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Full text of "Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift"

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SCHLESIENS  VORZEIT  IN   BILD 

UND  SCHRIFT 

ZEITSCHRIFT  DES  VEREINS 
FÜR   DAS   MUSEUM    SCHLESISCHER  ALTERTÜMER 

HERAUSGEGEBEN    VON 
W.  GREMPLER    UND    H.  SEGER 

NEUE  FOLGE  I.  BAND 


JAHRBUCH    DES    SCHLESISCHEN    MUSEUMS    FÜR 
KUNSTGEWERBE    UND    ALTERTÜMER 


BAND 


BRESLAU 

DRUCK   VON    C.RASS,    FiARTII    l";   COMP.   (W.    FRIEDRICH) 
1<I()() 


JAHRBUCH 


DES  SCHLESISCHEN    MUSEUMS   FÜR 
KUNSTGEWERBE    UND   ALTERTÜMER 


I.  BAND 


MIT    10  TAFELN   UND   ZAHLREICHEN  ABBILDUNGEN   IM   TEXTE 


HERAUSGEGEBEN  VON 


KARL  MASNER  UND  HANS  SEGER 


iiW^(\^ 


BRESLAU 

DRUCK  VON   ORASS,    BARTH   &  COMP.   (W.  KRIFDRICH) 

1900 


VVVVv^. 


Verlag  von  Eduard  Trcwoiult 


CENia 


VORWORT 

Das  Jahrbuch  des  Schlesischen  Museums  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer, 
dessen  I.  Band  wir  hier  der  Öffentlichkeit  übergeben,  ist  ein  gemeinsames  Unter- 
nehmen der  Stadt  Breslau,  der  das  neue  Institut  gehört,  und  des  Vereins  für  das  Museum 
schiesischer  Altertümer,  aus  dessen  Sammlungen  es  hervorgegangen  ist.  Die  Absicht 
der  Stadt,  für  das  Kunstgewerbemuseum  ein  wissenschaftliches  Organ  zu  gründen,  traf 
glücklich  zusammen  mit  dem  Wunsche  des  Vereines,  seine  alte  Zeitschrift  „Schlesiens 
Vorzeit  in  Bild  und  Schrift"  fortzuführen.  Gerade  in  der  Förderung  der  wissenschaft- 
lichen Interessen  des  Museums  liegt  die  neue  Aufgabe  des  Vereins,  der  er  sich  um  so 
erfolgreicher  wird  widmen  können,  als  ihm  jetzt  die  drückende  Sorge  um  seine  früheren 
Sammlungen  abgenommen  ist.  Wir  hoffen,  dass  die  Zeitschrift  in  ihrer  neuen  Gestalt 
dem  Vereine  die  alten  Freunde  zu  Gunsten  des  Museums  erhalten  und  zahlreiche  neue 
gewinnen  wird.  Gerne  danken  wir  an  dieser  Stelle  einem  Freunde  des  Museums  und 
des  Vereins,  Herrn  Buchdruckereibesitzer  Eugen  Lilienfeld,  für  die  Stiftung  der  farbigen 
Reproduktion  unseres  berühmten  Dorotheenreliquiars,  die  als  Tafel  1  diesen  Band  des 
Jahrbuches  ziert. 

Die  Herausgeber 


ÜBERSICHT   DES   INHALTS 


Das  Schlesische  Museum  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer: 

Geschichte    des    ehemaligen    Museums    schlesischer    Altertümer    von 

Hans  Seger       Seite  1 

Die    Bestrebungen    zur    Gründung    eines    Kunstgewerbemuseums    in 

Breslau  von  Georg  Bender „  25 

Das  Museumsgebäude „  33 

Überblick  über  die  Sammlungen „  37 

Die  Bibliothek  und  der  Zeichensaal „  55 

Abhandlungen: 

Der  Goldring  von  Ransern  von  Wilhelm  Grempler „  59 

Reste  des  Vinzenzklosters  bei  Breslau  von  Conrad  Buchwald.     .     .  „  61 

Ein  mittelalterlicher  Archivschrank  von  Joseph  Jungnitz „  80 

Ein  Teppichgobelin  des  16.  Jahrhunderts  von  Fritz  Wolff     ....  „  83 
Die     Bilder     der    Breslauer    Ratsherren     von     1667     von     Hermann 

Markgraf „  87 

Ein  Votivbild    des    15.  Jahrhunderts    von   Fortunat  von   Schubert- 
Soldern     „  100 

Fabian    Witsch,    ein   Breslauer   Goldschmied   der  Spätrenaissance  von 

Kurt  Moriz-Eichborn „  107 

Zur  schlesischen  Keramik  der  Renaissancezeit  von  Karl  Masner    .     .  „  122 

Zu  den  Steinaltertümern  am  Zobten  von  Wilhelm  Schulte    .    .     .     .  „  133 
Geschichte     der    Münzsammlung     des     Museums     von     Ferdinand 

Friedensburg „  144 

Schlesisches  Kunstgewerbe  früherer  Zeiten  in  auswärtigem  Besitz  von 

Josef  Epstein       „      159 


Biicherbesprechiingen: 

O.  Montelius,    Die    Chronologie   der   ältesten    Bronzezeit  in    Nord- 
deutschland und  Skandinavien  von  Hans  Seger Seite  162 

E.    Roehl,    Siegel    und  Wappen    der   Stadt    Breslau    von    Conrad 


B  u  c  h  w  a  1  d 


Bericht  über  das  1.  Etatsjahr  (1.  April  1899  bis  1.  April  1900): 

Eröffnungsfeier 

Vermehrung  der  Sammlungen 

Vermehrung  der  Bibliothek 

Ausstellungen 

Besuch  der  Sammlungen  und  der  Bibliothek   .... 
Stiftungen  von  Geldbeträgen  für  das  Museum     .     .     . 


Anhang  I: 

Verwaltungsordnung  des  Museums 

Anhang  11: 

Vertrag   zwischen    dem    Magistrat    und    dem    Verein    für    das 
Museum  schlesischer  Altertümer 

Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer: 

Thätigkeitsbericht  für  das  Jahr  1899 

Thätigkeitsbericht  für  das  Jahr  1900 

Berichtigungen 


164 


167 
172 
179 
181 
182 
185 


186 


190 


195 

198 
200 


TAFEL  I 


Aqiiarcllkopic  von  Miirg.   ['f;im! 

At/miK  v<Mi  Mcisenhach,  Riffarth  tV  Co.,  München 


Typogr.  F.irhciulriick  von  S.  I.iliciifilil,  Breslau 


Reliquiar  der  hl.  Dorothea 


DAS  SCHLESISCHE   MUSEUM    FÜR 
KUNSTGEWERBE  UND  ALTERTÜMER 


Fragment  eines  gotischen  Steinfrieses  vom  ehemaligen  Leinwandhause 


GESCHICHTE   DES   EHEMALIGEN   MUSEUMS 
SCHLESISCHER   ALTERTÜMER 


ie  Geschichte  des  Museums  schlesischer  Altertümer,  aus  dem  sich 
unser  Schlesisches  Museum  für  Kunstgewerbe  und  Ahertümer 
entwickelt  hat,  geht  bis  zu  einem  gewissen  Grade  parallel  mit  der 
Geschichte  der  beiden  grossen  Breslauer  Bibliotheken  und  Archive. 
Wie  die  Stadtbibliothek  und  das  Stadtarchiv  aus  der  Vereinigung 
der  Bücher-  und  Urkundenschätze  des  Magistrats  und  der  städtischen 
Kirchen  und  Körperschaften  entstanden  sind,  so  wurde  das  Museum  die  Sammelstätte  für 
die  aus  denselben  Quellen  stammenden  Altertümer.  Und  wie  die  Königliche  und  Universitäts- 
bibliothek und  das  Staatsarchiv  ihre  Gründung  der  Säkularisation  der  schlesischen  Klöster 
und  Stifter  von  1810  verdanken,  so  wurde  damals  auch  das  Königliche  Museum  für  Kunst 
und  Altertümer  ins  Leben  gerufen,  dessen  unmittelbarer  Nachfolger  und  Erbe  das  Museum 
geworden  ist.  Der  1858  gestiftete  Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  hat  das 
Verdienst,  diese  bis  dahin  zerstreuten  Sammlungen  zu  einem  Ganzen  vereinigt,  vermehrt, 
geordnet  und  der  Allgemeinheit  zugänglich  gemacht  zu  haben. 

Hiernach  gliedert  sich  die  Geschichte  des  Museums  in  drei  Abschnitte.  Der  erste 
behandelt  die  Sammlungen  der  Stadt  Breslau  einschliesslich  der  Kirchen  und  Korpo- 
rationen, der  zweite  das  Königliche  Museum  für  Kunst  und  Altertümer,  der  dritte 
die  Thätigkeit  des  Vereins.')  Unberücksichtigt  bleibt  im  allgemeinen  das  Gebiet  der 
Münzen,  das  an  anderer  Stelle  eine  gesonderte  Besprechung  erfährt. 

')  Vgl.  die  Darstellungen  von  B.  v.  I'rittwitz  im  dritten  Bande  der  Zeitschrift  „Schlesiens  Vorzeit  in 
Bild  und  Schrift"  und  von  H.  Luchs  in  der  Festschrift  zum  25jährigen  Bestehen  des  Vereins. 

1 


I. 

An  Alter  und  Wert  die  erste  Stelle  nimmt  unter  den  städtischen  Sammlungen  die 
des  Ratsarcliives  ein.  Sie  wurde  zusammen  mit  den  wichtigsten  Privilegien  „bei  der 
Rentkammer"  (heute  Zimmer  des  Oberbürgermeisters),  d.  Ii.  in  dem  dahinter  liegenden  Süd- 
osterker des  Rathauses,  dem  Sanctum  Sanctorum,  auch  Grünes  Gewölbe  genannt,  in 
mehreren  Kisten  und  Schränkchen  aufbewahrt  und  führte  dort  ein  ziemlich  verborgenes 
Dasein.  Selbst  Kundmann  und  Gomoicky,  sonst  unsere  kundigsten  Führer  durch  die 
Merkwürdigkeiten  des  vorpreussischen  Breslaus,  berichten  anscheinend  nur  vom  Hören- 
sagen, dass  im  Rathaus  „der  Heil.  Fürstin  Hedwigis  Mundkriegel,  so  von  Gold,  und 
ihr  kostbares  Mund-Olass,  dann  ferner  ihres  Sohnes  Henrici  Pii  sonderbares  Schwerdt 
und  Gürtel  verwahrlich  aufgehoben  wurde".  Auch  die  älteren  Inventare  des  Archivs,  die 
libri  privilegiorum,  nehmen  von  der  Sammlung  keine  Notiz.  Erst  das  sogen.  Repertorium 
Roppan  vom  Jahre  17Q1  (Stadtarchiv  Hs.  D.  37)  bringt  ein  „Verzeichnüs  derer  im  Archiv 
aufbewahrten  Kostbarkeiten  und  Sachen".  Es  weist  ungefähr  den  bei  der  Übergabe  an 
das  Museum  vorgefundenen  Besitzstand  und  ziemlich  ausführliche  Beschreibungen  auf, 
dagegen  keine  geschichtlichen  Angaben  über  die  Herkunft  der  Gegenstände. 

Da  sind  zunächst  eine  Anzahl  kirchlicher  Gerätschaften,  meist  silberne  Reiiquiare 
aus  der  Zeit  des  ausgehenden  Mittelalters.')  Wir  wissen,  dass  sich  im  Rathaus  seit  1345 
eine  Kapelle  befand  —  der  spätere  Fürstensaal  — ,  worin  vor  den  Ratssitzungen  die  Messe 
gelesen  wurde.  Was  liegt  also  näher,  als  dass  die  Kultgeräte  des  Archivs  ursprünglich 
zu  dieser  Kapelle  gehört  haben?  Von  dem  Hauptstück,  der  lebensgrossen  Büste  der 
heiligen  Dorothea,  deren  Inneres  den  Schädel  und  die  Kinnlade  der  Heiligen  und  andere 
Reliquien  birgt,  ist  dies  auch  zu  beweisen.  In  der  um  1510  verfassten  Descriptio  Vratislaviae 
von  Bartholomäus  Sthenus  (Stein)^)  heisst  es  bei  der  Beschreibung  des  Rathauses:  „Ibidem, 
sed  ad  orientem  sacellum  est  cum  ara,  ubi  sanctae  Dorotheae  servatur  caput,  et  sacrificia 
coram  inituris  consilia  peraguntur."  Damals  stand  also  die  Büste  in  dem  als  Altarraiun  be- 
nutzten Osterker  des  Fürstensaales.  Der  Zufall  hat  uns  aber  von  ihrer  Existenz  ein  noch 
beträchtlich  älteres  Zeugnis  aufbewahrt.  Unter  den  Baurechnungen  des  Rathauses  wird 
nämlich  zum  Jahre  1445  auch  folgender  Posten  aufgeführt:  „Item  lil  flor.  vor  1  Brille  zu 
Sand  Dorothee  haupte."-')  Dass  mit  der  „Brille"  die  runde  Kristallscheibe  auf  dem  Scheitel 
unsrer  Büste  gemeint  ist,  durch  die  man  die  Hauptreliquien  betrachten  kann,  darf  wohl 
als  ausgemacht  gelten.  Fraglich  ist  nur,  ob  sich  die  Rechnung  auf  den  Ersatz  des  Glases 
oder  auf  seine  erste  Anfertigung  bezieht.  Im  zweiten  Falle  niüsste  man  sich  natürlich  auch 
das  Reliquiar  selbst   nicht   lange  vorher  entstanden  denken,   eine  Annahme,   der  weiler  die 

1)  Vgl.  Schles.  Vorz.   Bd.   II,  S.  3. 

^)  Heraiisgeg.  v.  Joli.  Tlicnpli.   Klinisch,  Hrt-slaii   1832,  S.  6. 

=*)  Lüdecke  ii.  Scliid/,   Das  Rathaus  zu   Breslau,   I'.irlin  und   FJresiau   1S()8,  S.  7,  Aiun.  32  n.  48. 


stilistische  Behandlung  des  Kopfes  noch  der  unter  den  Reliquien  befindliche  Agnus  Del 
Pius  II  (1458-1464)  widerspricht.') 

Wenn  wir  dem  sonst  freilich  nicht  sehr  zuverlässigen  Martin  Radeck,  Verfasser  eines 
lateinischen  Lobgedichtes  auf  die  Stadt  Breslau  vom  Jahre  1557,  Glauben  schenken,  so 
pflegte  man  die  Büste,  vielleicht  am  Feste  der  Heiligen,  in  feierlicher  Prozession  herum- 
zutragen.2)  Mit  der  Einführung  der  Reformation  hörte  dieser  Brauch,  wie  überhaupt  die 
gottesdienstliche  Verwendung  des  Reliquiars,  selbstverständlich  auf.  Es  wurde  aus  der 
Kapelle  entfernt  und  wanderte  in  die  benachbarte  Schatzkammer. 

Anders  verhält  es  sich  mit  vier  Reliquiaren,  die  durch  Wappen  und  Inschriften  als 
Stiftungen  der  Familien  Neisse  und  Bank  bezeichnet  sind.  Das  älteste,  in  Form  eines 
hohlen  Kleeblattkreuzes,  trägt  das  Neissesche  Wappen  und  die  Inschrift: 

coiHuirntu  est  cnir  per  lunn  ottonein  lie  ni)sn  ati  eiippeüa  suS 

Dieser  Otto  von  Neisse  war  von  1360  bis  1388  Ratsherr  und  Schöffe^)  und  hat 
nach  einer  Urkunde  Bischof  Wenzels  v.  J.  1384  in  der  Elisabetkirche  eine  eigne  Kapelle 
zu  Ehren  der  Jungfrau  Maria  gegründet  und  ausgestattet.^)  Durch  Heirat  gelangte  144Q 
die  Kapelle  mit  allem  Zubehör  an  den  Ratsherrn  Alexius  Bank  und  nach  dessen  Tode  1454 
an  seinen  gleichnamigen  Sohn.  In  die  Lebenszeit  des  Sohnes  (f  1508)  fällt  die  Stiftung 
der  Reliquienmonstranz  mit  dem  Bankeschen  Wappen  und  den  Initialen  A  P  (mit  hartem 
Anlauf  des  Namens),  in  deren  Innern  sich  ein  agnus  dei  Sixtus  IV  v.  J.  1472  befindet, 
und  der  Statuetten  Johannes  des  Täufers  und  der  hl.  Hedwig  mit  den  Wappen  beider 
Familien  und  der  Jahreszahl  1495. 


1)  Von  Interesse  ist  die  Mitteilung  der  Acta  Sanctoriim  (Febr.,  Tom.  1.,  Antwerp.  1658,  S.  773),  dass 
in  der  Carmeiiterkirche  zu  Cöln  gleichfalls  die  Kinnlade  der  h.  Dorothea,  und  zwar  auch  hier  in  einer  sil- 
bernen Herme  eingeschlossen,  gezeigt  wurde.  Der  Schädel  soll  nach  derselben  Quelle  von  Karl  IV.  nach 
Prag  oder  Burg  Karlstein  gebracht  worden  sein. 

-)  In  insignia  senatus  popiilique  Vratislaviensis  carmen,  p.  2:    Caput  Dorotheae. 
Sed  quid  foeniineo  sibi  viilt  diadema  supimim 
Suppositum  capiti?  capiti,  quod  luce  corusca 
Divini  cingunt  radii,  quod  flava  decorat 
Caesarics,  nudique  humeri,  quaenani  ista  virago? 
Fallor  an  hoc  sanctae  caput  est  illustre  puellae, 
Divini  a  Graiis  cui  sunt  data  nomina  doni, 
Quodque  stato  totam  nostri  nieminere  parentes 
Tempore  gestatum  solennitcr  esse  per  urbeni: 
Vana  superstitio  veri  dum  nescia  cultus 
Ritibtis  iniussis  corda  illaqueata  tenoret. 
Radeck  hielt  das  I5ild  Johannes  des  Evangelisten  im  Breslauer  Stadtwappen  für  das  der  heil.  Dorothea 
und  für  eine  Abbildung  des  Reliquiars.    Diese  Ansicht  hat  Luchs  (Schles.  Landes-  und  Städtewappen,  Schles. 
Vorz.  Bd.  IV,    S.  20  ff.)   sich    zu    eigen  gemacht    und    zu    beweisen    gesucht.     Ihre  Haltlosigkeit   hat  Roehl 
(Siegel  und  Wappen  der  Stadt  Breslau,  Breslau   IWO,  S.  35)  nachgewiesen. 

•1)  Markgraf  u.  Frenzel,  Breslauer  Stadtbuch  (Codex  diplom.  Sil.  XI),  S.   111. 

')  Schmeidler,  Die  evang.  Haupt-  und   Pfarrkirche  zu  St.  Elisabet,  Breslau   1S57,  S.  100. 


Gürtel  des  16.  Jahrh.  aus  dem  Ratsarchive 


Diese  vier  Reliquiare  gehörten  also  von  Hause  aus  zur  Elisabetkirche.  Zeit  und 
Ursache  des  Besitzwechsels  erfahren  wir  aus  der  Reformationsgeschichte  Breslaus.  Die 
evangelische  Predigt  bekämpfte  gleich  zu  Anfang  mit  grosser  Heftigkeit  das  Anhäufen  von 
kostbaren  Geräten  in  den  Kirchen  und  besonders  dessen  Schaustellung  im  Kultus.  Die 
Folge  war,  dass  sich  vielfach  die  Neigung  bemerklich  machte,  jene  Schätze  gewissermassen 
als  herrenloses  Out  zu  behandeln  und  in  eigennützigem  Interesse  zu  verwenden.  Um 
solchen  Versuchen  vorzubeugen,  liess  der  Breslauer  Rat  1522  und  in  den  folgenden  Jahren 
die  Kirchenkleinodien  aufs  Rathaus  in  Sicherheit  bringen.  Als  dann  1526  nach  dem 
Unglückstage  von  Mohacz  die  Türkengefahr  ganz  Europa  bedrohte,  mussten  die  Kleinodien 
dazu  herhalten,  die  dringendsten  Mittel  zur  Befestigung  der  Stadt  zu  beschaffen.  Der  Erlös 
belief  sich  auf  etwa  12  800  Goldgulden  (der  Gulden  dem  Werte  eines  Pfundes  Silbers  ent- 
sprechend), wovon  fast  die  Hälfte  auf  die  Kleinodien  der  beiden  städtischen  Pfarrkirchen 
entfiel.  1) 

Vielleicht  war  es  die  Rücksicht  auf  noch  im  Rate  sitzende  Nachkommen  der  einstigen 
Stifter,  die  bewirkte,  dass  einzelne  Stücke  von  jenem  Massenverkauf  verschont  blieben. 
Jedenfalls  haben  wir  in  den  kirchlichen  Kleinodien  der  Archivsammlung  die  Reste  der  da- 
maligen Säkularisation  vor  uns.  Die  Ratskapelle  selbst  dürfte  ausser  dem  Dorotheen- 
reliquiar  kaum  noch  etwas  dazu  beigesteuert  haben.  Sie  war  zu  klein  und  von  zu  unter- 
geordneter Bedeutung,  als  dass  man  ihr  eine  besonders  reiche  Ausstattung  zutrauen  möchte. 
Wurden  doch  bei  dem  Verkauf  der  Kirchenkleinodien  „vom  Rathaus"  d.  h.  aus  der  Rathaus- 
Kapelle,  zusammen  mit  einem  Nachtrage  aus  der  Barbarakirche  nur  102  Gulden  erzielt. 
Auch  das  prachtvolle  in  Reliefstickerei  aus  Seide,  Gold  und  Perlen  gefertigte  Dorsale  einer 
Casula,  das  Luchs  für  eine  Altarkreuzbekleidung  der  Kapelle  hielt,-)  wird  schwerlich  deren 
Kaplan,  sondern  eher  den  Pfarrer  einer  Hauptkirche  geschmückt  haben. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  Symbolen  der  Frömmigkeit  steht  eine  andere  Gruppe  der 
Ratsaltertümer.  Degen,  Dolche,  Streitkolben  und  Leibgürtel  bilden  ihren  hauptsächlichsten 
Inhalt,  alle  aufs  reichste  geziert  mit  kunstvoll  gearbeiteten  Griffen  und  Beschlägen  aus 
vergoldetem  Silber.  Auf  einen  der  drei  Degen  bezieht  sich  die  erwähnte,  auch  im  Re- 
pertorium  Roppan  wiederkehrende  Angabe,  wonach  im  Archiv  das  Schwert  Herzog 
Heinrichs  II.,    des    Helden    von  Wahlstatt,    gelegen  habe.     Das    ist    nun    zwar    ein    arger 


1)  Markgraf,  Beiträge  zur  Oescliiclite  des  evangelisclien  Kirchcnwesens  in  f5reslau,  Breslau  1S77,  S.  42. 
-■)  Schles.  Vorz.,  Bd.  II,  S.  3. 


Vergoldetes  Silber,  auf  Sammt  aufgelegt 


Anachronismus,  denn  die  Form  der  Waffen  und  ihre  in  der  Art  der  deutschen  Klein- 
meister ausgeführten  Verzierungen  weisen  auf  die  Blütezeit  der  deutschen  Renaissance 
hin.  Aber  ein  Fünkchen  Wahrheit  steckt  doch  in  der  Überlieferung,  insofern  als  die 
Waffen  wirklich  von  einem  schlesischen  Herzog  und  Nachkommen  der  heiligen  Hedwig 
getragen  worden  sind.  Auf  der  einen  Degenscheide  bemerkt  man  nämlich  unterhalb 
einer  zierlichen  Doppel-Darstellung  der  Kreuzigung  das  von  einem  Engel  gehaltene 
Wappen  des  Fürstentums  Liegnitz-Brieg.  Ist  hier  das  Wappen  des 
Besitzers,  so  ist  auf  dem  Ortband  des  zweiten  Degens  sein  Brustbild 
dargestellt.  (Siehe  Abbildung  nebenan.)  Es  zeigt  uns  einen  ungefähr 
sechzigjährigen  Mann  mit  langem  Bart,  angethan  mit  Wams  und  Ordens- 
kette. Dem  Alter  und  Aussehen  nach  kann  nur  Friedrich  11.(1488  1547) 
gemeint  sein.  Denn  seine  Nachfolger  in  Liegnitz,  Friedrich  III., 
Heinrich  IX.  und  Friedrich  IV.,  verloren  das  Fürstentum,  lange  bevor 
sie  das  dem  Medaillon  entsprechende  Alter  erreicht  hatten,  und  von  Georg  II.  von  Brieg 
besitzen  wir  drei  authentische  Portraitmedaillen  aus  verschiedenen  Lebenszeiten,  die  nicht 
die  entfernteste  Ähnlichkeit  mit  der  vorliegenden  haben.  Dagegen  stimmt  das  Bildnis 
Friedrichs  II.,  wie  es  uns  auf  seinen  Münzen,  auf  dem  Kupferstich  bei  Thebesius')  und 
in  Eisen  geschnitten  auf  einer  Radschlossbüchse  des  Museums  entgegentritt,  in  allen 
wesentlichen   Punkten   mit   dem  Degenmedaillon  überein. 

Friedrich  II.  war  1480  geboren.  Wir  kämen  also  für  die  Zeit  der  Anfertigung  der 
Waffen  etwa  auf  das  Jahr  1540.  Genau  denselben  Zeitpunkt  ergiebt  eine  eingehende 
Vergleichung  der  Kostüme  auf  den  Beschlägen  des  einen  Gürtels  mit  solchen  auf  datierten 
Bildern,  und  der  Schildform  des  Fürstentumswappens  mit  den  Wappendarstellungen  der 
Münzen.  Weniger  Beweiskraft  hat  eine  Waffenschmiedsmarke  auf  der  Klinge  des  dritten 
Degens,  in  Form  eines  gekrönten  M,  die  nach  Boeheims  Handbuch  der  Waffenkunde 
einem  Mailänder  Klingenschmied  aus  der  Zeit  um  1540  angehört.  Denn  auf  derselben 
Klinge  findet  sich  noch  eine  zweite  Marke,  eine  gekrönte  Säule  zwischen  den  Buch- 
staben VF,  und  diese  ist  nach  einer  freundlichen  Auskunft  desselben  Gewährsmannes 
schon  in  die  zweite  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  zu  setzen.  Entweder  ist  also  der  Degen 
überhaupt  jüngeren  Datums  oder  die  Klinge  ist,  was  ja  häufig  vorkam,  später  einmal 
erneuert  worden. 


>)  Liegnitzische  Jahrbücher,  Jauer  1733,  3.  Teil,  S.  55. 


Wie  sind  nun  aber  diese  fürstlichen  F^runkwaffen  in  die  Hände  des  Breslauer  Rates 
gekommen?  Urkundliche  Nachrichten  darüber  haben  sich  bisher  nicht  auffinden  lassen. 
Trotzdem  ist  es  nicht  schwer,  den  Zusammenhang  zu  erraten.  Friedrich  II.  selbst  hielt 
wohl  das  Seinige  in  leidlich  guter  Ordnung;  sein  Sohn  aber,  Friedrich  III.,  und  seine 
Enkel,  Heinrich  IX.  und  Friedrich  IV.,  waren  über  die  Massen  iüderlich  und  wahre 
Virtuosen  im  Schuldenmachen.  Wer  nur  mit  ihnen  in  Berührung  kam,  ob  Nachbar  oder 
Gastfreund,  Untertan  oder  Standesgenosse,  Bischof  oder  Kaiser,  wurde  angeborgt.  War 
der  Kredit  zu  Ende,  so  ging  es  ans  Versetzen.  Gleich  nach  seinem  Regierungsantritt  be- 
gehrte Heinrich  IX.  von  den  Ständen,  dass  sie  die  von  seinem  Vater  in  Basel  und  Augs- 
burg für  78Q9  Kronen  weit  unter  ihrem  Werte  verpfändeten  Kleinode  einlösten.')  Geld 
zu  beschaffen  und  Sachen  zu  versetzen,  war  neben  der  Kumpanei  im  Räuschetrinken  die 
Haupt-Obliegenheit  seines  getreuen  Hofmarschalls  Hans  von  Schweinichen.  Der  Breslauer 
Rat  war  gewiss  nicht  der  letzte  der  Gläubiger.  Schweinichen  berichtet  zwar  bloss  von 
Anleiheversuchen  Heinrichs  und  höflichen  Ablehnungen  des  Rates,-)  aber  diesen  mögen 
wohl  üble  Erfahrungen  aus  der  Zeit  des  Vaters  vorangegangen  sein.  Die  Vermutung 
spricht  durchaus  dafür,  dass  die  von  Friedrich  II.  hinterlassenen  Kostbarkeiten  schon  von 
dessen  Sohne,  nicht  erst  dem  Enkel  verpfändet  worden  sind. 

Bei  derselben  Gelegenheit  sind  wahrscheinlich  auch  die  beiden  Hedwigsgläser  und 
die,  wie  gleich  zu  erwähnen,  im  Jahre  1748  eingeschmolzenen  Schmucksachen  ins  Archiv 
gekommen.  Die  krugförmige  Fassung  des  einen  Hedwigsglases,  auf  deren  Boden  die 
Jahreszahl  1237  in  gotischer  Schrift  eingestempelt  ist,  trägt  das  Augsburger  Beschau- 
zeichen, ihre  Ornamentierung  ist  der  des  einen  Degens  so  ähnlich,  dass  beide  von  dem- 
selben Meister  herrühren  dürften. 

Was  sonst  von  Ratsaltertümern  vorhanden  ist,  sind  zumeist  Utensilien  des  Magistrats 
und  seiner  Organe,  die,  nachdem  sie  ihren  Zweck  erfüllt  hatten,  des  geschichtlichen 
Interesses  wegen  weiter  aufbewahrt  wurden.  Dahin  gehören  z.  B.  die  zahlreichen  Münz- 
stempel, Petschafte  und  Wappenschildchen,  Stadtthorschlüssel,  Masse  und  Gewichte, 
Strafwerkzeuge  u.  dgl.  Ein  grosser  gläserner  Willkomm  v.  J.  15Q5  mit  dem  Stadtwappen 
war  ehemals  Eigentum  der  Breslauer  Niederlage.  Zwei  silberne  Pokale  sind  durch  ihre  In- 
schriften als  Ehrengaben  des  Rates  an  verdiente  Bürger  bezeichnet,  während  ein  schwer 
vergoldeter  Becher  und  ebensolcher  Löffel  umgekehrt  ein  Geschenk  des  kaiserlichen 
Rates  und  Syndikus  Heinrich  Ribisch  an  die  Stadt  bedeutet.  Von  Einrichtungsstücken 
des  Rathauses  sind  dem  Museum  nur  ein  gotischer  Schrank  und  einige  schöne  schmiede- 
eiserne Gitter  übergeben  worden. 


1)  Thebesius,  III,  S.  124. 

-')  z.  B.  zum  y.  Januar  1578:  „Hcrzuf^  Heinrich  liessLMi  durch  mich  den  Rat  von  Breslau  um 
4000  Thir.  zu  leilicn  ansprechen,  konnte  aber  bei  ihnen  des  Anlehns  halber  nichts  erheben,  sondern  sie 
verehreten  J.  F.  O.  100  PI.  Unf,'r.  und  ein  Gaul,  damit  waren  1.  F.  Q.  auch  wohl  zufrieden  unti  bedankten 
sich."     Denkwürdigkeiten,  lieransKeK-  von   H.  Oesterley,  S.   163.     V|j:1.  S.  58  u.   KiS. 


Es  verdient  anerkannt  zu  werden,  dass  der  Breslauer  Rat  in  der  Zeit  seiner  politi- 
schen Selbständigkeit  ein  erfreuliches  Mass  von  historischem  Sinn  und  Pietät  für  das 
Erbe  der  Vorfahren  bethätigt  hat.  Aber  mit  der  preussischen  Besitzergreifung  zog  ein 
anderer  Geist  in  die  Stadtverwaltung  ein.  An  die  Stelle  der  alteingesessenen  Rats- 
geschlechter traten  z.  T.  landfremde,  durchaus  von  der  Regierung  abhängige  Beamte, 
denen  die  Vergangenheit  nichts,  das  fiskalische  Interesse  und  der  Grundsatz  äusserster 
Sparsamkeit  alles  galt,  und  die  deshalb  zu  Gelde  machten,  was  von  den  vorgefundenen 
Wertstücken  irgend  entbehrlich  schien.  Als  daher  bei  einer  i.  J.  1747  vorgenommenen 
Revision  des  Archivs  eine  Schachtel  mit  alten  Gold-  und  Silbersachen,  der  Beschreibung 
nach  Ketten,  Anhänger  und  Ringe  der  Renaissance,  zu  Tage  kam,  verstand  es  sich 
sozusagen  von  selbst,  dass  diese  Dinge  verkauft  wurden.  Ihr  etwaiger  künstlerischer 
oder  historischer  Wert  kam  gar  nicht  in  Frage,  vielmehr  ordnete  die  Königl.  Kriegs-  und 
Domänenkammer  ausdrücklich  an,  „dass  das  Gold  und  Silber  unter  keiner  andern  Be- 
dingung an  jemand  verkauft  werde,  als  dass  er  es  entweder  selbst  verarbeite  oder  zur 
Münze  liefere".  Nur  bei  einigen  darunter  befindlichen  „in  Wachs  poussirten  Bildern"  sei 
zu  versuchen,  ob  sie  an  Kenner  und  Liebhaber  von  dergleichen  Raritäten  anzubringen 
wären.     Den  Zuschlag  erhielt  der  Münzlieferant  Elias  Lazarus  Zacharias*). 

Dasselbe  Schicksal  erlitt  1778  eine  nachträglich  im  Archiv  gefundene  Partie  Korallen 
und  Edelsteine^)  und  1786  ein  bei  Ausräumung  des  Fürstensaales  in  einem  Kasten  ge- 
fundener silberner  Degen  nebst  einer  grossen  Quantität  alter  Zinngeräte.^)  Nur  in  einem 
Falle  verfuhr  man  rücksichtsvoller.  Als  1775  beim  Suchen  nach  einer  Urkunde  ver- 
schiedene Beutel  voll  kleiner  und  gröberer  alter  schlesischer  Münzen,  Münzproben  und 
eingeschmolzenen  Metallen  entdeckt  wurden,  „welches  vermutlich  noch  von  den  Zeiten, 
als  Magistratus  das  Münzrecht  exercirte,  daselbst  aufbehalten  worden",  verfügte  die  Kriegs- 
und Domänenkammer,  dass  die  Münzen  nicht  eher  eingeschmolzen  würden,  als  bis  durch 
Sachverständige,  nämlich  den  Rektor  Klose,  den  Rektor  Arletius  und  den  Diakonus  Scholz, 
alle  der  Aufbewahrung  würdigen  Stücke  herausgesucht  wären.  Diese  wurden  alsdann 
der  Bibliothek  zu  St.  Bernhardin  übergeben.  Das  Dankschreiben  des  Rektors  Klose  an 
den  Magistrat  sei  als  Kuriosum  mitgeteilt: 

Hochwoigebohrne  Gnaedig  hochgebitteiide  Herren  Directores  Wolgebohrne  vnd  hochbenamte  Herren 
Meine  gnaedige  vnd  hochzuverehrende  Ooenner. 
Der  grosse  und  Einem  so  ruhmwiirdigen  Raths  Collegio  volkommen  entsprechende  Gedanke,   das- 
jenige, was  Jahrhunderte    lang  im  Staube   gelegen,    zum    algemeinen    Gebrauch    geschickt    zu   macheu,    ist 
Friedrichs  Jahrhundert,  ist  der  Bewunderung  und  Nachamung  der  Enkel  wert. 

Die  von  Einem  hochweisen  und  vorzüglich  gütigen  Magistrat  der  Königl.  Haupt-  und  Residenz 
Stadt  Breslau  der  Bibliothek  zu  St.  Bernhardih  in  der  Neustadt  gewidmete  und  den  15.  Febr.  hochgeneigt 
übersandte  alte  Schlesische  Münzen,  schätzbar  dem  Oeschichtforscher  und  Liebhaber  der  vaterländischen 
Historie,  werden  jederzeit  als  eine  der  vorzüglichsten  Merkwürdigkeiten  auf  dieser  Bibliothek  sein;  besonders 

1)  Magistratsacten  41.  3.  30.  Nr.  1     16. 
-)  a.  a.  O.  Nr.  32    42. 
:')  a.  a.  O.  Nr.  44     63. 


8 

da  sie  das  einzige  Geschenke  in  ihrer  Art  sind.  Wofür  derjenige,  dem  die  Aufsicht  über  diese  Bücher- 
sanilung  gütigst  anvertrauet  ist,  den  gehorsamsten  Dank,  mit  aller  der  Rürung,  die  je  eine  patrotische  Tat 
zu  erregen  vermag,  abzustatten  sicli  freuet. 

Ew.    Hochwolgebohrnen   Wolgebohrnen  Onaedigen    vnd    Hochgebittenden    Herren  untertänig  verbundenster 

Sam.  Beni.  Klose. 
Breslau,  den   15.  Februar')   1776. 

Schlimmer  noch  als  die  genatTiifen  Verluste  ist  die  Verschleuderung  der  beiden 
städtischen  Zeughäuser  um  dieselbe  Zeit.  Sie  werden  in  den  älteren  Beschreibungen 
Breslaus  stets  als  Sehenswürdigkeiten  ersten  Ranges  hingestellt,  und  wenn  man  bei 
Oomoicky  liest,  was  alles  darin  war,  wird  man  diese  hohe  Meinung  berechtigt  finden. 

Das  eine  lag  am  Sandthor  und  war  1551  erbaut  worden.  Es  enthielt  mehr  das 
grobe  Geschütz,  so  vier  grosse  Carthaunen,  genannt  Rhinocerus,  Löwe,  Bär  und  Samson 


Der  „Samson".     Nach  einer  alten  Zeichnung 


oder  die  alte  Sau,  die  laut  Inschrift  1543  von  Merten  Hilger,  Rotgiesser  in  Freiburg,-)  ge- 
gossen waren.  Abbildungen  davon  befinden  sich  in  der  Senitzischen  Sammlung  des 
hiesigen  Staatsarchivs.  Die  obenstehende  stellt  den  Samson  dar.-^)  Ferner  waren  da  eine 
Feldschlange  von  über  9  Ellen  Länge,  viele  halbe  und  Viertelschlangen,  eine  grosse  Menge 
Doppel-  und  halbe  Haken  und  zwei  sogen.  Oeschwind-Schiesser,  die  lOOSchuss  in  einer 
Viertelstunde  abgaben  und  erst  im  Jahre  1733  angeschafft  worden  waren;  ausserdem 
einige  hundert  Feld-  und  Turnierrüstungen.  Besonders  berühmt  war  die  Kunst-  und 
Modellkammer,  „da  hinein  Tit.  Plen.  weyl.  Herr  Albrecht  von  Säbisch,  gewesener  Haupt- 
mann bey  der  Rolhen  Leib-Kompagnie  allhier,  sehr  viele  Kuriosa  von  Alt-Teutsch- Spanisch- 
Türckisch-  und  andrem  ausländischen  Gewehr,  vermacht  zusambt  unterschiedlichen  Mo- 
dellen von  Stücken  schnell  zu  Schüssen,  wie  auch  viele  Instrumenta,  so  zur  Architektur, 
Militär-  und  Büchsen-Meisterey  gehören,  im  gleichen  hat  der  Fürst  Lubomiersky  aus 
Pohlen,  einen  schönen  blau-angelauffenen  und  starck  vergoldeten  Kyrass,    zusambt   seiner 


1)  a.  a.  O.  Nr.  19    30. 

-)  Dieser  Merten  Hilger  starb  1544.  Ein  jüngerer  Bruder  von  ihm  ward  Kannengiesser  von  Breslau 
genannt.  Vgl.  J.  Schmidt,  Die  Glocken-  und  Stückgiesserfamilie  Hilliger,  Mitteil.  d.  Freiburger  Altertunis- 
vereins 1865,  S.  343. 

'•)  Nach  der  Inschrift  am  Mündungsrand  angeschafft  durch  Claus  Reichet  Kemerer  (Kämmerer),  t  1532. 
Hiernach  scheint  die  von  Oomoicky  angegebene  Jahreszahl  1543  wenigstens  für  dieses  Stück  nicht  zu- 
treffend zu  sein. 


übrigen  Armatur,  so  er  selbst  in  Schlachten  getragen,  wie  auch  andere  dergleichen,  hinauf 
geschencket."  in  einem  Schrank  befanden  sich  die  23  Schwerter,  womit  die  Rädelsführer 
des  Bürgeraufstandes  von  1418  in  Gegenwart  Kaiser  Sigismunds  enthauptet  worden  waren. 
Endlich  sah  man  dort  noch  Modelle  von  Schnellwagen,  Hebe-  und  Treibwerken,  Mühlen, 
Feuerspritzen  u.  dgl.  sowie  vielerlei  künstliche  Meisterstücke  der  Plattner,  Schlosser, 
Windenmacher  und  Zimmerleute. 

Das  andere  Zeughaus  lag  auf  dem  Burgfeld  und  war  schon  1453  erbaut  worden. 
Es  barg  ausser  den  bei  festlichen  Gelegenheiten  zur  Ausschmückung  der  Ehrenpforten 
gebrauchten  beweglichen  Riesenfiguren  und  den  Meisterstücken  der  Schmiede  und  Sattler 
einen  ansehnlichen  Vorrat  von  Schutz-  und  Trutzwaffen  der  verschiedensten  Zeiten  und 
Gattungen:  mittelalterliche  Schilde,  Schwerter,  Bögen  und  Armrüste,  hunderte  von  blanken 
Harnischen  und  Helmen,  Picken  und  Morgensterne,  etliche  tausend  Musketen,  Radschloss- 
büchsen, Orgel-  und  Schnellfeuergeschütze,  Mörser  und  Falkonetlein,  alles  erdenkliche 
Schanzzeug  und  Sturmgerät. 

Über  den  Verbleib  dieser  Sammlungen  giebt  eine  Notiz  des  handschriftlichen  Tage- 
buches von  Joh.  Georg  Steinberger  zum  Jahre  1744  (Januar)  Aufschluss'): 

„Auch  ist  in  den  alten  Zeughäusern  viel  altes  Gewehr,  Harnisch,  Schwerdter,  Spiess 
und  Degen  funden  worden,  deren  gantze  Hauffen  im  Burgfeldt-Zeughauss  lagen,  die  noch 
von  der  Tatarischen  Schlacht  bei  Liegnitz  herrührten;  es  wurde  Alles  umb  ein  Spott- 
geldt  verkaufft." 

So  erklärt  es  sich,  dass  von  Alten  Breslauer  Waffen  so  wenig  erhalten  ist.  Einige 
hölzerne  Schilde  mit  dem  aufgemalten  Breslauer  W  und  einem  roten  Kreuz,  das  an  den 
Kreuzzug  der  Breslauer  wider  die  böhmischen  Ketzer  v.  J.  1467  erinnert,-)  Bolzen  und 
Brandpfeile,  ein  paar  mittelalterliche  Schwerter  und  Kriegsflegel,  die  bei  Umbauten  des 
Rathauses  ans  Tageslicht  kamen,  sind  alles  was  wir  davon  besitzen. 

Wenn  die  Archivsammlung  mehr  den  Charakter  eines  Schatzes  trug,  die  Zeug- 
häuser in  erster  Linie  militärischen  Zwecken  dienten,  so  fehlte  es  doch  schon  im  alten 
Breslau  nicht  an  Sammlungen,  die  lediglich  zur  Befriedigung  der  Wissbegierde  und 
Schaulust  angelegt  waren  und  als  direkte  Vorläufer  der  heutigen  Museen  erscheinen. 
Sie  waren  mit  den  Kirchenbibliotheken  verbunden  und  an  zwei  Tagen  der  Woche  nach- 
mittags von  2—4  geöffnet. 

Schon  Thomas  von  Rhediger  (f  1575),  der  Stifter  der  nach  ihm  benannten 
Bibliothek  bei  St.  Elisabet,  hatte  ausser  Büchern  und  Manuskripten  auch  ein  aus- 
erlesenes Kabinet  antiker  Münzen,  Statuen  und  Bilder,  vornehmlich  Portraits  berühmter 
Zeitgenossen,  hinterlassen,  darunter  die  interessante  Folge  französischer  Wachsportraits 
aus  der  Zeit  Heinrichs  II.  und  Karls  !X.,    die    noch    heute    eine  Zierde  unseres  Museums 

')  Mitgeteilt  von  A.  Schuster  in  Schles.  Vorz.  V.,  S.  60. 

2)  P.  Eschenloer,  Geschichten  d.  Stadt  Breslau,  herausgeg.  von  Kuuisch,  II.  Bd.,  S.  27,  34,  38  u.  a. 


10 

bildet.  Später  kamen  die  grosse  Kupferstichsammlung  des  Aibrecht  von  Sebisch  und 
dessen  mathematische  und  physikalische  Instrumente,  Mineralien  und  Conchylien  und 
viele  andre  Schenkungen  hinzu.  Auch  bei  St.  Maria-Magdalena  und  St.  Bernhardin 
gab  es  Sammlungen  von  Münzen  und  Kupferstichen,  Gemälden  und  Skulpturen,  Naturalien 
und  allerhand  Kuriosis.  Sogar  die  Prähislorie  war  schon  vertreten:  auf  der  Rhedigerana 
durch  Urnen  und  Bronzen  vom  „Hasenberge"  bei  Oswitz,  auf  der  Magdalenenbibliothek 
u.  a.  durch  „eine  Partie  alte  Heydnische  Begräbnüss-Töpffe,  so  die  aussgüssende  Oder 
An.  1614  den  14.  April,  im  Dorfe  Ransern,  eine  Meile  von  Breslau  entdecket,"  auf  der 
Bernhardinbibliothek  durch  „eine  hölzerne  Pyramide,  die  inwendig  mit  Töpffen  erfüllet, 
von  aussen  aber  mit  biblischen  Emblematibus  von  Töpffen  zur  Erinnerung  der  Sterblig- 
keit  gezieret"  war.  Diese  noch  vorhandene  Pyramide  enthält  fast  das  einzige,')  was  von 
der  grossen  Sammlung  des  Pators  Leonhard  David  Hermann  in  Massel,  des  seiner  Zeit 
hochberühmten  Verfassers  der  Maslographia,  übrig  ist,  ein  lehrreiches  Beispiel  dafür,  dass 
nur  die  Überweisung  an  eine  öffentliche  Anstalt  derartige  Dinge  vor  schliesslicher  Ver- 
nichtung schützt. 

Es  darf  indes  nicht  verschwiegen  werden,  dass  dieser  Schutz  durch  die  Breslauer 
Kirchenbibliotheken  nur  sehr  mangelhaft  ausgeübt  wurde.  Es  ging  hier  eben,  wie  es 
noch  täglich  mit  kleinen  städtischen  und  Vereinssammlungen  zu  gehen  pflegt.  Solange  Männer 
an  der  Spitze  standen,  die  Lust  und  Liebe  zur  Sache  hatten  und  selbst  antiquarische 
Studien  trieben,  wie  es  in  der  Zeit  zwischen  dem  dreissigjährigen  und  den  schlesischen 
Kriegen  der  Fall  war,  war  alles  in  schönster  Ordnung.  Dann  aber  folgte  eine  lange 
Periode  der  Interesselosigkeit.  Geschätzt  und  vermehrt  wurden  eigentlich  nur  noch  die 
Bücher;  was  sonst  noch  da  war,  verstaubte  und  verkam.  Hieran  änderte  auch  die  in  den 
sechziger  Jahren  des  IQ.  Jahrhunderts  vollzogene  Vereinigung  der  drei  Kirchenbibliotheken 
fürs  erste  noch  nichts.  Vielmehr  mag  gerade  beim  Umzug  und  später  auf  dem  Boden 
des  Stadthauses  gar  vieles  vollends  zu  Grunde  gegangen  sein.  Erst  der  jetzige  Direktor  der 
Stadtbibliothek  und  des  Stadtarchivs,  F^rof.  Dr.  Markgraf,  sorgte  dafür,  dass  der  noch 
immer  sehr  schätzbare  Vorrat  an  Antiquitäten  im  Museum  eine  würdige  Stätte  fand.  Die 
Kupferstiche  und  Bilder  wurden  an  das  Museum  der  bildenden  Künste,  die  Naturalien  an 
die  städtischen  Gymnasien  abgegeben. 

Von  dem  einstigen  Reichtum  der  hiesigen  Kirchen  geben  die  z.  T.  veröffentlichten 
mittelalterlichen  Schatzverzeichnisse  wehmütige  Kunde.-)  Was  davon  Gold  und  Silber 
war,  wurde,  wie  schon  bemerkt,  in  den  zwanziger  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  einge- 
schmolzen. Ausgenommen  blieben  davon  nur  die  grossen  Stiftungen  auf  dem  Sande,  dem 
Dom   und  dem  Elbing,  die  eigne  Jurisdiktion  hatten  und  selbst  Landstände  waren,  ebenso 


')  Im    der  W;iriiiliriinni.'r  Biblicitlick  hcfiiulcn  sich  mich  nocli  einiifc  von  Hermann  seiner  Zeit  liorthin 
gestiftete  Urnen. 

-)  Alwin    Scluiltz    in    tien    Ahhaiulhni^'eii    der    Schles.    Oesellsch.    f.    vaterl.    Knhiir,     I'hilos.    histor. 
Abt.  1867,  S.  1   ff.;  Schles.  Vorz.   1kl.  V,  S.  25'i. 


11 

die  Nonnenklöster.  Von  ihnen  hat  der  Dom  sich  bis  heute  einen  Schatz  bewahrt,  der 
an  Alter  und  Kunstwert  nur  von  wenigen  deutschen  Kirchen  übertroffen  wird. 

Gab  hier  der  Materialwert  den  Anreiz  zur  Vernichtung,  so  sind  in  andern  Fällen 
die  Vergänglichkeit  des  Stoffes,  elementare  Ereignisse,  Nichtachtung  und  rücksichtslose 
Behandlung  dem  Kunstbesitz  der  Kirchen  verderblich  gewesen.  Ein  Beispiel  für  viele 
mag  genügen.  Die  Elisabetkirche  zählte  i.  J.  1649  über  300  Denkmäler,  von  denen 
heute  nur  noch  etwa  100  nachweisbar  sind.  1824  führt  Paritius  390  Denkmäler  auf,  ohne 
jedoch  alle  aufgenommen  zu  haben.  Davon  sind  in  der  kurzen  Zeit  bis  1860  HO  ver- 
loren gegangen.')  Und  doch  hat  gerade  die  Elisabetkirche  mehr  als  jede  andere  zu  den 
Sammlungen  des  Museums  beigesteuert;  gegen  50  Altäre,  Tafelbilder,  Heiligenfiguren  und 
Epitaphien,  darunter  Werke  von  hoher  kunstgeschichtlicher  Bedeutung,  wie  die  von  Otto 
von  Neisse  1384  für  seine  Kapelle  gestiftete  Pieta  aus  Kalkstein,  die  Bischof  Wenzel  in 
der  Bestätigungsurkunde  als  subtile  et  magistrale  opus  preist,  eine  Reihe  z.  T.  ausge- 
zeichneter Reliquiare,  Kelche,  Taufbecken,  Krön-  und  Wandleuchter,  Kerzenträger,  Fahnen- 
halter, mit  Miniaturen  geschmückte  Messbücher,  die  beiden  herrlichen  Wandteppiche  mit 
der  Darstellung  des  Paradieses  und  des  Urteils  Salomonis,  vor  allem  aber  die  unver- 
gleichliche Sammlung  von  Paramenten  verschiedener  Zeiten. 

An  zweiterstelle  steht  die  Magdalenenkirche.  Vier  der  künstlerisch  bedeutendsten 
Altäre  des  Museums:  der  Goldschlägeraltar  von  1476,  der  gleichaltrige  Marienaltar,  der 
Kürschneraltar  von  1485  und  der  Stanislausaltar  von  1508,  sodann  eine  grosse  Menge 
kleinerer  Schnitzwerke  und  kirchlicher  Ausstattungsstücke,  Antependien,  Kasein  und  Kelch- 
decken, sind  von  ihr  überwiesen  worden. 

Unter  den  Beiträgen  der  übrigen  Breslauer  Kirchen  sind  der  Barbara-Altar  aus  der 
Kirche  gleichen  Namens  das  Hauptwerk  der  Schlesischen  Malerei  des  15.  Jahrhunderts, 
aber  wegen  seiner  schwierigen  Konservierung  ein  Schmerzenskind  des  Museums  — ,  die 
Reste  eines  Kirchenschatzes  aus  der  Elftausend-Jungfrauenkirche-')  und  ein  mit  In- 
tarsien und  Schnitzwerk  reichverziertes  Chorpult  aus  der  Bernhardinkirche  das  Bemerkens- 
werteste. Dem  Bernhardinhospital  entstammt  u.  a.  ein  prächtiger  Renaissancetisch, 
dessen  Platte  mit  verschiedenfarbigen  Hölzern  kunstvoll  eingelegt  ist. 

Die  hohe  Blüte  des  gewerblichen  Lebens  in  Breslau  während  des  15.  bis  17.  Jahr- 
hunderts fand  in  der  reichen  Ausstattung  der  Zunftstuben  mit  teils  nützlichem,  teils  nur 
zum  Prunk  dienendem  Gerät  herzerfreuenden  Ausdruck.  Wenig  ist  davon  auf  unsre  Tage 
gelangt.  Einige  Innungen  waren  bei  ihrer  Auflösung  verständig  genug,  ihren  Besitz  an 
Altertümern  meist  nur  noch  die  Urkundenladen  und  Petschafte  an  den  Magistrat 
oder  direkt  an  das  Museum  abzuliefern.  Es  waren  dies  1.  die  Barbiere  und  Chirurgen, 
2.  die  Heringer,    3.  die  Leinwandreisser,   4.  die  Tuchbereiter,    5.  die  Schwarz-  und  Schön- 

')   Luchs,  Die  Dciikiiialer  der  St.  Elisahctkirclie,  Breslau   1S60,  S.  9. 
•i)  Schles.  Vorz.  Bd.  III,  S.  ISS. 


12 

färber,  6.  die  Sattler  imd  Riemer,  7.  die  Seifensieder,  S.  die  Tischiergesellen,  Q.  die  Stück- 
und  Olockengiesser,  10.  die  Sciiwertfeger,  11.  die  Weinbrenner.  Einzelne  hervorragende 
Stücke,  wie  die  mächtigen,  gotischen  Zinnkannen  der  Bäcker  und  der  Seiler,  sind  auf 
Umwegen  ins  Museum  gekommen. 

Entschädigt  werden  wir  für  die  Verluste  auf  diesem  Gebiete  durch  die  Kleinodien  der 
beiden  Breslauer  Schützen  brüderschaften,  der  vom  Zwinger  und  der  vom  Schiess- 
werder, die  zwar  nicht  unverkürzt,  aber  doch  in  der  Hauptsache  vollständig  erhalten  sind. 
Mit  ihren  37  silbernen  Pokalen,  ihren  Stammbüchern  und  Orden,  und  den  240  goldenen 
Königsschildchen,  die  sich  über  einen  Zeitraum  von  vier  Jahrhunderten  verteilen,  bilden  sie 
einen  Schatz,  wie  er  nicht  leicht  zum  zweiten  Male  existieren  dürfte.') 

Eine  Kollektion  auserlesener  Gläser,  meist  dem  17.  Jahrhundert  angehörig,  verdankt 
das  Museum  dem  Verein  christlicher  Kaufleute,  eine  kleine  Sammlung  von  Antiken, 
prähistorischen  Funden,  Waffen,  Münzen  u.  dgl.  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vater- 
ländische Kultur.  Der  Verein  der  schlesischen  Freiwilligen  von  1813  15  hat 
1879,  die  Gesellschaft  Laetitia  1896  das  Museum  zum  Erben  ihrer  Hinterlassenschaft 
eingesetzt. 

So  verlockend  es  wäre,  auch  die  Privatsammlungen  in  den  Kreis  der  Betrachtung 
zu  ziehen,  ihre  Schicksale  zu  verfolgen  und  zu  sehen,  wieviel  davon  in  das  Museum 
hinübergerettet  worden  ist,  so  liegt  dies  doch  ausserhalb  unseres  Themas.  Es  sei  daher 
nur  festgestellt,  dass  auch  an  solchen  Breslau  früher  einen  überraschenden  Reichtum  be- 
sessen hat,  oder  wie  es  in  der  kernigen  Ausdrucksweise  Gomoickys  heisst,  „dass  in 
unserm  Breslau  jederzeit  mehr  Courioeses  da  und  dort  zu  betrachten  gewest,  als  sich 
manche  neydische  oder  faule  Aussländer  eingebildet". 


II. 

Die  Aufhebung  der  geistlichen  Stiftungen  im  Jahre  ISIO  war  zunächst  eine  rein 
finanzpolitische  Massnahme.  Dass  sie  den  Anstoss  zur  Bildung  einer  ganzen  Reihe  wissen- 
schaftlicher Anstalten  gegeben  hat,  war  im  wesentlichen  das  Verdienst  Johann  Gustav 
Gottlieb  Büschings,  jenes  vielseitigen  Mannes,  der  von  seinen  Zeitgenossen  und  Nach- 
folgern eine  so  verschiedenartige,  häufig  ungerechte  Beurteilung  erfahren  hat,  dem  aber 
niemand  den  Ruhm  streitig  machen  kann,  dass  er  wie  kaum  ein  Zweiter  anregend  auf  das 
geistige  Leben   unsrer  Provinz  gewirkt   hat. 

Den  Anteil  Büschings  an  der  Gründung  der  KcJniglichcn  und  Universitäts-Bibliothek 
hat  erst  kürzlich  deren  Direktor,  Professor  Dr.  Staender,  im  33.  Bande  der  Zeitschrift  des 
Vereins  für  Geschichte  und  Altertum  Schlesiens  dargethan.  Seine  Leistungen  auf  dem 
Gebiete  der  schlesischen  Geschichtsforschung  sind    von   Markgraf  in    der  Festschrift   zum 

1)  Schles.  Vorz.  Bd.  V,  S.  231   ff.  u.  Bil.  VII,  S.   \A5  ff. 


13 


fünfzigjährigen  Bestehen  desselben  Vereins  gewürdigt  worden.     Wir    haben    es    hier    nur 
mit  dem  von  ihm  gegründeten  Museum  und  speziell  der  Altertümersammlung  zu  thun. 

Unter  dem  5.  November  1810    hatte    er    in  einer  Eingabe  an  den  Staatskanzler  von 
Hardenberg  seinen  Plan  entwickelt    und    dabei  auch  die  Errichtung  einer  Kunstsammlung 


„Aus  den  Kunstschätzen 
eine  eigne  Sammlung  von 
sein,  wozu  manche  öffent- 
schon  herrlichen  Stoff 
dalena  mit  ihrer  bedeu- 
Kupferstichsammlung,  Eli- 
Kirchen  enthalten  viele  und 
geweihten,  jetzt  verlassenen 
und  nun  ihre  heilige  Kraft 
Kunstkraft  bewahrt  haben, 
anzulegen,  würde  freilich 
Vermögen  der  aufgeho- 
werden  müssen;  aber  dies 
Geldmasse,  die  durch  Auf- 
Staat gewinnt,  ganz  un- 
dagegen    der   dadurch    zu 


in   Breslau   vorgeschlagen. 

vieler  Klosterkirchen  würde 

Kunstwerken   zu  errichten 

liehe  Bibliothek  zu  Breslau 

giebt,  z.  B.  die  Maria-Mag- 

tenden      Gemälde-      und 

sabet  u.  s.  w.    Mehrere  alte 

wichtige  Werke,  die  einst 

Altären    gewidmet    waren 

verloren,      dagegen      ihre 

Um  alle  diese  Sammlungen 

ein  Stammkapital  aus  dem 

benen  Klöster  niedergelegt 

würde    immer    gegen    die 

hebung    der    Klöster    der 

endlich  unbedeutend  sein, 

bewirkende  Nutzen  höchst  J-  0-  Q-  Büsching  wichtig  ist.   —   Alle  diese 

Sammlungen  müssten  aber  auch,  so  scheint  es  mir,  dem  Herzogtum  Schlesien  geschenkt 

werden.    Dieses  wäre  der  Eigentümer,  der  König  nur  der  Errichter  und  Protektor,  sowie  auch 

ihm  der  grösste  Teil  der  Verwaltung  zustände.    Zur  Erweiterung,  Verbesserung  und  Erhaltung 

dieser  Sammlungen  müssen  aber  auch  die  schlesischen  Stände  und  Privatleute  teils  durch 

Beiträge,    teils    durch  Schenkungen  ihrer  Privatsammlungen    zugezogen  werden    und    dies 

würden  sie,    wenn  sie    auf    eine    gute  Art  dazu   aufgefordert  würden,    gewiss.     So  würde 

auch  vielleicht  das  doch  immer  etwas  Gehässige  der  Aufhebung  der  Klöster  auf  eine  gute 

Art  vernichtet." 

Die  Eingabe  hatte  die  Wirkung,  dass  ihm  am  24.  November  desselben  Jahres  das 
General-Kommissorium  für  die  bei  den  aufgehobenen  Klöstern  und  Stiftern  sich  vorfin- 
denden Bibliotheken,  Archive,  Münzsammlungen  und  Kunstgegenstände  aller  Art  über- 
tragen wurde. 

Mit  wahrem  Feuereifer  machte  sich  Büsching  ans  Werk.  Der  wichtigste  und  schwierigste 
Teil  seiner  Aufgabe  betraf  ohne  Zweifel  die  Bibliotheken  und  Archivalien.  Bei  diesen  ging  er, 
wenigstens  im  Anfang,  in  der  Weise  vor,  dass  er  die  Bestände  nach  einer  sorgfältigen  Durch- 
sicht verpackte  und  alsbald  nach  Breslau  schickte,  wo  er  in  dem  schönen  und  geräumigen 
Augustiner-Chorherrenstift  auf  dem  Sande  die  für  seine  Zwecke  passendste  Heimstätte  er- 
kannt und  gegenüber  anderen  Wünschen  glücklich  behauptet  hatte.  Bei  den  Kunstsachen 
war   dagegen  schon    eher    eine  Übersicht  und  Auswahl  an  Ort  und  Stelle  möglich.     Nur 


14 

mag  auch  hier  die  Hast,  in  der  sich  das  Übernahmegeschäft  notgedrungen  vollzog,  die 
Anfertigung  eines  eigentlichen  Inventariums  vereitelt  haben,  so  dass  sich  nicht  feststellen 
lässt,  wieviel  als  zur  Aufbewahrung  ungeeignet  ausgeschieden  und  verkauft  worden  ist. 
Einigen  Ersatz  bieten  uns  seine  „Bruchstücke  einer  Geschäftsreise  durch  Schlesien  (Breslau 
1813)",  von  denen  aber  leider  nur  der  erste  Band  erschienen  ist. 

Im  allgemeinen  stand  die  Ausbeute  an  Kunstwerken  und  Altertümern  weder  der 
Zahl  noch  dem  Werte  nach  in  einem  auch  nur  annähernden  Verhältnis  zu  der  an  Büchern 
und  Urkunden.  Nur  Bilder  fanden  sich  in  überreicher  Fülle  vor.  Aber  wenn  man  von 
dem  noch  heute  Vorhandenen  auf  das  übrige  schliessen  darf,  so  wird  man  es  kaum  be- 
dauern, dass  ihre  Zahl  durch  immer  wiederholte  Aussonderungen  schliesslich  auf  etwa  160 
zusammenschrumpfte.  Plastische  Arbeiten  aus  Stein,  Holz,  Elfenbein  etc.  wurden  nur  7 
in  die  Sammlung  aufgenommen,  darunter  als  bestes  Stück  die  Alabastergruppe  der  drei 
Marien  aus  dem  14.  Jahrhundert.  Von  Goldschmiedearbeiten  ist  eigentlich  nichts  vorhanden, 
es  sei  denn,  dass  man  das  dem  Matthiasstift  entnommene  Hedwigsglas  seiner  Fassung 
wegen  dazu  rechnen  will.  Es  liegt  nahe,  dass  bei  der  damaligen  Notlage  des  Staates  der 
Metallwert  für  den  Verkauf  entscheidend  gewesen  ist.  Dass  von  altertümlichem  Haus- 
gerät so  garnichts  übernommen  wurde,  mag  durch  das  in  jener  Zeit  noch  kaum  entwickelte 
Verständnis  für  diese  Dinge  zu  erklären  sein.  Gerade  davon  war  in  den  Klöstern  sicherlich 
noch  manches  gute  Stück  vorhanden. 

Verhältnismässig  gross  war  die  Ausbeute  an  Waffen.  Bei  dem  Kloster  Leubus 
fand  sich  ein  kleines  Zeughaus,  das  u.  a.  eine  meisterhaft  geschmiedete  Rüstung  für  Mann 
und  Ross  aus  dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  enthielt.  Nach  Büschings  Angabe  stammte 
sie  aus  einem  schon  früher  verschleuderten  Liegnitzer  Zeughause.  Auf  Grund  dieser  Herkunft 
und  der  Entstehungszeit  hat  man  sie  mit  Recht  dem  Herzog  Friedrich  II.  von  Liegnitz 
und  Brieg  zugeschrieben.  Ein  schöner  in  Eisen  getriebener  Medusenschild  geht  vielleicht 
auf  dieselbe  Quelle  zurück.  Kleinere  Bestände  wiesen  die  Klöster  in  Sagan,  Grüssau  und 
Breslau  auf.  Eine  grössere  Münzensammlung  entdeckte  Büsching  im  Augustinerstift  zu 
Sagan.  Dort  war  auch  eine  Sammlung  von  26  Urnen,  die  neben  den  aus  Frankfurt 
herübergekommenen  Dingen  dieser  Art  den  Grund  zur  vorgeschichtlichen  Abteilung  des 
Museums  legten. 

Am  I.Juni  1812  legte  Büsching  sein  Kommissorium  in  die  Hände  seiner  Auftrag- 
geber nieder  und  wurde  mit  der  Stelle  eines  Archivars  an  dem  jetzt  ins  Leben  tretenden 
Provinzial-Archiv  abgefunden.  Die  Oberaufsicht  über  die  Sammlungen  übernahm  der  bis- 
herige Oberbibliothekar  der  Universität  Frankfurt  Prof.  Schneider.  Aber  schon  nach 
wenigen  Monaten  sah  man  sich  genötigt,  wieder  auf  die  Hilfe  Büschings  zurückzugreifen 
und  ihn  mit  der  Einrichtung  des  Kunst-  und  Altertümermuseums  zu  betrauen.  Nachdem 
dann  die  durch  Staub  und  Kerzenrauch  sehr  verunstalteten  Bilder  gereinigt  und  inventarisiert 
waren,  erfolgte  am  20.  Juni  1815  zunächst  die  Erc'iffiumg  der  in  fünf  Zimmern  und  Korri- 
doren des  Hauptgebäudes  der  Bibliothek  aufgestellten  Galerie.  Die  Altertümersammluiig 
wurde  erst  drei  Jahre  später  fertig.     Sie  bezog  zusammen  mit  der  gleichfalls  von  Büsching 


15 

verwalteten  Sammlung  der  antiken  Gipsabgüsse  ein  nach  der  Oder  zu  gelegenes  Neben- 
gebäude. Zu  ihrer  allgemeinen  Vermehrung  fehlte  es  schlechterdings  an  Mitteln.  Kaum 
dass  auf  Büschings  stetes  Drängen  ein  bescheidener  Dispositionsfonds  zur  Bestreitung  der 
notwendigsten  Ausgaben  bewilligt  wurde.  So  begnügte  er  sich  denn  wohl  oder  übel 
mit  der  Konservierung  des  Vorhandenen  und  verlegte  sich  im  übrigen  mit  desto  grösserer 
Energie  auf  ein  Gebiet,  das  selbst  mit  so  knappen  Mitteln  eine  gedeihliche  Entwickelung 
gestattete:  die  heidnischen  Grabaitertümer. 

Sein  Plan  war  von  Anfang  an  darauf  gerichtet,  das  grosse  Publikum  für  seine  Zwecke 
zu  gewinnen,  in  den  Amtsblättern  der  Provinz  erschienen  Aufforderungen  an  die  Besitzer  und 
Finder  von  Antiquitäten,  diese  dem  Breslauer  Museum  geschenkweise  oder  käuflich  zu  über- 
lassen. Volkstümlich  gehaltene  Aufsätze  in  den  Schlesischen  Provinzialblättern,  im  Korre- 
spondenzblatt der  Schlesischen  Gesellschaft,  in  den  eigens  dazu  gegründeten  Blättern  für  die 
gesamte  schlesische  Altertumskunde  und  wo  nur  Gelegenheit  war,  verbreiteten  sich  bald 
über  die  Methode  und  die  Nützlichkeit  solcher  Forschungen  im  allgemeinen,  bald  über 
einzelne  besonders  merkwürdige  Funde.  Wenn  er  von  einem  neuen  Fundort  vernommen 
hatte,  knüpfte  er  sogleich  einen  lebhaften  Briefwechsel  mit  dem  Finder  an  und  wurde  nicht 
müde,  diesen  zu  einer  gründlichen  Untersuchung  anzuspornen.  War  seine  persönliche 
Anwesenheit  erforderlich,  so  scheute  er  weder  Mühe  noch  Kosten,  und  oft  genug  bezahlte 
er,  wenn  die  Museumskasse  erschöpft  war,  die  Reise  aus  seiner  eigenen  Tasche. 

Der  Erfolg  blieb  denn  auch  nicht  aus.  Binnen  einem  Jahre  wuchs  die  prähistorische 
Sammlung  auf  1000  Stück  und  jedes  Jahr  fügte  ihr  neue  reichhaltige  Funde  hinzu.  Als 
Büsching  am  4.  Mai  182Q  starb,  zählte  die  Sammlung  an  Fundstücken  aus  Schlesien  1500 
Thongefässe  und  864  Gegenstände  aus  Stein  und  Metall,  ausserdem  6Q6  nichtschlesische 
Funde,  die  er  im  Austausch  gegen  Dubletten  von  fremden  Museen,  besonders  dem  Kopen- 
hagener, erhalten  hatte. 

Diese  erfreuliche  Entwickelung  fand  mit  Büschings  vorzeitigem  Tode  ein  jähes  Ende. 
Seine  Nachfolger  im  Amte  hatten  für  jene  Dinge  nicht  das  geringste  übrig  und  machten 
keinen  Hehl  daraus,  dass  sie  ihnen  nur  zur  Last  seien.  Daher  sind  aus  der  Folgezeit 
keine  Vermehrungen,  wohl  aber  mancherlei  Verluste  zu  verzeichnen.  Der  schmerzlichste 
betrifft  die  erwähnte  Reiterrüstung.  Prinz  Carl  von  Prcussen,  ein  eifriger  Waffensammler, 
hatte  davon  gehört  und  bei  dem  Universitäts-Kurator  Neumann  anfragen  lassen,  ob  man 
ihm  die  Rüstung  wohl  überlassen  wolle.  Neumann  berichtete  darüber  an  den  Minister 
mit  den  Worten:  „dass  sich  bei  der  Universität  Breslau  eine  bei  der  Bibliothek  aufgestellte 
Pferderüstung  befinde,  welche  nach  den  von  Sr.  Königlichen  Hoheit  in  Breslau  eingezogenen 
Nachrichten  keinen  Wert  habe,  so  dass,  wenn  der  Minister  seine  Zustimmung  gebe, 
solche  Sr.  Königlichen  Hoheit  als  ein  Geschenk  verehrt  werden  würde."  Nach  zustimmender 
Antwort  des  Ministers  wies  Neumann  am  27.  März  1834  den  Direktor  des  Museums 
Prof.  Ritschi  kurzer  Hand  an,  aufs  schleunigste  die  Rüstung  zu  verpacken  und  dem  General 
von  Strantz  als  Kommissar  des  Prinzen  zur  Absendung  nach  Berlin  zu  übergeben,  was 
denn   auch   schon   am   folgenden   Tage  geschah.     Wiederholte,    in   neuerer  Zeit   gemachte 


16 

Versuche,    dieses    weitaus    wertvollste  Stück    der    ganzen  Königlichen  Sammlung    wieder- 
zuerlangen, sind  stets  im  Sande  verlaufen. 

Im  Jahre  1853  eröffnete  der  Schlesische  Kunstverein  die  Bildergalerie  im  Stände- 
hause, unserm  jetzigen  Museumsgebäude.  Sein  Gesuch,  auch  die  zur  Universität  ge- 
hörigen Gemälde  dort  aufzustellen,  ward  ohne  weiteres  bewilligt.  Jedoch  wurden  damals 
nur  die  bereits  restaurierten  und  eingerahmten  Bilder,  82  an  der  Zahl,  übergeben.  Der 
Rest  blieb  vorläufig  zurück  und  teilte  das  Schicksal  der  Altertümersammlung. 


III. 

Ein  Menschenalter  verging,  bis  wieder  ein  Mann 
auftrat,  der  entschlossen  und  fähig  war,  das  von 
Büsching  unternommene  Werk  fortzusetzen.  Die  Zeiten 
hatten  sich  seitdem  geändert.  Kunstgeschichtliche  und 
antiquarische  Forschungen  galten  nicht  mehr  als  Sache 
der  Liebhaberei  einzelner,  sondern  waren  anerkannte 
Wissenschaften  geworden;  das  Interesse  an  den  Zu- 
ständen der  Vergangenheit  durchdrang  alle  Kreise  der 
Gebildeten,  die  Überzeugung  von  der  Notwendigkeit 
eines  ausgedehnten  Denkmälerschutzes  hatte  überall 
festen  Fuss  gefasst.  Vor  allem  waren  auch  in  ökono- 
mischer Beziehung  die  Verhältnisse  besser  geworden. 
Um  für  ideale  Zwecke  thatkräftige  Unterstützung  zu  er- 
langen, bedurfte  es  nur  eines  geschickten  Organisators. 
Ein  solcher  Organisator  war  der  1826  in  Beuthen 
O.-S.  geborene  Hermann  Luchs,  seit  1852  Lehrer, 
seit  1863  Direktor  an  der  städtischen  höheren  Töchter- 
schule am  Ritterplatz  in  Breslau.  Als  er  1857  die 
Errichtung  eines  Schlesischen  Altertumsmuseums  ins 
Auge  fasste,  konnte  er  nicht  im  Zweifel  sein,  dass  ihm  die  Lösung  dieser  Aufgabe  nur 
gelingen  würde,  wenn  er  an  einem  starken  Vereine  den  nötigen  moralischen  und  materiellen 
Rückhalt  fände.  Luchs  verband  sich  also  mit  einigen  gleichgesinnten  Freunden  und  lud 
gemeinsam  mit  diesen  31   angesehene  Breslauer  Bürger  zur  Komiteebildung  ein. 

Sämtliche  Eingeladene  nahmen  an  der  Sitzung  teil.  Die  Gründung  eines  Vereins 
wurde  beschlossen  und  ein  Komitee  mit  der  weiteren  Verfolgung  des  Gegenstandes  betraut. 
Unter  dem  4.  Dezember  erging  die  Anzeige  davon  an  den  Magistrat,  wobei  man,  den  Er- 
eignissen weit  voraneilend,  betonte,  dass  das  Unternehmen  nur  ein  Provisorium  bilden  solle, 
bis  das  viel  umfassendere  projektierte  städtische  Museum  ins  Leben  treten  würde.  Tags 
darauf  richtete  man  an  alle  Schlesier  einen  Aufruf,  den  Verein  zur  Errichtung  eines  Museums 
schlesischer  Altertümer  durch  einen  Beitrat  von  mindestens  einem  Thaler  gründen  zu  helfen. 


Hermann  Luchs 


17 

In  der  ersten  Generalversammlung  vom  12.  Januar  1858  wurden  die  Statuten  im  wesent- 
lichen nach  der  von  Luchs  vorgelegten  Fassung  angenommen  und  folgende  Mitglieder  in 
den  Vorstand  gewählt:  1)  Graf  v.  Hoverden-Plencken  als  Vorsitzender;  2)  Baurat  Studt 
als  zweiter  Vorsitzender;  3)  Oberlehrer  Tagmann  als  Sekretär;  4)  Kaufmann  Klocke  als 
Schatzmeister;  5)  Dr.  Luchs  als  Kustos;  6)  Bildhauer  Michaelis;  7)  Geh.  Rat  Prof.  Dr. 
Goeppert;  8)  Baumeister  Luedecke;  9)  Prof.  Dr.  Rossbach.  —  An  die  Stelle  von 
Tagmann  trat  bald  darauf  der  Archivar  Dr.  Wattenbach,  an  die  von  Michaelis  Prof.  Dr. 
Roepell. 

Die  Mitgliederzahl  betrug  schon  bei  der  Konstituierung  148  und  überschritt  noch 
im  Laufe  desselben  Jahres  das  zweite  Hundert.  Von  den  damaligen  Mitgliedern  gehören  die 
Herren  Geh.  Kommerzienrat  Heimann,  Stadtältester  Dr.  Heinrich  von  Korn,  Dr.  Promnitz 
und  Freiherr  von  Czettritz-Neuhaus,  Landschaftsdirektor  auf  Kolbnitz,  Kreis  Jauer,  noch 
heute  dem  Vereine  an. 

Die  nächste  Sorge  war  die  Beschaffung  eines  geeigneten  Lokals.     Man  überzeugte 
sich  bald,  dass  hier    die    Hauptschwierigkeit    des    ganzen  Unternehmens    liege,    und    war 
froh,  für  den  Augenblick  ein  Unterkommen    in    den   Räumen    der  Vaterländischen  Gesell- 
schaft in  der  Alten  Börse  zu  finden.     Inzwischen    wollte    man    wenigstens  eine    vorüber- 
gehende Ausstellung  veranstalten.     Beiträge  dazu  gingen    besonders    nach  der  Eröffnung 
am  27.  August  in  solchen  Mengen  ein,    dass    der  Platz    nicht    ausreichte    und    man    von 
weiteren  Aufnahmen  absehen  musste.     Die  in  den  beiden  ersten  Abschnitten  besprochenen 
Sammlungen    waren    beinahe    vollzählig    vertreten.       Unter    dem    Privatbesitz    ragte    die 
namentlich  mit  Waffen  gut  versehene  Sammlung  des  Glockengiessers  Krieger  hervor.     Im 
ganzen    zählte  die  Ausstellung  836  Nummern    von    99  Ausstellern.     Der  Besuch    übertraf 
die  kühnsten  Erwartungen.     Es  wurden  2620  Eintrittskarten  zu  2\^  Sgr.  und  729  Schüler- 
karten zu  1  Sgr.  verkauft.     280  Schüler  von  Waisenanstalten  hatten  freien  Eintritt,  ebenso" 
die  Vereinsmitglieder  und  Aussteller.     Vom  Katalog  war  die  erste  Auflage    in   200  Exem- 
plaren binnen  8  Tagen,  die  zweite  in  500  Exemplaren  einige  Tage    vor  Schluss  der  Aus- 
stellung vergriffen. 

Den  grössten  Gewinn  bedeuteten  jedoch  die  bei  dieser  Gelegenheit  gemachten 
dauernden  Erwerbungen.  Denn  wenn  auch  das  meiste  wieder  an  die  Eigentümer  zurück- 
ging, so  waren  doch  auch  viele  Aussteller  bereit,  sich  ihres  Besitzes  zu  gunsten  des 
Vereinsmuseums  zu  entäussern.  Andrerseits  wurde  dadurch  das  Bedürfnis  nach  einem 
eigenen  Lokale  um  so  dringlicher.  Man  versuchte  alles  Erdenkliche,  erbat  vom  Kriegs- 
minister die  Überlassung  der  alten  Stückgiesserei  (Kanonenhof)  auf  der  Taschenstrasse, 
vom  Universitäts-Kurator  eine  Wohnung  in  der  Bibliothek,  vom  Magistrat  Räume  im  neuen 
Stadthaus  oder  einen  Zuschuss  zur  Einrichtung  der  Josephskirche  auf  der  Katharinen- 
strasse  als  Museum.  Als  alles  vergeblich  war,  mietete  man  von  Ostern  1859  ab  für 
170  Thaler  eine  Privatwohnung  von  drei  Zimmern  im  zweiten  Stock  des  dem  Kaufmann 
Teichgreber  gehörigen  Hauses  Altbüsserstrasse  42,  in  der  dann  auch  am  24.  August  das 
Museum  mit  460  Gegenständen  eröffnet  wurde. 

3 


18 

In  dieser  bescheidenen  Behausung  empfing  das  Museum  am  22.  September  den 
Besuch  des  Kronprinzen  Friedrich  Wilhelm,  damals  Kommandeur  des  11.  Regiments, 
und  seiner  Gemahlin.  Das  Interesse,  das  die  hohen  Herrschaften  und  besonders  die 
kunstliebende  Kronprinzessin  am  Gedeihen  der  jungen  Anstalt  nahmen,  bestimmte  den 
Vorstand,  Ihrer  Königlichen  Hoheit  das  Protektorat  über  das  Museum  anzutragen.  Das 
Annahmeschreiben  wurde  am   13.  November  185Q  zu  Windsor-Castle  ausgefertigt. 

Es  begann  jetzt  eine  Zeit  fröhlichen  Schaffens  und  Sammeins.  Geschenke  und 
Ankaufs-Gelegenheiten  boten  sich  in  später  nie  wieder  erreichter  Fülle  dar,  und  wenn 
auch  begreiflicherweise  das  Minderwertige  überwog,  so  hat  doch  gerade  jenes  Kindheits- 
alter des  Museums  einige  der  allerbesten  Erwerbungen  zu  verzeichnen.  Schlesien  war  damals 
wirklich  noch  reich  an  ererbten  Altsachen.  Der  Antiquitätenhandel  war,  wenigstens  hier- 
zulande, erst  in  seinen  Anfängen,  und  Kunstgewerbemuseen,  deren  Konkurrenz  zu  fürchten 
gewesen  wäre,  gab  es  überhaupt  noch  nicht.  Zieht  man  diese  günstigen  Umstände  in 
Betracht,  so  bedauert  man  bloss,  dass  der  Verein  nicht  in  der  Lage  war  sich  ihrer  in 
noch  ganz  anderem  Masse  zu  bedienen.  Was  hätte  man  allein  aus  der  Sammlung  des 
Freiherrn  von  Minutoli  in  Liegnitz  haben  können,  jener  wundervollen  Sammlung,  die  als 
die  erste  in  Deutschland  mit  der  ausdrücklichen  Absicht  angelegt  worden  war,  das  Kunst- 
gewerbe in  allen  seinen  Zweigen  in  einer  möglichst  grossen  Zahl  älterer  mustergiltiger 
Vorbilder  vorzuführen,  die  aber  zugleich,  weil  vornehmlich  in  Schlesien  zusammengebracht, 
von  höchster  Bedeutung  für  die  engeren  Ziele  des  Vereins  gewesen  wäre.  Aber  ausser 
dem  Ankauf  von  etwa  100  teilweise  ausgezeichneten  Waffenstücken  für  400  Thaler,  die  von 
Kommerzienrat  Friedländer  gespendet  wurden,  begegnet  man  keinem  Versuch,  die  Samm- 
lung für  die  Provinz  zu  retten.  Nachdem  schon  früher  grosse  Verkäufe  sowohl  ganzer 
Gruppen  wie  einzelner  Stücke  stattgefunden  hatte,  hat  186Q  das  Königliche  Handels- 
museum in  Berlin  die  sämtlichen  Gegenstände  der  Abteilungen  Keramik,  Glas  und 
Metall  für  150  000  Mark  erworben.  Sie  bilden  den  Grundstock  der  Sammlungen  des 
Berliner  Kunstgewerbemuseums.  Der  immer  noch  sehr  bedeutende  Rest  ist  dann  1875 
unter  der  Beteiligung  fast  aller  europäischer  Museen  in  Köln  versteigert  worden. 

Allein  auch  ohnedies  war  es  bald  unmöglich,  für  die  eingegangenen  Erwerbungen 
Platz  zu  schaffen.  Den  unablässigen  Bemühungen  des  Vorstandes  gelang  es  endlich, 
von  der  Universität  die  Hergabe  der  ehemals  Räbigerschen  Wohnung  (5  Zimmer  und  ein 
Korridor)  im  Erdgeschoss  des  Sandstifts  gegen  eine  Miete  von  150  Thalern  zu  erwirken. 
Gleichzeitig  wurde  durch  den  Vertrag  vom  26.  April  1862  bestimmt,  dass  die  dem  König- 
lichen Museum  zustehende  Sammlung  germanisch-slawischer  Grabaltertümer  sowie  christ- 
licher und  moderner  Kunstaltertümer  und  moderner  Münzen  mit  der  Vereinssammlung  in 
der  Weise  vereinigt  werde,  dass  die  Sorge  für  die  Konservierung,  Anordnung  und  Auf- 
stellung an  den  Verein  übergehe.  Eine  Mitwirkung  an  der  Verwaltung  wurde  der 
Universität  dadurch  gesichert,  dass  der  Direktor  des  archäologischen  Museums  (später 
ein  vom  Kurator  ernannter  Kommissar)  in  den  Vorstand  eintrat.  Die  Eröffnung  der  ver- 
einigten Sammlungen  erfolgte  am  30.  September  1862  vor  einem   Kreise  von  Ehrengästen. 


19 

Bei  aller  Anerkennung  des  grossen  Fortschrittes  erscholl  doch  schon  damals  die  Klage, 
dass  auch  dieser  Raum  bei  weitem  nicht  genüge.  In  der  That  war  man  bald  wieder  bei  einem 
blossen  Magazinieren  angelangt. 

Das  äussere  Wachstum  der  Sammlung  spricht  sich  in  den  fortschreitenden  Ziffern 
des  Kataloges  aus.  Vor  dem  Umzüge  zählte  man  IQOO  Nummern;  der  gedruckte  Katalog 
von  1863  weist  5424,  die  Fortsetzung  von  186Q  6168  und  die  zweite  Auflage  von  1872 
ohne  die  Münzen  6467  Nummern  auf.  Von  da  bis  1880  stieg  die  Zahl  auf  un- 
gefähr 10  000. 

Ein  Beträchtliches  lieferten  dazu  die  Geschenkgeber,  allen  voran  der  Vorsitzende, 
Johann  Adrian  Graf  von  Hoverden-Plencken.  Kein  Jahr,  wo  er  nicht  die  Samm- 
lung durch  wertvolle  Gaben  vermehrt  oder  ihre  Vermehrung  durch  reichliche  Geldspenden 
erleichtert  hätte.  Nächst  ihm  verdienen  der  Kaufmann  Rudolf  Tietze,  Fräulein  Adelheid 
Kahlert,  Frau  Rendant  Claus,  Redakteur  Oelsner,  Weinkaufmann  Selbstherr,  Stadtrat 
Zwinger  und  Frau  Stadtrat  Lübbert  als  Stifter  besonders  zahlreicher  oder  besonders 
schätzbarer  Geschenke  genannt  zu  werden. 

Vom  Magistrat  wurden  186Q  die  Ratsaltertümer,  1872  die  Altertümer  des  Bern- 
hardin-Hospitals und  1876  die  der  Kirchenbibliotheken  (mit  Ausnahme  der  Münzen)  über- 
wiesen. Seinem  Beispiel  folgten  in  verschiedenen  Zwischenräumen  die  meisten  evan- 
gelischen Kirchen  Breslaus. 

Neben  den  Geschenken  und  Leihgaben  spielten  die  Ankäufe  eine  ziemlich  be- 
scheidene Rolle.  Zwar  besserten  sich  die  Einnahmen  des  Vereins  durch  die  beständig 
wachsende  Mitgliederzahl  und  die  von  einigen  Behörden  gewährten  Beihilfen  allmählich 
so,  dass  sie  in  den  Jahren  1859-1869  durchschnittlich  3000,  1870  1873  6000  und 
1874-  1880  9000  M.  betrugen,  aber  für  Ankäufe  wurde  davon  kaum  ein  Siebentel,  ja  in 
manchen  Jahren  noch  nicht  einmal  ein  Zehntel  ausgegeben.  Begründet  wird  dies  in  den 
Verwaltungsberichten  gewöhnlich  damit,  dass  nur  wenig  Altertümer  zum  Ankauf  ange- 
boten worden  seien.  Und  doch  war  das  die  Zeit,  wo  der  Antiquitätenhandel  alljährlich 
ungezählte  Schätze  aus  Schlesien  entführte,  und  wo  die  Preise  selbst  für  Stücke  ersten 
Ranges  noch  erschwinglich  waren.  Man  hatte  offenbar  das  Bestreben,  mit  Umgehung 
des  Zwischenhandels  womöglich  immer  aus  der  ersten  Hand  zu  kaufen.  Das  hatte  aber 
den  Nachteil,  dass  die  Vervollständigung  der  Sammlungen  fast  ausschliesslich  dem  Zufall 
überlassen  blieb. 

Es  entbehrt  nicht  eines  gewissen  Interesses,  die  Preise  kennen  zu  lernen,  die  für 
einige  der  wichtigeren  Erwerbungen  gezahlt  worden  sind.  So  kostete  1861  der  Kupfer- 
krug des  Bartholomäus  Rosenberg,  eine  der  Perlen  des  Museums,  150  M.;  1862  ein 
zinnerner  Krönungsteller  mit  den  Bildnissen  Ferdinands  111.  und  der  Kurfürsten  in  scharfem 
Relief  9  M.;  1864  ein  Schatzfund  des  16.  Jahrhunderts  aus  Münsterberg,  bestehend  aus 
vier  silbernen  Löffeln,  zwei  reichverzierten  silbernen  Ketten  und  einem  mit  Perlen  und 
emaillierten  goldenen  Rosetten  benähten  seidenen  Gürtel  225  M.;  1866  ein  eingelegter 
Eichenschrank  des   18.  Jahrhunderts  aus  Landeck  600  M.;    1867    ein    zinnerner  Willkomm 

3* 


20 

der  Breslauer  Fischer  in  Form  eines  Schiffes  18  M.;  1868  drei  Giasgemälde  des 
15.  Jahrhunderts  aus  Sponsberg  45  M.;  1871  die  grosse  Zinnl<anne  der  Bresiauer  Seiler 
von  1511  105  M.;  1872  der  grosse  Marienaltar  und  andere  Holzschnitzereien  und  Kirchen- 
geräte aus  der  evangelischen  Kirche  in  Steinau  600  M.;  1875  drei  Altarbilder  (11000 
Jungfrauen,  10  000  Märtyrer,  Verkündigung)  und  eine  silberne  Reliquiar-Statuette  der  hl. 
Barbara  aus  der  Sammlung  des  Oeistl.  Rats  Knoblich  600  M.;  die  Vossbergische  Siegel- 
sammlung (5000  Stück)  800  M.;  1878  zwei  in  Elfenbein  eingelegte  Armrüste  des  16.  Jahr- 
hunderts 450  M.;  1879  die  Waffensammlung  des  Kaufmanns  Robert  Tielsch  in  Hirschberg, 
soweit  sie  nicht  schon  durch  Erbschaft  dem  Museum  gehörte,  1200  M. 

Einen  beträchtlichen  Teil  der  Einkünfte  nahm  die  publizistische  Thätigkeit  des 
Vereins  in  Anspruch.  Seit  185Q  veröffentlichte  er  unter  Luchsens  Leitung  „Berichte",  die 
sich  durch  Einfügung  kunstgeschichtlicher  und  archäologischer  Abhandlungen  zu  einer 
Zeitschrift  auswuchsen  und  diesem  Charakter  seit  1867  auch  durch  den  Titel  „Schlesiens 
Vorzeit  in  Bild  und  Schrift"  Rechnung  trugen.  Auch  wurden  Sonder-Veröffentlichungen, 
wie  die  „Schlesischen  Fürstenbilder"  und  die  vorgeschichtliche  Karte  von  Schlesien  heraus- 
gegeben, Vorträge  gehalfen,  die  Pflege  der  öffentlichen  Kunstdenkmäler  wahrgenommen, 
Auskünfte  erteilt,  kurz  alles  gethan,  was  dazu  dienen  konnte,  das  Museum  zum  Mittel- 
punkt der  altertumswissenschaftlichen  Bestrebungen  Schlesiens  zu  machen. 

Die  Vermehrung  der  vorgeschichtlichen  Sammlung  blieb  in  den  ersten  anderthalb 
Jahrzehnten  fast  ausschliesslich  den  auswärtigen  Mitgliedern  und  Freunden  des  Museums 
überlassen.  Erst  seit  1873  fanden  unter  der  unmittelbaren  Leitung  von  Vorstands- 
mitgliedern, namentlich  von  Luchs  und  Sanitätsrat  Biefel,  Ausgrabungen  grösseren 
Massstabes  statt.  Von  da  ab  übertrafen  die  jährlichen  Zugänge  dieser  Abteilung  an  Menge 
bald  alle  übrigen,  sodass  der  Platzmangelsich  grade  hier  am  störendsten  bemerkbar  machte. 

Doch  war  die  Hilfe  damals  schon  vor  der  Thür.  Seit  Jahrzehnten  stand  die  Frage 
der  Errichtung  eines  grossen  Kunstmuseums  in  Breslau  auf  der  Tagesordnung.  Pläne 
über  Pläne  waren  entworfen  und  wieder  verworfen  worden.  Endlich  nach  dem  Kriege 
von  1870  71  ging  man  ans  Werk.  Die  Provinz  trat  mit  staatlicher  und  städtischer  Beihilfe 
als  Unternehmer  auf,  und  bald  wuchs  ein  stattlicher  Bau  empor,  der  allen  Arten  von 
Kunstsammlungen  für  absehbare  Zeit  eine  geräumige  Zufluchtstätte  sichern  sollte.  Nicht 
zuletzt  dem  Museum  schlesischer  Altertümer.  Von  den  sieben  in  Aussicht  genommenen 
Abteilungen  sollten  nicht  weniger  als  vier  aus  seinen  Beständen  zusammengesetzt  werden, 
nämlich  die  mittelalterliche  Baukunst  und  Bildhauerei,  die  Kleinkunst,  die  germanischen 
und  slawischen  Grabaltertümer  und  die  Münzen-  und  Siegelsammlung.  Auch  für  die 
andern  drei  Abteilungen,  die  Sammlung  der  Gipsabgüsse,  das  Kupferstichkabinet  und 
namentlich  die  Gemäldegalerie  wurde  von  der  Vereinigung  mit  tiem  Altertumsmuseum 
ein  bedeutender  Zuwachs  erwartet. 

Sobald  aber  die  Organisation  des  Provinzial-Museimis  feste  Gestalt  angenommen  hatte, 
zeigte  es  sich,  dass  der  Einbeziehung  des  Vereinsnniseums  in  die  Verwaltung  ernste  Bedenken 
entgegenständen.     Sie  beruhten  in  erster  Linie  darauf,  dass  die  Obhut  über  die  Sammlungen 


21 

alsdann  nicht  mehr  den  erwählten  Vertrauensmännern  des  Vereins,  sondern  dem  nach  ganz 
anderen  Grundsätzen  ernannten  Direktor  zustehen  würde.  Der  hierdurch  bedingte  Ver- 
zicht auf  sein  bisheriges  Verfügungsrecht  war  eine  harte  Zumutung  für  Luchs,  der  das 
Museum  als  seine  eigenste  Schöpfung  betrachtete,  und  was  noch  schwerer  in  die  Wag- 
schaie  fiel,  man  fürchtete,  dass  darüber  der  stiftungsmässige  Charakter  der  Sammlungen 
verloren  gehen  werde.  „Denn  darüber  waren  wir  alle  einig,"  heisst  es  in  einer  Rede  des 
damaligen  Vorsitzenden,  Geh.  Archivrats  Prof.  Dr.  Orünhagen,  „es  werde  auch  der  beste 
und  redlichste  Wille  nicht  verhüten  können,  dass  gerade  in  der  beabsichtigten  glanzvollen 
Umgebung  und  in  enger  Verbindung  mit  dem  Museum  der  bildenden  Künste  der  historische 
Charakter  der  Sammlungen  durch  Rücksichten  auf  die  Präsentabilität  der  einzelnen  Objekte 
wesentlich  beeinträchtigt  und  in  den  Hintergrund  gedrängt  und  das  schlesische  Altertums- 
museum mehr  und  mehr  zu  einem  Kunstgewerbemuseum  werden,  wo  neben  den  eigent- 
lichen Kunstwerken  älterer  und  neuerer  Zeit  dann  auch  kunstgewerbliche  Altertümer  ver- 
gangener Zeiten  sich  aufgestellt  fänden." 

Das  Gewicht  dieser  Gründe  erschien  so  bedeutend,  dass  der  Verein  lieber  auf  die 
seiner  Sammlung  zugedachten  Säle  im  Hauptgeschoss  des  Museums  und  auf  die  frei- 
gebige Fürsorge  der  Provinzialbehörden  verzichten,  als  seine  Selbstverwaltung  aufgeben 
wollte.  Ein  Ausweg  wurde  in  einem  Vertrage  gefunden,  wonach  ein  gegen  die  übrigen 
Räumlichkeiten  des  Museumsgebäudes  abgeschlossener  Flügel  im  Erdgeschoss  aus  der 
Verwaltung  des  Direktors  ausgeschieden  und  dem  Vereine  zur  Aufstellung  seiner  Samm- 
lungen übergeben  wurde. 

Der  Umzug  dauerte  vom  4.— 31.  Dezember  1879.  Am  8.  Mai  1880  wurde  das  Museum 
zum  dritten  Male  eingeweiht.  Noch  während  der  Aufstellung  hatte  das  Museum  einen  starken 
Zuwachs  erfahren  durch  die  Altertümer  der  Magdalenenkirche  und  einen  Teil  der  kunstgewerb- 
lichen Sammlung  des  Provinzial-Museums.  Diese  Sammlung  war  1876  von  einer  Kommission, 
bestehend  aus  Luchs,  Prof.  Alwin  Schultz  und  Baurat  Luedecke,  hauptsächlich  in  München 
zusammengekauft,  nachher  aber,  als  mit  dem  Ausscheiden  des  Altertumsmuseums  auch  der 
Plan  einer  kunstgewerblichen  Abteilung  fallen  gelassen  war,  nicht  weiter  fortgesetzt 
worden.  Sie  füllte  mit  ihren  Möbeln  der  Renaissance  und  Wandteppichen  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts, die  grösstenteils  aus  der  Minutolischen  Sammlung  stammten,  eine  empfindliche 
Lücke  des  Museums  aus.  Ein  Jahr  später  erbte  der  Verein  die  Altertümersammlung  des 
Kaufmanns  Johann  Carl  Giersdorf  in  Neisse.  Wieder  waren  es  Waffen,  die  neben 
Möbeln,    Kleingerät    und    historischen  Porträts  den    wertvollsten  Teil  des    Erbes  bildeten. 

Seitdem  machte  das  Museum  auf  dem  Wege  zu  einer  öffentlichen  Anstalt  rasche 
Fortschritte.  Der  Magistrat  von  Breslau  erhöhte  seinen  bisherigen  Beitrag  von  600  M. 
auf  1200  M.  Die  Provinz  spendete  seit  1880  1500  M.  und  seit  1882,  nachdem  der  Kultus- 
minister den  bis  dahin  gezahlten  Zuschuss  von  1500  M.  zurückgezogen  hatte,  3000  M. 
Die  Verwaltung,  die  Luchs  bisher  fast  ohne  jede  Hilfe  in  seinen  spärlichen  Mussestunden 
besorgt  hatte,  wurde  durch  die  Anstellung  eines  Assistenten  (seit  1881)  und  eines  Büreau- 
beamten  (seit  1884)  wesentlich  erleichtert  und  in  geordnete  Bahnen  geleitet. 


22 

Am  11.  Januar  1883  beging  der  Verein  mit  grossem  Gepränge  die  Feier  seines 
fünfundzwanzigjäiirigen  Bestehens.  Kurz  darauf  wurden  ihm  durch  Allerhöchste  Kabinets- 
Ordre  vom  19.  März  1883  die  Rechte  einer  juristischen  Person  verliehen. 

Der  Eintritt  Wilhelm  Oremplers  in  den  Vorstand  (1882)  und  seine  Wahl  zum 
Vorsitzenden  (1884)  leiteten  eine  neue  Phase  in  der  Entwickelung  des  Museums  ein.  Der 
Dilettantismus  in  der  Behandlung  urgeschichtlicher  Fragen  wich  von  da  an  immer  mehr 
der  streng  methodischen  Forschung.  Häufige  Reisen  und  der  Besuch  aller  wichtigeren 
Museen  und  Kongresse  des  In-  und  Auslandes  schärften  und  weiteten  den  Blick  für  die 
Erscheinungen  der  Heimat  und  schafften  ein  ausgiebiges  Vergleichsmaterial  in  Originalen 
und  Abbildungen  zur  Stelle,  im  Verein  mit  Luchs  traf  Grempler  die  Vorbereitungen  zur 
XV.  Allgemeinen  Versammlung  der  deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie 
und  Urgeschichte,  die  vom  4.  bis  7.  August  1884  in  Breslau  tagte  und  den  Ruf  der  hiesigen 
Sammlung  weithin  verbreitete.  In  noch  höherem  Masse  war  dies  der  Fall,  als  1886 
und  1887  die  grossartigen  Funde  von  Sacrau  zu  Tage  gefördert  und  von  ihrem  Besitzer, 
Stadtrat  von  Korn,  dem  Museum  zum  Geschenke  gemacht  wurden. 

Am  13.  Januar  1887  raffte  der  Tod  den  hochverdienten  Kustos  des  Museums  hinweg. 
Was  Luchs  für  das  Museum  gethan,  wie  er  es  aus  unscheinbaren  Anfängen  zu  stolzer 
Höhe  emporgeführt  hat,  konnte  in  den  vorhergehenden  Zeilen  nur  angedeutet  werden. 
In  den  29  Jahren  seines  Wirkens  hat  das  Museum  keinen  Gegenstand  empfangen,  der 
nicht  durch  seine  Hand  gegangen,  wenige  die  nicht  seiner  rastlosen  Thätigkeit,  seinem  warm- 
herzigen  Eifer,   seiner  grossen  persönlichen  Liebenswürdigkeit  zu   danken  gewesen  wären. 

Die  Folgezeit  lehrte,  wie  schwer  ein  Ersatz  für  diesen  Mann  zu  finden  war.  Zu- 
nächst wurde  das  Amt  des  Kustos  gar  nicht  besetzt,  sondern  dessen  einzelne  Gebiete 
unter  die  Sonderverwaltung  verschiedener  Vereinsmitglieder  gestellt.  Die  weitere  Absicht  des 
Vorstands,  einen  besoldeten  Kustos  anzustellen,  scheiterte  an  dem  Widerstände  zahlreicher 
den  Verhältnissen  nahestehender  Mitglieder  gegen  die  vorgeschlagene  Persönlichkeit.  Der 
in  der  Generalversammlung  vom  12.  Dezember  1887  gewählte  Regierungsbaumeister  und 
Provinzial-Konservator  Hans  Lutsch  dankte  schon  nach  einem  Jahre  wieder  ab.  Sein  Nach- 
folger wurde  der  Königl.  Regierungsbaumeister  und  Lehrer  an  der  Baugewerkschule  Eugen 
von  Czihak. 

Czihak  wandte  sein  Interesse  vorzugsweise  den  kunstgewerblichen  Altsachen  zu, 
die  infolge  der  bisherigen  geringen  Aufwendungen  hinter  den  übrigen  Sammlungsteilen 
etwas  zurückgeblieben  waren.  Der  Ruf  nach  einem  Kunstgewerbenniseum  erscholl  schon 
damals  vernehmlich  genug,  und  es  zeugte  von  einer  weisen  Voraussicht  der  kommenden 
Entwicklung,  dass  die  Verwaltung  diesem  Verlangen  bei  Zeiten  entgegenkam.  Das  spe- 
zifisch schlesische  Gepräge  der  Sammlungen  brauchte  deshalb  mit  nichten  geopfert  zu 
werden.  Wohl  aber  hätte  ein  konsequentes  Ausschliessen  des  gewerblich  erzieherischen 
Zweckes  die  Gefahr  mit  sich  gebracht,  dass  dem  Museum,  wie  es  z.  B.  in  Frankfurt  a.  M. 
geschehen  ist,  eine  Konkurrenzanstalt  an  die  Seite  gesetzt  worden  wäre.  Die  Möglichkeit 
eines    planvollen  Vorgehens  war    durch    die    abermalige  Verdoppelung    des  Beitrages    der 


23 

Provinz  und  die  Erhöhung  des  Beitrages  der  Stadt  auf  3000  M.  gegeben.  Seit  1892  ge- 
währte ausserdem  der  Minister  für  Handel  und  Gewerbe  zur  Vermehrung  der  kunst- 
gewerblichen Sammlung  dem  Verein  eine  Beihilfe  von  1000  M.  Mit  Hilfe  dieser  Mittel 
wurden  vor  allem  die  Gewebe  und  Stickereien,  die  Töpferarbeiten  und  Gläser  sowie  die 
Werke  der  Goldschmiedekunst  vervollständigt. 

Die  übrigen  Abteilungen  kamen  dabei  keineswegs  zu  kurz.  Insbesondere  brachte  der 
vorgeschichtlichen  Sammlung  in  den  Jahren  1891  92  der  Bau  der  Umgehungsbahn  durch  die 
Aufdeckung  der  ausgedehnten  Gräberfelder  von  Woischwitz  und  Gross-Tschansch,  denen  sich 
später  noch  die  von  Dyhernfurth,  Carlsruh  und  Weidenhof  anreihten,  einen  ungeheuren 
Zuwachs,  der  an  Zahl  der  Gegenstände  wohl  der  Gesamtheit  aller  bis  dahin  vorhandenen 
Funde  gleichkam  und  sie  durch  die  Genauigkeit  der  Beobachtung  an  wissenschaftlichem 
Werte  übertraf.  Vom  Magistrat  wurde  1889  der  Goldring  von  Ransern,  von  Leutnant 
Krieger  die  namentlich  durch  seltene  Waffen  und  Rüstungen  ausgezeichnete  Krieger- 
Paritiussche  Sammlung  überwiesen. 

Am  1.  Oktober  1892  wurde  v.  Czihak  durch  seine  Berufung  zum  Direktor  der 
Königlichen  Baugewerk-  und  Handwerkschule  in  Königsberg  seinem  hiesigen  erfolgreichen 
Wirkungskreise  entzogen.  Zu  seinem  Nachfolger  wurde  der  Verfasser  dieses  Aufsatzes, 
seit  1890  Assistent  am  Museum,  gewählt.  Zugleich  wurde  die  Umwandlung  des  Kustodiats 
in  ein  besoldetes  Hauptamt  beschlossen. 

Die  nächsten  Jahre  führten  eine  Reihe  bedeutsamer  Veränderungen  herbei,  die  das 
Museum  Schritt  für  Schritt  dem  gegenwärtig  erreichten  Ziele  näher  brachten.  Das  wichtigste 
Ereignis  war  ein  Anfang  1895  mit  der  Provinz  geschlossener  Vertrag,  der  die  Übernahme 
der  Verwaltung  des  Museums  Schlesischer  Altertümer  auf  den  Provinzialverband  zum 
Zwecke  hatte.  Die  Bedenken,  die  seiner  Zeit  den  Verein  zum  Verzicht  auf  die  Vorteile 
der  Übernahme  bewogen  hatten,  wurden  jetzt  durch  das  vom  Kuratorium  des  Museums 
der  bildenden  Künste  gern  gemachte  Zugeständnis  beseitigt,  dass  die  Altertumssammlung 
innerhalb  der  Grenzen  des  Reglements  selbständig  verwaltet  und  in  ihrem  bisherigen  Zu- 
sammenhange erhalten  werden,  dem  Verein  aber  die  Sorge  für  ihre  Vermehrung  und 
wissenschaftliche  Nutzbarmachung  und  das  Vorschlagsrecht  für  die  Ernennung  des  Kustos 
verbleiben  solle. 

Unter  der  Gunst  der  neugeschaffenen  Verhältnisse  konnten  für  die  Vermehrung, 
Restaurierung  und  Aufstellung  der  Sammlungen  ganz  erheblich  grössere  Aufwendungen 
gemacht  werden.  Für  Ankäufe  wurden  in  den  Jahren  1893  1898  durchschnittlich  7000  M. 
ausgegeben,  wovon  etwa  zwei  Drittel  auf  die  kunstgewerbliche  Sammlung  entfielen.  So 
klein  diese  Summen  im  Vergleich  zu  den  Etats  andrer  Museen  immer  noch  erscheinen, 
so  genügten  sie  doch  im  Verein  mit  den  nach  wie  vor  zahlreich  einlaufenden  Geschenken 
und  depositarischen  Überweisungen,  um  einen  höchst  ansehnlichen  Grundstock  für  das 
geplante  Kunstgewerbemuseum  zu  schaffen.  Als  dessen  Errichtung  bereits  beschlossene 
Sache  war,  erwarb  der  Vorstand,  in  der  begründeten  Hoffnung  auf  die  nachträgliche  Be- 
willigung des  Kaufpreises  durch  die  städtischen  Behörden,  noch  die  berühmte  Sammlung 


24 

des  Freiherrn  Conrad  von  Falkenhausen  auf  Wallist'urtli,  die  grösste  und  wertvollste  Er- 
werbung, die  das  Museum  seit  seiner  Gründung  zu  verzeichnen  hatte. 

Dass  die  Ordnung  der  Sammlungen  sowohl  in  Bezug  auf  übersichtliche  Aufstellung 
wie  auf  sachgemässe  Beschreibung  von  Grund  aus  umgestaltet  wurde,  möge  hier  nur  an- 
gedeutet sein.  Nicht  unerwähnt  aber  wollen  wir  die  Dienste  lassen,  die  sich  einzelne 
Vereinsmitglieder  durch  ihre  opferwillige  Mitarbeit  um  das  Museum  erworben  haben.  Der 
urgeschichtlichen  Altertümer  haben  sich  ausser  dem  Vorsitzenden  besonders  die  Herren 
A.  Langenhan  und  Dr.  Mertins  angenommen,  der  Waffen  Regierungsassessor  Überschär, 
der  Münzen  die  Herren  Dr.  E.  Bahrfeldt,  Geh.  Rat  Friedensburg  und  G.  Strieboll, 
der  Siegel  Prof.  Dr.  Roehl,  Amtsgerichtsrat  Haberling    und   Major  a.  D.  Schuch. 

Aber  alle  Fortschritte  konnten  schliesslich  darüber  nicht  täuschen,  dass  das  Museum 
in  seinen  Raumverhältnissen  an  der  Grenze  der  Entwicklungsfähigkeit  angelangt  war. 
Durch  die  Verweisung  unbedeutender  oder  der  Ausbesserung  bedürftiger  Stücke  in  Neben- 
räume, die  zu  diesem  Zweck  sogar  ausserhalb  des  Museumsgebäudes  gemietet  wurden, 
und  eine  mit  äusserster  Platzersparnis  durchgeführte  Neuaufstellung  der  Sammlungen  wurde 
das  Übel  wohl  für  eine  Weile  gemildert,  aber  nicht  beseitigt.  Die  Erwerbung  von  um- 
fänglichen Gegenständen,  z.  B.  Möbeln,  war  ausgeschlossen,  weite  Gebiete,  wie  die  Textilien, 
Bucheinbände,  Abbildungen,  blieben  den  Augen  der  Besucher  dauernd  entzogen.  Nur  mit 
Sorge  konnte  man  der  Aufdeckung  grosser  Funde  entgegensehen,  weil  die  Frage:  wohin 
damit?  kaum  noch  zu  beantworten  war. 

Eine  durchgreifende  Hilfe  war  nur  von  der  Erlangung  eines  eigenen  Gebäudes  zu 
erhoffen,  dieses  nur  von  der  Erweiterung  des  Museums  zum  Kunstgewerbemuseum. 

Hans  Seger. 


TAFEL  II 


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25 


Plakette  auf  die  Eröftnuiig  des  Museums  am  27.  November  lS9y  von  E.  Kämpffer 


DIE    BESTREBUNGEN   ZUR   GRÜNDUNG  EINES 
KUNSTGEWERBEMUSEUMS   IN    BRESLAU 

Als  erstes  modernes  Kunstgewerbemuseum  gilt  das  aus  der  ersten  Weltausstellung 
zu  London  im  Jahre  1852  hervorgegangene  Kensington-Museum;  wiewohl  in  dem  Con- 
servatoire  des  arts  et  metiers  in  Paris  eine  ähnliche,  wenn  auch  in  ihren  Zwecken  enger 
begrenzte  Anstalt  schon  seit  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  bestand.  Wesentlich  nach  dem 
Vorbilde  des  Kensington-Museums  entstanden  lSö4  in  Wien  das  Österreichische  Museum 
für  Kunst  und  Industrie,  1867  in  Berlin  zunächst  als  Vereinsanstalt,  aber  im  Jahre  1885 
vom  Staate  übernommen  das  Gewerbe-Museum  und  demnächst  ähnliche  Anstalten  in 
vielen  deutschen  Städten. 

Auch  in  Breslau  machte  sich  sehr  bald  das  Bedürfnis  nach  einer  solchen  Anstalt 
geltend:  nach  einer  Rüstkammer  und  Sammelstelle  für  das  praktisch  vorwärtsstrebende 
Kunstgewerbe,  ausgestattet  mit  lehrreichem  Anschauungsmaterial  in  Musterstücken  und 
Vorlageblättern,  mit  Bibliothek  und  Zeichensaal,  und  geleitet  von  Männern,  die  diese 
Bildungsmittel  und  alle  Anregungen  der  Kunst  und  Wissenschaft  den  Gewerbetreibenden 
förderlich  vermitteln  und  also  einen  Mittelpunkt  für  die  kunstgewerblichen  Bestrebungen 
in  Stadt  luid  Provinz  bilden  köimten. 

Die  Bestrebungen  zur  Gründung  eines  Kunstgewerbemuseums  in  Breslau  gingen 
aus  und  wurden  zunächst  getragen  vom  schlesischen  Zentral-Gewerbe-Verein  —  der  all- 
jährlich im  Schlesischen  Gewerbetage  zusammentretenden,  inzwischen  durch  einen  Vorstand 
vertretenen  Vereinigung  der  sciilesischen  Gewerbe-Vereine  und  insbesondere  von  den 
drei  an  der  Spitze  des  Zentral-Vereins  stehenden  Männern:  dem  Vorsitzenden  (seit  1874), 
Herrn  Geheimen  Kommerzienrat  Dr.  Websky,  dem  Schriftführer  (seit  1862,  gestorben  am 


26 

22.  Januar  18Q9)  Herrn  Oberrealschuldirektor  Dr.  Fiedler  und  dem  Schatzmeister  (seit  1864) 
Herrn  Baubankdirektor  und  Kommissionsrat  Benno  Milch. 

Als  Vorläufer  dieser  Bestrebungen  können  die  Gewerbe-Ausstellungen  gelten,  welche 
der  im  Jahre  1828  gegründete  Breslauer  Gewerbe-Verein  zuerst  im  Jahre  1832  und  später 
in  der  Regel  in  jedem  zweiten  Jahre  — allerdings  zu  rein  praktischen  geschäftlichen  Zwecken  — 
veranstaltete,  und  die  derselbe  im  Jahre  1852  zum  ersten  Male  und  mit  glänzendem  Er- 
folge, zu  einer  Ausstellung  schlesischer  Oewerbeerzeugnisse  in  Breslau  (auf  dem  Exerzier- 
platze) erweiterte,  „um"  wie  es  in  dem  Programm  hiess  -  „in  dem  Kampfe  gegen  die 
Konkurrenz,  welche  (1852!)  in  ihrer  Masslosigkeit  alles  zu  ersticken  drohte,  die  reiche  Kraft 
und  Lebensfülle  der  heimischen  Industrie  aus  ihrem  Dunkel  herauszuziehen".  Als  im  Jahre  1881 
von  der  fünften,  wieder  in  Breslau  (Rossplatz)  abgehaltenen  Schlesischen  Gewerbe-  und 
Industrie-Ausstellung  dem  Zentral-Oewerbe-Verein  ein  Überschuss  von  50000  Mark  „zur 
Förderung  der  Gewerbthätigkeit  in  Schlesien"  überwiesen  werden  konnte,  bestimmte  der 
Verein  dies  Geld  zur  Gründung  eines  Kunstgewerbemuseums.  Der  Fonds  wurde  durch 
weitere  Zuschüsse,  auch  (im  Jahre  188Q)  durch  ein  Geschenk  des  Kommerzienrats 
Hahn  in  Berlin  von  10000  Mark,  allmählich  bis  auf  100000  Mark  verstärkt,  und  nunmehr, 
am  15.  Juli  18Q5,  beauftragte  der  29.  Schlesische  Gewerbetag  den  Vorstand  des  Zentral- 
Vereins,  Schritte  zu  thun,  um  ein  Kunstgewerbemuseum  wirklich  zu  errichten. 

Der  Vorstand  fasste  zunächst  eine  Vereinsanstalt  ins  Auge  und  ersuchte  unter  dem 
15.  September  1895  den  Magistrat  um  unentgeltliche  Überlassung  eines  geeigneten  Bau- 
platzes. Am  16.  Mai  1896  forderte  er  jedoch  den  Magistrat  auf,  vielmehr  das  alte,  damals, 
nach  Erbauung  des  neuen  Landeshauses,  frei  werdende  Ständehaus  von  der  Provinz  für 
550000  Mark  zu  kaufen  und  dessen  obere  Stockwerke  dem  Vereine  unentgeltlich  für  das 
Museum  zu  überlassen.  Der  Verein  hoffte,  mit  50000  Mark  einmaliger  Ausgabe  und  mit 
17  500  Mark  Jahresausgabe  gedeckt  durch  je  4000  Mark  Staats-  und  Provinzialzuschuss, 
7000  Mark   Stadtzuschuss   und   2  500  Mark   Kapitalzinsen  das   Museum   errichten   und 

unterhalten  zu  können. 

Der  Magistrat  erkannte  die  Gründung  des  Museums  als  ein  dringendes  und  in 
höchstem  Masse  praktisches  Bedürfnis  an,  berechnete  aber  die  Errichtungs-  und  Unter- 
haltungskosten weit  höher  und  war  der  Ansicht,  dass  die  Verwaltung  des  Museums 
durch  den  Zentral-Verein  nur  als  Übergangszustand  in  Frage  kommen  könne.  Da  eine 
Übernahme  auf  den  Staat  oder  auf  die  Provinz  ausgeschlossen  erschien,  so  fasste  der 
Magistrat  alsbald  die  Errichtung  der  Anstalt  als  einer  städtischen  ins  Auge.  Mit  Rück- 
sicht auf  die  sehr  grossen  einmaligen  und  laufenden  Ausgaben  erschien  die  Aufgabe  je- 
doch mir  dann  lösbar,  wenn  alle  dafür  verfügbaren  Kräfte  auch  des  Staates,  der 
Provinz,  von  Vereinen  u.  s.  w.  -  der  Stadt  zu  Hilfe  kämen.  Die  Heranziehung  möglichst 
weiter  Kreise  zur  Unterstützung  der  Sache  erschien  dabei  auch  aus  ideellen  Gründen 
wichtig:  um  der  neuen  Anstalt  von  vornherein  mit  der  thätigen  Teilnahme  auch  das  Ver- 
ständnis und  die  Sympathien  der  Beteiligten  zu  sichern. 


27 


Kommissionsrat  Benno  Milch 


Die  erforderlichen  Verhandlungen  wurden  im 
Einverständnis  mit  dem  Magistrat  grösstenteils  von 
Herrn  Geheimen  Kommerzienrat  Dr.  Egon  Websky 
geführt,  und  seinen  persönlichen  Bemühungen  ist  der 
glückliche  Ausgang  in  erster  Linie  zu  danken.  Einige 
äussere  Umstände  kamen  diesen  Bemühungen  wesent- 
lich zu  statten. 

Die  Königliche  Kunst-  und  Kunst- 
gewerbeschule hatte  lange  unter  dem  Zweifel  gelitten, 
ob  die  Doppelanstalt  zu  einer  reinen  Kunstakademie 
oder  vielmehr  nach  der  Richtung  der  Kunstgewerbe- 
schule fortzuentwickeln  sei.  Nunmehr,  veranlasst  durch 
eine  vom  28.  Schlesischen  Gewerbetage  in  Kattowitz, 
am  25.  Juni  1894,  beschlossene  Petition  und  durch 
ähnliche  Vorstellungen  des  Breslauer  Kunstgewerbe- 
vereins u.  s.  w.  entschied  die  Königliche  Staats regierung 
dahin,  dass  zwar  die  Abteilung  für  reine  Kunst 
unverkümmert  beizubehalten,  die  kunstgewerblichen  Unterrichtsfächer  un^  Unterrichts- 
anstalten aber  umfassend  zu  erweitern  seien.  In  einer  vorberatenden  Konferenz  vom 
17.  Juni  1896,  an  welcher  unter  Vorsitz  des  Ober-Präsidenten,  Fürsten  von  Hatzfeldt- 
Trachenberg,  neben  zahlreichen  Staatskommissaren  auch  Vertreter  von  Provinz,  Stadt, 
Vereinen  und  Interessenten  teil  nahmen  und  worin  man  jene  Entschliessung  der  König- 
lichen Staatsregierung  allerseits  als  geboten  anerkannte,  wurde  zugleich  von  verschiedenen 
Seiten  ohne  Widerspruch  hervorgehoben,  dass  die  Kunstgewerbeschule  ihre  Zwecke  nur 
dann  voll  erfüllen  würde,  wenn  zugleich  ein  Kunstgewerbemuseum  gegründet  würde.  Der 
Vertreter  der  Stadt  sprach  deren  Bereitwilligkeit  zur  Errichtung  der  Anstalt  gewisser- 
massen  als  Gegenleistung  gegenüber  der  staatlichen  Schulerweiterung  aus  und  erbat 

die  thatkräftige  Unterstützung  von  Staat  und  Provinz. 

Die  Provinzialverwaltung,  welche  das  im  Jahre  1879  vollendete  Museum  der 
bildenden  Künste  mit  einem  jährlichen  Zuschuss  von  ca.  SOOOO  Mark  unterhält,  hatte  in 
die  unteren  einstweilen  verfüglwren  Räume  dieser  Anstalt  seit  dem  Jahre  1881  die  Samm- 
lungen des  Vereins  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  aufgenommen,  diesem  Vereine 
einen  Zuschuss  von  6000  Mark  jährlich  gewährt  und  seit  1895  auch  die  Besoldung 
seiner  Beamten  übernommen.  Inzwischen  waren  jedoch  die  Kunstsammlungen  der  Provinz 
so  gewachsen,  dass  jene  im  Erdgeschoss  gelegenen  Räume  dringend  für  die  Gipsabgüsse 
des  Museums  gewünscht  wurden. 

Der  Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  seinerseits  hatte  seine 
Sammlungen  bereits  seit  längerer  Zeit  gerade  auch  nach  kunstgewerblichen  und  technischen 
Gesichtspunkten  entwickelt,  und  indem  er  die  gesammelten  Musterstücke,  sowie  seine 
Bibliothek  den   Kunstgewerbetreibenden  in  liberaler  Weise  zur  Benutzung  stellte,  hatte  er 

4" 


28 

bereits  einigermassen  Ersatz  für  das  fehlende  Kunstgewerbemuseum  zu  leisten  gesuciit; 
die  Enge  und  Dunkelheit  der  von  iiim  benutzten  Räume  iin  Ostflügel  des  Provinziai- 
museums  machten  jedoch  eine  sachgemässe  Aufstellung  und  Benutzung  der  stark  ange- 
wachsenen Sammlungen  fast  unmöglich. 

Eine  allseitig  befriedigende  Lösung  bot  unter  solchen  Umständen  nur  die  Verlegung 
des  Altertums-Museums  in  ganz  neue  Räume.  Der  Vorstand  des  Vereins  für  das  Museum 
schlesischer  Altertümer  erkannte  dabei  von  vornherein  an,  dass  es  seinen  Zwecken  nicht 
etwa  abträgig,  sondern  in  hohem  Masse  förderlich  sein  würde,  wenn  seine  kultur- 
geschichtlichen Sammlungen  ihre  Erweiterung  in  einem  mehr  nach  technischen  Gesichts- 
punkten gebildeten,  doch  aber  immer  gerade  die  schlesische  Kultur  zum  leitenden 
Gesichtspunkte  nehmenden  Kunstgewerbemuseum  fänden.  Demzufolge  hat  insbesondere 
der  Vorsitzende  des  Vereins  (seit  1884),  Herr  Geheimer  Sanitätsrat  Dr.  Grempler  die  An- 
gelegenheit mit  seinem  grossen   persönlichen  Einfluss  in  wirksamster  Weise  gefördert. 

Im  Fortgange  dieser  Verhandlungen  bewilligte  der  Staat  der  neuen  Anstalt  eine 
jährliche  Unterstützung  von  6000  Mark  statt  der  bisher  dem  Vereine  gezahlten  1  000  Mark. 
Die  Provinzial-Vervvaltung  überwies  der  neuen  Anstalt  die  bisher  an  das  Vereinsmuseum 
mit  ca.  14000  Mark  jährlich  gezahlten  Zuschüsse,  unter  Erhöhung  auf  15000  Mark  jährlich 
und  gewährte  einen  einmaligen  Beitrag  von  50000  Mark  durch  Herabsetzung  des  für 
das  alte  Ständehaus  zu  zahlenden  Kaufpreises  von  550000  Mark  auf  500000  Mark.  Ein 
fernerer  glücklicher  Umstand  war  es,  dass  der  Stadt  eben  damals,  bei  Konvertierung  einer 
älteren  Anleihe,  eine  Einnahme  an  Konvertierungs-Prämien  von  274000  Mark  zufiel,  welche 
grossenteils  für  den  Ausbau  des  alten  Ständehauses  bestimmt  werden  konnte.')  Trotz 
alledem  jedoch,  und  auch  trotz  der  vom  schlesischen  Zentral-Gewerbe-Vereine  für  die  erste 
Einrichtung  (Transport,  Schränke,  Möbel,  Bibliothek  u.  s.  w.)  gewährten  100000  Mark  be- 
standen für  die  Stadt  grosse  finanzielle  Schwierigkeiten,  da  schon  der  Ankauf  des  alten 
Ständehauses  500000  Mark  erforderte,  die  Kosten  des  ersten  Ausbaues  auf  167500  Mark 
geschätzt  wurden  und  da  die  laufenden  Verwaltungskosten  sich  sehr  viel  höher  berechneten, 
als  anfangs  angenommen  wurde.  Die  Schwierigkeiten  wuchsen  noch  dadurch,  dass 
eben  damals  auch  für  verwandte  Zwecke  —  wie  für  den  Neubau  der  Baugewerk-  und 
Maschinenbausclnile,  für  die  völlige  Neugestaltung  des  Fach-  und  Fortbildungsschulwesens 
(Handwerkerschule  u.  s.  w.),  für  die  neu  eingerichteten  städtischen  Mittelschulen  und  auch 
für  Stipendien  an  der  Königlichen   Kunst-  und    Kunstgewerbeschule  überaus    grosse 

neue  Ausgaben  an  die  Stadt  herantraten. 

Unter  diesen  Umständen  wurde  es  mit  besonderem  Danke  empfunden,  und  wurde 
die  Errichtung  der  Anstalt  in  vornehmer  Art  recht  eigentlich  erst  sicher  gestellt,  als  der 
Vorsitzende  im  Kuratorium  des  Museums  der  bildenden  Künste,  Herr  Stadtältester  von  Korn 
durch  das  nebst  Erläuterung  unten  folgende  Schreiben  vom  20.  August  18Q6  der  Stadt 
ein  Geschenk  von  500000  Mark  anbot,  falls  sie  das  alte  Ständehaus  zur  Verwendung  für 

')  Mit  100000  Mark  dieses  Betrages  wurde  der  Eiclieiipark  in  l'opcivvitz  aiiffckauft. 


29 

ein  Kunstj^ewerbemuseum  und  zur  Aufnahme  des  gesamten  Museums  schlesischer  Alter- 
tümer erwürbe,  das  Haus  zweckentsprechend  umbaute  und  darin  die  Anstalt  mit  Hilfe 
der  Staats-,  Provinziai-  und  Vereinszuschüsse  unterhielte. 

Unter  dem  ermutigenden  Eindruck  dieser  Schenkung  beschloss  die  Stadtverordneten- 
Versammlung  demgemäss,  und  am  15.  März  1897  wurde  die  Schenkung  des  Herrn  von  Korn 
vom  Könige  bestätigt.  Schon  vorher,  unter  dem  3.  Februar  1897,  war  der  erforderliche 
Vertrag  zwischen  der  Stadt  und  dem  Vereine  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer 
abgeschlossen  worden,  dem  dann  auch  der  F^rovinzial-Ausschuss  unter  dem  28.  April  1897 
beitrat. 

Der  einzige  Punkt,  der  hierbei,  in  der  entscheidenden  Vereinsversammlung  vom 
26.  Januar  1897,  bei  einzelnen  Mitgliedern  des  Museumsvereins  Bedenken  erregte,  war  die 
Forderung  des  Magistrats,  dass,  zur  Vermeidung  aller  künftigen  Zweifel  und  Streitigkeiten, 
auch  die  Sammlungen  des  Vereins,  und  insbesondere  die  älteren  Bestände,  ins  formelle 
Eigentum  der  Stadt  übergehen  sollten,  während  die  Sammlungen  dem  Provinzialmuseum 
nur  zur  Verwahrung  übergeben  worden  waren.  Zur  Rechtfertigung  dieser  im  Interesse 
einer  einfacheren  Verwaltung  gestellten  Forderung  konnte  der  Magistrat  geltend  machen, 
dass  das  Eigentumsrecht  nach  Lage  der  Umstände  und  nach  dem  sonstigen  Inhalt  der 
Verträge  der  Stadt  lediglich  die  schwere  Verpflichtung  zur  Verwahrung,  Verwaltung  und 
Verbesserung  der  Sammlungen  auferlegt,  und  zwar  mit  voraussichtlich  schnell  wachsender 
Ausgabe,  bei  unveränderlichen  und  zum  Teil  nicht  einmal  für  alle  Zeit  gesicherten  Zu- 
schüssen von  Staat  und  Provinz;  und  dass  andererseits  der  Zweck  des  Vereins,  gerade 
vaterländische  Altertümer  zu  sammeln,  durch  den  Eigentumsübergang  nicht  etwa  gehindert, 
sondern  vermöge  der  städtischen  Beihilfe  in  wirksamster  Weise  gefördert  werden 
würde. 

Der  Verein  beschloss  demgemäss  und  die  am  7.  März  1899  vom  Magistrat  mit 
Genehmigung  der  Stadtverordneten -Versammlung  erlassene  Verwaltungsordnung  hat  die 
Ehrenpflicht  der  Stadt,  den  Verein  bei  seinen  Bestrebungen  vertrauensvoll  zu  fördern, 
noch  dadurch  besonders  anerkannt,  dass  den  wissenschaftlichen  Beamten  des  Museums 
die  Verpflichtung  auferlegt  worden  ist,  auf  Wunsch  des  Vereins  die  Geschäfte  des 
Vereins -Sekretärs  zu  führen,  und  dass  dem  Vereine  über  den  geschlossenen  Vertrag 
hinaus  zwei  Vertreter  in  der  für  das  Museum  gemäss  §  59  der  Städteordnung  bestellten 
städtischen  Verwaltungsdeputation  zugestanden  wurden. 

hl  dieser  Deputation,  der  die  gesamte  Verwaltung  der  neuen  Anstalt  unterstellt 
ist,  sind  ausserdem  vertreten:  Magistrat  und  Stadtverordneten-Versammlung,  der  schlesische 
Zentral-Gewerbe-Verein,  die  Königliche  Staatsregierung,  die  schlesische  Provinzialverwaltung, 
der  Senat  der  Königlichen  Universität,  deren  frühere  Altertumssammlung  dem  Museum 
auf  Grund  des  umstehend  abgedruckten  Vertrages  übergeben  worden  ist,  der  Direktor  der 
Anstalt  und  endlich  Herr  Stadtältester  von  Korn  als  Ehrenmitglied  mit  vollem  Stimmrecht. 
Der  zweite  Direktor,  der  mit  Rücksicht  auf  die  beiden  Richtungen  des  Museums,  die 
geschichtliche  und  die  gewerbliche,  bestellt  worden  ist,  nimmt  an  den  Beratungen  teil. 


30 

Auf  Grund  der  getroffenen  Vereinbarungen  übernahm  die  Stadt  das  alte  Stände- 
haus von  der  Provinz  am  1.  April  18Q7  und  baute  es  in  der  Zeit  vom  Juli  1897  bis  Anfang 
18QQ  um.  Die  Baukosten  betrugen  c.  250000  Mark,  dazu  24000  Mark  Ausgabe  der  Stadt  für  Ein- 
richtung der  Bureaus,  des  Vortragssaales  und  der  Bibliothek  und  endlich,  aus  den  vom  schle- 
sischen  Zentral-Gewerbe-Verein  geu'ährten  100000  Mark,  c.  65000  Mark  für  Schränke  u.  s.  w. 

Die  Überführung  des  alten  Vereinsmuseums  in  die  neue  Anstalt  erfolgte  in  der 
Zeit  vom  15.  Februar  bis  zum  1.  April  1899.  Schon  vorher  war  der  Beamtenkörper 
der  Anstalt  gebildet  worden,  indem  insbesondere  zum  ersten  Direktor  der  bisherige  Kustos 
am  k.  k.  österreichischen  Museum  für  Kunst  und  Industrie,  Herr  Dr.  Karl  Masner,  und 
zum  zweiten  Direktor  der  bisherige  Kustos  des  Museums  schlesischer  Altertümer,  Herr 
Dr.  Hans  Seger,  berufen  wurden. 

Am  27.  November  1899  wurde  die  in  allen  Teilen  fertig  gestellte  Anstalt  durch  den 

Oberbürgermeister  in  einer  feierlichen  Versammlung  von  Vertretern  des  Staats,  der  Provinz, 

der  Stadt,  der  Universität,  aller  beteiligten  Vereine  und  von  zahlreichen  Gewerbetreibenden 

und  anderen  Privatpersonen  eröffnet. 

Georg  Bender 


Schönfeld,  20.  August  18Q6. 
An  den  Magistrat  von  Breslau. 

Es  ist  meine  Absicht  gewesen,  meiner  Vaterstadt,  in  der  meine  Vorfahren  und  ich  durch  Arbeit 
und  Sparsamkeit  ihr  Vermögen  erworben  haben,  500000  Mark  letztwilHg  zu  gemeinnützigem  Zwecke  zu 
hinterlassen. 

So  wie  das  Schlesische  Museum  der  bildenden  Künste,  welches  seit  18  Jahren  besteht,  einen  unver- 
kennbaren Einfluss  auf  die  gedeihliche  Entwickelung  von  Breslau  ausübt,  so  würde  nach  meiner  Über- 
zeugung die  seit  langer  Zeit  von  weiten  Kreisen  erstrebte  Errichtung  eines  Kinistgewerbeniuseums  und 
einer  Kunstgewerbe-Zeichnenschule  in  Breslau  von  allgemeinem  Nutzen  sein  und  wesentlich  dazu  beitragen, 
das  erfreuliche  weitere  Aufblühen  unserer  Stadt  zu  fördern. 

Die  Provinz,  mit  deren  Hilfe  das  Museum  der  bildenden  Künste  entstanden  ist  und  welche  die 
Mittel  zu  dessen  Unterhaltung  gewährt,  wird  die  Errichtung  und  Erhaltung  eines  Kunstgewerbemuseums 
nicht  übernehmen.  Der  Staat  wird  es  auch  nicht  wollen  und  Vereine  erscheinen  dazu  ungeeignet.  Es 
wird,  wenn  das  Erstrebte  erreicht  werden  soll,  meines  Erachtens  notwendig  sein,  dass  die  Stadtgemeinde 
Breslau  dafür  eintritt. 

Während  die  Staatsregierung  jetzt  ein  erfreuliches  Entgegenkommen  zeigt,  den  kunstgewerblichen 
Unterricht  in  Breslau  zu  verbessern,  bietet  sich  zugleich  die  Gelegenheit,  ein  wie  mir  scheint  für  das 
Kunstgewerbemuseum  sehr  geeignetes  Gebäude  für  einen  massigen  Preis  zu  erwerben. 

Um  der  Stadt  die  Übernahme  des  Kunstgewerbemuseums  zu  erleichtern,  und  die  günstige  Ge- 
legenheit zur  Erwerbung  eines  geeigneten  Gebäudes  nicht  vorübergehen  zu  lassen,  zugleich  von  dem 
Wunsche  geleitet,  dem  Museum  der  bildenden  Künste,  welches  jetzt  dem  Museum  schlesischer  Altertümer 
Aufnahme  gewährt  hat,  eine  weitere  Entwickelung  zu  sichern,  bin  ich  bereit,  die  500000  Mark,  die  ich 
meiner  Vaterstadt  letztwillig  zugedacht  hatte,  schon  jetzt  herzugeben  unter  den  folgenden  Voraussetzungen: 

Die  Stadt  erwirbt  das  bisherige  Ständehaus  zur  ausschliesslichen  Verwendung  zu  einem  Kunst- 
gewerben! useiun  und  zur  Aufnahme  des  ganzen  Museums  schlesischer  Altertümer,  von  welchem  der  kunst- 
gewerbliche Teil  der  Sammlung  sich  kaum  abtrennen  lässt. 

Der  Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  tritt  zu  der  Stadt  in  dasselbe  Verhältnis,  in 
dem  er  jetzt  zu  der  Provinz  steht.  Den  Umbau  des  Ständehauses  zu  Museumszwecken  übernimmt 
die  Stadt. 


31 

Ich  nehme  an,  dass  der  Zentral-Oewerbe-Verein  die  100000  Mark,  welche  er  für  das  Kunstgewerbe- 
museum verwenden  will,  .ur  inneren  Einrichtung  desselben  und  zur  Beschaffung  einer  Sammlung  von 
Werken  und  Vorlagen  für  öffentliche  Benutzung  hergeben  wird.  Zeichnenklassen  für  Schüler  welche  auf 
der  hiesigen  Kunstschule  vorgebildet  worden  sind  und  für  Gewerbetreibende  und  deren  Gehilfen  wie 
Lehrlinge  dürften  im  zweiten  Stockwerk  des  Gebäudes  unterzubringen  sein.  Für  den  Unterhalt  dieses 
Teiles  der  Kunstgewerbeschule  wie  für  die  Lehrkräfte  und  Lehrmittel  würde  der  Staat  zu  sorgen  haben 

Was  die  dauernden  Geldmittel  betrifft,  welche  zur  Verwaltung  und  Vermehrung  des  Kunstgewerbe- 
museums erforderlich  sind,  so  rechne  ich  darauf,  dass  die  Provinz  die  etwa  7000  Mark,  welche  jetzt  schon 
zur  Verwaltung  des  Museums  schlesischer  Altertümer  auf  den  Etat  des  Museums  bildender  Künste  über- 
nommen sind,  und  die  5000  Mark,  welche  sie  schon  früher  dem  Altertumsmuseum  zugewendet  hat,  zu- 
sammen also  12000  Mark,  jährlich  auch  ferner  hergeben  wird. 

Der  übrige  jährliche  Bedarf,  insoweit  er  nicht  vom  Staat  und  von  Vereinen  zu  erlangen  wäre,  würde 
von  der  Stadt,  in  deren  Händen  die  Verwaltimg  liegen  müsste,  zu  tragen  sein. 

Einem  sehr  geehrten  Magistrat 

ergebenster 
(gez.:)  Heinrich  von  Korn. 

An  den  Magistrat  der  Königlichen  Haupt-  und  Residenzstadt  Breslau. 

Auf  die  sehr  geehrte  Zuschrift  vom  25.  d.  Mts.  erwidere  ich  ergebenst,  dass  ich  an  der  Erfüllung 
der  Bedingungen  b,  c,  d,  e  und  f,  mit  denen  von  der  Stadtverordneten-Versammlung  der  Antrag  des 
Magistrats  vom  10.  September  d.  J.,  betreffend  den  Ankauf  des  alten  Ständehauses  und  die  Errichtung 
eines  Kunstgewerbemuseums,  angenommen  worden  ist,  nicht  zweifle  und  mich  deshalb  jetzt  schon  ver- 
pflichte, bei  der  Übergabe  und  Auflassung  des  alten  Ständehaus-Gruudstücks  an  die  Stadtgemeinde  die 
von  mir  zugesagte  Zuwendung  im  Betrage  von  Fünfhunderttausend  Mark  durch  Zahlung  an  die  Stadt- 
Haupt-Kasse  zu  machen. 

Mit  dem  Ausdruck:  „die  Stadt  erwirbt  das  bisherige  Ständehaus  zur  ausschliesslichen  Verwendung 
zu  einem  Kunstgewerbemuseum  etc."  habe  ich  nur  sagen  wollen,  dass  nicht  Teile  dieses  Gebäudes  ver- 
mietet oder  zu  anderen  Zwecken  verwendet  werden  sollen,  ich  bin  aber  damit  einverstanden,  dass  das  alte 
Standehaus  anderweitig  verwendet  oder  verwertet  wird,  wenn  einst  von  der  Stadtgemeinde  ein  grösseres 
Gebäude  errichtet  oder  an  anderer  Stelle  für  die  jetzt  vereinigten  Museen  hergegeben  werden  sollte. 

Wenn  ferner  meine  Voraussetzung,  dass  der  Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  zu  der 
Stadt  in  dasselbe  Verhältnis  tritt,  in  dem  er  jetzt  zur  Provinz  steht,  Bedenken  erregt  hat,  so  konstatiere 
ich.  dass  damit  die  Auflösung  des  Vertrages  zwischen  dem  Kuratorium  des  Museums  der  bildenden  Künste 
und  dem  Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  vom  29.  Januar  1895  und  der  Übergang  der  für 
die  Provinz  übernommenen  Verpflichtungen  an  die  Stadtgemeinde  gemeint  ist,  dass  ich  aber  die  Freiheit 
der  städtischen  Behörden  in  der  künftigen  bestmöglichen  Ordnung  und  Verwaltung  beider  Museen  nicht 
habe  beschränken  wollen. 

Einem  sehr  geehrten  Magistrat 

ergebenster 
(gez.:)  Heinrich  von  Korn. 

Wegen  Überführung  der  zur  Zeit  im  Museum  schlesischer  Altertümer  hierselbst  untergebrachten, 
der  hiesigen  Universität  gehörigen  Sammlung  germanisch-slawischer  Ürab-Altertümer,  sowie  chrisdicher  und 
moderner  Kiinstgegenstände  und  moderner  Münzen  in  das  zu  errichtende  Schlesische  Museum  für  Kunst- 
gewerbe und  Altertum  hierselbst,  wird  zwischen  dem  Kurator  der  Königlichen  Universität  Breslau  namens 
der  letzteren  einerseits  und  dem  Magistrat  zu  Breslau  namens  der  Stadtgemeinde  Breslau  andererseits 
folgender  Vertrag  abgeschlossen. 

§  1.  Die  zur  Zeit  in  dem  Museum  schlesischer  Altertümer  befindliche,  der  Königlichen  Universität  zu 
Breslau  gehörige  und  auf  Grund  des  Vertrages  vom  26.  April  (10.  Oktober)  1802  dem  schlesischeu  Altertums- 


32 

Verein  übergebene  Saiiiinliing  germanisch-slawischer  Orab-Altcrtiinier  sowie  christhcher  iiiul  inuderiier  Kiiiist- 
Alfertümer  und  moderner  Münzen  samt  den  dazu  gehörigen  Utensilien  und  Katalogen  wird  nach  Fertig- 
stellung des  Schlesischen  Museums  für  Kunstgewerbe  und  Altertum  in  dasselbe  überführt  und  an  die  Stadt- 
gemeinde Breslau  unter  Vorbehalt  des  der  Königlichen  Universität   zustehenden  Eigentums  übergeben. 

{j  2.  Die  Königliche  Universität  ist  zu  jeder  Zeit  berechtigt,  die  Rückgewahr  der  ganzen  Sanuulung 
oder  einzelner  Teile  derselben  zu  fordern. 

§  3.  Die  Stadtgenieinde  Breslau  hat  die  Rechte  und  Pflichten  eines  Verwesers  in  Oemässheit  der 
in  den  §§  9  ff.,  Titel  14,  Teil  I  Allgemeinen  Landrechts  enthaltenen  Bestimmungen.  Ihr  liegt  die  Sorge 
für  die  Konserviening,  Anordiunig  imd  Aufstellung  der  Sammlung  ob. 

§  4.  Dozenten,  Studierende  und  Beamte  der  hiesigen  Königlichen  Universität  geniessen  unentgelt- 
lichen Eintritt.  Den  Lehrern  der  hiesigen  Universität  steht  ausserdem  die  Benutzung  der  Sammlung  für 
etwaige  Vorlesungen  frei. 

§  5.  Die  Translozierung  der  Sammlung  in  ein  anderes  Gebäude  oder  die  Vornahme  grösserer 
Veränderungen  an  der  Sammlung  z.  B.  Restauration  etc.  sind  nur  mit  Genehmigung  des  Universitäts- 
Kurators  zulässig. 

§  6.  Ein  auf  Vorschlag  des  akademischen  Senats  von  dem  Universitäts-Kurator  zu  ernennender 
Professor  der  hiesigen  Universität  erhält  Sitz  und  Stimme  in  der  Verwaitungs-Deputation  des  Schlesischen 
Museums  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer. 

Breslau,  den  10.  Dezember  18QS.  Breslau,  den  3.  Dezember  1898. 

(L.  S.)  (L.  S.) 

Der  Magistrat  hiesiger  Königlichen  Haupt-  und  Der  Universitäts-Kurator. 

Residenzstadt.  In  Vertretung, 

(gez.:)     G.  Bender.        Milch.  (gez.:)    v.  Haugwitz. 


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Radieiuni;  von  II.  Wolfl 


Druck  von  W'etlermh,  München 


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33 


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Oartenansicht  des  schlesischen  Museums  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer 


DAS  MUSEUMSGEBAUDE 


Mit  der  hochherzigen  Schenkung  des  Stadtältesten  Dr.  v.  Korn,  die  der  Stadt  Breslau 
die  lang  ersehnte  Gründung  eines  Kunstgewerbemuseums  ermöglichte,  war  die  Be- 
dingung verknüpft,  dass  sie  zu  diesem  Zwecke  das  ehemalige  Ständehaus  der  Provinz 
Schlesien  ankaufe  und  umbaue.  Die  Lage  dieses  Gebäudes  an  dem  grossen  Exerzierplatze, 
den  ausser  ihm  noch  das  königliche  Schloss,  das  Stadttheater  und  Gouvernements-Gebäude 
umgeben,  unweit  der  wichtigsten  Verkehrsader  von  Breslau  und  inmitten  eines  ver- 
kehrsreichen Stadtteiles,  ist  die  denkbar  günstigste  für  ein  Kunstgewerbemuseum, 
wenigstens  wenn  man  die  anderen  Plätze  vergleicht,  an  die  man  in  den  verschiedenen 
Unterhandlungen,  die  der  Gründung  des  Museums  vorausgingen,  gedacht  hatte,  das  Ohlau- 
ufer,  die  Teichäcker,  die  Gasanstalt  11,  die  Matthiasinsel,  die  eine  Verlegung  des  Institutes 
aus  dem  Zentrum  der  Stadt  erfordert  hätten. 

Das  ehemalige  Ständehaus  ist  ein  schlichter,  nüchterner  Bau  aus  den  40er  Jahren 
unseres  Jahrhunderts,  das  Werk  eines  unbekannten  Architekten.  Die  Wahl  eines  vor- 
handenen Gebäudes,  das  in  allen  wesentlichen  Bestandteilen  erhalten  bleiben  sollte,  ergab 
von  vornherein  die  Uninöglichkeit,  allen  Bedürfnissen  eines  Museums  gerecht  zu  werden. 


34 

Aber  wenn  schon  die  Verhältnisse  einen  Neubau  ausschlössen,  war  es  noch  das  Beste, 
dass  der  Umbau  ein  Gebäude  betraf,  das  einerseits  früher  schon  öffentlichen  Zwecken 
gedient  hatte,  also  eine  ganze  Reihe  von  Voraussetzungen  für  ein  Museum  erfüllte,  ander- 
seits anspruchslos  genug  war,  einschneidende  Veränderungen  zu  vertragen. 

Die  Feststellung  der  Gesichtspunkte  für  die  Umgestaltung  war  einer  Baukommission 
übertragen,  die  aus  den  Herren  Oberbürgermeister  Bender,  Geheimrat  Dr.  Grempler,  Baumeister 
Heintze,  Stadtältester  v.  Korn,  Geheimraf  Dr.  Weisser,  Baurat  Plüddemann,  Ratsmaurermeister 
Simon  I  und  Geheimrat  Dr.  Websky  bestand.  Die  Ausführung  lag  in  den  Händen  des 
Herrn  Bauinspektors  Friese  unter  Oberleitung  des  Herrn  Baurates  Plüddemann.  Zwei 
Punkte  waren  bei  der  Adaptierung  in  erster  Linie  zu  beachten.  Einmal  galt  es,  die  vor- 
handenen Räume  so  herzurichten,  dass  sie  für  Museumszwecke  wirklich  brauchbar  wurden, 
d.  h.  kleinere  Zimmer  durch  Entfernung  von  Zwischenwänden  zu  grösseren  umzugestalten 
und  vor  allem  ausreichende  Beleuchtung  überall  dort  zu  schaffen,  wo  sie  nur  mangelhaft 
oder  wenigstens  für  Ausstellungszwecke  in  ungenügendem  Masse  vorhanden  war.  Ander- 
seits war  es  notwendig,  die  Anzahl  der  Räume  für  Sammlungen  zu  vergrössern.  So 
wurde  in  höchst  dankenswerter  und  glücklicher  Weise  ein  Teil  des  Kellergeschosses  in 
helle,  grosse  Ausstellungssäle  verwandelt.  Hier  wie  im  Erdgeschoss  erhielten  die  Fenster 
Spiegelscheiben  ohne  jede  Sprossenteilung.  Daneben  gingen  andere  Änderungen,  die  die 
Brauchbarkeit  des  Gebäudes  wesentlich  erhöhten.  Der  früher  an  der  Ostseite  vorhandene 
Haupteingang  wurde,  weil  er  nicht  an  offener  Strasse  lag,  samt  der  daran  stossenden 
Einfahrtshalle  aufgegeben,  deren  Fussboden  auf  die  Höhe  des  Erdgeschosses  gehoben 
und  unterkellert.  Hierdurch  wurde  die  frühere,  sehr  störende  Trennung  des  Erdgeschosses 
durch  die  ehemalige  Durchfahrt  beseitigt.  Jetzt  liegt  der  Haupteingang  an  der  Graupenstrasse 
und  führt  unmittelbar  in  den  mit  einem  doppelten  Glasdach  versehenen  Lichthof.  Eine  weitere 
Lebensfrage  für  das  Museum  wurde  dadurch  in  befriedigender  Weise  gelöst,  dass  im  ersten 
Stockwerke,  das  nur  Sammlungsräume  enthält,  ein  vollständiger  Rundgang  ermöglicht  ist. 

Besondere  Sorgfalt  wendete  die  Bauleitung  auch  den  Einrichtungen  für  die  Beheizung 
und  Beleuchtung  des  Gebäudes  zu.  Das  Kellergeschoss  wird  durch  Warmwasserheizung 
erwärmt,  alle  übrigen  Räume,  einschliesslich  der  Treppenhäuser  und  des  Lichthofes,  haben 
Dampf-Niederdruck-Heizung  erhalten.  Die  vorhandene  Gasbeleuchtung  wurde  entfernt 
und  durch  elektrische  Beleuchtung  ersetzt.  Sie  ist  nicht  nur  im  Lichthofe,  den  Treppen- 
häusern, der  Bibliothek,  den  Büreauräumen  und  den  Sälen  für  wechselnde  Ausstellungen 
im  zweiten  Stockwerke  eingeführt,  sondern  auch  in  den  eigentlichen  Sammlungsräumen, 
hier  allerdings  zunächst  nur  als  Notbeleuchtung,  so  dass  unser  ganzes  Museum  ohne 
Schwierigkeit  auch  dem  Abendbesuche  geöffnet  werden  kann.  Das  wird  ja  auch  geschehen, 
sobald  das  Bedürfnis  dafür  rege  wird. 

Im  Juli  18Q7  war  mit  dem  Umbau  begonnen  worden,  anfangs  18QQ  war  er  vollendet. 
Die  Museumsdirektion  konnte  dann  an  die  innere  Einrichtung  schreiten.  Die  Stadt  stellte  aus 
direkten  Zuschüssen  und  aus  dem  Fond  von  100000  Mark,  den  der  Schlesische  Zentral- 
Gewerbeverein  gestiftet   hatte,   hinreichende  Mittel  zur  Verfügung,  um  eine  würdige,  allen 


35 


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Partie  aus  dem  Lichthofe  mit 
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36 

modernen  Anforderungen  entsprechende  Aufstellung  der  Sammlungen  zu  erzielen. 
Eine  Kommission,  bestehend  aus  den  Herren  Baurat  Plüddemann,  Bauinspektor  Friese 
und  Dr.  Seger  hatte  dafür  auf  einer  Studienreise  in  vielen  anderen  Anstalten  wertvolle 
Erfahrungen  gesammelt,  die  der  endgültigen  Beschlussfassung  und  Ausführung  zu  gute 
kamen.  Die  Zeit,  die  nach  der  Ernennung  des  1.  Direktors  für  die  Einrichtungsarbeiten  des 
ganzen  Hauses  bis  zu  seiner  Eröffnung  zur  Verfügung  stand,  war  sehr  knapp  bemessen, 
um  so  mehr  ist  die  Direktion  verpflichtet,  dankbar  anzuerkennen,  dass  Herr  Bauinspektor 
Friese  alle  unsere  von  Tag  zu  Tag  sich  häufenden  Wünsche  in  unverdrossener  Liebens- 
würdigkeit erfüllte  und  dass  die  Möbelfabrik  der  Gebrüder  Bauer,  die  den  grössten  Teil 
der  Tischlerarbeiten  auszuführen  hatte,  ihren  Verpflichtungen  mit  grösster  Gewissen- 
haftigkeit und  Pünktlichkeit  nachkam. 

Alles  in  Allem  genommen,  braucht  man  nicht  sonderlich  darüber  zu  klagen,  dass 
das  schlesische  Museum  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer  keinen  Prachtbau  erhalten  hat. 
Das  ehemalige  Ständehaus  macht  nach  dem  Umbau  im  Innern  einen  behaglichen,  intimen 
Eindruck.  Der  Lichthof,  dessen  Wände  interessante  Grabsteine,  architektonische  Frag- 
mente, Steinreliefs,  Wappen  und  Gemälde  schmücken,  ist  ein  stimmungsvoller  Raum 
geworden,  das  Treppenhaus  wirkt  namentlich  bei  elektrischer  Beleuchtung  mit  den  gold- 
schimmernden gotischen  Holzskulpturen  und  den  grossen  Teppichen  und  Gobelins,  die 
hier  dekorative  Aufstellung  gefunden  haben,  imposant  und  malerisch  und  beim  Durch- 
schreiten der  Sammlungs-  und  Ausstellungsräume  vom  Kellergeschoss  an  bis  zum 
2.  Stockwerk  empfindet  man  es  als  eine  Wohlthat,  dass  nirgends  eine  aufdringliche  Aus- 
stattung den  Blick  von  dem  Inhalte  der  Räume  ablenkt.  Nur  einen  Mangel  konnte  der 
Umbau  nicht  gutmachen,  das  ist,  dass  die  Haupttreppe  zum  ersten  Stockwerke  keine 
unmittelbare  Fortsetzung  und  Fortführung  in  das  2.  Stockwerk  hat.  Dem  Besucher  wird 
dadurch  die  Orientierung  in  dem  Gebäude  nicht  gerade  erleichtert.  Hoffentlich  wird  die 
Zukunft  auch  diesem  Übelstand  abhelfen,  wenn  das  Museum  eine  Vergrösserung  erfährt. 
Trotzdem  es  für  die  Sammlungen  und  wechselnde  Ausstellungen  nicht  weniger  als 
29  Räume  besitzt,  fängt  es  jetzt  schon  an,  da  und  dort  sich  beengt  zu  fühlen.  Die 
nächste  jetzt  schon  geplante  Raumvermehrung  ergiebt  sich  im  Innern  des  Gebäudes  durch 
eine  Unterteilung  des  grossen,  gegenwärtig  durch  zwei  Stockwerke  gehenden  ehemaligen 
Ständesaales,  durch  die  im  2.  Geschosse  neue  Räume  gewonnen  würden.  Wenn  auch 
danach  die  Platzfrage  aufs  neue  brennend  wird,  bietet  sich  das  Gartenareal  des  Museums 
zu  ausgiebiger  Vergrösserung  des  Gebäudes  dar. 


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37 


Teil  eines  Barettschmuckes  aus  Gold  mit  Steinen,  16.  Jahrhundert 


ÜBERBLICK    ÜBER    DIE   SAMMLUNGEN 


Kein  deutsches  Kunstgewerbemuseum  besitzt  so  mannigfache,  verschiedenartige 
Sammlungen  wie  das  Breslauer.  In  anderen,  selbst  kleineren  Städten,  bilden  die  ent- 
sprechenden Gruppen  den  Inhalt  mehrerer  Museen.  Und  wäre  es  schon  in  den  70er 
oder  80er  Jahren  des  IQ.  Jahrhundertes  in  Breslau  zur  Gründung  eines  Kunstgewerbe- 
museums gekommen,  hätte  man  gewiss  aus  den  Sammlungen  des  Vereines  für  das 
Museum  schlesischer  Altertümer  ganze  Abteilungen  nicht  aufgenommen.  Jetzt  aber  ist 
an  die  Stelle  des  ästhetischen  Purismus,  der  in  den  Kunstgewerbemuseen  lediglich  Vor- 
bilder für  das  zeitgenössische  Schaffen  in  historischen  oder  technischen  Entwicklungs- 
reihen vorführte,  die  Anschauung  zum  Durchbruche  gekommen,  dass  der  Begriff  dieser 
modernen  Sammelstätten  nicht  zu  eng  gefasst  werden  dürfe,  dass  die  Erzeugnisse  des  so- 
genannten Kunstgewerbes  als  Produkte  bestimmter  kultureller  Bedingungen  einen  grösseren 
Rahmen  vertragen,  ja  verlangen.  Die  grossen  Kunstgewerbemuseen  werden  freilich  aus 
zwingenden  äusserlichen  Gründen  voraussichtlich  bei  der  bisherigen  Beschränkung  ihrer 
Sammelthätigkeit  beharren  müssen.  Die  kleineren  Anstalten  jedoch,  besonders  die  in  den 
Provinzialhauptstädten,  müssen  ihre  Bedeutung  für  die  Volksbildung  und  die  Wissenschaft 
vor  allem  darin  suchen,  dass  sie  von  der  früheren  Kultur  der  engeren  Heimat  ein  möglichst 
übersichtliches  Bild  geben.  Es  war  daher  für  unser  neugegründetes  Museum  nicht  eine 
Last,  sondern  ein  erwünschtes  Glück,  dass  es  von  seinem  Vorgänger,  dem  Museum 
schlesischer  Altertümer,  den  ganzen  Inhalt  übernehmen  konnte,  alle  sechs  Hauptabteilungen 
seines  Kataloges  d.  i.  1.  die  ur-  imd  frühgeschichtliche  (Grabaltertümer,  Ansiedlungsreste), 
2.  die  kirchliche  (Bilder,  Holzbildhauerei,  Kirchengerät),  3.  die  ritterlich-militärische  (Kriegs-, 
Jagd-  und  Scheibenwaffen,  Uniformen),  4.  die  für  bürgerliche  oder  häusliche  Altertümer 
(Kunstgewerbliches,  Kleidung,  Musikalien,  Gerichtsaltcrtümer  etc.),  5.  die  architektonische 
(Bauteile  und  Grabsteine),  6.  Siegel,  Münzen,  Abbildungen,  Urkunden.  Alle  diese  Ab- 
teilungen waren  grösstenteils  aus  Schlesien  zusammengebracht,  nicht  schlesisches  hatte 
man  mir  als  Vergleichmaterial  aufgenommen.    Nur  bei  der  vierten  hatte  man  von  dem  Augen- 


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blicke  an,  wo  in  Breslau  die  Gründling  eines  Kunstgewerbemuseums  in  Aussicht  stand, 
sich  im    grösseren  Massstabe  auch    auf    die  Erwerbung  auswärtiger  Gegenstände  verlegt. 

Denn  es  war  vorauszusehen,  dass  das  zukünftige  Kunstgewerbemuseum  bei  seiner 
Sammeithätigkeit  nicht  bei  den  Grenzen  Schlesiens  Halt  machen  würde.  So  sehr  es  den 
bodenständigen  Charakter  seiner  Sammlungen  betont  und  pflegen  will,  darf  es  nicht  aus- 
schliesslich Landesmuseum  bleiben.  Es  ist  durchaus  verfehlt,  von  den  Kunstgewerbe- 
museen in  den  Provinzialhauptstädten  zu  verlangen,  dass  sie  sich  für  ihre  Sammeithätigkeit 
einen  geographischen  oder  chronologischen  Ausschnitt  aus  der  Einheit  des  alten  Kunst- 
handwerkes zurechtstutzen  sollen.  Auch  uns  gehört  die  volle  Welt,  auch  wir  wollen  von 
ihr  ein  Teil  haben,  um  uns  daran  zu  erfreuen  und  von  ihm  zu  lernen,  um  herauszukommen 
aus  aller  Engheit  und  Beschränktheit  des  Kunstverständnisses.  Und  unser  Kunsthandwerk 
verlangt  erst  recht  solche  Anregung  und  Erweiterung  des  Gesichtskreises.  Es  darf  daher 
in  unseren  Sammlungen  kein  Höhepunkt  in  der  Geschichte  des  Kunsthandwerkes  fehlen 
von  der  Antike  an  bis  zur  Kunst  Persiens,  Chinas  und  Japans. 

Das  frühere  Museum  hatte  als  ein  Altertumsmuseum  eigentlich  nur  die  Einteilung 
nach  der  Gebrauchsbestimmung  der  Gegenstände  gekannt.  In  dem  neuen  Museum  aber, 
das  in  erster  Reihe  ein  Kunstinstitut  ist,  mussten  sich  die  Sammlungen  zu  einer  höheren 
Einheit  zusammenschliessen.  Einerseits  sollte  die  Entwicklung  des  gesamten  Kunst- 
gewerbes dargestellt,  anderseits  ein  Bild  des  früheren  Kulturlebens  unserer  Provinz,  ge- 
wissermassen  das  Milieu,  in  dem  das  Kunstgewerbe  hier  aufwuchs,  gegeben  werden.  Dazu 
musste  die  Einteilung  und  Anordnung,  wenn  man  von  der  prähistorischen  Sammlung  ab- 
sieht, einen  Höhen-  und  einen  Querschnitt  durch  das  ganze  Material  machen.  Der 
Höhendurchschnitt  ergiebt  die  Einteilung  nach  den  Stilen,  der  Querdurchschnitt  nach 
gegenständlichen  Gruppen.  In  den  letzteren  werden  bestimmte  menschliche  Einrichtungen 
und  Sitten,  wie  z.  B.  das  Zunftwesen,  das  Kriegswesen,  Kleidung,  Spiel,  Musik  etc.  als 
solche  zusammengefasst,  mit  allen  ihren  Äusserungen,  ob  sie  nun  einen  künstlerischen 
Charakter  an  sich  tragen  oder  nicht.  Wie  diese  Gruppen  gewisse  Voraussetzungen  und 
Grundlagen  für  die  Entwicklung  des  Kunstgewerbes  repräsentieren,  hat  eine  weitere  die 
Aufgabe,  von  dem  Aussehen  der  wichtigsten  Heimstätte  der  Kunst  in  unserer  Provinz, 
der  Physiognomie  des  alten  Breslau,  eine  Vorstellung  zu  geben. 

Die  Raumverhältnisse  des  Museums  gestatteten  es,  das  System  der  Sammlungen 
in  der  Aufstellung  scharf  und  deutlich  zum  Ausdruck  zu  bringen. 

Das  Kellergeschoss  enthält   die  urgeschichtliche  Sammlung, 
das  Erdgeschoss  die  kulturgeschichtliche   Sammlung, 

das  I.  Stockwerk  die  Sammlung  des  alten  Kunstgewerbes, 

das  II.  Stockwerk  die  Sammlung  modernen  Kunstgewerbes. 


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3Q 


DIE  URGESCHICHTLICHE  SAMMLUNG 


Gleich  dem  übrigen  Ost-Deutschland  tritt  Schlesien  sehr  spät  in  die  Geschichte 
ein.  „Das  ganze  erste  Jahrtausend  der  christlichen  Zeitrechnung,"  sagt  Grünhagen,  „ist 
für  unser  Schlesien  ein  weisses  unbeschriebenes  Blatt."  Dieses  Blatt  auszufüllen,  und 
mehr  noch,  den  Spuren  des  Menschen  nachzugehen  bis  zu  dem  Zeitpunkt,  wo  er  zuerst 
den  Boden  unserer  Heimat  betreten  hat,  ist  die  Aufgabe  der  Urgeschichtsforschung.  Ihre 
Quellen  sind  die  im  Erdenschoss  gefundenen  Erzeugnisse  der  Menschenhand,  ihre  Archive 
die  prähistorischen  Sammlungen.  Das  Breslauer  Museum  ist  die  Zentral-Sammelstelle  für 
alle  schlesischen  Funde.  Ausserschlesische  finden  nur  Aufnahme,  soweit  sie  zur  Er- 
klärung der  schlesischen  wichtig  sind. 

Die  urgeschichtliche  Abteilung  des  Museums  ist  in  vier  Sälen  des  Kellergeschosses 
aufgestellt.  Die  Anordnung  ist  einerseits  chronologisch,  insofern  die  einzelnen  Kultur- 
perioden auseinandergehalten  sind,  anderseits  topographisch,  insofern  innerhalb  jeder 
Periode  die  landschaftliche  Einteilung  der  Provinz  in  Regierungsbezirke,  Kreise  und  Ort- 
schaften durchgeführt  ist.  Obwohl  der  verfügbare  Raum  reichlich  dreimal  so  gross  ist 
wie  der  im  alten  Museum,  so  genügt  er  doch  schon  jetzt  kaum  zu  einer  übersichtlichen 
Aufstellung    des   Vorhandenen,    geschweige    denn    zur    Unterbringung    umfänglicher  Neu- 


Orundriss  des  Kellergescliosscs 


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crvverbiingen.  Es  wird  deshalb  eine  Zweiteilung  der  Sammlung 
beabsichtigt.  Ausgestellt  werden  soll  künftig  nur  eine  Auswahl 
typischer  Funde,  die  ohne  durch  eine  übermässige  Fülle  zu  ver- 
wirren, dem  Laien  ein  klares  Bild  von  der  Entwicklung  unserer 
vorgeschichtlichen  Kultur  zu  verschaffen  geeignet  ist.  Alles  übrige 
wird  zu  Studienzwecken  für  Spezialforscher  in  Nebenräumen 
untergebracht  werden. 

SAAL  I.  Das  häufige  Vorkoniiiieii  diluvialer  Tierreste  in  Schlesien 
legt  die  Vermutung  nahe,  dass  auch  der  Mensch  schon  zur  Quartärzeit 
eingewandert  sei.  In  den  Gebirgshöhlen  und  den  Lösslagern  des  benach- 
barten Galiziens,  Mährens  und  Böhmens  haben  sich  zahlreiche  Spuren  seiner 
Anwesenheit  bestehend  in  zerschlagenen  und  bearbeiteten  Tierknochen  und 
roh  zugehauenen  Feuerstein-Werkzeugen  erhalten.  Proben  davon,  die  von 
den  Ausgrabungen  Ferdinand  Roemers  und  O.  Qrubes  bei  dem  galizischen 
Dorfe  Ojcow  und  von  den  Mammutlagern  bei  Pfedmost  in  Mähren  stammen, 
sind  an  der  Eingangswand  ausgestellt.  Dort  befinden  sich  auch  die  bisher 
einzigen  Beweisstücke  für  die  E.xistenz  des  diluvialen  Menschen  in  Schlesien: 
drei  in  einer  Kiesgrube  bei  Mondschütz,  Kreis  Wohlau,  gefundene  Qeweih- 
stangen  des  Edelhirsches  mit  deutlichen  Spuren  der  Bearbeitung. 

Jahrtausende  mögen  dahingegangen  sein,  bis  der  Mensch  sich  in  den 
Besitz    der  Kultur  gesetzt  hatte,  die  man  als  neolithisch  bezeichnet. 

Der  Mensch  der  jüngeren  Steinzeit  war  Fischer  und  Jäger,  hielt  sich  Haustiere  und  trieb  auch  bereits 
einen  primitiven  Ackerbau.  Seine  Herdfeuer  brannten  in  mulden-  oder  kesseiförmigen  Gruben,  die  man  an 
ihrer  Füllung  mit  dunkler,  holzkohledurchsetzter  Erde  und  allerlei  Haushaltungsresten  leicht  erkennen  kann. 
Solche  Ansiedelungsplätze  sind  namentlich  in  der  Gegend  um  Ratibor  häufig  beobachtet  worden.  Die 
ergiebigste  Fundstelle  liegt  bei  der  Kolonie  Ottitz  (Wandschrank  3).  Das  Museum  besitzt  von  dort 
ungeheure  Mengen  von  Feuersteingeräten,  wie  Pfeilspitzen,  Messer,  Schaber,  Sägen,  Pfriemen,  A.xte  und 
beim  Absprengen  der  Späne  zurückgebliebene  Kernstücke  (nuclei).  Offenbar  hatte  das  natürliche  Vor- 
kommen des  Feuersteins  in  jener  Gegend  ein  Zentrum  der  Fabrikation  entstehen  lassen.  Dass  man  aber 
das  Rohmaterial  auch  schon  auf  dem  Handelswege  von  weit  her  bezog,  beweisen  die  gleichfalls  aus  Ottitz 
stammenden  Obsidiangegenstände,  einem  Mineral,  dessen  nächster  Fundort  Nordungarn  ist.  Neben  diesem 
auf  Tafeln  aufgereihten  Kleingerät  enthalten  die  Ansiedelungsfunde  wuchtige  Hämmer  mit  Schaftloch, 
rundliche  Steine  zum  Zermalmen  des  Korns,  Hacken  aus  Hirschhorn  und  Knochennadeln.  Ein  dicker 
Wirtel  aus  rotgebranntem  Thon  bezeugt,  dass  die  Kunst  des  Spinnens  geübt  wurde;  die  Töpferei  ist  durch 
schalen-  und  becherförmige  Gefässe  vertreten.  Einige  davon  tragen  eigentümliche  Verzierungen,  deren 
Motiv  eine  in  den  weichen  Thon  eingedrückte  Schnur  bildet. 

Eine  bessere  Vorstellung  von  der  neolitischen  Keramik  geben  jedoch  die  Grabfunde.  Sie 
sind  über  die  ganze  I'rovinz  verbreitet,  am  häufigsten  jedoch  in  Mittelsclilesien.  Die  allgemein 
übliche  Bestattungsweise  war  die  Beerdigimg  unverbrannter  Leichen  in  hockender  Lage.  Als 
Beigaben  dienten  Thongefässe  und  Steinwaffen,  ein  Beweis,  dass  dem  damaligen  Menschen 
der  Glaube  an  ein  Fortleben  nach  dem  Tode  nicht  mehr  fremd  war.  Die  Gefässe  sind  von  gefälliger 
Form  und  teilweise  ausserordentlich  reich  verziert.  Besonders  schöne  Beispiele  enthalten  die  Funde  von 
Woischwitz  bei  F5reslau  und  Bschanz  bei  Dyhernfurtli. 

Die  Mehrzahl  aller  Steingeräte,  die  wir  besitzen,  sind  einzeln  ins  Museum  gelangt  (Mittelschrank  4), 
wenn  auch  gewiss  viele  davon  als  Grabbeigaben  aufzufassen  sind,  deren  Begleitstücke  von  den  Findern 
nicht  beachtet  wurden.  Unter  ihnen  befinden  sich  einige  Stücke,  die  durch  grosse  technische  Vollendung 
Interesse    erregen,    wie  der  ScrptMitinhannner  aus    Leimerwitz,    Kreis  Leobschütz,    der  auf  drei  Seiten    mit 


41 


parallelen  und  sich  kreuzenden  Furchen  verziert  ist,  gleichsam  zur  Andeutung  der  Schnur,  womit  das  Werk- 
zeug am  Holzstiele  befestigt  wurde.  Andre  Stücke  sind  durch  ihr  Material  merkwürdig.  So  ein  bei  Deutsch- 
Breile,  Kreis  Brieg,  gefundenes  Beil  aus  schlesischem  Nephrit,  jenem  wegen  seiner  Härte  und  Zähigkeit  in 
der  nietalllosen  Zeit  hochgeschätzten  Mineral,  für  das  man  bis  zur  Entdeckung  der  Jordansniühler  Nephrit- 
brüche keine  europäische  Bezugsquelle  ausfindig  gemacht  hat.  Noch  seltener  ist  ein  kleines  schwarzes  Beil 
aus  Chloromelanit,  geftmden  an  der  schlesisch-posenschen  Grenze  bei  Zmyslona,  Kreis  Kempen.  Dieses 
Gestein  ist  bisher  überhaupt  nur  in  bearbeiteten  Stücken  bekannt. 

Gegen  das  Ende  der  Steinzeit  lernt  der  Mensch  als  erstes  Metall  das  in  gediegenem  Zustande 
vorkommende  Kupfer  kennen.  In  Gräbern  von  sonst  durchaus  neolithischeni  Gepräge,  wie  z.  B.  denen 
von  Jordansniühl,  Kreis  Niniptsch,  und  Ottwitz,  Kreis  Strehlen,  hat  man  neben  Stein-  und  Knochengeräten 
auch  solche  aus  gehämmertem  Kupfer  gefunden  (Fenster-Schaukasten  5).  Die  kupfernen  Beile  aus 
Frömsdorf  und  Nieder-Kunzendorf,  Kreis  Münsterberg,  und  Krehlau,  Kreis  Wohlan,  sind  in  ihrer  Form 
sichtlich  den  entsprechenden  Steinwerkzeugen  nachgebildet.  Immerhin  sind  Gegenstände  aus  reinem  Kupfer 
so  selten,  dass  dessen  Verwendung  auf  eine  verhältnismässig  kurze  Übergangszeit  beschränkt  gewesen  sein 
muss.  Vom  Orient  her  nahm  die  Bronze  ihren  Siegeslauf  über  die  alte  Welt,  um  durch  ein  Jahrtausend 
die  Herrschaft  zu  behaupten.  Mittelpunkte  der  Bronzekultur  in  Mittel-  und  Nordeuropa  waren  die  Schweiz, 
Ungarn  und  Skandinavien.  Manche  von  den  schlesischen  Bronzen  tragen  die  Kennzeichen  des  Imports.  Hierher 
gehören  z.  B.  (Fenster-Schaukasten  6)  das  prächtige  Schwert  aus  Jägerndorf,  Kreis  Brieg,  die  beiden  Axt- 
hämmer aus  Rosenthal,  Kreis  Schweidnitz,  und  Gleinau,  Kreis  Wohlau  (Abb.  auf  S.  40),  und  die  grosse 
Schweidnitzer  Brustspange,  eines  der  stattlichsten  Stücke  seiner  Art.  Alle  diese  Geräte  sind  mit  sehr  feinen 
eingepunzten  Mustern  bedeckt  und  meist  durch  eine  schöne  blaugrüne  Patina  ausgezeichnet.  Gleichzeitig 
mit  der  Bronze  wird  auch  das  Gold  zu  Schmuckzwecken  in  Form  von  Drahtgewinden  verwendet.  Beispiele 
sind  die  Armspiralen  aus  Halbendorf  bei  Oppeln  und  die  beiden  seltsam  geformten  Fingerringe  ans 
Tschanschwitz,  Kreis  Strehlen,  die  vielleicht  zum  Schutze  des  Daumenmuskels  beim  Abschnellen  der  Bogen- 
sehne getragen  wurden. 

Eine  Eigentümlichkeit  der  Bronzezeit  sind  die  Schatzfunde  (Mittelschrank  7).  Man  findet  im  Erd- 
boden oder  im  Moor  versenkt  mitunter  grössere  Mengen  bronzener  Gerätschaften  wie  Beile,  Sicheln,  Lanzen- 
spitzen imd  Ringe,  die  der  einstige  Besitzer  wohl  in  Zeiten  der  Gefahr  oder  als  Weihgaben  verborgen  haben 
mag.  Dergleichen  Massenfunde  besitzt  das  Museum  über  dreissig.  Einer  der  interessantesten  ist  der  von 
Lorzendorf,  Kreis  Namslau.  Er  enthält  3  gerippte  Eimer  mit  Doppelhenkeln,  2  Pferdegebisse,  2  kunstvoll 
gearbeitete  Ketten,  44  sternförmige  und  6  andere  Riemenbeschläge  und  3  grosse  hohle  Ringe.  Die  Heimat 
dieser  Dinge  ist  in  Italien  zu  suchen,  ihre  Entstehungszeit  etwa  das  die  Mitte  des  1.  Jahrtausends  v.  Chr. 
Südlichen  Ursprungs  sind  auch  der  schöne  Kessel  aus  Sulau  und  der  merkwürdige,  mit  Vogelfiguren  besetzte 
Wagen  aus  Oberkehle  (Abb.  S.  42),  in  dem  man  wohl  mit  Recht  ein  Kultusgerät  erblickt  hat. 

SAAL  1,  2  lind  3.  Mit  den  zuletzt  erwähnten  Gegenständen  eines  südländischen  Imports  sind 
wir  eigentlich  schon  aus  dein  [Bereich  der  reinen  Bronzekultur  herausgetreten  in  den  der  sogen.  Hallstatt- 
kultur, in  der  neben  der  Bronze  auch  das  Eisen  eine  Rolle  zu  spielen  beginnt.  Eine  scharfe  Trennung 
zwischen  der  Bronze-  imd  der  Hallstattzeit  ist  jedoch  bei  den  schlesischen  Funden  kaum  durchführbar,  am 
allerwenigsten  bei  den  Gräberfeldern,  die  oft  eine  Jahrhunderte  lange  Benutzung  und  die  Einwirkung  der 
verschiedensten  Kulturstroiuungen  verraten.  Die  Einfiduung  der  Bronze  hatte  auch  eine  Änderung  in  der 
Sitte  der  Totenbestattung  zur  Folge.  Nur  vereinzelt,  wie  z.  B.  in  Adamowitz  (Mittelschrank  8),  erhält  sich 
die  in  der  Steinzeit  übliche  Leichenbeerdigung.  Sonst  herrscht  durchweg  die  Verbrennung.  Die  übrig- 
bleibenden Gebeine  wurden  in  einer  Urne  beigesetzt.  Ringsherum  stellte  man  kleinere  Oefässe.  Ausserdem 
gab  man  dem  Toten  mehr  oder  minder  reichen  Schnuick    aus  Bronze    oder  Eisen,    auch  Perlen    aus  Thon, 

6 


42 


Olas  (Hier  Bernstein  mit  ins  Grab.  Von  Waffen  finden  sich  meist  nnr  l<leine  Speerspitzen,  sehr  selten 
Schwerter.  Nach  der  äusseren  Anlage  unterscheidet  man  Hügel-  und  Flachyräber.  Jene  fmdct  man  heute 
nur  noch  im  Wald  und  Haideland,  besonders  am  rechten  Oderufer  von  Obernijjk  bis  Deutsch-Wartenberg 
(Mittelschrank  Q,  Wandschrank  35).  Flachgräberfelder  sind  dagegen  mit  Ausnahme  des  Gebirges  fast  bei 
jedem  Dorfe  nachweisbar.  Auf  einigen  betrug  die  Zahl  der  Gräber  bis  zu  1000,  ein  Beweis,  dass  Schlesien 
damals  schon  recht  dicht  bevölkert  war. 

Den  Hauptreichtum  der  schlesischen  Urnenfriedhöfe  bilden  die  Töpferwaren.  Durchweg  ohne 
Drehscheibe  aus  freier  Hand  geformt,  sind  sie  von  einer  unerschöpflichen  Mannigfaltigkeit  und  bewunderungs- 
werten  Zierlichkeit.  Die  typische  Form  für  die  älteren  Gräberfelder  ist  die  Buckelurne,  ein  terrinen-  oder 
krugartiges  Gefäss,  dessen  Bauch  mit  4—7  aus  der  Wandung  herausgedrückten  oder  darauf  aufgeklebten, 
der  Frauenbrust  nachgebildeten  Vorsprüngen  geziert  ist.  Beispiele  enthalten  die  Funde  von  Gniechwitz, 
Kraika,  Reppline  und  Peltschütz,  Kreis  Breslau  (Wandschrank  22).  An  die  Stelle  der  plastischen  Ver- 
zierung tritt  bei  den  späteren  das  Flächenornament.  Die  Muster  sind  meist  geometrisch,  wenn  auch 
angenotnmen  werden  kann,  dass  ihnen  ursprünglich  technische  oder  Natnrmotive  zu  Grunde  gelegen  haben. 
Zu  den  grössten  Seltenheiten  zählen  Darstellungen  von  Tieren  und  Menschen.  Ein  solches  Oefäss  mit 
der  Abbildung  einer  Hirschjagd  zu  Pferde  und  einem  Bogenschützen  ist  in  Lahse,  Kreis  Wohlan,  gefunden 
worden     (Pfeilerschrank  21). 

Eine  Besonderheit  der  schlesischen  Gräberfelder  sind  die  bemalten  Thongefässe,  meist  kleinere 
Schalen  oder  Vasen  mit  gelblich-weisser  oder  rotbrauner  Oberfläche,  auf  der  die  Ornamente  in  roter  oder 
schwarzer  Farbe  aufgetragen  sind.  Sie  haben  jedenfalls  nur  zu  sakralen  Zwecken  gedient,  worauf  auch 
das  häufig  angebrachte  heilige  Zeichen  des  Hakenkreuzes  hindeutet.  Reiche  Ausbeute  an  bemalten  Oefässen 
haben  besonders  die  Gräberfelder  von  Karlsruh,  Kreis  Steinau,  Dyhernfurth  und  Auras,  Kreis  Wohlan 
(Schränke  17,  18  und  21),  Woischwitz,  Gross-Tschansch  und  Weidenhof,  Kreis  Breslau,  Strachwitz,  Kreis 
Liegnitz,  und  Göllschau,  Kreis  Haynau,  ergeben     (Saal  3,  Schränke  24—40). 

Die  Hallstattkultur  wird  in  einem  grossen  Teile  Mitteleuropas  abgelöst  durch  die  nach  einem 
Fundort  am  Neuenburger  See  benannte  La  Tenekultur,  deren  Träger  keltische  Völker  waren  (Wand- 
schrank 42).  Die  La  Teneperiode  ist  in  Schlesien  durch  eine  kleine  Anzahl  wohl  charakterisierter  Grabfunde 
vertreten,  im  Süden  der  Provinz  durch  Skelettgräber  mit  einem  Inventar,  das  auf  Beziehungen  zu  Böhmen, 
im  Norden  durch  Steinkistengräber  nnt  Gesichtsurnen  und  gesichtsurnenähnlichen  Gefässen,  die  auf  Be- 
ziehungen zu  den  Weichselländern  hinweisen;  ausserdem  durch  über  die  ganze  Provinz  verstreute  Funde 
die  in  näherem  Zusanmienhange  teils  mit  den  Llrnenfriedhöfen  der  Hallstattzeit,  teils  mit  den  Funden  der 
römischen  Kaiserzeit  stehen  und  die  Verbindung  zwischen  beiden  vermitteln. 

SAAL  4.  Lim  die  Wende  des  ersten  Jahrhunderts  unserer  Zeitrechnung  beginnt  der  römische 
Welthandel  auch  Schlesien  in  seinen  Bereich  zu  ziehen.  Die  Nachrichten  der  alten  Geographen  über  die 
von  Carnuntum  nach  der  baltischen  Küste  führende  Bernsteinstrasse  werden  durch  die  Funde  in  glücklichster 
Weise  ergänzt.     In  den  Gräbern    dieser  Zeit    findet    man    vielfach    Gegenstände,    die    entweder   direkt   aus 

Italien  und  den  römischen  Provinzen  eingeführt  oder  den  fremd- 
ländischen   Erzeugnissen    nachgebildet   sind.     Die   beiden    bedeu- 
tendsten Funde  dieser  Art  sind  der  von  Wichulla  bei  Oppehi  luul 
der  von  Sacrau  bei  Breslau  (Pfeilerschrank  48).      Das  Wichullaer 
Grab   enthielt   ausser   bronzenen    Eimern,    Kasse- 
rollen,   Schöpfkellen,    Weinsieben    u.    dgl.     eine 
silberne  Trinkschale   von   ausgezeichneter  alexan- 
drinischer    Arbeit    (Abb.    auf    S.    43).      Die    drei 
Sacrauer  Gräber,  ilie  man  nnt  ziemlicher  Genauig- 
keit an  das  Ende  des  3.  Jahrhunderts  setzen  kann, 
enthielten   u.   a.   zahlreiche   goldene    und    silberne 
Schmucksachen,     eine    Anzahl    verschiedenartiger 
Thon-  und   Holzgefässe,  Bronze-  und  Silberkessel 
und  Schalen  und  Becher  aus  Glas.    Hervorzuheben 


43 


Antike  Silbcrscliale 
der  hellenistisch -römischen  Zeit 


aus 
Wichulla,  Kreis  Oppeln 


44 

ist  noch  der  über  1  iii  Imlie  brcmzeiie  Vierl'iiss,  dessen  vier  senkrechte  mit  Bacchus-  und  Pantlierköpfen 
verzierte  Hauptstäbe  durch  dünne  Schienen  so  verbuniien  sind,  dass  er  je  nach  der  Grösse  des  oben  ein- 
gehängten Oefässes  enger  oder  weiter  gestellt  werden  kann. 

In  der  Völkerwandernngszeit,  die  mir  durch  ganz  vereinzelte  Fiuidstücke  wie  den  Qoldring 
von  Ransern  und  eine  Bronzefibel  mit  tierkopfartigem  Fussansatz  aus  Ourtsch,  Kreis  Strehlen,  vertreten  ist, 
hörten  nicht  bloss  die  bisherigen  Handelsbeziehungen  auf,  sondern  es  trat  auch  eine  nahezu  völlige  Ver- 
ödung des  Landes  ein.  Die  germanischen  Bewohner  zogen  in  die  Ferne  und  die  slavischen  Nachbarn 
rückten  nur  sehr  allmählich  in  die  verlassenen  Gebiete  ein.  Aus  der  Zeit  der  slavischen  Besiedlung 
stammen  zum  grössten  Teil  die  Burgwälle  oder  Schwedenschanzen  (Wandschrank  4Q  und  50).  Aus- 
grabungen auf  diesen  haben  grosse  Mengen  von  Scherben  hartgebrannten  und  auf  der  Drehscheibe 
geformten  Geschirrs,  ferner  Spinnwirtel,  Stein-,  Knochen-  und  Horngeräte  zu  Tage  gefördert.  Die  Gräber 
dieser  Zeit  sind  meist  reihenförniig  angelegt  und  enthalten  die  Toten  unverbrannt.  Die  Beigaben  bestehen 
in  Thongefässen  derselben  Art  wie  die  in  den  Burgwällen  gefundenen,  in  kleinen  eisernen  Messern  und  in 
Schmuckgegenständen,  unter  denen  die  sogenannten  Schläfenringe  mit  S-förmigem  Ende  besonders 
charakteristisch  sind.  Endlich  fallen  in  diese  Zeit  noch  die  aus  silbernen  Münzen  und  Schmucksachen  be- 
stehenden arabischen  Hacksilberfunde  {Fensterschaukasten  51),  welche  den  Beweis  liefern,  dass  damals 
ein  lebhafter  Handel  zwischen  dem  Orient  und  dem  Norden  betrieben  wurde. 

Mit  den  Nachbildungen  der  Steinskulpturen  auf  dem  Zobtenberge  und  zwei  dort  gefundenen 
gravierten  Bronzeschalen  (Fensterschaukasten  52)  treten  wir  bereits  in  die  Zeit  der  Christianisierung  Schlesiens, 
womit  die    Urgeschichte  ihr  Ende  erreicht. 


II.     DIE  KULTURGESCHICHTLICHE  SAMMLUNG 

OAAL  V.  Der  siebenfenstrige  Hauptsaal  ist  durch  [Pfeiler-  und  Bogenstellungen  in  fünf  Einzel- 
räunie  gegliedert,  die  ebensovielen  Gruppen  von  Sammlungsstücken  zur  Aufnahme  dienen.  Der  erste 
enthält  I  nnungs- Altertümer.  Es  besteht  die  Absicht,  ihn  sobald  sich  Gelegenheit  zur  iirwerbnng  einer 
passenden  Vertäfelung  bietet,  als  Zunftstube  im  Stil  des  16.  Jahrhunderts  auszugestalten.  Vorläufig  musste 
man  sich  damit  begnügen,  die  Wände  mit  Bänken  und  Bordbrettern  zu  umgeben,  auf  denen  die  Urkunden- 
laden, Willkommen  und  Meisterstücke  aufgestellt  sind.  Dazwischen  hängen  eingerahmte  Lehrbriefe,  Privi- 
legien und  Innungsartikel,  ganz  oben  die  teils  in  Silber  oder  Kupfer  getriebenen,  teils  in  Reliefstickerei 
gearbeiteten  Sargschilde,  die  bei  Beerdigungen  von  Innungsangehörigen  gebraucht  wurden.  Im  Fenster- 
Schaukasten  haben  die  Petschafte  der  verschiedenen  Mittel  Platz  gefunden.  Von  besonderem  Interesse  sind 
durch  ihr  Alter  und  ihre  kunstvollen  Gravierungen  die  drei  gewaltigen  Zimikannen  der  Breslauer  Bäcker 
von  1497,  der  Breslauer  Seiler  von   1511   und  der  Löwenberger  Tuchknappen  von   1525. 

Der  nächste  Raum  umfasst  trachtengeschichtliche  und  hauswirtschaftliche  Geräte  wie 
Stöcke,  Tabakspfeifen,  Dosen,  Feuerzeuge,  Schreibutensilien,  Beleuchtungsgegenstände,  Fächer,  Riechbüchschen, 
Damentaschen,  Kinderspielzeug,  Modelle  u.  a.  m.  Einzeln  genommen  bedeuten  diese  Dinge  ja  nur  wenig, 
systematisch  gesammelt  und  zu  ganzen  Entwicklungsreihen  zusammengestellt  können  sie  aber  von  grossem 
kulturgeschichtlichen  Interesse  werden.  Und  wenn  hierzu  auch  bis  jetzt  nur  der  erste  Anfang  gemacht  ist, 
so  bedarf  es  doch  erfahrungsgemäss  gerade  auf  solchen  Gebieten  nur  der  Aufstellung  des  leitenden  Gesichts- 
punktes, um  rasch  zu  relativer  Vollständigkeit  zu  gelangen. 

Männer-  und  Frauenkostüme  bilden  die  folgende  Gruppe.  Gut  vertreten  ist  die  zweite  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts  und  die  Empirezeit.  Auf  die  Erlangung  älterer  Originalkostüme  ist  bei  deren  ausser- 
ordentlicher Seltetdieil  kaum  zu  rechnen.  Einen  gewissen  Ersatz  bieten  zeitgenössische  Porträts,  wie  ihrer 
einige  an  den  Wänden  aufgehängt  sind.  Dagegen  wird  zu  versuchen  sein,  die  Reihe  nach  unten  hin  zu 
vervollständigen.  Die  Frage,  ob  Beispiele  der  wechselnden  Frauenmode  der  Gegenwart  anzusammeln  seien, 
hat  bereits  Brinckmann  für  das  Hamburgische  Museum  aufgeworfen  und  dahin  beantwortet,  dass  eine  solche 
Sammlung  schon  nach  wenigen  Jahrzehnten  von  erheblichem  Werte  sein  würde. 

Von  den  Kostümen  gelangen  wir  zu  den  Musikinstrumenten.  Wiewohl  sich  darunter  manches 
interessante  Stück  befindet,   wie  die  mit  zarten   Elfenbeinarabesken  eingelegten   Lauten  lies   If).  Jahrhunderts 


45 


Orimdriss  des  Erdgeschosses 


und  das  von  Georg  Baumgarten  1635  gebaute  Clavicymbalum  aus  der  Magdalenenbibliothek,  so  ist  doch  diese 
Sammlung  der  Vervollständigung  recht  bedürftig.  Namentlich  sind  die  Saiteninstrumente  des  17.  und  IS.  Jahr- 
hunderts sehr  schwach  vertreten,  was  um  so  mehr  zu  bedauern  ist,  als  die  Oeigenbauerkunst  in  Schlesien 
von  jeher  eine  Pflegestätte  gefunden  hat.  Da  jedoch  der  Privatbesitz  noch  viele  Stücke  dieser  Art  bewahrt, 
so  steht  zu  hoffen,  dass  die  Zukunft  jene  Lücke  ausfüllen  werde. 

In  dem  freistehenden  Pultschrank  des  letzten  Raumes  liegen  Karten  und  andere  Spiele,  Uhren  und 
wissenschaftliche  Instrumente.  Von  diesen  Sammlungen  gilt  das  von  den  trachtengeschichtlichen  Geräten 
Gesagte.  Die  umgebenden  Wände  sind  bedeckt  mit  bergmännischen  und  mit  Rechtsaltertümern,  und  zwar 
haben  die  Strafwerkzeuge  die  linke,  die  Masse  und  Gewichte  und  die  obrigkeitlichen  Abzeichen  die  rechte 
Seite  vom  Ausgang  eingenommen. 

SAAL  VI.  Das  Eckzimmer  dient  in  erster  Reihe  zu  wechselnden  Ausstellungen  von  Breslauer 
Ansichten  und  Porträts,  deren  das  Museum  eine  stattliche  Sammlung  besitzt. 

Die  Schränke  enthalten  Altertümer,  an  die  sich  besondere  lokale  Erinnerungen  knüpfen,  z.  B.  die 
vergoldeten  Stadtthorschlüssel  und  das  messingne  Kruzifix  von  149S,  bei  dem  bis  um  die  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts die  Hreslauer  den  Bürgereid  geschworen  haben.  Auf  den  Schautischen  liegen  Stammbücher,  Gratu- 
lationskarten und  Erinnerungsblätter  aller  Art.  Endlich  ist  in  diesem  Zimmer  ein  Teil  der  vortrefflichen 
Sammlung  von  Original-Siegelstempeln  ausgestellt. 

Mit  dem  Breslauer  Zimmer  ist  der  bescheidene  Anfang  für  eine  Abteilung  gemacht  worden,  deren 
systematische  Ausgestaltung  wir  von  der  Zukunft  erwarten.  Wenn  schon  das  Museum  schlesischer  Alter- 
tümer sich  mit  Recht  angelegen  sein  liess,  alle  bemerkenswerten  Ansichten  aus  Breslau  zu  sammeln,  so  hat 
unser  Museum  als  städtisches  Institut  die  Verpflichtung,  auch  das  Museum  für  die  Geschichte  der  Stadt 
Breslau  zu  werden,  eine  Verpflichtung,  die  unlöslich  mit  der  kulturhistorischen  Grundlage  unseres  A\useun)s 
verknüpft  ist.  Die  Physiognomie  des  alten  Breslau,  einer  der  interessantesten  Städte  Deutschlands,  verändert 
sich  in  unseren  Tagen  mit  rapider  Schnelligkeit.     Ihren  malerischen  Reiz  auch  für  die  Zukunft  festzuhalten 


46 


ist  eine  ebenso  dankbare  als  unabweisliche  Aufgabe,  zu  der  vor  allem  die  Kunst  herangezogen  werden 
müsste,  um  nach  und  nach  eine  kleine,  gewählte  Galerie  von  Ölbildern  und  Aquarellen  mit  Breslauer 
Motiven  zu  schaffen. 

SAAL  VII  enthält  die  Waff  ensanun  hing.  Um  ein  bequemes  Anordnen  zu  ermöglichen,  sind 
die  Wände  bis  zu  3  m  Höhe  mit  olivgrünem  Holz  verkleidet  worden.  Eine  ringsum  laufende,  40  cm  hohe 
Stufe  dient  zugleich  als  Stützpunkt  für  die  Stangenwaffen  und  Gewehre  und  als  Podium  für  Rüstungen, 
Geschütze  und  Trommeln.  Eine  Schwierigkeit  ergab  sich  aus  der  bedeutenden  Tiefe  des  Raumes,  die  den 
zurückliegenden  Teilen  nicht  genug  Licht  bietet,  und  aus  der  vielfachen  Unterbrechung  der  Wandflächen 
durch  Pfeiler  und  Nischen.  Nach  dem  einstimmigen  Beifall  aber,  den  die  Aufstellung  der  Waffensammlung 
gefunden  hat,  scheint  es,  dass  jene  Ubelstände  der  Gesamtwirkung  keinen  Eintrag  gethan  haben. 

Die  Waffensammlung  des  Museums  ist  nicht  das  Ergebnis  einer  planvollen  Sammelthätigkeit, 
sondern  zum  weitaus  grössten  Teile  durch  zufällige  Schenkungen  und  Vermächtnisse  entstanden.  Infolge- 
dessen ist  ihre  Zusammensetzung  sehr  ungleich:  während  manche  Typen  unverhältnismässig  stark  vertreten 
sind,  fehlen  andre  so  gut  wie  völlig.  Aufgabe  der  Zukunft  ist  es,  sie  so  auszugestalten,  dass  der  Beschauer 
einen  Überblick  über  die  Entwicklung  zum  wenigsten  des  deutschen  Waffenwesens  erhält.  Das  Bedürfnis 
hierzu  ist  auf  Seiten  des  Publikums  unzweifelhaft  vorhanden,  wie  die  fortwährenden  Anfragen  von  Künstlern 
und  Gewerbetreibenden  nach  Waffenstücken  dieser  oder  jener  Zeit  und  Art  beweisen.  Aber  auch  vom 
kunstgewerblichen  Standpunkte  wird  die  Wichtigkeit  der  Waffen  immer  mehr  erkannt,  weil  bei  ihnen  „mehr 
als  irgendwo  der  Gebrauchszweck  formbestimmend  erkennbar  wird  und  hier  alle  dekorative  Ausschmückung, 
so  reich  sie  auch  auftreten  mag,  sich  unterordnen  muss  der  Form,  die  bedingt  ist  durch  den  Zweck  der 
Waffe,  ihrem  Träger  zur  Abwehr  oder  zum  Angriff  zu  dienen".     (Brinckmann.) 

Die  Aufstellung  beginnt  mit  einer  Folge  von  Typen,  an  welcher  die  Entwicklung  der  hauptsächlichsten 
Angriffswaffen,  des  Beiles,  der  Lanze  und  des  Schwertes,  von  der  Steinzeit  bis  zum  frühen  Mittelalter 
gezeigt  wird.  Die  Zeit  des  13. — 15.  Jahrhunderts  ist  durch  eine  Anzahl  wertvoller  Schwerter,  Streitäxte, 
Bogen  und  Armrüste  sowie  durch  eine  Gruppe  sogenannter  Hussiten  oder  Bauernwaffen,  d.  s.  Morgensterne 
und  Kriegsflegel,  dargestellt.     Von  Schutzwaffen  dieser  Zeit  sind  ausser  einigen  Helmen  und  Harnischteilen 

fünf  hölzerne,  mit  Leder  oder  Leinwand  überzogene  Schilde  zu  erwähnen, 
deren  Bemalung  mit  einem  W  und  einem  roten  Kreuz  im  weissen  Felde 
auf  ihre  Verwendung  in  den  Kämpfen  der  Breslauer  gegen  die  böhmischen 
Ketzer  deutet. 

Unter  den  Waffen  des  16.  Jahrhunderts  fallen  durch  ihre  Zahl  und 
Grösse  am  meisten  die  mächtigen  Zweihänder,  durch  die  Pracht  ihrer  Aus- 
stattung die  aus  dem  Breslauer  Ratsarchiv  stammenden  Schwerter,  Dolche 
und  Gürtel  Herzog  Friedrichs  iL  von  Liegnitz  und  Brieg  in  die  Augen 
(s.  S.  4 ff).  Die  zwölf  Rüstungen,  initer  denen  sich  auch  einige  schön 
geäzte  befinden,  gehören  der  zweiten  Hälfte  des  16.  und  dem  Anfang  des 

17.  Jahrhunderts  an.  Die  Schusswaffen  der  ältesten  Zeit  werden  durch 
mehrere  Wallbüchsen  und  Mauerhaken  mit  Luntenschlössern  vertreten. 
Das  älteste  der  vorhandenen  Geschütze  ist  eine  bronzene  Signalkanone 
von  1548.  Hervorragend  ist  die  Sammlung  eingelegter  Jagd- und  Scheiben- 
waffen  des   16.   und    17.  Jahrhunderts.      Auch    unter    den   Galadegen   des 

18.  Jahrhunderts  befinden  sich  Stücke  von  hohem  Kunstwert.  Besondere 
Gruppen  umfassen  die  Kriegswaffen  des  17.  Jahrhunderts,  der  Zeit  Friedrich 
Wilhelms  \.  und  Friedrichs  des  Grossen.  Aus  der  Zeit  der  Befreiungs- 
kriege enthält  die  Sammlung  nicht  bloss  die  wichtigsten  Waffen  der 
preussischen  und  französischen  Truppengattungen,  sondern  auch  eine 
Auswahl  gut  erhaltener  Liniformen  und  zahlreiche  Erinnerungen,  Flug- 
blätter, Karikaturen,  l'orträts  u.  dgl.  Den  Beschluss  machen  die 
Waffen  des  19.  Jahrhunderts,  insbesondere  der  drei  grossen  Kriege 
Wilhelms  I. 


47 

SAAL  VIII.  Das  letzte  Zimmer  der  kultiirjreschichtlichen  Abteilung  ist  zur  Einrichtung  einer 
schlesischen  Bauernstube  bestimmt.  Der  Ofen,  der  Webstuhl,  die  durchgehends  bunt  bemalten  Möbel 
und  sonstigen  Ausstattungsstücke  stammen  grösstenteils  aus  der  Umgegend  von  Schmiedeberg.  Wie  bei 
den  Innungsaltertiimern,  so  steht  auch  hier  die  Ausgestaltung  der  Wände  und  der  Decke  noch  bevor.  Um 
auch  die  immer  mehr  verschwindende  Bauerntracht  vor  Augen  zu  führen,  sind  ausser  zahlreichen  Hauben 
Kleidern  und  Schmucksachen  zwei  Figuren  neu  aufgestellt  worden,  deren  Köpfe  der  Hirschberger  Bild- 
hauer Herr  Dehmel  nach  der  Natur  modelliert  hat. 

KAUM    iX   ist  gegenwärtig  noch  reserviert. 

III.     DIE  SAMMLUNG  DES  ALTEN  KUNSTGEWERBES 

Die  Sammlungen  sind  in  geschichtlicher  Folge  geordnet.  Bei  den  grossen  Lücken, 
die  sie  gegenwärtig  noch  aufweisen,  finden  freilich  ganze  Stilperioden  und  Stil- 
färbungen nur  eine  summarische  Vertretung.  Am  meisten  fehlen  noch  zum  Ausbau  der 
Sammlungen  gute,  charakteristische  Möbel.  Gewisse  technologische  Gruppen  —  wie  die 
Metallarbeiten,  der  Schmuck,  das  Glas  wurden  von  der  Renaissance  an  nicht  aufgeteilt, 
sondern  bei  jener  Epoche  eingereiht,  für  die  sie  in  unserer  Sammlung  besonders 
bezeichnend  sind. 

SAAL  X  Mittelalter.  Wenige  deutsche  Kunstgewerbemuseen  können  sich  eines  solchen  Reichtumes 
an  kirchlichen  Kunstdenkmälern  des  Mittelalters  rühmen,  wie  das  Breslauer.  Nicht  nur  die  Kleinkunst,  sondern 
auch  die  Plastik  und  Malerei  ist  glänzend  vertreten.  Seit  der  Säkularisation  zahlreicher  Kirchen  und  Klöster 
im  Jahre  1810  hat  sich  die  öffentliche  Sammelthätigkeit  in  Breslau  besonders  den  kirchlichen  Altertümern 
zugewendet  und  aus  Schlesien  vieles  gerettet,  was  sonst  zu  gründe  gegangen  oder  in  die  Fremde  gewandert 
wäre.  So  bietet  unser  Museum  die  Möglichkeit,  die  Entwicklung  der  Malerei  und  Skulptur  in  Schlesien  an 
einer  ganzen  Reihe  von  Altären  zu  studieren.  Unter  den  bemalten  repräsentiert  der  leider  noch  viel  zu 
wenig  gewürdigte  Barbaraaltar  vom  Jahre  1447  den  künstlerischen  Höhepunkt,  das  reifste  Werk  der  mittel- 
alterlichen Kunst  in  Schlesien.  Von  grossen  geschnitzten  Altären  besitzt  das  Museum  nicht  weniger  als 
drei,  den  Stanislaus-  und  zwei  Marienaltäre. 

Unter  den  kirchlichen  Geräten  ragen  die  Qoldschmiedearbeiten  an  Zahl  und  Bedeutung  hervor.  An 
ihrer  Spitze  steht  das  Dorotheenreliquiar  (Tafel  1,  siehe  S.  2f),  eine  Arbeit  der  Qoldschmiedekunst  des 
15.  Jahrhunderts,  die  an  Liebreiz  und  in  feiner  Charakteristik  knospender  Jungfräulichkeit  ihres  Gleichen 
sucht.  Mit  Kelchen,  Monstranzen,  Reliquiarien  und  Statuetten  ist  ein  ganzer  Schrank  gefüllt.  Einzelnes 
davon  ist  auch  deshalb  von  Interesse,  weil  es  auf  alte  schlesische  Geschlechter  zurückgeht,  alles  gehört  der 
späteren  Gotik  an.  Bekaimte  Kostbarkeiten  des  Museums  sind  ferner  das  sogenannte  Hedwigsglas,  ein 
frühmittelalterliches  Glas  strittiger  Herkunft,  mit  tiefeingeschnittenen  Figuren  und  gotischer  Silbermontierung 
und  das  in  Hochrelief  gestickte,  kostbare  Rückenkreuz  einer  Casula  aus  der  2.  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts, 
das  reichste  Exemplar  dieser  im  Mittelalter  sehr  beliebten  Stickereigattung,  bei  dem  trotz  der  an  imd  für 
sich  unkünstlerischen  Technik  eine  edle  ausdrucksvolle  Wirkung  erzielt  wurde.  Die  Technik  ist  von  un- 
vergleichlicher Vollendung.  Auf  den  mit  Goldblech  belegten  oder  durch  überfangene  und  unterlegte  Gold- 
fäden hergestellten  Grund  ist  mit  Seide,  echten  Goldfäden  und  orientalischen  Perlen  gestickt.  Am  Rande 
sitzen  gefasste  Steine,  Türkise,  Topase,  Amethyste  und  Glasflüsse.  In  der  Mitte  am  Kreuze  der  Erlöser, 
dessen  Blut  von  Engeln  aufgefangen  wird.  Oben  Maria  in  Strahlengloric,  an  den  Seiten  die  beiden  Johannes, 
unten  die  hl.  Hedwig  und  Helena  (Tafel  IV). 

Das  F5ild  der  kirchlichen  Kunst  und  des  kirchlichen  Kunsthandwerkes  zur  Zeit  des  gotischen  Stiles 
vervollständigen  einige  Elfenbeindiptichen  und  eine  Reihe  von  Handschriften  mit  Miniaturen.  Die  Glas- 
malerei der  Gotik  wird  nur  durch  drei  kleine  Scheiben  vorgeführt.  Wäre  hier  eine  Vermehrung  sehr 
erwünscht,    so  ist  a\if  dem  Gebiete  des    gesamten  mittelalterlichen  Kunsthandwerkes  noch    eine  Lücke  aus- 


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zufüllen.  Der  roniaiiische  Stil  ist  viel  zu  vveniu;  vertreten.  Unser  Besitz  beschränkt  sich  auf  ein  unbedeutendes 
Reh'quienUästchen  mit  Qrubeneinail,  ein  Kästchen  mit  Stiftmosaik  und  Elfenbeinplatten,  eine  Elfenbein- 
schnitzerei mit  Tod  der  hl.  Maria  und  zwei  S]iielsteine. 

Gegen  das  kirchliche  Mobiliar  und  Gerät  der  Gotik  tritt  das  profane  in  unserem  Museum  an  Zahl 
und  Bedeutimg  weit  zurück.  Es  nimmt  eine  bescheidene  Ecke  ein.  Ein  süddeutscher  Schrank  ist  zu  sehr 
ergänzt,  um  musealen  Wert  zu  besitzen.  Den  Typus  des  in  die  Wand  eingelassenen  Schrankes  vertritt 
ein  in  ausgestochenem  Relief  verziertes  einfaches  Stück  aus  dem  Breslauer  Rathause.  Sonst  sind  nur  noch 
Messingschüsseln,  Kannen  und  Leuchter  sowie  interessante  Ofenkacheln  vorhanden.  Die  bekannten  grossen 
Innungskannen  aus  Zinn  sind  in  der  kulturhistorischen  Abteilung  aufgestellt. 

Der  Saal,  in  dem  das  mittelalterliche  Kunstgewerbe  untergebracht  ist,  bedarf  dringend  eines  Umbaues. 
Von  seiner  früheren  Verwendung  als  Ständesaal  sind  die  durch  zwei  Stockwerke  gehende  Höhe  und  die 
hässlichen  Galerien  geblieben.  Er  wird  erst  dann  für  die  darin  aufgestellten  Gegenstände  die  erforderliche 
stimmungsvolle  Umgebung  abgeben  können,  wenn  er  eine  Unterteilung  erfährt,  durch  die  zugleich  im 
2.  Stockwerke,  das  sich  jetzt  schon  als  zu  klein  erweist,  neue,  grosse  Ausstellungsräume  gewonnen  würden. 

SAAL  XI  und  XII.  Saal  XI  bildet  gegenwärtig  einen  Annex  zu  Saal  XII  und  enthält  einen  Teil 
der  schönen  Paramentensammlung  des  Museums.  In  Zukunft  soll  er  die  Abteilimg  der  italienischen 
Renaissance  aufnehmen,  wenn  diese  einen  solchen  Umfang  erreicht  haben  wird,  dass  sie  einen  eigenen  Raum 
für  sich  in  Anspruch  nimmt.  Jetzt  ist  sie  noch  mit  Mobiliar  der  deutschen  und  niederländischen  Spät- 
renaissance vereinigt. 

Die  italienische  Renaissance  ist  vor  allem  durch  eine  kleine  Kollektion  von  Majoliken  vertreten,  die 
in  der  Hauptsache  erst  im  Jahre  1899  zusammengebracht  worden  ist.  Sie  enthält  gute  Beispiele  für  die 
Fabrikation  von  Deruta,  Caffagiolo,  Faenza,  Urbino  und  Venedig.  Dazu  kommen  Vorderwände  von  Truhen 
und  ein  prächtiger,  aus  der  Sammlung  Minutoli  stammender  Gobelin  nn't  musizierenden  Gestalten,  der 
wohl  nach  einem    italienischen  Carton  in  Flandern  ausgeführt  worden  ist.     Als  Beispiel  italienischer  Metall- 


Grundriss  des  I.  Stockwerkes 


TAFEL  IV 


Lichtdruck  von  A.  Fabian  ii.  Co.,  Breslau 


Rückenkreiiz  eines  Messgewandes,  15.  Jahrhundert 


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technik  besitzt  das  Museum  einen  prächtigen  in  dünnem 
Eisenblech  getriebenen  herzförmigen  Schild,  dessen  Mitte 
ein  meisterhaft  modelh'erter  Meduseni<opf  einnimmt.  In  den 
ausgesparten  ovalen  Medaillons  des  breiten  Randes  sassen 
einmal  Silberplatten.     Höhe  0.62  ni.     (Abb.  nebenstehend.) 

SAAL  XII  wird  in  Zukunft  dem  Mobiliar  der 
deutschen  und  niederländischen  Renaissance  und  frühen 
Barocke  gewidmet  sein.  Unser  Besitzstand  darin  besteht 
in  einem  mächtigen  süddeutschen  Schrank  mit  zweige- 
schossigem architektonischen  Aufbau,  einem  guten  nieder- 
ländischen Schrank  mit  schwarzen  Einlagen  in  dem  typischen 
Charakter  des  17.  Jahrhunderts,  einem  niederdeutschen 
Schrank  nn't  Relieffüllungen.  Von  der  Intarsiatechnik  des 
16.  und  17.  Jahrhunderts  geben  Breslauer  Tische  mit  so- 
genanntem Hundekastengestell  und  ein  reiches  süddeutsches 
Kabinet  hinreichende  Vorstellung. 

SAAL  XIII.  Metallarbeiten  von  der  Zeit  der 
Renaissance  an,  Schmuck,  Bestecke,  Wachsbos- 
sierungen.  Die  Goldschmiedewerke  der  Renaissance  und 
der  Barocke  gehören  zu  dem  reichsten  und  interessantesten 
Besitze  unseres  Museums.  Man  darf  es  als  eine  ganz 
besonders  günstige  Schickung  preisen,  dass  gerade  in  dem 
Materiale,  das  für  die  Sicherheit  eines  Kunstwerkes  vordem  Untergange  am  wenigsten  Bürgschaft  bietet,  sich 
verhältnismässig  so  viel  Breslauer  Arbeiten  erhalten  haben  und  in  das  Museum  gekommen  sind.  Sonst  kommen 
noch  inbetracht  Nürnberger  und  Augsburger  Arbeiten,  die  durch  die  alten  künstlerischen  Beziehungen  Breslaus 
zu  diesen  beiden  Städten  hierher  gelangt  sind.  Im  Schrank  98  beanspruchen  besonderes  Interesse  zwei 
montierte  Hedwigsgläser.  Das  eine,  ein  mittelalterlicher  Becher  cylindrischer  Form,  oben  weit  ausladend, 
mit  orientalisierendem  Dekor  in  Emailmalerei  hat  in  der  2.  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  durch  einen  Breslauer 
Goldschmied  eine  reiche  Fassung  des  Fusses  und  des  Randes  in  vergoldetem  Silber  erhalten.  Das  zweite 
Glas,  ein  glatter  Cylinder,  steckt  in  einem  Geflecht  aus  Silberfiligran,  das  wahrscheinlich  älter  ist  als  die 
übrige  von  einem  Augsburger  Goldschmiede  der  2.  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  herrührende  Fassung  in 
vergoldetem  Silber.  In  demselben  Schranke  die  ausgezeichnete  Figur  eines  Büttenträgers,  eine  Arbeit^des 
Breslauer  Meisters  Joachim  Hüller  (alias  Hiller)  vom  Jahre  1602. 

Schrank  99  und  100  enthalten  die  Kleinodien  der  Breslauer  Schützenbrüderschaften,  der 
Zwinger-  und  der  Schiesswerder-Schützenbrüderschaft.  Wie  das  Ganze  in  seinem  eigenartigen  Dualismus  und 
seiner  einzig  dastehenden  Vollständigkeit  einen  reizvollen  Einblick  in  die  Kultur-  und  Sozialgeschichte  Breslaus 
vom  Ausgange  des  Mittelalters  an  bis  ins  19.  Jahrhundert  gewährt  und  Blüte  wie  Niedergang  des  deutschen 
Schützenwesens  anschaulich  vorführt,  ist  es  auch  ein  gutes  Stück  Kimstgeschichte  von  Breslau.  Die  älteste 
urkundliche  Nachricht  über  die  Breslauer  Schützenbrüderschaft  stammt  aus  dem  Jahre  1466,  das  älteste 
Kleinod  aus  dem  Jahre  1491.  Im  Jahre  1566  trennte  sich  von  dieser  Brüderschaft,  in  der  die  Kaufleute 
und  vornehmen  Bürger  zurückblieben,  und  die  nach  ihrem  Schiessplatze  den  Namen  Brüderschaft  der 
Schützen  im  alten  Schweidnitzischen  Zwinger  erhielt,  die  Schiesswerderbrüderschaft  ab,  der  die  niedere 
Bürgerschaft,  die  Zünfte  luul  Zechen,  angehörten. 

Die  Kleinodien  der  beiden  Schützengesellschaften  sind  zweieriei  Art.  Die  eine  bilden  die  Insignien 
der  Brüderschaft,  beziehungsweise  des  Schützenkönigs.  Der  Königsorden  der  Zwingerschützen,  ein  Adler 
vom  Jahre  1491  ist  leider  im  Jahre  16S5  „verbessert"  d.  h.  vollständig  umgearbeitet  worden;  beim  Königs- 
schild der  Schiesswerderschützen  rührt  der  hauptsächlichste  Bestandteil,  die  Figur  eines  Schützen,  aus  dem 
16.  Jahrhundert  her.  Jeder  Schützenkönig  hatte  die  Verpflichtung,  zur  Erinnerung  an  seine  Würde  für  den 
Orden  einen  Anhenker  zu  stiften.  Durch  drei  Jahrhundcrie  reichend,  liefern  diese  zahllosen  goldenen 
Schildchen  ein  wahres  Kompendium  von  Stilen  und  Techniken.     Die  andere  Gattung  der  Kleinodien  bilden 

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Pokale  mannigfaltigster,  oft  recht  seltsamer  Form,  die  als  Dedikatioiien  in  den  Besitz  der  Brüderschaften 
kamen.  Neben  Breslauer  haben  die  Nürnberger  und  Angsburger  Meister  Arbeiten  beigesteuert.  Die 
Renaissance  bedeutet  den  künstlerischen  Höhepunkt,  der  sich  besonders  in  den  von  Rudolf  II.  gestifteten 
F^okalen  offenbart;  interessant  ist  die  vom  Ende  des  17.  Jahrhunderts  an  immer  mehr  zunehmende  Ver- 
armung der  Dedikatioiien.     (Näheres  über  diese  Kleinodien  siehe  Schles.  Vorz.  Bd.  V  u.  VII.) 

In  der  Seil  mucksamnilung  verdient  besondere  Beachtung  ein  prachtvoller  dreiteiliger  Barett- 
schiuuck  des  Id.  Jahrhunderts  u\  hohem  durchbrochenem  Relief,  mit  zartem  Email  und  Edelsteinen.  Auch 
gute  Proben  von  Ringen  des  10.  und  17.  Jahrhunderts  sind  vorhanden.  Mit  sehr  hübschen  Schmuckstücken 
ist  das  IS.  Jahrhundert  vertreten.     Die  Bestecksammlung  enthält  Typen  von  der  Gotik  an. 

Die  Zinusanmilung  weist  als  vornehmstes  Stück  ein  Exemplar  der  Temperantiaschüssel  des 
Caspar  Enderlein  und  der  zugehörigen  Kanne  auf.  Daran  reihen  sich  Nürnberger  Krönungsteller  des 
17.  Jahrhunderts.  Von  den  zahlreichen  schlesischen  Schüsseln  und  Gefässen  mit  dem  Stempel  von  Breslau, 
Neisse  und  Schweidnitz  reicht  keines  in  das  16.  Jahrhundert  oder  selbst  in  die  erste  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts hinauf,  so  dass  zwischen  ihnen  und  den  schlesischen  Zinnarbeiten  der  Gotik  eine  auffallende 
zeitliche  Lücke  klafft.  Alle  sind  graviert  und  zeigen  eine  mehr  volkstümliche  Verzierungsweise.  Unter  den 
Arbeiten  aus  Kujiter  interessiert  besonders  der  in  getriebener  Arbeit  reich  dekorierte  Krug  mit  dem 
Namen  des  Besitzers  Bartholemeus  Rosenberg  vom  Jahre  1505  als  ein  schlesisches  Werk,  bei  dem  Noblesse 
der  Form  und  tüchtige  Ausführung  die  nicht  überall  glückliche  Anwendung  der  Renaissancemotive  gern 
vergessen  lässt. 

Wertvoll  ist  die  Sammlung  von  Wachsbossierungen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts.  Dem 
Sammeleifer  eines  kunstsinnigen  Breslauer  Patriziers  der  Renaissancezeit,  des  Thomas  Rhediger,  verdankt 
unser  Museum  die  seltene  Suite  von  20  französischen  Porträtmedaillons  des  16.  Jahrhunderts.  In  zierlichen 
Original-Lederkapseln  zeigen  sie  —  alle  von  einer  Hand  —  die  Porträts  fürstlicher  Persönlichkeiten  und 
berühmter  Staatsmänner  des  damaligen  französischen  Hofes,  daneben  auch  des  Dichters  Clement  Marot, 
des  Pfalzgrafen  vom  Rheine  Friedrich  III.,  Luthers  und  Melanchthons. 

Im  Saale  IV  hängen  drei  interessante  Gobelins  des  16.  Jahrhunderts,  sämtlich  deutsche  Arbeiten, 
die  an  zweiter  und  dritter  Stelle  angeführten  vielleicht  sogar  in  Schlesien  ausgeführt.  1.  Urteil  des  Salomou  aus 
der  Elisabetkirche  in  Breslau  (Tafel  V).  2.  Ein  erst  vor  kurzem  aus  dem  Gymnasium  zu  Brieg  in  das  Museum 
gelangter  Gobelin  zur  Erinnerung  an  die  Gründung  der  Fürstenschule  in  Brieg  durch  den  Piastenherzog 
Georg  IL  3.  Gobelin  mit  den  Figuren  des  Herzogs  Georg  IL  von  Brandenburg  Jägerndorf  und  seiner 
Gemahlin  zu  Seiten  ihres  Wappens. 

SAAL  XIV.  Deutsche  Keramik  der  Renaissance.  Holz-  und  Elfenbeinschnitzereien 
des  16.  und  17.  Jahrhunderts.  In  diesem  Saale  sind  jene  deutschen  Töpferarbeiten  zusammengestellt, 
die  in  Technik  und  Ornamentation  auf  dem  Boden  der  Renaissance  stehen,  wenn  sie  auch  zum  Teil  einer 
späteren  Zeit  angehören.  In  guten  typischen  Exemplaren  ist  das  rheinische  Steinzeug  vertreten,  Köln, 
Siegburg,  Nassau,  Raeren  mit  einer  interessanten  Schnabelkanne  aus  der  Übergangszeit  von  der  (iotik 
zur  Renaissance.  Der  Einfluss  des  rheinischen  Steinzeuges  reicht  weit  nach  dem  deutschen  Osten  und  hat 
in  der  volkstümlichen  Keramik  Sachsens,  vielleicht  auch  noch  Schlesiens  einen  Niederschlag  gefunden.  Wich- 
tiger aber  war  dafür  die  Fabrikation  von  Kreussen,  die  man  in  unserem  Museum  sowohl  in  einer  grösseren 
Anzahl  von  Originalarbeiten  wie  sächsischen  Nachahmungen  findet.  Verschiedene  Steinzeuggattungen,  die 
das  Museum  emsig  sammelt,  deren  genaue  Lokalisierung  aber  bis  jetzt  noch  nicht  möglich  ist,  beweisen, 
dass  die  Steinzeugindustrie  im  17.  Jahrhundert  allenthalben  im  Osten,  besonders  in  Sachsen  utui  den 
angrenzenden  Gebieten  geblüht  hat.  Vielfach  war  dafür  Kreussen  vorbildlich.  Auch  die  Fabrikation  von 
Bunzlau  in  Schlesien  geht,  wie  schon  der  älteste  bekannte,  in  unserem  Museum  befindliche  und  durch  eine 
Inschrift  um  1650  datierbare  Topf  beweist,  durch  Vermittlung  Sachsens  auf  Kreussen  zurück.  Die  Blüte- 
zeit Bunzlaus  im  18.  Jahrhundert  mit  farbig  bemalten  oder  reliefierten  Gefässen  veranschaulicht  eine  reiche, 
mannigfaltige  Sammlung. 

Neben  dem  Steinzeng  sind  die  eigenartigsten  Erzeugm'sse  der  Keramik  Deutschlands  im  16.  Jahr- 
hundert die  Kachelöfen,  besonders  die  mit  kräftigen  Farben  bunt  verzierten.  Das  Museuni  besitzt  keinen 
derartigen  vollständigen  Ofen  aus  dieser  Zeit    und  unter  seinen  vielen  Kacheln,    welche   den   Fortschritt  in 


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der  Technik  der  Ofentöpferei  gegenüber  der  Gotik  erkennen  lassen,  von  nicht  schlesischen  Arbeiten  nur 
ein  einziges  buntfarbiges  Stück  aus  Köhi.  Auch  die  in  derselben  Technik  dekorierten  süddeutschen  Hafner- 
krüge, die  man  früher  fälschlich  dem  Augustin  Hirschvogel  zuschrieb,  fehlen  noch.  Glücklicherweise  sind 
wir  dagegen  in  der  Lage,  die  Entwicklung,  die  dieser  Zweig  der  Keramik  in  Schlesien  nahm,  besser  vor 
Augen  führen  zu  können.  Ausschliesslich  eigentümlich  unserer  I^rovinz  sind  grosse  Schüsseln,  bei  denen 
die  Zeichnung  in  den  weichen  Thon  eingraviert  ist,  worauf  dann  die  Flächen  mit  bunten  Olasurfarben 
bedeckt  wurden.  Bis  vor  kurzem  waren  nur  vier  solche  Schüsseln  bekannt,  eine  fünfte,  mit  Darstellung  der 
Kreuzigung  aus  dem  Jahre  1612,  ist  in  den  Besitz  unseres  Museums  gekommen.  Ein  halbrundes  Relief 
mit  der  Auferstehung,  datiert  1542,  zeigt,  dass  die  polychrome  Glasur  auch  in  der  schlesischen  Ofen- 
töpferei des  16.  Jahrhunderts  gepflegt  wurde.  Wichtig  sind  zwei  Suiten  von  Ofenkachelformen  des  16.  Jahr- 
hunderts aus  Breslau,  die  eine  mit  biblischen  Szenen,  die  andere  mit  Einzelfiguren  (Sigismund  Bathori, 
Polnischer  Reiter,  Arkebusier).  Mehr  von  lokalem  Interesse  sind  die  anderen  derselben  Zeit  angehörigen 
keramischen  Gattungen  aus  Schlesien.  Sie  wie  die  noch  gar  nicht  erforschte  volkstümliche  Töpferei  unserer 
Provinz  haben  im  übrigen  eine  ganz  ausserordentliche  Mannigfaltigkeit  aufzuweisen. 

Mehr  sekundäre  Bedeutung  neben  den  nationalen  Gattungen  hatte  im  16.  Jahrhundert  in  Deutsch- 
land die  Keramik,  die  unter  dem  Einflüsse  der  italienischen  Majolika  stand.  Unser  Museum  besitzt  davon 
ein  wertvolles  Beispiel,  eine  prächtige  grosse  Eule  in  Blaumalerei  auf  weissem  Grunde  aus  dem  Jahre  1560, 
deren  Fabrikationsort  in  der  Schweiz  oder  Süddeutschland  zu  suchen  ist. 

Den  Schrank  113  füllen  kleine  Schnitzereien  in  Holz,  Elfenbein,  Perlmutter  und  Hörn  aus  dem  16.  und 
17.  Jahrhundert,  Figuren,  gedrechselte  Becher,  ein  Spielbrett,  Spielsteine  u.  s.  w. 

SAAL  XV.  Aus  der  Barockzeit  besitzen  wir  genügend  Möbel  und  Einrichtungsstücke,  so  dass 
wir  den  Versuch  machen  konnten,  das  Gleichartige  nicht  gerade  zu  Interieurs  zu  vereinigen,  aber  doch 
wenigstens  zusammenzustimmen.  Die  Möbel  sind  fast  durchwegs  schlesischer  Herkunft.  Dem  bürgerlichen, 
meist  der  Frühzeit  des  Barockes  angehörigen  Mobiliar,  steht  gegenüber  das  prunkvolle,  reiche  im  Stile 
Ludwigs  XIV.  Annähernd  ein  Bild  von  der  Dekoration  eines  fürstlichen  Raumes  in  dieser  Zeit  giebt  eine 
Ecke,  deren  Wände  mit  französischen  Gobelins  und  prächtigen  Ooldtapeten  bespannt  sind  und  deren 
bedeutendstes  Einrichtungsstück  das  reich  geschnitzte  und  vergoldete  Bett  eines  Abtes  von  Leubus  vom 
Ende  des  17.  Jahrhunderts  bildet.  Sehr  gute  Gobelins  schmücken  auch  andere  Wände  des  Saales,  in  dem 
noch  ein  mächtiger  buntglasierter  Ofen  mit  Szenen  aus  der  römischen  Geschichte,  eine  hervorragende 
Leistung  der  schlesischen  Ofentöpferei  des  17.  Jahrhunderts,  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  zieht. 

SAAL  XVI.  Glas.  Es  bedarf  nicht  besonderer  Rechtfertigung,  dass  die  Glassammlung  unseres 
Museums  sich  in  der  chronologischen  Anordnung  an  die  Barocke  anschliesst.  In  dieser  Zeit  treten  Schlesien 
und  das  benachbarte  Böhmen  mit  der  Glasfabrikation  in  die  allgemeine  Geschichte  des  Kunstgewerbes,  um 
sich  in  ihr  ein  ruhmvolles  Kapitel  zu  sichern  und  unsere  Glassammlung  findet  natürlich  ihren  Mittel- 
punkt in  den  einheimischen  Erzeugnissen.  Dieser  reiche,  berühmte  Bestand  wird  fortwährend,  besonders 
durch  datierte  Stücke  vermehrt.  Nicht  minder  wichtig  ist  aber  jetzt  für  uns  sowohl  aus  wissenschaftlichen 
als  auch  aus  praktischen  Gründen,  um  der  Industrie  imserer  Provinz  Anregungen  geben  zu  können,  die 
Berücksichtigung  des  ganzen  Gebietes  geworden.  So  wurde  im  verflossenen  Jahre  eine  grössere  Kollektion 
von  antiken  Gefässen  vom  Libanon  und  von  Fragmenten  aus  Italien  erworben,  in  der  die  hauptsächlichsten 
Formen  und  Techniken  vertreten  sind,  und  mit  der  Anschaffung  von  venetianischen  Gläsern  begonnen. 
Die  deutschen  Gläser  sind  folgendermassen  geordnet:  Schrank  116  enthält  eine  Zusammenstellung  von 
glatten,  genuppten  und  gekniffenen  Gläsern,  zum  Teil  von  recht  abenteuerlichen  Formen,  und  eine  Anzahl  von 
frühen  „gerissenen"  d.  h.  durch  Gravierung  mit  der  Diamantspitze  verzierten  Gefässen,  Schrank  117  die  schönen, 
in  Emailmalerei  dekorierten  Gläser  des  16.  und  17.  Jahrhunderts,  von  denen  nicht  wenige  wegen  ihrer 
Darstellungen  als  Unica  zu  bezeichnen  sind,  Schrank  118  die  Nachblüte  der  Emailmalerei  im  18.  Jahrhundert 
und  die  in  Kupferstichmanier  bemalten  Gläser  (Schapergläser).  Die  gravierten  Gläser  sind  in  drei  Haupt- 
epochen geschieden:  1.  die  Frühzeit  von  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  bis  zum  Eindringen  des  Berainschen 
Stiles  (Schrank  119).  2.  Der  Berainsche  Stil  (Schrank  120).  3.  Die  Zeit  des  Rokoko  bis  zum  Ende  des 
Empirestiles  (Schrank  121).  Mit  dem  künstlerischen  Reize  dieser  herrlichen  Suite  verbindet  sich  ein  grosser 
lokalhistorischer,    da   sich    in    dem  Darstellungskreise   dieser  Gefässe  ein   gutes  Stück   schlesischer  Kultur- 

T 


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geschichte  des  IS.  Jalirliiiiulcrts  vviederspiey;elt.  Im  Scliraiik  123  sind  die  Gläser  mit  Silber- und  Goldfolien, 
sowie  die  Milchgläser  zusaniniengestellt,  im  Schrank  124  Arbeiten  aus  der  Zeit  der  kunstgewerblichen  Reform 
des  19.  Jahrhunderts  aus  schlesischen  und  böhmischen  Hütten,  eine  Sammlung,  die  aber  noch  zu  sehr  zu- 
fälligen Charakter  trägt,  um  über  die  Kestrebungen  dieser  Epoche  hinreichend  zu  orientieren. 

SAAL  XVII.  Sog.  Beyersdorfzimmer  um  1720.  Fayencen  dieser  Zeit.  Im  Jahre  18QS 
schenkte  Frau  Adelheid  Beyersdorf  dem  Museum  schlesiseher  Altertümer  die  Wand-  und  Deckendekorationen 
eines  Zimmers  aus  dem  Hause  Nr.  18  19  am  Blücherplatze,  das  einige  Jahre  vorher  zum  Abbruche  gelangt  war. 
Sie  bestanden  aus  Wandbildern,  einem  grossen  Deckenbilde  und  niederdeutschen  Fliesen  in  Blaumalerei 
als  l'mrahmung  der  Wandbilder.  Bei  der  Einrichtung  des  neuen  Museums  legten  wir  Wert  darauf,  diese 
Wandbekleidung  wieder  zu  rekonstruieren,  um  wenigstens  in  einem  Räume  der  kunstgewerblichen  Samm- 
lungen das  zu  erhalten,  was  jeder  einzelne  zeigen  sollte,  die  ganze  Ausgestaltung  und  Dekoration  im 
Charakter  einer  bestinmiten  Zeit.  Zudem  ist  die  Wandbekleidung  mit  Fliesen  im  18.  Jahrhundert  für 
Schlesien  durchaus  nicht  eine  vereinzelte  Erscheinung.  Das  Haus  am  Blücherplatze  gehörte  einem  gewissen 
Adrian  Bögel,  der  1674  in  Hamburg  geboren  war,  sich  in  Breslau  niederliess  und  hier  heiratete.  Sein 
Porträt,  das  seiner  Frau  imd  seines  Sohnes  sind  als  Sopraporten  angebracht.  Die  grossen  Wandbilder  veran- 
schaulichen in  idealer  Auffassung  den  Seehandel  von  Hamburg,  das  Deckengemälde  enthält  eine  Allegorie 
auf  Gerechtigkeit  und  Frieden,  die  Fliesen  gehören  verschiedenen  Fabriken  an  und  bieten  nebst  Land- 
schaften einen  förmlichen  Katechismus  des  Alten  und  Neuen  Testamentes.  Zur  Einrichtung  des  Zimmers 
wurde  ein  grosser  schlesiseher  Ofen  mit  weissen  Reliefs  auf  blauem  und  gelbem  Grunde  und  eine  Anzahl 
gleichzeitiger  Möbel  verwendet. 

Ausserdem  sind  in  diesem  Räume  die  Fayencegattungen  untergebracht,  deren  Blüte  um  die  Wende 
des  17.  zum  18.  Jahrhundert  zu  setzen  ist,  stilistisch  genommen  diejenigen,  die  mehr  oder  minder  unter  dem 
Einflüsse  des  ostasiatischen,  aber  noch  nicht  des  europäischen  Porzellans  stehen.  Dazu  sind  gerechnet 
die  Fabrikation  von  Delft  (Schrank  125),  die  deutschen  Blaumalereien,  vor  allem  von  Bayreuth  (Schrank  127) 
und  die  französischen  Fayencen  von  Nevers,  Ronen,  Moustiers  und  Marseille  (Schrank  126),  von  denen 
schöne  Beispiele  in  der  letzten  Zeit  ins  Museum  gekommen  sind. 

SAAL  XVIII.  Rokoko  —  Porzellan  Stil  Ludwigs  XVI.  Auch  beim  Mobiliar  des  Rokoko  stehen 
in  unserer  Sammlung  die  schlesischen  Arbeiten  im  Vordergrund.  Charakteristisch  dafür  sind  besonders 
Schränke  und  Sekretäre  mit  Einlagen  in  Holz,  Elfenbein  und  Perlmutter.  Beachtung  verdient  ein  reich  ge- 
schnitzter Konsoltisch  mit  Hermenbeinen,  und  auf  den  Verbindungsspreizen  aufgesetzten  Früchten,  Vögeln  etc. 
in  naturalistischer  Behandlung  mid  Bemalung,  dazu  ein  ähnlicher  Spiegel,  importierte  Arbeiten  im  Stile  des 
Holzbildhauers  J.  B.  Toro.  Damit  aber  auch  das  mehr  typische  Rokoko  des  Westens  nicht  fehle,  wurden 
in  letzter  Zeit  ein  fein  geschnitzter  Eichenschrank  und  ein   Armsessel,  beide  Lütticher  Arbeiten,  erworben. 

Zwischen  das  Mobiliar  des  Rokokos  und  des  Stiles  Ludwigs  XVI.  ist  die  Sammlung  des  europäi- 
schen Porzellans  eingeschoben.  Sie  kann  zwar  noch  lange  nicht  auf  relative  Vollständigkeit  Anspruch 
machen  —  besonders  in  der  Figurenplastik  enthält  aber  sehr  viel  Gutes  und  Interessantes.  Die  Ge- 
schichte der  Fabrikation  von  Meissen  lässt  sich  schon  jetzt  an  einer  gewählten,  zwei  Schränke  einnehmen- 
den Kollektion  von  der  Frühzeit  an  bis  zur  Epoche  Marcolinis  verfolgen.  Ein  Service  mit  Ansichten 
schlesiseher  Städte  in  feinster  Miniaturmalerei  mit  Goldornamenten,  1734  datirt,  darf  als  ein  aussergewöhn- 
liches  Kabinetstück  bezeichnet  werden.  Wien  (Schrank  130)  hat  als  Glanzpunkt  ein  vollständiges  Service 
von  19  Stücken  der  Sorgenthalschen  Periode  aufzuweisen,  dessen  köstliche  Malereien  nach  einer  franzö- 
sischen Vorlage  höchst  charakteristisch  für  den  Geist  der  Empirezeit  die  Finiktionen  des  Amor  schildern. 
Im  Schranke  mit  dem  Berliner  Porzellan  (Nr.  128)  ist  hervorzuheben:  Grosse  Vase,  mit  Marke  Wegelis — 
weiss  glasierte  Figur  der  Kaiserin  Katiiarina  II  Teller  aus  dem  Breslauer  Service  Friedrichs  des  Grossen. 
Von  den  anderen  Fabriken  (Schrank  131)  sind  in  mehreren  oder  einzelnen  Stücken  repräsentiert:  Nymphen- 
burg, Fürstenberg,  Höchst,  Ansbach,  Kloster  Veilsdorf,  Gotha,  Rudolstadt,  Kopenhagen, 
Sevres,   Capo  di  Monte,  Venedig,  Worcester,   Chelsea. 

Schlesiens  Auteil  au  der  Geschichte  des  Porzellans  besteht  darin,  dass  es  die  I  leimat  zweier 
Männer  war,  die,  ausserhalb  des  Verbandes  von  Fabriken  stehend,  durch  Dekorierung  fremden  Porzellanes 
die   Fälschung  auf  diesem   Gebiete   inaugurierten,   des   A.   Bottengrnber   und   des    Preussler.     Für  die 


53 

Kenntnis  des  ersteren,  der  später  in  der  Wiener  Manufai<tur  eine  leitende  Stellung  erhielt,  besitzt  das 
Museum  wertvolles  Material,  drei  voll  signierte  Teller  aus  seiner  Friihzeit  (1728),  eine  monogrammierte  Unter- 
tasse, die  ihn  auf  der  Höhe  seines  Könnens  zeigt,  und  anderes.  Dem  Preussler  ist  eine  Untertasse  mit 
Chinoiserien  in  Schwarzmalerei  zuzuschreiben. 

Den  Möbelstil  der  Zeit  Ludwigs  XVI.  veranschaulicht  bis  jetzt  nur  ein  schönes  französisches 
Cylinderbüreau  aus  Mahagoniholz  mit  einfachen  Bronzebeschlägen.  Von  Mobiliar  der  Empirezeit  besitzt 
das  Museum  noch  nichts  Bemerkenswertes. 

GALERIE  XIX.  Keramik  und  Kleinkünste  des  18.  Jahrhunderts.  Die  langen  Wand- 
schränke Nr.  137  13Q  enthalten  jene  keramischen  Gattungen  des  18.  Jahrhunderts,  die  mehr  oder  minder 
der  Konkurrenz  mit  dem  europäischen  Porzellan  ihre  Entstehung  und  charakteristischen  Merkmale  zu  ver- 
danken haben.  Dazu  gehören  die  Fabrikation  von  Münden,  Strassburg  und  des  von  Strassburg  ab- 
hängigen Holitsch,  von  dem  u.  a.  ein  ausgezeichneter  Tafelaufsatz  mit  Tritonenfigur  vorhanden  ist.  Den 
breitesten  Raum  nehmen  die  schlesisclien  Fayencen  des  18.  Jahrhunderts  ein,  besonders  die  von  Proskau, 
von  dessen  Vielseitigkeit,  die  auf  die  verschiedensten  Einflüsse  zurückzuführen  ist,  eine  grosse  Kollektion 
von  Oefässen  und  Figuren  Zeugnis  ablegt.  Während  Proskau  eine  lange  bis  in  die  Empirezeit  —  siehe 
die  Oefässe  im  „hetrurischen  Stile"  nach  Zeichnungen  des  Professor  Bach  —  reichende  Entwicklung  auf- 
weist, sind  die  nicht  gerade  häufigen  Erzeugnisse  der  Fabrik  in  Gleiwitz,  Kreis  Leobschütz,  die  1753  von 
der  Gräfin  Oarsehin  gegründet  wurde,  unter  einander  ziemlich  gleichartig.  An  die  Fayencen  schliesst  sich 
das  englische  Steingut  an.     Von  Arbeiten  des  Josiah  Wedgwood  ist  nichts  Hervorragendes  da. 

Auf  der  Galerie  stehen  ausserdem  drei  Pultschränke  mit  Arbeiten  der  Kleinkünste  des  18.  Jahr- 
hunderts und  vom  Anfange  des  IQ.  Jahrhunderts:  Schrank  134  in  Email  bemalte  Plättchen,  Wachsbos- 
sierungen  (Karl  VI.,  Maria  Theresia,  Geliert)  und  Miniaturporträts.  Schrank  135:  Fächer.  Schrank  136; 
Dosen  in  den  verschiedensten  Techniken  und  Uhren. 

Über  den  Wandschränken  hängt  der  schöne,  auf  Tafel  VIII  abgebildete  Gobelin  des  16.  Jahrhunderts 
aus  der  Elisabetkirche. 

ZIMMER  XX.  Eisenarbeiteii  als  eine  technische  Gruppe  zusammengestellt.  In  historischer 
Folge  geordnet  führt  sie  die  Entwicklung  von  Schloss  und  Schlüssel  seit  dem  Mittelalter,  Beschläge,  Thür- 
klopfer  etc.  vor.     Ausserdem  sehr  schöne  geschmiedete  Oberlichtgitter  Breslauer  Herkunft  und  Grabkreuze. 

SAAL  XXI.  Die  Kunst  des  Orientes,  gegenwärtig  noch  die  schwächste  Partie  der  kunst- 
gewerblichen Abteilung  des  Museums.  Erst  der  Ankauf  der  Sammlung  des  Baron  von  Falkenhausen  durch 
das  ehemalige  Vereinsmuseum  hat  dafür  überhaupt  den  Anfang  geschaffen.  Ihr  wird  besonders  Chinesi- 
sches verdankt.  Das  bemerkenswerteste  darunter  sind  Porzellanschüsscl  und  Teller  der  Familie  rose,  eine 
schöne  Seladonschüssel  und  zwei  kostbare  Jadeschnitzereien. 

Von  japanischen  Arbeiten  wurde  im  laufenden  Jahre  eine  kleine  Kollektion  von  Schwertstich- 
blättern verschiedener  Techniken  und  Zeiten  erworben.  Der  Erwerbung  guter  japanischer  Töpfereien 
wendet  das  Museum  gleichfalls  sein  Augenmerk  zu.  Die  vorderasiatische  Kunst  vertritt  ein  Rhodusteller, 
persische   Fliesen  und  geätzte  Mctallarbeitcn. 

Da  bei  der  Einrichtung  des  Museums  die  Sammlungen  kunstgewerblicher  Arbeiten  aus  den  Kultur- 
ländern des  Orientes  nicht  ausreichten,  den  Saal  XXI  zu  füllen,  wurde  hier  eine  wertvolle  ethnographische 
Sammlung  von  den  Südsceinseln,  ein  Geschenk  des  Ingenieur  Mende  an  die  Stadt  Breslau,  aufgestellt.  So 
erwünscht  es  wäre,  dass  Breslau  auch  ein  ethnographisches  Museum  erhält,  kann  unsere  Anstalt  sich  schon 
aus  Raummangel  mcht  auf  die  systematische  Vermehrung  dieses  Grundstockes  veriegen.  Dagegen  trugen 
wir  kein  Bedenken,  als  sich  im  verflossenen  Jahre  günstige  Gelegenheit  dazu  bot,  zwei  Bronzen  aus  Benin 
(Negerkopf  und  Hahn)  zu  erwerben,  weil  die  Schöpfungen  dieser  untergegangenen  afrikanischen  Kultur 
technisch  wie  künstlerisch  höchste  Beachtung  verdienen. 

SAAL  XXII  (im  2.  Stockwerk).  Textilsammlung,  Bucheinbände.  Die  Gobelins  und  Teppiche 
des  Museums  sind  bis  auf  wenige,  die  dekorative  Verwendung  im  Treppenhause  und  auf  der  Galerie  ge- 
funden haben,  in  die  stilhistorischen  Sammlungen  eingereiht,  die  europäischen  Kostüme  in  der  kultur- 
historischen Abteilung;    orientalische  Gewänder    werden   in  dem  Räume  des  orientalischen  Kunstgewerbes 


54 


ihre  Aufstellung  finden.  Alle  anderen  Texfilarbeiten  sind  zu  einer  technologischen  Gruppe  vereinigt.  Der 
Raum  dafür  ist  erst  provisorisch  eingerichtet.  Die  Textilsamnihnig  zählt  zu  den  vollständigsten,  reichsten 
Abteilungen  des  IWuseums.  Namentlich  die  Zuwendungen  aus  Kirchen  haben  wertvolles  Material,  Mess- 
gevvänder  und  Stickereien  der  Spätgotik  beigesteuert. 

IV.    DIE  SAMMLUNG  MODERNEN  KUNSTGEWERBES 

In  den  Räumen  des  II.  Stockwerkes  veranstaltet  das  Museum  fortwährend  wechselnde 
Ausstellunt^en,  die  das  Publikum  und  die  Kunstgewerbetreibenden  mit  allen  neuen  Erschei- 
nungen des  Kunstliandwerkes  neuerer  Tage  bekannt  machen.  Ausserdem  aber  verlangen 
die  veränderten  Bedingungen,  unter  denen  das  Kunsthandwerk  jetzt  arbeitet,  dass  das 
Museum  auch  einen  festen  Bestand  von  modernen  kunstgewerblichen  Erzeugnissen  zur 
Verfügung  liat.  Die  immittelbare  Quelle  der  Anregung,  aus  der  die  Kunstarbeit  der  Gegen- 
wart schöpft,  ist  nicht  mehr  so  sehr  die  Vergangenheit  als  das  zeitgenössische  Schaffen. 
Eine  Auswahl  des  Besten  darunter  ist  also  in  einer  Anstalt,  die  didaktische  Zwecke  ver- 
folgt, unerlässlich. 

Mit  der  Gründung  der  Abteilung  modernen  Kunstgewerbes,  die  im  Saale  XXVII 
Aufstellung  gefunden  hat,  wurde  gleich  im  I.  Etatsjahre  begonnen.  Die  Pariser  Welt- 
ausstellung gab  Gelegenheit,  sie  bedeutend  zu  vermehren.  Schon  jetzt  gewährt  die  Samm- 
lung wenigstens  für  ein  Gebiet,  das  der  Keramik,  einen  lehrreichen  Überblick,  während 
für  alle  anderen  -  Möbel,  Glas,  dekorative  Malerei,  Beleuchtungswesen,  Metallarbeit, 
Schmuck,  Bucheinband        erst  Anfänge  vorhanden  sind. 


Orundriss  des  II.  Stockwerkes 


55 


Lese-  und  Zeichensaal  des  Museums 


DIE   BIBLIOTHEK   UND   DER  ZEICHENSAAL 

Den  durch  die  Verwaltungs-Ordnung  festgesetzten  Aufgaben  des  Museums  dient 
neben  den  Sammlungen  ein  offener  Zeichensaai  und  eine  Faclibibliothek.  Die  Bibliothek 
zerfällt  in  zwei  Hauptabteilungen,  die  Biichersammlung  und  die  Studienblätter-Sammlung. 
Der  für  die  engeren  kunstgewerblichen  Bedürfnisse  des  Museums  wichtige  Teil  der 
Bücherei  sowie  die  Studienblätter  sind  in  dem  grossen  Lesesaal  des  2.  Stockwerkes,  der 
zugleich  als  Zeichensaai  eingerichtet  ist,  untergebracht.  Hier  liegen  auch  zahlreiche  Zeit- 
schriften aus.  Die  Bestimmungen  für  ihre  Benützung  wie  die  der  Bücher  sind  so  liberal, 
dass  die  Besucher  der  Bibliothek  diese  als  eine  Handbibliothek  betrachten  dürfen. 

Um  die  Benützung  der  Bibliothek  möglichst  zu  erleichtern,  wurde  sie  nach  Fach- 
gruppen geordnet  und  in  drei  Formaten  -  gross,  mittel,  klein  aufgestellt.  Das  System 
der  Fachgruppen  ist  folgendes:  1.  Lexica,  11.  Zeitschriften,  III.  Kunstlehre,  IV.  Kunst- 
unterricht,  V.  Museologie,  VI.  Kunsttopographic,  VII.  Kunst-  und  Künstlergeschichte, 
VIII.  Ornamentik,  IX.  Baukunst,  X.  Plastik,  XI.  Malerei,  XII.  Graphische  Künste,  XIII.  Buch- 
ausstattung,   XIV.  Kunstgewerbe,    XV.  Innenausstattung,    XVI.  Metall,    XVII.  Instrumente, 


56 

XVIII.  Keramik,  XIX.  ülas,  XX.  Textilkiinst,  XXI.  Trachten,  XXII.  Waffen,  XXIII.  Leder, 
Papier,  XXIV.  Mythologie,  XXV.  Christliche  Archaeoiogie,  XXVI.  Urgeschichte,  XXVII.  Ge- 
schichte und  Geographie,  XXVIII.  Kulturgeschichte,  XXIX.  Volkskunde,  XXX.  Naturwissen- 
schaften, XXXI.  Heraldik,  XXXII.  Numismatik,  XXXIII.  Bücher-  und  Bibliothekenkunde. 

Die  Fächer  „Urgeschichte"  und  „Numismatik",  die  als  der  Hauptstock  der  Bibliothek 
des  früheren  Museums  für  schlesische  Altertümer  einen  sehr  grossen  Umfang  haben, 
wurden  aus  praktischen  Gründen  im  Erdgeschosse  im  Arbeitszimmer  des  II.  Direktors 
aufgestellt,  die  Fächer  „Geschichte  und  Geographie,  Volkskunde,  Naturwissenschaften  und 
Bücher-  und  Bibiiothekenkunde",  die  gleichfalls  nur  für  spezielle  Interessen  in  Frage  kommen, 
sind  in  Nebenräumen  der  Bibliothek  untergebracht. 

Parallel  mit  der  Aufstellung  der  Bücher  geht  die  der  Studienblätter-Sammlung 
(Photographien,  Photomechanische  Reproduktionen,  Zeichnungen,  Aquarelle  etc.)  in  zwei 
Formaten  und  nach  folgendem  Systeme:  I.  Naturstudien  II.  Schlesische  Landschaftsbilder 
und  Kunstdenkmäler,  III.  Ornamentik,  IV.  Baukunst,  V.  Plastik,  VI.  Malerei,  VII.  Graphische 
Künste,  VIII.  Kunstdruck,  IX.  Buchausstattung,  X.  Innenausstattung,  XI.  Möbel,  XII.  Kirchen- 
geräte, XIII.  Goldschmiedekunst,  XIV.  Unedle  Metalle,  XV.  Schmiedeeisen,  XVI.  Instrumente, 
XVII.  Keramik,  XVIII.  Glas,  XIX.  Textilkunst,  XX.  Trachten,  XXI.  Waffen,  XXII.  Leder  und 
Papier,  XXIII.  Heraldik,  XXIV.  Porträts. 

Den  Lesesaal  schmückt  ein  ausgezeichneter  Bronceabguss  nach  der  antiken  Statue 
des  „Idolino"  aus  der  Münchener  Giesserei  „Renaissance",  ein  Geschenk  des  Geheimen 
Kommerzienrats  Moriz-Eichborn. 


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ABHANDLUNGEN 


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DER  GOLDRINO  VON    RANSERN 


Im  Herbst  des  Jahres  1888  wurde  auf  dem  Dominialfelde  von  Ransern  bei 
Breslau  während  der  Kartoffelernte  ein  grosser  schwerer  metallener  Reif  von  gelber  Farbe 
aus  dem  Acker  gehoben. 

Unsere  Landbevölkerung  wohl  nicht  nur  die  schlesische    —    hält  noch  immer 

jedes  bronzene  patinierte  Fundstück  aus  urgeschichtlicher  Zeit  für  Oold,  jedes  gelbe 
goldene  für  Messing.  Auch  dieser  Ring  erschien  dem  Schaffer,  dessen  Magd  ihn  gefunden 
hatte,  wertlos;  selbst  der  Inspektor  des  Gutes  erklärte  ihn  für  einen  Maschinenteil. 
Wochenlang  lag  der  Ring  unbeachtet  auf  dem  Fensterbrett  der  Wohnung  des  Schaffers. 
Erst  als  ihn  dieser  mit  einer  Verkaufsermächtigung  in  die  Stadt,  nach  Breslau,  zur  Ver- 
äusserung  brachte,  wurde  er  von  dem  Goldwarenhändler  Guttentag  in  seinem  Metall- 
werte  erkannt.  Es  ergab  sich,  dass  der  massive  Ring  aus  geschmiedetem  Feingold  bestand, 
708  g  wog  und  nach  heutiger  Schätzung  einen  Geldwert  von   1817  Mk.  repräsentierte. 

Glücklicherweise  entging  er  dem  Schicksal  vieler  anderer  prähistorischer  Goldfunde, 
eingeschmolzen  zu  werden.  Der  Goldwarenhändler  Guttentag,  der  ihn  für  10  Mk.  erstanden 
hatte,  machte  Anzeige  von  dem  Kaufe  beim  Magistrat  der  Stadt  Breslau.  Die 
Stadtgemeinde  ist  Besitzerin  des  Gutes  Ransern.  Sie  überwies  den  Ring  nach  Auszahlung 
einer  namhaften  Belohnung  an  den  Käufer  und  den  Finder  dem  damaligen  Museum 
schlesischer  Altertümer,    unserem    heutigen  Schlesischen  Museum    für  Kunstgewerbe  und 


60 

Altertümer,  wo  er  eine  Zierde  der  präliistorisclien  Abteiliiiii;  bildet.  (Fundgeseliielite  in 
der  Schlesischen  Zeitung  vom  5.  AAai  1S8Q;  weiteres  in:  Schlesiens  Vorzeit  in  Bild  und 
Schrift  V,  ftl;  Correspondenzblatt  der  Deutschen  anthropologischen  Gesellschaft  ISSO  [1|). 
Der  im  Durchschnitt  kreisrunde  Reif  ist  elliptisch  gebogen  (Durchmesser  0,168  :  0,122  m) 
und  an  den  sich  allmcählicli  verjüngenden  Enden  mittels  eines  Einsteck-Schlosses  verschliessbar. 
Das  Schioss  besteht  aus  einer  Rosette  (Dm.  0,025,  Dicke  0,015  m)  an  dem  einen  und 
einem  durchbohrten  Zapfen  am  anderen  Ring-Ende.  Der  Zapfen  in  die  Rosette  gesteckt, 
kann  mittels  eines  Riegels  festgehalten  werden.  Die  Aussenfläche  der  Rosette  ist  durch 
breitgehämmerten  Oolddraht  in  acht  blütenblattförmige  Felder  geteilt,  die  sich  um  einen 
rautenförmigen  Mittelpunkt  ordnen.  Die  so  hergestellten  Cloisons  sind  mit  Carneol- 
plättchen  ausgefüllt.  Zu  beiden  Seiten  des  Schlosses,  also  an  die  Rosette  und  an  den 
Zapfen  angrenzend,  ist  je  eine  Golddrahtspirale  von  elf  Windungen  aufgelötet,  die  durch 
einen  stärkeren  gerieften  Golddraht  vorn  und  hinten  begrenzt  wird. 

Das  kostbare  Schmuckstück  zeigt  den  sogenannten  Merovingerstil,  gehört  also  in 
die  Zeit  der  Völkerwanderung. 

Analoga  sind  eine  Menge  bekannt.  Das  Fundgebiet  derartiger  Stücke  erstreckt 
sich  vom  Kaukasus  aus  über  Südrussland  und  die  Donauländer,  bis  nach  Frankreich  und 
Spanien.  Ganz  ähnliche  Stücke  enthalten  z.  B.  die  Funde  von  Petreosa  (in  Bukarest), 
Nagy-Szent-Miklös  (im  kunsthistorischen  Hofmuseum  zu  Wien),  ferner  der  Fund  von 
Tournai,  das  Grab  des  481  gestorbenen  Frankenkönigs  Childericli,  endlich  die  Funde  von 
Szilägy  Somlyö  in  Ungarn  und  Apahida  in  Siebenbürgen. 

Mehrfache  weitere  Nachforschungen  an  der  Ranserner  Fundstätte  blieben  ergebnislos. 
Die  Stelle  liegt  im  Überschwemmungsgebiete  der  Oder  und  ist  völlig  frei  von  Geschieben 
und  Steinen.  Schon  daraus  kann  man  den  Schluss  ziehen,  dass  es  sich  nicht,  wie  in 
Sacrau  um  eine  Grabstätte,  sondern  um  einen  Einzelfund  handelt.  Wie  aus  Karten  der 
Feldmark  Ransern  von  1761,  17Q6  und  1814  festgestellt  werden  konnte,  ist  das  jetzt  ebene 
Gelände  der  Fundstelle  früher  Hügelland  gewesen.  Die  Hügel  sind  in  späterer  Zeit,  als 
man  zur  Deichaufschüttung  in  der  Nachbarschaff  Boden  brauchte,  abgetragen  worden. 
Doch  lässt  sich  die  Lage  der  Hügel,  da  ihre  Stelle  durch  hellere  Färbung  von  dem 
übrigen  dunkleren   Boden   sich  abhebt,  heute  noch  erkennen. 

Die  einstige  Bestimmung  des  Schmuckstückes,  ob  es  ein  Hals-,  Bein-  oder  Armring 
gewesen  ist,  oder  ob  es  gar  als  Diadem  gedient  hat,  wie  der  kostümkundige  August 
von  Heyden  behauptet  hat,  lässt  sich  heute  kaum  mit  Sicherheit  feststellen. 

Wilhelm  Greriipler 


61 


RESTE  DES  VINZENZKLOSTERS  BEI  BRESLAU 


Über  das  1529  zerstörte  Vinzenzkloster  bei  Breslau  haben  wir  zwei  zusammenfassende  Arbeiten, 
eine  geschichtliche  von  Qörlich  und  eine  l<unstgeschichtliche  von  Luchs.  Die  von  Luchs  (Über  einige 
mittelalterliche  Kunstdenkniäler  von  Breslau,  Breslau  1855,  S.  36)  fusst  in  den  geschichtlichen  Partieen  auf 
der  älteren,  auf  urkundlichem  Material  aufgebauten  von  Oörlich  (Urkundliche  Geschichte  der 
Prämonstratenser  und  ihrer  Abtei  zum  heiligen  Vinzenz,  Breslau  1836  und  1841),  berücksichtigt  aber  nebenbei 
noch  sorgsam  selbst  die  kürzesten  auf  das  Kloster  bezüglichen  Nachrichten  der  Breslauer  Chronisten  vom 
16. — 19.  Jahrhundert,  sowie  kleinere  Veröffentlichungen  einzelner  Klosterreste,  namentlich  des  romanischen 
Portals  der  Magdalenenkirche.  Eine  gewissenhafte  Nachprüfung  aller  dieser  Quellen  erster,  zweiter,  dritter 
Ordnung  ist  erfolgt.  Es  wird  deshalb  auf  die  in  dem  Buche  von  Luchs  verzeichnete  Litteratur  nicht 
eingegangen,  um  den  Aufsatz  von  Fussnoten  zu  entlasten.  Nächst  der  Durchführung  dieser  Arbeit  erstrebt 
die  nachfolgende  Untersuchung  die  Aufnahme  eines  genauen  Inventars  der  in  Abbildungen  oder  Originalen 
bekannten,  durch  Entdeckungen  neuerer  Zeit  vermehrten  und  jetzt  zum  allergrössten  Teil  im  Schlesischen 
Museum  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer  vereinten  Monumentenreste  und  damit  die  meist 
stillschweigende  Berichtigung  mancherlei  Irrtümer  in  der  bisherigen  Litteratur  über  das  Kloster,  endlich  eine 
Einreihung  der  erhaltenen  Architekturstücke  und  Skulpturen  der  Klostergebäude  in  den  allgemeinen  kunst- 
geschichtlichen Zusammenhang,  soweit  dieses  bei  der  Spärlichkeit  der  historischen  Überlieferung  und  des 
verfügbaren  Vergleichsmaterials  möglich  war. 

Das  Vinzenzkloster  extra  muros 
Wratislaviae,  lag  auf  dem  östlichen 
Teile  des  Elbing,  einer  Vorstadt 
Breslaus  rechts  der  Oder.  „Ein  herr- 
liches Kloster  von  weitläufit^en  Ge- 
bäuden, mit  hohen  Mauern  und 
Türmen  befestigt,  mit  vielen  Ein- 
künften und  allen  Notwendigkeiten 
aufs  beste  versehen"  nennt  es  der 
Bresiauer  Rat  in  einem  Briefe  an 
Papst  Paul  11.  vom  13.  Juli  1466.  Der 
Kirchenerbauer  Graf  Peter  Wlast, 
der  Sohn  des  Wladimir,  eines  am 
Zobten  angesessenen  Edlen,  selbst 
einer  der  angesehensten  polnisch- 
schlesischen  Magnaten  seiner  Zeit  und  persona  gratissima  bei  seinem  Herzog  Boleslaus  III., 
hatte  es  in  der  Einsamkeit  eines  Waldes  nahe  bei  Breslau,  in  dem  er  ein  Jagdhaus  besass, 
1139  zu  Ehren  der  Mutter  Gottes  gegründet.  Eine  diplomatische  Sendung  an  das  Hoflager 
des  deutschen  Kaisers  Konrad  Hl.  nach  Rom  benutzte  er,  um  in  der  heiligen  Stadt 
Reliquien  des  Bischofs  Vinzenz  für  seine  neue  Abtei  zu  erwerben.  Sie  gaben,  am 
6.  Juni  1145  in  Breslau  feierlich  eingeholt,  Veranlassung,  das  ursprünglich  der  Jungfrau 
Maria  gevveiiite  Stift  nun  nach  jenem  Heiligen  zu  nennen.  Am  22.  Juni  1148,  wie 
Görlich  darthut,  oder  ein  Jahr  später,  wie  eine  zweifellos  später  angefertigte  Urkunde 
besagt    wurde    die  Vinzenzkirche    geweiht    und    mit    reichen    Schenkungen  bedacht.     Die 


62 

ersten  Insassen  des  Klosters  waren  Benediktiner  aus  dem  ältesten  poiniseiien  Kloster  Tiniec  bei 
Krakau.  Sie  wurden,  weil  sie  schleelite  Disziplin  hielten,  11Q3  durch  Prämoustratenser, 
vielleicht  aus  der  Martinsabtei  in  Breslau,*)  ersetzt.  Einer  der  Äbte  dieses  Ordens, 
Conrad  II.,  errichtete  ein  opus  lapideum  ecciesie  annexum,  also  wohl  einen  Anbau  oder 
ein  an  die  Kirche  grenzendes  Wohnhaus,  für  das  Bischof  Nanker  von  Breslau  am 
6.  Oktober  1331  einen  Ablass  in  der  ganzen  Diözese  ausschrieb,  um  dem  Abte  und 
Konvente  zu  Hilfe  zu  kommen  „beim  Bau  eines  steinernen  Werkes  an  der  Kirche  zum 
heiligen  Vinzenz,  welches  aus  dem  Grunde  sich  bereits  erhebe,  aber  ohne  anderer  Hilfe 
und  Almosen  wegen  der  grossen  Kosten  nicht  könne  erbauet  werden".  Wilhelm  ill.,  der 
zwischen  1350  und  1364  Stiftsabt  war,  errichtete  dem  Gründer  des  Klosters  und  dessen 
Gemahlin  Maria,  die  beide  in  der  Klosterkirche  ihre  Ruhestätte  gefunden  hatten,  ein 
prachtvolles  Grabmal  von  Marmor.  Im  Jahre  1369  wurde  die  sogenannte  Bischofskapelle 
vom  Bischof  Thomas  von  Sarepta  erbaut  und  zu  Ehren  des  heiligen  Thomas  und  der 
Elftausend  Jungfrauen  eingeweiht.  Eine  bereits  1384  gebaute  Kapelle  war,  wie  1433 
erwähnt  wird,  auf  dem  Kreuzgange  gelegen.  Abt  Franz  baute  1390  die  Kapelle  der 
heiligen  Magdalena.     Im  Jahre  1498  wird  eine  Kapelle  der  Apostel  Peter  und  Paul  genannt. 

Ausser  der  Vinzenzkirche  umfasste  die  gesamte  Klosteranlage  noch  zwei 
Gotteshäuser,  die  Michaelis-  und  die  Allerheiligenkirche. 

Die  Michaeliskirche,  die  nahe  bei  der  Vinzenzkirche  auf  dem  Kloster-Friedhofe  stand, 
hatte  der  Schwiegersohn  Peter  Wlasts,  Graf  Jaxo,  begonnen  und  seine  Witwe  vollendet. 
Sie  ist  dreimal  umgebaut  worden,  das  letzte  Mal  um  1513.  Im  Jahre  1441  wird  eine 
Schenkung  von   10  Mk.  czu  dem  Bawe  erwähnt. 

Die  Allerheiligenkirche,  östlich  vom  Stift  gelegen,  erwarb  das  Kloster  1368.  Sie 
stürzte  1433  völlig  ein,  nachdem  sie  in  den  Hussitenkriegen  künstlich  in  einen  baufälligen 
Zustand  versetzt  worden  war,  um  sie  bei  einem  feindlichen  Angriff  schnell  beseitigen  zu 
können.  Doch  wurde  1467  durch  den  Legaten  Rudolph,  Bischof  von  Lavant,  ein  Ablass 
zu  ihrer  Wiederherstellung  ausgeschrieben,  die  auch  ins  Werk  gesetzt  worden  ist. 

Von  den  zum  Kloster  gehörigen  Gebäuden  wird  in  der  „Topographischen  Chronik" 
weiterhin  berichtet,  dass  sie  1471  und  1474  im  polnisch-ungarischen  Kriege  auf  Kosten 
der  Stadt  befestigt  wurden,  dass  sie  1496  in  sehr  schlechtem  Zustande  waren,  und  Abt 
Johann  V.  notwendige  Restaurationen,  aber  auch  Neubauten  vornahm,  für  die  die  Mittel 
wiederum  durch  einen  Ablass  beschafft  wurden,  im  Jahre  1512  erhielt  das  Kloster  von 
König  Wladislaus  die  Erlaubnis  neben  Bier  auch  Kalk  und  Steine  nach  Bedürfnis  zollfrei 
einzuführen,  was  auf  Bauten  um  diese  Zeit  hindeutet. 

Die  Türkengefahr  des  Jahres  1529  brachte  dem  Kloster  den  Untergang.  Sultan 
Soliman  hatte  mit  einem  gewaltigen  Heere  Ende  August  Ofen  erobert  und  sich  im 
September  gegen  Wien  gewandt.  Schlesien  zitterte  vor  einem  Einfall  der  Türken.  Die 
Befestigungswerke  der  Stadt  wurden  eiligst  erneuert  und  ausgebessert.     Das  brachte  eine 


')  Sclniltc,     Die  Martinsabtei  und  ilie  älteste  Bnrj,'  in  Scliiesion.     Schles.  Ztg.  4.  August  1807. 


63 

Frage  in  Fluss,  die  schon  früher  zu  verschiedenen  Malen  die  Gemüter  der  Breslauer 
lebhaft  erregt  hatte,  die  Frage  der  Schleifung  des  Vinzenzklosters.  Denn  bei  einer 
Belagerung  Breslaus  gewährte  es  mit  seinem  umfänglichen  festen  Gemäuer  dem  Feinde 
einen  höchst  gefährlichen  Stützpunkt.  Die  Türken  ante  portas  veranlassten  nun  den 
Breslauer  Rat  von  dem  früher  nutzlos  beschrittenen  Instanzenwege  abzusehen  und  ein 
Verfahren  kurzer  Hand  einzuschlagen.  Am  13.  Oktober  152Q  wurde  ein  von  mehreren  Rats- 
leuten, dem  Abt  und  den  ältesten  drei  Fratres  unterschriebenes  Verzeichnis  der  Kirchen- 
kleinodien aufgenommen.')  Die  Schätze  erlitten  das  Schicksal,  dem  nur  wenige  der  vom 
Magistrat  schon  seit  1525  eingezogenen  Kirchenschätze  -  ihr  Erlös  sollte  die  Kosten  der 
Befestigung  der  Dominsel  decken  -  entgingen:  sie  wurden  eingeschmolzen.  Zwei  auf 
Pergament  schön  geschriebene  und  mit  reizvollen  gotischen  Initialen  verzierte  Gradualien 
von  1351  und  1362  —  das  erstere  „completus  per  manus  fratris  Johannis  Lozacconis" 
—  sind  wohl  auch  1529  ihrer  wertvollen  Einbandbeschläge  beraubt  worden,  im  übrigen 
aber  noch  in  der  Breslauer  Kgl.  und  Universitätsbibliothek  (Manuscr.  I.  F.  422  und  423) 
erhalten.  Am  Nachmittage  des  14.  Oktober  152Q  zogen  die  Ratmanne  begleitet  von  einer 
grossen  Zahl  Arbeiter  mit  fliegenden  Fahnen  und  klingendem  Spiel  auf  den  Elbing  hinaus, 
um  das  Kloster  niederzureissen.  Vier  Wochen  später  bezeichnete  seine  Stelle  ein  unab- 
sehbarer Schutthaufen.  „Besonnenheit  würde  eingerissen  und  vielleicht  doch  manchen  weh- 
mütigen Gedanken  dabei  gefasst  haben",  meint  Gödich,  „aber  die  Leidenschaft  stürzte 
zusammen."  Diese  Bemerkung  des  katholischen  Kloster-Historiographen  soll  natürlich 
andeuten,  dass  bei  der  Demolierung  weniger  strategische  und  patriotische  Gründe  mit- 
spielten, als  vielmehr  die  in  der  Zeit  liegende  Abneigung  gegen  das  Mönchstum,  die 
Begierde  der  evangelischen  Bürgerschaft,  an  dem  Sitz  der  unbeliebten  Mönche  von  St.  Vinzenz 
ihr  Mütchen  zu  kühlen.  Zugegeben  aber  selbst,  dass  recht  viele  unter  denen,  die  bereit- 
willigst Hand  an  das  Zerstörungswerk  legten,  von  den  allzeit  giltigen  Masseninstinkten, 
der  Zerstörungswut  und  der  Freude  am  Unfug,  geleitet  wurden,  so  zeigt  doch  der 
Umstand,  dass  der  Rat  der  Stadt  schon  vor  Einführung  der  Reformation  beim  Ober- 
landesherrn wegen  der  Schleifung  des  Klosters  vorstellig  wurde,  dass  für  diesen  nur  die 
wirklich  vorhandene  Gefahr  für  die  Sicherheit  der  Stadt  bei  seinem  Vorgehen  in  Frage  kam.-) 

Den  Mönchen  des  dem  Erdboden  gleichgemachten  Klosters  wurde  das  bisherige 
St.  Jacobskloster  an  der  Sandbrücke  in  der  Stadt  eingeräumt,  das  von  da  ab  den  Namen 
Vinzenzkloster  führte.     Hier  blieben  sie  bis  zur  Säkularisation  der  Klöster  im  Jahre  1810. 

An  der  Stelle  der  alten  Michaeliskirche  wurde  schon  1530  eine  neue  hölzerne 
errichtet.  Der  Abt  Scultetus  von  St.  Vinzenz  hat  von  15Q7  — 160Q  wieder  eine  neue,  aber 
hölzerne    erbaut,    die  1635    durch    die  Schweden    beraubt    und  verwüstet  wurde.     Sie  ist 


')  Veröffentlicht  von   Alwin  Schultz:     Einige  Schatzverzeichnisse  der  Breslauer  Kirchen.     Abhand- 
lungen der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Kultur.     Phiios.-hist.  Aht.  1867  S.  23. 

-')  Watteiibach,     Ülier  die   Veranlassunjj  zum   Abbruch  des  Vinzenzklosters,  Zeitschrift  d.  Vereins 
f.  Gesch.  u.  Altertum  Schlesiens  IV,  146  und  Orünhagen,  Geschichte  Schlesiens,  Gotha  1SS4,   II,  46. 


64 

zwischen  1710  und  1717  durcli  den  Abt  Brückner  restanriert  worden.  Heute  steht  seit 
1871  an  dieser  Stelle  die  im  gotischen  Stil  des  IQ.  Jahrhunderts  erbaute  Michaeliskirche. 
Hoch  oben  an  der  Rückseite  des  Hauptaltars  dieser  Kirche  hängt  ein  früher  im 
Vinzenzkloster  am  Sandthor,  dann  im  Pfarrhause  der  Michaeliskirche  aufbewahrtes 
2,33  :  1,88  m  grosses,  leider  sehr  nachgedunkeltes  und  beschädigtes  Ölgemälde  des  alten 
Vinzenzklosters  auf  dem  Elbing.  Eine  kleinere  mit  Ölfarbe  übermalte  Photographie  dieses 
Bildes  aus  dem  Jahre  1884  in  der  Sakristei  derselben  Kirche  ist  der  Besichtigung  bequemer 
zugänglich.  Nach  dieser  Vorlage  sind  sicher  die  Kupfer  in  den  Büchern  unserer  alten 
Lokal-Chronisten  Oomoicky  und  Klose,  und  nach  diesen  wieder  die  Lithographieen  im 
„Breslauer  Erzähler"  (1801)  und  bei  Oörlich  gefertigt  worden.  Grössere  oder  kleinere 
Freiheiten  in  Zuthaten  wie  Abstrichen  haben  sich  die  reproduzierenden  „Künstler"  allerdings 
mehrfach  erlaubt.  Auch  eine  Tuschzeichnung  im  Besitz  unseres  Museums  (Taf.  VI)  geht 
zweifellos  auf  das  Ölbild  zurück.  Die  auf  dem  Blatte  angebrachte  Bezeichnung:  Martin 
Deutschländer  fecit  Anno  1710  W.  E.  v.  Seydiitz  del.  1752  könnte  verleiten  in  jenem 
Deutschländer')  den  Maler  des  Ölbildes  zu  erblicken,  das  Seydiitz  kopiert  hat.  Indes  das 
Ölbild,  das  auf  eine  Künstlerbezeichnung  hin  nicht  zu  untersuchen  war,  muss  früher  als 
1710  entstanden  sein.  Auf  dem  Bilde  ist  nämlich  über  den  Gebäuden  ein  geistliches 
Wappen  mit  Mitra  und  Pedum,  dem  Abtshut  und  einem  nach  beiden  Seiten  abflatternden 
Spruchbande  angebracht:  dreifeldig,  rechts  oben  das  Monogramm  Mariae  mit  dem  Stern, 
links  das  Schweisstuch  der  Veronika,  unten  einen  steigenden  Löwen  mit  einem  Kranze 
oder  Ringe  in  der  erhobenen  rechten  Tatze  enthaltend.  Es  ist  das  Wappen  des  Abtes 
Andreas  III.  Gebel,  der  von  1673 — 1686  dem  Stifte  vorstand.^)  Dieselbe  Zuthat  zeigt 
im  Gegensatz  zu  den  erwähnten  Kopien  auch  die  Tuschzeichnung,  nur  dass  auf  dem 
Spruchbande  statt  „Das  uralte  Closter  S.  Vincentii  auf  dem  Elbing  vor  Breslau": 
„Monasterium  S.  Vincenty  extra  muros  Wratislaviae"  steht.  Hat  also  der  Kopie  von 
Seydiitz  von  1752  ein  Vorbild  Deutschländers  von  1710  zu  gründe  gelegen,  so  war  dieses 
schon  eine  Kopie  des  in  der  Zeit  von  1673-1686  unter  Abt  Andreas  111.  Gebel 
entstandenen  Ölgemäldes.  Abt  Andreas  III.  war  wissenschaftlich  sehr  gebildet,  hatte  also 
gewiss  einen  historischen  Sinn  und  bethätigte  vielfach  seine  künstlerischen  Neigungen  in 
einer  reichen  Ausschmückung  des  Vinzenzklosters  am  Sandthor.  Die  Anfertigung  des 
Ölbildes    ist    also    gewiss    seiner  Anregung    zu    verdanken.      Doch    muss    auch    dieses 


')  Das  Blatt  ist  bei  Oörlich  II,  18  Anm.  2  erwähnt,  wo  irrtümlich  Deutschinann,  ein  in  der 
schlesischen  Kiinstlergeschichte  bekannter  Name,  statt  Deutschländer,  steht.  Über  Deiitschländer  war  nichts 
zu  ermitteln.  Von  Wolff  Erdmann  von  Seydiitz  besitzt  die  Breslauer  Stadtbibliothek  einen  Sammelband  von 
gezeichneten  und  beschriebenen  schlesischen  Denkmälern  und  Denkmalsinschriflen  aus  dem  Jahre  1755 
(Manuskript  1649)  mit  dem  Titel:  Extractus  inscriptionum  sepulchralium  utriusque  Silesie  ex  Cod.  msto 
viri  nobilissimi  Dni  Jo.  Oodofredi  Baronii  J.  U.  D.  et  Regini.  supr.  Wratisl.  Adr.  per  excerps.  Wolff  Erdmann 
ä  Seydiitz  Eqn.  Sil.  et  Eccies.  Cathedral.  Merseburg.  Can.  A.  O.  R.  MDCCXLV  accesserunt  exotica 
quaedam  Monumenta. 

■-)  Nach  Görlich  II,  105  und  einem  Porträt  des  genannten  Abtes  im  Barmherzigen  Brüderkloster 
in  Breslau. 


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65 

Ölgemälde  wiederum  auf  ein  älteres  Vorbild  zurückgeführt  werden,  da  es  kein  Phantasiebild 
ist,  und  das  Kloster  schon  1529  zerstört  war.  Eine  auf  der  Tuschzeichnung  (auf  dem 
Hauszeichen  des  Gebäudes,  vor  dem  der  Tisch  mit  den  Zechern  steht)  angebrachte,  auf 
dem  Ölbilde  aber  nicht  mehr  erkennbare  Jahreszahl  1587  -  giebt  vielleicht  wieder 
eine  Etappe  einer  Abbildungsreihe  an,  deren  Anfang  wir  nicht  kennen.  Denn  zwischen 
einer  etwaigen  Abbildung  des  Klosters  aus  dieser  Zeit  und  dessen  Zerstörung  lägen  ja 
auch  schon  wieder  58  Jahre.  Dass  das  Bild  des  Klosters,  welches  Gomoicky  um  1734 
im  Vinzenzkloster  innerhalb  der  Stadt  sah  und  dessen  lateinische  Unterschrift  er  mit  einer 
deutschen  Übersetzung  mitteilt,  die  mit  der  Unterschrift  des  erhaltenen  Ölbildes  im  wesent- 
lichen übereinstimmt,  ein  vor  der  Demolierung  des  Klosters  aufgenommenes  war,  ist 
durch  nichts  bezeugt. 

Wir  haben  aber  noch  eine  Abbildung  des  Klosters,  die  von  den  bis  jetzt  genannten 
völlig  unabhängig  ist  und  uns  gewissermassen  eine  Kontrolle  bietet,  dass  diese  keine 
Phantasiegebilde  sind.  Wir  finden  sie  auf  dem  aus  der  Vogelperspektive  gezeichneten 
r>lane  der  Stadt  Breslau  von  1562,  den  der  Maler  Bartholomäus  Weyner  mit  seinem  Vater 
zusammen  gezeichnet  hat.     (Abb.  auf  S.  61.) 

Diese  Abbildung  und  das  Ölbild  stimmen  in  der  Hauptsache,  dem  allgemeinen 
Aussehen  und  der  Lage  der  Baulichkeiten,  völlig  überein,  nur  dass  die  Abbildung  auf  dem 
Plane  nach  diesem  orientiert  ist,  wir  also  die  sogenannte  Vinzenz-Oder,  einen  jetzt  ver- 
schütteten Oderarm,  gegen  den  der  heutige  Lehmdamm  eine  Wehr  bildete,  nicht  östlich 
sondern  südlich  vom  Gebäudekomplex  haben.  Wir  sehen  in  das  Kloster  dort  von  Westen, 
hier  von  Süden  hinein.  Die  Weyners,  der  Sohn  oder  der  Vater,  müssen  also  wohl  im  Besitz 
einer  Aufnahme  des  Klosters  vor  seiner  Zerstörung  gewesen  sein,  die  ihnen  so  wertvoll 
erschien,  dass  sie  sie  mit  der  Beischrift:  „Des  Closters  sanct  Vincents  (wie  es  vor  der 
belegrung  der  Stadt  Wienn  ehe  es  eingerissen)  gestanden  und  seine  Gestalt  gehabt 
Ware  Contrafactur  1529"  wahrscheinlich  etwas  zu  weit  westlich,  um  das  böhmische 
Löwenwappen  noch  anbringen  zu  können,  in  den  [>lan  aufnahmen,  in  den  sie  eigentlich 
gar  nicht  mehr  gehörte. 

Bemerkt  muss  werden,  dass  alle  Abbildungen,  die  auf  ein  oder  zwei  frühestens 
1529  entstandene  Vorlagen  zurückgehen,  für  die  romanischen  Architektur-  und  Schmuck- 
fornien  der  Hauptgebäude  ein  nur  sehr  geringes  Verständnis  zeigen.  Am  getreuestcn  ist 
in  dieser  Hinsicht  das  erwähnte  Ölbild. 

Aus  den  Abbildungen  und  den  dürftigen  Zeugnissen  des  Bartliel  Stein,  der  das 
Kloster  noch  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt  gesehen  hat,  ergiebt  sich  nun  folgendes 
Bild  der  gesamten  Klosteranlage.  Der  Mann,  von  dem  eigentlich  das  Mönchstum  des 
Abendlandes  datiert,  der  hl.  Benedict,  hat  in  einem  Satz  gleichsam  das  Programm  des 
ganzen  späteren  Monchstums  ausgesprochen:  monasterium  auteni,  si  fieri  potest,  ita  debet 
construi,  ut  omnia  necessaria,  id  est  aqua,  molendinum,  hortus,  pistrinum  vel  artes  diversae  intra 
monasterium  exerceantur.     Das  Kloster  soll  einen  Staat,  eine  Stadt  für  sich  bilden,  möglichst 


66 

einer  Entlehnung  von  aussen  niclit  bedürftig  sein.')  Und  nacii  diesem  ciaustralen  Prinzip 
ist  auch  unser  ursprüngliches  Benedii<tinerkioster  angelegt.  Es  bildete  in  der  That  eine 
durch  Mauern,  viereckige  und  runde  Türme  und  Wachthäuser  von  der  Aussenwelt  streng 
abgeschlossene  und  zugleich  befestigte  Stadt,  die  etwas  westlich  von  der  jetzigen  Michaelis- 
kirche bis  östlich  an  die  Fischhälter,  südlich  an  den  Lehmdamm  reichte.  Im  Inneren  war 
der  Bezirk  in  6  oder  7  Höfe  geteilt.  Zu  dem  Haupteingange  im  Westen  führte  ein  durch 
lange  Mauern  abgeschlossener  Gang.  Über  der  Eingangspforte  erhob  sich  ein  hoher 
viereckiger  Turm  mit  einem  stumpfen  Dache.  Das  Hauptgebäude  im  Nordwesten  war  die 
St.  Vinzenzkirche,  antiqua  magnificentia  et  ingentibus  ex  uno  saxo  columnis  visenda,  portibus, 
ut  tum  fuit,  insigni  artificio  sculptis,  caeterum  nulla  testudine  decora,  amplitudine  inter 
maiores  censenda.  Turrim  pro  fronte  latam  ostentat.-')  Dieser  Turm  ist  viereckig,  hat  ein 
eigenes  Portal,  darüber  2  grosse  von  Säulenarkaden  eingerahmte  und  über  diesen  3,  auf 
der  Südseite  2  kleinere  Rundbogenfenster.  Über  den  oberen  Fenstern  läuft  unter  dem 
niedrigen  Dache  ein  Rundbogenfries.  Links  vom  Eingang  zum  Turm  liegt  ein  grösseres 
Portal,  das  in  das  von  8  Rundbogenfenstern  seitlich  erhellte  Kircheninnere  führte,  und 
über  dem  eine  Fensterrose  und  zwei  kleinere  rundbogig  abgeschlossene  Fenster  der  Vor- 
halle Licht  zuführten.  Nach  den  erwähnten  Säulen  muss  das  Innere,  von  dessen  Grösse 
wir  uns  nach  den  von  Stein  erwähnten  22  Altären  eine  ungefähre  Vorstellung  machen 
können,  mehrschiffig  gewesen  sein.  Dass  die  Kirche  auch  mehrere  im  Laufe  der  Zeit 
angebaute  Kapellen  besass,  ist  erwähnt  worden.  An  die  Südseite  der  Kirche  legte  sich 
ein  Kreuzgang  an. 

Das  zweite  kleinere  Gotteshaus  des  Klosters,  —  es  hatte  nur  3  Altäre  und  eine 
persona  inclusa  -  die  Pfarrkirche  zu  St.  Michael,  erhob  sich  nicht  sehr  weit  westlich 
von  der  Vinzenzkirche  auf  dem  Begräbnisplatze;  man  erkennt  in  der  Mauerecke  ganz  in 
der  Nähe  deutlich  das  Beinhaus.  Ein  ebenfalls  viereckiger  Turm  lagerte  vor  der  Westfront. 
Die  Kirche  hatte  anscheinend  nur  ein  Schiff  und  eine  Chorapsis,  die  bedeutend  niedriger 
als  dieses  ist.  Über  einem  Südportal  ist  ein  Radfenster  angebracht.  (Hier  ist  die 
Darstellung  auf  dem  Weynerschen  Stadtplan  die  genauere,  da  auf  allen  von  dem  Ölbilde 
abhängigen  Abbildungen  der  Chor  nach  Süden  [!]  liegt.)  Über  einer  Thür  befand  sich 
noch  zu  Steins  Zeit  eine  auf  den  Stifter  der  Kirche  bezügliche  Inschrift,  wohl  die,  welche 
Benedikt  von  Posen  mitteilt: 

Jaxa  en!  |irincipium  tempii  fuit  huius  et  auctor 

Post  obitum  cuius  operi  finem  dedit  uxor: 

Jaxa  decus  morum,    via  recta   et  forma  bonorum 

Adsit  pax  Christi  tibi!   bustum  cuius  adiisti. 

Von  der  Allerheiligenkirclie,  die  auch  3  Altäre  hatte  und  non  i^aucorum  hominum 
capax  erat,  haben  wir  kein  Bild.     Sie  lag  entfernt  von  der  Hauptmasse  der  Klostergebäude. 


')  Schlosser,  die  abeiulliiiulisclie  Klosteraiila^e  iles  frühen  MiftelaUers,  Wien   18S0  S.  8. 
-)  Bartholomäus  Stiieniis,  descriptio  Wratislaviae  ed.  Klinisch   13. 


67 


Die  Wohn-  und  Wirtschaftshäuser  waren  grösstenteils  von  Backstein  —  nur  die  Vinzenz-,  die 
Michaeliskirche  und  vier  Häuser  sind  auf  dem  Ölbiide  grau,  also,  wie  auch  die  Berichte 
lauten,  aus  Stein  ;  alle  anderen  sind  ziegelrot.  Sie  waren  zweistöckig  und  an  den  Ring- 
mauern erbaut.  Achtundvierzig  gewölbte  Gemächer  über  der  Erde  werden  erwähnt, 
darunter  die  Abtei.  In  ihr  befand  sich  die  mehrfach  vorkommende  „Stube  in  der  Residenz"^ 
in  der  die  öfter  einkehrenden  vornehmen  Fremden  aufgenommen  wurden.  Zieht  man  den 
bekannten  schematischen  Plan  des  Benediktiner-Klosters  von  St.  Gallen  aus  dem  9.  Jahr- 
hundert zum  Vergleich  heran,  bei  dem  ganz  wie  bei  uns  im  Süden  die  grössere  Baugruppe 
liegt,  so  werden  wir  wie  dort  in  dem  an  den  Kreuzgang  südlich  anstossenden  mäc4itigen 
Gebäude  auch  hier  das  eigentliche  Kloster,  die  Klausur,  zu  erblicken  haben,  in  dem  nord- 
östlich von  derVinzenzkirche  gelegenen  aber  die  Wohnung  des  Abtes.  Ein  Badehäuschen 
steht  am  Ufer  der  Oder.  Ausserhalb  der  Mauern  nahe  beim  Eingang  lag  ein  grosses 
Wirtshaus  von   Bindwerk  mit  einem  seine  Bestimmung  anzeigenden  Wahrzeichen. 

Kehren    wir    nun    zum    Schutthaufen    von    1529    zurück.     Ihn,    „den    Abraum    an 
Steinen,  Werken,  Werkstücken,  Thürgeräten,   Fenstersteinen,    Kalk,    Ziegeln  oder  Glocken- 
speis"  kaufte  die  Stadt  am  15.  Juli  1531  für  etwa  500  rhein.  Floren  (ä  32  Gr.).     Verwendet 
wurden  sie  zum  Bau  der  Wasserkunst  an  der  Mühlpforte  am  Ende  der  Schuhbrücke,  zum 
Bau  des  vom  Patrizier  Seyfried  Rybisch    errichteten   Hauses    in   der  Junkernstrasse,'  jetzt 
no  2,  zur  Pflasterung  des  Neumarktes  im  Jahre  1534,    zum  Bodenbelag    der  Sakristei  der 
Magdalenenkirche  im  Jahre  1546.')     in  demselben  Jahre-)    und    an  der  Südseite  derselben 
Kirche    wurde  anstelle  einer  kleineren    Thür  das    Portal   der  Vinzenzkirche,    „welches 
vormals  am  Kreuzweg  gestanden",  angebracht  und  dabei  das  Steinwerk  daran  „verneuert" 
Schon  10  Jahre  früher,  1536,  wurden  am  Portal  des  städtischen  Neuspitals,    des   späteren 
Allerheiligenhospitals,  das  man   1526  zu  bauen  angefangen  hatte,    gegen  das  Burgfeld  hin, 
„etliche  Bilder  von  der  St.  Vinzenz-  und  St.  Michaeliskirche    aus    dem  gekaufften"  Abraum 
des  alten  abgebrochenen  Vinzentinerklosters    und    des    gleichfalls    mitdemolierten   Kirchel 
Omnium  Sanctorum"  eingemauert.     Das  eine    „gegen  der  Brücken",  war  eine  „Abnahme 
vom   Kreuz",  das  andere  „gegen  dem  Zeughause    stellet  zwey   Schlesische   Hertzöge 
vor,  welche  Gott  zu  Ehren  Kirchen  gebauet,  derohalben  sie  auch  jedwieder  auf  der  Hand 
dem  Sohne  Gottes    bringet,    welcher    im    Mittel    dieses    Bildes    mit    einem    Oval-Circkel 
umbgeben,    auf  dem  Regenbogen    sitzet."  u.  s.  w.      „Die    2    viereckichten  Bilder   an    des 
Geschwornen  Wohnhäusel  sollen  bedeuten    das  eine  den    Petrum    Wlast,    sambt    dem 
Herzog  Wladislav  II.     Das  andere,    den    König    von    Pohlen,    wie    er    damahls    dem 
Bischoffe  hat  pflegen  zu  schweren.     Die  anderen    daselbst    befindlichen    Bildnisse    sind 
von  keiner  sonderlichen  Merkwürdigkeit.     Der    Ertz-Engel    Michael    nebst    2    anderen 
Bildern  ist  am   Eckhause  der  Riemerzeile  bei  den  2  Polacken  eingemauret." 

1)  Das  letzte  nach  Jen  handschriftl.  Nachträgen  zu  Nie.  Pols  Hemerologii.m  Silesiacum  Wratis- 
laviense  v.  B.  v.  Prittwitz.     Schles.  Vorz.  II,  256. 

-')  Das  noch  erhaltene  Portal  hat  nach  Luchs  früher  an  der  äussersten  Kante  der  Archivolte  die 
Zahl  1546  getragen.     Angaben,  dass  die  Anbringung  1532  oder  154S  stattgefunden  hat,  sind  also  falsch. 

9* 


68 

Gomolcky,  der  dieses  aus  vereinzelten  Notizen  zusammengefasste  berichtet,  erzäliit 
auch,  dass  vor  der  Demolierun<)  des  Klosters  aus  der  Kirche  und  dem  Kloster  Altäre,  die 
Orgel  und  viele  Grabsteine  ausgeräumt  wurden.  Die  Epitaphien,  vermutlich  auch  das 
schon  erwähnte  Grabmal  des  Peter  Wlast  und  seiner  Gemahlin,  das  man  vorher  geöffnet 
hatte,  wurden  ins  Vinzenzkloster  am  Sandthor  gebracht.  Dieses  Grabmonument  ist  wie 
alles  übrige  zuletztgenannte  verschwunden.  Wir  haben  nur  eine  Abbildung  davon 
(Universitäts-Bibliothek-Breslau,  Manuskr.  IV,  Fol.  239),  eine  Tuschzeichnung  nach  der 
Bernhard  Mannfeld  die  eigentliche  Grabplatte  als  „Titelkupfer"  für  Hoverden,  Schlesiens 
Grabdenkmäler  und  Grabinschriften,  Alphabetisches  Register  I  lithographisch  gezeichnet  hat. 
Es  lag  in  der  Mitte  des  Chores,  also  vor  dem  Hauptaltar,  wo  es  Cureus  152Q  noch  sah, 
und  hatte  die  übliche  Form  der  gotischen  Grabtumben.  Der  viereckige  Sarkophag  erhob 
sich  „1  '2  Ellen  über  der  Erde".  Auf  der  oberen  Deckplatte  waren  die  Hochrelieffiguren 
Peter  Wlasts  und  seiner  Gemahlin  Maria  links  neben  diesem  in  Lebensgrösse  dargestellt: 
er  unbedeckten  Hauptes  in  einem  langen  Gewände  und  Mantel,  „in  einem  polnischen 
Habit",  mit  Schwert  und  Schild  an  der  linken  Seite,  sie  mit  einem  Fürstenhut,  gleichfalls 
langem  Kleide  und  Mantel,  ein  zweitürmiges  Kirchenmodell  in  den  Händen.  Über  beiden 
Häuptern  ragte  ein  altes  gotisches  Portal,  eine  Verzierung,  die  auf  der  Abbildung  nicht 
recht  verständlich  ist;  so  z.  B.  ist  in  der  Mitte  eine  von  einem  Fürstenhut  bekrönte 
Kartouche  im  Stil  des  XVlll.  Jahrhunderts  (!)  angebracht.  Um  den  Rand  des  Deckels 
standen  in  gotischen  Majuskeln  die  Verse: 

Hie  Situs  est  Petrus  Maria  coniuge  fretus 
Marmore  splendente   Patre  Guilhelmo  peragente. 

An  den  ebenfalls  mit  F^ortalen  (Nischen,  wie  beim  Grabmal  Heinrichs  IV.)  gezierten 
Seiten  zu  Häupten  und  zu  Füssen  standen  „vier  wachende  Löwen".  Da  Maria  1150,  ihr 
Gatte  1153  gestorben  ist,  konnte  das  unter  Abt  Wilhelm  III.  zwischen  1345  und  1363 
errichtete  Grabdenkmal    nur    Idealfiguren    aufweisen. 

Das  1546  an  der  Magdalenenkirche  angebrachte  romanische  Portal  ist  an  derselben 
Stelle  noch  erhalten.  Freilich  ist  es  nicht  nur  1546  „verneuert"  worden,  sondern  mehrmals, 
am  gründlichsten  bei  der  letzten  gar  übel  durchgreifenden  Restauration  der  Kirche  im 
Jahre  1890.  Bei  dieser  Gelegenheit  wurden  die  Säulenbasen  vollkommen  neu  hergestellt 
und  dabei  die  an  den  Seiten  befindlichen  Löwen  entfernt,  deren  allmähliche  „Abnahme" 
die  Reihe  der  Abbildungen  des  Portals')  deutlich  zeigt.     Neu  sind  auch  die  Kämpferplatten 


1)  Einen  und  denselben  im  Jalirc  1817  nacli  einer  Zeiclinung  Rabes  von  Menzel  gefertigten 
Umrisssticli  enthalten  die  Beschreibnnoen  des  l'cirtals  von  Biisching,  Wöchentl.  Nacliricliten,  Breslau  1817 
I,  130,  von  Fischer,  Die  l'rachttür  der  Magdalenenkirche,  Breslan  1817,  nnd  die  Polschen  Jahr- 
bücher ed.  Büsching  111.  Eine  Zeichnnng  von  t^einricll  Miit/el  findet  sich  in  der  Samnilnng  von 
Abbildungen  der  vorzüglichsten  Altertümer  und  Denkmäler  Breslaus  i.  Bes.  d.  Schlesischen  Gesellschaft  f. 
vaterl.  Kultur  (gegenwärtig  im  Museum  der  bild.  Künste).  Eine  sehr  kleine  Lithographie  findet  man  bei 
Luchs,  Romanische  und  gotische  Stilproben  aus  Breslau  und  Trebnitz,  Breslan  1859,  Taf.  1.  Alle  drei 
Abbildungen   sind   sehr   schlecht.     Aus   den    70er  Jahren    stnniiut   eine  [Photographie  von  Fiuchwald  und  ein 


69 

der  Säulen,  neu  ist  der  äusserste  Rand  der  Archivolte,  der  noch  zu  Luchs  Zeiten  die 
Jahreszahl  154Ö  trug.  Von  früheren  Restaurationen  rühren  die  vollkommen  stilwidrigen 
Kapitelle  der  beiden  innersten  Heiler,  die  beiden  glatten  starken  und  z.  T.  auch  die  beiden 
glatten  schwachen  Säulen  her.  Im  übrigen  ist  der  Erhaltungszustand  bis  auf  einige 
Ornamentteile  der  Archivolte  ein  guter.  Eine  Überarbeitung  des  Figurenkreises  des  Rund- 
bogens ist  nicht  ausgeschlossen.  Das  Material  ist  Sandstein  und  zwar  ein  rötlicher  auf  der 
linken,  ein  weisser  auf  der  rechten  Seite,  wie  er  noch  heute  in  der  Grafschaft  Glatz 
gefunden  wird.')  Die  verschiedenartige  Behandlung  der  beiden  in  der  Dekoration  gleichen 
Thürgewände,  die  Alwin  Schultz  schon  bemerkt  hat,  erklärt  sich  sehr  natürlich  daraus, 
dass  die  Arbeit  an  einem  so  grossen  Stück  gewöhnlich  mehreren  Steinmetzen  anvertraut 
wird,  die  selbst  nach  ein  und  derselben  Vorlage  verschieden  arbeiten.     (Tafel  VII.) 

Das  Portal  schrägt  sich  nach  innen  mit  2  Winkeln  perspektivisch  ein.  Vor  jeder 
der  so  entstehenden  Ecken  steht  frei  eine  runde  Säule.  Alle  sechs  Säulen  sind  bis  zu 
den  verschieden  starken  Plinthen  gleich  hoch  und  nehmen  von  aussen  nach  innen 
an  Umfang  ab.  Die  zwischen  den  Säulen  hervortretenden  Kanten  sind  mit  dünnen 
Säulchen  ausgesetzt  oder  ausgekehlt.  Die  attischen  Säulenbasen  sind  mit  dem  für  die 
romanische  Kunst  charakteristischen  Eckblatt  verziert,  dessen  Spitze  nach  unten  gekehrt 
die  viereckige  Plinthe  berührt.  Die  Säulenschäfte  sind  bis  auf  die  zwei  schon  erwähnten 
innersten  glatten  vollständig  mit  Ornamenten  überdeckt.  Jeder  zeigt  ein  anderes  Muster. 
Die  äusserste  Säule  rechts  ist  durch  Längsschnitte  in  Segmente  geteilt,  die  teils  durch 
Rosetten,  teils  durch  Diagonalbänder,  teils  durch  Blattguirlanden  in  scharf  geschnittenem 
Relief  verziert  sind.  Die  benachbarte  zeigt  reiche  Blatt-  und  Blütenornamente,  kreisförmige, 
durch  Binden  verbundene  Kränze;  die  beiden  auf  der  anderen  Seite  sind  mit  stumpf- 
winkelig gebrochenen  Bändern  in  der  Längsrichtung  besetzt.  Die  Würfel-Kapitelle  sind 
völlig  übersponnen  mit  phantastischen  Pflanzengebilden,  aus  denen  f^ferde,  Greifen, 
Drachen  und  andere  Fabelgebilde,  menschliche  Köpfe  und  Brustbilder  herauswachsen. 
Ein  Teil  der  Dekoration  mag  ja  nur  aus  sinnlicher  Freude  am  üppigen  Ornament 
entstanden  sein,  ohne  eine  symbolische  Bedeutung  zu  beanspruchen,  aber  nur  ein  Teil. 
Die  Geistlichen  jener  Zeit  waren  besser  als  wir  in  der  verschnörkelten,  tiefsinnigen 
Bildersprache  der  Kirchenportale  geübt.  Beim  täglichen  Psalmodieren  setzten  sich  die 
allegorischen  Bilder  ihrer  Gesangbücher  in  ihren  Köpfen  fest,  und  sie  übertrugen  diese 
Handscliriftenillustrationen  auf  die  dekorative  Skulptur,  wo  sie  losgelöst  von  dem  erklärenden 
Text  für  uns  nicht  immer  sofort  sinnbildlich  zu  erklären  sind.  Das  ist  auch  bei  diesem 
Portal  der  Fall.    Nur  ein  „stilisierter"  Sündenfall,  und  eine  Vertreibung  aus  dem  Paradiese  sind 


Lichtdruck  von  C.  Schmidt.  Letzterer  zeigt  die  schöne,  seit  1S90  leider  versclnvundene  und  durch  ein 
scheussHches  modernes  Produkt  ersetzte  Holzthiir.  Die  beste  Abbildung  nach  der  letzten  Restauration 
brinjjt  Rückvvardt,  Architekturteile  und  Details  von  Bauwerken  des  Mittelalters  bis  zur  Neuzeit. 
Alit.  A.  T.  31. 

')  Auskunft  über  technische  Fragen  verdanke  icli  Herrn  Steinmetzmeister  Hiller. 


70 

deutlich  erkennbar.  Die  innerste  Thürleibung  besteht  aus  einem  rechtwinkeligen,  am  Schaft 
etwas  abgerundeten  Pfeiler  mit  attiscii  profiliertem,  viereckigem  Sockel  und  einem,  wie  gesagt, 
nicht  zugehörigen  Kapitell.  Die  Verzierung  beider  Pfeiler  ist  gleichartig.  Oben  und  unten 
sehen  wir  einen  Tierkopf  mit  aufgesperrtem  Rachen,  den  Höllenrachen  symbolisierend, 
und  zwar  den  obersten  nach  unten,  den  untersten  nach  oben  gerichtet.  Vom  untersten 
gehen  nach  unten  Flammenstrahlen  aus.  Der  dazwischenliegende  Raum  ist  durch  je  drei 
perlenbesetzte  oder  gerippte,  durch  breite  Bänder  verbundene  Kreise  eingeteilt.  Der  unterste 
enthält  die  aneinandergeschmiegten,  nackten  Brustbilder  eines  Mannes  und  einer  Frau, 
Adam  und  Eva,  der  mittelste  das  Brustbild  eines  langbärtigen  Mannes  mit  spitzer  Mütze 
und  darunter  und  darüber  zwei  Vogeiköpfe,  die  zusammen  eine  Blüte  im  Schnabel  halten, 
der  oberste  eine  Weintraube  mit  Blüten.  Über  der  Thürwandung  spannt  sich  die  rund- 
bogige  Archivolte  den  vier  Stützen  entsprechend  aus  vier  nach  innen  zurücktretenden 
Halbkreisbögen  zusammengesetzt.  Auch  diese  tragen  gleich  den  „postibus  insigni  artificio 
sculptis"  reichen  Reliefschmuck.  Der  äusserste  kantige  Bogen  zeigt  auf  der  Aussenseite 
verschlungenes  Band-  und  Blätterornament,  auf  der  Innenseite  einen  Weintraubenkranz. 
Der  zweite,  gleichfalls  eckige,  ist  ähnlich  geschmückt,  der  vierte  zeigt  das  Zickzackornament 
der  beiden  Säulen  links.  Der  dritte  Bogen  ist  mit  stark  aus  der  Fläche  heraustretenden 
Relieffiguren  besetzt.  Dargestellt  sind  die  Verkündigung  an  Maria,  an  die  Hirten,  die  An- 
betung der  Könige,  Beschneidung,  Darstellung  im  Tempel,  Taufe  Christi.  Merkwürdig  ist 
die  Art,  wie  bei  der  Verkündigung  an  die  Hirten,  die  durch  einen  geflügelten  Engel  und 
einen  Mann  mit  einem  langen  Stabe  und  vielleicht  einem  jetzt  nicht  mehr  deutlich  er- 
kennbaren Tiere  kurz  charakterisiert  ist,  ersterer  mittels  eines  vom  Munde  ausgehenden 
Strahles  jenem  die  göttliche  Botschaft  gewissermassen  einbläst.  Man  würde  nach  ähn- 
lichen Bilderreihen  an  dieser  Stelle  eher  die  Begegnung  der  Maria  mit  Elisabeth  und  die 
Verkündigung  an  die  Hirten  erst  nach  der  „Geburt"  erwarten,  ist  es  vielleicht  eine  Ver- 
kündigung an  Joseph,  für  die  ich  allerdings  sonst  keine  Beispiele  kenne?  Geburt  und  An- 
betung sind  zusammengefasst.  Maria  ruht  auf  einem  sehr  niedrigen  Bett,  das  Kind  in 
Windeln  mit  dem  Stern  über  dem  Haupte  auf  einer  langen  Lagerstatt,  hinter  der  Ochs 
und  Esel  herausschauen.  Die  3  Könige  in  kurzen,  bis  an  die  Kniee  reichenden  Gewändern 
mit  Kronen  auf  dem  Haupt  und  Geschenken  in  den  Händen  nahen  sich  in  halbknieender 
Stellung.  Hinter  ihnen  sitzt  Joseph  auf  einem  Schemel.  Bei  der  „Beschneidung"  scheint  das 
von  Joseph  gehaltene  Kind  auf  einem  Altar  zu  knieen  oder  bis  an  die  Kniee  in  einem  Bade- 
behältnis in  Form  eines  runden  Säulenstumpfs  zu  stecken.  Links  davon,  der  Gruppe  zu- 
gewandt, steht  ein  Mann  mit  hochgehaltenem  Messer.  Die  „Darstellung  im  Tempel"  ist 
die  einzige  Szene,  die  durch  eine  rundbogige  Architektur  im  Hintergrunde  eine  Andeutung 
der  Örtlichkeit  enthält.  Sie  vereint  5  Figuren:  Maria,  Joseph,  Christus,  Simeon  und  Hanna. 
Bei  Maria,  die  ein  Tuch  oder  die  Tauben  in  Händen  hält,  ist  die  Partie  um  die  Hände 
herum  stark  beschädigt.  Zwischen  Simeon  und  Hanna  ist  ein  grosser  leerer  Raum,  der 
vielleicht  dadurch  entstanden  ist,  dass  der  Künstler  es  vermieden  hat,  die  Figuren  durch 
eine  Steinfuge   durchschneiden   zu   lassen,  den  I'latz  aber  nicht  so  genau  berechnete.     Bei 


71 


Unterseite  des  Tympanons  auf  Seite  72  und  73 

der  Taufe  Christi  durch  Johannes  steilen  neben  dem  Täufiing,  auf  den  die  Taube  hernieder- 
schwebt, zwei  geflü<reite  Enge!  mit  Tüchern  in  den  Händen.') 

Auffallend  ist  bei  einem  so  reich  geschmückten  romanischen  Portale  das  Fehlen 
eines  Tympanons.  Vielleicht  dürfen  wir  das  an  zweiter  Steile  von  Gomoicky  (s.  S.  67) 
erwähnte  Relief  mit  der  Kreuzabnahme  dafür  in  Anspruch  nehmen,  das  in  den  Maassen 
und  auch  sonst,  sehr  gut  passen  würde.  Seit  187Q  nicht  mehr  am  Allerheiligenhospital, 
sondern  in  unserem  Museum  (Kat.  9935)  ist  es  eine  dicke,  1  m  hohe,  2,10  m  breite, 
oben  halbkreisförmig  abgerundete  Sandsteinplatte,  auf  der  Vorder-,  Hinter-  und  Unter- 
seite mit  Reliefs  geschmückt,  unzweifelhaft  das  Bogenfeld  eines  Portals.  (Abb.  auf  S.  72.) 
Auf  der  Vorderseite,  die  unten  durch  eine  ornamentale  Kante  ausgezeichnet  ist,  ist  die 
Kreuzabnahme  dargestellt.  Sie  ist  sehr  beschädigt,  und  wir  müssen  manchmal  bei  der 
Deutung  eine  alte  Abbildung  bei  Klose  (von  Breslau  i,  126)  zum  Vergleich  heranziehen. 
Der  Leichnam  Christi,  auf  dem  Fussbrette  ruhend,  hängt  nur  noch  mit  dem  linken  Arm 
am  langen  Querholz  des  Kreuzesstammes.  Nikodemus  auf  einer  Leiter  stehend  ist  bemüht 
den  rechten  Arm  mit  einer  Zange  zu  lösen,  während  auf  der  anderen  Seite  Josef  von 
Arimathia,  auf  einem  Schemel  stehend,  den  Heiland  umfasst.  Die  freie  Hand  des  herab- 
gesunkenen rechten  Armes  hält  Maria  an  ihr  Gesicht  gepresst.  Zwischen  dem  Kreuz  und 
Nikodemus  steht  Johannes  in  Trauer  versunken.  Neben  dem  Kreuz  tauchen  rechts  und 
links  aus  Wolken,  die  in  der  Kunst  der  Zeit  kreisförmig  gebildet  sind,  so  dass  der  Zeichner 
sie  als  Schilde  missverstanden  wiedergegeben  hat,  zwei  Engel  mit  langen  kolbenförmigen 
Gegenständen  in  den  Händen  auf,  die  Luchs  als  I'osaunen  erklärt,  mit  denen  sie  den  Sieg 
über  den  Tod  feiern.  Ausser  der  Kreuzabnahme  ist  rechts  und  links  Christus  in  der  Vor- 
hölle dargestellt.  Beidemal  nähert  sich  der  Erlöser  mit  dem  Kreuzespanier  einer  rund- 
bogigen  Pforte,  die  links  einfacher  als  rechts  gestaltet  ist.  Links  reicht  er  drei  nackten 
Gestalten  mit  bittenden  Gebärden  die  Hand.  Rechts  wird  er  von  einem  Engel  aufgenommen, 
neben  dem  ein  in  lange  Gewänder  gehüllter  Mami,  vielleicht  .Abraham,  sitzt.  Die  andere 
Seite  des  Tympanons  enthält  den  Tod  Maria.  (Abb.  auf  S.  73.)  Die  eben  Verschiedene 
liegt  in  der  Mitte  unter  einer  reichgefältelten  Decke  auf  einem  Bett,  an  dessen  Kopfende 
ein  turmartiges  Gerät  steht.  Ihr  Haupt  ist  mit  einer  Binde  umwunden.  Rechts  und  links 
stehen  hintereinander  aufgereiht  je    6  Apostel  mit  Schriftrollon  und  Schriftbändern  in  den 


1)  Luchs  sah  noch  am  oberen  Kaude  des  FUisses  ein  Wort  ICKVANI  in  lateinischer  Majuskel,  das 
er  als  Jordanus  deutet. 


72 


Tynipaiion  der  Vinzenzkirche,  Vorderseite 

Händen.  Sie  deuten  mit  dem  Blici<,  die  zwei  dem  Bett  zunäciist  stehenden  aucii  mit  der 
Hand  nach  mitten  oben,  wo  Christus  mit  der  Seele  der  Gestorbenen,  die  in  der  her- 
kömmlichen Weise  als  Wickelkind  gebildet  ist,  gen  Himmel  fährt.  Die  Ecken  oben  werden 
durch  zwei  vorhangartig  gebogene  Leisten  abgegrenzt,  innerhalb  deren  Engel  in  gleicher 
Zahl  und  Anordnung  wie  die  Apostel  mit  Tüchern  in  den  Händen  schweben. 

Die  oblonge,  schmale  Unterseite  (Abb.  auf  S.  71)  des  Tympanons  ist  wieder 
vollständig  mit  reichem  Blattwerk  bedeckt,  aus  dessen  Ranken  Vögel  und  Fabel- 
tiere wachsen.  In  der  Mitte  nicht  im  organischen  Zusammenhange  mit  den  Zweigen, 
sondern  nur  umrahmt  von  diesen  sind  die  Brustbilder  eines  Mannes  und  einer  Frau,  die 
sich  die  Hände  reichen,  angebracht.  Sie  tragen  die  Zeittracht,  der  Mann  eine  Kappe.  Viel- 
leicht hat  der  Steinmetz  an  die  Stifter  der  Kirche,  Peter  und  Maria,  gedacht.') 

Die  stilistische  Verwandtschaft  mit  den  Figuren  und  Ornamenten  der  Archivolte 
des  vorhin  beschriebenen  Portals,  ist  ohne  weiteres  einleuchtend,  und  wenn  man  die  Kreuz- 
abnahme als  Vorderseite  nimmt,  wofür  auch  die  gegen  die  Rückseite  auffallend  fort- 
geschrittenere Zerstörung  durch  Wind  und  Wetter  sprechen  würde,  so  passt  die  Dar- 
stellung vortrefflich  zu  den  Szenen  aus  der  Jugendgeschichte  des  Heilands  auf  der 
Archivolte. 


')  Inhetreff  dieses  Tympanons  herrschte  die  denkbar  grösste  Verwirrung,  die  im  einzelnen  zu  ent- 
wirren sich  nicht  loliiit.  Remerkt  sei  nur,  dass  Luclis  Vorder-  und  Kückseite  als  zwei  ganz  getrennte  Reliefs 
beschreibt,  von  denen  er  die  Kreuzabnahme  an  der  Aussenseite  des  Allerheih'genhospitals,  das  andere  zum 
Teil  vermauert  (Abb.  F<oman.  und  got.  Stilproben,  Taf.  1)  im  Innern,  im  sog.  Treppenhanse,  sah.  I^ns 
Ganze  ist  aber  unmöglich  jemals  zerschnitten  gewesen.  Der  Irrtum  ist  nur  so  zu  erklären,  dass  es  in  ein 
Loch  der  Wand  eingelassen  war. 


TAFEL  VII 


N.ich  einer  Aufnalime  der  KrI.  Messbildanslalt 


Portal  vcini  Vinzenzkloster  an  der  Magdalenenkirche 


73 


Tympanon  der  Vinzenzkirche,  Rückseite 

Das  nächste  von  Gomolcky  erwähnte  Relief  kennen  wir  nur  noch  aus  einer  Ab- 
bildung. Es  ist  vielleicht  beim  Neubau  des  Hospitals  1799  1801,  wobei  auch  die  an- 
deren dort  angebrachten  Reliefs  versetzt  wurden,  beseitigt  worden,  obwohl  es  im  „Bres- 
lauer Erzähler"  von  1800  II,  384  heisst:  Bey  dem  neuerbauten  Krankenhospital  zu  Aller- 
heiligen sind  die  dort  befindlich  gewesenen  Denksteine  und  Köpfe  sorgsam  aufbewahrt 
und  neu  aufgefrischt  worden.  Die  Abbildung  findet  man  in  der  sog.  Senitzschen  Sammlung 
des  Kgl.  Staatsarchivs  in  Breslau,  einer  Sammlung  von  Urkunden,  Inschriften,  Abbildungen 
von  Kunstdenkmälern  u.  s.  w.  aus  dem  XVlll.  Jahrhundert.  Die  hier  in  Frage  kommenden 
Blätter  sind  3  Foliobogen  mit  aufgeklebten,  ziemlich  kindlichen  schwarzen  Tuschzeichnungen 
—  die  eine  ist  stellenweise  mit  bunter  Farbe  übergangen  —  und  genau  nach  diesen  an- 
gefertigten Kupfertafeln  i — Vi!.') 

Die  Tab.  I  stellt  unser  Relief  dar,  das  auf  dem  dritten  Foliobogen  von  anderer 
geübterer  Hand,  vielleicht  derselben,  die  die  Abbildungen  in  dem  erwäiinton  Seidiitzsciien 
Sammelbande  gefertigt  hat,  noch  einmal  wiedergegeben  ist.  (Abb.  auf  S.  73.)  Demnach  war 
es  ein  rundbogiges  Tympanonrelief  wie  das  eben  beschriebene.  In  der  Mitte  sitzt  der 
jugendliche,  unbärtige  Christus  in  der  Mandorla  auf  einem  Regenbogen,  die  Rechte 
segnend  erhoben,  in  der  linken  ein  aufgeschlagenes  Buch,  in  dem  die  Worte:  EGO  SVM 
QVl  SVM  zu  lesen  sind.    Auf  der  Mandorla  steht:  lANVA  SVM  VITE  PER  ME  QVICVMQVE 


')  Die  Blätter  sind  das  vorbereitende  Abbildungsmaterial  für  eine  Aiiastasis  Petri  W'last  cum  figuris 
aeneis,  die  Dr.  J.  O.  Baro  1727  in  Leipzig  herausgeben  wollte,  ein  Werk,  übrigens  nicht  das  einzige  Baros, 
das  es  nur  bis  zu  dem  von  Klose  mitgeteilten  gedruckten  Titel  und  Inhaltsverzeichnis  gebracht  hat.  Die 
Untersuchung  hat  nicht  von  den  Kupferstichen,  die  A.  Schultz  in  nicht  gerade  verbesserter  .Vuflage  in  Schles. 
Vorz.  II,  231  publiziert  hat,  auszugehen,  sondern  von  dem  hier  veröffentlichten  Blatt. 

10 


74 

VENITE').  Rechts  und  links  davon  sehen  wir  zwei  Stiflerpaare,  links  einen  bärtigen 
Mann  mit  einem  Kirchenmodell  und  hinter  ihm  eine  knieend  anbetende  Frau,  rechts 
einen  älteren  Mann  mit  einem  Kirchenmodell  mit  der  Aufschrift  IN  BITOM  und  einen 
jüngeren  hinter  ihm,  letztere  durch  die  Beischriften  als  Vater  und  Sohn,  BOLESLA  und 
LESCO  EIL'-')  bezeichnet.  Die  ganz  verderbt  wiedergegebene  Inschrift  auf  dem  Bogen- 
felde  lautet  nach  der  einleuchtenden  Erklärung  von  Schultz: 

AD  HANG  NOVELLAM  DVX  FERT  SVA  DONA  CAPELLAM 
QVE  FERT  lACXO  DEVS  SVSCIPE  TEMPLA  PIVS»). 

Zwischen  der  ersten  und  zweiten  Zeile  des  Hexameters  steht  AL2  (Ap.  I.  8).  Bei 
dem  Kupfer  ist  dieses  auf  einen  äussersten  Bogenstreifen  herausgerückt,  an  deren  Ende 
AGAIIHSA  steht,  das  bei  der  ersten  Abbildung  durch  das  mit  Bleistift  geschriebene  Wort 
AGATE  ersetzt  ist.  Ob  das  Relief  auch  eine  verzierte  Rückseite  gehabt  hat,  lässt  sich 
nicht  mehr  feststellen.  Jedenfalls  war  es  auch  ein  Tympanon,  dessen  Archivolte  wir 
möglicherweise  in  einem  romanischen  Thürbogen  unseres  Museums  zu  erblicken  haben 
(Kat.  Nr.  QQ15),  der  1880  vom  städtischem  Bauhofe  in  die  Sammlung  kam,  und  nachweislich 
früher  am  alten  Pfarrhause  der  Magdalenenkirche  nach  der  Bischofstrasse  zu  eingemauert 
war^).  Es  besteht  aus  2  Bogen.  Der  äussere  zeigt  das  rechtwinklige  gebrochene  Linien- 
ornament, der  andere  auf  der  Aussen-  und  Innenseite  Blatt-,  Blüten-  und  Fruchtgewinde  in 
Kreis-  und  Ellipsenform,  wie  wir  sie  vom  Portal  der  Magdalenenkirche  kennen;  auch  das 
Material  ist  das  gleiche.  Erfährt  man  nun  noch,  dass  in  demselben  Jahre  1546,  in  dem 
das  romanische  Portal  der  Magdalenenkirche  eingesetzt  wurde,  das  zu  ihr  gehörige  Pfarr- 
haus einen  Umbau  erfuhr,  so  ist  der  Schluss  gerechtfertigt,  dass  auch  dieses  Portal  zu 
den  Klosterresten  von  St.  Vinzenz  gehört.  Man  kann  nach  dem  Tympanon  sogar  weiter 
mit  Sicherheit  behaupten,  dass  es  ein  Portal  der  Michaeliskirche  war.  Denn  der  auf  dem 
Bogenfelde  dargestellte  BOLESLA  ist  Herzog  Boleslaus  IV.,  der  Stifter  der  Margarethen- 
kirche  in  Beuthen  (in  Bitom),  die  schon  1201  im  Besitz  der  Vinzenzabtei  war.  Lesco,  der 
Herzog  von  Masovien  und  Kujavien,  ist  sein  Sohn.  Der  Stifter  auf  der  anderen  Seite  ist 
nach  der  Umschrift  Jaxo,  der  Schwiegersohn  Peter  Wlasts,  nach  der  S.  66  mitgeteilten 
Inschrift  der  Stifter  der  Michaeliskirche,  der  Friedhofskirche  von  St.  Vinzenz;  die  Frau 
hinter  ihm  ist  demnach  seine  Gemahlin,  die  nach  dem  Tode  Jaxos  die  Kirche  vollendete. 
Die  Anfertigung  des  Portals  fällt  in  die  Zeit  von  1146,  dem  Jahr  des  Regierungsantritts 
des  Herzogs  Boleslaus,  und   1173,  dem  Jahr  seines  Todes. 

Die  auf  der  Zeichnung  S.  75  sonst  noch  abgebildeten  Reliefs  sind  ausser  der  uns 
schon  bekannten  Kreuzabnahme  die  beiden  von  Gomolcky  beschriebenen:  LADIS  (laus)  II 
und  PE  (trus)  DV  (x)    und  BOLES  (laus)  III    und    STANIS  (laus),    die    auf    den  Kupfern 

1)  Der  Zeichner  hat  aus  dem  iincialeii  M  bei  ME  ein  OR  gemacht,  ein  Feliler,  der  auf  dein  Stich 
und  seiner  Vorlage  verbessert  ist. 

2)  Auf  dem   Kupfer  und  seiner  Vorlage:  LESTEC,  eine  aucli  sonst  vorlsoinmende  Lesart  des  Namens. 
•")  Seine  (jeschenl<e  bringt  der  Herzog  der  neuen   Kapelle,  Nimm    die  Kirche,    o  Oott,    gn.Hdig,    die 

Jaxo  dir  beut. 

')  Eine  Zeichnung    von  Koska    im  Museum  zeigt    den  Thürbogen  au  dieser  Stelle. 


75 


!j^i>is.ii.pn-Dy. 


öousui.^mNis 


Tab.  VII  und  II  nach  den 
anderen    dilettantischen 
Zeichnungen    sehr  ver- 
gröbert   wiedergegeben 
sind.      Wie    schon    be- 
merkt,   sind  die  Unter- 
schriften      nachträghch 
auf  die  Zeichnung,  viel- 
leicht nach  den  Angaben 
Oomoickys        hinzuge- 
setzt.      Auf    den    Bild- 
werken haben  sie  sicher 
so  nicht  gestanden.    Die 
Bezeichnung  eines    Re- 
genten  mit  einer  Ziffer, 
die  ihn  von  seinem  Vor- 
gänger     unterscheiden 
soll,  wäre  für  das  XII. 
Jahrhundert       unerhört. 
Ausserdem  ist  Boleslaus 
der   Zweite,    nicht    der 
Dritte,  für  den  Mord  des 
Stanislaus     verantwort- 
lich   zu    machen.      Wir 
können    uns    ohne    die 
Kenntnis   der  Originale 
nach      den     abenteuer- 
lichen   Karrikaturen    nur  Skulpturen  der  Vinzenzkirche,  nach  einer  alten  Zeichnunu; 
in     gänzlich     unfruchtbare     Hypothesen     verlieren,     was     Schultz     bei     der     Publikation 
der    Kupfer    und     ihrer    Vorzeichnungen     mit    grossem    Fleiss    gethan    hat.      Dasselbe 
gilt    von    den    fünf  auf  Tab.  III-  VI  und  VIII  wiedergegebenen   Reliefs,  die  uns  vielleicht 
die  „Bildnisse  von    keiner    sonderlichen  Merkwürdigkeit"  Oomoickys  vorführen.    Jedesmal 
sind  in  derselben  Weise  auf  einer  oblongen  Platte  zwei   geistliche  oder  weltliche  Fürsten 
nebeneinandergestellt,  nur  auf  der  letzten  zwei  aspisartige  Tiere  mit  Vogelkörpern,  2  klauen- 
artigen Füssen,  einem  langen  Hals  mit  Hundskopf    und    einem  schlangenartig  geringelten 
Schwanz,  wie  sie  als  Symbol  der  Leidenschaft  sehr  häufig  in  Psalterillustrationen  des  Mittel- 
alters   anzutreffen    sind.     Tab.  III    zeigt    einen  Bischof  und    einen  König,    die  von    eigen- 
tümlichen Wülsten  umschlungen  sind,  Tab.  IV  zwei  Bischöfe,  von  denen  der  eine  seinen 
abgeschlagenen  Kopf  in  Händen  hält,  vielleicht  der  hl.  Dionysius  Areopagita.  Tab.  V  und 
VI  je  zwei  Apostel,    die  einen    mit  Büchern,    die   anderen  mit  Schriftbändern    in  Händen. 

10* 


76 

Ob  die  Originale  von  der  Vinzenz-, 
Michaelis-  oder  Allerheiligetikirche 
stammen,  weiss  man  nicht,  auch  nicht 
an  welcher  Stelle  sie  gesessen  haben. 
Von  ähnlichen  Reliefs,  die  man  etwa 
zum  Vergleich  heranziehen  könnte,  denen 
in  Wuitendorf  in  Niederösterreich,  in 
Katowic  in  Böhmen  (Mitteilungen  der 
k.  k.  Centralkommission  1872  S.  CXCV, 
Fig.  12  17,  und  S.  XI,  Fig.  18)  in 
Freiberg  i.  S.  (Steche,  Beschreibende 
Darstellung  der  alten  Bau-  und  Kunst- 
denkmäler des  Königreichs  Sachsen  111, 
19),  am  Georgenchor  des  Bamberger 
Doms,  sind  nur  noch  die  letzteren  an 
ihrer  ursprünglichen  Stelle,  an  den 
Chorschranken,  erhalten.  Möglicher- 
weise haben  auch  unsere  den  gleichen 
Zierzweck  gehabt. 

Ein  nach  demselben  Schema  wie  die 
Bischof,  Relief  vo>i  der  Vinzenzkirehe  genannten  komponiertes  Sandsteinrelief 

—  zwei  in  rundbogigen  durch  eine  Halbsäule  getrennten  Nischen  stehende  Figuren,  und 
ein  anderes  —  die  Halbfigur  eines  Bischofs  in  einem  Perlenstabkreise  und  vier  menschliche 
Köpfe  in  den  Ecken  —  sind  nun  zugleich  mit  dem  Tympanon  der  Kreuzabnahme  vom 
Allerheiligenhospital  ins  Museum  gekommen  (Kat.  9936  und  9937.  80)  (Abb.  auf  S.  77  u.  76)'). 
Vermutlich  stammen  sie  also  auch  vom  alten  Vinzenzkloster,  obwohl  sie  nirgends  erwähnt 
werden.  Luchs,  der  das  zweite  am  Hickertschen  Krankenhause,  wohl  einem  Teile  des 
Allerheiligenhospitals  sah,  vermutet  in  dem  Dargestellten  Hiob.  Das  erste  Relief  ist  eine 
Verkündigung  nach  byzantinischem  Vorbild. 

Damit  wäre  die  Reihe  der  mit  Sicherheit  oder  ziemlicher  Sicherheit  auf  ihre  Her- 
kunft zurückzuführenden  Bildwerke  erschöpft. 

Von  dem  bei  Oomolcky  noch  erwähnten  Erzengel  Michael  und  anderen  Bildern  am 
Eckhaus  der  Riemerzeile,  „da  man  unter  die  Rotgerberbänke  am  Ringe  geht",  kennen  wir 
weder  Originale  noch  Abbildungen. 

Der  Tradition  nach  aber  gehören  noch  folgende  Säulenkapitelle  zu  den  Bauresten 
von  St.  Vinzenz:  ein  korinthisierendes,  als  Prellstein  verkehrt  eingemauert,  am  Hause 
Oderstrasse  Nr.  40,  zwei  in  Maassen  und  Verzierung  ganz  gleiche  romanische  Würfel- 
kapitelle im   Museum,    das    eine    von    der  Südwestecke    des    ehemaligen   Leinwandhauses 


1)  H.  71,  B.  50  iiiKi  H.  67  B.  55  cm. 


77 


(Kat.  Nr.  4852),  das  andere  von  dem  1892 
abgebrochenen  Hause  Nikolaistrasse  76 
(Kat.  Nr.  1806  .  92),  ein  viertes  mit  den  letzten 
beiden  übereinstimmendes  im  Hofe  der  Uni- 
versität (Abb.  auf  S.  79),  das  1896  beim  Er- 
weiterungsbau des  chemischen  Instituts  der 
Universität  gefunden  wurde. 

Beim  ersten  ist  die  Tradition  am  ehesten 
anfechtbar,  wenn  man  auch  Lutsch  Recht 
geben  muss,  der  es  für  unwahrscheinlich 
hält,  dass  ein  zweites  Bauwerk  von  so  erheb- 
lichen Abmessungen,  wie  sie  das  genannte 
Architekturstück  bedingt,  1564,  dem  Jahre 
der  Erbauung  des  Hauses  Oderstrasse  40, 
bereits  wieder  abgebrochen  sein  sollte. 
Dieses  die  Überlieferung  des  sinkenden 
Altertums  unmittelbar  fortpflanzende  Blätter- 
kelchkapitell wäre  das  älteste  der  vier  Stücke, 
da  die    antikisierende  Protorenaissance,    die 

zweite  Periode,    in    der    es   entstanden   sein  Verkündigung,  Relief  von  der  Vinzenzkirdie 

könnte  nach  Dehio  in  Deutschland  um  ,050  schon  erloschen  ist  und  danach  das 
Wurfelkap.tell  allein  herrscht.  Diese  für  den  romanischen  Baustil  charakteristische 
Form  zeigen  die  anderen  drei  ganz  gleichen  Kapitelle  von  0,65  cm  H.  und  1  m  Br 
an  der  oberen  Fläche.  Die  Schildflächen  sind  mit  eingemeisselten,  nach  unten 
genchteten  Halbkreisen  verziert,  die  durch  zwei  kleinere  ebenfalls  nach  unten  gerichtete 
Rundbögen  unterteilt  sind.  Bei  dem  im  Universitätshofe  aufgestellten  Kapitell  treten 
zwischen  den  kleinen  Halbbögen  und  an  den  Ecken  sog.  Nasen  hervor,  die  bei 
den  baden  anderen  sehr  beschädigten  nicht  mehr  zu  erkennen  sind.  Auch  ist  hier  eine 
Seite  nur  mit  einem  kleineren  Rundbogen,  nicht  mit  zwei  verziert.  Vielleicht  hat  die  Säule 
mit  dieser  Seite  nach  dem  Seitenschiff  zu  gestanden. 

Die  Meinung,  dass  diese  Baureste  vom  alten  Vinzenzkiosfer  stammen,  ist  erst  im 
19.  Jahrhundert  entstanden.  Die  älteren,  sonst  doch  sehr  gesprächigen  Chronisten 
erwähnen  nichts  davon.  Es  ist  ja  verständlich,  dass  man  nur  an  dieses  Kloster  und  an 
seine  ingentes  ex  uno  saxo  columnas  dachte,  wenn  man  sich  nach  diesen  gewalti^^en 
Architekturteilen  einen  romanischen  Bau  im  Geiste  rekonstruierte.  Wir  haben  aber 
abgesehen  von  der  noch  vorhandenen  kleinen  Aegidienkirche  am  Dom,  in  Breslau  noch 
andere  romanische  Bauten  gehabt,  von  denen  wir  nur  Reste  kennen,  von  deren  einstigen 
Aussehen  wir  jedoch  keine  Anschauung  haben.  Unser  Museum  besitzt  z.  B.  eine  romanische 
Sau  enbasis  von  gleichen  Dimensionen,  wie  sie  die  Kapitelle  zeigen,  aus  der  Sandkirche 
m  der  noch  eine  romanische  Portallunette  erhalten  ist,    künstlerisch  wertvoller,    aber  auch 


78 

jünger  als  die  Vinzenzreliefs.  Andere  Basen  stammen  von  der  alten  Nikolaikirclie.  Nacli 
1158  ist  der  Dom  aus  Stein  neu  erriciitet  worden,  an  dem  freilich  nur  noch  sehr  geringe 
Reste  romanischer  Kunst  vorhanden  sind.  Klarheit  könnte  in  dieser  Frage  nur  eine  bisher 
noch  nicht  angestellte  Untersuchung  der  in  Betracht  kommenden  Bauten,  vor  allem  eine 
Ausgrabung  an  der  Stelle  des  alten  Vinzenzklosters  bringen.  Trümmer  des  Stifts  hat  man 
1635  dort  noch  gesehen.  Die  Grundmauern  der  Gebäude,  namentlich  der  steinernen,  sind 
gewiss  noch  erhalten.  Wir  würden  dann  dengesamten  Plan,  den  Grundriss  und 
Umfang  der  einzelnen  Kirchen  erkennen,  vielleicht  auch  sonst  noch  Reste  zu 
Tage  fördern,  die  für  die  Kunstgeschichte  bei  der  Seltenheit  romanischer 
Klosteranlagen  von  grosser  Bedeutung  wären. 

Gehören  diese  Säulenkapitelle  aber  zum  Vinzenzkloster,  so  ist  auch  die  Herkunft 
seiner  Bauleute  zu  nennen.  Jene  Verzierung  der  Säulenkapitelle  finden  wir  nämlich  sonst 
nur  noch  in  der  nach  1106  errichteten  Klosterkirche  von  Paulinzelle  und  den  von  dieser 
abhängigen  Bauten,  den  Kirchen  in  Hamersleben  und  Hecklingen.  Der  Zusammenhang 
des  Vinzenzklosters  mit  dieser  sächsisch-thüringischen  Baugruppe  entspricht  nur  der 
politischen  und  kirchlichen  Entwicklung  Schlesiens.  Gerade  um  jene  Zeit  der  Errichtung 
des  Klosters,  der  zweiten  Hälfte  des  XII.  Jahrhunderts,  wird  von  den  leitenden  Kreisen 
Polens  und  Schlesiens  eine  Verbindung  mit  dem  höher  kultivierten  Westen  angeknüpft; 
eine  kirchliche  Reformation  in  diesem  Sinne  beginnt.  Als  seit  der  Mitte  des 
XI.  Jahrhunderts  die  Spaltung  zwischen  der  römischen  Kirche  und  der  des  Orients  aufs 
schärfste  zutage  getreten  war  und  die  Polen  dem  Bischof  zu  Rom  treu  blieben,  hat  die 
römische  Kurie  stets  danach  gestrebt,  ihren  Einfluss  auf  die  polnische  Kirche  aufrecht  zu 
erhalten,  um  so  mehr,  weil  bei  den  zahlreichen  Familienverbindungen  der  polnischen 
Fürsten  mit  den  russischen  die  Gefahr  eines  Anschlusses  Polens  an  Byzanz  sehr 
nahe  lag. 

Auf  Residuen  dieser,  trotz  der  Armut  unserer  Quellen  unleugbar  zu  konstatierenden 
byzantinischen  Einflüsse  vor  der  Erschliessung  der  westlichen  Kultur  und  auf  die 
primitiven  Kulturzustände  des  Landes  überhaupt  ist  es  zurückzuführen,  wenn  uns  diese 
romanischen  Skulpturen  nicht  gerade  als  feinste  Blüten  der  Kunst  jener  Zeit  erscheinen. 
Es  ist  Provinzial-  oder  sagen  wir  gleich  Bauernkunst  romanischen  Stiles.  Einer  besonderen 
Begabung  der  betreffenden  Steinmetzen  ist  der  künstlerische  Wert  des  Todes  der  Maria 
zuzuschreiben,  der  höher  als  der  der  anderen  Reliefs  steht.  Auch  bei  der  dekorativen 
Skulptur,  wie  bei  der  Architektur  nach  direkten  Vorbildern  zu  suchen  ist  sehr  schwer. 
Dazu  ist  diese  Kunst  viel  zu  wenig  individuell.  Die  gleichen  Ornamente  begegnen  uns 
immer  wieder.  Das  verschwundene  Tympanonrelief  hat  in  der  mittleren  Christusfigur  in 
der  Mandorla  grosse  Ähnlichkeit  mit  einer  Supraporte  in  Alpirsbach  in  Württemberg. 
Die  Kreuzabnahme  ist  einem  Wandgemälde  in  der  Kirche  zu  Neuenbecken  bei  F^iderborn 
überraschend  verwandt.  Auf  Analogieen  der  nur  noch  in  den  Kupfertafeln  und  einem 
Original  erhaltenen  oblongen  Reliefplatten  ist  hingewiesen  worden.  Böhmen,  Österreich, 
Westfalen,  Württemberg  aber  sind  schwer  zu    verbinden.     Eine    Beeinflussung    ist    nicht 


79 

direkt,  höchstens  indirekt  durch  die  gleichartigen  Vorlagen,  die  überall  verbreitet  waren, 
zu  denken.  Die  plastische  Dekoration  der  Architektur  war  ja  völlig  abhängig  von  der 
Elfenbeinpiastik,  der  F^salterillustration,  den  Ziermotiven  der  Emaillen  und  Gewebe.  Zwei 
Beobachtungen  aber  können  uns  auch  von  diesem  Ausgangspunkte  den  Weg  nach  dem 
sächsischen  Gebiet  führen.  Zwei  steinerne  Hochrelieffiguren  mit  Spruchbändern,  von  der 
Kirche  in  Freiberg  i.  S.,  in  die  uns  ein  Meisterwerk  romanischer  Plastik,  die  goldene 
Pforte,  führt,  ähneln  dem  auf  Tab.  VI  der  Kupfer  abgebildeten  Relief,  und  das  sauber 
gearbeitete  Schachbrettmuster  des  Altars  auf  der  Darbringung  im  Tempel  auf  der  Archivolte 
des  r^ortals  der  Magdalenenkirche  erinnert  an  dieselbe  immer  besonders  hervorgehobene 
Verzierung  der  Umrahmung  der  Scheidbögen  und  des  Gesimses  über  den  Gewölbeböijen 
in  Paulinzelle. 

In  dieser  Richtung  also  wären  Untersuchungen  über  romanische  Bauten  Schlesiens 
aus  derselben  Zeit  zu  führen.  Die  nächste  Aufgabe  aber  wäre,  wie  gesagt,  eine  Aus- 
grabung der  alten  Mauerreste  des  Vinzenzklosters.  Vielleicht  entschliesst  man  sich  auch 
eme  getreue  Rekonstruktion  des  Tympanons  -  das  im  Museum  befindliche  Original  ist' 
zu  sehr  beschädigt  -^  an  das  Portal  der  Magdalenenkirche  zu  setzen,  damit  dieses  einzi- 
arfge  Zeugnis  romanischer  Kunst  in  Schlesien  in  seiner  ursprünglichen  Form  wiederersteht 

Conrad  Biiclnvald 


80 


Gotischer  AktenschranU  am  Diözesanarchiv  zu  Breslau  —   geöffnet 

EIN    MITTELALTERLICHER   ARCHIVSCHRANK 


L)as  Fürstbischöfliche  Diözesanarchiv  in  Breslau  verwahrt  neben  seinen  litterarischen 
Schätzen  auch  einen  i<ostbaren  archäologischen  Schatz  in  einem  gut  erhaltenen  mittel- 
alterlichen Archivschranke.  Um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  besass  das  Breslauer 
Domkapitel,  soweit  der  gegenwärtige  Bestand  des  Archivs  eine  diesbezügliche  Schätzung 
zulässt,  bereits  gegen  2100  Urkunden  und  beschloss  nun,  in  verständiger  Sorge  für  die 
Aufbewahrung  derselben,  einen  passenden  Schrank  herstellen  zu  lassen.  Die  Ausführung 
des  Beschlusses  übernahm  als  Prokurator  des  Kapitels  und  Magister  der  Kirchenfabrik 
der  Kanonikus  Johannes  Paschkowitz  von  Schwanfeld.  Er  erscheint  in  den  Urkunden 
des  Diözesanarchivs  um  das  Jahr  1441  als  Notar  der  bischöflichen  Kurie  und  von  1447  bis 
1482  als  Kanonikus  des  Kathedralkapitels.  Er  war  ein  kunstsinniger  Mann;  dies  beweist 
die  mit  seinem  Wappen  geschmückte  Statue  des  hl.  Vincentius  Levita,  die  er  1471  an 
der  südlichen  Aussenseite  der  Domkirche  aufstellen  Hess.  Ein  Zeugnis  seines  Kimstsinns 
ist  auch  der  Archivschrank.  Derselbe  ist  durchweg  aus  Eichenholz  gefertigt,  3,20  Meter 
lang,  l,8ö  Meter  hoch  inid  0,04  Meter  tief.  Am  Simse  und  Sockel  der  Vorderseite,  wie 
der  beiden  Seitenwände  entlang  läuft  ein  schön  geschnitzter  Fries,  dessen  Vertiefungen 
mit  lebhaften  Farben,  besonders  rot  und  grün,  ausgemalt  sind,  so  dass  die  Verzierungen 


81 


öX»3*fl5»?Ä^  i 


Gotischer  Aktenschrank  im  Diözesanarchiv  zu  Breslau        gesclilossen 


scharf  hervortreten.  Die  Verzierungen  des  untern  Frieses  setzen  sich  in  den  Füssen  des 
Schrankes  fort.  \n  der  Mitte  des  Simses  der  Vorderseite  befindet  sich  in  sorgfältig  ge- 
schnittenen gotischen  Buchstaben  die  Inschrift,  die  das  Jahr,  in  welchem,  und  den  Namen 
desjenigen,  von  welchem  der  Schrank  angeschafft  worden,  angiebt.  Darunter  ist  in  der 
Mitte  das  I'aschkowitzsche  Wappen:  ein  Schwan  im  grünen  Felde.  Die  Inschrift  setzt 
sich  am  Simse  der  rechten  Seitenwand  fort  und  berichtet,  dass  der  Schrank  für  35  Gulden 
aus  der  Kathedralkasse  angeschafft  worden  sei.  Diese  weniger  sorgfältige  Seiteninschrift 
ist  aber  offenbar  erst  später,  nach  Beseitigung  der  untern  Frieshälfte,  beigefügt  und  zwar 
eingeschnitten  worden,  während  die  Buchstaben  auf  der  Vorderseite  herausgearbeitet  sind. 
Da  die  Zahl  35  tiefer  als  die  übrige  Schrift  liegt,  so  muss  angenommen  werden,  dass  sie 


82 

an  Stelle  einer  andern,  weggeschnittenen,  Zahl  getreten  ist.  —  Der  Wortlaut  der  Inschrift 
ist,  nach  Auflösung  der  Abkürzungen,  folgender:  Anno  Domini  MCCCCLV  Dominus 
Johannes  Paschkowicz  canonicus  procurator  ac  magister  fabrice  ecclesie  Wratislaviensis 
hanc  almariam  comparavit  et  constat  35  florenis  de  pecuniis  ecclesie. 

Der  Schrank  ist  geschlossen  durch  zwei  grosse  Thürflügel,  die  je  in  drei  bis  über 
die  Mitte  der  Flügel  sich  verzweigenden  Angeln  sich  bewegen.  An  die  Angeln  schliessen 
sich  rückwärts,  den  Seitenwänden  entlang,  starke  Eisenbänder  an.  Acht  runde  Löcher 
überdeckt  von  verzinntem,  quadratischen  Eisenblech,  dessen  Ecken  in  Lilienornamente 
auslaufen,  und  dessen  durchlöcherte  Mitte  sich  halbkugelförmig  erhebt,  vermitteln  den 
Zutritt  der  Luft  in  das  Innere  des  Schrankes.  Zwei  ringartige  Handhaben,  auf  Rosetten- 
unterlagen ruhend,  dienen  zum  Öffnen  der  beiden  Flügel.  In  der  Mitte  ist  ein  Schnepper- 
schloss  mit  reichem  Schilde,  darüber  und  darunter  eine  Vorrichtung  für  Vorlegeschlösser, 
oben  noch  eine  Klinke  angebracht.  Die  Grundfarbe  des  Anstrichs  ist  dunkelgrün,  worin 
hellgrüne  Muster  gemalt  sind.  Frühere  Archivare  benützten  die  Flügel  bisweilen  als 
Ausleihe-Journal;  besonders  aus  dem  16.  Jahrhundert  sind  noch  mehrere  Ausleihungen 
mit  Kreidestift  unauslöschlich  verzeichnet. 

Der  geöffnete  Schrank  zeigt  48  Schubladen,  mit  Ringen  versehen  und  mit  gotischen 
Buchstaben  bezeichnet,  die  eingeschnitten  und  rot  ausgemalt  sind.  Auf  die  24  einzelnen 
Buchstaben  des  Alphabets  folgen  die  Buchstaben  noch  einmal,  aber  jedesmal  mit  vor- 
gesetztem A.  Auf  dem  Schub  mit  der  Signatur  X  ist  folgende  etwas  unklare  Inschrift 
eingeschnitten:  Idem  hunc  textum  per  se  scidit.  Wahrscheinlich  soll  damit  gesagt  sein, 
dass  der  Urheber  der  äussern  Inschrift  des  Schrankes  und  der  Schubladeninschriften 
derselbe  sei.     Zwei  Schübe  waren  verloren  gegangen  und  sind  durch  neue  ersetzt. 

Der  Schrank  stand  Jahrhunderte  lang  in  dem  gewölbten  Räume  über  der  Dom- 
sakristei und  barg  den  Urkundenschatz  des  Kapitels,  bis  dieses  im  Jahre  1846  einen  neuen 
Archivschrank  bauen  und  in  der  alten  Dombibliothek  aufstellen  liess.  Der  alte  Schrank 
wurde  nun  zur  Aufbewahrung  kleinerer  kirchlicher  Utensilien  benützt  und  verfiel  staub- 
bedeckt der  Vergessenheit.  Nur  vorübergehend  wurde  die  Aufmerksamkeit  auf  ihn  gelenkt 
durch  eine,  nicht  ganz  getreue,  Abbildung,  die  auf  Knoblichs  Veranlassung  mit  einigen 
kurzen  Bemerkungen  in  der  Zeitschrift  Schles.  Vorz.  Bd.  II,  Heft  5  veröffentlicht  wurde. 
Als  die  Obersakristei  der  Kathedrale  zu  einem  würdigen  Aufbewahrungsorte  für  den 
Domschatz  umgeschaffen  werden  sollte,  zog  der  Schrank  die  Aufmerksamkeit  Sr.  Eminenz 
des  Herrn  Kardinals  und  Fürstbischofs  Georg  Kopp  auf  sich,  der  sofort  seinen  hohen 
Wert  erkannte  und  ihn  in  dem  neu  errichteten  Diözesanarchive  seiner  ursprünglichen 
Bestimmung  zurückgab. 

Joseph  Juiignitz 


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83 


EIN  TEPPICHGOBELIN  DES  16.  JAHRHUNDERTS 

Nicht  nur  seiner  Grösse  wegen,  vor  allem  mit  Rücksicht  auf  seinen  künstlerischen 
Charakter,  die  Darstellung  und  seine  vorzügliche  Erhaltung  erscheint  ein  auf  Tafel  VIII  ab- 
gebildeter Wandteppich  aus  dem  Bestände  der  Sammlung  interessant,  der  im  Jahre  1878  von 
der  Kirche  zu  St.  Elisabeth  in  Breslau  dem  Museum  schlesischer  Altertümer  übergeben  wurde. 
Da  jede  Marke  an  dem  Stück  selbst  sowie  Notizen  über  seine  Herkunft  gänzlich  fehlen, 
so  lässt  sich  nur  vermuten,  dass  er  zu  einer  Zeit  in  den  Besitz  des  Kirchenschatzes  kam, 
als  dieser  ganz  besonders  reichen  Zuwachs  erhielt,  etwa  um  das  Jahr  1600. 

Der  ganze  Teppich  hat  eine  Gesamtgrösse  von  4,32  :  2,22  m.  Das  reine 
Renaissance  -  Ornament  der  Umrandung,  dessen  Formen  da  und  dort  mit  denen  der 
Holzschnitzerei  verwandt  erscheinen,  bildet  in  seiner  festen  Struktur  die  pilasterartige 
Begrenzung  der  Schmalseiten.  Die  Kartuschen,  zu  einer  Art  von  Nischen  zusammen- 
gebogen, gewähren  auf  jeder  der  beiden  Seiten  je  drei  übereinander  angeordneten  alle- 
gorischen Frauengestalten  Raum,  von  denen  die  mittleren  stehen,  die  in  die  Ecke  gerückten 
sitzen.  Um  die  Darstellung  irgend  eines  der  bekannten  Cyklen,  etwa  der  Tugenden,  scheint 
sichs  dabei  nicht  zu  handeln.  Es  macht  den  Eindruck,  als  ob  für  diese  Verzierung  der 
Einfassung  in  der  Fabrik  vorhandene  Typen  verwendet  worden  wären,  worauf  auch  der 
Umstand  schliessen  lässt,  dass  die  beiden  Frauen  mit  der  Weltkugel  am  obern  und  untern 
Rande  sich  einfach  wiederholen.  Viele  Mühe  scheint  man  sich  demnach  mit  der  Kom- 
position des  Randornamentes  nicht  gegeben  zu  haben;  aus  den  mehrmals  verwendeten 
Attributen  wie  Schlüsseln,  Schwertern,  Büchern  und  Schriftrollen  lässt  sich  die  Bedeutung 
einer  bestimmten  Figur  ebensowenig  herauslesen,  wie  sich  daraus  ein  Zusammenhang 
unter  ihnen  konstruieren  lässt. 

Aus  vasenförmigen  Gebilden  steigen  Büschel  von  Früchten  und  Blumen  auf  und 
stellen  die  vertikale  Verbindung  der  Figuren  her.  Durch  dieses  Übereinandertürmen  ist 
erreicht,  dass  die  beiden  Vertikalseiten  wie  festigende  Stäbe  den  Teppich  in  seiner  Höhen- 
ausdehnung stützen  und  dem  Verhältnis  zwei  zu  eins  der  Breite  zur  Höhe  des  Gewebes 
wird  dadurch  etwas  das  Oleichgewicht  gehalten.  Auch  in  den  Fruchtbüscheln  und 
Blumenarrangements  ist  nicht  viel  auf  Abwechslung  gegeben  worden.  Die  meisten  von 
ihnen  wiederholen  sich,  wenn  auch  in  anderer  Färbung.  Ein  kleines,  schmales  Rändchen, 
besetzt  mit  ornamentalen  Lilien,  Quadraten  und  geometrisch  angeordneten  Punkten,  bildet 
die  äusserste  Grenze  des  Gewebes. 

Das  Mittelfeld  ist  von  einer  mächtigen  Waldszenerie  erfüllt.  Links  blickt  der  Be- 
schauer über  einen  mit  wenigen  Bäumen  besetzten  Wiesenplan  hinweg  in  das  innere  des 
Gehölzes,  in  dem  sich  das  Terrain  eben  verliert.  Rechts  steigt  eine  kleine,  auch  nur  von 
wenigen  Birken  bestandene  Hügelgruppe  hinan  und  zwischen  ihr  und  den  dichten  Baum- 


84 

ständen  links  gewinnt  der  Blick  das  Freie;  imten  im  Thal  am  Fiisse  eines  niedrigen  Hügels 
wird  eine  Stadt  mit  Wall  und  Graben,  Türmen  und  Thoren  und  spitzen  Dächern  sichtbar. 
Das  Ganze  findet  ruhigen  Abschluss  in  dem  weiten  Stück  Himmel,  das  sich  über  dem 
Hintergrund  aufspannt. 

Soweit  würde  die  bisherige  Bezeichnung  der  Landschaft  als  Paradies  passen.  Selbst 
die  Stadt  im  Hintergrund  könnte  man  auf  das  Konto  künstlerischer  Lizenz  setzen.  Aber 
das  Schauspiel,  das  im  Vorder-  und  Mittelgrund  auf  der  Lichtung  sich  abspielt,  verhindert 
es,  bei  dieser  Benennung  zu  bleiben.  Der  stille,  regungslos  stehende  Wald  ist  von  wildem 
Getümmel  erfüllt,  Getier  aller  Art  jagt  über  die  Szene.  Dicht  am  vorderen  Rande  der 
Darstellung  liegt  ein  Hirsch  rücklings  am  Boden,  über  ihm  und  auf  ihm  stehen  zwei 
ungeheure  Greifen  und  hauen  mit  der  Schärfe  des  Schnabels  und  der  Krallen  auf  ihn  ein. 
Das  Tier  ist  wehrlos,  da  das  eine  der  Ungetüme  den  Kopf  am  Geweih  zu  Boden  hält, 
während  das  andere  seine  Pranken  in  die  Weichteile  eingeschlagen  hat.  Die  Gruppe, 
durch  eine  wappenartige  Anordnung  der  beiden  geflügelten  Löwen  in  ihrer  Komposition 
fest  und  bestimmt,  ist  auch  durch  die  Grösse  in  der  Wiedergabe  der  Tiere  als  die  Haupt- 
sache der  Darstellung  charakterisiert.  Daneben  andere  Darstellungen  des  Kampfes  und 
wilder  Brunst:  Bock  und  Schwein  fallen  sich  an,  der  Tiger  sucht  den  Panther,  die  Katze 
den  Fasan  zu  überwältigen.  Rechts  eilen  den  Greifen  der  Affe  und  ein  Katzentier  zu 
Hilfe,  Stöhnen  und  Gebrüll  und  Fauchen,  Rennen,  Springen,  Flüchten,  Fliegen  und  Flattern, 
Beissen,  Kratzen  und  Stossen  überall.  Inmitten  des  Getümmels  hat  sich  ein  Rind  auf 
dem  weichen  Grasboden  hingelagert,  mitten  unter  den  kämpfenden  Gruppen;  Hirsch  und 
Reh  weiden  friedlich  auf  der  Lichtung,  während  ihrem  Genossen  der  Garaus  gemacht 
wird.  Oben  auf  dem  Hügel  rechts  sitzt  unbeirrt  von  allem  einsam  ein  Hase  und  sein 
langes  Ohrenpaar  hebt  sich  deutlich  gegen  den  Himmel  ab. 

Dass  es  sich  um  die  Darstellung  des  Paradieses  nicht  handeln  kann,  ist  danach  wohl 
klar.  Unter  den  verschiedenen  Möglichkeiten  für  die  Erklärung  des  Inhaltes  erscheint  eine 
Allegorisierung  der  vier  Temperamente  mir  am  einleuchtendsten.  \n  der  ausführlichen  mit 
sichtlichem  Behagen  ausgesponnenen  Schilderung  des  stillen  nachmittägigen  Waldes  und 
der  schattigen  Wiese  an  seinem  Rande,  auf  der  sich  das  Rind  träge  wiederkäuend  und 
müde  hingelagert  hat,  hat  der  Künstler  vielleicht  das  Phlegma  versinnbildlichen  wollen. 
Der  Blick  über  das  weite  Thal,  der  kleine  von  dünnen  Birken  bestandene  Hügel  rechts, 
auf  dem  der  einsame  Hase  sitzt,  der  Blick  in  das  dunkler  unti  immer  dunkler  werdende 
Waldinnere  wäre  für  ihn  der  Ausdruck  des  Melancholischen.  Die  stürmischen  Szenen 
des  Kampfes,  in  denen  ein  Tier  das  andere  zu  zerfleischen  oder  ihm  Gewalt  anzuthun 
sucht,  halten  wir  für  Darstellungen  des  sanguinischen  Temperaments,  denen  auch  die 
Steigerung  bis  zum  Perversen  nicht  fehlt,  wie  die  Szene  der  Katze  und  des  Fasans  zeigt. 
Selbst  das  Einhorn,  das  keusche  Tier,  ist  in  diesem  allgemeinen  Getümmel  vor  sanguinischen 
Anwandlungen  nicht  mehr  sicher.  Endlich  fehlt  auch  das  kolerisclie  Temperament  nicht, 
das  in  den  feigen  Helfern  bei  der  Zerfleischung  des  Hirsches  in  den  Affen,  die  mit  bos- 
haftem Kreischen  herbeieilen,  nicht  schlecht  symbolisiert  wäre. 


85 


;-  rrr  r-  =  •"=;—;.:;.■  r..:,r = 
*  .°%r;;i': -rr  ,;i--:  ";■■;.:  rr;-  ~- 

wusslen    herrscht  ,„  ,l,r  „„d  beweist  den  Zttsammenhang  des  Kartons  mit  der  Stufe   auf 
der  d,e  M*re,  r,,„d  n,n   ,600  stand.     Ohen  sprachen  wir  von  der  Szenerie    und  Jfcben 
be,  dteser  Be«,chnnnK  al,sich„icl,.     Denn  kulissenartig  und  „ie  auf  der  Buhne    sind  d 
Grunde  h,„tere,na„der  geordnet.     Nichts  mehr  is,  zu  sehen  von  den,  unbeho  fene    Sbe 
etnanderturmen  der  Hintergründe,  „ie  Patinir  und  die  un,  ihn  es  noch  geübt     aten^d 
wtees  das  ganze  sechszehnle  Jahrhundert  fast  hindurch  sich  nicht  »eänder    l,a      D,'  7 
.etlung  des  Prospektes  durch  eine  Baunrgruppe,  der  vorspringende^HOg  ,  r  c L       e  sZt' 
tnt  H.n^rgrund  wirken,  als  wären  es  Versatzstücke  des  Requisitoriun,: 

Vorn  T  ,"'"   "'   ''""  "''   °'"*^'  '"  A-'-l'-ungen  jener  spätem   Zeit      In, 

Vodergrund  glänzt  alles  in  scharfen  braunen,    grünen    und    blauen  Farben,     hn         ei, 
Plan  ,st  das  Laubwerk  „ich,  Blatt  für  Blatt,  sondern  büschelartig  gezeichne.     Das  D  n  e 
grün  ge  ,   ,n  helleres  Blaugrün   über.     Wei,er  hin,en  werden  die  Farbe,      oc,?  leite    ,nd 
«er.  Als  ob  braune,  grüne  und  graue  Kulissen  die  Natur  h,  gesonderte  Ab,eil„n,en  z  r,, 
hat    de    K  nsder  d,e  dre,  Gründe  scharf  auseinander,  und  nur  der  gelbe  Grund    der  b  s 
ü,  d,e  Bordüre  sich  ers,reckt  „nd  das  kräftige  Braun,  das  von,  Vorder-  bis  in  d  n  Hin,e 

grund    ,n    grossen    Flächen    a,„    den    TierkOrpern    glänzt,    halten    die    Farbenkompö     I 
usamnren.     Man   wird   nicht  leugnen   kOnnen,    dass   einzelne  Partieen   des  Teppich     ein 

bischen  buntscheckig  wirken.  'qjpicns    ein 

Tropisch    üppig    drängen    sich    die    seltsamsten   Baumstämme    vom    Boden    emnor 
cre  e„    .nd  winden   sich  vom  Waldboden   bis   in   die  Wipfel,   die   voll   breit:    LZ^ 
Blatter    hangen;     zu    einer    monumental    wirkenden    Masse    sind    all    diese    BaumkroC 
zusammengefasst,    die  sichere  Handhabung    dekorativer  Wirkungen    in    der  Lands     as 
sch.derung  wie  sie  erst  am   Ende  des  sechszehnten  Jahrhunderts  erreicht  war     A     ^     e 

pcnlKh  getreu  wiedergegebenen  Pflanzen    und  Stauden    des  Vordergrundes,    die  ihn  ein- 


86 

säumen  wie  die  Lampen  die  Bühnenrampe.  In  diesen  starken  Stengeln  voll  vegetabilischer 
Kraft,  in  den  breiten  fingerartig  umsichgreifenden  Blättern  steckt  noch  die  alte  Liebe  zum 
Detail  und  doch  auch  schon  die  neue  Auffassung,  die  auch  die  F^lanzenweit  mit  selb- 
ständigem, aktivem   Leben  erfüllt. 

Diese  Art  der  Landschaftsauffassung  und  -Schilderung  macht  es,  wie  wir  glauben, 
notwendig,  die  Entstehung  des  Gewebes  ganz  ans  Ende  des  sechszehnten  Jahrhunderts  zu 
rücken  und  darauf  weist  auch  die  wilde  Leidenschaftlichkeit  der  Szene,  die  sichtliche 
Freude  des  entwerfenden  Künstlers  an  der  Schilderung  der  wütenden  Bestialität  und 
tierischen  Brunst,  kurz  der  ganze  schon  stark  barocke  Orundzug  hin. 

Der  flandrische  Charakter  des  Stückes  steht  fest.  Die  Landschaft  in  der  Wieder- 
gabe wie  in  der  Auffassung,  der  Vorgang  selbst,  lassen  keinen  Zweifel  darüber.  So  bleibt 
nur  übrig,  nach  Analogieen  in  der  Malerei  sich  umzusehen;  denn  dass  der  Karton  des  Mittel- 
feldes auf  einen  Maler  zurückgeht,  kann  für  sicher  gelten.  Es  ist  bekannt,  welche  leb- 
haften Beziehungen  die  Künstler  der  südlichen  Niederlande  zu  den  zahlreichen 
Manufakturen  ihrer  Heimat  unterhielten,  am  Anfang  des  sechszehnten  Jahrhunderts  wohl 
noch  nicht  in  dem  Masse  wie  später,  als  die  Maler  selbst  grosse  Herren  geworden 
waren,  die  selbst  zwischen  Gobelins  wohnten,  als  der  Stil  dieser  aristokratischen  Kunst 
ihr  eigener  geworden  war.  Mit  diesen  Meistern  des  ausgehenden  Jahrhunderts,  in  deren 
gesteigertem  Gefühl  für  die  grosse  Komposition  im  Landschaftlichen  und  für  das  üppige 
Leben  der  Vegetation,  in  deren  Beobachtungsgabe  für  die  Seele  des  Tieres,  für  seine 
wilden  und  friedlichen  Instinkte  sich  schon  der  kommende  Rubens  ankündigte,  mit  diesen 
Meistern,  mit  einem  unter  ihnen,  bringe  ich  den  Karton  des  Teppichs  in  Zusammenhang. 
Alle  die  Gobelins,  die  auf  Entwürfe  der  reinen  Renaissancemeister  zurückgehen,  tragen 
noch  den  Charakter  der  gleichzeitigen  Malerei,  zeigen  ihre  Liebe  zum  Kleinen,  Idyllischen, 
Abgeschlossenen,  zur  Anhäufung  und  Überhäufung  der  Details,  alles  Eigenschaften  und 
Neigungen,  die  primitiver  sind  als  die  unseres  Künstlers,  wenn  auch  Reste  davon  bei 
ihm  noch  zu  konstatieren  sind.  Die  letzten  Spuren  jener  älteren  Darstellungsart  sind 
noch  nicht  ganz  verwischt,  aber  wenn  auch  Erinnerungen  an  das  Vorangegangene  da 
und  dort  uns  noch  entgegentreten,  sind  es  doch  die  Hauptelemente,  die  in  das  kommende 
siebzehnte  Jahrhundert  hinausweisen.  15Q0  etwa  möchten  wir  als  Entstehungszeit  an- 
setzen. Für  die  Bestimmung  des  Fabrikationsortes  müssen  in  erster  Linie  wohl  technische 
Argumente  in  Rechnung  gezogen  werden.  Herr  Ziesch,  durch  dessen  Hände  im  Laufe 
eines  Jahres  so  viele  Gobelins  gehen,  bezeichnet  Audenarde  oder  Enghien  als  solchen. 
Da  wir  vor  allem  unter  den  Brüsseler  Malern  den  entwerfenden  Künstler  vermuten,  so  lag 
der  Gedanke  an  die  Brüsseler  Manufaktur  selbst  nahe.  Aber  es  müssen  wie  gesagt  die 
technischen  Erwägungen  zuerst  in  Betracht  kommen,  und  da  diese  auf  Hennegau  und 
Ostflandern  verweisen,  so  muss  angenommen  werden,  dass  der  Meister  in  der  Hauptstadt 
für  die  Manufaktur  in  der  f^rovinz  den  Entwurf  zu  dem  Teppich  geliefert  hat. 

Fritz  Wolff 


87 


Sitzung  des  Breslauer  Rates  nach  einem  Aquarell  vom  Jahre  1639 


DIE  BILDER  DER  BRESLAUER  RATSHERREN  VON  1667 

Im  sogenannten  Breslauer  Zimmer  des  neuen  Museums  für  Kunstgewerbe  und  Alter- 
tümer hängen  jetzt  an  einer  Wand  neben  einander  23  Porträts  von  gleicher  Grösse,  in 
gleichen  Rahmen,  von  demselben  Künstler  gemalt,  Männer  in  der  gleichen  Amtstracht 
darstellend.  Die  darüber  hängenden  Kupferpiatten  zeigen,  dass  dieselben  Porträts  auch 
in  Kupfer  gestochen  worden  sind.  Schon  dieser  Umstand  lässt  darauf  schliessen,  dass 
hier  Männer  künstlerisch  verewigt  worden  sind,  die  für  Breslau  eine  hohe  Bedeutung 
gehabt  haben  müssen,  wenigstens  für  das  Breslau  ihrer  Zeit,  der  zweiten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts,  auf  die  die  äussere  Erscheinung  mit  den  Allongenperücken,  den  zier- 
lichen Schnurrbartformen,  den  breiten,  bäffchenartigen  Kragen  und  den  geschlitzten 
Wämsern  mit  grösster  Deutlichkeit  hinweist.  Inschriften,  die  sich  in  der  eirunden  Um- 
rahmung   der   Brustbilder   herumziehen,    Namen    und    Stand    der    dargestellten    Personen 


88 

angeben  und  oben  in  der  Mitte  wie  in  einem  Sclilusssteine  diese  Angaben  durch  Wappen- 
biider  ergänzen,  lassen  den  Bescliauer  erkennen,  dass  er  vor  Bildern  von  Breslauer 
Ratsherren  steht. 

Demjenigen  Beschauer  aber,  der  mit  den  Breslauer  Altertümern,  namentlich  der 
inneren  Ausstattung  des  Rathauses,  etwas  vertrauter  ist,  wird  auch  bald  die  Erinnerung 
kommen,  er  müsse  dieselben  Porträts  von  der  gleichen  Künstlerhand  schon  anderweitig 
gesehen  haben.  Und  in  der  That  zeigt  schon  eine  flüchtige  Vergieichung,  dass  hier  im 
Museum  dieselben  Männer  einzeln  porträtiert  sind  von  demselben  Künstler,  der  das  grosse 
Bild  einer  feierlichen  Ratssitzung  aus  dem  17.  Jahrhundert  gemalt  hat,  das  jetzt  im  Ober- 
bürgermeisterzimmer des  Rathauses  hängt;  und  es  wird  klar,  dass  die  Porträts,  die  jetzt 
das  Museum  ausgestellt  hat,  nachdem  sie  über  zwei  Jahrhunderte  lang  nur  wenig  Ein- 
geweihten bekannt  gewesen  waren,  die  Vorarbeiten  zu  jenem  grossen  Gemälde  darstellen. 

Der  freundliche  Leser  wolle  nicht  etwa  befürchten,  dass  ich  die  Absicht  habe,  mit 
dem  Hinweis  auf  diese  Bilder  einen  schlesischen  Raphael  oder  Tizian  aus  der  Vergessen- 
heit zu  erwecken,  in  die  ihn  die  Ungerechtigkeit  der  Mit-  und  Nachwelt  versenkt  hat. 
Die  Bilder  scheinen  mir  nicht  dazu  geeignet  zu  sein,  auch  wenn  ich  selber  mehr  Be- 
rechtigung zu  solchem  Unternehmen  geltend  machen  könnte.  Mich  interessiert  eben  mehr 
der  Vorwurf  der  Bilder,  die  die  Stadtbibliothek  bisher  beherbergt  hat,  als  deren  künstlerische 
Ausführung.  Aber  es  dürfte  doch  unter  den  Bewohnern  unserer  Stadt  und  den  Besuchern 
unseres  Museums  manche  geben,  deren  Teilnahme  und  Zustimmung  dieses  Interesse 
erweckt,  und  die  gern  einmal  im  Betrachten  dieser  Bilder  in  jene  Zeit  zurückschauen, 
wo  Breslau  sich  noch  im  stolzen  Gefühl  einer  fast  reichsstädtischen  Selbstherrlichkeit 
brüstete,  wenn  diese  Herrlichkeit  auch  schon  recht  fadenscheinig  zu  werden  anfing.  Eine 
Ratssitzung  jener  Zeit  stellt  das  erwähnte  grosse  Bild  im  Rathause  vor,  und  es  ist  ausser 
einer  gleichzeitigen  kleinen  Skizze  (Abb.  auf  S.  87)  das  einzige  dieses  Inhalts,  das  existiert. 
Die  Nachwelt  hat  sich  bis  zur  Gegenwart  nie  wieder  zu  einer  Nachahmung  aufgeschwungen. 
So  erscheint  es  also  eines  lokalen  Interesses  in  hohem  Grade  wert. 

Wenn  wir  im  Museum  aus  den  Umschriften  der  23  Porträts  die  Namen  festgestellt 
haben,  lässt  sich  mit  Hilfe  des  im  11.  Bande  des  Codex  dipiomaticus  Silesiae  veröffent- 
lichten Breslauer  Stadtbuchs,  das  die  Ratslinie  von  1287  bis  1741  in  jährlichen  vollständigen 
Listen  nach  dem  alten  amtlichen  Liber  consulum  mitteilt,  leicht  nachweisen,  dass  sämtliche 
Namen  auf  das  Jahr  1667  passen,  dass  wir  also  die  8  Ratsherren  und  11  Schoppen  nebst 
den  2  Syndicis  und  den  2  Notarien  Breslaus  aus  diesem  Jahre  vor  uns  haben. 

Den  Reigen  eröffnet  der  Ratspräses  Samuel  von  Saebisch  und  Mahlen.  Präses 
hiess  damals  der  Vorstand  des  Ratskoilegiums,  in  älteren  Zeiten  Ältester,  Senior,  nach  der 
preussischen  Besitzergreifung  Direktor,  seit  der  Einführung  der  Städteordnung  Oberbürger- 
meister genannt.  Auf  den  Bildern  der  alten  f^atspräsiden,  die  den  Fürstensaal  des  Rat- 
hauses zieren,  findet  sich  auch  der  Titel  Hauptmann,  Capitaneus,  weil  der  Rat  fast  drei 
Jahrhunderte  lang  auch  die  Hauptmannschaft  über  das  Fürstentum  Breslau  verwaltete; 
doch  hatte  er  diese  1635  opfern  müssen,    um    die    kirchliche  Freiheit   und  Selbständigkeit 


89 

der  Stadt  zu  retten.  Auch  der  bei  Saebisch  in  der  Umschrift  auf  den  Präses  noch 
folgende  Titel,  Direktor  des  Namslauer  Burglehens,  erweckt  nur  noch  eine  historische 
Erinnerung.  Wie  andere  Teile  ihres  einst  grösseren  Grundbesitzes  musste  die  Stadt 
den  1533  erworbenen  Pfandbesitz  des  Namslauer  Burglehens  1702  in  die  Hände  des 
Kaisers  zurückgeben. 

Samuel  von  Säbisch  oder  Sebisch  stammte  aus  einer  angeblich  von  Oberschlesien 
nach  Breslau  eingewanderten,  im  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  geadelten  Familie,  die  sich 
durch  eine  höchst  mannigfaltige  Begabung  ihrer  zahlreichen  Mitglieder  in  den  Künsten  des 
Friedens  wie  des  Krieges  ausgezeichnet  und  der  Stadt  mehrere  Oberhäupter  gegeben  hat. 
Wie  Adam  von  Säbisch  bis  1635  der  letzte  Hauptmann  des  Fürstentums  gewesen  war, 
so  erlosch  mit  Alhrecht  von  Säbisch,  unter  dem  der  Einmarsch  der  Preussen  in  Schlesien 
stattfand,  die  Reihe  der  alten  Ratspräsiden  überhaupt.  So  verkörpert  sich  in  dieser 
tüchtigen  Familie,  die  anderthalb  Jahrhunderte  lang  im  Rate  gesessen  hat,  ein  bedeut- 
sames Stück  Breslauischer  Stadtgeschichte,  allerdings  nicht  in  aufsteigender,  sondern  in 
absteigender  Richtung.  Die  kräftigen  Züge  des  hier  im  Anfang  der  70er  Jahre  dargestellten 
Präses  Samuel  scheinen  wohl  einen  tüchtigen  Mann  zu  verbürgen,  aber  sonst  erfahren 
wir  von  seiner  Persönlichkeit  nichts  Rechtes.  Die  bei  seinem  Tode  erschienenen  Gelegen- 
heitsgedichte wissen  doch  das  dem  Verewigten  gespendete  Lob  unglaublich  wenig  zu 
individualisieren.  Das  gilt  aber  nicht  nur  von  ihm,  sondern  auch  von  den  meisten  übrigen 
Mitgliedern  des  Kollegiums.  In  dasselbe  1637  eingetreten,  1662  an  die  Spitze  berufen, 
starb  er  im  74.  Lebensjahre  am  2.  Februar  1671,  nachdem  er  gerade  in  den  letzten  Jahren 
das  Schiff  der  Stadt  durch  schwere  Fährlichkeiten  hatte  steuern  müssen,  in  die  es  durch 
die  ausgreifende  Politik  der  nach  dem  30jährigen  Kriege  wieder  mächtig  gewordenen  alten 
Kirche  geraten  war. 

Auf  den  Ratspräses  folgte  im  Range  der  Vizepräses,  der,  wie  auch  aus  den  Inschriften 
zu  ersehen  ist,  den  Ältestentitel  führte.  Der  hier  porträtierte  Vizepräses  Augustin  Heinrich 
von  Kromayer  und  Oross-Sägewitz,  der  zugleich  städtischer  Kriegskommissar  war,  sieht 
wenig  militärisch  aus,  seine  Vorbildung  war  auch  keine  militärische,  sondern  eine  juristische 
gewesen.  Er  hatte  in  Leipzig  und  Altorf  studiert  und  dann  nach  der  Sitte  der  Zeit  die 
auf  den  Universitäten  erworbene  Bildung  auf  grossen  Reisen  durch  Dänemark,  Niederland, 
England,  Frankreich  und  Spanien  vervollständigt.  Auf  der  Rückreise  zu  Schiff  nach 
Hamburg  gelangt,  kehrte  er  über  Frankfurt  a.  O.,  Thorn  und  Posen  heim  nach  Breslau. 
Niemand,  wenigstens  nicht  die  vornehmen  jungen  Leute,  reiste  damals  um  des  Natur- 
genusses willen,  sondern  utn  die  Einrichtungen  fremder  Staaten  und  die  Sitten  ihrer  Be- 
wohner kennen  zu  lernen.  Wem  es  der  Beutel  des  Vaters  erlaubte,  der  reiste  auch  mit 
einem  erfahrenen  Mentor,  der  überall  auf  die  Sehenswürdigkeiten  aufmerksam  machte  und 
auch  die  Besuche  bei  berühmten  Männern  vermittelte;  denn  diese  gehörten  besonders  zu 
den  Sehenswürdigkeiten,  von  denen  man  später  in  der  Heimat  zu  erzählen  liebte.  Auch 
Kromayer  hatte  für  die  verschiedenen  Länder  seine  Mentoren  gehabt.  Wer  möchte  be- 
streiten, dass  diese  Art    zu    reisen    wirklich    bildungsfördernd  war!     Nach  Hause  zurück- 

12 


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gekehrt,  hatte  Kromayer  bald  geheiratet  und  dann  7  Jalire  lang  ein  väterliches  Gut  be- 
wirtschaftet; im  30.  Lebensjahre  war  er  in  den  Rat  gewählt  worden  und  in  diesem 
allmählich  emporgekommen.  Das  war  in  allem  die  Karriere  eines  Sohnes  von  guter 
Familie.  Und  aus  der  war  er.  Die  Kromayer  waren  gegen  das  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
aus  der  Lausitz  eingewandert,  hatten  sich  mit  den  Ratsfamilien  verschwägert,  waren  im 
Anfange  des  16.  Jahrhunderts  selbst  in  den  Rat  gekommen  und  hatten  als  wohlhabende 
Kaufleute,  wie  diese  es  übrigens  alle  thaten,  einen  Teil  ihres  Vermögens  in  Grundbesitz  an- 
gelegt. So  war  auch  Augustin  Heinrich  Erbherr  auf  Buckowine  und  Grünaiche.  Er  starb 
schon  im  57.  Lebensjahre,  am  27.  Mai  1669,  und  mit  seinem  Sohne  erlosch  im  Mannes- 
stamm die  Breslauische  Linie  seines  Geschlechts. 

Den  beiden  Präsiden  gegenüber  kann  der  ihnen  folgende  Oberkämmerer  Johann 
von  Götz  und  Seh  wanenfliess  auf  Höfchen,  der  Mann  mit  dem  länglich  schmalen  Kopfe, 
aus  dessen  schon  stark  von  schweren  Leiden  verheerten  Zügen  immer  noch  ein  klares, 
scharfes  Auge  blickt,  als  ein  Emporkömmling  gelten,  den  nur  eigenes  Verdienst  vorwärts 
gebracht  hatte.  Denn  als  Sohn  eines  Ratsherrn  in  dem  kleinen  fränkischen  Städtchen 
Prichsenstadt  1600  geboren,  man  weiss  nicht  wie  nach  Breslau  verschlagen,  mit  der 
Tochter  des  Magnus  von  Hain  (Hein)  auf  Nieder-Hausdorf,  der  keiner  ratsherrlichen  Familie 
angehörte,  1636  verheiratet,  war  er  1645  in  den  Rat  und  dann  bald  zum  Unter-,  später 
zum  Oberkämmerer  gewählt  worden.  Er  erfreute  sich  auch  kaiserlicher  Gnade,  war 
geadelt  worden,  trug  die  goldene  Gnadenkette  mit  dem  Brustbild  der  regierenden  Majestät 
und  den  Titel  eines  kaiserlichen  Rats.  Er  war  Erbherr  auf  Höfchen,  das  er  erst  angelegt 
hatte,  auf  Peltschütz  und  Polnisch -Marchwitz.  Er  wurde  auch  nach  dem  Tode  Samuels 
von  Säbisch  1671  dessen  Nachfolger  im  Präsidium,  legte  es  aber  1677,  nachdem  er  seiner 
Leiden  halber  zwei  Jahre  lang  sein  Haus  nicht  hatte  verlassen  können,  freiwillig  nieder, 
worauf  sofort  sein  Sohn  Magnus  Anton  in  den  Rat  gewählt  wurde,  der  auch  langlebig 
genug  war,  um  bis  zum  Präsidium  vorzurücken.  Es  war  nicht  selten,  dass  so  der  Sohn 
unmittelbar  in  die  Lücke  trat,  die  des  Vaters  Tod  ins  Kollegium  riss,  war  doch  ein  Sitz 
darin  mehr  ein  Herrschaftsrecht  als  ein  Amt. 

Ein  hervorragendes  Interesse  erweckt  das  vierte  Bild,  das  in  der  Umrahmung  den 
Namen  Christian  Hof  mann  von  Hofmannswaldau  aufweist.  Das  fleischige,  etwas  sinn- 
liche Gesicht  stellt  das  Haupt  der  zweiten  schlesischen  Dichterschule  dar,  den  einst  so  hoch 
bewunderten,  jetzt  freilich  nur  noch  in  den  Litteraturgeschichten  lebenden,  mit  Recht  nicht 
mehr  gelesenen  Verfasser  der  „Heldenbriefe",  der  ein  schönes  poetisches  Talent  nur  zu  seiner 
und  seiner  Leser  Belustigung  verwandte  und  dabei  die  Reizmittel  gröbster  Sinnlichkeit  nicht 
verschmähte.  Und  doch  war  er  ein  ehrbarer,  pfliclitgetreuer,  in  schwierigen  Geschäften 
erprobter,  namentlich  um  seiner  Fürsorge  für  die  städtischen  Gymnasien  gepriesener  Mann. 
Er  war  1617  geboren  als  der  Sohn  des  schlesischen  Kammerrats  Johann  Hofmann,  der 
vom  Kaiser  mit  dem  f^rädikat  von  Hofmannswaldau  geadelt  worden  war.  Der  Sohn 
pflegte  in  seinem  lebhaften  Briefwechsel  dies  Prädikat  nicht  zu  führen,  ein  Zeichen,  dass 
er  auf  den  zu  seinerzeit  so  leicht  erreichbaren  Briefadcl  wenig  Gewicht  legte.     Inder  Stadt 


91 

hatte  der  alle  Bürgerstolz  bis  1655  so  weit  vorgehalten,  dass  kein  Ratsmitglied  ein  Adels- 
prädikat führen  durfte,  auch  wenn  es  sonst  der  Familie  verliehen  war  und  andere 
Glieder  derselben  sich  seiner  bedienten.  Seit  1656  war  dies  Verbot  gefallen,  und  in  der 
Folge  erschien  es  der  Etikette  ganz  unerlässlich,  dass  alle  Ratsmitglieder  ausser  den  be- 
zechten d.  h.  zünftischen  den  Adel  erwarben,  falls  sie  ihn  bei  der  Wahl  noch  nicht  hatten. 
Selbst  die  Mitglieder  aus  den  Zünften,  die  doch  als  die  niedere  Bürgerschaft  durch  eine 
tiefe  Kluft  von  den  Honoratioren  getrennt  waren,  kamen  schliesslich  darum  ein,  wurden 
aber  mit  einer  Verwarnung  abgewiesen.  Einen  zugkräftigen  Grund  zum  Streben  nach 
dem  Adel  hatten  die  Ratsmitglieder  übrigens  darin,  dass  im  17.  Jahrhundert  eine  kaiser- 
liche Behörde  nach  der  andern  in  der  Stadt  sich  aufthat,  deren  Mitglieder  alle  den  Adel 
erlangten  und  denen  gleich  zu  stehen  für  die  Ratsherren  im  Interesse  ihrer  Würde 
unerlässlich  schien. 

Christian  Hofmann,  um  noch  einmal  auf  ihn  zurückzukommen,  hatte  seinen  in 
Breslau  begonnen  Schulunterricht  in  Danzig  vollendet,  in  Leiden  Jura  studiert,  dann  in  England, 
Frankreich  und  Italien  Aufenthall  genommen,  so  dass  er  erst  nach  öjähriger  Abwesenheit 
wieder  heimkehrte.  Schon  im  30.  Jahre  wurde  er  in  den  Rat  gewählt.  Langsam  auf- 
rückend, wie  es  das  Absterben  der  Vordermänner  ergab,  gelangte  er  in  weiteren  30  Jahren 
bis  zum  Präsidium,  doch  erfreute  er  sich  der  höchsten  Würde  nur  wenig  über  zwei  Jahre,  da 
er  am  18.  April  1679  im  62.  Lebensjahre  verschied.  Eine  pomphafte  Lobrede  schrieb  ihm 
bei  seinem  „Hoch-Adeligen  Leich  -  Begängnüsse"  sein  Genosse  auf  dem  damaligen 
schlesischen  Parnass,  Johann  Caspar  von  Lohenstein.  „Der  grosse  Pan  ist  todt."  Und 
der  Rektor  Christian  Gryphius,  der  auch  Verse  machte,  weil  sein  Vater  ein  Dichter  ge- 
wesen war,  liess  „das  bethränte  Bresslau"  klagen: 

Budorgis  saltzte  sich,  weil  was  Sie  vor  gezieret 
Mit  ihrem  ATLAS  fiel,  in  blassen  Todten-Graus. 

Auf  ihn  folgt  noch  ein  jüngerer,  sehr  wohl  und  etwas  selbstgefällig  aussehender 
Mann,  ein  Repräsentant  derjenigen  Familie,  die  am  längsten  d.  h.  fast  drei  und  ein  halbes 
Jahrundert  hindurch  im  Rate  gesessen  und  diesem  15  Mitglieder  geliefert  hat,  Adam 
Wenzel  von  Reichel,  Erbherr  auf  Magnitz,  Zaumgarten  und  Klein-Rasselwitz,  wozu  er  mit 
seiner  Frau  noch  Barottwitz  erheiratete.  Nach  Vollendung  seiner  Studien  in  Helmstädt  und 
Leiden  und  der  grossen  Reise,  die  hauptsächlich  Italien  und  den  österreichisch-ungarischen 
Ländern  galt,  hatte  er  1652  im  25.  Jahre  geheiratet  und  war  schon  das  Jahr  darauf  in  den 
Rat  gewählt  worden.  Das  Bild  stellt  ihn  als  angehenden  Vierziger  dar,  kurz  vor  seinem 
unerwartet  früh  im  Juli   1668  erfolgenden  Tode. 

Auch  der  dann  folgende  ältere  Herr  mit  dem  freundlichen,  etwas  leidenden  Gesicht, 
Hans  Burckhard  (Burghart)  von  Löwenburg  (Lewenburg),  geboren  1611,  war  ein  reicher 
Mann.  Das  Bild  von  1667  nennt  ihn  Besitzer  von  Grünau,  das  Jahr  darauf  erbte  er  vom 
Schwager  auch  Oldern  und  Benkwitz.  Aber  die  Familie  war  weniger  alt  und  vornehm,  erst 
sein  Vater  hatte  den  Adel  erworben,  und  er  war  der  erste,  der  1654  mit  43  Jahren  in  den 


92 

Rat  gelano;te.  Da  er  bis  1677  lebte,  erreichte  er  alimäiiiicii  das  Vizepräsidium  und  wurde 
unmittelbar  nach  seinem  Tode  durch  seinen  gleichnamigen  Sohn  ersetzt. 

Sonst  ist  nichts  weiter  von  ihm  bekannt,  noch  weniger  von  den  beiden  zünftischen 
Ratsherren,  die  die  letzten  Plätze  am  Ratstische  hatten,  dem  Kretschmer  Sigismund 
Schreiber  und  dem  Tuchmacher  Jakob  Fiedler  (Fiedlar).  Ersterer,  seit  1Ö62  im  Rat, 
muss  intelligenter  gewesen  sein,  als  ihn  das  Porträt  erscheinen  lässt;  sonst  würde  der 
von  Hirschberg  gebürtige,  nach  unruhiger  Jugend  kriegsflüchtig  nach  Breslau  verschlagene 
Mann  nicht  mit  40  Jahren  in  den  Rat  gelangt  sein.  Die  Tochter  des  Innungsältesten 
Schulze  heiratete  er  erst  nach  seiner  Wahl  in  zweiter  Ehe.  Er  war  Kirchenvorsteher  zu 
St.  Barbara  und  starb  1674  im  53.  Lebensjahre.  Sein  Nachbar  Fiedler  sass  von  1648  bis 
1672  im  Rat.  Die  langen  und  wechselvollen  Kämpfe  zwischen  den  Kaufmannsgeschlechtern 
und  den  Zünften  oder  Zechen  hatten  schon  im  15.  Jahrhundert  dazu  geführt,  den  vier 
bedeutendsten  Zünften,  den  Reichkrämern,  Tuchmachern,  Kretschmern  und  Fleischern  eine 
Vertretung  im  Rat  zu  bewilligen,  aber  diese  zünftischen  oder  bezechten  Mitglieder  blieben 
immer  an  die  beiden  letzten  Plätze  am  Ratstisch  und  auf  der  Schöffenbank  gebunden. 

Der  alte  Breslauer  Rat  war  für  die  Stadt  sowohl  die  Verwaltungs-  wie  die  Gerichts- 
behörde. Er  gliederte  sich  deshalb  in  zwei  Abteilungen,  das  eigentliche  Ratskollegium 
und  das  Schöp|)enkollegium.  Beide  wurden  alljährlich  neu  besetzt,  ergänzten  sich  aber 
nach  uralter  Sitte  nur  durch  Kooptation  und  waren  dem  Wesen  nach  längst  ständig  ge- 
worden, wenngleich  die  Erneuerung  oder  Verkehrung  noch  immer  Jahr  für  Jahr  am  Tage 
vor  Aschermittwoch  stattfand,  in  sehr  feierlichen  aber  stereotypen  Formen.  Das  Auf- 
rücken erfolgte  streng  nach  der  Anciennetät. 

Wenden  wir  uns  jetzt  den  auf  der  Schöffenbank  sitzenden  Gestalten  zu,  so  tritt  uns 
in  dem  Schöffenpräses  David  von  Eben  und  Brunnen  eine  stattliche  Figur  mit 
kräftigem,  martialischem  Gesicht  entgegen,  der  man  ihre  68  Jahre  nicht  ansieht.  Die  Eben 
waren  ein  süddeutsches  Geschlecht,  das  Generationen  hindurch  im  Rate  zu  Memmingen 
gesessen  hatte;  erst  Davids  Grossvater  war  aus  Schwaben  nach  Schlesien  gekommen  und 
durch  die  Heirat  mit  einer  Uthmann  in  die  Kreise  des  Breslauer  Patriziats  eingedrungen; 
sein  jüngerer  Sohn  Nikolaus  war  1617  in  den  Rat  gelangt  und  diesem  1644  David  gefolgt, 
der  mit  dem  oben  genannten  Adam  Wenzel  von  Reichel  verschwägert  war.  Er  sass  auf 
Strachwitz  westlich  von  Breslau.  Das  Geschlecht  blühte  noch  lange,  auch  im  Kriegsdienst, 
doch  schied  es  wieder  aus  dem  Rat,  als   David  am   14.  Mai   lö6Q  das  Zeitliche  segnete. 

Auf  ihn  folgt  Sigismund  von  Fürst  und  Kupferberg,  aus  derselben  Familie,  aus 
der  ein  Jahrhundert  später  der  Grosskanzler  Karl  Joseph  Maximilian  Freiherr  v.  Fürst  hervor- 
ging. Den  Beinamen  hatte  die  Familie  von  dem  Bergstädtchen  Kupferberg,  das  der  aus 
Bamberg  nach  Breslau  eingewanderte  Georg  Fürst  erworben  hatte.  Glücklicher  Bergbau- 
betrieb brachte  sie  schnell  zu  Vermögen,  dem  dann  leicht  der  Adel  folgte.  Dem  Rate 
hat  sie  drei  Mitglieder  gegeben,  von  denen  Sigismund  das  mittlere  war.  Er  starb  am 
Michaelistage  1674.  Sein  Gesicht  zeigt  im  Bilde  einen  fremdartigen,  mehr  slavischen  als 
deutschen  Typus. 


93 


Ernste,  wenn  auch   nicht   unfreundh-che  Züge  zeigt  sein  Nachbar,  ein  ausgehender 
Vierziger,  Hemrich  Marx  von  Pein  und  Wechmar,  der  Träger  eines  in  der  Stadt  sehr 
angesehenen  Namens.     Er  war  der  ähere  Sohn  des  um  die  Stadt  in  den  schweren  Zeiten 
des  30jähr.  Krieges  hochverdienten,  ebenso  unermüdlich  wie  erfolgreich  thätigen  Syndikus 
Johann  von  Pein,  der  1622    aus    sächsischem  Hofdienst    in   das  Breslauer  Syndikat  über- 
getreten   war.     Sein  Geschlecht    stammte  ursprünglich  aus  dem  Fürstentum  Grubenhagen 
führte  aber  den  Zunamen  von  Wechmar    nach    einem    thüringischen  Besitz;    in   Schlesien 
spaltete  es  sich  in  eine  adelige  Linie,    die    der  Stadt  im  ganzen    drei   Ratsherren    geliefert 
hat,  und  m  eine  freiherrliche.     Wir  wissen  von   Heinrich  Marx  nur,  dass  ihn  seine  Studien 
und  Reisen  nach   Holland  und  England  geführt  haben,  und  dass  er  Eva  Susanna  Jessinski 
geheiratet  hat,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  eine  Tochter  jenes  Stephan  Jessinski    der  sein 
und  seiner  Frau  Eva  Haunoldin  Allianzwappen    an    der  Südseite    des    von    ihm    erbauten 
Hauses,    das    allen  Breslauern    als  der  Riembergshof  bekannt    ist,    in  Stein    hat    darsteilen 
lassen.     Heinrich  Marx    starb    schon    im  Januar  1668,    wenige  Monate    nach    seiner  Frau 
worauf  sein  Bruder  Sigismund  Reinhard    für    ihn    gewählt   wurde.     Der  ältere  der  beiden 
Brüder  sass  auf  Sürdnig  und  Wessig,  der  jüngere  auf  Seiffersdorf,  später  erwarb  er  Kranz 
Neben  ihm  sitzt  der  Unterkämmerer  Matthaeus   Riedel  von    Lewenstern     Erb- 
herr auf  Treschen  und  Seiffersdorf,  ein  reicher  Kaufherr,  der  von  seinem  Gelde  auch 'einen 
edlen  Gebrauch  zu  machen  wusste,  denn  er  hatte  1652  die  noch  jetzt  vorhandene  Kanzel 
der  Elisabetkirche    aus    schwarzem    italienischen  Marmor    mit  Säulen    aus  salzburgischem 
Marmor  und  Kapitalen  und  Engelsköpfen  aus  Alabaster  auf  seine  Kosten  herstellen  lassen 
Er  führte  das  Unterkämmereramt  10  Jahre  lang    und  starb,    als    er    eben    das  von  Johann 
von  Götz    abgegebene   Oberkämmereramt    übernehmen    sollte,    am    25.  Februar  1670     im 
66.  Lebensjahre.     Den  Ade!  hatte  schon  der  Vater  Peter  erworben,  mit  dem  das  Geschlecht 
in   Schlesien   auftaucht,    später    kommt    noch    die    Freiherrnwürde    dazu.     Der    letzte    der 
schlesischen   Linie  war  ein  Onkel  Holtei's,    von  dem  dieser  in  seinen   „Vierzig  Jahren"  er- 
zählt, dass  er  nach  dem  Verluste  seines  Gutes  Grossleipe    im  Trebnitzer  Kreise    sich   bei 
dem  Besitzer  des    Gutes  Obernigk,    seinem    alten  Freunde  Karl  Wolfgang  Schaubert,    die 
letzten  Jahre  seines  Lebens  aufgehalten   habe.     Dieser  Erbonkel  Baron  Riedel  hatte  eben- 
sowenig wirtschaftliches  Talent  wie  sein  Neffe. 

Riedels  erheblich  jüngerer  Nachbar  mit  dem  würdevollen,  selbstbewussten  Blick 
Ferdinand  von  Mudrach  (Modrach),  Erbherr  auf  Ober-  und  Nieder-Rathen,  Heidau  und' 
Hermannsdorf  im  Westen  und  Südwesten  von  Breslau,  hatte  die  Zeit  seines  Wirkens  noch 
vor  sich;  denn  er  wurde  1670  1676  Oberkämmerer  und  1680  1690  Präses,  verwaltete 
also  die  verantwortungsreichsten  Ämter  eine  ziemliche  Zeit.  Sein  Sohn  erwirbt  die  Frei- 
herrenwürde und  sein  Enkel  ist  unter  Friedrich  dem  Grossen  Intendant  der  Königlichen 
Schlösser  und  zur  Zeit  der  Schlacht  bei  Leuthen  Besitzer  der  Herrschaft  Lissa.  In  seinem 
Schlosse  soll  der  König  bekanntlich  am  Abend  des  Schlachttages  eine  Versammlung 
österreichischer  Offiziere  überrascht  haben;  doch  ist  die  Grundlosigkeit  dieser  Erzählung 
nachgewiesen.  '^ 


94 

Noch  jünger  ist  der  Nachbar  Hans  Sigisnuind  von  Haiinold  auf  Saclierwitz,  erst 
im  34.  Lebensjahre  und  doch  schon  seit  8  Jahren  im  Rat.  So  l<onnte  es  kommen, 
dass  er  das  Präsidium  als  Mudrachs  Nachfolger  im  57.  Lebensjahr  erreichte  und  volle 
20  Jahr  innehatte,  auch  1710  das  50jährige  Jubiläum  als  Ratsmitglied  erlebte,  ein  nie 
dagewesenes  Ereignis,  das  mit  einem  überschwenglichen  Pomp  von  der  dem  Kultus  der 
vornehmen  Personen  so  sehr  ergebenen  Zeit  gefeiert  wurde.  Er  war  allerdings  ein  sorg- 
samer Regent  der  Stadt,  und  namentlich  die  Armen  priesen  ihn,  den  Schöpfer  der 
Hausarmen-Verpflegungsanstalt,  als  ihren  Vater.  Er  war  auch  ein  Freund  der  Wissen- 
schaften, Sammler  in  allen  Gebieten  der  Naturwissenschaften,  der  technischen  Künste  und 
der  Numismatik  und  stand  mit  andern  Sammlern  und  mit  Gelehrten  in  regem  Briefwechsel, 
wobei  dann  der  gelehrteste  Mann,  den  damals  Breslau  hatte,  der  Rektor  Martin  Hanke  vom 
Elisabetgymnasium,  ihm  vielfältig  Sekretärdienste  leistete.  Er  hatte  sonst  eine  schwere 
Gemütsart  und  schrieb  ganze  Bände  von  Todesgedanken,  Reu-  und  Leidgedanken,  die 
die  Stadtbibliothek  noch  bewahrt.  Er  war  der  letzte  seines  Geschlechts,  das  über  ein 
Jahrhundert  lang  im  Rate  gesessen  hat,  indes  von  dem  der  mittelalterlichen  Haunolds, 
die  namentlich  im  15.  Jahrhundert  eine  hervorragende  Rolle  in  der  Stadt  spielten,  ver- 
schieden ist,  auch  ein  anderes  Wappen  führt. 

Der  6.  Schöffe,  mit  dem  ansprechenden,  feinen  Gesicht,  Adam  Kaspar  von  Artzat 
und  Gross-Schottgau,  im  3L  Lebensjahre  dargestellt,  war  ebenfalls  mit  26  Jahren  an  der  Stelle 
seines  Vaters  Georg  Friedrich  in  den  Rat  gelangt.  Wie  schnell  sich  begabte  junge  Leute  von 
guter  Herkunft  damals  vorwärtsbringen  konnten,  zeigt  der  Umstand,  dass  er  erst  die 
Hälfte  seines  Trienniums  hinter  sich  hatte,  als  er  noch  nicht  lOjährig  am  2.  August  1655 
in  Leipzig  mit  einer  Dissertation  de  culpa  als  Jurist  promovierte.  Auf  der  Rückkehr  von 
der  grossen  Reise  nach  Frankreich,  England  und  Belgien  führte  ihn  der  Weg  über  Frank- 
furt am  Main,  wo  er  1658  der  Kaiserkrönung  Leopolds  beiwohnte.  Von  dem  reich- 
begüterten Vater  erbte  er  die  Güter  Borne,  Zweibrodt,  Blankenau  und  Schützendorf  und 
erlangte  später  ein  Kanonikat  in  Magdeburg,  wurde  kaiserlicher  Rat  und  Oberkämmerer 
der  Stadt,  doch  entriss  ihn  der  Tod  schon  im  51.  Lebensjahre  den  Herrlichkeiten  dieser 
Welt,  am  5.  Februar  1678.     Im  Rate  war  er  der  vierte  seines  Geschlechts. 

So  mit  Glücksgütern  gesegnet  war  der  nächste  gleichzeitig  mit  Artzat  eingetretene, 
aber  um  ein  Jahrzehnt  ältere  Schöffe  Sigismund  Seifart  nicht;  er  war  neben  den  zünftischen 
Mitgliedern  das  einzige,  das  zu  der  Zeit  des  Adelsprädikats  entbehrte;  er  führt  es  in  der 
Ratslinie  erst  von  16Q1  ab,  übrigens  ohne  dass  seine  Nobilitierung  mit  sicherer  Angabe 
zu  belegen  wäre.')  Dafür  war  er  aber  ein  tüchtiger  Jurist  und  hatte  in  einem  langen 
Leben  Gelegenheit,  seiner  Vaterstadt  wertvolle  Dienste  zu  leisten.  Er  starb  erst  am 
4.  Januar  1702  als  Vizepräses,  nachdem  er  38  Jahre  im  Rate  gesessen  hatte.  Das  Bild 
zeigt  ein  mageres,  etwas  leidendes  Gesicht. 


')  Vgl.  Blazek  Abgestorbener  Adel  der  preiiss.  Proviii?:  Schlesien  III,  152. 


Q5 

Sehr  viel  unternehmender  sieht  sein  Nachbar  mit  dem  eleganten  Modebart,  der 
39jährige  Georg  Ernst  von  Kohlhass  (Kouihass),  Schwiegersohn  des  Schöffenpräses 
David  von  Eben,  aus.  Ob  er  damals  schon  auf  eigene  Verdienste  blicken  konnte,  ist 
nicht  bekannt ;  in  der  Folge  hat  er  der  Stadt  als  Oberkämmerer  ein  Jahrzehnt  lang  treu 
gedient.  Bei  seinem  Tode  16SQ  war  er  Erbherr  auf  Krietern  und  Strachwitz.  Die  Familie 
war  erst  in  der  vorhergehenden  Generation  geadelt  worden  und  erlosch  schon  im  Anfange 
des  folgenden  Jahrhunderts,  er  war  der  einzige  Vertreter  derselben  im  Rate. 

Zu  Unterst  sitzen  auch  auf  der  Schöffenbank  wieder  zwei  zünftische  Herren,  der 
Reichkrämer  Christoph  Grund  mann,  erst  1667  erwählt,  Vorsteher  des  Almosenamtes  und 
des  Hospitals  zu  Allerheiligen,  schon  1675  nach  mehrjähriger  Unpässlichkeit  gestorben, 
eine  ehrenfeste  Erscheinung.  Sein  Nachfolger  Melchior  Schlecht,  ein  Fleischer,  ver- 
waltete sein  Amt  um  so  länger,  von  1665  bis  1686. 

Das  also  sind  die  IQ  Mitglieder  des  Breslauer  Rats  im  Jahre  1667,  8  Ratsherren  im 
engeren  Sinne  und  1 1  Schoppen  oder  Mitglieder  des  Stadtgerichts.  Ratsherren,  Senatores 
hiessen  sie  alle.  Die  jüngsten  Mitglieder  rückten  in  die  unterste  Schöppenstelle  ein, 
wechselten  dann  aber  in  einer  damals  schon  fest  ausgebildeten  Reihenfolge  von  der 
Schöffenbank  an  den  Ratstisch  und  von  diesem  wieder  auf  die  Schöffenbank.  Der  erste 
Schöffe  war  im  Range  dem  zweiten  Ratsherrn  gleich  und  wechselte  mit  diesem  in  der 
Vertretung  des  Präses,  beide  hiessen  Älteste.  Auch  die  vier  zünftischen  Mitglieder 
wechselten  in  den  vier  untersten  Plätzen,  die  ihnen  zugewiesen  blieben,  vom  Ratstisch 
zur  Schöffenbank  und  umgekehrt. 

Die  alten  Kaufmannsfamilien,  die  ihrer  Bedeutung  für  die  Stadt  entsprechend  Jahr- 
hunderte lang  ihre  Vertreter  in  den  Rat  entsandt  hatten,  waren  seit  dem  Anfange  des 
17.  Jahrhunderts  in  einer  Umbildung  begriffen.  Einerseits  ging  der  Handel  Breslaus  un- 
zweifelhaft zurück,  andererseits  Hessen  die  neuen  Theorieen  vom  Staats-  und  Regentenwesen 
die  juristische  Bildung  in  steigendem  Masse  als  wichtig,  ja  unentbehrlich  erscheinen. 
Das  trieb  die  vornehmen  Familien  teils  in  den  ländlichen  Grundbesitz,  teils  in  die 
juristische  Karriere.  Die  über  die  einzelnen  Mitglieder  gegebenen  Daten  lassen  das  ja 
deutlich  erkennen.  Der  Kaufmann  und  die  kaufmännische  Art  des  Stadtregiments  waren 
im  Begriffe  zu  verschwinden.  Die  Ratsherrenstellen  hatten  sich  trotz  der  jährlichen  Neu- 
wahl zu  lebenslänglichen  Ämtern  ausgebildet,  wenn  sie  auch  noch  nicht  gerade  Ver- 
sorgungen mit  ausgiebigem  Gehalt  geworden  waren.  Noch  waren  es  in  der  Hauptsache 
Ehrenämter,  nur  den  Mitgliedern  vornehmerer  Familien  und  den  Vertretern  bestimmter  Zünfte 
zugänglich,  doch  erhielten  die  Inhaber  bereits  „wegen  ihrer  schweren  Mühewaltung  und 
Versäumnis  ihrer  Nahrung"  feststehende  Bezüge  an  Geld  und  andern  Ehrengaben,  der 
Präses,  die  beiden  Ältesten  und  die  beiden  Kämmerer  je  300,  die  andern  je  200  Rthl. 
So  war  es  1658  geregelt  worden.  Dem  entsprechend  opferten  die  vornehmen  Herren 
auch  nicht  ihre  ganze  Kraft  und  Zeit  den  Sorgen  der  Stadtregierung,  sie  hatten  dazu  noch 
Gehilfen  in  den  vier  Herren,  die  das  Bild  der  Ratssitzung  an  besonderem  Tische 
zeigt,  und  deren  Porträts  hier  im   Museum  den  Schluss  der  Reihe  bilden.     Das  waren  die 


96 

beiden  Syndici  und  die  beiden  Secretarii;  die  beiden  ersten,  stets  gewiegte  Juristen,  waren 
die  eigentliche  Seele  der  Verwaltung,  den  beiden  andern  lag  die  Sorge  ob  für  die  Ein- 
haltung des  meist  recht  umständlichen  Geschäftsganges.  Nur  die  ersten  hatten  volles 
Stimmrecht  in  den  Sitzungen,  bezogen  auch  ein  ansehnliches  Gehalt. 

Der  Protosyndikus  von  16Ö7  war  der  Dr.  phil  et  jur.  utr.  Peter  Muck  von  Mucken- 
dorf und  Sonnenburg,  auf  Lichtenberg  und  Marchwitz,  Inhaber  der  böhmischen  Ritter- 
würde, kaiserlicher  Rat  und  Pfalzgraf,  der  1655  seinem  Vater  im  Syndikat  gefolgt  war. 
Er  resignierte  schon  1670,  wurde  herzoglich  sächsischer  Präsident  zu  Lauenburg  und 
starb  als  Landesdeputierter  des  Fürstentums  Breslau  im  hohen  Alter  1705. 

Wichtiger  für  die  Stadt  wurde  sein  Kollege  und  späterer  Nachfolger  Andreas  Assig, 
der  Sohn  eines  Breslauer  Goldschmieds,  seit  1657  im  Amte,  ein  Mann  von  ungewöhn- 
licher Arbeitsamkeit  und  genauester  Kenntnis  der  geschichtlichen  Entwicklung  aller  Ver- 
hältnisse und  Einrichtungen  der  Stadt.  Für  ihre  kirchlichen  Rechte  hat  er  zweimal  am 
Kaiserhofe  mit  Erfolg  unterhandelt,  von  der  zweiten  Legation  brachte  er  den  Adel  mit 
heim  mit  dem  Prädikat  Assig  von  Siegersdorf,  kaiserlicher  Rat  war  er  schon  früh 
geworden.  Er  hat  dem  Stadtarchiv  eine  Reihe  von  Folianten  hinterlassen,  die  seine  wert- 
vollen Collectanea  oder  Singularia  enthalten.  Er  sass  schon  deshalb  viel  am  Schreibtisch, 
weil  ihn  seine  Kränklichkeit  oft  das  Zimmer  zu  hüten  nötigte.     Er  starb  am   10.  Mai  1676. 

Die  beiden  Sekretäre  Johann  Kretschmer  (Kretschmar)  und  David  Fi  off  mann 
erscheinen  auf  den  Bildern  schon  als  ältere  Männer,  der  erste  war  1638,  der  andere  163Q 
ins  Amt  getreten.  Kretschmer  schied  aus  demselben  schon  1671,  lebte  aber  noch  bis  167Q, 
erwarb  noch  den  Adel  und  bahnte  so  seinem  Sohne  Gottfried  den  Eintritt  ins  Ratskollegium 
an,  sein  Kollege  Hoffmann  war  bescheidenerer  Art,  diente  bis  1681  und  starb  1683  hoch- 
betagt.  Auch  sie  hatten  beide  juristische  Studien  gemacht,  doch  waren  sie  nicht  Doktoren 
wie  die  Syndici,  hatten  auch  nicht  das  grosse  Ansehen  wie  diese. 

Das  also  sind  die  Bilder  des  Breslauer  Rats  mit  vollem  Zubehör  vom  Jahre  1667. 
Fragen  wir  nach  dem  künstlerischen  Urheber  derselben,  so  nennt  er  sich  selbst  Georg  Schultz 
(Schultz).  Er  war  in  Breslau  1622  geboren  und  starb  am  26.  Mai  1677.  Er  war  haupt- 
sächlich Porträtmaler  und  wollte  diese  Malerei  als  freie  Kunst  betreiben,  kam  jedoch 
darüber  in  Konflikt  mit  der  Malerinnung  und  entschloss  sich  deshalb  in  diese  einzutreten. 
Der  oben  erwähnte  Syndikus  Andreas  Assig  erzählt  von  ihm  in  seinen  Kollektaneen 
folgende  Geschichte:  Ein  Fleischhauer  Balthasar  Scholtz  kam  zwei  Jahre  nach  dem  Tode 
seiner  Frau  zu  dem  Maler  und  verlangte  von  ihm  ein  Bild  der  Verstorbenen;  Mütze,  Schaube, 
Jupe,  Rock,  silbernen  Gürtel  und  Fingerlein  derselben  hatte  er  mitgebracht.  Der  Künstler 
verlangte  nun  ein  Porträt  der  Frau  zu  sehen,  der  Fleischer  meinte  jedoch,  auf  das  Gesicht 
komme  es  nicht  an,  wenn  nur  die  Mütze  u.  s.  w.  recht  schön  gemalt  sei.  Der  Kunst- 
historiker Alwin  Schultz,  dessen  Untersuchungen  zur  Geschichte  der  schlesischen  Maler 
diese  Angaben  entnommen  sind,  urteilt  über  die  künstlerischen  Leistungen  seines  Namens- 
vetters sehr  scharf;    er    nennt    ihn    einen    vollendeten  Stümper,    der  zumal   mit  der  Farbe 


97 

nicht  Bescheid  wusste.  Wenn  diese  harte  Kritik  auch  nicht  für  alle  Porträts  gleichmässig 
zutrifft,  so  ist  doch  in  der  That  den  Bildern  nur  ein  geringer  Kunstwert  beizumessen.  Wer 
aber  hat  die  Bilder  bestellt?  im  Eingang  habe  ich  gesagt,  dass  sie  sich  als  Vorarbeiten 
zu  dem  grossen  Gemälde  der  Ratssitzung  in  der  ehemaligen  Rentkammer,  dem  jetzigen 
Oberbürgermeisterzimmer  darstellten.  Obwohl  dies  richtig  ist,  scheinen  sie  zunächst  doch 
nicht  zu  diesem  Zwecke  gemalt  worden  zu  sein,  sondern  dazu,  für  ein  Prachtwerk  über 
Breslau  in  Kupfer  gestochen  zu  werden,  nämlich  für  Oermanus  Vratislaviae  decor,  consistens 
in  palatinis  et  palatiis  utrobique  magnificis,  quem  stylo  artificis  Phidiaco  et  filo  poetae 
Pythico  -/.aoouvxii'.v  adumbratum  ad  patres  patriae  Maecenatesque  verendos  officiosissime 
amandat  Georgius  Schöbel  J.  U.  C.  Vratislaviae  in  haeredum  Baumanniorum  typographia 
exprimebat  Joh.  Christoph  Jacobi.  Anno  MDCLXVII.     In  grossfolio. 

Der  Herausgeber  dieses  Buches  Georg  Schöbel  war  ein  junger  Mann  von  27  Jahren 
aus  einer  reichen,  aber  keineswegs  senatorischen  Familie  Breslaus.  Er  hatte  erst  in  Leipzig, 
dann  in  Leiden  und  zuletzt  in  Padua  historischen  und  juristischen  Studien  obgelegen  und 
dazwischen  weite  Reisen  gemacht,  deren  eine  ihn  bis  nach  Island  führte.  Schon  1665 
hatte  er  in  Leipzig  einen  Band  Flores  ex  C.  Corn.  Taciti  horto  nova  methodo  decerpti 
herausgegeben,  ein  Buch  im  Geschmacke  der  Zeit,  die  sich  viel  mit  Staatslehre  und 
Regentenkunst  beschäftigte  und  die  gelegentlichen  Äusserungen  des  Tacitus  darüber  eifrig 
kommentierte.  Späterhin,  im  Jahre  1672,  Hess  er  eine  panegyrische  Geschichte  des  habs- 
burgisch-österreichischen  Herrscherhauses  mit  den  Bildern  der  Regenten  in  Kupferstich  er- 
scheinen, unter  dem  Titel:  Sinn-reiche  Reden  und  Merkwürdige  Thaten  der  funffzehen 
Römischen  Kayser  auss  dem  Höchst-löblich-  und  Glorwürdigsten  Ertz-Hause  Oesterreich 
u.  s.  w.,  Breslau,  J.  Baumann,  von  andern  Kleinigkeiten  zu  geschweigen. 

Für  den  Germanus  Vratislaviae  decor  liess  er  die  hier  vorliegenden  23  Porträts  von 
Philipp  Kilian,  einem  Mitgliede  der  bekannten  Augsburger  Künstlerfamilie  und  Sohn 
Wolfgangs  (1628  16Q3),  in  Kupfer  stechen.  Dieser  Künstler,  der  hauptsächlich  in  Porträts 
gearbeitet  hat,  hat  seine  Aufgabe  mit  Geschick  bewältigt;  wir  können  Alwin  Schultz 
nicht  Unrecht  geben,  wenn  er  sagt,  es  sei  sein  Verdienst,  wenn  die  gestochenen  Porträts 
nach  mehr  aussehen  als  die  gemalten.  Wie  der  Augenschein  lehrt,  sind  sowohl  die  ge- 
malten Vorlagen  wie  die  Kupferplatten  noch  vorhanden.  Sie  waren  allerdings  auf  jetzt 
nicht  mehr  festzustellende  Weise  von  Breslau  weg  nach  Leipzig  gekommen,  wurden  aber 
von  einem  dortigen  Kaufmann  Wenzel  Buhl,  der  ein  geborener  Breslauer  war,  entdeckt, 
angekauft  und  der  Vaterstadt  zum  Geschenk  gemacht,  worauf  sie  der  Rat  unter  dem 
15.  Februar  1680  der  Rehdigerschen  Bibliothek  überwies.  Dort  haben  sie,  in  einem  be- 
sonderen Schränkchen  wohl  verwahrt,  über  2  Jahrhunderte  lang  ein  selten  gestörtes 
ruhiges  Dasein  geführt,  bis  sie  in  jüngster  Zeit  von  der  Stadtbibliothek  dem  neuen  Kunst- 
gewerbemuseum überwiesen  worden  sind. 

Schöbeis  Werk  hat  ausser  diesen  Bildnissen  noch  einen  sehr  wertvollen  künstlerischen 
Schnuick.  Es  wird  mit  einem  grösseren  Blatte  eröffnet,  das  in  der  Mitte  einen  Prospekt 
von  Breslau  und  darüber  und  darunter  das  Rathaus,    die    kaiserliche  Burg,    das    Elisabet- 

13 


98 

gymnasiiim,  die  Magdalenenbibliothek  und  die  beiden  Zeughäuser  am  Sandtiior  und 
Nii<oiaitlior  darstellt.  Namentlich  das  Bild  der  Burg  (Burgus)  ist  als  das  einzige,  das 
wir  von  ihr  besitzen,  von  grösster  Wichtigkeit.  Das  Blatt  ist  von  einem  wenig  bekannten 
Künstler  Nikolaus  Häublein  in  Leipzig  gestochen  und  trägt  die  Jahreszahl  1668,  ist  also 
erst  später  dem  Buche  zugefügt  worden.  Dasselbe  scheint  auch  mit  dem  Texte  der  Fall 
zu  sein,  da  er  mit  einer  poetischen  Beschreibung  des  hihalts  eben  des  ersten  Blatts  in 
Akrostichen  beginnt.  Diese  Akrostichen  samt  den  unter  den  einzelnen  Porträts  stehenden, 
teilweis  nicht  üblen  Versen  sind  wohl  Schöbel  selbst  zuzuschreiben,  den  grössten  Teil 
des  Textes  nimmt  jedoch  Vratislavia  urbs  Augusta,  caput  Silesiae,  heroico  carmine  decantata 
ab  Henrico  Mühlpfordt,  also  eine  poetische  Beschreibung  Breslaus  ein  von  einem 
der  begabteren  schlesischen  Dichter  jener  Zeit,  den  freilich  die  häusliche  Not  zur  Massen- 
produktion in  deutscher  wie  in  lateinischer  Sprache  verführte.  In  mehr  als  1200  hoch- 
trabenden Hexametern  besingt  er  erst  die  Geschichte  Breslaus  und  wendet  sich  dann  einer 
ausführlichen,  aber  wenig  anschaulichen  Beschreibung  der  Innern  Stadt  zu,  zuerst  des  Rat- 
hauses, dann  der  Kirchen,  Bibliotheken  und  Schulen,  der  Hospitäler  und  Klöster,  der  Burg, 
der  Zeug-  und  Kornhäuser,  der  Wasserkünste,  der  Münze;  dann  folgen  auch  die  Vorstädte, 
die  Oder  und  Ohiau  und  die  Umgegend,  der  Handel  und  die  Gewerbe,  namentlich  die 
Bierbrauerei,  und  endlich  die  Bewohner,  deren  Sitten,  Begabung  und  poetische  Leistungen  in 
den  Himmel  gehoben  werden,  bis  endlich  dem  Dichter  den  letzten  Rest  seiner  Begeisterung 
die  Frauen  entlocken.  Es  ist  doch  gut,  dass  sich  die  Versmacherei  seit  der  Zeit  in 
Schlesien  etwas  gelegt  hat.  Die  Sprache  schwankt  meistens  nur  zwischen  Gemeinplätzen 
und  verstiegenen   Bildern  hin  und  her. 

Unzweifelhaft  hat  sich  der  junge  Schöbel  in  der  Herausgabe  des  Werkes  als  ein 
Mäcen  bewiesen,  wie  sie  Breslau  nicht  gar  viele  gehabt  hat.  Ob  ihn  die  reine  Liebe  zur 
Vaterstadt  und  zur  Kunst  dabei  geleitet  hat,  oder  ob  er  sich  den  Weg  in  den  Rat  hat 
bahnen  wollen,  wer  will  es  behaupten?  Gelungen  ist  ihm  das  Letztere  nicht,  man  schuf 
nur  für  ihn  die  Stelle  eines  Inspektors  der  städtischen  Bibliotheken.  Doch  entschädigte 
ihn  Fortuna  anderweitig.  Er  wurde  166Q  Mitglied  der  fruchtbringenden  Gesellschaft  und 
kam  dadurch  in  Verbindung  mit  deren  Direktor  Herzog  August  von  Sachsen,  Administrator 
des  Erzstifts  Magdeburg.  So  erlangte  er  1672  und  1674  zwei  Kanonikate  daselbst  und 
siedelte  dorthin  über.  Vorher  war  er  schon  mit  dem  Prädikat  von  Schöbel  und  Rosen- 
feld geadelt  worden,  hatte  den  Titel  eines  kaiserlichen  F-^ats  und  für  die  erwähnten  „Sinn- 
Reichen  Reden"  u.  s.  w.  die  Gnadenkette  mit  dem  Bildnis  Leopolds  erhalten.  Alle  diese 
Ehren  vermochten  den  kränklichen  Körper  nicht  zu  kräftigen,  er  ward  schon  mit  40  Jahren 
eine  Beute  des  Todes. 

Um  nun  noch  einmal  zu  dem  Maler  der  vorliegenden  l'orträts  zurückzukehren,  so 
erwähnt  sein  Kritiker  Alwin  Schultz  unter  seinen  Werken  auch  das  grosse  Gemälde  der 
Ratssitzung  in  der  ehemaligen  Rentkammer,  dem  jetzigen  Oberbürgermeisterzimmer  des 
Rathauses,  wo  es  die  ganze  Schildbogenfläche  der  dem  Eingang  gegenüberliegenden  Wand 
des  gewölbten   f^aumes  einnimmt.     Er  datiert    es  aber  irrtümlich  von   1688,    wo   doch  der 


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Maler  schon  11  Jahre  tot  war,  und  übersieht  darüber  den  Zusammenhang  mit  der  hier 
beschriebenen  Reihe  von  Porträts.  Das  Gemälde  datiert  von  1668.  Da  vor  seiner  Her- 
stellung im  Januar  1668  Heinrich  Marx  von  Pein  starb  und  durch  seinen  Bruder  Sigis- 
mund  Reinhard  ersetzt  wurde,  so  ändern  sich  die  Porträts  um  eines;  auch  die  Anordnung 
wird  eine  etwas  andere,  da  Sigismund  Reinhard  den  letzten  Platz  unter  den  patrizischen 
Schoppen  einnimmt,  während  sein  älterer  Bruder  schon  einige  Stellen  vorgerückt  war. 
Sonst  bleibt  Alles  beim  Alten.  Das  Gemälde  hat  eine  Breite  von  6  Metern  und  ist  offenbar 
für  die  Stelle,  an  der  es  noch  jetzt  hängt,  von  Anfang  an  bestimmt  gewesen,  wie  seine 
der  Wand  angepasste  Form  erkennen  lässt.  im  ganzen  ist  es  schon  sehr  nachgedunkelt, 
und  da  es  nicht  besonders  gute  Beleuchtung  hat,  treten  nur  die  Köpfe  der  in  der  MittJ 
am  Ratstische  sitzenden  Personen  dem  Beschauer  deutlicher  entgegen. 

Um  das  Arrangement  einer  Plenarsitzung  des  Rats  zu  erkennen    braucht  es  dieses 
grossen  Gemäldes  nicht,  dazu  genügt  die   auch  schon  im  Eingang  erwähnte  kleinere  Skizze  " 
die  allerdings  die  Jahreszahl  1659  trägt.     Das  Lokal  ist  die  alte  dreifenstrige,  mit  prächtigem' 
Intarsiagetäfel  geschmückte  Ratsstube,  jetzt  Sitzungszimmer  Nr.  1,  hinter  der  Rathausdiener- 
stube.   In  ihrer  nördlichen  Ecke  steht  der  Ratstisch  mit  seinen  8  Beisitzern,  an  der  Nordwand 
nach   dem  Ofen   zu  erblickt  man  die  lange  Bank  mit  7,  zur  andern  Seite  des  Tisches  am 
mittleren  Fenster  die  kurze  Bank  mit  4  Schoppen,  alle  Hut  und  Handschuh  auf  den  Knieen 
haltend.    Den  Schluss  bildet  der  kleinere  Tisch  in  der  südlichen  Ecke,  an  dem  die  2  Syndici 
und  2  Secretarii  sitzen.    Sehr  geräumig  war  die  Ratsstube  für  so  viel  Menschen  keineswegs 
indes    hat    sie  den  Vorfahren    ein    halbes    Jahrtausend    lang    in    guten   und  bösen  Tageri 
genügt.     Erst  der  grosse  innere  Umbau  des   Rathauses  in    den    fünfziger  und   sechziger 
Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts   hat  zur  Verlegung  der  Plenarsitzungen    des    Magistrats 
gefuhrt  und  damit  diesem   Räume  seine  alte  Bedeutung  genommen.     Noch  am  26.  No- 
vember  1857   hatte   der  damals   längere  Zeit   in   Breslau   residierende   Kronprinz   Friedrich 
Wilhelm  einer  Ratssitzung  darin  beigewohnt. 

Hermann  Markijraf 


13* 


100 


EIN   VOTIVBILD  DES   15.  JAHRHUNDERTS 

Im  Schlesisclien  Museum  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer  befindet  sich  das  Votiv- 
biid  eines  hl.  Hieronymus  mit  Donatorengruppe,  welches  an  sich  von  geringer  künstlerischer 
Bedeutung,  doch  dadurch  ein  gewisses  Interesse  für  sich  beansprucht,  dass  es  in  Kom- 
position und  Malweise  starke  niederländische  Einflüsse  verrät  und  deshalb  auf  künstlerische 
Wechselbeziehungen  zwischen  Schlesien  und  den  Niederlanden  im  15.  Jahrhundert  schliessen 
lässt.  Das  Bild,  das  der  Lichtdruck  auf  Tafel  IX  wiedergiebt,  ist  auf  Eichenholz  gemalt,  0,87  m 
hoch  und  1,13  m  breit,  stammt  aus  dem  1307  gegründeten  Klarenstifte  zu  Ologau  und  kam 
nach  dessen  Auflösung  1810  zunächst  in  den  Besitz  der  ehemaligen  königlichen  Altertums- 
sammlung, später  in  den  des  Museums  schlesischer  Altertümer  und  aus  diesem  schliesslich 
an  seinen  jetzigen  Platz.  Wann  es  in  den  Besitz  des  Klarenstiftes  gelangte,  ist  nicht  nachweis- 
bar, wahrscheinlich  ist  es  vom  Donator  gleich  ursprünglich  für  das  Stift  bestimmt  worden. 
Dargestellt  ist  der  hl.  Hieronymus  in  knieender  Stellung,  bekleidet  mit  dem  Büssergewande, 
umgeben  von  seinen  Attributen,  dem  Löwen,  dem  Kardinalshut  und  dem  Pedum  rectum, 
rechts  ihm  gegenüber,  gleichfalls  knieend,  der  Donator  des  Bildes  in  blauem  rotgefütterten 
Mantel  mit  seinem  Sohn,  zu  Füssen  seinen  Wappenschild'),  zwischen  den  gefalteten  Händen 
eine  Bandrolle,  die  in  ihrer  Aufschrift:  Me  tecum  in  celis  Hieronyme  conservare  velis 
den  Inhalt  seines  Gebetes  zu  dem  Heiligen  mitteilt.  Im  Hintergrund  erblickt  man  den  in 
den  Lüften  auf  einem  Regenbogen  thronenden  Weltenrichter,  an  dessen  beiden  Seiten 
Engel  mit  Trompeten  schweben.  Unten  in  der  Landschaft  entsteigen  die  Toten  ihren 
Gräbern  und  rechts  öffnet  sich  der  Höllenschlund,  in  den  Teufel  die  Verdammten  hinein- 
zerren. Der  ganze  Vorgang  spielt  sich  in  einer  weiten  Landschaft  ab,  die  sich  in  sanften 
Matten  gegen  das  im  Hintergrund  sichtbar  werdende  Meer  absenkt. 

Niederländischer  Einfluss  in  dem  Bilde  verrät  sich  vor  allem,  wie  ich  noch  aus- 
führen werde,  in  dem  Charakter  und  der  Anlage  der  Landschaft.  Er  zeigt  sich  aber  auch 
in  gewissen  technischen  Eigentümlichkeiten  und  in  der  Formengebung  im  einzelnen.  So 
ist  die  Gestalt  der  Bäume  und  Sträucher  und  die  Struktur  des  Blattwerks  ganz  nieder- 
ländisch, ja  sie  deutet  speziell  auf  holländischen  Einfluss  hin.  So  erinnert  die  breite 
technische  Behandlung  der  figürlichen  und  tierischen  Staffage  in  der  Landschaft,  die  Art, 
die  Figuren  mit  einigen  breiten  Strichen  direkt  auf  den  landschaftlichen  Hintergrund  auf- 
zusetzen, an  die  Malweise  des  Hieronymus  Bosch.     Die  Haltung  der  Hauptfiguren  dagegen, 


')  Da  von  Herrn  Direktor  Roelil  die  Veiniutung  ausgesprochen  wurde,  dass  das  Wappen  polniscli 
sei,  haben  wir  die  Herren  Matechi  in  Lemberg  und  l'iekosihski  in  Krakau  gebeten,  sich  darüber  zu  äussern. 
Beide  erklärten,  es  nicht  näher  bestimmen  zu  können,  Piekosinski  hält  es  für  unstreitig  polnisch  und  für 
eine  Variante  des  Wappens  Ostoja,  das  von  dem  Stammgesclilechtc  Strzegoniim  lu'rriihrt.  Dieses  ("jcsclilccht 
hatte  seinen  Stammsitz  in  Schlesien  auf  der  Burg  Stiiegan.  Die  Redaktion 


101 

die  Darstellung  des  Heiligen  mit  einem  scheibenförmigen  goldenen  Heiligenschein  und  das 
Vorkommen  einer  Bandroile  weisen  mehr  auf  deutschen  Ursprung  hin.  Jedenfalls  haben 
wir  es  also  mit  einem  Meister  zu  thun,  der,  wenn  auch  vermutlich  deutschen  Ursprungs, 
der  Anlage  des  Bildes  und  insbesondere  der  Auffassung  und  dem  Charakter  der  Land- 
schaft nacli  zu  schliessen,  vollständig  von  der  niederländischen  Kunst  beeinflusst  ist. 

Die  Anhaltspunkte  für  die  Datierung  des  Bildes  liefern  zunächst  die  Kostüme  des 
Donators  und  dessen  Sohnes,  nach  denen  seine  Entstehung  gegen  das  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts fällt.  Bestätigt  wird  dies  durch  die  bevorzugte  Stellung,  die  die  Figur  noch  in 
der  Landschaft  einnimmt,  sowie  dadurch,  dass  hier  zeitlich  weit  auseinanderliegende  Vor- 
gänge räumlich  mit  einander  vereinigt  werden. 

Im  Breslauer  Hieronymus-Bilde  sowie  in  den  meisten  bildlichen  Darstellungen  des 
15.  Jahrhunderts,  in  denen  auch  landschaftliche  Gegenstände  behandelt  werden,  ist  der 
Figur  eine  bevorzugte  Stellung  auf  einem  besonderen,  von  den  landschaftlichen  Hinter- 
gründen deutlich  abgegrenzten  Vordergrund- Podium  eingeräumt  und  es  steht  ihre  Grösse  in 
keinem  Verhältnis  zu  den  sie  umgebenden  Raummotiven.  Auch  die  Nebenfiguren,  denen 
ein  Platz  im  Vordergrund  nicht  angewiesen  ist,  stehen  insofern  ausserhalb  des  räumlichen 
Verbandes  ihrer  Umgebung,  als  sie  sich  dieser  nicht  anpassen,  sondern  sich  ausschliesslich 
nach  dem  figürlichen  Hauptvorgang  richten.  Der  Grund  dieser  Erscheinung  liegt  in  der 
religiösen  Richtung  der  Kunst  des  15.  Jahrhunderts.  Da  die  Tafelbilder  mit  Ausnahme 
der  Porträts  fast  ausschliesslich  für  Kirchen  und  Kapellen  bestimmt  waren,  musste  auf 
den  religiösen  Gegenstand  das  Hauptgewicht  gelegt  werden,  während  die  Landschaften 
nur  als  Hintergrund  oder  zur  Charakterisierung  des  Schauplatzes  dienten.  Auf  diese 
Unabhängigkeit  der  figürlichen  Darstellung  von  der  räumlichen  ist  auch  die  Erscheinung 
zurückzuführen,  dass  figürliche  Vorgänge,  die  zeitlich  auseinanderliegen,  mit  einander  auf 
einem  landschaftlichen  Schauplatz  vereinigt  werden.  So  sind  in  dem  Hieronymusbild  der 
Heilige  in  zwei  verschiedenen  Situationen  und  die  Darstellung  des  jüngsten  Gerichts  in 
einer  Landschaft  räumlich  mit  einander  verbunden. 

Schon  zu  Beginn  des  15.  Jahrhunderts ')  bildet  sich  ein  Typus  von  Figuren  heraus, 
die  mit  dem  Gegenstande  der  Darstellung  nichts  zu  thun  haben,  sondern  nur  dazu  dienen, 
die  Landschaft  zu  beleben,  die  also  im  wahren  Sinne  des  Wortes  Staffage  sind.  Aber 
auch  die  mit  dem  figürlichen  Vorgang  im  Zusammenhang  stehenden  Figuren  nehmen  im 
Laufe  dieser  Epoche  immer  mehr  diesen  Charakter  an,  bis  endlich  im  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts in  den  ausgebildeten  Landschaften  auch  die  Hauptfiguren  zur  Staffage  werden.-) 
Selbstverständlich  trifft  dies  nur  bei  denjenigen  Schulzweigen  zu,  die  ihre  Aufmerksamkeit 
besonders  der  Pflege  des  Landschaftsfaches  zuwenden  und  die  in  dieser  Hinsicht  als 
Vorgänger  der  eigentlichen  Landschaftsmaler  gelten  können,  in  der  Figurenmalerei  bleibt 
die  Landschaft  immer  Nebensache.    Auch  in  unserem  Bild  lassen  sich  diese  beiden  Figuren- 

•)  MaJoiiiia  mit  Kanzler  Rollin  im  Louvre. 

-)  Hendrik  Bles:  der  Barmherzige  Samariter.    Oem.-S.  des  allerhöchsten  Kaiserhauses  Nr.  672. 


102 

Typen  unterscheiden  und  die  mit  den  Hauptpersonen  im  Zusammenhang  stehenden 
Figuren  in  den  landschaftlichen  Gründen  sind  bereits  vollständig  in  der  umgebenden 
Landschaft  aufgegangen. 

Wie  weit  jedoch  die  Abhängigkeit  der  letzteren  von  der  figürlichen  Darstellung  hier 
noch  geht,  das  ergiebt  sich  daraus,  dass  die  Landschaft  entsprechend  der  Anordnung  der 
beiden  Hauptfiguren  in  zwei  von  einander  verscliiedene  Hälften  zerfällt.  Die  linke  Seite  hinter 
dem  hl.  Hieronymus  stellt  eine  von  schroffen  Felszacken  eingerahmte  Wildnis  dar,  in  welcher 
sich  Löwen,  Füchse,  Hirsche  und  anderes  wildes  Getier  herumtummeln,  die  rechte  Seite 
hinter  dem  Donator  dagegen  zeigt  uns  sanftes,  mit  Bäumen  bestandenes,  von  Grashügeln 
eingefasstes  Wiesenland,  auf  dem  Schafe  weiden  und  in  dessen  Hintergrund  man  eine 
vieltürmige  Stadt  erblickt.  Es  liegt  nahe,  diese  Verschiedenheit  im  Charakter  der  beiden 
Landschaftshälften  in  Zusammenhang  mit  den  beiden  Personen  zu  bringen,  denen  sie  als 
Hintergrund  dienen,  insbesondere  da  in  dem  wilden  Charakter  der  Landschaft  hinter  dem 
Heiligen  ein  deutlicher  Hinweis  auf  dessen  Leben  in  der  Wüste  liegt.')  Dementsprechend 
würde  die  Landschaft  rechts  mit  der  Stadt  und  freundlichem  Wiesenland  als  Hindeutung 
auf  das  Leben  und  die  Heimat  des  Donators  aufzufassen  sein. 

Wie  schon  erwähnt,  verrät  die  Landschaft  unseres  Bildes  niederländische  Einflüsse. 
Sie  ist  in  dieser  Beziehung  typisch  für  die  niederländischen  Landschaftskompositionen  des 
15.  Jahrhunderts,  als  deren  hauptsächliche  Merkmale  ich  hier  zunächst  die  Anwendung  eines 
hohen  Augenpunktes,  die  weite  Aussicht  und  die  starke  Überhöhung  der  Horizontlinie 
anführen  will.  Diese  Art,  eine  Landschaft  von  einem  hohen  Standpunkte  aus  darzu- 
stellen, der  meist  auf  dem  erhöhten  figürlichen  Vordergrund-Podium  gedacht  ist,  hat  ihren 
Grund  in  dem  eigentümlichen  Gemisch  von  mittelalterlicher  und  moderner  perspektivischer 
Raumdarstellung,  das  in  der  Landschaftsmalerei  des  15.  und  zum  Teil  auch  des  16.  Jahr- 
hunderts herrscht.  Durch  die  Wiederentdeckung  der  Gesetze  der  Linearperspektive  wurden 
die  Künstler  des  beginnenden  15.  Jahrhunderts  in  den  Stand  gesetzt,  den  Raum  unter 
Annahme  eines  bestimmten  Augenpunktes  so  zu  konstruieren,  dass  er  auch  auf  der  Bild- 
tafel den  Eindruck  der  Tiefe  machte.  An  der  mittelalterlichen  Art,  räumliche  Gebilde  in 
einer  Art  Vogelperspektive  darzustellen,  wurde  aber  dabei  noch  festgehalten,  nur  suchte 
man  dieselbe  jetzt  in  perspektivische  Formen  zu  kleiden.  Die  niederländische  Landschafts- 
malerei dieser  Epoche  löst  dieses  Problem  auf  zwei  Arten: 

Die  eine,  die  ihrer  Entstehung  nach  wohl  früher  und  noch  ganz  im  Banne  der 
mittelalterlichen  Tradition  befangen  ist,  wird  durch  die  landschaftlichen  Darstellungen  des 
Genter  Altars  und  durch  die  beiden  dem  Geertgen  v.  Haarlem  zugeschriebenen  Bilder  in 
der  Wiener  Galerie  veranschaulicht.  Das  figürliche  Vordergrund -Podium,  welches  als 
Standpunkt  des  Beschauers  gedacht  ist,  liegt  hier  tief  und  die  landschaftlichen  Hinter- 
gründe steigen  an  mehr  oder  minder  steilen  Böschungen  nach  rückwärts  zu  omi3or.  Das 
räumliche  Übereinander  der  Gründe  ist  also   hier  dadurch   perspektivisch  erklärt,   dass  der 


1)  Die  Wüste  wird  in  der  iiiederländisclien  Kunst  immer  als  Fels-  oder  Waldvvildiiis  aiifscfasst. 


103 

Standpunkt  des  Beschauers  am  Fuss  eines  Bertrabhangs  gedacht  ist,  an  dessen  Flanken 
sicli  die  ganze  Landschaft  terrassenförmig  aufbaut.  Die  andere  in  der  Raumgestaltung 
vorgeschrittenere  Art  nimmt  für  den  Beschauer  einen  hohen  Standpunkt  auf  dem  figür- 
lichen Vordergrund-Podium  an,  von  dem  aus  sich  ein  weiter  Blick  über  die  Landschaft 
eröffnet. 

Dieser  Landschaftstypus,  dem  auch  das  Breslauer  Bild  angehört,  fand  im  Laufe  des 

15.  Jahrhunderts  in  der  Landschaftsmalerei  die  weiteste  Verbreitung  und  ist  im  16.  Jahr- 
hundert sogar  der  fast  ausschliesslich  herrschende.  Doch  halten  die  Holländer  an  der 
ersteren  Darstellungsweise  bis  ins  16.  Jahrhundert  fest,  wie  die  genannten  Bildertafeln  des 
Geerigen  v.  Haarlem  beweisen,  die  nach  den  Kostümen  zu  schliessen,  nicht  vor  1500 
entstanden  sein  können. 

Bedeutet  die  Wahl  eines  hohen  Augenpunktes  für  die  Darstellung  der  Landschaften 
auch  einen  merklichen  Fortschritt,  indem  erst  durch  sie  eine  freie  Raumenlfaltung  ermöglicht 
wird,  so  ist  der  Einfluss  der  mittelalterlichen  Tradition  damit  doch  noch  nicht  vollständig 
überwunden.  Schon  bei  einer  flüchtigen  Betrachtung  unseres  Bildes  bemerkt  man,  dass 
der  für  die  Landschaft  angenommene  Augenpunkt  nur  ein  fingierter  ist  und  mit  dem 
perspektivischen  Raumbild,  welches  diese  darbietet,  nicht  im  Einklänge  steht.  Im  Ver- 
hältnis zu  seiner  Höhe  sind  die  landschaftlichen  Hintergründe  viel  zu  stark  in  der  Auf- 
sicht dargestellt  und  steigen  nach  perspektivischen  Gesetzen  gegen  den  Horizont  viel  zu 
steil  an.  Die  Horizontlinie,  die  in  der  Augenhöhe  der  beiden  Hauptfiguren  liegen  sollte, 
zieht  sich  hoch  über  deren  Köpfen  hin,  für  den  Himmel  nur  einen  schmalen  Streifen 
übrig  lassend,  so  dass  das  Land  %  der  gesamten  Bildhöhe  einnimmt.')  Der  Grund 
dieser   Erscheinung,    die  sich   in   den   meisten    niederländischen  Landschaften  des  15.  und 

16.  Jahrhunderts  wiederfindet,  lässt  sich  darauf  zurückführen,  dass  die  Einflüsse  der  mittel- 
alterlichen Raumdarstellung  noch  zu  mächtig  und  die  Gesetze  der  Perspektive  den 
Künstlern  dieser  Epoche  noch  zu  wenig  in  Fleisch  und  Blut  übergegangen  waren,  als 
dass  sie  vermocht  hätten,  den  angenommenen  Augenpunkt  im  ganzen  perspektivischen 
Raum  beizubehalten.  Dieses  Missverhältnis  zeigt  sich  ganz  besonders  bei  der  Wiedergabe 
perspektivischer  Ebenen,  welche  ohne  Rücksicht  auf  den  fingierten  Augenpunkt  ganz  nach 
mittelalterlicher  Art  fast  ohne  perspektivische  Verkürzungen  in  der  Frontalansicht  dar- 
gestellt wurden.  Um  diesem  perspektivischen  Mangel  abzuhelfen,  zerlegte  man  das  Terrain 
in  einzelne  horizontal  über  einander  liegende  Stufen  oder  Gründe,  die  dadurch,  dass  sie 
einander  überschneiden  und  Profile  schaffen,  die  sich  gegen  einander  abheben,  hori- 
zontale Fluchtlinien  bilden  und  die  Landschaft  vertiefen.  Die  Überschneidung  ist  also  in 
dieser  Epoche  das  gebräuchlichste  Mittel  zur  Vertiefung  einer  Ebene.  Die  Anfänge  dieser 
Gründe,  die  ich  hier  zum  Unterschiede  von  den  luftperspektivischen,  linearperspektivische 
nennen  will,  gehen  auf  jene  Darstellungen  zurück,  auf  welchen  Vorgänge,  die  sich  räumlich 

I)  Bei  Hendrik  Ries  stellt  sich  das  Verhältnis  von  Land  zu  Luft  wie  3:  1,  bei  einem  der  holländischen 
Naturalisten  des  17.  Jahiluiiiderts:  Simon  de  V'lieger  wie  1  : 4. 


104 

hinter  einander  abspielen,  in  Streifen  räumlich  über  einander  angeordnet  werden.  Diese 
Zerlegung  des  Raumes  ist  schon  in  der  altägyptischen  Reiiefkunst  sehr  gebräuchlich,  wir 
begegnen  ihr  in  der  griechischen  und  römischen  Kunst,  wir  finden  sie  in  den  Miniaturen 
der  Wiener  Genesis  wieder  und  auch  die  Relief-  und  Buchkunst  des  Mittelalters  hat 
zahlreiche  Beispiele  dieser  Darstellungsart  aufzuweisen.') 

Sehr  deutlich  zeigt  sich  dieser  Ursprung  der  Gründe  noch  auf  einem  der  beiden 
bereits  citierten  Tafelbilder  des  Geertgen  v.  Haarlem,  in  welchem  die  einzelnen  Episoden  der 
Beisetzung,  Auffindung  und  Vernichtung  der  Gebeine  Johannes  des  Täufers  auf  stufen- 
förmig über  einander  angeordneten  Streifen  dargestellt  sind.  Im  Laufe  des  15.  Jahrhunderts 
verwischt  sich  diese  Gliederung  der  Landschaft  in  linearperspektivische  Zonen  und  wird 
teils  durch  die  seitlich  vorspringende  Kulisse,  teils  durch  die  luftperspektivischen  Gründe 
ersetzt,  die  gegen  das  Ende  dieser  Kunstperiode  immer  mehr  an  Bedeutung  gewinnen. 

Schon  im  15.  Jahrhundert  zeigen  sich  die  Unterschiede  zwischen  der  Naturauffassung 
der  holländischen  und  der  vlämischen  Schulen  in  der  Beobachtung  der  Wirkungen  der 
Luftperspektive.  Erstere  schenken  denselben  in  ihren  frühen  Landschaften  zunächst 
geringere  Beachtung.  Besonders  die  auffallende  und  abtönende  Wirkung  der  Luft- 
schichten bleibt  noch  fast  unberücksichtigt,  dagegen  wird  der  farbliche  Einfluss  der 
Atmosphäre  auf  die  landschaftlichen  Hintergründe,  das  Abblauen  der  Landschaft,  dadurch 
zum  Ausdruck  gebracht,  dass  die  äussersten,  den  Hintergrund  abschliessenden  Höhenzüge 
einen  zarten  blauen  Ton  erhalten.  Dieser  schmale  Streifen  am  Horizont  verwandelt  sich 
besonders  unter  dem  Einfluss  der  ersten  Landschafter  in  eine  breite  blaue  Zone,  welche 
den  ganzen  Hintergrund  einnimmt,  während  Vorder-  und  Mittelgrund  farblich  noch  ein 
Ganzes  bilden.  Doch  schon  in  den  Landschaften  des  Joachim  Patinier  machen  sich  auch 
hier  Tonunterschiede  bemerkbar.  Der  Vordergrund  nimmt  eine  etwas  dunklere  mehr  ins 
Bräunliche  gehende  Färbung  an,  während  die  Vegetation  des  Mittelgrundes  ihren  hellen 
grünen  Ton  behält.  Auf  den  Bildern  des  Hendrik  Bles  prägt  sich  dieser  Tonunterschied 
immer  stärker  aus:  die  anfänglich  nur  schwach  angedeutete  dunklere  Tonfärbung  nimmt 
an  Tiefe  zu  und  geht  in  ein  ausgesprochenes  Braun  über,  während  das  Grün  des  Mittel- 
grundes immer  stärker  hervortritt.-)  Diese  sogenannten  drei  Töne,  die  in  den  Landschaften 
des  Hendrik  Bles  noch  in  den  Anfangsstadien  der  Entwicklung  stehen,  kommen  in  der 
vlämischen  Malerei  erst  gegen  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts  zur  vollen  Ausbildung  und 
erreichen  in  den  Landschaften  Joos  de  Mompers  den  Höhepunkt.  Die  farblichen  Unter- 
schiede zwischen  den  einzelnen  landschaftlichen  Motiven,  die  auf  den  früheren  Entwicklungs- 
stufen im  Vorder-  und  Mittelgrunde  noch  deutlich  zum  Ausdruck  kamen,  ordnen  sich  nun 
ganz  dem  Grundton  unter  und  es  bleibt  für  die  Farbe  eines  Objektes  ausschliesslich  die 
Farbe  des   Grundes   massgebend,   in   dem   es   liegt.     Weit  früher  als  die  Vlamen  wenden 

1)    Kämmerer,  Die  Landschaft  in  der  deutschen  Kunst  p.  25  -  26. 

-)  Auf  dieser  Entwicklungsstufe  stehen  die  Bilder  des  Hendrik  Bles  in  der  Dresdener  Galerle  No.  806 
die  kleine  Landschaft  mit  den  Walzwerken  in  der  Oalerie  Liechtenstein. 


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3 

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105 

die  Holländer  ihre  Aufmerksamkeit  dem  Einfluss  der  Atmosphäre  auf  Licht  und  Farbe 
der  Landschaft  zu.  Die  Gliederung  in  drei  farblich  verschiedene  Zonen  findet  sich  schon 
in  einzelnen  Bildern  des  Dierk  Bouts')  und  begegnet  uns  bereits  vollkommen  ausgebildet 
in  den  Werken  Jan  Scorels.  Neben  dieser  Richtung,  die  den  farblichen  Einfluss  der 
Atmosphäre  auf  die  Landschaft  hervorhebt,  bildet  sich  in  Holland  gegen  das  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  eine  andere  aus,  die  den  Einfluss  derselben  auf  die  Verteilung  des  Lichts 
und  insbesondere  ihre  auffallende  Wirkung  in  den  landschaftlichen  Hintergründen  betont. 
Sie  wird  hauptsächlich  durch  zwei  Meister  holländischen  Ursprungs  Hieronymus  Bosch  und 
Pieter  Breughel  d.  ä.  vertreten  und  erreicht  den  Höhepunkt  ihrer  Entwicklung  in  der 
holländischen  Stimmungsmalerei  des   17.  Jahrhunderts. 

Als  Vertreter  der  ersten  Richtung  ist  der  Meister  des  Breslauer  Bildes  anzusehen. 
Die  luftperspektivischen  Gründe  sind  hier  zwar  wenig  konsequent  durchgeführt  und 
die  rechte  Seite  des  Bildes  zeigt  eine  ganz  andere  Farbenabtönung  als  die  linke,  dennoch 
kann  man  der  Hauptsache  nach  zwei  Zonen  unterscheiden,  eine  breite  gelblich  grüne,  die 
den  Vorder-  und  Mittelgrund  umfasst,  und  eine  schmale  blaue  Hinfergrundzone.  Die 
Lokalfarben  der  einzelnen  Objekte  bleiben  bis  in  den  Hintergrund  deutlich  erkennbar  und 
ordnen  sich  nur  in  den  hintersten  Partien  der  Landschaft  dem  Grundton  unter.  Alles 
dies  würde  darauf  hindeuten,  dass  in  dem  genannten  Bilde  das  System  der  zwei  Gründe 
das  herrschende  ist.  Die  Thatsache  aber,  dass  die  Felsenkulissen,  die  die  Landschaft  auf 
der  linken  Seite  einrahmen,  erst  eine  dunkelbraune,  dann  eine  graublaue  und  endlich  eine 
intensiv  dunkelblaue  Färbung  annehmen,  lässt  auf  eine  allerdings  missverstandene  An- 
wendung der  drei  Töne  schliessen  und  legt  in  Anbetracht  der  frühen  Entstehungszeit  des 
Bildes  die  Vermutung  nahe,  dass  es  unter  dem  Einfluss  der  holländischen  Dreiton- 
malerei des  15.  Jahrhunderts  entstanden  sei. 

Vergleicht  man  eine  Landschaft  des  Joachim  Patinier,  Hendrik  Bles  oder  eines  ver- 
wandten Meislers  mit  der  eines  holländischen  Naturalisten  des  17.  Jahrhunderts,  so  wird 
einem  besonders  der  Überreichtum  der  crsteren  an  Landschaftsmotiven  auffallen,  der 
im  schroffen  Gegensatz  zu  der  Schlichtheit  im  Aufbau  und  der  Sparsamkeit  im  Motiven- 
aufwand steht,  welche  die  Landschaften  der  letzteren  auszeichnen.  Der  Hang  gewisser 
Meister  des  15.  und  16.  Jahrhunderts,  ihre  Landschaften  mit  Motiven  und  Details  zu  über- 
füllen, wie  sie  weder  der  Zahl  noch  der  Art  nach  in  der  Natur  neben  einander  vorkommen, 
zeigt  sich  auch  im  Breslauer  Hieronymus-Bild.  Wiesen,  Wälder,  Gebirge  und  Hügel,  eine 
vieltürmige  Stadt,  Dörfer,  Landhäuser  und  schliesslich  ein  weites  Fjordartig  gebildetes 
Meer,  kurz  der  ganze  landschaftliche  Motivenvorrat  der  Meister  des  15.  Jahrhunderts  kommt 
darauf  zur  Verwendung. 

Die  Ursache  dieser  Erscheinung  ist  darin  zu  suchen,  dass  das  landschaftliche 
Einzelmotiv  in  den  Bildern  des  15.  Jahrhunderts  eine  ganz  andere  Rolle  spielt  als  in  den 
Landschaften  des    17.  Jahrhunderts.     Es  behält  im  Sinne  der    mittelalterlichen  Raumkunst, 


')    Känimcror,  Die  Laiuiscliaft  in  der  deutschen   Kunst,  p.  56,  Anni.  3. 


106 

in  der  landschaftliche  Schauplätze  häufig  nur  durch  eini.t^e  wenige  landschaftliche  Motive, 
einen  Baum,  einen  Felsen,  einen  Busch  und  dergleichen  angedeutet  werden,  den  Charakter 
des  den  Schauplatz  oder  Raum  andeutenden  Motivs  bei.  Am  deutlichsten  zeigt  sich  dies 
in  den  figürlichen  Vordergründen,  deren  landschaftlicher  Charakter  meist  durch  eines  der 
genannten  Motive  zum  Ausdruck  gebracht  wird.  So  stellt  Joachim  Patinier  in  seine 
Vordergründe  einen  entlaubten  Baum,  oder  gestaltet  sie  als  Felsstufen,  die  ihren  felsigen 
Abbruch  dem  Beschauer  zukehren.  Die  schauplatzandeutende  Funktion  des  Einzelmotivs 
zeigt  sich  auch  im  Breslauer  Hieronymus-Bild,  wo  die  weiten  grünen  Matten,  die  fast  den 
ganzen  Vorder-  und  Mittelgrund  des  Bildes  einnehmen,  durcii  einige  ganz  vorn  angebrachte 
Wiesenblumen  als  blumige  Wiesen  gekennzeichnet  werden. 

Die  gleiche  Bedeutung  behält  das  Motiv  teilweise  auch  in  den  weiträumigen  Hinter- 
gründen der  Landschaften  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  So  wird  das  Dorf  durch  einige 
Bauernhäuser  angedeutet,  der  Bach,  der  nur  in  einem  Teile  seines  Laufes  dargestellt  wird, 
verschwindet  dann  plötzlich,  um  andern  Motiven  Platz  zu  machen,  und  das  Meer  wird  als 
Fjord  oder  See  gebildet.  Aber  in  den  Hintergründen  tritt  die  raumandeutende  Funktion 
des  Motivs  stärker  hervor,  d.  ii.  also  die  Weite  des  Raumes,  die  Ausdehnung  der  Land- 
schaft, wird  durch  die  Menge  und  Mannigfaltigkeit  der  Motive  zum  Ausdruck  gebracht, 
die  sich  darin  zusammendrängen. 

Um  die  Weiträumigkeit  ihrer  Landschaften  zu  veranschaulichen,  vereinigen  die  Meister 
des  15.  und  16.  Jahrhunderts  darin  alles  was  in  der  Natur  nur  auf  weite  Länderstrecken 
verteilt  ist.  Wie  das  Einzelmotiv  in  der  mittelalterlichen  Kunst  Repräsentant  der  Land- 
schaft war,  so  ist  die  Landschaft  jetzt  Repräsentantin  der  Natur  in  ihrer  ganzen  Viel- 
gestaltigkeit und  ihrem  Formenreichtum. 

ich  habe  hier  den  Versuch  gemacht,  an  der  Hand  des  Breslauer  Hieronymus-Bildes 
die  typischen  Eigentümlichkeiten  der  niederländischen  Landschaftsbilder  des  15.  Jahrhunderts 
und  deren  Entstehung  in  kurzen  Zügen  darzulegen.  Es  würde  zu  weit  führen,  wenn  ich 
an  dieser  Stelle  die  Entwicklung  Stufe  für  Stufe  auf  Grund  des  vorhandenen  Materials 
verfolgen  oder  auf  den  Charakter  der  Einzelmotive  und  deren  Entwicklungsstadium  in 
dem  genannten  Bilde  eingehen  wollte.  Diesbezüglich  verweise  ich  auf  mein  im  Erscheinen 
begriffenes  Werk  über  die  Entwicklung  der  niederländischen  Landschaftsmalerei. 

Dresden  Fortunat  von  Schubert- Soldern 


107 


FABIAN    WITSCH 

EIN  BRESLAUER  GOLDSCHMIED  DER  SPÄTRENAISSANCE 

Der  schlesischen  Renaissance  eigentümlich  ist  das  Fehlen  jeder  grösseren  Künstler- 
persönlichkeit, ganz  im  Gegensatz  zu  der  glänzenden  Reihe  hochbedeiitender  Erscheinungen, 
von  denen  das  ungemein  reich  und  tief  bewegte  geistige  Leben  Schlesiens  und  besonders 
Breslaus  in  dieser  Zeitepoche  getragen  wird,  und  in  direktem  Widerspruch  mit  der  That- 
sache,  dass  hier  nicht  weniger  als  anderswo  alle  Bedingungen  zu  einer  glücklichen  und 
gedeihlichen  Entfaltung  der  Kunst  in  reichstem  Masse  vorhanden  gewesen  sind.  Erscheint 
sonst  das  damalige  Breslau,  auf  welches  wir  hier  vorzugsweise  unsere  Blicke  richten,  als 
ein  Hauptsitz  des  Humanismus,  der  weit  über  die  Grenzen  Schlesiens  hinaus  berühmt  ist 
und  selbst  von  einem  Melanchthon  als  „aristokratische"  Stadt  gepriesen  wird,  so  weist  es 
in  dieser  Hinsicht  in  seinem  Kulturbilde  entschieden  eine  Lücke  auf,  die  gerade  in  diesem 
künstlerischsten  aller  Zeitalter  ganz  besonders  auffallen  muss  und  im  Verein  mit  dem 
gleichzeitigen  Fehlen  einer  entwickelten  heimischen  Dichtkunst  leicht  auf  den  ersten  Blick 
zu  einer  ungünstigen  Beurteilung  Breslaus   für  die  Zeit   der  Renaissance  verleiten  könnte. 

Aber  diese  Lücke  schiiesst  sich  sofort,  wenn  wir  das  Kunsthandwerk  in  den  Kreis 
unserer  Betrachtung  ziehen.  Denn  der  eigentliche,  ja  fast  ausschliessliche  Träger  der 
schlesischen  Renaissance  ist,  abgesehen  von  der  Baukunst  —  wie  auch  später  im  18.  Jahr- 
hundert wieder  —  das  Handwerk  gewesen;  dies  hängt  zusammen  mit  einer  grossen, 
wichtigen  Entwicklungsfrage  der  deutschen  Kunst  überhaupt.  Wie  ich  an  anderem  Orte 
ausgeführt  habe  (Der  Skulpturencyklus  in  der  Vorhalle  des  Freiburger  Münsters  und  seine 
Stellung  in  der  IMastik  des  Oberrheins,  p.  168  ff.  227  f.  u.  passim)  fällt  nämlich  vom 
14.  Jahrhundert  an  die  Kunst  in  Deutschland  unter  das  Handwerk,  wird  dann  mit 
diesem  in  der  Zunft  unlöslich  verbunden  und  kann  sich  erst  mühsam  wieder  in  stetem 
Kampfe  persönlicher  Oestaltungsfähigkeit  aus  deren  nachwirkenden  Schranken  befreien. 
So  tragen  denn  auch  unsere  Renaissancemeister  zum  überwiegenden  Teile  noch  als  Zeichen 
ihrer  Herkunft  ein  handwerkliches  Gewand  und  ward  selbst  ein  Dürer  erst  ganz  frei, 
nachdem  einmal  die  Strahlen  der  italienischen  Sonne  das  stolze  Bewusstsein  des  Künstler- 
tums  in  ihm  erweckt  hatten.  Der  schlesischen  Renaissance  fehlte  ein  solcher  Genius,  und 
so  herrscht  bei  ihren  Meistern  das  Handwerkliche  vor.  Dafür  erfüllt  hier  aber  auch  die  Kunst 
eine  bedeutungsvolle  und  schöne  Aufgabe,  indem  sie  durch  ihre  Verbindung  mit  dem 
Handwerk  eine  Brücke  zwischen  dem  doch  immerhin  nur  kleinen  Kreise  der  humanistisch 
Gebildeten  und  dem  Volke  darstellt,  greift  in  und  mit  ihr  die  geistige  Renaissanceströmung 
auf  äusserlichem  Gebiete  und  in  sichtbaren  Formen  in  die  breiten  Schichten  des  Volkes 
über  wie  es  auf  innerlichem  durch  die  Reformation  erfolgte  uiul  hilft  eine  wirkliche 
ausgebreitete  Renaissancekultur  begründen.  — 


lOS 

Die  Geschichte  des  Breslauer  Kunstgewerbes  im  Mittelalter  und  der  Renaissance 
ist  noch  recht  wenig  erforscht.  Auch  über  die  Goldschmiedekunst,  die  weitaus  den  ersten 
Rang  in  dem  kunstgewerblichen  Schaffen  der  Stadt  in  dieser  Zeit  einnimmt,  sind  ausser 
archivalischen  Untersuchungen  bisher  kaum  weitergehendere  Forschungen  angestellt  worden. 
So  konnte  uns  das  Glück  zu  teil  werden,  allein  im  Domschatz  vier  Arbeiten  eines  bisher 
ganz  unbeachteten  Breslauer  Goldschmiedes  aufzufinden,  die  als  solche  noch  nicht  bekannt 
waren,  und  unter  denen  sich  sogar  ein  Meisterstück  ersten  Ranges  befindet. 

Der  Schöpfer  dieser  Werke  ist  jener  Fabian  Nitsch  (auch  Witsche  genannt),  von 
dessen  Hand  man  bis  jetzt  nur  zwei  Arbeiten  nachweisen  konnte:  die  Siegelkapsel  zu 
dem  für  Breslau  bestimmten  Exemplare  des  Majestätsbriefes  Rudolfs  II.  von  160Q  und  den 
Deckel  eines  mit  Nürnberger  Marke  gestempelten  Fokales  in  der  Sammlung  Fidgor  zu 
Wien.     Ihnen  reihen  sich  jetzt  folgende  Stücke  des  Breslauer  Domschatzes  an: 

1.  ein  kleines,  aus  Silber  getriebenes  und  vergoldetes  Kreuz,  0,57  m  hoch 
(Abb.  auf  S.  111); 

2.  ein  gleichfalls  aus  Silber  gearbeitetes  und  vergoldetes  Reliquiar  der  hl.  Hedwig, 
laut  Inschrift  aus  dem  Jahre  1607,  ca.  0,80  m  hoch  (Abb.  auf  S.  115); 

3.  ein  diesem  ganz  gleiches  Reliquiar  des  sei.  Ceslaus,  ca.  0,80  m  hoch  (Abb. 
auf  S.  114); 

4.  ein  ebenfalls  aus  Silber  getriebenes  und  vergoldetes,  ganz  mit  emailliertem 
Silberfiligran  überzogenes  und  mit  Steinen  besetztes,  mächtiges  Altarkreuz  von 
1,50  m  Höhe  (Tafel  X). 

Fabian  Nitsch  gehört  der  zahlreichen  Breslauer  Goldschmiedfamilie  gleichen  Namens 
an,  als  deren  ältester  und  zugleich  weitaus  bedeutendster  Vertreter  Paul  Nitsch  erscheint, 
dem  wir  zuerst  in  dem  Bürgerverzeichnisse  (catalogus  civium)  vom  Jahre  1544  begegnen. 
Seine  Hauptthätigkeit  entfaltete  dieser  Meister  unter  dem  kunstsinnigen  Bischöfe  Andreas 
jerin,  für  den  er  unter  anderem  das  prächtige  silberne  Altarwerk  des  Hochaltares  im  Dome 
und  damit  zugleich  das  bedeutendste  Denkmal  des  Breslauer  Renaissancekunstgewerbes 
überhaupt  schuf.  Von  den  weiteren  männlichen  Mitgliedern  der  Familie  Nitsch,  die  sämtlich 
Goldschmiede  ihres  Zeichens  gewesen  zu  sein  scheinen,  und  von  denen  wir  namentlich 
einen  Hans  (f  1Ö16),  Tobias  (?)  und  Andreas  (?),  als  Söhne  des  Paul  Nitsch  (die  beiden 
Letzteren  nur  mutmasslich)  hervorheben  wollen,  haben  sich  keine  bezeichneten  Arbeiten 
erhalten,  noch  sind  solche  in  der  Litteratur  erwähnt.  (Näheres  Wernicke,  Schlesiens  Vor- 
zeit in  Bild  und  Schrift  VII,  S.  482.) 

Anders  steht  es,  wie  wir  gesehen  haben,  mit  Fabian  Nitsch,  in  dem  wir  jetzt 
nach  den  neuesten,  durch  Herrn  Geistlichen  Rat  Dr.  Jungnitz  in  Breslau  angestellten 
Untersuchungen  mit  unzweifelhafter  Gewissheit  gleichfalls  einen  Sohn  des  berühmten 
Paul  Nitsch  zu  erkennen  haben.  Die  betreffenden  Nachrichten  finden  sich  in  den  Kapitels- 
akten des  Diözesan-Archives  zum  Jahre  1600  und  dürfen  hier  mit  freundlicher  Erlaubnis 
des  glücklichen  Finders,  soweit  sie  von  Bedeutung  sind,  mitgeteilt  werden.  Danach  hatte 
das  Breslauer  Domkapitel  dem  päpstlichen  Nuntius  Spinelli  in  Prag  einen  silbernen  Tisch 


109 

(abacum  argenfeum)  aus  dem  Nachlasse  des  Bischofs  Andreas  Jerin  zum  Kauf  angeboten 
(s.  a.  Zeitschrift  für  Geschichte  und  Altertum  Schlesiens  VIII,  S.  328)  und  beschioss  nun 
am  19.  Juli  1600,  dass  dieser  Tisch  „per  Pauli  Nitsch  aurifabri  filium"  nach  Prag  überbracht 
werden  solle.  Am  18.  August  desselben  Jahres,  also  gerade  nur  einen  Monat  später,  wird 
dann,  gleichfalls  auf  Kapitelsbeschluss,  „Fabiano  Nitsch  iuveni  praedictum  abacum  Pragam 
avehenti"  ein  Honorar  zuerkannt.  Inhalt  wie  Wortlaut  schliessen  jeden  Zweifel  an  der 
Identität  des  jungen  Fabian  Nitsch  mit  dem  filius  des  Goldschmiedes  Paul  Nitsch  aus. 

Was  wir  sonst  über  Fabian  Nitsch  wissen,  ist  sehr  wenig  (siehe  Wernicke,  a.  a.  O. 
S.  482  und  484);  aus  dem  im  Jahre  1618  angelegten  Gesellenbuche  der  Breslauer  Gold- 
schmiede erfahren  wir  nur,  dass  er  damals  in  seiner  Werkstatt  fünf  Gesellen  beschäftigte, 
und  dass  von  diesen  einige  aus  Augsburg  und  Nürnberg  stammten.  Wir  wissen  ferner, 
dass  er  unter  den  Riemern  wohnte  und  am  9.  März  1630  am  Gehirnschlage  gestorben 
ist.  Dass  er  sich  eines  gewissen  Rufes  erfreut  haben  muss,  bezeugen  uns  dann  die  ihm 
erteilten  Aufträge  wie  z.  B.  der  zur  Anfertigung  der  Siegelkapsel  für  den  Majestätsbrief; 
und  es  erscheint  daraufhin  verlockend,  ihn  uns  überhaupt  im  Dienste  der  Stadtverwaltung 
stehend  und  u.  a.  als  Meister  des  von  dieser  dem  Winterkönig,  Kurfürsten  Friedrich  V. 
von  der  Pfalz,  bei  seinem  feierlichen  Einzüge  in  Breslau  (1619)  zum  Willkomm  über- 
reichten Pokales  zu  denken. 

Seine  Arbeiten  zerfallen  in  weltliche  und  kirchliche  Geräte;  die  weltlichen,  an  Zahl 
und  an  Bedeutung  den  kirchlichen  weit  nachstehend,  mögen  hier  den  Anfang  machen. 

Den  Deckel  des  Pokales  nennt  bereits  Rosenberg  (Der  Goldschmiede  Merk- 
zeichen Nr.  460  S.  130)  als  Arbeit  des  Fabian  Nitsch.  Da  ich  ihn  nicht  aus  eigener 
Anschauung  kenne,  stütze  ich  mich  auf  freundliche  Mitteilungen  des  gegenwärtigen 
Besitzers,  des  Herrn  Dr.  A.  Figdor,  der  uns  auch  eine  photographische  Aufnahme  zur 
Verfügung  stellte.  Nach  seiner  Ansicht  ist  der  Deckel  sicher  jüngeren  Datums  als  der 
der  Holbeinzeit  angehörige.  Nürnberger  Marke,  aber  kein  Meisterzeichen  tragende  Pokal 
und  schlechter  gearbeitet  als  dieser.  Im  Innern  befinden  sich  noch  nicht  identifizierte 
eingravierte  Wappen.  Der  Deckelrand  zeigt  die  Stempelmarke  FN,  die  wir  mit  einer 
einzigen,  noch  zu  erwähnenden  Ausnahme  auch  auf  allen  übrigen  Arbeiten  unseres  Meisters 
finden,  und  das  Breslauer  Beschauzeichen  W;  der  Deckelknopf  trägt  eine  kleine  Statuette 
des  hl.  Andreas.     Der  Pokal   stammt  aus  der  ehemaligen  Sammlung  Minutoli. 

Die  Siegelkapsel  zum  Majestätsbriefe  Rudolfs  II.  von  1609,  in  der  Stadt- 
bibliothek, die  zuerst  Wernicke  (a.  a.  O.  S.  482)  als  Werk  des  Fabian  Nitsch  erkannt  hat,  ist 
aus  Silber  getrieben  und  war  ehemals  vollständig  vergoldet;  sie  misst  0,16  m  in  der  Breite 
und  0,075  in  in  der  Höhe.  Auf  der  Oberseite  zeigt  sie  in  der  Mitte  in  Gravierung  ein  von 
Kartuschenwerk  umrahmtes  Wappenschild  mit  dem  österreichischen  Doppeladler  und  um 
dieses  ein  sehr  einfaches,  aber  geschmackvolles  Blätterband  im  Kreise  herumgelegt,  das 
an  den  Seiten  durch  je  eine  kleine  Rosette,  oben  und  unten  durch  ganz  einfaches  Band- 
werk verziert  ist;  zu  beiden  Seiten  des  Schildes  steht  die  Jahreszahl  1609.  Ein  konvex 
eingezogener  breiter  Streifen,  den  ein  Renaissance-Rankenornament  schmückt,  schliesst  mit 


110 

vorspringendem  Rand  den  Deckel  ab,  welcher  in  einem  Sciiarnier  geht  und  durch  einen 
Haken  verschlossen  wird.  Die  Unterseite,  welche  den  Meisterstempel  und  das  städtische 
Beschauzeichen  trägt,  ist  noch  einfacher  als  die  Oberseite  gehalten.  Wir  finden  hier 
dasselbe  Kreisband  und  darin  ein  Kartuschenschild  mit  dem  böhmischen  Löwen. 

Von  den  kirchlichen  Geräten  unseres  Meisters  haben  wir  das  kleine  Kreuz,  wie 
wir  es  im  Gegensatz  zu  dem  später  zu  besprechenden  grossen  Kreuz  kurz  nennen 
wollen,  aus  chronologischen  wie  künstlerischen  Gründen  an  erster  Stelle  aufzuführen.  Es 
setzt  sich  aus  einem  0,36  m  hohen  Untersatze  und  dem  0,21  m  hohen  eigentlichen 
Kreuz  zusammen.  Da  das  Kreuz  an  seinem  unteren  Ende  nicht  unerheblich  verletzt  und 
verkürzt  ist,  dürfen  wir  die  ursprüngliche  Gesamthöhe  des  Werkes  wohl  mit  0,60  m  an- 
nehmen. Auf  dem  untersten  Rande  trägt  es  die  Stempelmarke  FN  und  das  Breslauer 
Beschauzeichen  W. 

Der  runde  Fuss  des  Untersatzes  erhebt  sich  von  drei  kleinen,  mit  geflügelten 
Engelsköpfen  besetzten  Kugelfüssen  und  geht  dann  durch  sechs  langgezogene,  tief  herab- 
reichende Henkel  vermittelt  in  den  sechseckig  gestalteten  Schaft  über.  Die  Zwischen- 
räume zwischen  den  Henkeln  sind  je  mit  drei  immer  kleiner  werdenden  Rosetten  besetzt, 
von  denen  die  der  untersten  Reihe  mit  emailliertem  Silberfiligran  verziert  sind  und  in  regel- 
mässiger Abwechslung  grosse  und  kleine  Halbedelsteine,  darunter  eine  Gemme  massiger 
Arbeit  mit  einem  Kinderkopf  in  Hoch-  und  einem  Frauenkopf  in  Flachrelief,  tragen.  Durch 
die  Rosettenreihen  sowie  die  am  Fusse  und  Schaft  gleichsam  hinaufkriechenden  Henkel 
wird  eine  beinahe  organische  Verbindung  zwischen  Fuss  und  Schaft  hergestellt.  In 
seinem  weiteren  Verlaufe  giebt  dieser  die  sechseckige  Form  auf  und  kehrt  zur  runden 
Gestalt  des  Fusses  zurück.  Es  folgt  eine  kleinere  und  dann,  nur  durch  ein  Kugelglied 
getrennt,  eine  grössere  konvexe  Einziehung,  die  jedesmal  durch  drei  kleine  Henkel  über- 
spannt wird.  Die  obere  trägt  ein  ovales  reich  mit  emailliertem  Silberfiligran  und  Halb- 
edelsteinen geschmücktes  vasenförmiges  Glied,  das  durch  drei  festliegende  in  Engelsköpfe 
auslaufende  Henkelstäbe  in  drei  Felder  zerlegt  wird.  Ähnlich  verziert  und  durch  Henkel 
mit  Frauen  (?)  köpfen  eingeteilt  ist  der  folgende,  nach  oben  sich  verjüngende  Schaftteil,  der 
ein  ergänztes  Kugelglied  als  Abschluss  des  Untersatzes  trägt. 

Das  Kreuz  dürfte  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  am  unteren  Ende  wie  an  den 
anderen  Kreuzarmenden  Dreipassbildung  gezeigt  haben.  Es  ist  auf  Vorder-  wie 
Rückseite  über  und  über  mit  emailliertem  Silberfiligran  überzogen.  In  den  Passenden 
der  Kreuzarme  sitzen  kleine  Rosettenglieder  mit  Halbedelsteinen.  Der  Kruzifixus  ist  im 
allgemeinen  gut  gearbeitet;  nur  ist  der  Brustkasten  im  Verhältnis  zur  Bauchpartie  zu  sehr 
herausgetrieben  und  wie  diese  selbst  etwas  zu  stark  verhämmert.  Eine  kleine  Silberkartusche 
über  dem  Haupte  Christi  trägt  in  weissem  Email  die  Inschrift  INR!.  Das  Fussende  des 
Kreuzes  ist  mit  Amethysten  besetzt.  Die  Rückseite  ist  etwas  einfacher  behandelt  und 
zeigt  zehn  ziemlich  grosse,  mit  sehr  schlechten  Glasflüssen  gefüllte  Medaillons,  welche 
wohl  die  sonst  hier  in  der  Regel  befindlichen  Reliquienbehälter  vertreten  sollen. 


AlleWahrscheinlich- 
Kreuz    keineswejjs    völlig 
Meisters  ist.     Wir  wissen 
angezogenen         Kapitels - 
das  Bresiauer  Domkapitel 
Lobkowitz,    den    einfluss- 
am  Prager  Hofe  in  der  Zeit  von  159y 
volles,  silbernes  Reliqiiienkreuz  durch 
Als  nun  am  4.  Mai  der  Archidiakonus 
nach  Prag  ging  und  das  Kreuz  mit- 
fertig.   Er  nahm  deshalb  einstweilen 
in  Prag  in  das  bald  nachzuschickende 
Wenn  dann  am  18.  August  desselben 
dem  für  Spinelli  bestimmten  silbernen 
Vermutung  doch  sehr  nahe,  dass  er 
genommen   hat,    sondern    nur  eben 
worden    ist,    um    dort    durch     Ein- 
fertig zu  stellen;    dass  ihm  für  diese 
haben,  ein  Honorar  zuerkannt  wird, 
einleuchtender     erscheinen     lassen, 
ergiebt  sich  aus  diesen  ebenfalls  von 
Thatsachen,     dass    ein    kunstvolles 
Paul    Nitsch    existiert    hat    und    als 
Sohnes    als    Vorbild    oder    Anhalts- 
haben kann. 

DerOesamtaufbau  des  Kreuzes 
zu      besprechende     grosse      Kreuz 
massigen  Höhenentwicklung.     Zwar 
einen  wie  des   andern,    als   weithin 
nur  berechtigt,  sondern  bis  zu  einem 
fordert,  aber  sie  thut  doch 
in    der  Nähe    entschieden 
das  ganze  Kreuz  etwas  zu 
in   der    reduzierten   Abbil- 
ganz      unverhältnismässig 
Sonst    bietet    der    Aufbau 
Interessanten  genug.     Der 
des    runden    Fusses    mit 
ist  bereits  gedacht  worden, 
übrig  darauf  hinzuweisen, 


« 


% 


^ 


111 

keit  spricht  dafür,  dass  das 

die  freie  Erfindung  unseres 

nämlich    aus    den    bereits 

Akten  zum  Jahre  1610,  dass 

für  Christoph  Poppel  von 

reichen     Obersthofmeister 

bis    lölO,    als   Geschenk   ein   kunst- 

Paul  Nitsch   hatte  anfertigen  lassen. 

Landus    in     Kapitelsangelegenheiten 

nehmen    sollte,  war    es    noch  nicht 

nur  die  Reliquien  mit,  damit  dieselben 

Kreuz    eingefügt    werden     könnten. 

Jahres  der  junge  Fabian  Nitsch   mit 

Tisch   nach  Prag  reist,    so  liegt  die 

nicht  bloss  das  bewusste  Kreuz  mit- 

deswegen      nach      Prag      geschickt 

Schliessung  der  Reliquien  das  Werk 

Reise,  wie  wir  oben  schon  gesehen 

kann    unsere  Vermutung   nur  noch 

Wie  dem  aber  auch   sei,   jedenfalls 

Dr.    Jungnitz     zuerst     festgestellten 

Reliquienkreuz    von    der   Hand    des 

solches  sehr  wohl  dem  Kreuze  seines 

punkt  beim  eigenen  Schaffen  gedient 

leidet  zunächst  wie  auch  das  später 
unseres     Meisters     an     einer    über- 
ist diese  durch  die  Bestimmung  des 
sichtbares  Altarkreuz  zu  dienen,  nicht 
gewissen    Grade    sogar    direkt    ge- 
der  Wirkung  des  Werkes 
einigen  Abbruch,  indem  sie 
schlank    erscheinen    iässt. 
düng  wirken  beide  Werke 
besser    und    vorteilhafter, 
des    kleinen   Kreuzes    des 
geschickten      Verbindung 
dem    sechseckigen    Schaft 
es   bleibt  daher  nur  noch 
dass  der  Sechspassauslauf 


112 

des  Schaftansatzes  offenbar  direkt  dem  Fiisse  eines  gotischen  Kelches  nachgebildet  ist, 
dessen  Form  wir  des  öfteren  bis  ins  17.  Jaiirhuiidert  liinein  bei  den  verschiedensten  kirch- 
lichen Geräten  beibehalten  sehen  [Altaraufsatztafel  des  Augsburger  Goldschmiedes  Mathias 
Wahlbaum  (seit  1582  thätig)  in  der  Fürstenbergschen  Sammlung  zu  Donaueschingen; 
Monstranz  aus  der  Pfarrkirche  zu  Jamnitz,  Ende  (!)  des  17.  Jahrhunderts  (Kirchliciie 
Ausstellung  des  Mährischen  Kunstgewerbemuseums  1884  5  No.  12);  Monstranz  der  gleichen 
Zeit  aus  der  gräflich  Daunschen  Sammlung  auf  Burg  Vöttau  (ebenda  No.  13)  u.s.w.  u.s.w.]. 
Höchst  eigenartig  wirken  dann  die  folgenden  konvexen  Einziehungen  mit  dem  sie  tremien- 
den  Kugelgliede,  in  dem  wir  vielleicht  ein  Ersatzstück  eigener  Erfindung  für  den  Nodus 
an  gotischen  Kelchen  und  Monstranzen  zu  erkennen  haben.  Die  mit  Henkeln  versehene 
kleine  Vase  ist  ein  bekanntes,  besonders  bei  Pokalen  sehr  beliebtes  Renaissancemotiv; 
dagegen  scheint  das  krugförmige  Glied  über  ihr  wieder  eine  eigene,  aber  nicht  gerade 
glückliche  Erfindung  unseres  Meisters  zu  sein. 

Das  Kreuz  mit  seinen  auf  die  Gotik  zurückweisenden  Passschlüssen  bietet  in  formaler 
Hinsicht  keine  Besonderheiten  dar.  Dagegen  ist  die  Ornamentation  und  die  Technik 
des  zu  seiner  Verzierung  angewandten  Silberfiligrans  für  uns  von  höchstem  Interesse. 
Während  nämlich  das  Ornament  des  Gesamtkreuzes  im  allgemeinen  voll  ausgebildete, 
ja  teilweise  sogar  schon  späte  Renaissanceformen  mit  ziemlich  vielem  Kartuschenwerk 
zeigt,  finden  wir  hier  in  dem  Netze  des  emaillierten  Silberfiligrans  inmitten  echter 
Renaissanceranken  und  Renaissanceblattwerkes  kreisrunde  Rosetten  und  Blüten  einfachster 
Zusammensetzung  und  Form;  und  diese  sind  direkt  und  offenkundig  ebenso  wie  die  ganze 
Technik  des  aus  Silberdrähten  zusammengesetzten  und  mit  gemaltem  Email  gefüllten 
Filigranwerks  dem  berühmten  ungarischen  Drahtemail  entnommen,  dessen  Blütezeit  ins 
15.  Jahrhundert  fällt.  Damit  wird  die  bisher  befriedigend  noch  nicht  gelöste  Frage  nach 
der  Entwicklung  des  (sog.  Siebenbürgener)  Silberfiligrans,  dessen  Ausbildung  dem  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts,  also  ganz  derselben  Zeit  wie  unser  Kreuz  angehört  (Hampel,  Das 
mittelalterliche  Drahtemail,  S.  45)  wenigstens  für  Schlesien  endgültig  beantwortet  und 
die  von  Radisiez  (Kunstgewerbeblatt  IV  [1888],  S.  126)  bereits  aufgestellte  Behauptung, 
dass  es  sich  wohl  aus  dem  Drahtemail  entwickelt  habe,  glänzend  gerechtfertigt.  Denn 
wir  haben  es  hier  keineswegs  mit  einem  vereinzelten  Falle  zu  tlnml  Zunächst  zeigt  schon 
das  grosse,  später  zu  betrachtende  Altarkreuz  von  Fabian  Nitsch  die  am  kleinen  teilweise 
noch  ungelenk  auftretende  Filigrantechnik  zu  höchster  Freiheit  und  Vollkommenheit  ent- 
wickelt und  die  selbst  dort  beibehaltenen  älteren  Dekorationsformen  mit  dem  Renaissance- 
ornament in  gefälliger  und  harmonischer  Weise  verbunden.  Sodaim  können  wir  aber 
auch  dieselbe  Übergangstechnik  vom  Drahtemail  zum  Silberfiligran  noch  bei  einem 
andern  Breslauer  Goldschmiedemeister  dieser  Zeit  namens  Caspar  Pfister  nachweisen,  der 
am  17.  Juli  1571  getauft  worden  und  demnach  wohl  als  ein  nur  wenig  älterer  Zeitgenosse 
unseres  Fabian  Nitsch  anzusehen  ist.  im  Domschatze  befindet  sich  die  schön  gearbeitete 
silbervergoldete  Statuette  einer  Madonna  in  der  Mandorla  mit  dem  Christkind  auf  der 
linken  und  dem  Zepter  in  der   rechten   Hand  (0,42  m  hoch),    die  wir   auf  Grund   ihrer 


113 

Stempelmarke  CP  und  des  Beschauzeichens  W  ihm  zuzuschreiben  haben.  Sie  ist  das 
Gescheni<  eines  Baltasar  Neander,  den  wir  auch  noch  als  Stifter  eines  von  Fabian  Nitsch 
geschaffenen  Reiiquiars  !<ennen  lernen  werden,  und  ist  ebensowenig  wie  einige  weitere 
signierte  Stücke  seiner  Hand  in  der  Kreuzkirche  (ein  Kelch  und  ein  Kreuz)  als  Arbeit  Pfisters 
bisher  erkannt  worden.  Die  Krone  der  Madonna  ist  ausser  mit  Edelsteinen  gleichfalls  in 
jener  eigentümlichen  Mischtechnik  von  Filigran-  und  Drahtemail  verziert,  und  einzelne 
ihrer  Ornamentmotive  sind  sogar  genau  dieselben,  die  wir  bei  Fabian  Nitsch  und  auf 
einer  ganzen  Reihe  von  Geräten  mit  ungarischem  Drahtemail  antreffen.  Dass  die  Breslauer 
Goldschmiede  dieser  Zeit  an  letzteres  angeknüpft  haben,  wird  hiernach  nicht  mehr  von 
der  Hand  zu  weisen  sein.  Es  erklärt  sich  uns  übrigens  auch  sofort,  wenn  wir  in  Betracht 
ziehen,  dass  die  Breslauer  Meister,  wie  uns  vier  Kelche  im  Domschatze  zur  Genüge 
bezeugen,  die  prächtigsten  Arbeiten  in  ungarischem  Drahtemail  unmittelbar  vor  Augen 
hatten.  Jedenfalls  dürfte  jetzt  die  Weiterausbildung  und  Weiterverwendung  dieser  Kunst- 
technik, die  wir  z.  B.  auch  auf  dem  Kronbande  der  im  Kunstgewerbemuseum  aufbewahrten 
Dorotheenbüste  (siehe  Tafel  1)  finden,  in  dem  späteren  Silberfiligran  zu  den  gesicherten 
Forschungsresultaten  zählen. 

Erscheint  hier  Fabian  Nitsch  als  ein  gelehriger  Schüler  der  vergangenen  Zeit,  so 
erweist  er  sich  als  ein  echter  Renaissancekünstler  in  der  Verwertung  von  entzückenden 
Engelsköpfen  als  Träger  des  ganzen  Kreuzes  und  in  der  häufigen  Verwendung  von 
Henkeln,  die  so  recht  ein  charakteristisches  Kennzeichen  der  heiteren,  schön  und  reich 
bewegten  Renaissancekunst  sind.  Freilich  versteht  er  es  noch  nicht  ganz,  dieses  Motiv 
zu  handhaben.  Wie  nämlich  dem  ganzen  Werke  unleugbar  ein  gewisser  handwerklicher 
Zug  anhaftet  -  dem  übrigens  auch  der  merkwürdig  geringe  Wert  der  verwendeten 
Halbedelsteine  entspricht  so  verrät  auch  die  Gestaltung  und  Anwendung  der  Henkel 
gradezu  künstlerische  Unreife.  Denn  als  nichts  anderes  können  wir  es  bezeichnen,  wenn 
die  sonst,  besonders  in  ihrer  charakteristischen  Zusammensetzung  aus  ornamentalen  und 
figürlichen  Teilen  ganz  im  Renaissancegeiste  erfundenen  Bogenstäbe  fast  immer  fest  an 
den  Schaftstamm  angelegt  sind  und  damit  ihrer,  wenn  auch  nur  rein  dekorativ  beabsich- 
tigten Bedeutung  als  Henkel  gänzlich  verlustig  gehen!  Die  anderen  Arbeiten  des  Fabian 
Nitsch,  vorzüglich  aber  das  grosse  Kreuz,  zeigen  in  diesem  f^unkte  eine  weit  grössere 
künstlerische  Reife  und  Vollendung,  so  dass  sich  ihre  zeitliche  Reihenfolge  schon  hiernach 
mit  fast  vollkommener  Sicherheit  bestimmen  lässt. 

Als  spätere  Werke  unseres  Meisters  müssen  demnach  zunächst  die  beiden  Reliquiare 
in  Armform  der  iil.  Hedwig  und  des  sei.  Cesiaus  gelten.  Sie  gleichen  sich  bis  auf  das 
der  Hand  zum  Halten  gegebene  Symbol  des  betreffenden  Heiligen  vollkommen;  und  hierauf 
ist  es  auch  wohl  zurückzuführen,  dass  die  beiden  oberen  Aufsätze  mit  der  Hand  und  den 
Symbolen  vor  Jahren  einmal,  wie  sich  bei  unserer  eingehenden  Untersuchung  der  beiden 
Stücke  herausgestellt  hat,  mit  einander  vertauscht  worden  sind,  so  dass  nun  die  Aufschriften 
wie  die  dargestellten  Symbole  mit  den  wirklich  in  i.kn  Geräten  befindlichen  Reliquien 
nicht    mehr    übereinstimmen.      Das   Versehen    konnte   leider   vor   der   Aufnahme   unserer 

15 


Abbildimyen  (S.  114  u.  115)  niclit  mehr  berichtiot  worden.  Wir  müssen 
dabei  bemerken,  dass  sich  die  beiden  Werke  überhaupt  nicht  in  gutem 
Zustande  befinden  und  ebenso,  wie  das  kleine  Kreuz,  dringend  eine 
Renovation  durcii  sachkundige  Hand  verlangen.  Ilirer  Übereinstimmung 
und  engen  Zusammengehörigkeit  hat  übrigens  ihr  Schöpfer  selbst 
bereits  Rechnung  getragen,  indem  er  nur  ein  Reliquiar,  das  der  hl.  Hedwig, 
mit  seinem  Meisterzeichen  FN  versehen  hat.  Die  Möglichkeit,  dass  das 
andere  Reliquiar  nur  eine  spätere  Kopie  sei,  wie  man  vielleicht  vermuten 
könnte,  ist  gänzlich  ausgeschlossen. 

Bei    unserer    Beschreibung    halten    wir  uns    an    das   bezeichnete 
Exemplar,  indem  wir  zugleich  die  Inkorrektheiten  der  jetzigen  Zusammen- 
setzung richtig  stellen.     Der  Fuss  ist  sechseckig  gestaltet  und  ruht  auf 
Kugeln;    von   dem   Schaft  trennt   ihn   ein   sauber  gearbeiteter  Fries,   der 
in    seinen    sechs    Abteilungen    als    stetig    wiederkehrendes    Mittelmotiv 
einen  prächtigen,    im  Neste  (?)   sitzenden  Adler,  an  den   Seiten  Ranken- 
werk zeigt.    Die  Vermittlung  zwischen  Fuss  und  Schaft  stellen  wie  beim 
kleinen  Kreuz   sechs,  diesmal  aber  frei  geschwungene  Henkel  her,  aus 
denen    sich    in    der   Mitte    an    der   Biegung    Frauenbüsten    entwickeln. 
Zwischen    und    übereck    unter    den    Henkeln    sitzen    aus   Ranken    und 
Palmettcn  zusammengesetzte  Zierstücke,    desgleichen  am  Schaftstamme 
fünf  pausbäckige  geflügelte  Engelsköpfe;  an  sechster  Stelle  ist  das  Wappen 
des  Stifters  (beim  andern  Reliquiar  ein  weiterer  Engelskopf)  angebracht. 
Ein  mit  übereck  sitzenden  Engelsköpfen  und  aufgelegten  Ornamentstücken 
verziertes    Übergangsglied    trennt    den    Schaft    von    dem    eigentlichen 
Reliquienbehälter,  der  aus  einem  unten  und  oben  von  einer  getriebenen 
Silberfassung  umgebenen  Olascylinder   besteht.     Die  beiden  Teile   der 
Fassung  sind  durch  vier  Halbstäbe  verbunden,  denen  unten  vier  Engels- 
köpfe   als     Auflager    dienen.       Ein    nicht    ganz    anderthalb   cm    hoher 
durchbrochener   Fries    mit   dem    viermal    wiederkehrenden    Motiv    eines 
aufenden   Vogels   in   Rankenwerk   und   ein   kleiner  Kranz   dichtgereihter 
Palmetten    schliesst   die   untere   Fassung   des   Cylinders   ab.      Die 
obere  entwickelt  sich  in  ganz  gleicher  Weise  nur  mit  umgekehrter 
Reihenfolge  der  einzelnen  Glieder.    Der  Fries  zeigt  das  Adlermotiv 
vom    Fusse    des  Reliquiars.     Die  Verbindungsstäbe    tragen    oben 
vier  kleine  Statuetten   der  Heiligen  des  Domes,  des   hl.  Johannes 
d.  T.,  des  hl.  Johannes  d.  Ev.,  des   sei.  Vincenz  Levita   und 
der   hl.  Hedwig.     (Warscheinlich   infolge  der  Vertauschung 
der  oberen  Aufsätze    findet  sich   jetzt  am   Hedwigsreliquiar 
zweimal    die    Figur    der    Heiligen    und    am    Relic|uiar    des 
i      sei.  Ceslaus  zweimal  die   des   Vincenz   Levita.)      Im    linurn 


des  GlascylindcTs  befindet  sich  eine  kleine  Vase  mit  erhabenen  Ornamenten, 
welche  die  ReMquie,  einen  Finger  der  hl.  Hedwig,  trägt;  zu  beiden  Seiten 
schweben  zwei  Engel.  Unmittelbar  auf  den  eigentlichen  Reliquienbehälter 
folgt  eine  0,6  m  hohe  Manchette,  die  unten  durch  einen  gotisierenden 
Zinnenkranz,  oben  durch  einen  durchbrochenen  Rand  abgeschlossen 
wird;  sie  enthält  folgende  abgekürzte  Inschrift:  Nee  non  magnae  ducissae 
Agunicae  patroniae  Silesiae  Hedwigi  donum  hoc  Baltasar  Neander  de 
Otmuchovia  S(anctae)  T(heologiae)  D(octor)  Archidiac(onus)  et  canonic(us) 
Wratisl(aviensis)  consiliar(ius)  r(evere)nd(issi)mi  d(omini)  e{pisco)pi  et  curiae 
e(pisco)palis  ibidem  praefectus  pietatis  ergo  anno  MDCVIl  obtulit.  Aus 
der  Manchette  steigt  die  nur  ganz  wenig  unterlebensgrosse  Hand  mit  dem 
Symbol  der  Heiligen,  einer  Kirche,  empor,  an  dem  schmalen  Gelenke  von 
einer  kleinen  Kette  umschlossen,  deren  Glieder  aus  dem  wiederkehrenden 
Motive  zweier  ein  flammendes  Herz  umschliessenden  Hände  bestehen. 
Die  Hand  selbst  ist  wenig  modelliert  und  etwas  steif;  auffallend  ist  im 
Gegensatz  zu  der  sonstigen  Glätte  der  Behandlung  eine  etwas  übertriebene 
Runzelung  der  Haut  an  den  Gelenken. 

Der  kleine  Kirchenbau,  der  mehr  auf  der  Hand  schwebt,  als  dass 
er  von  ihr  getragen  wird,  ist  im  griechischen  Kreuz  errichtet,  besitzt  einen 
hohen  viereckigen  Vierungsturm  und  vier  Flügelbauten.  Diese  letzteren 
zeigen  an  ihren  Fronten  als  stetig  wiederkehrende  Dekoration  ein  rund- 
bogiges  Portal  mit  Renaissance-Keilsteineinfassung  und  darüber  eine  ebenso 
interessante  wie  amüsante  Nachbildung  rundbogiger  romanischer  Fenster- 
formen, die  aber  wie  das  Portal  gleichfalls  wieder  von  einer  Renaissance- 
füllung umgeben  sind.  An  den  Wänden  der  Flügelbauten  befindet  sich 
je  ein  rundbogiges  Fenster  mit  der  gleichen  Renaissanceumrahmung  wie 
beim  f^ortal.  Auf  der  Front  des  einen  Flügelbaues  finden  wir  statt  der 
architektonischen  Dekoration  folgende  Inschrift:  Quisquis  es,  sacrilegas 
cohibe  manus  nam  digitus  inclitae  Hedwigis  idcm  potest  quod  corpus  eius 
integrum.  Als  Abschluss  der  Front  dient  immer  eine  misslungene  gotische 
Wimpergbekrönung  mit  Masswerkfüllung,  die  in  eine  ganz  merkwürdige 
Kreuzblume  auf  der  Spitze  ausläuft  und  sonderbare  Renaissance- 
palmetten an  den  Enden  trägt.  Der  Turm  schliesslich  enthält  im  ' 
untersten  Geschosse  je  ein  rundbogiges  Fenster  mit  Keilstein- 
umrahmung, im  Dachgeschoss  zunächst  je  ein  romanisches  Doppel- 
fenster ziemlich  eigentümlicher  Konstruktion  und  darüber  je  nach- 
dem noch  ein  bis  zwei  kleine  Rundbogenfenstcr  und  wohl  auch 
eine  Lilienpalmette  oder  das  Monogramm  Christi.  Den  Abschluss 
des  Ganzen  bildet  ein  Kreuz.  Es  ist  also  ein  ausgesprochen 
archaisierendes     Bestreben,     das     uns     in     dieser    eigentümlichen 


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116 

Architekturkomposition  entgegentritt  und  uns  durch  die  Verquickung  mehrerer  ganz  ver- 
schiedener Stile  unter  einander  höchst  eigenartig  berührt. 

Das  Reiiquiar  des  sei.  Cesiaus  gleicht,  wie  bereits  erwähnt,  dem  der  hl.  Hedwig 
bis  auf  unbedeutende  Abweichungen  vollständig.  Verschieden  ist  z.  B.  die  Hand,  weiche  im 
ganzen  etwas  voller  und  weniger  steif  gebildet  ist  und  nicht  jene  übertreibende  Runzelung 
an  den  Gelenken  wie  dort  aufweist.  Nicht  unmöglich  wäre  es,  an  eine  spätere  Überarbeitung 
der  Hand  zu  denken,  denn  die  Kugel  mit  dem  Flammenbüschel,  die  sie  trägt,  gehört  sicher,  wie 
die  Inschriften  auf  der  Manchette  beweisen,  dem  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  an.  Dieselben 
lauten:  Os  hoc  cubiti  ex  tumba  B(eati)  Ceslai  desumptum  et  a  P(atre)  Priore  ad  S(anctum) 
Adaib(ertum)  Bern(ardum)  Neugebauer  Ser(enissi)mo  E(pisco)po  Franc(isco)  Lud(ovico) 
pro  ecciesia  Cathed(rali)  oblatum  dum  1715  die  27  Nov(embri)  Sacra  Eiusdem  Lipsana  in 
Eccl(esia)  P(atris)  P(redicatorum)  Dominici  Solemni  ritu  levarentur  et  publ(icae)  ven(erationi) 
exponerentur  und:  Pro  qua  gemma  tarn  pretiosa  nostris  in  oris  nata  ad  Thesarum  Eccle- 
siae  reponenda  Suoq(ue|  tempore  Fidelium  cultui  propö(n)enda  chirothecam  hanc  argenteam 
Capitulum  Cathedralis  Ecciesiae  Wratislaviensis  ex  Cassa  Fabrices  f|ieri)  f(ecit).  Die 
zweite  Inschrift  ist,  wörtlich  genommen,  entschieden  irreführend;  denn  das  Reiiquiar  ist 
nicht  erst  damals  angefertigt  worden,  sondern  bleibt  stets  eine  unbezweifelbare  Arbeit  des 
Fabian  Witsch.  Dagegen  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  es  ursprünglich  anderen  Zwecken 
diente  (war  es  vielleicht  zu  einem  Reiiquiar  des  Vincenz  Levita  ersehen?)  und  erst  zu 
Beginn  des  18.  Jahrhunderts  seiner  gegenwärtigen  Bestimmung  zugeführt  worden  ist. 
Wir  hätten  dann  einfach  „fieri"  in  dem  Sinne  von  „adaptari"  zu  nehmen.  Die  Flammen- 
kugel gilt  als  Symbol  des  sei.  Cesiaus,  weil  zur  Zeit  des  Tartarensturms  auf  sein  Gebet 
eine  flammende  Kugel  vom  Himmel  gefallen  sein  und  die  Feinde  verscheucht   haben  soll. 

Mussten  wir  bei  dem  kleinen  Kreuz  unentschieden  lassen,  wie  weit  etwa  fremde 
Vorbilder  seinen  Aufbau  und  seine  Gestaltung  beeinflusst  haben  mögen,  so  sind  wir  den 
beiden  Reliquiaren  gegenüber  in  einer  glücklicheren  Lage:  wir  dürfen  mit  grösster  Wahr- 
scheinlichkeit in  einem  aus  dem  Jahre  1512  stammenden  Reliquiare  des  Domschatzes  das 
direkte  Vorbild  unserer  beiden  Stücke  erkennen. 

Zunächst  ist  dort  der  Fuss  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  diesen  durch  einen  kleinen 
durchbrochenen  Fries  vom  Ärmel  getrennt,  aus  dem  sich  der  Glascylinder,  unten  und  oben 
nur  von  einem  schmalen,  spätgotischen,  aus  Rankenwerk  zusammengesetzten  und  gleichfalls 
durchbrochenen  Friese  eingefasst,  entwickelt.  Die  Verbindung  der  beiden  Einfassungen 
wird  wie  bei  den  Reliquiaren  der  hl.  Hedwig  und  des  sei.  Cesiaus  durch  vier  Stäbe 
hergestellt,  die,  ein  in  der  Gotik  sehr  beliebtes  Motiv,  je  aus  drei  fest  mit  einander  ver- 
bundenen Säulchen  bestehen  und  unten  ebenfalls  wie  bei  den  Reliquiaren  des  Witsch  von 
geflügelten  Engelsköpfchen  getragen  werden,  während  sie  oben,  auch  hier  wieder  in  Über- 
einstimmung mit  den  Arbeiten  unsres  Meisters,  kleine  Figuren  tragen.  Es  folgt  die 
Manchette,  die  durch  einen  kleinen  vorspringenden,  mit  knopfartigen  Gliedern  besetzten 
Rand  und  denselben  kleinen  durchbrochenen  Fries  wie  am  Cylinder  abgeschlossen  wird. 
Die  Hand,  welche  die  Geberde  des  Bischofs  bei  der  Segenerteilung  zeigt,  ist  sehr  schön 


117 


ausgeführt  und  erscheint  wie  durchgeistigt.     Die  Arbeit  des  ganzen  Werkes  ist  durchweg 
einfach  aber  gut. 

Neu  bei  den  Arbeiten  des  Nitsch  ist  somit,  wie  wir  sehen,  bloss  der  untere  Aufbau  - 
hier  ist,    wenn  man  will,    nur    der    kleine    durchbrochene  Fries  von  dem  älteren  Vorbilde 
beibehalten         und    die    ganze    übrige,    weit    reichere  Ausgestaltung  der  dort  gegebenen 
Motive.     Erscheint  bei  dem  älteren  Reliquiar  durch  die  grössere  Einfachheit  das  wesent- 
liche, die  Reliquie  selbst,  in  schärfster  Betonung,   so  wird  hier  eher  durch  die  Entfaltung 
grösseren  Reichtums  der  Blick  von  ihr  abgelenkt.     Wie  es  scheint,  hat  sich  aber  Fabian 
Nitsch  nicht  mit  diesem  einen  Vorbilde  zufrieden  gegeben,  sondern  noch  ein  anderes  und 
sogar  älteres  Reliquiar  aus  dem  Domschatze,    welches    durch    seinen  Stiftungstitulus  ins 
Jahr  1465  gewiesen  wird,  seinem   eigenen  Schaffen  zu  Grunde  gelegt.     Auch  bei  diesem 
Exemplare   finden    wir   den   Fuss  von  dem  Ärmel    durch    einen    kleinen,    mit  Zinnen  be- 
krönten Fries  getrennt,   an  dessen  Ecken  kleine  Halbfiguren  von  geflügelten  Engeln  an- 
gebracht sind,    die  also  bei  dem   späteren   Reliquiar  von  1512  gleichsam    nur    unter    die 
Stäbe  als  Träger  hinaufgerückt  zu  sein  scheinen,  während  sie  von  diesem  dann  ja  durch 
Fabian  Nitsch  unzweifelhaft  ganz  direkt  an  gleiche  Stelle  in  seine  Reliquiare  übernommen 
worden  sind.     Aber  abgesehen   von   dieser  indirekten   und   selbst  ungewissen  Beziehung 
muss  er  auch  jenes  ältere  Vorbild  aus  dem  Jahre  1465  allem  Anscheine  nach  ganz  direkt 
benutzt    haben,    wenigstens   ist  der   gotische  Doppelfries,    welcher  bei  diesem  den  Glas- 
cylinder  unten  und  oben  umgiebt  und  den  oberen  Abschluss  der  Manchette  bildet,  genau 
derselbe,  welcher  bei  seinen  Reiiquiaren  den   unteren  Abschluss  der  Manchette  bildet. 

Es  ergiebt  sich  somit  als  feststehende  Thatsache,  dass  Fabian  Nitsch  in  manchen 
Punkten  bald  mehr,  bald  weniger  an  Werke  einer  früheren  Zeit  angeknüpft  hat.  Hält 
man  damit  das  zusammen,  was  uns  bereits  die  eigentümliche  Ausgestaltung  des  Kirchen- 
symbols bei  dem  Reliquiar  der  hl.  Hedwig  zeigte,  so  könnte  man  leicht  auf  die  Ver- 
mutung kommen,  dass  wir  es  hier  mit  einem  Archaisieren  ähnlicher  Art  zu  thun  haben, 
wie  es  in  ausgeprägtester  und  absichtlichster  Weise  eine  Zeitlang  die  spätgriechische' 
Kunst  gepflegt  hat.  In  der  Renaissance  finden  sich  mehrfach  Fälle  dieser  Art.  Es  hängt 
dies  offenbar  mit  dem,  wesentlich  von  Italien  ausgegangenen,  allgemeinen  Erwachen  eines 
archäologischen  Gefühls  in  dieser  Zeit  zusammen.  Das  bekannteste  Seitenstück  zu  unserm 
Fall  zeigt  wohl  das  grosse  Altarkreuz  des  Anton  Eisenhoit  von   1589. 

Der  Oesamtaufbau  der  beiden  Reliquiare  ist  trotz  des  Reichtums  der  Ausstattung 
klar  und  gefällig  und  lässt  wieder  das  grosse  Kompositionsvermögen  unseres  Meisters 
deutlich  erkennen.  So  ist  z.  B.  die  geschickte  Überleitung  vom  Fuss  zum  Schaft,  besonders 
aber  die  Gestaltung  und  Verwendung  der  Henkel  zu  rühmen.  Im  einzelnen  hervorzuheben 
ist  die  feine  Arbeit  der  auf  dem  Fuss  aufgelegten  Ornamentglieder  und  der  drei  ent- 
zückenden durchbrochenen  Friese.  Am  wenigsten  gelungen  scheinen  uns  die  figürlichen 
Teile:  die  verschiedenen  Engelsköpfe  sowohl  wie  die  kleinen  Statuetten,  welche'^auf  den 
Cylinderstäben  stehen  und  merkwürdig  in  die  Länge  gezogen  sind;  ob  vielleicht  nur  des- 
halb, weil  sie  als  Ausläufer  der  Stäbe  gedacht  sind,  lässt  sich  natürlich  nicht  entscheiden, 


HS 

ist  aber  sehr  wahrsclieinlicli.  Denn  es  liegt  im  Ciiarakter  der  kunstgewerblichen  Arbeiten 
der  Renaissance,  die  plastischen  Teile,  und  man  war  in  der  Anwendung  solcher  sehr  ver- 
schwenderisch, stets  dem  Gesamtaufbau  nach  Möglichkeit  harmonisch  unterzuordnen  und 
anzupassen,  worüber  dann  freilich  der  rein  plastische  Eindruck  der  betreffenden  Glieder 
fast  immer  so  gut  wie  verloren  ging  und  ihnen,  wie  auch  hier,  nur  eine  dekorative 
Wirkung  erhalten  blieb. 

In  der  letzten  Arbeit  von  seiner  Hand,  die  uns  bekannt  geworden  ist,  hat  Fabian 
Nitsch  sich  zu  fast  rein  künstlerischem  Schaffen  hindurchgerungen  und  ein  Werk  geschaffen, 
das  wir  seiner  Grösse  wie  besonders  aber  seiner  ganz  eigenartigen  Ausgestaltung  und  Aus- 
führung nach  mit  vollem  Rechte  als  eine  einzigartige  Schöpfung  der  ganzen  deutschen  Gold- 
schmiedekunst bezeichnen  dürfen.  Erscheint  es  einerseits  als  die  Vollendung  alles  dessen, 
was  er  in  seinen  vorausgehenden  Werken  angestrebt  oder  vorbereitet  hat,  mit  einem 
Worte  als  das  Hauptwerk  seines  ganzen  Lebens  und  Schaffens,  so  ist  es  andrerseits, 
gleichsam  ein  Gegenstück  zu  dem  von  seinem  Vater  geschaffenen  berühmten  Altarwerk 
im  Breslauer  Dom,  unstreitig  die  bedeutendste  künstlerische  That  am  Ausgange  der 
schlesischen  Renaissance. 

Das  grosse  Altarkreuz  des  Breslauer  Domschatzes  ist  in  der  Litteratur  bisher 
nur  durch  eine  einfache  Erwähnung  bei  Lutsch  (Die  Kunstdenkmäler  der  Stadt  Breslau 
S.  170)  vertreten;  ich  selbst  verdanke  den  ersten  Hinweis  darauf  dem  Herrn  Hofantiquar 
Max  Altmann  in  Breslau.  Das  Meisterzeichen  FN,  das  wir  ebenso  wie  das  Breslauer  W 
auf  dem  kleinen  unterhalb  des  Pelikans  ziemlich  in  der  Mitte  des  Kreuzes  vorspringenden 
Rande  eingeprägt  finden,  erbringt  den  Beweis  für  die  Autorschaft  des  Fabian  Nitsch. 
Unsere  Lichtdrucktafel  bietet  zum  ersten  Male  eine  Abbildung  des  Werkes,  vermag  aber 
freilich  nur  eine  schwache  Vorstellung  davon  zu  geben:  solchem  Reichtum  in  Formen  wie 
Details  gegenüber  muss  jede  Abbildung  und  auch  jede  Beschreibung  versagen. 

In  schönem  rhythmischen  Aufbau,  der  strenge  Gesetzmässigkeit  in  künstlerisch 
vollendete  Formen  zu  hüllen  weiss,  strebt  das  Kreuz,  ganz  in  Silber  getrieben  und  dann 
im  Feuer  vergoldet,  in  reicher  aber  edler  Umrisslinie,  über  und  über  in  prächtigster  Weise 
von  emailliertem  Silberfiligran  überzogen,  zu  der  stattlichen  Höhe  von  anderthalb  Metern 
empor.  Bis  zu  0,80  m  Höhe  erhebt  sich  vom  sechseckigen,  modernen  Holzsockel  der 
Untersatz,  auf  dem  sich  das  eigentliche  Kreuz  aufbaut,  überragt  von  einem  Flammenstern, 
auf  welchem  ein  Pelikan  thront. 

An  dem  Untersatze  hervorzuheben  sind  die  sechs  an  den  Ecken  angebrachten,  mit 
Aufsätzen  versehenen  Kugelgebilde,  die  dem  ganzen  Kreuz  als  Träger  dienen  und  uns 
im  r^rinzip  an  die  Kugelfüsse  beim  kleinen  Kreuz  und  den  beiden  Reliquiarien  erinnern, 
sowie  der  kleine  durchbrochene  Fries  mit  Engelsköi^fen,  welcher  den  Fuss  vom  Schafte 
trennt  und  in  gleicher  Weise  wie  die  hier  auftretende  Henkelverbindung  ein  Motiv 
darstellt,  das  uns  bereits  von  den  beiden  Reliquiaren  und  vom  kleinen  Kreuz  her 
bekannt  ist,  diesmal  aber  uns  in  künstlerisch  freiester  Form  und  höchster  Vollendung  wie 
Feinheit    der  Ausgestaltung    entgegentritt.     Gleichsam  im  Schatten   der   Henkel    stehen  an 


119 

den  sechs  Ecken  die  kleinen  Figuren  Johannes  d.  T.,  des  hl.  Augustinus,  des  hl.  Michael, 
der  hl.  Katharina,  des  hl.  Ambrosius  (?)  und  des  hl.  Franciscus  oder  Dominicus.  Den 
über  iiiiieii  ausladenden  Schaftstamm  schmückt  derselbe  durchbrochene  Fries  mit  dem 
Motiv  des  laufenden  Vogels,  den  wir  bei  den  beiden  Reliquiaren  fanden.  Die  weiteren 
Glieder  des  Untersatzes  zeigen  als  charakteristisches  Merkmal  der  Kunst  unseres  Meisters 
und  seiner  Zeit  eine  reiche  und  geschickte  Verwendung  entzückend  geschnittener  Henkel  — 
gleichsam  den  herrlichen  Ausklang  und  die  Auflösung  der  bescheidenen  und  noch  stark 
befangenen  Anfänge  beim  kleinen  Kreuz  in  künstlerische  Freiheit. 

Der  obere  Aufbau  des  Untersatzes  wird  dann  im  Weiterstreben  auf  Vorder-  wie 
Rückseite  durch  einen  prachtvoll  modellierten  Pelikan  unterbrochen,  der  sich  mit  dem 
Schnabel  die  Brust  zerfleischt.  Den  oberen  Abschluss  des  Untersatzes,  der  sich  aus 
je  zwei  Einziehungen  und  Ausladungen  zusammensetzt,  hat  das  Kreuz  erst  bei  seiner 
letzten  umfassenden  Erneuerung  im  Jahre  18Q6  erhalten.  Während  die  beiden  Ausladungen, 
welche  der  Zustand  des  Kreuzes  vor  der  Restauration  für  sich  allein  zeigte,  zweifellos 
von  Anfang  an  zum  Kreuz  gehört  haben,  sind  die  beiden  filigran-  und  schmucklosen 
Einziehungen  dabei  ganz  neu  eingefügt  worden,  wie  uns  dünkt,  mit  Unrecht,  denn  der 
ganze  Aufbau  des  Untersatzes  sowie  die  gefällige  und  geschickte  Aufeinanderfolge  seiner 
einzelnen  Glieder  scheint  uns  einer  derart  unkünstlerischen  Anordnung  entschieden  zu 
widersprechen.  Wahrscheinlicher  ist  es  wohl,  sich  die  beiden  Ausladungen  ursprünglich 
unter-  und  oberhalb  des  Pelikans  eingefügt  zu  denken,  welcher  dann  von  sich  ent- 
sprechenden Gliedern  eingefasst  sein  würde.  Das  eigentliche  Kreuz  aber  fände  auf  der 
in  diesem  Falle  den  Abschluss  bildenden  schwach  konvexen  Ausladung  gleichsam  ein 
natürliches  Auflager. 

Die  noch  auf  die  Gotik  zurückweisende  Kreuzform,  die  wir  bereits  am  kleinen 
Kreuz  fanden,  ist  auch  hier,  diesmal  mit  im  Vierpass  gestalteten  Enden,  beibehalten.  Der 
oberste  Vierpass  zeigt  aus  den  Ecken  hervortretend  vier  schraubenförmige  Gebilde,  welche 
vielleicht  die  Kreuznägel  darstellen  sollen  (man  vergleiche  das  Tragkreuz  von  Enrique  de 
Arphe,  bei  Bruno  Bucher,  Geschichte  der  technischen  Künste  II,  S.  278).  Die  Winkel 
des  Kruzifixes  füllen  rautenförmige  Vorsprünge  aus,  so  dass  das  ganze  Kreuz  wie  auf 
einem  Kissen  ruhend  erscheint.  Die  Rückseite  enthält  fünf  grössere  und  sechs  kleinere 
Reliquienbehälter,  von  denen  die  ersteren  an  den  Enden  und  dem  Schnittpunkte  der  Kreuz- 
arme angebracht  sind.  Über  dem  Kreuze  erhebt  sich,  wie  schon  oben  erwähnt,  ein 
Flammenstern,  der  auf  Vorder-  und  Rückseite  mit  je  einem  prachtvollen  Halbedelstein 
geschmückt  ist  und  von  einem  kleineren  IVlikane  überragt  wird,  der  auf  seinem 
Neste  sitzt. 

Das  ganze  Werk  ist  in  reichster  Weise  von  Silberfiligranemail  bedeckt.  Frei  davon 
bleiben  nur  die  figürlichen  Teile  wie  z.  B.  die  beiden  Pelikane  und  dann  der  Aufsatz 
oberhalb  des  eigentlichen  Kreuzes.  In  der  Technik  erweist  sich  dieses  Filigran  als 
dasselbe,  das  wir  bereits  beim  kleinen  Kreuz  kennen  lernten,  nur  dass  wir  auch  hier  wieder 


120 

eine  ganz  gewaltige  Entwicklung  nacii  der  Seite  künstlerischer  Vollendung  zu  erkennen 
haben.  Die  ursprüngliche  Quelle  aber,  das  ungarische  Drahtemail  blickt  gleichwohl  deutlich 
erkennbar  durch!  Wir  finden  nämlich  in  den  Ranken  und  Arabesken  des  ziemlich  eng- 
maschigen Silberfiligrans  seihst  hier  noch  ganz  unverändert  aus  dem  Formenschatz  des 
ungarischen  Drahtemaiis  übernommene  Dekorationsmuster,  darunter  solche,  die  uns  wie  jene 
sonderbaren  Umbildungen  gotischer  Detailformen  (des  Nasenwerks  der  Spitzbogen  oder 
des  Fischblasenmusters)  anmuten,  an  denen  die  deutsche  Renaissance  so  reich  und  in 
denen  ihre  Meister  so  unerschöpflich  sind;  und  unter  den  zahlreichen  verschiedenen,  in 
erhöhtem  Email  ausgeführten  Figuren  des  Filigrans,  welche  Eicheln,  Erdbeeren,  Herzen  u.a.m. 
zeigen,  kommen  auch  Trauben  vor,  ein  Dekorationsmotiv,  mit  dem,  wenn  auch  in 
etwas  anderer  Weise  als  auf  dem  Kreuz,  das  Stirnband  der  oben  schon  erwähnten 
Dorotheenbüste  geschmückt  ist.  Zu  diesem  innigen  Zusammenhang  zwischen  der  Silber- 
filigrantechnik des  Fabian  Witsch  und  dem  alten  ungarischen  Drahtemail  sei  dann  schliess- 
lich noch  bemerkt,  dass  eins  der  in  seinen  Wurzeln  sicher  auf  das  ungarische  Drahtemail 
zurückgehenden  Dekorationsmotive  in  dem  Filigran  des  grossen  Kreuzes  sich  in  durchaus 
identischer  Form  und  zwar  sogar  gleichfalls  in  blauem  Email  wie  dort  mehrfach  auf 
einem  Altarkelch  aus  dem  Anfange  des  17.  Jahrhunderts  in  Nyitra  (Diözesanbesitz,  ab- 
gebildet Chefs  d'oeuvre  d'orfevrerie  ayant  figure  ä  l'exposition  de  Budapest  11,  p.  71  f| 
wiederfindet,  welcher  auf  Bestellung  des  Bischofs  Franz  Forzäch  angefertigt  worden  ist 
und  überhaupt  mehrere  Blütenornamente  in  seiner  Filigrandekoration  aufweist,  welche 
unzweifelhaft  dem  Formenkreise  des  ungarischen  Drahtemails  entnommen  sind. 

Die  zur  Verwendung  gekommenen  Emailfarben  sind  vorzugsweise  hellblau,  dunkel- 
blau, gelegentlich  rot,  gelb  und  grün;  besonders  die  letzten  drei  stimmen  herrlich  zu  dem 
goldenen  Untergrund.  Die  Emaillen  sind  teils  nur  gemalt,  teils  in  gehöhter  Arbeit  aus- 
geführt: so  die  figürlichen  Teile  des  Filigrans  wie  Eicheln,  Erdbeeren,  Herzen,  Trauben  u.a.m. 
Wie  weit  hier  die  letzte  Restauration  mit  sichtlich  unglücklicher  Hand  eingegriffen 
hat,  lässt  sich  nicht  mehr  entscheiden.  Von  besonders  hervorragender  Schönheit  ist  die 
Email-Inschrift  über  dem  Kruzifixus  INR!,  wie  denn  überhaupt  das  eigentliche  Kreuz  am 
reichsten  behandelt  ist. 

Mit  dem  Silberfiligrannetz  ist  der  dekorative  Schmuck  des  Werkes  bei  weitem  nicht 
erschöpft.  Es  dient  vielmehr  erst  einem  wahren  Edelsteinteppich  als  Auflager,  der,  im 
Vereine  mit  dem  buntfarbigen  Email  in  fast  sinnverwirrender  Weise  die  Flächen  überziehend, 
die  Grundformen  des  Ganzen  derartig  verhüllt,  dass  man  sich  fast  mühsam  erst  zu  seinen 
schönen  Linien  hindurchsehen  muss.  Teils  viereckig,  teils  in  mehr  oder  weniger  reich 
ausgestalteten  Rosetten  gefasst,  wechseln  in  bunter  Folge  Chrysoprase,  Amethyste,  Tür- 
kise, welch'  letztere  besonders  trefflich  zu  deiTi  farbigen  Gesamtbilde  passen,  imd  andere 
Halbedelsteine,  bald  geschliffen,  bald  wieder  in  Capuchonform  mit  einander  ab  und 
nehmen  damit,  nur  in  weit  reicherer,  aber  zugleich  auch  sehr  viel  unruhigerer  Weise 
das  Dekorationsmotiv  der  aufgelegten  Ornamentstücke  auf,  das  wir  sowohl  bei  dem 
kleinen  Kreuz  wie  den  beiden  Reliquiaren    angetroffen    haben.     Wie  an  ersterem    finden 


TAFEL  X 


^>Bf9^-' 


Lichtdruck  von  A.  Fabian  u.  Co.,  Breslau 


„Das  grosse  Kreuz"  von  Fabian  Nitsch  im  Domschatze 


121 


wir  übrigens  auch  hier  einige  vereinzeil  eingestreute  antike  Gemmen:  eine  Fortuna,  einen 
lmperatoreni<opf  und  einen   Hermes  (?). 

In  dem  übermässigen  und  vielleicht  aber  daiui  wohl  nur  auf  fremden  Antrieb 
hin  absichtlichen  Reichtum  des  Kreuzes  an  Dekoration  und  Schmuck  liegt  unleugbar 
schon  ein  gewisser  barocker  Zug,  wie  wir  ihn  übrigens  auch  bereits  an  den  Engelsköpfen 
der  Reliquiare  und  denen  des  kleinen  durchbrochenen  Frieses  hier  zu  gewahren  glauben. 
Man  könnte  sich  also  recht  wohl  geneigt  sehen,  in  Fabian  Witsch  ebenso,  wie  er  uns 
bei  seinen  früheren  Werken  in  manchen  Punkten  als  archaisierender,  letzter  Ausläufer 
vergangener  Kunstrichtungen  erscheinen  mochte,  hier,  wo  er  gleichsam  die  berauschende 
Pracht  der  späteren  Jesuitenkunst  zu  antizipieren  strebt,  einen  Vorläufer  und  Ankündiger 
kommender  Stilprägung  zu  erkennen. 

Die  figürlichen  Teile  des  Kreuzes  sind  recht  gut  gearbeitet;  nur  kommt  ihre  Feinheit 
gelegentlich,  wie  z.  B.  bei  den  kleinen  Heiligenfiguren,  vor  übermässiger  Vergoldung, 
gleichfalls  einem  Missgriff  der  letzten  Restaurierung,  nicht  ganz  zur  Geltung.  Auch  in 
diesem  Falle  können  wir  somit  wieder  einen  Fortschritt  in  der  künstlerischen  Gestaltungs- 
fähigkeit unseres  Meisters  feststellen,  der  sich  am  deutlichsten,  wirft  man  einen  ver- 
gleichenden Blick  auf  das  kleine  Kreuz  zurück,  in  der  Gestalt  des  Gekreuzigten  offenbart, 
der  in  seiner  edlen,  von  jedem  Manierismus  freien  Durchbildung  einen  erfreuenden  Beweis 
von  dem  gesunden  Formenverständnis  des  gereiften  Fabian  Witsch  ablegt.  Und  so  erscheint 
sein  grosses  Kreuz,  überschauen  wir  noch  einmal  die  Schöpfungen  seiner  Hand,  in  der  That 
als  das  Hauptwerk  seines  ganzen  Lebens:  alles,  was  bei  den  anderen  Arbeiten  noch  befangen 
und  nicht  in  künstlerischer  Freiheit  aufgelöst  war,  ist  hier  in  Fluss  und  Leben.  Eleganz 
und  Leichtigkeit  umgesetzt,  und  die  letzten  Spuren  handwerklichen  Empfindens  sind  vom 
gereiften  Meister  glücklich  überwunden.  Fabian  Witsch  hat  mit  seinem  grossen  Kreuze  ein 
weit  über  lokale  Bedeutung  hinausgehendes  Werk  geschaffen  und  nicht  nur  sich,  sondern 
der  schlesischen  Spät-Renaissance  überhaupt  ein  rühmliches  Denkmal  gesetzt:  die  schmerz- 
lich empfundene  Lücke  im  Oesamtkulturbilde  unserer  heimischen  Renaissance,  die  wir 
am  Eingange  dieser  Zeilen  erwähnten,  wird  dadurch  auf  ganz  ungeahnte  Weise  aus- 
gefüllt und  geschlossen,  und  Paul  Witsch  und  sein  Sohn  Fabian  erscheinen  als  die  her- 
vorragendsten Träger    und  Vertreter   der   schlesischen   Kunst  im  Zeitalter  der  Renaissance. 

Kurt  Moriz-Eichbom 


122 


Buntglasiertes  Thonrelief  vom  Jahre  1542 


ZUR  SCHLESISCHEN  KERAMIK  DER  RENAIS- 
SANCEZEIT 

Zu  den  seltensten  keramisclien  Erzeugnissen,  man  kann  sagen  aller  Zeiten,  gehören 
grosse  flache  Schüsseln  mit  schräg  aufsteigendem  und  wieder  in  stumpfen  Winkel  um- 
biegendem, von  einem  Wulste  umgebenen  Rande,  deutsche  Arbeiten  der  Renaissancezeit, 
bei  denen  eine  reiche  farbige  Flächendekoration  durch  eine  eigenartige  Technik  erreicht 
ist.  In  den  weichen  Thon  werden  die  Konturen  der  Zeichnung  mit  einem  spitzen  In- 
strument eingegraben,  wobei  sich  Ränder  aufwerfen,  die  verhindern,  dass  die  farbigen 
Zinnglasuren,  mit  denen  man  die  abgegrenzten  Flächen  ausfüllte,  im  Brande  ineinander- 
fliessen.  Das  ganze  Verfahren  kann  nicht  als  Malerei  bezeichnet  werden,  da  jede  einzelne 
Farbe  für  sich  steht  und  Zwischentöne  ausgeschlossen  sind  es  steht  etwa  auf  der- 
selben Stufe  der  Ausdrucksfähigkeit  wie  das  Glasmosaik  und  das  mittelalterliche  Email. 
Sind  nun  auch  diese  Schüsseln  von  der  malerischen  Durchbildung  der  italienischen 
Majolika  himmelweit  entfernt,  so  machen  sie  doch  einen  erfreulichen  Eindruck  durch  die 
leuchtende  ungebrochene  Kraft  der  Farbengebung.  Die  Farben  haben  eine  ganz  bestimmte 
Nuance.  Wir  finden  Ockergelb,  Weiss,  zweierlei  Blau  neben  dem  satten  Kobaltblau 
der  deutschen  Renaissancekeramik  ein  ganz  helles  Wasserblau  zweierlei  Grün  helles 
Blaugrün  und  Gelbgrün  (Apfelgrün)  Manganviolett  und  Braun  in  verschiedenen  Tönen 
vom  dunkeln  Schokoladenbraun  bis  zu  einem  hellen  Milchkaffeebraun.  Am  reichsten  ist 
die  Farbenskala  initer  den  mir  im  Originale  oder  in  farbigen  Abbildungen  bekannten  Stücken 
bei  Nr.  4,  am  knappsten  bei  Nr.  1  des  folgenden  Verzeichnisses.  Bei  keiner  anderen 
Gattung  von  deutschen  Renaissancetöpfereien  erscheinen  die  Glasurfarben  ähnlich  rein  imd 


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gleichmässig.  Während  nämlich  z.  B.  bei  den  KöMiischen  Ofenkachehi  und  den  sogenannten 
Hirschvogelkrügen  noch  die  durchsichtigen  Bleiglasuren  und  die  undurchsichtigen  Zinn- 
glasuren neben  einander  vorkommen,  werden  hier  ausschliesslich  die  letzteren  verwendet. 
So  fehlt  das  durchscheinende  charakteristische  Grün  der  deutschen  Hafnerei  des  16.  Jahr- 
hunderts entweder  vollständig  oder  kommt  nur  an  ganz  untergeordneten  Stellen  vor,  auf 
dem  Randwuist  oder  der  Unterseite  der  Schüsseln. 

In  der  Litteratur  sind  bis  jetzt  nur  drei  Schüsseln  dieser  Gattung  bekannt. 

Nr.  1.  im  Berliner  Kunstgewerbemuseum  (Abgeb.  bei  Falke,  Majolika  S.  1Q4  und 
auf  S.  124).  Wappenschüssel,  wie  solche  aus  der  italienischen  Majolika  und  der  Keramik 
von  Winterthur  bekannt  sind.  Im  Schilde  die  sechs  Lilien  des  Breslauer  Bistums,  der 
schlesische  Adler  und  das  Familienwappen  des  Balthasar  von  F^romnitz,  der  in  den  Jahren 
153Q  1562  den  Bischofsfuhl  von  Breslau  innehatte.  Den  Schild  bekrönt  die  breitbebänderte 
Mitra,  in  die  der  Krummstab  mit  dem  sogenannten  Sudarium  gesteckt  ist.     Durchm.  0,426  m. 

Nr.  2.  Im  Hamburgischen  Museum  für  Kunst  und  Gewerbe  (Abgeb.  bei  Brinckmann, 
Führer  S.  2Q5,  dessen  freundlicher  Vermittlung  unser  Museum  eine  Aquarellkopie  von  der 
Hand  des  Frl.  H.  Hahn  verdankt,  danach  auf  S.  124  abgeb.).  Die  Darstellung  ist  ein 
ergreifendes  Memento  Mori.  Ein  schlafendes  Kind,  den  linken  Arm  auf  einen  Totenkopf 
gestützt,  in  der  Rechten  eine  Blume,  vor  ihm  ein  Apfel,  von  dem  es  eben  hat  speisen 
wollen,    und    eine    Sanduhr,    die    bald    abgelaufen    sein    wird  so    richtet    es    an    den 

Beschauer  die  Mahnung:  „Heite  mir.  Morgen  dir."  Durchm.  0,52  m.  Dieses  Bild  ist 
sehr  häufig  auf  den  Stichen  deutscher  Kleinmeister  des  16.  Jahrhunderts,  in  Schlesien  findet 
es  sich  sehr  ähnlich  in  den  Oiebeldreiecken  von  Grabsteinen  gleich  mehrere  z.  B.  an  der 
Kirche  von  Bunzlau  und  im  Giebel  des  Schlossportales  von  Guhlau  bei  Nimptsch  aus 
dem  Jahre  1580  (Abgeb.  Schles.  Vorz.  Bd.,   II.  Taf.  29). 

Nr.  3  kennen  wir  nur  aus  der  Beschreibung  im  Kataloge  der  Sammlung  Minutoli 
Nr.  6057a.  Das  Original  ist  verschollen.  Bei  der  Versteigerung  der  Sammlung  Minutoli 
im  Jahre  1875  wurde  es  von  der  Antiquitätenhandlung  Gebrüder  Löwenstein  in  Frankfurt 
am  Main  gekauft.  Die  Nachforschungen  nach  seinem  Verbleib  haben  bis  jetzt  zu  keinem 
Resultate  geführt. 

„Grosse  Schüssel  von  starker  Tiefung  in  der  Mitte  %  erhaben,  der  Gekreuzigte  mit 
beiden  Schachern  in  Naturfarben  emailliert,  umgeben  von  einem  Kranze  mit  schwarzer 
Inschrift  auf  weissem  Grunde:  „O  Menchs  sich  an  was  du  tluist  gedenk."  Diesen  Kranz 
umgiebt  ein  anderer  mit  gelber  Inschrift  auf  blauem  Grunde:  „Das  du  sterben  must. 
Gotes  Wort  bleibet  ewick  1554."  Diesen  Kranz  umgiebt  wiederum  ein  breiterer  mit  sehr 
eigentümlichem  Pflanzenornament,  blau,  gelb,  grün,  rot  auf  weissem  Grunde.  Endlich  folgt 
der  breite  Rand  der  Schüssel  mit  vier  erhabenen  emaillierten  Brustbildern  zweier  römischer 
Kaiser  und  zweier  bärtiger  Männer.  Diese  Bilder  auf  grünem  Grunde  werden  durch  stark 
erhabene  verschiedenfarbige  Blätter  und  Blumenarabesken  auf  blauem  Grunde  verbunden. 
Dieselbe  reiche  Zierweise  setzt  sich  auch   über  der  Rückseite  dieser  Schüssel  fort,  in  reicher 


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Schüssel  im  Kuiistorewerbemiiscum  zu  Berlin 


Schüssel  im  Museum  für  Kiiii>t  uiul  (iewerbe  zu   llaiuburj,' 


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Schüssel  im  Besitze  des  Herrn  A.  von  Laniia  in  Prasj 


Schüssel  im  schlesischcii  .\\useuiii  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer 


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schönstilisierter  Zeichnung  und  Färbung  bis  an  iian  Spiegel,  welcher  grün  gelassen  ist. 
Die  Technik  ist  eigentümlich,  die  Konture,  wo  sie  verschiedene  Farben  trennen,  sind 
tief  eingerissen  und  die  Emailfarben  von  einer  Lebhaftigkeit  und  Fraclit  ohne  Gleichen. 
Durchm.  0,43  m." 

Nr.  4.  Von  Herrn  Direktor  Brinckmann  wurde  ich  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass 
sich  eine  Schüsse!  unserer  Gattung  in  der  Sammlung  des  Herrn  Adalbert  Ritter  von  Lanna 
befinde.  Die  Vermutung,  dass  sie  identisch  sei  mit  Nr.  3,  der  verschollenen  Schüssel  vom  Jahre 
1554,  hat  sich  als  irrig  erwiesen,  vielmehr  haben  wir  mit  ihr  ein  neues  Exemplar  gewonnen. 
Sie  stammt  aus  der  Sammlung  Adamberger,  die  im  Jahre  1871  in  Wien  versteigert  wurde 
(Nr.  287,  mit  Abbildung).  Herr  von  Lanna  hat  mit  höchst  dankenswerter  Liberalität  von 
Professor  Helmessen  eine  ausgezeichnete  Aquarellkopie  des  Originales  in  natürlicher  Grösse 
anfertigen  lassen  und  unserem  Museum  zum  Geschenk  gemacht.  Auch  hier  ist  die 
Kreuzigung  dargestellt.  Christus  am  Kreuze  zwischen  Maria  und  Johannes,  an  den  Kreuzes- 
armen und  unten  am  Stamme  Engel,  die  sein  Blut  in  Kelchen  auffangen,  im  Hintergrunde 
zieht  sich  über  die  ganze  Breite  das  Bild  einer  mittelalterlichen  Stadt  mit  Mauern 
und  Thoren,  mit  hochragenden  und  massigen  Kirchtürmen.  Durchm.  0,515  m.  (Abgeb. 
auf  S.  125.) 

Nr.  5.  Wie  ich  überzeugt  bin,  dass  die  Reihe  dieser  Schüsseln  durch  Nachforschungen 
in  öffentlichen  und  privaten  Sammlungen  sich  noch  vermehren  wird'),  so  war  ich  auch  über- 
zeugt, dass  unser  Museum  einmal  in  den  Besitz  eines  Exemplares  kommen  werde.  Und 
das  geschah  unerwartet  bald,  schon  im  Anfange  dieses  Jahres.  Die  Schüssel,  die,  wie 
ein  vorgebohrtes  Loch  am  oberen  Rande  beweist,  zum  Aufhängen  an  eine  Wand  bestimmt 
war,  zeigt  wiederum  Christus  am  Kreuze  wie  bei  der  verschollenen  Minutolischüssel  und 
bei  der  im  Besitze  von  Lanna  und  wie  bei  der  letzteren  Maria  und  Johannes  zu  Seiten 
des  Kreuzes.  Im  Hintergrunde  Türme  als  Andeutung  einer  Stadt.  Den  inneren  auf- 
steigenden Rand  füllt  wie  bei  Nr.  4  eine  Felderteilung  in  blau  und  weiss,  um  den 
äusseren  Rand  zieht  sich  in  Monumentalbuchstaben  die  Inschrift:  „Das  Bludt  Jhesu  Chriti 
reiniget  uns  von  allen  unssern  Sinden  Anno  Domi  1612."  Durchm.  0,44  m.  (Abgeb. 
auf  S.   125.) 

Von  den  früher  besprochenen  Exemplaren  ist  Nr.  3  direkt  mit  1554,  Nr.  1  durch  die 
Regierungszeit  des  Bischofs  Balthasar  von  Promnitz  vor  1562,  seinem  Todesjahr,  datiert.  Nr.  2 
und  4  wird  man  aus  stilistischen  Gründen  kaum  später  ansetzen  können.  Die  von  unserem 
Museum  erworbene  Schüssel  trennt    also  von    den    anderen    eine    Kluft    von    mindestens 


1)  Der  Katalog  der  Sarumliinfj  Mimitoli  sagt  7ii  Nr.  578  (der  Harnbururer  Schüssel):  „Es  existieren 
nur  vier  bekannte  Stücke  dieser  nierk\vrndij>en  Technik."  Bei  Nr.  öüSTa  heisst  es:  „Das  4.  bekannte 
Stück  dieser  Technik."  Das  ist  wohl  ein  Druckfehler,  statt:  das  3.  bekannte  etc.  Denn  bei  6057  b  einer 
Kachel  „(gleicher  Technik"  steht  wieder  der  Vermerk:  „Das  4.  bekannte  Stück  dieser  Technik."  Minutoli 
fasste  also  seine  drei  Schüssehi  (Nr.  1  3  unseres  Verzeichnisses)  und  die  Kachel,  von  der  später  die  Rede 
sein  wird,  als  eine  Gruppe  7iis.inirneii.  Dass  er  vier  Schüsseln  gekannt  habe,  ersieht  sich  aus  seinen 
verwirrten  An<i;abcn  nicht. 


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50  Jahren.  Aber  nicht  nur  eine  zeith'che,  sondern  auch  eine  künstlerische  Kluft.  Man 
vergleiche  nur  einmal  unsere  Schüssel  mit  der  im  Besitze  von  Lanna.  Auf  dieser  An- 
passung der  Komposition  an  das  Rund,  wirklich  bildmässige  Wirkung,  Trennung  von 
Vorder-  und  Hintergrund,  verhältnismässig  gut  gezeichnete  und  dramatisch  bewegte  Figuren, 
bei  unserer  Schüssel  ist  alles  vergröbert  bis  auf  Details  wie  Falten,  Muskulatur  und  Augen 
und  reduziert  wie  der  landschaftliche  Hintergrund  aber  unverändert  ist  nach  einem 
halben  Jahrhundert  die  alte  Form  und  eigenartige  Technik  geblieben,  ungebrochen  die 
leuchtende  Farbenpracht  und  unvermindert  die  Farbenskala.  Und  so  dürfen  wir  uns 
immerhin  freuen,  dass  unser  Museum  von  einer  keramischen  Gattung,  die  man  zu  aller- 
erst in  ihm,  nicht  an  anderen  Orten  zu  finden  erwartet,  einen  Vertreter  erworben  hat, 
denn  es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  der  Fabrikationsort  dieser  Schüsseln  in 
Schlesien  zu  suchen  ist.  Zum  erstenmale  hat  das  Brinckmann  (a.  a.  O.  S.  2Q5)  aus- 
gesprochen, mit  Berufung  auf  die  Berliner  Schüssel  mit  dem  Wappen  des  Breslauer 
Bischofs  B.  V.  Promnitz  und  darauf,  dass  die  drei  zuerst  beschriebenen  aus  der  Sammlung 
Minutoli  in  Liegnitz  stammen,  also  wohl  in  Schlesien  erworben  wurden.  Für  die  ver- 
schollene aus  dem  Jahre  1554  (Nr.  3)  liegt  mir  dafür  das  direkte  Zeugnis  des  Herrn  Hof- 
antiquars Max  Altmann  vor,  dass  er  das  Stück  in  der  Nähe  von  Breslau  in  Zimpel  bei  einer 
Bäuerin  aufgetrieben  und  Herrn  von  Minutoli  um  100  Thaler  verkauft  habe.  Und  unser 
Exemplar  wurde  von  dem  Antiquitätenhändler  einer  kleinen  schlesischen  Stadt  erworben, 
der  sie,  wie  mir  nachträglich  von  verschiedenen  Seiten  bestätigt  wurde,  einer  alten  Frau 
in  der  Rochus-Vorstadt  von  Neisse  abgekauft  hatte.  Eine  weitere  Stütze  erhält  der  schlesische 
Ursprung  durch  einen  Scherbenfund,  der  im  Jahre  18Q6  im  Baugrunde  des  hiesigen  Pack- 
hofes gemacht  und  von  dem  kgl.  Packhofsvorsteher  Herrn  Hauptmann  Berndes  dem 
Museum  schlesischer  Altertümer  übergeben  wurde.  Unsere  Gattung  ist  darin  mit  einem 
Randfragmente  vertreten.  Mit  Hinweis  darauf  glaubte  schon  Seger  in  Schles.  Vorz.  Bd.,  VII 
S.  110  die  Fabrikation  dieser  Schüsseln  auf  Breslau  fixieren  zu  müssen.  Den  letzten 
Beweis  für  diese  an  und  für  sich  höchst  wahrscheinliche  Annahme  werden  wir  noch 
später  finden,  bei  Beschränkung  auf  die  Schüsseln  würde  ihn  die  Stadtansicht  auf  dem 
Exemplare  des  Herrn  von  Lanna  liefern,  wenn  man  darin  mit  unumstösslicher  Sicherheit 
Breslau  erkennen  dürfte.  Man  glaubt  auf  den  ersten  Blick  die  wichtigsten  Werte  einer 
Ansicht  Breslaus  vom  Süden  mit  dem  hochragenden  Turme  der  Elisabetkirche,  einem 
Turme  der  Domkirche  und  dem  Dachreiter  der  Kreuzkirche  wiederzufinden  und  Professor 
Semrau  hat  mich  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  Zinnenbekrönung  unterhalb  der 
Kirche  mit  dem  Dachreiter  der  an  dem  bekannten  Hause  an  der  Ecke  des  Ringes  und 
derOhlauerstrasse  gleiche,  einem  mächtigen  für  das  alte  Breslau  höchst  charakteristischen 
Renaissancehause  aber  immerhin  scheint  es  besser,  auf  diese  Übereinstimmungen  nicht 
allzu  viel  Gewicht  zu  legen. 

Die  gesicherte  Heimat  der  Schüsseln  gewährt  die  feste  Basis,  auch  Fayencen  an- 
derer Form  und  mit  Reliefdekoration  Schlesien  zuzuweisen.  Sie  mit  Sicherheit  aus  der 
grossen  Menge  von  buntglasierten  Renaissancetöpfereien,  die  in  der  Litteratur  als  Arbeiten 


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Steititatel  vom  Sfiiioratshaiise  zu  St.  BLTiihardiii 

im  Stile  des  Hirsclivogel  gehen,  lierauszulösen,  ist  nur  dnreh  Autopsie  möglich,  nicht 
durch  Abbildungen.  Denn  bei  diesen  Reliefarbeiten  fehlt  die  charakteristische  Schiissel- 
form,  die  Flächendekoration  und  vor  allem  meistens  das  untrügliche  Merkmal  der  Gra- 
vierungen, die  die  einzelnen  Olasurfarben  von  einander  trennen.  Man  hat  ihrer  bei  den 
Reliefdarstellungen  nicht  bedurft,  weil  es  da  weniger  auf  Schärfe  der  Konturen  ankam, 
und  sie  nur  bei  glatten  Flächen  von  Krügen  und  da  an  untergeordneter  Stelle  verwendet. 
Das  wichtigste  Merkmal,  das  ermöglicht,  gewisse  Reliefarbeiten  und  die  Schüsseln  in  Ver- 
bindung zu  bringen,  ist  die  Übereinstimmung  in  der  Farbengebung.  Je  grösser  sie  ist, 
je  mehr  sie  sich  auf  die  den  Schüsseln  besonders  eigentümlichen  Nuancen  erstreckt, 
desto  sicherer  ist,  wenn  auch  noch  andere  Hilfsmittel  dazu  kommen,  die  Zuteilung,  die 
bis  jetzt  folgende  Nummern  umfasst: 

Nr.  1.  Inschrifttafel,  gegenwärtig  im  Lichthofe  unseres  Museums  eingemauert.  Aus 
neun  Fliesen  zusammengesetzt,  im  ganzen  0,60  m  lang  und  0,35  m  hoch,  enthält  sie  in 
prächtiger,  satter  Farbenzusammenstellung  auf  hellgrünem  Grunde  dunkelblaue  Relief- 
buchstaben als  direkte  Abformung  einer  gleichfalls  im  Museum  befindlichen  steinernen 
Tafel  vom  ehemaligen  Senioratshause  zu  St.  Bernhardin  in  Breslau,  die  aus  dem  Gewirre 
der  auf  den  ersten  Blick  einander  vollständig  gleichen  gotischen  Minuskeln  C.  Buchwald 
(Schles.  Vorz.  Bd.,  VII,  S.  2Q1)  entziffert  hat.  Danach  ist  der  Thürsturz,  an  dem  die  Stein- 
inschrift angebracht  war,  im  Jahre  1517  zur  Zeit  als  Lucas  von  Grünberg  vom  Minoriten- 
orden  Prior  und  Provinzialmeister  war,  eingesetzt  worden.')  Zu  welchem  Zwecke  die 
Abformung  in  Thon  erfolgte,  darüber  kann  man  nur  Vermutungen  haben.  Ein  baulicher 
ist  ausgeschlossen,  da  die  Thonplatten  nach  Dr.  Buchwalds  strikter  Aussage  auf  der 
Rückseite,  die  man  jetzt  nicht  mehr  untersuchen  kann,  keine  Spuren  einer  ehemaligen  Ein- 
mauerurig  zeigten,  was  um  so  glaubwürdiger  ist,  als  die  Thonplatten  aus  der  Bibliothek 
von  St.  Bernhardin,  wo  neben  den  Büchern  auch  allerlei  Kuriosa  aufbewahrt  wurden,  und 
vor  dem  Abbruche  des  Senioratshauses  ins  Museum  schlesischer  Altertümer  kamen.  Ich 
halte  es  nicht  für  unwahrscheinlich,  dass  ein  Hafnermeister  mit  dieser  Thonkopie  ein 
Meisterstück  ablegen  wollte.  Und  nicht  weniger  Spielraum  hat  man  für  ihre  nähere  Zeit- 
bestimmung im  16.  Jahrhundert.  Allzu  lange  nach  1517  die  Anfertigung  der  Thonkopie 
anzusetzen,  empfiehlt  sich  nicht,  da  man  in  einer  so  rasch  sich  entwickelnden  Eiioche  wie 


')  Eine  getuschte  Ansicht  des  Thores  mit  der  darüber  l)etindMchen  Insclirifttafel  findet  sich  in  einem 
handschriftlichen  Sammclbande  der  Stadtbibliothek  (Bilil.  Bernhard.  B.  1640):  Extractns  Inscriptionum  Sepul- 
cralinm  utriusque  Silesiae  ex  Cod.  niisto  .  .  .  Dni.    Jo.  Qodofredi  Baronii  excerps.  Wolff.  Friluiauu  a  Seydlit/  1745. 


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es  das  16.  Jahrhundert  war,  später  kaum  mehr  Interesse  an  einer  Steintafel  mit  einer  Schrift 
hatte,  die  für  die  nächste  Generation  schon  unleserlich  sein  musste.  Und  damit 
hätten  wir  an  dieser  Steintafel  das  älteste  Denkmal  der  Fabrikation,  welcher  auch  die 
früher  besprochenen  Schüsseln  angehören,  wie  diese  durch  sie  auf  Breslau  fixiert  werden. 
Denn  es  wäre  eine  bei  den  Haaren  herbeigezogene  Annahme,  dass  die  Glasierung  der 
Tafel  nicht  in  Breslau  erfolgt  sei.  Mit  den  Schüsseln  aber  verbindet  die  Inschrifttafel  die 
Farbengebung,  nicht  so  sehr  das  dunkle  Blau  als  das  helle  Grün  des  Fondes,  und  die 
ausschliessliche  Verwendung  der  Zinnglasur. 

Nr.  2.  Halbkreisförmiges  Relief  unbekannter  Bestimmung  (Bekrönung  eines  Kachel- 
ofens?) mit  Auferstehung  Christi,  datiert  1542.  (Abgeb.  auf  S.  122.)  Seine  schlesische 
Herkunft  ist  zwar  nicht  direkt  bezeugt,  aber  unzweifelhaft,  da  es  zum  ältesten  Bestände  des 
Museums  schlesischer  Altertümer  gehört,  der  sich  nur  aus  Fundstücken  von  Breslau  und  der 
Provinz  zusammensetzte.  Das  Stück  weist  fast  die  vollständige  Farbenskala  der  Schüsseln 
auf:  Kobaltblau,  wasserblau,  gelb,  blaugrün,  weiss  und  manganviolett.  Bei  den  Körpern 
der  Figuren  ist  durch  Mischung  von  Weiss  und  Manganviolett  ein  fleischfarbiger  Ton 
erreicht.     Die  Glasuren  sind  durchwegs  opak,  L.  0,67,  H.  0,31  m. 

Nr.  3.  Torso  der  Statuette  einer  Nonne  mit  Rosenkranz  und  Gebetbuch,  aus  Gross- 
Glogau.  Zinnhaltige  Glasuren;  die  Farbennüancen  sind  wasserblau,  kobaltblau  blaugrün, 
gelb  und  weiss.  Das  Figürchen  ist,  wie  die  antiken  Terrakotten  in  zwei  Hälften  geformt. 
H.  0,09  m. 

Nr.  4.  Viereckige  Wasserblase  mit  Darstellung  Christi  auf  dem  Ölberge  im  Berliner 
Kunstgewerbemuseum.  An  den  Nebenseiten  Blumenvase  in  Bogenstellung.  H.  0,24,  Br. 
mit  Henkeln  0,33,  ohne  Henkel  0,24,  T.  0,115  m. 

Dieses  Stück  ist  von  Falke,  Majolika  S.  194  derselben  Werkstatt  wie  die  Schüssel 
mit  dem  Wappen  des  Balthasar  von  Promiiitz  zugewiesen  worden.  Die  Annahme 
schlesischen  Ursprunges  bestätigt  sich  schon  durch  die  Herkunft  des  Gefässes  aus 
dem  Legate  des  Kammermusikus  Hanemann  aus  Löwenberg,  mehr  aber  noch  durch 
die  Übereinstimmung  der  Darstellung  mit  der  auf  einer  Ofenkachelform  unseres  Museums, 
die,  als  Teil  einer  Suite,  zu  der  noch  die  Auferstehung  Christi  und  der  feurige  Dornbusch 
gehören,  in  den  70er  Jahren  im  Keller  des  ehemaligen  Theaters  „Kalte  Asche"  in  Breslau 
gefunden  worden  ist.  Diese  Übereinstimmung  ist  so  gross,  dass  man  auf  den  ersten 
Blick  glaubt,  das  Relief  mit  Christus  auf  dem  Ölberge  auf  der  Berliner  Wasserblase  sei 
aus  der  Breslauer  Ofenkachelform  gepresst,  bis  man  kleinere  Verschiedenheiten  bemerkt. 
So  ist  an  dem  Gefässe  eine  viereckige  Inschrifttafel  „DER  HER  AM  OLBERG  MAT.  XXV" 
angebracht,  während  sich  auf  der  Kachelform  ein  Schriftband  „AM  Olberg  MA"  über  dem 
Kopfe  eines  der  schlafenden  Jünger  hinzieht.  Jedenfalls  aber  rühren  beide  Stücke  von 
einem  und  demselben  Meister  her,  der  sein  Monogramm  PN  in  Ligatur  auf  der  Ofen- 
kachelform  mit  der  Auferstehung  Christi  angebracht  hat. 

No.  5.  Krug  mit  Reliefdarstellungen  im  Berliner  Kunstgewerbemuseum.  Vorn 
Christus  am  Kreuze  zwischen  den  Schachern,  links  Heilung  des  Lahmen,  rechts  Agnus  Dei. 


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Am  Halse  und  auf  einem  Bauclistreifen  Gravierungen.  In  späterer  Zeit  sind  Fuss  und 
Mündung  in  Zinn  gefasst  und  der  ursprünglich  thönerne  Deckel  durch  einen  zinnernen 
ersetzt  worden.    H.  ohne  Fassung  und  Deckel       auf  diesem  O.  H.  1669       ungefähr  0,30  m. 

Die  Ofenkachel  der  Sammlung  Minutoli  6057  b,  darstellend  das  Innere  eines  grossen 
Haussaales  in  perspektivischer  Vertiefung  gehört  nicht,  wie  der  Hinweis  „Kachel  gleicher 
Technik",  auf  die  im  Kataloge  unmittelbar  vorhergehende  Schüssel  vom  Jahre  1554  ver- 
muten lässt,  zu  den  schlesischen  Fayencen.  Ich  habe  diese  Kachel  im  Besitze  des  Herrn 
Grafen  Pfeil  wiedergefunden.  Sie  ist  die  Wiederholung  eines  aus  der  Nürnberger 
Hafnerei  bekannten  Typus. 

Es  ist  kein  Zufall,  dass  von  den  Reliefarbeiten  eine  -  Nr.  2  mit  der  Auferstehung  Christi 
—  ein  früheres  Datum  trägt  als  die  älteste  datierte  Schüssel  und  dass  wir  eine  andere,  die 
Inschriftfliesen,  überhaupt  an  die  Spitze  der  ganzen  Reihe  buntglasierter  schlesischer 
Fayencen  stellen  konnten.  Das  giebt  uns  einen  Fingerzeig  für  die  Entwicklungsgeschichte 
dieses  Industriezweiges  in  Schlesien.  Im  16.  Jahrhundert  gehen  in  Deutschland  zwei 
Strömungen  in  der  Keramik  nebeneinander.  (Siehe  Falke,  Majolika  S.  180.)  Die  eine 
schliesst  sich  in  Technik,  Gefässformen  und  Stil  an  die  italienische  Majolika  an.  Sie 
bemalt  die  Gefässe  und  zwar  wie  die  italienische  Majolika  meistens  auf  weissem  Grund. 
Die  andere  Strömung  fusst  auf  den  alten  volkstümlichen  Traditionen  des  Hafnerhand- 
werkes und  führt  sie  weiter.  Das  Handwerk  des  Ofentöpfers  hatte  schon  im  15.  Jahr- 
hundert mit  der  alten  primitiven  Technik  der  Bleiglasur  einen  erfreulichen  Aufschwung 
genommen.  Es  kam  dann  im  16.  Jahrhundert,  als  es  die  undurchsichtige  und  dabei 
glänzende  Zinnglasur  einführte  und  immer  mehr  zur  Buntfarbigkeit  überging,  zur  höchsten 
Blüte,  von  der  überall  in  Deutschland,  im  Süden,  in  den  österr.  Alpenländern,  in  Sachsen, 
bis  hinauf  zum  Artushof  in  Danzig,  stattliche  Öfen  mit  reichem  Reliefschmuck  der  Kacheln 
und  bunten  satten  Glasurfarben  Zeugnis  ablegen.  Bald  wurde  die  deutsche  Hafnertechnik 
auch  auf  die  Gefässtöpferei  übertragen  und  zu  einer,  wie  es  scheint,  gleichfalls  an  vielen 
Orten  Deutschlands  schwungvoll  betriebenen  Industrie  ausgebildet.  Und  wie  wohl  überall, 
nahm  das  Hafnerhandwerk  auch  in  Breslau  eine  eigenartige  Nuance,  besonders  in  der 
Farbengebung  an.  Einen  vollständigen  Ofen  aus  dem  früheren  16.  Jahrh.  besitzen  wir  meines 
Wissens  in  Schlesien  nicht  mehr,  nur  das  Relief  von  1542,  die  Inschriftplatte  und  die  Wasser- 
blase Nr.  4  stehen  der  Ofentöpferei  näher.  Wenig  vertreten  sind,  wie  wir  gesehen  haben,  auch 
noch  die  Gefässtöpfereien.  Um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  aber  kam  ein  ingeniöses  Mit- 
glied der  Breslauer  Töpfergilde  auf  die  Idee,  dieselbe  Hafnertechnik,  die  bisher  überall  nur  für 
Reliefarbeiten  verwendet  worden  war,  den  Auftrag  von  verschiedenfarbigen  Glasuren 
auf  den  direkten  Thongrund,  auch  für  die  farbige  Dekoration  in  der  glatten  Fläche  ein- 
zuführen, indem  er  durch  Vorgravierung  der  Zeichnung  in  den  weichen  Thon  das  Zusammen- 
laufen der  verschiedenen  Glasuren,  mit  denen  die  Fläche  vor  dem  Brande  bedeckt  wurde, 
verhinderte.  Die  Verwendung  der  Gravierung  ist  nicht  seine  Erfindung.  Wir  werden 
nicht  alle  die  keramischen  Gattungen  aufzählen,  die  sich  ihrer  von  der  prähistorischen 
Zeit  an  bedienen.     Uns  interessieren  hier  nur  diejenigen,  die  zu  den  schlesischen  Schüsseln 


131 

in  Beziehung  stehen.  Auf  S.  132  ist  eine  1550  datierte  Schüssel  aus  dem  Besitze  Seiner 
Exzellenz  des  H.  Grafen  Hans  Wilczek  abgebildet,  auf  die  mich  Direktor  Braun  in  Troppau 
aufmerksam  machte.  Seine  Exzellenz  hatte  die  grosse  Liebenswürdigkeit,  sie  mir  zum 
Studium  und  zu  photographischer  Aufnahme  nach  Breslau  zu  senden.  Die  Schüssel,  die 
einen  Durchmesser  von  0,40  m  hat,  ist  in  der  Technik  der  Mezzamajolika  dekoriert.  Die 
Innenseite  bedeckt  eine  kalkweisse,  dünne  Engobe,  aus  der  die  Konturen  der  Zeichnung 
ausgekratzt  sind,  worauf  dann  der  Töpfer  die  Zwischenräume,  soweit  sie  nicht  weiss 
blieben,  mit  ockergelber,  grüner  und  indigoblauer  Farbe,  die  letztere  von  trübem 
schmutzigem  Tone,  ausfüllte  und  das  Ganze  durch  eine  Bleiglasur  zog.  So  sehr  die 
Schüsse!  in  der  Technik,  der  Farbengebung,  der  Ornamentation  des  Randes  und  durch 
die  Verwendung  von  Porträtköpfen  an  italienische  Majoliken  erinnert,  ist  sie  unzweifelhaft 
deutsches  und  zwar  süddeutsches  Fabrikat.  Und  so  halte  ich  es  nicht  für  ausgeschlossen, 
dass  derartige  Schüsseln,  bei  denen  die  Gravierung  eine  so  grosse  Rolle  spielt,  unseren 
schlesischen  Meister  beeinfiusst  haben.  Anderseits  wieder  konnte  er  die  Gravierung  als 
Trennung  verschiedenfarbiger  Glasuren  an  süddeutschen  Hafnergefässen  kennen  lernen, 
wo  wir  sie  an  glatten  Stellen  öfters  angebracht  sehen.  Er  fasste  daher  vielleicht  nur 
getrennte  Elemente,  die  in  der  deutschen  Keramik  seiner  Zeit  gang  und  gäbe  waren,  zu 
etwas  Neuem  zusammen.  Denn  sicher  ist,  soweit  nicht  neue  Funde  das  Gegenteil 
beweisen,  seine  selbständige  Erfindung  die  Ausdehnung  der  Hafnertechnik  mit  undurch- 
sichtigen Glasuren  ohne  Engobe  und  mit  Hilfe  der  Gravierung  auf  die  Flächendekoration, 
auf  grosse  figürliche  Darstellungen  im  Schüsselrund.  Es  ist  dies  die  letzte  Entwicklungs- 
stufe der  auf  der  heimischen  Tradition  beruhenden  Keramik  des  16.  Jahrhunderts  und 
man  geht  wohl  nicht  irre,  wenn  man  sie  für  den  Ausdruck  einer  Gegenströmung  gegen 
die  welsche  Art,  gegen  die  Majolika  hält.  Dass  ein  solcher  Versuch  der  Konkurrenz 
gegen  das  Neue  und  Fremdländische  im  äussersten  deutschen  Osten  gemacht  wurde, 
ist  nicht  verwunderlich.  Gerade  in  Gegenden,  die  dem  Weltverkehre  mehr  entrückt  sind, 
ist  das  Handwerk  zäher,  hartnäckiger,  weniger  leicht  für  das  Neue  zu  entzünden,  dabei 
aber,  wenn  es  nur  einen  gesunden  Lebensdrang  hat,  erfinderischer  in  der  Ausnützung 
des  Alten.  Gewiss  haben  die  Meister,  denen  wir  die  schlesischen  Schüsseln  verdanken, 
mit  Stolz  auf  sie  gezeigt  und  gesagt:  „Seht,  auch  wir  können  in  unserer  alten  Art 
Schüsseln  mit  Schildereien  und  heiligen  Legenden  zierlich  bemalen,  wie  die  Welschen." 
Aber  ihre  Kunst  und  ihr  technisches  Geschick  war  doch  nur  ein  Stammeln  im  Vergleich 
zu  der  ausdrucksvollen,  reichen,  gebildeten  Sprache  der  welschen  Art  und  so  gehörte  die 
Zukunft  den  durch  die  italienische  Majolika  in  Deutschland  eingeführten  Neuerungen. 
Die  Töpferwerkstätte  jedoch,  aus  der  die  Schüsseln  hervorgingen  und  die,  wie  wir  früher 
sahen,  ihre  Blüte  in  der  Mitte  des  16.  Jaiirlumderts  iiatte,  bewahrte  eine  zähe  Lebens- 
dauer. Denn  nach  einem  halben  Jahrhundert  taucht  aus  all  dem,  was  verloren  gegangen 
ist,  die  von  unserem  Museum  erworbene,  1612  datierte  Schüssel  auf,  die  nur  ein  Sinken 
der  künstlerischen,  nicht  der  technischen  Fertigkeit  verrät,  ein  Beweis,  dass  die 
Fabrikation  dieser  Schüsseln  bis  dahin  wohl  noch  in  Breslau  ihren  Sitz  hatte  und  ununter- 


132 

brechen  weiter  schuf.  Dann  aber  flüchtet  sie  sich  aus  der  Stadt  in  der  sie  immer  alt- 
modischer wurde,  auf  das  Land,  um  als  Bauemtöpferei  mindestens  noch  ein  Jahrhundert 
weiter  zu  leben.  In  einer  kleinen  sächsischen  Privatsammlung  habe  ich  einen  von  dem 
Besitzer  in  Liegnitz  erworbenen  grösseren  Teller  gesehen,  auf  dem  ein  .Wann  im  Kostüme 
der  1.  Hälfte  des  IS.  Jahrhunderts  dargestellt  ist,  der  zwei  Kälber  führt  Wie  bei  den 
Hafnerschüsseln  des  16.  Jahrhundens  ist  die  unbehilfliche  Zeichnung  vorgraviert,  sind  die 
einzelnen  Glasuren  direkt  auf  den  Thongrund  aufgetragen  und  ist  von  der  alten  Farben- 
skala noch  das  helle  charakteristische  Grün,  Weiss  und  Gelb  übrig  geblieben,  während 
Kobaltblau  einen  schwarzen  und  Braun  einen  mehr  roten  Ton  angenommen  hat  In  der 
Keramik  des  IS.  Jahrhunderts  mit  ihrer  Vorliebe  für  den  weissen  Grund,  einer  ganz 
anderen  Farbengebung  und  ihrer  neuen  Technik,  der  .Muffelmalerei,  mutet  dieses  Stück 
förmlich  vorsintflutlich  an.  als  ein  lehrreiches  Beispiel  für  die  innere  Lebenskraft  hand- 
werklicher Traditionen  und  als  der  letzte  Zeuge  der  interessantesten  keramischen  Gattung 
Schlesiens,  die  wir  jetzt,  wenn  auch  voriäufig  erst  in  grossen  Zügen  von  der  ersten 
Hälfte  des  16.  Jahrhundenes  an  bis  zu  ihrem  Eriöschen  im  IS.  Jahrhundert  verfolgen  können. 

Karl  Masner 


133 


Steinrelief  mit  musizierenden  Gestalten,  16.  Jahrhundert 


ZU  DEN   STEINALTERTÜMERN  AM  ZOBTEN 

Die  Zobtener  Steinaltertümer  sind  wiederholt  Gegenstand  gelehrter  Untersuchungen 
gewesen.  Der  Gang  dieser  Untersuchungen  ist  aber  durch  den  doppelten  Umstand  beein- 
flusst  worden,  dass  man  einerseits  den  Bericht  Thietmars  über  die  Verehrung,  welche  in 
heidnischer  Zeit  dem  Berge  Slenz,  oder  wie  er  jetzt  nach  dem  gleichnamigen  Städtchen 
genannt  wird,  dem  Zobten,  zu  teil  wurde,  heranziehen  zu  müssen  glaubte,  andererseits 
auch  dem  Sagengewebe  eine  Bedeutung  beimass,  das  sich  um  die  Person  Peter  Wlasts 
im  Verlaufe  des  Mittelalters  gebildet  hatte. 

Beschäftigen  wir  uns  zuerst  mit  Peter  Wlast. 

Benedikt  von  Posen,  Propst  zum  hl.  Geiste  in  Breslau,  verfasste  um  1520  eine  noch 
ungedruckte  Cronica  Petri  comitis  ex  Dacia,  von  der  die  Breslauer  Universitäls-Bibliothek 
eine  Abschrift  aufbewahrt.  In  dieser  Chronik  wird  nun  in  einem  durchaus  sagenhaften 
Tone  von  der  Gründung  des  Augustinerklosters  auf  dem  Zobten  berichtet.  Graf  Peter 
habe  nämlich  auf  einem  hohen  Berge  Schlesiens,  der  der  Berg  Slenz  genannt  wurde  und 
an  dessen  Fusse  die  Stadt  Sobotka,  welche  seine  Zeitgenossen  Tczobten  nannten,  liege, 
eine  Burg  gehabt.  Hier  habe  er  mit  seinem  Vater,  den  er  aus  Dänemark  mitgebracht, 
wegen  der  gewaltigen  Höhe  und  der  Annehmlichkeit  des  Platzes  gerne  geweilt.  Hierher 
habe  er  auch  die  frommen  Regularkanoniker  des  hl.  Augustinus  aus  dem  Brabanter 
Kloster  Arrovaise  berufen  und  ihnen  vor  seiner  Burg  einen  Platz  zum  Kloster  angewiesen 
und  für  sie  die  Marienkirche  gebaut  und  ihnen  Dörfer  und  Einkünfte  rings  um  den  Berg 
geschenkt. 


134 

Zunächst  imiss  gegenüber  dieser  sagenhaften  Darstellung  betont  werden,  dass 
Peter  Wlast  auf  oder  an  dem  Zobtenberge  niemals  ein  Schloss  oder  eine  Burg  besessen 
hat.  Allerdings  bringt  auch  Johannes  Hess  in  seiner  Silesia  magna  dieselbe  Nachricht 
und  fügt  noch  hinzu,  dass  noch  Reste  dieser  Burg  sichtbar  seien.  Die  schlesischen 
Regesten  haben  darin  allerdings  recht,  dass  die  Existenz  eines  Klosters  auf  dem  Gipfel 
des  Zobten  durch  nichts  erwiesen  sei;  wenn  dabei  aber  gesagt  wird,  es  brauche  anderer- 
seits nicht  geleugnet  werden,  dass  Peter  selbst  auf  dem  Gipfel  des  Berges  ein  Schloss 
gehabt  habe,  so  ist  das  zweifellos  unrichtig.  Vor  allem  ist  hier  hervorzuheben,  dass 
die  Chronica  abbatum  B.  Mariae  V.  in  Arena  davon  nichts  weiss.  Noch  weniger  ist  zu 
erweisen,  dass  der  Zobtenberg  samt  den  dazu  gehörigen  Waldungen  und  Ansiedlungen 
jemals  Eigentum  des  Grafen  Peter  gewesen  sei.  Das  ganze  Gebiet  war  vielmehr  herzog- 
liches Eigentum. 

Die  Gründung  des  Klosters  der  Augustinerchorherren  am  Zobtenberge  in  Gorka 
d.  i.  an  oder  auf  dem  kleinen  Berge  SIenz  (in  monte  Silentii)  hat  übrigens  weder  im 
Jahre  1108  oder  1110  stattgefunden,  noch  ist  sie  das  Werk  des  Grafen  Peter.  Diese 
Angaben  sind  nämlich  erst  in  dem  Streite  mit  dem  Vincenzstifte  um  den  Vortritt,  der  im 
Jahre  1348  ausbrach,  also  in  einer  Zeit  entstanden,  in  der  die  ursprüngliche  Geschichte 
des  Klosters  wegen  mangelnden  Verständnisses  der  wenigen  echten  Überlieferungen  und 
infolge  zahlreicher  Urkundenfälschungen  stark  verdunkelt  war  und  eine  sagenhafte  Färbung 
erhalten  hatte.  Man  kann  dies  deutlich  aus  der  Chronica  abbatum  erkennen,  in  der  die 
verworrenen  Nachrichten  aus  den  Acta  et  producta  in  causa  Vortret  und  aus  Chroniken 
zusammengestellt  sind  und  der  vergebliche  Versuch  gemacht  ist,  die  sagenhaften  Zuthaten 
einer  späteren  Zeit  mit  den  ältesten  Urkunden  in  Einklang  zu  bringen. 

Schon  weim  man  erwägt,  dass  Graf  Peter  schwerlich  über  einen  Landkomplex  von 
etwa  75  qkm  Grösse  zu  gunsten  einer  Ordensniederlassung  wird  frei  haben  verfügen 
können,  leuchtet  die  Unmöglichkeit  ein,  mit  der  Sage  des  späteren  Mittelalters  die  Gründung 
und  Ausstattung  des  Klosters  der  Augustinerchorherren  in  Gorkau  dem  Grafen  Peter  Wlast 
zuzuschreiben.  Wir  sind  übrigens  in  der  Lage  den  unwiderleglichen  Beweis  zu  liefern, 
dass  die  Gründung  nicht  dem  Grafen  Peter,  sondern  der  herzoglichen  Familie  zuzuschreiben 
ist,  und  sie  nicht  schon  in  das  Jahr  1 108  oder  1 110,  sondern  kurz  vor  1 146  fällt.  Dies  ergiebt 
sich  nämlich  mit  klaren  Worten  aus  dem  bekannten,  aber  bisher  niemals  recht  gewürdigten 
uralten  Fragment  über  die  ältesten  Besitzungen  der  Augustiner.  Hier  heisst  es:  Dux 
Wladislaus  dedit  ad  montem  Bezdad  ....  circuitionem  montis  dux  B(olezlaus)  tempore 
patris  sui  cum  ipso  fratre.  Herzog  Wladislaw  II.  gab  also  für  die  Besitzung  der  Augustiner 
am  Berge  SIenz  eine  Anzahl  Hörige;  den  gesamten  abgegrenzten  Landkomplex  am  Berge 
SIenz  gaben  aber  zu  Lebzeiten  ihres  Vaters  Wladislaw  II.  die  herzoglichen  Brüder  Boleslaw 
der  Lange  und  Mesiko. 

Und  die  circuitio  montis,  anderwärts  auch  ambitus  oder  von  dem  Umreiten  bei  der 
Umgrenzung  im  Polnischen  ujazd  genannt,  ist  eben  jener  grosse  Landkomplex,  der  den 
Augustinerchorherren  bei  ihrer  Niederlassung  aus  dem  landesfürstlichen  Besitze  zugewiesen 


135 

war.  Die  circuitio  montis  umfassle  die  westliche  Hälfte  des  Zobtenberges  und  die  von 
slawischen  Hörigen  besetzten  Dörfer  Wiri  (Gross-  und  Kiein-Wierau),  Cescouici  (mit 
Myslacow  bildete  es  das  spätere  Kaltenbrunn),  Syuridow  (Seiferdau),  Biela  (Klein-Bielau), 
Strelez  (Strehlitz),  villa  ad  molendinum  (Qualkau),  forum  in  Soboth  (Markt  Zobten)  und 
Stregomane  (Striegelmühl). 

Der  den  Augustinern  am  Zobten  übereignete  grosse  Grundbesitz  war  also  nicht, 
wie  eine  spätere  Zeit  missverständlicherweise  glaubte,  Eigentum  des  Grafen  Peter  Wlast, 
sondern  herzoglicher  Besitz.  Die  Stifter  des  Augustinerklosters  am  kleinen  Berg  Slencz, 
Oorkau,  waren  somit  auch  die  Herzoge  Bolesiaw  der  Lange  und  Mesiko,  nicht  aber  Graf 
Peter.  Dagegen  sind  Peter  Wlast  und  seine  Gemahlin  Maria  VIostonissa  bei  der  späteren 
Einrichtung  der  Augustinerchorherren  auf  dem  Sande  bei  Breslau  hervorragend  beteiligt 
gewesen.  Da  in  späterer  Zeit  das  Kloster  auf  dem  Sande  der  Hauptsitz  der  Augustiner- 
chorherren wurde,  die  erste  Niederlassung  am  Zobten  hiergegen  zurücktrat,  so  wird  es 
erklärlich,  dass  Peter  Wlast  mit  der  Zeit  der  alleinige  Stifter  des  Augustinerklosters  wurde, 
wie  er  ja  auch  der  Begründer  des  älteren  Vincenzstiftes  auf  dem  Elbing  bei  Breslau  that- 
sächlich  gewesen  ist. 

Aus  allem  ergiebt  sich  aber  mit  genügender  Deutlichkeit,  dass,  wenn  das  Gebiet 
am  Zobten  nicht  Peter  Wlasts  Eigentum  war  und  die  Gründung  der  Augustinernieder- 
lassung am  Zobten  auf  ihn  nicht  zurückgeführt  werden  kann,  die  Steinaltertümer  am 
Zobten  mit  Peter  Wlast   nicht  in  Verbindung  gebracht  werden  können. 

Wenn  also  erzählt  wird,  Graf  Peter  habe  eine  Burg  auf  dem  Zobten  gehabt,  wenn 
ferner  die  „Jungfrau"  und  der  „Bär"  sowie  die  „Sau"  von  der  Sage  in  mehr  oder  weniger 
direkte  Beziehung  zu  Peter  Wlast  gebracht  werden,  und  wenn  endlich  die  vier  Löwen, 
wenigstens  der  am  Fusse  des  Turmes  der  Pfarrkirche  in  Zobten  eingemauerte  Löwe  von 
Peter  Wlast  herrühren  und  als  Beweis  dafür  dienen  sollen,  dass  dieser  die  Zobtener 
Pfarrkirche  und  vielleicht  auch  die  Gorkauer  erbaut  habe,  so  sind  alle  diese  Sagen 
unbeglaubigte  Kombinationen  einer  späten  Zeit.  Wir  haben  also  auch  durchaus  kein 
Recht,  in  ihnen  Spuren  einer  alten  Überlieferung  zu  erblicken. 

Ein  anderer  Versuch,  die  Herkunft  und  die  Bedeutung  der  Zobtener  Steinaltertümer 
zu  bestimmen,  steht  unter  dem  Einfluss  der  bekannten  Erzählung  Thietmars  von  der  Ver- 
ehrung, die  in  heidnischer  Zeit  der  Zobtenberg  besessen  habe.  Die  Stelle  hat  folgenden 
Wortlaut: 

Posita  est  autem  (Nemzi)  in  pago  Silensi,  vocabulo  hoc  a  quodam  monte  nimis 
excelso  et  grandi  olim  sibi  indito  et  hie  ob  qualitatem  suam  et  quantitatem,  cum  execranda 
gentilitas  ibi  veneraretur,  ab  incolis  omnibus  niniis  honorabatur.  Die  Thatsache,  dass  an 
oder  auf  dem  Zobtenberge  (Mons  Silentii,  Slenz)  in  heidnischer  Zeit  Götzendienst  betrieben 
worden  ist,  kann  hiernach  wohl  nicht  geleugnet  werden.  Auch  mag  zugestanden  werden, 
dass  die  Denkmäler  aus  alter  Zeit,  wie  der  Überrest  eines  um  die  Krone  des  Berges  sich 
ziehenden  Ringwalles  von  Steinen,  ferner  Urnen,  Bronzesachen  u.  dcrgi.  zur  Genüge 
beweisen,  dass  der  Zobtenberg  schon  in  der  Zeit  des  Heidentums  eine  Stätte  menschlicher 


136 

Ansiedlung  und  Tliätigkeit  und  vielleiclit  aiicli  eines  heidnischen  Kultus  gewesen  sei. 
Aber  etwas  anderes  ist  es,  aucli  die  Steinaitertümer  aus  diesem  heidnischen  Kultus 
erklären  zu  wollen. 

Am  drastischsten  lässt  sich  dieser  Versuch  an  bei  Knie  in  seiner  bekannten  Über- 
sicht der  Dörfer  u.  s.  w.  Schlesiens  unter  „Gorkau".  Man  liest  dort:  „Das  üorkauer  Schloss 
bietet  noch  eine  Merkwürdigkeit;  es  sind  vor  demselben  in  der  Grundmauer  ein  liegender 
Bär  und  ein  Löwe  von  Granit  eingemauert  worden,  welche,  nebst  einem  Bär,  der  in  der 
Stadtkirche  von  Zobten  eingemauert  und  einem  dritten  zu  Marxdorf  die  Vermutung  ver- 
anlasst haben,  dass  diese  Tiergebilde  gleichsam  Stationen  oder  Wegweiser  für  die  heid- 
nischen Wallfahrer  zur  Asenburg  auf  dem  Zobten  gewesen  seien,  indem  höher  hinauf 
der  Weg  abermals  bei  einem  Bären  und  der  Jungfrau  vorüberführt." 

Diesen  Standpunkt  des  heidnischen  Ursprungs  der  Steinaltertümer  vertritt  auch 
noch  Nehring  in  der  Festschrift  zu  dem  in  Breslau  1884  tagenden  Anthropologen- 
Kongresse.  „Ein  Versuch",  heisst  es  hier,  „die  Zobtener  Steingebilde  einer  bestimmten 
christlichen  Kunstrichtung  und  Symbolik  zuzuweisen,  ist  bis  jetzt  nicht  gemacht  worden 
und  die  in  der  prähistorischen  Sektion  der  1874  in  Breslau  tagenden  Naturforscher- 
versammlung von  kompetenter  Seite  gemachte  Äusserung,  die  Jungfrau  mit  dem  Fische 
sei  aus  heidnischer  Zeit,  weil  sie  sich  durch  die  bekannten  Denkmäler  der  christlichen 
Kunst  etwa  des  11.  Jahrhunderts  nicht  erklären  lasse,  bezeichnet  genau  den  gegenwärtigen 
Stand  unserer  Kenntnisse  von  dem  Ursprung  der  „Jungfrau".  Am  Schluss  dieser  inter- 
essanten Abhandlung  wird  der  Versuch  gemacht  Analogieen  aus  der  slawischen  heidnischen 
Religions-  und  Kunstgeschichte  heranzuziehen. 

Selbst  wenn  man  von  den  älteren  hier  einschlagenden  Deutungsversuchen  wegen 
ihrer  wenig  glücklichen  Ergebnisse  absieht,  so  muss  man  doch  sagen,  dass  der  bekannte 
Bericht  Thietmars  zu  Erklärungsversuchen  nach  dieser  Richtung  einen  natürlichen  Anlass 
bietet  und  es  verlockend  sein  muss,  auf  diesem  Wege  zu  religiösen  Altertümern  aus  der 
slawischen  heidnischen  Zeit  zu  gelangen.     Aber  dieser  Weg  ist  doch  wohl  nicht  gangbar. 

Sämtliche  Steinaltertümer  sind  über  das  Klostergebiet  verstreut  und  befinden  sich 
in  nicht  allzuweiter  Entfernung  von  dem  Wohnsitze  der  Chorherren  in  Gorkau.  Das 
bleibt  auch  noch  bestehen,  wemi  man  im  Hinblick  auf  die  beiden  am  westlichen  Haupt- 
portale der  Breslauer  Domkirche  eingemauerten  „vermutlich  aus  romanischer  Zeit  stam- 
menden" Löwen,  hier  von  den  vier  Löwen  in  Gorkau,  Zobten  und  Alarxdorf  absieht.  Es 
liegt  auf  der  Hand,  dass  einer  der  ersten  Beweggründe,  die  Augustinerchorherren  gerade 
am  Fusse  des  Zobten  anzusiedeln,  in  der  überlieferten  Verehrung  zu  suchen  ist,  die  man 
dem  Berge  Slenz  in  heidnischer  Zeit  gezollt  hatte,  sowie  in  dem  lebhaften  Wunsche, 
durch  eine  kl(')sterliche  Ansiedlung  den  Sieg  christlicher  Anschauungen  ülur  heidnische 
Traditionen  und  Bräuche  herbeizuführen.  Wer  diesen  ausserordentlich  naheliegenden 
Gedanken  von  der  Bedeutung  des  Chorherrenstiftes  am  Berg  Slenz  (in  monte  Silentii,  wie 
es  bezeichnend  genug  in  den  Urkunden  heisst)  als  richtig  anerkennt,  der  wird  sich  auch 
der  Folgerung    nicht    erwehren    können,    dass  es  die  erste   und   natürlichste  Aufgabe  der 


137 

Augustiner  sein  mussle,  alles  das  zu  beseitigen  und  zu  zerstören,  was  an  heidnische 
Kulte  und  Bräuche  erinnern  konnte.  Wären  wirklich  die  Steingebilde  einschliesslich  oder 
ausschliesslich  der  vier  Löwen  Überreste  einer  heidnischen  Zeit  und  heidnischen  Aber- 
glaubens gewesen,  dann  wären  sie  schwerlich  der  zerstörenden  Hand  entgangen. 

Vielleicht  gelangen  wir  auf  einem  anderen  Wege  zum  Ziele.  Wir  kehren  wieder 
zu  der  Bezeichnung  circuitio  montis,  welche  in  dem  bekannten  Fragmente  für  den  dem 
Kloster  überwiesenen  gesamten  Besitz  am   Zobten  gebraucht  ist,  zurück. 

Die  Zusammenfassung  des  ganzen   Klosterbesitzes  am  Zobten    unter    dem  Namen 

circuitio  (circuitus,  ambitus,  ujazd)   hat  für  unsere  ganze  Untersuchung  einen   besonderen 

Wert.     Es  ist  demnach  wichtig  zu  erfahren,  dass  dieser  Ausdruck  nicht  nur  in  dem  alten 

Fragmente  uns  begegnet,  sondern  auch  anderwärts,  wenigstens  dem  Sinne  nach,  sich  findet. 

in  der  Bestätigungsurkunde  des  Papstes  Eugen  III.  vom  19.  Oktober  1148,   welche 

übrigens    die    älteste    echte   Urkunde    ist,    die    von    dem   Stifte    der  Augustinerchorherren 

handelt,  ist  der  technische  Ausdruck  des  circuitus   umschrieben;    hier   heisst   es:    montem 

scilicet  cum   appendiciis  suis,  forum  sub  monte.     In  der  Urkunde  des  Papstes  Cölestin  III. 

vom  Q.April   1193   wird   eine   ähnliche  Wendung  gebraucht,   wie  in  der  vorigen  Urkunde, 

aber  es  werden  wie  in  dem  alten  Fragmente  die  einzelnen  Ortschaften,  die  innerhalb  der 

circuitio  montis  lagen,  nur  in  umgekehrter  Reihenfolge  aufgezählt.    Die  Stelle  lautet:  montem 

cum   villis   sibi   attinentiis   videlicet  Vino   cum   decimis   (Weinberg   mit  den  Hörigen),  Stre- 

gomen   cum   decimis,    forum   in  Sabal  cum   decimis,    villam  ad  molendinum  cum  decimis, 

villam  Strelec    cum    decimis,    villam    Beala    cum    decimis,    villam    Zyvridou    cum    decimis, 

villam   Tesech   cum   decimis   (=   Cescovici   des    alten    Fragmentes)   villam   Vuiri.     Auch  in 

der  Zehntbestätigung    des    Bischofs    Lorenz    vom  Jahre   1223  werden   die  Ortschaften   in 

charakteristischer   Weise    zusammengestellt:    videlicet    decimas    in   curia    eorum   Oorka,    et 

in  villis  eidem  curie  adiacentibus,  quarum  nomina  sunt:  Sobota,  Stregomene,  Viri,  Syuridou, 

Cescouice,  Bela,  Strelce,   Falcou  (Qualkau).     Selbst  in  der  Bulle  des  Papstes  Innocenz  IV. 

vom  Q.Juni  1250  ist  trotz  der  inzwischen   begonnenen  deutschen  Besiedlung  auf  diesem 

Klostergrunde  der  Zusammenhang  der  zu  diesem    alten    circuitus  gehörigen  Dörfer  nicht 

ganz  verwischt. 

Endlich  wird  in  der  übrigens  unechten  Urkunde  des  Bischofs  Walter  vom  Jahre  1149 
über  die  Zehntverleilumgen  an  die  Kirchen  der  Augustiner  gesagt:  montanae  vero  ecciesiae 
Villarum  nomina  sunt  hec:  Wygasd  .  .  .  Unter  Wygasd,  das  nur  eine  andere  Schreibung 
von  Ujazd  ist,  kann  natürlich  nicht  ein  besonderes,  nicht  auffindbares  Dorf  gesucht 
werden,  sondern  es  bezeichnet  den  ganzen  dem  Kloster  der  Augustiner  am  Zobten 
zugewiesenen  Landkomplex,  den  circuitus  montis  des  alten  Fragmentes.  Denn  zu  der 
Bergkirche  in  Gorkau,  die  in  der  ältesten  Zeit  die  einzige  Kirche  des  ganzen  grossen 
Bezirkes  war,  gehörten  natürlich  auch  die  Zehnten  aus  dem  ganzen  um  Gorkau  liegenden 
circuitus  oder  ujazd  und  der  darin  befindlichen  Ortschaften.  Der  Fälscher  der  Urkunde 
Bischof  Walters  hat  dies  aber  offenbar  nicht  verstanden  und  aus  der  polnischen  Bezeichnung 
für  den  ganzen  circuitus  montis,  ujazd,  eine  besondere  Ortschaft  gemacht. 

IS 


138 

Was  versteht  man  min  nnter  circuitio,  circnitns,  ambitus,  iijazd  ? 

Für  die  schlesisch-polnischen  Verhältnisse  trifft  wohl  dasselbe  zu,  was  Lippert  in 
dem  ersten  Bande  seiner  Sozialgeschichte  Böhmens,  wo  er  die  slawische  Zeit  und  iiire 
gesellschaftlichen  Schöpfungen  behandelt,  von  Böhmen  bericiitet.  „Was  die  Besitznahme 
des  Landes  in  der  landesfürstlichen  Mark  betrifft,  so  unterschied  sich  diese  wesentlich 
von  dem  Vorgange,  den  wir  uns  bei  der  Besitznahme  des  alten  Gentillandes  vorstellen 
müssen.  Bei  dieser  lag  die  Bildung  einer  linearen  Grenze  in  der  Mark  am  Ende  der 
Entwicklung;  in  jenem  Falle  pflegte  die  Ausscheidung  mit  einer  solchen  Feststellung  zu 
beginnen.  Es  entstand  so  der  circuitus,  ujazd,  durch  eine  solche  Feststellung  im  Wege  des 
Umgehens  oder  Umreitens,  wobei  die  Umreitenden  zugleich  als  Zeugen  und  Gedenk- 
männer der  Grenzbestimmung  dienten." 

Von  der  uralten  Sitte  einer  solchen  Abgrenzung  eines  Stückes  der  landesfürstlichen 
Mark  in  Schlesien  giebt  die  Schutzurkunde  des  Papstes  Hadrian  IV.  für  das  Bistum 
Breslau  vom  Jahre  1155  Kunde,  da  in  ihr  eine  circuitio  iuxta  Cozli  und  eine  circuitio 
super  aqua  que  Dragina  vocatur  unter  den  Besitzungen  des  Bistums  genannt  werden. 
Von  der  langen  Fortdauer  dieses  Brauches  der  Abgrenzung  giebt  neben  verschiedenen 
Urkunden  und  Ortsnamen  auch  das  Heinrichauer  Gründungsbuch  mehrere  interessante 
Beläge.  So  wird  unter  anderem  berichtet,  Herzog  Boleziaw  II.  habe  bei  einem  Grenzstreite 
über  Schönwalde  Paul  Slupouiz  zum  Zeugnis  aufgefordert,  der  zur  Zeit  der  früheren 
Herzoge  (Heinrichs  1.  und  Heinrichs  II.)  und  auch  damals  noch  im  herzoglichen  Auftrage 
viele  Eigengüter  zur  Grenzbestimmung  Umschriften  hatte  (qui  tempore  antiquorum  ducum 
et  tunc  temporis  cum  hec  agerentur  erat  multarum  hereditatum  circuitor  auctoritate  ducum). 
Zur  weiteren  Orientierung  mag  auf  den  Aufsatz  „Ujazd  und  Lgota"  im  25.  Bande  der 
Zeitschrift  des  Vereines  für  Geschichte  und  Altertum  Schlesiens  verwiesen  werden. 

Der  Umfang  eines  circuitus  oder  ujazd  war  verschieden.  Er  bestand  zuweilen  nur 
aus  einer  Feldflur.  Andere  Ujazde  boten  ganzen  Dörfergruppen  Raum.  So  wurde  das 
Braunauer  Ländchen  samt  Politz  mit  Recht  ein  circuitus  genannt,  ein  Ausschnitt  aus  dem 
Markwalde.  So  war  dem  Bistum  in  Oberschlesien  ein  ujazd  zugefallen,  der  einen  Flächen- 
raum von  4000  ha  umfasste  und  aus  dem  der  spätere  Ujester  Halt  geworden  ist.  So 
sind  die  unmittelbar  um  das  Kloster  belegenen  Gründe  der  Klöster  Leubus  und  Trebnitz 
durch  circuitio  begrenzt  und  zu  einem  geschlossenen  ambitus  zusammengefasst  worden. 
So  bildeten  auch  die  Besitzungen  der  Augustiner  am  Zobten  in  einer  Grösse  von  75  qkm 
eine  circuitio  montis  oder  ujazd. 

Zur  Bezeichnung  der  Grenzen  eines  solchen  circuitus  dienten  zimächst  Bachläufe 
und  Quellen,  wo  diese  mangelten,  Holzstapel  —  granice  cechisch  hranice,  woraus  unser  Wort 
Grenze  entstanden  ist  ;  später  verwendete  man  Bäume  hierzu,  in  welche  die  Grenz- 
zeichen eingehauen  wurden  (usque  ad  arborem  in  qua  sunt  metae  id  est  hranicie).  Man 
verwendete  auch  Erdhaufen  (positis  acervis,  qui  Kopci  dicuntur;  totum  praefatum  praedium 
(d.  i.  der    ambitus    von   Trebnitz]    in    circuitu    aggerum    erectione    et    arborum    signatione 


139 

limitare  ciiravi).  Endlich  dienten  als  Orenzzeiciien  Steine,  Malsteine.  So  soll  nach  den 
allerdings  formell  unechten  Trebnitzer  Urkunden  Herzog  Heinrich  I.  den  ambitus  des 
Klosters  Trebnitz  ausser  durch  Erdhaufen  und  gezeichnete  Bäume  durch  Steine  ringsum 
abgegrenzt  haben,  die  die  Initialen  seines  Namens  trugen  (lapides  apicibus  mei  nominis 
insculptos  .  .  .  terrae  infodi  praecepi). 

Eine  weitere  interessante  Frage  ist,  durch  welche  Zeichen  die  Bäume  und  Steine 
als  Grenzzeichen  kenntlich  gemacht  wurden.  Von  den  Grenzsteinen,  die  Herzog  Heinrich  I. 
bei  der  Begrenzung  des  Trebnitzer  ambitus  verwendet  haben  soll,  haben  wir  eben  schon 
gehört,  dass  sie  die  Initialen  seines  Namens  trugen.  Sonst  wurde  in  der  Regel  das 
Kreuzzeichen  verwendet.  In  einer  Grenzbeschreibung  für  Kloster  Dargun  in  Pommern 
vom  Jahre  1174  heisst  es:  in  quandam  quercum  cruce  signatam,  quod  Signum  sclavice 
dicitur  Kneze  granica  (Fürstengrenzzeichen).  In  einer  Urkunde  des  Matthiasstiftes  vom 
14.  März  1353  lautet  es  bez.  eines  Grenzstreites:  anczuheben  an  eynem  Bawme,  der  de 
steet  yn  dem  walde  Scoschkaw,  den  sie  mit  eynem  Creutze  gemercket  haben. 

Es  bleibt  nun  immerhin  auffällig,  dass,  mit  Ausnahme  der  vier  Löwen,  sämtliche 
Steingebilde  des  Zobten  deutlich  ein  Kreuz  eingemeisselt  haben. 

Es  mag  hier  genügen  hervorzuheben,  dass  die  beiden  altertümlichen  Löwen,  welche 
vor  dem  Portal  des  alten  Propsteigebäudes  liegen,  der  Löwe,  der  an  einem  Strebepfeiler 
der  k.  Pfarrkirche  in  Zobten  eingemauert  ist,  und  der  Marxdorfer  Löwe,  höchstwahr- 
scheinlich aus  christlicher  Zeit  stammen.  Es  war  nicht  ungewöhnlich,  dass  Löwen,  als 
Wächter  des  Gotteshauses,  an  Portalen  angebracht  wurden.  Man  vergleiche  die  oben 
schon  erwähnten  Löwen  an  dem  Hauptportale  der  Breslauer  Domkirche  und  die  Löwen 
des  Portals  der  gegen  Ende  des  dreizehnten  Jahrhunderts  entstandenen  Pfarrkirche  in  dem 
unweit  der  Stadt  Zobten  gelegenen  Dorfe  Queutsch. 

Für  unsere  Untersuchung  bleiben  somit  nur  die  mit  einem  Kreuze  versehenen 
Steingebilde  übrig.  Nun  ist  schon  in  der  bekannten  Abhandlung  „Über  die  Steinalter- 
tümer auf  dem  Zobtenberge"  1875  bezw.  1884  auf  eine  Urkunde  des  Sandstiftes  vom 
10.  Mai  1209  hingewiesen  worden.  Die  Urkunde  ist  schon  wegen  des  Titels:  Henricus 
dei  gracia  dux  Slesie,  filius  ducis  Boleslai,  der  auf  eine  alte  erzählende  Kloster- 
aufzeichnung hinweist,  und  aus  anderen  Gründen  unecht. 

Die  Fälschung  dieser  Urkunde  wird  wohl  in  die  Zeit  vor  dem  27.  Mai  12S0  zu 
setzen  sein,  wo  unter  anderem  ein  Streit,  der  zwischen  dem  Abte  Gottschalk  und  Herzog 
Heinrich  IV.  über  den  Wald  des  Berges  Slenz  ausgebrochen  war,  unter  Berufung  auf  eine 
alte  Grenzfestsetzung  beigelegt  wurde.  Trotz  dieser  formellen  Unechtheit  jenes  Doku- 
mentes selbst,  wird  die  Thatsache  der  erneuten  Umgrenzung  des  Zobtener  Waldes  bezw. 
des  ganzen  circuitus  de  Gorka  durch  Herzog  Heinrich  I.  richtig  sein,  zumal  auch  in  den 
Trebnitzer  Nachrichten  von  dieser  Umgrenzung  die  Rede  ist.  Auch  das  Stück  einer  Orenz- 
beschreibung,  das  in  dieser  Urkunde  von  1209  enthalten  ist,  muss  auf  einer  alten  Kloster- 
aufzeichnung beruhen.  Denn  während  in  späterer  Zeit  von  selten  der  Augustinerchor- 
herren, wie  aus  der  chronica  abbatum  deutlich  hervorgeht,  der  ganze  Bergwald  des  Zobten 


140 

als  Eigentum  in  Anspruch  genommen  wird,  beschränkt  diese  alte  Grenzlimitation  den 
Besitz  des  Klosters  auf  die  westliche  Hälfte  und  schreibt  die  östliche  Hälfte  dem  Herzoge 
zu.  Man  braucht  nur  in  Betracht  zu  ziehen,  dass  die  bei  der  ersten  Dotation  den 
Augustinern  verliehene  circuitio  montis  mit  den  darin  liegenden  Dörfern  westlich  oder 
genauer  nordwestlich  von  der  Linie  liegt,  welche,  über  den  Gipfel  des  Berges  gehend, 
in  dieser  Grenzlimitation  beschrieben  wird,  um  zu  erkennen,  dass  der  südöstliche  Teil 
des  Berges  mit  den  am  Fusse  liegenden  Dörfern  in  der  Hauptsache  herzogliches  Gebiet 
geblieben  war. 

Der  uns  interessierende  Teil  der  Urkunde  von  120Q  hat  nun  folgenden  Wortlaut: 
sicque  in  propria  persona  sepedictum  montem  circuentes  tales  limites  posuimus,  incipientes 
a  quadam  tilia,  que  est  inter  Bandcouice  viilam  nostram  et  Stregomene,  villam  dictorum 
fratrum,  ac  directe  transeuntes  usque  ad  lapidem  qui  dicitur  Petrey,  a  quo  lapide  per  viam 
que  ducit  in  supercilium  montis,  deinde  per  viam  descensus  ad  montem  Raduyna  prope 
uillam  eorum  Tampadla.  Partem  ergo  montis,  quam  isla  circuicione  comprehendimus 
versus  eorum  curiam  Gorcam  ipsis  protestamur  pertinere,  reliqua  vero  pars  nobis  cessit, 
prout  circumsedentes  barones  iuramento  constricti  sunt  protestati. 

Mit  Hilfe  des  Messtischblattes  Nr.  3015  ist  die  Grenzlinie  deutlich  wiederzuerkennen. 
Die  Linde  stand  an  der  Grenze  der  Gemarkungen  von  Bankwitz  und  Striegelmühl;  die 
Waldgrenze  ging  von  hier  direkt  auf  den  Stein,  qui  dicitur  Petrey,  zu,  d.  h.  auf  die  Stelle 
wo  jetzt  „Bär"  und  „Jungfrau"  sich  befinden;  sie  verfolgte  dann  den  alten  Weg  zum 
Gipfel  des  Zobten  und  ging  weiter  den  alten  absteigenden  Weg  in  der  Richtung  auf 
Tampadel  bis  zum  Berge  Raduyna,  unter  dem  vielleicht  der  Geiersberg  zu  verstehen  ist. 

Schon  in  der  oben  angezogenen  kleinen  Schrift  „über  die  Steinaltertümer  auf  dem 
Zobtenberge"  ist  der  „lapis  Petrey"  der  alten  Grenzbestimmung  mit  der  sog.  „Jungfrau" 
identifiziert  und  daraus  der  Beweis  für  den  unveränderten  Standpunkt  dieses  Steingebildes 
und  das  sehr  hohe  Alter  desselben  geführt  worden.  Es  fragt  sich  nun,  wie  die  Bezeichnung 
„lapis  qui  dicitur  Petrey"  zu  deuten  ist.  Da  die  Urkunde  von  120Q  uns  nur  in  späteren 
Abschriften  bekannt  ist,  so  hat  man  einen  Fehler  des  Abschreibers  für  Petreg  =  Petrico 
oder  Piotrek,  slawischer  Kosenamen  für  Peter,  erblicken  und  den  Namen  des  Steines  mit 
Peter  Wlast  in  Verbindung  setzen  wollen.  Allein  Graf  Peter  Wlast  hat  mit  dem  Besitz 
der  Augustiner  am  Zobten  nichts  zu  thun  und  ein  Schreibfehler  ist  auch  nicht  not- 
wendigerweise zu  statuieren,  da  der  Personenname  Petrey  sich  in  einer  Trebnitzer  Urkunde 
findet:  Petrey  ad  hospites  de  Bresna  ut  quilibet  hospes  soivat. 

Der  Stein  hiess  also  damals  der  „Peterstein". 

Wie  sich  die  Darstellung  des  Steingebildes  selbst  und  des  Fisches  auf  demselben 
mit  dem  alten  Namen  des  Steines  vereinen  lässt,  das  wird  Aufgabe  der  Archäologen  und 
Kunstkenner  sein.  Hier  mag  es  genügen  zu  betonen,  dass  damals  im  Anfange  de 
13.  Jahrhunderts  der  „Peterstein"  als  Grenzmal  diente. 

Auf  derselben  alten  Grenzlinie  befinden  sich  heute  noch  andere  Steingebilde.  An 
dem   von  Striegelmühl    nacii    dem   Berge    führenden  Wege    liegt   ein  Granitblock,    der  im 


141 

Volksmunde  die  „Sau"  genannt  wird;  auch  dieser  Stein  ist  mit  einem  Orenzkreuze  ver- 
sehen. Etwa  250  Schritte  tiefer  als  die  sog.  „Jungfrau"  findet  sich  der  Kreuzstein,  ein 
flacher  aus  Gabbro  bestehender  Stein,  der  ebenfalls  mit  einem  Kreuze  bezeichnet  ist.  An 
dem  alten  Bergwege  folgt  dann  die  sog.  Jungfrau  mit  dem  Fische;  hier  ist  das  Kreuz 
auf  dem  Fische  eingemeisselt.  Neben  ihr  befindet  sich  der  Bär;  er  trägt  das  Qrenzkreuz 
auf  dem  Rücken. 

Es  ist  nun  nicht  wahrscheinlich,  dass  der  „Bär"  sich  hier  an  der  alten  Stelle 
befindet;  denn  sind  die  Steingebilde  wirklich  Grenzzeichen,  so  dürften  schwerlich  zwei 
nebeneinander  gestanden  haben.  Vielleicht  ist  er  von  seinem  ursprünglichen  Standpunkte 
zu  irgend  einer  Zeit  hierher  transportiert  worden. 

Endlich  befindet  sich  auch  oben  auf  dem  Gipfel  des  Berges  ein  Grenzstein.  Auf 
diesem  grossen  Steine,  der  an  der  Quelle  liegt,  ist  ein  grosses  A  eingehauen,  offenbar 
das  Zeichen  des  Augustinerordens. 

Wir  haben  somit  auf  der  alten  Grenzscheide  von  Striegelmühl  bis  zum  Gipfel 
5  Grenzsteine  kennen  gelernt. 

Man  muss  aber  diese  Steindenkmäler  in  früherer  Zeit  in  der  That  als  Grenzsteine 
angesehen  haben.  In  der  schon  öfter  angezogenen  Abhandlung  wird  nämlich  folgendes 
mitgeteilt:  Im  Jahre  1486  erklärt  bei  einer  schwebenden  Grenzstreitigkeit,  welche  der  Abt 
des  Augustinerklosters  zu  Breslau  an  den  König  Matthias  von  Ungarn  zur  Entscheidung 
brachte,  der  Statthalter  von  Schlesien  Georg  von  Stein  in  einem  Schreiben  an  den  Abt 
Benedikt:  man  möchte  zunächst  die  Grenzsteine  und  Grenzbäume  wieder  aufrichten:  „nach- 
dem Jr  vormals  den  Czobtenberg  angesprochen  habt  .  .  .  ane  wissundt  Kön.  Maj.  vnd 
darauf  die  alten  malsteine  vnd  bawme  ausgegraben  vnd  abgehawen  ....  Darauff  so 
empfelch  ich  euch  das  .  .  Jr  die  mal  bawm  und  Stein  widder  aufrichtet."  Die  hier 
genannten  Malsteine  dürften  mit  unseren  Steinaltertümern  identisch  sein. 

Es  bleibt  noch  ein  Punkt  zu  erörtern  übrig.  War  die  Abgrenzung  der  circuifio 
montis  durch  Herzog  Heinrich  !.,  von  der  wir  aus  der  angeblichen  Urkunde  von  120Q 
ein  Stück  kennen  lernen,  die  erste  Umgrenzung  des  am  Zobten  gelegenen  grossen 
Besitzes  der  Augustinerchorherren,  oder  eine  Erneuerung  der  Festlegung  der  Grenzen  bei 
der  Überweisung  des  circuitus  zur  Zeit  der  Gründung  des  Stiftes?  Das  erstere  war 
wahrscheinlich  schon  deshalb  nicht  der  Fall,  weil  die  Übereignung  eines  circuitus  oder 
ujazd,  wie  schon  der  Name  sagt,  eine  solche  Begrenzung  voraussetzt.  Wenn  das  richtig 
ist,  wie  haben  wir  uns  die  Erneuerung  der  Umgrenzung  zu  denken?  Allerdings  war  in 
solchem  Falle  die  Setzung  neuer  Grenzzeichen  gebräuchlich,  wie  dies  aus  einer  Urkunde 
vom  30.  Juli  1242  über  die  Erneuerung  der  Grenzen  bei  einem  Gute  des  Klosters  Miechow 
hervorgeht,  wo  es  heisst:  limitationem  ville,  que  Mschccinno  nuncupatur,  que  per  ducem 
Henricum  facta  fuerat,  confirmamus,  ratam  habentes  eandem,  ipsam  novis  signis  veteribus 
superpositis  innovando.  Aber  ob  das  immer  der  Fall  war,  ist  schwer  zu  erweisen;  in 
diesem  Falle  scheint  doch  der  lapis  Petrey  ein  altes  Grenzmal  gewesen  zu  sein. 


142 

Endlicli  soll  noch  darauf  hingewiesen  werden,  dass  auch  bei  der  Orenzerneuerung 
durch  Herzog  Heinrich  I.  der  alte  in  slawischer  Zeit  übliche  Brauch  der  Grenzumschreitung 
stattgefunden  hat.  Denn  in  jener  frühen  Zeit  gab  es  in  Schlesien  überhaupt  noch  keine 
deutsche  Besiedlung  und  deutsches  Sonderrecht,  und  soweit  unsere  Kenntnis  reicht,  waren 
die  Dörfer  der  Augustinerciiorherren,  die  innerhalb  des  circuitus  montis  lagen,  aus- 
schliesslich von  slawischen  Hörigen  (decimi)  besetzt. 

Bei  unserer  Untersuchung  sind  noch  zwei  Steinaltertümer,  die  das  Kreuz  als 
Grenzzeichen  fragen,  bisher  unberücksichtigt  geblieben:  der  „Mönch",  eine  Granitsäule 
am  südöstlichen  Fusse  des  Lerchenberges  bei  Kiefendorf,  und  der  „geharnischte  Kopf", 
welcher  bei  der  Annenkapelle  in  Zobten  sich  befindet. 

Der  „Mönch"  scheint  nach  den  über  seinen  Standort  vorliegenden  Angaben  sich 
ebenfalls  an  der  Grenze  des  Territoriums  der  Augustinerchorherren  befunden  zu  haben. 
Kiefendorf  gehörte  den  Mansionarien  der  Domkirche,  das  angrenzende  Marxdorf  aber 
den  Augustinerchorherren,  wenigstens  ein  Teil,  Garnczarszky,  alias  Teppirdorf. 

Der  „geharnischte  Kopf"  aber  an  der  Zobtener  Annenkapelle  wird  schon  deshalb 
nicht  an  seinem  ursprünglichen  Standorte  sich  befinden,  weil  die  Annenkapelle  selbst 
erst  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  angehört.  Auch  dieser  Grenzstein  wird  früher  eine 
andere  Stelle  gehabt  haben,  vielleicht  bezeichnete  er  einst  die  Grenze  des  Klostergebietes 
gegen  das  benachbarte  Rogau. 

Endlich  mag  hervorgehoben  werden,  dass  auch  anderwärts  auf  dem  Territorium 
der  Augustinerciiorherren  sich  offenbare  Grenzsteine  erhalten  haben,  .die  von  ihrem 
ursprünglichen  Standorte  entfernt  worden  sind,  so  ein  Granitcylinder,  mit  einem  Kreuze, 
der  in  einem  Gorkauer  Hofgebäude  eingemauert  war,  ein  Granitblock  mit  dem  einge- 
meisselten  A  in  den  Fundamenten  des  Burgturmes  zu  Gorkau  und  ein  jüngeres  mit 
Wappen  geziertes  Grenzzeichen,  auf  dem  die  Jahreszahl  1567  steht,  im  Garten  des  katho- 
lischen Pfarrhauses  zu  Zobten. 

Es  war  übrigens  auch  sonst  bei  den  geistlichen  Territorien  Brauch,  das  Gebiet 
durch  mächtige  Grenzsteine  zu  bezeichnen.  Es  soll  hier  an  die  Bischofsteine  erinnert 
werden,  die  an  der  Falkenau-Friedewalder  Grenze,  ferner  zwischen  Lindenau  und  Neu- 
altmannsdorf,  zwischen  Lindenau  und  Nossen,  zwischen  Lindenau  und  Koschpendorf  und 
endlich  zwischen  Seiffersdorf  und  Polnisch -Tschammendorf  sich  befinden.  Sie  sind 
offenbar  jüngeren  Datums,  tragen  die  Inschrift  TMl  SCI  lOhlS,  einen  Bischofsstab  und 
das  Grenzkreuz. 

Die  Thatsache,  dass  die  genannten  Steingebilde  ausnahmslos  das  Grenzzeichen  des 
Kreuzes  an  sich  tragen,  und  der  überwiegenden  Mehrzahl  nach  heute  nf)ch  auf  der  uralten 
Grenzlinie  des  grossen  Klostergebietes  sich  befinden,  macht  es  unseres  Erachtens  völlig 
klar,  dass  die  Steingebilde  Grenzsteine  sind,  wie  man  sie  denn  auch  offenbar  in  älterer 
Zeit  als  solche  angesehen  hat. 

Damit  ist  aber  die  ungewöhnliche,  wenn  nicht  gar  wunderliche  Form  dieser  Grenz- 
steine noch  nicht  erklärt. 


143 


Es  ist  allerdings  begreiflicii,  dass  man  in  dem  Waldgebirge  -  vor  allem  auf  dem 
Zobtenberge  selbst  und  schliesslich  auch  an  dem  früher  mit  Wald  bestandenen  Lerchen- 
berge von  Kiefendorf  dauerhafte,  gegen  Sturm  und  Wetter  geschützte,  leicht  kenntliche 
Grenzzeichen  den  Malbäumen  utid  Erdhaufen  vorzog  und  Felsstücke  von  Granit,  der  auf 
der  dem  Kloster  gehörigen  Seite  des  Zobten  zu  Tage  tritt,  mit  Vorliebe  zu  Grenzmalen 
wählte.  Diesen  Grenzsteinen  jedoch  solch  ungewöhnliche  Gestalten  künstlich  zu  geben, 
wäre  doch  ein  barocker  Gedanke  gewesen.  Anders  liegt  aber  die  Sache,  wenn  die  zu 
Grenzsteinen  gewählten  Granitblöcke  schon  an  sich  Naturspiele  waren  und  der  Meissel 
nur  wenig  nachzuhelfen  hatte,  um  die  Gestalten  und  Formen  zu  vollenden,  welche  wir 
heute  vor  uns  sehen.  Die  Steingebiide  sind  in  der  Hauptsache,  namentlich  gegenüber 
den  aus  demselben  Material  gefertigten  Löwen,  doch  so  kunstlos,  dass  man  sie,  vielleicht 
sogar  mit  Einschluss  der  sog.  Jungfrau  in  der  That  als  solche  Naturspiele  ansehen  könnte, 
bei  denen  die  menschliche  Hand  der  Natur  nicht  allzuviel  hat  nachhelfen  müssen. 

ist  diese  Vermutung  aber  richtig,  dann  fällt  auch  der  letzte  Einwand  fort,  den  man 
gegen  unsere  Annahme,  die  Steingebilde  seien  Grenzsteine  und  von  vornherein  zu  diesem 
Zwecke  zubereitet  worden,  noch  mit  einem  gewissen  Schein  von  Recht  zu  erheben  ver- 
möchte, in  der  oft  schon  benutzten  Abhandlung  heisst  es  nämlich:  „Die  Kreuze  sind 
aber  gewiss  später  als  die  Anfertigung  der  Steingebilde  selbst:  das  sieht  man  aus  dem 
Unterschiede  der  Vertiefungen  der  Kreuze  und  der  Falten  sowohl  im  Kleide  der  „Jungfrau" 
als  auch  im  Gewände  des  sog.  geharnischten  Kopfes:  in  den  Falten  sind  nämlich  die 
Wirkungen  der  Verwitterung  bei  weitem  mehr  zu  erkennen,  als  in  den  Kreuzen."  Dieser 
Befund  scheint  für  unsere  Annahme  zu  sprechen.  Denn  sind  die  Steingebilde  wirklich 
Naturspiele,  dann  wird  die  Verwitterung  natürlich  sich  in  jenen  Falten  und  Linien  am 
meisten  zeigen  müssen,  die  die  Steine  zu  jenen  eigenartigen  Naturspielen  machten,  und 
denen  die  menschliche  Hand  nur  mit  wenigen  Meisselhicben  die  Vollendung  geben 
musste,  während  die  Grenzkreuze  in  den  festeren  Teilen  des  Gesteines  eingearbeitet 
wurden. 

Unser   Erklärungsversuch   ist  einfach    und    nüchtern   in   seiner  Begründung  wie  in 
seinem   Ergebnis;   vielleicht  erwirbt  er  sich  gerade  dadurch  Zustimmung. 
Glatz,   im  März   1900 

Wilhelm  Schulte 


144 


GESCHICHTE   DER   MÜNZSAMMLUNG 

DES  MUSEUMS 

Es  ist  eine  im  Geist  und  im  Gemüt  des  Menschen  gleichmässig  begründete  Er- 
scheiiuing,  dass  er  nach  Vollendung  eines  bedeutsamen  Werkes  sich  gern  noch  einmal 
das  Werden  dieses  Werkes  vergegenwärtigt.  So  mag  denn  eine  Geschichte  des  aus 
Jahrhunderte  zurückliegenden  Anfängen  erwachsenen,  jetzt  endlich  nach  viel  Mühe  und 
Arbeit  zu  einem  gewissen  Abschluss  seiner  Entwicklung  gelangten  Münzkabinets  der 
Stadt  Breslau  auf  allgemeine  Anteilnahme  rechnen  dürfen. 

Gleich  der  Breslauer  Stadtbibliothek  verdankt  auch  unser  Münzkabinet  seine  ältesten 
und  auf  dem  in  Betracht  kommenden  Gebiet  wertvollsten  Bestände  dem  Sammeleifer 
Thomas  von  Rhedigers  (tl576),  der  seiner  Vaterstadt  neben  seiner  Bücherei  auch  eine 
ansehnliche  Sammlung  antiker  Münzen,  gegen  100  in  Gold  und  je  etwa  1200  in  Silber 
und  Erz,  hinterliess. ')  Diese  Sammlung  wurde  in  der  Elisabetbibliothek  verwahrt,  der  später 
noch  der  durch  seine  Medaillen  bekannte  Ratspräses  Johann  Sigismund  von  Haunold 
(t  1711)  und  der  Rektor  Johann  Kaspar  Arletius  (f  1784)  ihre  Sammlungen  letztwillig 
zuwendeten.  Haunold  scheint  die  Münzen  mehr  als  Kuriositäten  und  ohne  tiefere 
Kenntnis  gesammelt  zu  haben,  während  Arletius  sich  bereits  dem  Begriffe  des  modernen 
SpezialSammlers  nähert,  der  vor  allem  Vollständigkeit  auf  seinem  Gebiet  erstrebt.  Schon 
sein  Vater  Kaspar  Arletius,  Rektor  zu  Maria  Magdalena,  hatte  1701  mit  der  Sammlung 
von  Münzen  der  Herzöge  von  Öls  begonnen,  er  selbst  fasste  1761  den  Plan  der  Anlage 
eines  vollständigen  schlesischen  Münzkabinets  und  hat  ihn  auch  gleich  mit  Eifer  und 
schönem  Erfolge  ins  Werk  gesetzt:  seine  Sammlung  war  nicht  nur  nach  der  Stückzahl 
etwa  1500  Münzen  sondern  auch  an  Seltenheiten  und  Kostbarkeiten  sehr  reich.  Arletius 
fügte  diesem  Vermächtnis  noch  ein  Legat  von  600  Thalern  hinzu,  dessen  Zinsen  zu 
Ankäufen  von  Münzen  verwendet  werden  sollten  und  heute  noch  dazu  dienen. 

Eine  zweite  Gruppe  stellen  die  der  Kirche  zu  St.  Maria  Magdalena  gehörigen  und  in 
ihrer  Bibliothek  aufgestellt  gewesenen  Sammlungen  dar.  Den  Grundstock  bildete  die  Samm- 
lung des  Breslauer  Handelsmannes  Gottfried  Richter,  die  der  Bibliothek  164Q  vermacht 
wurde,  deren  Umfang  und  Zusammensetzung  sich  aber  nicht  mehr  hat  feststellen  lassen. 


1)  F.inen  Aufsatz  über  die  Geschichte  der  Miiiizsarnmliiiigeii  der  Stadtbibh'othck  habe  icli  im  39.  Bericiit 
des  Vereins  f.  Oesch.  ii.  A.  Schlesiens  (Bd.  3  S.  207  ff.)  veröffentlicht:  er  enthalt  aber  verschiedene  Irrtümer, 
da  damals  die  Herkunft  einzelner  Sammlunjren  unbekannt  oder  verdunkelt  und  nicht  zu  ermitteln  war. 
Erst  nachträfjlich  hat  Herr  Professor  Markjjraf  die  richtif^en  Nachrichten  gefunden  und  darüber  unter  dem 
30.  August  1879  an  den  Magistrat  berichtet:  auf  diesem  Bericht  (in  iW-i\  Akten  des  Magistrats  41.  3.3.  Bd.  2) 
beruht  im  wesentlichen  die  folgende  Darstellung. 


145 

Dazu  trat  dann  1715  die  Schenkung  des  Kaufmanns  Johann  Kretschmer,  der  sich  seines 
Besitzes  noch  bei  Lebzeiten  entäusserte.  Seine  Sammlung  bestand  aus  400  Thalern  aller 
Länder  Europas  und  QO  Zinnmedaillen,  dazu  fügte  er  ein  Kapital  von  250  Thaiern,  dessen 
Zinsen  den  Bibliothekar  für  seine  besondere  Mühvvaltung  bei  den  Münzen  entschädigen 
sollten.  Wichtiger  als  diese  Sammlungen  aber  ist  die  Stiftung  des  Obersyndikus  Johann 
Gottfried  Mentzel  von  1772,  aus  ungefähr  1450  Münzen  (darunter  163  goldene),  ins- 
besondere von  Ungarn  und  Sachsen,  aber  auch  vielen  und  wertvollen  Schlesiern,  be- 
stehend; auch  Mentzel  fügte  ein  Vermächtnis  von  100  Thalern  zur  Vermehrung  namentlich 
des  „schlesischen  und  breslauischen  Faches"  bei. 

Bei  beiden  Bibliotheken  fand  natürlich  eine  stete  Zunahme  des  Bestandes  auch 
durch  gelegentliche  kleinere  Zuwendungen  statt,  bei  der  zu  St.  Bernhardin  bestand  der 
ganze  Vorrat  aus  solchen  Gelegenheitserwerbungen  von  geringerem  Umfang,  ohne  dass 
dorthin  eine  grössere  Schenkung  entfallen  wäre.  Diese  Sammlung  ist  daher  in  sehr 
bescheidenen  Grenzen  geblieben. 

Neben  den  Sammlungen  der  Kirchen  und  ihrer  Bibliotheken  bestand  noch  ein  eigenes 
„rathäusiiches  Münzkabinet".  Der  Pastor  zu  St.  Maria  Magdalena,  Gottfried  Hanke, 
ein  Sohn  des  berühmten  Rektors  Martin  Hanke,  hatte  teils  durch  Erbschaft  von  seinem 
Vater,  teils  durch  Kauf  eine  sehr  ansehnliche  Sammlung  zusammengebracht.  Nach 
seinem  1727  erfolgten  Tode  kaufte  der  Rat  daraus  für  4SI  Thaler  8  Sgr.  9  Denar  die 
„auctoritate  publica  geschlagenen"  Breslauer  Stadtmünzen,  denen  übrigens  auch  eine 
Anzahl  anderweiter  Münzen  und  Medaillen  hinzugefügt  war.  Bei  der  Aufnahme  1876 
waren  es  im  Ganzen  etwa  240  Stücke,  darunter  107  goldene:  ein  höchst  wertvoller  und 
wichtiger  Besitz. 

Allmählich  ergab  sich  nun  auch  die  Unmöglichkeit,  die  übrigen  Münzsammlungen 
in  den  Bibliotheken  zu  belassen,  da  sie  dort  mangels  steter  geeigneter  Aufsicht  und  Pflege 
in  Unordnung  kamen,  kein  Bibliothekar  mehr  für  die  Vollzähligkeit  einstehen  mochte  und 
gelegentlich  Diebstähle  und  andere  Schädigungen  vorkamen.  Hatte  doch  1757  während 
der  Belagerung  Breslaus  eine  Bombe  in  die  magdalenäische  Bibliothek  eingeschlagen  und 
einen  Münzschranken,  an  dem  gerade  Arletius  und  Samuel  Benjamin  Klose,  der  berühmte 
Geschichtsschreiber  Schlesiens,  standen,  beschädigt;  1806  hatte  man  diese  Schätze  in 
einem  Versteck  geborgen,  das  nur  zwei  Personen  kannten.  Daher  beantragte  und  bewirkte 
der  Rektor  Schönborn  1838  ihre  Überführung  ins  Rathaus.  1848  geschah  dasselbe 
mit  den  Münzen  der  Rhedigerana:  hier  wurden  die  Schränke  versiegelt  und  ab  und  zu 
einer  Revision  unterzogen,  die  natürlich  nur  immer  wieder  Verluste  ergab.  Infolge  des 
Münzgesetzes  vom  4.  Mai  1857  und  der  damit  verknüpften  Einziehung  älterer  Münzsorten 
erachtete  es  der  Magistrat  „von  ebenso  grossem  numismatischem  und  historischem  Interesse", 
sein  Münzkabinet  mit  je  einem  Exemplar  der  verschiedenen  von  den  preussischen  Königen 
geprägten  Gold-  und  Silbermünzen  zu  versehen,  „um  die  Gepräge  und  Werte  der  Münzen 
zu  erhalten".  Die  Stadtverordneten  bewilligten  für  diesen  Zweck  am  21.  Oktober  1858 
zunächst  150  Thaler,  dann  am  26.  März   1863  noch  einmal  2Ü0  Thaler;  zur  Aufbewahrung 


146 

der  so  gewonnenen  Stücke  wurde  1860  ein  sehr  gediegen  gearbeiteter  und  nocli  iieut 
gute  Dienste  thuender  Schrank  von  dem  Tischlermeister  Hoffmann  angefertigt. 

Als  dann  durch  Vereinigung  der  verschiedenen  Bibliotheken  die  Stadtbibiiothek 
begründet  wurde,  siedelten  auch  die  Münzen  in  das  Stadthaus  über:  am  24.  September  1866 
empfing  der  damalige  Bibliotiiekar  Professor  Dr.  Pfeiffer  die  im  Ratsarchiv  befindlich 
gewesenen  Q  Münzschränke  und  10  Päckchen,  dazu  später  noch  die  Sammlung  der 
Bernhardina.  Eine  Revision  hatte  bei  der  Übergabe  nicht  stattgefunden,  sie  erwies  sich 
auch  später  als  unthunlich,  da,  wie  Pfeiffer  am  17.  Oktober  1867  berichtete,  die  Sammlungen 
„in  grenzenloser  Verwirrung"  waren,  was  sich  nach  dem  vorher  Gesagten  und  den  vielen, 
unsachgemäss  vorgenommenen  Hin-  und  Herschaffungen  nicht  anders  erwarten  liess. 
Eine  Neuaufnahme  der  gesamten  Vorräte  war  unvermeidlich,  doch  ist  Pfeiffer  infolge 
seiner  starken  Inanspruchnahme  durch  die  anderweiten  Arbeiten  des  Bibliothekars  nicht 
dazu  gekommen.  Er  hat  nur  einige  wenige  Schubladen  des  Arletiusschen  Kabinets  ver- 
zeichnet, ebenso  die  von  ihm  besorgten  neuen  Erwerbungen,  für  die  1867  auch  ein 
„Accessionsjournal"  angelegt  wurde. 

Mit  dem  Jahre  1876  beginnt  sozusagen  die  „neuzeitliche  Geschichte"  unserer 
Sammlungen,  die  nun  endlich  aus  ihrem  Dornröschenschlafe  erwachen  sollten.  Herr 
Dr.  Markgraf,  der  Nachfolger  Pfeiffers,  kannte  in  seinem  ehemaligen  Schüler,  dem  Studenten 
der  Rechte  F.  Friedensburg,  einen  für  Geschichte  und  Münzkunde  gleichermassen  be- 
geisterten und  dazu  arbeitswilligen  Mann  und  erwies  ihm  das  Vertrauen,  ihm  die  Auf- 
nahme des  grossen  Münzvorrats  der  Bibliothek  zu  übertragen.  Ich  hatte  damals  schon 
lange  auf  den  verschiedenen  Gebieten  der  Numismatik  gesammelt,  war  aber  doch  immer 
noch  ein  Anfänger  und  einem  so  grossen  Werk  noch  kaum  gewachsen.  Indessen 
mehrten  sich  meine  Kenntnisse  bei  der  Arbeit  selbst  und  bald  hatte  ich  meinen  Auftrag 
erledigt:  im  Oktober  1877  war  zum  ersten  Male  eine  Übersicht  über  dieses  herrliche, 
grösstenteils  uneigennütziger  Liebe  zur  Wissenschaft  und  zur  Vaterstadt  zu  dankende 
Besitztum  möglich.  Selbstverständlich  erwachte  sofort  der  Wunsch,  diese  13  verschiedenen 
Sammlungen  und  Sammlungsteile  mit  einander  zu  einem  einheitlichen  Ganzen  zu  ver- 
einigen und  zu  verschmelzen,  ein  Wunsch,  den  Rücksichten  auf  die  Verwaltung,  ins- 
besondere die  Überwachung,  Erhaltung  und  Nutzbarmachung,  zu  einem  Gebot  der  Pflicht 
erhoben.  Es  würde  zu  weit  führen,  hier  Schritt  für  Schritt  den  Weg,  auf  dem  dieses 
Ziel  erreicht  wurde,  zu  verfolgen,  nur  die  wichtigsten  Ereignisse  seien  hervorgehoben. 
Wer  sich  für  das  weitere  interessiert,  dem  werden  die  oben  angezogenen  Akten  mit  ihren 
zahllosen  Berichten,  Eingaben,  Denkschriften  nebst  den  verschiedenen  Verzeichnissen 
lehren,  welche  Arbeit  zu  bewältigen  war.  Mussten  doch  den  wichtigsten  Massrcgeln 
nicht  nur  Magistrat  und  Stadtverordnete,  sondern  auch  die  Vertretungen  der  beiden  Kirchen 
zu  Maria  Magdalena  und  Bernhardin,  sowie  die  kirchlichen  und  staatlichen  Aufsichts- 
behörden ihre  Genehmigung  geben.  In  jenen  Jahren  habe  ich  einen  grossen  Teil  meines 
Lebens  in  den  Räumen  und  im  Dienste  der  Stadtbibliothek  zugebracht  und  auch,  als  ich 
von  Breslau  fortkam,  bis  zum  heutigen  Tage  nicht  nur  meine  Urlaubszeiten  diesem  Werke 


147 

gewidmet,  sondern  auch  von  auswärts  her  das  fortgeführt,  was  ich  im  Sommer  1876 
begonnen  hatte.  Darf  ich  den  Ruhm  beanspruchen,  die  treibende  Kraft  gewesen  zu 
sein  und  die  eigentliche  technische  Arbeit  geleistet  zu  haben,  so  gebührt  doch  Herrn 
Professor  Markgraf  das  Verdienst,  diese  meine  Thätigi<eit  in  zweckentsprechender  Weise 
geleitet  und  mit  den  von  der  Verwaltung  der  Bibliothek  zu  stellenden  Anforderungen  in 
Einklang  gebracht  zu  haben,  so  dass  sich  alle  Schwierigkeiten,  die  sich  unseren  Bestrebungen 
entgegenstellten,  durchweg  glatt  erledigten.  Die  städtischen  Behörden  aber  haben  von 
Anfang  an  für  dieses  Unternehmen  das  vollste  Verständnis  und  das  liebenswürdigste 
Entgegenkommen  bewiesen  und  auch  ihrerseits  die  Nutzbarmachung  des  schönen  Erbes 
der  Vorzeit  nach  Kräften  unterstützt  und  gefördert. 

Zunächst  wurde  die  Errichtung  eines  schlesischen  Münzkabinets  in  Angriff  ge- 
nommen, da  sich  für  ein  solches  ein  überaus  reicher  Stoff  in  den  Sammlungen  von 
Arletius,  Mentzel  und  Hancke  bot.  Am  31.  Oktober  1880  war  es  fertig  und  trat  als 
erste  öffentliche  Sammlung  dieser  Art  mit  2866  Stücken,  darunter  323  goldenen  und 
2302  silbernen,  ins  Leben;  ein  neuer  von  dem  Zimmermeister  Kuvecke  gelieferter  Schrank 
nahm  es  auf.  Am  5.  Dezember  fand  eine  Besichtigung  durch  das  Kuratorium  der  Stadt- 
bibliothek und  die  Stadtverordneten  statt,  ein  Artikel  in  der  Schlesischen  Zeitung  und  ein 
Aufsatz  in  v.  Sallets  Zeitschrift  für  Numismatik  (Bd.  9  S.  75)  machten  die  Landsleute  und 
die  wissenschaftliche  Welt  auf  die  neueröffnete  Fundgrube  aufmerksam.  Schon  im  nächsten 
Jahre  wurden  die  antiken  Münzen  einheitlich  und  nach  dem  jetzt  geltenden  wissenschaft- 
lichen System  neu  aufgenommen,  wobei  wir  uns  namentlich  in  Bezug  auf  die  Echtheits- 
beurteilung der  Unterstützung  des  Königlichen  Münzkabinets  in  Berlin  zu  erfreuen  hatten. 
Diese  Sammlung  umfasste  an 

Griechen  ...  12  goldene,    105  silberne,    102  kupferne,  insgesamt    21Q  Stück 
Römern.  ...  92        „        1317         „         915         ..  „         2324      „ 


zusammen  104  goldene,  1422  silberne,  1017  kupferne,  insgesamt  2543  Stück. 
Dazu  noch  eine  Anzahl  kunstgeschichtlich  interessanter  oder  sonst  lehrreicher  Fälschungen. 
Ein  Vorrat'),  der  zwar  auf  Vollständigkeit  auch  nicht  entfernt  Anspruch  machen  kann, 
aber  doch  nicht  nur  in  Oelde,  sondern  auch  für  alle  Aufgaben  der  Münzkunde  höchst 
wertvoll  genannt  werden  darf  und  seither  um  einige  wenige,  gelegentlich  erworbene  Stücke 
vermehrt  worden  ist.  Aus  dem  Rest  galt  es  natürlich  eine  Auswahl  zu  treffen,  da  nicht 
daran  gedacht  werden  konnte,  diese  „disjecta  membra"  zu  einer  universalen  Münzsammlung 
zu  vereinen,  weil  eine  solche  gar  zu  viele  und  zu  grosse  Lücken  aufgewiesen  hätte, 
für  deren  Ausfüllung  unsere  Mittel  niemals  auch  nur  entfernt  reichen  würden.  So 
haben  wir  in  der  Absicht,  möglichst  viel  Vorhandenes  zu  erhalten,  und  andererseits  den 
wissenschaftlichen  Zweck  des  Münzsammeins  beachtend,  auf  Grund  einer  von  mir  unter 
dem  15.  Mai  1885  eingereichten   Denkschrift,  noch  zwei  weitere   Abteilungen  eingerichtet: 

1)  Ein  Aufsatz  darüber  in  v.  Sallets  Zeitschr.  Bd.  13  S.  120. 


148 

eine  Sammlung  aller  Münzen  von  Böhmen,  Polen,  Unoarn  und  Brandenburg-Preussen, 
also  der  Länder,  mit  denen  Schlesien  in  engeren  geschichtlichen,  staatlichen  und  numis- 
matischen Beziehungen  gestanden  hat,  und  eine  Sammlung  von  Goldmünzen,  Thalern  und 
Medaillen  aller  übrigen  europäischen  Länder.  Diese  Abteilung  enthielt  bei  ihrer  Eröffnung, 
am  L  April  1886  im  ganzen  135  goldene,  1581  silberne,  220  kupferne  u.  s.  w.,  zusammen 
1936  Stücke')  und  wurde  nebst  den  antiken  in  einem  von  der  Firma  Gebrüder  Bauer 
gelieferten  Schranken  aufbewahrt.  Auch  diese  Abteilung  ist  bisher  nur  gelegentlich  ver- 
mehrt worden,  hat  aber  in  der  ihr  von  dem  Amtsgerichtsrat  Molinari  in  Berlin  (f  I.März  1897) 
vermachten  Sammlung  neuerer  deutschen  Münzen  und  Medaillen  eine  wertvolle  Ergänzung 
erfahren. 

Nach  dem  oben  Gesagten  versteht  es  sich  von  selbst,  dass  eine  planmässige  Ver- 
mehrung nur  bei  dem  Schlesischen  Münzkabinet  erfolgen  konnte.  Für  sie  haben  wir  denn 
auch  alle  unsere  Mittel  und  Verbindungen  eingesetzt:  die  Zinsen  aus  den  Legaten,  die 
Einnahmen  aus  dem  Verkauf  der  als  doppelt  vorhanden  oder  sonst  entbehrlich  aus- 
gesonderten Stücke  und  der  etwa  noch  verwendbaren  Schränke;  mit  dem  Königlichen 
Münzkabinet,  dem  Freiherrn  von  Saurma  und  verschiedenen  Händlern  wurden  Tausch- 
geschäfte abgeschlossen,  wohlwollende  Gönner  bei  einzelnen,  wichtigen  Erwerbungen  zu 
einer  Beisteuer  veranlasst  und  dergleichen  mehr.  Endlich  bewilligten  uns  1889  die  städti- 
schen Behörden  noch  einen  jährlichen  Zuschuss  von  300  Mark.  Alles  in  allem  freilich 
im  Verhältnis  zu  den  Preisen  des  heutigen  Münzhandels  herzlich  wenig,  aber  wir  haben 
es  trotzdem  durch  allerlei  Künste  zu  Wege  gebracht,  dass  wir  unser  anvertrautes  Gut 
nicht  nur  um  eine  Reihe  von  Seltenheiten,  sondern  auch  in  Bezug  auf  die  Stückzahl 
überhaupt  ansehnlich  vermehrt  haben.  Unsere  Listen  schliessen  am  1.  April  1898  mit 
414  goldenen,  3366  silbernen,  569  kupfernen  u.  s.  w.  Stücken,  zusammen  4359  Schlesiern.^) 

Das  im  Jahre  1858  gegründete  Museum  schlesischer  Altertümer  verlegte  sich 
von  Anfang  an  natürlich  auch  auf  die  Sammlung  schlesischer  Münzen;  ihm  flössen 
ausser  zahlreichen  meist  geringwertigen  Geschenken  namentlich  die  Münzen  zu,  die  aus 
den  1812  säkularisierten  Klöstern  in  den  Besitz  des  Staates  übergegangen  waren.  Bei 
dem  Anthropologen  -  Kongress  im  August  1884  war  diese  Sammlung  zum  ersten  Male 
öffentlich  ausgestellt,   Herr  Bankinspektor  Bahrfeldt   hatte  sie  geordnet  und  verzeichnet.'') 


1)  Der  Anteil  der  Kirchen  an  dem  städtischen  Besitz  stellt  sich  wie  folgt: 

Schlesien  Antike  Sonst  Znsaninien 

Magdalena 76  725  457  1258 

Btrnliardin 63  85  97  245 

ä)  Ans  den  Erwerbungen  dieser  Zeit  seien  kurz  erwähnt  die  Satnnihmgcn  des  Syndikus  l'fitzncr 
und  des  Landgerichtsdirektors  von  Zieten  in  Schweidnitz  (1885  und  1887),  der  Paritiusschen  Erben  in 
Breslau  (1889),  die  erste  Auswahl  aus  der  Kunzeschen  Saniiulung,  die  später  in  F5crlin  versteigert  wurde, 
der  Nachlass  des  Stadtrats  Hickert  und  des  Pastors  Letzner,  ferner  der  Inhalt  der  Knöpfe  des  Rats-  und 
des  Magdalenenturms  (1887,   1888). 

^)  Vergl.  hierzu  einen  Aufsatz  in  der  Schlesischen  Zeitung  vom  3.  August  1884  und  den  Bericht 
über  den  Vortrag  des  Herrn  Bahrfeldt  vom  3.  November  in  derselben  Zeitung  vom  8.  November. 


149 

Diese  etwa  4200  Stück    bildeten    kein    recht    zusammenhängendes  Ganze,    immerhin    ent- 
hielten   die    schlesischen   Reihen    manches    gute,    anderwärts    nicht    vertretene  Stück.     Im 
Juni  1886  erfolgte  dann   die  Erwerbung  der  Sammlung  des  Freiherrn  Hugo  von  Saurma, 
der  seit  Anfang  der  1860er  Jahre    eine    sehr    bedeutende  Sammlung  schlesischer  Münzen 
angelegt  hatte.     Er  hatte  u.  a.  die  ansehnlichen  Folgen  von  Mittelaltermünzen  des  Kanzlei- 
rats Vossberg    erworben    und    für    die    neueren    Gepräge  in  dem   Münzhändler  Fieweger 
einen  eifrigen  Helfer  gewonnen,  dagegen  scheint  er,  was  an  sich   nahe  läge  zu  vermuten, 
aus    der   1865    versteigerten  Sammlung   des   Fürsten   Pless    leider  keines  der    wichtigeren 
Stücke    für    die  Provinz   gerettet   zu   haben,     v.  Saurma    überliess    seine    Sammlung   von 
6432  Stücken,    darunter  allerdings  zahlreichen  Nichtschlesiern,  dem  Museum  für  den  sehr 
massigen  Preis  von  30000  Mark  und  gestattete  die  Abzahlung  in  unverzinsten  Teilbeträgen, 
wodurch  diese  Erwerbung  dem  Museum    überhaupt  erst    ermöglicht   wurde.     Herr  Bahr- 
feldt,  dem  neben  Freiherrn  von  Saurma  selbst  das  Hauptverdienst  bei  der  Erwerbung  der 
Sammlung  zuzuschreiben  ist,  bewirkte  auch  die  Verschmelzung  mit  den  alten  Beständen.») 
Im    Jahre   1892    fiel    dem    Museum    durch    letztwillige  Verfügung  die   aus  400  Nummern 
bestehende  Thalersammlung  des  Rentiers  C.  Demuth  in  Landeck  zu.     Eine  Versteigerung 
der  entbehrlich  gewordenen  Stücke  erfolgte  im  Jahre  1893 -)  und  ergab  einen  Reinertrag 
von  6234  Mark.     Mit  Hilfe  dieser  Mittel  und  der  seit  1895  beträchtlich  gewachsenen  Ein- 
nahmen   des    Museums    wurde    eifrig  an  der  Vervollständigung  der  Sammlung  gearbeitet. 
Von  1893  bis  1898,  der  Zeit,  in  welcher  Herr  Dr.  Seger  das  Kustodiat  verwaltete,  kamen 
mehr  als  600  neue  Nummern  zu  der  schlesischen  Sammlung  hinzu,  darunter  einige  ausser- 
ordentliche Seltenheiten. 

Schon  lange  vorher  hatten  Herr  v.  Saurma  und  ich  erwogen,  ob  es  nicht  möglich  sei, 
seine  Sammlung  mit  der  städtischen  zu  vereinen,  weil  dann  eine  unvergleichliche  Folge 
schlesischer  Münzen  und  Medaillen  herauskommen  musste,  deren  Herstellung  uns  beide 
gleichmässig  lockte:  seine  Sammlung  war  die  vollständigere,  die  unsere  reicher  an  nur 
einmal  vorhandenen  Stücken,  beide  ergänzten  sich  offensichtlich  weit  mehr,  als  man  das 
bei  einem  immerhin  ziemlich  engen  Sammelfelde  erwarten  sollte.  Nun  war  wenigstens 
Saurmas  Besitz  vor  der  Zerstreuung  gerettet,  und  die  Museumsverwaltung  ging  bereitwillicr 
auf  mem  Bestreben  ein,  trotz  der  räumlichen  Trennung  beider  Sammlungen  eine  gewisse 
Gemeinschaft  unter  ihnen  herzustellen.  Wir  vermieden  insbesondere  jeden  Wettbewerb 
auf  dem  Münzmarkt,  im  Gegenteil  verteilten  wir  die  zum  Angebot  gelangenden  Münzen 
unter  einander  je  nach  den  vorhandenen  Mitteln  und  untediessen  die  Erwerbung  von 
in  der  anderen  Sammlung  vertretenen  Stücken.  Endlich  schlug  dann  auch  die  Stunde 
der  völligen  Vereinigung.  Zwei  Umstände  führten  sie  herbei:  einmal  die  durch  die  hoch- 
herzige Zuwendung  des  Herrn  Stadtältesten  von  Korn  geschaffene  Möglichkeit  der  Errichtung 

')  Vergl.  hierzu  die  Aufsätze  in  der  Schlesischen  Zeituufr  vom  I.Juni  1SS7  und  in  der  Breslauer 
Zeitung  vom  20.  JuM  1S86,  auch  Bd.  7  S.  97  der  Muscumszeitschrift. 

-')  Verzeichnis  der  verkäufHchen  Münzen  und  Medaillen  des  Museums  Schlesischer  Altertümer. 
12S.  Auktions-Kataiog  von  Adolph  Weyl,  Breslau  1893. 


150 

eines  städtischen  Museums  und  dann  die  mit  der  Herausgabe  der  neueren  Münzgeschichte 
Schlesiens  im  engsten  begrifflichen  Zusammenhange  stehende  Neuverzeichnung  aller 
bekannten  schlesischen  Münzen  und  Medaillen.  Ersteres  Ereignis  bewirkte,  dass  die  Stadt 
Breslau  in  den  Besitz  der  beiden  Münzsammlungen  gelangte,  die  getrennt  aufzustellen  und 
aufzubewahren  womöglich  noch  weniger  Sinn  hatte  als  früher  die  Erhaltung  der  13  kleinen 
Sammlungen.  Die  erwähnte  litterarische  Arbeit,  die  der  Kustos  des  Museums  und  ich 
unter  uns  verteilt  hatten,  wäre  aufs  äusserste  erschwert  worden,  hätte  uns  nicht  eine 
einheitliche  Sammlung  zu  Gebote  gestanden.  So  gestatteten  denn  auf  Grund  entsprechen- 
der Berichte  und  Denkschriften  die  städtischen  Behörden  zunächst  Anfang  1897  die  Über- 
führung der  städtischen  Münzen  in  das  Museum  schlesischer  Altertümer,  dann  nach  dem 
Zustandekommen  des  endgiltigen  Vertrages  zwischen  der  Stadt  und  dem  Museumsverein 
die  Verschmelzung  beider  Sammlungen,  die  von  Herrn  Dr.  Seger  unter  meiner  und  Herrn 
Kaufmann  Striebolls  Mitwirkung  vollzogen  wurde. 

Es  war  dies  eine  herrliche,  aber  oft  recht  mühsame  Arbeit.  Selbstverständlich  ver- 
fuhren wir  dabei  so,  dass  von  den  zur  Auswahl  stehenden  gleichartigen  Münzen  immer 
die  besterhaltenen  eingelegt  und  der  Begriff  der  Dublette  möglichst  streng  gefasst  wurde: 
nur  solche  Stücke,  die  wirklich  einem  anderen  ganz  genau  entsprachen,  wurden  als  doppelt 
ausgeschieden,  bei  den  kleinsten  Münzen  öfters  auch  zwei  Exemplare  ohne  genauere  Fest- 
stellung ihrer  Unterschiede  aufbewahrt,  was  sich  ja  ohne  weiteres  rechtfertigt.  Dabei 
bewahrheitete  sich  unsere  Vermutung,  dass  beide  Sammlungen  sich  in  geradezu  wunder- 
barer Weise  ergänzten,  aufs  schönste.  Verhältnismässig  unbedeutend  war  die  Zahl  der 
Dubletten;  sie  wurden  im  Juni  18Q9  durch  L.  &  L.  Hamburger  in  Frankfurt  a.  Main  ver- 
steigert, wodurch  namentlich  die  Mittel  zur  Abstossung  des  Restes  der  Schuld  an  v.  Saurmas 
Erben  gewonnen  wurden. 

So  war  denn  eine  mehr  als  dreihundertjährige  Entwicklung  zum  Abschluss  gekommen: 
die  Stadt  Breslau  besitzt  ein  Münzkabinet  von  über  14000  Stücken,  das,  in  allen  seinen  Teilen 
ansehnlich  und  lehrreich,  in  der  schlesischen  Abteilung  eine  Spezialsammlung  enthält,  wie 
sie  für  kein  anderes  Gebiet  dieses  Umfanges  irgend  wie  ähnlich  besteht.  Unser  Verzeichnis 
der  neuen  schlesischen  Gepräge  führt  nicht  weniger  als  100  Münzfürsten  auf,  dazu 
—  einschliesslich  zweier  ständischen  Prägungen  —  16  Oberlehnsherren  und  12  Städte,  im 
ganzen  also  128  Prägeherren,  die  mit  etwa  3600  Nummern  vertreten  sind.  Dazu  kommen 
noch  28  private  Marken  und  über  1400  Medaillen,  alles  zusammen  also  mehr  als 
5000  Nummern,  zu  denen  aus  dem  Mittelalter  etwa  900  Nummern  treten.  So  gross  also 
ist  der  Vorrat  der  bekannten  und  sicher  nachweisbaren  schlesischen  Münzdenkmäler. 
Von  ihnen  fehlen  uns  jetzt  aus  dem  Mittelalter  kaum  200  Nummern,  davon  die  Hälfte 
grosse  Brakteaten,  aus  neuer  Zeit  von  den  Münzen  etwa  770,  von  den  Medaillen  etwa 
200  Nummern.  Dafür  sind  aber  sehr  viele,  unter  den  Münzen  die  meisten  Nummern  mit  mehr 
als  einem,  manche  mit  sehr  vielen  Exemplaren  vertreten:  es  wird  daher  nicht  wunder  nehmen, 
wenn  wir  den  Bestand  der  ganzen  (schlesischen)  Sammlung  auf  reichlich  10000  Stück 
beziffern.     Dazu  kommt  dann   noch   als  ein  für  die  wissenschaftliche  Verwertung  unserer 


151 

Münzen  höchst  wichtiges  Hilfsmittel:  die  Sammlung  von  Abgüssen  der  uns  fehlenden 
Stücke,  soweit  solche  irgend  erreichbar  waren,  und  eine  grosse  Anzahl  von  Münzstempeln, 
meist  aus  dem  Besitz  der  Städte  Breslau  und  Glogau,  auch  diese  ein  lehrreicher  und  wert- 
voller Besitz. 

Es  verdient  nun  auch  noch  an  dieser  Stelle  betont  zu  werden,  dass  eine  solche 
Sammlung  wie  die  unsere,  überhaupt  nicht  mehr  zusammenzubringen  ist:  die  Beobachtung 
des  Münzmarktes  während  mehr  als  20  Jahren  hat  bewiesen,  dass  manche  Stücke,  die 
wohl  schon  von  Anfang  an  nur  in  ganz  kleiner  Zahl  vorhanden  waren,  jetzt  so  gut  wie 
völlig  verschwunden  sind,  also,  soweit  sie  den  Dreissigjährigen  und  den  Siebenjährigen 
Krieg  und  die  Franzosenzeit  überstanden  haben,  in  Museen  ihre  letzte  Ruhestätte  gefunden 
haben,  z.  B.  die  Goldmedaillen  der  Breslauer  Bischöfe  und  die  älteren  Privatmedaillen. 
Taucht  aber  noch  einmal  irgendwo  ein  wirklich  gutes  Stück  auf,  so  ist  seine  Erwerbung 
wegen  des  Mitbewerbs  von  Leuten,  die  das  Sammeln  mehr  als  eine  Art  Protzensport, 
denn  aus  wissenschaftlichem  Sinn  treiben,  wenn  überhaupt,  so  nur  unter  schweren  Opfern 
möglich.  Aber  nicht  nur  in  solchen  Seltenheiten  haben  wir  unsern  Ruhm,  nicht  minder 
stolz  sind  wir  auf  die  Vollzähligkeit  und  den  Reichtum  der  Reihen  der  gewöhnlichen 
Münzen,  die  nur  durch  das  jahrelang  an  zwei  verschiedenen  Stellen  systematisch  betriebene 
Sammeln  erreicht  werden  konnte.  Als  Beispiele  dieses  einzig  dastehenden  Reichtums  seien 
hier  nur  die  Münzen  Kaiser  Leopolds  (über  760  Stück)  und  die  von  Johann  Christian  und 
Georg  Rudolf  von  Liegnitz-Brieg  (270  Stück)  hervorgehoben.  Verhältnismässig  nicht  sehr 
bedeutend  ist  vielleicht  unser  Bestand  an  jenen  grossen  Goldstücken  zu  5  und  10  Dukaten, 
in  denen  sich  die  Prunkliebe  alter  Zeit  so  gern  gefiel:  die  Männer,  denen  wir  unsere 
Sammlungen  verdanken,  haben  nicht  mit  Unrecht  die  Aufwendung  für  Stücke  von  so 
hohem  Metallwert  gescheut,  wenn  sie  denselben  Stempel  in  einem  weniger  kostspieligen 
Gepräge,  also  als  Thaler  oder  Halbthaler,  haben  konnten;  auch  die  Stadtbibliothek  und 
das  Museum  haben  bei  der  Beschränktheit  ihrer  Mittel  die  gleiche  Rücksicht  walten  lassen 
müssen.  — 

Es  wird  für  viele  Leser,  auch  wenn  sie  sich  mit  der  Münzkunde  nicht  besonders 
befassen,  immerhin  von  Reiz  sein,  einen  Rundgang  durch  unsere  Sammlung  zu  machen, 
zu  beobachten,  wie  sich  ihre  Bestandteile  ergänzt  haben,  sich  an  ihrem  Reichtum  zu 
erfreuen  und  festzustellen,  was  noch  fehlt. 

Wir  beginnen  mit  den  Mittelaltermünzen.  Die  Sammlung  v.  Saurmas  war  auf 
diesem  Gebiete,  soweit  die  grossen  Brakteaten  und  die  Denare  in  Frage  kommen,  sehr  reich; 
doch  lagen  diese  Reihen  seinem  Interesse  ferner,  daher  wurden  sie  auch  bei  weitem  nicht 
so  eifrig  gepflegt,  wie  die  übrigen.  Die  Sammlungen  der  Stadt  waren  in  dieser  Beziehung 
sogar  dürftig,  da  man  zu  den  Zeiten  von  Hancke,  Mentzel  und  Arletius  auf  kleine  Münzen 
weniger  Wert  legte,  auch  die  mittelalterliche  Münzkunde  überhaupt  noch  im  argen 
lag.  Immerhin  ist  diese  Abteilung,  deren  geschichtlicher  Wert  höher  ist,  als  der  der 
neueren  Folgen,  jetzt  recht  ansehnlich  geworden,  alle  Reihen  haben  sich  in  erwünschter 
Weise  ergänzt  und  einen  durchweg  höchst  ansehnlichen  Bestand  ergeben.    Die  jetzt  noch 


152 

bestehenden  Lücken,  die  sich  auf  dem  Gebiete  der  Goldmünzen,  l<ieinen  Brakteaten  und 
Heller  am  empfindlichsten  bemerkbar  machen,  wird  einst  die  dem  Museum  letztwillig 
vermachte  Sammlung  des  Verfassers  dieses  Berichts  fast  ganz  ausfüllen.  Unter  den  jetzt 
vorhandenen  Stücken  sind  die  wertvollsten  ein  Goldgulden  der  Anna,  Witwe  Wenzels  1. 
von  Liegnitz,  und  der  sogenannte  Turzothaler  von  1508,  ersterer  aus  der  Sammlung 
Mentzels,  letzterer  anscheinend  das  Exemplar  des  Fürsten  Pless,  eine  Erwerbung  aus  der 
Zeit  um   1860,  über  die  sich  leider  nichts  näheres  hat  ermitteln  lassen. 

Die  Reihe  der  neuzeitlichen  Münzen  beginnen  die  der  Oberiehnsherren.  Die 
verhältnismässig  zahlreichen  habsburgischen  Münzen  des  16.  Jahrhunderts  weisen  auch 
viele  Seltenheiten  auf:  Halbthaler  von  1540  ohne  Jahreszahl,  Thaler  1564,  Dukat  1567, 
halber  Weissgroschen  1584  u.  s.  w.  Von  dem  Pfalzgrafen  Friedrich,  dem  unglücklichen 
Winterkönig,  besitzen  wir  fast  sämtliche  schlesischen  Gepräge  aus  den  Münzstätten  Öls 
und  Troppau  und  von  den  Münzen,  die  die  schlesischen  Stände  von  1621  bis  1623 
gleichsam  in  Vertretung  des  obersten  Landesherrn  geschlagen  haben,  fehlt  nur  noch  das 
goidne  Fünfundzwanzigthalerstück.  Überaus  reich  vertreten  —  mit  mehr  als  250  Stücken! 
—  ist  die  interessante  Kipperzeit,  deren  Münzzeichen  noch  nicht  sämtlich  gedeutet  sind; 
hier  ist  namentlich  die  Mannigfaltigkeit  in  den  Abarten  der  berüchtigten  Vierundzwanziger 
und  Gröschel  sehr  gross.  Seltenheiten  sind  Thaler  von  1624  und  25  aus  den  Münzstätten 
Breslau,  Weisse  und  Oppeln,  darunter  ein  Dickthaler,  und  von  den  kleinen  Münzen  die 
kupfrigen  Erzeugnisse  der  Troppauer  Falschmünzerwerkstätte  Balthasar  Zwirners.  Nahezu 
vollständig  sind  die  Reihen  der  folgenden  Jahrzehnte  bis  zum  Ausgange  der  Habsburger, 
von  Leopold  besitzt  das  Kabinet  nicht  weniger  als  299  von  363  Nummern  des  Verzeich- 
nisses mit  etwa  770  Stücken,  von  Joseph  52  von  66  Nummern  und  133  Stücke,  von  Karl  VI.  84 
von  102  Nummern  und  161  Stücke.  Hier  giebt  es  weniger  eigentliche  Seltenheiten, 
immerhin  verdienen  die  Doppelthaler  Ferdinands  111.  und  ein  solcher  von  Leopold,  ferner 
der  „schlesische  Thaler"  Ferdinands  von  1650,  die  Brieger  Münzen  Leopolds  von  1677 
(Dukat,  Fünfzehn-  und  Sechskreuzer)  und  der  goldene  Vierer  von  1699  Erwähnung.  In 
ausserordentlicher  Fülle  sind  auch  die  Münzen  der  preussischen  Zeit  vorhanden:  an  730  Stück, 
dabei  mehr  als  60  goldene.  Unter  ihnen  ist  als  eine  der  grössten  Kostbarkeiten  der 
Sammlung  die  vollständige  Reihe  der  Hoymmünzen  („D.  20.  AUG.  1781")  hervorzuheben. 
Es  darf  ohne  Überhebung  ausgesprochen  werden,  dass  diese  Reihen  bei  uns  vollständiger 
sind,  als  in  den  landesherrlichen  Sammlungen  zu  Wien  und  Berlin. 

Die  Liegnitz-Brieger  Reihe  ist  nach  der  oberlehnsherrlichen  die  stärkste,  die  reichste 
unter  den  fürstlichen.  Sie  beginnt  mit  den  seit  1541  geschlagenen  Münzen  Friedrichs  II., 
Thalern  und  ihren  Teilstücken  und  kleineren  Sorten  auf  polnischen  Fuss,  auch  zwei  der 
sehr  seltenen  Dukaten  können  wir  aufweisen.  Nach  Einstellung  der  Prägung  durch  den 
Kaiser  setzt  sich  die  Reihe  in  einigen  schönen  Medaillen  fort,  von  denen  wir  nicht  weniger 
als  fünf,  darunter  2  anmutige  Arbeiten  von  Tobias  Wolff,  besitzen,  alles,  was  von  Georg  II. 
bekannt  geworden  ist.  Von  Joachim  Friedrich,  der  die  Befugnis  zur  Ausübung  des  Münz- 
rechts wieder  erlangte,  haben  wir  einen  Dukaten  um]  den  noch  viel  selteneren  Doppelthaler 


153 

auf  seine  silberne  Hochzeit,  von  seiner  Witwe  Anna  Maria  drei  von  den  seltenen  grossen 
Sterbemünzen.  Seiner  Söhne  Johann  Christian  und  Georg  Rudolf  wurde  oben  als  be- 
sonders münzreicher  Herren  schon  gedacht:  es  ist  doch  in  der  That  ein  nicht  leicht  wieder- 
zufindender Reichtum,  wenn  wir  von  ihnen  aus  dem  einen  Jahre  1610  allein  20  Goldmünzen 
aufzuweisen  haben.  Die  Brüder  haben  zuerst  gemeinsam,  dann  jeder  für  sich  geprägt, 
ihre  Reihen  enthalten  eine  beträchtliche  Menge  von  seltenen  und  interessanten  Stücken, 
wie  die  Medaillen  Georg  Rudolfs,  den  Kreuzburger  und  den  Liegnitzer  Schauthaler  von  1622, 
die  Doppelthalerklippe  von  Wohlau,  Groschen  von  Herrnstadt  und  zahlreiche  andere  Kipper- 
münzen, die  sich  bei  diesem  Fürstentum  besonders  mannigfach  erweisen.  Die  folgenden 
Münzherren  Georg,  Ludwig  und  Christian  haben  ebenfalls  zuerst  gemeinschaftlich,  dann 
jeder  für  sich  geprägt,  auch  ihre  Reihe  ist  ausserordentlich  reich  (18Q  Stück,  davon  38  Gold- 
münzen), aber  wenigstens  soweit  die  Gemeinschaftsprägung  in  Frage  kommt,  sehr  ein- 
förmig. Abgesehen  von  den  meist  recht  seltenen  Medaillen,  unter  denen  sich  eine  sehr 
schöne  Arbeit  von  D.  Voigt  befindet,  verdient  als  kulturgeschichtliche  Merkwürdigkeit  die 
stattliche  Folge  sogenannter  Mühlzeichen  hervorgehoben  zu  werden,  die  besonders  gepflegt 
wurde  und  die  sehr  stattliche  Zahl  von  21  Stück  erreicht  hat.  Fast  ganz  vollzählig  vor- 
handen sind  die  Gepräge  Georg  Wilhelms,  des  letzten  Piasten.  Die  ganze  Liegnitz-Brieger 
Reihe  umfasst  im  Verzeichnis  644  Nummern,  von  denen  521  mit  1313  Stücken,  darunter 
127  goldenen,  vertreten  sind. 

Von  den  Fürstentümern,  die  aus  dem  zu  Ende  des  Mittelalters  zerschlagenen 
Herzogtum  Glogau  hervorgingen,  kommen  für  die  Neuzeit  Kressen  und  Sagan  in  Betracht. 
Ersteres,  seit  1481  brandenburgisch,  hat  zu  den  schlesischen  Reihen  erst  jüngst  zwei  neue 
Münzherren  beigesteuert:  den  Markgrafen  Johann  von  Küstrin  und  den  Kurfürsten  Georg 
Wilhelm,  von  denen  früher  nicht  bekannt  war,  dass  und  was  sie  in  Krossen  geprägt 
hatten.  Trotzdem  ist  wenigstens  die  nur  zum  kleinsten  Teil  den  alten  Beständen  ent- 
nommene Folge  Georg  Wilhelms  schon  recht  stattlich,  und  ein  glücklicher  Zufall  hat  uns 
jüngst  sogar  auch  einige  bessere  Sachen,  namentlich  den  Vierundzwanziger,  zugeführt. 
Fast  ganz  vollständig  und  sehr  gut  besetzt  ist  die  Reihe  des  grossen  Kurfürsten,  auch  sie 
enthält  manch  seltenes  Stück.  Sagan  wird  hauptsächlich  durch  die  Reihe  Albrechts  von 
Wallenstein  vertreten,  von  dessen  sehr  zahlreichen  Münzen  freilich  recht  wenige  auf  sein 
schlesisches  Besitztum  entfallen:  zum  Glück  sind  diese  ganz  besonders  seltenen  Stücke 
bis  auf  drei  vorhanden,  wunderlicher  Weise  fehlen  dagegen  die  späteren  Medaillen  — 
von  Becker  in  Wien  —  mit  seinem  Bildnis  fast  ganz.  Von  den  folgenden  Besitzern  des 
Fürstentums  haben  wir  u.  a.  die  mit  Sagan  selbst  allerdings  nur  in  loser  Beziehung 
stehende  Medaille  von  Wenzel  Eusebius  von  Lobkowitz  und  den  Dukaten  seines  Sohnes 
Ferdinand  u.  a. 

Die  Mittelaltermünzen  der  Herzöge  von  Münsterberg-Öls  schliessen  mit  den  auf 
Grund  des  Privilegs  von  1502  geprägten  rheinischen  Gulden,  die  bis  1526  reichen.  Schon 
1520  beginnt  die  neuzeitliche  Reihe  mit  ungarischen  Gulden,  d.  i.  Dukaten.  Diese  bis  1570 
reichende  Folge         das  glänzende  Zeugnis  für  die  Blüte  des  Reichensteiner  Bergbaus  — 


154 

ist  ausserordentlich  vollständig  vorhanden  (89  Stück),  ausgezeichnet  sind  darin  die  grossen 
Goldstücke  mit  den  Bildern  Karls  I.  und  seiner  Söhne  Joachim  und  Johannes.  Überaus 
ansehnlich  sind  auch  die  Reihen  des  münzreichen  Karl  II.  und  seiner  Söhne  Heinrich 
Wenzel  und  Karl  Friedrich,  aber  mehr  durch  die  Zahl  der  vertretenen  Werte  und  die  Ver- 
schiedenheiten der  einzelnen  Stempel  -  so  besitzen  wir  z.  B.  von  1619  nicht  weniger 
als  34,  von  1620  sogar  41  verschiedene  Groschen  -  als  in  Bezug  auf  Mannigfaltigkeit 
der  Prägung,  selbst  die  Kipperzeit  hat  verhältnismässig  wenige  eigenartige  Stücke  auf- 
gebracht. Von  allen  drei  Fürsten  giebt  es  auch  Medaillen,  die  sich  grösstenteils  nur  durch 
ihre  Seltenheit,  nicht  durch  ihre  Schönheit  auszeichnen,  auch  sie  sind  bis  auf  diejenigen 
Karl  Friedrichs  recht  gut  vertreten.  Die  Herzöge  aus  Podiebrats  Hause  wurden  von  solchen 
aus  württembergischem  Stamme  abgelöst,  die  uns  eine  Reihe  von  Münzen  und  namentlich 
Medaillen,  das  Werk  des  trefflichen  Johann  Neidhardt,  hinterlassen  haben,  wie  sie  wenige, 
selbst  viel  mächtigere  Geschlechter  aufweisen  können.  Dies  war  das  Sammelfeld  der 
beiden  Arletius,  ihre  Freude  „in  pulvere  scholastico",  wie  Johann  Kaspar,  der  Sohn,  selbst 
schreibt:  ihnen  verdanken  wir  es  hauptsächlich,  dass  wir  diese  Reihe  in  einer  von  Berlin, 
Wien  und  wohl  selbst  Stuttgart  unerreichten  Fülle  besitzen.  Bei  Eröffnung  der  städtischen 
Münzsammlung  am  1.  Oktober  1880  waren  184  dieser  Gepräge  zusammen,  darunter 
10  goldene  und  170  silberne,  bis  zum  Jahre  1898  vermehrte  sich  diese  nun  natürlich  mit 
besonderer  Sorgfalt  gepflegte  Reihe  auf  247  Stück,  darunter  12  goldene  und  231  silberne. 
Da  V.  Saurmas  Sammlung  zufällig  gerade  in  diesem  Fach  ebenfalls  sehr  reich  war,  so 
sind  es  jetzt  382  Stück  (14  goldene,  382  silberne)  geworden:  eine  unserer  vollständigsten 
Reihen,  an  Mannigfaltigkeit  der  Gepräge,  wie  an  Zahl  der  grossen  Wertstücke  vielleicht 
die  stattlichste  und  interessanteste. 

Einen  kurze  Zeit  zur  Selbständigkeit  gelangten  Splitter  des  Fürstentums  Münster- 
berg, von  welch  letzterem  3  Münzen  bekannt,  2  vorhanden  sind,  bildet  die  Herrschaft 
Reichenstein,  in  der  die  Herren  Wilhelm  und  Peter  Wok  von  Rosenberg  ansehnliche 
Mengen  Dukaten  und  einen  Thaler  geschlagen  haben.  Letzterer  fehlt  leider,  die  Dukaten 
sind  grösstenteils  vorhanden,  von  den  goldenen  Schaumünzen  sind  zwei  Sorten  da,  zwei 
fehlen,  von  den  überaus  seltenen  Medaillen  besitzen  wir  zwei  Stück,  von  denen  das  eine 
bisher  unbekannt  war,  die  übrigen  kennt  man  nur  aus  Büchern. 

Das  Bischofsland,  das  Fürstentum  Weisse,  erfreut  sich  eines  ausserordentlichen 
Münzreichtums.  Seine  Reihe  beginnt  mit  der  goldenen  Ausbeute  des  Altvatergebirges, 
Dukaten  und  Schaustücken,  die  sämtlich  bis  zu  Johann  VI.  einschliesslich  mehr  oder 
minder  selten  sind.  Von  diesen  ältesten  Bischöfen  ist  nur  die  Folge  des  Martin  Gerst- 
mann ziemlich  vollständig:  wir  besitzen  von  ihm  ausser  10  Goldmünzen  auch  seine  beiden 
Medaillen,  deren  eine  des  berühmten  Nürnbergers  Valentin  Maler  einzige  schlesische  Arbeit 
ist.  Die  übrigen  Herren  sind  für  unsere  Verhältnisse  schwach  vertreten:  31  Stück,  dazu 
an  Schaustücken  ein  Jakob  und  zwei  Andreas.  Mit  Bischof  Karl  beginnen  die  Thaler  inid 
kleinen  Münzen,  in  seiner  Reihe  sind  die  grossen  Werte  fast  durchgängig  Seltenheiten, 
sie  sind  reichlich,  die  kleinen  vollzählig  vorhanden;  unter  den  Medaillen  zeichnet  sich  ein 


155 

Alessandro  Abbondio  aus.  Karl  Ferdinands  Reihe  fällt  mehr  durch  abenteuerliche  Formen, 
als  durch  interessante  Gepräge  auf,  sie  ist  wegen  ihrer  Einförmigkeit  und  Kostspieligkeit  nicht 
besonders  gepflegt  worden,  enthält  aber  immerhin  18  Stücke  nur  aus  den  Jahren  1631,32, 
3Q  und  42.  So  gut  wie  vollständig  sind  dann  wieder  die  Reihen  von  Sebastian  und 
Friedrich.  Der  münzreiche  Franz  Ludwig  glänzt  durch  eine  verhältnismässig  grosse  An- 
zahl von  Goldstücken  und  Medaillen,  und  die  letzten  Bischöfe  endlich  lassen  kaum  noch 
etwas  zu  wünschen  übrig. 

In  Bezug  auf  die  Münzen  der  Grafschaft  Gl  atz  ergänzten  sich  die  beiden  ver- 
schmolzenen Sammlungen  vielleicht  am  günstigsten,  so  dass  nur  ein  Stück  ausgesondert 
werden  konnte.  Nunmehr  sind  die  Münzen  Johanns  von  Bernstein  fast,  die  Ernsts  ganz 
vollständig,  manche  dieser  meist  sehr  seltenen  Stücke  sogar  in  mehreren  Abarten  vor- 
handen. Durchgehends  selten  sind  auch  die  Erzeugnisse  der  1627  von  König  Ferdinand  III. 
wiedereröffneten  Glatzer  Münze,  namentlich  die  Thaler  und  Goldstücke;  unsere  Reihe  um- 
fasst  nicht  weniger  als  77  Nummern  mit  105  Stücken,  sicher  die  stattlichste  Folge,  die 
von  diesen,  erst  in  neuester  Zeit  recht  beachteten  Münzen  bisher  zusammengebracht 
wurde. 

Unter  den  oberschlesischen  Fürstentümern  steht  Oppeln  -  Ratibor  voran.  Die 
Reihe  beginnt  mit  Gabriel  Bethlen,  dem  siebenbürgischen  Fürsten,  dessen  sehr  interessante, 
gegen  früher  nicht  unwesentlich  erweiterte  Folge  sich  nicht  nur  durch  einen  geradezu 
ungeheuerlichen  Reichtum  von  Vierundzwanzigern  eines  Jahrgangs  und  eines  Gepräges 
(32  Stück),  sondern  auch  durch  mehrere  seltene  und  interessante  Stücke,  insbesondere  die 
Klippen  zu  2  und  zu  ' ,  Thaler,  auszeichnet.  Durchgehends  sehr  selten  sind  auch  die 
Münzen  der  folgenden  Herrscher,  insbesondere  die  von  Johann  Buchheim  in  Breslau  ge- 
schnittenen schönen  Thaler  und  Goldmünzen  des  jetzt  für  die  Jahre  1653  und  1654  als 
Oppelner  Münzherr  nachgewiesenen  Karl  Ferdinand,  von  dem  jüngst  auch  ein  sehr  merk- 
würdiges Gröschel  aufgetaucht  und  erworben  worden  ist. 

Die  Reihe  von  Teschen  war  bei  Eröffnung  der  städtischen  Münzsammlungen  eine 
der  schwächsten:  sie  enthielt  nur  41  Stück,  darunter  zwar  mehrere  Thaler,  aber  die  gerade 
bei  diesem  Fürstentum  so  sehr  interessanten  kleinen  Münzen  waren  nur  schwach  vertreten. 
Bis  zum  I.April  18Q8  hatte  sich  diese  Zahl  auf  146  Stück  erhöht,  also  fast  vervierfacht, 
ein  Beweis  nicht  nur,  wie  man  es  sich  hat  angelegen  sein  lassen,  hier  nachzuhelfen, 
sondern  auch,  wie  reich  die  Prägung  in  diesem  Fürstentum  war.  Jetzt  nach  der  Ver- 
einigung prangt  Teschen  mit  nicht  weniger  als  364  Stücken.  Die  Fülle  der  bemerkens- 
werten Gepräge  ist  so  gross,  dass  hier  nur  im  allgemeinen  darauf  hingewiesen  werden 
kann,  wie  diese  Münzen  durchgängig  Erzeugnisse  einer  Jahrzehnte  lang  fortgesetzten 
Raubmünzung  sind,  dazu  bestimmt,  durch  Nachahmung  fremder  Gepräge  die  Welt  zu 
täuschen,  in  der  Reihe  Adam  Wenzels  sind  namentlich  die  Thaler-  und  die  Halbthaler- 
klippe  von  1609  und  der  Thaicr  von  1611,  letzterer  aus  dem  alten  Besitz  des  Museums 
und  in  v.  Saurmas  Verzeichnis  noch  nicht  erwähnt,  grosse  Seltenheiten.  Die  interessanten 
Kippermünzen   Friedrich  Wilhelms  aus  den  gleichzeitig  betriebenen  AAünzcn  zu  Skotschau 

20* 


156 

und  Teschen  sind  vollzälilig  und  in  grosser  Anzaiil  vorhanden  (17  Nummern,  34  Stück). 
Von  Elisabeth  Lukretia  besitzen  wir  zwei  der  unförmigen  Stücke  mit  Wappen  und  Schrift, 
ihre  Bildnismünzen  fehlen  uns  leider  gänzlich,  unter  den  kleinen  Münzen  der  kaiserlichen 
Regierung  ragt  als  grosse  Seltenheit  der  Groschen  mit  dem  Bilde  Ferdinands  IV.  hervor. 
Hier  ist  übrigens  manches  von  v.  Saurma  aufgenommene  Stück  als  nicht  schlesisch  aus- 
gesondert worden,  namentlich  unter  den  Medaillen  der  letzten  in  der  Numismatik  ver- 
tretenen Teschner  Fürsten,  der  Erzherzogin  Maria  Christina  und  ihres  Gemahls  Albert, 
sämtliche  auf  ihre  Regierung  in  Belgien  bezüglichen  Stücke. 

Zu  den  seltensten  schlesischen  Münzen  gehören  diejenigen  Karls  von  Liechtenstein- 
Troppau,  abgesehen  von  seinen  Groschen.  Auch  hier  ist  unser  Besitz  ein  verhältnis- 
mässig stattlicher:  5  Goldstücke  und  4  ganze  und  halbe  Thaler;  die  undatierte  ovale  Medaille 
ist  wenigstens  in  einem  alten  Bleiabguss  vorhanden,  die  breiten  Schauthaler  von  1623 
dagegen  fehlen  leider.  Die  folgenden  Fürsten  sind  mit  fast  sämtlichen  bekannten  Ge- 
prägen  vertreten,  unter  denen  die  grosse  Medaille  Johann  Adams,  eine  Perle  der  Arletius- 
schen  Sammlung,  wegen  ihrer  Schönheit  und  Seltenheit  erwähnt  zu  werden  verdient. 

Mit  den  Münzen  der  Herzöge  von  Jägerndorf,  von  brandenburgischem  Stamm 
steht  es  ähnlich  wie  mit  den  Teschenern:  die  Stadt  Breslau  besass  bei  Einrichtung  ihrer 
Sammlung  davon  nur  22  Stück,  die  sich  im  Lauf  der  Zeit  zwar  auf  77  vermehrten,  was 
aber  doch  nur  eine  dürftige  Reihe  war.  Auch  hier  ergänzten  sich  beide  Sammlungen 
trefflich,  so  dass  nach  Ausmerzung  einer  nicht  unbeträchtlichen  Anzahl  fränkischer  Gepräge 
einerseits,  andererseits  aber  dank  einigen  glücklichen  Erwerbungen  der  letzten  Zeit  an 
230  Stücke  vorhanden  sind.  Unsere  Reihen  beginnen  erst  mit  Georg  Friedrich,  die  kost- 
baren Nürnberger  Medaillen  seiner  Eltern  haben  wir  uns  noch  nicht  zulegen  können. 
Georg  Friedrichs  Münzen  bestehen  überwiegend  in  Thalern  und  Guldenthalern,  selten  sind 
durchweg  seine  Goldmünzen,  und  auch  von  Kleingeld  giebt  es  nur  wenige  Sorten,  unter 
ihnen  die  dreisten  Nachahmungen  kaiserlichen  Geldes  besonders  bemerkenswert.  Von 
Georg  Friedrichs  Nachfolger,  dem  Kurfürsten  Joachim  Friedrich,  sind  seine  3  bekannten 
Münzen  vorhanden,  in  der  Reihe  Johann  Georgs,  des  Generalfeldobersten  und  letzten 
Jägerndorfer  Prägeherrn,  befindet  sich  ausser  einer  stattlichen  Anzahl  der  wertvollen  grossen 
Gold-  und  Silbermünzen  mit  den  bisher  ungedeuteten  Buchstaben  FVC,  die  sich  als  des 
Markgrafen  Devise  Fides  Virtus  Constantia  entpuppt  haben,  die  herrliche  Goldmedaille 
von  1609,  wiederum  ein  Prachtstück  der  Arletiusschen  Sammlung,  und  der  erst  jüngst 
aufgetauchte  halbe  schlesische  Thaler  zu  36  Kreuzern  von  1621,  eines  der  merkwürdigsten 
Erzeugnisse  der  Kipperzeit.  Eine  schmerzliche  Lücke  bildet  das  Fehlen  der  Vermählungs- 
medaille von  1616. 

Die  Reihe  der  Städte  eröffnet  Breslau.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  die 
Stadt  ihre  eigenen  Münzen  in  besonders  reicher  Fülle  besessen  hat:  es  war  sozusagen 
Ehrenpflicht,  jedes  irgend  erreichbare  Stück  zu  erwerben.  Mit  76  goldenen,  127  silbernen 
und  30  kupfernen  Stücken  trat  die  städtische  Sammlung  ins  Leben  und  schloss  mit 
88  goldenen,  133  silbernen  und  40  kupfernen!     Auch  v.  Saurma   besass   eine  ansehnliche 


157 

Fülle  Breslauischer  Gepräge,  und  so  sind  denn  jetzt  89  goldene,  107  silberne,  54  kupferne 
Stücke  nur  aus  der  neueren  Zeit  vereint,  eine  fast  ganz  lückenlose  Reihe,  wie  sie  wenige 
Städte  werden  aufweisen  können.  Darin  eine  Fülle  interessanter  Stücke:  der  rheinische 
Gulden  von  1531,  die  Gelegenheitsprägungen  von  1611,  1612,  1614,  1617,  1620,  die  merk- 
würdigen kupfernen  und  bleiernen  Zeichen,  der  Probethaler  von  1670,  die  interessanten 
Schulprämien  in  lückenloser  Reihe.  Die  übrigen  Städte  steuern  hauptsächlich  sehr  inter- 
essante Reihen  der  Kippermünzen  von  Glogau,  Goidberg,  Krossen,  Liegnitz,  Schweidnitz 
und  Striegau  bei.  Unter  ihnen  befindet  sich  eine  nicht  geringe  Anzahl  von  Seltenheiten, 
wie  die  Kreuzer  von  Glogau  und  Schweidnitz,  die  Groschen  von  Liegnitz,  der  Striegauer 
mit  dem  Monogramm  des  Stadtnamens  u.  a.  m. 

Soweit  die  Münzen.  Unseren  Vorrat  an  Medaillen  haben  wir  in  drei  Gruppen 
geteilt,  deren  erste  und  wichtigste  die  der  Medaillen  auf  Privatpersonen  ist.  Jedem 
Kenner  ist  die  Seltenheit  der  meisten  dieser  Stücke  bekannt.  Durchmustert  man  die  heutigen 
Sammlungen,  so  begegnet  man  immer  wieder  denselben  Namen:  Burg,  Johann  Sigismund 
Haunold,  Neumann,  Plencken  u.  s.  w.,  allenfalls  noch  Jenkwitz  und  Promnitz.  Auch  auf 
diesem  Gebiet  hatte  von  Saurma  Erfolge  gehabt:  es  war  ihm  gelungen  nicht  nur  die 
gewöhnlicheren  Medaillen,  insbesondere  die  neuzeitlichen,  ziemlich  vollständig  zusammen- 
zubringen, sondern  auch  ein  paar  ältere  Stücke  zu  erhaschen,  als  deren  bestes  wohl  der 
Bibran  zu  bezeichnen  ist.  Die  allerdings  einzige  —  Medaille  auf  Kochticz  ist  leider 
ganz  schlecht  erhalten,  ein  paar  andere  erwiesen  sich  als  Fälschungen.  Niciit  viel  anders 
stand  es  um  den  städtischen  Besitz,  ein  Beweis  dafür,  wie  die  meisten  älteren  Medaillen 
schon  im  vorigen  Jahrhundert  fast  ganz  verschwunden  waren,  immerhin  fanden  sich  hier 
Urstücke  des  Pucher,  des  Nikolaus  Haunold  und  des  Gottfried  Woyssel,  ein  herrlicher 
Matthias  Lausnitz  u.  a.  Der  städtische  Besitz  vermehrte  sich  zwar  im  Laufe  der  Jahre 
von  87  auf  207  Stück,  doch  bestanden  diese  neuen  Erwerbungen  meist  aus  den  Erzeug- 
nissen der  letzten  100  Jahre,  die  in  der  städtischen  Sammlung  so  gut  wie  gar  nicht  ver- 
treten waren.  In  diese  recht  fühlbare  Lücke  vermochte  der  Verfasser  helfend  einzuspringen. 
Von  Anbeginn  seiner  Thätigkeit  gezwungen,  für  die  Vermehrung  der  ihm  anvertrauten 
städtischen  Sammlung  mit  unbedeutenden  Mitteln  zu  sorgen,  hatte  er  sich  gewöhnt,  dort 
noch  fehlende  Stücke,  wenn  es  an  Geld  gebrach,  für  sich  selbst  zu  erwerben  und  sie  bei 
gelegener  Zeit  der  Stadt  abzutreten.  So  entstand  gleichsam  von  selbst  eine  kleine  Samm- 
lung meist  höchst  kostbarer  Medaillen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts,  die  neben  einigen 
wenigen  fürstlichen  Bischof  Martin,  Peter  Wok  von  Rosenberg,  Georg  11.  von  Brieg, 
Georg  Friedrich    von    Jägerndorf  13    ältere    Medaillen    auf    Privatpersonen    enthielt, 

u.  a.  die  F'eter  Flötner  .zugeschriebene  Medaille  des  Heinrich  Ribisch  und  seiner  Freunde, 
einen  zweiten  Ribisch,  den  Queschwitz  von  Paul  Nitsch,  den  Alberti  von  Balthasar  Lauch, 
einen  Nikolaus  Haunold  von  Alessandro  Abbondio,  alle  diese  auch  vom  künstlerischen 
Standpunkte  aus  ersten  Ranges;  dazu  einige  hauptsächlich  des  heimatlichen  Interesses 
wegen  wichtige  Stücke  wie  die  Vermählungsmedaille  des  Georg  Fürst.  Diese  Medaillen 
konnten  bei   der  Vereinigung  der  Sammlungen  dem   Museum   abgetreten  werden,   da  sich 


158 

aus  den  Dubletten  die  verauslagten  Beträge  erstatten  liessen  und  der  Besitzer  sich  über 
den  Verlust  dieser  ihm  lieb  gewordenen  Stücke  mit  dem  Bewusstsein  tröstete,  dass  sie 
doch  nur  an  ihren  „richtigen  Ort"  gekommen  sind.  So  ist  denn  auch  für  die  ältere  Zeit 
ein  Bestand  geschaffen,  mit  dem  wir  uns  sehen  lassen  können,  freilich  sind  hier  weitere 
Erwerbungen  am  erwünschtesten,  um  nicht  zu  sagen:  am  nötigsten. 

Im  Fache  der  in  geradezu  sinnverwirrender  Fülle  vorhandenen  Geschichts- 
medaillen dürfen  wir  uns  eines  höchst  ansehnlichen  Vorrats  rühmen,  wenn  wir  auch 
manche  Stücke,  die  Kundniann  und  v.  Saurma  in  diese  Reihe  aufgenommen  hatten,  als  nicht 
schlesisch  haben  aussondern  müssen.  Dieses  Fach  zeichnet  sich  zunächst  äusserlich  durch 
mehrere  grosse  Goldstücke  bis  zu  20  und  30  Dukaten  aus,  Oeschenkexemplare,  die  stets  nur  in 
geringer  Zahl  ausgeprägt,  in  noch  geringerer  aufgehoben  worden  sind.  Unter  den  verhältnis- 
mässig wenigen  Stücken  aus  der  Zeit  vor  1700  befinden  sich  einige  Seltenheiten,  z.  B.  die 
Riegersche  Medaille  von  1634,  sowie  eine  Anzahl  sehr  schöner  Arbeiten  des  talentvollen 
Medailleurs  Buchheim.  In  dieser  Abteilung  befinden  sich  auch  gemäss  einer  wohl  unbe- 
denklichen Auslegung  des  Begriffs  der  schlesischen  Geschichtsmedaillen  die  zahllosen 
Schaustücke  auf  die  Ereignisse  der  drei  um  Schlesien  geführten  Kriege  in  seltener  Voll- 
ständigkeit. Auch  die  auf  Schlesien  bezüglichen  Erzeugnisse  der  neueren  und  neuesten 
Medaiilenfabrikation,  denen  die  Grazien  leider  meist  fremd  geblieben,  mussten  wir  aus 
kulturgeschichtlichen  Gründen  und  der  Vollständigkeit  halber  aufnehmen:  nur  wenige 
Stücke  ragen  aus  dieser  rudis  indigestaque  moles  erfreulich  hervor.  Den  Beschluss  bilden 
allerlei  Medaillen  ohne  persönliche  oder  geschichtliche  Beziehung  und  von  sehr  ver- 
schiedenem künstlerischem  Wert. 

Damit  ist  unser  Rundgang  beendet.  Wir  scheiden  von  einander  mit  dem  Wunsch, 
dass  es  der  Münzsammlung,  die  ja  einer  der  lehrreichsten  und  wertvollsten  Bestandteile 
des  Museums  ist,  auch  in  Zukunft  nicht  an  arbeitswilligen  Freunden  und  freigebigen 
Gönnern  fehlen  möge:  noch  bleibt  genug  Gelegenheit  zur  Bethätigung  der  Gesinnungen, 
die  dieses  Werk  ins  Leben  gerufen  haben. 

Ferdinand  Friedensburg 


159 


SCHLESISCHES    KUNSTGEWERBE    FRÜHERER 
ZEITEN    IN    AUSWÄRTIGEM    BESITZ 

Bautzen  in  Sachsen,  Eigentum  der  Stadt 

Nautilus  mit  Deckel,  gestiftet  1665  von  Senator  Oswald  Nitsclie.  Beschauzeichen  W, 
Meisterzeichen  MA  (iigiert);  Arbeit  des  Mathes  Alischer,  vergl.  Schles.  Vorz.  Bd.  Vil, 
S.  141,  Catalogus  vom  Jahre  1617. 

Berlin,  Kgl.  Kunstgewerbe-Museum 

Becher  aus  Silber,  konischer  Form,  reich  getrieben  mit  Muscheln  und  Akanthusornament. 
Höhe  0,155  m.  Beschauzeichen:  Johanneskopf.  Meisterzeichen  Gl,  Arbeit  des 
Gottfried  Ihme,  1.  Hälfte  des  18.  Jahrh.  (Siehe  a.  o.  O.  S.  142). 

Becher  aus  Silber,  gerader  Form  mit  Deckel,  reich  getrieben  mit  grossen  Blumen.  Höhe 
0,24  m.  Beschauzeichen:  Johanneskopf.  Meisterzeichen  'r^  undeutlich;  Arbeit  des 
Joh.  Ernst  Römer,  2.  Hälfte  des  18.  Jahrh.  (Siehe  a.  o.  O.  S.  144,  Catalogus  von  1753). 

Zinnkanne  der  Tuchmacherinnung  von  Schwiebus,  mittlere  Grösse,  ruht  auf  drei,  aus  je 
einem  Löwenpaar  bestehenden  Füssen.  Auf  dem  abgekanteten  Körper  Christus, 
Madonna  und  Heilige  in  Gravierung.  Die  Figurenbekrönung  des  Deckels  fehlt. 
Vom  Jahre  1503. 

Thonschüssel  mit  dem  Wappen  des  Breslauer  Bischofs  Balthasar  von  Promnitz, 
Schlesisch,  16.  Jahrh.     (Abgeb.  auf  S.  124). 

Porzellanteller,  zwei  Stück,  ohne  Fabrikmarke,  aber  wohl  Wiener  Ursprungs,  bemalt 
von  Bottengruber  (AB  [in  Ligatur]  f.  Wrat.  1728).  Auf  dem  einen  Teller  Wein- 
rankenornament, das  vergoldete  Barockmotive  umschlingt,  in  denen  Putten  und 
Tiere  nach  den  Trauben  greifen,  in  der  Mitte  Bacchus  und  Ariadne.  Der  zweite 
ähnlich,  mit  Epheuranken.     Aus  Sammlung  Minutoli. 

Seidel  mit  mythologischen  Szenen  und  kleine  viervvandige  Flasche  en  camaYeu  bemalt 
mit  mythologischen  Szenen  in  goldumrandeten  Cartouchen,  beide  von  Bottengruber, 
aber  ohne  Signatur. 

Olaspokal  mit  Ansicht  und  Wappen  von  Breslau,  1.  Hälfte  des  18.  Jahrh. 

Glaspokal  mit  Deckel,  Ansicht  von  Warmbrunn,  Hirschberg  und  Landeshut.  in  einer 
Rokoko-Cartouche  FR  Iigiert. 

Glaspokal  mit  Deckel,  sehr  reich  geschliffen.  Attribute  des  Handels  und  des  Ackerbaues. 
Angeblich  von  Christian  Schneider  in  Warmbrunn  (1710     1782). 


löO 

Breslauer  Igel  mit  Barockornainenten,   1.  Hälfte  des   18.  Jahrh. 

Fayencen  von  Proskaii:  Kohlkopf  auf  Teller  mit  Blumen  dergl.  gelblich,  ohne 
Blumen  —  Butterdose  mit  Salz-  und  Pfeffergefässen. 

Berlin,  Herr  Dr.  Darmstädter 

Teller,  chinesisches  Porzellan,  in  einem  von  der  Glasur  befreiten  Quadrat  bacchantische 
Szene  in  rot  Camaieu,  von  Bottengruber.  Gehört  zu  der  Suite  von  signierten 
Bottengrubertellern  im  Schlesischen  Museum  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer. 

Berlin,  Sammlung  des  Unterzeichneten 

Thüreinfassung  in  Form  eines  Portales  aus  dem  Hause  Kupferschmiedestrasse  IQ  in 
Breslau.  Karyatiden  tragen  ein  Gebälk,  auf  dem  eine  geschnitzte  Aufsatzbekrönung 
ruht.  Eichenholz,  die  geschnitzten  Teile  vergoldetes  Lindenholz,  1.  Hälfte  des 
18.  Jahrh. 

Köpfe  zur  Aufnahme  von  Reliquien,  zwei  männlich,  zwei  weiblich,  aus  Holz  geschnitzt, 
mit  schöner  farbiger  Bemalung,  16.  Jahrh. 

Zinn- Willkomm  der  Bruderschaft  der  Tuchknappen  der  Neustadt  Breslau  vom  Jahre  162Q, 

behängt  mit  vielen  Erinnerungsschildern  in  Silber,  auf  dem  Deckel  fahnentragender 

Ritter.     Höhe  0,46  m.     Zinnstempel  W. 
Ölkanne  derselben  Innung  aus  Zinn,   innen  mit  Sieb,   der  Deckel  geteilt;  mit  graviertem 

Wappen.     Vom  Jahre  1736.     Höhe  0,28  m.     Zwei  Zinnstempel:  der  hl.  Georg  und 

Venus  auf  der  Erdkugel. 
Olaspokal,  graviert,   mit  Allianzwappen   des   Reichsgrafen   Ferdinand  Maximilian   Mettich 

(1688 — 1743)   und   der   Maria   Hanna  geborenen   Gräfin   von   Schrattenbach   (16Q2 

bis  1745),  1.  Hälfte  des  18.  Jahrh.     Höhe  0,20  m. 
Olaspokal  mit  Deckel  und  Wappen  von  Gersdorf.     Höhe  0,27  m. 
Olaspokal  mit  Wappen  von  Eickstädt  und  Jahreszahl  172Q.     Höhe  0,16  m. 
Olaspokal    mit    Doppelwappen    von    Berge    und    Ziegesar    und    Inschrift:     „Vergnügte 

Erinnerung  vergangener  Zeiten".     Höhe  0,16  m. 
Olaspokal  mit  Deckel,  Wappen  von  Wiedebach  und  Inschrift:    „Der  Edelsten  Gönnerin 

dankbadich  geweiht".     Höhe  0,18  m. 
Dose  aus  Elfenbein  mit  Schildpatt  im  Innern,  auf  dem  Deckel  in  Bronze  montirtes  Oval 

mit  Ansicht  von  Breslau  in  Gouachemalerei,  18.  Jahrh. 
Miniaturbild  eines  Mannes  auf  Porzellanplatte,  bezeichnet  Knoefvell  (Breslauer  Maler)  1803. 

Berlin,  Herr  Hans  Schlesinger 

Leuchter  aus  Silber,  ein  Paar,  mit  Kleeblattfuss,  aus  dem  der  Schaft  zuerst  rund,  dann  drei- 
teilig sich  entwickelt.  Beschauzeichen:  Johanneskopf.  Meisterzeichen  AP  ligiert,  Arbeit 
des  Augustin  I^eisker,  1.  Hälfte  des  18.  Jahrh.     (Siehe  a.  o.  O.  Catalogus  von  1700). 


161 

Brüssel,  Musee  cinquantenaire 

Nautilus.  Auf  einem  Fusse  mit  Renaissance-Ornamenten  ein  Sockel  für  drei  bockbeinige 
Satyrn,  die  auf  den  Köpfen  die  Nautilusmuschel  tragen.  Die  Muschel  selbst  ist 
montiert  in  Charnierbändern,  die  reicii  mit  Früchten  und  Vögeln  graviert  sind,  der 
getriebene  Deckel  mit  Knauf  schiiesst  sich  der  Form  der  Muschel  an  und  zeigt 
Delphine  auf  bewegten  Wellen.  Beschauzeichen  W  (14 lötig).  Leider  hatte  ich 
nicht  die  Möglichkeit,  das  Stück  genauer  zu  untersuchen  und  erkannte  durch  die 
Scheibe  der  Vitrine  nur  ein  D,  keinen  Vornamen,  so  dass  es  eine  Arbeit  von 
Dittmers  oder  Caspar  Drogener  sein  kann.     16.  oder  17.  Jahrh. 

Frankfurt  a.  M.,   Historisches  Museum 

Gruppe  aus  Proskauer  Fayence,  darstellend  einen  Delphin  auf  Felssockel,  auf  dessen 
Kopf  eine  Krähe  steht,  sehr  lebhaft  in  den  Farben.  Marke  DP.  üeschenk 
Friedrichs  d.  Gr.  an  Ludwig  Hieronymus  von  Humbracht,  Adjutanten  des  Königs. 
18.  Jahrh. 

Leipzig,   Regierungsrat  Dr.  H.  Demiani 

Grosse  Zinnkanne,  graviert  mit  Figuren  der  sieben  freien  Künste,  männlichen  und 
weiblichen  Köpfen.  Datiert  1564,  Stadtmarke  von  Schweidnitz  mit  Meister- 
zeichen IS. 

Grosse  Zinnkanne,  graviert  mit  vielen  männlichen  und  weiblichen  Büsten,  datiert  1580. 
Stadtmarke  von  Breslau. 

Leipzig,  Herr  Julius  Zöllner 

Grosse  Zinnkanne  der  Laubaner  Hufschmiede  auf  vier  Löwen  ruhend  mit  gravierten 
Figuren  von  Heiligen    unter  gotischen  Baldachinen.     Um   1500. 

Josef  Epstein 

(Wird  fortgesetzt) 


162 


BÜCHERBESPRECHUNOEN 

O.  MONTELIUS:  DIE  CHRONOLOGIE  DER  ÄLTESTEN  BRONZEZEIT  IN 
NORDDEUTSCHLAND  UND  SKANDINAVIEN.  BRAUNSCHWEIO,  VIEWEG  UND 
SOHN.     1900.     4" 

Seit  der  Einführung  des  nordischen  Dreiperiodensystems  durch  Thomsen  und 
Worsaae  haben  die  skandinavischen  Forscher  an  seinem  Weiterausbau  unablässig  gearbeitet. 
Keiner  mehr  als  Oskar  Montelius,  dessen  eindringenden  und  weitgreifenden  Untersuchungen 
es  hauptsächlich  zu  danken  ist,  dass  heute  die  Einteilung  und  Zeitbestimmung  vorgeschicht- 
licher Funde  im  wesentlichen  als  gesichert  gelten  kann.  Grundlegend  war  vor  allem  seine 
1885  erschienene  Arbeit  über  die  Chronologie  der  Bronzezeit  (im  30.  Bande  der  K.  Vitterhets 
Historie  och  Antiqvitets  Akademiens  Handlingar,  Stockholm  1885).  Er  unterschied 
darin  sechs  durch  typische  Fundgruppen  charakterisierte  Perioden,  deren  erste  mit  dem 
Abschnitt  der  jüngeren  Steinzeit  durch  eine  Übergangsperiode  mit  Gerätschaften  aus 
reinem  Kupfer  verbunden  sei.  Diese  erste  Bronzeperiode  mit  der  ihr  unmittelbar  vor- 
angehenden Kupferzeit  ist  es,  die  er  in  dem  vorliegenden  inhaltreichen  Werke  auf  Grund 
des  inzwischen  sehr  bedeutend  vermehrten  Materials  einer  erneuten  Betrachtung  unterzieht. 

Für  die  Existenz  einer  Kupferzeit  im  Norden  führt  Montelius  eine  Reihe  von 
Funden  aus  Norddeutschland  (darunter  auch  aus  Schlesien),  Dänemark  und  Südschweden 
an.  Es  sind  grösstenteils  Äxte  mit  und  ohne  Schaftloch,  deren  Form  sich  an  steinerne 
Vorbilder  anlehnt  und  somit  einen  zeitlichen  Zusammenhang  mit  der  Steinzeit  beweist. 
Diese  Typenserie  findet  ihre  Fortsetzung  in  Gegenständen  aus  sehr  zinnarmer  Bronze.  Je 
weiter  die  Typenentwicklung  fortschreitet,  desto  grösser  wird  der  Zinngehalt,  bis  er  sich 
noch  vor  dem  Abschluss  der  ganzen  hier  behandelten  Periode  dem  später  konstanten 
Verhältnis  von  etwa  1:10  nähert.  Der  Schneidenteil  der  Beile  wird  allmählich  breiter, 
zur  besseren  Befestigung  am  Schaft  werden  vorstehende  Seitenränder  und  später  in  der 
Mitte  noch  eine  Rast  angebracht.  Dazu  treten  als  neue  Typen  Dolche  und  Kurzschwerter 
mit  breiter,  flacher  Klinge  und  meist  angenietetem  Griff,  sogenannte  Schwertstäbe,  d.  s. 
Dolchklingen,  die  rechtwinklig  in  einen  hölzernen  oder  bronzenen  Schaft  eingefügt  wurden, 
ferner  Schmucksachen  in  Form  von  Finger-  und  Armringen  aus  Draht-  oder  Bandspiralen 
und  offene  Halsringe,  die  bisweilen  dtncli  Übereinanderlegen  zu  grösseren  Colliers  ver- 
einigt wurden. 

Auf  diese  sozusagen  entwicklungstheoretische  Erörterung  folgt  die  Betrachtung  der 
sicheren  Funde,  d.  h.  solcher,  bei  denen  man  mit  Sicherheit  annehmen  kann,  dass  alle 
dazu  gehörigen  Gegenstände  gleichzeitig  niedergelegt  sind.  Es  werden  eine  grosse  Menge 
Depot-  und  Grabfunde  aus  Norddeutschland  und  Skandinavien  beschrieben  uml  nach- 
gewiesen, dass  darin  die  als  charakteristisch  für  die  erste  Periode  bezeichneten  Typen 
wirklich  in  der  a  priori  angenommenen  Reihenfolge  neben-  und  nacheinander  auftreten.  Die 
Richtigkeit  der  typologischen  Altersbestimmung  wird  damit  auf  das  schlagendste  bestätigt. 


163 


Woher  kamen  nun  die  ersten  Metalle  nach  dem  Norden?  In  dem  Hauptverbreitungs- 
gebiet der  nordischen  Bronzekultur  fehlen  Kupfer-  und  Zinnerze  völlig.  Jedes  Kilogramm 
des  Rohstoffes  muss  folglich  aus  anderen  Ländern  eingeführt  worden  sein.  Es  kommen 
dafür  sowohl  die  Länder  südlich  vom  nordischen  Gebiete  wie  das  westliche  Europa  in 
Betracht.  In  beiden  Gegenden  hatte  sich  auch  der  Einfluss  der  orientalischen  Kultur  und 
damit  die  Kenntnis  des  Metallgebrauches  früher  geltend  gemacht  als  im  Norden.  Dem- 
entsprechend nimmt  der  Verfasser  zwei  Wege  an,  auf  denen  die  orientalischen  Kultur- 
elemente nach  dem  Norden  gelangt  seien,  einen  „westlichen"  längs  der  Nordküste  Afrikas 
über  Spanien,  Frankreich  und  die  britischen  Inseln,  und  einen  „südlichen"  durch  die 
Balkanhalbinsel  oder  längs  der  Küsten  des  Adriatischen  Meeres,  die  Donauländer  und 
Mitteldeutschland.  Beide  Wege  werden  durch  zahlreiche  Funde  bezeichnet,  die  einerseits 
zu  den  orientalischen,  andrerseits  zu  den  nordischen  in  unverkennbarer  Beziehung  stehen. 
Der  Import  wurde  durch  Handelsverkehr  von  Volk  zu  Volk  vermittelt,  nicht  etwa  durch 
Einwanderung  eines  neuen  Volkes. 

Es  folgt  dann  die  wichtige  Frage  nach  dem  Zeitpunkt  des  ersten  Auftretens  der 
Metalle  im  Norden.  Zunächst  werden  die  Anfänge  der  Metallkultur  im  Norden  mit  denen 
der  anderen  europäischen  Länder  verglichen.  Hierbei  ergiebt  sich,  dass  zwar  der  allge- 
meine Gebrauch  der  Metalle  im  westlichen,  südlichen  und  mittleren  Europa  allerdings 
etwas  älter  ist  als  im  Norden,  dass  aber  die  reine  Steinzeit  nicht,  wie  bisher  allgemein 
angenommen  wurde,  im  nordischen  Gebiet  viel  länger  angedauert  habe,  als  in  den  süd- 
licheren Ländern  Europas.  So  fällt  z.  B.  die  älteste  Bronzezeit  Südskandinaviens  nahezu 
zusammen  mit  derselben  Periode  in  Italien. 

Für  die  Frage  der  absoluten  Chronologie  sind  in  letzter  Reihe  die  ägyptischen 
Funde  massgebend,  die  eine  annähernde  Altersbestimmung  nach  Jahrhunderten  gestatten. 
Die  Kupferzeit  reicht  in  Ägypten  bis  ins  fünfte  Jahrtausend  zurück,  die  zinnreiche  Bronze 
war  schon  zur  Zeit  der  zwölften  Dynastie,  also  um  die  Mitte  des  dritten  Jahrtausends 
bekannt.  Einen  weiteren  Anhalt  für  die  rückwärtige  Datierung  geben  die  mit  der 
mykenischen  Kultur  gleichzeitigen  Funde  aus  der  achtzehnten  Dynastie  (ca.  1500  v.  Chr.). 
Mit  Hilfe  dieser  halbwegs  sicheren  Daten  und  einer  äusserst  geschickten  Kombination 
der  Funde  des  gesamten  Kulturkreises  gelangt  Monfelius  zu  dem  Ergebnis,  dass  in  Nord- 
deutschland und  Südskandinavien  das  Kupfer  schon  während  der  zweiten  Hälfte  des 
dritten,  und  die  Zinnbronze  schon  während  der  allerersten  Jahrhunderte  des  zweiten  vor- 
christlichen Jahrtausends  bekannt  geworden  ist.  in  einem  Schlusskapitel  wird  dann  noch 
der  Ursprung  der  Bronzekultur  erörtert,  und  die  Entdeckung  des  Kupfers  wie  die  Erfindung 
der  Bronze  den  Völkern  des  südwestlichen  Asiens  zugeschrieben.  Von  dort  kam  die 
Kenntnis  dieser  Metalle  einerseits  nach  Indien,  China  und  dem  sibirischen  Gebiet,  andrer- 
seits nach  Afrika  und  Europa. 

Die  Ausführungen  des  Verfassers  werden,  wie  es  bei  einem  so  überaus  schwierigen 
und  des  Hypothetischen  noch  gar  vieles  enthaltenden  Gegenstande  natürlich  ist.  nicht'' in 
allen  Teilen  ohne  Widerspruch  bleiben.    Uns  dünkt,  dass  gerade  die  Überfülle  des  Beweis- 


164 

materials  mitunter  etwas  abschwächend  wirkt.     Der  Leser  hat  besonders  in  den  Abschnitten 

über  die  orientalischen  Verhältnisse  öfters  die  Empfindung,  dass  mit  diesem   oder  jenem 

Funde  mangels  authentischer  Berichte  eigentlich  nicht  viel  anzufangen  ist.    Weniger  wäre 

hier  mehr  gewesen.     Indessen   thut  dies  dem  Verdienste  des  Verfassers  keinen   Eintrag, 

eines   der  verwickeltsten  und    wichtigsten   Probleme    der    europäischen    Urgeschichte   mit 

unvergleichlicher  Sachkenntnis  und  bewunderungswürdigem  Scharfsinn  seiner  Lösung  nahe 

gebracht  zu  haben.  ^         ^ 

Hans  Seger 

E.  ROEHL:  SIEGEL  UND  WAPPEN  DER  STADT  BRESLAU  MIT  EINER 
TAFEL  IN  FARBENDRUCK,  3  IN  LICHTDRUCK  UND  18  ABBILDUNGEN  IM  TEXT. 
BRESLAU  1900. 

Die  Breslauer  Stadtbibliothek  besitzt  das  gedruckte  Titelblatt  eines  Buches,  das  nie 
erschienen  ist.  Es  ist  das  Titelblatt  einer  nach  der  Inhaltsangabe  ziemlich  ausführlichen 
Abhandlung  über  das  Breslauer  Stadtwappen  von  J.  G.  Bars.  Erst  jetzt  nach  fast  200  Jahren 
hat  sich  wieder  ein  Gelehrter  und  zwar  mit  besserem  Erfolge  daran  gemacht,  besagtes 
Thema  in  einer  Einzelschrift  zu  behandeln,  nachdem  zuletzt  Freiherr  von  Saurma  und 
Otto  Hupp  in  ihren  bekannten  Wappenbüchern  wie  für  die  anderen  schlesischen  Städte- 
wappen auch  für  das  der  Provinzialhauptstadt  die  ihnen  erreichbaren  Notizen  kurz 
zusammengestellt  haben. 

Der  als  Heraldiker  hochgeschätzte  Verfasser  des  reich  illustrierten  Büchleins  hat  das 
bisherige  Material  durch  einige  wesentliche  Entdeckungen  bereichert,  mit  alten  Irrtümern 
gründlich  aufgeräumt  und  die  lückenlose  Untersuchung  zu  einem  endgültigen  Abschluss 
geführt.  Er  beginnt  mit  einer  Zusammenstellung  von  fünfzehn  verschiedenen  für  die 
Geschäfte  der  Stadt  gebräuchlichen  Siegeln  aus  dem  Zeitraum  von  1242,  dem  Jahre  der 
Gründung  Breslaus  zu  deutschem  Rechte,  bis  1530.  Von  ihnen  zeigen  nur  die  ältesten 
drei  das  Wappen  des  Landesherrn,  des  schlesischen  Herzogs,  den  schwarzen  Adler  im  gelben 
Felde,  die  anderen  zwölf  das  Bild  des  Landespatrons  und  Schutzheiligen  der  Stadt,  des 
Täufers  Johannes.  Mit  dem  Jahre  1530  beginnt  ein  neuer  Abschnitt  in  der  Geschichte  des 
Stadtwappens.  Auf  Ansuchen  der  Stadt  wird  ihr  das  jetzt  noch  gebräuchliche  Wappen 
von  König  Ferdinand  verliehen  und  von  seinem  Bruder  Kaiser  Karl  V.  bestätigt.  Die 
beiden  Verleihungsurkunden  liegen  noch  im  Stadtarchiv.  Die  vielfach  in  der  bisherigen 
Litteratur  über  das  Wappen  auftauchende  Hypothese,  dass  im  vierten  Felde  des  quadrierten 
Schildes  das  einst  in  der  Ratskapelle,  jetzt  im  Kunstgewerbemuseum  befindliche  Reliquiar 
der  hl.  Dorothea  dargestellt  sei,  wird  durch  schlagende  Beweise  widerlegt. 

Die  Schrift  Roehls  verdient  nicht  bloss  bei  Historikern,  sondern  auch  bei  Archi- 
tekten und  Künstlern  um  so  ernstere  Beachtung,  als  ja  das  Breslauer  Stadtwappen  als 
höchst  dankbares  Motiv  künstlerischer  Ausschmückung  sehr  oft  verwandt  wird  und  Ver- 
ballhornisierungen  desselben  nicht  gerade  zu  den   Seltenheiten  geluircn. 

Conrad  Bnchwald 


BERICHT  ÜBER  DAS  I.  ETATSJAHR 

(1.  APRIL  1899  —  1.  APRIL  1900) 


167 


ERÖFFNUNGS-FEIER 

Am  27.  November  erfolgte  die  feierliche  Eröffnung  des  Museums.  Der  Magistrat  hatte  dazu  auf 
einer  von  Max  Wislicenus  entworfenen  Karte  eingeladen.  Mittags  12  Uhr  versammelten  sich  in  dem 
durch  die  Promenadenverwaltung  mit  Pflanzengrün  und  Blumen  geschmückten  Lichthofe  des  Museums 
eine  grosse  Zahl  von  Gästen.  Die  Spitzen  der  militärischen  und  zivilen  Behörden  und  der  Städtischen  Ver- 
waltung waren  vollzählig  erschienen,  mit  ihnen  der  Kommandierende  General  des  VI.  Armeekorps,  Erb- 
prinz von  Sachsen-Meiningen,  und  der  Oberpräsident  von  Schlesien,  Fürst  Hatzfeldt-Trachenberg, 
ausserdem  Vertreter  hiesiger  Kunstinstitute,  Mitglieder  des  Lehrkörpers  der  Universität,  der  Vorstand  des 
Schlesischen  Zentral-Gewerbevereins,  die  Vorsitzenden  kunstpflegender  Vereine  und  viele  andere  im  Kunst- 
leben stehende  Mäimer  unserer  Stadt.  Der  Herr  Kultusminister  hatte  als  Vertreter  Herrn  Geheimrat 
Dr.  Müller  entsendet,  der  in  Begleitung  des  Hilfsarbeiters  im  Kultusministerium  Dr.  Pallat  erschien. 
Von  auswärts  waren  ausserdem  der  Direktor  des  Leipziger  Kunstgewerbemuseums  Dr.  Graul,  der  Direktor 
des  Brünner  Kunstgewerbemuseums  Leischiiig  und  der  Direktor  der  Königl.  Baugewerkschule  zu  Königs- 
berg und  ehemaliger  Gustos  des  Museums  schlesischer  Altertümer  Czihak  gekommen. 

Als  erster  nahm  Oberbürgermeister  Bender  das  Wort. 

Er  nannte  den  Tag  der  Übergabe  des  Schlesischen  Museums  für  Kunstgewerbe  und 
Altertümer  an  die  Öffentlichkeit  einen  Tag  freudiger  Vollendung  für  weite  Kreise  Breslaus,  namentlich 
für  die,  die  dem  Gewerbe  und  Kunstgewerbe  näher  ständen.  Seit  Jahren  seien  die  Führer  des  gewerblichen 
Unterrichts  und  des  Gewerbes  in  Schlesien  bestrebt  gewesen,  die  empfindliche  Lücke  auszufüllen,  die  jetzt 
durch  die  Gründung  des  Kunstgewerbemuseums  geschlossen  sei.  Eine  Geschichte  dieser  Bestrebungen, 
die  der  Redner  in  Umrissen  gab,  führte  zur  Würdigung  der  Verdienste  von  Männern,  wie  Geheimrat 
Dr.  Fiedler,  Geheimrat  Dr.  Websky,  Kommissionsrat  Milch  und  zur  Erwähnung  des  fürstlichen  Geschenkes 
des  Herrn  von  Korn,  das  jene  Bestrebungen  endlich  zum  Ziele  geführt  habe.  Der  Oberbürgermeister 
erläuterte  ferner  die  Organisation  des  Museums,  dankte  der  Bauleitung,  namentlich  dem  Stadt -Baurat 
Plüddemann  und  dem  Stadt- Bauinspektor  Friese  für  den  geschickten  Umbau  des  Hauses  und  wendete 
sich  schliesslich  an  Herrn  von  Korn,  „der  sich  zwar  jeden  Dank  verbeten  habe,  der  es  aber  doch  wohl 
gestatten  werde,  dass  die  Stadt  in  Erfüllung  einer  selbstverständlichen  Pflicht  als  besonderes  Andenken 
an  ihn,  dessen  Name  auf  immer  mit  diesem  Hause  verbunden  sei,  hier  im  Lichthofe  seine  von  Künstlerhand 
zu  schaffende  Büste  aufstelle".  Der  Redner  schloss,  nachdem  er  dem  schlesischen  Kunstgewerbe  die 
wärmsten  Segenswünsche  gewidmet  hatte,  mit  einem  Hoch  auf  den  Kaiser. 

Darauf  hielt  der  L  Direktor,  Dr.  Masner,  folgende  Rede: 

„Hochverehrte  Anwesende!  Vor  vierzig  Jahren  gründete  ein  Verein  ideal  gesinnter  Männer  in 
Breslau  ein  Museum,  das  die  Aufgabe  erhielt,  „schlesische  Altertümer  zu  sammeln,  wissenschaftlich  zu  ordnen 
und  allen  zugänglich  zu  machen".  Mit  unermüdlicher  Hingebung  kultur-  und  kunstgeschichtlich  interessante 
Überreste  aus  Schlesiens  Vorzeit  zusammentragend,  blieb  das  Museum  ein  Institut  gelehrten  Charakters 
auch  in  den  folgenden  Dezennien,  wo  allenthalben  die  Kunstgewerbemuseen  erstanden,  von  denen  aus 
die  Kunstgeschichte  als  jubelnd  begrüsste  Lehrmeisterin  in  die  Praxis  eingriff,  um  dem  siech  gewordenen 
Kunstgewerbe  durch  den  Hinweis  auf  seine  grosse  Vergangenheit  aufzuhelfen.  Es  ist  bekannt,  dass  die 
retrospektive  Richtung  sich  überlebt  hat,  dass  am  Ende  unseres  Jahrhunderts  durch  die  Welt  der  Frühlings- 
sturm eines  neuen  Kunststiles  braust,  der  von  historischer  L'bcrlieferung  nichts  mehr  wissen  will.  Aber 
die  Schöpfungen  der  Kunstgeschichte,  die  auf  historischer  Grundlage  beruhenden  Kunstgewerbemuseen  hat 
diese  Revolution  nicht  nur  unangetastet  gelassen,  sondern  auch  zu  neuer,  grösserer  Bedeutung  emporgehoben. 
Und   so  ist  es  demi   kein  Anachronismus,   dass  das  Museum  für  schlesische  Altertümer  darein  einwilligte, 


168 

in  einem  Kunstoewerbeimiseiini  aufzugehen  und  dass  die  Stadt  Breslau  lieute  dieses  Museum  mit  der 
Empfindung  und  Überzeugung  eröffnet,  eine  Fordernng  kulturellen  Fortschrittes  für  die  ganze  Provinz 
Schlesien  erfüllt  zu  haben. 

Wäre  es  den  Männern,  die  vor  40  Jahren  das  bescheidene  Museum  schlesischer  Altertümer  gründeten, 
vergönnt,  durch  dieses  Haus  zu  schreiten,  würden  sie,  glaube  ich,  gestehen,  dass  ihre  kühnsten  Träume 
verwirklicht  seien,  und  wir  müssten  ihnen  dafür  danken,  dass  sie  uns  so  wacker  vorgearbeitet  haben.  Auch 
wir  werden  die  Altertümer  unserer  Provinz  von  der  prähistorischen  Zeit  an  pietätvoll  sammeln  und  aufbewahren, 
zunächst  schon  deshalb,  weil  wir  mit  dieser  Seite  unserer  Sammelthätigkeit  dem  internationalen  Oute  der 
Wissenschaft  einen  grösseren  Dienst  leisten,  als  jene  geschlechtslosen  Anstalten,  die  kein  anderes  Ziel  kenneu, 
als  aus  aller  Welt  Kunstschätze  auf  einen  fremden  Boden  zu  verpflanzen.  Aber  indem  wir  den  lokalen 
Charakter  unseres  Museums  betonen,  also  zurückgreifen  auf  den  Grundgedanken  seines  Vorgängers,  setzen 
wir  auch  mit  einem  modernen  Zuge  in  die  Entwicklungsgeschichte  der  Kunstgewerbemuseen  ein. 
Wir  wollen  eine  bodenständige  Färbung  unseres  Museums  vor  allem  aus  praktischen  Gründen,  damit  sie 
der  gegenwärtigen  und  zukünftigen  Generation  eine  stetig  aufstachelnde  Mahnung  daran  sei,  dass  Schlesien 
eine  glänzende,  künstlerische  Vergangenheit  aufzuweisen  hat,  deren  eigenartige  Nuancen  nicht  der  Ab- 
schliessung  von  den  allgemeinen  zeitgenössischen  Ideen,  sondern  der  lebhaftesten  Verbindung  mit  ihnen  ihr 
Dasein  verdanken.  Um  jedoch  diesen  Zusammenhang  erkennen  zu  lassen,  um  nicht  bloss  den  Einschlag  ohne 
die  Kette  zu  besitzen,  muss  unser  Museum  die  schlesischeu  Grenzen  mit  seiner  Sanuuelthätigkeit  überschreiten 
und  ein  Kunstgewerbemuseum  im  weiteren  Sinne  werden,  das  in  seiner  kleinen  Welt  eine  Vorstellung  von 
allen  Höhepunkten  des  Kunstgewerbes  giebt.  Beschränkung  auf  unser  Land  hiesse  sich  mit  einer  chinesischen 
Mauer  umgeben.  Die  Nachempfindung  der  historischen  Stilperioden  ist  in  unseren  Tagen  für  das  Kunst- 
gewerbe abgethan,  jetzt  dringl  nur  mehr  durch  unendlich  feine  Gänge  aus  allen  Stilen  von  der  Antike  an 
bis  zu  dem  Japans  und  Chinas  das  grosse  Ganze  der  früheren  Errungenschaften  in  die  Produktion  und  den 
Geschmack  ein,  sei  es  als  stilbildende  Elemente,  sei  es  als  Korrektiv,  dessen  Bedeutung  sich  mit  jedem 
Augenblicke  verschieben  kann  und  verschiebt.  Wenn  unser  Museum  Schlesien  in  die  Anteilnahme  an  den 
Problemen,  die  das  Kunstleben  unserer  Zeit  bewegen,  hereinziehen  will,  braucht  es  eine  reiche,  womöglich 
lückenlose  Typensammlung  des  historischen  Kunstgewerbes  als  die  eine  Hälfte  seiner  Ausrüstung.  Die 
andere  besteht  darin,  dass  wir  den  mächtigen  Strom  des  modernen  Kunstschaffens  in  unser  Land  lenken. 
Es  ist  eine  höchst  verderbliche  Anschauung,  dass  die  Revolution  im  Kunsthandwerk,  von  der  wir  gegen- 
wärtig die  Welt  erfüllt  sehen,  nur  eine  Modeschwankung  ist,  der  gegenüber  das  bequeme  Beharren  auf 
dem  Althergebrachten  die  einzig  richtige  Taktik  sei.  Den  Siegeslauf  dieser  LImwälzung  aufzuhalten,  wird 
uns  nicht  gelingen,  wir  müssen,  wenn  unsere  heimische  Produktion  nicht  im  eigenen  Lande  aus  dem  Felde 
geschlagen  werden  soll,  lernen,  uns  mit  deiu  neuen  Geiste  friedlich  auseinanderzusetzen;  das  schlesische 
Museum  wird  deshalb  eine  seiner  Hauptaufgaben  darin  erblicken,  die  Provinz  mit  allen  wichtigen 
Erscheinungen  des  modernen  Kunstgewerbes  bekannt  zu  machen.  Wir  haben  Wert  darauf  gelegt,  sofort 
mit  dieser  Arbeit  zu  beginnen  und  eröffnen  gleichzeitig  nüt  den  Sammlungen  zwei  Ausstellungen,  deren 
eine  das  auswärtige,  die  andere  das  schlesische  Kunsthaiulwerk  unserer  Tage  vorführt.  Sie  werden, 
hochverehrte  Anwesende,  in  der  heimischen  Produktion  viel  fruchtbare  Keime  und  ernstes  Streben  finden, 
aber  auch  sich  nicht  der  Erkenntnis  verschliessen,  dass  wir  lernen  und  wieder  lernen  müssen.  Iruiem  das 
Museum  mit  der  anderen  Ausstellung  einen  Massstab  der  Vergleichung  hinstellt,  bekundet  es  frank  und  frei, 
ohne  Schönfärberei,  dass  es  auf  das  heimische  Kunstgewerbe  erziehend  einwirken  will.  Der  Einfluss  aber, 
der  von  diesem  Hause  ausgeht,  soll  sich  auch  auf  alle  Schichten  und  Kreise  der  Bevölkerung  erstrecken. 
Es  ist  kein  gering  anzuschlagender  Gewinn,  wenn  unser  Museum  in  Tausenden  und  Abertausenden  die 
naive  Schaulust  erweckt.  Sie  ist  der  erste  Spatenstich,  der  bei  den  breiten  Massen  die  harte  Kruste  trivialer 
Lebensauffassung  aufzulockern  versucht,  damit  überall  der  warme  Quell  der  Empfänglichkeit  für  die  Kunst 
zu  tage  trete.  Wollte  sich  unser  Museum  nur  auf  die  künstlerische  Bildung  der  Schaffenden  beschränken, 
so  würde  es  nur  eine  halbe  Arbeit  thun.  Zwischen  den  Produzenten  und  Konsumenten  müssen  Wechsel- 
beziehungen angebahnt  werden,  die  die  Einen  zu  lu'ichsten  Anforderungen,  die  Anderen  zu  höchsten 
Leistungen  anspornen.  Aus  diesem  Wettstreite  wird  uns  der  Lohn  erblühen,  den  wir  ersehnen:  Schlesien 
wird  in  das  Kunstschaffen  unserer  Zeit  als  der  achtunggebietende  Faktor  eintreten,  der  es  in  der  Ver- 
gangenheit war." 


169 

Als  Dritter  bestieg  der  Dekan  der  ausserdem  nocli  durch  die  Professoren  Oeh.-Rat  Nehring,  Vogt, 
Caro,  Hintze  vertretenen  philosophischen  Fakultät  der  Universität  Breslau,  'Professor  Dr.  Hillebrandt, 
das  Rednerpult  und  verkündete,  dass  die  Fakultät  aus  Anlass  der  Eröffnung  des  Museums  drei  um  die 
Gründung  dieser  Bildungsstätte  hochverdiente  Männer  zu  Ehrendoktoren  ernannt  habe:  den  Oberbürger- 
meister Bender,  den  Geheimen  Sanitätsrat  Dr.  med.  Grempler  und  den  Stadtältesten  Rittergutsbesitzer 
von  Korn. 

Die  Rede  Seiner  Spektabilität  hatte  folgenden  Wortlaut: 
„Hochgeehrter  Herr  Oberbürgermeister! 
Hochansehnliche  Versammlung! 

Im  Namen  der  philosophischen  Fakultät  der  königlichen  Universität  wird  mir  und  den  mit  mir 
deputierten  Herren  Kollegen  die  Ehre  zu  teil,  der  Stadt  Breslau  die  herzlichsten  Glückwünsche  zu  dem 
Tage  auszusprechen,  an  dem  in  ihren  Mauern  das  Museum  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer  eröffnet 
wird.  Wir  nehmen  freudigen  Anteil  an  einem  Ereignis,  das  einen  Wendepunkt  in  dem  kunstgewerblichen 
Leben  dieser  Stadt  bedeuten  möge,  und  fühlen  uns  eng  verbunden  mit  den  Interessen,  die  hier  von  sach- 
kundiger Hand  gehegt  und  gefördert  werden  sollen. 

Das  Museum  schlesischer  Altertümer,  dem  ein  Teil  der  Sammlungen  unserer  Universität  angehört, 
fand  einst  seine  Stätte  in  den  engen  und  dunklen  Räumen  des  Sandstifts,  es  ward  dann  Gast  im  Museum 
der  bildenden  Künste,  und  erst  heute  wird  es  durch  die  freigebige  Hand  eines  unserer  ersten  Mitbürger 
Herr  im  eigenen  Hause,  wird  es  „ausgesetzt  zu  eigenem  Recht".  Und  darüber,  gleichsam  symbolisch, 
erhebt  sich  das  Kunstgewerbemuseum:  über  der  Vergangenheit  die  Gegenwart  und,  so  hoffen  wir,  eine 
blühende  Zukunft. 

Es  ist  ein  langer  Zeitraum  kulturgeschichtlicher  Entwickelung,  der  uns  in  diesem  Hause  vor  das 
Auge  treten  soll.  Von  jener  Zeit,  wo  durch  die  mährische  Pforte  in  die  Länder  diesseits  der  vandalischen 
Berge  ein  matter  Strahl  der  römischen  Sonne  fiel  und  germanische  Stämme  traf,  deren  Hausrat  in  kümmer- 
lichen Stein-  und  Thongeräten  bestand,  bis  zu  den  slawischen  Burgen,  bis  zum  deutschen  A\ittelalter  mit 
dem  Reichtum  seines  Kunstgewerbes  und  schliesslich  bis  zum  heutigen  Tage,  wo  ein  blühendes  Land  der 
hohenzollerische  Aar  beschirmt:  es  ist  ein  langes,  langsames  Aufsteigen  aus  der  Niederung  bis  zu  der 
Kultur  unserer  Zeit. 

Mögen  die  Geschlechter,  die  ihren  Fuss  über  die  Schwelle  dieses  Hauses  setzen,  die  Sprache  der 
stillen  Zeugen  vergangener  Jahrhunderte  verstehen,  die  sie  hier  empfangen;  mögen  sie  immer  eingedenk 
sein  ihrer  Vorväter,  auf  deren  Arbeit  unsere  eigene  Kultur  beruht.  Was  wir  ernten,  haben  wir  selbst  nur 
zum  Teil  gesät.  Möge  das  Haus  werden  eine  Stätte  der  Arbeit,  eine  Stätte  der  Belehrung  und  zugleich 
der  Forschung,  die  mit  ihrer  Fackel  die  Vergangenheit  erhellt  und  die  Gegenwart  belebt. 

Die  philosophische  Fakultät  beabsichtigte,  diesen  für  Breslau  wichtigen  Tag  nicht  nur  mit  ihren 
Wünschen  zu  begleiten,  sondern  ihrer  Teilnahme  in  feierlicher  Weise  Ausdruck  zu  verleihen.  Sie  hat 
beschlossen  beschlossen  mit  der  durch  ihre  Statuten  erforderlichen  Einstimmigkeit  am  heutigen  Tage 
drei  Männern,  deren  Namen  mit  diesem  Hause  immerdar  verbunden  bleiben  werden,  die  höchste  Aus- 
zeichnung zu  verleihen,  die  sie  zu  verleihen  vermag,  indem  sie  sie  zu  Doktoren  der  Philosophie  honoris 
causa  ernennt. 

Erstens  Herrn  Georg  Bender,  Oberbürgermeister  dieser  Stadt.  Wir  schätzen  und  ehren  in  ihm 
den  Gelehrten  nicht  minder  als  den  erfahrenen  Verwaltungsheamten,  der  mit  klarem  und  freiem  Blick  ihre 
Geschäfte  führt.  Georg  Bender  ist  durch  seine  Studien  und  seinen  Beruf  auf  die  praktische  Verwaltung 
hingeführt  worden,  aber  inmitten  seiner  Amtspflichten  hat  er  sich  die  Neigung  zu  wissenschaftlicher 
Forschung  bewahrt  und  Zeit  zu  wertvollen  Arbeiten  auf  historischem  Gebiet  gefunden.  Ihm  fiel  es  seiner- 
zeit zu,  das  Thorner  Ratsarchiv  zu  ordnen,  dessen  llnzugänglichkeit  Johannes  Voigt,  der  Geschichtsschreiber 
des  deutschen  Ordens,  beklagt  hatte;  er  zog  aus  Staub  und  Schutt  wertvolle  alte  Urkunden  hervor  und 
verbreitete  durch  eigene  Forschungen  über  dunkle  Punkte  Licht. 

Seine  Abhandlung  über  die  Familiengeschichte  des  Kopernikus  und  die  dieser  Abhandlung 
beigegebenen  Beilagen  über  ,,die  Nationalität  von  Thorn  und  Umgegend",  „Münzwesen"  u.  s.  w.  „münden  — 
wie  das  der  Fakultät  erstattete  Gutachten  sagt    —    in  Ergebnisse  aus,    die  bis   heut   niemand   anzufechten 


170 

versuchte,  da  sie  auf  sicherer  Kenntnis  des  Quellenmaterials  beruiien,  mit  methodisclier  Logil<  aufgebaut 
und  mit  überzeugender  Klarheit  dargelegt  sind",  und  nicht  minderes  Lob  erfuhr  seine  Arbeit  über  „die 
ältesten  Willküren  der  Stadt  Thorn",  seine  Geschichte  der  städtischen  Krankenanstalten  von  Thorn. 

Mit  der  Übersiedelung  nach  Breslau  verlor  sich  zwar  die  Müsse  zu  eigener  Arbeit,  aber  nicht  die 
Liebe  zur  Wissenschaft.  Zeugnis  des  ist  die  Geschichte  der  Breslauer  Verwaltung  im  letzten  Jahrzehnt. 
Jede  Anregiuig  auf  geistigem  Gebiet  fand  bei  dem  Oberbürgermeister  ein  geneigtes  Ohr.  Die  Stadt- 
bibliothek, die  Volksbibliothek,  das  Schulwesen  fand  an  ihm  einen  wohlwollenden  Berater  und  hilfsbereiten 
Gönner.  Bender  war  ein  Vorkämpfer  des  Gedankens,  dass  die  Errichtung  des  längst  erstrebten  Kunst- 
gewerbemuseums mit  dem  Museum  schlesischer  Altertümer  verbunden  werde  und  hat  mit  seinem  Rat,  als 
der  Gedanke  zur  That  reifte,  die  Wege  zur  rechten  Ausführung  gewiesen.  Niemals,  so  heisst  es  in  dem 
von  uns  angenommenen  Promotionsautrag,  waren  die  Beziehungen  zwischen  der  Universität  und  der 
Stadtverwaltung  so  von  Wohlwollen  getragen,  als  unter  der  Amtsführung  Benders,  der  seine  Zugehörigkeit 
zu  den  Vertretern  der  Wissenschaft  auch  in  der  Fülle  praktischer  Amtgeschäfte  nie  vergessen  hat. 

Sodann  Herrn  Wilhelm  Grempler,  Dr.  med.  und  Geheimen  Sanitätsrat.  Noch  als  er  inmitten 
einer  ausgedehnten  ärztlichen  Praxis  stand,  hat  Grempler  sich  anthropologischen  Studien  und  besonders 
der  Erforschung  des  prähistorischen  Schlesien  zugewendet.  Seit  jener  Zeit  hat  er  mit  in  dem  Mittelpunkt 
aller  Bestrebungen  gestanden,  die  der  Auffindung,  Sammlung  und  Würdigung  der  aus  Schlesiens  Boden 
aufsteigenden  Altertümer  galten,  und  hat  seine  Person,  seine  Zeit  und  seine  Mittel  in  den  Dienst  dieser 
Sache  gestellt.  Den  Goldfund  von  Sakrau  hat  er  beschrieben  und  in  anerkannter  Weise  zeitlich  bestimmt; 
dessen  explorator  diligentissimus  nennt  ihn  unser  Diplom.  Die  Ausgrabungen  von  Blücherwald,  Lorzen- 
dorf  sind  von  ihm  veranstaltet  und  in  ihren  Ergebnissen  dargestellt  worden.  Wertvolle  Neuerwerbungen 
des  Museums,  besonders  die  mittelalterlichen  Bronzeschalen  hat  er  veröffentlicht  und  durch  Vergleichung 
mit  gleichartigen  Objekten  einer  zeitlichen  Bestimmung  entgegengeführt.  Neue  Funde  hat  er  dem  Museum 
zugeführt  und  das  Interesse  weiterer  Kreise  der  Sache  dienstbar  gemacht.  Der  Verein  für  das  Museum 
schlesischer  Altertümer  verehrt  in  ihm  einen  langjährigen  Vorsitzenden.  In  dankbarer  Erinnerung  an  seine 
unermüdliche  Thätigkeit  haben  vor  einiger  Zeit  jüngere  Forscher  ihm  als  „dem  hochverdienten  Erforscher 
der  heimischen  Urgeschichte  und  treuesteu  Förderer  des  Museums"  eine  Festschrift  gewidmet;  dem 
„praesidi  societatis  per  tria  lustra  navissimo  et  liberalissimo"  ist  unser  Diplom  gewidmet.  Grempler  hat 
die  Sammlungen  des  Vereins  in  schwierigen  Zeiten  verwaltet,  sie  mit  einem  Stabe  trefflicher  Gehilfen  auf 
ihre  heutige  Höhe  gebracht  und  fährt  auch  unter  den  veränderten  Verhältnissen  fort,  als  Mitglied  der  Ver- 
waltungsdeputation seine  reiche  Erfahrung  in  den  Dienst  des  Museums  zu  stellen. 

Ferner  Herrn  Heinrich  von  Korn,  den  Nachkommen  eines  alten  Geschlechts,  das  mit  dem 
geistigen  Leben  unserer  Provinz  und  Stadt  eng  verbunden  war,  seitdem  Johann  Jakob  Korn  aus  der  Mark 
eingewandert  und  am  13.  Januar  1732  in  das  collegium  mercatorum  hier  aufgenommen  war.  Herr  von  Korn 
gehört  mit  zu  den  Männern,  denen  Breslau  die  Entstehung  des  Schlesischen  Museums  der  bildenden 
Künste  verdankt.  Er  hat  als  langjähriger  Vorsitzender  des  Kuratoriums  mit  dazu  beigetragen,  dass  hier 
nicht  nur  eine  Quelle  des  Genusses,  sondern  auch  der  Belehrung  für  weite  Kreise  unseres  Volkes  fliesst; 
er  hat  durch  seinen  Rat  die  Bibliothek  des  Museimis  mit  ihrer  Sammlung  von  Reproduktionen  zu  einer 
Höhe  erhoben,  die  eine  erhebliche  Anzahl  wissenschaftlicher  Untersuchungen  wenn  nicht  ermöglicht,  so 
doch  gefördert  hat.  Das  Museum  schlesischer  Altertümer  verdankt  ihm  nicht  nur  sein  wertvollstes  Stück, 
sondern  vor  allem  sein  Heim.  Den  parens  musei  civici,  den  Vater  des  städtischen  Museums,  nennt  ihn 
unser  Diplom.  Er  hat  mit  klarem  Blick  den  rechten  Augenblick  erkannt,  als  ein  Haus  frei  wurde,  das  für 
Museumszwecke  geeignet  war;  und  wenn  wir  heut  den  Tag  der  Weihe  begehen,  so  verdanken  wir  es  der 
Munificenz  des  Herrn  von  Korn.  Unsere  Statuten  geben  uns  nicht  nur  das  Recht,  litterarische  Verdienste 
um  die  Wissenschaft  zu  würdigen,  sondern  auch  solche  Verdienste  imi  die  Wissenschaft,  die  in  anderen 
als  schriftstellerischen  Leistungen  bestehen,  und  wir  haben  mit  Freuden  die  Gelegenheit  ergriffen,  auch 
Herrn  von  Korn  unter  die  Ehrendoktoren  unserer  Fakultät  aufzunehmen. 

So  ernenne  ich  denn,  im  Namen  der  philosophischen  Fakultät,  als  derzeitiger  Dekan,  die  drei 
Herren  Georg  Bender,  Wilhelm  Grempler,  Heinrich  von  Korn  zu  Doktoren  der  Philosophie  honoris  causa, 
vedeihe  ihnen  die  Rechte,  die  mit  diesem  Titel  verbunden  sind  und  erkläre  es  als  den  Willen  der  Fakultät, 


171 

dass  sie  von    jedermann    als    doctores    philosophiae  honoris  causa  angesehen   und  erachtet  werden  sollen. 
Ich  bitte  Sie,  aus  unseren  Händen  das  Diplom  entgegenzunehmen,  das  diese  Ernennung  bekundet. 

Der  Stadt  Breslau  aber  wünschen  wir,  dass  es  ihr  in  ihrer  iVAitte  und  an  ihrer  Spitze  nie  an 
Männern  fehlen  möge,  die  mit  klarem  Blicke  für  die  Aufgaben  der  Gegenwart  verbinden  Liebe  zu  Kunst 
und  Wissenschaft  und    Interesse  bewahren  für  die  Vergangenheit  der  Heimat". 

Die  offizielle  Feier  schloss  mit  einem  Rundgange  der  Gäste  durch  die  Museumsräume  und  einer 
Besichtigung  der  beiden  Eröffnungsausstellungen  unter  Führung  der  Beamten  des  Museums. 

Der  Abend  desselben  Tages  brachte  einen  von  der  Breslauer  Künstlerschaft  mit  Unterstützung  des 
Magistrats  veranstalteten  Festabend  in  den  künstlerisch  ausgestatteten  Räumen  des  Vincenzhauses. 
Eingeleitet  wurde  er  durch  Konzert  und  einen  poetischen  Gruss  von  Dr.  Treuenfels,  den  der  Vorsitzende 
des  Festkomitees,  Stadtbaurat  l'lüddemann,  sprach.  Es  folgte  ein  vortreffliches  Festspiel  allegorisch- 
historischen Inhalts:  „Woher  und  Wohin?,  ein  Kunstrausch"  von  Dr.  med.  Heinrich  Koerber  und 
Dr.  phil.  H.  Wendt.  Die  Darsteller  waren  Dilettanten,  die  drei  Hauptniimen:  Stadtrat  Jaenicke, 
Dr.  Buch  wald  und  Dr.  V.  Oppler.  Die  Dichtung  wurde  als  Büchlein  mit  einer  hübschen  Umschlagzeichnung 
von  M.  Heymann  jedem  Anwesenden  beim  Eintritt  in  den  Saal  überreicht.  Die  zu  der  Aufführung  nötigen 
zahlreichen  wirkungsvollen  Dekorationen  hatte  Maler  Denner  entworfen  und  ausgeführt,  der  sich  ausserdem 
noch  mit  Maler  Hey  mann  in  die  Arbeit  des  Arrangements  der  lebenden  Bilder  geteilt  hatte. 

Die  Szene  des  Festspiels,  das  durch  einen  von  Fräulein  Recksiegel  gesprochenen  Prolog  ein- 
geleitet wurde,  bildete  eine  Kellerschänke.  In  ihr  debattieren  zu  später  Nachtstunde  zwei  Künstler,  ein 
Akademiker  und  ein  Sezessionist,  weinerhitzt,  über  die  Ziele  der  Kunst,  über  die  alte  und  neue  Richtung, 
über  die  Kunst  der  Zukunft.  Ein  Spiessbürger,  der  sich  „plump  vertraulich"  zu  ihnen  gesellt,  vermag 
ihren  hohen  Gedankenflug  mit  seinen  trivialen  Ansichten  nicht  zur  Erde  herabzuziehen,  immer  mehr 
umspinnen  des  Weines  Geister  ihre  Sinne  und  die  Vergangenheit  der  Kunst  steigt  vor  ihren  Blicken  herauf 
in  bunten  Bildern.  Der  „echte  Mensch  der  Steinzeit"  erscheint  und  weist  auf  die  Uranfänge  der  Kunst  hin, 
dann  der  Mönch,  der  „mit  Roms  geistlicher  Gewalt  nach  Schlesien  brachte  der  Romanen  Kunstgestalt", 
der  Zunftmeister,  der  im  Preise  der  Gotik  und  ihres  reichen  Kunstschaffens  und  des  alten  deutschen 
Handwerksbrauchs  sich  ergeht,  der  Humanist  der  Renaissancezeit,  die  durch  ein  Mäcenatenpaar  mitten 
unter  ihren  Kunstschätzen  verkörpert  wird;  ein  Tanzmeister  löst  sich  von  einer  anmutigen  A\enuettgruppe 
und  verherrlicht  in  tändelnden  Versen  das  lebens-  und  genussfreudige  Rokoko.  Verschieden  ist  die  Aufnahme, 
die  diese  Vertreter  vergangener  Kunstperioden  bei  den  drei  Gästen  der  Kellerschänke  finden.  Was  auch 
der  Mann  in  der  Sammetjacke  und  den  Idealen  in  der  Brust  oder  der  hypermoderne  junge  Künstler  zu 
ihnen  äussern,  immer  übertrumpft  sie  der  Banause  mit  seiner  Meinung,  er,  der  als  „prompter  Steuerzahler 
bei  jeder  Kunsterscheinung  ein  verbrieftes  Recht  hat".  Mit  dem  Bilde  der  Kunst  des  19.  Jahrhunderts,  das 
der  Akademiker  aus  den  erschienenen  Typen  zusammenstellen  will,  ist  der  Sezessionist  nicht  zufrieden. 
Ihm  fehlen  zu  dem  „Simmelsammelsurium"  der  heutigen  Kunst  noch  andere,  die  der  Akademiker  nun 
heraufbeschwört.  Es  zeigt  sich  die  „Griechin"  aus  der  Zeit  Schinkels,  Schwinds  „schöne  Melusine",  ein 
Japaner,  vom  Sezessionisten  freudig  begrüsst,  und  endlich  ein  unverstandener  „Symbolist".  Aber  mit  der 
Kunst  des  19.  Jahrhunderts  ist  es  nicht  abgethan.  Der  Sezessionist  fühlt  in  seinem  Rausche  das  Kommen 
der  neuen  Zeit,  das  Bild  des  neuen  Kunstgewerbemuseums  erscheint,  und  aus  ihm  heraus  tritt  die  Kunst 
des  20.  Jahrhunderts  —  verschleiert.     Noch  kann  sie  sich  nicht  enthüllen,  denn  die  Zeit  ist  noch  nicht  erfüllt. 

,,  .  .  .  Doch  ist  die  Zeit  vorbei, 
Dann  will  ich  jubelnd  meine  Schleier  heben, 
Ihr  alle  werdet's        hoffe  ich        erleben." 

Mit  diesen  Worten  verschwindet  sie        und  das  Spiel  ist  aus. 

Um  das  Gelingen  eines  darauf  folgenden,  von  etwa  SO  Damen  und  Herren  aufgeführten  Tanz- 
spiels nach  Motiven  aus  Walter  Granes  Buch:  „Tourney  of  the  Lily  and  the  Rose",  dessen  einzelne 
Tänze  und  Gruppierungen  unter  fachmännischer  Leitung  einstudiert  waren,  hatten  sich  Herr  und  Frau 
Professor  Dr.  Semrau  verdient  gemacht. 

Die  Ausschmückung  der  Festräume  war  mehreren  Künstlern  anvertraut  worden.  Den  künstlerischen 
Ausbau  des  Treppenhauses  und  des  Empfangsraumes  hatte  Architekt  Henry  übernommen.     Blumenkörbe 

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172 

tragende  Säulen  mit  leichten  Qiiirlanden  begleiteten  den  Aufgang  zum  Empfangssaale.  Der  Eingangstluir 
gegenüber  war  ein  Relief  von  Christian  Behrens:  „Die  Schönheit  erhebt  die  Kunst"  angebracht,  von  Palnien- 
wedein  umrahmt,  die  aus  einer  Basis  von  dunkelfarbigen  tropischen  Blattpflanzen  und  bunten  Chrysanthemen 
herauswuchsen.  Den  Hauptschmuck  des  grossen,  den  Aufführungen  vorbehaltenen  Saales  bildeten  neben 
Blumengewinden  tausende  von  elektrischen  Olühlichtern,  die  das  architektonische  Gerüst  des  Saales 
markierten  und  sich  von  unten  an  bis  hoch  hinauf  an  den  Spitzbogenrippen  der  Decke  entlang  zogen. 
Diese  einen  wunderbaren  Anblick  bietende  Dekoration  war  dem  erfindungsreichen  Branddirektor  Herzog 
zu  verdanken.  Den  als  Erfrischungsraum  dienenden  kleinen  Saal  hatte  der  Breslau  er  Künstlerverein 
ausgeschmückt.  Er  stellte  den  zeltübcrdachten  Garten  eines  italienischen  Schlosses  dar.  Zwei  Maler  und 
ein  Oartenkünstler,  die  Herren  Nöllner  und  Denner,  und  Gartendirektor  Richter  hatten  hier  in  glück- 
lichster Weise  zusammen  gearbeitet.  Der  Breslauer  Kunstgewerbeverein  hatte  in  einem  Nebenraume,  der 
das  Haus  der  Wiener  Sezession  köstlich  parodierte,  nach  einem  Entwürfe  von  Hans  Rum  seh  eine 
ägyptische  Schaubude  aufgebaut.  Vor  ihr  waren  phantastisch  gekleidete  Ausrufer  unaufhörlich  thätig,  mit 
Tamtamschlägen  „zur  Vorstellung"  einzuladen.  Die  gebotenen  Genüsse  bestanden  in  humoristischen  Wand- 
bildern, —  zeitgenössischen  Porträts  in  ägyptischer  Vermumnumg  die  Maler  Loch  mit  viel  Witz  und 
Geschick  gemalt  hatte,  und  zu  denen  ein  unsichtbarer  Geist  die  „anzüglichen"  von  Ph.  Schweitzer  ver- 
fassten  Begleitverse  sprach,  während  derer  geheimnisvolle  Musik  erklang.  In  einem  anderen  Räume  hatte 
der  Ausstellungsverband  schlesischer  Künstler,  insbesondere  die  Maler  Spiro  und  Völkerling, 
ein  hochmodernes  „Cafe  Absinth"  sehr  apart  eingerichtet,  an  das  ein  „intimes"  Theätre  chantant  grenzte, 
worin  u.  a.  eine  unheimliche  Pierrof- Pantomime  von  Erich  Klossowski  zur  Aufführung  kam. 


VERMEHRUNG   DER  SAMMLUNGEN 

1.    URGESCHICHTLICHE  SAMMLUNG 

Unter  den  Erwerbungen  des  Jahres  nimmt  die  Sammlung  des  Kammerherrn  Diepold  von  Köckritz 
auf  Mondschütz,  Kreis  Wohlau,  die  erste  Stelle  ein.  Schon  im  Jahre  1819  war  von  dem  Vater  des 
Geschenkgebers  in  einem  Kiefernwalde  i/t  Meile  von  Mondschütz  ein  grosser  Urnenfriedhof  entdeckt 
worden.  Einige  der  damals  gefundenen  Gefässe  und  Bronzen  wurden  in  die  von  Büsching  eben  begründete 
Altertümersammlung  aufgenommen  und  sind  mit  dieser  ins  Museum  gelangt.  Im  Laufe  der  Jahre  hat  dann 
der  jetzige  Besitzer  die  Ausgrabungen  an  dieser  und  anderen  Stellen  mit  grossem  Erfolge  fortgesetzt, 
und  eine  wertvolle  Sammlung  von  Funden  aus  verschiedenen  Kulturperioden  zusammengebracht.  Indem 
er  sie  jetzt  dem  Museum  zum  Geschenk  gemacht  hat,  hat  er  seinen  zahlreichen  älteren  Verdiensten  um 
dasselbe  die  Krone  aufgesetzt. 

Den  ältesten  Bestandteil  der  Sammlung  bildet  ein  Schatzfund  von  etwa  20  grösstenteils  zerbrochenen 
Bronzegeräten,  wie  Sicheln,  Äxten,  Lanzenspitzen  und  Ringen.  Diese  Gegenstände  sind  auf  der  Stätte  des 
im  15.  Jahrhundert  zerstörten  ehemaligen  Dorfes  Kosten  oder  Kimstan  in  einem  Topfe  unter  einem 
grossen  Steine  gefunden  worden  und  gehören  der  jüngeren  Bronzezeit  an.  Derselben  Zeit  entstammen 
die  Funde  von  dem  erwähnten  Qräberfelde.  Sie  zeichnen  sich  durch  eine  Fülle  von  ungemein  zierlichen 
Thongefässen  und  zahlreiche  Bronzebeigaben  aus.  Aus  dem  benachbarten  Losswitz  stammt  ein  Grabfund 
der  römischen  Kaiserzeit,  bestehend  aus  eisernen  Lanzenspitzen,  Messern,  Schlüsseln  und  Beschlagteilen.  In 
die  Zeit  der  slawischen  Besiedlung  endlich  gehören  die  in  Mondschütz  beiin  sogen.  Götschteich  gemachten 
Scherbenfunde. 

Nicht  minder  erfreulich  ist  die  Überweisung  der  Kaulwitzer  Sammlung  des  Kammerherrn  Edgar 
Graf  Henckel  von  Donnersmarck  auf  Grambschütz,  Kreis  Namslau.  Auch  sie  rührt  von  zwei 
verschiedenen  Fundstätten  her,  von  denen  das  Museum  teils  durch  frühere  Geschenke,  teils  durch  eigene 
Ausgrabungen  schon  einiges  besass.    Die  eine  ist  durch  das  Vorkommen  von  Gcsichtsurnen,  von  der  Art  der 


173 

pommerellischen,  charakterisiert,  die  andre  durch  Waffen  und  Geräte  der  vorrömischen  Eisenzeit.  Eine  genaue 
Beschreibung  aller  Fundstüci<e  ist  in  Schlesiens  Vorzeit,  Band  VI  S.  422—439  und  Bd.  VII,  S.  222  f. 
gegeben.  Dank  der  neuerlichen  Schenkung  des  Herrn  Orafen  Henckel  verfügt  das  Museum  nunmehr  über 
das  gesamte,  wissenschaftlich  äusserst  wichtige  Material. 

Aus  dem  Kreise  Liegnitz  erhielt  das  Museum  drei  wert\olle  Geschenke.  Zunächst  die  beiden 
bereits  in  Sehles.  Vorz.  Bd.  VII,  S.  548  f.  beschriebenen  Pansdorfer  Grabfunde  der  Bronzezeit  von  Herrn 
Emil  Askenasy.  Sodann  einen  Grabfund  der  römischen  Kaiserzeit,  bestehend  aus  emem  langen  eisernen 
Schwert,  einer  vierschneidigen  Speerspitze,  Schildbeschlägen,  eisernen  und  bronzenen  Eimerbeschlägen  und 
mehreren  Thongefässen,  aus  Neuhof  von  Herrn  Landesältesten  Scherzer.  Endlich  zwei  sehr  merkwürdige 
bronzene  Gürtelbeschlagteile,  von  denen  der  eine  in  Relief  auf  vergoldetem  Grunde  phantastische  Tier- 
gestalten zeigt.  Diese  beiden  Stücke  sind  bei  Kroitsch  gefunden  und  von  Herrn  Landschafts-Syndikus 
Seydel  in  Liegnitz  dem  Museum  geschenkt  worden.  Ihre  Abbildung  und  Beschreibung  wie  überhaupt  die 
genauere  Besprechung  der  vorgeschichtlichen  Funde  ist  für  den  nächsten  Band  dieser  Zeitschrift  in  Aussicht 
genommen. 

Ausserdem  wurden  dem  Museum  vorgeschichtliche  Funde  geschenkt  von  den  Herren  Inspektor 
Kuhn  in  Domslau,  Rittmeister  a.  D.  von  Oheimb  in  Kuhnern,  Kaufmann  Opitz  in  Lissa,  Direktor 
Scholtz  in  Klein-Tinz,  Rittergutsbesitzer  von  Schweinitz  in  Altraudten,  Gutsbesitzer  Scupin  in  Kronen- 
dorf, Pastor  Söhnel  in  Raudten,  Fritz  Taurke  in  Breslau  und  Kaufmann  Unger  in  Gleiwitz. 

Angekauft  wurden  unter  anderem  zwei  Bronze-Depotfunde  aus  Carmine,  Kreis  Militsch,  und  aus 
Matzwitz,  Kreis  Grottkau,  sowie  eine  grössere  Anzahl  von  Steinhämmern  aus  verschiedenen  Orten. 

Über  die  vom  Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  veranstalteten  Ausgrabungen  siehe 
dessen  Thätigkeitsbericht. 

2.  MÜNZKABINET 

iJurch  die  Verschmelzung  des  städtischen  Münzkabinets  mit  dem  des  Vereins  für  das  Museum 
schlesischer  Altertümer  ergab  sich  eine  bedeutende  Zahl  von  Dubletten,  deren  Verkauf  von  den  städtischen 
Behörden  beschlossen  wurde.  Ein  kleiner  Teil  wurde  freihändig  veräussert,  die  Hauptmasse  dagegen  am 
26.  Juni  18Q9  und  den  folgenden  Tagen  von  der  Firma  L.  &  L.  Hamburger  in  Frankfurt  a.  M.  öffentlich 
versteigert.  Der  Reinertrag  belief  sich  auf  23917,90  Mark.  Hiervon  wurden  15  510,10  Mark  zur  Abzahlung 
der  auf  der  Münzsammlung  des  Vereins  noch  haftenden  Schulden  verwendet,  der  Rest  von  S  407,80  Mark 
zur  Vermehrung  des  Kabinets  bestimmt. 

Vermöge  dieses  Fonds  war  man  in  der  Lage,  über  die  im  Etat  für  Münzankäufe  angesetzte  Summe 
beträchtlich   hinauszugehen  und  die  durch  einige  grosse  Auktionen  gebotene  Gelegenheit  zur  Erwerbung 
hervorragender   Seltenheiten   in    ausgiebigem   Masse  zu  benutzen.      Es  wurden    insgesamt   152  schlesische 
Münzen  und  Medaillen  angekauft,  ausserdem  ein  nn'ttelaltcrlicher  Schatzfund  aus  der  Zeit  um  1000  nach  Chr. 
Von  den  Münzen  waren   25   aus  Gold,  75  aus  Silber  und  3  aus  Kupfer,  von   den  Medaillen  32  aus  Silber 
und  16  aus  Bronze  und  anderen  Metallen.    Als  besonders  wertvolle  Erwerbungen  seien  her\'orgehoben : 
Grafschaft  Glatz,  Ferdinand  111.    Thaler  1030,  von  Peter  Hema  und  1636,  ohne  Münzmeisterzeichen. 
Reichenstein,  Wilhelm  v.  Rosenberg.     Dukat  1582. 
Sagan,  Albrecht  v.  Waldstein.    Thaler  1629  mit  Münzzeichen  G.  E. 
Jägerndorf,  Georg  Friedrich.     Thaler  1557  und   1595;  halber  Ouldenthaler  1564. 
Neisse,  Balthasar  v.  I^ronniitz.     Dukat  156. 

Stadt  Breslau,   Silbermedaille   1634  von  Hans  Rieger  mit  Stadtansiclit  und  Wappen.     Dewerdeck  Nr.  28. 
Georg   v.  Loxan    (1491     1551).     Silbermedaille   ohne  Jahreszahl.     Hs.    Behelmter    Kopf    nach    links.     Rs. 

knieende  weibliche  Figur,  25  mm.  S.  Abbildung  auf  S.  158. 
Jeremias  Rein.     Raitpfennig  ohne  Jahreszahl.     Beiderseits  behelmtes  Wappen. 
Christian  Walther  (1669).     Ovale  Silbermedaille  ohne  Jahreszahl.     Brustbild  nach  rechts.     Rs.  Tisch  mit 

Kompass,  33/41   nun.    S.   Abbildung  auf  S.  99. 
V.  Weger  imd  Sandmann.     Breslauer  Vermählungsniedaille  1795,  27  mm. 


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Geschenkt  wurden  13  Münzen  und  Medaillen,  darunter  10  schlesische.  Die  Oesclienk<jeber  waren 
die  Herren  F.  Friederisburfr  in  Stegliti-,  O.  Strieboll,  Max  Pringsiieim  und  Georg  Njeunianii  in 
Breslau,  R.  Dehniel  in  Neusalz  a./O.,  die  Direktion  der  Sclilesisclien  Feuerversicherungsgeselischaft  und 
der  Bürgerverein  der  Stadt  Gottesberg. 

3.  KULTURGESCHICHTLICHE  SAMMLUNG 

L)er  Zuwachs  der  kulturgeschichtlichen  Abteilung  übertrifft  an  Stückzahl  den  aller  übrigen.  Es 
liegt  jedoch  in  der  Natur  der  Sache,  dass  sich  darunter  nur  wenige  Wertstücke  im  gewöhnlichen  Sinne 
des  Wortes  befinden.  Das  meiste  erhält  seinen  Wert  erst  durch  die  Einfügung  in  das  kulturgeschichtliche 
Gesamtbild,  das  es  vervollständigen  hilft,  ist  aber  im  einzelneu  zu  unbedeutend,  um  hier  besonders  erwähnt 
zu  werden. 

Von  Innungsaltertümern  schenkte  Herr  Fabrikbesitzer  Wilhelm  Kauffuianu  in  Wüstegiersdorf  eine 
schön  gravierte  Glasscheibe  der  Mark  Lissaer  Weber  von  1714  mit  dem  von  Löwen  gehaltenen  Zunft- 
Wappen  und  den  Namen  der  Ältesten.  Gekauft  wurden  unter  anderem  ein  bronzenes  Petschaft  der 
Breslauer  Stecknadlermeister  von  1605  und  ein  messingnes  der  Züchner  in  Auras  aus  dem  18.  Jahrhundert. 

Die  Gruppe  der  Trachten  und  Geräte  wurde  durch  Geschenke  bereichert  von  Frau  Amalie  Stake, 
Frau  Sophie  Münchhoff,  Frau  Anna  Simson,  Fräulein  Marie  Sonnabend,  Frau  Landgerichtsrat 
Gaede  und  Herrn  Franz  Grosspietsch  in  Breslau,  Fräulein  Selma  Wolff  in  Grottkau  und  Herrn 
A.  Treutier  in  Schmiedeberg.  Gekauft  wurden  eine  seidene  Damenjacke  des  18.  Jahrhunderts,  ein  in 
Rokokoformen  verziertes  Emailschildchen  für  Moselwein  und  ein  elfenbeinernes  Spielmarkenkästchen,  bemalt 
mit  Figuren  und   Rankenwerk  und  bezeichnet:     Mariaval  le  jeune  a  Paris  fecit. 

Von  Musikinstrumenten  schenkte  Herr  Prof.  Dr.  Bobertag  in  Breslau  eine  Guitarre  und  eine 
Flöte,  die  Firma  C.  G.  Herolds  Nachfolger  in  Klingenthal  eine  Violine  des  18.  Jahrhunderts  mit 
geschnitztem  Tierkopf  und   Perhnuttereinlagen. 

Von  wissenschaftlichen  Instrumenten  schenkte  Prof.  Meyer  in  Dresden  (früher  in  Freiburg  i.  Schi.) 
einen  messingnen  Kompass  von  ca.  1730  mit  gedruckter  Gebrauchsanweisung  von  Lorenz  Grasse,  Kompass- 
macher in  Augsburg,  sowie  ein  etwa  gleichaltriges  Mikroskop.  Ein  zweites  Mikroskop  nebst  einer  Anzahl 
andrer  Instrumente  überwies  die  Stadtbibliothek.  Sie  scheinen  die  Reste  der  ehemals  auf  der  Elisabet- 
Bibliothek  aufbewahrten  seiner  Zeit  hochberühmten  Sammlung  des  Breslauer  Ingenieurs  Albrecht  von 
Sebisch  zu  sein. 

Der  Stadtbibliothek  verdankt  das  Museum  auch  die  Mehrzahl  der  in  diesem  Jahre  hinzugekommenen 
Wratislaviensia,  unter  denen  die  auf  S.  87  f.  besprochenen  Kupferstichplatten  und  Porträts  von 
Breslauer  Ratsherren  hervorgehoben  seien.  Eine  Ansicht  des  ehem.  Nikolaithores  aus  dem  Jahre  1804  in 
Ölmalerei  auf  Wachs  schenkte  Frau  Cäcilie  Molinari. 

Für  die  Waffensanmilung  wurde  ein  in  Blindpressung  verzierter  und  mit  silbernen  vergoldeten 
Rosetten  reich  beschlagener  brauner  Ledersattel  mit  Steigbügeln  vom  Ende  des  17.  Jahrhunderts  und  ein 
aus  derselben  Zeit  stammendes  dolchforiuiges  Spundbajonnett  ältester  Form  erworben.  An  Geschenken 
gingen  ein  von  Herrn  Hofantiquar  Max  Altmann  die  aktenmässigen  Belege  zur  Geschichte  des  im 
Museum  befindlichen  Napoleonglases,  von  den  Herren  E.  Grind  1er  und  Kaufmann  Sackur  in  Breslau 
Beutestücke  von   187071. 

Für  die  Einrichtung  einer  schlesischen  Bauernstube  fehlte  in  der  vom  Museum  schlesischer  Alter- 
tümer übernommenen  Samndung  so  ziemlich  alles.  Der  grösste  Teil  des  erforderlichen  Mobiliars  wurde 
auf  einer  Reise  ins  Riesengebirge,  hauptsächlich  in  der  Umgegend  von  Schmiedeberg,  erworben.  Die 
durchweg  bunt  bemalten  Möbel  gehören  zumeist  noch  dem  18.  Jahrhundert  an.  Das  älteste  datierte  Stück 
ist  ein  Himmelbett  vom  Jahre  1700. 

Bei  der  Beschaffung  bäuerlicher  Geräte  und  Kostümstücke  halte  sich  das  Museum  der  freundlichen 
Unterstützung  des  Herrn  Gastwirts  Scholz  in  Oiersdorf  i.  R.  und  des  Herrn  Rentners  Scholz  in  Herzogs- 
waldau  bei  Jauer  zu  erfreuen.  Einen  besonders  gut  erhaltenen  Tellerschrank  schenkte  Herr  Dr.  Philibert 
Hey  mann,  ein  interessantes  Ölbild  mit  Darstellung  einer  alten  Bauernstube  aus  der  Grafschaft  Glatz 
Herr  Max  Altmann. 


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4.    DIE  SAMMLUNG   DES  ALTEN   KUNSTGEWERBES 

Devor  die  Erwerbungen  für  diese  Abteilung  aufgezählt  werden,  mögen  die  Grundsätze,  nach 
denen  sie  erfolgten,  kurze  Erwähnung  finden.  Wie  das  frühere  Museum  schlesischer  Altertümer  betrachtet 
auch  das  neue  Kunstgewerbemuseum  es  als  seine  selbstverständliche  Pflicht,  alle  Arbeiten,  die  für 
die  Geschichte  des  schlesischen  Kunstgewerbes  in  alter  Zeit  von  Interesse  sind,  zu  sammeln.  Für 
alles  das,  was  davon  noch  erreichbar  [ist,  muss  unser  Museum  die  erste  Auffangstelle  sein,  wobei  im 
Interesse  der  wissenschaftlichen  Forschung,  für  die  auf  diesem  Gebiete  noch  sehr  viel  zu  thun  übrig  ist, 
auch  Nuancen  schon  vertretener  Gattungen  nicht  ausgeschlossen  werden.  Immerhin  nahm  dieser  Theil 
unserer  Sammelthätigkeit  im  Berichtsjahre,  wie  das  wohl  auch  in  Zukunft  der  Fall  sein  wird,  die  ver- 
fügbaren Mittel  nur  etwa  zur  Hälfte  in  Anspruch  und  so  konnte  das  Museum  daran  denken,  an  die  Aus- 
füllung der  zahlreichen  Lücken  in  den  Sammlungen  zu  schreiten.  Bis  es  als  ein  Museum  gelten  darf,  das 
das  allgemeine  Kunstgewerbe  in  allen  wichtigen  Perioden  und  Gattungen  vertreten  zeigt,  werden  freilich  noch 
manche  Jahre  vergehen.  Und  gerade,  weil  die  Lücken  noch  so  zahlreich  und  umfassend  sind,  wäre  es 
unsystematisch  gewesen,  aus  allen  Gebieten  vereinzelte  Stücke  anzuschaffen.  Wir  beschränkten  uns  daher 
auf  die  Keramik  (Majolika,  Porzellan)  und  das  Glas  und  erweiterten  unseren  Besitz  an  Möbeln  durch  zwei 
Stücke.  Alle  anderen  Erwerbungen  sind  Gelegenheitskäufe  und  Geschenke.  In  der  folgenden  Übersicht 
werden  nur  die  wichtigeren  Stücke  angeführt: 

Möbel: 
Cy linderbureau   aus  Mahagoniholz  mit  einfachen  Bronzebeschlägen.    Französisch,  Stil  Ludwigs  XVI. 
Wanduhr  auf  Konsole  aus  Holz,  belegt  mit  Schildpattimitation  und  reich  in  Goldbronze   montiert.    Als 
Bekrönung  eine  Vase.     Uhrwerk  von  Le  Parfait.     Französisch,  Ende  des  Barockstiles. 

Majolika: 

Platte,    flach    und    rund,    mit  Resten  eines  Ringfusses.    Blau  bemalt,  der  Grund  mit  Lüster.     Unten  zwei 

Hippokampen,    aus    denen    sich   Ranken   entwickeln,    die  oben  in  Sirenen    ausgehen,    dazwischen 

Fruchtkorb  und  geflügelter  Engelskopf.     Auf  der  Rückseite  Monogramm.    Deruta  um  1520.    Aus 

Sammlung  Zschille  Nr.  76. 
Teller,  grüngolden  irisierend  mit  schwarzblauen  Bandverschlingungen.     Deruta  lö.  Jahrh.    Aus  Sammlung 

Zschille  Nr.  66. 
Schüssel,  am  Rande   abwechselnd   Schuppenmusterung  und  Blattwerk,  im   Fond  Fortezza   mit  der  Säule 

in  Landschaft.     Deruta  16.  Jahrh.     Aus  Sammlung  Zschille  Nr.  64. 
Teller,  auf  hellblauem  Grunde   dunkelblau  bemalt  (a  berettino),   am  Rande  Grotesken,    in  der  Mitte  ein 

Medaillon:  Anuir  an  einen  Baum  gebunden.     Faenza,  Casa  Pirota,  um   1530. 
Teller,  am  Rande  Trophäen  auf  blauem  Grunde,    im  gelben  Mittelfeld   ein  Frauenkopf.     A\it  Lüsterglanz. 

Castel  Durante,  16.  Jahrh. 
Topf,  kugelförnng,    ganz    bedeckt    mit  einem    grossen  Schriftband:     ,,Cocurata"    sowie    mit    Vögeln    und 

phantastischen    Tieren    (darunter  Marcuslöwe?)    in    Blunienranken.      Dunkelblau    in   den    Farben 

vorherrschend,  ausserdem  verschiedene  Töne  von  gelb  und  grün.    Venedig?  16.  jahrh. 
Albarello,  eingeteilt  in   horizontale  Streifen  mit  Grotesken-  und  Blattmotiven,    vorn   ein   grosses  ovales 

Medaillon  nut  der  in  Vorderansicht  stellenden  Figur  eines  Greises,  der  ein  Messer  hält.     Faenza, 

16.  Jahrh.     (Geschenk  des  Herrn  Geheimrats  Dr.  Grempler.) 
Apothekerkrug  mit  abstehendem  Röhrenhenkel,  unter  dem  ein  Schriftband    ausgespart  ist,    auf   blauem 

Grunde  in  gelb  und  grün  mit  grossem  Blatt-  und  Rankenwerk  bemalt.    16.  Jahrh.    (Geschenk  des 

Herrn  Ocheimrats  Dr.  Grempler.) 

Steinzeug: 

Apostelkrug.     Im  Mittelmedaillon  das  Agnus  Dei.     Zinndeckel,  datiert  172S.     Kreussen.     (Geschenk  des 

Herrn  Geheimrats  Dr.  Grempler.) 
Krause,  braun  glasiert.     An  den   sechs  Wänden   abwechselnd   Kerhschnittdecor  und    grosses  kurbranden- 

burgisches  Wappen,  an  den  Ecken  Masken.     17.  Jahrh.    (Geschenk  des  Herrn  Otto  Bauer.) 


176 

Deckel ka II ne  der  charakteristischen  Biinzlauer  Form,  sehr  fein  in  Masse  und  Glasur.  In  Silber  montiert, 
Henkel  und  Deckel  auch  durch  ein  Kettchen  verbunden.  Die  Montierung  eines  ahnlichen  Stückes 
in  den  Sammlungen  mit  dem  Stempel  von  Weisse.     18.  Jahrh.     Bunzlau. 

Kannen,  zwei  Stück,  von  einem  Service,  schwarz,  mit  Relieffiguren.  Englisches  Steinzeug  von  Davenport 
in  Wedgewoodart.    (Geschenk  von  Frau   Mathilde  Sachs.) 

Fayence: 

Deckelgefäss  in  Form   einer  Eule,    datiert  1560,    süddeutsch    oder   schweizerisch.     (Überwiesen   von  der 

Stadtbibliothek,  wird  im  nächsten  Bande  des  Jahrbuches  veröffentlicht  werden.) 
Schüssel,  datiert  1612,  schlesisch.     (Siehe  Abb.  auf  S.  125.) 
Deckeltöpfchen   nüt  zwei  Henkeln,  grün  glasiert.     Auf  dem  Gefässe  in  Relief  männliche  und   weibliche 

Figur  im  Kostüm  des  17.  Jahrh.,    zu   beiden  Seiten    und    auf   dem  Deckel   geflügelte  Engelköpfe. 

Datiert  1682,  schlesisch. 
Teller.     Auf  weissem  Grunde  aufsteigende  Ranken   mit  violetten   und   gelben  Rosetten   und  Granatäpfeln, 

dazwischen   „Die  Gedult".     Datiert  1692,  Schlesien  oder  sächsische  Lausitz. 
Teller.     Im  Fond  eine  Frau  im  Kostüm  des  IS.  Jahrh.,    daneben    „Lieben   und  Geliebt  zu  werden   ist  die 

grösste  Freid   auf   Erden".     Grelle  Farben,  darunter   besonders   auffällig  ein    siegellackartiges  Rot, 

eingeritzte  Modellierung.     18.  Jahrh.     Volkstümliche  Keramik  Schlesiens  oder  der  Lausitz. 
Teller,  dem  vorhergehenden  ähnlich.     Im  Fond  roter  Hase   und  gelber  Hund.     Anno   1772. 
Teller,  überzogen    mit    kobaltblauer  Glasur,    aus    der    grossstilisiertes    Palmettenornament   ausgekratzt  ist. 

Wahrscheinlich  schlesisch.     Im  Berliner  Kunstgewerbemuseum  ein   1714  datiertes  Exemplar. 
Teller    mit  Gitterrand  und   rotem   Decor,    im  Fond  Landschaft.     18.  Jahrh.     Proskau   (Geschenk  der  Frau 

Estera  He  n  sc  hei). 
Theetopf  mit  aufgedruckter  Ansicht  von  Proskau  und  der  Eremitage  von  Dyhernfurth,  späte  Periode  von 

Proskau  (Geschenk  des  Herrn  Nicklas). 
Grosse  Flasche  mit  flachgedrücktem  Bauche   und  zwei  Ohrhenkeln.     Auf   der   einen   buntbemalten    Seite 

Adler  (wahrscheinlich  der  preussische)  umgeben  von  Trophäen  in  Relief.     Unbekannte  Fabrikation 

der  2.  Hälfte  des  18.  Jahrh.     (Geschenk  des  Botschafters  Excellenz  Saurma.) 

Porzellan: 

Bottengruber:  Für  'die  Kenntnis  dieses  interessanten  Künstlers,  der  in  den  20er  Jahren  des  18.  Jahrh. 
in  Breslau  Porzellan  dekorierte  und  später  an  der  Wiener  Manufaktur  eine  leitende  Stellung  ein- 
nahm, wurde  neues  Material  erworben,  so  ein  sehr  schöner  Teller,  signiert  AB  in  Ligatur, 
braunrot,  schwarz  und  gold  bemalt  mit  Genrescenen  und  allegorischer  Figur  in  Barockranken. 
Bottengruber  zuzuschreiben  ist  auch  ein  Tellerpaar,  auf  dem  naturalistischer  Blumendecor  in 
braunroter  Farbe  aufgemalt  ist.  Wahrscheinlich  als  Arbeit  des  gleichfalls  in  Breslau  als  Porzellan- 
maler thätigen  Preussler  ist  ein  merkwürdiger  Teller  anzusehen,  der  als  Geschenk  des  Herrn 
Max  Pringsheim  ins  Museum  kam.  Das  Material  ist  chinesisch,  von  der  ursprünglichen 
bunten  chinesischen  Dekoration  ist  alles  abgeschliffen  bis  auf  das  Randornament  und  einzelne 
Motive,  die  geschickt  in  Chinoiserien  in  Schwarzmalerei  mit  Vergoldung  einbezogen  sind. 

Ansbach:  Teller  mit  Reliefrand  und  grün-goldenem  Decor,  der  sich  zur  Mitte  in  Zungen  erstreckt,  einen 
Blumenstrauss  einschliessend. 

Berlin:    Ober-  und  Untertasse   mit  Golddecor  am  Rande  und  Blumensträusschen. 

Fürstenberg:  Teller,  ein  Paar,  in  der  Mitte  Bouquet  aus  Früchten  und  Blumen,  am  Rande  Guirlanden- 
motive. 

Höchst:  Weissglasierte  Figur  eines  bärtigen  Flussgottes,  der  auf  einem  Felsstück  lagert  und  die  Linke 
auf  eine  fliessende  Urne  stützt. 

Meissen:  Terrine  mit  plastischen  Masken  am  Heukelansatzc  und  hohem  Deckel,  bemalt  mit  Drachen  etc. 
in  Anlehnung  an  chinesische  Vorbilder.  Frühzeit  der  Fabrik.  (Gestiftet  vom  Verwaltungs- 
Gerichtsdirektor  V.  v.  Uthmann.)  —  Kleiner  Ochse  (Geschenk  des  Herrn  .Max  Pringsheim). 


177 

Neapel:  Teller  mit  „Veduta  presa  nel  sortire  la  grotta  di  Pozzuoli",  auf  dem  Rande  Medaillons  mit 
Imperatorenköpfen. 

Sevres:  Ober-  und  Untertasse,  die  erstere  von  cylindrischer  Form  mit  Ringhenkel,  päte  tendre,  hellblau 
mit  Vergoldung  und  ausgesparten  Medaillons,  darin  Blumensträusschen. 

Veilsdorf:    Spiilschale   mit  Rokokoszenen.    (Geschenk  des  Herrn  Ma.x  Pringsheim.) 

Wien:  Eine  ganze  Anzahl  von  Arbeiten,  die  die  Blütezeit  der  Wiener  Manufaktur  unter  der  Direktion 
Sorgenthals  gut  veranschaulicht.  Die  erste  Stelle  nimmt  ein  vollständiges  Frühstückservice 
ein,  bestehend  aus  vier  Kannen,  zwei  Dosen,  Spülnapf  und  einem  Dutzend  Ober-  und  Unterlassen 
der  cylindrischen  Form  mit  rechtwinkelig  gebogenem  Henkel.  Decor  in  Grün  und  Vergoldung 
mit  schwarzen  Feldern,  in  denen  in  bunter  Bemalung  die  Funktionen  des  Amor  nach  einer 
französischen  Vorlage  dargestellt  sind.  —  Ober-  und  Untertasse,  die  Obertasse  von  cylindrischer 
Form  mit  mythologischem  Bilde  (Diana  und  Gefährtin  in  Landschaft)  und  der  Signatur  „Herr".  — 
Ober-  und  Untertasse,  hellblauer  Grund  mit  ausgesparten  gelben  Medaillons,  darin  Ornamen- 
tation  in  Reliefvergoldung.  —  Teller  mit  Vergoldung  auf  Leitnerblau.  -  Teller,  weisser  Fond 
mit  buntfarbigem  und  vergoldetem  Rande,  in  der  Mitte  Rosette.  —  Teller  mit  Ansicht  von 
Schönbrunn  (Le  chateau  J.  R.  de  Schoenbrunn  vers  le  jardin)  im  vergoldeten  Mittelfeld.  — 
Ober-  und  Untertasse,  die  Obertasse  von  der  späteren  ausgeschweiften  Form  mit  überhöhtem 
Henkel  und  mit  Caravaggios  Lautenschlägerin  in  Medaillon.     Um  1825. 

Unbestimmte  Fabrikation:  Weiss  glasierte  Tänzerin  in  Harlekinkostüm,  sehr  hübsch  bewegt,  in 
fliegendem  Kleide,  der  rechte  Fuss  erhoben,  der  rechte  Arm  in  die  Hüfte  gestemmt,  die  Linke 
hält  eine  Pritsche.     Auf  hohem  Postament.     Wien? 

Glas: 

Kollektion  von  28  Oefässen  aus  durchsichtigem  Glas,  zum  Teil  von  prächtiger  Irisierung,  als  Beispiele 
für  die  Formentypik  des  Glases  in  der  römischen  Kaiserzeit.  Aus  phönikischen  Gräbern.  Dazu 
3  Gefässe  aus  Brigetio  (Pannonien). 

Fläschchen  mit  zwei  reich  ausgebildeten  Henkeln  und  umgelegtem  kräftigen  Faden.     Antik. 

Fläschchen   mit  einem  Henkel,  gerieft.     Antik. 

Kleine  Spitzamphora,  opak,  von  alabasterartiger  Masse  mit  Band-  und  Zickzackornamentation  in 
schwarzem  Uberfang.     Aus  Griechenland. 

Kollektion  von  51  Scherben,  in  der  die  wichtigsten  Techniken  für  die  buntfarbige  Behandlung  des 
Glases  in  der  römischen  Kaiserzeit  (Millefiori,  Fadenglas  etc.)  vertreten  sind.     Aus  Italien. 

Schale  mit  umgebogenen  Rändern  auf  Fuss.     Mit  Fadenverzierung.     Venetianisch.     16.  Jahrh. 

Becher,  konisch,  graviert,  mit  zwei  Medaillons.  A)  Kind  in  flehender  Stellung  vor  einem  Engel,  der  eine 
Handlaterne  trägt,  dazu  die  Umschrift  „Meine  Seele  hat  Deiner  zur  Nacht  begehrt".  B)  Kind 
auf  Steckenpferd  reitend  und  Engel,  der  sich  betrübt  abwendet,  Umschrift  „Gott  meine  Ver- 
brechen sind  Dir  nicht  verborgen".     Dazwischen  Fruchtkränze.     Um  1700. 

Becher,  polygonal,  mit  Darstellung,  die  sich  auf  den  Vers  des  hohen  Liedes  „Fulcite  me  floribus,  stipate 
nie  malis:    quia  amore  langueo"  bezieht.     Um  1700.     (Geschenk  der  Frau  Geheimrat  Neisser.) 

Becher,  konisch,  geätzt,  mit  umlaufendem  Hochzeitszug.  Um  1720,  schlesisch?  (Geschenk  der  Frau 
Seraphine  Silbergleit.) 

Becher,  polygonal-konisch,  mit  Ooldrändchen.  Das  Agnus  Dei  in  einer  Landschaft  und  Inschrift:  „Treu 
im  Hertzen,  treu  in  Worten,  gutte  Freunde  allerorten".  18.  Jahrh.  (Geschenk  des  Herrn 
Georg  Grass.) 

Igel  mit  Deckel.  Auf  dem  Bauche  das  Breslauer  W  in  L'Miralimiiiig  von  Palmzweigen  inui  BInmenranken. 
Ende  des  17.  Jahrh. 

Kelchglas  auf  hohem  Fusse  aus  drei  Noden,  in  die  rote,  zum  Teil  vergoldete  Fäden  eingeschmolzen 
sind.     A)  Österreichischer  Doppeladler.     B)  Wappen  von  Breslau.     L'm  17(X). 

Becher,  konisch,  in  Laub-  und  Bandelwerk  Krone  und  Monogramm  und  die  Inschrift:  „Die  Hoffnung 
besserer  Zeiten,  wann  kommt  sie?"  Auf  dem  Boden  in  Zwischengoldtechnik  Krone  und  Scepter. 
1.  Hälfte  des  18.  Jahrh. 

23 


178 

Deckelpokal  mit  Laub-  und  Bandelwerk  imd  der  lusclirift:  „Denkt  an  den  12.  Jan\iar,  da  unser  Fest  des 
Friedens  war.     Anno  1746." 

Deckelpokal,  der  Körper  in  vier  Felder  geteilt.  A)  Inschrift:  „Es  lebe  die  Königliche  Oberanibtsregiernno; 
zu  Breslau",  B)  Oartenszene.     Dazwischen  breite  Bandverschlingungen.     Um  1750. 

Deckelpokal  mit  reich  gegliedertem  Fusse,  nach  oben  stark  sich  erweiternder  Cuppa  und  hohem  Deckel- 
knauf. Umlaufend  Fries  mit  Landschaft  und  kriegerischen  Emblemen,  darüber  „Vernunfft  und 
Waffen  helfen  nicht,  wo  nicht  das  Glück  Sein  Fiat  spricht".  Mit  Goldverzierungen.  Kaum 
schlesisch,  nach   1750. 

Becher,  polygonal,  mit  Jagdszene  in  Zwischenglasmalerei.  18.  Jahrli.  (Geschenk  des  Herrn  Oeheimrats 
Dr.  Grempler.) 

Ausserdem  wurden  Gläser  geschenkt  von  Herrn  Geheimrat  Dr.  Grempler,  Herrn  Professor  IVleyer  in 
Dresden,  Frau  Mathilde  Sachs. 

Metall: 

Löffel  aus  Silber,  auf  dem  Griffe  die  Inschrift:  „Dorothea"  in  vergoldeten  Buchstaben.  Gefunden  im 
Grunde  des  Katharinenstiftes  zu  Breslau.     15.  Jalirh.     (Geschenk  der  Frau  Simsoii.) 

Modell  zu  einem  Bucheinband.    17.  Jahrh.     (Geschenk  des  Herrn   Gottlieb    Hess  in  München.) 

Mörser  mit  Kolben,  datiert  1746.     (Geschenk  des  Herrn  Direktor  Richter.) 

Schloss  aus  Eisen  mit  zierlichen  Beschlägen.  Ende  des  15.  Jahrh.  (Geschenk  des  Herrn  Schlosser- 
meister Saal.) 

Terrine  aus  Zinn  mit  charakteristischen,  eckiggebogenen  Henkeln  und  graviertem  Bhimendecor.    18.  Jahrh. 

Schüssel  aus  Zinn,  im  Fond  ein  brennendes  Herz  mit  MH  1701  in  der  Mitte,  flankiert  von  zwei  Vögeln. 
Am  Rande  Tulpen.     Weisser  Beschauzeichen  und  aufsteigender  Löwe  mit  CKD. 

Schüssel  aus  Zinn  mit  gravierten  Tulpen  im  Fond  und  am    Rande.    MH  1701.    Breslauer  Beschauzeichen. 

Kopf  mit  Helm  und  Hahn  aus  Bronze,  Arbeiten  aus  Benin. 

Miniaturmalerei: 

Miniaturporträt  einer  Dame,  signiert:    Lizinka  de  Mirbel  1833.    (Geschenk  des  Fräulein  Francke.) 

Textiies: 

Die  Textilsammhmg  wurde  vor  allem  durch  eine  giosse  Kollektion  von  43  Nummern  vermehrt,  die  Herr 
Oeheimrat  Dr.  Grempler  schenkte.  Sie  füllt  in  höchst  dankenswerter  Weise  eine  gi-osse  Lücke 
in  den  Mnseumssammlungen  aus,  da  sie  hauptsächlich  —  als  Früchte  der  vielen  Reisen  des 
Geschenkgebers  nationale  Arbeiten  aus  Holstein,  Mähren,  Ungarn,  Bulgarien,  Türkei,  Russland, 
von  den  griechischen  Inseln  und  aus  Persien  umfasst. 

Der  Knnstgewerbeverei  n  schenkte  eine  Anzahl  schöner  chinesischer  und  japanischer  Stoffe,  Frau 
Estera  Henschel  eine  böhmische  Brautdecke,  Herr  J.  F.  Lunge  in  Berlin  ein  reich  in  Gold 
gesticktes  modernes  indisches  Frauenkostüm,  Komniissionsrat  Milch  eine  moderne  japanische 
Seidenstickerei,  Generalagent  Freund  ein  Mustertuch  vom  Anfange  des  19.  Jahrh. 

Baldachinumhang,  auf  rotem  Seidengrund  gross  stilisierte,  mit  Goldfäden  conturierte  Ranken  von 
strengstem  Renaissancecharakter  in  Applikation,  von  denen  naturalistische  Blüten  in  offener 
Seidenstickerei  abzweigen.     Aus  Schlesien,   17.  Jahrh. 

Rücklaken  in  Gobelinwirkerei  mit  Darstellung  der  Königin  von  Saba.  16.  Jahrh.  (Geschenk  des 
evangel.  Qemeindekirchenrats  von  Heidau.) 

Shawl  aus  Brüsseler  Spitze.  Nach  einem  alteji  Stammbaume  der  Besitzer  dieses  Shawles  aus  dem  Besitze 
der  Königin  Marie  Antoinette  herrührend. 

Behang,  auf  weissem  Grund  mit  brauner  Weberei  Vögel,  Bäimie  und  Pyramus  und  Thisbe  am  Brunnen. 
Holsteinische  Hausweberei. 

Paraniente  (Kasein,  Kelchtücher  und  Antependiuiu)  in  reicher  Daniastweberei  vom  Anfang  des  18.  Jahrh. 


179 


Orient: 


Ausser  den  schon  angeführten  Textilien  kamen  ins  Museum  als  Geschenk  des  Herrn  Qeheimrats 
Dr.  Grempler  japanische  und  chinesische  Arbeiten  in  Bronze,  Email  und  Lack,  eine  persisch- 
rhodische  Henkelkanne,  eine  persische  Fliese  mit  Relief  eines  Reiters  auf  der  Falkenbeize, 
eine  persische  Henkel kanne  aus  Bronze  mit  gravierten  Darstellungen,  als  Geschenk  des  Herrn 
Kaufmann  Krug  in  Wüstegiersdorf  ein  chinesischer  Fo-Hund  in  Bronze  gegossen;  von  der 
Stadtbibliothek  wurden  aus  altem  Besitz  stammende  Tafeln  mit  chinesischen  Reliefs  aus 
farbigen,  geschnittenen  Steinarten  auf  Seidengrund  abgetreten. 

5.  SAMMLUNG  DES  MODERNEN  KUNSTGEWERBES 

Möbel:  Speisetisch  von  Peter  Behrens  —   Konsole  aus  den  vereinigten  Werkstätten  von  Dresden. 

Dekorative  Malerei:  Grosser  dreiteiliger  Wandschirm  mit  Gobelinmalerei  von  Otto  Ubbelohde,  in 
der  Mitte  Pfau  auf  einem  Gitter  vor  weiter  Landschaft,  links  Adler,  um  eine  Tanne  flatternd, 
rechts  Kraniche. 

Beleuchtungskörper  von  van  de  Velde  und  Eugen  Berner. 

Keramik:  Zwei  Kopenhagener  Schüsseln,  eine  mit  prächtigem  Pfau  von  Host,  die  andere  mit  dänischer 
Landschaft    von    Liisberg  Topf  mit  Überlaufglasuren    von  Clement  Massier    —    Löwe   aus 

Scharffeuerporzellan  von  Kahler  aus  Nästved  -  Teller  von  Schmuz-Baudiss  —  Vase  von 
Heider  in  Schongau  —  Porzellanvase  mit  Kristallglasur  aus  der  Königl.  Porzellanfabrik  zu 
Berlin    -  Vase  aus  Steinzeug  von  Doulton. 

Glas:    Ziergläser  von  Köpping,  Galle  und  Daum  („Oeisblatt")  in  Nancy. 

Bucheinbände   einfacher  Art  aus  England  und  Dänemark. 

Blei  verglasungen:  Nixe  von  Christiansen,  ausgeführt  von  Liebert  in  Dresden  von  Länger,  ausgeführt 
von  Holler  in  Crefeld. 

Stickerei:    Kissen  ,, Blumige  Wiese"  von  Obrist  in  München. 

Metall:  Bronzeguss  nach  dem  Originalmodell  für  die  Plakette  zur  Eröffnung  des  schlesischen  Museums 
für  Kunstgewerbe  und  Altertümer  von   Professor  Kämpffer  (abgeb.  auf  S.  25)  Weinkühler 

von  Wilhelm  und  Lind  in  München  —  Teller  aus  Zinn  von  Lichtinger   —    kleinere    englische 
Metallbeschläge,  Löffelchen,  Schmuckstücke,  Schale,  getrieben  in  Kupfer  aus  der  Schule 
in  Glasgow   —   Pokal  von  Ashbee. 
Für   die   Vermehrung   der  urgeschichtlichcn,   kulturhistorischen    und    kiuistgewerblichen  Sammlung 

wurden  rund  23500  Mk.  ausgegeben. 


VERMEHRUNG    DER    BIBLIOTHEK 

A)  Büchersammlung. 

L)eti  Grundstock  der  Bibliothek  bildet  die  Handbibliothek  des  Museums  schlesischer  Alter- 
tümer, die  zuletzt  einschliesslich  der  urgeschichtlichen,  numismatischen,  der  schlesischen  Oeschiehts-Litteratur 
und  der  Tauschschriften  214Q  Werke  umfasste  und  bei  deren  Ergänzung  in  den  letzten  Jahren  im  Hinblick 
auf  die  bevorstehende  Gründung  des  Kunstgewerbemuseums  die  kunstgewerbliche  Faclilitteratur,  namentlich 
die  kunstgewerblichen  Zeitschriften,  besonders  berücksichtigt  worden  waren. 

Vermehrt  wurde  dieser,  auch  für  die  neuen  Ansiirüche  des  Museums,  wertvolle  Besitzstand  im 
Berichtsjahre  zunächst  durch  die  Überweisimg  von  12')  Werken  kunstgewerblichen  Inhalts  aus  der  Bibliothek 
des  Schlesischen  Museums  der  bildenden  Künste  und  der  Bibliothek  des  Kunstgewerbevereins 
für  Breslau,  die  65  Werke  und  Zeitschriften  enthielt.  Ausserdem  gingen  infolge  eines  Aufrufs  des 
Museums  bei  seiner  Gründung  zum  Teil  recht  wertvolle  Geschenke  von  mehreren  Verlagsanstalten, 
Buchhandlungen,  wissenschaftlichen  Instituten  und  Privatpersonen  für  die  Bibliothek  ein.    Die  Geschenkgeber 

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180 

sind:  S.  M.  der  Kaiser,  der  ein  Exemplar  des  Werkes  von  Jacobi:  Das  Rönierkastell  Saalburg  durch  den 
Oberpräsidenten  von  Schlesien  übersandte,  ferner:  der  Verlag  Artaria,  Wien  —  die  Verlagsbuchhandlung 
Breitkopf  u.  Härtel,  Leipzig  die  Gesellschaft  für  vervielfältigende  Kunst,  Wien  —  Direktor 
Dr.  Graul,  Leipzig  —  Geh.  Rat  Dr.  Grenipler  —  Max  Heiden,  Berlin  -  Hugo  Hei  bing,  München  — 
die  Buchhandlung  O.  Hess,  München  —  die  Buchhandlung  K.  W.  Hierseniann,  Leipzig  R.  v.  Höfken, 
Wien  —  der  Verlag  Alex.  Koch,  Darnistadt  —  Stadtältester  Dr.  von  Korn  —  der  Verlag  A.  Langen, 
München  -  Dr.  Lehniann-Nitsche,  La  Plata  Direktor  Dr.  Masner  —  Fabrikbesitzer  H.  Meinecke  — 
Kommissionsrat  B.  Milch  —  das  Ministerium  der  geistlichen,  Unterrichts- und  Medizinal-Angelegenheiten, 
Berlin  —    das  Nordböhmische  Gewerbe-Museum,  Reichenberg  das  Osterreichische  Museum 

für  Kunst  und  Industrie,  Wien  -  Bibliothekar  Dr.  Nentwig,  Warmbruun  -die  Königl.  Porzellan- 
Manufaktur,  Meissen  —  Max  Pringsheim  —  Freiherr  von  Rentz  —  Notar  Ritleng,  Strassburg  i.E. — 
Kustos  Ritter,  Wien  -  die  Verlagsbuchhandlung  Schimmel witz,  Leipzig  —  die  Verlagsbuchhandlung 
Scluihr,  Berlin  —  Buchhändler  Schweitzer  -  Direktor  Dr.  Seger  —  Professor  Dr.  Semrau  —  die 
Stadtbibliothek  —  das  Statistische  Amt  —  K.  A.  Tannert,  Neisse  —  Verlagsbuchhändler  Trewendt  ~ 
die  Redaktion  der  Schlesischen  Zeitung  —  die  Verlagsbuchhandlung  Ernst  Wasmuth,  Berlin  die 
Kuustanstalt  C.  T.  Wiskott  —  W.  Ziesch  &  Comp.,  Berlin. 

Ausserdem  sind  die  sehr  zahlreichen,  alljährlich  eingehenden  Publikationen  der  deutschen  und 
ausserdeutschen  Geschichts-  und  Altertums  vereine,  die  mit  dem  Verein  für  das  Museum  schlesischer 
Altertümer  in  Schriftenaustausch  stehen,  als  Geschenke  des  Vereins  für  die  Museumsbibliothek  zu  betrachten. 

Von  wichtigen  Ankäufen,  die  nach  Möglichkeit  die  grossen  Lücken  der  vorhandenen  kunst- 
gewerblichen Litteratur  füllen  sollten,  sind  zu  erwähnen:  eine  vollständige  Serie  des  Studio,  des  Jahr- 
buches der  Kunstsammlungen  des  Allerhöchsten  Kaiserhauses,  der  Mitteilungen  d.  k.  k. 
Zentralkommission  z.  Erf.  u.  Erh.  d.  Kunstdenkmale,  ferner:  Niccolini,  le  case  ed  i  monumenti  di 
Pompei  —  Ysendyck,  Documents  classes  de  l'art  dans  les  Pays-Bas  du  X«"  au  XVIIIf  siecle  Gonse, 
l'art  japonais  —  Radisics,  Chefs-d'oeuvre  d'art  de  la  Hongrie  —  Owen  Jones,  the  grammar  of 
Ornament.  Gr.  Ausg.  —  Wessely,  das  Ornament  imd  die  Kunstindustrie  in  ihrer  geschichtlichen  Ent- 
wickelung  ^  Gerlach,  Allegorien  und  Embleme,  A.  u.  N.  F.  —  Gerlach,  Festons-  und  dekorative  Gruppen 
Fritsch,  Denkmäler  deutscher  Renaissance  —  Belcher  und  Macartney,  Later  renaissance  architecture 
in  England  —  Gurlitt,  die  Baukunst  Frankreichs  —  Palastarchitektur  in  Oberitalien  und  Toscana  — 
Collection  Spitzer  Labarte,  Histoire  des  arts  industriels  Lessing,  Vorbilderhefte  aus  dem  Kgl. 
Kunstgewerbemuseum  zu  Berlin  —  Viollet  Le  Duc,  Histoire  du  mobilier  fran(;ais  -  Sheraton,  the 
Cabinet-Maker  and  upholsterers  Drawing-Book  Williamson,  les  meubles  d'art  du  mobilier  national  — 
Zettler-Enzler-Stockbauer,  Ausgewählte  Kunstwerke  aus  dem  Schatze  der  Reichen  Kapelle  in  der  Kgl. 
Residenz  zu  München  -  f^ulsky-Radisics-Molinier,  Chefs-d'oeuvre  d'orfevrerie  ayant  figure  ä  l'expo- 
sition  de  Budapest  —  du  Sartel,  la  porcelaine  de  Chine  —  Audsley  u.  Bowes,  Keraniic  art  of  Japan  — 
Argnani,  il  rinascimento  delle  ceramiche  maiolicate  in  Faenza  —  Darcel  et  Delange,  Recueil  de 
faiences  italiennes  des  XVf,  XVK' et  XVil^  siecles  —  Garnier,  la  porcelaine  tendre  de  Sevres  -  Berling, 
das  Meissner  Porzellan  und  seine  Geschichte  -  Catalogue  of  the  collection  of  glass  fonned  by  Felix 
Slade  —  Tapis  d'Orient  —  Guichard  et  Darcel,  les  tapisseries  decoratives  —  Hefner-Alteneck, 
Trachten,  Kunstwerke  und  Gerätschaften  —  Racinet,  le  costume  historique  Knoetel,  Uniformenkunde  — 
Hiltl,  Waffensanimlung  des  Prinzen  Carl  von  Preussen. 

B)  Studienblätter-Sammlung. 

Für  diese  neuangelegte  Sammlung  gingen  Geschenke  ein  von:  Hofkunsthandlung  Ernst  Arnold, 
Dresden  —  Kuustanstalt  Theodor  Beyer,  Dresden  -  Direktorial-Assistent  Dr.  Buchwald  Dr.  Robert 
Forrer,    Strassburg  Stadtbauinspektor   Friese       -     Kuustanstalt    Grimme    &    Hempel,    Leipzig   — 

Antiquariat  O.  Hess,  München  —  Buchhandlung  K.  W.  Hierseniann,  Leipzig  —  Frau  Geh.  Rat  Hoff- 
mann, Prietzen  —  cand.  phil.  Erich  Klossowski  -  Kunstverein  für  die  Rheinlande  und  West- 
falen, Düsseldorf  —  Verlag  A.  Langen,  München  —  Mährisches  Gewerbe-Museum,  Brunn  - 
Direktor    f^r.    Masuer     -    Kinistaustalt    Meisenbach,    Riffarfh   V^   Comp.,    Berlin      -    Kommissionsrat 


181 

B.  Milch  —  Frau  Oeli.  Rat  Toni  Neisser  -  Maler  Emil  Orlik,  Prag  —  Verlag  P.  Parey,  Berlin  — 
Kustos  Ritter,  Wien  —  Buchhändler  Schweitzer  —  Professor  Dr.  Semrau  —  Optiker  Otto  Sitte  — 
Maler  Hugo  Ulbrich  —  Vereinigung  bildender  Künstler  Österreichs  (Secession),  Wien  —  Buchhändler 
Wohlfahrt     -  Kunstanstalt  C.  T.  Wiskott   —   Volontär  Fritz  Wolff. 

Erworben  wurden  u.  a.  zwei  grössere  Kollektionen  von  Photographien  kunstgewerblicher  Gegen- 
stände aus  dem  Louvre  und  von  Architekturen  und  Erzeugnissen  des  Kunsthandwerks  aus  Österreich- 
Ungarn.  Vom  alten  Bestände,  der  für  diesen  Zweck  verwendet  werden  konnte,  war  besonders  wichtig 
eine  grosse  Sammlung  von  Abbildungen  schlesischer  Kunstdenkmäler. 

Für  die  Vermehrung  der  Bibliothek  wurden  15  632  Mk.,  für  die  der  Studienblätter-Sanimlung 
2038  Mk.  ausgegeben. 


AUSSTELLUNGEN 

1.  Die  Eröffnungsausstellungen  modernen  Kunsthandwerkes.  Wollte  das  Museum  gleich 
bei  seiner  Eröffnung  einen  Überblick  über  Art  und  Umfang  seiner  zukünftigen  Thätigkeit  geben,  durfte  es 
sich  nicht  damit  begnügen,  seine  Sammlungen  vorzuführen.  Es  musste  sofort  auf  das  nachdrücklichste 
dokumentieren,  dass  es  die  Sammelthätigkeit  nicht  so  sehr  als  Selbstzweck  auffasse,  sondern  seine  Bestimmung 
darin  sehe,  leitend  und  fördernd  in  das  Kunstschaffen  der  Gegenwart  einzugreifen.  Mit  den  Arbeiten  für 
die  Einrichtung  des  Museums  gingen  daher  die  Vorbereitungen  für  die  Veranstaltung  zweier  Ausstellungen 
parallel,  von  denen  die  eine  dem  modernen  schlesischen,  die  andere  dem  auswärtigen  d.  h.  nicht  schlesischen 
Kunstgewerbe  gewidmet  war. 

A)  Die  Ausstellung  schlesischen  Kunstgewerbes  wurde  vom  Museum  in  Gemeinschaft 
mit  dem  Kunstgewerbeverein  ins  Werk  gesetzt.  Wie  dieser  das  Verdienst  beanspruchen  kann,  seit  lahren 
auf  die  Notwendigkeit  der  Gründung  eines  Kunstgewerbemuseums  in  Breslau  hingewiesen  zu  haben, 
erachtete  er  es  als  eine  Ehrenpflicht,  mit  dem  neuen  Institute  bei  dessen  erster  grossen  Veranstaltung 
Hand  in  Hand  zu  gehen  und  sich  mit  allen  Kräften  dafür  einzusetzen,  dass  sich  das  schlesische  Kunst- 
handwerk unserer  Tage  bei  der  Eröffnungsausstellung  würdig  und  vornehm  präsentiere.  Nicht  nur  dass 
der  Verein  als  solcher  einen  Teil  der  Kosten  des  Unternehmens  trug,  scheuten  auch  einzelne  Mitglieder 
bedeutende  Opfer  nicht,  um  durch  aussergewöhnliche  Leistungen  zum  Gelingen  der  Ausstellung  beizutragen. 
So  machte  denn  diese,  zumal  da  die  Jury  streng  alle  unkünstlerischen  Arbeiten  abgelehnt  hatte,  im  ganzen 
und  grossen  einen  höchst  erfreulichen  Eindruck,  der  durch  gefälliges  Arrangement  gesteigert  war.  Fast 
alle  Räume  des  II.  Stockwerkes,  in  denen  die  Ausstellung  untergebracht  war  (Säle  XXII  XXVII  und  Vor- 
tragssaal), waren  in  Interieurs  umgewandelt.  Sie  rührten  her  von  den  Firmen  Gebrüder  Bauer,  Gummig, 
Hauswalt,  Kimbel,  Kublinsky,  Rumsch,  Will  und  Zwiener.  Die  Führung  der  Ausstellungs- 
geschäfte war  einem  ,, Arbeitsausschusse"  anvertraut  worden,  der  zugleich  als  Jurv  fungierte.  Er  bestand 
aus  dem  I.  Direktor  des  Museums  als  Vorsitzenden,  dem  Direktor  der  Konigl.  Kunst-  und  Kunstgewerbe- 
schule Professor  Kühn  als  II.  Vorsitzenden,  den  Herren  Professor  Behrens,  Dr.  Buchwald,  Architekt 
Grosser,  Maler  Haertel,  Graveur  Kaiser,  Ratsbaumeister  Klimm,  Kommissionsrat  Milch,  Buchbinder- 
meister Okrusch,  Dekorationsmaler  Rumsch,  Direktor  Dr.  Seger,  Professor  Dr.  Semrau,  Maler 
Sitzmann,  Bildhauer  Wilborn  und  Maler  Wisliceruis. 

Die  Ausstellung  schlesischen  Kunsthandwerkes  bot  dem  Kunstgewerbeverein  Veranlassung,  einen 
Wettbewerb  für  ein  künstlerisches  Atisstellungsplakat  auszuschreiben.  Als  Sieger  aus  diesem  nur  für  schlesische 
Künstler  bestimmten  Wettbewerbe,  der  sehr  viele  hübsche  Arbeiten  zeitigte,  ging  Hermann  Völkerling 
hervor,  dessen  Entwurf  von  der  Firma  CT.  Wiskott  ausgeführt  wurde. 

B)  Die  Ausstellung  auswärtigen  Kunst  band  Werkes  koiuitc  und  wollte  gewissermassen 
nur  Stichproben  für  die  wichtigsten  Erscheinungen  des  gesamten  modernen  Kunsthandwerkes  vorführen. 
Systematische  Vollständigkeit  war  aus  den    verschiedensten  Gründen    undenkbar.    Selbstverständlich  über- 


182 

wogen  bei  dieser  Ausstellung  die  Kleinkünste,  immerhin  aber  war  es  möglich,  einen  Teil  der  Kompar- 
timente,  in  welche  der  Grosse  Saal  des  1.  Stockwerkes  eingeteilt  wurde  (derselbe,  in  dem  jetzt  die  kirch- 
lichen Kimstdenkmäler  aufgestellt  sind),  interieurartig  einzurichten.  Grössere  Kollektionen  hatten  für  diese 
Ausstellung  beigesteuert:  die  Vereinigten  Werkstätten  in  München  und  Dresden,  die  Kunsthand- 
lungen Arnold  in  Dresden,  Keller  und  Reiner  in  Berlin,  Littauer  in  München,  Moritz  Wentzel  in 
Breslau.     Ausserdem  hatten  viele  Institute,    Künstler  und  Kunsthandwerker   direkt  Arbeiten  eingesandt. 

Die  Eroffnungsausstellungen  dauerten  vom  27.  November  bis  12.  Januar  und  hatten  sich  eines 
ausserordentlich  starken  Besuches  zu  erfreuen  (siehe  unten).  An  mehreren  Tagen  der  Woche  waren  sie 
bei  einem  Eintrittsgelde  von  50  Pf.  auch  in  den  Abendstunden  bei  elektrischer  Beleuchtung,  in  der  sie 
sich  besonders  festlich  und  imposant  präsentierten,  geöffnet.  Sehr  grossen  Anklang  fanden  beim  Publikum 
die  offiziellen  Führungen  durch  die  Ausstellungen,  bei  denen  Beamte  des  Museums  —  zweimal  auch  Herr 
Professor  Sennau  —  Erläuterungen  gaben.  An  diesen  Führungen  nahmen  teil:  der  Kunstgewerbeverein, 
der  Ingenieur-  und  Architektenverein,  der  Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer,  der  Verein  für 
die  Geschichte  der  bildenden  Künste,  der  Humboldt- Verein  für  Volksbildung  (6  mal),  der  landwirtschaftliche 
Verein,  der  Waldenburger  Gewerbeverein.  Als  weniger  erfreulich  und  bei  weitem  nicht  heranreichend  an 
den  moralischen  Erfolg,  niuss  der  finanzielle  Erfolg  der  Ausstellungen  bezeichnet  werden.  Es  wurden  nur 
6000  Mark  eingelöst,  wobei  das  Museum  als  Hauptkäufer  betheiligt  war.  Für  beide  Abteilungen  der 
Eröffnungsausstellung  wurde  ein  vornehm  ausgestatteter  und  von  der  Firma  Grass,  Barth  &  Co.  muster- 
haft gedruckter  Katalog  ausgegeben,  für  den  Fritz  Erler  hübsche  Vignetten  entworfen  hatte.    (Siehe  S.  32.) 

2.  Am  4.  Februar  wurde  in  den  Räumen  des  II.  Stockwerkes  eine  neue  Wechselausstellung  eröffnet. 
Sie  enthielt  eine  grosse  Anzahl  moderner  künstlerischer  Tapeten,  welche  die  Firma  Nicolai  &  Seh weitzer 
in  Breslau  mit  grosser  Sorgfalt  zusanmiengebracht  hatte,  die  in  den  Vereinigten  Berliner  Smyrna-Teppich- 
fabriken  nach  Entwürfen  von  Professor  O.  Eckmann  angefertigten  Teppiche,  kunstgewerbliche  Entwürfe 
von  Eugen  Burkert  in  Breslau,  die  vom  Museum  angekauften  Tierstudien  des  im  Jahre  1891  verstorbenen 
Breslauer  Malers  Johannes  Bräuer  und  Lackproben  von  Dekorationsmaler  Hans  Rumsch.  Ausserdem 
waren  zwei  Gruppen  aus  der  reichen  Textilsammlung  des  Museums,  alte  schlesische  Stickereien  und 
orientalische  Gewebe,  ausgestellt. 


BESUCH     DER    SAMMLUNGEN    UND    DER. 
BIBLIOTHEK 

Für  den   Besuch  der  Sammlungen  wurden  folgende  Bestimunmgen  erlassen: 

§  1.  Die  Sammlungen  des  Museums  sind  an  Wochentagen  (Montag  ausgenommen)  von  10—2,  an 
Sonn-  inid  Feiertagen  von  11—2  Uhr  unentgeltlich  dem  allgemeinen  Besuche  zugänglich. 

Aussergewöhnliche  Besuchsstunden  werden  besonders  bekannt  gemacht.  Geschlossen  bleibt  das 
Museum  am  Neujahrstage,  Charfreitage,  Ostersonntage,  Christi  Himmelfahrtstage,  Pfingstsonntage,  Busstage, 
ersten  Weihnachtsfeiertage  und  an  dem  Geburtstage  Sr.  Majestät. 

t?  2.  Zum  Besuche  des  Museums  sind  alle  Personen  in  anständiger,  reinlicher  Kleidung  zugelassen. 
Kinder  unter  12  Jahren    haben  nur  in  Begleitung  Erwachsener  Zutritt. 

S  3.  Stöcke  und  Schirme,  sowie  Handgepäck  müssen  von  den  Besuchern  gegen  ein  Entgelt  von 
10  Pfennigen  für  die  Person  abgegeben  werden.  Personen,  welche  des  Stockes  als  Stütze  bedürfen,  ist  es 
gestattet,  diesen  in  die  Sammlungen  mitzunehmen. 

S  4.  Das  Kopieren  und  Zeichnen  in  den  Sannnlungeu  ist  im  allgemeinen  gestattet.  Einer  besonderen 
Erlaubnis  der  Direktion  aber  bedarf  es  bei  Leihausstellungen  und  Erzeugnissen  der  modernen  Kunst- 
industrie, sowie  dann,  wenn  besondere  Veranstaltungen  (Aufstellung  von  photographischen  Apparaten, 
Staffeleien  etc.)  nötig  sind. 


183 


liiferieur  der  Eröffnungsausstellung    von  J.  Koblinsky  in  Bresla 
Besucherzahl: 


Anzahl  der 

Orösste  Besucher- 

Geringste 

Gesamtzahl 

Besuchstage 

zahl  an  einem 

Tage 

Besucherzahl 

der  Besucher 

33 

1365 

78 

10710 

26 

1  250 

65 

6  706 

24 

805 

32 

4  200 

27 

1  203 

45 

5  209 

Monat 

18Q9:  27.   Nov.  bis  31.  Dez. 

1900:  Januar   

„  Februar   

„  März 


Über  die  Veranstaltung  von  Führungen  durch  die  Eröffnungsausstellungen  siehe  S.  182. 

Die  Bibliotheksordnung  ist  folgende: 

S  1.     Die  Bibliothek  (Bücher  und  Studienblätter)  ist  unentgeltlich  geöffnet  Dienstag  bis  Sonnabend 
vormittags  von  10  bis  2  Uhr,  abends  von  6  bis  8  Uhr,  Sonntag  von  1 1  bis  2  Uhr. 

..fi-  ^7'  r"!"  '^'■"""'"■'  '"'  ^^'"'"'  ^*'"''  ""^'  Wohnung  in  ein  dafür  bestimmtes,  im  Lesezimmer 
auflegendes  Buch  einzutragen. 

.        ^'  f.    '"'    Lesezimmer    ist   grösste    Ruhe    zu    beobachten;     Tische    und    Stühle    dürfen    nicht    mit 
dnzuliln  "  '  ""'"'■     ^''"  """""''""'  "'"  Tintenfässern  ist  die  Genehmigung  des  Bibliothekars 

von  ih,M,  'p,  !"^"'  I'""  '^''^''"'"^•'^beamten  bekannte  Besucher  darf  die  Bucher  und  Studienblätter  selbst 
von  ,hKn,  I  latze  nehmen,  hat  s,e  aber  nach  der  Benützung  auf  dem  Lesetische  liegen  zu  lassen  und  nicht 
weder  emzustellen.     Andere  Besucher  erhalten  die  gewünschten  Bücher  etc.  von  dem  Aufseher 


184 

S  5.  Die  in  einem  besonderen  Schranke  zusaninienliegenden  nenesten  Niunineni  der  Zeitscliriften 
können  von  jedem  Besneher  ohne  weiteres  eingesehen  werden  mid  sind  nach  der  Benützung  wieder  in 
ihr  Fach  zurückzulegen. 

4;  0.  Die  Bücher  und  Studienblätter  werden  nur  ausnahmsweise  verliehen.  Wörterbücher,  oft 
benützte,  kostbare  und  seltene  Werke,  einzelne  Nummern  von  Zeitschriften  können  überhaupt  nicht  aus- 
geliehen werden. 

§  7.  Verliehen  werden  Bücher  etc.  nur  an  Personen,  die  der  Direktion  bekannt  sind,  oder  die 
einen  Bürgen  stellen  können,  über  dessen  Befähigung  zur  Bürgschaftsleistung  die  Direktion  entscheidet. 

4;  S.  Die  Bücher  etc.  werden  gegen  schriftliche  Empfangsbescheinigung  auf  eine,  in  jedem  ein- 
zelnen Falle  mit  dem  Bibliothekar  zu  verabredende  Frist  ausgeliehen.  Die  Direktion  behält  sich  vor,  die 
Bücher  etc.  auch  innerhalb  dieser  Frist  zurückzuverlangen. 

§  9.  Jeder  Besucher,  der  Bücher  etc.  beschädigt,  ist  zum  Ersätze  des  Schadens  nach  der  Sehätzung 
der  Direktion  verpflichtet. 

§  10.  Den  Anordnungen  der  Bibliotheksbeamten  und  Aufseher  hat  sich  jeder  Besucher  unbedingt 
zu  fügen. 

Benützt  wurde  die  Bibliothek  in  der  Zeit  vom  27.  November  bis  31.  März  an  105  Tagen  von 
1107  Personen.  Hoffentlich  bringt  die  naturgemäss  erst  allmählich  sich  verbreitende  Kenntnis  von  dem 
Bestehen  der  Bibliothek  eine  wesentliche  Steigerung  der  Besucher,  namentlich  aus  den  Kreisen  der  Kunst- 
gewerbetreibenden, damit  sich  die  gerade  auf  diesen  Teil  des  neuen  Instituts  gesetzten  Erwartungen 
voll  erfüllen. 


ZUSAMMENSETZUNO  DER  MUSEUMS-DEPUTATION 
UND  DES  BUREAUS 

Die  Museums  -  [Deputation  (siehe  S.  29)  bestand  im  Berichtsjahre   aus   folgenden  Mitgliedern; 

Oberbürgermeister  Dr.  Bender,  Stadtrat  Milch,  Stadtrat  Brössling  —  Baumeister  Heintze, 
Rechtsanwalt  Dr.  Wehlau,  Geheimrat  Dr.  Neisser,  Professor  Kühn,  Maler  Rnmsch,  Weinkaufniann 
Pniower,  Juwelier  Klee,  Qeheimrat  Dr.   Ponfick  Stadtältester   Dr.   von   Korn    —    Oeheimrat   Dr. 

Grempler  und  Direktor  Dr.  Seger  (als  Stellvertreter  Oberlehrer  Dr.  Mertins  und  Kaufmann  Strieboll) 

—  Qeheimrat  Dr.  Websky  (als  Stellvertreter  Kommissionsrat  Benno  Milch)  —  Geheimrat  Dr.  Foerster 

—  Landeshauptmann  von  Roeder    -   Professor  Dr.  Sombart         Direktor  Dr.  Masner. 

Anstelle  des  Herrn  Pniower,  der  am  13.  Juli  1899  verstarb,  vi/urde  Buchdruckereibesitzer 
Lilienfeld  gewählt. 

Das  Bureau  war  folgendermassen  zusammengesetzt: 
1.  Direktor:    Dr.  Karl  Masner. 

II.  Direktor:    Dr.    Hans   Seger    (verwaltet   die   nrgeschichtliclic,    kultiuhistorische    und    Münz- 
sammlung). 
Direktorial-Assistent:    Dr.  Conrad   Buchwald  (führt  ilie  Bibliotheksgeschäfte). 
Volontäre:    Fritz  Wolff. 

Erich   Klossowski  (bis   1.  Januar   1900). 
Hill eau- Assistent:    Hugo  Kornfülirer. 
Kastellan:    Engen  Jung. 


185 

STIFTUNGEN    VON    GELDBETRÄGEN    FÜR    DAS 
MUSEUM 

1.  Im  Oktober  des  Jahres  1899  veröffentlichten  die  Herren:  George  Agath,  Fabrikdirektor  und  Stadt- 
verordneter A.  Biaiiel,  Stadtrat  C.  Brössling,  Geh.  Justizrat  und  Stadtverordneten-Vorsteher  Freund, 
Kaufmann  und  Stadtverordneter  Adolf  Friedenthal,  Geschäftsinhaber  des  Schlesischen  Bankvereins 
Fromberg,  Königl.  Bergrat  und  erster  Handelskammer-Syndikus  Oothein,  Geh.  Sanitätsrat  Dr.  Grempler, 
König!.  Baurat  und  Fabrikdirektor  Grund,  Brauereibesitzer  Georg  Haase,  Geh.  Kommerzienrat  Heinrich 
Heimann,  freier  Standesherr  Guido  Graf  Henckel  v.  Donnersmarck,  Kraft  Fürst  zu  Hohenlohe, 
Bankier  Albert  Holz,  Dr.  G.  Kauffmann,  Fabrikbesitzers.  Kauffmann,  Kaufmann  Georg  Kissling, 
Eugen  von  Kulniiz,  Geh.  Regierungsrat  I'rof.  Dr.  Ladenburg,  Königl.  Kommerzienrat  L.  Ledermann, 
Direktor  Dr.  Masner,  Stadtrat  Milch,  Geh.  Kommerzienrat  Molinari,  Geh.  Medizinalrat  Professor 
Dr.  Weisser,  Geh.  Kommerzienrat  Pinkus,  Geh.  Medizinalrat  Professor  Dr.  Ponfick,  Stadtrat  Fedor 
Pringsheim,  Dr.  Franz  Promnitz,  Victor  Herzog  von  Ratibor,  Landeshauptmann  von  Schlesien 
V.  Roeder,  Wirkl.  Geh.  Rat  Exzellenz  Freiherr  v.  Saurma,  Fabrikbesitzer  Schoeller,  Rittergutsbesitzer 
Julius  Schottlaender,  Dnektor  Dr.  Seger,  Bankier  Gideon  v.  Wallenberg-Pachaly,  Geh.  Kom- 
merzienrat Dr.  Websky,  Fabrikbesitzer  und  Handelsrichter  Max  Wiskott  folgenden  Aufruf  in  den 
Zeitungen: 

,,Am  27.  November  d.  J.  geht  ein  langgehegter  Wunsch  der  Provinz  Schlesien  und  seiner  Haupt- 
stadt in  Erfüllung.  In  Breslau  wird  ein  Kunstgewerbemuseum  eröffnet,  das  bestimmt  ist,  neben  dem 
Museum  der  bildenden  Künste  ein  Mittelpunkt  für  die  künstlerischen  Interessen  unserer  engeren  Heimat 
zu  werden.  Stadt,  Provinz  und  Staat,  die  hochherzige  Opferwilligkeit  eines  unserer  besten  Bürger  und  die 
einsichtsvolle  Fürsorglichkeit  von  Korporationen  haben  sich  vereinigt,  um  dieses  Institut  zu  gründen  und 
zweckentsprechend  einzurichten.  Zahlreiche  Kunstdenkmale  aus  Schlesiens  Vorzeit  bilden  schon  jetzt  einen 
wertvollen  Grundstock  für  die  Sammlungen  des  neuen  Museums.  Aber  die  zweitgrösste  Stadt  Preussens 
darf  sich  nicht  mit  einem  Lokalmiiseum  begnügen.  Wir  müssen  anstreben,  dass  unser  Kunstgewerbe- 
nniseum  ein  befruchtender  Faktor  für  unsere  Provinz  imd  Stadt  werde,  dass  es  die  Kunstgewerbetreibenden 
und  das  Publikum  vertraut  mache  mit  jenen  Elementen,  die  bestimmend  auf  die  Geschmacksrichtung 
uuserer  Zeit  einwirken,  dass  es  beide  heranziehe  zur  Würdigung  der  das  moderne  Kunstgewerbe  bewegenden 
Probleme,  danu't  nicht  Mangel  an  Verständnis  den  Fortschritt  unterbinde.  Soll  jedoch  unser  Kunstgewerbe- 
museum dieser  hohen  Aufgabe  gerecht  werden,  muss  es  mit  genügenden  Mitteln  ausgerüstet  sein,  um  in 
dem  fast  fieberhaften  Wettstreite,  mit  dem  alle  Schwesteranstalten  sich  um  mustergiltige  Kunstgegenstände 
aus  Vergangenheit  und  Gegenwart  bewerben,  seine  Sammlungen  lehrreich  ausgestalten  zu  können.  Die  Unter- 
zeichneten richten  daher  an  die  Bewohner  der  Provinz  Schlesien  die  eindringliche  Bitte,  durch  Geldspenden 
dazu  beizutragen,  dass  ein  beachtenswerter  Fond  zur  Vermehrung  unserer  Museumssammlungen  geschaffen 
werde.  Wie  das  Museum  durch  die  Thatkraft  der  Gesamtheit  unserer  Bürgerschaft  eine  städtische 
Institution  geworden  ist,  möge  es  auch  den  Einzelnen  zu  seinen  Förderern  zählen  und  seinen  Namen  mit 
neuen  Erwerbungen  verknüpfen  können. 

Auf  Grund  dieses  Aufrufes  sendeten  folgende  Beträge  ein:  Kaufmann  George  Agath  100  Mark; 
Konsul  Neander  Alexander  100  Mark;  J.  Alexander,  i.  F.  Gebr.  Alexander  100  Mark;  Kaufmann 
Hermann  Biermann  30  Mark;  Fabrikdirektor  Blauel  30  Mark;  Stadtrat  Brössling  300  Mark; 
Fräulein  Elise  Nees  von  Esenbeck  5  Mark;  Carl  Frey  &  Söhne  1(K)  Mark;  Adolf  Friedenthal 
300  Mark;  Bankdirektor  Fromberg  300  Mark;  Geh.  Sanitätsrat  Dr.  Grempler  20  Mark;  Baurat  Fabrik- 
direktor F.  W.  (jruud  50  Mark;  Cornel  Grzimek  10  Mark;  Kommerzienrat  und  Rittmeister  Georg  Haase 
300  Mark;  Maurermeister  E.  Haertel  100  Mark;  Geh.  Kommerzienrat  Heinrich  Heimann  500  Mark; 
Guido  Graf  Henckel  v.  Donnersmarck,  Neudeck  1000  Mark;  Christian  Kraft  Fürst  zu  Hohen- 
lohe, Slawentzitz  500  Mark;  Bankier  Albert  Holz  100  Mark;  Frau  Magdalene  Kaerger  30  Mark; 
Frau  Klara  Kauffmann,  Tannhausen  100  Mark;  Fabrikbesitzer  S.  Kauffmann  500  Mark;  Fabrikbesitzer 
W.  KauffinauM,  Wüstegiersdorf  100  Mark;   Kaufmann  Georg  Kissling  300  Mark;  Stadtrat  und  Kämmerer 

24 


186 

Körte  5  Mark;  Klara  Koliii,  Pless  10  AAark;  Eiii;cn  von  Kiilmiz,  Saarau  500  Mark;  Oeli.  Regieriiiigsrat 
Professor  Dr.  Ladeiiburg  100  Mark;  Wirklicher  Oeh.  Kriegsrat  a.  D.  Lampe  10  Mark;  Kommerzienrat 
Leder  mann  300  Mark;  Frau  Hui  da  Lipmann  50  Mark;  Rittergutsbesitzer  von  Loebbecke,  Eisersdorf 
500  Mark;  Oberlehrer  Dr.  Merlins  10  Mark;  Stadtrat  Milch  300  Mark;  Fräulein  Cäcilie  Molinari 
30  Mark;  Geh.  Kommerzienrat  Molinari  500  Mark;  Geh.  Medizinalrat  Professor  Dr.  Weisser  500  Mark; 
Bankier  Max  Perls  150  Mark;  Stadtrat  Peterson  20  Mark;  Geh.  Kommerzienrat  Pinkus,  Neustadt 
500  Mark;  Rittergutsbesitzer  Carl  Pohl,  Sackrau  10  Mark;  Stadtrat  Fedor  Pringsheini  100  Mark; 
Dr.  Franz  Promnitz  300  Mark;  Landgerichtsrat  Dr.  Reitzenstein  10  Mark;  Kunsthändler  Bruno 
Richter  20  Mark;  Saiiitätsrat  Dr.  Roseniann  15  Mark;  Bruno  Rosenthal  10  Mark;  Georg  Schoelier 
300  Mark;  Frau  Seraphine  Silbergleit,  geb.  Nothniann  100  Mark;  Dr.  med.  Staub  15  Mark;  Direktor 
Stechmann  20  Mark;  Kaufmann  G.  Strieboll  10  Mark;  Gideon  v.  Wallenberg-Pachaly  500  Mark; 
Geh.  Regierungsrat  Bürgermeister  v.  Ysselstein  100  Mark;  Sammlung  einer  Tischgesellschaft  4,40  Mark; 
Erlös  für  eine  versteigerte  Nadel  4  Mark;  M.  Z.  3  Mark;  Hu.  52  Pf.;  T.  K.  10  Mark;  Bakel  50  Pf.; 
Loevve  50  Pf.;    Poeta   1   Mk.;    Zusammen:  90Q3  Mark  92  Pf. 

2.  Ein  Aufruf,  den  der  Schlesische  Zentral-Gewerbeverein  im  Juli  erlassen  hatte,  brachte 
folgende  Beiträge:  von  Oeh.  Kommerzienrat  Dr.  Websky  1000  Mark;  Fabrikbesitzer  Dr.  Georg  Kauff  mann, 
Wüstegiersdorf  300  Mark;  Bergrat  Georg  Gothein  100  Mark;  Major  a.  D.  Seh  litt  gen,  Kotzenau 
100  Mark;  Rittergutsbesitzer  H.  v.  Ruffer,  Rudzinitz  100  Mark;  Gevi;erbeverein  zu  Trebnitz  25  Mark; 
Gewerbeverein  ii\  Königshütte  10  Mark.     Zusammen:  1635  Mark. 

3.  Im  März  des  Jahres  1900  stiftete  Herr  Verwaltungs-Gerichtsdirektor  Victor  v.  Uthmann  dem 
Museum  für  Ankäufe  den  Betrag  von  650  Mark. 


ANHANG    1 

VERWALTUNGSORDNUNG  DES  MUSEUMS 

§  1.     Zweck. 
Das  Schlesische  Museum  für  Kunstgewerbe   und  Altertümer  ist  dazu  bestimmt: 

1.  Den  Gewerbetreibenden  der  Stadt  Breslau  und  der  Provinz  Schlesien  die  Hilfsmittel  der 
Kunst  und  der  Wissenschaft  zugänglich  zu  machen  und  den  Geschmack  in  den  Kunstgewerben 
sowie  das  Verständnis  kunstgewerblichen  Schaffens  in  der  Bevölkerung  zu  heben. 

2.  Erzeugnisse  der  bildenden  Künste  und  des  Handwerks,  insbesondere  solche,  welche  in  Schlesien 
entstanden  sind  oder  zu  Schlesien  Beziehungen  haben,  zu  sammeln  und  wissenschaftlich 
geordnet  öffentlich  auszustellen. 

§  2.     Mittel  zum  Zweck. 
Den  Zwecken  des  Museums  dienen  folgende  Veranstaltungen: 

1.  Eine  ständige  Sammlung  von  Anschauungsmaterial  an  Kunst-  und  Gewerbe -Erzeugnissen, 
Rohstoffen  und  Halbfabrikaten. 

2.  Ein  offener  Zeichensaal. 

3.  Eine  Vorbilder-Sammlung,  umfassend  Nachbildungen,  Modelle,   Zeichnungen  u.  s.  w. 

4.  Eine  Fachbibliothek. 

5.  Zeitweilige  Ausstellungen  von  Kunst-  und  Oewerbeerzeugnissen. 

6.  Vorträge. 

Der  Verwaltung  des  Museums  steht  es  frei,  auch  andere  geeignete  Mittel  zur  Forderung  des 
Museumszweckes  zu  wählen;  z.  B.  Unterrichts-Kurse,  insbesondere  an  Schüler  der  Königlichen  Kunst-  und 
Kunstgewerbe-Schule  und  Publikationen  wissenschaftlicher  Aufsätze. 


187 

§  3.     Rechtliche  Stellung  des  Museums. 
Das  Museum  ist  Eigentum  der  Stadt  Breslau  und  steht  daher  unter  der  Verwaltung  der  städtischen 
Behörden.     Der  Magistrat  führt  die  Aufsicht  über  das  Museum  und  vertritt  dasselbe  nach  aussen. 
Bei  der  Verwaltung  sind  zu  beachten: 

1.  Die  Schenkungsurkunde  des  Herrn  Stadtältesten  Heinrich  von  Korn  vom  20.  August  1896  mit 
Nachtrag  vom  27.  September  1896.    (Siehe  S.  30ff.) 

(Vergl.  Protokolle  der  Stadtverordneten-Versammlung  vom  Jahre  1896  Nr.  786  und  836 
Seite  207  ff.) 

2.  Der  Vertrag  der  Stadt  mit  dem  Vereine  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  vom 
3.  Februar  1897.     (Anhang  II.) 

(Vergl.     Protokollbuch    der   Stadtverordneten -Versammlung    vom    Jahre   1897    Nr.  611 
Seite  155  und  Referate  von  1897  Nr.  5  Seite  7  und  8.) 

§  4.     Verwaltungs- Deputation.     Zusammensetzung. 
Für  das  Museum    wird    gemäss  i;  59  der  Städte-Ordnung    vom  30.  Mai  1853   eine    besondere  Ver- 
waltungs-Deputation   unter    dem    Namen    „Museums-Deputation"    bestellt,    deren    Zusammensetzung   ein 
besonderes  Ortsstatut  ordnet.     Demnach  bilden  die  Deputation: 

1.  Drei  vom  Oberbürgermeister  ernannte  Magistrats -Mitglieder,  worunter  der  Vorsitzende  und 
dessen  Stellvertreter. 

2.  Acht  von  der  Stadtverordneten -Versammlung  gewählte  Mitglieder,  darunter  mindestens  fünf 
Stadtverordnete. 

3.  Herr  Stadtältester  Heinrich  von  Korn,  als  lebenslängliches  Ehrenmitglied,  mit  vollem 
Stimmrecht. 

4.  Zwei  Mitglieder,  welche  nebst  zwei  ständigen  Stellvertretern  der  Vorstand  des  Vereins  für 
das  Museum  schlesischer  Altertümer  wählt. 

5.  Ein  Mitglied,  welches  nebst  einem  ständigen  Stellvertreter  der  Schlesische  Zentral -Gewerbe- 
Verein  wählt. 

6.  Ein  Vertreter  der  Königlichen  Staatsregierung,  so  lange  der  Staat  dem  Museum  die  Unter- 
stützung von  6000  Mark  jähriich  gewährt. 

7.  Ein  Vertreter  der  Schlesischen  Provinzial- Verwaltung  nach  Massgabe  der  Vereinbarung 
zwischen  Provinz  und  Stadt. 

8.  Ein  auf  Vorschlag  des  akademischen  Senats  von  dem  Universitäts- Kurator  zu  ernennender 
Professor  der  Königlichen  Universität  Breslau,  gemäss  des  Vertrages  vom  3.  10.  Dezember  1S98. 
(Siehe  S.  31  f.) 

9.  Der  Direktor  des  Museums. 

Mit  beratender  Stimme  nimmt  an  den  Sitzungen  der  Deputation  ferner  der  Direktor  der 
Abteilung  für  historische  Altertümer  teil. 
Die  Zahl  der  Vertreter  zu  1,  2  und  4  kann  durch  Qenieindebeschluss  geändert  und  ebenso  kann 
weiteren    Korporationen    und    Vereinen    die    Abordnung    von    Vertretern    zu    Mitgliedern    der    Deputation 
zugestanden  werden. 

Der  Vorsitzende  der  Deputation  und  der  Oberbürgermeister  können  ausserdem  gewerblich, 
künstlerisch  oder  wissenschaftlich  sachverständige  Personen  zu  den  Sitzungen  der  Deputation  zuziehen; 
doch  haben  dieselben  nur  beratende  Stimme. 

§  5.  Geschäftsführung  der  Deputation. 
Die  Deputation  leitet  und  beaufsichtigt  die  Museums-Verwaltung,  soweit  nicht  der  Magistrat  einzelne 
Angelegenheiten  wie  z.  B.  die  Kassen-Verwaltung  -  unmittelbar  an  sich  zieht  und  ordnet.  Sie  bereitet 
die  Beschlüsse  des  Magistrats  vor,  führt  sie  aus,  giebt  Gutachten  über  Fragen  der  Museums-Verwaltung 
ab  und  hat  durch  zweckmässige  Anordnungen  und  Anträge  die  Entwicklung  der  Anstalt  zu  fördern.  Sie 
ist  vorgesetzte  Behörde  aller  am  Museum  angestellten  Beamten. 

24* 


188 

Insbesondere  liegt  ihr  oli: 

1.  Den  Etat  für  das  Museiiiii  iiiul  etwa  nötige  ausserordentliche  Ausgaben  rechtzeitig  vor- 
zuschlagen. 

2.  Nach  Massgabe  des  Etats  und  der  ausserordentlichen  Bewilligungen  die  Ausgaben  unter 
Beachtung  der  für  die  städtische  Verwaltung  gegebenen  allgemeinen  Vorschriften  zu  beschliessen 
und  zu  kontrollieren,  soweit  dazu  nicht  der  Direktor  u.  s.  w.  persönlich  befugt  ist. 

3.  Die  Jahresrechnung  festzustellen  und  jährlich  einen  Bericht  zu  erstatten. 

Der  Jahresbericht  kann  mit  demjenigen  des  Vereins  für  das  Museum  schlesischer  Alter- 
tümer verbunden  werden. 
Die  Deputation  wird  vom  Vorsitzenden  nach  Bedürfnis  berufen  und  ist  bei  Anwesenheit  von  neun 
Mitgliedern  einschliesslich  des  Vorsitzenden  beschlussfähig.  Die  Einladung  erfolgt  durch  Zettel;  Angabe 
der  Tages-Ordnung  ist  dabei  die  Regel,  aber  nicht  wesentlich.  Über  die  Beschlüsse  wird  ein  Protokoll 
aufgenommen  und  vom  Vorsitzenden  inid  zwei  Mitgliedern  unterschrieben.  Nach  aussen  korrespondiert 
die  Deputation  unter  der  Firma  „Der  Magistrat.  —  Museums-Deputation"  unter  Zeichnung  des  Deputations- 
Vorsitzenden,  des  Magistrats-Dezernenten  und  des  Direktors,  sofern  nicht  der  Direktor  als  solcher  allein 
zu  zeichnen  befugt  ist.  In  eiligen  Sachen  verfügt  der  Vorsitzende  ohne  zu  vorigen  Beschluss  der  Deputation; 
doch  ist  alsdann  die  Genehmigung  der  Deputation  nachträglich  einzuholen. 

§  6.  Ausschüsse.  Beirat. 
Für  einzelne,  besondere  Angelegenheiten  kann  die  Deputation  Ausschüsse  bestellen.  Ein  ständiger 
Ausschuss  von  fünf  Deputations-Mitgliedern,  worunter  sich  der  Direktor  und  eines  der  vom  Vereine  für 
das  Museum  schlesischer  Altertümer  gewählten  Mitglieder  befinden  müssen,  wird  unter  dem  Titel 
,, Beirat"  bestellt  zur  Beschlussfassung  über  Erwerbungen  und  Veräusserungen  für  das  Museum  (vergl. 
S  12).  An  den  Sitzungen  desselben  nimmt  der  zweite  Direktor  und  Abfeilungs-Vorsteher  mit  beratender 
Stimme  teil.  Für  die  Verwaltung  des  Hauses  sind  aus  der  Zahl  der  Deputations-Mitglieder  ein  Kurator 
und  ein   ständiger  Stellvertreter  desselben  zu  bestellen. 

§  7.     Der   Direktor. 

Der  Direktor  leitet  die  gesamte  innere  Thätigkeit  und  Verwaltung  des  Museums.  Ihm  liegt  ins- 
besondere die  Sorge  für  die  Ordnung,  Inventarisierung,  Katalogisierung,  Nutzbarmachung  und  für  die  fort- 
schreitende Entwicklung  der  Sammlungen  ob.  Er  ist  technischer  Dezernent  in  Museums-Angelegenheiten 
und  verfügt  innerhalb  seiner  Zuständigkeit  selbständig,  im  übrigen  unter  Mitzeichnung  des  Magistrats- 
Dezernenten  und  eventuell  des  Vorsitzenden  der  Deputation. 

Der  Direktor  ist  Dienstvorgesetzter  aller  Museumsbeamten  und  kaini  den  Haus-  und  Unterbeamten 
bis  zu  acht,  den  übrigen  Beamten  bis  zu  drei  Tagen  Urlaub  erteilen. 

Zu  dienstlichen  Reisen  in  schleunigen  Fällen  kann  der  Direktor  sich  selbst  bis  zu  drei  Tagen 
beurlauben,  doch  ist  alsdann  dem  Oberbürgermeister  entweder  sofort,  oder  unverzüglich  nach  der  Rück- 
kehr Anzeige  zur  nachträglichen  Genehmigung  der  Dienstreise  zu  macheti. 

§  8.     Der  zweite  Direktor  und  Abteiiungs-Vorsteher. 

Der  Vorsteher  der  Altertums-Abteilung  ist  Stellvertreter  des  Direktors  in  der  Gesamtleitung  des 
Museums,  hat  denselben  in  der  Verwaltung  des  Museums  zu  unterstützen  luid  übt  bei  Behinderung  des 
Direktors  alle  Befugnisse  desselben  aus. 

Dem  Vorsteher  liegt  die  besondere  Verwaltung  der  im  Unter-  und  Erdgeschosse  des  Museums 
vereinigten,  von  der  Deputation  näher  abzugrenzenden  Abteilung  für  schlesische  Altertümer  ob.  Hierbei 
ist  er  im  einzelnen  selbständig  mit  dem  Rechte,  alle  Mittel  des  Museums  unter  Beobachtung  der  vor- 
geschriebenen Kontrollen  zu  benutzen.  Neue  allgemeine  Anordnungen  für  den  Dienst  in  der  Altertunis- 
Abteilung  bedürfen  der  Genehmigung  des  Direktors,  und  bei  Meinungsverschiedenheit  bewendet  es  bei 
dem  Bisherigen  bis  zur  Entscheidung  der  Deputation. 


189 

Derselbe  ist  Dienstvorgesetzter  der  für  seine  Abteilung  angestellten  oder  auf  derselben  arbeitenden 
Museums-Unterbeamten. 

Zur  Veranstaltunrr  von  Ausgrabungen  und  anderen  dienstlichen  Geschäften  kann  er  nach  vor- 
heriger Anzeige  bei  dem  Direktor  bis  zu  drei  Tagen  verreisen,  sofern  der  Direktor  nicht  Einspruch 
erhebt.  Erhebt  dieser  Einspruch,  so  ist  vor  Antritt  der  Reise  die  Entscheidung  des  Oberbürgermeisters 
einzuholen. 

§  Q.     Der  Direktorial-Assistent. 

Der  Direktorial-Assistent  dient  als  Gehilfe  des  Direktors  bei  Verwaltung,  Ordnung  und  Beauf- 
sichtigung der  Sammlungen  und  des  Bureaus.  Nach  Bedarf  können  mehrere  Direktorial-Assistenten  ange- 
stellt werden,  oder  statt  des  Direktorial-Assistenten  ein  Inspektor  für  das  Museum. 

§  10.     Rechtsverhältnisse  der  Museumsbeamten. 

Die  Beamten  des  Museums  werden  vom  Magistrat  der  Stadt  Breslau  angestellt  und  ihre  Rechts- 
verhältnisse bestimmen  sich  nach  den  für  die  Beamten  der  Stadt  geltenden  Vorschriften,  soweit  nicht  etwas 
anderes  rechtsgültig  vereinbart  wird. 

Allen  Beamten  des  Museums  wird  es  zur  besonderen  Pflicht  gemacht,  dem  Publikum,  imd  ins- 
besondere den  Gewerbetreibenden,  welche  wissenschaftlichen  oder  künstlerischen  Rat  suchen,  in  bereit- 
willigster Weise  behilflich  zu  sein. 

§  11.     Hausverwaltung. 

Über  die  äussere  Verwaltung  des  Museumsgebäudes  verfügt  innerhalb  des  Etats  der  Direktor  im 
Einverständnis  mit  dem  Kurator;  die  Rechnungen  über  die  Ausgaben  bedürfen  der  Gegenzeichnung  des 
Kurators  und  der  Kurator  hat  auch  den  Geschäftsverkehr  mit  Handwerkern  und  Lieferanten  zu  führen  und 
deren  Lieferungen  und  Rechnungen  zu  prüfen,  abzunehmen  und  zu  bescheinigen. 

§  12.     Ergänzung  der  Sammlungen. 

Sowohl  der  Direktor  des  Museums  als  der  Direktor  der  Abteilung  für  historische  Altertümer  ver- 
fügen nach  Massgabe  der  dafür  bestimmten  Etatsmittel  selbständig  über  die  Erwerbung  von  Stücken,  die 
nicht  über  einhundert  Mark  kosten,  darüber  hinaus  mit  Genehmigung  des  Beirats  (§  6,  Abs.  2).  (Zu  Er- 
werbungen, welche  mehr  als  tausend  Mark  erfordern,  ist  die  Genehmigung  der  Deputation  oder,  in 
schleunigen  Fällen,  des  Vorsitzenden  einzuholen.)  Veräusserungen  sind  nur  mit  Genehmigung  des  Beirats 
zulässig  und  sind  der  Beschlussfassung  der  Deputation  zu  unterwerfen,  wenn  ein  Mitglied  des  Beirats 
dies  fordert. 

Von  allen  Veräusserungen  und  von  allen  erheblichen  Erwerbungen  ist  der  Deputation  in  ihrer 
nächsten  Sitzung  Kenntnis  zu  geben,   möglichst  unter  Vorlegung  der  Stücke. 

Gegenstände,  welche  der  Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  dem  Museum  überweist, 
smd  aufzunehmen  und  dürfen  nur  auf  Beschluss  der  Deputation  wieder  veräussert  werden.  Erhebt  der 
Verein  bei  der  Deputation  Einspruch  gegen  die  Veräusserung,  so  hat  dieselbe  zu  unterbleiben. 

§  13.     Ergänzung  der  Bibliothek  und  Vorbilder-Sammlung. 

Über  die  Ergänzung  der  Bibliothek  und  der  Vorbilder-Sammlung  verfügt  der  Direktor  unter  Be- 
achtung etwaiger  Deputationsbeschlüsse. 

§  14.     Benutzung  der  Sainmlungen  und  des  Zeichensaales. 

Die  SammliinuLMi  des  Museums  sind  zu  den  bestimmten  Zeiten  jedermann  unentgeltlich  zur  Be- 
sichtigung geöffnet. 

Der  Zeichensaal  mit  der  für  das  gewerbliche  Zeichnen  zweckmässigen  Ausstellung  und  die 
Bibliothek  und  Vorbilder-Sammlung  sind  der  öffentlichen  Benutzung  frei  zu  geben.  Genauere  Vorschriften 
sind  vom  Magistrat  auf  Vorschlag  der  Deputation  zu  erlassen  und  öffentlich  bekannt  zu  machen. 


190 

§   15.     Verein  für  das  Museum  schlesisclier  Altertümer. 

Die  Rechte  des  Vereins  gegenüber  dem  Museum  werden  diircli  den  t;  3  zu  2  erwähnten  Vertrag 
vom  3.  Februar  1S97  (Anhang  II)  bestimmt.     Darüber  hinaus  wird  noch  Folgendes  bestimmt: 

Der  Direktor  und  die  wissenschaftlichen  Beamten  des  iV\useums  sind  verpflichtet,  auf  Wunsch 
des  Vereins  in  diesen  und  seinen  Vorstand  einzutreten  und  die  Geschäfte  des  Vereins-Sekretärs  ohne 
besondere  Entschädigung  zu  übernehmen. 

Der  Vorsitzende,  Schatzmeister  und  Sekretär  des  Vereins  sind  auch  dami,  wenn  sie  nicht  zugleich 
Beamte  des  Museums  sind,  berechtigt,  die  Sammlungszimmer  tmd  die  Bibliothek  des  Museums  bei  Tage, 
ausserhalb  der  öffentlichen  Renutzungszeiten  zu  besuchen  und  zu  benutzen.  Einzelne  Stücke  der  Samm- 
lungen und  einzelne  Bücher  können  sie,  gegen  einfache  Empfangsbescheinigung,  in  das  Zimmer  des 
Vereins  und  in  den  Vortragssaal   zur  wissenschaftlichen  Benutzung  entnehmen. 

Der  Vorsitzende,  Schatzmeister  und  Sekretär  des  Vereins  sind  berechtigt,  den  Bureau-  und  Unter- 
beamten des  Museums,  welche  ihnen  zufolge  i;  2  zu  5  des  Vertrages  vom  3.  Februar  1897  zur  Verfügung 
gestellt  sind,  dienstliche  Anweisungen  zu  erteilen. 

Treten  Kollisionen  zwischen  den  Anordnungen  der  Vereinsbeamten  und  der  Museumsbeamten  ein, 
so  soll  die  Entscheidung  des  Museums-Direktors  bis  zur  Beschlussfassung  der  Deputation  gelten. 

Dem  Direktor  und  allen  Beamten  des  Museums  wird  das  grösste  Entgegenkommen  gegen  die 
Interessen  und  Wünsche  des  Vereins  zur  besonderen  Pflicht  gemacht;  damit  der  Verein,  der  in  gross- 
herzigem Gemeinsinn  sein  wertvolles  Museum  der  Stadt  abgetreten  hat,  dies  Museum  nach  wie  vor  wie 
sein  eigenes  benutzen  und  pflegen  kann. 

Dem  Vereine  ist  von  der  Stadt  ein  jährlicher  Betrag  zur  eigenen,  beliebigen  Verfügung  zu  über- 
weisen, da  die  früher  dem  Verein  gewährten  Zuschüsse  des  Staates,  der  Provinz  und  der  Stadt  voll  auf 
das  Museum  übertragen  worden  sind. 

Breslau,   den  7.  März  1899. 

Der  Magistrat  hiesiger  Königlichen  Haupt-  und  Residenzstadt, 
(gez.:)    G.  Bender.     Milch. 


ANHANG    II 

VERTRAG  ZWISCHEN  DEM  MAGISTRAT  NAMENS  DER  STADT- 
GEMEINDE BRESLAU  EINERSEITS  UND  DEM  VEREIN  FÜR  DAS 
MUSEUM  SCHLESISCHER  ALTERTÜMER,  VERTRETEN   DURCH   DEN 

VORSTAND,  ANDERERSEITS. 

L/er  Verein  für  das  Museum  schlesisclier  Altertümer  hat  laut  Vertrag  vom  29.  Januar  1895  seine  im 
Museum  schlesischer  Altertümer  vereinigten  Sammlungen  dem  Kuratorium  des  Schlesischen  Museums  der 
bildenden  Künste  hiersclbst  mit  Genehmigung  des  Provinzial-Ausschusses  vom  6.  Februar  1895  beziehungs- 
weise des  f^rovinzial-Landtages  vom  7.  März  1895  zur  Aufbewahrung  und  öffentlichen  Ausstellung  in  den 
Räumen  des  Schlesischen  Museums  der  bildenden  Künste  überwiesen,  wo  dieselben  bereits  seit  dem 
Jahre  1880  auf  Grund  eines  mit  dem   Verein  geschlossenen  Mietsvertrages  untergebracht  waren. 

Inzwischen  haben  sich  hier  die  verfügbaren  Räume  für  das  Bedürfnis  beider  in  dem  Hanse  unter- 
gebrachten Museen  als  zu  enge  erwiesen.  Insbesondere  ist  es  unter  den  gegenwärtigen  Raumverhältnissen 
unmöglich,  die  kunstgewerblichen  Bestände  des  Museums  schlesischer  Altertümer  in  einer  für  die  Gewerbe- 
treibenden nutzbriugeiulen  Weise  auszubreiten  und  zu  vermehren  und  so  neben  den  kunst-  und  kultur- 
geschichtlichen Zwecken  auch  dem  allgemein  als  notwendig  anerkaimten  eines  Kunstgewerbemuseums  zu 
dienen.     Diesen  Übelständen  :ili/Mlielfen,  hat  die  Stadtgemeinde  Breslau  sich  bereit  erklärt,    mit  Hilfe  eines 


191 

ihr  von  dem  Vorsitzenden  des  genannten  Kuratoriums,  Herrn  Stadtältesten  von  Korn,  überwiesenen  Geschenks 
von  500000  Mari<  das  alte  Ständehaus,  Graupenstrasse  IIa,  zu  erwerben  und  darin  ein  Kunstgewerbe- 
museum zu  errichten,  dessen  Grundstock  die  kunstgewerhh'chen  Sammlungen  des  Museums  schlesischer 
Altertümer  bilden  sollen.  Zugleich  sollen  auch  die  übrigen  Abteilungen  des  Museums  schlesischer  Alter- 
tümer darin  aufgenommen  und  ausgestellt  werden.  Die  vereinigten  Sammlungen  erhalten  den  Namen 
„Schlesisches  Museum  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer". 

Demzufolge,  und  unter  dem  Vorbehalt,  dass  der  Provinzialverband  von  Schlesien  zustimmt  und 
dem  neuen  städtischen  Museum  den  bisher  an  das  Museum  schlesischer  Altertümer  beziehungsweise  an 
den  Verein  für  dies  Museum  gewährten  Zuschuss  überweist,  wird  nunmehr  folgender  Vertrag  geschlossen: 

t?  1.  Der  Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  überweist  der  Stadt  Breslau  seine  jetzt 
im  Schlesischen  Museum  der  bildenden  Künste  ausgestellten  Sammlungen. 

Die  Sammlungen  werden  Eigentiun  der  Stadt  unbeschadet  der  vorbehaltenen  Rechte  Dritter  an 
einzelneri  Gegenständen. 

Die  Sammlungen  sind: 

a.  eine    vorgeschichtliche,    bestehend    aus    Grabaltertümern    der  vorchristlichen  Zeit    (Thon-  und 
Metallgefässen,  Schnuickgegenständen,  Werkzeugen  und  Waffen), 

b.  eine    kirchliche,    bestehend    aus    Altarwerken,    Gemälden    und  Skulpturen,    kirchlichen    Gerät- 
schaften und  dergleichen, 

c.  eine  Waffensammlung,    bestehend    aus  Angriffs-  und  Verteidigungswaffen  des  12.  bis  19.  Jahr- 
hunderts, Uniformen,  Trophäen  und  Kriegserinnerungen, 

d.  eine  kulturgeschichtlich-kunstgewerbliche,  bestehend  aus  Erzeugnissen  der  Kleinkunst  und  des 
Kunsthandwerks,  sowie  aus  Gegenständen  von  kostüm-  und  sittengeschichtlicher  Bedeutung, 

e.  eine  architektonisch-monumentale,  bestehend  aus  Architekturteilen  und  Steinskulpturen, 

f.  eine  Münzen-    und   Medaillensammlung,    bestehend    aus    einer    schlesischen    Speziaisammlung 
von  ca.  10000  verschiedenen  Geprägen,  und  einer  Universalsammlung  von  ca.  15000  Stück, 

g.  eine  Siegelsammlung,  bestehend  in  Petschaften,  Siegeln  von  Urkunden  und  Siegelabdrücken, 
h.  eine  Sammlung  von  Porträts  und  Abbildungen  schlesischer  Ortschaften,  Kunstdenkmälern  und 
denkwürdiger    Ereignisse     in    Handzeichnung,     Kupferstich,     Holzschnitt,     Lithographie    und 
Photographie, 
i.  die  Bibliothek,  bestehend  hauptsächlich  aus  Werken  archäologischen,  kunst-  und  kulturgeschicht- 
lichen, numismatischen  und  heraldischen  Inhalts. 
Für  sämtliche  Abteilungen  existieren  handschriftliche  Kataloge. 
S  2.    Die  Stadt  verpflichtet  sich  dagegen: 

1.  Die  Sammlungen    sicher   zu    verwahren,    ordnungsmässig  zu  verwalten    und   in   würdiger  Art 
öffentlich  auszustellen. 

2.  Die  Sammlungen,  sowie  die  darauf  bezügliche  A^useumsbibliothek  dem  Verein  für  das  Museum 
schlesischer  Altertümer  zur  freiesten  wissenschaftlichen  Benutzung  zugänglich  zu  halten. 

3.  Dem  Vereine    im    städtischen    Museum    selbst    angemessene    Räume   für   seine   geschäftlichen 
Sitzungen  und  Arbeiten  bereit  zu  stellen  und  zwar: 

a.  einen  Saal  zur  Mitbenutzung  für  seine  Vortragsversammlungen; 

b.  ein  massig  grosses  Zimmer  für  die  Vorstands-Sitzungen,  das  zugleich  als  Arbeitszimmer 
für  den  Vorsitzenden  und  den  Schatzmeister,  sowie  zur  Aufbewahrung  der  Vereinskasse 
und  des  Vereinsarchivs  dienen  kann; 

c.  einen  Depotraum  von  6  -8  qm  Mäche  zur  Aufbewahrung  der  Bestände  von  Druck- 
sachen, welche  im  Verlage  des  Vereins  erschienen  sind. 

4.  Die  Sammlungen  gegen  Feuersgefahr  zu  versichern. 

5.  Dem  Vorsitzenden    und    dem  Schatzmeister  des  Vereins  zur  Erledigung   der   inneren    büreau- 
mässigen  Vereinsgesehäfte    (Führung   der  Mitgliederiisten,    Einziehen  der  Beiträge,  Expedition 


192 

der  Zeitsclirift  und  dergleichen  nielir)  die  erforderlichen  Unterbeaniten  des  Museums  zur  Ver- 
fügung zu  stellen. 

J;  3.  Für  die  Verwaltung  des  IV\nseiniis  wird  die  Stadt  eine  besondere  Verwaltimgs-neputation, 
gemäss  J;  59  der  Städte-Ordnung  vom  30.  iVlai  1853  bestellen.  An  den  Sitzungen  dieser  Deputation  nimmt 
ein  vom  Vereine  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  bestellter  Vertreter  mit  vollem  Stimmrecht  teil. 
Die  Leitung  des  Museums  wird  von  der  Stadt  einem  vom  Magistrat  zu  wählenden  und  zu  besoldenden 
Direktor  unter  Aufsicht  der  Verwaltungs-Deputation  übertragen,  welcher  an  den  Sitzungen  der  Deputation 
mit  vollem  Stimmrecht  teilninunt.  Unter  dem  Direktor  ist  die  erforderliche  Anzahl  von  Museumsbeamten 
von  der  Stadt  anzustellen. 

Das  zur  Zeit  des  Abschlusses  des  Vertrages  am  Museum  schlesischer  Altertümer  angestellte  Be- 
amtenpersonal wird  von  der  Stadt  in  die  entsprechenden  Stellungen  am  städtischen  Museum  übernommen. 

§  4.  Über  die  Ordnung  des  Museums  und  die  Art  der  Aufstellung  beschliesst  die  Deputation. 
Soweit  hierbei  jedoch  die  Sammlungen  des  Vereins  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  in  Frage 
kommen,  sind  dessen  Wünsche  weitest  möglich  zu  berücksichtigen. 

S  5.  Dem  Verein  für  das  Museum  schlesischer  Altertümer  bleibt,  wie  bisher,  die  Sorge  für  die 
wissenschaftliche  Nutzbarmachung  der  Sammlungen  überlassen.  Insbesondere  behält  sich  derselbe  die 
urgeschichtliche  und  kunstgeschichtliche  Erforschung  der  Provinz  und  die  Herausgabe  von  Veröffent- 
lichungen aus  diesen  Gebieten  vor.  Für  diese  Zwecke  stehen  ihm  in  erster  Linie  die  Beiträge  seiner  Mit- 
glieder, welche  zur  Zeit  gegen  5000  A'\ark  betragen,  zur  Verfügung.  Erforderlichen  Falls  kann  ihm  aus 
den  etatsmässigen  Mitteln  des  Museums  ein  Zuschuss  bewilligt  werden. 

Die  vom  Verein  durch  Kauf,  Schenkung  oder  Tausch  fernerhin  gemachten  Erwerbimgen  gehen  in 
das  Eigentum  der  Stadt  über  und  werden  Teile  des  Museums.  Es  betrifft  dies  vor  allem  die  durch  Aus- 
grabungen gewonnenen  Funde  und  die  im  Schriftenaustausch  erlangten  Bibliothekwerke.  Die  dem  Verein 
bisher  von  verschiedenen  Behörden  gewährten  jährlichen  Unterstützungen  sollen  im  Falle  der  Weiter- 
bewilligung zu  Händen  des  Magistrats  gezahlt  und  in  den  Oesamtetat  des  Museums  eingestellt  werden. 
Bisher  erhielt  der  Verein  von  dem  Ministerium  für  Handel  und  Gewerbe  1 000  Mark,  von  der  Provinz 
6000  Mark  und  vom  Magistrat  3000  Mark. 

Dasselbe  gilt  unter  der  gleichen  Voraussetzung  betreffs  der  von  der  Provinz  aus  dem  Etat  des 
Schlesischen  Museums  der  bildenden  Künste  für  Beamtengehälter  jährlich  aufgewendeten  7     SOOO  Mark. 

S  6.  Dieser  Vertrag  tritt  in  Kraft,  wenn  der  Provinzial-Ausschuss  beziehungsweise  das  Kuratorium 
des  Schlesischen  Museums  der  bildenden  Künste  ihm  zugestimmt  haben  wird  und  wenn  die  Stadt  das  von 
ihr  noch  zu  erwerbende  alte  Ständehaus  zu  Museumszwecken  ausgebaut  haben  wird. 

Mit  dem  Inkrafttreten  dieses  Vertrages  erlischt  sodann  der  anfangs  erwähnte  Vertrag  vom 
2Q.  Januar  1895. 

Breslau,  den  3.  Februar  1897. 
(L.  S.) 

Der  Magistrat  hiesiger  Königlicher  Haupt-  und  Namens  des  Vereins  für  das  Museum  schlesischer 

Residenzstadt.  Altertümer. 

(gez.:)     O.  Bender,     v.  Ysselstein.     Ooetz.  Der  Vorstand. 

(gez.:)     Dr.  Grempler.       f^r.  Seger.       G.  Strieboll. 


VEREIN   FÜR  DAS  MUSEUM  SCH  LESISCH  ER 


ALTERTÜMER 


25 


195 


THÄTIOKEITSBERICHT  FÜR   DAS  JAHR  1899 

Den  Vorstand  bildeten  zu  Beginn  des  Jahres  die  Herren  Geh.  Sanitätsrat  Dr.  Crem pl er  als 
erster  Vorsitzender,  Geh.  Kommerzienrat  Dr.  Websky  als  zweiter  Vorsitzender,  Kaufmann  Strieboll  als 
Schatzmeister,  Dr.  Seger  als  Kustos  der  Sammlungen,  Professor  Dr.  Mut  her  als  Vertreter  des  Universitäts- 
Kuratoriums,  Dr.  Janitsch  als  Direktor  des  Schiesischen  Museums  der  bildenden  Künste  und  die  Herren 
Professor  Kühn,  Oberlehrer  Dr.  Mertins  und  Stadtrat  Muehl.  Mit  der  Übernahme  des  Museums  durch 
die  Stadt  Breslau  am  1.  April  1899  erloschen  die  zwischen  dem  Verein  und  dem  Universitäts-Kuratorium 
sowie  der  Provinz  bestehenden  Verträge  und  es  schieden  damit  die  vertragsmässig  bestellten  Vertreter 
beider  Behörden  aus  dem  Vorstande  aus.  An  ihrer  Stelle  wurden  der  erste  Direktor  des  Schiesischen 
Museums  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer  Dr.  Masner  und  der  Kaiserliche  Botschafter  a.  D.  Anton 
Freiherr  von  Saurma-Jel tsch  in  Brauchitschdorf  vom  Vorstande  kooptiert.  Im  August  legte  ferner  Herr 
Geheimrat  Dr.  Websky  wegen  dauernder  Behinderung  sein  Amt  als  Vorstandsmitglied  nieder.  An  seiner  Statt 
wurde  der  Direktor  der  Viktoriaschule  Professor  Dr.  Roehl  zum  stellvertretenden  Vorsitzenden  gewählt. 
Während  des  ersten  Quartals  1899  wurden  vier  Vereinssitzungen   abgehalten,  nämlich 

am   16.  Januar:     Vortrag  von  Dr.  Seger  über  künstlerische  Bücherzeichen  (Ex  libris), 

am  30.  Januar:     Die  ordentliche  Generalversammlung, 

am  13.  Februar:     Vortrag  von  Dr.  Buchwald  über  moderne  Plakate, 

am  27.  Februar:     Vortrag  von  Geheimrat  Dr.  Grempler  über  Benin  und  seine  Bronzen. 

Die  Wanderversammlung  fand  unter  grosser  Beteiligung  von  Breslauer  und  auswärtigen  Mitgliedern 
am  18.  Juni  in  Liegnitz  statt.  Die  Einrichtungen  waren  von  dem  Ortsausschuss,  der  sich  hauptsächlich 
aus  Mitgliedern  des  Liegnitzer  Kunstvereins  zusammensetzte,  so  getroffen,  dass  das  ungemein  reichhaltige 
Programm  trotz  der  Kürze  der  Zeit  vollständig  und  ohne  Ermüdung  erledigt  werden  konnte.  Vom  Bahn- 
hof begab  man  sich  unter  Führung  des  Herrn  Königlichen  Raurats  Pfeiffer  zunächst  in  das  Piastenschloss, 
sodann  in  die  Piastengruft,  wo  Herr  Geheimrat  Grünhagen  nach  einigen  historischen  Erläuterungen  dem 
Wunsche  nach  einer  würdigen  Wiederherstellung  der  Gruft  beredten  Ausdruck  gab.  Von  dort  ging  es  an 
den  Portalen  einiger  alten  Bürgerhäuser  vorüber  nach  dem  Rathause  und  nach  einer  kurzen  Frühstücks- 
pause in  die  Peter-Paulkirclie,  deren  herriiche  Denkmäler  von  Herrn  Kommerzienrat  Rother  und  Herrn 
A.  Langenhan  erläutert  und  von  den  Besuchern  gebührend  bewundert  wurden.  Nachdem  man  noch  das 
in  der  Realschule  untergebrachte  Altertumsmuseum  besichtigt  hatte,  fand  imi  2  Uhr  in  der  Aula  derselben 
Schule  die  Festsitzung  statt.  In  dieser  sprachen  die  Herren  Dr.  Seger  über  den  letzten  Piasten  in  Kunst 
und  Dichtung,  Landschaftssyndikus  Seidel  über  neuere  vorgeschichtliche  Ausgrabungen  im  Kreise  Liegnitz 
und  A.  Langenhan  über  einen  merkwürdigen  Fund  bei  Kroitsch  nahe  an  der  Katzbach  und  das  romanische 
Taufbecken  in  der  Peter-Paulkirche.  Den  Beschluss  machte  die  Besichtigung  einer  aus  130  Nummern 
bestehenden  Ausstellung  von  Handzeichnungen  und  Aquarellen  des  Liegnitzer  Malers  Herrn  Professor 
Blätterbauer  mit  Motiven  aus  Liegnitz  und  seiner  Umgebung. 

Um  3Vl'  Uhr  vereinigte  ein  gemeinsames  Mahl  von  etwa  100  Gedecken  im  Schiesshause  Ein- 
heimische und  Gäste.  Zahlreiche  Toaste  und  ein  humorvolles  Tafellied  trugen  zur  Erhöhung  der  Stim- 
mung bei.  Ein  Kundgang  durch  die  schönen  Parkanlagen  und  ein  Abendschoppen  im  Hähnel-Garten 
beschloss  den  vom  prächtigsten  Wetter   begünstigten  genussreichen  Tag. 

Ausserhalb  seines  Thätigkeitsgebietes  wurde  der  Verein  durch  seinen  Vorsitzenden  vertreten  bei 
der   Hauptvcrsanunlting  der  Gesellschaft  für  Anthropologie  und   l'rgeschichte    der  Oberiausitz    in  Göriitz 

25- 


196 

(23.  und  24.  Mai)  und  bei  der  30.  allgemeinen  Versammlung  der  deutschen  anthropologischen  Gesellschaft 
in  Lindau  (4.-7.  September). 

Dem  korrespondierenden  iWitgliede  des  Vereins,  Fräulein  Professor  Johanna  Mestorf  in  Kiel,  wurde 
zu  ihrem  70.  Geburtstage,  der  Societä  Adriatica  in  Triest  zur  Feier  ihres  25jährigen  Bestehens  Glück- 
wunschschreiben übersandt. 

Bei  der  Eröffnung  des  neuen  Museums  am  27.  November  hatte  der  Verein  die  Freude,  dass  sein 
Vorsitzender  Herr  Geheimrat  Dr.  Grein  pl er  von  der  philosophischen  Fakultät  zum  Doctor  philosophiae  h.  c. 
promoviert  wurde.  Es  lag  darin  zugleich  eine  Anerkennung  der  wissenschaftlichen  Bestrebungen "  des 
Vereins,  die  ihm  gerade  von  dieser  Seite  sehr  willkommen  sein  musste. 

Die  erste  Vereinsversamnilung  in  dem  neuen  Gebäude  fand  am  7.  Dezember  statt.  Es  schloss 
sich  daran  eine  Besichtigung  der  Eröffnungs-Ausstellung  unter  Führung  des  1.  Direktors  Herrn  Dr.  Masner. 

Für  die  Sammlungen  hatte  der  Verein  in  diesem  Jahre  nur  noch  bis  zum  1.  April  zu  sorgen,  bis 
zu  welchem  Tage  ihre  Überführung  in  das  neue  Museum  und  die  Übergabe  der  Verwaltung  an  die  Stadt 
Breslau  erfolgte.  Der  Umzug  ging  glatt  und  ohne  nennenswerten  Schaden  vonstatten.  Zurückgelassen 
wurden  in  den  alten  Räumen  nur  die  zum  Verkauf  bestimmten  Dubletten  und  ausgeschiedenen  Gegen- 
stände hauptsächlich  der  Sammlung  Falkenhausen.  Ihre  Versteigerung  fand  am  7.,  8.  und  9.  Juni  unter 
lebhafter  Beteiligung  der  Vereinsmitglieder  statt  und  brachte  einen  Reinertrag  von  10347  Mark.  Auf  Antrag 
des  Vorstandes  beschloss  der  Magistrat,  diese  Summe  zur  Abtragung  des  Kaufgeldes  für  die  Sammlung 
Falkenhausen  zu  verwenden,  so  dass  hierdurch  die  am  1.  Oktober  1899,  1900  und  1901  fälligen  Raten  gedeckt 
sind.  In  ähnlicher  Weise  wurde  der  Verein  auch  seiner  auf  der  Münzsammlung  haftenden  Verpflichtungen 
entledigt. 

Ausgrabungen  veranstaltete  der  Verein  im  April  in  Klein -Peterwitz,  Kreis  Trebnitz  (Leitung: 
Dr.  Orempler);  am  4.  und  5.  September  in  Lüssen  und  Beckern,  Kreis  Striegau  (Rittmeister  a.  D. 
von  Oheimb  und  Dr.  Seger);  am  2.  und  3.  Oktober  in  Breitenau,  Kreis  Neumarkt  (Dr.  Merlins);  am 
7.  Oktober  in  Paschkerwitz,  Kreis  Trebnitz  (Dr.  Grempler);  am  11.  und  15.  Oktober  in  Kronenberg,  Kreis 
Öls  (Dr.  Seger);  am  1.  November  in  Gross-Qlieschwitz,  Kreis  Militsch  (Dr.  Orempler)  und  während  des 
ganzen  Monats  Oktober  in  Gross-Tschansch,  Kreis  Breslau  (Dr.  Mertins  und  Dr.  Seger).  Die  zuletzt 
genannte  Ausgrabung  veranlasste  den  Vorstand,  zur  rascheren  Beförderung  der  Funde  ins  Museum  ein 
Gepäckdreirad  anzuschaffen,  das  sich  bei  dieser  und  ähnlichen  Gelegenheiten  vorzüglich  bewährt  hat.  Die 
zum  Teil  recht  wertvollen  Ergebnisse  dieser  Ausgrabungen  wurden  von  den  Grundbesitzern  freundlichst  zur 
Verfügung  gestellt  und  der  Museumssammlung  einverleibt. 

Im  Auftrage  des  Vorstands  fertigte  Herr  Bildhauer  Kiesewalter  von  den  vielbesprochenen  Stein- 
skulpturen am  Zobten  (vergl.  S.  133)  verkleinerte  Nachbildungen  an,  zu  welchem  Zwecke  er  sich  längere 
Zeit  an  Ort  und  Stelle  aufhielt.  Die  Nachbildungen  sind  ausserordentlich  treu  und  geben  eine  gute  Grund- 
lage für  die  Beurteilung  dieser  interessanten  Denkmäler  des  frühen  Mittelalters. 

Von  der  Zeitschrift  des  Vereins  wurde  das  Schlussheft  des  VII.  Bandes  (Nr.  4)  mit  Registern  für 
alle  bisherigen  Bände  herausgegeben.  In  Schriftenaustausch  trat  der  Verein  mit  der  Gesellschaft  von 
Freunden  böhmischer  Altertümer  in  Prag. 

Zum  korrespondierenden  Mitglied  wurde  Sir  John  Evans  in  London  ernannt. 

Von  Mitgliedern  starben  Landesältester  von  Rosenthal  auf  Brynneck,  Seine  Exzellenz  Wladimir 
Graf  Dzieduszycki  in  Lemberg,  Sanitätsrat  Dr.  Sauer  in  Breslau  und  Rittergutsbesitzer  Dr.  von  Hell- 
mann auf  Dal  kau. 

Es  schieden  ferner  aus  24  Mitglieder,  so  dass  der  Abgang  insgesamt  28  betrug.  Demgegenüber 
stehen  44  Neuaufnahmen.  Der  Mitgliederbestand  hob  sich  infolgedessen  wieder  auf  740.  Hiervon  haben 
ihren  Wohnsitz  in  Breslau  397,  in  der  Provinz  269  iiiul  ausserhalb  der  Provinz  74. 

Die  Finanzlage  des  Vereins  blieb  während  des  ersten  Quartals  unverändert.  Vom  1.  April  an 
fielen  die  Zuschüsse  der  Behörden  weg.  Nur  die  Stadt  Breslau  gewährte  tlem  Verein  weiterhin  eine  Bei- 
hilfe von  1000  Mark.  Andererseits  hatte  der  Verein  von  dem  angegebenen  Zeitpmikte  an  keine  Aufwen- 
dungen mehr  für  die  Verwaltung  des  Museums  zu  machen.  Mit  Rücksicht  auf  diese  Verschiedenheit  der 
Verhältnisse  ist  der  Rechnungsabschluss  in  zwei  getrennten  Abschnitten  aufgestellt. 


ig? 


Rechnungs-Abschluss  vom  I.  Januar  bis  31.  März  1899 


1899  Mk. 

Januar  1.     Bestand -Vortrag 3536,27 


Tit. 


C. 
D. 
E. 
F. 
O. 


Einnahme 

Beiträge  von  Mitgliedern  .     .     .     . 
Zuschüsse  von  Behörden: 

a.  der  Provinz  Schlesien    1  500, — 

b.  der  Stadt  Breslau  .     .      750,— 

Eintrittsgelder 

Drucksachen -Verkauf 

Vergütigungen  ii.  Rückerstattungen 

Zinsen      

Insgemein 


4000,- 


2250,— 

57,15 
539,91 


Summa  ^\k.     10383,33 


April  1.     Bestand -Vortrag 7597,07 

Breslau,  den  22.  Januar  1900 


Ausgabe 

Tit.    1.  Gehälter  und  Remunerationen      .     . 

,     II.  Verwaltungskosten 

,  III.  Verlagskosten 

,  IV.  Erhaltung  und  Schutz  derSammlungen 

,    V.  Vermehrung  der  Sammlungen      .    . 

,  VI.  Insgemein 


Mk. 
147,25 
246,28 
162,15 
1  238,08 
952,50 
40,- 


2786,26 


Bestand  am  31.  März  1899 

1  Stück  3ö;'o  Schles.  Pfandbrief  Litt.  A 

Serie  I  No.  17548  nominell  .     .  3000,— 

Bankguthaben 3363,95 

Barer  Bestand  der  Museums-Hilfs- 

kasse 60, — 

Barer  Kassenbestand 1173,12 


7597,07 


Summa  A\k.     103S3.33 

G.  Strieboll 

Schatzmeister 


Rechnungs-Abschluss  vom  1.  April  bis  31.  Dezember  1899 


1899  Mk. 

April  1.    Bestand -Vortrag 7  597,07 

Einnahme 

Beiträge  von  Mitgliedern  ....  679,— 

Zuschuss  der  Stadt  Breslau  ...  1  000, — 

Drucks.ichen -Verkauf 37,20 

Zinsen 225,20 

Insgemein 25,35 


Tit 

A. 

»» 

B. 

»> 

C. 

?i 

D. 

„ 

E. 

1900 


Summa  Mk.     9  d()3,S2 


Januar  1.     Bestand -Vortrag 6  706,94 

Breslau,  den  22.  Januar  1900 


Tit.  I. 
„  II. 
„  III. 
„  IV. 


Ausgabe  Mk. 

Vervvaltungskosten 1  007,52 

Verlagskosten 1  390,25 

Ausgrabungen 223,93 

Ankäufe  für  die  Sammlungen  und 

Restaurierung 229,90 

V.     Insgemein 5,2S 


2  856,88 


Bestand  am  31.  Dezember  1899 

1  Stück  3«/o  Schles.  Pfandbrief  Litt.  A 

Serie  I  No.  17548  nominell .     .  3  000,— 

Bankguthaben 3  199,15 

Barer  Bestand  der  Museums-Hilfs- 

kasse 60, — 

Barer  Kassenbestand     .    .     .    .     .     447.79    6  706.94 

Summa  A\k.    9  563,82 


G.  Strieboll 

Schatzmeister 


198 

THÄTIGKEITSBERICHT  FÜR  DAS  JAHR  1900 

L)ie  durch  die  Errichtung  des  Schlesischen  Museums  für  Kunstgewerbe  und  Altertümer  geschaffenen 
Verhältnisse  machten  für  den  Verein  eine  Änderung  seiner  Satzungen  notwendig.  Sie  wurde  nacii  einem 
vom  Vorstande  vorgelegten  Entwurf  durch  die  ordentliche  Generalversammlung  vom  29.  Januar  1900 
beschlossen  und  erhielt  unter  dem  13.  Juni  die  behördliche  Genehmigung.  Die  Änderungen  sind  grössten- 
teils formaler  Art,  lassen  aber  den  Zweck  des  Vereins  und  seine  Organisation  im  wesentlichen  unberührt. 
In  derselben  Generalversammlung  wurde  dem  Vorstand  für  seine  Thätigkeit  Entlastung  erteilt  und 
seine  Wiederwahl  vollzogen.  Einen  schmerzlichen  Verlust  erfuhr  der  Verein  durch  den  am  28.  April 
erfolgten  Tod  des  Wirklichen  Geheimen  Rats  und  Kaiserlichen  Botschafters  z.  D.  Anton  Freiherrn  v.  Saurma- 
Jeltsch  in  Brauchitschdorf,  der  in  der  nur  zu  kurzen  Zeit  seiner  Wirksamkeit  als  Vorstandsmitglied  mannig- 
fache Beweise  seiner  Liebe  zum  Museum  abgelegt  hatte.  An  seiner  Stelle  wurde  der  Königliche  Kammer- 
herr und  Rittmeister  a.  D.  Diepold  von  Köckritz  auf  Mondschütz  vom  Vorstande  kooptiert. 
In  den  Winterversammlungen  wurden  folgende  Vorträge  gehalten: 

am  15.  Januar  von  Herrn  Hugo  Möller:     Der  diluviale  Mensch  in  Deutschland; 

am  12.  Februar  von   Herrn   Direktor  Dr.  Seger:     Die   Entstehung  des  Museums  schlesischer 
Altertümer; 

am  26.  Februar  von  Herrn  Professor  Dr.  Roehl:    Siegel  und  Wappen  der  Stadt  Breslau; 

am  12.  März  von  Herrn  Oberstabsarzt  Dr.  Kiese  Walter:     Die  Steinaltertümer  auf  dem  Zobten; 

am  26.  März  von  Herrn  Direktor  Dr.  Masner:  Schlesische  Fayencen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts; 

am  5.  November  von   Herrn   Professor   Dr.  Schulte    aus  Glatz:     Das  Glatzer  Madonnenbild 
von  1350,  seine  Geschichte  und  seine  Bedeutung; 

am  19.  November  von  Herrn  Dr.  Buchwald:     Bilder  aus  Alt-Breslau; 

am  3.  Dezember  von  Herrn  Dr.  Postler  aus  Rankau:  Vorgeschichtliche  Funde  ans  der 
Umgegend  von  Rankau,  Kreis  Nimptsch. 
Seine  Wanderversammlung  hielt  der  Verein  diesmal  gemeinsam  mit  dem  Verein  für  Geschichte  und 
Altertum  Schlesiens  am  17.  Juni  in  Wohlan  ab.  Auf  der  Hinfahrt  wurde  in  Dyhernfurth  Station  gemacht,  wo  auf 
die  freundliche  Einladung  des  Herrn  Grafen  Saurma-Jeltsch  der  schöne  und  an  historischen  Erinnerungen 
reiche  Park  und  das  durch  seine  prächtige  altfranzösische  Einrichtung  ausgezeichnete  Schloss  besichtigt 
wurden.  In  Wohlau  wurden  die  Ausflügler  von  dem  Ortsausschuss  mit  Landrat  Dr.  von  Engelmann, 
Bürgermeister  Miniietz  und  Amtsgerichtsrat  Reiniann  an  der  Spitze  begrüsst.  Ein  Rundgang  durch  die 
Stadt  gab  Gelegenheit,  die  Kirchen  und  das  ehemalige  Herzogsschloss  kennen  zu  lernen.  Um  1  Uhr  begann 
in  der  Aula  des  Gymnasiums  die  Festsitzung,  der  ausser  den  Mitgliedern  der  beiden  Vereine  auch  viele 
Wohlauer  Herren  und  Damen  beiwohnten.  Sie  wurde  nach  einigen  herzlichen  Begrüssungsworten  des 
Direktors  Professor  Dr.  Reinhardt  von  dem  2.  Vorsitzenden  des  Geschichtsvereins  Professor  Dr.  Markgraf 
eröffnet  und  geleitet.  Sodann  sprach  Direktor  Dr.  Seger  über  urgeschichtliche  Funde  aus  Wohlau  und 
seiner  Umgebung,  wobei  insbesondere  eines  grossen  Goldfundes  aus  der  Bronzezeit  gedacht  wurde,  dessen 
traurige  Reste  der  Vortragende  kurz  vorher  für  das  Museum  gerettet  hatte.  Professor  Dr.  Krebs  schilderte 
den  zehnjährigen  Zeitraum  1654—64,  während  dessen  Wohlau  ein  selbständiges  Fürstentum  gebildet  hatte, 
und  den  Lebensgang  seines  Regenten,  des  Herzogs  Christian.  Pastor  prim.  Meissner  endlich  gab  einen 
Überblick  über  die  Schicksale  der  ev.  Pfarrkirche  ad  S.  Laurentium. 

Während  der  Mittagstafel,  die  trotz  des  unsicheren  Wetters  im  Schiesshausgarten  abgehalten  werden 
konnte,  wurden  Begrüssungstelegramme  an  die  leider  durch  Krankheit  ferngehaltenen  Vorsitzenden  Geh. 
Sanitätsrat  Dr.  Grempler  und  Geh.  Archivrat  Professor  Dr.  Grün hagen  geschickt.  Nach  Tische  bestiegen 
Einheimische  und  Gäste  die  von  den  Besitzern  der  Umgegend  freundlichst  zur  Verfügung  gestellten  Wagen 
und  fuhren  durch  herrlichen  Wald  nach  Mondschütz,  dem  Besitze  des  Kammerherrn  von  Köckritz.  Hier 
fesselte  zunächst  das  malerische  Dorfkirchlein,  ein  wahres  Schmuckkästchen  ans  der  Wende  des  16.  Jahr- 
hunderts, die  Aufmerksamkeit  der  Besucher.  Nicht  minder  wurde  das  alte  Schloss  mit  seinem  stattlichen 
Renaissanceportal  und  seinen  gewölbten  Stuckdecken  bewundert.  Einstimmig  wurde  erklärt,  dass  der 
Besuch  von  Mondschütz  den  Glanzpunkt  des  in  jeder  Hinsicht   gelungenen  Ausfluges  gebildet  habe. 


1Q9 

Unter  den  vom  Verein  veranstalteten  Ausgrabungen  nahmen  die  von  Gross-Tschansch  an  Ausdehnung 
und  Bedeutung  auch  diesmal  die  erste  Stelle  ein.  Sie  begannen  am  15.  iV^ärz  und  wurden  am  29.  März 
zum  vorläufigen  Abschluss  gebracht.  Ausserdem  fanden  Ausgrabungen  statt  am  25.  April  in  Gross-Carlo- 
witz,  Kreis  Grottkau  (Leitung:  Landrichter  Dr.  Dittrich  und  Reg.-Assessor  Dau  aus  Neisse),  am  7.  8.  Mai 
und  3.  Oktober  in  Hünern,  Kreis  Trebnitz,  am  3.  August  in  Trebnig,  Kreis  Nimptsch  und  zu  verschiedenen 
Zeiten  des  Jahres  in  Klein-Tinz  und  Domslau,  Kreis  Breslau. 

Das  im  Auffrage  des  Vereins  von  F.  Friedensburg  und  H.  Seger  bearbeitete  neue  Verzeichnis 
der  Schlesischen  Münzen  und  Medaillen,  zugleich  Katalog  der  Münzsammlung  des  Museums,  wurde 
in  diesem  Jahre  nahezu  vollendet.  Es  umfasst  ca.  18  Bogen  in  Oross-Folio  und  50  Lichtdrucktafeln  und 
dürfte  an  Vollständigkeit  und  Übersichtlichkeit  von  keinem  ähnlichen  Werke  übertroffen  werden.  Bei  ihrer 
überaus  mühevollen  und  langwierigen  Arbeit  hatten  sich  die  Verfasser  fortgesetzt  der  Unterstützung  des 
Herrn  O.  Strieboll  zu  erfreuen,  dem  hierfür  auch  an  dieser  Stelle  ausdrücklich  gedankt  sei. 

Zu  den  sehr  bedeutenden  Kosten  dieser  Publikation  ist  dem  Verein  vom  Provinzial-Ausschuss  ein 
einmaliger  Beitrag  von  500  Mark  bewilligt  worden. 

Die  Zeitschrift  des  Vereins  erscheint  mit  dem  vorliegenden  Bande  in  einem  neuen  stattlicheren 
und  reicheren  Gewände.  Begründet  ist  dies  erstens  darin,  dass  der  Verein  nach  Abgabe  der  Museums- 
verwaltung  an  und  für  sich  reichere  Mittel  für  seine  Veröffentlichungen  zur  Verfügung  hat,  und  zweitens 
darin,  dass  die  Zeitschrift  von  jetzt  an  gemeinsam  mit  dem  Jahrbuch  des  Schlesischen  AUiseums  für  Kunst- 
gewerbe und  Altertümer  herausgegeben  wird.  Die  von  der  Stadt  Breslau  für  das  Jahrbuch  bewilligten 
Mittel  kommen  auf  diese  Weise  zugleich  der  Vereinszeitschrift  zu  gute.  Aus  allen  diesen  Gründen  erschien 
es  zweckmässig,  mit  dem  neuen  Bande  zugleich  eine  neue  Folge  zu  eröffnen. 

Ausser  dieser  indirekten  Beihilfe  gewährten  die  städtischen  Behörden  dem  Verein  auch  in  diesem 
Jahre  einen  Zuschuss  von  1000  Mark,  welcher  Betrag  von  jetzt  ab  in  den  städtischen  Etat  eingestellt 
werden  wird. 

Im  Mitgliederbestande  traten  folgende  Veränderungen  ein: 

Es  starben  Geh.  Regierungsrat  Kari  Hübner,  Stadtrat  Anton  Hübner  und  Weihbischof  Dr.  Gleich 
in  Breslau,  Wirkl.  Geh.  Rat  Anton  Freiherr  von  Saurma-Jeltsch  in  Brauchitschdorf,  Pfarrer  Laschinsky 
in  Würben,  Fürstbischöflicher  Konsistorialrat  Habel,  Professor  Dr.  Friedlieb,  Landeshauptmann 
von  Roeder,  Direktor  Stechmann  und  Geh.  Bergrat  Meitzen  in  Breslau. 

Es  schieden  ferner  24,  im  ganzen  also  34  Mitglieder  aus,  während  28  eintraten,  so  dass  der  Bestand 
am  Ende  des  Jahres  734  betrug.  Hiervon  wohnen  in  Breslau  373,  in  Schlesien  285  und  ausserhalb 
Schlesiens  7ö. 


Rechnungs-Abschluss  vom  1. 

1900  Mk. 

Januar  1.     Bestand-Vortrag 6  706,04 

Einnahme 

Tit.  A.    Beiträge  von  Mitgliedern      ...  4  625, — 
„     B.    Zuschüsse  von  Beliördeii : 

a.  der  Provinz  Schlesien      500,— 

b.  „    Stadt  Breslau      .  1  000,—  1  500,- 

„    C.    Drucksachenverkauf 138,71 

„    D.    Zinsen 259,85 

„     E.    Insgemein 2,— 

1001                                           Summa  Mk.  13  232.50 

Jamiar  1.     Bestand- Vortrag 7  434  74 


Januar  bis  31.  Dezember  1900 

Ausgabe 

Tit.     1.     Verwaltungskosten 

„     II.     Verlagskosten 4 

„   III.     Ausgrabungen 

„   IV.     Ankäufe 

„    V.    Unvorhergesehene  Ausgaben  .    . 

Bestand  am  31.  Dezember  1900 

Effektenbestand  nom 3  0(X), 

Bankguthaben 3  869,— 

Barer     Bestand    der    Museums- 

Hilfskasse 60,— 

Barer  Kassenbestand     ....       505,74      7 

Summa  iWk.     13 


Mk. 

740,66 

857,70 

125,95 

32,90 

40,55 


434,74 


232,50 


BERICHTIGUNGEN 

Auf  Seite  lOS  Zeile  11  lies  Figdor  statt  Fidgor. 

Auf  Seite  124  sind  die  Unterschriften  unter  den  Abbildungen  der  zwei  Schüsseln  zu  vertauschen. 

Auf  Seite  164  Zeile  13  lies  Baro  statt  Bars. 


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