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Full text of "Schriften"

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MU ©. >apdirs Schriſten. 








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Schriften. 


Dreizehnter Band. 


Brünn, Wien & Leipsia. 
Derlag von Karafıat & Hohn in Brimn. 


Drud von sr. Karafiat in Brünn 





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Vorbrief zu meinen Briefen 


über die 
















ra Barijer Welt - Induitrie = Ausitellung. 





ff Au Frau von Don in Paris. 
Ihr liebes, liebes Schreiben athmet die Gemüthlichkeit 
einer Deutſchen, vie Liebenswürtigfeit einer Franzöſin 
um nd die Herzlichkeit einer Freundin! 
* "Beim Yefen ihres Briefes ſtand Mainz, ver 
bein und Ihre beiden graziöſen Genien wieder vor 
mir wie im vorigen Jahre, umd Die Erinnerung fette 
mod) einige Flügel an meine Sehnſucht, Sie und Die 
| A wieder zu fehen! 

Ihr Brief, fo voll Güte und Wohlwollen er tft, 
S— eine Natter unter Roſen, eine giftige Schlange 
im Paradieſe die Stelle, die mir anzeigt, daß Sie mir 
whübſches Quartier in Ihrer Nähe ausgewittert haben! 
Das Quartier iſt die Roſe, Ihre Nähe das Paradies, 

e Schlange aber iſt der Preis, die Natter iſt der 
* donatszins! | 
Dreihundert Frances monatlih! Plagt Sie ver 
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Be — Da ET Ana ze 


















Nuffe, Sie böſe Freundin? Wie hoch ſchätzen Sie de 
Ihre Nähe? Iſt Diefe ‚nicht mit der Gegennähe ein 
deutſchen „Humoriſten“, eines „primo-Humoriften-asse 
luto“ genug bezahlt? Das Herzklopfen, welches Ihre EN 
Nähe ersegt, gar nicht mitgerechnet! 
Aber wenn ich einmal dort bin, jo wollen wir uns 
a l’amiable arrangiren. Ich dictire Ihnen meine „Briefe 
aus der Parifer Inpuftrie- Ausstellung“, und dafiir, daß 
Sie dieſe füftlihen Früchte zuerft won meinen Lippen 
pflüden, Dafür, daß Sie ſie zuerft lefen dieſe brieflichen 
Abfpiegelungen von Paris, der Inpuftvie-Ausftelung, 
der Pariſer Kunſt- und gejelligen Zuftände, ver Moden, 
Gonverfation mit fo vielen politifchen Reverberes Das 
zwifchen als nöthig ift, um Die ganze Parifer Seifen 
in einer papternen Sata morgana meinen einigen Millio- 
nen Leſern anfhaulih zu machen; für viefe Dietir⸗ 
Wonne oder für dieſe Dictatur werden Sie mir ſchen 
einige Frances herabhandeln! nicht wahr? Wo nid, ff 
beftrafe ich Sie exemplariſch! — ich nenne Ihren vollen 
Namen und wie Ste mir im vorigen Jahre von heiler 
Haut um den Hals gefallen find und mid — gefüßt 
haben! — 
„Darf ich's der feufhen Sonne nennen und mid 
vernichtet nicht Die Scham ®" 








2. 





Und wenn Sie die Berwirrung Ihres — 
Menſchenverſtandes vor der Welt läugnen wollten, dann 
habe ich zwei Zeugen: den alten Vater Rhein und 
etwas jüngere Lorelei! 



























% — 
2 3 meine edle Freundin, ich folge diefem Brief ? 
faſt auf dem Fuß nad. Wie könnte auch eine E 
Be „Welt » Induftrie - Aursftellung“ F 
hne mic „Welt⸗ Induſtrie-Ausſtellung“ genannt werden! — 
Die Pariſer Ausſtellung bat ſchon den Vortheil 


R für ſich, daß die Londoner ihr vorausging! Die Män— 


gel, die ſich in London fühlbar machten, werden hier = 
dermieden werden; aus ven Erfahrungen und Anregun— je 
‚gen der Londoner Austellung wird die Barifer den Cha- 3 
 vacter der ihrigen veftilliven, veiner, practifcher und aus- E 
2 greifender klären und geftalten. Ss 
= Sp viel weiß id, und ic habe, als zur Miſſion 3 
Pt: dieje Austellung beſtimmt, mich aud ſchon überzeugt, Ki 
Bi daß auch die Vorarbeiten viel umfaſſender waren und 
find , nicht blos die technischen, jondern daß auch Die 72 
* ientifihhen für Claffification, Gontraftwung, Tabelle 
es ung u. j. w. weit zwedmäßiger in Angriff genommen Y 
orden find. A 
Wie Michel Angelo in ſeinem Siegel drei Ringe 
für Baukunſt, Malerei und Bildhauerkunſt, ſo Fa 


{ werde id im meinem Mifjions-Siegel drei Ringe führen 
als Sinnbild meiner Auffafjung der Parifer Ausstellung ; 
E die welthiſtoriſche Bedeutung derſelben in „induſtrieller“, 
„intellectueller“ und „politifch-foctalsciwilifatoriicher" Bez 
ehung. Drei Zweige, die wie die drei Grazien nur in 
— Bee Eintracht ein vollkommenes Bild gewähren. 
In induſtrieller Beziehung wid die Leiftungsfähig- 
Kit eines jeden Landes der Goncurrenz aller ciwilifirten 








Welt gegenüber ihren Beruf und ihre Werfthätigfeit zur en 
beweifen haben. — 

Es liegt Daher im Intereſſe eines jeden Landes, 
ihre inpuftrielle Capacität dort zur Anſchauung zu brin— 
gen, und das nicht nur in einzelnen Firmen, ſondern 
noch mehr in ver Darlegung eines ganzen Comsleres 
von induftriellen Hervorbringungen, um die allgemeine 
Weltmarftfähigfeit der Induſtrie des Landes zu 
befunden. — 

Defterreichh hat dieſe induſtrielle Seite aud als 
nationale Ehrenſache beanfhaut, davon gab Yondon und 
nachdrücklichſt München den glänzenden Beweis, Wenn 
aber der induftrielle Zweck in dieſer Weife zur National- 
jahe erhöht wird, Dann fängt die politiſche und civili— 
ſatoriſche Bedeutung ver Austellung an. Die Ausstellung 
wird zu einem Rendez-vous der Mäkler! Die verichiede- 
nen Induſtrie-Capacitäten mit ihren Eigenthümlichkeiten, 
die Erfinder und Verbeſſerer aller Induſtriezweige mit 
ihren ſpecifiſchen Vorzügen, mit ihren bezugsweiſen Fort— 
ſchritten geben ſich ein „Stelldichein“, um ſich gegenfeitig 
kennen zu lernen, ſich mitzutheilen, im vertraulichen Aus 
tauſch ſich zu erfreuen und zu belehren. | 

Auch für die Kunſt im idealen Sinn, für die Ge 
nien, welde die Sitten veredeln, Das Yeben verſchönern, 
und den Gürtel der Anmuth um den üppigen, vollen 
Leib des Gewerbs- und Induſtrie-Fleißes ſchlingen, wird j 
fi) in der Kunſthalle viefer Ausstellung ein hoher, ein 
univerfeller Standpunct gewinnen laſſen. Verſchiedene 






























zweige werden da in Bild, Form, Farbe, Ton zu 
einer Welt von Bergleihungen anregen, zu einem Fond 


— — von Anſchauungen und Ideen aufſchließen. 


Sie ſehen nun, meine holde Freundin, daß in 
= meinen „Briefen“ Abwechslung genug jein wird, genug 
R um daß Sie fi) nicht über vie Einförmigfeit des Inhalts 
beim Dictandoſchreiben zu beſchweren haben werden. 


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* —— Ich werde in allen angedeuteten drei Reichen dieſer 
Austellung flibuſtiren und Stoffleſe halten. 
Sie werden wohl jelbit wiſſen, daß der Sänger 
der „wilden Roſen“ nicht nach Paris geht, um z. B. 
über Leder zu berichten, dafür find leverne Berichte genug 
= in der Welt, auch nicht um über Del, Thran u. ſ. w. 
ſeinen Geiſt auszugießen, dazu werden Schmierer aller 
— Länder genug da fein. Aber ich werde jeder hervorragen— 
den Erſcheinung aud in jedem Specialfache ver Indu— 
fie eine Aufmerkffamfeit, eine Würdigung angeveihen 
— laſſen, und beſonders mit inniger Vorliebe an die Dar— 
legung alles Vorzüglichen gehen, womit die Induſtriellen 
- Defterreich® dieſe Ausftellung bereihern werven. Ich 
werde in dieſer Beziehung auch mit dem beiten N dillen 
= und Andeutungen von- ven in Paris ſich be— 
7 findlichen Induſtriellen entgegennehmen. 


— Sie wiſſen es, meine verehrte Freundin, daß ich 
mit Paris, mit der Pariſer Journaliſtik, mit den Pari- 
ie Schriftſtellern und Künftlern in mander Verbindung 


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— von Andeutungen führen, und eine Entwicklungs-Reihe 








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Oeſterreichs dort angenehm zu fein im Stande bin. 


ſonders die Familie Gl—t mit der höllifchen Hinmels- - 
beſcheerung von fünf ſchönen Töchtern! Bereiten Sie = 


















ſtehe, und auch nach diefer Seite hin den Induftriell 


Uebrigens werden Sie die Feder nicht umwillig 
wegwerfen, wenn ic) Ihnen funterbunter Dictive, ohne 32 
pedantifhen Zufammenhang, heute ein Stüdchen Indu ⸗ 
ftrie, morgen ein Stüdchen Theater, dann wieder eim 
Bischen »rues de Paris«, dann wieder Silhenetten von 
intereffanten Berfünlichfeiten, dann Skizzen über Volle- 
leben, Move, und bejonders über das ſchöne, jhmadhe, 
ſchönſchwache und ſchwachſchöne Geſchlecht, u. f.w. 
Alles gerade eben friſch, wie ich den Eindruck aufge⸗ = 
nommen habe. 

Meine Lefer find dieſe meine Ylanfenzüge und 
Katzenſprünge jhon gewöhnt, und haben ſich bon gre 
mal gré je daran gewöhnt, daß fie ordentlich darauf 
verwöhnt find. 

Und nun leben Sie wohl, meine kunftfünnige 
Freundin, leben Sie wohl, bis id) fomme, dann leben Se 
noch wohler, und wenn ich abreife, wohl am wohleften! 

Bereiten Sie Paris auf meine Ankunft vor, ber 


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fie vor auf meine Erſcheinung langjam, vorſichtig, mit 
einer Gradation der Wahrheit fih nähernden Perſonal⸗ 
ſchilderung des „lebendigen deutſchen Humoriſten“, ſagen 
Sie ihnen aber auch, daß meine Deviſe iſt: — 
»Les esprits comme nous ne sont pas fait pour - 
tenir la chandelle.« (Voltaire.). = 


— 




























l id nun Adieu! Der Simmel ſegne Sie, breite 
— über Sie aus und laſſe mein Antlitz auf 
ie leuchten! | 

- Benn Sie meine Schrift nicht leſen fünnen follten, 
o gedulden Sie fih, bis ich jelbit fomme, id) bringe 
nen zu dieſem Behuf meinen „Setzer“ mit, ver ein- 
2 Menſch auf Erven, ver meine Schrift lefen fann. 
Ich vertraue Ihnen in Folgendem ein Staats- 
3 heimniß an: Ich und mein Setzer wir werden, als ſeit 
19 Jahren wunderſam zuſammengewachſen, in vie In— 
duſtrie⸗Ausſtellung“ geſchickt als ein Wunderfabrikat! Ich 
kann ohne ihn nicht (eben, denn Niemand ſonſt kann 
2 1ei ine Schrift jegen; aber auch er kann ohne mich nicht 
Beten , denn der gute Mann fann gar feine andere, 
ordentliche Schrift mehr leſen oder ſetzen! So laufen 
mi vierfüßig wie Katzenbergs Haſe herum. Wir müfjen 
mit einand fterben und auf unferem rabjtein wird zu 


* 
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* Hier liegt ein Paar, ganz wunderlieb, 
* Der Eine ſetzte was der Andere ſchrieb; 

O Himmel! rechne es ihnen nicht böſe an, 

* Sie haben's Beide nicht gern gethan!“ 

—* Doch nun genug! Vale et fave! — Sprechen 
Sie Latein? — nicht? — dann, holde Frau, find Sie 
m nein Mann! 

- A propos! jeien Sie fo liebenswürdig und fagen 
dem Goncierge in meinem Pogis, ex möchte mir 
Die, Rachel um feinen Preis früher nad Amerika geben 


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laſſen, bis ic) dort, d. h. im Paris, bin! Ich Hof 

meine edle Tragödin wird mir entgegen fommen m 

ven Worten Phädras: — 

Le dessein en est pris, cher „Sumorift“! | 
GE Je ne quitte les lieux wo Du jetzund bift! 

Noch einmal: A propos! Leben Sie weht! — 

300 Francs! und doh: „Leben Sie wohl!" Se 

bin ein Engel an Großmuth und Güte und zwar Ihr 

ganz Ergebenſter. 


Dresden, Hotel de Saxe.— 


I: An B. D-n. \ 
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— Hier bin ih nun wieder in dem ſchönen Elbe 
: Florenz! 


Gottlob, wir Deutſche haben Alles, Alles! Ein 
Florenz an der Elbe, ein Athen an der Iſar (Münden), 
B> ein Nom am Nhein (Köln), ein „Paris“ an ver Bleiffe 


u. ſ. w. — Bei fo viel magerer Phantafie und fo viel 
— realer Forſchung als die Deutſchen haben, iſt das gewiß 
bemerkenswerth. — 


Da file id) wieder in dem comfortablen, freundlich 
gelegenen, allen Fremden beftzuempfehlenven Hotel de 
Saxe, mit ver hellen, freien, lebendigen Ausſicht auf ven 
„Neuen Markt“. Aber mir fehlen zwei Dinge: Sie und 
der Sommer. 

Ih glaubte, wie ih Bodenbach, ven tosfanifhen 
Boden, id est Sachen, betreten werke, wird Waldes⸗ 




























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mie, © ka. ſonniges Laubgewinde jich über 
mir zum ſchattenden Dad, wölben. 
a Aber es fümmt anders. Wie man ven toskaniſchen 
Boden betritt, betritt man die beſonnenſte aller Eiſen— 
Eon! Die ſächſiſchen Pocomotiven jcheinen nicht mit 
Pfferdekraft zu fahren, ſondern mit ſächſiſcher — Kaffee— 
kraft. — 
Bi) Nirgends find vie Perfonenzüge ver Eifenbahn fo 
E unregelmäßig, jo zeitverjchlepperiih, jo ordnungslos als 
in Sachſen. Drei Iahre hintereinander bin id) etwa 12- 
< dis 15mal abwechjelnd von Berlin nad) Dresden, von 
- Dresden nad) Leipzig, von Leipzig nach Berlin gegan— 
gen und niemals ohne daß id) vom Conducteur die an— 
genehme Antwort erhielt: „Heute wird wohl noch ein 


en, das jich, bis dreiviertel Stündchen ausvehnt. 

Dafür aber find Die Waggons juperb! 

= Nicht nur ver „Sommer“ fehlt mir jegt hier in Dres- 
den, ſondern auch Sie, mein Dresdner „Sommervogel“, 
7 mit Ihren ewigbewegten Kunftfittigen, durch weldye Sie 
in die heitere Region des Lebens fliegen und mit ſich 
fliegen lafjen. 

Br Das „romantifhe Dresden“, wie e8 im Sommer 
\ genannt werden kann, liegt jetzt in erſtorbenen Farben 
vor mir; das „grüne Gewölbe“ des Frühlings und 
Sommers iſt fahl und ſonnenſcheinlos. Ganz und gar 
von der Natur zurück- und auf Kunſt- und Geſellſchaft 
erſcheint mir Dresden jetzt wie eine Schöne 


halbes Stündchen d'raufgehen!“ — ein halbes Stünd- 






















nad abgelegter Toilette, mande ufion ſchwindet u 
die eigentliche Körperlichkeit tritt nadter und — 
loſer hervor. &; — 

Wer ſo öſtlich her nach Dresden kömmt, namentlh 
wer aus dem gehäbigen, großartigen und doch ungenirten 
Wien über die böhmischen Berge herab ven ſächſiſchen 
Boden betritt, Dresven, welches mit ven beiden Fühl⸗ 
hörnern den deutſchen Süden und den deutſchen Norden — 
betaſtet oder vielmehr von denſelben betaſtet wird, der — 
fühlt ſich hier zum erſtenmale genirt von dem „Maul— 
korb des Anſtandes“, von ven „ſteifleinernen“ Kitten 
ver Etiquette des Vornehmthums, in welchen hier Kunft 
Literatur und Gefellihaft herumfpaziert, und man wird 
aus der Atmofphäre ver Behaglichkeit und Des bequemen: 
Sichgehenlaffens jo aufeinmal in Das Schniegeln und 
Bügeln des Wortes und des Auspruds, in Das Bürſten 
und Ölätten des innern Menſchen, bevor man fie in 
vie Converfation losläßt, hineingeworfen, daß derjenige, 
welcher nicht dariiber jteht, ganz verſchüchtert und einger 
Ihüchtert nur fein Selbftbelaufcher und Aufhorcher ſeines 
eigenen Wortes wird. = 

Es ift fonderbar, wie ſich alles fteigert und wie. 
alles gradatim geht, fogav mit der Scala des Conver- 
fations-Tons. In Italien fchreit man, in Oeſterreich 
ſpricht man, hier in Dresden fängt ſchon das Flüſtern 
an. Man hört hier fein lautes Wort, an a 
Drten it bloß eine Lispelei hörbar. 

Wer nicht für unanftändig gehalten werben in, 



















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— hr dem Kellner als ein Geheimniß zuflüftern: „Ein 3 
Schn itzel mit Erdäpfel!“ 
Es iſt alles kühl, aber höflich, es riecht ſchon nach F 
in Berjtand, aber es ift noch ein Nachgeſchmack - 3 
st ſterreichiſcher Gemüthlichkeit. = 
Re, Das Naturell der Dresdner ift allerliebſt, freund- 2 
Mich, zuthunlich und das Bischen Singen in ihrer Aus— 3 
ſprache hör' ich gerne, es iſt ſtets ein Mollton, es klingt 
nach Gemüth. 
nn - Im Sommer liegt die Stadt Dresden, mit fernen 2 
durch den Kohlendampf geſchwärzten Häufern in grünen 2” 

|  Bieelbändern, in blumigem Umschlag, und der Contraft g 
* dunkeln Gemäuer mit den flatternden grünen Lich— J 
vn amd ſonnigen Lichtftveifen bietet einen romantiſchen Re 
Auf Dresden ift Schillers Ausſpruch in Beziehung 

de ec Kunft: E 
a Kein Auguſtiſch Alter blühte“ — 

Ei anzuwenden. = 
Zwei Auguſte haben Dresden zum Xempel. der ee 
Rune gemadt. J 
Da ſteht ſie, aus Erz gegoſſen, die Reiterſtatue > 
gufts des Starten, des Zweiten, im römiſchen Im— — 
— das Antlitz der Neuſtadt und ſeine 

e des ſtarken Roſſes Nachtſeite der Altſtadt, der Brücke, 

XJ er er Teriafl zugewendet —! Und doc) verdanft ja Dres: . % 
— dieſem Auguſt ſeine Pracht, ſeine Kunſt und ſein 3 
nonumentales Leben. Zu allen, was die nachfolgenden Re 
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Augufte im dieſer Beziehung gethan, hat Auguft der 
Starke, diefer Typus der Mraft, ver Frifche, der Kühn— 
heit und der Berfchwendung ven Grund gelegt. 

Das ganze jpätere fo wie jeßige architectoniſche 
Dresven ift eine Schöpfung von Sprößlingen und Schöß— 
lingen und Setzlingen aus der Zeit des gefrönten Her- 
cules von Sachſen, ver die zum Cultus erhobene Ueppig 
feit der Kraft und der phyfiihen Begier aud in genialer 
Uebermüthigfeit auf Kühnheit der Entwürfe in Bauten 
und monumentaler Schöpfungen ausvehnte. 

Troja iſt durch eine Helena zu Grunde gegangen, 
das war ein Troja, aber e8 gibt mehr Troja’s, Die 
dur) ſchöne Helenen erbaut worden find! Wie viele 
Berfailles und St. Clouds u. |. w. find nicht durch 
ihöne Helenen erftanden?! Und jene Länder befinden 


fi ned) immer glüclicher, deren Fürſten durch Maintes E 


nons geleitet wurden als. die, deren Herrſcher durch Ma— 
zarins regierten. 

Auguſt der Starke hat viel geliebt! Aber er war 
die Natur darnach! Er ſchwelgte in Frauen wie in 
mächtigen Plänen, wie in den ſchwelgeriſchen Entwürfen, 
feine Reiche an die Großmachtſeite der Zukunft zu nageln. 

Das gemanerte Dresden erinnert noch immer an 
die Helenen jener Zeit! Iſt doch Das Gartenſchloß im 
Form eines „H“ gebaut — Anfangsbuchjtabe der Frau 
von „Hoymb“, und der Palafttheil an ver Elbſeite wird 
nad) der Gräfin Coſel benannt. 

Diefe Gräfin Cofel, mein Freund, wurde im Schloß 






— eingeſperrt; das iſt nichts, aber ſie ſaß 43 
ahre! — von 1716 bis 1759, — dreiundvierzig 
Jahre! Ein junges, ſchönes Weib dreiundvierzig Jahre 
gefangen! Und für was büßte ſie? Für eigene oder für 
J fremde Sünden?! 
WMir träumte heute Naht von der Gräfin Coſel! 
woher kam das? jollte es Die Folge der Aufregung 
ſein, in welche mich geftern Abend „vie falſche Pepita“ 
En 

a, mein Freund, Sie find fort von Drespen, 
Emil — auch; alſo der Bayard und der Alci— 
biades der Bühne abweſend, die Ney auch, die haus— 
backene Nachtigall, — zum Teufel iſt ver Spiritus, ver 

„Räder“ ift geblieben. 

3 Sa id) werde gerädert! Abends von 6 bis 9 Uhr 
ge⸗Rädert! 
Ei; Da hat, glaub’ ih, Herr Taglioni in Berlin ein 
- Ballet componixt: „Alladin“, und zu dieſem Ballet 
- horribile dietu hat Herr Räder Worte gemacht, und das 
- Dings, weldes riecht nad) Ballet, ſtinkt nad) Poſſe und 
2 räuchelt nad „Gſing-Gſang“, dauert drei Stunden. 
Es iſt kaum glaublih, ein Hoftheater, ein Hof: 
theater, welches nah 10 Tagen wieder eröffnet wird, 
gibt „Alladin!“ und Tags darauf „Pietfh in Madrid“ 
und die „faljche Pepita“, und als ich nad) vier Tagen 
wieder fam, wieder „Pietfh" und wieder „Sennora 
1 Bepite, mein Name it Meier!“ und ein Elend in der 
Darftellung,! 


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% Ah, lieber Freund, ich fürdte, wenn ich zundi- 
2 fomme, ijt mein Geſchmack jo federn geworden, daß 
das Burgtheater vortrefflich finde! 
> Sollten Sie, lieber D., fo was hören, — kom⸗ 
= men Sie ja gleih und ſchießen mir eine Kugel — — 
den Kopf, ich werde Ihnen nachher für dieſen Liebes⸗ 
F dienſt ſo lang ich lebe dankbar fein. 

Heute, indem ich diefes fehreibe, bringt man mir 
ven Theaterzettel: „Chonchon!“ i 
5% „Chonchon!“ die „Grazie der Butterbrotfreffereit" | 
“ Und das im Drespner Hoftheater, in Dresven, wo Shafe- 
s ſpeare's „Hamlet“ auf der „Terraſſe“ heimiſch ift! * 


Zum Teufel hinein, Herr D—n! Hab’ ich Ihnen 
Urlaub gegeben? Wo ſtecken Sie? War ih fo tactlos, 
Ihnen Urlaub zu geben, und dem Emil und der Ney | 
auf einmal, jo daß nichts übrig bleibt als Pe 4 
„Sennora Pepita“ und „Alladin“? ET: 

„Alladin!“ Im dieſem Stüd hat Herr Rider 
alle Wiener Poſſen klein gehadt und als Dresdner 
Thürſteher ausgeboten! Welcher unſinnige Gebrauch des 
Unſinns! 

Ich kann's entſchuldigen, wenn Jemand ar 
ten auf die Welt fest, es verdient Mitleid, wenn Je— h 
mand „Selbiterzeuger von Trotteln“ it, aber Di £ 
geburten und Trottel an fein Schreibzeng anitellen, wie 
Jakob Die bunten Stäbe an die Schaftränfe, damit die 
Phantafie ſolche Trottel werfe, Das verdient fein Mit 
leid! Trottelmacher fein ift ein Unglüd, aber Trottel 








TEN 





| F 
aus Geſchmack und Neigung an Kindesſtatt annehmen und 
ihnen feinen Namen geben, Dazu gehört — dazu gehört — 
dazu gehört — der Berfall des Theaters wie er ift! 
£ Und nun noch Eines, lieber D., mir paffiren jett 

in Dre£ven lauter Satyren, lauter Pasquille! An einer 
Straßenecke fteht angeſchlagen: 
| „Wiener-Affen- Theater" 
in der „Schufter-Innung“. Heißt das nun „Wiener- 
affen-Theater“ oder „Wiener-Affentheater"? und in einer 
ESchuſter⸗Innung“? Müſſen venn die Wiener überall 

Peh haben? 

Nicht minder fonderfam und bevenflid iſt ver 

Maneranjchlag über die „Hundeftener“, Die hier einge- 
führt worden ift. Im Ddiefem Maueranſchlag heißt es: 
„Da nad) Paragrapl jo und jo des Geſetzes verboten 
ift, Hunde ohne Maulforb herum laufen zu lafjen, wer— 
den alle Durchreifenden und Fremden auf dieſen Um— 
ftand aufmerffam gemacht u. ſ. w.“ — Heißt das alle 
Durchreifende und fremde Hunde? 

Aber das Luftigite ift folgende Annonce: 
„sm Thiene-Salon" 
„Humoriſtiſche Vorleſung von M. G. Saphir." 
„Cercle-Sitz 12 Neugroſchen.“ 

Da muß ich doch hingehen! Ich habe mir ſchon 
längſt gewünſcht, mich einmal leſen zu hören! Wenn ich 
mir nicht gefalle, jo pfeif’ ich mich aus! 

Morgen jhreib’ id) Ihnen als ausgepfiffener Selbft- 
auspfeifer. 
F M. ©. Saphirs Schriften, XIII. Bo. 2 


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Dresden, Hotel de Saxe. 


In 230 /R. sm abe, 


Alſo geitern hab’ ich mich gehört ! 

Haben Sie je einen „Nhetor“ genofen! Einen 
„Rhetor“ mit Eſſig und Del? 

Sie wiſſen vielleiht gar nit, was ein „Nhetor“ 
ft! Wo kann ein „Nhetor” anders wachſen als in 
Berlin? Zwifhen Pankow und Stralow in der ſpecifi— 
hen indo-germanifchen Latinität? Herr Schramm war 
„Rhetor der Erſte“, Vater: der Geift der alten Römer; 
Mutter: „Neue preußiſche Zeitung“. 

Hugo Wauer ift „Rhetor ver Zweite“ aus dem 
Stamme der Ahetoriven. 

Alſo ein „Rhetor“ ift ein fpecifiih preußiicher 
Schreihals, welder vie Hegemonie über fremde Geiftes- 
producte antritt und dieſe für acht Silbergrojhen ven 
deutſchen Stämmen aller Zungen, vie da ejjen „Gänſe— 
Sauer“ oder „Humer“, Die Da trinken „fühle Blonde“ 
oder „Mumme“, in Hotel oder Wirthshäujern, in ven 
Abendſtunden zwifhen 5 und halb 12 Uhr vworjchreit, 
id est vorlief't. 

Die ftaatlihe Nothwendigkeit eines ſolchen „Rhe— 
tors“ für die Gauen Teutoniens, ohne Unterjchied ver 
Wein-, Bier- oder Schnapps- Stämme, ift nachgewieſen 
Seite jo und jo in der Culturfibel ver Weifen, Die 
da find fo viel wie Sand an der Spree. 

Herr Hugo Wauer ift nun ausgegangen als „Nhe- 















tor" won Berlin und zog gen Dresden, um allda zu 
lehren Literatur-Furcht, Poeſie-Furcht und Furcht vor 
Rhetorik im Allgemeinen und Speciellen. 

* Herr Hugo, der „Nheter von Lungens-Gnaden“ 


drei diverfe Spiritnalitäten: „Louiſe v. Plönnies“ — 
„Herr Schanz“ — „M. ©. Saphir“. 

3 M. ©. Saphir mußte der ärgſte Verbrecher ges 
weeſen fein: er wurde zuletzt gehängt! 

Ueber „Louiſe von Plennies“ brauche ih Ihnen 
wohl nichts zu fagen. Die deutſche Literatur erſchuf fie 
und — allen Reſpect vor der deutſchen Literatur! 


Herr Schanz aber iſt ein homo novus, ein Neu— 
groſchen! Ich kenn’ ihn nicht, relata refero. Seine Ent— 
ſtehungsgeſchichte fällt in die Zeit, wo die Profeſſoren 
> Proletarier die Kurzſichtigkeit des lieben Herrgotts 
curiren wollten! Um jene Zeit foll Herr Schanz die 
erſten Körnlein feiner Brechbohnen-Poefie in die Furchen 
gelegt haben, melde der demagogiſche Pflug in vie har- 
ten Schädel des Volkes zog, welches die Eiche zu feinem 
Stammbaum erkieſſte, weil ihre Frucht ven Geiſt fett 
- und die Nationalität ſtark macht. Für diefe erften melodi- 
{ ſchen und rhythmiſchen Tyrannenſcheuchen ſeiner Poeſei 
—* erhielt Herr Schanz nach der Hand Gelegenheit, einige 
Zeit „fern von allem Getriebe der Menſchen“ darüber 
achzudenken, wie das gemeinſame Deutſchland ſich zu 
erhalten vermag, wenn ſeine größte Integral-Capacität 
2* 












rhetorirte an einen Abende für 10— 15 Silbergroſchen 


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unter Schloß und Niegel der practifchen Weisheit von 
demfelben abgeſchnitten ift. 

Nach überſtandener Epoche der abgefchievenen Selbſt— 
beſchauung ging das befjere Licht, man möchte fagen: 
Das allerbefte „Zodtafallicht” in Herrn Schanz auf, er 
verurtheilte fich ſelbſt zu lyriſcher „Schanz- Arbeit“ und 
fingt nun au contraire im Gegentheil und juftament 
Lieder zu Ehren „Kaiſer Nicolaus", als melde und 
jolde Lieder hat Rhetor Wauer vorgetragen um zehn 
Silbergrofhen im Hotel Thiene zu Dresden, am Abende 
zwifchen 8 und halb 12 Uhr, am 17. April des Jahres 
1855! 

Und dieſes ift die Schöpfungsgeſchichte Waneri 
und Schanzi aus dem Gefchlehte der Schreiber und 
Pungenpfeifer im heiligen römiſchen Neid), als welches 
ift nicht arm an Exemplaren ähnlicher Gattung , und 
literarischer Umfchläger und Nadicalbelehrten im Norden 
und Süden! 

Nachdem alfo Hear Hugo Wauer die Louife und 
die „matte Limonade“ ausgejhenft hatte und auch dem 
Herrn Schanz fein Zeitliches anthat, gürtete Herr Hugo 
Wauer die Schävdelhaut einer Saphir'ſchen Vorlefung um 
jeine Linden-Lenden und fegnete fie zu Tode. 

Wenn Sie wiſſen wollen, was die Weifen des 
Morgenlandes über dieſe rhetoriſche Vorlefungs-Finfter- 
niß jagten, jo hören Sie folgende Stelle, Die ein hie— 
figer Referent darüber in der biefigen Zeitung losließ: 

„Was demſelben, an der fehneidenden Ironie Sa— 








phirs fehlte, ging dem guten Geſchmack durch feinen de— 
centen Vortrag zu Gutem!“ — 

Ich ‚bitte Sie, lieber L., laſſen Sie doch gleih in 
alle Zeitungen folgenden Aufruf jegen: 

„Alle löblichen Sicherheits-Organe werden höflichſt 
erſucht, auf Schreiber obenangeführter Zeilen zu invigi- 
liren, denſelben im Betretungsfalle zu inhaftiren und ihn 
mittelſt Zwangpafjes an die nächitgelegene Yrrenanftalt 

abzufchteben.“ 


J Dresden. 

An L.. B—n. 

Be: 

4 Heute ift einmal der Frühling mit dem rechten Fuß 
aus dem Bette geftiegen ! 

F Sonnenaufgang und Morgenroth! 


AH! wenn nur der „Kaffee-Aufgang“ und vas 
Morgenſchwarz auch jo wortrefflih wäre! 

E Morgenftunde hat Kaffee im Munde! Aber weldyen 
Kaffee! Was ift das Leben ohne Liebesglanz und ohne 

echten, guten, Duftigen Moccaſaft?! 

- Wer nicht liebt, Kinder, Blumen und Kaffee, ver 
fennt nicht des Yebens Luft und Weh! 

1 Aber die Drespner Blumen verföhnen mic) mit den 
Dresdner Kaffee! Es ift hier ein wahrer Blumen-Cultus! 
Ueberall an den Häufern Narziſſen, Camelien und allerlei 
Blumen und Grüne Gewinde! Ich fehe aus meinem 

Fenſter hinaus, und der Markt ift mit gequadertem 








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22 
Sonnenfchein gepflaftert, und aus allen Fenftern rings— 
herum jchauen mich Blumen an, und die Dolven und 
Glocken niden freundlich hinüber und herüber, und das 
Frühlingslicht wiegt fih auf ven lieblichen Wangen der 
Kinder Floras. 

Auf dem Markte fien die Blumenweiber in lan⸗ 
gen Reihen und winden Kränze. In Wien hat man 
„Bouquets“, „Sträußchen“, hier windet man blos 
Kränze, üppige ſtrotzende Blumenkränze! 

Bei dieſer Gelegenheit muß ich Ihnen ſagen, daß 
ich ein rechtes Glückskind bin! Der „Fechter von Ra— 
venna“ iſt mir bis Weimar nachgelaufen, und hat ſich 
mir in den Weg geſtellt und ſah mich triumphirend an, 
daß ich ihm nun doch nicht entgehen kann! „Je nun — 
ſodann!“ Ich ſagte zum „Fechter“ in Wien: 

„Treff' ich Dich draußen im Freien.“ 

Alſo über den „Fechter“ ſpäter. 

Die Dresdner Leciskas beſchäftigen mich noch! 

Wir wiſſen aus dem römiſchen Satyriker, daß der Bei— 
over Spitz-Name für die „Meſſalinen“ „Lyeiska“ war. — 

Dod davon zu feiner Zeit. 

Wenn man im Dresden auf der Brühl'ſchen Ter— 
raſſe die filberne Elbe fieht, wie fie feife und lieblich 
murmelt, geheimnißvoll und anftändig, als wären ihre 
Wellen ſächſiſche oder preufifhe Oberpoſt- oder Ober— 
bau-Näthe, und wenn man im Cafe real fit und die 
ſchweigſame Atmofphäre athmet, und wenn man ven 
holden Drespnerinnen in die Augen fieht, welche dem 


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großen Weltverkehr und dem Freihandel der Blicke nicht 
huldigen, ſondern wahrhafte Protectioniſten ſind, und 
wenn man auf öffentlichen Spaziergängen die mit Höf— 
lichkeitsſchleier überzogene Ruhe des gelispelten Austau— 
ſches der Gedanken hört, und wenn man die Friedlich— 
keit, Milde und freundliche Harmloſigkeit des ſächſiſchen 
National-Characters im Allgemeinen erkennt, dann wird 
man fi) nicht wundern, daß Sachſen nicht gar zu raſch 
— mobil maden will! 
Wenn die einigevreifig deutſche Nationalitäten- 
Clios zufammen fommen und fi) bei einer Tafje Lin 
den-Blüthenthee — die „Linde“ ift ja jet wieder zum 
Statthalter ver „veutjchen Eiche” ernannt worden — 
über Gegenwart und Vergangenheit unterhalten, jo müſſen 
fie ſich ſelbſt gegenfeitig unter die Nafe lachen! 

Doch liebſter L., ich will feine Politik machen! 
Sie wifjen, id) bin ein Mann des Friedens, ein Elihu 
Burrit an der Donau! 

Heute Nacht hatte ich einen Traum, ver mir die 
Friedenshoffnungen beftätigte. 
* Ich war nämlich etwas aufgeregt zu Bett gegan— 
gen. Ich war im den ‚Hugenotten“ und Herr Linde— 
mann als Marcel brüllte jo undeutſch büffelwüchſig, daß 
ich die Hoffnung hegte, fein „Piff— paff—puff“ ſei bis 
® Sebajtopel gedrungen und dieſes dadurch gefallen. Die- 
ſer Gevanfe führte mich zum Nacvenfen über Krieg 


- und Frieden — 





„— und alfo bei mir denkend ſchlief ich ein!“ 





21 


Ih mochte ungefähr eine Stunde gefchlafen haben, 
da weckte mid ein ſonderbar Geräufh, ich ſchlug die 
Augen auf, 

„und mein Geldbeutel ftand vor mir!“ 
Mit nachdenklicher Miene ſprach mein Geldbeutel: 
„Montecneuli! Montecuculi!“ 

Ih ſprach zu meinem nachdenklichen Geldbeutel: 
„sch heiße Moriz und nicht Montecuculi! Was millit 
Du von mir?" 

Da fagte mein Gelpbeutel: „Zum Reifen braucht 
man dieſelben drei Dinge, die man nad Montecuculi 
zum Krieg braudt: 

„Geld! Geld! Gem!“ 

Dieſe Geiſtererſcheinung meines Geldbeutels hat 
meine Friedensnerven geſtärkt! 

Friedrich der Große hat aus keinem andern Grund 
den Krieg begonnen, als weil ihm ſein Vorfahr einen 
gefüllten Saatsſchatz hinterließ! Aus dieſem Grund be— 
ginnt jet Niemand Krieg! 

Ich habe meinen Gelvbeutel beruhigt! Ich fagte 
ihm, daß England vie Größe feiner Macht nad) Der 
Größe feiner Staatsſchuld berechnet: denn England denkt 
jo: je größer die Staatsſchuld eines Staates ift, deſto 
größer iſt Die Pfliht ver Selbfterhaltung im Volke, 
durch Treue und Ruhe und Gemerbfleig im Frieden und 
dur Tapferkeit, Hingebung und Aufopferung im Krieg 
ven Staatscredit aufrecht zu erhalten, um vie Intereſſen 
richtig zu befommen ! 








Wenn England nun wieder eine neue Zahl an 
feine Staatsſchuld anſetzt, jo ift Das nur eine Stärkung 
des Patriotismus für die Männer in Guildhall und in 
der Krim!» 


Ach, die Engländer in der Krim, da hab’ ich im 
Waggon in meinem Shafejpeare gelefen, und finde in 
‚König Heinrich der Fünfte“ eine Etelle in ver Be— 
Ihreibung des englifhen Yagers, welche ich Ihnen als 
Curioſität mittheile, weil fie wie für das englifche Lager 
in der Krim gefehrieben ift. 

»— — the poor condemned English, 

Like sacrifices, by their watchful fires 

Sit paliently, and inly ruminate 

The mourping danger, and their gesture sad, 
Investing lank-lean cheeks, and war-worn coals. 
Presenteth them unto the gazing moon 

To many horrid ghosts !« 


Dod wohin verirre id mich? 

Sie wollen Reijebriefe und Site jollen fie haben. 
Aber Dresden ift jet ftoffloes, mager; die Oalerie- 
Schwalben, die Sächſiſche-Schwetz-Pilger find noch nicht 
da; Die Hotel8 find noch der Wallfahrer gewärtig, find 
noch falop und nondalant, die Stammhalter ver clafji- 
[hen Breter: Dawiſon und Devrient find in das einige 
Deutſchland auf Gaftrollen ausgezogen, und fo iſt ver 
Dresdner status quo ein status zwifchen „Wintermär— 
hen" und „Sommernadtstraum“, und blos „Pietſch 
in Madrid“ und „Sennora Pepita, mein Name ift 


26 R 


Meyer" find die Alliirten, welche das Theater-Balaklawa 
bejegt halten. 

In den Hotels find ftatt Säfte „WVorlefer". Im 
„Hotel Thiene" ver Rhetor Wau-Wauer und im „Hotel 
de Pologne“ Dr. Wolfsfohn, der über Lelfing lieft. 
Diefe Borlefungen follen fehr interefjant und Herr Dr. 
Wolfsſohn eine intelleetuelle und bedeutende Perſönlich— 
fett fein. 

Gutzkow fand ic) nicht hier, aber Berthold Auer: 
bach, den gemüthlichen, liebenswürdigen, erfahrenen und 
doch finnigen Auerbad). 

Sie wiffen, er hat eine liebenswürdige Wienerin 
zur Frau; fie verfprah mir zum Sonntag ein „Wiener 
Mittagsbrot!" Das „Verfprehen hinterm Wiener Herd“ 
war ſchön, aber ich wurde treulos! Ich wurde ein Ab- 
trünniger! Ich ließ mich nämlid nad) Halle zu einer 
Borlefung preſſen! 

Ih kam Sonntag nad Halle und fand, daß ver 
Theater-Director die Vorlefung für Sonnabend annon- 
eirt hatte! Das find die Folgen einer leſerlichen und 
kalligraphiſchen Handſchrift! 

Alſo in Dresden fein „Wiener Mittagsbrot“ und 
in Halle feine „Wiener Abend-Einnahme !" 

In Halle ging's mir curios. 

Ich fuchte meinen alten Befannten, ven Major 
v. Rohr, da hieß es: vor einem Monat gefterben! Ich 
fuchte die Generalin von Werber, da hieß e8: ift vor 
acht Tagen nad) Merfeburg gezogen. Ich ſuchte ven 








Forſtrath von Nauchhaupt, da hieß es: ift wor drei 

Tagen nach Berlin gegangen. Ich ſuchte das Fräulein 

Schulze, da ſagte die Schweiter: grade heut’ ift fi: ab— 

gereiſ't; ih fragt: fie ferner um Fräulein Louife von 
Werder, da erwiverte Fräulein Schulze: die wird wahr— 

ſcheinlich ſoeben fterben! 

F So hat ſich Halle zu meinem Empfang vorbereitet; 

wer nicht fortgezogen und abgereiſ't iſt, iſt geſtorben oder 

ſtarb ſoeben! 

Auerbach ſchreibt ſoeben ein Drama: „Die Wahl- 

brüder“, den Titel aber wird er wohl noch ändern. 

Ich bin begierig, wie dieſes Kerntalent der Er— 


bewegen wird! 

- Bei Auerbach fand ich Herrn Andree, den berühm— 
— ten National-Oekonom und fruchtbaren Schriftfteller, 
der aus Bremen hieher überfievelte. Wir fennen uns 
nun ſchon an Dreißig Jahre und Herr Andree ift noch 
immer derjelbe! Diefelbe ftrogende Fülle der Vitalität 









r Auerbach ſagte mir ganz richtig von ihn: „Andree 
- Hat nur einen Fehler: er weiß gar zu viel!“ 
Und das ift richtig! Wenn man mit ihm fpricht, 


Er ift ein Räthſel: fo vellgeftopft mit vielem Wiffen, 
mit Gelehrſamkeit und doch ſo ein lieber Menſch, ſollte 


— 





28 


Paris, 28. April 1855. 
An Herrn Dr. T.. Lin Wien. 


uf! 

Bor drei Wochen war ih nod in Wien, vor 14 
Tagen noch in Deutjchland, vor acht Tagen nod in 
Frankreich und heute bin ich ſchon in Paris! Die Topten 
reiten ſchnell! 

Hiermit überfende ih Ihnen den Schlüſſel zu 
meinem Gehirnfaften, und wenn Sie gefälligit da hin— 
einjehen wollen, werden fie eine fleine Idee befommen, 
wie es hier im Induſtrie-Palaſt ausfieht! Links Hobel- 
fpäne, rechts Heu und Stroh, nod) rechtſer Gebröckel, 
Trümmer, in der Mitte Chaos in Naturzuſtand, das 
Licht ringt mit der Finſterniß, die Thiere haben noch 
keinen Namen, die Bäume mit den Induſtrie-Zweigen 
ſind noch im Wachſen, die Erzeuger harren noch auf 
den Spruch: „Seid fruchtbar und vermehret Euch!“ 
die verſchiedenen Nationen liegen noch in Säcken und 
Kiſten mit der Aufſchrift »fragile« — »très fragile« 
— »à poser avec soin« in allen Winkeln herum, die 
„Künfte”, die ‚Wiſſenſchaften“, Die „Agricultur“ wälzen 
fih mit den „Bergbau“ und dem „Manufacturwefen“ in 
der unanftändigften Weiſe auf dem Boden herum, Die 
„Häute" ſuchen ihre urfprünglichen Träger, kurz: acht 
Gruppen und dreißig Clafjen ſehen noch in taufend 
und taufend Colli, Yeiften, Ballen, Kiften und Kaſten 
ihrer Entbindung und Taufe entgegen, und hie und da 





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29 


fchleihen Väter, Mütter, Grofpapas um ihre eingenäh- 
ten und derjchlagenen Kinder umher und jehen deren 


- großen Kaiferfchnitt entgegen; diefer Kaijerfchnitt hat Die 


Geburt noch um 14 Tage aufgefchoben und die leeren 
Imduftriepalaft - Wände fchauen vie Ausfteller an und 
feinen zu fagen: 
„Das hat man Dir, Du armes Kind, gethan?“ 

Der liebe Himmel hat eine große „Weltausftellung” 
in ſechs Tagen erjchaffen, aber freilich hat er ein füg- 
bares Material gehabt: ‚Nichts‘. Das Nichts legt feine 
Hemmmnifje in ven Weg, es ift leicht aus Nichts etwas 
zu machen, ein Nichts widerſtrebt nicht, ein Nichts ift 


nicht [pröde, widerhaarig, man hat nicht Dagegen zu 


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kämpfen. 

Wenn der liebe Himmel, anſtatt aus „Nichts“, 
aus „Klein- und Groß-Deutſchland“ vie Welt hätte er- 
Ihaffen wollen, er wäre heute nod nicht am Ruhetag 
angelangt. 

Auffchieben! Das ift die Devife der Zeit. Die 
Conferenzen find aufgefhoben, Krim-Neife aufgeſchoben, 
die „Eröffnung der Expofition” aufgefchoben. 

Es wird ein Neubau dazu angelegt, großartig, 
impofant, unbegreiflic). 

Ja „unbegreiflich”, das ift Das rechte Wort; wenn 


ich fage „unbegreiflich“, jo werden Ste mid, am leichteften 


begreifen. 
Lafien Sie fih von al! ven Befchreibungen, vie 
Sie über den „Induſtrie-Palaſt“ leſen, nichts begreiflich 


mahen. Es iſt nicht möglich, jest ſchon aus ver Am 


ſchauung etwas Darüber zu jagen, und alle Scilveruns 
gen, die jest fchon „nad dem Plan" oder „nad) vem Pro- 
gramm" des Palaſtes erichienen find, fönnen nur teste 
Abklatſche ſein. IH Liebe die Lebendige Anſchauung, 
lebendig von Baume der Gegenwart gepflüdt, dem Leſer 
anzubieten, und e8 wird nod 14 Tage dauern, bis Die 
‚nominelle Eröffnung ftattfinden wird, und, glauben Sie 
mir, vor Anfang Juni wird von einer vollen Zuſtande— 
bringung feine Rede jein, und dennoch iſt's fabelhaft, 
mas gejchieht, welche riefige Thätigkeit, welche colofjale 
Kraft und Mittel-Entwidlung fid ergibt. 

Paris ift in dieſem Augenblif ein großer ſummen— 

ihwirrender, jchwärmender Bienenforb, es jummt 
und flattert und ſurrt auf allen Seiten, Zelle an Zelle 
wird geflebt, wir Fremde find die Bienen, welche den 


Honig in die Duartier- Jellen tragen follen, ven Stachel 


fönnen wir an unferen Geldbeutel anſetzen. 

Ganz Paris muß bis zum 15. Mai nen ange- 
ftrihen fein. Ganz Paris ift alfo zum Empfang ver 
Fremen gerüftet, jedes Haus hat ein Gerüft und Hals 
und Kragen, alle Fenfter ausgehoben, um neu mit Ge— 


ftanf gefivnißt zu werden, alle Quartiere liegen mit auf 


geſchlitzten Bäuchen da und man fieht bis in vie Ein- 
geweide der »chambres« und »apartements à louer« hin« 
ein. Wenn man geht, tritt man unten in einen Kalfeimer, 
in einen Yarbentopf, oben tropft einem Dfer oder Mör- 
tel auf den Kopf, zur Seite jtößt einen ein Arbeiter in 






























* 
Rippen, von rückwärts ſchreit jemand »gare la tetea 
— zu deutſch „aufg’jhaut!* — und ver einem hüpft 
— Pariſerin mit der verführeriſchſten chaussure der 
Welt über den Schmutz und über die Proſa der Welt, 
3 wie die bewußtlofefte Unſchuld über eine Zweiveutigfeit in 
der Localpofje hinwegt, und dabei foll ver Menſch ruhig 
Ei. und unangefochten durch's Leben gehen und neutral bleiben 
wie ein preußiſcher Deutſcher und deutſchiger Preuß! 
— Da num die Parifer ihre Häufer anftreihen müfjen, 
— fo find fie auch genöthigt ihre Gäfte anzufchmieren, und 
ſo hält eine höhere Weltweisheit das europäiſche Gleich— 
gewicht ſtets in gutem Geruch! 
dh bin Mittags um halb zwölf in der »Rue 
x notre dame de Laurette« in meiner »maison meublee« 
abgeſtiegen, ſuchte ſogleich eine zweite, zog Abends um 
Ei wieder aus und mußte für diefe 7 Stunden 11 Sr. 
und 15 Gent. bezahlen; darunter „zwei Betten: 6 Sr. 
50 Gent.“ 
„Aber ich ſchlafe ja nicht hier?" 
— „Sa wohl, aber wir hätten indeſſen Die Betten 
vermiethen fünnen !“ 
ch recitirte mit deutſcher Gewiegtheit dieſer Wir- 
thin eine Stelle aus der Rede des Prinzen Napoleon 
vor, die er bei der erſten Sigung ver kaiſerlichen Com— 
gan hielt. 
„Die Gaftfreundfhaft in ihrem weiteften Sinne 
> Bi large et bienveillante hospitalite) wollen wir ung 
den Ausländern gegenüber vorbehalten.“ 


32 


Aber fie ſchien mich wegen meines vein lerchen— 
felderiſchen Franzöſiſchen für feinen „Ausländer“ zu 
halten! 

Ich wohne nun, mein edler Freund, der Sonne 
ganz nah’ und wenn ich in den Himmel kommen ſollte, 
ſo brauch' ich nur noch ein paar Stufen hinauf— 
zuſteigen! 

Wenn Sie mir ſchreiben wollen, ſchreiben Sie nur: 
A Monsieur Saphir, rue du He!der, Nr. 27, neben dem 

Thor des heil. Petrus. 

Ich bezahle 300 Franes monatlich, dafür hab’ id) 
erftens:: Die Ausfiht auf alle Dächer des Boulevards 
italien, und menn id) einmal Yaune habe, den »Diable 
boiteux« zu fpielen, vede ih alle Dächer ab, umd ent- 
dede alle »Mysteres de Paris« und bejonders das große 
Pariſer Geheimniß, auf welche Weiſe hier jo viele arme 
Teufel und dumme Teufel wie die reichiten Teufel Ieben, 
ich fünnte mir dieſes Geheimnig in doppelter Weiſe zu 
Geld maden! 


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Sa, mein Viebfter, das „Arme-Teufel-Gefühl“ über: 


fällt ven Menſchen hier mehr wie irgendwo. Alles was 
hier in die Augen und in die Ohren fällt, ruft uns 
zu: „armer Teufel!" Jeder „Bijouterieladen“ ruft dem 
Gelvbeutel zu: „armer Teufel!" Jeder Reftaurant ruft 
dem Magen zu: „armer Teufel!" Jede Dame, die fi 
mit balbherausgeftelltem Fuß in ihrem Wagen in ven 
»Champs elysees« hinftrekt, ruft den Sinnen zu: 
„arme Teufel!” Jeder Schriftiteller, der für ein Pam— 








Geiſt zu: „armer Teufel!“ 
Und wenn man ein Engel ıft > möchte man bei 
dieſen Dingen des Teufels werden ! 

Da hat mich der Teufel gleich am Tage nach meiner 
Ankunft dabei gehabt, in die Champs elysees zu fahren 
= — und die Cruvelli zu beſuchen, die — nicht dort wohnt, 
* weil fie dort ausgezogen iſt, weshalb ich fie dort am 
5? liebſten bejucht hätte. 


BT 
Br 
— 


Plötzlich wird ein Tumult, mein Kutſcher hält an 
und ruft: »une detonation !« — idy jpringe aus dem 
* ——— was iſt's! 
* Vor mir hundert Schritte ritt der Kaiſer und ein 
Tollhäusler hat auf ihn geſchoſſen! 
Es war ganz nahe am »Chateau aux fleurs«, td) 
R miſchte mid) unter vie Umſtehenden, Se. Majeſtät ver 
2 Kaiſer war mit einer römiſchen Ruhe weiter geritten, 
Er ohne weiter um ſich zu jehen, um- die Kaiferin, die vor 
aus war, einzuholen. 
Mir war alles Blut in den Adern erſtarrt, ich 
eilte nach Hauſe in ver bangen Erwartung eines großen 
Eiudrucks, den dieſes verabſcheuungswürdige Attentat 
hervorbringen würde, aber es gab ſich wohl das Gefühl 
des allgemeinen Abſcheues der That, aber ſonſt kein großer 
Eindruck kund. 
Am Abend erſchienen der Kaiſer und die Kaiſerin 
in der Opera Comique, der Kaiſer mit der Ruhe der 
een in der Phyſiognomie, als ob gar nichts ge- 
MG. Saphirs Schriften. NIIT. Bd. 2 J 











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34 — 


ſchehen wäre, und das eben imponirt den Franzoſen, er 
wurde mit Acclamation empfangen. 
Ein Mann, der neben mir ſaß, erzählte mir, daß 
man einſt ſchon den Kaiſer gewarnt habe, nicht an 
jenem Abend in's Theater zu gehen, indem ein Complot 
allda im Werke ſein ſoll, der Kaiſer aber erwiderte 
ganz ruhig: „Das geht mich nichts an, das iſt die 
Sache des Polizei-Präfecten!“ Iſt das nicht echt claſ— 
ſiſch? Und ‚das iſt die Manier mit Frankreich um— 
zugehen!“ | 

Und nun leben Sie wohl, verlangen Ste nod) feine 
ſyſtematiſchen Berichte, ich bin noch ein dreitägiges Kind 
in Paris, und doch und Dod), 

„D Fluch Der Berühmtheit!" 

Hier eine Einladung zu »le demi-monde« von Dumas 
fils, hier ſoll id) die „Eruvelli" als „Jüdin“ Hören und 
jehen, da ein Teveum von Berlioz in St. Euftache mit 
900 Sängern, worunter 600 Kinder! — („Hier fie’ 
ih Ihnen ein halb Dutzend Rebhühner, worunter vier 


Tauben." Vademecum.) — Dann eine Einladung zu 
Haldoy, dann eime Invitation zu den »grands-eaux« 
am 1. Mat in Berfailles u. f. w. — u. ſ. w. „und - 


man beneivet ung nody!“ 

Ich muß mit einer Anefoote ſchließen. Ich jchlen- 
derte geftern in der Rue Montmartre, da fommt ein 
folder Deutjhling auf mid zu: „Ah, ih bin Ihr 
Compatriot.“ Ich hätte ihm gern geantwortet: „Sie mein 
„Komm'-Patriot?“ Sie find mein „Mari !-Patriot !” 

















— — ſetzte ſich wie ein Schrepfkopf an meine Seite 
md fanfaronnixte von feinem Glanz in Paris, er braucht 

und verdient ungeheuere Summen, er kommt ſoeben 
vom Frühſtück zu ſechs Francs u. ſ. w. Ich ſah ihn 


an, er ſah aus wie dev „Hunger mit du pain a dis- 


hielten. Ich jagte ihm: „Ih muß hier im „Cafe Mont- 
martre“ eine »demi-tasse« nehmen, wollen. Sie nicht 
auch auf eine »demi-tasse« mein Gaſt ſein?“ Der 
ehrliche deutſche Magen behielt bei ihm die Oberhand 
über den Parifer Aufſchneider. »J’accepte!« rief dieſer 
Altdeutſche aus meinem Gaft heraus. 

Ich ließ »deux demi-tasses« hergeben, und der 
gute Mann, ver eben von einem Frühſtück zu ſechs 
Francs kam, brockte fünf Weißbrote in dieſe Taſſe Caffee 
und verjhlang fie fo hungrig und haftig und gejchwind 
wie ein Kriegsminiſter einen Finanzminiſter verſchlingt! 
Und dieſes SEN ER, bei dieſem uhr 


ceretione. Auch ſah ich ſehr gut, daß Die beaux restes 
- eines frugalen Abendbrotes auf ſeinem Hemd Nachtlager 


—* 


er » m a ——— N TER 
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36 


Paris, 5. Mat 1855. 
Ay-E. ITS n in Berlin. 


Kennft Du das Schöne Wörtchen „Mai?“ Das 
Wörtchen, welhes nur nod im Wörterbuch fteht? Und 
fennit Du die vier Wörtchen: »un panier de bois?« 
zu deutſch: „ſechs Zahnftocher Holz“, welche zwei Francs 
und fünfzig Gentimes often?! D ja! wir haben oft 
unfer »panier de bois« zufammen verzehrt! Alſo es 
ift der ftet8 wormwärtsjchreitenden Natur gelungen, ven 
„Mai“ und ven »panier de bois« in Zufammenhang 
zu bringen! 

Mai ift pa! »Mabille« und »le jardin de plantes« 
und »les Champs-Elysees« liegen Arm in Arm mit dem 
»panier de bois«; en attendant iſt der „Kamin“ unfere 
Sonne und das Kniſtern der Späne erſetzt die Nachti— 
gallen und die Maikäfer! 

Wie man aber fih an einem Parifer Kamin er— 
wärmt, das tft eine orientalifhe Frage, denn ift vorne 
der Drient am Menſchen durchgewärmt, jo friert hinten 
der Deeident am Menfchen, man müßte ſich an einen 
Spieß fteden und vom Garçon am Kamin herumdrehen 
laſſen, bis man hübſch durch und durch warm iſt und 
gebräunt wie ein Brathuhn! 

Ah, wer Doc jest ein Srimzonefer wäre! Die 
Krim-oneſer haben alle feſtländiſchen Pelze abjorbirt! 
Wo ein menfchenfreundliher Pelz; in Europa athmete, 
wurde er nach der rim verwiefen, und nun fit ver 


> 


a: 









Weunſch in Paris im Monat Mat am Kamin wor einem 
brennenden  Zahnftoher- Scheiterhaufen um 2 France 
er 50 Gentimes und vermift das, was die Natur den 
Bären mitgab und den Menſchen vorenthält: ven Pelz! 
Ein Induſtrie-Palaſt für einen Pelz! 

— Die Elemente verihmwören ſich gegen die deutſche 
Viteratur! Jeden Tag zehn Srancs für die partielle Er- 
waärmung eines Futterals, in welchem ein Stüdchen 
deutſcher Geift ſteckt; das. ift gegen alle Gejege deutſcher 
Buchhändler-Honorare! 

Iſt denn wirklich die Verſchmelzung Deutſchlands 
mit Frankreich ſchon ein ſolches fait accompli, daß Das 
Klima vom Schwarzwalde hevanrüdt auf das Schloß 
des Louvre! Ih wills, ich kann's nicht glauben, und 
doch und doch! Mir Happern die Zähne vor Froſt bei 
diefer Alliance ver öftlihen und weftlihen Temperatur, 
und der Kamin bleibt neutral, nit warm und nicht 
kalt, und das nennt man: Gegenwart! 

Geſtern, liebſter Freund, hüllte ich mid) in drei 
Hemden — Drei Hemden machen einen Pelz — und 
ftreifte ein wenig durch das 

„neue Paris“, 
Ich ſuchte vie Pläge auf aller unferer „stillen 
Freuden“, den Platz. wo Louis Philipp uns die Hand 
drückte mit feinen volfsthümlichen Handſchuhen, vie er 
»a lusage du peuple« bei jeinen Spazierfahrten anzog 
in den Flitterwochen feines Bürgerkönigthums; ich fuchte 
die Stelle auf, wo — wir ſchwach maren, ich fuchte 


38 


alle die Pläte auf, die man uns als hiſtoriſche Monu— 
mente zeigte, aber Hammer und Kelle haben feine Chr: 
furcht wor hiftorifchen Erinnerungen, ein Maurer hat fein 
Erbarmen mit ven Manen, welde um die Stelle ſchwe— 
ben, wo Voltaire fang, wo Coligny feine edle Seele 
unter Mörverhänden aushauchte: ein Maurer fieht vie 
Schatten nicht, welche unter feinem Hammer aus ven 
niedergerifjenen Steinen emporwimmeln, in welchen 
Rouſſeau, Scarron, Racine u. ſ. w. Die glorie jenes 
Frankreich gründeten, welches fie jett aus ihren einſti— 
gen Ruheſtätten verjagt! 

Aber, fagt Theophile Gautier nit mit Unrecht, 
haben die Todten mehr Recht an das Yeben als vie 
Lebenden ? 

In und um die Stellen, welche ver Erinnerung 
geweiht waren, ven Andenken großer Menſchen, großer 
Thaten, wohnten mit dieſen großen und heiligen Exin— 
nerungen das Laſter, begünftigt durch Dunkelheit und 
Winkelwerk; das Fieber und vie Cholera, begünftigt 
durch Fäulniß und dumpfe Atmoſphäre; ver Diebftahl 
und der Mord, begünftigt durch Unzugänglichfeit und 
Berwirrung der Gäßchen und Saditraßen! 

Die großen Geifter, die großen Thaten eines Vol— 
kes leben in ver Geſchichte fort, vie Denfwürdigfeiten 
der Bergangenheit find jchleht aufbewahrt in Stein und 
Mauerwerk, an welden Zeit und Elemente noch grau— 
ſamer rütteln als Verjhönerungen und Neuerungen, ihr 
Pantheon ift die Zukunft, die Geſchichte! 





7A 
: 








39 


Die Gegenwart hat ihren Egeismus, aber dieſer 
Egoismus ift ein nöthiger, ein wohlthuender, diefer Egois— 
mus ift eine Wohlthat. Es ift ein großer Egoismus, 
das „alte Paris“ zum Paris hinauszumerfen, ohne Ehr— 
furdt vor feinen grauen Steinhaaren, ohne heilige 
Scheu vor feinen taufend Strafen-Falten und Gafjen- 
Runzeln, ohne Zurückſchreckung vor feiner diden Allonge- 
perrüde von MHeberlieferungen und verknöcherten Erinne- 
rungen, die fih an morſche Thüren, an baufällige 
Wände, an ſchimmelbedeckte Dächer anflammern wie 
alterſchwache Greife an wurmftihige Krüden, ja es ift 
ein Egoismus, aber nicht der Egoismus eines Einzelnen, 
nicht der Egoismus ver Eitelfeit, e8 ift der Egoismus 
des alles vwerfchönernden Geiftes der Illuſtration, ver 
feinen Geift aushaudt und ausgießt auf Hol; und 
Stein; es ift der Egoismus der Majeftät der Menjchen- 
natur, die als Ebenbild des ewigen Geiftes ihr „Werde !" 


ausruft und auszurufen berufen ift über jedem Chaos, 


das ſich der oronenden Gewalt des Schönen und Gro— 
fen in ven Weg ftellt. 

Es it merkwürdig, dieſes Paris anzufehen, wie es 
ſich aus ven um ihn eingeftürzten Auinen erhebt wie 
ein Niefe aus einer durch Erdbeben erjchütterten Welt, 
zuerft Schultern und Bruft colefjal freimachend, dann 
die ſchönen colofjalen Glieder immer mehr emporringend 
aus den Echuttwellen und Trümmerwogen, bis Paris 
daftehen wird, ein glorreicher, herrlicher Redivivus, ein Paris 
his-euit in colofjaler Schöne und fledenlojer Formung. 


40 


Paris, die alte Stadt, ſchüttelt nah und nad die 
alten Yappen und Fetzen von fih ab, wirft ein Stüd 
Häßlichkeit nach dem andern von fih und fteht bald als 
die „neue Stadt Paris" da! 

Die finftern Erinnerungen haben den Vichtitrahlen 
Pla gemacht, vie eingefhnürten Gäßchen mit ihren 
athemlofen Häufern find aufgeſchnürt und Ddecrottirt 
worden, um ven gefegneten, freien, gefunden Luftjtrom 
un Hals und Buſen ſpielen zu lafjen! 

Es iſt Wahnfinn, was einige Mäkler und Grübler 
jagen: „Dieje Neuerung gefhieht auf Koften der Ge— 
ihichte (aux depens de l’'histoire).“ 

Nie ift in tönender Hoffart ein leexerer Unfinn 
ausgeſprochen worden! 

Alles geſchieht auf Koften der Geſchichte! Das Leben 
(ebt auf Koften der Gejchichte! Keime Stunde fan 
anders ablaufen als auf often der vergangenen Stunde! 
Kein Jahrhundert tritt in Die Gefchichte anders ein ale 
auf Koſten des vergangenen Jahrhunderts, ver Menſch 
lebt auf Koften feines Vormenſchen, die Kunft und Die 
- Wifjenichaften leben auf Koften ver Kunft und Wiſſen— 
haften der früheren Epochen! Um zu ergründen, woran 
die Vergangenheit zu Grunde ging, um aus tiefer Er- 
gründung die Öegenwart zu machen, muß man die Ge- 
beine der Vergangenheit ausgraben, muß man den Grab— 
ftein von der Gefchichte abheben, muß man ven Staub 
der Erinnerung fortfehren ! 

Es giebt gewiſſe Peſſimiſten, die alles von ver 





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ſchwarzen Seite darjtellen — und melde Sache bat 


feine ſchwarze Seite? — und dieſe Achſelzucker und in 
den Topf der jhwarzen Looſe Guder halten allen dieſen 
Segnungen und Bortheilen des „neuen Paris“ nichts 
entgegen als die „Geldcaſſen-Frage!“ 

„Ziffern reden!“ Ich will viefen Ziffern das Wort 
nicht abſchneiden, ich will nur dieſe Ziffern redend anführen, 
wie fie mir ungefähr befannt geworden find. Ich jchreibe 
folgende Ziffern blos ab: Zur Vollendung ver Aue de Rivoli 


und des Boulevard du Centre und zur Herftellung des Bou- 


levard de Straßbourg, des Boulevard du Centre, bejtimmt- 
ven Boulevard de Straßbourg bis zum Chatelet-Plat zu 
führen, find nad) Rechnung des Präfects der Seine folgende 
Summen nöthig : die Beendigung der Aue de Rivolt, ſowie 
die Freimachung des Hotels de Ville und der Kaſerne Napo- 
leon 27,643.798, des Boulevard du Centre 73,744.397, 
macht zufanımen 101,388. 195. Die Nivoliftvaße nebit 
den Umgebungen des Hotels de Bille jollen 1856 be— 
enpet jein, in demſelben Jahre joll die Section zwiſchen 
der Nue des Yombards und der Rue Nambuteau fertig 
werden, 1857 die Section zwiſchen der Aue Nambuteau 
und der Nue Grenéta, 1858 die complete Eröffnung bis 
zum Boulevard, 1859 die Erweiterung und Verbefjerung 
der Nebenftragen. Nah ungeführer Berehnung hält 
nun der Seine-Präfect hiezu eine fernere Summe von 


 56,304.024 Fres. für ausreichend; etwaige Heine Irr- 


thümer vworbehaltend, ſchlägt er Die Realiſirung einer 
Anleihe von 60 Millionen vor. 


42 


Die Ziffern reden, ja fie jchreien ; aber wer fchreit, 
der hat Unrecht! Es mag fein, daß Die Stadt Poris 
etwas Echulven machen wird, aber an Schulden iſt nod) 
nie ein Staat, nie eine Stadt zu Grunde gegangen, 
eher an einer Schuld, aber nie an Schulven! 

Unfere Vorfahren haben fo wenig für ung gethan 
und wir thun fo viel für unfere Nachfolger! Unfere 
Borfahren waren lauter Trottel, Cretins! Der Dampf 
lag vor ihnen offen da wie ein Clement, lag hundert 
Sahre vor ihnen und ſprach zu ihnen aus jedem Küchen— 
topf, und predigte ihnen aus jeden Waſchkeſſel und fie 
waren taubdumm und hörten ihm nicht! Die Electricität, 
diefe Schnellpoft der Gevanfen, lag vor ifmen in Blitz 
und Donner u. f. w., und fie ftolperten darüber weg, 
ohne Notiz davon zu nehmen; unjere Vorfahren haben 
gar nichts für uns gethan, fie haben ums auf den Hals 
geladen die Erfindungen, dem Yeben Hand und Fuß 
anzufchrauben, dem Verkehr Flügel zu verleihen, vem 
Gedanken ein electrifches Stellvichein zu erfinden, Das 
Meer mit unterirdiſchen Briefmarken zu bereichern 
u. ſ. w., und wir follten unfern Enfeln gar nichts zu 
thun übrig laſſen? Nicht einmal die lumpige Miffion, 
unfere Schulden zu bezahlen? Wie? das neumzehnte 
Jahrhundert, welches die Eifenbahnen erfand, Die Dampf: 
ichiffe, den eleetrifchen Telegraphen, congreviſche Raketen, 
Gasbeleuchtung, Kapfelpiftolen, Pereuffionsgewehre, Dra- 
maturgen, Conferenzen, Tantieme, Oalvanoplaftif, Pepi— 
tas, Induſtrie-Paläſte, fünftlihe Mineralwäſſer, Steto— 





EUSOL NEOPREN. 





ffope, Seidlitzpulver, Daguerreotypies, griechiiches Bier, 
türkiſche Civiliſation, morganatiſche Ehen, orientaliſche 
Fragen, Revalenta; dieſes neunzehnte Jahrhundert ſollte 
nicht ein Recht haben, in Geldangelegenheit eine Anwei— 
ſung an das 2000ſte oder 3000ſte Jahrhundert auszu— 
ſtellen? Es wäre doch ſchwarzer Undank vom 2000ſten 


‚oder 3000ſten Jahrhundert, wenn es die Yappalie von 


einigen Millionen Milliarden nicht bezahlen wollte! 
Was find alfjo 60 Millionen Anlehen gegen ein 
neues Paris, ein Paris, aus welchem die verpejteten 
Gaſſen, die finftern Schlupfwinfel von Eugen Sues 
Romanhelden, die Lafterlächer der Yoretten, Die Diebs— 


höllen und Fäulniß-Reſervoirs der Sitte und der Moral 


verſchwunden oder doch wenigſtens beſeitigt ſind, um dem 
Licht, der Luft, der Sonne, dem Athem, der Cireulation, der 
Eleganz, der Mode, dem Leben Raum und Platz zu machen? 

Iſt da zu wählen? Ein ſtinkendes, ein mephitiſches, 
ein rachitiſches, krummbeiniges, verkrüppeltes, Moder und 
Seuche ausathmendes, Fäulniß und Schimmel aufbewahren— 
des, alle Finſterniß und Dunkel ſuchenden Laſter und Ge— 
brechen begünſtigendes, efelhaftes, rußiges und verſtümmeltes 
Paris mit etwas weniger Schulden, oder ein Paris voll Licht 
und Luſterſtröme, ein Paris, wie eine Venus in jugend— 
licher Schöne aus dem Meer der Gegenwart geſtiegen, 
Paris geſund und friſch und hell und lachend in bril— 
lanten Dimenſionen, in vollem Schmuck wie die Köni— 
gin der Städte, wie die Königin Saba, als ſie den 


weiſeſten König verführte, mit etwas wenigen Schulden? 





44 


Die Wahl ift wahrlich nicht fchwer ! 

Ih ſtimme nur dafür: „Die Schulen für ung, 
das Bezahlen für die Nachwelt !" 

Und-viefe Yehre, Freund, beherzige, und es wird 
an Div erfüllt werden, was id Div wünjde: „Leb” 
wohl!“ 


Paris, 8. Mai 1855. 


Pianori ift zum Tod verutheilt worden. Wer 
geitern in ven Saal wollte, mußte queu machen wie bein 
Theater. Um 9 Uhr wurden die Thore geöffnet, nur 
wenige Karten wurden an Private wie ich bin vertheilt. 
Die Räume waren von der Elite der Pariſer Welt be- 
feßt, Frauen wurden gar nicht eingelaſſen; warum? 

Nach 10 Uhr wurde der Angeklagte hereingeführt. 
Die allgemeine Neugierde gab ſich durd eine Bemegung 
wie das leife Rauſchen des Meeres fund. 

Pianori's Berfönlichfeit ift ganz unbedeutend; weder 
Romantik noch Schwärmerei, weder Heldenthum noch 
Fanatismus, weder Reſignation noch Trotz ſpricht aus 
dieſen ſtagnirenden Zügen, aus dieſer mittelgroßen Ge— 
ſtalt, die ſich ohne Energie trägt, aus dieſem Miß— 
wachs von Schnurrbart, der ſich mit dem braunen Rund— 
bart vereinigt; nur ſein Auge iſt kühn und ſein Blick 
frech. — 

Ruhig, ich möchte ſagen mit Apathie, läßt er ſeine 
Blicke auf das Publikum ſchweifen, gleichgiltig, gleichſam 





45 


als fände er es nicht‘ des Anjehens werth, kehrt er feine 
Blicke Davon wieder weg und die Verhandlung beginnt. 
Die Anklageacte wird verlefen, fie enthält Die befannten 
Daten über das von Pianori am 28. April begangene 
Attentat. Aus dem Ganzen theile ich hier ſummariſch 
die Biographie dieſes demokratiſchen Schufters mit. 

Eine Depejche der franzöfifchen Legation aus Non 
vom 2. Mai gibt Folgendes an: Pianori ift 32 Iahre 
alt, Schufter, verheirathet, Vater von zwei lindern. 
Ein polniſches Aſſaſſinat bewog ihn zu emigriven, jpäter 
brach er aus ven Gefängnifien von Servia aus. Im 
Jahre 1849 diente er in den revolutionären Banden, 
welche gegen die Franzoſen fümpften. Nach mehreren 
Aſſaſſinaten und Berbrechen, die Pianori beging, kam er 
doch von Zeit zu Zeit von Oenua, wohin er fic flüch— 
tete, zurück, um neue Berbrechen zu begeben. 

Eine zweite Depefhe vom 5. Mai trägt nad), daß 
Pianori zu zwölf Yahren Galeere verurtheilt wurde we- 
gen eines Afjafjinats. 

Das find alfo die Anteceventien des Angeklagten. 

Im Jahre 1854 begab fi Pianori nad) Marz: 
jeille, von Da ging er unter tem Namen Liveramt nad) 
Lyon, von da nad Chalons fur Saone, und von da 
nad) Paris, wo er bis zum December blieb, dann nad 
London ging, wo er bis zu Ende März 1855 blieb, 
und um diefe Zeit nad) Paris zurückkehrte. Von viefer 
Zeit an wohnte Pianori bei einer gewifjen Meichelet, 
8 Boulevard Pigale Nr. 40. Den ganzen Monat April 





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46 


verfehte Pianori ohne Gejhäft, ‚ohne Arbeit, getheilt 


zwiſchen brütender Einſamkeit und liederlicher Schwel— 
gerei. Der Morgen des Tages, an welchem er ſein fluch— 
würdiges Unternehmen ausübte, ſah in ſeinem Logis noch 
eine Orgie feiern. 

Zwiſchen 5—6 Uhrgeſchah, was wir Alle fon wiſſen. 

Pianori läugnet nicht, doch findet ſich ein Wider— 
ſpruch; einmal will er ven Kaiſer morden, weil er ihn 
und feine Familie brotlos machte, alfo ein perſönliches 
Motiv, Das anderemal will er ven Kaiſer ermorden, 
weil er fein Baterland unglüdlich, Nom unglüdlid ger 
madt bat. 


Pianori läugnet feft und beharrlid jede Confpirae- 


tions⸗Idee, er will durchaus als Einzelner und nicht 
auf Antrieb gehandelt haben. Alle Daten aber ſprechen 
dagegen. Zeit 1849 treu der blutigen Fahne ver Inſur— 
rection, fand ihn ver 28. April 1855 nur ten dem 


Syjteme des Mordes und, ver italienischen Demokratie, 


welchem ex ſechs Jahre lang hulvigte. In London, wo diefer 
Herd ver politifchen Verbrecher ven Meucelmord nad 
alten Seiten des Feſtlandes ausfendet, in London weilte 
Pianori mehrere Monate, in London kaufte er die Pi: 
ftole, mit welcher ev das Berbrechen beging. Von London 


bringt er aud) Die zwei anderen Piſtolen mit, welche 


man bei ihm fand, von London bringt Pianori auch das 
Geld mit, welches ihn in Stand fegte, ohne Arbeit ein 
Wohlleben mit Debauche zu führen, fid) luxuriöſe Klei— 
der und ein Dolchmeſſer anzujchaffen. 








47 


„Bianort,“ jo ſchloß Die Anklage-Acte, „handelte 


nicht unter dem Einfluß einer perſönlichen Feindſchaft; 


entſchloſſener und bezahlter Mörder, war er nur der Arm 
jener Partei, die ihn mit Dolh und Piftolen verſah, 


und die ihn auch mit Geld verfah.“ 


Nach einem langen, aber unmefentlihen Zeugen- 
verhör nimmt der Generalprocurator, Herr Roulland, 
das Wort und jagt: „Der Angeklagte Pianori hat dem 
Kaifer nad) dem Leben getrachtet, er ſelbſt befennt das 
Berbrechen, er wollte, wie er ſelbſt fagte, die Expedition 
nad) Nom rächen, das heißt: „die römiſche Demagogie 
befiegt und verjagt durch die franzöfiichen Waffen.“ 

In dem Geſtändniß dieſes Verbrechers, jo führt 
der Generalprocurator ungefähr fort, hätte man, ven 
Termes der Konftitution zufolge, den Verbrecher an die 
haute-cour weijen fünnen, allein bei jo einem gemeinen 
Verbrecher, der feine Doctrinen in Piſtolenſchüße über: 
jest, bedarf's einer ſchnellen Juſtiz. Man wird vielleicht 
fragen, jo fährt ver Generalprocurator noch fort — und 


die Worte find inhaltsihwer! — warum dieſes Ver— 


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brechen ſo ſchnell abgethan wird, ohne ſich erſt die Zeit 
mit Ergründung der Mitſchuldigen zu nehmen? Man 
beruhige ſich, die wachſame Staatspolizei berührt mit 
ihrem Finger ſchon alle Jene, welche ſie im Intereſſe 
hat u. ſ. w. 

Darauf nimmt der Advocat des Verbrechers das Wort, 


was er vorbringt find Worte, die er an die Nachficht der 


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Jury, an die Gnade des höchſten Vollftreders richte. 


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48 


Der Präfivent fragt hierauf: „Pianort, ftehen Sie 
auf, haben Site nod etwas zu Ihrer Vertheidigung hin- 
zuzufügen?“ 

Pianori: »Non Nonsiedr.« 

Die Jury zieht ſich zurück; nach 10 Minuten 
kommt ſie zurück und ſagt: „Auf Ehre und Gewiſſen, 
vor Gott und Menſchen, die Erklärung der Majorität 
der Jury lautet: Ya, der Angeklagte ift ſchuldig.“ 

Darauf verlief’t der Greffier das Verdict, welches 
auf Todesſtrafe lautet. 

Der Präfivent fagt: „Angeflagter, es ftehen Ihnen 
drei Tage zum Caſſationsgeſuch frei." 

Pianort hört dieſe Worte mit jenem Phlegma an, 
mit welchem er eintrat, mit weldem er Die ganze Ber- 
handlung anhörte und verläßt feften Schrittes den 
Saal. Die Ruhe diefes gemeinen Verbrechers, — denn 
ein folder iſt Pianori, — ein alter, inveterivter Ver— 
brecher, eine ſchlemmeriſche Beſtie, dieſe faft frappirende 
Ruhe biegt ſo zu ſagen der Geſchichte und der pſycho— 
logiſchen Moralgeſchichte eine Paroli! 

Dieſe Stoa, dieſe erhabene Ruhe, welche die Ge— 
ſchichte dem Tod großer Individualitäten vindicirt, dieſe 
Ruhe, mit welcher Sokrates den Tod trank, mit welcher 
Johanna d'Arc den Feuertod ertrug, mit welcher die 
Märtyrer ihrem Tod entgegenſahen, dieſe Ruhe und 
ſtoiſche Todesverachtung, welche man für die Kennzeich— 
nungen eines großen Bewußtſeins, eines unbefleckten Ge— 
wiſſens hält, ſie zeigt ſich uns auch oft bei den verruch— 





‚teften Böfewichtern, bei ven von allen Laſtern angefref- 
fenen Berbredhern, welche dem Galgen und Nad mit 
einer PVhilofophie, mit der frappivenven Freudigfeit eines 
Märtyrertodes entgegen gehn! — Was tft die menjch- 
liche Natur?! 

Ein ganz gemiener verruchter Mörder, dem die 
Sünde ein Gelüfte ift und das Berbrechen ein Spiel- 
zeug, ver fich für Geld zur Blutthat vermiethet, der 
Gott und die Bibel und die Gejege ver Natur mit 
Füßen tritt; dieſer Menſch hält fich wielleicht verpflich- 
tet, einen verbrecheriihen Eid zu halten, den er einer 
Notte von Mitmördern leiftete, ihre Namen zu ver- 
ſchweigen?! 

Dieſe Todesverachtung könnte eine Art von Glorie, 
von politiſcher Glorie um das Haupt eines ſolchen Kö— 
nigsmörders werfen, wenn ſie nicht auch bei Räubern 
und Mordbrennern und Vatermördern wohnte, welche 
wir mit einer Art von Seelenheiterkeit und Verklärung 
die Stufen der Leiter betreten ſehen, welche ſie über ihre 
Mitmenſchen erhebt. 

Das Intereſſanteſte in der Verhandlung war für 


mich das Argument, mit welcher London und England 


als der Mittel- und Ausgangspunet dieſes und aller 
ähnlichen Attentate bezeichnet wurde, und mit welchen 
glühenden Redezangen der Redner feurige Kohlen auf 


die Situation des Landes ſammelte, welches geſtattet 





oder geſtatten muß, daß in ihm der Hexrenkeſſel ſich ein— 


bürgert, in welchem Mord und Todtſchlag und Meuterei 
M. ©. Saphir's Schriften, XIII. Bd. 


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90 


für alle Länder und Negierungen gebraut und verfendet 
werden. 

Ich bin neugierig, welchen Nachklang dieſes Zu- 
wälzen der Nevolutionsbegünftigung in ven Yonvoner 
Dfättern finden wird. 

Ich glaube, viefe Flode Feuer, geworfen in Das 
Coblenz der Revolutionsmacher, dürfte dort prüben nicht 
ohne Felgen bleiben. 


Drleans, 9. Mai 1855. 


„In alle deutſchen „Hungfrauen von Orleans“ ledigen, 
verheiratheten und neutralen Gejchlechtes.“ 
Meine hoch- und niedergebornen Yungfrauen ! 
Hoch- und übergeſchätzte Johannen, Hannen und 
Hannchen! 

Ich bin in Orleans, in der Stadt, die Euch in 
den Stand ſetzte, Euch „Jungfrauen von Orleans“ zu 
nennen, in der Stadt, in welcher geſtern am 8. Mai 
als am Yahrestage der Einnahme von Orleans durch 
Sohanna d'Arc (8. Mat 1429), die Enthüllung ihrer 
Statue gefeiert wurde, ein Feſt, welden das Volk aus 
allen Gegenden Frankreichs zuftrönte. 

Ihr undankbaren deutſchen „Jungfrauen“ von Te- 
mesvar bi8 Pofen, die Ihr alle Eure dramatiichen Sie: 
geszeichen auf Orleans aufpflanzet, Ihr deutihen Dra- 
maturgen alle, die Ihr Die große Heerde der Jungfrauen 
jeit fünfzig Jahren weidet auf allen Bühnen Deutjch- 





lands, nicht eine Seele von Euch iſt nad „Orleans“ 
gekommen, um ihren Dank zu der ehernen Statue nieder: 


zulegen! Wiener bin ich es ganz allein, ver die deutjche 


Intelligenz, die deutſche Dramatik, die deutſche Schiller— 
Anbetung und die deutſche thentralifhe Jungfrauenſchaft 


- in Frankreich vertreten muß, und ih bin von Paris 


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nach Orleans gegangen aus Chrfurdt vor ven Manen 


Schillers und um zu den Füßen ver bronzenen Hirten- 
tochter den Danf nieverzulegen, daß ich jo viel „Johan— 


nen“ überlebt habe in meinem an Iohannen fo veich- 


gejegneten Vaterland! 
Ach Ihr „Bungfrauen“ ale aus Wien, Berlin, 


Reußgreitz, Reußſchleitz u. ſ. w., die Ihr mir ficherlic 


‚mehr Dergnügen gemacht hättet, wenn Ihr „Eure Glie— 
der nicht in Erz" und die Directoren gar nicht „ges 
ſchnürt“ hättet, wenn Ihr Eure „Bruft nicht mit Stahl“ 
und Eure Rolle nicht mit Unfinn bedeckt hättet! Ihr 
Yungfrauen alle, vie Ihr Eure Heerden und Euren 
Herd verließet, um die Theater zu weiten, und die id) 
auf dieſer Weide oft weidlich durchweidete, wo wart Ihr, 
ald man in „Orleans“ vie Statue Eurer unjterblichen 


*—— 


theatraliſchen „Gelegenheitsmacherin“ enthüllte? 


Ich habe wieder die Ehre der deutſchen Intelligenz 


gerettet, id gab mic) für ven Abgeſandten aller „deutſchen 





- Theater-Jungfrauen“ aus, um in ihrem Namen an ver 


Feſtivität theilzunehmen. 


Einem Poeten ftehen zwei Wege von Paris nad) 


Orleans frei, die „Phantaſie“ und der „Expref-Train“, 


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man braucht aber keine gar zu lebhafte Phantaſie, um 
mit ihr ſchneller als mit dem „Expreß-Train“ zu fahren, 
welcher in „zwei Stunden“ nad) Orleans gehen fol, 
aber in Wahrheit vier Stunden hingeht ! 

Meine Phantaſie ift alfo in jedem Falle geſchwinder 
und — wohlfeiler. 

Das Feſt zu. Orleans dauerte Drei Tage, 

Das Felt zu Orleans war fein „Provinzialfeft“, 
e8 war ein „Nationalfeft“. Johanna d'Are ift eine Hel- 
din der Nation, fie ift ein Blatt Gefehichte, ein Lorbeer: 
zweig, ein Triumphgefang von ganz Frankreich. Die 
Geſchichte und Die Yegenvde, Die Lorbeerfrone und Die 
Märtyrerfione, das Epos, das Drama und das Lied, 
die Bühne und die Kanzel, vie Begeifterung und ver 
Glaube, die Poeſie und vie Religion haben ſich ihrer 
bemächtigt, um fie unfterblic, ewig lebendig im Bolfe 
zu erhalten. 

Drleans war daher bei dieſem Feſte ein Mlittel- 
punct des vomantifchen und geſchichtlichen Frankreichs. 
Nah) Orleans famen zu diefem Feſte die Einwohner 
der Ufer ver „prächtig dahinſtrömenden Loire“, die 
Bewohner von „Rouen”, dem Theater ihres Flammen— 
todes, und die Bewohner der Gegenden alle, melde fie 
mit ihrer Fahne auf dem Berreiungszug nad Orleans 
durchzog, die Bewohner von „Vaucouleurs“ — „Troyes“ 
— Reims“ — „Poitiers“ — „Louis“ u. ſ. w. 

Sonderbare Laune des Zufalls, dieſes größten 
Ironikers der Geſchichte! Im Jahre 1855, wo in Paris 





: die „Welt - Iuduftrie⸗ Ausſtellung“ gefeiert wird, dieſes 
jüngſte Kind ver Laune ver franzöſiſch-engliſchen Allianz, 

- wird vier Stunden davon in Orleans ein Felt gefeiert, Das 
die Heldin illuftrirt, welche die Engländer in Frankreich 

beſiegte, jo daß nie wieder ein „engländiſch Roß aus 
den Duellen ver Loire trinken follte!“ 

Das Feſt dauerte eigentlih drei Tage, aber ich 
rede nicht won dem Sonntag, an welchem ein „Veit 
Concert⸗Monſtre“ ftattfand! Ein Concert, in welchem 
die Zwifchenpiecen ſchon aus „Santaten“ und „Sym— 
phonien“ bejtanden! Und welche Cantaten! Und melde 
Symphonten! Und welhe Execution! 

„Da, diefe Töne! wie zerreißen fie mein Ohr!“ 
| Und der Goncertfaal in ver »Halle au ble!« wo 
- ver Wind von vier Seiten und aus allen Löchern pfiff 
und der Regen an die Pinnen und „Plachen“ jchlug, 
weldhe ven Ton, ver an fie fam, wie nafjes Gepläticher 
wiedergaben, und die „Gerclefige‘, wo man zu ver 
Muſik mit Zähneflappern accompagnixte! Und in diefer 
Halle umarmten ſich Diffonanzenfelig „Mofes“ und „Yus 
cretia“, „vie Somnambula“ wandelte Mitternacht, und 
um 21/, Uhr ging der Morgen über ver „Schreiberwiefe“ 
- auf, und nody daneben das Concert, weldes um 8 Uhr 
Abends begann, und in welchem man blog zur Erhal— 
tung mehrere ‚Becherl Cantaten“ und „Symphonie 
Hoblehippen" herumreichte! 

J Wenn ih mich je an einer deutſchen „Jungfrau 
3 von Orleans“ kritiſch verfündigte, wenn ich je einer 





54 


deutſchen Johanna den Küraß etwas heruntergerifien 
habe, ſie ift gerächt! 
Bon S Uhr bis halb 3 Concert! 


Bon dieſen Leiden ſchweige ih, denn id wurde 
vollfommen am anderen Abend entſchädigt. Da fand ver 
Glanzpunct des Feſtes ftatt: Die „Sadel- Cavalcade“, 
welhe ven Einzug von Johanna V’Arc in Orleans und 
die Befreiung von Drleang durch viejelbe darftellte. 

Diefer hiftorifche Zug wurde von ven vorzüglichiten 
Künftlan Frankreichs organiſirt und der Eindruck des— 
ſelben war impoſant, unvergeßlich. Zwei Stunden lang 
bewegte ſich dieſes prachtvolle, lebendige, wandelnde, ge— 
ſchichtliche Tableaux, übergoſſen von Fackel- und Flammen— 
licht, durch eine dichtgedrängte Volksmaſſe, unter Glocken— 
geläute und Kanonendonner, begleitet von dem Enthu— 
ſiasmusruf der Menge! 

Ein Stück Geſchichte ſtieg aus dem fünfzehnten 
Jahrhundert heraus, um mit ſeinen Helden, mit ſeinen 
Erinnerungen, mit ſeiner Romantik in dem goldenen 
Rahmen der Perſonification an der Gegenwart vorüber— 
zuſchreiten, um in ihre Proſa, in ihre Blaſirtheit, in 
ihre Materialität einen Traum voll Poeſie, eine Hand 
voll Begeifterung, einen Athemzug von alter Nitterlich- 
feit und Minne zu bringen. Die Täuſchung war com- 
plet, die Illuſion wurde Wahrheit. 

Welcher Enthufiasmus! »Vive la Pucelle!« Da 
kömmt fie, die Heldin, Die Hirtin, Die DBefreierin, Die 





Märtyrerin! — Da kommt „Dunois” der Held und 
ver „Baftard“, ver Sohn ver Liebe und „ver ſich nad) 
ihr nennt!" — Da kommt „La Hire“, da „le Sire de 


Beaugency“, da ‚Baudricourt“, der „fünfzehn Fähn— 
fein aufbrachte, lothringiſch Volk;“ Dann „Sean de 
Broſſes“ und „Armagnac" und „Chabannes“ und Die 
ganze Kitterfchaft, deren Namen Clio vom Schlachtfeld 
pflüdte und in ihre ehernen Tafeln einjchrieb! 

Und nad dieſem Stück Weltgejhichte, von Kunft, 
Glaube und Pietät in Die Gegenwart hineingetragen, 
kam das intevefjante »postscriptum« jenes romantischen 
Helvenzuges; einige Abkömmlinge jener Familien, Die 
ſich bei ver Belagerung von Orleans auszeichneten, 
wohnten dieſer Cavalcade bei und mit tumultuarifchem 
Enthufiasmus begrüßten Die Orleaneſer die Wappen 
ſchilde jener Nitternamen, welde ganz allein zehn Ge— 
nerationen überlebt haben. 

Die Enthüllung der Statue ging glüdlih von 
Statten. Es hatte faſt ven ganzen Tag geregnet, allein 
der Himmel ift ein gnädiger Herr, derſelbe Himmel, der 
jo gefällig ift, faft immer zu lächeln, wenn ein Einzug 
u. ſ. w. ift. Der Himmel, welder ſich jtets in blau 
und weiß fleivet, wenn das Münchner Octoberfeft ge- 
feiert wird, Damit die Journaliſten jagen fönnen, ver 
Himmel jelbft zog in dieſem Augenblid die bairiſche 
Narbe an; der Himmel, der fo gütig it, die Wolfen 
vom Himmel zu fegen, wenn auf der Erde ein Volks— 
ſpeetakel ftattfindet, der Himmel ſendete aud heute einen 





56 





Sonnenftrahl durch die plöglih zerrifienen Wolfen auf | 
die enthüllte Erzſtatue der Jungfrau von Yoyatier. { 

Der große Plat von Orleans war fuperb für dieſe 
Ceremonie hergerichtet, und vie Journale von Orleans 
haben heute auch nicht verfehlt zu erzählen, daß ein 
Sonnenſtrahl — »comme par miracle«e — kam, um 
die Snauguration mit zu feiern. 

Die Statue ſelbſt macht einen ſchönen, doch feinen 
impofanten Eindrud! 

Der Eveque Mor. Dupanloup hielt eine Danfreve 
der Iohanna d'Are, die den Stempel der Nicht-Impro— 
vifation an der Stirne trug, fo geziert war das Wort, fo 
parfumirt war die Salbung des Vortrages. Er vindicirte 
die Jungfrau von der Geſchichte für Die Legende, als 
eine Heilige, und das ift nichts als billig, venn Die 
Kiche hat fie gleihgiltig dem Flammentod überlaffen, 
um fie des Märtyrerthums würdig zur machen. 

Dem Feſte im Hotel ve Ville fonnte ih nicht bei- 
wohnen. Ich verließ Orleans, doch ging id) noch ein- 
mal, um von ver bronzenen Johanna d'Arc Abſchied zu 
nehmen, von ihr, welche ihr Vaterland dem Sceiterhaufen 
überlieferte, von ihr, welcher der geiftreihe Dichter Frank— 
reihe, Voltaire, die Dulderfrone vom Haupt vif, um 
dasjelbe mit dem Schmuß einer unfeufhen und unfrom— 
men Dichterphantaſie zu umgeben, von ihr endlich, Die 
nur von dem edeljten deutſchen Dichter, von Schiller 
mit feurigen poetifhen Armen aus den Flammen Des 
Sceiterhaufens emporgetragen wurde, verflärt, im Strah— 


RES: 
IE FIR — 





lenkranz der Poefie und ver heiligen Sendung, zu ven 

- Sternen, die hereinleuchten in die Zukunft und im die 

ſpäteſte Nachwelt ! 

Pr Iohanna d'Are it für Frankreich geitorben, Frank— 
reihe Staat hat fie verbrennen lafjen, Frankreichs Poe— 
fie hat ihre Manen geſchändet; vem Genius der deut— 
ſchen Poeſie war e8 vorbehalten, ihr den Heiligenſchein 
der himmlischen, unbefledten Sendung um die leuchtende 
Stirn zu flehten. 


| Die Statue der Jungfrau von Orleans fteht im 


Orleans, vie Glorie, die Unfterblichkeit, Die poetiſche 
Erſcheinung der „Yungfrau von Orleans” ſteht in ver 
deutſchen Piteratur ftrahlend, glänzend, rührend, fittlich 
- Fromm und menfchlih mild, und viefes Denkmal in 
der veutjchen Literatur wird alle Bronzeftatuen in 
Drleang und Rouen u. ſ. w. überdauern, und ver Sta: 
tuaire dieſer deutihen Statue ver „Jungfrau von 
Orleans“ heift: 
„Schiller !" 


rat Ads: 


Paris, 16. Mai 1855. 


a, 
” 


Geſtern wurde ver Janustempel des neunzehnten 
- Yahrhunderts, der Frievenstempel der Völker, der Indu— 
ſtriepalaſt eröffnet, und ein „Friedenstempel“ muß es 
ſein, trotz Kriegsgetöſe und Schlachtendonner, denn 
der Kaiſer antwortete auf die Eröffnungsrede des Prin— 
zen Napoleon die inhaltklingenden Worte! 


b 


1 





58 


Nouvre avec bonheur ce temple de la paix qui con- 
vie tous les peuples a la concorde !« 

Alſo wir begrüßen dieſe Imauguration mit den 
Schlupworten der Schiller'ſchen „Glocke“: 

„Friede dieſer Stadt bedeute, 
Friede fer ihr erſt Geläute!" 

Geſtern um 10 Uhr Morgens öffneten fi vie 
Thore und Eingänge dieſes trojaniichen Roſſes, in- veffen 
Bauch Frieden, Eintracht, Brüperlichkeit aller Völker, 
Länder und Menfchen ruhig liegen wie Drillinge im 
Mutterleib; ganz Paris erinnerte an Goethe's „Hermann 
und Dorothea“: 

„Iſt doch die Stadt wie ausgeftorben !“ 

Alles zog, ging, lief, ritt, fuhr nad) dem Induſtrie— 
palaft. Die „Sonne von Aufterlit“, welche noch immer 
mit den Aufgehen vor Sebaſtopol beſchäftigt it, ließ 
ihre Strahlen nit auf die gläferne Kuppel dieſes 
Wunderbaues fallen; ver Negengott ſchien ſich beſonders 
für die einſtige große tragiſche Künſtlerin zu intereſſiren, 
welche unter ihrer Lorbeerkrone einen Regenſchirm-Tempel 
für alle begoſſenen Nationen der Welt errichtete. 

Um 10 Uhr wurden die Räume dem Publikum, 
welches mit Adminiſtrationskarten verſehen wurde, geöff— 
net und um halb 11 Uhr waren alle Galerien, alle 
Tribünen, alle Eſtraden überfüllt; eine Füllung, die nicht 
ohne deutſche Rippenſtöße in entente cordiale mit engli— 
ſchen »Goddams!« und in intimer Allianz mit frauzö— 
ſiſcher Ellenbogenſprache abging. 





e 


- 


59 


Der Anblick des Transfepts in dieſem Augenblid 
mar großartig, ein Eindruck, ven zu bejchreiben uns 
möglich ift! 

Dod wir haben Zeit, die Dinge zu befhreiben, 
wenn es auch ver farbenreichiten Fever nicht möglich 
wäre, den Eindruck zu ſchildern, das Feenhafte dieſes 
lebendigen Dramas mit Tableaur, Oruppivungen, Des 
esrationen und Zauber-Ausjtattungen wiederzugeben. Bon 
10 bis 1 Uhr, um welde Zeit der Naifer kommen 
fol, find drei Stunden, wir wollen unfere Feder ſpa— 
zieren führen. 

Reihen Sie mir die Hand, ein Spaziergang durch 
dieſen Palaft ift ein Spaziergang durch die Welt, eime 
‚ Promenade durch Das Univerfum, ein Handlanger mit 
allen Völkern der Erde; ſogar die „Menſchenfreſſer“ 
fehlen nicht, denn es find Augen da, die Einen lebendig 
zu verfehlingen drohen. 

Hier in rez de chausce, gerade dem Hauptein- 
gange des Gentral-PBavillons gegenüber, in jenem Raum, 
welchen die „vereinigten Staaten“ jo gütig waren bis 
zu dieſem Tage unausgefüllt zu lafien, erhebt fich der 
Thron und Threnhimmel aus rothem Sammt mit der 
fatferlihen Krone, unter welchem drei Fauteuils beveit 
ftehen. 

Rechts und linfs und vor dem Thron find die 
Plätze für die Hofpamen, des Senats, des geſetzgeben— 
den Körpers, des Stadtrathe, ver faiferlichen Commiffions- 
Mitglieder, der Jury, dev fremden Commiſſäre u. ſ. w. 








60 


Zu beiden Seiten dieſes reſervirten Raumes bauen 
ſich die Ausſtellungs-Wunder aus, infoweit fie. bis jet 
enthüllt und fichtbar find. 

Am Schiffe des ganzen Gebäudes läuft eine Na- 
mens-Tabelle herum, welche die Nationen benennt — 

„Die Namen der Menſchen und Gäfte, 
Die ftrömend wallen zu dem Völker-Feſte!“ 

Hier jehen wir den Namen England 10mal, Frank 
reih 22 mal, Defterreih Amal, Hannover, Preußen, 
Sadjen u. ſ. mw. einmal. 

Sie wundern fi), ven Namen Rußland nicht zu 
finden Ich theile dieſe Verwunderung mit Ihnen, und 
das umſomehr, als Prinz Napeleon in feiner eloquenten 
Anrede an Se. Maj. ven Kaiſer die intereffanten Worte 
ſprach: 

„Wenn die Induſtriellen Rußlands, den allge— 
meinen Regeln ſich unterwerfend, ſich eingefunden hätten, 
wir hätten ſie ebenfalls zugelaſſen, um die Demarcation 
genau zu beſtimmen, welche zu etabliren iſt zwiſchen den 
ſlaviſchen Völkern, die gar nicht unfere Feinde find, und 
dieſem Gouvernement, deſſen civilifirte Nationen das 
Uebergewidht erkämpfen ſollen.“ 

Es wäre gewiß intereſſant geweſen, wenn wir hier 
zwiſchen „Hannover“ und „Preußen“ aud „Rußland“ 
hätten prangen ſehen mit ſeinen Induſtrie-Erzeugniſſen, 
als da find: „Dampf-Eireular-Depefhen“ — „Ultima— 
tums aus Juchten“ — „Ufafe aus Bull“ — „Puncte 
aus Caviar” u. f. mw. 


VER > — 





61 


Die Sapitäler ringsumher waren mit den Wappen 
und Yahnen aller Städte Frankreichs und ver anderen 
Nationen mit ihren Landesfarben geſchmückt. 

Doch das Transjept füllt fich mit Uniformen, mit 
Galagewäudern, mit Großwürdenträgern, mit Magiitra- 
turen, es ift Zeit, zurüd auf jeine beftimmte Galerie 
zu gehen, wenn das noch möglich ift. 

Ich habe glüdlih meinen Platz wieder erreicht, ſetze 
mid) an ver Baluftrade zwifchen meinen beiden Damen 
nieder, dem Himmel vanfend, nad dieſem Kreuzzug 
einen Ruhepunct gefunden zu haben, allein »’homme 
propose et linspecteur dispose!» — auf emmal 
kömmt ein Infpector und zeigt an, daß alle Herren ſich 
entfernen müfjen, ganz in den Hintergrund! Horreur! 

Anfangs Gemurmel, dann Murven, dann lauter 
Ausbrud des Unwillens! Die Damen beftehen auf ihre 
Ritter, die Ritter beftehen auf ihre Damen und auf ihre 
Plätze, bios eine näfelnde Engländerin jagte in beefſteaks— 
blutigem Franzöſiſch: »Je vouuus remerciames o nom- 
me de wfemmes,« — worauf ihr eine neben mir figende 
Dame erwiderte: »Oui Madame, vous remerciez au 
nom des femmes, mais pas au nom des dames!« 

Ein Deutſcher aber, es ift wahr, er fümmt Telten 
zu einem guten Platz, hat er aber einmal einen befom- 
zen, jo bringt ihn fein Infpector, fein Commiſſär, nicht 
einmal die Unzufriedenheit feiner Regierung mehr von 
feinem Pla ohne halbe Penfion und einen Orden oder 
Titel zum Zeichen der Zufriedenheit! Alfo wir Deutfche, 





62 


wie waren nicht gefonnen, Plaß zu maden, wir ließen 
ven Inſpector jehreien, ſchrien wieder, und es blieb — 
beim Alten ! 

Indeſſen unterbriht der Donner der Kanonen den 
Lärm der ſich Nieverfegenden, e8 wird ein Uhr, ver 
Prinz Jerome Napoleon, umgeben von feinem General- 
Seeretär, begibt fih nad) dem großen Eingange, Die 
Tambourd treten in Thätigfeit, die Muſik jpielt Die 
Arte: »de la reine Hortense.« 

Der Hof erſcheint. Die Majeſtäten merden mit 
großem Zuruf empfangen; nachdem ſich der Kaiſer ſetzte, 
die Kaiſerin zur Linken, die Prinzeg Mathilde zur 
Rechten, hält Prinz Napoleon die jhöne und inhaltg- 
reihe Eröffnungsrede. Diefe Rede kann, wie der „Moni- 
teur“ fich ausdrückte, als Vorrede zur Geſchichte Diefer 
Induftrie-Ausftellung ven 1855 gelten. 

Obwohl Vorreden, wenn fie gut fein jollen, ge 
mwöhnlic erſt nad Vollendung des ganzen Werfes von 
dem Autor geſchrieben zu werden pflegen, jo trägt Dieje 
Borrede doch den Stempel eines vollendeten Gedankens 
in fi), und der Gedanke ift eigentlih) das Werf umd 
nieht die Worte, nicht die Capitel, nicht vie Seitenzahl, 
nicht der Styl und die Färbung. Die Parifer Induſtrie— 
Ausftellung vom Jahre 1855 ift ein Gedanke, ein Ge- 
danke, welcher in Diefer Öeftaltung, in diefer Ausdehnung, 
in dieſer mwelthiftorifhen Bereutung, wie die Minerva 
gepanzert mit Schild und Schwert, aus dem Haupt Des 
Kaiſers Ludwig Napoleon entjprungen it. 


PIRFFT v 





Es iſt ein Weltgürtelgevanfe, er umfliegt den Erd— 
ball, er ſchifft durch Meere, er umrennt die Bole, er 
verbrüdert Nationen und vereinigt den Genius ver In— 
duftrie, den Genius der Intelligenz mit dem Genius ver 
Bervollfommmung, der Glückſeligkeit der menſchlichen Ge: 
ſellſchaft im Allgemeinen. 

Der Gedanke dieſer Welt-Induſtrie-Ausſtellung iſt 

die Verſchwiſterung der Theorie mit der Praxis, die 
Vermählung des Geiſtes mit der Materie, die Gleich— 

berechtigung des Verſtandes mit der Arbeit, das Ver— 

ſchmelzen der Akademie mit dem Atelier, das Handinhand— 

gehen der abſtracten Wiſſenſchaft mit der Application 

des Handwerkes, das Secundiren der ſchönen Künſte 

bei dem Duell der Erfindungen und Entdeckungen auf 

dem Felde der Gewerbe und Production, endlich iſt die— 

ſer Gedanke des Kaiſers Napoleon die geniale Initiative 

einer intimen Reunion aller Kräfte, Bewegungen, Fort— 

ſchritte, Sympathien, Beſtrebungen und Forſchungen des 

Geiſtes und der geiſtigen Thätigkeit mit den Ergebniſſen 

und Erinnerungen ver materiellen und induſtriellen 

Kräfte in dem Gebiete der Concurrenz-und edler Rivali— 
tät, in dem Neid) ver Vervollkommnung alles deſſen, was 
die menſchliche Thätigkeit mit Hilfe von Arbeit, Fleiß, 

Nachdenken, Ausdauer, Verbeſſern und Erfinden zu lei- 

ften im Stande iſt, um daraus das Facit ver Vergan- 

genheit zu ziehen und die Perjpeetive zur eröffnen, was 
die Zukunft für große Segnungen, für Kunſt, Geift, 
Wiſſen und Induftrie zum Behufe ver menſchlichen Glück— 





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64 





jeligfeit in fi) trägt, wenn man dieſer Zufunft mit | 
Vertrauen, mit Eintracht, mit Zuſammenwirkung aller 


geiftigen und phyſiſchen Kräfte der Menfchheit überhaupt 
entgegenfieht, und von dieſem Gedanfen ausgehend, hat 
auch der Kaifer heute gefagt: „Ich eröffne den Friedens— 
tempel!“ 

Dieſen Kaiſergedanken hat der Prinz Jerome Napo— 
leon in ſeiner Inaugurationsrede mit Geiſt und Elo— 
quenz reſumirt und wiedergegeben. 

Daß dieſer Gedanke in dieſem Augenblick von der 
Maſſe anderer Gedanken durchkreuzt und durchſchnitten 
wird, iſt natürlich! 

Jeder Gedanke an und für ſich iſt ſchon ein Pro— 
teſt! Der Menſch kann nicht denken ohne zu proteſtiren, 
denn denken heißt etwas Neues ſchaffen, und Neues iſt 
immer eine Proteſtation gegen das Alte und findet alſo 
immer wieder Proteſte in den Leuten und Gedanken, die 
mit dem Alten alt geworden ſind, oder die glauben, ſich 
in dem Alten durch das Alte jung zu erhalten! Ein 
Irrthum, der ſchon großes Unglück über Völker und In— 
dividuen hervorgebracht hat. 

Dieſer große Kaiſergedanke, welcher im Grunde 
allen Nationalitätunterſchied auffſebt und das Band ver 
allgemeinen Humanität proclamirt, dieſer Gedanke, wel— 
her alle Völker als ein Individuum betrachtet, welches 
unter dem Horizont von Eintracht, Frieden, Induſtrie 
und materieller Vollfommenheit und geiftiger Behaglich— 
feit einer glüdlihen Completation entgegenveifen joll, 


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—— Tarnigl 










TEUER WERTET 


wird grade in dieſem Augenblid hie und da von Ges 
danfen durchkreuzt, Die in brennender Oppofitien mit den— 
jelben ftehen, von Gedanken an die Integrität der ver— 
ſchiedenen Nationalitäten, von Gevanfen und Principien, 
welche die jtrengite Abjonvderung ver Nationalitäten 
pretigen, die Wieverbelebung von Nationalitäten, von 
welchen die Gejchichte beweist, daß fie nicht im’ Stande 
waren, eine Nationalität für ſich zu behaupten, won 
Nationalitäten, die feine Wieverbelebungselemente in fid) 
tragen. 

Welcher auffallende aber durchaus nicht unbegreif- 
liche Contraft der Gedanken in vem Moment ver Eröff- 
nung des Induſtrie-Palaſtes, wo der prononeirte und 
illuſtrirte Gedanke der Einheit aller Völker grade von 
den jchreienpften Gedanken der Nationalitäten Diftinction 
unterbrochen wird ! 

Ich will vie Erörterung dieſes Zwiejpaltes ver 
Natur in dem Haufe Derimdurs auf eine meiner fpäteren 
Betrachtungen aufjparen und heute mic blos auf Das 
Feſt der Eröffnung beichränfen. 

Nachdem der Kaiſer geiprochen, bewegte ſich ver 
ganze Hof in den Näumen des Induftriepalaftes umher, 
um die ſchon enthüllten Gegenftände in Augenjchein zu 
nehmen. Auf dem ganzen Nundgange wurden der Kaiſer 
und Die Kaiſerin von den lebhafteften Zurufen des 
Enthufiasmus begrüßt, und waren der Gegenſtand des 
höchſten Interefjes, bejonders für un‘ Fremde. 

Meine holven Leſerinnen ſehen mic gewiß ſchon 
M. G. Saphir's Schriften, ° XIII. Bp 5 





auf die Finger, und erwarten mit Begierde die Schil- - 


derung, die ich ihnen von der Kaiſerin der Franzoſen 
machen werde, von dieſer ſchönen, geiſtreichen, reizgegür— 
teten Kronenträgerin, von welcher ſo viel mit Begeiſte— 
rung geſprochen, geſchrieben und geſungen wird, allein 
damit will ich noch warten, ich will keinen flüchtigen 
Eindruck ſchildern, ich will nicht einen vorüberfliegenden 
Lichtſtrahl rekrutiren, um aus ihm ein Bild der Sonne 
zu entwerfen; ich werde mir Mühe geben, die Kaiſerin 
ſo oft zu ſehen als möglich, um ihre Phyſiognomie mit 


ver Tiefe eines Lavaters, mit der Forſchung eines Phi⸗— 


lofophen, mit der Freude eines Blumenfveundes und mit 
ver Anſchauung eines Poeten zu ftudiven und Dann 
memen Leſern ein Bild von ihr, d. h. ven Eindrud 
diefes Bildes zu ſchildern. Sch bin recht unglücklich ! 
Man hat mir gefagt, das »Gymnase dramatique« fet 
ihr. Lieblingstheater, ich habe deshalb dreimal »le demi- 
monde« befucht, dieſe „halbe Welt“, die gottlob bei ung 
in Wien fehlt und gottlob auch die Poeten, die jo intim 
mit ihr find, um fie fo in Yebenswahrheit zu fchilvern, 
aber niemals war ih fo glüdfich, Die Kaiſerin zu fehen. 
Aber ic) Hoffe, die Götter des Zufalls werden mir nod) 
günftiger geftimmt werben. 

Um aber meine Leferinnen nicht ganz mit unge— 
ftilltev Neugierde zu entlafjen, theile ich ihnen mit, daß die 
Kaiferin grün gefleivet war; ein feivener Frühling um 
einen lebenden Frühling; eine No’ aus ver grünen Knospe 
hervorbrechend. Die Prinzeffin Mathilde war weiß gefleivet. 


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9% ee Detaisefhrisung nicht em Wunder aus 
dem Minde eines deutſchen — Gelehrten? Dod nein, 
gottlob, ich) bin fein Gelehrter, ich. bin ein Poet, fir 
mid find Sonnenschein, Frauenſchönheit, Blumenglanz, 
- Grazie, Anmuth und Würde die intevefjanteften Gegen— 
ſtände in ver Weltausftellung ver Natur, und deshalb 
ſprach id von der Kaiſerin Eugenie und ihrer Toilette. 

Um 3 Uhr wär alles zu Ente, und die Rüdfahrt 
des Hofes war eben fo Brilliant und bruyanter wie bie 
— Ankunft. 

* Während der ganzen Ceremonie war das Transſept N 
von allen Arbeitern geleert, blos in dem Raum Der 
bſterreichiſchen Erpofans waren Wächter und Auffeher = 
geblieben, und diefe befonvere Exception hat man ver 
Thätigfeit, der unermüdlichen Sorgfalt, der Energie des 
Herrn Dr. Schwarz, welder die öſterreichiſchen Aus: > 
ſttellungsgeſchäfte dirigirt, zu verdanken. Herr Schwarz 
iſt die Vorſehung für uns Oeſterreicher! Aber eine Vor— — 
ſehung ohne alle Laune und Verdrießlichkeit! Eine ewig 
wahre, ewig dienftfertige, ewig umherwandelnde, ewig in 
Aunſpruch genommene und ewig liebenswürdige, zuthuns 
liche, alle Wünſche berücjichtigenve, allen Anforderungen 
genügende Borfehung! Herr Schwarz ift Das primum 
movens des öjterreichijchen Expoſitions-Körpers!“ Tag 
und Nacht wirkfam, zu jeder Stunde für Jedermann 
- bereitwillig, mit aller Aufopferung das Ganze organi— 
- firend, das Interefje jedes Einzelnen wahrend, aufrecht: 
haltend, ja oft auch erfämpfend, das ift die Aufgabe 


65 


diefes unferes Genius! D du armer Genius! Genius 
von Deutſchen zu fein ift ein undankbares Gejchäft! 


Concert Fradel im Salon Herz. 


Ein Concert in Baris! Vox clamantis in deserto! 
Ein Concert in Paris! Ahasver, der nie ftirbt und nie 
lebt! Künſtler ohne Publifum! Töne, die feine Ohren 
finden, Pianos ohne Echo, Lieder ohne Worte und ohne 
Lauſcher; Bioloncellos für die Einſamkeit; Harfen- Davids, 
die ihren Saul ſuchen; Gasflammen, die in dag Leere 
hinausflackern! 

Concertbillete! Mit dieſen Anweiſungen auf vier 
verlorne Stunden in irgend einem salle des pas per— 
dus entledigen ſich die hierwohnenden Deutſchen ihrer 
»devoirs« gegen Die Fremden, die ihnen empfohlen find! 
Dieje Hojpitalite, vor welcher jeden ehrlichen Deutfchen 
der Himmel bewahren möge, hat ihren Grund varin: 
Gewiſſe Familien müſſen „Koncertbillete” nehmen, c'est 
de rigueur! Die Künftler fommen in ihre Salons, id 

Holzfanımerl mit vothem Sammt ausgejhlagen, — 
und arbeiten da an jenen Abenden, an welchen die Fran 
„empfängt”, Inſtrumente! Der Eine arbeitet Piano, der 
Andere arbeitet Violon, der Dritte arbeitet »du chante«, 
dv. h. er thut, als ob er eine Stimme hätte, und die 
Säfte, die thun, als ob fie was gegeſſen hätten, thun 
nun aud), als ob fie was gehört hätten und finden es 


»eharmant !« 















u 


Diefe ſechs Concertbillete alfo, welche in eine ſolche 
deutſch-pariſer Familie hineinfallen wie eine Einquar— 


tierung, dieſe werden wieder von dieſer Familie, die um 


feinen Preis ſelbſt in's Concert geht, ven Herren etran- 
gers verfett, die Diefer Familie empfohlen find! Anftatt 
Gaſtfreundſchaft Concertbillete! Ich habe gleich zwei 


Tage nad) meiner Ankunft in Paris der Seelenwande— 


rung ſolcher zwei Concertbillete beigewohnt! 

Zuerft wurden fie mir zugefentet von einer Familie, an 
die ich mit ven enthufiaftiichiten Worten empfehlen war! 

Ih dachte an das Tableau in dem Induſtriepalaſt: 
»L’equite preside a l’accroissement des echanges!« 

Die Gleichheit präfidirt beim Austauſch won Deutz 
ſcher, biederer, herzlicher „Saftfreunpfchaft" gegen „Con— 
certbillete!“ 

Ich dankte avec une portion großer Rührung! 
Mittags befuchte ich eine andere angekommene deutſche 
Familie, da famen vdiefelben von mir beforbten zwei 
„Gencertbillete", um dasſelbe Tauſchgeſchäft mit dieſer 


Familie abzuſchließen; dieſe Familie refüfirte ebenfalls. 


Nachmittags um 6 Uhr bin ich bei zwei Wienern, vie 
auch vor ein paar Tagen anfamen, um fie zu Tiſch ab- 
zuholen, da kamen viejelben zwei armen wandernden 
„Soncertbillete”, um zu verjuden, ob ſich bei dieſen 
beiden unſchuldigen Fremen das Tauſchgeſchäft machen 
ließe, aber aud Ta wurden dieſe „Soncertbillete" mit 
derfelben Hochachtung vefüfirt, Die man im Paris den 
„Soncertbilleten" überhaupt angeveihen läßt! 


- 70 


Die zwei Concertbillete dauerten mid in tieffter 
Seele! Sie „wanderten raftlos hin und her!“ Die arme 
Familie, für welche fie eigentlich gewachfen waren, mußte 
fie wielleicht doch felbft verbrauchen, wenn ſich nicht Dod) 
noch jpäter Abends ein „Empfohlener“ fand, den man 
mit denjelben anſchmieren fonnte! 

Wenn ih alfo bei dieſen Concertverhältniſſen den— 
noch von einem „Concert“ ſpreche, ſo können ſich meine 
Leſer denken, daß es kein gewöhnliches Concert iſt, daß es 
ein »concert exceptionnel«, ein »concert exquis«, ein 
»concert primeur« ift. »Concert donne par M. Charles 
Fradelc«. 

Travel ift ein Deutfcher, Fradel ift ein deutſcher Deut- 
ſcher, em Wiener! Er ift als Menſch, als Freund, als 
Sefellichafter, als Künſtler — ein Wiener; lieb, freundlich, 
unermüdlich, gemüthlich, ſolid, tüchtig, bejcheiven und 


verdienſtvoll. 


Fradel componirt allerliebft, ſpielt mit Grazie und 
Leichtigkeit, trägt die Sache mit Anmuth und warm vor. 
Er iſt der Gerngeſehene im Fauxbourg St. Germain, 
D. h. unter ver creme de la creme, und in der »cite 
finaneiere«, d. h. in ven Salons, wo die Männer in 
ver Tafche und die Weiber in ven Saiten flimpern. 

Alſo Fradel's Concert war eine »avis rara«, eine 
»rose verte« eine »chose inconnue«, das Concert näm- 
(ih) war voll! Vol und nicht nur voll von leeren 





Plägen, nicht nur voll von „Zuhörern ohne Bortefentl- - 
les“, von unbezahlenden Publifümern, jondern von unbes 







Br zahlbaren, exquiſen Publikümern, von ver Elite der Ger 
ſellſchaft, von dem Parfüm ver Socieie. 
2 Diefes fait accompli fagt mehr als alle Kritif 
J ſagen könnte. Ich bin auch gar nicht kritiklich geſtimmt, 
— ich ſchreibe dieſes nur, weil das Concert ein ‚deutſches“ 
war, nämlich ver Anführer, der Canrobert diefes mufifa- x 
liſchen Feldzuges in die Krim der Concertgegend war 
ein Deutjher, und unter den Mitwirkenden waren es 
auch Deutſche, die ſich um dieſes gewagte aber glüdliche 
Unternehmen verdient machten. 
R: r Eine Harfe! Mon dieu! bon dieu! eine Harfe! — 2 
Eine Harfe an und für ſich ift eine echte Deutſche! Sie 
gibt nicht eher einen Ton von fich, bis fie mit Füßen 
getreten wird! Die Treterin aber war heute auch eime 
Deutfhe: Me. Marie Moesner. Sollten mir meine 
Wiener Freunde Die Harfe nad) Paris nachgeſchickt 
& haben? Nein, jo herzlos ift in Wien nicht einmal ver 
biutigfte Feind! Jemand von einer Harfe verfolgen 
| laſſen! von einer Pedalharfe! Nein, das thut fein Wiener. 
| x Und eine Harfe, die nicht von zwei Händen gejpielt 
wird, deren jede im Beſitz ift von fünf Singen, wie fie 
Laura hatte wenn Petrarca fein Maulmacher it: 
»Son cinque perle oriental colore.« 
Und eine Harfe, die nicht von zwei Füßchen getreten 
wird, die wie der zweite Petrarca, M. G. Saphir, von 
9 einer feiner Lauren jagt: 
„Sie ift ein griechifches Epigramm und ihr Fuß die 
reizende, Feine Pointe daran!" 










72 


Und eine Harfe, die fih nicht an eime Schulter 
anlehnt, vie eine Schulter von Denen ift, von welden 
ein großer Improvifator fang: 

„Nacken, Schultern, Hals und Arm 
Alabafter, aber Schwellend, üppig warn.“ 

Und eine Harfe, die nit von diefen drei Dingen 
gefpielt wird, ift nicht werth, daß fie einmal vor einem 
tollen König gefpielt wurde. 

Aber nun wieder eine Deutſche: Fräulein Jenny 
de Treffz. Sie fünnen fi venfen, mit welchem Inter— 
eſſe ich Fräulein Treffz hörte, die ich fo lange nicht ge— 
hört habe. Ste fang allerliebft und unter ungetheiltem 
Beifall ein Lied von Miendelsfohn und das niedliche 
FTrab trab!" von Kücken; ebenfo gefiel fie in ver 
Romanze »lui seul« von Even, die fie mit Wärme und 
Zartheit fang. 

Auh ih wirkte mit! Wie? Ganz einfad, aber 
wunderbar! 

»Chansonnette allemande, paroles de M. G. Saphir, 
chantee par Mlle. Trefiz.« 

Und was war's? 

„Das Morgenfenfterin", welches ih für Dile. 
Liebhardt ſchrieb und welches von Prod und Suppe in 
Muſik geſetzt wurde. 

Mit dieſer Muſik hat Die. Treffz das meiſte Glück 
gemacht, ſie wurde ſtürmiſch applaudirt und oft gerufen, 
und ich? 

„Sch bin nichts als ein gefeſſelt Weib!“ 





ad 2 1 Se ne a Aa a 


Auch eine Die. Binochi fang mit vielem Erfolg 
eine recht finnige Compofition vom Prinzen Ponyatowsky; 
es iſt aber unglaublih, wie mijerabel accompagnirt 
wurde! Ich hätte dem jungen, unbekannten Begleiter 
einige zarte kritiſche Nippenftöße verfegen mögen! 

Sehr interefjant und anmuthig ift eine Compofi- 
tion von Fradel: »Hortense«, Valse dediee à sa Ma- 
jeste l’Imperatrice, die ev auch mit vielem Geſchick 
erecutirte, 

Gegen Mitternaht war das Concert zu Ende, Das 
ift hier die rechte Stunde! 

Der Saal Herz over »Salle Herz« tft ein herr— 
licher, impojanter Saal, ver größte und befte in Paris; 
vol Pradt und Zweckmäßigkeit, die Räume vortrefflich 
und akuſtiſch höchſt vollkommen. Er gewährt einen ſehr 
angenehmen Eindrud und entipricht allen Anforderungen 
der Kunſt, der Künftler und des Auditoriuns. Es that 
meinem Deutſchthum in mir recht wohl, gleich beim 
erften Aufblid den Köpfen Mozart’ und Beethoven’s 
zu begeguen! Ein Deutſcher fühlt fih dadurch in dieſem 
Saul ein beredhtigter, ein nattonalifirter Saalmitbürger ! 


Paris, 15. Juni 1855. 


Faſt jeder Artikel in ven hiefigen Yournalen über 
die Induſtrieausſtellung führt das Motto! »Paris c'est 
le centre de la civilisation et de l’industrie.« Es gibt 
in der ganzen Weit feine Journale, welche jchlechteven 





Drud, ſchlechtere Lettern und abfchenlichere Abzüge hätten 
als die Barifer. Daher fam es, daß ih einmal Statt: 
»Paris c’est le centre de la eivilisation« lag: »Paris 
c'est le ventre de la civilisation.« 

Saft aus allen Sournalen, die fi hier mit dem 
„Snduftriepalaft" befchäftigen, athmet ein Grundhaud), 
ein vorwiegender Gedanke: Der Unterfchied der Londoner 
Induftrie-Ausftellung im Jahre 1850 und ver Parifer 
in Jahre 1855. Eben ver Geranfe, daß Paris Die 
Muttererde für alle geiftige Thätigfeit ift, Daß jede geiftige 
Strömung von Paris aus über die beiven Hemifphären 
hinftrömt, dieſe Tradition von Poefie, vie nod im 
Frankreich nicht verflungen it, obwohl die Profa und 
die Materie ſchon ſeit Jahren alle Poeſie getöntet hat, 
diefes Anklammern an die Tradition der geiftigen Su— 
prematie macht es der Pariſer Journaliſtik ſchwer, ihre 
„Belt » Induftrie- Ausftellung” blos mit dem foliven 
Hausrock: „Imduftrie - Austellung” zu bekleiden, und fie 
beftrebt fi, den „Induftriepalaft“ mehr als einen Tur- 


nierplag des Geiftes der Nationen, als ein olympifches 


Spiel für Kunſt und Poeſie auszugeben. 

Diefen Journalen nad) gebührte der Yondoner Aus— 
ftelung von 1850 ver Name: »Exposition industrielle, 
der Parifer Ausftellung aber von 1855 der Name: »Ex- 
position artistique«. Ein Namensgefecht? 

Die hiefigen Blätter find unerfchöpflich in Beweifen, 
daß der unnachahmliche franzöfifhe Geſchmack, Daß Der 
angeborne Inſtinct Der Franzofen für alles Schöne und 





2 Poeliſche, daß der geiſtige Sinn der Franzoſen für die 


Form, für die Grazie, fir die Schönheit u. ſ. w. ſelbſt 


den gewöhnlichſten Erzeugniffen ver Induſtrie, ja Des 
unbedeutendſten Handwerks, ein Siegel von fünftleriicher 


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Belebung, einen Athem von poetiſcher Durchgeiſtigung 
auf und einpräge. Sie behaupten, es wäre ungerecht, 
blos „inpuftriell® umd nicht „künſtlich‘“ zu nennen dieſe 
„Divans“, dieſe „Möbel“, dieſe „Stiefel“, viefe „Bronze: 
feuchtec", Diefe „Taſchenmeſſer“ u. ſ. w., melden Die 
franzöſiſche Phantafie zu dev Schönheit des Aeußern eine 
gewifje Seele des Liebenswürdigen, des inneren Gemüthes 
gegeben hat. 

Das »Palais de l’iindustrie« jelbjt aber wird am 
geeignetjten fein, Jeden Das einige zu geben, jedem 
Urtheil die freie Geltung zu lafjen, England zu bewun— 
dern in dem Bolumen jeiner Induſtrie, Frankreich in - 
dem Augenmaß feines genialen Geſchmackes für Formen, 
Proportionen und Verhältniſſe; Deutichland in feinem 
bewundernöwerthen, unermüdlichen Ringen nad dem 
wahren Vollfommenen, nad der Idee des Allerreelliten, 
in feinem VBorwärtspringen nad) einem Allerzwecdmäßig- 
ften, welches wie Amerifa wor Columbus, vor dent den— 
fenden, tiefgehenvden Geift der Deutjchen, ſelbſt in ihrer 
Induſtrie, im ihrer Gewerbsthätigfeit Liegt, ſich kundgibt, 
Dentjhland und deutſche Induftrie, welche, in wielleicht 
minder ingeniöfen Formen, eine Urwüchfigfeit, Unabhän- 
gigfeit und Energie entwicelt, welche ahnen läßt, daß 
Ne den Weg zum Uebergewicht mit zuverſichtlichen Schrit- 


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76 
ten betritt. Und fo wird fi aus dem »Palais de lin- 
dustrie« das „Jedem das Seine" am Ende doch glüd- 
lich herausſtellen. 

Vorderhand wird in dieſen Tagen in dem »Cercle 
de l’exposition« eine Frage verhandelt werden, welde, 
nad) meiner Anficht, eine ver wichtigften ift: „Die Preis- 
Stage”. Die Frage nämlich, wie e8 zu bewerfitelligen 
üt, Daß alle exposans die Preife ihrer aufgeftellten Saden 
nit affihiren und anfclagen, wie es einige Wenige 
gethan haben. Ben practiichen Gefichtspunet aus, und 
diefer Geſichtspunet iſt Körper und Seele und Kleid 
und Schmuck ver Ausftellung und Alles in Allem, alfo 
von dieſem Geſichtspunct aus fteht Kunſt und Induſtrie 
unter dem gleihen Maßſtab. 

Die Fabrik und das Atelier, der Yabrifant und ver 
Kiünftler, der Hammer und die Leier, ver Marmor und 
dag Leder, die Erfindung und die Imitation, Das Genie 
und ter Werksmann produeiren, wollen das Product 
verallgemeinen, fie wollen alle foviel als möglich ver: 
faufen, jo viel als möglich gewinnen, fo viel als mög— 
lid) anerfannt jein, jo viel als möglich ihre Erzeuguiſſe 
populär machen. In dieſer Beziehung ift der Poet ein 
Induſtrieller und ver Induſtrielle ein Poet, der Hand— 
werfer ein Künſtler und der Künftler ein Taglöhner. 

Das ift Die practifhe Seite ver Medaille und von 
diefer Seite aus frage ih: was nütt dem Beſucher des 
Palaſtes, jet er veih oder arm, Banquier over Profetarier, 
Ducheſſe over Gaſtwirthin, wenn fie alle dieſe Sachen 





jehen, al’ viefes Chaos von ftupenvden Dingen, voll 
Glanz, voll Ueberrafhung, voll Blendung, und fie 
wiſſen nicht, was ein ſolches Ding foftet? denn nur 
aus dem Vergleich des Preifes mit den Product kann 
die Nützlichkeit, ver Fortfchritt, die Concurrenz beurtheilt 
werben ! 

As Napoleon im Jahre 1806 ven Minister Fox 

in der Induſtrieausſtellung herumführte und ihn fragte, 
was er am meilten bewundere, antwortete Fox: „Sive! 
das Mefjer um einen Son, welches hier ausgeſtellt ift." 

‚Die ganze Commiſſion zur Vertheilung der Preife 
und Mevdaillen liegt in diefer Antwort des großen Staats» 
mannes! 

Das Urtheil-einer Austellung, d. h. einer Unter: 
nehmung, die international, vergleihungsweije, das Ana— 
loge zum Analogen u. j. w. darbieten joll, fann nur 
nützlich, kann nur erſchöpfend fein, wenn man die Gegen- 

- ftände von dem Standpuncte ihrer allgemeinen Niüglichfeit, 
ihrer Verbreitung, ihrer verhältnigmäßigen Wohlfeilheit 
aus beurtheilt! 

Der Preis des Gegenftanvdes ift die Moral desſelben! 

Uebrigens ift Die Austellung noch nicht complet 
und die Conmiffion jah ſich genöthigt, die faumfeligen 

exposans mit Strenge einzuberufen. 

Auch der Beſuch ift mager und frugal, vom 16. Mat 
bis gejtern find 180,000 bezahlenve Perſonen im Palaft 
geweien, in London haben im erſten Monat 700,000 

Perſonen den Glaspalaſt befucht. 





= Eine nicht unimtereffante Ausstellung fand unter "2 
dem großen Glaspalaſt, „Himmel“ genamnt, ſtatt; de 
‚Vieh-Ausſtellung“, mit Reſpect zu melven. u 

Im Champ de Mars fand vie „Berfammlung ver 2 
vereinigten Thierſtaaten“ ftatt. Die Nationalität der ver 
ſchiedenen Ochſen, Kühe, Schafe, Schweine, bis zum 
Hahn, bis zur Henne, alle find da mit ihren Erziehern, 
mit ihren Telemaques, und alle dieſe Nationalitäten — 
kann ein vernünftiger Menſch doch nur unter dem kosmo— 
politiſchen Geſichtspunct anſchauen und beurtheilen. 

Auch Deutſche ſind da, Engländer, Holländer und 
Schweizer. 

Ich bin zwar nicht ungeübt in der Kunſt, Ochſen 
beurtheilen zu müfjen, aber in ſolchen Mafjen, im jolcher 
Munificenz, in folder Superlativität habe ich fie nie 
beiſammen gejehen. 

Frankreich hat zu dieſer Ausftellung 888 und die 


zum 


Fremden 557 Häupter geftellt. 


Mar y 


„Ber zählt die Häupter, wer die Namen, 
Die zu dem Feſte alle kamen?“ 

Aus England haben der Prinz Albert, der Mar— 
quis Tolhant, Lord Feversham Die ausgezeichnetften 
Exemplare geliefert. 

Die Concurrenz aber ift groß unter Menjchen und 
unterBieh! Der Racenkampf, diefer thiertfchfte aller Kämpfe, 
ift auf dem Champ de Mars martialifch gemorden! 

Es find Individualitäten da, Smpividualitäten von 
ftupenver Originalität! 





















Könnte, wenn fie je wieder aus einer unnügen Göttin 
in ein nüßlihes Weſen verwandelt werden jollte, dieſe 
Ru zieht Die Augen von Tauſenden auf fih! Nicht 
= d ie ſchöne „Sauris“ im »Salle mabille« kann mit 
ſolchen lüfternen Blicken betrachtet werden als dieſe Kuh 
von den Gultivatenrs und Eleveurs betrachtet wird. 
Dieſe Kuh (Nr. 56) repräſentirt die Erziehung aus den 
- Ställen des PVicomte de Curzay und vereinigt alle 
Schönheiten : das Horn von Sufjer, die Haut von De- 
von und die Geftalt von Durham! 

B-- - Und wie fittfam fteht fie da dieſe Kuh! Weiß fie, 
daß fie die Medaille bekömmt? Ahnt ihr ſtrotzender 
Buſen den erſten Preis? 

Wenn ich, par courtoisie, der Kuh ven — 
—J gelaſſen habe, jo bitte ich den Herrn Stier (Nr. 

W Batter Forthing), darin feine Zurückſetzung zu 08 
| ft nichts als Nücficht, die ein Mann, Menſch und Poet 
pe em Geſchlechte ſchuldig ift. 
| - A tout seigneur grand honneur! Welch' ein Stier. 
Der „Stier von Uri“ ım „Tell“ ift ein Colibri dagegen ! 
— Willkommen, edler Vertreter von Somerſet! Will— 
lommen. Sieger über Herfort, willkommen, Sieger Dur— 
Die Lorbeern von Devonſhire vergehen am Ruhm 
* Helden von Devon! 


Diele Kuh“, welche Yo nicht ſchöner wünjchen 





80 


Seid gegrüßt auch, ihr Schweizer Damen! Du 
Kuh aus Bern, Du Kuh aus Schwitz und Du aus 
Fribourg! 

Ah, ſehen Sie da das „Porträt“ der allerſchönſten 
Kuh aus ver Schweiz! — (Co müdt ſich der Com— 
nuffionsbericht aus: »Voici le portrait du plus beau 
de la bande.«) 

„Kopf Stark und behaart, kurze Hörner, hervor— 
ftehende Schultern, Haut dicht und hart, Wampen (Fanon) 
wie eine Schürze, dicke, ftarfe Gliedmaßen, Croupe her— 
vorhängend, breite Füße.“ 

Man wird aus diefem Bild fein Ganzes befommen, 
aber ſchon der Maler Conti jagt: „Wir malen mit 
Augen der Liebe, und Augen der Liebe müffen uns aud) 
beurtheilen !" 

Sie fah ganz traurig aus, Diefe arme Perfon! Ich 
weiß nicht, ob die Schweizer Kühe auch „Heimweh“ 
haben? 

Es hat mid einmal in Dornbach eime ſolche 
Schweizerin lange, lange angefehen, e8 war em Blick, 
nicht wiederzugeben, es lag ein Etwas in dieſem Blick, 
das wie Heimweh ausjah! Gewiß, diefe Berner Kuh im 
Champ de Mars hatte Heimweh! 

Ih komme nun zu dem Schafgefchleht! Auch hier 
ift England obenan. Da fehen Sie einen Merino— 
Widder; aber eg ift fein gewöhnlicher Merino-Widder, 
er holte ſich fein golvenes Vließ grade aus der Heerbe, 
welche Georg der Dritte nad) England einführte! Em. 









4 ee Merino! Er hat feine edle Abkunft, feine 
ſpaniſche Grandezza, feinen ſpaniſchen Halskragen bei— 
behalten! 
Aber neben den Mitgliedern der zum Scheeren be— 
ſtimmten und der zum Melken beſtimmten Individuen 
ſind hier auch jene Thiere zu ſehen, die in blindem Zu— 
ſtand manchmal eine Eichel finden, und die fett werden 
von der Frucht jenes Baumes, deſſen Zweige ein Futter 
für die deutſche Symbolik abgeben. 
= Hier ift die „Ahn-Sau“, — in ver Gefchichte 
gibt's Umfchreibung, Yorkſhire weiß, da Cumberland 
ſchwarz u. f. w. 
= Die Preife find bereits vertheilt und England hat 
das Uebergewicht, auch ſind ſie meiſt ſchon verkauft. 
So geht jedes Vaterland mit den Weſen um, die 
ihm im Auslande Ehre machen und da hochgeſchätzt 
werden! England hat hier jene Weſen verkauft, für die 
8 Preife, filberne und goldene Medaillen befonmen. 
Ein ſolcher Ochs kann wirklich fagen: »Ingrata patria, 
nee mea ossa habebis!« Undankbares Vaterland, nicht 
einmal meine Beine ſollſt Du haben! 
Ein Ehepaar aus Donfing ift um einen enormen 
- Preis von 750 Franes verfauft worden! Ein Ehepaar 
ſage ich, ein Hahn und eine Henne aus Donfing! Man 
Eine für einen Hahn vom Prinzen Albert 1800 France 
geboten, aber der Prinz lies ihn nicht verkaufen. 
e Zu einem jeven ſolchen Hahn werden aber zwei 
. Hennen mitgegeben. Avis au Coc-queur! 
BE‘ M. ©. Saphir's Schriften, XIII. Bd. 6 


Er 
















fe I ee I RE jr REN ae 
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Paris, 16. Juni 1855. 

Ich habe gejtern von der ‚Vieh-Ausſtellung“ im 
Champ de Mars gefproden, habe aber eine Gattung 
von „reproductiven animaux« vergeffen, id trage jie 
heute nad). 

Es find gewiſſe Correfponventen für vie „Augs— 
ourger Allgemeine“ und „Kölner Zeitung”. Eine Bich- 
gattung, Die, wenn man fie nad ihren Gorrejpondenz- 
Artikeln in jenen Zeitungen beurtheilen wollte, zwijchen 
»bovine« und »porcine« zu rangiren wäre. 

Es ijt ein bejammernswerthes DViehgefchlecht dieſe 
Correfpondenten für vie „Allgemeine Zeitung“. Heine 
hat doch wenigſtens Geift gehabt, mit weldem er vie 
Falſchheit der Anficht, Beredtfamfeit, mit welcher er vie 
Bosheit, Laune, mit welder er die Gehäffigfeit, Spaß, 
nit welchen ev den perjünlichen Neid bevedfen und einen 
Anftrih von Yebendigfeit geben konnte. 

Aber die Miferabilität dev meiften Correſpondenten 
der „Augsburger allgemeinen Zeitung”, vie Miſerabili— 
tät ihrer geiftigen Excremente, Die fie in ven Spal— 
ten ihrer „Zeitung für Alle“ nieverlegt, wird nur von 
der Miferabilität ihrer Exiftenz in Baris überboten. Es 
gibt fein elenveres Friſten einer elenden Eriftenz als ein 
folder Correſpondent hat, und Das Mitleid mit dem 
Jammer, den ver Anblid eines jolhen bejammernswerthen 
Derufs Darbietet, überwiegt bei weiten die Verachtung, 
welche die Lügenhaftigkeit ihres aufgeſchnappten Bettel- 








ads — die ſchäbige, perſönliche Neidhämmelei ihrer 
Elucubrationen in dem Leſer jener Auswüchſe erregen. 

Welche traurige, jämmerliche Eriftenz! Ein ſolcher 
Correſpondenzler ift von Tagesanbrud bis Mitternacht 
auf der NRattenjagd nad) Notizen, auf der Angelfifchevei 
nad) Nenigfeiten in ven Gafjen und Kinnen ver Straßen 
von Paris! 

Bon den Thüren der Telegraphen-Bureanr bis zu 
ven Concierges der Financiers auf und abjagend, ven 
Bedienten eines Kammerdieners, eineg Secretärs, eines 
Redacteurs mit Liebkoſungen bevedend, um ein Gerücht, 
ein »lon dit« zu erfahren, von allen Leuten dupirt, 
zum Beſten gehabt, auf der Lauer liegend, von der Lauer 
zum Tintfaß keuchend, die Minute abnagend, die Se— 
-  gumde mit ven Nägeln jo lange zu Blut kratzend, bis 
= fie eine Füge, ein „jagt man“, ein „wie man hört“, 
von ſich gibt, jeden Aremden um- und anjchnüffelnd, 
aus der Liſte der angefommenen Fremden eine armfelige 
Combination zuſammenſchmeißen, aus den Feuilletons— 
bbchein der » petit journaux « einen Brei für ihr Jour— 
nal zufammenfochend, bei ven Lakaien ver Gérants 
antichambrirend, um durch das Schlüſſelloch zur Redae— 
tion ein Wort zu erſchnappen, die Schwellen des Hotels 
ableckend, um die Spur eines angefommenen Courier 

zu entdecken; ein Spott der hiefigen Leſer, ein Augen— 
2. mierk der Regierung, welche die Corruptheit und Fäul— 
niß dieſer Menſchengattung kennt, haßt und mit Recht 
ſtets unter dem Schwert des Damokles hält, unter ein— 


6 











u A. 


84 


ander ſich mit Neid und Gewerbshaß anfallend, ſich an 
Erfindung von Lügen und picanten Skandalen überbietend, 
das iſt das Brot und Salz, welches die meiſten — 
ich ſage nicht: Alle — dieſer Correſpondenten für die 
„Augsb. allg. Zeitung” hier in Paris, mit Schmutz 
und Ordinärität gewürzt, täglich und ſtündlich eſſen. 

Ein Wort aus ver Luft im Wiverhall erhaſcht, 
ein Birjenklatfc aus ver Menge, lauernd und jchleichend 
erforſcht, reicht bin, um ihnen zum Canevas einer feiten- 
langen Correjpondenz voll abjurder Nachrichten und ev 
jundener Dinge zu dienen. 

Hier nur em Beifptel. Es hat hier vor einigen 
Tagen im Telegraphenamte die Entvefung eines Miß— 
brauches ftattgefunden. Es gingen verfchievene Gerüchte 
darüber umher. Ein Correfpondent für ein „Münchner 
Blatt” ftoppelte aus dieſem abgemähten Felde ver Ge— 
rüchte eine Nachricht, nem, eine Denunctation zufammen, 
ein Gewebe von alberner Lüge und dummer Erfindung. 
In dem „Münchner Blatt“ nämlich hieß es ungefähr: 
„Ein Hoher, dem Hofe naheftehender, jogar anverwandt- 
ihaftlih nahe, habe fi) eines Mißbrauchs des Privat- 
Zelegraphen zu ſchuld kommen lafien und ſei deshalb 
jeiner hohen Stellung enthoben worden; der Correſpon— 
dent theile Das dem „Münchner Blatt“ befonvers mit, 
weil jene hohe Perfor eine in München befannte Per- 
jünlichfeit fer u. ſ. w. 

Zufällig war ic) in ver Yage, Den Hergang jener 
Angelegenheit genau, aus den beften Quellen zu wiffen, 






















* 
——— 
24 


und die elende Lügenhaftigkeit jener Nachricht hat mich 
mit Empörung erfüllt. Die Sache ift unbedeutend und 
5 einzig aljo: Ein junger talentwoller Creole hier, ver ſich 
einer fernen Anverwandtichaft mit ver Kaiſerin Joſephine 
xühmte, wurde nach langen vergeblichen Sollicitiren im 


man, daß der junge Creole, der ſonſt nicht bemittelt iſt, 
einen Aufwand mache, der ſeinen Gehalt weit über— 
ſteigt, daß er ſich ein Cabriolet anſchaffe u. ſ. w. Man 
beobachtete ihn ſogleich, man ſah, daß er zu verſchiedenen 
Tageszeiten das Bureau verließ und einige Banquiers 
J beſuchte. Kurz, der junge Mann wurde ſogleich ent— 
laſſen, Beweiſe zur Beſtrafung lagen keine vor, natür— 
lich kein Banquier wollte etwas von einer Mittheilung 
wiſſen. 

Jene Perſon, von welcher das Münchner Blatt 
ſpricht, eine Perſönlichkeit durch Rang, Character und 
Lauterkeit des Herzens und des Geiſtes über jeden Schat— 


LA. 
* 


Complex dieſer Angelegenheit, hat über dieſe ganze Mache 
gelacht, Die auch lächerlic war, wenn fie nicht ein Be— 
weis wäre, welcher Gemeinheit, Bosheit und Lächerlich— 
keit gewiſſe Berichterſtatter fähig ſind, um nur ihren 
Kohn zu verdienen! Es iſt auch natürlich; da fie liefern 
müſſen, Neuigfeiten, Pikantes liefen müſſen, jo ift ihnen 
alles willkommen, Lüge, Bosheit, Gemeinheit, Erfindung, 
VBerleumdung, Widerruf u. ſ. w. 
= Die „Augsburger allgemeine Zeitung“ ift Darin Die 


ne 


86 


am meiſt und am beft verjehene, und das auch darum, 
weil ſie ihre Correfponventen ſpärlich honorirt und 
Diefe alfo, wie eine Meute magere Jagdhunde, ſich 
gegenfeitig Die Knochen abnagen. Site ift hier allge 
mein als Das perfidefte Deutfche Blatt befannt und ftige 
matifirt. 

Da hat mid) ein ſolcher Correſpondent jehr unter— 
halten! Er fagte nämlich in ver „Augsb. allg. Ztg.“: 
auch Saphir ift in Paris angelangt u. ſ. w. „Derfelbe 
hat von unjeren Mitgliedern ves kaiſ. Hofes ein Reiſe— 
jtipendium (!) von 2000 fl. erhalten, allein das veicht 
noch lange nicht aus, um in Paris mit Comfort zır 
(eben und häufig Theater und Soiréen zu befuchen!“ 

Ein liebes Buberl! Zum Küffen! Aber dumm, 
ſtockdumm! Neidiſch ift vecht, mißgünſtig fein iſt auch 
recht, aber nur nicht dumm! Schlechtigkeit vergeht, 
Dummheit beſteht! Die 2000 fl. ſcheinen den Mann 
gewaltig zu jucken, aber wie kann der gute Mann ſo 
dumm ſein und das glauben? Wie kömmt es, daß er 
nicht weiß, daß ich 24,000 fl. C. M. für drei Monate 
befommen habe? Ad) Gott, wenn ver Mann erft das 
wüßte, wie hätte er mid) bearbeitet ! 

Glaubt ver gute Mann, Saphiv wird in Paris 
feine Theater und feine Spireen befuhen? oder id) 
werde mit 24,000 fl. C. M. in Uncomfort leben ? 
Es ijt ſonderbar, ein Mann, ver von allem fo gut, 
jo richtig, jo wahr unterrichtet iſt, ſollte nicht wiſſen, 
daß meine Senvdung blos ift, ven „Comfort“ zu ftu= 





r 





Zeitung“! 

9 kenne das gute Männden, aber zur Beruhi— 
gung der „Augsb. allg. Zeitung" muß id befennen, 
daß ih ihm mod mie in einem Theater, nody nie in 
‚einer Spiree, noch nie in einem „Komfort“ gejehen habe, 
Beweis genug, Daß er feine Neijeftipendien edler verwendet! 
Wenn ver Lefer ven Namen jeries Correſpondenten 

errathen will, fo fee er an vie beliebte Namens - En- 

dung Der Prager Juden »eles«e — als 3. B. Ger: 
ſteles, Schefteles, Jeiteles, Daviveles, Karpeles, Iteles 

u. f. w. irgend eine oder zwei Sylben vor und er ift 
auf der Fährte. 

Iener Correfponvent hat mid jehr amüſirt! Er 
meint, „ich ftehe auch bei ver Familie der Napoleoniven 
om großer Gunſt;“ ijt Das alles was der gute Mann 

„anzugeben“ vermeint?! Ich, fo heißt es weiter, „ſtreue 

den Franzoſen dicken Weihraud), wie Birne felig!“ 

= Berzeihe, lieber Börne, verzeihe, edler Schatten, 

dieſem erbärmlichen Geſchmeiß, welches hirnlos, geiſtlos 

und ehrlos mit Namen, Sachen, Celebritäten, Charae— 
teren und Intelligenzen ſpielt, wie Gaſſenjungen, welche 

Ebdelſteine finden, fie für Kieſel halten und mit ihnen 

Grübelwerfens“ fpielen. Fort mit dieſem zweihändigen 

Nichts! Es ift ſchon viel, daß ich dieſe paar Worte 

darüber Bene Da — > a“ unbeben- 











Alles vergeht, Der Kaffee befteht! Reiche finfen, 


Bölfer wandeln, Kaffeebäufer find unveränderlid)! Kaffee: 


häuſer wird e8 geben, fo lang es Kaffee gibt, Kaffee 


wird es geben, fo lang es Frauen gibt, und Frauen 
wird es geben, jo lang es Marchandes de modes gibt 
und Marchandes de modes wird es ewig geben! 

Unter allen Chancen der Stadt Parts Haben fid 
die Namen ver Naffeehäufer erhalten. Paris iſt ver 
clajfifche Boden der » cafes«. 

Das ältefte »cafe« in Parts tft Das »cafe Pro- 
cop«. In dieſem »eafe« haben ſich ein halbes Jahr— 
hundert lang die größten Künftler von Paris zuſammen— 
gefunden. Jetzt iſt das »cafeE Procop« der Verſamm— 
(ungsort ver Ariftofratie “unter den Studenten. Hier 
wird aber jet mehr fein Wit, fein Geift gemacht, hier 
it ver Tempel des Domino-Spieles! 

Wer Domino jpielt, fündigt au, daß er jeinen 
Berftand in Ruheſtand verjegen will, mit erhöhtem 
Character: „Domino- Spieler !“ 

Dominofpielen it die Wiſſenſchaft der „Doppelten 


Sechſer“ und des »double blanc«. Wer Domino jpielt, 


hat manches Mal 4, oder 8, over 12 Steme im Bret 
des blöden Zeitvertreibes vor. Dominojpielen heißt zur 
Zeit jagen: „Schu wie eine elende Greatur Du bift! 
Did) zu vertreiben, nehm ih mir nicht einmal Die 
Mühe, vom Gottesgefhenf „Denken“ Gebrauh zu 
machen. Ih fteinige Di! Ich mad’ aus meinem Ge— 
Hirn einen Hafpel und hafpele Dich ab!" Aber es gibt 





? — — 























ev F 
> 


ie über Reife! Es gibt Denfer über Denker! Der 
- Dominojpieler it eim großer Denfer, aber ein noch 
größerer Denker iſt der Domino-Zuſchauer! Domino— 
ſpielen heißt die Gedanken mit Kleiſter verpappen, aber 
Dominoſpielen zuſehen iſt die Blume dieſer Gedanken— 
verpappung! Langweile haben mag eine Unterhaltung 
ſein, aber Langeweile zuſchauen iſt ver Preis Der 
- Tugend! 
R Ein anderes berühmtes, altes »cafe« ift Das »cafe 
- Foy« im Palais royal. Im »café Foy« wird nicht 
geſpielt, bloß gelefen und geſprochen, leiſe geiprochen, 
Er laut gelefen! Aber am Plafond ift eine Schwalbe ge- 
malt. Was will dieſe Schwalbe jagen? Diefe Schwalbe 
it jene „eine Schwalbe", die in dieſem cafe Sommer 
machte. Das cafe Foy war wenig bejucht. Eines Mor— 
gens fümmt ein Mann in’s cafe, trinft cafe, nimmt 
nod mehrere Erfriihungen und will bezahlen. Er bat 
feine Börje vergefien. Der gargon will dem unbefannten 
Gaſt micht borgen, dieſer jagt, man ſoll ven Wirth 
* rufen. Der Wirth kömmt, der Gaſt erzählte ihm ſeine 
VBerlegenheit. Der Wirth iſt liebenswürdig und fagt: 
Bezahlen Sie, wenn Sie wieder vworübergehen.“ Im 
dieſem Augenblick erblickt der Gaſt einen Fark entopf mit 
einem Pinjel, ver zufällig in einem Winkel ftand. Er 
jagt zum Wirth: „Ich werde Sie gleich bezahlen,“ 
nimmt Topf und Pinfel, fteigt auf einen Sefiel, den er 
auf's Billard ftellt, malt eine Schwalbe an ven Plafond, 
und ven Namen »Horace Vernet«. Dieſe Schwalbe 


nis ;* 


PR a 


90 


bradhte dem cafe Foy den ewigen Sommer voll Säfte, 
Die Schwalbe ift das Palladium, der Genius des cafe 
Foy. Hier fommen aud die Künſtler des Theätre 
francais zujammen. 

Im »cafe de la regence« wird blos Schach ge- 
jpielt! Hier it Das Pantheon Philivors, das Maufoleum 
Palamedes! Hier wird ewig Krieg geführt und die bfu- 
tigften Schlachten enden nicht einmal mit einem Todten. 
Hier war aud Das »cafe Valois!« Gehen wir weinend 
an Diefem Namen worüber, wie er jelöft und das cafe 
vorübergegangen ift. Das »cafe d’Orleans« kämpft noch 
immer, aber fichtlich unterliegend mit ven Waffen allen 


Glanzes gegen den Verfall des »Palais royal« und ver 


Galerie vitree. 

»Cafe Tortoni« tt rococo, alter Name und leere 
Anſprüche. Das »cafe Napolitain« hat ein Eis erfun— 
den, »tranche channelle«, ein Eis, in welchem ein 
Eisbär ein Frühlingspishter wid, und »Tortoni« iſt 
genejen! 

Das »cafe Lamblin« war einmal à la hauteur 
des Mocca, an ver Spite des Java- Parfums, heute ift 
es — ein estaminet zweiten Ranges. Was hat dieſes 
brillante »cafe« geftürzt? die Politif! In der Reſtauxa— 
tion war es Zufammenfunftsplag der Maurer, in ver 
Yuli-Nevolution ein Ablager vom Clubb vamis du 
peuple« u. j. w.; aber ein Kaffeehaus ſoll feine Mei— 
nung haben! Große Lehre für die Welt- und Kaffees 
häuſer⸗Geſchichte! Die größten Kaffeehäuſer von Paris, 





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ae und »cafe Lamblin«, find vurd ihre 
— Gaſtführung zu Kneipen herabgeſunken! 

Im quartier latin fanden wir die claſſiſchen Kaffee— 
häuſer »eafe Voltaire« — »cafe Moliere« — int »eale 
Tabourey« wohnt „Jules Janin“, der Oberpriefter ver 
Pariſer Kritik, ver ewig junge Templer für Kunft, Geift- 
— und Wahrheit. 

3 Das »calẽ« oder »maison do’r« iſt ver goldene 
Anfangsbuchſtabe der Boulevard-Kaffeehäuſer Temple des 
endemech Aſyl Der »Grecs«, Ausgangspunct aller 
Erzählungen von Loretten u. ſ. w. 

Genug und genug, wozu noch einen »café turc«, 

— »cafe Frascati«e u. j. w. 

x b Ich ſchließe mit einem Spaß aus dem vcafe du 
£ > grand balcon«e, wo man das beſte bateriiche Bier be- 
kömmt. Ich fite geftern oben, lefe eine Zeitung und 
trinfe eine demi tasse, da hörte ich Deutſche unter mir 
- fprehen. Ein Herr und eine Dame, ver Herr jehreit: 

— « Der Garcon fümmt: »Monsieur!« — 

 »Donnez-ma un bierre bavoroise !« Der Kellner jhaht 
ihn au, er ſchreit lauter: »Un bierre bavoroise dis-je!« 

Der Kellner ſchaut mich an, ich komm' ihm zu Hilfe: 

de la Baviere« will ver Herr. Bavoroise iſt nämlich 

bier ein Getränf, das bei uns »Barbaras« beißt. Der 

gute Mann forverte aljo ein „Barbaras - Vier!“ 


ET EEE ne. -* 








Paris, 17. Juni 1855. 


Rachel — Riſtori — Berdie— Meyerbeer — Scribe. 

Ih fomme aus jenem „Tempel ver Kunft“, ver 
ein „Induftriepalaft" ijt! aus vem Haufe Rachels in 
der rue Trudhon Nr. 4. 

Ich war bei Die. Radel, um fie zu erinnern, - 
daß fie mir zweimal hintereinander verſprach, eine Bor- 
ftellung für die Armen in Wien zu geben. 

Die. Nadel fam nad Wien wie die Nadel in 
der Genefis: Rachel und Lian, Vater und Bruder umd 
die ganze Heerde, die Truppe franzöfiiher Künſtler und 
wie haben wir fie empfangen! Wie haben wir ihr ven 
Weg mit Dlumenkränzen, mit Lobgejängen gepflaftert, 
wie haben wir ihr entgegengejubelt! Wie haben wir ihr 
die Chatouille gefüllt, und in einer Anwandlung menjd)- 
liher Negung verſprach fie, am Ende ver Gaſtrollen 
eine „Borftellung für die Armen“ zu geben. - 

Die letzte Vorſtellung war vorüber, ic) und Die 
Armen waren ſchon in ſüßer Hoffnung, — aber »l’uomo 
propone e papa Felix dispone!« Ein Briefhen gab 
fund, daß Die. Rachel fogleih nad Italien abveifen 
müßte, aber wenn fie wieder nad) Wien fommt, vann, 
dann! u. f. w. 

Die. Rachel ging nad) Trieft, nad) Venedig, mas 
weiß id, nad) Venedig, wo die dummen Dogen goldene 
Ringe in den Bufen der Amphitrite warfen, anftatt fie 
zu den Füßen großer Tragödinnen niederzulegen, wo Be 









aus den Bleikammern noch etwas Gold zu münzen 
war; fie ging mit der Einnahme meiner Armen »vogue 
MB a galerel«e Und ic ftand auf dem Semmering und 
harrte der Wieverfehr, aber ver Sommer ging, ver Win- 
ter kam umd feine Rachel! - 
F Und wieder kam die große Tragödin und entzückte 
auf der Halbinſel, wie fie im Burgtheater entzückte! Neue 
J Kränze! Neue Einnahmen! Neue Lorbeern! Neue Huldi— 
gung! Neue Bitten Saphirs für die Armen! Neue, 
ſichere Verſprechung und Zuſage ver Die. Rachel. 
Be: Die letzte Vorftelung war vorüber — und neues 
te von Papa Felix, »Felix Austria!« Die. 
Nachel müßte augenblicklich nach Peſt, aber nach drei 
Vorſtellungen ſchwimmt die Arche beſtimmt wieder do— 
nauaufwärts und Die. Rachel wird eigens verweilen, 
um den Armen und mir ihr Verſprechen zu halten. 
Ich ließ mir eine Hütte am Ufer ver Donau bauen, 
ich Iugte in die Wellen wie Goethe's „Fiſcher“, Welle 
kam und Welle ging, aber feine Rachel und fein Felix! 
J Ih irrte an den Wellen der Donau umher, ich wurde 
ganz Lorelei, ich kämmte mein golvenes Haar mit einem 
R goldenen Kamm und feufzte: „Rachel, Rachel!“ aber vie 
Wellen murmelten und ic) murmelte mit, aber feine 
Rachel, und fein Felix und feine VBorftellung für vie 
Armen! 
3 J Aber „lafl Dich von Saphir einmal bei einem 
- Haare faſſen und Du bift fein auf ewig! Ich ziehe ver 
Racdhel nach wie der Bettler in Raimunds „Verſchwender“ 








PEN 


4 


94 





mit der Bitte für meine Armen! Dlle. Rachel geht nach 

Amerika, ich zieh' ihr wie Raimunds Bettler in einem 

Schinackel nach und ſinge von Ferne: 
Für meine Armen!“ 

— geht die Rachel wirklich nach Amerika? Wer 
weiß das! Ich frage den Miniſter Fould: „Werden 
wir bei ver großen Welt-Induſtrie-Ausſtellung“ nicht 
ven erften Sänger Frankreichs Herrn Roger hören und 
nicht Die erſte Künſtlerin Frankreichs: Die. Rachel 
ſehen? Der Mintiter lächelte. Die Minifter fagen, menn 
fie gefragt werden, nie „ja!“ und nie „nem!“ Cie 
lächeln blos, und aus diefem Lächeln kann ver Prager 
wie aus einer Cirenlarvepejhe entnehmen, was er will! 
Ein folhes Lächeln ift wie die Wolfe Hanılets, e8 hat 
einen Rücken, ver fieht aus wie ein „ja!“ und es 
- hat einen Baud, ver jieht aus wie ein „nein!“ Geht 
die Nadel nad Amerifa? Drientalifhe Frage mit 
Nachguß! 

Kein Menſch wußte es! Nicht Paris und nicht 
die Journaliſtik! Nicht die Napoleons und nicht die 
Feuilletons, nicht der geſetzgebende Körper und nicht die 
Synagogen! Das waren Die »Mysteres de la rue Trud- 
hon Nr. 2!« Es war eine Kunft- und Geld - Frage! 
Die Familie Felix bat fich untereinander vwercontractirt! 
Ein jeder wollte „Nr. Sicher" gehen. Die, Nadel 
machte einen Contract mit Bruder Raphael, der das 
Ganze führen jollte, Bruder Felix machte einen Con- 
tract mit Papa Felix, ver das Geld vorftreden ſollte, 





Papa Felix machte einen Contract mit den Kameelen 
und Cornaks, welche die Truppe begleiten jollten. Die 
Unternehmung hatte ihre Chancen, ihre Schwierigkeiten ! 
„Ein Schiff,“ fagt Shylod, „beſteht aus Bretern, 
Dreter find Holz, es gibt Yandratten, es gibt Seeratten! 
Paris war alfo über die „neue Entvedung Amerifas“ 
ver Dile. Rachel in Ungewißheit! Da erwacht an einem 
ihönen Morgen Paris und das erwachende Paris findet 
an feinen Mauern angejchlagen: 

„Heute Abend im Theätre francais: »Horace« 

»La rentree de Dlle. Rachel.« 

Paris reibt fi) die Augen! Paris glaubt zu 
träumen! Rachel in Paris! Felix nicht in den Plan— 
tagen? Iſt Amerifa untergegangen? Dan zieht ſich an, 
man ftaunt, man begreift nicht! 

Aber die Sache iſt einfah! Große Wirkungen, 
kleine Urfahen! Die. Nadel ſchmollte mit Paris, mit 
Frankreich, fie ſchmollte mit dem Empire wie fie mit 
der Republik geihmollt hat, mit ver Republik wie 


ſie mit ver Reftauration geſchmollt hat! Und fie jagte: 


Ihr ſollt' feine Rahel haben, und aljo feine Tragödin! 

Da lieg der liebe Himmel ein Lüftchen wehen, das- 
jelbe Lüftchen, welches einmal die Wachteln herwehte, 
als in ver Wüſte fein Fleiſch war, und dieſes Püftchen 
wehte ein Schiffchen her und aus dem Schiffchen ftieg 
ein zartes, jchmächtiges, blafjes Wefen, und diefes Wefen 
kam aus den goldenen Auen Toscana's aus ven Orangen» 
wäldern Sardinieng, aus den gefegneten Sonnengebieten 





Staliens, und dies Weſen hieß: „Riſtori“, „Mad. Ri— Kt: 


ftori“, und mit ſich brachte fie an der zarten, lieblichen, 


fünftlerifh feinen Hand »Francesca di Rimini« von. 


Silvio Vellierv und »Myrrha« von Mftert. 

Mer ift Mad. Riſtori? Woher fümmt fie? Was 
will fie? Wer fennt fie? ine halbvergefiene Tragödin 
eines Stüdchens von Dtalten ! 

Wer ift fie? — Die Muje! Melpomene! Die 
Göttin mit dem Dolch! Die Göttin mit ver Gottgewalt 
über Herzen und Thränen! 

Woher kömmt fied — Aus den Yanden Dante’s, 
aus dem Himmel und ver Hölle Dante’s, aus dem 
Sonnenftrahl Taſſo's, aus dem Tempel Ariofto’s, aus 
den Hallen Michel Angelo's und Yenardo da Vincis! 
Aus dem Anſchauen Raphaels und ver firtinifchen Ma- 
Donnen ! 

Was will fie! — Sie will euch bringen ven 
Dante, fie will euch in die Scene ſetzen Himmel, Hölle, 
Purgatorium, fie will euch bringen Seufzer und Thränen, 
Liebe, Haß, Verzweiflung, Schmerz, Sehnſucht and alle 
gropen Bewegungen der Seele und alle Vibrationen des 
Herzens! 

Wer fennt fie? — Jeder, der das menſchliche Herz 
fennt in feinen Träumen, in feiner Pulfation, in feinen 
MWonnen und feinen Bitternifjen! Jever, der vie Wahr- 
heit kennt im ihrer Erhabenheit, in ihrer Einfachheit, 
in ihrer Anmuth und in ihrer Häßlichkeit! Jeder, ver 
das Erhabene fennt in feiner Fülle, in jeiner Macht, 





— 


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Er 








Madame Kiftori? 
Geſtern eine kaum gefannte, kaum genannte Ber: 
pnlichkeit, ein Atom, geworfen in die Welt Paris, und 
heute ein gekröntes Haupt, eine Berühmtheit, das Echo 
von Paris! 






4 Geftern ein Saft, heute eine Macht, geftern eine 
Bittende, heute eine Herrſchende. 

u . * 

Und der Ruhm der Riſtori, und die Huldigungen 


= der Riſtori, und die Lobgeſänge ver Riſtori, und der 
Enthuſiasmus der Parifer für die Nifteri drang bis in 
die Stiftshütte der franzöfifchen Tragödin, bis in das 
Cabinet der Dlle. Nadel, in die rue Trudhon! Und bei 
dem erſten Trompetenſtoß der Kritik für die Riſtori 
lächelte Dlle. Rachel mitleidig, bei dem zweiten Trom— 
— petenſtoß lächelte ſie verächtlich, beim dritten Trompeten— 


ſtoß lächelte fie bitter, als aber alle Journale in einen 










einzigen Trompetenftoß, in einen unifonen Lobgeſang der 
Mad. Riſtori ausbrahen, da lächelte Die. Nadel fata- 
uiſch, und als Paris wieverhallte von den Triumphen 
der Riſtori, als Ariftokratie, Finanzen, Literatur, Kunſt, 
- Hof und Bürger wällfahrteten zu den Vorftellungen ver 
- Riftori, da lächelte Die. Rachel das ſardoniſche Lächeln 
und fie ſagte: „Sch muß Doch auch ſehen, was an dieſem 
A Und fie hüllte fih) in eine alte Toga 
E und verfete fi) in eine va in ein »baignoir«, wo 


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Mad. Riſtoxi. Und als fie die Riſtori ſah in all ihrer 


Herrlichkeit, in al’ ihrer Wahrheit und Tiefe, da erfaßte 


fie das „verfluchte-Kerl-Gefühl“, Das »Anch’io« Gefühl! 
Sie bäumte fih in fi auf und fagte: »Anch’io sono 
Ristori!« Und fie ging nach Haufe und trug mit ſich fort 
im Buſen das Eiferſuchts-Gefühl der Götter ihrer Väter: 
„Du folft feine andern Götter neben Dir dulden!“ 

Und fie ſchrieb an den Director Cronier: „Ih bin 
Nachel, die da ift, war und fein wid! Und ich ſehe, 
men Publikum ift abgehalten won mir und betet zu 
anderen Göttern. Auf Cronier: Mache auf Die Bundes: 
[ade des Theätre francais, nehme heraus vie Geſetzes— 
tafeln Racine und Corneille, und verſammle mein Volk 
von Paris und fage zu ihm alfo: Die. Rachel hat er- 
fahren, daß Ihr werdet abtrünnig und betet zu andern 
Göttern, weil Ihr ihr Antlitz nicht gefehen habt ſchon 
fo lange! Nun will fie zu Euch fommen, gehüllt in 
Heuer und Flammen, und will fich niederlafjen über dem 
Tempel der Tragödie, auf daß Ihr zurückkehrt und er— 
fennt: Es ift nur eine Rachel und neben ihr nichts im 
Himmel und auf Erden!“ 

Und es war g’rade der Sterbetag Corneille's, und 
Nadel ſprach: „Diefer Corneille ftarb mir heute jehr 
gelegen!" Und fie fpielte »pour l’anniversaire de Cor- 
neille« die „Samille”. 

Ih fah Da und bewunderte fie, und neben mir 
die Kiltori, weldhe in Bewunderung und laute Brava! 
ausbrad). 





DA a re 


uch ha LK a a a nr a hd 





Wer fpielte beſſer? Die. Nachel, als fie bei ber 
- Borftellung der Riftori im Dunklen verborgen ſaß und 
Beeren zwickte und zufammenfuhr, oder Mad. Kiftert, 
als fie bei der Vorftellung der Die. Nadel vor Allen 
—* ſaß und laut applaudirte?! — 
Ich glaube dort war mehr Natur und hier mehr Kunſt! 
Aber welche unendliche Größe, welche unendliche 
Wahrheit lag im entzückenden Spiele der Dlle. Rachel! 
Br Ich Habe die Rachel nie größer, nie wahrer, nie 
intelligenter, nie vollfommener gefehen! Ich fühlte alle 
meine Nerven zitten! Da it ein Stüd Römerthum 
- Lebendig geworben, da ift der gevehnte, claſſiſche, fteife 
Sihl der franzöſiſchen Tragödie flüßig gemorven, flüßiges 
Gold, flüßige Leidenſchaft, ſtrömende Erhabenheit, klare, 
durchſichtige Seele! 
F Welche Einfachheit im Erhabenen, welche Erhaben— 
heit im Einfachen! Welches Wirken und Schaffen im 
Pathos! Wie leuchtet die Intelligenz aus dieſen finnigen 
Züugen, wie ftrahlt die Seele aus diefem geiftigen Blicke! 
- Welches Yeben in jeder Bewegung, und welcher Furcht: 
- bare Inhalt in ihrem Schweigen! Ihr Schweigen aud) 
ft eim ſtillſtehendes Gewitter! Welche Gluth umd welche 
* Innigkeit! Welche Weichheit und welcher Schmelz! 
Welch' ein ewiges Schaffen und Bilden in Mienen und 
- Geberden. Da mo andere Darſtellerinnen nur ein Leeres 
finden, ein Leeres laſſen, da findet das Genie Stoff zu 
Schaffen, da findet Die. Nadel Inhalt, Bedeutung, 
Zukünftiges! 











Bahn. > *8 


100 


As die Borftellung zu Ende war, dünkte e8 mir, 
als ob ich aus einem ſchauerlichen Traum erwachte, aus 
einem Traum voll Luft, Süßigfeit und Grauen! Das 
Haus Brad in ftürmifchen Beifall aus, es war er— 
drüdend! 

Der Vorhang fiel. „Kamille ift verfhmunden und 
in die rue Trudhon Nr. 12 kehrt nichts zurüd als 
Die. Nachel die Komödiantin, Die. Rachel die eifers 
füchtige Nebenbuhlerin, Die. Rachel die Tochter von 
Felix, des Sohnes von Simeon aus dem Stamme 
Abrahams, Dile. Nachel »Commis-voyageur en affai- 
res tragiquesc, De. Nadel, die „in „Corneille“ und 
Racine“ macht," Die. Rachel, Die ausgezogen ift, um 
in Mar. Riſtori Moab und Amalek zu vertilgen, Die. 
Rachel, die noch immer nicht weiß, ob Melpomene in 
Amerika nicht befjere Geſchäfte machen kann, als in 
Paris! 

Und Dile. Rachel erwachte am andern Tage und 
alle Sournale waren voll ihres Lobes, und alle Journale 
bedeckten „Rachel-Camille“ mit wohlverdienten Lorbeern, 
aber alle Inurnale, wie verabredet, danften laut und 


herzlich — Madame Nifteri, daß fie. Die Rachel dem 


»Theätre francais« zurückgegeben hat! 

Es ift doc) ein boshaftes Volk, dieſes Yournaliften- 
volf! Und mit erneuerter Unermüdlichkeit fingen fie dag 
Lob der Mad. Niftori, und die nreiften gehen jo woeit, 
zu jagen: „Die Zeit ift vorüber, wo Paris fid) mit der 
rentrdee oder nonrentrdee der Die. Nacht beſchäftigt! 


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Wir — es gibt noch größere Tragödinnen! Die. 
Se ift ein »passe« u. ſ. w.“ 

Unter allen Kritifern hier iſt Jules Janin der 
geiſtreichſte, der liebenswürdigſte, aber auch der pro— 
phetiſchſte! 

AS noch von der »rentrée« der Rachel feine Rede 
J war, ſaß ih mit Jules Janin bei Madame Drfila 
Witwe des berühmten Orfila). Wir ſprachen von ver 
N Nadel, und Jules Yanin fagte: „Wenn die Nifteri 
einen großen Succeß hat, dann wird Die. Rachel ge— 
wiß einmal wenigftens wieder auftreten !“ 

und er hat's getroffen. Mad. Riſtori, die italieni— 

ſche Geſellſchaft, Hat Dlle. Rachel dem Theater wieder— 
E gegeben, vie englifche Geſellſchaft, Mad. Wallafe, hätte 
das nicht vermocht! | 
E Ya, Paris hat auch eine englifhe Truppe! Diefe 
— englifhe Truppe hat „Macbeth“ gegeben, aber den eng- 
lifchen „Macbeth“, ven „real Shafeipeare", feinen Ducis- 
Shakeſpeare. Es find vrollige Engländer dieſe Englänver! 
Bor „Macbeth“ geben fie eine „Poſſe“, eine „Poſſe mit 
Tanz“, eine Zauberpoſſe! 

Die engliſchen Tänzerinnen ſind ſchauderhaft! Und 
nad) dieſer gräulichen Ballet-Poſſen-Farce ‚Macbeth!“ 

Von dieſer Truppe, von dem hieſigen Urtheil über 
Shakeſpeare, von Madame Wallake als Lady Macbeth 
m einem ſpäteren Briefe. 
Paris hat alfo ein italtenifches und ein englifches 
- Theater jowie ein ſpaniſches Ballet als „Exrpofition“, 














a a u Bi ud u 29 


und gar fein deutſches Theater? Nicht ein Stüdchen 
deutfche Theater » Einheit, wie fie Dingelſtedt zumege- 
brachte! Nicht eine halbe-fleine Portion Schiller, Goethe, 
oder Kotzebue! 

Glaube man mir nur, unfere Rettich, unfere Gee- 
bad) könnten fühn und keck mit Mad. Niftori um Die 
Palme ftreiten! Aber es gibt in Deutjchland feine 
„Bandertruppe” in der Tragödie. Wozu auch? Dingel- 
ftedt wollte feine „Muftervorftellungen" hieher bringen, 
aber er fonnte ſich mit dem Minifter Fould nicht eint- 
gen, und gewagt bliebe ſonſt die Entreprife fehr. 

Der Erfolg einer „deutſchen Schaufpielergefellichaft” 
hier würde rein von ven politifchen Beziehungen Frank— 
veihs zu Deutſchland abhängen! Wenn Defterreich neu 
bewaffnete, wäre „Don Carlos" ein gutes Stüd und 
die „Elifabeth“ vortrefflich dargeftellt; wenn Oeſterreich 


wirklich 140,000 Mann entläßt, würde „Don Carlos” - 


allen Angriffen einer feindlichen Armee ausgeſetzt fen! 

Ich glaube, die deutſche Schaufpielfunft, da wo fie 
wirklich Kunft, innige, wahre Kunſtgröße ift, würde hier 
wie Die Deutsche Philoſophie — nicht veritanden werben, 
Dod genug für heute über dieſen Gegenſtand, welcher 
einen großen Raum verlangt. 

Eine bedeutende Angelegenheit iſt jett Die Vorſtel— 
fung ver »Vepres siciliennes« von Verdi in der großen 
Dper. Darüber morgen. 














103 


Paris, 17. Sunt 1855. 
Meyerbeer — Berdi — Scribe. 

Die große Oper in taufend Nengften! Cruvelli! 
Cruvelli! Eine Schwalbe macht feinen Sommer und 
eine Nachtigall macht fei® Oper, die Cruvelli ift die 
Rachel ver großen Oper, die Nachel ift die Gruvelli des 
Theätre francais. Die Nadel hat Nacine und Corneille, 
die Gruvelli hat Haleoy und Meyerbeer; aber Corneille 
und Kacine find todt, Haleoy und Meyerbeer leben, und 
das iſt immer ein Nachtheil. 

Mer morgen unfterblid fein will, muß heute ſter— 
ben, wer morgen anerfannt werden fol, muß geſtern 


begraben worden fein. 


Haleoy hat weniger mit der Welt, mit dem Pu— 
blifum, mit der Kritif, mit den Künſtlern zu kämpfen, 
denn feine Erfolge find jolid, aber nicht mirobol! Seine 
Dpern gefallen, aber fie jurorifiven nicht, fie jchliegen 
fid) andern großen Opern an, aber fie jchliegen fie 
nicht aus! Meyerbeer aber ift ſtets in Emotion, feine 
großen Succefje find fruchtbar an Gegnern, ver Zulauf 
zu feinen Werfen wird ihm als Verbrechen angerechnet, 
jeder brillante Erfolg wird von feinem Genie abgezogen, 
der Enthujiasmus des Publifums wird ihm als Sünde 
angefchrieben ; wenn eine andere Oper nicht gefällt, fo 
tft die »chute« ein Werk Meyerbeer’s, wenn eine andere 
Dper nicht in die Scene geht, hat Meyerbeer die Hin: 
dernifje componirt u. ſ. w. Und es iſt wahr, fehr wahr, 


Ad 


104 


an ven Nichtdurchgreifen, an dem Mißerfolg anderer 
Opern ift Meyerbeer ſchuld, aber nicht das Individuum 
Meyerbeer, jonvdern das Genie Meyerbeer, nicht ver 
Menſch Meyerbeer, jonvdern der Compoſiteur Meyerbeer; 
nicht der Meyerbeer mit feinen Bekanntſchaften, mis 
jeinem Einfluße, ſondern der Dieyerbeer mit jeinen Opern, 
mit jenen brillanten Erfolgen. Er intriguirt nicht gegen 
die Erfolge anderer Opern, aber feine Kinder, d. 5. 
jeine Werfe, feine Tonjhöpfungen! Daß fein „Robert 
der Teufel" taufend andere Opern belt und fie in Die 
Hölle ver Vergefjenheit ſchickt, ift nicht jene Schule! 
Daß Die „Hugenotten” an einem Abende eine ganze 
Schaar mittelmäßiger Opern niedermegeln, ift nicht fein 
Verbrechen! Daß fein „Prophet” länger in die Zufunft 
hineinlebt, ift ein Vergehen, das natürlich ift! Daß fein 
Nordſtern“ fortleuchtet, wenn taujend Sternſchnuppen 
neben ihm ſich ſchneutzen und fallen, das ift ein Gejdid 
des Himmels! 

Meyerbeer ift das Fatum vieler franzöfiihen Opern! 
Meyerbeer jollte fommen, er jollte, er wollte ſchon längſt 
hier jein, aber er kömmt nicht, oder wenn er gefommen 
fein jollte, jo ging er blos über Paris nad London. 
Und warum fam Meyerbeer nicht? Weil er nicht nur 
ein genialer, ein unübertrefflicher Compofiteur ift, nicht 
nur eines jener feltenen Menjchen - Ereniplare, melden 
das Schickſal zu einer colofjalen Begabung auch „Glüd“ 
gab, — venn Talent allein thut's in der Welt nicht und 
Glück allen auch nicht, beide müfjen vereint fein! — 








EEE VE 













= Me weil Meyerbeer auch eine feine Naſe hat! Eine 
feine Naſe it eine Gabe Gottes, eine ganz eigene Gabe; 
wel) ein feltener Verein: Genie, Glück und eine feine 
Naſe! — 

Es wurden zwei neue Dpern gegeben: »Jenny 
Bell« von Auber und »les vepres siciliennes« von 
Verdi umd die Libretti Beiver von dem großen Pibretto- 
Mann im Süden, in „vefjen Neid) das Gouplet nicht 
untergeht“, von Seribe. 

Ih wollte die Cruvelli fragen, Die mir „veutiche 
Mehlſpeiſe“ kochen ließ, — Gott und Saphiv werben 
ihr's bezahlen! — warum fie feinen Appetit hat, aber 
icch begriff s, fie ſtudirte Shen au den » Vepres!« 
Meyerbeer's „feine Naſe‘ mußte wahrſcheinlich jo 
Be» gedacht haben: „Wenn diefe Opern feinen Erfolg haben 
- und id bin in Paris, jo jagen gewilje Yeute: »e’est 
Meyerbeer!« Denn wenn eine Oper wegen Mangels 
an Werth durchfällt, jo jagen die Compoſiteurs: „Das 
hat Meyerbeer gethan! Meyerbeer ift der Opernfnader !* 

Alſo Meyerbeer blieb weg, ver „Opernfnader “ 
“ hat nicht gearbeitet und die beiden Opern find doch 
geknackt worden und es gab viel Schale und wenig 
Kern ! 

»Jenny Bell«, »la Jenny Lind empaillde« iſt 
ohne viel Sang und lang, ohne viel Saus und Braus 
— — wo viele O he —— den —* * 


die letste ni: di großen Oper, Das — * 


106 


des Verdiſſchen guten Gedächtniſſes feiner eigenen Opern, 


ift nicht Durchgefallen, fondern fie finft nad) und nad 
durh! Wenn man hie und da in Ddiefer fünf Stunden 
langen Oper ein ſchönes Motiv hört, jo jagt man: 
»Passez votre chemin! Je vous connais beau masque!« 
Neu ıft nicht eine Nummer dieſer Oper, damit will 

ich jagen, eimen neuen Weg hat Verdi in nicht einem 
Bolero, in nicht einer Cavatine, in nicht einer Romanze 
u. ſ. w. eimgejchlagen, e8 ift im jeder Nummer dasſelbe 
Künftlerzeichen eingewebt, alle Einzelnheiten tragen den— 
jelben Stempel, es find die Defjeing von „Ernani“, Die 
fteten Cadenzen und die ewige Yeerheit des mufikalifchen 
Inhalts; es find einige recht hübſche, melodiöſe Sachen, 
die Inſtrumentirung iſt, was man ſagt, „ſauber“, einige 
Sanglichkeiten recht mouſſirend und ſprudelnd, aber die 
tufif dieſer fünfſtündigen Oper hat feinen Character, 
es fehlt ihr alles, was grade eine „ſicilianiſche Vesper“ 
nicht entbehren fann: ver mufifalifche Heimathsſchein! 
Da ift nicht Italien, nicht Sieilien, da ift ver locale 
Ton, nicht die locale Farbe, nicht Das fievende Blut, 
nicht die fiebeınde Leidenfchaft, nicht Die üppige Hite 
ver muſikaliſchen Vegetation! Der zweite Act ift pompös, 
hat herrliche Stellen, aber auch da wieder dieſe Heer- 
Ihau gefannter, gewöhnlicher Effecte, nirgends Intenſi— 
pität der Conception. Die Cruvelli im „Doppel-Chor" 
hat ganz allein mit Necht Furore gemacht! Die Ber- 
Ihwornen auf der Scene und die Schiffenden in Bar- 
quen im Hintergrunde, das ift von herrlichem Effect. 








Im fünften Wet aber finft das Ganze in eine Art von 


Mattigkeit und Erſchlaffung, in eine Fadheit und Uns 
becdeutendheit des Styles, vie unbegreiflich ift! 


Da in diefem Act muß Verdi ven Herrn Ecribe 
bei der Hand nehmen und ihm zurufen : 
> „Smen Theil ver Schuld mußt Du vor dem gro— 
ßen Dichter tragen!" 
Meberhaupt ift diefes Buch ein monstre! Es wird 


dem großen und herrlichen Talente Seribe’s feinen Ein- 





trag thun, wenn man ihm endlid jagt: Genug! Du 

haſt lange genug das Ecepter des Libretti gefhwungen, 
du warft lange genug Alleinherrſcher Meyerbeer’s, Ver— 

di's, Auber's, Halévy's u. ſ. w. Deine Mufe will 
etwas Erholung, es kann ſelbſt ven größten Genie 
nicht immer und alles gelingen! Laſſ' einmal jüngeren 

Talenten aud einen Heinen Weg offen, ſtell' Did) nicht 
querüber, um der Yugend, den Anfommenden, ven Weg 
abzufperren ! 

Diefe »Vepres« ift mehr als ein fchlechtes Bud), 

es ift eine Albernheit! 

Seribe fühlte wohl alles Säuerliche und Wider— 
haarige, was in dem Sujet für Paris, für vie Sranzofen 
fiegt! Er wollte ſich decken und hat die „Geſchichte“ als 
„Elephant“ benüßt, er hat geglaubt, ven Bovengerud) 

dieſer unpafjenden Erinnerung zu vericheuchen, wenn er 
an der Spite feines Libretto ſagte: „Die ficilianifche 
Vesper ift gar nicht hiſtoriſch! Es ift eine Erfindung!“ 

Aber Das mag wahr jein oder nicht, ich glaube, 


108 





Scribe hat ſich durch dieſe Bemerkung felbft in Anklage 
ftand gefeßst. Denn wenn ihn die Ehrfurcht wor ver 
Geſchichte nicht gezwungen hat, eine Erfindung zu haben, 
wer iſt Schuld an dieſem wollfommenen Mangel an Er- 
findung, ja an diefer Verſtümmlung einer Handlung, vie 
man nad) Belieben fortfpinnen und enden lafjen kann? 

Es bleibt immer etwas gewagt, in Paris einen Chor 
mit den Worten beginnen zu laſſen: 

»Sois maudite o France !« 
Und am Enve die ganze blutige Besper fo ſchmachtend 
und matt zu Ende zu führen und zmei oder Drei Fran— 
zofen von einer Notte Sicilianer abgefchlachtet zu jehen. 
Kann Berdi hoffen, Diefe Oper in dieſem Gewande je 
in Italien aufführen zu fünnen? Nicht möglich! 

Soll id num erzählen, was wir, wir, Die wir im 
den Couliſſen ftehen, id, ver ih im Meittelpunet ver 
Duellen jchöpfe, über den Text dieſer Oper zu wiſſen 
glauben? Sollte Verdi e8 nicht willen, daß, — fo jagt 
die böfe Welt! — daß dieſes Libretto ſchon ein graues 
Haupt hat! daß es ſchon allen franzöſiſchen und ttalienifchen 
Maeftri angeboten wurde? ven feligen Donizettt nicht = 
ausgenommen? Sollten dieſe Vepres einft »le duc | 
d’Albe« geheigen Haben?! Sollten die folgenden Verſe Der 
»Vepres«: 

»Frappez les tous! que vous importe ? 
Francais ou bien Siciliens, 
Frappez toujours! Dieu choisira les siens!« 


nicht wörtlich in jenem Buche geftanden haben? Hat fie 






109 
















gefprohen? Ich weiß es nicht, 
aber man murmel’s!! 
Und nun das umfelige Ende! Diefe Prinzeffin, 
welde im Anfang Blut und Liebe ift, Liebe und Blut, 
- Die mit Dolchen ſpielt dieſes blutige Mannweib wirt 
am Ende ein Lamm, ein Fiſch an Blut, eine Schäferin 
an Empfindung, eine barmherzige Schweſter an Worten! 
Und mit dieſem Traveſtiſſement ſeiner Heldin iſt auch 
Signor Verdi ganz einverſtanden, er führt fie mit Triller 
und Couplets zu Ende. Die Franzoſen und Italiener 
ervwürgen fid) unter lieblichen Couplets, die Liebenden 
ſinken dem Tod bei Tanzacten in den Arm! Das nennt 
man „die ſicilianiſche Vesper“, aber nicht die hiftorifche, 
ſondern die erfundene, die ausgefetste und von Seribe et 
f Verdi an Rinvesftatt angenommene „ficilianifche Vesper !" 
Auch ein Ballet ift in diefer Oper, ein Ballet und 
auch Tänzerinnen, aber jo häßlich und alt, — tie 
CCouqui“ ausgenommen! Wie fann man ‚Couqui“ heißen, 
wenn man reizend iſt wie das Vergehen, jung wie der 
* Frühling, ſchön wie ein Maimorgen und wenn man tanzt 
wie ein Roſenblatt auf den Lippen des Zephyrs. 
Nooch etwas bleibt mir zu bemerken: „Das Coſtume!“ 
— — Liegt Sicilien in Rußland? Iſt Palermo die Haupt- 
Stadt von Sicilien? Welche Pelze! Welde Muff's! Welche 
Pelzverbrämungen! Auch gut! 
. Aber die Cruvelli! Welche herrliche Sängerin! Welche 
- Stimme! Welher Schmelz! Welche Seele! Und welche 
Innigkeit des Gefangs und welder wahre ergreifende 


110 


Pathos! Mit welcher Leidenſchaft fingt fie Die große 
Arte, mit welcher Süßigkeit die Nomanze, und wie iſt 
alles klar und feelenvell und vol Paſſion und Inner— 
lichkeit! Ste wurde mit Jubel -übervedt; wenn Diefe 
Vesper“ fi) auf der Dühne erhält, fo ift Die. Cruvelli 
das tägliche „VBesper-Brot“, welches fie am Leben erhält, 
welches fie ernährt, Blut und Seele gibt. 

Gueymard hat eme hübſche Stimme, fein Spiel 
aber ift nicht dramatiſch, weil es zu fehr dramatiſch fein 
joll, er hat übrigens hier eine Partie, die nicht für ihn 
ift, fie ift zu zart, zu ſanft für ihn. 


Paris, 21. Yuli 1855. 


Die Strömung der Zeit. — Die Halle der Neutralität. — 
Ueberblid. 


Wer lange und Bieles gefehen hat, ift deshalb noch 
nicht zu dem gekommen, was die gewöhnliche Welt mit 
dem Namen „Erfahrung“ belegt. Nur wer lange und 
Dieles beobachtet hat, dem gibt fich jenes Reſultat fund. 

Zum Sehen hat der Menfch zwei Augen, zum Be— 
obachten aber hat er das Auge und Das Ohr, den Geift 
und ven Berftand, Die Geduld und die Ausdauer, vie 
Auffafjung und die Deurtheilung. Denn einen gefeglichen 
Zufammenhang aller Erfahrungen zu ergründen, das ift 
Die Aufgabe des Beobachters. ; 

Die Phyfifer, die Aftronomen haben zu diefer Be- 


D 
de A 















bbachtung noch zwei Augen; ein drittes Auge, das den 
Simmel erforſcht: das Teleſkop, und das vierte Auge, 
welches die Erde erforſcht: Das Mikroſkop. 

Den Zuſammenhang der „Welt-Induſtrie-Ausſtel— 
lung“ mit der „Strömung der Zeit“ zu beobachten, 
fheint an und für fih wenig fruchtbringend zu jein, 
aber der geiftige Beobachter fann fi deſſen nicht ganz 
enthalten. 

r Wenn ic den „Annex“ befuchte, in welchem 6000 
Metres Mechanik und 6000 Metres Chemie rechts und 
links ihre gewaltige Concurrenz eröffnen, kann ich mich 
des Gedankens nicht erwehren, welche welt- und zeiten⸗ 
umgeſtaltende Erſcheinungen aus dem Beobachten kleiner, 
anſcheinend unwichtiger Dinge hervorgegangen ſind. 
Wer die Erſte kleine Ablenkung der Magnetnadel 
F durch den galvanijchen Strom beobachtete, konnte gewiß 
- nicht vermuthen, daß dadurch eimft der Telegraph ven 
Berftand und das Wort von Balaflama nad Paris 
tragen wird, 

» As Papinian aus jeinem Topfe zuerft ven Waſſer— 
4 dampf beobachtete, ahnte Niemand, daß dieſe Kraft berufen 
iſt, Das Verbrüderungsfeſt der Länder und Völker vorzu- 
bereiten. Wer den erſten Kleinen „Jahrmarkt“ einführte, 
a Dachte gewiß nicht bei ver Beobachtung ver winzigen 
Krämerconcurrenz, daß Diefer Jahrmarkt das Samenkorn 
zu der großen Parifer „Welt-Induftrie-Ausftelung“ ift! 
* Die Zeit hat ihre Strömung, die Geſchichte hat 
ihre Strömung, der Geiſt hat feine Strömung. 


4 


112 


Die jetige Zeit hat eine doppelte Strömung; die 
erfte ift: Die Bändigung der Mafjenkvaft, Die zweite ift: 
die Erweckung der materiellen Intereſſen. 

Der geiftige. Hochmuth, welcher die Revolution und 
die Leidenschaft in feinem Gefolge hatte, bradıte Das 
Förderniß des Zuſammenſtoßes der Maſſen mit ver 
Ordnung hervor. Dieſen Zuſammenſtoß zu verhindern 
durch das Abſorbiren der Maſſen iſt die Miſſion der 
jetzigen Zeit und beſonders des jetzigen Frankreichs, dieſe 
Miſſion hängt mit der zweiten Strömung der Zeit, mit 
der Erweckung der materiellen Intereſſen innigſt zuſammen. 
Der geiſtige Hochmuth wird durch die unabweisbare 
Brutalität der materiellen Intereſſen gedemüthigt. Durch 
den eröffneten Springbrunnen der Arbeit, der Erzeugung, 
der-sunduftrie, des Gewinnes, des Fleißes, des mühevollen 
Erwerbs, welcher in taufend und taufend Strahlen 


niederwirkt, wird die Maſſenkraft zerbrödelt, die Maſſe 


geht im Individuum auf, der geiftige Hochmuth erlahmt 
an der Geltendmachung der phyſiſchen Straft und der 
mechanischen Fertigkeit; Die Gemeinfamfeit Der geiftigen 
Bewegung und Schwungfraft parzellivt fid) durch Die 
Beftrebungen perfönlicher und materieller Zwecke und 
Interefien. 

Weit davon entfernt, Diefe allgemeine Zeitbetrachtung 
hier weiter auszudehnen und auszufpinnen, habe ich fie 
hier nur ausgefprocdhen, weil fie fid) mir beim Anblid 
dieſes „Annexes“ wie von felbft und gewaltfam aufvrang. 

As ich Diefe Anneres durchwanderte, als dieſe 





— 





Bewältigung des Anblids dieſer colofjalen Mafchinerien 
* und Dampfſchöpfungen mich zur Beſinnung kommen ließ, 
mußte ich fragen: „Iſt dieſe materielle Zeitſtrömung, 
welche die „Maſſenkraft der Maſchinen“ zum Cultus des 
Zeitgeiſtes macht, iſt ſie nicht geſchaffen, um die „Maſſen— 
kraft der Menſchen“ von der Arbeit, von der materiellen 
Beſchäftigung abzuziehen, und fie wegen Mangels an 
pphyſiſcher Verwendbarkeit dem geiftigen Hochmuth, ver 
geiftigen Bewegung wieder in die Arme zu jagen?! — 
Diefe „Annexes“ ift der Brennpunct der „Welt: 
Industrie - Ausftellung". Der „Induſtriepalaſt“ jelbit, 
das jogenannte „Trausſept“, ift prachtvoll, glänzend, 
- vomantijch, poetiſch; Die »Exposition des beaux arts« 
iſt interefjant, finnig, kunſtvoll, ergötzlich, ohne über- 
2 raſchend zu fein, aber dieſe 1200 Metres lange Ölas- 
galerie mit ihren Maſchinen, Nohproducten und Erzeug- 
nifjen aller Welttheile iſt überwältigend, tft coloffal, ift 
erhaben, ift turbulent ! 
3 Hier die Dampf und Maſchinenſchöpfungen! Als 
Gott den Menſchen Waſſer und Feuer zu ihren Dienern 
gab, gab er ihnen gebundene Diener, gefejelte Sclaven. 
Da umarmten fih Feuer und Wafler, und aus dieſer 
Umarmung ging der Dampf hervor, aber Yahrtaufende 
gingen vorüber, ver Dampf rief ihnen aus jedem Topf 
zu: „da bin ich, ich bin die Kraft und ich bin die 
Macht!" Aber die Yahrtaufende waren taub für das 
Brodeln des Dampfes, bis in Amerika ein Prophet er- 
- ftand, ver die Zufunft des Dampfes PN und 
MG. Saphir's Schriften, XM. Bd 















114 


Amerifa, das Europa Die Kartoffel gab, gab ihm aud) 
die Dampffraft, und der Menſch hat einen neuen Diener 
bekommen: den Dampf! „Sei mein Sclave!“ jagt ver 
Menſch zum Dampf, „treib meine Mühle, pflüge meine 
Aeder, furche meine Meere, durchſchneide meine Straßen, 
bejeele meine Yabrifen, trepanive die Hirnſchale der Erde, 
zapfe den Bauch der Erde an, zeritampfe Die Berge, 
faue die Erze klein und zerfäge die ſtämmigen Wälder 
zu Zündhölzchen!“ Und Knecht Kupredt: der Dampf, 
gehoert! Diejer Knecht hat feinen Magen, der efjen 
will; dieſer Knecht hat Fein Auge, Das jchlafen will; 
dieſer Knecht hat feinen Fuß, der müde wird, feinen 
Arm, der erlahmt; dieſer Knecht wird nicht frank, Diefer 
Knecht will feine Raſtſtunde; Diefer Knecht hat Eieben- 
meilenftiefel an; fein Athemzug ift ein Tag und fein 
Pulsſchlag eine Meile! | 
Aber Diefer Knecht wird euer Herr werden! Die 
Maſchine wird Seele und tie Menjchheit wird entfeelt. 
Seht fie Daftehen in langen, unabjehbaren Maffen, 
dieſe Niejenfinder des Dampfes, Diefe Enodgefchlechter 
des Majchinenwefens! Seht und hört fie, dieſe unheim— 
lihen Geburten der Siedkraft, dieſe Hundertarmigen 
Söhne ver Mafchinenwelt, aus riefiger, ‚eiferner Lunge 
mit eifernen Yungenflügeln bricht ihr gewaltiger Odem! 
Mit Hundert Rohrarmen wie Briareus arbeitet ein 
feuchender Keſſel! Kolben und Cylinder fteigen und 
finfen in ſtummer, geheimnißvoller Thätigfeit! Gabel 
und Stangen vollbringen in apathiſchem Gehorfam vie 











Bf \ hle ihres Meiſters! Kefjel und Pumpen fegen brum— 
miend und murvend den Kreislauf ihres Yebens, fort! 
Dien und Ventil gehorchen kochend und ziſchend ven 
ewigen Geſetzen der Siedhige! Und in den beiden Herz 
- Afammern aller viefer Kinder des Dampfes und ver 
Mechanik gehen nur zwei Pulsihläge: die Kraft und 
Die Schnelligkeit! Und eine Maſchine erzeugt vie andere, 
Wie der Stoß eines Körpers immer einen andern in 
Bewegung ſetzt. 
kr Und weiter frage ih: Wer ift der Knecht und wer 
der Herr? Der Dampf over der Menſch? 
2° Und. weiter frage ih: Wenn der Knecht der Wohl- 
thäter des Herin geworden ift, wenn ver Knecht ument- 
behrlich geworden ift, was gilt ver Hear? 


feinen Knecht und feinen Herrn! Eine jeve Kraft dient 
der andern, eine jede Kraft beherricht vie andere! 
* Eine jede Thätigkeit des Geiſtes, der Natur, der 
phyſiſchen Kraft wird durch Die andere veredelt, erhöht 
md im ihren Grenzen erhalteit. 
Re. - Eine Dampfmaſchine ift Menjh und Dampf; ver 
Menſch gab ven Gevanken, ver Dampf die Kraft; ver 
- Gedanke jagt zur Kraft: Hilf! und vie Kraft gibt ihre 
tauſend Arme, ihre eifernen Muskeln, ihre gegofienen 
Nerven, ihre erzenen Sehnen her, und ver Gevante 
wird Werk, wird Geſchöpf, wird ein Lebendiges, ein 










8* 


Aber in der Wirthſchaft ver großen Natur gibt's | 





116 


Die Kraft Hat dem Gedanken lebendige Körper 
gegeben, der Gedanke ift dankbar, er gibt der Kraft ihre 
eigenen Kinder veredelt, verfeint, erzogen, geiftig aus— 
gebildet zurüd! Die Kinder ver Kraft, die Enfel Des 
Gedankens, werden Weſen mit Geift und Kraft, um 
das ift das Gejchlecht der Induſtrie, Das find vie Wun- 
der des Impuftriegeiftes, der Gedanfe wird Nuten und 
die Kraft wird Segen. 

In diefer Hälfte des Annexes stehen die Monumente 
unferer Zeit in finnender Ruhe, und im ftolzen, gleich 
mäßigen Selbftbewußtfein veihen ſich dieſe eifernen Tem- 
pel des Danıpfes, dieſe kochenden Mittelpuncte ver con: 
centrirten Kraft aus allen Ländern aneinander an. 

Aber noch fehlt ihnen der Athem! Ned) ftehen fie 
ftumm und lautlos! Kein Athem bewegt die eiſerne 
Lunge, fein Pulsſchlag vollt durch Diefe eiſigen Adern, 
denn nod) find die Röhren, die alle gehen machen jollen, 
nicht vollends gelegt. Wenn diefen Giganten der Geiſt 
durch die eiſerne Nafe eingeblafen fein wird, werde id) 
über Die Capacität der Einzelnheiten ein Weiteres denken 
und laut denken. 

Die zweite Hälfte des Annexes, welche den Roh— 
producten, den hemifchen Producten, den Natur» und 
Stofferzeugungen der ganzen Welt gewidmet tft, dieſe 
Hälfte ſteht noch in der graufamften Neglige da und 
dürfte ihre Toilette evft am Ende Juli vollfommen be— 
endet haben. Da fah ih auch noch mein liebes Defter- 


1 


veid) nur mit einem Fuß aus dem Bette, und Das aus 





} 
N 
1 
4 
4 


& EN a —— 


























der einzigen Urſache, weil die Unordnung in der Toilette 
der Andern nicht räthlich macht, ſich zu putzen und an— 
zuuziehen, um ſich mit Staub und Schmutz, mit Mörtel 
und Kalk beveden zu lafien! Da jteht noch vie Pyra- 
mide der Miesbaher Wunderziegel in einer geſchämig— 
verhüllenden Morgenbloufe, da fteht die ſchöne Pyramide 
ver herrlichen Apolloferzen, die ihr Licht aud unter 
Scheffel jegen muß, va alles ringsumher noch im Fin— 
ftern und Chaos liegt, und fo fajt die meiſten Gegen— 
ſtände diefes Theils des Annexes. 
En Mir verlaffen nun viefen Theil und betreten vie 
„Halle der Neutralität“, die große Mittelhalle, welche 
alle Lurus- und Prachtgegenſtände allev Völker in ftricter - 
Neutralität verfammelt. 

„Did begrüß' ih in Ehrfurcht, prangende Halle, 

Eäulengetrag'nes, herrliches Dad!“ 


Paris, 23. Yuni 1855. 
Der Wiener Menfh und die Parifer Uhr. 


Der Himmel nahm einen Baten Erde und ſchuf 
daraus einen Menſchen. Einen Menfchen, ja wohl! Aber 
das war noch lang fein „Wiener!“ 

Das wird wohl ein „Schwechater“ gewejen fein, 
oder ein „Leutomiſchler“, aber fein wahrer Wiener! 
Der Wiener ift aus einer ganz eigenen Erde ger 
macht! Aus einer »terracotta«, wie fie uns Miesbach 
producirt; aus einer Erde, die erſt in „Obers“ gekocht, 





dann in „Semmelbröferl” ein bischen herumgewälzt, 
dann in frifcher Butter geröftet und dann mit Zuder 
und Zimmt beftreut wird. 


Eva kann ſchon eher eime „Wienerin“ geweſen 
ſein, wenigſtens war ſie das erſte „Schnitzel“, welches 
dem erſten Menſchen aus dem Leib herausgeſchnitten 
wurde. 

Erſt als ſich der erſte Menſch gut ausgeſchlafen und 
vom Baume der Erfenntnig gut gefrühſtückt hatte, als 
er neben feiner grad auch eine hübſche Schlange zum 
Umgange hatte, als nachher Ara und Zilla Sängerinnen 
wurden und Jubal einen Walzer jpielte, wurde ev ein 
Wiener ! 

Ein Wiener fann ſchon alſo getroit nad) Paris 
gehen, denn er findet ſich nicht beleidigt, daß ſich vie 
Barifer für die „erften Menſchen“ halten. Wir Wiener 
jagen gemüthlih: „Out, fein ihr in Gottes Namen Die 
erſten Menjchen, wir find die zweite und vwerbefjerte 
Auflage.“ 

Aber die Parifer beftreben fi, die Fremden wenig- 
ftens in einer Beziehung in ven Zuftand ver eriten 
Menſchen, in ven Naturzuftand zu fegen: fie ziehen fie 
aus! — 

Die Wiener klagen: es ift theuer! Ste werden ſich 
verfündigen! Geftern fpeiste ich bei einer allerliebten 
Pariferin und fie erzählte mir, ein Pfund »Filou« over 
ein »Filet de boeuf« foften 21/, Fres., alſo einen 








Gulden Silbergeld! Ein Tag in Paris foftet jo viel wie 
eine Woche in Wien! 

Aber was ift in Paris „ein Tag?“ und „es wird 
Abend und es wird Morgen, ein Tag!" In Paris ift 
wirflih nur die Zeit von „Abend bis Morgen“ ver 
Tag! Der Wiener Menſch, ver fi) nad ver Parifer 
Uhr richten will, der wird bald zu früh, bald zu fpät 
gehen, bald wird er ganz ftehen bleiben! 

Die Tageszeiten Morgen, Mittag, Abend, Nacht 
findet ver Wiener hier ganz auf den Kopf geitellt. 

In jedem Menſchen jtedt eine Wanduhr: „Ma- 
gen“ genannt. Im Wiener jjt diefe Uhr eine „Repetir— 
Uhr." — 

Der Wiener, der dieſe feine mitgebrachte Uhr nad 
ven hiefigen Speifeftunden richten will, wird lange zu 
thun haben und wird die Uhr ganz ververben! 

Der Wiener zieht dieſe Uhr viermal des Tages 
auf, der Parifer eigentlich nur einmal! 

Ih bin recht unglüdlih, ich habe ven Schlüffel 
zu meinem Magen jhen ganz verloren, ich weiß ſchon 
gar nicht mehr, wie viel Uhr auf meinem Magen ift! 

Ih bin gewohnt, Morgens um 6 Uhr aufzuftehen ! 
Ich bin gewohnt, den Tag wie Spargel zu genießen, 
oben den Kopf, ven Morgen, und das Andere wegzu— 
werfen. 

Morgens um 6 Uhr da wet mic meine Wiener 
Weckuhr: der Magen! Er ſchlägt: „Ein Glas frifches 
Obers!“ 


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120 


Sechs Uhr Morgens! Wenn ich hier um 6 Uhr 


Früh ausgehe und der Portier macht mir die Thüre 
auf, jagt er: „Monſieur fommen ſpät nad) Haus!“ 

Ah, ein Morgen in Baren! Wo bift Du, golve- 
ner Anfangsbuchftabe des Badner Tages?! 

Eine Morgenftunde in Baden! Poetifhe Erftlinge 
der lieblihen Hore! Morgenftunde in Baden! Neizende 
Präludien der langen Tagesoper! Wie jehn’ id) mid) 
nad) Dir! Morgenftunde im reizenden, lieblichen, herzi— 
gen Baden! Süße finnige, innige Wiegenmärden an 
ver Wiege des Tages! Wie jehne ih) mich nad) euch! 

Der Morgen fehlt in Paris ganz! Dieſe liebliche 
Vorrede des Tages ift aus dem Pariſer Leben ganz 
herausgerifjen! Um 9 Uhr fängt hier der Tag an Die 
Augen aufzufhlagen, bis 10 Uhr reibt er ſich ven Schlaf 
aus den Augen, bis 12 Uhr geht ev im Sclafrod 
herum, und erft um 3 bis 4 Uhr ift ver Tag ein 
gemachter Menſch, ver ausgehen und fi ſehen lafjen 
fan. — 

Aber um 6 Uhr Morgens fieht der Wiener Menſch 
ſchon auf ven Magen und will „Caffee“ und „Dbers“ 
und wenn der Menſch in Baden iſt, will er aud „an 
Baunzerl” wie mein Freund ©. Mayer, aber auf vem 
Parifer Magen ift erſt um 10 Uhr vie Caffeeſtunde! 
Un 10 Uhr aber ift auf dem Wiener Magen jchon Die 
„Bäuſchel-⸗“ over „uliasfleifh- Stunde!“ Um 1 Uhr 
Mittags aber da läutet ver Wiener Magen Mittag! 
Da wird im Menfchen ver Wiener Magen wach und 





u 4 Ss 
















: = ? ſtellt ſich auf die Hinterbeine, und alle Wiener Magen— 
erinnerungen ſteigen empor, und die deutſche Gründlich— 
keit des Eſſens und vie Wiener Gemüthlichkeit des Eſſens 
beſteht auf ihre Grundrechte, und der Wiener Magen 
als Mittagewächter ruft: 

„Alle meine Wiener und laffet euch jagen, 

Der Hammer hat Mittag geichlagen, 

Gebt Obacht auf die Parijer Gericht, 

Daß eurem Magen fein Schaden geichicht !“ 

Die dummfte Dummheit aller dummen Dumm— 
heiten ift die Dummheit, wenn man jagt: „Efien it 
J Nebenſache! Eſſen iſt ordinär! Geiſtreiche Menſchen, 
gebildete Menſchen, halten nicht viel auf's Eſſen!“ 
DW: 

Der Teufel auh! Gut efjen it ein geiltveiches 
Ding! Ganz gut efien ift ein finniges Ding! Ausge— 
zeichnet gut eſſen iſt eine —— iſt die Lyrik des 
Magens! 
oAucullus war auch fein Eſel! — war auch 
fein Trottel und Herr von Saphir iſt auch fein Hans 
Jörgel von Speiſing! 
Dt es zu glauben, daß die Natur ein „junges ge— 
wickeltes Imdianchen“ mit einem „Salat aus Ananas- 
fpalten“ für die Dummköpfe hervorgebracht bat und 
indfleiſch mit Fiſolenſalat“ für die geiftveihen Men— 
ſchen? Sollte vie Schöpfung wirklich ihre „Trüffel: 
paſteten“, ihre „Faſane“, ihre ‚Gansleberpaſteten“ - für 
die Schafsköpfe und „Dämlakels“ produeirt haben und 


für die Dichter, Künftler, Philofephen, guten Politiker 
nichts als „Sarotten“, „Exrbjen“, „Bohnen“, „Pluns 
zen“, „Quargel“ und „Sauerkraut! ?" 

Hat die Borfehung dem Menfchen Geift und Wit 
und Genie gegeben, um „Knödel“ und „vothe üben“ 
zu verdauen und Magenprüden zu befonmen; und hat 
fie dem Menſchen Dummheit, Bornirtheit und Geiſt— 
lofigfeit gegeben, um „junge Hendel“, „grüne Erbſen“ 
u. ſ. w. in gevanfenlofer Gemüthlichfeit zu verdauen?! 

Wenn dies wirflih im Haushalt ver Cchöpfung fe 
eingerichtet fein ſollte, geh' ich gleich zu einer neuen 
Tagesordnung über: am Schreibtifch ein  geiftreicher 
Menſch, am Speifetifh eim dummer Kerl! Aber jo 
dumm, Daß mir die Schöpfung Caviar, Auftern, Schne- 
pfen u. ſ. w. als Handgeld der Dummheit in Ueberfluß 
geben muß! 

Alſo um „ein Uhr“ wird Die Dummheit im Wie- 
ner Magen wach und will ihr Honorar haben! 

Da ift guter Nath theuer! Ein Mittelding zwifchen 
Sabelfrühftüd und Diner! 

Der Wiener Magen jchreit: „Kellner, a Suppen!“ 
O holde Naivetät eines Wiener Magens! Das ift leicht 
gejagt: „a Suppen!" Aber um ein Uhr, wo das Rind— 
fleiſch noch in Morgenpantoffeln herumgeht und Die 
Hühner noch das »Journal du matin« leſen! — Oper 
„a guts Stüdel mürbes Rindfleiſch!“ 

„Da, diefe Töne! Wie verführen fie mein Ohr!“ 
Rindfleiſch? «veau?« mo? gigot? mouton? Ad, Gott, 








2 ER Ochs, das Kalb, das Schaf, die gehen um ein Uhr 
alle noch auf dem Boulevard auf und ab! Cs bieibt 
| nichts übrig als: »du the« avec »deux oeufs A la 
coque!« Thee mit Eier! 
Wenn man aber einem Wiener Magen um 1 Uhr 
„Shee mit weichen Eiern” antragt, glaubt ev, man ſpricht 
böhmijc mit ihm. Der Wiener Magen fagt: „das ift 
ja eine entjegliche Begriffsverwirrung! Iſt's denn jet 
8 Uhr Früh auf ver Parijer Uhr?" Da thut einen ver 
Wiener Magen weh! Aber e8 liegt etwas Rührendes, 
etwas Naives, etwas ungemein Liebevolles in dieſem 
Magenweh! Es it das Heimmeh des Apperit$, Die un— 
ergründliche Sehnfuht nach ven Mehlipeisbergen ver 
- Heimat, nad dem Kuhreigen der Wiener Köchinnen! 
Fe: Bon ein Uhr bis jehs Uhr geht ein „halbgegefie- 
{ ner Wiener“ in Paris herum, d. h. ein Menſch, ver 
nur halb gegefjen hat und deſſen andere Hälfte nod) ven 
Gegenftand feiner Liebe ſucht! 
Um ſechs Uhr ſchlägt's auf ven Wiener Magen 
„Saufen!“ Aber die Parifer Uhr ſchlägt Mittag! Nun 
aber verliert der Wiener Magen die Geduld, es wird 
ihm zu weh! Alle Organe altveutfcher Verdauung und 
alle Spradiwerkzeuge des Wiener Appetits erheben ihre 
Stimme, fie lärmen und toben und ſchreien durchein— 
ander wie im der Paulsfirhe und man geht an vie 
— Befriedigung des inneren Menſchen, des primitiven 
Menſchen! 












— UT 


124 


Aber wie und wo und was und wie theuer?! Da 
liegt der Necenfent begraben ! 

Wie? Wie ein Menfh oder wie eine Beftie? Ent- 
weder effen over fich füttern ! 

Wo? Entweder bei Very oder Wefour, d.h. im 
„zampel‘ oder bei „Munſch“ over bet einen marchand 
de vin, d. h. im einem „Beifel!“ 

Was? Entweder etwas zur Exheiterung des Ma— 
gens, zur Ergögung des Gaumens, zum Privatvergnür 
gen der Zungennerven, over eine Borftellung zu Beten 
eines halbausgehungerten Individuums, ein Benefice 
für den bellenvden Hunger, eine Einnahme für die fol- 
genden Unterleibsbefchwervden, Bauchweh und Anſchop— 
pungen! 

Wie theuer? Entweder bei „Philipp“ in »Montor- 
gueil«e zu zwanzig Franes orer um 32 Sous dem 
Appetit in feinem erjten Stadium die Zähne ausgerifjen 
an Nattenfleifh von vorgeftern und an jungem Kalbs- 
fleifch von alten Sagen. 

Die meiften Wiener, wenn fie herkommen, eſſen 
va prix fix!«, »a prix fix!« „das heißt nie!" zu zwei 
France, das halt ver Wiener einen Tag aus, am zweiten 
jagt fein Magen ſchon: „Mir wird völli entri!“ am 
dritten Tag ift fein Magen wie mit Asphalt gepflaitert, 
und jeder Biffen im Magen ſchreit: „außa möcht’ i!" 

Wenn der Menfh hier wie ein Wiener eſſen 
will, und wenn der Wiener hier wie ein Menſch efjen 





— 





will, fo muß er — am bejceivenften — Folgendes 


eſſen: 


Suppe: »Bisque!« — 2 Br. 
(»Bisque« ift ein Krebsſchweifelſuppe.) 
»Un quart de chapon aux petits pois« 3 dr. 


| (d. h. ein Biertel Capaun mit jungen Erbſen.) 
i _ »Une Plombiere« oder eine andere Mehlipeife 2 Fr. 
- Das find ſchon fieben Franc, ohne Brot, ohne 
Wein, ohne Defjert, ohne Käs u. f. m. 
Bei einem folhen Mittagseffen bemächtigen fid) des 
Wieners vier Parorismen ! 
’ Der erite Parorismus ift „ver Parorismug der 
Grandigkeit!“ Der Wiener ift grandig über diefen Speis- 
zettel, in dem er ſich nicht auskennt über dieſe lange 
Brotſtange, die er nicht zu placiven weiß. 

Der zweite Parorismus ift der „Parorismus der 
Ungeduld!“ Nach der Suppe muß er warten, da hilft 
nichts, Fein: „Best machen Sie's aber einmal!“ 

‘y Der dritte Parorismus ift der „Parorismus ver 
Rückerinnerung!“ Beim »boeufe, bein »mouton« u. ſ. w. 
erinnert er fih an feine „Schweinsknöchel mit Sauer- 
kraut“, an feine „Badhenvel”, an alle dieſe gekochten 
und gebratenen „Lieder ohne Worte‘, an alle dieſe 
»etudes« und »reveries« der Wiener Küche, und eine 

Thräne jchleicht fi) aus feinem Magen und rinnt über 
= - feinen innern Menjchen herab! Dann fommt ver vierte 
Parorxismus, der „Paroxismus des nervus rerum“: das 
Bezahlen! Acht Franes! 4 fl. C. M. Für 4fl. C. M. 















* 


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126 


gibt mir der „Hauptmann" im „Lamm“ eine ganze ge 
kochte Naturgefhichte! Aber Alle viefe vier Paroxismen 
werden von dem letten, von dem fünften Paroxismus 
überflügelt: von dem Parorismus des Nichtfattgemorven- 
jeins! Dev Wiener hat in Paris von Morgens 6 bi8 


Abends 6 Uhr gegefien, d. h. er hat geglaubt zu eſſen 


und tft — hungrig! Hungrig, denn er werfteht weder ven 
Styl ver Parifer Küche noch Die Behandlung des 
Speifezettels, nicht die Verftändigung der Speifen, nicht 
die Leerheit al’ dieſer vreihundert Gerichte und nicht 
das Phrafenthum dieſer »Carte du jour«, welche impo— 
nirt, aber nicht befriedigt: 

Dann nad) dieſem Tagewerf ift 10 Uhr, da ift 
im Wienev Menjhen Naht und in Paris beginnt 
der Zug. 

Da geht man eft in vie Theater! 

Der Franzoſe geht vom Tiſch, fatt, mit vollem 
Leib in's Theater — um zu verdauen; der Wiener geht 
vor dem Eſſen, hungrig, mit leerem Magen in's Thea— 
ter — um zu denfen! Darin liegt ver Grund, daß in 
Paris jeder „Schmarn“ gefüllt; das Publikum vwerdaut, 
im Stadium der guten Verdauung ift der Menjch ein 
Lamm, ein fanftes Lamm, ein milder Richter, ein Kind! 
Aber der hungrige Menfh, ein hungriges Publikum ift 
ftveng, iſt nüchtern, ein hungriges Publifum Denkt, es 
iſt krittlich; das ift ver Unterſchied. Doc nächſtens mehr! 








Paris ‚25. Juni 1855. 


Der Saal der Neutralität. — Deutſche Zündhölzchen. 
Geruchloſe Freikarten. 


Endlich gewährt der Anblick des Transſeptes einen 
befriedigenden, einen herrlichen, einen großartigen Anblick. 
Endlich liegen alle Wunder, alle Fabeln und alle 
Wirklichkeiten der Induſtrie in voller Toilette vor 
ung da! 
A - Mögen meine Leſer und holven Leſerinnen mir 
ihren holven Arm — diefes hold bezieht fi) auf die % 
- Leferinnen — reihen, um mit mir Spaziergänge durch 3 
dieſe taufend und einen Zaubergarten ver Induſtrie, 
des Luxus, der Kunſt und des Erfindungsgeiftes zu 
machen. 
— Ich werde meine Leſer nicht ermüden, wir werden 
nur bei dem Schönſten, dem Merkwürdigſten, dem Inter— 
eſſanteſten länger verweilen, wir werden unſerem Oeſter— 
reich Die galantefte und urbanfte Aufmerkſamkeit ſchenken, 
und wir werben inzwifchen, um Abwechslung zu bieten, wie 
die Ausſtellung ſelbſt, die ernſten Dinge durch Phantaſie— 
geſtalten, vie großen Gegenſtände durch kleine Spielereien, 
die Stein- und Erzmaſſen durch Blumen und Vaſen, die 
jr ſchweren und verblüffenden Thürme und Pyramiden durch 
Waſſerkünſte und Springbrunnen unterbrechen. Wir wer— 
den dem Leſer dann und wann einen Fauteuil zum Aus— 
xuhen, eine Lorgnette zum Ueberblick binfegen. Endlich, 

















meine lieben Lefer, können wir hier im Transſept here 
umgehen, ohne won Ballen angehalten zu werden, ohne 


daß Da eine Kifte uns zuruft: „Bis hierher und nicht 


weiter!“ ohne daß die Colli und zwifchen die Beine 
heranrollen. 

Wir gehen zum Mittelthor herein, hier in der 
Mitte begrüßen wir die erquickenden Tritone, welche ihre 
friſchen Waſſerſtrahlen in ein herrliches Baſſin ſtürzen, 
in welchem Blumen in wunderlieblicher Miſchung unter 
dem tropfenden Silber zittern und ihren Duft auch als 
Induſtrieartikel in die Räume umher ausſenden. 

Um dieſen blumigen, lachenden, reizenden Mittel— 
punct hat man einen Halbzirkel in Geſtalt eines offenen 
Salons angebracht und ringsumher Stühle, Seſſel, Fau— 
teuils, Banquettes von Sammt und Seide und Eben— 
holz u. ſ. w. Wenn ſich eine meiner entzückten Leſerin— 
nen auf dieſen Fauteuil von dunkelrothem Sammt ſetzen 
will, von hier aus kann ſie das Transſept in ſeinem 
ganzen impoſanten Enſemble am allerbeſten überblicken. 

Die Leſerin, die Geiſt für das Ebenmaß hat, wird 
von hier aus am beſten ſehen, daß dieſer Saal zu der 
Importanz ſeiner Größe und Ausdehnung die vollkom— 
menſte Harmonie der Zeichnung und Linien, das untadel— 
hafteſte Gleichgewicht der Formen beſitzt. Von hier aus 
bietet ſich die graciöſe Seite dieſes Saales am reizend— 
ſten dar, während der Anblick von der Galerie des 
erſten Stockes den überraſchendſten, den verblüffendſten 
Eindruck hervorbringt. Der Anblick aller dieſer National— 








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farben auf den verſchiedenen Fahnen und Pavillons ſoll 
uns eine Einheit in der Mannigfaltigkeit zeigen, eine 
Neutralität in der Induſtrie, die mit nichts bewaffnet 
Fi als mit Geſchmack, Luxus, Fleiß und Erfindung, und 
die beſtimmt ift, aus allen Lebenden nur eine Nation 
zu machen. 

In dieſem Theile der Ausitellung, welcher Haupt: 
fählid ven Anblick der vereinigten Induſtrieſtaaten dar— 
ftellen joll, bilden die Fahnen der Nationen, welche am 
mehrften zu dem Grundgedanken dieſer Induſtrieeinheit 
beigetragen haben, die Hauptpuncte. Hier flattern vor- 

zugsweiſe die Bahnen Englands, Belgiens, der VBereinig- 
ten Staaten, Oeſterreichs und des Zollvereins. 

Ohne in die Unterfuhung einzugehen, ob vie „Aus: 
ftellung“ einen beſſern Ueberblid gewährt hätte, wenn fie 
nad) ver impuftriellen Ordnung, fozufagen wie ein 

Fach-Catalog, nad) ven Gegenſtänden gereiht gewefen 
wäre, muß zugegeben werden, daß dieſe Anordnung: 
die Nationen und ihre Producte jede beſonders zu ran— 
: giren, einen originellen und malerifchen Anblick gewährt. 
Mir werden in Den andern Räumen, in ven Ga— 
ferien und Anneren auch Gegenſtände der Induſtrie und 
der Kunſt aller Yänver finden, aber in viefem Raume 
. finden wir die Blüthen der Induſtrie, Die fih in Form, 
Luxus, Stoffe u. j. w. am meiften dem Nunftgebtete 
nähern. Die Gegenſtände in dieſem Transſept bieten 
neben dem Ausdruck ihrer Nützlichkeit und practiſchen 
Eriftenz aud) den Ausprud des Schönen, des Anmuthigen, 
AM. ©. Saphir's Schriften, XIII Bd. 9 


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des Gejhmadvollen in Formen, Farben, Verhältniſſen 


und Gonftructionen. 

Es it wahr, die Kunft geht für ſich allein, fie 
hat ihr Reich für fih, und fie allem, mit allen ihren 
Kerzen und Strahlen, würde fie doch nicht ausreichen, 
um die „Induſtrie“ zu beſeelen; aber Die Induſtrie 
allein, das Geſchick der phyſiſchen und mechaniſchen 
Kraft allein, ſelbſt die Wiſſenſchaft der Arbeit allein 
würde nicht ausreichen, um der Induſtrie den vollen 
Auffhwung zu geben, ohne den Genius der Schönheit, 


ohne den Genius des Comforts, ohne ven Genius der. 


fymmeiriihen Form zu Hilfe zu vufen. 

Kur Induſtrie und Kunſt Hand in Hand find 
Körper und Seele, fie müfjen zu ammengehen, ſich gegen= 
jeitig halten. Eben aus dieſem Gefichtspuncte genommen 
bietet Diefer Saal das Gretna- Green, im weldem ſich 
Induſtrie und Kunft aller Völker ohne viel Ceremonie 
vermälen, die bejte Gelegenheit, den Gewerbefleiß, ven 
Geift ver Induſtrie, der Erfindung, Der Berbefjerung, fo 
wie den Geſchmack und Die Kunſtidee in den verſchie— 
denen Öegenftänden ver verſchiedenen Völker zu beurthei- 
(en und aus denfelben fennen zu lernen. 

Im Mittelpunet ftehen Die großen Anfangsbuch⸗ 
ſtaben, die Maibäume, die exceptionellen Prachtſtücke, 
und um dieſen Mittelpunct reihen ſich nad) den Ländern 
nit ihren Trophäen die andern Pavillone der Induſtrie 
und Kunſt. 

Der erſte Gegenftand, der am aufpringlichiten ım 








die Augen jpringt, find die „Leuchtthürme“ Phares). 
Nun, es ift ja ihr Zwed, ſchon von ferne gejehen zu 
werben ! | 

Wie foll man dieſe Gegenftände und wer foll fie 


beurtheilen? Leuchtthürme, Tubuſſe, Himmelfernröhre find 


nicht nach ihrem Anblick, nach ihrer Schönheit zu be— 
urtheilen! Man müßte fie verſuchen! Man müßte die 
Diviſionen, die Dimenſionen, die Präciſionen kennen, 
verſuchen, man müßte Schiffbruch leiden oder einen Ko— 
meten eben auf der friſchen That der Erſcheinung er— 


tappen! 


Die Pariſer Blätter ſagen über dieſe Gegenſtände: 
»La seule garantie qu'ait le public de la valeur 
d’un tel instrument vient du nom de la maison que 


_ Ta construit.« 


Wenn aber ver Name des DVerfertigers Die einzige 
Bürgſchaft für die Vollkommenheit des Berfertigten ift, 
zu was eime „Jury“, zu was eine Beurtheilung 
der Sache, wenn das DVerdict im Namen des Erzeu— 
gers bedingt it?! 

Ganz fonderbar unter dieſen Inftrumenten, welde 
das „Kameel des Meeres", das Schiff, im den ficheren 
Hafen leiten, welche ven Himmel der Erde näher bringen 
und die Sterne wie ſchöne Damen unter ver Lorgnette 


der Altronomie erröthen machen, nimmt ſich eine „Equis 


. 





page aus Drüfjel“ aus! Ein Wagen, eine Kalefche, eine 

Caroſſe, ih weiß nicht, mie ich fie nennen foll. Iſt es ein 

Landauer“, eine „Berline‘, en Schwimmer?? Ich 
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132 


weiß es nicht; es ift eine Prachtfutfehe won » Jones 
Freres« aus Brüffel. 

Diefer Wagen hat nur meine Beratung in Anz 
ſpruch genommen, daß er im großen Saal fteht, zwijchen 
der „Aſtronomie“ und der „Religion“, zwifchen ven 
Coupolen, Altären und Kirchengewändern Belgiens, weil 
Belgien ift »la Belge, soeur aimee de la France«, 
während der Prachtwagen unferes Wiener Bürgermeifters 
in die Anneres verwiejen wurde, unter die anderen uns 
beveutenden Wagenfabrifaturen. Aber e8 gibt eine Neme— 
jis aud für Wagenbauer! Während dieſer Wagen im 
großen Saal gar nicht angefehen wird, zieht der Wiener 
Wagen im Annexe alle Aufmerkſamkeit auf fi). 

Nun nähern wir uns mehr ver Frontſeite, und da 
find wir auf heimiſchem Boden. Da find die böhmiſchen 
Slaswaaren und die Pyramiden Der Terra-Cotta, Der 
Springbrunnen aus Miesbahs Schöpfungen, um welche 
fid) Die Maſſe befonvers drängt. Diefe Gegenſtände alle 
werden wir, lieber Leer, fpäter im Einzelnen in Augen- 
ihein nehmen und würdigen, und von Da aus tiefer 
in die öfterreihifhe Zone eindringen. 

Für heute genug des Ernftes umd num aud etwas 
Amuſantes! Die Schwache Seite der Parifer Imduftrie 
ift befanntlid) die „Zündhölzel-Fabrikation“! Sonderbar, 
ein Volk, das aus lauter „Zündhölzel“ beſteht, frabricirt 
Zündhößzel, zu welden man Feuer anmadhen muß 
wenn man fie anzimden will. in Parifer Zündhölz— 
chen befteht aus einem Holzprügel, der vor einem Ge— 


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danken von Schwefel vorbeigegangen ift, und ven man 
fünf Minuten lang au Die Wand anveiben muß, bis 
er in Feuer gerät), dann wie Mephiftopheles einen 
peftilenzialiihen Scwefelgerud Hinter ſich zurüdläft. 
Ich habe dieſe meine Schwefelhölzhennoth im ver veut- 
ſchen Abtheilung der Annexes laut werben lafjen, und 
jiehe da: am andern Morgen erhalte id ein Dutend 
Zündhölzchen-Packete aus ver f. k. Phospor- und Zünd- 
bölzchenfabrit des „Bernart Fürth zu Schüttenhofen und 
Golvenfron in Böhmen“. 

Ja, es gibt noch ſchöne Seelen! Böhmiſche ſchöne 
Seelen! 

Und ſeit dieſer Zeit habe ich ruhige Nächte! Denn 
das ſind Zündhölzchen, denen man nur zu ſagen 
braucht: „Zünd dich an!“ huſch! und man hat Licht! 

Die Pariſer ſind auch von unſern Zündhölzchen 
ganz entzückt! Es ſind auch Zündhölzchen, wie ſie der 
kühnſte Gedanke nicht herrlicher erfinden kann! Ein jedes 
Züuündhölzchen ein Blitz! Und gar fein Schwefelparfum! 
Ih amufire mid, wenn jchlechtes Wetter ift und zünde 
die Hölzchen nad) und nad) an. 

Der Leer Sieht, daß ih nicht undankbar Bin! 
Wenn nur fein jo großer Unterſchied zwijchen den „Cali— 
forniern“ und den „Böhmen“ wäre! Ich habe mic 
auch über die Goldklumpen aus Californien ſehr lobend 
ausgejprodhen, aber glaubt der Leſer, es hat mir irgend 
ein Californier auch nur einen Viertelcentnev Gold ges 
ſchickt? Schmutzerei! 


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Weil wir eben von „Schmutzerei“ jprehen, ein 
Artikel, welcher in der „Welt-Intuftrienusftellung“ nit 


fehlen darf, und in dem alle Bölfer jo ziemlich mit dem— 
jelben Vorwärtsſchritte und mit demſelben industriellen 
Fleiß arbeiten, will ic) meinen lieben Leſern eine 
Schmutzerei ver Ausitellung erzählen, die ich aber nicht 
recht anzufangen weiß! 

Es ift ein delicater Gegenftand, d. h. nicht Delicat, 
im Gegentheil undelicat, aber weil er undelicat ift, ift 
es jehr delicat, venfelben mitzutheilen. Wie fell ich Die 
Sache beginnen? der Sade „ein Mäntelchen” umhän— 
gen? Aber es handelt ſich niht um eine Unveltcatefje- 
fürs Auge, jondern für die Nafe! Die Sache umfchrei- 
ben? Ein Gegenftand läßt ſich umſchreiben, eine Sadıe, 
ein Gedanke, aber nicht ein Geruch, wenn id) jage „Ge— 
ruch“, fo nenn’ ic) grad das Gegentheil! — Aha! das 
ift ſchon eine Umfchreibung! Es wird mir vielleidht ge- 
lingen, dem Leſer die Sache begreiflih zu machen, ohne 
ıhn gerade mit der Naſe darauf zu ſtoßen. Eine gejchidte 
Feder kann um den Brei herumgehen und ihn bejchreiben, 
ohne gerade ven Brei zu berühren. Wenn id) ſage „Brei, 
jo ift daS blos wieder eine Umschreibung, ein Specialauss 
trud für die Gattung „Brei“. 

Alſo zur Sade, d. h. nicht zur Sache felbjt, venn 
ich habe ja ſchon gejagt, daß ich die Leſer nicht bei der 
Naſe herumführen will, am allerwenigiten zu ver Sache, 
von welder id in verblümter Symbolif zu fprechen 
habe. — 





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Wie werde ich die Sache ganz fein beginnen? Ich 
werde grade vom andern Ende, von Gegenftüd, an— 
fangen, over eigentlih von der erſten Grundurſache ver 
eigentlihen Sache, von welcher ich reden will. Alfo im 


Induſtriepalaſt· findet man auch „Buffets“ und „Re— 


ſtaurations“, zu trinfen und zu efjen. 

Wenn der Lejer nur ein bischen jharfjinnig ift, fo 
wird er dieſe Auſtalten als Grundurſache in ihren 
Wirkungen für andere Anftalten herworriehen müfjen. 

Wenn der Leſer das errathen hat, ohne daß ich fo 
undelicat war, es ihm zu jagen, dann find wir dem 
Dinge jhon ein wenig näher, aber doch nicht jo nahe, 
um eine Prife zu nehmen, wenn wir zum bäßlichen Ge- 
fchleht gehören, aber ein Flacon, wenn wir zum ſchönen 
Geſchlecht gehören. 

Alſo in Hinficht Des Vocals weiß ver errathende 
Leſer nun ſchon, daß es die „Antitheje ver Neftauration“ 
it, und im Hinficht des Zwedes, daß es die logifche 
dolge des Eſſens und Trinkens ift. Wir find alfo ſchon 
um einen beveutenden Schritt weiter und waren fo 
glücklich, Die Delicatefje der Yefer noch nicht verletst zu 
haben, obwohl wir fie jchon über ven kitzlichſten Punct 
weggeführt haben. 

Der Bejuh der „Neftauration” bat feinen » prix 
fix«, die Ihätigkeit des Magens ift unbeſchränkt. Mean 
fann die „Reftauvation” beſuchen zu 2 Franes, zu 10 


Frances u. ſ. w., je nachdem man Appetit hat und 


Durſt. Der Beſuch aber ver Antithejen, vie Frequenz 





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136 


jener Näume, die der Exrportation jener Producte ge- 
widmet find, die im ven „Nejtaurations" importirt wor— 
den find, dieſer Befuh tft vier Sous prix fix! Da 
wird nicht nur auf Rang und Stand feine Rückſicht 
genommen, fondern aud feine Nüdficht, ob der Be— 
ſucher Speifen um zwanzig France eingeführt hat over 
Speifen um einen Franc! Das ift die »equite«, Die 
„Sleichheit", welche »preside aux Echanges«, die Gleich— 
heit, welche beim Austauſch ver Dinge herrft. 

Nun aber fümmt die Dauptangelegenheit. Der In— 
haber dieſer „Neftaurants" und ihrer. „Gegenſätze“ iſt 
Herr Cardailhac, früher Mitdirector des Vaudeville— 
theaters. Dieſer Exdirector begehrt nun von allen Wäch— 
tern und Arbeitern, die im „Induſtriepalaſt“ beſchäftigt 
find, für jeven Beſuch viefer unausſprechlichen Conſe— 
quenzen ver Nejtaurations vier Sous! 

Diefe armen Wächter und Arbeiter haben zwei 
Frances täglich, Das machen zehn Entrees in Die Ge— 
mächer des Unausſprechlichen! So oft ein folder armer 
Arbeiter einen gewilfen Rädergang in dem natürlichen 
Mechanismus feines innern Individuums verjpürt, muß 
er vier Sous auf ven Altar der menſchlichen Begeg- 
nifje niederlegen! Wenn nun ein folches innere Indivi— 
duum durch fchlechtes Wetter, durch Temperaturwechſel 
u. ſ. w. zu einer öfteren Repetition der Nothwendig— 
keit gezwungen wird, was bleibt ihm über, um zu der 
Grundurſache dieſer Nothwendigkeit, zur „Neitauration" 
gehen zu können? 





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157 


Iſt es nicht ebenjo gerecht und witig, wenn man 
hier dem Exdirector des Theaters zuruft: „Wie, Herr 
Theater- und actueller geheimer Cabinets-Director, Die 
Angeftellten beim Theater haben „freien Eintritt“ in's 
Theater, und ven Angeftellten im Induſtriepalaſt wollen 
Sie feine Freifarte zu dem Schauplatz geben, wo die 
Rataftrophen ver Neftaurationsjtüde vor fih gehen?“ 

Dieje Angelegenheit zu beipreden , würde die deutſche 
Sournaliftif für undelicat halten, die hiefige Journaliſtik 
ift aber practiſch! Sie reißt ven Leuten die ungeredhten 
Dinge unter die Nafe, und wenn diefe Dinge noch jo 
antinafal wären! Dieſe Sade ift fir 200—300 arme 
Arbeiter eine Lebensfrage! ⸗ 

Ich bin aber jetzt ein deutſcher und franzöſiſcher 
Journaliſt, ich verbinde die franzöſiſche practiſche Auf— 
faſſung mit der deutſchen Schamhaftigkeit und Zartheit, 
und ſo bin ich ein wahres Weltwunder! Ich bin über— 
zeugt, die Wiener haben ihre Herzensfreud an mir, i 
laß’ grüßen und d'Hand küßen, i wär’ halt jo gern 
ſchon wieder bei ihnen ! 


Paris, 27. Juni 1855. 
Ein feines Ehe-Drama. — Friedrich der Große und 
Die. Dejazet. 
Ich werde heute dem Lejer zwei Eleine Dramtolets 
vorführen. Das evite ijt ein „Allifen- Drama“ und fptelt 
im Gebiete der ehelichen Treue, ein Gebiet, das fo oft 


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138 


feindliche Invafionen erduldet, ein Gebiet, das leider 


nicht immer vom Princip der Nichteinmifchung reſpee— 
tirt wird. Es ift dieſes kleine Drama komiſch-tragiſch. 

Die Handlung fpielt im Quartier St. Honore. 
Der Held ver Begebenheit ift fein Held, im Gegentheit, 
es it ein Ehemann, Herr X. , die Helvin des Stückes 
it jeine Frau. Herr X. glaubt Urfache zur Eiferfucht zu 
haben. Ein anonymer Brief facht dieſen Argwohn noch 
mehr an. Diefer anonyme Schutzengel ehelicher Pflicht 
jagt dem Herrn X., wenn er fi überzeugen will, jo 
jol er fih Abends nur am Ef ver Straße Miont- 
martre poftiren, in Nr. fo und fo hätten Frau und 
Hausfreund ein Privatenbinetchen für die Abenpftunvden 
genommen. 

Ein eiferfüchtiger Ehemann it ein Pulverfaß, wenn 
ein anonymer Brief in es fällt, Äpringt es in die Luft! 
Anonyme Briefe find gewöhnlich Ausbrüche verfhmähter 
Liebe, Erzeugnifje elenver Erbärmlichkeit! Aber Diesmal 
jollte die Ausnahme der Regel ftattfinden. Herr X. 
beſchloß, fih auf vie Lauer zu ftellen. Aber er ift nicht 
nur eiferfüchtig, ev ift aud) vorfichtig. Sein Waſſerträ— 
ger ift zugleich Holz und Kohlenhänpler. Herr X. jagt 
zu feiner Frau, daß er heute Abends nicht nad) Haufe 
fonıme, danı geht er zu feinem Waſſerträger, und unter 
dem Vorwand eines Scherzes, ven er Jemand machen 
wolle, leiht er fih deſſen Kohlenhändlerkleiver aus, 
ſchwärzt fid) das Angefiht und die Hände, krämpt ſich 
zum MWeberfluß ven Hut tief in's Gefiht und poftirt 





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ſich in dieſem Eiferſuchtscoſtum vor das Haus ſeiner 
ehelichen Seligfeit. 
Aber die Berftellung ift eine weibliche Perſon und 
eine weibliche Handarbeit; die Männer verftellen ſich 
auuch zuweilen, aber fie werftellen fich, wie fie Strümpfe 
ſtricken, es thut's doch nit! Madame X. merkt etwas, 
fie riecht Lunte, fie traut der Promenade des Herrn Ge— 
mals nit. Sie bejchließt, nicht zum Rendez-vous zu 
‚gehen, aber ven Geliebten zu ſchreiben, var er fie heute 
nicht erwarte, fondern morgen um viefelbe Zeit. Sie 
geht aus, um ven Brief durch einen Commiffionär zu 
überfenden. Vor ihrem Haufe fieht fie einen Kohlen— 
brenner, fie läßt ein Fünffrankenſtück in feine Hand 
- gleiten und fagt: „Mein Freund! tragt ven Brief hier 
da und da hin und übergebt ihn ven und ven Herrn, 
nachdem hr ihn gefragt habt, ob er Herr B. heiße!" 
- Der ‚Herr Kohlenbrenner und Ehegemal erbrady den 
Brief und las, daß Das Rendez-vous morgen ftattfinven 
wird. Darauf ging er zu Herrn B. und fagte ihm im 
Jargon eines Kohlenbvenners, daß eine Dame fo und 
jo, von dieſer und dieſer Geftalt ihm aufgetragen habe, 
ihm zu jagen, daß es heute mit der bewußten Sache um 
die beſtimmte Stunde nichts ift, fondern morgen. Herr 
DB. ermangelt nicht, dem Kohlenbrenner dito 5 Fraues zu 
ihenfen! O Glück ver Ehe! ‚Zehn Frances verdient für 
nichts ! 
Am andern Abend placirt fi der Kohlenbrenner 
vor die Thüre des Rendez-vous-DOrtes, die Dame kömmt, 





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140 





der Kohlenbrenner holt die Polizei, das Pärden ift 
gerade in ver ſüßeſten Converfation, es ſpinnt ſich der 
zärtlichjte Liebesfaden. Da erjcheinen vie drei Parzen: 
Ehemann, Kohlenbrenner und Polizei, und ſchneiden ven 
Faden ab und ver Faden wird num vor den Affifen 
fortgeſponnen! 

Iſt das nicht ein allerliebſtes Dramolet? Einige 
Couplets dazu und die Poſſe iſt fertig! 

Nun bitte ich meine Leſer, mich zu einem drolligen 
Drama zu begleiten, einem Drama zum todtlachen. 

Hier gehen wir auf den „Boulevard der Verbre— 
hen“, auf ven Boulevard, wo jeden Abend die ſcheuß— 
lichſten Näuber- und Mordthaten vorgehen! Auf ven 
Boulevard, wo das »Theätre de l’Ambigu«, das 
» Theätre Porte St. Martin«, "das »Theätre de la 
Gaitö« u. ſ. w. einer jeden Mitternacht vie Pforten ver 
ihmwärzeften Verbrechen aufjchliegen, wo Kindermord, 
Brandlegung, Blutfhande, Meuchelmord u. ſ. w. in 

E vollen Colonnen über die Breter gehen; wo das Melo- 
drama mit blutigem Haupt, mit triefendem Dolch, mit 
Schlangenhaar und Giftbecher thront; auf dieſem „Bou— 
(evard ver Verbrechen“ ift heute große Bewegung! Aber 
das Berbrehen hat heute dem hiſtoriſchen Theil Platz 
gemadt! Im »Theätre de la Gaite« läßt heute Herr 
Dumanoir „Friedrich den Großen“ los! Friedrich der — 
Große als »Gamin de Berlin !« 

Das Stüd heißt: »Le sergeant Frederic«, und | 
Die. Dejazet ift Friedrich der Große. 


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Ich ſaß im Jahre 1831 im Vaudeville-Theater 
und Dile. Dejazet gab ven »Duc de Reichsstadt« in 
Barthelemy's »le fils de l'homme«. Ich vergoß Die 
deutſcheſte, die öſterreichiſchſte, Die wieneriſchſte, Das heißt 
die gemüthlichjte Thräne bei dent Spiele der Dejazet! 
Mein Freund De la Trouche, damals Redacteur vom 
„Figaro“, führte mid zu ihr; fie war veizend, friſch, 
verführeriich, verführt und verführend, fie war damals 
39—40 Yahre alt! 


Wenn mid mein Necdhnungstalent nicht trügt, fo 
ift demnach Die. Dejazet heute 63—64 Jahre alt, und 
doch jpielt fie noch den jungen Sergeant Friedrich, und 
dennod) hüpft fie noch als »gamin royal« und den— 
noch fingt fie noch Couplets wie die jüngfte der Nachti- 

gallen! 

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Aber das Stüd ift, wie gejagt, zum todtlachen. 
Man nehme nur die Perfonen: Der gute Katt heißt 
„Guſtav de Keif", dann fümmt ein „Baron ve Koppen 
Niken“ (2), dann ein Baron „ve Stolbaf" (Stolberg?), 
dann ein Monfteur „ve Chefeldoff‘, dann ein Baron 
„De Fanferlüche!!!“ 


Man nehme das alte Stück „Der Müller von 
Sans-⸗-ſouci“, „Zopf und Schwert" und andere deutſche 
Dramen aus jener Zeit und zerhade fie, und man bat 
noch feine Idee von dem Durcheinander dieſes Mad): 
werkes. Das Stück beginnt in einem Dorfe umweit 

Berlin; ein Bauer hält Kindstaufe, hat aber feinen 


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142 


Pathen. Da kömmt der Kronprinz Friedrich als Ser— 
geant und übernimmt die Pathenſtelle; in demſelben 
Augenblick kömmt auch die Prinzeſſin von „Wolfenbüttel“, 
welche ven Prinzen heiraten ſoll, fie fommt incognito 
und übernimmt mit Friedrich die Pathenftelle. Friedrich 
verliebt ſich fterblic in feine unbefannte Mitpathin. Er 
ftelt fih auf ein Faß, ſpielt vie Flöte, Die Bauern 
tanzen, die Prinzefiin tanzt mit, alles ift in dulei jubilo, 
da kommt Friedrich Wilhelm, ver Bater Friedrichs; 
natürlih mit einem großen Stod, mit vothen Hofen 
und in emem großen, blanfen Küraß; ein Mephiſto— 
pheles im Harniſch! Die Prinzeffin verftedt ſich hinter 
dem Faß, der König prügelt die Bauern, die Bauern 
ſchreien „Vivat!“ Prügel mit Vivat! Der König will 
ven Kronprinzen auch prügeln, der foppt ihn um Tiſch 
und Bänfe herum und fchneidet dem Herrn Vater Ge- 
fihter. Der König, der ſchon alle Lebenden durchge— 
prügelt hat, fängt an Saden zu prügeln! Er prügelt 
ven Tiſch, er prügelt Die Bänke, er prügelt das kron— 
prinzliche Faß, endlih will ev auch die Mühle prügeln, 
Die ihm im Wege fteht. Die Mühle muß fort, ver 
Müller jagt: Nein! Der König prügelt wieder, da fagt 
der Müller: »I y a des juges A Berlin.« „Es gibt 
in Berlin ein Gericht!" Die föniglihen Prügel werben 
von dieſem Müllerglauben ganz niedergeprügelt! Die 
Mühle wird pardonnirt, Friedrich Wilhelm wird ein 
guter Kerl, er prügelt nur aus Gemüthlichfeit! Der 
Act geht unter einem allgemeinen Tanz zu Ende, Frie— 


An 





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—— —— — 

drich und die Prinzeſſin von Wolfenbüttel fingen noch 
ein Goupfet: 

»Mi — mi — mi — 

Le roi va aux bois mi — mi — mi.« 


Im zweiten Acte wird Friedrich zum Yieutenant 
erhoben, venn er fol die Prinzeffin von Wolfenbüttel, 
die Nichte von Carl V. (!!) heiraten, und da er nicht 
will, weil er in jeine Müllerpathin verliebt ift, wird er 
mit dem Lientenantspatent bejtochen! Aber Friedrich will 

doch nicht! Er fagt zum Papa, „er will lieber in einer 
Hütte mit einer Geliebten wohnen, als in einem Palaft 
mit einer Nichtgeliebten, und wäre fie die Enkelin Carls 
des Großen!" Allgemeiner Beifall vom Publikum, aber 
nicht vom Papa, deſſen Stod recidiv wird und der jeinen 
Sohn abſchimpft, weil er mit dem ſchmählichen Voltaire 
im Briefwechjel fteht und ſogar — Berje made! 
Friedrich entflieht, er will nach Frankreich zu Voltaire, 
er nimmt feinen Freund ‚Keik“ mit. Aber er will auch 
jeine liebe Mitpathin entführen, er will fie auch zu 
Voltaire bringen. 

Keik aber will früher noch Abſchied von ver Ge- 
neralin „Stolbaf" nehmen, in vie er lieutenantlic ver 
liebt it! Friedrich belaufcht die Liebenden, vie in ver 
Laube jigen, und angeregt vom Geflüfter und Liebes: 
gelüfte jpielt der Kronprinz Friedrich im Garten eine 


eine ideale Geliebte, ſpricht mit ihr, ſinkt vor ihr auf 


„Solo-Pofje*“ mit Gejang und Tanz! Er bildet ſich 


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144 


jein inte, tanzt vor ihr, fingt ihr Liedlein wor, kurz, 
er macht alle Lazzi und Mäzchen eines Buffo. 

Aber der General Stolbaf läßt Die Liebenden über: 
fallen, Keik rettet ſich in's Schloß, Die Gurgelabſchnei— 
ver ihm nad, da ruft Sriedric Die Wache und jagt: 
„da drin iſt ein Deferteur!" Mit dieſem Staatsftreid) 
rettet er feinen Freund, der aber als Deferteur einge 
jteeft wird. 

Aber Friedrich Wilhelm verfteht feinen „G'ſpaß“, 
er will „Keik“ erfchießen laſſen; da gibt fid) Friedrich 
ale Mütveferteuv an! Keik ift zum Tod werurtheilt! 
Friedrich, um ihn zu vetten, taufcht feine Kleider mit 
Ihm. — 

Aber Keif will von dieſer Großmuth feinen Ge— 
braud machen und ftellt fi dem König. Friedrich aber 
it fröhlich und wohlgemuth, er venft an Boltaire, an 
Frankreich und fagt: 

„Wenn id) König von Frankreich wäre, in ganz 
Europa dürfte feine Kanone ohne meine Erlaubniß 
[osgehen !* 

Diefe Worte wurden vom Publifum mit ſtürmi— 
jhem Beifall aufgenommen, aber nicht jo vom König 
Friedrich Wilhelm, deſſen Stod wieder bereit iſt loszu— 
gehen! Aber ver König ift im Grund ein guter Junge. Die 
ganze Gejchichte geht gut aus! Keif wird pardonnirt, und 
anftatt erſchoſſen zu werden wird er avancirt! Friedrich 
liegt am Bufen des Baters, der in ven heißeſten Thränen 
zerfließt, die Prinzeffin von „Wolfenbüttel tanzt mit 





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| 
| 


Friedrich dem Großen und Friedrih Guillaume, einem 
Handlanger, die Königin tanzt mit „Koppen Niken“, 


die Pringeffin Lonife tanzt mit „Chefelvoff“ und alle 


befhliegen mit einem jubelnvden Galopp und Gouplet- 
gefang dieſes große hiſtoriſche Tableau aus der deutſchen 
Geſchichte! 

Geſpielt wird dieſes Stück wie in der Affenkomödie, 
mit Ausnahme ver Dile. Dejazet, die mir nicht gefallen, 
die mich nicht entzückt hat, die mid) aber in Vermunde- 
rung fette! 64 Jahre und fie fieht noch aus wie eine 
Frau von 36 Jahren, wie ein Page Cherubin! Sie 
fingt noch allerliebft, fie hüpft und tanzt noch wie eine 
Ballettänzerin ! 

Ich fage und führe viefes an zum Zroft und zur 
Herzerquidung unferer alten- jungen Liebhaberinnen in 
Deutſchland, melde den dummen Deutſchen ſchon zu alt 
find, wenn fie erſt noch ſchon um die 40 herum fid) 
befinden, und ich bin der dümmſte Deutſche unter dieſen, 
und ich bin aud fo dumm und will feine Gurli au 
naturel von vierzig Jahren; id) kann dieſe zähen Our: 
lis nicht mehr beißen! Und vie »Ninon de Lenclos« 
wachjen felten und die Dejazets find auch ſpärlich zu 
finden. 

Aber die Parifer find galanter, vielleicht auch ges 
rechter! Sie haben einen ‚„Adreßkalender“, einen „Hof 
kalender“, aber feinen „Künſtlerkalender“, fie zählen die 
Jahre der Künftler nicht, die Künftlerinnen haben für 
fie feinen Geburtstag ! 

M. ©. Saphir's Schriften... XIII. Bd 10 





146 


Die Dejazet mit 64 Jahren als Sergeant Frie— 
drich — hüpfend, zwitfchernd, lazzimachend, — es thut's, 
es thut's! und das Stüd it bis zum Herbft auf's Re— 
pertoir feſtgeſetzt! 

Die „Georges!“ die „Georges!“ Vielleicht 70 
Jahre! Ihr glaubt wirklich, fie hat „Regenſchirme“ tu 
Pacht beim »Palais de l’industrie?« Unfinn! Cie wird 
in nächfter Woche die „Rodogune“ im Odeontheater ſpie— 
(en. Vive la France! Wenn id 70 Jahre alt werde, 
geh’ ich nad) Paris und werde erfte Liebhaberin ! 


Paris, 1. Suli 1855. 


Die Frauentoilette vom Scheitel bis zur Zehe in ver 
Ausstellung. 


In den Zwifchenacten dee ernften Induſtriedramas 
werden wir mit unferen holen *eferinnen mandmal 
einen Gang durd) die Foyers des Lurus und der Toilette 
machen. 

Der „ Wein" für die Männer! „Der Wein erfreut 
das männliche Herz!” — Der „Pub“ für die Frauen! 
„Der Put erfreut Das meiblihe Herz!" — Die „Eigar- 
ven” für Pie Männer, vie „Spigen“ für die Frauen! 
Der ‚Meerihaum" für die Männer, der „Seiven-Cocon 
für die Frauen! Der „Kautjhuf" für die Männer, Die 
„Stieerei” für die Frauen! Der „Comfort“ für Die 
Männer, der ‚Luxus“ für die Frauen! Für die Männer 








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die „Induſtrie“, für die Frauen die „schönen Künfte*, 
für die Frauen die „Poeſie!“ Luxus iſt Poeſie! Ohne 


Frauen wäre die Menfchheit ein Thiergarten, ohne 


Poeſie die Frauen Naturproducte, ohne den Luxus wären 


Induſtrie, Gewerbsfleiß, Fabrikation armjelige Tag— 


löhner! 


Es gibt hier einige Journale, wir wollen ſie um— 
ſchreibend Quäkerblätter nennen. Dieſe ſind ſehr grim— 
mig über Diejenigen Journale, welche gettesläftrig genug 
find, über Lurusartifel zu fhreiben, fie zu empfehlen! 
Als ob der Fall der Menſchen nicht vor ver Erfindung 
der Spiten und Eeivenftoffe ftattgefunden hätte, als ob 
die Sünde nicht früher in die Welt gefommen wäre als 
die Modeſchneider! Die Schlange hat feine Juwelen ges 
tragen und das erſte Weib trug feine Mantifle,. um ven 
erften Sünder zu locken! 

Bon dem Augenblid an, in welchem alle Frauen 
anfingen, ſich zu kleiden wie die Quäfer, würde alle 
Induſtrie auf halben Cold geſetzt werben! 

Machen wir alſo einen kleinen Rundgang kreuz 


und quer um die Gegenſtände der Frauentoilette. 


Den „Spiten" gebührt ver erſte Dlid! „Spiten ! 
Brüſſeler Spitzen!“ „Augufte Lefebure“ hat den Wett: 
fampf mit Belgien und Brüſſel kühn unternommen! 
Bor diefem Glaskaſten ftehen die Frauen und werfen die 
zärtlichiten, glühendſten Blide auf viefe Gewebe, Die 
Dberon nicht Duftiger um Titania ſchlingen könnte! 
Acht Tage hintereinander traf ich eine und dieſelbe 
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148 





Frau, melhe mit Wehmuth und tiefer Sehnfucht vor 
diefem Glastempel ftand und eine »robe-tunique« aus 
points d’Alencon anftarrte! Es ift aber auch eine Nobe, 
oder vielmehr der Traum einer Nobe! Welche Zartheit! 
Welches Gewebe! Ein Silberwölkchen in fliegende ©il- 
berfäden zu einen: idealen Syſtem ineinandergewebt! Und 
neben dieſer Nobe ein Shawl aus fehwarzen Spiten! 
Aber welch' ein Shawl und welche Spiten! Gebt mir 
ſechs ſolche gewebte Verführer und id) vertilge ebenfo 
viel Lucretien mit ihnen!! Was meinen meine holden 
Leſerinnen von dieſen „ſpaniſchen Mantillen“ aus ſchwarzen 
und weißen Blonden, fremdartig und anlockend, zauber— 
haft feſthaltend und die geheimſten Wünſche aufſtachelnd! 
Ach, gütige Götter! Nur eine ſolche Mantille, aber eine 
Andaluſierin dazu! 

Dieſer Lefebure iſt ein Zauberer, er verrückt mir noch 
dem ganzen weiblichen Geſchlecht den einen Kopf, den es 
hat! Wer hat ihm geholfen, dieſe „Toilette-Pompadour“ 
erfinden! Diefer „Leib“ aus weißen Spiten, von Elfen— 
händen gewoben, und zu diefem Leib die Seele, vie 
Sinne, die Gliedmaßen aus zitternden Blumen, aus 
bebenden Thautropfen, aus Zweiglein und Blüthen von 
»points d’Alencon!« Und nun hier viefe „Toilette 
Pſyche!“ Eine transparente Verklärung aus weißen und 
rofigen Spitzen, eine durchſichtige Zurüdweifung des 
Naturzuftandes! O Pſyche, Pſyche! Wo bift Du?! 

Es ift jest ein Kampf auf Leben und Tod zwi— 
{chen ven Brüffeler Spiten, den »points d’Alencon« 





und den »points Valenciennes!« Und die Zeitungen 
nehmen Theil an diefent Kampf! 

Bei den Spiten ift Ihnen heiß geworden, holde 
Leferin, nicht wahr? 

Da wollen wir glei) Kühlung und milde Lüftchen 
herzaubern. Sehen Sie da dieſe „Fächer“, dieſe phan— 
tafie- und grazienvollen Windmacherchen? dieſe Schmet- 
terlingsflügel? Es ift allerliebft! Wollen Sie ein leijes 
Erröthen verbergen? Hier haben Sie einen Elfenbein— 
fücher, durch welden Ihr Erröthen durchſtrahlt wie ein 
Sonnenblid durd ein Schneewölfhen! Wollen Sie ver: 
bergen, daß Sie nit erröthen? Da it ein golvener 
Dächer in Purpur, ver ftrahlt Sie mit einem fünftlichen 
Erröthen wundervoll an! 

Gibt es einen discretern Freund als einen Fächer? 
Gibt es einen herzlichern Freund in der Noth als einen 
Fächer? Gibt es einen zärtlichern Vertrauten als einen 
daher? Hier find dieſe jeltenen Exemplare aus Gold, 
Elfenbein, Silber, Seide, Papier, Perlmutter u. f. w. 
in den reizenpften, in ven lieblichiten, in ven glücklich— 
ften, in ven bizarriten Formen! 

Und nun hier dasjenige, was ver Phantafie den 
meilten Spielraum läßt, Schuhe und Bantöffelchen, 
diefe fügen Dinge, die von der Form auf den Inhalt, 
und von Diefem in auffteigender Linie auf Das ganze 
Meifterwerf ver Schöpfung fehliegen laſſen! 

D ihr Afchenbrövel, Die ihr zu dieſen graciöfen 
Schuhen nod fehlt, o fommt, kommt! 


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150 


Ah, weiche ſtumme, lebkoſe Eoquetterie liegt in dem 


Anblick eines Keinen, lieblichen Frauenſchuhs! Dieſe 
lieblichen Migronerien aus Seide, Maroquin, Gold aus 


Schwanenfedern, aus geftidtem Fiſchbein u. ſ. w., lauter 


kleine Liebeslieder, die von Fuß auf dienen! 
Ein Berliner ſtand neben mir und fragte mich: 
„Slauben Sie, daß es Frauenfüße gibt, Die da hinein— 


gehen?" Al’ meine Vereh-ung des weiblichen Geſchlech-— 


tes empörte ſich in mir über diefe Berliner breitfüßige 
Frauenketzerei! Ich ſchwieg, und jagte ihm inwendig 
nichts als: „DO Trampelthier!“ 


Baris,. 1. Sul 78558 


Pla da! Aufg'ſchaut! Ihr Werfe der Induſtrie, 
gebt Raum! Tretet in den Hintergrund, ihr Werkzeuge 
des Yurus, Slonflon und Tamtam u. f. w. 


Eine Gaſſe für Gutenberg. 


Wäre eine „Welt-Induſtrieausſtellung“ aud nur 
im Gedanken möglih, wenn Gutenberg nicht gelebt 
hätte? Eme Annäherung ver Bölfer durch Gevdanfen, 
Werke, orrefpendenzen wäre ftets ein Zauber - und 
Hauderwerk geblieben ohne Gutenberg! 

Gutenberg, ver Näuberhauptmann! Gutenberg, 
der Anführer einev Bande von vierundzwanzig bleieınen 
Banditen, welche ver Welt die Finfternig aus der Taſche 
ftahlen, welche Die Dummheit fnebelten, den Aberglauben 











af ber Fanbfivahe anfielen und niedermetelten, welde 
3 bei der Ummifjenheit einbrahen und ihr Haus in Brand 
ftedten? 
Gutenberg, deſſen Mitſchuldige wir Schriftiteller 
find; Gutenberg, deſſen Helfershelfer wir Sournaliften 
find; Öutenberg, defjen Hehler und Verkäufer die Buch— 
drucker find; Gutenberg, ver Ahnvater aller jener Band— 
würmer an den Eingeweiten der Schriftſteller: Verleger 
genannt; Öutenberg, der Miffionär des Lichtes, ver ven 
R Glauben des ewigen Heils in Millionen Heinen Bibeln 
— nach dem fernen Heidenthum trägt; Gutenberg, der 
auch zu den Armen am Geiſte ſagt: „Kommt zu mir, 
auch ſollt durch mich leben in der „Annonce“, in 
der „Ankündigung“; du Blinder und Lahmer an ſchrift— 
ſttellexriſcher Geiſtigkeit, auch dich will ich ernähren durch 
den „Reiz der Ankündigung“, auch dir ſoll mein Licht 
leuchten auf dem Weg des journaliſtiſchen Charla— 
tanismus. 
— Kurz, Gutenberg, die geiſtige Sonne, welche das 
Licht brachte und die Wärme und ven Regenbogen und 
diie Zeitigung edler Früchte, aber auch ausbrütete Das 
ee Gewürme ver Revulution, die Hyder der Sceptif, die 
lernäiſche Schlange der, Unzudt u. ſ. w., Gutenberg 
— fümmt, und wen anders als ihm zollte vie Fever des 
Br Schriftſtellers am liebſten feinen Tribut?! 
Bi Aber indem wir und in dem Gebiete Gutenbergs 
r bewegen, müſſen wir zwer Abtheilungen machen, vie 
Druckerei“ überhaupt, die Buchdruderei in ihrem immen— 












152 


fen Glanze und in allen ihren Fächern, und die „Budh- 
druderei” als Werfe ver Buchhändler und Verleger. 

Die Pranzofen betrachten den „Monfteur Guten— 
berg“ als einen Franzofen von Straßburgs halber. Wir 
aber jagen: „Sie jollen ihn nicht haben, ven alten, 
guten Mann?" 

Die Buchdruckerei überhaupt bietet zmei Ausgangs- 
puncte Dar, auf der einen Seite „ihre geiftige Bewegung“, 
auf der andern Seite „ihre materielle Bewegung“, d. 5. 
das mechanische Volumen ihrer Wirkfamfeit, die Zahl 
der Arme, die fie in Bewegung fett, die Mafje, vie 
fie umtreibt, die Capitalien, die fie in Verkehr bringt 
— 

Es kann einem Menſchen, der denkt und vergleicht, 
nicht entgehen, daß „Fulton“ der zweite Theil von 
„Gutenberg“ iſt, Fulton war beſtimmt zum Nachfolger 
Gutenbergs, der „Dampf“ iſt Das Siegel auf Die Er— 
findung der Buchdruderei. Ohne ven „Dampf“ wäre 
die Druderprefie eine „Sadel“, durch den Dampf iſt 
fie ein „Blitz“, im unbegreifliher Schnelligfeit ihre 
Strahlen weithin verbreitend. 

Auch bei der Druderei theilt ver Menjc jest mit 
der Maſchine, der Gedanke mit der Kraft, der Geift mit 
dem Dampf! 

Ich halte die Frage für nicht entſchieden: „Hat 
denn dev „Buchhandel“ ein Recht, im „Induſtriepalaſt“ 
zu figuriven® Hat denn der „Buchhandel“ ivgend etwas 
mit der Erfindung zu thun? Hat ver „Buchhandel“ als 














folder eine neue Conception, eime neue Schöpfung 
u. ſ. w. hervorgebracht, und mit was Anverm will der 
„Bloße Buchhandel” glänzen, ald mit ven Erfindungen 
der Andern, der Buchdruderei, der Schriftgießerei, des 
Farbendrucks, des Buchbinters u. ſ. w. 

Der Herausgeber eines Buches ift faft für gar 
nichts in der Sache! Die Buchdruckerei ift Alles! Die 
Lettern, die Typen, das Papier, die Ornamente, der 
Drud u. f. w. 

Die faiferlihe Commiſſion hat geglaubt, die „Lib- 
rairie”, den bloßen „Buchhandel" auch zuzulafjen. 

Die faiferlihe Commiffion ift, wie ih aus meiner 
Forſchung näher erfahren habe, von einem Geſichts— 
punct ausgegangen, ver auc fein Recht für fich bat, 
u.B;; 

Der Autor eines Werkes allen fümmt nicht mit 
einer vollfommenen Ausgabe zu Stande; der Buch— 
druder allein hat aud nicht immer Zeit und Hilfe- 
quellen genug, die aber ein Herausgeber, ein Berleger 
hat! Es gibt Werke, Ausgaben, Enchklopädien, Pradt- 
eremplare, Dictionnäre, Werke mit Zeihnungen, Porträts 
u. ſ. w., welche ohne den DVerleger, der mit der Idee 
der Herausgabe auch die Capacität der Realiſirung ver: 
bindet, nicht das Licht der Welt erblidt hätte, und in 
dieſer Beziehung hat ver Verleger dasſelbe Recht wie ein 
Erfinder, wie der Schöpfer eines Gegenftandes, welder 
ohne ihn nicht geichaffen worden wäre. 

Ein ſolches Prachtwerk oder große Werk iſt nicht 





nur das Werk der Buchdruckerei und des Autors, fon- 
dern in feinem Ganzen aud noch eine perfünliche Idee 
des BVerlegers, des Herausgebers, ein Werf, welches fein 
Bervienft in Circulation jeßte. 

Die kaiſerliche Commiffion hat alfo mit vollem 
Recht Die Herausgeber und Berleger als imduftrielle 
Selbſtſchöpfer declarirt und accepirt. 

Kommen wir auf die Parifer Buchdruderei zurüd, 
die ſich in achtzig Drudereien vertheilt. Im Jahre 1854 
beſchäftigte Paris 562 Prefien, die durch Menſchenarme 
getrieben werden, und 276 Meafchienenprefjen, welche 
jährlich fünf Millionen Kilogramm Papier blos für 
Bücher verarbeiten, die Journale nicht mitgerechnet. 

Die Geſchäftsſummen, welche dieſe „Druckereien“ 
verbrauchen, — ohne Schriftgießerei, Papier, Drucker— 
ſchwärze, Brochir- und Buchbinderwerk u. ſ. w., beträgt 
jährlich an ſechszehn Millionen Francs. 

Trotz allen Maſchinen beträgt die Summe der 
typographiſchen Preßarbeiter 4000 Menſchen. 

Der Dampf ſpielt in der Buchdruckerei jetzt eine 
eben ſolche Heldenrolle als in den Garn- und Woll- 
fabriken. 

Aber ich glaube, der Dampf hat in der Buch— 
druckerei noch nicht ſein letztes Wort geſprochen, die Ma— 
ſchine hat hier noch nicht den letzten Willen und die 
volljte Kraft entwidelt! 

Es gibt nod) wivderfpenftige, ſchwer zu bekämpfende 








- Arbeitspartien in diefem Gebiet, welche der Dampf 
und der Gedanke nod bewältigen und fich unterwerfen 
miüſſen. 
Mer wird der „Dampf“ je „Setzer“ hervorbrin— 
gen? Wird ver Dampf vie Menfchheit von jenen be- 
4 ee Menihen befreien, Die man „Eorrec= 
ter" nennt? Wird der Dampf, Diefer moderne Hercules, 
die Leſewelt je von jenen Ungeheuern reinigen, die man 
ee: nennt?! Wird der Dampf ven Journals 
ſten zu Hilfe kommen gegen dieſe Monftres und Un— 
holde, die man »metteur en pages« heißt?“ 
Bi - Dies ift die Frage! 


Paris, 2. Juli 1855. 


Schiller und „Maria Stuart“ in Paris. — Parifer 
Kritik. 


Unfer gute Schiller auf italieniſch in Paris. 
F — Es war eine ungeheure Erwartung und Span— 
* nung auf dieſe Borftellung in ver hieſigen Kunft- und 
Kritikwelt. 
AR - Denn in „Maria Stuart” betrat Mad. Riſtori 
zum erjtenmal den Boden, den Die. Nadel betrat, fie 
-  fpielte Diefelbe Nolle, fie nahm ven Kampf mit ver 
u Nebenbuhlerin in ihrem Neiche ſelbſt auf! 
Dumas hat mich gebeten, ihm einige Worte über 
Maria Stuart" vor der Vorftellung zu geben, weldes 










156 


ih auch that, und ich citive hier einige Ctellen aus 
meinem franzöfiihen Bericht: 


"LE STATU QUO — ANTE — DE MARIA STUART. 
Par Schiller. 
»Mon cher Dumas, 


»Voilà l’exposition universelle pour les artistes, 
les comediens et les drames de toutes les langues, 
de tous les peuples, des Anglais, des Italiens, des 
Allemands etc. ; voila la devise du Palais de I’Indu- 
strie: »L’equite preside a l’accroissement des echan- 
ges!« echange des artistes, echange des drames, change 
de Mme. Ristori et de Mlle. Rachel, echange de Racine 
et de Maffei, echange de Maria Stuart et Medee. 
Mais la traduction n’est pas un veritable echange de 
original, voici Maffei en echange de Schiller; helas! 
Patrocle pouvait tr&s bien porter la lance d’Achille, 
mais il était incapable de la lancer. 

Habent sua fata libellii. Quel sort etrange de 
drame! quelle metempsychose : la reine d’Ecosse im- 
mortalisee par un poète allemand, interpretee par une 
tragedienne sarde au public frangais!« | 

In der ferneren Auseinanderfegung fagte ich: 

»Dans Jeanne d’Arc et dans Maria Stuart, Schil- 
ler le poete, ou Schiller le protestant, anima et en- 
toura ses heroines avec toutes les po&sies, avec toute 
la hauteur, avec toufe la splendeur du catholicisme. 
Dans Jeanne d’Arc, Schiller changea la martyre en 














 heroine militaire; dans Maria Stuart il changea la 






femme enivree de philtres, la femme à la couronne 
sanglante, en martyre.« 

Es ift ſonderbar! Erft in diefer Mifhandlung des 
Schiller'ſchen Dramas durch Herrn Scipio Maffer, erſt 
durch die Darftellung in einer fremden Sprache find 
mir neue Anfichten über dieſe Tragödie geworden! Biel- 


leicht eben veshalb, weil der Bearbeiter allen Schmud 


der Poefie, alle Mafchinerie der Berfonen und Staffagen 
unbarmherzig und unfinnig wegſchnitt und weil ver 
Darftellerin alles das fehlte, was die deutſche Gemüths- 
welt in dieſer Rolle zu fehen gewohnt ift, eben deshalb 
blieb meiner Beobadhtung nur das rein Dramatifche, 
die Aufgabe der Tragödie an und für fih übrig! — 
Es ift mir klar geworden, daß Maria Stuart eine ver 
poetifhften Schöpfungen unſeres großen Dichters iſt, 
daß er hier mit allem Zauber der Sprache, mit aller 
Süßigkeit der Wehmuth, mit allem Glanz des DVerfes, 
mit aller Heiligkeit des Chriftenthuns, mit aller Weihe 
der Verklärung das Kleid wob, welches er um die 
Schulter jener unglüdlichen, vührenden, exhebenvden und 
verjöhnenden „Maria - Magvalena : Stuart“ hüllte; daß 
aber „Maria Stuart" als Tragödie nicht exiftirt, daß 
„Maria Stuart”, wie fie in Schillers Drama vor uns 
lebt, feine Heldin einer Tragödie ift und fein fann. 
Die Handlung, die innere Handlung des Stüdes ift zu 
Ende, wie das Stüd anfängt. Die Heldin ift tobt, wie 
fie auftritt; wie der Vorhang zum erftenmal in die Höhe 


155 


geht, jehen wir das Schaffot! Maria Stuart trägt 


fünf Acte hindurch ihr Haupt zum Schaffot! Fünf 
Acte lang geht Maria Stuart unter dem Beil des 
Henfers, bis fie durch dasſelbe Diefen Yeivensgang be- 
ndet. 

Eine Gefangene, jeder Handlung unfähige Gefan— 
gene, fünf Acte lang im Kerfer, Die im Kerker hinge— 
richtet wird, entbehrt jever epijchen, jeder Dramatiichen 
Handlung, und fann nur durd) die ethifche Größe, durch 
die moraliſche und fittlibe Durdficht des Ganzen auf 
der Höhe der Theilnahme erhalten werben. 

Aber mit welcher Schönheit, mit welcher Grazie, 
mit welcher Klarheit und Lieblichfeit, mit welcher Süßig— 
fett und Innigkeit der Empfintung, mit welcher Rüh— 
rung, mit welden Zauber ver Neue, ver Hingebung, 
ver allesverflärenden Endlöſung hat Schiller viefe Ma— 
ria-Magvelena ausgeftattet! Die Wehmuth mit ihrem 
Keiz, die Liebe mit ihrem Nachſommer, vie verlorne 
Königskrone mit ihrem nicht zu verblaffenden Schimmer, 
die ſchmerzliche Sehnſucht der Gefangenſchaft, Das menſch— 
liche Erwachen und Aufraffen der Weiblichkeit in der 
Gefangenen und Königin der heuchleriſchen Eliſabeth 
gegenüber, der Blitz des Triumphes in Gegenwart ihres 
Geliebten, Grafen Leiceſter, die fromme und rührende 
Einkehr in ſich ſelbſt, die geläuterte Reſignation und 
Ergebung in das erkannte Strafgericht Gottes und end— 
lich dieſes Einwickeln und Einhüllen in das Himmels— 
gewand der Religion wie ein weinendes Kind in die 


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5 — des ———— Alles das rührt, reißt hin, 
erſchließt Das Herz und Die Thränenquelle, und macht 
das Werk zu einem der reizenpften, wirfjamften des 
Dramas überhaupt. 
= Wie aber hat Herr Maffei Diefeg Drama ver: 
unſtaltet! 
An und für ſich komiſch iſt dieſe Namens-Umge— 
ſttaltung! die hiſtoriſchen Namen italieniſirt: Maria 
Stuarda«! Talbot heißt: »Tabot«, Mortimer heißt: 
Waortimeroe, Cecil heißt: »Cecilio« und fo weiter. 
Ale Scenen des zweiten Actes, vie des franzöfiichen 
- Gefandten u. a. hat Herr Maffei weggelafien. Davijon 
ift vom Bearbeiter ganz aus Der Reihe der Lebendigen 
geſtrichen worden, wodurch alſo vie ſchönſte Scene, 
welche Eliſabeths Tartüffismus ſo recht enthüllt, ganz 
wegfällt. Endlich hat Herr Maffei auch den ganzen 
Schluß des Stückes fortgelaſſen und das Stück endet 
mit Leiceſters Monolog. 

Ich weiß, auch deutſche Dramaturgen haben dieſe 
faſt alberne Amputation dieſes Stückes verſucht, und 
das zeigt nur, daß der Unverſtand kein Vaterland hat, 

daß die Bornirtheit eine kosmopolitifhe Perſon iſt! 


— 







bleibt, in welcher Talbot ſein Amt ihr zu Füßen legt, 
imn welcher Leiceſter „zu Schiff nach Frankreich“ geht, 
das iſt die Scene, in welcher die Nemeſis ihre Wal— 
tung antritt, in welcher dem Hörer und Beſchauer die 
Geœwährleiſtung wird, daß jede ſchnöde Miſſethat im 


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Die Originalſchlußſcene, in welcher Elifabeth allein 


160 


EIERN ir 


Bufen des Thäters eine Saat voll Dornen legt, die 
früher over fpäter als rächende Geifter fid) nad) feinem 
Innern kehren! 

Elifabeth, allein gelafjen, verlaffen von Treue und | 
Liebe, die Eumeniden im falſchen Bufen, fteht am Ende 
da mie das lebendige Ausrufungszeichen nad) dieſem 
Schlußſatz der ewigen Vergeltung! — 

Es war ein ſchöner Aublid, dieſes »Theätre ita- 
lien« an vdiefem Abend! Alles, was Paris an Glanz, 
an Schönheit, an Glorie, an Neputation, an Intelli— 
genzen hat, Alles war da! Und die Literatur! Und vie 
Kritik! 

„pfeifen für uns!" fagt Peter in „Menſchenhaß 
und Neue", und id) fagte wie Peter: „Ein Abend für 
uns!" Wir waren alle beifammen da: Lamartine, Du- 
mas, Theophile, Gauthier, Yules Janin, Girardin, 
Philarete Chasle8 und — Saphir. 

Die erften zwei Acte gingen la la! Ih kam 
nad Dem zweiten Acte im Foyer mit der franzöfifchen 
Kritif zufammen, da war der Erfolg des Stüdes ſo— 
wohl als ver Niftori noch unentjchieven! Und warum?! 
Sonderbare Menſchen! Weil das gedrudte Stüd nod) 
nicht da war! Das Publifum wußte fib nicht aus! 
Erſt vor Beginn des dritten Actes brachte Herr Michel 
Levy Das gedruckte Bud) in italienischer und franzöfi= 
iher Sprade, und von da an war der Erfolg entjchie- 
ven, brillant! 

Dumas war im Foyer ganz untröftlih, daß die 


on. —— 








161 


Kiftort in dieſem Stück fein „Furore“ machen kann! 
IH tröftete ihm und die Andern, und fagte: „Geduld! 
Ic verbürge den Erfolg des Stüdes und der Riſtori 
im dritten und letten Act!“ 

Und fo war's! Vom pritten Act an hatte Jeder 
fein Buch, dieſen verftümmelten Schiller, in ver Hand, 
und Schiller und Maria und Kiftori gingen höher und 
höher, und ein unerhörter Succes begleitete die ganze 
Darftellung. 

Ic war früher auf der Bühne bei der Niftori, 
und legte ihr meinen unfterblichen deutſchen Dichter an's 
Herz, id) verſprach, nach der VBorftellung wieder zu fom- 
men, — aber ich fam nicht. — 

Ih möchte nicht ungerecht fen, ich glaube, ung 
Deutfchen fehlt vielleicht das Verſtändniß diefer Art ita— 
lieniſcher Darftellungsfunft! Und nun beſonders in vier 
jer Rolle, die fid) in uns jo hineingedeutſcht hat, und 
in die wir uns fo hineingeveutfcht haben! Im viefer 
Maria, mit welher wir groß gewachfen find, ift es 
uns vielleicht nicht möglich, ganz unparteiiſch zu fein. 

Ih habe die Rachel (in Wien) als Maria Stuart 
(von Lebrun) gefehen und die Riſtori hier; wenn ich 
nun jage, die Maria unferer deutjchen Künftlerinnen ift 
edler, ift inniger, ift wahrer, ift gemüthtiefev u. ſ. w., 
fo ift das vielleicht Das Urtheil ver „ſüßen Gewohn- 
heit! ?" — 

IH ſage daher nur als individuellen Eindrud und 
nicht als Urtheil: Mir hat die Riftert im Ganzen ala 

M. ©. Saphir's Schriften XIII. Wr 11 





162 


Maria weniger zugefagt. Einzelne Diomente waren um: 
beſchreiblich ſchön, z. B. wenn fie vor Elifabeth nieder- 
fniet und die Worte ausruft: »il nume adoro!« („Die 
Gottheit bet’ ich an, die Euch erhöhte!") fpricht fie mit 
einer Heiligung, mit einer Nefignation, mit einer De- 
und Wemuth, welche unbejchreiblih ift. Der Moment, 
in weldem Maria Stuart trunfen von Nahe und Sieg 
der Rache, und im Triumph, die Nebenbuhlerin ver 
Krone und die Nebenbuhlerin ver Liebe vor den Augen 
Leicefters gedemüthigt zu haben, ausruft: 

»Io Yabbassai agli occhi di Ruberto alfine !« 
(„Bor Yeicefters Augen habe ich fie erniedrigt !") 
war von ungeheurer Wahrheit und Wirfung! Da war 
das Weib, Das entköniginte Weib, das leidenfchaftliche 
Weib, Das eiferfüchtige Weib, das edle Weib, Das rache— 
gefättigte Weib in dem höchſten Auffchrei feiner tiger- 

haften Sättigung. 

Die Kritik hier bot einen befonvderen Anblick bei der 
Beurtheilung dar. 

Ich rede zuerft von „Sules Janin". Jules Ianin 
ift dev Großmeiſter der hiefigen Kritif. Seit langen, 
langen Jahren ſtets friſch, ſtets geiftreich, ftets voll Kraft 
und Grazie, ſtets voll Scharffinn und Eloquenz, ift er 
nod immer der Alleinherrfcher im Reiche der wahren 
Kritik. Er iſt unerfhöpflih, ev bietet jeden Montag 
dem Leer ein Gabelfrühftüid, mit Blumen und Orazien, 
heute ein gründliches Urtheil, morgen eine beredtfame Aus- 
einanderjegung, bald ein Bouquet, bald eine Geißel u. f. w. 



















PR: 2 — N —* 163 


Zules Janin alſo hat unſerem Schiller am meiſten 
. Serehtge widerfahren laffen, obſchon ich mit ihm 
darin nicht einverftanden bin, daß ev den zweiten Act 
als ganz überflüßig, als einen hiſtoriſchen Auswuchs 
dieſes Stückes betrachtet. 


Er ſagt vom dritten Act: 


»Oui! et je ne crois pas que, me&me dans un 
e _ drame de Sophocle, au pied du Cytheron, quand la 
nature entiere est de moitié dans la douleur du 
ö poöte, aux souflles vivifians du Pinde, aux murmures 
de la claire Bine; rien se puisse comparer a ce 
basard arrangé, à cette rencontre, au milieu des bois, 
F entre le tröne et Péchafaud, de ces deux femmes si 
_ eruellement ennemies, parce qu’elles devaient s’aimer 
comme deux soeurs, Elisabeth et Marie Stuart! Lui- 
_ meme, Schiller, s’il n’eüt arrange que cette rencon- 
. tre en ce moment, dans cet espace, au feu de ces 
‚rayons et de ce clair soleil sur lequel la prison jette 
- une ombre funeste, sil n’eüt fait que le troisieme 
acte de Marie Stuart, qu'il serait encore au premier 
rang des po&tes dramatiques!« 


— — Ganz im Gegenſatz findet der Kritiker im „Siehe“ 
- den „zweiten Wet“ meifterhaft, »plein d’interet quoique 
T arie n’y apparaisse pas.« 

Be: Theophile Gauthier, der EC chwäter, ver Jules 
- Ianin abgejehen hat, „wie er ſich räufpert und wie er 
rue, aber nichts von feinem Geifte, nichts von 


12? 


* — u 


164 


jeiner Eloquenz u. ſ. w., Theophile Gauthier jagt im 
„Moniteur“: 
»La traduction de Maffei est excellente!« 
Seine Verſe, jagt er, find »dans un bon ton de 
drame!« Paff! 


Einen Sur will er fih machen. — Ein Wiener 
Weinberl“ in Paris. 

Es gibt Augenblicke im Parifer Leben, in welchen 
man aus Paris und aus der Haut fahren möchte. Da 
der Menſch aber nicht ſobald ein zweites Paris und eine 
zweite Haut findet, von welcher er ſicher weiß, ex würde 
ſich beſſer in ihnen befinden, ſo fährt der Menſch nicht 
aus Paris und nicht aus der Haut, aber ſein innerer 
Menſch iſt ein „kranker Mann“, in ven ſich Weber: 
druß, Yangeweile, Ermüdung, Heimmeh u. |. w. zu 
theilen fuchen. 

In ſolchen Augenbliden des Parifer Lebens Hat 
der Engländer ein gutes Mittel, em unfehlbares Mit- 
tel: ev geht in’8 »bois de Boulogne« und hängt fich 
auf! Die Engländer find immer practifh! Gibt e8 
gegen die Yangemweile ein befjeres Mittel als ſich auf- 
hängen? Andere Leute fpielen Domino, wenn fie ſich 
langweilen over gehen in’8 Theater! Wie lange Dauert 
das? Aufhängen, das halt für die Gwigfeit! 

Was muß alles einem andern Menfchen vorkom— 
nen, bis ev dieſes einfache Hilfsmittel ergreiftl Er muß 








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unglücklich lieben, eine böfe Frau haben, falſche Wechſel 
oder Veruntreuungen gemacht haben u. ſ. w. bis er zu dem 
»eoncierge« Des Yebens, „zun Tod", wenn er von Leben 
herausgeben will, jagt: »la corde! si’l vousplait!« Aber 
der Engländer ſucht nicht lange um ein Mittel, ev ſagt: 
„Bas willft Du in die Weite jchweifen, fieh, das Gute 
liegt jo nah!“ Das „Gute“ ift ein ellenlanger Strid und 
ein drei ellenhoher Baum! Welche einfahe Mafchinerte ! 

Dan hat zwar Beiſpiele, dag fih Nicht-Engländer 
aud in Paris aufgehängt haben, aber e8 ift ein großer 
Unterfchied! Der Engländer, bevor er ſich aufhängt, 
bezahlt er fein Quartier auf einen Monat voraus! Er 
berichtiget alle feine Rechnungen und legt in feinen 
Zimmer die Aorefje des Baumes hin, an welchem er 
ſich aufhängen wird, ob im erſten Stock ver Zweige 
oder im zweiten Stof u. ſ. w.; während die andern 
Nationalitäten, wenn fie einmal ven Entſchluß gefaßt 
haben, ſich wermittelft eines Strides mit „erhöhtem 


Character" in ven ewigen ‚Ruheſtand“ zu verjegen, auf 


ſolche irdiſche Dinge nicht viel Nücjiht nehmen! Der- 
arme Sterblihe nimmt ja fo nichts mit in die Ewig— 
fett als jeine Paſſiva! 

Solche Betrachtungen anftellen, lieber Lefer, ift 
ſchon ein Beweis von Langeweile, und Yangeweile in 
der Fremde ift mod) langweiliger als Langeweile zu 
Haufe, wo alles darauf eingerichtet it! 

Ufo ein jolher langweiliger Tag war vor einigen 
Tagen. IH follte am Tage darauf bei Yamartine eine 


166 


Borlefung hören! Der große Dichter, der merkwürdige 
Staatsmann, ver liebenswürdigſte und tugenphaftefte 
allev Menfchen, ver hinreißendſte Redner hatte ung zu 
einer „Borlefung“ eingeladen, in feinem Eleinen aber 
reizenden Häuschen der »rue ville ’Eveque«, er wollte 
einem Kreis von Schriftftellern ein ungedrucktes Werk 
von M. Sarrans über das erfte Kaiſerreich lefen. 

Das war morgen! Aber deito ſchlimmer die Zeit 
bis morgen! Sch war des Gefurres in der Induſtrie— 
ausitellung müde, ich hatte den Nachmittag über ge- 
ſchrieben und ging ganz jhadmatt in Die elyjeeifchen 
Felder. 

Alſo ein ſolcher Augenblick der Pariſer Langeweile 
war es, als ich wie Wallenſtein „gedankenlos an einem 
Baume ftand und hinausfah in die weite Ebene!“ 


Es rollte und wogte um mid) ber, Seide und 
Atlas rauſchten, Equipagen und Damen mit ganzen 
Poſtzügen in ven Augen fuhren auf und ab, Geſtalten 
ſchwachen Gejchlechtes huſchten an mir vorüber, heiße 
Blide, heige Worte und heiße Athemzüge ftreiften meine 
Wangen, da überfam mic das Neftroy’ihe „Berfluchte- 
ferlgefühl" und mein innerer Menſch jagte: „Einen 
Jux will er fih machen!“ Wenn vor 20 Jahren mein 
innerer Menſch beſchloß, fi einen Sur zu maden, jo 
fagte mein äußerer Menſch gleih: „Halb Bart, Schütze! 
jo will ich ſchweigen!“ allein ein innerer Menſch von 
30 Jahren, der in einem äußern Menfhen von 60 





Be 
u 























| Jahren logirt, der ſtoßt bei der Entrepriſe des Jux— 
machens auf einige Difficultäten ! 
— Indeſſen mein äußerer 60jähriger Menſch iſt ein 
guter Menſch, er gibt dem innern 36jährigen nad! 
Der Kluge gibt nach! 
® Mein äußerer Menſch arrangirte ſich alfo zum 
Zurabend! 
F Ein junger Menſch und ein Hund brauchen ſich 
Pr nur zu jchütteln und fie find in voller Toilette, aber 
ein jechszigjähriger Juxcandidat, da braucht's viel Hilfe» 
truppen und friebliche Kriegsfünfte! 
% Aber mein Talisman heißt: »la cravatte blanche !a 
In der weißen Halsbinde bin ich jung! friſch gewafchen 
und geſtärkt! 
Und alſo ausgerüſtet und mit vierzig Francs Nadıt- 
foften beſchloß id nad) »Mabille« zu gehen, zu lieben, 
zu ſchwärmen und — zu tanzen, wenn's fein mug!!! 
Gott erbarm’! 

— Ich ſah mich an und war mit mir zufrieden, ich 
ſagte von mir wie von Don Valeros: 

„Ein Mann, der ein alter Löwe zwar, 

Aber dennoh immer Löwe war!” 
Im »Bal Mabille« war beaujour, d. h. Sonn- 


Bälle find ordinär. 
Diefe Sonnabenvbälle im Mabille find vie hohen 


168 





In diefer Welt herrſcht eine ganz eigene Sprade! 
Die „Lorette” fagt nicht: „Heute wird die »elite« Da 
jein,“ oder „heute wird es »fashion« fein,“ fondern fie 
jagt: „Heute ift »r&union de lelite de la fashion«!“ 

»Mabille« ift „Sperl" mit „Dommayer“ multi— 
plieirt, mit dem „griimen Thor“, dem „großen Zeifig“ 
und der „Bierhalle‘ noch einmal multiplieirt, mit „Stu— 
wer" und „Strauß“ und ‚Fahrbach“ ausgeftopft. Es 
ift ein brenmnender Garten, ein flammender Wald, eine 
tanzende Drangerte, ein taumelnder Park, ein beleuchte- 
te8 Märchen, ein Tempel der Opalisfen, eine „Ber 
(ornefinder - Bewahranftalt !” 

Diefer hängende Garten liegt ironiſcher Weife des 
Zufall in der „Witwen-Allee", und man findet des— 
halb auch in Diefem walzenvden Wal faft lauter „Wit, 
wen“! Diefer Luxus an Witwen in Paris ift enorm 
Lauter fünftlihe Witwen! Es ift vielleicht die wißigfte 
Stelle in »demi-monde« vom jungen Dumas, wo er 
eine Jungfrau ausrufen läßt: „Es ift zwar ſehr fchwer, 
einen lebendigen Mann zu befommen, aber es ift nod) 
ſchwerer, fich einen todten Mann zu verichaffen!“ 

Mir jelbft wurde von meinem franzöfifhen Freund 
L. P. im Mabille eine Witwe vorgeftellt: »La comtesse 
de Soubise.« Das iſt doch wenigftens der Mühe werth! 
Wenn man ſchon Witwe ift, fo fei man eine vornehne 
Witwe! Der todte Mann proteftirt nicht! 

Es war halb 11 Uhr, als ih durch die farben- 
flanmenden Arcaden Mabille's eintrat. Der Thurm, um 








169 


welchen ſich die »cavaliers à cing francs« mit ihren 
„reien Damen“ nad) dem Directorialbogen des Walzer: 
Orpheus in Spirallinien drehten, war in voller tönen- 
ver Thätigkeit! 

Ich betrachtete noch einmal dieſe phrygiſchen Tänze, 
dieſe carrifirten Pofituren, dieſe lasciven Stellungen, 
pieje Slanfenbewegungen, dieſe Kittelwerferet, dieſe bizarren 
Luftiprünge, dieſe Gliederfrämpfe nad) Tanztacten, alle dieſe 
Bariationen des „Cancans“, die mit fleinen Umſchrei— 
bungen ver »police correctionnelle« zu entgehen juchen. 

Als ic) fo daſtand und zujah, ftreifte eine »Rose- 
pompon« an mir worüber. Cine Rose-pompon bezeid)- 
net in der ganz eigenen Sprache dieſer Bälle und Loretten 
eine anfgepuste Schülerin Epicurs, vie von der Schön— 
heit nichts als die Erinnerung, von der Jugend nichts 
als das Heimweh übrig behielt, und die gehend, fommend, 
die Menge durchſchneidend, die Zuſchauer zertheilend, 
bie und da Jemand ein Wort ins Ohr flüftert; fie 
flüfterte auch mir etwas in's Ohr, allein mein ventjches 
Trommelfell tönte von diefen Schlägeln nicht wiever. 

Ich verließ dieſen babylonifhen Thurm, um mid 
in die grünen, halbbeleuchteten Räume und Yaubgezelte 
der Erfrifchungen zu begeben. Da im Mittelpuncte 
des Gewühls hör’ ich rufen: „Herr von Saphir!“ Im 
meiner bekannten Blinvheit geh’ ich dem Tone nad), trete 
einigen Damen auf die verwitweten Hühneraugen, ſtolpere 
über die chineſiſchen Keinen Tijche und nahe mich dem 
Orte, wo der „irdifche Auf an mich erging!“ 





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9— 
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170 


Ich erblidte ein „Wiener Weinberl" Es war ein 
Herr von „Plempel! — id will ihn fo nennen und 
ven Lefer bitten, fein Original dazır zu fuhen. — Ich 
hatte in Wien nicht das Vergnügen, den Herın von 
Plempel näher zu fennen. Er ift ein guter Mann, ein 
»beau!« Sein Kopf riecht hübſch, und wenn es fih um 
Haare handelt, jo war fein Kopf, um gerecht zu fein, 
dem memigen bei weitem überlegen! Die Naturgefchichte 
vangirt den Herrn von Plempel in das Gejchleht "ver 
„m Sortiments-Macher". Aber wenn er Tuch, Ceite, 
Leinen, Wolle, Leder u. f. mw. afjortirt hat, fo ift er 
auch Schöngeift! Er macht in Komödiantinnen und 
Tänzerinnen, er fortirt Entreebillet® und fennt verfchte- 
dene Kritifer; feine Cravatte ift das, mas man nicht 
immer von feinem fonftigen Wefen fagen fanı: tadellos, 
fein Gilet bildet den Mebergang von der „Pudel“ in 
ven „Salon“ und feine Converfation trägt ev im 
kleinen und großen Padeten unter vem Arm! Er ift 
Dilettant auf ven Dominofpiel, liebt vie ſchönen 
Künfte, wenn fie etwas einbringen, ift Vortänzer in den 
ihönften vieredigen Cirkeln und ſpricht franzöſiſch wie 
gefrornes Waſſer. Er hat fih von Geſchäft zurückge— 
zogen, obſchon Andere jagen, das Geſchäft hätte fich 
von ihm zurüdgezogen, und in einem Moment, wo ter 
Nentier zuweilen von großen Inſpirationen befallen 
wird, fiel es ihm ein, die „Parifer Welt-Induftrie-Aus- 
jtellung” zu befuchen. 

Er fam und fah und ging in Mabille! Weinberl 





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171 


le second! Weinberl à Paris! Weinberl a Mabille! 
Weinberl in der Lorettengrube! Weinberl ftrahlend wie 
ein braumgebratener Yafan! 

Die gejagt, ic hatte Weinberl-Blempel in Wien 
nicht die Ehre näher zu kennen. Allen in Paris glaubte 
ih Das Wiener Weinberl berechtigt, mit Dem Wierter 
Saphir Mabillenihaft zu trinken! Vielleicht hatte er 
eine Ahnung, daß ich mir heute „einen Jux“ machen 
wollte, und feine Weinberl-Ahnung gab ihm Muth. 

Mein Wiener Weinberl faß zwifchen zwei — 
Damen, wovon die eine ein „Weibsbild“ und die an— 
dere eine „verwitwete Mamſell“ war. 

MWeinberl ftellte mid) ven Damen vor: »Monsieur 
de Saphir! Vous ne connaitre pas? Grand Musje dans 
Wien!« Die Damen nidten lachend und die eime fagte: 
»>’vois bien!« Weinberl fuhr fort: »Poet! o! poèt 
grand! tres grand! homme public !« 

Ich machte mic nun an die Aufgabe, dieſen Das 
men zu erklären, was Weinberl unter »homme public« 
verfteht. Die Damen ladten, aber ih ſah, daß vie 
Damen noch ganz „troden” ſaßen. Mein Weinbert 
nämlich Hat fi) von Wien auch vielleicht nur zwei 
Gulden mitgenommen, und ic erwartete jeden Augen- 
bi, ev würde, um feine Damen zu fetiren, ausvufen: 
»Garcon! un Beuſchel!“ 

Weinberl, objhen vom Geſchäft zurüdgezogen, hat 
doch ven Gejhäftsgrundfag beibehalten: „laufen mit 
Luft gefüllt!" Er machte gerne den „plattirten Cavalier“, 





172 


den ee aber mwohlfeil! jpottwohl- 
feil! Die Damen wollten „Erfriſchungen“; Weinberl ſah 
in feinem kaufmänniſchen Geift die ganze Ausvehnung 
diefes Wortes ein, aber er erjchraf noch mehr, als eine 
von dieſen beiden Grazien fagte: »Aussi nous voulons 
bien accepter une consommation!« 

Weinberl war am Ende mit feinem Lateinifh! Er 
fragte mid), was eine »consommation« iſt, ich "Technete 
ihm ein Souper für 100 Francs zu drei Perfonen vor. 
Aber Weinberl bleibt bei „Erfriihungen“, und da 
Weinberl auch in Wis macht, jo ſagte er auf gut 
Weinberlifh zu ven Erfrifhungsliebhabern: »Comme je 
n’etais non pas si bonheur de vous faire chauffer je 
veux vous faire froid !« 

Weinberl wollte nämlich fagen, „da er nicht fe 
glücklich war, ihnen heiß zu machen, jo will er fie Doch 
abkühlen,“ und er fagte ungefähr: „Da ih nicht jo. 
glüdlih war, fie zu heizen, fo will ih fie kalt 
machen.“ 

Nach viefer losgelaſſenen Dummheit warfen Die 
fteblihen Grifetten ihre Damen-Maske. ab, und Die 
Eine, ein Stüd »filet de mouton« in einen vojenrothen 
Luftballon geftedt, jagte in ihrem Naturlaut: »Pouah! 
que c'est fade! Garcon! du rhum!« — »Et moi,« 
fagte die Andere, »je prendrai du champagne frappre 
et de Yabsinthe!« (Die Yoretten und Orifetten können 
jelöft bei Champagner nit ohne „Rhum“ und „Ab- 
ſinthe“ jein.) 





173 


Weinberl wurde blaß und ftotterte: »Ah! Cham- 
 pagnervin et absinthe, ee n’est pas sante!« 


Die Porette. »Extremement dröle !« und- indem fie 
ſich an mic) wendet »qu’en ditez-vous Monsieur !’hom- 
me public %« 

Ih fühlte Mitleid mit ven 40 Frances in mir, 
und hatte nicht Luft, Herrn Weinberl aus der Tinte zu 
ziehen. Ich fagte nichts al$: »Mon ami a accepte la 
douce mission dont vou avez eu la bonte de le char- 
ger, vous pouvez-vous-y fier !« 

Die andere Lorette fragte mich: »Ah ca! d’ou 
- sort-il, ce cantaloup?« (Wo kömmt denn diefe Wurzel- 
melone her?) Man muß ven Dictionnär diefer Perfonen 
fennen, um zu wiſſen, daß „antaloup“ ein „Däm— 
lakel“, ein „Knafterbart”, ein „Strunk“ u. ſ. w. beißt. 

Weinberl roch Lunte und fagte: „Herr von Sa— 
phir, wollen Sie nicht einen Augenblid da bleiben, id 
fomme ſogleich wieder!“ 

Ich ſah Weinberl an, mein Blid tauchte in feine 
innerften Gedanken, und in diefen ſah id mit Frae— 
turbuchitaben gejchrieben: „sh mad mid auf vie 
Strümpfe!" 

Ein raſcher Entſchluß ward von mir raſch gefaßt 
und raſch ausgeführt: »Bon soir, Mesdames!« Und 
mit einer kühnen Meittelfchwenfung war ih aus dem 
Reich Weinberls und feiner „Erfriihungs- Theorien“. 
Als ich wieder zu den tanzenden Öliedermännern 





174 


zurüdfam, ſah ich mehrere Wiener „Expoſans“ mit Yorg- 
netten und Lorgnons Die Runde machen. 

Da erblid’ ih im Halbvunfel eine weibliche Ge- 
jtalt mit einem Mann auf einer Gartenbanf fiten. Die 
Lichtfunken, die durch Tag Blattlaub auf Dies vofige 
Antlig fielen, machten es nod) rofiger, ihr Auge leuchtete 
vom führen flüßigen Feuer, die Yippen wie zwei Roſen— 
fnospen, auf welchen Die Liebesgötter Küße träumen. 
Es war das einzige fhöne Weib in diefem Wirrwarr 
von welfen Schönheiten und verblaßten Sünderinnen, 
fie fiel mir auf; es fiel mir ein: „Sch wollte mir heute 


einen Jux machen!“ Ich gehe auf die „türkiſche Boft“, 


um emen Brief, einen Telegraph an dieſe Mabille- 
Schönheit zu ſchicken; ich gehe nämlich zu ver „Bou- 
quet3- Hütte" und faufe ein Bouquet, einen „Selam“, 
einen Dlumentelegraph, und jende ihn mit der ambulan- 
ten Blumenpoft, mit Madame Margot la bouquetiere, 
an die Adrefje: „Das ift jo Herrenrecht zu Mabille!“ 
Id jege mid) von weiten, um zu jehen, welden Ein- 
druck meine Liebesworte in Camelien, meine Seufzer in 
Reſeda, meine Wünſche in glühenden Nelken u. ſ. w. 
hervorbringen werpen. 

Die kleine Poft fam an, — vie Dame lächelt und 
zögert, aber ihr Begleiter, ein unerwarteter Othello, 
fpringt auf, fragt Mad. Margot, wer Diefe Sendung 
gemadt hat? — Mad. Margot denuncirt mich, ver 
Mann ftürzt auf mid) zu, ſieht mid) an und ruft au: 
„Ach, Herr von Saphir, das freut mih! Ach das iſt 





ſchön von Ihnen! Kommen Sie, ver Spaß ift wieder 
- ganz Saphir!" Er nimmt mid) beim Arm, zieht mich 
zu der Schönen hin und fagt: „Sieh da, das ift Herr 
von Saphir, von dem ih Dir jo viel erzählt hab’! 
; Das ift ein guter Spaß, wie er hier unfere Befannt- 
haft erneut!“ Die Fran war höchſt zuworfommend. Ic) 
fonnte nicht fragen „wer find Sie?“ da der Mann fo 
ſehr befannt that! Ich wendete das Gefpräh Hin und 
ber, aber ich konnte nichts erfahren. Aber ich habe fie 
auf Dienftag zu einem Mittagsefjen eingeladen, da werde 
ic) wohl das Ding erfahren. 
“2 Sp endet meine Juxmacherei mit einem Bouquet 
£ für 8 res. an eine Dame, die ih nicht für fo viel 
Dane hielt, als fie leiver zu fein jcheint ! 
| Weinberl aber wird mir wohl noch unterfonmen ! 
1 


’ Paris, 7. Yult 1855. 


3 „Novoftern" — „Prophet“ — Der Elephant, der eine 
Nachtigall geichluct hat, vd. h. die Alboni. Der fran- 

zöſiſche Sänger, der deutſches Gemüth geichludt hat, 
3 d, 5. Roger. 


Es waren zwei heiße Nächte! Erſt der „Noroftern“ 
mit De. Ugalde, dann ver „Prophet“, die Alboni als 
Fides, und Roger feierte feine Rentréee als Jean oder 
dZohann von Leyden. Es iſt ganz richtig, die „Hugenot— 
ten“ find eine Epopöe, ein muſikaliſches Heldengedicht; 





176 


„robert“ ift eine romantiſche Höllenfahrt; ver „ ro⸗ 


phet“ aber iſt eine Kathedrale, ein gothiſcher Muſiktempel, 


erhaben und romantiſch, coloſſal in ver Conception und 


im Grundbau, und wunderſam pittoresk in Verzierun— 
gen, Haut- und Basereliefs. 

Der „Nordſtern“ Meyerbeers ift das, was Die 
„luſtigen Weiber von Windſor“ Shafefpeare’s find: ein 
Capriccio, ein genialer mufifaliiher Muthwille. 

Wir hätten in Wien ven ‚Nordſtern“ hören jollen, 
ungünftige Götter vereitelten es. Ich habe jest ven 
Nordſtern hier gehört; die Ugalde fang die Katherine 
höchſt mittelmäßig! Sie erhebt fich weder im Gefang 
noch im Spiel zu einer beveutenden Höhe, im britten 
Acte ift ihre Conception jowohl wie ihr Gefang matt, 
geift- und farblos. Es fehlt der Madame oder Demoi— 
jelle Ugalvde alle und jede künſtleriſche Auffafjung, fie 
vergoldet auch nicht einen Ton, nit einen Moment 
mit dem Strahl geiftiger Conception. 

Die Rüderinnerung ift ein Unglüd! Die „Jenny 


ind“ und vie „Ugalde“ — die „Flöte“ und Die 
„Slarinette* — Die „Nachtigall“ und vie „Spott 
droſſel“! 


Der darauffolgende Abend war ein Feſtabend! 
Roger trat wieder zum erſtenmale in der großen Oper 
auf, die Gefahr lief, ihn ganz zu verlieren! Mit ihm 
kam die Alboni. 

Ich will erſt von der Alboni ſprechen. 

Es ſind einige Jahre, daß ich die Alboni nicht 








hörte und die Zeit hat die Alboni auch nicht unberückſich— 
tigt gelaffen. Die Zeit kümmert ſich nicht um „Seuille- 
eu tons“ und „Claque“, und befonvers an der menjchlichen 
Stimme geht fie jelten verbet, ohne eine Blüthe, cin Bis— 
3 hen Schmelz, ein Bishen Wohlklang abzuftreifen. Die 
Stimme ver Albont hat feit einigen Jahren ihren Tri 
but revli an vie Zeit bezahlt. Es ſcheint, daß fie 
dieſes auch fühlte und ſehr befangen war, denn Die 
erſten Acte gingen nicht ohne einige Schwankungen, ohne 
_ einige Distonirungen vorüber. 
. Die hiefige Kritik, vie jehr galant ift, fagt von 
dieſer hörbaren Einbuße an Stimme: die Alboni „hat 
ihre Stimme gejhent!“ (un peu menage ses moyens!) 
Im Dritten und vierten Act war fie falt; wunder- 
bares Scalifiren in Fioriturformen, kühn und vollen- 
det, von unerreichbarer Schönheit, lieblich und ſüßtönig 
dieſe Marmorruhe der dramatiſchen Geftaltung. Aber 
im fünften Act zog fie alle Schleufen ihrer epijchen 
Geſangskraft auf und alle Regifter ihrer immer noch 
wunderbaren Stimme, und aus der tiefen Menſchenbruſt 
* ſang ſie heraus die gewaltige Wehmuth und den dämo— 
niſchen Schmerz, und ein Blüthenregen von weichen, 
ſchmelzenden, in die Seele tropfenden Tönen entſtrömte 
dem Zauberſchacht dieſer innigen heißflüßigen Stimme! 

Ich kann von dieſem ihren Geſang im letzten Act nichts 
ſagen: fie fang nicht zu Liebe Meyerbeers, nicht zu 
Viebe des Publifums, nein, fie fang zur Ehre Gottes, 

Eve eine ſolche Stimme jchuf, zu Yuft und Leid', zu 
BF M. G. Saphir's Schriften, XI. Bd 12 


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178. 


Süßigfeit und Wehmuth, zur Vergeſſenheit des Irdiſchen 
auf Erden! — 

Ih erſpare e8, von Dem enormen Erfolg dieſes 
Schlufactes zu ſprechen. So ift die Alboni: der Ele- 
phant, der eine Nachtigall gejchludt hat! 

Roger aber ift ein franzöfifcher Sänger, der einen 
Deutſchen geſchluckt hat! d. h. nicht ven Deutfchen mit 
ſeinem Phlegma, wicht ven Deutfchen mit feiner fünft- 
leriſchen Trägheit. ſondern den Deutichen mit feiner 
intenfiven Auffaflung, den Deutſchen mit feiner Ge— 
müthstiefe, den Deutjchen mit feiner hohen Redlichkeit 
der muſikaliſchen Characterzeihnung. 

Roger befigt an Gefang die franzöfiihe Eleganz, 
die finnlihe Schönheit, und die deutſche Redlichkeit, nie 
das künſtleriſche Ebenmaß zu ſprengen over zu verlegen. 
Vom erſten Yaut feiner Darftellung bis zum letzten ift 
er muſikaliſche Dramatif und dramatiſche Muſik. 

Wie fiher und wie ruhig, wie impofant beherrjcht 
Roger im „Propheten” Diefe Mafjengruppirungen ver 
Töne, wie treu und gewiſſenhaft, wie ausprudsvoll und - 
mächtig malt er ven muſikaliſch-hiſtoriſchen Gedanken ! 

Seine ganze Darftellung ift ein gejchlofjener Or— 
ganismus, und bei aller Fülle feiner Innerlichfeit, bei 
aller Mächtigfeit feiner Empfindung läßt ev ſich doch 
nie zu einem Ddramatifhen Mißbrauch feiner Kraft 
verleiten. 

Es ift wahr, es gibt mächtigere, colofjalere Stim- 
men als die Nogers, --- ich nenne hier bejonders unjern 






Pr 


179 


unübertrefflichen Steger, — es gibt Stimmen ven einer 
blendenden äußern Kunft des Gejanges. 
Aber Roger ift mehr als Sänger, ev verſchmäht 


es oft, feine herrliche Stimme in ungebändigter Willfür 


walten zu lafjen. Roger weiß, daß die Oper, vie Rolle, 
der Character nicht gejchaffen find, um die Stimme 
daranfzuhängen und auszulüften, ſondern daß die Stimme 


da it, um die Rolle, um die Oper zum Verſtändniß 


zu bringen. 
Wenn wir die großen Schaufpieler, Tragifer u. ſ. w. 


ſtudiren, wenn wir einer Nadel, einer Niftori, einer 


Rettich mit tiefer Beobachtung folgen, wenn wir einen 
Talma, einen Kean, einen Seyvelmann u. ſ. w. mit 
Aufmerkſamkeit ftudirt haben, fo finden wir, daß auch 


die tragiſchen Menſchendarſteller oft mehr durd ein 
Zurückhalten der Stimme wirken, als durch ein unge— 





zügeltes Aufſchreien; daß jene Muſter des hohen Dra— 
mas oft durch eine Senkung des Tons, durch ein 
Fallenlaſſen ver Stimme eine größere dramatiiche Wir- 


fung, eimen evgreifendeven Eindruck hervorbrachten, als 


durch den fteten Ausverkauf der Stimme in ihrer ganzen 
Natınkraft. 

Wenn wir Herrn Joſeph Wagner und Herrn Lud— 
wig Löwe in tragifchen Wollen jehen, jo wird feinem 


Kritiker von Gewiſſen und Erkenntniß, feinem Publikum 


von Intelligenz einfallen, ven Werth, vie Innerlichkeit 
ihrer Leiſtungen nad) den Gewicht der Stimme zu 
taxiren! Der hohle Berbraud, den Herr Wagner mit 
12* 


‚ 5 
EA ne" rd Anal a in ir ie 7 2m a —— 


150 a 


feiner Stimme betreibt, Das materielle, ungeregelte Auf- 
arbeiten dieſes Materials benimmt ven Leiftungen Wag- 
ners alles Künftlerifche, alles Dramatifch-Nichtige, wirft 
die Rolle und ven Character als Block, als gejlaltlojen 
Klumpen in das Publifum. Ludwig Löwe aber, ver 
Zunft ver Lufterſchütterer entvonnen, gibt die Rolle, ven 
Character oder die Geftalt entwidelt, in allen Theilen 
harmoniſch geformt und durch ven Künſtlerſchlag des 
Meifters zum Leben berufen. Man tronıpetet weder 
in dem Drama nod in der Oper eine Rolle von Anz 
fang bis zu Ende, man veitet weder im Drama noch in 
der Oper blos auf völlig und immer aufgerifjenen 
Stimmregiftern in die Bahn des wahrhaft guten Er— 
folges hinem. Mit wie anjcheinend wenig Mitteln, mit 
welchen Eleinen Nuancen bringt Ludwig Löwe oft Die 
echten, die wahren Eindrücke und Wirkungen hervor, 
denn bei ihm ift die Intelligenz vie Herrjcherin der 
Stimmmaffe, er weiß, Daß nit im Aufſchrei des 
Tons, fondern im Colorit des Tons, in der Ber 
feelung des Tons feine Gewalt, fein Zauber liegt; 
und darum find die Leiltungen Löwe's immer Kunſt— 
Ihöpfungen, während die Wagners ſtets den Boden— 
geſchmack des Gewerkes an fi tragen. 

Sp ift es auch mit Roger. Noger ift die Intels 
ligenz des Gefanges ſelbſt; er überfegt ven Ideengang 
Diefer Noten, Die oft faum zufammenhängende, oft durch— 
rifjene Reihe von Kecitativen, Arten, Chören, Dialogen 
u. ſ. mw. in ein zufammenhängendes, innig harmoniſches, 


IT 












verſchmolzenes und logiſch bevingtes Ganze, in eine 
vollkommene, durchaus runde und geiftvurchglühte Ge— 
ſtaltung. 
Kr Parlando ımd Arien, Motiv und Harmonie, kurz 
E* alle klaffenden Gegenſätze einer Oper löst Das Genie 
und die mächtige, geiftige Potenz Nogers in ein har 
miaoniſches Enjemble von Stimme und Spiel, von Licht 
und Schatten, von Form und Kern auf, und bringt 
den wahren, verborgenen, muſikaliſchen und dramatischen 
Inhalt feiner Rolle in einem glänzenden Gußbild an's 
Tageslicht. 
m Ich habe jhon gejagt, Noger ift Franzoje und 
Deutſcher! Er fingt als Franzoſe, aber vie Yeichtfertig- 
- keit, die Oberflächlichfeit ver franzöfiihen Geſangs— 
Manier hat er mit ver veclamatoriihen Würde Des 
deutſchen Styls vertauſcht. 
— Die franzöſiſchen Sänger und Sängerinnen ſind 
größtentheils techniſche Sclaven des Compoſiteurs, von 
künſtleriſcher Selbſtſtändigkeit neben dem Compoſiteur iſt 
ſelten die Rede. Die Cruvelli ſelbſt, Geymard (ver ganz 
3 ſchwach ift) u. j. w., es find nichts als weiße fingenve 
Seclaven in den Notenpflanzungen ihrer Compofiteurs. 


ie 


gehorchen notenftählic den Muſikſtücken; von einem Auf- 
löſen ver muſikaliſchen Nichtung in eine unmittelbare 
atureingebung ift bei ihnen feine Spur. 

Roger ift ver Einzige, welcher in voller Selbſt— 
ſtändigkeit feines Talentes, im vollen Bewußtſein feiner 





182 


Kraft Der vorgezeichneten Rolle, dem vworgezeichnieten 
enufifaltfchen Charactergang die Wahrheit und Die Ge— 
ftalt einer Selbftihöpfung, einer eben improviſirten, 
heißen, frifhen und vramatifchen Creation verleiht. 


Parts, 10. Yuli 1855. 


Freiconcerte in der Induſtrieausſtellung. — Muſika— 
liſche Inſtrumente. 


Die Concerte in der Ausſtellung haben begonnen! 


Rieſenconcerte! Welteoncerte! Allgemeine Menſchheits 


concerte! Jetzt iſt die Ausſtellung eine Inſtrumental— 
Folter! Eine Ohren-Robot! 600 Claviere tönen auf 
einmal, 500 Trompeten, 800 Bäſſe, Geigen, Violons, 
vom Geigelchen bis zum Baß-Coloß; Flöten, Clarinette, 
Piccoli, Serpents, Melophons, Harfen blaſen, tönen, 
klimpern, ſchrillen, ächzen auf einmal und es iſt ein 
Heidenſpectakel, denn Meufif iſt die lieblichſte, aber auch) 
die aufpringlichite, Die unverſchämteſte Kunſt! Alſo: 

Töne, wen ein Ton gegeben 

In dem Inſtrumentenwald, 

Das iſt ja ein Lrlebeı, 

Wenn's von allen Saiten ſchallt! 

Und die „muſikaliſche Jury“, dieſes jüngſte Ge⸗ 
richt, geht umher und klopft auf alle Piano's und blaſt 
in alle Trompeten, und ſtreicht in alle Geigen, und 
paukt in alle Pauken, und zupft auf allen Harfen und 





ENTE 183 


ruft: „Steht auf, ihr todten Töne, die ihr in dieſen 
Holzfärgen jchlummert und in dieſen Blechgräbern, und 
gebt einen Ton von euch, damit wir mit euch zu Ge— 


richte gehen nad eurem Wirfen und Streben !" 


Die 27. Section ift vie „muſikaliſche Jury“. Für 
Defterreich ift unjerem lieben und liebenswürdigen jun— 
gen Hellmesberger Joſeph) die Auszeihnung geworden, 
Präfivent diefer Section zu fein! Der Prinz Napeleon 
felbjt hat ihn dazu ernannt. In Frankreich ift „Talent“, 
„Ruf Alles! Herr Hellmesberger hat als Künftler einen 
beveutenden Ruf, er trägt ven Namen „Divector Des 
Confervatoives", Das war für Napoleon Beweggrund, 
ihn troß feiner Jugend und Nichtbetiteltheit zum Präſi— 
denten zu ernennen. Ic freute mich, daß dieſem ebenfo 
- fiebenswürdigen als talentvollen Freund und Landsmann 
diefe Freude zu Theil wurde! Wie tft ev aber auch 
hinterher, hinter allen viefen Inftvumenten, fein Gläubi— 
ger verfolgt einen blaſſen Schuldner mit folder Sorg- 
falt und Ausdauer, als Herr Hellmesberger und vie 
Jury überhaupt jedes Inſtrument verfolgt und feine 
Seele begehrt! 

Aber ich glaube, es iſt nicht möglich, in der Aus: 
jtellung jelbft eine wahre Prüfung vorzunehmen! Da 
find tiefe Claviere überbaut von Fahnen und Flattern, 
umpflanzt von Teppichen und Franſen, nebenan häm— 
niert em Handwerker, plätjcbert ein Brunnen, furrt ein 
Räderwerk, furz es ift ein Heidenlärm 

Ich glaube, Die „Muſik-Jury“ oder Die „Inſtru— 





- 


| 





u 


184 


mental-Necenjenten“ werten, wenn fie prüfen wollen, 
die Inftrumente in ein anderes Local transpertiven 
laſſen müfjen, um ungeftört hören zu können; das wird 
no lange Zeit foften, allein dieſe Jury ift ja erſt ges 
kommen und bat Zeit, wir aber, vie wir, von der 
„Exiten - Mat- Eröffnung“ angelodt, ſchon Ende April 
biev waren, wir ſchicken uns nun zuv Abreife an, Die 
„Nusftellungs » Eröffnung“ hat viel jpäter angefangen, 
aber unfere ‚„Geldbeuteleröffnung“ hat mit dem erſten 
Tag der Aukunft hier angefangen und die Prüfung 
unjeres Inftrumentes „Börfe* ergibt Das Nefultat, Daß 
es bald feinen Metall-Klang mehr haben wird ! 

Die Vervollkommnung der muſikaliſchen Inſtru— 
mente in Frankreich iſt nach zwei Richtungen hin be— 
merfenswerth. Zuerſt nad) ver Richtung der Blasinſtru— 
mente von Mefling, auf deren Vervollkommnung nicht 
nur, jondern aud auf deren Grfindung der Maejtro 
Meyerbeer großen Einfluß genommen hat. Diejes Ver- 
ftärfungscorps ver Meyerbeer'ſchen Compoſitionsarmee, 
weldyes an ven gewonnenen Schladten von „Robert“ 
und den „Hugenotten“, an den fiegreihen Völkerſchlach— 
ten des „Propheten“ und „Nordſtern“ folden glorreichen 
Theil nahm, dieſe meffingenen Paix-Hänſe des Orche— 
fterg hat Herr Sar in Frankreich perfectionirt und tft 
ver Manı des blafenden Tags, die Pofaune des jüngjten 
Gerihts wird aus Sar’ Atelier hervorgehen. 

Der alte Feldherr und kleine Corporal der Cla— 
viere ift fir Frankreich Herr Erard, für die großen 





PS Ar TAre, be 





185 


Claviere, und Herr Pape iſt Divifionscommanvant ver 
Wiener Flügel, „Conſolclaviere“ genannt. 

Dieje letsteren Claviere, in „Taſchenformat“, ſozu— 
fagen, find in Paris, wo die Quartiere jo fein find 
und em „Salon“ nichts als ein in Ruheſtand ver- 
fettes Cabinet mit erhöhtem Character ift, ein wahres 
Bedürfniß, und Herr Pape hat das Problen gelöft, 
in kleineres Bolumen einen großen und jtarfen Ton 
zu legen. 

Die zwei erjten Meifter größerer Claviere find 
Erard und Pleyel. Pleyel für die Zartheit und Sanft— 
heit des Tons, Erard für die Riefenmechanif der größten 
Gewalt, Das geiſtreichſte Medium mit der ausgedehn- 
tejten Möglichkeit verbunden, ven leichteftanfprechenven, 
ſchwachen Ton over aud den volliten und jtärkiten Ton 
hervorzubringen. 

Als das erſte und non plus ultra aller Claviere 
hat Erard einen Flügel in Mitte des Transjepts aus- 
gejtellt, weldher der König ver Elingenden Wälder, ver 
Lion der Pianos zu nennen ift. Er ift ein wahres 
Pracht- und Wunderſtück. 

Was indeſſen allen dieſen Clavieren fehlt und nach 
ihrer Weſenheit fehlen muß, iſt die Innigkeit des Ge— 
ſangs, da die Möglichkeit fehlt, wie die menſchliche 
Stimme den Ton an- und abzuſchwellen. Alles aber 
leiſtet die »Orgue expressive« von Alexandre. In Wei— 
mar hat mich Liszt zum erſtenmal mit der wunderſamen 
Gewalt dieſes Inſtrumentes bekannt gemacht. Ich habe 





186 


Liszt mit dämoniſcher und aud mit ſchmelzender Gewalt 
auf dieſem Inſtrument fpielen hören. Dieſes Inftrument 
it es, welches zu ver „Physhormonika“ ihren Mann 
gefunden hat: den Baß! vie Begleitung ves Baſſes 
nämlich. Herr Alerandre hat der Orgel- Claviatur noch 
eine Clavier-Claviatur angehängt, durch welche Com— 
bination man ein Duo beider Inſtrumente hervorbrin— 
gen kann. 


Paris, 13. Juli 1855. 
Empfehlungsbriefe. — Salons. — Napoleoniven. 


Zu einem Cmpfehlungsbrief iſt es nicht genug, 
daß der Brief ven Mann empfiehlt, jonvern der Manu 
muß viceversa wieder ven Drief empfehlen. 

Die Natur hat eine eigene Art, die Menſchen zu 
empfehlen ; fie gibt ihnen Schönheit mit, Gott empfiehlt 
mande Menjchen dadurch beſonders, daß ev ihnen bes 
jonderen Geiſt gibt; die Weltjeele empfiehlt die Menjchen 
durch Geld, und die Menfchen empfehlen die Menjchen 
durch Briefe. 

Es gibt fein dümmeres Geſicht als das, weldes 
der Menſch in dem Augenblid macht, im welchem er 
feinen Empfehlungsbrief abgibt. Jeder vernünftige Ger 
ſichtsausdruck ſcheint fi im das Empfehlungsſchreiben 
hineingezogen zu haben. Da es fi) bei den meiften 
diefer Briefe blos um ein „Diner“ handelt, fo thut ver 











a ——— 
— ur ) 






187 


Menſch bejier, wenn er gleich ſechs  Francs begehrt, 
welches auch dem Empfänger oft lieber jein mag. 
Empfehlungsbriefe an große Sommitäten der Geld— 
welt, 3. B. an welthiſtoriſche Häufer, an die Fuggers 
des Jahrhunderts, Rothſchild, Foulds, Pereira u. ſ. w. 
in und bei diefen Männern, Häufern und Diners lernt 
man ein Stück Zeitgefchichte fennen, man ſpeiſ't em 
Gericht Weltfeele, man hört ein Stüdchen Pendelſchlag 
der großen Uhr, veren Weifer und Zeiger „Anlehen“ 
und „Riejen= Unternehmungen“ u. ſ. w. ausjagen, 
welche Stunde auch die Politif und Europa gejchlagen 
hat. Auch ift ein „Diner“ bei einem ſolchen modernen 
Plutus ein „Ereigniß". Diefe Karte ift eine Wahrheit, 
eine akademiſche Wiſſenſchaft! 
Ih war geſtern »membre de l’academie«; id) 
habe gejtern wieder ein Diner bei Herrn Baron (Sames) 
von Rothſchild mitgemacht. Ich theile meinen Leſern Die 
Karte dieſes Diners mit: 
2 Potages. De Potage prietanier. De Potage a la 
Reine. 

‘2 Hors-d’Ocuvre de Potage. Des Bouchees A la 
Monsglas. 

2 Bouts. De Turbot Sauce Hollandaise. Des Fi- 
lets de Boeuf Jardiniere. 

2 Flancs. Des Poulardes ä la Perigueux. La 

Groustade de Riz à la Dolmant. 
12 Entrees. 2 De Filets de Volaille aux petits 
Pois. 2 De Filets de Canneton à la Bigarade. 





ee u 2 — 


155 


2 Timbales de Macaroni à la Parisienne. 2 
Pätes chauds de Foies Gras Financiere. 2 Ga- 
lantine en Chauds-Froids. 2 Salades de Homard 
en Bellevue. 

Röts. Des Cannetons de Rouen. Les Chapons 
garnis de Cailles. 

2 Hors-d’Oeuvre de Röt. Les petits Souflles au 


—8 


Marasquin. 


159) 


Compiegne Sauce Abricots. Des Meringues gar- 

nies d’une Mousse aux Fraises. 

8 Entremets. Les Pois fins A l’Anglaise. Les Arti- 

chauts a la Ivomnaise. Les Fevos de Marais 

a la Creme. Les Haricots verts Maitre d’Hötel. 

La Macedoine au Champagne. Le Bavarois A 

la Cardinal. Le Napolitain garni d’une Plom- 

biere a l’Ananas. La Charlotte glacee à la 

Pompadour. 

Wenn man zu vdiefen Gerichten noch die verſchie— 
venen Gaben aus den Weinbergen des Herrn rechnet, 
jo wird man ſelbſt ermeffen, wie viel nüchterne Kritik 
nocd übrig bleibt, um nachher nod) in dieſem pracht- 
vollen und eleganten Salsn die auserlefenen Gemälde 
von van Eyk, Nembrandt, Carlo Dolce, Paul de la 
Node u. j. w. zu bewundern. Wir waren zmifchen 30 
bis 40, Darunter Männer mit Sternen, Kometen und 
allerlei Zodiaf auf dem Brad, wieder Andere von den 
Tauſenden und Tauſenden, die hier „am Bandel“ her— 


Grosses Pieces de Pätisserie. Le Gäteau de 





3 Ä 189 


umgeführt werden, umter dieſen Gäften hatten wir auch 
ſſechszehn Fähnlein aufgebracht, öſterreichiſche Welt“, 


die Humoriſtik zwiſchen der Induſtrie. 


Ich für meine Perſon ich bin nicht gerne da, wo 
ich eingeladen werde, deshalb, weil ich zu der „Induſtrie— 
Ausſtellung“ komme, weil ich ein Stückchen „Expoſitions— 
Artikel“, ſondern da, wo ich eingeladen und gerne ge— 
fehen werde, weil ich ich bin! 

Ich fage daher nichts von ven Salons des Mini- 
ſters Grafen Walewsky, ber welchem bejonders Die feen- 
haften, magiſch beleuchteten Gartenräume wundervoll 
find; nichts von den Empfangsabenden des Präfecten 
der Seine u. |. w. Die „Empfangsabende“ überall find 
die „öffentlihen Audienzen”, die „offenen Tafeln“, welche 


die großen Herren den ‚Welt-Fremden“ geben. 


Ih liebe, mir ſchmeicheln nur vie „Privataudien- 
zen", die fleinen „amicalen Diners“, wozu id blos 


durch mein Bischen Talent, durch meinen Namen 


fomme. 
Es war mir doch ein Bischen deutſch zu Murb, 


d.h. ein Bischen blöde, als ich zum erjtenmal die Sa— 
lons Ihrer faif. Hoheit ver Prinzeffin Mathilde betrat, 





als ich dieſe Treppenteppiche betrat, die jo unheimlich 
find, weil fie felbjt den Tritt eines Elepbanten nicht 
laut werden laſſen, und als alle dieſe Marmorſtatuen 
und Bilder in ven Galerien auf mich berabiahen, und 


mir alle vorfamen, als wären es Paßbeamte, und frag: 


ten: „Wer find Ste? Was wollen Eie bier? Wie 


190 


fange gevenfen Sie hier zu bleiben?" Und als ver 
annonceivende Diener in den Saal hineinrief: »Mr. Sa- 
phir«, und gar feine Sauce zu Ddiefem Namen, feinen 
Titel, ein ungefattelter Name, da fagte ich zu mir ſelbſt 
a la Wallenftein: „Jetzt wird ſich's zeigen, was ein 
einzesiev Name fann werth fein zur wichtigen Stunde.“ 

Aber ih war nicht fünf Minuten im Solon, als 
ich mich fo wohl fühlte wie in einen aromatischen Bade, 
ich fühlte mich einheimiſch, ich fühlte mich berechtigt Da 
zu jein »par droit de l’esprit et par droit de la ce- 
lebritel« Nach den erjten Worten der Prinzeſſin war 
ic) wieder ganz ih. Das ift ver Zauber des Geiftes, 
der Anmuth und der Viebenswürdigfeit, daß ſie nad) 
fünf Minuten den Alp der Berlegenheit, der Fremdheit 
von der Bruft des Menjchen löſ't, daß fie dem Geift 
des andern die Binde lüfter, daß fie ihm die Atmo— 
iphäre heimifch, Leicht athembar macht. 

Die Prinzeffin Mathilve ift einfach, lebhaft, mun— 
ter, geiftveich und herzlicd gut. Schön, wenn auch nicht 
mehr im friicheften Morgenroth des Lebens, Die üppigen 
Formen der Geftalt werden durch Die wunderfam lieb: 
liche Weife, dieſe Geftalt zu tragen, zu bewegen, durch 
ven anmuthigen Gang ver Prinzeffin gemildert und 
poetifirt. Ihr Lächeln ift ganz Napoleonifch, ihr Auge 
eilt ihren Worten mit lebendigen Commentar voraus, 
fie fpricht etwas raſch und unterbrochen, aber wohl- 
tönend und intereffant. Die Prinzeffin bat befonders 
die ausgezeichnete Tugend und Yiebenswitrrigfeit: fie hört 








191 


vortrefflich zu! Sie hört nicht nur mit dem Gehör, 
fie hört mit dem ganzen Antlitz, ihr Auge trinkt Das 
Wort des Sprechenden, ihr Yächeln interpunctivt Die an 
fie gerichtete Rede, man fieht, wie ihre ausprudsvollen 
Züge das Gehörte in ihre Seele übertragen. 
2 Der Salon, in welchem fie mich empfing, ift nicht 
groß, — es war, wie gejagt: eine Privataudienz, — 
rothe Sammttapeten, über Thüren, Kamin und Spiegel 
große herabfallende grüne Sammtdraperien, auf zwei 
Seitentiſchen die Büſten Napoleons I. und der Kaiferin 
Zoſephine, einige Gemälde von großen Meiftern. Am 
Kamin eine Caufenfe aus rothem Sammt, gegenüber 
ein Divan und vingsherum Heine Tabourets. Es mögen 
ungefähr zwölf Perfonen dageweſen fein. Der Galerie: 
und Muferndirector Baron von Nieuferke, ein Admiral, 
ein Abbe u. ſ. w. Ich ſaß neben ver Prinzejfin auf 
einem fleinen Tabouret und hinter der Gaufeufe ſaß 
- und fniete halb Alexander Dumas, dieſe Seele aller Sa- 
(ons, dieſer unbegreifliche Geift voll reiher Regſamkeit 
und Schaffung. 

As ic einige Tage fpäter im Salon des Prinzen 
Napoleon war und in ven Saal trat, im welchen „tm 
runden Balcon die Damen im fchönen Kranz" figen, 
neigte eine Danıe, eine blendende Dame, mir ihren 
Fächer freundlich zu. Ich in meiner Blindheit jah nicht 
wer es iſt, ic) verneigte mic, blos ganz tief; die Dame 
} wiederholt dieſe Fächergrüße, ich verneigte mid) wieder, 
i endlich fteht vie Dame Auf, kommt auf mich zu: »Com- 


un ur Da Zn 


y 





ment, Mr. Saphir, vous ne voulez pas Me reconnai- 
tre?« Es war die Prinzeſſin Mathilde. Ich war ganz 
aufgelöst in deutjcher Sentimentalität und Yyrif! Sie 
jah brillant aus! Ein weißes Seidenkleid, — Kleid? 
ein Silbergewölf! Und in Diefem Silbergewölk Guir— 
landen von grimen Blattgehängen mit rothen Korall— 
hen und Demanttropfen. Um die Stine einen runden 
breiten Goldreif mit riefigen Smaragden. 

In den prachtvollen Salons des Prinzen Napoleon 
iſt ver Prinz ſelbſt wohl die merkwürdigſte Individuali— 


tät. Schen die erfchredende Achnlichfeit mit dem großen 


Napoleon ift höchſt intereffant. ever Zug, jeve Bewer 
gung! Nur it der Prinz etwas ſtärker, aber troß dieſes 
Embonpsints fieht man dod den Mann ver hohen In— 
telligenz, ver geiftigichaffenden Thätigkeit. Die Prinzeſſin 
Mathilde madt die Honneurs des Salons. Der Prinz 
und zumeilen König Jérome empfängt die Gäfte im 
zweiten Saal. Welch ein Zuſammenfluß von den ver- 
jhiedenartigiten Individualitäten, Perſönlichkeiten, Cele— 
britäten und — Curioſitäten! 

Eine Stunde lang vielleicht verfolgte mich eine 
lange weiße Binde, in welcher ein langer weißer Mann 


eingeknöpft war. Ich erinnerte mich, dieſen Telegraph - 


ſchon einmal geſehen zu haben, er trug auf ven Rock 
eine Auszeihnung und ging fteif und aufrecht wie ein 
preußifcher Grenadier. Endlich faßte ev mid: „Ergeben— 
ſter Diener, Herr Saphir!“ — Er war ein Elberfelder 
Induſtrieller, glaub' ich, er ſah mich mit der Prinzeſſin 










BEN.» 
— md Wollte haben, ich follte ihn vorſtellen!! 
Sch ſtellte ihm vor: „Stellen Sie fi, vor, ich bin ja 
ſelbſt nur eim PVorgeftellter, nicht einmal ein Angeftell- 
ter! Es’ wäre lächerlich, wenn ih, und noch dazu ohne 
R vorher eingeholte Erlaubniß, mid) ervreiften wollte, ver 
- Prinzeffin Jemand vorzuftellen!" Ich Hatte Mühe, vie 
g weige Induſtriebinde los zu werden. Im dritten Saale 
ſah ich einen alten, grauen, hohen Mann, ver mid) 
aufmerkſam betrachtete. Dann ſah ich, wie er ſich an 
Charles Napoleon. (Yırctan) wendete, worauf der 
Being fi mit ihm mir nahte Ei mir denſelben vor— 
— Es war der Herzog von Schleswig-Holſtein, 
meerumjchlungenen Andenkens! Als darauf die Prinzeffin 
Mathilde auf uns zufam, ſagte ihr der Prinz: „Ich 
war jo glüdlih, den Herzog von Schleswig-Holiten dem 
- Herrn Saphir vorftellen zu fünnen.“ So liebenswindig 
kann nur ein Franzoſe fein. 
2 Ein paar Tage früher war ich beim Prinzen Char— 
les Napoleon zum Diner und Salon gebeten! ALS ver 
- Diener in den Salon hineinvief: »Mr. Saphir!« fam 
mir ver Prinz entgegen! Ein freundliches, gehäbiges, 
achelndes, joviales Angeſicht, in welchem das Vergnü— 
gen der Welt und die Kühnheit des Geiſtes ſich um— 
armen, ein Auge, in welchem Fragmente weltgeſchicht— 
üucher Erinnerungen aufblitzen. Der Prinz kam mix ent— 
gegen und — man ftelle fih mein Erſtaunen wor! — 
er betaftet mich, fühlt mir Hand und Arm an und ruft 
aus: »Vraiment, Mr. Saphir! comment? vous existez 
mM. GSaphir's Schriften, NIT. Bd 13 


—* 










194 





done pourtant?« (Wie? Herr Saphir? Sie exiftiren alſo 
doc wirklich?) Ich erwiderte: »Mon prince, à ’heure 
qu'il est j’existe!« Er nahm mid) bei ver Hand, führte 
mid in ven Damenfalon, ftellte mich feiner Tochter, ver 
Prinzeffin Marie, mit den Worten vor: »Voila Prin- 
cesse, voila Mr. Saphir! vous voyez bien qu'il existe !« 
Die Prinzeffin freute fih, daß ih auf ver Welt bin! 
Ich war fo frei, mich mit zu freuen! r 

Die Sache aber ift ganz einfach. Die Franzofen, 
beſonders aber die Prinzejfin Mathilde, Prinz Charles, 
wo Alerander Dumas Hausfreund ift, glaubten immer, 
die Schriften, die Dumas von mir überfeste, meine 
Aufſätze jeßt bier im »Mousquetaire« u. ſ. w. wären 
alle von Dumas, er hätte den Namen Saphir blos 
angenommen, ih aber wäre längſt fein Lebendiger 
mehr ! 

Da ih zu ven Wenigen gehörte, die vor dem 
Abendempfang aud zum Diner eingeladen waren, fo 
faß ich bei Tifch, ver ungefähr zehn Gäſte zählte, zwi— 
ihen der Prinzeffin und Dumas, die mid) beide in eine 
euriofe Derlegenheit brachten. Es kam nämlid eine 
Schüfjel „Trüffel, aber nicht gejhälte, nicht zugerich— 
tete Trüffel, ſondern Trüffel im Naturzuftanvde, ungefähr 
jo wie man bei ung Erdäpfel in der Schale aufträgt. 
In dieſer Geftalt wußte ich mit Trüffel nicht umzu- 
gehen. Ich wartete alſo ab, um zu jehen, wie meine 
Nachbarn ſich benehmen werden. Aber fte verfolgten ver— 
ſchiedene Syfteme! Die Prinzefjin zerſchnitt ihre Trüffel 








mb alt Butter auf jeve Scheibe. Dumas aber, der 
% einen kühnen Griff that, ſchälte fie wie unfere Erdäpfel 
7 und nahm Eſſig und Del dazu! Diefer letsteren Me— 
thode ſchloß ich mid endlid an. 
e Ber Tiſche hätte id Dumas küßen mögen! Das 
Geſpräch drehte fih auf „Victor Hugo“, der im ber 
Verbannung lebt. Ein Gaft, Herr Yaubert, glaubte ven 
Napoleons gefällig zu fein, wenn er von Victor Hugo 
übel ſprach. Da bäumte fid) Die edle Natur Dumas’ 
gewaltig und ſtolz empor und er donnerte den Mann 
mit aller Kraft des Geiſtes und der Beredtſamkeit nie— 
der, indem er dabei ven in dieſen Räumen kühnen Aus— 
ſpruch that: „Das glänzendſte Zeugniß feiner hohen 
Tugend ſei eben feine Verbannung!" 

& Nah dem Diner wurden die Salons und Der 
Garten geöffnet, die Gäſte kamen nad) und nad); Herren 
und Damen. 

Unter Andern trat eine fonderbare Erſcheinung ein. 

Ein Mann aus Brillanten! Ein Eleiner Schwarzer Dann, 
deſſen Haar nicht naturſchwarz war. Der Mann war, 
wie geſagt, ein Mann aus Brillanten! Vier große 

r Brillant-Hemdknöpfe, ſechs große doppelte Gilet-Brillant- 

- Mnöpfe, vier Doppelte große Manjchetten » Brillantfnöpfe, 

I 


2 eine Brillantenfette unter dem Gilet herabbaumeln, große 





BE 


; 


> 


— 


Brillantorden und Sterne auf dem Frack, ich glaubte 
E das Gilet von „Monte-Ehrifto* zu ſehen. Der Prinz 


Napoleon ftellte ihn mir vor: — „Der Herzog Earl 
von Braunſchweig!“ Er erinnerte fih, mich einſt 
: 13* 





195 i | I => 


Braunfehweig empfangen zu haben. Was hat Diefer 
Herzog aber aus Braunſchweig mitgenommen? Ich frage 
das mit den Worten ver römifchen Elegie von Goethe: 
„Sager’s „ihr Steine” mir am!" 

Ein fomifches Intermezzo muß id neh erzählen. 
Der oben erwähnte Herr Yaubert, — ein Schriftiteller 
und Induſtrieller, ver, wie er mir fagte, zweihundert 
Werke ſchrieb, — trat auf mich zu und bat mid), ihm 
in den Garten zu folgen. Im Garten führt er mic in 
die entlegenften Gänge; ih folge. Er führt nid im 
einen ungebahnten Weg. Ich folge. Endlich am Ende 
des Gartens fteht er ftill, greift m vie Tafche, nimmt 
etwas heraus, Das in ein Papier gewidelt ift, und fagte: 
„Das hab’ ich erfunden! Site find ein berühmter Schrift- 
jteller, Sie follen diefe Erfindung zu alleverft hören!“ 
Darauf enthüllt er die „Erfindung!“ Es ift ein kleines 
Trichterhen aus Kautſchuk! Wenn man dieſes Kautſchuk— 
Tridpterhen in ven Mund nimmt wie eine Cigarrenſpitze, 
dann kann man die Stimme aller Bögel und Thiere nach— 
machen, man braucht zum Einſtudiren nur ſechs Monate! 

Darauf nimmt Herr Jaubert das Kautſchuk-Trich— 
terchen in den Mund und fängt ein Concert zu blafen 
an! Es war rührenn! Nachdem er eine Pierteljtunde 
blus und befonvders die menſchliche Stimme einer Kate 
aufs Täuſchendſte nahahmte, wollte ev mir Privat- 
unterricht auf dieſem Inftrumente ertheilen! Er ftedte 
mir den Trichter gewaltfam in den Mund und fagte: 
»Travaillez!« Ih blus hinein, e8 war ein Ton zum 





z # ’ - = 
Eee It wu no. le a a 2 —— 

















> aber Herr Jaubert ſagte: »voyez-vous! ga va 
bien! Und fo wurde id im meinen alten Tagen in 
Paris ein Mufifant! 
Bi. Wenn ih nah Wien zurüdfomme, gebe id) fo- 
gleich eine: 
FFFranzöſiſch⸗deutſche Akademie und Vorleſung“ 
3 und dabei lafj’ ich mich als „vreimonatlicher Kautſchuk— 
—— hören! 
As ih in den Salon des Prinzen zurlicfam, 
veren alle Säle voll. 
Der Herzog von Braunſchweig ſpielte Schach. Ich 
3 ſah einen Augenblick zu, er hatte feine Bauern gleich 
En. Grunde gerichtet. Aber kaum jah ich fünf Minuten 
zu, holte mich der Prinz ab, um mich einer Dame vor— 
Zuſtellen, die „von meinen Schriften entzückt ift“. Ich 
4 verſtand den Namen nicht recht, Comteſſe Biſarna oder 
dal. Der Prinz ſtellte mich ihr vor, es war eine wun— 
Brerjhöne, herrliche Frau! Sie Sprach deutſch, „aber 
wach". Sie fagte mir viel Artiges und engagirte 
Ein auf eine Partie — — — Whiſt! — Sie hatte 
einen Partner, dem fie befondere Aufmerkſamkeit ſchenkte, 
ich patzte furchtbar! Ich ſah ihr in die Augen und — 
in die Karten! und ich fuhr fort zu patzen, bis ein 
anderer Herr kam, mid) abzulöfen ! 





198 


Paris, 21. Sul 18952 


u. 4. W. G.! — Erfte Vifite in der Seidenwaaren— 
Welt. 


u. A. W. G.! — „Unfer armes Wiener Geld!” 
— „Und alletag weniger Geld!" — „Und aljo wird 
gereif’t!“ 

Bepackt mit Notizen und Betrachtungen, mit Sfiz- 

zen und Aufzeichnungen, mit Anmerkungen und Ent- 
mwürfen u. ſ. w. fehre id) jeden Tag vom Induſtrie— 
palaft zurüd, um nod zu Haufe in Wien von taufend 
und taufend Sachen zu berichten, um nod Monate 
lang aus dieſem Notizenbuche die vorzüglichjten Dinge 
der öſterreichiſchen Abtheilung Ddiefer Ausstellung zu be: 
ſprechen. 
Ich wiederhole meinen Weltſchmerz, id est Geld— 
ſchmerz, d. h. ſechs Wochen zu früh hiehergekommen zu 
ſein! Sollte mir nicht eigentlich die fränzöſiſche Regie— 
rung ein „Dedommagement“ dafür geben, daß ſie mich 
mit ihrer „Erſten-Mai-Eröffnung“ früher nach Paris 
lockte?! 

Ich athme nun in den wenigen Tagen, die ich 
noch hier weile, große Stücke „Induſtrie-Ausſtellung“ 
täglich ein. 

Heute hab’ ich im Transſept eine kleine Satisfac- 
tion genofjen. Der Schild von Preleitner, über deſſen 
Nihtaufnahme in ver „Kunftausftellung“ ih nicht nur 





x 
er ———— 


a aA a Ve ee re A. a F 





im mein". fondern auch fonft noch großen 
Kir ſchlug, ift nun aus dem Transfept in vie »beaux 

| arts« gefommen, und hat, chemin faisant, noch einige 
ähnliche Producte mit fi) aus dem Neid) ver Induſtrie 
in das der Fünfte nachgezogen. 
* Ich betrat heute Die Region, wo die „Glorie“ 
x Frankreichs ift, wo man eigentlidy fagen muß: »voila la 
 France,« nämlich die Galerie des Transſepts, wo in 
ſechzig Metres Façade die Wunder und Märchen, die 
Regenbogen und Luftfpiegelungen ver „Seivenjachen “ 
— — (Spierien) wie ein glänzendes Heer Front machen. 
— Mit großem Luxus und großen Buchſtaben ſteht 
da in langen Reihen: Lyon! — Mon! — Lyon! — 
onu f. w. 

Lyon ift Frankreich in Atlas und Seide. Lyon ift 
die franzöfifche Grazie, der franzöfiihe Gejchmad, vie 
franzöſiſche Eleganz, der franzöfifche Egoismus und vie 
franzöfifhe Eitelfeit aus Seivenwürmern, Maulbeer- 

blättern, Farben, Zeichnungen und Mafchinen ! 

In dieſer Lyoner Seivenfabrifation ift die unver- 
wundbare Achillesferſe der franzöfiihen Induſtrie, fo 
wie in feinen Gobeling und Stores. 

„Hier ift der Ruhm Frankreichs“ — fagte Sarl 
Dupin am 25. September 1851 bei der Preisverthei- 
lung — ‚und fein Sieg ift im Kryſtallpalaſt jo ge— 
ſichert, wie er es in jedem andern Palaft ver Welt (2) 


N fein würde.“ 









In dieſen Seivenfacdhen, fo wie in ven Gobelins 


200 


it der feine Sinn und die inſtinctive Handführung ver 
Farben fichtbar, durch welche ſich der Sranzofe befonvers 
bei der Wahl der Farben auszeichnet. 

Aus dieſem Gefichtspunct genommen, ift es begreif- 
(ich, vaß Paris, daß die Herrſchaft des franzöftichen Ge— 
ihmades jo groß ift, daß Frankreich jährlich einigemal 
von den Hauptfirmen aller Städte und Reſidenzen be— 
deutende Subfivien für die Einfendung neuer geprudter 
und gefärbter Mufter bezieht. 

Aber dabei kann nicht geläugnet werden, daß dieſe 
Herrſchaft des franzöfiihen Geſchmackes oft grundlos, 
ja gerade widerfinnig iſt. Es ift oft eine Crageration 
ver Beftrebung, eine ©eilheit ver Phantafie in dieſen 
Zeichnungen und Farbenmiſchungen, die an’s Grelle, 
an’s Abgeſchmackte grenzen. Die Bizarrerie der Deſſins 
geht oft mit ver jehreienden Difjonanz des Colorits Hand 
in Hand. 

Das ift e8, was den Geivdenproducten der üfter- 
reihifhen Ausfteller einen befonveren Werth verleiht: 
fie wollen nicht durch »tours de force« blenven, fie 
wollen nit durch Tas Schreiende und in die Augen 
Peitſchende glänzen, fie veranftalten unter ſich ſelbſt 
nicht ein Wettvennen mit Hindernifjen. 

Die öſterreichiſche Seidenfabrikation kann ohne Be— 
ſchämung an der Seite der Lyoner ſich darſtellen; ſie 
kann mit deutſcher Stille und Ruhe den Vergleich aus— 
dauern, und die Menge, welche in dieſen Galerien 
circulirt, bleibt, nachdem ſie die Region der Lyoner 


— 






























2 a — hat, in der Seivenregion » Kon 
9 fange weilend, und mit Bewunderung und Anerkennung 
- nehmen fie zw ihrem Erftaunen wahr, daß »lä-bas« Die 
Znyuſtrie und die Kunſt, der Gefhmad und vie Ele— 
ganz in vollem Flore find. 

Br Dieje Zone, ein wahres Tropenland an Karben, 
Blä ttern und Formen, iſt ſehr geſchmackvoll arrangirt 
und in ſinniger Ordnung entfaltet. Ein Arrangement, 
weelches durch ſeine Zweckmäßigkeit und ſymmetriſche 
Ordnung nicht wenig zu dem günſtigen Eindruck des 
Ganzen beiträgt. Nebſt dieſem Verdienſt muß von uns 
Berichterſtattern beſonders anerkennend erwähnt werden, 
mit welcher Zuvorkommenheit und Mühegebung man zu 
A jedem Augenblide Auskunft gibt, erklärt und beveutet. 
Die Lyoner Seivenfabrifation bringt Phänomene und 
— Köft Probleme, aber die wahre Würdigung von Indus 
ſtrie und Fabrikation liegt nicht in Phänomen, fondern 
% in den fteten Erſcheinungen; nicht in Meifterftücen und 
einzelnen Blendwerken, jondern in ter Totalität des 
Gecſſchaffenen, in der Realität der Erzeugung. Nicht Das 
4 2 ent des überjchwenglihen Luxus haben mit— 
zureden in der Akademie jelbjt der Yurusgegenftänve; 
2 nicht ven Kraftſtücken ver Fabrikations-Athletik und 
Zauberbüchſen gebührt das große Wort, wenn von dem 
- — Einfluß auf das ganze Geme, wenn von dem allgemein- 
induſtriellen, populären und öfonemifchen- Standpunct 
ausgegangen wird. 

Die Wahrheit, die Realität, die wahrhafte Ver— 


4 





202 


befjerung der Induſtrie, der unbeftreitbare Fortfchritt der 
Weltfabrifation Liegt darin, das Produeirte durch In— 
halt und Form, durch Preis und Bervielfahung zur 
Höhe eines nationalen Bedürfniſſes emporzuheben und 
populär zu machen. 

Die Phänomene der Induſtrie find bewunderns— 
werth, aber fie find den Mafjen vollfommen unzu— 
gänglich. 

Die Nützlichkeitstheorie, welche das Schöne, Ele— 
gante und Comfortable durch weniger Geldopfer der 
Menge genießbar macht, das iſt die richtige. 

In dieſer Beziehung hat Oeſterreich einen rieſigen 
Vorrang in dieſer „Welt-Induſtrie-Ausſtellung“. Zu 
ſeinen unvergleichlichen Tüchern, Glasſachen, Leinen— 
waaren u. ſ. w. (auf Die wir noch ſpeciell kommen 
werden) verbindet ſich die innere Vortrefflichkeit und 
die Formſchönheit in Zeichnung und Farbe mit jenen 
Preiſen, welche allein Zeugniß von dem Weltenfluß 
Fabrikation geben. Auch find faſt nirgends fo viel Zet— 
tel: »vendu« — „verfauft” zu leſen, als bei ven 
öfterreichiichen Vitrinen, Pyramiden und Etalagen. 

In der Seivenfabrifation fteht Wien herrlich und 
glänzend da. 





i 
; 
i 
; 

4 


v 
WERE TTENTE 


Da de Dahl 


Bl a rl En no 























Paris, 25. Yuli 1855. 
Ein Abend bei Yamartine. 


Soeben ſchickt mir Yamartine fein Porträt, von ein 
paar liebenswürdigen Zeilen begleitet. 
7 Lamartine! Der Gott einer Stunde! Der Genius 
eines Tages! Der Echöpfer einer Epoche! Das Schwert 
— — im Munde und die Krone in der Hand! Das Schid- 
ſal ver Völker auf ver Lippe und die Thräne der Menſch— 
heit im Bufen! Dichter und Nepner! Prieſter und 
Opfer! Hammer und Ambos ver Zeit und des Schick— 
E fals! Zorniger Poet auf ver Tribune und poetifcher 
Zaorn im Griffel Clio's! Auferftchungsengel der Ber: 
gangenheit, trauerndes Ausrufungszeihen der Gegen» 
wart und Wallfahrtsname der Zukunft! 
Lamartine! 

je: Es war nah den Flitterwochen der Neftauvation ! 
Frankreich hatte gefiegt (!), geblutet, Frankreich mußte 
— zu tödten und zu ſterben, Frankreich hatte gelebt und 
geliebt, Frankreich war — ruhig! 
; Aber Frankreich hatte feine Begeiſterung, feine 
Liebe, feine Freundſchaft, fein Nationalgefühl, feine 
Poefie! Frankreih aß, trank, tanzte, e8 war aufgegan— 
gen in der Materie! im der veftaurirten Materie ! 
Vz Da kam PLamartine „ver Dichter!" Er brachte vie 
| = Gefänge der Hoffnung, der Sehnfucht, des gewiffen Un— 
kennbaren, Unnennbaren! Den Gefang der Begeifterung 


204 


für ein Etwas, das nicht da ift, den Gefang der Un: 
ruh im menſchlichen Bufen, den Gefang des menschlichen 
Gedankens, ver wie die Taub aus der Arche feinen feſten 
Boden im der Gegenwart findet! Yamartine gab Frank— 
reich Das verlorne Paradies der Dichtfunft wieder zur 
Zeit der Dürre der Herzen, zur Zeit der Profa des Gei— 
ftes, zur Zeit ver Vertrocknung des DVolfes ! 

Und zu jener Zeit war und lebte Frankreich mit 
Lamartine und Yamartine mit Frankreich — bis zum 
Tage, der noch nicht zu Ende ift. 

Dis zum neuen Kaiſerreich war Yamartine mit und 
im Volke Frankreichs! Man fühlte mit feinen DVerfen, 
man athmete in feiner Atmofphäre, das Echo gab feine 
Gefänge wieder, er gab ven Seelen Troft, Erholung, 
Hoffnung und den Blick in die Ewigkeit! 

Dann Pamartine — der Deputirte! Der Gedanfe 
follte Wort, der Vers follte Rede, die Idee ſollte That 
werben! 

Mit ironiſchem Lächeln begrüßten die Abonnenten 
der Tribune ven Dichter Yamartine! Sollten Träume 
und Bilder in der Kammer mitreden?! Als ob man da 
nur von Credit und Budgets zu reden hätte, und nicht 
aud von Dingen, die mit der Idee der Menfchheit, mit 
den Gedanken der Neformen zuſammenhängen! 

Aber auch da fiegte Yamartine’s Genie! Er hätte 
vielleiht Minifter, Geſandter werden können, allein fein 
Ehrgeiz trug ihn höher, er verlangte „eine Gaſſe für 
die Idee!“ Aber vie Zeit war ftarr, Die Epoche mar 





— 
—— Lt 
, ne 













 regungetos, Ser Moment war ftumpf, der Leichnam 
Frankreichs Tag fühllos auf ver Bahre der Gegenwart 
und Pamartine ſchlug an vie Pforte der Zufunft mit 
rem Schlüfjelhammer ver Vergangenheit, er ſchrieb: 
histoire des Girondins!« Er citirte den Geiſt der 
Grircondiſten“ und Das ift die tragifche Schuld Lamar— 
— finde! Das ijt die tragische Schuld, die an ver Kata— 
ſtrophe ſeines ruhmvollen Lebens die ewige Gerechtigkeit 
F 3 ausübt! Indem Iamartine in dieſen Girondiſten die 

Demokratie mit einer Aurdole umgeben und doch 
R auch den Terrorismus verdammen und entehren wollte, 
kam er in eine falſche Poſition, er unternahm das Un— 
mögliche! Die Poeſie ſchreibt ſchlecht Geſchichte, und das 
 Antlis der Geſchichte nimmt weder das Roth noch das 
Weiß, noch die Schminkpfläſterchen der Poeſie an, um 
ihre Züge ver Schönheit und Häflichkeit, der Menfch- 
lichkeit und der Berthierung zu bejhönigen oder zu ver— 
vecken! 

Lamartine hat die „Girondiſten“ geſchrieben, er 
hat als Zauberlehrling ver Poeſie einen Theil jener 
Geiſter heraufbeſchworen, aber als ſie kamen und da 
3 waren, und das Hotel de Ville mit verberblichen Fluthen 
bedeckten, als Lamartine Präfivent war, va fehlte dem 
Meiſter die Zauberformel, welche jagen konnte: „Bejen, 
 Befen, jeid geweſen!“ Einen Augenbtiid lang war die 
Bruſt Lamartine's der alleinige Sitz der franzöſiſchen 
Recgierung; aber feine tragiſche Schuld vertrieb fie von 
Era, und Yamartine der Dichter, der Redner, der Depu- 












206 


tirte, der Präfivent, Yamartine war fhüchtern vis-A-vis. 


jeiner Geifter, Die ev aufgerufen, und er trat zurüd vor 
ver Erſcheinung, die er bejchmoren ! 

Das Alles ungefähr Dachte id auf dem Wege 
Abends zu Yamartine, um bei ihm zu fpeifen und ven 
Abend zuzubringen. Und als ic) dieſe bejcheidenen Zim— 
ner betrat, einfach, elegant, poetifh und Fünftlerifch, 
und als mir Lamartine entgegenfam und id) feine Hand 
in die meinige fügte, dieſe zarte, feine Hand, welche die 
»Meditations« jchrieb und die »Girondins«, »les Har- 
monies« und Die »Restauration«, die Hand, weldhe dag 


berühmte „Manifeft an Europa“ ſchrieb, dieſe Hand, 


die einen Augenblid Yang das Yahrhundert und die Zu- 
funft in ihrer Höhlung hielt und die nun im aller 
Stille Artikel für ven „Sieele" ſchreibt, im Diejem 
Augenblide dachte ih, welche traurige hiftorifche Figur 
„Sineinnatus" gegen Lamartine jpielt! Cineinnatus fand 
jeinen Ader wieder, Cincinnatus fand jeinen Pflug, 
feine Erde, feine reihe Ernte, feine belohnte Mühe wie— 
der! Er hatte eine Dictatur abgeworfen, die feinen Weiz 
für ihn hatte. 

Aber wie anders kehrt Lamartine zu feiner Scholle 
zurück! Gineinnatus nimmt ven Danf Roms, die Glori— 
ficatton des Volkes mit zu Pflug und Egge, Yamartine wird 
zu feiner Scholle begleitet von Neid, Mißgunſt, Verkennung 
und Verleumdung! Cineinnatus betreibt Die Agrieultur 
aus Liebhaberei, er ift ein reicher Proprietaire, ev findet 
fein Vergnügen. Lamartine geht won der höchſten Macht 



























blut He in Siehe Einſamkeit zurüd; Lamartine ift zu 
* ewiger Zwangs⸗Intelligenzarbeit verurtheilt! — Und mit 
A welcher frommen Ergebung, mit welcher rührenden Ein- 
falt, mit welcher heiligen Poeſie ift Lamartine's Wefen 
dennoch erfüllt! 


3 Nicht ein Tropfen Bitterfeit mischt fih in Die 
füße Schale feiner Poefie, nicht ein leiſes Wölkchen um— 
——— dieſes Auge, in welchem ein ſanftes Blau medi— 
- tiert und fühlt und ein mildes Leuchten verbreitet! Stets 
lächelnd, ſtets gütig, ſtets bereit, Liebe und Freundſchaft 
zu geben, Liebe und Freundſchaft zu empfangen; den 
um ftet3 mit dem Zug der Güte befränzt, die Stirne 
ſtets mit dem Stempel des Gedanfens gekrönt! Das 
Herz und die Hand und das fleine Häuschen ſtets offen 
Fe für Säfte, Fremde, für Mitleid, Wohlthat und unbe» 


—— 


grenzte Menſchenliebe. Das iſt Lamartine! 


Im Aeußern hat Lamartine eine frappante Aehn— 
Kchteit mit Metternich. Dieſelbe Grazie des Benehmens, 
dieſelbe Feinheit der Lippe und des Lächelns, derſelbe 
tiefe und ſeelenvolle Blick, derſelbe Schnitt ver Naſe, 
22 nur etwas Heiner, ſowie Lamartine's Statur aud) etwas 

fleiner als die des Fürften Metternich ift. 


J 


Lamartine, welcher am 21. October 1791 zu Ma— 
zon geboren wurde, hat alſo jest 64 Jahre. Metternich 
hat zu 64 Jahre auch noch mit aller Friſche des Gei- 
ſtes, mit aller Elaſticität der urwüchſigen geiſtigen Be— 
zabung gearbeitet. Die wahrhafte Gottbegabung wird 


208 





nicht alt; der wirkfihe Geift, ver vom Himmel kömmt, 
zählt die Jahre nicht im Erdenkalender. 

Samartine ift 64 Jahre alt, fein Haupthaar ift 
weiß, fein Angefiht it blaß, aber er arbeitet. unausge- 
fett, er ſchreibt Tag und Nacht. Lamartine Cincinnatus 
pflügt das Papier, er zieht ſchwarze Fleine Furchen, er 
legt ven Samen des Gedankens hinein, und die Ernte?!” 
— Die Ernte für die Nachwelt, ven Taglohn für den 
Dichter! 

Lamartine's höchfter Ruhm, das was feinem Cha- 
racter, feiner Perſon zur Apotheofe, zur Unfterblichkeit | 
dient, ift: feine Armuth! Er iſt von der höchſten Stufe 3 
Sranfreihs arm herabgeftiegen in feine einfahe Hütte! 
Lamartine arbeitet mit der Unverproffenheit eines Jüng— 
lings, eines Practifanten, mit dem Eifer eines Preis- 
bewerbers, mit der Ausdauer eines Mathematifers! 
Neben ihm fitt der Auin, vor ihm fteht die begehrenve 
Minute, Hinter ihm ein Rudel Öläubiger, die feine Be- 
fisungen Stein für Stein, Scholle um Scholle ihm ab- 
reißen; ev arbeitet unverdroſſen, er jagt die böſen Stun- 
den durch die Mufe fort, er kämpft ſchreibend, arbeitend, 
dichtend, lächelnd, er ift doch ſtets liebenswürdig, gaft- 
frei, großmüthig! Ya, großmülhig! Als ob man wirk- 

(id) ein Dichter fein fünnte, ohne Großmuth im Herzen! 
Als ob man wirklich fingen könnte, ohne in ver Bruft 
ein Echo für alle Tine der Menfchheit zu haben! Als 
ob man wirklich den Kuß ver Muſe empfangen könnte, 
ohne geheiligt zu fein durch Milde und Thränen, durch 


ab Da al 


De —— 





























— und Aufeopferung für Leid und Mitleid, für 
— Wohlthun und Wegſchenkung ſeines innerſten Menſchen 
an die Menfchheit! 

— Ih kann nicht umhin, einen Zug aus dem Leben 
dieſes unfterblihen Dichters mitzutheilen. 

Die Frau Lamartine’s, eine ver ausgezeichnetiten 
Malerinnen, ift der Troſt jeines Herzens, ver Engel 
ſeines Haufes, ver Schußgeift feiner Mufeftunden. Sie 
haat fein Herz, fein Gemüth, fie theilt feine Güte, feine 
Gutmüthigkeit, feinen Hang zum Wohlthun. 

Eine Freundin des Haufes, Mad. Dargaud, welde 
ſieht, daß diefe Art zu leben nicht fortbeftehen fann, 
bemiächtigt ſich der Wirthſchaftsführung, der Hausökono— 
mie Lamartine's. Man gibt ihr die Schlüſſel zu Haug 

und Keller und Gafie. 
Eines Tages kömmt eine barmherzige Schweſter 
von der ‚Madelaine“, für eine arme Familie Unter— 


ro > 


den Schlüſſel zur Geld -Chatonille mitgenommen. Was 

iſt zu thun? Mad. Iamartine läßt einen Schlofjer kom— 

mien, die Chatouille wird aufgebrochen, es finden ſich 

- einige Hundert Frances. Mad, amartine nimmt fie und 

drückt fie der barmherzigen Schweiter in die Hand. Lamartine 

ſteht dabei, lächelt und küßt feiner Frau die wohlthätige , 
- Ham. 
F Es wird gewiß eine Menge Leſer geben, melde 
* bier denken: „Das iſt doch zu viel!“ — Sie mögen 
4 Recht haben! Aber Dichterherzen müſſen nur von Dichter— 
mM. ©. Saphir's Schriften, NIIT. Bd 14 


210 > 


* — 
herzen, oder wieder von edlen Herzen beurtheilt werden, 


denn der Edelmuth iſt auch Poeſie! 

Während des Diners ſaß ich an Lamartine's Seite, 
ſeine Frau mir gegenüber, an meiner anderen Seite ein 
alter Deputirter, Mr. Denis, der Bruder des berühmten 
Geſchichtſchreibers. Neben Mad. Lamartine ſaß Alexander 


Dumas, dann der Admiral Soisboule u. ſ. w. Das 


Geſpräch kam auf die Tage der Präſidentenſchaft Lamar— 
tine's. Dumas erzählte, aber was er auch ſagen mochte, 
Mr. Denis widerſprach und wollte es beſſer wiſſen. 
Lamartine lächelte, und ſprach nur, nachdem ich ihn bat, 
mir als Fremder zu ſagen, wer von Beiden Recht hatte, 
und Dumas hatte recht erzählt. 


Nicht unintereſſant ſind folgende zwei Momente. 


Eines Tages melvet- man der Verſammlung und dem 


Präfiventen Die Deputation vom »grand orient« (Die 
Gentral-Freimaurerioge), 200 Mann! 


Zu jenem-Augenblid befanden fich blos vier Mit- 
glieder ver yproviforifhen Negierung da: Xamartine, 
LeorusKollin, Armand Marraft und Cremieur. „Ich bin 
fein Maurer,” ſagte Ledru-Rollin, ebenfo jagten Cre— 
mieux und Marraft. „Sch auch nicht!” ſprach Yamartine. 
Die Anvern gingen und ließen ihn allein. Er empfing 
die 200 Freimaurer. Er wußte nit mas er jagen 
jollte. Da erblidt er die Fahne ver Maurer: „Freiheit, 
Brüderlichkeit, Gleichheit!“ Er improvifirt eine Dichtung 
über diefe Drei Worte, Drei Biertelftunden lang. Die 


3 
4 
= 
E 
: 











— ſchrie: »Vive Lamartine!« und das Schau⸗ 
ſpiel war vorüber. 

Nicht ſo leicht wurde es ihm bei einer Deputation 
der „Wollkrämplerinnen“, welche ihm vorgeftellt wurden! 
3— Wie er ſagt, waren es lauter alte Hexen, er konnte nicht 
von blauen Augen, weißen Händen, blonden Locken 
ſprechen! Er kehrte die Farbe um! Er ſagte: „Ihr ſeid 
Männer, Männer des Vaterlandes u. f. w.“ und unter 
* — Schweißtropfen beendete der Verfaſſer „Jocelyns“ 
feine Rede an die Wollkrämplerinnen. 
Ich konnte nicht umhin, des Liedes „Sie ſollen 
ihm nicht Haben!" zu gedenken. Becker hatte, wie bekannt, 
feine Gedichte Lamartine gewidmet. Lamartine nicht faul, 
in dem guten Glauben, Beder jet wirklich ein „veut: 
ſcher Dichter“ und das „Sie ſollen ihn nicht haben“ 
ſei wirklich ein „Nationalgevicht”, ſchreibt ein Gericht: 
La Marseillaise de la paix«, und widmet fie wieder 
an Beder. (In der »Revue des deux mondes«.) Und 
ih fragte ihn, ob er nicht auch jet noch eine „Frie— 
dens⸗Hymne“ ſchreiben möchte, und ich betrachte mich 
als einen Derjenigen, die er in ver »Marseillaise « 
leben lief: 

»Vivent les nobles fils de la grande Allemagne !« 

Während diefer Zeit fing der Admiral an, vom 
Waullfiſchfang. zu erzählen. Dumas erzählte nun vom 
Wallfiſchfang, von den Seelands-Inſeln, von der drei— 
fachen Art des Fanges, von der Eigenthümlichkeit ver 
— von allen Einzelnheiten der Wallfiſche 

14* 













212 


u. ſ. w. „Ach!“ fagte der Admiral, „Sie haben alfo 


lange Zeit auf jenen Inſeln gelebt?" Dumas Tachte. 


und fagte: „Niemals!“ Der Admiral konnte nicht glau— 
ben, daß ein Menjc alle diefe Details wiſſen könnte, 
ohne fie augenzeuglich mitgemacht zu haben. Diefer Zug 
von Dumas erflärt zum Theil feine Fruchtbarkeit und 
feine Phantafiethätigfeit ! 

Nach dem Diner blieben wir noch lange zufammen 
im Heinen Garten Yamartine’s und verließen erſt gegen 
Mitternacht die Yaren dieſes Haufes, welche das Haupt 
eines der erften Geifter des Jahrhunderts bewachen. 

IH ging mit Dumas im Mondſchein entlang, wir 
ſprachen von Lamartine und feiner politifhen Miſſion, 
und Dumas fagte die ebenfo geiftreihen als hiſtoriſch— 
wichtigen Worte: „Die ganze Sache ift die, Yamartine 





war als Präfident Iyrifcher Dichter, wäre er Dramatifcher 


Dichter gewefen, die Sache hätte anderd geendet!“ — 
Es liegt eine erſchreckende Wahrheit in diefen Worten. Ich 
war fo frei, dann zu fingen: „War Changarnier alfo 
dramatifher Dichter?! — 

Mir trennten ung an der Mabelaine, vie Erinne- 
rung aber an dieſen Abend wird mir für ſtets eine un- 
endlich interefjante und foftbare fein. 


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Paris, 28. Guli 1855. 


Ein Grab und ein Bett in Paris; over: ein Beſuch 
3 bei Birne und bei Heine. 


Es iſt jet ein PVierteljahrhundert, daß ich hier 

in Paris mir Börne zufammenwohnte, rue de Pro- 
vence 24, 

Daft jeden Morgen over Abend kam Börne, in 
feinen braunen Pelzſchlafrock gehüllt, in mein Zimmer, 
fette fi an ven Camin, ſchürte Das Feuer an und 
fagte: „Nun, Saphiv, helfen Sie mir, an nichts den— 
fen." Er behauptete nämlich, er befinde. fi) nur dann 
wohl, wenn er an gar nichts denkt, das fünne er aber 
nicht allein, dazu müſſe ihm immer Jemand helfen. 
Namentlich) aber, ſagte er, gelänge es ihm ganz und 
gar an nichts zu denken, wenn ein deutſcher Profeſſor 
mit ihm discurirt. 

„der,“ erwiderte ih, „ich. bin ja fein Profeſſor, 

im Gegentheil, ic) leive an Diarrhöe.“ 

E „hut nichts," fagte Börne, „Sie find erft aus 
Deutſchland gefommen, ich weiß, Sie waren ein Freund 
von Hegel, Sie müfjen mir helfen, an nichts denken.“ 
— Darauf ſchürte er das Feuer an, legte Holz nad) 

und ſah in die Flammen. 

Er litt immer an Kälte. Wenn ich bei ihm war, 

ſchrieb er zuweilen, zwiſchen jeder Zeile ſtand er auf, 

a ſich am Camin zu wärmen. Er arbeitete ſehr lang— 





214 


fam, ging inzwifchen oft fünf Minuten lan; auf und 
ab und fchrieb wieder zwei Zeilen. Wenn ich ihn ver 
lafjen wollte, um ihn nicht zu ftören, fagte er: »Au 
contraire, bleiben Sie hier, da ſtören Ste mid) nit, 
aber wenn Ste oben in Ihrem Zimmer auf und ab— 
gehen*), da geben Sie meinen Gedanken lauter Fuß— 
tritte.” — Ich arbeite fehr jchnell; eines Tages kam 
Birne gegen 12 Uhr Mittags zu mir hinauf und fagte: 
„Heute haben Sie Ihre VBorlefung im Salon Boſſange, 
über was werden Sie lefen?" — 

„Heute?" rief ich erfchroden aus; „heute? Schwere— 
noth, daran hab’ ich ganz vergeffen! Nun muß ich mid) 
gleich Darüber machen.“ 

„Sie haben gewiß über den »Boeuf gras« geftern, 
über ven Zug des Faſchingsochſen, daran vergefien.“ 

„Sewiß! aber ver Ochs muß mir Das vergüten! 
Einer hilft ven Anvdern! Ic werde über „ven Zug des 
Faſchingsochſen durd Paris" leſen.“ 

„But,“ jagte Börne, „ih will Euch nicht ſtören, 
thut, als ob ich hier gar nicht wäre.“ 

Er feßte fih an den Camin, ih an den Schreib- 
tif, und men Ochs hatte in einer Stunde ſolche 
Fortſchritte gemacht, daß wir Beide ein bischen ruhen 
fonnten. 

„Die find Sie glücklich,“ fagte Börne, „jo ge— 
ihwind zu arbeiten, ich fann das nicht!" 


*) Er erzählt das ſelbſt in feinen „Pariſer Briefen”. 


1.56 2: 








ga", entgegnete ich, „daher hält Ihre Arbeit für 
die Ewigkeit, meine aber iſt bald zerbrochen und un— 
——— 

Als ich eines Abends zu Louis Philipp in's 

palais royal geladen ward, ſagte Börne: „Grüßen Sie 
mir Alle und bringen Sie mir ein Stückchen bürger— 
liches Königthum mit, weil es noch friſch iſt.“ 

Der Menſch, jeder Menſch iſt ein Talleyrand! Es 
find 25 Jahre und ich ſtieg in ven gelben Handſchuhen, 
der weißen Gravatte und im ſchwarzen Frad die Treppe 
im palais royal hinauf und machte dem bürgerlichen 
Königthume tiefe Büdlinge und nad 25 Jahren ziehe 
ich wieder gelbe Handſchuhe, weiße Cravatte, ſchwarzen 
Brad an, fteige dieſelbe Treppe im palais royal hinauf 
und machte diefelben tiefen Bücklinge dem Kaiſerthum, 
und ich bin doc fein Talleyrand und fein Höfling und 
aud fein politifcher Wetterhahn und auch fein Protec- 
tionsjäger, ich bin nichts als ein außer allen Beztehun- 
gen ftehender veifender Schrifiiteller, der Alles jehen und 
fennen lernen will, um darüber mandes in fein Blatt 

amd wieder hinter's Ohr zu fchreiben. 
Es thut mir nur herzlich leid, daß ich nicht hof— 
fen kann, zu erleben, für wen ih mir m noch 25 
Jahren hier wieder vie gelben Handſchuhe, vie weiße 
Cravatte und den ſchwarzen Frack anziehen werde —? 
25 Jahre und das Königthum ift todt und Börne 
auch. Börne! aud ein König! Er trug die Geiſteskrone 
und die Dornenfrone! Er führte die Feder wie ein 


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216 


Scepter; fein Reich war die Phantafie, fein Thron ver 
Schreibtifh! Als ich dazumal Paris verließ und Ah» 
Ihied von ihm nahm, jagte er: „Auf Wieverfehen! oben 
oder unten!“ Und id vrüdte feine ſchmächtige Hand 
und erwiderte: „Oder in der juste milieu zwiſchen 
oben und unten noch hier auf der Eve!“ 

Ich jollte Börne auf ver Erve nicht wieder fehen! 
Afo „oben“ oder „unten“! Jedoch wo ift „oben“ und 
wo ift „unten“? In einer Zeit und in einem Lande, 
wo heute oben ift, was gejtern unten war, und morgen 
vielleicht unten, was heute oben ift, in einer ſolchen 
Zeit ift Das Nendezvous: „oben“ over „unten“ ein jehr 
unbeftinmtes. 

Börne ift jeßt gewiß oben! Er war ſchon im 
Leben oben, hod) oben über dem Leben, über vem Schmutz 
der Erde. Er liegt unten, aber er lebt oben! 

Birne liegt in frenider Erde! in fremden Boden! 
Paris wurde fein St. Helena, pere la chaise fein 
Pongwood, ver Buchhändler Campe fein Sir Hudſon 
Lowe. 

Frankreich hat Napoleons Aſche wieder verlangt, 
Deutſchland ſollte Börne's Aſche aus dem fremden Bo— 
den zurückverlangen. Deutſchland ſollte zu Frankreich 
jagen: „Gebt mir heraus dieſen Todten! Wollt ihr 
wifien, für wen er geftorben? Für mih ift ev ge 
ſtorben!“ 

Ja Börne iſt an und für Deutſchland geſtorben! 
Er hat Deutſchland geliebt, und weil er es geliebt hat, 
































hat er es verlaffen, wie ein edler Mann ſich von ver 
Geliebten losreißt, Die mit ihm und mit ver ex nicht 
glücklich fein fann! Er hat Deutſchland geliebt, er hat 
die Deutſchen geliebt, ſowie jeder ehrliche Deutſche ſein 
Vaterland liebt, wenn er auch über Vieles in ſeinem 
Vaterlande weint oder lacht! Börne hat ſich nach 
Deutſchland geſehnt, ſein geſchriebener Zorn über Deutſch— 
land iſt nichts als ſein deutſches Heimweh, welches er 
in Salz und Säuren friſch erhielt, welches er mit Witz 
und Spott zu betäuben, fortzujagen trachtete. 
ER Die deutjchen Gorrefpondenten in Paris fagten in 
der „Allg. Augsb. Zeitung“: „Börne fehmeichelt ven 
Franzoſen,“ jo wie fie jest fagen: „Saphir ſchmeichelt 
den Franzofen.“ 

Dieje veutfhen Faufe in dem Wallfiſch „Baris“ 
haben in der „Augsb. Allg. Ztg.“ den würdigen Kopf- 
grind gefunden, darinnen zu winmeln. Diefe allgemeine - 

Gemeine für alle, viefe politifhe femme entretenue ver 
verſchiedenſten Parteien, Diefe Maria Stuart, die noch 
ärger ift als ihr Ruf — o Hinmel — die nur eine 
politiihe Geſinnung hat: „den Debit in alle Länder 
und feine Poftporto-Erhöhung“, die ift von der Nemefis 
ereilt worden! Ihre Abonnenten vermindern fi mit 
jeder Runzel, welche ihr altes Angeficht heimſucht, ihr 
Credit ift jo tief gefunfen, daß er bald ven Geift, ver 
ſie befeelt, erreicht haben wird. — O Himmel! — 
d Zu jenem Ungeziefer, welches vie Pariſer Corre— 
— fpondenten der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ im 


218 


Paris ſich gegenfeitig abjagen, um es in den Gpalten 
jener Zeitung losfriehen zu laffen, gehörte auch die 
Anſchuldigung: „Börne Ichmeichelte den Franzoſen!“ 

Birne und Schmeiheln! Ein - Löwe, dem man 
nachfagt, er macht einen Katenbudel! 

Er fchmeichelte den Franzofen, das meinten Die 
Franzoſen, und die deutfchen Correfponvdenten in Paris, 
welche als das Nektar ſchlürfen, was fie einem Franzoſen 
abhorhen, um es ſeidelweiſe in deutſchen Sournalen aus— 
zujchenfen, fagten e8 den Franzoſen nad) ! 

Die Franzofen waren nit im Stande, aus ver 
Bitterfeit und aus den falzigen Worten Börne's über 
Deutfchland vie Liebe Börne's zu Deutfchland, ven 
Schmerz Birne’s über Deutfchland, die Mühe Börne's 
diefe Yiebe und diefen Schmerz aus fid) wegäßen zu 
wollen, aufzufalien, herauszufinden und zu werftehen ! 

Birne legt in franzöfiiher Erde! Er liegt allein! 
Er liegt fern von dem Volk, das er geliebt, für das er 
geweint, gelitten und geftritten hat. Am Tage Aller 
feelen tönt fein veutfcher Yaur, blüht Fein deutſches 
Blümchen auf feinem Grab. 

Dann und wann fümmt em deutſcher Weinreifen- 
der, ein Handelsbefliſſener aus jener Baterftadt Frank: 
furt am Main, ein jüdifches Banquierföhnchen aus der 
Baterftant Nantes, und fie haben in ihrem Notizenbuc) 
angemerkt, was fie in Paris für „Euriofitäten” befuchen 
müfjen, und da fteht: „Thiergarten“ — »Bal Mabille« 
— »Grisetten«e — „Börne's Grab“ u. ſ. w.! 


— Zr SI 
































Aber Frankfurt am Main follte Börne's Leiche 
veelamiren! Nicht Goethe und nicht Börne haben ihrer 
Baterftadt die Ehre erzeigt, in ihr zu fterben, und doch 
ift Frankfurt am Main die Stadt dazu, wo jever große 
Mann glei begraben ift! Frankfurt am Main bat 
Goethe ein Denkmal geſetzt, weil er ihm das Vergnü— 
‚gen gemacht hat, Minifter zu werden. Aber jeine 
Statue in Frankfurt am Main haben fie mit großem 
Scharfſinn aufgeftellt, Goethe fehrt nämlic der Kunſt— 
anftalt, dem Theater, den Nüden zu. 

Frankfurt am Main fest Börne veshalb fein 
Denkmal, weil es nicht weiß, wie es feine Statue ſetzen 
wollte, d. 5. welcher Seite in Frankfurt er nicht den 
Nüden zufehren follte. 

Börne’s Grab in Paris ift mehr als einfach. Eine 
erbärmliche Büfte fteht in einer feinen, dunklen Niſche 
und Die paar Zeilen auf dem Steine find nicht 
mehr zu lefen! Nicht ein Blümchen fteht auf dem Grab, 
zwei halbvervorrte gelde Kränze hängen an ven Eifen- 
ftäben, die das Grab umgittern ! 

Guter Börne! Auch im Tode ned) von Eifenftäben 
umgittert! Ich legte einen vollen friſchen Kranz auf das 
Grab. 

Eoler Schatten! Freund, Yandsmann, Bruder im 
Apoll und Mitpilgerer auf der Wallfahrt des Geiftes! 
leb' wohl! Leb' wohl, Du edler Todter! und rufe mir 
zur Vergeliung diefer Worte von oben zu: „Sterbe 
wohl, Du guter Lebender !“ 


220 


Bon Börne's Grab zu Heine’s Krankenbett! 

Sollte es vielleiht im Buch des Schickſals ftehen, 
die deutſchen Humoriften follen in franzöfifher Erde 
ruhen! Ic muß machen, daß ic) fortkomme, dag Schick— 
fal fünnte mich für einen Humoriften halten! 

Heine war lange nicht im Stande, Beſuche anzu- 
nehmen; ex war fehr leivend. Seit einigen Tagen ift er 
etwas befier. 

Herr Steiniger, mit dem ich zu Heine gehen wollte, 
brachte mir dieſer Tage ein Briefen, welches Heine an 
ihn richtete und in welchem er jagt: „Es wird mir viel 
Vergnügen machen, wenn mir Herr Saphir die Ehre 
feines Beſuches erzeugt, ich werde das DBefte, was man 
mir in meiner fummervollen Lage anbieten kann, näm— 
lich einige erheiternde Augenblide, mit Danf annehmen. 
Herr Saphir ift einer ver geiftreichiten Männer Deutſch— 
lands, und wir haben fehr viele gemeinfchaftliche Feinde ; 
dabei foll er jehr gutmüthig fein, was doch auch eine 
gute Eigenschaft ift." — 

Herr Heine erzeugt mir zu viel Ehre, wenn er 
glaubt, ich habe fo viele Feinde wie er, fo geiftreich bin 
ich nicht, und jold’ einen Ruhm hab’ ich aud) nicht, 
um jo viel Feinde zu haben wie er. Ich war einen 


Augenblid lang Heine's Feind, als er Börne nad) dem 


Tode jo hart behandelte. Sch habe Heine darüber recht 
bitterböfe angelafjen. Ich babe ihm Das, bevor ich ihn 
befuchte, ganz offen jagen laſſen, da alle Unwahrheit 
und jede zweideutige Yebensweife meiner Natur verhaft 





Er » 1 - a 





und unmöglich ift! Ih war Heine dazumal bitterböfe, 
ih habe mid darüber ausgefchrieben. Das war ich ven 
Manen meines edlen Freundes Börne ſchuldig. 
Darüber find fünfzehn Yahre vergangen! Ich habe 
Heine ſtets als herrlichen Dichter, als einen der geift- 


reichſten Schriftſteller und als eine der witzigſten, oder 
was ebenſoviel iſt, als eine der kratzendſten Federn des 


Jahrhunderts anerkannt. Verſchiedenheit der Anſichten 


und Geſinnungen iſt unter geiſtreichen Menſchen fein 


Grundrecht zur Verläugnung des gegenſeitigen Talentes 
und Genies. 

Nachdem ich mich alſo — darüber offen erklärte, 
beſuchte ih ihn. 

Heine wohnt jeßt Nr. 3, avenue Matignon, in den 
champs elysees im fünften Stod. 

Ein weiblicher Domeftique meldete mich an. Ich 
trat in ein fehr verbumfeltes Cabinet. Das Cabinet war 
durch einen Schirm in zwei Theile getheilt. Selbſt halb 
blind, tappte ich mid) vorwärts, da tönte es won hinter 


‚dem Schirm hervor: „Iſt's der wirkliche Saphir?" Ich 


erkannte Heine's Stimme nicht wieder, welches aud) 


ſchwer gewejen wäre, da ich ihm ſeit 1827 nicht ſprach. 


Ich trat hinter den Schirm, das Dunkle des Zimmers 
war mir nad) und nad) nicht mehr jo dunfel, ich trat näher 
an Heine’8 Bett, an das Peivensbett, am welchem diefer 
Prometheus, dev wielleicht zu viel euer getrunken, himm— 
liſches und irdifches, feit vier Jahren gefefielt Liegt. Aber 
fein Geier nagt an feiner Peber, denn er ſchreibt und 


Äpricht noch frifh won ver Leber weg; aud nagt fein 


Geier an feinem Herzen, Denn er hat jein Herz gefeit vor 
den Krallen der ätherifhen Liebe, und aud) an feinem Ge— 
wifjen nagt fein Geier, denn Heine weiß diefes Gewiſſen fo 
zu verfteden, daß fein Geier weiß, wo es anzırpaden jet. 


Seit vier Jahren ringt Heine's Körper mit dem 


Tod! Aber fein Körper hat einen Verbündeten gefun— 
ven, mächtiger als eine Allianz, einen Verbündeten, ver 
dem Körper feine Eriftenz garantirt, nämlich: Heine’s 
Geift! Alle Körper, befonders fleifchlihe, werden in Spi— 


ritus gelegt, um von außen her confevoirt zur werden, 


Heine’s Körper wird von. innen conjervirt, ver Spiritus 
in Heine erhält das irdiſche Futteral dieſes Geiftes. 

As A. T. E. Hoffmann das Nüdenmark gebrannt 

bekommen hatte, ſagte er zu Chamifjo, ver ihn gleich 
darauf beſuchte: „Niechen fie ven Teufelsbraten? Ich 
bin geihmort worden!” 
Das ift ein gräßlicher Humor, aber er flößt Ne 
fpeet ein; der Humor, ver mit dem Teufel ein Wett- 
rennen beginnt, der muß, wenn er verliert, mit Humor 
zum Teufel gehen! 

Der Weife kennt feinen Schmerz, der Stoiker 
läugnet ihn, das ijt fein Verdienſt! Aber vem Schmerz 
in die Augen jehen, den wüthendſten Schmerz in feinen 
Gliedern auf» und abgehen fühlen, ven Kuß des Todes 
in Yahresraten auf feinem Angeficht fühlen, vie Auf- 
löſung jahrelang Löffelweife einnehmen, die Verweſung 
aus dem Grabe fih entgegenfommen ſehen, in fleinen 

































—* e en, und da nod) feinen Humor haben, ta 
= noch dem ſteten Schmerz mit ſteter Laune in's Geſicht lachen, 
da noch mit innerer Luftigkeit, mit unverwüſtlichem Geiſt 
dem körperlichen Elend zurufen: „Du vermagſt nichts 
* über meinen innern „Menſchen,“ das iſt ein denkwürdi— 
ges, ein pſychologiſch intereſſantes, ein geiſtig erheben— 
de, ein moraliſch tröftendes Schaufpiel! 
5 Heinrih Heine in feinem Bette ift ungefähr ganz 
und gar fo groß wie ein Jean Piccolo, es iſt vom 
Menſchen grade noch fo viel Dageblieben, als nöthig ift, 
um dieſer Fülle von Poefie, Yaune, Humor, blendendem 
Witz und — fatanifcher Bosheit zum Aufbewahrungs- 
# gefäß zu dienen. 
= Heine ftredfte mir feine Hand entgegen ! eine Hand? 
> ein Hänbchen von einer Mumie! Und viejes Knochen— 
modell einer Hand jchreibt noch „Lutece”, „Salon“, 
Romancero“, und all’ die wunderfam duftigen, wun— 
derſam wißigen, wunderſam poetifchen und wunderſam 
= abſcheulichen Dinge durcheinand ! 

Heime muß, wie befannt, mit der einen Hand fein 
Augenlid in die Höhe heben, wenn er Jemand jehen 
will. Uber in dieſem Augenblid, wenn er ven Vorhang 

von feinem Auge aufzieht, bietet diefes ein Theater mit 
griechiſchem Feuer beleuchtet dar, dieſer Blid ift noch 
Licht, Diefes Licht ift noch ein Strahl, und dieſer Strahl 
hi bringt nod ein Prisma voll farbiger Geftaltungen und 

Eindrücke. 

Heine iſt ganz und gar der alte Heine, um 30 


ee“ 





Yahre Alter, um 50 Pfund leichter und viele Zoll 
fünzer, um ein Auge ärmer, um zwei Füße von der 
Gicht betrogen, von Amer in Stid) gelaffen und von 
Eros beftraft, aber es ift doch der alte Heine an Geift 
und Gedanken, an Wort, Ausprud, Gefühl und Em- 
pfindungsmeife. 

Die irdiſche Vaſe ift zertrümmert, der Henkel ab- 
gebrochen, der Sodel zermürbt, vie Karben abgeblakt, 
aber das Potpourri ver poetifhen Blumen, die Blätter 
und Blüthen in dieſer Vaſe find geblieben, die Nofen 
— umd die Dornen. 

Ah, es ift ſchade, daß dieſes Genie an nichts 
glaubt, nicht einmal an fi, und das ift der ſchlimmſte 
Unglaube! Wer an fich jelbjt nicht glaubt, glaubt nicht 
an Gott; denn jeder Menfh muß ein Stück Gottheit 
in ji glauben. Heine's wundervolle, finnige, blendende 
Poefie hebt die Erde zum Himmel empor, aber leiver 
verpflanzt fie au) den Himmel auf die Erve! Heine 
weiß aus allen Materien Geift zu ziehen, er vergeiftigt 
die Materie, aber dafür ift ihm aller Geift, der Geift 
der Natur, der höchfte Geift auch nur Materie; Heine's 
geiftigev Athen ift unendlid, aber e8 ift ein Samum, 
er verjengt! Diefer Athem ftreift die Blume, die Blume 
öffnet Diefem fonnigen Athem den lieblihen Buſen, der 
Athem fährt über fie hin, fie ift verbrannt, welk ge— 
fungen. Diefer würzige Athem berührt die Lotosblume 
Poefie, die Lotos erſchließt Diefem Athem das Näthfel 
ihres Duftes, die Geheimfchrift ihrer Blätter, den Zauber 





















a 225 
AR ihres Dafeins, aber ver Athem, ver fie öffnet, tödtet 
F ſie, der Hauch, der ihr die Seele entwickelt, vergiftet 
fel®) 
2 Aber welche Friſchheit der Ideen, welche Triebkraft 
- der Phantafie, welche Farbenmiſchung, welder gehäm- 
mierte Styl umd welcher Wechſel der Perfpective im 
Schilderung und Staffage! 

Die Franzoſen begreifen nicht recht, wie Geift und 
Witz und Lyrik an und für ſich Berechtigungen ver 
Literatur, des Genius find. Amevee ve Ceſena fragte: 
Aber was will Heine? Welchen Zweck haben feine 
Genialitäten? Was ift das Ziel dieſer Gevanfen-Wett- 
3 rennen? Wohin gehen dieſe Strahlen, welhe fih von 
den Sternen losmachten?“ (detache des étoiles) Ame- 
dee de Ceſena künnte ebenfogut fragen: „Was will Die 
Roſe? Welchen Zweck Haben die Töne der Nachtigall? 
Was iſt das Ziel aller diefer Blumendüfte und wohin 
gehen alle die Wolfenzüge und Zephirlüfte?" 
Ein Biegelftein muß einen Zweck haben, ver De- 
mant iſt fein eigener Zwed. Der Reiſende ſteckt ſich ein 
Ziel wor, der Spaziergänger nicht, ver Wegweifer muß 
> uns ein „wohin?“ zeigen, aber die Blume, die Duelle, 
das Echo, der Wälverduft, die lachende Landſchaft, 
welche den Neiz und den Schmud des Weges bilden, 


— 


wait) 


*) Ich werde im jpäteren „Pariſer Briefen“ das nachholen, 
was zur VBervollftändigung meines Urtheils über den 
jeßigen Heine nöthig ift. 

mM. G. Saphir's Schriften, XM. Br 15 


226 


fagen nie: wohin! — Heine's Bosheiten felbft, glaub’ 
ich, haben aud feinen Zweck, fie find bei ihm eben 
aud) eine Formation feines Geiftes. Er fragt fie auch 
nicht: wohin? Er befümmert fih nit um ihre Wir- 
fung. — 

Ih ſprach mit ihm davon, von den vielen Ver— 
leungen, welchen er jelbft Freunden anthut. „Ach,“ ſagte 
er, „über wen foll man denn Wie machen als über 
jeine Freunde? Die Feinde nehmen e8 einem gleich übel! 
Die Freunde eben follen uns die Freundſchaft erzeugen, 
unfere Wise nicht übel zu nehmen.“ — Ih muß ges 
ftehen, da ift doch Methode d'rin! 

„Mit meinen Finanzen," fagte Heine, „bin id) 
immev brouillivt, id) habe immer weniger als id) 
brauche." 

„D," erwiderte ih, „pas fenn’ ih, wir fagen 
immer: „ich habe weniger als ic brauche," aber wir 
jollten eigentlid) jagen: „Sch brauche mehr al ic) habe.“ 

„Ich habe,“ fuhr Heine fort, „6000 Franecs jähre 
fi von meiner Yamilie und 6000 Frances von Champe 
in Hamburg, das find jährlich 12,000 Francs Renten, 
ich brauche aber wenigfteng 20,000 Francs! Wie viel 
brauchen Sie?" 

‚Mein Lieber Heine," erwiderte ich, „vie Berech— 
nung ift leicht. Sie haben mehr als 12,000 Fres. Ren— 
ten und brauchen dennoch 20,000 Fres. Stellen Sie 
fi) vor, wie viel ic) erſt brauche, ver ich gar feine 
Renten habe.“ 





NE er a u 





Hr diefem Augenblicke brachte die Dienerin einen 

Brief, er ließ die Fenftervorhänge zurüdichlagen und id) 

ſah Heine's Angeſicht veutlih. in wahres leidendes 

Lazarus-Angefiht, hohle, bleiche Wangen, ſpärliches 

Haar, der Bart weiß und ſtruppicht, die Stirne weit 

hervortretend und die Augen tief in ihre Höhlen zurück— 

gezogen und zugedeckt. Heine iſt ſchlaflos und braucht 

die Nacht hindurch unzähligemal die Bedienung zu hun— 

dert Dingen, und doch darf kein Licht im Zimmer ſein 

und auch fein lebendes Weſen kann ev des Nachts um 

ſich dulden, er muß allein ſein! Allein wach mit feinen 
- Schmerzen, mit feinen Yeiden, aber auch mit feinen Ge- 
danfen und wachen Träumen. 

* Er iſt verheirathet, ſeine Frau hab' ich nicht ge— 
ſehen, hab' auch den Wunſch nicht geäußert; ſie ſoll 
eine ſtattliche, ſtarke Perſon ſein. Das iſt Alles, was 
ihre Biographen von ihr wiſſen — oder ausſagen. Daß 
der Säuger des „Buches der Lieder“ nad) Loreley und 
fo weiter an einer „tattlichen ftarfen Perſon“ ehege- 

ſponslich Hängen blieb, iſt ein Heine’fcher Wit des 

Schickſals. Völker und Frauen, von welden die Blätter 

der Gejchichte nichts ſagen als: „eine ftattliche, ftarfe 

Perſon!“ mögen höchſt vefpectabel fein, aber nicht — 

interefjant. Heine liebt noch immer vorzüglid jüdiſche 

Witze. 

Ich fragte Heine, ob ſeine Frau deutſch ſpreche; 

„nur zwei Worte,“ war ſeine Antwort: »Nebbech« 
und »Jofee. (Das erfte Wort ift ein Klageausruf und 


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h: 
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A 


das zweite heißt „Ihön".) „So? fagte ih, „vas find 
blos zwei eigene Namen, der erſte ift Ihr eigener Name 
und der zweite der Ihrer Braun." 

Heine ift jetzt wieder Doch jo weit, daß er manches 
ſelbſt ſchreiben kann. Er dietirt jonft, aber er hat alle 
acht Tage einen andern Schreiber, es kann ihm nicht 
jo bald Jemand zurecht fein. 

Obſchon zur Zeit, als wir und Das letstemal in 
Frankfurt jahen, Börne ftets mit mir war, vermied es 
heute ſowohl Heine als ih, den Namen „Börne“ aus- 
zuſprechen. 


Ich bin von Heine's Krankenbett noch verdüſterter 


weggegangen als von Börne's Grab. Drei Humoriften 
der deutichen Gegenwart, zwei große und ein Fleiner, 
davon ift einer tot in Frankreich begraben, einer leben- 
dig in Deutjchland begraben, und einer, der in Deutjch- 
land nicht leben und in Frankreich nicht fterben kann! 


Baris, 29. Yuli 1855. 


Ein Morgen bei Aleranver Dumas. 
Der Diener Dumas’ hatte ven Auftrag, mid aus— 
nahmsweiſe jeverzeit eintreten zu lafjen. Ich fam geftern 
um 9 Uhr Morgens. 

In der rue d’Amsterdam 77 bewohnt Dumas ein 
Häuschen und Garten ganz für fi allein. 


Im erften Stock ift das Arbeitszimmer ſeiner 


Toter Marie. Sie ift ein ausgezeichnetes Malertalent. 


— 





A Es A 3 ae du ul Are 
—— 





Idhr Zimmer iſt ein Atelier, ein Muſeum, ein exotiſcher 
Blumengarten, eine Bildergalerie, ein Raritätencabinet, 
ein orientaliſcher Tempel zugleich, Zeichnungen, Croquis, 
Statuetten, Blumenvaſen, ausgeſtopfte Vögel, Lampen, 
Münzen, Stickereien, Teppiche, Schirme; alles durch— 
einander, übereinander, nebeneinander! Methode in der 
Unordnung, Syſtem im Durcheinander, ſtudirter Ger 
ſchmack in anſcheinender Zufälligkeit. 
e Eine Treppe höher ift Das Arbeitszimmer Dumas’. 
Hier ift zuerft nichts und dann Chaos, und aus dieſem 
® Nichts und Chaos ſchafft Dumas eine Welt, feine Welt. 
Zu dieſem Chaos von Tinte, Papierftreifen, Federn, 
\ Büchern und Broduren fagt Dumas: „Diefes Papier 
ſoll erzeugen allerlei Yeben, Meer und Erve, Himmel, 
Sonne, Sterne, Menſchen und jonftiges lebendes Wefen,“ 
amd alfo geichieht's. 

An den Wänden des Zimmers find türfifche Di- 

vans, auf Camin und Gefimje ein pele-mele von ca- 

 deaux und souvenirs: »Donne par le Prince ete.« — 
»Hommage à Alexandre Dumas par le Princess etc.« 
u. ſ. w. An ven Wänden hängen allerlei Bilder, auf 
Seſſel und Fauteuils Bücher, Cartons, Dietionnärs, 
Damascener Säbel, Piſtolen, Albums u. ſ. w. 

In der Mitte des Zimmers fteht ein breiter, lan— 
ger, flacher Tiſch, ein Schreibzeug in der Mitte, und 
auf diefem Tiſch unzählige - große blaue Papierbogen, in 
lauter einzelnen halbgejchnittenen Bogen, und auf dieſe 
Steeifen, ftets auf einer Seite, ſchreibt Dumas zugleich 














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250 


die »Histoire de ma vie«, Die »Mohicans de Paris«, 
die »Memcires .de Mad. Dorval«, die Urtheile über 
Mad. Riſtori und noch hundert andere Dinge. 

Es iſt unglaublih, mit welcher Schnelligkeit, mit 
welcher Bielfachheit Dumas fchreibt. Dumas hat vier 
Hände, zwanzig Singer, aber felbft die reichen nicht hin, 
um feinen ſchaffenden Geift und feiner beflügelten Phan- 
tafie, um feiner quellenden Erfindungsgabe und dem 
Sprudeln feines Styls nachzukommen. Nur wer Dumas 
arbeiten gefehen hat, kann e8 glauben, wenn aud nicht 
begreifen, daß er über taufend Bände verfaßt hat! Wäh- 
rend er arbeitet, ſpricht er mit feinen Beſuchern, ordnet 
er feine Diener an, arrangirt er fein Blatt, ertheilt er 
Kath und Hirt zehn Menfchen an, von welden ihn 
jeder in einer andern Angelegenheit fpridt. 

Er arbeitet in einem tropifhen Neglige, wie es 
feine tropische Natur, feine tropiſche Phantafie erheifcht. 
In Pantoffeln und Nanfinpantalon, im bunten Hemd, 
ohne Gilet, ohne Halsbinde; ftarf und groß, von mus— 
fulöfer Structur, mit dichtem, emporgelträubten Haar, 
pröhnt der Boden unter ihm. Sein Auge ift gevanfen- 
voll, fein Blick dennoch mild, ftarf ausgeprägte Züge 


drücken eine frohe und herzensgute Stimmung aus. Er- 


lächelt vortrefflich, fpricht Schnell, laut, mit Feuer, und 
belebt fi im Geſpräch immer mehr. Sein Geficht trägt 
eine innere Gutmüthigfeit im Ausprud. 

Nur wenn Dumas in Dumas angegriffen wird, 
nur wenn man feine geiftige Individualität verlegt, fliegt 


ur m. 





— 





231 


der Creole über dieſes Angeſicht! Da wird das Ueber— 
meer-Blut in der Geſichtsfarbe ſichtbar, da nehmen feine 
Blicke die Geſtalt von Tigerpfeilen an, und der Panther 
trägt auf einen Augenblick ſeinen Ausdruck auf die Ge— 
fihtszüge des Menſchen über. Aber dieſer Moment geht 
bald vorüber und Dumas ift wieder der alte, frohe, 
joviale, liebenswürbige, herzlich-gute Menſch. 

Dumas ift von einer findlichen Herzensgüte, ver 
evelften Aufopferung fühig. Er gibt Alles hin an die 
Menfchheit, er ift für jeren mit Kath und That bereit. 
Dumas hat viele Feinde, namentlic) unter ven jüngern 
Schriftſtellern und Feuilletoniſten! Wie kann es aud) 
anders ſein? Ein ſolches Genie und keine Feinde?! 
Eine ſolche coloſſale Reputation und keinen Neid?! 
Dieſe kleinen Geiſter nergeln an dieſer großen Indivi— 
dualität, an dieſem Weltrenommée. Er läßt ſie nergeln 
und geht ſeiner Wege. Er iſt der Freund, der intime 
Freund von Lamartine, Victor Hugo, Berenger, Emilie 
Girardin, St. Beuve u. ſ. w., u. ſ. w., er iſt der 
Augapfel der höhern Geſellſchaft, er iſt die Seele dieſer 
Cirkel. Ich habe ihn in den Salons der Napoleoniden 
geſehen, wo man ihn mit Herzlichkeit bedeckt. 

Ich habe ſchon erwähnt, daß ich ihn auch bei der 
Prinzeſſin Mathilde ſah. 

Die Prinzeſſin Mathilde beſitzt keine Handſchrift 
von Napoleon I. Dumas beſitzt einen Brief von ihm. 
Dumas wollte ſich von diefem Briefe nicht trennen, den 
die Prinzeffin fo ſehnlich wünſchte. Ich war der glüd- 


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\ * * 





232 


liche Mittler, daß Dumas der Prinzeſſin ven Brief 
gibt. Sie läßt die Unterfehrift, ven Namenszug Napo- 
leons herabſchneiden und unter Demanten in ein Arms 
band faſſen. 

Es war 9 Uhr Morgens, als ic) letztlich zu Du- | 
mas fam. Er lag auf dem Boden auf einem Teppich, — 
ſtreckte mir die Hand entgegen: »Ah, mon cher Saphirl« - 
ſprang auf und fette fi) zu mir auf den Divan. »A 
present je suis tout à vous!« Aber faum hatten wir 
zehn Worte gewechſelt, da fing die Wallfahrt ver Be— 
ſucher an. Zuerſt der junge Herzog von Schleswig: 
Holftein, den wir am Vorabend beim Prinzen Napoleon 
ſprachen, und der fic) bei Dumas die Gunft erbat, ihn 
beſuchen zu dürfen. Kaum find ſechs Minuten verfloffen, 
fümmt ein Präfident, deſſen Namen ic) vergaß, »rien 
que deux mots, cher Dumas!« Die zwei Worte werden 
200. Ih will gehen, Dumas jagte: »Non, mon cher 
Saphir, à present je suis tout a vous!« Nach einigen 
Augenbliden kömmt Mad. Daſch, eine Schriftitellerin, 
und bittet nır um zwei Worte. Während vem fümmt 
der Verleger der »Histoire de ma vie« und verlangt 
für's Feuilleton die Yortfegung. »A Tinstantl« ſagt 
Dumas, ſetzt ſich nieder und füllt ſchnell einen langen 
halben Bogen und gibt ihn mit. Nun aber will ich 
wirklich gehen. »Non, nous causerons encore!« Da 
kommt wieder Jemand, wer iſt's? Der Maler B. aus 
Brüfjel hat mit dem Brüffeler Expofitions-Commifjär 
Worms ve Romilly einen Chrenhandel, Dumas fol 


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ſecundiren. Dumas acceptirt, ſchreibt an den Secundan— 
ten des Gegners und ſetzt ſich wieder zu mir, Wir be— 
ginnen unſer Geſpräch kaum, kömmt Mery und wünſcht, 
Dumas möchte Abends der Probe ſeines Stückes bei— 


wohnen, da er der Sache ſo ungeheurer Meiſter iſt. 


Merys Ambaſſade geht, nun Hoffen wir allein zu fein, 
umfonft! Die Erben der Mad. Dorval (eine der erften 
Tragödinnen Frankreichs) ſchicken ihm eine Bibel, welche 
einen Theil ihrer Lebensgefhichte ausmacht, er foll fie 
in Augenſchein nehmen und in der Biographie jhildern! 
: Sp wird's eilf Uhr, ich will nun endlich) im Ernſt 
gehen, »O non, vous dejeünerez avec moil!« 

Dir fteigen hinab in ven Gartenſalon zum Früh— 
ftüd. Aber Dumas ift jelbft Koh. Er macht fi) fein 
»Filet aux pommes« jelbit; indeſſen bejah’ ich vie Ta- 
peten u. j. w. Nun kömmt Dumas mit feinem neneften 
Werk, welches der Bediente hinter ihm ber dampfend 
nachbringt. 

Wir ſetzen uns zu Tiſche, da ſteht Schinken, Käl— 
bernes, Roßboeufs, Melonen, Filet, Omelette, Bordeaux, 
Thee, Caffee und Liqueure. Wir wollen uns an's Ge— 
ſchäft machen, aber noch nicht! Man bringt eine La— 
dung köſtlicher Blumen- und Pflanzengeſchirre, die eine 
nicht genannt ſein wollende Dame Dumas für ſeinen 
Garten ſchickt. Dumas ſpringt auf, ruft ſeinen Gärtner, 


aber voll Ungeduld ſtreift er die Hemdärmeln auf und 


fängt an die Blumentöpfe ſelbſt in die lockere Erde 
ſeines Gartens zu ſetzen. Ich nicht faul, helfe ihm und 


234 


wir fehren mit Händen voll Gartenerde in den Speiſe— 
jaal zurüd. 

Wir beginnen das Frühftüd, aber ich fehe, Dumas 
ift voller Unruhe, er ſchaut Hin und her, ihm fehlt 
etwas! »Qu’avez-vous donc?« frug id. Er ruft ven 
Bevienten, ihm fehlen feine Miteſſer. Der Bediente 
öffnete eine kleine Gartenthüre und es hüpfen und flats 
tern herein Feine Perlhühnchen, Wildenten, Schopftauben 
u. f. w., und fie umringen den Sefjel Dumas’ und 
Dumas ift feelenvergnügt, er fann nicht frühſtücken ohne 
diefen feinen Gartenbewohnern Brot und Futter von 
feinem Tiſch geftveut zu haben. Es fehlt ein Fleines 
Enthen! „Wo ift das feine Entchen?“ — Der Diener 
fagt, es fer ihm was Menfchliches begegnet. Dumas tft 
untröftlih, das Frühſtück ſchmeckt ihm nicht mehr. 

Bon welder Herzensgüte Dumas- ift, mögen fol 
gende zwei Züge jprechen. 

Dumas hat 800 Franc zu bezahlen. Dumas ift 
nit zu jeder Minute Herr über 800 baare Francs. 
Aber nun hat er fie, er wirft fih in fein Cabriolet, 
welches er immer hat, um die 800 Francs zu be 
zahlen. 

Während er fährt, fieht er, daß ver Cabriolet- 
kutſcher traurig ift und weint. 

„Bas ift’s, Jean?" 

Nichts!“ fagte ver Kutfcher. Aber Dumas dringt 
in ihn und der Kutjcher erzählt, daß ihm geftern ein 
Unglück zufam, er ftürzte, Pferd und Cabriolet find zu 





— 








Grunde gegangen. Dies Cabriolet habe ihm ein anderer 
Cabrioletkutſcher für heute geliehen; er hat fünf Kinder 


und iſt nun ein Bettler! 


„Wie viel brauchſt Du zu Pferd und Cabriolet?” 

„Wenigftens 600 Francs.“ 

„Halt!“ 

Der Kutjcher Hält; Dumas gibt ihm 600 Francs, 
„Bier, mein Freund, wenn Du’s haft, wirft Du mir's 
bezahlen, erziehe Deine Kinder orventlih!" Damit gibt 
er ihm 600 Frances, geht zu Fuß fort, um ſich, Gott 
weiß wie, andere 600 Franc aufzutreiben. 

Eines Tages fümmt ein Freund, ein junger Schrift: 
fteller, zu ihm, und Hagt ihm, er it verliebt, er hat 
eine engelsjhöne Braut, fie könnten glüdlich fein, ewig 
glücklich, wenn er 30,000 Francs hätte! 

„30,000 Franes!“ jagt Dumas, „Sie jehen wohl, 
daß ich nicht im Stande bin zu helfen!“ 

„Doch! doch! Sie fünnen uns auf ewig glucklich 
machen! Sie allein haben das Weh' und Wohl zweier 
Herzen in Ihrer Hand!“ 

„Ich? Wie denn? Iſt das möglich?“ 

Ja, jo iſt es! Ich habe ein Buch in zwei Bän— 
den unter dem Titel: „Die beiden Dianen“ gejchrieben. 
Der Verleger will mir 30,000 Franes Honorar geben, 
aber nur unter einer Bedingung!“ 

„Unter welcher, mein Yiebfter 

„Daß Sie Ihren Namen zu Ddiefen Werke here 


geben!“ 


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236 


„Aber das ift ja unerhört! Das ift ja nicht Schrift: 
ſtelleriſch!“ 

„Das iſt wahr! Aber es iſt das einzige Mittel, 
mid) und meine theure Geliebte wor Verzweiflung zu 
retten |" 

Und Dumas, gerührt von dem Schmerz des jungen 
Mannes, von der Wahrheit und Innigfeit dieſes Schmer- 
368, wirft den Rock um, geht mit ihm zum Berleger, 
gibt feinen Namen her, der Verleger zählt 30,000 Fres. 
aufs Bret Hin! Nach acht Tagen ift das felige Paar 
vermält; in emem Jahr ift der junge Dichter Vater 
eines herrlichen Jungen und Dumas Vater von zwei 
Bänden, die er nicht gemacht hat! 

Es ift vielleicht nicht ganz in der Ordnung, aber 
zweit glüclich) gemachte Herzen! Die Zukunft einer gan- 
zen Familie. 

Das Herz Dumas’ hat über alle andern Rückſichten 
den Sieg Davon getragen. 

Gott Lob, in eine folhe Verſuchung fann ein deut— 
ſcher Schriftfteller gar nicht fommen, und Gott geklagt, 
auf folhe Weife fann in Deutfchland Fein Liebendes 
Paar glücklich gemacht werden! 

Ih glaube nicht, daß ein Wiener Mausberger 
einem Wiener Novelliften vreißigtaufend Franes für 
feinen Namen gibt, und wenn es drei Bünde wären! 





Der Kaiſer Ludwig Napoleon. — Wer kann ſagen: 
— „Das ift vie letzte Stunde" — „das ijt Die erſte 
N Stunde 


Es ift an ein Bierteljahrhundert, daß ic) ein Büch— 
lein ſchrieb: 

„Die Napoleoniden“, 

ein 
„Trauerkleeblatt“. 
Es waren drei Gedichte: „Die Wiege des Königs 

von Rom", — „Des Hauſes letzte Stunde‘, — ‚Lätitia 
die neue Hecuba". — Das Büchlein, faum Finger Did, 
erlebte unzählige Auflagen, ic) kann fagen unzählige, 
denn dieſe Gerichte find einzeln und zufammen in tau— 
ſend Formen, Formaten, Muſiken, Bilonifjen, Ueber: 
ſetzungen ab- und nachgedruckt, immer wieder neu aufs 
gelegt worden. „Des Haufes lette Stunde“ ift vom 
Thron im die Hütte und von dem Notenpult ver großen 
Sänger und Sängerinnen bis zum Bänkelſänger, zum 
Leierkaſten geprungen. 
| Wann habe ich dieſe Lieder gefungen? Als Napo— 
leon der Große auf dem Throne jap? Als ver König 











itia Die ftrahlende Urfonne des Haufes war? Als viefe 
becgeiſterte Wehmuth mir einen Orden, eine Stellung, 


er N “ 


238 


eine Penfion, ein Gnadengeſchenk von ven mächtigen 


Beherrſcher der Erde erzweden konnte? 


Nein! Ich fang jene Lieder, als ver Titan geftürzt, 
als jeine Sonne erlofhen, als feine Krone gejunfen, 
als jeine Blumen gefnidt, als feine Macht gebrochen 
war! — 

Ih fang jene Lieder des Schmerzes über den Unter: 
gang einer erhabenen Erſcheinung, als es höchſt unvath- 
fam war, eine foldhe dichteriſche Begeifterung für ven 
vom Himmel geftürzten Halbgott zu manifeftien! Ich 
war jung, id) war feurig, mid) erfüllte ver Glanz dieſes 
Meteors mit Poefie und Begeifterung! Sch hatte Feine 
politiſche Abfiht, e8 war feine Gefinnungs-Manifefta- 
tion, e8 war Gefühlsſache, es war ſchwärmeriſche Ver: 
ehrung und jhwärmeriihe Wehmuth für und über ven 
Untergang eines erhabenen Schaufpiels. 

Die Poefie ift feine Zeitungsfchreiberei, die Poefie 
ift feine Staatskanzlei, Die Poeſie ift Feine politische 
Kannengießerei. Napoleon's Helvenleben, feine Pilger- 
fahrt am Schwert und Scepter durch's Leben und am 


meiften fein erhaben-tragifches Ende war Poeſie, und die 


Poefie hatte ſich bei ver Poefie bemeiftert. 

Ich Dachte nichts als ich jene Gedichte ſchrieb, 
ih fühlte blos! Ich konnte fie Niemand vom Haufe 
Napoleon widmen, ih ſagte ja jelbit: „Des Haufes 
fette Stunde!“ 

Uber der Menſch foll nie jagen: „vie leßte Stunde,“ 








. nie: „die erfte Stunde,“ denn er fennt den Näverlauf 
Er vet Weltenuhr nicht, nur der, welcher die Weltuhr auf- 
E zieht und den Schlüfjel zu ihr hat, ver allein weiß, 
wann für Menſchen, Völker, Welten die „legte Stunde“ 
ſchlägt. 
Fi Mir war Napoleon durch feinen Tod auf St. He 
* lena erſt recht ein poetiſcher Gegenſtand geworden! Der 

ſterbende Napoleon in den Kaiſergemächern der Tuilerien 
i iſt nichts als ein todter Kaiſer mehr, ver Paravefarg 
im Louvre, die Oruft von St. Denis over fonft wo 
- wären eine zu projaifche Endlöſung einer ſolchen leben— 
E digen Epopde geweſen. 
7 Napoleon auf dem Felſen St. Helena fterbend, ein 
2 verbfutender Adler auf der Felſenſpitze, von den über 
\ fein Schickſal empörten Wogen des Weltmeers zu Grabe 
gefungen, aus der großen Völkerorgel alle Regijter ver 
Klage und Anklage austönend, von Werne untergehend 
wie die mieberfinfende Senne, jo mußte Napoleon 
ſterben! 
Eine Kerze geht aus, ein Meteor verſchwindet, ein 

Phänomen verfinkt. 
Diefes verfunfene Phänomen hab’ ich befungen, dem 

Ä untergegangenen Meteor hab’ ich nachgeklagt. 













* Ebenſowenig als ich damals den Napoleoniden 
ſchmeicheln wollte und ſchmeichelte, ebenſowenig hab’ ich 
: es jeßt gethan. Zum Schmeichler muß man geboren 
fein! Der Tanzmeifter lernt Berbeugungen machen, der 


240 


Inftinet allein unterrichtet in Büdlingen! Die Erziehung 
(evnt ein Compliment machen. Die Natur des Menjchen 
allein lehrt ihn den Katzenbuckel machen. 


Ein Brief ver Lätitia Buonaparte ift alles, mas 
mir jenes Trauergedicht brachte, aber ein Brief von 
Lätitia Buonaparte war auch viel! 


Meine Muje hat nie gefchmeichelt; wo fie ein 
fürftlfih, ein gefröntes Haupt fang, war es immer eine 
edle That, ein Zug der Hochherzigfeit, ein völker- und 
menjchenbeglüdendes Ereigniß, ein göttlicheg Moment im 
dem YFürftenleben, welches meine Bruft erhob und aus 
den Saiten meiner eier wiedertönte! wenn fi) die 
Göttlihfeit der Menſchennatur mir auf den Höhen ver 
Throne zeigte, da erjchten fie mir göttlicher und himm— 
liſcher auf Diefen, wie die Alpenblume fonniger ftrahlt, 
wie fie ung ftrahlender anblidt, weil fie auf ver ſchwin— 
delnden Höhe erblühte. 


Ih kam jest nad Paris, id) war einige Schritte _ 


hinter dem Kaifer Napoleon, als das ſcheußliche Atten- 
tat Pianori's auf ihm gerichtet war. Ich war Doppelt 
durchſchüttert und die Nuchlofigkeit dieſes Frevlers er— 
höhte mein Intereſſe an dem Erben des Namens „Nas 
poleon”. 

Die Erbſchaft eines großen Namens ift Fluch und 
Segen zugleih, Kette und Flügel, Zügel und Sporn, 
Einfchüchterung und Crmuthigung, Warnung und Auf- 
ruf, Aureole und Dornenkrone, Zufall und — Miffion! 






























5 Be — HIT. Hei betrachtet fein Ich ale Me- 
— Napoleons, als Miſſion! 


7 


? ven ich jene Lieder ſang, galt die Des — 
Trauerkleeblaties · Dieſe Ueberreichung an Napoleon III. 
ebenſowenig Schmeichelei, als ſeine Entſtehung es 
war. Eben weil den Dichter jener Trauergeſänge nicht 
der entfernteſte Verdacht von Schmeichelei treffen konnte, a 
eben deshalb Habe ih fie Napoleon IM. beftimmt und 
ihn im dem begleitenden Gedicht gebeten, „viefe Ueber: 
reichung aud aus dieſem Gefichtspuncte betrachten zu 

R wollen“: — 


x 


„Ein Gaſt ift meine Mufe im dies Land gefommer, 

4 Als Gett Did bat geihüßt vor Frevlerhand, 

Fr Da bat gerührt den Kranz fie jchnell genommen, 

Den einſt fie Deinem großen Haufe wand, 

Sie legt ihn wehmuthsvoll Dir jetst zu Füßen 

Als Glückwunſch und als tiefe Huldigung, 

Er joll im jener Sprache Dich begrüßen, 

Die Dir befannt, verwandt an Geift und hohem Schwung, 

Er joll Dir jagen, daß vor langen, langen Zeiten { 
Der Dichter Deinem Haufe rübmlich ſchlug die Saiten. 


- Und weil es ift ein Biertel vom Jahrbundert, 
Daß diejes Kleeblatt weinend ich gepflüdt, 

Womit das Grab des Helden, mweltbewundert, 
WMit wehmuthsvollem Herzen ih geihmüdt, 
Weil's an der Stirne trägt Das edle Zeichen, 
> "> Daß es ein ungelünftelt Blümchen ſei, 


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4 M. G. Saphir's Schriften. XII. Bd. 16 


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er Fr ⸗ — In 
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Darf es der Dichter ſelbſtbewußt Dir reichen, 
Es wuchs nicht auf dem Feld der -Schmeichelei ! 
Denn diefe Stunde nicht hat es geboren; 
Es ift ein Kind längſtverſchwund'ner Horen.“ 


Es war auch gewiß nicht Schmeichelei, welche mich 
zur Zeit Ludwig Philipps in Paris Anno 1832 fol 
gende Betrachtung über das Mädchen niederſchreiben 
ließ, welches in dem Auge die Worte: »Napoleon Em- 
pereur« eingefchrieben trug: 

„Die Erſcheinung an und für fich ſelbſt iſt eine 
wunderbare, ein Spiel des Zufalls, der Natur. Den 
Namen eines ver erſten Geifter der Welt in das zarte 


Gewebe eines Mädchenauges einzufchreiben, Das ift eine” 


muthwillige Spielerei der in ihren Hewvorbringungen un— 
erſchöpflichen Natur, Man fünnte fait jagen, es jet ſüße 
Schwermuth der Natur, Die, wie Die Zerſtreuung Der Me— 
lancholie einen theuern Namenszug in ven Sand fchreibt, 
diefen geliebten Namen in dag Auge eines Mädchens 
ſchrieb. Kann man einen Namen aud) imniger, theuerer, 
fiherev und heiliger bewahren, als m einem Auge? 
Namen in Kirchen und Tempeln find nicht jo treu, jo 
ihutveic verwahrt, es gibt Tempelräuber und Kirchen: 
diebe, aber in Das Auge des Menjchen dringt nichts als 
der Strahl des Lichts, und einen geliebten Namen in 
ein Auge zu fchreiben und Die Augenliver wie die Tem— 
pelwächter über em Heiligtbum Darüber zur Hut zuzu— 
ſchließen, iſt gewiß die finnigite und geiftreichite Idee 
ves Schickſals! 





ei Mändens, welches Graf it das Br 


Wenn vie Nacht herniederfinft und die zwei Augenliver 
wie Sargdeckel nieverfinfen über das Grab mit ver 
großen einfachen Auffchrift: 


E » Napoleon Empereur!« 


dann leuchten dem jehlummernven Todten doch immer 
noch zwei Augenſterne und er ruht auf ſeinem Augapfel 
— auf ſeinem Reichsapfel. Einſt, wenn ſich dieſe zwei 
Augen ganz geſchloſſen haben werden und noch einige 
Tauſend Zwei-Augen, dann wird die Nachwelt hergehen 
En ven lebenpig begrabenen Napoleon Empereur aus- 
- graben aus den Augen des Mädchens und aus dem 
Sande Helenas und wird ihn beifegen in die große 
- Gruft der Unfterblichkeit und in dem ewighellen Auge 
der Jungfrau Weltgefhichte werden fie wieder glänzen 
amd leuchten die Worte: 


» Napoleon Empereur!« 
















— 68 wäre alſo nicht ehr zu werwundern, wenn 
- die Napoleoniven der Gegenwart einen Dichter freund: 
lich aufnehmen, einen Dichter, dem die franzöſiſche Lite— 
ratur ſo ſchmeichelhafte Anerkennung zollt und der zur 
Zeit, als jede Leier über Napoleon ſchwieg, den großen 
in beweinte und befang. Die, Napoleoniven find alle, 
alle ausgezeichnete Geifter, ungewöhnliche Menſchen, welt- 
hiſtoriſche, bedeutſame, intenſiv-intereſſante Perſönlich— 
16* 





244 


feiten; Das tft wahr und Das wird Niemand in Abrevde 
ftellen, ven politifchen Standpunet ganz außer Acht 
(affend. Ih Habe fonft nichts von ven Napoleons ge- 
wünſcht, nicht8 gewollt, nichts wünfchen gewollt. Deutfche 
Gerüchts- und Neuigfeits- Salfhmünzer haben drucken 
oder jchreiben laſſen, ich hätte von Napoleon 20,000 
Francs erhalten. Sp Dumm kann nur em deutſcher 
Zeitungscorrefpondent fein! 

Ih wollte, Napoleon hätte mir 20,000 Francs 
gegeben, damit ih in der Lage gewejen wäre, fie ihm 
demüthigſt zurückzuſtellen. Ich hätte 20,000 France 
ebenfowenig angenommen als 1000, als 10 Francs. Ich— 
hatte dieſes auch gleich dem Grand Chambellan, Orafen 
Tacher ve la Pagerie, in Ausficht geftellt! Auch ſonſt 
hatte ich gar feinen Zwed! Ein Kopf, eine Taſche und 
ein Knopfloch, Die ſechzig Jahre leer ausgingen, machen 
ſich nichts mehr Daraus, gefüllt zu werden! 

Es war mir interefjant, jene Leder dem Neffen 
Defien, dev mich zu ihnen begeilterte, überreichen zu kön— 
nen. Es iſt ein hiſtoriſches Factum, ein hiftorifches 
Curioſum, ein hiſtoriſches Unicum. Es ift für mic), für 
mein Leben, für meine Memoiren, für das Gefchid 
meiner Dichtung ein intereffanter Moment. 

Nach dieſem Präludium will ich meinen Lefern nun 
noch eine Heime Schilverung Ludwig Napoleons geben, 
wie fie ſich mir Darftellte. 

Das Aeufere des Mannes, welcher jest Die ges 

























u ke Tigerin la ne Europa jehen läßt, hat nichts 
. allein aud van Afen war fein Athlet 
und der —— Philoſoph Hegel hatte eine ganz — 


* 


ae öhyſiogn omie. 


Die Geſtalt und das Antlitz Ludwig Napoleons 
erinnert an Baron Braun von Braunthal, als in dieſem 
ver Dichter noch den Baron nicht ausgetrieben, ver 
Menſch ven Ariftofraten noch gelten ließ und der Zahn 
der Zeit noch nicht an feiner äußern Rinde alle Spuven 
adeligen Gebäcks abgenagt hatte. 


Ludwig Napoleon iſt won mittlerer Statur, fein 
erſter Anblid, feine Haltung militäriſch. Sein Geficht, 
dieſe Maske einer ewig arbeitenden Seele, ift ſcheinbar 
/umbewegt ; feine Stivne, dieſes Frontifpice eines großen 
Gedanken— -Bantheons, iſt bedeutend, aber düſter; feine 
Geſichtszüge ſind unbewegt und ſeine Mienen ſind nie— 
goal? die Anmelder oder vorlaute Verkünder vefien, mas 
im diejer Bruft ſtets Schafft und arbeitet; fein Mund it 
bla und die feinen, jchmalen Lippen werden jelten ges 
ö —* von dem Feuer und von der Gluth der Worte, 
die oft über ſie hinſtrömen, aber ſie ſind geiſtreich ge— 
chnitten und werden oft von einem liebenswürdigen Zug 
umſpielt, welcher nicht verkennen läßt, daß Gutmüthig— 
keit kein verbannter Gaſt in ven Empfindungen Napo— 
leons iſt; ſeine Augen find glanzlos, matte Spiegel, 
aber man irrt ſich, wenn man fie „ausdruckslos“ nennt, 
ihr Ausdruck liegt nur nicht gleich auf der Netzhaut, 





— 





nicht auf der Epite des Blides. Wenn man lange in 


diefe Augen hineinſchaut, und nit nur lange, ſondern 


tief hinein, jo liegen weit, weit im Hintergrunde die 
lauernden Blide zufammengefollert wie ruhende Löwen 


im Hintergrunde ihrer. Zelle, und nad) und nad) richten 


fie fid) auf und fommen, im Kreiſe ſich bewegend, vor— 
ſichtig, langſam vorwärts bis an Das äußere Augen- 
gitter, und dann gewinnen fie ein dunkles Glühen, eine 
um ſich ſchauende Flamme, dann fieht man Tie arbei- 


tenden Gedanken in ihrem Kreiſe, Dann belaufchen. diefe 


Blicke mit tiefpringender Gewalt und Starrheit fid und 
Alles um ſich herum und beobachten aus ihrer Höhle 
heraus Alles, was in der Runde herum geſchieht 
und vorgeht: Menſchen, Dinge, Creignifje; ftets auf 
dem Anſchlag, fters fih und vie Welt beobachtend. 
Napoleon ſpricht langjam, er fehrt das Wort erſt er- 
wägend um, bevor er es ausgibt, aber nicht aus Geiz 
und nicht weil ihm das Wort nicht zu Gebote fteht, 


* 


ſondern deshalb, glaub’ ih, um dieſem Worte mehr 


Sicherheit zu geben, um dem Worte und dem Hörer zu 
zeigen, daß er ſich nicht leichtfinnig won feinen Worten 
trennt und daß er die Wichtigkeit der Worte fennt, in- 
dem er fie nur langſam entläßt. Aber indem er fpricht, 
entglimmt fid) die Rede und ſelbſt über fein Angeficht 
laufen Sunfen, wie fie unter glühenver Aſche oft das 
verborgene Feuer verrathen. Ein großer Meifter ift 2. 
Napoleon im Zuhören, man fieht wie er hört. Seine 
Gefichtszüge trinfen das Gehörte, aber tropfenweife. Er 





Pi _ filinft Das Gehörte langſam in Das Verſtändniß, er 
ſtuürzt es nicht in ſich hinein, aber wenn er das, was 
man ihm fagt oder vorträgt, einmal bis zur Neige ge- 
y trunken hat, dann weiß und kennt er das Getränke, das 
er gehört hat, durch und durch, dann hat er es erſchöpft, 
erprobt, verdaut, ev weiß feinen Werth, ſowohl Geift 
als Schaum, ſowohl Echrheit als Berfälihung vollkom— 
- men und mit großer Öedanfenttefe zu würdigen. Ludwig 
Napoleon faßt nicht jchnell; langſam aber erſchöpfend 
und für immer. Während der Andere ſpricht, ſchält er 
ordentlich langſam das Gehörte, wirft die Schale weg 
und behält ven Kern. Er ſagt zuweilen ganz offen und 
ehrlich: » Ditez-moi cela encore une fois, je ne peux- 
2 pas vous suivre!« Cine große Tugend Ludwig Napo— 
leons iR, wie ich aus feiner Umgebung und von Andern 
weiß, er verträgt einen Widerſpruch! Er ſcheint ihn jo- 
‚gar zu interejfiven, er hört ihn ruhig an, ſchweigt und 
‚gibt nie was zu! Sein Wille ift eifern, ſein Ausſpruch 
— em Hammer, fein Entihlug ein Alt- Napoleonijcher 
Tagesbefehl: er ſchneidet Alles durch! 

Wenn man Ludwig Napoleon oft und lange be— 
obachtet, in der Nähe, in ver nächſten Nähe, von ferne 
u. f. w., fo kann man, ohne ungerecht zu fein, fich nicht 
enthalten, al’ die Schilverungen als flad) und parteiifch 
zu bezeichnen, welche dieſe Phyſiognomie als glatt „un 
bedeutend“ bezeichnen. Sein Antlig ift nicht der Ausdrud 
dieſer gewaltigen Immerlichfeit, ſondern ihre Nebelfappe, 
von welcher begünſtigt ſie ſchafft und wirkt; es iſt ein 








—e— 
7 


a 













248 


geichloffener eiſerner Dedel auf dem kochenden Seelen 
fefiel. Man ſieht es diefer Phyfiognomie an, daß Das 
Schickſal fie an die Wetterfeite des Jahrhunderts hinge- 
baut hat, und fie daher auch mit einer ruhigen Dede 
verkleidet und verſchalt hat gegen Hagel, Donnerjchlag, 
Revolutionen, Nepublifen und Volkstribunen. 

Etwas Corporalbaftes in feinem Aeußern vom kleinen 
Corporal, etwas Engliihgefchultes in feiner Haltung 
macht ſich bei feinem erſten Anblid geltend, aber in ver 
Nähe wächst nach und nach eime große, liebenswürdige 
Gejchmeidigfeit aus ihm heraus. 

So ift ungefähr ver Kaifer Ludwig Napoleon in - 
feiner äußern Erſcheinung. Er ſpricht gut und gerne 
deutjch und mit wenig Fremdaccent. Zuweilen kann er 
ſich eines deutſchen Wortes nicht mehr erinnern, bejonders 
jener Worte, die durch Erfindungen und neue Inſtitu— 
tionen exit im jüngerer Zeit geſchaffen wurden, dann 
lächelt er, fett das franzöfifhe Wort dafür, oder fragt 
auch wohl: „Wie nennt man doch das?" 

Der Kaijer geht, Fährt, reitet oft allein, ohne Be- 
defung aus, alle die Angaben von al® Bloufenmänner 
verfleiveter Polizet, von ſchützenden Ouvriers, Die ihn 
umgeben jollen, find eben jo viele müßige Erfin- 
dungen. 

Sp viel über Kaiſer Ludwig Napoleons Perfon, 
als Das, was ein beobadhtender Blick fih von feiner 
Hülle denft. Ueber ven Kaiſer als Kaifer, als Politiker, 









— 2) —— u. ſ. w. zu ſprechen, iſt hier weder 
ar Zeit, noch Raum, noch iſt es die Aufgabe. 

7; Auf jeven Fal muß der als ein blinder Feind 
Napoleons oder ein beſchränkter Parteigänger genannt 
- werben, welcher läugnen wollte, daß Ludwig Napoleon 
- eine der beveutfamften, merkwürdigſten Erſcheinungen ver 
J Zeit und der Geſchichte iſt, daß ſeine geiſtige Potenz 
eine gewaltig ſchaffende, ſeine Seelenkühnheit eine groß— 
artige, ſein Bewältigungstalent des Moments ein geniales, 
und daß die Energie ſeiner Elaſticität, jo wie vie Ela— 


ſtieität ſeiner Energie in dem Feſthalten nach einem Ziel 


trotz allen Hinderniſſen einen außerordentlichen Character 
vorausſetzen. 
Die Rechtfertigung, ſo wie die Beurtheilung alles 
deſſen, was Ludwig Napoleon bis jetzt that und wirkte, 
die Verherrlichung und Apotheoſe, oder das Verdammniß 
und die Schätzung ſeiner wunderbaren und denkwürdigen 
Laufbahn hängt von der Zukunft ab; die Nachwelt nur 
kann die Borwelt wiegen, das Ende allein ift das „Amen!“ 
oder das „Halloh!“ ver Laufbahn, und ver „Erfolg“ 
allein ift, war und wird ewig fein ver Beichtonter ver 
' Weltgeſchichte: er abjolwirt oder verdammt, ſpricht jelig 
- oder verweigert ein ehrlich-fterbliches Begräbniß! 
Be - Eine große, hiſtoriſche Erſcheinung wird Ludwig 
- Napoleon ewig bleiben! Die Zeit, jede Zeit jchafft fich 
E jene Männer, die fie nöthig hat, jedes kranke Jahrhundert 
gebärt ſich ſeinen Arzt, den es nöthig hat. Jedes todes— 








F Fand erzeugt ſich feinen Leibdoctor. Ludwig 





1.250 


Napoleon ift dieſer Arzt, den die Lage Frankreichs ſich 


erzeugt hat, es ift ein Arzt, welcher jagt: »Que me- 
dicamenta non sanant ferrum sanat!« 

Er ſelbſt betrachtet fi) als ein Fatum, als Fatum 
Frankreichs und ver Zeit. Er betrachtet fi) als Die 
Incarnation einer Mifften, fein Peben ift eine Sendung, 
jeine Laufbahn eine Berfaffung, fein Schaffen ein Princip; 
diefes Princip ift Das „imperialiſtiſche!“ Er betrachtet 
Frankreich als ein von feinem Onfel ihm vererbtes Kaiſer— 
thum“. Selbjt in feinem früheren foctaliftiihen Schaffen 
war das „Kaiferthum“ der lauernde Hintergedanfe! 

In der Proclamation von Boulegne fagte er: „Sch 
fühle hinter mir den Schatten des Kaiſers.“ Jetzt fühlt 
er ven Schatten des Kaiſers neben fi, auf dem aufs 
gerichteten eurrulifchen Kaiferftuhl. Wenn es die „Miffion“ 
bedingt, würde er ven Schatten and) vor fich fehen, ver 
ihn zwar nicht nad) Moskau, aber doch unter die Yager- 
zelte führte. Ludwig Napoleon ift in feinem Namen, im 
Namen Napoleon" aufgegangen, er fagt felbft: „Ich 
gehöre nicht mir, ic) gehöre meinem Namen an." Da 
fönnte man aber auch jagen: Frankreich gehört nicht ihm 
an, Frankreich gehört feinem Namen an. 

Unftreitig ift Yudwig Napoleon von der Borjehung 
berufen, durch dieſen Namenvdienft Frankreich vom Ver— 
derben zu retten, auf lange Zeit die Ruhe, die Ordnung, 
die Wohlfahrt zu geben. Er iſt auch ein Stück Providenz 
für Europa. Aber ev ift weifer als fein Name, weijer 
ale fein Ontel Napoleon! Sein Onkel hat den Canal 




























für ein „Trennungszeichen“ zwiſchen Frankreich und 
England gehalten, der Neffe Ludwig hat entdeckt, daß 
der Canal ein „Bindezeichen“ beider Nationen iſt. Lud— 
wig Napoleon fagte einft wor feinen Richtern: „Ich babe 
die Niederlage non Waterloo zu rächen.“ Er fonnte fie 
nicht beſſer rächen, als indem er die Sieger von Waterloo 
trennte und die Sterlings von den Nubels (orig! Es 
dauerte lange, bis Ludwig Napoleon den im weichen 
Meeresihoog ruhenden großen Kraken Albion aus feinem 
Phlegma aufrüttelte, aber ift dieſes engliihe Phlegma 
einmal in Bewegung, dann. ift es mächtig, dann petticht 
der Krake mit feinem Dampfidiff »- Schweif das Meer 
auf, daß es hineinfpringt in ferne Länder und fie vers 
ſchlingt. 

Das moderne ſiameſiſche Zwillingspaar England 
und Frankreich, welches am Kreuz von Europa, an der 
nordiſchen Macht zuſammengewachſen iſt, iſt mächtig — 
ſo lang es ein Zwillingspaar bleibt. Ob aber am Ende 
die engliſche Lady Politik den Pantoffel nicht ausſchließ— 
lich über den Heldengemahl Frankreich wird jchwingen 
wollen, und dadurch die erſte Diſſonanz in dieſes »soyons 
amis, Cinna!« bringen wird, iſt zu erwarten. 
Frankreich, Paris betrachten Ludwig Napoleon als 
ihren Netter, als die Garantie ihres Beſtandes ver ge- 
Tiherten Exiſtenz. Die Franzoſen lieben den Abfolutismus, 
wenn ex fi) imponivend, wenn er fich gewaltig, kräftig 
zeigt, und jett lieben die Franzoſen Das Geld, den Ber 
fig, den Gewinn, und zu diefem Befisthum brauchen fie 





einen eifernen Wetterableiter gegen die Stürme. am und 
Donnerfchläge, die jo lange Frankreich erſchütterten, und. 
das ift Napoleon, er zwingt ihnen Adhtung, Bemunde 


rung ab, und das ift ihnen Gewähr und Bürgſchaft. 
Die Franzofen find durchaus fein vepublifanifches Volk! 


Es fehlen ihnen alle vepublifanifhen Tugenden, alle 


republifanifchen Lafter. Das ſouveräne franzöſiſche Volk 
ift em helvdenmüthiges Volk, ein geiftreiches Volk, ein 
(tebenswürdiges Volk, aber fein nüchternes Volk, fein 
ſtoiſches Volk, Fein einfaches Volk! Nepublifaner jagen 
nicht jo nad) Stellen, Titeln, Orden! Der liebfte Ge— 
brauch, ven das ſouveräne Bolf von jeher won feiner 
ſouveränen Macht machte, beitand darin, ſich ſobald als 
möglich einen fouveränen Herrn zu geben. 


In den Buchſtaben -des Wortes (la) » France « 


liegt eine Fleine Geſchichts-Symbolik der franzöfiichen 
Nevolutionen und Napoleonen. 


„France“, 

Sn der erften Revolution: 

»F-ronde« — »R-epublique« — »A-narchie« — 
»N-apoleon« — »C-onsulat« — »E-mpire« ! 

Dann ging die Buchjtaben » Symbolif von hinten 
zurüd: 

»E-mpire« — »C-oalitione — »N-Egociation« — 
»A-bdication« — »R-estauration«e — »F-uitee. (Die 
Flucht Ludwig Philipps.) 


r 














x 


—2 

















. Borbricf zu meinen Briefen über die Parijer Welt-In- 
duftrie-Ausftellung . 

Bern... .._. 

Ko And... gE.. tin Wien . 

— An d.. don . 5 Ale 

r An Herrn Dr. T...LinP®ie . 

Une. 2 nin Berlin. 

— 8. Mai 1855 

Orleans 9. Mai 1855 

vau⸗ 16. Mai 1855 

Concert Fradel im Salon Herz . 

Paris 15. Juni 1855 

2 x Paris 16. Juni 1855 ? 

Rachel — Riſtori — Verdi — —— — Senke 
WMeyerbeer — Verdi — Scribe j 
Die Strömung der Zeit. — Die Halle Br Neutralität. — 
— Ueberblick 

Der Wiener Menſch und bie Barifer — 
— Saal der Neutralität. — Deutſche Zündhöl — — 
Geruchloſe Freikarten . R 
Ein kleines Ehedrama. — Friedrich * Große =. Su. 
= i Dejazet . 

Die Frauentoilette vom ie Bis — ze in ee 
"ER Ausſtellung. 

& Die Typographie in der Austellung g ! F 
— Schiller und Maria Stuart in Paris. — Pariſer Kuitit i 




















Einen Jux will er ſich — — Ein Sin F 
berf in @Barge ren ; — 
Nordſtern. — Prophet. — Der Glephant, Be eine — 
tigall geſchluckt hat, d. h. Alboni. Der franzöſiſche 
Sänger, der deutſches Gemüth Su bat, d. b. 
Roger ) 
Freiconcerte in der Snbuffrie- Ausftellung. — Muſitaliſche —F 
Inſtrumente BR 
Empfehlungsbriefe. _ Clone 
U. A. W. G. — Erſte Viſite in Der Seienre 
Ein Abend bei Lamartine 
— Ein Grab und ein Bett in —— ober ein Beſuch Fr 
= Birme und Heine ur. Se 213. 
Ein Morgen bei Alexander Dumas —* 
Der Kaiſer Ludwig Napoleon. — Wer farn jagen: ‚Das * 
FR iſt Die letzte Stunde” — „as ift die erſte Stunde?“ 237° 











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Dierzehnter Band. 


Brünn, Wien & Leipzig. 
Brrlag von Baratfiat & Sohn in Britme, 
Druck von fr. Karafiar in Brünn. 


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— M. 6. Saphir. 
4 2 Biographifche Skizze. . 


F- loriz Gottlieb Saphir, der Großmeiſter des Humors, 
der Erbe Jean Paul's, wurde am 8. Februar 1795 
in Yovas-Bereny geboren. Es ift dies ein ungarifches 
 — Gtäptden, in der Stuhlweißenburger Geſpanſchaft ge— 
= fegen, deſſen Bewohner ſich vorzugsweife dem Betriebe Des 
Weinbaues zu widmen pflegen. Wer den Geift und die 
Blume des ungarischen Rebenfaftes fennt und zu würdigen 
verfteht, ver wird ſich bei ver Lectüre von Saphir's 
Dichtungen wohl oft unwillkürlich an die geheimen 
Geſetze ver Wahlverwandtichaft erinnert haben. 

Der Großvater des Dichters hieß Israel Isreel. 
AS die Israeliten auf Befehl Kaifer Joſephs II. Fami— 
 — Miennamen annehmen mußten, berief der damalige Stuhl— 
richter den erwähnten Großvater zu ſich und befrug ihn, 
wie er in Zufunft heißen wolle. Israel Isreel wußte 
dies anfangs ſelbſt nicht, doch da er einen Siegelring 
ale Erbſtück an feinem Zeigefinger trug, in weldem 
Ringe ein Saphiv jaß, fo meinte ver Stuhlrichter: 
„Nennen Sie fid) einfah Saphir!" Und jo geſchah es 
auch. 


M. G. Saphir's Schriften, XIV. Bo. 1 




















N a HE a ad Dez cn Al ENTE a Tann u ——— 





2 


Nah dem Wunſche feiner Eltern follte fih M, 
©. Saphir dem Kaufmannsftande widmen. Nun folgte, 
wie zu erwarten fand, em Seitenſtück zu ver befannten 


Fabel des großen Dichters Schiller, welche ihrer Zeit 


unter dent bezeichnenden Titel „Pegafus im Joche“ ver— 
dientermaßen jo großes Auffehen in allen gebilveten 
Kreifen erregte. Auch Saphir fonnte nicht dahin ges 
bracht werden, die Gefilde des Parnafjes mit der fauf- 
männiſchen Schreibftube bleibend zu vertaufhen. Man 
juchte daher einen Mittelweg. Saphir follte dem Stu- 
dium des Talmud obliegen. Er jelbjt ſchrieb hierüber 
in feiner Selbjtbiographie „PHumoriſt“ 1845, wie folgt: 

„Som Schidjal zum Juden beftimmt, wen ben 
Eltern zum Handelsmann, von der Erziehung zum 
Dirfrabbiner, von den Verhältniſſen zum armen Teufel, 
von dem Zufall zu feinem Fangball, bin id) jest troß 
dieſen Beftimmungen fo ein ehrlicher und aufrichtiger 
Chriſt, wie nur ein ehrlicher und aufrichtiger Chrift fein 
kann; Eigenthümer emes  mittellofen Intendanzraths- 
Titels, bürgerlicher befugter Redacteur der Stadt Wien 
und aller umliegenden Ortfchaften, lebenslänglicher Prä- 
tendent des Titels „Deutſcher Humoriſt“, geiſtreicher 
Schriftſteller von Gnaden einiger befreundeten Blätter, 
Hof und Leibvorleſer verſchiedener Wohlthätigfeits - An- 
ftalten, populärer Volkscharacter ohne gefährliche Volgen, 
Befiter vieler Anhänger, die mir nichts in’s Knopfloch 
ftefen fünnen, Inhaber eines fteuerfreien Nenommes mit 
dem dazu gehörigen Oottesader, mit Ernten im weiten 






Bi: — Feld, —— mehrexer Capitel aus dem Bude 
Bde: Leiden wahrheitsliebender Familien, ungelehrtes Mit— 
9 ‚lieb mehrerev gelehrten Geſellſchaftsſpiele, redlicher Pa- 
wiot ohne Aushängſchild und freiheitsliebender Menſch 
t BE he politifche Lieder mit meffingenen Schrauben, Lohn: 
kutſcher⸗Adjunct des deutſchen im Koth ftedenden Thes— 
piskaaren, vulgo Recenſent, hinterlaſſener Wittiber der 
nach langem Leiden an der Federlähmung verſtorbenen 
Berzirkskritik, luſtiger Ritter mehrerer traurig umherlie— 
genden Wahrheiten u. ſ. w.“ 
Kehren wir jedody zu unferer Biographie zurüd! 
Saphir begab fih nad) Prag, um dort, wie bereits er— 
wähnt, das Studium des Talmud zu betreiben. So 
— verſtrich der lange Zeitraum von 1806 bis 1814, ſchöne 
Jugendjahre verfloſſen bei angeſtrengtem Fleiße auf dem 
Gebiete ernſter Wiſſenſchaft. Zum Glücke gibt es ein 
ewiges Naturgeſetz, kraft deſſen auch nicht das geringſte 
Samenkorn verloren geht und verloren gehen kann. 
Saphir hatte nicht Urjache, jenes Studium zu bereuen. 
Sein Geift, ſchon früher ein jugendlicher Rieſe, lernte 
vie scharfen Waffen der Kritif und Dialectit hanvhaben 
und mander fpätere Gegner dankte es einzig ven 
Lehren dieſer geiftigen Fechtſchule, wenn er fjozufagen 
- bei dem erſten Anrennen aus dem Sattel geſchleudert 
wurde. 
E: Eine wahrhaft geniale Natur läßt ſich übrigens 
auf die Dauer nicht feſſeln, nicht neben. Deshalb 
ſprengte auch Saphir die hemmenden Bande, feit ent- 
7 h * 














4 


ſchloſſen, künftig einzig den Eingebungen feiner Mufe zur 

laufen. Die Erftlinge diefer Mufe erfchienen in ver 
„Pannonia“, einer ZJeitfehrift, welhe damals von dem 
Grafen Feſtetics herausgegeben wurde. Der junge Schrift 
jtellev ward von der Lefewelt ſehr beifällig aufgenom— 
men. Seine Poeſien fanden warme Theilnahme, nament— 
(ih erregte fein jatyrifches Talent ungewöhnliches Auf: 
jehen. Die fünftige Gottesgeifel fchlechter Seribenten 
und Reimſchmiede wußte fi) ſchon damals durch Die 
Wucht ihrer Hiebe vortheilhaft auszuzeichnen. 

Saphir wollte fi übrigens mit den Lorbeern nicht 
begnügen, welde eine Stadt zweiten Ranges zu bieten 
vermochte. Peſt war aud Damals nicht geeignet, Das 
Capua irgend eines großen Talentes zu werden. Unſer 
Humoriſt eilte daher nad) der Kaiſerſtadt an ver obern 
Donau, umd wurde binnen wenigen Monaten ver be— 
liebteſte Mitarbeiter der vielgelefenen Iheaterzeitung. Die 
Künftler von Wien beugten fi) in Kürze wor dem Geift, 
der zwar meift verneinte, deſſen Feder jedoch in Paris 
geſchnitten worden zu fein ſchien. Auch wußte Saphir feine 
Tinte mit dem feinften attifhen Salze zu verjegen. Die 
geniale Schaufpielerin Therefe Krones war eine der 
Erjten, welche ven Werth Des jungen Sritifers zu wür— 
digen verftanden, und ſich deshalb beeilten, feinen Nath- 
ihlägen ein mwillfähriges Ohr zu leihen. 

Der Humorift verlebte in diefer glänzenden Yage 
ein paar glückliche Jahre. Im Sommer pflegte er eine 
Stube in dem Gafthaufe zur „Elſter“ im Prater zu 








miethen. Diefe Art Billa glih mehr einem Vogelbauer, 
mitten im Grünen aufgehangen, geheimes Borgefühl 
ſchien Saphir bei ver Wahl dieſer Stube zu leiten. 
Diefes Gemach war ja zur Behaufung jener Nachtigall 
beftimmt, welche in fpäteren Tagen Die vielgerühmten 
Lieder an die wilde Roſe fingen follte. Wit und Satyre 
find jedoch leider ein Gegenſtück zu ven böjen Blide, 
von welhem man in Wälſchland jo viel Trauriges zu 
erzählen weiß; auch fie bereiten Mißgeſchick, nur liebt 
e3 gewöhnlich denjenigen heimzufuchen, welche jene ges 
führlichen Geſchenke der Mutter Natur erblic und eigen- 
thümlich überfommen. Unannehmlichkeiten, durch mehrere 
jatyrifche Aufſätze heraufbefhworen, veranlaften Saphir, 
die Neichshauptftant Wien zu verlaffen und nad) dem 
Neuathen an der Spree, nad) Berlin, zu überſiedeln. 
Der reihbegabte Schriftfteller wurde daſelbſt feines- 
wegs mit offenen Armen aufgenommen, namentlich) 
herrſchte in der Couliſſenwelt jener froftige Puftzug ver 
Mißgunſt aus Norden, welcher fait alle glänzenven Er: 
[heinungen aus Süddeutſchland falt und unfreuntlid) 
anzumwehen pflegt. Schaufpieler und Poeten hielten Sa— 
phir für einen blinden Nahäffer des großen Dichters 
Jean Paul, ſchwatzten von Blumen-, Frucht- und 
Dornenftüden im Geſchmacke des Armen-Advocaten Sie— 
benkäs, und konnten nicht glauben, daß die Alba's der 
Kritik in Berlin gar bald um ihren erſchlichenen Pur— 
pur kommen dürften. Holtei hat dies in einem ſeiner 
Bücher mit lobenswerther Ehrlichkeit geſchildert, und 





6 


offenherzig beigefügt, wie erjchroden alle Welt gewefen 
fet, als Saphir, Dank feiner „Schnellpoſt“, Die er 1826 
herauszugeben begann, plötzlich zur kritiſchen Großmacht 
heranwuchs, und als Richter im Juſtizpalaſt künſt— 
leriſchen Rufes die angeblichen Freibriefe auf Unfterb- 
lichkeit einer ftrengeren Prüfung unterzog, als e8 in der 
Stadt an ver Spree bisher Brauch und Sitte ge— 
weſen. 

Sein Ruhm ſteigerte ſich noch mehr, als er im 
nächſten Jahre eine zweite Zeitſchrift, den „Berliner 
Courier“ begründete. Aus jener Zeit ſtammt, nebenbei 
geſagt, Saphir's bekannte Chiffre „Dr. Debek“, das iſt 
„ner Redacteur des Berliner Couriers“, mit der unſer 
Humoriſt auch fpäter viele neuere Aufſätze, wie den 
„plauderer am Caffeetiſche“, unterzeichnete. An Gegnern 
fonnte e8 nicht fehlen. Saphir fehrte jedoch aus verlei 
polemiihen Scharmützeln mit neuen Yorbeern zurüd. Er 
gli) dem Rieſen Einheer, der im Dienfte Carl’s des 
Großen bei der Heerfahrt gegen vie Avaren fieben bis 
acht Heiden auf einmal auf jene Yanze zu fpießen 
pflegte. 

Sein waderfter Waffengang war ver fiegreiche Kampf 
gegen dreizehn Berliner Bühnendichter. Diefe Erbfeinde 
des Humoriften hießen: Louis Angely, Alexander Cos— 
mar, C. Dielis, F. Förſter, Frievrih Baron von L. M. 
Fouqué, F. W. Gubis, W. Häring, Baron v. Lichten- 
ſtein, Ludwig Nellftab, Ludwig Robert, Sr. Tietz, Adal- 
bert vom Thale und ven Uechtritz. Saphir fchrieb 





damals in Berlin, im Jahre 1828 nämlich, zwei Flug— 
ſchriften, welche als gedrucktes brillantes Feuerwerk Des 
| Spottes und der Satyre gerühmt werden fonnten. Die 
eine Brochure führte ven Titel „Der getödtete und doch 
4J lebendige Saphir", die andere war „Kommt her!“ über— 
ſchrieben. Beide Flugſchriften erregten ungeheuere Sen— 
jation, und der Berliner Volkswitz bezeichnete fie als 
a) das Todesurtheil der erwähnten Bühnendichter. Homeri— 
ſches Gelächter erwedte ferner nachjtehenvder föftlicher 
Wis. Der Humorift erfreute ſich befanntlich einer ftatt- 
lichen Körperlänge, Dichter Angely war hingegen ein 
Eleiner, unanſehnlicher Knirpo. As man daher Saphir 
F eines Tages die Nachricht brachte, Angely habe fich einen 
| Dolch angefhafft, um feinen Gegner auf töptliche Weife 
| zurechtzuweiſen, erwiderte unſer Humoriſt lakoniſch: „Sorgt 
Euch nicht um mich, ich habe mir bereits ein Paar 
Kappenſtiefel anfertigen laſſen!“ 
Bekannt iſt ſeine Fehde gegen die berühmte Sän— 
gerin Henriette Sonntag, nachherige Gräfin Roſſi. Sa— 
phir befolgte ſchon damals ſeine bekannte ebenſo ſchlaue 
als gerechte Tactik, er legte feine Lanze nie wie Don 
Quixotte gegen eine Windmühle, gegen Ephemeren des 
Tages ein;'nein, es waren ewig nur gefeterte N 













totabili- 

täten, Die er zu befümpfen fuchte, und jo manche er— 
ichwindelte Größe ſank bei feinem kritiſchen Speerſtoß 
in ven Sand, um fich nicht fo bald wieder von ihrem 
. Sturze zu erheben. Er haßte wie Heinrid Heime die 
»Plateniden «, die geiftigen Schuldenmacer. 


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8 


Im Jahre 1828 erſchien die „Schnellpoſt“ im 
Altenburg, 1829 wurde ſie zwar wieder in Berlin her— 
ausgegeben, endete aber mit dem Jahresſchluße, da ſich 
Saphir entſchloſſen, München zum Schauplatze ſeines 
ſchriftſtelleriſchen Wirkens zu erwählen. Dort redigirte er 
1830 ven „Bazar für München und Baiern“. Im 
nächſten Jahre unternahm er feine vielbefprochene Fahrt 
nad Paris. 

Es ift hier der Drt, eine Lüge zu widerlegen, die 
ihrer Zeit in den Spalten vieler deutfchen Journale 
abgedrudt wurde. Ein böswilliger Witbold hatte vie 
Fabel ausgehedt, Saphir fer mit den Behörden in Con— 
flict gerathen, und habe wegen einer Stelle, die man auf 
den König Ludwig von Baiern bezog, nad überjtandener 
zeitweifer Haft vor dem Bilde jenes Souverains Abbitte 
leiften müſſen. Man konnte fein alberneres Märchen er- 
finnen, und es gehörte die befannte deutſche Leichtgläubig- 
feit dazu, um dieſe handgreifliche Myſtification gläubig 
nachzubeten. Saphir hatte einfach gegen das unſchöne 
Treiben in der Theaterwelt zu München geſchrieben, 
und Dabei die Feder in Blauſäure ftatt in Tinte ge— 
taucht. Deshalb erhielt ev in einem gerichtlichen Erlaſſe 
eine ſcharfe Verwarnung und Rüge hinſichtlich feiner 
Schreibweiſe. Was weiter hierüber gefabelt wurde, ges 
hörte, wie gejagt, in die Memoiren des feligen Frei 
bern von Münchhauſen. Von einer Beleidigung Des 
Königs war vollends nie Die Rede gewejen. 

In Paris lebte der geiftvolle Humoriſt in innigem 








dry #8 s 
jerfehr mit dem doppelten Großkreuz des Ordens ver 
-  MNitter vom Geift, mit Heinrih Heine und Ludwig 
- — Börne, ja er wohnte in einer Chambre garnie, unmittel- 
boar über der Wohnftube des Letzteren gelegen, was nicht 
wenig beitrug, vie Kameradſchaft dieſer Triarier des 
Witzes und der Satyre noch feſter zu knüpfen. 
* Noch im ſelben Jahre, nämlich 1831, wurde Sa— 
pphir von dem König von Baiern nah München zurück— 
berufen, um die Nevdaction des „Bairiſchen Beobachters“ 
zu übernehmen, auch gründete er nebjtbei feinen „Mün— 
chener Horizont“, der in Kürze zu den geleſenſten Blät— 
term von ganz Deutjchland zählte. Anfangs 1832 er— 
} folgte fein Webertritt zum chriftlihen Olaubensbefennt- 
nijie. Saphir ward im Haufe des Decan Bed in Mün— 
den nad dem Gebrauche der proteftantifhen Kirche 
getauft. Um dieſe Zeit erhielt er ferner den Titel als 
Hoftheater-Intendanzrath. Zu erwähnen find hier noch 
u feine Borlefungen im Muſeum zu Münden, welche 
ſchon damals als das Stellvihein der eleganten und 
gebildeten Welt betrachtet wurden. Mit vem Jahre 1834 
endete feine journaliſtiſche Thätigfeit in ver Hauptjtadt 
an der ar. 

Saphir fehrte nach Wien zurüd. Der hohe Auf, 
den er ſich als Schriftfteller erworben, diente als Sei- 
tenſtück zu der bezauberten Springwurzel; er verfchaffte 
4 dem Humoriſten unbeftrittenen Zutritt zu Salons, deren 
Flügelthüren ſich bisher nur für die Creme de la er&me 
zu öffnen pflegten. Die deutſche Muſe ward durch 


— 
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10 


Eaphir appartementfähig in den Prunffälen der Großen 
der Erde, ein Berdienft, Das nur Scheelfuht und Uns 
verftand zu bemäfeln vermocdten. Weiter unten eim 
Miehreres über diefe Streitfrage. 

Alte Liebe roſtet nicht. Dies gilt aud) in der Jour— 
naliſtik. Saphir wurde abermals Hauptmitarbeiter ver 
Theaterzeitung und galt feit Diefer Zeit als Haupt ver 
Kritik in der Kaiſerſtadt. Drei Jahre fpäter, 1837, be— 
gann er die Herausgabe feiner Zeitichrift, „Der Humo— 
rift“ betitelt. Mehr als zwei Decennien find fett jener 
Zeit verftrichen, und dieſes Journal verblieb noch immer 
die Vieblingslectüre der gebilveten Welt; jelbjt der wilde 
Märzſturm wie der Actienſtaub ver Gegenwart vermochte 
die Stimme des „Humoriſten“ nicht zu erſticken; viele 
größere Journale gingen während dieſer langen Epoche 
ven Weg alles Fleifches, andere Blätter friften zwar 
uch immer ihr 2eben, aber vielleicht rührt dies blos Daher, 
weil ihre Gründer eigentlih feinen Geiſt aufzugeben 
haben. Seit 1850 erſchien auch alljährlid Saphir’s 
„Humoriſtiſch-ſatyriſcher Volkskalender“, aljo beliebt, daß 
er troß einer Auflage von ſechszehn- bis zwanzigtaufend 
Sremplaren binnen wenigen Wochen vergriffen zu wer— 
ven pflegte. Ein weiteres hohes Berdienft um Poeſie 
und Kunft erwarb fih Saphir durd die Begründung 
ſeiner mufifalifch-veclamatorishen Akademien. Der geift- 
reihe Mann gedachte damit eine Sünde. der modernen 
Zeit, wenn nicht zu befeitigen, doch wenigſtens zu ver 
edeln. Angelica Catalani und Nicole Paganıni glichen 


“ ER: 








den Propheten des alten Teſtamentes, namentlich ſchien 
letzterer ein Elias, als er auf dem feurigen Wagen der 
Töne die Fahrt durch alle Länder unternahm. Ihre 
- Nachfolger ſanken allmälig zu Krämern herab. Mit ven 


+ Dreifiger- Jahren begann die neue Zeitrechnung des 


fahrenden Virtuoſenthums. Ceit dieſer Epoche ftand der 
abgöttiſche Cultus ver Technik in voller Blüthe, die 
Virtuoſen wandelten auf Louisd'ors umher und ſchmück— 
ten ſich widerrechtlich mit den Lorbeern der Tondichter. 
Es war etwas faul geworden im Staate Muſik. 

Saphir ſuchte, wie geſagt, dieſe Sünde der Gegen— 
wart, wenn nicht zu beſeitigen, doc) mindeſtens zu adeln. 
Nach feinem Glaubensbefenntnig jollte und mußte ver 
Geiſt auc bei dieſem Gebahren ver Mode ven Antheil 
des Löwen in der befannten Fabel beanjpruchen und 
fefthalten. Deshalb fiel das Schwergewicht bei Saphir's 
Akademien auf feine Declamationsgevihte, namentlich) 
auf feine humeriftiihe Vorleſung. Das erite Concert 
des Geiftes, wenn wir ung fo ausprüden dürfen, fand 
bereits 1834 in Wien ftatt und zwar zum Bolten ver 
Berunglücdten in Wiener-Neuftadt, welcher Ort in jenem 
Fahre Dur eine furchtbare Feuersbrunſt in Schutt und 
Aſche gelegt worden. 

Nächſtenliebe wurde der Soufleur des Talentes. 
Deshalb verfammelte fih nicht blos vie Elite der Bil— 
dung bei Saphir's Akademie, es kamen auch Alle, welden 
dag Wort Mitleid als heilig gilt, oder welche doch die— 


B en ſchönen Glauben zu beucheln verſuchten; deshalb 
} 








12 


nahte Jeder, welcher im Reichthum das Elend nicht ver- 


gaß, oder doch wenigſtens nicht fo vergeßlich jcheinen 
wollte, und von verlei Gaben ward der Opferftod ver 
Nächſtenliebe gefüllt mit Silber und Gold. In ven 
Mauern der Kaiferftadt lebt jo mander Cröſus, ſchaltet 
fo mander Nabob, aber wir glauben kaum, daß Einer 
von ihnen der Armut jo viel Mammon fpendete als 
der Humoriſt ım Yaufe eines DVierteljahrhunderts auf ven 
Altar ver Wohlthätigfeit nieverlegte. Die Eintrittskarten 
zu feinen PVorlefungen wurden zwar von dem Geifte 
unterfhrieben, aber von dem Mitleid contrafignitt. 

Sein Ruf als Borlefer verbreitete fid) weit über 
die Grenzen des Kaiferftaates, aud unternahm er, um 
im Thenterdialeet oder im oncertjargen zu ſprechen, 
mehrere Kunſtreiſen nad) den weiland römiſch-deutſchen 
Neihe. Es waren Triumphzüge des Geiftes nad) dem 
Siege über die muſikaliſche Technik. Im ver neueften 
Zeit Dehnte Saphir, wie wir weiter unten lefen werden, 
jeine Eroberungen aud über ven Rhein aus. 

Das verhängnigvolle Jahr 1848 begann. In den 
Vebruartagen fiel ver gefhichtlih denkwürdige Schuß 
vor dem Hotel Guizot in Paris, und eine Lawine von 
Gräuelſcenen wälzte fi) über halb Europa. Auch in 
Wien ervröhnte das Echo des unfeligen Schufes. Sa— 
phir, als freilinniger Schriftteller bekannt, wurde im 
ver Demwegungszeit mit Acclamatien zum Präfidenten des 
Schriftftellervereines erwählt, fein feiner Tact, Das 
zweite Gefiht, jedem echten Poeten eigen, veranlagte 





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‘2 


— — dieſer Würde bereits nach zwei Tagen zu 
entſagen und für die Dauer der politiſchen Stürme nach 
dem Curort Baden zu überſiedeln. Er iſt auch ſpäter 


der Reichshiſtoriograph der dortigen Thermen geworden. 


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Dem Gebote ver Nächitenliebe getreu veranftaltete er 
dafelbft, als Seine Excellenz der Ban von Ervatien mit 


feinem Heere anrüdte, eine glänzende Afavemie zum 


Beften der verwundeten Krieger. 

Die Ruhe ward hergeftellt. Saphir ergriff auf's 
Neue feine gefürdtete Fever. Im Jahre 1853, int Mo» 
nate Auguft, ward er als Ablegat der Yiteratur und Jour— 
naliftif zu den Weierlichfeiten gejenvet, welche bei ver 
Bermählung der Frau Erzherzogin Maria Henrifa Anna 
mit dem SKronprinzen von Belgien, dem Herzog von 
Brabant, in Brüfjel ftattfanven. In ver Hauptitadt von 
Belgien ſchloß Saphir enge Freundſchaft mit dem frucht- 
baren Dichter Dumas Vater, der jpäter in den Salons 
des Prinzen Napoleon und der Prinzeffin Mathilde jo 


viel Schönes von dem deutſchen Humoriſten evzählte, 
daß beide erlauchten Mitglieder des franzöfiichen Kaiſer— 


haujes dem Glauben lebten, M. ©. Saphir jet eigent- 
lich nur eine geiſtreiche Mythe, welche Dumas in jeiner 


ſchöpferiſchen Phantafie zum Ergötzen des Hoflagers zu 


6 


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Paris erſonnen. 
Saphir ward daher auch in der franzöſiſchen Haupt— 


ſtadt mit offenen Armen empfangen, als er 1855 ver 


Eröffnung der Induftrienusftellung in Paris beimohnte. 


Der Humorift vertrat aber auch die Ehre und Nobleſſe 








14 





der deutſchen Journaliſtik in glänzender Weife. Er war, 
um mit einem geiftveichen Freunde zu fpreden, in ven 
Salon? an ver Seine diefelbe gefeierte ſchriftſtelleriſche 
Größe, wie er fie feit Jahren in ven Theezirkeln an der 
Donau vepräfentivte. Saphir fpeiste, um jenen eigenen | 
Ausdruck zu gebrauchen, als „Lucull bei Lucull“, ex war 
heimifch in den Gemächern der Großen Franfreihs, und 
Prinzeſſin Mathilde freute ſich herzlih, als Die neueſte 
Auflage feiner beliebten „wilden ofen“ an ver Stelle 
der Dedication ihren Namen wies. Die veutjche Poeſie 
wie Journaliſtik Eonnte feinen größeren Triumph feiern, 
als jenen, ven M. G. Saphir fi) felbft in den eriten 
Gereles der vornehmen Welt in Paris bereitete. Auch 
wurde ihm die Auszeichnung zu Theil, in ven Tuilerien 
eine humoriftifhe Borlefung halten zu dürfen. Stürmi— 
ſchen Beifall fand ferner fein herrliches, noch in Mün— 
hen gejchriebenes Gedicht: 

Im Garten zu Schönbronnen 

Da liegt der König von Rom! 

Ein jo großer Sieg im franzöfiihen Salon fonnte 
natürlich nit ohne Rückwirkung in ver deutſchen Leſe— 
welt bleiben. Saphir legte zudem Die Summe der Ein- 
prüde, in der Fremde empfangen, in einem neuen Werke 
nieder, Das er mit Dem bezeichnenden Titel „Parijer 
Briefe aus dem Ölaspalafte über Leben, Kunft, Geſellig— 
feit und Induſtrie“ überfchrieb. 

Seit dem Beginne des Jahres 1856 widmete Sa— 
phir feiner Zeitfehrift „Der Humoriſt“ noch regeren Fleiß 


7 





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er he d eg ifer se bewahrte die alte Geiſtesfriſche, die bei 
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einer Zeitgenoffen feit Jahren erlahmte, während 
| der kaſtaliſche Bronnen für unjern Humeriften zur Quelle 
E Ei: Jugend geworden zu fein ſchien. Einen zahlreichen 


tagsblatt, „Der Wochenkrebs“ betitelt. 
Schreiten wiv nunmehr zu feiner Characteriftif als 
Wenſch, Poet und Kritiker! Saphir war hochgewachſen 
von ſchlanker Statur, aus feinen blauen Augen ſprach 
* Geiſt und Gutmüthigkeit, nur um die Lippen zuckte es 
zuweilen wie mühſam verhaltener Spott, auch ſchien ſich 
x 
unter den blonden Barthaaren zu bergen. 
Br Trotz feiner vorgerüdten Jahre verblieb M. ©. 
Saphir ein Meiſter in der Kalobiotik, in der Kunſt, 
ein ſchönes Leben zu führen. Seine Toilette war tadel— 
los, auch beſaß er die Manieren eines vollendeten 
Gentleman. Er iſt aber auch in der Wahrheit faſt die 
einzige literariſche Notabilität Deutſchlands, welcher wie 
unſere Collegen über dem Rhein allimmer gelebt hat 
als ein Rentier des Geiſtes, als eine Art Rothſchild 
des Talentes, mit einem Wort als deutſcher Alexander 
K. Dumas, 
N Saphir ſprach außer feiner Mutterfprache geläufig 
Di franzöfiih, engliſch und italienisch, auch etwas ungarisch. 
- Seiner hebräiſchen Studien haben wir bereits erwähnt. 
Er befaß außerdem alle jenen feinen Kenntniffe, die ſich 
ein Lebemann aneignen muß, jals er ſich anders mit 






Leſekreis erwarb ſich ferner ſein ſatyriſch-politiſches Mon— 


— in Augenblicken ſatyriſcher Aufregung ein Stück Mephifto 





u. 





16 


Erfolg in ven Cercles Der vornehmen und eleganten 
Welt bewegen will. Auch dieſer Vorzug darf nicht mit 
poetifchem Eigendünkel überfehen werden. Der Dichter 
wird jett nicht mehr auf dem Forum gekrönt, zum 
Weltruhme genügt jest eine friſch gepflüdte Roſe, vie 
ung für einen Band Liebesgedichte aus einem Boudoir 
zugeworfen wurde. Selbſt der Journaliſt, der nicht als 
Habitue eleganter Salons gilt, ift nur ein Stieffind der 
Preſſe. Wenigſtens findet er nirgends Gelegenheit, dag 
mütterlihe Erbe vollwichtig zu verwerthen. 

Man betrachte unſere Tintengenofjen in London 
und Paris. Was fi) an Talent daſelbſt auf jeglichen 
Gebiete des Parnafies entfaltet, findet allüberall Die 
gebührende Anerkennung und Förderung. Beſagtes Ta- 
(ent gleicht einer Dollarnste von hohem Nennwerth, vie 
natinlih Schwer an ven Mann zu bringen wäre. Die 
Salons vertreten jedoeh die Wechfelftuben, wo diefe 
Note augenblilih in gangbare klingende Münze umge— 
jetst wird, auf daß leßtere im ganzen Lande civeulive. 
Das ift jedoch nicht der einzige VBortheil, welcher dem 
Poeten und Sournaliften aus feinem Bermetlen im 
high life erwuchs. Der feine Ton, das gewiffe anmuthige 
savoir faire ward ihm daſelbſt allmälig zur zweiten 
Natur. Dies fpiegelte fih dann auch ſpäter in jenen 
Werfen ab. Salon und Prefje ergänzten ſich gegenfeitig. 
Saphir erfaßte dies frühzeitig mit richtigem Scharfblid ; 
feine Muſe durfte daher auch nicht jahrelang als Aſchen— 
brödel auf die Stunde ver Erlöſung harren. 









— —— ef gab übrigens feit geraumer 
24 Fe jehr glänzende Soireen. Sein „Salöndyen 
 Wodenfrebs“, wie er feine Behaufung ſchalkhaft zu 
- nennen liebte, war häufig der Sammelpunet, das Renz 
—* dezvous, zu dem ſich alles dasjenige einzufinden eilte, 
mas Wien jeweilig am gefeierten Bewohnern des Par— 
naſſes in jeinen Mauern beherbergte. Der Hausherr 
verſtand es aber auch, in franzöſiſchem Geſchmacke vie 
SHonneurs zu mahen, und es waren feine „Stunven 
ver Täufchung“, die man bei ihm zu verleben pflegte. 
So ſchaltete und waltete Saphir als Gentleman. 
Im Leben jelbit galt er mit Recht als zärtlicher Vater, 
uls treuer Freund, als Schirmherr der Armut) und des 
Elends; jeinen Feinven gegenüber trat er freilich gehar— 
uiſcht im vie Schranken, ev zählte ja zu jenen gewaltigen 
Naturen, die ebenjo warn zu lieben als grimmig zu 
haſſen verjtehen. In feinen veiferen Jahren war er jedoch) 
milder in feinem Urtheil geworden, mitunter lautete jein 
= Wahlſpruch: Soyons amis, Cinna! 

2 Was Saphir als Dichter anbelangt, je muß man 
vor Allem die Bieljeitigkeit feines Ialentes bewundern. 
Seine metriſchen Spenden zerfallen übrigens in zwei 
ſireng geſchiedene Spielarten, in erotiſche Lieder, wie ſie 

die Zärtlichkeit ſingt, dann in Gedichte, welche ſich vor— 
Re: zugsweife zur Declamation eignen. Als Sänger ver 
Liebe, als lyriſcher Dichter, wuhte Saphir die Saiten 
des Herzens ſo rührend und ergreifend anzuſchlagen, daß 
man keinen Augenblick an ver Wahrheit jenes Grames 
M. G. Saphit's Schriften, XIV. Bo 2 


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13 


zu zweifeln vermag. eine Sammlung „Wilde ofen“ 
darf Daher auch als ein Schatzkäſtlein betrachtet werden, 
darem die lyriſche Poeſie jo manden föftlichen Edelſtein 
verſchloſſen. Bei der Schnelligfeit, mit der unfer Humo— 
riſt zu jchreiben pflegte, wurden freilich im Laufe ver 
Zeit auch hie und da ein paar erotifche Lieder veröffent- 
licht, welche befjer ungedrudt geblieben wären. Goethe 
hat fich jedoch einen Ähnlichen Fehler zu Schulden kom— 
men lafjen. 

Die Deelamationsgedichte, welche Saphir's Namen 
in der Theaterwelt fo populär machten, haben bereits 
die Nunde durch ganz Deutſchland zurüdgelegt, und 


zwar mande Gegner, aber weit mehr Bewunderer ger 


funden. Die Acten hierüber find bereits gejchloffen. Ein 
Lied, „Das Frauenherz“, ſchlägt hundert kritifche Zeloten 
todt. Ein fait accompli läßt ſich zudem nicht abläugnen. 
Dies fait accompli aber befteht in dem Umſtande, daß 
die Gedichte, welche Saphir für feine Afademien jchrieb, 
noch überall ſtürmiſchen Anklang fanden, aljo einen 
eigenthümlihen Zauber befisen müſſen, derart bannend 
und mächtig, daß ihm die Zuhörer nicht zu winerftehen 
vermochten. Volksſtimme, Oottesftimme ! 

Saphir verftand ferner aud im Gebiete der Ro— 
manze den rechten Ton anzufchlagen. Sein Gedidt am 
Todestage des Herzogs von Reichſtadt wird fo gut auf 
die ſpäte Nachwelt übergehen, als die Romanze „Die 
nädtlihe Heerſchau“ von Zedtlig. Emil Titl, welcher 
dieſe Heerſchau fo prachtvoll in Klänge überfegte, hätte 





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auch jene tiefrührende Todtenflage oder Elegie in die 


Weltſprache des Gefühles, in Muſik, übertragen follen. 
As Humorift war M. G. Saphir ein würdiger 
Nachfolger des großen Jean Paul Friedrich Richter. 
Auch aus den Schriften des Erfteren ſpricht überall ein 
höchſt origineller Geift und eine humoriſtiſche Darftellungs- 
gabe, wie fie nur wenigen deutſchen Schriftitellern eigen 
geweſen. Selbit feine Novellen, wie das Prachtftüd 
„Güldane“, gleichen reizenden Phantafieftüden, mie fie 
nur ein hochbegabter Autor zu ſchaffen vermag. 
‚Saphir befaß noch eine weitere Aehnlichkeit mit 
Jean Paul. Das Gepräge der reinften Sittlichfeit, das 


ſeine Werfe faſt ohne Ausnahme ſchmückt, gereichte auch 


unjerm Humporiften zum befonvderen Nuhme. Die Sage 
geht, Das homeriſche unauslöfhlihe Gelächter fet bet 
der Flucht der griechiihen Götter aus dem Olymp ver- 
(oren gegangen, und erſt jpät wieder aufgefunden wor- 
den. Beruht diefe Mähre anders auf Wahrheit, jo darf 
Saphir getroft als vedlicher Finder bezeichnet werben. 
Man leje feine Novellette „Don Carlos mit Butter“. 
Die Kritif zählte Saphir gleichfalls zu ihren ſcharf— 
ſinnigſten Vertretern. Er beſaß alle Eigenjchaften, welche 


Ludwig Börne von einem Kritifer fordert, wie große 


Belefenheit, vieljeitiges Wiſſen, feine Sitte, Gewandtbeit, 
Anftand, Muth und Gegenwart des Geiftes. Hierzu 
fommt noch nebft beißendem Wite ein überaus blumiger 
Styl. Viele deutſche Schriftfteller halten Letzteres zwar 
eher für einen Uebelſtand, als für einen Vorzug, wir 


2* 


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20 


aber ſtimmen hierin unferm früheren Gewährsmann 
vollkommen bei, wenn er fagt: „Wenn in Frankreich 
Bettlergedanfen fih immer ſchön und fauber leiden, 
und Darum Zutritt in guter Geſellſchaft finden, hüllen 
ſich die reichſten deutſchen Geifter in Yumpen ein, finden 
alle Thüren verſchloſſen, und werden von jedem unverſchäm— 
ten Hofhund angebellt." Auch Saphir pflegte elegante gei- 
jtige Toilette zu machen, wenn er die Fever zu einem kriti— 
hen Aufſatze erariff. Reich an Erfahrung erfocht er 
ferner jeine ſchönſten kritiſchen Siege durch die Parallele, 
dur Das Gleichniß. Dies gilt jelbft auf muſikaliſchem 
Sebiete. Ein bewährter Mirfiffenner, ſelbſt ausübenver 
Künstler von großem Rufe, jagte uns einft, ev habe nie 
eine fo bündige Chavacteriftif gefeierter Violinfpieler von 
Paganini bis zu Molique gelefen, als wie fie einft 
Saphir in feinem „Humoriſten“ niedergefchrieben. 

Als wahrer Schreck-ins-Land erwies ſich Saphir 
bet literariſchen Fehden. Faſt ſcheint es, als hätte feine 
Hauptſtärke in der Polemik beſtanden. Man möchte ihn, 
falls man einen Parlamentsredner mit einem Schriftſteller 
vergleichen darf, den Lord Brougham der Feder nennen. 
Wie dieſe Lordſchaft bei parlamentariſchen Kämpfen nach 
Heine's Schilderung anfangs einzelne Sätze kalt, faſt 


unſicher hinſchleudert, ſo daß der Redner weit ab vont- 


Ziele zu ſchweifen ſcheint, ſo ſchob auch Saphir ſeine 
polemiſchen Truppen langſam, einzeln in das Gefecht, 
bis ſein ganzes Heer in Schlachtordnung ſtand, und 
dann vorbrach wie die macedoniſche Phalanx, wie die 

























anfhiden. Das war, wie bei Henry Brougham, nur 
- Borbereitung zur bataille rangee. Der Gegner glaubte 
während die alte Garde des Witzes, des Spottes, der 
Ironie noch ruhig Gewehr bei Fuß hielt, und in einem 
Hinterhalt fauerte. Plötzlich aber, wenn der Augenblid 
der Entjcheivung kam, eilte diefe Reſerve im Geſchwind— 
ihritte vor, vie legten Schanzwerfe des Gegners im 
| Fluge erftürmend. Die Tinte vertrat nunmehr die Stelle 
des ſchweren Geſchützes, ja man hätte fie mit einem 
flüßigen Folterwerkzeuge vergleichen können, nicht cher 
außer Gebrauch geſetzt, als „bis ver unglüdjelige Geg— 
Ri ner big auf die Knochen gefhunden und feine verftüm- 
melten Glieder durch alle Redefiguren durchgeſtampft 
worden.“ 
Schließlich erwähnen wir nod einer Eigenthümlich— 
feit M. G. Saphiv’s, die ihm als Schriftfteller, nament— 
(id) als Journaliſten jehr oft manche faft komische Hin— 
dernifje bereitete. Wir meinen feine merkwürdig ſchlechte, 
faum leſerliche Handſchrift. Er äußerte fi) hierüber in 
einem Schreiben an eine Dame, das im „Humoriſt“ 
abgedruckt worden, wie folgt: 

„Wenn Ste meine Echrift nicht leſen können follten, 
fo gedulden Sie fih bis ich ſelbſt komme, ich bringe 
Ihnen zu diefem Behufe meinen Seter aus der Leopold 
Grund'ſchen Buchdruckerei mit, ven einzigen Menſchen 
auf Erden, ver meine Schrift lefen kann. Ich vertraue 





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* — 
4 


22 


Ihnen in Holgendem ein Staatsgeheimmnig an: Ih und ° 
mein Seßer wir werden, als feit vielen Jahren wunder- 
jam zuſammengewachſen, in die „Induftrie-Ausftellung“ 
gefickt als ein Wunverfabrifat! Ich kann ohne ihn 
nicht Ieben, denn Niemand fonft fann meine Schrift 
ſetzen, aber auch er kann ohne mich nicht leben, denn 
ver gute Mann kann gar feine andere, orventliche Schrift 
mehr leſen over ſetzen! So laufen wir vierfüßig wie 
Katzenberg's Hafe herum. Wir müfjen miteinander fterben 
und auf unferen Grabitein wird zur lefen fein: 

„Dier liegt ein Paar ganz wunbderlieb, 

Der Eine fette, was der And’re ſchrieb — 

D Himmel, rechne es ihnen nicht böfe an, 

Sie haben’s Beide nicht gern gethan!“ 

Es war im December des vergangenen Jahres, 
daß wir dieſe biographifche Skizze für das bei Pfautſch 
und Compagnie allhier in pradtvoller Ausftattung er- 
jheinende „Album  öfterreihiicher Dichter“ niederge-. 
jhrieben. Saphir wurde damals von einer läftigen 
Saftin, von der Grippe, in hartnädiger Weife heim— 
geſucht; Niemand aber ahnte, daß die finftere Parze feinen 
Lebensfaden bereits im Herbite des nächſten Jahres ab- 
zufchneiden gedenke. 

Aud der Winter und das Frühjahr verftrichen 
unter häufigem Unwohljein, jo daß der Humorift ven 
ſchon früher beabfichtigten Ausflug nah Preßburg, 
Temesvar und Arad, fpäter nad) Prag, erft im der 
zweiten Hälfte April zu unternehmen vermochte. Saphir 
feierte abermals glänzende Trinmphe. 


Es war jedoch feine fette Kunftfahrt. 

Nach Wien zurüdgefehrt, begab fi) Saphir nad 
wenigen Tagen nad) feinem Tusculum, nad den Ther- 
men von Baden. Dort entwidelte fic feine leider unheil- 
bare Krankheit in unheilvoller Rafchheit. Er fam zwar 
noch einmal nah Wien zurück, um fi mit feinen 
Aerzten zu berathen, aber feine Füße waren ſchon zu 
jener Zeit bedeutend angejhwollen, und Schwarzfeher 
prophezeiten beveit8 damals, der Humoriſt werde Die 
Kaiſerſtadt nie wieder jehen. 

Berühmte Aerzte eilten fpäter nad) Baden, um 
dem jchmerzgequälten Manne werfthätige Hilfe zu leiften, 
das Uebel fpottete jedoch allen Anftrengungen der Heil— 
funft. Saphir litt an der Bright'ſchen Krankheit, alfo nad) 
dem engliſchen Arzte Bright (ſprich: Breit) genannt, welcher 
fi um die Entvedung derjelben vorzüglich verdient machte. 
Dies Uebel, das als eine acute Wafjerfuht mit Abion- 
derung eines eimeißitoffhaltigen Harnes erſcheint, pflegt 
gewöhnlich zwei Dritttheile der Kranken vahinzuraffen. 
Der Kranke litt entjeglich, ev konnte viele Wochen 
über einzig in figender Stellung verharren. Zahllofe 
Gerüchte waren über feine Lage im Umlaufe, ja, man 
gab ihn Schon anfangs Juli für todt aus. Wie Saphir 
hierüber dachte, möchte nachjtehendes Schreiben erzählen, 
das er am 21. Yuli l. Y. an ven Cigentühmer ves 
„Fremdenblattes“ richtete. 

Es lautet: 

„Bier fige ich umd liege frank; — ftehe mit einem 







































Fuße im Grabe, gehe mit ven andern dem Tode ent- 
gegen, und jo habe ih alle meine Hände voll zu thun, 
um mein Leben an den „ſchwarzen Mann" zu bringen. 

„Sie waren fo gütig, über meinen beifpiellos 
ſchmerzvollen Yeidzuftand in Ihrem Blatte einige theil- 
nehmenve Werte zu jagen. Ich danke Ihnen! — Sie 
wundern fi, daß mein bischen Geift bei mir bis zum 
fetten Augenblid treu aushält; Das beweist, Daß er eben 
ein Geift und fein Menſch tft! 

„sc habe am Krankenbette Ihres Bruders Heinrich 
Heine die Kunjt gelernt, ven Geift als ſchmerzſtillende 
Tropfen zu gebrauchen. 


‚Sie ſprechen von einer Grabſchrift, die ih mir 


ſelbſt geſchrieben habe, — da die Zeitungen ſchon an— 
fangen mich zu loben, muß ich wohl ſchon todt ſein; 
ſehen Sie nur gefälligſt unter ven ‚Verſtorbenen“ nad). 
„Sch überjende alſo diefe Grabjchrift. Honorar ver— 
lange ich feines. Senden Ste mir im traurigen alle 
ein Freieremplar Ihres Blattes poste restante „Himmel“. 
„Uebrigens hoffe ih von der Gnade meines Schö— 
pfers und Allvaters noch eine kleine Erftrefung meines 
?ebenstermines, nad) Seinem Willen und Seiner Barm— 
herzigfeit!" — 
Anbei folgte nachitehende Grabſchrift, vie ſich Sa- 
phir ſelbſt gedichte: 
„Eine Auſter, einſam im des Ufers Sand 
Warf das Zeitmeer mich am Lebensſtrand, 
Ein Tropfen Licht fiel vom Himmel hinein, 
Wurde Perlchen darin, gering und klein; 








2 Me Krankheit da, und doch auch Luft, 
ch gab fie der Welt aus off'ner Bruſt. — 

Zeitmeer, bier nimm deine Schale zurüd! 

Perlen, überleb’ mich ein Weilden mit Glüd! 
Tropfen Licht, der vom Himmel in die Schale janf, 
ESchweb' empor zum Himmel jest und jag’ ihm Dank!“ 
BR: Trotz dieſes qualvollen Zuftandes blieb der Humo— 

riſt bei heiterer Laune, ja, wir hörten ſelbſt aus feinem 
Munde ſo manches Witwort, das bald darauf die Runde 
durch ganz Wien machte, die ernjte Stimmung, in der 
wir diefe Zeilen zu Papier bringen, verftattet uns jedod) 
nicht, hierüber ein Weiteres zu berichten. 
Ein paar Wochen jpäter trat merflihe Beſſerung 
- in dem Leiden ves Kranken ein; das Waſſer ſchien zu 
verſiegen und Saphir fonnte ſich wieder zu Bette be- 
geben. Seine Freunde gaben ſich roſigen Hoffnungen 
bin, mamentlid als nad ver Geburt des kaiſerlichen 
Thronerben das „Wiegenalbum für den Kronprinzen 
Rudolph“, an ven Stufen des Thrones niedergelegt von 
M. ©. Saphir, im Sonntagsblatt ver Zeitſchrift 
SHumoxiſt“ im Drud erjchien. Zwei Auflagen dieſes 
Gedichtes wurden ın raſcher Folge vergriffen. Dieſe 
loyale Dichtung war die letzte Gabe, welche Saphir's 
Muſe in die Oeffentlichkeit ſendete. 
Sein Uebel verſchlimmerte ſich bald darauf wieder. 
Der Todesengel erhielt den Auftrag, den Großmeiſter 
des Humors von dem Schauplatze ſeines irdiſchen Wir— 
kens abzurufen. Samſtag den 5. September begann 
der Kampf mit dem unerbittlichen Herrn der Gruft 































— 
26 


An dem Sterbebette Saphir's ſtanden ſeine Tochter, ſein 
Neffe, eine in Peſt verheirathete Nichte, die auf Beſuch 
gekommen, und der treffliche, menſchenfreundliche Arzt 
Dr. Eckſtein. Die Schwäche nahm Abends mit jeder 
Minute zu. Gegen halb ein Uhr Nachts erhob ſich ver 
Kranke, die Hände frampfhaft gegen feinen Neffen aus- 
ftredend, flüfterte leife, Doch deutlich) die Worte: „Es ift 
aus, ic) muß fort," ſank zurück, und darauf entſchlum— 
merte Saphir jo ruhig und ftill wie ein Kind, - dem 
aus Schlaftrunfenheit Die müden Augenliver zufallen. 

Die DVertreter jegliher Kunft, jeglihen Willens 
zerfallen in zwei Claſſen, in fogenannte Handwerker und 
in wirflihe Künftler. Aerzte von dem erfteren Schlage 
verfünden am Sranfenlager den verzweifelnden Anver— 
wandten ven beworftehenden fchmerzlichen Verluſt mit 
rauher Stimme, und verlaflen dann das Gemach des 
Jammers fo gleichgiltig und theilnahmlos wie der Pro- 
jefftonift, wie der Schreiner, der eben den Sarg gebracht 
und feine Bezahlung erhalten. 

Der wirflihe Kiünftler im Heilmerfe kann zwar 
ven Ausſpruch des Gefchicdes gleichfalls nicht rückgängig 
machen, ven Todesengel nicht hinwegbannen; er bat 
aber für vie leidenden Angehörigen ein fanftes Wort 
des Mitgefühles, er harrt am Sterbebette aus bis zur 
legten Secunde des Lebens, nicht blos als Arzt, nein 
als Freund in der Noth, als Engel des Troftes. 

Und al8 ein folder Engel des Troſtes erwies ſich 
Dr. Eckſtein! 














y F Seide in der Nacht ven Sonntag auf 
* den Montag von Baden nach Wien in Saphir's Woh— 
* nun in der Leopoldſtadt geſchafft worden, als dieſelbe 
am 6. September Vormittags behufs des ärztlichen Be— 
fundes geöffnet wurde, da bekundete dieſer wackere Mann 
abermals, daß er über ven Büchern Aeskulaps nicht der 
Poeſie vergefjen, da warf er einen Blif nad den Wän- 
‚den des Gemaches, melde die Porträts und Handſchrif— 
ten der größten Künfker und Künftlerinnen ſchmücken, 
und dachte im Stillen: »ou peut-on finir mieux qu'au 
N sein de sa famille!« 






















Unpoleon. 


Er. (Ein Bild von Paul Delarode: „Napoleon in Fontainebleau.9 


— "Steh! auf!” jo ſprach des Künſtlers hoher Genius, 
Bverlaß' Dein Grab, und leb' in diefem Rahmen!“ — 
Der Künſtler ſprach's aus jeines Geiftes vollftem Guß, 
Der Himmel hört's und ſpricht fein göttlich „Amen!“ 


Er lebt! das ift des Feuerauges Cäſarſtrahl, 
Das find die Lippen, die jo finnig lachten, 
Das ift die Stirne, wo Gedanken ohne Zahl 
Geordnet find zu Thaten und zu Schlachten ! 


Das ift der Herricherblid, der in dem Kailerjaal 

Regiert wie in Kajerne und Manſarde, 

Das iſt der Blick mit welchem er zum letztenmal 
Zu Fontainebleau umarmte feine Garde! 


—F Das iſt des Geiſtes Lächeln um den feinen Mund, 
- Mit weldem er den Simplon überftiegen, 

Das er bewahrt hat auf Egyptens heigem Grund, 
Wie auf dem Eisfeld in den Ruſſenſiegen! 


Das ift des Helden zuverfichtsgeftählter Geiſt, 

Wie er aus Offians Gelä gen ftammt, 

Der zweimal muthig ihn das Schiff befteigen heißt, 

Dase ihn nad) Franlveid) trug, zum Siegeramte! 
—— 


nr P v . 28 —* 
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30 


Das ift die Fauft, die, riefenhaft gebalft, 
Der Völker Schickſal ſpielend hat zerichlagen, 
Bevor der fremden Lanzen dichter Birnamsıwald 
In's Schloß der Tuillerien ward getragen! 


Das ift die Feine Länderfarte auf dem Tiſch, 
Bon der er Länder jchnitt und Reich und Kronen, 
Bevor Alt-Engeland, der feifte Inſelfiſch, 
Berdammt ihn hat mit Hudjon Lowe zu wohnen! 


Das ift der Heine, graue Rod, an deſſen Schoß 
Sid, Könige und Fürften einft gehangen, 
Und den dann Freund, Berbündeter, Genof, 
In Stüden rig mit Hafen und mit Zangen! 


Das ift der Eleine Hut, am Boden nebenan, 
So furdtbar einftens auf dein Haupte drobeı, ! 
Der kleine Hut, den einft ein and’rer großer Mann 
Dem großen Eleinen Mann hat aufgehoben! — 


Dann, ohne Krone, ohne Hut und ohne Land, 
Macht er den ſchlichten Sefjel doch zum Throne, 
Um feine Stirn’ das unentwendbar’ Ruhmesband, 
Der Weltgeihichte ewiggrüne Krone! 


Er fit und finnt und fieht die Fleine Gegenwart, 
Die fleine Zeit, vom großen Weh zerriffen, 
Die Löwen jenes Land’s, der Injeln Leopard, 
Und Franfreihs Hahn, geweckt vom Schlummerfiffen. 


Er hört in feinem Frankreich wildverwirrt Geſchrei, 
Den Fud) der Schredenszeit heraufbeichwören, 
Auch aus Egypten tönt’ wie dazumal herbei, 
Bon Pyramiden glaubt er heinzufehren! 


Er ballt die Fauſt, jein durſt'ger Schlachtenblick 
Sieht in der Luft jein Schwert, er will es fallen! — 














en —J dich jur Rehed es vollende fein Geichid 
Dein Frantreich mit den unheilvollen Maſſen! 


— Dein Kaiſerthum das haben ſiegend ſie zerzauf't, 
und flickten ſich ein Reich aus falſchen Geiſtern; 
Den Adler haben ſie entrungen Deiner Fauſt, 
Uad fünnen ihren Hahn nicht einmal meiſtern! 


Gib dich zur Ruh'! die Aſche haben ſie von dir, 
Doch will der Phönix nicht herausſpazieren, 
Die vielen Donner machen g'rad wie du fie ſchier, 
Den Blitz wie du weiß Keiner zu regieren! 


x 
Gib dich zur Ruh'! Geh’ ein im’s Grab von Helena! 
— Die Welt, das Glüd, den Purpur auch vergefje! 
2 Ein ew'ges Neid) ſteht nur im Strahl des Nachruhms da, 
# Der Freiheitsbaum ift einzig die Cypreſſe! 














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Cätitie, die neue Hekuba. 


Zu Rom, im Prunfpalafte, 
Sitzt eine hohe Frau, 

Bor Kummer und vor Alter 
Sft ihr das Haupthaar grau. 


Bor Kummer und vor Alter 
Geſenkt ihr Haupt fich hat, 

Bor Kummer und vor Alter 
Sft ihr das Auge matt. 


Bor Kummer und vor Alter 
Fühlt fie ihr nahes End', 
D'rob ruft fie einen Priefter 
Und madt ihr Teftament. 


“ 
Und als der Tod ihr rufet, 
Daß fie bereitet fei, 
Da geht ihr ganzes Leben 
Noch einmal ihr vorbei. 


Die Hütte ftellet freundlih _ 


Sid) ihrem Sinne dar, 










Er 
der — — 
Den Hektor ſie gebar. 


Den Hektor, br die Jungfrau 
- Europa hat gefreit, 
Und fi) mit ihre vermählet 

Im ſchmucken Kriegerkltid. 


Sie ſieht den heil'gen Vater, 
Wie er ſein Rom verließ, 

Um ihren Sohn zu ſalben 
Im Dome zıı Paris. 


Sie ſieht die ſchönſte Tochter 
Aus Habsburgs edlem Haus, 
Die ihrem Sohne reichet 
Den zarten Myrthenſtrauß. 
Sie fieht auch ihren Enfel 
Erbliden faum das Licht, 
Als ihm Schon Roma's Krone 
Das zarte Haupt umflicht. 


Sie fieht nun alle Kinder 

An ſich vorüberzieh'n; 

Sie tragen alle Kronen 
Und tragen Hermelün. 


Dann fieht fie Moskau's Mauern, 
Kremlin fo lichterloh, 

Der Berezina Fluthen, 
Die Schlacht bei Waterloo. 


M. G. Saphir's u XIV. Bd. 








Sie fieht die dentichen Sieger 
Belegen Franfreihs Thron, 
Naguſa, den Berräther, ) 

Und den Bellerophon. 


Sie fieht den fahlen Felfen 
Im fernen Meer verſteckt, 

An dem die heife Sonne - 
Mit rother Zunge ledt. \ 


Sie fieht dort ihren Heftor 
Das Eingeweid’ verbrannt, 
Und Englands 'erften Schergen: 
Sir Hudjon Lowe genannt! 


Cie fieht im fernen Sande 
Den Helden eingefcharrt, 
Auf den die Weltgeihichte 
Bergebens wieder harrt. 


Sie fieht den zarten Enfel, 
Den Stegreifjohn des Glüds, 
Verwelket und verblichen 
Im Hohne des Geidide. 


Sie fieht die Kinder Alle, 
Die fie in Schmerz gebar, 
Zerftoben und zevriffen 
Als arme Pilgerjchaar. 


Sieht fih allein im Haufe 
Als neue Hefuba, 




















HART 
ihres H uſes Größe 
Und feinen Sturz auch ſah. 


Sie ſteht auf heil'gen Trümmern, 
Entſetzlich ftill, doch mild, 
Aus unſerm Welten-Drama 

— Ein tragiſches Gebild. 


a Wenn ſich der Zeiten Borhang 
2 Ob ihrem Leben jenft, 
— Als Buonaparte's Mutter 
— Man ewig ihrer denkt. 


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Das innere Auge. 


Dir Schöpfer ſprach: „Es werde Licht!" Da ſchoßen 
Geftirn’ und Mond und Spun’ aus dunklen Tiefen, 
Entriegelt ward und plötzlich aufgefchloffen 
Das Reich der Strahlen, die im Chaos jchliefen; 
Die bunten Farben wurden ansgegoffen, 

Der Welt des Lichtes Dajein zu vwerbriefen, 
Bis in den Mittelpunet vom Erdendunkel, 
Zog ein das Licht ald Demant und Karfunkel. 

Und zu den Duell des Lichtes Fam gezogen, 
Was Alles ſich bewegt auf dieſem Runde, 

Um einen Tropfen nur aus diefen Wogen 

Zu ſchöpfen für Die furze Dajeinsftunde, 

Und Gott der Herr, der Seglichen gewogen, 

Der ſprach aus ewig liebevollem Munde: 

„Ihr Menfchen, Steine, Wolfen, Lüfte, Pflanzen, 
Nehmt hin das Licht in Iheilen und im Ganzen!“ 

Den erjten Tropfen aus des Lichtes Eimer 

Nahm jubelnd hin für fih Die Morgenröthe, 

Daß fie das luſt'ge Neich der Morgenträumer, 

Der Dichter, mit dem Farbenftab betrete. 

Der Abend fam ſodann, der Bergumſäumer, 

Und holte Gold für feine Bergtapete. 

Dann Fam der Mond und jchöpfte aus der Lichteifterne 
Das matte Licht für feine Blendlaterne. 

Der Frühling kömmt und ſchöpft fich grünes Feuer 
Für feinen Erdenteppich Schnell, und tauſend Farben. 


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BREIT RS = 
2 Der Sommer fümmt um Licht wie Gold, zur Steiner 


Für's unermeß'ne Reich der vollen Garben. 

Der Herbſt auch bolet ſich, als Kraftverleiher, 
Den Balfanı in der Trauben offne Narben. 
Der Winter ſelbſt, ev ſchöpft ſich Silberblicke, 


Daß er der Erde Sterbekleid mit ſticke. 


Die Pflanzen holen Licht in ihren Düten, 

Die Blumen Licht in ihrem Atlaskleide ; 

In ihren Kelchen holen Licht die Blüthen, 

Sein Becherchen füllt Röslein auf der Haide 

Ein Tröpflein Licht holt fih in Heinen Hüten 

Sp Fingerhut als Eifer hu, Boll Freude, 

Das Beilchen jelbft beſcheidentlich im Graſe, 

Füllt fih mit blauen Licht die Heine Vaſe. 
Dann fünmt das Neid) der Edelſtein' gegangen, 

Zu holen Licht in felienfeften Schalen. 

Die Wolfen eilen, Licht auch zu empfangen, 

Damit fie rumd den Regenbogen malen. 

Dann nahen fich die Schönen Feuerwangen 

Und wählen aus des Lichtes zart'ſte Strahlen 

Zu Weihefarben zweier edlen Triebe: 

Zum Roth der Scham und zu dem Noth der Liebe. 
Zuletst naht fich ein Heines zartes Weſen, 

Ein wunderſam' Geweb' der Zauberihäte, 

Das Aug’, für das zum Guten und zum Böſen 

Des Menſchen Sinn geſtrickt hat feine Netze. 

Das Heine Ding, es ſoll das Reich verweſen 

Des Lichts und alle ſeine Reichsgeſetze, 

Daß es verwahre unter feſtem Siegel 

Des Lichtreihs Apfel und fein gold’nes Siegel. 
Des Lichtes Neichsftab auch, zum Ning gebogen, 

Iſt aufbewahrt in feiner kleinen Zelle; 

Das ganze Weltall und des Himmels Bogen 

Zieh'n ein demütbig über feine Schwelle, 








Der Strahl; den er als Tropfen eingefogen, 
Er ftrömt als Meer zurück mit Sturmes-Schnelle, 
Das Licht, das ihm die Sonne ſchickt hernieder, _ 
Vergelten jeine Sterne zehnfach wieder! — 
” 







































5 (Muſik.) 

D'rum preiſe vor Allen — 
Das Licht und die Sonne, — 
Wem immer gefallen S 
Das Loos und die Wonne: £ 
Daß ihm das görtliche „Werde“ 
Das Auge gelichtet, 
Daß froh er kann jchauen 
Den Himmel, den blauen, 
Die blumige Erde, 
Die bräutliche Erde, 
Wenn fi) der Bräut'gam Frühling ihr 3 
Und fie mit Liebe umfabet, Br 


An Bufen fie dDrüdet, —3 — 
Mit Blumen ſie ſchmücket, — 
Mit Strahlen umgürtet, — 
Mit Früchten bewirthet! —— 
Drum preiſe vor Allen — 
Das Licht und die Sonne, = 
Wem immer gefallen — 
Das Loos und die Wonne, Ts 
Daß froh er kann jehen EN —— 
Die Tiefen, die Höhen, ze 
Boll Schatten, vol Dunkel, DE 
Boll Licht und Gefunkel, Te 


Die Wolfen, die eilenden, 

Den Blit, den zertheilenden, 
Und all’ das Farbengewimmel 30 
Auf Sven, in Lüften, am —— 





(Muſik.) 


Der, dem der Himmel verſagte 
A N: Das Licht des Auges, das Sehen, 
Den Duell der Sünde, den Quell der Wehen! 
Nicht ſoll er bangen, nicht fell er zagen, 
Nicht joll er zweifeln, nicht frewelnd fragen: 
„Barum mir g’vade verriegelt die Pforte, die prächt'ge ? 
- Warum mir g’rade verfiegelt der Brief, der allmächt'ge, 
Mit jeinen Bilderblättern, mit jeinen Farbenletteru? 
Warum mir g’rade die Rinde, 
Die ftarre, die nächt'ge, 
Die eiferne Binde, 
Aus Naht, um den Bronnen 
Des Lichts und der Sonnen?“ 

Dexn ’S ift eine gefährliche Gabe, die Gabe de8 Sehens, 
Sie ift der ſprudelnde Born des Uebelgeichehens, 
Der Quell der Berführunz, die Amme der Sünde, 
Der Wolluft Geführte, Erweder der Sinne, 

E Erzieher der Habjucht, Vergifter der Minne, 
= Der Lehrer des Neids, der Begierden Verfechter, 
N Der Anwalt des Scheines und des Kernes Verächter! 
— Wem da iſt das Licht genommen, 

Bi. ; Wem da ift der Blick geblendet, 

J An das inn're Aug' ſich wendet; 

Denn das inn're Auge malt 

— Eine Welt, die reiner ſtrahlt. 

Blumen, die bei ſtillem Lieben 

X Innen ſtill das Herz getrieben, 

J Hat kein Strahl je aufgerieben; 

Blüthen, die im Herzen hangen, 

An dem Hauch der Seele aufgegangen, 
Wird kein Sturm vom Zweige ſtreifen, 
Eh' zu gold'ner Frucht ſie reifen; 





— daß nimmer auch murrte und klagte — 


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Und ein and’res Reich wird ausgegofien 
Bon den Augen. die dem Licht werjchlofjen, 
Eine Welt voll Blumen und Geftalten, 
Die nie welfen, nie veralte, 

Diefe Welt, fie heißt: Muſik, 

Und die ihr dienenden Geifter 

Sind des inm’ren Auges Sprach- und Bike 


Euch vorzuführen aus der lichtverjagten Schaar 
Ein Paar, voll Willens, jelbft Euch zu entzünden 
Des Dankes Dpfer auf der Wilde Hochaltar. 

Es wird das inn're Auge dieſer Blinden 

In Euren Herzen einen reihen Schatz gewahr. 

Es kann den Schatz mir Danfes Blick nicht heben, 
Und wünſcht, den Blid im Ton Euch fund zu geben, 






Farben, Bilder, die inwendig 
An den dunfeln Wänden malt lebendig 
Phantaſie, fie ganz allein nur find beftäudig. 
Nur das Bild, das wir entwerfen, 

Wenn das inn're Aug’ wir jchärfen, 

Don den Weſen, die uns theuer, 

Steht in Idealesſchleier, 

Wie's fein fterblih Aug’ je ah. 

In dem Schmelz uud in dem Feuer 
Makellofer Schönheit da! 


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Drum fol Mufif dem Worte fih verbinden, 


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Das Paradebett in der Kaiferburg. 


















* „Matt von Kämpfen, matt von Siegen 

Br“ lag der Eid auf jeinem Yager.“ ; > 
* Herder. * 
* — 

Im Saal der Kaiſerburg ſteht ein Paradebett, 

Die Deck aus ſchwarzem Sammt und unter ihr ein a 
FR Brett, Pr 
: Und * dem Bette ſchlummert lang und tief der Cid, 
— Vom Kampf des Lebens ſatt, von Ruhm und Siegen a 
* er; mũd. 
An feiner Seite liegt ſein treubewährter Freund, Er 
Sein Schwert, im Tode wie im Leben ihm vereint. > 

2 Der Hut liegt neben ihm, den er an Tagen trug, * 

Wo er des Vaterlandes große Schlachten ſchlug; * 
Und an des Bettes Ende ſteht die Ehrengard', * 

Die Thräne in dem Aug', im Arm die Hellebard'! 


Auf Kandelabern brennen Kerzen ringsherum, — 
Da ſtrömt das Volk herbei, vor Schmerz und Wehmuth ir 
fumm. . 








42 SEN 


Sn Thränen fommen fie von jedem Nang und Staud, 

Sie weinen und fie beten, füffen ihm die Hand. 

Da neiget fi) dev Tag, es naht der Abendftrahl, 

Die Hallen werden leer und einfam wird der Saal; 

Der Held auf feinem Bette ſchlummert ganz allein, 

Ein Kruzifir nur wacht im hellen Kerzenſchein; 

Da jchlägt die Burguhr Zwölf um Mitternadt, 

Und auf thut fid) die Thür von jelbften ſacht, 

Ein langer Zug von Geiftern naht im Sterbgewand, 

Mit Kronen auf dem Haupt, mit Scepter in der Sand. 

Sie jchreiten ftill herein, geichloffen in der Reih', 

Paſſiren an dem Bette nad) und nad) vorbei. 

Boran des Haufes Ahn, die Stirne reich umlaubt; 

Der Graf von Habsburg iſt's, das erfte Katjerjaupt, 

Und als er kommt an's Bett, darauf der Held entjchlief, 

Da beuget er fein Knie und neigt fein Haupt aud) tief, 

Und hebt zum Segen auf die weiße Geifterhand, 

Und ftellt fich finnend dann an jeines Bettes Rand, 

Dann jchweben in der Keih’ die Katjergeifter her, 

Dem Helden zu erweiſen letzte Erdenehr’; 

Der „letste Ritter“ auch er beugt jein edles Knie 

Dem Helden jeines Stammes, dem hehren Kriegs-Öenie 

Dann naht ein hohes Weib, die Habsburgs Krone trägt, 

Das ſchöne Angeficht von tiefem Schmerz bewegt. 

Shr folgt im Geifterfleid ein Fürftenhaupt voll Licht, 

Den hehren Glanz um Stirne und um Angeficht, 

Der Menjchheit Freund, des Lichtes Fürft, des Rechtes 
Hort, 

Und beugt fein Knie und jpricht ein Teiles Segenswort. 

So nahen nad) und nad) die edlen Schatten all’ 


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43 







* De letzten Erdenbett vom großen Feldmarſchall; 


Erſcheint ein Kaiſer noch, der fromm die Krone trug, 
Der Glüd und Unglüd trug, wie eine Märtyrkron', 
Im Leben menschlich mild, und fürftlich auf dem Thron. 
Er naht, der Letste, fi) in diefer Geifterichaar, 

Er niet allein fi ganz hin an die düftre Bahr”, 


Br Er nimmt allein die Hand des Todten in die Hand, 
* Er küßt allein des Todten bleichen Lippenrand, 

Er neigt allein ſich auf des Todten Angeſicht, 

* Er iſt's allein, der ihm ein Wort, ein leiſes, ſpricht: 


„Dein Bruder kömmt zu dir an dein Paradebett, 

Mein Sieger auf dem Feld, mein Freund im Cabinet, 
Mein Bruder jederzeit, mein Retter in Gefahr, 

Du, meines Oeſtreichs Ruhm und des Jahrhunderts Aar, 
Wir nahen Alle dir in mitternächt'ger Stund', 

Als uns dein Tod in jener Lichteswelt ward fund, 
Did) zu begrüßen noch einmal im Bäterfaal, 

Für dich zu beten hier vereinigt nod) einmal, 

Did) zu begleiten ungejehen durch die Luft 

* Bei deinem ſtillen Gang zu unſ'rer aller Gruft! 

Wir rücken ſtill zuſamm' und ruhen Bruſt an Bruſt, 
Wir hören dich erzählen deiner Thaten Luſt, 

4 Wir halten ftillen Nath ob unf’ver Kinder Haus; 

* Wir ſinnen ſtillen Rath für Oeſtreichs Wohlfahrt aus; 
Wir ſchicken unſern Segen alleſammt vereint, 

Dem Herrſcher dann herauf, der jetzt am Thron erſcheint!“ 
Und als er jo gejprochen, jchaaren fie ſich ſtumm 

Und unfichtbar um das Paradebett herum. 

Der Morgen naht, e8 kommt hevan der Nachmittag, 





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44 


Der Leihenzug geht fort mitſammt dem Sarfophag, 
Begleitet ungejeh'n vom edlen Kaiſerkreis; 

Und als die Gruft wird aufgethan nad) alter Weil‘, 
Und als man an dem Sarg die frommen Worte jpricht, 
Umzieht der Himmel fih mit Tranerwolfen dicht; 

Und als den Sarg man in die Kaifergrnft geftellt, 

Da donnern die Kanonen auf am Molfenzelt, 

Da fährt der Blit jo blendend durd die Wolfennadt, 
Wie eines Schwertes Blitz in dichtverhüllter Schlacht; 
Und Hagelichlag rauſcht durch die Wolfen jchwer, 

Als vafjelten im Kampfe Schild und Yanz’ und Speer 
Und ein gewalt’ger Schlag erigüttert Luft und Erd’, 
Als ob die Erd’ verfchläng, was ihr am meiften wert! — 
Doch als die Gruft fid) ob des Helden Leiche ſchloß, 
Da baut fih plötlicd über Kirche, Stadt und Schloß 
Ein Regenbogen auf, gleich) einer Ehrenpfort‘, 

Die Wolfen jchaaren fih) nad) Süden und nad Nord! 
Aus jenem Strahl, der ſich von jenfeitigem Licht 

Su Erdenthränen und in Molfentropfen bricht, 

Baut ſich das Friedensthor hoch in den Wolfen kühn, 
An dem des ew’gen Friedens Eidesfarben glühn, 

Und durch das Thor, die Flammenflägel aufgethan, 
Zog ein die Geifterichaar, der hohe Held voran, 

Zum Himmel ein. wo aus Lorbeer, Schwert und Kron' 
Sind Stufen ihın gebaut zu Gottes Gnadenthron! 




















2 





Der Erde und des Herzens Quellen. * 

— — 

= * —* 
Die zärtlichſte der Mütter hier im Leben I 
Iſt Muttererde, der der Menſch entiproß, — 
Nicht einer Amme hat ſie ihn gegeben, * 


Sie ſäugt an ihrer Bruſt ihn zärtlich groß, 
Sie bettet ihn in grünen Wiegenſtäben, 

Sie wiegt ihn ſelbſt auf ihrem weichen Schooß, 
Und ſeine Kleider all', von Seid' und Linnen, 
Sieht man ſie Tag und Nacht ſelbander ſpinnen. 


Und all' das Spielzeug ihrem lieben Kinde 
Er Schnitzt jelber fie mit funftgeübter Hand, = 
— — Und Mondſchein, Blätterſaug und Abendwinde 
>... Erzählen Märchen ihm, die fie erfand; 
0 Und daß jein Aug’ am Lichte nicht erblinde, 
Zum grünen Schirme fie das Laubdach wand, 
Und wenn das Kind erkrankt, erzeugt geichäftig 
Sie all’ die Kräuter jelbft, Die wunderfräftig. 


Dem Kind mit ihrem Herzblut dann zu mügen, 

Reeißt fie des Herzens Ader mächtig auf, = 

Sie eilt, die Bruft fich liebend aufzuſchlitzen, 
Beihwört den heißen Wunderquell herauf; 

Und aus den tiefften Herzensadern ſpritzen F 

Die heißen Quellen ſegensreich hinauf, 

Denn höher ſpringt kein Quell aus heißen Erzen 

Als Segensquell aus heißem Mutterherzen! 


Und wie die Mutter Erde tauſend Quellen 
Im tiefen Buſen ſtill verborgen hegt, 


46 


Wie fie auf beißen und auf falten Wellen, 
Gejundheit im das Reich der Menjchen trägt, 
Wie fie in ihren dunklen Herzenszellen 
Die Segensfluth mit Wunderkraft belegt, 
Sp ſpringen aus dem Menjchenberzen cben 
Diel taujend Duellen glühend in das Leben. 


Der Duell der Andacht, der den Strahl, den reinen, 
Aus tiefer Bruft zum hoben Himmel ſchickt; 

Der Duell der Tiebe, der im ſüßen Weinen 
Mit jeinen reinften Tropfen uns erquidt; 

Der Duell der Tugend, der des Jenſeits Scheinen 
Mit Hoffnungslicht auf jeine Wellen ftict; 

Der Quell der Unſchuld, der die zart'ſten Flüthen 

Dem Frauenantlit ſchenkt in milden Glutben. 


Jedoch ein Quell entjpringt dem Herzensgrumnde, 

Wie Gluth jo heiß und wie der Thau jo mild: 
Derjelbe iſt's zu jeder Yebensftunde, 

Wenn aud die Fluth verſchwenderiſch ſtets quillt ; 
Er jpendet Balſam jeder Schickſalswunde, 

Mit Gottesfraft ift feine Fluth gefüllt, 
Der Mitleidsquell, der Urjprung aller Quellen, 
Die jegensreich fich feinem Yauf gejellen. 


Aus dieſem Uriprung quillt die heiße Zähre, 
Die hellite Berle jeder düftern Welt, 
Die jalz'ge Thräne, die aus eigner Schwere 
Früh in den Kelch des Brunnentrinfers fällt; 
Aus diefem Urjprung tropft die reinfte Kläre, 
Der Salzkryſtall, der Troft im fich enthält, 
Und diefer Urfprung aller Bittern Thränen 
Soll mit dem Glüd das Unglüd ſtets verjühnen. 





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—— die Muſe als ein Bodega 


Sir Kranke fümmt fie mit dem Bittpofale, 
Für Arme, die vom Siechthum angefaßt, 
"sh Kinder, die vom fargen Hungermable 
Die Augen matt, Das Antlitz abgeblaft, 
Für fie nur jchöpfen beute Kunft und Muſen 
Bom reihen Duell aus mitleivsvollem Buſen. 


Mit diefem Wort im Voraus Euch zu grüßen, 


Hab ih in Aller Namen jetst gewagt; 

Und was num folgt, mögt freundlich ihr genießen, 
Wenn auch nicht Alles Allen gleich bebagt, 
Nicht Blumen find e8, die zum Schmude iprießen, 

Nur Kräutlein find’s, wornad) der Kranke fragt, 


Zum PBrunfe nicht, zum Heil find fie gefunden, 


Drum nehmt vorlieb, wenn ich fie ſchlicht gewunden! 


Des Invaliden Rundaang. 


Ein Invalid' mit greifen Silberhaaren, 
Das Angefiht mit Narben dicht beſä't, 
Zur Refidenz nad vielen, vielen Jahren 
Mit feinem einz'gen Sobne gebt. 
Der Alte bat von Siegen und von Schlachten 
Dem Sohn erzählt, von Streit und Kampf, 
Des Sohnes einzig Fühlen und fein Trachten 


— So jpriht der greife Veteran — 





Iſt Wehr und Waffe, Schwert und Pulverdampf. 
„So fomm’, daß ich Dich jelbft zur Hochzeit ſchaffe“, 





„zur Hochzeit mit der ſchmucken Kriegerwaffe, 
Zur Hochzeit mit der luſt'gen Fahn', 
Zur Hochzeit, wo Trompetenklänge, 
Kanonendonner, Bajonnet, 
Und Hurrahruf und Schlacdhtgejänge, 
Begleiten Did) zum Chrenbett! 
Zur Hochzeit, wo die Braut, die hehre, 
Mit nie entweihten, keuſchem Leib 
Dein hart; die Braut heißt Kriegerehre, 
Das unbefledte Götterweib ! ; 
Zur Seit” des thatenreichen Kriegers 
Zieht Diefe Braut in Schlachten mit, 
Zur Seit” des blutbedeckten Kriegers 
Bfeibt diefe Braut mit feſtem Schritt! 
Sie lächelt ihm im heißen Kampfe, 
Wenn auf ihm zu der Feind fon bricht, 
Sie lächelt ihm im Pulverdampfe, 
Und aus des Todes Angeficht ; 
Und wenn er bändigt feine Tiger, 
Sp ftellt fie ftrahlend ſich ihm dar, 
Und wenn er heimfehrt dann als Sieger, 
Flicht fie den Kranz ihm in das Haar. 
Spldatenehre, zwiefach jchöner, 


Weil Du ericheinft, in Muth bewährt, = 
Blank wie die Kling’ vom Damascener, 2 
Wenn aus der Scheid’ fie blitend fährt! = 
Spldatenehre, auserfor'ne, Er 
Erhaben ſchöne, hochgefinnt, * 
Du, aller Ehren erſtgebor'ne, 3 
Der ält'ſten Zeiten ält’ftes Kind! 4 


Soldatenehre, Sonnenblume, 
Die auch den wilden Krieger ſchmückt, 
Wenn auf dem Weg zum Waffenruhme 
Mit reinen Händen er fie pflüdt; 








Soldatenehre, g’ring ift feiner, 
Der Deinem Dienfte ſich geweibt, 
Und Fürft und Feloherr und Gemeiner 

Sind Brüder durch Dein Ehrenkleid!” — 
Und als der Alte fo geiprechen, 
Gelangte er zur Kaiſerſtadt, 
Allwo er oft Schon eingejprochen 
In frühern Kriegerzeiten bat; 
Doch nicht erkennt die Stadt er wieder, 
Die er geſeh'n, jett fünfzig Jahr! 
: Ermattet find die Schwachen Glieder, 
1% In Schweiß getaucht das Silberhaar. 


— Sein Bein aus Holz will kaum mehr tragen 
Des Kriegers, wenn auch leichte, Laſt, 


Und zitternd, ſcheu, mit Angſt und Zagen, 
Macht in den Straßen oft er Raſt. 
Wohin er blickt, nichts mehr vom Alten, 
* Es iſt ihm Alles fremd und neu; 
Die Strafen, Häuſer, die Geſtalten, 
AU dies macht ihn verzagt und ſcheu. 
Er ftiert umber, erftaunt, verwundert, 
3 Er weiß e8 nicht, was jet ihm träumt, 
J Ein Bischen Zeit, ein halb' Jahrhundert 
Hat ſonderbar hier aufgeräumt! 
Er möchte geh'n auf allen Pfaden, 
Ein Haus ſteht ihm im Weg mit Hohn. 
Er ſucht ſie auf, die Kameraden, 
Er find't fie nicht, fie ſchlafen ſchon! 
Er ſchwankt hinaus num zur Kajerne, 
Wo er gelebt im früh'rer Zeit, 
Und fteht verbutt, denn ſchon von ferne 


N. Erblict ex fie im neuen Kleid. 
x Das Negiment nur möcht er ſchauen, 
ki, In dem er jelber einftens fand; 


M. G. Saphir's Schriften. XIV, Bo. 






ERTL — — 
* 


50 






Ihm ift es fremd, ihm iſt's ein Grauer, 
Es trägt jet nicht mehr fein Gewand! 
Da faht fein Herz die tieffte Wehmuth, 
Bis ihm ein Troft die Seele ſchwellt: 
Sct. Stephan will er ſeh'n, den Alten, 
Den greifen Kirchenveteran; 
Dem hat die Zeit und al’ ihr Walten 
Doch ganz gewiß nichts angetban. — 
Zum Stephansplaß mit feiner Krücke 
Geht er vorbei am Rieſenthor' 
Und hebt die ſehnſuchtsvollen Blicke 
Zur Thurmesſpitze hoch empor. 
„Ach!“ ruft er aus und ſinket nieder: 
„uch dieſes Thurmes alt' Skelett 
Hat einen neuen Küraß um die Glieder 
Und auf dem Haupt ein neu' Kasket!“ — 
Nur einen Weg noch will er gehen, — 
Er wendet raſch ſich ſtraßenwärts, 
Den alten Kaiſer möcht' er ſehen, 
Ihn zieht ſein bied'res Oeſtreichherz. 
Und ſtill führt ihn ein frommer Prieſter 
Hinunter zu dem Sarkophag, 
Wo in dem Kreis der Särge, düſter, 
Der heil'ge Schläfer friedlich lag. 
Da kann der Greis dem Schmerz nicht wehren, 
Dem tiefſten Weh wird er zum Raub, — 
Es fließen ihm die heißen Zähren 
Vom blaſſen Antlitz in den Staub! 
Die Hände ſtreckt er durch das Gitter, 
Das ihm den Sarkophag verbarg, 
Durch ſtille Thränen, wermuthbitter, 
Dringt ſein Gebet zum Kaiſerſarg: 
„Du mein Kaiſer, gut und weiſe! 
Hab' gemacht die weite Reiſe, 


























ba Wr — * : = 
x Dein. gebeiligt Haupt zu ſeh'n, 
Und mit Seufzern fromm und feife 
Seagten mir die Prieftergreiie, ; 
$ TER: In die Kaifergruft zu geh'n! 
09 Nah, mein Kaifer, laut mich Hagen, 
i BR, - Daß Dur gingft, ohn' miv’s zu jageı, _ 2»: 
2 Der Dein ält'ſtes Kind ich war! RE 
Deiuen Feind hab’ ich geichlagen, — 
Deinen Rod hab' ich getragen, — 
FE Deinen Adler jehszig Jahr! 
Und Du gingft voran, alleine, 

Doch an Deinem Sarg von Steine 

Spricht der Invalid: Gemach! 





Komm’ Dir nah mit eimem Beine, 

Hab’ vorausgejhidt das eine, ni 

Komme deſto ſchneller nach! 2 

J Drum, die Krüde friſch geſchwungen! 
* Denn iſt es zum Volk gedrungen, 


Daß zu Dir ſich lenkt mein Schritt, 
Geben Millionen Zungen 
Herzlieb’, Thräuen, Huldigungen, 
Segen und Gebet mir mit.“ — 
Drauf rafft der ſchwache Greis ſich auf vom Grabe, 
Schwankt klagematt hinauf an's Tageslicht, 
Er winkt dem Sohn mit ſeinem Krückenſtabe, * 
Es duldet in der Stadt ihn länger nicht;, 
Als Trümmer ſieht ex ſich vergang'ner Zeiten, " 
Ein kahler Stein verfall'ner Welt, 
Ein Grauen faßt ihn an, von dannen jchreiten 
Will durd die Stadt er gleich auf's Feld; e\ 
Und wie er jchreitet Durch Die hohen Thore, 
Die durch des Burghofs Räume geh'n, 
Dra dringt ein Kriegermarſch zu ſeinem Ohre, 
rd Dem Schalle horchend bleibt er fteh'n; 


Es ift die langentbebrte Feldfanfare, 
Es ift das hohe Schlachtenlied, 

Der Klang, der wor dem ftolzen Doppelaare 
Boran zum Heldentanze zieht. 

Beſeelt von Klang der Suftrumente, 
Dringt vorwärts er mit jeinem Sohn, 

Da fteht von feinem Negimente 
Sm Feierkleid ein Bataillon, 

Und rechts und links Geklirr von Waffeır, 
Und Kriegerichaaren body zu Roß; 

Es blitt von funfelnden Agraffen, 
Es blitzt das ritterlih Geſchoß! 

Da flanımt e8 auf im jchwachen Greiſe, 
Verklärt ericheint fein Angeficht ; 

Mit jeinem Krückenſtab' theilt er die Kreife 
Der Wachen und der Garten Dicht. 

Und als der Greis evfcheint den Blicken 
Mit Narben, die des Helden Reiz, 

Mit weißem Haupt, auf morjchen Krüden 
Anı Node das Kanouenkreuz, 

Und neben dem das felt'ne Ehrenzeichen 
Zwiefacher Sapitulation, 

Da maht man Raum, die Krieger weichen, 
Zum Nitterfaale kömmt er ſchon! 

Hier wird fein Aug’ geblendet faft vom Strahle 
Des Glanzes und der Herrlichkeit, 

Es hat im prachtgeſchmückten Saale 
Sih Stern an Stern zur Schnur gereiht, 

Berjammelt vor dem Kaiferthrone 
Erſcheint die volle Heldenfchaar, 

Auf jedem Haupte deckt die Lorbeerfrone 
Hier eines Siegers Silberhaar. 

Inmitten ftrahlt die hohe Tafelrunde, 
Die Blum’ der Ritterſchaft umher, 





a ae 





















ße — Arms zur Stunde, 
— — Merlin’ 8 Zaubermähr; 


angen ſie den Sitten Kranz, 

Die — die dem Tod entgegenlachten, 
Y Als er ſie lud zum blut'gen Tanz, 
And obenan ‚bes Baterlandes Netter, 


* De ſich des Lorbeere ewig grüne "Blätter 

Geflochten um die Herzenskron'; 

Ein Blitz im Krieg, zermalmet er wie Halme 
Der Feinde dichte Drängerſchaar, 

Dann windet er des Friedens grüne Palme 
Zum Siegesfranz fi) in das Haar. 

Es ruht in Diefen edlen Angefichte, 
In diefem finnend tiefen Blick, 


— Des Vaterlandes glänzende Geſchichte, 
— Sein einſtig' Leid, fein jetzig' Glück! 


Erkennt den Feldherrn auf einmal, 
F Er ſtürzt zur Erd', hält ſeine Knie umſchlungen, 
Mund meint und jchluchzt: „Mein General! 
Mein Feldherr! Schau auf mich hernieder, 
Der ich gebienet viele Jahr’, 
Ich zähl' Dir alle Schlachten wieder, 
Wo ich im Feuer bei Div war; 
In Schwaben war's, wo wir den Jourdan fchlugen, 
Im strengen Winter dann bei Kebl, 
Bei Stodad, dent‘, wo wir hinweg Dich trugen, 
Weil Du zu nah’ dem Feind’, mein Seel’! 
An Ambergs und an Würzburg's heiße Stunden, 
Mein General, denkſt Da daran ? 
Du erft, und wir, nicht achtend Tod und Wunden, 
Wir hinterdrein mit Maus und Mann! 


7 Der Invalid, der weiter vorgedrungen, 








Bei Caldiero war es auch nicht bitter, 
Den fühnen Feinden ging's da ſchlecht, 

Da nahm vor Deinem Kriegesungemitter 
Reißaus das feindliche Geſchlecht. 

Und dann bei Aſpern, Tag der Veteranen! 
Da fein Pardon und fein Quartier, 

Du nahmſt zur Hand Die erfte unf'rer Fahnen, 
Und viefeft: „Rinder, jetst mit mir!“ 

An Did allein knüpft ſich mein ganzes Leben, 
Du bift allein mir Land und Staat, 

So will ih auch mein Letztes Div nun geben, j 
Nimm meinen Sohn au als Soldat! ZEN 

Dein wad'rer Sohn. der jüngfte Held auf Erben — 
Braucht einſt vielleicht die muth'ge Schaar, 

So möge denn mein Sohn dem Deinen werden > 

Das, was ih Dir, mein Feldherr, war!“ 
Da bückt der Feldherr fich gerühret nieder, 3 

Erfüllt won füßer Wehmuthsluſt, —— 


Er hebt den Krieger auf und, hoch und bieder, > 
Zieht er den Greis an jeine Bruft. * 
Und eine Thräne netzt die Heldenwange, — 


Die auf des Greiſes Haupthaar rinnt, 
Er ſpricht, nach ſeines Herzens edlem Drange: 
„Dein Sohn, er ſei mein Waffenkind!“ 

Und bei dem Anblick dieſer Scene 
Schlägt höher jedes Mannes Bruſt, 
In jedem Aug' ſchwimmt eine Thräne, 
Und jede Seele ſchwimmt in Luſt, 
Und halb verklärt erhebt die Worte 
Zum Segensſpruch der Invalid: 
„Ich ſtehe an des Daſeins Pforte, 
In's Jenſeits tritt mein nächſter Schritt, 
Schon kann durch alle Himmelsthore 
Mein Blick in's Reich der Engel ſeh'n!“ 








— Und ran hebt er Mine a en 
SR Pit Liebe über Habsburg's Haus: 
— Ds Laiſers heilig Haupt ſoll ſtets umſchlingen 
Far Des Himmelsſegens gold'ner Strauß! 
3 2 — wenn der Todesengel droht zu kommen 
In ſeines Hauſes theure Schaar, 
Mag Volksgebet, mit Thränen, beißen, frommen, 
Verſcheuchen ihn auf immerdar! 
- Der Degen wird zur Sichel fich geftalten, 
Der Säbel wird zum Friedenspflug, 
Und aus des Kriegesmantels droh'nden Falter 
- Entwidelt fih ein Taubenflug; 
—— Die Erde blüht, der Segen reift im Volke, 
I Der Thron ift Friedens-Hochaltar, 
Und num verjüngt zur güld'nen Aetherwolfe 
Schwingt body fih auf der Kaileraar! 








BR 
. wi 


[dr 
Er Eine Kronen-Schöpfiug. 
* Zur Feier der glücklichen Rettung Sr. k. k. apoſtol Majeſtät 
J Franz Joseph I. von Oesterreich 
2 aus drohender Lebensgefahr, 


Auf jeinem boben Thron’, im Sternenfaale, 
Der Herr der Schöpfung ſitzt im Lichtes Glanz, 
Die Engel um ibn ber, im reinen Strabie, 
Anbetend bei dem Chor vom Sphärentanz; 
Sie halten jeder eine Opferichale, 

Umkränzt von einem Himmeilſchlüſſel-Kranz, 











56 


Und leife, wunderſame Harmonien 
Aus allen Sphären in die Lüfte ziehen. 





Da ſpricht der Herr: „Zu einer hohen Sendung 
Beruf’ ich heute meine Engelichaar, 
Denn eine Kron' in herrlichſter Vollendung 
Sollt' Ihr jetzt ſchaffen rein und ſonnenklar; — 
Des Goldes Glanz, der Edelſteine Blendung | 
Sei aug’- und finn-erguidend wunderbar, va 
Shr jollt aus Himmel-, Meer- und Erden-Reichen * 
Juwelen dazu ſuchen ſondergleichen. 





Zerſtreuet Euch in meine Welten-Räume 
Und ſtürzt Euch in der Erde dunkeln Schooß, 
Senkt Euch in's Meer, wo rothe Purpur-Bäume 
Und Perlen ſchimmern unter grünem Moos! 
Das Morgenroth, die Abendwolken-Säume 
Löſ't von dem gold'nen Frühlingshimmel los, 
Die reinſten holet mir der Edelſteine, 
Daß ich im Reif der Krone ſie vereine!“ 


Die Engel neigen ſich und rauſchen nieder, 
Zu thun nach Gottes mächtigem Geheiß, 
Und ſeine Genien beruft der Herr dann wieder 
Um ſich herum, in einem engen Kreis. 
Im reinen Sonxenlicht ftrahlt ihr Gefieder, 
Die Fittige erglänzen filberweiß, 
Sie find beftimmt zur Schöpfung dieſer Krone 
Bor Gottes Aug’, an feinem Herriher-Throne. 


Und ein Altar, dem Sonnenlicht entſproſſen, 
Menn e3 bervortritt aus dem Miorgenthor, 
Auf den das Gold der Krone jet gegoſſen, 
Steigt aus den Aetherftrahlen hoch empor, 











+ utbrennen Stern, Komet und ee 
Und Seraphime um den Altar jchreiten, 
2 mit Gebet die Schöpfung einzuleiten: 


7. Du Vater des Lichtes und Vater der Gnade, 
— Der Du ausſendeſt vor Deiner heiligen Lade, 

Das Heil und den Segen auf irdiſche Pfade, 
Der Dur den Frommen behüteft auf ſtürmiſcher Fähre, 

Der Du den Böjewicht findeft, wo er auch wäre, 

; - Der Du mit Liebe bewachſt den Thau am der Aehre, 
Wiie in dem Aug’ des Betrübten die ſalzige Zähre, 
4 Der Du erhältſt den Baum im der fteinigen Haide, 

Der Du verfteheft die Klage der trauernden Weide, 
Der Du der Erde ſchickſt nach froftigem Yeide, 

& Den tröftenden Frühling im grünenden Kleide, 
—* Der Du des Menſchengeſchlechtes ſterbliche Tage 
Hältſt in Deiner mächtigen, göttlichen Hand, 
| Und auf der Gerechtigkeit eiwiger Wage 
4 Wiegſt Bölkergefhide und Körnlein im Sand; 
Ohn' defjen Segen im blumigen Haage 
Das Heinfte Blümchen nicht farbig entitand; 
Herr, diefen Segen laſſ' auch walten 
Bei diefer Kron’, die wir erzeugen! 
AM Deine Gnade laſſe ſchalten, 
Daß diefer Krone fie zu eigen, 
R Laß’ Ruhm und Ehre fich entfalten, 
E Daß zu dem Weltenruhm, dem alten, 
Sie neu verjüngt herniederfteigen! 
Beſchenke fie mit fiegenden Gewalten, ’ 
ü Auf daß der Krone Reif ſoll ewig halten; 
F Bei Siegsgeſang und Hymnen-Reigen, 
Bei Palmenreis und Lorbeerzweigen, 
Laß! dieſe Krone freudig uns geſtalten! 





58 


Sie ift geweiht zum Steritenbande 

Für ein jung blühend Herricherhaupt, 

Das an der Jugend grünem Strande 

Mit ew'gem Kranz ſich hat umlaubt, 

Das in dem wilden Zeitenbrande 

An Gott und eig'ne Kraft geglaubt, 

Das rüderfiegt für feine Yande 

Sein Bölferglüd, von blinder Wuth geraubt! 
Ein Haupt, das Du in dunkler Stunde, 

AS aus dem tiefen Schwefelgrunde 

Ein Damon aus dem Höllenjchlunde, 

Mit ihwarzen Geiftern frech im Bunde, 

Die Gränel-Unthat, Die verruchte, 

Mit frehem Frevelmuth werjuchte, 

Su Deiner Weisheit, Borfiht, Gnad' und Milde 
So fihtlich haft bededt mit Deinem Retterſchilde!“ — 


Und als die Engel faum den Sarg beendet, 
Da kam die Engeljchaar, nad Steinen ausgejendet, 
Und brachte aus der Erde und des Meeres Tiefen 
Die Edelſtein', des Lichtes Hieroglyphen, 
Die rätbjelhaft im tiefen Grunde fchliefei. 


Ein Engel, der im reinften Sonnenlicht entbrannt, 
Trug in der Schal’ herbei ven hellen „Diamant“, 
Den Stein der Lauterfeit, den Stein der Klarheıt, 
Den Stein de8 hellen Nehts, der umgetrübten 
Wahrheit, 
Den Stein der Liebe, der Berfühnung füßen Stein; 
Denn einer Thräne gleicht fein milder Schein, 
Als Bild der Bölfertreue in der Kron' er fteht, 
Weil er erprobt duch Waffer und durch Feuer geht: 
Der Demant joll deshalb der erfte Stein ; 
Sır diefer hohen Kaiferkrone fein! 








de iceder Könnt ein Engel, im leid ı von Hermeliu, 










i er ‚Schale flammet der herrliche „Rubin!“ 
m Rubin verſchloſſen und verſteint 
luth der Jugend und der Kraft vereint 
Ind weil Rubin die Flanme hat getrunken N 
Die helvenbaft vom Himmel iſt geſunken, a; 
Und weil Aubin mit. feinem Licht noch muthig funkelt, 12 
Wennu Aug’ und Herz von büft'ver Zeit verduntelt, A 
— 2 i Drum. ſei Rubin mit feinem Flammenſchein A 


— In dieſer Krone nun der zweite Stein! * 


Ein dritter Engel kehrt von der Erde wieder; 

Es glänzt wie Wieſenſchmelz fein zart Gefieder, 

> In feiner goldbekränzten Opferſchale 

7 Bringt den Smaragd er jetzt in grünem Strahle! 
Weil grün iſt das Leben, die Jugend, die That, 
Weil grün ift die Hoffnung, der Lorbeer, die Saat, 
Weil grün ift der Lenz, der tanzende Kırab’, 

Weil grün ift des Friedens ftets blühender Stab, 
Weil grüm ift und jchwellend das knüpfende Band 
Um Herrſcherherz und fein gejegnetes Land: 

Drum ſei Smaragd mit feinem lieblihen Schein 
In dieſer Krone num der dritte Stein! 


Ein vierter Engel kömmt jetst an die Neibe, 
Sein Kleid ift angethan mit Aetherbläne, ” 
Und in der Schale wunderbell und klar, a 
Bringt her den Saphbir- Stein er zum Altar! 
Weil blau ift des Weltmeers unendliche Fluth, N 
In welcher geheimnißvoll die Perlenwelt vubt; 
Weil blau ift dev Ferne verlodender Flor, 
* Aus welcher die Zukunft gebt ſtrahlend hervor; 
Weil blau ift die Blume im Weizengefild 
Als Bild, daß nach Ernte ein Kranz uns vergift: 


ar RS ra ya Ze 









Weil blau ift das Blümchen, das einfach und ſchlicht. 
Nichts wünſcht und begehrt, als: „Vergiß mein nur nicht, 
Weil blau ift die Treue, zur Liebe gejellt, 

So blau wie da oben das ewige Zelt: 

Drum fei der Saphir mit dem Aethberichein 
Im Reif der Krone nun der vierte Stein! — — 


Die andern Engel alle bringen 
Herbei mit ihren leichten Schwingen 
Juwelen viel im reinſten Strahle, 
So Amethyſt', Topaſe und Opale, — 

Und aljobald die Kron’ wär’ fertig; — 
Doch iſt ſie einer Zierde noch gewärtig, —— 
Die oben in dem Gipfel von der Krone 
Als Herrfichites Juwel dann throne. 


Und fieh’, da fümmt ein Engel an im fchönften Lichte, © 


Berklärte Freude wohnt in feinem Angefichte; ; 
Es raujcht wie zarter Klang jein Lichtgefieder, J 
Und einen Becher ſetzt vor Gott er nieder — 
Und ſpricht: „Vollzogen, Herr, iſt Dein Befehl! a 
Ich bringe bier das föftlichite Sumel! — 2 3 
Kein Eoelftein Fommt ibm am MWerthe gleich, 3 
Der ſchönſte ift e8 im der Evelfteine Neich, Ei 
In ihm zu einer „Perle“ liegt werfteint : | 


Die Thräne, die ein großes Volk geweint, 

Die Thräne, die aus Millionen Augen floß, 

Als eines alten Herricherhaufes junger Sproß — 
Durch Deine Huld, durch Deine Vaterhand 
Gerettet ward für Volk und Vaterland! 
Und dieſe Thräne, keine Perle iſt ſo klar, 


Kein Stein ſo lauter und kein Stern ſo wahr, 
Und kein Gebet ſo heiß, ſo ſüß kein Dankeswort, 3 


Kein Lied jo innig und jo einig fein Accord, 












Sott lächelt mild und ſpricht: „So ſoll's geſchehen !* 
Krou' der Krone ſoll ſie hoch nun oben ſtehen! 
d da die Krone glanzvoll iſt vollendet, — 
Sei fie zur Erde ſegensreich geſendet; = 
Aus meinen gold’nen Himmelsthoren 
; ‚Sci onend fie gejenft zur Erde nieder, 
Unmgeben von dem Tauz der leichten Horen! — 
Im Flügelkleid und Glanzgefieder 
F Sei einem großen Reich ſie auserkoren, 
| Das num erftidt die gift'ge Hyder, 
g Vom Höllenihooh beraufbeihworen ; 
Das wie ein-Baun, verjüngt und neugeboren, 
Friſch wieder treibt die griinen Glieder! 

Auf eines jungen Kaijers Haupt zu fiten, 

Sei in der Zufunft glänzend fie erblidt! 

Um zu behüten fie und zu beſchützen, 

Hab’ meine Genien ich mit ihr geichidt, 
Die Stärke, die mit ihrer Waffen Spiten | 
Bi Den Zweig des Sieg's vom Kampigefilde pflückt; 
Er Den Muth, der mit viel taujend Flammenblitzen 

R Sein Herzblut freudig eilt zu verſpritzen, 
B- Nicht vor Gefahr und Kampf erichridt; | 
3 Den Frieden, ver nach Kampfesftreicen, > 
Bekränzt mit dem Gezweig der Eichen, 
Des Siegers Krone doppelt herrlich ſchmückt; 
Die Liebe dann, die als Verſöhnungszeichen 
Des Fürften Herz erweitert und erquickt, 
Wenn ihm aus allen jeinen weiten Neichen 
Mit Thränen und Gebeten jondergleichen 
Die Bruft in füßer Rührung wird umſtrickt! 












BE. 





‘ 
- 
Bat A, - PaN 








Und für den Einzug diefer Strahfenfro 
Soll fi) eine habe Pforte bGmen, 00000 
Die von des Bimmels hoher Stemenzone 
— Aethersraum, den azurblauen, 
Don des Oceans Palmen-Auen 
Bis zu der Donau ſegensreichen Gauen 
Als Friedensregenbogen ſei zu ſchauen; 8 
Zum Zeichen, daß die ſchönſten eneſtrahlen — 
Sich nur auf dunklem Hintergrunde malen, 
Und daß die Wolke, die von Thränen iſt befeuchtet, 
Am ſchönſten wird vom Gnadenſtrahl beleuchtet, 
Daß in dem großen, ſchönen Regenbogen, 
Nach ſchweren Wettern und empörten Wogen 
Durch Siegesſtrahlen in die Luft gezogen, 
Die Farben all verſöhnt zuſammen, wogen! 






> 
j 

















Und jo die heh're Sonne dieſer Krone malte, 
Daß fi der Baur, der glänzende, geftalte, 5. 
Sn Ei Strahlen-Einbeit fich entfalte; - 
In feiner Farbenfchrift erfchein’ der Sara, ber alte, 

Der in den Bölferherzen nie verhallte, j 
Dom Himmel bis zur Erde: „Gott erhalte!“ 






— F Yale k j 
Ein Myrthenblatt. > 







Zur Vermählung 
Ihrer — Hoheit 


— a ein Blumenhaupt und eine Satin 

— Und einen Brautkranz und ein zartgeſchlungen Band, 
Er ſieht die Abjhiedsthrän’ am Heimathsthrone, 

- Er bört den Jubelgruß am fernen Scheldeftrand, 

E Er ſtimmt die Saiten an zum feftlichen Gedichte, 

| Und in den Myrthenkranz licht er ein Blatt Gejchichte. 


Bor ihm taucht aus dem Weltenmeer der Zeiten 
Empor die grüne Inſel der Vergangenheit, 
Zwei Völker fieht er Hand in Hand verſchlungen fchreiten 
E Uud Herz zu Herz geneigt im Lieb’ und Einigkeit, 
Tr Und einen hoben Schatten fiebt er ftrablend gleiten, _ 
Ein edles Frauenhaupt, geprüft in Freud’ und Leid, 
E - Die Hohe lächelt mild, wie fie zu lächeln pflegte, 
Wenn lebend Ihr ein Hochgefühl das Herz bewegte. 


Im Schaum des Wildbachs, auf gepeitichten Wogen, 
Dreibt eine Roſe, die am Ufer hat geblüht, 
* Sie wird vom Wirbel ſtürmiſch hin und her gezogen, 
——— Verſchwindet und erſcheint, wie ſie der Wirbel zieht; 
Durch Steingeröll und unter Brückenbogen 
Treibt es ſie fort im ungebändigten Gebiet: 

Da ebuet ſich das Bett, die Fluth ſtrömt rubig weiter, 
Die Roſe taucht empor, wie einft jo friſch umd heiter! 







ereinigung von Altniederland mit Tefterreich gewidmet, 





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So treibt als Nofe in dem Wildbad) der Gefchichte 
„Erinnerung“ durch Zeit und Stürme unzerſtört; 
Durch das Gewölk bricht felten noch ein Strahl vom Lichte, 
Die Wellen jhäumen, braufen wild empört, 
Doch die Erinnerung mit ihrem Roſenlichte 
Taucht nimmer unter, bleibt ftets friih und unveriehrt, ie 
Und aus dem Strom und feinem ftürmifcher Getriebe —— 
Fiſcht blühend fie heraus die zarte Hand der Liebe! 


Und jo an eine Nofe, wie fie holder nimmer 
Der Frühling am die zarte Bruft der Erde jekt, ? 
Erblühend im des Morgenrothes zartem Schimmer, 
Vom Thau der Abſchiedsthräne lieblich noch benetst, 
Knüpft ſich „Erinnerung“ mit ihrem Zauberflimmer 
In zweier Völker Buſen, neu erwachend jetzt, 
Das Band, das jetzt zwei Herzen hat umwunden, 
Hat Millionen Herzen neu verbunden! 


N 
Artur 


So zieh’ denn hin, Du reizgeſchmückte Kaiferblüthe, 
Im Myrthenkranz ein weltgefhichtli Blatt! 
Du bringft mit Dir das Habsburg-Herz voll Güte, 
Das Oeſt'reich-Herz, das Lieb’ und Treu’ und Glauben hatl 
Und Did) empfängt ein Herz, das rein für Dich erglühte, 
Ein edler Fürft, ein edles Volk in edler Stadt, k 
Alüberall, in Bildern, Worten, Melodien, : 
Umringen Dich die Geifter alter Sympathien! 


Ein Land empfängt Dich wie ein Zaubergarten, 
Ein Volk, gefegnet, frifh und ftark, ein Baum am Quell! 
Natur und Kunft weiß e8 mit gleicher Lieb’ zu warten, 
Sein Herz ift reich, fein ſtolzer Sinn ift frei und belt; 
Die Fahnen fieh, die Banner und Standarteı, 
Der Fleiß ift Meiſter und der Neichthum ſein Geſell! 
Und jung erhalten in PBaläften und in Hütten 
Sind alter Glaube, alte Fieber, alte Sitten! 








a a Did empfängt an feinem glanzumftrahlten Throne 
Ein Herrſcherhaupt, jo ernſt und hehr, umd doch jo mild, 
5x Bon Pallas ift geweiht der Neif im feiner Krone, 

- Der Bufen Ihm gededt von Palamedes Schild, 
3 - Du trittft vor Ihn, vereint mit Seinem boben Sohne, 
An Herz und Sinn des hohen Vaters Ebenbild, 
Und wie die Charis im Olymp einft ward empfangen, 
Siind Lieb’ und Weisheit Dir entgegen bier gegangen! 


JL. 
⸗ 


Die deutſche Muſe zieht Dir nach, mit deutſchen Saiten. 
Bis zu der neuen Lebensihwelle folgt fie Dir, 


- Bringt Liebeswort” und Thran’ und Gruß aus fernen Weiten, 
g 


Dir ſchlagen tauſend edle Herzen dort wie hier; 

Sie ſoll zur jungen Heimath ſingend Dich begleiten 

Als Nachruf von der Donau goldenem Revier; 

D'rum in dem Glanz und Strom der allgemeinen Feier 
Fühlt ſich, wie Dur, bald heimiſch bier Die deutſche Leier! 


Der verkaufte Schlaf. 


a 2 Wenn die Nacht mit priejterlicher Feier 
Dur die regungsloſe Schöpfung zieht, 
Dur den faltenreihen Witwenſchleier 
Auf die blaſſe Welt bernicder ſieht; 
Wenn der Mond auch wandelt leiſe 
Um die Erde feine Kreiſe, 
. Wie ein Vater, mildgefinnt, 
RN Um fein nächtlich ruhend Kind: 
J Zieht der Schlaf, der blaſſe Knabe, 
— Mit dem weißen Friedensſtabe 

M. G. Saphir's Schriften, XIV. Bo 5 





66 


Don dem Himmel jacht! hernieder, 
Eine Mohnblum' ift jein Wagen, 
Den, mit zartem Sammtgefieder, 
Abendfalter erdwärts tragen; 
Auf dem feinen Kutſchſitz vorne 
Sitt mit zartem Wunderhorne 
Kleiner Prinz vom Elfenland; 
Sn der winz'gen Lilienhand 
Kuhn Die Zügel, feingeſchlungen 
Aus den Fäden dunkler Dämmerungen; 
Duft'ge Nachtviolen reichen 
Shre Blätterchen, Die weichen, 
Zu den Rädern, zu den Speichen; 
Bor der Kutich’ als Fadelträger 
Zieh'n Glühwürmchen ſacht' voran, 
Hintenauf als ſchmucker Jäger 
Sit ein Heimchen angethan. 

Sit zu Ende nun die Reiſe, 
Steigt der Schlaf dann nieder leiſe, 
Schlummerkörner ringsher ftreuend, 
Und die Traume um fih reihend, 
Wandelt dann mit feinen Träumen, 
Ruhlos, raftios, ohne Saumen 
Durch der Erde weite Zonen, 
Wo nur Menjchenkinder wohnen. 
Und im Often und im Weiten, 
Und in Hütten und Paläſten, 
Bon denn Schauplat feinfter Sitten 
Bis zur Hohl’ der Troglodyten 
Trägt der Schlaf, der Gramverfüßer, 
Seine heil’ge Herzägype. 
Er, der Schlaf, der niemals müde, 
Kummertödter, Angenjchließer, 
Hriedensbringer, Schmerzvericheucher, 












en und Efrsbetatter‘ 
Witwenfreund und Waiſenvater, 
Kinderengel, Traumverwalter, 

2 a Wahnſinnsarzt und Geifterbalter, 































——— 


Viebesbote, Sehnſuchtsſtiller, 
Soffnungstaube, Wunſcherfüller, — 
Er, der Schlaf, der Traumgebieter, a 
— Iſt des Lebens Kronenhüter. — 


4 
KERRY 


Doc er ſchickt die Limmielsgüter > 

Nur den Guten, nur den Frommen, i — % 

, Die von Freveln nicht entglemmen, — 
Deren Herz nicht ſchuldbeklommen, 
- Deren Bruft nicht wild zerklüftet, = 


Deren Sinn nicht ift vergiftet, 


Deren Blut in allen Adern — 

Nicht gepeitſcht von Sinnesbadern; — 

SR Denn drei Wejen, die vom Himmel fommen, Br 
Er Kehren ein nur bei den Frommen, — 
—Deun drei Dinge, die den Himmel einen, 3 
Können bei dem Sünder nic erideinen, / 3 3 

Ihn zu führen in den Friedenshafen, , = 

Dir Die drei, Dinge heißen: Weinen, Beten, > er. 
SE $ Schlafen! Re 
al Diefe Wahrheit zu erfahren E * 
Ward auch Erwin auserſehen, * 
Jener reiche Sünder, dem in Schaaren +3 
* Schmeicheldiener zu Gebote ſteheu. 
Doch der Schlaf, er iſt kein Schmeichler, J 

Doch der Schlaf, er iſt kein Heuchler, * 

Läßt ſich nicht mit Gold umſpinnen, 


Läßt ſich nicht durch Geld gewinnen, 


68 


Laßt fich nicht vom Glanz betbören, B 
Rechnet ſich's nicht hoch zu Ehren, “ 
Wenn er wird von Seiner Gnaden : : 
Irgendwo zu Gaſt geladen! 3 

- 





G'rade zu dein Eiderdunen 

Schleppt man ihm nicht mit Sarpunen, 

Grade, wo auf feid’nen Kiffen Br: 

Mach ihm lechzt ein Steingewifien, 

Geht vorbei er zu der Bank, Der harten, 

Wo die frommen Armen ihn erwarten. 
Um den Erwin zu beftrafen, 

Läßt der Himmel nie ihn Schlafen. 

Langgedehnte Leidensnächte 

Sitzt der Böſe, Goldbeblechte, 

Auf dem weichen Kiſſenlager 

Abgezehrt und zahnlos, hager, 

Und das Haupt, ſchon grau geſprengt, 

Auf die Sünderbruſt geſenkt, 

Und das Auge, brennend, trocken, 

Müht vergebens ſich, den Schlaf zu locken! 
„Hölle!“ ſpricht Erwin im Grimme 

Mit der hohlen Wuch'rerſtimme, 

„Kann ich denn mit Goldeshaufen 

Mir nicht auch den Schlaf erkaufen? 

Hab' mit Geld, das muß ich wiſſen, 

Eingeſchläfert manch' Gewiſſen! 

Soll ich nun mit Gold, dem baren, blanken, 

Nicht den Schlaf mit Liſt umranken?“ 
Sagt's, läßt heimlich und verftohlen 

Einen Armen aus dem Taglohnn holen, 

Ihm den Schlaf, des Armen einzig’ Out, 

Abzuwuchern, wie er's oftmals thut. 

Mit Erftaunen hört der arme Mann 

Das Gebot des Sündenwuch'rers au; 








> Schlaf, — lm nichts nützt, 
So ihm, rothes Gold ins Auge blitst! 


E Gold für Schlaf! Für Schlaf nun Gold in Haufen! 


a -Der Arme denlt an Weib und Kind, 


Und der alte, ſündenmatte, 
en 
Graue Sünder, voll Entzüden, 
- Wieder eine Seele zu beftriden, 
Eilt nun fröhlih, halb nur wach, 
In jein prunfend Schlafgemach, 
25. D48 Erfaufte zu genießen. 
An dem Himmelbette prangen 
* Schwere Stoffe, Seidenfrangen, 
Und die Fenfter zu verſchließen, 
Goldbrokate niederhangen ; 
Silberampeln, glasumſchloſſen, 
3 Stehend hoch auf Silberſpangen, 
* Haben Dämm'rung ausgegoſſen 
J In des Schlafgemaches Räume; 
Unnm die Kiſſen, reich an Bändern, 
Feingeſtickt mit Spitzenrändern, 
Schimmern bunte Purpurſäume; 
Aus kryſtallenen Geſchirren 
= Steigen Düfte, wie von Myrrhen, 
Um die Simme zu werwitren, 
Daß fie immer matter, ſchwächer 
Sinfen in den Schlummerbecher! 
Und Erwin im Bette, weichgedebnt, 
- In Gedanken noch den Amen böbnt, 
Decſſen fettes Gut und einzig Habe 
hm mm werden jell zur ſüßen Labe. — 


— 


—— 











Daß ein Sterblicher gelüſtet, 







Schlaf verkaufen! 


Doch der Gott des Schlafes iſt entrüſtet, 





und muß den 





EN — SER ; 
HER Fir des Mammens irdiſch Narichen 
— > Himmelsgüter einzutauſchen, 

I Und er läßt im Blumenwagen 

— Zu Erwin's Gemach ſich niedertragen, 


Spricht dann ſtill am Bett der Sünde: 
| „Schwaches Rohr! Dir Rohr von Binjen, 
* In dem Sturm der Leidenſchaften 
Soll der Schlaf nun an Dir haften, 
Wucherſchlaf mit Wucherzinſen! 
Glaubſt Du, Gold, der Vampyrrüſſel, 
bi Könnte als ein Zauberſchlüſſel, 
Weil er öffnet Erdentbüren, 
Auch den Himmelsrath verführen ? 
Gold iſt Blut von Staubatomen, 
: Gold ift Blut vor Erdengnomen, 
EL Gold ift Blut won Erdenlaunen, 
a Gold ift Blut von Erdalraumen, 
Gold, im dunkelm Erdenſchooß geboren, 
Sit der finftern Macht verſchworen! 
Unten tief im Gnomenreiche, 
Wo der Unhold wohnt, Der bfeiche, 
Dr Wo Alraunen tückiſch walteı, 
Wurzelmännchen Sabbath halte, 
Kröte glotzt in Stein gemanert, 
Im Geffüft der Mol ſich Fanert, 
- Wo in aufgeflögten Schichtenbetten 
. Grinſ't das Antlis von Sfeletten, 
8 In Gemiſch von Stein und Knochen, 
Da verſammeln ſich, das Gold zu kochen, 
Alle Säfte, die das Tagslicht fliehen, 
Alle Kräfte, die zum Abgrund ziehen, 
— Alle Zauber, die den Sinn bethören, 
Alle Seifter, Die der Nacht gehören! 


— 


— 




























































- 


Eh Si bet der Sgkhe 


BE Gießen fie die Schmerzenstbräne, 
* Mijſchen d'rein den Schweiß der Armen, 


Ausgepreßt ihm ohn' Erbarmen, 
Tropfen dann vom Witwenblut, 
Abgezapft von Wucherbrut; 
Nägel dann von gier'gen Raben, 
Wundgeſcharrt beim Schatzvergraben; 
Neidhart's Blicke, zum Entſetzen 
Aufgefaßt beim Pfäuderſchätzen; 
Einen Finger, wund geſchunden 
In des Einbruchs finſtern Stunden; 
Wunde Bruſt, zerfleiſcht an Tiſchen, 
Wo Betrüger Karten miſchen; 
Schmeichelgift, Verleumdungsgeifer, 
Großgeſäugt am Habſuchtsgeifer, 
Falſchen Schwur bei faltem Lächeln, 
Nicht bereut im Todesröcheln — 
Alles das bei Schwadenfener 
Dichtgebrannt durch Klau vom Geier; 
Und den Odem von Vampyren, 
Um die Gluth ſtets anzuſchüren! 
Daß es würdig dann beſchloſſen, 
Wird ein Fluch darauf gegoſſen, 
Daß an dieſem Zauberſafte 
Alles Erdenunheil hafte; 
Und das Ganze daunn, wenn kalt, 
Aus den Koboldsaufenthalt, 
Flimmernd aufgetiſcht der Welt: 
So entſtand der Dämon: 
„Und mit diefer gold'nen Hyder,“ 
Sprach der Gott zu Erwin wieder, 
„Weil der dunkle Schacht fie zeigte, 
Weil die Finſterniß fie zeugte, 


Geld!“ — — 












Weil die Finſterniß fie ſäugte, 
Weil fie ftammt von Erden geiftern, 
Kannft Du nur die Erde meiftern, 
Kannſt Du nur durch Geld erringen, — 
Was da klebt an Erdendingen: — 
Erdengüter, Erdenlüſte, x 
Erdenwünſche und Gelüſte, —* 
Erdenglück und Erdenehren, 
Was da kann der Menſch gewähren, — 
Der ja ſelbſt, ein Kind vom Staube, 
Seinem Gelde dient zum Naube! — 
Doch an Gütern aus dem Lichte j 
Wird des Geldes Kraft zunichte! EN. 
Güter, die der Himmel zu vergeben, 
Fördert Geld nicht in das Leben! 
Nicht die Kleinfte aller Himmelsgaben 
Kannſt Du für den Mammon haben: 
Nicht ein Fünkchen Geift dem Dummen, 
Nicht den Ihwächften Ton dem Stummen, E 3 
Nicht den kleinſten Strahl dem Blinden, Er 
Nicht deu dünnſten Faden finden, - — 
Wenn die Denkkraft Dir will ſchwinden! 
Kannft für laut'res Gold in Körben 
Roſiger Dein Blut nicht färben, 
Kannft mit taujend Erdenjchäten B 
Keinen Herzichlag Dir erjegen, 
Kannft für Edelftein’ in Haufen 
Keine Thräne Dir erfaufen! 
Und den Schlaf, den Friedenskönig, 
Dem die Götter untertbänig, 
Diefen Kuß vom Himmelsmunde 
An die Erd’ in Liebesftunde, 
Und den Schlaf, den Fürſt dev Fürften, 
Dem die Blumen Nachts entgegendürften, 





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DERR e; 


PR X — 
— Du Dir gewinnen? — 


Bas Du faufteft, Dich zu laben HR zu leben, 
% Ware Dir gu peinlichen Enti iegei 


Aber weiter haft Du nichts bedungen, 


Und zu marterwoller Strafe 

Sollſt Du in dem jremden Schlafe 
Unter Röcheln, Stöbnen, Shäumen 
- Deine eignen Träume träumen!“ 


Als der Schlaf das Wort geendkt, 


— der Traumgott ukederſendet 


All' die gräßlichen Geſtalten, 

Die in böſen Träumen walten, 

Und das wilde Heer der Larven 
Suſcht bei fahlem Geiſterſchimmer 
Schwirrend, ſurrend durch das Zimmer, 
Und mit kläglichem Gewimmer 
Schlagen Fratzen ihre ſcharfen, 

Spitzen Klauen tiefer immer 


% In die Bruſt vom tiefen Schläger! 


Kobold, Scheufal, Molch und Käfer 
Kriehen wimmelnd auf die Kijien, 
Und mit gift'gen Natterbiffen 
Hadt das wüthende Gewiſſen, 

Hadt und ſägt es ohne Ende, 
An des Träumers Herzenswände ! 


Seines Lebens Sündgeſchichte, 


Als Geſpenſte, als Geſichte, 
Als Gerippe und Skelette 
Nahen dann dem Sterbebette! 


* Alle letzten Thränenreſte, 
Die mit Wucher er erpreßte, 
















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Fallen auf die Angenliden, 

Feuertropfen, glühend nieder! 

Alle Lafter, ihm zu eigen, 

Tanzen grell den wilden Reigen, 

Und er muß von Bette fteigen, 

Muß mit tollen Geifterweiien 

Sih mit ihnen dreben, kreiſen, 

Bis die erſten Morgenftrahlen — 

Enden ſeine Traumesqualen; 

Und erwacht zum Tagesleben, 

Kalte Tropfen auf der Stirne — 

Wüthend hämmern im Gehirne, er 

Siedend Blei in hohlen Augen, 

Wilden Schmerz in Bruft und Flaufeı, 

Und am dürren Herzen faugen 

Büßerqualen, Reu'gedanken. — 
Doch es ſprach der Schlafgott wieder: 

„Willſt den Schlaf Du wieder haben, 

Soll Did Schlummer wieder labeır, N 

Mußt Du vor den Simmel treten, ; 

Mußt Du weinen, mußt Dir beten, 

Mußt Du fnien an Altarsftufen, 































Mußt des Schöpfers Milde rufen! — 
Nicht im einem gold'nen Wagen en: 
Steigt Gebet zu Gott empor, — 

Schlichte Engelflügel tragen J— 


Beterwort zum Himmelsthor, — 
Nicht zu kaufen iſt's für Preiſe, 

Daß der Himmel an uns denket! — 
Das allein beglückt, macht weiſe, — 
Was wir bitten und er ſcheuket!“ 





— 

— 2 Wald — das Frühroth legt die blaſſen 

* Säume 

x * Wie zartes Silber auf der Wipfel grünen Bau, 

F = Zweige ſchütteln ſich vom Schlaf, erzählen ihre 
Träume, 

Die Blättlein nehmen hen ihr Morgenbad im Thau, 

F Die Blüthen baden ſich in Duft, um ſchon bei Zeiten 

Den jungen Tag mit ihren Gloden einzuläuten. 


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Be 
t: 
> 







Die Staude haut Gewürz, die Kräuter Bringen Düfte, 
Mit friſchem Balſam ſalbt ſich jeder Strauch, 
Br So fteigt des Tages Opfer in die Füjte, 
Und bei dem Opfer fingen fromme Sänger aud, 
Denn aus dem Dom der grüuen Waldeszelle 
— Tönt laut heraus des Haines Früheapelle. 








Re Der Chor beginnt, Die leiſen Lüfte zittern, 
Dem frommen Chor lauſcht Alles rings herum, 
Die Sänger ſitzen binter grünen Gittern, 
Der Zephyr ſchlägt Die Notenblätter um, 

E Und wie fie wunderfam jo mufieiven, 
Sebt fich die Lerch’ emper, zu dirigiren. 

& Und aljo fingt die Lerche hoch im Schwung 
Dem jungen Tage ihre Huldigung: 

Sei gegrüßt, dur lieblich lachender Knabe, 
Sei gegrüßt, Du junger Beherricher der Welt; 
 Strablend befränzt, mit bebändertem Stabe, 
in Dur aus Phöbus’ entglommenem Zeit! 






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7 

Blüthenftaub ftrenft Du mit vofigem Finger : 
Don Deines Wagens erglühendem Rad, 2 
Silberbekleidet als ftrablende Jünger 3 
Eilen die Wolfen voraus Deinem Pfad! F 
E 

Goldene Münzen ftreut freudig Die Hore, PR 
Wenn dann zur Krönung Dein Flammenſitz führt, — 
Ob Deinem Haupt glänzt als Krone Aurore, 
Unten als Neihsapfel glühet die Erd'! — 


Dann auch als Mantel, als purpurnen, weichen, 
Den hocherrötheten Scharlach des Meer's, 
Und all' die Berge, die flammenden, gleichen 
Glänzenden Kriegern des jubelnden Heer's! 


Tag! Dir zu huldigen ganz unterthänig, 
Hat mich zum Herold die Schöpfung beſtellt; 
Ruhm denn und Preis Dir, gefetlicher König, 
Tag! Du geborener Herrfcher der Welt!” — 


Die Lerche ſchwieg; c8 Drang ein tiefer Schall 
Her aus verfiedtem, grünem Blätterwall! 


Sit das nicht das holde Lied der Nachtigall? — 
Sa, es ift das Lied der holden Nachtigall! 
Nicht dem Tage fingt die Nachtigall, 
Nicht der Tag ift ihr Gebiet! 
Nur der Nacht fingt fie ihr Feierlied: 


— „Holde Naht! Du Zauberfürſtin, 
Fährſt Daher in dunklem Wagen, 
Angefhirrt mit Shwarzen Roſſen, 

Die hinauf zum Himmel jagen! 
Schwarze Zaub'rin, Deine Seffel 




















Weunun Du dann den Stab, den dunklen, 
Schwingeſt über Süd und Norden, 
Iſt Dein Cabinet vol Wunder 2 
Jedem Aug’ enthüllet worden! 5 - 
Mit dem ſternbeſetzten Gürtel 
Gürteft Du Dir Bruft und Hüfte, 
Und es bauen gold’ne Zeichen, 
Räthſeln gleich, fich in die Lüfte, 
Und ein Heer von gold’nen Sonnen 
Steht um Di mit blanken Schildern! 
Auf dem dunklen Schidjalsvorhang 
* Filammt es auf in Wunderbildern: 
Ber Hier ein Kriegsgott mit dem Helme, 
& - Mit der feuergleichen Lanze; 
— Ihm zur Seite eine Jungfrau 
Mit dem ſüßen Strahlenkranze; 
x Dann ein Löwe, deffen Mähnen 
Wie die Flammen niederwallen, 
Uud ein Schütze, deſſen Picile 
6 Wie die Strahlen erdwärts fallen ; 
0 Eine feier, deren Saiten 
Ye Durch den Aether tönen Teile; 
——— Sieben Schweſtern, die im Lichte 
Tanzen in dem ew'gen Kreiſe, 
Und ein Schwan, der durch die Fluthen 
Schifft mit ſilbernem Gefieder, 
Und zur goldgekrönten Aehre 
Taucht des Mondes Sichel nieder; 
Und aus allen diefen Bildern 
: In der großen Zauberjtube 
- Strömen Hoffnung, Troft und Ahnung 










Sr bie. bunfle — BE 
Und der Menſch, der tagesmatte, 
Und der Menſch, der tagesmüde, — 
+ Schöpft aus diefem Bilverbuhe 
Seelenruh’ und Seelenfriede! . 















Drum, o Naht, Du Zauberfürſtin, 

























En Auf dem dunklen Wolkenthrone — 
——— Reicht die lichtverſengte Erde 
Jeden Abend Dir die Krone!" — 

— 
— — Doch nicht beſiegt ſich noch die Lerche dünkt, 


Sie ſteigt noch höher auf zum Licht, und ſingt 
Ein zweites Loblied, das dem Tag fie bringt: 






















„Sei mir gegrüßt, Du Bater der Kräfte! 
Menjchenernährer und Menjchenverbinder, 
Sänderentdeder und Wundererichaffer, r — J 
Künſteerzeuger und Liedererfinder, — F 
Felſendurchbohrer und Meeredurchſchiffer, N: 


Noch einmal das „Lob der Naht“ mit wunder⸗ 
ſüßem Schal: 


Aderdurhfurdher und Traubenverfüßer, 37.32 
Wiejengrundmaler und Staatenvergolper, k —— 
Strömeverſilb'rer und Quellenverſchließer, — 
Erdenbekleider und Weſenerhalter, —* 
Schätzeentdecker und Schätzebehüter, 
Schönheitsverkünder und Augenlichtträger, — 
Du bleibſt des Erdballs Fürſt und fein Gebieter?““ — 
> Be 
— Alto fang bie Lerche; doch die Nachtigall 050° 
Singt darauf aus ihrem Blätterwall * rs 


0 ,Sei gegrüßt, Du milde Nacht, 23 
—* Wenn Du naheſt leiſe, leiſe — Sg 





De 
oe 



























Bi 

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Und vom Auge nimmſt das Biteria, — 
Das der Tag in feine Wimpern ſetzte; in 
Wenn den Friedensfüriten Schlaf Du ſchichſt, * 


Den Milchbruder des verhängten Todes, 
Da er mach zum Erdgeſchoß des Traums % 
A die dornenvollen Schlummerkifien ; 

Wenn Du, einer guten Mutter gleich, 

Ba: Einhüllſt in die Falten Deines Kleides 

— Jedes weinende Geſicht der Menſchenkinder; 

Br: Wenn Dein weiches Haar Du widelft um die Stirn, 
; —— Die der Tag mit ſeiner Gluth verbrannte; 

Wenn den Saum Du Deines weichen Mantels deckſt 
Auf das Auge, das der Tag durch Qual geröthet; 
Br ee Du mit dem milden Tröftertufß 

Sanjt berührſt ven Mund des Schlummerloien ; | 
Wenn Du Deine lichten Hoffnungsfterne ftidjt - 

er ‚5 Auf das Himmelsbett des Schwererkranften, 
Dann ſei mir gegrüßt mit Deiner Sternenkrone, 
Und Er, der Dich ſandte in des Lebens Zone: 
Gott der Herr auf feinem Gnadenthrone!“ — 


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Und alfo jang die holde Nachtigall Y 
Zum Lob der Nacht mit wunderfüßem Schall! — — 
Die Lerche ſchwieg, Der Chor des Haines ſchwieg, 
Der Wald lag ſtumm, ein leijes Beten ftieg 

Aus jedem Herzen zu dem Simmelsblatt! 

br Der Tag, er ſank bereits, des langen Glänzens satt, 
A Zum Rand des gold'nen Abendhimmels nieder, — 
Und büllet jelbft Die brennend müden Glieder 

F Ein in den Schooß der engelmilden Nacht, 


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£ g = Se. 
Und ſchlummert ein, und als er früh erwacht, —— 
Da weint er ſtill und ſcheidet ſchmerzlich von der 
milden Frau, 
Und feine Thränen fallen leif’ auf Flur und Au’, — 
Die Menfchen jagen dann: „Im dieſer Nadt 
fiel Than!“ 


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Erdenfluch und Himmelsfegen. * 


Der Himmel hört und ſiehet alles auf der Welt, 
Er hört das Haar, wenn es vom greifen Haupte fällt, 
Er hört den Sprung der Roſe, die beengt 

Das grüne Net der Fleinen Knospe Iprengt; 

Er hört des Heinen Weizenhalmes Lied, 

Wenn e8 zum erften Mal’ aus dunkler Erde ficht: 

Er bört der Lilte inniglich Gebet, 

Wenn fie im Frühling um ihr Silberkleidchen fleht; 
Er hört das Fleh'n der falten Wintererd’, 

Wenn fie den Schnee, ihr wollig Kleid, begehrt; 

Er hört die Schwalbe, die den Flügel ſenkt 

Und Regen will, daß fie die Jungen tränft; 

Er hört den Taucher, der auf Meeresgrund 

Shn anruft aus verſchloſſſnem Glodenmund’; 

Er hört das Herz, das leiſſ im Schlummer Eopft, 

Er hört die Thräne, die ftill niedertropft, 
Er hört in tieffter Bruft auch das Gelüft, 
Er hört im Buſen der Begierden Zwift, 
Er hört die Reue, das befennende Gebet, 


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Was ein zerriffines Sein verzagend von fich wehrt, 





Das ferbenb wie ein Hauch vom Munde weht; 
Er hört den Engel, der den Fittig regt, 
Wenn er die Seel’ empor zum Himmel trägt. 


Das Alles hört der Himmel — Ein’s nur hört er nit: 
Was in der Stund’ des Jammers die Verzweiflung jpricht, 
Weß ein gepeinigt Herz im Schmerze fich entleert, 


Was die zerwühlte Bruft verblutend aus fich Ichreit, 

Was die verböhnte Dual dem Schmerz für Worte leibt: — 

Das hört der Himmel nicht, dafür hat er fein Buch, : 3 
Er hört nur auf den Segen, niemals auf den Flud. 


Schickt Unglüdsihmerz ein wildes Wort empor, 
Das ſchreibt er gar nicht auf, dafür hat ev fein Ohr; 
Er nimmt das Wort des Fluchs und hüllt's in Gnade ein 
Und fendet's dann zurück, daß es jol Segen fein! 

Und ſolch ein Beiipiel führet dies Gediht Euch an, 
Wenn Ihr vergönnt, daß ih es Euch erzählen fanır. 


Ein Ritter ſteht, gehülft in blanfen Stahl, 
Auf einem Hügel, ſchaut hinab in's Thal, 
Allwo im Grün ein Heines Kirchlein ftand, 
Zu dem auf Waldeswegen allerhand 
Die Pilger wallen täglich früh und ſpät 
Und Herz und Sinn erheben im Gebet. 
Doch heute ift das Kirchlein gar zu voll, 2 
Weil eine Trauung bier geicheben joll; 
Bon allen Seiten zieht heran 
So Yung als Alt, jo Frau als Manır. 
Mit Blumen reich geihmücdt nabt ſich die Braut, 
Und Freud’ und Jubel wird von allen Seiten laut; 
Die Bruft des Ritters nur ift ſchmerzbedrängt: 
Die Braut, die am Altar den Eh’ring jet empfängt, 
M. G. Saphir's Schriften, XIV. Bo, 6 x 


Sit feine Herzensbraut, fein höchſtes Erdengut, 

Die Holde liebt ihn auch mit aller Herzensgluth, 

Doch Zwang, Gewalt und findlid fromme Pflicht 

Vereinen fi), daß fie das Sawort einem Andern Spricht! 
D’rob füllet Gram und Grimm des Nitters Herz, 

Und wechſelnd zerren wilder Schmerz 

Und heft'ger Groll an feiner wunden Bruft, 

Er ift des klaren Sinn's fi faum bewußt; 

Und jo wie er den Zug, den buntgeihmücten, ſchaut, 

Der zum Altare führt die wunderfüße Braut, 

Und wie er hört das Zeichen, daß im jeß'ger Stund’ 

Das ew'ge Jawort ſpricht ihr holder Mund, 

Da faßt Verzweiflung ihn und Irrſinn's Groff, 

Der bald in böfen Worten aus dem Herzen quo, 

Und er verwünfcht das Thal, den Tag den Drt, 

Wie den Altar, an dem erihollen war das Wort, 

Und ſchickt aus frevlem Mund der Fluh hinab: 


„Berflucht fei von nun an, Du blühendes Thal! 
Dih wärme von nun an fein fonniger Strahl, 
Dir lade von nım an fein Himmel voll Blau, 
Dich letse von nun an fein Regen, fein Thau, 
Dein Grün fei verdorrt, verwelkt jei Dein Laub, 
Dein Teppich verſchmachte in Sand und in Staub! 
Es nifte fein Vogel in Deinem Revier, 

Es riesle fein Quell und fein Büchlein in Dir, 
Berflucht jei der Zephyr, der zu Dir fich veriırt, 
Berflucht fei der Adler, der über Dir jhwirrt, 
Berflucht jei das Echo, das in Dir erwadt, 
Berflucht jei der Stern, der erhellt Deine Nacht! 
Verflucht ſei das Kirchlein, das Pilger Dir bringt, 
Berflucht fei die Glode, Die im ihm erklingt, 
Berflucht fei der Beter, der fromm in ihm fniet, 
Berflucht fer das Wort, das zur Kuppel hinzieht, 





FERIEN TENU RE, DRTDR WANT E 






Ze)” 
Verfſlucht ſei der Beter an dieſem Altar, 
x Daß | jein Gebet nimmer der Himmel gewahr'! 
Es trage fein Engel zu Gott es empor, 

.& öffne Fein Himmel ihm gnädig das Thor; 
5 oe Beten verhalle im endlojen Raum, 
- Die Thräne verfiege am Augenlid’s Saum, 
Der Seußzer des Herzens verjenge den Mund, 
- Die Hand, die fich faltet, verknöch're zur Stund', 
Es ringe nur Fluch fi) der Beterbruft os, 


Und als er erleichtert die brennende Pein, 

Den wüthenden Schmerz in Mark und Gebein, 

Dann flürmt er fort, verläßt fein Nitterichloß, 

Greift zu dem Schwert, zu Lanz’ und Geſchoß, 

Stürzt fih hinein in Schlacht, im Krieg und Kampf, 
Betäubung juchend im Geräuſch und Pulverdampf. — 
F 


{ Allein vergebens jucht Vergejjenheit, wer je geliebt, 
— Wen Liebe je beglüct, wer Liebe je betrübt; 
Wer von der Wunderblume Liebe je ein Blatt 
In's eig'ne Herzblatt eingeichalter hat; 
: Wer je vom Wunderfterne Liebe einen Strahl 
Aus einem andern treuen Gegenhimmel ſtahl; 
Wer je vom Wundermärchen Liebe eine Kund' 

Bekam aus ſüßem Aug' und wundgeküßtem Mund, 
— Und wer, vom Wundertraum der Lieb' in Haft, 
Erfſfuhr, was fie für zaubervolles Leben ſchafft; 
Wer je vom Wunderfrühling Liebe eine Blum' 
Gepflanzt hat in ſein Herz als ewig Blüthenthum; 
= Mer je der Wunderdichtung Liebe hat gelauſcht, 
Wem ihr. verborg’ner Duell im tiefen Herzen vanfcht; 
Wer je die Wunderſchrift der Lich’ gelefen bat, 
Aus füßverfhlung'nen Zügen auf dent Herzensblatt; 
—— 






6* 


Solch' Fluch) jei Dein Erbtheil, fol” Fluch jei Dein Loos!“ 


TA 





84 


Wem Liebe je ihr Wappen — Dichter oder Held — 
Mit Blumenhand geftickt ins off'ne Herzensfeld ! 

Den laßt die Lieb’ nicht los, dem gibt die Lieb’ nicht frei, 
Dem grünt im Herzen tief die Lieb’ ſtets wieder neu, 
Der findet Yicb’ vor fih, wenn er wor Liebe flieht; 

Sn jeder Nachtigall hört er der Liebe Lied, 

In jedem Morgenroth fieht er der Liebe Kleid, 

In jeden Blumenkranz fieht ev der Lieb“ Geſchmeid', 
In jedem Saitenton hört er der Liebe Klag', 

Aus jedem Wicderhall tönt ihm der Liebe Frag), 

Am Krieg und Kampf, wenn Schwerterflang erklingt, 
Die Liebe auch durch Schlachtendonner dringt; 

Denn Lieb’ iſt von uns ſelbſt ein unzertrennlich Theil, 
Sie löſ't von ums nicht ab nicht Säbel und nicht Beil. 
Ob Schwerter uns bedroh'n, ob Donner um uns Fracht, 
Kanonenfugeln ſchwirren, blitend in der Nacht, 
Ob blutiges Gemegel aud) fi) rings hat angefacht: 
Die Liebe weichet nicht, die Lieb’ hält bei ung Wadıt, 
Und ewig bleibet Lieb’ die höchſte Herzensmacht! — 

Der Nitter alfo auch tragt in der Bruft den Pfeil, 
Ob Schlacht und Kampf er ſich gewählt hat auch zu Theil, 
Und wenig Sabre d'rauf führt ihn des Krieges Well, 
Die wildbewegt ſich wälzet fort von Stel!’ zu Stel, 
Mit feiner Waffenſchaar im jenes ftille Thal, 

Verfolgt vom Türkenfeind' mit mordgefhliffnem Stabl; 
Er kämpft mit Heldenfraft, ev Fampft mit Heldengluth, 
Doc gegen Uebermacht hilft hier nicht Löwenmuth! 

Er wird zurüdgedrängt, erichlagen feine Schaar, 

Bon wilder Hand gepackt, der Waffen aller bar, 

Und, endlich übermannt, Schleppt ihn die rohe Brut 

Fu eines Kirchleins Naum, entmenſcht in ihrer Wuth, 
Sie ftoßen ihn hinein, verrammeln drauf die Thür: 
„Seßt, tapf'rer Ehriftenheld, jetst helfe Dir, 

Air zünden num das Haus von allen Seiten aı, 





Jetzt rufe Deinen Gott, ruf' Deinen Schöpfer an! 
Vielleicht kühlt er die Gluth, die Dich alsbald verzehrt, 


Führt Dich durch alle Flammenlohen unverſehrt! — 

Stürz' nieder auf die Knie', ſchon ſchlägt die Flamm' heraus!“ 
So höhnt dies rohe Volk und lacht und ziehet fort; 

Schon kuiſtert's im Gebälk, ſchon ziſchen hier und dort 

Die rothen Feuerzungen um das Gotteshaus; 

Den Ritter faßt mit Macht des Feuertodes Graus! 


Er rüttelt an der Thür, fie ſpottet ſeiner Kraft, 





Die Fenfter find zu hoch, fein Ausgang feiner Haft, 
Da wendet er zur Gott das leiderfüllte Herz, 

Am Altar niet er bin und blicket himmelwärts, 
Und zum Gebete faltet fromm er ſeine Hand — 


Da faßt's ihm plöglich am, ihm ſchwindet der Verſtand! 


„Das ift das Kirchlein ja, das ich varflucht im Grimm, 
Daß nie in ihm erhöret jei des Beters Stimm’, \ 
Daß niemals ein Gebet, von hier geſchickt empor, 

Se Eingang finde in des Himmels off'nes Ohr! 

Berflucht hab’ ich die Stell’, das Haus und den Altar; 

Der Fluch fällt nun auf mich, er faßt mich felbft beim Haar. 
Schon zeigt die Flamme mir den gierig vothen Zahn, 

Die wilden Schlangen nah'n, es ift um mid) gethan!“ 

Und in der Angft des Leib's und in der Angſt der Seel’ 
Ningt er die Händ’, weiß nicht, was er jetzund erwähl'; 
Schon dringt der Rauch herein, das Fenfterglas zeripringt, 
Es engt den Odem ibm, und halb verzweifelnd finkt 
Am Fuß des Kreuzes er, das auf dem Altar fteht, 

An dem des Heilands Bild zur Andacht ijt erböbt, 

Und klammert fih daran, als er den Tod jchon fühlt, 

Die Bruft von Reu' und Dual, von Angſt und Pein zer- 
wiblt, 


— Und rüttelt an dem Kreuz und rufet laut empor: 


„Erlbſer, Du am Kreuz, gedenf des Fluches nicht, 
In diejer harten Stunde halt! nicht mit mir Gericht! 





Laß Zeit zur Sühne mir, zeig’ mir den Nettungepfad, 
Denn Du bift groß an Macht, doch größer noh an Gnad'!“ 
Spricht's, und wie er fih Hammert an des Kreuzes Schaft, 
Und rüttelt mit Berzweiflung und mit Riefenkraft, 
Da ftirzt das Krenz, und feines Bildes Schwere Laft 
Schlägt durch, den Teppich, der den Boden rings umfaßt, 
In eine Fallthür, Die, von grünem Tuch bededt, 
Zu einem Ausgang führt, im Walde tief werftedt. 
Der Ritter folgt dem Wunder-Rettungsgang, 
Den ihm der Himmel zeigt; ein leifer Engeljang 
Ertönt ihm nach, e8 war ein heiliger Accord, 

Und aus dem Sang vernimmt ev nur ein flüfternd Wort: 
„Wohl Alles hört der Himmel, Eins nur hört er nicht: 
Was in der Stund’ des Jammers die Verzweiflung Spricht, 

Weß ein gepeinigt Herz im Schmerze fich entleert, 

Was ein zerriffines Sein verzagend von fi) wehrt, 

Was die zerwühlte Bruft verblutend aus fich fchreit, 

Was die verhöhnte Qual dem Schmerz für Worte Teiht: 

Das hört der Himmel nicht, dafür hat er fein Bud), 

Er hört nur auf den Segen, niemals auf den Fluch! 
Schickt Unglüdsfhmerz ein wildes Wort empor, 

Das Ichreibt er gar nicht auf, dafiir hat er fein Ohr; 

Er nimmt das Wort des Fluchs und hüllts in Gnade ein, 

Und jendet’s dann zurüd, Daß es fol Segen fein!“ 





Der alte Jüngling. 


Ballade. 


— Seht ihr dort in Schwedens umnebelter Ferne 















Den Schnee auf der Eiskoppe ruhn? 2 

"a Dort lehnt fih an Berge, begrüßend die Sterne, — 
Das fleißige Städtchen Fallun. 
74 Dort fteiget der Knapp' i 

Be .% In's Bergwerk hinab, Be; 

Nicht jchenend erftidende Schwaden, 5 ? 

* Das Kupfer an's Tag'slicht zu laden. | 


Nicht ſchrecket den Kappen die ſauere Müh', 
Die ſüßen Gewinn ihm verkündet, 
Nicht ſchreckt ihn des Felſengangs ſchroffeſtes Knie, 
Das ſpitz um die Ed’ ſich bier windet, 

Es lohnt ja den Fleiß 

Ein goldener Preis; 
D’rum arbeitet mutbig fich Jeder ö 
Hinein in des Taubſteins Geäder, 


Und wie fie jo graben im wächtlichen Neich, 

Bom Lichte der Fadeln beratben, Pr 

Wird lod'rer die Erde, der Boden wird weich, 

Biel leichter geht Hade und Spaten, 
Und Meifter, Gefell, . 
Die fördern fich ſchnell, 

Da fteigt eine Hand aus dem Boden, 

Und Jedem erftarret dev Odem. 





83 


Und Alle entjetset, ſteh'n bebend und blaß, 
Gemeiftert vom erften Erſchrecken, 
Ermannend fragt Jeder fih bald: Mas ift das? 
Welch' Wunder muß unten bier ſtecken? 

Und männiglid ſpricht: 

„Wir laſſen Dich nicht, 
Geheimniß, tief unten vergraben, 
Mußt raus, wir müflen Di haben!“ 


Ereifert fie graben im Fiefigen Schooß 
Und fiehe, der finfteren Tiefe, 
Der windet ein blühender Süngling fid) los, 
Süß lächelnd, als oo er nur ſchliefe! 
Und ſtille und Teil’ 
Wird’ s plößlid im Kreis, 
Als jollte, den Schlaf zu, werjagen, 
Kein Lispeln die Luft zu ihm tragen. 


Doch lange nicht Dauert die trügliche Luft, 
Man wagt e8, den Leib zu berühren, 
Da flopft nicht das Herz und nicht hebt ſich die Bruft, 
Nicht Athen war mehr zu verſpüren, 
Und fteinfsft und hart 
Der Jüngling fo zart, 
Als hätte dies täuſchende Leben 
Ein Künftler dem Steine gegeben. 


Doch diefes Gebild' hat nicht menſchliche Macht, 
Kein Künftler zufammıengefittet, 
Ein Knappe war’s, der in dem tiefeften Schacht 
Hier einftens vom Felsgang vwerichüttet! 

Die junge Geftalt 

Iſt Siebzig Schon alt, 














2 Bir ber ee erhalten. 
5 Sie tragen die rührende J,ůnglingegeſtalt 
Sinauf in das ſonnige Leben, 
Biel Männer und Frauen umringen ſie bald, 
Durchdrungen von Schauererbeben. 
-  Ergriffen tief find 
So Greije, als Kind, 
Und weilen mit wonnigem Grauen, 
Noch länger das Wehbild zu jchauen. 





Da klimmet ein Weib auch auf Krücken empor, 
: Das Alter erichwert ihr die Schritte, 
* Sie drängt ſich ſchwer hin durch den wallenden Chor 
m“ Und theilet die gaffende Mitte; 
Und wie fie e8 ſchaut, 
£ Auf fchreiet fie laut, 
Und ftürgt, ver Empfindungen Beute, 
Dem lebloſen Bild hin zur Seite! 





* Umſchlingt es laut weinend, umſchlinget es ſtark 
Mit jugendlich hiebenden Kräften, 

Als woll't fie verjünget, mit feurigem Mark, 
ae Auf ewig an's Liebfte ſich beiten; 
Als ob nun ihr Kuß 

= * Ihn reißen auch muß 

— Aus Todes feſthaltenden Armen, 

Als mühe er zum Leben erwarmen. 






„Geliebteſter!“ ruft fie, „erlennſt Du die Braut, 
Die alte im eisgrauen Haare? 
Die treu Div geblieben, als wär’ fie getraut 
Dem lebenden Mann’ am Altare? 


Ze — ni 1 Ba a ei — a 


9) 


Erfennft Du das Thal, 

Mein trauter Gemal? 
Fallun, das ein halbes Jahrhundert 
Die ledige Gattin bewundert? 


Erwache, Geliebter, Shen bringt man den Kranz 
Der goldenen Hochzeit zum Feſte, 
Erwache, Geliebter, erwache zum Tanz, 
Schon nah'n die geladenen Gäſte! 
Doch, Bräutigam kalt, 
Iſt Braut Dir zu alt? 
So ſchreckt Dich, Geliebter, die Bahre, 
Die meiner ſchon harrt am Altare?“ 


D'rauf drückt ſie ihn feſt an die klopfende Bruſt 
Und netzt ihm das Antlitz mit Zähren, 
Und Alle, die 's ſehen mit Wehmuth und Luft, 
Der Thränen fih nimmer erwehren; 

Erfüllet mit Schmerz 

Iſt jegliches Herz, 
Und fühlet mit heiligem Schauer 
Des Augenblids Wonne und Trauer! 


Und wie fie ihn drüdt an den Bufen fo heiß, 
Da fühlt fie den Jüngling erweichen, 
Ein Schauer ergreifet den bebenden Kreis, 
Man fiehet die Menge erbleichen. 

Und Alles, erftarıt, 

Des Ausganges barrt, 
Durchriefelt won eifigem Bangen 
Gefrieret Die Thrän’ auf den Wangen. 


Und immer mehr jehmieget am weichenden Stein 
Sie fefter die liebenden Arme, 


BE 





























und rufet im bitterſten Schmerz: „Du biſt mein, 
Geliebter, erwarme, erwarme!“ 
Und wie fie ihm preßt 

er Arme foieh, 

0 Berfällt er zur Ach’ ihr am Herzen, — 
- Da finkt fie entjeelt hin wor Schmerzen! 


Die Sage vom Helenenthale. 





Sch Ihr dort die altersgrauen 
et Schlöſſer Euch entgegenſchauen, 
Be; Leuchtend in der Sonne Gold? 

Wo in wild zerfallinen Trümmern, 

Bei des Abendrotbes Glimmern 
Durch's Geklüft der Uhu grollt? 
Wo in off'nen Mauerritzen 
Bleiche Nachtgedanken ſitzen, 

Wo in dunkeln Tannenkronen 
Märchenhafte Stimmen wohnen? — 





Seht Ihr dort die Ueberreſte 
i ZJener hoben Wollen: Befte, 

Wo am Fuß des Berges Blüthen zittern, 
= - Blumen glüben hinter gold'nen Gittern? 
at" Scht Ihr an des Waldes Saume, 
a Wie aus einem Morgentraume 
; Sich die Burg erhebt des ſiegesmüden 
Nuhmgekrönten Neftoriden, 
Und des Ruhmes Olanzgeftalten 
Wandelu in des Waldes Falten ? 





92 


Dorten, hoch auf Felfenklippe, 
Nagt annoch das Burggerippe 
Aus der Tannen Schwarzer Nacht; 
Dort auf hohen Felſenſpitzen 
Sab man auch das Leben bliken, 
Sah man auch des Dafeins Pracht 
Sah man Niefenritter ringen 
Sah man Schwere Speere ſchwingen; 
Durch den Schall von ihren Lanzen 
Drang der Ton einft von Nomanzen 
Durh das Rauſchen dunkler Nüftern 
Zog der Liebe ſüßes Flüſtern! 


Helena, des Schloſſes Perle, 
Wandert unterm Dach der Erle 
In des Abends Dämmerſchein; 
Denn ein Zeichen weht herüber 
Von der Veſte gegenüber, 

Von der Veſte Rauenſtein, 

Ja, die Nacht, ſie iſt verſchwiegen, 
Ihren leiſen Athemzügen 

Mag ſich Liebe anvertrauen. — 

Doch durch ihren Schleier ſchauen 
Mond und Sterne aus dem Aether, — 
Mond und Sterne, die Verräther. 


Dunkle Naht! Du mohrengleiches, 
Lendenbraunes, lockenweiches, 
Tiefverhülltes Zauberweib! 

Schnürſt in Dämm'rung die Sandale, 
Finſterniß zum weichen Shwale 

Schlägſt Du um den ſchwarzen Leib! 
Doch das Haupt ſchmückſt Du Dir gerne 
Mit Juwelen Lichter Sterne, 





\ 





Und als Kron' im Haar, dem nächt'gen, 

Trägft Dir hoch den Mond, den prächt'gen, 
Und wie Perlen in dem Haar des Mohren 
Trägſt Du Stern’ um Haupt und Ohren” 


Dod der Mond, der bleiche Pilger, 
Dieſer Finfternißvertilger, 
Zeigt dem Späher lichte Bahır, 
Wenn er durch die blauen Wellen 
Schifft mit feinem geifterhellen, 


Lichtbeflaggten Silberfabn. 


Bei der gold’nen Sichel Schimmer 
Sal) der Bater aus dem Zimmer, 

Daß die Tochter gibt ein Zeichen, 

Und er naht mit leiſem Schleichen, 
Daß fein Blättlein möge rauſchen, 

Sie im Stillen zu belaufchen. 


Bei des Gartens Endgeländern 
An des Feljens Ichroffen Rändern, 
Hoch binab ins tiefe Thal, 

Steht Helene, horcht den Lauten, 
Die vom Mund des Herzvertrauten 


Halb der loſe Zephyr ftahl. 


Unten fteht ex kecken Mutbes, 
Liebeglübend, heizen Blutes ! 
Unterm Schild der grünen Neifer 
Klimmt er aufwärts, immer leifer, 
An den fteilen Felſenwänden 
Liebeswort emporzufenden: 


„Bit Du e8, Geliebte, und barreft Du mein 
Schon jchlafen die Bäume und wiegen ſich ein, 
Schon jchliegen die Blumen die Aeuglein zu, 


94 





Schon ſuchet die Grille die nächtfihe Ruh', 

Schon löſchet der Glühwurm fein Fadelden aus, 
Schon ziehen die Sternlein zur Heerſchau heran, 
Schon murmelt die Welle, als ſpräch' fie im Traum, 
Schon zittern die Blätter am athmenden Baum; 
Die Liebe allein, ad, die Liebe jchläft nicht, 

Sie traumet im Wachen und fieht ohne Licht, 

Und ſchweiget erft Alles, dann jpricht fie allein ; 
Bift Dur es, Gelichte, und harreft Du mein“ 


„Sch bin es, Geliebter, ih harre ſchon Dein, 
Laß Schlafen die Bäume, die Lieb’ ſchläft nicht-ein! 
Laß Schließen die Blümlein ihr Aeugelein zu, 
Mein Aug’, meine Blume, bift einzig nur Du! 
Laß juchen die Grille die Ruhe der Nacht, 
Die Grillen der Liebe find ewig zur Wacht! 
Laß löihen den Glühwurm fein Sadelchen aus, 
Die Fadel der Liebe löſcht Nachtthan nicht aus! 
Laß ziehen die Sterne hinab und herauf, 
Der Sehnſucht geh'n Sterne der Liebe nur auf! 
Laß murmeln die Welle, als ſpräch' fie im Traum, 
Für Schäume und Traume bat Liebe ſtets Raum! 
Laß zittern die Blätter, vom Schlummer jo jehwer, 
Es zittert mein Herzblatt in Sehnſucht noch mehr! 
So komm' denn, Geliebter, die Lieb’ ſchläft nicht ein, 
Es wacht die Geliebte und harret ſchon Dein!“ — — 


Da plößlih aus der Baume Mitten 
Tritt mit ſchnellen Tigerichritten 
Jetzt der Vater wild heran; 
Seine hohlen Wangen glüben, 
Aus den Flammenaugen ſprühen 
Haß und Wuth und Rachewahn; 








er Grüßliche Geranten brütend, 
Faſſet er die Tochter wüthend, 

Schleppt fie näher au's Geländer, 
An des Felſens fteile Ränder. — 






30c0h bin es, Geliebte, und harre ſchon Dein, 
Laß ſchlafen Die Bäume, Doch ich ſchlaf' nicht ein! 
Er Laß ſchließen die Blumen ihr’ Aeugelein zu, 

0 Ein wäterlih Auge hat ewig nicht Ruh’! 
Rah Suchen die Grille die Ruhe der Nacht, 

— Die Rache im Buſen hat Nächte durchwacht! 

E + Laß löſchen den Glühwurm fein Fackelchen aus, 

* Ich löſche im Blute die Schande heraus! 
Laß murmeln die Welle, als ſpräch' fie im Traum: 
cch träumte, fie machte im Grunde Dir Raum! 


aß ſchweigen das Weltall, laß jhlummern das Blatt, 


Es jchreitet Die Rad’ im der Bruſt ſich nicht fatt! 
» Biſt unten, Geliebter, und barreft Du ihr? 
79, fteig’ nit herauf, ih jende fie Dir! 
— Sitreck' aus nur die Arme, ftred’ aus fie mit Luſt, 
8 Teg’ Dir die Liebſte ja ſelbſt an die Bruſt!“ — 


Und mit Lachen und mit Höhnen, 
Daß die Felſen rings erdröhnen, 
Schleppt er mit gewalt'ger Sand 
Und mit Flüchen, die zu bören, 
j Herz und Ohr zugleich empören, 
- Sie hinauf zur Felſenwand, 
Wo dann ſenkrecht Felienklippen 
Senlen ihre nackten Rippen, 
Strecken ihre Zackenglieder 
Im das jühe Thal hernieder, 











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Daß Entſetzen faljt und Grauen 
Alle, die hinunterſchauen! 


Und er jchleift am jeid’nen Haare, 
Hinter fih zur Feljenbahre 
Helena dann mit fi) fort! 
Ungerührt von ihrem Sammer, 
Fühlt er nicht fein Knie umklammern, 
Hört er nicht fein flehend Wort! 


„Konnteft meinen Feind erwählen? 
Will Dich jelbft mit ihm wermählen, 
Wil ins Brautbett jelbft Dich bringen! 
Hochzeit gibt's! Da muß man fpringen! 
Bräutchen, Spring binab jegt munter!" — 
Spricht's — und ftürzt fie jäh hinunter. 


Und im Sturze fie den Mund noch regt, 
Zu der Heiligen, von der fie ihren Namen trägt: 
„Dir befehl’ ich meine Seele! 
Sie ift rein von Schuld und Fehle, 
Lieb’ war meine Schuld allein, 
Liebe kann nit Sünde fein!“ — 


Plötzlich fühlet fie den Sturz fi) hemmen; — 
Wo zwei Fellen fih zuſammen klemmen, 
Naget eine Eiche, fteinentiproffen, 

Aus Geklüft emporgeſchoſſen, 

Streckt ſie ihre Zweige, voller Blätter, 

In die Lüfte, wie ein Retter, 

Fängt ſie auf! — Die Zweige knicken, 
Doch die ſtarken grünen Aeſte ſtricken 

Sich zum Netz um ihre Glieder, 

Und entwurzelt ſenkt der Baum ſich nieder, 
Langſam rollend durch's Geklüfte! 


—— 





— 
rg 














Ihm geſellen ſich die Lüfte, 
Dienſibar blähend ſich die Gewänder, 

Und des Schleiers Saum und Ränder; 

* Leiſer Lüfte leiſer Oden — 
Trägt die Stürzende zu Boden, 

Legt die unverſehrten Glieder 

Sanft vor dem Geliebten nieder! — 




















* Solches Liebeswunder feiert 
——— Jetzt das Thal rings, nachtumſchleiert; 
F —Denn durch alle Felſenritzen 

Zuckt's von wunderbaren Blitzen; 

Waſſerlilien ſprießen belle 

Aus des Baches klarer Welle; 

Zweige, die von Blüthen glänzen, 

Flechten ſich zu Liebeskränzen; 
In der Bäume grünen Hallen 

Wachen auf die Nachtigallen, 2 

Wohllaut tönt durch alle Lifte, y 
J Und im Thal, dem heimlich ſchmalen, 
Dampfen wie aus Opferſchalen 


—* Ambra rings und Myrrhendüfte! 
* Und ſeit jener Wunderſtunde 


Erbte ſichs von Mund zu Munde, 
Jenes Thal, das All' wir kennen, 
Das Helenenthal zu nennen. 





98 Bes 


Die Mitleidsfterne. 


(Ein Prolog.) 


Gott ſprach: „Es werde Licht!“ und ausgegoffen 
Durch alle Räume ward das emw’ge Licht, 
Die junge Erde lag, von Glanz umflofien, 
Hochglühend wie ein Mädchenangeſicht; 
Es ſchwollen Bäume, Blätter, Blüthen, Sproffen 
Dem Strahl entgegen, der vom Himmel bricht, 
Das Weltmeer eilt’, mit feinen Silberfpangen 
Die Erdenbraut erröthend zu umfangenn. 


In Tüften hängt, gar wunderſam getriebe, 
Ein Gnadenbrief, auf blauem Pergament, 
Mit Sternenfhrift von Gottes Hand geihrieben 
Und ausgejpannt am ganzen Firmament, 
Die Hand jedoch, die unfichtbar geblieben, 
Man an der heil'gen Schrift jogleich erkennt, 
Und an dem Brief, als eigenhändig Siegel, 
Erglänzen Sonn’ und Mond, die Almachtsjpiegel! 


Und als die Schöpfung in der ſchönſten Schöne 
Bollendet jo dem Chaos ſich entrang, 
Der Engel Chor und ihre Subeltöne 
Anbetend durch den Kreis der Sphären Hang, 
Und um den erften aller Erdenſöhne 
Die laute Welt ihr Halleluja jang, 
War blind fein Aug’, er konnt in Flur und Auen 
Das Werf des Herrn und feine Pracht nicht Schauen. 



















IR; Don | jeinent fternbejäten Gnadenzelt, 

Ari Auf daß e8 finfe in die Augenlider 

Des Menſchen in der dunklen Erdenwelt, 
Daß es nicht kehre in den Himmel wieder, 


a fie Gott 2 reinftes Sternlein nieder 


Bis einjt im Tod des Auges Vorbang fällt, 
Daß es dem Aug’ als Sonne jei zu eigen, 
Sih Tag und Nacht vom felber zu erzeugen. 


Und diejer Stern, den leicht die Hand, die hohle, 
Bevedt in jeinem Heinen Zauberjehrein, 

Umfaßt die Welt vom Pole bis zum Pole, 

Schließt märdenbaft jo Erd’ als Himmel ein, 

Das Licht der taufend Sonnengirandole, 

Es ſtrahlt zurüd aus jeinem Wunderichein ; 

Doch jhöner als das Licht, das er empfangen 
Erblüht das Licht, das von ihm ausgegangen ! 


Und glüdlich ift der Kreis der Millionen, 
Dem dieſer Augenftern beichieden war, 
Bol Bilder ſchwimmt die Welt, im der fie wohnen, 
Ihr Pfad ift hell, ihr Horizont ift Har, 
Geftidt mit Licht find ihre Lebenszonen, 
Geſtickt mit Licht der Blumen bunte Schaar, 
Und um fie, auf der Lüfte blauen Wogen, 


Baut reizend fih der bunte Farbenbogen! 


Dem Schenden allein gehört das Leben, 
Das Sehen gibt allein ſchon den Beſitz, 
‚Dem Blide ift die Schöpfung preisgegeben : 
Der Blume Licht, des Edelfteines Blitz, 

Der Eeder Bau, der Säule Aufwärtsitreben, 


R Des Nordlihts Spiel, der Farben ſtummer Wig, 


7* 


ED Eh) Tr ee u 5 a a u 





100 


Die Schönheit und der Anmuth ſüße Blume, 
Das Aug’ macht fie zu unferm Eigenthume. 


Ein feiner Kreis nur ftebt am Lichtesbronnen, 
Dem aud der Heinfte Tropfen ift verjagt, 
Kein Stern im Aug’, im Himmel feine Sonnen, 
Kein Morgen, der ihm dämmerfreundlich tagt, 
Kein Funfen, der dem Stein wird abgenonmen, 
Kein Lichtftreif, dev im Blitze niederjagt, 
Kein Sternenichein und feiner Dimm’rung Funken 
Erhellt die Nacht, in die er ift verſunken! 


Dem Blinden ift der Faden abgerifien, 
Der um Geſchöpf und Schöpfung feft fih wand, 
Er tappt von Finfterniß zu Finfternifjen, 
Die Augen tragend in der hohlen Hand; 
Geftalt und Form der Dinge muß er miffen, 
Und Menfhenbild wird nie von ihm erfannt, 
Er weil; e8 nicht, wie Lieb’ und Mitleidswalter 
Im Menſchenantlitz himmliſch fich geftalten. 


Doch auch für diefen Kreis der ewig Blinden 
Blüh’n eig’ne Sterne auf in ihrer Nacht: 
Die Mitleidsfterne, die zum Kranz fid) winden, 
Zum Kranze, den die Gottheit angeladht; 
Sm Himmel edler Bruft find fie zu finden, 
Die Sterne, von der Menſchheit angefacht, ⸗ 
Und wie von Sternen kömmt das Licht der Gnade, 
Erhellet göttlich ſie der Blinden Pfade. 





So mögt im milden Licht ihr jetzt empfangen, 
Was Euch der Mitleidsfranz der Menjchheit beut! 
Wir bieten ſchüchtern es, doch ohne Bangen, 

Weil es dem heil'gen Unglück iſt geweiht; 


2334 





‚vr. ar je 








* 


ENTE 





wicht — noch Beiſall wollen wir erlangen, 
Wo ſich das Herz am Zwecke blos erfreut; 
Nur Eurer Großmuth Haben wir gehuldigt, 
Jedoch das „Wie?“ wird durch's „Wozu?“ entſchuldigt. 


Der Tod des jungen Uapoleon. 


(Herzogs von Reichſtadt. 1332.) 


Da fiegt der Sohn des Mannes, 
Genannt Napoleon, 

Des beften Cäſars Enkel, 
Des größten Cäſars Sohn. 


Um jeine Wiege ſtanden 
Biel Könige gereiht, 

Ein großer Kaiſer d’runter, 
Su einem granen Kleid. 


Der ſpricht zum erjtenmale 
Das fühe Wort: „mein Kind!“ 
Dom Aug’, das nie geweinet, 
Die erſte Thräne rinnt. 


Er grüßt den Neugebor'nen 
Mit einem Thränenjtront, 

Und weiht mit einem Kuſſe 
Zum König ihn von Non. 


Und ruft die Sonn’ zum Zeugen 
Bon ihrem Himmelsfit, ; 

Die Sonne von Marengo, 

Die Sonn’ von Aufterlig. 





102 


Diefelbe Sonne wandelt 
Noch heute auf und ab, 

Jedoch wohin fie Ichreitet, 
Sie findet nur ein Grab! 


Sie fieht auf jener Hälfte 
Das Grab von Helena, 
Sie fieht auf diefer Hälfte 
Das Grab zu Auftria! 


Da liegt die zarte Blüthe, 
Dem edlen Stamm entrafft, 
Berwelfet und verblichen 
Sn Süßer Jugendſchaft. 


Sr lächelt im Bericheiden, 
Er lächelt fanft und mild, 
Weil er, ſchon halb verfläret, 
Gewahrt des Vaters Bild! 


Das neiget fid) hernieder 

Zur frühen Morgenftund’, 
Und nimmt im Baterkuffe 

Die Seel vom Kindesmund. 


Da herrſcht im Katierhaufe 
Zu Wien ein großer Schmerz, 
Und Franz, der Gute, weinet, 
Und weh thut ihm fein Herz. 


Da raufcht der deutiche Adler 
Und fenft das Zweigeſicht, 

Weil jenes Haus der Aare 
Nun ganz zuſammenbricht! 





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403 


Des Hanfes letzte Stunde. 


Im Garten zu Schönbronnen 
Da liegt der König von Rom, 
Sieht nicht das Licht der Sonnen, 
Sieht nicht den Himmelsdom. 


Am fernen Inſelſtrande 
Da liegt Napoleon, 

Liegt da zu Englands Schande, 
Liegt da zu Englands Hohn. 


Im Garten zu Schönbronnen 
Da liegt der König von Nom, 
Sein Blut ift ihm geronnen, 
Es ftodt fein Lebensſtrom. 


F Am fernen Inſelſtrande 
Da liegt Napoleon, 

Liegt nicht in ſeinem Lande, 
Liegt nicht bei ſeinem Sohn. 


Liegt nicht bei ſeinen Kriegern, 

Bei den Marſchällen nicht, 
DR Liegt nicht bei jeinen Siegern, 

Liegt in Europa nicht. — 
£ Liegt hart und tief gebettet 
Im fernen Meereskreis, 

* Am Felſen angekettet, 
Er g Ein todter Prometheus. 
F Wo Baum und Blatt und Reiſer 
Verſengt vom Sonnenftrahl, 
ir Da liegt der große Kaiſer, 
Der Heine Korporal! 


An feinem Grabe fehlen 

Cypreſſ' und Blumenftab, 
—— Am Tage Allerſeelen 
Bi Beſucht fein Menic fein Grab. 





104 


So liegt er lange Jahre 

In öder Einfamfeit, Pr 
Da klopft es an die Bahre 

Um mitternächt'ge Zeit. 


— Es klopft und rufet Teile: 
„Mach' auf, du todter Held! 

Es fümmt, nad) langer Reife, 
Ein Gaft aus jener Welt.” — 


— Es klopft zum zweiteırmale: 
„Mach', großer Kaiſer! auf, 

Es kommt vom Erdenthale 
Ein Bote Dir herauf.“ 


— Es klopft zum drittenmale: 
„Mach', Vater, auf, geſchwind, 
Es kömmt, im Geifterftrahle, 
Zu Dir Dein einzig Kind!“ — 


Da weichen Erd' und Steine, 
Es thut ſich auf der Sarg, 
Der lange die Gebeine 
Des größten Helden barg. 


Da ſtreckt des Kaiſers Leiche 
Die Knochenarme aus, 

Und zieht das Kind, das bleiche, 
Hinab in's Breterhaus. 


Und ziehet es hernieder: 
„So ſeh' ich, theu'rer Sohn, 
Seh' ich Dich endlich wieder, 
Mein Kind Napoleon!“ 


Und rücket an die Seite, 
Und rücket an die Wand: 
„Mein Kind, das iſt die Breite 
Bon meinem ganzen Land!“ 









#5 L 


Da ſchlingen die Gerippe — 


105 


Die Knochen ineinand, 
Und liegen Lipp' an Lippe, 
Und liegen Hand in Hand. 


Und zu derielben Stunde 
Schließt aud) das Grab ih ſchon, 
Das war die legte Stunde 
Bom Haus Napoleon! — 


Wilde Herzblätter. E 
1 


Quellen murmeln, Flüße ſchwatzen, 
Bäche plaudern, Ströme rauſchen; 
Doch Gedanken ſind nicht d'rinnen, 
Wenn wir ihren Tönen lauſchen. 


Wellen kommen, Wellen gehen, 
Eine haſcht ſich mit der andern; 
Doch der Strom nur kann beſtehen, 
Und die Wellen müſſen wandern. 


Nur das Meer iſt ſinnig, ſchweigſam, 
Ruhend in Gedankenſtille, 
Wie die reuevollen Blätter 
Aus dem Buche der Sybille. 


Wenn an feiner Denkerſtirne 
Sich die vollen Adern ſchwellten, 
Rangen fid) ans feinem Buſen ö 
Niefige Gedanfenwelten! 





106 


Wenn e8 dann ſein Zürnen, Grollen 
Hören läßt im Sturmesworte, 
Trägt uns feiner Wogen Predigt 
Hoch empor zur Himmelspforte! 
2) 


Eine Welle jpringt an's Ufer, 
Wirft die Mufchel an das Land, 
Springt zurüd dann in die Wogen, 
Laßt die Muſchel an dem Strand. 


Und die Muſchel weint im Stillen, 
Schlürft die Thräne, die fie weint, 
Und zur hellen, ſchönen Perle 
Wird die Thräne da verfteint! 


Und es kömmt ein ſchmuckes Mägdlein, 
Schlägt die Mufchel auseinand”, 
Schmückt ſich mit der hellen Thräne, 
Die als Perle fie hier fand. 


Sp auch mit dem Lied des Sängers 
Schmücket luftig fid das Land, 
Mit dev Thräne, die das Liedchen 
Aus dem tiefften Weh ſich wand. 


Niemand denkt, daß Leid und Wehmuth 
Hier zum Liede fich gepaart 
Und daß dieſe Liedesperle 
Aus der Bruft geriſſen ward! 


3. 


Wenn ein Herz in einem andern 
Seine Heimat hat erforen, 









Gleich als wär es da erſchaffen, 
Gleich als wär es da geboren; 


- Gleich als wär es da gewelen, 
Seit es fühlen kann und denfen, 
Daß ſich feine Wurzeln alle 
Nur in dieſes Herz verſenken; 


Und das Herz muß dann urplötzlich 
Dieſes Heimatherz verlaſſen: 
Iſt's das bitt're, bitt're Heimweh, 
Das ihn tödtlich wird umfaſſen; 


Iſt's ein Heimweh nach dem Herzen 
Und ein Sehnen und ein Bangen, 
Nach den Höhen, nach den Tiefen 
Dieſes Herzens zu gelangen! 


Dieſes Herzens Heimaiſprache, 
Dieſes Herzens Heimatſterne 
Tönen, leuchten um uns ewig 
In der heimatloſen Ferne! 


Wenn dies Herz nun iſt gebrochen, 
Eh' die Heimat es erworben, 
Wißt, daß es am ſchwerſten Leide, 
An dem Heimweh, iſt geftorben! 


4. 


Abends, wenn im Meer dis Herzens 
Sich die Fluthen legen Schlafen, 
Ziehen die Gedankenſchiffe 
Segelmatt zum Schlummerhafen. 





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105 


A die Fleinen Kühne, Nachen, 
Die bis in des Meeres Mitten 
Bald mit Freuden, bald mit Leiden 
Dieſe Fluth am Tag durhichnitten, 


Schaukeln ſtill fih auf den Wellen, 
Die im Herzen Nachts fich glätten, 
Liegen auf den Silberflaumen 
Wie auf weißen Dumnenbetteit. 


Ein Gedankenſchiff, ein einz’ges, 
Eins nur, das in Schiffes Schilde 
Iſt geſchmücket und gebeiligt 
Mit dem ewig theuern Bilde; 


Dieſes Schiff gebt nie zu Hafen, 
Refft gar mie die Segelbänder, 
Treibt umher ftetS in dem Herzen, N 
Gleich dem fliegenden Holländer. 


Und auf dem Berdede liegen 
Biel verſtümmelt', blut'ge Leichen, 
Die im Tod den ſüßen Stunden 
Der erihlag'nen Lieb' noch gleichen. 


Diejes Schiff geht nie zu Hafen, 
Feiert Windftil’ nie im Schlummer; 
Nacht ift Nacht nur für die Freude, 
Aber Tag für Liebesfummer! 


5. 


Habt Ihr je gehört im Leben, { 
Was fie von dem „Herzwurm“ jagen, E 
4 








5 er, Ringelt fich, es durchzunagen ? 
—— Wie der Herzwurm lange ſtille 
— Liegt und plötzlich läßt ſich ſpüren, 
Wie er bei dem kleinſten Anlaß 
— Anfängt, emſig ſich zu rühren; 
— Nagend an dem Kelch des Herzens, 
> Wühlend in den Herzgrub’-Weben, 
Wie er fteigt empor zum Herzblatt, 
F Daß in Ohnmacht wir vergehen; 
F 
Wie er an des Herzens Wänden 


Suchend kriecht herauf, hernieder, 
Wieder ſtill liegt und urplötzlich 
In dem Herzen regt fich wieder? — 


Wer den Herzwurm trägt im- Herzen, 


= Wird im Leben nie gefunden, 

3J— Weil durch alle Herzensfalten 
Bohrend er den Weg gefunden; 

a Weil er ift polypenartig, 

: Habt Ihr ihn zerftüct, erichlagen, 
2 Jedes Stüd wird als ein ganzer 


Neuer Herzwurm an Euch nagen! 


4 

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In In verſchied'nen Lebensgeiten 
E, F Bin ich auf des Rheines Wogen 


BR," Sorglos — forglid — lachend — fingend — 
+ Trauernd — weinend bingezogen. 


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110 


Und es fang fo Mancherlet 
Mir ins Herz die Lorelei. 


Wie des Schiffes Wimpeln flatterır, 
Wenn fie friiche Lüfte Schwellen, 
Zog ih auf dem Schiff der Jugend 
Durch die jaspisgrünen Wellen, 
Und ich wußt' nicht, was es fei, 
Was mir jang die Lorelet. 


Wieder ftand ich auf dem Dede, 
Ein geliebtes Haupt zur Rechten, 
Eine Roſe, die der Himmel 
In mein Leben kam zu flechten; 
Und wir fühlten jüße Scheu 
Bei dem Sang der Lorelei. = 





Jahr's darauf fuhr ih dann wieder 
Auf dem Strom voll Weh alleine, 
Weil ich eben jchrieb die Grabſchrift, 
Ihr beftimmt zum Leichenfteine, 

Und es brach mein Herz entzwei 
Bei dem Sang der Vorelei. 


Sahre fanıen, Sahre Shwanden, 
And den Ahern befuhr ich wieder, 
Bon den Ufern kamen Grüße, 
Blumen Kränze, Beifallslieder, 
Und verhallt im Subelichrei 
Mar der Sang der Lorelei! 


Wieder fteh’ ih auf dem Dede, 
Heu erſcheint die alte Gegend, 
Neu ericheinen alte Schmerzen, 





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jahr ang neu erregend, 
BB Alte Zweifel werden neu 
Bei dem Sang ber. Lorelci! 





7 


Un des Ufers Berg und Thale 
Steigen Morgens Kleine Floden, 
Nebelſtreifen, dünne Fäden, 5 
Wie der weiche Flachs vom Noden; 1 


Werden dann zu Flaum und Wolle, 
Sideln fih um Fels und Hügel, 
Steigen dann zur Felſenſpitze, 


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Spreiten aus bie weißen Flügel; 
} 23 n Ziehen höher dann und höher, v * 
Be: Bis fie fih zu Wolken ballen a 
3 Und, gebrodyen von der Schwere, 
J Dann als Regen niederfallen! * 
u So auch fteigt des Morgens immer 
— Der.” Frübes Denken, trübes Sinnen 
— Aus den Tiefen meines Herzens, 
Um mit Flor es zu umſpinnen; 
— Und zur Heinen Nebelwöllchen, — 
“BR Nicht erhellt duch Morgenlichter, * 


Be; Werden dann jo Gram und Schmerzeit, 
| Und der Flor wird immer dichter. 


Immer trüber wird das Deufen 
Und was Fühlen hat geiponnen, 
Bis es ſich als Schmerzgewölte 
Lagert vor das Licht der Sonnen; 





112 


Bis, was Gram und Leid geſponnen, 
Steigt vom Herz dem Aug’ entgegen, 
Und der Schmerz dann, ſchwer gebrochen, 
Niedergeht als Ihränenregen ! 


8. 


Sagt mir, wo die Sehnſucht wohnet, 
Sagt mir, wo die Sehnfucht weilet, 
Ob fie wohnt allein im Herzen 
Oder ob ihr Weh’ fie theilet? 


Ob fie in dem Auge wohnet, 
Das fih jehnt, von andern Augen 
Shres Lichtes führen Rückſtrahl 
Als fein Selbftlicht einzujaugen? 


Ob fie wohnet in dem Ohre, 
Das ſich ſehnt, die ſüßen Laute 
Wieder felig einzuichlürfen, 


Die der Mund ihm anvertraute ? 


Ob fie wohnet auf der Kippe, 
Die da möcht’ die Hand berühren 
Und fie liebezärtlich Füßen 
Und zum Mund fie weinend führen? 


Ob fie in der Hand wohl wohnet, 
Die da fühlt ein innig Dringen, 
Das geliebte, theure Weſen 
Wie ein Goldreif zu umſchlingen? 


Ob fie wohnt in den Gedanfen, 
Die da taufend Boten jenden, 


2 “ae * —— fie zu grüßen, 
Und pe: Herz zu uns zu wenden? 


Sagt mir, wo die Sehnſucht wohnet, 
Sagt mir, wo die Sehnſucht weilet, 
Die in Herz und Aug’ und Ohren 
Und Gedanken fich zertheilet! — 


Dem, bei dem die Sehnſucht wohnet, 
Wird's die Sehnſucht jelber jagen, 
Dennoch könnt' er's nicht erklären, 
Würde Sehnſucht ſelbſt ihn fragen. 


Herb im Frühling. 


Nennet nur nit Frühling 
Dieſes ſchöne Angeſicht, 

Iſt nicht Liebe im dem Herzen, 

Iſt im Antlitz Frühling nicht! 


Nennt Ihr Sterne dieſe Augen, 
Dieſen blauen Lichtkryſtall? 
Ohne Liebe ſind es Steine, 
Seelenloſer Aetherhall! 


IR: ©. Saphir's Schriften, XIV. Bd 

















* er — 
Nennt Ihr Roſen dieſe Wangen, 
Dieſen zarten Blumenfris? 000 





<= r Ohne Liebe find’s Tapeten, 2 — 
“a - Schön geftidt mit Roth und Wef! 
2 Nennt Ihr Anmuth dieſes Lächeln, ‘ = 


FR Diefer Lippen Wunderfpiel? 
Ohne Liebe iſt's Mechanik, 


? Todter Linien leeres Spiel! 

4 — Nennt ihr Wohllaut dieſe Worte, — 
PER Diejer Töne Zauberluft? A 
EIER Ohne Liebe iſt's ein Echo — 

F Aus der hohlen Felſenbruſt! — 

— Wo nicht Lieb ift, iſt nicht Frühling, 
Te Schönheit nicht und Seele nicht, — 
— Körper iſt es, Bein und Adern, — 
— Hand und Fuß und Angeſicht; Ei — 
Augenapfel, Augenlider, — 5 = 2 
— Ohne Luſt und ohne Schmerz; — 
Doch im Bildniß wohnt kein Leben — 


Und im Grunde liegt kein Herz! Be: 


Suite Ahtheiluug, 


—_ 


Dichtungen 


ee für 


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beitere Declamation 


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Sauftes Eheflands - Duettino. 


(Für Trommel und Contrabaß ausgeſetzt.) 


Er. 


In Simmel, fagt man, werden alle Ehen 
Geichlofjen, und warum nicht auf der Erd’? — 
Auf daß, wenn man ihn ruft in Leid und Wehen, 
Um’s Himmelswillen uns der Himmel bört. 
Allein, wenn fie geichlojien find, fo jagt der Himmel Allen: 
»Allez! Partez!« — Man ift aus feinem Himmel dann 
gefallen ! 


Sie. 

Ja wohl! Im Himmel werden ſie geſchloſſen, 
Die Ehen! — Und warum nicht auf der Erd'? — 
Weil dort die Männer leichter ſind entſchloſſen 
Zum Ehſtandshändchen, daß fie uns beſcheert; 

Im Himmel muß der Dann zum Ebhſtand greifen 
Denn in dem Himmel gibt's nicht Wein, nicht ‘Pferd’, 
nicht Pfeifen. 
Er. 
Geſchloſſen wird die Eh von bimmelswegen, 
D ja! und frumm geichloffen noch dazu! 


Man kann dabei ſich gar nicht mehr bewegen, 
Geſchloſſen und beſchloſſen ift die Ruh'! 








118 


Dann Spricht ein Jeder von den Eh’genofien: 
„Beim Himmel! Ic hab’ mit dem Himmel abge- 
ſchloſſen!“ 


Sie. 


Und weil ſie oben nur geſchloſſen werden 
Im Himmel, unterm blauen Hochzeitsflor, 
D'rum ſchlägt die arme Ehefrau auf Erden 
Den trüben Blick zum Himmel ſtets empor, 
Seufzt: „Was der Himmel hat geſchloſſen auf Verlangen, 
Das iſt auf Erden wied'rum aufgegangen!“ F 


Er. 


Und wenn der Himmel Hochzeit ſchließt da oben, 
Da hängt er immer voller Geigen auch; 
Die Eh'ſait' iſt aus lauter Duft gewoben, 
Sie klingt ſo ſanft wie Aeolsharfenhauch! 
Doch auf der Erd', — im Reich der Papatatſchen — 
Da werden's lauter Contrabaß und Bratſchen! 
(Begleitung.) 


Sir. 

Der Contrabaß, er bat die Ehr’ zu danken, — 
Und auch die Bratihe macht ihr Compliment; — 
Doch fordern fie den Mann noch im die Schranfen, 
Er jpielt das allergröbfte Inftrument; 

Gleich poltert er und tobt und ſchreit: »Sic volo !« 
Und macht die Bratiche ftill mit einem Paufenjolo! 
(Begleitung.) 


Er. 


Biel haben wir von Griechenland erworben, 
Doch Eins ift wunderbar, bei meinem Wort, 


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-119 


Xantippen aber pflanzen gut ſich fort! 
Zwar haben fie nicht alle griehihe Nafen, 


Allein fie brummen g’vade wie Kantippen’s Baſen. 


(Begleitung.) 


Sie. 


Der Mann ift wie ein Buch. Bevor man e8 gefunden, 
Bol Neugier man auf feinen Inhalt brennt; 
Doch hat man es und liest’S in müß'gen Stunden, 
So findet man die Fehler al’ am End’! 
Wenn man ein Schäferbuch gekauft mit leifen Klagen, 
In kurzer Zeit ſchon wird mit Paufen d'rein geichlagen. 
(Begleitung.) 


Er. 


Das Weib ift wie ein Buch, jo ein Kalender, 
Ein hübjches Titelblatt — (auf das Gefiht zeigend) — 
und Blumenfron', 
Ein Bishen Inhalt, und ganz breite Nänder, 
An jedem Tag — ein anderer Patron. 
Noch heute kündet's Sonn’ und Heiterfeiten, 


Und morgen breumt der Stern von allen Seiten. 
(Begleitung.) 


Sie. 


Wie ein Gebirge ift der Mann; an Eden, fteile, 
Bricht ohne Anklang fich der zarte Yaut, 
Und er erwibert nur die Fleinften, fetten Theile 
Bon Schmerz und Luft, Die innig ihm vertraut. 
Allein löſ't fih ein Stein von feinem Herzensfteinbruch, 
Da rollt's und poltert'S wie bei Donnerwetters Einbruch. 
> (Bealeitung.) 





Be — 


120 
Er. 
Wie ein Gebirge ift das Weib; im Widerſprechen | 


Pflanzt jedes Wort fie zwanzigmal noch fort; 

Sa fie behält, wenn fih auch taufend Stimmen brechen, 
Dem Echo gleich, doch ſtets das — letzte Wort. 

Man darf nur einen Laut ihr noch fo leiſe ſummen, 
Sie wird im Widerhall die ganze Skala brummen. 


Sie. 


& 


Wie eine Glode ift der Mann, er lärmt und läutet, 
Und mijcht in jeden Lebensfal fich ein! 
Ihm ift e8 gleih, ob Tod, ob Hochzeit es bedeutet, 
Er jchreit ftets gleich mit vollem Hals darein, 
Und in das Haus, vom fleinften Schein geblendet, 
Er gleich die große Feuertrommel jendet. 


Er. 
Wie eine Glocke ift die grau, denn oft im Leben 
Hängt frank und frei fie da an einem — Strick. 
Und geh’n die Gloden auch nah Rom zum Feſt jo eben, 
Stellt fih das Ratſchen ein im Augenblid; 
Doch in dem Haus, im lieben Eh’ftandsrode 
Da brummt den ganzen Tag die Zügenglode. 


Sie. 
Den Wolken gleih find Männer! In den Gelben 
Und Blonden ftedt doch nichts ald Staub und Wind, 
Die Shwarzen fheinen furhtbar, doc diejelben 
Entleeren fih und platzen gar geihwind, 
Und aus der Ehſtandswolke, — ad, ihr guten Götter! 
Blatt gleih ein Wolkenbruch mit einem Donnerwetter 


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121 


Er. 


Wie Wolken in der Luft wohl find die Frauen, 
Wer Wind nur macht, der treibt fie bin und ber, 
Die ftolzen fliegen body emper zum Blauen, 

Und find gewöhnlich alle hohl und Leer; 
Doch wenn zwei Wolfen zur Bifite fich begegnen, 


Da geht das Brummen los, als wollt! e8 Bratjchen regnen. 


Sir. 

Den Eijenbahnen glei iſt's Männerleben, 
Sie führen uns ftetS an — mit einem Pfiff! 
Gar oft geht ihnen 's Feuer aus daneben, 

Da bilft nun weder Pfiff noch Kniff; 
Dann fährt aus ihrer Bruft ein leer! Gerafiel, 
Es ziiht und giſcht wie leerer Donnerrafjel. 


Er. 


Den Eijenbahnen gleih find aud die Frauen, 
Durch Dampf maht man die glänzendfte Partie, 
Und figt man einmal auf, dann kann man ichauen, 
Heraus da hilft max ſich wohl jelber nie; 

Und liegt das Heinfte Steinen in der Schiene, 
Da knurrt und brummt die ganze Eh'maſchine. 


Sir. 

Doch wiederum find Männer wie die Bienen, 
Sie jummen zwar, jedoch aus Emfigfeit, 
Zum Zellenleben folgen gern wir ihnen, 
Denn da regiert das Weib zu jeder Zeit; 


Drum, wenn die Bien’ auch poltert in der Zelle, 


Beim Donner, jagt man, wird der Honig belle. 








Doch wiederum find Frauen auch wie — 
Sie ſummen wohl, doch nur zur Süßigfeit, — 
Sie ſchwärmen wohl, allein wir danken's ihnen, 
Ihr Schwärmen deutet auf die Honigzeit. 
Mir wäſſert Shon der Mund, — id muß verſtumme 
Die Honigſammlerin, ſie mag ein Bischen brummen! —F 
So liebſter Contrabaß — 

















Sie. 
So te Srommeltinigt 
Sa er. — 
Ein Bishen Brummen — 
Sir. & 
— ein Bishen Donnern, wie id ſag' — de 
Beide (geben fich die Hände). SS —— 


Sp brummen wir und donnern wir ein Wenig, 


Bo die Poſaun' ertönt am jüngften Tag. 
(Hier ertönt ein Poſaunenſtoß.) 









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Kein Malheur, jedoch fatal! 


Ein jeder Menſch wird oft im Leben 
Genedt von einer Zufallsſchaar, 


Die g’rad’ fein Unglüd find, doch geben 


Zu ſchaffen fie genug, fürwahr! 
Es find jo Heine Nadeiftiche, 


- Sie rigen flüchtig uns die Haut, 


Dabei ift das das Aergerliche, 

Daß man zur jchrei'n fich nicht getraut. 

Es find jo winz'ge Schidjalsbieber, 

Zwar nicht aus Stahl, ja faum aus Blech, 

Die Briten nennen’s »Trick«e, die Deutihen „Stüber* 
Jedoch die Römer nennen's „Beh“. 

Es thut nicht weh, man kann nicht d'ran erftiden, 
Es ift ganz eigener Natur: 


Poeten nennen’s „Schidialstüden“, 


Der Griche nennt's „A Sekatur“; 
Kurz, Jedermann paſſirt manchmal, 
Was g’rade kein Malheur, jedoch fatal. 


Ein Schnupfen, der Katarıb der Naſe, 
Iſt nicht gefährlich, thut nicht weh, 
— „Gebratine Zwichel“, jagt die Baſe, 


Ein Weib ift ftets cin Art, per sel — 
Jedoch verdirbt dem Redner er die Phraſe, 


Wenn er binaufgebt jo ins C. 
Der „Himmelsſtrahl“ wird zu n'm „Sibbelftabi”, 
Das ift zwar fein Malheur, jedoch fatal! 


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124 


Ein junger Ged, ganz Schlank gefteigelt, 
Tritt Abends in den Eirkel ein, | 
Doch wie er nach dem Handkuß gängelt, y 
Tritt er dem Schooßhund auf das Bein, 
Und als er Schnell ſich ſeitwärts Schlängelt, 
Da ftolpert er im Glasſchrank 'nein; 

Fällt beim Umdreh'n über einen Shawl, 
Das ift zwar fein Malheur, jevod fatal! 


Franzöfiich wird gejpielt, und alle Väter 
Geh'n en famille ins Schaufpielhaus, 
Es lacht der Kunz, es lacht der Peter, 
's fieht, als ob ſie's werjtänden, aus. 
Da fit ein Necenjent, fein Wort verfteht er, 
Zieht doch gelehrt die Stivne Fraus; 
Beiprehen muß er’s, welche Qual! 
Das ift zwar fein Malheur, jedoch fatal! 


Ein Dichter fitst im Muſenkobel, 
Dort unterm Dachftuhl hoch und jchreibt, 
Er träumt fih in das Neich der Zobel, 
Das ihm ein Bischen Wärme treibt, 
Vergnügt legt er den letzten Hobel 
An fein. Gediht und fiilt und reibt; 
Da jagt des Miethsheren Prof’: „Es ift Quartal!“ 
Das ift zwar fein Malheur, jedoch fatal! 


Bei einer Landpartie von zwölf Perſonen 
Hat man fuperb fih amüfirt, 
Man macht den Nitter hungeriger Amazonen, 
Man bat im Gafthaus Alles arrangitt, 
Caffee, Melange, faure Milh, Melonen ! 
Zulett, als er die Koften vepartirt, 
Heißt es: „Bezahlen Sie, wir rechnen dann zumal!” 
Das ift zwar fein Malheur, jedoch fatal! 











125 - 


Ein Seladon ſinkt zärtlich girrend 

Vor der Geliebten auf die Knie, 

Er jpricht jo ſüß, jo birnverwirvend 

Bon der Gefühle Synpatbie ; 

Sie ift gerührt, und tändelnd, firrend 

Fahrt im fein üppig Haupthaar fie, 

Die Täujhung flieht, die Wahrheit zeigt fih Fahl. 
Das ift zwar fein Malheur, jedoch fatal! 


Bei dem Diner fitt man oft dritthalb Stunden, 
Doch efien kann man faum etwas; 
Die Dame rechts hält uns gebunden, 
Die Dame links will dies und das, 
Indeſſen ift der Teller ftets verſchwunden, 
Die Diener find jchnell auf der Paß, 
Mit Rub’ genießt man endlih nur die Waſſerſchaal', 
Das ift zwar fin Malheur, jedoch fatal! 


Im Prunkjalon, im großen Kreiie, 
Lieſ'ſt man ein Trauerſpiel uns vor; 
Doch Einer — ich glaub’, er allein that weife — 
Den fernen Winkel fih erfor, 
Entichläft, fängt am zu jchnarchen Teile, 
Dann immer lauter im Tenor, 
Zuletzt ſchnarcht er im Bruftbaß durch den Saal, 
Das iſt zwar kein Malheur, jedoch fatal! 


Ein ſaures Brot iſt's Declamiren, 
Jetzt leider jaft das täglich Brot! 
Wenn Sie 8 einmal nur probiven, 
Erbarmen Sie fih unfrer Notb. 
Ah, welche Angſt! Wenn Sie nit applaubiren, 
Dann ift der Dichter Schuld an meinem Tod; 


126 


Er jelber fehrieb nichts mehr ein ander Mal, 
Für Sie zwar fein Malheur, fir ihn jedoch fatal! 





Beim Hervonuf, 

Ich fomme jchnell, um Ihnen zu berichten, 
Daß, weil Sie gar jo gütig richten, 
Beſchließt der Dichter, ferner noch zu Dichten, 
Das ift zwar fein Malheur, jedoch fatal! 
Ich auch, wenn Sie jo mild regieren, 
Und mich eitiſſime eitiren, 
Ich werde ferner declamiren, 
Doch wär's fir mid Malheur, wenn’s Ihnen wär 

fatal! 


Tres faciunt Colleginm, 
oder: 

Das Confilium der kranken Liebe. 
(Ein humoral-pathologiſcher Schmerz.) 
Allopathie. 

Homödpathie. 

Hudropathie. 





Allopathie. 
Verehrte Collegen! Um ein Coneil zu halten, 
Beſchied man heut' uns allzumal hieher, 
Es iſt darin auch g'rad' noch ſo beim Alten: 
Wenn man drei Aerzte ruft, jo nützt's nichts mehr; 











Homöopathie. 

& lange Leib und Seel’ zujammenbält noch, offen, 
So lang’ gibt man die Hoffnung noch nicht auf; 
Denn ift auch fiir ven Kranken nichts zu boffen, 


Iſt Hoffnung für den Doctor doch vollauf, 


Biel’ Aerzte find ein Troſt doch für die Erben, 
Weil fie dem Kranfen machen leicht das Sterben! 


Hudropathie. 
Drei Aerzte, ſo, das heißt: auf Tod und Leben! 
Das iſt bewieſen mit Recepten-Schrift; 
Denn können fie die Krankbeit auch nicht heben, 
Sie maden fie doch wenigjtens verblüfft! 


- Sie fährt vor Schreden in die Erd’, und in Gedanken 


Nimmt fie gar oft auch mit hinab den — Kranfen ! 
Allopathie. 
Die Kranke, die uns heute ruft, beißt „Liebe“, 
Es fühlt fih unfre Liebe jet fo ſchwach, 
Ihr fehlt der Appetit zum edlen Triebe, 
Sie lüftert nur manchmal nah „OD!“ und „Ad !” 
Sie fühlet ſich jo matt, jo abgeichlagen, 
Ich glaub’, e8 liegt der Lich’ etwas im Magen! 


Hoamdopathie. 
Iſt Liebe krank? Daher mag es wohl kommen, 
Daß man fie jet gar nirgends ficht. 
Doch jagt, was bat fie für Arznei genommen? 
Nur nicht zu viel, wie das jo oft geichiebt! 
Für Franke Lieb’ find Feine Mittel nötbig, 
Man heilt am beiten fie durch — Dietätif, 


2 
— 





- 


128 


Yydropathie. 
Mas wird's viel jein? Was fann der Liebe fehlen ? 
Freund Hain ift ferne noch mit feiner Hipp’, 
Sie gebt zu Leicht gefleid’t in unjern Sälen, 
Dann fümmt fie oft in Zug — und hat die Gripp, 
Nur Wafjer! Wafler! Waſſer! Tauſend Flaichen! 
Mit kaltem Wafjer ihr den Kopf gewaſchen! 





Allopathie. 
SH glaub’, die franfe Liebe zu curiven, 
Iſt's nöthig, daß man allopathijch Bleibt; 
Die ſchwächſte Lich’ wird neue Kraft veripüren, 
Wenn man recht viel ihr nur — verſchreibt!— 
Und ift die Liebe auch ſchon halb verkommen, 
Durh viele Mittel wird fie zır fich fommen! 


Homöopathie. 
Der Liebe Uebel gar zu oft entjtehen 
Aus einem „Nichts“, wie Jeder wiffen muß; 
Drum muß man wieder fie mit Nichts werjeben, 
Nah dem Syſtem »Similia similibus!« 
Will drum ein Mann zur Lieb’ ein Herz entfachen, 
Kann er mit Nichts juperb die Eur jetst machen! 


Hudropathie. 
Der Zuſtand unſ'rer Liebe iſt gar kritiſch, 
Ihr Alter kömmt dann leider auch dazu, 
Quia senectus ipsa! Iſt arthritiſch! 
Da drückt die Liebe eigentlich der Schuh! 
Da wird das Sturzbad wohl mit Glück genoſſen, 
Denn alte Lieb' iſt immer wie begoſſen! 












? —J Allopathie. 
Ich glaube fo nach meiner Diagnoſis, 
Es hat die Liebe Splitter im Gebirn; 

Da ift e8 gleih, ob groß, ob Hein die Dofis, 
Da nüßet gar nichts fonft ald — trepanirn! 
* Denn ſicher iſt's, bei einem off'nen Kopfe 
Wird Lieb’ geheilet ſelbſt beim größten Tropfe! 


ES 


Homöopathie. 

Dasfelbe Mittel macht gejund die Kranfen, 
Das frank aud die gefunden Menſchen macht, 
Die Liebe macht oft Frank jhon den Gedanken, 
Hat fie auf Nebenbuhler nur Verdacht; 

Drum muß man kranke Lieb’ damit curiren, 
Stets zwei Liebichaften fich zu rejerwiren ! 


X 


Fgdrepathie, 
Daß man die Krankheit exit jo recht ergründe, 
Dünkt mir ein überflüffiger Verſuch, 
Mir ift das Alles Eins! Ich finde, 
Die Kranken gleihen einem Stüde Tud; 
Man wer ins Wafjer fie, jo wird man ſehen, 
Ein Theil der Krankheit wird ſchon ein dann gehen! 


Allopathie. 
— Die alte Heilart bleibt doch ftets Die befte, 
Sie beißt: »Contraria Contrariis !« 
Nicht „Sleih mit Gleich“ curirt Hygea's Gäfte, 
b Das Gegenmittel do curirt gewiß! 
IH ſag', das letzte Mittel für die Liebe 
’ Heißt: „Man behandle fie mit Gegenliebe!“ 


—— Homöopathie. 
—— Die Liebe hat den Ausſchlag uns gegeben, 
Sie ſpricht für Homöopathie. 

M. G. Saphir's Schriften. XIV. Br. 9 


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130 


Man braucht nicht Unz' und Drachme ihr zır gebeıt, 
Der Hleinfte Skrupel wirket ſchon auf fie. 
Noh ein Beweis, mit dem ich überrajche, 
Die Liebesapotbef trägt mau jetzt — in der Taſche. 





Kudropathie. 
Die Liebe, ihre Leiden, Qual und Sehnen 
Behandelt glücklich nur Hydropathie! 
Das Waſſer, das ſie heilt, es ſind — die Thränen, 
Des Abends ſpät und auch des Morgens früh; 
Denn Liebe lebt, das ſeh'n auch unſ're Haſſer, 
Bei Tod und Trennung nur vom — Scheidewaſſer! 


Allopathie. 
Beſchließen wir das »multa« oder »multum«, 
Sonſt ftirbt fie ohne unf're Hilfe noch ! 


Homöopathie. 
Nun gut! Wir jagen endlich: »Est consullum !« 
Und mit der Kranken bleibt's beim Alten do! 


Hudropathie. 
Ja! Ja! im Hauptpunet find wir Alle einig; 
Stirbt fie nit langſam, nun, fo ftirbt fie Schleunig ! 


Alle drei (um Bublitum). 
Und nun empfehlen fi) die Herr'n Doctoren, 
Wenn fie heut! Ihr Vertrauen nicht verloren. 


Beim Heraudrufen ſpricht die 
Allopathie. 

Wie, Sie verlangen nohmals ein Conſilium? 
Fürwahr, wir fommen gern und ſagen's ehrlich, 
Doch unfer Danf, er macht ung dennoch ſtumm. 
Und wahrlich, dieſer Dank ift ungefährlich ! 
























Die ante wirthin und die ſanfte Gattin. 


Bariationen — 
auf das beliebte Thema „Ehralüd”. 


— Robert. 
— So ſei, mein Freund! mir herzlich denn willkommen! 
- Dir ging’s wohl gut jeit unſſrer Trennungszeit? : 


Du haft indeß ein Weibchen Dir genommen? x 
Nun, oft ift auch der Klügſte nicht geicheidt! 3 
Sie ift jedoch, wie ih gewiß vernommen, L- 
Die Sanftmutb jelbft im ird'ſchen Frauenkleid, J— 
So danke Gott, o Freund! für Dein Geſchick, 


Deun eine ſanfte Gattin iſt ein Glück! 


Eduard. 

Dies Glück, mein Freund! läßt ziemlich ſich ertragen, 
Vollkommen iſt ja Nichts auf dieſer Welt! | 
Dur freitih kannſt vom Glüde jagen 
Und wandelſt ſorglos durch das Ehefeld, Br 
Dru läß'ſt die Ruhe weidlih Dir behagen; P: 
Indeß das Weib auf Haus und Wirthſchaft bält; hr 
So danke Gott, o Freund, für Dein Geihid, > 
Deunn eine gute Wirthin iſt ein Glück! 


— Robert. 
So hat mein Vater früher auch geſprochen: 
Nur eine gute Wirthin nimm, mein Kind!“ 
Mein Weib braucht nun aus Wirthſchaft jede Wochen — 
Biel mehr, als die, die feine find. Eh 


9* 


132 


„Wer fann,“ Spricht fie, „Jo wohlfeil noch befommen 
Gemüſ' und Wildpret auf dem Wochenmarkt? 
Drum hab' won Allem doppelt ih genommen. 
Nicht wahr, mein Kind! das heißt gekargt?“ — 
„Sa, Schätschen !" ſage ich mit trübem Blick, — 
Sa, ein gute Wirthin ift ein Glück! 


Eduard, 

Mein Vater hat die Sanftmuth mir gepriefen : 
„ur eine Sanfte nimm zur Frau!“ 
Nun macht das Weib, das ich erfiefen, 
Durh pure Sanftmuth mich Schon gran. 
Der Koh verichenfet Schmalz und Eier, 
Die Kammerfrau ftiehlt einen Hut, 
Der Knecht hält ew’ge Sonntagsfeier, 
Doch — meine Gattin ift jo gut; 
Sie zanfet nicht, fie fordert Nichts zurüd. — 
Sa, eine janfte Gattin ift ein Glück! 


Robert. 

Will ih mit meiner Frau fpazteren fahren, 
So jpricht die gute Wirthin: „Nein! 
Den Fiaker, den fünnen wir eriparen, 
’ne Equipage wird mwohlfeiler fein!” 
Wil ih mit ihr zu Ball und Maskenfeier, 
Spricht fie: „Mein Kind, das foftet viel! 
Redouten find für uns zu theuer; 
Wir geben lieber hauslih Thee und Spiel. 
Mas Foftet denn ein Pidenid?" — 
Sa, eine gute Wirthin- ift ein Glück! 


Eduard. 
Hab’ ich mein Weib als Hausfrau fanft gefunden, 
Sft fie als Gattin, ah! viel fanfter noch! 





Ni 


2 
; 

















RP — ——— 


* 


en fie die wahre Zärtfichteit: 


= Mein Kind zerbricht die Spiegel und zerreißt ihr Hauben, 


Es lärmt, es tobt und vast und fchreit, 
Die Gute gibt ihm noch ein Groſchenſtück! — 
Sa, eine fanfte Gattin iſt ein Glück! 


Robert. 


Will ich einmal ein großes Tuch ihr bringen, 
Sp nimmt fies nicht: „Es ſchießt am Sonnenſtrahl; 
Verthu' das Geld ja nicht in ſolchen Dingen, 
Die beſte Wirthſchaft iſt — ein echter Shawh!“ 
Ja öfter noch bekömmt ſie gar Geſchenke, 
Und frag’ ih: „Weibchen, ſage doch, wofür?" 
Sagt fie: „Ach, lieber Mann, bedenke, 
Ich lade fie zu Gajt dafür, 


Und geb’ e8 jo auf gute Art zurüd.“ — 


Ia, eine gute Wirtbin ift ein Glück! 


Eduard. 


Die Güte meines Weibes überfteigt den Glauben, 
Denn fie beſitzet wahren Chriftenfinn ! 
Will Jemand ihr ein Küßchen vauben, 
Sie reiht ihm noch die and're Wange bin; 


Und ſag' ih: „Weibchen! der und der ift zu verwegen, 


Das ftreitet Schnurftrads wider Ehr' und Pflicht!” 
Sagt fie: „Ad, Männchen! ich bin ſehr verlegen, 
Denn zanken fanın ich mit den Leuten nicht! 
Biel lieber dulde ich jo manches Stück!“ 


Za, eine fanfte Gattin iſt ein Glück! 





134 





Robert. 

Jetzt, da mich ſchwere Sorgen faffen 
Für Weib und Kind im Ichlechter Zeit, 
Hat mich die Karge ganz verlaffen, 
Und das aus bloßer Sparjamteit! 
„Ein guter Freund will Wohnung geben, 
Ich führ die Wirthſchaft ihm dafür, 
So fannft wohlfeiler Du nun leben, 
Erfpareft Kleidung, Wirtbichaft, Koft, Quartier; 
Wenn’s befjer wird, komm' ih zu Dir zurüd.” — 
Sa, eine gute Wirthin ift ein Glück! 


Ednard. 

Mein Weibchen, ach! Die qute Seele! 
Verläßt mich ganz nun, wie es jcheint, 
Du weißt, wie ih mit Gicht mich quäle; 
Da wird gefeufzt, geftöhnt, geweint! 
Shr weich’ Gemüth kann dieſes nicht ertvageır, 
Sie unterläge meinem Schmerz; — 
Drum ließ fie fi zu einem Freunde tragen, 
Ihr bräche jonft das janfte Herz! 
Sie ſchreibt mir: „Ih bedau're Dein Geſchick.“ — 
Sa eine Sanfte Gattin ift ein Glück! 3 


Robert. 
Was wird Dein guter Vater nun wohl jagen, 
Der Dir vor allen nur die Sanfte Gattin pries? 


Eduard. 
Er wird's vermuthlich Deinem Vater Flagen, 
Der eine gute Wirthin Dir zur Fran verbieß! 


Robert (ihm die Hand reichend.) 
So laß’ uus, Freund! denn jet beifammen bleiben, 
Wie find von eimem Feuer Foch gebrennt! 

















LE Erna. 
Und meinem Sohne will ich's deutlich jchreiben 


— — — — — — — — — — — — — — — 


„Kommen“ und „Gehen“. 
— (Etymologiſche Menuet dieſer beiden Wörtchen.) 


Kommen. 
Ih heiße „Kommen“, bin von gutem Haus, 
Und mein Gejchlecht ift ohne Tadel, 
Zwei Sylben machen meine Abnen aus, 
Bon echtem, unverfälſchtem Adel, 
Und will man oft noch Sylben zu mir fügen, 
Dann fann verleten ih und auch vergnügen. 


Gehen. 
Sch heiße „Sehen“, kin ein gutes Blut; 
Geſchwind und flink ftets auf den Beinen, 
Den „Kommen“ ift man oft nicht halb je gut, 
Als eben mir und all! den Meinen, 
Und will man mir noch manche Sylben ſchenken, 
Daunn mach' ich wiel zu Schaffen umd zu denken. 


136 


Kommen. 
Ya, ohne mid, auf Treue und auf Ehr', 
Wär’ jest an Unterhaltung nicht zu denken; 
Denn wenn fein Menſch geflommen wär, 
Was jprähen wir vor leeren Bänken? 
Drum hab ich eine Sylbe vorgenommen, 
Und trete freudig vor und heiß’: „Willfommen!* 


Gehen. \ * 
Auch ohne mich, auf Treue und auf Ehr', 
Wär' vom Vergnügen heute nicht die Rede; 
Wenn „Kunſtſinn“ bier nicht gangbar wär, 
Es bliebe hier wohl leer und öde, 
Und würd' ich das nicht freudig eingeſtehen, 
Dann hieße man mit Recht mich ein „Vergeheu!“ 


Kommen. 

D gehe nur, Du wetterwendiich Wort, 
Denn nimmer fannft Du Segen jpenden. 
Beliebter bleib’ ih wahrlich immerfort, 
Wie man mic drehen mag und wenden ; 


Das Wörthen „unterfommen“ ift ſtets gern geſehen, 


Ein jhredliih Ding jedod ift: „untergehen!“ 


Gehen. 
D fomme nur, Du beuchleriiches Wort! 
Denn nimmer kannſt Du Segen jpenden: 
Beliebter bleib’ ih wahrlich immerfort, 
Wie man mid drehen mag und wenden; 
Wer „umzugehen“ weiß, ift herzlich aufgenommen 
Jedoch entjetslih ift 8, „umzufommen!“ 


[2 





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= 
— 
— 






+8 £ Kommen. 
Wohl zu weit gehen können Manche oft, 
Doch zu weit fommen fann man nicht im Leben, 
Zum Zmede geben beißt sit falſch gehofft, 
Zum Zwede fommen kann das Herz erheben ; 
Fortgeben macht uns traurig oft, beffommen, 
Vergnügt jedoch macht uns ein gut’ Kortfommen. 


. Gehen. 

YR Wie „geht's?“ das Flingt zum Gruße traut und wahr, 
Wie „kömmt's?“ verdrießlich klingt's und trübe; 
Jemandem nahe kommen bringt Gefahr, 

Jemandem nahe gehen zeigt von Liebe, 

Um etwas kommen macht uns ſtets nur Wehen, 
Biel angenehmer iſt's, um etwas geben. 


Komnen. 
Durchkommen ift ein Wort der Ehrlichkeit, 
* Durchgehen will dem Rufe nicht behagen, 
Dahinterkommen, g’rad’ iſt's und geſcheidt, 
Doch Hintergehen will vom Böſen ſagen, 
Ausgehen kann beim Gelde niemals frommen, 
Ein Glück jedoch iſt's, damit auszukommen! 


Gehen. 


Was nützt uns das Einkommen doch fürwahr, 
Wenn das Eingehen ſich nicht recht will zeigen? 
ESelbſt niedergeben fanı die Sonne klar, 

> Doch niederfommen? davon laßt uns jchweigen ; 
Losfommen kann aus Kerkern nur geſchehen, 
Zum Jubel heißes, nun ſoll es recht losgehen. 









138 — 


Kommen. 

Ob dieſer Abend heut' Sie wird ergötzen? 
Geſteh'n Sie ſelbſt: darauf kömmt's an! rg 
Gehen. ; 


Doch würden wir ung auch jhen glüdlih ſchätzen, 
Wird’ auch von Ihnen nur gejagt: 's geht an! 


Kommen. 
Muſik und Dichtkunft klopft bei Ihrer Nachficht an, 
Sie follen heute fie zufammenfommen jchen. 


Gehen. 
Wohlan, jo thue denn ein Jeder, was er fan, 
Dann hoffen wir, es fol auch Schon zufammengehen! 


„Nehmen“ und „Geben“. 


(Seitenftüd zu „Kommen“ und „Gehen“.) 


Hehmen. 
Ih heiße „Nehmen“, zähle taufend Ahnen, 
Mehr als der größte Edelmann; 
Im Paradiefe wehten meine Fahnen, 
Schon Eva nahm ven Apfel an; 
Drum habe ich die Freiheit mir genommen, 
Und bin als Erſtes nun heroorgefommen. 





Der Boden Deines Stammbauns geht verloren, 
Der meine ftüßt auf Herzen fich ; 
- Drum darf ih wohl an Deiner Seite leben, 
























Nehmen. 


Du kedes Wort, kannſt Du mit mir Dich mefjen? 
Wer gibt noch, wenn er nichts mehr hat? 
Wo nichts ift, wird das Geben bald vergeffen, 
Zu nebmen wird man niemals fatt. 
Wenn wir vernehbmlich find, das wird beftechen, 
FR Doch traurig wärs, vergeblich bier zu ſprechen. 


Geben. 
Wie fönnteft „Nehmen!“ Du denn exiftiren, 
Wenn nicht vorerft das Geben wär? 


Hinnebmen fann zur Freudigfeit nicht führen, 
Hingeben zeigt vom Glücke fehr. 

Bernebmen, das verbittert oft das Leben, 

Die ſchönſte That jedoch ift: — das „Vergeben“. 


Nehmen. 

Vergib alfe, daß ich Dich böſe ichelte, 
Und nimm e8 wohlgemeint jo bin, 
Aufgeben zeigt von Wanfelmutb und Kälte, 
Aufnehmen zeigt von tapfrem Sinn; 

In dem Begeben liegt oft Spott zu Tadel, 
Doch im Benehmen liegt der Seelenadel. 


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- .rv — 
UT EEE ARTE RE WERE — un 9 


*— 


140 Be 


Gehen. 
Nun denn: abnehmen bei den Dingen alleı, 
Macht angenehm das Leben nicht; 
Jedoch: abgeben laß ih mir gefallen, 
Weil das von Ueberfluße Spricht; r 
Mitnehmen will nicht immer wohl bebageıt, 
Mitgeben wird fein Bräutigam beklagen. 


Hehmen. 
So ſchweig', Du Wort voll Trug in jedem Stüde, 
Du gleißneriihe Schlangenbruft! 
Angeben ift ein Wort voll Heuchlertüde, 
Annehbmen jchaffet Götterluft; 
Eingeben wird vom Satan vorgenommen; 
Doch nur von Engeln wird man eingenommen. 


Geben. 
So jhweige Du, Du Wort voll Eigeniiebe, 
Du eingefleifhter Egoift ! 
Das Herausmehmen jpricht vom jchlechten Triebe, 
Das Herausgeben edler ift, 
Nachnehmen Spricht von gierigem Gemüthe, 
Nachgeben ſpricht von Kopf und Herzensgüte. 


Hehmen. 
Und num, mein Freund, zugeben muß der Schwache, 
Weil er der Letzte ftets im Brett, 
Jedoch zunehmen, das ijt meine Sache, 
Dabei wird man do did und fett! 
Ausgeben, wie fatal ift die Gedichte, 
Ausnehbmen, das bringt wahrlid beſſ're Früchte! 




















—* — Geben. 

DD, od, mein Freund! nur nicht fo au igeblafen, 
* Nur ohne alle Kidenſchaft! 

Bornehmen können fih auch alte Bafen, 
Borgeben zeigt von Männerkraft ! 

RE: Pe aueh, das Ben Bas 2” —— Wilde, 


Hehmen. 


Doch, Freund, wir wollen lieber ung vereinen, 
Wir find ja beide nah’ verwandt; 

Man ſieht ja ſtets beifammen uns erfcheinen, 

| Die rechte und die linfe Hand; 

*» Und heute g’rad’ will ich mich gern bequemen, 

Daß heute geben füher it, als nehmen 


? Geben. 
Doch ſüß iſt's auch, zu nehmen fender Ende, 
Mo rings das edle Mitleid fpricht, 
Annmehmlich doppelt wird die milde Spende, 
Bemüht man fih vergebens nicht; 
Wo Firft und Volk (jedes Herz) von Mildigfeit entglommen, 
Wird ſtets bei ſolchem Wert Biel eingenommen, 


Nehmen (zum Publikum.) 


2 Drum nehm’ ih mir ein Herz und ſprech' mit Beben, 
Den Dank für Ihre Großmuth aus. 


Geben (ebenfe.) 
—— Hochgefühl a —* ergeben, 
























(indem fie fich vie Hände geben). 


So wollen wir zuſa mm' ung nehmen alle, 
Daß, was zuſamm' wir geben, auch gefalle. 


Männlich und Weiblich. 


Mann und Frau ſitzen in zwei Winkeln des Zimmers.) 
h) 


Der Mann. 

Was weiblich ift und Weibernamen trägt, 
Iſt falſch und Faljches auh im Buſen hegt! 
Das iſt ja klar und leicht beſchreiblich: 

Die Falſchheit heißt's, denn ſie iſt weiblich. 


Die Fran. & 
Was männlih ift und Männernamen trägt, 
Kur Arges ſtets im rauhen Bufen hegt! 
Das ift ja Far, und unverkeunlich: 
Der Argwohn heißt's, und der ift männlich. 


Der Mann. 
E 2 Ein Weib, und wenn e8 zehn Mal Ihwört, 
«€ Hat immer doch den Mann betbört; 
An Bielen hängt fie, glaubet mir: — 
Die Untreu' heißt's, das fpriht dafür! 0604 


Die Fran. 


Ein Mann, und wenn er- zehnmal Flucht, 
Läßt doch fein Mädchen unverſnucht, 


TS, 


A 








7 ; Der Mann. 
Ein Weib, das bleibt fih niemals gleich 

Iſt täuſchend wie das Wetterreich, 

— Und lacht und weint zum Zeitvertreib: 

Die Laune iſt wohl auch ein Weib? 










Die Fran. 
Berdrießlich ift der Dann im Haus 
Und zieht die Stirne finfter Fraus, 
Er brummt, wo er nur immer kann: 
Der Unmutb ift wohl auch ein Mann? 


je 5 Der Mann. 

er -Zft ein Geheimniß wo verftedt, 

— Das Weibchen d'rein ihr Näschen ſteckt, 

Sie horcht und ſpäh't und forſchet ſchlau: 

—— Die Neugier heißt's, man kennt die Frau! 
E Die Fran. 


Zu Allem, was man Ipricht und denlt, 
Ganz najeweis der Mann fi drängt, 

0 Um ſchlägt fich oft die Stimme an: 
Der Bormwig heißt's, man fennt den Mann! 


Der Mann. 

Und was das Wub nicht All's verthut, 
Bald einen Shawl, bald einen Hut! 
Was wendet fie an Put und Bier? 

Die Mode ift ein weiblich Tpier! 








144 — 

Die Stan. 4 

Und was der Manı nicht All's verpraßt K 
Und zecht und trinkt mit feinem Gaft, A 
Trinft Wein und Punſch und Bairijchbier: 3 


Der Trunk ift ganz ein männlid Thier! 


Der Mann. 


Die Flittertage find werraufcht, 
Das Weibchen nun auf Zanf nur lanfcht; 
In Weibsgeftalt fieht dan der Mann 
Die Hölle in der Nähe an! 


Die Frau. 


Die Flittertage find worber, 
Das Männchen wird num wild und ſcheu; 
Sn Mannsgeftalt geht dann dem Weib 
Der Teufel felber auf den Leib! 


Der Mann 
(mäber rückend und einfenfend). 


Zwar wird beim Weib, man muß gefteh'n, 
Und weiblich oft auch das gejeh’n, 
Was zart und hold ins Leben jcheint: 
Die Schönheit fagt, wie ich's gemeint, 


Die Frau 
(audy näher rückend). 
Zwar ftellt den Mann, ich läugne nicht, 
So mandes Ding in jhönes Licht, 
Oft ſpricht fi) Edles männlich aus: 
Der Anftand ift beim Mann zu Haus. 





"AA 


—— 






ER REN Der Mann. \ 
Das ſchönſte Pflänzchen im der Melt, ? 


















a as Weib es in den Händen hält; 
: Wie heißt das Pflänzchen, zart gebegt? 
000 Die Myrthe, die Die Liebe pflegt! 
* Die Frau. 

Das befte Neis im ganzen Land 
Gedeiht nur unter Männerhand; 
Wie heißt das Neis, fo fruchtbeſchwert? 

Der Lorbeer, den der Ruhm genährt! 


Pr 







Der Mann 
(aufftchend und zu ihr hintretend). 
Doc der Gefühle Hochgefühl f 
——— Dem Weiblichen zu Theile fiel, 
* (vor ihr hinknieend) 
Zu Deinen Füßen zieht es mich: 
An die Verſöhnung mahn' ich Dich! 


Die Frau 
Br? (ibn aufhebend). 

0 Dir fohließeft mir den Mumd recht ſchlau, 
— Das letzte Wort hat doch die Frau; 
Uund daß der Mann es dulden muß, 
ET (indem fie ihn Füßt) 

Beweifet der Verſöhnungskuß. 


* — 2* 
MG, Saphirs Schriften, NIV. Wo 
] Ber, : 








Die Maus, die Ratte und des Nachbars Fran. 


Am Weihnachtsabend jaß, wie immer, 
Im ſchön erbellten Feittagszimmer 
Herr Jobſt Shon manche traute Stunde 
Bei feinem ſchönen Weibchen Gunde. - 
Bereitet lag in aller Ehren, 
Mas Chrift dem Söhnchen will beſcheeren, 
Bei Scherz und Spiel — wer ſollt's nit glauben, 
Auch unter mandem Küfferauben, 
Beim Nüfjeiptel und Pfänderholen 
Entfloh die Zeit auf leichten Sohlen. 
Da raichelt etwas dur Die Stube, 
Und eine Maus jchlüpft im die Grube, 
„Ah, Weibchen, fieh” die Maus nur an!” 
„Nein, eine Natte, lieber Mann!“ 

‚Mein, eine Maus, da hilft fein Sträuben!“ 
„O, bei der Natte muß es bleiben!“ ö 
Und „Maus“ und „Natte“ hört man jchreien. 
„Ha!“ rief der Mann, „das jol Dich reuen!“ 

Er nimmt den Stod und zeigt ihr Klar, 
Daß eine Maus in Zimmer war. 

Nun der Beweis bracht es in’s Reine, 
Und, bald verſöhnt bei Spiel und Weine, 
Berlebte zärtlich dann das Pärden 
Ein bald durchküßtes Ehejährchen, 

Und jaß nach Fahr und Tag, wie immer, 

Am Weihnachtsabend traut im Zimmer. 
Daneben wohnt’ ein Ehepaar, 

Das furz vorher in diefem Jahr 














Die heil'ge Taufe bat empfangen, 
Und, Nenling noh in Eerimonien, 


on Moſes ——— weggegangen, 





Den beil’gen Abend will vollziehen. 

Da ſpricht der Mann zum Weibelein: 
„Beim Nachbar ſchau' ins Fenfter- 'nein, 
Und was Du fiebft, bericht‘ mir treu, 
Damit ich weiß, was thunlich fei.“ 

Gejagt, getban! und durch die Riten 
Das Weib ſieht unſer, Pärchen ſitzen, 

Und in dem Pfänderipiel, dem loſen, 

Sieht man fie wieder jcherzen, koſen; 

Und nedend fliegt von feinem Munde 

Die Frage bin zum Weibchen Gunde: 

„Und denkſt Du noch, Doch deut's nicht schief, 
Wie jest ein Jahr die Maus hier lief?“ 
„Was? eine Maus? Da jebt mir do! ' 
Me Ratte war's, ich jeb’ fie noch!“ 

„Nein, eine Mans, da hilft fein Sträuben !“ 
„Nein, bei der Hatte muß es bleiben !“ 

Und „Maus“ und „Ratte“ hört man fchreien. 


„Sa!“ rief der Mann, „das joll dich reuen!“ 


Er nimmt den Stod und zeigt ibr Klar, 
Daß eine Maus lief jet ein Sahr. 

Und wie den Stod juft auf er blaut, 
Des Nahbars Frau durch's Fenjter jchaut, 
Und denkt zu ihrer Herzenspein, 

Das muß wohl jo Gebrauch bier jein! 
Sie fteigt betrübt vom Fenſter nieder, 
Dem Manne jagt fein Wort fie wieder. 
„Beim Nachbar, Weibchen! was geſchieht?“ 
Das Weibchen finmm zur Erde ficht, 
„Wie ift, mein Kind, die Cer'monie?“ 
Stets ſtumm und jprachlos bleibet fie. 
D 10* 


* hr \ . Pr ar 
Ni ut dal ua schrie, Se ie ar = Dh tn 268 





Fa, 7 


A 


air: 


ds sÄii 


148 


„So Sprich doch, Weib! was fiht Did an? 
Was thut denn jeßt mein Nachbarsmann?“ 
Das Weibchen trüb’ aufs Mieder ficht, 

Er bittet, fleht, er droht, ex ſprüht; 
Doch gar nichts fie zum Reden bringt, 
Bis nah dem Stod er wüthend fpringt 
Und wie der Nachbar e8 beganır. 

Da fragt fie endlih: „Lieber Mann! 
Wenn den Gebrauh Du fon gefannt, 
Was haft zum Fenfter mich gefandt?“ 


Die anten und die ſchlechten Freier. 


Sophie. 
Ad, leider muß man wohl einmul 
Sich einen Mann doch nehmen ! 
Shr Mädchen alle hier im Saal, 
Braut d'rob Eud) nicht zu ſchämen! 
Wer je ein Mädchen war, 
Dem ift es Elar. 


Lonuise. 
Doch ſollt Ihr fortan nicht ſo blind 
Mehr unter Männern wählen; 
Denn wahrlich, heut zu Tage ſind 
Die guten leicht zu zählen: 
Dem jetzt den Stab mein Liedchen bricht, 
Den nehmet nicht! 































‚Gibt meine Schwefter Zeichen Euch, 
Die Böſen zu vermeiden, 

Lehr ih die Guten aljogleich 

Bon ihnen unterjcheiden ; 

Rühm' ih Euch einen an, 

Den nehmt zum Mann! 


z Yonise. 
Sieht Euch ein Mann zum erften Dal 
Und ſpricht ſchon von Gefühlen, 
Bon Himmelsfuft und Höllenqual, 
Don Kopf- und Bruftzerwühlen; 
Dem’s Herz fogleich zerbricht: 
Den nehbmet nicht! 


Sophie. 


Doch fann dem Jüngling, der Euch) ficht, 
Bali Kein Wort vom Munde rüden, 
Pr Wenn er voll Scheu zurück fich ziebt, 
£ Und fieht mit halben Blicken 
Euch nur verftoblen au: 
Den nehmt zum Manı! 


Louise. 

* Wer immer vor dem Spiegel ſteht, 
Den Leib zuſammenſchnüret, 

Wie in die Uniform genäht, 

Ein Modenbild formiret, 

Wer von Pomaden riecht: 

Den nehmet nicht! 





Zophie. 
Doch der mit Vutz die Zeit nicht füllt, 

Geht nur im ſilnuplem Node, 

Der nicht ein alt Famitienbild 

Und auch nicht eine Dode, 

Stets hält die Mittelbabn : 

Den nehmt zum Mann! 


Louise. 


Wer ſtets des Wortes ſüßen Brei 
Mill aus Romanen ſchneiden, 
Wer Euch umfaust mit Schwärnterei 
Aus werland Werthers Yeiden, 
Wer als Souffleur nur jpridt: 
Deu nebmet nidt! 


Sophie. 


Doch der Euch heute nicht citirt, 
Was geſtern er geleſen, 
Wie er auch immer abonnirt 
Auf Klaſſiker geweſen; — 
Der ſchweigt und doch was faun: 
Den nehmt zum Mann! 


Tauise. 


Der bei dem Eintritt ins Parquet 
Gleich in den Logen fuchet, 
Das Schöpfehen ftreicht fich wundernett, 
„Wie leer iſt's bier!“ (an die Erime fahren?) — 
dann fluchet, 
Der mit Lorgnetten ficht: 
Den nehmet nit! 


NEE ET 





Dach wer blos auf die Bühne ſchaut, 


Und nicht in die Couliſſe, 
Der an dem Inhalt fih erbaut, 
Und nicht an der Actrice, 

Der nie zu klatſchen erſt begann: 
Den nehmt zum Mann! 





Louise. 


Mer das Concert blos frequentirt, — 


Br, 

Be 70 Um auf und ab zu wandern, 
>. Die Damenfronte defilirt, 

” — Von einer zu der andern, 

—— Zu Jeder mit den Augen ſpricht: 


Den nehbmet nidt! 











w Sophie, 

—* Doch wer blos ſingen hören will, 

Ag Nicht kommt der Säng’rin balber, 

——— Kaum wiſſend, ob ihr Hut mit TÜl, 
5 0 Eim lichter oder falber; 


Der niemals im Applaus zerrann: 


Be Den nebmt zum Mann! 


- 


- Tonise. 


7 ; Der, wenn er wirbt um Eure Hand, 
ia Ganz füßlich für Euch lebet, 
Und oft ſelbſt Euren Unverſtand 
— Zum Himmel hoch erhebet; 
"ze Der Saus und Braus veripridt: 
Den nehmet nit! 


Dech der nicht — wenn er Sub hei, ) 
Nicht gold'ne Berg’ Euch pinjelt, ——— 
Und wenn Ihr oft voll Launen ſeid, 
Nicht duldſam vor Euch winſelt, 
Der Euch ſtraft dann und wann: 
Den nehmt zum Mann! 


Zonise, 


Nun, Mädchen, fünnt Shr wohl einmal 
Nach dieſem Lied Euch richten ; \ 
Doch alle Männer hier im Saal 
Wird's jchwerlich ſich verpflichteit. 

Der nicht Elatjcht, weil’s ihn fticht: 
Den nehmet nicht! 


Sophie, 
Doch jeder Mann, der nach dem Lied 
Darf kühn um Mädchen freien, 
Wird ungetroffen im Gemüth 
Mir jeinen Beifall weihen ; 
Wer jett brav klatſchen kann: 
Den nehmt zum Mann! 









GE Ehe-Wpift und Picbe-Softon. 


Boston. 
Das ganze Leben bis zum Grab il 
Hat Kartenipielmanieren, ’ 
Das Schidjal hebt die Karten al, 
Der Zufall muß meliren; 7 
Dem Glücklichen jed Spiel geräth, 
Wer Unglüd hat, ift immer — bete! - 







hist. 

> Zum Einjak nehmen wir die Zeit — 

ae Und fönnen’s kaum evwarten, - 
1 An unfrer Seite fit der Neid, 

{ * Und ſchaut uns in die Karten; 

2 8 Und immerfort legt Jedermann 

— Er; Die Hoffnungen als Marken an! 


Boston. 


Die Liebe fängt wie Boſton au, 
Nach meiner Ueberzeugung, 
Da wählet und begleitet man 
a Nach bloßer Herzensneigung ; 
mr) Wer uns recht nah’ am Herzen ift, 
—— Dem ſind wir immer gerne Whiſt! 









ar, x Whist. 

Die Ehe ift das Whiſtſpiel ganz, 
Da kann man nicht mebr wählen: 
Man muß mun icon den gangen Tanz 
Auf feinen Partner zäblen ; 


151 






Beftimmt auch ftets ift Die Partie, 
Man ipielt zufamm und paffet nie! 


Boston. 
Drum in der Ehe ficherlich 
Biel Spiele nicht geriethen, 
Doch, wie bei Bofton, kann man fid) 
Sn Liebe überbieten, 
Bet beiden gibt es feinen Scherz, 
Und jeder Stich geht an das Herz. 


hist. 3 
Sm Whiſt und in der Ehe oft 8 
Verfolgt das Spiel der Dritte; 
Ach, es entdeckt ſich unverhofft 
Spät eine falſch' Invite, 
Man invitirt oft ſelbſt auf Cocur, 
Doch unſer Aid' hat keines mehr! 


Boston. 
Wie Bofton fängt die Liebe an, 
Dan muß jogleich blodiren, 
Wenn vis-a-vis die Tour begann, 
Das Spiel fein prameliren; 
Die Stiche gibt uns Cupido, 
Man ipielet fed — grandissimo ! 


Whist. 
Man hat bei Whiſt und Ehe auch 
Vom Gegenſpiel zu leiden; 
Die Hinterhand — ſo iſt es Brauch — 
Kann nie der Mann vermeiden, 
Die Frau macht immer die a tout, 
Der Mann jedoch gibt ftets nur zu. 








— Boston. 
In Lie b' und Boften wird auch fein 
Nur auf den Rod gejehen, 
Sind Bub’ und Dame ganz allein, 
So iſt's um ihn gejchehen; 
Doc) ift die Dame Singleton, 
So füllt fie mit dem Affe ſchon. 









SEE Whist. 

—— In Whiſt und auch im Eheſtand 
F Wird's Spiel maskirt getrieben; 
— Man glaubt, die Dame ſei zur Hand, 
—— Und find't die — böſe Sieben; 
J Und fordert man nach ſeinem Sinn, 


Iſt ſtets die Frau renonce d'rin! 

















> Boston. 


In Lieb’ und Bofton ſoll man nicht 
Bergebens fih foreiren, 
- Und wenn e8 ums an Trumpf gebricht, 
So muß man's fein couvriren; 
Doch bat man die honneurs en main, 
Gewinnt man feinen Souverain. 


Whist. 


Es iſt gewiß, daß ich mit Recht 
Die Ehe Whiſtſpiel nenne; 
Doch unſer jetziges Geſchlecht, 
Das ſpielt es mit Cayenne; 
Man weiß oft kaum noch, wenn und wie, 
Gewinnt, verliert man die Partie! 


we” — 


——— 


Boston. * 


— — 


In Lieb' und Boſton, wie — 
Muß man auf Pfiffe ſinnen, 

Bei Lieb' und Karten friſch gewagt, 

Macht immer es gewinnen; 

Doch fehlt Figur, dann iſt es chwer, 

Man ſpielt dann immer grand’ misere | 


Whist. 
Ganz iſt Cayenne — Whiſt die Eh', 
Das iſt ja leicht zu faſſen; 
Der Frau muß man mit innerm Weh 
Sein Spielchen überlaſſen; 
Die macht dann oft ſehr ſchlecht Couleur, 
Der Mann verliert d'rob die Honneur! 


Boston. 
Was ſüß bei Lieb' und Boſton iſt, 
Der Wechſel iſt es eben. 
Whist. 
Die Ehe ift ein feſtes Whiſt, 
Der Robber für das Leben! 
Boston. 


Doc bleibt, wer nie ein Herz bezwang, 
Misere-general’ jein Lebelang. 


hist. 


Der Hagelftolz, der ftets allein, 
‚Wird endlich ganz groß Schlemm doch ſein. 


J 









157 


— Beide. 
* Wer Lieb' und Eh' vereinigt ſah, 

RN Gewinnt das Spiel: Concordia! 

E, 

x 

N Fe 

ö x „Ha“ 

(Ein einjylbiger Roman.) 

a — Man glaubt gewöhnlich ſo im Leben, 

— Es käm' nur auf die Größe au; 

—* Ich aber will ein Beiſpiel geben, 

Daß oft das Kleinſte groß ſein fanır. 

Das Wörtchen „Na“, man jollte meinen, 

$ Bon keinerlei Bedeutung Ipricht's, 

Mit einer Sylbe zu ericheinen, 

; Das ift jo gut ja wie ein Nichts; 
Da kann man größ've Worte haben: 
Der „Federmeſſer-Fabrikant“, 
Der „Feftungs-Maner-Waffergraben“, 

7 Der „Bulvermagazinen- Brand“, 

. ß2 Und noch mehr Worte jo dergleichen, 

F Die wie Gebirge ſtehen da; 


Und doch ſind ſie nicht zu vergleichen 
Mit dem ganz winz'gen Wörtchen „Na!“ 


} „Na!“ jagen Sie ſchon ungeduldig, 

2 „Kommt aber dev Beweis noch nicht?” 
* „Na! nur Geduld, ich bin nicht ſchuldig, 
Br Der Dichter ſchrieb fo dies Gedicht.“ 





155 


Im Wörthen „Na“ liegt Lieb’ und Schmolfen, 
Auh Vorwurf, Troß und Schelmerei; 
Verſöhnung, Neigung, Luft und Grollen, 
Coketterie und Nederei. 


Nanette und die Tante ftickerr, 
Nanette ſchaut durch's Fenfterglas; 
„Ra!“ brummt die Taute, „welche Blicke! 
Du Ungezog'ne! ſchickt fih das?“ — 
„Na!“ jagt das Nichtchen, „welch’ Sera 
Als ob das eine Sünde wär!” 
Doch nicht umſonſt hat fie geſehen, 
Denn ihr Geliebter kömmt daher; 
„Wie kömmt er ſpät! Das ſoll er büßen!“ 
Schon wetterleuchtet ihr Geſicht, 
Er ſtürzt herein zu ihren Füßen; 
„at“ ſchmält fie, „ziere Dich nur nicht! 
Wo Dur geblieben, bleib’ auch künftig, 
Sch hab’ Did) wahrlih nicht vermißt!“ 
„Na!“ fleht er, „Nettchen, ſei vernünftig, 
Ich weiß nicht, wie Du heute bift.” — 


„Rat“ ſchmollt fie, „hat ſich was zu wiſſen, 
Wenn der Patron bei Andern bleibt.” 
„Na!“ ruft die Tant' von Nähekiffen, 
„er weiß, wo der herum fich treibt!” — 
„Na, na!“ fagt er, „beruntgetrieben? 
Wo fie nicht ift, Hab’ ich nicht Ruh'.“— 
Sie blinzelt: „Na! wo bift geblieben ? 
So ſprich, ich höre Div ja zu.“ — 
— Ich bring’ Div etwas, rath' Nanette !" — 
„Du? na! das wird was Rares fen ;“ 
— ‚Na, Shan! es find Eoncertbillete, 
Ich führe morgen Dich hinein.“ 








u Vi rl ae Br 








& —— Ber y £ 

— > Dergleichen, weiß man, muß verſöhnen, 
Siie lächelt ſchlau: „Na! jo gib her! 
Wein gutes Herz wird Dich verwöhnen, 


5 - Das Schmollen wird mir gar zu schwer.” - 
Er will verſöhnt fie nun umfaſſen, 


„Na!“ ruft fie aus und kehrt ſich weg. 

„Na!“ jchmeichelt er, will fie wicht laſſen, 

„Na, na!” grollt fie, „das ift Doch Fed!" — 

Er will fie dringender umfangen; 

„Na! Sie!“ fleht fein heißer Mund; 

‚Na denn!“ ſpricht fie, und reicht die Wangen 

Dem Glücdlichen zum Yiebesbund. 

‚Na na! was fir ein Liebgekoſe?!“ 

Ruft nun die Tante brummend aus; 

‚Na, Tantchen! hier ift eine Dose, 

Dieß Prischen ift ein wahrer Schmaus.“ 

Sie bitten nun um ihren Segen 

Und fleh'n: „Na, liebes Tantchen, na!“ 

Da ſchmunzelt fie: „Na! meinetwegen, 

Da habt Ihr Euch, ich ſage Ja!“ — 

„Na- endlich!” rufen fie voll Freude, 

Das ift doch noch ein Tantchen, na!“ 

„Schon gut!” jagt fie, und wehret beide 

Salblächelnd won fi ab: „Na, na!“ 

Nun wend' ich mich an Euch hier Alte, 
Und frage: „Na! hab' ich nicht Recht? — 
Wenn's auch zum Beſten nicht gefalle, 
Heißt's doch wohl: „Na! es iſt nicht ſchlecht!“ 


* 


* 
J 
F 
— 
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3 





160 


Der Tod und fein Weib. 


(Ein Schwank.) 


Der Tod verklagte einſt vor Jobis Thron, 
Wie folgt, den weiſen König Salomon: 
„Bert! diefer weile König ſprach, 

Und Narren, Weile fagen’s nad): 

„„Ein böſes Weib ift ärger als der Tod!““ 
Wird irgend Jemand nun won mir bedroht, 
Sp lacht ev mich noch höhniſch aus, 

Es heißet nur von Haus zu Haus: 
„Bas droht der arme Wicht denn noch? 
Ein böſes Weib ift ärger doch!“ 

Als d'rauf der Tod voll Ingrimm ſchweigt, 
Sprit Salomon, das Knie gebeugt: 
„Befiehl, o Herr! daß er im Menjchenleib 
Auf Erden frei’ ein Eheweib, 

Und nennt er meinen Spruch noch dann bizarr, 
Dann ift der König Salomon ein Narr.” 
Und Supiter, dem manche Erdenmaid 

In's Götterauge Sand geftreut, 

Sein »fiat« Sprit. — Der Tod auch alfobald 
Zur Erbe fteigt in Mannsgeftalt, 

Schulmeiſter gleich frifirt den Kopf, 

Im rothen Rod und langen Zopf, 

Und holte gleich im erſten Ort 

Der Wand’rung eine Witwe fort, 

Die kürzlich erft ins Paradies 

Den jehsten Mann fpazieren ließ. 

Nachdem fie ihrem Veit und Mar, 

Dem Hinz und Kunz, dem Bold und Star 

























Die Leichenred' erbaufich bielt 





Und ihn dabei redht angeſchielt, 

Ging munter das verliebte Paar, 

Zum Pfarrer bin und zum Altar. 

Dod da erkannt der Gottesknecht 

An dürrer Hand den jchlauen Hecht, 

Und rufet ihn in’s Kämmerlein: 

„Herr! wollt Ihr bier getraut nun fein, 

Verſprecht mir, daß, wenn einſt mein Stündlein 

ſchlagt, 

Ihr die Geſtalt als Tod noch tragt: 

Schulmeifter gleich frifivt den Kopf, 

Mit rothem Rod und langem Zopf!“ 
Der Tod verſpricht's und alſogleich 

Steht unfer Paar in Hymens Neid. 

Da leben fie auch kurze Zeit 

In Frieden und in Einigkeit; 

Er würzet ihr die liebe Eh’ 

Mit wenig Zank und viel Caffee; 

Doch, kann ein Weib ftets freundlich fein? 

Die Weltgeſchichte Spricht hier: Nein! 
Bald hört er, wie bei ftiller Nacht 

Ein fanft Gebet fein Weib vollbracht: 

„D fomm, Du freundlich lieber Tod, 

Befreie mich) von meiner Noth!“ 

Daß ſolch' Gebet verdrießlich macht, 

Wird feinem Manne je verdacht. 


Bald ſtellte ſich nach Sonnenſchein 
Ein Handgemeng', ein Plänkeln ein, 
Vom Plänkeln kam's zum Fauſtgefecht, 
Und Sieger blieb — das ſchwach' Geſchlecht. 
Schulmeiſiers ſchöner Lockenzopf 
Begoß ein heißer Suppentopf 


om G. Saphbir's Schriften, XIV. BD 11 
#7 








Bald ward fein rothes Fefttagstleid z 3 
Bon Mehlgeihirren überjchneit, — 
So, daß der Tod bald lendenlahm — — 
Auf immer heilſam Reißaus nahm. 
Er ließ auch dann der Jährchen zehn 
Nichts hören von ſich und nichts ſeh'n. ! 
Da wird vom Pfarrer fie beichidt, | 
Den ſchon das Sterbeftindchen drückt, ze 
Der ſchwach und leiſe jpricht zu ihr: 
„Ad, gute Marthe, bleibt bei mir, 
Verſprecht mir, daß, bis ich erbleicht, 
Ihr nimmermebr vom Bette weicht! 
Dafür ſollt Ihr auch ganz allein 
Nach meinem Tod’ mein Erbe fein.“ 
Die Marthe, willig und bereit, 
Pflanzt fih ans Bett commod' umd breit, 
Den Fliegenicheucher in der Hand, 
Wie auf dem Poften ein Sergeant. 
Da naht der Tod fich aljobalt, 
Wie er verſprach, in Mannsgeftalt: = 
Schulmeifter gleich frifirt den Kopf, 
Im rothen Nod und langen Zopf. 
Und als er jo in diefer Tracht 
Beim Pfarrer ftil die Thür aufmacht, 
Erfennt Frau Marthe ihren Mann 
Und fängt zu lärmen wüthend an, 
Indem fie faßt ihn am Genid: 
„Da! hab’ ih Did, Du Galgenftrid?" 
Und „taufend Wetter Element !“ E: 
Begleiten dieſes Kompliment. 
Da huſcht der Tod zur Thür hinaus 
Und denkt, fie geht wohl bald nah Haus! 
Und tritt nad einem Stündehen fein 
Beherzt bei jeinem Opfer ein, 






















Da fliegt an Kopf ihm alzumal 
Der Spudnapf und die Suppenſchaal'. 
Der Tod entflicht zu Jovis Thron! 
Und ruft: „DO recht ipra Salomon, 
Ich trau’ mich nicht an Pfarrers Leib, 
* Denn an dem Bette ſitzt mein Weib! 
— Doch, daß ich bald das Ende ſchau', 
Hol' ich als Ted erſt meine Frau!“ 
Wie man vernimmt, hat ſeit der Zeit 
— Der Tod auch nimmermehr gefreit; 





x 





— Doch, daß er einſt ein Eh'mann war, 
Es Zeigt fein Gerippe hell und Kar. 

Bi! 

# 


Franenherz und Eiſenbahn. 


er Ein Frauenherz und eine Eijenbahn, fie gleichen 
Sirch alle beid' faft auf das Haar; 

F Wer jo mit beiden fährt, ift gar nicht mehr fein eigen, 
Der fremden Macht gehört er ganz und gar, 
Den eignen Willen muß man ganz vergeffen, 
Iſt man auf beiden einmal — aufgejefien. 


Bevor man fo ein Frauenherz befahren, 
- Da gehts mit feinen Actien Halloh ! 
Doch fängt man endlich an, davanf zu fahren, 
So fahr’n die Actien zurüd: o ho! 





5% 
s # 
164 TR 
E ve 24 —* 
Ein Frauenherz geht vorwärts, ungezügelt, 
Es trotzt der Zeit, dem Elementenkampf, 
Und die geheime Kraft, die ſeinen Lauf beflügelt, 
Iſt, wie bei einer Eiſenbahn: — der Dampf, 
Will es geſchwinder noch in ſeinem Lauf von dannen, 
Braucht's einen Hansdampf nur noch vorzufpanuer. 


Sa, mit den Hansdampf iſt gar nicht zu ſcherzen, 
Er ſchnaubt und pfeift im jeiner Seele tief, 
Und ſchleppt oft jechzehn leere Frauenherzen 
Gleich fort mit fi, wie ein Locomotiv, 
Und ift das Frauenherz nicht weit gejcheidter, 
Sp fommt mit lauter Pfiff er immer weiter. 


Ein Frauenherz weiß jeine Fahrt ſchon zu belohnen, 
Macht bei dem Hauptziel manchen Nebenjchritt, 
Es macht gar oft jo — Zwiſchenſtationen — 
Und nimmt noch nebenbei jo Manchen mit, 
Und mit der Zeit, ſo wills bisweilen uns gemahnen, 
Baut fih das Trauenherz auch — Flügelbahnen. 


Die Billetdour zur Fahrt bekömmt man durch die Kaffe, 
Sie jpielen alle Farben: gelb und grau und grün, 
Mer mehr bezahlt, bekömmt die erfte Elafje, 

Doc deshalb fahren fie nicht befjer drin. 
Und wollt Ihr in die Frauenherzen ſchauen, 
So fißen in der dritten Claff' — die Grauen. 


Hat man dag Frauenherz verfaumt nur die Sekunde, 
Sp gebt e8 ab; da hilft fein Nafen, Schrei'n; 
Dod laufe man nicht nad), man warte cine Stunde, 
Dann kömmt's zurück und ladet ein; 


— 


— 






ey —J gi 
BR * 
on. Tages: — fahre ab!” und wartet doch noch häufig, 
F * Techniſchen heißt das: Der Zug geht ſo bei— 


läufig!“ 


Zedoch man muß geſteh'n, Sie werden ſchon erlauben, 
Die Frauenherzen ſind ſehr frequentirt; 

Man braucht ſich nach der Fahrt nicht abzuſtauben, 
Beſonders ſchnell wird man da erpedirt; 

— =. 3m Gegentheil, man hat kaum Platz genommen, 
So ruft man ſchon: „Ach Gott, wie bin ich ange— 

⸗ kommen!“ 


F 
t 


3 e. 
N 


(Zum Rublifum.) 

x Nicht wahr, jett lachen Sie wohl, meine Herren, 
Weil e8 den Frauen gilt, ich felber ſag', 

ur - Sch bitte Sie, zu viel fih nicht darauf zu ſperren, 
Wer weiß, was von dem Mann zu jagen ich vermag! 


# h Ah! Sie erichreden? Gut! ich laſſe Gnad' ergeben, 
SZSeebdoch, geborgt ift nicht geſchenkt — auf Wieder: 
& jeben! (Ab.) 

—* — 

(Beim Hervorrufen.) 

* 


Wie! Hör ich recht? Ich ſoll noch einmal kommen, 
Sie fürchten meine letzten Worte nicht? 

Wohlan! Zuerſt ſchön' Dank! (verneigt ih) und nun hab' 
ich mir vorgenommen 

— uUud wie gerufen kömmt mir die Geſchicht' — 

—* Ich rede jetzt, und drohte mir auch Köpfung, 
VBom Mannesherzen, vom Wauwau der Schöpfung. 












Ein Männerherz — darauf muß ich mich fpreigen, 
Ein Männerherz ift gleich der Eiſenbahn, 
Man muß das Männerherz beftändig heizen, 
Und alle Augenblide ſchnaubt es grob uns an, 
Und nöthig find ihm oft die böfen Zangen, 





Denn jonft ift gleich fein Feuer ausgegangen- — 

Ein Männerherz iſt ein Waggon, ein breiter, 3 
Man rüdt da dutzendweiſe nur heran, > 
Wahr ift’s, man kömmt damit wohl immer weiter, 


Denn jo ein Mänuerherz — das hält nicht an —! 
Und mit dem Billetdour geht's zu! ich wette, 
Auch ohne Platz vergibt es noch Billete. — 


Ja, ſolch' ein Männerherz hat Vorzug, unverhohlen, 
Noch vor der Eiſenbahn wohl irgendwo, 
Man braucht kein Holz, braucht keine Kohlen, 
Ein Männerherz, das heizt man auch mit — Stroh. 

Kurzum, es gleicht der Eiſeubahn in allen Arten, 
Denn, wenn man will, macht es auch — Ertrafahrten. 


(Zum Bublifum.) E 
Iſt's wahr? Hab’ ich nicht recht? Was jagt mir Shre 
Miene? 
Sch weiß, Sie nehmen mir den Scherz nicht chief! : 
Sch, ih kann nichts dafür, ich bin blos die Maſchine, 
Der Dichter, von dem's ftammt, ift die Locomotiv’! 
Sind Sie, Berehrtefte, mit mir nicht gut gefahren, 
Soll die Locomotiv' von mir es ſchon erfahren. 































„singe, wen Gefang gegeben!“ 
(Eine declam. Geſangs-Etude.) 


Singe, wem Geſang gegeben!“ 
Heißt ein deutſches Dichterwort, 
Und ſo ſingt denn Alles eben 
Auf Spektakel und auf Mord. 
Denn e3 fingen nicht nur jene, 
Denen Sang gegeben war, 

Nicht nur Nachtigallen, Schwäne, 
Nicht allein der Lerchen Schaar; 
Singen fann man Alles jehen, — 
Hören aber nicht, fürwahr — 
Gänſe, Enten, Naben, Kräben, 
Wiedehopf und Kajuar. 


_ Denn in unjern Singvereinen 


Singen Kinder jhon Tenor; 
Wenn Papa hat die Valuta 
Auf der Börſe zugeſetzt, 


„Wird die Tochter assolulta 


Auf's Theater maufgeſetzt; 

Wenn der Mann die Frau verlaſſen, 
Weil er feine Stimm’ im Haus, 
Rächt er fih an allen Claſſen, 

Schreit fih im der Oper aus. 

Ah ja! Wahr iſt's! Das find Wonnen! 
Wenn man bei der Oper ft. 

Ah ja! Zu den Primadennen 

Hatt ich ftets ein groß’ Gelüſt. 


- 168 


Beifall hört man nur in Opern, 

Und fie ſtöhnen: „Ach!“ — „Charmant!“ — 
Und die Männer jchlagen Knoppern 
Sich vor Jubel an der Sand; 

Und die Frauen zuden, niden 

Mit dem Köpfchen ohne Ruh', 
Senfen’s, heben’s mit Verzücken 

ie ein kranker Kafadır. 

Iſt die Stimme ganz rebelliich, 

Kann man fingen gar fein Stüd, 
Reiſ't man fort und macht ſich wälliſch, 
Kömmt als Prima dann zurück. 

Ach, ich brächte gern ein Opfer, 

Gäb' das Schauſpiel gern in Kauf, 
Nehmen mich die Notenſtopfer 

Nur in ihre Gilde auf! 

Kömmt man doch durch Goeth' und Schiller 
Nicht zu Geld und Renommé; 

Doch kauft man ſich für ’nen Triffer 
Bald ein Gut am Comer-See. 

Sa, ih will's jest auch probiren, 

Bin zu Haus ja, und allein, 

Niemand fanın mich recenfiren, 

Sch verſuch' jet mein Latein. 


Was fing’ ih geihwind — von Hayden? 

(Zie fingt etwas aus der „Schöpfung“.) 

Das iſt claſſiſch? — Fort damit! 

Mozart? Glud? — Bon diejen beiden ? 

(Sie fingt wieder einige Noten.) 

Damit madt man feinen Schnitt, 

Sing’ ich zum Pianoforte 

Lieder, die fein Geift vermocht, 





Br 0 hd 2 a a 2 5 a8 















AG 


„7 an heißls —— ohne Worte“ 
Der „Kerzen ohne Dot“. 

Nein, ich will nicht viel riskiren, 
Möglich, daß mich Semand hört; 
Will ein Liedchen blos probiren, 

Nicht zu ſeicht, nicht zu gelehrt. 

— Doch — ach — Gott, es iſt entſetzlich! 
Annoneiven muß ic) mich, | 
„Unwohl — heiſer — bin id — plötzlich —“ 

Bitt' um Nachſicht inniglich. ? 

Setzt fih und fingt.) 





(Beim Herausrufen.) 
Wie? Sie haben mich gehört und applaudiren? 
Ah, das muß mich freu'n, das muß mich rühren, 
ie, - Und da Sie mich rufen, ficherlich, 
66 ich alle Stimmen hier für mich, 
a Gegen mic wieleiht nur Eine, 
Welche? — Meine! — 


rc 


Splitter und Balken. 


(Gelegenheite ⸗Spaß zur Declamation in halbloeglem Dialeet.) 


Viel Richter gibt es auf der Welt, 
Man nennt ſie Splitterrichter; 
Wenn Jemand was ins Auge fällt, 
So ſchneiden fie Gefichter 








170 


Und ziehen gleich den Splitter aus { 

Und tragen ihn von Haus zu Haus, X 
Und fragt man jo 'ne Fledermaus: 

„Was find Splitter und was Balfen?“ 

— So ſtehen s da wie Talfen! 


Ein Eh’paar Shmollt ein Bischen g'rad', 
Da fommt dazu ein Dritter, 
Der trägt's dann aus, jo früh als fpat, 
Und 's war doch nur ein Splitter. 
Kommt er zu Haus zu jeinem Weib, 
Fährt fie ihm hölliſch auf den Leib, 


Daß er nit hinterm Dfen bleib’, | 
Und fagen Sie aud) zehn Mal: „Nein!“ ; 
Sch Sag’: „Da muß ein Feiner Balfen fein!“ . 
„Die Nachbarsleut',“ jo jagt zum Manne die > 3 
Frau Mahn: ; 

„Die leben gar nit bitter, - E 
In Wochentagen eſſen's Millirahm;“ 
Das iſt doch nur ein Splitter. 2 


Shr Mann, eis Wächter auf der Eijenbahn, 
Beahtt gar nit des Weibes Bahn, 

Und fie ißt täglich nur Faſan. 

Und jagen Sie mir zehn Mal: „Nein!“ 

Da drunter muß ein Balfen fein. 


„Mein Kind,“ jo fagt das Weib zum Mann, 
„Die, die da drüben hat an Nitter; 
Denn er begfeit't fie wie 'n Galan;“ 
Das ift doch nur ein Splitter. 
Doch fommt er früh nah Haus, ob weh! 
Da fiten zwo aufm Canapee, 
Und diskurir'n von Wind und Schnee. 











2 
Art: 


gr Und fagen Sie mir zehn Mal: „Nein!“ 
Im Canapee da muß ein Balfen fein! 





Ich hab’ fein Geld,” jo jagt der Manır, 
„Für lauter Band und Flitter,” 
Und fährt dabei die Frau recht ar; 
Das ift doch nur ein Splitter. 
Allein der hübſchen Gonvernant!, 
Der ſchenkt er oft ein Seideng'wand, 
„Den Kindern z'Lieb“, wie er's genannt. 
Und jagen Sie mir zehn Mal: „Nein!“ 
Im diefer Kind’stich muß ein Balken fer. 


Manch’ Recenjent, der führt fein Amt 
So ſcharf als wie ein Schnitter, 
Hat Manches Shonungslos verdammt, 
Und 's war dod nur ein Splitter. 
Doch manchmal über ſchlechtes Zeug, 
Da macht er einen mürben Teig 
Mit Zuderfant und Lorbeerzweig; 
Und jagen Sie mir zehn Mal: „Nein!“ 
Im Zuder muß ein Balken fein. 


Durch Unglüd macht ein Mann Bankrott, 
Dann fommt jogleih das G'witter; 
„Er trank Champagner, Iebte flott!” 
Und 's war doch nur ein Splitter. 
Doc jein Caſſier, jetzt Millionär, 
Ia, dem erzeugt man alle Ehr’ 
Und „Hochverehrter !” bin und ber; 
Und jagen Sie mir zehn Mal: „Nein !” 
Solch' Balken gibt es allgemein. 









17% 


[ 


# 


Das Menſchenleben anzuſchau'n, 
Aus Schmerz und Luſt ein Zwitter; 
Der Maibaum und der Diſtelzaun, 
Sie haben Blüthen und auch Splitter. 
Doch endlich kommt Freund Hain herauf, 
Zieht alle Splitter aus in Hauf, 

Und legt ein Bischen Erde d'rauf, 
Und in dem kleinen, kleinen Schrein 
Wird das der letzte Balken ſein. 


Schwimm-Leckionen auf dem Trocknen. 


Das Waſſer iſt die Loſung jetzt zur Stunde, 
Nur „Waſſer!“ ſchreit Die ganze Welt, 
In's Waſſer jhidt man Kranfe und Gefunde, 
Das Wafjer foftet jest das meifte Geld; 
Nicht zeitgemäß ift es, mit Wein den Durſt zu löſchen. 
Wer Zeitgeift hat, der trinkt jett mit den Fröſchen! 


Der alten Heilfunft ſchießt man eine Breiche, 
Das nenefte Syftem ift pudelnaß, 
Die Kranken werden jett tractivt wie Wäſche, 
Die Mediein, das ift das Waſſerfaß; 
Man wird gefeift, gewalkt, geftriegelt, 
Getrodnet, eingeihlagen und gebügelt. 


Der Hoffnungslofe ftürzt nicht fih ins Waifer, 
D nein, er ftinzt das Waſſer jest im ji! 
Wie glücklich find jest Dichter und Verfaſſer, 
Ein jeder jagt: „Mein Gräfenberg bin ih!“ 


au — 





— Die Seillunſt bracht' es endlich ſchon zuwegen, 
Die Leut wie — Waſſergurken einzulegen! 


Doch wäſſert man jett nicht nur Patienten, 


Auch die Gefunden müſſen in das Wafjer nein, 





Wir jhwimmen um die Wette mit den Enten, 
Wir holen ſchwimmend jeden Karpfen ein; 

Geht's fort jo und die Menjchheit wird noch älter, 

So fängt man bald die Menſchen aus dem Kelter. 


Sa Schwimmen muß jest männlich, weiblich, jächlich, 

Der ganzen Welt geht's Waſſer ſchon zum Mund! 

Es ift curios, man ift jo oberflächlich, 

Und geht troß alledem fo leicht zur Grund. 

Ein jeder Stand im allen Erdenregionen 

Nimmt jett in feinem Jah — Schwimm-Lectionen. 


Wenn auf der Handelsbörfe wir jetst gehen 
Zur Geifterftunde — zwiihen Zwölf und Ein — 
Da fan man eine große Schwimmſchul' ſehen, 
Da ſchwimmt, und plätſchert, rudert Groß und Klein, 
Und Mancher kann gar nicht aufs Trockne kommen, 
Das fommt daher, er hat ſich feſtgeſchwommen! 


Sie machen Sprüng’ in allerlei Geftalten, 
Und Mancher fpringt jo hoch faft wie ein Haus, 
Sie ſchwimmen ftart — um oben fih zu halten, 
Doch Manchem gebt gar bald der Athem aus, 
Der jpringt vom Trampolin — doch, troß der Mühen, 
Sinkt er hinab; wer wird heraus ihn ziehen? 


Das Schaufpiel auch, man ſieht's al’ Augenblide, 
Was wird es jonft als eine Schwimmſchul' fein? 





- Die Meifter muß man da befonders honoriren, 


[ 


Der Herr Director hätt die Kunft am Side, 23 
Doch plumpt er jelber oft hinein, 

Er rudert noch herum mit den Genofien, 
Er fommt wohl noch heraus, doch wie begoſſen! 














Die Liebe jelbit — es Klingt fat nicht geheuer — 
Gleiht einer Schwimmſchul' das ift. jonnenflar, 
Doch die Lectionen, die find etwas theuer, 
Und gute Schwimmer find unmenihli rar; 


Weil, ftatt am Strid, die uns am Bandel führen! 
Beim Lieben gibt e8 immer Schwimmerfcenen, 
Das liebend’ Herz ſchwimmt erft in Trunfenbeit, 
Das liebend’ Aug’ Shwimmt dann in lauter Thränen, - 
Das liebend’ Baar, das jhwimmt in Seligkeit; 
Und ift die Liebe bis zur Eh’ gefommen, — 
Wird umgekehrt und gleich zurüdgejhwommen! 


Das Declamiren auch iſt wie das Schwimmen, 
Man fragt erft, wie wiel Grad die Dichtung bat? 
Sn tiefer Dichtung, da läßt's gut fih ſchwimmen, 
Doch jeihte Dichtung macht den Schwinmer matt; 
Und ift man fertig und betritt das Ufer — 
So fiud die befte Stärkung — Bravorufer. 6.) 


Repetitiond-Strophen. 
Wie? brauchen Sie noch Lectionen? 
Sie lernen etwas bart, bei meiner Treu! 
Die Männer wollt! ich beute ſchonen, 
Allein fie rufen mit Gewalt ihr Loos herbei! 














— meine — es iſt die letzte! 


Das erſte Tempo heißt: „Das Knie gebogen!“ 
Das zweite heißt: „Gefaltet fromm die Hand!“ 

I Das dritte heißt: „Im großen Bogen 

er Er Beſchreib' der Mann, was ev empfand!” 

-- Und mit dem größten Tempo wird beichloffen : 

— — Mund, den halte man ſtets fein geſchloſſen!“ 


—— 


= z Allein wie kurzathmig find doch die Liebesihwimmer! 
F Es iſt, als hätte Jedermann den Dampf, 
Sie ihwimmen faum in Lieb’ jo weit als wie ein Zimmer, 


Ad, jo befommen fie jogleih den Krampf! 


> Das ift da gewefen . 
und das iſt noch nicht dageweſen. 


— 


Er. 


Der Winter kömmt, Lawinen geben nieder, 
Im ſchweren Echlummer liegt Natur wie Blei, 
„Des Lebens Mai blüht einmal umd nicht wieder“, 
Fi Nur die Concerte blühen immer frisch und neır. 
Die Alad'mien find jest unſre Winterrofen, 

F Es ſchneit Artiſten, regnet Virtuoſen, 


Sind bei den Männern jet: tempi passati. 3 


mu. a En a 
- f ĩ “u Per e * 


176 


Und Wunderfinder wiegen fih in unfern Ohren, 

Bon denen jeßt werden nur Drillinge geboren; 

Man gebt gelangweilt fort von all dem Klimperweſen, 

Und jagt verdrießlih: „Das ift auh ſchon da gewesen!” 


Sie. 


Doch gibt's im Leben viel euriofe Dinge, 
Die vormals noch nicht dageweſen find; 
Daß ic) ein Beiſpiel nur geſchwind jeßt bringe: 
Die Wafjerheildoctoren, hochgeſinnt, 
Die waren im Berein zuſamm'gekommen, 
Ein Jeder hat ein Faß voll Waſſer mitgenommen, 
Ganz Deutichland horchte auf Das Weltereigniß; 
Sch aber fah das große Weinverzeihniß, 
Das fie zum Waſſertrinken durchgeleien, 
Und muß gefteben: „Das ift noch nicht da gewesen!” 


Er. 


Ein neues Stück ericheinet endlih noch nach Sahren, 

Die Künftler geben fich die größte Müh', 

Das Publikum, es ftrömt herbei in ganzen Schaaren, 
Gefüllt find Logen wohl, Parterr' und Galerie; 

Man lacht, man hört wicht auf zu applaudiren, 

Dean glaubt, e8 müßt’ die Leute amüfiven, 

Der Necenjent geht fort zu Wein und Schweizerfäfen, 
Und jagt nichts weiter, als: „Das ift ſchon da ge- 

wejen!” 


Sie. 


Ein Stück füllt durch, und allgemeiner- Tadel 
Spricht laut fi aus im Bühnenpublikum, 
Die Sprache matt, der Inhalt ohne Adel, 
Die Charactere flach, die Löäöſung dumm; 





* 


— a 22 — 





N: ag’ Kirlehhr: „Das Ding mag dod) jo viel nicht 

* taugen,“ 

Und: „Der Kritiker tadelt's nicht aus bloßem Böſen?“ 
Glaubt Ihr das wohl? ‚Nein, das iſt noch nicht da 


E- i gewejen!” 
Bi: Er. 

— Mathilde ſitzt, wie eine Roſe blühend, 

Im Abendkreiſe, ſpannend auf ihr vis-A-vis. 


Und ihr zur Seite Emil, ganz von Liebe glühend, 
M Und ſchwört, er lieb’ allein nur fie, 


Und ſpricht: „O, wenn Sie wühten, welch’ ein ſüß Behagen 


Es ift, ein liebend Bild im Herzen tragen!” 
J Doch fie erwidert mit naivem Weſen: 
— „Ach! das iſt alles längſt ſchon da geweſen!“ 
















*— alt, 
Sabine ſchmollt, er liegt zu ihren Füßen, 
Ein Körbchen voll Geſchenke bringt er ihr; 
5 Bergib, mein Herz, ich will ja gerne büßen, 
- Aus diefem wähl' das Allerſchönſte Dir! 
s Denn ſolche Lieb’, wie die zu Dir entbronnen, 
u | War noch nicht da im Lauf der Weltenfonnen !“ 
chh glaub’s,“ jagt fie, als fie das Schönfte ausgeleſen, 


- Er 

Wenn man die Roſe einmal hat gerochen, 
Weun einmal uns entflammt die Gluth, 

Wenn ein Gedicht man einmal hat geſprochen, 

Wenn nur einmal man aufgehabt den Hut, 

Wenn man nur einmal uns vergöttert, 

Wird man auf einmal auch entblättert, 

MO. Saphir's Schriften, XIV. Bo 12 


„sa, mein Geliebter, das ift noch nicht da gewesen!“ 





Da heißt's fogleih von Wien bis zu den Irokeſen = E 
Mit einer Stimme nur: „Schon allesda geweſen!“ He 


Sir, 


Zwar Vieles war ſchon da, zum Beiſpiel Sängertumen, 


Die ohne Stimme machten jchredlich viel Metall; : 
Zwar Vieles war ihon da, zum Beilpiel: Tänzerinnen, 
An deren Wagen zog ein edler Menfchenftall ; 

Sedo, daß je ein Denker, ein Gelehrter, 

Ein Dichter, war er auch ein vwielbewährter, 

Wär ausgezeichnet wie die leeren Flitterweſen, 

Beim Himmel! „Das ift noch niht da gewejen!“ 


Er. 

Es bildet, um was Großes zu wolführen, 
Sid ein Verein mit Müh’ und großem Fleiß; 
Die Sammelbögen alle civeuliren, 
Ein Jeder jendet fie in feinen Kreis. 
Da fitt ein Filz, verftehet fich, ein reicher, 
Gefüllt mit Armenſchweiß find feine Speicher, 
Er nimmt den Bogen, und nachdem er ihn geleſen, 
Sagt nichts er, al: „Das ift ſchon da geweſen!“ 


Sir. 

Man ift jetst wie werrüct faft mit den Todten, 
Auf Mozart und auf Haydn trinft man Meere aus; 
Bon ihren Werken fauft man feine Noten, 

Man fauft nur Lanner oder höchſtens Strauß. 

Wir haben Steine nur für Monumente; 

Daß man jedoch Das kleinſte Steinchen gönnte 

Zu einem Haus für den, der noch nicht ijt verweſen, 

Für Einen, der da lebet — „Das ift noch nicht da 
gewejen!“ 








an ener auf und ab zu wandern, 
Ra ein Genuß, das beißt: man tbut, als ob es cimer 
wär’; 

Nur Genreſtück!“ O Ochs und Kuh aus Flaudern! 
Und Beſenbender, Bettlerkarren ſammt dev Mähr', 

BE» ‚bier ift die Natur natürlicher noch, als natürlich, 

& ungenirt, jo sans facon, fo geiftreih unmanierlich, 
Man ſchaut es au, das Mauvais genre-Wefen, 
Und denkt: „Natur, du bift zu oft ſchon da ge- 

* weſen!“ 












rg 
i 

we 

* 





Sie. 


Ein Kranker liegt im Bett und weiß ſich nicht zu rathen, 
Der Extrapoſten gibt's jetzt veel ins — Unterland, 
Gevatter Tod hat jetzt gar viele Pathen, 

Somödopathen, Hydropathen, Pathen allerhand; 

Beſtimmt war ein Conſilium, ſchon kömmt der Eine, 

Und fragt: „War das Conſilium nicht da um Neune?“ 

Der Kranke ſchöpft nun Hoffnung, zu geneſen, 

Fra jagt: „Gott Lob! nein, das tft mod nicht da 
gewejen!‘ 


(Beim Herausrufen ) 
Sie find zufrieden, ſchlagen in die Hände, 
Say id: „Sie find zu mild. — Das ift ja eben da 
gewejen!“ 
"Sie rufen uns heraus, wir fommen auch Lebende, 
Und jo mit Herzensluſt, „als wären wir noch gar 


nicht da gewejen!“ 
12* 


















Man legt die Hand auf's Herz. 


er a * 

— Und iſt der Dichter da, zeigt man auf ihn befceiben 3 
er Doch daß man's aud jo meint, — „iſt nod nie ba ge 
weſen!“ Br 
J Dann geben wir noch Zuwag ein'ge Zeilen, Be" 


Wie Dieje hier, und — „das auch ſchon da gewefen!® “: 


Dann geh'n wir ab; doch ob wir aus dem Haufe eifen,. 
Nicht noch einmal zu fomm.n? — „Das ift noch nit 
a da gewejen!“ — 


—38 


N — 


* 

— 

— 

TREE Das alte Lied von der nenen Beit. 5 

"98 Mit einem Lied ver Zeit joll ich die Worte winzen? t 
Die Zeit ift gar furios! Mir wird ganz bang! — 
Wenn ich verſuch, fie jetzt hier zu verkürzen, — * 
Bird fie dadurch vielleicht erſt g’rad’ recht lang! —— 


Jedoch ich mach' es ſo wie and're Leut', F 
Wenns nicht geräth, jo that's der „Geiſt der Zeit”. —— 


Der Seiſt der Zeit!“ Ja, wer den Geiſt erfunden, — 
Der war gewiß ein grundgelehrter Mann; — 
Geht Alles ſchief, zu allen —— 
Man hängt die Schuld dem Geiſt der Zeit nur an; 





RE VERS 



















a an Jemand eine Dummheit macht, vier Finger breit, 
Wer what die Dummheit daun gemacht? Der Geiſt der Zeit. 


7 Bee Geift der Zeit? Ei was! Es gibt gar feinen; 
9, glauben Sie e8 mir, es ift nicht wahr; 

Die Zeit läßt feinen Geift ericheinen, 

Und dann der ge: bat feine Zeit — 


— Geiſt der Zeit, der iſt ein gar curiofer, 
8 ‚malen ihn verichieden, die Genies; 
Im blauen Igel ſchildert ihn der Moser, 
- Und Beranger beichreibt ihm in Paris; 
Der Holzhau'r jelbft, er jpaltet keck jein Scheit 
And Ihimpft: „So jpaltet ji der Geiſt der Zeit!” 
B; 2 4 1 
Der Zeitgeiſt wirft in'n Zeitenſtrom die Kieſel, 
—* Und glaubt, er hält den Strom der Zeit nun auf; 
Allein dadurch wird laut nur ſein Gerieſel, 
Er murmelt immer lauter nur im ſeinem Lauf; 
Man ruft dem Strome zu: „Halt auf! Woher? Wie weit?" 
Der Strom geht über; das iſt auch der Geiſt der Zeit! 









—F 


B: Der Geiſt der Zeit hat lange ſtill gegohren, 

Er lag in Schmerz, in Qual zuſamm'gekufft, 

Er krümmte lange ſich, und bat Bo 

Ein Zwillingspaar, fie heißen: „Dampf und Luft“, 
Der Geift der Zeit, das beißt: „Der Menſch im Kampf 
3 N Mit Actien auf Luft und Aetien auf Dampf.“ 


> 
„Die Zeit wird mir zu kurz,“ jagt bald wohl Einer, 
Doch Niemand jagt: „Zu kurz wird mir der Geiſt;“ 
ge Geift bringt Roſen,“ aljo jagt wohl Keiner, 
ie Zeit bringt Roſen,“ jagen Alle meift, 

08 

— 


An 5 








Und wo der Zeit ein Geift die Roſen knickt, 
Da bat der Geift der Zeit an ihnen fich erquidt. 


Der ein’ge Geift der Zeit, das ift Die Mode, 
Der Zeitgeift ift nur Das, was Jeder g’rade trägt, 
Die Zeit allein macht Alles zur Methode, 

Und Geift hat der, der fich im ihr bewegt; 
Der Zeitgeift jagt: „Mau führt bet Jemand vor 
Und ſchickt Statt fich Die Karte mit dem — Ohr.” 


Der Geift verlangt, den Menſchen zu gefallen, 
Die alten Häufer einzureißen dort und bie, 
Die Zeit jagt: „Wartet, bis von felbft fie fallen, 
Allein dazu Shidt auf Die Börſe fie!” 
Der Hausherr nebenan wird's wahrlich nicht verweigern, 


Denn dann kaun mit dem Zeitgeift er den Zins au 


fteigern. 


Geht in das Gafthaus man zum Mittagseffei, 
Sft da der Zeitgeift als Homöopath; 
Begehrt man Wein, fo läuft der Zeitgeift unterdeffen 
Zum Keller jchnell hinab als Hydropath, 
Und wenn der Kellner dann die Nechmung zieht, 
So iſt's der Zeitgeift auch, der Alles doppelt fieht. 


„Die ganze Welt jol Shwimmen, auch die Frauen“, 
Sp will's der Zeitgeift oder das Geſchick, 
Und o, wie oft kann man fie ſchwimmend jchauen, 
Sie kommen oftmals gar nicht los von ihrem — 

5 Strid. 
Der Zeitgeift Spricht zum Mann: „Kigarren raucht!” 
Weil zu Cigarren feinen Kopf man braucht. 


* 








ein a und raſch, und dann gleich) 

Denn dauert's wiederum bis halber Viere, 

50 bleibt fein Hung’riger auf feinem Ort; 
E90 ſpricht der He: und Sie fchweigen? Gar fein 

k Wort? 

* SER ſchon, das heißt: „Schreit du auch mit dem 
—— Zeitgeiſt fort!“ 


Etuden. 


— ——— Ja, das Wort iſt jet modern, zwar nicht 
} chineſiſch, 

Nicht rococco, doch bei den Deutichen eingeführt, 

x Denn erftens ift Dies deutſche Wort — franzöſiſch, 

I Bir babens nicht entlchnt, gediebt, wir habens — adoptirt. 
— Der Deutſche hat ein Vaterherz, ein leichtgerührtes, 

Ir Hr er wo ein unglüdlih Wort, er aboptirt es. 


Ettuden!“ Ja ein Wort, das man vor Jahren noch nicht 
8 kannte, 
Ein Wort, für's Affeetiven recht gemacht, 
Doch „Studien!“ Das Wort verſteht ja nicht Die Gouvernante, 
Da wilrden wir von ihr nur ausgelacht, 
Sliudiren! Ah, das klingt fo deutſch, fo diesſeits rheiniſch, 
Een heißt e8 auch „geochst” auf gut Lateiniſch. 















154 


Etuden ift das Stedenpferd jetst aller „Sften“, 
Die fühlen ſich jeßunder ganz charmirt, 
Horniſten, Pianiſten, Harfeniften, Geigeniften 
Und Alles, was das Hirn uns trepanitt; 
Studiren ift jo Schwer, daß man es gar nicht Fünnte, 
Brächt' man's zu wege nicht durch Inſtrumente, 


Und weil c8 jeßt jo gäng’ und gebe ift im Leben, 
Daß man ftudirt im Angefiht vom Publikum, 
Genire ih mich heut’ auch ganz und gar nicht eben, 
Studire hier nur ein mein Künſtlerthum. 
Geſchwind! 's ift Zeit Shon! Est periculum in moral 
Wir Frauen abjolviren blos die Humaniora! 


Ich hab’ ſtudirt Cothurnum, — fo zu jagen — 
Die Stelzen von des hohen Stöckels Tragödie; — 
Sch hab’ ftudirt den Soccum, den fie tragen, 
Das heißt, Die wol’nen Soden in der Komödie, 
Die Bühnen find curiofe Dicafterien, 
Wer da gar nichts ftudirt, befommt die längften Ferien! 


Mit deutſchen Bühnen geht e8 wie mit alten Burgen, 
Sie füllen ein, wie immer man fie renovitt, 
Tantiemen nützen nichts und Dramaturgen ; 
Die Dichter ſelbſt find ſchon zu ftrapazirt, 
Sie jchreiben nicht für Thalien, nicht für Melpomenen, 
Sie ſchreiben Nollen nur für Diefen und fin Senen. 


Ad, wär ich nicht ein Frauenzimmer und vangivte 
Nah Herrn inne zum Schwächlichen Geſchlecht', 
Ich würde Necenfent und ich tractirte 
Die deutjchen Bühnen fo, wie ich es gerne möcht! 
So aber, da die eine Bühne täglich nur wird Schlimmer, 
Probiv ich's mit „Local“. — „Es thbuts halt nimmer!“ 








— 
4J = Was fie aus Modebüchern in fich fog, 

— Doch wie ſie ſo ſchön deutſch ſpricht, wie aus einer Schachtel, 
WVerſetzet ihr das Wieneriſche plötzlich eine Dachtel!“ 


as mit Accent, dem Bien. fie — 


„O Frühling,“ ſchwärmet fie, „ih muß hinaus nad Baden, 
= Es hült Natur fih ſchön im ihre Feiertracht, 
Die Blüthen und die Blumenkelche laden 
Mich dringend ein mit ihrer Zaubermacht, 
Daß ich de8 Morgens munter in den Düften wandel', 
Und Abends geb’ ih zu der Milli-Mariandel!“ 


Dann redet vom Theater fie mit Mundverdrehen, 
„Ah, geftern war ich in dem Volksſtück d'raus, 
Ad, das Jargon! Man kann fie kaum verftchen, 
Man hält ja diefen Dialect faum aus! 
Mein Mann zwar lachte über dieſe Sprache der Barbaren, 
Ana aber jagt’ ihm! „Ach, laß mi aus mit dem 
Schmarren!“ 


Am Putztiſch fit fie und der Freund daneben, 

Sie ſpricht won Poefie und Lit'ratur: 

„Sn Schiller nur allein ift dichteriiches Leben, 

Da ift der Styl fo Har, vom Fremden feine Spur, 

Die Sprach’ jo rein, jo zart, fo Har und edel,“ — 

- Da fticht die Zofe fie; fie jchreit: „Schlampete Gredel!“ 

i * Geſchmeidig iſt die Sprach', genannt: die Wieneriſche, 
In Sie fügt ſich gleih dem Witz und dem Gemüth, 
Sie kann auch edel fein im ihres Kernes Frische, 
Bi. Sie kann auch zärtlich jein in einem Heinen Lied. 






BEN 


Und duftig ijt fie dem, der nur fie weiß zu pflegen 
Wie's erfte Beigerl auf den „Marzi-Regen!“ 








Auch zum Gefang ift fie, o lächeln Sie nicht höhniſch, 
Auch im Gefange ift fie mild und fanft und weich, 
Zwar nicht für den Salon, nicht italteniich, 

Dod für ein Liebchen und ein Stübchen überreich, 
Und ſollt' es Sie, Verehrte, nicht ermüden, 
Studir’ ich hier noch einige Eruden. 


(Hier wird ein Geſangsſtück eingelegt.) ” 


Doch ſtill! Jetzt ift ja dieſe Saiſon, die Staggione, 
Auch wälſche Oper, wie man lieber will, 
Jetzt iſt Saiſon für Spargel und Canzone. 
Du einfach' G'ſangl, du, ſei mäuschenſtill! — 
Drum leg’ ich meine Stimme jetzund nieder; 
Sohanna geht; doch ruft man fie — jo kehrt fie wieder. 


Ealenderweisheit und Aprilmarcen. 

Dir Lenz ift da, der Lenz mit feinem erften Blüthen, 

Die Beiden blüh'n im März, die Narren im April; 
D, im April, da find die Narren gut zu miethen, 

Da ſchickt man fie, wohin man felbft nur will. 
Doch nur der Erfte ift beftimmt zum Narrenfefte, 

Denn nur bei Narren heißt's: „Der Erfte tft der 

/ Beſte!“ 





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Ach, dem Kalender ift jetzund nicht mehr zu trauen! 
Die Zeit läuft raſch, Kalender hat den Fuß verftaucht! 
Neujahr! — da kann man jett am jeder Thüre jchauen, 


Daß feinem Menjchen man was Gut's zu wünſchen 
E braudt! 
Sa, im Kalender fteht wohl ftets Die alte Feier, 


Doch, wenn fie Frühling“ jchreiben, wird das Holz erſt 


tbeuer! 


Und was für Aberglauben fie verbreiten 
Im Bolf, das wird mit Worten faum gemalt! 


Im Februar heißts: „Lichtmeß ift!” und gleich zur 


Seiten: 
„Bom erſten Viertel wird der Zins bezahlt.“ 
Die Zeit ift nie jeßt an der Zeit, wenn Sie erlauben, 
Allein es gibt Schon Hausherren, die jo was nech glauben. 


Dann heißt es „Faſchings-Ende“, und danı wieder 
Aorta Im 
„Haften ! 
Sa, im Kalender ftcht e8 jo, doch anders auf dem Tiich! 
Wir effen mit Parteigeift und dem Geift der Kaften! — 
Wir nehmen Theil mehr an dem Ochſen, als am Fiſch! 
Und daß man für den Hausball jeinen Schmud verpfände, 
Die Zeit fängt grade an am „Faſchings-Ende!“ 


Im März, jo heißt's, erwacht der Lenz und feine Sänger, 
Erwacht Natur aus ihrem Schlaf, wie Blei; 


Allein jett ſchlummert die Natur ſchon etwas länger, 


Und Herr von Lenz der ſchnarcht ojt neh im Mai. 


Des Lenzes Sänger find, wie alle jest — dramatisch, 


Ganz feft aufm Blatt, der Geſang ift problematiſch. 


Schön's Wetter gibt 8, wenn an diefem, jenem Tage, 
Der Bär ein wenig aus der Höhle gebt: 


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ii Yan 


Allein, auch das ift nur Kalenderjage, 

Wie jete Eh'frau das von felbit verſteht, 

Da geht der Bär aus feiner Hohl tagtäglich), 
Und doch gibts Donnerwetter ftets nadträglic. 


Und weil der März vergeht mit Hoffen und mit Harren 
Auf einen Frühling, der nicht fommen will, 
Und Hoffen, Darren gar jo Mancen macht zum Narren, 
Drum find die Narren zeitig im April. 
Man fanır fie foppen, neden, ſchicken da am ſchlimmſten, 


Denn die geihteten Narr'n, Die find auch ftets die dümmſten. 


„Die Frauen find April,“ fo jagen doch die Männer, 


„Bald trüb, bald heiter, kühl jetzund und gleich d'rauf heiß!“ 


Und weil fie find April, jo ſchicken ihre Gönner 
Am Erften fie ein Bischen auf das Eis. 
Aprilgeſchickt find ftets die Hochgeſchätzten, 
Dom erften Jänner bis December danır den legten. 


Der Jüngling fragt und fragt e8 zehnmal wieder: 
Ob er gewiß auch allererfte Liebe fei? 
„Der Liebe Mat blübt einmal und nit wieder!“ 
Erwidert fie und jenft das naſſe Aug’ Dabei. 
Auf Diefe Art kann man mit Wort und Blicken 
Am lichten Mai in den April fie fohieen. 


Nur keinen Narren joll man fi zum Eh'mann wähle, 
Die fisen überm Hals und ftets zu Haus, 
Man muß mit ihmen ſtets zu Haus fich quälen, 
Denn Narren gehen nur das ganze Sahr nicht 
aus! 
Schickt man fie nit in den April zumeilen, 
Sind fie ſo ungeſchickt, uns langzuweilen. 





4 


5 N; —— UT E * 
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* Var 189 
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in Menſch kaun ja ger“ Weltenloos entgehen: 

= | den April wird jeder Menſch geſchickt, 

Er mag nun fahren, reiten, kriechen, gehen, 

Das kümmert den nicht, der ihn ſchickt. 

* Doch wunderbar! Ein Narr, der kriecht, kömmt oftmals weiter, 
Als ſonſt ein Kluger kommt, und wär' er auch ein Reiter. 


Am allermeiſten doch, am allermehrſten 
J Schickt ſelber ſich der Menſch in den April, 
In dieſer Hinſicht zählt er ſtets den erſten, 
—— Da ſteht ihm der Kalendertag ſtets ſtill. 
223 Bon einer Hoffnung ſchickt ex ſich zur andern, 
" Mm bis zum Grabe ftets April zu wandern, 


Und — die Concerte jett und die Afadenien, 

Die ſchicken gar in den April bei Nacht. 

Da fieht man, was die Künft fin Lichter zuehen, 
Wenn man die Kunſt jo recht beim Licht betracıt'. 

Doch fill! Biel Lichter ſeh' hier an allen Eden, 

‚Du muß ſich fo ein feines Lichtlein gleich verfteden? 


Hinter-dem-Ofen-Lieder. 


Bringet Holz, doch nicht vom weichen, 
Bringet Holz von harten Eichen, 
Deutiches Holz vom dentichen Stamme, 
Daß da werde deutiche Flamme, 

Daß da werde deutiche Lohe, 
Weich zu Fochen Dentichlands Rohe; 





Denn es kommt ein hart gefinnter, 
Eisbelad’ner, deuticher Winter ; 
Und es muß dem Deutichen loden, 
Hinterm Dfen deutich zu beden, 
Hinterm Dfen deutſch zu wohnen. 
Bıingt das Holz der Urteutonen, 
Gebet deutſche Knüppel leſen, 

In den Speſſart und Vogeſen. — 
Hermann's Geiſt mit Rieſenſchenkel, 
Suche Holz für Deine Enkel! 
Rübezahl muß Kein es hadeı, 
Däumling auf den Rüden paden, 
Daß die Deutihen Deutjchberathen, 
Deutſch fih hinterm Dfen braten. 
Deutihe Kachel, deutſche Breite 
Deutſcher, derber Dfenieite, 

Mit dem dicken, runden Bauche, 
Nimm’ uns auf im Deutschen Rauche! 
Laß beim Saft vom deutiyen Hopfen 
Uns die Pfeife finnend ftopfen; 

Laßt uns denken, tief wie Hegel, 


Wie man deutjh wird nad der Pegel; 


Mie man, fingend deutiche Strophen, 
Deutjchland frei nacht hinterm Ofen; 
Hinterm Ofen trachten, dichten ! 
Hinterm Dfen Lieder dichten! 
Hinterm Ofen aufbegehren ! 

Hinterm Ofen weltbefchren! 

Hinterm Ofen Weisheit greinen! 
Hinterm Dfen Deutſchland einen! 
Hinterm Ofen Dome thürmen! 
Hinterm Ofen Zufunft ftürnen ! 
Hinterm Ofen, binterm Dfen, 

Bidt man Deutichlands Kataftrophen. 


> 












































NMehmet von den dichten Stöden, 
Schichtet einen Scheiterhaufen, — 
Und die Stadt von allen Ecken * 
Soll zu meinem Ofen laufen! — 
Hoch auf ſoll die Flamme lodern! 

Kommt herbei, Ihr Deutſchlands-Schätzer! 


Zu Gerichte will ich fodern — 
Einen großen, deutſchen Ketzer; 
00 Führt ihn ber, den feiſten Sünder, - “ 
Hand und Fuß müßt ihr ihm ſchnüren, 2 
Weil er ſchon die keinen Kinder * 


In der Schule will verführen. 

Weil, ſo weit die deutſche Zunge 

Auf der Erde iſt verbreitet, — 
BE Dieſer freche, dumme Junge 2 
— Deutſche auf den Abweg leitet. — 
Baſtard Du aus Irmin's Lenden, 

Nicht vom deutſchen Teut Entſtammter, 
In den Flammen ſollſt Du enden, 

Du aus Deutſchland fort Verdammter! 
Räaãub'riſch „D!“ o Uſurpator, 

Willſt Du ſtehm an Deutſchlands Spitze?! 
Schou naht, Deutſchland! dein Salvator, 
Bringt Dein „IT“ zum Ehrenſitze! 7 
Wenrft das „D“ mir in die Flamme! — 
Ha! wie's lodert, kniſtert, prafjelt! 
Segumd mit der deutichen Amme 
Kömmt das „T* herangeraffelt. 

Bivat „I!“ im Lorbeerkrange! 
Dentichlands Wohl ift weich gebettet, 
Und ich hab's im wollen Glanze 
Hinterm Dfen bier gerettet. 


TR, 


Kuh Zr a. 7 


sis 


192 


3. 


Deutſche Frauen, Damen, Zofen, 
Mädchen, Witwen, Jungfern, Alte! 
Kehrt vom Land zurück zum Ofen, 

Er allein iſt ſtets der Alte! 

Er allein iſt ſtets beſtändig, 
Wie vor Jahren iſt er heuer, 
Und in ſeiner Bruſt beſtändig 
Wohnt das keuſche Herzensfeuer. 

Müde ſeid Ihr wohl vom Schwärmen, 
Satt habt ihr Romantik eben, 
Sternlicht kann das Herz nicht wärmen, 
Sehnſucht kann vom Thau nicht leben; 
Tannendüfte will die Lunge, 

Doch das Aug' will auch das Seine; 

Mondſchein iſt ein lieber Junge, 

Doch ihm fehlen Fleiſch und Beine. 

Manchmal zwar kömmt angeritten 
Sp cin Schwarm Stutenten- Futter, 
Schwärmen für die Semmeljchnitten, 
Schwärmen für Die gelbe Butter, 
Tummeln fih mit uns im Freien, 
Schaufeln fi) mit uns im Nachen, 
Doch zum Lieben, doc zum Freien, 
Will nicht Einer Anftalt machen. 

Tauben girren, Hühner gadern, 
Auf das Feld zieht raſch die Sichel. 
Auf den Bergen fieht man adern 
Und im Thal macht Heu der Michel; 
Blumenfträuße, wie die Niejen, 
Gold'ne Fiſchlein im Behälter ; 

Doch das Herz hat nichts von dieſen 

Und man wird auch immer älter. 





o L 


Darum Frauen, Damen, Zofen, 
Witwen, Mädchen, Jungfern, Alte! 
Kommt hierher nur hintern Dfen, 
Daß Eu'r Herz nicht ganz erfalte! 
Amor, ah! Ihr wißt's ja Alle, 

- Er geböret zu den Blinden, 
Blinde find im meiften Falle 
Hinterm Ofen nur zu finden. 
4. 

Auf den Strafen, auf dem Plate, 
Iſt die Thorheit ftets zu schauen, 
Und man bört fie, wie die Kate, 
Bon den Dächern laut miaucn. 
Hinterm Ofen fitst die Wahrheit, 
Und das Wiffen hinterm Ofen ; 

* Hinterm Ofen kam die Klarheit 
Und das Licht den Philoſophen. 
bi Falſchheit auf der Straße lauert, 


EL Lärmend, tofend, ftets aufs Neue, 


Hinterm Ofen, ftillgelauert, 


0 Liegt des Haufes Pudel: Frene! 


—5 Wer die Welt will ohne Schranken, 
Braucht dazu die Welt voll Waffen; 
Hinterm Ofen in Gedanken 


Re > Kann man fie aus Nichts evichaffen. 


5. 
Hinterm Ofen ſitzt manch' Einer, 
Der da wär" ein Bonaparte, 
Wenn er ftatt dem Ziegenbainer 
Schwänge Säbel und Standarte, 
Hinterm Ofen lungern hundert 
Weltgenies und Eifenbelden, 
Und das Weltgeſchick fich wundert, 


Daß ſie fich ibm gar micht melden. 


6. Saphir's Schriften. XIV. Bd 




















- Hinterm Ofen, Compaßregler! 
Kann man Bahn durh’s Meer erfunden, 
Hinterm Ofen, Weltumfegler! 

Ward Amerifa gefunden. 





6. 

Hinterm Dfen redigiven 
Will ih Mujen-Almanade! 

Will von bier aus requiriren 
Ale lyr'ſchen „O!“ und „Ache!“ 

Späne, Splitter — von Gedanken 
Häckſel, Füllſel, Neibiel. Schnitzel, 
Breite Proſa in den Flanken, 

Und inmitten Versgebitzel. 

Die Novellen a la Wachsmann, 
Bon den grünen Skribel-Sunfern, 
Und daneben fol von Flaxmann 
Ein geſtoch'nes Bildniß flunkern. 

Hier ein Weib, zur guten Stunde, 
Flicht ein Lied zu breiten Schlupfer, 
And’re mühen fih, vom Munde 
Proſa wie Charpte zu zupfen. 

Alles fol jein Scerflein ſteuern, 
Schwäbiſch, pomm'riſch, ſächſiſch, wendiſch, 
Was man hinterm Ofen leiert, 

Nennt der Ofen: — vaterländiſch! E 


- 


i. 
Hinterm Dfen, für Die Deutjchen, 
Muß der arme Autor Dichten, 
Mus die Mufen tüchtig peitichen, 
Deutichlan?s Zukunft einzurichten. 
Und Apoll' als Mufterreiter, 
Ausftaffirt mit Waaren-Ballen, 




















Deutſchland in den Börienhallen. 

„Die Erlöfung zu beginnen,“ 
— Läßt der Gott fich froh verlauten — 
„Muß man Baumwoll’, Garn und innen 
Billig überall vermauthen!“ 


. 8 
Wenn wir uns zujanmenvotten, 
Hinterm Ofen auszujhnaufen, 
aſſen wir die größten Flotten 
Bor dem Ofen Stapel laufen. 
Eine Seemacht zu begründen 
Mit-Fregatten und Gallionen, 
Wird gar Niemand leichter finden, 
- ALS die hinterm Ofen wohnen. 
Denn der Ofen madıt empiriſch, 
Und Empirit macht uns ethijch, 
UUnd die Ethik macht uns Iyriich, 
Und die Lyrik macht phrophetiſch. 
Bon der Weſer über Danzig, 
Durch den Ochſenberg von Kreide, 
Gehen täglich über zwanzig 
Kriegsſchiff nach der Hajenhaide. 
Wo der Sprea Fluthen ſtürmen, 
* An der breiten Pankow Mündung, 
Wird ſich hoch ein Pharus thürmen, 
Deutiher Seemacht zur Begründung. 


13* 


Ya 


196 





Une hochdeutſch, oder: der Gnakftreid)- 


u a a 


Nach langer Mühe iſt es endlich mir gelungen, 
Der deutſchen Sprache völlig Herr zu ſein, 
Sie ſo zu ſprechen, wie die hochdeutſcheſten Zungen, 
Zu ſprechen klar ſie und vom Dialect ganz rein; 
Kein „Gangen's“, kein „Jküß' d'Hand“, 
Kein „Halt!“ — das bin ich gar nicht mehr im Stand; 
Es iſt bekannt, daß ich fo edel fpreche, 
Wie in dem Burgtheater nur die Rettich und eh'mals 
die Peche; 
Aber g’rad’, wenn id) jo im erhabenften Saß, 
Gibt's mir einen G'nackſtreich, und pfutich '8 ift Die Kat’_ 


Es ift fo Schön, das Deutsche rein zu ſprechen, 
Befonders wenn mit der Gelichten man fo jpricht, 
Da fann man recht jo nad dem Herzem Stechen, 
Wenn man um's Wort die Schönften Phraien flicht. 
Wenn Lieb’ verfucht, jein Lieben ihm zu ſchildern, 
Spricht Lieb’ jo gern in füßen Blumenbildern, 

Sie jpricht mit Worten, Die das Herz jo rühren, 
Daß fih das Trruticherl muß werichameriren. 


Wenn im Gewerbverein ich eine Rede balte, 
Wie fließt Beredtfanıkeit von meinem Mund; 
Wenn ic das Deutich jo wunderrein entfalte, 
Wie ftaunt ringsum die ganze Tafelrund’, 
_ Und mit Begeifterung erftredt fi) meine Suade 
Auf Leder, Ziegel, Knoppern und Pomade, 
Die Gluth, die mich ergreift, ift nicht zu Löfchen, 
So daß ich fuchli oft, in’ Tisch möcht inne pleſchen 





Wenn ich als Hauptmann danır an cinem Feiertage 


[3 


- Am Stod am Eijen Bürger exercir' — 


So iſt es allgemein nur eine Sage, 
















Daß ich die Truppe hochdeutſch commandir ; 


Ich laß mein Nacepferd auf hochdeutſch traben, 


Ich reit! hinauf, hinab, am Koblmarkt und am Graben; 
Sie ftchen Alle jchweigend da, als wie gefuebelt, 
Nit aner murt ji — ſonſt wern’s glei verwebelt. 


Beim Bier des Abends fiten Necenfenten, — — 


Denn die Kritik iſt eine durſt'ge Leidenſchaft, — 


Ich ſpreche mit in lauter Argumenten, 

Mein Wort iſt voller Blüthe, voller Kraft; 

Ich falle ihrem Urtheil wüthend in die Speichen, 

Sie halten mich für einen ihres Gleichen; 

Ich ſchimpf' auf Schiller, Goethe, Mozart und Genevali — 
Da halten's glei das Maul und werden ganz pomali. 


* 


Auf's Land geh' ich im Frühling gar ſo gerne, 
Wie herrlich prangt das Götterweib „Natur!“ 


Ganz anders iſt der Himmel da, die Sterne, 


Ganz anders iſt der grüne Schmelz der Flur! 
Die Bäche murmeln und die Wälder rauſchen, 
Die Nachtigallen ſüße Lieder tauſchen, 

Ich ſeh' den Abendſtern gar mild erzlänzen, 
So, daß ich röhren muß und Thränen trenzen. 


Ich deelamire auch, doch nur äſthetiſch, 
Erhaben iſt mein Ausdruck, rein iſt mein Accent. 
Ich liebe Alles, was ſo recht pathetiſch, 
Und Gluth und Blut und Muth in jeder Zeile brennt, 
Wenn von des Dichters Bilderungewittern 
Die Wangen glühen und die Herzen zittern, 





Und wenn die Thränen fo die Wangen überſchwemmen, 
Daß fie vor Flennen nit zum Bafchen kommen fünnen. 





Nepetition. 

Ich weiß, mein Deutſch, es muß mir Roſen bringen, 
Die ſchönſten Nofen bringt's mir eben jebt, 
Denn Shre Huld muß mi mit Glück durchdringen, 
Ich hab’ ala Höchſtes immer fie gejchätt, 
Es iſt jo für, den Kennern zu genügen, 
Es iſt das höchſte irdiſche Vergnügen, 
Die Kunſt ſitzt traurig ſtets im Lebenswinkel, 
Das Außapaſchen is ihr anzig's Herzensbinfel. — 


Der literarifch-gefellige Tag- und Nachtkwächter. 
Redackeur Schuhu, 


oder: 
Die reiſenden Kunſtvögel. 


„All' meine Herren, laßt Euch ſagen, 
S'hat Concerte über Concerte geſchlagen!“ 


Schuhu ſitzt beim Redigiren, 
Schuhu iſt ein Redacteur; 
Schuhu ſitzt beim Kritiſiren, 
Schuhn iſt ein Kritiſeur; 
Schuhu ſitzt beim Compiliren 
Aus »Gazetted und aus »Voleure« ; 












Schuhu ſitzt beim Corrigiren, 


Um ihn Blätter kreuz und quer; 


Schuhu ſitzet in Papieren, 

Man ſieht kaum den Schuhu mehr; 
Schuhu ſitzt bei g'ſchloſſſnen Thüren, 
Iſt zu ſprechen gar ſo ſchwer; 
Plötzlich kömmt es zu marſchiren, 
Trab herauf die Treppe ſchwer; 
Künſtler ſind's, die Zeit-Vampyren, 
Schier ein Virtuoſen-Heer; 

Kömmt mit Geigen und Clavieren 
Und mit Baß und Flüte-Travers, 
Mitten Prin, auf allen PVieren, 
Wunderkinder mit Geplärr! 

Hilft fein Läugnen, bilft fein Zieren, 
Ad, da hilft nicht Gegenwehr! 

Will ſich Kein’s von binnen fchieren, 
Bis dem Schuhn ward die Ehr', 
Daß fie bei ibm fi) quartieren, 
Bis fie g'habt „die große Ehr!“ 

Und von allen Luftgethieren 

Kömmt nun an das große Heer! 


Monsieur Rabe (tritt cin). 


„Suten Morgen! Bin der weltbefannte 
Große Nabe, bin beicheiden, fage blos, 


Daß man feinen größern kannte, 


Keinen größern Birtuos, 

Daß man allgemein mich nannte: - 
Musje Rabe tres famohs! 

Hier find Briefe, ſechs und zwanzig, 
Alle an den Nedacteur, 

Sechs von Pommern, acht von Danzig, 
Zwölfe fommen über's Meer. 









































200 Re 


Und ich bitte ganz beſcheiden, 
Künd’gen Sie den Wienern aut, 
Wie die Wiener zu bemeiden, 
Daß gefommen ſolch' ein Mann! 
Können jagen, daß ich einzig ; 
Bin in meinem Fach, 

Stimm und Schule, Schönbeit eint fid 

Unter dieſem Lodendad) ; 

Können jagen, daß ein Jeder, 

Der mid hört', in Wonnen ſchwamm, 

Und am End’ als großen Köder, 

Setzen Sie noch dies Programm!“ (Rabe ab.) 


Fräulein Dohle (flattert herein). 

»Ah! La vötre! Fräulein Dohle!?“ — 
„Monſieur Schuhu? n’est-ce pas?« — 
„Schuhu, ja, vom Kopf zur Soble, 
Zu Befehl bin ich jetzt da!” 
»Vous savez, Monsieur, bin Altiftin, 
Magdeburg mein Vaterland, 
Mais Monsieur, comme erande Artiſtin, 
Ih ſchon lang’ fein Deutſch verftand ! 
Bin tout-a-fait nun Cuntatrice, 
Nir mehr Sängrin allemand, 
Hab’ gemacht Furore in Fenice, 
Wie's Theater abgebrannt ! 
Will mi nit lafj' engagiren, 
Non! Non! Deutichland ift nit meine Welt, x 
Weil ih g’rad thu' durchpaſſiren, 
Will ich nehmen deutſches Geld! 
Können ſagen: Meine Kehle 
Sei jetzt ganz Olivenöl, 
Und die deutſche Philomele 
Gegen mich nur ein Kameel! 





4 





Können mich vecommandir, | 
Daß Tedeſchi die Drechi k 
; Und die Taſchen öffnen mir!“ (Dohle ab.) \ 


Monsieur Kibit;. 
„Suten Morj'n, erjeb'ner Diener! 4 
Herzens-Männken! Nedacteur! 
Bin een Mime, een Berliner, 
Bring’ Empfehlungsjchreiben ber. z 
Spiele Allens, trajiih, komiſch, 


Epifodens mit Jefühl; % 
Aber Alles anatomisch, F 
Wie es Tiedens haben will. 2 
Recenjentens kenn ich keene, ; 
Sind mir alle tout einjal! % 
Ihre Kritik nur alleeıre ; 
Iſt für mir een Extra-Inade, J 
Annoncir'n Sie, daß ich bier. 
Was da ſteht in Ihrem Blahde, 
Ah, das ehret doppelt mir! — 
Wenn ich jebe achtzehn Rollen Ba 
- Hier in kurzer Zeit, jeſchwind, v3 
Redacteurchen! 3! dann follen J 
Sie mit mir zufrieden find.“ (Kibitz ab.) x 
Bi 

Lord Stord. x 2 

„Bin ein Künftler, ſag' «8 troden, F 
Denn beſcheiden Lump nur iſt, * 
Und ich trage meine Locken 7 


Bald wie Thalberg, bald wie Liszt, 
Trag' wie Döhler die Cravatte, 

Und bin blaß wie ein Genie, 

Und wo einer Tadel batte, 





202 


War ich grob auch wie ein Vieh 
Bitte gleich zu annonciren, 

Daß ic) gebe zwölf Concerts, 

Weil ih bald muß abmarſchiren, 
Denn man wünfcht mich allerwärts. 
Können jagen: Alle Site 

Sind vergriffen ſchon voraus, 

Daß aus jeder Fingerſpitze 

Springt ein Damon mir heraus! 
Und daß oben im Drchefter 

Um die Sit’ ift eine Heß’. 

Und nun guten Abend, Befter, 
Sie befommen zwei Billets.“ (Storch ab.) 


Madame Warhtel. 


»Prima Donna assolula 
War ih zwei und vierzig Sahr, 
Noch nimmt Deutichland die Valuta 
Meiner Stimme an für bar, 
Freilih eine alte Schadtel 
Nennt mid mancher Böſewicht, 
Aber eine Madam Wachtel 
Altert wie die andern nicht. 
Stimme hab’ ich zwar verloren, 
Aber Spiel hab’ ich, ein claffiih Spiel! 
Stimme dringt nur in die Ohren, 
Doch das Herz, das ift mein Ziel. 
Seht fein Ton aud) aus dem Munde, 
Reiß ich weit auf doch das Maul, 
Und ich fterbe eine Stunde, 
Denn ih bin im Spiel nit faul. 
Schreiben Sie mit großen Lettern: 
Madam Wachtel ift jetzt bier, 





% 
= 
* 






























uno fie wird darnieder ſchmettern 
Jedes andre Säugethier; 
Denn ſingt einmal Madam Wachtel 
Den getreuen Geſang, 
Wird für künftige Fiasko-Dachtel! 
Allen Sängerinnen bang.” (Madame Wachtel ab.) 


Monsienr Wiedehopf und Mamsell Kranich. 


„Monſieur Schuhu, wir ſind Weſen, 
Wie die Welt noch niemals ſah, 
Haben Sie denn nicht geleſen 
Alle Blätter von Europa? 
— Elßler, Beftris, Taglioni 

a Tanzten Alle nur jo jo! 

, Und wie Mijpeln zu Maroni 
Steht zu uns die Cerito! 
Wenn wir tanzen, ba! ma foi, 
Stodt im Laufe Vater Rhein, 
Und das jchönfte pas de trois 
Tanzen ftets wir Zwei alleiıt. 
Jüngſt bei einer Pirouette 

Sah uns zu ein Papillon 

Lange auf der Halblorgnette, 
Saagte trunfen dann: Tres-bon ! 
0 Geftern ich, mit ftarken Hüften, 
Wie ein Kreifel um mich trieb, 
Letztlich gar im freien Lüften 
Mamiell Kranich fteden blieb, 

* Schreiben Sie alſo, mein Beſter, 
* Schnell in Ihrem Zeitungsblatt, 
Daß man ſeit der ſchönen Eſther 
Nichts jo Schön's geſehen hat.“— 
Beid ab.) 





204 


Signor Drossel. 

„Bin der große Wunder-Geiger, 
Drofjelino nenn’ ich mich, 
Und der große Weltenzeiger 
Zeigt allein nun ftets auf mic. 
Spiele Fiedel, Geige, Violine, 
Mas nur Kagendärme hat, 
Alles mit der leichten Miene, 
Gleich als äß' ih Krautſalat. 
Ja, aus meinem Inſtrumente 
Mach' ich wahrlich, was ich will, > 
Mach’ daraus mir eine Nente, 
Wenn die liebe Dummheit will. 
Und auf einer Saite ſpiel' ich 
Pauken, Corno und Fagot, 
Und mein Bogen reitet grillig 
Paß, Galopp, wie Trab und Trott. 
Wenn ih fomme in Ekſtaſe, 
Schneid' ich alle Saiten ab, 
Und Ihr ſchwört bei Enrer Nafe, 
Daß ih d'rauf geflötet hab’! 
Drum, mein Befter, Shell zur Feder, 
Die Trompete Schnell zur Hand, 
Schreiben Sie nur, daß ein Jeder 
Um Billete ihon geſandt; 
Schreiben Sie nur viel und lange, 
Schreiben Sie nur alle Tag, 
Daß dem Schreiber ſchon wird bange, 
Wie genug er loben mag. 
Schreiben Sie zu jeder Stunde: 
Meifter Drofjelin’ ift bier! 
Weil ih dann aus diefem Grunde 
Dierteljährig pränum’rir.“ 

(Droffel ab.) 


Kin — 
— 8 





- 





Klein Jüppchen. 
„Päppchen bin ich, Wunderkindlein 

Bom Papa, dent Papagei! 
Nedacteur! an diefen Windlein 
Sehen Sie das Wunder frei. 
Bin Klein Päppchen! Wunderpäppchen! 
Ba! pa! pa! pa! Papa-goy! 
Trage Löckchen unterm Käppchen, 
Bin ein little wonder-boy ! 
Trag' ein offines Kinder-Kragerl 
Und auch 's Halſerl trag' ich blos, 
Und das Weſtchen bis zum Magerl, 
Mit der Hand eſſ' ich den Kloß. 
Bin ſchon dreizehn, doch nur achte 
Schreiben Sie, Herr Redacteur! 
Weil ich dieſe Jahrzahl pachte 
Für die ganze Kunſt-Carrier', 
Nennen Sie mid Amoretthen! 
Kleiner Engel! — Herzenspdieb! 
Mignonkfünftler! — Kunftfadettden? 


- Zajhen-Mozart! — Taujendlieb! 


Elfenkindchen! und fo weiter! 
Schreiben Sie nur lang und viel, 
Sonften wird die Welt geicheidter 
Und für Wunderfinder fühl.” (Pappchen ab.) 


Lady Sperling. 
„Bin die blonde, blafie Sperling, 
Komm' direct von Albion, 
Sang nur ſtets für lauter Sterling, 
Niemals für 'ne halbe Kron’. 
Sang in Brighton und in Windfor, 
Wo man fümmt in Stumpf! und Schub’, 


206 


Singe nun dem deutihen Rindsohr, 
Das in Mänteln hört mir zu. 
Mifter Schuhu jein fein Schräper, 
Mifter Schuhu feine polite, 
Verden jeßen im your paper, 

Daß nur fommen viele Leut', 


Sie könn' ſprech' von meiner beauty, 


That attract die ſchöne Welt, 
Wil Ihon machen dann my duly, 


You verfteh'n me! — Little Geld !« 


(Eperling ab.) 


Mamsell Grasmücke. 


„Donna Serapbhina heiß’ ich, 
Tanze Seil ımd reite Kuuft, 
Nedacteure haben fleißig 
Schon gebuhlt um meine Gunft, 
Herr von Schuhu ftehn im Rufe, 
Daß er zu das Aura’ nicht Schlieht, 
Wenn ihm mit dem Pferdehufe 
Hübſches Satanlein begrüßt. — — 
Herr von Schuhu, nicht von Eifen 
Iſt ein Englifchreiter-Herz, 
Kiünftlerinnen, die auf Reifen, 
Lafjen lange nicht im Schmerz. 
Schreiben Sie von Seraphinen, 
Daß fie tanzt wie ein Zephyr, 
Daß fie ift an Wuchs und Mienen 
Eine zweite Venus fchier; 

Daß die Sprünge, tell, entjetlich, 
Wie vom Böfen einftudirt, 
Dennod) find fo ſüß, ergötzlich, 
Daß man faft zum Narren wird. 





= 
Bw’, 
En 

x 



































* Eifer sun. wenn Sie jchreiben 
So viel Schönes ſtets von mir, 
RER ER Dürfen Sie auch bei mir bleiben, 


(Grasmüde ab.) 


Don Sperber. 


„Bin em Manır, ein ganz fuperber, 
Musje Schuhu, j’ai ’bonneur! 

Bin der herrliche Don Sperber, 

Bin Don Sperker, Esfmoteur. 
Große Dinge ich vollbringe, 

Ja, es ſcheint ganz Parador, 

Denn ich mache ſolche Dinge, 

Daß der Menſch fteht wie ein Ochs. 
Mache neunzig volle Häufer, 

Wenn Don Carlos keines macht: 
Und fein Narr wird jemals weijer, 
Sieht er mich auch jede Nacht. 
Manchmal nehme ih vom Hundert 
Im Parterr mir den Berftand, 

Und die Welt ſteht dann verwundert, 
Ich hab’ gar nichts in der Hand. 
Manchmal nehm’ ich Zeitungsbtätter, 
Wo man mich gelobt darin, 

Laff' fie ſeh'n, und, Donnerwetter! 
Niemand findet Menichenfinn. 

Lieber Schuhu, ach trompeten 

Sie mich täglich lobend aus, 

Und id) zaub’re gold'ne Gräten 

Uns aus jedem Stodfiich "raus! 
Dann will ich nach Peſt mich kehren, 
Und im Zauberbute ſchwillt's, 


Wenn den Shawitanz ich probir'!“ — 


I 


J 
Ne u 
ww: ANr- 1.72 


4 


— 
* * * Ei ie 





Dorten wird man mir verehren 
Eljen und auch Ehren=Filz.“ 
(Den Eperber ab.) 


Magister Grünspedht. 

„Sroßer Schuhu! Großer Brama! 
Kritifer, wie feiner mehr! 
Hab’ geichrieben hier ein Drama, 
Heißt: „Die Liebe und der Bär.” 
Halb iſt's epiſch, halb iſt's 1yriſch, 
Und die dritte Hälft': Idyll, 
Und der Held, der ſpricht algieriſch, 
's ift vom Fauft ein Codieill! 
's gibt zwar ſchon gar viele Fäufte, 
Auch am Fäuftling fehlt es nicht, 
Als der große Goethe neufte, 
Nieſ't er aus dies Fauſt-Gezücht; 
Alle Diefe Fäuſt' find Ichofel, 
Kur mein Fauſt allein ift groß, 
Und mein guter Mephiftophel 
Sit fein rother Schalksnarr blos. 
Auch mein Hund, das ift fein Pudel, 
Denn ich bleib’ originell, — 
Sf ein Windſpiel, und ein Nudel 
Folgt ihm in des Doctors Zell’; 
Und mein Wagner ift gezeichnet 
Nach dem Leben, ein Pedell. 
Was fih mit dev Gret’ ereignet, 
Sit Romanze und Novell. 
Für die Bühne ift es jchwerlich, 
Denn das Bolf ift gar zu zäh”. 
Findet Alles gleich beſchwerlich, 
Wenn's nicht endet frob und jäh! 
Und die Künſtler! Nicht Fapabel 
Sit ihr Mund zu folder Sprach', 


—— 


Waltz 


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A } 


































MG. Sapbir's Schriften KIV. Bo. 


Nur was flach ift, gebt vom Schnabel, 

Das allein, das ift ihr Fach! 

Herr von Schuhu, Ihre Kritik 

Dat am Weisheitsquell genippt, 

Unter Ihren Geiftesfittig 

Sted’ ih d'rum mein Manufeript; 

Fünf und jehszig große Bogen, 

Eng beihrieben, aber Far; 

Seien Sie jo hochgewogen, 

Legen Sie Ihr Urtheil dar! 

Laff «8 gerne bier bei Ihnen 

Heut’ und morgen üb.r Nacht, 

Hat e8 Ihnen gut geichienen, 

Iſt fein Glück auch ſchon gemacht, 

Schreiben dann nah Prag und Leipzig, 

Nach Berlin dem Direeteur! 

Wer den Fauſt bekommt, der preif’ fi 

Glücklich dann, wie feiner mehr! 

Und in Ihrem Blatte preijen 

Sie das Stüd gar wunderbar, 

Meinen Danf werd’ ich beweiien 

Dann mit einem Exemplar!“ 
(Grünjpeiht ab.) 


Reb Curdus Poluglottus. 


„Scholem Lehem! Na, was dideich? 
Leben jol'n Sie, Nedacteur! 
Als Se kennen Deutih und Jüdeſch, 
Kam ich geh'n zu Ihnen ber. 
Ja, man jagt, daß von de Muſen 
Sein der Oberfchte Se gar! 
Gut! Wer mer a Bißel ſchmuſen, 
Zwa g'ſchickte Leute fen ja ein Paar 


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PR - SH bin groß, denn ich bin einzig, 
Be: Meinesgleichen kenn' ich nicht. 


Br, Schat-Pollaken? Neun und neunzig 

— Hab’ ich auf an Greiß*) derwiſcht. — 

pe ä Geld nur kraudy ich, ſchönes, friſches, 

Er | Dod wie fomm’ zu Geld ih hier? _ 

— Unter Se ſteckt emal Riſches **) 

Bi 5 Und de Jüden fennen mir; | 
Raus E Doch ih hör’, Sie hab'n ein Blättel, Area 
— Was von Groß und Klein beliebt, =: 


S Setzen Sie hinein ein PVichettel***), 
Was es da für Wunder gibt! 
Wunder! Wunder! Zu beſchreiben 
Sein Sie gar nit Als im Stand, 
Und das Maul wird offen bleiben 
Und vergeh’n gar der Verſtand.“ — 

(Reb Turdus Polyalettus ab.) 

Sp vom Morgen bi! zum Abend 
Geht's beim Schuhu ein und aus, 
Schlurrend, johleifend, ftampfend, trabend 
N fie ibm ein Das Haus, 


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BREIT NN 
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AN i eder kömmt mit Zeitungsblättern 

— Ind Recommandation, x — 
— Worin's ſteht mit Rieſenlettern, * 
— Daß er iſt ein Götterſohn. 
N: Einmal muß er annonciren, ä 

* Daß der Künſtler ſchon iſt nah', 

— Wieder muß er annoneiren, 


Daß der Künftler ſchon ift da. 

— Später muß er aviſiren, 

Daß man wünſchet ſein Concert; 
*) Greiß: Irthum. 


— **) Riſches: Schadenfreude. > 
==) Pichettel: Abhandlung. 


Daß er wirttig gibt Concert; 
RR Dann erſt muß er repetiren, 
Wo und wann ift das Concert, 
Dann erft muß er wieder ſchmieren, 
— Wer da wirkt in dem Concert; 
Gleich d'rauf muß er recenfiren, 
Wie er ſpielte im Concert; 
Dann muß er ihn animiren, 
Daß er gibt noch ein Concert! 
Dann erſt muß er laut eitiren: 
Auf Verlang'n noch ein Concert; 
Und zum Lohn fir Müh' und Kummer 
Holt der Künftler, wenn er geht, 
Ohne Geld fih jede Nummer, 
Wo im Blatt die Kritik ſteht; 
Und zum Dank, aus Herzenstiefe, 
Daß er raubet Müh' und Zeit, 
Will er noch Empfehlungsbriefe 
Für halb Deutſchland weit und breit! — 
Schuhu, das find Deine Freuden, 
* Schuhu, das iſt Deine Luſt; 
Schuhu, Du biſt zu beneiden, 
Schuhu, wirf Dich in die Bruſt; 
Baht wenn dann in großen Kreiſen 
Jemand mit dem Künſtler ſpricht, 
Sagt er mit der Stirn' aus Eijen: 
Ad, ih kümm're um Kritik mid nicht!“ 


Recipe zu einer modernen Pole. 


Nimm etwas Mehl von grobem Korn 
Ka von der Mühl' auch das Geflapper, 





TER TEN RO RN OB 


Ein Höferweib mit ihrem Zorn, 

Ein Höferweib mit ihr'm Geplapper ; 

Dann nimm ein Bischen Götterlehre, 

Apollo, Wolfen und Mythologie, 

Dann einen Schneider mit der Scheere, 

Den Bod dazu nod als Allegorie; 

Nimm ferner Shwaben und Chinejen 

Und einen Jodel ganz perfect, 

Dann milch" dazu noch Irokeſen 

Und einen Böhm’ im Dial.ct. 

Dann nimm no Wite, altgebaden, 

Und Liederhen von Anno Zwei. 

Nimm vol ſodann die beften Badeır 

Bon Jodeln, Schnalzen, Pfeiferei; 

Dann nimm noch Flüche, Invective, 

As: „Rindvieh!” „Efel!”" „Ds! 
und „Schuft!“ 

In jedem Acte exelufive 

Werd' ein Bedienter durchgepufft; 

Auch Zotennamen, derbe, dicke, 

Dabei die Geſten recht pikant, 

Und die „Geſetzlen“ alle ſpicke 

Damit nur muthig bis zum Rand! 

Laß die Mufif recht wüthend ſchmettern, 

Bejonders in der Duvertur, 

Motive nimm aus allen Blättern 

Von einer alten Partitur: 

Und zu dem Liedlein Charivari 

Stets nur diefelbe Dudelei 

Bon „Madeln”, „Wadeln“, Larifari, 

Und von den „Buſſerln“ alt's Gejchrei, 

Dann darf im Ganzen auch nicht fehlen 

Ein ftorheubeinig Quodlibet, 

Kannft alle Opern ja beftehlen, 





weplundem fie von A bis 3! 
Mrd am bie Schauluſt zu erhöben, 
Stell’ auf ein „Mädchen-Regiment“, 

Necht nett und niedlich anzujehen 

Dom Scheitel bis zum Sohlenend' ; 

Bon Pulver nimm den größten Haufen, 

Und laß die Madeln jchiegen aus, 

Sa, laß’ fie jechten, hopſen, laufen, 
So was ergögt das große Haus! 

Und zum Beſchluß ein griechiſch' Feuer, 

Ein goldverbrämter Prachtpalaſt, 

Mitunter Tänzer, Johler, Schreier, 

Und G.uppen, wie ein Sege.maft! 

Das Alles miſche auf und unter, 

Leg' rechten Unfinn nur hinein; 

Und gebet Alles d'rauf und d'runter, 

Muß plöglih Jemand traurig fein — 

Sei's Jemand von der Wirthshausftube 
Und vom gemeinften Harfnerlied; — 

Hinaus dann zieh'n zur Todtengrube 

Mit einem nafjen Jammerlied. 

Dann wird Succeß Dir niemals fehlen 

Du bift der Gott der Galerie. 

Auf die Kritit auch fannft Du zäbteı, 

Denn nad tem Stüd — tractirft Du fie! 
Gleich im der Kneipe hart daneben 
Wird die Kritik zurecht gebracht 

Che viva sempre! Welch ein Lben! — 

So wird ein Bolksftüd jetzt gemacht! 





214 


Die Geldklemme und die Doctorenfchwenme. 


(VBergetragen von Heren Carl Treumann.) 


Ich behaupte und zweifle, ob mir Jemand widerſpricht, 
Der Menſch wird entweder geboren oder — nicht. 
Wer nicht geboren wird, braucht der zu ſterben? Nein! 
Alſo der kann das ganze Jahr ohne Doctor ſein! 
Doch wer geboren wird, braucht den Doctor auf Erden 
Damit er auch bequem kaun geſtorben werden. 
Drum iſt e8 auch für den Docior ein wahres Feſt, 
Wenn fih irgendwo ein Menſch geboren werden läßt! 
Da jubelt er und ruft: „ich gratulir'! 
Wenn ihm Gott das Leben ſchenkt, dann gebört er mir!" — 
Da ift es jett eine Zeit zu Doctoren und Teſtamenten, 
Die ganze Natur ift jetzt voller Patienten. 
Die Kartoffeln find franf, wie man überall hört, 
Die brauden feinen Doctor, fie liegen ſchon in der Erd’ 
Und daß die Weintrauben Franf find dann und waın, 
Das fieht man manden Meuſchen am Najengewädhs an! 
Und die Papiere? denn ihr Zuftand macht die Aerzte ganz 

dumm, 

Sie find nicht gefund und nicht Frank, fie ſchleppen fich jo herum, 
Sie möchten immer was, fie haben immer ein curios Gelüft, 
Obwohl ihr Zuftand fein gejegneter ift. 
Sie liegen nit im Bett, o nein! fie jchleichen aus, 
In der Renngaſſ', dort fteht ihr „allgemeines Krankenhaus“. 
Kurz, Alles kränkelt jetzt mit Anſtand auf. der Welt, 
Am meiften aber fränfelt jetzt Das liche Geld! 
Es ift eine ganz eig me Krankheit, die ſich jeßt weist. 
Und die der Patient vorderhand „die Geidklemme“ heißt. 











ſich fo bekl mımt, es reißt ihm ſchier die Bıuft 
heraus, 


Be Die Geldflemme hat c8 zuerft mit ui — 


Aber darauf ward ihr gar erſt recht wind und weh, 

Sie war bald ſelbſt heiß abgekocht, wie der Thee. 
WMit den Hausmitteln hat es alſo nicht recht gethan, 
Die Geldklemme fängt alſo zu „doctoren“ an. 

= Zuerft fommt der „Kinderdoctor”, man weiß, wie „Kinder- 
— doctoren“ find, 
Sie beſuchen zwei: Die Mutter und das Kind. 

5: Aber fie find nebel: Sie ſchreiben nur eine Bifite auf, 
Für die Mama — das Kind aber gebt drauf! 





















Die Klemm’ bleibt leben, aber bin ift das Geld! 
Als der Kinderdoctor die Geldkemm' nicht hat curirt, 
Wird's mit einem „allopatbiichen Doetor“ probirt, 
Der verſchreibt ein langes Recept einzunehmen, ihr, 


Die Geldklemm' weiß ſich darauf feinen andern Rath, 

\ Es kömmt ein anderer Doctor: „ein Homöopath!“ 
E:; Der Homödopath ſchaut die Geldklemm' an, ganz genau, 
Und fragt: „haben Sie Appetit gnädige Frau? 


Deficit !” 
ie Homdopath aber jagt ganz phlegmatiih: „Das ift num 
Scetn:Appetit !“ 
* Zieh zieht er den Kügerl-Najchmarkt aus der Tajch’ 
- Und fagt zu der Geldklemm': „da, naſch!“ 
Da hab’ ich ein Kügelchen, das bilt gewiß, Gottlob, 
Das nimmt man ein unter dem Mikroitop. 
ER Dann weiß ich ein gutes homöcpathiiches Mittel noch, 
Ri. Nehmen fie eine : Taſche — aber eine Taſche ohne Loc). 


a Mit Thee aus Pfeffermünzen und Krauſemünzen melirt. 


* So iſt's mit dem Kinderdoctor und der Geldklemme beſtellt, 


Aber ftatt der Mediein verſchluckt ſie als Necept: „das Papier!” 


Die Geldklemm' ſagt: „Und was für Hunger! Hunger wie ein 


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216 


Diefe Tasche ſetzen Sie, wenn Sonnenschein ift bier, 

Dem Herrn Baron von Rothſchild gerade vor die Thür. 

Wenn er dann ausgeht, gerade im Sonnenſchein, 

Da fällt fein Schatten in Ihre Tafche hinein. 

Sie klappen fie geihmwind zu, tunfen’s in vier Maß Wein, 

Dann werden Sie gleih Millionenvoll fein.“ 

Doch da auch diefes Mittel die Geldflemme nicht heilt, 

Wird geihwind zu einem „Waſſerdoctor“ geeilt. 

Der jagt: „Nur Waſſer! nır Waſſer! friih vom Berg, 

Gehen Sie auf die Börfe, das ift ganz Gräfenberg. 

Da wird zu Waſſer Alles, was ihr wollt, 

Es rinnt durd) die Finger Silber wie Gold, 

Da laffen Sie fih tuihen, die große Tuſch' aud, 

Und lauter falte Umjchläge um den Bauch, 

Und ftellen fih unter die Pump’ und pumpen hinaus, 

Sp gehen Sie täglich zweimal begoffen nah Haus!" — 

Aber der Geldflemm' nütt auch das nichts mehr, 

Und fie probirt'S mit einem „Magmetijeur“. 

Der jagt: „Frau Geldklemm', e8 paßt zu meinem magnetiichen 
med, 

Borderhand nehme ich Ihnen alles Metall gleih weg!” 

Drauf führt er tie Geldklemm' in eine finftere Stub’, 

Und bläst ihr hinein in Die Magengrub’, 

Und ftreicht fie an, die Kreuz und die Quer, 

Und ftreicht wieder hin, und ftreicht wieder her, 

Aber wie ſoll denn da der Geldflemm’ beſſer fein?! 

Die Klemm’ ftreiht er nicht aus, nur's Geld ftreicht er 
ein! 

Da aber auch nicht hilft der Magnetifeur, 

So ruft fi die Geldflemm,’ ein’n „Semmeldoctor“ ber. 

Der Semmeldoctor jagt: „Liebe Geldklemm', wie id da jeh', 

Errath' ich fogleih auch den ganzen Kaffee! 

Das Uebel ift, daß Ihre Verdauungskraft ftodt, - 

Sie haben in den Caffee gar zu viel eingebredt. 





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217 


Nicht nur Ihre Semmel, fondern auch Ihr Brod, 
- Ein Broden um den audern, das ift der Tod!“ 


Die Geldflemm’ verzweifelt und fehreit entſetzt: 

„Nun wohlan, ruft mir den „Hühneraugendoetor“ jetzt.“ 
Der Hühmeraugendoctor kömmt und fchreit wie ein Bär: 
„rau Geldklemm', zeigen’s einmal Ihren Zinsfuß her!“ 
Wie er den geihwollenen Zinsfuß erblidt, 

Ruft er: „Setst weiß ich, wo ter Schuh Sie drüdt! 

Sie gehen halt auf der Börje herum ganze Stund’, 

Für einen foliden Fuß ift das Pflafter nicht gefund; 


Ein fpitiges Pflafter, und zum Ueberfluß 


Tritt dort Einer dem Andern noch auf den Fuß. 
Da find’ ih nur ein Mittel für ihr Uebel heraus, 
Bleiben Euer Gnaden halt hübſch zu Haus, 
Das nimmt das Uebel mit der Wurzel heraus.“ 
Die Geldklemm' jagt: „Das ift gemein! fi done fi! 
Setzt Shi’ ich um einen „Doctor der Philoſophie!“ 
Die Philofophen jagen, das Geld ift nur eine Idee! 
Folglich ift die Geldtlemm’ eine Kopfkrankheit: gar feine Idee! 
Im Robert ſchreit der Teufel senior dem Teufel junior 
Auch ftets das Geld ift nur Chimäre in’s Ohr. 
Dennoch unterliegt es gar feinem Zweifel, 
Kein Geld oder feine Idee, das ift ein Teufel. 
Doch ein hochverehrtes Publikum wird ſchon neugierig fein, 
Ob der Doctor die Klemm’ curirt oder nein, 
Aber leider kann ich Ihnen im diefem Moment eben, 
Darüber noch feine fichere Auskunft geben. 
Denn die Geldklemm' und der Doctor der Philofopbie ganz Dicht, 
Sie fteden eben beilammen, beim Verfaſſer von diefem Gedicht, 
Was nun da für Cur vorgenommen wird, fann ich nicht jagen, 
Wenn Sie gütigjt erlauben, jo geb’ ich und will fragen. 
Nach dem Hervorruf: 
Nun weiß ich's und jag’ Ihnen ganz unverzagt, 


- Was mir vom Coneilium der Dichter geſagt: 





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218 u 


Die Philofophie hat feiner Geldklemm', der lieben, * 
Nur zwei einfache Hausmittel verſchrieben. * 
Das erſte iſt zwei ſtarke Handvoll Applaus, 

Von einem gütigen Publikum als Stärkung und Schmaus. 

Das zweite Hausmittel riß ihn gewiß heraus: 

Nämlich für feine Mittel alle Tage ein ſolches Haus. 


Sterngucker und Börſenſchlucker, 


oder: 


Wieder Einer, der ausgeblieben ift. 


(Gejprohen von Herin Earl Treumann,) 


Die Börse, nicht Die, welche Jeder im feiner Tafche bringt, 

Die Hauptbörje, welche alle andern Börſen verſchlingt, 

Die Börſe ift wie eine Sternwarte, wie ein Obfervatorium, 

Man joll fie bauen da, wo fein Dunft gemacht wird rings— 
berumt, 

Nicht gar zu hoch darf man fie bauen, leicht gedeckt durch 
Schindel, 

Von wegen der Schwankungen, von wegen dem Schwindel! 

Zur Börſe und zur Sternwart' braucht man zwei Sachen nur, 

Ein gutes Fernglas und eine Uhr. 

Ein Fernrohr, um zu ſehen, wie die Sterne und Papiere ſteh'n, 

Und eine Uhr, Die zeigt, wenn Zeit ift — durchzugeh'n, 

Die Börſe und die Börfianer, Die find ein Liebespaar, 

Sie verfprechen ſich gegenfeitig das ganze Jahr, 


ER, 

























fein wenn ah werden soll, da ftellt es fich heraus, 
Site trant ni icht, und der „Liebhaber“ bleibt auf einmal aus. 
uUnd wie auf der Erde, ſo wird's auch im Himmel getrieben, 
Ri Den Aſtronomen ift auch Einer ausgeblieben ! 
Der Komet, den die Aftvonomen in Sid, Weſt, Oft 
aß Deut dreibumdert Jahr gegeben haben in Koft. 

je Eie haben abgejch.ofjen, ihn im September zu liefern ber, 
Aber er kömmt nicht, auch nicht auf die Börſe, wo er gleich 
geliefert wär'. 
ms er fommt auch nicht auf die Sternwarte, 
Wo die Aſtronomen ſteh'n und ſchreien: Stern! warte! 
— Der Komet kömmt nicht, aber er legt ſich Ihnen gehorſamſt 
zu Füßen, 
Er hat mir achen, er läßt Sie gar vielmal, gar INNE 
grüßen, 
Er la ißt ſich entſchuldigen, aber es iſt nicht ſeine Schuld, 
— Die Aſtronomen haben Recht, fie haben herausgebracht mit 
— Geduld, 


Daß er alle dreihundert Jahr kömmt, und jetzt wär' der 
SE Augenblid, 
s Re * Komet ſagt: die Erd' wär' noch um hundert Jahr 
zurück; 


Zatoch wird er Ihnen erſcheinen hell und licht und klar, 
Denn Sie gefülligft nur warten wollen noch hundert Jahr. 
3 Der Menih muß zwar jchon zu fiebenzig fterben, 
Schad't nichts! das Warten werdin umfre Kinder nod erben! 
\ Au Warten fehlt's nicht, an Talent dazu nicht gebricht's, 
— Aber dreihundert Jahr warten, und nun kömmt erſt nichts! 
— Unter uns, der Komet hat mir ausführlich geſchrieben, 

— ara er heuer den Wienern ift ausgeblieben ; 

’ Wo hätte er denn gleich ein Quartier hergenommen, 

- Denn er hätt! jollen g’rad’ um Michaeli kommen, 

Da iſt Zichzeit, da zicht's in allen Glieder, 

Er & ift ein Knochenreißen bei Hohen und bei Niedern ! 


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—— 











Man glaubt, es zieh'n nur aus die Inwohner, welche wandern, — 


Nein! die Hausherr'n ſelbſt ziehen auch aus — die Andern! 

Bis der Komet hätt! Quartier gefunden weit und br.it, 

Hätt' er grad’ gebraucht ſeine dreihundert Jahr Umlaufszeit. 

Und wo joll er fich jehen laſſen? Und für welchen Eintritts— 
preis? 

Man läßt ſich jetst Entree bezahlen auf enorme Weif’ ! 

Fünf Gulden, eine Mumie abwideln zu jeh'n, 

Wenn entwidelte Mumien in allen Straßen herumgeh'n! 

Zwei Gulden für Aztefen, im Muſikſaal gefetst, 

Da fisen die Mufifanten! So wird die Kunft geichäßt. 

Ein Gulden zu Miß Beifi, die Dame, welche jeben läßt für 
Geld, 

Daß's noch Leute gibt, die fih ſcheinen auf der Welt. 

Ein DOrang-Utang um einen Gulden, als ob es nicht wie Die 
Schwaben, 

Affen genug gäbe, Die lange Arme haben, 

Drei Gulden ein Concertfiß, verfteht fih im Cerele, 

Für geichlagene Klavier und gefungene Tuberkel! 

Daraus fieht man, daß in Wien zur jeigen Frift 

Der Geldmangel das häuslichſte Wejen ift. 

Man bemerkt den Geldmangel nie an einem öffentlichen Ort, 

Er bleibt ſchön bei Sedem zu Hauſ' fort und fort! 

Bei diefen Berhältniffen und bei diefem veränderten Stand, 

Meint der Komet, hätt er Wien nicht wieder erfaunt. 

Ich hab’ ihm zwar gejagt: Du find’ft alte Bekannte im 
Ueberfluß, 

Zum Beifpiel den alten Speci, den „Heidenſchuß“, 

Denn die Gegenwart reſpectirt no immer en bloc, 

Wenn olim die Heiden haben geichoffen einen Bed. 

Sch hab’ ihm gejagt: Du find'ſt auch noch wie dazumal 

Den Holzweg auf der Brüde von Wiener Canal; 

Diefe Brüde ift wie eine deutiche Kammer conftruirt, 

Bald ift die rechte Seite, bald ift die linke ruinirt; 


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2 
Be 21 


e Seite, die verdorben ift, ift mir aber immer lieber, 

um von der fann man jagen: „da geht gar nichts d'rüber!“ 
Kurz der Komet wird finden, das Alte ftebt noch feft und gut, 
Nur die Abendbörſ wandert ſtets, die iſt der ewige Jud'. 
Die Erd’ iſt ihr Teppich, der Himmel ihr Dach, 

2 dur Abends gebt ihr eim Licht auf, aber — ſchwach. 

Unter freiem Himmel fie fih unter einander ſchuppen, 
Ere glaubt, es find gefallene Sternichnuppen ! 

Denn nur zwei Wifjenfchaften find auf Gemwißheit baſirt, 
Die prophezeihen alle Abend, was nächſtens paſſirt; 

Br Die „Aftronomie“ und das „Börjenipiel“, die, jagen die Ge— 
5 2 ſchichtsſpäher, 
Die zwei ſind ſo alt, wie Chineſen und Hebräer. 

Die Aſtronomie und die Börſe ſchwören zu gleichen Fahnen, 
* — ie berechnen beide ſtets nur ihre — Bahnen! 

Die Aſtronomie die Bahn vom Merkur zum Jupiterſpitz, 
Uud die Börſe die Bahn von Reichenberg bis Pardubitz, 
Auf jeden Fall wird mehr der Aſtronomie als ver Börſe vertraut, 
Weil jene auf den Himmel und dieſe blos auf Actien baut. 
— Beim Himmelsbau ift alles ehrlich, auf mein Wort, 

denn —* Himmel gibt den Bau nicht in — 


ie Aſtronomen haben auf ihren Bahnen, jo wie wir, 

Auch drei Claſſen für verſchiedene Paſſagier': 

3m ber erften die Fixſtern', die Gelben, 

Das ſind vornehme Stern', geh'n nie vorwärts, immer die— 
J felben ; 

j gr der zweiten figen auf Leder die Planeten, 

Und in ber dritten Claſſe die armen grauen Kometen. 

e Die Meteore, Nordlichter, Stan'hnuppen und Wolfenflug 

Gehören zın Bagage, und gehen mit dem Frachtenzug. 

es id Bun daß unjer Komet den Train verfäumt, der 

gemischt, 


A 


















Sie fünnen fi denken, wie wielmal der ſteh'n bleibt vom. 
Himmel bis zu unfrer Welt 
Wenn der Train von Wien nah Baden fhon zehnmal hält! 
Ich hoffe nur, das verehrte Publifum ijt mild gefinnt, 
Und daß wir Beide, der Komet und ih, entichuldigt find; 
Der Komet, daß er nicht gefommen nad Ihrem Sinn, 
Und .h?% ich dafür, das ih — ja gefommen bin. 


Die Redefreiheit der Frauen. 


Im Anfang erihuf Gott Himmel, Erde und Licht, 
Gewächſe, Bäume, Pflanzen und jo weiter, 
Den O8, den Eſel, dann erſt mit edlem Angeficht 
Den Menihen als König über Thier, Ih und Kräuter, 
Am iechsten Tage ward er König und dachte fih „gut“, - 
Und hat am fiebenten Tag ſogleich — „geruht”. 


Als Vorzug vor dem dummen, ftummen Thier 
Hat dann der Menſch das „Denken“ und „Sprechen“ 
befommen;; 
Der Mann nahm das „Denken“: „das gehört mir,“ 
Die Frau hat geihwind fih das „Sprechen“ genommen; 
Der Mann dachte, als wär er ein Nathsherr brav, 
Er dachte ganz tief, und fiel im einen tiefen Schlaf. 


Adam dachte! Doch woran er gewiß nicht gedacht, 
War: daß er im Schlaf ein Weib wird’ erhalten, 




























iſ wir er lieber — geblieben die ganze Nacht, 
und E hätt“ ſich eifenfeit die Rippe gehalten! . 
ri Doch weil der erſte Mann gedacht und geſchlafen hat, 
Bu indet an allen ren die Strafe jetzt ſtatt. 









8 Die erſte Frau aber — die Sprache geſchwind, * 
Doch was ſprach fie zuerſt? das waren Geſchichten. 
Das erſte Wort zum Mann war: „Mein liebes Kind! en 

* — uns doch eſſen von den verbot'nen Früchten.“ R 
.D urch dieſes Wort aßen ſie und wurden geſcheidt, — 
“= Das war die erſte Frucht der Mündlichkeit. 








Drauf fragte der oberſte Richter: „Wer hat das erlaubt?” 2 3 


nd Adam hat als Advocat die Frau erhoben; = 
Die Frau hat fih zu entihuldigen geglaubt, 7 


— Und bat die Anklag' auf die Schlange geichoben, > 
> Das Urtbeil hieß: „Mari von Eden und mude nicht!“ * a 
Das a8 war das Sara „öffentliche Gericht”. 


R 
Br 


mn feit jener alten parabiefiihen Zeit 
indet Denken und Sprechen ſich ſelten beiſammen, 
er Denker war zum Reden viel zu g'ſcheidt, 
m man ſah das Sprechen tyranniſch verdammen; 
e Frauen allein in Süd und in Nord, 
* e Frauen nur allein hatten das frei Wort! 


—2 — 


hr SE Denn wo man Caffee oder Thee ſchenkte ein, , 
Im Cirkel, im Salon oder Sälchen, EN. 
' Rn machten wir gleich einen „Nedeverein“, u 





3 Nede war groß und Hein wie das Schälchen; = 
Da ward geredet, debattirt, gejchrien, gezantt, | Bi 
AV — ſo Ns wir „politiiche Bildung“ erlangt! Br 
u 

3 


Ja, die geheimen Ausgaben nehmen wir in Schuß, 

























Auf ihrem — als — vom Wollſacke ſitzen, 
Da kam bald eine Bill über's Hausregiment, 
Bald eine Reform der Hauben und Spitzen; 
Am Ende kam ſogar eine „Monſtre-Petition“ 
Wegen „freier Hausfreund-Aſſociation“. 
Da wurde gered’t nicht nur, auch Urtheil gefällt, 
Ob Diejer oder Jener ein Aff' oder Adonis! 
Wir haben uns zwar nicht zum Eramen geftellt, 
Doch find fie uns angeboren die partes orationis. 
Denn jedes Subject befommt in unjerem Rath, 
Mit oder ohne Copula ſchon fein Prädicat. 


Wir reden über Staat, Politif, Militär und Put, 
Bejonders über Die inneren Finanzen ; 


Es gibt jo gewiſſe Fälle im Ganzen! — 
Die „Wahlfragen” beiprehen wir jett zur Frift, 
Wir wählen Jeden, der nicht wähleriich it! 


Wir Sprechen auch herzlich, mit Liebe und Luft, 
Für den Berein, der fid) bildet für's Reden. 
Frei zur reden von freier männlicher Bruft, 
Ein foldyer Verein begeiftert wohl Jeden! 
Die deutihe Sprache vor All.m iſt's werth, 
Daß fie geichliffen werde zu Senje und Schwert. 





Die tendenzkranke Welt. 


Weorgetragen von der f. k. Hoſſchauſpielerin Frl. Louiſe Neumann.) 






MAMan ſagt „die Welt iſt kugelrund“, das war vor Zeiten, 
= 8 war die Welt noch eine junge fugelrunde Frau, 

SR Sie drehte fih im Tanze luftig mt den Leuten, 

Sie nahm's bei einem flinen Puff nicht jo genau; 

E 3 Zufrieden war mit ihrem Frühling, Winter, Hcrbft und 

F ER Sommer 
Chineſe, Ruſſe, Spanier, Türk' und Pommer! 


9 Jetzt iſt die Welt ſchon alt! da wird ſie eckig! 

* Sat Runzeln auf der Stirn, im Angeſicht; 

N Nun iſt die gute Haut ganz leberfleckig, 

Und in den Gliedern fitst ihr tief die Gicht! 

Die Welt, fie leidet blos an Alterſchwäche, 

an Im Arzt eurirt fie anders, fie doch zahlt die Zeche! 


4 — 
















Die Welt,“ fo jagt ein Theil von den Docteren, 
leidet an der „Herzbeutelwafjeriucht“, 


Erfahrung bringt uns dieſe gold'ne Frucht!“ 
dud dieſe Curart, ſcheint's, gefällt den Leuten, 
rg liebe Welt wird angezapft von allen Seiten! 


A RS Ein andrer Arzt meint und beweist e8 aus der Grumdbeit, 
Die Welt wär' eigentlich „poſitiv“ nicht krank, 
Ei weiche „relativ“ blos ab von der Gejundheit, 
Und ſtört ſo irgend ein Organ, ganz blank. 
F Da rum euriren al’ Organe fie ganz munter, 
Da iſt das kranke dann gewiß auch d'runter. 
. Saphir's Schriften, XIV. Bo 15 





Da heifit's „anzapfen“, nur anzapfen, dabei ift nichtS verloren, 






































Ein —— glaubt — ich glaub", der hat's getroffen 
Die Welt ſie leide oben (deutet auf die Stirne), Da, im er 


Be 

— Stock! 

Da läßt ſich freilich gar nicht viel mehr hoffen, 

Und darin irrt ſich wohl der Aerzte ganzer Schock! 

Denn ſie vermehren deshalb blos die Univerſitäten, 

—— Wo eigentlih m.br Narrenhäuſer vonnöthen! 

—— So ſieht man an der Welt ſtets laboriren, —— 
Ein jeder Doctor ſchreibt fein Leib-Recept, — 
— Die klugen Aerzte ſuchen blos zu trainiren, — 
Daß ſich die Krankheit im die Länge ſchleppt. * 
* Wenn aber die Aerzte gar — Concilium halten, 
— Da iſt's gewiß gleich ganz ans mit dem Alten! — 


= Die Weltkrankheit graffirt in drei Geftalten, 
Br Erſt die „Zerrifienen“, die waren leidlid nd, > 
Er An ihrer Scele wollte blos die Naht nicht halten, > 


z Sein eigenes Sclbft erſchien jeglichen als ah! 
£ Wenn die Zerrifienen ſich jenfeits erblicen, * 
— Natürlich, daß ſie ſtets am Zeuge ſich was flicken! 

TE — 

Be, = Dann fam der „Weltichmerz“, das waren Patienten! = 
2 Sie fonnten die Welt nicht ausftehen, fie that ihnen weh. 
23 -Denn weil die Hühner nicht Shwimmen wie Die —— 

Bi -&o nennen fie unausftehlich garftig den See! 


Be Ser „Reltihmerz” ist ein „Nervenübel“, o Serum! 
4 Er ſitzt in der Taſche und heißt „nichts nervus rerum“, 
x 


— Die dritten, das find Die „Tendenzkranken!“ = 
— * Das Theater iſt jeßt ein großes Tendinzen-Spital! 
Ein Stück braudt nit Handlung, nicht Bank, P 
5 — Nicht Situation, Charactere, Moral, 











— " die Röhre in der Wafferfeitung, 













in's Theater Waſſer aus der „allgemeinen Zeitung“. £ R 
hebt die Stimm’, entwidelt jeine Tendenz und ruft: 
SE „Kellner!“ — 
Den ganzen Winter ſchmollt die Frau mit ihrem Gatten, Br: 

Doch kaum kömmt der Mantillengott, der „Lenz“, — 


So ſchmeichelt ſie und folgt ihm wie ſein Schatten, 
Die, glauben Sie mir, die hat eine Tendenz! 

— 36 ſehe fie ſchon in Baden draußen, bei Scheiner, 
Da ſitzt ſie und die Tendenz und — noch Einer! 


BERG Ale | 


—9* Ex? 
Man ſpricht ein Gedicht, und denkt ſich bei Allen, — 
Auf feinen Fall thut mir was das verehrte Publikum, A 
Iſt Das Ding ſchlecht und will gar nicht gefallen, F 

o je? ich in meiner Tendenz nach dem Dichter mich um, * 
allt es aber, wenn auch nur ein Bischen, am Ende — 
Bet leg’ ich die ganze Tendenz in — Ihre Hände * 


Beim Rufen. — 
Aha, meine Verehrten, Sie haben auch Ihre Tendenz? 
Mm t Freuden nehm’ ich noch einmal Audienz, 

Empfehle mich geborfamft, und mach’ bhöflichft zu wiſſen, 
Es wartet noch eine Tendenz dort bei den Couliſſen. 





228 


Dinlect und Orthographie. 


(Geſprochen von der k. k. Hofſchauſpielerin Frl. Louiſe Neumann.» 


Es ſoll ein Deutſchland nur ſein, ein-einzig! 
So heißt es jetzt in Oſt und Weſt und Süd und Nord, 
Ein Deutſchland, doch Dialecte hat es neunzig, 
Vom wahren Deutih hört man faum mehr ein Wort. 
Wie nur am Eeinften Bach ſpricht irgend ein „Klachel”, 
Gleich heißt's im Dialect „eb“ oder „unter dem Bachel!“ 


Beil Zwei oder Drei gemüthlich geſungen 

Sm weichen, Lieben öfterreich’ichen Dialeet, 

Sp glaubt ein Jeder Schon, es fei ihm dasſelbe gelungen, 

Wenn ftatt: „Wie bin ich erichroden“, er Schreibt: „Wie 
bin i da jchredt!” 

Es gibt nun Dialecte „ob der Wien“ und „unter der 
Alfer“, 

Und wie ein Volkspoet fchreibt Jeder „Dernalfer”. 


Ein Jeder finge, wie ihm der Schnabel gewachien, 
Das ift Schon recht, allein jett fingt manch' Wiener Poet 
Mit einem wildfremden Schnabel aus Sachſen, 

Und es gefällt, wenn man's mur nicht verfteht! 
Die Art, wie fie mit dem Mund die Worte zerreißen, 
Wird beutzutag eine „Mundart“ qeheißen. 


Die „Blume“ heißt „Bleamerl“, die Nofe heißt „Rejert”, 


Und „alloan” heißt ſoviel als „allein“, 
Der große „Ejel“ heißt nur ein „Ejerl“, 
Das wird doch gewiß „gemüthlich“ fein. 




















Dan ir ein „3“, ein „w“, ein „0“, ein „a“, ein „w“ und 
d’rüber einen Hafen (%), 
he Und spricht aus ‚zwoar”, daß einem die Zähne Fnaden. 


Auch mit der Orthographie wird jebt furchtbar verfahren! 
Zuerſt fieht man das „ph“ faft Schon gar nie, 

Be Da ſoll doch der liebe Himmel bewahren, 

- Man ichreibt „Philofoph“ wie jedes andre „fi“! 

Das überflüffige „j“ muß die Dichter auch ſchon verdrießen, 
Daher fie auch ftatt „Rubm“ blos „Rum“ genießen ! 


Das überflüifige „e“ wird auch nicht mehr gejchrieben, 
Man wirft's aus allen Wörtern völlig nun binaus, 
Auſtatt des langedehnten Zeitworts „lieben“ 

Spricht man ganz kurz „ich libe dich“ jetzt aus. 
Die Regel gefällt den Männern jest wohl allen 

= Denn „Liebe” ohne „Eh“ (e) wird ſchon ſehr gefallen. 


Und mit den Doppelbuchftaben iſ's gar ein Gegrämel! 
Kein Doppel-,m“, fein Doppel-,u“ ſoll mehr fein, 
Statt „Semmel“ hat man blos „Semel“, 
Für zwei „m“ iſt unſer Mund zu klein! 
u vor Jahren mir einen „Mann“ mit zwei „m“ er— 

foren, 

— Seht mir jetzt an ihm der vierte Theil verloren. 
TR Bei „fühlen“ und bei „jehnen“ fand man ſich bewogen, 
Den „auchlaut“ zu werwerfen, man jchreibt fie ohne „bh“, 
a r BUN jetst ift bei „fühlen“ und bei „Iehnen“ jeder Hauch er- 
L. logen, 
is wiffen die Orthographien-Macher ja ! * 
= Ein Andrer frißt mit deißgier alle „Ach“se, 
F Sareit „Almanae” ftatt „Almanache“. 





. 
7 
* 


a et 


Ein großer Buchftab wird elten jetzt genommen, 
Bei „Hauptwörtern“ werden kleine blos geſetzt, N RER 
Die eignen Namen nur find ausgenommen, 

Dod Ochs und Kuh fchreibt man Elein blos jegt. 
„Doch auch diefe,“ jagt der Lehrer beim Eramen, 
„Schreibt man groß, find fie Familien-Namen!“ 


- Bir — gar keine —— 

Das iſt in gewiſſen Dingen ganz erſprießlich, 
— Zum Beiſpiel: das „Bindezeihen“ feen wir gar niet 

Denn es ift und bleibt die ſchwerſte Function * 

In einen „Liebesbrief“ die Interpunetion! 


Die Zeichen alle, Striche, Puncte und Colonnen 
Sind für uns ein exotiſches Gewächs, 
Wir Frauen machen nur zwei Interpunctionen: 
Ein „Ausrufungszeichen“ und einen „Klecks“; A 
Doch ſind wir nicht immer in bie] jem — ae 





Wir müſſen aufs Land. 
Eine weibliche geheime Rathafikung. 





Personen: 
Sophie — Antonie. — Amalie. 



















Saphir. 
? en hab’ Sie heute, meine Beten, eingeladen 
— In wicht'ger Angelegenheit, Sie wilfen icon, 
Zu einer Sitzung, einer ungeraden, 
Zu einer Art won weiblicher Seffion. 


5 Antonie. 
So? Zur Seſſion? Ady Gott, das wird langweilig! 
Da ſitzen wir und bringen nichts hervor, das weiß ich heilig! 


Amalie. 
Pe Bu einer Situng und Berathung? Jetzt? Bei Div? 
m ift das möglich, ich ſeh' ja feinen Schlafftuhl hier? 


Sophie. 

—— ct den Schlaf wird die Berathung erft gewichtig, 
* N Im Schlaf ift der Eindrud der Außenwelt ganz aus, 
Ein Rath, der ſchläft, o deſſen Rath iſt wichtig, 

— Brent fehrt ſich der inn're Menſch beraus! 


Bu? Antonie. 
Und weil im Schlaf man befjer räth, ala wenn man wacht, 
‚Shalb jagt man ja auch: Befferer Rath fünımt über Nacht! 





232 


Amalie. | 
Doch weil der Rath duch Schlafen gut wird in der That, 
So ſollt' es eigentlih nur heißen: „Beſſ're Nacht kömmt über'u 
Rath.“ 


er 
Zaphie. 


Zur Sache nun, mein Mann hält eben Sieſte, 
Ein „inn'rer Menſch“ iſt er ſtets gleich nach Tiſch! 
Alſo zur Sitzung, meine hochgelehrten Gäſte, 
Und Jede jage,ihre Meinung friſch! 
Der Caſus iſt fatal, der Winter iſt nun bald vorüber, 
Der Sommer kommt, wie machen wir's gewandt, 
Daß wir zur Reiſe bringen unſern Mann herüber, 
Denn darin find wir einig wohl: „wir müſſen auf das Land!" 


Antonie 


„uf das Land müſſen“ verbum transitivum, man kaun 
ihm vorſetzen 
Das perfönlihe Fürwort: „SH, Du, Sie, wir müfjen auf das 
Land“, 
„Auf das Land müſſen“, auch als leivendes Zeitwort zu jeten, 
Der Mann muß dabei leiden: verbum passivum genannt. 


Amalie, 

Sa, aber e8 handelt fich bier um den „Modus“, 
Die Art, wie man dem Manır dies Zeitwort ftellt, 
Ob »imperativ«, ob Ihmollend, bittend hie rhodus! 
Und dazu braucht man das „Hilfszeitwort Geld“. 


Sophie. 


Alfo „wir müfjen auf das Yand,, jo beikt das Ultimatum! 























Ka. Antanie. 
a8 am rn Mai, prix fix, ar Datum! 


I% Amalie. 
— Leisten uud 2 a in triplicatum ! 


Sophie. 
“= Alllein wie leiten wir es ein ſo fein und weiſe, 
Bier fädeln wir die Sache jo brillant, 
unſer Mann uns bitten muß zur Reiſe, 
5 er d'irauf dringt und ſpricht: „Mein Kind, du mußt auf's 
Land.“ 


Antonie. 


_ Steig beute werd’ ich krank, dann alle Tage Erünfer, 
Magen dahier drückt's, im Herzen dahier ſticht's! 
— Mann iſt ein Gelehrter, ein ſelt'ner tiefer Denker, 
Be ee dieſem hab' ich's leicht, der Gute denkt auf nichts! 


Amalie. 


b rühın ich feinen Muth, thut er, was mir * 
ſage ihm getroſt: Im dreißigjährigen Frieden 
in du, mein Tapfrer, Deutihlands größter Held! 


3% hr Hi Sophie. 

— Mein Mann? was iſt er nur geſchwind? Allgemeiner be— 

—* fugter Feſteſſenmitglieder-Sammler, 

iſt im jetziger Literatur ein gewichtiger Mann, 

Dabei ift er Ober-Ober-Toaft- und Bratengedichte-Stammler, 

J pad! beim Eſſen ibn, bei Tiih, da — beißt ev an! 

rue 
® nr 


Par 
4 








* 





Antonie. 
Die Männer, liebe Kinderchen, fie find ein chronifch Uebel, 
Sie überjehreiten oft den geſetzmäßigen Berlauf, 
Das Uebel hinzuhalten nur, nehmt mir's nicht übel, 
Das ift Die Kumft, da verftehen fich Die Frauen drauf! 


Amalie. 


Ei was! behandeln! Man muß fie gar nicht behandeln! 
Dadurch werden fie am draftifchften eurirt! 
Se aufmerkffamer man fich zeigt, deſto mehr machen fie Mandeln, 
Behandelt man fie falt, das macht fie inflammirt. 


Sophie. 
Den Hausarzt muß man zu gewinnen woiffen, 
Ein Hausarzt, der galant ift, und hat Berftand, 
Der fühlt dem Mann den Puls, der ſchröpft ihm das Gewiſſen, 
Und jagt: Ich fteh” für nichts, gebt fie nicht auf das Land! 


Antonie. 

Sch jollte frank mich ftellen? das ift bedenklich, 
Verſäumen Theater, Concerte, Spireen und Ball? 
Biel lieber rede meinem Manır ich ein, er fei kränklich, 
Er muß auf's Land, mit der erften Nachtigall! 


Amalie. > 
Was? der Mann fol mit aufs Yand? Gehorſamer Diener! 
Wo ſteckt die Erholung dann, ich danf dafür! 
Da frag’ Die Wienerinnen man, die Wiener, 
Er in der Stadt, fie aufm Land, das ift plaisir] 


Sophie. 
Ah, das verftehft Du nicht; ift der Mann mit auf dem Lande, 
Sp hält er's nicht aus, am zweiten Tag ift er abgepalcht, 





Fa 5 
0 > 
a Vs r — 235 
—* sm j 
m it Du im i in bi Stadt, fo fit Du auf dem Lande , 
ew'ger Angft, daß er Dich überraſcht! e 
Antonie. 

















a a ins — ſo gut, man bleibt zu Haus, Be 
o nach Gaftein, nach Iſchl, Berchtesgaden, — 
a iſt man aus der Ueberraſchungslinie 'naus! 


— 2 Amalie. —un 
— ga, Iſchl! köſtlich! man möchte mit der Zunge ſchnalzen, * 
Das Salz, die Sohle, die Haut volée! 
Doch jagt mein Mann ftets: „Iſchl iſt geſalzen, 
Er. Ind läuft man bin, jo thut Einem die Sohle meh!“ —* 
— 
Er : Sophie. h 
u 3 ſage meinem Mann, man muß viel mehr Geld aus— 


FR geben, 

Bl eißt man in der Stadt, führt täglich man doch aus, 
Denn „‚nulla dies sine linea‘‘ heift's im Wiener Leben, 

Das beißt: ‚Alle Tage muß man zur Linie 'naus.“ 


— 
—— 0 


Antonie. 


Ich h muß auf's Land, doch ſei's etwas entlegen, 
1 Gottes Willen nur nicht an der Eiſenbahn, 
a konımen Gäfte an, in Sturm, Blit und Regen, 
inz Wien kommt dann mit Kind umd Lehrer an! 





rg Amalie. 

* — gibt's nur ein „auf's Land!“ die Brühl, da iſt's einzig! 
Br) dur das Land, wo die zwei Naben blüh'n?“ 

D ie Fichten, Ruinen, man trennt fich, vereint fich, 

Barum, Geſellſchaftswagen, laß mich mit dir zieh'n!“ 


Er 








235 


ſophie. 
Alſo, wir müſſen auf das Land, das iſt das End' vom Liede; 


Antonie. 
Mein Mann iſt ein Gelehrter, er thut Alles! Bona fide! 


Amalie. 
Die Weiber wollen, die Männer müſſen, jo hat die Seele 
Friede! 
Sophie. 


Die liebenswürdigen Frauen, wie fie bier find Alle, 
Sch weiß, fie wollen nächſten Sommer alle auf das Land, 
Da iſt's hohe Zeit, ftellen Sie mir auf die Mäufefalle, 
Um den Mann zu fangen, veizend, fchalkhaft und gewandt. 


Antonie. 
Sa, ja, die Frau, die im Sommer auf dem Land will fein, 
Die heize nur im Winter ihrem Mann redht ein! 


Amalie. 
Ah Gott, der Winter ift lang genug, um mürb den Mann 
zu machen, 

Zum heil’gen Abend ein Käppchen, cin Cigarren-Etui, 
Zu Neujahr ein Schreibepult mit zwei Drachen, 
Die ein Amor lenkt durch Sympathie! 
Zum Namenstage eine Börſ' mit einem Schmetterlinge, 
Das padt, er macht die Börfe auf, und lauft uns in Die Schlinge. 


Alle Drei. 
Alfo, wir müfjen auf das Yand, fein Mann ift, der es 
änder', 
Und alle Frauen, die hier ſind, ſie müſſen auf die Länder! 


237 
Beim Hervorruf: 
Sophie. 


Entjhuldigen Sie, ich hab’ nicht Zeit, das ift befannt, 
Sc kann nichts vepetiren, „ih muß aufs Land“. 


Antonie. 
(Beim zweiten Ruf.) 
Ihr ichmeichelhafter Ruf jo großen Werth mir hat, 
Daß ich, dafiir zu danken, fam wieder in die Stadt! 


Amalie. 
(Beim dritten Ruf.) 
Sch war ſchon in der Brühl, umd eile wieder ber, 
Und danke, ländlich, fittlich, für die Ehr'! 
Doch an der Linie traf ich den Dichter an, , 
Und bring’ ihn mit, vielleicht kömmt er daran. | 


Der Menſch als Stantsmafchine. 


Es iſt der Menſch mit ſeinen viel' Gelenken, 
Wie ihn der liebe Gott erſchaffen hat, 
Mit ſeinem Kopf und Hirn zum Denken, 
Mit ſeinem Antlitz ſchön, oval und glatt, 
Mit ſeinem Fuß, die Schritte gut zu lenken, 
Mit Hand und Bruſt und Harz und Schulterblatt, 
Ganz wie gemacht, daß er als Vorbild diene 
Zur allerbeften reihen Staatsmaſchine. 


Der „Kopf“ in der Regent — Sehen, —— 
Denn das Regieren nur in einer Hand, 
Der Kopf allein, er trägt Die Denkerkrone, 

Denn Geift und Urtheil, Klarheit und Berftend, 
Sie wählen fih den Kopf zum hohen Throne, 
Gedanken bligen in dem ſchönen Stirnenband, 
Die oberfte Gewalt im Staatenlchen, 

Sie ſei in eines Menihen Macht gegeben. 


Die „Augen“, die den Blid in weite Fernen tragen, 
Sie find von „Auswärts das Minifterium‘, 
Sie jenden Telegraph, Depeihen, Fragen, 

Meitjehend in die ganze Welt herum; 

"Sie wehjeln Noten, bitten, zürnen, klagen, 
Sie bliten und find freundlich wiederum, 
Und will es ihnen auch nicht immer glüden, 
Sp wifjen fie geiheidt ein Auge zuzudrüden. 


Die „Nafe‘, dieſer Hauptpumet in dem Angefichte, 
Sie ift das „Minifterium der Bolizei“, 
Die Nafe riecht die ganze Weltgeichichte, 
Mo was zur jehen ift, Da ift Die Naſ' dabei, 
Daß fie zum Wohl des Staates ftets berichte, 
Wo etwas faul, anrüchig jo im Leben ſei, 
Die Na) in Ehren! fie ift nöthig zu dem Weltbehelfe, 
Und wenn ſie nieſ't, ſagt Jedermann: Gott helfe! 


Der „Mund“, und was gehört zu ſeinem Ganzen, 
Die Zähne, Gurgel, Kehle und auch Hals, 
Er ift das „Minifterium der Sinanzen“, 

Er braucht zwar viel, doch er ernährt auch Alls; 
Er muß jorgen ftets für Magen, Wannft und — 
Fir Milz und Leber, für das Herz auch mandenjalls; 























RE Und hat der Mund no jo viel Nahrung eingetrieben, 
Sit alles andr’e voll, nur er ift Leer geblieben ! 


Das „Herz“, das in dem Buſen ift verborgen, 
Das „Minifterium des Innern“ präjentirt, 
Ihm anvertraut find die innern Lebensjorgen, 
Won ihm wird Ruh’ und Wohljein prätendirt, 
=... Esift bewegt, erregt vom Abend bis zum Morgen, 
Br Es jei zu weit nicht und zu eng creitt, 

Denn wenn das Herz an uns nur Necht geiprochen, 
Kann es D’rauf ftolz fein, kann es D’rauf dor“! 


4 


Der „Magen“, dieſer bäuriiche Philifter, 
Der Magen ift das „Broletariat“, 
Gebt ihm zu ejien, fleißig und zufrieden ift er, 
— Der Hunger ift jein Tyrann und Potentat, 
Er kümmert, fatt, ſich den Kuckuk und ſein'n Kiüfter, 
Um Bolitif, Geiles und Kir’ und Staat, 
Der Magen ift ein Faß, das kann man täglich hören, 
Denn großen Lärm machen nur — die leeren! 


Die „Hände“, und die Arme, eng verbunden, 
Sind zum „Minifter des Kriegs“ ernannt; 
Gerüſtet jeien fie zu allen Stunden, 

: Doch nicht aus Luft zum eitlen Kampf entbrannt; 
-—— Das Haupt zu ſchützen vor Gefahr und Wunden, 
Siind fie fir Kaifer, Ehr' und Vaterland, 
So erbt ſich fort im menschlichen Geſchlechte: 
Die Rechte für die Waffen, Waffen für das Rechte! 


Die Füße“, Sie erlauben ſchon dies Wort, ich bitte, 
Die Füße find die „Unterthanen“ nur, 
Das Haupt foll weile lenfen ihre Schritte, 
Das ift das Grundrecht im Geſetze der Natur, 


240 


Sie jollen folgen, wenn e8 lenfet ihre Schritte, 

Denn von der Höhe nur fieht man die rechte Spur, 
Sedo bleibt’8 wahr, beim Gang, beim Lauf, beim Tanze, 
Die Füße unten tragen doch das Ganze! 


Eine freie Conferen;. 


Personen: 
Ein Doctor der Rechte. j 
Ein Doctor der Medicin. 3 
Ein Doctor der Weltweisheit und Magijter der fünfprocentigen Künfte 
vulgo Banauier. 
Eine Jeufzende Hauptcaffa. 


(Zuerft treten die drei Männer. auf.) 
Diplomat. 


Stell’ mich vor, bin Jurift, und ein halber Diplomat, 
Sch beende die Dinge alle politiich, aber ftaat! 


Prokessor. 
Ich bin ein Profeſſor von Frankfurt am Main, 
Sc wirke mit der großen Idee, aber Hein. 


Bonquier. 
Sch bin ein Banquier, ich ſteh' im der richtigen Mitt, 
Ich hab’ feine Bolitif, feine Idee, aber Credit! 





241 


* Diplomat. 
“ Zu einer Conferenz finden wir uns allhier ein. 


Professor. 
Zu einer Conferenz? da kann ich nicht dabei fein! 


Diplomat. 
Nicht? Und warum denn nicht? 


Professor. 


Weil im Jahre 1860 und drei 
Meine filberne Hochzeit ift, und da wär’ ich auch gern dabei. 


Banguier. 
Ne filberne Hochzeit? Bleiben Sie nur hübſch rubig dahier, 
In zwölf Jahren begebt man die filberne Hochzeit auch in Papier. 


Diplomat. 
Wir find fo eigentlich bier als ein Kranfen-Concilium vereint; 
Da iſt jo eine Patientin, die ewig ſeufzt und jeufzt und meint, 
Bi Eine charmante Berfon: „Haupt-Eafja“ genannt, 
Die find jetst alle unpäßlich im jeglichem Land. 


i Professor. 
% Das ift die Gripp'! die eireulirende Gripp' auf Ehr’ ! 
* Greift die Nerven an und rührt vom nervum rerum her! 


— 


Yu 


Banquier. 
Ich Bit Sie, laſſen Sie uns aus mit Ihrem rerum und 
3 nervus! 
Er Es find nichts als dreiprocentige vapeurs und damit: 
servus! 
no Saphir's Schriften XIV. Bd 16 





We ae 
* — * 


242 


Professor. 
Aber werden wir die Patientin denn nicht bald fehn? 


Banquier. 
Sch glaube ſchon (man Hört ſeufzen) da kommt fie zu gehn! 


Cassa. 
(Leidend und ſchmachtend.) 


Ah! — ah! — (Alle Drei beſchäftigen ſich mit ihr.) 


Diplomat, 
Wie befinden Sie fih heut‘, gnädige Frau? 


Enssa. 
Ach! — 


Drofessor. 
Das Wetter ift Doch fo freundlich, die Luft fo lau — 


Cassa. 


Ag! — O! — 


Banquier. 


Nehmen Sie Platz, Sie ſind ja geſund und friſch, aber ſchwach 


Cassa. 
Sie glauben gar nicht, wie mir fo unwohl ift, — ad! 


Diplomat. 
Was fühlen Sie denn fo eigentlich ? 


Cassa. 
Ah! fo eine Leere! 





213 | 


Professor. 
Eine feere? Ein vacuum? Davon ift feine Spur, 
Nicht möglich, e8 gibt Feine Leere in der Natur. 


Diplomat. 
Keine Leere in der Natur? Greifen fie nur im Ihre Taſche 
hinein, 
Da finden Sie eine Leere, die kann Ihnen zur Lehre fein. 


Professor. 
Eine leere Taiche ift ein naturwidriger Status, alſo — 


Bangnier. 
Diefer Status, Freund, .ift jest in allen Hauptcaffen der 
Status quo, 
Diplomat. 


Jedoch, meine Herr’n, nun friih auf zur Conferenz, 
Was jpüren Sie denn eigentlich, Euer Ercellenz ? 


Cassa. 
Ah! Einft! — O! Einft! Damals! früher, als ich noch, 
Aber jebt, feine Spur mebr und doch! 


4 Diplomat. 
Dunkel ift der Sinn und führet nicht zum Ziel, 
Allein ih muß das verfteben, es ift juriſtiſcher Styl. 


Professor. 
Einft — jest — doch — Spur — das klingt verwirrt, meine 
i Verehrte, | 
Entihuldigen Sie, waren Sie vielleicht einft eine Gelehrte? ‘ 


Banguier. 

Einft eine Gelehrte? Jetzt ift fie eine Geleerte und wie, 
Und was geben ſich ibre Lebrer mit ihr fir Müh'! 
Eie hat Dber-Yeerer und Unter:Leerer, lauter Genie! 

« 16* 


‚Ir TE Kuat 


244 
Enssa. 
Ah! und meine Stimme ift jo ſchwach, fie hat gar feinen 
Schall. 
Professor. 


Sn der Diagnofe heißt das: fie har fein Metal. 


Diplomat. 
Es ift eine Mopdification von einem Katarrh worderhand, 
Jedoch der Kehlkopf leiftet noch paſſiven Widerftand. 


Banquier. 
Die Haupt-Caſſa hat den Katarrh? So kommen Sie zu 
mir, 
Ich hab' Bonbons für Sie, lauter Bonbons, Zuckerplätzel in 
Papier. 


Cassa. 
Ach, es haben ſchon ſo viel Aerzte an mir laborirt, 
Sie haben das Uebel hingehalten, aber niemals curirt. 


Diplomat. 

Das iſt's, was man die medicinifche Politik nennt, 
Die Aerzte interveniren zwiſchen Krankheit und Patient, 
Gibt die Krankheit nah, wird der Kranfe gelund, 

Gibt der Kranfe nad, jo geht er zu Grund, 
Sind beide hartnädig, jo ſchreitet der Arzt bewaffnet ein, 
Kommt mit Pulver und Kugeln und gräbt Beide ein. 


Prokessor. 
Est modus in rebus! Der Fall iſt klar wie ein Schluß, 
Der Patientin fehlt nichts, als daß fie mehr einnehmen 
muß. 


215 


Bangnier. 
Einnehmen? Einnehmen! Kann fie einnehmen den modus 
in rebus ? 
Einnehmen ift der Modus, aber wer foll eingeben? das „ift 
der Rebus“. 


Cassa. 


Ah, einnehmen! Ach, ich hab’ Schon jo oft eingenommen, 
Mit vielem Int'reſſe, die Mittel haben mir nicht befommen. 


Diplomat. 
Zum Zwed führen nur die Mittel, hier find die Mittel 
der Zweck, 
Darum fommen Zwed und Mittel nicht vom Fled. 


F Professor. 
Ich meine, man bebandle die Kranke homöopathiſch nur, 
Keine theure Apotheke, man überlaffe fie der Heilkraft der 


Natur. 
Banguier. 
Sa, homöopathiſch? Ih habe Schon bei ſolchen Kranken 
prakticirt, 


Das, was jolhen Kranken hilft, hab’ ih mit Glüd auch au 
Geſunden probirt, 
(Klimpert in der Taſche mit Silbermänze.) 


Cassa 
(sudt, zuſammen). 
AH! (mie begeiſtert) Welche Töne! wie verführen fie mein 
Ohr! 
Ad! meine Heren, der Mann kommt mir magnetisch vor. 


246 


Bangnier. 
Ich bin pure magnetiih! Sa, ich bin Ihnen im Stand 
Und ftröm’ eine curiofe Kraft aus, und das blos aus der Hand. 


Ensso. 
Ad! und ich Schlaf jo unruhig, hab’ ſchwere Traume, und 
bin mir nicht bewußt; 
Auch fühl ich eine folhe Bellemmung auf der Bruft. 


Professor. 
Bruftbeflemmung? Das ift Mangel an Blut. 
Blut ift Gold, das Blut vermehren, wär ihr gut! 


Diplomat. 
Bieleicht Falte Bäder, Douche, faltes Waſſer in Humpen. 


Bangnier. 
Was hilft da die Tuſch'? Hier heißt e8 nur pumpen. 


Cassa. 
Ah, meine Herr'n, das ift alles recht gut und charmant, 
Aber während Sie conferiren, nimmt das Uebel überhand, 


Professor. 
Ueberhand? wirklich? Das ift erwünſcht! Das ift gut! 
Da lernen wir das Uebel fennen, ganz wohlgemuth. 


Banguirr. 
Shre Krankheit, Madame, ift die curiofefte von der Welt! 
Man weiß, was einem fehlt, und friegt’8 doch nicht, Gelt? (Gelb). 


Diplomat. 
Nun, meine Herren, die Borfragen find aus, Gott fei Dank. 
Wir find in der Hauptfrage einig: die Kranke ift krank. 


















Professor. 
? Rrant jo eigentlich nicht, aber * nicht AN 


Be, Banquier. 
N E er Dann verlaffen Sie fih nur auf mich, auf Ehr'! 

Kr Bon wen als von mir fommt die ganze Wechjelwirkung ber? 
— yr v 


Cassa. * hen} 
mw welche Dual! — ah! wär’ ih nur ſchon tobt! . * 


Diplomat. - 

nichts übereilt, das fommt ſchon, damit hat's feine Noth, 
$ De nicht eher, bis wir allfeitig gefommen zum Schluß, 

2 bewiejen, daß das, was ihr fehlt, fehlen muß. 


A 
Bu, Cassa. 
ir 2 der Hunger! Ich möcht! Alles verſchlingen auf jedem 
—— Schritt! 
Er Banquier. 
— iſt fein wahrer, barer Hunger, das ift nur Schein- 
Appetit. 
Enssa. 
iſt's and) fein Hunger, jo iſt's doch ein Gelüft. 
i Professor. 
er — if eurios — Gelüft? da doch ihr Zuftand nicht ge— 
Me -; fegnet ift. 


5 Diplomat. 
fen, meine Gnädige, wir hoffen das Befte am End”. 


: Professor. 
8 heit, meine Gnädige, maden Sie Ihr Teftament! 





DET a 
LER Kenn 


248 


Diplomat, 
O! feinen letzten Willen macht jeder Kluge gefund. 


Banquier. 
Ihren letzten Willen? Sie will das Letzte vom Mund! 


Enssa. 
AH! ich hinterlaffe meinen Erben meinen Segen allhier. 


Banguier. 
Shren Seaen? In Barem oder im Papier? 


Diplomat. 
Aber doch endlich zur Konferenz! Sehen Sie fih nur um, 
Wir find ja nicht allein, auf ung fieht ein ganzes Publikum. 


Prufessar. 
Ein Publitum? Sy? Hat das hochverehrte Bublifum be— 
zahlt, mein Herz? 


Diplomat. 
Ei freilid, 2 Gulden für den Sitz, wie vor dem März! 


Professor. 
Ganz, wie vor dem März bat e8 bezahlt? Das ift ſchlimm! 
Denn dann bat es dafür nur einen Sit, aber feine Stimm’! 


Diplumnt. 
Aber der Dichter hat Sie zur Konferenz eingeladen und 
verſpricht's! 
Banquier. 


Nun das iſt nobel! Man wird jetzt überall eingeladen und 
kriegt nichts. 


Cassa. 


Ach! ich vergeh'! 


f hr 


Professor. 
Sie vergeh'n? Das vergeht! 


Diplomat. 
Aber nun zum Schluß. 
(Tritt vor.) 
4 Berchris Publikum, hochgeſchätzte vereinigte deutihe Damen 
und Herr’n, 
Ben Sie ein gutes Perjpectiv haben, fo fehen Sie den Schluß 
’ in der Fern’. 
Wollen Sie ihn erwarten? Faft wird uns bang), 
: 59 wird Ihnen am Ende vielleicht dennoch zu lang’! 
Be 


Banquier. 
Aber wiſſen Sie was? Machen wir ein Geſchäft — ich bin 
bereit, 
€ Sie wollen das Ende wifjen? Schließen Sie mit mir ab, — 
aber auf Zeit! 


Professor. 


# Bolten Sie aber, verehrte Deutiche, indefjen nah Haufe 
— geh'n, 
fommen fie gefälligft über'8 Jahr, wir werden auf dem» 
i jelben Felde fteh'n. 


Cassa. 


BeimHervorrufen: 
(Die drei Herren treten allein vor.) 


Diplomat. 
a8 it das? Noch mehr Conferenzen will das deutiche Haus? 





250 


Professor. 
So? Defto beffer! Die Gerufenen fommen dabei heraus. 


Banquier. 
Wer hat mich gerufen? Gott, wie bin ich erjchredt! 
Wenn mic Jemand ruft, will er was vorgeftredt. 


Diplomat (zum Profeffor) - 
Was fagen wir nur gefhwind? Ein Bonmot, einen Wit! 


Professor. 


Ein Bonmot? Laſſen Sie mich machen — Verehrtes Pu— 
blikum, das iſt eine Hitz'! 


Banquier. 
Das iſt wahr! die Hi! im Publikum iſt fein Schnack. 
Es ift ihm vor Hit’ alles Geld geſchmolzen im Sad. 


Diplomat. 


Sein Sie doch fill! Was joll der alte Wit heißen. 
Berehrtes Publikum! Verehrte Deutſche — 


Professur. 
Berehrte Deutiche und Preußen! 
Wir fünnen nicht lange hier bleiben per se, 
Die Kranfe da d'rin gibt uns ein großes Diner! 


Diplomat. 
Eine Art von diplomatifhem Diner, das will jo viel 
lagen, 
Als: wir probiren, wie viel die andern werfzagen. 


£ A) ift, hat immer zu beißen. 


va * Professor. 
Ein Diner, das ift die Schule der Diplomaten, 
n Jeder meint, er allein riecht den Braten. 
Banguier. 


wer da ift ein echt befonnener Diplomat, 
e ißt gar feinen Braten ohne Bundjalat. 


Professor. 
u nd > glaub man jchon, man ift fertig, dem Hunger 
BR; gemäß, 
‚ganz am End’, da fommt auch noch der Schweizer» 
j ti’, 
Alle drei. 
Reien: Deutiche, wir wiſſen micht, wo die Köpf' uns 


ſteh'n, 
ben Sie alſo, daß wir an die Geſchäfte geh'n. 
—— (Alle ab.) 





252 


Beim zweiten Hervorrufen: 
(Treten mit Caſſa vor.) 


Professor. 


Sp treten Cie nur ein, da das verehrte Publikum gern 
wüßt, 
Ob nah dem Ejjen von der Hauptcafja etwas übrig gebliebeir 
iſt. 


Cassa. 

Ich hatte drei Aerzte, bin aljo jehr gefährlich geweſen, 
Jedoch Sie riefen, das macht mich plöglich genejen. 
Denn wo nur eine arme Cafja Noth veripürt, 

Dort wird durh Ihre Güte fie immer curirt. 
Sie famen als Aerzte, jo oft man fie rief, 
Denn leider, wir Caſſen werden jehr oft recidiv. 


4 


Inhalt des vierzehnten Bandes 


Erjte Abtheilung. 


Dichtungen für ernſte Declamation. 


Seite 
M. ©. Saphir, biographijche — De N N ee 
Napoleon . . . ER A EREN 
Lätitia, die neue Sehube A Fe AR ER RS Mn 
Das innere Auge . - . nr —— 
Das Paradebett in der Aclerbneg. ar Ka m a 
Der Erde und des Herzens Quellen . . 2 2 2.2.8 
Benahden Hundpgand - - -» - 2 2 2 0 2..47 
Be eonen-Shöpfung - - = = » 2 2 0 2 0. 55 
a Me Ba BEE 
te Shlaf .» » 2 : 2 22 202 en +6 
Die beiden Sänger. . . a a — 
Erdenfluch und Shnmelöfegen N N 7 
en RE. 
ee bom Helenenthale - - »- - x 2 2.91 
Die Mitleidsiterne . . . N NS 


Der Tod des jungen Napoleon — ar a ee 


Des Haufes letzte Stunde 
Wilde Herzblätter . 
Herbit im Frühling . 


Sweite Abtheilung. 


Dichtungen für heitere Declamation. 


Sanftes Cheftands-Duettino 
Kein Malheur, jedoch fatal. 


Tres faciunt Collegium oder das Son Be ftanten 


Liebe } 
Die gute Wirthin Bir Be Sanfte Gattin 3 
Kommen und Gehen BER. 
Nehmen und Geben 
Männlih und Weiblid . 
Die Maus, die Ratte und des Nachbar — 
Die guten und die ſchlechten Freier 
Ehe-Whiſt und Liebe-Boſton 
„ra“ RE —— 
Der Tod und fein Weib 
Frauenherz und Eifenbahı . 
„Singe, wen Gefang gegeben“. 
Splitter und Balfen : 
Schwimm-Lectionen auf dem ——— 


Das iſt dageweſen und das iſt noch nicht —— en. 


Das alte Lied von der neuen 2 

Etuden 

Kalendermweisheit mb ee £ 
Hinter-dem-Dfenstieder . 

Nur hochdeutſch, oder der Genagſtreich 
Der literariſch-geſellige Tag- und Nachtwächter 


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Necipe zu einer modernen Poſſe Sp (eg 
Die Geldklemme und die Doetorenfhwemme . . . . 


Sternguder und Börjenichluder, oder: Wieder Einer, de 


ausgeblieben ift 
Die Redefreiheit der Frauen 
Die tendenzkranke Welt. . 
Dialect und Ortbographie . 
Wir müffen auf's Land 
Der Meuſch als Staatsmaichine 
Eine freie Conferenz 


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