällt  natürlich  weg;  er  ist  entbehrlich,  da 
Carlos  am  Öchluss  nicht  der  Inquisition  übergeben  wird.  Der 
Pi-inz  stirbt  auf  der  Eühne,  aber  nicht  wie  in  Schillers  Prosa- 
bearbeitung- durch  Selbstmord,  sondern  konsequenter,  aber  viel 
brutaler  durch  seinen  Vater. 

Karlos.     Gute  Nacht  dann,  Mutter  1     Küssen  Sie  Ihren  Sohn! 

KÖuig'in  (.sinkt  in  seinen  Arni.> 

Königr.   (zieht  rasch  sein  Schwert  und  ersticht  seinen  Sohn.) 

Kariös,  (sinkend)  Gottl  rettet  die  Königin!  sie  ist  unschuldig! 
(fällt  todt  nieder). 

Die  Königin  Ohnmächtig  —  alle  Granden  in  Bewegung  —  Der  König  lässt 
das  .Schwert  sinken  — 

Der  Vorhang  fällt. 

Dass  der  Prinz  zum  Schluss  die  Unschuld  der  Königin 
beteuert,  erinnert  an  Schillers  eigene  Prosabearbeitung,  kann 
aber  gut  selbstämlige  Erfindung'-  sein:  da.sselbe  gilt  von  dem 
inancherlei  (iemeinsanien  mit  Schillers  jambischen  Eühnen- 
manuski'ipten.  Die  eigentliche  Grundlage  bildet  der  Druck 
von  ]  787,  aus  dem  vieles  übernommen  ist,  was  in  Schillers 
eigenen  Theaterbearbeitungen  wegfiel. 

Auch  kleine  Widersprüche  Schillers  sind  getilgt  worden; 
z.  1).  sagt  Karlos  zum  Pagen: 

Nicht  wahr,  der  König  gab  dir   diesen  Brief?    —   Es  ist  nicht 
ihre  Hand. 

und  liel)t  dadurch  den  Gegensatz  auf,  der  zwischen  v.  1268, 
2303  und  3G22  tf.  besteht.  Im  Auftritt  mit  der  Prinzessin 
Eboli  ist  das  Lautenspiel  geblieben  statt  Schillers  unglück- 
licher Auskunft  mit  dem  Buch  (in  •  seiner  Prosabearbeitrng). 
Die  Stelle,  die  eigentlich  nur  zum  Gesang  in  der  „Thaha" 
pa.sste : 

Es  war,  ich  glaube  gar,  die  Rede  von  der  Liebe? 
ist  deshalb  fortgelassen;  auch  heisst  es: 

Vortrefflich  Prinzessin!  ganz  unvergleichlich!    wollen  Sie  diese 
Romanze  nicht  noch  einmal  spielen? 

Während  in  Schillers  Druck  noch  das  Rudiment  aus  der 
„Thalia"  steht: 

Ganz  unvergleichlich,  Fürstin!  Singen  Sie 
Mir  diese  Stelle  doch  noch  einmal. 
Palaestra  XXJüI.  31 


—     482     — 

Ein  neuer  Widerspruch  dagegen  dringt  in  die  fremde 
Bearbeitung  ein,  indem  Posa,  obwohl  der  Auftritt  im  Kar- 
thäuserkloster fortgefallen  ist.  noch  immer  von  dieser  Begegnung 
erzählt : 

Den  Tag  nachher,  als  wir  uns  zum  letzten  mal  im  Karthäuser- 
kloster sahen,  Hess  mich  der  König  rufen. 

Die  rücksichtslose  Zusammenziehung  im  dritten  Akt,  die 
dies  verschuldet  hat,  ist  überhaupt  das  Schlimmste  in  der 
ganzen  Bearbeitung. 

Trotzdem  braucht  man  sie  nicht  allzutief  unter  Schillers 
eigene  Prosamanuskripte  zu  stellen  und  darf  sie  etwas  höher 
einschätzen  als  Plümickes  Verballhornungen  der  ersten  Stücke, 
wenn  sie  auch  nicht  mit  der  gleichen  Prätension  auftrat. 

Sie  blieb  wenig  beachtet;  ob  und  wo  sie  etwa  zur  Auf- 
führung gelangte,  um  die  Beantwortung  dieser  Frage  konnte 
ich  mich,  da  das  ]>uch  zum  Abschluss  drängte,  nicht  mehr 
umtun.     Ebenso  wenig  um  die  Feststellung  der  Verfasser^). 


')  An  Brümel  ist  bei  B  ....  1  schwerlich  zu  denken,  da  die  Sprache 
unverkennbar  nach  Oberdeutschland  weist. 


Nachträge  und  Berichtigungen. 


Zu  S.  1,  Anm.  4:  Es  ist  zu  beachten,  dass  gerade  diese  Partie  in  der 
späteren  Bearbeitung  der  Abhandlung  (Kl.  Pros.  Sehr. 
Bd.  4)  wegfiel,  weil  sie  mit  den  inzwischen  gewonnenen 
Ergebnissen  nicht  übereinstimmte. 
S.  2,  Anm.  1:  Den  Unterschied  zwischen  Epos  und  Drama  unter  dem 
Gesichtspunkt  des  Rhapsoden  hat  Goethe  noch  einmal 
in  den  .,Xoten  u.  Abhandl.  z.  Westöstl.  Divan"  (1819) 
ausgeführt  (W.  A.  I,  Bd.  7,  S.  118  ff.) 
Vgl.  Büttiger,  Litterar.  Zustände  u.  Zeitgen.  II,  251. 
Vgl.  noch  Becker  an  Schiller  27.  Juli  ISül.  Urlichs 
S.  436. 

Der  Titel  „Der  Menschenfeind"  erscheint  jetzt  als  der 
spätere,  weil  Schiller  in  den  Kl.  Pros.  Sehr.  (1802) 
zu  ihm  zurückkehrte. 

Vgl.  Klingemann,  Kunst  u.  Natur  III,  265. 
Vgl.  Goed.  X,  31 :    „Um  diese  Gefühle   mit  ihnen    zu 
theilen,  muss  man   eine  römische  Gesinnung  besitzen." 
Lies :  Plantagenet. 

Eine  eigene  Stellung  nimmt  das  Personenverzeichnis 
der  sog.  Prachtausgabe  des  „Don  Carlos"  (1802)  ein. 
Die  sonst  durch  Klammern  zusammengefasste»  „Granden 
von  Spanien"  und  „Damen  der  Königin"  sind  unter 
eigenen  Überschiüften  an  den  Schluss  gesetzt.  Der 
opulente  Druck  hätte  die  Klammern  nicht  gestattet; 
an  dieser  durch  Raummangel  veranlassten  Änderung 
ist  deshalb  Schiller  kein  Anteil  zuzuschreiben. 

S.  49,  Anm.  3:  Auch  Schröder  liess  den  Auftritt  mit  dem  Grossinquisitor 
wegfallen  (Böttiger,  Minerva  1818.  S.  311). 

S.  49,  Anm.  5:  Das  Mannheimer  Theatermanuskript  der  „Jungfrau 
von  Orleans"  war  aus  Leipzig  bezogen  (ürlichs  S.  459. 
461);  daher  die  Übereinstimmung. 

31* 


s. 

10 

Anm 

2 

s. 

14 

Ann) 

4 

s. 

15, 

Zeile 

15 

s. 

15, 

Anm 

1 

s. 

29, 

Anm. 

7 

S.41, 

Zeile 

22 

S. 

47 

—     484     — 

S.  64,  Anm.  1:  Der  Weimarer  Theaterzettel  ist,  Avie  mir  entg-angen 
war,  in  der  Hempel'schen  Schillerausgabe  (Maltzahn) 
Bd.  VI  abgedruckt;  es  kann  sich  danach  nur  um 
Mechthild,  Elsbeth,  Hildegard  handeln. 

S.  68:  Auch  Attinghausens    Knechte    im    „Teil"  (II,  1)  sind 

durch  Berufsattribute    gekennzeichnet:    sie  treten  mit 
Rechen  und  Sensen  auf,    obwohl  es    nicht  die  Jahres- 
zeit der  Ernte  ist. 
S.  93,  Anm.  3:  Vom  „Savoyardenkasten  der  Komödie"'  spricht  Schiller 

im  Wirt.  Repert.  (Goed.  II,  341,  16). 
S.  98,  Anm.  3:  Die  Audienz,  die  die  Königin  Alba  und  Domingo  er- 
teilt, kann  natürlich  nicht  in  der  Galerie  stattfinden. 
Der  Auftritt  IV,  14  (früher  I\',  23)  trat  an  diesen  IMatz. 
um  das  Forteilen  des  Prinzen  und  sein  Eindringen  bei 
der  Prinzessin  Eboli  nicht  unmittelbar  aneinanderstossen 
zu  lassen.  Wenn  die  ihm  zukommende  Dekorations- 
bezeichnung: ,, Zimmer  der  Königin'"  wegblieb,  so  ist 
das  nur  als  nachlässige  Redaktion  zu  erklären.  Ebenso 
wenn  eine  Angabe  über  das  Auftreten  der  Personen 
fehlt;  vor  1801  war  sie  nicht  nötig,  weil  die  Königin 
sich  bereits  auf  der  Bühne  befand,  während  Alba  und 
Domingo  im  vorhergehenden  Auftrittangemeldet  wurden. 

S.  120,  Zeile  3:  Lies:  Nicht  mehr  als  sechs  Schüsseln. 

S.  132,  Anm.  4:  In  Weimar  soll  das  Abdanken  am  4.  November  1815 
abgeschafft  worden  sein  (Gotthardi,  Weim.  Theater- 
bilder II,  lü). 

S.  138,  Anm.  2:  Vgl.  Engel,  Mimik  II,  20S. 

S.  141,  Zeile  26:  Lies:  Simfonia  di  Guerra. 

S.  148,  Anm.  3:  Lies:  Blümner. 

S.  102,  Anm.  2:  Nach  der  ersten   Aufführung  der  „Maria  Stuart"  hielt 
Schiller  selb.st  weitere  Kürzungen  für  notwendig  (An 
r  Becker  15.  Juni  1800.     Jonas  VI,  S.  161). 

S.  153,  Anm.  1:  Wie    dagegen    dem   jungen    Schiller    die    abl)rechende 
Funktion  dos  Vorlianges   bereits    geläuiig  war,    zeigen 
die  Verse  aus  der  „Melancholie  an  Laura"  (Goed.  I,  298): 
Wie  der  \'orhang  an  der  Trauerbühne 
Niederrauschet  bei  der  sciiünsten  Scene. 
S.  168,  Zeile  28:  Es  ist  ein  Irrtum,    dass  Kalaf   in    seinem  Gewahrsam 
er.st  auftreten  müsse.     Vielmehr   spielen  die  Auftritte 
1—6  auf  der  Vorderbühne,  und  nachdem  die  Personen 
sich  entfernt  haben,  zeigt  der  aufgehende  Mittelvorhang 
Kalaf  und  Brigella  in  ihren  Stellungen. 


—     485     — 

S.  Uli),  ZoilcSv.  u.:  Dor  fünfte  Akt,  der  ..Jun<>-frau  von  Orleans"  lässt  sich 
auch  so  (lenken,  dass  Auftr.  1—6  auf  der  kurzen,  7  und  8 
auf  der  »anzen  Bühne  spielten;  dann  wieder  9—13 
auf  der  kurzen  Bühne,  wobei  Johanna  und  Lionel  erst 
auftreten  niüssten;  endlich  14  wieder  in  der  ganzen  Tiefe. 

S.  215,  Anni.  2:  Lies:  An  Körner  5.  März,  27.  April  1801.  Jonas  VI, 
S.  247.  271. 

S.  217,  Anni.  5:  Die  erste  Auttührung  der  Gluckschen  ..Tphigenie"  fand 
bereits  1800  am  27.  Dezember  statt. 

S.  22t),  Aiim.  3:  Winkelried  und  l'arricida  lagen  in  Weimar  tatsächlich 
in  einer  Hand  (ünzelmann\  ebenso  Reding  und  Kuoni 
(Wolif );  dagegen  nicht  Werni  (Benda,  der  auch  Leuthold 
spielte)  und  Meier  von  Sarnen  (Brand).  1  )ie  übrigen  Doppel- 
rollen sind  aus  dem  Theaterzettel,  der  16  männliche 
Schauspieler  autführt,  nicht  ersichtlich,  da  die  Darsteller 
von  Stüssi,  Petermann,  Frohnvogt,  Ausrufer  u.  s.  w. 
nicht  genannt  werden.  Jedenfalls  stimmen  die  Vor- 
schläge, die  Schiller  für  das  Breslauer  Theater  machte, 
nicht  ganz  mit  der  Weimarer  Besetzung  überein. 

S.  231.  Anm.  2:  Zunächst  war  es  freilich  der  dreibändige  Roman:  „Das 
Leben  eines  Lüderlichen"  (1787—88),  der  nach  Chodo- 
wiecki  und  ITogarth  geschrieben  wurde.  Der  Ausgang 
ist  nachträglich  dramatisiert  als  „Der  Lüderliche"  (1789). 

S.  239:  Die  Vermutung,    dass  Schiller    durch    die    Stiche    des 

Rugendas  angeregt  wurde,  lässt  sich  damit  stützen, 
dass  er  bei  seinem  Besuche  in  Weimar  vom  10. — 15. 
September  1798  bei  Heinr.  Meyer,  dem  Maler  und  Kunst- 
forscher, wohnte.  Nach  seiner  Rückkehr  meldet  er  dann 
am  21.  Sept.  das  Hinzukommen  des  Kapuziners;  am 
8.  Okt.  die  Einführung  des  Tanzes. 

S.  249,  Zeile  15:  Lies:  Doggen. 

S.  257,  Anm.  2:  Lies:  Sizilianische  Vesper. 

S.  291:  Lies:  Drittes  Kapitel.     Das  Spiel. 

S.  295,  Anm.  4:  Vgl.  „Verbrecher  aus  verlorner  Ehre" :  „einem  Gesicht, 
worauf  so  viele  wüthende  Atfektc,  gleich  den  ver- 
stümmelten Leichen  auf  einem  Wahlplaz,  verbreitet 
lagen"  (Goed.  IV,  83). 
S.  310,  Zeile  6  v.  u. :  Irrtümlich  ist  hier  Schiller  selbst  mit  dem  Hamburger 
Schluss  des  „Netfen  als  Onkel"  in  Verbindung  gebracht, 
während  aus  den  in  Anm.  4  zitierten  Briefen  hervorgeht, 
dasseran derungeschickten  Änderungkeinen  Anteil  hatte, 
S.  424,  Zeile  9:  Lies:  Resultante. 


Namen- Verzeichnis. 


Abel  1. 

Aberli  83.  185. 
Ackermann  260. 
Addison  358. 
Adelung  141. 
Albrecht,  Sophie  319. 
Ambühl  47.  89.  194. 
Andre  148. 
Anzengruber  60. 
Aristophanes  238. 
Aristoteles  1.  3.  56.  96. 

387. 
Äschylus  69.  358  f. 
Ayrenhoff  13. 


Babo  11.  27.  29.  46.  244. 

261.  262.  266.  347. 

423.  434. 
Barnet  20. 
Baron  384. 

Batteux  1.  68.  112.  126. 
Beaumarchais  10.  22.  26. 

50.  146.   147.    148. 

264.  354. 
Beck  63.  450. 
Becker  252.  483.  484. 
Beil  313. 
Benda  465. 
Ben  Jonson  36. 
Berger  20.  71.  287. 
Bergopzoomer  410. 


I.  Personen. 

Bertuch  10. 
Beschert  220. 
Beuther  191.  273. 
Bibbiena  171.  189.  194. 
Bock  18.  81.  134. 
Bode  81. 

Bodmer  18.  69.  105. 
Boek  805.  365.  384. 
Börne  334. 

Böttiger  10.  44.  177.  178.  193.  217. 
125.  292.  219.  263.  272.  274.  275.  292. 

299.  408.  426.  449.  483. 
Brandes,  Charlotte  260. 
—  Joh.    Christ.    10.    12.    63.    80. 

118.  149.  209.  222.  266.  270. 

346.  422. 
V.  Brawe  15. 
Brentano  213.  233. 
Bretzner  110.  231.  292.  334.  485. 
Brej^sig  188.  189. 
Brockmann  67.  262.  356. 
Brömel  18.  482. 
de  Brueys  9. 

Brühl,  Graf  165.  187.  254,  261. 
Bürger  42.  97.  206.  214  f. 


253.  257 
354.  370 


146. 

35  f.  37 
176.  242 


(Jalderon  19. 
Caspers,  Fanny  225. 
Cervantes  113.  256. 
Chodowiecki  230.  282.  283.  485. 
Christel  409. 


487     — 


Clairon.  nippolyte  259. 

Claude  Lorrain  182. 

Colomba  189. 

Congreve  21.  483. 

Corneille  12.  13.  36.  79.   96.  258. 

454. 
Cotta    12.    16.   83.   84.    277.    304. 

316.  337.  338.  359.  377.  423. 

441.  472. 
Gramer  134.  269. 
CrebiUon  258. 

V.  Cronegk  13.  18.  28.  46.  140.  372. 
Cumberland  20.  40.  46. 


V.   «alberg  8.  17.    32.  46.  49.  80. 

93.  97.  100.  104.  131. 132.  159. 

167.  178.  187.  198.  204.  216. 

250.  254.  263.  265.  266.  268. 

276.  284.  314.  316.  355.  362. 

.36r).  367.  449.  452.  468. 
Dante  2. 
Dan/i  148.  149. 
Dcscartes  312. 
Diderot  13.  14.  22.  35.  38.  46.  48. 

51.  60.  118.  125.  138.146.165. 

182.  183.  188.  190.  230.  237. 

292.  298.  315.  333.  341.  442. 

451. 
Dingelstedt  103.  162.  248.  310. 
Döhbelin  25. 
Dryden  27. 
Duljos  230. 
Dyk  213.  264.  282.  3<;i.  367. 


Eckermann  94.  205.  220.  273.  288. 

290. 
V.  Ein.sicdel    171.    291.   315.   316. 

357.  393.  405.  430. 
Ekhof   104.    164.    200.    274.   310. 

313.  314.  319.  .346.  356.  365. 

368. 


Engel    2.    18.  261.  262.  283.  312. 

314.  315.  316.  325.  335.  366. 

367.  371.  381.  382.  387.  414. 

416.  417.  424.  484. 
Eschenburg  215. 
Esslair  287.  437. 
Eiiripides  26.  27.  38.  76.  77.  78. 


Falbaire  17. 

Favart.  Mad.  259. 

Feind  128.  139.  358. 

Fielding  270. 

Fischer  225. 

Fleck,  .Toh.    Fr.    Ferd.    374.    431. 

437. 
Fleck,  Sophie  Luise  377. 
Fleischer  157. 
V.  F'ouque  218. 
Fränzel  148. 
Freisleben  28. 

Freytag  12.  13.  34.  142.  162.  216. 
Fuentes  190.  191. 


Garrick    244.   259.    270.  286.  292. 

314.  393.  407.  408.  416. 
V.  Gebier  14.  27.  260. 
V.  Gemmingen  32.  37.  46.  54.  82. 

146.  163.  227.  265.  270.  316. 
Genast    43.    220.    239.    241.    278. 

365.  374.  422.  441. 
V.  Gerstenberg  2.  75.  80.  93.  105. 

107.  141.  147.  151.  227.  396. 

410. 
Gessner  182. 
Gluck  217.  485. 
Göckingk  317. 
Goldoni  45.  70. 
Goldsniith  270. 
Göntgen  126. 
Göschen  337.  422.  441. 
Gotter  10.  29.  37.  63.  81.  113.  134. 

222.  242.  250.  264.  314.  465. 


4R8 


Gottsched  8.  9.  12.  18.  22.  31.  35. 

39.  52.  56.  60.  69.  70.  79.  81. 

85.  95.  102.  104.  112.  127. 139. 

140.  180.  189.  221  f.  259.  352. 

357.  363.  456. 
Gottschedin  161. 
V.  Göz  241.  376.  420. 
Gozzi  45.  48.  81.  335.  347.  459. 
Grabbe  18. 
Graff,  Anton  260. 
—  Joh.  Jak.  220.  263.  265. 
Grenze  230. 
Grillparzer  145. 
Grossmann    27.   51.  81.    132.  148. 

166.  167.  172.  197.  278.  283. 

333.  334.  385.  467.  484. 
Grüner  283.  345. 
Gruppe  229. 
Gryphius  77. 
Gutzkow  60.  162. 


Häberlin  58. 

Hägelin  51. 

Hagemann  11. 

Hagemeister  11.  50. 

Hahn  10.  15.  94.  212.  227.  386. 

Hamilton.  Lady  320. 

La  Harpe  10. 

Haselmeier  423. 

Hang  1. 

V.  Haugwitz  165.  360. 

Hauptmann  106.  380. 

Hebbel  50.  55.  145.  162.  284.  437. 

441. 
Hedelin  v.  Aubignac    31.    38.   79. 

86.  333,  339.  454. 
Hegel  468. 

Hein.se  183.  296.  391. 
Hendel-Schütz,  Henr.  275.  .320. 
Henrici-Picander  139. 
Henschel  320. 
JJen.sel-Seyler,  Mad,  356. 


Henzi  193. 

Herder.  Joh.  Gottfr.  2.  93.  114. 

—   Karoline  55  f.  272. 

Hermes  13.  231. 

Herzfeld  276.  310. 

Heufeld  17.  365. 

Hiller  148.  151. 

Hoffmann  241. 

Hogarth  231.  274.  485. 

Holberg  61.  126. 

Holzbauer  465. 

Home  21.  77.  103.  152  f.  314.  324. 

358.  365.  397.  413.  461.  483. 
Homer  2.  217.  309. 
Horaz  2.  31.  35. 
Huber  15. 
V.  Humboldt    3.    26.    27.  55.  237. 

243.  247.  324.  369.  469. 


Jagemann,  Caroline  225.  275. 

—  Ferdinand  304.  305. 

Ibsen  127. 

Jean  Paul  357.  358. 

Jerrmann  476. 

Iffland  10.  12.  14.  16.  17.  27 

39.  52.  56.  63.  85.  89.  90. 

120.  151.  152.  155.  157. 

173.  174.  176.  177.  178. 

185.  186.  187.  193.  200. 

211.  218.  219.  220.  222. 

226.  227.  232.  238.  244. 

251.  252.  253.  254.  255. 

261.  263.  264.  265.  268. 

274.  275.  276.  282.  28o. 

292.  299.  302.  305.  313. 

346.  352.  355.  356.  374. 

376.  383.  400.  403.  408. 

437.  440.  449.  450.  457. 
ligner  19.  359. 
Immermann  134.  249  f.  452. 
Josef  IL,  Kaiser  58. 


453. 


.  29. 
110. 
171. 
179. 
204. 
224. 
248. 
258. 
269. 
288. 
319. 
375. 
422. 
467. 


—     4R0      — 


V.  Kalb,  f'harlotte  «2. 

Kant  318.  319.  412. 

Karl  Augfust,    Herzog-   v.  Weimar 

50.  239.  247.  347. 
Kästner  85. 
Kaufmann  17. 
Keller  84. 
Kerner  195. 
Kirms  273.  274.  276. 
V.   Klein  310.  4()5. 
V.  Kleist,  Fr.  28. 
—  Heinr.  63.  134.  145.  345.  429. 

458.  462 
Klingemann    102.    191.    201.  234. 

240.  243.  273.  422. 
Klino'er  4.  10.  16.  17.  29.  44.  58. 

59.    60.   62.    76.   81.  94.  105. 

115.  117.  126.  158.  211.  212. 

231.  267.  279.  280.  287.  293. 

298.  299.  300  f.  337.  341.  346. 

359.  395.  410.  411.  4.35. 
Klopstock  16.  27.  81.  H.  105.  269. 
V.  Knebel  152. 

V.  Knigg-e4.256.  326.  376.  400.  403. 
Koth  148.  260.  262. 
König:  60.  140. 
Kormart  36.  139.  361. 
Körner    2.    12.    16.    20.    24.    27. 

31.    49.    50.    51.    65.    85.   91. 

106.  108.  129.  135.  156.  157. 

160.  166.  183.  198.  213.  215. 

229.  235.  247.  318.  319.  324. 

362.  422.  423.  424.  439.  441. 

445.  446.  448.  465    469.  485. 
Kosegarton  472. 

Kotzebue  10.  18.  20.  26.  28.  29. 
30.  37.  46.  50.  52.  54.  74.  75. 
110.  111.  142.  150.  151.  173. 
176.  199.  209.  213.  228  2.32  f. 
250.  253.  257.  258.  264  274. 
282.  286.  311.  335.  347.  375. 
376.  384.  400.  414.  425.  431. 
457.  467. 


Kühne  145.  229. 
Kratter  261. 
Kraus  277.  398. 


Lafayette  61. 

Laube   36.    50.   51.  65.   148.  162. 

198.  229.  247.  484. 
Lavater  291.  293.  294.  296. 
Lecain  259. 

V.  Leisewitz  45.49.  81. 103. 363. 407. 
Lengenfelder  47. 
Lenz    14.    15.    16.  21.  23.  27.  28. 

29.    36.    38.   46.   62.    93.    94. 

101.  10.3.  112.  113.  115.  117. 

180.  213.  231.  257.  268.  316. 

354.  393.  395.  400.  401.  408. 

409.  413.  435.  442.  449.  485. 
Lessing  2.  8.  10.  11.  13.  15.  18.  22. 

23.  24.  25.  36.  37.  38.  43.  45. 

52.  58.  60.  61.  69.  70.  71.  76. 

79.  9.5.  103.  104.  109.  11.3.119. 

132.  143.  148.  1.53.  155.  158. 

159.  161.  164.  165.  227.  232. 

259.  260.  270.  271.  280.  292. 

299.  .307.  .309.  314.  315.  316. 

317.  319.  .345.  354.  356.  365. 

368.  369.  371.  372.  373.  379. 

382.  400.  408.  409.  427.  432. 

434.  437.  439.  445.  458.  463. 
Lichtenberg  57.  244.  259.  260.  270. 

286.  296.  307.  354.  401.  407. 
Lillo  61.  63.  86.  280.  314.  359. 
Lips  377. 
Lobe  187. 
Ludwig    5.  10.  12.    55.  106.    117. 

122.  127.  235.  378.  463.  466. 

468. 


Maeterlinck  451. 

Maier  10.  15.  105    131.  343. 

Alailly  58.  257. 

V.  Maltitz  229. 


400     — 


Marmontel  138. 

Martini  13.  14. 

Meil  260.  262. 

Meissner  4.  449. 

Mellish  326. 

Mendelssohn  2. 

Meroier   8.    13.  22  f.    24.   26.  28. 

31.    45.    48.   51.  54,  96.  100. 

108.  114.  230.  292. 
Mereau,  Sophie  59. 
Meyer  239.  485. 
Michaelis  191. 
Miller  4.  184.  267. 
Moliere  36.  140.  146. 
Möller  54.  63.  119.  257.  286.  333. 

414.  467. 
Moritz  57. 
Müller.  Friedrich,  Maler    16.  211. 

257.  288.  354.  387.  408. 
V.  Müller,  .loh.  65.  284. 
Müllner  20. 
Musäus  269.  293.  294. 
Mylius  104.  177.  201.  259.  352.  363. 


Nast  358. 

Neefe  148. 

Neuber,  Karoliiie  39. 132.  148.  259. 

Nicolai  2.  67.  79.  86.  96.  113.  142. 

260.  29(). 
Nivcllc  de  la  Chau.ssee  22. 


Ochsenheinier  225.  264.  299.  356. 
Oels  362. 
Opitz  422. 
Otway  87.  172. 


Peroux  320. 

I'fcil  10. 

l'icard  16.  310.  328.  329.  345.  375. 

435. 
I'laten.  Graf  187. 


IMümicke  17.  72.  99.  110.  124.  1.30. 

134.  148.  159.  167.   170.  202. 

20.5.  212.  453.  471—477.482. 
Toussin  182.  185. 
Torsch  19, 


Quaglio  178. 


Racine  39.  90.  161.  221.  230.  326. 

386.  444.  451. 
RadziAvill,  Fürst  188. 
Rahbeck  291. 
Rambach  11. 
Raniond  16.  47. 
S.  Real  49. 

Regnard  104.  140.  310. 
Rehberg  320. 

Reichard  81.  200.  202.  291.  310. 
Reichardt  214. 
Reinhold  (Saat  von  Goethe  gesät) 

240.  241.  275.  320.  321.  357. 

362.  402. 
Reinecke  318.  362.  422.  437. 
Reinwald  29.  59.  294.  316.  323. 
Remond  de  Ste.  Albine  313.  314. 
Rennschüb  (Büchner)  168. 
—  seine  Frau  318. 
Retz  58.  118.  257. 
Riccoboni   93.  241.  269.  313.  314. 

319.  345.  371.  393.  399.  400. 
Richardson  5.  35.  292. 
Riemer  55. 

Robertson  58.  118.  257. 
Rousseau    Ki.    51.    258.   274.  275. 

465. 
Ruef  193. 
Rugendas  239.  271  f.  485. 


Sachs  113. 
Scarron  225. 
Scheibe  148. 

Schikaneder  19.  133.  222.  249.  257. 
471.  477. 


—      491      — 


Schiller.  Charlotte  184. 

Schink    4.    21.    38.    63.    163.  286. 

316.  410. 
Sfhinkel  187. 
Schirmer  422. 
Schlegel,    Aug.   Wilh.    2.  26.  27. 

30.    77.    125.    126.    165.  174. 

255.  274.  315.  334.  422.  424. 

—  Friedr.  200.  425. 

—  Joh.   Elias  21.  22.  31.  31».  43. 

68.  80.  81.  86.  90.  m.  104. 
134.  260.  358.  368. 
Schmidt,  Friedr.  Ludw.  25.  32.  92. 
151.  103.  241.  2.^)2.  264.  269. 
275.  325.  330.  356.  383.  401. 
408.  418.  437. 

—  Heinr.  220.  299. 

—  Joh.  Friedr.  81. 
Scholz  262. 

Schörieinanii  07.  346.  422. 
Schopenhauer  21. 
Schreyvogei  169. 

Schröder    27.    32.    33.  50.  52.  53. 

63.   66.   81.  92.  93.  102.   113. 

129.  132.  134.  156.  168.  173. 

176.  178.  188.  197.  213.  216. 

223.  224.  241.  242.  257.  260. 

261.  269.  275.  283.  286.  315. 

318.  319.  326.  346.  356.  365. 

393.  400.  422.  420.  427.  453. 

46H.  4S3. 
Schubart  5S.  79.  sO.  94.  Iu7.  450. 
Schulze  172.  355.  350. 
Schwan  33.  82.  16(5.  337.  472. 
Schwarz  226.  270. 
V.  Seckendorf  194.  241.  263.  275. 

320.  364.  372.  399.  421.  428. 

434.  458. 
Seconda  423. 

Servandoui  189  f.  194.  209. 
Shakespeare  11.  16.  19.  20.  30.  42. 

44.    45.    46.  50.    54.   55    60. 

04.    77.    85.    93.    94.    90.  97. 

101.  111.  114.  115.  117.  122. 


127.  129.  131.  144.  145.  162. 

163.  174.  178.  187.  206  f.  211. 

212.  214.  215.  216.  222.  224. 

225.  243.  245.  250.  251.  255. 

262.  266.  283.  286.  296.  297. 

307.  356.  358.  363.  365.  366. 

384.  393.  407.  408.  409.  415. 

417.  424.  442.  463.  464. 
Sinzenich  260. 
V.  Soden  16.  18.  28. 
Solger  108. 

Sonnenfels  18.  76.  96.  125.  457. 
Sophokles  2.  80.  90. 
8j)iess  10.  211.  359. 
Sprickmann  10. 
Stein  wehr  333. 
Stephanie  d.  Ä.  410. 

—  d.  J.  206. 

Sterne  57.  127.  143.  27l).  292.  379. 
Stolherg,  Graf  31.  151. 
Streicher  217.  230.  338.  394.  432. 
Sulzer  1.  23.  35.  69.  86.  90.  127. 

141.  232. 
Öwanefeld  182. 

Tacitus  27. 

Talma  243.  270. 

Terenz  13. 

Tieck    2.    29.    44.  52.  03.  77.  87. 

90.    97.    108.    138.   144.  145. 

165.  183.  189.  238.  245  f.  249  f. 

251.  258.  411.  422.  431.  437. 

406.  471—477. 
Timme  100. 
Törring,  Graf  43.    163.   171.   206. 

257.  266.  408. 
Tschudi  65.  89. 

Unger  304.  305.  316. 
Unzelmann,    Friederike    152.   282. 
305.  422.  423. 

—  Karl  Wilh..  ihr  .Mann  358. 

—  Karl  Wolfe-.,  ihr  Sohn  226. 
Unzer  13.  131. 


402 


Torgil   10^.  143. 

Verona  1H6. 

Veroiiese  183  f. 

Vertot  50. 

Vopel  157. 

Vohs  134.  3-21.  347. 

^'oltarre    14.    18.  20.  24.  96.   140. 

165.  280.  259.  317.  321.  347. 

357. 
Vo,s,s  35S.  396.  415. 


Wächter,  Elit'rli.  377. 

—  Leonh.  s.  Veit  Weber. 
Wagner,    Heinr.    Leopold    8.    10. 

24.  25.  32.  37.  62.  78.  82.  94. 
97.  116.  119.  120  158.  264. 
268.  271.  293.  298.  343.  372. 
387.  453. 

—  Richard  5.  148.  390. 
V.  Wallenrodt  361. 
War.sinsr  261. 

Wel)lj  103. 


Wol.or.  B.  An.^elni   l-')!).  löl. 

—  Veit  (Leonh.  Wächter)  65.  83. 

275.  301. 
Weisse  36.  54.  93.  117.  141.  151  f. 

314.  355. 
Werner  20.  29.  253. 
Werthes  336. 
Wielan.l  6.  31.  43.  44.  59.  78.  93. 

113.  129.   143.  305.  457. 
Winckelmann  412. 
Wollt;   Pius  Alex.    243.  244.  283. 

345.  421.  437.  440. 

—  Amalie,  geb.  Malkolnii  304. 

V  Wolzogen,  Karoline  320. 394.  422. 


Zelter  129.  151.  248.  252.  253. 
Ziegler,  Karoline  63.  298. 

—  Fried.  .Jul.  Wilh.    18.  29.  333. 

334. 
Zinnnennann, Dekorationsmaler  177. 
179. 

—  Fortsetzer  des  Denietriiis  299. 
Zschokke  37.  39.  93.  312. 
Zuin.stee<r  452. 


II.    Werke  von  (woethe  und  Schiller. 


a )   Goethe. 
Aufgeregten,  Die  21.  55.  60.  213. 

,240. 
Brieftasche  8. 
Briefwechsel   mit  Schiller  1.  2.  3. 

4.    5.    8.    14.    28.  33.  34.  52. 

54.    56.    64.    81.    85.    90.  96. 

108.   129.  135.   157.  159.  170. 

183.  193.  214.  225.  235.  237. 

23S.  2.39.  244.  245.  251.  263. 

275.  2S9.  303.  316.  324.  411. 

425.  427.  465.  468.  469.  473. 
liürgergeneral  61. 


Clavigo  19.  94.  119.  134.  143.  323. 

361.  387. 
Dichtung  u.  AVahrheit  52.  57.  61. 

143.  188.  379. 
Egmont  46.  53.  98.  109.  143.  147. 

158.  217-221.  227.  246.  279. 

360.  452.  453. 
Elpenor  10.  77. 

Farbenlehre  5.  267.  268.  269. 
Faust    7  f.   77.  87.  113.  183.  188. 

191.  205.  212.  216.  281.  299. 

345.  370.  387.  392. 
Geschwi.ster  39. 


493     — 


[Goftho  (Forts.)] 

Gespräche  55.    04.  187.  205.  218. 

219.  22U.  22<).  240.  251.  273. 

288.  290. 
Götz  V.  Berliching-en    10.    11.  16. 

29.    36.    43.    49.    63.  64.  66. 

79.  87.  93.  97.  105.  1 13.  129. 

143.  145.  168.  169.  173.  177. 

201.  2U6.  222.  225.  227.  255. 

257.  260.  294.  295.  307.  348. 

354.  375.  376.  407. 
Grosskophta  64. 

Herinaiin  u.  Dorothea  2.  3.  237. 
Jery  u.  Bätely  85. 
Iphig-enie  39.  43.  53.  67.  77.  217. 

316.  330.  332.  425. 

Mädchen  v.  Olierkinh  2(i. 
Malionict  347. 
Miedings  Tod  209. 
Mitschuldigen,    Die   87.  143.  370. 

456. 
Natürliche  Tochter  21.  24.  55.  57. 

64.  281.  332. 
Pandora  182.  344. 
Proserpina  194.  274. 
Regeln  für  Schauspieler  182.  241. 

243.  244.  347.  368.  369.  372. 

377.  383.  400.  421.  429.  431. 

432.  440.  447.  455. 
Romeo  u.  Julia  50.  117.  251.  255. 
Scherz,  List  u.  Rache  18. 
Stella  10.  26.  29.  39.  43.  87.  2H9. 
Tancred  14.  321. 
Tasso  26.  316.  332.  425. 
Triumph  d.  Empfindsamkeit  32. 

Wahlverwandtschaften  57.  58.  379. 
Wahrheit     u.     Wahrscheinlichkeit 

d.  Kunstwerke  190. 
Weimarisches  Hoftheater  425. 
Werther  267.  268.  269.  298. 
Westüstl.  Divan  483. 
Wette  192. 


[Goethe  f  Forts.)] 
Wilhelm  Meisters  Lehrjahre  4.  58. 

61.    108.    175.  224.  244.  251. 

289.  315.  319.  .320.  379.  409. 

411.  424.  431. 
Wilhelm  Meisters  Wanderjahre  3 f. 

57.  125.  240.  379.  411.  457. 


h)    Schiller. 
Aeneisühersetzung  441. 
Anmut  nn<l  Würde  295.  319.  366. 

367.  396.  417.  432.  4S3. 
Braut    in    Trauer    21.  24.  42.  61. 

217.  483. 
Braut  von  Me.ssina  17.  19.  21.  34. 

40.  44.  53.  55.  64.  68.  74.  81. 

82.    99.    103.    111.    114.  115. 

122.  123.  128.  130.  154.  196. 

201.  202.  2(14.  209.  234.  247  f. 

267.  2S0  f.  296.  297.  300.  303. 

306.  309.  310.  326.  331.  332. 

334.  337.  344.  348.  368.  370. 

372.  377.  381.  383.  388.  397. 

405.  407.  4()8.  420.  425.  435. 

437.  438.  441.  444.  448.  454. 

461. 
Briefe  üb.  ästhet.  Erziehung    324. 
Cosmus  V.  Medicis  11.  58. 
Demetrius   10.  15.  19.  34.  40.  50. 

56.  59.  60.  64.  65.  76.  84.  91. 

101.  102.  106.  111.  122.  124. 

12(i.  147.   151.  160.  166.  188. 

191.  198.  199.  210.  214.  220. 

221.  228.  236.  245.  246  f.  255. 

256.  27().  284.  303.  309.  312. 

340.  347.  455.  456.  464. 
Don  Carlos   4.  11.  20.  24.  25.  28. 

33.  42.  43.  45.  47.  49.  53.  54. 

59.  64.  70.  71.  73.  74.  76.  82. 

87.    89.  90.  91.  98.  100.  107. 

112.  116.  119.  120.  121.  122. 

124.  126.  128.  129.  130.  145. 


494     — 


rSchiller  (Forts.-)! 

149.  154.  156.  158.  160.  161 

169.  170.  171.  172.  176.  184. 

187.  192.  197.  202.  208.  210. 

216.  223.  224.  227.  2.34.  285. 

236.  243.  246.  262.  268.  269. 

270.  271.  275.  278.  281.  282. 

283.  284.  285.  297.  300.  301. 
302.  303.  304.  306.  307.  310. 
311.  318  322.  324.  325.  326. 
327.  328.  330.  331.  334.  336. 
337.  338.  340.  342.  345.  346. 
352.  353.  355.  362.  364.  365. 
370.  371.  374.  376.  382.  383. 
384.  385.  386.  387.  388.  389. 
390.  391.  392.  394.  396.  398. 
399.  400.  401.  402.  403.  404. 
405.  406.  408.  411.  413.  414. 
416.  419.  420.  423.  427.  429. 
430.  433.  434.  436.  438.  439. 
441.  443.  445.  446.  448.  449. 
453.  456.  460.  461.  462.  463. 
468.  477—482.  483.  484. 

Ef^niont     46.     53.    98.    147.    158. 

217-221.  246.  279.  452.  453. 
Elfride  10. 

Erhabenen,  Vom  80.  382.  451. 
Fiesko  5.  6.  7.  20.  29.  35.  37.  42. 

43.  45.  48.  58.  58.  61.  63.  64. 

68.  70.  71.  72.  74.  75.  76.  78. 

80.    82.    87.    92.  98.  99.  100. 

107.  IIU.  111.  115.  116.  117. 

118.  119.  121.  122.  123.  124. 

127.  130.  183.  136.  145.  149. 

154.  155.  156.  159.  160.  161. 

166.  167.  1()S.  169.   171.  ISl. 

182.  186.  196.  197.  202.  203. 

204.  205.  206.  207.  208.  209. 

210.  219.  222.  223.  224.  231, 

232.  233.  234.  243.  250.  253. 

257.  262.  264.  265.  266.  2(i7. 

270.  276.  278.  279.  280.  281. 

284.  285.  286.  287.  294.  296. 


rSfliülfi-  (Forts.)l 

297.  .300.  302.  303.  305.  306. 
307.  .308.  309.  311.  318.  322. 
323.  326.  329.  330.  334.  336. 
337.  338.  340.  341.  342.  344. 
348.  349.  351.  352.  353.  355. 
362.  363.  370.  871.  372.  374. 
882.  383.  384.  885.  886.  388. 
389.  391.  392.  394.  395.  396. 
397.  398.  399.  400.  401.  402. 
404.  406.  407.  408.  410.  413. 
414.  416.  419.  433.  434.  435. 
436. 438. 460. 462. 463. 468. 477. 

Flibustiers  312. 

«edichte  388.  392.  403.  464. 

Geg-enwärt.  teutsche  Theater.  Über 

das  283.  317.  819.  380.  484. 
Geisterseher  183.  289.  884. 
Gespenst  217. 
Gräfin    von    Flandern    11.   50.  61. 

236.  312. 
Imhof  10.  62. 

Iphig-enie  in  Aulis  339.  390. 
.luno-f'rau  von  Orleans  20.  21.  26. 

80.  33.  34.  44.  46.  48.  49.  50. 

51.  53.  54.  59.  60.  64.  68.  70. 

72.  73.  74.  75.  78.  83.  84.  87. 

89.    91.    106.    110.    111.  121. 

122.  128.  129.  149.  150.  151. 

154.  155.  156.  157.  160.   166. 

167.  169.  171.  193.  199.  202. 

203.  204.  206.  207.  210.  212. 

213.  214.  216.  228.  233.  246. 

251.  252.  253.  254.  255.  263. 

265.  267.  26S.  273.  274.  275. 

278.  279.  2S5.  300.  304.  305. 

306.  327.  329.  331.  332.  339. 

840.  342.  344.  349.  350.  356. 

357.  363.  365.  872.  374.  381. 

888.  886.  387.  389.  390.  892. 

393.  396.  402.  403.  404.  411. 

423.  425.  429.  433.  435.  4.38. 

447. 460. 461. 462. 464. 483. 485. 


495     — 


rScliillcr  (Forts.)l 

Kabale  und  Liebe  7.  10.  11.  16  f. 
24.  44.  45.  4fi.  50.  51.  52.  53. 
59.  60.  G2.  68.  70.  72.  73.  82. 
100.  107.  110.  115.  119.  120. 
122.  123.  130.  145.  149.  153. 
156.  157.  158.  160.  162.  172. 
176.  180.  181.  186.  192.  202. 
234.  268.  269.  270.  271.  278. 
280.  281.  282.  283.  285.  286. 
287.  296.  297.  298.  300.  302. 
303.  306.  308.  326.  329.  336. 
337.  338.  341.  343.  349  350. 
351.  352.  355.  356.  357.  370. 
374.  375.  382.  383.  3S5.  3s6. 
387.  388.  3S9.  392.  394.  395. 
398.  399.  400.  401.  402.  401. 
405.  406.  407.  408.  4o9.  413. 
414.  416.  420.  428.  433.  434. 
436.  43S.  449.  4.50.  452.  453. 
456.  458.  461.  462.  468. 

Kinder  des  Hauses  10.  19.  21.  27. 
40.  61.  115.  301.  302.  310. 

Macbeth  42.  44.  97.  135.  169.  170. 

207.  214.  225.  251.  252.  -306. 

339.  .366.  415.  429. 
Maltheser    14.  21.  25.  34.  46.  55. 

62.    84.    155.    235.    302.  303. 

312. 


Maria  Stuart  12. 
63.  72.  73.  7 
89.    91.    106. 

130.  147.  150. 

156.  159.  160. 

207.  211.  223. 

273.  276.  282. 

303.  304.  306. 

326.  330.  331. 

361.  370.  3S1. 

391.  401.  402. 

409.  411.  412. 

419.  425.  428. 


45.  4S.  .50, 
4.  83.  84. 
111.  120. 
152.  154. 
170.  171. 
234.  265. 
285.  300. 
.307.  309. 
337.  359. 
382.  385. 
405.  406. 
415.  416. 
429.  433. 


52. 

87. 
122. 
155. 
183. 
267. 
302. 
321. 
360. 
389. 
407. 
418. 
435. 


[.«^chillor  (Fort.s.)] 

43H.  439.  443.  447.  448.  454. 

460.  461.  462.  464.  473.  484. 
Menschenfeind  15.  27.  28.  62.  73. 

110.  115.  117.  303.  .383.  483. 
Nathan  der  Weise  25.  71. 
Neffe  als  Onkel  16.  310.  .345.  375. 

455.  4S5. 
Othello  358.  415. 
Parasit  32S.  329.  455. 
Phädra  160.  326.  386.  444. 
Philosoph i.sohe  Briefe  -323.  403. 
Phönizierinnen  39(J.  429. 
Polizey  1.5.    25.    56.  65.  120.  2-35. 

309.  312. 
Prinzessin  von  Zelle    11.  61.  236. 

2S1. 

lläiiber  1.  4.  6.  14.  16.  19.  24.  25. 
27.  28.  33.  42.  43.  45.  46.  48. 
49.  58.  60.  62.  64.  65.  67.  70. 
71.  72.  74.  76.  78.  79.  82.  83. 
86.  87.  88.  91.  98.  100.  107. 
109.  114.  115.  116.  117.  120. 
121.  122.  126.  128.  131.  133. 
145.  148.  149.  154.  156.  157. 
159.  160.  161.  167.  168.  169. 
171.  181.  184.  192.  193.  196. 
198.  201.  202.  203.  204.  205. 
207.  208.  209.  210.  211.  219. 
223.  224.  230.  231.  232.  233. 
234.  238.  243.  245.  246.  249. 
250.  252.  256.  257.  262.  263. 
264.  267.  271.  276.  278,  281. 
282.  284.  285.  286.  287.  288. 
294.  295.  296.  297.  298.  299. 
300.  .301.  302.  303.  305.  307. 
308.  310.  312.  317.  322.  326. 
330.  336.  33S.  340.  341.  342. 
343.  344.  351.  352.  355.  361. 
362.  363.  364.  369.  374.  375. 
376.  379.  380.  382.  385.  386. 
388.  389.  391.  393.  394.  395. 
397.  398.  401.  402.  404.  406. 


-     496     — 


[Sohillpr  (Forts.)] 
407.  40S.  -409.  410.  413.  414. 
415.  416.  419.  428.  436.  4.39. 
448.  449.  450.  452.  453.  456. 

459.  460.     461.     463.     46R. 
471-477. 

Räuber     Mooj-s     letzte.s    Schicksal 

16.  24. 
Rosamund  61. 

Schaubühne  als  moral.  An.stalt  1. 
Seestück  102. 
Semele  70.  74.  77.  160.  201.  307. 

308.  409.  419. 
Student  von  Nassau  '20. 
Teil  10.  15.  26.  27.  42.  45.  47.  48. 

50.  53.  54.  55.  61.  64.  65.  68. 

72.  74.  75.  76.  77.  80.  83.  84. 

85.    87.    88.    89.  90.  93.  101. 

106.  111.  116.  119.  121.  122. 

131.  136.  150.  154.  160.  169. 

170.  171.  173.  174.  175.  185. 

188.  193.  194.  195.  198.  199. 

200.  202.  203.  204.  205.  206. 

208.  209.  210.  211.  212.  224. 

226.  227.  228.  232.  233.  234. 

240.  245.  246.  255.  258.  270. 

276.  277.  278.  279  f.  281.  284. 

285.  288.  302.  306.  329.  3-51. 

339.  340.  347.  348.  349.  350. 

354.  355.  361.  363.  370.  381. 

383.  389.  391.  397.  398.  399. 

402.  404.  405.  412.  413.  414. 

426.  434.  436.  453.  454.  459. 

460.  464.  484.  485. 
Tug^end,  in  ihren  Folg-en  betrachtet 

384. 
Turandot  20.  45.  48.  51.  85.  168. 
835.  889.  347.  423.  439.  455. 
459.  484. 


rSehillei-  (Fort.«.)] 
Trasfische  Kunst  1.  483. 
Verbrecher  aus  verlor.  Ehre  17.  4S5. 
Vergnügen  an  trag.  Gegenständen 

1.  48.3. 
Wallenstein   2.  10.  11.  12.  15.  16. 

24.  28.  38.  34.  44.  45.  47.  48. 

49.  53.  55.  68.  64.  68.  70.  72. 

78.  74.  76.  82.  83.  84.  89.  90. 

91.  92. 100. 106. 108.  109. 111. 

116.  117.  119.  120.  121.  122. 

123.  124.  128.  129.  130.  133. 

134.  135.  136.  145.  149.  150. 

154.  156.  157.  159.  160.  161. 

169.  170.  176.  183.  186.  192. 

193.  198.  202.  204.  208.  209. 

212.  224.  227.  232.  236.  238. 

239.  240.  242.  244.  245.  246. 

247.  261.  268.  265.  268.  270. 

271.  272,  273.  276.  277.  278. 

279.  280.  281.  285.  287.  288. 

296.  297.  300.  301.  308.  304, 

306.  807.  309.  321.  324.  328. 

829.  380.  331.  832.  337.  840. 

842.  343.  344.  345.  849.  850. 

351.  353.  354.  361.  362.  370. 

372.  374.  377.  380.  381.  382. 

888.  389.  390.  392.  393.  896. 

399.  401.  404.  405.  407.  408. 

412.  413.  414.  418.  419.  423. 

425.  427.  433.  435.  436.  438. 

446.  447.  448.  452.  453.  454. 

455.  459.  460.  461.  462.  464. 

484.  485. 
Warbeck    10.    41.   50.  53.  61.  90. 

236.  256.  310.  312.  423.  483. 
Zusammenhang   d.  tier.  Matur  des 

Menschen  mit  s.  geistigen  295. 

378.  405.  412. 


497 


III.    Theaterstädte. 


Altona  280. 


Berlin  11.  67.  85.  109.  172.  173  ff. 

185.  18(i.  187.  188.  198.  218. 

219.  226.  228.  229.  244.  248. 

252.  253.  254.  255.  250.  260. 

261.  275.  276.  282.  305.  320. 

331.  356.  377.  473. 
Braunschweis:  222. 
Breslau  226.  276.  485. 

Dresden  14.  20.  50.  132.  217.  223. 

264.  305.  318.  422. 
Düsseldorf  134.  249  f. 
Frankfurt    a.   M.    107.    132.    19(». 

225.  242.  262.  422. 
Fürth  249. 

Gotha  211.  26U. 

Haniburi?    32.    33.  34.  44.  49.  54. 

64.  66.  81.  99.  111.  131.  132. 

140.  148.  168.  177.  179.   189. 

197.  198.  201.  206.  213.  223. 

226.  252.  253.  257.  258.  260. 

263.  271.  276.  310.  316.  317. 
331.  344.  346.  348.  358.  359. 
365.  375. 

König-sberg  188.  262. 

Lauehstädt  14.  50.  252. 

Leipzig    14.  20.  49.  50.  109.  13(1. 

132.  140.  148.  172.  196.  198. 

206.  225.  251.  253.  260.  262. 

264.  318.  355.  362.  374.  394. 
422.  423. 

Ludwigsburg  195.  19(1  201. 
Magdeburg  25.  140.  264. 
Mainz  218. 


Mannhein\    15  17.  19.  29.  32.  33. 

37.  44.  45.  49.  63.  67.  82.  97. 

98.    99.    103.    104.    105.  107. 

111.  145.  149.  161.  167.  171. 

172.  17.5.  176.  178.  179.  181. 

186.  187.  196.  197.  198.  201. 

204.  206.  216.  218.  219.  222. 

223.  224.  225.  242.  250.  254. 

256.  262.  263.  265.  26(5.  275. 

282.  28.5.  298.  305.  306.  313. 

314.  316.  317.  318.  334.  338. 

346.  363.  365.  367.  384.  432. 

449.  451.  4.52.  465.    172.  478. 
Meiningen  187.  2(54. 
München  1(J3. 111. 248. 310. 355. 477. 
Nürnberg  132. 

Paris  139.  162.  188.  190.  194.  276. 
Regensburg  249. 
Schwerin  200.  313. 
Stuttgart  189.  215.  222.  256.  322. 

323.  359.  423.  429. 
Weimar    25.    50.    64.    65.    6(5.  85. 

105.   108.  109.  1(56.  17(5.  185. 

186.  187.  193.  198.  200.  217. 

218.  222.  225.  226.  228.  240. 

242.  243.  244.  245.  248.  251. 

252.  263.  265.  271.  273.  274. 

275.  276.  277.  283.  310.  320. 

321.  347.  357.  358.  362.  368. 

369.  377.  383.  400.  402.  421. 

423.  425.  431.  437.  441.  447. 

484.  485. 
Wien  9.  14.  19.  30.  SU.  45.  50.  51. 

67.  132.145.  150.  162.169.  198. 

228.  243.  268.  275.  356.  361. 

362.  484. 


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