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Sitzung'sberichte
der
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu JVLüncheii.
Jahrgang 1888.
Erster Band, ^
y - l
München
Verlag der k. Akademie
1
In Commission bei G. Franz.
AS
Inhalts - Uebersicht.
Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
Oeffentliche Sitzung der kgl. Akademie der Wissenschaften zur
Feier des 129. Stiftungstages am 28. März 1888.
Seite
*v. Döllinger: lieber die Geschichte der religiösen Freiheit 248
T. Prantl: Nekrologe 248
V. Gieseb recht: Nekrologe 268
*P. Groth: Ueber die Molekularbeschaffenheit der Krystalle . 304
Philosophisch -philologische Classe.
Sitzung vom 7. Januar 1888.
Scholl: Der Process des Phidias
Sitzung vom 4. Februar 1888.
Wecklein: Ueber fragmentarisch erhaltene Tragödien des
Euripides
Sitzung vom 3. März 1888.
Wölfflin: Krieg und Frieden im Sprichworte der Römer . . 197
Sitzung vom 5. Mai 1888.
Oberhummer: Griechische Inschriften aus Cypern . . .
V. Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie . . . .
West: The extent, language and age oi Pahlavi literature
*Unger: Ueber den Gang des altrömischen Calenders . .
Fr. Burkhard: Die Nomina der Kä9miri-Sprache . . .
Nachtrag zu Ob er hu mm er' s Abhandlung
305
349
399
443
444
523
IV
Historische Classe.
SitzutKi vom 7. Januar 1888.
Seite
Friedrich: Ueber die Unächtheit der Decretale de recipiendis
et non recipiendis libris des Papstes Gelasius I ... 54
*v. Riehl: Ueber angestellte Untersuchungen über die Braut-
krone der polnischen Prinzessin Hedwig , Gemahlin des
bayerischen Herzogs Georg des Reichen 86
Sitzung vom 4. Februar 1888.
Gregorovius: Die erste Besitznahme Athens durch die Re-
publik Venedig 141
Lossen: Zur Geschichte der päpstlichen Nuntiatur in Köln
1573—1595 159
Sitzung vom 3. März 1888.
V Löher: Ueber Dolmenbauten 216
Sitzun2:sbericlite
der
kniiial. bayor. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 7. Januar 1888.
Herr SchJWl hielt einen Vortrag:
,Der Prozess des Phirlias.'"
Die persönlichen Schicksale berleutender Künstler, heut-
zutage ein beliebter Stoff der Biographie und Novellistik,
haben dem antiken Publikum geringes Interesse abgewonnen.
Lediglich an die Werke knüpfen und auf ihre Entstehung
beziehen sich die unzusammenhängenden Nachrichten und
gut oder schlecht erfundenen Anekdoten, welche das per-
sönliche Element in unserer kunstgeschichtlichen Ueber-
lieferung bilden. Wenn auf Phidias' Leben ein helleres
Licht föllt oder zu fallen .scheint, .so wird das seiner Ver-
bindung mit Perikles verdankt, welche das künstlerische
Schaffen des Meisters als Theil der politi.schen Wirksamkeit
des Staatslenkers erscheinen Hess. Man weiss, wie diese
Verbindung für den Kün.stler verhängnissvoll geworden i.st:
eben über .seine Katastrophe in Athen, deren schon Zeitge-
no.ssen gedenken, flie.sst uns reichlichere Kunde. Nur wird
der Werth der Berichte durch die starken, ja unlösbaren
Widersprüche zwi.schen denselben beeinträchtigt, angesichts
1888. Philo8.-phUol. u. bist. Gl. 1. 1
2 Sitzunf] der philos.-plüJol. Chifisc mm 7. Januar JSS8.
rleren die Fi'ao'e sich doch wieder antdrängt, ob da> spätere
Alterthum die Mittel, oder auch nur das Bedürfniss hatte,
den thatsächlichen Hergang solcher persönlicher Erlebnisse
7Aiverlässig zu ergründen. Der Forderung, zwischen den
widerspruchsvollen Nachrichten zu wählen oder zu vermitteln,
sind die neueren Kritiker und Histoi'iker auf sehr verschie-
denen Wegen nachgekonnnen, oline dass selbst in den Vor-
fragen nach dem Inhalt und Verhältniss der Quellenangaben
eine Einigung erzielt wäre. Von den beiden letzten Unter-
suchungen des Gegenstandes, welche vor fünf Jahren gleich-
zeitig und unabiiängig von einander erschienen sind, gelangt
die eine zu dem Ergelniiss, dass Phidias in Athen bei einer
Kechnungsaldage angeklagt, aber freigesprochen worden,
dann zur Ausführung des Zeusbikles nach Elis übergesiedelt
und dort in hoiien Ehren gestorben ist; nach der andern
ward der Künstler erst ein Jahrzehnt nach seiner Kück-
kchr von Elis nach Athen wegen Unterschleifs gerichtlich
verfolgt und starb im Gefängniss vor der Entscheidung
des Prozesses. Beide Darstellungen vertragen sich nicht
hesser miteinander als mit den glaubwürdigen Quellenzeug-
nissen: es scheint kein überflüssiges Beginnen die letzteren
durch eine erneute Prül'ung festzustellen und wieder zu
Ehren zu bringen.
T.
I)ass zu dem Prozess des Phidias seine gefeiertste
St:Ji()pfimg in Athen, das Gold(dfenlieiu-8tandhiId der Par-
thenos, den Anlass oder Vorwand bot, ist übereinstimmende
Angal)i> unserer Gewährsmänner, l'eber die Einleitung und
den Verlauf des Prozesses giebt nur Plutarch (Perikles :'. 1)
einen ausführlichen Bericht, von welchem die skizzen halte
Darstellung bei Diodor 12, 30 nicht abweicht.
Neider des einflussreichen Meisters, .so heisst es, und
pojiti.sche Gegner des Perikles, welche mit dem Streich gegen
Scholl: Der Prozesf: des Phidiaa. 3
Phidias zugleich .seinen Gönner nnd verantwortlichen Auftrag-
geber zu treffen dachten, stifteten einen (4ehilfen des Phidias
Namens Menon zu einer Aussage gegen jenen an. Nach-
dem der Angeber sich als Schutzflehender persönliche Sicher-
heit erwirkt hatte, ward die Denunziation in der Volks-
versammlung verhandelt. Die Anschuldigung, dass Phidias
sich an dem für das Götterbild bestimmten Golde vergriffen
liabe, war durch Nachwägen leicht zu entkräften, da der
Goldschmuck abnehml)ar war: zum Verbrechen aber machte
man dem Künstler, dass er auf dem Schilde der Göttin des
Perikles nnd sein eigenes Bild angebracht hatte. Er ward
ins Gefängniss geworfen und starb dort an einer Krankheit,
nach anderer Angabe Hessen ihn die Feinde des Perikles
vergiften, um den Verdacht auf diesen zu wälzen. 'Dem
Angeber Menon aber gewährte die Gemeinde auf Glykons
Antrag ?>teuerfreiheit und beauftragte die Strategen für seine
Sicherheit Sorge zu tragen.'
Den urkundlichen Werth dieses Schlusssatzes hat
Löschcke^) mit Recht hervorgehoben. Durch das Dekret des
(übrigens unbekannten) Gljkon erhält die Figur des Denun-
zianten Bestimmtheit, ist wohl auch sein Name der verdienten
Vergessenheit entrissen worden. Menon war Nichtbürger, wie
so viele Künstler und Handwerker in Athen: den Metöken be-
lohnte man mit der Atelie, der Befreiung von der Kopfsteuer
und anderen Leistungen, und mit dem polizeilichen Schutz. Die
übertreibenden Vorstellungen von der Bedeutung dieser Prämie
für ]\Ienon berichtigt Löschcke durch den Hinweis, dass solche
Privilegien nichts Ungewöhnliches waren und besonders ttie
Stellung von Nichtbürgern unter den Schutz der attischen
Behörden in Fhrendekreten häutig wiederkehrt.*)
1) Phidias Tod uncl die l'ln-onologie des olympischen Zeus (Hist.
Untersuchungen A. Schäfer gewidmet, Bonn 1882) S. 28.
2) Die Bedeutung des Privilegs nicht weniger als den Zusammen-
hang der Erzählung verkennend nimmt Duncker (Gesch. d. Alterth.
1*
4 Sitzuvp der philns.-philol. Classr mm 7. Jmiuar 1888.
Eine aiiffälli«;e Besonderheit liegt indessen doch in nnserem
Fall darin, dass mit diesem Schntz die Strategen beauftragt
werden. Wir erwarten dafür den Rath und die Prytauen
als dasjenige Verwaltungsorgan, welches herkömmlieh und
von Rechtswegen über die Sicherheit der von der Gemeinde
jirivilegirten Metöken zu wachen hat. Wo den Strategen
eine entsprechende Weisung ertheilt wird, sind die Geehrten
auswärtige Staatsangehörige, welche als Wohlthäter und
Proxenoi des diplomatischen Schutzes der Gemeinde geniessen.
Und auch zu dieser amtlichen Fürsorge wird regelmässig
der Rath mit den Feldherrn gemeinsam berufen: die letz-
teren allein nur in ganz vereinzelten Fällen, wo es sich um
bestimmte militärische Aufgaben handelt.^) Fand also Plu-
tarch wirklich in der Formel des Dekrets für Menon die
Stratt'gen genannt, so wird man das etwa durch die An-
nahme erklären kihinen, dass Menon nicht in Athen blieb,
vielleicht guten Grund hatte, die Stadt zu verlassen und
mit einem anderen Wohnort im attischen Bundesgebiet zu
vertauschen. Denn da.ss ein solcher Wechsel des Wohnsitzes
divs attische Metökenverhältniss und das Privileg der Steuer-
freiheit nicht aufhob, wissen wir jetzt aus inschriftlicher
(iuelle.^j Sicherer ist, (his>< in jentM- Foruiel der Rath neben
N. F. 2, 336 Anin.) an, dass im Dekret 'nicht (uf/.eia, .sondern ä()fia
f^eatanden liat und der Beschluss zur jigoßoXi] des Proco.sae.s gehört',
und nennt den .\uftrag an die Strategen 'eine liei Anzeigen und
Ankhigen in Staatsprocessen nicht ganz ungewöhnliche Massnahme.'
1) Vgl. darüber den Anhang.
2) Urkunde des Vertrags mit Chalkis C. 1. .\. IV 27 a, 53 tovc;
Af ff'roi'c rorc tv Xaky.iüi oaot oixovvtkc; fiy tfIovoiv 'Adt'/ra^F xai ei
Uli fitftoTui V7TII rnv fir/fiov tov 'AdtjvaioiV uteXeia, rohe ftl n).).ovg rs/.elv
>'s- XnixiAa. Diw.s die Clausel sieb auf attische Metöken bezi«^ht,
hal>pn V. Wilamowitz Hermes 22, 249 (vgl. Aus Kydathen 88) und
Unncker 2, 91 erkannt. Die Struktur des Satzes ist weder durch
Vt-rMihreibung entstellt noch verwirrt. Dass der vorangestellte ll;iuj)t-
Scholl: Der Prnzess des Phidios. 5
den .Strutejjfeii nicht fehlte und die Nichterwähnung bei IMu-
tunli auf dessen nachlässiges Excerpt zurückzuführen ist. M
Flutarch entnahm das Psephisma des Glykon wie die
übrigen gleichartigen Urkunden, welche seiner Biographie
des Perikles ihren besonderen Werth verleihen, der Psephis-
meusammlung des Krateros. Dass er dieselbe direkt benützte,
ist nicht zu bezweifeln. Löschcke folgert nun, dass mit
jenem Dekret auch der ganze Bericht über den Hergang,
Einleitung und Inhalt der Anklage, Haft und Tod des
Phidias aus Krateros geschöpft sei. und durch diesen Ge-
währsmann auch für unser Urtheil massgebende Bedeutung
erbalte. Aber weder ist diese Folgerung an sich berech-
tigt, noch würde sie, selbst ihre Berechtigung zugegeben,
uns der Pflicht überheben nach der Beglaubigung des Be-
richts zu fragen. Der Ehrenbeschluss für Menon selbst
hätte dem Krateros die nähere Auskunft nicht bieten
können: mit Motiven pflegt die Fassung solcher Beschlüsse
in damaliger Zeit sehr sparsam zu sein. Ich erinnere nur
an das Dekret für die Mörder des Phrynichos. welches das
Verdienst der Geehrten an keiner Stelle bestimmter bezeich-
net, ja nicht einmal den Namen des Phrynichos nennt. Und
begriff nacli einer eingefügten Clau.sel durrh rovg 6s nXlov; wieder
aufgenommen wird, entspricht dem alten Curialstil. Vgl. Patrokleides'
Dekret bei Andok. 1. 77 Jisgi dk röjv EyyEyoaui.iEvo)v - - - - Sooi äiifiot
tjaav t) 6(fei}.ovT£^, xai ooojv evOvrai Tivsg slai xareyytoa/^ih'ai - - - - xai
oaa Svofcaza tojv TEXQaxoaion- rirog iyyiyoa^Tai - - - -, ^^.rjv onooa fv
otrjhug yiyoanrai rwr /</; yvOäÖE fiEivävTCov - - - -• za 8e äXla jzavTa
i:a/.Etij>at xxe. Aehnlicl; nach einem Participialsatz C. I. A. II 163,
10 y.al vEifiavT{ag xoig nQvxäv\Eaiv tievxe fiEQiÖag xai xoig ivi'ia äQ[y_ovritv
- - - - xat xa[u xart](p6goi]g xuza {za) Etco[döza], za. 8e äü.a xoea
'A&r]vaio[ig in£oi^Eii'\.
1) Die Formel mochte im Originale lauten: EmuEksa^ai bh
Mivoivog, o^ojg av /xt) aÖixfjzai, zovg ozgaztjyovg zovg dfl oxoazrjyovvzag
xai xTjv ßovkrjv zrjv dsi ßov/.Evovoav (die Reihenfolge wie C. I. A.
11 1^- p. 396).
6 Sitzunc) der philon.-jihilol. Classe rom 7 . Januar iSSS.
was Kniteros etwa aus den Protokollen der Volksversammlung
entnehmen konnte, die über Menons Denunziation verhan-
delte, waren jedenfalls nicht die Angaben, w^elche bei Plutarch
auftreten : wie sieh weiterhin ergeben wird. Die Voraus-
setzung überhaupt, dass der gewissenhafte Sammler seine
Urkunden mit ausführlichen, nicht aus den Akten geschöpf-
ten Schilderungen der Ereignisse begleitet habe, steht auf
schwächsten Füssen.^)
Löschcke macht für den gediegenen und mit den athe-
nischen Dingen vertrauten Gewährsmann besonders zwei
Kennzeichen geltend: die durch Plutarchs 'aller juristischen
Präcision ermangelnden' Bericht noch durchschimmernde
Klagform der l'robole, und die Beschreibung des Schildes.
Mit beiden befindet er sich im Irrthum.
Mit der Probole hat die Untersuchung der Sache in
der Ekklesia nicht einmal eine scheinbare Verwandtschaft,
und keine der bekannten Anwendungen jener Klagform
passt auf unsern Fall. Durch die Probole bezweckte der
Kläger fiir einen von ihm angekündigten und vor Gericht
zu führenden l'rozess das Interesse der Bürgergemeinde zu
erwecken und ein gihistiges Präjudiz zu erzielen. Wer aber
wäre liier (l»-r ;iQoßaXk6(.iEvog'i MenonV Der Metöke war
zu dieser Holle unfähig. ül)rigens war er ja nur das Werk-
zeug jener Ankläger [loig xaUjyoQOVi; nennt Plutarch),
welche erst auf Grund seiner Anzeige aus ihrem Dunkel
hervortraten. Das Präjudiz der Ekklesia in der Probole
bedeutete lediglich eine moralische Unterstützung, die dem
1) Einen (Gegenbeweis liefert Plutarch selbst im nächsten Ca-
|iitel (32) bei dem Rechen8chaftsj)rozess des Ferikles. Er berichtet
genau, was sich aus den von Krateros verzeichneten Psephismen über
das einzuleitende Kechenschaf'tsverfiihren gewinnen Hess, schweigt
aber über den Gang und Ausgang der Sache, oHcnbur weil ihn seine
•Quelle hier im Stich liesa. Daher die Verlegenheit neuerer Histori-
ker, dicd Ereigni.-ia in den geschichtlichen Zusammenhang einzureihen
Scholl: Der Prozess r/cs Phidins. '
Endurtlieil des Gerichtshofs nicht vur<^riff: wie konnte dann
das Votum der \'ersammhni^ die Haft des Angeschuldigten
verfügen ?
Die Anzeige gegen Phidias trägt die Form der ein-
fachen ^nlvvaig, wie sie gerade bei Nichtbürgern und Skhiven
regelmässig vorkommt. Ausdrücklicli nennt sie Plutarch so.
der demnach das Verfahren richtiger auffasst als sein Kri-
tiker. Als i-iiji'irrjg empfing Menon in der erwähnten Be-
lohnung seine Denunziantenprämie.
Aber die Inscenirung der Anzeige lehrt noch ein
Weiteres. 'Die Gegner, sagt Plutarch, bestimmten Menon,
sich als Schutzflehender auf dem Markt niederzusetzen —
am Altar der zwölf Götter, wie Diodor, in diesem Zug ge-
nauer, angiebt — und sich Straflosigkeit zu erbitten für
die Anzeige des Phidias'. Dass dieser auffallende Schritt
eine herkömmliche Form gewesen sei, sich in den Schutz
der Gemeinde zu stellen, 'um ohne Gefahr gegen mächtige
Personen im Staate eine Anklage erheben zu können,' ist
eine zwar verbreitete, aber unhaltbare Ansicht. Das Gesuch
um Straflosigkeit (adeia) setzt eine strafbare, gesetzlich ver-
pönte Handlung voraus: eine solche war die Beschuldigung
des Künstlers oder seines mächtigen Gönners keineswegs.
Die Maske des Schutzflehenden passte nur, wenn Menon
selbst compromittirt war, an dem von ihm zur Anzeige ge-
brachten Verbrechen sich mitschuldig bekannte und seine
Straflosigkeit zum Preis der Anzeige machte. Nur in
diesem Sinne finden wir auch sonst adeia mit f.irjVvoig ver-
bunden, z. B. in den Denunziationen der Hermen- und
Mysterien frevler des Jahrs 415.^)
1) Andok. 1. 11. 12, besonders 15 Tevy.oo? — inayykV.txai zfi
ßov/.fj, ei Ol äÖEiar doier, /.itjvvaeiv :ieoi tön- iivaTt]oi(oi' ovvsoyog wv y.ai
xovg äkkovg xovg jioiovvrag fis^' eavTOv, xal :rsoi roiv 'Eoficör Tijg :rsoi-
yo.ifj; ä j/dei.
8 Sitztuifi der phUos.-phUoJ. Classc roiii 7. Januar 1888.
Ein bis in die Einzelnheiten entsprechendes Seitenstiick
/u unserem Fall bietet der des Agoratos in Lysias' Ivede.
Agoratos ist ans dem Freigelassenenstande dnrch zweifelhafte
Verdienste emporgekommen ((54. 73. 91). Eingeweiht in
die Pläne der Gegner der herrschenden Friedenspartei und
durch die Entdeckung dieser Pläne bedroht, setzt er sich
mit seinen Bürgen am Altar der Artemis von Mnnichia
nieder (24. 29), lässt sich aber durch Gewährung der Straf-
losigkeit (28 vgl. 55) bestimmen, dem Uath die Namen der
angeblichen Verschworenen zn dennnziren. Nach dem Sprecher
wäre das ganze Vorgehen, auch der anfängliche Widerstand
des Agoratos, al^gekartetes Spiel gewesen (18 f.). Ueber
die t.np'voig gegen die Häupter der Angeschuldigten, die
Strategen und Taxiarchen, wird in der Ekklesia verhandelt
und beschlossen, dass die Üenmizirten in Haft genommen
(34. 55. ()0) und vor ein Gericht von zweitausend Heliasten
gestellt werden sollen (32 — 35). An Stelle des Gerichts
.setzt .sich dann der Uath unter den Dreissig: auch Agoratos
wird zur Untersuchung gezogen und allein von allen Be-
schuldigten freigesprochen, 'weil er die Wahrheit angegel)en'
(50, vgl. 38 TOVTor dt dffeh'tu ojg eiegyeri^v ovra).
Die rebereinstimmung springt in die Augen. Also
stellte sich der Angeber des Phidias durch seinen Schritt
als Mitschuldigen des Beschuldigten hin, sei es als Helfers-
helfer oder als Hehler. Ein geschickt ersonnener Kunst-
gritf, um die Glaubwürdigkeit seiner Aussage zu erhöhen.
Dass dersell)e seine Wirkung nicht verfehlte, beweisen die
Ehren Menons, welche, so gut wie die Prämien der An-
geber im Hermoko])iiienprozess und wie die Belohnungen
englischer Kronzeugen, zugleich die Sicherstelluug des wie
immer gravirten Denunzianten uud die Anerkennung des
Inhalts der Denunziation au.ssprechen.^)
1) Andok. 1, 27. 45. 60, rrilinien für die als wahr erfundene
iit'iiroi; sind ntohend. V^gl. unter .\ndereni ilic IJeschlüsMC von Kcos
über Rötheieinfuhr C. I. A. II 646, 18. 29.
SflKill: Der Prnzess des Phidia.'i. ■'
Um so mehr kommt auf den Inhalt der Denunziation an.
Bei l'hitarch werden zwei AnkUigepunkte angegeben : zuerst j
dass Phidias Gold unterschhigen, sodann dass er die Porträts
auf dem SchiUle angel)racht habe. Der erste wird sofort
glänzend widerlegt, da das Goldgewicht des Athenabildes ^
jederzeit zu controliren war. Hier also hätte Menon nicht'
allein eine ganz grundlose Beschuldigung vorgebracht, son-
dern er hätte sich selbst des Antheils an einem Verbrechen
geziehen, welches gar nicht begangen worden war. Vollends
bei den Schildporträts war jede Mitschuld ausgeschlossen:
und wie konnten überhaupt diese Porträts an dem Allen
sichtbaren, vielbewunderten Kunstwerk Gegenstand einer
m[riOig sein? Der ganze Apparat der Denunziation, die
Straflosigkeit und s})ätere Belohnung des Angebers wie die
Kerkerhaft des Phidias stehen in komischem Contrast zu den
beiden ungereimten und unwirksamen Anklagen. Beide kenn-
zeichnen sich als spät und schlecht erfunden.
Die Abnehmbarkeit des Goldschmuckes der Parthenos
war mit nichten, wofür sie Plutarch oder seine Quelle aus-
giebt, eine verschmitzte Erfindung des Meisters oder des die
künftige Verdächtigung vorausahnenden Perikles. Sie war
durch die Technik ebenso wie durch die Bestimmung des
Standbilds bedingt und für keinen Kenner, geschweige für
einen mitarbeitenden Künstler ein Geheimniss. Wir wissen
jetzt aus den inschriftlichen Inventaren, dass seit Anfang
des vierten Jahrhunderts die Parthenosstatue alle vier Jahre
bei der Uebernahme der Tempelschätze auseinandergenommen
und mit Hilfe einer in Erz gegrabenen Muster-Beschreibung
nachgewogen und stückweise inventarisirt wurde ^); eine ähn-
liche, wenn auch nicht so regelmässige Controle ist für die
frühere Zeit vorauszusetzen. Ohne Bedenken zählt der
thukydideische Perikles in der bekannten Uebersicht der
1) Köhler Mitth. d. arch. In^t. 5, ö9.
!<• SitziDifi iler pliiloa.-i'hilol. Chistie vom 7. Jaintar JS88.
Fiiüni/niittel Athens den im Nothfall zu verwertlienden
\\' ei hgesc henken auch den Goldschmuck der Göttin hei.
Der Hiuweiri, dass das Gold abnehmhar sei, soll auch an
dieser Stelle nicht die Menj^e mit einer Enthüllung ül)er-
ra.schen. sondern lediglich die Möglichkeit der Verwendung
darthun und die Forderung begründen, das Verwendete in
Gewicht und Ausführung gleichwerthig wiederherzustellen.
Aber vermuthlich würde sich Perikles diesen Hinweis er-
s})art, ja er würde ihn vermieden haben, wenn die Abnahme
der Goldtheile erst wenige Jahre zuvor in einem sensatio-
nellen Prozesse, dessen Spitze sich gegen ihn selbst kehrte,
eine Rolle gespielt hätte. Offenbar haben wir vielmehr eben
in dieser Ausführung bei Thukydides, durch welche die
Späteren von der Einrichtung der Parthenos erfuhren, die
(^lelle des idutarchischen Berichts von der glücklich ent-
kräfteten Anklage des Phidias zu suchen.^) Es war gar zu
verlockend für die Auekdotenkrämer, eben jene Einrichtung
des Goldelfenbeinbildes zur Unschuldsprobe für den des Unter-
schleifs an diesem Werke bezichtigten Künstler zu machen.
Nicht anders ist bei den Schildfiguren die richtige und
wohlbekannte Thatsache, dass unter den Kämpfern der
Amazonenschlacht Perikles und Phidias selbst dargestellt
waren,*) zur Motivirung der Anklage gemissbraucht worden.
So werthvoll uns Plutarchs Schildbeschreibung ist, zu dem
Prozess ist sie in eint- seltsam scliiefe Beziehung gesetzt.
Erst der rnverstand s])äterer Zeiten konnte an die Porträts,
die von Anfang an und durch alle Jahrhunderte unange-
fochten an ihrer Stelle blieben, den Vorwurf des Sacrilegium
heften.
1) Petersen Arch. Zeit. 1867, 24. Auf die Stelle bei Thukydidun
(2, Vi) geht (ausHer p:])horo.s bei Diodor 12, 40, 3) aucli Plutarch de vit.
iiere iil. \>. 825 zurück, elienso die Keniiniscenz des Fnusanias 1, 25, 7.
21 Die neuere Hypcrkritik hat auch diese Thatsache beseitigen
wollen: dagegen a. Lüachcku »S. 31 Anni.
SchöU: Der Prozess des PhUlin.-i. 11
Du-ss die beiden von Piiitarch angegebenen Ansichuldig-
ungen unbrauchbar sind, hat sich wohl auch Löschcke nicht
verhehlt. Er meint, dieselben seien in der Verhandlung
nur nebenher zur Sjnache gekommen: die eigentliche bei
Pliitarch fehlende Begründung der Anklage gegen Phidias
entnimmt er einer anderen Quelle. Aber die von ihm hier
empfohlene 'harmonistische Behandlung der Nachrichten'
macht es Keinem recht: das regelmässige und verdiente
Schicksal jeder Harmonistik. Sie traut dem Plutarch
zu, dfuss er ausser zwei schlecht gewählten Auklage-
punkten den einzigen ausschlaggebenden bei seinem Ge-
währsmann richtig erwähnt fand, ihn aber im Excerpt unter-
drückte; sie traut dem Krateros zu, dass er zwei in
der Diskussion der Ekklesia wirkungslos verpuffte Ver-
dächtigungen, man sieht nicht woher, auflas und regi-
strirte; sie traut den Anklägern des Piiidias zu, dass sie den
mit Schein vorgebrachten Klagegrund durch die ungeschickte
Verbindung mit bodenlosen Beschuldigungen abschwächten
und in seiner Wirkung gefährdeten; sie traut endlich der
Ekklesia zu, dass sie durch eine so plump angelegte und auf
der Stelle durchschaute Intrigue sich dennoch zum Glauben
an Phidias' Schuld bestimmen Hess. Auch für die be-
scheidenere Bestimmung als nebensächliche Zwischenfälle
der Verhandlung sind die falschen Angaben ungeeignet; sie
sind von solchen, denen der wahre Kern der Denunziation
unbekannt geblieben war, aus der Einrichtung und Be-
schreibung des Kunstwerks, auf das sich dieselbe bezog,
kritiklos erschlossen worden.
Krateros i.st an diesen Märchen und ihrer Wiedergabe
jedenfalls unschuldig. Für die Annahme, dass Plutarch aus
ihm die zusammenhängende Erzählung von dem Vorgehen
gegen Phidias geschöpft habe, s])richt nichts: dagegen spricht
die Uebereinstimmung des plutarchischeu Berichte mit dem
Diodors , bei welchem Niemand Benutzung des Krateros
12 Sitzutuf der ithilos.-jMoL Classe min 7. Januar ISSS.
venmithen wird. Löschcke will diese Uebereiiistiiuniung als
beweiskräftig^ nicht gelten la.^sen, weil dazu die Erzählung
Diodors zu kurz sei. Die Differenz, welche er betont, dass
Diodor anstatt des Menon ungenau 'einige Mitarbeiter des
Phidias' nennt, würde bei dem Excerptor ohne Belang sein
— wenn nicht hier vielmehr die Wahrscheinlichkeit vor-
läge, dass Plutarch selbständig den unbestimmten Ausdruck
der (.^)uelIo durch den bestimmten Namen des Angebers er-
setzt hat, den ihm Glykons Psephisma bei Krateros lieferte.
Meines Erachtens rückt gerade die Kürze des diodoreischen
Excerpts die den beiden Erzählern gemeinsamen Züge in um
so helleres Licht. Auch Diodor sagt, dass die Denunziation
des Phidias von Perikles' Gegnern angestiftet wurde, ja er
giebt bestimmter als Plutarch an, dass sie sich zugleich gegen
Perikles als den Bauvorsteher {e/i ifuehiTt^g) richtete. Er
berichtet ferner, dass die Denunzianten, Mitarbeiter des
Künstlers, sich als Schutzflehende am Zwölfgötteraltar nieder-
Hessen,^) dass die Ekklesia über die Sache berieth und
Phidias' Verhaftung beschloss. Entscheidender aber als
diese Einzelnheiten ist die ganze Einkleidung des Berichts.
Bei beiden Autoren ist der Prozess des Phidias in die Dar-
stellung der Ursachen des peloponnesischen Kriegs verwoben,
dem gleichfalls tendenziösen Prozess des Anaxagoras an die
Seite gestellt (den der Aspasia erwähnt Diodor nicht) und
zu dem megarischen Psephisma und Perikles' Wider.stand
gegen die Zurücknahme desselben in Beziehung gesetzt, Alles
zu dem Nachweis, dass Pei'ikles nur um seine erschütterte
Stellung zu befestigen, den Krieg heraufbeschworen habe.
Diese sachlich und chnjnologisch gleich verfehlte Combination
kennzeichnet am besten die beiden gemeinsame Quelle.
Di(»dor giebt in der griechischen Geschichte des ganzen Zeit-
1) 12, 39. 1 T(7)f dt: nvrgoyana/iivo)}' to) <pEiliirf riveg — Fy.nOinnr
iai xov xiüv (jß'y Oetöv ßto/tiöv nach Suujjpe'« richtiger Ueratelluug.
Scholl: Der Prn~e)ia (1p f; Pliirlinf). 13
raums wenig mehr als ein Excerpt aus Ephoros; an dieser
Stelle merkt er /Aim üeberfluss ausdrücklich an, dass er die
Ursachen des peloponnesischen Kriegs dem Ephoros nach-
erzähle^): so behält denn Sauppe Recht, dass auch Plutarch
hier aus Ephoros schöpfte.^)
Ephoros seinerseits hat jene bedenkliche Combination
unbedenklich aus dem Phantasiestück eines Komikers über-
nommen, und damit seinem kritischen Vermögen ein Armuths-
zeugniss ausgestellt. Die berühmten Verse aus Aristophanes'
Frieden, welche zuerst Phidias' l'nglück in nachbarliche und
ursächliche Berührung mit dem megarischen Beschluss gebracht
haben, sind bei Diodor citirt, bei Plutarch erkennbar um-
schrieben."*) Auch die abweichende und ebenso originelle
Version von dem Ursprung des megarischen Psephisma, welche
derselbe Dichter in den Acharnern vorträgt, steht mit seinen
Worten bei Plutarch und stand wohl auch bei Diodor. sicher-
lich bei Ephoros.*)
1) Diod. 12, 41 Atrial iihv ovv tov Ue/.o.-zorrijoiaxov iro'/.euov
roiavzai rtreg v:tfJQ^av, cog "Effooog dvsygatp^.
2) Sauppe, Quellen Plutarchs für das Leben des Perikles 13 f.
Der Tod des Pheidias (Nachr. der K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen
1867 n. 10) 175.
3) Diod. 12, 40, 6 am Schlu>is der zusammenhängenden Dar-
stellung; ebenso Plut. Per. 32 nach der Erzählung von Aspasia's
Freisprechung und Anaxagoras' Flucht mit Rückwendung zu Phidias:
d)g 8k öia fI>n8iov rroontmaioe to> öi]fio> (Perikles), <f.oßyjdeig lo Stna-
axrjoiov ^üD.ovza tov .-id/.suoy y.ai vn:ojvfi önFvor FiF.y.avaFV, verglichen
mit Aristophanes Frieden 60-5
.Toöira UEV yoLQ ^yar' avTrjg (mit Müller-Strübing
für avtrjg *]Q^s) 4>ei6iag Jigä^ag xaxwg,
SITU IJFotx/Jtjg (foßtjdeig fit] /lETaoxoi Tijg tvxrjg,
----- s^E(p?.£^s rtjv nökir
itißa/.ojv a-TivOtjoa jiry.oör Mtyaoixov ipr^rfloitaTog
y.u^eifvarjoei' toaovTor Trö/.efiov - - - -.
4) An der Verwirrung, durch welche die Acharnerstelle 53»» I.
mit Versen des Eupolis verschmolzen und diesem Dichter zuge-
schrieben ist. trägt nicht Diodor, sondern die handschriftliche Uebt-r-
14 Sitzmifi der jihilos.-phiJnl. (Vnsse vom 7. Jriinior 1SS8.
Bei solchen Einzelnheiten der ausgeführten Darstellunj^f
Plntarchs, welche in Diodors Excerpt fehlen, ist natürlich
die Herkunft ans Ephcn'O.s nicht ohne Weiteres vorauszusetzen.
Das gilt besonders von den beiden bereits l)esprochenen
Anklagegründen. Die allerdings farblose Fassung Diodors
lieferun^j die Sclmld. Hinter den Worten y.al m'Ojv iv äD.oiQ,
welche ersichtlich ein zweites Citat des Aristophanes einleiten, hat
Erno/.tc ö noirjTj'ic keine Stelle; der Name gehört vor das folgende
Citat: (^y.aly EvjTobc o jtoii^t}]?' FleiOo) rtc xzL (So bereits Jebb zu
Aristides v:ifo röjr rerr. 2, 129, 15, ilhnlich P. Leopardi ; verfehlt ist
C. Müllers Vorschlag F. H. G. 5, 18 Anm.) Diese Confusion hängt
/iisanimen mit der unverständigen Verkürzung des Achamercitats :
denn schwerlich liat Diodor blos den Vers IleQix?Jt)^ ohlvficrtog —
'E).).nf>a citirt, die vorangehenden für seinen Zweck wichtigeren weg-
gelassen. Auch in der Stelle des Friedens ist ein Vers ausgefallen.
Aristodemos c. 16 Cmit dessen Fassung, beiläufig bemerkt, die aus
einem Aristophanes-Scholion entlehnte Glosse bei Suidas (psi^lag
und Fvdvvfj sich nahe berührt) ist nicht blos hier vollständiger, son-
dern giebt die ganze Stelle Acharner 524 — 534, und zwar richtig als
zweites Citat des Aristophanes, nur dass der Ausdruck >iai .tm//)-
i'jToßdg sie irrthümlich demselben Stück zuweist. Die Komödientitel
hatte Ephoros bei den drei Zeugnissen nicht genannt, aber die Autor-
namen richtig angegeben. — Ein wunderliches Spiel des Zufalls,
nicht mehr, ist es. dass auch Cicero or. 29, wie unser Diodortext,
den Acharnervers anfänglich dem Ephoros zuschrieb und erst auf
Atticus' Erinnerung den Fehler besserte. Die Verwechslung aus
eineni von Cicero und Diodor benutzten älteren Autor, also aus
Hpiioros herzuleiten (Bücheler Jahrb. f. Phil. 1868, 100: Wachsmuth
niiein. Mus. 23. 591) geht nach dem Ausgeführten nicht an. Ohne-
liin hiilt es schwer zu glauben, dass Cicero's fJeminiscenz sich an eine
historische Darstellung der Ursachen des peloponnesischen Kriegs
anlehnte. Die in Spott und Bewunderung charakteristischen Au-<-
lii-tsungen der Komiker über Perikles' Kedegewalt hat man früh mid
wiederholt zusammengestellt, wie wir sie ohne die Namen bei Plutarcli
Per. 8 und Aristides iWo tvjv rerr. 2, 129 .lebb (173 Dind.) verbunden
linden: das veranla-sste mitunter Unsicherheit (vgl. Schol. Aristid. B zu
2. 129. 7 o Evjio/.iy' xaru öf ci/./.ovc: KgazTrog, richtig Schol. A 6
KoarTroc dij/.ordri .-ro^>/T^/s) und erleichterte die Verwechslung.
SchöU: Der Prn:rs.<) rles PhifJiai^. 15
Mie Angeber erboten sich nachzuweisen, dass Phidias viel
von dem heiligen Gut sich angeeignet habe' (rroXXd tiov
\bqiüv yQijucxTiüt' exovza Oeidlav) und 'die Feinde des Perikles
beschuldigten auch diesen des Raubes am Heiligen' {/.al
avTOv tov negr/.kiovg xaTijyÖQOvv \eQoavkiav) macht es mehr
als zweifelhaft, dass Ephoros von der siegreichen Abwehr
der schlecht begründeten Anklage wusste oder erzählte: zumal
bei ihm unmittelbar darauf im Zusammenhang derselben
Erzählung von dem Goldgewicht und dem abnehmbaren
Goldschmuck der Parthenos ausdrücklich die Rede war. ■*)
Auch für die Schildbeschreibung und den auf die Porträts
gegründeten Vorwurf, welchem Plutarch das Hauptgewicht
l)eilegt, hatte Ephoros keinen rechten Platz. Die bei Diodor
allein erwähnte Anklage wegen Interschlagung fügt sich
auch allein passend in eine Darstellung ein, welche die
kriegerische Politik des Perikles durch die Angriffe gegen
seine Finanzverwaltung und die Verlegenheiten der Hechen-
.schaftspflicht motiviren will.^) .Jene Geschichten konnte
1) Diodor 12, 40, 3 in dem von Ephoros in die Verhandlungen
vor der Kriegserklärunor versetzten Expose des thukydideischen
Perikles.
2) Diodor 12, 38, 2. .39, 3. Aristodenios beschränkt die Rechen-
schaftspflicht des Perikles thöricht auf den Fall des Phidias: 16, 1
dXovrog tov ^eidioi- f:Ti vooqjtaficii Fvlaßt^dFig 6 JJfgiy/.fj? fi!j xai ainui
sv^vag ajtaizrj&fj 4 tov Jlegtx/.ioi'g axsjiTOfisvov :teol rtjc
dsTodöoEoog töjv Xöycor vrr'eo Tfjg loyeriiOTaniaQ. Man könnte versuchen
wollen, den von Diodor dem Prozess des Anaxagoras angehängten
Worten ai'vsjT?.FHov <5' f.v zaXg xaitjyogtaig xni ScaßoiaTg tov IleonckEa,
dtä TOV (fOövov aJiFvöovzeg diaßa/.eiv t>jv Tai-ögog i'7tsQßo).t)v re xai do^ar
eine Beziehung auch auf Phidias' Prozess und etwa auf die Schild-
liguren abzugewinnen. Aber diese Annahme würde nicht allein den
Fortschritt der Erzählung ignoriren. sondern den Widerspruch der
Quellen nur verschärfen, ohne das Auttallende zu erklären, dass die
Ei*zählung selbst gerade von dem unberührt gebliel>en wäre, was
bei Plutarch und dem vorausgesetzten gemeinsamen Autor den Aut-
schlag giebt.
10 Sitziitifi (Irr philos.-philol. Clafifir rnni 7. Jmmar 18S8.
Plutarcli ans Memorabiliensaninilnngen beziehen, wie sie der
belesene und anf stilistische liei/.niittel bedachte Schriftsteller
vielfach ansgebeutet hat. Dass die Künstlerfabel sich des
berühmten Prozesses des Phidias bemächtigte, begreift sich
leicht; zn ihren Früchten gehört neben den hier vorliegenden
Proben die von Cicero gelieferte Notiz, dass Phidias sich
dnrch sein 8elbstporträt für das Verbot, seinen Namen unter
das Sta7idbild zu setzen, entschädigt habe, sowie die wunder-
same Mär, welche zuerst Valerius Maximus und der wenig
simtere Autor der aristotelischen »Schrift vom Weltganzen be-
nchten, dass dies Selbstporträt vermöge eiues verborgenen
Mechanisnms den Zusammenhalt der ganzen Statue bedingte,
seine Entfernung das Kunstwerk selbst zerstört haben würde
— und gehören andere Anekdoten, die noch in den grotesken
Erfindungen der Rhetorenschule der Kaiserzeit nachwirken.
Fraglicher ist, ob das Schweigen Diodors über das
Ende des Phidias einen Rückschluss auf seine Quelle ge-
stattet. Manches .spricht für Sauppc's Meinung, dass auch
Ephoros' Bericht init der Verhaftung des Phidias schloss,
das.s Plutarch seine Angaben über den Tod des Künstlers im
Gefängniss, an Krankheit oder Gift, aus anderer Quelle hin-
zufügte.') Fnd es wäre gar wohl zu verstehen, dass E])horos
1) Was Müller-Strübin«,' (die Lef^Hnden vom Tode des Pbeidias,
.lahrl.. r. Phil. 1882, 314 f.), dor in dem letzten Punkte Sauppe's
.Ansiclit (heilt, vorj^übraiht hat um das Verscliweigen des Ausgangs
der Saciie dem F^pitomator aufzuVjüiden und aus der Vertheilung des
Krzilhlungs.stott's hei Ephoros auf mehrere Anhontenjahre zu erklären,
wiegt leicht und beruht auf einer falschen Vorstellung von der Com-
positinnsweise des K|)horos. Die ungeschickt übertreibenden Aus-
ilrücke Oiodors mmra/ifrov y.rd ovvFQynvrTog tov f:7Ti/ir/.ijT0v FlFQixkEOVc:
und X'ü avTov tov FlfQty.Uovi; xaTtjyÖQOvv legoavllav hat nicht Ephoros
zu verantworten, noch weniger ist aus ihnen die neue Thatsache
einer gleichzeitig gegen Perikles gerichteten Anklage zu entnehmen,
deren Ausgang — nach Müller-Sträbing gleichfalls eine neue That-
siu lic. n.iiilii h dir Freisprechung des Beschuldigten ■— Ephoros ni(;lit
Schall: Der Prozriis des PJiidias. 17
über da.s weitere Schicksal des Phidias nichts angab, wenn
er weiter nichts anzugeben fand: aus dem gleichen Grunde
meldet Phitarch von Perikleä' Rechenschaftsprozess nur die
vorbereitenden Schritte, ohne sich über den Ausgang zu
äussern (S. 6 Anm.). Aber gerade dann erscheint es nicht
rathsam, die Nachrichten Phitarchs über Phidias' Ende auf
eine zeitgenössische Tradition zurückzuführen, die dem
Ephoros doch schwerlicli mibekannt geblieben wäre. Denn
anzunehmen, dass er sie zwar kannte, aber mitzutheilen ver-
schmähte, weil ihm nur darauf ankam, die Anklage in ihrer
Beziehung und Wirkung auf Perikles darzustellen,^) ver-
bietet der sonst so vollständige Bericht ül>er die Form der
Denunziation und ihren Erfolg.
Die Entstehung dieser Nachrichten denkt sich Sauppe
>o: nach Phidias' Verschwinden aus Athen — worüber
Näheres im folgenden Abschnitt — 'mochte man leicht das
Gerede aufbringen, dass er im Gefängniss gestorben sei; die
einen sagten, dass er krank gewesen, um seine Flucht für
eine Zeit lang zu decken, die andern, dass er vergiftet sei.
Aus Idomeneus oder Stesimbrotos, die solches Gerede aufge-
griffen und berichtet hatten, hat es dann Plutarchos ....
aufgenommen.' Zuversichtlicher drückt sich Löschcke aus:
die Version der Vergiftung 'trägt völlig den Charakter zeit-
genössischer Verleunidung an sich, und als Vermittler der-
selben hat bereits Sauppe mit einer an Sicherheit grenzenden
Wahrscheinlichkeit Stesimbrotos vermuthet' — freilich um
danach, im Gegensatz zu Sauppe, wenigstens die Thatsache
des Todes im Kerker als durch den gleichzeitigen Zeugen
vorausgesetzt und beglaubigt festzuhalten.
habe übergehen dürfen. Es bedarf kaum der Erinnerung, dass der
Angriff sich nur indirekt gegen Perikles richtete, und dass die Ver-
suche ihn zu verdächtigen damals so wenig Erfolg hatten, wie
später im Fall des Anaxagoras.
1) Sauppe S. 189.
1888. Pliilos.-pliilol. u. liist. Gl. 1. 2
18 Sitzung der philnif. -philo! . Claxae mw 7. Jnvnm' 18RS.
Leider ist der so bestimmt in Anspruch genommene
Zeuge viel 7A\ fragwürdig, um Lösehcke den erwarteten Dienst
zu leisten. Stesimbrotos, der verbissene und verlogene An-
klätscher des Perikles, hätte hier einmal zur Abwechslung
die Rolle getauscht, den Perikles in Schutz genommen und
seine Gegner an den Pranger gestellt? Denn nur in dieser
Form ist von Vergiftung die Rede, als dem Werk der Feinde
des Perikles, derselben Feinde, welche die Intrigue gegen
Phidias angezettelt hatten, und die nun selbst das Opfer
weggeräumt haben sollten, um auf Perikles den Verdacht
der Beseitigung eines unbequemen Genossen zu werfeu. Eine
ungeheuerliche und dazu ärmliche Erfindung, die sich aber
dem Zusanmienhang der Erzählung bei Plutarch einknüpft.
Wodurch sie sich von Dutzenden ähnlicher Skandalge-
schichten über das gewaltsame Ende bedeutender Männer
auszeichnen, und was ihr das Gepräge einer zeitgenössischen
Verleumdung verleihen soll, sehe ich nicht; Stesimbrotos,
wie gesagt, ist schon durch die mangelnde Tendenz, übrigens
auch durch die Ungesalzenheit der Fabel als Erfinder wie
als Vertreter ausgeschlossen. Man braucht bei den t'vioi
Plutarchs nicht nothwendig an Historiker oder einen be-
stimmten Historiker zu denken, ebensowenig an einen von
Plutarch selbständig herangezogenen Gewährsmann.
Wenn ich nicht irre, hat jenes unnütze Gerede keinen
Anhalt in einem Thatsächlichen, sei es der Tod im Kerker
oder das Verschwinden aus dem Kerker, sondern einen ganz
anderen Ausgangspunkt. 'Da es Phidias schlimm erging,
und Perikles in P'urcht gerieth sein Loos zu theilen', bekam
der Friede den ersten Stoss — sagt Aristophanes in den
erwähnten Versen seiner Eirene. Die vieldeutigen Ausdrücke
(Veidi'ug 7iQ(xBag /.a/uoQ und lIeQr/.ltrjg <foiiijx')eig f-u] fteiao/ot
T^c,* tiyjig haben schon in alten Zeiten und noch bis in
unsere Tage die Neugierde und Phantasi(! gereizt und be-
schäftigt. Natürlich meinte der Dicliter den famosen Prozess,
Scholl: Der Pwze.^s des Phidiafi. 19
der also einen .schlimmen, vielleicht einen tragischen Aus-
gang genommen hatte. An den Tod, das Schlimmste, was
Einem znstossen kann, bei nQcc^ag xaxwg zu denken lag
nahe, falls man dafür sich nicht etwa (was als Möglichkeit
fürs Erste zuzugeben ist) auf eine vorhandene Ueberlieferung
berufen konnte. Die Angaben über die Todesursache, Krank-
heit oder Gift, sind Versuche jene unbestimmte Wendung mit
einem bestimmten, womöglich pikanten Inhalt zu erfüllen.
Also nicht Stimmen des zeitgenJVssischen Stadtklatsches,
sondern Ausflüsse der an der Komödie emporwuchernden
Mythenbihlung aus einer Zeit, der die vom Dichter berührten
Ereignisse bereits ferner lagen, erkenne ich in den ver-
dächtigen Angaben bei Plutarch. Da nun aber gerade
Ephoros von den Versen des Komikers nachweisbar einen
ebenso gründlichen als grundverkehrten Gebrauch für die
Geschichtschrt'ibung gemacht hat. so sehe ich einen zwingen-
den Grund nicht, ihm die in Diodors kümmerlichem Excerpt
fehlenden Nachrichten über Phidias' Tod abzusprechen,
welche die aus jenen Versen gezogenen Schlüsse und Ein-
fälle wiedergeben.
Aus dem Ausgeführten wird ersichtlich, ob Lö.schcke
berechtigt war zu sagen, dass 'alle Quellen' Plutarchs den
Tod im Gefängniss berichteten und nur hin.sichtlich der Ur-
.sache des Todes differirten ; dass 'Stesimbrotos, der Zeitge-
nosse, und Krateros, der den Proze.ss des Phidias actenmässig
darzustellen versuchte, den Künstler im Gefängniss .sterben
lassen, Ephoros imd Theopomp . . . wenigstens nicht a'b-
weichend berichtH'ten. Stesimbrotos und Krateros bleiben
ganz aus dem Spiel, gerade so wenig wi.ssen wir von Theo-
pomp, ob er von Phidias' Kata.strophe erzählte und was.
Es bleibt der eine Ephoros — falls wir in der That be-
rechtio't sind ihn auch für diese Angaben als Plutarchs
Quelle zu bezeichnen — , der neben werthvollen und glaub-
würdigen Xachrichten auch die übermüthigen Phantasien
2*
20 Sitzuiifi der ]>hiJoy.-pliiJn]. Ciastsr rn))i 7. Jntniar 188S.
der Komödie und die von ihr abhängigen Erfindungen
ausgebeutet hat. Zu welcher Art von Ueberlieferung der
Tod des Phidias im Kerker gehört, soll einstweilen dahin
gestellt bleiben: a])er dass durch die widersprechenden An-
gaben über die näheren Umstände jedenfalls schon die That-
sächlichkeit des Ereignisses verbürgt sei, wird Niemand ernst-
haft behaupten.
TT.
An dieselben Verse der aristophanischen TCoraödie knüpft,
nur freilich im entgegengesetzten Sinne eines Protestes gegen
den Dichter und seine Ausleger, die von Plutarch abweichende
Darstellung des Vorgangs an. Es ist das oft behandelte und
niisshandelte Scholion zu Aristophanes Frieden 605, werthvoU
durch die mitgetheilten Zeugnisse des Philochoros. Sauppe
hat durch das überraschend einfache Mittel veränderter Inter-
punktion die Räthsel des Inhalts gelöst und damit zugleich
eine Reihe alter und vererbter Irrthümer glücklich beseitigt;
aber über den Zusammenhang und Werth der Bestandtheile
des Scholions hat er eine Unklarheit bestehen lassen, die in
neueren Untersuchungen über den Gegenstand fortgewirkt
und neup Irrthümer erzeugt hat. Ihn die richtige Auffassung
zu liegründen, luuss ich den Text des Scholion vollständig
her.setzen, unter Beifügung der Varianten der Handschriften,
(h'reii wichtigste, den Venetus, ich selbst verglichen habe.
Ol. H:.,r(. 1. (Jh'AoyoQog e/il QtoöioQov aQyoviOQ taiTO cpi^oi' yt ai
10 ayu?.uic 10 ygiooir ir^g ^Oijvag tGtcii)}j eig tov
re<oy lor fityuv^ s'yor yQvoiov oia !) fiov i aXavt lov
(.tö \ IlEQi/.Xtovg f/i lOTatovvtog, (JDeidiov dt Jioi-
5 Ti\öaviog' /.ai Üieiölag o 7ron]aag, d6§ag ji aQctXoyi-
Ctai^cti luv f?.t(farTa röv elg tag (poXiöag f:/.Qi^ii,
y.at (fvyujv tlg ^Hliv eQyoXaßijOui xo (iyaX(.ia tov
Jiog tov (V 'Okvf.i7riu Ityeiai., zovro de t^egyaoa-
<•!. t7,i. /ticj'oi; linoi} aveir V7i6 'H'Aeiwv (ni IfrO^odcö^ov. og foziv
SchöJl: Der Prozexs des PhiiUas. 21
cc/io toLTOc f-'ßdofioi^, /legt JMeyuQHov ehnöv, ort y.al aivoi lo
■Kaxeßoiov L4^i]vaUov iraqd yiay.eöaiiiiorioig, ddr/.itjg
Xiyovzeg el'Qyeod^at ayogäg Kai Xi/nsviov rwv 7cc(Q'
lii^r^vaioiQ' o\ ydq l4 ^rjvaloi zalra iijitjq^ioavTO
nEQf/.XtüvQ slrtovrog, r?ji' yrjv avzovg alriiofisvoi
TTJv isQor Toh' if^eoli' fuEQydueoOai. yleyovGL de. Tiveg 15
wg Oeiölov toi dyalLiaxonoiov öo^arzog 7raQaloytLEO&ai
Trjv rroXiv /mI cpvyadevO-eviog o nsQixlrjg (poß)]Ü^€ig öid t6
STtiaTaTfjaai tj xaraa/.ffj tov dydXjuarog /.ai ovveyvtü'KsvaL
rg xAo/rj e'yQat'>€ to Kava MeyaQtwp tvivoaiov xat tov no-
Xeuov e^i]VByyf.ar , iva dni]OyohLiivoig !Ad^)]vaioig elg tov 20
TToXei-iov firj do) zdg svx^ivag, syAaXeaag IMeyaQEvoiv log ttjv
lEQav ogyada ca'iv i^Ealv egyaoctf-tivoig. aXoyog di cpaivETai
i] '/.axd riEQr/JJoig v-iövoia. hixd eteoi jiqoteqov Tr^g tov
7ioXif.iov dQyi]g Ttov nEQi (Dsiöiav yEvo/iiavMv:
2. '0 Osidiag, log OiXoyoqög (pr^oiv, hri Tlvd-odwQOv 25
äg/ovTog tu ayaXf^a Trjg ^S^rjväg xaxaa/iEvdoag tcpEiXETO tü
XQVoiov e/. Tiov dga-KOPTiov Trjg ygioslECfavTivr^g l^d^}]vag, hf
oj xaTayvojaü^Eig f-Zi](.moi}i] (fiyfi ' yEv6(.iEvog da Eig HXiv v.al
EQyoXaßi]oag iiagd tcov ^HXeUov t6 ayaXf.ta tov z/iog tov
'OXviiv/riov /Ml /.aiayvioaifEig t//' avTtiJv ibg voocpioa/iiEvog 30
dvTjQE&l].
Rfavennas) f. 101«-, V(enetu8 474) f. 134^; G = Venetus 475
saec. XV ist aller Wahrscheinlichkeit nach direkte Abschrift von V:
ich theile die von mir notirten Varianten mit als Proben der
Freiheit, welche sich Scholiencopisten bei Wiedergabe ihrer Vorlage
gestatten. Müller-Striibings Angaben über Lesarten dieser Hand-
schrift (S. 322, 323 Anm.) sind unrichtig.
Als Lemma setzt R (nach Martin Jes scoUes du manuscrit
d' Aristophane ä Ravenue p. 132) Ilocoxa ftkv yao avTfjg, G rjo^e ^stSiag
vor, V hat kein Lemma, sondern verweist durch ein über ^sidia;
stehendes B auf das ebenso numerirte Scholion 1 Qeoöcöqov Paul-
mier: nv^odcogov äoxovTu V^i (p^ d. i. qpaot V 6 elg rä? in Rasur
V 8 i^egynadfierov VG '\ 9 ITvßoöwoov Paulmier: axv&oSoiQov
10 .TOßct /iisyaoeoig G 11 :taoa XaxF^aiiioviov.; keycov dSi'xtog etgyEO&ai
R 12 .T«oä udijruioi; R 15 zoTv deoiv habe ich hergestellt: roTg
22 Sitzmifi der phiJns.-jihilol. Classe vom 7. Januar 1888.
Oeotg EJTEQyä^eadai Sauppe: ansQyaCeo&ai 20 E^rjvsyxsv VG: enrirsyxFV
R Vulg. Mit diesem Worte schliesst das Scholion in R 22 egyaaa-
fisvotg aus egyacafiivcov (V) corr. V 25 9'" d. i. <paaiv V j| QsodwQOV
Paulnüer u. A. 26 ägy^ovra V 27 \or 'Ad tp-ä^ in V Rasur eines Wortes
von 5 — 6 Buchstaben 29 jcgqu zwr "Hhiior fehlt in G oü vqmvTÖiv
V, l'.t' ut'Tcor TW)' i/Äsi'cov G.
Der letzte Satz ist schüii in der Ueberlieterung durch
Doiipelpunkt von dem Vorhergehenden abgesondert als ein
eigenes Scholion:^) dasselbe gielit nichts als eine werthlo.se,
oberflächliche und durch ein starkes Missverständniss ent-
stellte"^) Parai)hrase des Anfangsstücks und verräth seinen
Ursprung auch dadurch, dass es die Verwechslung des
Archontennamens treulich copirt. Denn nur durch Schreiber-
versehen ist in dem altern Scholion niihoöioQov, das in der
Vorlage offenbar als Correctur dem verschriebenen ^•/.vUodcoQov
beigesetzt war, au die Stelle des richtigeii Qsoöcoqov ge-
rathen.^)
Sauppe und nach ihm Andere grenzten das zweite
Scholion schon bei den Worten yteyotai dt tivec, . . . (15)
rib. mit denen nach den l'hilochoroscitaten eine parallele
Fassung in breiterer Ausführung l»egiune. Auch Müller-Strü-
bing, der jenen Schlusssutz einem dritten Scholiasten giebt,
scheidet die zwei Fassungen: mir diiss er, im (4egensatz zu
seinen Vorgängern, vielmehr in der ersten, dem Philochoros-
Excerpt, die unsinnige und willkürliche Ausführung dessen er-
kennt, was in der zweiten nach andern Quellen sachgemäss
und korrekt ausgesprochen sei. Die Angabe jenes Excerpts,
Phidias sei beschuldigt worden bei ^'errechnung des Elfenbeins
1) ysrofiercov (24) bildete in V ursprünglich auch Zeilenschlusa;
das Wort war zu weit über den zwischen Text und Schoben frei-
bleibenden Kand geführt, daher der Schreiber die Endung /livcor
durch Rasur tilgte und am Anfang der folgenden Zeile wiederholte.
2) vfpsllETO 10 yQvalov f.x rcöv ÖQaxövroyv ist aus den falsch ge-
fa«.sten (pokifisg entstanden, wie Müller-Strübing S. 329 bemerkt hat.
3) So erklärt Sauppe 8. 182 mit Hecht den Fehler: den man
aber eben darum im zweiten Scholion nicht beseitigen durfte.
Schall: Der Prozess iles Phidiaif.
23
für die Platten Betrug geübt zu haben, scheint ihm abge-
schmackt und dem Philochoros fälschlich zugeschrieben, der Aus-
druck doBag 7taqaloyilBoi>ai rov elicpavta tov eig rag (foliöag
eine missverständliche und müssige Spezialisirung des von dem
zweiten Scholiasten gebrauchten richtigen öö^avtog naqalo-
yl^sai^ai rrjv nohv. 'Dass Phidias den Staat durch falsche
Rechnungen betrogen habe', hält er für die einzige ver-
nünftige Formulirung der Anklage: 'die Rechnungsablage
des Phidias im Ganzen und Grossen ist nach der üebergabe
der Parthenos beanstandet worden'.
Eine originelle Vorstellung, welche die amtliche Rechen-
schaftspflicht ohne Weiteres auf den Künstler überträgt.
Die Rechnungen des Phidias zu prüfen und wenn nöthig
zu beanstanden war Sache seiner Vorgesetzten, der Regierungs-
Commission, an deren Spitze Perikles stand. Von anderer
Seite war ihm nicht anders beizukoramen, als durch eine
Anklage wegen Betrugs oder Diebstahls, die einen bestimmten
Inhalt verlangt. V) Dem unbestimmten jragaloyii^eo^aL ti]v
Ttokiv lässt sich kein terminologischer Werth beilegen: das
beweisen übrigens die von MttUer-Strübing selbst angeführten
Belege. Auch ist der Ausdruck keineswegs eine bessere
Variante der Wendung 66%ac naQccloyi'C.EO^ai tov iXecpavTa,
sondern er giebt ausdrücklich zurückgreifend dieselbe Wendung
in allgemeiner Form wieder.
Die ganze Unterscheidung nämlich der zwei parallelen
oder gar widersprechenden Fassungen ist ungegründet. Das
'zweite' Scholion ^tyovoi dt rtveg bildet die unentbehrliche
1) Nothwendig verfehlt ist M. Dunckers Ver^such (2, 335) die
Denunziation Menons mit Müllei-Strübing:< Vorlage falscher Rech-
nungen zu combiniren. Uebrigens braucht der Scholiast ja unmittel-
bar darauf selber den Ausdruck y-Äoatj: um so weniger ist seinen
Worten eine Deutung zu entnehmen, welche die ganze Angelegenheit
auf eine bei dem vielbeschäftigten Künstler begreifliche Unordnung
seines Rechnungswesens reduzivt.
24 Sitzmn/ der philos.-jthilol. Chisse cow 7. Januar 1888.
Erfjänzunir der ersten Partie. Die Notizen des Philochoros
über Phidias' Anklage und über da? megarische Psephisma
sind ja offenbar ausgeschrieben, um auf Grund derselben
die Auffassung zu widerlegen, als ob Perikles durch jene
Verlegenheit zu diesem Schritt getrieben worden sei. d. h.
die scherzhafte Fiktion des Komikers, die ihm Andere ge-
glanbt haben. Dies sind die nvtq, kritiklose Leser und
leichtgläubige Erzähler wie Ephoros und Genossen, welchen
der chronologische Widersinn dieser Combination entgegen-
gehalten wird. Das ima heai nQOTeqov würde in der
Luft schweben ohne die Citate des Philochoros, welche die
Daten liefern; diese Citate w^ieder würden nicht verständlich
sein ohne die Ausführung, um derentwillen sie zusammen-
irestellt sind. Sie können, da das für den Erklärer Wesent-
lichste, die angebliche Gefalir oder Befürchtung des Perikles,
bei Philochoros gar nicht berührt ist, eine Beweisführung
nicht ersetzen, sondern nur vorl)ereiten und einleiten.
'Philochoros unter dem Arch(m Theodoros sagt dieses:
. . . (folgt der Bericht über die Errichtung des Athena-
bildes unter Perikles' Oberaufsicht und über Phidias' Schick-
sal), während er unter Pythodoros, der von jenem aus der
siebente ist, über die Megarer sagt, dass sie wegen der auf
Perikle;s' Antrag verhängten Marktsperre in Lakedämon Be-
schwerde führten u. s. w. Nun sagen Einige, dass nach
Phidias' Anklage und Flucht Perikles in seiner Stellung als
Oberaufseher für sich selbst gefürchtet und daher, um der
Untersuchung zu entgehen, zum Krieg getrieben imd das
Psephisma beantragt habe. Aber diese Verdächtigung des
Perikles ist widersinnig, da die Sache mit Phidias sieben
Jahre vor dem Beginn des Krieges spielte.' Man sieht, das
ist eine einheitliche, geschlossene Argumentation, und eine
solche, die dem kritischen Urtheil ihres Urhebers Ehre macht.
Die wiederkehrenden Angaben log (J)sidiov lol ayaluacorroiov
öö^arrog rrctQcdoyi'CeaOai rr^v nöXiv y.at fpvynöevx^fvroc o
SchöJl : Der Prozesfi des PJiidids. -j5
lh{)i/.).t^g (foßrjiUlg dia t6 hiioiari]Oai rfi /MTaaxsvij xov
dyä'kf.iarog und ey-ÄuXeoag MeyaQsvatv (oq Ti]r )eQdr ogyada
ta'iv iyeah' Fgyaoafttvoig variiren nicht oder berichtigen gar
das früher Gesagte, sondern recapitnliren und umschreiben
im Zusammenhang der Beweisführung genau den Inhalt der
Philochoros-Zeugnisse. ^) Sie stützen damit zugleich den
Wortlaut derselben und Ijeweisen, wozu übrigens schon die
syntaktische Verl)indung nöthigt,'-^) flass die Stellen des Philo-
choros dem Erklärer im Wesentlichen so vorlagen wie sie uns
im Scholientext ül)erliefert sind. Wer also Philochoros' Zeug-
niss über Phidias für stark interpolirt oder verderbt hält, wie
E. Curtius und Löschcke, Müller-Strübing und M. Duncker: der
muss folgerichtig die Interpolation oder Textverderbniss früher
setzen als die Abfassungszeit des Comraentars, dessen Autor
sie vorfand und zu an sich wohlberechtigten Schlüssen ver-
werthete. Denn dass dieser selbst sich seine Beweismittel
zum Zweck dieser Benutzung gefälscht hätte, wäre eine
ebenso willkürliche als unwahrscheinliche Annahme: unwahr-
1) Üass der Erklärer ('vielleicht Diclymos', nach Sauppe) (pvyoiv
SIS ^Hhv mit (pvyadevdirrog gleicht, darf nicht auffallen. In derselben
lässlichen Weise wird des Thukydides ^vvsßt] 1.101 <psvyecv ri]v ifiaviov
in biographischen Notizen durch c/ vyadsüeo&ai und (fvyrj? y.azmpt]<fi-
a^ijyai wiedergegeben. Marcellin. 23. 46. Schol. Wesp. 947; vgl. Cicero
de or. 2, 13. Plinius n. h. 7, 31. — tu y.ura MFyuQfov nivdy.iov 19,
nach Müller-Strübing Beweis für 'die Redaction der Vorlage unserer
Schollen in sehr später Zeit', ist stehende Bezeichnung des megai-ischen
Psephisma. Ausser Schol. zum Frieden 246 Xaoivov (so mit v. Wila-
mowitz für xäoiv xov) t6 nn'äy.ior owUhros to y.ar' avröjv vgl. Plut.
Per. 30. Aelian h. a. 11, 27. Die Beziehung auf ein öffentliches
Dokument wie in einer Inschrift perikleischer Zeit '£"7. ägy- 1885,
212 [i/t jiiva\y.iu>i — {ax^oTteh- tmi ßov[kofiercoc\.
2) Dies ist trotz Sauppe's einleuchtendem Nachweis von (J. Müller
und wieder von Müller-Strübing verkannt worden, die den Text mit
überflüssigen Zusätzen (ifp' ov vor .legi Msyaoicov sitimv, oder <Pi).6xoo6g
cfTfoi nach diesen Worten) bereichern wollen. Was Michaelis Arch.
Zeit. 1876, 160 gegen den einen erinnert hat, widerlegt auch den andern.
20 Sitzung der phüos.-iihäoJ. Classe vom 7 . Januar 1888.
scheinlich auch deshalb, Aveil für die Schlussfolgeruiig des
Scholiasten im (iriinde die ersten Sätze des Philochoros aus-
reichten .
Der urkundliche Werth dieser ersten ganz im knappen
Stil der Chronik gehaltenen Sätze ist unanfechtbar inid tritt
den anekdotenhaft entstellten Ausführungen Plutarchs gegen-
über recht ins Licht. Hier erhalten wir das Jahr der
Vollendung des Parthenosbildes, das Philochoros mit den
begleitenden Kinzelnheiten sicherlich gleichzeitigen Auf-
zeichnungen entnommen hat. Und hier allein gewinnen wir
die wahre Begründung der Anklage gegen Phidias, statt der
zwei falschen, die Plutarch verzeichnet. Dass der Künstler
bezichtigt wurde bei Verrechnung des Elfenbeins für die
Statue Unterschleif verübt zu haben, hat zwar nach E. Curtius
Vorgang wieder MüUer-Strübing in Zweifel gezogen. Aber
der Spott über das unbedeutende Profitchen, um deswillen
sich Phidias der Gefahr der Verurtheilung ausgesetzt hätte,
würde vielleicht im Munde des Advokaten unseres Künstlers
nicht übel angebracht gewesen sein : die Thatsächlichkeit der
Angabe ist damit nicht weggespottet. Nicht darum handelte
sichs, ob der angeblich betrügerische Gewinn erheblich oder
gering war. ^) Und nicht, ob ihre Beschuldigung wahr war,
kümmerte die Gegner, sondern wie sie dem Phidias am ge-
schicktesten beikomnien konnten. Bei dem Elfenbein war
eine genaue Controle der verwendeten Menge der Natur der
Sache nach unmöglich:'^) der Denunziant, der. wie wir
sahen, die M.iske eines Mitschuldigen vornahm, richtete mit
berf'chiicnder Schlauheit seine Anklage auf einen Punkt, bei
1) L>aa lieniurkt Löschtke Ö. 28 selir richtig-. Leberhau])t ^nebt
es ein minima tinn curat praetor im öttentlichen Tiozess Atlions nicht:
der Fall der TQia y^/dwßrha hoü des Melanopos ist ja aus Aristoteles
bekannt genug.
2) Dieser Punkt ist von l'etersen Arcii. Zeit. 1867, 24 und Michaelis
da.^. 1876, 159 treffend erörtert.
Scholl: Der Frozess des Phidias.
27
welchem er dem Bescliuldio-ten die Rechtfertigung erschwerte,
sich selbst den strikten Nachweis ersparte und vor der Ent-
larvung möglichst sicher war.
Nicht den gleichen Werth will man dem Heste des
Citats zugestehen, der Angabe, dass Phidias nach Elis ge-
flüchtet sei, dort die Anfertigung des Zeusbildes übernommen
habe und nach der Vollendiuig gestorben sei. Durch die
Einführung mit Uyerai lehne Philochoros selbst es ab, diese
Nachrichten 'auf (irund eigenen Wissens zu vertreten —
wenn überhaupt dieses Uyarai in Verbindung mit der all-
bekannten Thatsache der Ausführung des Zeusbildes einem
Philochoros zuzutrauen wäre. Gegen dessen Autorschaft
spricht nach Löschcke vornehmlich, dass die Flucht, die
Arbeit am olympischen Zeus und der Tod des Phidias mit
Verletzung des annalistischen Princips unter dem einen Jahr
des Theodoros zusammengefasst sind.
Indessen diese Bedenken sind haltlos wie ihre Voraus-
setzungen. Bei aller Strenge des annalijtischen Princips,
und angenommen selbst — was gar nicht anzunehmen ist — ,
dass Philochoros von der Vollendung des Zeus und dem
Tode des Künstlers die genauen Data gekannt hätte, dürften
wir eine Nachricht über Phidias' Er]e))nisse in Elis nur eben
an dieser Stelle der Atthis erwarten. Dergleichen stück-
weise anzubringen wäre dem Chronisten nicht in den Sinn ge-
kommen, und der annalistische Rahmen hinderte nicht Zu-
sammengehöriges vorgreifend anzureihen, wenn, wie hier durch
Toi'To (J' s^egyaoäi-tevog dnod^avelv geschehen, das chrono-
logische Verhältniss in einer den Irrthum ausschliessen den Weise
bezeichnet war. Dass aber diese biographischen Angaben über
Phidias in Elis mit leyerai eingeführt werden,^) verräth
weder eine übertriebene Vorsicht noch die versteckte Absicht
1) Es i.st nicht überäüssig mit Brunn (Sitzungsber. der phil. Gl.
I, 1878, 463) zu erinnern, dass von Uyezai nicht blos EQyo).aßfjaai,
sondern eben auch rovro 8' i^sgyaoä^ievos ouio&aveTv abhängt.
28 Sitzung der philos.-philol. Classe mm 7. Januar 1888.
diese Angaben va\ verdächtigen: Motive, die sich übrigens
gegenseitig aufheben. Es ist ja eine geläufige und mit-
unter recht bequeme, aber doch eine schiefe und un/Aitreffende
VorstelKing, dass der Geschichtschreiber "Käyetai als Frage-
zeichen brauche, um die von ihm aufgenommene Mittheil-
ung /u diskreditiren und den künftigen Zweifel vorzubereiten,
'v/ayera/ zeigt nur die Quelle der Angabe, nicht die Un-
sicherheit derselben an.'^) Philochoros folgt, was sich bei
dem Inhalt von selbst versteht, einer ihm vorliegenden Ueber-
lieferung, aber er giebt sie, eben weil er sie und keine
andere giebt, als die beste ihm erreichbare Ueberlieferung.^)
Noch weniger wollen die sachlichen Bedenken bedeuten,
welche Löschcke gegen diese Nachrichten ins Feld geführt
und Müller-Strübing in seiner bekannten pastosen Manier aus-
gemalt hat. Konnten denn, fragt man, die elischen Priester
so unfromm oder so unklug sein, einem wegen Unterschleifs
von Tempelgut in Untersuchung befindlichen Künstler ihre
Schätze und die. Errichtung ihres Kultbildes anzuvertrauen?
Vermuthlich hatten die elischen Priester geringeren Re-
spekt vor der athenischen Justiz und beurtheilten den
Fall kaltblütiger, als die heutigen Kritiker, üass Phidias,
ein Auserwählter unter den edlen Geistern seiner Nation,
der sicherlich als Mensch so hoch über Neid und Unglimpf
erhaben war wie als Künstler, den Staatsleitern von Elis
vertrauenswürdiger erschien als sein trauriger Denunziant,
brauchte uns nicht zu Avundern. Er war — wie man wusste
und wip in Athen sell)st nach wenigen Jahren Jedermann
zugestand — das Opfer politischer Parteisucht: wann wäre
1) Worte K. W. Kiii<rer.s Krit. Analekten 62. Der Sprachgebrauch
des Thiikydides liefert dafür Belege in Menge. — Noch unvergessen ist
der Mi.ssbrauch, welchen man mit dem (übrigens anders beschaffenen)
rfanl bei Polybios 6, 45 getrieben hat.
2) Die von E. Curtiu.s sonst an dem Wortlaut des Textes ge-
machten Ausstellungen hat Brunn a. a. (J. 462 durch Vergleichung
anderer Citate de-s Philochoro.s zurückgewiesen.
Schön: Der Prn-rss iIps Phiih'((s. 29
ein so Verfoljrter nicht bei Gegnern und Rivalen seiner
Vaterstadt frennd lieber Aufnahme sicher gewesen ; nun gar
ein solcher, der unendlich mehr brachte als er empfing,
einen Künstlernauien und eine Meisterschaft ohne Gleichen
in den Dienst des Staates stellte, welcher ihn aufnahm. —
Auf das gänzliche Fehlen einer lokalen Tradition über
Phidias' Tod in Olympia durfte sich Löschcke bei dem
Zustand unserer Ueberlieferung nicht berufen: zumal er
weiterhin selber eine lokale Tradition über Phidias' Flucht
nach Elis anerkennt.
Die Flucht des Phidias aus Philochoros' Zeugniss hin-
auszuemendiren braucht es heroischer Mittel. Löschcke, der
Plutarchs Darstellung folgt, hält es für möglich, dass ein
flüchtiger Benutzer des Aristophanescommentars in dem von
Philochoros gewählten Ausdruck, etwa '/.lonrjg (fiytiv arri-
iyave, das Wort (fiyo'jv missverstanden, und auf die Frage
wohin? sich die Antwort aus der Legende verschrieben habe.
Um so heillose Verwirrung anzurichten, war die triAriale
Wendung xAo/r'^g qwycüv denn doch zu harmlos; bestand
aber die Fluchtlegende bereits, so wird die complicirende Fehler-
quelle entbehrlich. Müller-Strübing ändert U7ioqvywv elg
'HXir fld^tov (oder yevöiuEvog), und fügt weiter nach anod^aveiv
und vor tvro ^HXeuov ein Participium davf.iaLoi.t£vog oder
ähnlich ein. Demnach wäre Phidias von der, ohnehin nicht
allzu gefährlichen Beschuldigung freigesprochen worden,
hätte sich darauf nach Elis begeben und wäre dort nach Vollend-
ung des Zeus in hohen Ehren gestorben. Und diese luftigen
Einfälle haben in Dunckers Geschichtswerk gläubige Auf-
nahme gefunden.
Die Möglichkeit, dass die Textworte des Philochoros bei
der Fortpflanzung durch zahlreiche Scholiastenhände Ent-
stellungen erfahren haben, bestreite ich nicht. Aber diese
vage Möglichkeit findet ihre Schranke in dem Zweck des
Oitats. Man sollte nicht vergessen, dass derjenige, welcher
30 Sitzunij der phnos.-])hi1nl. Cldftse vom 7. Januar 1888.
die Atthis nachschlug und ausschrieb, nicht einen Conver-
sationslexikon- Artikel über Phidias /u liefern, sondern eine
Stelle des Aristophanes /u erklären hatte. Die Friedens-
göttin, so stand bei dem Dichter, entschwand den Athenern
zuerst, da es Phidias übel ging und Perikles sein Schicksal
zu theilen fürchtete: da entfachte er mit dem Funken des
megarischen Beschlusses den Kriegsbrand. Ein Erklärer
dieser Verse konnte unmöglich darauf verfallen ein Philo-
choros-Citat beizubringen, das (wie E. Curtius will) nur bis zu
den Worten Oeidiov de 7coirjoavTog reichte: eine beziehungs-
lose Notiz, die für die Hauptsache, das ngä^ag /.axiog., nichts
ergab. Wer alier als Commentar zu diesem Tvqd^ag -/axwc;
ein Zeugniss verwerthet glaubt, welches berichtete, dass
Phidias in Athen freigesprochen und nachmals in Elis hoch-
gefeiert gestorben sei: der setzt sich nicht blos über den
Scholiasten, sondern über den Dichter selbst hinweg. Wenn
der Prozess zu einem quarf iVheiire terrible einschrumpft,
einer vorübergehenden Verlegenheit wegen unordentlich ge-
führter Rechnungen, die mit der llechtfertigung und Frei-
sprechung endete: wie Hess sich von diesem 'ITnglück'
Perikles' Furcht vor einem gleichen Loos und das Ver-
schwinden der Friedensgöttin ableiten?
Die schattenhaft spielenden, auch in der komischen
Verzerrung den Zeitgenossen verständlichen Hinweise des
Komikers auf ilircn geschichtliclien Kern zurückzuführen,
war PHicht und Absicht seines späteren Auslegers. Dieser
schlug die attische Chronik nach als den in solchen Fällen
durch seine bequeme Einrichtung und seine Zuverlässigkeit
gleichfuässig erprobten Wegweiser. Er erfuhr hier, sicher-
lich zu seiner Ueberraschung, dass die beiden bei Aristo-
phanes als Ursache und Wirkung verknüpften Ereignisse in
Wahrheit durch volle sechs Archontenjahre getrennt waren,
und machte von dieser Erkenntniss eine verständige An-
wendung zur Kritik, nicht sowohl des Komikers, dem noch
Schiill : Dt'r J'/orfs.s fle.t PJiitlia.'i. 31
tollere Bocksprünge hingehen würden, als der Gläubigen,
die den Spass ernsthaft genommen und beflissen ausmalend
auf den historischen Hintergrund übertragen hatten.
Die Kechnung fordert, dass bei Philochoros, wie die
letzte Erwähnung des Phidias im Jahr des Theodoros, so im
Jahr des Pythodoros die erste Erwähnung des megarischen
Psephisma stand. Dies ist von Interesse, weil es beweist,
dass Philochoros sich hier wie anderwärts aufs Engste an
Thnkydides' Darstellung anlehnte. ^) Auch Thukydides be-
richtet von dem megarischen Psephisma erst im Zusammen-
hantj der Beschwerden, welche die Megarer und andere
Gegner Athens auf der Tagssatzung zu Sparta vorbrachten,
um diesen Staat zum Bruch mit Athen zu l)estimmen. Diese
Tagssatzung fand im Jahre des Pythodoros statt, wie Philo-
choros ausdrücklich sagt, und zwar zu Anfang dieses Jahres,
etwa August 432.^) Wenn Philochoros seiner Quelle folgend
sich mit diesem Datum begnügte, anstatt das Datum des
perikleischen Psephisma selbst zu geben, so wusste er oder
zog den naheliegenden Schluss, dass die Beschwerde über
den angeblich vertragswidrigen Gewaltakt diesem Akt un-
mittelbar folgte. LTnd neuere Forscher hätten wohlgethan,
sich von derselben Erwägung leiten zu lassen und für den
1) So ist die im Scholion V zu den Wolken 213 citirte Stelle
des Philochoros (von Müller fr. 89 mangelhaft excerpirt und behandelt)
ÜEQixXFovg fih iyao Dindorf) OToazijyovrrog xaraoTOsi/iao&ai avzovg
«Tttoa»' q^tjoi 'Pi'/.öyooog , xal t/jv (ifv ä/./.tjr fTil o^to'/.oyiii. xaxaoroa(fifjvai ,
EoziEOiv f)F. a.TotxiadEVTOiv (corr. y.aranTi)oaoOai, 'Eaziatcör 8f e^oixi-
a^Evxcov) avzovc T>)r ytöoar Py/iv wörtliche Wiedergabe von Thuky-
dides 1, 111.
2) Dies folgt aus Thuk. 1. 125. Die Worte sviavzog jtih- ov
öiEzgißt), E/.aaaoi- 6e, deren Verständniss Lip.sius und Steup er.«;chlossen
haben, werden durch Philochoros' Zeugiiiss genauer bestimmt. Von
dem Kriegsbeschluss, den eine nach jener Tagssatzung berufene
Bundesversammlung zu Sparta fasste (schwerlich vor Anfang Sep-
tember 432) bis zum Einfall des Archidamos (Mitte Juni 431) ver-
liefen mindestens 2V2 Monate 'weniger als ein .Tahr'.
'■^2 Sitzitnc/ ihr philon.-phih)!. CJa.^se vom 7. JrniKar 1888.
mej^arischen Beschhiss an dem Jahr 432 festzuhalten, anstatt
))is 433 oder 434 oder gar bis zum samischeu Krieg oder
zum dreissigj ährigen Frieden hinaufzusteigen.^) Eine Mass-
regel, die man jahrelang ohne Einspruch hingenommen hatte,
konnte nicht als der zündende Funke des Kriegsbrandes
gelten und von den Gegnern mit einigem Schein zum
1) Man wird den Beschluss kurz vor den Antritt des Pythodoros
ins Frühjahr zu setzen haben. Die Reibereien mit dem Nachbar-
ländchen, die niemals ganz ruhten (ovx oXiya öidqjoga Thuk. 1, 67;
auf diese bezieht sich die vnägyovaa ttqötsqov öia Meyageag vnoyna
Thuk. 1, 42, in welcher Steup Thukyd. Studien 2, 21 Anm. eine
direkte Bezugnahme auf das megarische Psephisma finden will) traten
in ein akutes Stadium nach der .Schlacht bei Sybota. Danach muss
noch eine geraume Zeit mit fruchtlosen Verhandlungen über die Be-
schwerdepunkte Athens hingegangen sein , bevor der vollständige
Bruch durch die Marktsperre eintrat. — Es ist merkwürdig, dass der
Erlass des berühmten Psephisraa des Perikles nirgends chronologisch
fest bestimmt wird. Auch Ephoros gab dasselbe, wie die Ueberein-
stimmung Plutarchs P. 29 mit Diodor 12, 39 zeigt, an der gleichen
Stelle wie Thukydides. Plutarch hat es unterlassen, das für die
Biographie seines Helden so wichtige Dokument bei Krateros einzu-
sehen, dem er c. 30 das Psephisma des Charinos vom Jahr 431 ent-
lehnt hat. Von diesem letzteren schweigt Thukydides ganz, erwähnt
aber seine Folgen 2, 31. 4, 66. Seine Darstellung giebt uns jA^n
Fingerzeig, dass er den Schritten gegen Megara unter den Ursachen
des Kriegs die entscheidende Bedeutung nicht beimass wie die popu-
läre Ansiclit, welche in Ai'istophanes einen lauten AVoi-tführer und
(lenigemäss in der späteren Historiographie ein Koho gefunden hat,
sondern nur die Holle einer wirksamen Watte der Gegner Athens bei
dem Schüren zum Krieg und den Unterhandlungen vor dem Krieg
zugestand. Man mag darüber mit dem Historiker rechten: wenn
aber die jetzt in Mode gekommene Perikleshetze es dem Staatsmann
verdenkt, dass er nicht durch die (Joncession der Zurücknahme des
Psephisma den eigentlichen Kriegsgrund beseitigt und den Frieden
gesichert habe, so hat sie dafür nicht die Entschuldigung wie ihr
Vorbild Ephoros, dem die Komödie eine historische Quelle war. Die
staatsmännische Antwort auf diesen naiven Vorwurf hat bereits
'J'hukydidp'i seinem Perikles in den Mund gelegt 1, 140, 4.
SchöU : Der Prozess des Phidias. 33
Friedensbrnch gestempelt werden, ihre Zurücknahme nicht
eine Hauptbedingung in den letzten Unterhandlungen der
.streitenden Mächte bilden.
Für Phidias' Katastrophe steht das Jahr des Theodoros
438 als von Philochoros gegeben fest. Brunns Annahme,
dass zwischen der Aufstellung des Athenabildes und dem
Prozess wegen falscher Verrechnung des für dies Bild be-
stinmiten Elfenbeins eine Reihe von Jahren verflossen sei,^)
vermag ich nicht zu theilen: so sehr man sich zu Ehren
des athenischen Namens gegen den Glauben sträul)t, dass
unmittelbar, nach der Hersteilung des gefeierten Werks der
Meister das Opfer des Neides und der Parteiintrigue werden
konnte, ohne dass die.se in der Bewunderung dankbarer Mit-
bürger ein wirksames Gegencrewicht sjefunden hätten. Diese
Annahme vertheidigt den Aristophanes gegen seinen Scho-
liasten: aber auf Philochoros kann sie sich dem Scholiasten
gegenüber nicht stützen, der eben für Phidias' Missgeschick
das Datum des Philochoros beibringt. Denn dass der
Scholiast seine Quelle missbrauche, um seine Kritik an dem
Dichter zu üben, heisst dem Erklärer eine unbegründete
polemisc^ie Absicht zutrauen. Vielmehr ist er augenscheinlich
erst durch die Darstellung der beiden Begebenheiten bei
Philochoros dazu geführt worden, ihren ursächlichen Zu-
sammenhang zu bestreiten.^)
1) Sitzungsberichte der phil. Cl. der k. Ak. 1878, 464.
2) Allen Quellenangaben widerspricht die auch in sich wider-
spruchsvolle Darstellung Dunckers S. 335 f. Hier geht Phidias nach
Vollendung der Parthenos 438 nach Elis, wird 433 durch Menons
Denunziation genöthigt seine Arbeit am Zeusbild zu unterbrechen,
um sich der Anklage zu stellen ; in Athen verhaftet, aber schliesslich
freigesprochen, kehrt er nach Elis zurück und bleibt da bis zu
seinem Tode. Die Rückkehr von Elis nach Athen, welche der früher
herrschenden und noch von E. Curtius vertretenen Ansicht Otfried
Müllers als Brücke diente, um den Prozess und Tod des Phidias im
Jahr des Pj-thodoros festzuhalten, erscheint hier noch erweitert um
1888. Philos.-pliiIol. u.hist.Cl. 1. 3
•>4 SitZHUf/ der philna.-phihl. Glosse vom 7 . Januar 1S88.
Das Quellenzeugniss selbst gab ihm mit dem Comnientar
/u den aristophanisclien Anspielungen zugleich die Begrün-
dung des Zweifels an die Hand. Das 'Missgeschick' des
Phidias, in welches Perikles verwickelt zu werden fürchten
mochte, gehörte ins Jahr 438, sechs Jahre vor dem mega-
rischen Psephisma. Ein späteres Ereigniss konnte nicht
gemeint sein, da der Künstler in Elis, wohin er flüchtete,
gestorben ist. Man sieht, für diese Beweisführung ist die
Erwähnung des Todes in Elis ein keineswegs gleichgiltiges
Moment. Sie schloss die Rückliehr des Phidias nach Athen aus
und damit die Möglichkeit eines späteren dem peloponnesischen
Krieg näher liegenden Missgeschicks, einer neuen Chikane,
auf die der Komiker hätte anspielen können^): um so un-
abweislicher war die Folgerung aus dem Intervall der
sechs Jahre.
Das hinter OTto&avEiv am Schluss des Philochoroscitats
stehende vtto 'HXeliov wird von dieser Argumentation nicht
berührt. Diese Worte enthalten eine Verlegenheit, mehr
noch einen Widersinn. Ich brauche das Ungeheuerliche
einer Hinrichtung des Phidias durch die Eleer nicht nocli-
mals darzulegen: das ist von Andern zur Genüge geleistet
worden. Eine zweite Auflage oder Spiegelung des athenischen
Vorgangs zu Elis gehört zu den Seifenblasen fingirter Fälle,
mit denen der Rlietorenwitz späterer Jahrhunderte sich ver-
gnügte: die Historie weiss nichts davon. Wohl aber weiss
•sie, da.ss der Schöpfer des olympischen Zeus in Elis Ehren
eine Rückkehr von Athen nach Elis, für welche die (aus Miiller-
S»rübings Combination übernommene) Freisprechun«^ als Brücke dient.
•Jene ältere Ansicht, die an der unrichtif?en Beziehuncr der Worte
Kni fJvOodo'jnov im Scholion eine scheinbare Stütze fand, ist von
Saiippe widerlegt; die neue bedarf keiner Widerlegung.
1) Beides hat Petei'sen in den Philochorostext eingeführt durch
die Correktur vji' 'Ai^rjraloir für vno \IIkeiojv. ohne zu bedenken, dass
damit der ganzen Argumentation des Scholiasten die Spitze abge-
brnrhon würde.
fichöll: Der Prozrss des PIndias. oij
empfing und Ansehen genoss, dass seinen Nachkommen das
priesterliclie Amt der Wärter des Zeusbilds {(paiöqcvcai)
erblieh durch alle Zeit verblieben ist.
Der Anstoss ist zugleich ein formeller. Nachdem
Philochoros die üebernahme und Vollendung des Zeus
erwähnt hat, konnte er einem unverfänglichen d/roi^avelv
nicht den verblüffenden Zusatz v/ro 'Hleitov anhängen,
ohne Art nnd Anlass des Todes von der Hand der Eleer
mit einem Wort zu berühren.^) Das hat freilich der
jüngere Scholiast nachgeholt, aber seine Paraphrase /.ai
y.azayvtooxfeig t//' aviöJv cug voocpioauevog avrjqtO^i] bessert
die Sache nicht und macht den Fehler seiner Vorlage
nur noch augenfälliger. Dem haltlosen tvro ^HXeuov würde
durch ein überflüssiges und gar nicht philochoreisches
i^atf-ta^oiiiBvog nur ein künstlicher Halt gegeben. Ein-
leuchtender scheint Brunns Gedanke, V7t6 ^HXeiwv sei aus
einem von seiner ursprünglichen Stelle hinter fQyoXaßr^oai
verschlagenen vragd (ndy) ^Hlelwv entstanden : in der That
giebt der excerpirende zweite Scholiast igyoXaßi^oag naqd
TÜv 'HAeioi'.'^) Aber derselbe Scholiast las doch auch bereits
VTto 'Hleiioy am Schluss und umschrieb es wie angegeben;
man müsste demnach einen allzu complicirten Weg fort-
schreitender Verderbniss voraussetzen. Ich halte die Worte
t'TTO 'HXeltov für ein Glossem, eine Reminiscenz aus den
Controversen der Khetorenschule,^) die an den Rand des
Scholions geschrieben, später in den Text gerathen ist und
durch die abrupte Fassung sich als fremdartigen Zusatz ver-
räth. Der spätere Scholiast hat diese Interpolation so gut
1) In diesem Punkt befinde ich mich in Uebereinstimmung mit
Müller-Strübing S. 333.
2) Das übersieht Müller-Strübing S. 334 in seiner wohlfeilen
Kritik dieses Vorschlags, wie er bei der Polemik gegen ein 'trockenes'
ä^Todaretr übersieht, dass s^soyaaüuevo? danebensteht.
3) Vgl. Spengel Rhet. 1, 455. Seneca controv. 8, 2. Sauppe S. 177.
3*
36 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Januar 188fi.
wie die Versetzung des Archontennamens bereits vorgefunden
und in seiner Wiedergabe noch etwas zurecht gestutzt.
Ich denke durch die umständliche Prüfung des Haupt-
zeugnisses, die ich leider weder mir noch dem Leser ersparen
durfte, das Ergebniss gesichert zu haben, dass Phiiochoros,
der einzige Gewährsmann, der von unrichtiger Benutzung
der Ari,sto])hanesverse sich frei gehaUen hat, Phidias' Flucht
nach Ehs und seinen Tod in EHs überlieferte.
III.
Im Gegensatz zu der durch Sauppe zur Geltung ge-
brachten Nachricht des Phiiochoros wie zu älteren Ansichten
hat Löschcke mit bestechendem Schai'fsinn eine neue Auf-
fassung entwickelt, welche bei den archäologischen Mit-
forschern lebhaften Anklang und, soviel mir wenigstens be-
kannt, bisher keinen Widerspruch gefunden hat. Löschcke
setzt Phidias' Aufenthalt in Elis vor den Beginn des Par-
thenonbaus (447), in die Zeit zwischen Ol. 80 und 83; den
olympischen Zeus, nach der allgemeinen Annahme (auch
derer, die Phiiochoros' Bericht anzweifeln) das letzte Werk
des Künstlers, vor die Parthenos. Er übernimmt aus Phiio-
choros den Zeitpunkt und Anlass der Katastrophe des Phidias,
aus Plutarch den Tod im Kerker, der also noch im Jahr
438/7 erfolgte. Den Tod habe die Lokalsage zu Olympia
durch die Flucht nach Elis ersetzt, weil sie eine Figur der
Fusslei>te des Zeusthrons für den Eleer Pantarkes, Sieger im
Knabenringen Ol. 86 (436), ausgab, also die damalige An-
wesenheit des Phidias in Olympia brauchte: während eine
jüngere Version, um den Anachronismus zu umgehen, den
Pantarkes zu einem Argiver machte, dessen Namen Phidias
auf den Finger seines Zeus geschrieben habe.
Der letzte Punkt fordert zu eingehender Prüfimg auf.
(iewiss mit Pecht identifizirt Löschcke den Anadumenos zu
Scholl: Der Prozess des Phidias. 37
Olympia. ^A■elchen Pausanias 0. 4, 5 als Phidias' einzige
Porträtstatne nennt, mit dem von demselben Pausanias an
einer späteren Stelle (6, 10, (3) erwähnten Siegerstand bild
des fgioj-tevog Oeidlov Pantarkes von Elis, den man auch am
Kelief des Throns in der Figur eines Anadumenos angebracht
glaubte (Paus. 5, 11, 3). Er nimmt weiter an, das hier
von Phidias gegebene Motiv des die Stirnbinde um den Kopf
windenden Knaben sei später in der Statue des Pantarkes
copirt worden, und lediglich diese Uebereinstimmung des
Motivs habe dazu verführt, in dem Pantarkes der Statue
ein Werk des Phidias und in dem Anadumenos des Thrones
den Pantarkes zu erkennen, den man dann obenein zum
Liebling des Phidias machte. Verhält die Sache sich so —
und was ist der armselig- geschäftigen Cicerone-Phantasie
nicht zuzutrauen! — so würde sich denn jeder Zusammen-
hang zwischen Phidias und Pantarkes in eitel Dunst und
Windbeutelei auflösen. Aber eine missliche Voraussetzung
ist es, dass bei Pausanias da, wo von der, namentlich nicht
bezeichneten, Porträtstatue als der einzigen des Phidias die
Rede ist, der Name des Phidias, welcher allein die Bemerkung
veranlasst hat, rein aus der Luft gegriffen sei, nicht wie die
übrigen dicht dabei stehenden Künstlernamen durch die
Denkmal-Aufschrift beglaubigt war. Und warum soll es
wahrscheinlicher sein, dass Pantarkes ein Figürchen des
Thronfusses lebensgross ausführen Hess, als dass Phidias
selbst ein wohlgelungenes Motiv des Anadumenos, das er
statuarisch dargestellt hatte, auf dem Thronfuss wieder-
holte? Die Entstehung der Fabel von dem geliebten Knaben
des Künstlers und seinem Porträt am Thronrelief begreift
sich leichter, wenn thatsächlich eine Statue des das Stirn-
band umlegenden Pantarkes von Phidias' Hand existirte.
Diese Thatsache würde mit Philochoros' Angabe vom Aufent-
halt des Künstlers in Elis nach der Flucht 438/7 im besten
und uno-esuchten Einklant; stehen.
38 Sitzunfi der jiliilos.-pliUol. Classe votii 7. Januar 18SS.
Nach Löschcke Aväre vielmehr die Pantarkesfabel die
Quelle von Philochoros' Angabe. Aber gerade wer die ab-
solute Nichtigkeit der Fabel behauptet, müsste sich bedenken
ihr eine auf die Biographie des Phidias rückwirkende Kraft
zuzuge.-^tehen. Wenn wirklich um 450 Phidias die Figur
des Anadumenos bildete, nach 436 ein anderer Künstler die-
selbe für die Statue des Pantarkes copirte, und abermals
nach geraumer Zeit elische Ortsantiquare auf so gebrechlicher
Basis das Histörchen von i'antarkes dem Liel)ling des Phi-
dias construirten : so hatten die glücklichen Erfinder schwer-
lich das Bedürfniss oder die Consequenz, und am wenigsten
die Mittel, die Chronologie des Phidias umzuarbeiten, um
ihr ihren Einfall anzupassen. Ebenso wenig ist die von
Polemon berichtete Variante der Fabel, nach welcher Pant-
arkes Argiver war und die Inschrift TIavxaQ/.rig '/.alög auf
dem Finger des Zeus stand, aus einer bessern Kenntniss der
wirklichen Todeszeit des Phidias abzuleiten: der gewissen-
haftere Urheber dieser Fassung hätte von seiner bessern
Kenntniss einen äusserst pfiffigen Gebrauch gemacht, um ja
das \Verthvollste zu retten, den Geliebten Pantarkes und
seine Verherrlichung am Zeusdenkmal. Man thut diesen
Künstleranekdoten zu viel Ehre an, wenn mau für sie eine
tiefversteckte oder absichtlich verschleierte Bekanntschaft mit
historisch Avichtigen Daten voraussetzt. Zumal mit Daten,
die so neu sinrl wie Löschcke's Ansatz des Todesjahrs. Die
antike Teberlieferung weiss nichts von demselben. Nicht
allein Philochoros (der freilich nach Löschcke im Banne
der elischen Legende wäre) lässt Phidias nach 438 noch
.fahre lang thätig sein: auch Ephoros und seine Nachfolger
dehnten das Leben des Künstlers bis nahe an den Beginn
des peloponnesischen Kriegs aus, und fanden dafür eine
scheinbare Stütze au dem Zeitgenossen Aristophanes. Man
brauchte also nicht erst eine Flucht luudi Eiis zu erfinden,
und da.s Zeusbild um zwei Jahrzehnte herunterzudatiren, um
Scholl: Der Prozess des Phldias. 39
chronologischen Skrupeln wegen des Pantarlces zu begegnen,
die ohnehin bei einem für solche Kost empfänglichen
Publikum nicht v.u besorgen waren. Dass aber der Zeit-
punkt von Phidias' Tod in Athen, wie ihn Löschcke be-
stimmt, in der örtlichen Tradition von Elis fester wurzelte
als in Athen selbst, und elische Anekdotenjäger sich mit
demselben wohl oder übel abzufinden hatten, während der
attische Chronist arglos die elische Fälschung übernimmt —
ein so wunderliches Widerspiel verlangt einen starken
Glauben.
Mit der Verschiebung der Chronologie des olympischen
Zeus wird der Wirkung der Pantarkeslegende zu andern
Lasten eine weitere aufgebürdet, für welche die leichtge-
schürzte Anekdote durchaus ungeeignet ist. Nach Löschcke
fiel Phidias' Aufenthalt in Elis und die Arbeit am Zeusbild
etwa in die Jahre 460 — 448. Der Ansatz gründet sich
auf die Baugeschichte des olympischen Tempels, die jetzt
durch die Ausgrabungen des letzten Jahrzehnts im Wesent-
lichen gesichert ist. Der Tempel war mit Beginn der
8L Olympiade. 450 v. Chr. vollendet:^) wie kann man
glauben, dass die Errichtung des Kultbildes von der Voll-
endung des Baues durch 20 Jahre und mehr getrennt ge-
1) Die zuerst von Urlichs, zuletzt von PurgoUl (Arch. Zeit. 1882,
184) begründete Auffassuncr stützt sich auf die Denkmäler, besonders
den für den Siej^ bei Tanagra gestifteten Schild am Tempelgiebel
und die Smikythos-Basis. Aus Strabon 8 p. 355 ist ein terminus
post quem für den Beginn des Tempelbaus nicht zu gewinnen.
Diesem angeblichen Zeugniss zu Liebe drängt Flasch (Olympia, in
Baumeisters Denkm. d. kl. Alt. 1098 f.) den Bau des Tempels und
zugleich die Ausführung des Götterbildes in die Jahre 454—448
zusammen. Wenn er dabei Löschcke's Chronologie des Phidias an-
nimmt, ohne doch den Liebling Pantarkes aufzugeben, so wird dieser
Widerspruch dadurch nicht erträglicher, dass er die Statue des
Anadumenos von der des Pantarkes trennt und (wenn ich seine Be-
merkung recht verstehe) nur die erstere dem Phidias zuschreibt.
•40 SitzuiKj der philos.-philoL Classe vom 7. Januar LSiSS.
wesen seiV Mit dem Jahr 447/6 begann, Avie durch die von
Köhler richtig gedeutete Rechnungsurkunde feststeht, der
Bau des Parthenon, der Phidias' Anwesenheit in Athen
fordert. Für die zunächst vorhergehenden Jahre sind sicher
datirbare Werke, mit Ausnahme der von den lemnischen
Kleruchen nach 452/1, spätestens 448/7 gestifteten Athena
Leninia, niclit nachzuweisen: in diese Zeit also, zwischen die
Bauperioden des olympischen Tempels imd des Parthenon,
wäre die Herstellung des olympischen Zeus zu setzen.
Das lange Intervall, welches zwischen dem Tempelbau
und der Weihung des Götterbildes nach den überlieferten
Daten bleibt, ist der eigenthcbe Ausgangspunkt für Löschcke's
Zweifel und der einzige erwägenswerthe Stützpunkt seiner
neuen Combination. Das Gewicht des Bedenkens verkenne
ich niclit: aber entscheidend kann dasselbe nicht sein noch
ausreichend, um klare Zeugnisse über den Haufen zu werfen
und die Chronologie des Phidias auf den Kopf zu stellen.
Gründe der Verzögerung lassen sich ja manche denken.
Wer mag sagen, ob nach der durch fünf bis sechs Olympiaden
fortgesetzten Arbeit an dem Tempel und seinen Skulpturen
die Mittel zur Herstellung des kostspieligen Goldelfenbein-
bildes sofort flüssig waren V^) Näher noch liegt, dass die
elisclien Priester sich niclit übereilten, weil es ihnen darauf
ankam, den ersten Bildhauer der Zeit, den Meister der
chryselephantinen Technik zu gewinnen, den zur Zeit noch
Entwürfe und Aufträge in Athen festhielten. Verhandlungen
mit Phidias mögen geraume Zeit früher eingeleitet worden
.sein, ehe die Vollendung der Parthenos und die Anfechtungen
seiner Gegner dem Künstler Aiilass wurden die grosse Auf-
1) Aus Pausanius' An^'abe über die CiucUo dieser Mittel (5, lü, 2)
f:roiT)\}i} f>F n rang xai x6 äyaXjia reo Ad ano ?.a^vQO}v, {}xixa Uioav oi
'Il/.fioi y.nl naor rioy jrF()ioi'xcov u)J.o ouvajTKOT»] TTinuioig :to?J/i(o xaOrlXov
liisat sich eine bejahende Antwort nicht entnehmen.
Scholl: Der Prozess des Phidüix. 41
gäbe ernstlich in Angriff zu nehmen. Das (pvyiov elg 'Hkiv
fQ'/olaßrioai Xiytxai des Philochoros würde dieser Annahme
nicht widersprechen. Welche Hemmnisse der stetigen Förder-
ujig monnmentaler Werke aus dem Ausbleiben oder Stocken
der Mittel nicht minder als aus überspannten Entwürfen,
aus wechselnden Ansichten und concurrirenden Ansprüchen
der Besteller, wie aus dem Neid der Künstler und aus ihren
persönlichen Stimmungen und Erlebnissen entstehen können,
dafür giebt uns die Geschichte so manchen Fassadenbaus und
statuarischen Denkmals der Renaissancezeit, giebt das Leben
Lionardo's und Michelangelo's redende Belege.
Auch der Ansatz der 83. Olympiade als Epoche des
Phidius sowie seines Bruders Panainos (Plin. 84, 49. 3(3, 15.
35, 54) dient Löschcke zur Bestätigung seiner Combination.
Er leitet diese Bestimmung von Phidias' Hauptwerk her,
dem olympischen Zeus, an welchem auch Panainos durch
Malerarbeit betheiligt war: das Denkmal sei also an den
Olympien des Jahrs 448 geweiht zu denken. Diese Annahme
setzt voraus, was sie erweisen müsste: nicht allein dass der
Zeus wirklich jener Zeit und damit der Lebenshöhe des
Phidias augehörte, sondern auch dass der Zeitpunkt der
antiken Kunstforschung genau bekannt war. nichtiger wird
man die Berechnung von Phidias' Blütheperiode an sein
Zusammenwirken mit Perikles knüpfen, dessen Laufbahn
und Thaten sich bis ins Einzelne zeitlich bestimmen Hessen.
Mit dem Beginn der 83. Olympiade übernahm Perikles nach
Kimons Tode als das anerkannte Staatshaupt die Regierung,
die er fast durch zwanzig Jahre ohne Unterbrechung,
wenn auch nicht ohne Anfechtung leitete; und mit dem
gleichen Zeitpunkt nahm das künstlerische Programm der
Akropolisbauten feste Gestalt an, als dessen Seele dem
Alterthum Phidias galt. In diese Olympiade konnte man
mit Fug die Blüthe des Meisters setzen: um so passender,
wenn sich sein Leben bis gegen Ende der dreissiger Jahre
42 Sitzitiifi <Jrr philos.-philol. Clastie mm 7. Jaitnar 1S88.
erstreckte.^) P;inainos' dy.i.irj wiedernni ward, wie längst
gesellen ist, durch diejenige seines berühmten Bruders be-
stimmt, ohne dass es für den gleichen Ansatz einer besonderen
Motivirung durch die Mitarbeit am olympischen Zeus be-
durft hätte. ^)
Dass der Aufenthalt in Elis nicht in die Mitte von
Phidias' Leben fiel, sondern dessen Abschluss bildete, dafür
spricht eine Thatsache, deren Gewicht Sauppe nicht verkannt
hat. Die Familie des Künstlers ist in Elis geblieben; das
angesehene priesterliche Amt der Pfleger (Phaidrynten) des
Zeusbildes erbte in Folge einer Ehrenschenkung der Ge-
meinde unter seinen Nachkommen noch jahrhundertelang
fort.^) Also hatte Phidias für sich und seine Nachkommen
das elische Bürgerrecht erhalten; unzweifelhaft nach Voll-
1) Für die Anfertig'iinjjf des Zeuskolosses wird man doch zinn
mindesten einen Zeitraum von 6—8 Jahren annehmen müssen.
Weni<?er ist darauf zu oreben, dass im Protagoras, dessen Scene
l'laton ins Jahr 432 verlegt, 31 1^ Phidias als lebend und schaffend
gedacht wird (vgl. Robert Archäol. Märchen 100): für Polyklet als
l'hidias' Zeitgenossen ist die Stelle allerdings in Verbindung mit
328'^ beweisend.
2) Wenn Plinius an der betreffenden Stelle der Geschichte der
Malerei (35, 54 cum et Phidian ipsum initio pictorein fuisse tradatur
(•lipenmipie Athenis ab co jndum, practerca in coiifcsso sit LXXX
tcrtid fuisse fratrem eins Ponaenum) die Zeitbestimmung bei Panainos
angiebt anstatt bei Phidias, für den sie ursprünglich gewonnen war
(vgl. 36, 15), so darf das nicht befremden. Plinius (d. h. sein Ge-
währsmann Varro, s. Robert a. a. 0. 23) wendet sich bekanntlich
gegen eine griechische Quelle, in welcher berühmte Maler erst viele
Olympiaden später als die Bildhauer und Toreuten und nicht vor
Ol. '.)0 erschienen. In Zusammenhang seines Nachweises konnte er
das Datum passend nur dem Maler Panainos beifügen, nicht dem
l'hidias, der wohl als Maler begonnen hatte, aber seinen Platz na-
türlich unter den P.ildhanern lieliauptete und hier bereits von Plinius
datirt war.
3) Paus. .'). 14, .5. Ueber d'ia 'laihovvral oder (panSx'VTai Sauppe
S. 191.
Scholl: Der Prozess des Phidius. 4o
endung des Götterbildes, dessen Inschrift ihn als Athener
bezeichnet. Das Privilegium wird verständlich, wenn Phidias
Elis nicht mehr verliess: und so gewinnt JMiilochoros' An-
gabe von seinem Tode in Elis eine unangreifbare Stütze.
Athen hat seinen grössten Meister nicht wiedergesehen.
Die Rückkehr nach der Vaterstadt war Phidias durch seine
Flucht und Verurtheilung verschlossen. Seine Verurtheilung:
denn diese abzuleugnen wäre umsonst. Löschcke hebt zur
Ehrenrettung ebenso sehr des Künstlers als der athenischen
Gerichte hervor, dass gegen Phidias nur zwei ihm un-
günstige Aeusserungen der Volksversammlung, aber kein
richterlicher Urtheilsspruch vorliege. Allein die Flucht aus
der Untersuchungshaft konnte den Gang der Untersuchung
nicht aufhalten, auch der Tod im Kerker hätte diese Wirk-
ung nicht haben können. Da die Anklage auf Unter-
schlagung lautete, so blieb, auch wenn der Beschuldigte
selbst dem Arm der Gerechtigkeit entzogen war, immer die
Möglichkeit seine Erben in Anspruch zu nehmen. Für ein
gerichtliches Erkenntniss im Sinne der Anklage aber be-
sitzen wir den Beweis in der Belohnung Menons. Diese
konnte nach dem für solche Fälle herkömmlichen Verfahren
nur erfolgen, wenn die von der Ekklesia verlangte Ent-
scheidung des Gerichtshofs die Denunziation als begründet
anerkannt hatte.
Für die Schuldfrage macht das wenig Unterschied.
Wir brauchen von dem Gewicht eines athenischen Richter-
spruchs im öffentlichen Prozess keine höhere Meinung zu
haben als die Athener selbst hatten, und lassen besser den
Massstab des Wahrspruchs unserer Geschworenencollegien
bei Seite — bei denen übrigens in politisch bewegten Zeiten
bekanntlich auch arge Menschlichkeiten vorkommen. Das
ius imhlicum antiker Freistaaten war stets die anerkannte
Arena der politischen Parteikämpfe: politische, nichtjuristische
Akte waren die Euthynen und Eisangelieen, die Endeixeis
44 Sitzunfj der philos.-philol. Classe vom 7. Januar 1888.
und ähnlichen öffentlichen Klagen Athens wie die Perduellions-
und Majestätsprozesse Roms; nicht Rechtsfragen, sondern
Machtfragen kamen hier zur Entscheidung. Kein ange-
sehener attischer Staatsmann oder Feldherr, gegen den nicht
die politischen Gegner dieses legitime Kam]>fmittel gericht-
licher Angriffe, oft mehrmals, aufgeboten hätten: 'Diebstahl
und Bestechung' sind dabei die unvermeidlichen, nie ver-
brauchten und selten versagenden Schlagworte. Den Perikles
hat seine ü neigen nützigkeit nicht vor der Anklage der
Veruntreuung von Staatsgeldern geschützt; aber seine Ver-
urtheilung hat den Thukydides nicht gehindert, ihn als
'erhaben über Geldgewinn,' als 'offenkundig ganz unbestech-
lieh' {yQTjiuaxiov dtaq'uvwg ddtoQOTazog) zu rühmen. Von
Phidias' Prozess sagt unsere Ueberlieferung, in diesem Punkte
vollkommen glaubwürdig, dass derselbe das Werk der Ka-
Ijale, von Perikles' Gegnern angezettelt und eigentlich auf
diesen gemünzt war. Schon bei Aristophanes tritt dieser
Zusammenhang durchsichtig hervor. Von einer thatsäch-
lichen Verschuldung des Künstlers weiss selbst die klatsch-
.süchtige Anekdote nichts.
Den Elfenbeindiebstahl des i*hidias ernsthaft zu erörtern
oder den Künstler gegen diese Beschuldigung zu vertheidigen
verlohnt sich ebenso wenig, als eine Untersuchung, ob Dante
sich der Betrügereien, Fälschungen und gewinnsüchtigen Er-
pressungen schuldig gemacht habe, wegen deren ihn die
Strafe der Verbannung traf. Gleich dem grossen Florentiner
hat Phidias, der wie kein Anderer den Glanz seiner Vater-
stadt in idealen Schöpfungen offenbarte, als politischer
FlüchtMng in der Fremde geendet; und gleich jenem hat er
an der Heimath, die ihn verkannte und verstiess, sich gross-
artig gerächt, indem er ihre geistige Su])rematie im Kreise
der Gegner zu unbedingter, neidloser Anerkennung erhob.
Scholl: Do- Prozcfis des Pliidia.'^. 45
Anhang zu S. 4.
Die amtliche Fürsorge als Privilegium.^)
Die älteste erhaltene Inschrift, welche unter den Ehren
eines Ausländers die Fürsorge der athenischen Behörden auf-
führt, ist um zehn Jahre jünger als das Dekret Glykons.
Es ist der Zusatzantrag zum Ehrenbeschluss für Aretos von
Kolophon, der (wie Kirchhoff erkannt hat) bei der Wieder-
einnahme und Neubesiedlung von Notion 427/(5 im athenischen
Interesse gewirkt haben muss, C. I. A. I 3G. Die betreffende
Formel weicht hier von der später geläufigen in bemerkens-
werther Weise ab. Die Ergänzung macht daher einige
Schwierigkeit; mir scheint der ganze Passus Z. 8 — 15f()lgender-
massen herzustellen :
T[oig 6e ZQDjQaQyovg 7i^ooenii.(tXEOxf^ai au-
[t(D< r/^c," y.oi-itöfjg, "^Jo/rwg av oioov rji l40^y\v-
10 [a'Ce eli^elv. fnif.ieX\£od^ai öi avrioL xai
[r^g öiaiTi^g?, Tiyelv^ dei iiZvTag otov aV d-
[^erjtat, y.ai i-qv ßoi'kri]v xriv ßovXevovoav xa-
[l Toi'g jTQvxävi-ig. xc«] nqoaoöov sirat av-
[rioi TiQog re roig Trov^Taveig xat z"/]// ßoiX)]-
15 [v rj TTQog rov dr^f.iov fi^gioxiOL /.lezd rd aola].
Vortrefflich hat Kirchhoff 8 f. 7t^Q0Eni(.ii:l£oi)^ai av[Tioi
rrfi v.Of.iidy\g ergänzt; dagegen lässt sich 12 f. das zweifelnd
von ihm gesetzte '/ml xr^v ßovl.rf\v trjv ßovXevotoav yia[lelv
£711 Bivia nicht halten. Für meinen Vorschlag spricht das
1) Der Gegenstand ist kurz berührt von V. Heydemann, De senatu
Ath. quaestt. epigr., Strassb. 1880, 20, ausführlich und besonnen er-
örtert von J. G. Schubert, De proxenia Attica, Leipz. 1881, 28. Eine
schärfere Sonderung der Kategorien und Zeiten wird, wie ich glaube,
auch der Einsicht in das Wesen und die Ausdehnung des Privilegiums
zu Gute kommen.
4(.) SitziDH/ (Irr ])hilns.-])hilol. CJarnte r-ovi 7. Jnmtar 1888.
Verhältniss zwischen fcgoeniiLieXeodai und fjrjuäXeai^ai, für
die Verliindnnj^ dieses letzteren Be;^riffs mit irji' ßocXrjV und
TOtt: yrgiräveig der Sinn der Bestininning und die gewöhn-
liclie Fassung der Formel, z. B. II 39 xat t/jV ßovh]v rij»-]
(xul ßovlevoi[aav hrif.ii:}.Eoi}a]i Me'kavÜ^iov x[at xiov syyovcov
u]iov av öäiüviai. 40. 54. u. a. Das Satzglied xvxeiv —
öt.i]tai (vgl. II 55 i/rijueXelodai — ortiog aV, eav zov dhjrat,
Tvyyix[vrji]) ist eng an ^Ttii-ielea^ai angeschlossen und mit
diesem Begrifi" vorangestellt: ähnlich cäv tov öh^Tai und
o.'iiog uf.1 fAtjösv ddi/.i'fcai II 289. 115. Bei f7ri/.ttlE(7i)ai öe.
avTioi darf ein Genitiv entsprechend dem rijg zoiuiö^g nicht
fehlen: nur versuchsweise habe ich mit t»]^' öiahtjg etwas
dein Zusammenhang und Raum Gemässes gegeben.
12 Tijv ßovlevovoav ohne del wie IV 94 (I 9, 18).
Für /Ml — /Ml bei Bule und Prytanen steht in den jüngeren
Beispielen die einfache Copula: doch findet sich ts — xat
II 289. Auch die Vergünstigung des 'Zutritts zu Kath
und Gemeinde*, welche hier zuerst und später häufig mit
der amtlichen Fürsorge verbunden erscheint, zeigt eine
voji der später üblichen Formel abweichende Fassung nQoo-
oöov — \7iQug T£ Tovg TiQv^Tctveig /ml T7]f.i ßovXri[v rj 7TQ6g
TM' drif.iov]. Die hier abermals der Bule correlativ gesetzten
Prytanen fehlen in der späteren Formel ganz, oder werden
in einem besonderen Znsatz zur Ausführung angehalten:
II 41 Ol öa 7iQvtaveig [01 del 7rQVTa\vevovTeg nQ0oay6vTiü[v\.
115 y.al tovg 7rQvxavEig dtav dei 7iQVTnvemooiv FTti/utXeloOai
ondjg av 71QOOOÖOV tvyydvei,. Die Ergänzung tj 7iQdg tov
drf/.ior jiat bereits Schubert vorgeschlagen, ^) nach II 52"
li i'<T l>eiiios {Tfliört in die Formel. Als der wichtigere Faktor
wird er IF 605, H im Heferat allein genannt: .-roootjyayor avTo]v? oi
Ttovrärf.ii jigöt: tov dr/fioi' tr isfiotc:. Dagegen kommt .-TQÜnofiog jtoog
ri/r fiov/.r'jv allein unter den zahlreichen Beispielen des Privilegiums
nur zweimal vor, wohl nur in Folge nachlässiger Formulirung: 'Ad>]v.
VI 270, 2 au.i dem Anfang des 4. .Tahrh. \r7rai öf xa]i :toöoo^o7'
SchöU: Der PnKrss des Phidiosi. 47
(vom Jalir 3G8/7) 15 xat etrai 7TQ6ao[öov a]vTolg
ngog T/j[»'] ßovXriv ]] röv di^uov 7iQiö[tüLQ\ t/€T[a
z~\q /[ejpa. Sonst steht auch in diesem Falle reu^elmässi«?
xa/; selten Te—y.ai II 209. 593, 17; vereinzelt y.ai /igoc:
ßovXrlv /.al yiQog dfji.ioy II 115.
Während für die sichere Fahrt des Aretos von Kolophon
nach Athen die Trierarchen, Avenn ich diese richtig Z. 8
eingesetzt habe, Sorge tragen sollen, geht die Weisung,
sich des Geehrten während seines Aufenthalts in Athen an-
zunehmen, an den Rath und dessen Verwaltungsausschuss,
die Prytanen. In der That ist der Rath die eigentlich und
einzig coinpetente Behörde in allen den Fällen, wo das Privi-
legium der amtlichen Fürsorge solchen ertheilt wird, die in
Athen weilen oder ihren Wohnsitz haben, also insbesondere
attischen Metöken :
'Ao^Lt:t(oi [xal -Toös 7/;j'] ßovj.ijv, eür rov 8f:<ovTa[i, Ttgoi-
roig fteiu rä hgä. 'E\jny_fiooTOvijoai b'f xiL ; und C. 1. A. II 367 aus
dem Anfang des 3. Jahrb., wo zu ergänzen sein wird [rovg 8s jigosSgorg
. . - . :To]oaayayETv [ (der Name) -Tgo? rov öfjfiov, orar
rrowTor oi]6v r ei- £iva[i 8e (der Name) y.al yfjg xal
oixt'as Fy>cTr]]oir, y.al nQ6a\oöov sivai avxöJi, iäv rov dhjrai, .^Qog] rijv
ßovXijv .-rgoilroii fierä zu legä]. Schubert irrt, wenn er das erste
Psephisma trotz seines Inhalts, lediglich wegen der Anweisung der
Ausfertigungskosten auf den rafu'ag rijc ßov}.fjg, für ein Rathsdekret
hält, und in dem zweiten :ioöo{obor eirat avvotg (so) .-rgog rov dijfior
y.ai] Ttjv ßovhjv in verkehrter Wortfolge schreibt. Meine Vorschläge
verbinden den Raumforderungen folgend ectr rov Öhjrai {ÖEcovrat)
mit :TQ(orq} (^gcütoig) ftera la ifqol: die Annahme, dass diese Wendungen
sich nebeneinander nicht vertragen, scheint mir inhaltlich nicht be-
gründet und durch die zwei von Hartel Studien über attisches Staats-
recht 176 angeführten Stellen II 41. 115 nicht bewiesen. Auch in
der oben mitgetheilten Stelle II 52^ ist die Lücke schwerlich anders
als durch edr rov dsoirrat auszufüllen. Wo dieser Zusatz bei
imfiehiadai ect. steht, wird er natürlich für die andere Formel
entbehrlich: .so II 289 und in der Urkunde, von welcher wir
ausgegangen sind.
48 Sitzioicf der philos.-phildl. Classe vom 7. Januar 1888.
I 59 (Ol. 92, 3/409) Ehren für eine Anzahl an Phry-
nichos' Ermordung betheiligter Metöken: zat e'y/.TrjOi]v eivai
aiiolg iüi.iTieQ L4i)r^vaioig^ [xott f-y^EUo^v'^) /.al or/.(ag, v.al
oi/.)fiiv !Ai)y\viat., [xat Ej[Li.i&.X\ea0^aL aixwv ttjv ßovXrjv rrjv
alel ß[^ov?^Eioioap /a]t zovg 7tQVTaveig^ 07iwg av f.i)j aö[i/i(x)vTai.
II 18G (Ol. 114, 3/321) Proxenie für den in Athen
j)ralvtizirendon Arzt Enenor ans dem amphilochischen Argos:
e.nii.iiXeoDai öt aizov [xr^v re ßocXr^v zrjv dei ßovXevojuaav
xai To[vg jiQvxäveig zotig del övrag. Der Proxenie folgte
später das Ehrenbürgerdiplom n. 187 (von Oberlininnier
Akaruanien 249 übersehen).
II 54 (Ol. 104, 2/363) Verleihung des Bürgerrechts an
den nach Athen geflüchteten Delphier Astykrates: e7iLf.iilEGdai
[dij avxo[i Y.ai i^yjf-i ßovXrjv zrjv ahl /io[6']A£[t;]oraa>', e.ai'
[TOf] ÖETjTai • Eivai di avxioi xa[t ar^iXEiav oixovvti l4d-r^-
Der amtliche und polizeiliche Schutz, der hier an die
im ^\'erth sehr verschiedenen Privilegien der Bodenansässig-
keit, der Proxenie, des Bürgerrechts angeschlossen wird, hat
gleichmässig das Domizil in x\then zur Voraussetzung. P]in
Anderes ist es, wenn die Geehrten ausserhalb Athens leben
und. wie die grosse Zahl der Proxenoi und * VVohlthäter*,
einem andern Staatsverbande angehören: wo denn die zuge-
sicherte Fürsorge vorzugsweise in der Form diplomatischer
oder militärischer Unterstützung wirksam wird. Auch in
diesem Falle geht die Fürsorge zunächst den Ratli an, ilas
Initfude Organ für die auswärtigen Angelegenheiten und den
diplduiati-clit'u Verkehr. Aber mit dem Rath und seinen
1) tjo .Schubert p. 42 für das yt]jrs(io)]r der Herausgeber.
2) Auch II 136 ist vielleicht hierher zu ziehen: - - - e]v Srjaioii
Tor un/or[Ta ----- f.T///f/>;]i9>jij'[a]< <5e avTOJV rij/i ß[ovXi]V öjioig ur
ou)ü)g ol^xütoir t'jötj y.al 6>g uaqjaXearaTa : wiewohl das Bruchstück
nicht erkennen lässt, ob bei dem vom Herausgeber geschickt er-
gänzten OMO)? oixfTr an Athen oder Sestos gedacht ist.
Scholl: Der Prozess des Phidia.s. 40
Prytaneii theileii sich die Strategen nU die Leiter der inili-
tärisclien Exekutive in die Verpflichtung, und regelmässig
werden sie neben jenen in der Formel genannt. So in dem
ältesten erhaltenen Beispiel (I 44, nach Kirchhoffs ein-
leuchtender Annahme das Proxeniedekret für Polystratos von
Phlius aus 420, ist leider nicht herstellbar), dem Ehren-
beschluss für Euagoras von Salamis I G4, zwischen 410 und
405, wo der betreffende Passus Z. 7 f. zu ergänzen ist:
f;rifiekEo0^ai di aviov ttjV ßov\XriV rijj' a.lE\i ßovXevovoav
Kai roCg vigiräreic: /.ai lovg ffrj^arryyoig, 6Vr[wg av
f-irjö' adi/.rjTai /<'/(J'] vfp' f-rog. Ein ver-
wandtes Schema zeigt der Proxeniebeschluss II 289 (Ende
des 4. oder Anfang des 3. Jahrb.): i/ii{AeXea]0^ai öi aixov
e\av Tov derirai nuQa t~\ov dri/nov xr(v [rje \ßovXriv ti^v cei
ßo]v'A£tovoav xal 'f[ocg ngiTavEig x]a< rote OTgarr^yotl^g^.
In anderer Reihenfolge der Behörden und veränderter
Fassung T 94 = IV p. 22 log [a]f /nr] dd[^r/.rjTat romliov
[i.iril^d[Bi']g, Ol aTQC(i:>i[yol oC\ av töat [ky.d^acoie /.ai i)
\^{iüih] ']/y ßov'KEiüv[o^^u v.ai 6i 7rQ\^ü\Tä\vEig e'/.(x\aioTE f[7'<]"
(.ieXeoViov at'[iwj'. Aehnlicb II 119.
II 40 iyiijiiE/.EloÜ^ai öf at'[roD1 rovg aTQaxTqyovg xal
taug 7iQ[vTüi'\Eig y.al Tt]f.i ßor}.[ij]i' ii]v dsi [ßov?J\Evoroui',
idv TOV dir^iai
Gewöhnlich fehlen in den Inschriften des 4. und 3. Jahr-
hunderts die Prvtanen :
II 1«= p. 390 (Ol. 95, 2/399) Ehren für den Proxenos
Pythophanes von Karystos: Ojiiog d^ oV] ravca yiyvt]Tat,
xovg OT(}\_aztjyoig xoCg ai]El aigati/yolvTag hu(.i\tlEoi}ai Aal
iri^v ßovli^v trlv ahl ßovUv[ovoav. 15ti. 209. Vgl. 225. (42.)
Oder mit Voranstellung der Bule:
II 44, wo zu lesen: s/nf.iElE7Guai] di aui[oi vijv ßoil>]v
ri]v oeI ßovXEuovoav zat] zovg o[TQaTi]yovg, 07rojg av fn]
ddixiiZai]. 151.
ItmS. Fliilos.-pliilol.ii. hist.Cl. 1. 4
50 Sitzuvf) der philos.-plüloh Classe vom 7. Januar 1SS8.
II 124 (Ol. 110, 4/33(5) Kai 8ri[i^ie]X[e]i[G]0-ai a[v]TOv
Tilf-i ßov\XriV '/.ai tov^g GTQaTtjyovg, otov ov d[6Vyra/].
(Vgl. 101.)
Bei besonderer Veranlassung werden noch andere mi-
litärische Organe neben den Strategen in Anspruch ge-
nommen :
II 69 (Ol. 106, 2/354) Proxenie für Philiskos: fV/-
jUE^elod^ai] di OiXia/.ov tov Xi\^^EVO(fQOVQOv tov l4^iyrjvaiiov
h' '^EXXriOn6v\TiüL y.al zovg OQxjovrag rovg ^.v '^E^hjOu[orTwi,
l^d^r^vr^OL (f]£ trjV ßovXr]i' xrjv asl ß\^ovXEioroai' xat] locg
aiQarrjyovg, ouiog a[v /urj ddiy.rJTai].
II 115 (um 343/2) Ehren für den vertriebenen Molosser-
künig Arybbas: S7iii-ieme[taOai] ö^.yiqißßov ojuog ai-i ftt^dyv
d\dr/.riTai ttjV ßovXi]v ti]v dal ßovlsiovaav /.ai roCg otqu-
xi,yovg tovg dei orqaTriyovvTag v.ai kav cig aXkog rrov
!Ad^rjvaUov TzaqaxvyyavEi.
Von diesen beiden Stellen ist namentlich die erste lehr-
reich durch die bestimmte Scheidung des Amtsbereichs der
genannten Behörden.
Dass mit der Fürsorge für einen auswärtigen l'roxencis
der Rath allein beauftragt wird, ist ungewöhnlich, aber
unbedenklich:
II 39 (Anfang 4. Jahrhunderts) /.ai tt]v ßoi:h]v Tr]v]
alsi ßovlavovl^oav lni(.iElE~iGi)^ai Dhlardiov -/[ai tiov iyyoviov.
oJroL' (XV deojviai.
II 362 (das jüngste Beispiel der Formel, aus dem ersten
Drittel des 3. Jahrhunderts), zu ergänzen:
tov drj']iiov tÖ[v yidiivuuDv. eivai Öe /ai jiqo-
^E^vov uvxov \ '/ai xovg l/yovo-
v\g avxol- xov drjf.io[v tov ^^Orivai'on', 07i ojg d-
j'] y.ai Ol dXloi q'ilolxi(.iidviai aig xov öi-
^ (.lov EiEQyETEiv ox\^i dv övvcovxai oyaO^o-
V tl]d6xEg oxi ycQ[ixag djioXr^iliovxai na-
Schill: Der Prnzesa des Phidins. 51
Qu] Tov dr^uou a^ia[g tojv evegyenji^iarojv.
F;(]il^iEXe~io'^ai (J[«, sav tov det^vai, vijv ßo-
L'Xjrjv ir^v du ßov[Xevovoav
10 . . . . '^'^ ^ . . AI
Die letzten erhaltenen Reste lassen für eine andere Behörde
hinter der Bnle keinen Platz. ^)
Wo dagegen einmal den Strategen allein ein ent-
sprechender Auftrag ertheilt wird, handelt es sich um speziell
militärische Aufgaben auf einem bestimmten auswärtigen
Operationsgebiet, das daher auch wohl in der Formel aus-
drücklich genannt ist. Dem oben angeführten Beschluss 115,
in welchem der Molosserfürst Arybbas als attischer Ehren-
bürger unter den Schutz des Raths und der Militärbehörden
gestellt wird, fügt ein Zusatzantrag die deutlichere Anweis-
ung hinzu: e7rijLie?^€lo\ ifai öi^ y.al rovg OTQanjyov\^g o'l av\
OTQaTrjy\io\ai, oV/wg L4Q\ißßa\g /.ai oi 7ia'ideg avrov [xo,«/]-
öiovxai ti]v dqytjV Tt]v [//aT^]o>a»'. Aehnliche Bedeutung
hat die dem Pelagonenfürsten Menelaos gewährte Unter-
stützung II 55 (Ol. 104, 3/362): irrtfueXelod^ai \^ds a]vTou
v.ai Tovg OTQavrjyovg tovg ovxag //«[^t Mu\/.Edoviav, onoag
av idv TOV öirjTai Tvyya[j>r^i].^)
1) Ueber II 136 s. S. 48 Anm. 2. — Zweifelhaft ist, ob auch II 9
in diesen Zusammenhang gehört. Die Inschrift ist ein Kathsdekret,
von ähnlichem Inhalt wie 1« und 3, das eine früher verliehene Pro-
xenie erneuerte. Da die Zeile des stark verstümmelten Steins nicht
mehr als 32, vielleicht blos 30 Stellen fasste, so lautete der Schiusa etwa:
jrpo'^fj'ov Pia]« £VSQy£T)][v] t-
ov 8rji.iov TOV 'Aßrjt'aicov xai] avzoy xal exy-
ovovg. eMi/iislsai^ai de x(bv i]xyövcov e[xäa-
xoTE tr]v ßovXijv xal rovg JiQ]vTdvsig.
Der Zusatz rrjv dsi ßovXsvovoav fehlt auch 119. 124. 136.
2) Wer II 137 neben den Strategen genannt war, ist bei der
ungleichmäs^igen Schrift des Fragments schwer zu sagen; vielleicht
hiess es ev X£QQOvria\(ai. i:jif^is/.ETadai de av[Tov rovg axQaztjyovg rovg]
4*
52 Sitzung der iTihUos.-pMlol. Clause vom 7. Januar JS8S.
Besonders bezeichnend ist das bestimmte Mandat in den
uns hier ferner liegenden Fällen, wo der militärische Schutz
niflit einem Einzelnen, sondern einer verbündeten (lemeinde
zugesichert wird:
I 51 = IV p. 1() (Ol. 92, 3/409) Lobdekret für die
Neopoliten bei Thasos: .... 07no(; «7' A*[^/ döi/.on>Tai ji/?^J.s
t'f/»' evog jt/tjrjfi v/cd iÖuütov urize vnö ycüiyoi JcüXecog, rovg
re o\tQaTr]yov^g oV av snaotore alQyovreg tvyxaviooiv hn-
ut^Xeoi^ui avTiov ori av dtLovzai, /.at roug aQx[orT^ag Tovg
L4Ü i^vauov uc av f-/.[äocoTe agycooi, .lävxa tooh^ov Tri(.i
iiij'Uv NEOitok'iTag tfvkäcvovia\g\ /.ui 7Tooi)i\uocg ovtag
jioielv OTL av [ßvvojvjai a.yaiy6v^.
II 110 (Ol. 109, 4/340) Schutz der Elaiusier: tov Öe
ai()ucrjyöv Xd[QtiTa] ¥.7tii.iBhjifi]vaL avTiov ev rioi [r^o/rjou
tö)i avitöi, 07cwg av l'yovil^eg ^Eka^iouaioi id f-atttöv OQ^wg
■/.\ui öi/.^aüog oi^woiv juezd l4^r]vai[^cüv iv X\eQQOvriooji.
Die hier gegebene Zusammenstellung macht es gewiss,
dass der älteste Beleg, der Ateliebeschluss für den Künstler
Menon von 438/7, in Plutarchs Bericht lückenhaft wieder-
gegeben ist. Dass zum Schutz des Metöken nur die Stra-
tegen angewiesen werden, ist ohne Beispiel. Von Rechts-
wegen war lediglich die Bule mit den Prytanen competent.
Wenn in Glykons Psephisma mit dem h'ath, der gar nicht
zu umgehen war, auch die Strategen verbunden waren, so
wird man sich das so zurechtlegen dürfen wie S. 4 geschehen
ist. Einigennassen vergleichbar ist das Verfaliren bei den
akarnanischen Freiwilligen, welche bei (Jhaeronea an der
Seite Athens gefochten hatten und dafür l)is zu ihrer l{ück-
kehr in die Heimath die Stellung und Rechte attischer
Lsotelen erhielten: 11 121 (Ol. 110, 3/337) x«a
UFt axoaTT)yovvza\<; xni rag a.Q](ag rag hv Xt^QQoy'ijnox, iljitog är /i\y()h'
ut)ix>JT(u. rov df you/i/ia^Tsa Tfjg ßov).r][g uvayQÜy'ai rödf rö yn'/ffin/ia
f'r nn'il/.ijt /.iO('v[>i\i y.ui n[Tr/oui - - -.
Scholl : Der P/o^c.s.s des PhitUas. 53
eh'a[i} ai;[T]o7t;, l'ioi; av xaTe'Ai}^toai[r, ty/.n^aiv (ov av]
u\ly.i]iöv ßoiXiovTai olxovan' J^^/y')'/^[an' oVeAtan' ,(/£to/]x[/]or
------ /.cei [h:iiiiitls~io!^^a]t [a]i'[iiöi> ri|]»^ ;:^oi'A/][»'] Tr]v
dei (iovlevüro[ay ■/.]ai To[i-]g aTQaTrjyo[ig] oc a[)'] oei otQa-
tip'ioöiv, ojiiüQ \av ui] dör/.iov\rai. (ienau die gleichen Be-
stiininuiigen enthielt tias Dekret zu Gunsten thessalischer
Flüchtlinge 11 222 (nach dem lamischen Krieg): 11 [^^i)-iq-
ri^aiv ol-/.\oioiv Hog 6v x[a]rfA.^w[a/], 12 [oT£A6']a[i)'] lov
ftETOiAior, 19 [i/iiiiieksyiod^ai de avTiov T[rJ]v \^ßovXi]v ti^v
del ßovXevovoav yC\ai rovg oigarrjyol^vg^ - - -. Freilich gieht
eben der provisori.sche Charakter dieser Bewilligungen und
die in Aussicht genommene Rückkehr, welche den Be-
trettenden zur Zeit durch das Uebergewicht der make-
donischen Partei in der Heimath verwehrt war, eine unge-
suchte Erklärung dafür, dass an dem Schutz der Parteigänger
auch die Strategen betheiligt werden. Vgl. das Psephisma
für Arybbas (S. 51) und das ähnliche 225, wo auf die
Formel syrtfieleiaO^ai d[£ /.al avriöv zovg orqaTt^yovg xovg
del or]QaTijyovvTag za[t tijv ßovXrjv rj av del rvyyarijt
ßoi?.£iov]oa, OTttog av f.ir^d'' vq)' l[vog ddr/uZviai^ weiterhin
folgt [oniog av ti^v jraiqida /.o/LtiotüVTai.
54
Historische Classe.
Sitzung vom 7. Januar 1888.
Herr Friedrich hielt einen Vortrag:
„lieber die Uniichtheit der Decretale de re-
cipiendis et non recipiendis libris des
P. Gelasius I."
Eines der merkwürdigsten Papstsclireiben ist die in der
üeberschrift genannte Decretale des P. Gelasius I. (492 —
496). Da sie den Kanon des A. und N. Testaments, eine
Feststellung über den Primat des römischen Stuhls und
über sein Verhältniss /u den anderen apostolischen Stühlen
von Alexandrien und Antiochien, sowie über die drei ersten
ökumenischen Synoden, und endlich einen Katalog von
Schriften, welche recipirt oder nicht recipirt seien, enthält,
so hat dieselbe seit Jahrhunderten die Aufmerksamkeit auf
sich gezogen. Ich gehe jedoch auf ältere Forschungen nicht
ein und bemerke nur, dass nach der umtassenden Tnter-
suchung Credner's (Z. Gesch. des Kanons, 1847, S. 148 — 290)
Thiel (Epistolae Rom. Pontif. genuinae, 1868) /u einem
endgültigen Resultate gekommen zu sein schien. Dieser
schrieb den Kanon und die Bestimmung über den Primat
des römischen Stuhls und über sein Verhältniss zu den
anderen apostolischen Stühlen dem P. Damasus zu, das
Tebrige ab^r, unter Wiederholung der letzteren Bestimmungen,
Friedrich: Ueher die Unächtheit der Decretale etc. o5
(lern Gelasius. Nach Massgabe der Handschriften schien
dieses Resultat auch wirklich gesichert, und Hefele (Con-
ciliengesch., 2. Aufl., II, »US Ö.) schloss sich sofort Thiel
an. Zu verschiedenen Malen pflichtete auch ich selbst ihm
bei. Allein neuestens wies Langen (Gesch. der röm. Kirche
I, 572 und II, 191) wieder darauf hin, dass es nicht glaub-
lich sei, , schon Daniasus habe so bestimmt den Primat
Roms über die ganze Kirche auch des Orients als eine
göttliche Einrichtung betont und den Vorrang Alexandriens
und Antiochiens auf die Würde des Petrus zurückgeführt,
wie es hier geschieht. Das Capitel setze seines Erachtens
die Verfassungseutwicklung des 5. Jahrhunderts bereits vor-
aus. Namentlich die Aeusserung, nicht durch Synodal-
beschlüsse, sondern durch die Worte Christi: Du bist Petrus
u. s. w. habe Rom den Primat erhalten, scheine an den
Streit zu erinnern, der sich auf dem Concil von Chalcedon
(451) über den Primat Roms entspann. Auch verdiene be-
merkt zu werden, dass um 415 Innocenz (ep. 24, 1) für
den Vorrang Antiochiens sich ausschliesslich auf das Cuncil
von Nicäa berufe." Und Langen hat Recht gesehen und
gethan, wenn er sich durch den bisherigen handschriftlichen
Bestand nicht beirren Hess. Die älteste handschriftliche
Notiz, welche nachträglich bekannt wurde, bestätigt seine
Auffassung.
Delisle beschreibt nämlich ein Manuscript mit mero-
vingischer Schrift, welches Abt Numidius schreiben Hess
und einem Kloster St. Medard schenkte.^) Da es aber fest-
steht, dass es in merovingischer Zeit nur zu Soissons ein
grosses Kloster des h. Medard gab und dass dessen Abt
Numidius Ende des 7. Jahrhunderts etwa bis in die ersten
1) Delisle, Notice sur un manuscrit luerovingien de l;i bibl.
roy. de Belgique, in Notices et Extraits des manuscrits de la bibl.
nat. et autres bibliotheques, XXXI. 33 — 47.
'»•> Sitzunii der Jiislor. ('lasse roin 7. J<niHiir 1S88.
Jalire dos achten lel)te, so niiiss die bcscliriebeiie Hundsehnft
spätestens aus dieser Zeit stammen. Fol. l^iO'" stellt nnn
geschrieben: In ("hristi nomine incipit (h'cretale de recipiendis
et non recipiendis libris, qui scriptum est a Gehisio papa cum
septuaginta erutissime (sie) urbis episcopis in sede a])0.stolica.
Post profiticas et evangelicas (Delisle p. 40). Leider felilt
die Fortset'/Aing des Decrets, da die drei folgenden Blätter,
welche dasselbe enthielten, herausgeschnitten und durch vier
andere ersetzt sind, auf denen in longobardischin" Schrift
ans dem 8. Jahrhundert eine Exhortation des Cäsarius von
Arles geschi'ieben steht. Dennoch ist die Notiz sehr werth-
voll, insofern als jetzt nicht mehr auf das Vorhandensein
der Decretale in dieser Zeit erst geschlossen werden muss;
noch mehr aber insofern als jetzt die Frage erledigt zu
sein scheint, „ob dtus 3. Capitel des Decretes von dem Primate
Iloms und dem Hange der Kirchen von Alexandrien und
Antiochien als petrinischer schon Daniasus angehört, dem
es in den Handschriften zuerkannt wird, oder erst Gelasius"
(Langen I, 572). Die von der Decretale noch erhaltenen
Anfangsworte: Post profiticas et evangelicas, zeigen, dass
das 3. Capitel des ganzen Papstbriefes dem (ielasius, nicht
dem Damasus angehörte. Demnach miissten wir auch an-
erkennen, dass Gelasius zum erstenmal es ausgesprochen
habe, die römische Kirche hal)e den Primat über die ganze
Kirche, auch des Orients, durch Christus selbst, nicht aber
durch Bestinnnungen von Synoden erhalten.
Ich glaube aber aus verschiedenen Gründen nicht, dass
diese Bestimiiiuiig von Gelasius ausgegangen ist.
Einmal ein rein formeller. Es scheint mir nämlich,
als ob wir hier ein späteres Einschiebsel vor uns hätten.
Es soll doch von den aufzunehmenden und nicht aufzu-
nehmenden Schriften die Rede sein, und dem entsprechend
beginnt die Decretale auch mit den Worten: Post propheticas
et evangelicas atque apostolicas scripturas, quibus Ecclesia
Fririh-ifh : l.'clnr die Viiiichlhtit drr Dccrrtulc etc. 'i7
catliolica })er <;ratiam Dei fundata est. Statt aber in doni
Gedanken fortznfahren, lieisst es unlogisch: etiaiu illud
intinianduni putavimus. quod quanivis iiniversae per orbeni
catliolicae diifiisae Ecclesiae uniis tlialanius Christi sit, >;.
tarnen Romana ecclesia nuUis synodicis constitutis ceteris
ecck'siis )>raehita est, sed evangelica voce Doniini et Salvatoris
primatiuu obtinuit: Tu es Petrus, inquiens . . . Nach
dieser seltsamen Abschweifung, wo nicht von den Büchern,
sondern vom römischen I?rimat und von den übrigen
apostolischen Kirchen die liede ist, Uommt erst die Decretale
auf die Bücher zurück. Man fühlt aber sogleich an den
Worten, mit welchen das c. 4 eingeleitet wird, dass der
Zusaumifiihang im Vorausgehenden unterbrochen worden ist
und mit Mühe ein Üebergang von dem Einschiebsel zu dem
Nachfolgenden gesucht wird. Denn c. 4 beginnt: Et quam-
vis aliud fundamentum nullus possit ponere praeter id, quod
positum est, quod est Christus Jesus, tamen ad aedificationem
saucta id est Roniana ecclesia post illas veteris vei
novi Testamenti. qiias regulari ter suscipimus, etiani
has suscipi non j)rohibet scripturas, id est: Sanctam
synodum Nicaenam ... In den Worten: post illas veteris
vel novi Testamenti soll offenbar an die Eingangsworte des
c. o wieder angeknüpft und der unterbrochene Gedanken-
gang weiter geführt werden. Ganz gezwungen ist ferner
auch der Anfang des c. 4: Et quamvis aliud fundamentum,
der offenbar darauf sich bezieht, dass c. 3 gesagt ist, durch
die h. Schriften sei die Kirche gegründet worden, der aber
in c. 4 zu etwas ganz anderem geworden ist: zu dem
Fundament, das Christus selbst ist. Dagegen erhalten wir
einen vollständig abgerundeten Gedanken und Satz, wenn
wir das Einschiebsel weglassen und lesen: Po.st propheticas
et evangelicas atque apostolicas scripturas, quibus Ecclesia
per gratiam Dei fundata est, etiani has suscipi non prohibet
sancta Horaana ecclesia scripturas.
58 Sitzmuj der histor. Classe vom 7. Januar 1888.
Als einen anderen Grund gegen die Autorschaft des
Gelasius führe ich an, dass bis zur Zeit dieses Papstes die
Theorie der Päpste über ihren Primat eine solche Entwick-
hnig noch nicht erfahren hatte, und dass Gelasius selbst
sie nirgends ausspricht. Credner, der diese Entwicklung
ebenfalls untersuchte, behauptete zwar, ,dass der Stand-
punkt, welchen der Verfasser des 2. (3.) Capitels (der
Decretale) einnimmt, durchaus derselbe ist mit dem Stand-
punkte, auf welchem Gelasius stand", allein darin kann ich
ihm durchaus nicht beistimmen.
Da Credner selbst zugibt, „dass dasjenige, was im
zweiten (3.) Kapitel unserer Decretale über den Papst ge-
sagt wird, geschichtlich zuerst von des Gelasius Vorgänger,
Felix, aufgestellt worden ist", so kann ich mich damit be-
gnügen, von hier auszugehen. Credner bezieht sich dabei
auf die Worte der römischen Synode unter Felix 485 (ep.
11, ed. Thiel): ünde nunc causa Antiochenae ecclesiae apud
beatissiniuni Petrum ap. collecti, rursum dilectioni vestrae
(sc. preshyteris et archimandritis Constantinopoli atque in
Bithynia constitutis) morem, qui apud nos semper obtinuit,
properavimus indicare. Quotiens intra Italiam propter ec-
clesia-sticas causas, praecipue fidei, coiliguntur Domini sacer-
dotes, consuetudo retinetur, ut successor praesulum sedis ap.
ex persona cunctorum totius Italiae sacerdotum juxta solli-
citudinem sibi ecclesiarum oninibus (f. omnium) competentem
cuncta constituat, qui caput est omnium (Domino ad b.
Petrum, dicente: Tu es Petrus etc. Quam vocem sequentes
trecenti decem octo sancti patres apud Nicaeam congregati,
contirmationem rerum atque auctoritatem sanctae Romanae
ecclesiae detulerunt: ((uam utramque usque 'ad aetatem
nostram successiones omnes Christi gratia praestante cu-
stodiunt). C^uod ergo placuit s. synodo apud b. Petrum aj).,
sicut diximus et per Tutum ecclesiae defensorem beatissimus
vir Felix, caput nostrum papa et archiepiscopus, indicavit,
Friedrich : Ucher die Unächtheit der Decretale etc. 59
in snbditis coiitinetur. Diese Stelle mit ihrer „sehr selt-
samen Art" einer Begründung des römischen Primats liat
die Gelehrten schon vielfach beschäftigt, die einen, um sie
zu begründen, die anderen, um aus ihr allerlei Rechte für
Rom abzuleiten, und sie kommt wirklich dem c. 3 unserer
Decretale sehr nahe. Allein vor Allem müsste doch fest-
stehen, dass sie nicht interpolirt sei. Wenn man bedenkt,
dass sich schon im 6. Jahrhundert an den Namen des
P. Felix Fälschungen knüpften und ihm ein (unächter)
Brief an Kaiser Zeno unterschoben wurde (Thiel p. 224 n. 8),
so liegt die Verumthung einer Interpolation dieser Stelle
sehr nahe. Ich glaube jedoch, dass eine nähere Betrachtung
derselben dieses sicher ergebe. Die aus italienischen Bischöfen
bestehende Synode will eigentlich nur erklären, wie sie zu
dem römischen Bischöfe stehe und wie es komme, dass
dieser in ihrem Namen auftrete (ex persona cunctorum totius
Italiae) infolge der Sorge, welche ihm hinsichtlich aller in
Italien liegenden Kirchen zukomme (juxta soUicitudinem
sibi ecclesiarum omnium competentem cuncta constituat),
deren Haupt er ist (qui caput est omnium, sc. ecclesiarum
totius Italiae).^) Es sei aber immer so gewesen, so oft die
italienischen Bischöfe sich in kirchlichen Angelegenheiten
versammelten, und so sei auch jetzt P. Felix verfahren
(Quod ergo placuit s. synodo . . . vir Felix . . . indicavit).
Das qui est caput omnium, wenn es überhaupt ursprünglich ist,
bezieht sich also nur auf die italienischen Bischöfe, und in
diesem Sinne aufgefasst, erhält die ."^ teile einen ganz guten
Sinn. Erst später wurde die Stelle: Domino ad b. Petrum
dicente: Tu es Petrus . . . custodiunt, eingeschoben und
so gewaltsam der ursprüngliche Sinn verändert. Und diese
1) Der Ausdruck ist zu verstehen, wie bei Siricius ad Hiraeriuui
(Coustant p. 637): et ad singulas causas, de quibus ... ad Rom.
Ecelesiani, utpote ad caput tui coqiori.';, retulisti, suffioienter quantum
opiiior responsa reddidimus.
60 Si(.~i(n(i (Irr liislor. ('Uimc roiii 7. Junnar 1888.
Aimalinie scheint auch die Beo))iichtuii<2f nahe zu h:!gen,
dass die Synode nur von einer „.Sitte" sprechen kann und
will, während in dem Einschiebsel göttliche und menschliche
Hechte begründet werden wollen. Zu allem Ueberflusse
können wir aber die von der Synode den Orientalen aus-
einandergesetzte „Sitte" noch weiter verfolgen Das Abend-
land hatte es wieder mit der morgenländischen Kirche zu
thun, wie einst unter P. Julius I. Damals aber setzte
dieser schon den Orientalen auseinander: Nam etsi solus
sim, qui scripsi; non meam tamen solius sententiam, sed
omnium Italorum et (Uiniium in bis regionibus episcoporum
scri])si. Ego autem onnies nolui scribere, ne a multis one-
rareutur: certe ad constitutum tempus convenere episcopi
et eorum sententiae fuere quae vobis iterum significo. Qua-
propter dilectissimi; etiamsi solus scribo, scribere nie tamen
communem omnium sententiam vos scire volo (Mansi Conc.
Coli. II, 1219; Coust. p. 3()7). Daran ohne Zweifel dachte
die r()mische Synode, wie ja auch der Ausdruck: cpii caput
est onniium, wahrscheinlich auf das, wenn nicht ganz un-
ächte, doch interpolirte Schreiben der Synode von Sardica
an den P. Julius I. hinzuweisen scheint.
Dass wenigstens noch nicht das ganze Abendland so
dachte, wie die italienische Synode, wenn die in Frage
stehende Stelle acht sein soll, das geht aus einem Schreiben
der Tarraconensischen Bischöfe an P. Hilarus 464 oder 465
hervor. Diese wissen nämlich ganz genau, dass die Sorge
der römischen Bischöfe sich nur auf eine bestimmte Anzahl
von Provinzen erstreckt: C^)uam curam apostolatus vester de
provinciarum suarum sacerdotibus gerat, filio nostro illustri
Vincentir) duce provinciae nostrae referente cognovimus
(Thiel 1). l.')7).^)
1) Dies ist nocli j,'iinz die Auffassung, wie sie ob. Ö. 59 1'. Si-
riciuM aussprach und F. Anastasius an B. Johannes von Jerusalem,
der ihn wegen der Uebersetzung^les Origenes durch Rufinus ,uni
Friedrich: lieber die Unächtheit der Deeretale etc. 61
Die von der Synode angeblich ausgesprochene Ansicht
ist ül)rigens nicht einmal die des P. Felix selbst, wenn er
in seinem Schreiben an Kaiser Zeno diesen vom Apostel
Petrus ansprechen und ihn die Stelle Matth. 1(3, 1(3 ff. so
anwenden lüsst: Quaeso te, tili piissime, ne tunicani Domini,
quae desuper contexta per totuni in ununi corpus, s. Spiritu
ubique dirigente, individuam fore Christi figuravit Ecclesiam.
ulla patiaris sorde violari; neve cujus inter ipsos, qui cruci-
fixerant Salvatorem, mansit integritas, tuis videatur temporibns
esse discissa. Nonne niea lides est, quam solam esse veram
et nulla adversitate superandara Dominus ipse monstravit,
qui Ecclesiae suae in mea confessione fundandae portas in-
feri nunqiiam praevalituras esse promisit? (Thiel p. 224).
Oder wenn er beim Antritt seines Amtes an B. Acacius von
Constantinopel schreibt: inter diversas generalis Ecclesiae
curas, quas ubique terrarum cunctis populis christianis summi
pastoris voce delegante beatissimus Petrus ap. pervigili mode-
ratione dispensat, continuo me sollicitudo maxima, quae et
praedecessorem meum incessanter angebat ... Ja, Felix
weiss in demselben Schreiben dem Bischof von Constantinopel
gegenüber nicht einmal mehr als „Reverenz für die Vicare
des seligen Apostels" in Anspruch zu nehmen. Er begnügt
sich sogar, wenn Acacius, der in einem Schreiben an P. Sim-
plicius den Päpsten nur eine Sorge um alle Kirchen im
Sinne von 2. Cor. 11. 28 zugestand,^) den „Vicaren des
Rath gefragt" hatte, schrieb: Mihi certe cura non deerit evangelii
fidem circa meos custodiro populos, partesque corporis mei,
per spatia diversa terrarum, quantum iwssum, litteris convenire, ne
qua profanae interpretationis origo subrepat, quae devotas mentes
immissa sui caligine labefactare conetur. Und später: Illud tarnen
teuere te cupio, ita haberi a nostris partibus alienum, ut quid
agat, et ubi sit, nescire cupiamus. Coustant p. 728. 730.
1) Sollicitudinem omnium ecclesiarum secundum apostolum
(2. Cor. 11, 28) circumferentes, nos indesinenter hortamini, quamvis
spoute vigihmtes ac praecurrentes. Sed vos divinum zelnm solito
62 Sitzimg der histor. Clnsite vom 7. Jnnunr 1S88.
seligen Apostels" diese Reverenz nicht erweisen Avolle, damit,
(lass derselbe wenigstens, seiner ])isclil)flichen Pflicht einge-
denk, für die Integrität des katholischen Glaubens und für
die Bewachung der Bestimmungen der Väter eintrete. Gerte
si, ut non credimus, b. apostoli vicariis reverentiam tuara
tuis deferre fastidis affectibus, menior salteni sacerdotis officii
pro fidei integritate catholicae, pro paternaruni custodia
sanctioniiin, pro synodi Chalcedonensis constitutione servanda,
quae Nicaeni conventus pendet arcte articulo, atque eins
ubique hostibus comprimendis, sicut orthodoxorum urbis illius
Imitator antistitum, constanter exurgere debuisses . . . (Thiel
p. 232, 234). Und sogar als er Acacius nach Rom zitirte,
weiss er noch kein Recht, sondern nur eine „Sitte", welche
von Athanasius hergeleitet wird, geltend zu machen, wenn
er auch den Ap. Petrus in eigenthümlicher Weise hinein-
zieht. B. Johannes von Alexandrien, sagt er, habe eine
Klagschrift bei ihm eingereicht: quem morem majoris sui
b. mem. Athanasii exemplo priorum nostrorum non potuimus
refutare. Et ideo lectis subditis, frater carissime, ad haec,
quae proposita esse cognoscis, apud b. Petum ap., cui preces
in nobis ol)latas pervides et quem ligandi atque solvendi a
Domino potestatem sumpsisse non potes diffiteri, in couventu
fratrnm et coepiscoporum nostrorum respondere festina (Thiel
p. 231lj. Es ist also im höchsten Grade unwahrscheinlich,
dass unter P'elix, der sich nirgends einer gleichen Wendung
bedient, eine römische Synode so gesprochen habe, dagegen
aber ebenso wahrscheinlich, dass die oben berührten Worte
erst später in das Schreiben der Synode eingeschoben wurden.
Aehnlich, wie mit P. Felix, verhält es sich auch mit
seinem Nachfolger Gelasius I. selbst. Derselbe hebt seinen
Stuhl in den stärksten .\nsdrücken hervor und streift mit-
demonstraÜH, statuni Alexandrinae ecclesiae requirentes, ut pro pa-
temis canonibus suscipiatis laborem, piissimo stillantes sudore pro
his, sicut semper est approbatum (Thiel p. 192 ; ed. Migne 59, 86).
Friedrich: Ueher die Uniichtheit der Bcvrrtnir etc. 6ö
unter zweifellos an die Worte der iliui zui>-eschriebenen
Decretale; allein dass er diese wirklich gebraucht hätte, das
kann Niemand beweisen. Vielmehr legt er gerade auf das
was die Decretale durchaus abweisen will (nullis synodicis
constitutis), noch ein Gewicht: auf die Tradition der Vor-
fahren und die Canones. ^) l'ud so geschieht es auch in
seinem II. Tractate, wenn derselbe überhaupt ihm angehört.
Secundae enim .sedis antistitem nee expellere quisquam nee
revocare sine primae sedis assensu vel potuit vel debuit. Nisi
forte confuso jam ordine rerum atque turbato, nee prima
nee secunda nee tertia sedes debeat observari vel suscipi
.secundum antiqua statuta majorum, et sublato capite, ut
videnius, omnia membra vario inter se compugnent certamine.
1) z. B. Ep. 10, Thiel p. 347 f. Si quantum ad religioneni
pertinet, non nisi apostolicae sedi juxta canones debetur summa
judicii totius. Ineptias itaque suas sibi servent, ni.si resipiscant,
potiu8 cogitantes Christi vocem non esse superfluam, quae confessioni
b. Petri ap. inferni portas nunquam praevalituras asseruit. Qua-
propter non veremur, ne apostolioa sententia resolvatur, quam et
vox Christi et majorum traditio et canonum fulcit auctoritas, ut totam
potius Ecclesiam semper ipsa dijudicet. Ep. 12, Thiel p. 351 ff. Et
si cunctis generaliter sacerdotibus recte divina tractantibus fidelium
convenit corda submitti, quanto potius sedis illius praesuli consensus
est adhibendus, quem cunctis sacerdotibus et divinitas summa voluit
praeeminere et subsequens Ecclesiae generalis jugiter pietas cele-
bravitV Ubi pietas tua evidenter advertit, nunquam quolibet penitus
humano consilio elevare se quemquam posse illius privilegio vel con-
fessioni, quem Christi vox praetulit universis, quem Ecclesia veneranda
confessa semper est et habet devota primatem. — — Apostolicae
vero sedis auctoritas quod cunctis saeculis christianis ecclesiae prae-
lata sit universae, et canonum serie paternorum et multiplici traditione
firmatur. Sed vel hinc, utrum sibi quisquam contra Nicaenae synodi
constituta quidpiam valeat usurpare, coUegio potest unius comrauni-
oni^^ ostendi, non mentibus externae societatis aperiri. Ep. 26, Thiel
p. 395 .. . pro suo scilicet principatu, quem b Petrus ap. üomini
voce perceptum, Ecclesia nihilominus subsequente, et tenuit semper
et retinet: vgl. p. 399. 406.
04 Sitzuvff der histor. Classe vom 7. Januar 1S88.
fiatque illud, quod de populo scriptum est Israel: In illo
temi>ore non erat dnx in Israel etc. Qua enim ratione vel
consequentia aliis sedibus deferendum est, si primae beatissimi
Petri sedi antiqua et vetusta reverentia noii defertur, per
(juaiu onniium sacerdotum dignitas seraper est roborata atque
lirmata, trecentoriimque decem et octo patriim invicto et
singulari judieio vetustissimus judicatus est honor?^) Utpote
qui Domini recordabantur sententiam: Tu es Petrus ... Et
rursus ad eundem: Ecce ego rogavi pro te . . ., et illud:
Si amas me, pasce oves meas. Quare igitur ad Petrum tam
frequens Domini sermo dirigitur? Numquidnam reliqui
sancti et beati apostoli non erant siniili virtute succincti?
(^uis hoc audeat affirmare? Sed ut capite constituto schis-
matis tolleretur occasio, et una monstraretur conipago cor-
poris Christi, quae ad ununi caput gloriosissima dilectionis
societate concurreret, et una esset Ecclesia, cui fideliter cre-
deretur, unaque domus unius Domini et unius redemptoris,
in qua de uno pane et de uno calice nutriremur. C]ua
ratione, sicut dixi, majores iiostri, reverendi illi ecclesiarum
magistri clarissimaque illa populi christiani lumina, quos
merita virtutum suarum usque ad confessionis gloriosissimas
palmus et niartyrii fulgentes extulere Coronas, ad illam sedem,
quam princeps apostolorum sederat Petrus, sui sacerdotii
sunipta principia repleti Christi caritate mittebant, suae inde
.soliditatis gravissima firmitatis roboramenta poscentes? Ut
per haue speciera omnibus appareat, vere unam esse per
nniiiia et indissolubilem Christi ecclesiam, quae concordiae
vinculo miral)ili(iue caritatis textura composita, sola et indi-
visa per totum ostenderetur esse tunica Christi, quam nee
milites ipsi, qui Dominum crucifixerunt, dividere au.si fuissent.
Quae nunc .si propter perfidiam Petri, Acacii tyrannicam
1) Es bezieht sich dies, wie auch Thiel p. 528 n. 8 zugibt, auf
den gcfnlschton 6. Canon des Concils von Niciia: Ecclesia Honiiina
.seniper hal)uit iiiiniiitniu.
Friedrich: Uelier dir Unächtheit der DecreUde etc. *'•>
snperbiam irapiamque praesuraptionem ejus violatiir atque
conscinditur, videte et sapienter expendite, in quam grave
periculuiu nostra deducitur conscientia, dum tanta niajorum
solvitur observantia V Quis enim non agat quodeunque
libuerit, si seniel iu consuetudinem corruptus ordo pervenerit?
Si autem hoc sacrilegum est etiain cogitare, cur non cum
diligentissima observatione teneatur haec forma majorum,
quum sit in hoc observationis tenore ineffabilis indubitataeque
unitatis evidens et grande mysterium ? — — Postremo aequnm
est, ut qui alios libenter et competenter vultis habere snb-
jpctos, cedatis et ipsi antiquo more majoribus, ut conKdenter
imperare possitis minoribus vestris. Duodecim certe fuere
apostoli, paribus meritis parique dignitate sufFulti. Quumque
omnes aequaliter spirituali luce fulgerent, unum tamen prin-
eipeni esse ex illis voluit Christus, eumque dispensatione
mirabili in dominam gentium Roraam direxit, ut in praecipua
urbe vel prima primum et praecipuum dirigeret Petruni,
Ibique sicut doctrinae virtute sublimis emicuit, ita sanguinis
gloriosa eftusione decoratus aeterno hospitio conquiescit,
praestans sedi, quam ipse benedixit, ut a portis inferi nun-
quam pro Domini promissione vincatur, omniumque sit fluetu-
antium tutissimus portus (Thiel p. 528 f.). In dieser Stelle,
welche übrigens aus den Worten Matth. 16, 18 f. die Synode
von Nicäa noch nicht so viel folgern lässt, als die römische
48'), k(jmmt Gelasius seiner angeblichen Decretale in manchen
Phrasen allerdings nahe: aber man sieht doch /ngleich, wie
er der historischen Beweisführung, die freilich unächte Vor-
aussetz.ungen hat, nicht entbehren zu können glaubt. Fnd
dann darf auch das nicht übersehen werden, dass im Tractat
aus der Sendung und dem Tode des Petrus in Rom allein
argumentirt wird, während in der Decretale das (bleiche mit
Paulus versucht wird.
Endlich weise ich noch darauf hin. dass die Phrase der
Decretale: non habens maculam neque rugam. welche hier
1888. Philos.-philol.u. bist. Cl. 1. 5
66 Sitzinifi der hi.ttnr. Clnsxc com 7. Jonuar 18SS.
von der römischen Kirche gebraucht wii-fl, bis dahin sowolil
von P. Hilarus als von Gelasius selbst nnr auf die Gesannnt-
kirche angewendet wird (Thiel p, 140, 384).
Fassen wir aber die folgende Zeit ins Auge, so ist es
doch im höchsten Grade auffallend, dass nirgends mehr ein
Papst oder ein kirchlicher Schriftsteller sich auf c. 3 der
üecretale beruft, im Gegentheil eine demselben wider-
sprechende Autfassung sich geltend macht. So bei Ennodius
in seinem 7,ur Vertheidignng des P. iSymmachus gescliriebenen
Libellus ])ro synodo (Hartel p. 316): replicabo uni dictum:
tu es Petrus . . . soluta et in coelo, et rursus sanctorum
voce pontificum dignitatem sedis eins factam toto orbe uene-
rabilem, dum illi quicquid tidelium est ubique submittitur,
dum totius corporis caput esse designatur, de qua mihi videtur
dictum per prophetam : si iiaec humiHatur, ad cuius fugietis
auxiliuui, et ubi relintjuetis gloriam uestram? Der Unter-
schied zwischen dieser Auffassung und der der angeblichen
üecretale des Gelasius springt in die Augen; statt eines jeden
Commentars genügt es jedoch, auf die merkwürdige That-
sache hinzuweisen, dass diese Stelle aucii in das Decretum
Gratiaui überging und dass aus ihr die Glosse den Satz ab-
leitete: „die rönn'sche Kirche liat ihre Autorität von dm
Concilien." ^) Ennodius zeigt al)er überhaupt, wie schwankend
zu seiner Zeit noch die Theorie vom römischen Primat wai-.
Von Athanasius weiss er z. F^. nicht sicher, ob dersellit' dem
römischen Bischof an Würde ungleich sei: sed quamvis b.
1) Index eximrgator. jussu l'liilipiii II. Ari^entor. 160!), p. 4GG:
Dist. XVII. c. G Concilia. gl. ver. .Inssionc ubi ait: Habet ergo Rom.
ecclesia auctoritatem a Conciliis. Doleantur haec verba (Censnr
Pius V.) una cum margine posita, quae ait: Papa a Conciliis otc.
Editio Gregoriana verba gl. retinet, sed marginem omisifc. Tn eadeni
vero gl. ubi dicitur: Ecclesia Hom. principaliter habuit a Domino,
secundario a conciliis, Gregorius in margine addi voluit: C!oncilia
proprio non dedernnt, priniatuni Uoni. P^cclesiae, «ed explicarnnt
datum a Domino.
Friedrich: Ueher die Unäclüheit der Decretalc etc. ^7
Athanasium Romano antistiti, quantum nosse datur, imparem
locus ostendat, facto tarnen in negotii« conparantnr (Hartel
p. 802) : und in seinem Praeceptum de cellnlanis spricht
er dem römischen Bischof gar ab, dass derselbe die Uesammt-
kirche leite (cum apostolicae sedis praesulem et omninm pene
ecclesiarum gubernacula tractantem, Hartel p. 412).
Ennodins steht aber mit seiner Auffassung nicht einmal
allein, sondern wird sogar von einem Papste, von P. Johann IL
in seinem Schreiben an Kaiser Justinian, unterstützt, wenn
er sclireibt: Inter ehiras ac mansnetndinis vestrae laudes,
christianissime principum, puriore Ince tanquam aliquod sidus
irradiat, quod amore fidei , quod caritatis studio, edocti ec-
clesiasticis disciplinis, Rom. sedis reverentiam conservatis, et
ei cuncta snbjicitis et ad eius deducitis unitatem. ad cuius
auctorem , hoc est apostolorum primum, Domino loquente
praeceptum est: pasce oves meas. Quam (sc. sedem) esse vere
omnium ecclesiarum caput et patrnm regnlae et principum
statuta declarant. et pietatis vestrae reverentissimi testantur
affatus (Cod. lib. I. Tit. I. 8). Das ist also im Grunde
noch der nämliche Standpunkt, den P. Zosimus 418 der
Synode von Carthago gegenüber einnimmt (ep. 2, Coustant
p. 943): His accedit apostolicae sedis auctoritas, cui in hono-
rem beatissimi Petri patruni decrota i>ecn)iarpm quandam
sanxere reverentiam.
Es gibt nur ein Schriftstück aus jener Zeit, welches,
abgesehen von einigen unwesentlichen Varianten , wörtlich
c. 8 der angeblich gehisianischen Decretale wiedergibt, näm-
lich die Stellen über den römischen Primat sammt dem Zusatz
über den Apostel Paulus , und über die drei apostolischen
Sitze. Hinzugefügt ist dann nur noch eine Auseinander-
setzung über Jerusalem und Ephesus. Dieses Schriftstück
ist wohl auch die Quelle für c 3 der Decretale des Gelasius.
Merkwürdigerweise wird aber in ihm die Be.stimmung nicht
auf Gelasius, sondern auf das Concil von Xicäa zurückgeführt.
68 Sitznufi der hlstor. Classe vom 7. Januar 1888.
welche dann wieder ein römisches Concil unter P. Silvester,
Avie es in der üeberschrift heisst, oder die römische Kirche,
nacli dem Texte, angenommen und bestätigt habe: Beatissinio
Sylvestro in Urbe Roma Apostolicae sedis antistite, Constan-
tino quoque Aug. et Licinio Caesare consulibus propter insnr-
gentes haereses fides catholica exposita est apud Nicaeam
Bithiniae, quam sancta et reverentissima Romana complec-
titur et veneratur Ecclesia , quippe qua CCCXVIII Patres
mediantibus Victore atque lubentio religiosissimis Romanae
sedis Presbyteris inspirante Deo pro destruenda Arrii venena
protriverunt , cui et nonnullae regulae subnexa sunt, quas
memorata suscipiens confirraavit Ecclesia. Sciendum sane
est ab Omnibus catholicis, quoniam sancta Ecclesia Roniana
nullis Synodi decretis praelata est, sed Evangelica voce Domini
nostri .Jesu Christi Primatum obtinuit, ubi dixit b. Petro
Apostolo: Tu es Petrus . . . ^). Das Schriftstück bezeich-
net sich selbst, obwohl später an die Spitze geschrieben
wurde : Incipiunt canones concilii Romani sub Sylvestro
Papa, nur als Praef'atio, da es am Schhisse heisst: Explicit
Praefatio. [Teljer diese Praefatio sind wir nun ziemlich genau
unterrichtet, indem sie nichts anderes ist, als die sogenannte
„grössere Vorrede" zum Concil von Nicäa. Da sie aber
RuHn's Kirchengeschichte benutzt und in der Canonen-
siimmhing der Freisinger Handsclirift 43 und in der Quesnel-
sclieii Samndung steht , so kann sie nach Maassen's Unter-
suchungen nur im 5. .Jahrhundert in Rom verfasst si^in. und
zwar als Privatarlteit'^). Sie ist gleicl)\V(ilil liiw-hst interessant
und If'lirn'icli.
1) Aiiinrt. Klf'iiiPnta jur. oan. T, 428 aq. ans Cod. Diess. 8, jei/t
C!nd. lat. Mon. r)0()8. Leoiiis Opp. ed. IJiillciin. I[[, 22 sq(|. nach der
(juPsnprHrlicn Siuninbitifj. Mansi TT. 663.
2) Maassen. GescTi. der Quellen und der fjiteratur des canon.
Rechts im Ahendlande I. 10 f.
Friedrich: USber die ümä^fkfii d<er Decrfi-ale fite. ^9
Zunä£h.^t erfahren wir daraus überhaupt, dass man
schoo im o. Jahrhundert sich mit eicäuischen Erdichtungen
abgab : dann ermöglicht die Praefatio . wie mir wenigstens
scheint, den Gang dieser Erdichtungen zu Terfolgen. welche
nach der Meinung der Verfasser die zahlreichen Niederlagen
Roms bei seinen Berufungen auf das Concü von Nieäa wieder
ffut machen sc^llten. Das erste Stadium bezeichnet die Be-
rufuug Roms auf die sardicensischen Canones als nieänische.
Die Grundlosigkeit derselben wurde -419 durch die airicajiische
Smode zu Carthagc» aufgedeckt und durch die Bischöfe von
Alexandrien und Constantinopel bestätigt. Da scheint man
in Rom zur Erdichtung nieänischer Canones. welche den
römischen Bischof als eine Art Oberinstanz bestellten, ühea:-
segangen zu sein ^). Das zweite Stadium ist die Interpolation
des 6. Canons des Xicänisehen Concils selbst durch Hinzu-
fugang einer besonderen Ueberscbrift: De primatu eeclesiae
Romanae. und durch Hinzusetzung der Worte im Anfiange:
Ecdesia Romana semf>er habuit primatum. So produzirte
ihn der päpstliche Legat Pa^ichasinus auf dem Concil Ton
Chalcedon, worauf aber die Synode mit Entgegenstellung
des ächten Canons antwortete. Hierauf scheint nun der
Versuch in der , grösseren Vorrede' gemacht worden zu
sein, mit Fallenlassen des als Fälschimg au%edeckten 6. Canons
von Nieäa doch eine nicä,nische Bestimmung über den
römischen Primat einzuschmuggeln. Und aus dieser Vorrede
ist ohne Bezugnahme auf das Concil Ton Nicäa und auf
P. Silvester die Bestimmung ül^er den Primat und über
Alexandrien und Antiochien in die sogenannte Decretale des
Gelasius nachträglich eingeschoben worden.
Es fragt sich jetzt noch. ob. abgesehen von dem oben
besprochenen Einschiebsel und einigen späteren Nachträgen,
1) Eriialt.en im Cod. Kess. 8, gedmctt. bei Am ort.. Elem. L
Ic^ sq. lucipit Concilitim Xicaenum XX, Episeoporom, qui in Graeoo
non liai>entur, sed in Latino esse inTenitmtxir tantümmodo.
7<> Sitziitni der liistor. CAdsse com 7. .honntr 1888.
die Decretale de recipiendis et neu recipiendis libris übei--
liaupt eine ciiiitliche, dem P. Gelasius zuzuschreibende Arbeit
ist. Ich glaube, dass dies verneint werden muss.
Vor Allem scheint Gelasius selbst in seinem IV. Tractat
de anathemati.s vinculo (Thiel p. 559) nur den Canon des
Apttstels Paulus aufgestellt zu haben: Onniia probate, quae
l)ona sunt tenete.^) Dann aber wäre gar nicht aljzusehen,
warum Gelasius, der in seinem III. Tractat de duabus naturis
in Christo eine ganze Reihe von Kirchenvätern als orthodoxe
Zeugen anführt (Thiel p. 544 ff.), diese nicht sämmtlich in
seine erst später abgefasste Decretale aufgenommen hätte.
Was aber noch auffallender an der Sache, die Existenz der
Decretale seit und unter dem Namen des Gelasius voraus-
gesetzt, ist, das ist die unumstössliche Thatsache, dass kein
Mensch in der alten Kirche die Decretale kennt oder gar
sie beobachtet.
Zwar hat man schon früher auf das Sclireiben des
\\ llormisdas (ep. 124, Thiel p. 929 f.) in dem Streite über
die Autorität des B. Faustus von Riez hingewiesen, als ol)
1) Nuraquidnam in ipsorum haereticorum libris non luulta, quae
ad veritatem pevtineant, posita relegunturV Nuniqiiidnaiii ideo
veritas refutanda est, quia illorum libri, ubi pravitas interet-t, refu-
tanturV Aut ideo pravi libri suscipiendi sunt corum, quia veritas,
quae illic inserta est, non necfaturV Ait apostolas: Omnia probate
etc. . . . Haec et hujusmotli exempla nos edocent et testinionia divina
contirniant, non omnia passim a quocunque dicta vel ubicuniquc
scripta indifferenter accipere, sed retentis bonis, quae noceant refu-
tare. — Credner S. 278 will nun gerade aus dieser Stelle, mit der
Decretale c. V, 4, wo die Stelle des Paulus sich ebenfalls findet, zu-
sammengehalten, scliliessen, dass im Tractat und in der Decretale
die gleichen Grundsätze und sogar die gleiche Terminologie herrschen.
Allein dieser Schluss ist nicht zulässig, da sicher Langen II, 194
n. 2 Recht hat, wenn er diese Stelle als späteres Einschiebsel er-
klärt, und da der paulinische Satz keineswegs sich auf die ganze
Decretale oder auch nur auf die Schriften der Väter und Häretiker,
.sondern nur auf die gesta sanctoruiii martyrum bezieht.
Frifilrich: reber die Uniielitheit der Beeret (de etc. t 1
in demselben von dem (j^elasianischen Biicherdekrete die Rede
sei. In jüngster Zeit folgte darin Credner nach, der in dem
Sclireil)en des Horuiisdas nicht blos „die erste wenn auch
nur verdeckte Hinweisung auf unsere Decretale erkennen",
sondern auch aus demselben herauslesen will, dass die
römische Kirche schon oft derartige Bestimmungen getroffen,
und es „folglich zu des Hormisdas Zeit in der römischen
Kirche schon seit länger schriftliche von Zeit zu Zeit fort-
geführte Verzeichnisse solcher Bücher gegeben haben muss",
über deren Einrichtung Hormisdas ebenfalls Aufschluss gebe,
,wenn er, ganz so wie dies in unserer Decretale geschieht,
solche, quos examen catholicae fidei non recipit und solche,
quos recipit, unterscheidet" (S. 158 f.). Thiel hingegen
meint gar, darin eine Bestätigung dafür tiudeu zu können,
dass die Decretale wirklich auf einem römischen Concil ab-
gefasst worden sei. und dass die Bezeichnung „apocryph" in
der Decretale nicht das Lesen dieser so bezeichneten Bücher
überhaupt verbiete, sondern nur andeute, sie sollen „mit
einer gewissen Vorsicht gelesen werden".^)
Allein zu dieser Auffassung des Schreibens des P. Hor-
misdas konnte man doch nur gelangen, weil man eine ächte
Decretale des Gelasius, in der überdies die Opuscula des
B. Faustus von Riez als „apocryph" bezeichnet sind, voraus-
setzte und weil man namentlich den Ausdruck des Hormisdas
„in auctoritatem recipere" nicht näher untersuchte. Ich
behaupte das Gegentheil : das Schreiben des Hormisdas spricht
nicht nur nicht von der gelasianischen Decretale, sondern
beweist, dass sie, wenigstens als ofücielles Aktenstück, gar
noch nicht existirt habe.
1) Dass eine solche Auffassung des , apocryph " der Decretale
widerspricht, geht aus dieser selbst hervor, da sie ausdrücklich sagt,
sie wolle die von ihr nachhezeichneten Bücher ,von den Katholiken
gemieden"' wissen: a catholicis vitanda sunt (Thiel p. 461).
72 SUzunii der histor. Classe vom 7. Januar 1888.
Die Sache, um die es sich liaiidelt, wurde von
B. Possessor dem P. Hormisdas so mitgetheilt. Es sei in
Constantinopel Streit über die Schriften des B. Faustus, in
denen er von der Gnade, handelte, entstanden, und man
habe sich an ihn um Uath gewendet; er aljer liabe geant-
wortet: Dixi quidem ea, quae a tractatoribns pro captu pro-
prii ingenii disputantur, non ut canonica recipi, aut ad
synodalium vicem pro lege servari; sed habere nos
certa, scilicet quae veteri lege vel nova conscripta et gene-
ralibus patrum sunt decreta judiciis, ad fundamentum fidei
ac religionis integram firmitatem: haec autem, quae antistites
diversi conscripserunt, pro qua li täte sui sine prae-
iudicio t'idei solere censeri. Man habe sich aber bei
seiner Antwort nicht beruhigt, sondern sie mehr für eine
Entschuldigung (excusatio) betrachtet, weshalb er und mit
ihm die magistri militum Vitalianus und Justinianus eine
Antwort von Hormisdas erbitten. Die Antwort des B.
Possessor war aber in der That eine „Entschuldigung",
oder er verstand die Frage, um die es sich handelte, nicht;
denn man unterschied damals wirklich, Avie der Gegner des
Faustus, Johannes Maxentius, richtig angibt (Thiel p. 930,
n. 24), Bücher, welche gelesen werden dürfen und zu
denen auch anstössige gerechnet wurden, Bücher, welche
katholisch sind, und Bücher, welche in auctoritateni
recijiirt waren. Während nun die Gegner des Faustus
fragten, ob die Schriften desselben katholisch seien, ant-
wortete Possessor, sie seien nicht in auctoritateni recipirt
(non ut canonica recipi, aut ad synadolium vicem pro lege
servari), und man müsse sie, wenn man sie lese, wie die
Schriften der verschiedenen Bischöfe pro (jualitate sui sine
praeiudicio fidei beurtheilen. Dies war allerdings ein Um-
gehen der eigentlichen Frage, ein Verfahren, das ganz un-
begreiHich wäre, wenn Possessor und die Kirche zu Con-
stantinopel die gelasianische Decretale gekannt hätten, in
Friefirich: Uehcr die Unäditheit <h'r Decretah rfc. 7o
welcher die opu.scula Fausti nicht blu.s als ^apocryph" be-
zeichnet, sondern noch überdies unter die Hubrik gestellt
waren: Cetera, quae ab haereticis sive schismaticis
ct)nscri[>ta vel praedieata sunt, nullatenus recipit cathfilica
et apustülica Koniana ecclesia. E quibus })auca, quae ad
jiienioriani venerunt et a catholicis vitanda sunt, credi-
dinius esse subdenda. Da konnte es sich doch nicht mehr
darum handeln, ob die Schriften des Faustus in auctoritatem
recipirt seien oder l>los gelesen Averden dürfen, sondern es
war auch die Frage erledigt, ob sie katholisch seien oder
nicht.
Nun kann man allerdings sagen, dass dem aus Al'rica
vertriebenen B. Possessor und der Kirche in Constantinopel
die gelasianische Decretale nicht l)ekannt zu sein brauchte,
und ich anerkenne selbst diese Einwendung. Allein das
kann man doch nicht für P. Hormisdas, der sich überdies
in der Frage über die Gnade auf capitula beruft, welche
im römischen Archive liegen, gelten lassen. Da er sich
auf die gelasianische Decretale, welche den ganzen Streit
beigelegt haben würde, nicht beruft, so kann er sie auch
unmöglich gekannt haben. Das geht aber auch aus seiner
Antwort, in der er sich an die von Possessor vorgelegte
Frage hält, ganz unwiderleglich hervor: neque illum (sc.
Faustum) neque quemquam, quos in auctoritatem patrum
non recipit examen, catholicae fidei aut ecclesiasticae dis-
ciplinae ambiguitatein posse gignere, aut religiosis praeiudi-
cium coraparare. Fixa sunt a patribus, quae tideles sectari
debeant instituta, sive interpretatio, sive praedicatio, seu
verbum populi aedihcatione compositum: si cum lide recta
et doctrina sana concordat. admittitur, si discordat. aboletur.
Unum est fundamentum, extra quod quaelibet fabrica si
consurgit, infirma est, super illud quisquis aedificat seu vilia
seu pretiosa, consideret. Errat autem a via, qui ab eo quod
patrum electio monstravit, exorbitat. Nee tarnen improbatur
74 Si(:i<iifi (Irr Jiisdir. Chtsse rinn 7. JaiiiKir 1S8S.
ilili'^'t.'iiti.i {)i'r luultii discurrens, .seil iiiiiiuiis ;i vcritatc dccli-
nans. Saepe de his necessaria providetur, de quibus \\)si
aemiili coiivincaiitur, instructio. Nee vitio dari putest nosse,
qiiüd fugias; atque ideo non legentes incongrüa in cu]])ain
veniunt, sed seqnentes. Qiiod si ita non esset, nnnqiiaui
doetor ille gentium acquievisset nuntiare fidelibus: Oninia
antem ])robate, ({uod bonnm est tenete. Non abs re est,
etsi mundanum non tarnen a ratione diseretum niiscere
sermonem. Und später erläutert er seinen Gedanken noch
dahin: Non iniprovide veneranda patrura sapientia fideli
posteritati quae essent canonica dogmata definiit. certa
libroruni etiani veteruni in auctoritateni recipienda, s. Spiritu
instituente, praeügens: ne opinioni siiae leetor indulgens.
non quod aedificationi ecclesiasticae conveniret, sed quod
voluntas sua concepisset. assereret. Quid ergo calumniantibns
opus erat extra constitutos Eeclesiae terniinos porrigere
quaestiones, et de his quae ita habentur dicta, quasi dicta
non sint, movere certamina, quum christiana tides canonicis
libris et synodalibus praeceptis et patrum regularibus con-
stitutis stabili et inconcusso tramite limitetur? Diese Ant-
wort schliefst sich vollständig an die des Possessor an,
stellt Faustus ganz auf gleiche Linie mit jedem anderen
kirchlichen Schriftsteller, welcher nicht in auctoritateni
recipirt ist, sagt kein Wort davon, dass er, statt in auc-
toritateni recipirt zu sein, sogar unter die Häretiker und
Schismatiker versetzt sei, und gibt überhaupt nur allgemeine
Weisungen, wie man sich bei der Lektüre nicht in auc-
toritateni recipirter Schriften zu verhalten habe, auf die
Worte des Apostels: Oninia antem probate etc. verweisend.
Und endlich mache ich noch darauf aufmerksam, dass bei
Hormisdas die Worte: I imin est iiiiidanicntum, extra (|Uod
quaeliliet fabriea si consurgit, iiitiruia est, super iilud (piis-
qnis aedificat seu vilia seu pretiosa, consideret, sich auf die
durch das examen patrum in auctoritateni recipirten Bücher
Friedrich: Ueher ilir i'iiüclillicit der Dtcrcfulr etc. ' -^
Ue/iehen. iilso etwas ganz anderes sagen, als in der Deeretale.
wo es c. -4 heisst: Et quamvis «aliud fundauientmn niillii.><
possit ponere praeter id. quod positum est, quod est Christus
Jesus", tarnen . . . Rom. Ecclesia post illas v. et n. T.,
quas regulariter suseipinuis. etiam has suseipi non prohibet
scripturas, i. e. die ökumenischen Concilien (uid die von
ihnen, also durch patrum examen in auctoritatem recipirten
Väterschriften.
Dieser meiner Ausführung widersprächen freilich die
Worte des Hormisdas: quos in auctoritatem patrum non
recipit examen, wenn sie im Sinne Credner's aufgefasst werden
müssten: Hormisdas .sehe also das Urtheil über den Faustus
als ein in der römischen Kirche bereits festgestelltes und
abgemachtes an*", derselbe gehöre mit seinen .apocryphen"
Schriften unter die der Häretiker und Schismatiker, welche
von den Katholiken zu meiden seien: und wenn wirklich in
den Ausdrücken des Hormisdas: quos in auctoritatem recipit.
quos in auctoritatem non recipit, die beiden Theile der
gelasianischen Decretale de recipiendis et non recipiendis
libris bezeichnet wären. Allein ich habe schon angedeutet.
dass dies nicht der Fall und der Ausdruck in auctoritatem
recipere falsch aufgefasst sei. Davor hätte aber schon der
Ausdruck Possessors: non ut canonica recipi, aut ad syno-
dalium vicem pro lege servari, welchen Hormisdas mit: in
auctoritatem recipere, wiedergibt, bewahren sollen. Denn
es handelt sich hier nicht um ein Recipiren oder Nicht-
recipiren von Schriften, wie in der gelasianischen Decretale,
sondern um eine ganz besondere, um eine .canonische"
Qualität, welche bestimmten Schriften beigelegt werde. —
ein Verfahren und ein Sprachgebrauch, welche zudem nicht
neu waren. So sagt z. B. Rufinus Expos, in Symbol.:
Sciendum tarnen est, quod et alii libri sunt, qui non canonici,
sed ecclesiastici a majoribus appellati sunt: ut est Sapientia
Sah, et alia Sapientia, quae dicitur filii Sirach .... ejus-
/•» Sitiiuifi <h'r histor. Chtssc vom 7. Januar 1888.
dem ordiiiis est libellus Tobias et Judith et Maccabaeorum
libri, in Novo vero Testain. libellus, qui dicitur Pastoris . . .
quae (jiiiiiia legi quideiii in ecclesiis voluerunt, iion tanien
proterri ad aiictoritateni ex his fidei confirmandaiu.
Noch näher kommt dem Ausdruck Hieronymus Praef. in
U. Sah: iSicut ergo Judith et Tohiam et Machabaeorum
libros legit quidem ecclesia, sed inter canimicas sci'ipturas
non recipit, sie et haec duo volumina (Jesu lilii Sirach et
Sapientia 8al.) legat ad aedifieationem plebis, non ad auc-
toritatem ecclesiasticorum dogniatum con fi rmandam.
Der Brief des späteren Bischofs Turribius an die Bischöfe
Idacius und Ceponius (Leonis M. Opp. ed. Baller. I, 711)
trägt die Ueberschrift: Epistola de non recipiendis in
auctoritatem fidei apocryphis scripturis. Und nocli
Facundus (de defens. trium capitul. I. 5) sagt von den zu
Hphesus angeführten Vätern: ut pote quae (testimonia) synodi
Ephesinae sunt auctoritate Hrmata. Darum also, ob den
S('hriften des Kaustus, wie es bei anderen Väterschriften der
Fall gewesen, eiue canonische Autorität beigelegt werde,
handelt es sich iu dem Streite zu Constantinopel nach der
Meinung des Possessor und des P. Hormisdas, und darauf
autworten beide verneinend; denn, sagt der letztere, dieses
könne nur durch patrum examen geschehen, oder Avie er
später sagt, durch ein Concil, indem es seine Glaubeus-
doHuitiou mit Väterstellen bekräftige: quae essent canonica
dogmata deliniit, certa librorum etiam veterum in auc-
toritatem recipienda (sc. patrum sapientia), s. Spiritu in-
stituente, praefigens. Denn dass nur dies, kein Bücher-
verzeichniss wie die gelasianische Decretale gemeiut sein
kann, geht auch schon daraus hervor, dass nicht von ganzen
Büchern, souderu nur von certa librorum veterum recipienda
die Rede ist. ') Das geschah aber, wie wir wissen, wirklich
1) ITypatius von Ephesus sagt daher auf dem Relif^ionsgespräch
zu Constantinopel 533 von diesen recipirten Vätern: orthodoxerseits
Frit'dricli: Uehcr die IJiiiivhthvit der Dreretoh' etc. 77
auf den ökumenischen Concilien zu Ephesus und Chalcedon
(Hefele, CG. II, 186. 474). Und für wie wichtig man dies
hielt und welches Ansehen dies den betreuenden Vätern
verlieh, darüber belehrt uns ganz ausdrücklich Vincenz von
Lerins in seinem Commonitorium c. 29. 30, indem er sagt,
er habe alsbald nach dem Concil von Ephesus einen Catalog
der dort zur Bekräftigung des Dogmas angeführten Väter
veröffentlicht, wolle ihn aber auch jetzt nochmals wieder-
holen : ubi cum de sanciendis fidei regulis discreparetur, ne
qua illic forsitan prophana novitas in modum perfidiae Ari-
minensis obreperet, universis sacerdotibus, qui illo duccnti
fere numero convenerant, hoc catholicissimum, fideüssimuiu,
atque optimum factu visum est, ut in medium ss. Patrum
sententiae proferrentur, quorum alios martyres, alios con-
fessores, omnes vero catholicos sacerdotes fuisse et permansisse
constaret: ut scilicet rite atque solemniter ex eorum con-
sensu atque decreto antiqui dogmatis religio conlirmaretur
et prophanae novitatis blasphemia condemnaretur. Quod
cum ita factum foret, jure meritoque impius ille Nestorius
catholicae vetustati contrarius, b. vero Cyrillus ss. antiquitati
consentaneus judicatus est. Et ut ad fidem rerum nihil de-
esset, tarn nomina et numerum (licet ordinem fuissenuis
obliti) edidimus eorum Patrum, juxta quorum ibidem
concinentem sibi concordemque sententiam et legis sacrae
proloquia exposita sunt et divini dogmatis regula constal)ilita
est: quos, ad conHrmandam memoriam, hie quoque re-
censere nequaquam superfluum est. Man hatte also,
wie wir hier von Vincentius erfahren, Verzeichnisse von
Väterschriften, welche von den ökumenischen Concilien in
auctoritatem recipirt waren und ein besonderes Ansehen ge-
nossen, während von den anderen Schriften nach Hormisdas
würden nur jene Briefe Cyrills, die von den Synoden apin-obirt seien,
anerkannt, die anderen niclit gelobt und nicht verworlen. Hefele
n, 750.
78 SifziDifi iJrr lilstDr. (Uassr rmii 7. Januar 1HS8.
galt: neque illuni neque qnein(|nani, qnos in auetoritateni
patriiui non recipit examen, catholicae fidei ant ecelesiasticae
disciplinae anibiguitatein posse gignere, ant religiosis prae-
jndifinni cojuparare .... Diese letzteren aber gleichwohl
als von der rinnisehen Kirche in auetoritateni recipirt be-
trachten nnd von ihnen ])ehan])ten. wenn .sie etwas schief
darstellten, sie könnten im katholischen (Tlaul)en oder in der
kirchlichen Disciplin Zweideutigkeit erzeugen, wie es hin-
sichtlich des Faustus in Constantinopel geschehe, das sei
Verläunidung: Quid ergo calumniatoribns o))ns erat extra
constitutos Ecclesiae terminos jiorrigere quaestiones . . .
Ich glaube, dass die Sache hieniit klar ist, und dass
ich hinreichend gezeigt habe: Horniisdas kannte die angeb-
liche gelasianische üecretale noch nicht. Nur eines könnte
ich zugeben, dass man nämlich nach den Worten desselben
einen Catalog in auetoritateni recipirter Väter hatte, der
allerdings, wie ich glaube, in der gelasianischen Decretale
erhalten ist. Sieht man sich nämlich das äusserst käi'gliche
Väterverzeichniss im Anfang des c. 5 der Decretale an, so
ist es in der That die Zusammenstellung der von den Con-
cilien zu Ephesus und Chalcedon (von diesem in der T. Sitzung
namentlich) ad auetoritateni ecclesiasticorum dogmatum con-
tirmandam angeführten Väter. Nur sind im Abendlande
weniger oih-r nicht bekannte Väter (Petrus von Alexandrien
und (iregor von Nyssa, den erst Dionysius d. Kl. ins La-
teinische übersetzte: Atticus von (-onstantinopel und Amphi-
lociiiu.s von Iconium, die schon in dem Verzeichnisse dos
Vincentius Ler. c. ;^0 fehlen) hinweggelassen, und hat man
diesem so componirten Cataloge noch Hieronymns und
i^ro.sper s(»wie den Brief Leo\s d. Gr. an Klavian hinzu-
gefügt, l'ri'ilicli b'lileii aiicli die i('»mischen Bischöfe Felix 1.
und .Inlius l.; allein gerade dies dürfte uns s])äter auf die
Zeit der .Abfassung dei" Decretale fülii"eii. Merkwürdiger-
weise be<;innt aber dann in der Decretale auch eine ganz
Frirtlrirli: f^ehcr die ITimchthcit drr Drcrettilr etc. 70
.indere Art der Bearbeitung^ des Materials, während wirklich
die ökumenischen Concilien und die erste Abtheilnnti: der
Väter unter einer Rubrik zusamniengefasst werden.
Denniiioh kann P. Hormisdas, obwohl die Handschriften
es naheleij;en. die gelasianische Decretale auch nicht mit
neuen Zusätzen versehen und neu veröflPentlicht haben, sondern
wäre das einzige, was er hätte thun können, die Besorgung
der ersten Abfassung derselben überhaupt gewesen. Dass er
al)er auch dieses, was sogar mit den von ihm aufgestellten
Grundsätzen (ep. 124) in Widerstreit gelegen wäre, nicht
gethan hat, dafür bürgt die Inkenntniss einer .solchen De-
cretale in der Literatur der folgenden Zeit. Zunächst
tritt uns aber da Dionysins der Kleine entgegen, der
nicht blos auf Veranlassung eines Schülers des P. Gela.sius
.seine noch vorhandene, im Auftrage des P. Hormisdas
selbst eine neue, verloren gegangene Canonensamnilung ver-
fas.ste, sondern auch naeh Pitra Zutritt zum lateranisclicn
Arohiv (V) hatte. ^) Derselbe nahm nun allerdings 40 Papst-
briefe in die er.stere Sanuulung auf, aber obwohl er sagt,
er habe mit der grö.ssten Sorgfalt gesammelt, so fehlt dar-
unter die gelasiani.sche Decretale, sei es unter dem Namen
des Gelasius, sei es des Hormisdas (Thiel p. 41') f. Monita
praev.; Pitra a. a. 0. etc.). Und wenn man etwa einwenden
möchte, Hormisdas hatte wahrscheinlich beim Abschluss der
dionysianischen Sammlung seine Decretale noch nicht erlassen,
.so ist es doch nicht minder merkwürdig, dass auch in der
von Hadrian I. Karl d. Gr. geschenkten Sammlung, welche
eine Vermehrung der Papstbriefe enthält, sich unsere De-
cretale ebenfalls nicht timh't (Thiel a. a. 0.).
1) Pitra, Analecta novi.ss. I, 37, ebenda der üljri<(fn.s schon
interpolirte Brief des Dionysius an Hormisdas über die letztere Samm-
lung. Den ur.sprünglirhen Text desselben s. Maassen, üescli. der
Quellen I, 964.
80 SitziDiff der histor. Ciasse com 7. Januar 1888.
Dieser merkwürdigen Thatsache entspricht auch die
andere Literatur des 6. Jahrhunderts, aus der uns gerade ein
Werk erhalten ist. welches, wenn eine solche Decretale vor-
handen, nothwendig davon hätte sprechen müssen, ich meine
die Schrift Cassiodors De institntione divinarum litteraruni,
in der er sich mit der orthodoxen, häretischen und apo-
cryphen Literatur ex professo beschäftigt. Allein obgleich
er darin von P. Gelasius spricht und ihn einen ,.sehr ge-
lehrten Mann" nennt, so weiss er doch nichts von seiner
Decretale, sondern nur von ihm fälschlich zugeschriebenen,
häretischen .\nnotationes zu den 13 Briefen des Paulus,^)
und kennt er nicht einmal einen officiellen römischen Canon
der h. Schriften. Von Hormisdas schweigt er aber ganz,
wenn ich auch nicht zweifle, dass er dessen Schreiben über
die Frage der Anerkennung des Faustus von Riez kannte
und benutzte.^) Doch wie immer, jedenfalls kannte er
1) Die Decretale schreibt Paulus 14 Briefe zu.
2) Tch mache auf folgende Stellen aufmerksam. Opp. ed. Gai-ot.
II, 509: Quapropter tractatores vobis doctissimos indicasse sufficiet,
quando ad tales remisisse competens plenitudo probatur es.se doo-
trinae. Nam et vobia quoque erit praestantius praesumpta novitato
non imbui, sed priscorum fönte satiari . . . Quod genua doctrinae et
nobia arbitror esse proficuifm sie alios imbuere, ut insidias caluin-
niantium commodissime declinasse videamur. IT, 515: Nam sanc-
tiHsimi Patres (der 4 ökumenischen Synoden) injuriam rectae fidei
non ferentes, rej^ulas quoque ecclesiasticas ibidem statuere mahierunt,
et inventores novarum haeresum pertinaces, divino gladio perculerunt.
decementes nullum ulterius debere novas incurrere quaestiones,
sed probatorum veterum auctoritate contentos. sine dolo et
per6dia decretis salubribus obedire. Sunt enim nonnulli, qui putant
esse hiudabiie, si quid contra antiquos sapiant, et aliquid novi,
unde periti videantur, inveniant. Das ist doch ganz der Gedanken-
gang der ep. 124 des Hormisdas. sowie auch die durchschossen ge-
druckten Worte sich in denselben finden. Ganz mit dieser ep. stimmt
aber 11. 522: . . . non ad quaestiones vanissimas avida superfluitate
tendamus. (juod dictum rationiibiliter in tractatoribus prnbatissimis
invenitur, hoc procul dubio credamus esse divinum, si quid dissonum,
Friedrich: Ueher die Uuächtheit der Decreiale etc. i^l
noch keinen anderen Grundsatz, als: Omnia probate, qnod
bonum est, tenete, oder: Sed si adiutorio Domini adhibeatur
cautela, nequeunt ejus nocere venenosa. So kommt es,
dass er auch sonst anrüchige, ja sogar ketzerische Schrift-
steller empfiehlt, z. B. neben Origenes,^) den Donatisten
Tychonius und den Xovatianer Eusebius. Und wenn er
auch ihre kirchliche Stellung kennzeichnet, oder ihre Schriften
purgiren lässt, bei anderen durch Bemerkungen das An-
stössige neben dem Guten bemerklich macht, er verbietet
sie doch nicht. Andere Schriften, welche in der gelasianischen
Decretale unter die Rubrik der Ketzer und Schismatiker
gesetzt und als zu meiden bezeichnet werden, wie Victorinus
von Pettau, werden ohne jede tadelnde Bemerkung empfohlen.
Und ebenso beruft er sich (expos. in psalm. 101, Opp. Tl.
350) auf den nach der gelasianischen Decretale von Häretikern
verfassten und deshalb verbotenen Physiologus.
Aber auch sonst finden wir überall die Schriftsteller in
Widerspruch mit der Decretale. So heisst es in dieser sehr
scharf über den Todestag des Apostels Paulus: qui [non
diverso, sicut haeretici garriunt, sed] uno tempore, uno
eodemque die gloriosa morte cum Petro in urbe Roma sub
Caesare Nerone agonizans, coronatus est. Allein schon
Langen (II, 192) hat daraufhingewiesen, dass, wie Prudentius,
Peristeph. XII, 3. 21 beide Apostel zwar au demselben Tage,
aber nicht in demselben Jahre sterben lasse, so auch der
römische Subdiakon Arator Act. II, 1247 noch in der Mitte
aut discordans Patrum regulis contigerit inveniri, vitandum esse
judicemus. Oi-igo enim saevissimi erroris est in suspectis auctoribus
amare totum, et sine judicio defendere velle quod invenis; scriptum
est enim: Omnia probate, quod bonum est tenete. Vgl. übrigens
auch Gelasii tractat. IV., Thiel p. 559.
1) Gerade die Geschicke der Schriften des Origenes behandelt
Cassiodor c. 2 (II, 510) ganz ausführlich bis auf P. Vigilius, aber
kein Wort von Gelasius oder Hormisdas.
1SS8. Philos.-philol. u. hist. Ol. 1. 6
82 SitZKHji der liistor. Clnfibe mm 7. Januar 18S8.
des 6. Jiilirlnin(1(M-ts die gleiche Ansicht ausspreche. Man
kann hinzufügen, dass von Arator berichtet wird, er habe
mit Genehmigung des P. Vigilius sein Gedicht öffentlich
vorgetragen, und dass auch Gregor. Turon., miracnl. I. 29
bis auf den Ausdruck mit Arator übereinstimmt, wobei ich
jedoch bemerke, dass die im Texte eingeklammerten Worte
in der Vorlage, der „grösseren Vorrede", nicht stehen.
Endlich verbot die Decretale auch umsonst Probae Conto:
dersell)e wurde trotzdem sehr häufig abgeschrieben und sehr
fleissig gelesen.^)
Doch kommen wir jetzt zu einer noch merkwürdigeren
Erscheinung, nämlich zu der, dass auch P. Gregor I. sich
nichts um die angebliche Decretale kümmert und ebenfalls
den Physiologus benützt, eine Erscheinung, welche noch
heute theologische Schriftsteller beunruhigt. So z. B. Pitra,
der meint, dass zur Zeit Gregors, nachdem der Erdkreis
erneuert war, der alte Aberglaube nur noch lächerlich er-
schien und das Anatheraa der gelasianischen Decretale ge-
mildert werden konnte.*) Das mag ja für die Theologie aus-
reichen, welche sich um die Geschichte nichts kümmert;
für diese steht vielmehr das Gegentheil fest, dass, wie die
übrigen Schriftsteller der alten Zeit, so auch Gregor I. eine
päpstliche Decretale de recipiendis et non recipiendis libris
nicht kannte und darum auch nicht zu mildern hatte.
Erst Isidorus Hispalensis verräth, wie schon Thiel (p. 468.
n. 78, auch Schenkl p. 51(3j bemerkt, eine Kenntniss un.serer
angeblichen Decretale, indem er von der Schrift: Centoneni
de Cliristo Virgilianis compaginatuni versibus apocry])hum,
bemerkt: (piod tarnen opusculnni legitur inter apocryphas
scripturas insertuni (de vir. ilhistr. c. U). Dagegen kennt
1) I'rol)ae Centn, cd. f. Schenkl im Corp script. cccl. Vindobon.
XVI. 1, 516.
2) Pitra, Spicilegiuni Solesni. III. \>. I-\IX.
Priedrich : lieber die Uiiächthcit der Decretale etc. 83
sie die Collectio canoiuim ecclesiae Hispana in ihrer ältesten
Form geu'en das Ende des 7. Jahrhunderts noch nicht und
wird sie erst später als Decretale des Hormisdas, aber auch
da nach Gregor 1. nachgetragen (Credner S. 164). Credner
will dann die nächste Spur bei Aldhelm (080 — 709) ent-
decken (S. 162 f.). Sicher steht aber jetzt nach Delisle's
Untersuchung, dass die Decretale um die gleiche Zeit im
Fi'ankenreiche bekannt war, sowie dass eine Anzahl von
Handschriften des 8. Jahrhunderts sie enthalten (Thiel, Mo-
nita praev. p. 54 f.) Zum erstenmal ausgiebig wird sie
dann theologisch in den libris Carolinis verwerthet.
Wenn also meines Erachtens nicht gesagt werden darf,
dass unsere Decretale ein Erlass des Gelasius oder des Hor-
misdas sei, so möchte ich doch nicht behaupten, dass das
Schriftstück nicht in jener Zeit verfasst Avorden sei. Dieses
trägt so sehr den Charakter derselben, dass es spätestens
um die Zeit des Hormisdas entstanden sein muss. Langen
(H, 292) vermuthet: „Die Anfrage des Possessor scheint
die Veranlassung gewesen zu sein, weshalb gleichzeitig mit
der Beantwortung derselben die Decretale des Gelasius über
die canonischen Schriften, die Autorität der petrinischen
Stühle und die Orthodoxie oder Verwerflichkeit der vor-
handenen kirchlichen Literatur erneuert wurde, nicht ohne
einige bemerkenswerthe Aenderungen". Ich möchte den
Gedanken nicht ganz verwerfen. Allein mir scheint, dass
nicht durch Hormisdas selbst, sondern infolge des Streites der
Abendländer mit den scythischen Mönchen über B. Faustus
von Kiez das angebliche Decret als eine Privatarbeit
entstand. Und vergegenwärtigen wir uns nochmals die
Antwort des Maxentius auf ep. 124 des Hormisdas: Nam
quum de ipsis libris, non utrum legendi sint, sed utrum sint
catholici, vertatur quaestio, ille (sc. Hormisdas) non de ipsis
quid sentiendum sit, sed eos quamvis non in auctoritate
habendos, tarnen legendos esse decernit: so scheint mir hier
6*
84 Sitzung der liistor. Classe nom 7. Januar 1888.
das Schema für das Schriftstück angegeben zu sein. Es
werden in auctoritatem recipirte Bücher angenommen, und
dies entspricht in der angeblichen Decretale dem, was von
den ökumenischen Synoden und den von ihnen in auctoritatem
recipirten Vätern gesagt ist (c. 4. 5); dann katholische
Bücher, worauf sich c. 5 der Absatz bezieht: Item opuscula
atque tractatus omnium orthodoxorum patrum . . . legendos,
decernit; und endlich schreibt Maxentius dem Hormisdas
ein Urtheil zu, ob die Schriften des Faustus zu lesen oder
nicht zu lesen seien, und deutet damit, im Gegensatz zu
Hormisdas Schreiben, an, dass es auch nicht zu lesende
Bücher gebe, und diesem wurde der Verfasser des Schrift-
stücks gerecht unter c. 6 mit der Ueberschrift : Notitia
librorum apocryphorum, qui non recipiuntur (weder in auc-
toritatem noch in catholicitatem), wenn dieses c. 6 nicht
überhaupt ein späterer Anhang ist, da nach der Aufzählung
der in catholicitatem recipirten Schriften es heisst: Cetera,
quae ab haereticis sive schismaticis conscripta vel praedicata
sunt, nullatenus recipit catholica et apostolica Koniana ec-
clesia, und es wie ein späterer Zusatz klingt, wenn dann
fortgefahren wird: E quibus pauca, quae ad raemoriam
venerunt et a catholicis vitanda sunt, credidimus esse sub-
denda.
Vielleicht köiinen wir die Zeit der Abfassung aber doch
noch näher bestimmen. Wenn nämlich meine Vermuthung
richtig sein sollte, dass wir in der ersten Abtheilung der
Väterschriften des c. 5 der Decretale die von den Concilien
von Ephesus und Chalcedon in auctoritatem recipirten zu
sehen haben, so fällt es auf, dass sie gerade die Päpste
Felix I. und Julius I. wegliess, die doch zugleich mit den
übrigen Vätern von CyriHus von Alexandrien, Vincentius
Lir. und Marius Mercator angeführt und gerühmt werden.
Allein gerade in Bezug auf sie, von denen zudem weitere
dogmatische Schriften nicht vorhanden waren, hatte sich
Friedrich: lieber die Unächtheit der Decretale efe. 85
seitdem eine merkwürdige Wandlung zugetragen. Schon
Gennadiiis spricht von einem Briefe des Julius I. an einen
Dionysius, von dem er zu behaupten sich gezwungen sah:
quae illo quidem tempore utilis visa est adversum eos, qui
ita duas per incarnationera asserebant in Christo personas,
sicut et naturas, nunc autem perniciosa probatur (de scriptor.
eccl. c. 2), Er war inswischen Julius unterschoben worden.
Bald aber stellte es sich auf dem Religionsgespräch zu
Constantinopel 533 heraus, dass sich die Severianer gerade
auf die in Ephesus approbirten Schreiben der beiden Päpste,
als ob sie ihre Lehren enthielten, berufen konnten, da so-
wohl das Fragment des Felix als das des Julius zu mono-
physitischen Bekenntnissen erweitert worden waren. ^) Ob-
wohl nun sogleich Hypatius von Ephesus darauf hinwies,
dass hier ein Betrug vorliegen müsse, so war man doch,
wie noch die Untersuchung des Leontius und die Aeusserung
des Facundus zeigen, darüber sehr betroffen. Ausser den
Fragmenten in den Akten des Concils von Ephesus, über
deren Herkunft man ebenfalls nichts weiteres wusste, als
dass sie von Cyrillus von Alexandrien producirt wurden,
konnte man aber nichts entgegensetzen. Es mochte daher
am gerathensten scheinen, beide Päpste, obwohl sie von
dem Concil von Ephesus in auctoritatem recipirt waren,
fallen zu lassen, und diese Wendung scheint mir in c. 5
der Decretale zum Ausdruck zu kommen. Diese würde dann
als Privatarbeit und im ersten Entwürfe erst nach dem
J. 533 entstanden sein, und dadurch würde auch wieder
ihre eigenthümliche Geschichte begreiflich.
1) Dieselben sind jetzt bekannt geworden, das des Felix durch
Zingerle, Monum. syr. I, 2 mit Adnionitio p. 9 f. u. II, 1 tt., das des
.Julius durch Lagarde, Anal. syr. p 67 sqq. und dessen Titus Bostrenus
p. 114 sqq. Ueber die Unterschiebung Langen I, 366 ff. 459. Cou-
stant ep. Rom. Pont. p. 293 ff. u. Append. p. 57 ff. konnte natiiilieh
den Vorgang noch nicht ganz durchschauen.
8b Sitzinni der histor. (Hiisse roiii 7. Jaiumr lüSS.
lieber die Entstehunof der Heberschrift: Decretalis . . .
qui scriptns est a Gelasio papa cum LXX viris eruditissimis
episcopis in sede ap. urbis Romae oder ähnlich, wage ich
nichts Bestimmtes zu sagen, nur die Vermuthung darf ich
vielleicht aussprechen, dass die Behauptung des Hormisdas,
nur patrum examen, das auf einem Concil vorzunehmen sei,
könne Schriftsteller in auctoritatem recipiren oder nicht re-
cipiren, zu der Erfindung der Ueberschrift Veranlassung ge-
geben habe. Ein grosses Gewicht braucht man übrigens
auch auf die Ueberschriften erdichteter Schriftstücke nicht
zu legen. Sind uns doch in diesem Vortrage zwei ganz
ähnliche Fälle begegnet. Der Verfasser der „grösseren
Vorrede" lässt seine Erfindung von dem römischen Primat
und den drei petrinischen Stühlen einfach „nicänische Regeln"
sein und diese wieder von der römischen Kirche annehmen
und bestätigen; die handschriftliche Ueberschrift aber heisst:
Incipiunt canones concilii Roniani sub Sylvestro papa. In
unserer Decretale hingegen treten dieselben „nicänischen
Regeln" unter dem Namen des Gelasius auf. Den zweiten
Fall bildet das Concilium Nicaenum XX. episcoporum (oben
S. 69). Die angeblichen Canonen desselben sind al)er nichts
anderes, als eine kürzere Recension der sardicensischen.
Gleichwohl werden sie einem nicänischen Concil von 20
Bischöfen zugeschrieben, das nie stattgefunden hat, und will
man glaubhaft machen, dass sie sich in den griechischen
Exemplaren des nicänischen Concils nicht finden, sondern
nur in den lateinischen.
Herr v. Riehl l)enchtete über seine gemeinschaftlich
mit Conservator Dr. Hugo Graf angestellten Untersuchungen
über die Brautkrone der polnischen Prinzessin Hedwig. Ge-
mahlin des bayerischen Herzoges Georg des Reichen.
Der Vortrag wird später veröffentlicht werden.
87
o
Pliilosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 4. Februar 1888.
Herr Weck lein hielt einen Vortrag:
„Ueber fragmentarisch erhaltene Tragödien
des Euripides."
1. Andromeda.
Die durch verschiedene Behandlungen des Gegenstandes
gewonnenen Resultate können wir nur in wenigen Punkten
ergänzen; aber wir denken, auch das Wenige wird bei einer
so herrlichen Dichtung, deren Verlust im höchsten Grade
bedauerlich ist, einigen Wert haben.
Dass die Klageanapäste der an den Felsen geschmiedeten
Andromeda den Anfang bildeten und kein Prolog vorausging,
muss feststehen. Dass die Echo als Person auftrete und den
Prolog spreche, hätte nie behauptet werden sollen. Es kann
nicht etwa demjenigen, der Andromeda angeschmiedet hat,
der Prolog gegeben werden; denn nach den Worten (114)
(.u vv^ uoa,
(ijg ua/.Qov hc7itiua dtor/.eig
doT£Qoeidta vcoia ÖKfoeiovo'
aid^iQog legäg
rov OEf-ivoräiov 6C 'Olv(.t7cov
hat Andromeda bereits eine lange schreckliche Nacht an)
Felsen duichwacht. Andromeda müsste selbst den Prolog
88 Sitzi(H[i der jjhilos.-jiltilul. Ülas.sc vom 4. Febniav lüSS.
gesprochen haben ; nach einem langen Berichte aber wäre
das Ausbrechen in die Klage (o vc^ ieqo /.le- unnatürlich.
Der Schol. zu Aristoph. Thesni. 10(35 bezeichnet das Frag-
ment als rov jcQoXoyov zr^g !Av6Q0f.iidag eloßoli] und was
eioßoly^ bedeutet, lehrt z. B. der Schluss dei- ersten Hypo-
thesis zur Medea : hiaivelraL de tj eloßoXrj öid zö naOrj-
Tixwg ayav e'xeiv /.al r) sns^SQyaola ,.///yd' sv vä/raiai^^ /.al
Ttt £^»jg. Darnach bezieht sich eloßoXrj recht eigentlich auf
den ersten Vers des Dramas. Dies heisst sloßolrj auch bei
Strabo XIII p. 616; denn wie Pauw gesehen hat, gehört
die dort aus den Myrmidonen des Aeschylus citierte Stelle
(xaTG Tr]v eloßoXr^v rot ev MvQimdoai nqoXoyov) zu den
MiOül. Der unrichtigen Auffassung folgt auch Meineke,
wenn er zu fr. 1 der Leucadia des Menander xara ^r^v eio-
ßoh)v proximo post prologuni loco erklärt. Vgl. ausserdem
Fedde de Perseo et Andromeda p. 17 sqq.
Das Spiel mit dem Widerhall^) konnte der Dichter
nicht etwa in den weiteren Gesängen fortsetzen, wenn es
nicht unerträglich werden sollte. Schon daraus ergibt sich
das Irrige der Annahme von Welcker, dass Perseus vor dem
Chore aufgetreten sei ; denn bei der Anrede der Echo in
fr. 118
jiQOOavöa) OB rdv tv avzQoig,
dnoTvavoov iaooi\ ^-
yo'i^ fxe ovv (fiXaioiv
yöov rröd^ov Xaßelv
ist der Chor bereits gegenwärtig. Perseus tritt nach der
Parodos auf und unterredet sich zuerst mit Andromeda (123.
124. 127. 125. 126. 128—130).
Man streitet darül)er, ob das Meerungeheuer auf der
Bühne sichtbar geworden sei oder nicht. Welcker S. 652
II Bei ffFiQtp' in fr. 116 nolai /.ißdfieg, Jtoia OFintp' denkt natür-
lich Andromeda nicht an sich, sondern an die Echo.
Wecklein: Tragödien des Euripides.
89
meint, es sei zunäclist als Dekoration in unbeweglicher Ruhe
sichtbar gewesen und C. Robert, Maskengrnppen Archäol.
Zeitung 1878 S. 18 nimmt in ähnlicher Weise an, ilass
Perseus plötzlich das nahende Ungetüm erblickt habe. Ihn
bestimmt dazu einerseits ein Wandgemälde in Pompeji (ebd.
Taf. 3), auf welchem links die Maske des Perseus, rechts
oben am Felsen die der Audromeda, unten zwei Masken, die
des Kepheus und der Kassiepeia, wie Robert meint, in der
Mitte der Kopf des y.}]Tog dargestellt ist, andrerseits fr. 134
OQiö de TTQog ^f^g rragi^evor d^oiva/iiara
xjjrog ^occLov eE. l4xXavTiy.r^g dXog.
Dabei ist übersehen, dass bei Tiberios ^teqI oxr^f-tärcov Rhet.
VIII p. 57(5 das Fragment als Beispiel für die Vertauschung
der Tempora des Yerbums citiert ist (oqÜ) . . dvzi lov eidov).
Die Worte müssen also aus einem Botenbericht stammen.
Wenn dem Wandgemälde überhaupt ein Gewicht beizulegen
ist, so kann man sagen, dass der Maler seinen Zwecken ent-
sprechend handelte, wenn er zur Ausfüllung der Lücke den
Kopf des Ungetüms anbrachte, welchem in dem Drama ein
lauerer Bericht gewidmet war.
Für den weiteren Verlauf der Handlung interessiert uns
besonders die Frage, welche Rolle Phineus, der Verlobte der
Andromeda, spielt und ob Kepheus an der Hinterlist des
Phineus teilnimmt, also auch die Katastrophe teilen muss.
Für die Entscheidung dieser Frage ist es von Bedeutung zu
beobachten, dass sich die Erzählung des Ovid Metam. IV
662 ff. in verschiedenen Punkten eng an die Fragmente des
Euripides anschliesst. Aus IV 673
nisi quod levis aura capillos
Moverat et tepido manabant flumina fletu,
Marmoreura ratus esset opus
kann mau die Ergänzung zu fr. 124
90 Sitztiiit/ der ijhilos.-jiliilol. CUisse 1:0111 4. Februar 188b.
t'a, r/v' oyß-ov tovJ' oqu) jieqiqqvtoi'
a(pQ(iJ i^aloodi^g; :iaQi)tvov t' ei/.a riva
F^ avTOj^iOQCfiov Xatviov Tvy.ioinaTWv^)
ooffyfig ayahf-ia xeiQog
entnehmen. Denn auch hier mnsste die Fortsetzung^; lauten:
„nein, es bewegen sich die Haare und Thränen rinnen über
ihre Wangen". Auf die Frage des Perseus, wer sie sei, wie
das Land heisse und warum sie gefesselt sei, schweigt sie
zunächst: primo silet illa nee audet appellare viruni virgo
((581 f.). Von diesem Schweigen spricht fr. 127
Gtyäg' oiw;i rj d' ottoqoc f-Qi-np'evg Xoycov.
Auch die Frage nach dem Namen des Landes weist auf
fr. 123 10 i^Eol, ilv' sig yrjv ßagßciQWv dcplyi-ie^a hin. Die
Schilderung des Kampfes mit dem Ungeheuer 706 ff. erinnert
an Euripides durch die Vermittlung der Fragmente der An-
dromeda des Ennius (IV — VIII). Von dem Gastmahl der
vornehmen Aethiopier : Cepheni proceres ineunt convivia regis
(764), ist in fr. 136 die Rede:
0/ y.ai' ol/.ov d(.icpl dalra /.al zgä/rs^av rjf.tEV0f.
Und wenn bei Euripides die dritte S])ende. welche dem Zeus
Soter galt, als releiog bezeichnet war (fr. 137), so hiess es
offenbar in dem Bericht, dass eben in dem Augenblicke, wo
Kepheus die Tischgesellschaft aufforderte, dem rettenden Zeus
den Weihetrunk zu l)ringen, der Ueberfall des Phineus er-
folgte, wie Ovid erzählt (V 5): inque rejientinos convivia
versa tumultus etc. (jiewöhnlich legt man fr. L38
vsoTTjg /<' LiriQe /.ul ilQaaoq toi vor jiXtov
dem Perseus in ilm Mund. Kr würdf damit sein Unter-
nehmen gegen die Medusa als i'in unbesonnenes Werk jugend-
1) D. i. „aus dem natürlichen Felsen herausgehauen"
Weclh'in: Tranöflicu dex Euripifleti. ^'
lieher Verwegenheit bezeichnen.^) Abgesehen davon, dass
Perseus nicht anf eigenen Antrieb das Abenteuer bestand,
wird der Held nicht in so verächtlicher Weise von der rühm-
lichen That .sprechen. Ganz, anders lauten die Worte des
Perseiis in fr. 147: er/Aemv 'ilaßov ov/. avec nolhöv novojv.
Weit passender sind die Worte, wenn Phineus, im letzten
Augenblicke für sein Leben bittend, sie als Reuebitte spricht,
wie er bei Ovid ruft (V 218): Tolle, precor. Non nos odiuni
regnique cupido Compnlit ad bellum: pro coniuge movimus
arma.
Diese Beobachtung, dass Ovid sich eng an Euripides
anschliesst, soweit bei Ovid von einer solchen Nachahmung
die Rede sein kann, ist uns besonders wertvoll für die sichere
Deutung des fr. 142
lyw dt na'iddQ oi'/. ho vöi/oug Xaßeiv.
Twv yvr^oicüv yccQ ovdev ovreg ivdeelg
rof-iio voooioiv' o 0€ (fvXd^aoi^ai ygetov.
Matthiä bemerkt dazu: verba esse videntur alicuius qui
Cepheum a filia cum Perseo matrimonio iungenda deterrere
cupiebat. Ebenso legen Fritzsche Aristoph. Thesmoph. p. 504
und Härtung Eur. rest. II p. 356 die Worte dem Phineus
in den Mund. Welcker (S. 600) lässt Kepheus die Worte
an seine Tochter richten. Robert (S. 19) sieht darin einen
Vorwurf, welchen Kepheus dem Perseus macht. Nach der
Annahme von Ribbeck Rom. Trag. S. 172 macht gar Per-
seus damit seiner Geliebten Vorstellungen, da 'er Wert darauf
lege, durch Zustimmung der Eltern Andromeda als legitime
Gattin zu gewinnen. Die Worte o ae cptXäBaoO^at yoEiov
eignen sich am besten für eine Mahnung, welche Phineus
1) Von Schwungkraft der .Iuf,'end, von welcher 0. Ribbeck
Die Rom. Trag. S. 170 spricht, ist in den Worten nicht die Rede.
Wie gar E. Johne, Die Andromeda des Eurip. Landskron, 1883
S. 11 darin ^jugendliche Kraft, gepaart mit Besonnenheit" finden
kann, verstehe ich nicht.
92 Sitziuifi der philot>.-plüU>L Classc vom 4. Febritnr 18SS.
dem Kepheiis erteilt. Dass aber die Rede von Bastarden vor
allem dem Phineus zukommt, beweist Ovid V 11, wo Phineus
dem Perseus 'znruft:
Nee mihi te pennae nee falsum versus in auruni
Juppiter eripiet.
Pliineus hat natürlich vor allem Ursache, die Abstammung
seines Nebenbuhlers von Zeus als eine Lüge zu erklären.
Uebrigens bezieht sich Ttaldag voS^ovg auf die zu erwartenden
Enkelkinder des Kepheus, nicht etwa direkt auf Perseus.^)
Das zeigt die folgende Begründung, welche auf athenische
Verhältnisse und die Stellung der vo^oi einen Seitenblick
wirft. Die Verhandlung zwischen Kepheus und Phineus Avird
bestätigt durch fr. 143
XQVGOv i-iaXiOTa ßovXoinai öofxoig tyeiv.
y.ai doi'/yog wr ydo iij-iiog jiXovttöv aiijQ-
(Xev^eqog di XQsTog tov oidiv od^tvEi.
yqvoov vofxiU oavxov uvey,'' eirvyieiv.
Welcker bemerkt hiezu: „Kepheus fordert einen reichen
Eidam und setzte das Glück in königliche Schätze". Ge-
wöhnlich wird das Fragment dem Kepheus gegeben, wie die
Ansicht eiuer Sinnesänderung und eines Wortbruches des
Kepheus vorzugsweise auf diesen Worten beruht. Nun weist
schon der Ausdruck darauf hin, dass fr. 141
ygrii^aoiv yaQ evTvxöJ'
Talg üi'UffOQalot d\ (og oQag, or/. evtvyiu.
der gleichen Gedankenentwicklung angehört. Diese Worte,
welche in Gegenwart der angefesselten Andromeda gesprochen
sein müssen, können keinem anderen als dem König zu-
konunen. Es ist aber klar, dass eiu und dieselbe Person
1) Die üebersetzun«,' von Fritzsche (S. 504): ego autem nothos
veto filiorum loco accipere, ist schon mit der Stollunff der Worte
unverträfjlich.
WeckJciii: Triujod'u'ii des Uuripides. 93
nicht beide Aussprüebe tliiiii kann. Selbst wenn man an-
nehmen wollte. Kepheus habe vor der Befreiung der An-
drouieda fr. 141 zu Perseus gesagt, ist es ganz unpassend,
nach der Lösung denselben Kepheus die Zurückweisung des
Perseus in die Worte von fr. 143 kleiden zu lassen. Vor
allem aber ist auch die Auffassung, welche Welcker von
XQiOov eive/.a hat, ebenso unrichtig wie die von ihm als
undeutlich bezeichnete Erklärung des H. Grotius: hoc te
beatum crede quod rem possides. Die Worte können nur
bedeuten: „Soviel auf Gold ankommt (was Gold anbelangt),
glaube dass du glücklich bist". Dieser Gedanke scheint in
keinem Zusammenhang mit dem Vorhergehenden zu stehen,
we.shalb Musgrave den vierten Vers von dem übrigen Bruch-
stück losgetrennt hat. Fritzsche (a. 0. S. 504) bringt hier-
nach die beiden angeführten Fragmente in folgenden Zu-
sammenhang:
Kriq>Eig. yQVöov udXiOTa ßovlojiiai öo/iioig k'^EU'.
Y.cil öovXoQ lov ydo rijuiog tjXoutmv driiQ,
sXevd-EQOg de xgelog wv ovdiv oiferei.
negoeig. xqvoov vöf.iiC.e ouviov eive/.^ evtvyßlv,
<(7t»' EVTiyoivTL > yot^i-iaoiv ydq EiTtyio,
laig Gvi.i(poQuioi ö\ wg ogag, ovy. EiTvyw.
Wie Perseus eine solche Rede führen soll, ist unverständ-
lich. Härtung gibt die drei ersten Verse dem Phineus,
mit yQvoov vÖlilQe oauiov eive/.' EvxiyE~iv lässt er den Kepheus
erwidern. Fr. 141 dagegen hat Härtung in einen ganz
anderen unmöglichen Zusammenhang gebracht. Abgesehen
davon versteht man nicht, inwiefern Kepheus den Phineus
' wohlhabend nennt. (Gerade die ursprüngliche Gestalt von
fr. 143 gestattet luis. diese beiden Bruchstücke in den ge-
wünschten Zusammenhang zu bringen; denn dann ist der-
jenige, von welchem Reichtum ausgesagt wird, ein und der-
selbe. Man muss sich nur fr. 143 im Zusammenhang einer
94 Sitzung der pliiJns.-pliilol. Clnsse row* 4. Februar 18S8.
längeren ^'~ff/c denken uml darf die Worte xQraop (.laXiota
ßorkof-iai düiLioig tyeiv niclit zn eng auffassen. Phineus —
denn nur dieser, nicht etwa Perseus, kann dem Kepheus
gegenüber die Macht des Reichtums riUnnen, da Perseus
natürlich der ideal gesinnte Held ist — Phineus also sagt:
„Nach meinem Grundsatze ist Ileichtum das Erstrebens-
werteste und Höchste ira Leben ; denn der Reichtum be-
stimmt den Wert des Menschen. Was Reichtum anbelangt,
ist's mit deinem Hause wohlbestellt ". Er kann etwa fort-
fahren: „Du darfst aber den Schmuck deines Hauses nicht
dadurch zugrunde richten, dass du deine Schätze in die
Hände eines armen und heimatlosen Fremdlings gibst". In
seiner Gegenrede erwidert darauf Kepheus: „Allerdings ist
es mit meinem Reichtum wohl bestellt, aber nicht, wie du
siehst, mit meinem Glücke. Was helfen mir die Schätze,
wenn ich die Tochter verliere?" Wir sehen, wie in fr. 142
und 143 Phineus dem Kepheus gegenüber sich als weiser
Berater geberdet. Das sprechendste Zeugnis für eine solche
Streitrede des Phineus und Kepheus ist fr. 14')
ji/rj Tov tj-iov oi/.u rui'V, i-yw yao aQXfOio^
womit Kepheiis die aufdringliche VV^'isheit des IMiineus ab-
wehrt. Nur zu einem Nahestehenden, nicht etwa zu Perseus
kann Kepheus solche Worte sprechen. Zugleich zeigt uns
dieses Fragment recht deutlich, welche Richtung das Zwie-
gespräch nimmt und dass es dem Phineus nicht gelingt, den
Kepheus auf seine Seite zu bringen.
Aus dem Gesagten ergeben sich zwei für die Entwick-
lung der Handlung wichtige Punkte. Einmal sehen wir,
da.ss der Befreiung der Andromeda eine Scene vorherging,
in welcher Phineus den Kepheus zu bestimmen suchte, den
Perseus mit der Forderung der Hand der Andromeda al)zu-
weisen. Phineus spielte demnach eine Rolle in dem Stücke
und wenn von dt'ii zwei Masken, welche auf dem Pompe-
Wechleln: TnuiöiUcn den Eiiripides. 9ü
l'ünisclien WiinHt^eiiiiiltle rechts unten angebracht sind, die
eine wirklieli weiblich ist, die Maske des Phineus also fehlt,
so kann da> nni so weniger Eindruck machen, als ebenso
die Maske der Athena fehlt, wel-che man nach Eratosth.
KatiLst. 15 mit Hecht am Schlüsse als deus ex machina auf-
treten lässt. Auch die Rücksicht auf die dramatische Oeko-
numie legt die Forderung nahe, dass der üeberfall des
Phineus durch einen vorhergehenden Auftritt vorbereitet werde
und nicht unvermittelt und jilötzlich erfolge. Nachdem
Phineus vergeblich versucht hat. die Braut durch Leber-
redung zu gewinnen, sucht er durch Gewalt sein Ziel zu
erreichen. Die Art seines Auftretens, wie es in den vorher
behandelten Fragmenten angedeutet ist, passt zu dem eigen-
mächtigen und brüsken Wesen, welches ein solcher Üeber-
fall voraussetzt {veoir^g /Mi ^gäoog). Noch grössere Bedeu-
tung hat das zweite Ergebnis, die Unschuld des Kepheus.^)
Wir wissen jetzt, dass die Darstellung in Hygin f. (34 „quam
cum abducere vellet, Cepheus pater cum Agenore, cuius
sponsa fuit, Perseum clam interticere voluerunt'' nicht auf
Euripides, sondern eher auf Sophokles zurückzuführen ist
und da.ss die Erzählung des Ovid im wesentlichen nicht von
der Euripideischen Dichtung abweicht. Dass Kepheus bei
Euripides am Leben bleibt, scheint bestätigt zu werden durch
Erato.sth. Katast. 17 otoO^e'toa t/ro rot IlEQatojQ oi-/ eiXeio
T(7) naiQi atuutvEiv ordV if^ lojQi, oAA' ai >')^ai'Qeiog tig to
'^Q'/OQ a:n^'ki}E f.tET'' r/.eiroi . '/Jyei di y.ai EuQi/n'6ijg oaqiug
^r TO) U6QI aiTiig ytyQauuH('j dooj.iaTi. Vgl. Hygin Astron.
1) Auf das tragische Ende des Kepheus bezieht Ribbeck a. 0.
S. 174 fr. 1.52. Aber die Worte o ukr o/.ßiog /}»-, to «5' djrfxovifEv
ÜEog iy.ei'rcov röjy Ttoie /.au-iocor sind uns so wenig verständlich, dass
nicht das Geringste daraus geschlossen werden kann. Gewöhnlich
schreibt man mit Valckenaer rov d' und mit Grotius ix xelvoiv, F. W.
Schmidt vermutet rov 8' eooni'sv &e6g ex xTsävon'. Aber bei o ,"f)' •
xov di erwartet man einen Gegensatz.
96 Sitzirnq der philns.-phUol. Clafsse row 4. Febntr,r 18S8.
IT n, schol. Germanici p. 78 Br. Wie bei Ovid V 179
vultns avertite vestros, si qnis aniicus aclest, mochte ebenso
bei Euripides Perseus dem Kepheiis und den (Genossen des-
selben zurufen.
Aucli im Drama des Euripides rausste Phineus der Ver-
lobte der Andi-omeda sein. Nur so haben die Ansprüche des
Phineus ihre Berechtigung (Ovid V 220 causa fuit meritis
melior tua, tempore nostra) und ist das Eingreifen desselben
nicht zufällig und willkürlich. Ueberhaupt hatte der Dichter
die Katastrophe von Anfang an vorzubereiten, durch die
Rechte des Phineus also von vornherein den Konflikt anzu-
bahnen. Wenn demnach Kepheus in der Not des Augen-
blicks dem Perseus seine Tochter versprach, so durfte er das
nicht ohne Bedenken thun. Auf diese Bedenken des Königs
weist vielleicht fr. 146 hin:
T] 710V TO [xilXov e.y.(poßfi xoci?-' rifxiqav '
log Tov ys jcäoyeiv xovnidv /.leJ'Cov Kay.ov.
Mau könnte in diesem Fragment cog tov naQovrog rovinov
fAÜLov y.av.öv schreiben, um das überflüssige und störende ye
zu beseitigen. Aber eben dieses ys, welches in der Erwide-
rung steht, wenn eine Frage bejaht und die Bejahung näher
bestimmt wird, ist ein Kennzeichen, dass die zwei Verse an
zwei Personen zu verteilen sind, also wenn unsere vorher
dargelegte Annahme richtig ist, so:
fleQoevg. r] nov lo (.liXkov h.cpoßfj y.a!}'' rj/Lugav;
Ki](fEvg. wg tov ye rrdaxeiv rovrriöv f.iElQov y.aY.6v.
Nachdem sich uns das Verhältnis des Kepheus zu Per-
seus geändert hat, können wir nicht mehr fr. 148
CO rAi^jUOv, ivg aol zag xvyag ^itv aoO^erdg
i'öojy'' 6 6aif.wjv, (.teya (fQovovai d' oi loyoi
den Kepheus an Perseus richten lassen. Sind die Worte
wirklich an Perseus gerichtet, so könnte sie nur Phineus
Wecllein: Triuiödlen ilefi Euripides.
97
gesprochen haben. Ich kann aber an einen solchen Anftritt,
in welchem die beiden Nebenbnhler sich gegenüber treten,
nicht ghinben, weil Zeit und Gelegenheit dazu fehlt. Dass
fr. 1:^9
tQOJxa ÖEirov tyouev h. de ron> ^oycov
sXov Tcc ßü.TiaO-\ log a.isiOTOv eor' iQiog
•/MV Toj /.QarioTio vcov cpgeviov dqxuv (filel
der Andromeda angehört, darf man aus fr. 140
oaoi yaQ slg egiora rrimovoiv ßgoxiov,
eo^liov orav tiyojoi xiov fQiof.ienov,
OL-/. t(Ti!l' 6/roiag keirtEiai rud' 7\öov7]g
schliessen. Auf diese vertrauensvollen Reden der Andromeda
(/t/f'/a (pQOvovoi d' oJ Xöyoi) scheint Phineus mit fr. 148 zu
erwidern.
Hiernach können wir ungefähr folgenden Gang der
Handlung annehmen: Prolog, Andromeda (fr. 114 — 11(5).
Parodo.s: der Chor und Andromeda (fr. 117 — 122). Erstes
Epeisodion: Perseus und Andromeda (fr. 123. 124. 127. 125.
129. 12<j. 128. 130. 133). Kepheus und Ka.ssiepeia (diese
als stumme Person) erscheinen am Morgen, um sich nach
ihrer Tochter umzusehen (vgl. Ov. IV 691 genitor lugubris
et ima mater adest). Kepheus erkundigt sich nach den
Schicksalen des Perseus (fr. 131. 147) und sagt dem Perseus
seine Tochter zu (fr. 146 und Enn. Androm. fr. II). Nach
dem Gebete zum Eros (fr. 132) eilt Perseus davon, das Un-
geheuer zu bekämpfen. Chorgesang, dem fr. 153 angehören
kann. Zweites Epeisodion : Phineus und Andromeda (fr. 139.
140. 148). Phineus und Kepheus (142. 143. 141. 145).
Chorgesang. Drittes Epeisodion: Kepheus und Bote (134.
135). Perseus konnut zurück, lost Andromeda vom Felsen
und begibt sich mit ihr und Kepheus in den Palast zum
Festmahle. Chorgesang (fr. 136?). Viertes Epeisodion:
Botenbericht über den Ueberfall, welchen Phineus auf die
188S. Pbilos.-philol. u. liist. Cl. 1. 7
98 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 4. Fchniar 1888.
Festgäste macht, und dessen Untergang. Die Beschreibung
der plastischen Momentaufnahme, wenn man so sagen darf,
gehört gewiss dem griechischen Dichter, dem für die bildende
Kunst immer das lebhafteste Interesse bekundenden Euripides
an. Aus diesem Botenbericht stanmien fr. 137. 138. 149
und 150. Chorgesang (fr. 151. 152). Exodos.
Kepheus und Kassiepeia suchen ihre Tochter zum Bleiben
zu bewegen. Der Gegenrede der Andromeda gehört fr. III
des Ennius an :
A filiis propter te obiecta sum innocens
Nerei.
Der Streit wird geschlichtet durch Athena, welche den Wider-
stand der Eltern zurückweist und die spätere Versetzung des
Perseus und der Andromeda unter die Sterne vorhersagt
(Eratosth. Kat. 15).
Ob fr. 144 von Euripides herrührt, erscheint als sehr
zweifelhaft. Fr. 154 ist, wie Fritzsche (S. 510) gesehen hat,
in die Antigone zu setzen.
2. Bellerophontes (und Stheneboia).
Die Rekonstruktion der Handlung wurde früher teil-
weise irregeleitet durch fr. 326, welches ohne Zweifel der
Danae zugehört, und durch ein bei Stobaeus mit dem Lemma
EiQi;n'dof BekX£Quq>uvTr]g citiertes Fragment (670 N.)
(i't ;i(cy/.axiOTtj '/Mi yvvri' ci yaq Xf-yiov
f-ttiCdv oe Tord' oveidog f.iei7roi rig uv.
Meincke hat erkannt, dass eine solche Anrede in die Sthene-
boia zu setzen ist. Auch fr. 663 wird bei Stobaeus an einer
Stelle mit Evqi/uöov 2i)^eveßoiag, an einer anderen mit Evqi-
niöov BeXXegocfuvTiig angeführt. Die gleiche Verwechslung
berichtet zu Aristoph. Frie. 124 das Schol. des cod. Ven.,
wo fr. 665 citiert ist, o Xuyog tv. ^deveßoiag Evqi7tiöov '
Wecl-lei»: Traißdien des Euripides. ^^'
riiig 06 ol'oiTcti h. Be?leQ0fp6rT0v nagiodr^ad^ai. eOTi de tv
^IHveßoiq jiaqa nö TQctyr/.w uviiog. Die Meinung, dass die
Parodie des Aristophanes den Bellerophon tes des Euripides
im Auge habe, gründete sich auf die oberflächliche Erin-
nerung, dass auch im Bellerophontes ein Ritt auf dem Pegasus
vorkommt. Da sich die Töchter des Trygäos nach der Fahrt
erkundigen, die stattfinden soll, so kann sich die Parodie
nur auf die Stheneboia beziehen, in welcher naturgemäss
Stheneboia Näheres über die gefährliche Fahrt, mittels welcher
Bellerophontes sie entführen zu wollen vorgibt, erfahren will.
Die Worte 7TTi]v6g ;roQevoei, welche in der Stheneboia vor-
kamen wie bei Aristophanes, bestätigen diese Beziehung der
Parodie. Die Verwechslung der beiden Stücke, die bei dem
gleichen Helden Bellerophontes sehr nahe lag, scheint auch
bei fr. 307
■/.al ^earov oythor Java'iöiov edgaGtiaxcov
OTüq SV i-iaaoioiv ehre y.t]Qvy.iov <i'//o>
stattgefunden zu haben. Der Schol. zu Eur. Or. 872, welcher
über die Argivische Gerichtsstätte auf einer Anhöhe spricht,
führt das Fragment an mit den Worten rax« ö' av tovtov
xal £v BeXleQoqövrrj f.ivi]i.iovevoi ehnov. Wenn man zugibt^
was Welcker aus dem 15. Epigramm des Tempels in Kyzikos
schliesst, dass Glaukos, der Sohn des Prötos, als Rächer seiner
Mutter zu Bellero])hoii komme, kann man doch nicht ein-
sehen, wie Glaukos etwa im Prologe bei dem Berichte der
vorausliegenden Begebenheiten angeben soll, dass jemand auf
der Gerichtsstätte in Argos eine feierliche Verkündigung
habe ergehen lassen. Der allein passende Platz findet sich
für dieses Fragment in der Stheneboia.
Eine Hypothesis dieses Stückes ist uns in dem Scbolion
einer Handschrift des Gregorius von Korinth zu Hermogenes
neQL f.ieif6doi öeii'orr.Tog erhalten (Welcker S. 777). Nach
dieser kehrte Bellerophon nach der Erlegung der Chimära
7*
100 Sitzung der plülos.- philo!. Cldsse vom 4. Februar 1888.
nach Tirynth zum König Prötos zurück, tadelte diesen und
drohte Stheneboia aufzuknüpfen. Als er erfuhr, dass das
Weib ihm zum zweiten Male nachstelle, setzte er sie auf
den Pegasus und beim Kitt über das Meer liess er sie bei
der Insel Melos herabfallen. Fischer fanden die Leiche und
schafften sie nach Tirynth. Bellerophon kehrte zurück und
bekannte selber dem Prötos die That; er habe damit nur
die gerechte Rache für die doppelten Nachstellungen des
Prötos wie der Stheneboia genommen. Man hat die Worte
dieser Hypothesis (.la^cov (jyjv ywulxa zovy IIqoitov devre-
Qov s.Ti(^ßovlEvovöav avT(^y dahin verstanden, dass Sthene-
boia zum zweiten Male dem Bellerophon nach dem Leben
strebte. Eigentlich ist der Angriff auf das Leben des Helden
auch das erste Mal nicht von der Frau, sondern von Prötos
ausgegangen. Ein Schul, zu Aristoph. Frie. 140 gibt Folgen-
des an: doAsl o BeXleQorpovT r^q zrjv xov IIqoizov yvvaly.a (.tera
TTjv Trjg Xi/.iatQag dvaiQsaiv ETtaveXd-ojv slg KoQivifor ci/ia-
xr^oai tag f'^tuv yvvalxa /.al hiißißäoag rov Uijyaoov elg
(.itorjv glipai t)]v ^äXaooav. Wenn Stheneboia dem Bellero-
phon nach dem Leben strebt, in welchem Zusanunenhang
soll es dann stehen, dass Bellerophon sie unter dem Vor-
geben sie zum Weibe zu nehmen entführt? Der Zusanunen-
hang wird nur daim gewonnen, wenn Stheneboia zum zweiten
Male nacli der Liebe des Bellerophon strebt. Diese Auf-
fassung wird, mag die oben angenommene Ergänzung der
Hypothesis richtig sein oder nicht, bestätigt durch fr. GG7
jieoov de viv Xthjif^ev ovösv ey. x^Qog^
dlV evOvg avö^ ,,to5 Kogivdüo §ivc^''\
Weicker (S. 779) meint, die Amme der Stheneboia wolle ihre
Gebieterin vor dem (irimnie des Pegasusritters dadurch retten,
dass sie ilim die Zärtlichkeit beschreibe, womit jene nach
seiner Abreise sich um ihn geängstigt, oder wenn sie seinen
Tod befürchten musste, um ihn getrauert und sein Andenken
Wecklein : Tragödien des Euripides. ' '^ '
geehrt habe. Athenäos (X p. 427 E) führt das Fragment
an mit den Worten: rolg de TerelevT ii/.6oi riov cpihov ant-
vE(.iOv Tcc TTinxovTa rfjg rgocprjg diio tmv XQarie^wv. dio y.al
EiQuriöt]g rteql r^g ^i^evsßoiag (prjoiv, eneiSr^ voj-iitei i6v
BelXeqocpövTi^v red^vavai. rrsoov xx£.' und das Fragment be-
schreibt einen gegenwärtigen Znstand. Die Worte sind also
gesprochen von Jemanden, der von der Rückkehr des Beliero-
phon nichts weiss und ihn für tot hält. Also gehört dieses
Fragment in den Prolog und nicht Bellerophon, wie Welcker,
Härtung, H. A. Fischer (Bellerophon. Leipzig 1851 S. 47)
annehmen, sondern die Amme spricht den Prolog. Das
Schicksal und der Untergang der verliebten Stheneboia ist
ja auch das Thema des Dramas und auf ihren Zustand muss
zunächst die Aufmerksamkeit gerichtet werden. Den Anfang
des Prologs bildeten fr. 662 und 663:
ovy. eoTiv ootig navx' dvrjQ etdai/iiovEi '
rj yaQ :rE(pv/.wg iod-Xog ov/. syst ßiov,
7j dvoyevr^g cov nXovoiav aqoT rtXay.a.
noXkoig de nkoirw /.al ytvu yavqov^ivovg
yvvi\ ■/.azTßOXLv'' iv ö6i.ioioi vrjTtia.
Hieran knüpfte die Amme die Erzählung der früheren Er-
eignisse und des nunmehrigen Rückfalls der Stheneboia in
die alte Liebe. Wie man lieben Toten weiht, was von der
Mahlzeit zu Boden fällt, so gehört bei ihr immer alles
Heral)fallende dem Gastfreund aus Korinth (fr. ()67). Die
Amme fährt fort (fr. 668) :
roiafr' dXvef vov^eTOVf.i€vog ()' "Eqtog
l.i&kXov 7cütei.
Die Amme der Stheneboia gleicht also der Amme der Phädra.
Sie ist über das unvernünftige Wesen ihrer Herrin unge-
halten und sucht sie zu Verstand zu bringen; aber sie wird
auch, wenn sie die Leidenschaft derselben nicht beruhigen
102 SitziDi;/ der jihilos.-philol. Classc vom 4. Fehninr 1888.
kann, später, wo nach Ankunft des tot geglaubten Helden
die Liebe noch mächtiger werden rauss, sich da/Ai hergeben,
die geheimen Wünsche derselben dem Geliebten vorzutragen.
Und wie die Amme der Phädra schreckliche Schmähungen
wie r) y.axcuv 7iQ0f.nn\oTQia^ rj deonörov -jrQOÖovoa Xixog
(Hipp. 584 ff.) von Hippolytos zu hören bekommt, so wird
Bellerophon die Worte lo 7cayxay.iaTr] xal yvviq yitl. ((570)
nicht der Stheneboia, sondern der Amme derselben zuge-
rufen haben. Es ist auch störend, wenn Bellerophon die
Buhlerin zuerst als ganz niederträchtig schmäht, nachher ihr
aber doch Liebe heuchelt. Nachdem Bellerophon die erste
Erregung überwunden hat, beschliesst er die Buhlerin in
ihrem eigenen Netz zu fangen, kommt mit ihr zusammen
und überredet sie, mit ihm auf dem Pegasus nach Lykien zu
reiten (fr. ()(34. ()65). Dass die Angabe in Betreff der Fischer,
welche die Leiche bringen, richtig ist, zeigt das schöne Frag-
ment G72, welches ein Purpurfischer spricht. Wir haben
hier den seltenen F'all, dass eine grössere Gesellschaft von
Menschen auftritt, für welche einer das Wort führt. Das
Gleiche war im Philoktet des Euripides der Fall, wo eine
Gesandtschaft der Trojaner vor Philoktet erschien. Bevor
die Leiche ankam, musste die Aufklärung gegeben werden.
Diese Aufklärung konnte nur Bellerophon selbst geben, da
kein Diener den Ritt mitgemacht hatte. Bellerophon selbst
aber erschien, wie das oben angeführte Scholion des Gregorius
andeutet und wie sich aus den Worten des nunmehr von der
Schuld seines Weihes überzeugten Protos fr. (173
xü^tLj'tr' fctffw rrjvde ' Ttioreveiv de xgrj
yvvaiY.1 liTjötv, ooTig ev (pQOvei ßqotwv
ergibt, erst nachdem die Leiche schon vorlag. Der Be-
richt konnte demnach nur in ähnlicher Weise wie in den
Trachinierinnen des Sophokles gegeben werden, in der Weise,
dass ein Bote, welcher dem Bellerophon vorauseilte, das er-
WecMein: Tragödien des Euripides. 103
zählte, was er von Belleropbon selbst anderswo erfahren hatte.
Hieher also gehört fr. 307, von dem wir ausgegangen sind.
Bellerophon rechtfertigt sich, bevor er vor Prötos tritt, vor
einem unparteiischen Gerichtshofe auf jener uralten Ding-
stätte,
Ol' (paoi uqiltov Javaov ^lyvTtTi^ dUag
didövi' aiyQolöai Xaov elg y.oivag edoag (Or. 872).
Wir kehren nunmehr zu dem Drama Bellerophontes
zurück. Das erwähnte Epigramm von Kyzikos (Anthol.
Pal. III 15) stand unter einem Bilde, auf welchem darge-
stellt war RE?^leQO(fovii]g vno rov 7iaid6c, rXavy.ov ooj'Co/.iei'og,
yivUa, /.arevex^^iS ^"^^ '^ov /Irjyäoov slg t6 ^Xrfiov nediov,
t(.iEXkEv vno Meyarrevä-ovg rov Uqoltov q^ovevsad^ai. Hier-
nach lässt Welcker den Megapenthes im Auftrag seiner
sterbenden Mutter Stheneboia einen Angriff auf den vom
Himmel herabgestürzten Bellerophon machen, wobei ihn sein
Oheim Jobates unterstützt. Bei Härtung (Eur. rest. 1 S. 389 ff.)
beginnt die Handlung mit der Himmelfahrt. Der herab-
gestürzte Held wird geheilt und zieht sich, nachdem sein
Sohn vergeblich ihn zu trösten versucht hat, in die Einsam-
keit zurück, wo er die gewünschte Ruhe ebenso wenig findet,
vielmehr den Nachstellungen des Megapenthes ausgesetzt ist.
Er wehrt sich gegen Megapenthes, bis er durch die Da-
zwischenkunft seines Sohnes Glaukos gerettet wird. Darauf
wird Megapenthes angeklagt und endlich wird Bellerophon
durch den Tod von seinen Leiden erlöst. Diese bunte Hand-
lung hat von den drei Einheiten auch nicht eine. Aehnlich
nimmt sich die Handlung aus, welche H. A. Fischer Bellero-
phon S. 50 ff. rekonstruiert. Dem gegenüber muss zunächst
festgestellt werden, dass die Himmelfahrt und der Sturz dem
Ende des Dramas angehört. Nach Aelian Tiergesch. V 34
redet Bellerophon seine Seele also an (ne/coiijxe fcgog Ti]v
EuvToZ if.iixi]v kiyovxa aitov):
104 Sitzmifi der iihiJos.-iihüol . Classe com 4. Fehr^iar 1888.
'qo^' elg dEovg /tis)' söasßrig, oV ija^', aei
^tvoig t' enriQy,Eig ovö^ e'/.ajuvsg sig cfiXovg.
Sein Leben ist so gut wie nicht mehr (ot' Tjff.^a, va^l. die
Worte Aelians toiovtov xiva y.al lov BElXsQOfpüvrrjv jj(>w<x<ug
'/.al insya?Milivytog elg Oävarov :i aQEO'/.Evaoatvov o EiQiviidt]g
vuvel): er wird also alsbald sterben und lässt sich zu dem
Zwecke ins Innere bringen (fr. 312 kojaI^st^ eioco zovöe tov
övoöalf.iova). Natürlich kann die Ursache des Todes nur der
Sturz vom Pegasus sein. Da die Einheit des Ortes erfordert,
dass der Held vor dem Sturze weile wo er nach dem Sturze
wieder erscheint, so muss von Anfang an der Schauplatz der
Handhmg in der Einsamkeit, im Aleischen Felde sein. Da-
rauf weist auch das Schol. zu II. C 200 ovy (og o'i vewteqoi
(d. i. Euripides) ^isXayyoXr^aag, dX)C odvvio/iiEvog snl Tg rwjv
eavTOv Tvaidwv anoAEiq if.iüvaKE hin und es stimmt dazu,
dass wir aus fr. 288, 13 f.
üit.icei ö' av c/i(äg, si' zig aqyog luv 0-Eolg
e'c%oito /.al jLirj xeiqI avX'Aeyoi ßiov
auf einen Chor von Landleuten schliessen können. Denn
der Gedanke, dem der Schlusssatz fehlt, ist nach dem Zu-
sammenhang folgender: ,ich glaube, dass ihr, wenn ihr nur
heten und nicht mit der Arbeit eurer Hand euren Unterhalt
sammeln würdet, bald Hungei-s sterben nu'isstet". Augen-
scheinlich Isoniint der Chor der Landleute zu ßellerophon,
um ihn in seiner Schwermut zu trösten und ihn zu frommem
Gottvertrauen aufzufordern. Wenn der Held von Anfang an
schwermütig ist und zuletzt in seiner Verzweiflung an Gott
und Welt so weit gebracht wird, dass er in den Himmel fahren
will, um das Dasein der (4ötter zu erforschen, so muss die
Entwicklung der Handlung in der Steigerung des Trübsinns
bestanden haben. Diese Steigerung wird dadurch erzielt,
dass böse Menschen einen Angriff auf ihn machen und dass
.sie, obwohl ihre Niederträchtigkeit entlarvt wird, doch der
Strafe entgehen. Denn nach fr. 288, 5
WecMein: Tragödien des Eiiripides. 1^'>
(ffjlii^ syw Tvgai'viöa
•/.leivEiv i€ nXeiOTOvg yQ)]i.iäTiov t' a/rooTegelv
OQy.ovg Te jiaqßaivovrctc e/..ioQO-sh' noXeig
y.ai xaiTa dqiovTeg fAciXköv elo' evöali-ioveg
Ttüv evaeßovvTOJv rjOiyri y.ai^' i]i,itQav
beweist der Triumph des Bösen in der Welt, dass es keine
Götter gibt. Wenn man fr. 293
10 .7«/, i'ifüj' loi dgäv /.isv i'viopoi yjQsg,
yvcoi-iai ö' dj^ieiroig elot twv ysQaiteQiov '
ö yag ygovog diday(.ia norz-iXtüTarov
vergleicht mit 8oph. Phil. 96
eoO^Xov TTUTQog ;(ai, -/.avTog lov väog note.
yXwaaav (.lev dgyöv^ yelga d' eiyov sgya-ctv
vvv ö' elg ileyyor ^Buov ogiu ßgotölg
Tiqv yhdooar, oiyl ragya, 7tav^' riyovf.ievriV,
so erkennt man, dass ein Aelterer einen Jüngeren von offenem
Angriff zurückzuhalten sucht.^) Der Jüngere verwirft Hinter-
list und dunkle Mittel fr. 290:
öoXoi Ö8 '/.al o~/.oteiva (.njyavrji-iaTa
XQEiag dvävöoov cpaqiAay' r/iQrjTai ßgorolg.
Der Alte, dessen Q^oig mit fr. 293 anhebt, zieht die Klug-
heit des Schwachen der Ungeschicklichkeit des Starken vor
(fr. 292) und empfiehlt die Hinterlist fr. 291
feUrj yag dvögcZv (pövia y.at f.ictyag ygeiov
doXoioi y(.Xt7iTeiv xxc.
Die Aufdeckung der gemeinen Hinterlist verrät fr. 305,
der Rest eines Chorgesangs:
1) Unrichtig ist die Erklärung von Fischer a. 0. S. 53 ,Die
Rollen scheinen so verteilt gewesen zu sein, dass .Jobates, da er
schon zu alt war, um selbst handelnd mit aufzutreten, den Plan an-
legt und Kat gibt, Megapenthes aber als rüstiger Jüngling zum Han-
deln bestimmt wird".
10(5 Sitzumf der i>hilos.-i)hilol. Glasse vom 4. Februar 1888.
ovdtJiox'' EVTvyiav -/.a-nov avdqog VTteQcpQOva t' oXßov
ßeßaiov si'/MOai xgecüv,
ovö^ dölaiov yeveav 6 yccQ ovderog 8Y.q)vg
XQOvog diy.aiovQ syiayiov Kavovag
öeinwoiv avi)-QO)jto)v 7<.ay.0TrjTag alei})
Die Straflosigkeit des Frevlers und deren Wirkung deutet
fr. 295, 2 f. an:
■^vrjOy.oif.i€V ^) ov yccQ a^iov Xevaoeiv g^aog
xaxot'c; oqiovxag ay.dly.cjg Tiixiü(.Uvovg.
Welcher Art \n;m die Hinterlist gewesen sein ? In fr. 294
TtQog zrjv voaov toi xal rov laxQOv yQewv
löovT^ dyelad^ai, fxrj hmciB, rd cfccof.iaya
didovi\ sdv f.irj zavTa t^ voaiij ugevi t]
ist von dem richtigen Heilverfahren die Rede. Dies scheint
seine Erklärung darin zu finden, dass einer sich dem Bellero-
phon, der ja krank ist, als Heilkünstler anbietet, in der Ab-
sicht ihn mit seinen Heilmitteln zu vergiften. Ein Ver-
giftungsversuch, der aufgedeckt wird, kommt auch im .Ion
vor. Nach der Entlarvung des hinterlistigen Anschlags mag
Bellerophon ausgerufen hal)en (fr. 302):
ÖI/.101' Ti d' ol'uoi; O^vtjid TOI 7iE7i6v0^af.iev.
8ehr gut hat Welcker fr. 300
ovx dv ytvoLTo TQav(.i\ täv Tig hy^vatj
\)-afxvoig f-Xeioig, ocd' dv fx iurjTQog xax.rjg
tol^Xol ytvoivTO jialÖEg elg dlyiijt' doQog
auf Megaiienthes, den Sohn der Stheneboia, bezogen. Obwohl
iliiriini fr. (370 nicht zu diesem Stücke gehört, scheint doch
1 ) aiei (ael) habe ich für fiinl sowohl fies Versmassea wie des
Sinnes halber gesetzt.
2) ih'fjoxoi/ifv für Orr'ioxoi/i' riv hat Härtung geschrieben, (.le-
trennt hat die beiden Verse vom ersten Meineke.
Weclclein: Tragödien des Euripides. 1^'
Welcker diiriii IJeelit zu haben, dass er den Anschlag auf
das Lel)en des Bellerophon von Megapenthes ausgehen lässt.
in Aristoph. Frö. 1050 erwidert Aeschylus auf die Frage
des Euripides: xat xi ßlaTctovo\ w o%b%li dvögtor, zrlv
jiuliv afiai ^d-svißoiai; Folgendes:
oTi yevvaiaQ /.al yEvvauov dvÖQwv dloxovg ave7CEioag
•Kiüveia 7ciEh' aloyvvd^eioag öid roig aoig BeXlEQOCfovxag.
Der Sehol. bemerkt dazu, dass Stheneboia, nachdem Bellero-
phon bei Jobates als unschuldig befunden worden war, aus
Scham Gift genommen habe. Man betrachtet diese Angabe
als eine Erfindung, zu welcher der Text des Aristophanes
Anlass gegeben habe (vgl. Fischer a. 0. S. 48 f.); aber ein-
mal gibt eigentlich der Text des Aristophanes keinen An-
haltspunkt zu einer solchen Erdichtung. Zweitens berichtet
aucli Hygin f. 57 den Selbstmord der Stheneboia (Sth. re
audita ipsa se interfecit). Drittens haben natürlich nicht
Athenische Frauen sich thatsächlich vergiftet. Das That-
sächliche muss demnach in der Dichtung des Euripides liegen
und der Komiker will sagen: ,so gut sich Stheneboia aus
Scham vergiftet hat, so gut hätten es viele vornehme
Athenerinnen thun dürfen, die Gleiches gesündigt haben".
Die Annahme von Welcker also, dass im Prolog des Bellero-
phontes ein solches Ende der Stheneboia berichtet und daran
das Rachewerk des Megapenthes angeknüpft war, ist ganz
glaublieh. In bestem Zusammenhang steht damit, wenn der
Rächer Gleiches mit Gleichem vergelten und ebenso den Belle-
rophon durch Gift töten will. Als wahrscheinlich muss es
auch erscheinen, dass Jobates der ältere Gehülfe des Mega-
penthes ist (vgl. Plut. Mor. p. 147 B ovÖEvog hvyyavE xCov
dixaUov, all' tjj' ddr/.tuxaxog nEgi avxov '[ußdxi^g). Sowohl
was in fr. 296. 297 über den Neid gesagt wird, als auch
die Straflosigkeit des Verbrechers (fr. 295 xa/otg ö()MVTag
tv.di/.ojg xif.Hüutroig) entspricht dieser Annahme.
108 Sitziou) der philos.-philol. Classe vom 4. Februar 1888.
Weiteres wird sich über die Handlung? des Euripideischen
Faust aus den bis jetzt vorliegenden Fragmenten und Notizen
schwerlich feststellen lassen. Nur zwei Bemerkungen können
•noch gemacht werden. Der hinterlistige Plan musste vor der
Anwesenheit des Chors, also im Prolog verabredet werden.
Und wenn man geneigt sein möchte die qr^otg des Bellero-
phon in fr. 287^) als Prolog zu betrachten, so steht damit
nicht im Einklang, dass fr. 288 doch wohl in denselben
Zusammenhang gehört wie fr. 287 und nach V. 13 in An-
wesenheit des Chors, also nach der Parodos gesprochen wird.
Die andere Bemerkung betrifft den Bericht der Himmelfahrt.
Denn dass ein solcher Bericht erstattet wurde, zeigt fr. 311
l'yrrtjoo' vnei/.ior {.läXkov ]] /iiäXXüv iUloi.
Man sollte glauben, dass Bellerophon allein das Nähere
wusste. Aber die dritte Person von 0-t'loi, welches sich doch
nur auf den Ritter beziehen kann,^) spricht dagegen. Des-
halb denkt Härtung an einen Boten, welcher die Fahrt mit
seinen Augen verfolgt habe. Merkwürdig, dass dieser sogar
das 7[Triooeiv des Pegasus wahrnehmen konnte! Aber die
Worte des Fragments sind ja unverständlich, der Text ist also
nicht in Ordnung. An der einen Stelle des Plutarch, an der
das Fragment citiert ist, hat es sich mit fjäXXov rj Ü^tXoi dem
1) Im letzten V. möchte ich iliet' älXtov für iiet' dvdgwv vor-
schlagen : ixeh'o yag /lefii'Tjfje^' ' olog fj noxt, xdyo) just' aklon' rjviy.^
TjvTvxovv ßia>. Der Gedanke ist allpfemein. Im Unglück denken wir
an das frühere Glück und sagen uns: „was war ich ehemals für ein
Mann, als auch ich glücklich war wie die anderen". Dieser Gedanke
macht den Wechsel des Glücks so empfindlich. Von der gänzlichen
Zurückge/.ogenheit des Bellerophon, wie Wclcker (S. 788) meint, kann
keine Rede sein.
2) Das zeigen auch die Worte des Plutarch Mor. p. 529 E ovfie
dei rot? ETiaivoi? xrjXov/iievov ^SfoOat . . jujfi' wojieq 6 EvQimfiov Ilriya-
ooc: ,,EJtTT)ao' vtieIxcov /jäk/.or tj {)e?.oi" rw ß e llEQoqjör r }j , zoTg Öeo-
fXEvoig EavTov ixdidövat.
Wecklein: Tragödien des Eitrijndes. 100
Text des Plutarch anbequemt, an der anderen Stelle (Mor.
p. 807 E) haben wir obige Form, in welcher f.iäXloi' aus
Versehen wiederholt ist. Die richtige Form ist offenbar:
tmioo^ hcei/.i'jv uaXXov r^ d^eXotfx eyio.
So gibt derjenige den Bericht, der ihn allein geben kann,
Bellerophontes.
3. Diktys.
Nach der Darstellung des Apollodor II 4, 1, welche
von der Erzählung des Pherekydes Schol. zu Apoll. Rh. IV
1091 nicht wesentlich abweicht, warf Akrisios, der König
von Aruros. seine Tochter Danae mit ihrem Kinde Perseus
in einen Kasten eingeschlossen ins Meer. Der Kasten wurde
an die Insel Seriphos getrieben, wo Diktys sie herausnahm
und den Perseus auferzog Der König der Insel Poiydektes,
der Bruder des Diktys, verliebte sich in Danae und da der
schon herangewachsene Perseus seinen Absichten im Wege
stand, trug er ihm hinterlistig auf, den Kopf der Gorgo zu
holen. Als Perseus nach Seriphos zurückkam und seine
Mutter mit Diktys schutzflehend am Altare fand, wohin sie
sich vor der Gewaltthätigkeit des Poiydektes geflüchtet hatte,
begab er sich in den Palast, in welchen Poiydektes seine
Freunde versanmielt hatte, und zeigte ihnen den Kopf der
(jrorgo, wodurch sie in der Gestalt und Haltung, die sie
augenblicklich hatten, versteinert wurden. Darauf machte
er den Diktys zum König von Seriphos.
Diese Darstellung scheint sich zu einer dramatischen
Handlung abzurunden und da in fr. 336 Diktys die Danae
in ihrem Kummer um den toten Sohn tröstet, so findet
Matthiä in der Erzählung des Apollodor den Stoff des Euri-
pideischen Stücks, indem er annimmt, Poiydektes habe das
Gerücht von dem Tode des Perseus verbreiten lassen, um
110 SitsuHfj der philo s.-phihh Classe vom 4. Februar 188S.
Dauae leichter zu gewinnen. Das letztere ist gewiss richtig
und man kann dafür nicht bloss auf ein ähnliches Mittel im
Herakles, sondern auch im Kresphontes verweisen. Aber
jene Erzählung einfach zur Grundlage der ganzen Handlung
zu machen, wie es auch Welcker S. 008 ff', getlian hat, ver-
bieten uns mehrere Bruchstücke, welche in einer solchen
Handlung unmöglich Platz finden, welche vielmehr auf eine
weitere Ausgestaltung des Mythus hinweisen. Schon der
Umstand erweckt schwere Bedenken gegen die Auffassung
von Welcker, dass Diktys in demselben eigentlich keine
Rolle hat und nur deshalb dem Stücke seinen Namen gibt,
weil er zuletzt auf den Thron erhoben wird. Eine grosse
Schwierigkeit bietet ferner fr. 342, in welchem vor Piaton
die s. g. Platonische Liebe dargelegt wird :
cpiXog yoQ rjv (xoi^ xat ;i/' e'iowg "loi ttots
ovy. eig xo /uwqov ovda (x' elg Kvtiqiv tq^jimv.
öAA' bOXL ör] €ig al'kog h> ßgorolg tQcog
ipvxrjg di'Kaiag Oiöcpqovög xe '/.dyadiig.
y.ai yqrjv öi xuig ßqoioloi roj'd' eivai vu/.tov,
xwv evaeßovrxwv oixivtg ye oiocfQOvng
fqäv, KmcQiv öe. rtjV Jiog xaiqeiv sav.
Zunächst bedarf der Text einer Verbesserung; denn die Sätze
cpiXog ijv f.ioi und ,t/' ;'q('Jq Vloi vioxe stehen in keinem
logischen Zusammenhang. Nauck vermutet q>i'Xov ydq i]^ih',
Ei f.i' tQCog l'loi jioxL Aber dass "Ao/ dem (fllog i^v ent-
sprechend in ultv zu verändern ist, bestätigt das folgende
olV., wofür man sonst ^iri erwarten würde.
Hiernach kann die schon vorher schwer mit dem Inhalt
vereinbare Auffassung von Matthiä „videntur esse verba Dic-
tyis, Polydectem coercere cupientis" oder von Ad. Scholl Beitr.
zur Kenntnis der tr. P. d. Or. S. 151 „üanae sagt so in
leiser Erinnerung der Vergangenheit von ihrem einstigen
olympischen Gatten oder im Hinblitk :uil' ein früheres
WecMein: Traf/ödien des Eiiripides. lli^
besseres Betragen de- Polydektes' oder von Welcker „Danae
stellt dem Polydektes auch jetzt noch den Perseus entgegen,
der ihr zu lieb gewesen sei, um andrer Liebe Raum zu geben"
in keiner Weise mehr gelten. Die Worte kann nur Danae
in Bezug auf Diktys sagen, mit dem sie zusammenlebt und
der sie ebenso edel behandelt wie in der Elektra der Land-
niaiui die Elektra. Das ganze Bruchstück gehörte also augen-
scheinlich zum Prolog des Dramas, an welchen sich wahr-
scheinlich der Auftritt anschloss, in welchem Diktys die
Danae tröstet ffr. 336). Etwas Weiteres lehrt uns fr. 343
LiTj ver/.og, w yegaie, y.oiQavoig zid^ov '
aeßeiv da rovg /.gavoivTag agyalog v6(.iog.
Scholl und Welcker legen diese Mahnung der Danae in den
Mund, welche dieselbe an Diktys oder an den Pädagogen
des Perseus richten soll. Es kann kein Zweifel sein, dass
Matthiä das Richtige getroffen hat: verba esse videntur chori
Dictvn a iurgio cum Polydecte persequendo avocans. Wenn
aber der Chorführer den Diktys in solcher Weise anredet,
kann dieser nicht der Bruder des Königs sein. Diktys ist
ein gemeiner Mann, ein Fischer, wie er in der 63. Fabel des
Hygin bezeichnet ist: Danae . . Quam (arcam) piscator Dictys
cum invenisset, effracta vidit mulierem cum infante ; quos ad
regem Polydectem" perduxit etc., vgl. Stat. silv. II 1, 95
fluctivagus . . Dictys. Dieser niedrige Stand des Diktys
wird bestätigt durch fr. 347
TtokXolg 7iäqog toi y.a(fi^6vi]Oa drj ßgoTiuv
ooTig /m/jAoiv io&Xog lov Of.i0iog jjv.^)
KÖyiov ituTuior elg auilKav s^iojv
ro 6' rjV Öq' oly. axotorov ovo'' Oivaoyetoy
or/ctv vJ.voYiu öeivu /iQog xaxiovojv.
1) .Tdoo? TOI habe ich für ,-rdoförj (.vielen habe ich es bisher
sogar übel genommen, wenn einer" u. s. w.) und ^v für das gram-
matisch unhaltbare // geschrieben.
112 Sitzung der phihs.-philol. Cla.sse vo»! 4. Februar 1888.
Diktys ist dem König in heftiger Rede entgegengetreten. In
den gewöhnlichen zwei Versen verweist ihm der Chorführer,
wenn er aucli wahrscheinlich das Gerechtfertigte des Inhalts
anerkennen muss, die Form der Rede und das respektwidrige
Auftreten gegen den König. Dieser erwidert die Heftigkeit
mit gleicher Heftigkeit — am Anfang der Erwiderung mochte
fr. 344 stehen
^ev q)ev, 7ialai6g alvog wg /.aXwg k'xei'
0V7. av yävoLTO yQrjGTog ez ytanov TtazQog —
mid entschuldigt dem Chore gegenüber seine Heftigkeit mit
den oben angeführten Worten, er habe es schon manchen
Edlen verargt, wenn sie sich mit gemeinen Menschen in
Schelten und Zanken einliessen;^) in diesem Falle aber habe
er nicht schweigen und den Hohn von Niedrigeren uner-
widert lassen können. Der Entgegnung des Diktys, welche
auf diese Rede folgte, entstammt fr. 345
elg d' evylveiav oli'y' lyto <pQaoai ym/m'
6 luiv ycLQ so^Xog evyevi^g t/AOiy'' dvi^q,
0 d' ov diKaiog /.av dfUEivovog rcatQog
Zr]v6g 71 ecfvv.rj,'^) dvayevrig eivai öoKel.
Dass Diktys in dieser Streitrede den auf die Danae gerich-
teten Absichten des Königs entgegentritt, lehrt fr. 339
ovTiov di Tiaidiüv -/.al 7ie(frvx6Tog yevovg
■/.aivoig (ftrevoai /caldag l.v do/uoig d^äXeig,
e'x^gav (.lEyioir^v oo'ioi ovfißdKlon' rr/voig.
1) Vf^l. fr. 1037 all' ov tiqetcei Tvgavvov, (hg yyw cpQovw, ov8'
ärbou j^ijtjOTÖv VF.Ty.og aiQeo&ni (aQaoOui '0 y.anoTg ' rif-ii] yäg avrt} roToir
äodsvsoTegoig.
2) Aenderungen dieses Textes sind entschieden abzuweisen; die
Uyperbf'l ist ganz an ihrer Stelle und dass aiiei'vovog sich aiit' edle
Abkunll bezieht, lehrt der Zusammenhang.
Wecklexn: Tragödien des Euripides. H3
Der König will den Diktys durch Geld bestimmen, ihm die
Danae auszuliefern. Darauf beziehen sich die Worte des
Diktys fr. 84G
,«rj uoi rrox' eifj xoijUazuyv rr/.coueviü
y.a/.Co yEvioiyca liir^d' ö(.iiXoi}]v '/.a-/.o~ig.
Ob übrigens die Einrede von fr. 339, auf welche Polydektes
mit fr. 340 und 341 erwidert, dem Diktys oder vielmehr
einer vorausgehenden Seene angehört, in welcher Danae selbst
den König von der beabsichtigten Heirat abzubringen suchte,
lässt sich nicht mit Sicherheit erkennen.
In dem eben erwähnten fr. 340 ist von dem Verhältnis
des Vaters zu den Kindern die Rede:
rravega te ;raiah' rjditog ovve/.q^tQEiv
0(fe).og^) igtorag fZ/iaAovr' aiii^aöiav
na'iddg re rcargi ' -/.ai yoQ ovy. ai-d^aiqeToi
ßqoToig igtoTeg ovo' e/.ovöia vöoog y.ia.
Dass der Vater, auf welchen sich die Worte beziehen, Poly-
dektes ist, steht nach fr. 339 fest. Nun aber behandeln
noch zwei Bruchstücke das Verhältnis von Kindern und Vater,
beziehungsweise Eltern, 338
iyoj vouiCcü /taTQt (pikraTOv xiv.va
jtOLio'iv TB rovg Texovrag, ocdi oiuuaxovg
äkkovg yevia&ai g>i]f-t^ oi' evöi/.vneQOvg
und 334
Eig yäq rlg eoti -/.oivog dvO^gtuTioig vöi-iog
y.ai ifeolai tovto öo^av, wg aacpwg )Jyoj,
d-r^gaiv re rraoi, xh.va zi-Atovaiv (fiXelp.
To d' dXla X(jgig ygoniei^^ ci)M[Xojr v6f.ioig.
1) oqs/.o; habe ich für rfi/.o; /(ft'/.ov.;! geschrieben.
1888. Philos.-philol.u.hist.Cl. 1. 8
114 Sitzung der philos.-philol. Claaae vom 4. Februar 18S8.
Das letztere Bruchstück kann flein Gespräch der Danae mit
Diktys angehören, von welchem fr. 33(3 herrührt. Anders
steht es mit dem ersten. Nach fr. 340 kann man geneigt
sein, in dem Vater gleichfalls Polydektes zu sehen und Scholl
wie Welcker bringen die beiden Bruchstücke in Zusammen-
hang. Aber es handelt sich hier um gegenseitigen Schutz,
nicht um Unterstützung in der Liebe. Der Vater, welcher
seine Kinder beschützen will, kann nicht Polydektes sein,
dem es nur darauf ankommt, den Anstoss, welchen eine
zweite Heirat bei seinen Kindern erregen kann, abzuleugnen.
Man kann nur — denn ein anderer Vater kommt nicht in
Betracht — an Akrisios, den Vater der Danae, denken. Dies
führt uns wieder auf die Fabel des Hygin zurück, in welcher
es heisst: quod cum Acrisius rescisset, eos ad Polydectem
morari, re]ietitura eos profectus est. Es gab also eine Form
des Mythus, nach der Akrisios seine Tochter von Seriphos
nach Arges zurückholen will. Das Gleiche hat Scholl ge-
schlossen aus fr. 349
eI d' r^od^a i^rj xd-Kiazog, ovttot' av Ttatqav
Tr\v öy\v driCtov rrjj'd' dv evloyeig 7ioXiv '
wg €v y' si-iol y.qivoiz' dv ov 'Aalcog (fQOveh'
ooTig 7raTQ(/)ag yr^g drii^d/^iov oqovg
d'kXrjV artaivsT y.cti TQonoiaiv rjöeTai.
Scholl glaubt, Akrisios in seinem Reiche von Prötos beein-
trächtigt, wolle jetzt die verstossene Tochter anerkennen und
im Enkel einen Erben finden, der ihm die Herrschaft sichern
solle. xMit den angeführten Worten rede er den Perseus an,
der nicht ins Vaterland zurückkehren, sondern auf der Insel
bleiben wolle. Mag Euripides den Akrisios von noch so
rauher und heftiger Gemütsart dargestellt haben, die Schmäh-
ung el J' tjoO^a i^iij xdxiaTog würde in einer solchen Situation
nicht denkbar sein. Welcker gibt die Worte dem Polydektes,
der einen Unbekannten, welcher um einen Wohnsitz in
Wecklein: Tragödien des Euripides. H-'j
Seriphos zai unterhandeln scheine, znrückweise. Aber Poly-
dektes hat keinen Grund, einen Mann der sein Land preist,
als niederträchtig zu bezeichnen. Es muss meiner Ansicht
nach feststehen, dass Akrisios die Worte spricht. Was den
Angeredeten betrifft, so muss dieser ein Argiver sein und
es ist zweierlei möglich. Entweder tritt Perseus dem Akri?iios
gegenüber ohne von diesem gekannt zu sein, nachdem er nur
sein Vaterland angegeben hat, oder Diktys ist von Euripides
nicht als ein eingeborener Seriphier, sondern als ein über-
gesiedelter Argiver dargestellt worden. Man kann sich aber
nicht recht denken, wie Perseus, wenn er sein Verhältnis
zur Danae nicht angibt, sich in einen solchen Streit mit
Akrisios verwickeln soll. Perseus kennt auch die Sitten von
Argos nicht, kann also nicht über dieselben losziehen. Dem-
nach bleibt, wie es scheint, nur das eine denkbar, dass
Diktys dem Akrisios von früher her bekannt ist und diesem,
da er aus irgend welchem Grunde sich seiner Tochter be-
mächtigen will, energischen Widerstand leistet. Sehr passend
kann sich dabei Diktys über die Sitten ^) seiner neuen Heimat
rühmend äussern und dieselben in Gegensatz zu Argivischen
Sitten stellen.
Nunmehr fällt Licht auf das oben behandelte Fragment
(342), nach welchem seit langer Zeit zwischen Danae und
Diktys ein platonisches Verhältnis besteht. Danae, die Braut
des Zeus, ist mit Diktys verheiratet und war es schon in
Argos, aber nur zum Scheine, so wie in der Elektra der
Landmann mit der Königstochter. Wenn Akrisios seine
Tochter nach Argos zurückholen will, so kann er vorgeben,
da.s.s er sie mit einem reichen Manne verheiraten wolle. Da-
1) zgö.Totaiv TJSsTai heisst nicht „sich über den Wechsel freut",
wie es Scholl übersetzt, sondern „sich der Sitten erfreut", .sich den
Sitten des anderen Landes gerne anbequemt und seiner Nationalität
ent äussert".
8*
116 Sitzung der phiJos.-philol. Classe vom 4. Februar 18SS.
mit erhiilten wir eine Sitii.ition, in welche das von H. Weil,
un papyrus inedit de la bibliotheque de M. Ambroise Firmin-
Didot. Paris 1879 veröffentlichte grosse Fragment des Euri-
pides passt. Dieses enthält die Rede einer Frau, in welcher
sie in edlen Worten die Pläne ihres Vaters zurückweist, der
sie aufgefordert hat, ihren armen Gatten zu verlassen und
den ihr zugedachten reichen Bräutigam zu heiraten. Bisher
kannte man unter den Heldinnen der Furipideischen Dramen
nur eine einzige Frau, die einem solchen Ansinnen wider-
strebte, die Hyrnetho in den Temeniden, Nach Paus. 11
28, 3 wollten die Söhne des Temenos den von ihrem Vater
bevorzugten Deiphontes, den Gemahl der Hyrnetho, dadurch
kränken, dass sie Hyrnetho von ihm trennten. Sie kamen
mit Ausnahme des jüngsten, der sich fernhielt, vor Epidauros
und liessen ihre Schwester vor die Stadt rufen. Sie erhoben
schwere Anklagen gegen Deiphontes und baten H^^rnetho
nach Argos zu kommen, wo sie einen besseren, reicheren
und mächtigeren Gemahl erhalten solle. Diese erwiderte, sie
sei mit Deiphontes zufrieden, der ein würdiger Schwieger-
sohn des Temenos sei, während sie eher Mörder als Kinder
des Temenos zu heissen verdienten (vgl. Apollod. 11 8, 5, ?>).
Darauf führten die Temeniden ihre Schwester gewaltsam fort.
Deiphontes eilte ihnen nach ; in dem Kampfe, der nachher
entstand, verlor Hyrnetho das Leben. Wir haben in diesem
Mythus allerdings das Motiv, welches in dem Fragmente her-
vortritt, und man müsste sagen, dass Euripides den Mythus
dahin geändert habe, dass er an die Stelle der Söhne den
Vater setzte. Allein damit steht der Titel Ttjf.ievidai in
Widerspruch, welcher die Hau])trolle den Söluien des Temenos
zuweist, mit der gewöhnlichen Gestalt der Sage also über-
einstimmt. Man niusste sich über dieses Bedenken hinweg-
setzen, solange Hyrnetho als die einzige Heldin bekannt war,
an die jenes Ansinnen gestellt wurde. Nachdem uns aber
Danae in ähnlicher Lage entgegentritt, werden wir zu dieser
WecMein: Tntfiüdien Jes- Eitripides. 1"^
Auskunft «:feni unsere Zuflucht nehmen. Nunmehr erscheinen
uns die Worte des Fragments V. 17
yiyovEv s-Kshog elg tu olov i^^iovv
in anderem Lichte : Danae deutet damit an, dass Diktys sieh
der eheliehen Gemeinschaft enthielt. Wenn Cobet richtig
gesehen hat, dass in dem rätselhaften EvQiniör]g CMOJPE-
FATHC, welches die eine Abschrift des Bruchstücks bietet,
aXog eQyctTi]g d. i. aXiEig enthalten ist, so liegt darin eine
sehr willkommene Bestätigung für den Diktys, den Fischer
xar' i^oyrjv. Immerhin bleibt noch manches Dunkel, wie
ich nunmehr nicht weiss, wie das Fragment einer Römischen
Tragödie (ad Herenn. II 24, 38)
iniuria abs te adficior indigna. pater ;
nam si improbum esse Cresphontem existunuis,
cur nie liuic locabas nuptiis? sin est probus,
cur talem invitam invitura cogis liuquere ?
zu verbessern ist (vgl. Philol. 39 S. 408).
Wenn wir von dieser vermuteten Ausgestaltung des
Mythus absehen, so scheint nach den bisher bekannten Resten
festzustehen, dass Danae in ihrer neuen Heimat zwei An-
griffen ausgesetzt ist : in dem ersten Teile des Stücks will
Polydektes ihre Liebe gewinnen, in dem zweiten macht
Akrisios den Versuch sie nach Argos zurückzuholen. Dem
Uebergang von dem einen zum anderen Teile, von der einen
Bedrängnis zur anderen gehören die Worte der Danae
fr. 337 an :
OQi^olg ;
Perseus, auf welchen sich fr. 335 bezieht,
veog, rcövoioi d' ov/. dyvfxvaotog cpqevag,
IIb Sifzu)i(/ cicv philos.-philol. Chtsse vom 4. Februar 1888.
muss, nachdem er anfänglich für tot ausgegeheii worden ist,
erscheinen und seine Mutter von ihren beiden Bedrängern
befreien. Diktys aber, welcher sich als treuer Beschützer
der Danae erwiesen hat, ist würdig, aus einem Fischer ein
König zu werden.
4. Phaethon.
Die Aufdeckung auch des unbedeutendsten Punktes
dieses Dramas kann uns erfreuen, wenn wir an die schöuen
Worte Goethes denken: „Möge die Folgezeit noch Einiges
von dem höchst Wünschenswerten entdecken und die Lücken
authentisch ausfüllen ; ich wünsche Glück denen, die es er-
leben und ihre Augen, auch hiedurch angeregt, nach dem
Altertum wenden, wo ganz allein für die höhere Menschheit
und Menschlichkeit^) reine Bildung zu hoffen und zu er-
warten ist". Der Wunsch Goethes ist uns insofern in Er-
füllung gegangen, als durch die Bemühung von Blass (de
Phaethontis Euripideae fragmentis Claromontanis. Kiel 1885)
aus dem Palimpsest noch allerlei Reste zutage gekommen
sind, welche, wenn auch unbedeutend, doch verschiedene
Momente der Handlung aufklären.
Da vor die Parodos eine Unterredung zwischen Mutter
und Sohn fällt, so muss entweder Klymene oder Phaethon
den Prolüg im engeren Sinne sprechen. Denn das ist die
gewöhnliche Weise des Euripides, dass zu der Person, welche
den Prolog hat, eine zweite hinzutritt und der Monolog in
Dialog übergeht. So in der Alkestis, Andromache, Helena,
Elektra, den Herakliden, der Medea, dem Orestes, den Troades,
im Philoktetes. Nur iu wenigen Stücken folgt unmittelbar
auf den Monolog die Parodos, in den Bakchen, Hiketiden,
1) Die Zusammenstellung von Menschheit und Menschlichkeit
kann uns überraschen; aVier Menschheit ist nicht j^enus humanuni,
sondern humanitas.
Wccl-Jciii : Traf/öilien des Eurijndes. 1 1 •'
im Kyklops, auch in der Androuiedci, in welcher an die
Stelle des jambischen Monologs eine anapästische Partie ge-
treten ist. Manchmal spricht ein Gott oder ein ähnliches
Wesen den Prolog und erst nach dessen Abgang treten Per-
sonen der Handlung auf, im Jon, in der Hekabe, im Hippolyt.
Nur in der Taur. Iphigenie erscheint zuerst die Priesterin
und nachdem sie in den Tempel zurückgegangen ist, kommen
Orestes und Pylades. Man kann überall leicht erkennen,
dass der Dichter sich durch die besonderen Verhältnisse der
Handlung von seiner gewöhnlichen Weise abbringen liess.
Da sich nun im Phaethon Klymene, welche von den Personen
der Handlung am besten unterrichtet war, für die Mitteilung
der vorausliegenden Begebenheiten bestens eignete, so dürfen
wir gewiss an der gewöhnlichen Weise des Euripides fest-
halten. Auch scheinen die Worte fr. 771. 4 /.alovoi d'
arTTjv yeiroveg [.iBlöf-ißgoToi besser einem Menschen als einem
Gotte zuzukommen. Blass meint, Klymene trete gleich mit
Phaethon auf. Auch das würde von der Gewohnheit des
Euripides abweichen; denn nur in einem einzigen der er-
haltenen Stücke, im Herakles, ist die zweite Person von An-
fang an anwesend. Hier rauss Megara mit Amphitryon
schutzflehend am Altare sitzen; fern vom Altare würde sie
schutzlos sein. Da im Phaethon gar kein Grund ersichtlich
ist, weshalb Phaethon von Anfang an auf der Bühne zugegen
sein müsste, so werden wir ihn erst nach dem Monologe zur
Klymene hinzutreten lassen. Es lässt sich auch aus den von
Blass veröffentlichten Zeilenresten die Stelle entnehmen, bei
welcher Phaethon auftritt, nämlich bei Zeile 9
all' aiiov lüde y.toXov evi^v]vovd^' oqoj,
;iQÖg fiHjTiQ' r/.rög diofidztov 6Qf.i^a.i.tevov.
Allerdings stehen schon vorher am Schluss von Zeile 2 und »3
die zwei Punkte, welche nach der Bemerkung von Blass
Personenwechsel andeuten sollen. Aber diese Interpunktion
120 SitzuHf/ der p]iilo.s.-jihilo]. Clussc vom 4. Februar 1888.
findet sich auch Z. 55 (fr. 775, 14), wo von einem Personen-
wechsel keine Rede ist. Sie bezeichnet also nur den Schluss
eines Gedankens. Der folgende Versrest oijXiovg d. i. offen-
bar yaf.ft]Xlovg passt zu der Begrüssung des Phaethon vonseiten
der Klymene. Da zwischen der letzten verstümmelten Zeile
und dem Anfang der erhaltenen Partie nur vier Zeilen ver-
loren gegangen sind, so kann weder fr. 773 noch auch 772
dieser Partie angehört haben, weil selbst für das zweizeilige
fr. 772 der Raum von vier Zeilen zu eng ist, um Vermitt-
lung und Anschluss an das Erhaltene aufzunehmen. Fr. 778
deivov ye, tolg jtXovzovoi tovto d' l'(.icpvTov,
o/.aioioLv Eivaf ti noxE Tovö' i/rahwv;
(xq' o'Aßog avzolg ort TvcfXög Gvvi)Q£T£i,
tvcplccg t'xovOL rag cfQtvag /.ai dvoTvxe~ig\'^)
eignet sich auch dem Inhalte nach wenig für die Unter-
redung der Mutter und des vSohnes. Goethe lässt die Worte
den Phaethon im später folgenden Zwiegespräch mit dem
Vater sprechen. Rau gibt das Fragment dem Merops in den
Mund, Blass denkt an Hehos, der diesen Ausruf gethan
haben soll, nachdem Phaethon den Wagen gefordert hat.
Aber der Ausruf des Helios müsste berichtet sein und für
einen Bericht passen die Fragen ti noze xxf,., a^' ölßog /.ra.
wenig. Der Ton des Fragments eignet sich am besten für
den Boten, welcher den Untergang des Phaethon erzählt und
zwar für den Anfang der Q^oig, während wir dem Schlüsse
fr. 778
fv Toloi /jWQOig TOit' iyw y.Qivoi (igoTOJv,
ooTig 7caTr]Q lov naioi (xr^ cpQovovaiv ev
7] xat jcoXixaLg Tcagadidcoo^ s^ovoiav.
1) In Z. 2 liiibe ich rnTifi' FTiairior für xovüs (zornov) raltiov
(Nauck tovbi ■/" ai'jinri ;,'ps(hiiHb(,'n, in Z. 4 mit Halm SvarvxeT? für
rrjg ivxV^-
Wcelleiii: Tra/jödicn den Euripidcs. i-l
zuweisen. Gerne treten die Boten mit Khi^ren und Ausrufen
auf und werden durch Fragen auf den Bericht geführt und
am Schlüsse geben sie gewöhnlich eine allgemeine Lehre.
Fr. 772
iXeid^EQog d' cor öülXög soti tov Uyovg
ne/iQCit.dvov tö aü)/.ia r^t; (feQvrig t^iov.
würde dem Inhalte nach sich für das Zwiegespräch vun
Mutter und Sohn, in das es Goethe, Rau, Matthiä, Welcker,
Blass u. a. setzen, sehr gut eignen. Denn offenbar macht
Klymene ihrem Sohne die Mitteilung, dass er von Helios
stammt, deshalb, weil er sich der Heirat einer (löttin un-
würdig erklärt und dem Grundsatz t/jV xara oavxov tla
huldigt. Da aber, wie wir gesehen haben, der Raum fehlt,
müssen wir Wilamowit/ beistimmen, wenn er (Hermes XVHI
S. 400) das Bruchstück der Unterredung von Vater und Sohn
nach der Parodos zuweist. Auch für fr. 774
wg iiavxaxov ye Jiaxqig r) ß6o'/.oioa yrj,
welches Goethe mit Recht dem Phaethon gibt, scheint, nach-
dem keine Spur davon in den Versresten sich findet, selbst
in der vierzeiligen Lücke kein Platz zu sein. Darum dürfte
Goethe Recht behalten, wenn er es in das Gespräch zwischen
Vater und Sohn setzt. Goethe reiht fr. 77G
O^EQfAT] d' ava/.Tog cplö^ VTteQxüJkovoa yijg
■/MUi ra noQQw, Tayyv^ev d' ety.Qar' lyei.
an das erste Fragment an. Blass schliesst sich Goethe an
in Widerspruch mit Matthiä und anderen, welche die Worte
in den Bericht von dem Untergang des Phaethon setzen. Mit
Recht bemerkt Blass, dass die Verse zur Motivierung dienen
und erklären, warum ein Land in solcher Nähe des HeHos
bewohnbar sei, also in den Prolog gehören. Auch fr. 775, 5
(D^E. fiiüg oh' 7iq6o£ii.ii 6wfja ^eq(x6v H'kiov ;
KAY. /.eivijj fteXr'^aei otü/ua fxt] ßXäuTEiv x6 aov.
122 Sitzung der philos.-phUol. Classe vom 4. Februar 188S.
setzt jene Motivieniii<if voraus. Wenn sicli, wie es wahr-
scheinlich ist, fr. 77() an fr. 771 unmittelbar angeschlossen
hat, so kann man auch in der Aufeiiianderfolo'e von XQvoia
(ployi . . y'tEQf.iri (fiXüB ein Anzeichen dafür linden, dass die
Emendation von Valckenaer in fr. 771, 3
'^'Hliog avioyMv yqvotq ßwXw q^ltyei
richtig ist. Diese Emendation, welche sich auf die Notiz
des Diog. L. II 10 stützt, dass Euripides im Phaethon den
Ausdruck x?'-'^*« /:/wAoc; gebraucht habe, ist an und für sich
wahrscheinlich und die Auslegung von Goethe, welcher
XQvoia ßöjloi; auf den aus der Sonne herabstürzenden bren-
nenden Jüngling bezieht, ist nicht in Einklang mit der An-
gabe des Diogenes, nach welcher von dem Dichter die Sonne
so bezeichnet ist.
Die von Goethe trefflich bearbeitete Parodos stellt dem
Natursinn des Euripides ein schönes Zeugnis aus. In der sich
daran schliessenden Ankündigung des Auftretens iles Königs,
des Phaethon und des Herolds, heisst es am Schluss (57):
fie()i yoQ /Lieyakioi' yvwf.iac. deiBei
Tiaiö^ v/jevaioig, wc fftjoi, ^ihov
l^ei^ai vvf^Kfriq te Xenadvoig.
Hierin ist mir immer das unnütze und matte wc,* (pi]Oi störend
gewesen ; ich glaubte früher, üg cfaoi besage etwas mehr.
Aber nach der hohen Ankündigung neql f-ieyälmv yvwf.iaQ
dei^ei erwartet man entschieden die Angabe, dass es sich um
die Heirat einer Göttin handle. Bekker las loacfiiOi, Blass
glaultt oiO(fijGi zu entdecken. Es wird jedenfalls ursprüng-
lich ifjevai'oig 'Jeiokti geheissen habeu. Die richtige Aut-
fassung von O^eioiai geben die vorhergehenden Worte (50)
O^eog t'(5('ixfi, XQorog l'y.gave X^yog efnoloiv oQXfTccig an die Hand.
In dem folgenden Heroldsruf hat Blass das überlieferte avriii
d' avdüi' richtig erklärt: /.ijQi'ooo) aviw (seil, ««p (iaodel)
Weckleiit: Trafiödien des Earipides. 1-"J
avööv, „die anderen sollen schweigen, während der König
spricht". Der daranf folgenden längeren Rede des Merops
hat schon Hau de Eur. Phaeth. 1832 S. 26 Adesp. 450 zu-
zuweisen im Sinne gehabt, jedoch Bedenken getragen, weil
nach dem Citat bei Stobaeus (flor. 43, 3) die Zugehörigkeit
zum Phaethon des Euripides sehr zweifelhaft erscheinen musste.
Es gehört zu den schönsten Ergebnissen der Arbeit von
Blass, dass man nuumehr weiss, dass dieses Bruchstück die
11.— 13. Zeile der langen oija^c,- des Königs bildete. Der
König sagt: „Wie ein SchiflF sicherer auf drei Ankern ruht
als auf einem, so ist es heilsam, wenn dem Vorstand des
Staates noch ein zweiter als Stütze zur Seite steht". Die
Meinung von Goethe, dass der Widerstreit zwischen Ein-
und Mehrherrschaft umständlich verhandelt werde, hat nicht
das Richtige getroffen. Den Botenbericht hat Nauck mit
Recht vor dem ZAveiten grossen Fragment angesetzt (vgl.
Wilamowitz a. 0. S. 407 und meine Bemerkungen gegen
Blass in der Berl. Philol. Wochenschr. 1885 S. 1323). Der
Bericht wurde nicht in (iegenwart des Leichnams erstattet;
denn die ängstliche Eile, mit welcher Klymene in fr. 781
die Leiche zu verstecken und die Blutspuren zu tilgen sucht,
lässt erkennen, dass dieselbe es nicht über sich gebracht
haben würde in Anwesenheit des rauchenden Leichnams einen
umständlichen Bericht anzuhören. Ja schon der Rauch,
der von der Leiche ausgehen soll, gestattet nicht, dass die-
selbe längere Zeit auf der Bühne liege. Zunächst also wird
erzählt, wie Phaethon zu Helios kam, seinen Wunsch vortrug
in Erinnerung an das der Mutter gegebene Versprechen, den
Warnungen des Helios kein (Jehör gab, dann von Helios
Verhaltungsbefehle für die Fahrt erhielt, wie er begleitet
von Helios, der hinter dem Wagen herritt, die Fahrt unter-
nahm und dabei zugrunde ging (fr. 773, 779, 888, 780, 901,
778). Der Berichterstatter ist wahrscheinlich ein Diener
des Helios. Einem solchen kommt der Ton von fr. 778 zu.
124 Sitzumj der philos.-philol. Classc mm 4. Februar 1888.
Der folgenden Klage der Mutter wird mit Recht fr. 782
und 783
cfiXog de f.ioi
aXovzog ev rpagay^L ori^texuL vi'Avg
zugewiesen. Der Leichnam wird, vielleicht von Hirten, ge-
bracht. Nach kurzem Ausdruck ihres Entsetzens und ihrer
Ratlosigkeit^) lässt ihn Klymene in die Schatzkammer schaffen:
damit tritt der Hauptehor ab. um sich schnell hinter der
Bühne in einen Jungfrauenchor zu verwandeln, welcher in
Begleitung des Königs das Hochzeitslied anstimmt.^) Er
besingt Aphrodite und Eros als die Ehe stiftenden Gott-
heiten, nicht aber etwa Aphrodite als Braut, wie man selt-
samer Weise aus diesem Fragment geschlossen hat. Wer
aber ist die göttliche BrautV Rau (S. 55) dachte an Eos,
Welcker (8. 598) an eine Tochter des Okeanos. Wir dürfen
gewiss annehmen, dass Euripides nicht willkürlich irgend eine
Gottheit zur Braut des Phaethon machte, sondern sich auf
einen alten Mythus stützte. Dieser Mythus sagte demnach
aus, dass eine Göttin den Phaethon zum Bräutigam erhalten
sollte, dass dieser aber vor der Hochzeit unterging. Wir
erhalten damit den Mythus von Phädra und Hippolytos (vgl.
Einl. zu meiner Ausgal)e von Eur. Hipp. S. 1 f.), nur in
anderer Motivierung. Phaethon, der Sohn des Helios, ist wie
Hipi)olytos ein anderer Helios. Der Phädra, der Mondgöttin,
steht Selene gleich. Selene betrachten wir als die Braut
des Phaethon und erblicken eine Bestätigung dafür in dem
eben behandelten Fragment V. 25 doTEQo/coloiv ööfAOioi
XQuaioig aqyov. Phaethon soll Begründer eines sternfunkelnden
goldenen Hauses werden. Passend wird das Haus, in welchem
1) In Ziff. 29 H. .t|o/o) roi/v/) . . y.Qi^(p§r]]aF.tai ; . . Jihjoi'n]}- fV
aoTEOjg . . fiolntp' . . yanyßiov erkennt man einen ähnlichen Inhalt
wie in fr. 781, 4 f.
2) Vgl. die Einl. /,ii meiner Ausg. des Hipj). 8. 20.
WecMein: Trnfiörlie» des Eitripiäes. l25
Selene als Gattin walten soll, so bezeichnet, wenn es auch
Hipp. 8")1 nicht wz-xog doTEQto;tug oeXävci, wie ii herliefert
ist, sondern doieqoj.iov aelag geheissen hat. Die Brant muss,
wenn die Hochzeit stattfinden soll, in der Nähe sein. Sie
wohnt als Schwester (Hes. Theog. 371) oder Tochter (Äescli.
frg. 445) des Helios in seinem nahen Palaste. Helios kann
seine Schwester zur Braut geben (^£og s'dwxs fr. 775, 50).
Der König lässt den Jungfrauenchor durch seinen Diener
in das Hau- geleiten, damit er mit Klymene allen Göttern
Reigentänze aufführe. Im Innern verwandelt sich derselbe
wieder in den Chor der Dienerinnen, um nachher neuerdings
aufzutreten. Ein Diener kommt aus dem Hause und meldet
dem König, dass Rauch aus der Schatzkammer dringe. Der
König erwidert:
;icZq (fi\g; OQu m] O^vfioTcoi' nvoovuevo)v
■/All'' oiv.ov d.t\.i6v '/.eJo'' a/rooTalevz'' idrjg
QEP. a;iuria Tavr' TqVQijOS -/(.avjiiOTOvoeyu.
Ich vermute anavta ravT' i'iO^QijOa -/.äxanvoc, Gtiyr^.
Nachdem Merops in den Palast getreten ist, um in der
Schatzkammer die Ursache des Rauches zu untersuchen, stürzt
der Chor in grösster Angst heraus (Epiparodos). , Könnte
ich in den Aether verschwinden, sagt er, oder in die Erde
mich verkriechen; alles Schlimme wird offenkundig werden,
der versteckte Leichnam des Sohnes, der Blitzschlag des Zeus
und die Buhlschaft mit Helios. 0 Tochter des Okeanos,
falle dem Vater zu Füssen, auf dass er den Todesstoss von
deinem Halse abwehre". Mit diesen Worten des Chors ist
der weitere Verlauf der Handlung angegeben : Der König
stellt den Thatbestaud fest und Klymene soll ihre Un-
treue mit dem Tode büssen. Okeanos tritt dazwischen.
Man vernimmt zunächst den Weheruf des Königs aus dem
Innern. Der Chorführer: r^/.ovoax' doydg ösotvotov ozevay-
fidrcor. Der König ruft wieder: ]io xr/.vov. Der Chorführer:
12(3 Sitzmifi der pliilns.-philol. CInfise mm 4. Februar 18SS.
y.aXel tov ov y.KvovTa duOTvyrj yövov.^)
ovrjv d' hor/.ei' ^Qy/.i \oto)v Öquv aacpi].
Die Amme tritt auf und bejammert in einer Monodie das
Geschehene, den tragischen Umschlag aus dem Jubel der
Hochzeitsfeier in Wehklagen um den Tod des kurz vorher
glücklich gepriesenen Bräutigams. Soviel kann etwa aus den
dürftigen Zeilenresten entnommen werden. Der Chorführer
kündigt das Auftreten des Königs mit der Leiche des Sohnes
an : od' h. dö{ucov) . . naiöog (fitQCov) . . Das erste Wort
des Königs kann unmöglich eiev gelautet haben, wie Blass
gelesen hat. Eher könnte man oiav sich gefallen lassen,
womit die dritte Zeile beginnt. Aber auch dieses oiav
scheint nicht auf einen Ausruf hinzuweisen, sondern sich auf
loQ Elo6{iit€0^a) der zweiten Zeile zu beziehen. Dann erwartet
man in der ersten Zeile slg y.aiQOv . . udgei : ,es ist mir ge-
rade gelegen, dass du zugegen bist; denn nun werde ich
erfahren, was es mit dem Tode meines Sohnes für eine Be-
wandtnis hat" :
diu vey-lQog iruirio/.e Jialg fiiog tvxjli
d^eäg de [q^gotdog ^ariv evv.Taiog ya/xog.
Die Amme klagt bloss und will sich nicht zu Geständnissen
herbeilassen. Aber die Drolmngen des Königs zwingen
sie dazu.
Soweit ist uns der Gang des Stückes im allgemeinen
klar, lieber die Bestrafung der Klymene und das Dazwischen-
treten eines Gottes, des Okeanos wie wir nach fr. 781, 68 ff.
annehmen, ist uns nichts weiter bekannt. Die Frage, ob im
Auftrage des Gottes die Leiche des Phaethon an den Eridanos
gebracht worden sei und die Sa<re von den Heliaden und
1) Vgl. Alk. 415 Ttjv ov yj.vovoar (seil. xu'/.f.T). Ovid Mft. 11 .341
caesae (Heliades) pectora palmis non auditiirmn iniHcras Pliaetlionta
rpHTflln'« nocte dieque vocant.
Wecklein: Tragödien (left Eiiripides. 127
ihren in Bernstein sich verwandelnden Thränen das Schicksal
des l'haetlion beschlossen habe oder nach der Annahme von
Lnzac (Exerc. acad. p. r,2) die Notiz des Plin. H. N. XXXVII
2, 31 sich nnr nui' Hipp. 730 ff. beziehe, ist mit ziemlicher
Sicherheit im Sinne Luzacs entschieden worden (vgl. Berl.
Philül. Wochenschr. a. 0. S. 1324). Die Leiche des Phaethon
kommt an den Eridanos, weil sie dort von dem Sonnenwagen
niederfällt. Wenn sie aber ura der dramatischen Oekonomie
willen schon in Aethiopien herabfallen muss, so dürfte die
Motivierung für das Verbringen derselben nach dem fernen
Westen schwer zu finden sein. Mit Recht hat Meineke
fr. 784
<oi'> iluy.TrjQia
öfvÖQwr (fiXuioiv lüXevaioi de^erai.
auf die von dem Boten berichtete Rede des Helios zurück-
geführt: Ovid Met. II 7() forsitan et lucos iJlic urbesque
deoruni concipias animo erinnert daran ebenso wie 319 at
Phaethon . . volvitur in praeceps longoque per aera tractu
fertur, ut interdum de caelo stella sereno etsi non cecidit,
potuit cecidisse videri an das von Rau diesem Stücke zuge-
wiesene fr. 961 0 ö' ccQTi daXXcov oidjiia öioiTexrig oVrwc
doTTfiQ djieaßij iivslf^'' dq^eig elg ald^iQa.
5. Philoktetes.
Im Prolog dieses Stückes, von welchem Dion Chryso-
stomos in der 59. Abhandlung eine Paraphrase gegeben hat.
folgte dem Monologe des Odysseus ein Zwiegespräch zwischen
Odysseus und Philoktetes. Der Uebergang, die Beschreibung
des auftretenden Philoktet in § 5 najrcu ngöoeiaiv 6 dv/jg-
avTog oöe 6 Uoiavrog jraig xre., trägt so sehr dramatisches
Gepräge, dass 0. Ribbeck Rom. Trag. S. 388 nicht eine
Trennung der beiden paraphrasierten Scenen hätte für mög-
lich halten sollen. Die wenigen Fragmente zeigen, dass der
128 SitzuHf) der pliilos.-phihl. Classe vom 4. Fehrnar 188H.
Inhalt ^enau wiederg-ei^eben ist, wenn der Klietor auch den
engen ZusanHuenschlnss der (bedanken gelockert hat. Die
eloßoXr] lautet also : cpoßov(.iaL /itrj nore (.laxrjv y.ax'' e(.iov
cpaviooi tavtriv o\ ovi.ij.iayoi rrjv d6$ap elhjg^oreg tog d()locov
öi] ymI oocpiDTatov xiov '^EXkijvojv. -/.aiToi 7voia zig rj TOtauTtj
öocpia v.al q^QOvtjOig, öi' rjV zig dvay/iäCerai 7rXsico nov aXXiov
jioveTv inaq xr^g -/.oivr^g ocoTi^Qi'ag /.ai rr/.t]g, ^:^6p f'va lol
7r}.rii}ovg doxocvra fUjöspog tlaitov er rovroig kyeiv rcov
dgiOKop; Dem zweiten Teile dieser Paraphrase entspricht
fr. 785
/Ttog d»' av qiQOvoiriV, uj ytagr^v djiQayf.iöviüg
Fv ToloL fioXXolg riQi0^f.irji.ievix) azQaTov
laov ueraoyeh' XiZ oocfioiaxitj rvyjrjg ;
Hierin befremdet der Begriff aog^iordzii). Odyssens sagt :
„Man nennt mich den weisesten Hellenen ; ich fürchte, es
möchte mit meiner Weisheit nicht weit her sein. Denn wie
sollte es verständig sein, sich freiwillig allen möglichen Mühen
und Gefahren zu unterziehen, AA'ährend man zurückgezogen
ohne Mühe leben und doch das gleiche Schicksal mit den
Besten des Heeres haben könnte '■.^) Nur der Gegensatz des
gew(')hnlichen und des vornehmsten Mannes entspricht dem
Gedanken, nicht aber der des gewöhnlichen und des weise-
sten Mannes. In der Paraphrase heisst es also ganz richtig
(.irjöevog eXazzov fv zovzoig tyeiv ziov dgiöZiov und darnach
müssen wir das Fragment verbessern :
iöoj' utzaoxfTiv zw nQOcpEQzdzw zvyijg ;
1) Vgl. die 52. Abii. § 11 evOvg yom' 7iF.jioit]Tai TiQoXoyli^ojv avifp
6 'Odvaaevg xui ul/.n re. ir&vfi^fiaTa noXiTixa OTQE(pcüV sv tavzäi xal
jTQÖiröv yg dtujrofjojv vjikfj avxov, /nij äga doxfi /^kv roT? noXXoTg oorpdg
rig Eivui xal dtuffegior ttjv ovreaiv, f/ ös Tovrarriov ' f^ov yäg avxM
uXvJiiog xal djigayfiövojg Cf/r, o äk txojv ael tV Tiody/iuot xui xirhvvoig
yiyvetai. ^
Weclleiir. Tragödien rles J'Jiiripidett. l-j-'
In »gleicher Weise ist oocponeQa für TiQocfEoztqa Aesch.
Euni. S.')! überliefert, wie vielleicht auch Sopli. El. 1370
;ion(fEQTeQOig für aoqwr^Qoig gesetzt werden muss. In fr. 787
oy.i'co de fioxlfcov rwi- :rQU' e/.yeai yäqiv
•/ML Tovg /lagoriac ov/. unioi^ovf.iai novovg
ist o/.viov zu schreiben, nicht etwa weil die Paraphrase
ÜY.VLOV bietet, wo die Verbindung der Gedanken anders ge-
wendet ist, sondern weil der Sinn es erfordert. Man liat
o/.voj geschrieben, weil nnin /.ai in der Bedeutung von „und"
nahm. Aus § 11 oll' o> diori^re (Philoktet spricht), ttqoq
loiovxov Vteoov rj/.eig iiituuyov ccviov le arcoQor /.ai iQt^,uov
(filiüv Eni TqoÖE Tijg axrrji,- iggifit-itrot' will Nauck Adesp. 483
slg ao^Evoiviag doi^Eviov Elr^lvd^ag-
als Fragment dieses Prologs erschliessen. In der That
scheinen die Worte sehr gut zu passen, sobald man nqog
doi^Evovviag setzt. Aber der verallgemeinernde 1 Mural ist
nicht am Platze; Philoktet könnte etwa nur sagen: rigug
diOTL'yoivTa dvoTvywv lltjlvd^ag.
An dem Prologe muss uns ein Punkt sehr auffallen.
die Nichterwähnung des Diomedes. In der Vergleichung der
Philoktete der drei grossen Tragiker (52) gibt uns Dion an,
dass Euripides dem Odysseus den Diomedes gesellte (ov (.lövor
de 7rE/roii]/t rov 'Oöioota 7caqayr/vöi.iEV0v, dlld f.iEicc tov
Jioi.iijdovg). E. Petersen de Philoct. Euripidea. Erlangen
1862 S. 10 meint, nach dem Schol. zu Soph. Phil. 1 7iao'
ooov 6 f.iEv Evqutidr^g 7iävia rw 'OdvooE'i 7rEQiciDijOn; ohog
de TOV NeoriTolEiior 7iaQEioccyEi habe Diomedes keine Ivolle
gehabt. Aber das Schol. heisst vollständig so: /.ai 7iaQd
TOVTiiJ (Sophokles) 7iQoloyi'CEi 6 'OdiooEig, /.ai^d /ai nag"
EvQuriÖT] • h.Elvo fXEVTOi öiacfEQEt, 7Taq' ooov 6 [xtv EvQiniötjg
TidvTu rw 'Oölooe'i 7CEQiTii)i]Oiv, ovTog öi tov NeohtÖIeliov
7iaQEiodyiov did xoiioi oi/oroftEuai. Der Schol. spricht
18S8. PhilüS.-pbilol. u. bist. Cl. 1. 9
130 Sitznnfi der philns.-phUol. Clnsse vom 4. Februar 188S.
also nur von dem Prolog und rühmt es, dass So])hokles an
die Stelle des Euripideischen Monologs ein kunstgerechtes
Zwiegespräch gesetzt habe. Diomedes wäre ganz zwecklos
gewesen, wenn er nicht im Stücke irgend eine Rolle gespielt
hätte. Dann aber musste er vor dem Auftreten des Chors
den Zuschauern angekündigt werden, da der Chor der Lemnier
auf Seite des Haupthelden stand. Dion hat also wohl die
Angabe über Diomedes. welche der Beschreibung des auf-
tretenden Philoktet unmittelbar vorausgegangen sein wird,
beiseite gelassen.
Obwohl wir aus Dion ein Hauptstück der Anlage des
Euripideischen Dramas kennen, nämlich das Auftreten einer
Trojani'^chen Gesandtschaft, welche mit dem Anerbieten von
Reichtum und Herrschaft den Philoktet zu bestimmen suchte
nach Troja zu kommen, und deren Einführung dem Dichter
Stoff zu einem dycoi' aorpiag lieferte, ist uns über den Gang
der Handlung noch vieles unklar. Leider gibt uns Dion
gerade über das erhaltene Drama des Sophokles mehr an.
obwohl er auch hievon Wichtiges, z. B. das Auftreten des
Handelsmannes und den Krankheitsanfall unberührt lässt.
Petersen a. 0. sucht darzuthun, dass Odysseus sich zunächst
durch Hinterlist in den Besitz des Bogens gesetzt und sich
zu erkennen gegeben habe, worauf dann die Trojanischen
Gesandten aufgetreten seien. Diese Anordnung kann schon
deshalb nicht richtig sein, weil Philoktet ohne seinen Bogen
für die Trojaner keinen Wert hat (vgl. Dion 59 § 4 nvv-
i^ävoiiai dl- -/Ml jiaQcc xCov Qiqvycov ngtoßsig aneoräXyi^ai
y.qiipu, läv inog övvojvvai rov (l)iXov.TrjTrjv nelaavTeg öcögoig
a/ita y.ai dia trji' f-'yJ)^Qar rrjv /rgog rjjLiag avaXaßelv elg Tr\v
icöXiv avTOv /.al rd rö^a und 52 § 13 TiQEoßeiav . . derjoo-
fjivTjv avtov T€ y.al ra onXa sxeivoig iTagaoye'iv 87tl rfj rrjg
Tgoiag ßaciXelu).^) Wenn Philoktet bei der Ankunft der
1) Darauf hat auch Milani il mito di Filottete. 1879 S. 38 f.
N. 3 (und S. 37 N. I) iuifmfirksam gemacht.
Wccideiii: Tniijöilicii den Eariindcfi. i^l
Trojaiii.sclien Ge.saiulteii .seinen Bogen noch besitzen muss,
so kann sieh Odysseus auch noch nicht zu erkennen gegeben
haben. Denn wenn Philoktet im Prolog den Odysseus er-
schiessen will bloss weil er hört, dass er vom griechischen
Heere herkommt, so wird er ihn um so mehr erschiessen,
wenn er in ihm seinen schlimmsten Peiniger, von dem er
neuerdings schmählich betrogen worden ist, erkennt. Gerade
deshalb war ja die Verwandlung des Odysseus, welche sich
Euripides nach Homerischer Weise erlaubt hat, nötig, weil
Odysseus sonst vor den unentrinnbaren Geschossen nicht sicher
war (Soph. Phil. 105 f.). Einen wichtigen Anhaltspunkt für
das Auftreten der Trojanischen Gesandtschaft bietet uns das
richtige Verständnis von fr. 794
Kä^io ö' lyio, xav (.toc öiacfdeigag öox^
Xoyovg VTtoorag avxög T^di/.rf/.ivaL.
all' s^ Bf-iov yoQ rdf-ia /.laOrjOr] y.liiov,
0 (5' avTÖg avrov if.i(paviei ooi Xeyiov.
Der Text leidet an grammatischen und metrischen Verstössen
und wir würden kaum imstande sein das Ursprüngliche fest-
zustellen, wenn wir nicht aus Aristot. Rhet. an Alex. c. 19,
wo die Stelle citiert ist, wüssten, dass in den Worten die
rhetorische Figur der nQO/.caäh^ipLg enthalten ist {/.äxQifiai
ÖS xai EvQmiöt]g ev 0do/,zr]rr] xeiviÄiog toitiü zo) eiösL dia
TOvÖE ^U^io . . Uyojv'). Weil schreibt vnoqiO^äg für V7C0-
atäg, womit der Text kaum verständlich wird. Ribbeck a. 0.
S. 392 will i(piOTdg lesen nach Hesych. vcpiOTag, v7ioiLi>eig:
, obwohl er, wie ich glaube, Unrecht gethan hat, indem er
meine (noch zu erwartenden) Worte durch Unterstellung
eigener entstellte". Für diesen an und für sich unklaren
Gedanken erscheint avtög als unpassend. Augenscheinlich
ist öiacpd^eiQag in öiacpÜe'iQai zu ändern: ,Ich will reden,
obwohl er meine Reden verdorben zu haben scheint, indem
er selber .sich zu dem Geständnisse Unrecht gethan zu haben
lo2 SitziDxj der iihilos.-philol. Classe com 4. Februar 18S8.
lit'rheiliess" d. h. „obwohl er mir den üauptstoff der Ent-
gegnung durch das eigene Geständnis seiner Schuld vorweg-
genommen hat". Recht eigentlich ist also damit eine ante-
occupatio oder praesumptio gekennzeichnet und zwar in der
Form einer confessio (ut pro Ivabirio Fostumo, quem sua
quo(|ue sententia reprehendendum tatetur, quod pecuniani
regi crediderit Quint. IX 2, lO). Gewöhnlich hat npioiaoOuL
mit dem Infin. die Bedeutung „auf sich nehmen, versprechen,
etwas zu thun" (Alk. 3(5 vnioiij . . nqoO-aveiv, Iph, A. 360
aoi-itvog i}iaeiv vneaz7]g nalda), aber das Wort passt auch
auf das beste für die Bedeutung „eine Scliuld auf sich nehmen".
Dieser Sinn gestattet uns nunmehr auch die Fehler der zwei
letzten Verse zu verbessern. Für rdf-ia f.iad^y\orj will Matthiä
Taf-C d/.ovoETai, Meineke ra/m jidvr^ eioei, Enger Taj.i' av
a/.f^(ai}oig, für fj-icpaviü ooi Heath und neuerdings Sauppe
^(fpca'i'Cei Goi, was eine metrische Härte ergibt, Boissonade
oder Jacol)s e/iirfavfj i^r^oei, FHugk ^iiKpanCiTw lesen. Da
der andere bereits das Geständnis über -seine Fers<jn abge-
legt hat, so kann von dem Fut. Ijucpavrj Orjoei keine Kede
sein; dagegen passt vortrefflich ^Kpavi'Qico) „mag der über
seine eigene Person Erklärungen abzugeben haben".. Nun
ergibt sich von selbst, dass tdud dem Sinne nicht entspricht;
denn wenn sich der Sprechende darüber ungünstig und
spöttisch äussert, dass der andere über seine eigene Person
sich ausgelassen liat, so kann er niciit selber auf seine per-
sönlichen \'erhältnisse eingehen. Der Gegensatz kann nur
folgender sein: „während der über seine Person zu sprechen
hat, werde ich nur die Thatsachen darlegen". Sonach er-
fordert der Sinn: dXV l^ 8f.iov yoQ 7iQ(xyf.iai'' avi^ ei'or] xXviov.
Sofort leuchtet jetzt ein, wer der Sprechende und wer der
andere ist, der ein Geständnis seiner Schuld abgelegt hat.
Odysseus spricht gegen einen Trojanischen Gesandten, welcher
kein anderer als Paris sein kann, der am ganzen Kriege und
so auch an dem Unglücke des Philoktet allein die Schuld
]Vccl'hin: Traiiödioi des I'Jiiriiiidcs. loo
trjij^'t. Scliciii lliirtuno- (Kur. rest. l p. ;35 4 iiiul ;i50 f.) Ii:it
uns (,)iiintil. V 10. 84 l'liilocteta Puriili
,si iini)ar e.s.so.s tibi, ego nunc nun esseni niiser,
wek-lies Bruchstück Hermann dcni l'liilocteta des Accius /u-
gewieseii hat (XVIII Ribb.), geschlossen, dass Paris an der
Spitze der Trojanischen Gesandtschaft steht. Aber man hat
den Text des (.^uintilian geändert, hat Philocteta: Pari Dys-
pari, dispar esses tibi oder Philocteta: Pari dyspari, dispar
si esses und anders geschrieben, so dass man mit Spalding
und Schneidewin (Philol. IV S. 655 f.) in den Worten einen
Flucli auf den abwesenden Paris Hnden konnte, wie etwa
Philoktet in seinem Schmerze bei Sophokles 701 ruft:
oj 5c'j'£ KE(falh'ji', eiUe ooi diaf-inegig oreotov b^oit' ah/i]Oi<;
Tjöt . . OJ öisilol ozQUTfjXäiai, l4yä(.iE^ivov w MeveXae ktb.
Nunmehr nuiss die Rolle des Paris im p]uripideisclien Drama
feststehen und es wird sich damit auch der Streit, ob sich
Accius vorzugsweise an Sophokles oder Euripides angeschlossen
habe, zu Gunsten des Euripides entscheiden. Eine gewisse
Bestätigung erhält die Rolle des Paris durch drei Darstellungen
etruskisclier Aschenkisten Brunn I rilievi delle urne Etrusche.
I. Taf. ()9f. nr. 1 — 3. Wir sehen in der Mitte Philoktet
mit Pfeil und Bogen vor seiner (irotte, im Gespräche be-
griffen mit zwei rechts stehenden jugendlichen Männern, von
denen der vordere eine Phrygische Mütze trägt ; links ist
Odysseus im Begriff hervorzutreten, noch zurückgehalten von
einem Gefährten. Wir geben Ribbeck a. 0. S. 396 ff.^)
durchaus Becht, wenn er in AV'iderspruch mit Brunn (a. 0.
S. 81 f.) und Schlie (S. 140), welche nur Griechen darge-
stellt sehen und die Tragödie des Sophokles als Vorbild be-
trachten, in den zwei Männern rechts die Trojanische Ge-
ll X^]. auch Milani a. 0. 8. 07 f.
I oi Sitzamj der iihilds.-pJtilol. Cl<isse com 4. Februar IHHS.
Scindtscliat't erblickt. Wir können nunnielu' mit Sicherheit
den Mann mit der Phrygischen Mütze als Paris bezeichnen,
niao- auch auf Etrnskischen Bildwerken dieses Attribut kein
zuverlässiges Merkmal sein. Was wir oben als notwendig
erkannten, dass Philoktet bei dem Erscheinen der Gesandt-
schaft noch im Besitze seines Bogens sei, das sehen wir auch
durch die bildliche Darstellung bestätigt. Odysseus gibt sich
in seiner Gegenrede nicht zu erkennen ; er spricht nur von
den Thatsachen, nicht von seiner Person, Seine Kede wird
vor allem den Verrat am Vaterlande gebrandmarkt haben
und fr. 705
/iccTQig -/.aXotg Ttoäooovoa roj' rvy/ji'i'' äei
/iieiCw Tid^rjOi, dvoivyovoa ö' aoÖevri.
gehört sicher dieser Rede, nicht wie Welcker »S. 514 meint,
dem Prologe an. Dagegen wird fr. 796
ioO/'i€Q di ÜviiTov /.al lö awf.C i^f.uov sffv,
00 CCD 7CQ0orj-/.€i /iiijdi cr^v OQyrjv tyeiv
di/avarov ootig oonpQoveiv Hilacacai
besser seine Stelle in einer späteren {)iiOig des Odysseus rinden.
Die bildliche Darstellung kennzeichnet den Moment, wo
Odysseus hervortritt, um der verführerischen Rede des Paris
(fr. 792) entgegenzuwirken. Er kann sich nicht länger
halten, wie diese Stimmung in Adesp. 8
vritQ ye {.livioi naviog '^EXhr^viov axqctiov
(dayqov 0H'J7rai\ ßaQjiaQOig ()' fär Xt-.yeiv
recht gut ausgedrückt ist. Aus Cic. de orat. III 35, 141 und
<)uint. III 1, 14 wi.ssen wir, dass dieses Fragment einem
Philoktet angehört; dass es der Philoktet des Euripides ist,
geht aus ßaQßctQOvg (3' iav Xeyeiv hervor. Nun heisst es
freilich bei Cicero: versumque quemdain Philoctetae paullo
WecMeiv: lyafiödieii r?fs Euripides. l'>'>
s(>cns dixit (sc. Aristoteles). Ille enim turpe sibi ait asse
tacere cum barbaros, bic auteni cum Isocratem ]>ateretur
(licere. Darnach kann es scheinen, als ob die Worte dem
l'hiloktet in den Mund /.u legen seien, und Matthiä und
andere, neuerdings Ribbeck (S. 393) haben die Verse wirk-
lich dem Philoktet beigelegt. Aber merkwürdig wäre es,
wenn Philoktet als Verteidiger des Heeres aufträte, er der
das Heer ingrimmig hasst und einen Mann erschiessen will
bloss deshalb, weil der vom Heere herkommt. Schrm die
Worte aloxQOv ouon&v lassen deutlich erkennen, dass nicht
Philoktet sie gesprochen haben kann. „Nachdem er lange
schweigend zugehört hatte, meint Ribbeck, Odysseus und
Diomedes ihre Sache schon fast verloren gaben, brach er
hervor mit dem berühmten Wort". Wenn Philoktet Rede
und Gegenrede schweigend angehört hat, hat er keinen
Grund zu sagen aloxQOv oiiojiäv^ zumal da für das Griechische
Heer bereits gesprochen worden ist. So kann sich nur der-
jenige ausdrücken, der eigenthch schweigen müsste, da er
Feindscbaft gegen das Griechenheer geheuchelt hat, der aber
jetzt sich stellt, als werde er durch patriotische Entrüstung
zum Reden gedrängt. Kurz nur Odysseus kann die Worte
gesprochen haben und bei Cicero muss man eine in diesem
Falle ganz natürliche Ungenauigkeit des Ausdrucks annehmen,
wenn man die Worte nicht so erklären kann: „einen Vers
des Stückes Philoktet (noto illo ex Philocteta versu heisst es
bei Quintilian); denn jener (Sprechende) sagt d. i. denn dort
sagt einer". Wir können, nachdem wir gesehen haben, dass
fr. 794 dem Anfang der Gegenrede des Odysseus angehört,
in welchen auch dieses Fragment zu setzen ist, noch weiter
gehen und in Rücksicht auf Inhalt und Form die beiden
Fragmente verbiuden:
vntQ yE (itvTOi jcarrug '^EXh'^vtüv özqutov
aloxQOv Giiü/cäv. ßagßagoi-g ö' föv kiyuv.
13(^) SitzHHfi der philos.-pMlnJ. Classc rom 4. Februar 1S88.
XeBio (J' aytu, xaV /.lov diacpd^elQai (3'o"/^
Xoyovg v/fOOTog avxdg rjöi/.tf/.ivai.
aXV fB ki.(Ov yaQ /iQay/iiai' avi' el'o)] ■/.Xviov.
0 d^ avTog avTov ef.(Cfai'iCtT(o Itywr.
„Wenn es nur Einzelne, /,. B. Odysseus oder Diomedes, be-
träfe, würde ich schweigen ; nun es aber das ganze Heer
angeht, ist es eine Schande zu schweigen und Barbaren reden
zu lassen. Nein, ich werde reden, wenn er mir auch die
Rede zerstört hat, indem er selber seine Schuld eingestand.
Aber von mir ja sollst du nur Thatsachen vernehmen, wäh-
rend dieser seine eigene Person au den Pranger stellen mag**.
Auf der angeführten bildlichen Darstellung erscheint
neben Odysseus sein Begleiter, Diomedes. Wir haben schon
oben dem Diomedes eine Kolle vindiciert. Wie aber soll er
eingeführt worden sein ? Dem Philoktet gegenüber gibt
Odysseus vor, er sei in der vergangenen Nacht heimlich den
Nachstellungen des Odysseus entwichen und allein herüber
gekonnnen. Er kann hiernach nur auf einem kleinen Fahr-
zeuge angekommen sein, wie im Folgenden Philoktet auch
nicht annimmt, dass er auf dem gleichen Fahrzeuge in die
Heimat gelangen könne. Odysseus muss aber von vornherein
daran denken, den Philoktet zu bestimmen auf das Schiff' zu
gehen, das ihn nach Troja bringen soll. Woher soll das
Schiff' gekommen sein? Fr. 791
luayMQiog ooiig evzvywi' ol'/.oi uerei '
H' yfi 6' (I (f'OQiog y.ai 7rähv vavziXXexai
scheint darüber Auskunft zu geben. Den zweiten Vers er-
klärt Welcker (S. 513): „So ist der Mensch, kaum ist die
Ladung geborgen, so segelt er von neuem aus". Aber für
diesen Gedanken ist die Verbindung mit öt zu schwach. Ich
möchte, woran schon Oesner gedacht hat, v.ov für v.ai
schreil)cn, so dass der zweite Vers die Ausführung zu evxv-
yiov oiy.oi \.dvu enthält: „froh die Ladung geborgen zu haben,
Weckleiii: Trntjödien den Eurijndes. lo7
segelt er nicht wieder aus". Man könnte daran denken,
uiit Welcker die Verse dem Prolog" zuzuweisen ; aber sie
hätten eine passende Stelle nur am Anfang desselben, wo
Dion einen anderen Gedanken angibt, und wären überhaupt
nicht von Dion beiseite gelassen worden. Vergebens aber
werden wir uns im übrigen Stücke nach einem passenden
Platze umsehen, wenn wir nicht einen Handelsmann auf-
treten lassen, der an die Insel verschlagen in Missmut über
sein Handwerk in Klagen ausbricht und entweder die mensch-
liche Ungenügsamkeit tadelt, welche den Schiffer durch die
Gefahren des Meeres treibt, oder den Entschluss kund gibt,
wenn er noch einmal glücklich heimkehre, kein Ruder mehr
anzurühren. So konnte Diomedes als Matrose verkleidet sich
bei Philoktet einführen und so stand das Schiff bereit den
Philoktet aufzunehmen. Wir sind überrascht, die Sophokleische
"E^7iOQog-Scene bereits bei Euripides zu finden ; aber den
guten Gedanken eines Vorgängers Hess sich der Nachfolger
nicht leicht entgehen. Sophokles hat ja auch die Erfindung
bedeutend umgestaltet. Wenn aber Diomedes zunächst unter
fremder Gestalt auftrat, musste umsomehr sein Auftreten im
Prolog angekündigt werden. Bei Sophokles berichtet sowohl
Neoptolemos als auch der falsche Handelsmann dem Philoktet
Wahrheit und Dichtung über Ereignisse und Verhältnisse
vor Troja. Eine solche Erzählung scheint auch bei Euri-
pides vorgekommen und durch dieselbe dem Philoktet der
Ausruf entlockt worden zu sein fr. 793:
Tt drJTa Oä/.uig uaiii/iuJi; e(fr./Lteroi ^)
oaq^öjg öwj-inaO^^ elöivai rd öaif-ioviov,
Ol TtZrde yeiQiöva/.ieg avd-QConoi Xoyiov;
1) irfijfisroi habe ich für Frt'jiieyoi geschrieben. Vgl. Hom. C 3U'J
Ooovoc . . ziö . . i(pi)iievog. Dagegen d 272 i.T.-rfo iri ^eoiro, IV fvi]-
juda uävxES ägioroi. Im letzten V. habe ich djzazäv für JisiOei und
mit F. W. Schmidt oyj.ov für ).iya>v gesetzt.
l'iS Sitzuny der iHiilos.-philol. Classc vom 4. Februar 1888.
oOTig yaQ avxel d^ecov snioTctoi^ai 716qi^
oidev TL /.ioXXov oiöev rj anazav oyXov.
Die Mitteilung also, dass die Waffen des Achilleus dem
Odyt^seus zugefallen seien, Acc. fr. XVI
heu Mulciber !
arma ergo ignavo invicta es fabricatus manu
kann immerhin auf Euripides zurückgehen.
Nach dem Abgang der Trojanischen Gesandten könnte
Diomedes aufgetreten sein — dass auf dem erwähnten Bilde
Odysseus einen Begleiter hat, hindert nicht; denn dieser
dient nur der Symmetrie — ; dann könnte ein Anfall der
Krankheit erfolgt sein und dieser dem Odysseus und Diomedes
die erwünschte Gelegenheit geboten haben, sich in den Besitz
der Waffen zu setzen. Mit Recht scheinen nämlich Brunn
a. 0. S. 84 und Schlie S. 146 eine zweite Abbildung etrus-
kischer Aschenkisten (ebd. Taf. 70 — 72 nr. 4 — 7), welche
den Raub der Waffen darstellt, auf Euripides zurückzuführen.
Während Odysseus dem in seiner Grotte sitzenden Helden
den kranken Fuss pflegt, nimmt — ich sage gleich —
Diomedes hinterrücks den Bogen weg. Allerdings möchte
man glauben, dass eine solche Handlung mehr einem Pulci-
nello als einem Diomedes zukomme; allein der Raub ging
offenbar nicht vor den Augen der Zuschauer vor sich, son-
dern wurde von dem aus der Grotte tretenden Diomedes er-
zählt. Petersen fa. 0. S. 10) will aus der von Welcker
l)eigebrachten Stelle des Himerios (or. 14, 1) (IiiloxiriTiji>
f.iiv ovv t:/.eivov xal hil tov aO^Xov r^yeiQEV 'Odvaoevg jtaQcov
xal diöorg Trjg riyvrjq xo ovvd^ru.ia entnehmen, dass bei
Euripides Odysseus den Philoktet zu einem Wettkampf im
Bogenschiessen aufgefordert und bei dieser Gelegenheit sich
in den Besitz des Bogens gesetzt habe. Aber Petersen hat
sieb entgehen lassen, was Schneidewin a. 0. S. (358 ff. über
die Stelle des Himerios ausführt. Das Probeschiessen fand
Wecklein: Tragödien des Euripides. 139
vor Troja, nicht auf Lemnos statt. Führt mau die bildliclie
Darstellunor auf Euripides zurück, dann versteht man den
zweifelnden Ausdruck des Dion (52 § 2) r^v yaq (nämlich
v7f6^eoig der drei Stücke) Tj tcov (Ddo-Kzrjrov xö'iiov elzb
TiXonri ehe oQyrayrj dsi Xiyeiv. Der Ausdruck xAottt^ passt
in diesem Falle recht eigentlich für Euripides. Ferner er-
kennt man, dass die Worte ebd. § 10 ot Xoyoi, öi' wv Ttgoot]-
yäysTO (Odysseus bei Aeschylus) airov, ov (.lovov Evoyr^f.iovi-
öTEQOi /Ml iJQiüt ;iQe7€0VTeg, alX' ot'x EiQvßaTco xal Uavai-
■Aiiori ihre Spitze gegen Euripides kehren, bei welchem das
Benehmen des Odysseus und Diomedes gegen Philoktet einen
gaunerhaften Anstrich hatte. Ebenso wirft Sophokles mit
dem Rate, welchen der Chor Phil. 833 dem Neoptolemos
gibt, die Gunst des Augenblicks, wo der Kranke schläft, zu
benützen und mit dem Bogen davon zu gehen, einen Seiten-
blick auf die Art, wie sich bei Euripides Odysseus den Bogen
aneignet. Die Macht der Rede musste das Unrecht wieder
gut machen und die Aussöhnung herbeiführen (fr. 790); nur
scheint am Schlüsse die Aufgabe des deus ex machina
(AthenaVj, welcher, wie Petersen (S. 16) gesehen hat, sich
aus fr. 797
<f£L, (Ar\7ioT' eXiiV oXXo nXriv i^eolg (fiXoig,
cog 71&V zelolot, /.av ßgadcviooiv, XQOvio.
ergibt, eine andere als bei Sophokles gewesen zu sein und
die Handlung des Stückes selbst bedeutend mehr beeinflusst
zu haben. Das deutet auch der Inhalt des Fragments an.
Sitzungsberichte
der
k^niiil. baver. Akademie der Wissenschaften.
Historische Classe.
Sitzung vom 4. Februar 1888.
Hen* Gregorovius hielt einen Vortrag:
,Die erste Besitznahme Athens durch die
Republik Venedig."
Der wesentliche Zweck meiner Mitteilung ist die Ver-
öffentlichung zweier von mir im Frühjahr 1887 im venetiani-
schen Staatsarchiv copirter Urkunden , welche sich auf die
erste Besitzergreifung Athens durch die Republik von S. Marco
beziehen.
Die Stadt Athen war von dieser bei der Teilung des
byzantinischen Reiches unter die Häupter des lateinischen
Kreuzzuges nicht beansprucht, sondern durch Bonifazio, den
Markgrafen von Montferrat und König von Thessalonich, nebst
Theben dem burgundischen Ritter Otto de la Roche zu
Lehn gegeben worden. Sie wurde aber seit dem Ende des
vierzehnten Jahrhunderts dreimal von den Venetianern in
Besitz genommen, und nur das erste Mal (1394 — 1408) einige
Jahre lang wirklich von ihnen beherrscht und regiert.
1S88. Philos.-philol. u. liist. Cl. 2. 10
142 Sitzung der Idstor. Classe vom 4. Februar 1888.
Zum zweiten Mal erschienen sie wieder in Athen, als
sich die Stadt gleich dem ganzen Griechenland schon in
der Gewalt der Türken befand. Der venetianische General-
capitän Vettere Capello landete im Sommer 146G im Piräus
und bemächtigte sich der Unterstadt Athen. Allein er wagte
keinen Sturm auf die mit hinreichender osmanischer Besatz-
ung versehene Akropolis, und zog deshalb ohne anderen Er-
folg alsbald wieder ab.
Das dritte Mal eroberten die Venetianer auch die Akro-
polis. Das Andenken des schwedischen Grafen Königsmark,
jenes tapfern Condottiere, welcher unter dem Befehl Fran-
cesco Morosini's die ehrwürdige Burg der Pallas Athene den
Türken entriss, hat freilich eine unglückliche Thatsache der ge-
bildeten Welt verhasst gemacht, die am 20. September
1(387 durch eine Bombe bewirkte Zertrümmerung des Par-
thenon.
Die erste Besitznahme Athens durch die Republik
wurde durch folgende Ereignisse veranlasst.
Nerio , der erste Herzog von Athen aus dem Floren-
tiner Hause der Acciajoli , starb ohne legitime männliche
Erben zu hinterlassen, im September 1394, nachdem er am
17. desselben Monats zu Koriuth sein Testament gemacht
hatte 1).
Die Bestimmungen dieses sehr merkwürdigen, in italieni-
scher Sprache verfassten Acts waren folgende. Seinem Ba-
stard Antonio vermachte der Herzog Theben und das Castell
Livadia, demnach die Herrschaft über Böotien. Seine älteste
Tochter Bartolomea, die Gemalin des griecliischen Despoten
Morea's, Theodor Paleologos, betrachtete er als hinreichend
versorgt, und fand sie mit einer Schuhlforderung von 9700
Ducaten ab. Seine zweite Tochter, die Basilissa Francesca,
1) Abgedruckt bei Buchon Nouv. Recli. TI, 251 f. Diitinu Corinto
a. 1». ia9», die 17" !u. Sept. Jiid. III.
Gregnrovius: Besitznahme Athens durch die Bepuhlik Venedig. l4.S
die schönste und berühmteste Frau in j^janz Griechenland,
welche Gemalin des Carlo Tocco, Herzogs von Leukadia und
Pfalzofrafen von Kephalonia war, setzte er zu seiner Universal-
erbin ein. Sie sollte die Landschaft Megara und Basilika
(Sicyon) nebst allen anderen ihm gehörigen Ländern erhalten,
so weit uänilich diese nicht schon testamentarisch vergeben
waren; im Falle sie einen Erben erhielt, oder auch ohne
dies, sei sie innerhalb drei Jahren in den Besitz jener Orte
zu setzen. Korinth aber sollte sie an den damaligen Gross-
seneschal Siciliens Roberto Acciajoli, den Sohn des Nicolö,
zurückgeben, wenn derselbe die schuldige Pfandsumme aus-
zahlen würde.
Nerio stiftete vielerlei Legate für andre Verwandte, setzte
Summen für Kirchen und fromme Stiftungen aus, und be-
dachte vor allen mit überschwänglicher Pietät die berühmte
Parthenon kirche, S. Maria von Athen, wo er selbst begraben
sein wollte. Er wies ihr seinen reichlich versehenen Mars-
stall zu, bestimmte nicht nur zu ihrer Herstellung und Er-
haltunsr Renten aus den Einkünften der Stadt, sondern er
vermachte diese Stadt Athen selbst jener Marienkirche als
Eigentum . indem er alle derselben von ihm verliehenen
Rechte unter den Schutz der Republik Venedig stellte^).
Wenn Nerio Acciajoli den ungeheuerlichen Gedanken
fassen konnte, Athen zum Besitztum der lateinischen Priester-
sehaft des Parthenon zu machen, so darf man daraus schlies-
-en, dass die Hauptstadt des Herzogtums damals weder gross,
noch reich, noch eine selbständige Gemeinde gewesen ist*).
1) Item lasäamo all' ecclesia di S. Maria di Athene la citta di
Athene con tutte le sue pertinentie e ragioni.
2) Pius II Piccoloraini sagte von Athen: eadem nostro tempore
parvi oppidi speciem gerit (Europa, Attica c. XI); was später Cru-
siu.s (Annot. in Hist. Eccl. Const p. 193) wunderlicher Weise bestritt,
weil ihm Simon Kabasylas a. 1578 versichert hatte , Athen besitze
einen Umfang von 6 oder 7 Millien und etwa 12000 Einwohner.
10*
144 Sitzung der Imtor. Clasae rom 4. Februar 1888.
Als der sterbende Herzog die Jungfrau Maria zur Eigen-
tümerin der erlauchtesten Stadt der geschichtlichen Erde
machte, erinnerte er sich kaum daran, dass einst die Par-
thenos desselben Tempels auf der Akropolis die Herrin
Athens gewesen war. Die Stadt des Theseus trat plötzlich
wieder in ein Patronalverhältnis zu einer göttlichen Jung-
frau, und immerhin Avar es für sie ehrenvoller, einer von
der ganzen christlichen Welt verehrten Heiligen des Him-
mels zu eigen zu gehören, welche schon seit acht Jahrhun-
derten ihre heidnische Vorgängerin Pallas Athene aus dem
Parthenon verdrängt hatte, als die Domäne des Kislar Aga
zu werden, des Hauptes der schwarzen Eunuchen im Serail
zu Stambul, denn zu dieser tiefen Schmach sollte die Stadt
der Weisen wirklich herabsinken. Und zwar hat sie sich
dies um 1()40 als eine Gunst vom Sultan selber ausgebeten ^).
In derselben Zeit Nerio's befand sich übrigens das einst die
Welt beherrschende Capitol Rora's grösstenteils im Besitze
der Franziskanermönche von Aracöli, ohne dass die Römer
dies als eine Erniedrigung der erhabensten Malstatt ihrer
Geschichte empfanden.
Nach dem Wortlaut der Schenkung Nerio's sollte also
die Stadt Athen etwa in ein solches Verhältnis der Abhän-
gigkeit zum lateinischen Erzbischof und dem Capitel der
Parthenonkirche treten, wie es die Stadt Rom zum Papst
und zu Sanct Petrus besass. Sie sollte fortan als ein eximirtes
Kirchengut zu einer geistlichen Baronie unter päpstlicher
Autorität werden, wie dies damals die Metropole Achajas
Patras wirklich war^V
1) Spon, Voyage de Grece TI, 242. Auch die heuligen Griechen
betrachten das nicht als einen Schimpf, sondern als eine Bevorzugung
Athens. Nicolaus Moschobeki rö h 'Elh'tl^i (h)iiöoioy öixaior tnl
Tovoxoxoariag, Athen 1882, p. 115.
2) Finlay Hiat. of Greece IV, 159 behauptet ganz widersinnig,
dass Athen durch diese Schenkung Nerio's nach 14 Jaiirhunderten
G-regornmis: Besitznahme Athens durch die Republik Venediij. 14o
Nun aber hatte der Herzo«^ nicht nur diese neuen Rechte
der Marienkirche, sondern sein ganzes Land dem Schutze
der Kepubiik Venedig testamentarisch empfohlen^). Da diese
sehr wichtige Bestimmung nebst allen andern praktischen
Verhältnissen die Ausführung der Schenkung des athenischen
Pipin unmöglich machen miisste , so hat das Testament
Nerio's nur eine psychologische Bedeutung als Vorgang im
Kopfe eines wahrscheinlich von vieler Sündenschuld bedrückten
und l)igott gewordenen Phantasten.
Die Zumutung an die eingeborenen Athener, ihr städti-
sches Vermögen durch ihnen verhasste lateinische Priester
verwalten zu lassen, und fortan vom Erzbischof ihre Rectoreii
und Richter, und die Capitäne der Akropolis anzunehmen,
war so abnorm, dass sie auch ein schwaches Volk zum Auf-
stande hätte treiben müssen, wenn das Domcapitel den Willen
des Herzogs durchzuführen unternahm. Die Nationalpartei
der Griechen in der Stadt war damals erstarkt, weil derselbe
Nerio , bald nachdem er die Herrschaft erlangte , um die
Athener für sich zu gewinnen, ihre von allen seinen fränki-
schen Vorgängern nicht geduldete , erzbischöfliche Kirche
hergestellt hatte. Zum ersten Mal seit der Eroberung Athens
durch die Franken sass wieder ein griechischer Metropolit
in der Stadt, wo man ihm eine Basilika und ein Episcopiuni
eingeräumt hatte, während der lateinische Erzbischof neben
dem Parthenon auf der Akropolis residirte.
Der Dosje Antonio Venier schickte am 4. Dec. 1394
der Sclaverei für einen Moment einen Schein von Freiheit unter dem
Schatten des päpstlichen Einflusses erhalten habe.
1) Im Testament heisst es : Item volemo che nostro paese sia
in recommissione et in recomandatione dell' eccelsa et illustre du-
cale signoria di Venetia, et che li essecutori nostri dello nostro testa-
mento debbiano et possano ricorrere alla detta signoria per ajuto et
favore. Chalcocondylas IV. 213 sagt, dass Nerio die Stadt Athen den
Venetianern überliess.
146 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1888.
eine Abschrift des Testaments Nerio's an die Signorie in
Florenz ^). Dort war Donato Acciajoli der Erbe der floren-
tinischen Güter seines älteren Bruders Nerio, und zugleich,
gemäss dem Investitur- Di])lom des Königs Ladislaus von
Neapel, des Oberlehnsherrn des Herzogtums Athen, sein
rechtmässiger Nachfolger in diesem. Allein er Hess sich nicht
herbei, seine Ansprüche auf das ferne Land wahrzunehmen,
entweder weil er es vorzog, Gonfaloniere in Florenz als
Herrscher in Attika zu sein, oder weil ihn unvorhergesehene
Ereignisse hinderten. Denn die Willensbestimmung Nerio's
wurde sofort der Gegenstand des Haders der nächstberech-
tigten Verwandten und Erben.
Drei Prätendenten standen in Griechenland bereit , das
Testament zu ihren Gunsten auszulegen, oder, wo möglich,
umzustossen: der kluge Bastard Antonio, jetzt wirklicher
Herr in Böotien, der mächtige Dynast Carlo Tocco als Gemal
Francesca's, und die RepubUk Venedig, deren Bailo in dem
nahen Negroponte die Dinge beobachtete. Tocco besetzte zu-
erst Megara, kam im Nov. 11394 nach Korinth, und zwang
die Executoren des Testaments durch List und Gewalt ihm
diese Stadt zu überlassen. Sie eilten hierauf nach Venedig
und Florenz, wo sie ihre Proteste niederlegten*).
Die Republik Sau Marco sah sich unterdess genothigt, ihr
testamentarisch verbrieftes Schutzrecht über Athen geltend
zu machen luid der steigenden Verwirrung im attischen Lande
Einhalt zu thun, welches die Beute der Türken zu werden
drohte. Der gewaltige Bajazet war der Schiedsrichter Griechen-
lands, wo nichts mehr ohne seine Genehmigung geschehen
konnte, wo nicht nur jeder griechische und fränkische Dynast,
sondern der ))yzantinische Kaiser selbst im Vasallenverhältnis
1) Buchon, N. W. II, 261.
2) Protest in Venedig, 1. .Sept. 1395; in Floronz IG. Sept. 1395,
Buchon N. R. II, 264. 265.
Gregorovius: Besitz naiime Athens durch die Republik Vcncdirf. 147
zu ihm .stand . seine Gunst ilurcli Tribut erkaufte , und zu
seiner Selbsterhaltung oder Vergrösserung die türkische Inter-
vention anzurufen pflegte. Der Sultan hatte jetzt den Grie-
chen und Lateinern gegenüber die gebietende Stellung der
alten römischen Kaiser erlangt: seine Kühnheit und Gross-
artigkeit und seine Staatskunst flössten der ganzen Christen-
heit Schrecken und Bewunderung ein.
Im Bunde mit den Türken war selbst Carlo Tocco,
welcher nach dem Besitz der unlängst venetianisch gewor-
denen Argolis strebte und dorthin kriegerische Streifzüge
unternahm, während er sich von seinem Schwager Theodor
überreden Hess, ihm Korinth abzutreten. Dort zog griechische
Besatzung ein, und so wurde der Isthmus mit dem Pelo-
ponnes wieder vereinigt.
In Athen regte sich die lange unterdrückte National-
partei. Einheimische Archontengeschlechter waren dort wieder
emporgekommen, und sie schlössen sich an das griechische
Erzbistum an. Der Metropolit Makarios musste durch die
Schenkung Athens an die lateinische Kirche in Wut versetzt
sein ; von Nationalhass verblendet unterhandelte er heimlich
mit den Türken, und einige Monate nach dem Tode Nerio's
rückte der Pascha Timurtasch von Thessalien mit einem
Heerhaufen in Attika ein. Er besetzte ohne Widerstand die
Unterstadt Athen. Nur die von den Spaniern während ihrer
Herrschaft durch Schanzen verstärkte Äkropolis hielt der
tapfre Burgvogt Matteo de Montona , einer der Executoren
des Testaments Nerio's^).
In seiner Bedrängnis schickte er Boten nach Negroponte,
und trug dem dortigen venetianischen Bailo Andrea Bembo
an, ihn durch einen Entsatz zu befreien und die Burg wie
1) In venetianischen Urkunden wird der Name durchaus Mon-
tona, nicht Mentona geschrieben. E.s gab in Istrien ein Castell Mon-
tona, von woher Matteo stammen mochte.
148 Sitzung der histnr. Ciasse vom 4. Februar 1888.
die Stadt Athen für die Republik in Besitz zu nehmen,
unter Bedingungen, Aveiche die Freiheiten und Rechte der
Athener gewährleisteten. Bembo genehmigte diesen Antrag
mit dem Vorbehalt der Bestätigung des Dogen. Er schickte
von Euböa Kriegsvolk hinüber, welches die Türken zum
Abzüge aus Athen und aus Attika nöthigte. Montona
öflfnete hierauf den Venetianern die Akropolis, und am Ende
des Jahres 1394 wurde das Löwenbanner von S. Marco zum
ersten Mal auf den Zinnen der Burg des Cecrops aufge-
zogen^). Die altersgraue Akropolis, seit den Römerzeiten
eine Festung, wie die Kadmea Thebens, hatte damals und
schon längst ihren antiken Namen verloren ; die skandinavischen
Seefahrer nannten sie Athenisborg, die Franken castrum
Athenarum oder im gewöhnlichen Vulgär „Castell Sethines. "
Kein günstigeres Los konnte damals den Athenern zufallen,
als venetianisch zu werden.
Andrea Bembo meldete das wichtige Ereigniss dem
Dogen, und Matteo de Montona schickte zu diesem als
seinen eigenen Boten und Bevollmächtigten Leonardo von
Bologna, lun die Republik aufzufordern, die vollendete That-
sache der Besitznahme Athens anzuerkennen und die ver-
tragsmässigen Zusagen des Bailo zu bestätigen. Die Signorie
Venedigs konnte die kühne That ihres ersten Ministers in
der Levante nur mit Genugthuung aufnehmen, wenn auch
die Folgen derselben vielerlei Bedenken erregen mussten;
denn der Erwerb Athens und Attikas musste bei allen
Feinden der Republik auf heftigen Widerspruch stossen,
bei dem Sultan, den Byzantinern im Peloponnes, und den
Erben Nerio's. Allein Venedig hatte das unbestrittene
1) Navagero Stor. vcnet. (Munitori XXIIT, 1075). Da in dem
venetianisclien Senatsbe.schluss vom 18. März 1395 pfesagt wird, dasa
der Bote des Montona schon seit mehren Monaten in Venedig sei,
so kann die Besetzung Athens durch den Bailo nicht, wie Hopf an-
nimmt, Anfangs 1395 geschehen sein.
Gregorovins : Besitznahme Athens (hirch die Eepuhlik Veuedi;/. 1 ^•'
Keclit und die [Pflicht, Athen zu schützen und zu retten.
Ani 18. März 1395 fasste der Senat den Beschlu.ss, den Be-
sitz der Stadt zu behaupten.^)
In diesem Act erklärte er, dass es unstatthaft sei, di«.'
Stadt Athen aufzugeben, weil sie sonst in die Gewalt der
Türken fallen müsse, wodurch dann die benachbarten Be-
sitzungen, welche der Republik so teuer seien, wie die Pupille
des Auges, dem Untergänge ausgesetzt sein würden. Venedig
übernahm die Stadt Athen mit der ausdrücklichen Aner-
kennung aller ihrer Rechte, Freiheiten und Privilegien und
althergebrachten Gewohnheiten, deren Aufrechthaltung bereits
der Bailo Negropoute's dem Matten de Montona in seinem
mit ihm gemachten Vertrage eidlich zugesagt hatte. Zum
Lohn für die Dienste dieses tapfern Capitäns, „welcher der
wesentliche Urheber der Uebergabe Athens au Venedig sei",
wurde ihm aus den Einkünften der Stadt eine jährliche
Rente von 400 Hyperpern ausgesetzt; eine geringere erhielten
Leonardo von Bologna und zwei andre Athener, Giacopo
Columbino und der Notar Makri , ein Grieche, welche gleich-
falls für die Venetianer bemüht gewesen waren.
Die Neuordnung der Verhältnisse Athens behielt sicli
die Republik für die Zeit vor, wo sie über den Betrag der
Einkünfte der Stadt genügend werde aufgeklärt sein. In
dem Beschluss des Rates wurde ausdrücklich auf das Testa-
ment Nerio's Bezug genommen, kraft dessen die Republik die
Herrschaft Athens zu übernehmen habe. Die Schenkung der
Stadt an die Kirche wurde mit Schweigen übergangen. Da
der Marsstall des verstorbenen Herzogs, aus welchem die
Marienkirche ihre wesentlichen Einkünfte beziehen sollte,
durch Diebstahl der Pferde geschmälert worden war, die
1) Intromissio Athenai-um, Archiv Venedig, üeliber. Miste del Se-
nate I, vol. 43, fol. 50*. Intromissio ist so viel als acceptatio und die
Negation von intromittere ist dimittere.
1 50 Sitzunfi der histor. Clanse vom 4. Februar 1888.
Beschützung' Athens aber gerade jetzt grössere Kosten ver-
ursachte, so ward bestimmt, dass die Zahl der Domherren
vorläufig auf 8 herabzusetzen sei. Der künftige venetianische
Rector Athens sollte mit zwei Bevollmächtigten oder Pro-
curatoren der Marienkirche die Einkünfte und den Unterhalt
des Capitels regeln.
Wie Nauplia und Argos, sollte jetzt auch Athen durch
einen venetianischen Edeln regiert werden, welcher den
Titel Podesta und Capitän erhielt^). Der erste dieser Po-
destaten Athens war Albano vom alten Hause der Contarini.
Er wurde dazu am 27. Juli 1395 auf zwei Jahre ernannt,
mit einem Gehalt von 70 Pfund, wovon er einen Notar,
einen venetianischen Gehülfen (socius), einen Diener, zwei
Knechte, und ein Pferd zu unterhalten hatte ^). Zugleich
wurden für die Akropolis zwei Schützencapitäne, Vivianus
de la Spata und Johannes Valacho, mit sechs Ducaten mo-
natlichen Soldes eingesetzt. Von ihnen nuisste wenigstens
einer am Tage, zur Nachtzeit aber mussten beide in der
Burg sich befinden^). Da die Besatzungen der Burgen in
jener Zeit äusserst gering waren, so schien es der Republik
ausreichend, wenn Contarini jene der Akropolis mit 20 Arm-
brustschützen verstärkte. Im Falle des grösseren Bedürf-
1) Scrihatnr potestati et cai)itanoo Athenarum (in einer Person),
wird in Erlassen Venedigs gesagt; Sathas Mon. Hell. Hist. 11, n. 212;
oder auch einfach Potestas. Ser Nicolaiis Victori iterum potestas
Athenarura (3. Aug. 1400, ibid. n. 222).
2) Der Bailo Negroponte's erhielt .jahrlich 1000 Hyp<M-pern,
muHste 1 Sociu.s halten, dem er jährlich 20 Hyperpern und 2 Kleider
7A\ geben hatte, ferner 1 Notar und 8 Diener. .\rch. Venedig, Bit'rons
fol. 71.
3) Duo capita ballistariorum. Sie finden sich auch als castellani
bezeichnet. Am 20. April 1400 befiehlt die Republik dem Podesta
Athens an Stelle des entlassenen .Tohannea Valacho unius ex castel-
lanis, alium castellannm sive caput zu ernennen. Sathas a. a. 0.
II, 212.
Greßorocins : Besitznahme Athens durch die Repuhlil- Venedi/j. l-'ii
nisses von Krieg'svolk und Geld zum Seliutze Atliens wurde
der Podesta angewiesen, sich an die Castellane von Modoii
und Coron, oder an den Bailo Negroponte's um Unterstütz-
ung zu wenden.
Im Sommer 1895 langte Alhano Contarini in Athen
an, wo er im herzoglichen Palast der Acciajoli auf der
Akropolis seinen Sitz nahm. Wahrscheinlich empfand die
Stadt, deren bisherige Geraeindeverfassung keine Aenderung
erfuhr, al.sbald die Wohltliaten der starken venetianischeii
Regierung, aber sie und Attika waren in solche Armutii
versunken, dass Contarini im folgenden Jahre von der Re-
publik ein Anlehen im Betrage von 8000 Ducaten begehrte,
welches diese auch auf zwei Jahre bewilligte V).
Sicherlich war es die Hoffnung der veuetianischen Partei
unter den Athenern, dass die Republik die Stadt dauernd be-
haupten werde ; allein sie war damals durch kostspielige Kriege
und vielerlei t^nternehmungen erschöpft und nicht stark ge-
nug. Nur wenig mehr als sieben Jahre lang blieb sie im
Besitze Athens, und nur vier venetianische Edle halben dort
auf der Akropolis das gering besoldete Amt des Podcstä und
Capitäns verwaltet, welchem nichts anderes als der erlauchte
Name Glanz verleihen konnte*).
Albano Contarini trat nach zwei Jahren von seinem
Posten ab, und wurde später am 18. Juli 1398 als Podestä
1) Considerata paupertate dictc terre, ut non perveniafc ad ex-
tremitatem. Archiv Venedig, Misti XLIIl. carf. 155. 6. Oct. 1396.
Ind. V.
2) Die Wahl dei- Capitäne Athens fand durch viermaliges Scru-
tinium des grossen Rathes statt. Vadit pars quod potestas et capi-
taneus Sitines fiat per quatuor manus electionum in ipso consilio cum
salario et condicione, quibus erat ser hermolaus contareno ibi defunc-
tus. Maggior Cons. Deliber. Leona fol. 105*. Die Liste der venetiani-
schen Podestaten Athens bei Hopf Chron. tireco-Romanes, Berlin 1873.
p. 371.
152 SitzuiKj der lüstor. Clause com 4. Februar 1S88.
und Capitän nach Argos geschickt. Sein Nachfolger war
Lorenzo Venier (1397); dann folgte Ermolao Contarini (1399),
welcher auf der Akropolis starb. Der letzte venetianische
Podesta Athens war nach ihm Niccolo Vetturi. Wäh-
rend seiner Verwaltung gelang es dem Bastard Nerio's,
jenem in dessen Testament mit dem reichen Lande Böotien
ausgestatteten Antonio Acciajoli, am Ende des Mai 1402
durch einen geschickt ausgeführten Handstreich die Unter-
stadt Athen zu bewältigen. Er belagerte dann, nachdem er
einen Entsatz durch den Bailo Negroponte's vereitelt hatte,
die Akropolis. Niccolo Vetturi ergab sich erst, nachdem er,
ohne jede Unterstützung und der Hungersnot preisgegeben,
siebzehn Monate lang sich heldenhaft vertheidigt hatte ^).
So zog der zweite x4cciajoli am Ende des Jahres 1403 trium-
lirend in das Propyläenschloss der Herzoge Athens ein. Er
verdiente sein Glück, denn er war ein hervorragender, zum
Herrschen geborener Mann.
I.
Die XVlll" Martii.
(^uod viri uol)iles ser Philippus Sanuto, ser Marcus Mauro-
ceno , ser Stadins Caucho, ser .Johannes Lauredano et ser
Franciscus Bembo, (|ui sunt vocati pro factis Athenaruni
[»ropter informationein (juam habent de dictis factis, possint
starp in isto consilio arrengare et dicere opinionem suam super
partibus quae ponuntur, non ponendo balotam nee capiendo
partem nisi l'uerint de ipso consilio.
1) Ciun [H'ius cüiuudent equos et omnia alia couicstiljilia quae
reperere potuit. unque ad urfcicam. Arch. Ven. Grazie Lib. XX fol.
:$1. 27. März 1409. Vetturi starb bald darauf: seiner Wittwe und
Tochter setzte die Republik eine Pension aus.
Gregoroviuft: Befiit::nahme Atlie)»i durch die RepubUk Venedig. 153
Intromissio A tlienaruni.
Capta.
Quia uon taceret pro nobis nee pro statu nostro nllo ^^•^ ^T"^;/'
modo diraittere civitateiii Athenarum, considerato qaantum est
contigua locis nostris et quod, si ad manus turchorum vel ad
alienas main;s ])erveniret, posset esse causa destructionis dic-
toruni locorum quae rationabiliter cara habere debemus velut
pupillam oculi, vadit pars quod in nomine Jesu Christi et
S. Marci Evangelistae , asumatur et acceptetur libere domi-
nium dicte civitatis cum omnibus locis et pertinentiis suis
cum illis pactis, modis et conditionibus in totum, cum quibus
regimen nostrum Nigropontis dominium dicte civitatis intro-
misit, et cum quibus dicta civitas dicto regimini libere tradita
fuit. Verum quia Matheus de Montona, capitaneus olim ejus-
dem civitatis Athenarum, qui fuit potissima causa dationis
ipsius nostro dominio, jam pluribus mensibus ad nostrani
presentiam quemdam suum oratorem destinavit, cum quam-
pluribus capitulis quae tarnen nostro libero arbitrio et volun-
tati reliquit corrigenda, modificanda et minuenda, ordinetur
quod dicatur et respondeatur dicto ambaxatori super onmibus
dictis capitulis. quod infradictos fideles nostros Athenienses
habere ]n-o])itiis favoribus recommissos placet nobis, et sie
mandabimus rectoribns nostris, qui in dicta civitate erunt per
tempora. quod debeant ipsos conservare in omnibus franchi-
siis, libertatibus privilegiis et juribus suis, ac in suis antiquis
et solitis consnetudinibus, prout eis promissum fuit per regi-
men nostrum Nigropontis, eisque complacere in his, quae non
possint redundare in detriraentum neque damnum alicujus
specialis persone, et insuper vollumus non ingrati de fideli-
tate et affectione maxima quam erga nostrum dominium
cognovimus dictos Matheum et Leonardum de Bononia ora-
torem predictum habere operum per effectum , cpiod dictus
Matheus pro bono exemplo aliorum habeat et percipiat sin-
154 Sitzung der histor. Classe vom 4. Fehruar 1888.
gulo anno in vita sua pro sua provisioue de introitibus dicte
civitatis yperpera quadringenta, dictus vero Leonardus orator
ducenta, et sie mandabimns rectoribus nostris (|ui in dicto
loco erunt per tempora, quod debeant observare et de hoc
fiant littere patentes et necessarie sicnt fuerit opportunnm.
De recoo-uitione vero dicte civitatis et de exactione introitunni
ejus providebitur mature et soleniter per i.stud eonsilinni, si-
cnt fuerit opportunnm.
De parte —40 — 55 —
Marcus Volunt quod respondeatur et dicatur dicto anibaxatori,
'tw^"'"^" quod nos examinavinius litteras nobis missas per regimen
Johannes nostruui Nigropontis de modo, quem servaverunt in accipiendo
B^nedic- «^o»!!"^'"^! *^^ possessionem civitatis Athenarum predicte, et
Superan- iUud quod proniiserunt civitati predicte, seil, de conservando
ip.consil. ^^^ ^^_^ ^^-g juribus, franehisiis, privilegiis et libertatibus, se-
eundum quae erant, donee per nos deliberate provideretur,
si volemus illam acceptare vel non , quod facere et servare,
ac üeri facere et servari dispositi sumus, sed quia ipse am-
baxator asserit nobis , quod ipsa capitula nobis presentata
fuerunt eis promissa et jurata per nostruni vicarium et rec-
torem, et de hoc nos nullam informacionem habemus a rec-
toribus nostris Nigropontis, nee a vicario antedicto, videtur
nobis pro possendo clarius in facto procedere et nemini facere
quod fieri non deberet , mittere in inscriptis ordiiiate .ipsis
nostris rectoribus capitula antedicta et habere suam infor-
macionem et declarationem tarn super illis, quam super qui-
buscunque aliis, (pie necessariu forcnt, nt ])0stea possimus cla-
rius et melius providere, declarantes ipsuni ambasiatorem (sie),
quod inspecta sincera dispositione dicti Mathei , ad nostros
honores et etiam sua (sie !) inteneio nostra est ex nunc in
omni casu habere ipsos apud nos recommissos, et acceptando
dictum loonn per viam ca})itiiloram predictoruin aut per aiiam
Gregoroviua : Besitznahme Athens durch die RejnibWc Venedig. 155
viam providere taliter de eis, quod ipsi habebunt rationabiliter
et merito comendari.
De parte —18-23 —
Vult quod respoudeatur dicto anibaxiatori secunduiu eon-
tineutiani partis ser Symeouis Dalmario et sap. ordinum
existentiuni iu parte cum eo, et quod Matheus de Montona
et Leonardus de Bononia habeant de provisione prout in dicta
parte cavetur , verum vult , quod dominium dicte civitatis
Athenarum recipiatur et asumatur gubernandum et regendum
l>er dominatiouem nostram, secundum formam testamenti do-
mini Nerii de Azaiolis , sed quia raza equarum suarum, que
furtive ablate fueruut, defticit , ex qua dicta ecclesia maiorem
partem suorum reddituum percipiebat, et de ipsa fieri debe-
bant expense necessarie, et etiam quia tempora sunt suspecta,
et dicta civitas Athenarum eget maiori custodia et expensis,
quam si tempora forent tranquilla, et presentialiter quot
sint ejusdera civitatis introitus et expense ignoremus, ordi-
netur quod pro nunc deputari debeant ad divina offitia cele-
branda in ecclesia S. Marie de Athenis soktmmodo sacerdotes
octo, quibus per nostrum rectorem provideatur pro eoruni
victu et rebus eis necessariis sicut fuerit opportunum , nam
reconciliatis temporibus et conditionibus demum existentibus
in pacifico statu de maiori numero sacerdotum habita plena
informatione de omnibus postea poterit provideri. Et ex nunc
sit captum. quod in nostro maiori consilio fieri debeat unus
rector dicte civitatis et unus procnrator dicte ecclesie, qui
habeat recipere et dispensare redditus dicte ecclesie cum uno
alio procuratore dicte ecclesie, quod demum fieri deljeat j^er
nostros rectores, qui erunt per tempora de anno in annum
cum modis et conditionibus qui ordinabuntur per maiorem
partem hujus consilii. Ita quod comune nostrum de introi-
tibus dicte ecclesie seu civitati spectantibus non sentiat emo-
150 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1888.
lumentuni necque daimium. Vult et ultra hec, quod Jacobus
Columbino et Notarins Macri, qui bene se gesserunt in hoc
facto, habeant etiam de provisione singulo anno ypperpera
CL pro ntroque eorum et quod douentur dicto Leonardo de
Bononia ambaxiatori pro suis expensis ducati quinquaginta
auri. De parte —11, de non — 5, non sinceri — 17 — 15 —
(Arch. Vened. Misti. vol. 43, cart. 50').
II.
Quod fiat comniissio viro nobili ser Albano Contareno pote-
stati et capitaneo Athenanuu in hoc forma vd.
Capta.
Nos Antonius Venerio dei gratia dux Venetiarum etc.
Coniittinius tibi nobih viro Albano Contareno dilecto et hon.
civi nostro, qucnl de nostro niandato in bona gratia ire de-
beas in potestateni et capitaneum civitatis nostre Athenarnni,
quam civitatem cum omnibus pertinentiis suis reges et guber-
nabis, ad honorem nostrum, habendo et haberi faciendo die
noctuqne bonam et vigilem custodiam de locis ))redictis til)i
commissis ut sinixtrum ue(|uoat evenire , sicut de prndentia
tua plene confidinius.
In ((U() quideni n-giniine esse debes per duos annos et
tantum plus quantum successor tuus illuc venire distullerit,
diem auteni qua dictum regimen intrabis nobis debeas tnis
literis denotare.
FA. debes ipsam civitatem et oiiuk^s liabitatores in ca
regere et gnbernare in ratione et jusiitia, prout til)i vido-
bitur, secundum deum et lionorem nostri dominii, verum
tarnen pro contentamento habitantiuni in dicto loco voUumus
quod debeas te iulliiltere quantum poteris consuetudinibus et
ritibus dicte terri', in (|uibuscunc|ue videris spectare et esse
secundum lionorem nostri d(»minii , et quando tibi videretur
Gref/oroviiif: : Besit::)iahme Athciifi durch die liepnhliJc Vevedif/. 157
aliter facienduni, quam secunduin consuetudines et ritus ip-
.sorum, deheas Iiabendo deum et honorem no.strum ante ocii-
los ]irocedere sicut tue sapientie videbitur.
Introitus autem dicte terra et districtus exigi facies Or-
dinate secundum quod hactenus extitit observatum ad utili-
tatem et proticuum nostri comunis fatiendo Ordinate scribi
introitus et expensas, de quibus mostrabis rationem nostris
officiis rationum, et nichilo-minus debes nobis scribere quan-
tocius poteris introitus et expensas quae rationabiliter pote-
rnnt exigi et expendi pro nostra informatione.
In super vollumus quod cum omnibus nobilibus civitatis
et habitantibus dicti loci debeas te curialiter gerere et quiete
cum honore nostro et habere illos in quibuscunque poteris
fideliter commendatos.
VoHumus etiam quod quando eris ad dictum regimen,
si indigeres gentibus vel pecuuia pro custodia civitatis pre-
dicte, debeas requirere castellanos nostros Coroni et Mothoni
ac regimen nostrum Nigropontis quod tibi subveniant sicut
fuerit expediens, quibus scribimus efficaciter, quod in cunctis
possibilibus debeant tibi dare Subventionen!, subsidium et fa-
vorem.
Et applicato ad regimen predictum, si videres quod foret
aliquid expediens et f'acere aliqnam provisionem pro l)ono et
conservatione dictorum locorum, debeas nobis omnia scribere
particulariter et destincte, et opinionera tuam , ut possimus
providere superinde sicut fuerit opportunum.
Item debeas notificare nobis et mittere in scriptis quan-
tocius poteris statuta , et consuetudines deinde , ut possint
corrigi et fieri superinde sicut fuerit opportunum.
Et scribas nobis de tempore in tempus de conditionibus
et novis deinde, et omnia que cognoveris spectare et esse pro
nostra informatione.
Habere quidem debes de salario in anno et ratione anni
libr. LXX'" grossorum, tenendo ad tuum salarium et ex-
1888. Philos.-philol. u. bist. Gl. 2. 1 1
158 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1888.
pensas iinnni notarinm et iinum sotium venetum, qui placeat
nostro dominio, cui dare teneris in anno yppr. L**, quatiior
famulos, dnos ragacios, et quatnor equos, et ante tuuni re-
cessum de Venetiis habere debes salariura diraidii anni.
Pro custodia autem et secnritate castri dicti loci cum
nostro collegio ordinato constituimus duo capita ballistariornni
videlicet Vivianum de la spata et Johannera Valacho cum
salario ducatorum sex in mense pro quolibet, similiter tu
deinde facere debes ballistarios viginti ad custodiani dicti
castri de Venetiis vel de locis nostris Crete, Coroni aut Mo-
thoni et Nigropontis, cum soldo yppr. duodecim in mense
pro quolibet, adhibendo talem ordinem, quod continuo in
dicto Castro sit saltem unns dictorura duorum capitum de
die, sed de nocte anibo continuo dorniiant intus castrum.
Et ponantur onniia alia capitula solita poni in commis-
sioiiibus Kectorum.
(Fehlt das Datum. Vorher steht ein Erlass vom 27. Juli
1395, welchem Tage demnach diese Bestallung angehört.)
(Misti Vo'l. 43, cart. 7(V.)
150
Herr Max Lossen hielt einen Vortrag:
„Zur Geschichte der pä])st liehen Nuntiatur
in Köln 1578-1595."
Die Frage, wer der erste ständige Nuntius in Köln ge-
wesen ist und welche Befugnisse er hatte, ist in dem vor
gerade 100 Jahren zwischen den deutschen Erzbischöfen
und dem römischen Stuhl geführten Streit über das Recht
des Papstes, ständige Nuntien mit Jurisdiktionsgewalt zu er-
nennen, häufig aufgeworfen worden. Auf römischer Seite be-
zeichnete man als den ersten Nuntius solcher Art den Bischof
von Vercelli, Johann Franz Bonomi ^), welcher im Jahre 1583
die Exkommunikationsbulle gegen Erzbischof Gebhard Truch-
seß in Köln publiciert hatte, sodann, im Frühjahr 1585,
wieder dahin kam, mit einem vom 19. Januar 1585 datierten
])äpstlichen Breve, welches ihm für einen sehr ausgedehnten
I3e/irk die Rechte eines legatus de latere verleiht und die
ihm als solchem zustehenden Befugnisse einzeln aufzählt^).
In einer damals viel gelesenen anonymen Streitschrift des
1) So Papst Pius VI. bei der Konsekration des Kölner Nuntius
BeUiaomi am 24. Sept. 1775 ; s. (Feller) Reflexions sur les 73 articles
du Pro Memoria .... touchant les Nonciatures. 1788. p. 47; ferner
Pii Papae Sexti Responsio ad Metropolitanos. Ed. 2». Romae 1790.
p. 273: qui quidem Bonomius primus fuit stabilis ad tractum Rheni
Nuncius.
2) Bei Hartzheim, Concilia Germaniae. Tom. VIII. Col. Agripp.
1769. p. 498.
11*
160 Sitzung der histor. Classe vom 4. Fehrnnr 18S8.
Exjesniten Feller wird dieses Breve als die „Stiftungsurknnde
der Kölner Nuntiatur" bezeichnet ^).
Abgesehen von ihrer geschichtlichen Begründung diente
diese Behauptung dazu, dem Ursprung der kölnischen Nun-
tiatur gleichsam einen idealen Charakter zu verleihen, wel-
chen auch die Verteidiger der bischöflichen Rechte nicht
zu bestreiten wagten : denn auch sie konnten nicht umhin,
den Abfall des Erzbischofs Gebhard Truchseß von der römisch-
katholischen Kirche als eine beklagenswerthe Abirrung der
kölnischen Kirche von ihrer viel gepriesenen Stand haftigkeit
im alten Glauben zu betrachten, und demnach jede Maßregel
des römischen Stuhles, welche diese Verirrung gut zu machen
suchte , als ein um das Erzstift Köln erworbenes Verdienst
anzuerkennen ^).
Umgekehrt hatten die kölnischen Gegner der Nuntiatur
ein Interesse daran, den Bischof von Vercelli noch nicht als
ständigen Nuntius gelten zu lassen, als solchen vielmehr erst
den Bischof von Ossero, Coriolan Garzadoro , der im Jahre
1595 zwischen dem Kölner Domkapitel und dorn Hause
1) On peut regarder ce Bref comme rinstrument de la fondation
de cette Nonciature. Rdflexions 1. c p. 52.
2J In seiner ersten anonymen Streitschrift, Veritable J<]tat du
difterent etc. 1787 p. 18, polemisiert Feller gegen die in einem kur-
triorischcn Mandat enthaltene Bezeichnung des Kölner Nuntius als
eines „Au-sländers" folgendermaßen: „Le successeur d'un nonce auquel
on doit la con.servation de la foi catholique dans l'electoi'at de Co-
logncj peut-etre dan.s toute la hasse Alleraagne, lors de l'apostasie
du metropolitain Truchses, qui renia sa foi pour les yeux de la helle
Agnha, seroit-il si etranger dans nos contrees" etc. — Einer der
Vertheidiger der erzbischöflichen Rechte, der pseudonyme P. Calo,
Calophorie ou Materiaux pour la reponse au . . . Veritable Etat 1787
p. 53, .sucht dieser Ruhmredigkeit mit der Behauptung zu begegnen,
der Bischof von Vercelli sei post festum gekommen, nachdem durch
das Domkapitel, die rheinischen Landstiinde, Herzog Ernst von Bayern
und andere bereits die Erhaltung der kiitholischen ÜHligion gesichert
gewesen sei.
Lossen: Zur Geschkhlc der piiputJ. Nuntiatur in Köln. !•>!
nuyi-rn jenen Vertrug vermittelt h;it, durcli welchen der junge
Her/og Ferdinand von Bayern als Koadjutor seines Ohoims,
des Erzbischofs Ernst, angenommen, und in welchem die Be-
stellung eines apostolischen Nuntius für die kölnische Kirchen-
provinz vom Papste förmlich angeboten , vom Domkapitel
<;utueheißen wurde ^).
Diese Koadjutorie und die Bemühungen der beiden Nun-
tien Octavio Mirto Frangipaui und Coriolan Garzadoro um
ihr Zustandekommen sind vor etwa zehn Jahren ausführlich
von Stieve im 1. Band seiner Politik Baierns 1591 — 1607^),
und in jüngster Zeit, mit Benützung vatikanischer Archiva-
lien, neuerdings von K. ünkel im historischen Jahrbuch der
Görresgesellschaft behandelt worden').
1) In der sobongenannten Calo phorie heisst es p. 74: ^comrue
Erneste avoit en viie de faire suoceder ce prince (Ferdinand), son ne-
veu, au siege de Cologne, il falloit bien se soumettre aveugleiuent a
la discretion du Pape atin de se le menager" — und p. 76: , Quelle
invention rusee . . . on s'efiForce de persuader le bon Erneste a ceder
. . . le siege archiepiscopal de Cologne a son neveu Ferdinand, age
de 17 ans, et Tun donne ä celui-ci un curateur et directeur, lequel
en digne eTeve de Tecole de Rorae ne souft'rira jamais la moindre
cbose qui pourrait nuire aux vues de cette cour." — Die Calophorie
mit ihren vielen groben historischen Schnitzern ist übrigens ein be-
redtes Muster der von Otto Mejer (Die Propaganda 2, 193) gerügten
, rohen Oberfliichlichkeit der damaligen episcopalistischen Streit weise".
— Auch der sonst sorgfältigere Jac. Abel in seiner Disquisitio de
jure et officio summorum iniperii tribunalium circa usurpatoriara
nuntiorum pontificiorum . . . Jurisdictionen!. Wetzlariae 1787 p. 102 ss.
bezeichnet, der Calophorie folgend, — die von Abel cit. , Materialien"
sind die mir nicht vorliegende deutsche Ausgabe der Calophorie —
den Bischof von Ossero als den ersten ständigen Nuntius zu Köln.
Auf Abel beruft sich Stieve, die Politik Baierns 1591—1607.1. 351
Anra. 2 u. 354 A. 2.
2) Stieve a. 0. S. 330—359.
3) Karl Unkel, Die Coadjutorie des Herzogs Ferdinand von
Bayern im Erzstift Köln - im Histor. Jahrbuch. Bd. VIll. 1887.
Heft 2 u. 4.
162 SitzuHU der histor. Classe mm 4. Februar 1888-
Mir haben meine Studien fiir die Geschichte des kölni-
schen Krieges vielfach Anlaß geboten, auch die Thätigkeit
der ersten päpstlichen Nuntien in Köln zu beachten. Dabei
hatte ich manchmal Gelegenheit, Angaben, welche sich nicht
nur in verbreiteten kirchengeschichtlichen Handbüchern, son-
dern auch in den eingehenderen Erzählungen von Stieve und
ünkel finden, zu berichtigen oder zu ergänzen. Was mir an jener
Thätigkeit besonders beachtenswerth erscheint, will ich hier
kurz zusammenstellen. — Bei der großen Bedeutung, welche die
Kölner Nuntiatur für die Geschichte der katholischen Kirche
Deutschlands in den letzten zwei Jahrhunderten des alten
Reiches erlangt hat, darf eine solche Zusammenstellung ein
gewisses allgemeines Interesse in Anspruch nehmen.
Zunächst muss konstatiert werden, dass weder Garzadoro
der erste ständige Nuntius in Köln gewesen ist, noch auch
der Bischof von Vercelli , sondern, bereits zehn Jahre vor
diesem letzteren, Dr. Kaspar Gropper, welchen Papst GregorXIII.
im Jahre 1573, mit der unzweifelhaften Absicht, daß sein
Amt einen ständigen Charakter haben sollte, als päpstlichen
Nuntius für das Gebiet der Metropolitan- Verbände Mainz,
Trier und Köln und mit dem Sitze in der Stadt Köln al)-
ordnete ^).
Allerdings wird Gropper von Maifei , dem Biogra]dien
Gregorys XIH., als „außerordentlicher Nuntius" bezeichnet*)
und auch ich habe, Maffei folgend, in meiner Vorgeschichte
1) Durch eine fast unbo},'reifliclio Vei-wcchslung macht die Calo-
phorie p. 41 u. 74 Kaspar (Jroppor um das .fahr 1590, als Nachfolger
Krangipani's, zum ersten, cum iiotestatc legati de latcre ausgestatteten
Nuntius in Köln.
2) Giarapietro Maffei, Annali di üregorioXIll. P.M. Homa
1712. Tom. I. 77 und 135.
Losseil. ■ Zur Geschichte der päpstl. Nuntiatur in Köln. l'»-"'»
des Kölnischen Krieges ihn so genannt^); aber Kaspar Gropper
war docli nur in dem Sinne ein außerordentlicher Nuntius,
als es bis dahin nur einen ordentlichen Nuntius im deutschen
Reiche, nämlich den am kaiserlichen Hofe, gegeben hatte.
Die ziemlich zahlreichen Briefe von und an Gropper aus den
Jahren 1573 — 70, welche Theiner in seinen Annales eccle-
siastici abgedruckt hat^), sodann die verschiedenen Amts-
handlungen Gropper's, welche in meiner Vorgeschichte, fer-
ner im 1. Band von Keller's Gegenreformation^) mitgeteilt
sind, machen es unzweifelhaft, dass Gropper und der gleich-
zeitig in das Gebiet des Salzburger Metropolitausjjrengels
abgeordnete Nuntius Bartholomäus Graf von Porzia, sowie
etwas später Frater Felician Ninguarda, nicht minder dazu
bestimmt waren, als ständige Vertreter des päpstlichen Stuhles
in den ihnen zugewiesenen Bezirken zu walten , wie der im
Jahre 1579 zu den katholischen Schweizer Orten gesandte
Nuntius Bonomi*). Der Plan, mittels solcher ständigen Nun-
1) Der Kölnische Krieg. Vorgeschichte 1565—1581. S. 200—202,
245 u. a. Vgl. Register.
2) Aug. Theiner, Annales Ecclesiastici. Koraae 1856. Tom. l.
94—100. 104. 122—124. 212—222. 233—236. 242.s. 258—262. 271.
Tom. II. 30. 37-49. 74—76. 164 ss. 470—476.
3) L. Keller, Die Gegenreformation in Westfalen und am
Niederrhein. I. Bd. Leipzig 1881. No. 155. 157. 159/172. 175. 177/9.
218. 300/1. 304/8. 360. 366. 369. 371. 375/6. 384. Dazu meine Be-
merkungen in der Zeitschrift des Berg. Geschichtsvereins, Bd. 19.
Jahrg. 1883. S. 12/15.
4) Dass Gropper's Nuntiaturbezirk mit dem Gebiet der rheini-
schen Metropolitansprengel zusammenfiel, schließe ich daraus, daß
er auch für .\ugsburg und Würzburg beglaubigt war (Theiner I.
98/104), welche örtlich dem Nuntius Porzia bequemer gelegen hätten,
aber Suffragane des Mainzer Erzbischofs waren. — Das Protokoll des
Kölner Domkapitels (im St. .Archiv zu Düsseldort) berichtet über G's
erstes Erscheinen im Kapitel am 26. Oktober 1573: „D. Caspar Groppenis,
doctor et auditorrotae et nuncius apostolicus, comparuit et proposuit:
quod Pontifex Gregorius X[1I. , dum ad pontificalem dignitatem
1<) 1 Sitz Hilf) der hislor. Classe vom 4. Februar JS88.
tiaturt'U die einzelnen Landeskirchen eng'er an [vom zn ketten,
entspricht durchaus dem unter Papst Gregor XIII. in Ivoni
zur Herrschaft gelangten jesuitisclien Geist der Zentrali-
sation.
Dass die Befugnisse dieser neuen Nuntien noch nicht
genau begrenzt erscheinen , daß es ihnen insbesondere noch
an jenen „F^akultäten" fehlte, welche nachmals in dem Kampf
der deutschen Bischöfe gegen die römischen Nuntiaturen eine
so große Rolle gespielt haben, erklärt sich einfach durch
die Neuheit der Sache, welche erst durch die Praxis bestimmte
Gestalt gewinnen sollte.
Die allgemeinen Gesichtspunkte, von welchen Papst Gre-
gor's Ratgeber bei der Abordnung der genannten Nuntien
geleitet waren, ersehen wir deutlich aus einem bei Theiner
abiiedruckten Brief des zu Rom wie in Deutschland ho('h
angesehenen Jesuitenpaters Peter Canisius vom 10. Mai 1574^)
— also ungefähr ein Jahr nach der Absendung der beiden
Nuntien l*orzia und Gropper geschrieben.
Die Sendung dieser beiden Nuntien , schreibt Canisius
an Papst Gregor XIII., habe schon viel genutzt uiul werde
dieß noch mehr, je länger sie in ihrem Amt blieben. Denn
Fürsten und Bischöfe Deutschlands bedürften häuüger Er-
mahnungen, jene, damit sie die Verwegenheit der Häretiker
unterdrückten, den geistlichen Stand aber in ihren Schutz
nähmen ; - diese, damit sie ihren Klerus reformierten und
Schulen errichteten. Hiebei seien apostolische Nuntien sehr
est evectus, ut aliorum regnovum curam ^essit, ita ad Germaniam
tuendam contra haereticos re.spexit. Et ob id dominum nuncium ad
l)rincipe.9 electorea et alios statua Germaniae catholicos ablegavit" —
u. s. w. Versteht man hier unter den katholischen Kurfürsten die
Metropohtan-Erzbischöfe und unter den anderen katholischen .Ständen
die weltlichen Fürsten in den 3 Sprongeln, sowie die Stadt Köln, so
bezeichnet das Protokoll kurz aber zutreffend G's Nuntiaturbezirk.
1} IJci Thcin.M- I. 212s.
Li>sseii: Zur Geschichte der jiHiistl. Nuntiatur in Köln. !<)•>
niit/licli, wenn nicht notwendi«;; /u !i;cseli\vei<reii, wie wicliti«^
e's .sei, iliiß durch sie der iipostolisclic Stulil über die deutschen
An»^elegenheiten wohl unterrichtet, die Gemüter vieler ihm
irewonnen, die Anschläge der Häretiker aber vereitelt würden.
Seine Heiligkeit möge ermessen , ob nicht die Wirksamkeit
dieser Nuntien noch größer wäre , wenn ihre Befugnisse er-
weitert würden, insbesondere in Bezug auf das Recht, ihre
\'()llmacht, bußfertige Häretiker in den gewöhnlichen Fällen
zu absolvieren, auch auf andere zu übertragen.
Welche Befugnisse Gropper im einzelneu besaß und
welche nicht, ergibt .sich aus den in unseren Quellen von
ihm berichteten Amishandlungen.
An alle Bi.schöfe und geistlichen Landesfürsten , für
welche er Beglaubiguug.sschreiben erhalten hatte ^), sollte er
das Ansinnen richten, die Trienter Konzilsdekrete zu publi-
cieren und im Anschluß an dieselben gewisse Reformen im
Kult und in der kirchlichen Di.sciplin durchzuführen, regel-
mäßige Diöcesansynoden abzuhalten, Visitationen vorzunehmen,
Seminarien für die Erziehung der Jugend zum geistlichen
Stande, gemäß den Trienter Vorschriften, zu errichten^).
1) Die I3eglaubi<?unga.schreiben G's waren vom 11. Juni 73 d;i-
ficrt, z. B. T Hein er I. 97. 102. 122; Keller No. 15.5.
2) Einen Ueberblick über G's Aufträge gewährt ein Vortrag,
welchen er am 23. November 1574 im Kölner Domkapitel vor den
Vertretern des gesanimten kölni.schen Klerus gehalten hat. Das Pro-
tokoll berichtet hierüber: ,De capituli constantia in religione spem
magnam habere. Unum vero esse, de quo nihil Pontifici sit respon-
sum, nempe de seminario theologico erigendo, quemadmodum Mogun-
tini et alii fecerint. . . . Hinc Pontifex nuncio dedit in mandatis ut
hoc proraoveret. . . . Xon est quod obiiciatur satis collegiorum hie
esse ; nam cum nuncius nuper ageret cum üniversitate, repperit quos-
dam promotos, qui nunquam habuerant praeceptores. Parisiis, Bono-
niae, Romae, Mediolani etiam multa sunt collegia nova erecta. Clerus
non debet se opponere concilio Tridentino. . . . Non debet obiici, quod
Concilium Tridentinum hie non sit publicatum, Pontifex enim per duas
IGß Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1888.
llieinit hing der weitere Auftrag zusammen, eine Anzahl
entsprechend vorgebildete junge Leute, namentlicli adeliche,
aus verschiedenen Diöcesen, als Alumnen des Collegium Gcr-
manicum nach Rom zu senden^). — Mit dem Rat der Stadt
l)ullas publicavit. Tnquirat clerus, quid a Leodiensi et aliis factum
sit; non l)ene cedit, si Pontifici vel concilio non pareatur. Rmus noster
D. Nuncio ostendit Visitationen! in hoc ai-chiepiscopatu nuper coeptam,
et Nuncius repperit 150 ecclesias pastore egentes. Interim collegia
decimas percipiunt et mittunt animas ad interitum. — Secundo Pon-
tifex scribit magnas querelas esse de clericali vita et honestate; hie
monet ut decani et abbates et alii praelati suura faciant officium ut
reformatio fiat . . — Tertio Pontifex scribit, quod libri et breviaria in
clero et templis desiderentur, itaque S^^s S. mandat ut ecclesiae diu-
tius non careant libris breviarii.s et missalibus. Si utantur more Ro-
mano, bene est; si habeant privates libros ducentorum annorum, bis
utantur purgatis. — Postremo Pontifex Societatem Jesu in suam de-
fensionem suscepit, qui huic ecclesiae attulerunt fructum non poeni-
tendum suis stipendiis. Uli hie egent et pressi sunt aere alieno; si
illis non succuratur, ipsis discedendum erit. Itaque clerus adhortatur
ut ipsis velint subvenire Nuncius post discessum cleri capitulo
proponit, deweil ex parte R™' kein inquisitor haereticae pravitatis,
das ca])itulum H'"""! ermanen wol inquisitorem zu stellen." Viel Er-
folg hat (iropper mit seinen Heformvorschlägen in Köln nicht ge-
habt (vgl. Prot, vom 22. .lanuar 75) ; vielleicht konnte man von ihm
sagen: quia nemo propheta acceptus est in patria sua.
1) Theiner I, 94/98, vgl. Maffei I, 135. Im Mai 1575 be-
schwerten sich die Gesandten einiger protestantischen Fürsten bei
dem alten Herzog von .Tülich u. a. auch darüber, daß der Nuntius
zu Köln die Kinder adelicher und anderer vornehmen Leute nach
Hom und sonst nach Italien schicke, damit sie dort „uf iren schrägen
abgerichtet und fürter wider heraus, das vatterlant anzuzinden, abge-
fertigt werden." Vgl. Keller I. No. 296. Und schon ein Jahr vorher
schreibt der kurpfiilzisclie Kanzler Eheni an Landgraf Wilhelm von
Hessen (bei Groen van Pr inster er, Archives I''»« Serie IV. 337):
„derselbig nuncius practicirt executioncm Tridentini concilii und fürt
vil deutscher jungen in Italiam uf des bapsts neu angerichte schul ,
das er Teutschlant damit wieder vergiften und sein reich erhalten
möge."
Lassen: Zur Geschichte der jiiijistl. Nuntiatur iu Köln. 1()7
\\ö\n und mit der Univcrsitiit seihst hat (Irojjper üher eine
,L,a-ündliche Keforni der Köhier Universität verhandelt^). Ans-
ilrncklich als innerhalb seiner Befugnisse liegend wird der
Auftrag bezeichnet, die Statuten der Kollegiatkirchen zu re-
vidieren, ungehöriges daraus zu entfernen, das gut befundene
mit päpstlicher Autorität zu bestätigen^).
Der Nuntius kann seine Befugnisse auch auf Substitute
übertragen, wie denn in Gropper's Auftrag seine Beigeord-
neten Nicolaus Elgard und Alexander Trivius einen großen
Teil der bereits ganz oder halb protestaiitisierten norddeut-
schen Hochstifter durchwandert haben, um Anknüpfungs-
punkte für die katholische Restauration zu suchen^). — Da-
gegen wird einmal erwähnt, daß Gropper die Erlaubnis,
verbotene Bücher zu lesen, nicht erteilen durfte , sondern
deshalb erst ein Indult von Rom erlangen mußte*).
Roms Absicht, die Nuntiatur Gropper's zu einer stän-
digen zu machen, erhellt besonders auch daraus, daß die
Erledigung oder wenigstens die Erörterung der durch die
Konkordate der deutschen Nation dem Papste reservierten
Causae majores, insbesondere also der Inforniativprozess für
die Bestätigung der deutschen Bischofswahlen, ihm über-
tragen war*).
1) S. Gropper's Berichte an den K.ird. von Como vom 15. Au«,',
u. 6. Okt. 74 bei T Heiner I. 212/221 u. die Verhandlungen selbst
bei Bianco.Die alte Universität Köln. I. 503/11 und Anlagen
F. u. G.
2) Keller I. No. 179; anderes derart in meinen Auszügen aus
Düsseldorfer und Münchener Archivalien.
3) Ausführliche und interessante Berichte dieser beiden Substi-
tute bei Theiner Tom. I u. II.
4) Vgl. in dem oben erwähnten Schreiben Gropper's vom 15.
Aug. 74 die Bemerkung üher den Abt von Fulda.
5) In den von Theiner abgedruckten Berichten Gropper's werden
Verhandlungen erwähnt über die Konfirmation der erwählten Bischöfe
von Würzburg, Köln, Osnabrück, Münster, Minden, Halberstadt.
108 Sitzumj der histor. Classc vom 4. Februar 1S8S.
Ant'iiiiglich besaß Gropper auch die Vollmacht, die in
den sogenannten apostolischen Monaten frei werdenden Pfrün-
den selbst zu vergeben. Aber dieses wichtige Recht wurde
ihm bereits im Jahre 1575 wieder entzogen , angeblich auf
Betreiben der Zöglinge des CoUegium Germanicuni , welche
es vorteilhafter fanden, wenn ihnen bereits in Rom deutsche
Pfriniden verliehen wurden ^).
Wie es nun gekommen , daß sich aus diesen Anfängen
einer ständigen Nuntiatur in Köln nicht sofort eine bleibende
Einrichtung entwickelte , sondern eine Unterbrechung von
etwa 8 Jahren eintrat , läßt sich aus den zur Zeit vorliegen-
den Nachrichten nicht mit Bestimmtheit sagen. Schon in
meiner Vorgeschichte des Kölnischen Krieges (1882) habe
ich darauf hingewiesen, dass Gropper im Jahre 1570 zu Rom
in halbe Ungnade gefallen sei^); nachher (1883) habe ich
1) Stephan Winantl Pighius, der Hofmeister des zu Rom ver-
.storljenen Herzogs Kavl Friedrich von Jülich, hatte vor der Abreise
von dort, im Februar 1575, ein päpstliches Brcve an den Nuntius
liropper erlangt, welches diesem befahl, dem wohlverdienten Mann
die erste freiwerdende Pfründe an einer der Kölner oder Bonner
Kollegiatkirchen zu verleihen. Bevor aber Pighius die gewünschte
Pfründe erlangt hatte, erfuhr er, dass Gropper's Vollmacht widerrufen
sei. Am 30. August 75 schreibt er darüber an die Kardiniile Morone
undHosius: „Romae, sicut nunc intelligo, facultatum eius (Gropperi)
Caput praecipuum de praebendis et dignitatibus conferendis revo-
catura fuit, quo citius Germanici coUegii studiosis provideretur." In
einem anderen Briefe vom selben Tag heißt es noch bestimmter:
^petentibus Germanici coUegii studiosis, quo citius ipsis provideatur."
Zwei Monate danach berichtet dann Gropper wieder an einen Freund
in Rom, das Gerücht gehe, G's Vollmacht, Pfründen im Erzstift Köln
zu verleihen, sei dem Erzbischof (Salcntin von Tsenl)urg) übertragen.
Pighii Epistolae, Ms. der Hamburger Stadtbibliothek, Wolfiana.
Vol. VII. No. 61. 74. 79. 48. 47. Falls das letzte Gerücht begründet,
so war dieses Indult wohl auch eine der von Rom dem Kurfürsten
Salcntin für die Aldegung der Profcssio fidei Tridentina erwiesenen
Begünstigungen; vgl. meinen Köln. Krieg I. 204 f.
2) Köln. Krieg I. 472 Anm.
Lassen: Zur Geschichte der päpstl. Nuntiatur in Köln. 1<>9
in einem Anfsat/ im 10. Bande der Zeitschrift des Bergischen
Gescliichtsvereins die Vermutung ausoesprochen , der Grund
sei vielleicht in Gropper'.s allzu großer Nachgiebigkeit in
l)ezug auf den Laienkelch zu suchen ^) ; — doch genügt mir
jetzt diese Vermutung noch weniger als früher : ich meine,
wenn sie begründet, würden sich in den von mir benutzten Akten
irgend welche sichere Anhaltspunkte gefunden haben. Auch
für die Annahme, Gropper habe sich vielleicht eines persön-
lichen Vergehens schuldig gemacht, etwa der Bestechlichkeit
oder dergleichen, liudet sich kein bestimmter Beweis. Ich
muß es also einstweilen dahingestellt sein lassen, ob lediglich
das durch die Verminderung seiner Vollmachten geschwächte
Ansehen Gropper's, oder eine von ihm verschuldete Ungnade,
oder was sonst etwa die Kurie bestimmt haben mag, im
•Jahre 1577 nicht ihm, sondern seinem früheren Kollegen,
dem Grafen Porzia, die Vertretung Roms zu übertragen, als
es sich darum iiandelte, die Bewerbung des bayrischen Her-
zogs Ernst um das Erzstift Köln zu unterstützen und gleich-
zeitig die Frage der Administration im Stift Münster zu ent-
scheiden ^).
Porzia's kölnische Nuntiatur war wirklich eine außer-
ordentliche, d. h. eine auf einen bestimmten, vorübergehen-
den Zweck beschränkte, was nicht ausschloß, daß ihm, als
er einmal am Rhein sich befand, auch allerlei andere, neben
seiner eigentlichen Aufgabe zu erledigende Geschäfte über-
trac^en wurden : so weitere Verhandlungen über die Reform
der Kölner Universität ^), so die Ermahnung an Herzog Wil-
helm von Jülich-Cleve-Berg, seinen ünterthanen die Augs-
1) Zur Gesch. des Laienkelch.s am Hofe des Herzogs Wilhelm
von Jülich-Cleve-Berg 1570—1579. S. 20 f.
2) Ueber Porzia's Nuntiatur am Rhein s. meinen Köln. Krieg I.
Register s. v. Porzia Gr. Bai-thol.
3) Bianco a. O. I. 511/511 u. Anlage H (S. 358'368); Theiner
II. 281/7.
170 Sitzunf/ der histor. Clnssc vom 4. Februar 1888.
bnrger Konfession nicht freizustellen^). Dass Porzia nicht
ständiger Nuntius zu Köln werden sollte, ersieht man am
sichersten daraus , dass er bereits während seines dortigen
Aufenthaltes zum ordentlichen Nuntius am kaiserlichen Hofe
ernannt war ^).
Wenn dann Rom während der Friedensjahre des neuen
Kurfürsten Gebhard Truchseß nicht wieder einen ständigen
Nuntius nach Köln schickte, so erklärt sich das wohl einfach
daraus, daß Gebhard's Bestätigung, in folge des Widerspruches
des Hauses Bayern , erst etwa 3 Jahre nach seiner Wahl
erfolgen konnte. Inzwischen verweilte als außerordentlicher
Nuntius der Erzbischof von Ro.ssano, Joh. Bapt. Castagna,
im Jahre 1579 einige Monate in Köln, um den römischen
Stuhl beim Kölner Pacifikationskongreß zu vertreten , hat
aber in die inneren Verhältnisse der deutschen Kirche, so-
viel ersichtlich , kaum eingegriffen, oder doch nur indirekt,
in.soferne als (jebhard Truchseß vorzüglich seiner Empfeh-
lung die päpstliche Bestätigung verdankte^). In den Pro-
tokollen des Kölner Domkapitels wird Castagna's nur
einmal gedacht: — am 18. November 1579, kurz vor seiner
Abreise von Köln, erschien er nämlich im Kapitel, überreichte
ein päpstliches Beglaubigungsschreiben und ermahnte das
Domkapitel in allgemeinen Worten , nur Katholiken aufzu-
nehmen, Synoden zu halten und darauf zu achten, daß der
Klerus ein gutes Beispiel gebe, den Gottesdienst würdig feiere
und Reformen, gemäß dem Trienter Konzil, durchführe.
1) S. meinen Köln. Krieg I. 592 u. Zur Geschichte des Laien-
kelchs S. 26.
2j Maffei 1. c. I. 311. 327/338. 343. In dem Verzeichnis der
römischen Nuntien am kaiserlichen Hofe von 1513 — 1789 in Pii Papae
Sexti Kesponsio p. 259 fehlt Porzia; dagegen hat Feller in den o.
Seite 159 Anni. 1 titierten Eeflexions p. 174 seinen Namen richtig
unter den Nuntien zu Gratz.
3; Köln. Krieg 1. 641. 649 f. 699.
Zossen: Zur Geschichte der püpstl. Nivitinlitr iu Köln. 17 l
Bald darauf hatte der römische Stuhl seine ganze Auf-
uierksamkeit dem während längerer Zeit vorbereiteten, so-
dann im Jahre 1582 zu Augsburg wirklich abgehaltenen
Ueichstag zuzuwenden, auf welchem ein eigener Kardinal-
Legat, Ludwig Madruzzo, und zu seiner Unterstützung sämt-
liche damals in Deutschland befindlichen römischen Nuntien
erschienen ^).
Unmittelbar nach dem Augsburger Reichstag erfolgte
(hmu der Abfall des Gebhard Truchseß und nötigte deu
])iipstlichen Stuhl, wenn er nicht auf seinen Einfluß am
Khein ganz verzichten wollte, dort einzuschreiten.
Das geschah spät genug — allem Anschein nach des-
halb so spät, weil man lange Zeit in Rom zu keinem festen
Kutschluß kommen konnte, ob man den Sohn des Erzher-
zogs Ferdinand, Kardinal Andreas von Oesterreich, oder den
bayrischen Herzog Ernst an Gebhard's Stelle befördern solle.
Zwar kam Minuccio dei Minucci, damals noch Sekretär
des Kardinals Madruzzo, schon im Januar 1583 nach Köln,
aber ohne jeden amtlichen Auftrag von Rom, eigentlich mehr
als bayrischer denn als päpstlicher Agent; ei-st einen Monat
später und nachdem sich Rom bereits für Herzog Ernst ent-
schieden liatte, fand es Minucci an der Zeit — oder auch
wurde er ermächtigt — sich dem Domkapitel als päpstlichen
Gesandten vorzustellen ^).
1) Maffei 1. c. II. 128 f. 233/244.
2) Zum 18. Febr. 1583 berichtet das Domkapitel-Protokoll (DA.) :
,Minutiu8 de Minutio, nuncius Ap'><:"s, exhibet breve ap'>cum, pro-
ponit : optaret mandata ap''<=a per aliura maiore cum autoritate ex-
poni; ait a Pontifice deputatos D. Cardinalem Tridentinum et D. Car-
dinalem Austriacum ; Tridentinu.s Roma di.scidere non potest, Austria-
cus in itinere est, ipse Minutius hie ad mensem haesit, sed autori-
tatis causa expectavit adventum D. Austriaci." Minutius vertheidigt
weiterhin den Papst gegen den Vorwurf, daß dieser sich der külni-
172 SitziDUj der hislor. Classe vom 4. Februar 1SS8.
Der eigentliche Vertreter Roms hätte der Kardinal An-
dreas von Oesterreich sein sollen, als legatus de latere, mit
der Vollmacht, Gebhard den Prozeß zu machen und ihn ab-
zusetzen. Als Gehülfen waren ihm zAvei Nuntien beigeordnet,
der am kaiserlichen Hof, Johann Franz Bonomi, Bisehof von
Vercelli, und Germanicus Markgraf von Malaspina, Porzia's
Nachfolger als Nuntius bei Erzherzog Karl von Steiermark.
Oft ist erzählt, wie dann dem Kardinal Andreas durch den
Pfalzgrafen Johann Casimir der Durchzug durch die Rhein-
pfalz verwehrt wurde und er unverrich teter Dinge nach Inns-
bruck zurückkehrte. Andreas selbst und sein Vater, der Erz-
herzog , hatten wenig Lust , Handlangerdienste in Köln
zu thun , für das Emporsteigen des verhaßten bayrischen
Herzogs.
Als Kardinal Andreas die Weiterreise aufgab, setzte zu-
erst Malaspina, bald nachher auch Bonomi auf Umwegen
die Reise nach Köln fort. Von Bayern gedrängt, entschloß
sich nun der Papst selbst, in einem Konsistorium der Kardi-
näle , die Exkommunikation und Privation gegen Gebhard
auszusprechen. Bonomi wurde mit der Exekution betraut und
erhielt zugleich die Vollmachten eines legatus de latere. Als
solcher insinuierte er am 3. Mai dem Domkapitel die Pri-
vationsbulle gegen Gebhard und half eifrig mit bei den Vor-
bereitungen zu der am 23. Mai a. St. erfolgten Neuwahl des
Herzogs Ernst von Bayern. Mit Zustimnmng des Domkapi-
tels hatte er am Tag vor der Wahl die Suspension zweier
notorisch häretischen Domherren, des Grafen Hermann Adolf
von Sohns und des Freiherrn .Johunn von Winneberg, aus-
gesprochen ; nach der Wahl entsetzte er , auf Grund eines
sehen Kirche nicht genügend angenommen habe, und überreicht
schließlich ein zweites päpstliches Breve de removondis ex capitulo
haereticis. —(Genauer werde ich auf die mit dem Kölnischen Krieg /u-
.sammenhängenden Dinge im 2. Bande meiner Geschichte desselben
eingehen, unterlasse deshalb hier specielle Quellennachweise.
Lossen: Zur Geschichte der pnpstl. Nuntiritur /» Köln. Wo
förmlichen Prozesses, den gleichfalls häretischen Dompropst,
(irafen (leor*; von Wituenstein. sowie den zwar damals noch
nicht protestantischen, aber dem Truchsessen entschieden an-
hängenden Domherrn Thomas Freiherrn von Kriechingen, und
rndlich . angel)lich wegen Simonie , den Priesterkanonikus
•lakob Middendorp, welcher vormals der Vertraute des Truch-
sessen gewesen war, bei der Neuwahl aber seine Stimme für
Herzog Ernst abgegeben hatte.
Im Wortlaut sind die Fakultäten . welche Bonomi als
Nuntius cum potestate legati de latere damals besaß, zwar
nicht bekannt, in der Hauptsache ergeben sie sich aber aus
den von ihm vorgenommenen Amtshandlungen : vor allem
also aus der Absetzung des Erzbischofs Gebhard Truchseß
und der ihm anhängenden Domherren^). Auf Grund dieser,
im Namen des Papstes vollzogenen Privation behauptete Bo-
1) Der Dompropst hatte in seinem Protest gegen die durch Bo-
nomi ihm angedrohte Exkommunikation und Privation u. a. auch die
Legitimation des Nuntius bestritten; darauf erwidert dessen Proku-
rator (promotor et fisci procurator) : Bonomi brauche als Ordinarius
nuntius cum potestate legati de latere keine Vollmacht aufzulegen.
Ordentlicher Nuntius am kaiserlichen Hofe war Bonomi seit dem
Herbst 1581, s. Gius. Colombo, Notizie e documenti ined. sulla
vita di M. Giovanni Francesco Bonorao vescovo di Vercelli, in Miscel 1.
di Storia Ital. T. XVIU. Torino 1879. p. 523/623. Colombo's An-
gaben über Bonomi's kölnische Nuntiatur sind übrigens äußerst
dürftig und ungenau. C. entschuldigt sich gleichsam (p. 593) mit der
Bemerkung: „Nessuna sua lettera, che si riferisca al negozio di Co-
lonia, mi fu dato di scoprire nella Biblioteca AmVjrosiana." Aber Co-
lombo hätte, um grobe Fehler zu vermeiden, nur allgemein zugäng-
liche, auch von ihm selbst citierte Bücher, wie die von Tsselt und
Eyzinger, besser benutzen dürfen. — Bonomi's erste Reise nach Köln
ist eingehend, aber auch nicht ohne In-tümer, behandelt in dem von
Lucas Burgius (Borgo) seiner Ausgabe vonTo. Francisci Bonhomii
Cremonensis Vercellarum Ep.Borromei s. Mediolani 1589 angehängten
Brevis Commentarius rerum ab Auetore iBonhomio) p. m. cliir»'
gestarum.
1888. Pbilos.-philol. u. bist. Cl. 2. 12
174 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 1S88.
nomi dem Domkapitel gegenüber, jedenfalls ganz im Ein-
klang mit den betreffenden Bestimmnngen des kanonischen
Rechtes nnd der Konkordate der deutschen Nation : der Papst,
beziehungsweise er selbst, als dessen Stellvertreter, sei berech-
tigt, sowohl einen neuen Erzbischof wie andere Domherren,
anstatt der entsetzten, zu ernennen. Der Papst habe aber
freiwillig auf dieses Recht, zu Gunsten der Wahlfreiheit des
Domkapitels, verzichtet, und nur die Verleihung der durch
die Privationssentenzen frei gewordenen Propsteien sich vor-
behalten ^). Demnach verlieh Bonomi , nachdem mehrere
Domherren ein solches Geschenk abgelehnt hatten, die Dom-,
propstei dem jungen Herzog Philipp von Bayern, die Propstei
S. Gereon dem Kardinal Andreas von Oesterreich und die
Propstei von Aposteln dem Minucci. Später ging er aber
doch noch einen Schritt hinaus über seine erste Erklärung,
indem er auch eine der Domkapitelstellen selbst , die von
Middendorp, kraft päpstlicher Vollmacht dem Utrechter De-
chant Dr. Johann Bruhesen verlieh, — Avas dann zu großem
Verdruß des Domkapitels gegen ihn Anlaß gab ^).
1) 26. Juni 83 übersendet Bonomi dem Domkapitel die Priva-
tionssentenzen gegen den Donqiropst, Grafen Georg von Witgenstein,
und den Domherrn Thomas von Kriechingen und .schreibt dazu: Päp.st.
Heil* habe aus Wohlwollen von ihrem Recht, nach der Absetzung des
Truchsessen einen neuen Bischof einzusetzen, keinen Gebrauch ge-
macht, sondern dem Domkapitel die freie Wahl gelassen, und wolle
diesem aucli die \Viederl)esetzuTig der durch Privation erledigteu
Präl)enden und Kanonikate überlassen, mit Ausnahme der Dompropstei :
rad quam tamen non nisi illustrem personam atque a capitulo vestro
iam approbatam ])romoveri non vult (S. S*^''"), hocque ipsum consili-
um non tam eam ab causam iniit, quod eibi ius de illa provideiidi
competere iudicet, quam ut vos haud levi molestia atque onere levet,
praepositique ipsius et amicorum invidiam atque odium a DD. VV.
avertat. " DA. Erzb. Gebh. 'l'ruchseß 2'' fol. 1(19. (Archivalien citiere
ich mit den Abkürzungen meines Kölnischen Krieges.)
2) Domkaj). Prot. (D A.) 6. u. 27. Juni. 6. Jnli 1584 und 17. Apr.
1585. Am letztgenannten Tag erklärt Bonomi im Domkapitel : „se iutel-
Loüsen: Zur Geschichte der päpstl. Niüüiatur in Köln. W^)
Schon vor der neuen Bischofswalil hatte Bonomi im
Domkapitel die Eintuhrmijjj des Gregorianischen Kalenders
verlaiiirt : dieselbe ist dann auch am 15. Oktober 1583 ver-
kündigt und durch üebergang vom 2. auf den 13. November
vollzogen worden, jedoch nicht durch den Nuntius und nicht
im Namen des Papstes, sondern, angeblich im Auftrag des
Kaisers, durch den Kurfürsten Ernst selbst, mit Zustinnunng
seines Domkapitels ^).
Bonomi beanspruchte auch das Recht, in die Statuten
des Domkapitels ändernd einzugreifen ; nach seinem Entwurf
wurde ein eigenes Statut gemacht, welches den neuen Kanoni-
kern den Eid auf das Trienter Glaubensbekenntnis auferlegte,
also dazu bestimmt war, künftighin protestantische Fürsten-
und Grafensühue vom Erzstift auszuschließen ; doch ist mir
ligere quod aliquos offendisset per collationem praepositurae S. Gereonis
et privationem Middendorpü. Quoad praeposituram nihil magis fuisse in
ipsius animo, quam ut illam conferrefc alicui ex capitularibus. liefert
se ad D. Scholasticum et D. Choriepiscopum, quod ipsis sit oblatum,
ut et D. De^ano. Illos expeetatos ad aliquot dies non rediisse nee
instetisse. (Jum itaque D. Austriacus instaret, ipsi collationem factam
esse. Facta nunc infecta fieri non posse. Non fuisse suum proposituni
statuta violare; si statuta et iura deducaniur apud ipsum, paratus
est illa confirmare et declarare, ut pro hac vice tantum hoc factum
sit, salvia atatutis etc. — Quoad Middendorpium fecit quod de jure
licuit, appellatio in criniine symoniae prohibita" u. s. w. — Wiewohl
Middendorp .sich in Rom selbst Absolution von der Exkommunikation
und ihren Folgen erwirkte (Domkap. Prot. 23. Dez. 84) und wie-
wohl das Domkapitel sich wiederholt für ihn verwendete (z. B. Prot.
17. .A.pril 85) , blieb es doch bei der durch Bonomi verfügten Pri-
vation.
1) Domkap. Prot. 1583, 3. u 8. Mai, 15. Okt. u. 13. Nov. Ge-
nauere Anordnung hierüber enthält ein unter dem kurkölnischen
Wappen ausgegangener, gedruckter kurfürstlicher Befehl, ohne Datum,
,getruckt zu Coln auf dem Katzenbauch durcii Niclaus Schreiber".
StA. 130/6 f. 83.
12*
176 SitzHiK/ der histor. Classe vom 4. Februar ISSS.
zweifelhaft, ob dieses in seinem Wortlaut mir nicht bekannte
Statut nachher buchstäblich durchgeführt worden ist ^).
1) Domkap. Prot. 158.3, 14. u. 21. .Tuni. 13. Ang. Söhne aus
protestaiitischen Grafenfamilien, z. B. ein Graf von Limburg-Styrum
und ein Freiherr von Hohensachsen, sind in den nächsten Jahren
wiederholt als Kanoniker aufgenommen worden, ohne daß im Proto-
koll ausdrücklich erwähnt wii-d, ob sie das Trienter Glaubensbekennt-
nis zuvor besehworen hatten. Zur Erörterung aber nicht zur Ent-
scheidung kam die Frage unter besonders vei'wickelten Umständen
im Oktober 1587. Damals ersuchte Herzog Moriz von Sachsen-Lauen-
burg, während er mit dem Domkapitel wegen der Erbschaft seines
verstorbenen Bruders, des Chorbischofs Herzog Friedrich, in Streit
lag, ganz plötzlich den Junior Diaconus, Grafen Johann Gerhard von
Manderscheid-Keil, ihm ein erledigtes Kanonikat zu verleihen. Graf
Keil trug die Sache am 24. Okt. dem Domkapitel vor, welches ant-
wortete: „Capitulum suadet, ut D. Mauritius prius sub manu et si-
gillo promittat se catholicum et sub obedientia sedis Apiic^e mansu-
rum, prout a maioribus apud hanc ecclesiam observatum est." Am
26. Okt. ließ der (notorisch protestantische) Herzog erwidern : „das
er urputich catholice sich zu verhalten , und wo andere sich sub
manu et sigillo obligeret. istwillich; wo aber solchs beßhero nit ge-
schehen, bit ire g. mit solcher neuerung nit zu beschweren". Am
27. Oktober beriet das Kapitel über den Fall, „et lectum rescriptura
seu declaratio D. Nuncii Ap'ic', episcopi Vercellensi.s Anno 1583, 13.
Augusti. D. pi'esbyteri canonici putant, sine periculo D. Mauritiuni
admitti non posse, nisi praestet professionem lidei et iuret iuxta or-
dinationem D. Nuncii. Finaliter tamen negocium suspensum est usque
ad praesentiam D. praelatorum et aliorum illustrium " Dieser Be-
schluß wird dem Herzog in folgender Form mitgeteilt: „deweil ire
g. l)egeret a D. Job. Gebhardo a Mänderscheit Keil, juniore diacono,
nominari und ad possessionem admittieret zu werden, das Anno 1583
13. Augusti nuncius Aplit^u^ befolen, ut novi canonici praestent pro-
fessionem fidei et iurent manere in catholica religione sub obedientia
sedis Ap''*^"'', iuxta certam formam praescriptani; deweil den anwe-
senden hern in geringer anzal bedenklich contra mandata Ap''''» zu
tuen, 80 dan ire f. g. professionem fidei zu tuen und zu jurieren wil-
lich, hat eß seinen beschält, sonst müsse capitulum solchs einstellen
beß zu merer hern gegenwerticheit. — Dux Mauritius ist zufriden,
das solchs werde ingestelt." Der Herzog kam nachher nicht wieder,
so daß die Frage unentschieden blieb, l'ie ganze Verliandlung macht
Lnsi<e)i: Zur Geschichte der j)ä2)stl. Xuiitiidiir in Köln. 177
Ausufesprochenem Widerspruch begegnete Bonomi l)ei
(lern Versuch, kraft seiner päpstlichen Vollmcichten , aber
auch, wie behauptet wird, „auf Verlangen des Rates der
Stadt" die kölnischen Kollegiatkirchen und Klöster zu visi-
tieren und zu reformieren: am 9. Juli 1583 erschien eine
Deputation des sogenannten Clerus secundarius im Domkapitel,
um sich über diese Visitation zu beschweren , welche den
Rechten des Ordinarius der Diöcese (des Erzbischofs) nach-
teilig sei. Das Domkapitel selbst scheint sich dieser Oppo-
sition nicht angeschlossen zu haben, da es noch ein Jahr
später (am 22. August 1584) dem Doniklerus ein Mandat
des Nuntius , contra concubinarios" publicierte. Eine weitere
p]ntwickelung dieser Irrung wird wohl dadurch verhütet
worden sein, dass Bonomi bereits im August 1583 Köln ver-
ließ, um sich zunächst zu dem Prinzen von Parma in die
Niederlande, und sodann wieder auf seinen Posten, als ordent-
licher Nuntius am kaiserlichen Hof, nach Wien und Prag zu
begeben.
Bisher war also die päpstliche Nuntiatur zu Köln noch
nicht wieder zu einer ständigen geworden. Der Gedanke, sie dazu
zu machen, war aber nicht aufgegeben : es begegneten sich viel-
mehr in demselben die \^'ünsche des römischen Stuhles mit denen
des regierenden Herzogs Wilhelm von Bayern, welcher schon
damals gesonnen war, das mit schweren Opfern erkaufte Erz-
stift Köln nicht so leicht wieder aus den Händen seines
Hauses kommen zu lassen. Bonomi selbst hatte während
seines Aufenthaltes in Köln dem Papst vorgeschlagen , Mi-
nucci ,cum apostolici commissarii autoritate", also als stän-
digen Nuntius, nach den Rheinlanden zu senden ^). Als Minucci
aber den Eindruck, al.s hätte sich das Kapitel in gewöhnlichen Fällen
damit begnügt, den neuen Kanonikern nur den alten Eid, und nicht
die Professio fidei Tridentina, abzuverlangen.
1) Am 21.131. Juli 1583 schreibt Bonomi an Herzog Wilhelm
von Bayern (00. Münch. StA. 38/20 f. 52 u. 130/11 f. 265) , er habe
178 SUziDig der histor. Classe vom 4. Februar 18SS.
l)ald darauf ganz in bayrische Dienste trat, scheint Herzog
Willi ehn von Bayern , durch Vermittelung des Kardinals
Madrnzzo, in Rom empfohlen zu haben, daß Bonomi selbst,
einer der eifrigsten Vorkämpfer der Trienter Reform, der
Schüler und Genosse des Kardinals und Erzbischofs Karl
Borromeo, zugleich ein zuverlässiger Freund des bayrischen
Hauses, zum ständigen Nuntius für die Rheinlande ernannt
werde ^).
Spätestens im Oktober 1584 war es bereits beschlossene
Sache, dass der Bischof von Vercelli die Nuntiatur am kaiser-
lichen Hofe aufgeben und wieder an den Rhein gehen sollte.
Da jedoch Bonomi von Prag aus erst noch einmal in seine
Diöcese Vercelli zurückkehrte, so wurde es Ende März 1585,
ehe er wieder nach Köln kam ^).
In dem schon Eingangs erwähnten päpstlichen Breve
vom 19. Januar 1585^), welches Bonomi für eine große
sich schon früher einverstanden erklärt, tlans Minutius zur Iilrlangung
spanischer Hilfe nach Madrid gesendet werde, „quanquam addubitaram
ego etiam, ne id per Summum Pontificem, quem antea enixe roga-
veram, ut illura cum Ap'*«' commissarii auctoritate in his partibus
mandaret, esse diutius liceret."
1) Am 15./25. Aug. 84 schreibt Kard. Ludw. Madruzzo an Herz.
Wilhelm (StA. 9/6 f. 354): ,Quod ad alterum caput attinet, de Nun-
cio ad ))artes Rhenanas ablegando, commemoravi S*^' S. qualitates,
quas in eo his temporibus requiri Dil. V. censeat, et habuit S. S.
gratam hanc admonitioncm."
2) Theiner III. G13 f. —Colombo 1. c. Cap. XIV gibt, vermut-
lich richtig, an, dass Bonomi am 23. Dez. 84 nach Vercelli gekommen
sei, zu Anfang des J. 1.585 in seiner Vaterstadt Cremona sich auf-
gehalten habe, läßt ihn aber gleich darauf, irrtümlich, bis zum Herbst
15i-i5 in Vercelli bleiben. - Unke 1 a. 0. S. 264 Anm. 3 erwähnt, daß
IJ.'s Beghiubigungac-hreiben an den Hat zu Köln untl an den Kurfürsten
Ernst vom 20. u. 24. Okt. 84 datiert seien.
3) Hei Hartzheini, Concilia Germaniao. VIII. 408, mil der rich-
tigen .Jahreszahl 1585, während die sich auf ihn licrutenden Geschicht-
schreiVier und Polemiker meist 1.584 setzen; «o selbst Otto Me.jer,
Propaganda. 2, 184 und noch Unkel a. 0.
Losscn: Zur Geschielitc der päpstJ. Nuntiatur in Knbi. 179
Anzahl namentlich anfgezählter Erzstit'ter nnd Stifter im
Westen des dentschen Reiches, ferner für die Lande des
Herzogs von Cleve und Jülich, sowie für alle anderen Länder,
Städte und Orte von Niederdeutschland und Belgien, zum
apostolischen Nuntius mit der Vollmacht eines legatus de
latere bestellt, ist eine stattliche Menge von sehr weitgehen-
den speciellen Fakultäten verzeichnet, so daß ein späterer
Nuntius zu Köln, Peter Aloys Carafa, bedauern konnte, daß
keiner von Bonomi's Nachfolgern so große Fakultäten be-
sessen habe, wie jener ^).
Am 17. April 1585 erschien der Bischof von Vercelli
zuerst wieder im Kölner Donika])itel und teilte mit, daß
ihm der Papst zwar ganz Belgien und Rheinland anvertraut
habe , daß er aber vorzugsweise in Köln residieren wolle ^).
Diese Absicht hat jedoch Bonomi nachher nicht ausgeführt ;
auch wird von seinem Eingreifen in innere kirchliche Ver-
hältnisse der rheinischen Erzstifter nicht viel berichtet: haupt-
sächlich wohl darum , weil die Fortdauer des kölnischen
Krieges und dessen Verquickung mit den niederländischen
Kriegs-Ereignissen den Nuntius nötigte, sich vorzüglich mit
politischen Dingen zu befassen. Wiederholt bemühte er sich,
von dem Prinzen von Parma Ijewaifnete Hilfe für Kurfürst
Ernst, zur Wiedereroberung der am 10. Mai 1585 von Graf
Adolf von Neuenar überrumpelten Stadt Neuß, zu erlangen ;
mit den Erzbischöfen von Mainz uiul Trier verhandelte
er, um sie zu bewegen, zum besten des Erzstifts Köln
ihrem Klerus eine Decimation aufzuerlegen ; zwischen den
1) Legatio Apostolica Petri Aloysii Cara t'ae Ep. Tricaricensis
. . . 1624—1634, quam denuo ed. Jos. Aug. Ginzel. Wirceburgi 1840
p. 183.
2) Pontificem mandasae ut D. Nuncius rediret Coloniam et totuni
Belgium etRenum ei commisisse; . . . non posse quidera ipsum semper
hie mauere, sed tarnen potisaimum liic sedem habere velle. Domkap.
Prot. DA.
180 Sitznil fj der Imtor. Cldsse vom 4. Februar tS88.
beiden Brüdern Kurfürst Ernst und Herzog' Wilhelm von
Bayern machte er den Vermittler in Geldangelegenheiten.
Von einer kirchlichen Thätigkeit Bonorai's im Erzstift Köln
hören wir nur einmal : im August 1585 verlangt er vom
Domkapitel, auf Grund eines päpstlichen Breves, die Abhal-
tung von Jubiläumsprozessionen, sowie die Durchführung ein-
zelner gottesdienstlicher Reformen im Dom, namentlich die
regelmäßige Feier eines Hochamtes an den Sonntagen und
gewissenhaftere Teilnahme der Domherren an den kanonischen
Tagzeiten ^).
Tiefer hat Bonomi im Stift Lüttich luul in den spani-
schen Niederlanden in kirchliche Dinge eingegriffen. In Lüt-
tich wurde unter seinem Vorsitz im Oktober 1585 eine Diöcesan-
synode gehalten; ein Jahr später zu Mons im Hennegau eine
Provinzialsynode für den Metropolitansprengel von Cambrai ^).
Ganz irrtümlich haben in den Nuntiaturstreitigkeiten
des vorigen Jahrhunderts mehrere Polemiker auf erzbischöf-
lieber Seite — und ihnen folgend auch neuere Kirchen-
historiker, z. B. Gieseler — behauptet, Papst Sixtus V. habe
die zu weit gehenden Fakultäten, welche Gregor XIII. dem
Nuntius Bonomi verliehen hatte, wieder eingeengt^). —
1) Domkap. Prot. 16. Aug. 85. „Ad S"" D. N. aures porvenit cli-
vina ottlcia non peragi iuxta statuta ecclesiae et morem antiquuiii,
et propter absentiam nolnlium missam saepe legi etiani festivis diebus,
undescandalum magnum." Schon bei seinem ersten Kölner Aufenthalt
hatte Bonomi dem Domkapitel vorgehalten: ^saepe missam summam
in hac celebri ecclesia legi non cantavi, quod tanta ecclesia indignum
putat et statutis contrarium, petit ut hoc corrigatuv." Domkap. Prot.
21. .luni 83. Stieve a. 0. S. 338 hat entsprechende Bemerkungen
bei Tempesti (aus dem .T. 1587) jedenfalls mißverstanden, indem er
anninnnt. ,daß im Dome seit vielen Jain-en kein GottesdicMist nielir
gehalten worden" sei.
2) Hartzheim Conc. Germ. VIII. 504/516 und VII. !)95/lÜ35;
vgl. Chapeaville, Gesta Pontificum Leodiensium. III, 536/540.
3) Vgl, z.B. (Weideufeld) Gründliche Entwicklung der Dispens-
Lassen: Zur Geschichte der i)iii)stl Nioitiatur in Köln. 181
(tenule ilas Gegentheil ist der FiiU ! Bonouii'sj Volluiachteii
liliebeii nach Gregor's Tod vollständig in Kraft; Sixtus V.
liat sie durch das in Hart/.heini's Konzilieusauimlung abge-
drnckte Breve vom 12. Oktober 1585 nicht beschränkt, son-
dern noch, in vier einzehien Punkten, erweitert: erstens
durch die Volhnacht geistlichen Personen zu gestatten, meh-
rere Beneticia incompatibilia auf gewisse Zeit zu vereinigen,
sodann durch die Ausdehnung seiner Befugnisse für Ehedis-
})ensen, weiter durch die Ermächtigung geistliche Pfründen
zu unieren, endlich durch eine erweiterte Absolutionsgewalt
für Häretiker und Schismatiker^).
Bonomi starb zu Lüttich während seiner rheinisch-nieder-
ländischen Nuntiatur, bereits am 25. Februar 1587 '-'), — zum
großen Bedauern des Herzogs von Bayern, welcher auf Bo-
uomi's Hilfe gebaut haben mochte, um seinem Hause den
Besitz des Erzstitfe Köln zu sichern "). Die Betreibung und
und Nuntiatui-streitigkeiten. 1788 S. 338; ferner begründete Gegenbe-
merkungen über die Betracht ungen wider die 73 Artikeln des Pro
Memoria.1789 S.90; hiernachGieseler, Lehrbuch d. Kirchengeschichte.
III, 2. S. 599. Anm. 47.
1) Hartzheim 1. c. VIII. 503. Auch Mejer a. 0. 2, 185 irrt
mit der Annahme, Bonomi habe bereits durch das Breve vom 19. Ja-
nuar 1585 die allgemeine Volbuacht erlangt, von der Häresie zu absol-
vieren.
2) Chapeaville III. 540.
3) Als Bonomi im April 85 wieder an den Khcin kam, redete
(jJraf Salentin von Isenburg ihm anfänglich ein , daß es im eigenen
Interesse des bayerischen Hauses liege, wenn Kurfürst Ernst zu Gun-
sten des Chorbisehots, Herzogs Friedrich von Sachsen, von der Be-
werbung um Münster abstehe ; es bedurfte aber nur eines Briefes
von Herzog Wilhelm , um den Nuntius wieder völlig auf bayrische
Seite zu bringen. — Minutius schreibt in einem Brief an Herzog
Wilhelm (vom 9. Juli 1586 StA. 9/2 f. 607): „Vercellensem non
poterit Ser. V. ad tantam dignitatem evehere, quin ipse ob suam
in Bavaricam Ser™»™ domum tidem et observantiam optinie pro-
meruerit.'' — Bononii's eigene Briefe an Herzog Wilhelm strömen
J 82 Sitziiiifi der hislor. Classc com 4. Februar 1888.
Erledigung dieses Anliegens, in einer Weise, welche zugleich
den Interessen des römischen Stuhles und denen des bayri-
schen Hauses entsprach, ohne doch der Kölner Kirche uner-
trägliche Lasten aufzubürden, wurde für die beiden nächsten
Nachfolger Bononii's in der Kölner Nuntiatur, Octavio Mirto
Frangipani, Bischof von Cajazzo, später von Tricarico, und
Coriolan Garzadoro, Bischof von Ossero, die wichtigste Auf-
gabe ihrer Amtsthätigkeit.
Verhältnisse mannigfacher Art trugen dazu bei, diese
Aufgabe zu einer sehr verwickelten und schwierigen zu
machen.
Schon längst hatte die Vereinigung einer ganzen Reihe
von Bistümern und Abteien: von Freising, Hildesheim, Lüt-
tich und Köln, dann Stablo und Malmedy — von den nicht
reichsständischen Pfründen ganz abgesehen — in der einen
Hand des Herzogs Ernst von Bayern in Rom und überall
großen Anstoß gegeben. Lag darin doch eine gar zu grobe
Verletzung derTrienter Reformdekrete ^), deren Durchführung
im deutschen Reiche man sonst so eifrig betrieb.
Als nun die bevorstehende Erledigung des Stifts Münster,
— in Folge der Verniählung des bisherigen Administrators,
des Herzogs Johann Wilhelm von Jülich-Cleve-Berg — die
begründete Aussicht eröffnete, daß abermals eine große und
reiche Kirche dem Kurfürsten Ernst zufallen werde , wollte
man das in Rom nur unter der Bedingung genehmigen, daß
Herzog Ernst auf ein anderes seiner Stifter, und zwar zu-
iiber von Versicherungen der Ergelicnheit und Dienstwilligkeit gegen
das bayrische Haus. Herzog Wilhelm antwortet am 23. April 1587
seinem Bruder, Kurfürst Ernst, auf die Nachricht von Honomi's
Ab3terl)cn, er habe dieselbe mit Betriilmis vernommen „seitemol wir
an ime einen ser getreuen wolmainendon gueten freunt verloren".
Ogl. eigh. HA. Erzst. Köln H. 489.
1) Conc. Trident. Ses. VII. de Reform, c. II. u. .Ses. XVII. de
Kef. c. XVII.
Lassen: Zur Geschichte der piipsll. Ninifiatur in Köhi. 183
nächst auf Freising, verzichte. Mit dieser Forderung begeg-
nete die Kurie an ränglich den Wünschen des regierenden
Herzogs von Bayern, welcher sich Hoffnung machte, Kurfürst
Ernst werde einem seiner eigenen (Herz. Wilhelni's) Söhne das
Stift Freising abtreten. Schon im Jahre 1583, bald nach
der Kölner Wahl, war davon die Hede gewesen ^), ernstlicher
aber im folgenden Jahr, als die Erledigung von Münster
nahe schien*). Aber Kurfürst Ernst lehnte diese Zumutung
mit der größten Entschiedenheit ab ; nur dazu wollte er be-
hiltiich sein, daß nach seinem Tode kein anderer als einer
seiner Neffen in Freising ihm nachfolgen solle, oder daß
1) In einer im Juli 1583 für Minucci und von ihm niederge-
schriebenen Instruktion des Kurf. Ern3t zu einer Sendung nach Rom
kommt folgende Stelle vor: ,Se S. S*» mi facesse parola di risegna
d'alcuni de vescovati di V. A., le mostrerö come la malvagita de
tempi non permetta che si possa pensare per hora a separare quel
di Lieggi da questo di Colonia, per il bisogno ch' hanno d'aiutarsi
Tun l'altro in questi pericolosi tempi. — Di quel di Lildesia [d. i.
Hildesheiml che quando si truovi soggetto a proposito, V. A. non si
rendera difficile di ubbedire a commandamento di S. S **. — L)i quel
di Frisinga mostrerö che. stando egli nel centro dela Baviera, non b
il dovere cavarlo dala casa per ricevere in seno alcuno straniero, et
cosi secondo l'occasioni m'anderö schermando con parole generali."
StA. 9/4 f. 154.
2) Im .Juli 1.584 sandte Herzog Wilhelm seinen Kämmerer Guido-
bon Freih. zu Liechtenberg zu Kurf. Ernst und Heß melden: Der
Tapst habe sich bereit erklärt, wenn Ernst zu Münster postuliert
werde, ihn zu konfirmieren; doch müsse Ernst dagegen llildesheim
und Freising aus den Händen geben, ^dan es nit allein bei den ketzern
sondern vilmer bei den catholischen . . . ganz ergerlich und res pes-
aimi exempli sein wurd. ainer person sovil bistumb zu verleichen."
Da nun die Erwerbung von Münster zur Erhaltung des Erzstifts Köln
und der Kurwürde sehr nützlich sei, so möge Herzog Ernst einem
seiner Söhne Freising abtreten oder wenigstens zu einer Koadjutorie
behilflich sein (StA. 38/22 f. 1). — Kurf. Ernst wies dieses Ansinnen
sofort und später wiederholt mit aller Entschiedenheit zurück, oder
stellte solche Bedingungen (Abtretung von Aibling oder Traunstein
u. dergl.), daß Herzog Wilhelm darauf unmöglich eingehen konnte.
18 1 Sitziuu) der histor. Classe vom 4. Februar 18S8.
einer von diesen sein Koacljiitor Averde, jedoch ohne jeden
Anteil an der Regierung. Hieven wollte aber wieder das
Freisinger Domkapitel nichts wissen. — Herzog Wilhelm
stand denn auch, da er den festen Entschluß seines Bruders
kannte, lieber auf Köln und Münster als auf Freising zu
verzichten , für seine Person von diesem Plan ab und be-
mühte sich fortan, auch in Rom demselben entgegenzuwirken.
Nicht so schnell aber gab sich der am 1. Mai 1585
auf Gregor XHI. gefolgte neue Papst Sixtus V. zufrieden.
Er erteilte wirklich die Konfirmation für die Münster'sche
Wahl nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß Herzog
Frnst binnen 6 Monaten, das hieß bis zum Oktober 158G,
die P^reisinger Kirche aufgeben müsse, welcher Termin dann,
in folge einer besonderen Abordnung nach Rom, um ein
weiteres Jahr, also bis zum Oktober 1587, verlängert wurde ^).
Als der neue, wieder mit den Fakultäten eines legatus
de latere ausgestattete Nuntius Frangipani im Sommer 1587
nach Köln reiste, brachte er den gemessenen Auftrag mit,
ernstlich auf die Resignation von Freising zu dringen''*).
In München mußte man befürchten, daß es, wenn der
Papst auf seiner Forderung bestehe, um die Herrschaft des
bayrischen Hauses im Erzstift Köln, zugleich aber vielleicht
auch um den Fortbestand der katholischen Kirche daselbst
geschehen sein werde; deshalb ließ Herzog Wilhelm zuerst
dem Nuntius, als dieser Italien noch nicht verlassen hatte,
den Wunsch nach einer persönlichen Zusammenkunft, vor
dessen Weiterreise nach Köln, aussprechen, besann sich dann
1) Dieß berichtot der nach lioin gcsiindte Froisin^ei- llofiiiei.stci'
Hieronyinus Stör am 19. April 86 an Herzog Wilhehn (Stor's Briefe
HtA. .390/46); vgl. Sti.-ve a. 0. S. 330 Anm. 2.
2) Firiefe Frangipani's an Herzog Wilhelm von Bayern aus den
.lahren 1587—92, von Stieve fast nicht benutzt, iui Münch. StA.
487/34; vgl. Tenipesti, Storia della Vita e Geste di Sisto Quinto.
Roma 1754. 1. 348/355.
Ijossen: Zur Geschichte der pdp^tl. Nuntiafiir in Köln. 18ö
aber anders — wohl um nicht bei seinem Bruder das ohne-
hin schon vorhandene Mißtrauen zu bestärken, als ob er
mit dem Papste unter der Decke stecke — und schickte nur
seinen Sekretär Ulrich Speer nach Innsbruck, welcher, wie
es scheint, auch den Nuntius Frangipani zu überzeugen
wußte, dciss es ebenso sehr für den römischen Stuhl wie für
das Haus Bayern sehr bedenklich sein würde , auf Ernst's
Verzicht auf Freising zu beharren. — Möglich , daß Speer
schon damals dem Nuntius zu verstehen gab, daß zu Köln
die Koadjutorie eines der jungen bayrischen Herzoge leichter
zu erlangen sein werde, als zu Freising. Gewiß ist jeden-
falls, daß sowohl Herzog Wilhelm und seine Räte, wie
auch Kurfürst Ernst selbst, von Anfang au gesonnen waren,
das Erzstift Köln , einmal im Besitz des Hauses Bayern,
nicht so leicht wieder aus demselben kommen zu lassen^).
1) In einem Discurs Minucci's aus dem Sommer 1586 (StA.
9/2 f. 602) kommt folgende Stelle vor: ,Deliberandum tandem, an ex-
pediat arcem et ditionem in Bedbour accipere, quam Ser^us Elector
offert, et videtur in accipiendo nuUum esse periculum ; et locus talis
est, qui possit etiam principem aleve cum dignitate, praecipue si ac-
cedat praelatura aliqua in ecclesia Coloniensi. De Coadjutoria tam
Coloniae quam Leodii res essent paulatim disponendae. Et urgendum
iraprimis, ut Barvitius, quandoquidem Coloniensem canonicatum ac-
ceptare non vult, illum quam primum renuntiet et curet ut in illum
cadat, qui nobis usui esse possit.'' — Schon gegen Ende des .Jahres
1586 wurde Hieronymus Stör von Herzog Wilhelm beauftragt, mit
dem Kurfürsten über eine kölnische Koadjutorie in Verbindung mit
der Regelung der bayrischen Schuldforderung zu sprechen ; am 6.
Januar 87 (n. St.) berichtet Stör aus Arnsberg über den Erfolg an
Herzog Wilhelm: ,Furs andere, so seien ir cf. g. der coadjutorien
ganz wol zufriden, deliberieren alberait, wie die sachen anzugreiöen.
vermeinen schier den antang bei diesem erzstift zu machen, wie es
dan desto eher von statten gehen möcht, dieweil des chorbischofs
hinderung nit mer zu befaren; würts auch die grosse summa, die
e. f. g. ufm stift, und da sie den tractat mit Bedbur und annemung
anderer stuck im stift fortgehn lassen, also solchen starken fuß diser
ort setzen, vil befurdern, und verhof gute weg sein, das aller orts
186 Sitzimg der liistor. Classe i?om 4. Fchruar 1S88.
Als Frangipani Anfangs November 1587 zum ersten
mal Gelegenheit hatte , mit Knrfürst Ernst persönlich zu
sprechen, ließ ihn dieser keinen Augenblick im Zweifel dar-
über, daß das, was ihm Speer wegen des Stifts Freising
gesairt haben mochte, die volle Wahrheit sei. Ernsterklärte
aufs bestimmteste, dass er sich auch durch deu Papst nicht
aus Frei.sing verdrängen lassen wolle ; nicht einmal von einer
weiteren Terminverlängerung wollte er sprechen hören: lieber
als daß er auf Freising verzichte, sagte er im Eifer des Ge-
.sprächs, wolle er alle seine anderen Kirchen den Domkapi-
teln wieder anheimgeben und dabei weder an Papst noch
Kaiser sich kehren. — Wenn man ihm dagegen in diesem
Punkt den Willen thue, versprach er dem Nuntius hinsicht-
lich der von Rom gewünschten Reformen in der kölnischen
Kirche freie Hand zu lassen und ihn auf alle Weise zu
unterstützen ^).
In der That hat dann Frangipani während seiner bis
zum Jahre 1594 dauernden Nuntiatur mit einer Art von
selbstgefälliger Vielgeschäftigkeit eine Menge von Reforin-
verordnungen über Gegenstände des Kultus und der kirch-
lichen Disciplin erlassen, in bezug auf welche jedoch zweifel-
haft bleibt, in wie weit ihnen der Charakter von förmlich
verpflichtenden Dekreten zukommt, oder nur der von bloßen
Ratschlägen. Dieselben grihiden sich teils auf die Trienter
Reformdekrete, teils und mehr noch auf die Verordnungen
der älteren Kölner Diöcesan- und Provincialsynoden.
villeicht bald zu erwinachtem intento zu gelangen." StA. l)/8 f. 59.
— Aehnliche Andeutungen macht Knrf. Ernst selbst gleichzeitig
seinem Bruder. I.e. f. 62. — Stor's kurz nachher erfolgter Tod, neben
den anderen oben erwähnten inneren Schwierigkeiten, unterbrach
diuin für einige Zeit diese Verhii-ndlungcn.
1) Temi)esti 1. c. p. 353/5, nach einem Hericlit Fningipani's
an den Papst. F.'s Krief an den Herzog von Bayern vom 1!>. Novbr, 87
(StA. 487/34 f. 12) stimmt im wesontlichon , mntjitis mntnndis, da-
mit überein.
Xns.sT/r Zur Gcsichichti' der jy'ipstl. Nuntiatur in Köln. 187
Nachdem Franpfipaiii bereits einige Jahre das Erzstift
K()hi verhisseu hatte und seine Nuntiatur auf die spanischen
Niederlande beschränkt war, hat er alle seine wirklich er-
lassenen oder größtenteils wohl nur geplanten Reformdekrete,
unter dem Titel eines Directorium ecclesiasticae disciplinae
Coloniensi praesertim ecclesiae acconiodatuni, in Köln drucken
lassen (1597) und dem damaligen kölnischen Koadjutor,
Herzog Ferdinand von Bayern, gewidmet. Das Interessanteste
in diesem dickleibigen Buch ist die Vorrede an den Leser,
in welcher sich Frangipani in geschraubten Worten entschul-
digt, daß er sein Buch jetzt erst veröffentliche, und daß er
es Directorium genannt habe — also etwa soviel wie Rat-
schläge und Hilfsmittel für die Wiederherstellung der kirch-
lichen Disciplin — , während doch die einzelnen Verfügungen
desselben eher den Charakter von Statuten und Strafgesetzen
trügen. — Der Grund sei, meint er, weil es eigentlich mehr
ideale Vorschriften gebe, welche in der Praxis nur nach und
nach durchzuführen seien ^).
Frangipani's Vorgänger, Bonomi, hatte als Bischof von
Vercelii, nach dem Muster der von seinem Meister, dem Erz-
bischof Karl Borromeo, veröffentlichten Akten der Mailänder
Provincial- und Diöcesansynoden, die Dekrete der von ihm
1) Noch interessanter würde Frangipani's Vorrede sein, falls sich
folgende Stelle in einem Briefe desselben an den Kurf. Ernst vom
1. April 1591 (StA. 487/34 f. 67) auf eine etwa damals schon ge-
plante Herausgabe von eigenmächtigen Reformdekreten beziehen sollte :
,l)eir altro particolar' di quel libro, che si credeva fusse per uscir'
fuora, scrissi a pleno di mi pugno a V. A., et la mia lettera la trovö
partita di Lieggi ; subito donai ordine che si consignasse al So«" I5i-
leo, perche non havendo io voluto confidarlo a corriero ordinario.
l'indirizzai con altre lettere a un' di la, quäl se le ritenne, fin tanto
che non se gli dicesse da me, se doveva rimandarlo o consignarlo
ad altri. II libro non si manda fuora altrimente et e stata una voce
vana, come in due altre lettere n'ho dato conto al S^r Bileo, che do-
vera avertire V^ A."
188 Sitzung der histor. Classe mm 4. Februar 18S8.
gehaltenen Üiöcesansynoden drucken lassen , desgleichen die
Reformdekrete, welche er bei einer in Borromeo's Auftrag
in der Diöcese Como vorgenommenen Visitation erlassen hatte.
Diese letzteren waren, mit Zustimmung Bonomi's, im Jahr
1584 auf 85 durch den kölnischen Geistlichen Melchior Hit-
torp neu herausgegeben worden^); weiter war im Jahre 1587,
ebenfalls in Köln, ein von Bonomi angefertigter AuszAig aus
den in Borromeo's Mailänder Akten enthaltenen Instruktionen
für Seelsorger und Prediger erschienen ^). Diese beiden letzten
Publikationen werden es vermutlich gewesen sein, welche
Frangipani zur Herausgabe seines Directorium angeeifert
und ihm als Muster vorgeschwebt hatten.
In der vorhin erwähnten Vorrede zu Frangipani's Direc-
torium und auch im Text desselben kommen ein paar Stellen
vor, welche so lauten, als hätte er selbst eine Diöcesansynode
in Köln abgehalten ^). Von einer solchen wird aber sonst
1) Reformationis ecclesiasticae decreta generalia. ... a Jo.
Francisco Bonhomio, Dei et Ap''" Sedis gr. episcopo Vercel-
larum, eiusdemque S. Sedis apud S. Oaes. Mte™ cum potestate legati
de latere nuncio, nuper in Comensis civitatis et dioecesis visitatione
aedita, nunc autem Melchioris Hittorpii, S. Cuniberti
docano, cura ac diligentia revisa et recusa. Coloniae 1585; mit einer
Widmung Hittorp's an Bonomo, vom 1. October (1584), ;ils Vorwort.
2) Pastorum concionatorumque Instructiones ab 111'"" et
R"i'J s. m. Dno Carolo Borromaeo .... editae, nunc auteui
opera R"'' et 111'"' D"' Joannis Francisci Nuncii Ap'i'^' episcopi Ver-
cellensis excerptae .... Coloniae 1587; mit einem Vorwort des
Druckers Mat. Cholinus an den Dechant ad gradus D. V. Georg
Braun, worin der Beziehungen beider zu Bonomo gedacht wird.
3) Directorium, Praef. ad Lectorem. Bl. 3''; ferner die nachher
erwähnte Verordnung vom 21. Juli 15Ü1 im Anhang, welche so be-
ginnt: „(.^uiaparum esset nos Dioecesanam Synodum Coloniensein an-
nis aliquot intennissaiu in usum revocasse, atque aliquatenus nd pri-
stinum reduxisse vigorem. nisi etiam debitam ilHus decretorum ex<!-
cutionem curaremus: ideo cum inter alia in ultima synodo proniul-
LoAsen: Zur Geschichte der piipstL XKutintur in Köln. 189
«rar nichts berichtet. Die erste seit dem Jahre 1553 wieder
abgehaltene Köhier Diöcesansynode, von welcher Hartzheim
Akten gefunden und veröäentlicht hat, fand vielmehr erst
im Oktober 1598 statt und zwar, soviel ersichtlich, ohne
jede Teilnahme des damaligen päpstlichen Nuntius zu Köln,
Garzadoro^).
Die einzige Verordnung in dem ganzen Directorium
Krangipani's, welche den Charakter eines kraft päpstlicher
Autorität erlassenen Dekrets bestimmt aufgedrückt trägt, ist,
soviel ich bemerkt habe, eine in den Anhang verwiesene,
vom 2. (oder 11.?) Juli 1591 datierte und am 21. Juli in
der Stadt Köln publicierte Konstitution, durch welche ein-
zelne Vorschriften früherer Kölner Diocesanstatuten und des
Trienter Konzils gegen Haus-Taufen und gegen clandestine
Ehen eingeschärft werden.
Dagecren lassen es die Protokolle des Kölner Domkapitels
kaum als zweifelhaft erscheinen, daß Frangipani, in ausge-
dehntem Maße und ohne Widerspruch zu finden, kii-chliche
Jurisdiktion im Erzstift Köln geübt hat^).
Die wichtigste Aufgabe, welche sich Frangipani zu An-
fang seiner Nuntiatur gestellt hatte — die Ordnung der ganz
zerrütteten finanziellen Verhältnisse im Erzstift, neben und
gata, illud urgentibus nobis, .... etiam publicatum fuerit, ut omnes
in animarum cura et ministerio constituti sedulo et accurate incum-
bant in divinorum sacramentorum dispensatione" etc.
1) Hartzheim, Conc. Germ. VIIT p. 517/522. Die Dekrete
dieser Synode scheinen kaum Raum zu lassen für die Jurisdiktion
eines päpstlichen Nuntius; vgl. Unkel S. 259 über die bereits im
Jahre 1594 hervorgetretene Empfindlichkeit des Kurf. Ernst gegen
Eingriffe des Nuntius in seine Jurisdiktion.
2) So läßt z. B. der Nuntius 3. Jan. 1590 dem Kapitel mitteilen,
daß der Clerus secundarius von ihm ein mandatum inhibitionis contra
capitulum ratione contributionis verlangt habe; — 28. Mai 1590 wird
im Domkapitel beschlossen, „a quodam decreto competentiae a D.
Nuncio lato in causa cleri appellationem zu interponieren." Domkap.
Prot. DA.
1888. Philos.-philol. u. hist. Gl. 2. 13
190 Sitzung der histor. Classe vom 4. Februar 188S.
mit der Sicherung der Nachfolge durch AufsteUuug eines
Koadjutors für Erzbischof Ernst — erreichte Frangipani
während seines Kölner Aufenthaltes nicht, sondern erst sein
Nachfolger Garzadoro. Ich lasse dahin gestellt, ob Frangi-
pani, wie Stieve zu glauben geneigt ist, durch irgend welches
Vergehen sich in Köln unmöglich gemacht hatte, oder ob
es ihm nur, wie ünkel lieber annimmt, an der nötigen Ge-
schicklichkeit fehlte ^) : — die Hauptursache seiner Beiseite-
schiebung lag jedenfalls viel weniger an einer Schwäche
seiner Person, als an den inneren Schwierigkeiten der Sache
selbst, welche zu ihrer Hebung längere Zeit bedurften und
die Kräfte eines jeden , sonst nicht ungeschickten Mannes
abnützen mußten, so daß man in Rom klug daran that,
zum Abschluß einen neuen Vertreter zu senden , der noch
nicht in der einen oder andern Richtung kompromittiert war.
An Eifer es allen recht zu machen, dem Erzbischof wie dem
Domkapitel und dem Klerus, dem Rat der Stadt Köln und
den (j laubigem des Erzstifts, hat es Frangipani jedenfalls
nicht fehlen lassen; mehrere Jahre hindurch hat er als ein
von allen Seiten angerufener Vermittler eine sehr einfluß-
reiche und angesehene Stellung in Köln eingenommen ^).
Durch die Erfahrung vieler Jahre kannte man am bay-
rischen Hofe das Kölner Domkapitel gut genug, um zu wissen,
daß dieses sich gegen jede Verletzung seiner alten Privi-
legien aufs äußerste sträuben würde. Das wichtigste dieser
Privilegien war, daß als Koadjubn* so gut wie als Erzbischof
nur ein Mitglied des Domkapitels gewählt werden dürfe. Um
Donikapitular zu werden, mußte der zum Kanonikus ernannte
Fürst, Graf oder Freiherr die Anni carentiae überstanden, die
Ahnenprobe geleistet, Residenz gehalten , die Subdiakonats
weihe empfangen haben und schließlich an der Reihe sein,
1) Stieve a. 0. S. 346. Anm. 2; Unkel S. 256.
2) Dieß ergeben die Kölner Donikaijitelprotokolle aus der Zeit
seiner Nuntiatur.
Lassen: Zur Geschichte der päpstl. Nuntiatur in Köln. 101
einen freigewordenen Kapitelplatz wirklich einzunehmen ^).
Behält man dieß im Auge und erinnert man sich insbeson-
dere, mit welchen Schwierigkeiten Kurfürst Ernst selbst seiner
Zeit Domkapitular zu Köln geworden war, so wird man sich
nicht wundern, daß Jahre darüber vergingen, ehe der junge
Herzog Ferdinand von Bayern nur in der Lage war, Koad-
jutor seines Oheims, des Kurfürsten Ernst, werden zu können.
Frangipani hat diese Schwierigkeiten zu Anfang seiner Nun-
tiatur vermutlich unterschätzt, wie er sich denn eine Zeit-
lang sogar einbildete, das Domkapitel werde sich bestimmen
lassen, neben Grafen und Fürsten auch ritterbürtige Dom-
herren aufzunehmen ^).
Für das Einzelne verweise ich auf die Erzählung bei
Stieve und die kleinen Ergänzungen bei Unkel, und erinnere
hier nur daran, daß die erste Residenz der beiden bayrischen
Prinzen Philipp und Ferdinand, durch welche sie sich die
Fähigkeit erwarben, Domkapitulareu zu werden, nicht vor
dem Winter 1590 auf 91 gehalten werden konnte. Dom-
kapitular selbst ist Herzog Ferdinand erst am 15. März 1595
geworden ^).
Die zweite HauptschAvierigkeit lag sodann in der Ord-
nung der finanziellen Verhältnisse im Erzstift. Während des
kölnischen Krieges hatte sich das Domkapitel für die Rück-
1) Vgl. m. Köln. Krieg. I. 19. 26. 73/76. 106/110. 412 f. 467/471.
486. 491.
2) Tempesti. I. 355. Stieve S. 335 Anm. Unter dem ,Straß-
burger", dessen Ansicht erforscht werden soll (bei Stieve a. 0.), wird
das Straßburger Domkapitel zu verstehen sein, dessen Statuten in
bezug auf die Nichtzulassung ritterbürtiger Domherren mit denen
des Kölner Domkapitels übereinstimmten (s. Köln. Krieg S. 38. 300.
392); dazu passen dann die Bemerkungen Metternich's über die beiden
Stifter Straßburg und Köln, bei Stieve a. 0.
3) Unkel S. 263; irrig ist aber jedenfalls U.'s Angabe, daß
Herzog F. Domcustos gewesen sei, ehe er Kapitular wurde.
13*
192 Sitzung der Uistor. Classe vom 4. Februar 1SS8.
erstattung eines Teiles der von Herzog Wilhelm seinem
Bruder geleisteten Darlehen im Betrag von 150,000 Gulden
verbürgt. Für weitere Darlehen im Betrag von über 200,000
Gulden hatte Kurfürst Ernst versprochen , nachträglich den
Cousens und die Bürgschaft seines Domkapitels beizubringen,
stieß aber bei seinen Bemühungen hiefür auf den hart-
näckigsten Widerstand bei der Majorität des Kapitels^). Mit
der Forderung der Rückerstattung oder genügender Sicher-
stellung hielt Herzog Wilhelm das Domkapitel an der Hand,
forderte aber auch den begründeten Verdacht und Vorwurf
heraus, daß er sich dieser Geldschuld eigennützig bedienen
wolle, um das Erzstift Köln seinem Hause für immer zu
unterwerfen ^). Das Domkapitel war unbedingt nicht im
stände, die bayrische Schuld zu tilgen, da es nicht einmal
1) Die Bemerkung von Stieve S. 351 f. ist hienach zu berich-
tigen. Eine von Kurf. Ernst anerkannte bayrische Abrechnung vom
2. November 1587 (StA. 9/8 f. 1U2) ergibt : Summe der Dsirleihen
von 1583—86 sammt Zinsen . . . 352,180 fl. 35 kr. 2 h.
Dazu Zinsen von Ende 86/87 . 17,609 „ — , — ^
369,789 fl. 35 kr. 2 h.,
wovon 150,000 fl. bereits durch das Domkapitel verbürgt waren, der
Rest noch nicht; um diesen durch die auflaufenden Zinsen stets an-
wachsenden Rest drehen sich die langwierigen und peinlichen, schließ-
lich durch den Koadjutorievertrag niedergeschlagenen Verhandlungen
de.s Herzogs Wilhelm mit dem Kurfürsten und dem Domkapitel.
2) In einem seiner Briefe an Frangipani (vom 3. Juni 90 StA.
487/34 f. 53) sucht Herzog Wilhelm sich in folgender Weise von dem
oben erwähnten Vorwurf zu reinigen: „Illum vero malitiose stultum
esse oportet, si quis finxit non desiderare nos pecuniam, sed hoc tan-
tum ut ecclesia ista nobis in perpetuum obligetur et subiiciatur.
Obligatam quideni iam ante putanius esse. An vero ecclesiam nobis
subiiciamus, quam ab aliorum tyrannide liberavimusV Reddatur nobis
nostra pecnnia, et ne obligatam quidem amplius dicemus; premium
enim ab eo expectabimus, qui nobis, ut aliquid possemus, vires et
facultates dedit." — Um das Gewicht solcher Phrasen richtig zu
schätzen, halte man damit naive Bemerkungen, wie die o. S. 185
Anm. angeführte von Hieronymus Stör zusammen.
Lossen: Zur Geschichte der päputl. Nuntiatur in Köln. 103
seinen und des Erzstifts älteren Hypothekar-Gläubigern, den
sogenannten alten und neuen Donirentnern, ihre seit Jahren
rückständigen Pensionen aus den in folge des fortdauernden
Krieges fast nichts mehr einbringenden Zöllen entrichten
konnte^). Hinter den Domrentnern aber stand der Rat der
Stadt Köln, mit der Drohung, dieselben in den Besitz der
als Bürgschaft beanspruchten Einkünfte des Domkapitels '/u
setzen.
Um diese Schuldsachen drehen sich endlose, erbitterte
N'erhandlungen , welche zwischen Kurfürst und Domkapitel,
zwischen beiden und den Landständen, sodann mit den Gläu-
bigern selbst und mit dem Rat von Köln in den Jahren
1587 bis 1594 gepflogen wurden. Ehe hier Rat geschafft,
wollte und konnte sich das Domkapitel auf keine Koadjutorie
einlassen.
Die Vereinbarung erfolgte schließlich dadurch, daß nicht
nur der Kurfürst und der künftige Koadjutor versprachen,
alle Einkünfte aus den Zöllen bis zur Schuldentilgung dem
Domkapitel zu überlassen , sondern daß auch das Haus
Bayern stillschweigend auf die Einbringung seiner Forde-
rungen verzichtete ^).
1) Auch die kurfürstlichen Räte klagten noch in den neunziger
Jahren oftmals, daß sie seit 10 oder 12 Jahren kein Salaire mehr er-
halten hätten und begehrten ihrerseits, vor den Domrentnern bezahlt
zu werden.
2) S. den Art. V des Koadjutorievertrages bei Unkel S. 587 f.
In dieser, nicht endgiltigen, Redaktion des Vertrags heißt es noch: Jtem
Pontifex curabit sua autoritate . . . ut ille (sc. Bavariae dux) actiones suas,
quas conti-a archiepiscopatum habet, eius calamitosissimo statu attento,
ex singulari pietate reraittaf ; in dem Revers , welcher von den bay-
rischen Herzogen Wilhelm und Maximilian am 19. November 1595
ausgestellt wurde (bei Are t in, Gesch. Maximilians des Ersten
S. 512/516), fehlt der betr. Abschnitt ganz; vgl. Stieve S. 352.
Anm. 2.
194 Sitzuufj der histor. Classe vom 4. Februar 188S.
Die dritte große Schwierigkeit lag endlich in der Frage,
wie der feste Entschluß des Erzbischofs Ernst, Kurfürst zu
I>leiben, mit des Domkapitels Weigerung, die kurfürstliche
Würde von der erzbischöflichen trennen zu lassen, und mit
dem von Rom geforderten und auch vom Kapitel gewünsch-
ten Uebergang der Verwaltung des Erzstifts in die Hände
des Koadjutors, sich vereinigen ließ ^). In diesem Punkt wurde
durch vollständiges Nachgeben gegen die Forderungen des
Kurfürsten eine Einigung erzielt. Der entscheidende Schritt
in dieser Richtung erfolgte — was Stieve und Unkel übersehen
haben — bereits am 18. Oktober 1594 durch einen Vertrag,
welchen Kurfürst Ernst und Herzog Wilhelm })ersönlich zu
München mit einander abschlössen^).
Wie sich danach, im April 1595, unter Vermittelung
des Nuntius Garzadoro, das Kölner Domkapitel und der Ver-
treter des Hauses Bayern, Adolf Wolf von Metternich, über
die Koadjutorie des Herzogs Ferdinand, seine Uebernahme
der Verwaltung des Erzstifts und die Ordnung der Schuld-
sachen vertrugen , hat ünkel aus Akten des vatikanischen
Archivs neuerdings mitgeteilt — jedoch war es in der Haupt-
sache schon in den Nuntiaturstreitifflieiten des voriffcn Jahr-
1) Unkel S. 269 Anm. 2 behauptet ganz mit Unrecht gegen
Ennon, ^daß der Wahlvertrag die Trennung der kurfürstlichen von
der erzbischöflichen Gewalt ausspreche" ; in der nicht von Unkel,
aber bereits im vorigen Jahrhundert von einigen orzbischötiichen
Parteigängern mitgeteilten endgiltigen Fassung des Koadjutoriever-
trages heißt es im Eingang ausdrücklich : „Coadjutor cum futura suc-
cessione in archiepiscopatu eique annexo electoratu S. R. Imperii,
quem electoratum S. S**** ab archiepiscopatu separare non intendit,
. . . . eligatur." Er örterung der kölnischen Nuntiatursti-eitigkeit ... .
H. 1. 1788. Beil. I. S. 99; Kurze Widerlegung der Keflexions sur
les 73 articles .... s. I. 1789. Beilagen No. 1 ; weniger genau auch
in der o. S. 160 cit. Calophorie S. 78/81.
2) Gedruckt bei Aretin a. 0. S. 510 f.
Lassen: Zur Geschichte der pnpstl. Nuntiatur in Köln. 195
hunderts und dann wieder, vor mehr als vierzig Jahren, durch
Aretin bekannt gemacht worden ^).
Der päpstliche Unterhändler hat es verstanden, in diesen
Vertrag einen eigenen, die kölnische Nuntiatur betreffenden
Artikel hineinzubringen, welcher deren Fortbestand gleich-
sam als einen besonderen Wunsch des Domkapitels erscheinen
ließ'^).
1) UnkeTs Beilage 1 a. 0. S. 583 gibt den von dem Nuntius
Garzadoro vorgelegten Vertragsentwurf vom 15. (oder 18.) April
1595; der Vertrag selbst, vom 29. April 1595 datiert, ist in den
0. S. 194 cit. Schriften des vorigen Jahrhunderts gedruckt und ent-
hält eine Anzahl Bestimmungen, welche ohne Zweifel auf Verlangen
des Domkapitels zugefügt wurden, größtenteils auch in der von
Unkel als Beilage 2, S. 585 tf. abgedruckten Koadjutorie-rrkunde sich
finden und ebenso in dem vorhin (S. 193) erwähnten Revers der Herzoge
Wilhelm und Maximilian von Bayern vom 19. Nov. 95. — Der Vertrag
vom 29. April 95 ist unterzeichnet von dem Nuntius Garzadoro, dem
Herrn von Metternich und dem Kapitelssekretär, wonach alsoStieve
S. 354 gegen Unkel S. 268 Anm. 2 Recht hat.
2) Der Artikel lautet: „Secundo, quod ad spirituale attinet, con-
fidit (sc. S. S«^) de coadiutore et capitulo, quod pro zelo christianae
religionis et pietatis decorem domus Dei inprimis cordi habebunt;
attamen, si quidem [im Entwurf sicutiV] capitulo ita videbitur , pro
maiori [auctoritate et] securitate rerum tam temporalium quam spiri-
tualium, offert S. S^^s habere in hac provincia, salva tarnen semper
ordinaria iurisdictione, virum gravem ac pium, cum titulo et digni-
tate nuntii apostolici, cum facultatibus opportunis, pro salute [aedi-
ficatione] ecclesiae et cum expresso mandato sanctae sedis aposto-
licae, ut ea quae unioni patriae iuratae, quae iuratis capitulationihus,
quae etiam antiquis ecclesiae consuetudinibus repuynant , per omnia
tolli, et quae eis conveniunt, observari procuret."
Die hier cursiv gedruckten Stellen fehlen in Garzadoro's erstem
Entwurf des Artikels, und sind, wie der Inhalt ergibt, sicherlich erst
auf besonderes Verlangen des Domkapitels zugefügt worden, um der
Gewalt des Nuntius gewisse, in den Rechten des Erzbischofs, der
Landstände und vor allem des Domkapitels begründete Schranken
zu setzen. Die gleiche Absicht läßt sich wohl auch aus der Beseiti-
gung oder Abänderung der hier in eckige Klammern gesetzten, in
Garzadoro's Entwurf stehenden Worte erkennen.
196 Sitzung der Imtor. Classc vom 4. Februar 1S8S.
Die päpstliche Nuntiatur zu Köln ist, bis zum Unter-
«ranjr des Erzstifts selbst in den Stürmen der französischen
Revolution, eine ständige geblieben und hat ihre Befugnisse
immer mehr auszudehnen oder zu befestigen verstanden. So-
lange im Erzstift das Haus Bayern herrschte, dessen Inter-
essen zu dienen sie ja, fast von Anfang an, zunächst berufen
war, bestand, mit seltenen Ausnahmen, das beste Einver-
nehmen zwischen dem Erzbischof und Landesherrn einerseits
und dem Vertreter des römischen Stuhles anderseits; Hand
in Hand arbeiteten beide an der gewaltsamen Unterdrückung
jeder häretischen liegung im Erzstift. Erst in dem seit der
Mitte des vorigen Jahrhunderts zur Herrschaft gelangenden
Geist rehgiöser Auf klärung und Toleranz, mit welchem sich
das allgemeine Streben der Staatsgewalten verband, auch das
kirchliche Leben unter staatliche Leitung zu bringen, er-
wuchs der Kölner Nuntiatur eine gefährliche Gegnerschaft.
Ehe aber dieser Kampf zur vollen Entscheidung geführt
war, bereitete die französische Revolution den geistlichen
Kurfürstentümern am Rhein und der römischen Nuntiatur
zugleich ein unrühmliches Ende.
Doch hat der letzte ständige Nuntius von Köln , Bar-
tholomäus Pacca, in seinen erst im Jahre 1832 veröffent-
lichten Memoiren über seine rheinische Nuntiatur den Wunsch
und die Hoffnung niclit verhehlt, dass diese dereinst ihr
Haupt wieder erheben möge ^).
1) Bartol. Pacca, Memorie storiche . . . sul tli hii soggiorno in
Germania 1786—94. Koma 1832. p. 31; vgl. Me.jer. Propaganda.
2. 191).
197
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 3. März 1888.
Herr Wölfflin liielt einen Vortrag:
, Krieg und Frieden im Spriciiworte der Römer. "
Seit Jahren bringen die Leitartikel unserer Zeitungen
vorwiegend Variationen über das Thema Si vis pacem, para
bellum. Gestatten Sie mir heute auch ein Wörtchen dazu
zu reden, natürlich nicht vom politischen Standpuncte aus,
sondern vom philologischen. Wer war es denn, der jenen
Satz zuerst aussprach, in welchem sich heute alle Völker,
so verschieden sie auch sonst sein mögen, einmüthig zusam-
mentinden ? Oder wer hat zuerst jene Wahrheit wenigstens
in ähnlichen Worten ausgesprochen? Der Instinct wird uns
auf das grosse Kriegsvolk des classischen Alterthums , auf
die Römer führen , obschon sie in ihrer Praxis weit über
das Sprichwort hinausgegangen sind, wie das seltene Schliessen
des Janustempels beweist. Um daher das Thema gleich etwas
weiter zu fassen , möchte ich fragen : Was sagt uns das
römische Sprichwort von Krieg und Frieden V
Wenn man mit Recht behauptet, dass schon die Sprache
und das Sprichwort im Besondern den Geist einer Nation
"wiederspiegeln, so wird man wie bei den Griechen etwa die
von der Schiffahrt entlehnten Tropen, so in der lateinischen
lOS Sitsumj der phUoü.-iMlol. Classe com 3. März 18t:i8.
Sprache den Ausdruck des kriegerischen Sinnes des Volkes
suchen wollen. Und allerdings lehrt uns schon die Wort-
l)ildung, dass den Römern der Krieg näher lag als der Frieden.
Denn von pax haben sie kein Ädiectiv abgeleitet, so geläu-
fig uns auch das Wort ^friedlich' ist, von bellum dagegen
nicht weniger als vier, beilax, bellicus, bellicosus, bellosus.
Bei dem vereinzelt stehenden , von einem Grammatiker aus
Coelius Antipater notierten bellosus ist es allerdings streitig,
()]) nicht das Versbedürfniss zu der neuen Form geführt hat,
wenn anders Lucian Müller mit Recht Caelius in Caecilius
(nämlich Caecilius Statius) geändert und in den Worten contra
l)ellosum genus den Schluss eines trochäischen Tetrameters
erkannt hat, zu welchem die vorangehenden Worte: täntum
bellum süscitare conari adversärios gut stimmen würden.
Vgl. Rhein. Mus. 187;}. 508. Dass die epischen Dichter,
welche das trochäische bellicosus unmöglich in den Hexa-
meter brachten, zum Ersätze das in der Bedeutung etwas
verschiedene bellicus heranziehen mussten , ist über jeden
Zweifel erhaben : gelegenthch griffen sie auch zu Zusammen-
setzungen wie Ennius annal. 188 Vahl. bellipotens im An-
fange des Hexameters, welches bei Vergil. Aen. 11, 8 an
gleicher Versstelle wiederkehrt; ebenso zu bellifer und belliger.
Vgl. Köne , über die Sprache der römischen Epiker. 1840.
S. 213. Auch ist nicht zu vergessen, dass die Licenz bellator
als Ädiectiv zu verwenden von den Dichtern ausgegangen ist.
Gegenüber diesem Reichthume erschrickt man über die
Verkümmerung der Al)leitung von pax. Konnte man von
lex bilden legalis, warum nicht v(m pax ein pacalis? Aber
nicht einmal der Sänger des Friedens, Tibull, sondern nur
Ovid hat an drei Stellen diese Bildung gewagt, Metam. 0,
101. 15, 591. fast. 1, 710, ohne einen Nachfolger zu finden.
Cicero fühlte einmal, in einem Briefe an Attikus 8, 12, 4,
dass ihm ein elgrimög oder elgi/ralog fehle, und er behalf
sich zur Bezeichnung eines als Friedensvermittler geeigneten
Wü1f/U)t: Kricij und Frieden im Sprichtcorte der Eöiner. 109
Diplomaten mit dem neugebildeten pacifica persona, wovon
er niemand i,^laul)te Reclienschaft schuldig zu sein , da er
eine Veröffentlichung seiner Privatcorrespondenz nicht träumte.
Aber auch pacificus blieb anderthalb Jahrhunderte lang ein
schüchterner Versuch, bis namentlich im Spätlatein die Ab-
leitungen auf -ficus nebst den Verben auf -ficare massenhaft
durchdrangen. Das Particip pacatus kann kaum als Lücken-
büsser in Betracht kommen, schon darum nicht, weil es
nicht von Personen gebraucht wird , wie auch Ovid
sein pacalis nur auf Sachen l)ezogen hatte. Da wird man
doch sagen müssen , dass die Sprache, wenn das Bedürfnis«
vorhanden gewesen wäre, die Eigenschaft des Friedlichen
und Friedfertigen zu bezeichnen , ihren Weg hätte finden
müssen ; so aber ging es den Römern wie mit der Dankbar-
keit, die sie nicht fertig brachten. Sie kannten wohl die
Dankbarkeit und Achtung, welche die Kinder den Eltern
schulden und nannten sie pietas; aber die Dankbarkeit, auch
von oben nach unten, hat kein Wort gefunden ; eine grati-
tudo, oder wie das Substantiv sonst hätte lauten müssen, hat
kein Kömer über die Lippen gebracht, und das Wort ist
daher, obschon im Italiänischen gebildet, als neulateinisch
für den Stilisten zu vermeiden. Man ist von aequus animus,
magnus animus auf aequanimitas und magnanimitas gekom-
men, aber nie von gratus animus auf gratanimitas. Cicero
spricht de orat. 2, 182 von facilitas, liberalitas, mansuetudo,
pietas, und fährt gegen das Gesetz der Symmetrie fort mit
gratus animus; Valerius Maximus überschreibt die Capitel
seiner Dicta et facta memorabilia beispielsweise De humani-
tate et dementia, aber das über den Dank und Undank De
gratis, de ingratis , weil ihm das betreffende abstracte Sub-
stantiv offenbar fehlte.
Man wird nach dieser einleitenden Betrachtung, welche
nur daran erinnern soll, dass die moderne Wortforschung
hinter den Wörtern auch Gedanken sieht, geneigt sein zu
200 Sitzung der plülos.-phüol. Classe vom 3. März 1SS8.
glauben, dass das römische Sprichwort über den Krieg viel
v.u. sagen habe, und es ist auch bereits nachgewiesen worden,
dass die Ausdrücke , welche die Thätigkeit des Redners be-
zeichnen, mit Vorliebe der Krieger- und Fechtersprache ent-
lehnt sind^). So Hesse sich weiter verfolgen, dass Ausdrücke
wie proeliari, militare, stipendia facere, excubare namentlich
von Dichtern gerne auf die Erotik übertragen worden sind,
übertrug doch Elagabal (Lamprid. 2ß) auf seine meretrices
den Titel commilitones. (Vgl. (*ic. Verrin. 5, 104 illud con-
tubernium muliebris militiae.) Ja das ganze Leben erscheint dem
Homer als ein fortwährender Krieg, wie wir von dem Kampfe
des Lebens sprechen : Seneca, epist. 96, 5 vivere, mi Lucili,
est militare, oder mit ähnlichem Bilde Plinius nat. bist. prol. 18
profecto vita vigilia est ; denn der Mensch ist nur eine Schild-
wache, die nach Ablauf ihrer Zeit abgelöst wird. Freilich
ist diese Anschauung nicht speciell römisch , da schon Hiob
7, 1 nach der Vulgata des Hieronymus sagt: militia est vita
hominis, und auch die christliche Kirche hat sich gern als
uiilitans bezeichnet. Aber jedenfalls darf man den Versuch
wagen, eine genauere Umschau in der römischen Litteratur
zu halten.
Dem in der Einleitung angeführten Satze von der Noth-
wendigkeit der Kriegsbereitschaft geht der andere, noch näher
liegende voran, dass man Krieg führe um Frieden zu
haben. Ob er die feste Form eines Sprichwortes angenom-
men, ist schwer zu sagen ; denn er begegnet uns so oft in
der Litteratur, dass er Gemeingut geworden zu sein scheint,
kleidet sich aber bei den verschiedenen Autoren in verschie-
dene Worte. So sagt Cicero in der siebenten })hilippischen
1) David Wollner: Die von der BeredtHiimkeit au» der Kriej^er-
und Fechtereprache entlehnten bildlichen Wendungen in den rhetori-
schen Schriften des Cicero, Quintilian und 'l'iuitus. TTymn. Progr.
Landau 188(5.
Wölffli»: Kricfi und Frieden im S]>ricJiirnrte der Ixnmer. 201
Rede § 19 Si puce fnii volumus, bellum gerendum est, und
in derselben Zeit de offic. 1, 23, 80 Bellum ita suscipiatur,
ut nihil ciliud nisi pax quaesita videatur. Er ahnte den Aus-
brneh eines neuen Bürgerkrieges, wünschte aber, dass der-
selbe nur als das nothwendige Mittel zum Frieden sein möge.
Kürzer drückt sich Nepos aus im Leben des Epaminondas 5, 4
Paritur pax bello, und ähnlich Statins Theb. 7, 554 Saevis
pax quaeritur armis; dem Gedanken nach hat sich ihnen
auch Augustin angeschlossen de civitate dei 19, 12 Omnis
homo etiam belligerando pacem requirit. Durch Ausweichen
vermeidet man den Krieg nicht nur nicht, sondern man be-
schwört ihn herauf, wie Curtius sagt 7, 30 Bellum vitando
alemus und auch ein Redner bei Tacitus zieht den Krieg
einem elenden oder faulen Frieden vor, Annal. 3, 44 miseram
pacera vel bello bene mutari. Die reichen Kaufherrn in
Karthago meinten freilich umgekehrt, wie uns Augustin in
einer Predigt^) meldet, ein pekuniäres Opfer sei immer gut
angebracht, wenn man dadurch Ruhe bekomme, ein ent-
schieden unrömischer Gedanke.
Allein man braucht nicht immer Krieg zu führen, um
zum Frieden zu gelangen ; man kann den Frieden erhalten,
wenn man nur zum Kriege gerüstet ist. Man hat
den Spruch Si vis pacem, para bellum, bei allen Autoren
gesucht und nirgends gefunden. Vermuthlich könnte man noch
lange umsonst die römische Litteratur durchforschen ; denn
die Form scheint mir nicht klassisch zu sein. So häufig Sen-
tenzen mit Si vis anfangen, so oft folgt darauf ein Infinitiv.
wie Seneca de moribus 24 Si vis beatus esse; und wenn
man auch zugibt, dass pacem velle an sich nicht gerade un-
lateinisch sei (Seneca Herc. für. 3(38 pacem velle; Livius 30,
1) August. Sermon. 167. Proverbium notum est Punicuni, quod
quidein latine vobis dicam, quia Punice non omnes nostis. Punicum
proverbium est antiquum: Nummum quaerit pestileutia; duos illi da
et ducat se. V^l. Ephes. 5, 15.
202 Sitzuny der phüos.-j^hiloL Classe vom 3. März 1888.
30, 15 victoriam quam pacem malle) , so würde doch der
rhetorische Gegensatz eine Form empfehlen wie : Si vis habere
(retinere) pacem , para bellum, wie ja Cicero in der eben
angeführten Stelle Philipp. • 7 , 19 geschrieben hat: Si pace
frui volumus.
Wenn ich nun auch den Spruch in dieser Form nicht
für antik halten kann, so ist doch längst nachgewiesen, dass
das Alterthum, und gerade das römische, denselben Gedanken
in ähnlichen Worten ausgesprochen hat. Zuerst vielleicht
Publilius Syrus 465, wenn sich auch der Sinn nicht voll-
kommen deckt: Prospicere in pace oportet, quod bellum iu-
vet; genauer anklingend Vegetius r. mil. 3 praef. : qui de-
siderat pacem, praeparet bellum, qui victoriam cupit, railites
inibuat diligenter. Dio Chrysost. de regn. orat. 1 zolg f.id-
hoza /lolef-iEU' n aqEOy.evao(.üvotg , rovTOig {.tahoTO. s^soziv
eiQf'jvrjV ayeiv. Ist man gerüstet, so kann man drohen und
dadurch den Gegner entwalfnen : Livius G, 18, 7 Ostendite
modo bellum ; pacem habebitis. Kriege wollen von langer
Hand vorbereitet sein, Piiblil. Syr. 12G Diu apparandum est
bellum, ut vincas celerius; und nicht nur für das Materielle
muss vorgesorgt sein, auch der Plan will vorher überlegt
sein. Was das Sprichwort von dem Gladiator sagt, dass er
seinen Plan erst in der Arena fasse (Seneca epist. 22, 1 ve-
tus proverbium est gladiatorem in arena consilium capere),
gilt nicht vom Kriege, und Publilius 625 polemisiert dagegen
mit den Worten : Sero in periclis est consilium quaerere.
Freilich ist jeder Krieg ein Unglück, und wie man von
mala belli, spricht, so von bona pacis. Den Frieden preisen
nicht nur die Dichter des augusteischen Zeitalters, wie Verg.
Aen. 11, 362 nulla salus hello, pacem te poscimus omnes,
oder Silius Italiens 11, 595 pax ojjtima reruin, sondern auch
die Prosaiker wie Cic. de leg. agr. 2, 4 (juid est tam popu-
läre quam paxV, derselbe in seinem l)ekannten auf die Unter-
drückung der catilinarischen Verschwörung bezüglichen Verse
WolfjUn: Kvuii n)iil Frieden im Siirichirnrle der Wmer. 203
Cedant arma too-ae : Tacitus im Dial. 37 quis ignorat iitiliiis
ac melius esse frui pace quam hello vexari? Und da man
die Bürgerkriege oft euphemistisch discordia civilis nannte,
so verstehen wir den Ausdruck des von Cäsar begünstigten
Mimendichters Pul)lilius Syrus 125
Discordia fit carior concordia,
wohl eine Anspielung auf die glücklich überstandenen Bürger-
kriege. Friede und Eintracht erhalten und ernähren ; so ist
das Wort Sallusts Jug. 10,0 sprichwörtlich geworden: con-
cordia parvae res crescunt, discordia maximae dilabuntur,
und Marcus Agrippa, der Sieger bei Actium und Schwieger-
sohn des Auguötus, pflegte nach Sen. epist. 94, 40 zu sagen,
er verdanke diesem Spruche sehr viel. Bekannt ist auch das
Wort Ovids fast. 1, 704 pax Cererem nutrit.
Den Krieg stellen sich nur diejenigen angenehm vor,
die noch nichts davon wissen; Vegetius sagt 3, 14 von den
tirones: inexpertis dulcis est pugna: allein diess ist schon
von Pindar ausgesprochen, Frgm. 110 (70) : ylvy(,vQ -/.ancolEf-iog
mieiQoiai. Der Krieg ist schon darum ein üebel , weil er
die bürgerliche Ordnung aufhebt. Cic. Mil. 4, 10 sagt be-
kanntlich Silent leges inter arma , ohne freilich anzudeuten,
dass die.ss ein Sprichwort sei; aber jedenfalls ist es durch
ihn ein geflügeltes Wort geworden, da nicht nur Quiutilian
5, 14, 17 die Stelle citiert und bespricht, sondern auch Lu-
kan dem Dictum Versform gegeben hat 1, 277 Leges hello
siluere coactae ; und nur eine freiere Variation ist es, wenn
Livius 34, 0, 0 einen Redner von Gesetzen sagen lässt (^uae
in pace lata sunt, plerumque bellum abrogat, oder Seneca
im Hercules furens 401 sagt Arma vincunt leges. Auch galt
im Alterthume der Grundsatz, dass der Krieg sich selbst er-
nähren müsse; der alte Cato entliess einmal nach Livius
34, 9, 12 die Lieferanten mit der Bemerkung Bellum se ip-
suni alet. Daher versucht nicht nur der philosophisch Ge-
bildete alles Mögliche, bevor er zum Schwerte greift (Ter.
204 Sitzung der philos.-philoh Classe vom 3. März 1888.
Eun. 789 omnia prius experiri quam armis sapientem decet),
sondern selbst Attila vermied den Krieg, wenn er sein Ziel
durch List erreichen konnte, nach Agnellus Script, Langob. 37
In proverbiis dicitur, Attila rex, priusquam arma sumeret,
arte pugnabat. Man kommt manchmal mit der Liebe ebenso
weit als mit dem Kriege, Avie das in dem östreichischen
Wahlspruche ausgedrückt ist: Bella gerant alii , tu felix
Austria nube; nach dem Vorgänge des Ovid Heroid. 13, 84
Bella gerant alii, Protesilaus amet. Der Aasgang des Krieges
ist eben immerhin eine unsichere Sache, wie schon Livius
30, 30, 19 den Hannibal vor der Schlacht bei Zama zu
Scipio sprechen lässt: Melior tutiorque est certa pax quam
sperata victoria; haec in tua, illa in deorum manu est, und
selbst den an Siege gewöhnten Römern hatte sich von alten
Zeiten her die Wahrheit eingeprägt, dass das Kriegsglück
veränderlich sei. (Cic. pro Marc. 5,15 anceps fortuna belli;
Livius 2, 60, 4 varia fortuna belli.) Einer ihrer grössten
Feldherrn, Cäsar, hat es im bellum Gallicum wie im civile
deutlich ausgesprochen, dass im Kriege viel, sogar sehr viel
auf das Glück ankomme; bell. Gall. 6, 30 multum cum in
Omnibus rebus, tum in re militari potest fortuna; civ. 3,38
fortuna, quae plurimum potest cum in reliquis rebus, tum
in praecipne hello, während ein anderer, minder kriegskun-
diger Autor, Curtius, wiederholt hervorhebt, ein besonders
wichtiger Factor im Kriege sei die fama, d. h. die öjffent-
liche Meinung. 3, 8, 7 iama stant bella; 8, 8, 15. 5, 13,
14 fama raaximum utique in hello momentum , d. h. das
"Ausschlaggebende. Jeder militärische Erfolg ist aber nur
dann von Werth , wenn ihm eine vernünftige Politik im
Frieden entspricht; Cic. offic. 1, 22, 76 parvi sunt foris
arma, nisi est consilium domi, wahrscheinlich ein trochäischer
Tetrameter eines Dichters, der geschrieben hatte nisi sit con-
silium domi; Val. Max. 9, 2, Einleit. Quid enini prodest
foris esse strenuum, si domi male viviturV
Wölfflin: Krieg und Frieden im Sprichworte der Römer. 205
Zum Kriegführen braucht man Waffen. Zu denSchutz-
w äffen (arma im engeren Sinne, im Gegensatze zu tela,
Trutzwaffen) gehören bei den Römern Helm , Panzer und
Schild. Sie belasten den schon durch Proviant und Schanz-
pfähle beladenen Krieger sehr stark ; allein der Römer rechnete
nach Cic. Tasc. 2, 37 scutum oder galea ebenso wenig zu
den Lasten als Schultern, Arme, Hände: arma membra mi-
litis esse dicunt. Eine sprichwörtliche Redensart knüpft sich
an eine besondere Art von Gladiatorenhelm. Der sogenannte
Andabata hatte einen Helm mit geschlossenem Visier, so
dass er, offenbar zur Belustigung des Publikums, seine Hiebe
vollkommen ins Blinde schlug. Schon zu Ciceros Zeit war
dieses Schauspiel in Rom sehr beliebt (Cic. epist. 7, 10) und
Hieronymus sagt adv. Helvid. 3 more andabatarum gladium
in tenebris ventilans. Die üebertragung auf die Verblendung
der Menschen findet sich schon bei Varro, der eine menip-
peische Satire Andabata, de hominum caecitate et errore ge-
schrieben hatte (Riese, pg. 100), und ebenso ist bildlich zu
verstehen Hieron. adv. .Jovin. 1, 36 Melius est clausis quod
dicitur oculis andabatarum more pugnare quam directa spi-
cula clipeo non repellere veritatis.
Das recht eigentlich Schützende ist der Schild, wie
auch bei uns. Abicere scutum, clipeum sagte man von den
Fliehenden, die um schneller vorwärts zu kommen, den Schild
wegwerfen (dupda/Tiöeg), und daher dann auch bildlich Cic.
Attic. 15, 29, 1 von Sextus Pompeius, von dem es einmal
hiess, er habe die Kriegsgedanken aufgegeben. Vorsichtiger
war es reiecto scuto zu fliehen, indem man mit dem rund-
lichen Schilde den Rücken schützte (Hom. Iliad. 8, 94 /rrj
(pevyeig luerd vtoxa ßaXcov y.rX.). und so äusserte sich Cicero
von dem Rückzuge des Redners de orat. 2, 294 confiteor nie,
si qua premat res vehementius , ita cedere solere , ut non
modo non abiecto, sed ne reiecto quidem scuto fugere videar,
sed adhibere quandam in dicendo speciem atque pompam et
1888. Philos.-philol. u. bist. CL 2. 14
206 Sitzung der philos.-phUol. Clause vom 3. März 1888.
pugnae similem t'ugam ; ähnlich Ovid. Trist. 1, 3, 35 sero
clipeum post vulnera sumo. Arch. IV 539. Bei Petron sat. 61
ist per scatum per ocream eine nicht recht klare und auch
bisher nicht erklärte sprichwörtliche Redensart. Für die mo-
derne Kanzelberedtsaiukeit ist vorbildlich geworden Genesis
15, 1 ne timeas, ego clipeus tibi (so die Itala; die Yulgata
protector tuus) ; II Reg. 22, 3 sperabo in deum, scutum
meuni : II 23, 31 deus scutum est omnium sperantium in se.
Psalm 5, 13 domine, scuto bonae voluntatis tuae coronasti
nos u. s. w. Auch die Sprache des neuen Testamentes kennt
dieses Bild, wie Ephes. 6, 16 scutum fidei.
Die beiden Angriffs waffen, Schwert und Wurfspiess,
hat die Soldatensprache oft genug verbunden: Veget. r. mil.
1, 20, 12 cum ad pila , ut appellant, venitur et manu ad
manum gladiis piignatur; 3, 14. 17 cum ad spathas et ad
pila. ut dicitur, ventum fuerit, wo an die Stelle von gladius
das vulgäre spatha (ital. spada, franz. epee) getreten ist. Für
gladius kann der Lateiner auch ferrum oder telum gebrau-
chen; wo wir aber im Sprichworte machaera finden, wird
man doch an griechischen Ursprung ^) denken müssen. Diess
ist der Fall bei der von Ambrosius angeführten Redensart
quod proverbialiter dicitur quasi puero machaeram ; diess ist
gerade so, d. h. so verkehrt, wie wenn man einem Knaben
ein Schwert (modern einen Revolver) in die Hände geben
wollte; oder in der Form des Verbotes bei Augu>tin epist.
104, 7 unde illud proverbium : Ne puero gladium. Die griech-
ische Fassung findet sich denn auch bei Apostolius.
Auch dem Rasenden und dem mit Selbstmordsgedanken
Umgehenden soll man das Schwert entreissen, beziehungs-
weise nicht geben und Cicero entscheidet daher den Fall
1) Vgl. auch Hör. Sat. 2, 3, 276 Adde cruorem Stultitiae atque
ignem gladio scrutare, was eine Ueberaetzung des pythagoreischen
Symbolums ist nvg juaxaigrf /itj axakevEiv , Diog. Laert. 8, 17.
Wölfflhi: Kriefj und Frieden iiu Sprichworte der Bömer. 207
collidierender PÜiehten, wenn jemand sana mente ein Schwert
deponiert und es insaniens zurückverlangt , in dem Sinne.
dass die Rückgabe eine Sünde wäre. De offic. 3, 95. Publil.
Syr. 157 Eripere telum, non dare irato decet. Tertull. de
fuga 13 Tu mihi videris gladium mortem desideranti daturus.
Dass diess aber schon in ältester Zeit sprichwörtlich war und
bildlich gebraucht wurde, zeigt uns schon Plautus , der die
Verkehrtheit einem liederlichen Jünglinge Geld in die Hand
zu geben, mit Dare gladium, qui se occideret, bezeichnet.
Trin. 129. Vorsis gladiis depugnare bedeutet so viel als ad-
ver.sis, iufestis, mit gegeneinander gekehrten Schwertern, in
offenem Kampfe, bildlich gebraucht bei Plautus Gas. 2, 5, 36.
Nicht auf ein Schlachtschwert ist das von Hieronymus in
einem Briefe an Augustiii (= epist. Aug. 72, 2) erwähnte
Sprichwort zu beziehen : ut vulgi de quibusdam proverbium
est Melle litum gladium , weil dafür el;ensogut ein Rasier-
messer gesetzt sein könnte, was fuayaiga auch bedeuten kann.
Der Sinn ist, dass unter dem süssen Köder, dem auf das
Messer gestrichenen Honig, eine drohende Gefahr verborgen
sei. Untauglich aber zum Kampfe sind die bleiernen
Schwerter, Cic. ad Att 1, 1<5, 2 cum iüum plumbeo gladio
iugulatum iri diceret; wesshalb man von schwachen AngrifiPen
oder Beweisen sagte plumbei pugiones. Augustin contra Ju-
lian. 1, 4, 12. 3, 7, 16. Arch. f. Lexikogr. IV. 33. Jeman-
den mit seinen eigenen Waffen schlagen, heisst aliquem sno
sibi gladio iugulare bei Terenz Adelph. 958 ; mit Anspielung
auf dieses Sprichwort sagt daher Cic. pro Caec. 29, 82 : aut
tuo, quemadmodum dicitur, gladio aut nostro defensio tua
conficiatur necesse est. Lactant. instit. 3, 28, 20 Quid pug-
uas adversus eos homines , qui suo sibi gladio pereunt. Da
die Häufung von suus sibi (= selbsteigen) nur der Vulgär-
sprache angehört, so müssen auch die genannten Wendungen
volksthümlich gewesen sein. Die gute Latinität vermeidet
diese Häufung. Publil. Syr. 66 Bis interimitur, qui suis ar-
14*
208 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 3. März 1888.
mis perit; Hieron. adv. Rulin. 3, 25 ut suomet potissimum
mucrone feriantur; Hieron. epist. 117, 4 Dnrus dolor est et
meo mucrone me vulnerans. — Im Kirchenlatein ist die
Sprache der Weltkinder ein zweischneidiges Schwert Psalm.
56, 5 ; der falsches Zeugniss ablegende gladius et sagitta
acuta nach Prov. 25, 18 u. s. w. ; aber auch sermo dei gla-
dius est ex utraque parte acutus nach Gaudentius Patr. Migii.
20, 864; Ambros. enarr. psalm. 36, 24 gladius verbum dei
dicitur.
Die hasfa ist später bekanntlich durch das pilum zu-
rückgedrängt worden ; aber dass im Sprichworte fast nur
die hasta vorkommt , beziehungsweise der allgemeine Aus-
druck telum und nicht pilum, ist wohl ein Beweis für das
hohe Alter dieser Ausdrücke. Plautus gebraucht neben pilum
inicere in aliquem (Mostell. 570) auch tragulam inicere in
■dU{m. Pseud. 407 , Epid. 690 , einen Schlag gegen jemand
führen; Apuleius Met. 1, 10 iniecto non scrupulo, sed lan-
cea; aber bei Cicero heisst es nur hastas abicere, die Flinte
ins Korn werfen, pro Mur. 45. Arch. IV 539. Von den
ersten Angriffen des Redners sagt Cicero de orat. 2 primas
iactare hastas, nicht prima pila, was für seine Zeit der mili-
tärisch richtige Ausdruck gewesen wäre; jemanden mit Grün-
den unterstützen heisst Cic. Top. 17, 65 iudicia patronis
diligentibus ad eorum prudentiam confugientibus hastas mi-
nistrant; bei Quint. inst. 12, 3, 4 velut ad arculas sedent et
tela agentibus (egentibus ?) subministrant. An dem Wurfspiesse
war bekanntlich ein Riemen (amentum) befestigt, vermittelst
dessen das Geschoss eine rotierende Bewegung erhielt, und
diese hastae amentatae sind in der Rhetorik ein stehender
Tropus. Cic. de orat. 1, 242 erhält der Redner solche vom
Juristen : u (juo cum amentatas hastas acceperit , ipse eas
oratoris lacertis viribusque tonjuebit; Cic. Brut. 271 werden
gewisse Beweise des Rhetors Hermagoras mit den hastae
amentatae der Veliten verglichen; Quintil. 9, 4, 9 quare
Wölfflit}: Krieg und Frieden im Sprichworte der Römer. 200
mihi compositione velnt amentis quibusdam intendi et con-
citari sententiae videntur. Tertull. adv. Marc. 4, 32 amen-
tavit hanc sententiam, mit der Note von Fr. Oehler. Am-
bros. epist. 888, 3 intorquenda est amentata illa non mani-
pularis sententia.
Keine Waffe für den Legionär waren die Schleuder,
sowie Pfeil und Bogen; sie blieben den socii, oder gar den
Söldnern überlassen. Man hat desshalb mit besonderer Vor-
sicht zu erwägen , ob nicht solche Sprichwörter aus dem
Griechischen stammen. Ganz sicher ist der Satz, dass der zu
straff gespannte Bogen springe, durch Aesop und die
griechische Litteratar vermittelt. Aesop verglich ja die Kinder-
spiele mit dem abgespannten Bogen, und seine Weisheit
spricht zu uns bei Phädrus, fab. 3, 14, 10
cito rumpes arcum, semper si tentum habucris;
at si laxaris, cum voles, erit utilis.
Ebenso entspricht der Sentenz bei dem sogen. Seneca de
mor. 138 arcum intentio frangit, aniraum remissio, genau
die Stelle bei Plutarch an seui etc. 16: to^op ,«£»', ag g)aoiy,
STtiTeivofisvov qrjyvvxaL, ipvx^ de dvisfxavrj. Was wir bei
Horaz in der Poetik Vers 350 lesen: non semper feriet,
quodcunqne minabitur arcus, erinnert doch daran , dass der
etwas zielbewusst Erstrebende schon in der griechischen Phi-
losophie (z. B. Plut. adv. Stoic. 26) vielfach mit dem Bogen-
schützen verglichen wird ; daher auch bei Cic. fin. 3, 6, 22
coUineare hastam aliqiio aut sagittam. Doch scheint das Bild
populär geworden zu sein, wie man aus Persius sat. 3, 60
schliessen möchte : est aliquid, quo tendis et in quo Dirigis
arcum. Bekanntlich aber prallt der Pfeil unter Umständen
auf den Schützen zurück , wenn er ein zu hartes Object
findet. So sagt Hiei'onymus, der überhaupt besonders reich
ist an sprichwörtlichen Wendungen, epist. 52, 14 : sagitta
in lapidera nunquam figitur, interdum revertens percutit diri-
gentem ; oder in Versform Ausonius epigr. 68, 8 auctorem
210 Sitzung der pMos.-phüol. Classe vom .9. März 1888.
ut feriant Tela retorta suum, und nochmals epigr. 72, 8 fac-
torem ut feriant Tela relata suum. Ausdrücklich bezeugt
diess als sprichwörtlich Cassiodor hist. trip. 6, 17 propriis
pennis secundum proverbium vulneramur. Die Pfeile Amors
oder der Venus sind wohl den Dichtern geläufig, nicht aber
in die Prosa aufgenommen ; um so häufiger sind die tela
fortunaeM, schon bei Cic. epist. 5, 10, 2 (homines nos ut
esse meminerimus ea lege natos , ut omnibus telis fortunae
proposita sit vita nostra) ; nur wird man diess nicht mit
Pfeile des Schicksals' übersetzen dürfen, weil die Fortuna
keinen Bogen führt, und weil das altrömische Sprichwort
überhaupt den Pfeil und Bogen nicht kennt; vielmehr denkt
der Römer überhaupt an jede Art von Geschossen, verschie-
den von dem Deutschen, der, wenn er von den Schlägen des
Schicksales spricht, sich die Fortuna mit einem Schwerte
ausgerüstet vorstellt. Ebensowenig ist gerade von Pfeilen zu
verstehen, was Sen. dial. 6, 16, 5 als sprichwörtlich anführt:
nulluni aiunt frustra cadere telum, quod in confertum agnien
immissum est; denn die altrömische Phrase Extra telorum
iactum esse (z. B. Sen. dial. 2, 1, 2; wir sagen: weit vom
Geschütz) bezieht sich zunächst auf Lanzen.
Die auf die Defensive beschränkte Armee .steht im
Lager hinter Wall und Graben; die grösste Schande ist es
daher im eigenen Lager eine Niederlage zu erleiden. So ist
ali(iuem in suis castris caedere sprichwörtlich geworden, und
auch auf andere Gebiete übertragen. Nach dem Khetor Seneca
besteht ein Hauptvorzug des Thukydides in seiner Kürze,
und doch hat ihn gerade in diesem Punkte sein Nachahmer
Sallu.st übertrolfen, controv. 9, 1, 13 in suis illum castris
cecidit. Im freien Felde steht das Fu.ssvolk bekanntlich in
drei Treffen; im dritten, die Triarier. die erst im äussersten
Nothfalle in den Kampf eingriffen. Inde ^rem ad triarios re-
1) .'Vuson. 15, (), 21 8cli. ^ymmacli. npist, 9, 10, 1. IJoet. con-
.sol. 3. 1.
Wülfflhi: Knefi loid Frieden im Sprivhu-orte der Römer. 211
disse', cum laboratnr, proverbio increbuit, sagt Livius 8, 8,
11. Unklar war schon den Alten der Ausdruck post prin-
cipia. In dem Eunuchus des Terenz, V. 781 sagt der Soldat
Thraso, dessen Name freilich zu erklären ist wie lucus a non
lucendo : Tu hosce instrue ; ego ero post principia, inde Om-
nibus Signum dabo. An die principia des römischen Lagers,
den Hauptplatz und das Generalquartier , zu denken, ver-
bietet wohl der Umstand , dass das Lager nicht zur Schlacht
passt ; eher wird der Raum hinter der Front gemeint sein.
wo der Generalstab sich aufhält. Donat giebt daher zwei
Erklärungen : post principia] magnifice ad risum commoven-
dum ; nam dicere debuit post vos';" und nochmals: militare
dictum est, et ambigunt multi , an in extremo agmine sit
hie locus an in medio. Bemerkenswerth aber ist die Stelle,
weil hier ohne Zweifel der dem griechischen Texte eng sich
anschliessende Terenz einen acht römischen Zug oder Ausdruck
in seine Vorlage eingesetzt hat. Man könnte Bestimmteres
behaupten, wenn die Lesart und Erklärung einer andern
Stelle bei Varro de re rust. 8, 4 nicht ebenfalls zweifelhaft
wäre^). Varro fragt den Theilnehmer am Dialoge, von wo
er die Darstellung beginnen solle, und dieser antwortet : ut
aiunt post principia in castris, id est ab bis temporibus (er-
gänze: potius) quam rfuperioribus, wo Scaliger änderte : a post-
principiis, mir aber der Verdacht aufsteigt, in castris sei ein
erklärender Zusatz. Livius 2, 65, 1. Nonius pg. 135. Jeden-
falls war der Ausdruck post principia in der Militärsprache
so häutig , dass er zu einem Compositum postprincipia zu-
sammenwuchs, welches dann meist auf die Zeit übertragen,
den weiteren Verlauf einer Sache bezeichnete.
Bevor die Schlacht beginnt, gürtet man das Schwert,
und daher wird in procinctu von dem schlagfertigen Redner
1) Vgl. Otto Kössner, De praepositionum ab de ex usu Varro-
niauo. Ualis. 1888. pg. 14.
212 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. März 1888.
oder der schlagfertigen Beredtsamkeit gesagt; Quintil. 12,9,
21 armatum ac veliit in procinctu stantem (oratorem); 10,
1, 2. Am heftigsten ist der erste Anprall; Ter. Phorm. 346
prima coitio est acerrima. Dass, wer sich feige zurückzieht,
darum dem Tode nicht entrinnt, hat schon Simonides ge-
sagt und nach ihm Horaz carm, 3, 2, 14 Mors et fugacem
persequitur virum ; aber die Römer gehen nun noch viel
weiter , und noch über den muharaedanischen Fatalismus
hinaus , indem sie behaupten , in dem Muthe und in der
Tapferkeit liege der beste Schutz. Eine bestimmte sprich-
wörtliche Form kann ich dafür zwar nicht nachweisen ; aber
der Gedanke kehrt bei Historikern so oft wieder, dass er
kaum Sondereigenthum jedes Einzelnen sein kann. Vgl. Sal-
lust Jug. 87 fortissimum quemque tutissimum ; Livius 22,
5, 2 quo timoris minus sit, eo miuus ferme periculi esse ;
Gurt. 4, 14, 25 effugit mortem, quisquis contempserit; timi-
dissimum quemque consequitur. Freilich sind nicht alle
Löwen ; Manche sind, wie Tertull. de cor. 1 und Sidon. epist.
5, 7 sagt : in pace leones, in proelio cervi. Diess ist eine
Variation eines griechischen Sprichwortes, welches bei Petron
Sat. 44 lautet : domi leones , foras vulpes und schon bei
Aristophanes im Frieden' uns begegnet. In offener, ordent-
licher Feldschlacht kämpfen heisst collatis signis, viris equis-
que decertare u. ä.. Ausdrücke , welche auch auf Streitig-
keiten im bürgerlichen Leben angewendet werden. Plaut.
Gas. 248 Nunc nos collatis signis depugnabimus ; Gic. offic.
3, 116 viris equisque, ut dicitur, decertandum est. Gic. epist.
9, 7, 1. Ennod. p. 59, 6 Vog. aperta, ut aiunt, pugna con-
fligere. Rückzug ist keine Schande, sobald man nur von
Neuem angreift; so schon bei den Griechen avrlq 6 (pevywr
y.al TtciXiv ua/rjoevai, , wie sich Demostheues in der
Schlacht bei Chäronea tröstete. Tac. Germ 6. Schwache
Ghristen, welche in der Verfolgung nicht Stand hielten,
pflegten diesen Vers zu ihrer Entschuldigung anzuführen,
Wölfflin: Krieg und Frieden im Sprichivorte der Homer. 213
nach TertuU. de fu<]fa 10. Das römische Sprichwort sagte
für dieses fortgesetzte Zurückweichen und wieder Anpacken
serra pugnare^ mit der Säge kämpfen. Festus p. 344 M.
Serra proeliari dicitur, cum assidue acceditur recediturque
neque ullo consistitur tempore. Der wirkliche Flüchtling
aber hat das Recht verloren, Andere zu kritisieren; Augustin.
Patrol. 42, 195 Mig. Qui, ut dici solet, desertor arguas mili-
teni ? Receptui canere, zum Rückzuge blasen, ist in beiden
Sprachen gleich üblich von dem Aufgeben eines Planes : Cic.
Tusc. 3, 33. Ovid. Trist. 4, 9, 31. Quintil. 12, 11, 4. Plin.
epist. 3, 1, 11.
Es ist bezeichnend, dass die drei Schlachten der Römer,
welche sprichwörtlich geworden sind, drei Niederlagen
sind, und dass keiner der vielen glänzenden Siege zur Be-
zeichnung von Erfolgen auf anderem Gebiete gedient hat :
tiefer hat sich also dem Bewusstsein des Volkes das Unglück
eingeprägt. Die Schlacht von Cannä war sprichwörtlich wegen
des beispiellosen Blutbades, so dass Cicero die sullanischen
Proscriptionen eine Schlacht von Cannä nennen konnte, p.
Rose. Amer. 89, und in den Verrinen 5, 28 hat der näm-
liche Autor ein üppiges Gelage, dessen Theilnehmer schliess-
lich wie todt am Boden lagen, als Cannensem pugnam ne-
quitiae bezeichnet. Der Sieg des Brennus erinnerte mehr da-
ran, dass die Besiegten keine Gerechtigkeit mehr zu erwarten
haben; das harte Wort des Galliers Vae victis' hat schon
c
der Pseudolus des Plautus V. 1322 sprichwörtlich angewendet,
wo er den alten Simo überlistet hat, und Festus p. 372 be-
stätigt es : Vae victis in proverbium venisse existimatur, cum
Roma capta a Senonibus Gallis aurum ex conventione et
pacto adpenderetur, ut recederent, quod iniquis ponderibus
exigi a barbaris querente Aj). Claudio, Brennus rex ad pon-
dera adiecit gladium et dixit: vae victis. Quem postea per-
.secutus Furius Camillus, cum insidiis circumventum concideret
et quereretur contra foedus fieri, eadem voce remunerasse
214 SitzniHi der philos.-philol. Classe rom 3. März 1888.
dicitur. Es ist mit dieser Plantnsstelle von vorneherein die
Vermuthung abgeschnitten, als hätten die ausschmückenden
Annalisten der Gracchenzeit und der nächstfolgenden Gene-
ration wie Valerius Antias den Vorgang nach eigener Phan-
tasie ausgemalt und dem Brennns die stolze Drohung in den
Mund gelegt. Dass Varro eine Satiira Menippea ^Vae victis'
geschrieben haben sollte, ist eine falsche Angabe von G.
Büchmann (Geflügelte Worte) und wahrscheinlich eine Ver-
wechslung mit Andabata. Dagegen bemerkt derselbe richtig,
dass unsere Redensart ^sein Schwert in die Wagschale werfen'
auf Brenuus zurückgeht. Und endlich die Niederlage , die
Fyrrus den Römern beibrachte, in Wahrheit ein Sieg des
Unterliegenden und das Ende des Siegers, Dieser noch mo-
derne Pyrrussieg ist die pugna Osculana der Fiömer , eigent-
lich Asculana, nach der Schlacht bei Asculum , auch Aus-
culana, wie eine Münze bei Mionnet I. Suppl. 262 die In-
schrift trägt ^ r^Ä^/ßiV. Vgl. Fleckeisens Jahrb. f. Philo!.
71, 334 ff. Im Vulgärlatein wurde au durchweg zu o. wo-
raus sich die Form pugna Osculana erklärt , welche selbst-
verständlich mit den Oskern nichts zu thun hat. Festus
p. 197 Osculana pugna in proverbio, quo significabatur vic-
tos vincere.
Einen leichten Sieg bezeichnet allerdings Cäsars ^Veni,
vidi, vici'; allein diess ist eben nur ein geflügeltes Wort,
welches bei uns proverbiellen Charakter angenommen hat,
nicht ein vom Volksgeiste geschaffenes Sprichwort. Die sprich-
wörtlichen Redensarten, welche sich an den Sieg knüpfen,
wie die von der Palme, beziehen sich auf die Sieger in gyni-
nischen u. a. Spielen ; herbam do = victoriam concedo nach
Mythogr. Vatic. 3, 10, 6 auf den Streit der Minerva mit
Neptun.
Es ist nur wenig, w^as ich habe bieten können, allein
ich fürchte, dass auch nicht viel mehr überliefert sei. Immer-
hin muss man bedauern, dass seit Erasmus eigentlich nichts
Wölfflin : Kriefi und Frieden iw Sprichtrorte der Römer. 215
Zusammen hängendes für die römischen Sprichwörter geleistet
worden ist, und dass die meisten neueren Schriftsteller, wie
Düringsfeld. ohne Kritik zusammengestellt haben, was sie in
beliebigen Büchern fanden, ohne die Quellen anzugeben , ohne
die Originalform der Ueberlieferung festzustellen, ohne zwi-
schen Ausspruch eines Einzelnen und allgemein Angenom-
menem streng zu unterscheiden. Büchmann, der das Beste
geleistet, hat sein Augenmerk mehr auf geflügelte Worte
als auf Sprichwörter gerichtet. Möge dieser Versuch, der die
Lücke nicht ausfüllt, sondern im Gegentheile auf dieselbe
hinweist, dazu beitragen, dass wir nicht mehr zu lange auf
eine kritische Geschichte der lateinischen Sprichwörter warten
müssen.
216
Historische Classe.
Sitzung vom 3. März 1888.
Herr v. Löher hielt einen Vortrag:
„Ueber Dolmenhauten."
Vergleicht man bei Völkern von uralter Vergangenheit
die verschiedenen Arten der Todtenbestattung . so öffnet sich
ein, wenn auch nur dämmernder, Einblick in die religiösen
Ideen, von denen sie in ihrer ältesten Zeit ausgingen, und
zuffleich finden wir in den Grabresten Merkzeichen, um das
Lebensalter solcher Völker zu schätzen.
Da schauen nun aus der Vorzeit Dunkel von einsamen
Hügeln und Höhenbreiten bleichgraue seltsame Denkmale
herüber. Ihr deutscher Name — Hünengräber oder Hünen-
betten, auch Teufelskanzeln — erweckt die Vorstellung von
Riesen, die darin bestattet wurden ; denn Hünen bedeuteten
im späteren Mittelalter rohe riesige Recken. Der englische
Name ist Dolmen oder Tafelsteine, von dem keltischen daul
Tafel und men Stein, der Walliser Cromlech d. h. gewölbte
Steine. Die Dänen nennen sie Jettestuer d. h. Riesenstuben.
Ein keltischer Name für die einzeln stehenden ist Menhir
von men Stein und hir hoch.
Es ist über solche Dolmenbauten — denn dies ist der
am meisten verbreitete Name dafür — schon sehr viel ge-
V. Löher: lieber Dolmenbauten. 217
schrieben und geräthselt worden, insbesondere von welchem
Volke sie herstammen. Ueberschauen wir zuerst die äusser-
liche Einrichtimg und was sich noch darin vorfand, sodann
die Fundstätten dieser Denkmale, die ^ sich in drei Welttheilen
zeigen, endlich ihren gleichmässigen Charakter, und treten
dann in die Untersuchung ein, von welchem Volke sie her-
rühren und welchen Zwecken sie dienten.
1. Zwei Arten.
Es gibt zweierlei Dolmenbauten. Die einen bilden eine
Art von Steinkammern , zusammengesetzt aus rohen , meist
tafelförmigen Blikken, die Tragsteine in's Geviert oder im
Umkreis gestellt, darüber gelegt eine kolossale Deckplatte,
oder auch mehrere Decksteine , ein einziger oft ein paar
hundert Zentner schwer. Zu den mächtigen Deckplatten
wählte man häufig solche , die nach oben hin mehr oder
weniger dachförmig, — zu den Tragsteinen solche, die nach
der inneren Seite möglichst flach waren oder sich zu einiger
Fläche behauen Hessen.
Reichlich die Hälfte dieser Hünenbetten steckt noch in
solchen Hügeln , wie sie die Germanen hoch über ihren
Todten aufschütteten. Wo die Steinblöcke halb oder ganz
aus der Erde hervorschauen , da kann im Laufe der Zeit
die Deckerde durch langen Stromregen weggeschwemmt,
oder, wenn sie durch heisse Sonnenjahre ausgetrocknet war,
durch den Wind weggeweht sein. Ein grosser Theil aber
dieser Dolmenbauten, und das sind gerade die gewaltigsten,
ist offenbar von vorn herein unter freiem Himmel errichtet
und niemals bestimmt gewesen, unter der Erde verborgen
zu liegen ; die Grutt selbst aber mochte schon bei der An-
lage mit Erde ausgefüllt sein.
Der Boden in den Steinkammern ist öfter mit kleinen
Steinen , besonders Feuersteinen , gepflastert , und sind die
Zwischenräume zwischen den grossen Blöcken wohl mit
218 Sitzung der histor. Classe vom 3. März 1888.
kleinen Brocken ausgefüllt. Auch trifft man in den Erd-
hügeln selbst allerlei Befestigungen von Steinen, und aussen
i.st der Bau häufig umgeben mit Reihen kleinerer Blöcke,
die im Kreise oder Geviert umher gesetzt sind , auch wohl
einen länglichen Zugang bilden, oder am Zugang gleichsam
wie Schildwachen stehen.
Im Innern der Kammer treffen wir hin und wieder auf
einzelne Gerippe, liegend oder auch in sitzender oder hocken-
der Stellung, dagegen höchst selten Urnen mit Asche oder
verbranntem Gebein. In den meisten aber lagern lose Menschen-
knochen. Daneben und dazwischen finden sich Waffen und
Geräthe von Stein und Bein, selten von Metall, etwas irdenes
Gesehirr, das meist in Scherben , besonders Trinkschalen,
endlich Kügelchen von Tiion und Bernstein , die einst an
Schnüren aufgereihet zum Schmucke dienten, auch Thier-
zähne, Meermuscheln und Scheiben aus Muscheln zum selben
Zweck, dabei Knochen von Pferden und Hunden, Ebern,
Hirschen und Elchen. Die Waffen bestehen in steinernen
Aexten, Hämmern, Keilen, Messern und Meissein und Spitzen
von Pfeilen und Lanzen, die Werkzeuge dienten zum Schnei-
den und Stechen und bestehen aus Bein oder Hörn. Auch
Mörser mit Keulen und Schleifsteine zeigten sich. Die Ge-
schicklichkeit und Ausdauer, mit welcher aus hartem Stein
die Geräthe gemacht worden, muss fast eben so grosse Be-
wunderung erregen , als die Arbeit , welche es kostete , die
ungeheueren Tragsteine und zwar oft weit her zusammen-
zubringen, zurecht zu richten und mit den noch viel gewalti-
geren Decksteinen zu belasten.
Die Urnen und Töpfe haben die Gestalt von Bechern
und kleinhenkligen Kannen, sie sind zwar ohne Drehscheibe
und Brennofen hergestellt, jedoch nicht in plumpen Formen,
auch verziert mit allerlei Strichen, Schuppen-, Kreis- und
Schlangenlinien.
I'. Löher: Ueber DolmeuJmuten. 219
Wo sich Waffen und Geräthe von Kupfer, sodann von
Bronze oder Eisen linden, rühren sie höchst wahrscheinlich
nicht von den Erbauern der Steinkamniern her, sondern sind
zu dem dürftigen I)ihalt aus früherer Zeit erst in späterer
hineingelegt. Ausserhalb Deutschlands und Skandinaviens
hat man auch hin und wieder Goldsacben herausgeholt, so-
wie römische, fränkische und byzantinische Münzen, jedoch
nur vereinzelt : ohne Zweifel waren sie von Schätzen zurück-
geblieben, die man längst nach der Aufrichtung in diesen
mit religiöser Scheu betrachteten Kammern geborgen; denn
das Erdreich im Innern derselben fand sich auf- und durch-
gewühlt.
Hin und wieder bilden die ragenden Steinblöcke bloss
ein offenes Thor. Auf zwei oder drei Tragsteinen ist eine
mächtige Deckplatte aufgethürmt, oder auch nur schräg auf-
i'elecjt, als hätten die Eri)auer bloss ein Denkmal ihrer An-
Wesenheit aufrichten oder sich an einem Ausdruck ihrer
Kraft vergnügen wollen. —
Die andere Art von Dolmenbauten besteht einfach aus
rohen Blöcken oder aufrecht gerichteten Steinen, die einzeln
stehen, oder auch im Kreis- oder Eirund gesetzt sind und
alsdann kleine oder grössere Flächen umfrieden. Die Kreise
schlingen sich um einander, oder ein Viereck enthält regel-
mässige innere Kreise. Der Raum, welcher in solcher Weise
umschlossen ist, erstreckt sich wohl über ein Tagwerk und
mehr.
Auch giebt es Stellen, die mit einer Menge einzeln
stehender länglicher Felsstücke besetzt sind. Bald stehen
diese näher, bald weiter auseinander, und zwischen ihnen
erhebt sich dann wohl etwas wie Thorhallen und Kammern.
Am reichlichsten finden diese Menhirs sich in Morbihan in
der Normandie, wo man ihrer Tausende zählen kann, darunter
ein Stück von über fünfzig Fuss Höhe. —
220 Sitzung der histor. Glasse vom 3. März 1888.
Alle diese Bauten und Kreise und Sammelpunkte von
riesigen Steinblöcken sind in einem und demselben rohen
Stil errichtet. Wozu sie dienten ? Schon der Erzbischof Olaus
Magnus von Upsala giebt uns 1555 in seinem Werke von
den nördlichen Völkern eilien A.ufschluss , der auch heute
noch gelten muss, „Einige", sagt er, „sind Denkmale von
Schlachtfeldern, andere Familienbegräbnisse, andere Gräber
von sehr bedeutenden Männern." Die Grabmale aber bilden
die grosse Mehrzahl, gut neun Zehntel von all diesen Werken.
Die übrigen wurden zum Andenken an grosse Schlachten
und denkwürdige Ereignisse errichtet. Einige bezeichneten
wohl auch die Stätten, wo regelmässig Volks- und Gerichts-
versammlungen Statt fanden , oder eine religiöse Feier be-
gangen wurde.
2. Verbreitungsgebiet.
Die Todtenkammern aus Steinblöcken über und in der
Erde sind nun über viele Länder zerstreuet , jedoch keines-
wegs nach irgend einer Regel. In einigen Gegenden erscheinen
sie auch mehr oder weniger zerstört , in andern noch nicht
hinlänglich untersucht und verzeichnet. Jedoch stellt sicli
ein Ueljerblick etwa wie folgt zusammen.
Ihr Hauptland, in welchem sie sich am weitesten im
Innern ausbreiten und von welchem sie sich am meisten nach
allen Richtungen hin verbreiten, liegt zu beiden Seiten der
unteren Elbe, dort sieht man sie in grosser Anzahl. Je weiter
von der untern Elbe entfernt, um so mehr- nimmt die Menge
ab. Man trifft sie nach Westen hin l)is an die Zuydersee,
sodann besonders auf seeländischen Insehi ; — nach Osten
hin bis ül)er den Pregel liimius und vereinzelt noch am
ägäischen Meerbusen ; — nach Norden liin sind sie reichlich
ül)er Holstein, Schleswig, .lütland, die dänischen Inseln und
die südliche Spitze von Schweden ausgestreuet, und zwar be-
sonders an der Ostküste der jütischen Halbinsel und an den
r. Löher: Ueher Dolmenhaxten. -- i
Westküsten von Fünen, Seeland, Schonen und Gothland ; —
nach Süden gehen sie die Ems, Weser, Elbe und Oder hinauf
bis zu den Flussquellen, mindern sich aber jenseits des Rhei-
nes und des Thüringer Waldes an Zahl sehr bedeutend, und
finden sich noch, aber vereinzelt, in Luxemburg und Elsass
und im Alpenlande. Sie mögen indessen in den Niederlanden,
in den süddeutschen und Rheinlanden, die schon von der
Römer Zeiten her fleissig angebaut wurden, vielfach abge-
tragen sein, um Erde und Bausteine zu gewinnen.
Einen zweiten Sammelpunkt bieten die beiden nördlichen
Halbinseln von Frankreich, die normannische und noch mehr
die l)retoni6che, nebst den zugehörigen Inseln. Sodann zieht
in auffallender Weise sich ein breiter, dicht besetzter Strich
von Dolmen quer durch Frankreich von der Nordspitze der
Bretagne bis zur Mitte des Löwengolfs.
Auch das rechte Ufer der untern Rhone und die schmalen
Vorlande der Pyrenäen zeigen Dolmen auf. Das ganze übrige
Frankreich ist an eigentlichen Dolmenbauten ziemlich leer,
es sei denn, man wolle darunter auch all die einzeln aufge-
richteten Steinblöcke verstehen, welche französische Gelehrte
als Dolmen aufzählen.
Ein drittes, jedoch viel geringer, als die beiden vorigen,
besetztes Verbreitungsgebiet ist das englische. Hier gehören
dazu, ausser einigen Punkten an der Themse, die ganze
Westhälfte von England, besonders Cornwall und Nordwales
mit den Liseln Man und Anglesea, sodann von Irland die
ganze Ostküste, und von Schottland die Inselgruppe der Ork-
neys und die Nordspitze, die langgestreckte Halbinsel von
Argyll und Campbell auf der westlichen und die Uferlande
bei den Einfahrten des Tay und Forth auf der östlichen
Seite.
Eisenthümlichen Zug nimmt die Kette der Dolmen in
der spanischen Halbinsel. Von den Pyrenäen an halten sie
sich immer längs der Nordküste und überschreiten nur ein-
1888. PhUos.-phUol. u. bist. Ol. 2. 15
222 Sitzung der histor. Classe vom 3. März 1888.
mal, von Biscaya nach Alava , das asturische Gränzgebirge,
streichen dann, immer sich in den Küstengegenden haltend,
die ganze Westseite von Spanien und Portugal hinunter,
und lassen nur die Mündungslande des Tajo und des Guadal-
quivir unbesetzt, während sie sich im herrlichen Küsten-
lande von Granada wieder reichlicher zeigen und von hier
auch nach Cordova hinübersetzen. Im Ganzen aber steht in
Spanien und Portugal die Zahl der Dolmen weit zurück
hinter ihrer Menge in den vorgenannten Ländern.
Endlich entdeckt man sie auch im weitgedehnten Mittel-
meergebiet, hier jedoch, Granada ausgenommen, nur ganz
vereinzelt und zerstreut, so in der Südspitze von Corsika,
gegenüber bei Orbitello auf dem Festlande , in den beiden
Halbinseln von Argolis und Lakonien, die nach Osten schauen,
endlich längs der afrikanischen Nordküste, soweit ehemals
Vandalen gekommen , bis an die Grenze des Herrschaftsge-
biets der Aegypter, und zwar sind die afrikanischen Dolmen-
bauten stellenweise sehr zahlreich.
Seltener lassen sie in den Ostländern des Mittelmeers
sich blicken, und zeigen sich in der Krim , bei den Tscher-
kessen und in den benachbarten Küstenlanden, selbst in Syrien
und Palästina vereinzelt.
Einige meinen , am rothen Meer Dolmen gesehen zu
haben. Jedenfalls findet man einzelne an der Westküste von
Vorderindien bis in's Dekan hinein ; jedoch haben sie in In-
dien etwas Eigenthüinliches, das sie von den europäischen
unterscheiden lässt.
3. G leicli massiger Charakter.
Es ist also, wenn man auch bloss Europa und Nord-
afrika überschauet, ein ungeheueres Gebiet, in welchem sich
Dolmen finden. Trotzdem imd obwohl sie oft weit von ein-
ander entlegen sind, ])leil)tsich jedoch hier der Charakter ganz
gleich, wo immer man Dohnenbauten antrifft. Dieser Cha-
?'. Löher: Ueber Dolmenbnuten. 223
rakter hat so entschiedene, so ausgesprochene Züge, ist so
gleichniässig in all jenen Ländern, dass man gar nicht an-
ders kann, als bekennen, trotz ihrer Entlegenheit von ein-
ander müssen diese Steinbauten von einem und demselben
Volke herrühren.
Die Auswahl der Steine, die Art ihres Behauens, wo
die Erbauer dies noch für nöthig hielten, die Weise, wie die
Blöcke neben einander gesetzt oder über einander gelegt
wurden, — alles das ist so eigenthümlich und doch überall
so gleichmässig, dass, wer nur einige dieser Dolmenbauten
gesehen, sie anderswo gleich wieder erkennt. Verfasser dieser
Skizze hatte einmal Gelegenheit, kurz nach einander die so-
genannten cyclopischen Bauten bei St. Ottilien im Elsass,
bei Fiesole in Italien und auf der einsamen Insel Samothrake
zu vergleichen , und war erstaunt über die Aehnlichkeit
dieser Denkmale, so weit sie auch von einander getrennt
lagen.
Allein nicht bloss im Charakter, auch in ihren Fund-
orten, besonders in Lieblingsstätten , wo die mächtigsten
düster emporragen, herrscht eine höchst auffallende Ueberein-
stimmung. Sie liegen , Norddeutschland und einen Strich in
Frankreich ausgenommen, selten weit vom Meer entfernt,
gewöhnlich halten sie sich in der Nähe der Küste.
Ihre Lieblingsstätten sind kleine Liseln und schmale
Landzungen, die sich in's Meer hinausstrecken. Dort erheben
sich die bedeutendsten.
Sodann stellen sie sich häufig da ein , wo Flüsse und
Buchten tiefe und bequeme Einfahrten in's Land gewähren.
Der Platz an der Küste aber ist beständig so gewählt,
dass er zwei Gesichtspunkten entspricht. Die auf der See
Schiffenden sollten das Denkmal schon von ferne wahrneh-
men, und sie sollten auch einen möglichst ruhigen Anblick
desselben geniessen. Desshalb sind die Dolmen fast immer
auf erhöhten Punkten errichtet und stets dort, wo man sie
15*
224 Sitzung der histor. Classe vom 3. März 1888.
von allen Seiten vom Meere aus erblicken kann, jedoch fast
niemals an Orten, wo die Wogen der Nordsee oder des atlan-
tischen Ozeans wild anbranden. Wo dies der Fall, findet man
solche Bauten gewöhnlich an der entgegengesetzten Küste,
an welcher das Gewässer ruhiger steht. Offenbar gefielen
den Erbauern am meisten kleine Inseln und Vorsprünge, wo
in stiller Bucht sich das Gestade spiegelte.
Bei solcher Gleichmässigkeit des Charakters und der
Fundstätten der Dolmen bauten sind die meisten Forscher
darüber einig, dass sie nur von einem und demselben Volke
herrühren. Welches Volk aber hat diese gewaltigen Todten-
kannnern aufgethürmtV Welches Volk hat diese riesenhaften
Erinnerungssteine im Kreis oder Geviert oder auch einzeln
aufgerichtet ? Diese Frage hat schon manches Kopfzerbrechen
verschuldet. Die Zeit, wo man die Dolmen höchst fabelhaften
Druiden oder einem ebenso fabelhaften Riesen volke zuschrieb,
ist vorüber, die alte Dämmerung aber noch wenig gelichtet.
Gerade darin, dass nur ein und dasselbe Volk diese in drei
Welttheilen zerstreueten Bauten errichtet hat, liegt das An-
ziehende, ein Fingerzeig in die älteste Vorzeit hinein. War
jenes Volk ein Wandervolk, das nach und nach die Länder
zwischen dem indischen und atlantischen Ozean überzog
und wieder verliess? Wo steckt es denn jetzt? Oder war
es ein sesshaftes Volk, das, wenn auch noch so dünn, über
solch ein Ländergebiet zerstreuet war ? Warum hat es denn
nichts Anderes zurückgelassen, als diese Dolmenbauten?
4. Verschiedene Ansichten.
Einer der verständigsten Forscher, v. Bonstetten, glaubt,
dass ein Hirtenvolk von unbekannter Sprache und Religion,
das höchlich seine Todten verehrte, vom Kaukasus und der
Krim nach den europäischen Gegenden am schwarzen Meere
kam und dort sich ausbreitete, bis es von andern asiatischen
Horden verdrängt sich theilte, und ein Theil nach Griechen-
r. Löher: Ueher Dnlmenhaiiten.. 22.)
land. Palästina. Italien und Korsika, ein anderer Theil nach
Nürddeiitschland abzog. Auch von hier nach einiger Zeit
wieder vertrieben ging das Dolmenvolk durch die Nieder-
lande nach der Normandie und Bretagne, später von da nach
den brittischen Inseln, und noch später wanderte es durch
Frankreich nach der pyrenäischen Halbinsel, von wo es nicht
mehr weit hatte nach Nordafrika.
Der Franzose Bertrand sah im Geiste das Dolmenvolk
von der Ostsee über's Meer ziehen nach England, und als
es sich dort nach Irland und Schottland hin ausgebreitet
hatte, segelte es ab nach Frankreich und Spanien, und setzte
über nach Afrika, um hier zu verschwinden. Alfred
Maury meint, es sei ein sesshaftes Urvolk gewesen, das
überall von den Kelten unterjocht wurde und in ihnen auf-
ging; — Faid herbe: es sei von der Ostseeküste ausge-
gangen und habe sich Afrika zum Ziel genommen; — De-
sor : umgekehrt, es sei von Süden nach Norden gezogen.
Mortillet, Quatrefages, Broca, ebenso der Eng-
länder Westropp und der Deutsche Bastian nehmen an,
die Dolmen seien von verschiedenen sesshaften Völkern ge-
baut; jedoch glauben die drei Franzosen, diese hätten einander
nachgeahmt, während die beiden Letzteren es für richtiger
halten, jene Völker seien durch einen gewissen natürlichen
Instinkt, der bei Erreichung gleichen Bildungsgrades gleich-
massig gewirkt habe, darauf verfallen.
Das dickste Werk über diese Frage schrieb der Schotte
Ferguson: es wimmelt von allerlei seltsamen Vermuth-
ungen. Er erklärt: den Dolmenstil habe irgend ein unbe-
kanntes, wahrscheinlich turanisches Volk erfunden, und dann
hätten ihn Kelten und Iberier, Britten und Skandinaven an-
genommen, ähnlich wie der gothische Stil von einem Lande
zum andern gekommen. In Spanien seien die Dolmenerbauer
Iberier gewesen, die um der römischen Sklaverei zu entgehen.
226 Sitzung der hisfor. Ctasse vom 3. März 1888.
aus der Mitte des Landes nach seinen Rändern, und, um sich
vor den Verfolgungen der christlichen Glaubensboten zu
retten, nach Irland flüchteten und von dort sich weiter aus-
breiteten. Von Frankreich aber sei man noch im Mittelalter
unaufhörlich nach Afrika geflüchtet und habe dort die Dol-
men erbauet.
Unser Weinhold, der wohl jede Quellenstelle über
Leben und Empfinden im hohen Norden und frühestem Mittel-
alter kennt und vergleicht, antwortet auf die Frage: „Wel-
chem Volke mögen wohl diese Denkmale angehören?" Fol-
gendes: „In den Ländern, welche sie enthalten, wohnten
und wohnen Iberer, Kelten, Romanen, Germanen und Slaveu,
Stämme, die mit Ausnahme der Iberer der kaukasischen Rasse
angehören, zu der jenes „Hünenvolk" nach seiner Schädel-
bildung nicht zählte, und die überdies, wie die Sjirachver-
gleichung lehrte, schon vor ihrer Einwanderung nach Europa
Erz und Eisen kannten , Avährend die Hünengräber keine
Metallsachen enthalten. Das „ Hünenvolk " war ein euro-
päisches Urvolk. Abgesehen von den südöstlichen Urstämmen
unseres Erdtheils bieten sich zwei grosse Völker zur Wahl
dar : Die Iberer und die Finnen. Ich habe früher selbst die
Finnen für die Errichter der Steinbauten gehalten, nehme
aber diese Meinung hiermit völlig zurück. Denn eine Aus-
dehnung der Finnen über den ganzen Westtheil Europas
müsste geschichtliche Zeugnisse hinterlassen haben und streitet
überdies gegen die bekannte Ausbreitung der Iberer daselbst.
Ebenso wäre nicht abzusehen, wesshalb ganz Norwegen und
Schweden bis auf ihre südlichsten Gegenden ohne diese Stein-
denkmale sind. Das Volk , das sie errichtete , hatte seine
Hauptmasse im Westen, während die Finnen sie im Osten
hatten ; es streckte sich von der pyrenäischen Halbinsel in
einem Dreieck, dessen Schenkel die Küsten des atlantischen
Meeres und der Nord- und Ostsee, dessen Basis eine Linie
von der Rhone bis zum Pregel bilden , gen Nordost und
r, höher: Ueber Dolmenbauten. 227
hatte auch die brittischen und dänischen Inseln sammt Schwe-
dens Südspitze besetzt. Bekanntlich sind die Iberer, deren
letzte Reste in den Basken leben, die ältesten geschichtlich
sicheren Bewohner des Pyrenäenlandes. Da sie östlich bis
zu der Rhone reichten, wo sie mit den Ligurern gräuzten,
und da in der Gegend von Marseille die Steindenkmalo gegen
Südost enden, so liegt der Schluss nahe, dass sie jenes Volk
sind, das seine Todten in den Hünengräbern und Riesenstuben
begrub. Aus der geographischen Verbreitung dieser Bauten
erhalten wir demnach das geschichtlich wichtige Ergebniss,
dass der iberische Stamm vor dem Eindringen der Kelten
ausser Spanien und Südfrankreich bis zur Rhone, auch Nord-
frankreich, Britannien, Norddeutschland, Dänemark und
Schonen bewohnte."
5. Von angeblichen iberischen Erbauern.
Weinhold's Ansicht hat sich nun bei uns ein- und fest-
gebürcfert. Die uralten Grab- und Kammerbauten aus Stein-
blocken rühren von dem unbekannten Volke der Iberer her,
— so heisst es einmal , und dass es allgemein so heisst,
scheint ein Hauptgrund zu sein, wesshalb man sich leicht
damit zufrieden giebt. Im Uebrigen hat diese Meinung auch
nicht einen Faden von geschichtlichem Anhalt für sich, nicht
eine einzige schwache trübe Ueberlieferung, nicht eine ein-
zige sichere Spur entnommen aus Schädel- und Knochen-
bildung der Basken , auch nicht die leiseste Hindeutung aus
der Gegenwart dieser iberischen Reste auf ihre Vergangen-
heit. Denn dieser kleine baskische Volksrest hat durchaus
nichts in seiner Natur oder Geschichte, was auf uralte grosse
Bedeutung hinweiset, zeichnet sich auch weder durch Genie
noch durch ungewöhnliche Thatkraft besonders aus.
Seltsam, ein und dasselbe Volk soll sich über fast ganz
Europa bis zum schwarzen Meer und über fast ganz Nord-
afrika verbreitet, soll auf so weit entlegenen Punkten die
228 Sitzung der histor. Classe vom 3. März 1888.
gewaltigsten Arbeiten verrichtet haben, und dann — soll es
bis auf einen winzigen Rest spurlos verschwunden sein?
Hier und da wird dann auch angenommen , es hätte in
Handwerk und mechanischen Künsten sich viel grösserer
Fortschritte erfreuet, als die späteren Völker, die aller Orten
an seine Stelle traten. Und es soll ihnen nichts, gar nichts von
seinen Künsten hinterlassen haben ?
Noch wunderlicher, es soll nicht das schöne und frucht-
bare Innere der Länder begehrt haben, sondern fast beständig
eigenthüralichen Drang zum Meere hin gefühlt, es soll dess-
halb immer wieder an den Meeresküsten gesiedelt und ge-
wohnt haben: so an der Ost- und Nordsee, am Kanal, am
atlantischen Ozean, am Mittelmeer und am schwarzen Meer.
Wenn es aber ein iberisches Volk war, das Spanien be-
wohnte, so ist bei aller noch so mächtigen Anziehungskraft,
welche das Meer auf dasselbe übte , dennoch unbegreiflich,
warum es seine Dolmen immer nur in den Küsteulanden
rings um die pyrenäische Halbinsel, und niemals in deren
breitem Innern aufrichtete, und warum es, wenn auch Frank-
reich von ihm bewohnt war, bloss die Strecke von der Bre-
tagne bis zur Rhonemündung mit seinen (irabsteinen besetzte?
Gerade jenes unbekannte Erbauervolk, das doch unge-
wöhnlicher Kräfte mächtig war, soll dennoch immer und
immer wieder verdrängt worden sein und gezwungen, seine
Wohnsitze aufzugeben und wieder weiter zu wandern : so
vom schwarzen Meer zur Ost- und Nordsee , von da nach
Nordf rankreich, von da rings um die pyrenäische Halbinsel
herum, von da nach Marocco, Algier, Tunis, Tripolis, und
dort soll es sich dann in den Wüsten verloren haben ?
Alles das ist doch schwer zu glaul)en, und widerspricht
aller geschichtlichen, insbesondere kulturgeschichtlichen Er-
fahrung.
Da hält man sich doch besser an historisch bekannte
r. Löher: lieber Dohnenhnute». 229
Völker und untersucht /unächst, ob denn nicht jene Stein-
bauteu von diesen herrühren können V
6. Arische Herkunft.
Der erste Gedanke geht auf arische Völker. In der
That tritft man auf Steinbauten , wie sie uns hier beschäf-
tigen, in allen Gebieten, wo Arier wohnten, also nicht bloss
beinahe in ganz Europa, sondern auch in Persien und Indien.
Wohin dagegen keine Arier kommen, da giebt es keine
Dolmenbauten. Sie fehlen also in Aegypten, in den Ländern
der Semiten, nur einige Plätze in Syrien und Palästina aus-
genommen, sie fehlen auch in all den weiten Gebieten der
Turanier, Mongolen und Malayen.
Allein es werden zwei Thatsachen angeführt, welche
gegen die arische Herrkunft sprechen sollen : diese That-
sachen sind der Mangel an Erz und Eisen in den Grab-
kammern, und die Verschiedenheit, welche zwischen den da-
rin gefundenen Schädeln und denen der Arier bestehen soll.
Es ist richtig, in den ältesten Steinkamraern in Deutsch-
land , Dänemark und Skandinavien fehlt das Eisen. Dieses
aber ist ein Metall, das Jahrtausendlang von feuchter Erde
umgeben sich auflöst bis auf die letzte Spur, während Waffen
und andere Geräthe aus Stein und Knochen und Hörn, wie
sie ja neben den metallenen noch lange Zeit fortgeführt
wurden, sich erhielten. Das Fehlen aber von Bronze beweist
nur, dass die ältesten Gräber zu einer Zeit gebauet wurden,
in welcher der Erzhandel bis zu ihren Fundorten noch nicht
vorgedrungen war. In Dolmen aber im Innern von Frank-
reich, .sowie in England , Spanien und Nordafrika hat sich,
und zwar nicht gerade selten , metallenes Geräthe vorge-
funden.
Dürfen wir nun schliessen, dass die metallosen Grab-
kammern, die zugleich auch die einfachste Bauart zeigen,
die ältesten sind, s© haben wir diese entschieden im deutschen
230 Sitzunfi der histor. Classe vom 3. März 1888.
Verbreitungsgebiet zu suchen. Dazu stimmt auch, dass in
einigen deutschen Hünenbetten sich Keile von Kupfer fan-
den, welche in der Form denen von Stein nachgeahmt waren
und zwar in einem Metall, das sich am leichtesten schmelzen
und formen Hess. Im holländischen Seeland begegnet uns be-
reits ein mit Bildwerk verzierter Bau, weiter westlich neh-
men die Verzierungen und Inschriften zu , während Deck-
und Tragsteine in Deutschland ihrer entbehren. Viel präch-
tiger, als hier , und kunstvoller wird der Bau der Dolmen
in der Bretagne und auf den englischen und schottischen
Inseln, reicher auch der Inhalt: diese sind also später ent-
standen. Die jüngsten Steinbauten solcher Art sind jedenfalls
die afrikanischen, deren Stätten weit auseinander liegen , die
auf diesen aber gehäuft sind, in ihrer ganzen äusseren Ein-
richtung auch mehr künstlich Erdachtes verrathen und im
Innern öfter Gold- und Bronzesachen und Münzen ergaben.
Was aber die Schädel betrifft, so haben sie sich von
sehr verschiedener Bildung gefunden, mächtige arische neben
schmalen oder kurzen von scheinbar nicht arischer Art.
Quatrefages fand in französischen und brittischen Dolmen
kleine Brachykephalen und grosse Dolichokephalen, Faidherbe
in afrikanischen Schädel und Knochenbau wie bei den stärk-
sten Grenadieren.
üeberhaupt aber hat noch keine Messung und Vergleich-
ung all der in Betracht kommenden Schädel so allgemein
durch wissenschaftliche Fachmänner Statt gefunden, dass man
daraufhin sichere Schlüsse in die Vergangenheit hinein bauen
möchte.
Eines aber ist gewiss: das Volk, das die Dolmen und
verwandten Bauten errichtete, musste ein seefahrendes und
mit der See vertrautes Volk sein. Denn sonst hätte es nicht
so beständig rings umher die Kiistenlande, nicht so kundig
die guten An- und Einfahrten, nicht mit solcher Vorliebe
gerade die Inseln und Landspitzen aufgesucht. Nur zur See
V. Loher: Ueher Dolmenhauten. 231
Hessen sich die weit entlegenen Kilstenplätze , welche mit
Dolmen geschmückt sind, leicht erreichen. Auf den Dolmen
bei Herrestrup auf Seeland findet man Bilder von Schiffen
mit zehn und dreissig Mann eingehauen.
Welche Völker waren nun im frühesten Alterthum
rüstige Seefahrer ? Phönizier, Griechen , Germanen , nicht
Iberer und Kelten, nicht Slaven und Finnen. Phönizier aber
können die Erbauer der Dolmen nicht gewesen sein, sonst
fänden sich der letzteren mehr in ihrem eigenen Lande und
dessen Nachbarschaft. Aach würden sie ebenso wenig wie
homerische Helden, wenn jemals ihre Flotten vom Mittel-
meere aus sich so weit vorgewagt hätten , am atlantischen
Ozean, an der Nord- und Ostsee, am wenigsten bis tief in
Deutschland hinein Herrschaft und Ansiedlungen gehabt
haben, ohne dass geschichtliche Spuren und Nachrichten da-
ran erinnerten.
Man kann also nur au Germanen denken. Was auf ent-
fernten nördlichen Meeren und Küsten vor sich ging, konnte
lange Zeit hindurch den Völkern am mittelländischen Meer
völlig verborgen bleiben , Avährend wir sofort, als die Ger-
manen aus dem historischen Dunkel etwas an's Licht traten,
hören von weiten Raubfahrten der Chauken und Sachsen
zur See nach Gallien und Brittannien , und von gothischen
Heimsuchungen am schwarzen Meer, am Bosporus und an
den Gestaden des östlichen Mittelmeers. Aus früherer Zeit
ist nur die einzige Nachricht überliefert, welche sich von
den Tamehu-Nordvölkern, die weisse Haut, meist blaue Augen
und blondes Haar hatten, auf der Inschrift von Karnak findet.
Ihr Angriff auf das Nilland fällt etwa fünfzehnhundert Jahre
vor Christus.
7. Germanische Gräber.
Für die Vermuthung aber, dass Germanen die Erbauer
der Dolmen gewesen, sprechen nicht wenige Thatsacheu.
232 Sitzung der histor. Classe vom 3. März 1888.
Keine gräulichere Vorstellung gab es bei Germanen, als
dass Gatte oder Kind, Verwandter oder Nachbar todt da
liege und unbestattet im wilden Wald oder auf offenem Feld.
Wer in Island von einem todten Gefährten fortging, ohne
ihm die Augen zuzudrücken und eine Hülle überzuwerfen,
rausste das Land meiden. Das Aergste, was der Hass über
den Tod hinaus einem Feinde anthun konnte, war, ihn selbst
des Grabes zu berauben. Als im Eddalied von der Gudrun
der Brüder Neid und Hass den herrlichen Sigurd , ihren
Gatten, erschlugen, sagt ihr Högin voll grimmigen Hohnes:
Er liegt verhauen
Jenseits des Stromes
Der Mörder Guthorms.
Den Wölfen zum Frass.
Sieh dort den Sigurd
Auf südlichen Wegen,
Da hörest Du,
Wie die Raben krächzen
Die Adler schreien,
Der Atzung froh.
Die Wölfe heulen
Um Deinen Gemahl.
,Wie magst Du mir, Högin,
Der Freudenlosen,
So bitteres Leid
Erzählen und sagen!
Es sollen die Raben
Dein Herz zerfleischen.
Weit über die Lande,
Wo Niemand Du kennst!"
Um die landesfeindlichen Anhänger des Königs Olaf
öffentlich noch im Tode zu treffen, zur Abschreckung für
.Tedermann, beschloss in Norwegen das siegreiche Volk : „Ks
sollten alle Die, welche mit König Olaf gefallen, keine Leichen-
hülfe haben, wie sie guten Männern ziemte. Diejenigen aber,
welche mächtig waren und Freunde hatten unter den Ge-
r. LiHier: Ueher Dnhnoihauten. 283
fallenen auf der Walstätte, achteten dessen nicht. Sie brachten
ihre Freunde zur Kirche und gewährten ihnen Leichenhülfe";
denn sie wollten nicht die Schmach auf sich nehmen, dass
sie ihre Blutsfreunde liegen Hessen unbestattet.
„Ihre Gefallenen tragen sie zurück, auch wenn das
Treifen noch schwankt" — berichtete Tacitus. Als der kühne
Held Ammatas gefallen war, da liess der Vandalenkönig
Gelimer vom Feinde ab, um Jenem erst die Leichenfeier zu
halten, obwohl die Zögerung ihm und seinem Heere ver-
hänsnissvoll wurde und verderblich.
Des Todten sollen sich nicht bloss, die in seiner Sippe
stehen, erbarmen, sondern jeder gute Mensch soll ihm Leichen-
hülfe leisten.
So heisst es im Sigurdarliede der Edda :
Begrabe den Todten,
Wenn auf dem Feld Du ihn findest,
Sei er an Krankheit gestorben,
Oder im Meere ertrunken,
Oder mit Waifen erschlagen.
Einen Hügel errichte
Dem Heimgegangenen,
Wasch Hände und Haupt ihm,
Kämme und trock'ne ihn.
Ehe er in den Sarg kommt,
Und bete, dass selig er schlafe.
Aber nicht nur Bestattung war Pflicht, sondern auch
äusserste Sorgfalt, dass der Todte nicht verletzt oder beun-
ruhigt werde. Wenn Einer die Raubvögel , die auf einem
Leichnam sassen, wegschiessen wollte und traf den Körper,
musste er nach bayerischem Gesetz zwölf Solidi zahlen. Das
alemannische strafte das Ausgraben jeder Leiche und wäre
es auch nur die eines Knechtes oder einer Magd. Nach
fränkischem Volksrecht war schon straffällig, wer den Todten
beunruhigte, indem er in dessen Grab eine andere Leiche
legen wollte, oder etwas, was auf dem Grabe errichtet war,
234 Sitzung der histor. Classe vom 3. März 1888.
umwarf. Damit ihr grosser Alarich niemals im Grabe beun-
ruhigt werde, gruben die Westgothen den Busento ab, Hessen
durch Gefangene im Flussbette dem König das Grab machen,
leiteten den Fluss wieder darüber und tödteten jene Gefan-
genen sämmtlich, auf dass Niemand die Stätte wisse, wo der
König ruhe.
Wesshalb nun die innere starke Mahnung an Leichen-
hülfe ? Wesshalb die Gesetze gegen Leichenschändung ? Wess-
halb überhaupt so viel Sorge, um durch Steinkammern, Grab
und Hügelaufschüttung und Dornenhecken jede Beunruhigung
der Todten zu verhüten ? Die starre Leiche war ja empfind-
ungslos. Offenbar war ein Glaube da , etwas vom Todten
lebe noch , und dies Fortlebende werde durch Schändung
seiner Leiche schwer getroffen. Noch stärker gab sich dieser
Glaube kund in der Ausstattung, mit welcher der Todte in's
Grab gesenkt wurde.
Ausser den Hünenbetten giebt es auf deutschem Boden
noch eine zahllose Menge von Gräbern der Vorzeit. Soweit
und soviel ihrer aufgedeckt sind, können wir nicht zweifeln,
dass Germanen darin bestattet wurden.
Es finden sich zwei Formen : hohe runde Einzelhügel,
und Friedhöfe, auf welchen die Todten in Reihen neben
einander liegen , wie noch heutzutage , — jene für Fürsten,
Grafen , Gefolgsführer und reiche Leute , diese für das
Volk überhaupt, — wo von jenen Drei oder Fünf, diese zu
Tausend.
Beide haben ihre Stätte gewöhnlich nicht weit von Heer-
strassen. Selten trifft man sie in tiefen Gründen, um so häu-
tiger auf Hochflächen, oder am Abhang von Anhöhen , die
eine weite Rundsicht darboten.
Die frühesten diaser Gräber sind leicht daran zu er-
kennen , dass die Gebeine verwittert sind und neben ihnen
bloss steinerne Aexte und anderes Geräth von Stein oder
Bein oder Hörn sich erhalten haben.
r. Löher: Ueber Dnlmeuhauter}. -35
Die Form aber bleibt sich bei Hügel- wie bei den
Reihengräbern gleich von den ältesten bis zu den jüngsten
zu Anfang der Franken- und Alemannenzeit, und noch be-
merkenswerther ist die Uebereinstimmung , die sich soweit
findet, als deutscher Boden reicht.
Im Uebrigen herrschte, sowohl was den Bau als die Be-
nützung der Gräber betraf, eine Freiheit, die den Einzelnen
wie den Gemeinden zustand.
Die Hügel zeigen ganz verschiedene Grössen. Ihre Höhe
wechselt von 4 bis zu 40 Fuss, ihr Durchmesser am Boden
von 14 bis 70 Fuss. Die Gestalt ist rund oder länglich rund.
Oft liegen sie, besonders die mächtigsten, einsam auf der
Haide oder im Walde, häufig da, m^o offenes Feld und Wald
sich berühren. Xicht selten sieht man mehrere, ja eine
Menge beisammen. Auch dicht bei den alten Friedhöfen
wurden sie errichtet. Die Erde ist künstlich aufgeschüttet
und es kommt vor, dass eine Schicht Erde auch anders wo-
her, als aus der unmittelbaren Nähe, geholt ist.
Das Innere des Hügels ist nicht selten zu grösserer
Festigkeit mit grossen oder kleinen Steinblöcken durchsetzt.
Manchmal zeigen diese sich rings um den Hügel in regel-
mässigen Zwischenräumen, mitunter sind sie inwendig rings
um den Todten, oder oben auf dem Hügel angebracht. Auf
der Höhe desselben oder im Umkreis auf dem Grunde wurde,
um die Annäherung von wilden und zahmen Thieren zu
hindern, öfter ein kleines Dickicht angepflanzt, besonders von
Weissdorn, Hainbuchen und Hasel. Auch künstlich herge-
stelltes Flechtwerk diente zum Schutze.
Die Grabkammer befindet sich stets tief in der Erde,
mehr oben oder mehr unten im Hügel. Häufig ist sie aus
rohem Gestein zusammengesetzt, ein andermal aus tafelför-
migem, dessen Fugen durch kleinere Steine verdeckt sind,
oder aus gebrannten Ziegeln. Auch bekunden sich Reste von
23fi Sitzung der histor. Classe vom 3. März 1888.
Holzverschalung aus starken Eichenbohlen , welche das Be-
hältniss umgab. Der Boden der Grabkaramer entbehrt meist
eines Pflasters , jedoch ist ein solches auch wohl hergestellt
aus kleinen runden Steinen oder Steinplatten oder aus ge-
schlagenem Thon. Kurz, je nach Neigung und Keichthum
sind die Grabhügel bald höher, fester und ebenmässiger, bald
niedriger und lockerer gebauet, und die Todtenkammern in
der einen oder andern Weise oder auch gar nicht einge-
richtet.
Ebenso grosse Verschiedenheit zeigt sich in der Benütz-
ung der Todtenhügel. In einem war nur Einer beigesetzt,
im andern waren es Mehrere. Viele haben gar keine Stein-
kammer, dagegen mehrere Gräber neben und über einander.
Auch findet sich wohl einmal noch ein Gerippe aussen an
der Grabkammer. Desgleichen giebt es in einigen Hoch-
hügeln Thierknochen, in andern fehlen sie.
Ueber die sogenannten Reihengräber ist wenig mehr zu
sagen. Sie waren von altersher Friedhöfe der Gemeinden,
auf welchen sich die Gräber oft zu mehreren Tausenden
beisammen finden. Auch längs des Strandes der Ostsee
hat man Reihen von Gerippen mit Steinmessern im Sande
entdeckt.
Diese Sitte der germanischen Friedhöfe hat sich so weit
verbreitet, als gebildete Völker wohnen. Sie war ja auch
die natürlichste und einfachste. Aehnlich, wie früher die
hohen Leichenhügel sich neben der Menge der kleinen er-
hoben, giebt es jetzt grosse ausgemauerte Erbbegräbnisse auf
dem F)-iedhofe. Der Unterschied jener alten Friedhöfe gegen
die heutige Gewohnheit bestand haupisächlich in drei Stücken.
Man legte die Gräber ehemals weiter auseinander, in Zwischen-
räumen von vier bis fünf Fuss. Die Richtung von Westen
nach Osten , so dass das Haupt gegen Sonnenaufgang lag,
wurde gewöhnlich beobaclitet. Die Leichen wurden, wenn
Platz mangelte , schichtweise über einander begraben , weil
r. Löher: Ueber Dolmenbauten. 237
von der theuren Stätte, wo ihre Verwandten und Voreltern
ruheten, die Nachkommenden nicht weichen wollten. Ob
von den in Reihen liegenden Gräbern jedes seinen niedrigen
länglichen Hügel hatte, wie heutzutage, lässt sich nicht mehr
feststellen : wahrscheinlich ist es wohl.
So scharf, wo es auf Recht und P'reiheit ankam , die
Standesunterschiede bei Germanen gewahrt wurden, und so
unzweifelhaft die hohen Einzelhügel nur Solchen gehörten,
die im Leben durch Macht und Ansehen hervorragten, — auf
den Friedhöfen gab es keinen Unterschied in den Gräbern
von hoch und niedrig Geborenen. Adelige, Gemeinfreie,
Hörige, Knechte erhalten hier gleiche Gräber : nur der ärmere
oder reichere Inhalt an Beigaben unterscheidet Arm und
Reich, Freie und Hörige. Mitten zwischen den Gräbern der
Wohlhabenden finden sich ganz ärmlich ausgestattete. Im
Tode theileii Alle dieselbe Stätte: das weiset auch darauf
liin, wie Herrenleute und Dienstleute im Leben auf freund-
lichem Fusse verkehrten.
Im Uebrigen gab sich hervorragender Stand wohl in
den Grabmalen zu erkennen. Grosse Steinkammern auf An-
höhen und in mächtigen Hügeln , — niedrigere Hügel mit
engeren Steinkammern im Innern, welche den Dolmenbau in
kleinerem Massstabe wiederholten, — Reihengräber mit ge-
ringen länglichen Hügeln oder gar keiner Erhöhung, — alle
drei Formen kommen neben einander vor, so lange die Ger-
manen nicht zum Christenthum übergingen, und auch unter
dem letzteren ist die Form der Einzelhügel noch lange Zeit
nicht ganz aufgegeben. Der mächtige Dolmenbau aber ziemte
für Fürsten und Könige, die geringeren Einzelhügel wurden
mächtigen angesehenen Herren zu Theil , das niedrige Grab
in der Reihe der Gemeindegenossen allen Andern.
Uebrigens war es keineswegs ein Gesetz, dass man jeden
Todten, dem man nicht einen Hochhügel schichten wollte,
zum Friedhof brachte. Zahllos wurden Leichen auf der Stelle
1888. Philos.-philol. u. List. Ol. 2. 16
238 Sitzung der histor. Classe mm 3. Mäzr 1888.
eingegraben, auf welcher sie den letzten Seufzer ausgehaucht.
In Torfmooren hat man hier und dort vereinzelt Gerippe
gefunden , die in Fellen sorgfältig mit Riemen eingebunden
waren .
Durch eine besondere Art von Bestattung wurde wohl
einmal der Seeheld geehrt. Mau setzte den todten Herrn in
sein Schiff auf den Hochplatz, von welchem einst sein Kom-
mando schallte, und liess das Fahrzeug auf den Wellen trei-
ben in unbekannte Gewässer. Oder man zog das Schiff, das
er im Leben heiss geliebt, an's Land, machte ihm darin
sein Gemach zurecht, und überschüttete das ganze Fahrzeug
mit Erde, bis aus der Höhe des Hügels nur noch die Mast-
spitze hervorragte.
8. (Germanische Bestattungsweise.
Wie zum Feste sollte der Todte eingehen zum Grabe.
Deslialb musste er gereinigt werden und gewaschen, wenig-
stens an Haupt und Händen, dann sorgfältig getrocknet, ge-
kämmt und an den Nägeln beschnitten. Darauf wurde er
augethau mit seinem vollen (irewande, mit seinem Heer- und
Werkgeräth, die Schuhe festgebunden zur Wanderung in's
unbekannte Land.
Das Behältniss, in welchem die Leiche beigesetzt wurde,
war der Regel nach der Baumsarg , der sich in dem wald-
reichen Lande von selbst darbot und leicht hergestellt war.
Man fällte einen dicken Eich-, Buchen- oder andern Baum
von liartem Holz, nahm ein Mittelstück von über Mannslänge
heraus und spaltete es durch eingetriel)ene Keile der Länge
nach in zwei gleiche Theile. Dann wurde mit der Axt in
der einen Hälfte oder auch in beiden Hälften eine längliche
Hölmig ansgehauen , geräumig genug, um die Leiche mit
den Beigaben aufzunehmen. Die Rinde wurde vom Baume
abgeschält, weil ihr Verwittern das Holz rascher angriff. In
r. Löher: Ueber Dolmenhaiden. -•'■'
späterer Zeit nahm man auch Sargkisten, die mit Eisen be-
schlagen wurden.
Da sich öfter nur ganz geringe oder gar keine Holz-
überreste bei den Gerippen finden, so scheint es, dass Leichen
von Armen und Dienstleuten nur mit einem Brette bedeckt
oder rings von Erde umgeben beigesetzt wurden. Jedoch ist
noch kein ganz sicheres Gesetz ermittelt, in wie vielen Jahren
Holz in feuchter Erde spurlos verwittert. Leichen von Ange-
hörigen, die weder verachtet noch feindlich gewesen , bloss
mit Erde zu bewerfen, es sei denn in grosser Eile und Noth,
das widersprach wohl dem Gefühl der Germanen, welche
Todtenbestattung nicht leicht nahmen.
Im Baumsarg lag der Todte auf dem Rücken. War
ihm dajieoren eine Kammer von Steinen erbauet oder von Pfäh-
Jen und Brettern gezimmert, so gab man der Leiche darin
verschiedene Stellungen. Bald findet man sie sitzend , bald
kauernd. Das Haupt ist öfter durch untergelegte Steine etwas
erhöht. Waren Kinder mit den Eltern gestorben, so wurden
sie diesen im Sarge beigegeben. In einem Grabe fanden sich
Vater und Mutter und zwischen ihnen in Beider verschränkten
Armen das Kind, — ein rührender Ausdruck der elterlichen
Zärtlichkeit.
War nun der Todte im steinernen oder hölzernen Sarg
gebettet, so wurde im irdenen Geschirr Speis und Trank ihm
beigesetzt. Die Speise bestand gewöhnlich in Eiern und Hüh-
nern. Auch Haselnüsse finden sich beigegeben.
Ein Mann wurde bestattet, als zöge er in den Krieg,
eine Frau, als machte sie Hochzeit. Dem Manne fehlten also
nicht Schwert und Beil und Messer, Schild und Lanze und
Pfeil und Bogen, das Wehrgehänge, Kamm und Rasirmesser,
Mantel- und Gürtelspangen, Zierscheiben und Ringe, und der
Sporn am linken Fuss , je nachdem er solche Stücke im
Leben getragen, dabei sein Trinkbecher, Meissel, Angelhaken
und anderes Werkgeräth, das er gebrauchte. Die Frauen-
IG*
240 Sitzung der Msfor. Classe vom 3. März 1888.
gräber enthalten Stirnbänder, Gärtelgehänge, Fibeln, Ringe
für Hals und Ober- und Unterarm , für Finger und Ohren,
Gehänge von Glas-, Bernstein- und Thonkügelchen und an-
dere Schmucksachen, Spindeln, Nadeln und Scheeren, Kessel,
Becken und Schüsseln.
Das meiste Geräth dieser Art ist aus Bronze, einiges
aus Kupfer und Gold. In der That hielt man Edelmetall
keineswegs zurück, im Gegentheil war es fromme Sitte,
Kleinode und Kostbarkeiten dem Todten mit in's Grab zu
geben. Mit Fürsten und Königen wurde ihr Schätzehort ver-
graben. Die dunkle Erde verschlang, was das Leben glän-
zend geziert hatte. Im Gefühl tiefster Achtung und Liebe
entäusserten sich die Erben der Schätze, die ihnen der Todte
hinterlassen hatte. Dieser Brauch nahen so Ueberhand, dass
König Theodorich glaubte, mit Gesetzen dagegen eifern zu
müssen.
Auf dem Grabe wurden häufig , wenn der Hügel nicht
schon für sich redete, dass hier ein angesehener Mann be-
stattet war, allerlei Gerüste errichtet, Stangen, Bretter, Denk-
steine. Von dieser Sitte finden wir Spuren in Gesetzen und
Sagen, jedoch nichts Näheres angegeben.
Wie aber, so wird man fragen, verhielt es sich mit dem
Verbrennen der Leichen ? Allgemein wird jetzt angenommen :
bei den Germanen habe Beides neben einander geherrscht,
Feuerbestattung und Beisetzung in der Erde. Man weiss nur
nicht, ob blosse Willkür oder ein besonderer Grund für das
Eine oder Andere den Ausschlag gab.
In der That finden wir schon in Dolinenljauten Brand-
reste, wenn auch äusserst spärlich. Li Kannnern, welche in
Hügeln stecken , sind Urnen mit Asche und verbrannten
Knochenresten nicht selten. Die Keihengräber zeigen dagegen
viel häufiger nur Gerippe, ohne A.sche und Urnen ganz auszu-
schliessen. Wo an gemeinsamen Begräbnissstätten Leichen-
V. Löher: Ueber Dohnenbauten. 241
braiul vorkommt, da sind Asche und Urnen , in ähnlicher
Weise wie die Gebeine, beigesetzt in Behältnissen von Stein
oder Holz oder Thon. bald mit bald ohne Unterlagen oder
Decken von Stein.
Gleichwohl erheben sich gegen die Annahme, Fener-
oder Leichenbestattung seien von jeher neben einander Brauch
gewesen, gewichtige Bedenken.
Es ist an sich schwer glaublich, dass solche Zweiung in
so ernster Angelegenheit in der Volkssitte von Anfang hei-
misch gewesen. Mit ihr will auch nicht recht stimmen die
Zugabe von Waffen, (leräthen und Kleinoden.
Die ältesten Dolmen und Einzelhügel enthalten auf-
fallend selten Leichenbrand, und nur zerstreut zeigt er sich,
keineswegs allgemein . in den Reihengräbern, die wir doch
als die eigentlichen Volksgräber ansehen müssen. Wäre das
Verbrennen der Todten in alter germanischer Volkssitte be-
gründet gewesen, so raüssten die Reihengräber viel häufiger,
als es der Fall ist, die Spuren nachweisen.
In den schriftlichen Nachrichten begegnet uns äusserst
spärlich etwas, das sich auf Feuerbestattung deuten Hesse.
Jakob Grimm hat eifrig danach gesucht und seine Ausbeute
sorgfältig in der Schrift „Ueber das Verbrennen der Leichen"
dargelegt, aber gerade die Dürftigkeit der Ausbeute spricht
dagegen.
Li Norwegen kommt, wie Engelhardt berechnete, auf
acht Gräber aus der frühesten Zeit mit Knochen erst eines
mit Leichen brand. Auch in Schweden findet er sich gerade
in den ältesten Gräbern selten.
Ausser bei den Sachsen enthalten die Volksgesetze der
Franken, Alemannen, Burgunder, Bayern, Gothen und Lango-
barden keine Spur von Leichenbrand. Wäre er nationale
Sitte gewesen , so hätte sie nicht so leicht verschwinden
können, und wäre noch nach Jahrhunderten hier und dort
hervortjetreten.
242 Sitzung der histor. Classe vom 3. März 1888.
Auffallend ist endlicb , dass gerade in den Urnen sich
öfter römische Münzen finden: sie scheinen der Obolus ge-
wesen, welchen man nach Römerart dem Todten mitgab.
Vielleicht lässt sich das Räthsel folgender Gestalt lösen.
Manches spricht dafür, dass bei Germanen es uralter Brauch
war, dem Todten die inneren Weichtheile zu entnehmen, sie
zu verbrennen und in einem Gefässe beizusetzen, den Leib
aber mit Holz und Beeren von Wachholder und anderen
harzigen Stoffen zu füllen , damit die Verwesung möglichst
fern gehalten werde. Man wüsste sonst nicht, warum Wach-
holder den Todten heilig war, und warum sich Stücke wohl-
riechenden Harzes in Gräbern finden. Auch war es noch im
späten Mittelalter Sitte, dass eines Fürsten Herz und Einge-
weide an dem einen, sein Körper an dem anderen Orte bei-
gesetzt wurde : im Fürstenstande aber hat sich manche ger-
manische Sitte erhalten, die sonst im Volke verschwunden.
Eine Menge Urnen mag die Bestimmung gehabt haben,
die Asche der Eingeweide zu bergen : daza passt auch ihre
auffallende Kleinheit. Eine andere Anzahl von Aschenurnen,
die wir jetzt finden, mag Römern und Romanisirten ange-
hört haben: darauf deuten auch Fläschchen und Lampen
in den Gräbern. Viele Germanen und Slaven, besonders vor-
nehmere, nahmen ja römische Sitte als höhere Kultur an, und
deshalb lassen sich Reihengräber mit Urnen und einer römi-
schen Münze darin selbst in Brandenburg, Obersachsen und
Schlesien antreffen. So konnte auch Tacitus von der Feuer-
bestattung bei den Germanen reden , obgleich ihm gerade
dabei begegnete, dass er einer schönen Redefigur wegen
schrieb: „Das Grab erhöht ein Rasenhügel, der Denkmale
harte und mühselige Ehre, als drückten sie die Todten, ver-
schmähen sie", während doch keine grössere Last, als ein
mächtiger Erdhügel, drückend auf dem Todten liegen konnte.
Wenn aber noch Karl des Grossen Sachsen-Gesetz gegen den
Leichenbrand eifern musste, so finden wir vielleicht gerade
c, Löhtr: Ueber Dnlmenhauten. 243
in dieser Stelle eine Andeutung der ursprünglichen Sitte.
Denn das Gesetz will nicht schon Denjenigen mit dem Tode
bestrafen, „der eine Leiche verbrennt", sondern es setzt hin-
zu, ,und die Knochen in Asche verwandelt." Das Ver-
brennen bloss der Weichtheile blieb straflos, weil in alter
Sitte begründet.
9. Wikinger in grauer Vorzeit.
Alles dies, was wir über die Gräberformen und Beisetz-
ung bei den Germanen wissen, stimmt wohl zum Dolmenbau.
Können wir einer besseren Schilderung eines solchen Grab-
mals begegnen, als im Beowulf? Sie beweist uns, wie die
Todtenburg an der Brandungsklippe in der Vorstellung ger-
manischer Seefahrer lebte ; denn so bittet der sterbende Beo-
wulf seinen Gefährten VVeohstan :
„Lasst durch die Streitberühmten
mir nach dem Brand am Vorgebirg des Meeres
den Grabeshügel bauen. Meinem Volke
zum Angedenken mag er hoch empor
am WaJltischkape ragen, dass von nun an
ihn Berg des Beowulf Schiffer nennen,
die durch der Fluthen Nebel steuern fernhin
die hohen Schiffe."
Ein solcher Hügel wurde noch um das Jahr 900 nach
Christus dem norwegischen König Harald Schönhaar erbauet.
Zu Häupten und zu Füssen standen grosse Tragsteine, und
darüber wurde ein Deckstein gelegt, der zwei Ellen breit
und mehr als zwölf lang war. Die Leiche des gewaltigen
Königs wurde hinein gelegt und darüber Erde aufgeschüttet
bis der Hügel hoch und rund war.
Das Ungeschlachte Riesige Kühne solcher Steinbauten
lag ganz im Charakter der Germanen, es forderte die höchste
Anspannung der Kräfte heraus. Das Zustandekommen des
Werkes haben wir uns etwa in folgender Weise zu denken.
244 Sitzung der histor. Classe vom 3. März 1888.
Mühsam schleppten sie, uud zwar öfter weit her, die mäch-
tigen Stein bänke , die sie zu Tragsteinen wollten , richteten
sie her und festigten sie im Erdboden, dass sie aufrecht
standen. Dann schütteten sie Erde darüber und stampften
sie fest, jedoch so, dass vom Hügel eine lauge schiefe Ebene
herablief. Nun kam die schwerste Arbeit. Der ungeheuere
Dachstein musste auf Walzen den sclirägen Abhang herauf
geschafft werden. Hunderte spannten sich mit ihren Pferden
an die Bast- und Lederseile und zogen mit Macht, während
die Gefährten an den Walzen und Hebeln arbeiteten. War
der Deckstein oben und war er scharf auf die Träger ge-
passt, so wurde der Hügel entweder ringsum abgerundet,
oder überall die Erde abgetragen, dass der Steinbau nackt
von der Höhe auf's Meer sah. Wenn ein Deckstein sehr
gross war, erschien es vielleicht einfacher und weniger müh-
selig , ihn auf seinem Lagerort mit Hebebäumen bald an
einem bald am anderen Ende zu heben und auf Rollen zu
schieben, während er abwechselnd mit Baumstämmen, klei-
neren Steinen und Erde gestützt wurde, bis man ihn soweit
empor hatte, dass sich die Tragsteine darunter anbringen
Hessen. Vielleicht verstand man in den Nordländern auch,
die hebende und sprengende Kraft des Eises und andere
Naturkräfte zu benützen, eine Erfahrung, die später Leben-
den, die auf feinere Werkzeuge vertrauen konnten, verloren
ging.
Germanischen Ursprung beweisen die Inschriften in
Runen , wie sie auf dem prächtigen Bau zu Maeshove auf
einer Orkneyinsel , auf der Isle of Man, und zu Mane Lud
in der Bretagne unzweifelhaft vorkommen, jedoch noch nicht
mit Sicherheit entziffert sind. Inschriften wie auf den Dolmen
in Brecknoshire in Nordwales oder bei Bona in Algier wur-
den dort als willkürliche Verzierungen, hier als Berberschrift
gedeutet, scheinen aber Runen zu sein. Nicht selten be-
gegnen uns auf den Dolraensteinen eingehauen Thorshämraer,
V. Loher: Ueber Dolmenbauten.
245
die man in Deutschland Donnerkeile, in Dänemark und Eng-
land Donnersteine, und in der Bretagne Meu juru d. li. eben-
falls Donnersteine, benennt. Ausdrucksvoll sind sie in der
Steinkammer zu Mane er H'roek ausgeprägt.
Die ganze Anlage endlich und der Inhalt der Todten-
burgen ist im Wesentlichen aller Orten vollständig so, wie
in den gleichen Steinkammern in Deutschland, mögen sie
unbedeckt sein oder in einzelnen mächtig aufragenden Grab-
hügeln stecken, die wir aus früherer oder späterer Zeit in
so grosser Menge finden. Bau und Inhalt sind in den offen
liegenden Steinkammern in Deutschland nur roher und ein-
facher, als anderwärts: Einzelhügel dagegen ergeben hier
häufig Schmucksachen und Geräth aus einer mehr vorge-
schrittenen Zeit. Der Charakter aber ist immer derselbe.
Da nun die Dolmenbanten wie die hohen Einzelhügel
durch ganz Xorddeutschland verbreitet sind, während sie
— mit Ausnahme des westlichen Frankreich — anderswo
nur auf Inseln oder auf Landspitzen oder doch nicht weit
von Küstenlinieu sich antreffen lassen, — da wir ferner
wissen, dass in dem Winkel, welchen die jütische Halbinsel
mit der Nordsee bildet, und in den anstossenden Landen die
Raub- und Eroberungsfahrten der Sachsen, Angeln, Dänen
und Nordmannen oder unter welchem Sammelnamen immer
dieses germanische Seevolk erscheint, Heimstätte und Aus-
gangspunkt hatten, — so liegt wohl der Schluss nahe, dass
diese Raub- und Eroberungszüge schon längst vor Christus
ungemessene Zeiten hindurch fort und fort Statt fanden, dass
germanische Seefahrer — in einem Jahre waren es viele, im
andern weniger — die niederländischen, französischen , eng-
lischen, spanischen und portugiesischen Küsten entlang und
weiter zwischen den Säulen des Herkules hindurch und
die nordafrikanische Küste entlang steuerten, dass sie hier
und dort sich eine Zeitlang herrschend festsetzten und hoch
246 Sitzunfi der histor. Classe vom 3. März 1888.
an der Küste zum Andenken ihrer Kämpfe Denk- und zu
Ehren ihrer Helden Grabmäler errichteten.
Mit dieser Ansicht fällt ein grosser Theil der ünbe-
greiflichkeiten weg, die sich ohne dieselbe an die Fundstätten
und Anlagen der Dolmen und verwandten Bauten knüpfen.
Die Dolmenkette abe**, die von der Bretagne durch
Frankreich hin bis in die Gegend der lihonemündung noch
jetzt wahrzunehmen, bezeichnet den Heer weg, welchen die
wilden Freischaaren nahmen, wollten sie im geraden Striche
rasch und leicht vom atlantischen in's Mittelmeer gelangen,
während ihre Schiffe die sturmvollen Buchten und Spitzen
der pyrenäischen Halbinsel zu umsegeln hatten. Auf diesem
Landwege aber durch das Innere von Frankreich wurden nur
Denksteine, Menhirs, sehr selten grosse Grabkammern gesetzt.
In Italien und Griechenlaud konnte sich das germanische
Räubervolk niemals festsetzen, weil sich dort ihm gebildetere
waffenkundige Völker entgegenstellten.
Im armen Schweden und Norwegen, wo früher Finnen
und Lappen wohnten, fand sich, mit Ausnahme der von Ger-
manen wohlbebauten Südspitze, kein Raub zu holen und zu
bergen. Desshalb sind in den genannten Ländern Dolmen
so selten.
Wenn aber Dolnienbauten sich im östlichen England
.so viel weniger, als an der Westküste, zeigen, so erklärt sich
dies vielleicht daraus, dass sie theils aus Hass gegen die
Dänen zertrümmert, theils die Steinblöcke, weil es an solchen
im wohlbebaueten Lande mangelte, abgetragen und verbraucht
wurden.
Im östlichen Bereich des Mittelmeers aber sind es wohl
Gothen gewesen, welche die Küsten heimsuchten; ihre See-
herrschaft war jedoch vorübergehend; desshalb finden sich
auch dort viel weniger die Dolmen.
Auf die Züge endlich der Alanen, Sueven und Vandalen
nach Frankreich, Spanien und Afrika, der Sachsen und Dänen
r. Löher: Ueher Dnlmexhauten. 247
nach Engliind. der Nonnannen nach den Niederlanden , der
Norraandie, Spanien und Italien, die zur Zeit der sogenannten
Völkerwanderung Statt fanden und in den drei folgenden
Jahrhunderten noch nicht aufhörten, fällt etwas mehr Licht,
sobald man sich sagen muss, dass sie Heerwege aufsuchten,
die sie schon durch ihrer Vorfahren mündliche Ueberliefer-
ung kannten. Ohne Zweifel haben alle diese Völker, so lange
sie noch nicht zum Christenthum übergingen, in den Land-
strichen, die sie zeitweise inne hatten , ebenfalls ihre Denk-
und Grabmäler von riesigen Steinblöcken aufgethürmt.
248
Oeffentliehe Sitzung der königl. Akademie
der Wissenschaften
zur Feier des 129. Stiftungstages
am 28. März 1888.
Der Präsident Herr von Döllinger hielt einen Vortrag;
, lieber die Geschichte der religiösen Freiheit."
Der Classensecretär Herr v, Prantl erwähnte die Ver-
luste, welche die philosophisch-philologische Ciasse im abge-
laufenen Jahre durch den Tod dreier auswärtiger Mitglieder
erlitten hatte, indem am (). Juli 1887 in Halle der Geheime
Rath August Friedrich Pott, am 14. September 1887
in Gmunden der Professor der Aesthetik zu Stuttgart Fried-
rich Theodor Vischer und am 10. Februar 1888 in
Leipzig der Geheime Rath Heinrich Lebrecht Fleischer
starben. Bezüglich des Näheren über die genannten drei
Gelehrten wurde auf die hiemit folgenden Nekrologe ver-
wiesen.
Augrust Friedrich Pott,
geboren am 14. November 1802 in dem Dorfe Nettelrede
bei Hanniiverisch-Münden , als Sohn eines Predigers, kam
nach dem frühen Tode seiner Eltern /u einem Pastor (Lauen-
V. Pratül: Nel'roJog auf August Friedrich Pott. 249
stein) in dem hannoverischen Dorfe Adensen, wo er für das
Gymnasium vorbereitet wurde, dessen Studiengang er in
Hannover durchmachte, unterstützt von einem mütterlichen
Onkel, welcher ihm auch die Mittel gewährte, die Studien
noch weiter fortzusetzen. So wurde er im Jahre 1821 an
der Universität Göttingen als Studirender der Theologie im-
matriculirt, hörte jedoch ausschliesslich nur philologische
Vorlesungen ; neben Dissen und Otfr. Müller war besonders
Georg Friedr. Benecke , der Vertreter des Altdeutschen und
Mittelhochdeutschen von entscheidendem Einflüsse auf ihn.
Nach absolvirter Universität erhielt er (1825) eine Lehrer-
stelle am Gymnasium zu Celle, woselbst er die Dissertation
,De relationibus, quae propositionibus in linguis denotantur"
ausarbeitete, mittelst deren er am 17. October 1827 promo-
virte. Er begab sich nun nach Berlin , wo er in näheren
Verkehr mit Wilh. v. Humboldt und Franz Bopp trat und
(1831) sich als Privatdocent habilitirte. Im .Jahre 1833
wurde er als ausserordentlicher Professor der allgemeinen
Sprachwissenschaft nach Halle berufen, worauf 1838 die Ver-
leihung der ordentlichen Professur erfolgte. Seine Lehrthätig-
keit erstreckte sich auf einzelne classische Autoren (Herodot,
Theokrit, Plato's Kratylos, Catullus, Persius, Juvenalis), auf
Sprachphilosophie und allgemeine Sprachwissenschaft, auf
Grammatik des Griechischen und des Lateinischen, Anfangs-
gründe des Sanskrit, auch Zend, Gothisch, Keltisch, Roma-
nisch, später auch ägyptische Hieroglyphen und Chinesisch.
Mit dem Beginne seiner Hallenser Lehrthätigkeit , welcher
er bis zum Ende seines Lebens treu blieb, fällt zeitlich die
Entstehung seines Hauptwerkes zusammen „Etymologische
Forschungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen
unter Berücksichtigung ihrer Hauptformen Sanskrit , Zend-
Persisch, Griechich-Lateinisch, Littauisch-Slavisch, Germanisch
und Keltisch' (1833 — 36), welches in 2. Auflage in sechs
Theilen erschien (1859 — 70) und vom zweiten Theile an den
250 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1888.
Titel „Wurzel Wörterbuch der iudocrermauisclien Sprachen"
erhielt. Pott hat hauptsächlich durch die erste Auflage dieses
Werkes, welches auf ausgedehnter Gelehrsamkeit beruht und
sich in kritischer Erforschung sprachlicher Gesetze bewegt,
seinen bleibenden Fiuhm begründet. Anknüpfend an J. Grimra's
Lautverschiebung erkannte er die Wichtigkeit der Lautgesetze
für alle etymologische Forschung überhaupt, insoferne die-
selbe von dem Charakter eines geistreichen Spieles befreit
werden soll; und indem er in scheinbaren Kleinigkeiten einen
bis dahin ungeahnten Zusammenhang entdeckte, wurde er
der Schöpfer der vergleichenden Lautlehre, durch welche ein
reiches Arbeitsfeld für eine jüngere Generation gegeben war,
von welcher allerdings er selbst sich vielfach geschieden
fühlte. Auf die Lautlehre sich stützend, beschäftigte er sich
eingehendst mit den Fragen der Etymologie, wobei er natür-
lich auf den Bestand von Wurzeln geführt wurde, welche
jedoch nicht etwa in irgend einer Zeit als fertige Gebilde
existirt haben sollen, sondern nur als Abstractionen aus den
allein wirklich existirenden Worten zu gelten haben. In
diesem Sinne durchforschte er den ganzen Sprachschatz des
Indogermanischen zum Behufe seines von den Fachkundigen
hoch ireschätzten Wurzel- Wörterbuches , durch welches eine
Fülle von Untersuchungen , aber auch mancher Zweifel und
manches Bedenken angeregt wurden (z. B. von Gg. Curtius).
In die Zwischenzeit vom Beginne der Etymologischen Forsch-
ungen bis zur Vollendung der 2. Auflage derselben fällt eine
staunenswerth reiche Thätigkeit Pott's. Zunächst waren es
Untersuchungen über den litauisch- lettischen Sprachzweig,
welche er in einer Hallenser Festgabe zum hundertjährigen
•Tubiläum der Universität Göttingen (1837) niederlegte: „De
Htjrusso-Litliuanicae tarn in Slavicis quam in Letticis princi-
patu", womit später zusamraeuhieng „De linguarum letticarum
cum vicinis nexu" (1841). Im Jahre 1840 erschien in der
Ersch-Gruber'schen Encyclopädie sein Artikel „Indogermani-
r. Pravtl : Xrl^rolnfi auf AiifiKst Friedrich Pott. 251
sehe Sprachen" (ebendaselbst flössen ans seiner Feder die
Artikel : Geschlecht , Piirticipium , Patronymica , Personen-
Namen), und zugleich begann er seine „Kurdischen Studien"
in mehreren Jahrgängen der Zeitschrift für Kunde des Mor-
genlandes (1840 — 46). Damals auch erhielt er ein von dem
Prediger Zippel in Preussisch-Lithauen gesammeltes Material
über die Zigeuner, woraus er bereits in den deutschen Jahr-
büchern (1841) Einiges veröffentlichte; dann aber folgte das
wichtige Werk ,Die Zigeuner in Europa und Asien, ethno-
graphisch-linguistische Untersuchung ihrer Herkunft und
Sprache nach gedruckten und ungedruckten Quellen" (2 Bände,
1844 f.), wofür er von der Pariser Akademie den Volney'-
schen Preis erhielt. Er gab den Nachweis, dass die Zigeuner
nicht etwa eine Gaunersprache reden, sondern in ihrem Ur-
sprünge auf Indien zurückweisen, und hieran anknüpfend
»ab er noch mehrere kleinere Abhandlungen über die Zi-
geuner in Syrien, Persieu u. s. w. (in der Zeitschrift der
deutschen morgenl. Gesellsch. Jahrg. 1846, 1848, 1852,
1857, 1870), sowie auch gewissem! assen damit zusammen-
hieng sein Artikel „Rotwelsch" in Brockhaus' Convers.-Lexi-
con. Bald nach dem Erscheinen der kleinen Schrift „Die
Malbergische Glosse keltisch oder germanisch?" (1844) machte
sich bei Pott eine Wendung bemerklich, vermöge deren er
immer weiter über das Gebiet des Indogermanischen hinaus-
griff und sich dem Zuge nach linguistischer Universalität
hingab. Entschieden zeigte sich diese Richtung in der Alex.
V.Humboldt gewidmeten Schrift „Die quinäre und vigesimale
Zählmethode bei Völkern aller Welttheile nebst ausführhchen
Bemerkungen über die Zahlwörter indogermanischen Stammes
und einem Anhange über die Fiugernamen" (1847), worin
er im Gegensätze gegen die Ableitung der Zahlwörter aus
den Pronomina auf concrete körperliche Vorstellungen hin-
wies. Es folgte „Gesammt-Ueberblick über die Sprachwissen-
schaft (1849 im Jahrb. d. freien d. Akad.). sowie die als
252 Oeffentliche Sitzung vom 38. März 1888.
grundlegend geltenden Untersuchungen über africanisclie und
besonders die Bantu-Sprache (1850—53 in genannter Zeit-
schr.). Eine bewundernswerthe Fülle des Material es nach
leitenden Gesichtspuncten geordnet bietet die Schrift ,Die
Personen-Namen, insbesondere die Farailien-Nanien und ihre
Entstehungsarten, auch unter Berücksichtigung der Ortsnamen
(1853, 2. Aufl. 1859), worin er hauptsächlich germanische,
aber ausserdem auch griechische , arabische und indische
Namen erörterte; hieran knüpfte sich „Ueber altpersische
Eigen-Namen" (1859 in obiger Ztschr.) und noch später
„lieber Vaskische Familien-Namen" (1875). üeber romanische
Sprachen äusserte er sich in der Zeitschr. f. Alterthuras-
wssschft (1853 f.). Durch die universelle Behandlung der
Linguistik war ihm immer mehr der grundsätzliche Gedanke
in den Vordergund getreten , dass nothwendiger Weise ein
polyphyletischer Anfang der Sprachen angenommen werden
müsse, und so wandte er sich in Bekämpfung der Annahme
einer einzigen Ursprache auch gegen Max Müller (1855 in
genannter Ztschr.). Die gleiche Polemik gegen den „todt-
gebornen Gedanken einer lingua primaeva" erscheint auch
in der Schrift „Die Ungleichheit verschiedener Racen haupt-
sächlich vom sprachwissenschaftlichen Standpuncte unter be-
sonderer Berücksichtigung von des Grafen Gobineau gleich-
namigem Werke" (1856), worin er nicht bloss den auf alt-
testamentlichen Anschauungen beruhenden Pessimismus des
französischen Grafen zurückwies, sondern auch entschieden
hervorhob , dass es noch nicht an der Zeit sei , die sämmt-
lichen Sprachen etwa nach Analogie des natürlichen Pflanzen-
Systems säuberlich in Familien und Gattungen einzutheilen.
Sowie schon die „Etymologischen Spähne" (in Kulin's Zeit-
schrift 1885 f.) vielfach in das Gebiet der Mythologie hin-
überstreiften , so gab Pott auch „Studien zur griechischen
Mythologie (1859 in d. Jahrb. f. class. Piniol.); daneben
erschien „Die japanische Sprache in ihren Verhältnissen zu
V. PranÜ : Nekrolog auf August Friedrich Pott. 253
anderen Asiatinnen" (1858 in d. Ztschr. d. d. morg. Ges.)
nnd hierauf ,Naturo;e.schichtliches" und „Zur Culturgeschichte"
(1861 — 65 in Kuhn und Schleicher. Beiträge). Wieder der
universellen Richtung gehörte an : „Dopplung (Reduplication,
Gemination) als eines der wichtigsten Bildungsmittel der
Sprache, beleuchtet aus Sprachen aller Welttheile" (1862).
Da Franz Kaulen vom Standpunkte katholischer Orthodoxie
aus , Die Sprachverwirrung zu Babel, linguistisch-theologische
rntersuchungen über Gen. XI " (-1861) veröffentlicht hatte,
trat ihm Pott entgegen durch „Anti-Kaulen oder mythische
Vorstellungen vom Ursprünge der Völker und Sprachen nebst
Beurtheilung der zwei sprachwissenschaftlichen Abhandlungen
H. V. Ewald's* (1863) , worin er die Unabhängigkeit der
Sprachforschung wahrte, welche sich von keinerlei theologi-
schen Meinungen beeinflu.ssen lassen dürfe. Ein in Fichte's
Zeitschrift f. Philos. (Bd. 43, 1863) erschienener Aufsatz
„Zur Geschichte und Kritik der sog. allgemeinen Grammatik"
betrifft die Frage über die Möglichkeit und Nothwendigkeit
einer Sprachphilosophie, welche sich auf dem breiten Unter-
bau sämmtlicher Einzeln-Sprachen erheben soll, während in
der Festschrift zur Begrüssung der in Halle (1867) tagenden
Philologen- Versammlung „Die Sprachverschiedenheit in Eu-
ropa an den Zahlwörtern nachgewiesen , sowie die quinäre
und vigesimale Zählmethode" (1868) die Untersuchung unter
Anknüpfung an die frühere Schrift über die Zahlwörter
(1847) nur auf einen kleinen Umkreis beschränkt blieb.
Auch in seiner neuen Ausgabe von W. v. Humboldt's Schrift
„üeber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues"
(1876, 2 Bände, und abermals 1880 in Calvary's Bibliothek)
verbreitete er sich in der Einleitung ausführlich über Hum-
boldt's Verdienste und über die Nothwendigkeit einer philo-
sophischen Sprachlehre. Und nach einigen kleineren Abhand-
lungen über das indogermanische Pronomen (1878 in d. Ztschr.
d. d. morg. Ges.) und über Mass- und Zahl-Wörter (1880
1888. Philo8.-philoI. u. bist. Ol. 2. 17
254 Oeffeiitliche Sitzung vom 28. März 1888.
und 82 in Sfceiuthars Zeitschrift), sowie über Lantiinterschiede
des Griechischen und des Lateinischen (1883 in Kuhn's Zeit-
schrift) gab er zur Eröffnung der neu gegründeten inter-
nationalen Zeitschrift Techmer's (1884) eine , Einleitung in
die allgemeine Sprachwissenschaft" , welche abermals den
weit ausblickenden philosophischen Standpunct betonte und
ihre Portsetzung fand in Pott's Berichten „Zur Literatur der
Sprachenkunde" (in Techmer's Zeitschritt 1885 — 87). Seine
Schrift „Allgemeine Sprachwissenschaft und Carl AbePs
egyptische Sprachstudien" (1886) scheint nur eine ablehnende
Beurtbeilung gefunden zu haben ^). — Wenn auch durch
Pütt's erstes Hauptwerk , d. h. die Etymologischen Forsch-
ungen, seine übrigen darauf folgenden Schriften an wissen-
schaftlicher Wirksamkeit überragt werden , so gab er doch
stets und überall Belelirung oder wenigstens Anregung. Zu
der jüngeren Generation der Sprachforscher, welche mehr
eine historische Richtung, als eine philosophische, einschlugen,
kam er allerdings nie in ein rechtes Verhältniss, und er ver-
werthete gerne seine Lautlehre und seine Laut-Symbolik gegen
die jüngere Schule , von welcher er besonders durch die
Fragen über den Vocalismus getrennt war. Aber seine in
der Geschichte der Wissenschaft bleibende hohe Bedeutung
liegt darin , dass die jetzige Sprachforschung in vieler Be-
ziehung eben auf seinen Schultern steht, und diese Bedeutung
fand auch ihre allseitige Anerkennung , indem zahlreiche
Akademien (die unsrige im Jahre 1870) und sprachwissen-
schaftliche Gesellschaften ihn unter ihre Mitglieder aufnah-
men, wozu noch gegen Ende seines Lebens (Jun. 188()) die
Ehrenbezeugung kam, dass er zum stimmfähigen Kitter des
Ordens Pour le merite ernannt wurde. — Eine Erkältung
1) Ein Verzeichniss der sämmtlichen einzelnen Schriften Pott's
findet sich in einem von P. Hörn verfassten Nekrologe in Bezzen-
berger's Beiträgen zur Kunde der indogernian. Sprachen, Bd. XITT,
S. 317 tf.
V. Pnuitl: Nekrolog auf Friedrich Theodor Vischer. 255
legte Anfangs Mai des vorigen Jahres den Keim zn einem
heftigen Bronchialkatarrh mit asthmatischen Anfällen, welche
der Körper des Fünfiuulachtzigjährigen nicht zu überwinden
vermochte, und am 5. Juli erlöste ihn der Tod von seinem
letzten scliweren Leiden.
Friedrich Theodor Vischer,
geboren am 30. Juni 1807 in Ludvtdgsburg als Sohn des
dortigen Archidiaconus, kam nach dem frühen Tode des
Vaters (1814) nach Stuttgart, wo er das Gymnasium besuchte.
Seiner inneren Neigung nach wollte er sich der Malerei
widmen, aber die Nothlage, in welcher sich die B'amilie be-
fand, enthielt die Nöthigung, auf diesen Plan zu verzichten,
und der junge Vischer musste zu dem gewöhnlichen Studien-
i^ange greifen, welcher die Aussicht auf eine baldige festere
SteUung gab. So trat er im Herbst 1821 in das Seminar zu
Blaubeuren ein, von wo er 1825 in das Tübinger Stift über-
gieng; dort beschäftigte er sich neben den theologischen
Vorlesungen auch mit Philosophie, und zwar zunächst mit
Schelling's theosophischen Ansichten, dann mit Schleiermacher
und Spinoza und hierauf mit Hegel's Phänomenologie. Nach
absolvirter Universität erhielt er eine Stelle als Vicar in
Horrheim bei Vaihingen, wo er die Mussezeit zur Vervoll-
ständigung des Studiums der Hegel'schen Philosophie ver-
wandte und sich auch in dichterischen Schöpfungen versuchte
(dieselben erschienen später, 183G, im Jahrbuche schwäbi-
scher Dichter) ; von dort kam er im Herbst 1831 als Repe-
tent nach Maulbronn, wo er seine Doctor-Dissertation „lieber
die Gliederung der Dogmatik^ ausarbeitete. Im folgenden
Jahre begab er sich auf Reisen, welche ihn zunächst nach
Göttingen führten, wo er sich näher mit Shakespeare be-
schäftigte und hiemit den Grund zu jener Begeisterung legte,
welche er fortan für denselben empfand; dann verweilte er
einige Zeit in Berlin, wo er bei Gans, Henning und Hotho
17*
256 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1888.
Vorlesungen hörte, sich aber von Schleiermacher durchaus
nicht angezogen fühlte ; von dort führte ihn der Weg nach
Dresden, Prag, Wien und über Tirol nach München, wo er
in den Kunst-Sammlungen seine Kenntnisse bereicherte. In
die Heimat zurückgekehrt, erhielt er im Juli 1833 die Stelle
eines Repetenten am Tübinger Stift, an welchem er mit
David Strau.ss, Märklin und Binder zusammen war, und da
er als Repetent die Berechtigung hatte, Vorlesungen zu halten,
las er im Sommer 1834 über Göthe's Faust und im folgen-
den Winter-Semester zum ersten Male über Aesthetik. Eine
im Herbst 1834 erfolgte Ernennung zum Diaconus in Herren-
berg machte er mit mannhaftem Entschlüsse rückgängig, da
er in seinem Inneren bereits von Theologie und Kirche los-
gelöst war und es ihm widerstrebte, ein heuchlerisches Spiel
zu spielen. Im Jahre 1836 arbeitete er seine Habilitations-
Schrift „Ueber das Erhabene und Komische" aus, rückte aber
bald, nachdem Eschenmayer von seiner Professur zurückge-
treten war, vom Privatdocenten zum ausserordentlichen Pro-
fessor vor (1837); damals las er noch über Hegel und Enc}'-
clopädie der Philosophie, daneben auch über Göthe's Faust.
In einem Aufsatze „Dr. Strauss und die Wirtem berger " (in
den Halle'schen Jahrbüchern, 1838) äusserte er sich über
die pietistische Richtung und über die landesübliche Seminar-
Erziehung, welch' letztere er auch später (in seiner Selbst-
biographie in ,Die Gegenwart", 1874 und in „Altes und
Neues", Heft 3, 1882) mit köstlichem Humor schilderte.
Der lebhafte Drang nach kunstgeschichtlichen Studien führte
ihn im Jahre 1839 zum ersten Male nach Italien (hernach
besuchte er es noch achtmal), von wo er im Frühjahre 1840
über Sicilien nach Griechenland reiste, woselbst er mit Ott-
fried Müller, Urlich's und Göttling zusammentraf. Nach
Tübingen zurückgekehrt las er über (beschichte der Malerei,
sowie über Shakespeare, und eine literarische Frucht jener
Reise war ein Aufsatz „Populäre Archäologie" (in den Jahr-
V. Prautl ■ Nekrolog auf Friedrich Theodor Vischer. 257
büchern der Gegenwart, 1844, jetzt vermehrt durch eiixen
zweiten Artikel ,Ans einer griechischen Reise" in , Altes
und Neues", Heft 1). Nachdem er zum ordentlichen Pro-
fessor ernannt worden war, hielt er am 21. November 1844
seine Antrittsrede, in welcher er das Verhältniss der Aesthetik
zu den einzelnen Facultäten besprach und zugleich seinen
theologischen Gegnern „offenen Hass" ankündigte. In Folge
hievon Hess sich das württembergische Ministerium durch die
Dunkelmänner dazu drängen, den so eben ernannten Pro-
fessor Vischer auf zwei Jahre zu suspendiren. Derselbe be-
nutzte diese unfreiwillige Müsse dazu, die Ausarbeitung seines
grossen Lebens-Werkes zu beginnen. Abgesehen von klei-
neren Aufsätzen über die Caricaturen -Zeichner Gavarni und
Töpffer (Jahrb. d. Gegenwart 1846) und über Fischart's
Glückhaft Schiff von Zürich unter dem Titel „Ein maleri-
scher „Stoff" (ebend. 1847) war es die Darstellung der
Aesthetik, welcher er ausschliesslich zwölf Jahre angestreng-
tester geistiger Arbeit widmete. Eine Unterbrechung trat
nur ein, als er von dem Wahlkreise Reutlingen in das Frank-
furter Parlament gewählt wurde, wo er sich der gemässigten
Linken anschloss und, wenn auch unbefriedigt, doch gewissen-
haft bis zum Stuttgarter Rumpf-Parlamente ausharrte (unter
dem Eindrucke des Jahres 1848 schrieb er voll Humor „Das
Bürgerwehr-Institut, oder ist der Jammer noch länger anzu-
sehen", 1849). Von der „Aesthetik oder Wissenschaft des
Schönen" erschien der erste Theil „Metaphysik des Schönen"
184(3, hierauf der zweite Theil „Das Schöne in einseitiger
Existenz" als „Das Naturschöne" (1847) und „Die Phan-
tasie" (1848), der dritte Theil „Die Kunst überhaupt und
ihre Theilung" (1851), Avorauf die Einzeln-Künste, nemhch
„Baukunst- (1852), „Bildnerkunst" (1853), „Malerei" (1854),
„Musik" (1857) und „Dichtkunst" (1857). Dabei ist, wie
Vischer in der Vorrede zur Schlussabtheilung ausdrücklich
bemerkt, die Musik, abgesehen von den einleitenden 20 Para-
258 Oeff entliche Sitzwiff rani 28. März 1888.
graphen, welche er selbst schrieb, nicht von ihm, sondern
von seinem Amts- und Gesinnungsgenossen, Prof. Karl Köst-
lin, dargestellt. Man kann bedauern, dass der erste Band
des grossartigen Werkes in einer wahrhaft abstrusen Form
geschrieben ist, was sich dadurch erklärt, dass ihm vorge-
worfen worden war, er habe eine feuilletonistische Methode
und könne jedenfalls nicht in richtiger hegelianischer Dar-
stellungsweise sich bewegen, worauf Vischer beschloss, augen-
scheinlich zu zeigen, dass er es auch verstehe, in dem ab-
stossendsten Hegel'schen Jargon zu schreiben. Aber wenn
man sich durch das dialektische Gestrüpp des ersten Bandes
hindurchgearbeitet hat, wird man in dem Folgenden freu-
digst überrascht durch die staunenswerthe Ausdehnung des
Wissens, mittelst dessen massenhaftes Detail aufgehäuft ist,
ebenso aber auch durch die stets geistvolle ästhetische Auf-
fassung, welche diesen Schatz des Einzelnen durchdringt und
durchbaut, sowie durch die zutreffende scharfe Charakteristik
der Künstler und der Kunstwerke. Vischer hatte an den-
ienigen Theil des Hegel'schen Systems angeknüpft, welcher
unter Allem, was Hegel geleistet hat, gleichsam aus Ver-
sehen, d. h. durch eine grundsätzhche Inconsequenz, das beste
o-eworden war, nemlich eben an die Aesthetik desselben,
welche er jedoch in vielen Puncten wesentlich modificirte.
Es steht durchaus nicht so , wie zuweilen aus den Kreisen
der Herbart'schen Formalisten verlautet, dass Vischer's Aes-
thetik bereits überh(jlt sei und jetzt nach 'M) Jahren zu den
Antiquitäten gerechnet werden müsse; wenn ihm auch die
Psychologie nicht in gleicher Weise wie vielen Herbartianern
als der Zauberstab galt, welcher alle Fragen richtig löst, so
hat er doch vielfach in einer wahrhaft feinen Auffassung an
Psychologie angeknüpft. Ja gewiss waren es psychologische
Erwägungen, w-elche ihn veranlassten , das wirklich seltene
Beispiel eines Selbstbekenntnisses zu geben, wornach eine
frühere systematische Ueberzeugung nach reiflicher Erwäg-
r. Praiill : NekroUn/ auf Friedrich Thanlor Visclier. 259
unfj aufgegeben werden soll. Vischer nämlich sprach es
im 5. Hefte seiner «Kritischen Gänge' unier der Ueber-
schrift , Kritik meiner Aesthetik" selbst aus (18<3()), dass
der Abschnitt „Das Naturschöne" (s. oben) auszuwerfen
sei, da zugegeben werden müsse, dass das Naturschöne
nie ohne Phantasie empfunden werde , folglich also die
letztere grundsätzlich an den Anfang der Aesthetik ge-
stellt werden müsse, d. h. von der „Anschauung" auszugehen
sei. Die vielfach erwartete zweite Auflage der Aesthetik, in
welcher diese Aenderung durchzuführen gewesen wäre, kam
nicht zu Stande, gewiss aber behält auch ohnediess das stau-
nenswerthe Werk seine bleibende Wirkung auf Alle, welche
nicht in einseitiger Befangenheit verweilen. — Im Jahre 1855
folgte Vischer einem Rufe nach Zürich, wo er sowohl an
der Universität als auch am Polytechnicum Vorlesungen zu
halten hatte. Einige Jahre später wurde auch in München
und in Karlsruhe die Frage angeregt, ob man nicht diese
hervorragende Lehrkraft gewinnen solle. Bei der Schillerfeier
(1859) hielt er die Festrede, und bald hernach erschien ein
Aufsatz über Alfred Rethel (im lUustrirten Familienbuch 18G0).
Kin eigentbümlicher Grundzug lag stets in Vischer's Stell-
ung zu Göthe, welchen er bald günstig bald ungünstig, bald
bewundernd bald verwerfend betrachtete ; höher stand ihm
jedenfalls Shakespeare , dessen markige Gestalten ihn sym-
pathisch anzogen, während er bei Göthe die mannhafte That-
kraft vermisste und z. B. in „Dichtung und Wahrheit' das
Erzeugniss einer allzuweichen Künstlerhand erblickte, welche
nicht untersciieiden lässt, was wirklich und was hinzugedichtet
sei. Er war überhaupt der Ansicht, dass man gerne Göthe
in unberechtigter Weise allseitigst vergöttere und gegen die
Schwächen desselben sich blind verhalte, was namentlich be-
züglich des zweiten Theiles des Fau.st gelte , von welchem
Vischer einmal (vielleicht mit Recht) sagte, derselbe sei
„frostig allegorisch, das todtgeborne Kind einer welken Phan-
260 Oeffentliche Sitzung vom 38. März 1888.
tasie." So Hess er denn auch seinem Humor die Zügel bei
Abfassung von „Faust, der Tragödie dritter Theil treu im
Geiste des zweiten Theiles des Göthe'schen Faust gedichtet
von Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky"
(1862, 2. und 3. Aufl. 1886). Im Jahre 1866 wurde er durch
den Minister Golther wieder nach Tübingen zurückgerufen,
wobei ihm die Pflicht auferlegt wurde , in jeder zweiten
Woche einige Vorlesungen am Stuttgarter Polytechnicum zu
halten ; in den späteren Jahren aber verblieb er ausschliess-
lich in Stuttgart, sowie er auch mehrfach seine persönliche
Ueberzeugung aussprach, dass die Universität in die Landes-
hauptstadt verlegt werden solle. Einen im Jahre 1869 an
ihn ergangenen Ruf an die polytechnische Hochschule zu
München lehnte er in der Erwägung, in seinem Vaterlande
rehabilitirt worden zu sein , mit pietätvoller Gesinnung ab.
Rüstig fuhr er immerhin fort, eine reiche Saat kleinerer
Schriften zu veröff'entlichen : „Oberschwäbische Zeitbilder"
(im Schwab. Mercur 1866), „Epigramme aus Baden-Baden"
(1867), sodann über eine Schrift BenelH's „Ein nationaler
Gruss" (Ueber Land und Meer 1868), „Voltaire, sechs Vor-
träge von D, Strauss" (Deutsche Vierteljahrsschr. 1870),
„Der Krieg und die Künste" (1872). In den „Kritischen
Gängen", welche in 6 Heften 1860 — 73 erschienen, flnden
sich ausser der oben erwähnten Selbstkritik Aufsätze über
seine Reisen, über das Parlament, über ühland, über Rott-
mann, und insbesondere (1872) über D. Strauss' Alter und
neuer Glaube, sowie auch über die politische Wandlung, durch
welche er, der früher entschieden grossdeutsch gewesen, sich
seit 1870 freudig an das neue Reich anzuschliessen ver-
mochte. Ferner erschienen : „Reuschle, Philosophie und Natur-
wissenschaft" (Jenaer Lit. -Zeitung 1874), „Gottfried Keller"
(Allg. Zeitung 1874), „Studien über den Traum" (ebd. 1875)^
„Noch ein Wort über Thiermisshandlung in Italien" (ebd.
1875) und „Ein italienisches Bad" (ebd.), gleichzeitig
1-. Pra»tl: Nelcrolflfj auf Friedrich Theodor Vischer. 261
„Göthe's Faust; neue Beiträge zur Kritik des Gedichtes'
(1875) und biezu später ,Zur Vertheidigung meiner Schritt
Göthe's Faust" (Deutsche Revue 1880); ferner „Nachruf an
Moerike's Grab" (1875) und Jiede bei Einweihung des
Moerike-Denkmales" (1880), „Publicistisches" (Allg. Zeitung
1877), ,Mode und Cynismus" (1878, 3. Aufl. 1887), , Wie-
der einmal über die Mode" (Nord und Süd 1878), „Ludwig
Weisser" (d. h. über einen Kunst-Sammler. Im neuen Reich
1879). Dann folgte die höchst originelle Novelle ,Aucli
Einer" (1879, 3. Aufl. 1884), in welcher eine Reihe specu-
iativ allgemeiner Anschauungen den Grundton bildet (die
kleinen menschlichen Leiden, Verwerflichkeit der Thierquä-
lerei, Fortschritt der Menschheit, Pfahlbauten-Zeit u. dgl.),
und gegenüber einer missliebigen Recension über diese Schrift
verfasste Vischer ein Scherz-Gedicht „Einhart's Schicksal",
sowie er auch eine ästhetische Rechtfertigung des ganzen
Planes derselben versuchte (Altes und Neues, Heft 3). Be-
züglich der „Lyrischen Gänge" (1882) mag ausdrücklich be-
merkt werden, dass Vischer in dieser Gedicht-Sammlung mit
ergötzlichem Spotte jene ultramontanen Kundgebungen (Alex.
Baumgartner, Soc. Jes.) behandelte, welche über Göthe fana-
tisch herfallen zu dürfen glaubten. Im Jahre 1882 vereinigte
Vischer unter dem Titel „Altes und Neues" die Mehrzahl der
oben erwähnten kleineren Abhandlungen. Es erschien dann
noch ein Lustspiel „Nicht la" (1884), sowie ein Festspiel
zur Uhland-Feier (1887). Dass aber Vischer trotz der vielen
und sehr verschiedenen Einzel-Schriften den Grundgedanken
seines Lebens-Werkes nicht ausser Augen liess, ersehen wir
nicht ohne Rührung aus dem letzten Erzeugnisse seiner frucht-
reichen Thätigkeit; nemlich in der Sammel-Schrift „Philo-
sophische Aufsätze , Ed. Zeller zu seinem fünfzigjährigen
Doctorjubiläum gewidmet" (1887) hat er — abgesehen von
der so wohlthuend warmen „Widmung" an Zeller — unter
dem Titel „Das Symbol" auf diese vielbesprochene Kernfrage
262 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1888.
aller Aesthetik zurückgegriffen und an eine Analyse des
Symbolbegriffes die Darlegung dreier Entwicklungsstufen des
Symbolischen geknüpft. — Vischer, welcher seit 1864 unserer
Akademie als Mitglied angehörte, zeigte sicli in seinen hoch-
bedeutenden Leistungen als einen Mann von ganz eigenartiger
Natur, in welcher künstlerische Begabung und philosophische
Schulung vereinigt waren und die grösste Schärfe des Den-
kens sich mit der vollen Wärme des Gemüthes paarte , so-
wie als einen stets sich treubleibenden Charakter und schnei-
digen Verfechter seiner Ueberzeugung. Im Leben wie in der
Wissenschaft bethätigte er den Muth der Wahrheit und den
Glauben an die Macht der Ideale. Alles, was er schrieb,
niuss als geistvoll bezeichnet werden, und mit dieser unmittel-
baren Begabung verband sich jener Blick auf das Einzelne,
welcher auch nicht das scheinbar Geringfügige als unbedeu-
tend übergeht ; hiezu kam noch , dass er des Humors in
hohem Grade mächtig war und hiedurch in eigenthümlicher
Weise den Genuss seiner ernsteren Schriften zu würzen ver-
stand. Einen selbständigen humoristischen Zweck verfolgte
er, abgesehen von Einigem , was bereits oben angeführt
worden, auch unter dem Pseudonyui , Schartenmayer" (wel-
chen Neben-Namen er in Freundeskreisen schon früher er-
halten hatte) in der Schrift „Der deutsche Krieg 1870 — 1871,
ein Heldengedicht" (1874, 5. Aufl. 1878). - In welch'
hohem Grade die Bedeutung dieses hervorragenden Mannes
anerkannt war, ergiebt sich aus der übergrossen Zahl der
Freunde und Verehrer, welche ihm zu seinem achtzigsten
Gebnrtstage ein Zeichen ihrer (hinkbarsten Gesinnung dar-
brachten. — Auf einer Erholungsreise in den Ferien hatte
er sich eine Erkältung zugezogen, in Folge deren er am
14. September in Gnmnden verschied.
V. Prantl : Xekrolniß auf Heinrich Lebrecht Fleischer. 2<i3
Heinrich Lebrecht Fleischer,
u;eb(»ren am 21. Februar 1801 zu Schandau in der sächsi-
schen Schweiz, besuchte 1814 das Gymnasium in Bautzen
und studirte von 1819 — 24 an der Universität Leipzig Tlieo-
logie und orientalische Sprachen. Im Jahre 1824 begab er
sich nach Paris, wo er durch De Sac}' in tieferes Studium
des Arabischen eingeführt wurde und sich mit den reichen
Schätzen der dortigen Bibliotheken beschäftigte ; auch lernte
er die lebende arabische Sprache durch Caussin de Perceval
kennen und trat in Verkehr mit den jungen Aegyptern,
welche Mehmed Ali nach Paris geschickt hatte. In die Hei-
mat zurückgekehrt veröffentlichte er als Erstlings - Schrift
, Remarques eritiques sur le I. tome de l'edition des 1001
nuits de Mr. Hal)icht'' (1827), worauf eine Ausgabe von
,Abulfedae historia auteislamica" (1831) folgte, und als er
1831 eine Anstellung als Lehrer an der Kreuzschule zu
Dresden gefunden hatte, bearbeitete er den „Catalogus codi-
cum manuscriptorum orientalium bibliothecae regiae Dres-
densis" (1831), und es folgte dann ,Samachschari's Goldene
Halsbänder (Deutsche üebersetzung 1835), worüber er in
einen Ideibenden Conflict mit Hammer-Purgstall kam, welcher
ein gleichnamiges Internehmen veröffentlicht hatte. Im .Jahre
1835 wurde ihm in Petersburg ein Lehrstuhl des Persischen,
verbunden mit der Stelle eines Adjuncten an der Akademie,
angeboten, und er war eben im Begriffe, dorthin behufs
näherer Einsichtnahme abzureisen, als in Leipzig (17. Sep-
tember) Rosenmüller starb , an dessen Stelle Fleischer (am
19. October 1835) zum ordentlichen Professor ernannt wurde.
Hiemit begann eine langdauernde äusserst segensreiche Wirk-
samkeit sowohl in Bezug auf Lehrthätigkeit al.s auch in
zahlreichen literarischen Leistungen. In ersterer Beziehung
kämpfte er gegen die üblich gewordene Einrichtung, dass
der Orientalist nicht bloss die lebenden und todten Sprachen
264 Oeffentliche Sitzung iwn 28. März 1888.
als solche, sondern auch die Exegese des alten Testamentes
vertrat, und indem er sich lediglich auf Arabisch, Persisch
und Türkisch beschränkte, errang er von der Regierung die
Errichtung zweier anderweitiger neuer Lehrstühle. Was er
als Lehrer in einer mehr als t'ünzigjährigen ununterbroche-
nen Thätigkeit wirkte, wird von den zahlreichen hervor-
ragenden Orientalisten, welche aus seiner Schule hervorgien-
gen , dankbarst anerkannt , und die Leipziger Universität
durfte sich Glück wünschen , als Fleischer im Jahre 1860
den von Berlin an ihn ergangenen Ruf ablehnte. Die be-
gonnene schriftstellerische Arbeit setzte er fort zunächst durch
„De glossis Habichtiaiiis in IV priores tomos MI noctium
disputatio critica" (1836), dann folgte „Ali's liundert Sprüche,
arabisch und persisch paraphrasirt von Watwat , herausge-
geben, übersetzt und mit Anmerkungen begleitet" (1837);
auch vollendete er Naumann's „Catalogus librorum manu-
scriptorum , (pii in bibliotheca senatoria civitatis Lipsiensis
asservantur", d. h. die dritte Abtheilung , Codices arabici,
persici, turcici", (1838), und nach Habicht's Tod besorgte er
die Fortsetzung der arabischen Ausgabe von 1001 Nacht,
nemlich Bd. IX— XII (1842 f.). Bei der im Jahre 1844 in
Dresden tagenden Philologen-Versammlung waren zum ersten
Male die deutschen Orientalisten vereinigt, deren Vorsitz
Fleischer übernahm, wobei er die Gründung einer deutschen
Orientalisten-Gesellschaft vorschlug, und in der That consti-
tuirte sich im folgenden Jahre (1845) zu Darmstadt die
deutsche morgenländische Gesellschalt, deren Jahresberichte
von 1846 bis 1849 Fleischer verfasste, sowie er auch die
von der Gesellschaft gegründete Zeitschrift in den ersten
zwei Jahren (1847 f.) redigirte und später fortan durch zahl-
reiche Beiträge zierte^). Er veröffentlichte „Beidhawii Com-
1) Im Folgenden bezeichne ich die in der , Zeitschrift der deut-
schen morgenländischen Gesellschaft" erschienenen Aufsätze Fleischer'a
V. Pra>itl : Nel-rolng auf Heinrich l.ebrccht Flei.<tcher. 265
mentarius in Corauum ex codicibns Parisiensibus" (2 Bände
1846—48), wobei er nach dem Urtheile der Fachkundigen
ausserordentliche Schwierigkeiten in staunenswerther Weise
überwand; hierauf folgte : „Mirza Mohammed Ibrahim, Gram-
matik der lebenden persischen Sprache, aus dem Englischen"
(1847, 2. Aufl. 1875); sodann „Die ersten orientalischen
Druckwerke der k. k. Staatsdruekerei in Wien" (1847. Z),
,Ueber eiuen griechisch-arabischen Codex rescriptus der Leip-
ziger Universitäts- Bibliothek (1847. Z), „Ueber Ableitung
und Bedeutung des semitischen Namens des Wolfes (1848.
B), „Ueber den türkischen Volksroman Sireti Seyid Bathäl"
(1848. B), .Ueber das vorbedeutende Gliederzucken bei den
Morgenländern" (1849. B), „Literarisches aus Beirut" und
,Eine neu-arabische Kaside von Färis esh-Shidiäk" (1851.
Z.), , Ueber das syrische Fürstenhaus der Benu-Shihäb"
(1851. B), „Ueber d. türkische Chatäi-Näme" (1851. B),
,Zur Geographie und Statistik des nördlichen Libanon"
(1852. Z), „Michael Meschäka's Culturstatistik von Damas-
kus" (1854. Z), „Die Refaijjah" (1854. Z), „Beschreibung
der von Tischendorf 1853 aus dem Morgenlande zurückge-
brachten christlich-arabischen Handschriften" (1854. Z), „Eine
türkische Inschrift in Galizien" (1854. Z), „Ueber Thaalibi's
arabische Synonymik mit einem Vorworte über arabische
Lexikographie" (1854. B), „Ueber das Verhältniss und die
Construction der Sach- und Stofl:' - Wörter im Arabischen"
(185(5. B), „Briefwechsel zwischen den Anführern der Waha-
biten und dem Pascha von Damaskus" (1857. Z), „Neu-ara-
bische Volkslieder" (1857. Z), „Beiträge zur Wiederherstell-
ung der Verse in Abulmahasin's Annalen" (1857. B), „Abu
Zaid's Buch der Seltenheiten" (1858. Z), „Ankündigung der
mit Z, sowie jene aus den , Berichten über die Verhandlungen der
k. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (Philol.-hist. LUassej"
mit B.
266 OeffentUche Sitzunfj imn 38. März 1888.
neuen arabischen Zeitung Hadikat al-achbär" (1858. Z),
„Commentar /ai N. J. Seetzen's Reisen" (1859), „lieber die
Culturbestrebnngen in Beirut" (1859. B), „Arabische In-
schriften" (1859 u. 60. Z), „Ueber einige Arten der Nonii-
nal-Apposition im Arabischen" (1862. B) , „Ueber farbige
Lichterscheinungen der Sufi's (1862. Z), „Eine türkische
Bade-lnschrift in Ofen" (1863. Z), „Vermischtes" (1861 u.
65. Z). Nun begann er in den Berichten der k. sächs. Ge-
sellschaft d. Wissenschaften , welche ihn (1859) zu ihrem
Classensecretäre gewählt hatte, eine Reihe von elf kostbarsten
Abhandlungen zu veröffentlichen, welche unter dem Titel
„Beiträge zur araluscheu Sprachkuude" (in den Jahrgän-
gen 1863, 1864, 1866, 1870, 1874, 1876, 1878, 1880,
1881, 1883 und 1884) gedruckt wurden und im Anschlüsse
an die im Jahre 1831 erschienene 2. Auflage der arabischen
Grammatik De Sacy's die Grundlage einer Neubearbeitung
derselben auf breitester Basis enthalten , nachdem für die
arabische Sprachwissenschaft seit jener Zeit ein so reiches
Material aiierwach.sen war, dass eine vollständige Umgestalt-
ung des Werkes De Sacy's sich als nothwendig erwies.
Hauptsächliche Bausteine hiezu gewann Fleischer aus Ewald's
Grammatik, aus Broch's Ausgabe des Mufassal, aus Ibn
Ja'i's Commentar zu Zamachsari's Mufassal ed. Jahn, aus Al-
fijjah ed. Dieterici und aus dem arabischen Wörterbuche
Muhit al Muhit. Mit Freuden durfte es begrüsst werden,
dass Fleischer diese elf Abhandlungen, welche allein genügen
würden, ihm die Geltung des hervorragendsten Arabisten der
Gegenwart zu sichern, unter dem Titel „Kleinere Schriften.
Erster Band" (1885) zusammenfassend veröfi'entlichte. Da-
neben erschienen gleichfalls in den Berichten der sächs. Ge-
sellsch. d. Wiss. (in den Jahrgängen 1867 , 1868 u. 1869)
Anmerkungen und Text- Verbesserungen zur Ausgabe des
Geschichtsvverkes Al-Makkari's von Dozy, Dugat, Krehl und
Wright. Ferner: „Zur Geschichte der arabischen Schrift"
r. Praiifl: Nekrolnf) auf Heinrich Lehrecht VJeincher. -^>7
(1864. Z), , Jüdisch- Arabisches aus Magreb" (1804. Z), ,Ab-
delkatler's Wallfahrtsgedicbt" (18()4. Z), „Persische Klingen-
Inschrift" (1804. Z), ,Ueber d. arabische Keim-A" (1800.
Z), „Ergänzungen und Berichtigungen" (1800. Z), „Hermes
Trismegistos, An die menschliche Seele, arabisch und deutsch"
(1870), „Beiträge zu J. Levy , Neuhebräisches und chaldäi-
sches Wörterbuch über d. Talmudim und Midraschim" (1875),
„Bemerkungen zu arabischer Grammatik" (1870. Z), „Zu
Rüekert's Grammatik, Rhetorik und Poetik der Perser"
(1877 1'. Z). Auch lieferte er Anmerkungen zu Juynboll's
Lexicon geograpbicum und war Mitarbeiter an „Quandt,
Anleitung für Beschauer des historischen Museums zu Dres-
den" ; die letzte Arbeit Fleischer's war „Eine Stimme aus
dem Morgenlande über Dozy's Supplement aux dictionnaires
arabes" (1887. B). — Die Fachkundigen sind darüber einig,
dass Fleischer's Bedeutung als Arabist auf seiner gründlichen
Kenntuiss der arabischen National-Grammatik beruht, sowie
dass seine Schriften überhaupt den Stempel wahrer Gelehr-
samkeit an sich tragen , indem in denselben die sorgsamste
Genauigkeit sich mit einer entschiedenen Sicherheit verbindet
und ein stets auf den Grund gehender Spürsinn d;i/u führt,
Rechenschaft über Alles zu fordern und zu geben. Seine
hervorragenden Leistungen brachten ihm auch die Anerkenn-
ung, dass viele Akademien (die unsere im .Jahre 1848) ihn
unter ihre Mitglieder aufnahmen, sowie dass ihm der baye-
rische Maximilians-Orden, der preussische Orden Pour le me-
rite, der russische Stanislaus- und der türkische Medschidje-
Orden verliehen wurden. Sein an wissenschaftlichen Ver-
diensten reiches Leben endete am 10. Febr. heurigen Jahres.
268 Oeffentiiche Sitzung vom 28. März 1888.
Der Classensekretär Herr v. Gieseb recht sprach:
Die historische Classe liat durch den Tod eines ihrer
hiesigen Mitglieder einen höchst schmerzlichen Verlust er-
litten. Am 13. September vorigen Jahres starb in Schwabing
Dr. Alois von Brinz, k. Geheimrath und LTniversitäts-
protessor, seit 1883 ordentliches Mitglied unserer Akademie.
Brinz, am 25. Februar 1820 zu Weiler im Allgäu ge-
boren, kam schon in erster Kindheit nach Kempten, als sein
Vater dort die Stelle eines ProtokoUisten am Kreis- und
Stadtgericht erhielt. Reim Tode des Vaters (1835) hinter-
blieb dessen zahlreiche Familie in beschränkten Verhältnissen,
so dass der Zweitälteste Sohn Alois früh daran denken musste,
selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Er lernte gern und
leicht; in allen Klassen des Kemptener Gymnasiums stand
er an der Spitze seiner Mitschüler, und die Mutter setzte,
als er 1837 die Universität München bezog, auf ihn die
besten Hoffnungen. Seine Absicht war zuerst, sich dem Rechts-
studium zu widmen, doch änderte er bald seinen Entschluss
und wandte sich der Philologie zu. Nach Ablauf des vor-
geschriebenen Trienniums unterzog er sich 1841 der Prüfung
jür das Gymnasiallehramt und bestand sie mit gutem Er-
iblge. Aljer er hatte in den philologischen Studien doch
nicht die rechte Befriedigung, keinen ihn dauernd fesseln-
den Arbeitsstoff gefunden. Durch seinen Freund Konrad
Maurer angeregt, entschloss er sich daher, es noch einmal mit
der Jurisprudenz zu versuchen und begab sich nach Jahres-
irist mit dem Freunde nach Berlin, um Puchta zu hören.
Mit grossem Fleis.se verlegte er sich hier namentlich auf
rechtsgeschichtliche Studien und allmählich erwachte in
ihm ein tieferes Interesse für dieselben; besonders die
Vorlesungen Hudorffs übten auf ihn eine nachhaltige Wirk-
uniT. Obwohl er damals und in der nächsten Zeit sein
('. Giefiehrecht : Nekrolog auf Alois v. Brinz. 269
eigenes Arbeitsfeld mehr im deutschen als im römischen
Ixeelit zu finden hoffte, trieb er das Studium des römischen
Civilrecht«, welches er als die nothwendigste Vorbereitung
für seine Lebensaufgabe ansah, mit vollem Ernste.
Nach seiner Rückkehr von Berlin bestand Brinz 1844
die theoretisch -juristische Prüfung und zwei Jahre darauf
den sogenannten Staatsconcurs ; auch alle anderen Bedinge-
ungen für den Eintritt in den praktischen Staatsdienst er-
füllte er, ohne dass er gerade besondere Neigung zu dem-
selben empfand. Inzwischen hatte er sich mehr und mehr
in das Studium des Corpus iuris vertieft und war hier ganz
heimisch geworden ; wissenschaftliche Probleme waren ihm
hier entgegengetreten , an deren Lösung er sich versuchte.
Damit erwuchs das Streben nach einer akademischen Thätio--
keit, zu der ihn auch freundschaftlicher Zuspruch ermuthigte.
Auf Grund seiner Inaugural - Dissertation : ,Notamina ad
usum fructum** wurde er 1849 zum Doctor iuris in Erlangen
promovirt, und schon im nächsten Jahre habilitirte er sich
als Privatdocent an unserer Universität. Die Habilitations-
schrift: „Die Lehre von der Compensation", die auch in
weiteren juristischen Kreisen Anerkennung fand, war wohl
hauptsächlich die Veranlassung, dass ihm nach kurzer Zeit
von zwei Seiten Professuren angeboten wurden. Nach Basel
berief man ihn in die Stellung eines ordentlichen Professors
des römischen Rechts. So verlockend dieser Ruf für den
jungen Docenten war, zog er es doch vor, in Baiern zu
))leiben und die Stelle eines ausserordentlichen Professors in
Erlangen anzunehmen.
Zu Ostern 1852 trat Brinz sein Lehramt in Erlangen
an und begründete alsbald dort durch die Ehe mit Karoliue
Zenetti sein Familienleben, welches für ihn der unversieg-
liche Born reinsten Glückes wurde. Alle Verhältnisse ge-
stalteten sich für ihn günstig. Bald zeigte sich seine au.sser-
ordentliche Begabung zum akademischen Lehrer. Die Frische
1888. Philos.-philol. u. bist. Cl. 2. 18
270 Oe ff entliche Sitzung vom 3S. März 1888.
und Originalität seiner Gedanken , die Energie seiner Rede
machten auf die Studirenden einen tiefen Eindruck ; er
wusste sie für eine ideale Auffassung der Wissenschaft zu
erwärmen, zu ernsten Anstrengungen zu ermuthigen, und
durch die leutselige, joviale Art des Verkehrs mit ihnen ge-
wann er leicht ihre Herzen. Auch literarisch erwies er sich
sehr thätig. Heftweise erschienen die „Kritischen Blätter
civilistischen Inhalts", welche in den juristischen Kreisen
Aufsehen erregten, und ihnen folgte die erste Abtheilung
des „Lehrbuchs der Pandekten", seines Hauptwerkes. Schon
1854 wurde er zum ordentlichen Professor des römischen
Rechts in Erlangen befördert, aber es war vorauszusehen,
dass sich ihm über kurzem an einer grösseren Universität
ein weiterer Wirkungskreis eröffnen würde. Die juristische
Fakultät und der Senat unsrer Hochschule suchten ihn schon
damals für München zu gewinnen , doch ging die Staats-
regierung auf seine Berufung nicht ein , und so entschloss
er sich 1857 einem ehrenvollen Rufe nach Prag zu folgen.
Die österreichischen Verhältnisse, in welche Brinz nun
eintrat, erschienen ihm nicht als völlig fremde. Sein Ge-
burtsort hatte früher zu Oesterreich gehört; er selbst ent-
stammte einer altösterreichischen Familie. Um so leichter
lebte er in Prag sich ein. Sein ausgedehnterer akademischer
Wirkungskreis befriedigte ihn, und er fand auch zu literari-
scher Thätigkeit noch so weit Zeit, dass er die zweite Ab-
theilung seines Pandektenlehrbuches veröffentlichen konnte.
Allgemein wurde die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt , als
er bei der Prager Schillerfeier am 1*. November 1859 in
gewaltiger Rede den Dichter der Ideale feierte. Es erschien
fast selbstverständlich, dass die Deutschen in B(")hmen im
Jahre 1861, als die Repräsentativ-Verfassung in Oesterreich
eingeführt wurde , einen so glänzenden Redner ihren Ver-
tretern zugesellten. So wurde er von dem Wahlkreis Karls-
V. Giesebrecht: Nekrolog auf Alois r. Brinz. 271
bad-Joachimsthal in den l)(3hmischen Landtag nnd von die-
sem dann in den Reichstag abgeordnet.
Die nächsten fünf Jahre hat er, bald in Wien, bahi in
Prag lebend, mitten in dem bewegten politischen Leben des
Kaiserstaats gestanden. Wie er seine Stellung hier auffasste,
hat er selbst im Reichsrathe so ausgedrückt: Jch bin be-
rufen, römisehes Recht in Prag zu lehren und habe einen
zweiten Beruf nun darin gefunden, dort altes deutsches Recht
zu vertheidigen." Es ist hier nicht der Ort, auf die poli-
tische Wirksamkeit von Brinz näher einzugehen. Allgemein be-
kannt ist, dass er als parlamentarischer Redner unvergleichliche
Erfolge gewann. Indem er seiner innersten, unerschütterlichen
Ueberzeugung den treffendsten Ausdruck zu geben wusste,
übte er eine unwiderstehliche Macht auf die Zuhörer. Brinz
war eine viel zu selbstständige Natur, als dass er sich je
ganz in den Bann einer Partei gestellt hätte, aber ohne
allen Zweifel war seine Gesinnung durch und durch liberal.
Vor Allem jedoch war er grossdeutsch ; die Verbindung
Oesterreichs mit den andren deutschen Staaten zu erhalten
und zu kräftigen, blieb das letzte Ziel seines politischen
Strebens.
Nie hat Brinz daran gedacht, seine gelehrte Thätigkeit
mit der eines leitenden Staatsmannes zu vertauschen ; um so
erklärlicher ist, dass er trotz seiner grossen parlamentarischen
Erfolge sich doch wieder nach einer ungestörten akademi-
schen Thätigkeit und einem ruhigeren Familienleben zurück-
sehnte. In Prag hätte er sich unmöglich der Politik ent-
ziehen können, eine Aenderung seiner bisherigen Stellung
musste ihm deshalb erwünscht .sein. Aber als er gegen Ende
1865 einen Ruf an die Universität Tübingen erhielt, fiel es
ihm doch schwer, aus Oesterreich, dem er .sich so fest ver-
bunden fühlte, scheiden zu sollen; seine Wünsche gingen
nach Wien, wo die juristische Fakultät ihn für eine erledigte
18*
272 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1888.
Professur des römischen Rechts in Aussicht genommen hatte.
Er Hess darüber die Staatsregierung nicht in Zweifel, erhielt
aber einen Bescheid, der ihn nicht länger zögern Hess , den
Tübinger Ruf anzunehmen. Er hat noch die Katastrophe
von 18G6 in Prag erlebt. Der Schlag war gefallen , der
seine Hoffnungen auf die politische Einigung Gesammtdeutsch-
lands vernichtet hatte.
Für Brinz war es wohl als ein Glück anzusehen , dass
er damals in neue Lebensverhältnisse versetzt wurde , zumal
diese Verhältnisse ihm vielfach Befriedigung boten. Aus dem
Schwabenlande war er hervorgegangen und hatte sein schwä-
bisches Naturell sich immer treu bewahrt: wie hätte ihn
da das Leben am Neckar nicht anmuthen sollen ? Eine
Freude war es ihm , dass er sich jetzt frei wieder seinen
wissenschaftlichen Studien hingeben konnte. Seine Lehr-
thätigkeit war erfolgreich , wie sie immer gewesen , und zu
literarischen Arbeiten fand er so viel Müsse, dass er sein
Lehrbuch der Pandekten vollenden konnte. Nicht , dass er
der Politik gänzlich den Rücken gewandt hätte und gegen
das Schicksal Oesterreichs gleichgiltig geworden wäre, viel-
mehr unterhielt er Verbindungen mit den Volksvereinen,
welche die Ziele der früheren grossdeutschen Partei in Süd-
Deutschland unter den veränderten Verhältnissen zu ver-
folgen suchten, und bei mehr als einer Gelegenheit gab er
kund, dass seine politischen Ansicliten durch den Gang der
Ereignisse nicht geändert seien. Aber ein Mandat für den
württembergischen Landtag, welches ihm angeboten wurde,
lehnte er unter Hinweis auf die Gründe, die ihn früher dem
parlamentarischen Leben zu entsagen bestimmt hatten, mit
aller Entschiedenheit ab.
So behaglich sich Brinz in Tübingen fühlte, war es
ihm doch sehr erwünscht, als gegen P]nde 1870 von München
aus an ihn der Ruf erging, die erledigte Professur des römi-
schen Civilrechts zu übernehmen. Nicht allein die Aussicht,
V. Gie/^ehrecht : Nel-rnlog auf Alois v. Brinz. 273
seine akademische Lehrthätio;keit in noch grösserem Umfange
entfalten zu können , sondern auch die Anhänglichkeit an
die Hochschule, an der er seine Studien zum grossen Theil
gemacht, wo er zuerst das Katheder bestiegen hatte und
wo noch Lehrer und Freunde von ihm wirkten , zog ihn
mich München und freudig nahm er den Ruf an. Als er
dann Ostern 1871 hierher übersiedelte, trat er in ihm längst
bekannte Verhältnisse, und auch von den Collegen wurde
er wie ein Amtsgenosse, der ihnen längst nahe gestanden,
empfangen. Zu den alten Freunden gewann er bald neue,
und jeder , dem er mit dem ihm eigenen herzlichen Wohl-
wollen entgegentrat, musste sich zu ihm hingezogen fühlen.
Noch mehrmals sind lockende Anerbietungen einer
grossen Lehrthätigkeit Brinz gemacht worden — so 1872
von Wien und 1881 von Berlin — und es ist ihm nicht leicht
geworden sie abzuweisen , aber er konnte sich nicht ent-
schliessen, München wieder zu verlassen, wo ihm Liebe und
Verehrung von allen Seiten entgegengebracht und auch an
höchster Stelle seine Bedeutung vollauf gewürdigt wurde.
Auch fühlte er sich glücklich in den Verhältnissen unsrer
Universität und unsrer Stadt. Seine Häuslichkeit hatte er
ganz nach seinen Wünschen und Neigungen gestalten können ;
er und die Seineu warzelten fester und fester auf dem
Münchner Boden.
Die Lehrthätigkeit, der er stets mit der grössten Ge-
wissenhaftigkeit oblag, nahm ihn auch hier vor allem in
Anspruch ; es ist bekannt, von wie ausserordentlichen Er-
folgen sie begleitet war. Daneben blieb er immer literarisch
thätig. Ununterbrochen war er mit der Umarbeitung seines
Pandektenlehrbuchs beschäftigt, von dem die dritte Auflage
nöthii»- wurde, ehe er noch die zweite vollendet hatte. Mit
seinem Collegen M. Seydel gab er die „Neue Folge der
kritischen Vierteljahresschrift füz Gesetzgebung und Rechts-
274 Oeif entliche Sitzung vom 38. März 1888.
Wissenschaft" heraus. Eingehende Recensionen zeigten, mit
welchem Interesse er die Literatur seines Faches verfolgte.
Eine grössere Anzahl seiner hier entstandenen Schriften sind
durch festliche Gelegenheiten herbeigeführt: Festreden und
Fest£jaben , wie er sie namentlich bei den Jubiläen seiner
Lehrer und Freunde darzubringen liebte. Noch seine letzte
Arbeit war für das üoctorjubiläum seines Freundes und Col-
legen von Planck bestimmt. Sein wissenschaftliches Interesse
dehnte sich weit über die Grenzen seines Faches aus.
So interessirten ihn in hohem Masse die Arbeiten der hie-
sigen geographischen Gesellschaft, deren Vorstand er in den
letzten Jahren angehörte; nicht minder die Arbeiten unsrer
Akademie, bei denen er sich äusserst hilfreich erwies, sogar
ehe er noch zu den Akademikern zählte.
Als unsre Akademie 1880 über die Verwendung der Mittel
der Savigny-Stiftung zu bestimmen hatte, machte Brinz den
Vorschlag, einen Preis für eine Schrift über das „Edictum
perpetuum" auszuschreiben. Der Vorschlag wurde angenommen
und hatte die Folge , dass eine vortreffliche , des Preises
durchaus würdige Arbeit eingeliefert wurde. Alle Mühen,
die bei dieser Gelegenheit der Akademie zufielen, hatte Brinz
auf sich genommen, und es hatte sich hierbei erwiesen, wie
sehr die Akademie seines Beistandes bedurfte. Sie beeilte
sich deshalb, sobald in der historischen Klasse eine Stelle
offen wurde, ihn zum ordentlichen Mitgliede derselben zu
wählen. Brinz trat 1883 in die historische Klasse mit der
Absicht ein , sich mit ganzer Seele den Arbeiten derselben
zu widmen. Seine Studien, die ja immer einen historischen
Hintergrund gehabt hatten, führten ihn gerade zu rechts-
geschichtlichen Forschungen, denen er mit grösster Sorgfalt
und Liebe oblag, und er freute sich da))ei in nähere Gemein-
schaft mit bewährten Geschichtsforschern zu treten. Nur
wenige Jahre hat er der Akademie angehört, aber er ist in
dieser Zeit ein sehr thätiges Mitglied derselben gewesen;
i'. Giesebrecht: Nekrolog auf Alois v. Brinz. 275
regelmiissit»- wohnte er den Sitzungen bei und mehrere Ab-
handhnigen legte er der historischen Khxsse vor, die in den
Schriften der Akademie gedruckt sind. Wir haben es tief
zu beklagen, dass seine eben so eingreifende wie freundliche
Mitwirkung uns so bald entzogen wurde.
Von politischer Thätigkeit hielt sich Brinz hier geflissent-
lich fern. Als man ihn bei der letzten Reichstagswahl als
Kandidaten der liberalen Partei aufstellen wollte, stiess man
bei ihm auf den bestimmtesten Widerspruch. Seine Theil-
nahme an den Geschicken der Deutschen in Oesterreich blieb
freilich immer die gleiche, und er ergriff gern die Gelegen-
heit, ihr kräftigen Ausdruck zu geben. Sie veranlasste ihn
auch, dem Vereine zum Schutze deutscher Interessen im Aus-
lande gleich bei der Gründung beizutreten und die Stelle des
ersten Vorstands zu übernehmen. Waren auch Deutschland
und Oesterreich staatlich getrennt, die geistigen Beziehungen
/wischen ihnen zu befestigen und zu stärken, blieb ihm stets
Herzenssache.
Viele Ehren sind ihm von den verschiedensten Seiten
erwiesen worden. Abermals und abermals haben die Studiren-
den ihm als ihrem verehrten Lehrer Ovationen dargebracht.
Zweimal ist er durch die Wahl seiner CoUegen an die Spitze
unsrer Universität gestellt worden. Der König verlieh ihm
1872 den Verdienstorden der bayrischen Krone und damit
den persönlichen Adel, 1886 den Titel und Rang eines Ge-
heimraths. Aber solche Auszeichnungen haben so wenig,
wie einst seine parlamentarischen Triumphe, an seinem inner-
sten Wesen etwas geändert. Er blieb den einfachen bürger-
lichen Sitten, in denen er erwachsen, treu, blieb immer der
einfache Gelehrte, der sein Glück im Dienste der Wissen-
schaft und in seiner Familie fand.
Brinz erfreute sich einer kräftigen Körperconstitution.
Nicht von grossem, aber gedrungenem und festem Gliederbau
276 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1888.
bewahrte er sich bis ins Alter auch körperlich eine fast
jugendliche Frische. Einzelne Gichtanfälle , die ihn in den
letzten Jahren trafen, schienen wenig bedenklich. Grössere
Besorgniss erregte es bei seinen Freunden , dass bei einem
Vortrag, den er am 23. März vorigen Jahres in der Wiener
juristischen Gesellschaft hielt , ihn plötzlich das Bewusstsein
verliess, so dass er abbrechen musste. Er selbst legte auf
diesen Unfall wenig Gewicht, dennoch zeigte sich bald, dass
derselbe mit einem tieferen Leiden zusammenhing. Beim
Eintritt der letzten Sonnnerferien fühlte er sich abgespannter
als sonst, und bald machte ein Schlaganfall seinem Leben
ein Ende. Ein langes Siechthum ist ihm erspart gewesen.
Wie er als frischer, schaffensfreudiger Mann stets vor uns
stand, so wii-d sein Bild uns bleiben ^).
Leider hat die historische Klasse auch fünf ihrer aus-
wärtigen Mitglieder durch den Tod verloren: Fredrik
Ferdinand Carlson in Stockholm, Wilhelm Adolf
Schmidt in Jena, Alfred von Ueumont in Aachen,
Graf Giovanni Gozzadini in Bologna, luid L. Ph. C. van
den T3ergh im Haag, und ein correspondirendes Mitglied,
Johann Ernst Otto Stobbe in Leipzig.
In Bezug auf sie wurde auf die nachstehenden Nekrologe
verwiesen.
1) Benützt sind: Aloi« von Brinz , anonymer Nekrolofr in der
Allpremeinen Zeitung, 1888, Beilage Nr. 17 und ft'. — Alois Brinz,,
Denkrede, gehalten am 29. November 1887 im deutschen Vereine
zu Prag von Philipp KnoU (Prag 1888). — Erinnerung an Brinz,
Vortrag in der Vollversammlung der Wiener juristischen Gesellschaft
am 23. December 1887 von Adolf Exner (W^ien 1888). — Nekrolog
von F. Regelsbergcr in der Kritischen Vierteljahrsschrift für Ge-
setzgebung und Uechtswissen.schaft. N. F. Bd. XI. H. 1. — Dr. Alois
von Brinz, Gedächtnissfeier im Vereine zum Schutze deutscher Inter-
essen im Auslande und die darin enthaltene Gedächtnissrede des
österreichischen Reichstagsabgeordneten V. Russ (München 1888).
V. Giesehrecht : Nel'roloq auf Frcdrik Ferdinand Carhon. 277
Am IR. März vorif^eii Jahres venschied zu Stockholm
der Staatsrath Fredrik Ferdinand Carlson, seit 1875 aus-
auswärtiges Mitglied unsrer Akademie.
Carlson, geboren den 18. Juni 1811 auf dem Hofe
Kungshamn in Upland , begann seine Studien 1825 zu Upsala
und wurde dort 1833 zum Doctor der Philosophie promo-
virt. In den nächsten Jahren machte er grössere Reisen
durch Deutschland, Italien und Frankreich, auf denen er sich
besonders in Berlin aufhielt. Nach seiner Rückkehr begann
er 1835 als Docent der Geschichte Vorlesungen an der Uni-
versität Upsala, wurde aber schon 1837 als Erzieher der
königlichen Prinzen Karl, Gustav und Oskar nach Stockholm
berufen. In dieser Stellung verblieb er bis 1846 und wurde
so der Lehrer zweier Fürsten, die den Thron Schwedens
bestiegen haben. Er kehrte dann zu seinem Lehramt in
Upsala zurück , erhielt hier zunächst die Ernennung zum
ausserordentlichen Professor und wurde nach Geijer's Tode
1849 zum oi'dentlichen Professor der Geschichte befördert.
Im Jahre 1858 wurde er zum Mitgliede der Akademie der
Wissenschaften in Stockholm erwählt und 1859 in die
schwedische Akademie aufgenommen. Schon 1850 hatte
sich ihm auch ein parlamentarischer Wirkungskreis eröffnet.
Er wurde damals von der Universität zu ihrem Vertreter
im Keichstag erwählt und hat in dieser Eigenschaft bis 1863
allen Reichstagen beigewohnt.
Im Jahre 1868 legte er die Profe.ssur in Upsala nieder
und ging nach Stockholm, um als Staatsrath die Leitung des
Ministeriums der Kultusangelegenheiten zu übernehmen. Sieben
Jahre verharrte er in dieser Stellung und erwarb sich be-
sonders um das Schulwesen Schwedens grosse Verdienste-
Im Jahre 1870 trat er vom Ministerium zurück, musste aber
1875 dasselbe noch einmal übernehmen und weitere drei
278 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1888.
Jahre fortführen. lir/,wischeii war er aiieh im Reichstag
wieder mehrfach tliätig gewesen. An dem Keichstage von
1865 auf 186() nahm er als Vertreter der Akademie der
Wissenschaften Theil. Von 1873 au bi.s zu seinem Tode
war er Mitglied der ersten Kammer des Reichstags, in welche
er vom Landtag von Geüeborg-Län gewählt war. Wie ernst
er es mit seinen parlamentarischen Pflichten nahm , zeigte
sich noch wenige Tage vor seinem Tode. Als am 2. März
vorigen Jahres in der ersten Kammer des Reichstages eine
wichtige Abstimmung über die in Vorschlag gebrachten
Kornzölle erfolgte, Hess er sich vom Krankenbette zur Ab-
stimmungsurne tragen. Hier gab er nicht nur seine Stimme
gegen die Kornzölle ab, sondern verfolgte auch aufmerksam
das Scrutinium bis zum Schluss und war ül)er das ihm er-
wünschte Resultat hoch erfreut.
Ungeachtet seiner vielen politischen Geschäfte liess Carl-
son seine historischen Arbeiten nie aus dem Auge. Beson-
ders richtete er seine Studien auf die Geschichte Schwedens
unter den Königen aus dem pfälzischen Hause. Er sah sich
auch hier als den Nachfolger Geijer's an und wollte dessen
in schwedischer und deutscher Sprache veröffentlichte Ge-
schichte Schwedens, die im dritten Bande mit der Abdank-
ung der Königin Christine abschloss, weiter fortsetzen. In
unmittelbarer Anknüpfung an Geijer's Werk publicirte er
1855 in der von Heeren und Uckert herausgegebenen Euro-
päischen Staatengeschichte den vierten Band der Geschichte
Schwedens, welcher bald darauf auch in schwedischer Bear-
beitung unter dem besonderen Titel: „Sveriges historia under
konungarna af det phalzisca huset"' in zwei Bänden erschien;
die Regierung Karls X. und die ersten Zeiten Karls XI.
waren hier in sehr eingehender Weise dargestellt. Längere
Zeit mnssten dann die Arbeiten für die schwedische Ge-
schichte zurückstehen: erst als er 1870 aus dem Ministerium
schied, konnte er sich ihnen wieder ganz zuwenden. So
V. Giesehrecht : Nekrolorj auf Fredrik Ferdinand Carhon. 279
traten dann drei neue Bände des .schwedi.schen Werkes an
das Licht, und im Jahre 1874 wurde der fünfte Band der
tieschiehte Schwedens in der Europäischen Staatengeschichte
publicirt, der bis zum Tode Karls XI. reicht. Gleich darauf
wurden diese Arbeiten abermals unterbrochen, da Carlson
noch einmal in das Ministerium eintrat ; aber gleich nach
seiner Entlassung 1878 nahm er sie von neuem auf. Seine
AVjsicht war, in vier weiteren Bänden die Geschichte Karls XII.
darzustellen und damit das schwedische Werk zu vollenden,
aber leider hat er nur zwei von diesen Bänden selbst ver-
öffentlichen können. Auf meine dringenden Bitten entschloss
er sich noch vor Vollendung des schwedischen Werkes die
tieschichte Karls Xll. als sechsten Band der Geschichte
Schwedens in der Staatengeschichte zu bearbeiten. Er ging
sogleich daran, die beiden erschienenen Bände des schwedi-
schen Werks in verkürzter Darstellung für die deutsche Aus-
gabe umzugestalten und wollte diese als erste Hälfte des
sechsten Bandes publiciren; in kurzer Frist beabsichtigte er
dann die zweite Hälfte, die bis zum Tode Karls XII. führen
sollte, folgen zu lassen. Mit diesen Arbeiten ist er bis in
seine letzten Tage beschäftigt gewesen ; ehe noch die erste
Hälfte des sechsten Bandes der Geschichte Schwedens aus-
gegeben werden konnte , ging sein Leben zu Ende. Ein-
zelne für die Fortsetzung bestimmte Stücke haben sich in
seinem Nachlass vorgefunden ; es steht zu hoffen, dass sein
Sohn Dr. Ernst Carlson die Geschichte Karls XII. vollenden
Avird. Alle Schriften Carlson's über die Geschichte Schwe-
dens beruhen auf weitausgedehnten archivalischen Forsch-
ungen ; mit besonderer Sorgfalt ist die innere Entwickelung
des Reiches behandelt; die Darstellung zeichnet sich durch
Klarheit aus : sie gehören zu den werthvollsten Bereicher-
ungen der neueren historischen Literatur.
Carlson hat Deutschland wiederholt und gern bereist;
er war mit allen unsren wissenschaftlichen Bestrebungen
2 so Oe ff entliehe Sitzioifj vom 28. März 1888.
vertraut und hat sich , wie in seiner Heimat , auch bei uns
durch seine persönliche Liebenswürdigkeit viele Freunde er-
worben, die seinen Tod tief betrauern ^).
Am 10. April vorigen Jahres verschied zu Jena Dr. Wil-
helm Adolf Schmidt, Professor der Geschichte au der
dortigen Universität, seit 1874 auswärtiges Mitglied unsrer
Akademie.
Schmidt, am 26. September 1812 zu Berlin geboren,
erhielt seine gelehrte Vorbildung auf dem französischen Gym-
nasium daselbst und widmete sich dann auf der dortigen
Universität philologischen und historischen Studien. In der
Philologie waren besonders Böckh und Lachmann , in der
Geschichte Kaumer und h'anke seine Lehrer. Er war einer
der ersten Theilnehmer an den von Hanke veranstalteten
historischen Uebungen, wohnte jedoch denselben nicht stetig
bei, hauptsächlich wohl, weil sie damals wenig die Geschichte
des Alterthums berührten, auf welche seine Studien vorzugs-
weise gerichtet waren. Eng schloss er an Raumer sich an,
dessen politische Ansichten seiner eigenen liberalen Richtung
entsprachen. Hegel's Zuhörer ist er nicht mehr gewesen,
aber die Hegorsche Philosophie, wie sie zu jener Zeit die
Berliner Universität beherrschte, hat auch auf ihn tief ein-
gewirkt und seine Gesammtauffassuug der Geschichte wesent-
lich beeinflusst. Nach Vollendung seiner Studien wurde er
am 0. September IS.'U von der Rcrliucr philosophischen
Facultät zum Doctor promovirt.
Schmidt's Absicht war damals, sich dem Gyuniasiallelir-
amt zu widmen. Er unterzog sich deshalb der sogenannten
01)erlehrerprüfniig uml uiihTricIiti-ic dann unentgeltlich an
1) Benützt wurde der Nekrolog von R. Törnebladh in Pedago-
giak Tidakrift, 1887 p. 171—188.
V. Giesehrecht : Nekrolog auf Wilhelm Adolf Schmidt. 281
mehreren höhei'en Schulen Berlins. Für die Sicherung seines
Lebeiisunterhult^ war seine 1838 erfolirte Aiifnalinie in das
pädagogische Seniiuar wichtig und ihm um so erwünschter, als
das Seminar unter der Leitung seines ihm so wohlwollenden
Lehrers Bückh stand. Als Mitglied des Seminars wurden
ihm einige Lehrstuuden an dem Joachimstharschen Gymnasium
in Berlin übertragen , namentlich auch Unterricht in der
Geschichte. Er war ein geschickter Lehrer, der die Schüler
zu fesseln wusste und gute Erfolge erreichte. Dennoch ent-
schloss er sich bald, die eingeschlagene Laufbahn zu ver-
lassen. Ein Hauptgrund war wohl, dass er den körperlichen
An.strengungen, welche das Gymnasiallehramt verlangte, sich
nicht gewachsen glaubte ; denn er war von schmächtiger
und schwächlicher Leibesconstitution und bedurfte zur Er-
haltung seiner Gesundheit stets grosser Schonung. Ein an-
derer Grund wird darin gelegen haben, dass ihn die Arbeiten
für die Schule von seinen gelehrten Forschungen , in denen
er seine höchste Befriedigung fand, zu sehr abzuziehen schie-
nen. Er beschäftigte sich damals besonders mit methodischen
Untersuchungen der Quellen der alten Geschichte.
Er entschloss sich jetzt, es mit einer akademischen Lehr-
thätigkeit zu versuchen. Nachdem er an der Berliner Uni-
versität die Venia legendi erlangt, begann er 1841 seine
Vorlesungen. Sie betrafen zunächst die alte Geschichte,
dehnten sich aber allmählich auch über die späteren Zeiten
bis zur Gegenwart aus. Bald zeigte sich , dass er ein ent-
schiedenes Talent für das akademische Lehramt hatte. Sein
Vortrag war klar, anschaulich, den Bedürfnissen der Studi-
renden angemessen ; sie fühlten sich gefördert und wandten
ihm ihre Gunst zu. Wie ernst er daneben seine literarischen
Arbeiten betrieb, zeigte sein gelehrtes Werk : „Die griechi-
schen Papyrusurkunden der k. Bibliothek zu BerHn" (1842),
dessen Veröffentlichung ihm durch die Berliner Akademie
der Wissenschaften ermöglicht wurde; bisher ungenügend
282 OeffenÜiclie Sitzung vom 28. März 1888.
behandelte Partien fler alten (Tesehielite wnrrlen hier s^ründ-
lich erörtert und der Aegyptoloj^ie neue Quellen erschlossen.
Mit den jüngeren Historikern, die er in Ranke's Heb-
ungen kennen gelernt hatte, war er immer in freundschaft-
liehen Beziehungen geblieben, namentlich mit VVaitz, Dön-
niges. Wilmans, R. Köpke und mir, und in dieser Gemein-
schaft fasste er den Plan , eine Zeitschrift für Geschichts-
wissenschaft /n l)egründen. Nach langen Erwägungen und
nachdem auch die Theilnahme Böckh's, der Gebrüder Grimm,
Pertz's und Ranke's gewonnen und eine financielle Unter-
stützung von Seiten der Staatsregierung zugesichert war. trat
1844 unter Schmidt's Redaction die Zeitschrift hervor. Sie
entsprach einem wissenschaftlichen Bedürfniss und hat sehr
anregend gewirkt: die historischen Studien in Deutschland
gewannen durch sie einen literarischen Mittelpunkt, wie er
bis dahin gefehlt hatte. Das Hauptverdienst des Erfolgs
gebührte Schmidt, der durch seine Rührigkeit und durch die
Gewandtheit seiner Feder eine ganz besondere Befähigung
zur Kedaction besass.
Schmidt war in der angespanntesten wissenschaftlichen
Thätigkeit, und eine sehr verdiente Anerkennung derselben
war, dass er 1845 zum ausserordentlichen Professor ernannt
w\n-de, mit einem allerdings sehr kärglichen Gehalt. Schon
beschäftigten aber ihn, der von jeher die Vergangenheit in
ihren Einwirkungen auf die Gegenwart betrachtet hatte, auch
die socialen und |)olitischen Zeitfragen in hohem Masse. Als
1844 der Verein für das Wohl der :irl)eitenden Klasse ge-
gründet wurde, trat er demselben bei und bald auch in den
Vorstand des Berliner Localvereins ein. Zur Förderung der
Vereinszwecke veröffentlichte er 1845 die Schrift: „Die Zu-
kunft der arbeitenden Klassen und die Vereine für ihr Wohl."
Hier l)erührt er viele Fragen, die später immer von neuem
aufgeworfen siml inid l)ishci- nur /um kleinsten Theile ihre
r. Giesebrecht: Neliwlng auf Wilhelm Adolf Schmidt. 283
Lösung gefunden hal)en. Wenig später wurde noch von
andrer Seite sein ])olitisches Interesse angeregt. Im Jahre
184G tagte zu Franlcfurt am Main die sogenannte Germa-
nistenversammking. Schmidt gehörte zu denen , welche die
Einhidung zu dieser Versammlung hatten ergehen lassen,
nml hat dann in ihr eine nicht geringe Thätigkeit entfaltet,
auch ihr als Protokollführer gedient. Es waren Gelehrte,
die ihre Studien der deutschen Geschichte , dem deutschen
Rechte und der deutschen Sprache zugewandt hatten , die
sich hier über ihre gemeinschaftlichen wissenschaftlichen
Interessen und Bedürfnisse zu verständigen suchten : aber
wichtiger als die so gewonnenen Resultate war , dass das
Verlangen nach nationaler Kräftigung und Einigung in den
Verhandlungen deutlichen Ausdruck fand. Wie lebendig
die Politik Schmidt zu beschäftigen anfing , zeigt sich auch
in seinem 1847 erschienenen Werke: „Geschichte der Denk-
iind Glaubensfreiheit im ersten Jahrhundert der Kaiser-
herrschaft und des Christenthums." Dasselbe ruht auf gründ-
lichen Untersuchungen und giebt wichtige neue Aufschlüsse
über das geistige und literarische Leben des ersten Jahr-
hunderts, aber überall spricht sich in ihm der scharfe Gegen-
satz des Verfassers gegen die damals in Preussen herrschende
Politik aus.
Die Ereignisse des Jahres 1848 mussten Schmidt mit
der Hoffnung erfüllen . dass die liberale Sache in Preussen
vollständig den Sieg gewinnen und die politische Einigung
Deutschlands in einem festen Bundesstaate zu ermöglichen
sein werde. Die historischen Studien traten jetzt zurück,
die Zeiischrift für Geschichtswissenschaft ging ein , die
Politik beherrschte alle geistigen Bestrebungen und nahm
auch Schmidt ganz in Anspruch Obwohl er erst kurz
vorher durch seine Vermählung mit Araalie Holländer einen
eigenen Hausstand begründet hatte, beglückte es ihn , dass
er alsbald als Vertreter eines Berliner Wahlkreises in das
284 Oeffentlkhe Sitzung vom 38. März ISSS.
Frankfurter Parlament eintreten konnte. Er schloss sich der
Fraction des Württemberger Hofes an, in der man sich den
Tendenzen der Demokratie zuneigte. In den öffentlichen
Verhandlungen in der Paulskirche ist er wenig hervorge-
treten, dagegen ist er in seiner Fraction sehr thätig gewesen
und hat besonders für den Abschluss und die Durchführung
der Verfassung zu wirken gesucht. Aber eine Rundreise im
nördlichen und südlichen Deutschland , welche er im Früh-
jahr 1849 unternahm, überzeugte ihn, dass die Durchführ-
ung der Verfassung unmöglich sei, und brachte ihn zu dem
Entschluss, aus dem Parlament auszutreten.
Schmidt kehrte nach Berlin zurück und nahm seine
akademische Thätigkeit wieder auf. Im Sommersemester
1849 hielt er Vorlesungen über Ursprung und Anfang der
neuesten Revolution und erreichte damit einen ausserordent-
lichen Erfolg, der ihn zu öfterer Wiederholung derselben
veranlasste. Die Einigung Deutschlands erschien ihm noch
immer als das vor allem zu erstrebende Ziel; freilieh nicht
von j)arlameutarischen Beschlüssen , sundern von Thaten er-
wartete er jetzt die Einigung. Es schien ihm Pflicht, auf
die historischen Momente aufmerksam zu machen , wo
Preussen eine allgemeine deutsche Politik verfolgt hatte. In
diesem Sinne veröffentlichte er 1850 seine Schrift: „Preus-
sens deutsche Politik", die so grossen Anklang fand, dass
noch in demselben Jahre eine neue Auflage erforderlich war.
Zur Ergänzung dieser Schrift diente die 1851 erschienene
„Geschichte der preussisch-deutschen Unionsbestrebungen ",
in welcher er ein umfängliches Actenmaterial aus dem Ber-
liner Archive i)ublicirte. Ungeachtet der entschieden preussi-
schen Gesinnung, die aus diesen Werken sprach , war doch
damals auf seine Bet'iu-drriiiig /.um ordputlicheu Professor in
Preussen nicht zu rechnen. Desshalb nahm er, so schwer
er sich von Berlin trennt»'. 1851 einen Ruf an die Univer-
sität Zürich an.
V. Giesebrecht: NeTcrolofj nnf Wilhelm Adolf Schmidt. 285
In Zürich war Schmidt durch Vorlesungen stark in An-
spruch irenommen , /Ainial ihm auch der Lehrstuhl für Ge-
schichte am eidgenössischen Polytechnikum übertragen wurde.
Trotzdem war er nach wie vor auch literarisch thätig. 1854
erschien seine kleine Schrift: „Der Aufstand in Konstanti-
nopel unter Kaiser Justinian*", 1859 eine andere kleine Schrift:
„Elsass und Lothringen", die 1870 noch eine zweite und
dritte Auflage erlebte. Eine umfassendere Arbeit waren die
ebenfalls 1859 veröffentlichten , Zeitgenössischen Geschichten\
in denen er besonders auf Grund der Berichte der eidgenös-
sischen Gesandten in Paris und Wien interessante Darstell-
ungen der französischen und österreichischen Verhältnisse in
der Reaktionszeit gab. Ausserdem begründete er 1856 im
Verein mit anderen Gelehrten die Züricher Monatsschrift,
deren erste beide Bände er selbst redigirte; in dem ersten
Bande ist ein Aufsatz von ihm enthalten, in dem er unter
dem Titel „Diagnose das gegenwärtigen Zeitalters" seine
Ansichten über den Gang der Weltgeschichte entwickelte.
So angenehm Schmidt's Verhältnisse sich in Zürich ge-
stalteten, sehnte er sich doch nach Deutschland zurück und
folgte, als er auf die durch Droysens Weggang in Jena er-
leditrte Professur der Geschichte berufen wurde, gern diesem
Kufe. Im Sommer 1860 begann er in Jena seine Vorles-
ungen, die hier wie in Zürich dauernd lebhafte Theilnahme
fanden ; auch die historischen üebungen, die Droysen einge-
richtet hatte, setzte er fort und wusste durch dieselben streb-
same Studierende zu eigenen historischeu Forschungen zu
ermuthigen und anzuleiten. Unausgesetzt war er überdies
mit literarischen Arbeiten beschäftigt, zunächst mit der über-
nommenen Neubearbeitung der Becker'schen Weltgeschichte.
Dann griff er 1864 mit der kleinen Schrift: „Schleswig-
Holsteins Geschichte und Recht" wieder in eine brennende
Frage der Tagespolitik ein. Im Jahre 1867 veröffentlichte
er die dritte Auflage seines Buchs über „Preussens dänische
1888. Philos.-philol. u. bist. Ol. 2. 19
286 OeffentUche Sitzung vom 28. März 1888.
Politik", der er eine unmittelbar die Zeitereignisse betreffende
Erweiterung gegeben hatte. Noch in demselben Jahre be-
gann er die Publikation des umfangreichen Materials zur
Geschichte der französischen Revolution, welches er aus den
officiellen Polizeiberichten im Pariser Staatsarchiv gesammelt
hatte. Das Werk, welches den Titel führte: „Tableaux de
la revoliition fran(;aise, pablies sur les papiers inedits du de-
partement et de la police secrete de Paris", erschien in drei
Bänden 18()7 — 1870. Es wurde durch dasselbe ein tiefer
Einblick in die Zustände der Pariser Bevölkerung während
der Revolutionszeit gewährt und historische Legenden als
solche erwiesen. In unmittelbarem Zusannnenhange mit dieser
Publikation stand sein ebenfalls dreil)ändiges Werk , Pariser
Zustände während der Revolutionszeit von 1789 — 1800", wel-
ches in den Jahren 1874—1870 an das Licht trat. Unter
dem Titel: „Epochen und Katastrophen" veröffentlichte er
1874 eine Sammlung älterer und neuerer Arbeiten, die durch
Stoff und Darstellung die Aufmerksamkeit des grösseren Pub-
likums zu fesseln vermochten : Perikles und sein Zeitalter,
derNika-Aufstaud unter Justiniau, Don Carlos und Philipp IL
Noch einmal ist Schmidt in das ]>arlauientarische Leben
eingetreten. In den Jahren 1874—1876 war er Vertreter
des dritten Weimar'schen Wahlkreises im deutschen Reichs-
tag. Er schloss sich der national-liberalen Partei an , hat
aber au den Verhandlungen des Reichstags keinen hervor-
ragenden Antheil genommen. Gern kehrte er zu seinen ge
lehrten Studien zurück, die sich jetzt wieder ganz der alten
Geschichte zuwandten. Eine Frucht dieser Studien war das
zweibändige Werk: „Das Perikleische Zeitalter", 1877 und
1879 erschienen. Dann vertiefte er sich in schwierige Unter-
suchungen ül)er die griechische Chronologie. Ein Lehrlxich
der griechischen Chronologie wurde noch im Wesentlichen
zum Abschluss gebracht und mit dem Druck desselben be-
gonnen. Die Beendigung des Drucks h.it er nicht mehr er-
r. Giesehrecht : Nekrolog auf Wilhelm Adolf Schmidt. 287
lebt ; das Werk, dessen Herausgabe nach des Verfassers Tode
Fr. Rühl übernaliiii . ist erst kürzlich in den Buchhandel
u;ekoninien.
Bis in das Alter hat Schmidt seiner akademischen Lehr-
thätijsfkeit mit gleicher Treue und immer gleichem Erfolge
obgelegen. Bei zunehmender Kränklichkeit gab er die Heb-
ungen auf, setzte aber die Vorlesungen bis zum Sommer-
semester 1883 fort. Sein Doctorjubiläum im Jahre 1884
zeigte, wie grosse Anerkennung er sich in weiten Kreisen
gewonnen hatte. Im Winter 1886 — 1887 steigerten sich
seine körperlichen Leiden in bedenklicher Weise , dennoch
schien er unter der sorgsauien Pflege seiner Gattin sich noch
einmal zu erholen. Aber seine Tage waren gezählt; am
30. April schloss er die Augen.
Schmidt's literarische Thätigkeit ist eine sehr ausge-
dehnte gewesen. Ausser den genannten Büchern hat er noch
zahlreiche grössere und kleinere Artikel für historische, philo-
logische und politische Zeitschriften geschrieben. Nach seiner
durch und durch kritischen Natur ist er den Ansichten An-
derer oft scharf entgegengetreten, dagegen war auch er
manchen literarischen Angriffen ausgesetzt. Mag er im Ein-
zelnen nicht immer das Richtige getroffen haben. Niemand
wird doch verkennen, dass er, wie durch seine Katheder-
vorträge, so auch durch seine schriftstellerische Thätigkeit
in hohem Grade anregend auf das historische Studium in
Deutschland gewirkt hat und ihm unter den Geschichtsfor-
schern unsrer Zeit ein Ehrenplatz gebührt ^).
1) Benutzt sind der Nekroloo; von üietr. Schäfer in der Allg.
Zeitung 1887 Beilage Nr. 140, der anonyme ausführliche Nekrolog
im Jahresberichte über die Fortschritte der klassischen Alterthuma-
wissenschaft 1887 Vierte Abtheilung S. 1—34, und der Nekrolog
von Ott. Lorenz in der Zeitschrift fär Thüringische Geschichte und
Alterthumskunde. Bd. XIII S. 299—321.
19-
288 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1888.
Am 27. April vorigen Jahres starb zu Aachen der wirk-
liche Geheime Kath Dr. Alfred von Reumont, seit 1853
correspondirendes , seit 1858 auswärtiges Mitglied unserer
Akademie.
Reumont, am 15. August 1808 zu Aachen geboren, war
der älteste Sohn des dortigen Medicinalrathes und Brunneu-
arztes Gerhard Reumont, eines vielseitig gebildeten Mannes.
Der Vater hatte nach längerem Aufenthalt in Frankreich
und England in Aachen sein Haus begründet, welches dort
der Mittelpunkt vieler angesehenen Fremden verschiedener
Nationalitäten wurde. Der Knabe gewann hier Eindrücke,
die auf seinen ganzen Lebensgang von Einfluss gewesen sind.
Schon früh lernte er fremde Sprachen, begann die Werke
der deutschen , französischen und englischen Klassiker zu
lesen und versuchte sich in eigenen literarischen Arbeiten.
Im Alter von 18 Jahren bezog er die Universität Bonn, um
nach dem Willen des Vaters Medicin zu studiren, aber seine
Neigung zog ihn zu der Belletristik und rechten Geschmack
konnte er weder hier , noch in Heidelberg, wohin er sich
1828 begab, dem medicinischen Studium abgewinnen. Seine
Vorliebe für historische Studien entwickelte sich besonders
im Umgange mit Schlosser, in dessen Haus er Eingang fand.
Der Tod des Vaters im Sommer 1828 unterbrach plötzlich
seine Universitätsstadien. Seine Familie war in nichts we-
niger als glänzender Lage, und er darauf angewiesen, seinen
Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Er ertheilte Privat-
unterricht und suchte sein schriftstellerisches Talent in .lour-
nalarbeiten zu verwerthen.
Im Jahre 1829 veröffentlichte er sein erstes Buch :
„Aachens Sagen und Liederkranz". Noch in demselben Jahre
erhielt er eine ihm sehr willkommene Einladung, bei der
seinem Vater befreundet gewesenen schottischen Familie
Cranfurd in Florenz eine Hauslehrerstelie zu übernehmen,
V. Griesehrecht : Nel-mlar/ auf Alfred r. Benmnnt. 289
bis sich in Italien für ihn günstigere Aussichten eröffnen
würden. Am 25. Deceniher 1829 hingte er in Florenz an,
welches er später als seine zweite Heimath lieben lernen
sollte. Nur kurze Zeit blieb er in dem Cranfurd'schen Hause.
Bald erlangte er eine ihm zusagende Verwendung als Privat-
sekretär des damaligen preussischen Gesandten in Florenz,
von Martens. Er gewann Uebung in den diplomatischen
Geschäften und fand Gelegenheit, sich mit den Verhältnissen
Toscanas vertraut zu machen. Mit allen hervorragenden
Florentinern, namentlich mit dem Marchese Gino Capponi,
kam er in anregenden Verkehr, nicht minder mit zahlreichen
Fremden von geistiger Bedeutung, die auf kürzere oder län-
gere Zeit in Florenz Aufenthalt nahmen. Vielfach förder-
lich war ihm die Bekanntschaft mit dem Buchhändler J. P.
Vieusseux, dessen Lesekabinet und Haus damals gleichsam
den Sammelplatz des literarischen Lebens in Florenz bil-
deten. Für die von Vieusseux begründete Zeitschrift ,Anto-
logia" hat Reumont seine ersten Arbeiten in italienischer
Sprache geliefert.
Als 1832 von Martens als Gesandter nach Konstanti-
nopel versetzt wurde, folgte ihm Reumont dorthin, kehrte
aber schon im Sommer 1833 nach Florenz zurück, wo er
bei dem nunmehrigen preussischen Geschäftsträger Graf Schaff-
gotsch in eine ähnliche Stellung trat, wie bei dessen Vor-
gänger. Nach zwei Jahren ging er dann nach Berlin, um
sich um eine Staatsanstellung zu bemühen. Im Frühjahre
1836 wurde er zum Geheimen expedirenden Sekretär im
Ministerium des Auswärtigen ernannt, bald aber nach Florenz
zurückgeschickt, um bei der dortigen Mission Hilfe zu leisten.
Auf Bunsen's Ansuchen wurde er dann nach Rom gesandt,
kehrte jedoch nach dessen Abgang 1838 auf seinen floren-
tinischen Posten zurück, auf dem er freilich nur kurze Zeit
verweilte; denn schon im nächsten Jahre musste er wieder
nach Rom gehen, um dort die Geschäfte des Legationssekre-
290 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1888.
tärs zu übernehmen. Bis zum Juni 1843 verblieb er in
Rom, dann begab er sich nach Berlin, wo ihm die Stellung
eines Legationsrathes im auswärtigen Ministerium mit Ver-
wendung im Kabinet des Königs übertragen wurde.
Inzwischen hatte sich der literarische Ruf des jungen
Diplomaten befestigt. In Erlangen war er 1833 /um Doctor pro-
movirt worden ; mehrere florentinische gelehrte Gesellschaften
hatten ihn unter ihre Mitglieder aufgenommen und nach
und nach gewährten fast alle Akademien Italiens ihm die
gleiche Ehre. Die ausgedehnten Verbindungen , in welche
ihn seine Stellung zu Gelehrten aller Nationalitäten brachte,
förderten vielfach auch seine literarischen Arbeiten welche
sich fast ausschliesslich auf die Geschichte , die Kunst und
Wissenschaft Italiens bezogen und bei denen er sich bald
der italienischen , bald der deutschen Sprat-he bediente. In
den vier Bänden, welche er unter dem Titel: „Römische
Briefe von einem Florentiner* 1840 — 1844 herausgab, suchte
er in gefälliger Form die Leser über Rom und die Campagua
zu unterrichten ; das Buch ist nicht streng wissenschaftlich
gehalten, enthält aber einen sehr reichen historischen Stoff.
Zu derselben Zeit entstanden die „Tavole chronologiche e sin-
crone della storia Fiorentina" (1841), ein noch jetzt brauch-
bares Hülfsmittel für die florentinische Geschichte und ver-
schiedene Arbeiten für das ,Archivio storico italiano", welches
von 1842 an von Vieusseux herausgegeben wurde. Schon
damals begann sich Reumont als Vermittler zwischen der
italienischen und deutschen Geschichtswissenschaft ein nicht
geringes Verdienst zu erwerben.
Die nächsten .Jahre, welche Reumont meist in der Um-
gebung König Friedrich Wilhelms IV. verlebte, waren wohl
die glücklichsten seines Lebens. Sein Verhältniss zum Könige
gestaltete sich auf das freundlichste. Die künstlerischen und
wissenschaftlichen Interessen Reumont's begegneten sich viel-
fach mit denen des Königs, der auch für Italien , seine Ge-
V. Giesebrecht : NeVrolnf/ auf Alfred i\ Remmiit. 201
schichte und Kultur eine orrosse Vorliebe hatte. Der Koni«:?
fühlte sich im Gespräch mit Heumont. der steis Neues und
in einer ihm durchaus zusagenden Furm vorzutragen wusste,
immer angeregt und befriedigt. Die Gunst des Königs ver-
half Reumont auch zu einer gewissen Intimität mit der könig-
lichen Familie, die ihm dauernd sehr freundlich gesinnt blieb.
Manche Auszeichnungen wurden ihm zu Theil, auf welche
er nicht geringes Gewicht legte ; auch in den Adelstand
wurde er erhoben. Er sonnte sich in der königlichen Gnade ;
lebhaften Antheil nahm er an den schönen Hoffesteu , zu
denen er auch selbst poetische Arbeiten liefern durfte. Wieder-
holt blieb ihm auch Zeit, seiner Reiselust zu genügen. Im
Sommer 1844 besuchte er die Schweiz und Oberitalien, in
den beiden folgenden Sommern England und im Herbst 1847
wieder Oberitalien, wo er mit dem Könige zusammentraf und
ihn einige Zeit begleitete. Dann ging er nach Florenz und
Rom, wo er Vieles verändert fand. Die alten Verhältnisse
in Italien lösten sich auf; man versuchte mit wenig Glück
neue staatliche Ordnungen zu gründen und Oesterreich aus
Italien zu verdrängen. Inmitten feindlicher Heere trat Reu-
mont die Rückreise nach Deutschland an. Aber inzwischen
hatte sich auch hier Alles umgestaltet.
Als er nach Frankfurt kam. tagte dort die deutsche
Nationalversammlung; als er nach Berlin gelangte, dort die
preussische Nationalversammlung. Der König empfing ihn
mit dem höchsten Wohlwollen, aber die alten Zeiten am
Hofe kehrten nicht wieder. Eine tiefe Niedergeschlagenheit
hatte sich des Königs und Aller, die ihm nahe standen, be-
mächtigt. Auch Reumont, den ich damals zuerst sah, war
in der gedrücktesten Stimmung; er hielt seine diplomatische
Laufbahn, in die er mit so viel Glück eingetreten war, für
beendet und glaubte einer ungewissen Zukunft entgegensehen
zu müssen. Die Sache gestaltete sich günstiger, als er er-
wartet hatte. Schon nach kurzer Zeit wurde er als Lega-
292 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1888.
tionsrath der Gesandtschaft in Rom heij^egeben. Als er im
Januar 1849 mit dem zum Gesandten ernannten Grafen
Usedom nach Rom kam, herrschte dort die Revolution ; der
Papst war nach Gaeta entflohen, wohin auch Graf Usedom
und Reumont ihm folgen mussten. Erst als der Papst wieder
seinen Ein'/ug in Rom hielt, kehrte auch Reumont. im April
1850, dorthin zurück. Im Sommer 1851 ging er dann auf
den Wunsch des Königs nach Berlin , wurde aber gleich
darauf zum preussischen Geschäftsträger in Florenz ernannt.
Im December 1851 trat Reumont sein neues Amt an.
So befriedigend es für ihn sein musste, jetzt in selbständiger
Weise dort zu walten, wo er einst in sehr bescheidenen Ver-
hältnissen in die diplomatischen Kreise eingetreten war und
wo er immer die alten freundschaftlichen Beziehungen unter-
halten hatte, waren die politischen Zustände doch damals
für ihn nichts weniger als erfreulich. Gern kehrte er des-
halb im Sommer 1855, einem Wunsche des Königs entspre-
chend, nach Deutschland zurück und verblieb dort, meist im
königlichen Gefolge, bis zum Oktober, wo er auf seinen
Posten zurückkehren musste. Doch schon im Mai 1856 war
er wieder in Berlin, da der König schwer eines Umganges
entbehrte. Er begleitete dann den König nach Marienbad,
und sein Umgang wirkte vortheilhaft auf die Stimmung des
damals schon kranken Monarchen. Auch Reumont selbst
war damals leidend ; von Jugend auf von schwacher Gesund-
heit und öfters asthmatischen Beschwerden unterworfen, wurde
er in Marienbad von einem so starken Anfalle seines Leidens
heimgesucht, dass man in grosse Besorgniss um ihn gerieth.
Auch im nächsten S(mimer war Heumont wieder in Marien-
bad in der Umgebung des Königs, und im Sommer 1858
wurde er nach Tegernsee beschieden , wo der König damals
Heilung suchte. Reumont folgte .seinem schwer kranken Herrn
erst nach Sanssouci, dann auf der italienischen Reise im
Winter 1858 auf 1859. Die Reise schien einen günstigen
V. Giesehrecht : Nelcrolog auf Alfred r. Beumont. 293
Einfluss auf den König geübt zu haben. Am 30. April 1859
verabschiedete sich Renniont zu Rom von dem nach Deutsch-
land zurückkehrenden König. Noch einmal begab er sich
auf seinen Posten nach Florenz , um Augenzeuge ihn
schwer betrübender Ereignisse zu sein. Mit dem Einzüge
Victor Emanuels in Florenz war seine Mission beendet; im
April 1860 verliess er Florenz und begab sich nach Berlin.
Noch mehrmals sah er den König, der schon seinem Ende
entgegenging. Nachdem er sich von ihm verabschiedet, trat
er eine Rheinreise an und ging dann nach Rom — doch
nicht mehr in amtlicher Stellung, da er bei dem Einziehen
der meisten Gesandtschaften in Italien zur Disposition ge-
stellt war. Die Nachricht von dem Tode seines königlichen
Gönners erhielt er in Rom. Mit dem Leben des ihm so
gnädigen Fürsten hatte auch Reumont's diplomatische Lauf-
bahn ihren Abschluss gefunden. Er hat sich später noch
um den Gesandtschaftsposten in Rom beworben , aber ver-
geblich. Er empfand das als eine persönliche Kränkung,
aber er wusste sich damit zu trösten, dass er sich nun ganz
seinen literarischen Arbeiten hingeben konnte.
Diese Arbeiten hatte er nie ruhen la.ssen. Wie reichlich
er inmitten eines vielbewegten Lebens seine Mussestunden
auszunützen verstand, zeigen seine Schriften: „Ganganelli,
seine Briefe und seine Zeit" (1847), ,Die Carafa von Mad-
daloni" (2 Bände 1851), , Beiträge zur italienischen Ge-
schichte" (»1 Bände 1853 — 1857), „Die Jugend Catarinas de'
Medici" (2 Bände 1854-1856), ,Die Gräfin Albany" (2
Bände 1859), „Della diplomazia italiana dal secolo XIII al
XVI* (1858) und verschiedene Beiträge zu dem Archivio
storico italiano. Als er nun ganz seinen Studien leben
konnte, sammelte er zunächst eine Anzahl kleinerer, die Zeit-
geschichte betreffender Arbeiten und gab sie unter dem
Titel , Zeitgenossen" (2 Bände 1862) heraus. Bald aber
nahm ihn eine grössere Arbeit ganz in Anspruch. König
294 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1888.
Maximilian II. fühlte damals das Bedürfniss einer übersicht-
lichen, etwa zwei Bände umfassenden Geschichte Roms, die
den Laien ermöglichen sollte, sich besonders über die Monu-
mente der Stadt zuverlässige Belehrung 7a\ verschaffen. Man
machte den König darauf aufmerksam , dass Reumont mit
dem Stoff eines solchen Werkes vollständig vertraut und
vielleicht zur Bearbeitung desselben geneigt sei. Der Zufall
wollte, dass Reumont zu dieser Zeit, im Frühjahr 1863, auf
einer Reise München berührte ; als ihm hier der Wunsch
des Königs eröffnet wurde, ging er auf das ihm gemachte
Anerbieten ein. Sofort machte er sich an die Arbeit. Noch
in Rom begann er das Werk, setzte es dann in Aachen,
wohin er 1863 übersiedelte, fort und brachte es 1870 in
Bonn zum Abschluss. Die , Geschichte der Stadt Rom"
(4 Bände 1866—1870) entspricht nicht ganz dem ursprüng-
lichen Plane; der Verfasser glaubte seine Aufgabe gründlichst
lösen zu sollen, und das Buch wuchs dadurch zu einem Um-
fange, der die Verbreitung beeinträchtigen musste. Als eine
Art Reisehandbuch, wie Anfangs beabsichtigt war, konnte
das Werk nicht dienen, aber es ist ohne Frage eine ver-
dienstliche und dankeuswerthe Leistung.
Die .lahre 1868—1878 waren die schaöensfreudigsten
hl Reumont's Leben. Er hatte sich in Bonn ein Haus ge-
kauft, wo er und zwei bei ihm lebende Schwestern — er
war nie verheirathet — Alles nach ihrem Gefallen einge-
richtet hatten und einen anregenden Verkehr unterhielten.
Hier lebte er ganz seinen literarischen Arbeiten. Gleich
nach der Beendigimg der Geschichte Roms machte er sich
an ein neues Werk, welches in ihm viele theure Erinner-
ungen wachrief. Es sollte die Glanzzeit von Florenz dar-
stellen und erschien 1847 unter dem Titel : „Lorenzo de' Me-
dici" (2 Bände), wohl die vollendetste Arbeit Reumont's.
Eine so beifällige Aufnahme fand das vortreffliche Buch,
dass 1883 eine neue Auflage nöthig wurde. In unmittel-
V. G-if sehrecht : NeVrolog auf Alfred v. Beumont. 29o
barem Anschluss an dasselbe bearbeitete dann Reumont für
die von mir heraut^gegebene „Geschichte der Europäischen
Staaten* die , Geschichte Toscanas seit dem Ende des tioren-
tinischen Freistaats*" (2 Bände 1876, 1877), ein sehr nütz-
liches Werk, 7Ai welchem er wie kaum ein andrer deutscher
Gelehrter befähigt war. Gleichzeitig traten noch eine An-
zahl grösserer und kleinerer Arbeiten an das Licht.
Im Jahre 1878 kehrte Reumont nach seiner Vaterstadt
Aachen zurück, wo er sich inzwischen ein Haus hatte bauen
lassen. Er gründete hier einen historischen Verein . für den
er trotz seines Alters noch vielfach thätig war. Dabei be-
hielt er aber seine eigenen literarischen Arbeiten immer im
Auge. 1878 gab er eine Sammlung , Biographischer Denk-
blätter" heraus, 1880 «lie werthvolle Biographie Gino Cap-
poui's, seines alten Freundes, den er noch bis zum Lebens-
ende fast alljährlich aufgesucht hatte. In demselben Jahre
erschien auch eine Sammlung italienischer Aufsätze unter
dem Titel: „Saggi di Storia e Litteratura* und in den beiden
folgenden Jahren das Lebensbild der Vittoria Colonna und
eine neue Sammlung unter dem Titel: , Kleine historische
Schriften." Am 4. Mai 1883 feierte Reumont unter grosser
Theilnahme sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum. Bald her-
nach auf einer Heise nach Frankreich befiel ihn plötzlich
ein schweres Augenleiden . welches nach einiger Zeit die
Entfernung des einen Auges noth wendig machte. Das Un-
glück traf ihn um so schwerer, als er gerade damals mit
der Vollendung eines literarisches Denkmals für seinen könisf-
liehen Gönner beschäftigt war. Das Buch: „Aus König
Friedrich Wilhelms IV. gesunden und kranken Tagen" (1884)
ist wohl viel gelesen worden, entsprach jedoch nicht ganz
den gehegten Erwartungen.
Am 28. Juni 1883 waren 50 Jahre seit dem Eintritte
Reumont's in den preussischen Staatsdienst verflossen; dieser
Deuktag seines Lebens wurde dadurch bezeichnet, dass ihm
296 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1888.
der Titel eines Wirkliehen Geheimen Rathes verliehen wurde.
Auch jetzt legte er die Feder nicht ganz aus der Hand. 1886
liess er noch eine Sammlung meist älterer Aufsätze unter
dem Titel: „Charakterbilder aus der neueren Geschichte
Italiens" erscheinen. Aber bald musste er die ihm liebe
Arbeit aufgeben. Im November 1886 traf ihn ein Schlag-
anfall und im Mai 1887 ging sein Leben zu Ende.
Nicht ohne Verwunderung blickt man auf den Lebens-
gang Keumont's zurück. Aus sehr bescheidenen Verhält-
nissen hervorgegangen, ohne alle anziehenden äusseren Vor-
züge, gewinnt er sich Ansehen und Achtung in den höchsten
Kreisen der Gesellschaft; ohne die gewöhnliche bureau-
kratische Schule durchgemacht zu haben, erlangt er ehren-
volle Stellungen in der diplomatischen Welt; ohne sich je-
mals einer strengwissenschaftlichen Schulung unterworfen zu
haben, wird er nicht nur ein höchst fruchtbarer Geschichts-
schreiber, sondern schuf auch Werke , denen ein dauernder
Werth beizumessen ist. Das Alles ist ausserordentlich, und
mag sich auch Manches durch die Gunst zufälliger Umstände
erklären lassen, in der Hauptsache werden solche Erfolge
doch nicht ohne eine seltene geistige Beanlagung zu ge-
winnen sein. Am wenigsten wird man sagen können, dass
Reumont von den Zeitströmungen gehoben .sei. Tn seiner
politischen und kirchlichen Ueberzeugung stand er den die
Zeit beherrschenden liberalen Tendenzen feindlich gegenüber,
wenn er auch Weltmann genug war, um seinen Gegensatz
jiicht schroff herauszukehren, und vielfach in vertrautem Um-
gang mit Mäimern lebte, deren Ansichten von den seinen
weit abwichen^).
1) Benützt ist besonders der an.sf'ührliche Nekrolog von U. 1 lütter
in der Allgemeinen Zeitung 1887 Beilage Nr. 235—241 ; ausserdem
der Nekrolog von K. von Höfler in dfMn Historisclien Jahrbuch der
Görres-Gesellschaft 1888 S. 49 ü.
r. Giesebrecht: Nelrolog auf Giovanni Gozzadini. 29/
Am 25. August vorigen Jahres verschied auf seiner
Villa Ronzano bei Bologna Graf Giovanni Oo/zadini,
Senator des Königreichs Italien, seit 1878 auswärtiges Mit-
glied unserer Akademie.
Giovanni Gozzadini entstammte einem der ältesten und
l)erühmtesten (jeschlechter Bolognas, welches durch acht
.Jahrhunderte bedeutende Männer im Staat und in der Wissen-
schaft, namentlich des Rechts, hervorgebracht hat. Er war
im Jahre 1810 zu Bologna geboren, als der Sohn des Grafen
Giuseppe Gozzadini und der Donna Laura Papafava aus
dem Hause der Carrara Paduas. In seiner Jugend beschäf-
tigte er sich besonders mit ritterlichen Uebungen. Eine
Waffensammlung, welche er sich anlegte, führte ihn dann
zu geschichtlichen Forschungen , die sich zuerst besonders
auf das Mittelalter bezogen. 1835 veröffentlichte er die Bio-
graphie des Armanciotto de' Ramazzotti, eines Condottiere des
15. Jahrhunderts, 1839 eine aus archivalischem Material ge-
schöpfte Monographie über Giovanni II. Bentivoglio.
Im Jahre 1844 entdeckte er auf seinem Gate Villanova
einen Friedhof, den er den Etruskern zuschrieb , und \väd-
mete sich nun mit Vorliebe prähistorischen Studien. Andere
wichtige Entdeckungen, die er machte, wie der Nekropole
von Marzabotto bei Bologna, erregten Aufsehen und führten
ihn inmier tiefer in diese Studien. Im Jahre 1868 gab er
>eine Studj archeologico - topografici sulla cittä di Bologna
heraus und verfasste eine Reihe von Abhandlungen über die
etruskischen Nekropolen , die er 1871 dem anthropologisch-
archäologischen Congress zu Bologna, den er als Präsident
eröffnete, in Vorlage brachte. Durch seine Entdeckungen
war die Erweiterung und Neuordnung des berühmten Museo
civico delle antichitä in Bologna nothwendig geworden ; als
Generaldirector des Museums leitete er die Arbeiten , die
1881 zum Abschlnss kamen, wo er die Genugthuung hatte,
das vollendete Werk einzuweihen.
298 Oeffentliche Sitziwq vom 28. März 1888.
So sehr ihn die prähistorischen Studien beschäftigten,
Hess er doch die Geschichte des Mittehilters nicht aus den
Augen. So veröffentlichte er 1851 die Cronaca di Ronzano,
eines alten Klosters der Frati Gaudenti , welches in seinen
Besitz gekommen war und wo er sich eine Villa eingerichtet
hatte. Vier Jahre später erschien dann sein grosses Werk:
, Delle Torri gentilizie di Bologna; dasselbe enthält den auf
gründlichen Forschungen beruhenden Nachweis der Burgen
und Paläste der zahlreichen Adelsgeschlechter Bolognas nebst
geschichtlichen Notizen über diese Geschlechter und ist als
eine der wichtigsten Arbeiten für die Geschichte Bolognas
zu bezeichnen.
Gozzadini's literarische Thätigkeit ist eine sehr rege
gewesen. Viele seiner Abhandlungen sind in den Publi-
cationen der für die Provinzen der Erailia eingesetzten
königlichen Deputation der vaterländischen Geschichte, deren
Präsident er seit 18G2 war, gedruckt worden. Die Ver-
dienste Gozzadini's beruhen jedoch vor Allem in den neuen
Impulsen, welche er der Archäologie, Topographie und Ge-
schichte Bolognas gab. Der Aufschwung der Studien dieser
Richtung ist hauptsächlich ihm zu verdanken, nicht minder
die Erhaltung mancher werthvoUen Denkmäler aus den alten
Zeiten Bolognas.
Einem Manne von solcher gesellschaftlichen Stellung,
der sich auch in der Wissenschaft einen geachteten Namen
erworben hatte, konnten grosse Auszeichnungen und allge-
meine Verehrung nicht fehlen. Sein Haus war ein Sammel-
punkt der patricjtischen Geister und der Gelehrten Italiens.
Schwer traf ihn im Jahre 1881 der Verlust seiner hochge-
bildeten und vielgefeierten Gemahlin Maria Teresa di Serego-
Allighieri vom Hause Dante in Verona, deren Andenken er
in einer 1882 publicirten und 1884 in neuer Auflage er-
schienenen Biographie verherrlichte.
V. Giesebrecht: Nekrolog auf Lnnr. Phil. Charl. v. d. Bergh. 299
Mit Giovanni Goz/adiiii erlosch eines der berühmtesten
historischen Geschlechter Italiens. Das sehr wichtige Archiv
des Hauses wird hoffentlich der Stadt Bologna erhalten
bleiben ^).
Am 17. September vorigen Jahres starb im Haag der
königliche Reichsarchivar Laurent Philippe Charles van
den Bergh, seit 1869 auswärtiges Mitglied unsrer Akademie.
Van den Bergh, geboren am 20. Juni 1815 zu Düssel-
dorf, machte seine Studien auf der Universität zu Utrecht
und wurde dort zum Doctor der Rechte promovirt. Er trat
dann l)ei dem Reichsarchiv im Haag ein , bekleidete dort
mehrere Stellungen und wurde nach dem Tode von Bak-
huizen van den Brink 1809 zum Reichsarchivar ernannt.
Seine schriftstellerische Thätigkeit ist eine ausgedehnte
gewesen. Die ersten Arbeiten van den Bergh's liegen mehr
auf dem schönwissenschaftlichen, als dem historischen Gebiet,
später aber wandte er sich vorzug'^weise historisch-archivali-
schen Studien zu. Nachdem er 1838 im Auftrage seiner
Regierung in den franzö>ischen Archiven Forschungen ange-
stellt hatte, gab er 1840 über die Resultate derselben einen
Bericht heraus und setzte dann seine geschichtlichen Studien
in den holländischen, belgischen , deutschen und englischen
Archiven fort. Die Frucht dieser Studien sind eine Anzahl
grösserer Urkundenwerke, die ihm in der gelehrten Welt
einen hochgeachteten Namen machten. Unter ihnen sind
besonders zu nennen : „Gedenkstukken tot opheldering der
Nederlandsche geshiedenis" (3 Bände 1842—1845), ,Het
Nederlandsche Rijks-archief , verzaraeling van onuitgegeven
Gorkonden eu besluiten voor de geschied enis des Vaderlands'
1) Benutzt sind : An.£(. de Gubernatis. Dizionario biografico degli
scrittori contemporanei p. 526. 527 und Mittheilungen des Herrn
Dr. Ferd. (jregoroviua.
300 OeffentUche Sitzunp oom 28. März 1888.
(gemeinschaftlich mit Bakhuizen van den Brink und de Jonge
herausgegeben 1857), „Oorkondeubiiek voor Holland en Zee-
land" (herausgegeben im Auftrage der ndl. Akademie der Wis-
senschaften 1863). Aus^n-dem hat er werthvoUe Beiträge zur
niederländischen Mythologie und Heraldik veröffentlicht und
sich durch kritische Editionen und Erläuterungen mittelalter-
licher Dichtungen Verdienste erworben. Mit grosser Bereit-
williokeit hat er die Nachforschungen deutscher (belehrten
in den niederländischen Archiven unterstützt^).
Am 19. Mai vorigen Jahres verstarb zu Leipzig der
Geheime Hofratli Professor Dr. Johann Ernst Otto Stobbe,
seit 1885 correspondirendes Mitglied unsrer Akademie.
Stobbe wurde am 28. Juni 1831 zu Königsberg in
Preussen geboren. Der Vater, ein städtischer Beamter, lebte
in beschränkten Verhältnissen, war aber auf die geistige
Ausbildung seiner Kinder sorgsam bedacht. Schon auf dem
Gymnasium that sich Stobbe unter seinen Mitschülern her-
vor und trieb mit grossem Eifer das Studium der alten
Sprachen und der Geschichte. Im Jahre 1849 bezog er die
Universität seiner Vaterstadt und wandte sich, zunächst der
Philologie zu, ging aber l)ald . da er keine Neigung /um
Schulfache hatte, zur Juris|)rudenz über. Zunächst lag er
romanistischen Studien unter Sanio's Leitung ob, zu dem er
auch ein nahes persönliches Verhältniss gewann und dem er
stets in dankbarer Liebe verbunden l)lieb. In das Studium
des deutschen Rechtes führte ihn Johannes Merkel ein, der
sich des strebsamen Jüngers ganz besonders annahm. Bei
dt'i- l'reisvertheilung 1852 wurde nicht nur der von der
juristischen Facultät ausgesetzte Haujjtpreis Stobbe zuerkannt,
1) Benützt wurde: HiofrnvphiHch \\'oor(lenboek der Nord- en
Suid-Nederlaudsche Letterkunde door Huberts, Klberts en van den
Branden p. 56.
r. Giesebrecht : Nekrnla;/ mif Johann Ernnt Ottn Stnhhe. 301
sondern auch ein andrer Preis, welchen die philosophische
Facnltät für die Lösany; einer archäolo<Tfischen Aufgahe aus-
geschrieben hatte. Die Liebe zu den klassischen Studien war
in Stobbe nicht erloschen, aber doch stand schon sein Ent-
schluss fest, sich ganz der Erforschung des deutschen Rechts
zu widmen und ein akademisches Lehramt zu erstreben. Der
Entschluss schien bei seinen Verhältnissen gewagt, aber er
liess sich durch äussere Schwierigkeiten nicht abschrecken.
Nachdem er 1853 zum Doctor promovirt war, beschloss
er zu seiner weiteren Ausbildung die Universitäten Leipzig
und Göttingen zu besuchen , wozu ihm eine massige Unter-
stützung vom Ministerium bewilligt wurde. In Leipzig hatte
er sich besonders des näheren, für ihn höchst anregenden
Umgangs mit Albrecht zu erfreuen, in Göttingen trat er vor-
nehmlich unter Waitz's Einwirkung den historischen Studien,
so weit sie sein Gebiet berührten, näher. Schon war er
selbst literarisch thätig; ausser seiner Inaugural- Dissertation
liess er mehrere Abhandlungen drucken und gab die Summa
Curiae Regis , ein Formelbuch aus der Zeit der Könige Ru-
dolf L und Albrecht L, heraus. Nach der Rückkehr in seine
Vaterstadt habilitirte er sich dort 1855 als Privatdocent und
begann Vorlesungen zu halten. Noch in demselben Jahre
erschien sein erstes grösseres wissenschaftliches Werk: ,Zur
Geschichte des deutschen Privatrechts", welches allgemeine
Anerkennung fand und die Veranlassung gab, dass er 185(3
zum ausserordentlichen Professor und schon nach wenigen
Monaten, als er einen Ruf nach Erlangen abgelehnt hatte,
zum ordentlichen Professor des deutschen Rechts befördert
wurde. Er hatte sich glücklich durchgeschlagen und früher,
als er es irgend erwarten konnte, einen akademischen Lehr-
stuhl erreicht. Aber er sah darin nur einen Sporn, durch
tüchtige Leistungen zu beweisen, dass er der ihm so früh
zugefallenen Ehren würdig sei. Und sofort bot sich ihm
eine Aufgabe, an der er seine ganze Kraft zeigen konnte.
1888. PhUo8.-philoL u. bist. Cl. 2. 20
302 Oeff'eulliche Sitzuny com 28. März 1888.
Es wurde ihm zur Bearbeitung eine Geschichte des deutschen
Rechts übertragen; Anfangs sollte er das schwierige Werk
in V^erbindung mit Merkel ausführen , aber bei Merkel's
liücktritt niuöste er die Arbeit allein auf sich nehmen.
Gerade damals kam ich nach Königsberg und mit Freude
gedenke ich der Zeit, wo ich in fast täglichem Verkehr mit
Stobbe stand. Die Offenheit seines Charakters, die Frische
seines ganzen Wesens, der Eifer für seine Studien gewann
ihm die aligemeine Liebe. Leider blieb er nicht lange unter
uns. Schon 1859 folgte er einem Rufe nach Breslau, den
er, so werth ihm seine Vaterstadt war, doch gern annahm,
da er ihm Aussicht auf eine ausgedehnte Lehrthätigkeit er-
öffnete. Schnell lebte er sich in Breslau in alle Verhältnisse
der Universität und der Stadt ein. Leicht erlangte er die
Liebe seiner Collegen, die Achtung der Studenten. In den
Jahren 18(>9 — 1871 vertrat er als Rector die Universität mit
ebensoviel Uaisicht als Würde. Die Stadt wurde ihm be-
sonders heimisch, nachdem er sich dort 1862 mit Margarete
Eberty vermählt und einen eigenen Hausstand gegründet
hatte; die mit Kindern gesegnete Ehe war eine höchst glück-
liche, und sein Haus der Sammelplatz zahlreicher Freunde.
Dabei gewann er ausreichende Müsse zur Fortsetzung seiner
wissenschaftlichen Arbeiten. In den .Jahren 18()0--1864 er-
schien die „Geschichte der deutschen Rechtsquellen", 1865
„Beiträge zur Geschichte des deutschen Rechts", 18Ö6 „Die
Juden in Deutschland während des Mittelalters", 1870 „Her-
mann Conring, der Begründer der deutschen Rechtsgeschichte"
und 1871 der erste Band des „Handbuchs des deutschen Pri-
vatrechts", welches das Hauptwerk seines Lebens werden sollte.
So befriedigt sich Stobbe in Breslau fühlte, folgte er
doch 1872 ohne Bedenken einem Kufe nach Leipzig; denn
immer war es ihm als der höchste Wunsch erschienen, an
der dortigen Universität wirken zu können. Von allen Seiten
fand er in Leipzig das freundlichste Entgegenkommen, und
V. G-iesehrecht : Nekrolofi auf Johann Ernst Otto Stobbe. 303
in kurzer Zeit wur er mit den ihm schon von früher nicht
unbekannten Verhältnissen der Universität und der Stadt
völhg vertraut. Fünfzehn glückliche Jahre hat er dann noch
in Leipzig verlebt, getragen durch das Vertrauen und die
Liebe seiner Collegen, die ihm für das Jahr 1878/1879 das
Kectorat übertrugen. Seine Lehrthätigkeit war eine ausge-
dehnte und fruchtbare. Universität und Stadt brachten ihn
in einen regen Verkehr mit bedeutenden Persönlichkeiten,
und als ein besonderes Glück empfand er es, dass es ihm
hier vergönnt war, mit seinem Königsberger Lehrer, Col-
legen und Freunde von Simson, dem Präsidenten des deutschen
Keichsgerichts, wieder in unmittelbare Verbindung zu treten.
Seine literarischen Arbeiten concentrirten sich fast ganz auf
die Vollendung des Handbuchs des deutschen Privatrechts,
welches 1885 mit dem fünften Bande seinen Abschluss fand,
und auf die Bearbeitung der neuen Autlage der drei ersten
Bände.
Stobbe's Gesundheit war in den letzten Jahren nicht
mehr so fest, wie früher. Da er noch nicht im höheren
Alter stand, seine volle geistige Regsamkeit bewahrt hatte
und auch die Arbeitskraft nicht nachliess, glaubte man keine
ernsteren Besorgnisse hegen zu müssen. Auch er selbst
glaubte seine körperlichen Beschwerden leicht überwinden
zu können. Aber das Leiden sass doch tiefer, als er und
Andere annahmen. Nur zu bald wurde er den Seinen, seinen
Freunden und Schülern durch eine rasch verlaufende Krank-
heit entrissen. Was er für die Geschichte des deutschen Rechts
geleistet hat, wird in der Wissenschaft nie vergessen werden ^).
1) Benutzt wurde: Otto Stobbe, Rede, gehalten bei der aka-
demischen Gedächtnissfeier der Leipziger Juristenfacultät von Emil
Friedberg (Berlin 1887).
304 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1888.
Herr G r o t h hielt die Festrede :
„lieber die Molekularbeschaffenheit der
Krystalle."
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissen Schäften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 5. Mai 1888.
Herr v. Christ legte eine Abhandhing des Herrn
Eugen Oberhummer vor:
.Griechische Inschriften aus Gypern*".
Die Insel Cypern ist verhältnismässig arm an griechischen
Inschriften. Die Zahl derselben ist. abgesehen von den-
jenigen in epichorischer Schrift, V) eine auffallend geringe im
Vergleich zu den reichen Inschriftenfnnden auf den Inseln
de.s ägäischen Meeres. Diess erklärt sich einerseits aus dem
Mangel eines geeigneten Steinmaterials (Cypern besitzt keinen
Marmor), anderseits aus der vielfachen Verwendung der Reste
de;> Altertums zu mittelalterhchen Bauwerken, besonders
unter der Herrschaft der Lateiner.^)
1) Für die Dauer der Anwendung des epichorischen Alphabets
ist zu beachten, dass bisher, so viel mir bekannt, auf Cypern nur
eine archaische Inschrift in griechischem Alphabet, und zwar als
Umschreibung der nebenstehenden cy prischen Aufschrift, gefunden
wurde (Röhl I. G. A. n. 481; Kirchhoff, Studien *53; Deecke-Collitz
n. 65). Von den übrigen Inschriften griechischen Alphabetes dürften
nur sehr wenige über das 3. .Jahrh. v. Ch. zurückzudatieren sein.
2i Vgl. hierüber L. Ross im Rhein. Mus. N. F. VII. 512 f.
(Arch. Aufs. II, 620).
18&S. Philos.-pbilol. u. bist. Gl. 3. 21
306 Sitzung der philos.-pliüol. Classe vom 5. Mai 1888.
Was ältere Reisende, hauptsächlich Richard Pococke,^)
Joseph V. Hainmer,=^) Ali Bey,^) Otto Friedrich von
Richter,'*) Karl Graf Vidiia,^) und vereinzelt andere
beigebracht haben, ist von Böckh^) sorgfältig gesammelt
worden.
Unter den Folgenden ist in erster Linie Ludwig Ross
zu nennen, dessen Aufenthalt auf Cypern (1845), obwohl
nur von kurzer Dauer, für die Topographie und Inschriften-
kunde der Lisel sehr fruchtbar war. Wie sein Reisebericht)
in knapper und schlichter Darstellung eine Fülle von zu-
verlässigen Beobachtungen aufweist, so sind auch die von
ihm gesammelten Li Schriften**) mit der gewohnten Sorg-
falt herausgegeben. Die umfänglichste Sammlung gemein-
griechischer Inschriften von Cypern, welche freilich zum
Teil nur Bekanntes wiederholt, aber auch vieles Neue bietet,
hat W. H. Waddington^) veranstaltet. Eine nicht unbe-
1) Description of the East. 2 vol. London. 1743/45. — In-
scriptionum antiquarum liber. Ib. 1752.
2) Topogr. Ansichten gesammelt auf einer Reise in die Levante.
Wien 1811.
3) Voyages d'Ali Bey El Abbassi en Afriqne et en Asie. Paris
1814. 3 Bde. mit Atlas. — Travels of Ali Bey etc. London 1816.
2 Bde. 4. — Deutsch in Bertuchs Neuer Bibl. d. wicht. Ueisebeschreib.
1. Centur. 2. Hälfte, 7. u. 8. Bd. Weimar 1816. (Ohne die Tafeln.)
4) Wallfahrten im Morgenlande. Aus seinen Tagebüchern und
Briefen dargestellt v. J. Ph. Ewers. Berlin 1822. — Griech. u. Lat.
Inschr. gesammelt von 0. F. v. Richter, herausg. v. Joli. Val. Francke.
Berlin 1830. 4.
5) Inscriptiones antiquae. Paris 1826.
6) C. L Gr. t. II ( 1843) p. 436-47 n. 2613-52 ; cf. t. 1 V n. 8658, 8663.
7) Reisen nach Kos. Halikarnassos, Rhodos und der Insel Cypern.
Halle 1852. (Auch als 4. Bd. der , Reisen auf den griechischen
Inseln".)
8) Rhein. Mus. N. F. VII (185U) 512—26 = Arch. Aufs. II,
618—32; vgl. Arch. Zeit. III (1845) 99—104.
9) Bei Ph. Lebas, Voyage archeologique. Inscriptions. T. 111.
1. Textes. P. 627—48 (n. 2725—2841). 2. Explication. 1*. 6.^3—51.
Oberhummer: Griechifichc In.<;cJirifte)) nun Cypern. 307
deutende Nachlese hat die Reise von M. Beaudoiiin niid
E. Pottier (1878) gebracht,') während anderes Material
in den verschiedenen Jahrgängen der „Hevue archeologique'"
zerstreut ist.^) Ganz unzuverlässig und ohne Berück-
sichtigung des Sehriftcharakters sind die Inschriften wieder-
gegeben, welche Äthan. Sakellarios^) und L. Palma di
Cesnola^) mitteilen; zum Glück sind die meisten derselben
anderwärts besser herausgegeben. Einzelnes findet sich sonst
noch zerstreut veröffentlicht. ^)
Es war unter diesen Verhältnissen von vornherein zu
erwarten, dass die Reise auf Cypern, welche ich in den
Monaten April und Mai 1887 unternahm, in dieser Hin-
sicht keine grosse Ausbeute ergeben würde; zudem war
meine Aufmerksamkeit einem anderen Zweck zugewandt
und die Verfolgung epigraphischer Studien Nebensache.
Was ich trotzdem an neuem Material beibringen konnte,
verdanke ich fast ausschliesslich meinem Reisebegleiter, dem
1) Bull, de corr. hell. III (1879) 163-76, 347-52.
2) Rev. Arch. N. S. XIII (1866) 437—43 [D. Pierides]; XXV
(1873) 317—26 [G. Colonna-Ceccaldi u. A. Durnont, keramische Inschr.];
XXVII (1874) 79-95 [G. Colonna-Ceccaldil ; XXIX 95-101 (1875)
Lders.]; XLI (1881) 124 s. [Dozonl; III. S. t. VI (1885) 349, 351 s.
[S. Keinachl; VIII (1886) 99 [ders.].
3) KvTigiayd. Bd. 1. (Athen 1885.)
4) Cypern. Deutsch v. L. Stern. .Tena 1879. S. 367-91 (105 N.).
5) Ausser dem, was H. Röhl in Bursians .Tahresbericht, Bd. 36,
S. 53 — 55 anführt, möge noch auf Folgendes verwiesen sein: Trans-
actions of the R. Soc. of Lit. II. Ser. VII (1863) 376—93 [J. Hogg
nach .Abschriften von Leycester (1849)]; Rangabe, Ant. Hell. II n.
1007, 1234 s.; F. Unger u. Th. Kotschy, Die Insel Cypern, S. 556,
566 f. (hiezu H. Sauppe in d. Nachr. d. Gott. Ges. d. Wiss. 1866
S. 133 f. u. E. Leutsch, Philologus XXIV (1866) 226); Bull, dell'
Inst. 1870, p. 202 s. [Fabretti, keram. Inschr.l ; Kaibel, Epigramm.
Graeca n. 254—57, 288, 288 a—c (praef.), 794; Monatsber. d. Berl.
Ak. 1874, S. 614 f. (M. Schmidt); Mitteil. d. Inst. IX (1884) 135-38
(M. Ohnefalsch- Richter).
21*
308 Sitzung der plülos.-phUol. Classe vom 5. Mai 1888.
verdienten cyprischen Altertumsforscher Herrn Max Ohne-
falsch-Richter. Manche Inschrift freilich, die wir an Ort
und Stelle als vermeintlich neuen Fund kopierten, erwies
sieh später, als ich an die Bearbeitung des Materiales gieng,
als bereits veröffentlicht; doch war auch in solchen Fällen
unsere Bemühung selten ganz vergeblich, da sich meist für
den Text oder doch für die Erklärung einiges Neue ergab.
Abschrift und Abdruck wurden in der Regel von Herrn
Ohnefalsch -Richter und mir gemeinsam genommen. Bei
den angegebenen Maassen bezeichnet die erste Ziffer die Höhe,
die zweite die Breite (Länge), die dritte die Tiefe des In-
schriftsteines. Die Buchstabenhöhen sind als Durchschnitts-
masse zu verstehen, ohne Rücksicht auf die von der ge-
wöhnlichen Zeilenhöhe abweichenden Buchstaben, wie das
meist kleinere O- Buchstaben, die im Original nicht mehr
vollständig sind oder deren Lesung nicht ganz sicher ist,
sind durch einen Punkt über der Zeile bezeichnet.
Schliesslich fühle ich mich verpflichtet, Herrn Professor
Dr. R. Scholl für die liebenswürdige Unterstützung, die er
mir bei meiner Arbeit mehrfach zu Teil werden liess, ins-
besondere bezüglich der Ergänzung der metrischen Inschriften
und durch Teilnahme an der Korrektur, meinen verbind-
lichsten Dank auszusprechen.
N. 1, Larnaka. Basis aus weissem Kalkstein, beim
Hause des Basil. Petridis (Marina) gefunden ; von mir ange-
kauft, jetzt im k. Anti(|Uiiiiuni zu Münclien. 2(3 X 83 X 78 cm.
Auf der Oberfläche der Basis ist eine Rundung von 52 cm
Durchmesser und 4 — 5 cm Tiefe ausgehauen; hinter derselben
noch 2 kleine runde Löcher. Die Basis scheint demnach
eine Marmorstatue getragen zu haben. Buchstaben 4^1%
bi-s 5 cm hoch und ausserordentlich schmal. Deutlich.
Oberhunimer: Griechische Inschriften aus Cypern. 309
AYTOKPATOPANePOYANKAICAPACeBACTONAP
XiePfAMGriC
TONAHMAPXIKHCeZOYClACnATEPAnATPlAOC
YnATONTOTPITON HKITIßNnOAlC
TONIAION KTICTHN
^■/t ru/.oaiooa yttQOiai' KaiGaoa ^eßaozoi' oqyieqea ueyto-
Tur dt^/.ia()x.iyS^g e^oioiag naiiqu jrarQidog
vriaror ro tqitov tj Kiiuov 7i6Xig
lov Xöiov /.Tiarr^v
Z, 3. Das Etlinikon Kiviog ist neu; sonst lautet das-
selbe KiTieig. ^)
Das Jahr der Inschrift ergibt sich aus Z. 3; es ist 849
u. c. = 97 p. C. ; da es nach Z. 2 zugleich das erste Jahr
der tribunicia potestas des Kaisers ist, welcher die Regierung
am 18. September 96 antrat, so erhellt daraus, dass die
Widmung der Inschrift vor das gleiche Datum des Jahres
97 fällt. 2)
Von Beziehungen des Kaisers Nerva zur Stadt Kition
oder zur Insel Cypern überhaupt ist aus der Literatur nichts
bekannt. Dagegen bildet folgende bei den Salinen von
Larnaka gefundene Widmung aus dem 2. Regierungsjahre
des Kaisers eine wertvolle Ergänzung zu unserer Inschrift
(Corp. Inscr. Lat. III, 1, n. 216):
IMP . CAESARI • NERVAE • AVG •
P . P . COS . II • CIVITAS • CITIENSIVM
1) KiT{T)ia als Personenname findet sich bei Pausanias Damasc.
in Malal. p. 257 üx. (Müller F. H. G. IV, 469 b: Dind. H. G. M.
I, 159).
2) Vgl. H. F. Stobbe , die Tribunenjahre der röm. Kaiser.
Philologus XXXII (1873) 31. Unbegründet scheint mir die Annahme
von J. Aschbach (Sitzungsber. d. k. Ak. z. Wien, Phil.-hist. Kl. XXXVI
[1861] 803), dass Nerva sein 3. Consulat nur wilhrend der ersten
Monate des J. 97 bekleidet habe.
310 Sitzung der philos.-phUoJ. Classe vom 5. Mai 1888.
Wahrscheinlich hat sich Nerva um die Stadt durch
Wiederherstellung derselben nach einem Erdbeben verdient
gemacht, worauf der Ausdruck cor l'diov /.ziaTi]v schliessen
lässt. ^)
N. 2. Larnaka. Grabstele, im Besitz des Herrn
D. Pierides. Die Grabschrift wurde nach einer Mitteilung
des Herrn Dozon, französischen Konsuls zu Larnaka, in der
Revue archeol. N. S. XLl (1881) p. 124 bekannt gemacht
und von F. Bücheier im Rhein. Mus. XXXVl (1881) lt)3 f.
besprochen. Da die Wiedergabe nicht ganz genau ist, wieder-
hole ich die Inschrift hier nach einer mir von Ohnefalsch-
Richter übersandten Photographie des Denkmals.
IIOYAIONKONIC
HAGArAOOKAGA
nAiAAKeKGYeeNiiei
.UOAOrCONnANTGÜNe
5 EOXONeNXAPICIN<^-
ArAOOKAIGÜNA
BIOAOrON
Z. 2 ist nach Dozon aus Versehen KAE st. KAE
gedruckt; Z. (3 Dozon falsch KAAI «t. KAI. Unrichtig ist
ferner die Angabe Dozon's (nach Z. 5): „Au dessous, deux
cartouches; dans celui de gauche, les lettres sout effaces,
dans celui de droite, on lit" : (folgt Z. (> u. 7); Z. (i u. 7
stehen nicht in einer Einfassung, sondern unmittelbar unter
dem Distichon; in dem leeren Räume links hat nichts ge-
standen. Unterhalb des Ganzen befinden sich die von Dozon
erwähnten runden Einfassungen, von welchen die rechte
1) Im J. 77 oder 70, also jedenfalls kurze Zeit vor Nerva's
Regierung, fand ein Erdbeben statt, durch welches drei Städte der
Insel zerstört wurden, Euseb. chron. arm. Ol. 214, 1 imp. Vesp. 8
(liieren. Ol. 211, 3 imp. Tit. 1), Syncell. p. 342 1> Par.
Oherhnmmer: Griechische Inschriften aus Ctjpern. 311
alierdiutjs noch einige Spuren eingegrabener Buchstaben zu
tragen scheint.
Die Inschrift lautet:
Moj^ialov xovig \ rjde ^4yad-oxXaa \ riaiöa xexEvdev
M€i\iuoX6ycov novTiüv e §oxov iv x^qioiv.
^4yad^oxXiiüva ßioXöyov.
Man könnte geneigt sein Moipaiog für ein Ethnikon zu
halten, etwa von Moif^ioveoiia in Kilikien, wovon sich neben
MoU'oveoTievg auch MoipeaTi^i; findet; so Dozon und Bücheier.
Dagegen spricht aber der Ausdruck naida^ welcher hier den
Vatersnamen kaum entbehren lässt; der Vater des Schauspielers
hiess 3l6ij.iog, und davon ist Moipaiog als Adjektiv gebildet.
Interessant ist die Bezeichnung ßioXoyog für „Schauspieler",
welche nur durch wenige literarische Zeugnisse zu belegen
ist. ') Endlich ist zu bemerken, dass der Name des Ver-
storbenen ^4ya&OAXkov lautete, wie die Widmung zeigt, und
im Distichon nur aus metrischen Kücksichten in l4ya^o/.Xrig
abgeändert wurde.
N. 3. Larnaka. Die mir von Herrn Ohnefalsch-
Richter übersandte Photographie umfasst ausser der eben
besprochenen Grabstele noch zwei andere luschriftsteine, von
denen der eine das linke Stück einer Basis ist, deren Auf-
schrift (dem König Ptolemaios III. gewidmet) bereits (1881)
in der illustrierten Wiener Zeitung „Die Heimat" (S. 347),
und hienach wieder von S. Reinach ^) vollständig mitgeteilt
ist. Ueber dieser Basis, links neben der Grabstele steht das
Bruchstück einer nach links abgebrochenen Platte, welche
eine längere, leider zum Teil verwischte Inschrift, dem
1) F. A. Wolf, Lit. Analekten I, 104—6; Steph. Thes. ed. Parin.
II, 252 3., F. Bücheier a. a. 0. Biologische Komödien {xco/ncoöiag
ßtoXoyixdg) hatte nach Suidas Philistion in der Zeit des Tiberius
geschrieben.
2) Rev. arch. III. S. VI (1885) 345; vgl. u. S. 320.
312 Sitziotg der philofi.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Schriftcharakter nach etwa aus dem 3. Jahrhundert v. Ch.,
trägt. Mit einiger Mühe lässt sich der grösste Teil der In-
schrift auf der Photographie noch entziffern, wobei zu be-
achten ist, dass eine strenge Scheidung der deutlich lesbaren
von den unsicheren oder verwischten Buchstaben nicht durch-
zuführen war.
. . AflEKOYPHPINYTHNAEEAlOTA
KlAAANUrAPPOAAEniEOIMH
PIEOHKEPYPITHNI EAI
nüYZAnATPINI<OAO(i)nNAPA . .
5 AHNHAAAKTAIIQHZOI
.ONEXEIN(|)OIMENH
EZPEYZALPPOTEPHETY
PEPHNO EAXEPONTOE
ZOMPOZI . . . ETE .... MYPE
10 TOZH THMMHTPOi:
cl^lAIHN . . . HAEZEMHTEPA
MHTHPAEYK . ZEOEN . EAE
. NOUTEAFHKATEXOI
Herrn i'rofessor Scholl gelang es, die von mir versuchte
Lesung zu vervollständigen und die Inschrift in folgender
Weise herzustellen :
'fl\ao)g, KoiQtj, /m-vtriv dt^aio Ta\Ki'kXav '
H yaq noXV hil ool f.nfQL' tOr]/.E jivqI.
5 Ti^v /[e^iJj'V (J]£ Xi\7ioioa 7iatQh' Koloffcuva ;ia\(j'y/i\ öijv
"tllXay.tai Uofjg oi [x]oj' tyßiv (fd^i/.iivt]. |
"Ea:i£voag 7f gortQrj aTv\y£Qrjv 6[d6v sl]g ^xtqovxog^ \
10 ^Of.1 7t6oi\y . .] BTE .... IIVQETO ffrj I
7'/)// firjTQog I (ptXirjv ' ... rj dt 0€ f-iiitlga \ fJiriTijQ '
^£rx[«] oäx/ev l(.t]€Xe\[co]v oaiea yri v.aTiyoi.
Z. 1. Der Name Tä-niXka ist sonst nicht bekannt;
vielleicht ist zu lesen öt^ai 'Otä-KiXlav.
Oherhummer : Griechische Inschriften aus Cijpern. 313
Z. 5. Stiitt 'leQi'iv ist vielleicht zu ergänzen tötrjv (so
Herr Prof. v. Christ).
N. 4. Platte aus weissem Maruior, nach Mitteiluntr
Herrn Ohnefalsch- Richters 1883 in Kurion ausgegraben,
jetzt im Museum in Nikosia. Der linke Teil der Platte
fehlt ganz, das übrige ist in 5 ungleiche Stücke zerbrochen,
von welchen sich 4 lückenlos aneinander fügen. Höhe der
Inschrift 23 cm, Länge im Maximum 34 cm, Dicke der Platte
2 cm. Buchstabenhöhe durchschnittlich 14 mm. Schrift nach-
lässig und ungleichmässig.
kONn TABIOYTEÄ . . ßHAROAEITA
tHAHKE . . ENONOIKTPONOPAL
AYLTHNOLEnAHEINOYZTOAAAnON
NMOIPIINEEETEAEEEAMITON
5 MENAlONIAilNrAYKVNAAAA
KAITYnEXriNAYrPAAinriNAXEÄ
fsJTOKAKOYnAPAMYOlONOJKTOY
MOYTYMBONEXOYLITEKNOY
OHnEPIAEAPOMENOIKTPAAE
10 NMOrEPflBEIOAOTnrENETH
Nach rechts scheint die Inschrift vollständig erhalten
zu sein, obwohl man am Schluss von Z. 5 und Z. 9 ein
Wort vermisst; auch in Z. 3, welche im Original gegen das
Ende eng zusammengedrängt ist, wurde aus Raummangel
die Schlusssilbe TOY weggelassen (ähnlich in der folgenden
Inschrift bei Z. 7). Auf dem kleinen 5. Bruchstück, dessen
Zusammenhang mit dem Hauptteil der Inschrift jedoch nicht
klar ist, ist folgendes zu erkennen:
\NEM
-N0H
314 Sitzung der philos.-phUol. C'lasse vom 5. Mai 1888.
Die Inschrift ist mit den, von Herrn Professor R. Scholl
vorgeschlageneu, Ergänzungen etwa in folgender Weise her-
zustellen :
Evi^vdi?']y.ov 7T[eQaaav]Ta ßiov T6'[Aog], w 7taQodena,
nievaag yog] dvotrjvog hi' o^eivov arofxa /iov(zov)
TfjXöO^i Tojv MoiQcov s^eztXeaoa j-Utov,
5 Ov ycif.wv, ovx v]iii€vaiov löwv ylixiv, oXla [rox-svaiv
jd'/.Qva y.]al iv7iETtov Xvyqa knccov axe\a.
Ovo' evQEiv edvvav~\xo /.a/.ov 7taQaf.iviyL0v o[fc)t]roi',
Ol TcgoTSQOv 0^ald]f^ov Tv/jßov eyfivoL rexrov,
Tavza cpQtvag 7iivY\^t] 7TeQididQ0[.iev, ohrqd ös [O^Qtjvel
10 M}'iTriQ ovv] i-ioyeQO) QeiudoToj yerett].
Zu Z. 1 TraQOÖEira ist die folgende Inschrift (Z. 2) zu
vergleichen.
Nr. 5. Ich schliesse hieran einige Bemerkungen über
eine andere metrische Inschrift von Nikosia, welche aller-
dings schon seit langer Zeit bekannt und auch oft behandelt
worden ist. Sie befindet sich auf der Aussenseite eines
Sarkophages aus grauem Marmor (jetzt als Brunneneinfassung
benützt) im Hof einer Moschee (Jeni-Dschami) neben den)
alten Konak (Regierungsgebäude). Sie wurde zuerst abge-
schrieben und veröffentlicht von 0. F. v. Richter, Wallfahrten
(s. o. S. 300, A. 4) S. 316 u. 566 und hienach ausführlich
besprochen von K. Morgenstern das. S. 643—78, sowie von
.1. V. Fraucke, Griech. u. lat. Inschr. (s. o. a. a. 0.)
S. 42 — 86 u. 483—98. Eine zweite Abschrift lieferte Graf
Vidua, Inscriptiones ant. S. 34 u. T. 29 N. 2, wozu die
Bemerkungen von Letronne im Journal des Savans 1827
S. 169 f. zu vergleichen sind. Auf Grund beider Ab-
schriften wurde die Inschrift von Welcker^) und von Böckh
1) Sylloge epigrammatum Graecorum (Bonn 1828) S. 41—44,
u. ,Zu der Syll. ep. Gr." (Bonn 1829) S. 44 ff. (letztere Schrift ist
mir nicht zugänglich).
Oberhummer: Griechische Inschriften aus Cypern. 315
C. I. G. II, n. 2647^) behandelt. Ein neuer und zuver-
lässigerer Text wurde durch Waddington (bei Lebas III,
n. 2771} gegeben, welcher auch der neuesten mir bekannten
Bearbeitung durch G. Kaibel (Ep. Gr. n. 288) zur Grund-
lage dient. Da mir in Cypern nur der bei Engel abge-
druckte Böckh'sche Text zur Hand war, von dessen UnvoU-
kommenheit ich mich alsbald überzeugte, verschaffte ich mir
durch gütige Vermittlung des Herrn Ohnefalsch- Richter
einen Abdruck, der zwar gegen Waddingtons Text nichts
wesentlich Neues bietet, mich aber doch zu einigen Be-
merkungen veranlasst. Der Rahmen der Inschrift ist nach
meinem Abdruck 40 cm hoch, 6(3 cm breit, die Buchstaben
sind in den beiden ersten Zeilen 35 — 40 mm, in den folgenden
25 — 30 mm hoch. Zwischen Z. 2 u. 3 ist 6 cm Zwischenraum.
Text nach Waddington (ohne Rücksicht auf die Ver-
schiedenheit der Buchstabengrösse und der Zeilenlänge).
KANTPOXAAHNBAINHCcJilAe
GünAPOAeiTABAlONeniCX . .
HTIC..A.ANAI XOPOCTOAeCCOMAKAAYnrei
rAIAAABOYCArePACTOYGOAtAGüKenAAAl
HrAPMOII'YXHMeNeCAieePAKAIAlOCAYAAC
OCTeAAeiCAIAHNATPOnOCeiAeNOMOC
TOYTeAAXONMerAAüüPONYnAYTCüNÜYPANI
CONGüN
eYAAAIOCrAMIKOCMOYNOC6NI0eiMeNOIC
Die l)eiden ersten Zeilen (in grösserer Schrift) füllen
die ganze Zeilenlänge und bilden zusammen einen Hepta-
meter. Die Worte co Tcagoöeiza in Z. 2 sind sicher und
daher die Verbesserungsvorschläge von EUis; 9/A' böoinoQe^
und Kaibel: nagoiöonoQe (Hermes XIV, 258), unzulässig.
Zu rragoöeita vgl. die vorige Inschrift (o. S. 314) in Z. 1.
1) Hienach in Minuskeln abgedruckt bei W. H. Engel, Kypros I,
S. 152.
316 Sitzung der pkilos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Die am Scblnss von Z. 2 verniissten Buchsstaben OY scheinen
wessen Raummangels weggeblieben zu sein (vgl. Z. 7.)
Z. 3 bietet der Herstellung erbebliche Schwierigkeiten.
Vidua las: HBHCfN . . ANA XOPOC etc.; Richters
Text gibt (für die ganze Zeile): AOPOCTOAeeCüriAKA.
Waddington bemerkt zu seinem Text: „Le mot x^QO'i est
certain, ainsi que i] au commencement du deuxieme distique" ;
ersteres kann ich auch nach meinem Abklatsch bestätigen.
Ich lese HP . . eNÄÖANAT . . MeXÜPOC etc. Der
Zwischenraum zwischen t und N lüsst nicht mit Sicherheit
entscheiden, ob in demselben noch ein (jedenfalls schmaler)
Buchstabe gestanden hat oder nicht. Die unsichere Lesung
dieser Zeile hat zu entsprechend verschiedenen Herstellungs-
versuchen Anlass gegeben; Francke a. a. 0. S. 485: "Hiqi^oev
l-ia/MQwv //£ yoQ6g\ Böckh: "fJiQrjOep Üavaiov i.ie liioQog;
Waddington: "[:lQ;iuoei' aU^aväiiov f.ie yoqoQ-. Kaibel: . . . üi)a-
värtov i-iE yoQog {^t'^yyioei' Wilamowitz; an eiQioer, qnod r^^taf»'
scriptum fueritV).
Nach Waddingtons Text und meinem Abdruck können
auch die Worte dO^avariov i.ie als nahezu sicher gelten und
l)leibt nur das erste Wort fraglich. Die bisherigen Er-
gänzungsversuche sind sämtlich unbefriedigend. Die meiste
Wahrscheinlichkeit dürfte wohl folgender von Herrn Prof.
l{. Scholl mit gütigst mitgeteilter Vorschlag beanspruchen
können: ^HQ[e i.i]€P ai^avät[tüv] /.le yoQog; cf. Kaibel Ep. Gr.
n. 15b, 441, 462.
Z. 4 noXai wurde von Böckh irrig in yiäXiv geändert.
Z. 5. Die Zeile hat sicher mit H begonnen; daher ist
die A ender ung in [ß\ri (Böckh und Francke) unhaltbar.
Z. 7 ist nicht, wie Waddington gibt, vollständig aus-
geschrieben; richtiger Vidua OYPANIGüN[(jl)N] ; vgl. o.
Inschr. N. 4 Z. 3 7r6v[TOv']. — Mein Abdruck zeigt deut-
lich EAAXON (Steinmetzfehler).
Oberhummer: Griechische Ivachriften aus Cypeni. '"517
Ä^öi' TQü/äötp' ßairrjQ, qtke \ co TragodeiTa, ßaiov hriox[ov.
^HQ\e !.i\tv a^amr[w)'] (.le xoQog, rö de oio(.ia /.aXinrei
Fma, '/.aßoLoa yeoag lovD' o dtdio/.t :iäXai.
5 ^H yäg f.ioi lin-yj] /'«»' ^S ald^ega y.al Jtog aikag,
'Ooita ö' Big l4idi]v azQO/rog eike r6f.iog.
TovT i[?M]xov i-ttya dcogot' vn' avxiZv Oögancövl^iin'^
EcXöXtog yafjr/.og (.lovvog Ivl (fri^i(.itvoig.
X. 6. Fragment eines Blockes aus bläulichem Marmor,
1883 beim Strassenbau an der Westmauer von Salamis
gefunden. Jetzt im Besitz des Herrn Ohnefalsch-Richter in
Nikosia. 25 X 50 cm, Buchstabenhöhe 8^/2 cm. Unvoll-
ständig mitgeteilt von S. Reinach, Rev. archeol. III. Ser. VI
(1885) 352.
ÖLIEPAPYTNIOE
rPAMMATEY
YNÄ
. . . . og ^feganitriog ' yQauuaTev[g] \
Ueber die Stadt lerapytna auf Kreta vgl. Bursian,
Geogr. V. Griech. II, 578.
N. 7. Inschrift aus dem Dorfe . Galini, südwestlich
von den Ruinen der Stadt Soloi, jetzt im Museum in Nikosia.
Nach 2 Abdrücken, welche mir nachträglich durch Herrn
Ohnefalsch-Richter über.sandt wurden. 17 X 27 cm; Buch-
stabenhöhe 3^/2 cm.
AYTOKPATOPAKA . .
IIAYPHAIONANTGÜ . . .
NONCfBACTON
lAIAPIANTf CTT . .
5 AeMAlOCON
^LToxQaTOQa Ka[io(aQa)] \ 31. ^vQi^hov ^vt[iov£'i]\vov
^eßaOTOv [o't ro,n] /a/ agBavTeg [TTio] Ae^tmlog Or
TctuUti ergänze ich nach Vorschlag von Herrn Prof. Scholl.
318 Sitzunfi der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 18S8.
N. 8. Bruchstück eines weissen Marniorblockes aus
Polis (Marion- Arsinoe, v^\. die folj^. Inschr.) von mir
angekauft, jetzt im k. Antiquarium zu München. Die In-
schrift, soweit erhalten, im Maximum 24 cm hoch, 18 cm
breit; Dicke des Blockes 10 cm; Buchstabenhöhe 1 cm.
Waddington bei Lebas III, n. 2783 nach einer Abschrift
von M. Duthoit (ungenügend).
ÄPPßN
NEINÄPOMOIPAN
tÖ . ZAEAAZZO .
O ÖYMETPH
5 LIAYOOBO
XYNHrETO
KA.flNENNÖ
ZrENOMENHE
AXMAZAYOKPIOY
10 BOOt . HAEIAE
AY . . . TPßBOAON
H . MENAYMAZTHETE
kONTAAANTAEEHKON
tAEEKÄIA(t)OYZY.
In Z. 3 las Duthoit am Schluss C; der noch erkenn-
l)are Rest eines Buchstal)ens deutet a])er eher auf N. Z. 0
Duthoit falsch CHN. /. 7 scheinen zwischen A ii"d ß
die Si)ur('n eiucs |V| erKennl)ar zu sein. Z. 9 Duthoit AKM;
Z. 12 HMEN. Z. 13 ZAK. Z. U AHH; KA(1). Zwischen
H und K stand kein Buchstabe.
x]a^/fwv I veiv d/iöiiiotQar \ [^oj)]4,'
d' ilaooolv] \ o . [r]ot ^/ez^iy (,!>/:WogV] oi ovo
oßo\Xov(; o]ivr'iYETO | xayt^wvBvvlo \ g]
yeioi-itvi^g \ \ö{)\u-/_nag ovo xqwv j, ßoog [O^jr^keiag \
Oherhiivinier: Griechische Inschrift ev aus Ci/pern. 319
Ji'[o rs'JToiößoXov I [// . u]ev d' 17/äg T^g re \ ...
. . xo[»'] TülavTa f57)xoj'![ra ra] f^ xat ay' 01; ffü
Eine Wiederher.stellung des Textes auch nur dem Sinne
nach ist bei dem Zustand der Inschrift nicht zu erhoffen.
Aus Z. 12 {vuäg) schliesst Herr Professor R. Scholl, dass
wir es mit dem Schreiben eines Statthalters oder einer andern
obrigkeitlichen Persihilichkeit an die Stadtgemeinde zu thun
haben; der Inhalt des Schreibens war wohl, wie bereits
Waddington bemerkt, ein Opfertarif.
N. 9. Marmorblock, im Hof eines Hauses zu Polis
eingemauert. 21 X 12 cm; Buchstabenhöhe 14 mm. Wad-
dington bei Lebas HI, n. 2782 nach einer Abschrift von
M. Duthoit (sehr unvollständig). Meinem Text liegen drei
Abdrücke und eine sorgfältige Abschrift zu Grunde.
AEMAIOYTO
LINOHCOEIl
XOYNTOC
HEArOPOY
5 AAAEA0n
IMriNAKT
OY A
KTOZ
^NXPÖ
Z. 1 Duthoit falsch EMAOY; Z- 3 dgl. XOYMTOZ.
Da die Zeilenlängo nicht mehr zu ermitteln ist, bleibt die
Ergänzung, soweit eine solche überhaupt möglich ist, unsicher.
^EttI TlTo\'ke{.iaiov to[y IlToXefiaiov
q'QOVQaQ]yoivxoq [xaTa i^QOivoijV
7i6)uv ^i\r^oay6Q0v
5 d^ecüv (fiyMdil(fiü[v
T]f;i<wvaxi^[og etc.
320 Sitzunri der phüos.-philnl. Clas.^e vom 5. Mai 1888.
Wegen Z. 3 vgl. die Inschrift von Kition C. I. G.
n. 2614 \ß\EQEviv.riv t»]j' ßaoiletog ÜToleiualolv . . . yl^vralKa
nooeiÖLTtnog (pQOVQaQxo[g y^aid . . .] xat xara Kkiov etc.,
ferner J. Franz C. l. G. Ill, p. 289 a und W. Engel, Ky-
pros 1 394 f. über das Amt eines (fQovgaQyog. In Z. 4
könnten statt Stesagoras ancli andere Namen in Betracht
kommen, wie Agesagoras, Melesagoras, Mnesagoras etc.
Timonax (Z. 6) ist aus Her, VII 98 als cyprischer Name
bekannt.
Für den Anfang unserer Inschrift wäre etwa noch
folgende Ergänzung möglich :
'E/il ßaadnog nio]l8f.iaioo to[v h ßaode.iog IlTolefualov
'/Ml ßaoilioorig 'y4Q]otv6)jg, ■i^£io[v ipiladflcpiov etc.
Man vgl. hiezu folgende Aufschrift aus dem Heiligtum
des Apollon Ilylatas bei Kurion :^) Baodta TlTolei-iaTov Tü\r
Wdo\f.niTOQa tov l.y ßaodkog \ Tliole^ialov y.ai ßaotl[ioo)jg\
K'keonaTQcxg, dewv hrKfaviZv^ ferner l)esonders die o. S. 311
zu N. 3 erwähnte Aufschrift von Kition: Baodta TIioIe-
{.la'iov deoy EvegyiTip' tov ly ßaodkov \ Utolmaiov xai
^^QOivorjg^ Ü^ewv (filadtXq^Mv etc.
Unsere Inschrift gehört der Uegierungszeit des Ptole-
maios III. Euergetes (240—21) an, welcher mit seinen Eltern
auch in einer phönizischen Inschrift von Idalion (C. I. Sem.
I, n. 93, al. 1 s.: — anno XXXP domini regum Ptolemaei,
filii Ptolemlaei Philadejphi,] | qui (fuit) annus LVII"^ ho-
,minnm Citiensium, Ciinc]ihora Arsinoes Philadelphi Ammato-
siride etc.) erscheint.
1) Vidua Inscr. ant. p. 36, t. XXXI 4; C. I. G. n. 261G; Ross,
Arch. Zeit. lU (1845) 103 u. Arcli. Aufs. II, C19; ^axenägiog, Kv-
nQiaxä I. 77; Ho^g, Transact. R. Soc. Lit. II, S. VII (1863) 386,
dazu Pierides ib. 395 f.; Waddington bei Lebas III, n. 28ü8. Die
linke Hälfte des entzwei geschlagenen Steines habe ich mit Herrn
Ohnefalsch-Richter an Ort und Stelle wiedergefunden (27x60x80 cm);
die Basis trug wahrscheinlich eine Marmorstatue.
Oherhummcr : Griechische Inschriften aus Cypern. 321
Für die Verehrung, welche Arsinoe auf Cypern genoss,
zeugen ausser den obigeii Inschriften Widmungen von
Chytroi^) und Amathus,"^) besonders aber die Benennung
dreier Städte nach ihrem Namen, von welchen indes nur
diejenige, welche beim heutigen Dorfe Polis stand, zu
grösserer Bedeutung gelangt ist. Dieselbe wurde an Stelle
des im Jahre 449 von Kimon zerstörten Marion erbaut und
wird noch im Mittelalter als Bischofsitz genannt.^) Die
Lage der Stadt beim Dorfe Polis wird, abgesehen von den
Zeugnissen der Alten, durch das von M. Duthoit zu Chry-
sochu gefundene, und S. 327 unter B abgedruckte Dekret
endgültig bestätigt.*)
1) Cesnola, Cypern S. 370 N. 9 'Agaivöj] (pdadüqxo Naiä^i (?) etc.
2) Lebas III, n. 2821 'Agaivöt]? ^da8il(pov.
3) Str. XIV 6, 3; Steph. Byz. s. v. u. s. MaQiov; Ptol. V 14, 4;
Stad. mar. m. 309; Plin. n. h. V 130; Geogr. Rav. V 20; Hierocl. 44;
Const. Porph. them. I 15. Die beiden andern Städte gleichen Namens
werden nur bei Str. 1. 1. genannt. An der Kirchenversammlung zu
Chalkedon (451 n. Ch.) nahm ein Inioxonog 'AQOivöyg teil, s. Lequien,
Oriens christianus II, p. 1065 (hier ohne Zweifel irrig auf Arsinoö
bei Salamis bezogen), und zur Zeit der Lusignans war Arsinoe (seit
1260) der Sitz des griechischen Bischofs von Paphos, Lequien II,
]). 1053, III, p. 1205; L. de Mas Latrie, Hist. de l'ile de Chypre I,
p 381. Das Ethnikon {'Aooivoeiog "^J scheint in einer Aufschrift von
Idalion APZINOEIO I ANAPAZIA vorzuliegen (Rev. arch.
N. S. XXVn [1884] 90, 2). Vgl. Nachtrag S. 348 a. E.
4) Das Dorf Xovaoxov liegt etwa 2 englische Meilen oberliall)
des Dorfes Ilolig, nach welchem letzteres auch vollständiger als IlöXig
Tfjg Xqvooxov bezeichnet wird ; daher die Verwirrung über die beiden
Orte in früheren Reisewerken. Bei Polis finden sich Architektur-
fragmente und Reste einer Hafenanlage, welche von einer antiken
Niederlassung zeugen. Ueber die umfassenden .-Ausgrabungen Herrn
Ohnefalsch-Richters in den dortigen Nekropolen im Sommer 1886
vgl. einstweilen Jahrb. d. arch. Inst. 1887 S. 85 ff. Von Resten aus
dem Altertum bei Chrysochu, das ich leider nicht mehr besuchen
konnte, ist mir nichts bekannt.
1658. Philos.-pliilol. u. hist. Cl. 3. 22
322 Sitzung der inhilos.-phüol. Classe vom 5. Mai 18S8.
Kuklia (Alt-Paphos).
N. 10. Weisser Marmorblock in der Südwand eines
Hauses im nördlichen Teil des Dorfes verkehrt eingemauert.
22 X 88 cm, Buchstabenhöhe 20 mm. Bei der unbequemen
Lao-e des Steines und dem herrschenden Winde fiel der Ab-
druck dieser meines Wissens noch nicht veröffentlichten
Inschrift leider nicht befriedigend aus; Herr Ohnefalsch-
Richter und ich versuchten, jeder für sich, eine Abschrift
herzustellen, was ebenfalls schwierig war, da die Buchstaben
zum Teil verwischt und bei der Lage des Steines noch
schwerer zu erkennen sind. So wurde eine dreifache, freilich
in jeder Form mangelhafte Grundlage des Textes gewonnen,
nach welcher sich folgendes ergibt.
A . POAIT . jl nA(DIA A(?)PO TTAOI . N
OY . A . . Z . . ik . . . NTHN TAlONlOYAlONnOTA
MQNA
evrATEP Ykprtej . ton yonfaioyioyaioy
N Z: nOTAMilNOZKA
KT ITA AH. lEOYAA . Ät NA
nO NMAMMH
Ich habe durchgängig A gesetzt, da unsere Abschriften
in Bezug auf die Schreibung A und A nicht ganz überein-
stimmen; soweit der Abdruck leserlich ist zeigt derselbe A.
Z. 1. In Herrn O.-Richters Abschrift, welche allein
den Namen der Göttin am Anfang enthält, steht (wohl nur
aus Versehen) APO. Die beiden senkrechten Striche vor TT
sind durch den Abdruck und Herrn O.-Kichters Abschrift
bezeugt. N (meine Abschrift) steht nach Herrn O.-Richter
weiter rechts (über A)- — Z. 2. Die ersten 4 Buchstaben
nur bei Herrn O.-Richter. Zwischen N und f stand nach
dem Abdruck nichts mehr. Z. 3. Die ganze linke Hälfte
bis i dgl. (YK auch auf dem Abdruck). YON nach beiden
Oberhummer: Griechische Inschriften aus Cypern. 323
Abschriften; auch auf dem Abdruck ist zwischen Y «nd O
nichts von einem I zu erkennen, obwohl für letzteres knapp
Kaum wäre. Z. 4. K nach dem Abdruck (ziemlich sicher);
beide Abschriften |. Z. 5. Ä, H, J nach Herrn O.-Richter;
an Stelle von Z (Abdruck) hat meine Abschrift N. In
Z. 6 schwankt meine Abschrift zwischen N und H. — Die
G Buchstaben am Anfang von Z. 4 und 5 (Herr O.-Richter)
sind sehr unsicher; der Abdruck in Verbindung mit meiner
Abschrift lässt hier einige Buchstaben in halber Zeilenhöhe
(zwischen Z. 4 und 5) erkennen, nämlich E (senkrecht unter
0 in Z. 1), dann (in etwas kleinerer Schrift!) IMAM . H
(A und H ohne Zweifel identisch mit den beiden gleichen
von Herrn O.-Kichter in Z. 5 gelesenen Buchstaben.)
Otfenbar handelt es sich um zwei Widmungen, welche
wahrscheinlich im Auftrag derselben Person zu verschiedenen
Zeiten auf den Stein geschrieben und im Tempelbezirk auf-
gestellt wurden. Die links stehende Widmung ist so ver-
stümmelt, dass eine Wiederherstellung auch bei einem besseren
Abdruck nicht zu erhoffen ist; von der zweiten scheint der
Anfang nahezu vollständig erhalteu zu sein.
V xrjv rdiov Yot'A/o[v] IloTaf.aova
. . ^vyaxiQ[a tgv vov Fatov 'lovXiov
e . . . [r)J i.iafji[jii]i^ UoTäf-icovog [x]a[i
. . . ovXa
. . . no . . . [rß i^af-ifirj
Der hier genannte C. Julius Potamo scheint noch in
dem folgenden, von Beaudouin und Pottier ') veröffentlichten
Bruchstück genannt gewesen zu sein : \l4(fQodLrrji n]a(plaL |
.... Kqiohov y.al Ji .... \ ... . Xiov [/I]o[r]a//w[»' . . . . |
yti/.ivia\i' . . . . ; hier wäre demuach in Z. 8 Foiov ^IovXlov
1) Bull. corr. hell. EI (1880) p. 169, n. 15.
22'
324 Sitzung der i)hüos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
TIoTaf.aova herzustellen. Die Freigelassenen Cyperns mit
dem Gentilnamen Julius^) sind wohl auf Q. Julius Cordus
zurückzuführen, welcher als Proconsul der Insel (vor dem
Jahre 52 n. Ch.) aus zwei Inschriften (von Larnaka und
Kurion) bekannt ist.^)
N. 11. Bruchstück, in die Aussenseite der Umwallung
des Hofes vom Hause des Ephraemi (Tempelplatz) eingefügt.
Buchstabunhöhe 25 mm.
-ÄZlAJETnN
N. 12. Bruchstück, in der Umwallung des Hofes eines
benachbarten Hauses. Sehr grosse Buchstaben (16 cm hoch).
Zierschrift mit apices. Vgl. Lebas Hl, n. 2803.
Acl)IÄ
^(pQodirrj Hjacfia
N. 13. Bruchstück, in die Aussenwand eines Hauses
auf dem Wege von der Kirche Tlavayia Kaü^olixy] zum
Kaffeehaus, in geringer Höhe über dem Boden eingemauert.
Die ersten drei Zeilen enthalten griechische, 3 cm hohe
Buchstaben in Zierschrift mit apices:
EBAZTH
HAPXIEPEI
ITltiBEPIOY
1) Vgl. C. Julius Rul'us aus Paphos (unter Hadrian), C. 1. A.
III, n. 478.
2) C. I. G. II, n. 2631 s.; wahrscheinlicli idontisch mit .hilius
('ordus bei Tac. bist. I, 7ü. Ein anderer römischer Beamter der gens
Julia auf Cypern ist G. Julius Marinus Gaecilius Simplex — legatus
pro praetore provinciae Gypri (G. I. L. IX, n. 4965), auch bekannt
aus den Arvalakten zum Jahre 91 u. 101 n. Gh., W. Henzen, Acta
fr. Arv. p. CXXXI, GXXXIX s., GXLIII; das Gonsulat scheint er im
Jahre 101 bekleidet zu haben, Th. Mommseu, Hermes III (1809)
123—126.
Oberhtimnicv: G-riechische Inschriften atts Cypern. 325
Darunter eine Zeile mit sehr grossen (12 — 14 cm hohen)
lateinischen Buchstaben, wovon erhalten:
ÖTEM
Der erste Teil der Inschrift ist zu ergänzen:
^]sßaOT)][g UcKpov] rj aQyuQei[a . . . f:r]l Tißeoiov [^KaioaqoQ.
Der Ehrenname ^eßaozri wurde der Stadt Paphos im
Jahre 15 v. Ch. durch Augustas zu teil, nach Dio Cass.
LIV 23. 7: Tlacflotg te oeiouo) 7tovi[ouol /.ai yqr^aaxu
tyaQiouTO y.cd t}]v nohv Aiyovorav /.aleiv /.uia döyi-ia
hiärqexpe (sc. 6 AvyovGzoq). Bereits aus den nächstfolgenden
Jahren ist uns die Aufschrift einer Statue erhalten, welche
^^eßaoTi]g IIcx(fov i] jioi/.r] /.ai 6 ötji.iog'' der Marcia, Tochter
des L. Marcius Philippus (Stiefvaters des Augustus) und Ge-
mahhn des Paullus Fabius Maximus (wahrscheinlich Pro-
consul von Cypern zwischen 15 und 12 v. Ch.) errichtete.^)
Aehnlich lautete die Pormel in einer Widmung an
Kaiser Tiberius,^) dessen Name auch auf dem Abdruck
unserer Inschrift nahezu mit Sicherheit zu lesen ist. In
späteren Inschriften findet sich der Titel 2eßaari^, im Verein
mit anderen Beinamen noch in einer Widmung an Kaiser
Pertinax:^) [:^e]ß{aoTi^) Kl{avdia) 0l{aovia) Ilacpog [i] isQo
firjTQ6\no]hg xiov v.axa. KvSjcqov rroAewv], und ebenso auf
einem zweisprachigen Meilenzeiger aus der Zeit des Septimius
Severus zwischen Kurion und Paphos:*) 2e{ßaaTr) Kl{avdici)
OXiaovia) [na](pog fj Uoa [t/JjjT^o/roAfg twv y.axo. Kirtqov
1) C. I. G. ir, n. 2629; vgl. Pauly's Realencykl. IV. S. 1540
N. 5, S. 1541 N. 9, VI, S. 2919 f. N. 67.
2) Lebas III. n. 2792 {[ZE^ßaazi^g näcf[o\v [fi ßov/.t'j y.ai 6 dfiftog]).
3) Lebas HI, n. 2785.
4) Lebas III, n. 2806; C. I. L. III 1, n. 218. Die barbarische
Schreibweise des lateinischen Teiles ist charakteristisch für die ge-
ringe Verbreitung der lateinischen Sprache auf der Insel während
der Kaiserzeit.
326 Sitzung der xMlos.-phüos. Classe vom 5. Mai 1888.
noXsiüv — Seb(aste) Papos [s]acra m[etropolis] cibitatioura
Cypri etc. Neu ist die durch unsere Inschrift bezeugte
Würde einer aQxitQEia \on Paphos (eine aqydqeia riov xaia
Kv7iQ0v Jri(,ii]XQog \Eqiov findet sich C. I. G. n. 2G37, vgl.
u. S. 336 N. 17.), während ein aQyjeQevcov rrjg noleiog
(sc. nä(pov) bereits aus C. I. G. n. 2620 bekannt ist; vgl.
u. N. 14 G (S. 329) und S. 332 f.
N. 14. Fussgestell aus rötlichem Marmor, auf dem
Platz des grossen Tempels; 27 X 91 X 83 cm; oben zwei
grosse, tiefe Löcher für eine Kolossalstatue; Buchstabenhöhe
ca. 20 mm; verwittert und schwer leserlich. Die Inschrift
wurde zuerst, jedoch sehr ungenügend von Ali Bey (pl. XXXV 1,
s. o. S. 306 A. 3.) mitgeteilt, und hienach im C. I. G. n. 2635
abgedruckt. Den ersten brauchbaren Text lieferte Ross,^)
wozu die Abschrift von Waddington (bei Lebas III, n. 2796)
noch einige willkommene Ergänzungen bietet. Obwohl ich
auf Grund meiner Abschrift und eines leider ungenügenden
Abdruckes nicht in der Lage bin, dem Texte der beiden
letzten Herausgeber Neues hinzuzufügen, glaube ich die
Inschrift ihres historischen Insteresses halber wiederholen zu
sollen. Die darin genannten Persönlichkeiten nemlich ge-
hören einer Familie an, welche unter den späteren Ptolemäern
auf die Verwaltung der Insel von bedeutendem Einflüsse
gewesen sein rauss. Ich stelle deshalb die hierauf bezüg-
lichen inschriftlichen Zeugnisse, zunächst mit den Ergänzungen
der bisherigen Herausgeber, zusammen, wodurch sich, ab-
gesehen von dem historisch-genealogischen Interesse, auch
für die Ergänzung der Texte mancher Anhalt gewinnen lässt.
A.
Text der Inschrift von Alt-Paphos nach Waddington.
1) Rhein. Mus. N. F. VII (1850) 520 N 15; Arch. Auf«. II G28
N. 15.
Oberhumvier: Griechische Inschriften aus Cypcrn. 327
QeoÖioqov leXei-/.ov , tov avyyevfj zov ßaodiiog | xat
otqaiijyöv x[a]t \j']a[vaqyo'\v [xaf aQyiEQta], \ x6 y.oivov rutv
iv Ti]i vrioioi Taoooi.äv(ov 31a[y.]iöv \ [e]ie[Q]yeoiag tvey.ev zfjg
eig e[av]To[vg].^)
Waddington bemerkt hiezu: ,J'ai copie cette inscription
avec beaucoup de soiu, et j'ai note que le dernier mot de
la troisieme ligne etait certain, sauf la lettre X; c'est
evidemment May.iuv qu'il faut lire. II s'agit d'un de ces
Corps de mercenaires eomme il y en avait plusieurs en
garnison dans l'ile; les 31ccyMi etaient une peuplade nom-
breuse qui habitait la Cyrenai'que et qui par consequent etait
soumise a l'empire des Ptolemees" (vgl. hiezu Explications
n. 1906 p. 458 b).
B.
Chrysochu (Arsinoe); jetzt im Louvre. Lebas n. 2781.
yiQ]OlVOHOV t] 7c6hg \ [0£odw^]ov TfWV TtQo'nOJV ffi?MV,
y.ai enl la)M(.üvog y.ai eni t^[^'] | /mtcc Trjv vr^GOv yqufx-
(.i[a]itiag xiov neCiy-tov /.al irtniy.üJv öv\ydfAeo}v,'] \ tov viov
5 zov I[^lX\evxov , [t^ov ovvysvovg to[v ß]aoiliiog, [toD]
OTQarriyov y.ai vaväQyo[y ya\l Oi[Qxi\EQkog tcöv -/.axo. xr^v
vrjoov I [ UQÖJv, OQSxijg evey.ev y.ai evvolag xrjg Ei]g
[ß]aoi?Ja I [nx']oX[€i,ia~iov y.ai ßaoiliooav Kleorväxqav x^v
ddehpr^v x]a< ßaöi)AOo[^uv] \ K?.eo7i dz[Qav xr]v yvvar/.a, ^'eoig
EiEQytxag, y.ai x']d XEy.v[a aJtVoJv, | x[a£ zj^g Eig iav{xi\v
evEqyEoiag\
Majuskeltext von Z. (5: NKA
LEX TEA E . AZIAEA. Die Lücke vor
l£^(ö»' ist vielleicht mit jT^i-irjXQog auszufüllen, vgl. u. S. 330
N. 17 und S. 333.
1) Die Ergänzung der 3. u. 4. Zeile durch Ross: to xoivov tcöv
eiy avxov xaaoo\ixivoyv [2"]aLu<]tov | [t^? eI? avxovg] E[v]E{QyEaia\g evexev
ist nach der vollständigeren Lesung des Textes durch Waddington
nicht mehr haltbar.
328 Sitzumj der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1888.
c.
Knodara bei Levkoniko, NW von Salamis.^) Ross,
Rhein. Mus. N. F. VII (1850) 519 N. 14 (Arch. Aufs. II
627); Lebas n. 2757.
^sXevkov tov a[vy]yevYi rov ß\^aaiXecog., roi' aTQatrjyov^ \
/ML vavaQxov y.al ccQxiegaa t6 y.o[^n'dv rwv vn' avrov] |
taoooi.ievojv Kqr^Tiav aqEir-g ["»'£/.€)' xat evvoiac, Tr^g fiZg] |
ßaoikia TlroXeiAaiov y.al ßaoikioo\av KleorrarQui' Trjv ddel-
5 9>'/V] II xal ßaoiXiöoav KleonccTQav Tt]r y\^ci>ar/ia, deovg Ev-
egyetag,^ \ /.al xa xt-/.va xal zf^g Eig xo v.o[^ivov evEQyeoiag].
D.
Kurion. C. I. G. n. 2622 (nach Vidua).
— 67v£t'/to»' Biiyvog., xov avyyei'ij xov ßaaiXtwg, | xov oxqa-
XTjyov YMi vauaQxov 7.al üQx{i)i£Qsa \ xov '/.axd X7]v vrjoov,
KovQUüJv Tj TvöXig I ccQEX^g evez-ev xai svvoiag xrjg elg ßaoiXea \\
5 /7rüA£//[aI]oj' xat ßaoiXiooav KXe07cdxQav | vr/V ddeXq^r^v y.al
ßaaiXioaav KXeojicxqav \ t»jV yvvar/.a, d^eovg Eiegyeiag., \
[/Ml xi^g elg^ tavxrjv emQyeoiag.
E.
Famagusta (Salamis). C. I. G. n. 2619 (nach Pococke
und Vidua); vgl. VVaddington zu Lebas n. 2796.
^OXv^uddöa r[r]j' xov delvog, yvralxa ös] \ Geodo'iQov xoZ
[deivog xov avyyevuvg xov] \ ßaoiXetog, xov ax[Qaxijyoi nal
5 vavaoyov] \ /.al dqyieqiog xo[y] x[a]r[a] j| Kvtzqov, yQccf.i-
litaz[Hijg xöJv xregl xov Jlovvoov] T£X''t^[w]»'.
In Z. 2 hat Waddington mit Rücksicht auf A den
Vatersnamen 2eXev/.ov eingesetzt. Der Schluss von Z. 4
lautet im Majuskeltext nach Pococke TOK . TO, nach Vidua
1) Bei Knodara stand ein römisches Kastell ; der antike Name
des Ortes ist unbekannt; Ross, Reisen S. 137 f.; C. 1. L. III 1 n. 215
(.;f. add.).
OhcrliHDimcr: Griechische Iiischriftex aus Ci/peni. 329
TOKOI. Ks ist deshalb wohl richtiger mit Wafklington zu
ergänzen: t6 ■/co<[j'OJ' tcü%> xara] Kvjiqoi' yqui-if-iacYtcov xai
TiZi' jieqi Jiovvoov] texvix\io]v. Ueber letztere Bezeichnung"
vgl. C. I. G. 2619 s., Böckh ib. II p. 056 s., Lebas n. 2793 s.
u. N. 15.
F.
Chytroi. Cesnola, Cypern S. 370 f. N. 10. Vgl. H. Röhl
in Bursians Jahresbericht Bd. 36 S. 53.
^OXv/ii/iiada t>jV O^ryareoa \ ^^gre/iicög Ttjg JSeXsvy(.[ov
. . . .] I 7iQi6ziov (filiüv^ Tov ffT[()]ü[i/yyor] I y.at vauaoyov ymI
5 aQxie[Qecog^, [, ^vyaTQog rj noXig rj . . . .
In Z. 2 ist am Schlüsse riöv einzusetzen. Wenn der
Fundort von Cesnola richtig angegeben ist, ^) wäre die letzte
Zeile mit ^ noXig iq Xvtqojv zu ergänzen.
G.
Neu-Paphos. Lebas n. 2786.
^QiEf^iOJ T)]v 0-vy\^areQa zov delvoc, tov Oi-yysvovg] \ tov
ßaoiXtiog y.[al OTQaTrjyov /.ai pardgyov^ \ y.al aQxiEQiiog tiil^g
^4(fQ0ÖiTi]g zrig JJacpiag yal] \ KXeo/iotgag x^eä\^g, to '/.oivov
5 Tiov y.ara trjv rr^oov^ \z^aooo/.uvo}v
In Z. 1 kann unter Vergleich von F und mit Rücksicht
auf die Titulaturen unbedenklich ^sXeiyov ergänzt werden.
Da die Widmung aus der Zeit der Statthalterschaft des
Seleukos stammt, unter welchem nach C Kreter als Besatzung
auf der Insel lagen, so ist es wahrscheinlich, dass der Schluss
von G (vgl. A) herzustellen ist: [ro yoivöv tiov naTcc Tr^v
vrjaov Tiaaoouevwv [KQtiTcov]. Wie bereits Röhl zu F be-
merkt, konnte Olympias zugleich des Seleukos Enkelin und
Schwiegertochter sein.
1) Gewiss ist der Stein nicht, wie Cesnola sagt, , blauer Granit",
sondern wahrscheinlich bläulicher Marmor; vgl. u. N. 15 f., 18 f.
330 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
H.
Nen-Paphos. C. I. G. ii. 2624 (nach einer entlehnten
Abschrift bei Vidiia). Lebas n. 2787. Text mit Waddingtons
Ergänzung.
[Tdv ds7va tov ovyyev^j zov] \ [ß]aailHog^ tov OTQazrjyov
•/Ml üQX'^Q^^ I [j^]w»' /.aza z-qv vfjaov Jf^wr, q^ilayad^iag \
[f']v£KEv Tri[g elg . . . .
Unter Vergleichnng der vorigen Inschriften und mit
Rücksicht auf den Fundort glaube ich die 1. Zeile folgender-
massen herstellen zu dürfen: i) nöXig rj Tlaq^iiov QeoöwQov
zov ovyyevrj zov etc.; am Schluss rijg elg savrriv.^)
Wir lernen durch die vorstehenden Inschriften eine
Reihe von Persönlichkeiten kennen, deren genealogisches
Verhältniss sich folgenderniassen darstellt:
Bithys
Seleukos
Theodoros, venn. Artemo, verni. m. N
m. Olympias 1
Olympias, verm.
m. Theodoros.
Die Zeitbestimmung ergil)t sich aus B, C, D, wonach
sowohl Seleukos als sein Sohn Theodoros unter der Regierung
1) Zur Fonnulicruntr des Dekretes vgl. Lebas n. 2703: 7/ jid/.ig
r) TlarpUov I 'AQiaxovixrjv rijv 'A/ifiwriov , yvraixa Ö'e 'AQioioy.Qätovg \
tov avyyfvovg xai vjio/ivtj/iiaToyQdrpov x[a]i zcöv xara Kvnoov \ tieqI tov
5 Aiövvaov TEXviTÖJv (fdayaüiag evfxev rfjg \\ Eig eavrrjv. Diese Inschrift,
welche Herr Ohnefalsch-Richter während unseres Aufenthaltes in
Kuklia wieder auffand, steht auf einer Basis aus grauem Marmor,
an der Aussenseite der zweiten Kirche des Ortes (nach Waddington
'ÄJtönzolog Aovy.ag); der Stein ist aufrecht gestellt und steckt mit
dem untern Teil in der Erde, über welche er noch ca. 5(» cm empor-
ragt. Inschriftfläche 32 X 90 cm. Schrift sehr verwittert und nur
bei günstiger Beleuchtung leserlich.
Oherhummer: Griechische Inschriften aus Gypern. ool
des Ptoleraaios VIII (VII) Euergetes II Physkon (146 bis
117 V. Ch.) auf Cypern wichtige Aemter bekleideten. Noch
näher wird die Zeit bestimmt durch die gleichzeitige Nennung
zweier Königinnen des Namens Kleopatra; wir werden da-
durch auf jene Periode der Regierung Physkons verwiesen,
in welcher derselbe nach Aussöhnung mit seiner verstossenen
ersten Frau, Kleopatra (II), seiner leiblichen Schwester und
Wittwe seines Bruders Philometor, sowohl diese, als deren
gleichnamige Tochter von Philometor (Kleopatra III), somit
seine Nichte und Stieftochter, gleichzeitig zu Gemahlinnen
hatte, nach 127 v. Ch.^) Wenn ausserdem in G eine Kleo-
patra erscheint, so ist darunter wohl die jüngere der beiden
vorgenannten zu verstehen und die Inschrift in jene Zeit
zu setzen, in welcher Physkon, durch einen Aufstand der
Alexandriner vertrieben, sich mit dieser seiner jüngeren Ge-
mahlin in Cypern aufhielt, also jedenfalls vor 127 v. Ch.^)
Keine der Personen, auf welche sich die Inschriften be-
ziehen, ist sonst irgendwie aus der Literatur bekannt. Unsere
Texte ergeben etwa folgendes.
Bithys, welcher seinem Namen nach zu schliessen,
vielleicht aus Thrakien eingewandert ist, scheint noch kein
öffentliches Amt bekleidet zu haben. ^)
1) Vgl. K. Cless bei Pauly VI 1 S. 222 f.; J. Franz C. I. Gr. 111
p. 285 b; R. St. Poole, Catal. ofGreek Coins. The Ptolemies. P. LXIX.
2) Vgl. W. Engel, Kypros I 419; über die Beziehungen des
Physkon zu Cypern, wo er schon seit 154 v. Ch. regierte, im Allge-
meinen Engel I 407 — 21.
3) Bekanntlich waren die Bithyner ein thrakischer Stamm, und
noch später wird in Thrakien ein Volk Bi&vac erwähnt (Steph. Byz.
8. V.); ebenso befand sich dort nach App. Mi. 1 ein Fluss Bi&vag
(= Ba'&vviag'i, Pauly I 2307). Zum Personennamen Bi'^g vgl. ausser
dem, was bei Pape-Benseler I 212a angeführt ist: Bithys, S. des
thrakischen Fürsten Kotys, Zon. IX 24 (Par. I 460 ab) coli. Liv.
XLV 42, 5, Polyb. XXX 18 (12); BX&vg 0Qäx§ (sie!), C. I. A. III
n. 2494, cf. ib. 3048; Bi[^]vg aus Abydos, C. I. Gr. II n. 2160 add. ;
332 Sitzung der philos.-iMlol. Classe vom 5. Mni 1888.
Seleukos erscheint in B, C, D, F, G mit einer Reihe
von Titulaturen, unter welchen nach dem Ceremoniell am
ägyptischen Hofe der Hoftitel den Amtstiteln vorangeht;
in F lautet die Bezeichnung zcov ttqlÖtiov cpihov, in B, C,
D, G avyyevrjg lov ßaoilecog; dass letzteres der höhere Titel
ist, ergibt sich sowohl aus anderen Zeugnissen^) als aus B,
wonach zu gleicher Zeit der Vater den Rang eines dt'/yevj/g,
der Sohn den Rang der ngcdroi cpiloi einnimmt. F stammt
also noch aus der Zeit vor der Erhebung des Seleukos
zum ovyysvrig und ist somit wahrscheinlich die älteste der
besprochenen Inschriften. Hierauf folgt G, für welche Wid-
mung wir als untere zeitliche Grenze das Jahr 127 v. Gh.
angesetzt haben.
Die übrigen Titel, Avelche dem Seleukos beigelegt werden,
beziehen sich auf die amtliche Stellung desselben als könig-
lichen Statthalters der Insel; die Bezeichnung hiefür, wie in
den meisten Provinzen des ägyptischen Reiches, war otqu-
Tryyog^) (entsprechend dem früheren vo/^iaQxrjg)., wozu in Cypern
noch die Titel vaiaqyog und aQyisQEig kamen, um auszu-
drücken, dass dem Statthalter die oberste Militärgewalt für
die Insel zu Wasser und zu Lande, sowie die Oberleitung
der gerade auf Cypern sehr wichtigen geistlichen Angelegen-
heiten zustand.^) Der Titel aqyitqevg ist manchmal mit
einem Beisatz, wie o y.ara Kvjiqov (E), xijg vroov (C. I. G.
BeTdvg aus Aizanoi (Phr.yf,nen), Lebas III n. 874 (C. I. Gr. III n. 3837
add.); dgl. aus Sura (Lykier), C. I. Gr. III n. 4303 i; Bidvs aus Lysi-
inacheia (vielleicht identisch mit dem Vertrauten des Königs Lysi-
machos Ath. VI 246 e, XIV 614 f.), C. I. A. II n. 320; BetOvg Athener
(Kaiserzeit) C. I. A. III n. 1111b, 1153, 1255; Bit(h)us, Name in
Philippi, Pauly P 2, 2388 N. 2, ('. 1. L. III n. 703, 707; dgl. in
Phrygien ib. 856, in Moesien ib. 2 n. 6135.
1) Vgl. Joh. Franz C. I. Gr. III p. 289 .s.
2) Vgl. J. Franz C. I. Gr. III p. 289 a, 291 s.
3) Vgl. W. Engel, Kypros I 392 f.
Oherhummer: Griechische Inschriften aus Cypern. 333
n. 2633), o /Mid xr^v vfjoov (D, C. I. G. ii. 2624) verbunden,
um den Unterschied von dem (berufsmässigen) aqyuqevg
eines bestimmten Ortes auszudrücken. Ob in B die Be-
zeichnung nun aQ/ieosig rwv xara ttjV vrioov leQwv gelautet
hat, oder vor kgioy noch die Bezeichnung einer Gottheit
ausgefallen ist, bleibt, ebenso wie die Ergänzung der Lücke
überhaupt, zweifelhaft. Ebenso muss dahin gestellt bleiben,
ob der Zusatz in G richtig ergänzt ist; jedenfalls wäre damit
eine auffallende Abweichung von der Regel gegeben, wonach
der Statthalter als oberster Kultusbeamter der Insel schlecht-
hin bezeichnet ist.
Seleukos wurde zum Statthalter ernannt, als er noch
den Ran«' der nqwioi qiXoL bekleidete (F), und erst
während seiner Amtsthätigkeit, doch, wie es scheint, schon
nach kurzer Zeit (vor 127 v. Gh., G) in die oberste Hof-
rangklasse der ovyyEVBig befördert.
Die in C und vielleicht auch in G genannten Kreter
sind Soldtruppen, welche gewöhnlich als Besatzung in den
Provinzen des ägyptischen Reiches lagen.
Theodoros erscheint in B mit dem Rang der nQcoToi
g)iXoi und in der Stellung eines Kommandanten von Salamis
{s7cl ^aXa/xlvog) sowie eines yqafxpiarevg der gesammten
Streitmacht der Insel; die ihm in dieser Stellung erwiesene
Ehrung durch die Stadt Arsinoe fällt unter die Statthalter-
schaft seines Vaters Seleukos und zwar in die Zeit zwischen
127 und 117 v. Gh. Nach A und E, wozu wahrscheinlich auch
H gehört, wurde Theodoros Nachfolger seines Vaters in der
Statthalterschaft mit dem Rang eines ovyyEVTqq rov ßaoiUtog
und den Titeln eines atqaxr^yog, vavaoyog und agyiegsig; doch
ist aus den beiden letzterwähnten Inschriften nicht zu ent-
nehmen, ob der Tod des Seleukos und die Ernennung des
Theodoros zu seinem Nachfolger noch unter der Regierung
des Ptolemaios VIII Euergetes II erfolgt ist. In E führt
Theodoros ausserdem noch den Ehrentitel eines yga^ifiazeig
334 Sitziing der phnos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1888.
Ttüv Tieqi Tov Jiovvoov TEyviTiov^ über welchen o. S. 329 ;
E ist somit wahrscheinlich jün<ijer als A. Wegen der Maker,
von denen nach A Theodoros mit einem Standbild zu Alt-
Paphos geehrt wurde, vgl. o. S. 327 und S. 329 G. Die in E
ausgesprochene Ehrung bezieht sich au^ des Theodoros Ge-
mahlin Olympias, einer Tochter von seiner Schwester
Artemo. Eine andere Ehrung für Olympias (F) gehört
noch in die Zeit vor der Beförderung ihres Grossvaters Se-
leukos zum avyyevrjg.
N. 15. Fussgestell aus rötlichem Marmor (bei Cesnola
„Porphyr"!) im Hof der Kirche Ilav. KaO.; auf der Ober-
fläche mehrere Löcher, deutlich die Vertiefung für den
rechten Fuss (etwa Lebensgrösse). 17 X 80 X 52 cm; Bncli-
stabenhöhe 15—20 mm. Waddington bei Lebas n. 2794;
Cesnola S. 367 N. 2.
Text nach Waddington:
'4(pQoöhrji Ua(f[iui.
'^zzalXog ^vaoiy.qärov [[mv 7ieqI\ tov ^Jiovvoov
>cat i)^e]ovg EveQyecug Teyvictov td i[ai:[ov naiöia
T^i/u6/.QiT0v, KaXkio'tiov.
N. 16. Fussgestell aus bläulichem Marmor (Waddington
„marbre blanc" ; Cesnola „Granit" !) im Hof derselben Kirche;
oben Löcher für eine Statuengruppe. 22 X 91 X 78 cm;
Buchstabenhöhe 12 — 15 mm. Sorgfältige Schrift (3. Jahrb.).
Sakellarios S. 96 f.; Cesnola S. 369 f. N. 7b; Waddington
bei Lebas n. 2802; Kaibel, Ep. Gr. n. 254.
Text nach Waddington:
1 HNXPONOLHNIKATONAEZO . I^TATONEAAAZE
KAEIIEN
2 rATPnMIAITAMPAIAAAAMAZZArOPA
3 niPA NEAOZnPOrONOlAONOMAETOIA
n...HZ
4 EK.ONÜlATPEIAANEAAAAOZArEMONON
Oberhitmmer: Griechische Inschriften aus Cypern. 33o
Z. 2. Cesnola nATPßMci)A . . AMP . . AA; Sakel-
larios PATPflMIAN - AMPYO - AA. Waddington be-
merkt: ,J'ai copie cette iiiscriptiou avec beaucoup de soin
et je puis garantir le premier mot de la seconde ligiie, bien
que sa forme soit singuliere; c'est nn iiom propre que je
u'ai pu retrouver nulle part etc."
Trotz dieser Versicherung muss Waddingtons Lesung
als irrig bezeichnet werden. Wilaniowitz (bei Kaibel) wollte
den Anfang in [t]ar^[o].it verbessern; eine erneute Prüfung
meines Druckes durch Herrn Professor Scholl hat diese Ver-
mutung in so ferne bestätigt, als sich der erste Buchstabe
thatsächlich als | erweist; ein verfehlter Meisselstrich über
demselben hat zu der irreführenden Lesung F oder P An-
lass gegeben. Die 5 nächsten Buclistaben sind bei Wad-
dington richtig und ist zu lesen luTQidfi, worauf der mit
einem ?r-Laut beginnende Eigenname folgt. Als Anfangs-
buchstabe desselben ergibt sich aus meinem Abdruck sowie
aus meiner Abschrift ziemlich sicher (j), so dass etwa 0a~iÖQog
oder ein ähnlicher Name (Oalvog, (Daloxog, Oaiveug) zu er-
gänzen ist. Die 2. Hälfte des Verses liest Cesnola Jtaiöa
öofiaoo' ayoga; Waddington (und Kaibel) ohne Zweifel
richtiger 7iulda JafiaooayoQa. — Z. 3. Cesnola
NEAOZ; Sakellarios IHHA IPANEAOZ. Wad-
dington ergänzte oj nd\(fog r]v /ueju eöog; Cesnola [uaTQig
si-ioi Tt]v£dog. Dass der Name der Insel Tenedos hier ge-
standen hat, macht die nachfolgende Erwähnung der Atriden
wahrscheinlich;^) da aber der Anfang Hl PA sicher zu sein
scheint, so ist wohl zu lesen oj TrazQig r]v Teredog. Den
Schluss der Zeile ergänzen Waddington und Cesnola wahr-
scheinlich richtig a7c' [at'rj/^g; Bücheier (bei Kaibel) will
dafür an' [aly.]r^g oder an' [aix^i\-^g lesen; letzteres ist jeden-
1) Ueber die Besiedelung von Tenedos durch Achäer vgl. Duncker,
Gesch. d. Alt. V^ 161 ff.
336 Sitzung der plülos.-iMlol. Classe vom 5. Mai 1888.
falls mit Rücksicht auf den Raum zu verwerfen. — Z. 4. Ces-
nola EKrONOE; Sakellarios EKTONO.; meine Abschrift
EK . ONOI, Abdruck EK . ONO. Am Schluss Waddiugton
irrig ON, nach allen andern Zeugnissen UN (sicher).
Die Inschrift lautet also nach der wahrscheinlichsten
Ergänzung :
Hv /^oj'Og, rjvl-/.a rovöe ao[cp]coraTov '^Elldg l'-nXeiCev
'[atQcTjii (Dal\dQO^u naida zlai.iaoGayoQa'
'Ql 7ra[TQic. r^v Tt^vEÖog. vTQoyovoi d' ovof.iaaTOi a.rc' [at;r]rjg,
^'E/\y\ovoL ^rgeidäv '^EXXadoq ayef.i6viov.
Neu scheint der Name Damassagoras zu sein.
N. 17. Block aus bläulichem Marmor, in die Südwand
(aussen) derselben Kirche eingemauert. 51 X 27 cm. Buch-
stabenhöhe 10 mm, in der 1. Z. 20 mm. Nachlässige, aber
deutliche Schrift. Die Inschrift wurde veröffentlicht von
Hammer (a. a. 0. S. 183 f.\ Will. Turner i) und Vidua
(a. a, 0. S. 36, T. XXXIII, N. 1), aus deren durchaus
mangelhaften Abschriften dieselbe von Böckh (C. I. G.
n. 2637) fast ganz richtig hergestellt worden ist. Neuer-
dings hat Waddington (bei Lebas n. 2801) einen zuver-
lässigen Text geliefert.
l4(pQodnrii Tlafpiai. \ Faiov Ov(.if.iidiov TtjQijziva Kova-
Öqütov I Tov oQyiEQaa \ rov /.al TlavTavxiavov ^ rdi'ov ||
5 TiiQiiZiva I Ov{.i{.iidiov navTaiyo\^c^ v\ov^ \ tov ogyisQÜ^g -/.al
yii.tv<.(0i(e()\yjjOarT0g, KXaiöia läjKpäqiov \ Telxqov x)vydz)jQ,
10 rj üQyjegia zwv |j y.aza. Kwiqov ^rjf.ir]TQog legtov^ | tov iavrrjQ
vhordv tvvoiag \ y/tQiv LH.
Mein Abdruck bestätigt Waddingtons Abschrift TTANT
AYXOI (Z. 6) und APXIEPIA (Z. 0); den Steinmetzfehler
— XOI hatten bereits Turner und Vidua richtig wieder ge-
gel)en. W^egen der Form oQyuQia vgl. den kyprischen
Mouatsnamen yioyitQiog iui Pariser Stephanus s. ^Qyieqtvg.
1) Journal of a Tour in the Levant (London 1820) vo!. II, p. 565.
Oberhunimer: Griechische luachriften aus Cypern. 337
Heber den Namen 'Aiiq^aQiov s. Letronne. Journ. d.
Sav. 1827, S. 175, coli. Paul. ep. Philem. 2; der Name
'^Tifior findet sich besonders häufig in Phrygien, s. J. H.
Mordtmann in d. Mitteil. d. Inst. X (1885) S. 17.
Wie schon Böckh bemerkt hat, ist der Name der
cyprischen Ummidier auf C.^) ümmidius Qaadratus
zurückzuführen, welcher unter den Kaisern Augustus bis
Nero eine Reihe von Aemtern, u. A. das eines Proconsuls
von Cypern bekleidete.^) Ueber die Teretina tribus vgl.
F. n(itscbl), Rhein. Mus. N. F. XV (1860) 8. 637.
LH = ^rovg t] bezieht sich nach Waddington entweder
auf die Regierungszeit des Kaisers (Vespasian?) oder auf die
lokale Aera seit Erteilung der Beinamen Claudia oder Flavia
(vgl. o. S. 325).
N. 18. Fussgestell aus bläulichem Marmor (Waddington
„marbre noir", Cesnola „Granit"!) im Hof derselben Kirche.
Oben mehrere Löcher, anscheinend für eine Kolossalstatue
aus Bronze. 22 X 89 X 78 cm ; Buchstabenhöhe 20 mm.
Sorgfältige und deutliche Schrift mit apices. Cesnola S. 368 f.
N. 5; Waddington bei Lebas n. 2799 (nur A; B, auf einer
andern Seitenfläche, scheint von ihm übersehen worden
zu sein).
A.
APXETIMHNAPEAAEOYZOYrATEPA
TAPAIAIAEAMIONKAIONHLIAOE
^QyeTii-iiji', ^^nelXeovg d^vyariqa,
xa 7iaidia ^äf-iiov y.ai ^Ovr^oiXog.
1) Nicht T., wie ßöckh noch auf Grund der älteren, irrigen
Lesart bei Tac. a. XU 45 (cod. Med. Tummidius) schrieb.
2) S. über ihn Haakh bei Pauly V, S. 743 ff.; Nipperdey zu
Tac. 1. 1. Die Inschrift Orelli n. 3128, welche ihn als procos. provinc.
Cypri nennt, steht jetzt C. I. Lat. X 1 n. 5182; vgl. noch Mommsen
ib. III 2 p. 971 ad n. 162.
1888. PbUoa.-philol. u. bist. Ol. 3. 23
338 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1S88.
nOAEßZKAIPOZTOYMAN
HMOZAPETHZXAPIN
.... ccQxiEQea? T/^g] 7i6Xei'jg /mI rLoGzoif.ia.\v
.... riaq)uov ö (5j»j^/og aQerFjg yäqtv.
B ist wahrscheinlich später hinzugefügt; Schriftcharakter
verschieden von A und weniger sorgfältig.
N. 19. Fussgestell aus rötlichem Marmor (Cesnola
„Porphyr" !) beim Hause des Ephraemi (Tempelplatz).
21 X 58 X 52 cm ; oben Löcher für eine Gruppe von
kleineren Figuren (4 — 5 Fusstapfen). Die Inschrift wurde
zuerst von Ross, der sie selbst nicht gesehen, unvollständig
veröffentlicht, ^J dann besser von Rangabe (Ant. Hell. H,
p. 783, n. 1234), Sakellarios (S. 96), J. Hogg^) und
F. ünger, ^) nach dessen Text dieselbe von H. Sauppe*) und
E. Leutsch^) herausgegeben wurde. Neuerdings hat, abge-
gesehen von der ungenauen Wiedergabe bei Cesnola (S. 367
N. 1), Waddington (bei Lebas n. 2798) einen vollständigen
und zuverlässigen Text geliefert.
l4(pqodiTi]i Ilacfiai. \ z/rjj.iO}iQdzrjg nTokE[.iaiov \ 6 dgyog
5 TW»' Kivvqadiov \ /.al yj yvvrj EvvUtj j| rrjv savziov i^vyaxtqa |
^qioxriv.
Ueber die Kinyraden vgl. W. Engel. Kypros H 100 ff.;
Ross, Leutsch, Waddington a. a. O.; A. Voigt, Kinyras in
der Allg. Eucykl. II 36 (1884) S. 117; A. Enmann, Kypros
1) Rhein. Mus. VII 620 N. 16 ^ Arcb. Aufs. II 628. In Z. 6
las Ross ... OIC ... und ergänzte &e^oTg, was später K. Keil (Arch.
Aufs.) als irrig zurückwies.
2) Transact. R. Soc. Lit. II, S. VII a83 ff., nach Leycester's
Abschrift (1849).
3) F. Ungar u. Th. Kotscliy, Die Insel Cypern S. 556.
4) Nachr. d. Gott. Ges. d. Wi.ss. 1866 S. 133 f.
5) Philologus XXIV (1866) S. 226.
fOtmAimmmter: '&ri,etännt}i»e Itimaiirmlfim am 'Ogpttm "•■'•
IL. der Osipmnsr ö» J^5ÄiHÄtBkiidlii& ~ os
3f. 30. Tusar ttsr Trrämnem fe Ainiloser"' ^ r
HtJ*" Th.Tiiwi vir. alöSSseiieL ^jr itst. BnuaHröei-
te'tifäiaj« Fr, . idnem MarmDr. btt ^»^eiteir
IE üenniiGiter :■ '■ ..- ^r.:._ war:
j^ ;.. v^- - -• - -_.--.- ^-- — . . ^-_^s ^atm^ wtKMh-
vekii» in cr^prscner Seisäfi: äie Iäshüäp Äc . ^tatr:. üraseu..
^ 7 lue gffjWTg^- öa* Jiier TnHVtr — • "l
.j^gngwvF- -srwa ^irvtkftr.. et -aEErsiEae- ^
5',. 23_. Ix E 7 ^ _ : :«. AaLaiim*)) "SaasL üt in
' -.jE3D£5aii W5L Itertu- : - - . -^: -^ — ■ — "' — -"^
r^ikhr de? tfidser«^ .. erEfibrr amgf?maTKgxu nni
m dsn»äii>fiii Hccranm. iboBii öMm -eJmfBinHneri;- äsr .riTvsm
VATfCiv
1:-! TiraeÖerhaife 3ifr leraiE; ^nn 5*äsj-
: ^ 32P JA.. 1 n. leb« i.. iSliif' T::aiaisacr L. üS" r„ ai*6 :
ifliEsere iatsjt- 31 'v -^J' >< ■5^ "^ ^- ' ansübemant für sii>- *^ ' -«m-
üji ^^w. jmimarr. . -^
mkäc &SBB. fiujbsr st. i*-.-_:„ , _ ; — - - '^
«iA smaiL in flinsr Inaiäiiift «ns Ptini;rt.'M|iaitm. '- I. ü. IH im. ÜBIS* t.
3^ IShsiii. Kbs. Tir SS X. S A -&Ki- Jfcnfe. IL ^3S.
340 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
auch nach meiner Abschrift, gegen Sakellarios, Naziov für
einen vollständigen Namen halten muss; vgl. Ross a. a. 0.
N. 22. Fussgestell aus bläulichem Marmor auf einem
Grabe des türkischen Friedhofs von Kuklia (10 engl. Meilen
westlich von Famagusta). 23 X 71 X 48 cm; oben eine
viereckige Vertiefung, 16 X 16 cm weit, 4 cm tief, links
davon zwei runde Löcher. Buchstabenhöhe 25 mm, in Z. 4
und 5 nur 15 — 20 mm. Zierschrift mit apices, A, Z, CO.
Text mitgeteilt von Beaudouin und Pottier, Bull. corr. hell.
III p. 173 n. 24.
T6 •/.oivdv KvTTQuov I Keiiüvlav KaXXiotcd ^rrtxjjv, |
yvvalKa OXaviov 0 [a^x]'*[?o;]a]a|t/6Vot' [tw]v 2e-
5 [/9o;(7]r[c(5)' dyad-ov x . . . .
Wegen des Namens Ke'icovia (Ceionia) vgl. J. Franz
C. I. Ct. III n. 5883 add. Das y.oiv6v KvnQUov wird ausser-
dem in der Kaiserzeit sowohl inschriftlich ^) als besonders auf
Münzen von Claudius bis Macrinus erwähnt.^)
N. 23. Fussgestell aus bläulichem Marmor, vor der
Kirche (jetzt Moschee) H. Sophia in Famagusta. 28 X 82
X 71 cm; oben (3 runde Löcher, wahrscheinlich für eine
Bronzestatue. Sehr klare Schrift. Nach Pococke und Turner
von Böckh C. I. G. n. 2634 (ungenau), neuerdings von
Waddington bei Lebas n. 2755 korrekt herausgegeben.
^vToy.QätOQa\ NtQOvav TQa'iavdv Kaioaga \ [^Eßaoxo\v
Fegi^aviKOv, viov d-eov | [NeQova ^£]ßaaiov, rj 7v6kig. LT.
A.
N. 24. Bruchstücke eines Sandsteinblockes (1 grosses
und 2 kleine Stücke), bei Salamis in der Nähe der Wasser-
1) Ross, Rhein. Mus. VII 517 N. 10 (Arch. Aufs. II 625), Lebas
n. 2734; C. I. A. III n. 478.
2) Mionnet III p. 671-676 n. 4—6, 8, 12, 14 s., 23, 25, 29-43,
suppl. VII p. 304—8 n. 5—9, 11-16.
Oberhummer: Griechische Inschriften aus Cypern. 341
leitung (s. u.) gefunden; der ganze Block war 54 cm hoch,
84 cm breit; Bachstabenhöhe 5 cm.
+ei
BAYTe
APKAAIÖ
CÜTATOY
5 CKonoY . viriiAA
+ 'E[yevovTO^
'/.{ai) avzB [aJ? ciip'iöeg inl]
l4Qy.adi[ov zoi ddt-]
wraTOV [ccQxiB/ii-^
5 OKOTTOV
Vorstehendes Fragment bildet einen neuen Beitrag zu
einer Reihe von Inschriften, welche sich auf eine in byzan-
tinischer Zeit erbaute oder doch erneuerte Wasserleitung
der Stadt Constantia, die, angeblich von Constantius
Ohlorus, auf den Trümmern von Salamis gegründet wurde,
beziehen. Die zwei bedeutendsten dieser Inschriften, welche
bereits mehrfach gedruckt sind, habe ich mit Herrn Richter
im Dorfe H. Sergios, V^ Stunde NW von den Ruinen von
Salamis, wiedergefunden; sie sind auf Sandsteinblöcken ein-
gegraben und befinden sich jetzt in zwei verschiedenen
Häusern des Ortes. Dieselben lauten (Text nach Waddington):
B.
Ross, Reisen nach Kos u. s. w. S. 118; Sakellarios
S. 171 f.; Kirchhofe C. I. G. IV n. 8G63 (nach Ross);
Waddington bei Lebas n. 2764. 24 X 85 X 51 cm.
+ 'Eyivetov x-
al avre rj diy.-
a aiplöeg Inl
JlkovTaQxov
5 aQxie^cioxwTt-
ov r^ixwv ivd{iy,ti(vvog) ly +
342 Sitzioig der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1S88.
Z. 1 a. E. Waddington ONK; Hoss und meine Ab-
schrift OHK; Sakellarios «V^'^^^'^'^ '"i '^- Kirchhoff vermutete
in Z. 1 und 2 Eyi-veio tj '/.ai[yo]v[Qyia] ötna oder -xa/[v/a/e]
i-'[v]dE/.a, was nach dem jetzt festgestellten Texte unhaltbar ist.
C.
Ross, Reisen etc. S. 118; Sakellarios S. 172; Kirchhoff
C. I. G. IV n. 8658; Waddington bei Lebas n. 2768.
42 X 72 X 68 cm.
+ ^EyivovT~\o ovv
&(e)([> x[£ at^rai e. ainxa
ailüdeg fx tuv (piX-
OTifirjif-ävTwv 7ta-
5 Qo. (J)X(aßtov) '^Hqay.Xlov xov &e-
oOTtTivov Tj/.ioi> deo-
noTOV ano xov ijr7iodQOf.i-
ov l^ri{vi) g {Iv)d(iyixiwvog) g +
Z. 1. Ross (a. E.) rOEIH, meine Abschrift (dgl.) tN;
fehlt bei Sakellarios. Z. 2. Ross eCüH . . TAieAPFTTA;
Sakellarios ^lo xag-agexa; meine Abschrift BGüK . .
TAIGAITTTÄ. Die Ergänzung z[€] statt y.[ai'] ist durch
den Raum bedingt, wenn nicht besser z(at) zu schreiben ist.
Z. 6 in der Mitte IJoss falsch T08H. Z. 8 Wad<lington
LI U
öMc,-'XA^+; Koss 8MS+AS+; lueine Abschrift ÖM^XA^+.
Ferner gehören zu dieser Gruppe
D.
Stein aus H. Sergios, jetzt in Laniaka, nach Waddington
bei Lebas n. 2765.
+ 'Eyevovxo /.s ao-
vxe r) ^Q^l^] c(ip[i]d£g
hnl TIXovx[aQ]xov
aQXie/r iax(j7i:ov
u'd(iACuiJfug) r +
Oberhnmmer: Griechische Inschriften aus Cypern. 343
E.
Stein in Trikoino (7—8 englische Meilen N von Salamis).
Waddington bei Lebas n. 27»55 und (vollständiger)
Beaudouin und Pottier, Bull. corr. hell. 111 p. 170 s. n. 20.
+ ^Ely^verlo
xat ai'TS iq [rri-
fir]{vi) T] lvd{i'/.Tim'og) ly
F.
Wahrscheinlich gehört zu dieser Gruppe auch die In-
schrift auf einem Sandsteinblocke in der Kirche H. Thekla
zwischen Makrastyka und Kuklia (s. N. 22). Der Block
ist rechts oben abgeschlagen, auch links oben etwas be-
schädigt. 58 X 55 cm, Buchstabenhöhe 4—6 cm. Die nach-
lässig eingegrabenen Buchstaben erscheinen trotz ihrer Grösse
bei der weichen, porösen Beschaffenheit des Steines ver-
schwommen und undeutlich ; ein mit Mühe und Sorgfalt (auf
nassem Wege) hergestellter Abdruck erwies sich als fast
ganz unbrauchbar. Ein besseres Ergebnis wäre vielleicht
mit einem Graphitabdrnck zu erzielen. Ich wiederhole hier
die in meinem Tagebuche aufgezeichnete Abschrift, aus der
es freilich kaum möglich sein wird den Zusammenhang des
Textes herzustellen.
GKOIA
KOüGüA
noY0Yrecü
rNGüC
OüCXPHC TH
NüüCOGüü MiAl
+ ON e NMIH
ICOA
344 Sitzung der philos.-philol. Clasae vom 5. Mai 1S88.
Versuchen wir die vorstehenden Inschriften, abgesehen
von F, in Zusammenhang zu bringen und ihre Abfassungs-
zeit festzustellen, so finden wir den besten Anhalt an C,
woraus sich ergibt, dass 7 Bogen der Wasserleitung vom
Hippodrom ^) ab auf Kosten des Kaisers Herakleios
(010—41) erbaut wurden (vgl. Waddington a. a. 0.). Wenn
die Indiktionszahl (6) richtig gelesen ist, so kann die In-
schrift nur aus einem der beiden Jahre (318 oder ()33 stammen.
In A war als Erzbischof (vgl. B und D) Arkadios
genannt. Wir kennen zwei Männer dieses Namens, welche
den erzbischöflichen Thron von Salamis -Constantia inne
<rehabt haben. Arkadios I. beschrieb am Ende des 6. Jahr-
hunderts das Leben des Styhten Simeon des Jüngeren;^)
an ihn richtete Kaiser Herakleios ein- Schreiben in Sachen
des Monotheletismus. =') Arkadios II. regierte zur Zeit des
Kaisers Konstantin IV. Pogouatos (668— 85), doch fällt seine
Regierung vor 680 (schwerlich später), in welchem Jahre
Epiphanios IL als Metropolit Cyperns an der 6. allgemeinen
(truUanischen) Kirchenversamuilung zu Konstantinopel teil
nahm.*) Da Arkadios I. der Abfassuugszeit von C näher
steht, so wird man a priori geneigt sein, seiner liegienmg
den in A erwähnten Bau an der Wasserleitung zuzuweisen.
1) Von der Lage desselben habe ich keine Spur auffinden
können, und ist mir auch nicht bekannt, dass frühere Reisende die-
selbe nachgewiesen hätten.
2) Derselbe starb 592 oder 596, Zingerle in Wetzer u. Weite's
Kirchenlexikon 10. Bd. S. 424; Weiss in der Biogr. Univers. Neue
Ausg. 39. Bd. S. 364 b.
3) S. Lequien, Oriens christiamis 11 p. 1019; Neliers Artikel
Cypern in Wetzer u. Weite's Kirchenlex. 2. Aufl. 3. Bd. Sp. 1269.
Neher gibt ihm dort, ich weiss nicht mit welcher Berechtigung, die
Kegierungszeit 600—638. Das Schreiben des Kaisers an Arkadios
fällt frühestens in das Jahr 622 und jedenfalls noch vor 626, s. Hefele,
Konziliengeschichte III 112 f., 120 tf. (2 123 f., 131 tf.).
4j Lequien 11 p. 1050.
Oberhummer: Griechische Inschriften aus Cypern. 345
Der in B und D erwähnte Erzbischof Plutarchos ist
aus den bisherigen Bischofslisten nicht nach/Aiweisen. Da
die beiden Inschriften, welche nach Form und Inhalt unge-
fähr derselben Zeit wie A und C angehören, die Indiktions-
zahlen 13 und 8 enthalten, so muss seine Regierung min-
destens (i Jahre umfasst haben. Die Jahre, welche in dem
Zeitraum von 580 — 680 diesen beiden Indiktionszahlen ent-
sprechen, sind 590—595, 605—610, 620—625, 635-640,
650—655, 665—70. Obwohl die mangelhaften Nachrichten,
welche uns über die Regierungsdauer der einzelnen Bischöfe
zu Gebote stehen, eine genaue Bestimmung derselben in den
seltensten Fällen zulassen, so beschränkt sich doch die Aus-
wahl aus obigen Doppelzahlen auf einige wenige, da die
Regierung des Plutarchos den bisher bekannten Bischöfen
aus dein Zeitraum von etwa 580 bis etwa 680 eingepasst
werden muss. Diese Bischöfe sind: Arkadios I. (o. S. 344
A. 2 u. 3),^) Sergios, der ein Schreiben an Papst Theodor I.
(642—49) richtete,*) Arkadios II. imd Epiphanios II. (o.S. 344).
Nach dem was wir ül)er diese Bischöfe wissen, scheinen von
den Indiktionszahlen, die für Plutarchos überhaupt in Be-
tracht kommen können, nur 590—595 (vielleicht auch schon
575—580) zu passen.
Was endlich E betrifft, enthält es dieselbe Indiktions-
zahl wie B (13), stammt also wahrscheinlich auch aus dem
gleichen Jahre (595, eventuell 580).
1) üeber die Bischöfe, welche Lequien a. a. 0. unmittelbar vor
Arkadios I. aufführt, fehlt jeder sichere chronologische Anhalt.
2) Das Schreiben war datiert vom 29. Mai 643 und kam auf
der Lateransynode v. J. 649 zur Verlesung, in dessen Akten es noch
erhalten ist; Mansi, Concil. coli. X 914 s.; Hefele, Konziliengesch.
III 165 (2 188). Sergios nennt darin den Arkadios seinen Oheim {-^eTog) ;
es ist deshalb wahrscheinlich, dass er der unmittelbare Nachfolger des
letzteren war. Sergios lebte noch nach dem J. 649, da er später (aber
noch vor 653) sich der monotheletischen Irrlehre zuwandte, s. Anastas.
Bibl. collect, ed. J. Sirmond (Paris 1620) p. 70 s. coli. Lequien II p. 1049 s.
346 Sitzung der philos.-phüöl. (Jlasse vom 5. Mai 1S88.
Wir gewinnen somit aus den bis jetzt bekannten Ur-
kunden folgende Aufstellung über den Bau der Wasserleitung:
Erzbischof Plutarchos baut 3 Bogen im J. 590 (D)
, 10 , . , 595 (B)
, ? , 5 „ , , 595 (E)
Arkadios I. „ ? „ ca. 600-640 (A)
Kaiser Herakleios „ 7 „ im J. 618 od. 633 (C).
Was endlich die Wasserleitung selbst betrifft, so bin
ich in der Lage, darüber folgendes mitzuteilen. Mehrere
ältere Reiseschriftsteller über Cypern erwähnen dieselbe und
stimmen darin überein, dass sie von dem wasserreichen Ge-
biete von Kythräa, dem alten Chytroi, im Norden von
Nikosia, nach Salamis, bezw. Co)istantia, führte.^) Obwohl
letzteres sehr wahrscheinlich ist, da sich jetzt wenigstens
nirgends in der nördlichen Gebirgskette von Cypern eine
annähernd so wasserreiche Quelle findet wie bei Kythräa,
so ist doch, meines Wissens, bis jetzt noch niemals versucht
worden, die Leitung in ihrem ganzen Verlaufe zu verfolgen.
Doch weisen die Reste, welche heute noch bei Salamis stehen,
in ihrer Richtung (SO— NW) auf das in Luftlinie 22 eng-
lische Meilen entfernte Quellgebiet von Kythräa. Auch
scheinen zu Pococke's und Mariti's Zeit noch mehr Bogen
gestanden zu haben als jetzt. Ich habe die best erhaltenen
Reste auf dem Wege zwischen H. Sergios und Varnavas,
P/3 englische Meile WNW von Constantia, gemeinsam mit
Herrn Ohnefalsch- Richter näher untersucht.
Dort stehen noch 2 vollständige Bogen mit drei Pfeilern.
Die Bogenscheitel sind zugespitzt, weshalb Pococke die Bogen
als gothisch bezeichnete. Die Kämpfer ruhen auf einem
Unterbau von 2,10 m Höhe, 2,05 m Länge (in der Richtung
1) R. Pococke, Description of the East. V. IE pt. I p. 216 f., 221
(Lond. 1745); G. Mariti, Viaggi I 140 8., 160 (Firenze 1769); F. Unger
u. Th. Kotschy, Die Insel Cypern (Wien 1865) S. 7, 533 f.; Ross,
Reisen etc. S. 117 (letzterer erwähnt 4 Bogen).
Oherhimmer: Griechische Inschriften aus Cyitern. 347
der Wasserleitung), 1,80 m Breite. Der Unterbau springt
über den Kämpfer an den Innenseiten (Richtung der Wasser-
leitung) um 20 cm, an den Aussenseiten um 0,25 m vor.
Der Abstand der Pfeiler beträgt 3,35 m. NW von diesen
Bogen stehen die Reste von 3 weiteren Pfeilern; nach SO
lässt sich die Leitung bis zu den Mauerlinien von Salamis-
Constantia hin, in deren Nähe wieder einzelne Pfeiler stehen,
deutlich verfolgen.^) Da wo die Leitung endigt, befindet
sich innerhalb der Mauern von Constantia^) ein ziemlich gut
erhaltenes Bauwerk, das schon von früheren Reisenden richtig
als ein grosser Wasserbehälter erkannt worden ist. Es ist
eine rechtwinkelige Anlage (Längsaxe WO) von 80 Schritt
Länge und 30 Schritt Breite. Die Mauern, von solider
Bauart aus cementierten Hausteinen, sind ein Stockwerk
hoch und tragen mit der Innenseite in regelmässigen Ab-
ständen Konsolen, welche an die Mauer angelehnte Bogen
(kein Gewölbe!) getragen zu haben scheinen. Die 4 Ecken
sind innen ausgefüllt und abgerundet, so dass der Grundriss
des Innenraumes sich einem Oval nähert. Eine Ueberdachnng
scheint nicht vorhanden gewesen zu sein.
Ich glaube den vorstehenden Bemerkungen noch hinzu-
fügen zu sollen, was ich in meinem Tagebuche gelegentlich
unseres Rittes von Salamis nach Kythräa über Reste alter
Wasserleitungen in der Nähe des Gebirges aufgezeichnet
habe. Die Strasse, welche von dem grossen Flecken Lev-
1) Der Verlauf dieses Stückes ist auch in die 1 inch Survey
von Cypem (Bl. 6 Trikomo), und noch o;enauer in die leider nicht
veröffentlichte 4 zöllige Aufnahme der Umgebung von Salamis, von
welcher ich mir durch das Entgegenkommen der englischen Ver-
waltung eine Kopie verschaffen konnte, eingetragen.
2) Constantia, dessen Mauerlinien, ebenso wie diejenigen von
Salamis in der Hauptsache noch deutlich zu verfolgen sind, war in
das weit ausgedehntere Gebiet von Salamis hineingebaut, doch so,
dass die Westmauer von Salamis gleichzeitig Constantia nach W
begrenzte.
348 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1888.
koniko über Knodara nach Kythräa führt, wird SW vom
Dorfe Tschatos (6—7 englische Meilen 0 von Kythräa) von
einer alten, im Boden liegenden Leitung gekreuzt, welche
sich nach W zu bald mehr, bald minder deutlich verfolgen
lässt. 0 vom Bache Sakizlik Dere mündet aus SW eine
zweite Leitung ein; dieselbe besteht hier aus einer ge-
mauerten Rinne, welche auf dem Erdboden aufliegt und
über den Bach mittelst Rundbogen geleitet ist. Weiterhin
ist der Verlauf nur durch lose, von der zerfallenen Rinne
herrührende Steine bezeichnet, tritt aber später wieder deut-
licher hervor. Etwa eine englische Meile 0 von dem Dorfe
Petra tu Dijeni, ^) mündet von NW eine neue Rinne, während
sich die Hauptleitung in SW gegen Exometochi hinzieht.
Weiter konnten wir aus Mangel an Zeit die Leitungen nicht
mehr verfolgen. Ob dieselben mit der grossen Wasserleitung
von Salamis-Constantia in Verbindung stehen oder unab-
hängig davon angelegt sind, muss vorläufig dahin gestellt
bleiben. Ich beschränke mich darauf festzustellen, dass wir auf
dem ganzen Wege von Salamis über Peristerona, Levkoniko,
Knodara nach Kythräa nirgends Reste einer Hochbauleitung
bemerkten, wie sie bei Salamis selbst vorhanden sind.
1) Das Dorf liegt 3V2 englische Meilen 0 von Kythräa.
Schlussbemerkung. Aus äusseren Gründen mussten einige längere
Inschriftzeilen im Satz gebrochen werden; es sind folgende: S. 309
N. 1 Z. 1, S. 315 N. 5 Z. 7, S. 322 N 10 Z. 2, S. 334 N. 16 Z. 1 u. 3.
Zu S. 321 A. 3 ist nachzutragen, dass Arsinoe als Bischofsitz noch
genannt wird in dem von Parthey (hinter Hierocies) herausgegebenen
Verzeichnis der Bistümer unter Leo VI. dem Weisen u. Photios vom
.1. 883 (Not. ep. I 1056 'Agaevai), sowie in der Zusammenstellung,
welche der Archiniandrit Nilus Doxopatrius auf Befehl Rogers II. von
Sicilien im .1. 1113 anfertigte (Nil. Dox. ed. Parthey 182 'AgoEvorj).
349
Herr v. Christ hielt einen Vortrag:
,Der Aetna in der griechischen Poesie".
Thukydides bemerkt in seinem Geschichtswerk III 116
gelegentlich des Ausbruchs des Aetna im Frühling des Jahres
425, drei Mal habe im Ganzen, seit Sikilien von Hellenen
bewohnt werde, der Berg Aetna Feuer gespieen.^) Die
beiden vorhergegangenen Ausbrüche haben eine Rolle in der
griechischen Litteraturgeschichte gespielt. Der erste, wenn
anders wirklich der attische Historiker und sein sikilischer
Gewährsmann^) von demselben Kenntnis hatten und ihn bei
1) Thuc. III 116: igov)] de :ieoI avzo zo sag tovzo 6 gva^ rov
TCVQog EX rrjg Aitvrjg öja:rsQ xal ro ttoÖtsqov, xal yrjv xiva E(p^eLQS zwv
Kazavaioiv, oi im zf/ Aizvt} zw oqei otxovaiv, ojisq /uEyiozöv ioziv ogog
Ev xfi SixsUa. XiyEzai 8e nsvzrjxoazw ezei gvijvai zovzo ^eza z6 jiqö-
zEgor gsvfjia, x6 8k ^vfiJiav zglg yeyevrjo^ai z6 gsvfxa dq>' ov ZixeUa
i'.TÖ 'EXXrjviov oixEizat. Von einem vierten Ausbruch in Ol. 96, 1 =
396/5 berichtet Diodor XIV 59; diesen kann also Thukydides nicht
mehr erlebt haben, was entscheidend ist zur Bestimmung des Jahres,
vor dem der grosse Historiker gestorben ist. Auf diesen vierten Aus-
bruch bezieht sich zweifellos auch Orosius II 18, der nach Erwähnung
der Expedition des jüngeren Cyrus gegen seinen königlichen Bruder
Artaxerxes also fortfährt: his deinde temporibus gravissimo motu
terrae concussa Sicilia, insuper exaestuantibus Aetnae montis ignibus
favillisque calidis, cum detrimento plurimo agrorum villarumque
vastata est.
2) Dieser Gewährsmann wird aber derselbe gewesen sein, dem
Thukydides VI 1—5 bezüglich der älteren Geschichte Sikiliens gefolgt
ist; das war aber, wie mein verehrter Kollege Wölfflin nachge-
wiesen hat, der Historiker Antiochos von Syrakus.
350 Sitzumj der philos.-j'hilol. Clnsse vom 5. Mal 1888.
jener Angabe mit in Anschlag brachten,^) fiel in die Zeit
des Hesiod. Die Kenntnis davon war lange durch eine
Korruptel oder falsche Korrektur der Handschriften des
Dichters verschüttet und ist erst in unserer Zeit durch den
Scharfsinn MützeH's*) wieder ans Licht gezogen worden.
In der Theogonie des Hesiod nämlich V. 820 — 880 findet
sich eine grossartige Schilderung von Typhoeus, dem unholden
Sohne der Gäa und des Tartaros, und von dessen Be-
zwingung durch Vater Zeus. Diese Schilderung hängt aber
mit einer Aetnaeruption zusammen; um dieses zu zeigen,
müssen wir etwas weiter ausholen.
Der Aetna und Typhoeus bei Hesiod.
Der Typhoeus, dessen Name später zu Typhos oder
Typhon kontrahiert wurde, war den Griechen seit Alters
der verkörperte Dämon des unterirdischen, in Erdbeben und
vulkanischen Eruptionen sich offenbarenden Feuers. Die
Vorstellung mag denselben aus der Fremde zugebracht worden
sein, da Griechenland selbst weniger als Kleinasien von jener
Gottesgeissel heimgesucht wurde; aber der Name ist auf
griechischem Boden gewachsen oder wenigstens einer griechi-
schen Wortfamilie angepasst. Denn der Zusammenhang von
Tvqiioevg mit xvcpeLv 'qualmen' und ivcpog * Rauch' liegt auf
l)latter Hand ; jenes rvqiog aber ist ein altgriechisches
Wort, das sein Ebenbild in skt. dhupas 'Räucherwerk
1) Ob sie ihn mitrechiieteu, ist allerdings zweifelhaft, da der-
selbe zu sehr in die mythische Zeit zurückging. Dann war eben,
seit Sikilien den Griechen bekannt geworden, der Aetna nicht 3
sondern 4 Mal ausgebrochen und wissen wir von einem der 4 Aus-
brüche nichts.
2) Mützell de emendatione Hesiodeae theogoniae p. 49.5;
Lennep lehnte die Besserung ab, weil er die Diärese von 'Atrvt] be-
zweifelte. Schümann, Opusc. II 360 und in der Ausgabe zeigte sich
derselben geneigt; Flach und Bzach nahmen sie in den Text auf.
V. Christ: Der Aetna in der yriechischen Poesie. 3ol
hat.^) Die Vorstellung liegt bereits klar ausgebildet bei
Homer vor, der in der Ilias B 782 das Dröhnen des Erd-
bodens unter den Füssen des Heeres der Achäer mit dem
Donner des Zeus vergleicht, wenn er im Lande der Arimer
um das Bett des Typhoeus die Erde geisselt:
yala ö' iriEöTBväiiLe Jet wg iEQ!Ciy.eQavvii)
Xioof.ievtü, OTE r' of-ig^l Jvffwei yacav ii-iäootj
elv ^Qif-ioig. 0^/ (paol Tvifiosog B(.if.iBvai svväg •
MQ aga rwv v;iü .togoI /.uya atevaxileTO yala.
Wo sich Homer jene Arimer oder jenes Ariraa dachte,
lässt sich nicht mit Bestimmtheit angeben, da er des Namens
nur an dieser einzigen Stelle gedenkt:^) Nur so viel steht
fest, dass seine Zeitgenossen dabei nicht an irgend welchen
griechischen Stamm oder an irgend ein Nachbarvolk der
Griechen in Kleinasien dachten; sonst müssten die Arimer
irgend wo im Schiffskatalog oder im Katalog der verbündeten
Troer erwähnt sein. Wahrscheinlich hatte Homer nur durch
Hörensacren von dem vulkanischen Lande der Arimer Kenntnis
und wusste selbst nichts näheres von seiner geographischen
Lage. Spätere lokalisierten die Sage und zwar verlegten
unsere ältesten Gewährsmänner, Pindar und Aischylos, ver-
mutlich nach dem Vorgang kleinasiatischer Jonier unseren
1) Curtius Grundz. ^ S. 228 stellt dazu weiter mhd. dimpfen
'dampfen und lit. dumpin 'ich blase Feuer an . Die Etymologie des
griechischen Wortes wurde bereits von den Alten richtig erkannt;
s. Et. M. 772, 50: ot ös Tv<pcüia (faal a7}/.iaivsiv rwv xaQaxoiö&v nvev-
[läxcov rrjv avädoaiv rrjv ix xrjg yf)g. Die unkontrahierte Form kommt
bei Homer und Hesiod vor; Hesiod gebraucht daneben Tbeog. 306
die böotische Form Tvgxxoiv. Aus dem ersten ist Tvqxög bei Pindar
und Aischylos, aus dem zweiten Tvtpwv bei Strabo und den Lateinern
kontrahiert.
2) Unsere weitere Ausführung wird die Annahme von Fick,
Ilias S. 420 widerlegen, der jene Stelle als unhomerisch verwirft,
weil Typhoeus eine Figur des theogonischen Epos, Hes. Theog. 820 ff.
sei und der Interpolator ihn dorther entnommen habe.
352 Süzuny der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Typhoeus nach Kilikien.^) Wahrscheinlich ist damit auch
die richtige Heimat des Mythus getroffen worden, wiewohl
Demetrios von Skepsis sich für einen näher liegenden Ort,
die ausgebrannte Landschaft (?] yiey.avi.isvij) des benachbarten
Mysiens erklärte^) und andere an Megara, Böotien, die Pythe-
kusen und selbst an Aegypten dachten.^) Denn das Wort '!Aqi(äol
klingt zu deutlich an !AQii.iaioi an und in der Gegend der Ari-
mäer waren auch die in der Odyssee l 520 erwähnten KrjXEiOL
zu Haus, wenn anders mit Recht neuere Forscher in jenen
Keteioi das nordsyrische Volk der Hititen wiedererkannt haben.*)
Aber zugegeben nun auch, dass Pindar und dessen Gewährs-
männer der Wahrheit am nächsten kamen, wenn sie den
Typhoeus für einen Kilikier ausgaben, und selbst auch zu-
gegeben, dass diejenigen, welche die Kunde von wiederholten
Erdbeben in dem vulkanischen Lande der Arimer nach
1) Tv(pcbg Kih^ steht bei Pindar Pyth. 8, 16, wozu stimmt Pyth.
1, 16: töv {Tv(p(bv) 710XS KiXlxiov d^QsipBV JioXv(bvv[i.ov ävTQov. Aischylos
Prom. 367 nennt den Typho yt]ysvrj Kdixlcov otxrjxoQa ärigcov. KiXi^
Tv(pcog kehrt wieder bei Nonnos I 155 und XXIV 108.
2) Darüber belehrt uns Strabo an der klassischen Stelle 1. XIII
p. 626. In den Schoben zu II. B 783 sind die beiden Meinungen neben-
einandergestellt: Tct "Agifia Ol jusv ogog rfjg KiXixiag cpaaiv, ol 8k Avöiag'.
3) Darüber Strabo a. 0.; Apollodor, Biblioth. I 3; Hes. acut. 32;
Schol. Pind. 0. 4, 11; Krates bei Diog. 2, 118; Tzetzes ad Lyc. 177;
vgl. Neumann-Partsch, Phys. Geogr. Griech. S. 311. Bezüglich
der Pithekusen wird Strabo italischen Gelehrten gefolgt sein, welche
auch den Humbug der Etymologie für ihre Meinung ins Feld zogen:
Ol (5' ev nn(}7]xovoaaig, oi xal xovg ni&t]xovg (paoi jiaga xoTg TvQQrjvoTg
OLQifMovg xaXF.Ta{^ai. Wie weit das einen Boden hat, wissen vielleicht
unsere Etruskologen zu sagen.
4) Zu beachten ist, dass weit nach Osten an der Südküste Klein-
asiens sich Side, die Kolonie des äolischen Kyme, befand (Strabo p. 667)
und dass in Pamphylien auch die troischen Städtenamen Theben und
Lyrnessos wiederkehren (Strabo a. 0.). Ich erwähne das, weil ich
bei aller Opposition gegen die geistreiche Hypothese Fick's von einem
äolischen Homer doch unbefangen der Sache gegenüberstehe nnd nicht
bloss in der trojanischen Sage, sondern auch in einzelnen Zügen der
homerischen Erzählung äolinchcn Einfluss willig anerkenne.
V. Christ: Der Aetna iu der (/riechischen Poesie. 353
Kyme und zu den griechischen Städten Kleinasiens brachten,
sich Arima oder das Land der Arimer in jener Richtung
gelegen dachten, so blieb doch bei den Lesern Homers,
zumal bei denen in Böotien und im festländischen Hellas
Arima ein ungewisser, schwimmender Punkt, den jeder mit
freier Phantasie an den Ort, wo die Voraussetzung eines
Kampfes des Lichtgottes mit dem Feuerdämon zutraf, ver-
legen konnte. Man denke nur an die Freiheit, die sich
Homer selbst bezüglich des Wohnsitzes der Kimraerier nahm.
Denn als ausgemacht darf doch heutzutag wohl gelten, dass
die Kimmerier Homers ursprünglich identisch waren mit den
Gimirai der Keilinschriften, einem skythischen Volksstamm des
nördlichen Poutus; aber Homer Od. X 14 verlegte die Kim-
merier an die Enden des Okeanos in den äussersten Westen,
indem ihm die Uebereinstimmung eines in Nacht und Nebel
eingehüllten Landes genügte. Treten wir also unbefangen
ohne die Voraussetzung, dass das Lager des Typhon in
Kilikien oder dem aramäischen Syrien zu suchen sei, an die
Erklärung der hesiodischen Stelle Theog. 820 — 850 heran!
Da ist nun vor allem einleuchtend, dass Hesiod die alte
Vorstellung von dem Typhoeus als einem Dämon des unter-
irdischen Feuers und der vulkanischen Eruptionen festge-
halten hat. Denn ganz auf diese Vorstellung passt die
Schilderung, welche er V. 823 — 835 von der Gestalt jenes
Ungeheuers entwirft: er gibt ihm 100 Schlangenköpfe, aus
deren Augen Feuer s]>rüht und aus deren Kehlen mannig-
fache Stimmen ertönen, gleichend bald dem dumpfen Brüllen
des Stieres, bald dem Aufschrei des wütenden Löwen, bald
dem Hundegebell, bald dem Zischen der Schlange, von dem
weithin die Berge widerhallen.^) Wer erkennt hier nicht
1) Hes. Theog. 829 tf.:
qxjoval 6'' SV näatjaiv i'oav deivfjg xsqjaXfjaiv,
navtoiTjv on lEtaai d&sa<paTov. äXXors ^sv ydg
q}&syyov&^ cjaze {^soTac ovviefisv, aXXoze 6' avxs
188P. Philo8.-philol. u. bist. Gl. 3. 24
354 Sitzung der plülos.-pMol. Classe vom 5. Mai 1888.
die sinnbildliche Andentuno- der zahlreichen Krater eines
vulkanischen Landes, des dumpfen Dröhnens der bebenden
Erde, der gewaltsamen Eruption prasselnd niederfallender
Felsblöcke? Noch deutlicher tritt die Symbolik des Erd-
bebens und des Ausbruchs feuerspeiender Berge in dem
Kampfe des furchtbaren Ungeheuers mit Zeus, dem Gott des
Lichtes und des im Aether sich entladenden Gewitters, hervor :
Zeus ist wie bei Homer bewaffnet mit Donner und Blitz ^)
und schleudert vom Olymp den sengenden Strahl; Typhoeus,
der schon mit seinen 100 feuersprühenden Köpfen die Herr-
schaft über Sterbliche und Unsterbliche an sich zu reissen
drohte, sinkt von Zeus Blitzstrahl getroffen ohnmächtig zu
Boden, das Feuer aber, das von dem getroffenen Unholde
abspringt, setzt ringsum die Erde in Brand, so dass dieselbe
schmilzt wie das Blei im Schmelzofen. Das ist handgreiflich
der feuerspeiende Berg, der mit den Rauchwolken; welche
den Himmel verdüstern, und mit den Lavaströmen, welche
die Erde ausbrennen, eine Zeit lang die ganze Schöpfung
zu vernichten droht, aber doch nach einigen Tagen wieder
seine verderbenatmenden Feuerschlünde schliesst, während in
den lauen P'rühHngslüften ein gewaltiges Donnerwetter sich
entladen hat und nach Donner und Blitz die wolkenlose
Klarheit des Himmels wieder zurüekkelirt. Auch in dieser
Schilderung also folgt Hesiod den Spuren des ionischen
Sängers, indem er nur die leise angedeuteten Lineamente in
breiteren Strichen ausführt, (lanz neu aber ist bei Hesiod
zavQov igißgiixeco, (jievog äaxsrov oaoav dyavQOV,
aXXoTE <5' avTE Xeovzo? dracSea ^vfiov ey_ovrog,
ulXoTE fV av axvkäxEoaiv ioixoza, ^avfiaz^ dxovaai,
aXXozE b' av QOiCEoyJ, vJio iV rj^EEV ovoEa /laxgd.
1) Das Alt zEQjiiy.Eoavvq) der homerischen Stelle hat Hesiod aus-
geführt, indem er den Zeus mit Donner und Blitz bewaffnet sein lässt;
das yaiav i^tdoo)/ des Homer V. 783 hat er ganz wörtlich lierüber-
genonimen V. 857 öü/iuoe Ji'/.ijyfiair Ifiüoous.
r. Clirist: Der Aetna in der griechischen Poesie. 355
die Erwähnung des Meeres, das vom Glänze des Blitzstrahles
und der vulkanischen Feuersäule widerleuchtet. ^) und von
dem Berge, in dessen Schluchten der Unhold Typhon haust. '^)
Führt uns das schon in eine bestimmte Gegend, in eine
Gegend, wo ein feuerspeiender Berg in der Nähe der Meeres-
küste zum Himmel aufsteigt, so wird uns nun geradezu das
Lokal mit Namen genannt in den Versen 859 f.
q>ld^ de KEQavvtod^evTog antooiro xolo jieXwqov^)
oiQEOg SV ßt\oaijOiv yitxvr^g (aidvrjg codd.) nainaXoloorjq
nXrjyevcog, JioXh] öe sieXtoQi] /.aiBTO yala.
Hier steht zwar in allen unseren Hesiodhandschriften
aidv^g, aber dass dieses falsch ist, kann aus der Stelle selbst
entnommen werden. Denn oidvög ist zwar ein richtig ge-
bildetes und schon von den alten Dichtern gebrauchtes
Wort,*) aber die einzig zulässige Bedeutung desselben 'un-
sichtbar, dunkel' passt nicht für unsere Stelle, und das Gesetz
1) Hes. Theog. 844 ff.:
xavua 6' u.t' dfiq?OTEga>v fidTe^sv loscdea Jiövrov
ßgovrijg zs azeoojiijg re, Jivgög r' vjto roTo neXcogov,
e^ee 8k jf^^div näaa xal ovgavdg rjdk ^dXaaoa.
2) Hes. Theog. 835 u. 860.
3) ToTo JisXwoov ist Conjectur von Flach, die ich in den Text
aufgenommen habe, da das überlieferte loTo äraxrog von dem näher
stehenden xsQavrco&ivTog weg zu dem entfernteren q?l6^ gezogen
werden müsste. Schömann Opusc. II 360 dachte schon an toTo
jteXcüQov, hielt aber das überlieferte toTo äraxrog für eine blosse Un-
geschicklichkeit des Versifikator.
4) Das finfache lövög kommt nicht vor, aber di6v6g findet sich
bei ApoUonios Argon. I 389 di8vi] xtjxie Xiyvvg, und in dem Fragment
jiTjkög diövTj [diövr'ig codd. et edd.) eines Lehrgedichtes bei Plutarch,
Thes. 1, und in dem Vers eines dorischen Lyrikers bei Plutarch, de
Et Delph. c. 20: wxrug diöräg dsQvrj/.oio §^ vjivov xotQavog (fort, ze
xoiQcirog vjtvov) sc. AiScoi'svg, den Bergk FLG. fragm. adesp. 92 aus
einem Threnos Pindars stammen lässt. Das vorauszusetzende idvdg
aber ist gebildet wie dyvdg, azvyvög, azeyvog, asfivdg aus aeßvog u. a.
24*
356 Sitzung der phUos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
der Symmetrie verlangt, dass sich die 2 Adjektive auf die
2 Substantive verteilen, und dieses um so mehr, da im
Vorausgehenden (V. 835) nur von Bergen im Plural die Rede
war, hier also der Einzelberg näher bezeichnet werden musste.
Das von Mützell gefundene Iditviiq dürfen wir aber um
so unbedenklicher herstellen, als sich noch Spuren davon in
der alten Ueberlieferung nachweisen lassen. Denn von
Pindar abgesehen, auf den wir gleich nachher noch kommen
werden, bezeugen Eratosthenes bei Strabo p. 23 und Tzetzes
im Kommentar zu Lykophron 688 die Lesart Idixvrig. Bei
Tzetzes steht nicht bloss in einigen Handschriften ^Itvrjg
geradezu im Text der angeführten Verse des Hesiod, sondern
ist auch diese Lesart unverkennbar angedeutet durch die
einleitende Bemerkung ereQOi de Tt]v ^lAeXiav, orcov y.al top
TccpcZva '/.Eqavvdi, cbg y.al '^Hoiodog cpr^oi.^) Eratosthenes
aber, wenn er von Hesiod sagt, dass er nicht bloss der von
Homer genannten Ortschaften, sondern auch des Aetna, der
Ortygia, und der Tyrrhenen gedenke, kann recht wohl be-
züglich des Aetna unsere Stelle im Auge gehabt haben. ^)
Möglich ist allerdings, dass in unserem Vers zugleich ein
etymologisches Spiel steckt und dass Hesiod, indem er den
Namen des Berges ^l'vv)] mit dem Adjektiv alöi'og in Ver-
bindung brachte, den unter jenem Berg begrabenen Typhon als
1) Das Scholion des Tzetzes wird auf dasselbe mythologische
Kabelbuch, vielleicht des Dionysios Skythobrachion, zurückgehen,
aus dem die iazogia des Scholiasten B zu 11. B 783 genommen ist,
wo es auch heisst, 6 de (sc. Zsvg) xsgawwaag Aixvtjv to ÖQog (hvöfiaaev.
2) Sicher ist dieses allerdings nicht, da der Aetna auch an der
andern Stelle des Hesiod, wo das Inselchen Ortygia vor Syrakus er-
wähnt war, vorgekommen sein kann. Jene andere, zweifellos unter-
geschobene Stelle möchte man in den Eöen vermuten, wenn nur
ihrer die Schollen zu Nem. I 1 ä/^ijivsvfia aeiÄvov 'AXrpf-ov xXsiväv Svga-
xoaoäv OäXoc; 'Oozvyla gedächten. So scheint jene erotische Erzählung
von der Artemis und dem sie verfolgenden AIpbeios auf den Dichter
Ibykos, der auch an jener Steile angeführt ist, zurückzugehen.
V. Christ: Der Aetna in der griechiftchen Poesie. 357
Ausgeburt des Hades (l4idr^^) bezeiehneu wollte. Wenigsteus
haben wir sonst keinen Zeugen für die aufgelöste Form
^iiTvr]^) und lä-sst der Scholiast zu Homer IL B 783 aus-
drücklich den Berg davon, dass an ihm Typhon von Zeus
erschlagen wurde, den Namen ^Xrva erhalten. Hesiod
lokalisierte also die Sage von dem feuerspeienden Riesen
Typhon in Sikilien, was dann die Späteren mit der alten
homerischen Sage von der Behausung des Typhon im Lande
Arima auf verschiedene Weise zu vereinbaren suchten. Pindar,
Aischylos, ApoUodor^) Hessen den Typhon in der kilikischen
Höhle geboren, im Aitna aber erschlagen und begraben sein.
Der Mythologe, dessen Historien der homerische Scholiast
folgte, nahm, offenbar mehr im Geiste des Hesiod, zwei
Namen desselben Ortes an und liess den Ort Arima nach
Erschlagung des Typhon von dem hadesgeborenen Unge-
heuer den Namen Hadesberg {^Airvi] von ^Aidr^g) erhalten.
Jedenfalls aber wurde der Dichter Hesiod durch einen
bestimmten Umstand veranlasst den Kampf des Zeus und
Typhoeus nach Sikilien und dem Berg Aetna zu verlegen,
und der war gewiss kein anderer als die Kunde von einem
verheerenden Ausbruch des Berges; die wird er aber erst
erhalten haben, nachdem die Griechen nicht bloss ihre Fahrten
bis nach Italien und Sikilien ausgedehnt, sondern auch bereits
festen Fuss in Sikilien gefasst hatten. Von ganz besonderer
Wichtigkeit aber ist, dass es die der böotischen Heimat des
Dichters benachbarten Chalkidier in Euböa waren, welche
1) Dieselbe wäre geradezu unmöglich, wenn der Name Attva
wirklich mit dem Verbum aT^co zusammenhinge.
2) Apollodor, Bibl. 1. 6 hat noch viele and&re Stätten herein-
gezogen, indem er den Typhon von Zeu.s nach Kasion in Syrien, dann
nach Nysa, Thrakien und schliesslich nach dem Aetna verfolgt werden
lässt. Einfach sagt Ovid, Fast. IV 491:
alta iacet vasti super ora Typhoeos Aetne,
cuius anhelatis ignibus ardet humus.
358 Sitzung der philos.-pJülol. Classe vom 5. Mai 1888.
von der 10. Olympiade oder von T3i] v. Chr. an die ersten
Kolonien in Sikilien gründeten. Diese neuen Siedler von
Naxos^) und Katane also werden die Schrecken eines Aetna-
ansbruchs bereits erfahren, und die Kunde davon nach ihrer
Mutterstadt Chalkis gebracht haben, von wo sie dann Hesiod,
den ja auch die alte Sage mit Chalkis verkehren lässt,'^)
erhalten haben wird. Die Aufdeckung dieses Verhältnisses
ist aber nach mehreren Seiten von ausserordentlicher Wichtig-
keit. Einmal ersehen wir daraus, dass wenn später Pindar
und Aischylos den Ausbruch des Aetna mit dem in den
Schlund jenes Berges hinabgestossenen Riesen Typhon in
Verbindung bringen, sie damit keine neue Gedanken in die
Poesie einführten, sondern nur den Fusstapfen des alten
Dichters Hesiod folgten. Sodann ist mit jener Einsicht der
einzige sichere Anhaltspunkt zur Bestimmung der Lebenszeit
des Hesiod gewonnen.^) Denn danach kann derselbe nicht
vor Gründung der ersten Kolonien der Chalkidier in Sikilien
oder nicht vor Ol. 10 oder 736 v. Chr. gelebt haben. Mit
Recht geht davon auch der neueste Herausgeber von Hesiods
Gedichten, Aug. Fick, aus, der S. 4, an jene Stelle an-
knüpfend, des weitern noch bemerkt: Jedenfalls verging
1) Thucyd. VI 3: 'ED.rjvwv 8s jiQonoi Xakxi&fjg i^ Evßoiag
nXevnavTEg ixera OovxUov? oixiarov Nä^ov cpxiaav xai 'AnöXkoivog
aQxtjysTov ß<o(J.6v, oarig vvv e'^co zfjg jioXewg iariv, iÖQvoavxo. Euisebius
aetzt die Gründung Ol. 9, 4 oder 10, 4; unbestimmter gibt das Datum
EphoroH bei Striibo VI p. 267 an.
2) Hesiod, Erga 655 in einer interpolierten, aber die Tradition
der Schule des Hesiod widergebenden Stelle.
3) Dabei habe ich die Echtheit jener Partie der Theogonie
vorausgesetzt: dieselbe wird freilich von Gruppe und teilweise auch
von Srhöniann Opusc. II 340 tf. verworfen; aber ich urteile mit Wolf
und dem neuesten Herau.sgeber Fick, welche in unserer Stelle eine
der besten und grandiosesten Partien Hesiod's anerkannten. Die Ein-
fügung ist freilich nicht ganz tadellos, auch gibt die Form Tvfpcoevg
an unserer Stelle neben Tvqpdcov Theog. V. 306 zu bedenken.
V. Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie. 359
mehr als ein Menschenalter, bis Hesiod den Aetna und seine
Ausbrüche seinem mittelgriechischen Hörerkreis so geläufig
glauben durfte, dass er seine Farben für die Schilderung
des Kampfes zwischen Zeus und Typhoeus daher entnehmen
konnte.
Der Ausbruch des Aetna im Jahre 475 v. Chr.
Wir kommen zum zweiten oder vorletzten Ausbruch
des Aetna; hier müssen wir vor allem eine chronologische
Schwierigkeit bereinigen. Thukydides sagt an der ange-
gebenen Stelle III, 1 16, der zunächst vorausgegangene Aus-
bruch habe 50 Jahre zuvor um dieselbe Jahreszeit — denn
so muss offenbar der Zusatz alorreg xal ro ngoregov ver-
standen werden — stattgefunden, also im Frühjahr 475.
Dagegen setzt die parische Marmorchronik Abs. 52 'to rrvQ
ixärj •/.a.(^ov iv 2iyv.eXia tteqI zr^v ^Irvair^v aqyovtog ^d^r^vr]OL
Bciv d^ 17171 ov denselben Ausbruch unter den Archon Xanthippos
d. i. Ol. 75, 2 = 479/8.1) Welche von den beiden An-
sätzen verdient den Vorzug, oder wie können dieselben mit
einander in Einklang gebracht werden? Eine Ueberein-
stimmung suchte Krüger, Ueber das Leben des Thukydides
S. 65 durch Conjectur herzustellen, indem er in der Thuky-
didesstelle 7C€VTr^y.oOT<i) (.Tce/HTTTcoy Itsi oder ve stei statt
v erei zu lesen vorschlug. Die Aenderung ist leicht und
ansprechend; schade nur. dass sie keine üebereiustimmung
herbeiführt; denn nicht um 5 sondern um 3 oder 4 Jahre
liegen die beiden Daten auseinander. Böckh Expl. Find,
p. 224 will entweder zum weiten Mantel der runden Zahl
50 seine Zuflucht nehmen, oder sich mit der Annahme helfen.
1) Flach hat in seiner Ausgabe des Marmor Parium damit die
Angabe des Eusebius zu Ol. 88, 3 = 426/5 ':>ivq ex zfjg Ahvtjg iv roTg
xaza HixsXiav tonoig sQQvrf zusammengestellt, mit Unrecht, da diese
Notiz offenbar zu dem Erdbeben des Thukydides im Frühjahr 42o
gehört.
360 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Mni 1888.
dass der Ausbruch mehrere Jahre lan<^, vou 478 bi.s 475
angedauert habe. Der erste Ausweg ist jedenfalls sehr be-
denklich, da die Ungenauigkeiten der runden Zahl von vorn-
herein nicht in der Art des Thukydides liegen und der
Gebrauch der Ordinalzahl nevtri-KOOT^i etei statt nevriq^ovra
tteoLv noch mehr der Annahme einer beiläufigen Zeitbe-
stimmung entgegen steht. Eher lässt sich die andere Erklärung
hören, dass die Eruption mehrere Jahre, wie das ja keine
Seltenheit ist, angehalten habe; aber auch dann bedürfte es
noch der Aufklärung, warum Thukydides nicht das Jahr
des ersten Hauptausbruches gewählt, sondern ein späteres
des noch nicht vollständig zur Ruhe gekommenen Vulkans
vorgezogen habe. Lassen wir also vorläufig die Ausgleichs-
versuche beiseite und fragen wir, wer von den beiden Ge-
währsmännern den Vorzug verdiene. Da sprechen nun für
Thukydides nicht bloss das Ansehen des Mannes, sein höheres,
den Ereignissen näherstehendes Alter, die Güte seiner Quelle
in sikilischen Angelegenheiten,^) sondern auch die Fehler,
welche sein Gegenpartner, der Verfasser der parischen Marmor-
chronik, nachweislich in der sikilischen Geschichte jener Zeit
begangen hat. Da heisst es nämlich zu 478/7: Ftltov b
Jeivoi.ievovg (^^vQanovowvy sTVQüvveraer. während thatsäch-
lich in diesem Jahr Gelon starb und sein Bruder Hieron die
Regierung antrat,'^) und zu 472/1 '^Uqcov ^vQ(xy.ovoiuv hvq-
1) Diese Quelle war, wie wir oben bereits bemerkten, der syra-
kuaanische Geschichtsschreiber Antiochos; aber auch von den Ein-
wohnern des Landes mochte er über den Ausbruch des Aetna Kunde
haben, da die Angabe des Timaios in Marcel linus. vit. Thucyd. 2.5,
dass er während seiner Verbannung in Sikilien gewesen sei, kaum
ganz auf Irrtum beruht.
2) Der Antritt der Regierung des Hieron in Ol. 75, 3 = 478/7
steht fest durch Diodor XI 38; ob derselbe in der zweiten Hälfte
des J. 478 oder in der ersten von 477 erfolgte, hängt von der Kontro-
verse über die Regierungsdauer des Hieron ab. Aristoteles, Polit.
V 12 gibt dieselbe auf 1(J Jahi'e an: Ezrj ovd' avzrj (sc. rj tisqI 'IsQOiva
r. Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie. ^61
QcvvBvae, während thatsächlich Hieron schon 6 Jahre zuvor
Herr von Syrakus geworden war und in diesem Jahr nur
noch nach Besiegung des Thrasydaios die Herrschaft von
Akragas und Himera hinzu erlangte. Müssen wir uns also
bei dem Zwiespalt der Ueberlieferung für eine von beiden
Angaben entscheiden, so werden wir uns unbedenklich auf
Seite des Thukydides stellen und demnach den Ausbruch des
Aetna in das Frühjahr 475 setzen. Möglicher Weise aber
lässt sich die Diskrepanz auf eine andere Weise erklären,
ohne dass wir genötigt sind die Treue der Marmorchronik
ganz zu verwerfen. Aus Diodor XI, 49 erfahren wir nämlich,
da.ss Hieron 476/5 die Stadt Aetna gründete, indem er dazu
dorische Kolonisten aus dem Peloponnes kommen Hess: '^legcov
da Toig TS NaSiovg /.ai rovg Kaiavaiovg i/. xwv ^loXeiov
dvaöir^aag idiovg ol'/.i^roQag drrsareiler, e/. uiy neKo7iovvr^oov
7iEVTuy.iay/kiovg dö^Quioag, Ik dt ^vqaxovoCor alluvg Toaovtovg
xal rf/.cova xvQavvig) JtokXä öii/J-eirsv, dX^ä za av/uzavza SvoTv öeovra
eixoai. rsko)v fxev yäg sjTzä zvoavvevoag zcf> oydooj zov ßiov F.zElEvzrjaev,
dexa d' 'lEQOiv, 0Qaovßovlog 6' Iv zco evdexdzco fi^rjvi e^etteosv. Dagegen
lässt Diodor XI 66 den Hieron 11 Jahre, XI 38 aber 11 Jahre
8 Monate regieren, während er in Bezug auf die Regierungszeit des
Gelon und Thrasybulos mit Aristoteles übereinstimmt. Denn die des
ersteren setzt er wie Aristoteles auf 7 Jahre (XI 38), die des letzteren
auf rund 1 Jahr an (XI 66) ; 7 Jahre gibt dem Gelon auch Eusebios-
Synkellos. da das überlieferte FeIcdv Svoaxovoio? sxQaztjoEv eztj i^
unbedenklich in IV»; C zu korrigieren ist. Es kann aber Diodor mit
Aristoteles in Einklang gebracht werden, wenn man die 11 Jahre
der zweiten Stelle aus 10 Jahren 8 Monaten abgerundet und an der
ersten das überlieferte ezi] evöexa xal /btijvag oxrcö aus szt] dsxa xal
Hfjva? öxzüi verderbt sein lässt. Dann wäre Hieron im Frühjahr oder
Frühsommer 477 zur Regierung gelangt. Diese Annahme begünstigen
auch die Zeugnisse des Hieronymus und des Pindarscholiasten zu
P. 3 in., von denen der erstere den Hieron Ol. 75, 4, der andere in
der 76. Olympiade König von Syrakus werden lässt; oder sind diese
Zeugnisse dahin zu deuten, dass Hieron erst später, etwa nach dem
Sieg über die Tyrrhener den Königstitel erhielt?
362 Sitznnff der phiIos.-])hiIoL Clasfte vom 5. Mai 1888.
TrQoadsig ' /.al ri]>' fxev (.ieiiovof.iaoev ^\rvtjv, ttjI' dt y^ioqav
ov f.iüi'Ov Tiqv Kazaraüor^ ollcc ycolXiqv rr^g 6f.tüQ0v nQuodeig
Kat £'/,lT]Q0vxrjOE (jivQiovg 7tXi]Qt6o(xg olxr^TUQag. tovto ö' i'/iga^e
onevötüv af.ia f-isv tysti' ßui'i^eiav f-roifirjv d^ioloyov yiQog rag
smovaag XQslag, cx(.ta de v.ai £x Tr^g /.ivQiavÖQOv nüXeiog Ti/.t6g
s'xeiv i^gwiaccg.^) Möglich also, dass 478, wie die parische
Marmorchronik angibt, die erste Haupteruption des Aetna
stattfand, dass aber auch 475 der Berg noch rauchte und
dass die (lewährsniänner des Thukydides dieses 2. Datum
hervorhoben, weil in diesem Jahr y.ugleich die mit dem Aus-
bruch des Vulkan in A^erbindung gebrachte Gründung der
Stadt Aetna erfolgte.
Der Aetna bei Pindar und Aeschylos.
Der Ausbruch des Aetna im J. 475 und die damit zu-
sammenhängende Neugründung der Stadt Aetna sind dadurch
weltberühmt geworden, dass sie die grössten Dichter jener
Zeit, der thebanische Lyriker Pindar und der attische Tra-
giker Aischylos, in ihren Gedichten verherrlichten, der eine
1) Ganz mit Diodor stimmt Pindar P. 1 61 tf.:
ay' eneiz^ Aizvag ßaoiXsl (piXiov e^svocoiiev vfivov '
Tfi) noXiv xei'vav deobf.iäiq) ovv eXsvd^eQia v
'YkXiöog orai?/ta? 'legcov
ev v6/j.oig EXTiao\ e&sXovti öe IJafiqn'dov
xai fxav 'HgaxXeidäv sxyoroi
ox^aig vjio Tavysxov vaiovzEg ai-
El /.lEVElV TE&HOlaiV SV Alyifiiov AcoQiEig.
Man .sieht daraus zugleich, wie sich Pindar zum Dolmfitsch der
politischen Anschauungen des Hieron hergab. Denn dieser wollte
offenbar aus Herrsucht und Stamraeseifersucht an Stelle der alten
ionisch-chalkidischen Kolonien eine neue reindorische Stadt setzen, die
ihrem neuen Gründer schon wegen der Stanimesgemeinschat't treu
anhänge und sich leichter in die bei den Doriern heimische monar-
chische Ordnung füge.
r. Christ: Der Aetna tn der griechischen Poesie. 363
in der 1. pytliischen Siegesode, der andere in den Tragödien
Aitnaiai und Prometheus. Es knüpft sich aber daran eine
Menge verwickelter Fragen über das N'erhältnis jener Schilde-
rungen zu einander, über die Zeit des Aufenthaltes der
beiden Dichter in Syrakus, über die Pythiadenrechnung,
übur die Abfassungs/.eit der Gedichte Pindars und Aischylos,
so dass ich in Verlegenheit bin, womit ich beginnen soll.
Hören wir zuerst die beiden Dichter selbst. Pindar also
geht in dem 1. pythischen Siegesgesang, der Perle seiner
Dichtungen, von der Macht des Gesanges aus, dem bezaubert
die Götter des Olympos lauschen, vor dem aber die Dämonen
der Finsternis erbeben. Repräsentant der Götter des Lichtes
ist ihm Vater Zeus, unter den Feinden, w^elche die obsiegende
Gewalt des Allherrschers fühlen nmssten, hebt er den Typhoeus
hervor und fährt dann fort:
oaoa öe i^itj 7teq)iXr]/.E Zevg dztCovrai ßoov
nieuldoji' d'CuvTa. yäv es v.ai jiövzov xar' d/Liai/iiay.eTO}',
15 og t' 6J' alv^ TaoTä(jw y.siiui., IHtov noXti-uug,
Tvcpwg e-KaTovtaxdgavüg ' zov 7(oze
Kilr/.iov d^Qtipev ![oXliüvv(.wv qvtqov • vvv ye /iiav
Tai 1^' V7C€Q Kv(.iaq dXiEq-A.lsg öxif^cct
2ixeXia r' avxov nuKei ozf-Qva Xayvo.-
EVTa, ■/.lOH' d' ovQuvla ovvtyei
20 i'Kpöeoo' ^Xzva, nccvezeg x^ovot; o^eiag ri^Tjra,
tag fQEvyuvTai (.uv djrXdzov irvQog ayvöraiai
«X (.ivywv Tiayai ' TCOTa/uot d'
df.iEQalaiv jt/fV nQoytovri quov -/.aicvov
aXi}iov' • d)X iv OQcpra'iaiv ruroag
(foivioou Av'Kivöoutva (fXu^ ig ßa^Ei-
av (fiQEi növTOv 7cXdy.a ovv jtatdycj).
25 xeIvo ö' l4(faiöZ0L0 y.govvovg eqtzetÖv
dEivozdroig dvu7rei.i:i ei^ Tf'^at; ji/fv ifuvf.idoiov 7iQooiöeo^ai,
O^avfAa de yal Jtaq' löorrwp daovoai,
364 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
oiov AYxvag ev j.tEXaijrfvXloig deÖETai xoQifpalg
Y.ai 7160(0, GiQt(Ji.ivd di yagoa-
aoia' anav vwtov noTrKeyilii^evov aevieI.
EU], Zev, riv Eirj ävdävEiv,
30 og TOtr' icpenEig oQog, evk6q7ioio yai-
ag jLitTOJTtov, Tov {.itv E7ca)vv(xiav
■KXELVog oiMorriQ ey.vöavsv nokiv.
So weit Pindar. Von Aischylos Tragödie Aitnaiai,
welche nach dem Biographen des Dichters speciell auf die
Gründung der Stadt Aetna gedichtet war/) sind uns nur
ein paar Verse und nichts, was sich auf den Aetna bezieht^
erhalten. Aber im Prometheus, der Feuertragödie, bei der
dem Dichter die zerstörende Macht des entfesselten und die
segenbringende Kraft des beherrschten Elementes vorschwebte,
kommt Aischylos nochmals auf den Ausbruch des Aetna
zurück, indem er den von Zeus an den Felsen angeschmiedeten
Prometheus ähnliche Beispiele tyrannischen Uebernmtes des
neuen Weltherrschers anführen lässt. Dort also fährt er
nach Erwähnung des den Himmel tragenden Atlas also fort:
Tov yriyEvy^ %E KlIla-icov oiynjTOQa
ovTQwv IdciJv wATEiQa, öaiov TtQag^
S}iaToyyi(xQavov nqog ßiav x^iqov^evov
370 Tvffwva ^ovQov, /iccOL d' dvTe.ari]^) OEolg,
afXEQÖvaioL ya^tfrjXaioL ovQtQiov cpoßov '
E^ ofXfxÖTiov ()' r^OTQaiiTE yoqyiO'nov af.Xag,
log Trjv Jiog rvQavvid'' sycnegotov ßi(je,
cfAA' rjX^EV at'Tf^^ Zi]vdg ayqvnvov ßiXog
375 /.aTuißÖTtjg AEQUvvog tY.;ivtit)v cfXoya,
1) Vit. Aesch.: fl&wv zoivvv ri? ZixeXiav 'Ifqmvo? röte ATtvrjv
xTi'CovTog EJiFfiei^azo rag Ahvcung oiconCö/if^rog ßlov äyaüov xolg ovvoi-
xovoi r.rjV nöXiv.
2) So habe ich mit Hermann statt des falschen näaiv Sg avxsarr)
der Handschriften geschrieben.
r. Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie. 365
og avTOv e^67cXt]^£ twv vilirjyoQtov
'/.0/n7ra0f.iaT(üv. (pQtrag yaQ elg aicdg iv/ieig
^q^eif'alwiJtj ■/.dS.eßQovcr^'f^t] oO^tvog '
'/.ai. vir axQEiov xat jcagooQOv Öf-f-iag
380 Ksltai orEVi07tov JtkrjOiov ^aXaooiov
onovf.ievog qitaLOiv Alrvaiaig v/co,
'/.OQvq^aJg d' sv dxQaig rji-ievog i.ivÖQoy.cu/r€l
Hq>aiotog. evifey iyiQayi^Goviai nore
yroiauol yriQog dämovceg dygiaig yydO^oig
385 rf^c; y(.aXXr/.dQ7cov ^ixeklag XsvQOtg yvag.
voiövöe Tvcpiug s^avaUeoei xoXov
i}EQ(.io~ig diiXärov ßeXeoi /tvQirvöov udXrjg,
y.alneQ y.egavro) Zip>6g r^vijQa'Aioutvog.
Liest man beide Schilderungen nebeneinander, so be-
kommt man sofort den Eindruck, dass beide von einander
abhängig sind. Den Gedanken in dem Berge Aetna das
Lager des zeusbezwungenen, feuerspeienden Giganten Typhos
zu erblicken, können zwar beide aus derselben Quelle, der
Theogonie des Hesiod entnommen haben. Aber es sind
andere Züge, die dem Pindar und Aischylos gemeinsam sind
und die sich bei Hesiod noch nicht finden : da heisst Typhos
f/.aT oviayiaQavog bei Pindar V. IG und bei Aischylos
V. 369, während Hesiod V. 825 nur von ey.atdv xeq^aXal
0(fiog spricht; da wird bei Pindar und Aischylos und zwar
mit demselben Ausdruck die kilikische Grotte als die ur-
sprüngliche Behausung des Riesen bezeichnet, während sich
bei Hesiod noch gar keine Andeutung von diesem Verhältnis
findet; da spielen endlich bei beiden in der Schilderung des
Ausbruchs der Gott Hephaistos^) und die Feuerströme {iiozai-ioi
1) Das f^ivÖQoxTVJTEt "Hq?atarog Prom. 382 lebte dann fort bei den
Lateinern, wie bei Horaz Od. T 4, 8, der den feierspeienden Berg
zur Flsse des Vulkan und seiner Kyklopen macht.
366 Sitzung der jMlns.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
jrvQog a7tX6xov Pind. 21 f. und Prom. 384 u. 387) eine Rolle.
Eine solche Uebereinstimmuno-kann nicht Zufall sein; hier muss
entweder Aischylos den Pindar, oder umgekehrt Pindar den
Aischylos vor Augen gehabt haben; wer den Vorgang habe,
wage ich nicht mit Zuversicht /u behaupten, zumal ich selbst,
der ich die beiden Stellen wiederholt verglich und auch vor
3 Jahren die Kontroverse im philologischen Seminar /Air
Besprechung brachte, nicht immer zum gleichen Schluss kam.
Darüber zwar lässt sich leicht Uebereinstimmung erzielen,
dass in der Kunst der Schilderung dem Pindar die Palme
gebühre: Aischylos führt mehr nur in epischer Breite nach
Hesiod's Vorbild den Kampf des Zeus mit dem Riesen Typhos
aus; Pindar hingegen schildert ungleich anschaulicher mit
lebhafteren Farben und in grossartigeren Bildern die ge-
waltige Naturerscheinung selbst, die imposante Landschaft
des schneebedeckten, mit schwarzen Kieferwäldern bewach-
senen Berges Aetna, die aus dem Krater aufsteigenden Rauch-
wolken, die in dunkler Nacht unter gewaltigem Prasseln in
das Meer geworfenen Felsblöcke. Auch ist es gerade nicht
geschickt von Aischylos, dass er den Heph aistos oben auf
den höchsten Gipfeln die Eisen massen hämmern lässt; des
Hephaistos Esse gehört in die Tiefe des Berges, und weit
besser lässt Pindar den Typhos die Quellen des Hephaistos
aus den Eingeweiden des Berges in die Höhe senden. Nur
in einem Punkt, in Bezug auf die notaf-iol nvQog war Pindar
weniger glücklich : Aischylos, dessen Feuerströme die Fluren
Sikiliens mit wildem Zahne zerstören, spricht ganz in unseren
Anschauungen, da ja auch wir und selbst in gewöhnlicher
Rede von den Lavaströmen und dem zerstörenden Zahn
sprechen; Pindar dachte sich die Feuerströme, welche bei
Tag die Rauchwolken aus dem Krater entsenden, im Innern
des Berges, er blieb hier bei derselben Vorstellung von den
finsteren Strömen der Unterwelt stehen, die er in einem
Threnos bei Plutarch, De occulte viveudo c. 7 ausspricht:
V. Christ: Der Aetna in der firiechischen Poeftie. 367
t] de TQin, Tojv avoöuoq ßeßuoAorioi' vmI naQavo^uov ödog
Huir ek tgeßoi; re y.ai ßaQcti^Qor wi}oioa rag ifiixag
trd^ev Tor queiqov fQEvyoviai oaotov
ßXrj^Qoi dvoffeoäg vvKtog TTorauoi.
Aber wenn nun auch in diesem einen Punkt Aischylos
einen glücklicheren Griff gethan hat, so bleibt es doch dabei,
dass Pindar lebensvoller und anschaulicher das gewaltige
Naturereignis schildert und dass er demnach wohl auch, als
er die 1. pythische Ode dichtete, dem Ausbruch des Aetna
näher stund als Aischylos. Sehen wir uns indes, ehe wir
uns fester entscheiden, zuerst noch die anderen Verhältnisse
unserer beiden Dichter näher an.
Die Dichtkunst am Hofe des Hieron.
Die Tyrannen in Syrakus haben auf gleiche Weise, wie
die Pisistratiden in Athen, Polykrates in Samos und später
Augustus in Rom, den Glanz ihrer neubegründeten Herr-
schaft durch Förderung der Künste des Friedens und Be-
rufung von Dichtern an ihren Hof zu heben gesucht. Gelon,
der erste und tüchtigste der Söhne des Deinomenes, der
Gründer der Dynastie, war noch zu sehr durch kriegerische
Verwicklungen, durch die schweren Kämpfe gegen seine
Rivalen in Sikilien und gegen die Macht der Karthager in
Anspruch genommen, als dass ihm viel Müsse für Feste und
dichterische Spiele übrig geblieben wäre. Nur den Epi-
charmos, den geistreichen Komödiendichter, scheint er gleich
nach Begründung seiner Herrschaft nach Syrakus gezogen
zu haben. Denn bei Suidas unter Epicharmos lesen wir,
dass derselbe 6 Jahre vor den Perserkriegen, also um die-
selbe Zeit, in welcher Gelon zur Herrschaft in Syrakus ge-
langte,^) Komödien in Syrakus zur Aufführung brachte.
1) Nach den oben S. 360 An. 2 beigebrachter Zeugnissen ist Gelon
über 7 .Jahre vor 478/7, also 485/4 zur Herrschaft von Syrakus ge-
368 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Glänzender gestaltete sich der Hofhalt unter der Regiernnff
seines Bruders und Nachfolgers Hieron. Zwar ganz friedlich
war auch dessen Regierung nicht, zumal derselbe bei seinem
argwöhnischen und heimtückischen Wesen mancherlei innere
Kämpfe, wie mit seinem Bruder Polyzelos herbeiführte und
bei auswärtigen Streitigkeiten allerorts, in Lokris, Sybaris,
Messana, Kyme, den intorventionslustigen Schiedsrichter zu
spielen liebte. Aber in der Hauptsache war doch seine
Herrschaft bereits fest gegründet und hinderte Waffengeklirr
nicht die Entfaltung friedlicher Künste in der Hauptstadt
Syrakus und in Aetna, der neugegründeten Residenz seines
Sohnes Deinomenes. ^) Dazu kam, dass der König durch
ein Steinleiden gehindert wurde an den kriegerischen Expe-
ditionen persönlich teilzunehmen und dafür um so mehr die
musischen Künste und den Verkehr mit Dichtern und Weisen
liebte. Pindar besingt in der 1. olympischen Ode V 15 ff.
seinen Ruhm in der Pflege des poetischen Spiels; Plutarch,
Apophtheg. reg. p. 175, erzählt von witzigen Aussprüchen
des Königs gegenüber dem Philosophen Xenophanes und dem
Komiker Epicharmos;^) Xenophon lässt ihn mit Simonides
in dem danach benannten Dialog über die Vorzüge des Lebens
eines Privatmannes vor dem eines Tyrannen disputieren.
Entsprechend dieser seiner Neigung für äusseren Glanz und
musisches Spiel sandte er sein Rennpferd Pherenikos und
lan^t; Eusebius-Hieronymus setzt den Regierungsantritt schon a. Al)r.
1529 = 487 V. Chr. Der Irrtum des Pausanias VI 9, 5, welcher den Beginn
der Herrschaft von Gela mit der von Syrakus verwechselt, geht
vielleicht auf Polemon zurück, der ein eigenes Buch gegen den siki-
lischen Historiker Timaios geschrieben hatte.
1) Bei Pindar P. 1, 60 heisst der junge Deinomenes mit offi-
ciellem Titel Ähvag ßaadevg.
2) ÜQog de SEVoq)dvr]v tov Ko?.o<pü)viov siTiövra fioXig olxhag ovo
TQe<psiv, dW "OfttjQog, elnsv, dv ov diaavgsig, nXeiovag t} /iVQiovg TQe<p£i
Te{ht]xwg. 'Emxaofiov de tov xoinqidonoiov Sti xfjg yvvaixög avrov Jia-
uovotjg ehie n töJv djiQeJiüiv, i^tj/iiojaev.
V. Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie. 369
und sein Wagengespann nach Theben,^) Delphi, Olympia,
um vor den versammelten Festgenossen als Sieger prokla-
miert zu werden. In gleicher Absicht veranstaltete er
glänzende musikalische und poetische Aufführungen in Syrakus
und erliess an die gefeiertesten Dichter Einladungen zu
seinem Hof. Am frühesten entsprach der Einladung und am
längsten verweilte an seinem Hof Simonides. Zum ersten
Mal treffen wir ihn sicher in Sikilien im Winter 476/5.
Im Frühjahr dieses Jahres weilte er noch in Athen, wo er
unter dem Archon Adeimantos (477/6) mit einem Dithy-
rambus, vermutlich an den Dionysien, siegte, was er selber
durch ein Epigramm, Fragm. 147, bezeugt:
i]qx^^ ^-AÖEifAavxog {.liv l4drivaloig, or' tvUa
^AiTioyig (fvlrj daiddkeov tqItioÖu '
Seivo(fllov dt TÖy viog ^AQiOTeidrjg kxoqriyEL
TzEvir^/.ovT'' üvÖQcbv -/.ald Liad-övxL yoqto '
dürft öiöao/.a)Jr] d-e ^iiuojvidi] taiiETO -/.löog
oydcoy.ovzaiiEi Jtaidi uiEOinQEneog.
Unter dem folgenden Archon, unter Phaidon Ol. 76, 1
= 476/5 V. Chr. brach nach Diodor Xt 48 der Streit des
Hieron mit seinem Bruder Polyzelos aus, der um den Nach-
stellungen des Hieron zu entgehen, zu seinem Schwieger-
vater Theron, dem Herrn von Akragas, flüchtete, in Folge
dessen ein Krieg zwischen Hieron und Theron zu entbrennen
drohte, indem zugleich die Himeräer die Gelegenheit be-
nützten, um das Joch des Thrasydaios, des tyrannischen
Sohnes des Theron. abzuschütteln. Der Streit wurde jedoch
beigelegt, so dass die Himeräer das Strafgeld zu zahlen be-
kamen; derjenige aber, welcher die Aussöhnung zwischen
1) Irrtümlich oder ungenau ist die Angabe des Aelian V. H. 5, 9
and Plutarch Themist. 26, dass Themistokles den Hieron gehindert
habe an den Wettkämpfen zu Olympia teilzunehmen ; siehe darüber
Duncker, Gesch. d. Alt. n. F. I 52 An. 1.
1888. Philos.-philol. u. bist. GL 3. 25
370 Sitzung der iMlos.-pMol. Classe vom 5. Mai 1SS8.
Theron und Hieron vermittelte, war Simonides, wie uns
Didymos zu Find. 0. 2, 29 nach Timaios berichtet.^) Das
wird aber im Spätherbst oder Winter 476 gewesen sein, da
in demselben Jahr Diodor noch die Vernichtung der Naxier
und Katanäer und die Neugründung von Aetna erwähnt,
welche, wie wir oben sahen, nach dem Ausbruch des Aetna
im Frühjahr oder Sommer 475 stattfand. Siraonides starb
i. J. 468 kurz vor Hieron und erhielt vor den Thoren
von Syrakus sein Grab. Ob er die ganze Zeit über, von
476 bis 468 in Syrakus weilte, und ob er nicht schon einmal
vor 476 in Sikilien war, darüber sind wir auf blosse Ver-
mutungen angewiesen. Im Gefolge des Simonides befand
sich auch in Syrakus sein Schwestersohn, der Lyriker Bak-
chylides; beide zusammen bezeichnet Pindar 0. 2, 95 mit
unverdienter Geringschätzung als kreischende Raben, während
er sich dem hochfiiegenden Aar vergleicht: (.taOövzEg de laßgol
7cayyhüoola ■/.OQay.sg log a%Qavta yaQverov.^) Ausser Simo-
nides und Bakchylides zog nun aber Hieron noch den ge-
priesensten Siegesliederdichter Pindar und den grössten
Tragiker seiner Zeit Aischylos an seinen Hof, und von beiden
sind wir so glücklich noch Verse und Gedichte zu haben,
die sich auf ihren silikischen Aufenthalt beziehen, während
uns von den beiden andern so gut wie nichts erhalten ist. ^)
1) Schol. arb Pind. O. 2, 29: q^aal yog rore 2ifi(ovihi]v rov Xvqi-
xov jisgiTV^oPTu (iiakvaai roTg ßaailEvoi ri/v Fyßgav. Das Scholion des
Didymos liegt uns in 2 Fassungen vor, welche sich gegenseitig er-
gänzen. Diodor sagt uns nichts von der Vermittlerrolle des Simo-
nides, und weicht auch sonst in Nebensachen, bezüglich der Ent-
zweiung des Hieron und I'olyzelos von Didymos ab; um so wertvoller
ist es uns, dass Didymos sich ausdrücklich auf Timaios als seine
Quelle beruft.
2) Schol. ad. Pind. 0. 2, 155: aivkxEzai ßaxxvXi(')ijv xal ^i/ico-
vifirjv, savrov ki-yoiv aeröv xoQuxag Se xovg avtiTF.yvovi;.
3) Wir sehen nur aus Schol. Pind. Isth. 2, dass Simonides einen
Sieg des Xenokrates in der 24. Pythiade (494 v. Chr.) in einem
V. Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie. 371
Aischylos in Sikilien.
Ueber die Beziehungen des Aischylos zu Hieron haben
wir folgende 4 Zeugnisse:
1) Pausanias I 2, 3: eg 2vQa-/.ovaaq fTQoq 'leqiova AIg-
yvXoq y.al ^lucopidijg iorakrjOav.
2) Vita Aeschyli c. 8 : elS^uiv roivvv slg 2iy.eXiav '^ÜQiovog
TOTS ^l'zi'r^v '/.ritovTog snedel^aTO rag ^Izvaiag ouovitofxevog
ßiov dyad^ov zölg owoivÄLovoi ttjv 7toXiv.
3) Schol. ad Arist. Ran. 1028: '^HgoöiKog öa cpr^oi öirrag
yeyoi'ivai zag -/.ad^toeig (d. i. Aufführungen der Perser) /ml
zi]v ZQayojdlav Tavztjv tceqlIxeiv rijV ev lHazaimg f^ioyjjV.
öoxovoi Ö€ ovzoi o\ Ilegoai vrco tov ^loxiXov dedidaxOcii
sr ^iQa/.oioaig o.iovddoavTog '^liQcovog, wg q)rjOir EQazooi^evt]g
fv / Tzegi /.iOLUtjöiöJv. Vgl. Vit. Aesch. 16: cpaolv ino
'JiQtüi'og dBuü^ei'za draöidä^ai zovg Jläqoag ev ^r/.eXia /.ai
Xiav Ev6o/.i{.iEiv.
4) Aischylos Proui. 367 — 388 in der oben bereits aus-
geschriebenen Schilderung der Eruption des Aetna von 475.^)
Enkomion besang, aber nicht unmittelbar nach jenem Siege, da er
in dem Loblied auch den späteren Sieg des Xenokrates an den
Isthmien verherrlichte. Ausserdem dichtete er Siegeslieder für Anaxilas,
den Tyrannen von Messana und Rhegion (gest. 476), und für Astylos
aus Kroton, wovon uns einige Verse, Fragm. 7 u. 10, erhalten sind.
Bakchylides dichtete wahrscheinlich das Epinikion für den Wagen-
sieg des Hieron Ol. 78 = 468, aus dem uns der Scholiast zu Find.
0. 1 in. die auf den Sieg von Ol. 77 = 472 bezüglichen Verse er-
halten hat:
EavdÖToixov fiiiv <PeQerixo%'
'A/.CfEor nag' Evgvdirar 7tü))..ov uelloSgöfiov
Eids viy.äaavxa.
1) Die Nachricht vom Tode des Aischylos in Sikilien und über
sein Grab bei Gela lassen wir ausser Betracht, da damals Hieron
bereits tot war, ebenso die Nachrichten über das Vorkommen sikilischer
Wörter bei Aischylos, worüber die Zeugnisse bei Fr. Scholl, De Ae-
schyli vita testimonia, in Ritschl's Ausgabe der Sieben p. 11 f.
25*
372 Sitzung der iMlos.-pkilol. Classe vom 5. Mai 1888.
Von diesen 4 Zeugnissen ist uns am wenigsten mit dem
ersten gedient ; man könnte zwar versucht sein aus demselben
zu schliessen, dass Aischylos zur Zeit, wo bloss Simonides,
nicht auch Pindar bei Hieron weilte, nach Sikilien gekommen
sei; aber abgesehen davon, dass auch damit nur wenig ge-
wonnen wäre, ist die Berechtigung zu einem solchen Schluss
doch äusserst zweifelhaft. Pausanias folgte an jener Stelle
wahrscheinlich einfach dem Plutarch, de exilio p. 604 e, der,
nachdem er den Tod des Aischylos fern von der Heimat in
Sikilien erwähnt hatte, einfach fortfährt: xat yoQ ovzog elg
2r/.£liav d/iiJQE yial ^if.io}vidr]g ttqÖteqov. Der Aufenthalt
des Simonides am Hofe des Hieron war eben weitaus der
bekanntere und wahrscheinlich auch einflussreichere, weshalb
auch schon Xenophon den Hieron mit Simonides, nicht mit
Pindar disputieren Hess. Von den übrigen Zeugnissen wider-
sprechen sich das zweite und dritte. Geht man von dem
Wortlaut des zweiten, namentlich von dem Präsens xrl^ovrog
rr^v ^Xrvav ""Itgcovog aus, so wird man auf die Zeit der
Gründung der Stadt Aetna, also auf 475 v. Chr. geführt,
und dafür entscheiden sich die meisten Forscher.^) Aber
damit lässt sich das 3. Zeugnis nicht vereinbaren; denn wir
wissen aus den Didaskalien, dass die Perser 472 in Athen
auftreführt wurden, so dass also ihre Wiederaufführung in
Syrakus erst nach 472 erfolgen konnte. Auf den letzten
Aufenthalt des Aischylos in Sikilien dürfen wir aber nicht
herab gehen, da dieser nach der Aufführung der Orestie
(458), also erst nach dem Tode des Hieron (4()6), der doch
jene Wiederaufführung der Perser in Syrakus veranlasst
haben soll, erfolgt ist. Es bleil)t also nichts übrig, als ent-
weder 2, oder im Ganzen 3 Reisen des Aischylos nach Sikilien
1) Wilamowitz, Herin. 21, 611 setzt die Heise 476, jedenfalls
um 1 .Jahr zu früh. Ich sellist l)in in meiner (Jriechischen Litteratur-
geschichte noch der hernschenden Meinung gefolgt.
V. Chritit : Der Äet)ia in der griechischen Poesie. 373
anzunehmen, etwas -was doch des Guten zu viel sein
dürfte, oder die Hichtigkeit des einen der 2 Zeugnisse zu
bestreiten.^) Es liegt nun allerdings nahe das 3. Zeugnis
zu verdächtigen, wie unter anderen Wecklein thut,^) da
in dem betreifenden Scholiou vieles, wie namentlich die
Annahme einer zweiten Bearbeitung der Perser, auf faden-
scheiniger Vermutung beruht, die dadurch veranlasst war,
dass die Grammatiker die von Aristophanes in den P^-öschen
1028 f. angedeuteten Worte in ihren Persern so wenig wie wir
in den unseren fanden.^) Aber wenn auch die Grammatiker,
welche die Schwierigkeiten der aristophanischen Stelle mit
der Annahme zu lösen versuchten, dass die von Aristophanes
angedeuteten Worte in den zweiten, in Syrakus aufgeführten
Persern gestanden wären, einem leeren Phantom nachgingen,
so darf doch deshalb noch nicht die Richtigkeit der durch die
Autorität eines Eratosthenes verbürgten Nachricht von der
Aufführung der Perser in Syrakus angezweifelt werden.
Umgekehrt wären die Grammatiker auf jene Ausflucht gar
1) Ein dritter Weg, den Holm, Gesch. Siciliens I 231 einge-
schlagen hat, nämlich dass die Perser zuerst in Syrakus und dann
erst in Athen aufgeführt worden seien, scheint mir denn doch zu be-
denklich.
2) Wecklein, Einleitung zu seiner Ausgabe der Perser S. 37:
daraas ergibt sich deutlich, dass jene Notiz nicht einer zuverlässigen
Ueberlieferung, sondern nur einer Schlussfolgerung aus der Stelle des
Aristophanes, Ran. 1028 f. entstammt.
3) Auch die Ausflucht des Herodikos ['Hgodtxog 8e fprjoi öirzäg
yeyovEvai rag xadeasig aal xijv xoaycoölav zavxtjv .teoisyeiv rijv ev IlXa-
zaiaTg fidxfjv) enthält Falsches mit Wahrem gemischt, da die Schlacht
bei Platää nicht in einer zweiten Bearbeitung der Perser, sondern in
dem 3. Stück der Trilogie, in dem Glaukos Potnieus, der bei Anthedon
in Böotien spielte, vorgekommen sein wird. Freilich Jul. Schöne -
mann Rh. M. 42, 470 glaubt es dem Herodikos, dass in der 2. Be-
arbeitung der Perser Platää an die Stelle von Salamis getreten sei
und dass es in dem von Aristophanes citierten Verse geheissen habe
^sQt MagSoviov redvEcörog statt tieqI Aagscov ts^^ecötos.
374 Sitzung der i)hilos.-phüos. Clas.se vom 5. Mai 1888.
nicht gekommen, wenn sie nicht ans anderen Zeugnissen
gewusst hätten, dass Hieron den Ainchylos veranlasste, seine
Perser nochmals im Theater von Syrakns aufzuführen. Denn
dass Aischylos in eigener Person die Aufführung in Syrakus
leitete, und dass nicht Hieron die Perser durch einen andern
aufführen liess, setze ich als selbstverständlich voraus. Eben-
so sicher dürfte es sein, dass Aischylos nicht die Perser
allein, sondern zugleich die andern damit verbundenen Stücke
der Trilogie in Syrakus zur Aufführung brachte, zumal in
dem Glaukos Potnieus auf den Ruhm der Schlacht bei
Himera angespielt war, in welcher Gelon und Hieron die
Karthager zu gleicher Zeit wie Themistokles die Perser bei
Salamis vernichteten , wie dieses G. Hermann Opusc. aus
den Versen des Glaukos
•/.aXoiioi XovtqoIq l-/.XeXovuivog d^iag
elg vilJiY.Qrjf.ivo7' '^If.itQav a(fr/.üi.njv^)
mit Recht geschlossen hat. Als Hauptresultat unserer Be-
sprechung also bleibt, dass Aischylos nach 472 und vor 466
in Syrakus seine Perser zur zweiten Auffiilirung brachte.
Will man sich also nicht zu den äusserst unwahrscheinlichen
Annahmen bequemen, dass entweder Aischylos die zweite
Aufführung nicht persönlich geleitet habe, oder dass er bald
nach Gründung der Stadt Aetna 475 zur Aufführung seiner
Aitnaiai und dann wieder zwischen 472 und 406 zur Wieder-
aufführung seiner Perser nach Sikilien gekommen sei, so bleil)t
nichts anderes übrig als sich mit der Annahme einer kleinen
Ungenauigkeit in dem zweiten der oben angeführten Zeugnisse
abzufinden. Ist es denn aber so bedenklich anzunehmen.
1) Zu beachten ist, dass diese warmen Bäder bei Himera auch
Pindar 0. 12, 18 erwähnt. Ob die in den jüngeren Scholien zur
Stelle erwähnte Sage, dass diese Bäder Athene dem Herakles auf
der Rückkehr vom Zuge gegen Geryones geschaffen haVjc, auf alter
Ueberlieferung beruht, ist mir zweifelhaft.
r. Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie. 375
dass der junge, keineswegs durch kritische Genauigkeit aus-
gezeichnete Biograph des Aischylos die gute alte Ueher-
lieferung, wonach die Aitnaiai in der neugegründeten Stadt
Aetna aufgeführt wurden und der nach dem Aetna benannte,
\'ielleicht aus Nymphen des Berges zusammengesetzte Chor,
ähnlich wie in den Schutzflehenden, zum Schluss fromme
Gebete für das Gedeihen der Stadt aussprach, dahin deutete
und verdrehte, dass die Aufführung des Stückes unmittelbar
nach Gründung der neuen Stadt stattgefunden habe?
Die Annahme, dass Aischylos erst nach 472 nach
Syrakus gekommen sei,^) wird nun aber auch durch das
4. Zeugnis, die Schilderung des Aetnaausbruchs im Prome-
theus, wesentlich unterstützt. Denn der Prometheus wurde
zweifellos erst nach den Persern gedichtet. Dafür spricht
entscheidend der Umstand, dass zur Aufführung der Perser
nur 2, zu der des Prometheus aber 3 Schauspieler nötig
waren. Denn die Versuche mit 2 Schauspielern im Prolog
des Prometheus auszukommen, laufen auf eine Taschenspieler-
kunst hinaus, die Annahme aber, dass der uns erhaltene
Prometheus nicht das ursprüngliche Drama des Aischylos,
sondern eine späte üeberarbeitung sei, gehört zu den windigen
Hypothesen der neueren Aischyloskritik,^) welche am aller-
wenigsten auf den Prolog des Prometheus, dessen steife
Strenge echtäschyhschen Typus trägt, angewendet werden
darf. Ist aber die Ueberlieferung, dass Sophokles, der zum
ersten Mal im J. 468 auftrat, den 3. Schauspieler eingeführt
habe, richtig, so kann der Prometheus nicht vor 468 auf-
geführt sein, recht gut aber gerade in diesem Jahr, da
Aischylos auch in den 467 gegebenen Sieben 3 Schauspieler
1) Auch Bergk Gr. Lit. III 280 lässt den Aischylos Ol. 77, 1
einer Einladung des Hieron folgen und in Syrakus zugleich die Perser
aufiFühren und das Gelegenheitsstück, Die Aetnäerinnen, verfassen.
2) Oberdick, Wochenschr. f. klass. Phil. II 526 lässt den
Prometheus nach dem Ausbruch des Aetna von 425 umgearbeitet sein.
376 Sitzung der hirnlos. -philol. Classe vom 5. Mai 1888.
zur Verwendimg brachte. Das übrige, was ich jetzt noch
hinzufüge, ist freie Phantasie, nämlich, dass Aischylos nach
der Abreise des Pindar im J. 470 einer Einladung des
Hieron nach Syrakus gefolgt sei, und bald nach seiner
Rückkehr im J. 468, wo er noch den Eindruck, den er von
Sikilien und dem Feuerschlund des Aetna mitgebracht hatte,
frisch in der Erinnerung trug, seine Feuertrilogie geschrieben
und in dieselbe die Schilderung vom Ausbruch des Aetna
eingeflochten habe.
Pindar in Sikilien.
Besser und bestimmter sind wir über die Zeit unter-
richtet, in der Pindar in Sikilien am Hofe des Königs Hieron
weilte, doch fehlen auch hier nicht die chronologischen
Skrupel und die sachverwirrenden Hypothesen neuerer Ge-
lehrten. Vor allem sagt uns Pindar selbst 0. 1, 17
aylaiZerai öi Aal
fi.ovOLy.ccg sv awrw,
ola iTaitof-tEv cpiXav
avÖQsg a(xcpl &af.m xQaTteCav
dass er zur Zeit, als er die 1. olympische Ode zu Ehren des
olympischen Sieges des Königs Hieron dichtete, in Syrakus
am Hofe des Königs weilte. Wann ist nun dieser Sieg er-
rungen worden? Darauf antworte ich zuversichtlich auf
Grund der Ueberlieferung der Scholien, in der 77. Ol. oder
472 v. Chr. Denn 3 Siege hatte nach den Scholien Hieron
in Olympia gewonnen: in der 73. und 77. Ol., oder 488
und 472 v. Chr. mit dem Rennpferd (xtAryrt), in der 78. Ol.
oder 4G8 v. Chr. mit dem Wagen (aQ^iazi). Das bestätigt
auch, aber leider ohne Bezeichnung der Jahre, das Sieges-
denkmal, welches nach Hierons Tod sein Sohn Deinomenes
nach Olympia stiftete und welches in einem Wagen und
2 Rennpferden zur Seite bestund, zu deren Erläuterung
V. Clmst: Der Aetna in der griechischen Poesie. 377
das Epigramm beigeschrieben war (Paus. VIII 42, 9 und
VI 12, 1):
^6v 7ioT€ vr/.i\oag, Zev 'OXi^ins, OEf.ivöv dytöva
re^(i/;r7rw /.ler a7raS, uovvo-/.ih]ii 8t ötg,
öcüq' "Uqwv räöe ooi eyaQiaoaTO, Tialg d' dviiyri/.ev
JeLVO(xtvi]g nargog uvr^i.ia ^vgayiooiov.
Der letzte der 3 Siege, der des J. 468 kommt nicht in
Betracht, da Pindar ausdrücklich V. 19 von einem Sieg mit
dem Rennpferd Pherenikos, nicht mit einem Viergespann
oder Wagen spricht; der erste Sieg der 73. Olympiade ebenso
wenig, da Hieron damals noch nicht König von Syrakus
war, in unserer Ode aber mit Emphase 2uQa/.oioiog i/ttto-
XciQl^ag ßaodeig (V. 23) genannt wird. Es bleibt also nur
der Sieg in der 77. Olympiade, so lauge wenigstens als
man an der üeberlieferung festhält und nicht ein Verderbnis
der Zahlen annimmt. Denn nirgends in den SchoHen ist
eine andere Olympiade als die drei angeführten genannt,
und Lübbert trägt seine Vermutung, nicht den Wortlaut
des Zeugnisses vor, wenn er in der Abhandlung, De Pindari
poetae et Hieronis regis amicitiae primordiis et progressu
p. VII bemerkt: contra Didymus apud Schol. Pind. I 33
p. 29 olympiadi 76 ascribit. Nein, auch Didymus kannte
nur die Siege in Ol. 73, 77, 78, so wenig Ehre es auch
seinem Scharfsinn macht, wenn er unsere Ode auf den Sieg
in der 73. Ol. bezieht, zu welcher Zeit Hieron allerdings noch
nicht als Aetnäer ausgerufen werden konnte, aber auch noch
nicht König von Syrakus war. Es bedarf also einer Con-
jectur, wenn man unsere Ode nicht in der 77. Ol. gedichtet
sein lässt; eine solche und zwar eine sehr leichte hat Bergk
vorgeschlagen und Lübbert gebilligt, nämlich dass o/ oX.
aus of 61. verderbt sei und dass also Hieron den 1. Sieg
mit dem Rennpferd nicht in der 73., sondern in der 76. Olym-
piade davongetragen habe.
378 Sitznng der phüos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Was nötigt uns aber von der üeberlieferung abzugehen
\ind was bereclitigt uns /Air Aenderung der überlieferten
Zahlen V Beginnen wir mit den Bedenken der alten Er-
klärer! Die nahmen daran Anstoss, dass Hieron als Syra-
kusaner bei dem in unserer Ode verherrlichten Siege aus-
gerufen worden sei, während er seit der Gründung von
Aetna, also seit Ol. 76, 1 sich den Ehrennamen Ahvaiog
beigelegt habe.^) Die richtige Widerlegung hat bereits im
Altertum der Grammatiker Aristonikos, der sich auch bei
Pindar wie bei Homer als einen viel besseren Führer als
sein Kollege Didymos bewährt, mit den einfachen Worten
gegeben: AiTvalov ovta ^vQaxoioiov 6vof.idl^eaOai.^) Wenn
sich Hieron bei dem pythischen Siege OL 76, 3 unmittelbar
nach der Gründung von Aetna als Aetnäer ausrufen Hess,
so brauchte er dieses nicht in aller Folgezeit 7ai thun; blieb
er doch auch nach Gründung von Aetna immer noch Syra-
kusaner und König von Syrakus.
Ebenso wenig Eindruck macht es auf mich, dass nach
der Beischrift zum Titel der 1. olymp. Ode 'ligonu toj
FeXiovog döelcpio viY.riOavti %rtncij -^^ihfii iiqv oy olvfxniada,
ij wg ivioi oQfxaTi einige alte Erklärer der Meinung waren,
Hieron habe in der 73. Olympiade mit dem Wagen, nicht
mit dem Renner gesiegt. Denn diese Meinung war einfach
irrig, da wir ja aus der Aufschrift des Siegesdenkmals
bestimmt wissen, dass Hieron nur 1 Sieg in Olympia mit
1) Schol. ad Find. 0. 1, 33: SvQaxöaiov Innoxägfiav ßaadija]
evioi ds ävayivMaxovai naQo^vvovrsg zi]v nagaXrjyovoav avXXaßrjv xwv
l^vnaxovoiMV y.ai xtjv sayäxrjv rov mjioxaQfiäv nsQiojiwai, tV ^ rwv
ZvQuxovoUov ijzjioyaQfion: rov yäg 'legcova ovx eivai Zvgaxovaiov ozs
ivixa' xiloavta yaQ avzov ztjv Kardrtjv xai jiQOoayoQevaavra Aixvav an'
avxfjg Atxvalov Xeyovoiv avxov. £vi^{^sig tpr^ol Aidv/-iog xovxovg. xoxe yaQ
(seil, oy oX.) 6 'Hqcov tjv Svgaxovaiog xai ov8s tjv AixvaVog, &o <prjaiv
'A7ToXX('>i)omng . 6 8e 'Anioxovixog a^iomaxoig AixraTor ovxa ZvQaxovaiov
ovofidCeaOui.
2) Mit richtiger Einschränkung sagt daher auch der Scholiast
zu Nem. 1 in.: ev xtai lojv dywviov Ahvalov eavxuv eiJiev.
V. Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie. 379
dem Wagen, und zwar Ol. 78 gewann, dass also die beiden
anderen Siege Rennpferdsiege waren. Ded-shalb zerbreche
ich mir auch nicht lange den Kopf darüber, wie der Irrtum
entstanden sei, ob durch Verwechselung der beiden Siege
des Hieron in Ol. 73 und 78 oder durch Verwechselung der
Siege des Gelon und Hieron in OL 73, da von diesen eben
der erstere, der des Gelon, nach Pausanias IV 9, 4 ein
Wagensieg war. Wenn aber Lübbert glaubt, dass Pausanias
nicht die Dummheit begangen hätte den Wagensieger Gelon
von Ol. 73 für einen Privatmann auszugeben, wenn er in
seinen Siegerverzeichnissen zu Ol. 73 neben dem Gelon auch
den Hieron als Sieger vorgefunden hätte, so habe ich einmal
zu den Quellenstudien und der Sorgfalt des Pausanias nicht
das gleiche Vertrauen, meine vielmehr, dass wenn einer einmal
den Regierungsantritt des Gelon in Syrakus mit dem in Gela
verwechseln konnte, demselben leicht auch noch ein zweiter
und dritter Irrtum zugemutet werden dürfe. Sodann habe
ich aber überhaupt kein Interesse daran, die Frage, ob Hieron
Ol. 73 in Olympia gesiegt habe oder nicht, hier weiter zu
verfolgen, da ich im weiteren Verlauf der Untersuchung zeigen
werde, dass in unserer Kontroverse ohnehin der frühere Sieg
des Hieron in Olympia, mochte derselbe nun in die 73. oder
76. Olympiade gefallen sein, ausser dem Spiele bleiben muss.
Beachtenswerter ist der andere Einwurf, dass Pindar in
unserer Ode eines früheren Sieges des Hieron in Olympia
nicht gedenke, da.ss also dieselbe dem ersten, nicht dem
zweiten Siege des Königs gelten müsse, da der Dichter es
liebe, dem Preise des jüngst erworbenen Sieges die ehren-
volle Erwähnung der früheren Siege beizufügen. Ich gebe zu,
dass dieser Grund Bedenken gegen die Meinung Böckhs, der
eben die 1. olympische Ode in die 77. Ol. setzt, erregen kann,
so dass wenn ein anderer, mit der Ueberlieferung stimmender
Ansatz möglich wäre, demselben deshalb der Vorzug ge-
bührte. Aber keineswegs kann ich zugeben, dass deswegen
380 Sitzung der pUlos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
der Ansatz auf Ol. 77 als ausgeschlossen und unmöglich
betrachtet werden müsse. Pindar bewahrt nicht immer die-
selbe Sitte: manchmal erwähnt er alle Siege des Gefeierten,
hie und da selbst die der Verwandten, manchmal beschränkt
er sich auf den Preis derjenigen, welche an demselben Od
errungen waren, manchmal weiht er sein ganzes Lied der
Verherrlichung des einen gegenwärtigen Sieges, auch wenn
dem Sieger zuvor schon andere Siege in den Schooss ge-
fallen waren. Wir brauchen nicht weit zu gehen, um für
die letzte Art Beispiele zu finden: die 1. pythische Ode gilt
dem Wagensiege Hierons in der 29. Pythiade; demselben
waren, wie uns die Schollen belehren, 2 Siege des Hieron
in der 2C). und 27. Pythiade vorausgegangen. Von beiden
erhalten wir auch nicht eine Andeutung in unserer 1. pythi-
schen Ode. Man höre also auf zu sagen: in huius alterius
victoriae laudibus celebrandis nullo modo praeconium etiam
prioris victoriae quadriennio ante partae omitti potuit. Der
Umstand, dass in unserer Ode ein früherer Sieg des Hieron
nicht erwähnt ist, nötigt uns nicht, die Annahme, dass die-
selbe dem 2. Sieg in Ol. 77 galt, als unmöglich aufzugeben
und zu Textesänderungen unsere Zuflucht zu nehmen.
Am schwersten wiegt der Einwurf, den Bergk in der
4. Ausgabe der PLG. p. 3 gegen die Ueberlieferung der
Schollen in die Worte fasst: referunt vulgo ad Ol. 77, sed
cum Pindarus 0. 3 v. 42 aperte huius carrainis exordium
respexerit, illud autera carmen omnino ad Ol. 76 pertineat,
apparet hoc carmen paulo ante Ol. 3 compositum esse. Die
Propositio maior in diesem Schlnss ist schwer zu bestreiten;
denn die Worte des Eingangs der 1. olymp. Ode
aqioxov /.itv vdcoQ^ o de
XQvoog ali^oi-ievov 7tvq
UTE öiaviQbrrEL
vv'/.ii f-teyövoQog t'^oxcc jiXoviov
V. Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie. 381
und der Vers 0. 3, 42
XQvoog aiöoUotarov
haben oflFenbar auf einander Bezug, und wo in diesem Fall
das Vorbild und wo dife Rückbeziehung zu suchen sei, kann
bei der Stellung der entsprechenden Verse und bei der be-
dingenden Satzforra in der zweiten Stelle kaum zweifelhaft
sein. Wir stimmen daher Bergk und Hermann bei, dass
0. 3 nach 0. 1 gedichtet sei. ^) Aber die Propositio minor,
dass die 3. und somit die 2. und 3. Ode sich auf einen
Wagensieg: des Theron in der 76. Ol. beziehen müssen,
geben wir nicht so leicht zu. Allerdings ist hier die üeber-
lieferung bezüglich der Zeit des gewonnenen Sieges schwankend,
indem die Scholien Pindars den Sieg Therons bald in die
77., bald in die 76. Olympiade setzen. Sehen wir zuerst zu,
auf welche von -beiden Seiten sich mehr die Ueberlieferung
an und für sich neigt! In der Aufschrift, dem ältesten Teil
der Kommentare, heisst es einfach: ytyqanxai ö smvUiog
QrfQiovi ^/.QayavTiviü aQf.iari viy.r^oavTi ri^v €ßöof.irjy.ooTriv
eßdöfirjv olvfuniccöa^) Zu V. 160 lesen wir dann: liy.qa.yaQ,
uEvxrf/.ooTXi 6Xv/.micidi IatIoÜ^i], 6 da Qr'jQiov og t" ol ivUr^OE,
und zu V. 1G8: Uy^vai xr^v 'A/.qäyavia rtEVTifMOif^ oXvf.i-
7nccdi ixTiad^aL • ixdd^ev ös ayqi rrig Qi[qcüi'og vUrjg €ZT]
elvai txuTOv iv 6Xvf.i/n(xdi xe', ylvorrai ös 7iqog talg v
oXv/ATiiQöi OB . ivUa olv og, y.iyqr^TaL de t^ dnrjqTiouevio
dqii^f^qj elniüv q' . Daraus sieht man also, dass der Gram-
1) So ganz zweifellos ist indes der Schluss nicht; L. Schmidt,
Zur Chronologie der pindarischen Gedichte, in Comment. in honorem
Mommseni S. 12 ff. erklärt sich nicht für überzeugt. Ein schwerer
Vorwurf indes trifft den Pindar nicht, wenn er mit demselben Bild
bald den Hieron, bald den Theron feiert. Das ist noch keine Doppel-
züngigkeit ; die entstünde erst, wenn wir unter dem ungerechten
Mann der Siegesode an Theron 0. 2, 18 den Hieron verstehen müssten.
2) In cod. A ist indes die Zahl ganz ausgefallen.
382 Sitzung der pliüos.-plülol. Classe vom 5. Mai 1888.
matiker sich für die 76. Ol. entschied mit Bezug auf die
Worte des Dichters V. 102 (168)
avdäoo(.iaL ivogynov Xoyov dlaO^el vou),
iSKeh' f-U] TLv' t'/iaröv ye Irhov 7CoXiv
q^iXoig ävöqa {.läXlov
Evegyerav jiqanioLv acpOovtoiBQOv xe yjgi
Qr^Qtovog.
Ich brauche nicht viele Worte darüber zu verlieren,
dass dieses eine unnütze Subtilität ist, dass, wenn der Dichter
wirklich bei den 100 Jahren die Zeit von der Gründung der
Stadt Akragas bis zur Gegenwart im Auge hatte, es ihm
nicht auf 4 Jahre mehr oder weniger angekommen sein
wird.^j Für uns liegt also darin kein Grund, die 76. OL
der 77. vorzuziehen. Umgekehrt zieht uns die Autorität
der alten Ueberschrift der Ode auf die Seite der 77. Ol.,
und erklären wir uns das Schwanken dadurch, dass einer den
Buchstaben 'C der alten Zeitangabe o'C' ebenso auf die Zahl 6
wie 7 deuten zu dürfen glaubte und der ersten Deutung dann
mit Bezug auf jene 100 Jahre des Dichters den Vorzug gab.^)
Aber sachliche historische Gründe sollen entscheidend
für 470 sprechen; wollen sehen! Böckh und mit ihm
Mezger finden nach dem Vorgang der alten Erklärer^)
den melancholischen Ton des herrlichen 2. Gedichtes und
1) Einfältig geradezu sind die Winkelzüge des jüngeren Scholi-
asten, von denen kurz und bündig Böckh Expl. Pind. p. 114 sagt:
quod recentior scholiastes ad v. 166 affert, id nihili esse s))ont,e apparet.
2) Thatsächlicli wird in den alten Verzeichnissen die Zahl 6 mit
dem Ijuch.staben Vau (f) bezeichnet gewesen sein, so dass f nur für
die Zahl 7 genommen werden durfte. Zu beachten ist ausserdem, dass
unsere Scholiasten nicht mehr die Siegerverzeichnisse selbst einsahen,
sondern sich lediglich an die Zeitangaben der älteren Erklärer hielten.
So heisst es in unseren Schoben zu 0 6 und 0 utioqov noazrjv Vkv/i-
TiKu^a yy/y.tjnn-, eben weil hier in den Vorlagen die Zeitbestimmungen
Ijei der Ueberschrift durcli Zufall ausgefallen waren.
3) Schob ad Find. O. 2, 29, 173, 180. Der Scholiast schöpft
auch hier wieder direkt aus Tiniaios und ist ausfüiirlicher als Diodor
V. Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie. 383
den wiederholten Hinweis auf die Bosheit und Feindselig-
keit der Menschen, die Theron zu befahren hatte (0. 2,
17 ff. 40, 106), in den Verhältnissen des Jahres 476 be-
gründet, in welchem Polyzelos, der Schwiegersohn Therons,
vor den Nachstellungen seines Bruders Hieron fliehen musste,
die Himeräer gegen ihn und seinen Sohn Thrasydaios auf-
standen und ein Bruderkrieg zwischen ihm und Hieron aus-
zubrechen drohte. Der melancholische Ton der Ode ist
unverkennbar und gibt derselben ihren besonderen Reiz; es
muss in der That damals eine trübe Stimmung in der Königs-
burg des Theron geherrscht haben. Aber dass nun Pindar
gerade auf Hieron als den ungerechten, undankbaren Uebel-
thäter hingewiesen habe, ist bei den intimen Beziehungen,
in denen er seit Ol. 75, 4, wo er die 2. jDythische Ode an
Hieron schrieb, zum König von Syrakus stund, von vornherein
unwahrscheinlich; das können nur diejenigen glauben, welche
sich in der Verkleinerung der Grössen des Altertums gefallen
und den erhabenen Sänger der sittlichen Weltordnung nicht
bloss für einen servilen und achselträgerischen, sondern auch
taktlosen und unklugen Menschen ausgeben wollen. Auch
dass Kapys und Hippokrates, die Vettern des Theron, auf
welche schon die Alten die Anklage des Dichters haupt-
sächlich bezogen,^) gerade im Jahre 476 bewaffnet gegen
Theron aufgestanden seien, ist eine blosse Vermutung Böckhs,
XI 48. Wahrscheinlich aber gehen die Schoben auf Didymos zurück,
der vor Diodor lebte und deshalb auf die älteren und umfassenderen
Werke des Timaios und Hippostratos über Sikilien zurückgriff.
1) Schob ad. 0. 2, 173: KuTivg xal 'LiJioxQÜTTjg O/jQiorog t]oav
drstiuoi • ovToi Jiokka vjr' avrov ei'sgysrij^ivTeg, (hg iwQWV rjv^rjfiivtjr
avzov xijv xvQavviöa, cfdovovvTsg jrö^s/tov ijQavzo JTQog ai'zöv ' 6 de ovfi-
ßaXcbv avTotg jiaga. 'I/imav ivi'xtjaev. Bei Diodor XI 48, wo der Abfall
der Himeräer erzählt ist, steht nichts von jenen Vettern des Theron,
■was immerhin Bedenken gegen die sonst scharfsinnige Kombination
Böckhs erregt. Wenigstens darf hiervon nicht wie von einer fest-
stehenden, überlieferten Thatsache gesprochen werden.
384 Sitzung der phÜQS.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
keineswegs eine gesicherte historische üeberlieferung. Ganz
entschieden aber verbietet die Chronologie die Anspielungen
der 2. olympischen Ode auf die Zerwürfnisse des Hieron
mit Theron und dessen Eidam Polyzelos zu deuten. Diodor
erzählt dieselben unter dem Archon Phaidon Ol. 76, 1
= 476/5, und nehmen wir auch an, dass dieselben in die
1. Hälfte des Olympiadenjahres, also in den Spätsommer und
Herbst des J. 476 fielen, so kommen wir doch mit ihnen
und namentlich mit ihrem Abschluss immer noch in die Zeit
nach den olympischen Spieleu der 76. Olympiade; zur Zeit
aber, wo Pindar die 2. olympische Ode dichtete, waren die
dunklen Wolken bereits ganz verzogen und leuchtete schon
wieder der helle Sonnenschein des Glücks. Kurzum zur Zeit
der Spiele der 76. Olympiade kann die Ode nicht gedichtet
sein; recht wohl aber passt sie zur 77. Olympiade, als zwar
noch der nagende Unmut über mancherlei erlittenes Unrecht
in der Brust des Theron fortdauerte, aber doch schon wieder
über dem erneuten Glück die Tage der Prüfung und Trübsal
zurückzutreten begannen. Das ist, was ich gegen die Ar-
gumentation Böckhs bemerke, deren Hauptschwäche indes
darin besteht, dass nach ihr 0. 3 in der 76., 0. 1 in der
77. Olympiade gedichtet sein sollen, während thatsächlich
die Nachahmung des Eingangs der 1. Siegesode in dem
42. Vers der 3. Ode beweisst, dass 0. 3 und somit auch
0. 2 nach der 1. Ode gedichtet sind.^)
1) Ich nehme dabei mit allen Auslefifern an, dass die 2. Ode
das Hauptsiegeslied auf den Wagensieg des Theron war, und dass
die 3. Ode nur einer Erinnerungsfeier bei Gelegenheit des Festtages
der Tbeoxenien galt. Nur bei dieser Annahme finden die Worte
0. 3, 9 xaizaiai fisv l^sv/^&svzeg f.ni axirpavoi nqäaaovxi fis xovro ■&E68-
/larov yofo;, qpoQfA-iyyd ze jtoixi?^6yaQvv xal ßoav avXcöv EJiioiv re O'satv
Ah'TjOidä/iov naiM av/ifii^ac TTQejidvrco?, « rs Uioa jie yeyojVEh' ihre volle
Bedeutung. Im Eingang der 2. Ode hatte Pindar gefragt, wen er
zuerst besingen solle, den Gott, dem die Spiele galten, oder den Heros,
der sie gestiftet, oder den Mann, der den Sieg gewonnen ; er ent-
schied sich dafür in der 2. Ode, der eigentlichen Siegesode, den sieg-
V. Christ: Der Aetna in der ßriechifichen Poesie. 385
Bergk richtet seinen Angriff gegen einen anderen
Punkt, worin ihm aber auch schon Böckh, Explic. Find,
p. 209 vorangegangen war: Theron sei im Sommer 472,
noch in Ol. 76, 4, gestorben, es habe also ein Sieg der
77. Olympiade von Pindar nicht mehr durch zwei, um einige
Zeit auseinanderliegende Oden gefeiert werden können. Dem
gegenüber steife ich mich auf den Wortlaut im Zeugnis des
Diodor XI 53, wo der Tod Therons unter dem Archon
Chares oder Ol. 77, 1 berichtet ist. Denn nichts nötigt uns
anzunehmen, dass der Tod gleich unmittelbar nach Beginn
des neuen Olympiadenjahres erfolgt sei; ja um denselben
mit Böckh und Bergk schon in den Frühsommer des J. 472
zu setzen, dazu bedarf man sogar der wenn auch nicht über-
kühnen, so doch immerhin dem Wortlaut der üeberlieferung
widerstreitenden Hypothese, dass Diodor dasjenige was gegen
Ende von Ol. 76, 4 geschehen sei, erst in dem von den
Ereignissen des Jahres Ol. 77, 1 handelnden Abschnitt er-
zählt habe. Allen diesen Bedenken aber kommen wir aus
und halten uns genau an die Darstellung des Diodor, unseres
einzigen Gewährsmannes in dieser Sache, wenn wir den
Theron im Spätherbst 472 oder in den ersten Monaten des
Jahres 471 gestorben sein lassen. Dann blieb noch Zeit genug
für Pindar, um den Anfangs August 472 errungenen Wagen-
sieg bei 2 verschiedenen Gelegenheiten in der 2. und 3. olym-
pischen Ode zu feiern und die Feier in Person zu leiten.^)
reichen Mann, den Theron zu feiern, und holt nun in der 3. Ode
das dort Versäumte nach, indem er die Gründung der olympischen
Spiele durch Herakles besingt.
1) Ich füge 'in Person hinzu, weil der wiederholte Preis der
Gastfreundschaft des Theron (0. 2, 62 o:rtf dixaiov Ssvcov, 3, 40 ^eiviaig
avxovg inoixovrai rgcuie^atg; vgl. 2, 104 svsgyhav nganiaiv dq^i^ovsoTsgör
xs yjQ^) darauf hinweist, dass Pindar damals seibat sich der Gast-
freundschaft bei seinem königlichen Gönner erfreute. Auch dieses
spricht für meine Ansätze, doch vermied ich es aus der blossen Ver-
mutung einen Beweis zu machen.
1888. Philos.-philol. u. bist. Cl. 3. 26
386 Sitzung der philos.-philol. Classc vom 5. Mai 1888.
Der einzige positive Beweis, den Böckh und die Ver-
fechter seiner Meinuuoj für ihren Ansatz anführen, ist der
Umstand, dass Pindar 0. 12, 1 in einem Lied auf den Sieg
des Hinieräers Ergoteles im Lauf Ol. 77, 1 die Tyche uai
Z)jVüg ^Eksvl^eQiov anredet, was sich auf die von den Himeräern
nach dem Tode des Theron und der Vernichtung seines
Sohnes Thrasydaios wiedererlangte Freiheit beziehen soll.
Aber dieser Beweis stützt sich auf eine Deutung der Worte
Pindars, welche weit entfernt ist zwingend oder nur wahr-
scheinlich zu sein. Pindar, der intime und aufrichtige Freund
Therons, wird nicht die undankbare Auflehnung der Himeräer
gegen Theron und seine Dynastie als Ruhmesthat freiheits-
liebender Bürger bezeichnet haben. Das Beiwort EkevdtQiog
erhielt Zeus in einer zu Himera vorzutragenden Ode viel
passender mit Bezug auf die Schlacht von Himera im J. 480,
die in der That die Hellenen Sikiliens von dem Joche der
Fremdherrschaft Karthagos befreite.^)
Wir haben also die wenn nicht einstimmige, so doch
bessere Ueberlieferung für uns, wenn wir den von Pindar
0. 2 und 3 gefeierten Wagensieg des Theron in Ol. 77, 1
setzen. Damit ist das einzige, nennenswerte Bedenken weg-
geräumt, das uns hindern könnte, der anderen einstimmigen
Uoberheferung, dass Hieron 77, 1 in Olympia mit dem
Renner gesiegt habe und dass diesem Sieg die 1. olympische
Ode gelte, den Glauben zu versagen. Nun gehen wir aber
gleich aus der Defensive in die Offensive über und behaupten,
die 1. olympische Ode kann gar nicht sich auf einen Sieg
1) Auch hier schliesst sich Mezger S. 194 allzu vertrauensvoll
an Böckh mit der Bemerkung an: hier hat man natürlich an die
kurz vorher erfolgte Bef'roinng von der Tyrannis zu denken. Die
ganze chronologische Grundlage verrückt Bornemann, .lahresber.
über die Kortschr. d. das«. Altertumswiss. XIII 1, 78 durch die un-
glückliche Aenderung de.>* überlieferten xai dlg ix JIvüwvos (V, 18) in
dis xal ex Tlv&wvog.
V. Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie. •^87
in Ol. 7ß. 1 beziehen. Wollten wir die Offensive mit einem
Plänklervorstoss eröffnen, so würden wir mit der 14. olym-
pischen Siegesode auf den Ol. 7() errungenen Sieg des
Orchoraeniers Asopichos beginnen. Denn danach scheint
Pindar zu der Zeit, wo ihn Bergk in Sikilien am Hofe des
Hieron weilen lässt, in Theben und dem benachbarten
Orchomenos gewesen zu sein. Aber ich urgiere diesen Punkt
nicht allzusehr, da die Beweiskraft desselben nicht gar stark
ist; denn Pindar konnte auch von Syrakus aus dem Orchomenier
ein kurzes Siegeslied zuschicken oder erst nach der Sieges-
feier in Orchomenos sich zur Fahrt nach Syrakus rüsten. Ich
mache zwei andere entscheidendere Umstände geltend. In
der 1. olympischen Ode gegen Schluss V. 111 sagt der
Dichter: ei öe jU/] raxv Xinoi, e'ri yXvKVTtQav aev ehiouai
aiv aQf.iaTi ^otjj xXei'Beiv. Daraus sieht man, dass damals
bereits Hieron, vielleicht aus Eifersucht auf seinen Rivalen
Theron, mit dem Plane umging in der nächsten Olympiade
mit einem Wagen in den Wettkampf einzutreten. Diesen
Wagensieg erlangte er nach den oben angeführten Zeug-
nissen des Altertums in der 78. Ol.; also hat er den Rennei*-
sieg. den Pindar in der 1, olympischen Ode verherrlichte,
in der vorausgegangenen Olympiade, oder Ol. 77, wie die
Ueberlieferung angibt, und nicht Ol. 76, wie Bergk ver-
mutet, davongetragen. Den anderen Beweis entnehme ich
der 3. pythischen Ode; aus dieser Ode, die einem längere
Zeit zuvor im J. 482 errungenen pythischen Siege gilt,^)
greife ich die Verse 78 ff. auf
1) Den Beweis hatte bereits L. Schmidt in der 1. und 2. Ab-
handlung zur Chronologie Pindars vorgebracht, Hess sich aber in der
3. .\bhdl. p. IX denselben wieder aus den Händen winden mit der
vagen Erwägung: variae fortasse causae excogitari possint quae
Hieronem ad novum conamen celeticum incitaverint.
2) Der Sieg ward nach den Scholien in der 27. Pythiade da-
vongetragen. Dass inzwischen längere Zeit verflossen war. zeigt
26*
388 Sitzung der phüns.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
yiai x£v ev vauolv uoXov 'lovlav räf.ivtov iyaXaooav
danach hatte Hieron damals bereits den Dichter zur Fahrt
nach Syrakus, zum gastlichen (^tvov) Königspalast auf der
Insel Arethusa eingeladen; Pindar aber lehnte in feiner,
verbindlicher Weise vorerst die Einladung ab und sendete
dem König dafür das Trostgedicht, dessen Hauptinhalt eine
Verherrlichung des Heilgottes Asklepios bildet, der dem
König für sein Steinleiden Linderung bringen könnte. Nun
ist dieses Gedicht nicht vor dem Frühjahr 475 verfasst
worden. Das beweist unzweideutig das Epitheton yiltvalog
V. 29, welches dem Hieron von der Gründung der Stadt
Aetna gegeben ward. Pindar war also damals, im J. 475,
noch nicht nach Sikilien gegangen , kann also noch viel
weniger schon im J. 476 die 1. olympische Ode in Syrakus
vorgetragen haben. Wir hoffen damit es zur vollen Evidenz
gebracht zu haben, dass Pindar 472, nicht 470 am Hofe
des Königs Hieron in Syrakus verweilte.
Die 3. pythische Ode Pindars und der Beginn der
Pythiaden.
Die herrliche 1. pythische Ode Pindars, welche die
grossartige Schilderung des Ausbruchs des feuerspeienden
Berges Aetna enthält, bezieht sich nach den Scholien auf
einen Wagensieg des Hieron in der 29. Pythiade. In welches
Olympiadenjahr oder in welches Jahr v. Chr. ist dieser
Sieg zu setzen? Hier teilen sich die Meinungen der alten
und neuen Gelehrten, zwischen 474 und 470 v. Chr., je
nachdem sie die 1 . Pythiade mit dem 3. Jahr der 48. oder
dem der 49. Olympiade beginnen lassen. Wie die Divergenz be-
züglich des Anfangs der I^ythiadenrechnung gekommen ist, lässt
das JioTe in V. 74 rovs (sc. azFfpävovg) uQiatevoiv ^Peqevixoi; eT ev
KvQQq. jiore.
V. Christ: Der Aetnn in der r/rieehischen Poesie. 389
sich an der Hand der parisclien Marmorchronik und des
Pausanias X 7 noch leicht aufklären. Nach der parischen
Chronik veranstalteten die Amphiktionen zuerst Ol. 47, 2
einen gymnischen Agon aus der Beute des Sieges über die
Stadt Kyrrha, und richteten dann erst 9 Jahre später
Ol. 49, 3 einen regelmässig wiederkehrenden Kranzwett-
kampf {dyiop OTBq^avirijg) nach Analogie des olympischen
ein. Nach diesem zweiten Agon rechneten vermutlich die
einen unter den alten Gelehrten, die Pindarscholiasten ^)
und Eusebios,^) die Pythiaden ihrer Vorlage in Olympiaden-
jahre um. ^) Die andern nahmen den ersten gymnischen
Agon hinzu, verlegten aber dann denselben auf die nächst-
vorausgehende Pentaeteris oder auf Ol. 48, 3; zu diesen
gehörte Pausanias oder sein Gewährsmann , den wir ver-
mutlich unter den älteren alexandrinischen Gelehrten, Polemon
oder Istros, zu suchen haben. Wer von beiden Recht hatte,
ist uns jetzt ganz gleichgültig, es fragt sich nur, auf welche
Aera die alten Angaben zu den pythischen Oden Pindars,
oder sagen wir gleich die Siegesverzeichnisse des Aristoteles
gestellt waren. Das hängt nun aber ausser von den Zeit-
verhältnissen der 9. und 12. olympischen Ode*) hauptsächlich
1) Ich fügte das beschränkende „vermutlich" hinzu, da die
Lesung der Scholien zu 0. 12 in. und P. 3 in. unverlässig ist, so dass
L. Schmidt schliesslich in der 3. Abhandlung zu dem Schlüsse
kommt: inter scholia Pindarica nuUum est, quod paullo attentius
inspectum contrariam sententiam fulcire possit.
2) Die armenische Uebersetzung des Eusebius und Hieronymus
setzen den Beginn der Isthmien Ol. 49, 4 und den der Pythien etwas
früher (prius), was man gewöhnlich auf Ol. 49, 3 deutet, während
L. Schmidt die Deutung auf Ol. 48, 3 verficht.
3) Vielleicht folgten sie darin dem Chronographen Apollodor;
dass nämlich Apollodor die Quelle der Zeitangaben der pindarischen
Scholien sei, schliesse ich aus dem oben S. 378 ausgeschriebenen
Scholion zu 0. I 33; vgl. Böckh Praef. schol. p. XXII.
4) Ueber die Zeugnisse zu Ol. 9 in. u. V.-9 siehe L. Schmidt
Ind. lect. Marb. 1887, wo auch die 11. pythische Ode zur Empfehlung
390 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
von unserer 1. pythischen Ode ab und ist von dem unüber-
troflfenen Erklärer Pindars, meinem verehrten Lehrer Böckh,
dahin entschieden worden, dass jene Ansätze unter Zugrund-
legung der Gleichung Pyth. 1 = Ol. 48, 3 = 586 v. Chr. zu
berechnen sind. Dem Altmeister Böckh hat Leop. Schmidt
in seinem geistreichen Buch über das Leben Pindars zuge-
stimmt und dessen Berechnungsmethode nochmals in drei spe-
ciellen Abhandlungen, de Pindaricorum carminum chronologia,
in Comment. in honorem Th. Mommseni und in Lid. Mar-
burgensis 1880 u. 1887 gegen die Einwürfe Bergks, der
in der 3. und 4. Ausgabe der Poetae lyrici graeci der ent-
gegengesetzten Meinung folgte, ausführlich gerechtfertigt.
Da aber neuere angesehene Gelehrte wie Duncker in seiner
Geschichte des Altertums, Wilaraowitz, Philol. Unters.
9, 172, und Bornemann in seinen Referaten über die
Pindarlitteratur wiederum auf Bergk's Berechnung zurück-
gegangen sind,^) so will ich auch hier nochmals auf die
Kontroverse zurückkommen, nicht als ob ich wesentlich
Neues den Argumenten Böckh's und Schmidt's hinzuzufügen
hätte, sondern weil ich gern die Gelegenheit ergreife, um
noch einige andere damit zusammenhängende Punkte klar-
zustellen.
Ich habe bereits oben S. 366 hervorgehoben , dass
wenn man sich dem Eindruck der lebensvollen, anschau-
lichen Schilderung vom Ausbruch des Aetna in der 1. py-
thischen Siegesode hingibt, man unwillkührlich zum Schlüsse
von ßöckhs Rechnung verwertet wird. Bei der 12. olympischen Ode
hedarf es iillerding.s zuerst einer Verbesserung der Scholien; aber der
Emendation Böckhs p. 261 gebe ich auch jetzt noch vor der Tycho
Mommaens II 155 den Vorzug.
1) Holm in seiner vortrefflichen Geschichte Siciliens im Altei'-
tum, stellt sich auf Seite Böckh's freilich auch darin, dass er wie
jener die 2. und 3. olympische Ode auf einen »Sieg des Theron in
Ol. 76 bezieht.
i\ Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie. 391
kommt, ^) dass dieselbe vom Dichter bald nach dem Aus-
bruch des Vulkans (475), also eher 474 als 470, und zwar
in Sikilien selbst unter dem frischen Eindruck der gross-
artigen Landschaft und im Anblick des noch rauchenden
Kraters des Aetna niedergeschrieben worden sei.^) Aber
wir brauchen uns nicht auf das blosse Gefühl zu verlassen,
obgleich icli auch dem, namentlich bei einem Dichter ein
grösseres Gewicht als jetzt zu geschehen pflegt, beimesse;
wir haben zwingende Anzeichen in den Versen P. 1, 47 ff".
»j xev auvaoeisv oiaig avv rcor'' e'raioi (xaxctig^)
rXcif-iovi ij-'t'x^ 7raQifueiv\
aviy'' etQto/.oi'io d^ecöv 7raXa/uaig zi/^iov,
o'iav ov Tig '^EiKäviov dginei^
nXovxüv OTE(pavio(.C dyegcoyov. viv ye /nav
rav COtAoxzrrjrao dixav e(ft7iiov
ioTQaTEvifr]. ovv ()' dvayA.a viv cfiXov
xal Tig liov (.leyakavtoQ toavev
1) Zu diesem Schluss kommt auch der geistreiche Interpret der
Kunst Pindars, der Franzose Croiset, La poesie de Pindar, der
unsere Ode im J. 474 von Pindar selbst in Sikilien exekutiert
sein lässt.
2) Von Bedeutung sind in diesem Sinne die Präsentia sQevyovrai,
jtQOxiovrt Qoov na:;tvov etc., während auf der anderen Seite das dav^ia
öe xal :zaos6vT0)v (Tiag'' Idövzcov Cobet) dtcovoai (V. 27) zeigt, dass
Pindar den Hauptausbruch des Vulkans von anderen Augenzeugen
hörte, nicht mit eigenen Augen sah.
3) So emendiere ich jetzt das verderbte oi'aig iv jioXe^ioiai fiaxatg
und verstehe unter den erat die Genossen Hierons in den Kämpfen
gegen die Karthager, insbesondere seinen Bruder Gelon. Denn erst
nach der Schlacht bei Himera 48U ward dem Gelon, und wohl auch
seinem Bruder Hieron, der Königstitel gegeben nach Diod. XI 26.
Wenn dagegen Herodot VII 161 den Hieron schon vor jener denk-
würdigen Schlacht von dem Gesandten der Athener mit ßaadevg
SvQaxovaloiv angeredet werden lässt, so ist dieses eine unhistorische
Anticipation, die man dem Vater der Geschichte zumal in einer Rede
leicht verzeiht. Ich dachte auch an oiaig ^vvä rekoivi /nd/atg, doch
das Vorgeschlagene kommt den Zügen der Ueberlieferung näher.
392 Sitzunfj der pliUos.-philol. Glasse voui 5. Mai 1888.
und P. 1, 71 ff.
XiGao/iiai vevoov, Kqovüov, af.ieQOv
öqiga xar' oiy.ov o Oolvi^ 6 TvQQavtov t' aXaXaxog,
t'/Tj, %'avoioiovov vßQiv idiov tdv jiqo Kvinag,
ola ^iQay.oGiojv aQyji» da/naoi/evTsg yia^ov,
WKv/ioQioi' a/io vaoJr,
og ocfiv 8v jiövno /iaZfi.V aXiyiiav,
'^Ekläd' i^tl-KCüv ßaQeiag dovkeiag.
Das ruhmvolle Ereignis, auf das sich der Dichter au
beiden Stellen bezieht, muss der jüngsten Vergangenheit an-
gehören, das zeigt unzweideutig die Partikel vvv ye. Nun
berichtet Diodor XI 51 unter dem Archon Akestorides oder
474/3 V, Chr. den grossen Seesieg der Syrakusaner über
die Tyrrhener bei Kyme; lasseu wir also diesen Sieg im
Spätsommer, etwa im August 474, errungen, und die Sieges-
feier zu Ehren des Ende August gewonnenen delphischen
Sieges nach Rückkehr der Pompe im Spätherbst oder Winter
474 in der neugegründeten Stadt Aetna begangen sein, dann
klappt alles vortrefflich zusammen: die Stadt Aetna war im
J. 475 nach dem verheerenden Ausbruch des Vulkans gegründet
worden; die stolze und mächtige Stadt Kyme hatte bald nach-
her, von den Tyrrhenern bedrängt, Gesandte an den Hieron
um Hilfe in der Not gesendet,^) Hieron litt damals an einem
Steinleiden und konnte sich nicht aktiv an dem Kriege be-
teiligen,'^) seine Admirale aber schlugen unter seinen, des
Königs Auspicien, die übernuitigen Tyrrhener in der Seeschlacht
bei Kyme gänzlich aufs Haupt. Kein Sprachverständiger
wird gegen diese Deutung den Singular rig des Verses 52
einwenden; derselbe scheint allerdings die alten Ausleger auf
1 1 Diod. XI 51 : JiaQayevofievon' ngo? avrov Jigsaßscov ix KvfiTjg tfjg
'hah'aq xal deo/iet'on- ßorj^rjaai jioXefiovfievoig vmo TvQQtjvön' &a).azTO-
xgaxovvTOiv.
2) S. Piud. r. 3 und oben S. 388.
V. Christ: Der Aetnn in der r/riechischen Poesie. 393
den Tyrannen Anaxilas gebracht zu haben/) der aber damals
bereits gestorben war und auch die Hilfe des Hieron nicht
erfleht, sondern bloss in dem Streit mit Lokris sich seiner
Intervention gefügt hatte.*) Auch das iavQaTevd^tj darf
keine Bedenken erregen; allerdings waren es nach Diodor
die Feldherrn des Hieron, welche die entscheidende Schlacht
gewannen, nicht der König Hieron selbst. Aber mit der-
selben Hyperbel, mit welcher der Dichter an der zweiten
Stelle die Tyrrhener von Hieron selbst besiegt werden lässt,
konnte er auch an der ersten den König selbst zu Feld ziehen
lassen. So passt alles zu einem Siegeslied im Herbste 474,
nichts aber zu einem solchen im J. 470. Dass damals, im
J. 470, Hieron krank war, ist möglich, wird uns aber von
niemanden überliefert; der Sieg von Kyme, der den König
und seine Lobpreiser im J. 474 mit berechtigtem Stolze er-
füllte, lag damals bereits 4 Jahre weit zurück, noch um
1 Jahr mehr der Ausbruch des Aetna, dessen Schrecken im
J. 474 noch frisch in aller Erinnerung lebten; von einer
Gesandtschaft, die den Hieron 470 um Hilfe angefleht hätte,
hören wir nirgends etwas, und doch wären wir berechtigt
die Erwähnung einer solchen, wenn sie wirklich stattgefunden
hätte, bei Diodor zu erwarten. Der Krieg gegen Thrasydaios
aber und Agrigent, auf den Bergk die erste Stelle Pindars
beziehen will, fiel einmal nicht in die unmittelbare Gegen-
wart (vvv ys), sondern 2 Jahre zuvor; sodann verlief der-
selbe nach Diodor XI 53 durchaus nicht unter solchen
Umständen, dass man auf ihn die Worte l'indars beziehen
könnte. Kurzweg die Deutung Bergk's ist eine von den
vielen Einfällen des erfindungsreichen, geistreichen Mannes,
welche bei schärferer Prüfung die Probe nicht bestehen.
1) Schol. Find. P. 1, 98.
2) Pind. P. 2, 18 ff. und die Scholien zu dieser Stelle wie zu
P. 1, 98.
304 Sitzung der iihilos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Ich reihe daran anhangsweise die Aufhellung zweier
Punkte.^) Bekanntlich ward Pindar nach seinem eigenen
Zeugnis zur Zeit der Pythiaden geboren; daran knüpften
gewiss bereits die Alten die Festsetzung des Geburtsjahres
unseres Dichters, Wenn dieselben ihn nun aber Ol. 65, 3
geboren sein Hessen, so stimmt das nicht recht zu dem, was
wir von den ersten Werken Pindars wissen. Deshalb gingen
die Neueren auf Ol. 64, 3 oder 522 v. Chr. hinauf. Wie
nun, wenn es in der alten U eher liefer ung nur hiess, der
Geburtstag Pindars sei in die 16. Pythiade gefallen?, dann
mussten die Scholiasten, wenn sie wie in den Siegesoden die
Pythiaden von Ol. 49, 3 statt 48, 3 rechneten, auf Ol. 65, 3
statt Ol. 64, 3 als Geburtsjahr des Dichters kommen.
Nach Pausanias X 7, 8 siegte der König Ptolemäus
Lagi unter dem Titel TlioXsf^aiog May.ediüv mit einem Ge-
spann von Maultieren in der 69. Pythiade. Ist dieser Sieg
Ol. 117, 3 = 310 oder OL 118, 3 = 306 gewonnen worden?
In 306 gewiss nicht, da seit 307 Demetrios Poliorketes Herr
in Hellas war und Ptolemaios im Sommer 306, noch vor
den pythischen Spielen den Königstitel angenommen hatte
(Diod. XX 53), so dass er sich gewiss bei einem Sieg im
Jahr 306 als König Ptolemaios, nicht als Makedonier liätte
ausrufen lassen. Sehr gut aber passte im .J. 310 dem
Ptolemaios der Titel Makedon in seine Pläne. Damals,
unter dem Archon Simonides (311/10) war in dem Friedens-
schluss des Ptolemaios, Kassander, Lysimachos und Antigonos
die Autonomie der Hellenen stipuliert worden (Diod. XIX 105),
und damals hatte Ptolemaios nach der Ermordung des jungen
Alexander, des einzigen legitimen Thronerben, allen Grund
sich als Makedonier zu gerieren, um damit seine Ansprüche
1) Die alte Vita citiert aus einem Päan Pindars die Verse:
Jieviaei7i()ig eoQxa ßoojiofijiög , f.v <;.
jißwzov svvda{^t]V dycuiarog vno ojiaQydvoig.
V. Christ: Der Äetna in der griechischen Poesie. 395
auf die Erbschaft des grossen makedonischen Reiches geltend
zu machen.
So werden auch diese 2 Thatsachen da/u dienen, die
Richtigkeit der Rechnung Böckhs zu erhärten und die An-
nahme zu begründen, dass Pindar im Herbst 474, nachdem
er schon zuvor mit dem 2. und 3. pythischen Siegesgesang
Verbindung mit dem König Hieron angeknüpft hatte, nach
Sikilien ging, um selbst die Feier des pythischen Wagen-
sieges in der neugegründeten Stadt Aetna zu leiten. Der
Dichter verweilte dann bis zum Herbst 472 in Sikilien, so
dass er noch dort die Ol. 77, 1 errungenen olympischen
Siege des Hieron, Theron, Ergoteles in den uns erhaltenen
Siegesliedern (0. 1. 2. 3. 12) verherrlichen konnte.^) Zum
Schluss gebe ich noch eine Zeittafel über die Ereignisse,
welche in die Beziehungen des Pindar und Aischylos zu dem
Hofe des Königs Hieron einschlagen.
1) In die Zwischenzeit fallen ausser den Hyporchemen, En-
koniien und Skolien auf Hieron und Thrasybnlos, von denen uns nur
Reste erhalten sind, die 2 Siegeslieder auf Chronüos, den tüchtigen
Feldherrn des Königs Hieron, niinilich N. 1, wahrscheinlich Ol. 76, 4
in Syrakus (N. 1, 2 u. 19) zu Ehren eines nemeischen Sieges auf-
geführt, und N. 9, in der neugegründeten Stadt Aetna, vermutlich
bald nach P. 1, im Winter 474/3 bei einem Festmahl (N. 9, 50) zur
Erinnerung an einen älteren Sieg bei den sikyonischen Spielen (N. 9,
1 u. 52) vorgetragen und gleichfalls vom Dichter selbst dirigiert.
Erst nach der Rückkehr Pindars zum heimatlichen Boden sind von
ihm die 3 Siegeslieder: 0. 6 tür den Syrakusier .\gesias (wahrschein-
lich Ol. 78), I. 2 für den Xenokrates in Agrigent (nach Ol. 77, 1)
und 0. 5 für den Psaumis aus Eatana (Ol. 82) gedichtet. Den Wagen-
sieg des Hieron Ol. 78 (468 v. Chr.) besang nicht Pindar, sondern
Bakchylides, der noch zu jener Zeit nach der Rückkehr Pindars in
Syrakus am Hofe des Hieron verweilte.
396 Sitzunp der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Zeittafel.
Ol
V. Chr.
71.
3
494 August
Wagensieg des Xenokrates aus
Schol. Find. P.
6
in. u.
Akragas in Delphi ; darauf ge-
I. 2 in.
dichtet Find. P. 6.
71,3
oder
494 oder 490 A
ug
Fythischer Sieg des Midas aus
72,
3
Schol. Find. F.
12
in.
Akraga.s im Flötenspiel; darauf
gedichtet Find. F. 12.
72,
2
491/9Ü
Dionys. Ant. 7,
1.
Gelon wird Herr von Gela.
73,
1
488 August
Olympischer Sieg des Gelon mit
Schol. Find. 0.
1
in.
dem Wagen und des Hieron
mit dem Renner.
73,
3
486 August
Fythischer Sieg des Hieron mit
Schol. Find. F.
1
in.
dem Rennpferd.
73,
3
486
Suidas
Epicharmos führt Komödien in
Syrakus auf.
73,
4
485/4
Gelon wird Herr von Syrakus ;
Herod. 7, 156
;
Diod.
Hieron erhält die Herrschaft
11, 38.
von Gela.
74,
3
482 August
Fythischer Sieg des Hieron mit
Schol. Find. F.
1
in.
dem Rennpferd ; darauf nach-
träglich im J. 475 gedichtet
Find. F. 3.
75,
1
480 im Herbst
Sieg des Gelon über die Karthager
Herod. 7, 166;
Diod. 9,
bei Himera; Gelon und Hieron
24; Find. F.
1,
48.
nehmen den Königstitel an.
75,
2
479/8
Ausbruch des Aetna nach Marm.
Par.
Gelon stirbt und Hieron wird
75,
3
478/7
Diod. 11, 38
Herr von Syrakus, wahrschein-
lich im Frühjahr 477.
75,
1
477/6
Hieron interveniert im Streite des
Schol. l'ind. F.
2,
34
Anaxilas mit den Lokrern;
Wagensieg des Hieron in The-
ben (V), worauf gedichtet Find.
F. 2.
75,
4
476 Mär/.
Simonidos siegt mit einem Ditby-
Simonidcs fr. 147.
rambus in Athen.
76,
1
476/5
Diod. 11, 48.
Tod des Anaxilas, de.s Tyrannen
von Rhegif)n; Entzweiung des
Hieron mit seinem Bruder Foly-
zelos, Vermittelung des Streites
durch Simonides.
i). Christ: Der Aetna in der griechischen Poesie.
397
Ol
V. Chr.
76,
1
475 im Frühjahr
Thuc.3. 116: L)iotl. 11,48.
Ausbruch des Aetna nach Thuky-
dides; Neugründung der Stadt
Aetna an der Stelle von Katane.
76,
2
475
Kusebius-Hieronymus : 'Isqcov Sv-
Qaxovaicov irugdwEi xal oXtjg
2cx£?uag.
76,
2
475
Pindar überschickt dem am Stein
leidenden Hieron die Ode P. 3.
76,
3
474 im Spätsommer
Diod. 11, 51
Sieg de.s Hieron über die Tyrrhener
bei Kyme unter dem Archontat
des Akestorides 474/3.
76,
3
474 Auf^u.st
Schol. Pintl. P. 1 in.
Pythischer Wagenaieg des Hieron;
Siegesfeier in der Stadt Aetna
im llerl)st oder beginnenden
Winter, wofür gedichtet P. 1.
Um dieselbe Zeit, etwas sjjäter
aufgeführt Pind. N. 9 zu Ehren
des Chromios in Aitna.
76,
4
473/2
Eusebius - Hieronymus : Pindarus
clarus habetur.
76,
4
473/2
Wagensieg des Chromios in Nemea,
für die Siegesfeier in Syrakus
gedichtet Pind. N. 1.
76,
4
472 März
Sehol. Aesch. Pers. arg.
Aischylos siegt in Athen mit den
Persern.
77,
1
472 August
Schol. Find. P. 1 in.
Olympischer Sieg des Hieron mit
dem Kennpferd , worauf ge-
dichtet Pind. 0. 1.
77,
1
472 August
Schol. Pind. 0. 2 in. und
0. 2, 166 u. 168.
Olympischer Wagensieg des The-
ron, darauf gedichtet Pind. 0.
2 u. 3.
77,
1
472 August
Schol. Pind. 0. 12.
Olympischer Sieg des Ergoteles
aus Himera im Lauf; darauf
gedichtet Pind. 0. 12.
77,
1
472/1
Diod. 11, 53
Theron stirbt, wahrscheinlich im
Winter 472/1 ; .sein SohnThrasy-
daios wird von Hieron ge-
schlagen und kommt in Megara,
wohin er geflohen, um.
77,
77, 2-
1
77. 4
472/1
471—469
Marm. Par. : 'Isqcov ZvQaxovaioov
STVQÜvvtjaev.
Vermutlicher Aufenthalt des Ai-
schylos in Sikilien; Aufführung
der Perser und Aitnaiai in Sy-
rakus oder Aetna.
398
Sitzung der yhilos.-jihüol. Classe vom 5. Mai 1888.
Ol
V. Chr.
77,
4
468 März
Marm. Par.
Sophokles erster tragischer Sieg
in Athen.
78,
1
467 März
Schol. Aesoh.
S(
^pt. arg.
Aischylo.s siegt mit den Sieben
in Athen.
78,
1
468 Aucrust
Schol. t'ind.
0.
1 in.
Olympischer Wagensieg des Hie-
ron, gefeiert von Bakchylides.
78,
1
468 August
Olympischer Sieg des Agesias aus
Syrakus mit einem Maultier-
gespann; darauf ist gedichtet
Find. 0. 6.
78,
2
467/6
Diod. 11, 66
Hieron stii-bt vermutlich im Som-
mer 466; in der Herrschaft folgt
ihm sein Bruder Thrasybulos.
78,
3
46G/5
Diod. 11. G7
Thrasybul wird verjagt und die
Demokratie in Syrakus wieder
hergestellt, vermutlich im Früh-
jahr 465.
800
Herr West übergab eine Abhandlung:
,The extent, language, and age of Pahlavi
literature".^)
During the last tvvelve years a good deal of Information
has been accnmulating, about the extent and age of the
Pahlavi literature still preserved by the Parsis, which it
seems desirable to collect and state in a connected form, as
a basis for future investigation.
Already in 1871 Dastür Peshotanji Behraniji Sanjänä,
the high-priest of the predominant sect of the Parsis in
Bombay, had published, in the introduction to his Pahlavi
Grammar, a list of fifty-two Pahlavi writings preserved in
his library. But it was not until the publication of the
second edition of Haug's Essays on the Sacred Language,
Writings, and Religion of the Parsis, in 1878, that any
attempt was made to ascertain the actual extent of Pahlavi
works, by estiniating the number of words in each text.
During the last ten years a few additional texts have been
discovered, although the Parsis have not yet thoroughly
examined all their libraries, and niore correct information
has been gradually obtained regarding the texts already
known; all which additions to our knowledge will be in-
cluded in the following statements and remarks.
1) Die Classe beschloss, ausnahmsweise die Veröffentlichung in
nicht-deutscher Sprache zu gestatten.
400 Sitzung der phüos. -philo!. Clnsse vom 5. Mai 1S88.
Pablavi texts may be cnnveniently divided into three
classes. First, Pahlavi translations of Ävesta texta, in which
Ävesta sentences alternate with a word-for-word Pahlavi
translation, more or less interspersed with explanatory glosses,
and sometimes interrupted by Pahlavi conmientaries of con-
siderable extent. Second, purely Pahlavi texts on religious
subjects, or inatters closely connected with religion. Third,
Pahlavi texts on miscellaneous subjects, not intimately con-
nected with religion, such as social law, legendary history,
tales, and forms of letters and documents. Mauy of the
texts in eaeb class are very short, as may be seen from the
foUowing lists, in which the number of words in each text
has been estimated either from actual inspection, or from
the best information otherwise obtainable. ^)
I. Pahlavi translations of Ävesta texts.
1. Vendicläf/ (400 lieiii«,'' Ävesta quoted) 48,000 words.
2. Yasna 39,000 »
3. Nirangistän (beside.s 3200 in Av. text) .... 28,000 »
4. Vishtääp yasht 5,200 »
5. Visparad 3,300 »
6. Farhäng-i Oun-aevak (l)esidos 1000 Av.) .... 2,250 »
7. Aüharma^rZ yasht 2,000 »
8. Bahrain yasht, perhaps 2,000 »
9. Här/Ökht nask (so-called) 1,530 »
10. Aogemadaecä (besides 280 in Av. text) .... 1,450 »
11. Ck/ak rrristäk-i gäsän, 1100 + 400 Av., (in Yasna) — »
12. Ätash nyäyish l,(>Of) "
13. Part of Vijirkard-i Dlnik (besides 630 in Av. toxt) 900 »
14. /^frinagan gahanbar, perhaps 800 »
15. Haptän yasht, perhaps 700 »
16. Srosh yasht Ha^/okht 700 »
17. Sirozah II 650 »
18. Sirozah 1 530 »
1) In these estiniates the conjunction »va« and rehitive particle
»1« are not counted as separate words, because they are not written
sei)arately in the original texts.
West: The extent, language, anä age of Pahlavi Uterature. 401
19. Khursherf nyäyish (without yasht) 500 words.
20. Äbän nyäyisb 450 »
21. .-Jfrinagan dälimän, 450 words (in Yasna) ... — »
22. Jfnnap^än gätha, perhaps 400 »
23. Khursherf yasht 400 »
24. Mäh yasht 400 »
Total in Class I. 140,160 words.
n. Pahlavi texts on religious subjects.
25. Dinkarr?, books ITI— IX 170,000 words.
26. Bundahish (Iränian version) 30,000 »
27. Därfistän-i Dinik 28,600 »
28. Riväyat accompanying No. 27 26,000 »
29. Riväyat of Heme(f-i Ashavahishtän 22,000 »
30. Rest of Vijirkard-i Dinik (260 being Av.) . . . 17,500 »
31. Selections of Zä(f-sparam, in three parts .... 17,000 »
32. Sbikand-gümänlk Vijär 16,700 »
33. Shäyast-lä-shäyast, with App. of 3100 .... 13,700 »
34. Dinä-i Matn6g-i KhiratZ 11,000 »
35. Epistles of Mänüshcihar 9,000 »
36. Ar(?ä-Viraf nämak 8,800 »
37. /ämäsp nämak 5,000 »
38. Bahman yasht 4,200 »
39. Mädigän-i Yösht-i Fryänö 3,000 »
40. Andar'0-i Ätü>'-pä(7-i Märaspendän, with Hafri^-at-i
Röjhä, (originally 2800 or 3000) 2,200 »
41. Pandnämak-i Vajörg-Mitrö-i Bükhtakän .... 1,760 »
42. Patit-i Ätü)--pä(M Märaspendän 1,490 »
43. Pandnämak-i Zaratüsht 1,430 »
44. Andar'2-i Hüdävar-i dänäk (besides 320 lost) . . 1,420 »
45. Jfrln-i shash gahanbär 1,280 »
46. Väcak aecand-i Ätür-päd-i Märaspendän .... 1,270 »
47. Märfigän-i g?/jastak Abälish 1,200 »
48. Mädigän-i si rqj, 1150 words in No. 30 ... . — »
49. Patit-i khüd 1,000 »
50. MäfZigän-i ^aft ameshäspend, 1000 in No. 33 . . — »
51. Admonitions to Mazdayasnians 940 »
52. Injunctions to Behdins 800 »
53. Mäf?igän-i mäh FravarrZiu röj Khürdäd .... 760 »
54. Advice of a certain man 740 »
1888. Philos.-philol. a. bist. Cl. .3. 27
402 Sitzung der pMos.-pliUol. Classe vom 5. Mai 1888.
55. Ai'nn-l dähman, or /iaft ameshäspend 720 words.
56. Stäyishn-i drön .'>60 »
57. ^Mn-i arfZä fravash 530 »
58. Andar'^;-! dänäk maivZ 520 »
59. Äshirväd 460 »
60. Jf>-in-i myazd 450 »
61. Andar'2-i Khüsro-i KavätZän 380 »
62. Avar cim-i dion 380 »
63. Sayings of Ätür-farnbag and liakhi-äMd . . . 320 »
64. JfVmagän nirang 290 »
65. Näm-stäyishnih 260 »
66. Five dispositions of priests and ten adnionitions,
250 words in No. 30 — »
67. Jfrm-i vajörgan 200 »
68. Jfr'm-i gahanbar ca«lini 200 »
69. Anecdote of Vähräm-i Varjavand 190 »
70. Därük-i khürsandili 120 »
71. Ma(iigän-i si yazdiin, 80 word.s in No. 33 . . . — »
Total in Class II. 404,370 words.
III. Pahlavi texts on other subjects.
72. Social Code of the Parsis in Sasanian times, more
than 42,000, of which .survive probably .... 26,000 words.
73. Karnä.mak-1 Artakhshir-i Papakan 5,600 »
74. Yädkär-i Zarirän 3,000 »
75. Khüsro-i Kavädän and bis page 1,770 »
76. Farbang-i Pahlavik 1,300 »
77. Forma of epistles, 990 words in No. 30 ... . — »
78. Cities of the land of Iran 880 »
79. Oatrang nämak 820 »
80. Dirakht-i Asürik 800 »
81. Form of marriage contract 400 »
82. Wonders of the land of Sistän 290 »
Total in Class III. 40,860 words.
According to this cstimate the total extent of Pahlavi
literature known to exist amounts to about 585,390 words,
or very nearly the same extent as the scriptures of the Old ,
Testament. Whether nincli moro reniains to he discovered -j
West: 2he extent, language, and age of Pahlavi literature. 403
is very doubtful, the Parsis themselves being by no means
sanguine on the subject. The original Pahlavi of the
Shikand-gümänik Vijär has not been discovered, but the
style of the Päzand text removes all doubt as to its tran-
scription from a Pahlavi work. Nos. 55, 57, 60, 64, and
67 have also been only found in a Päzand version, but the
other Äirms exist in Pahlavi characters, thongh their lan-
guage may not be very old. There are likewise a few other
Päzand texts of small extent, which have not been included
in the lists, because their Pahlavi origin is more or less
uncertain.
Of the Pahlavi texts above detailed aboiit 222,000 words
have been already priuted and published, and about 198,000
words translated. Of these translations several exist in more
than one langnage; thus, about 187,000 words have been
translated into English, 66,000 into Gujaräti, 84,000 into
German, and 19,000 into French. The publication and trans-
lation of the Dinkarc? is still in progress, the text of the
Social Code of the Parsis in Öasanian times is nearly ready
for publication, and the Parsis are making arrangements for
Publishing the texts of the complete Iränian Bundahish, the
Yärfkär-i Zarirän, and some other writings of which only
one or two manuscripts are known to exist.
Before proceeding to further details (in the course of
which it may be necessary to quote several Pahlavi passages)
it is necessary to describe the mode of transliterating that
will be here adopted. The ditficulty of transcribing Pahlavi
in an intelligible manner arises not only from the deficiencies
of the Pahlavi aiphabet, but also from the superfluity of its
Compound forms which cannot be simplified without entirely
destroying the characteristics of Pahlavi manuscript. The
transliterator of Pahlavi has, therefore, to indicate not only
the various approximate sounds of each letter, but also the
particular mode in which the letter bappens to be written,
27*
404 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 18SS.
and to do so in such a manner that any Pahlavi scholar
may readily understand the System adopted, and be able to
restore the words to their original form. The simplest way
of indicating different letters, or combinations, that have
practically the same sound, appears to be the use of italics
for those forms that are least normal; and, on this principle,
with the occasional use of an apostrophe or hyphen, it has
been found possible to express all the variations of the
Pahlavi characters with practical success.
The various sounds of the fourteen simple letters of the
Pahlavi aiphabet will be seen from the following statement
of the equivalents used for transliterating each of them: —
1. a (initial), ä, h, kh, zd. 8. s, or two of No. 14.
2. b. 9. sh, or Nos. 14-t-l.
3. p, f, V. 10. gh.
4. t, d. 11. k.
5- c,i) j,2) z. 12. m.
6. r, 1. 13. n, v,^) ü, 0, o, r, l.
7. z. 14. y, 1, e, d, g, j.2)
There is also a fifteenth letter, which is merely an old
form of No. 6, used as a final r or l in a few Semitic
words, and shaped like an Avesta o; it occurs only in akbar,
aZ, zekar, mekhär, and vaZ, and remains unaltered when any
suffix is added to these words. The Avesta letter ä is like-
wise found in Pahlavi, but is transcribed an; it is only used
in the suffixes -an of the present participle and -and (often
-and) of the conjunctive third person plural. Another pe-
culiar Compound is shaped like the second Avesta e, but
with a horizontal stroke across the lower part of tho letter;
it is used either for the Semitic preposition den, »araong.
1) Like ch in »church«.
2) As in »judge«.
3) Like English w before a, a, 6, ü, and English v before i, e, y.
West: The extent, Janguage, and age of PaTilavi literature. 405
within«, (originally ben,^) the horizontal stroke being appa-
rently a remnant of that of the original b), or for the suffix
-yen of the optative third person plural, or singular, used
with some Semitic verbal stenis in Pahlavi. With regard
to the short vowels, a, e, i, o, u, it should be observed that
only the initial »a« and the final italic o are expressed in
Pahlavi characters.
Besides the simpler forms there are several abbreviated
Compounds that frequently oecur, in which one loop of the
complete Compound is omitted. This kind of abbreviation
occurs in Compounds of the first, sixth, eighth, ninth, or
fourteenth letter with the third, fifth, or some Compound.
And the abbreviation is indicated either by italicizing the
letter which is abbreviated, or any short vowel occurring
between the two letters, or by introducing an apostrophe
between the two letters when no short vowel intervenes.
Thus, an abbreviated Compound of the first with the third
or fifth letter of the aiphabet may be indicated by ap, af,
av, ac, «j, az, or aic,^) if initial; or by ap, af, äv, äc^ äj,
äjs, Aap, Äaf, Aac, haz, or Ms^ in any position. An abbre-
viated Compound of the sixth with the fifth letter may be
indicated by raj, ra^, r'j, or r'^. One of the eighth with
the third or fifth letter by s^;, di/), s/", sac, saj, or sij. One
of the ninth with the third or fifth letter by yaf, yav, or
sh'c. And one of the fourteenth with the third or fifth
letter by y«^, ye^, ec, ej, ^^, Iv, ic, U, daj, gac, gaj, or gwj.
It may be here noted that the identity of form between
the ninth letter (sh) and any Compound of the fourteenth
1) In the long Sasanian inscription of NaA"sh-i Rustam, 11. 27,
34, 52, 64 (see Indian Antiquary for 1881, pp. 29—34). This original
form is also given as bakbin (properly baen) in the Farhang-i Pahlavik,
ed. Hoshangji and Haug, pp. 18, 93.
2) This is a doubly abbreviated Compound of the first, fourteenth,
and fifth letters, which is sometimes written like ap.
406 Sitzung der pliüos.-iMlol. Classe vorn 5. Mai 1888.
and first (such as yä, yah, da, dah, gä) appears to have
arisen in very recent times, Old manuscripts, especially
those written in Persia, distinguish sh from the Compound
by omitting the initial dot in- the former. Unfortunately,
tbis distinction has not been preserved in the printed texts.
The reasons for using d instead of t in certain cases
are, first, that the Persians used d in such cases as soon as
they adopted their modern aiphabet, thus indicating that the
sound had become that of d before that time; secondly, we
know that the distinction between d and t was not very
strongly marked even as early as the third Century, for while
the earlier Sasanian inscriptions have yaztän for »the sacred
beings«, those engraved thirty or forty years later alv?ays
have yazdän; thirdly, on Indo-Scythic coins of the first
Century we find the name of the angel of wind written
OAAO in Greek uncials, indicating that this name was
pronounced Ykdo even in those early times. The final O, in
this and other names on the Indo-Scythic coins, is also an
interesting confirmation of the reading that was adopted in
1872^) for the puzzling final vowel which can be optionally
used after the third, fourth, fifth, eleventh, and thirteenth
letters of the Pahlavi aiphabet.
The explanation of the singular multiplicity of sounds
represeuted by the first, thirteenth, and fourteenth letters
is simple enough. Each of these letters represents several
separate Sasanian characters which, in the course of time,
have approximated in form, and are now written alike.
Thus, the first letter is an amalgamation of the Sasanian
characters for ä, h, and zd; the thirteenth letter is an amal-
gamation of the Sasanian n and v, the latter of which was
also used for r and 1, indicating an earlier amalgamation of
original characters for v and r; and the fourteenth letter is
an amalgamation of the Sasanian y, d, and g,
1) In the text of the book of Arrfä-Viraf.
West: The extoit, languacic, and age of Pahlaci literatnrc. 407
The thirteeiith letter Stands for r or l in seveml words,
both Seniitic and Iranian. Thus, we have the Semitic barä,
shef?nin, ghaZ, ko/ä, karitun, miZayä, gabrä, yemaZeZün, etc.,
and the Iranian (itVin, avarik, ätür, khürsand, pürsid', iräz^
sardär, kirfak, karrf, mitro, dürest, etc. A few of these
words are also written occasionally with the sixth letter,
such as karitun and yemalelün.
In sorae Pahlavi words an original b has become d
through being joiued to the following letter in hasty writing,
and this change has gradually become permanent. In such
words the permanence of the change has to be admitted,
and the letter is represented by d, although it might perhaps
be reasonably indicated by Italic h. In many cases the
original form of the word is still extant, though rarely used
when the word is of Semitic origin; thus, we find both bar
and dar, junbinif? and jundink?, shebküu (Ch. p^li*) and
shedkün , mekablün (Ch. hl^ and raekadlün , vabidün ^)
(Ch. 12)1) and vadidün, yensebün (Ch. 2üf) and yensedün,
debrün (Ch. I^l) and dedrün, ben (Ch. ]''3) and den (as
mentioned above). Sometimes, however, we find only the
altered form, as in cedrün (Ch. "i^^), zeduun (Ch. ]2\),
mezadnim (Ch. fZT), neked'^) (Heb. n3p3), and yüdän (for
yilbän, Av. yavan).
Where the thirteenth letter represents an original Se-
mitic y, or initial N, some scholars object to its transliteration
by V, and prefer 6 as a closer approximation to the Semitic
sound. If, however, we consider that the sound of the
Pahlavi syllable va was more like English wa than va, the
diff'erence between ji and va is not really so great as it
1) Read bahün in the Farhäng-i Pahlavik, where the first letter
is omitted. It occurs correctly in the long inscription of Nafcsh-i
Rustam, 11. 2, 6.
2) A final Pahlavi d often differs froiu b only in size.
408 Sitzung der philos.-philol. Glosse vom 5. Mai 1888.
appears to be. It must also be remembered that the sound
of y is decidedly consonantal, and this fact is strongly indi-
cated in Pahlavi itself by the coexistence of the two forius,
Tai and ghaZ, for the Semitic ^y. Further evidence of the
consonantal character of v = y is given by its occurrence
at the beginning of words without having the vowel »a«
prefixed as mater lectionis; which prefix is almost indi-
spensable in Pahlavi when the thirteenth or fourteenth letter
is a vowel and would otherwise be initial, as in aüpär(?,
aüftä«^, aürvar, aüzmü^, aüzüsht, aüzdes, aüstofrld?, aösh,
al^ishn, Alrän, etc. It is doubtful if there be any exceptions
to this general rule, except ü^dahishn, istäd', and their cog-
nate forms.
The ordinary use of a hyphen is to connect the com-
ponents of Compound words, which are often written separately
in the Pahlavi character, or to render thera more intelligible
by partial Separation, as in ham-darfistänlh, Aühaniia^rf-däc?,
4-petishtän, bini-hömand, pet^äki-aito , marc?-l, va-zak-i,
vad-ic, etc. But in some cases the hyphen is used to prevent
ambiguity, or to indicate the raode of writing; thus margar'jän
and marg-ar'jän indicate two different modes of writing the
same word, in which ga represents the fourteenth letter,
and g-a the ninth. Again, when the negative particle an-
is prefixed to an initial »a«, a hyphen is used to show that
the initial is expressed in writing, as in an-ar'jänik, an-
anas^orik, etc.; when the initial is a there can be no ambi-
guity, and the hyphen is not used, as in anäsäyak. Sometimes
the negative prefix a- is written separate frora the word,
like the Pahlavi cipher for 2; in which case a hyphen is
used, as in a-afzärih, a-khükih, a-bär, a-bükhtikih , etc.
Sometimes the negative prefix a- is used irregularly, instead
of an-, before au initial ä; in which case, being defective,
it is italicized, and a hyphen is also used, as in a-ärämec?,
a-äraükht, etc.
West: The extent, language, and age of Pahlavi literature. 409
Tliere are about fifty Semitic words in Pahlavi that.
termiiiate with a Compound whose traditioual reading, -man,
is still retained, because its correct reading is not quite
certain. Hang endeavoured to explain this terraination as a
suffix -man, in accordance with the traditional reading, but,
as he was compelied to iise three difFerent explanations to
account for its use in dijfferent words, and had to make some
assumptions that might be disputed, it cannot be said that
his explanation was very convincing.
The actual facts connected with this termination, so far
as they have been ascertained down to the present time,
appear to be as follows: — Of the fifty Semitic words in
Pahlavi, containing the so-called -man, twelve occur also in
the Sasanian inscriptions, wliere the Compound -man corre-
sponds to a single letter whose exact sound has not been
satisfactorily ascertained, but which is always a final letter.
Tn Pahlavi, also, this Compound -man is final, so far as the
Semitic portion of the word is concerned, though it may
have Iränian Suffixes annexed to it; but in the case of certain
verbs, hereafter detailed, this finality may be questioned.
In forty of these Semitic words whose etymology has been
ascertained, the termination -man may be explained as corre-
sponding to an original final -ä in 31 cases, either to -ä or
-äh in three cases, to -äh in three cases, either to -äh or
-man in two cases, and to ])^ in one. Rejecting the two
optional cases of -man, as mere possibilities, it is evident
that au Iränian might very well pronounce this termination
as -ä in every case. The difficulties that remain to be ex-
plained are how the Sasanian letter became the Pahlavi
Compound -man, and why the Sasanians had two letters of
the same sound (ä) in thejr aiphabet. The first of these
difficulties has been satisfactorily overcome by the decipher-
ment of a Pahlavi inscription of the seventh Century^) on a
1) See Indian Antiquary for 1882, pp. 223 — 226.
410 Sitziwg der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1888.
stone amulet which was oifered for sale at Baghdäd in 1875.
In this inscription the termination -man occurs six times
(in the words ba/-man, denman, and nafshman) in varions
forms intermediate between the Sasanian letter and the
modern Pahlavi termination, proving that the latter has
descended from the former by a gradual change in its written
shape; and, as the Sasanian original has no resemblance to
a Sasanian -man, the identity of its modern Pahlavi descen-
dant with a Pahlavi -man can be only an accident. The
second difficulty remains to be solved by some scholar who
shall possess a thorough knowledge of all the Semitic dialects,
existing shortly before and after the Christian era, as well
as an intimate acquaintance with the peculiarities of the
Pahlavi writings. It has been proposed to read the uncertain
Sasanian letter as a Semitic n which has no separate repre-
sentative in the Sasanian aiphabet; bot this is merely solving
one difficulty by creating another of a similar nature. It
is quite certain that the Semitic n is ofteu represented by
the same Sasanian letter as that which represents n, as in
the words hatimün, hankhetün, havitun, yehamtün, and
yehvün; and, if the uncertain final letter also stood for H,
the question why the Sasanians used two letters to represent
n would become a new difficulty. In the great majority of
cases the Pahlavi final -man seems to represent the emphatic
Suffix K_, but it also represents other instances of final N-,
and the emphatic suffix is likewise represented, more fre-
quently, by tlie first Pahlavi letter -ä. The two words in
which the final -man might optionally represent a Semitic
-man are tamman and latamman (cf. Ch. jÖFi and DÖR).
Three of the verbal stems that contain the Compound -man
are medammün (Ch. Hol), vashamniün (Ch. V^ti'), and
ye^bemün (Ch. n2iJ), in which the Compound represents the
final radical letter; l)ut, if the suffix -ün or -un be Semitic
West: The extent, language, and age of Pahlavi Uterature. 41 1
(as is usually supposed) the Compound is not the final of
the Semitic stera. On consideration of all these facts it
appears almost certain that this Pahlavi final Compound in
Semitic words cannot stand for an original -man, but very
probably represents some such sound as -ä or -äh, though
it may still be desirable to adhere to the traditional reading,
-man, until the correct sound is ascertained with greater
certain ty.
By attending to the general principles of ti*ansliteration
above detailed, and extending them so as to include all special
peculiarities of the manuscripts, it is possible to transcribe
the texts so as to raake the actual form of each word per-
fectly intelligible to any Pahlavi scholar who vfill take the
matter into consideration. There is really very little Variation
in Pahlavi orthography beyond a few duplicate forms of
well-known words, some little nncertainty in the use of long
and short vowels, of z and d, and of abbreviated or redundant
Compounds. And, with regard to etymology, there is hardly
any language that contains so few uncertainties as Pahlavi;
this is fortunate, because the ambiguity of the writing often
makes the reading of a word very uncertain tili its ety-
mology is known.
Returning to the consideration of the Pahlavi texts, it
should be distinctly understood that no one should turn to
the translations of the Avesta for specimens of pure idio-
matical Pahlavi. The object of the Pahlavi translator of
an Avesta text was to produce, as nearly as possible, a
word-for-word translation, so that the separate meaning of
each word of the original Avesta might be ascertained
without reference to any lexicon, while the general sense of
each sentence was not too much obscured by the unusual
arrangement of the words. Such translations, therefore,
consist of Pahlavi words arranged according to the rules of
Avesta syntax, so far as the necessity of making the seutences
412 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
intelligible to Pahlavi readers will perrait. Just in tlie sanie
way as Neryösang's Sanskrit translations consist of Sanskrit
worcls arranged according to the rules of Pahlavi syntax,
when he has translated from a purely Pahlavi text; or
according to the rules of Avesta syntax diluted by Pahlavi
modifications, when he has translated from a Pahlavi version
of the Avesta. And as we do not expect classical Sanskrit
from Neryosang, so we must not expect classical Pahlavi in
the Pahlavi translations of the Avesta.
The word-for-word translation is interspersed with a
running commentary of glosses, either by the same or a
later band, inserted as parenthetical clauses, as in the follow-
ing passage from Pahl. Yasna, XLV, 5 a (Sp.):^) — Pavan
zak-i leküm shalitäih (den denman gehän aegh leküm shali-
täih) ayehabünishno alto (aeghash mindavam lä yehabünishno)
zak-i dariflfär yätünecZo (mün pavan resh kar(?ano yätüned) : —
»In that doniinion of yours (in this world, where your do-
niinion is,) there is no giving (that is, nothing is to be
given) to him who comes as a tearer (who comes with in-
fliction of a wound).«
The parenthetical clauses, when merely glosses, are
usually introduced by the particle aegh, »that is«, though
this is often omitted, as may be seen in the passage just
quoted. They are frequently, however, not mere glosses,
but explanatory additions to the sentence, that are also often
introduced by the same particle which is apt to mislead the
unwary, but is then to be understood as meaning »that, so
that, or thus«. Instances of such explanatory additions occur
in the following passage from Pahl. Yas. XIX, G, 7: —
1) In this and all otiier quotations the words in parentheses
are explanatory additions by the Pahlavi translator, having no equi-
valents in the Avesta text; and the English words in italics are not
expressed in the Pahlavi version. The Pahlavi text itself is corrected
according to the best manuscripts available.
West: Ihe extent, language, and age of Pahlavi Uterature. 413
Müll zak bakhtarih min Ahunaver, Spitäraän Zaratüshto!
pavaii abara-gobishiiih (aetrhash a«;istäk tang den iniyano
barä lä yenialelünef/o) abara-süfZakih (aegh barä khehnünef/o)
srkyed, pavan 100 madam valmanshäno häno-1^) radih-i
gäsäno amato pavan abarä-göbishnih abarä-sürfakih sräyerfo;
(ae(?üno ya^ishuo ghaZ yehevüne<?o) : — »Whoever chants
that allotraent of the Ahunavair, 0 Zaratüsht the Spitämän !
without talking (that is, he strictly does not speak out in
the middle of his Avesta) and not without anxiety (that he
may slumber), it is like a hundred, as regards any other
authority of those of the Gäthas, when one chants them
without talking, or not without anxiety; (thus it becomes
fit for the ceremonial).«
In raany places the Pahlavi translators introduce an
optional Version of some particular phrase, or an optional
opinion, with the words: aito mün ae^üno yemaleiünetZ-a^,
»there is some one who would say thus«, as in Pahl. Yas.
X, 42: — ^fat barä shedkünam pavan zanishno (aeghat
barä paräyem) khürsand maräno grestak-i saritaräno; (aito
mün aerfüno yemalelüned-ae: Homant barä shedkünesh): —
»I dismiss from thee by beating (that is, I lop off thee) the
satisfied deadly ones^ the burrows of the evil ones; (there is
some one who would say thus: It is 'mayest thou dismiss).«
Many of the parenthetical clauses and optional versions have
the appearance of being interpolations by after revisers of
the translations, but any attempt to distinguish such inter-
polations would be mere guesswork.
The Pahlavi translations are also interspersed v^ith com-
mentaries, in which the opinions of various old commen-
tators are quoted. In some cases, and generally at the close
of some particular subject in the text, these commentaries
are of considerable length, and often contain quotations from
1) Or akhaJ'an-1.
414 Sitzung der philos.-philol. Glasse vom 5. Mai 1888.
Avesta texts, many of which are not now extant elsewhere.
These commentaries, as iiiight be expected, contain purer
Pahlavi tban the translatecl text, but, as they are often
written in a very abbreviatecl manner, they do not afford
good exemples of Pahlavi style. The extent of commentary,
accompanying the translated text, varies very much in dif-
ferent texts; thiis, while the F'ahlavi Yasna, VisparacZ, and
Yashts contain very little commentary, fully one-fourth of
the Pahlavi Vendidäc?, two-thirds of the Aogemadaecä, and
three-fourths of the Nirangistun consist of commentary.
It is unfortunate that the European editors of such
texts as the Vendidät? should have separated the Pahlavi
from the Avesta, as they have thereby placed an additional
difficulty in the way of the snccessful study of both texts,
It is true that the Parsis, in former times, extracted the
Avesta from the combined texts for liturgical purposes; but
they have never separated the Pahlavi version from the
Avesta text. In their combined form the two texts are
mutually explanatory; and, when separated, it is advisable
to recombine them mentally on meeting with any serious
difficulty. It is sometimes by no means easy to determine
whether one of the Avesta sentences be a portion of the
original text, or merely a quotation inserted by the Pahlavi
translator, as there is nothing in the manuscripts to distin-
guish them, beyond the general connection of their meaning
with the context, either Avesta or Pahlavi, and neither the
Parsi extractors of the Vendidäf^ Sädah, nor the European
editors of the separated texts, are infallible. The general
rule, that an Avesta sentence which is not translated must
be a quotation, may probably l)e relied on, though it should
be carefully tested by reference to the contexts in all cases.
But the converse rule, that an Avesta sentence which is
translated must belong to the Avesta text, is liable to ex-
ceptiun; thus, in Puhl. Vend. 11, 10, the sentence Yimahe
West: The extent, language, and age of Pahlavi literature. 415
Vivanhanahe ashaonö fravasMm yazamaide is translated,
althougb it is evidently a quotatioii. This raises the qiiestion
whetber such passages as Veud. I, 15 (W.) raay not consist
of inere quotations, although translated ; at any rate, several
nndoubted quotations in the Pahlavi translation have been
admitted into the Avesta text, even though not traiislated,
such as tbose in Vend. I, 2 and Jchshat/amna . . . to the end
of Vend. XVIII, 55 (W.); also hapfa . . . to . . . aslikare
and adha zimahe . . . to . . . zaredhaem in Vend. I, 4 (W.),
and otlier such quotations which are likely to perplex scbolars
who do not ascertain their immediate context in the manu-
scripts. The Avesta which is nierely qnoted by the Pahlavi
translators in their commentaries amounts to about 400 words
in the Vendidä^, and 1700 in the Nirangistän, of which
latter number about 1400 are from the Yasna or VisparatZ.
By comparing the Contents of the Nirangistän (so far
as they can be understood without long-continued study)
with the account of the Nasks given in the eighth Ijook of
the DinkarfZ, it has been ascertained that one-eighth of the
work is a portion of the Aerpatistän section of the Hüspäram
Nask, and the remaining seven-eighths are a large portion
of the Nirangistän section of the same Nask. All the
Bombay manuscripts of the Nirangistän (so far as they have
been exaniined), including Haug's in the Staatsbibliothek in
München and Westergaard's in the University Library at
Kopenhagen, are descendants of one original which was
brought from Iran to India in 1720. This manuscript has
disappeared, but a copy of it. written in 1727, still exists
in Poona and is the best authority for what may be called
the Bombay text of the work. Another independent authority,
more complete at the beginning, but less so at the end, is
an old manuscript which was brought from Iran to Bombay
some fifteen years ago, and is novv in the possession of Möbad
Tehmuras Din.shawji Aukalesaria. It appears probable that
416 Sitzung der philos-philöl. Classe vom 5. Mai 1888.
both these authorities are descended from some very old frag-
raent of the Hüspäram Nask, defective at botli ends, and
witli niany of its intermediate folios either lost, or misplaced.
This old fragment has been copied, just as it stood, without
any notice being taken of the lacunaB, or dislocations, so that
the task of editing the Pahlavi text is likely to be one of
110 small difficulty and uncertainty, whenever it is undertaken.
Whether the Aogemadaecä (so called from its initial
Avesta word) can be identified as a small fragment of one
of the Nasks is as yet uncertain. It has much of the
appearance of an Avesta text with Pahlavi translation and
extensive commeiitary, as may be seen from the Avesta-
Fäzand-Sanskrit Version edited and translated by Geiger in
1878. Two Avesta-Pahlavi manuscripts of the same text
have been examined in Bombay, both comparatively modern;
one of them, written in 1820, prefixes the first 190 words
of some ylfnn to this text, and the last 50 words of Geiger's
edition (§§ 106 — 111) are evidently the conclusion of the
^fnn-i Dähmän.
The Vijirkard-i Dinlk is a kind of Pahlavi Riväyat,
or miscellany of decisions on religious subjects, and was
published in 1848 by the high-priest of the Parsis in Bombay
from a copy of an Iränian maniiseript of the thirteenth Cen-
tury which had been brought in former times to Surat. It
professes to have been compiled by MetZyomäh, first-cousin
of Zaratüsht, but, if the text has been eorrectly edited, it
can have iio pretensions to be as much as a thousand years
old, and there have been several priests and commentators
of the nanie of Medyömäh. The portions of the Vijirkard-i
Dinik that consist of translations from the Avesta contain
passages from the Ashem-staota and the Härfokht, Nihät^üm,
and Bagän-yasht Nasks, which are not extant elsewhere and
refer to inheritance, carriers of the dead, preparation of the
vars or sacred hair, sacred cakes for new-year's day, clothes
West: The extent, Imiguage, and age of Pahlavi literature. 417
for the dead, how the names of the dead are to be mentioned,
the sacred thread-girdle, the purification of womeii after
iniscarriage, etc.
Regarding the purely Pahlavi texts it is unnecessary
to niention luore than a few particulars. The longer texts
afFord the best specimens of Pahlavi idiom and style; the
former is nearly the same in all the works, but the latter
is much niore variable. Of the simple narrative style the
Bnndahish, Mainög-i Khirarf, and Kärnämak are good cx-
amples, in which the translator finds little difficulty in the
constniction of the sentenees. The more philosophical works,
of course, are more difücult, but the amount of difficulty
depends more upon the writer than upon the subject; thus,
the language of the Shikand-gümänik Vijär is comparatively
simple and clear, while that of the Dä(fistän-i Dinik, the
Epistles of Mänüshcihar, the Selections of Zä^-sparam, and
of some parts of the third book of the Dinkar^? is often
extremely difficult and obscure, owing to the involved style
of the writers.
English translations of Nos. 27, 32, 33, 34, 35, 38,
part of 31, and the Indian Version of No. 26 (with extracts
from the Iränian version) have been published in the Sacred
BooJcs 0} the East, vols. V, XVIIl, XXIV; also of Nos. 6,
36, 39, and 76 published separately by Hoshangji and Haug
in 1867—72; and of Nos. 40, 41, 43, 61, and part of 51
by Peshotan in his Ganje Shäyagän'^) in 1885. German
translations of Nos. 42, 45, 49, 55, 59, 64, 65, and frag-
ments of others have been published by Spiegel; of the Indian
Version of No. 26 by Justi; and of No. 73 by Nöldeke.
And a French translation of No. 47 has been published by
Barthelemy in 1887. Not to mention several older, partial,
and duplicate translations.
1) See Le Museon, tome VI, pp. 263—272, for some further
information regarding Peshotan's texts.
1888. Philo8.-philol. u. bist. Ol. 3. 28
418 Sitzung der pliüos.-pMlol. Classe vom 5. Mai 1888.
All Indian copies of the Dinkar^, including Haug's in-
complete copy in the Staatsbibliothek in München, are de-
scended from a single manuscript brougbt froni Iräii to Surat
in 1783, and still existing in Bombay; it appears, from its
colophons, to have been written in 1(359, attested in 1669,
and to be descended, through intermediate copies written
about 1365^) and in 1516, from a manwscript which was
copied in 1020^) from an original of the latter portion of
the Dinkar^ which had been preserved in Asüristän. Before
the copy of 1659 was recopied in India about 71 folios
were abstracted by persons to whom it had been lent, so
that all its copies are defective in many places; and it was
not tili 1875 that copies of 64 of these folios could be
collected, leaving seven folios still missing. It would appear
from this Information (which has been obtained from the
colophons, Mulla Firüz's Avijeh-din., and other sources) that
the earlier portion of the Dinkar(7, consisting of the first
two books, had become separated from the rest of the work
nine iiundred years ago, and has long since been lost. Also,
that the copy of 1659 is the only real authority for the
text in India. The only other authority, known to exist, is
to be found in the Pahlavi codex No. 43 in the University
Library at Kopenhagen, which contains fully one-fifth of
the text in detached portions. Some of these portions were
copied in 1594, and are descended from the same manuscript
of 1020 as the Bombay copy. The text of the Dinkard
has been in course of pu])lication and translation by Peshotun
since 1874, but bis progress is slow, as with bis fifth volume
he hardly completes the first quarter of the text, The eighth
1) Four generations after the Kustam Mihrban mentioned in
Yösht-i Fryänö, VI, 1.
2) The datea 1020, 1516, and 1659, as well as 1594 below, are
all given in the corresponding numbers of years after the 20 th of
YnzdAk&rd.
West: The extevt, Invguage, and age of Pahlavi literaiure. 419
and iiiuth books, which contain a long summary of the
Contents of the Nasks, are being translated for the Sacred
Books of the Fast.
The Indian Version of the Bundahish, the only one
hitherto accessible to Europeans, is merely a series of extracts
froni the Iränian version, of which latter version tvvo mauu-
scripts have been obtained from Persia by Tehmuras Din-
shawji of Bombay, within the last fifteen years. It is the
collated text of these two mannscripts that the Parsis now
propose to publisii; and, in the mean time, a few passages
from one of theni have been included in the English trans-
lation of the Bundahish in the fifth volume of the Sacred
Books of the Fast. The last folio of a third maniiscript of
the Iränian version is also preserved in Westergaard's codex,
now No. 43 in the üniversity Library at Kopenhagen, and
a facsimile of this folio has been published by Andreas in
his facsimile edition of the Pahlavi text of the Mainog-i
Khirarf.
The Riväyat of Heme(?-i Ashavahishtän is a collec-
tion of abont 270 questions and answers on religious subjects,
some of which contain the opinions of various commentators.
It is appended to one of the two complete copies of the
Iränian Bundahish mentioned above, and is foUowed by a
Pahlavi version and commentary of Vendidä(7, V — VIII,
which appear to be considerably longer than those hitherto
known, to which are added some 55 pages of particulars
regarding the Yasna ceremony, with several Avesta quo-
tations. These latter texts have not been included in the
list of Pahlavi texts, because the information supplied by
the owner of the manuscript is not sufficient to determine
their nature.
Of the Pahlavi e7ämäsp nämak only some fragments
have been found, amounting to rather more than one-fourth
of the extent of the Päzand version which is also incomplete.
28*
'±20 Sitsmuj der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 188S.
The AudarV-i Hüdävar-i^) dänäk consists of Hü-
dävar's answers to a disciple ou various subjects, The only
copy found is contained in tlie very old Pahlavi codex No. 20
in the University Library at Kopenhagen, aiuong its folios
143 — 148 which were formerly very much misplaced. About
one-fifth of the text is certainly lost, but its original length
is very uncertain. In the same old codex is a copy of the
Mä(?igän-i gujastak Abälish, which would suggest
several improvements in the text recently edited by Barthe-
lemy who was unable to consult it.
The Social Code of the Parsis in Sasanian times is
only known from two fragments of consideruble extent; one
consists of 20 old folios obtained from Persia by Tehmuras
Dinshawji who has prepared. a facsimile edition of theni for
publication; the other is a modern copy of 55 similar folios
which are still in Persia. This copy is in the library of
Dastür Jamaspji Minociharji in Bombay, and its text overlaps
that of the other fragment, but indicates the loss of many
folios in its original. Tehmuras inten ds to print the text
of this copy, if he cannot obtain the original, for pnblication
with the facsimile of bis own fragment. The work, so far
as it has been examined, appears to be a ti'eatise on the
laws of property, in which the opinions of many commen-
tators are qnoted, and the names of some of the Sasanian
kings, snch as Vrihram-i Ya^fZakar^/an, Y ■d^dukard-'i \'ahrriiiiän,
Pirü^, and Khösro-i Kavär?än, are mentioned.
The original of all known copies of the Kärnämak-i
Artakhshir-i Päpakan appears to be in a very old codex
belonging to Dastür Jamaspji, that also contains some other
interesting texts, such as Nos. 74, 75, 78, 82. All these
texts the Parsis propose to publish shortly.
1) Or KhÜ8hvai-i.
West: The extent, Ia>iguage, aiid ar/e of Pahlari literature. 421
When the Parsis liave published the Contents of this
old codex, as well as the Iränian Bundaliisli, and have com-
pleted the edition of the Dinkarr/, while Tehrauras publishes
the frai^ments of the Social Code, Pahlavi scholars will have
uo further reason to complain of the inaccessibility of mate-
rials for prosecutini^ their studies. Whether they have any
such reason at present may fairly be doubted, when we
consider that nearly two-fifths of the extant Pahlavi literature
hiis already been published.
Hegarding the origin of the Pahlavi language our
knowledge has practically made no advance beyond the point
attained by Hang in his Introdudory Essay on the Pahlavi
language, pp. 128 — 148, published in 1870. We have the
Statement of the Kitäbu-1-tihrist, quoted from Tbn MuÄ;aifa
of the latter end of the eighth Century, that the Persians
were in the habit of using niany Semitic words in their
Pahlavi writings, for which they substituted Iränian equi-
valents when reading what they had written. We also know
that the Parsi priests still read Iränian equivalents for the
Semitic words written in their Pahlavi manuscripts, although
Parsi students are now being taught the correct pronunciation
of the Semitic words as ascertained by European scholars.
And we further learn from Ammianus Marcellinus, XIX,
2, 11, that the Persians (as early as A. D. 350) called their
king shahän shäh, »the king of kings«, an Iränian title
which is always expressed by the Semitic equivalents (malkän
malkä) of its coraponents, when written in Pahlavi.
These facts prove that the Semitic words in Pahlavi
have, for the last 1100 (or, possibly, 1500) years, been used
merely as ideograms to represent their Iränian equivalents.
It has therefore been justifiable to assume that when the
Persians adopted the Pahlavi aiphabet from their Semitic
neighbours, or predecessors, they also transferred a certain
number of complete Semitic words to their writings, as
422 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
representatives of the corresponding words in their owii
language. This hypothesis is, however, only intended to
explain the facts as we find them in Sasanian and later
times, and applies only to the Sasanian aiphabet and its
descendants in later Pahlavi. So long as the Pahlavi aiphabet
continued in general use, this clumsy Ideographie System
was maintained throiigh force of habit, but the Semitic words
disappeared immediately the Persians adopted their modern
aiphabet; which is an additional proof that they had long
ceased to be read as they were written.
With regard to the actual origin of Pahlavi we have
so few facts to guide us that all attempts to explain it are
very hazardous, and lead to much difference of opinion.
Last year, in the Bahylonian and Oriental Rccord,, vol. I,
pp. 49—54, 69—76, 93—95, 104—108, de Harlez ob-
jected very strongly to the ideographic theory as an ex-
planation of the origin of Pahlavi. Admitting that the
Semitic words did finally become mere ideograms, representing
their Iränian equivalents, he maintains that they must have
been originally spoken as they were written, and, adopting
Mordtmann's Suggestion, he seenis to think that Pahlavi was
a mere literary language, adopted by writers and the upper
classes not only for writing, but also for conversation, in
which they borrowed Semitic words, or used I*ersian ones,
according to their faucy which was only limited by the
necessity of being intelligible to their learued readers, or
audience. This practice, he thinks, continued tili the time
of king Bahräm Gor who forbade the use of Syriac, and
then the reading of the Semitic words gradually ceased, but
they were still written because they had been adopted in
the sacred scriptures. In confirmation of his view he has
noticed about a dozen facts in Pahlavi texts which tend to
show that the Semitic words were often read as they were
written; it is doubttnl, however, wliether any of these facts
West: The extent, language, and age of Pahlavi literature. 423
will l)ear strict examiuation, and many of them are based
lipon peculiarities, or misreadings, of some particular manu-
script, which are not to be fouud in other raanascripts of
equal, or superior, authority; in other words, they merely
indicate the peculiarities, or blunders, of some modern copyist.
It is very probable that we shonld find that Pahlavi
was originally read as it was written, if we could traee it
l)ack to its source. This was the view taken by Haug
(Essay on Pahlavi, pp. 140, 141), but he traced it to a
Semitic dialect imperfectly acquired by an Iränian people,
so that both vocabulary and grammatical construction became
niixed; and this is certainly more consonant with the facis
we have to explain than the literary-dialect theory proposed
by de Harlez. If we want to know what kind of change
learned men are likely to make in a language, when they
borrow words from foreigners, we have only to compare
modern Persian with the Persian of Firdausi, and to notice
the general character of the Arabic words with which the
modern Persian abounds. If we then compare the Persian
of Firdausi with the Pahlavi writings, and notice the general
character of the Semitic words which the latter contain, we
are immediately Struck by the totally difFerent nature of this
old Semitic admixture from that of the Arabic borrownngs
of modern Persian writers. We shall notice that the Arabic
in modern Persian includes most words connected with
religion, science, and literature, together with some meta-
phorical and professional terms and phrases; while the Semitic
portion of the Pahlavi is practically confined to the com-
monest and most indispensable words in the language, ex-
cepting those connected with religion. In other words, the
Arabic in modern Persian is the literary and ornamental
part of the language, set in a framework of pure Persian;
while the Semitic portion of the Pahlavi is the indispensable
framework in which pure Persian is set. This is so much
424 Sitzung der philos.-philol. Glasae vom 5. Mai 1888.
tlie case, that scarcely any of the Arabic words, commonly
used in modern Persian, correspond to any Semitic word in
Pahlavi; and, tbough some uncommon and scientific words
may be found among tbe Semitic words in the Farbang-i
Pablavik, tbey can very rarely be discovered in tbe texts.
Tbis essential diflPerence in the nature of the Semitic ad-
mixture in Pahlavi from that in modern Persian indicates
a total difference of origin, and seems to be an insuperable
objection to tbe literary-dialect theory.
In tbe present state of our knowledge it is far safer to
point out the few facts we have to guide us, than to come
to any definite conclusion as to the actual origin of Pahlavi.
The possibility that the Semitic words in Pahlavi were used
ideograpbically even as early as A. D. 350 has been already
mentioned, but before that date there is no Information to
guide US on that subject. With regard, bowever, to the
existence of Pahlavi, the earliest distinct specimen of such
a language, yet discovered, is probably the legend on a coin
of Abd Zoharäü, satrap of Cilicia about 700 years earlier.
This legend is »mozdi zi 'al Abd Zoharäü Khalk«, which
is good Sasanian Pahlavi for »payment which is for Abd
Zoharäü of Cilicia«. Here we see the Tränian mozdi used
with the Semitic zi 'al just as in Sasanian times. Hang
even ventured (Essay on Pahlavi, pp. 136 — 138) to find
Pahlavi characteristics in a short inscription on a tablet
from Niniveh, so as to carry the origin of Pahlavi back to
the seventh Century B. C, and to connect it with some
dialect spoken in the Assyrian empire, at a period when
foreign conquests and troublous times were likely to produce
mixed languages. But numerous instances of such charac-
teristics are necessary before arguments can be safely based
upon them, and there was no want of troublous times
during the 550 years preceding the reign of Artakhshatar-i
Päpakän.
West: The extent, languaye, and aije of Pahlavi literature. 425
What we have to acconnt for is the origin of a mixed
language (either shortly before, or shortly after, the Christian
era) whose most essential words are all Semitic, though
showing very few signs of Semitic inflection, while most of
the coustruction of the sentences, several of the less indis-
pensable words, and .some of the few inflections that occur
are Iräniaii. This is a fairly correct description of the text
of the Häjiäbäd inscription, in which two-thirds of the words
are Semitic, and only one-third Iranian. Under ordinary
circumstances such a mixture could hardly arise frora the
borrowing of Iranian words by a Semitic language, because
of the loss of the Semitic inflections, and the prevailing
Iranian construction of the sentences ; still less could it arise
from the borrowing of Semitic words by an Iranian language,
because no language borrows its commonest and most indis-
pensable words from a foreign source. The facts we have
to account for indicate a more complicated process than
mere borrowing. We raight perhaps suppose that the
Sasanian Pahlavi was originally a Semitic language, worn
down by use among a mixed populatiou in which the Semites
were numerically predominant; much in the same way as
Anglo-Saxon was worn down into early English. And we
might further suppose that, after a time, this worn and
simplified Semitic language came gradually into contact with
a comparatively illiterate people, among whom the Iränians
were predominant, who adopted it as their written language,
with such modifications as the degenerate Persian dialect of
the predominant Iränians absolutely demanded. This might
account for all the peculiarities of the Sasanian inscriptions,
if we supposed that the educated classes had no purely Iranian
literature to use; and the increasing education of the Iränians
would account for a gradual acceptance of the Semitic words
as ideograms, which the highly conservative nature of writing,
especially when contiued to a small class of literary raen,
426 Sitzung der philos.-phüos. Classe vom 5. Mai 1888.
compelled them to preserve. Such an hypothesis niight
perhaps accoimt f'or the actual facts, bat it is based lipon
a series of hazardous assuraptions which whould be better
avoided.
There are also some peculiarities in the construction of
Pahlavi sentence.s, which have not passed into modern
Persian, that any theory regarding the origin of Pahlavi
ought to explain. The most peculiar and important of these
is the prevailing passive construction of most narratives, in
virhich a past participle is generally used at the end of each
clause, and a pronominal suffix annexed to some particle at
the beginning, as in the following examples: —
-4fash akhar min zamäno vadidünto, »also after the
period tvus appointed by him«. ^fash pavan aiyyärih-i
spihär Zörvän dam fra^o brehinif^o, »also, in aid of the
celestial sphere, the crealure Time was produced by him«.
Oigünash dämäno ähükinif/o, »as the creatures were distigured
by him«. Adinash nafshman rabä gadmanih numüdo, »then
his own great gloriousness was exhibited by him«. Amatash
yashtö yehevüne^^, »when it is solemnized by him«. Zyash
diijif/o, »which was stolen by him«. Mamanash khavitünast,
»because it was known by him«. Aeghash saryä aüzmäyishno
räi yehabünt, »that evil was created by him for the sake
of experiment«. Hatash lä ye^bemünast, »if not wished by
him«. .4fam vakhdrtnto pavan drupüshtih, »also taken by
me as a stronghold«. Münam hakeric den stih la khaditünt,
»which was never seen by me in the worldly existence«.
-^fat shapir gabrä minie?, »also the good man was cared for
by thee«.
This peculiarity can be traced back to the Sasanian
inscriptioiis, in the later of which the fonns «fam and afash
already occur, while in the earlier inscription at Häjiäbäd
we find the following passive phrases: —
West: The extent, lanfiuage, and age of Pahlavi literature. 427
Afan^) amtit zenman khitaya shadituu, adinan levinl
shatradarän va-barbetäu va-vacarkän va-azätau shaditun, afan
rigelman pavan zenman diki hankhetün, afan khitaya lecad
va-zak citäk barä rauütuu, »also when these arrows were
shot by u<, then thei/ were shot by us in the jn-esence of
the satraps, grandees, niagnates, and nobles; also our feet
were set in this cave, and the arrows were shot by us towards
and beyond that target«.
In these phrases afan and adinan appear to contain
a Öemitic pronominal suffix, instead of an Iräuian one, thus
pointing to some Semitic dialect, already influenced by the
ancient Persian habit of suftixing pronouns to particles, as
the origin of the peculiarity. The total disappearance of
this pecnliarity, as soon as Pahlavi writing was completely
Iränianized into modern Persian, seems to point also in the
same direction.
In ancient Persian we find pronominal suffixes attached
quite as often to nouns, pronouns, and adjectives as to par-
ticles. In Pahlavi they are practically confined to particles,
thoiigh occasionally used independently , and very rarely
attached to nouns and pronouns; when, however, they are
so attached, it is generally in translations from some foreign
language. In modern Persian they are, on the other band,
confined to nouns and verbs, or used independently.
The peculiar mode in which a Pahlavi relative particle
is governed by some preposition understood in connection
with a pronominal suffix attached to it, or by a preposition
with a pronominal suffix in the after part of the clause,
also deserves attention, although something analogous survives
in modern Persian.
Further, we must not forget that the Semitic portion
of the Sasauian inscriptions was not confined to the strictly
1) That afan contains a pronominal suffix is shown by the
Chald.-Pahl. equivalent va amat lan for the Sas.-Pahl. afan amat.
428 Sitzung der philos.-phUol. Classe vom 5. Mai 188S.
limited iiumber of words we find in l\ahlavi maiiuscripts.
The early Sasanians must either have preserved a larger
number of ideograms than their successors, or they imist
have been accustomed to draw extra words from'some Seraitic
dialect with which they were well acquainted.
In the latest Sasanian times the number of ideograms
was increased from quite another source; this was the gradnal
change of the Sasanian letters into their modern Pahlavi
forms, which, being incorrectly eüected in many cases, gave
rise to a number of stränge forms of Iränian words in
common use. Finally, about one hundred of these Iränian
and four hundred Semitic ideograms were collected in a
glossary for the use of literary men, and were called Zvärish,
a terra which was sometimes modilied into Uzvärish (whence
modern Pahl. Aüzvärishn, misread Hüzvärish). The word
zvärish is evidently an abstract noun connected with the
Persian verb zväridan, »to grow old or thread-bare«, and
its meaning must be something like »antiquity or decrepi-
tude«, a fitting term for the last remnants of an old form
of writing.
With regard to another term applied to Parsi writings
it may be desirable to explain that Päzand is not the name
of any language, or dialect; but it is merely a transliteration
of Pahlavi, in which all the Semitic words are replaced by
their Iränian equivalents, and it may be written either in
Avesta, or modern Persian, characters. A true Päzand text,
therefore, must have had a Pahlavi original, to which it
ought to correspond word for word. But, as all Päzand
texts, hitherto examined, have been written by Parsi priests
whose vernacnlar is (iiijaruti, their orthography represents
merely the Gujaräti pi-onuiKnatiou of Persian, and should
not be quoted as an authority for the true Persian pronun-
ciation of any period. As a general rule the orthography
of receut Päzand manuscripts is excessively irregulär; every
West: Hie extent, laiifjuagc, and age of Pahlavi literature.
429
copyist havin^^ bis own notions of spelling, and often varying
it niore than once on a single page. Excepting a few
detacbed words and sentences, contained in Pahlavi manu-
scripts, no specimen of Päzand written in Persia has yet
been seen.
Besides tbe true Päzand texts tbere are some few false
ones in existence, wbicb are nierely transliterations of modern
Persian in Avesta cbaracters. Any text tbat contains Arabic
words, orthat bas ki and ba, instead of kn and pa, tuust
have Sprung from a Persian original. And any text tbat
attaches pronominal suffixes to conjunctions, adverbs, prepo-
sitions, or relatives, must bave been originally Pablavi. But
between tbese limits tbere is room for several gradations of
style, between true Pablavi and true Persian, wbicb may
occasion doubts as to tbe nature of any apparently Päzand
Version. Even tbe existence of tbe same text in Pablavi
cbaracters is no certain proof tbat it was originally written
in Pablavi, because Persian texts. wben practically free from
Arabic, can be written in Pablavi cbaracters.
Regarding the age of tbe Pablavi texts, now extant,
tiiere has always been much diversity of opinion. The Parsis
tbemselves were formerly inclined \ß attribute the Pahlavi
translations of tbe Avesta to Zarathnshtra himself, wbicb
must be an idea of considerable antiquity, as it is mentioned
by Mas'aüdi, writing about A. D. 945; but they are now
quite ready to accept any suggestions tbat European scholars
may offer on the subject. It is, of course, quite possible
tbat this old idea of tbe Parsis may be rigbt so far as the
mere name is concerned, for tbere may bave been a priest
named Zaratüsht assisting in the translation of tbe Avesta
in Sasanian times.
It bas often been noticed tbat a gloss in Pabl. Vend.
IV, 141 refers to Mazdak, son of Bämdät?, the arch-beretic
who was put to deatb by prince Kbüsrö, son of Kavä(?, at
430 Sitzung der plnlos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
the latter end of his father's reign, about A. D. 529.^)
This passage is preceded by another, containing a gloss
referriiig to a certain Zarhftndär/, or ZarvändäfZ, who may
perhaps be identified with the eldest son of Mihr-Narsih,
wbo was appointed Herbadän-herbad bj king Bahräm Gör'')
(A. D. 420—489). His fatlier, Mihr-Narsih, was prime
minister of the three successive kiiigs Yazdakard, Bahräm
Gor, and Yazdakard, and commanded an army as late
as 441.3)
These passages in Pahl. Vend. IV, 140, 141 are as
follows, according to the best authorities available: — Hanä-c
niün, Yal anshütä, darvand sästär kamär*) zaf^är (cigün
Zarhündäf?. J.jash patkär levatman Ast-vidärf). Hanä-c mün
vaZ aharni6k-i an-aharübo akhürishno (-i sästär) patkäref^
(cigün Mazdak-i Bänidäf/än münash nafshman ser vashtamünt,
fffash aishäno pavan süd va-marg dkd. ^jash patkär levatman
Ast-vidär7). — »Even he who is a smiter of a wicked tyrant's
head, for mankind, (like Zarhündärf. Owing to hini is a
contest with Ast-vidäc?, the demon of death). Even he who
contends with an unrighteons, starvation-causing apostate
(who is an oppressor like Mazdak, son of Bämdäc?, who
himself ate his fill, while others wpa-c delivered l)y him to
hmiger and death. Owing to him is a contest with Ast-
vidäf?),«
It is evident that the names of Mazdak and Zarvändäc?
could not have been introduced into the Pahlavi Version
until near the middle of the sixth Century, as the two glosses
in which they occur have every appearance of being contem-
1) See Nöldeke's Geschichte der Perser und Araber zur Zeit
der Sasaniden, p. 165.
2) Ibid. p. 110.
.3) Ibid. pp. 75, lOß, 108, 113, 116.
4) As kamär can mean only the head of an evil being, it must
refer to that of the sästär, and not to those of mankind in general.
West: Tlie crtent, lancjuage, and age of Pahlari litemture. 431
poraneons. They also look like interpolations inserted bet-
ween the translatioii of eacli sentence of the text and its
original explanatory addition: (ajash patkär levatraan Ast-
vidäf/). If so, their existence seems to prove that this Palilavi
Version is older than the time of Mazdak. And, indeed, no
one can read the Palilavi versions attentively without finding
traces of at least tvvo generations of glosses, indicating some
thorough revision long after the first translation.
Some of the glosses nuist be very late, as they try to
explain the language of the Pahlavi Version itself. Thus,
the final gloss in Pahl. Vend. I, 4: — Aito mün aito-hö-
niand-ic rüd yemalelünet^, »there is some one who says Aito-
honiand (= Hetümand) is also a river«, evidently refers to
the Pahlavi word ast-horaand at the beginning of the
section, and not to its Avesta original astväo.
Again, it may be argued that the gloss «üistäk va-zand
(referring to the two sayings, or benedictions, mentioned in
Pahl. Yas. XXX, 1; XXXI, 1, as revealed by Aüharma-s^fZ,
or reeited by Zaratüsht) could not have been inserted until
tlie origin of the Zand (which always seems to mean the
PahUm Version) had become obscured by lapse of time. If
this be not admitted, vve have to fall back upon Haug's
theory {Esscu/s, p. 120) that the Pahlavi writer is referring
to an older Zand, or commentary, in the Avesta language,
which, in this particular instance, is rather improbable.
It will be Seen from these remarks that the Pahlavi
translations of the Avesta contain much internal evidence of
revision and alterations from time to time. And, therefore,
though we may be able to ascertain the age of certain
passages and commentaries which they contain, we cannot
safely conclude that the whole translation is subsequent to
that period.
It is a relief to turn from such uncertainties to more
palpable facts. About twelve years ago a Pahlavi text was
432 Sitzung der philns.-pliüol. Classe vom 5. Mai 1888.
first noticed as bearing its original date. This was the third
Epistle of Mänüshcihar, chief priest {r&d) of Pars and
Kirmän, and director (farnuWär) of the profession of priests;
the director of the priestly profession being also the leader
(peshüpäi) of the religio». This Epistle is a general noti-
fication to all Zoroastrians in Iran, condemning certain
heterodox modes of perforraing the purification ceremony,
and dated in the third month A. Y, 250 (June-July 881).
This date is found not only in mannscripts in India, but
also in one bronght from Persia by Westergaard in 1843,
and now No. 35 in the University Library at Kopenhagen.
Mänüshcihar wrote two other longer Epistles, on the
same subject, copies of which have also been preserved; one
addressed to »the good people of Sirkän« who had sent him
a complaint of the heterodox practices, and dated on the
fifth day of the twelfth month (no donbt in A. Y. 249,
that is, 15th March 881); the other, to bis brother 7M-
sparani (who appears to have been high-priest of Sirkän
and the south) reproving him for the heterodox practices,
seems to have been written about the same time as the
general notification first raentioned. From several allusions
in these Epistles it appears that Mänüshcihar was an old
man when they were written in 881, but not too old to
travel: while his brother was no doul)t yonnger. Their
father had been Yüdän-Yim,^) son of Shahpühar, a former
leader of the religion. From these three Epistles of Mänü-
shcihar we have thus learnt not only their dates, within a
few days, but also some other facts that will be useful in
further enquiries.
The same Mänüshcihar, some years earlier, wrote the
Dädistän-i Dinik, a modern title for a work containing
1) The reading of this name is merely provi.sional tili something
mon; probable can be suggested.
West: The extent, Inngitage, and age of Pahlnvi literature. 433
his replies to 92 questions sent to him for Solution by certain
Zuroastriaiis. His brother, Zär^-sparam, in bis later years,
was also a copious writer, from wbose works Selections
bave been preserved, regarding the meeting of the good and
evil spirit, and their continued struggle tili the Coming of
Zaratüsht; the construction of man out of body, life, and
soul; and the production of the renovation of the universe.
Regarding the author of the Bundahish we may
perhaps learn something definite Avhen the collated text of
the two manuscripts of the Iränian version is published.
Judging from some extracts from one of these manuscripts,
the penultimate chapter contains not only the name and
genealogy of the author, or last editor, but also the names
of several of bis contemporaries. Owing, however, to the
patronymical suffix being generally omitted, and other imper-
fections in this single available copy, it is difficult to arrange
all the names with certainty. But there is no doubt that
Zärf-sparham, son of Yüdän-Yim, and Ätür-päc?, son of
Hämed, are mentioned as contemporaries of the author. The
occurrence of the former name indicates that the Iränian
Bundahish was finally edited in the latter part of the ninth
Century; and that of the latter name leads to the sarae
conclusion with regard to the Dinkarf?, as will be presently
seen. The name Bundahisb is comparatively modern, as
the bulk of the work seems to have been originally called
Zand-äkäsih, »the knowledge of tradition«, and may have
been somewhat older than the ninth Century; while the last
chapter, »on the computation of the years by the Arabs«,
is certainly later, as the present manuscripts of the Iränian
Version end with the phrases: »as far as the year 447 of
the Persians; now it is the Persian year 507 (or 527)«.^)
1) All the manuscripts, including that at Kopenhagen, have 5
and 7 with part of another cipher between them, which may be the
beginning of either 100 or 20.
1888. Philos.-philol. u. hiat. Ol. 3. 29
434 Sitzung der pMlos.-philol . Claftse vom 5. Mai 1888.
The Persian era, here raentioned, is probably the twentieth
year of Yazdakard, which is much used in the colophons of
Iränian manuscripts; if so, these dates would correspond to
A. D. 1098 and 1158 (or 1178).
At the end of the third book of the Dinkarr? we find
a detaiied statement, »from the Exposition of the Good
Religion«,^) professing to give the history of the Dinkar^
from the earliest times. This statement was published by
Hang in 1867, from an imperfect copy, in his introduction
to the Farhang-i Oim-aevak; but the earlier part of the
statement, including the proceedings of the chief priest Tosar,
evidently refers to the Parsi scriptures generally, considered
as the source from which the Dinkar^? was compiled. The
historical facts, connected with the Dinkan? itself, are con-
tained in the following sentences of the statement, corrected
in accordance with the two Standard manuscripts, preserved
in Bombay and Kopenhagen, respectively : —
Va-akhar min vazand vishopishno-1 min Tr/^ikän yal-ic
divän va-ganjo-i keshvar marZo, hü-fravar^o Atür-farnbag-i
Farukhü-zäc?än-i hü-denän peshüpäi yehevünto, zak pacino-1
küstakoihä pargandako yehevünto, navak afzär, min pargan-
dakih lakhvär vaZ hanilh-i divan zyash babä yehetytlntö;
den nikirishno va-andrJ^ishno-i va? shapir deno fl^iistäk va-
zand, pöryörfkeshän gobishno änguni-aitako flröko-i min zak
barish lakhvär kard. Pavan shikafto khilm {or kharam)
va-vazand-i vaZ Zaratühashto-i Atür-farnbagän-i hü-denöän
peshüpäi yehevünto, ^'asto, zak-ic divän val vishöpishno, va-
zak nipik yal visastakih pargandakih, väcih vaZ-ic kahöbanih
vastakih va-pü(?akih mndo. Va-min zak akhar, anniano.
1) This Nikr2rt-i Vßh Deno, from which nearly all the infor-
mation contained in the third book of the Dinkarr/ .seenis to have
been taken, appeara to have been the name of some work; but, owing
to the loss of the first folio of the third book, we have no certain
knowledge about it.
West: The e.vteiit, lanijuage, and age of Pahlavi UteraUire. 435
Ätür-prif^o-i IIemer?än-i lul-denäii pcshüpäi, min.shano svibära-
gaiio, deno-i Ma^^t/ayasto aiyyär-dahishnih uavak afzär, pavau
klivahishno va-vaj6ishno va-ranjo-1 vesli, ham nipishto. —
»And alter the ruin and devastation that came from the
Arabs even to the archives and treasures of the realni, the
saintly Atür-farnbag, son of Farukhü-zät?, who became the
leader of those of the good religion, brought those copies,
which were scattered on all sides, ond new resources back
from dispersion into union with the archives of his residence;
and through observance and consideration for the Avesta
and Zand of the good religion, he made the sayings of those
of the primitive faith again a similitude of the ilkimination
(Pers. furö(/h) from that splendour. Through the awful
displeasure {or defect) and ruin (or injury) that happened
to Zaratüsht, son of Atür-farnbag, who became the leader
of those of the good religion, even those archives came to
devastation, that manuscript to dilapidation and dispersion,
and the statements also to obsoleten ess, perversion, and
corruption. And after that, I, Atür-pä(f, son of Hemec? and
leader of those of the good religion, have likewise written,
from their fragments (cf. Pers. sivärä, suvärah), a new
means of giving assistance to the Ma^t^a-worshipping religion,
with much prayer, investigation, and trouble.«
From this we learn that the final editor of the latter
part of the Dinkaro', the portion we still possess, was Ätür-
pä<?, son of Heme^, whom we may safely identify with the
Ätür-päf7, son of Ukmed, mentioned in the Bundahish
(eh. XXXIIl, 11) as a contemporary of Zä(^-sparham who
flourished at the latter end of the ninth Century; and it is
quite possible that the copy written in A. D. 1020 (see p. 418)
was made direct from Atür-pärf's original manuscript.
Regarding Atür-farnbag, son of Farukhü-zä6?, the first
Compiler of the Dinkart?, we have further Information. His
work is mentioned in the third book, chapter CXLII of
29*
436 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Peshotan's edition (p. 200); it is also stated at the beginning
of both the fourth and fifth books that they are taken from
bis Statements. In the Shikand-gömänik Vijär (eh. IV, 107;
IX, 3; X, 55) he is mentioned as the Compiler of the Dinkar^,
but the Information there quoted must be from the first two
books which have not yet been discovered. Further, we
learn, from the MarZigän-i gujastak Äbälish, that Ätür-
farnbag, son of Farukhü-zäc?, had a religioiis disputation
with Abälish in the presence of the Khallfah Al-Mämün,
that is, some time during A. D. 813 — 833.
We may, therefore, safely conclude that the Dinkarc?
was first compiled early in the ninth Century, that a large
portion of this first compilation has been lost, and that the
remainder was re-edited and enlarged about the end of the
same Century. With regard to the misfortunes that happened
to Zaratüsht, the son and successor of Ätür-farnbag, it may
be noticed that Mänüshcihar, when writing to bis brother
Zä(?-sparam, mentions (Epistle II, i, 13) a certain Zaratüsht
the club-footed who, by concealing bis deformity, liad iiiduced
many to submit to him for a time; but it is doubtful whether
he is not referring to a contemporary, rather than to a
predecessor. Mänüshcihar also mentions (Ep. II, v, 14;
IX, 11) a certain Ätür-päc? as if he were a rival claimant
for authority; but it would be rash to identify him with
Atür-pä(?, son of Hernes?, as Atüi*-pä(^ was a common name
among the priesthood. We may, however, assume, with
tolerable certainty, that the succession of the supreme priests,
who were leaders of the religion in the ninth Century, was
as follows: — Atür-farnbag, bis son Zaratüsht, Yüdän-Yim,
bis son Mänüshcihar, and Atür-pärf, son of Heme<?.
The Shikand-gümänik Vijär was proba))ly written
about the sarae time as Ätür-pär/'s revision of the Dinkarr?,
as the author ha.s made fre(|uent use of Ätür-farnbag's
compilation, l)nt docs not nientitm Ätür-pär/'s revision. He
West: The extent, language, and age of Pahlavi literature. 437
does, however, mention a certain Atür-päc?, .son of Yävaud^)
(or some nanie that can be so read), a holy man whose
teachings he found in the Dinkarrf of Atür-f arnbag ; but
this name has not been discovered elsewhere.
The introductory portion of the Ardsb-Yiräi' Nämak
(forming the first three chapters of the edition of 1872)
also refers to the Dinkarf?, in eh. I, 16, as follows: —
»Until the time when the saintly and immortal-souUed
Atür-pä^, son of Märaspend, tvas born, by whom. through
the achievement which is in the DinkarrZ, melted metal
was poured on his breast.« It is doubtful wliether this
passage refers to the original Dinkarrf, or to the revised
text; but, however this may be, it shows that this intro-
ductory portion of the Ardä-Viraf Nämak could not have
been written before the latter end of the ninth Century.
Whether the remainder of the text existed previously is
vuicertain. As to Ardk-Yiväi hiiuself we are told (eh. I, 35)
that »there are some who say Ms name tvas Nekhshahpür«,
which Statement appears to identify him with a eommentator
often quoted as Nekhshahpühar, or Neshahpühar, in the
Pahlavi Vendidäf? and Xirangistän. And Mänüshcihar teils
US (Ep. 1, IV, 17) that Neshahpühar was the magopat of
magöpats in the Council of Khüsrö Anöshirvän ; possibly the
assembly sumnioned by Anöshirvän to eonsult about the
heresy of Mazdak,^) and which, aeeording to the Bahman
Yasht (eh. I, 7), included Neshahpür and Dkd-Xü\iarma,^d.
Whether the Riväyat of Hemec?-i Ashavahishtän
can be ascribed to Hemet?, the father of that Atür-pärf who
revised the Dinkarf?, or to a son of his contemporary,
Ashövahisht-i Freh-Srösh (Bund. XXXIII, 11), is quite un-
eertain. But, without taking these mere possibilities into
1) Or, possibly, Khävand.
2) About A. D. 529, see p. 43u.
438 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 5. Mai 1888.
consideration, it has been already shown that nearly half
the Palilavi literature extant must have been compiled during
the ninth Century; much of it, no doubt, frora older materials.
Of the texts which are popularly ascribed by their titles,
introductions, or conclusions, to particuhir individuals, the
Pandnämak-i Vajörg-Mitrö, son of Büklitak, has prob-
ably the best claini to authenticity. It professes to be a
nieraorandum prepared by Vajorg-Mitrö, prirae minister of
king Khüsro Anöshirvän (A. D. 531 — ^579), and placed in
the royal treasury, or Ganj-i Shahikän, Avhich name has
also been often applied to the text itself. We have, however,
no corroboration of this statement from other sources. Still
less can we be sure that the texts ascribed to Atür-pä^?,
son of Märaspend, (Nos, 40, 42, 46) were really composed
by that prime minister of king Shahpühar II (A. D. 309 — 379).
The Pandnämak-i Zaratüsht^) is merely a traditional
name for an anonymous text beginning with the following
statement: — »It is prociaimed in a declaration from the
religion of those of the primitive faith, who were those first
in knowledge, that it is necessary for every person, when
he arrives at the age of fifteen years, to understand then
such things as these, etc.« It is possible that the traditional
name means to attribute the text to Zaratüsht, son of Ätür-
päcZ, son of Märaspend, who is mentioned at the beginning
of Atür-pä^'s AndarV. The AndarV-i Khüsro, son of
Kavärf, professes to be only a tradition regarding that
nionarch (Anöshirvän), just as the Ar(7ä-Virttf Nämak prob-
ably erabodies a tradition regarding one of the chief priests
of his Council. The Kärnämak-i Artakhshir-i Päpakän
professes merely to state particulars originally written in
that Kärnämak. The sayings of Ätür-farnbag and
1) Constituting §§ 121 — 159 of Pe.shotan's edifcion of the Ganje-
ehäyagän (Bombay: 1885).
West: The extent, language, and age of Puhlavi liferatnre. 439
Bakht-«frif? are given merely as traclitional ; this Atur-
farnbag was the son of Farukhü-zä(7, already described as
the first Compiler of the Dinkard early in the ninth Century,
not his namesake the councillor of Khüsro Anoshirvän
luentioned in the Bahman Yasht (eh. I, 7); but Bakht-afri^
appears to have been the councillor of that name therein
luentioued. Finally, the texts vvhich bear the names of
ancient personages, such as Jamäsp, Yösht-i Fryänö, and
Zarir, niake no claim to be anything but legendary.
In the nauies of the commentators, some forty or fifty
in number, whose opinions are quoted in the Pahlavi trans-
lations and texts, we should have an additional means of
determining the age of certain parts of the text, if we were
able to ascertain the times in which several of these com-
mentators wrote. Unfortunately this information can be
obtained, as yet, in only a few cases. We have already
seen that the commentators Neshahpühar (or Nekhshah-
pühar) and Bakht-africZ (or Vakht-afric?) were councillors
of Khüsrö Anoshirvän (A. D. 531 — 579); and Dkd-
Aüharma^^rf, another of his councillors, raay also have
been the commentator of that name. Marf/-bürf is said
(in the Social Code, fol. 91 a 16) to have been the raagöpat
of raagopats iu the time of king Pirü^ (A. D. 457 — 483),
and may perhaps be identified with the commentator of the
same name. Regarding Röshan we are told, in the Shikand-
giimänik Vijär (eh. X, 53, 54), that he was a son of Atür-
farnbag and wrote a work called Roshan; but, as he is
mentioned before Atür-farnbag , son of Farukhü-zä(7, the
first Compiler of the Dinkarf?, he was probably the son of
some previous Atur-farnbag, such as he who was summoned
to the Council of Khüsro Anoshirvän, as mentioned in the
Bahman Yasht (eh. I, 7). As to the other commentators,
nothing has yet been discovered to connect them with any
deiiuite dates.
440 Sitzung der pliilos.-philol. Classe vom 5. Mai 18S8.
The relative age of a few other coramentators and
writers can, however, be determined from various statements
in the texts, Three commentators whose opinions are very
freqiiently quoted in the Pahlavi Vendidäc^ are ^farg,
Soshäns, and Medök-mah, each of whom wrote a cäshtak,
or »teaching«, of the law, as stated in Mänüshcihar's Epistle
I, V, 1, 6; IX, 1, 4, and in Shäyast-lä-shäyast, I, 3; the
passages from the third and fifth fargards of the Vendidäd
of Me(Z6k-mäh, quoted in Sls. II, 1, 12, are also, no doubt
taken from his cäshtak on those fargards. Now, with re-
ference to these three commentators, Mänüshcihar appears
to assert (Ep. I, vi, 1) that a statement of ^farg is quoted
in the cäshtak of Soshäns, thereby showing that vlfarg was
an older commentator than Soshäns. Mänüshcihar also
asserts (Ep. 1, vi, 9; II, ii, 6, 8) that Aiarg was prior to
Medok-mäh. Again, the fifth book of the üinka^'C? informs
US (in a passage quoted in Haug's translation of the Avdk-
Viraf Nämak, p. 144) that Ätür-päc^, son of Märaspend,
lived in the reign of king Shahpühar, son of Anha.rmfizd,
(A. D. 309 — 379) of whom he is said to have been prime
minister. We also learn from his Andar',sr (No. 40) that
his son's name was Zaratüsht. And the third book of the
Dinka.rd (eh. CXXXVII, 2 of Peshotan) mentions a high-
priest named Atür-päc^, son of Zaratüsht, who lived in the
reign of king Ya^dakard^ son of Shahpühar, (A. D. 399 — 420).
It is pretty evident, from these statements, that Märaspend,
Ainr-pkd, Zaratüsht, and Atnr-pad form a pedigree
in lineal deseent, as Peshotan has assumed in his translation.
So far as our present information extends it seems
unlikely that any of the commentators, quoted in the Pahlavi
translations of the Avesta, could have written later than
the sixth Century; and we are quite justified in assuming
that the latest complete revision of those translations took
place in that Century. Kegarding the Pahlavi Version of
West: The extent, language, and age of Pahlavi literature. 441
the Yasna that existed at the end of the ninth Century, we
have the positive evidence of a passage (Pahl. Yas. XXX, 4),
quoted in the Selectioiis of Zärf-sparam (eh. V, 4), which
is practically identical with the text still in use.
Considering the bitter complaints of Parsi tradition
iibout the devastation of ancient literature by the Arabs
shortly after their conquest of Persia, it is surprising to find
how much of this literature must have been still extant in
the ninth Century. The eighth and ninth books of the
Dinkarrf, which, as we have seen, must have been chiefly
the work of Ätür-päcZ, son of Hemec?, at the end of the
ninth Century, contain a detailed statement of the Contents
of the Nasks, such as could have been drawn up only by
some one who had access to nearly all the Nasks themselves.
The writer acknowledges that he has not discovered one
Nask at all, and has not found the Pahlavi Version of another,
but of the reiuaining nineteen he gives an account in more
or less detail. He began his statement with the Intention
of giving a short summary of the contents of all the Nasks
in the eighth book, and a detailed account of the content»
of each of their fargards in the ninth. The short summary
is given for the first fourteen and last two Nasks (excepting
the two that could not be found); but the contents of the
four Nasks Nos. 15 — 18 are given in far greater detail,
while those of the Vendidärf are described with an inter-
mediate degree of dififuseness. In the ninth book he has
given a detailed account of the contents of each fargard of
the first three Nasks, and has then discontinued the statement.
From the account given in the eighth book of the
Dinkarrf it is perhaps possible to form some conception of
the total extent of the twenty-one Nasks, or sacred books
of the Zoroastrians, in Sasanian times. The Nasks that are
still extant may be assumed as three in uumber: the Ven-
didäd; the Siöd Yasht {Stuota yesnya), or Yasht (Yasna),
442 Sitzung der philos.-pMlol. Classe vom 5. Mai 1888.
which appears to have consisted of tlie Yasna and Vispararf;
and a third Nask which may be considered equivalent to
the extant fragments we have in the Nirangistän, Vishtäsp
Yasht, Häd'ökht, and Aogemadaecä. And the total extent
of these three extant Nasks may be estimated at about
51,000 words^) of Avesta text and 126,000 words of Pahlavi
Version. The writer in the Diukard uses about 17,000 words
to describe sixteen of the Nasks that are uo longer extant;
we may therefore allow another 2000 words for the remaining
two Nasks that are not described, making a total of 19,000
words for deseribing all the eighteen Nasks that are now
no longer extant. As the 48,000 words of the Pahlavi
Vendidäf? are Condensed by the describer into 1270, and as
this description is one of average extent, we may perhaps
assume that 19,000 words of description would represent
something like 718,000 words of Pahlavi Version. And, if
we were to take the 3,200 Avesta and 28,000 Pahlavi words
of the Nirangistän as a fair average specimen of the pro-
portion of the two versions in the lost Nasks generally, we
should come to the conclusion that the eighteen lost Nasks
may have contained about 82,000 words in their Avesta
texts, besides the 718,000 words in their Pahlavi versions.
Addino- these numbers to the Contents of the three Nasks
extant, we should ol)tain a total estimated extent of the
whole of the twenty-one Nasks in Sasanian times, amounting
to 133,000 words of Avesta text and 844,000 words of
Pahlavi version. This estimate is based, of course, on rather
hazardous assumptions, but these happen to be the fairest
and best that are at present available, and the result is by
no means unreasonable.
1) Not including the Ya8ht8 I— XX and minor texts of the
Khurdah Avesta, whose connection with the Nasks has not yet been
ascertained.
West: The e.rtent, latiguage, and ac/e of Pahlavi literature. 443
It nii^ht be arcfued that the accoinit in the Dinkarrf
may have been compiled merely from old records, and not
from the Nasks theniselves; but the fact that the writer in
the Dinkan? attenipts no description of the two Nasks which
had not reached him is rather against this view. We have,
inoreover, references luade to several of the lost Nasks in
Pahlavi works which can havdly be eonsidered older than
the Dinkard. Thus, the Shäyast-lä-shäyast quotes passages
from no less than thirteen of the lost Nasks, the Vijirkard-i
Dinik quotes from three, and Mäuüshcihar and Zäc^-sparam
also quote from three.
In conclusion it may be remarked that, though this
review of the present state of our knowledge regarding
Pahlavi literature is intended to be fairly accurate in all
|)articulars, it is quite possible for valuable Information to
remain unnoticed for years in accessible texts. In fact, no
one can be sure that he knows the content^ of any Pahlavi
text until he has fuUy and literally translated it; and, even
then, he may have misunderstood some portion of its
Statements.
Der Classensecretär Herr v. Prantl legte eine Ab-
handlung des Herrn Unger vor:
,Ueber den Gang des altrömischen Calenders."
Dieselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht.
444
Herr Kuhn legte eine Abhandlung des Herrn Burk-
hard vor:
,Die Nomina der Kä9niiri-Sprache.''
In meiner in die SitzAingsberichte 1887 Band I Heft 3
aufgenommenen Abhandlung habe ich eine Darstellung des
Verbums der Kä9miri-Sprache versucht, in der vorliegenden
sollen die Nomina dieser Sprache (das Substantivum, das Ad-
jectivum, das Pronomen und das Numerale) behandelt werden,
hier wie dort auf Grund der von mir bereits angeführten
Quellen , zu welchen durch die Güte des Herrn Professor
Dr. G. Bühler eine neue hin/Aigekonnnen ist: A Dictionary
of Kashmiri proverbs and sayings by the Rev. J. Hinton
Knowles, Bombay 1885.1)
So ausführlich auch das Verbum in jenem persisch ge-
schriebenen, von mir mit Mp.^) bezeichneten Manuscript be-
handelt ist, so dürftig erscheint dagegen die Behandlung der
Nomina. Was von diesen und ihrer Declination erwähnt
wird , Hesse sich in einigen Zeilen abthuu ; es werden eben
nur einzelne Vokale und Consonanten bezüglich ihrer Be-
1) Die Sprichwörter und Redensarten sind in latein. (enj^lischer)
Schrift gegeben; die Sprache ist, wie sich dies bei Sprichwörtern von
selbst versteht, oft sehr knapp, häufig elliptisch und scheint der Um-
gangssprache nahe zu stehen. Während sie so mindere Ausbeute für
die Grammatik bieten, sind sie in lexikalischer Beziehung äusserst
werthvoll. Die beigegebene englische Uebersetzung ist nicht immer
wörtlich und konnte es auch nicht sein.
2) Sitzgsber. 1887 Bd. 1 Heft 3 S. 305. 306.
Burkhard: Die No^nina der KäQmin-Syrache. 445
dentiing für Declination und Conjugation mit wenigen Bei-
spielen vorgeführt. Diesem Theile jenes Manuscriptes habe
ich so viel wie nichts zu verdanken.
Die übrigen von mir citirten^) Quellen in lateinischer
(englischer) Schrift sind rücksichtlich der Noraina ebenfalls
meist recht dürftig und behandeln diese nur sehr oberfläch-
lich.^) So konnte die Lösung vieler Schwierigkeiten eben
nur durch die Leetüre gelingen. Doch erleichtert auch diese
die Fixirung der Formen immer noch zu wenig, da beispiels-
weise in Np.^) die Vokalzeichen oft gar nicht oder sehr in-
consequent gesetzt sind. So werden ^ a und — i nicht
selten verwechselt, z. B. dJ>Si handi neben tXÄ^ hindi, ebenso
f— ä und %— ü , z. B. «-L« mäj Mutter neben «-^ müj, und
vieles dergleichen.
Auch die in Devanägari geschriebenen mir zu Gebote
stehenden Texte leiden gleichfalls an Inconsequenz in der
Schreibung der Wörter und Formen, z. B. flti«^ und fT^«^,
f^i^ , aber T^, ein Beweis der Schwierigkeit die Aus-
sprache zu fixiren.
Sonach konnte sich die vorstehende Abhandlung leider
nicht in allen Punkten auf eine absolut sichere Basis stützen
und muss desshalb von diesem Standpunkte aus beurtheilt
werden ; jedenfalls aber dürfte sie zu weiteren Studien im
Kaschmir'schen anregen.
1) Sitzgsber. 1887 Bd. I Heft 3 S. 304—306.
2) mit Ausnahme der in den Sitzungsberichten 1887 S. 306, b
erwähnten Handschrift; doch fehlen in derselben die pronomina pos-
sessiva und die Zahlwörter werden nur bis 48 aufgeführt.
3) Sitzgsber. 1887 Hd. T Heft 3 S. 304.
446 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Das Genus der Nomina
ist entweder masculinum oder femininum (bei den Pronomi-
nibus auch neutrura). Bei der Verwandlung der Nomina
masculina in Nomina feminina finden im ganzen dieselben
Con so n an ten Veränderungen statt, welche wir bereits
erwähnt haben ^), nur bleiben *— > t und ^j th unverändert
und t> d geht nicht in -^^ j, sondern in ^ z über^); ferner
treten häufig V o k a 1 v e r ä n d e r u n g e n ein und zwar gehen
über f— ä in I ä (= ö) ; ^ u in ^ a und — i ; 5— ü in I ä,
— i und (5 i; J yu in — i und 13 i; s " finales a in ^5 i,
wie aus den unten folgenden Beispielen ersichtlich ist.
A. Die Substantiva.
I. Das Genus.
Allgemeine Regeln lassen sich über das Genus wohl
kaum geben; es ist nur zum Theil an der Bedeutung, Al)-
stammung oder Endung der Substantiva erkennbar^). Bei
manchen Substantivis sind die Angaben widersprechend; .so
werden
1) Sitzungsberichte 1887 Bd. I Heft 3 S. 371, 1: Od Sg J
io iß \ ^
_- j ; ^-* t .^ th — ;r- c &>• ch ; li/ k ^5 kh — _ c äs>. ch ;
VI- Vi- C-
CJ t &j th - ts ÄA. ts ; ^ wird ^ iii {^ th dort zu verbessern).
2) Doch findet sich von JoL^e XiJ latah-mund oder tVÄX) ^ÜJ latah-
mund „zertreten" (Luc. 21, 24) ^LS\JÜo ääJ latah-raunjih, pl. f.
3) z. B. _,Lo mäj Mutter, cJj-^-ä shuhrat (arab. f.) Ruf;
5lXJv zindagi (pers. f.) Leben; xa-ö nabiyyah (ar.). Prophetin
Aus dem Arabischen und Persischen sind überhaupt eine Menge No-
mina entlehnt (Lehnwörter).
Burlhard: Die Nomina der Kä^miri-Sprache . 447
sind vJ^Ä. ci/ >^ache und tX^ gud Anfang bei El.^) Feminina,
in Np. Mascnlina: ^>Lrgäd Fisch ist bei El. Mascnlinnni. in
Np. und an andern Orten Femininum.
Aus substantivis masculinis werden substantiva feminina
in folgender Weise gebildet:
1) durch die oben erwähnten Vokal- und Consonanten-
veränderungen:
a) Vokalveränderungen :
_?_ u in — i
^ kukur^) Hahn ^ kukir
JiyS' kütur Taube y^y^ kütir
y— ü in t ä
• J&^j patsalüv Luchs ^^ääj patsaläv
<^yf günt Bergpferd v:yj'0 gänt
N^J dyür ein Reicher >Ljt> dyär eine Reiche
»— a in (^
ÄJjJ" tüta Papagei ^y-i tüti
b) Consonantenveränderungen :
c^ t in ^ ts i> d in S z
<Dy^^ püt Küchlein ». ^ püts O^b nävid Barbier ^jU näviz
1) Sitzungsberichte 1887 Bd. I Heft 3 S. 305.
2) Lue. 13, 34: j3^ kukar.
448 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
J 1 in «, .i (j n in ^ fii
JLi shäl Schakal «-^ shäj ,jyß hün II und ^yo hüni
* r in * rii)
S gur Pferd y guri
.yiiiO^ö düdagür Milchverkäufer xysOjt) düdagüri
c) Vokal- und Consonantenveränderungeu zugleich :
'— ä in 1 ä
^ n in ^ ni
,jlr gän Kuppler ^u gäni
?_ n in -r:- a
(J'g in O d in ^ z
üCäJ hing Krüppel ^xJ laiij tXi*« snnd j-i.A*. sanz (s. Genetiv)
_L u in — i
(CD t in ^ ta (3 d in \ z
v:>juß häjmt Bär ;^^ liapiis tXÄ^ hund yÄi» hinz (s. Genetiv)
(J k in _ c
viUj batuk Enterich f>*-^
J 1 in ^ .i
JjU». t-sävul Ziegenbock ;r5 « ^'^^^y
J^ )»ahul Ilirte /i^^-S:^ pahij
Jj'l^ vätul Lehrer ;^ S ^ätij
1) i ist vor r auszusprechen.
Burkhard: Die Nomina der Kägmiri-Sprache. 449
^-^ ü in I ä
^ n in ^j ni
\^y k\in Blinder ^o kfini
J , in ^
J^y^ tsriil Gefangen Wärter r'^f^ isrAJi
2. durch die Silbe ^— ani oder ,j^ ini, z. B. |»L« niam
Bruder der Mutter ^j-^^ niämani , >^ sür Eber i^)y^
sürini, v^ Zar Esel vjv=*- X'^i'iSi, o«.«*^^ hast Elephant ^jJL***Jß
hastini, ^^§^^5 vünth Kamel ^^^^-^^^ viinthini. ^o gäv Stier
(jjO gävini (neben ^O giiv), ^o käv Krähe ,j«L5 kavini, ,jl.
van Krämer ^j^') vänini, >j^^ vüvur Weber (j^^j^j vüvarini,
^' ' '■^' ~ I ' ' ' I
&AJ bata Hindu ,^aj l^atani, yjljß hänz Schiffer (jV^ hanz-
ani, VJt anz Gans ^yjf anzani. ^•-^j'^ pänyür Wasserträger
- '1
jj|x^^U pänyürani u. andere;
3. bei Thieren oft nur durch den Zusatz von 5c>Lo
niädah, z.B. soLx) ^i* ya,r mädah Eselin;
> — --
4. in mehr oder weniger anomaler Weise : 5^^^ ma-
-. - >
hanyiiv Manu äjüv zanänah Frau , (^^ büi Bruder ä-o
binih Schwester, s\K räza König ,^K räni Königin, ^LocX^e
madanyär Geliebter , Freund (j*<^ vis , iu« suh Tiger \^j-*^'^
simini, Owu* saruf Schlange »^t^ sarpini, ij'^ javän oder
1888. Philos.-philol. u. bist. Ol. 3. 3U
450 Sitzung der philos.-philol. Clnsse vom 5. Mai 1888.
j-g-gii anhuhar Jüngling ij^)-^' anliirish , »S'v^ mahräza
Bräutigam (j)-§-* muharini, y5 gur Pferd Jj gud (neben
v5^ guir) , tXjlo dand Ochs ^LT gäv, vAJb' käntur Sperling
vÄ. tsar ; cX^ kat, J^U?- tsävul oder iX^J^ hnnd Widder vxj
ter oder ^^ gub, ^^^ ghulam Diener VÄä tsnnz oder V^^
kaniz (El. masc. !).
Die Frau eines Mannes wird gewöhnlich durch ^50
bat oder die Silbe ^jo yani, oft aber auch nur nach 2) ge-
bildet, z. B. jj*-^ chan Tischler (^LxjL^ chäna-bäi Tisch-
lersfrau , ^tXjo kandar Bäcker (^LjNtXJo kändar-bäi, y^^
khär Hufschmied ^^Li^X^i khära-bäi, u'v5 krfd Töpfer
(^LjäJLj kräla-bäi, vax» manar Juwelier (^Lj*.äxi manar-bäi,
^LsLit^L pädshäh-bai (äXJLo mälikah) die Gemahlin des
Königs, die Königin ; auch finde ich jLl^f äshnäü der Ver-
wandte (^b^Li-iil äshnäü-bäi die Verwandte (Luc. 1, 36).
Die Form auf ^J "- ani hat öfters doppelte Bedeutung, z. B.
j^scVJo kändaryani die Bäckersfrau, aber (j>tXJD kändarani
Bäckeriu und Bäckersfrau. Ferner <i/.*u^S grüst Bauer
^UciAwwJjS grist-bäi Bäuerin, O^ü nävid Bar))ier i^bo^ü
nävid-bAi Frau des Barbiers, »vj väza Koch i^Usv'j väza-
bäi K()chin u. Frau des Kochs.
Burkhard: Die Nomina der Kärmiri-Sprachc. 4:51
II. Die Declination.
Die Grundlage für die Declination bildet der sogenannte
Formativus; er ist diejenige Form des Noniens, an die sich
die Casusendungen (;j-s,jn5YÜ »h) anschließen und
treht entweder auf -^ a oder auf — i oder im Sg. auf — i
und im PI. auf .-•- a aus. So ist beispielsweise ^5y naukara
der Formativus von v^J naukar der Diener (dat. sg. \y"fy^
naukara-s) , J^ kuli der Formativus von Jj kul der Baum
(dat. sg. {j**^ kuli-s). ^^ küri der Formativus von ^yi kür
das Mädchen (dat. sg. »j;^ küri-h), -^ kathi (sg.) und 4^5
katha (pl.) sind die Formative von .^ kath das Wort (dat.
sg. Ä-^^ kathi-h , dat. pl. ^j-^^ katha-n). Demzufolge
ließen sich 3 Hauptdeclinationen und zwar eine A- , eine
I- und eine A- und I- oder gemischte Declination unter-
scheiden. Insofern indess die Declination der nach der
I-Declination gehenden Feminina theilweise eine andere ist,
als die der nach derselben Declination gehenden Masculina,
so mag die herkömmliche Eintheilung in 4 Declinationen
beibehalten werden. Der ersten oder zweiten gehören die
Masculina, der dritten oder vierten die Feminina an.
Numerus.
Es giebt im Kaschmir'schen nur 2 numeri, den Singu-
laris und den Pluralis ; der Dualis fehlt wie in allen indischen
vom Sanskrit stammenden Dialekten.
Casus.
Diese sind 8 an der Zahl und zwar Nominativus , Ac-
eusativus , Vocativus, Genetivus, Dativus, Locativus, Instru-
mentalis und Ablativus ; die ersten 3 mögen casus recti; die
übrigen casus obliqui im folgenden genannt werden.
3u*
452 Sitzntiff der 2)hilos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Nominativ : in diesem Casus werden die Nomina auf-
geführt.
Accusativ : dieser ist in allen 4 Declinationeu dem No-
minativ gleich.
Vocativ : im Sing, tritt in I , TU und IV eine Ver-
längerung der formativen ^ a und ^ i ein , in II tritt
*-^ ä an das in (^ y verwandelte -^ i des Formativs, z.B.
vjj.j naukar , form, yiyj naukara , voc. ' r^^ naukar-a ; \yj
kür, form. ^^ küri , voe. (^^^^ kiiri ; Oo gad , form. o[S
gädi , voc. ^5'^'-^ giuji ; J>5 kul , form. J.5 knli, voc. ^y^
kuly-ä^).
Im Plural tritt mit Unterdrückung des formativen .^ a
und Verwandlung des formativen ->- i in (^ y die Endung
^— ü an, /. 13. ^Y^^J naukar-ü, y-f^J^ kuly-ü, y--t)y küry-ü,
•oOO gädy-ü.
Dem Vocativ geht gewöhnlich die Interjection (^1 ay
o! voraus^).
Dativ: die Endung ist in I und II (j*« s, in III und IV
5 li. Dieser Casus steht oft als directes Object statt des
1) In Np. findet sich stets 8-^- ah statt \ -r- a, sowie -— i und
- ■' ^ ' '
5-- ih statt (^ i, z.B. SySjJ naukarah. » ^.5 kuri, au.5 kulih (eben-
80 bei den Adjectivis, z. B. äX^j XxXj ,^1 ay lukatihkhilih okieine
Heerde (Luc. 12, 32)!
2) Statt des Vocativs steht in Np. (meist bei Lehnwörtern) der
Nominativ, z.B. Jö.ltXik ^^1 ay ;;^udrivand, oUü*if ^s,\ ay ustad
o Herr' : cuj«! (^1 ay avrat o Weib ! ; (jo.,S\.Cw ^\ ay slia;i;8 o Mensch!
Burlchiird: Die Noniiiid der Kiirmtri-Sprache. 453
Accusativs — er wird auch Objectivus genannt — und regel-
mäßig statt des Personalsuffixes, z. B. [W ^^^yXi &j bu
balrävii-k tiuiM (ich werde sie heilen) oder ^yr^ i:J^ *r>
bu timan balräva i^j^ timan dat. des Pron. o. p. pl.);
beides verbunden : J^^ «^ ^ ^ s3 O "r <-^ "^4^ \J'^
^\^ viJL^_g-=»> >L,«X«L*« ÄJv«-w (^f nahiyan chuk qatl karän
ta tim yini tsi nish ay süzana sanksar chuhaJc karan du
tödtest die Propheten, und diejenigen, welche zu dir gesandt
wurden, peinigst du (Luc. 13, 34); sehr instructiv Luc. L5, 8:
^I.J Lx^is. ^S ÄJ" (j^K ij''^'^^ ^-^^ ^j'-^) ***^ kusa
zanänah ^s«»^ chinän zäläu ta garas chinä dtivän welches
Weib zündet nicbt Licht an und kehrt nicht das Haus
(wo das Suff, sogar noch nach dem Fragewort steht); aber
auch Dativ (statt Accusativ) mit folgendem Verbalsuffix
' ' r ' r" . ' .1
vor einem Relativsatz : ^ 5\ &^-sXj isj> ^-»j ^^^^>:> (J^La^o
' ■' j -- ^ " - "^
^yj^S ;.j o^LiJ>L Ä.gjLJ j^^^' 5v5 myänin dushmanan,
yimav na yutsh zi bu kara timan peth pädshähat, yüri anyuk
meine Feinde, von welchen nicht gewünscht wurde, dass ich
über sie herrsche, bringet (sie) her!
Der Locativ, der nur in Verbindung mit Präpositionen
(im Kaschmir'schen richtiger Postpositionen) vorkommt, ist
dem Dativ gleich , z. B. cb l)ägli Garten dat. sg. (j**-tL>
bäghas, loc. i'y^) ^tXJ' u**^^ bäghas andar (manz) im
Garten ; dat. pl. ^^ bäghan, loc. (v^) ^tXJl ^^ bäghan
andar (manz) in den Gärten.
1) Sitzun^sber. 1887 Bd. I Heft 3 S. 318. 319.
454 Sitzung der philos.-jMlol. CUtssc vom 5. Mai ISSS.
Der Ablativ ist im Plur. dem Dativ gleich , im Hing,
tritt an den Formativus » h an, z. B. 8fc> duh Tag xiCJ
dnha-li ; d^ kul idS' knli-h ; ^^ knr Sj^5 kuri-h n. s. w.
Er erscheint meistens in Verbindung mit Präpositionen,
welche eine Entfernung , Trennung ausdrücken , z. B. ^«iLs
SnJöI l)figluih andara aus dem Garten, xi" äj^^/o «.'i ks^j^Ujo
iLgju iJU-i xj ^^:?- mashriqah tali maghribah tah janübah
tah shamälah p'tha von Osten und Westen und Süden und
Norden ; allein stehend finde ich ihn bei Zeitangaben , so
iJCO ^L»j■ tamih duhah an diesem Tage, (j^t> ^W timan
duhan in diesen Tagen ; ferner in Phrasen, z.B. «Jyj^ eöL-yo
myanili x.Y^^li'i "^^^^^ meiner Meinung.
Der Instrumentalis hat im Sing, in 1 die Endung ^J n,
in 111 und IV 5 h, in 11 ist er dem Formativus gleich; im
^ -- - '
Plur. endigt er auf ^ v; z. 13. (j>^^ naukara-n, ,^^^0 kuli-n,
- ' - ' ^ • '^ ^
»j^ küri-h : »S^ uaukara-v, ^i5^ kuli-v, ^^^ küri-v, ^JO
gadav. Sein Gebrauch ist meist auf den Agens beschränkt
(vergl. Sitzungsber. 1887 Bd. 1 Heft 3 S. 350).
Genetivus: Dieser ist eigentlich der Dativ ^) in Ver-
bindung mit den in der Bedeutung , angehörig"*) gebrauchten
und daher den Dativ regierenden und declinirbaren Aus-
drücken cXa^ sund, <>Ä5> hmid, '>^^ sanz, ^-^ hinz. lieber
1) Desshalb muss jedes Attriljut tles Genetivs, dann ein von
einem Genetiv abhängiger Genetiv, sowie eine zum Genetiv gehörige
Apposition im Dativ stehen, vergl. unten.
2) wohl Skrt. W^ sant seiend.
Burkhard: Die Nomiva der Kä^miri-Sprache. 'iSo
den Gebrauch dieser Ausdrücke siehe unten. In I und
i » - - -
II fallt die Dativ-Endung vor <Xo*; sund ab, daher tXÄ-w5w5^
naukara-sund (» h ist nur graphisch^)), iXaavJj kuli-sund;
dagegen tXÄiCSx^ kürih-hnnd. tXÄiCsjLi gädih-hnnd.
Der Genetiv kann aber auch noch auf folgende Weise
ausgedrückt werden :
1. Das Substantivum wird in ein Adjectivum verwandelt
und zwar durch Anknüpfung der Silbe
a) ^-' un (f. 1^^ ani, pl. ^- ani , f.iö- anih) an
Eigennamen , z. B. (^^Li (««^v* Mirza Shah-un des
M. Sh. ; (^^yj \J-^^.))^ Uriyäh-ani qülai üria's Weib;
iUuc^ 5tXÄi&iu«L)t>^wjjß iu-*if ÄÄA*/^-yLö Filibüs-ani äsh-
aiüh Hinidiyäsih-hindih sa])abah wegen H., des Phil.
Weib; j»Lj j**J>^ {j**^'^)r^ Harüd-anis niaranas täni
bis zum Sterben (Tod) des H. ;
b) ^^ uk (f. ^- ac, pl. d -- aki f. i^^ acih) an Sub-
stantiva überhaupt (auch nom. act ) oder an substanti-
virte Infinitive, z. B. viLjL»-**<f äsmän-uk himmlisch des
Himmels; s'^f f^T ^ ^""^ natsanac tah givanac
äväz (f.) Lärm des Singens und Tanzens; Job ^ SS
x.^>->«j iu«3 kukur-uk bang dina bunth vor dem Krähen
des Hahnes (ehe der H. kräht) ; villiK **« viLw^LijL
1) Statt 5-^ a finde ich hie und da (< i, z. B. ,-Jc> dili statt
jjj dila.
456 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1888.
^y.':^ pädshähat-uk sar zänuii-uk vuqöf die Fähigkeit
die Geheimnisse des Reiches zu wissen ; ^cXjJ icju^ä.
<^j'^ bayat-i abadiyyuk väri5- Erbe des ewigen Lebens
(v. ^tfcXjf arab. , Adj. abadiyy; cf. 2); tX.-yof >sJL5ß
hinac umid die Hoffnung zu nehmen^);
c) y— avu (f. 5^^ (?) ava, pl. ^— avi f. s^— avih) nur in
Mp. erwähnt^).
2. durch das persische -^ i (I Izäfat) , z. B. tXJ))-*
^La«.jI iarzaiid-i insan des Menschen Sohn (cf. 1, b).
Ausser den bisher genannten Casus hat das Kaschmir'-
sche wie das Fersische noch einen sogenannten Einheitscasus
auf » ' ah, meist mit dem vorhergehenden, hie und da aucli
folgenden wf ak „ein", z. 13. »y^ ^' n,k naukar-ah ein
Diener, idi" *Jl ak kiil-ah ein Baum, 5p^ (Jf ak kür-ah
ein Mädchen.
Audi nach *^> kinli irgend ein, ^^^yJ prat jeder und
j*«^ yus welcher finde ich dieses » " ah, z. B. &sßt> ^^y^.
1) l'x'i mehr als einem Adjectiv. auf cJ ' iil< (wenn sie durcli
lö tali jund" verhundcn sind) stellt, «gewöhnlich nur hei dem letzten
die Silhe li) ' uk , /,. I!. Jö.ftXi^ dLLyoV XJ' ^oU-*«'' i'isnian tah
7.aminuk ;^udrivand Herr des lliiiinicls und der Erde, (vergl. 1, h
^^^VJ natsanac u. s. w. ; ob auch im Femininum V)
2) Ein Beispiel steht mir nicht zu Gebote. — Bezüglich der
unter a b c aufgeführten Fälle vcrgl. auch Decl. der Adjeotiva.
Burlhnnl : Die Nom'iut der Kur))ihi-S}»(ichc. 4;)/
prat duh-ah jeden Tag (täglich); iy^ »^^ kiiili ciz-ali
irgend eine Sache (etwas) ; iuasx^ ij*o yns sha/s-ah wer —
(der) ; ebenso bei Zahlwörtern mit ^1 ak, z. B. s^J' ^:>^ c)f
ak hat ter-ah ein hundert Schafe.
Arabische Wörter, welche bereits im arabischen Plural
stehen, können noch einen Kaschmir'schen Plural bilden, /. B.
(«AJ nabi Prophet gen. pl. <X»iC^j.AAJ nabiyan-hund , aber
auch JoLiC ,^^^.^_^jf anbiyah-an hund vom arab. Plural ^vyl
anbiyä. (vergl. Luc. 16, 29 mit IG, 31.)
Ebenso können aus arabischen Adjectiven neue kasch-
mir'sche durch die oben erwähnte Silbe ^— uk gebildet
werden (vergl. oben ^Jt^t cuLa^ b^'^jät-i abadiyy-uk).
Paradigmata.
I. Declination (Masculina).
>
^^ tsür Formati V >^ tsüra
Singular
Nora. »«Ä. tsür der Dieb *;^ *^' i^k tsürah ein Dieb
>
Acc. »^ tsür
Voc. ''5"??" tsürä oder *;^ tsürah
Dat. L^JJif tsüras
Loc. yÄx (J*'^^ tsüras manz
Abi. iui.j *;;-=?" tsürah nishi
Instr. (J;^ tsüran
Gen.i) siehe S. 454— 4.50; 401—463.
1) Der Genetiv wird im folgenden besonders behandelt.
458 Sitzung der philos.-philol. i'lnsae vom :'>. Mai 1888.
Nom. actionis
Plu
•al
Singular
Noui.
;^
tsür
>
flina das Geben v
t> flyun <]feben
Acc.
;^
tsiir
ÄJi^ dina
Voc.
tsürü
Dat.
tsüran
(j*AJc> dinas
Loc. wÄx ^J^^ tsüran manz jÄ^ ij*^^ dinas nianz
Abi. &xi.j (^;^r^ tsüran nishi —
Instr. 55^ tsürav —
Gen.i) siehe S. 454— 45G; 461—4(33. —
IT. Declination (Maseulina).
J>5 kul Forniativ J^5 kuli
Singular
Nom. J.5^ kill der Baum x-^5 kulah ein Baum
Acc. Ji^ kul
Voc. LjV^ knlyä oder äJ.5^ kulih
Dat. u^^ kulis
>
Loc. yÄ>c ^J«-X5 kulis manz
Abi. iuiö xlS^ kulih nishi
In.str. Ji^ kuli
1) Der Genetiv wird im folgenden besonders behandelt.
Burkhard: Die Numiiia der Kärmiri-Sprache. 4o9
riunil
Nom. J^ kuli
Acc. Ji5^ kuli
Voc. JSf kulyü
Dat. r;"^ knlin
Loc. yÄx ^Ji^ kuliii nianz
Abi. Ä-iö c^^ ^"^"^ "^^^^^
Instr. ^15^ kuliv
TU. Declination (Feminina).
sS kür Formativ ^^5 küri
Singular
Noui. >^ kür die Tochter 5;^^ kürah eine Tochter
Acc. v«^' kür
Voc. v5;^ ^''^^^"'^ ^^®^" >?>^ ^'^^^
Dat. i^yS^ kürih
Loc. yÄx s>^ kürih raanz
Abi. ^uiJ 5>^ kürih nishi
>
Instr. 5^.5^ kürih
460 Sitzung der philos.-philol. Classe com 5. Mai 18S8.
Plural
Nom. b^yi kürih
Acc. *)r^ kürih
Voc. y^)y^ küryü
5
Dat. \J)y^ kürin')
Loc. -kA ^^y kürin \) nianz
Abi. auiö K:))y kürin') nishi
Instr, 5)?-^ küriv^)
IV". Declination (Feminina),
oir^ad Formutiv oLT gädi (sg.) oLj gada (pl.)
Singular
Nom. ob" g;ul der Fiscli sjlT gädali ein Fisch
Acc. c>0 gäd
Voc. ^oLT gädi oder <^t^ gädi
Dat. 5c>L5^ gädih
Loc. jXx 5c>lj ga(lih manz
Abi. iuiö äOli gjulih nishi
Instr. soli^ jjädih
1) Wegen der häufigen Verwechslung von -- i und -' a finden
sich in Np. Formen mit -> i und ^ a neben einander, z. B. ^-^'
achiv und 5-g■s^' achav von ^^^Ä■I ach f. Auge (cf. 1. I>ecl.)
Bnrhlidrd:
Die Nom
)ia der Käriiiiri-Sprachc
Plural
Noiii.
'JSif
gädah
Acc.
»^li-
gädah
Voc.
Äir
gä(lü
Dat.
gädau
Loc.
■jXjo ^^oif gädan nuiiiz
Abi.
iuiö
ijOO oädaii nishi
Instr.
gädav
■4()1
Die Genetive der 4 Declinationen:
I. Declination.
Singrular
b) jÄ-w
c) cXÄa*/
d)
S'^AAU
a) tXÄiC
b)
vÄ5e
Cl
lXäÜ>
d)
5'j.ÄiC
5,v> tsura-
^;^
sund
sanz
Saudi
sanzah j
Plural
<J>)^'
tsüran-
hund
liiiiz
hindi
hinzah
des Diebes
der Diebe
4(52 Sitzung der philos.- philo!. Classc com 3. Mai IStlS.
II. Declination.
Singular
sund
a) tX*-*«
b) vÄA«
c) tXÄAU
d) syÄA*/
a) lXä5>
b) y^
c) tXÄfl>
d) 5^
J^ kuli-
J ;j^-o kulin
sanz
sandi
sanzah
Plural
hiiiid
hinz
hindi
hinzah
a) <>.Ä55
b) v^
c) tXxiC
(]) »U:»
aj tU5>
III. Declination.
Singular
liund
5>^> kürih- )
Plural
b)
c)
lVa5>
a;
,^
cJ;;-^ K-urin-
hiii/
hiiidi
liiuzah
1
band
bin/
bindi
hinzah
des Baumes
der Bäume
der Tochter
der
Töchter
Biirlluird : Die Nomina der K(i{'t)nri-Sprache.
W. Declination.
Sinffular
4Ö3
a) iXxs^
c) iX<s^
d) sy^
a) (Xisu
b) y^
c) iXJ^
d) sCä^
liuiul
hinz
liiudi
hinzah
Plural
I J'^^
Siulan-
des Fisches
hund
hinz
hindi
hinzah
der Fische
Bemerkung: a) wenn das nomen regens ein masc. sg.,
b) wenn es ein fem. sg., c) wenn es ein masc.
pl. , d) wenn es ein fem. pl. ist, wie die
folgenden Beispiele zeigen.
464 Sitzung der phUos.-pMol. Clai^sc vom 5. Mai 1888.
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•^ Q
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Biirl-hard: Die Nomina der Kd^miri-Sprache.
4G5
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•^
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3^
3
188S. Pliilos-pliilol. u. hist. Cl. 3.
31
^ IS
460 Sltzunfi der philos.-phüol. (Hasse vom 5. Mai 1888.
Declination der den Genetiv ausdrückenden Wörter
J-Uw sund u. s. w.
nach der IL Declination
a b
Nom. Acc. JOLw sund iX-*Jß liund
a Iß
*■ _
Ol
a
o
'S ^
Voc. sJCUü sandih »tX^iß hindih^)
Dat. Gen. Loc. (jwlXäaü sandis u^c^-W^ hindis
Abi. iiXXjM sandih 5t\Äiß hindih
Instr. (XLm sandi tXÄi^ hindi
nach der IV. Declination
c d
Nom. Acc. yjuM sanz yAiO hinz
Voc. yJLu» sanzi 'y*-^ hinzi
Dat. Gen. Loc, SjJ-w sanzih svÄiO hinzih
Abi. »yJL«; sanzih syAiC hinzih
Instr. ö-JLw sanzih 8^x50 hinzih
nach der IL Declination
a b
(\Xjm sandi tX-».^ hindi
•JtXxAw sandyü yrl^^^ hindyil
Dat. Gen. Loc. ^JuLw sandin (ji^-*^ hindin
^cXAa*; sandin ^^^^ hindin
^JuLw sandiv ^':y^ liiiidiv
1) oder sJoUD liimdib ii.h. \v.
fl
Nom. Acc.
«
2
§ .
Voc.
•^ fc<
« s
-gi^ ,
Dat. Gen.
*> ^
bc 2
^
Abi.
ce
cä
T3
Instr.
•
Bnrkhai-il: Die Nomina der K(h;iniri-Spraclie. -407
nach der IV. Declination
c d
Noui.
.Acc
syJLu«
sauzah
syiic
liinzah
c
Voc.
> -^
5)-^
sanzii
jW
hinzu
Dut.
Abi.
Gen.
Loc.
sanzan
sanzaii
hinzan
hinzan
"■S
Instr
;>^
sanzav
5>?
hinzav
Bemerkung: Vor solchen Präpositionen, welche eigentlich
Substantiva sind , wie ^H->^ sababah aus dem Grunde
= wegen, »Jiiyo niriritatah durch Vermittlung = durch,
SsisLi» yalrah. aus Absicht = wegen, ferner vor »Ji^
Xutah = „als" beim Comparativ, endlich vor den Ad-
jeetiven auf ^— uk, welche den Genetiv vertreten, steht
jedesmal die Form auf »--- ih, also StXi-«/ sandih, stXAÄ>
hindih, sU^ sanzih, «VÄ^ hinzih. In Np. steht oft in
der ersten Silbe _i a st. — i und umgekehrt; auch
j ' ^ .
finde ich dort ^JuJß hindü st. ^cXa^ hindyü im \ocativ;
so dürfte auch yi'.'T*^ sanzyü und y^.'y^ hinzyü ricli-
tis sein.
31 =
468 SitziDHj der pliilos.-philol. Classe vom 5. Mai 18S8.
Attribute eines Genetivs , von Genetiven abhängige
Genetive; Apposition.
1. Die Attribute eines Genetivs (Adjectiv.i) stehen im
Dativ^), z. B. yJy^ cXAAwSLVJ^'tXis.- (j*lVj badis xndrivanda-sund
naukur der Diener des grossen Herrn.
2. Ein von einem Genetiv abhängiger Genetiv steht im
Dativ^). Beispiele:
o*.A^ ScJcX^J SiXÄA*.sJjw.w (j/^tXÄ5D(^^L> divan-liindis sar-
dära-sandih madadah set mit Hülfe des Obersten der l^ämonen.
^M^j J.Aiß|^Jl^JsLo ^^^XXS^^J.J^ nabiyan-hindin maran-
välin-hindi nicivi die Kinder der Mörder der 1^-opheten.
.Lj iXX^^^i |^(\Ä^^ÄA*/.j jjwj prat basti- (s. S. 471)
hiiidiii lukan-hindi näv die Namen der Leute jeglichen Dorfes
((j*j prat indecL).
(jÜjüL*« yAAv&)lcV~>. fjuiXXMu&XJ yMu\ Isräila-sandis ;fuih"iya-
sanz sitayish Lobpreisung des Gottes Israels.
-Xjo yXsü^y^XJ ^(XXAj^^iXj\ Zabadi- (s. 8.471) sandin
nic-ivin-hinz mäj die Mutter der Kinder des Zebedäus.
jXs ■yXS^^^^yx=>■ i^^j^^i) ^wÄiCj^^Lw.jf insänan - hin/.an
(kathan) eizan-hin/, Hkr iSorge (der) für die Angelegenheiten
der Menschen.
iUA-ww »cXä^c iLstx» syÄiß^icLsy ^tXÄ^i^vCJ hilcaii - hiudin
gunähan-hinzih maafi- (s. .S. 47 1) hindih sababah wegen der
Vergebung der Sihiden der Leute.
1) vergl. S. 454.
Burhiianl: JJii; Noiiiiiia der Käriniri-Spiddic. 4G9
8. Auch (He Apposition steht im D;itiv^), doch auch im
Nominativ, z. B. o/^LiOÜ yÄAA/Sjyj (jjJLo ^jj^^Lvu .sänis
malis Daiida-sanz pädshahat das Reich Davids, meines Vaters,
(j**^'-»-^^J j*.^-ÄJ ^j^^Xi^Ä^LjvJ t> Zakariyyähah-sandis nicvis
Yühannahas dem Joh., dem Sohne des Zach.
Äis^ 5(XU«5öL«of ,^ißOsfj*,^ sardärikahin Abyatara-
sandih vaqtah zur Zeit Abyätaras, des Hohenpriesters.
»NtX-J' 5vJ »tX-cu/Sk^^lO StXÄJ (j«*ÄAj pananis banda Däuda-
sandih <^ara andara aus dem Hause Davids , seines Dieners
(statt (j^tX-o bandas).
Xudaya-sandis farzand Yasü' Masiba-sanziii iujila-hund gud
Anfang des Evangeliums von -Jesus Messias, dem Sohne Gottes
(statt j*-<Xi\»i farzandas).
pananis bäyis Filibusanih (cf. S. 455) äshanih Hirüdiyäsih-
liindih sababah wegen der Herodias , des Weibes seines
Bruders Philippus.
Anomalien in der Declination der Substantiva.
I. Declination (Masculina).
1. V o c a 1 - A u s f a 11 in zweisilbigen Wörtern auf v - ar
und ^J ' an , z. B. >-^ shahar Stadt, (j^^-g-'i shahras, v^
pahar Nachtwache (Zeit von 3 Stunden) (j^-y-^ pahra^"^).
1) vergl. S. 454.
2) Als Beispiele führe ich Dative an. — Knowles hat üchon im
Nora, shahr und dat. paharas von pahar!
470 Sitzunij der phüos.-phUoJ. Cldsac com 5. Mai 18S8.
2. Vocal- Wechsel in Wörtern, deren letzte Silbe
JL u enthält ; dieses wird -^ a , z. B. vXj kukur Hahn
- -' > }- ^ ^ ^ f
(jw>X5 kukaras , v-y kupur Leinwand ij^y^ kaparas , JoU
vatnl Kehrer ;j**-o(^ vatalas.
3. Wörter auf a) finales I— ä schieben eupho-
nisches 5 h, ^ V oder ,^ j ein, theils mit, theils ohne Ver-
kürzuni,' des f— ä, z. B. Lwl Äsä (N. pr.) (j/*ioL«;f Äsä-h-as,
Lifo diinä der Weise (jj*^ft> däna-h-as, L^Ji> dunyä Welt
(^f*fc.^^t> dunya-h-as, LjsO daryä Fluss ^j*^jy)>L> darya-h-as
neben j*i^L}*t> daryä-v-as, LMjyo [^Mjyo) Müsä (Müsa) Moses
fj^^L^yo Müsä-h-as neben ij-*.^-w^ Müsa-h-as , ftV-i» xudä
Gott (j*oltXis>- jfudä-y-as neben (jw^lcXi»- x^idä-v-as (Luc. 1, 57).
Im Genetiv bleibt »— a in fremden Namen , z. B. '-i^^J
Yuhannä tXÄ^Ll^s»,»} Yuhanna - sund , dagegen ö<^MjX,i\iXÄ
Xudfi-y-a-sund. Doch finde icli auch i\XMJü^[j)S^ Zakariyyä-
yaha-sund des Zacharias, '*XmjX^I^\^\ Uriyä-yaha-sanz ;
b) finales » h: a) nach _=i a fallen unorganische s h
ab , organische bleiben , z. B. ^^-o kala Haupt
(j**-0 kala-s , dagegen ^^ÄJ gunah (sL-o gunah)
pers. Sünde (jj*.g-o gunah-as (ij*»JcLo gunäh-as,
siehe c),
ß) nach I— ä bleil)t 5 h mit oder ohne Verkürzung
von I— ä , z. 13. sLiJÜ pädshali Herrscher
j^*icL^c>Lj pädshah-as und j^^g-ciJÜ pädshah-Jis;
Burkhard: Die Nomina der Kä^miri-Sprachc. 471
c) finales ^ i: dieses wird {^'^ iy , z. ß. ^^xä nabi
Prophet tj**^AJ nabiy-as; so in Eij^ennamen, z. B. (^0^„^
Yahüdi Jude jj**j<3^^ Yahüdiy-as. Im Genetiv finde ich
1^ i auch unverändert , meist in fremden Namen , z. B.
t\JLk«,^<Xjv Zabadi-snnd , (Xi-u/^^-w^j^J Farisi-sund ; ebenso
stummes ^c i, z. B. tX-i-u^^^-wy Müsa(y)-sund.
4. Unterdrückung der Casusendung finde ich
in persischen Wörtern auf s— a und zwar im Ablat., z. B.
Ss(>if sjfyi:» xazana andara aus dem Schatze (Matth. 12, 35;
13, 52).
IL Declination (Masculina).
1. Finales a) ^— ü wird ^ v, z. B. ^-^J nicü Kind
(j*^-^j nic(i)vis (Voc. s^-^>J i^^ ay nicvih) ;
b) (^ i wird ^ y, z. B. i^^ büi Bruder
^j^ob bäy-is (s. 3, c.) , pl. ^50 bäy-i.
Im Genetiv bleibt <5 i, z. B. 4X»-u»(^Lj
bäi-sund , tXÄiOi^Lj bäi-hund (s. 3, c),
' ^ I
auch SwLw^ü bäi-sanzih (Math. 7, 3).
2, Vocalwechsel tritt in den casibus obliquis des
Sing, und im Nominativ des Plural ein , es wird nämlich
mediales a) ' u zu a) ^. a , z. B. cn^ puhul Hirte
t/*-*HgJ pahalis , J-^ phul Korn u*»-*^ phalis,
V.AAJ yiput Joch i^-yo yipatis, «J luh Fuchs
j**^ lahis, (jjHp^ vatharun Teppich, Lager, Bett
472 Sitzung der philoR.-pliiM. Clnsse vom ä. Mai 1888.
^ — > -
Q**jw^'^ vatharanis, *^J pntsh Gast jj/^-^^j
patshis
/?) -^ i , z. B. J^l-^ tshrwnl Ziegenbock y^J^Lg^
tshävilis ;
b) ^— n zu f a (resp. ö), z. B. ,^^j büi \j^^^ bäyis,
Jyo niül Vater (jjJLo nialis, J;^^ dinavül (nom. ag. v.
^t> dyun) Geber {j^}y'i^ dinavälis , ^y^ küj Mittagsmahl
^^Ä.^^ krijis^);
c) J yu zu — i oder (^ i, z. B. ^^A^ raahnyuv Mensch,
^ - i
Mann (j^^^-g^ mahnivis oder ^yjfJ^^ mahnivis, y^r^. pliyur
Tropfen (j^r-g-J phiris, J4^ kliyul Herde ^y*^*^ khilis,
Jouye myund Aussatz ;j^tXÄx> mindis;
d) yi yü zu ^ i, z. B. ^yJ^ nyür Wiese LrjAJ "ins,
v^j^y kyur Brunnen (j^^v^^^ kiris , neben ^^j^^ kryür \y^y^.y^
kriris (L. 14, 5).
III. Doclination (F'eminina).
1. Unterdrückung der Casusendungen in den
casibus obliquis und im Nominativ des Plural l)ei einigen
1) So alle auf J.l vul, z. H. j^JI^XiwvCöf SJ dah ashrafih-valis
einem Besitzer von 10 Goldstücken , ^JJJI^w>^c^j■ qudrat-valis dem
Machthaber (cf. unten). Np. hat Matth. 1, 1!> ^s mini (instr. v.
^.j rfiii (latte) statt ^L ifini (Ix-/., n'ini).
Burlhard: Die Nomina der Kd^'miri-Spradie. 473
Wörtern: tXj yad Bauch, ^IS* gfiv Kuh, ^^a»! ach Auge^),
z. B. ;t>.j' lXj syÄißsJo gadih-hinzih yad (Loc.) andar in
des Fisches Bauch, jtXjf ^^4^' ^^ canih ach (Loc.) andar
in deinem Auge ; ebenso ^ binih instr. v. ^^j binih
Schwester (Luc. 10, 40).
2. Veränderungen des Finalcon son anten in
den genannten Casus und im ganzen Pkiral und zwar t— > t
^ h ' ' .
in -- c und O d in «- j. z. B. ^-aä. tsut Brod x^sVä. tsucih,
tXJv5ßf aharancP) Schlüsselbein «ÄJwißf aharanjih.
3. Finales a) t-^ ä erhält euphonisches i^ j vor der
Casusendung, z. B. Ixa5 Gangä Ganges ^ijs.'S Gangä-y-ih,
b) (^ i^) wird ^5" iy , z. B. (c^^-? basti Dorf ^^y^*wo
bastiyih. Im Genetiv*) bleibt i5 i unverändert, z. B.
iXxsi>JL'Mj basti-hund ; »^ ^— jL«.;^. tV.Äa5^jLoL«.jLä>. /äna-
1) Np. hat Matth. 13, 16 nom. pl. \^s>} SyÄ.^' tuhanzah achih;
- 7 ' - ' 7 ' "1
Luc. 24, 3 x.^^1 5y>*>.^' 5 Tjuc. 4, 20 &.§-=►' syÄiß _jAa« särinay-
hinzah achih.
2) Wörterverzeichnis in Mp.
3) Np. hat bisweilen - i st. ^^ i, z.B. Luc. 19, 24 OwXil
ashrafi e. Goldmünze.
4) Np. bisweilen auch im Dat. u. Loc, z. B. vtXjf .«^^aO basti
j --
andar in einem Dorfe (Luc. 19, 30); s^s>-yo ^c^r^ "^^^zi müjib
dem Wunsche jjemäss (Luc. 23, 24. 25j.
474 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1888.
sämäni-hund ^jisäb di <^ib Rechnung deines Haushaltes = lege
Rechnung über u. s. w.
IV. Declination (Feminina).
1. Arabische Wörter auf ^^ ■' at, wie cy.£-U=> jamä^at
Versammlung, Menge, cjvtXi' qudrat Macht, verwandeln finales
<!} t im Sing. u. Plur. in _- ts, im Sing, ohne weiter eine
Casusendung anzufügen, daher
Sing. dat. loc. abl. instr. ^^L^ä- jamä'ats, gen. ^X^^Usi-
jamä'ats-hund^); so auch J^j ^tXis qudrats-vül Machthaber.
Plur. dat. loc. abl. j^^^-s^il+Ä- jamä'atsan , instr. ^:sp.£.Us»
jamä'atsav, gen. iXxs!>^j^£W=>- jamä'atsan-hund.
2. Finales cyi— ät wird _f äts , z. B. cdI^oI ad-rat
Mitternacht -U «.^1 ajih rats um Mitternacht*), -^^ äs^)'
azacih rats heute Nacht, _ t^ ^^^. yamiy rats in dieser Nacht,
wÄ.lv ^^^^>SXÄ:5. tsatajin rätsan 40 Nächte lang, ;J^|; {jy
trän rätsan 3 Nächte lang, s^^j ^)T^ ^'^^FT. ^^ ^'^^^^"^'"^'^^
tsürimih pahrah um die 3. Stande der Nacht (eigentlich
3. Nachtwache). Ebenso ist cijfyo^ vnhrat die Regenzeit zu
behandeln.
1) Doch finde ich i^ilyo \Äxjy^ shariyatah muvafiq dem Ge-
setze gemäss (Luc. 23,56); ox)^ jf *J" tanii kari malämati von
ihm wurden Vorwürfe gemacht (Luc. 4, 41).
2) Np. Mrc. 13, 35 e^K rätsah!; sonst wie oben.
Bitrlhard: Die Nomma der Kägmiri-Sprache. 475
Wechsel in der Aussprache der Stammsilben durch
den Einfluss der Casusendungen\).
Mediales 1. I ä wechselt mit I— ä , z. B. ^^^ maj
(= möj) Mutter (nom. acc. voc), sonst «-U mäj^);
2. ^— ü a) der Masculina wechselt in der Aussprache
mit a) 6, z. B. vor I— ä und ^— ü der Vocative und in
den Casusendungen auf ^ n und ^ v: -j^y^ hünis , aber
^y^ honin ; /?) I— ä und I ö, z. B. i— ä in den eben ge-
nannten Formen : uyo mül Vater ^^^ mälin , aber fjuJLe
mölis
b) der Feminina wechselt in der Aussprache mit 6,
> »
z. B. vor allen Endungen, ausg. Voc, ^y^ kür Tochter 5^^5
körih, ^)y^ körin u. s. w. ; daher
Masculinum
Singular Plural
Nom. Jyc mül Vater JLx mäli = möli
Acc. Jye mül J^ mäli = möli
1) Diese, sowie die meisten auf die Aussprache bezüglichen Be-
merkungen verdanke ich Herrn Professor Bühler.
2) 5 ' ü und 1-^ ä stehen in Np. wechselnd, z. B. nom. einmal
Matth. 19. 29 —ye müj , sonst nom. Lo, acc. _Lc mäj ; auch die
Bezeichnung I (in der Aussprache ö) ist dort sehr inconsequent durch-
geführt.
476 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Voc.
ULo
mälyä^)
)-^^^
mälyü
Dat.
yjJLo
mälis = mölis
^lo
mälin
Loc.
^jJUe
mälis = molis
^JLo
mälin
Abi.
JLc
mälih = molih
c^>
mälin
Instr.
JLc
mäli = möli
^JLc
raäliv
Gen. tXÄ^JLo mäli-svmd = möli-siind tXÄiß^^Lo mälin-hund'^)
Femininum
Singular
Plur
al
Nom.
&
mäj^) =
= möj Mutter
Xä^Lo
mäjih
Acc.
&
mäj =
möj
«.=Juo
mäjih
Voc.
^^
mäji*)
= möji
y^^^
mäjyü
Dat.
Xi.Lo
mäjih
^j^\^
mäj in
Loc.
x=>Lo
mäjih
ü-^*^
mäjin
Abi.
ees»Lo
mäjih
^^U
mäjin
Instr
ÄÄ.L«
mäjih
«.Ä-Lo
mäjiv
Gen.
tXA^CXS^Lo
niäjih-
luiid
tXÄ;O^Ä.Lo
mäjin-
1) Np. stets xJLo mälih, z. B. iOoljßj.jt iJLo ^cS ay mälih Abra-
hämah o Vater Abraham ; ebenso äjU l)äyih von ^^«J büi Bruder.
2) Wie (J«jO mül geht (^jJ büi Bruder und alle auf J« ' ü), ins-
besondere das nom. ag. auf J.. vül , z. B. (^«j bfii pl. ^Lj bäyi ; Jjf
ül Nest pl. J( äii ; Jj^J«^ diiiavi'il Ccbcr pl. J(^J dinaväli.
3) Np. (Matth. 19, 29; Luc. 18,29) auch yjo mnj, ■/.. 15. Jy; Lj
_5jO L) yä mül yä müj Vater oder Mutter; —yXi J«-o mül müj Eltern.
4) Np. stets —X/i niäjili (wie v».5 küri).
BurJchdrd: Die Nomina der Kä<^mn'i-Sprache. 477
Verbindung zweier Substantiva.
Das erste Substantiv steht gewöhnlich im Formativus,
^ ' 'T i ' ' '
z. B. ^^ &J' äb-a mit Wasserkrug , J^ s^y^ ynn-ü. mul
Blutpreis(-geld), ^U> HyA^ khasir-a jäi Schädeistätte,
cL) is^s>.L> dach-i bägh Weingarten, ytr^, ^j rat-a phyur
Bhitstropfen , d^ 5^>-s\j( injir-a knl Feigenbaum , Jj tX.Ä5
kand-i kul Dornstrauch u. s. w. Ebenso auch Sv>J ^>j^S
zamin-a tukra ein Stück Land , i<^-i ^;^^ chaval-i baca
ein Bock- Junges = junger Bock , s»>-5 5t>o gäd-ih tukra
ein Stück Fisch, ^j^y^ st>ofj> x^^jL päntsha dänd-a hü-
varih 5 Joch Ochsen. Ferner ä-Lo xä»Lj y^i^ hat päj-a tila
100 Tonnen Oel, &^xf xJuo ^iiKS& hat man-a kanaka 100 Malter
Weizen.
Die Zusammensetzung kann aber auch durch ein aus
dem Substantiv gebildetes Adjectiv auf ^ ' uk gegeben
werden, z, B. aS ^jyL>\ zaitiin-uk kuh Oelberg.
B. Die Adjectiva.
I. Das Genus.
Zur Bildung des Femininums finden wie bei dem Sub-
stantivuni Vokal- und Consonantenveränderungen statt (vergl.
S. 447, 448 u. 449).
478 Sitzung der phüos.-pliüol. Classe vom 5. Mai J8SS.
Vokalveränderungen.
Veränderung eines Vokals und zwar 1. ^ u a) in
_=:- a-^): Composita auf oa-^x/n rust und ci».A^/-u; sust, wie
o/.A«N^\ zuvarust leblos, ov*«»*aOjs rügasust mit Krank-
heit behaftet, f. ls:>^^ rast und 0.**».^*; säst; ferner
vw^W lukut klein, W' apuz unwahr, falsch, tXj bud
gross, \>^ dur hart, <>.«»-^j khund zerbrochen (v. Töpfer-
ic; » . '
arbeiten), ^ nuv neu, Ol nd halb, (-^j jnip reif, vä>
tsur viel, &■^>^•' tyuth bitter, >' ur gesund, \_/.J^ vynt
(^^^-o^ vyuth) fett, >^^ vuhur jährig (= pers. äJL*,
säla, z. B. Y^;^*^ dü-vuhur 2 jährig, pers. xlL^^^J
dü-säla), >\ zur taub, tX^J' thnd hoch,
b) in — i^) : ^' äluts träge, ^<^■ adur nass, >äjI aputur
kinderlos, ;^^-g^ khüvur links, >Jj kudur grob, plump,
> - > > j -
stX« madur stolz, ^t^-<' mudur süss, j>i^^ satur flach.
^7
f^yJ turun kalt:
2. *-*- ü a) in I ä: ^y^ süv begütert, f*^t um unge-
kocht, roh, py^*^ dülüm rund, <-}^ tut (^^^ tütiij
geliebt, lieb, ^^t> dyür reich,
h) in ;5 i: ^,^y^. l'hruts günstig, ^'-g-'^) zyutli lang.
Veränderung zweier Vokale und zwar: ^— ü in ' ä
und ->. u in — i : y-«!'^^ küshur Kaschmirer, {S)y-^ süruy (?) ganz.
1) in der letzten Silbe.
Burl-fiard: Die Nomina der Kä^miri-Sprache. 479
Consonantenveränderungen.
«i> t in -^ ts : o>^ sut träge ^>^ suts
d k in -^ c: ^^ lük klein, jung «^^ lue
^ kh in 4^ eil : ^^^^ hukh trocken ^^^-^^ liuch
O g in ^ j : Oj^ srug wohlfeil ^ ^ sruj
J 1 in -^ j : J^^ kumul zart (Fleisch) ^^ kumuj
(j n in ,j ni : ^^ kun allein ^^^ knni.
Vokal- und Consonantenveränderungen zugleich.
1. j yu in ^ i: (v-yo patyuni letzter |VÄj patim, (V^?-S-*^
pithyum oberer, |Vyl.J talyum tieferer, |VJ r*-^ nibryum äusserer ;
so alle Ordinalzahlen, z. B. |vJt> duyuni der zweite;
2. f— ä in f ä und ,j n in ,j ni : ^^' äsän leicht
^Lu/I äsäni ;
3. ^ n in - a und a) cj t in _ ts : u:/^iiH§-^ buchi-
hut ^sJßx^^j buchihats, o».^:^ chut weit, oJ lut
leicht (Gewicht), <:i^ mut toll (ebenso die partic. perf.
auf ouo mut in Mp.^)), <^ tut heiss, ejp rut gut,
b) <3 d in \ z: tXÄ>c>Lo mclrimund schön ^yJJO^lx mari-
> ' '
manz, tXy*' syud^) gerade, tX§J' thud schlank, (XXmj
sund y-i-vü sanz (vergl. Declination der Substantiva),
1) Bühler: müts.
2) Np. Luc. 21, 28 jJy^ «ayud, cf. 13, 13 yx^ syaz.
480 Sitzung der pMlos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888
«-_]': cXj bud gross ^sJ b;
c) t> il in ^ .j : cXj bud gross ^sJ baj (f. pl. ä-s\j
bajih),
d) w k in ;?- c : ^ibJ jf adalyuk mangelhaft ^^4>' adal-
yac; überhaupt die auf li/ ' nk, /,. B. ^U.a«I asnianuk
^jU.a«I äsinänac hiuinilisch = des Himmels (8. 455),
e) (-> g in -^ j : lX-J lung hihm ^5~ü lanj,
f) J 1 in IT- ]'• ^ li"l schief ^^>JJ> haj, J.^^ kliul weit,
Jox.^^ sukhabul lauwarm,
g) (^ n in (j iii: ^^Ä.^^ nithanun nackt (^^^wL^-ilJ nitha-
^. \ . . ', ' '
nani , ^j.J nun augenscheinlich, (j' un blind, ^^^■i
prun weit, ^> run fusslos, ,j;>-c« sun tief, (.o tun dünn.
4. ^J_ u in -^ i und a) cy t in _ ts: die composita auf
«iJ^J burut voll _ vJ barits,
b) c> d in \ ■/.: tXÄ5> hund VÄiC hinz (vergl. Decl. der
Subst.),
c) J 1 in p' j : J^J pisliul sanl't , zart 4>-^ri. pishij,
J-g-wi shuhul kalt, u\^ vu/ul roth,
d) ^ n in ^j ni : die auf ^ ' un , z. B. die part. fut.
act. wie \^y\ zalavun heiss (Speise) ;jyS zalavini^),
\jr^j^ kruhun schwarz.
1) Mp. part. fut. act. nur ^^ vaiii.
Burkhard: Die Nomina der Kd{'nHri-Sj)rache. 481
5. y— ü in a) ' ä und jj n in ^ ni : ^^i(X^ nundbün
hübsch ^bvXo nundbäni, ^jy^ myün mein (Posses-
sivpron.). ^^yf. prün alt,
b) — i und o t in -. ts : <Dy> küt wieviel ^5 kits,
c) ^ i und ej t in _. ts: cj^ yüt soviel ;^saj yits.
6. J yu in — i und a) C/ k in «^ c: alle auf ynk,
z. B. ^ilxj Jo gudanyuk ^^J<^ gudanic, ^i^J nyuk
dünn,
/*?) J 1 in — j : J>J^' ävyiil fein --^' ävij, J^^'s id..
/) ^ th in .gÄ tsh: «-g-^^^ kyuth wie beschaffen
«.gjöi'kitsh, &^J yuth so beschaffen ^^^J .vitsh.
7. ^ yü a) in ' ä: )y-?.'y^^ apazyür falsch, lügenhaft
\'vj' apazar, ;^yj pazyür treu; zugleich e^ t in ^ ts:
ci> Jy kyüt i' käts (^^ kabs (?)\
b) in ;^ i: die partt. perff. auf o^^ yüniut, z. B.
v:>^«-V^^ vülyüraut betrunken ^^~t^»^ vülimats, v:y-«^Aj
pyümut gefallen (v. ,j-^ pyun); zugleich a) ej t in
_ ts: cj^ yüt wieviel (.soviel) ^^ jit-"^ ? /*^j *-' ' '"
—. j: Jj-ö nyül blau, grün ^^ iiij.
Die Nomina ag. auf Jj^ vül haben im Femininum i^j^'^
väjani, z. B. J^^-*X$c hikanvül fähig, J^^-äX^ nahikan-
1888. Philos.-philo1. u. bist. CI. 3. 32
482 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom />. Mai 18S8.
vül unfähig (vergl. Sitzgsber. 1887 S. 332. wo ^f,
väjani zu schreiben).
Viele Adjeetiva bleiben im Femininum unverändert;
dahin gehören insbesondere die entlehnten Wörter, z. B.
die auf fpers.) ^fo dar, s^ kar imd y^ gar ausgehenden;
ferner unter den einheimischen die auf öJ lad (behaftet mit)
ausgehenden und andere, wie ><^^j buch hungrig, Jo bud
alt, v«0 gub schwer, w^ gut dunkel, ^JL:^ jän gut, JlXji'
kangäl arm, j*/^-s^Ä^ kanjüs geizig, JLcS^ katäl gering, ^^
kub buckelig , ,j-o byun abgesondert , w*xj mut fett , tXÄx)
mund stumpf, »Xo muda nachlä.ssig, langsam fassend, *-w
sum glatt u. s. w.^)
II. Die Declination.
Die Adjeetiva sind im Masculiiium nach II und im Fe-
minimim nach IV mit Beachtung der oben erwähnten Laut-
gesetze zu decliniren , z B. >t ur gesund [A. J ari, ^ji un
blind ^jf ani ; nach I gehen nur die Composita auf tXi lad
(behaftet mit) und Lehnwörter; letztere werden meist gar
nicht declinirt, z. 13. ^tXJ' ^uW» ^K-t^ vairan jayih audar an
einem öden Orte (dagegen substantivirt ><Xil j^\yj^ ^j^S^.
akis vairänas andar in einer Wüste) ; stxxx) ^juXj^,^ x*j
1) Die Mehrzahl der angeführten Beispiele verdanke ich der
werthvollen Sammlung des Herrn Prof. Bühler, die mir derselbe be-
reitwilligst zur Verfügung gestellt hat.
Burkhard: Die Nomina der Ku^iiiiri-Sjjrache. 483
^ xÄis. stXÄiD ^^Lu/ ^jwi" yamih niaskiii mundih trüv sä-
rinay handih ^nta tsur von dieser armen Witwe Avurde mehr
als von allen eingelegt.
Da der Locativ die Dativform mit Präposition hat und
diese nur einmal gesetzt wird, so kann man sagen, dass statt
des Locativs im Attribut der Dativ steht, z. B. (j*'-*-^^) o**-^';
vjo! ratis zaminas andar in der guten Erde; aber in
welcher Erde kommt diese Pflanze fort? „in der guten*
ofifenbar >tXJt u^) i'atis andar.
Beispiele: '^^ rut gut, dat (j**J^ ratis, abl. «J^ ratih, voc.
iö\ ratih, fem. > rats pl. ää.^ ratsah; J-JO gätul
klug, f. n. pl. ä^säjLT gätijah ; J^ nyul blau, dat. sg.
j*J-ö nilis (Anom. II), fem. ^>^ nij pl. x^^ nijih ;
' * <" ^ i , • • i.
ouov^ süzmut geschickt , pl. <^^y^ süzmati , mstr.
- j
y'KA\yMj süzmativ.
5>Jül aJiSy-^ Äjv aS^ö dilakih ratih ^azäna (Abi.) andara
aus dem guten Schatze des Herzens.
^ü&J> &4JvJ' trayimih duhah (Abi.) am 3. Tage.
sdJ\ ^jt^^'%3 ^jt*Six':^ U^; ratis mu/takis taläshas an-
dar oder
jjol j^^Xu^üi u^tXjLo.aüLiö' (j*ö\ ratis muxta-sandis talä-
shas andar in dem Suchen (nach) einer guten Perle.
5' ''T'''''r
yü\yi ^-SjV-»-Lw.o (^1 ay Yarüsalamaciü küryü o ihr
Töchter von Jerusalem ! Luc. 23, 28.
32*
484 SilziiiKj der plülos.-philol. Classe ooin 5. Mai 1888.
III. Die Comparation.
Besondere Formen für den Comparativ und Superlativ
gibt es im Kaschmir'schen nicht.
Der Comparativ wird durch den Positiv (oder auch durch
persische Comparative wie r^J bihtar besser, y^^W buzurg-
tar grösser u. s. w.) gegeben und dieser erhält die compara-
tive Bedeutung erst durch das ihm vorangehende Adverb.
xXi» yata. „mehr als" oder in Fragen durch das folgende
Fragewort «-o kina (lat. an), z. B. ^^'55) *^^ ^fV^ myä-
nih yata. zürävar stärker als ich; &>-5^jwu< a.J ^-^r?- u*^
JXxiO kus chu bud, sun kina haykal wer (was) ist grösser,
das Gold oder der Tempel? (Näheres unten.)
Der Superlativ wird durch den Positiv verstärkende
Adverbia, die den Begriff „sehr" enthalten, oder durch
Äxis» ;^uta mit i^\^-**^ säri, auch durch XAiß hyu ausgedrückt,
oder ist aus dem Sinne zu entnehmen, z. B. cXj ^' viLü^XJ
^.^j *"€-?• (*^^ guilanyuk ta bud b'il^in chu yuhay dies ist
das erste und grösste Gelxjt; iOCi» 8tX/-Jß ,^J^^'«' ^^-§^ ij^
»cXj kus chu siirinay-hindih /uta binlah wer ist ein grösserer
als alle = der grösste; &>^S5 ej> rut hyu der beste (L, 15,22).
Der Ausdruck „viel, weit" beim Comparativ wird durch
Sw>U\ ziyädali ausgedrückt, daher o^ 5oL)\ xxis. ^uta ziyä-
dah rut weit besser, viel — ; um wie viel c»^5 küt, z. B.
y^'^ cy«.5 küt bihtar um wie viel besser.
Unrkhavil: Die Xomiiid der K('iriiiiri-Si>nichr. ^oO
Werden andere Casus beim Coraparativ erfordert, so
wird das Adject. wiederholt, z. B. »^ ^ö" J^^' x^^S S'^^.
^'S &^ pananih kuchih (acc. pl. f.j lüiak ta baßh hajih
karak ich werde meine Scheunen abbrechen und grössere
machen.
Diese Verdoppehmg kommt auch bei dem Positiv -mv
Verstärkung vor, z. B. ^Lcii d^i iX? badi badi nishän sehr
grosse Zeichen.
C. Die Pronomina.
I. Die Personalpronoiuina.
Der Accusativ ist dem Nominativ gleich; ich finde in-
dess in der I. und IL Person Sing, und in der I. Person
Plur. überall den Dativ statt des Accusativs, z. B. iw vj""^5
vuchan mih sie werden mich sehen, ^-§^5 ^ mi vuchiv ihr
werdet mich sehen, *-»*'' »M träv asih verlasse uns, dagegen
viD^I J) *J' tim trävit nachdem er sie verlassen hatte , [W
c)^^Lj tim trävyük verlasset sie.
Der Genetiv fehlt und wird durcli die Possessivprono-
mina ersetzt. (Beispiele unten.)
48G
Sitsuny der philus.-philol. Classe vom ö. Mai 18S8.
Singular
m. f. n.
Nom. xj bu ich ÄÄ. tsa du x-«^ su er ä^ su sie &j' ti es
Dat.
Loc.
Abi.
Instr.
Nom.
Dat.
Loc.
Abi.
Instr.
»■jo mih «r?- tsih
(jw^' tamis^)
&^j' tath'^
fjJ\ asi
iö tuhi
|vJ" tami
Plural
iW tim
x+j" taraih
Ä4J' tim ah
iUwf asih iO» tuhi
^j«4J" timan
^-♦J tiniav^)
1) Dativ auch yj^jf ta.s (^^J**j■ tasi) und ^j^joI aniis; instr. wohl au(
*f ami (eigontl. Demonstrativa).
2) auch im masc. und fem. finde ich ä^>Cj tath , z. B. Matth. 10, !
f»^^A« myS^ \^Xi tath kariv saläm grüs.set es (»»j gara mse. das Haus^
Matth. 21, 19: n^ g<r\<^xgX'^ *4^" t^th nakha gatshit nachdem or zu ih
getreten (J^ kul m. der Daum ist gemeint); Matth. 7, 14 : li.^=> Ä-g-^' f
(mLJ yim tath chih labän welche diesen (sc. <:j^ vat f. Weg) einschlagej
als Locat. y,X) (>tXjf) ä^aj tath fandiir) manz ; Matth. 28. 3: iLg-\j X^J
tathi (!) peth (sc. ^^ kani f.) auf diesem Stein.
3) Ueber die Suffixe, welche die rersonalpronomina vertreten, siel
Sitzgsber. 1887 S. 317—322 u. 375—387.
Burl-hnrrJ: Die Nowhid der Kacmiii-Sprache.
IT. Die Possessivpronomina.
Sinffular
487
mein
meine
Es folojt:
m.
f
Nom. Aec.
^T^
iiiyfin
^^
myani
Voc.
ÄjLyc
myrmih
u^y
myani
Dat. Loc.
^U>c^)
myänis
Abi.
xjIajo
myänih
iüLyc
inyanih
Instr.
u^
myäni
Plural
Nom. Acc.
u^'
inyaiii
aüLjXi
myänili
Voc.
y .. ..
myänyü
•.jöLxx
myänyü
Dat. Loc. Abi.
CJ^^y
myänin
^^
myänin
Instr.
myäniv
Singular
kiLyo
myäniv
dein
deine
Es folgt:
m.
f.
Nom. Acc.
^^
Clin
J^
cäni
Voc.
ÄjL^
cfinili
/^
cäni
Dat. Loc.
Lri^•
cänis
Abi.
ÄjUa.
canih
^U
cänih
Instr.
J^
cfini
•
i)Tä =
488 Sitzung der philos.-jMlol. Classe vom 5. Mai 1888.
Plural
Nom. Acc.
J^
cäni
iüLs.
cänih
Voc.
•■AJL^
cänyü
k.^L=>>
cänyü
Dat. Loc. Abi.
c^i^
cänin
^h
cänin
Instr.
^W
cäniv
y'^
cäniv
Sinarular
»
sein, ihr
seine, ihre
(eius)
(eius)
Es folgt:
m.
f.
Nom. Acc.
> -
tXÄ.gJ' tahund
>^«^-
tahan
Voc.
— —
Dat. Loc.
fj^iXX^ tahandis
Abi.
ScXa^' tahandili
6-^X^-J
tahan
Instr.
tXA^J" taliaiidi
Plural
Nom. Acc. tXÄ^" tahaiidi ^'r^^ taliinzah
Daf. Loc. All!. ^(XX^ tahandin OT^^ tahinzan
In«^r- .cXa.^' taliuii<liv ^r^"S^ taliinzav
Etirlhanl: Die Nomina der Ka^nun-Sprnche.
Sinffular
489
unser
folgt:
m.
Nom. Acc.
sün
Voc.
2üLu/
sänih
Dat. Loc.
(jji*jLu;
sänis
Abi.
JüLw
s;Ulill
Instr.
(j^-**'
saiii
yuuu
unsere
f.
säni
säni
Äj
u
Plural
Nom. Acc.
^jL«
säni
Voc.
'.1
sänyü
Dat. Loc. Abi.
^L*.
sänin
Instr.
•J)Lu/
säniv
iüLw sänih
•-aJI^ sänyü
^jLu; säfiin
«.jLw .säSiv
Sinffular
euer
eure
Es
folgt:
ra.
f.
Nora. Acc.
iX*^ tuhund
yÄ^" tuhanz
Voc.
—
—
Dat. Loc.
- )
(ja-cVä^" tuhandis
Abi.
sJu^J tuhandih
- >
sy-LgJ' tuhanz
Instr.
Jo^j" tuhandi
490 Sitzumj der philos. -philo! . Clnsse vom 5. Mai 1888.
Plural
Nom. Acc. cXa-^' tuhandi
Voc. — —
Dat. Loc. Abi. ^tU-gJ" tu handin e^r*-^' tuhanzan
SVA4J' tuhanza
Y-V
Instr.
jcXä^' tuhandiv
Singular
^T^-^'
tuhanzav
ihr
ihre
(eorum, earum)
(eorum, oarum)
Es folgt:
m.
f.
Nom. Acc.
>
tXÄ.^' tihund
')Hi
tihanz
Voc.
—
—
Dat. Loc.
jj^cXÄ.^' tihandis^)
Abi.
SiX^J' tihandih^)
^'f^-
tihanzih
Tnstr.
tXÄ-gJ" tiliiuidi
l'lural
Nom. Acc. tXÄ^j tihandi^) *r^-€-^ tiliinzah
Voc. — —
Dat Loc. Abi. ^d^'^J^ tiliandin^) ^'V'^^ tihinzan
In.str. ^tXA^" tihandiv^) if^^ tihinzav
1) Dafür hat Np. auch — i statt ^ a, also ^tXÄ^* tihindis
H. s. w. ; ebenso •yÄ^Ö tihinz neben yÄ^' tuhanz , sowie sonst auch
eini<,'e kleinere Varietäten, wie sJkÄ.^' tuhandili. (^tXÄ^' tahandi,
•yi^ U
j tahiinzn.
Burkhard: Dtc Nomina der Karmiri-Sprache. ^-'I
Bemerkungen zu den Possessivpronominibus.
1. Ddü Possessivproiiuiiieii ist auch Vertreter des Ge-
netivs eines Personalpronomens : z. B- (j)^ büzun c.
' T '
gen. auf Jd. hören , ihm gehorchen ; s^^ ^^ (j^
cün nay büzih wenn er nicht auf dich hört = dir
nicht folgt; «S^ ^^ tXÄ.^' tihund nay büzih wenn er
auf sie nicht hört, ihnen nicht folgt; tX^J ») ^'^ ij*-'
^;»J äsi yivän zi tahund büzan sie kamen ihn zu
hören; 10)5-^ tXÄ-SJ x^.-^5^ ^^j^ tiniau gatsbih tiluuid
büzun diese lass sie hören. — Wenn das Verbum
mit einem Substantiv componirt ist, so steht gleich-
falls das Pronuni. possess. statt des Personalpronomens:
^S Jwil (j^^yo niyün i(|rär karih er macht mein Be-
kenntnis = er bekennt mich, so tXÄ^' tuliund ihn;
^\S v«äjjjü> ^y=^ [j**4> io bu chus cliün ta'rii
karän ich danke dir, ^y^ ^\öyjJ^ ^\^ caui /abardär
karan sie werden dich bewachen.
2. Nebenformen: a) Für <X^J' tahund kann auch
stehen JoLw«J tasund, tXAA^A♦j■ tamisund (auch tXLw ^
tami sund) , JoL*»*/)! aniisund und »^Vj+J' tamyuk ; die
ersten 3 gehen genau nach tX-i-gJ" tahund, z. B. ^j*-<>-»-«ö'
tasandis, |j*-tXÄ*w^^j' tamisandis , (j^tXÄA**^! amisandis;
•iJU^J' tamyuk folgt in der Declination den Wörtern
492 Sitzung der pltilus.-phiiol. CUissc vom 5. Mai 1888.
auf w— uk^, daher iioiu. pl. >iUj' taniiki (s. 8. 455);
x^j ^^uSUJ ^^^'J taiuichan laiijiii ]> th unter seinen
(des Baumes) Zweigen
b) Für 'y^-^ tahanz kann auch stehen y-i^vJ tasanz,
yLwk4.j taniisanz, yxA*,^x)l amisanz und ^4^ taniic; die
ersten 3 gehen nach VÄ-gJ' tahanz, z. B. svAaao ta-
san/.ih , SwÄavw^j' tamisanzih , 5*Äaaa-«I amisanzih ; ^>-*J"
tamic folgt in der Declination den Wörtern auf w-
uk') im Femininum.
3. Casus: Der Genetiv wird nach S. 454 durch den
Dativ ausgedrückt , z. B iS tXÄ-u-StXJ^iX^. U^^ myänis
Xudävanda-sund gara meines Herrn Haus.
Der Loc, Abi. und Instr. sollen nach einigen im attri-
butiven Sinne nicht vorkommen , aber doch wohl elliptisch
oder im Sinne von „der meinige" (vergl. Matth. 27, 24
o>.aa« iülxx» myänih set mit dem meinigen), z. B. in welchem
Hause war er? in meinem, doch wohl yÄx> j*öL-yc myiinis
manz ; von welchem Vater wurde dies gesagt V von unserem
^Lu säni. Auch linde ich ää ^^I Aj ^^ä. ^c>LäÄ£| (jLs.
cäni i'tiqadan chak bah'ävamats tsa durch deinen (jkiuben
bist du gesund geworden (instr., Matth. 9,22); «^s^l nJ^
*tXjl cänih ach andar in deinem Auge (loc, Matth. 7, 3),
»cXjf ^sJcLioL sj\.s> cäfiili [);Vlslu"ihats andar in deinem Reiche
1) nur — i «tatt -- a in dfi- vorletzten ."Silbe.
Burkhard: Die Noini)i(t der Kdginin-Sjjrache. 493
(loc. Matth. 20, 21), 3>J *j^r?- rämh guri in tleinem Hiiiise
(sc. ><Xj' iiiuliir; loc, Matth. 2(3, 18); ^i^^f^^ s^Li xjl^ cäni navaii
set in deinem Namen ^); SjtNj' "4^ ^^* cänih kathili
andarah aus deiner Rede (abl., Matth. 20,73); sJcüs^ xjLyo
myänih pjätra um meinetwillen (abl.).
Vor den Adjectiven auf vi) ' uk , welche den Genetiv
vertreten, sowie vor Infinitiven und denjenigen Präpositionen,
welche eigentlich Substantiva sind, wie sJoLii. xütrah, ^^aa^
sababah, &.§Xx) mukliah u. s. w., ebenso vor der Comparativ-
Partikel ÄÄi>. ynta, (= als) steht die Form auf s^ ih, z. B.
dJi 5J>M ^ii-ov 5<X^J tahandili ratanuk iräda kuruk
von ihnen wurde beabsichtigt ihn zu tödten.
cj^^-iT &^s^ X3 Jf^ Jjy ^^-^ tahandih kalaki väli ti
chi ganzarit sogar die Haare seines Hauptes sind ge-
zählt.
[S^y^ iUJ^ ScXa^' tahandih vanana bünthay vor seinem
Sprechen = ehe er sprach.
Sy^*»^ 5t\Ä.^" tahandih x^tra für ihn (oft = Dat.), über
ihn (de eo) ; ebenso o*xa« set.
*-^ *-^-^J ^^Ä^ sJwA^" tahandih yuta yach chi sie
sind schlechter als er.
I^[ i^j'f 5^^' tXJ);-» ^ tulih farzand tihindih atha
izä der Sohn wird von ihnen gequält werden.
1) hier wohl dat. statt (j.««Lj («ajL;* i änis nävas.
494 Sitztm;/ der jihilos.-philoL CUissc vom 5. Mai 1888.
■^ ' ' ' .1 .
>— A-^ ^!>J^C> ifJiL»M sänih duhac tsot unser tägliches Brot;
8-icLis» ämO sX^ tauiakili nina /ätrali um es zu holen.
4. Sein, ihr im Sinne vom lat. suus s. unter dem
Reflexivpronomen .
5. Diese Pronomina können auch als possessive Adjectiva
im Sinne „der meinige u. s. w." gebraucht werden.
III. XjLj päna ^c^^ pänay selbst.
1) &jL päna selbst (indecl.) : i^^-*^ ^^ xjlj *^^ ^
^Lg.5 tami hitsa päna sänih säriy kahälats von ihm
selbst wurden alle Schwächen genommen (= er nahm
auf sich).
fjjjSJ^ ^JM^ S iüLj päna gav biyis mulkas er sell)st
ging in ein anderes Land.
(jLg-SjVj |^>> io ^'-^r?" ^^'^ päna china yi karun yatshän
selbst wollen sie dies nicht thun.
j^Lä.! ÄJÜ 8«, (^7> iü na chiva päna atsän ihr tretet selbst
nicht ein.
yÄj cXi-***/)' ÄJvj iü' 5.\^ 1^. viini bii/.va tiilii jtäna aini-
sund kufr jetzt wurde von euch selbst seine Gottes-
lästerung gehört.
2. ^ffJ'-J pänay, verstärktes «Jo päna (= schon selbst),
z. 13. jXi j^l-J Y^^j^^ C^^ ^r * - l'^o^ karili
pananin cizan-hanz pänay fikr der Morgen wird schon
selbst für seine eigenen Angelegenheiten sorgen.
Burkhard: Die Noininn der Kägmiri-Sprache. 495
JtLs 0J5 &Ä. isi vunut pänay von dir wurde es ja selbst
gesagt.
3. Derselbe, ebenderselbe s. Demonstrativpronomen
S. 497.
IV. Das Reflexivpronomen.
1. ;j*öL panas, a) Dat. sich selbst : fji^y^ ^^^^ Ü**-*^ ^^-^-^
mnhabljat panas chu karän er liebt sich selbst ;
c^.(j-^Vj .jK^ '^^^r? ij**^S? panas chuna hikän bacravit
er kann sich selbst^) nicht retten (dat. st. acc. wie oft)
b) Loc. mit Präpositionen, wie oaa« set, *4^ pf'th, u*^
nish, **J*J nishih, ^tXi' andar, <\if tXj' andi andi, c^xJ kyut
u. s. w.
2. .^Lj ^j^j panun pan (eigentl. meinen, demen u. s. w.
Leib) a) mich selbst, dich selbst u. s. w. (me ipse n. ipsnm)
b) (= mea, tua u. s. w. sponte) von selbst, freiwillig
(Matth. 27,40); davon wird auch ein Adjectivnm gebildet
«iJljLj XjLo pananih panuk.
,jj*Ä5>l^ «bo ,jL ^^y^_ panun pan häv kähinas zeige dich
selbst dem Priester.
iUw.jLgj tj^«^ (j^ >^^-^f panun pan dyutun phänsih =
er erhängte sich.
.lj.^0 jjü i^^-o panun pan bacräv rette dich selbst.
-1 — . '
1) auch (j*»jü (H*ÄÄj pananifi ])rinas sich selbst, z. B. jj*o
.l.-^Lf v_>i3 xg-^ '^^^ y"*^ akhah — — chuh lukut
ganzaran wer sich selbst für klein hält.
496 Sitzung der philos.-philnh Clasfie vom 5. Mal 188S.
3. (^^ panun f. ,^j panan in possessivem feinne: mein,
dein , sein n. s. w. Die Befleutung richtet sich nach dem
Subject (Decl. TI: u-*-^ pananis , *aaj pananih, pl. ^j
panani u. s. w.).
Mit Suff. (5 y wird es betont = „mein eigener" : ,^äaj
Jb jj^^^^Ä^is. yXj pananiy palav tshunihas näli sie zogen
ihm seine eigenen Kleider an, v:>aa*/ y^^ "^.^^v P«'n=^"ivay
kathav set durch deine (seine etc.) eigenen Worte.
V, Das reciproke Pronomen.
^Ty>L5 pänaväni (eigentl. Adv.) unter einander, gegen-
seitig; bei sich selbst; auch d\ ^Jf ak ak :
viJbo ij'^W pä-navani du])uk sie sprachen unter einander
^Ij5^ JLk=>. ^j'y>b j-' (VJ» tini asi pänaväni /ayäl karän
sie dachten Ijei sich
(mIwS" JCi X. g->. 5sbi^ ij'?^W pänaväni kyazih chiva
fikr karän warum sorgt ihr gegenseitig
^\yj) j^' x^Aj jjjS\ d\ ak akis poth äsi pivän einer
fiel auf den andern.
gjy^ jCi vjöf ^O ^'yb tXJ fvJ" tini lagi ])anaväni
dilan andar fikr karana sie begannen bei sicli (in
ihrt-iu Iiincrn) zu denken; aucli ^tXjl ^^ \J^^.
panaiiiu dilan andar.
Nom.
Acc.
Dat.
Loc.
Abi.
Instr,
Gen.
Biirlclidril : Die Nomina der K('irimn-S}trnche. 40/
VI. Die Demonstrativpronomina.
1 . »j) vi dieser
Singular
ni. f. n.
N? yih
(j*A^ yaniis ä-^ yath^)
&*J yamih
*j yanii ä^j yamih ä^j yamih
{kXÄA»o yasund *^+:? yamyuk ^)
cXäaww^j vamisund^)
n.
Plural
ni.
f.
Nora.
Acc.
*j yim
iUJ yimah
Dat.
Loc.
c^^.
yim an
Abi.
c>^.
yimaii
Instr.
r^
yimav
Gen.
yihuud
cJ-^.
yiman hund
1) neben ln^Xj yath auch ä-§Jü yathih ; verf^]. Anm. 5 zu iUu su.
z. B. vi^jt itJß) xgl-> yathili rihih (f.) andar in dieser Blume ; als ntr.
188S. Pbilos-philol. u. bist. Cl. 3. 33
498 SitziiDc/ der phihs.-philol. (Vasse vom 5. Mai 18SS.
j
2. Xa« su^) jener
Singular
111. f. n.
Nom. Acc. ükJM SU &J" ti
Dat. Loc. jj*4J" tiunis*) X^j tath^)
Abi. n^'S tamih
Instr. *j' taini &4.J' tamih
tXAA*AJ' tasund ^^♦J" tamynk^)
lVäam^' taniisnnd
Gen.
z. B. 5v löJ^ ^^ yath läik zi dessen würdig, dass (;^J^ ITiiq
c. dat. würdig).
2) z. B. ^j. ojIs.^ «.XJ yL-wA^j yamisanz lukav sliikayat
vani über ihn wurde Klage von den Leuten geführt (gesprochen).
3) Ebenso WC Im (arab.) jener, dat. (jjä^JO liumis , instr. jvJC
hami, dat. pl. <j>4.i0 human ■/.. B. io «.iß.lj.j XJ' *J^ Xi' ^v5 *.J
yim karihiv ta liuni ti travihiv na dieses niöget ihr tliun und jenes
nicht lassen (bei *j" tiin und j^Jß huui wohl yf>s> ciz „Dinge" zu
ergänzen).
4) Für r>M-«J' taniis, &.^JiLJ' tath und JuIma.«J)' tamisund kann
auch ^ju3 tas, /w*vcf aniis, iL&jl athih (it^'i ath) und cXä^a^xiI aiiii-
sund (oder ^Xäaw (•' am i-snnd) stehen ; ehenso dLycl anijuk Ifii- ^x+J'
tamyuk , z. B. y g t (J*aj wi', vaniv tas laiiis saget jenem Fuchs
(Lue. 13, 32).
Bitrkhanl: Die Nomina dcf Käriniri-Sprache. -l^y-*
Plnral
m. f. n.
Nom.
Acc.
fi
tini
&4J' t
Dat.
Loc.
^:
timaii
Abi.
ü^'
tiiuan
Instr
y^:
timav
l'-loTl
(
A-L^
tihund
I iXXsü lJ^ tiinan hund
Ueber das Suffix ^5 y liei diesen PronomiDibus siehe
unten.
VII. Das Relativpronomen.
Dieses ist mit dem Demonstrativpronomen »^ yi iden-
tisch, nur lautet der Nom. u. Acc. Sing, j^ yus f. iUs^j
yusah, der Dativ j4 yas (^Hg-i^J vath). Vor diesem Pro-
nomen sttdit, namentlich in den mit dem Demonstrativ iden-
tischen Formen, oft S) zi. /- H. o^^jO Jl ^j^ »^ «^^ LT^
&jJ kus chu zi vas ak düst asih wer ist, dem ein Freund
5) kommt in allen 3 j^eneribus vor, z. B. ^tXjf äjL=» it^-o
tath jayih f. andar an diesem Ort u. s. w.
6) z. B. Ä^J viJLl»J Jo'y>U£- Imänuel yamyuk tarjumah
(m.) Imanuel , dessen Uebersetzung ist : ^ ^^r^ ^^ gara
tamvuk kan Haus, dessen Fundament.
•6Z'
500 Sitzung der phüos.-philol. Cla,sse com 5. Mai 1888.
' ' ' >
ist (der einen Freund hat) ; ^o x=s. j^j sv s.mj xg-;» j*0
^^Äj(3 «UJCisfcl ku.s diu SU zi yanii tsi yi ixtiy'U' dyutuy wer
ist der, der dir diese Macht gegeben.
Beispiele vom liehitivin-onoinen mit dem Demonstrativ-
pronomen :
it*« — ^J**J yus — SU welcher — der
y*o — Xa« SU — yus derjenige — welcher
j^-w — j/*j yus — suy eben der — welcher
^^•**' — ^^**^ yusah — suy el)en die — welche
X3 — ^u yi — ti dasjenige — was
*J — |VJ tim — yim diejenigen — welche
x*j — x*j" tima — yinui diejenigen (f.) — welche
&*j — x*j yinia — yima diejenigen (f.) — welche
So auch (vj-»J — (vJ yiui — timan , ^^j-*-^. — ivJ' tim
— yiman, (^^^ — »c*"*^ timanay — yiinan, *a«-j — [j^ (j>*j'
tas nish — yusa u. s. w.
liitrhiitird: Die Noiiiimt der Kariniri-Spruchi
)0l
Vni. Dil 8 lnterro<?ati vpronomen.
Sinffular
m.
f.
Dat. Loc.
1 ij***S kiinuis
Abi.
Ä-»y kuuiili
Tnstr.
^
<ciini ^W> kiunih
JoLw5 kasund"^)
Gen. cXJww^ kamisund'^)
lU.^ kahuiKP)
Plural
m. f.
Nora. Acc. *i^ kam iUi kaiiiah
Dat. Loc.
Abi.
Instr.
Gen.
.^
^
kanian
kaniaii
y^ kamav
tXÄiC,^^5 kaniaii-liuiuP)
n.
Noni. Acc. (j«/ kus wer? w5" ku.sali ^S^i^ kyahM
&4ä5" kath^)
viJl^yii' kanivuk^)
I JoL.^ kuhund^) —
1) KfS^ kyah auch adjcctivisch , z. B. »-jl^ ^ l<y-ili Ji^vfib
(ra.) welche AntwortV J^ ioi^ kyah kam (f.) welche ThatV XaT
^l^^kyah gavähi welches Zeugnis? ^cXj i^9 kyah baili was BösesV
502 Sitzung der plülos .- philol . Classc com 5. Mai IStiS.
x^l ijjS kus akluih wer? S) »-^ ä^^' (j^ kiis ukliah
eil II zi wer ist, der? (Mattli. 7,9; 12,11.)
IX. Pronomina inde finita.
Ä-g.A5^ kaiih*) in. f. irgend einer; mit Verneinung ä3 na
{a^ niii): keiner, niemand.
dat., instr. Xa*öI^ kan-sili, gen. tX*^ Xa«.jD kansili-hund.
&.^^kinh n. irgend etwas, etwas; mit Verneinung: nichts,
dat., instr. iii.^sxxf kincliah, gen. ^^Ä5 kunyuk ;
z. B. vXi ^i.g.Ä^ kinh sliur irgend ein Kind, ^XJ &.g^^
Uö kinh hikati shuri einige kleine Kinder, ^ *^i
kinh luk oder ^\ ^4^5 kinh zani einige Leute,
Ä-g-ii' |v5 kam kinh einige wenige, nur einige; äj
i^f yi kinh^) das alles, xJ ^^^ ^-g-»«^ hanh katha
iia = nichts. — {j**S\ iu^ol^ kansih akis irgend je-
mandem, (jj-«-^^ iUwjl^ känsili niahnivis irgend einem
Manne; »\ X4;5^&j na kinh zi nichts, was (Luc. 11,<)).
*uU5^ kamitain instr. von irgend .Icniandcm; [»^-^^
■ — >
^jJ,4^^ kamitam dushmanan von irgend einem Feinde.
^^Ls t'iiläni irgend einer, t-in gewisser, ;>i^V^ ^^^
i'ulani sha/s irgend Jemand.
2) DecHnation wie; 8. 406 ff.
3) s. S. 199 Anni. .5. 6.
Ii Xää5 l<;iiili uiiil ii^a^ii^ kinh werden in Np. oft verwechselt.
Burhluird: Du Xomiiin ilcr Kuriiihi-Siiraelie. 503
X. Veralljzem einernde Pronomina.
^j**j (jj*j ytis VHS, x^l j*o yus akha, »^^ ^^-^-»^ kanh
akha wer nur immer, daher dat. ij**J ;_;*o ya.s yas, j*«.^' y*o
yas akis wem nur immer. ä^$^ io yi kanh, x^sxXX^ *j
yi kentsah was nur immer, alles was, x-^-o ^5)9-**' süruy
kinh alles mögliche = alle.s, äj ^^-^-»^ ^y.?*" ■'^''^iruy kinh yi
alles was.
XI. Andere Pronomina.
»^S\ <:jy^ prat akhah , sL^yf cj*j prat akhäh , &4a5
v:i>vJ kanh prat jeder. ä-O <:JyJ prat kulah jeder Baum;
Ä-g-i^ kinh etliche: ^^aa^ aLO cjjJ prat kunih sababah aus
mancherlei Gründen ; Xasj [V>J5^»3 tXÄiC 5>IS o' ^^A5 ejjj der
10. Theil von verschiedenen (essbaren) Vegetabilien. — o>»j
j*»j ' prat akis einem Jeden ; \j**S^ iUwJD ^i^j^ prat känsih
akis einem Jeden ; *iLo — ^i/f ak — biyak der eine — der
andere; &>o l)iyi die andern; xg-i^ xxj ^ü na biyi kanh kein
anderer, y~ipo katihav von andern V j^^^-gjo katihin dat. pl.
wie vielen (L. 15.17). — ^-^vÄx5 kaintsav, ,^;^k:?;v.äa5 kaintsan
von etlichen, etlichen: ^^J xiCJ> «rSVÄxS kaintsa duha pata
nach einigen Tagen.
^04 Sitzioifj der philos.-pliih)l. Classe voi» 5. Mai 1SS8.
Xll. Peinige Corrolativa^).
interrog. denionstr.
1. &^J«:a5 kyutli wie bescliaff'on? ^-g-^i' tyuth so beschaffen
pl. i^^xf kithi Ä^Äj" titlii
f. i^^sxf kitsh ^^'i titsli
pl. »^■^:s\.f kitsluih ^^ titshah
relativ (denionstr.^))
Ä-^Äj yutli M'io (.so) bescliaffeii
pl. x.^ yithi
f. ^■^^SXJ) yitsh
pl. *.g.iSVj yit.shah
interrog. denionstr.
2. <:^y^S kyüt wie viel? ^^^-^ tyut .so viel
pl. cjl^ käti?
f. 1^ {^) kats (kais)
lil. ^^^I5' kätsah
relativ (denionstr.)
vci^^j yüt wie viel (so viel)
pl. cjLj yäti?
f. ^>^ yits
pl. Ä..s;vxj yihsah
1) nie adverbialen Correhitiva werden später unter den Ad-
verbien anf'gf'führt werden.
2) 8; Jjjo Ä-fiJö xg-^ i>^5 K'iis ciiu vntii nii'd zih wer ist
ein soleher Vater, daas er (Luc. 11, 11).
Burkhard: Die Ninuiiia der Kariniri-Sprache. -jO.)
interrog.
3. K'J^ ^J-^^ kitliaii hyu wie beschaffen ?
demonstr.
XAjD ^,^-Y^^ tithan hyu so beschaffen
relativ (demonstr.)
xa5J ^j-^. yithan hyu wie (so) beschaffen.
Ueber den Gebrauch der Comparativpartikel xÄi=' xuta
(vergl. S. 467).
Diese Partikel ist eigentlich , wie die S. 467 Bern, an-
geführten Präpositionen, ein Substantiv im Abi. (?), wesshalb
die vorausgehenden Substantiva, Adjectiva und Pronomina
die Form auf »"^ ih annehmen. Daher müssen auch die
Possessivpronomina statt der Personalpronomina gebraucht
werden.
Beispiele: a) Substantiva und nom. act.: »^=>- 5tXÄA«5jLÄ.wl
ustäda-sandih zuta, — 5tXÄ^,j>-^ tsarin-hindih — , oder
— äJLä bälah — , — äJLä 5j-^J" tuhandih balah — ;
mit Inf. : — ^^^-g^ khina als das Essen.
b) Adjectiva : Ä^ia. xXJtXi gudanikili ynt-A als der erste
(sc. v^r* farib Betrug)
c) Pronomina: — *J^ myanih — , — »tX-J-gJ tihindih — ,
— StU-^' tahandih — , — äääJ pananih , — ««♦->■
tamih — .
506 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
Phrasen : — x*J" taniili (nur) um so mehr ;
s\ — &4J [ tamih — zih j
{ \ s-ls flass.
»S — x^J [ yamih — zili
D. Die Numeralia.
1. Card inal zahl e n.
1. einfache Zahlen :
a) Einer: ^Jf ak^) 1, s) /ah 2, Sji' trah=^) 3, ^^ tsür 4,
x^jsxjL: pantsh 5, x-i shih 6, o«~w sat 7, «^ ' ath 8,
^ nav^j 0.
h) Zehner: s3 dah 10, »1 vnh 20, »o trih*) 30, xi^Urs.
tsatäjih^) 40, »l^J^f luuitsah 50, ^^^^-A sheth (50,
v^i-^^^ satat 70, v:i^-v^ shit 80, 04J uamat 90, «c^^io hat
100; (j^-Lw sas 1000, — *-^^->'-r: prmtsh — 5000,
^Lw sS dali sas 10000, X4:sü lach 100000.
c) Zehner mit Einern: W kah 11, xj l)ah 12, a^y trnvah
- )
13, »v-ui slmrali 16.
2. zusammengesetzte Zahlen :
- - >
a) additionsweise: mit u) 5J> dah 10: »tX^. tsudah 14,
»J^j pandah 15, »tX-u- sadah 17, 8«^^' ardah 18;
1) auch Ä-a5f iikli. 2) Kl. Sjj" trih. 3) Kl. auch naun, Bühl,
niiniv. 4j Kl. 5 j" trah. 5) Np. jcsCVJLa^ tsatajih.
Bnrlchiiid: Die Nomina drr Kdriiiiii-Siiraclw. o07
ß) 5^ viih 20: 8^51 akuviili 21, s^^*) zitüviihM 22, s^^j'
truvuh 23, »^ä> tsuvuli 24, s^_s^JU pruitsiivuli oder
Äis\jü printsili 25, »*-»i shivuh 2t), ^^yX^ sutüvuli*) 27,
s^^Jl athiivuh^) 28;
/) »*J trih^) :>0 : »yilS"! akatrih 31, »yj'^'^ dütiili ocIlt
' . ' .. . .
8j.äjO duyitrih 32 , »jÄaj titrih oder ^yHr^ trayitrih
' ' I •
33, sJCxä. tsnyitrih 34, 5vÄ:SVJü päntsatrili*) 35,
SjJwyi shayitrih 3(i, 5JüL*<u satatrih 37. ^rJ)' aratrili 38;
ö) äs^Lls. tsatäjih 40: &ä»U5'I akatajih 41, äs^Lj'^O dü-
täjih oder x=>l-^<^ duyitäjih 42 , ä^'-^" titäjih oder
toUüuJ tiyitäjih 43, ää-Laxä tsuyitäjih 44, Xä-Uc^^jL
päntsatäjih 45 , ^^2.LÄx^ shayitäjih 4(3 , XÄ.LxiLvu sata-
täjih 47, ^^^-^-^y aratäjih 48 ;
e) syj. vanzah (st. sUsvjlj) 50: »ö^^l akavanzah 51,
8yj..c> düvanzali 52, syJ^rJ' travanzah 53, ^vj^ä. isu-
vanzah 54 . syj^^jü päntsavanzah 55 , ^'j'^y-^ shi-
vanzah 56, »yj^c^« satavanzah 57, ^r^^)^ aravanzah 58;
C) x^x^ sheth GO: X4Ax^Sf akaheth Gl, ^t.^>^JV^O du-
\o - Jö '
heth 02, at^AAiß-J- traheth (53, &^-yj4:s^ t.snlieth 04,
aL^AA-^-r^Lj j)äntsaheth 00, &.§^^-i .shihetn 00,
ÄLg^^ÄA« sataheth 07, &.§-c^5>J arahetli 08;
isr
1) auch »•Lj» zitävuh. 2) auch bAjuM satävuh : 8.L^ 1 äthä-
vuh. 3) El. so' trah. 4) El. auch 5».Äjü päntrih (!)
508 SUzuitfj der phUos.-iihUol. Classc vom 5. Mai 18S8.
- ^ ^ ^ "^ — >
/y) oJC-w siitiit 70: o-Xa»*$'I akasutut 71, c:/.Ä^<3 dusatat 72,
^:>.Ä^jJ' trasatat 73 , oÄ*«^ tsusatat 74 , c>.ä-w.:^jIj
Itäiitsasatat^) 75, oÄ-^aw sliisatat 7(), <^Xm^Xmj sata-
satat 77, v:>X**;sl arasatat 78;
;7) <jt.J^,Mj slüt 80: o.-^xi^S'l akasliit 81, ^.ii^A^t) dushit oder
<i/.j^M.ij^ duyishit 02, *c:/.aXu s^j trab sliit oder o.xaw.j*j*
trayisliit 83, <:^^i*^ tsusliit oder c>.a^xä. tsuyishit 84,
o~A-ci.;SXJl.J paiitsashit 85, ^ly-x*«.^ .shisliit oder ic:^a*«*x-w
shiyishit 86, vi>.x*ikÄjkA/ satasliit 87, o*.xXwxl arashit 88;
/) v.:i/^4J naniat 90: <:/^S^ akaiiamat 91, oa^c> diiiiamat
92 , e>4JvJ trananiat 93 , v:^.-»-».^*- tsniiaiiiat 94,
v:i».4-*.^jLj j)antsaiiaiiiat 95, o+a-«*' sliiiiamat 90, c:/-».ÄÄ^
sataiuunat 97, ^:i^>' araiianiat 98, s:>~*.a4J iiaiiia-
iiainat 99.
I)) sul)traction.sweise : »•-*.> kuiiavuli lil, 5j.ää> kmiafcrih 29,
T '> ' "> ' -^ '^
ati»UÄ5 kiinatajili 39, »vJ^-ÄS kuiiavaiizali 49, x^Ax^g-Äi
' ^^^' . ^' '
kinialietli 5i>, oÄa«.ä5 kuiiasatat 09, o*.A..ci^Ä5 kuna.sbit 79i
,^ ^ >
c>.4-iÄ5 kiinananiat 89 (aber c^-^^^J iianiananiat 99)^).
Reiiierkunijf : Von 2 an jol^t das 8u))stantiv im Plural. / iJ.
(^\ o^Ä^ sat-at /ani 70 Personen.
1) El. auch v.:>..^.t> dfuihat oder v,:>.^.0 ilunihat.
2) Säninitliche /insiuiiiiiciiHetzun<^en von a) />' — i und b) können
f^etrennt uiiil mit, 8 li i^^cscliriclicn werden, wenn die einfache Zahl
Bitrhitard: Die Noinlitn der Käriiiiri-Spniche.
i09
II. Ordinalzahlen.
Mit Ausmihuie von dUj^ u-iulanyuk oder döS tru(]uk
der erste (f. ^öS u-iulanic S. 481) und [vjO dnyuiii der
zweite werden die Ordiiial/alilen g-anz regelmässig durch die
Silbe [vJ yum aus den Cardinalzahlen gebildet, z. B. ^^,^
trayuin der dritte, f*J;^T?' tsüryuni der vierte, |va^.^j>-j
pautshyum der fünfte , |V>yi sliiyuni ([vyi sluiyum) der
sechste, ^^ satyuni der siebente, [»A-gJ f athymn der achte,
*j*j navyum der neunte, jv^iCJ daliyuni der zehnte, |V>jiCt\Äj
pandaliyum der fünfzehnte, ^^» vuhyuni der zwanzigste n.s.w.
III. Ad V erbitilzahlen.
1. Multiplicativa.
Sie werden durch die Substantiva v^-' hit ni. w^ lati, i.
pl. äJ latih; ^j phiri f. 1>1. »^-^ phirih (= mal) und ^
gan Schaar, Menge (= fach) in folgender Weise gebildet:
&J a.S\ akih latih einmal, &J äaj biyih latih das anderennil,
&aJ ^oJ> duyih latih zweimal, xaJ s^j trah latih oder XaJ ä^^
trayih latih oder »-4^ s^j" trah ))hirih dreimal (auch ^jy
^^^ trän latan), »v^ ^^ satih phirih siebenmal oder ^j-^^^
jj^ satan latan , &»-J ^^rJ' trayimih latih zum drittenmal,
8 h hat, also s* x5^l ukah vuh, o»-i^A« äÄa*/ satah aatat, o«-*J Ä.4.J
namah namat (cf. Matth. 18, 12.13,1, 5^ iüf kunah vuh, und das
scheint das «^fewöhnliche zu sein.
510 Sitsung der iihilos.-philol. Clasae com 5. 3Iai lüSS.
^ ^- . ia". "^
OA^ &J xäÄau stitutih latili sat 70 nuil 7 , äaJ x^> kutsili
latili wie vieliiial (oft) oder xJ x^L^l^ kätsahih latili
(Mttli. 23, 37), r»^' sj^ iJ^^P^ katsaii lataii täni bis zum wie-
vieltenmal; ^^ tsugan 4 fältig, ^^ sss>Ji traha gau 30 faltig,
i^jT ÄAxxi slietah gan 00 fältig, ^JS' kXsö hatah gan 100 fältig.
2. Distributiva
werden durch die Wiederholung des Zahlwortes gegeben, z. B.
^Jl cJf ak ak je ein (vergl. >t\jl (j^v-g-^ ij^j:^^. {j^j^. pananis
pananis shahras andar jeder in seiner Stadt).
IV. Quantitative Adjectiva.
^.öju ba'zi (dat. ^^.öjij baV.iyan) einige , etliche,
oa«*c> ^jL-ü (C'''^^ ba'zi säni düst einige unserer Freunde;
Äjs^.ÄA^ kaintsah (instr. ^^Aa5 kaintsav) = einige, etliche;
x.^A.**/ sitba (dat. ^^-^^ sitlian, auch ^j-^-^-^ sithahaii, (instr.
— ic ' ' ' I , . .
^-^-»^ sithahav) viele; ^S)^-^ süruy (dat. ^a*.^<.av särisay, f.
(^sLu/ säri) ganz, z. H. cja^U.^ <S)^ "^'H'i jiniiä'at die ganze
Versaiiimliiiig; abl.(?)in. i^\^ säri (st. »>L«; .särib), z. H. itÄÄj
o^A^ xjj> (^;^-*w pananih säri dilah set mit seinem ganzen
Herzen; \^j^ säriy (dat. ^^-^ säriu. ^J^'-**' särinay, instr.
(^jnLu- särivay) alle. — <5)y-^ *- .^'^ •'^i"'uy oder i^^^-^ *:^
et4A5^ yi süruy kiuli das alles; äj ä^5^ ^^x^a». süniy kinh vi
alles was.
Burkhard: Die Nomina der Kd^miri-Sprache. -^ll
V. Declination der Zahlwörter.
Die Zahlwörter werden wie Adjecfciva declinirt , daher
c!l ak dat. (j**S\ akis , instr. m. cJl aki f. «5"! akih, gen.
ÖJ^jimS' akisund; doch hat sjj zah im dat. ^jt> dun. SvJ" trah
i^vJ' trän und \^ tsur ,^j^ isun ; fei'ner j^^Lau ^^;s^U
pantsin sasan , ^-wL*; j^^^ tsun sasan ; mit emph. ^5 y:
1^-^' akisay , ^^ akay nur einer. — „Beide" lieisst ^5^^
dnnavay^), z. B. — |VJ' tini — diese beide, ^s^ — (j^yo
niyäni — nicivi meine beiden Söhne ; SjtXJ' — y^ timav
— >
- andara von diesen beiden; aber ancli ^k> Uy^^ dunavani
— r "' '
diyiv gestattet beiden ; aü«Jo <5y^ tsanavay tarafah auf
4 Seiten. — Auffallend Luc. 20, So vÄiß (j^^ sat-v-an lian/
st. i>^^ Satan (cf. (^»J'^ dunavan). — Die Ordinal/.ahhni gehen
ganz nach den allgemeinen Declinationsregeln, z. B. ^iLöcVi
I '-i^i' . . r^/' . '^ >
gudanyuk pl. viutXi gudaniki. f. ^sJlXj gudanic pl. x.^JtXj
> } ^j . . » -
gudanicih ; [vJt> duynm dat. (jw-^J^^ duyimis , ivaä-w satyum
(j**4Ji-*w satimis u. s. w. — ü-S ä^JvJ trayiraih garih in der
3. Stunde, *-$-»J »jJ *-»>^ shiyimih garih p(^thah von der
6. Stunde an , (♦o 5*3 äiXj^j navimili garili tani bis zur
neunten Stunde.
1) Bei Antritt des emphatischen ^_^ y steht die Form auf m^-
av, z. B. i^jjC J dahavay ; oLo Li ij.A-fcu ^«^0 ä-aj kya dahavay
sapani nä saf sind nicht zehn gesund geworden ; ^\ i^y^ ivJ"
512 Sitzung der ■philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1888.
Ueber das emphatische Suffix i^ y.
Dieses hebt hervor oder betont das Wort , dem es an-
gehängt wird, z. B. bei
1 . Snbstiintivis, z. B. ^S^ vatiy seh o n auf dem Wege (= ipse) ;
2. a) Personalpronominibus, z.B. ^^^J^ tuhiy ; x (§ >> ^ 7- ^5^
tsay chukah bist d u es,
b) pronominibus possessivis, z.B. caaa^; iu«f j^^ cäniy
äsah set durch deinen eigenen Mund. ^^öJ^j*kA amisandiy,
e) Demonstrativpronorainibus im Sinne von „gerade dieser
(jener), eben dieser (jener), derselbe, der nämliche,
^" ^- c5^ yiji <s*^ s^^V' is'i tij' is^ tamiy, ^^1 amiy,
(^A4.j' timanay , ^5^ yimanay , [Sy-^ timavay , i^^J
yimavay^); — ^'H:^ tynthuy f. ^^^^^'i titshay ;
- o —
j-*j tasi (st. ^^*t^ tasiy ?) ;
3. Zahlwörtern, z. B. kS^'^ dahavay (s. S. 511 Anm. 1);
4. Adverbien, z. B. ^'-^ (sO aziy (azi) noch heute; ^^
tatiy eben daselbst; ^^Äj yatiy wohin eben;
5. Präpositionen, z. B. ^5>tXJ' andaray nocli in (Luc. 1, 15).
vi>iC O.A.-W tami biiliiiviiy ziini sAt, liiti von ihin wurden die zehn
mitgenommen.
2) So liiuifif^ ^-S-'V ^'-^-^ yitliii pfitlii welehe Weisen = wie,
X g 4 ^ K^i titha, paUii diese Weisen .= so; aber — ^^^'J yithay —
und — g vv tithay — wie — <,'erade so.
Bnrlihard: Die Nomina der Kdrmiri-Sprache.
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1888. Philo8.-pliilol. u. bist. Cl. 3.
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■4
34
514 Sitzung der phUos.-phiJol. Classe vom 5. Mai 1888.
W 0 r t - E r k 1 ä r u n ,<if .
cünkih (pers.) Conjuiict. weil, da; sithahav Adj. instr.
pl. V. sitha (II 510)') viel; gund aor. 3. sg. imp. von
gandiin binden, umbinden (I 406, 65) ; kamar m, Gürtel, k.
b. den Gürtel umbinden = unternehmen ; zih (pers.) Con-
junction dass (== oti.): timan dat. pl. pron. demonstr. (II
499) ; kämin-hund gen. pl. v. kam f. That , Werk, Hand-
lung (II Decl.) ; yimah pron. relat. nom. pl. f. (II 499) ;
asih loc. pl. v. bu ich (II 486); andar praeposit. in mit
Dat.; väqi' (arab.) partic sich ereignend; sapanih aor. 3. pl.
f. von sapanun werden , v. s. sich ereignen ; zih wegen des
Relativsatzes wiederholt; biyän (arab.) ra. Erklärung; karan
3 pl. praes v. karun machen; yithah (yitah) pätliih (II 512")
adv. auf welche Weise , wie ; timav instr pl. pron. dem.
(II 499) ; yim pron. rel. nom. pl (II 500) ; gud f. An-
fang, abl. gudah (st. gudih) ; pithah praepos. von — an
(mit abl.); pänah (II 494) selbst: vuchanväli pl. nom.
nom. ag. v. vuchun sehen (I 332) ; tah Conjunct. und ;
kalämaki adj. pl. nom. v. kalämuk = gen. v. kaläm (arab.)
des Wortes (II 455); /idmat f. (arab.) Dienst; karanväli
(wie vuchanväli) v. karun machen ; x. k. Dienst thun, dienen
(k. /. k. Dienstthuende des Wortes); äsi imperf. 3 pl. m.
V. äsun sein; asih wie oben; nish praepos. zu, a. n. zu uns
= uns; karak 3 .sg. f. -j- suff. k: von ihnen wurde ge-
macht, nämlich riväyat die Ueberlieferung (r. k. — über-
liefern; timav r. k. von welchen überliefert wurde (I 354);
mih dat. pron. pers. (II 486); tih auch (quoque); zun
aor. 3 p. impers v. zänun halten für (I 403, 46); numäsib
(arab.) adj. passend . zweckmäßig ; zih wie oben ; gudah
pithah wie oben; küshish (pers.) s. Mühe, Anstrengung;
1 ) mit den Zahlen sind die Sitzungsberichte geraeint, in welchen
die betreffende Form erklärt i.st (I = Sitzungsber. 1887, II = Sitzungs-
bericlit 1888).
Bitrl-hard: Die Nnmiiia der Kannin-Sprache. 515
daryäft (pers.) s. Einsiclit, Verständnis ; karit absol. v karun
(I 368); laikhah 1. pers. sg. praes. von laikhun (l(^khnn)
schreiben: sa^iib (arab.) adj. vollkommen, correkt; päthili
pl. 11. V. päth m. Art u. Weise (vergl. oben yithah päthi);
süruy kinh alles, was; alles (II 503); cänih pron. possess.
abl. (II 487); zätrah wegen (II 467); ay Interject. (II 452);
tädil (arab.) adj. trefflich; Thyüiilus = Theophilus ; bitartib
adv. = bi (arab. praepos.) in -f- tartib Ordnung = ordentlich ;
yiith Conjuiict. damit ; tiinan dat. pl. v. pron. dem. (II 499) ;
kathan-hinz gen. pl. v. kath f. Wort, Lehre; rästi (pers.)
f. Richtigkeit, Wahrheit; yiman-hinz gen. pl. v. pron. rel.,
abhängig v. ta'lim (arab.) f. Unterweisung, Unterricht: tsih
instr. V. pron. pers. tsah ; chay = cha -(- y = ist dir (I 317
u. II Anhang S. 512); hitsmats part. perf. f. v. hyun nehmen
(m. hyutmut) mit Bezug auf ta'lim ; zänak 2 pers. praes.
von zänun kennen lernen.
Wörtliche Uebersetzung.
Da von vielen der Gürtel gebunden (= unternommen)
wurde , dass sie jener Thaten , welche unter uns sich er-
eigneten , (dass) Erklärung machen , in der Weise wie von
denen . welche vom Anfang an Selbstsehende (== Augen-
zeugen) und des Wortes Dienstthuende (= Diener) waren,
(zu) uns Ueberlieferung gemacht wurde, .so erachte auch ich
es mir (für mich) passend , dass ich , von Anfang an Mühe
und Verständnis gemacht habend (= angewendet habend
= mit Fleiß und Verständnis) schreibe wahrheitsgemäß (das)
alles für dich ordentlich, damit du jener Worte Richtigkeit
(Wahrheit), deren Unterweisung von dir genommen worden
ist ( = in denen du unterrichtet worden bist), kennen lernest.
34^
510 SitzuHf) der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
2. Bemerkungen und Zusätze
zu meiner Abhandlung über das Verbum der Kä^miri-
Spracbe^).
S. 307 ^f?h finde ich jetzt in iü^-^^ghirana (Lnc. 21 , 19.
hindnst. b^x^ gherna). — 300 1. 1 v. o. T= ö. — 311 1.
>
1 V. n. ist (j**AJ^ lünanas Dativ. — 312 1. 1. 2 v. o.
nach Matth. 13, 30 müsste es ^^ marani st. ^yo niaran
heißen; dafür ließe sich auch sagen: xÄi'j \XJ^ niaranakih
vaqtah zur Zeit des Sterbens. — 313 1. 5 v. n. verstärkt
auch xÄx niatah statt äxi mah. — Die 1. pers. pl. des Imperativs
drü(tkt auch eine Aufforderung aus , z. B. ^>.5 karav lasst
uns thun, — 313 1. 9 v. o. der Infinitiv hat oft nur die
Endung jj " ani statt au ' anih, z. B. ^^ ^-^^^ t5^"^***^
susti gatshi-na karani man soll nicht lässig sein. — 313 1.
12 V. o. wie ^J^^ lagun wird auch jj-Jo tagun fähig sein,
können behandelt. Infinitive als Ergänzungen eines Sub-
stantivs werden durch die vom nom. act, gelnldeten Ad-
jectiva auf ^ ' uk ausgedrückt, z.B. f^^=^ vib^ karauuk
hnkm Befehl zu thun. - 31.'» 1. fi v. u. ji-l^ ^' ay käsh
= ntinam, z. B. ^i^j'^ J^^ ^^ ay käsh zänahak mikhtest
du doch wissen. — 327, 3 v. o. natürlich ä>J yita nicht ^.lio yita.
— 334, 2. Abth. Mp. hat ^^ — «^ tsi - chat , Np.
1) Sitzungsberichte 1887 I. Bd. Heft 3.
Burkhiint: Die Nomina der Kch^iniri-Sprache. 5w
iiber i^^ — ^^^ tsi — cliay. — 350 das Intransitivian
kann im impersonalen Sinne ebenso behandelt werden, z. B.
^^5 viulun weinen, ^j vud er weinte, ^J^y vudun es wurde
von ihm geweint (Luc. 19,41). — 351 1. 1—3 v. u. ^
liits, ^ tij , ^^s-S^ hie zu schreiben. — 355 — 358 bei der
sut'iixirten V'erbaltbrni «rewöhnlich ohne [vä tami und ^-»J
timav, z. B. itJ ^yS ^ tami kurus bu oder äj (j*^^ ku-
runas bu. — 35(3 u. 358 f. «♦J" timah statt ^ tim; 35(5 erste
Spalte mi süzi(ma)va tuhi. — 359, 3. Abth. 1. 0 v. u. natürlich
ÄÄ tsi statt &>« mi. — 360 , 2. Abth. 1 v. o. und 3 v. u.
ü
^O dits statt _ t> ditsa und &ä»^ ditsa; 4. Abth. 3 v. u.
ditsah. Neue Tabelle zu 360 siehe am Ende. — 307 1. 5
V. u. und 368 1. 6 v. o. schreibe *5)^ süzihih, asaysy^
süzizihih u. s. w. — 371 1. 5 und 7 v, o. Np. hat Luc. 13, 12
viL"j-yLCo mukaleyak, somit könnte auch jw^-y^^-gj khütseyas
und viLxA^^»^ khütseyak geschrieben werden ; 1. 5 v. u. ^
th ist zu <:j t zu setzen, also e.» t ^' th in ^ ts .^^ tsh ;
darnach auch Z. 2 v. u. «-g-^fp^«« matsh; ferner: O d aus \ z
entstanden kehrt im Femin. zurück , z. B. ^)^) rCizun, aor.
3. s. m. O^j rüd f. )^> rüz (nicht -.^^ rüj). — 372 1, 2. 3
>
V. o. ^>sci hie und iLg-s^ buch. — 375 1. 5 v. o. und 1. 12
V. o. [»g g';» chuham , j**.g-§^ chuhas und ^^ (;7> chuiian
nach S. 319, P. - 376 1. 9. 10 v. o. Im Aor. auf ; v fällt
518 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
5 V vor Suffixen ab , z. B. jl äv -(- l/' s = ijJ äs, + w k
= ^t äk ; ^k zäv (v. ^\ zyun) + j*- s = fjJ'^ zäs, daher
*Jt äk = du kamst und er kam ihnen; aber y äv 4- Suff.
^ y wird ^j' üy er kam dir, z. B. <X*-w*J ,^ ^^j* ^ tsi
yiy üy pasand das eben gefiel dir. — 378 1. 2 v. u. Caus.
statt Cond. — Cond. ^j*jS>'^yM süzihas er würde ihm schicken,
tjtj-^.^ diyihas er würde ihm geben. — 385 1. 4 v. u. diyin
st. diyis ; Note 2 : wir geben statt ich gebe ; auch gehört
natürhch Note 2 zu dimün, nicht zu diman. — 395. ^j^
> f -
hyun hat im part. perf. ci^-ÄxiC hyutmut f. (Luc. 1 , 4) ^♦^-»J»
hitsmats. — 400 l. 3 v. o. Marc. 15, 13 ^ tuj. — 401
1. 3 V, o. fem. statt masc; 1. 5 v. u. m. f. vor *i*-«-^ chunik.
— 402 1. 4 V. o. ihm — ihm st. ihnen. — 405 l. 2
V. (). von ihm — euch st. von euch. — 407 1. 0 v. u. *"§^^~^
buchih. — 409 l. 3 v. o. 3 s. impers. st. f. ; 1. 4 v. u. von
ihm st. von ihm (ihr), ihnen; 1. 3 v. u. ,j^ nin, nicht niyan
(vergl. Tabelle am Ende). — 410 1. 8. 9 v. o. x^j vutsh
und *^~^^ vutshah. — 411 1. 11 v. o. ,j^ vani. — 412
1. 2 ^ hie.
Das Perfect und Plusquamperfect, welches auf den Aorist
nach S. 300 folgen sollte , richtet sich ganz nach dem
S. 355— 358 au.sgeführten Aorist, z. Fl aor. iu« ^j^V**' ^
tuhi süzva-n su von euch wurde er geschickt = ihr schicktet
Burkhfird: Die Nomina der Kärniiri-Sprnchc.
.19
ihn. j)erf. ox\«-**^ Smj ^^y-^ ^ tiilii chuva-)i su süzmiit
von euch ist er geschickt worden = ihr habt ihn geschickt,
plusqu. v;;^uev«-u< Xw ^y^'y *j" tuhi üsva-u su süzmut von
euch war er geschickt worden = ihr hattet ilm geschickt;
— aber auch (j<* ^^ o^v^ au jw tanii bu süzmut chus
' ' ' - j -
von ihm bin ich geschickt worden statt o'-ox^-w au j*>.x^afc aj
tami chun-as bu süzmut. (was wohl mit diesem Suffix nicht
vorkommt).
Zu S. 359—360.
t^j-^ hjun nehmen richtet sich im Aor. ganz nach
^t> dyun iS. 359); (jJ^ zyun geboren Averden nacli ^jJ
yun (1^. 328). Es folgt hier der Aorist von dem transitiven
' . ... '
^j>-o nyun und dem intransitiven ^;»^ py^u.
a) 1^^^-;^ nyun weguehnjeii.
Das Subject im
Singrular
: 1.
m.
j»^-ö aw Uli iiyüm
l«^-ö nyüm
y:i>^-iJ ÄÄ. tsi nyüt
<:j>y^ nyüt
(WjJ &x> mi niyam
|V-ö niyam
>.:>.AJ *^ tsi niyat
nivat
520 Sitzmuj der iihiloH.-philol. Classe vom 5. Mai 1888.
(yj) yjJ> *J' tanii niv^) (niv) x-ö (VJ" tami niyah
Ur^ nyün ^^ niyan
^AJ iu«l asih nyü ^uJ ä^I asih niyah
I 3
•" 3. ,
2.
s;^ ?
s^yn
2U
tuhi nyüva
nyüva
s^-ö &j tuhi niyava
5^-^ niyava
(.j) yjJ m^ tiniav niv (niv) *-ö ^ tiinuv niyah
nyük ^AJ niyak
J^
Plural
[vy ^^ ini nim (v^j iw mi niyani
|vAi nun /v^ niyain
o-ö Ä^ tsi nit^) ^■^^ *T^ tsi niyat
nit
v:>jo
niyat
1) Np. Luc. 4, 5 j-ö! ii) 'j-Vt* '^^) '«i>-^ '^ *'^' "'t '"'^ti chiz
von dir wurden i'ute Sachen {benommen = du erhieltest Gutes.
_a 3.
1.
<U Q
^ 3.
c
Burkhard: Die Noiiihni der Kchpniri-Sprache. 521
^ l*j' tanii niy &-ö *J ttinii niyah
^j^ niii^) ^^^-^ niyan
^j iu«f Hsih niy *-;y »^i asih niyah
s^-aJ &ji" tnlii niva »v^J äj> tuhi niyava
s*>fj niva s«^ niyava
^ ^^" tiniav niy &>jj ^^' tiniav niyah
»iLö nik »iLö niyak
So die transitiven Verba .-y-*;-^ khyun essen nnd t^j-^
cyun trinken; z.B. ,^^-^-g^ khyün , ^j>>j4> khiyan. Doch
finde ich auch aor. 3. sg. y>r^ khyav und yj^ cyav , f.
ÄAJw^khyayih st. Ä-v^^'khiyah, pl. ni. ^^^A^khyay f. «-y?^
khyayih nach ^ gav (S. 330).
3) v«jLä. Xj ^^vÄJ i^W-^ nin panani bah tsät von ihm wurden
522 Sitzuny der philos.-philol. Classe com 5. Mai 1888.
h) (j-^ pyi^iii fallen.
Singular
ra. f.
1. (j^^-!^ pyüs ij**^ Py^s
2. (^) w^>jj pyAl< (pik) *^^ pyak
3. (^j ^/o pyuv (piv) iuj piyih
IMural
111. f.
2. (s^-S?) *5.J^ i)yüva (pyiiva) s^-*j piyiva
^- <s^ P'y *^ l'iyili
523
Nachtrag
zu der Abhandlung des Herrn Eugen Oberhunimer über
Griechische Inschriften aus Cypern.
Zu S. 309 A. 1. Kit 10 1 setzt die Septuaginta mehr-
mals für C^P'^, welches etymologisch mit phön. ^nr = Khiov
zusammenhängt, 1) so Dan. 11, 30, I Chron. 1, 7 (v. 1.
Kr^Tioi, wie Gen. 10, 4). Ein Ethnikon KiTLoiog (von Kkiov)
findet sich Marc. act. Barn. 17 in Act. apost. apocr. ed.
Tischendorf p. 70, coli. Act. Lazar. in Act. Sanct. (23.) Febr.
t. Ill p. 393 § 12, LXX Num. 24, 24, Jes. 23, 1; Kitzaloi
Jos. ant. Jud. IX 14, 2; fem. Kniäg Inschr. bei R. Kekule,
Die antiken Bildwerke im Theseion S. 39 N. 76 u. Rev.
arch. N. S. XXIX (1875) p. 98 n. 6.
Zu S. 310 A. 1. Den Stellen über das Erdbeben ist
beizufügen Hist. Mise. IX 6 (imp. Vesp. a. 9); Marian.
Scot. chron. a. 83 (Vesp. 9); Hermann. Contr. chron. a. 79;
Otto Fris. chron. III 18 (imp. Vesp. 9).
Zu S. 311 A. 3. nojchog '^oviog Bei^vg, gen. Bel-
i^vdog, Inschr. von Galhpoh, Movo. x. ßißXioi^. t. evayy.
axoL (ev 2^iQvi]) ^isq. II et. 2/3 (1876—78) o. 61 dq. 144.
Zu S. 332 A. 1 u. 2 vgl. Letronne, Rech. p. servir
ä l'hist. de TEgypte p. 58, 321 ss., 267 ss., ferner K. Cless
bei Pauly VI 1 S. 231 M. u. S. 193 a. E., Droysen, Gesch.
1) Vgl. hierüber besonders F. Lenornumt, Kittim, etude d'ethno-
graphie biblique, in der Revue des questions hist. t. XXXIV (1883 1
p. 225—246.
524 Sitzung der phüos.-pMM. CInsse vom 5. Mal 1888.
d. Hell. IIl P 43 f., 56 f. über die Titel ovyyEviqg, twv
TtQtüTtov cptXcov, GTQaTrjYÖg.
Zu S. 333. Der Tod des Seleukos und die Statthalter-
schaft seines Sohnes Theodoros über Cypern ist doch wohl
noch in die letzten Jahre der Regierung des Ptoleinaios Vlil.
Euergetes IT. Physkon (f 117) zu setzen. Denn sogleich
nach der Thronbesteigung des Ptoleniaios X. Soter II.
Lathyros wurde dessen jüngerer Bruder, Ptolemaios XI,
Alexandros l. zum Statthalter (oTQaTrjyog) über Cypern
gesetzt, woselbst er dann im J. 114 den Königstitel annahm,
s. Paus. I 9, 1; Porphyr. Tyr. reg. Aeg. 3 (Müller FHG
III 721); Letronne, Kech. p. servir a l'hist. de l'Eg. p. 110,
ßecueil d. inscr. gr. et lat. de l'Egypte I p. 59 ss.; S. Sharpe,
Gesch. Egyptens, deutsch v. Jolowicz II S. 2; K. Cless bei
Pauly VI 1 S. 224; Engel, Kypros I 422 f,; R. St. Poole,
Cat. of Gr. Coins. The Ptolemies P. LXXVI.
Zu S. 337. Den Namen '!A7iq^Lov linde ich zufällig
noch in einer Inschrift aus Smyrna (Kaiserzeitj, Movo. x.
(iißl. T. evayy. o^ol. {bv ^f.wQvrj) 7itQ. V (1884/85) o. 2
dq. 196.
Zu S. 338 a. E. Ueber die Kinyraden vgl. noch
G. Busolt, Griech. Gesch. I 295 A. 4.
Zu S. 344 A. 1. Erst nachträglich Hnde ich eine in-
teressante Belegstelle zu dem in C erwähnten Hippodrom.
In den Akten des Apostels Barnabas, welche den Namen
des Marcus tragen^) und wichtige Nachrichten über die
Topographie von Cypern enthalten, heisst es nämlich (§ 23
Tisch.): — oi 'lovdaioi Xaßövxeg xov BaQvaßav vv/.TÖg tdyoav
1) Im Urtext zuerst (nach cod. Vat. 1667) herausfjegeben von
dem Bollandisten Daniel Papebroch in Acta ISanctorum Jun. 11
(Antwerp. 1698) p. 431 — 436, dann auf Grund des älteren und besseren
cod. Paris. 1470 von Konst. Tischendorf in dessen Acta apostolorum
apocrypha (Lips. 1861) p. 64—74, coli. p. XXVI— XXXI.
Oherhummer : Griech. Inschrifte» aus Ci/pern (Nachtrag). 525
M' oyoivuij y.axa. xov Toayr^Xoi', v.ai oigaweg s/rl xo inno-
iiooue'iov d.ro r>jc ovraycoyi^Q /.cd negaoarxeg l'^io rf^c
n'ki^g yieQioxavteg y.aih.avoav avxov nvQi xtA. Hieraus
ergibt sich zunächst, dass der Hippodrom nahe der Stadt-
mauer, und zwar noch innerhalb derselben gelegen haben
nuiss: die Richtung, in welcher die Begleiter des Barnabas
entfliehen (§ 24 s.), zeigt ferner, dass wir den Hippodrom
im Westen der Stadt zu suchen haben, was mit dem Aus-
gangspunkt der "Wasserleitung völlig in Einklang steht.
Letztere Richtung wird ausdrücklich bestätigt durch die
zweite Hauptquelle über das Leben des Barnabas, welche
den cyprischeu Mönch Alexander zum Verfasser hat^) und
über die Vorgänge nach der Ermordung des Apostels folgen-
des berichtet (p. 445 § 29): Mdg-Aog xaxd xd diaxexay^iva
avxw e^ek^iov i'^io xrig 7r6Xecüg -/.axd ovo /.tag itexa xlvmv
ddehfön' y-QVfffj ovvsxoiuoav x6 Xeixl'avov xov dyiov Baqvaßa
y.ai i^dx''avxeg fv orrtfAaia), log dno oxaSnov ntvxe xrß
noXeiog dveyiöor^oav /.x'L Diese Angabe stimmt mit der Lage
des (römischen) Grabes, in welchem unter der Regierung
des Kaisers Zeno (474—91) der Leichnam des Apostels auf-
gefunden wurde ;'-^) dasselbe befindet sich unter einer Kapelle
in einem Felde östlich vom Kloster des hl. Barnabas, das
von Salamis nach W. zu 1 engl. Meile entfernt ist.
Zu S. 345. Einen Erzbischof Plutarchos erwähnt
die Chronik des Leontios Machairos edd. E. Miller und
C. Sathas (Paris 1881) p. 18.
Zu S. 345 f. Zur Stütze des obigen chronologischen
Ansatzes möchte ich noch auf die Eroberung Cyperns durch
1) Herausgegeben von Papebroch a. a. 0. p. 436—52.
2) Hauptquelle für dieses Ereignis, -welchem die Kirche Cyperns
ihre Unabhängigkeit verdankt, ist der obengenannte Mönch Alexander
(11. p. 447 SS.): andere Quellen s. bei 0. Braunsberger, Der Apostel
Barnabas (Mainz 1876) S. 124 fl"., zu deren Ergänzung ich citiere
Georg. Cedren. p. 353 a Far. (I 6 18 s. Bonn.) ad a. imp. Zen. 4, Joel
chron. p. 172 b c Par., Not. ep. 1 1050 Partbey, Nil. Dox. 176 Parthey.
526 Sitzumj der philos.-phüol. Classc vom 5. Mai J888.
den arabischen Feldherrn Miiawia im J. 647 (oder 648)^)
verweisen, nach welcher, wie bereits Kirchhoif zu C. I. Gr.
n. 8663 bemerkt hat, schwerlich mehr grosse, gemeinnützige
Bauten auf der Insel unternommen wurden.
Zu S. 346. Die älteste Nachricht über die Wasser-
leitung und ihre Herleitung von Kythräa aus neuerer Zeit
gibt wohl Stephan von Lusignan in seiner Beschreibung von
Cypern*) fol. 12 a: „Et perche questa cittä (sc Salamis-
Constantia) haveva cattive acque, conducevano le acque di
Chitria con li acquedutti ä modo di Roma: et la portavano
dentro; et era discosta Pacqua 10 leghe: et si veggiono
anchora li acquedutti, et la cisterna over conserva" ; und
fol. 16b: „Chitri — ha — una fönte grossa — questa fönte
la conducevano giä anticamente, in Salaraina, come dicemmo."
Mit der ,cisterna' ist jedenfalls das S. 347 beschriebene
Reservoir gemeint.
1) Wegen der abweichenden Angaben der arabischen Historiker
über das Jahr der Eroberung vgl. Gust. Weil, Geschichte der Chalifen
Bd. I S. 160 A. 2 u. Bd. 111 Anhang I S. II.
2) Chorograffia et breve historia universale dell' isola de Cipro
— per il — Fr. Steffano Lusignano di Cipro. In Bologna 1573. 4.
Eine französische Ausgabe des Buches erschien u. d. T.: Estienne de
Lusignan, Description de tonte lisle de Cypre etc. Paris. 1580. 1.
Ueber den Verfasser vgl. A. Duplessis in der Biogr. Univers. nouv.
^d. t. XXV p. 492.
Während der Korrektur des Nachtrages werde ich durch eine
Zuschrift von Herrn Major J. Chamberlain, Privatsekretär S. Exe.
des Hochkommissärs von Cypern, auf zwei durch irrige Angaben in
der Literatur veranlasste Ungenauigkeiten aufmerksam gemacht,
welche ich mit verbindlichstem Danke gegen den verehrten Einsender
hiemit berichtige. Die Moschee, bei welcher sich der Sarkophag mit
der Inschrift N. 5 (S. 314) befindet, heisst nicht ^.leni-Dschami"
(d, i. ,Neue Moschee"), sondern „Serai-Dschami" (von dem nahen
Serai oder Konak), unrl die S. 340 N. 2.3 erwähnte Kathedrale von
Famagusta führt nicht (wie diejenige von Nikosia) den Namen
,H. Sophia", sondern ,11. Nikolaos".
527
Namen-Reorister.
van den Bergh (Nekrolog) 299.
V. Brinz (Nekrolog) 268.
Burkhard 444.
Carlson (Nekrolog) 277.
V. Christ 349.
V. Döllinger 248.
Fleischer (Nekrolog) 263.
Friedrich 54.
V. Giesebrerht 268.
Gozzadini (Nekrolog) 297.
Gregore vius 141.
Groth 304.
V. Löher 216.
Lossen 159.
Oberhuiumer 305, 523.
Pott (Nekrolog) 248.
V. Prantl 248.
V. Reuraont (Nekrolog) 288.
V. Riehl 86.
Ad. Schmidt (Nekrolog) 280.
Scholl 1.
Stobbe (Nekrolog) 300.
Unger 443.
Yischer (Nekrolog) 255.
Wecklein 87.
West 399.
Wölfflin 197.
i28
Sach-Recister.
Athen 's Besitznahme durch Venedig 141.
Brautkrone der Prinzessin Hedwig 86.
Cypern, griechische Inschriften 30.5, 523.
Decretale des Papstes Gehisius 54.
Dolmenbauten 216.
Euripides' Tragödien 87.
Gelasius Papst 54.
Hedwig, polnische Prinzessin 86.
Inschriften, griechische aus Cypern 305. 523.
Kä9miri-Sprache, die Noraina der 444.
Krieg und Frieden im röm. Sprichworte 187.
Krystalle, Molekularbeschaftenheit der 3()<1.
Nuntiatur in Köln 151).
Pahlavi-Literatur 399.
l'hidias, Prozess des 1.
Religiöse Freiheit 248.
Römische Zeitrechnung 443.
Spricliwort, rfiniischcH über Krieg und Frieden 187.
Venedig, Besitznahme Athfn's 111.
Sitzungsberichte
der
philosophisch -philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu M^ünchen.
Jahrgang 1888.
Zweiter Band,
München
Verlag der K. Akademie
1889.
In Commission bei G. Franz.
Inhalts -Ueliei'sicht.
Die mit ' bezeichneten Abhan(lluii;.'in sind in den .Sitzungsberichten nicht abgedruckt.
Oeff entliche Sif^nnt/ zu Ehren Seiner Majestät des Königs und
Seiner König! Hoheit des Prinzregenten am 27. December 1888.
Seite
*v. Döllinger: üeber den Antheil Nordamerikas an der Literatur 395
'f. Planck: Ueber die historische Methode auf dem Gebiete des
Civilprozessrechtes ^""
Wahlen 395
P li i 1 u - o p li i s c h - p h i 1 o 1 (j g i s c h e C l a s s e.
Sitzung vom 2. Juni 1888.
*v. Prantl : Ueber die Literatur der Logik im 16. und 17. Jahr-
hundert ^23
Sitzung com 7. -hdi 1888.
V. Brunn: Ceber Giebelgruppen 171
Römer: Studien zu der handschriftlichen Ueberlieferung des
Aeschylus und zu den alten Erklärern desselben . . . 201
Sittl: Mitteilungen über eine Iliashandschrift der römischen
Nationalbibliothek 255
Sitzung vom 3. November 1888.
K e i n z : Beiträge zur Neidhart-Forschung 309
Sitzung vom 1. Dccemtier 1888.
Weck lein: Ueber die Text Überlieferung des Aeschylos und
anderer griechischer Tragiker 327
IV
Historische Classe.
Sitzung vom 5. Mai 1888.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne des Kurfürsten Max
Emanuel von Bayern 1705 — 1714 1
V. Reber: Beiträge zur Kenntniss des Baustiles der heroischen
Epoche 79
Sitzung vom 2. Juni. 1888.
V. Rockinger: Ueber die Benützung des sogenannten Brachy-
logus juris romani im Landrechte des Deutschenspiegels ?
und des sogenannten Schwabenspiegels 123
*v. Druffel: Ueber Luther's Brief an Chursachsen und Hessen
wegen des gefangenen Herzogs von Braunschweig (s. Nach-
trag S. 279) 160
*Stieve: Ueber die Wittelsbacher Briefe 160
Sitzung vom 7. Juli 1888.
*Co melius: Ueber die Herzogin Renata von b'errara in den
Jahren 1528—1548 278
Nachtrag zur Sitzung vom 2. Juni 1888.
V. Druffel: Ueber Luther's Schrift an den Kurfürsten Johann
Friedrich von Sachsen und den Landgrafen Philipp von
Hessen wegen des gefangenen Herzogs Heinrich von
Braunschweig. 1545 • • 279
Sitzung vom 3. November 1888.
*Gregorovius: l'eber die Legende vom Studium der Wissen-
schaften in Athen im 12. Jahrhundert 327
Sitzung vom 1. Der.cmber I8S8.
IJiezlcr: Die Vermählung Herzog Albrechts IV. von Bayern
mit Kunigunde von Oesterreich -^75
pjnsendungen von Druckschriften 161, 397
Register .... 411
Sitzuiigsbericlite
der
köniffl. baver. Akademie der Wissenschaften.
Historische Classe.
Sitzung vom 5. Mai 1888.
Herr Heigel hielt einen Vortrag:
„Die Gefangenschaft der Söhne des Kurfürsten
Max Emanuel von Bayern 1705 — 1714."
Geschichtliche Darstellung entbehrt des edelsten Vor-
zuges, wenn sich nicht herzliche Vaterlandsliebe des Ver-
fassers darin kund giebt. Einseitig patriotische Tendenz da-
gesfen ist eine cjefährhche Feindin der Wahrheit. Ein lehr-
reiches Beispiel bietet die Geschichte Bayerns in der Epoche
des spanischen Erbfolgekriegs.
Es ist leicht begreiflich, dass auf das Urteil der Zeit-
genossen der Bann peinlicher politischer Verhältnisse schäd-
lich wirkte ; allein auch spätere Darstellungen sind nicht frei
von Willkür und Uebertreibung.
Nicht bloss findet fast nirgend das reichsfeindliche Ver-
halten Max Emanuels verdiente Verurteilung; auch in
Schilderung der Leiden, welche Land und Volk nach der
Höchstädter Niederlage heimsuchten , wurde häufig nach
eiuem bestimmten Zweck hingearbeitet: gegen Oesterreich,
1888. Philoa.-philoI.n.hist.Cl. II. 1. 1
2 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
das damals die Wehrlosen und Unschuldigen so grausam ge-
peinigt habe und allzeit der gefährlichste Widersacher seiner
Nachbarn geblieben sei, Stimmung zu machen. Es sei nur
erinnert an Christoph von Aretin, der die Passionslegende
vom Jahr 1705 ein Jahrhundert später zu rheinbündlerischer
Propaganda ausbeutete, und an Hormayr, dessen Schriften,
soweit dieselben nach der Festungszoit von Munkats verfasst
sind, leidenschaftlichste Gehässigkeit gegen sein Vaterland
Oesterreich verrathen. Von Beiden gilt Lessing's Verdict
über jene Historiker, die ^sich kein Gewissen daraus machen,
ihre Vermuthungen für Wahrheit zu verkaufen und die
Lücken der Zeugnisse aus ihrer Erfindung zu ergänzen."
Nicht besser steht es mit den sogenannten volksthüm-
lichen Erzählungen, deren Verfasser ihrer Tendenz und ihrer
Phantasie die Ergründung des objektiven Thatbestandes un-
bedenklich unterordneten.
So gleicht heute die Geschichte jener Episode einem
Palimpsest; es ist fast unmöglich, die ursprüngliche Schrift unter
der jüngeren zu erkennen. Gewiss wäre es aber an der Zeit,
an Stelle jener apriorisch beeinflussten Darstellungen durch
kritische Benützung des urkundlichen Materials eine rein
sachliche Darlegvnig der Ereignisse zu setzen ^).
Hiezu soll diese Abhandlung einen kleinen Beitrag bieten.
Sie wird beweisen, von welchen Unwahrheiten und Ueber-
1) Die Schrift A. Schäf'tier's ,l)ie oberbayrische Landeserhebung
im Jahre 1705" geht leider nur auf den Karnj^f bei Sendung und die
Sage vom Schniiedbalthes ausführlicher ein; die vorausgehenden und
nachfolgenden Vorgänge werden nur skizzirt. Eine höchst dankena-
werthe Arbeit ist G. Ratzenhofer's „Geschichte des Feldzugs von 1704"
(Feldzüge des Prinzen Fugen von Savoyen, hersg. v. der Abtheilung
für Kriegsgeschichte des k. k. Kriegsarchives, 1. Serie, VI. Band), aber
die nicht militärischen Ereignisse konnten darin nur fliiclitig berührt
werden. Das Nämliche gilt von Staudinger's Geschichte des k. b.
2. Infanterieregiments, wo für Darstellung der Feldzüge Max Emanuel's
zum Erstenmal das Quellenmaterial der bayerischen Archive erschöpfend
benützt ist.
Heigel: Die Gefangenschaft der SöJuie Max EmanueVs etc. 3
treibungen die noch heute lebendige Tradition von der Ge-
fangenschaft der Söhne des geächteten Kurfürsten gesäubert
werden muss.
Die Mittel zur Begründung dieses Urteils liefert das
archivalische Quellenniaterial, das bisher noch von keinem
Bearbeiter berücksichtigt wurde.
Als Hauptquelle ist die im geheimen Hausarchiv 7A\
München verwahrte, umfangreiche Sammlung von Briefen
Max Emanuels an seine Gattin und deren Mutter, die ver-
wittwete Königin von Polen, zu bezeichnen. Dankenswerthe
Ergänzung bieten die im Münchener Staatsarchiv vorhandenen
Briefe der Prinzen an ihre Eltern und an die Kaiser Joseph
und Karl, ferner die in der Münchener Staatsbibliothek be-
findlichen Abschriften von Briefen verschiedener Diplomaten
und Agenten, endlich die im k. k. Haus-, Hof- und Staats-
archiv zu Wien verwahrte Korrespondenz zwischen dem
kaiserlichen Kabiuet und dem in Bayern eingesetzten Ad-
ministrator Maximilian Grafen von Löwenstein ^).
Schon über den Abschied des Kurfürsten von seiner
Familie und die damit zusammenhängenden Staatsaktionen
enthalten die Quellen manches Neue , sodass die Vorgänge
in ganz anderem Licht erscheinen, als man sie bisher zu be-
trachten gewohnt war.
Durch die Niederlage bei Höchstädt war Max Emanuel's
Kaisertraum zernichtet, aber die Spannkraft des Besiegten
nicht gebrochen. ,ln der Nacht vom 13. zum 14. August
und in den Tagen, welche dem unseligen Kampfe bei Höch-
stäst folgten, offenbarte sich , dass, in grössere Verhältnisse
gestellt, der Witteisbacher Grosses gewirkt haben würde ^)''.
2) Der Vorstand dea k. k Haus-, Hof- und Staatsarchivs, Excellenz
Ritter von Arneth. hat dem Verfasser mit weltbekannter Liberalität
Abschriften der einschlägigen Dokumente zur Verfügung gestellt,
wofür auch an dieser Stelle herzlichster Dank ausgesprochen sei.
2) Noorden, Europäische Geschichte im XVllI. .Ihrh., I, 574.
1*
4 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai ISSS.
Diesem Urteil Noorden's stimmt aucb der sachkundige Ge-
schichtschreiber der Feldzüge des Prinzen Eugen bei ^). Es
macht in der That einen eigenthümlichen Eindruck, zu be-
obachten, wie unmittelbar nach der furchtbaren Niederlage
der Besiegte mit unerschütterter Geistesgegenwart und Zu-
versicht aus den zerstreuten Ueberresten der Franko-Bavaren
ein schlagfertiges Heer sammelt und nicht etwa Abwehr,
sondern Angriff plant, während sich die Sieger durchaus
nicht zu gemeinsamen Massregeln zur Ausnützung ihres
Erfolges aufzuraffen vermögen. Nur diese Lässigkeit ver-
hinderte, dass die Niederlage für den Bayernfürsten zur ver-
nichtenden Katastrophe wurde. Im Hauptquartier der Ver-
bündeten war man einig in der Geneigtheit, dem geschla-
genen Gegner goldene Brücken zu bauen, und in der That
wurden unmittelbar nach der Schlacht Unterhandlungen an-
geknüpft.
Am 18. August fand sich im Auftrag Max Emanuels
Baron Zirkenstein im Lager zu Seefeld bei Ulm ein ^). Er
fragte an, ob der Kurfürst auch jetzt noch anter den früher
angebotenen Bedingungen mit dem Kaiser Frieden schliessen
könnte. Das eigenthümliche Ansinnen wurde im Kriegsrath
der Verbündeten durcluius nicht abgewiesen. Insbesondere
der Herzog von Marlborough sprach mit wärmstem Eifer
für Aussöhnung und Bündniss mit dem Kurfürsten. Ungarn
werde kaum zu beruhigen sein, ehe nicht den Rebellen die
Aussicht benommen wäre, Hilfe aus Bayern zu erlangen;
dagegen könnten, falls ein Ausgleich zu Stande käme, baye-
rische Trupi^en zum Entsatz der schwer bedrängten Stadt
Turin verwendet werden, und die Kosten dieses Unternehmens
1) Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen. VI, 521, 535.
2) Ebenda, VI, 544. — Baron Zirkenstein war vom Kurfürsten
schon vor der Schlacht am Schellenberg und bei Höclistädt zu ge-
heimen Unterhandlungen im kaiHcrliclien Hauptquartier verwendet
worden (Feldzöge, VI, 391).
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. o
würden die Seemächte bereitwillig auf sich nehmen. Im
Allgemeinen stimmten auch Prinz Eugen und Graf Wratis-
law der Meinung des Herzogs bei : ein Beweis, dass sie weder
eine dauernde Behauptung Bayerns für möglich, noch die
Lage des Kurfürsten für verzweifelt ansahen.
Die alten günstigen Bedingungen könne man ihm nicht
mehr einräumen , liessen endlich Prinz Eugen und Marl-
borough dem Kurfürsten melden, doch werde man ihm sein
Stammland ungeschmälert zurückgeben, wenn er das Bünd-
niss mit Frankreich löse und seine Truppen zur italienischen
Armee der Verbündeten stossen lasse. Er möge nur selbst
in ihr Hauptquartier kommen, dann werde es nicht schwer
fallen, Frieden und Freundschaft zu schliessen ^).
Diese Antwort ging jedoch dem Kurfürsten nicht zu,
denn als Zirkenstein aus dem Hauptquartier zurückkehrte,
hatte sich Max Emanuel schon durch den Schwarzwald ver-
zogen, und ein ihm nachgeschicktes Schreiben Zirkeustein's
wurde von österreichischen Husaren aufgefangen und zurück-
gehalten ^j.
Es ist jedoch kaum daran zu zweifeln , dass das Frie-
densanerbieten des Kurfürsten überhaupt nicht ernstlich ge-
meint war, dass er nichts Anderes damit bezweckte, als einen
Aufschub der Operationen seiner Gegner. Als sich bei Wib-
lingen, wo Max Emanuel und Marsin am 15. August ein
Lager bezogen hatten, zahlreiches, von der Höchstädter Wal-
statt geflüchtetes Kriegsvolk gesammelt hatte, machte der
Kurfürst den Vorschlag, es sollte vorerst die Verbindung
mit dem an der oberen Donau stehenden Marschall Villeroy
angestrebt, sodann der Krieg in Schwaben fortgeführt und
von hier aus die Befreiung Bayerns angestrebt werden ^).
1) Vgl. die Berichte des Grafen Wratislaw an den Kaiser vom
22. und 25. August 1704 (Feldzüge, VI, 865).
2) Ebenda, 867.
3) Ebenda, VI, 535. — Noorden, I, 576.
6 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Allein Marsin und die übrigen französischen Heerführer,
„der Kunst nicht mächtig, im Unglück das Haupt hoch zu
tragen und im Muth der Verzweiflung heroische Entschlüsse
zu fassen", wollten um keinen Preis mehr eine zweite Schlacht
diesseits des Rheines wagen, denn dies hiesse die Krone ihres
Königs aufs Spiel setzen. Der Kurfürst möge ihnen lieber
über den Rhein folgen ; der Besitz Bayerns sei ihm ja durch
das Bündniss mit Frankreich verbürgt und König Ludwig
werde sein gegebenes Wort sicherlich einlösen ^). Damit sah
1) Wenn man beobachtet, wie kühn und umsichtig damals
Max Emanuel als Politiker und Stratege die Pflicht des Augenblicks
erfasste, während Marsin entmuthigt und gebrochen nur auf möglichst
raschen Rückzug bedacht war, so berührt es wunderlich, zu vernehmen,
dass gerade Marsin am Kurfürsten den Mangel an Geistesgegenwart
und Festigkeit tadelte. Im Uebrigen ist die Charakteristik, welche
der Marschall im Auftrag seines Königs vom Kurfürsten entwarf,
getreu und gerecht. Da das interessante Porträt (Campagne de mon-
sieur le marechal de Marsin en Allemagne 1704, II, 143) bisher un-
beachtet geblieben ist, mag es hier einen Platz finden.
»Au camp d' Magenau, le 11. Octobre 1704.
Sire! Apres plusieurs conversations avec Mr. le Marechal de
Villeroy, au sujet de Mr. l'Electeur de Baviere, il a trouve a propos,
que j'eusse l'honneur de rendre couipte a Votre Majeste par cette
lettre, de ce que j'ai pu connoitre de son esprit et de son humeur
pendant le temps, que j'ai ete aupres de lui.
II est certain, que ce Prince est naturellenient bon, att'able et
honnete, d'un abord trfes facile et qui souhaite ge'ne'ralemcnt, qu'on
soit content de lui. 11 a de l'honneur et de la probite, et la seule
apprehension de ressembler a Mr. le Duc de Savoie suftiroit pour le
rendre capable d'etre fidfele k ses engagements et de garder sa parole.
Mais conime en meme temps il est tres foible et tres leger, il
est suHceptible des sentimens et des avis bons ou mauvais de tous
ceux qui l'approchent, et assurement donne le sens de celui qui lui
parle le dernier.
La moindre lueur de prosperite lui fait concevoir los plus hautes
esperances et le porte a entreprendre plus qu'il ne peut et a hasarder
beaucoup dans la contiance du succes.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. 7
sich der Kurfürst vor eine schwere Wahl gestellt. Seine
stürmische Aufregung giebt sich kund in einem Briefe an
den bayrischen Gesandten in Paris , Grafen Monasterol.
„Bayern soll ich verlassen, mein Weib, meine Kinder? Nein,
ich will wenigstens mein Weib und meine zwei älteren Söhne
um mich haben. Der König von Frankreich wird ja wohl
Par le nieme principe le moindre revers le jette dans l'abatte-
ment, de sorte qu'on le voit passer avec une legerete et une promp-
titude etonnantes, de la plus grande joye a la plus vive douleur.
Sa facilite naturelle le rend d'une humeur bienfaisante, mais
quoiqu'il ait assez de discernement pour connoitre ceux qui le servent
bien ou mal, coninie il ne fait ni re'compenser, ni punir, peu de gens
s'attachent a lui, et il n'y en a presque point d'entre ses sujets.
Son peu de feiinete dans l'esprit, qui le rend fort irresolu et
fort eredule et susceptible de mauvaises impressions, avec de tres
bonnes intentions, ne laisse pas d'etre aecompagnee d'une tres grande
valeur et tres naturelle.
Ses Premiers discours promettent plus d'esprit que Ton ne lui
en trouve par la suite, dans lequel il y a peu de solidite; son
humeur est tres inegale, et il a peine a garder le secret.
II est ne avec beaucoup d'inclination pour les Dam es et aimant
fort les plaisii-s, qui peuvent l'amuser assez pour lui faire oublier les
])lus grands malheurs.
II a une assez grande repugnance pour les aifaires qu'il n'aime
pas a traiter a fond, ni ä entrer dans aucun detail.
II a ete autrefois grand dissipateur, ce qui a mis beaucoup de
desordre dans ses atfaires, et quoiqu'il paroisse presentement aimer
extremement l'argent, sa foiblesse est teile qu'il ne laisse pas de se
servir de gens dont il sait certainement etre trompe et vole.
Sa Majeste peut juger par ce portrait, que rien n'est plus a
craindre aupres de ce Prince que les mauvais conseils et qu'il est
tres important, qu'un seul homme lui parle d' affaires, en ayant
d'autres en meme temps aupres de lui pour l'amuser et ecarter ces
donneurs d'avis, sans lesquels je ne le crois pas capaVjle de prendre
de mauvais partis, m'ayant toujours paru bien intentionne.
Voila, Sire, ce que j'ai pu connoitre de ce Prince, dont Mr. le
Marecbal deVilleroy a cru necessaire que j'eusse l'honneur d'informer
Votre Majeste. J'ai l'honneur etc. etc.
Marsin.«
8 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
sein Wort halten ; meinerseits ist gewiss Alles treulich ge-
schehen, was ich versprochen habe und noch mehr ! Dieses
Bewusstsein ist der einzige Trost, der mir meine traurige
Lage erträglich macht!" ^)
König Ludwig war auch grossniüthig genug, den Fürsten,
der um Frankreichs willen Alles verloren hatte , nicht em-
pfinden zu lassen , dass ein Fürst ohne Land nur noch ein
lästiger Bundesgenosse sei.
Von Minister Torcy und dem bayerischen Gesandten
wurde in Versailles ein neuer Vertrag abgeschlossen, der noch
günstigere Bedingungen enthielt als der Allianztraktat vom
7. November 1702. Frankreich verpflichtete sich, nicht eher
die Waffen niederzulegen, als bis Bayern zurückerobert und
der Gewinn der Hälfte Schwabens und anderer Nachbar-
gebiete gesichert wäre ; auch die Niederlande sollte der
gegenwärtige Statthalter der Krone Spanien als selbständiges
Königreich erhalten '-').
1) Lettre de l'electeur de Baviere a Mr. Monasterol, d.d. au
camp de Wiblingen, le 16. aoust 1704 (Original in der Handschrif'ten-
sammlung der Münchener Staatsbibliothek).
2) Traite entre S. Majeste Tres-Chretienne et S. A. l'Electeur de
Baviere, d. d. Versailles, le 18. aoüt 1704 (Aretin, bayrische Staats-
verträge, 330). — Es ist mir nicht glaublich, dass dieser Vertrag
wirklich am 18. August 1704 abgeschlossen wurde. Das Original-
dokument trägt zwar, wie mir auf meine Anfrage die Direktion der
Archives des affaires etrangeres in Paris eröffnen Hess, wirklich dieses
Datum. Trotzdem kann ich meine Zweifel nicht aufgeben. Die erste
unsichere Kunde von der Schlacht vom 13. August gelangte erst acht
Tage später nach Paris, und es verstrich noch eine Woche, bis ein
Schreiben des Kurfürsten und andere offizielle Nachrichten einliefen
(Feldzüge, VI, 527). In den Eingangsworten des Vertrags wird aller-
dings nur davon gesprochen, dass der König die guten Dienste des
Kurfürsten belohnen und für die Verwüstung des Kurfürstenthums
Genugthuung leisten wolle, allein diese Erklärung ist sicher erst er-
folgt, nachdem die Katastrophe von Höchstädt bekannt und vom
Kurfürsten unentwegtes Festhalten am Bündnis gelobt worden war.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. 9
Mehr als sein eigener Verlust, schrieb König Ludwig
am 21. August an Marsiu, schmerze ihn die unglückliche
Lage des Kurfürsten von Bayern. Er werde seinem Bundes-
genossen nicht verübeln, wenn er zur Rettung seines Landes
und seiner Familie ein Abkommen mit dem Kaiser treffen
wolle; Frankreich werde trotzdem den Fürsten als lieben
Verbündeten betrachten und allen vertragsmässig eingegan-
genen Verbindlichkeiten nachkommen. Falls aber der Kaiser
keinen Vergleich zulasse, möge der Kurfürst ruhig in Flan-
dern warten , bis ihm der Friede sein Land zurückgeben
werde ^).
Max Emanuel fasste jedoch einen anderen Plan in's
Auge. Er wollte für sich freie Hand behalten , um eine
glücklichere Wendung selbst erkämpfen zu helfen , hoffte
aber Bayern seinem Hause zu erhalten und vor feindlicher
Besetzung zu bewahren, indem er sein Geschick von dem-
jenigen seines Hauses und Landes gewissermassen trennte
und seiner Gemahlin, der Tochter Sobiesky's, des Befreiers
von Wien, die Regierung übertrug. Durch ein im Lager
zu Wiblingen am 17. August ausgestelltes, an den geheimen
Rath in München gerichtetes Dekret wurden der Kurfürstin
Therese Kunegunde absolute Gewalt und Autorität zugelegt,
,bei gegenwärtiger hochdero Abwesenheit und Entfernung
In einem Briefe des Kurfürsten an seine Gemahlin d. d. Kronschiitach,
28. August 17U4 (vgl. Anm. 3, S. 13) wird die bevorstehende Ankunft
des bayerischen Gesandten in Paris, Grafen Monasterol, »avec des
resolutions du Roy sur les points que j'ay proposes«, angezeigt; diese
Worte können nur auf einen erst abzuschliessenden Vertrag bezogen
werden. Auch wäre sehr auffällig, dass ein am 18. August von Mo-
nasterol und den Käthen des Königs unterzeichneter Traktat erst um
8. Oktober vom Kurfürsten (Aretin, 382) ratifizirt worden wäre.
1) Lettre du Roy a Mr. de Marsin, d. d. Versailles le 21. aoüt
1704 (Röder von Diersburg, Kriegs- und Staatsschriften des Mark-
grafen Ludwig Wilhelm von Baden über den spanischen Erbfolge-
krieg, II, 71).
10 Sitzung der histor. Classe vorn 5. Mai 1888.
von dem Lande die durchgehende Regierung sowohl in po-
liticis als militari bus zu führen^)."
Der Plan war klug ersonnen, doch konnte der Kurfürst
nicht ernstlich erwarten , dass die siegreichen Feinde wirk-
lich den gesammten Besitz der kurfürstlichen Familie respek-
tiren und das Land des geschlagenen Gegners solange vor
allem Schaden bewahren würden , bis dieser in günstigerem
Augenblick zurückkehren und selVjst die Regierung über-
nehmen könnte.
Die Kurfürstin hatte sich mit ihren Kindern im Monat
Juli nach Burghausen an der Salzach geflüchtet , war aber,
als kaiserliche Ti'uppen das in der Nähe gelegene Traunstein
einnahmen, nach München zurückgekehrt*). Auf die erste
Kunde von der vSchlacht bei Höchstädt fasste sie, obwohl sie
sich in gesegneten Umständen befand , den Entschluss, mit
allen Kindern eilends dem Gemahl zu folgen. In Memmingen
wollten sich die Gatten treffen. Als jedoch Therese dort
ankam, meldete ihr ein Brief des Kurfürsten, dass er ge-
nöthigt sei, eine andere Richtung einzuschlagen, und auf
die geplante Vereinigung verzichten müsse ^). Der Vorsatz,
1) Abgedruckt im ^Moriiitlichen Staatsspiegel", auf den Monat
September 1704, 17. Unter den Sammlungen der Acta Publica au8
der Zeit des spanischen Erbfolgekriegs nahm der „Staatsspiegel" die
angesehenste Stellung ein. Als Herausgeber wird in Paullini's Curieusem
Bücher-Cabinet (IV, 650) Reinhard Axtelmeyer genannt.
2) Feldzüge, VI, G07.
3) Zschokke (Bayerische Geschichten, III, 497), Buchner (Geschichte
von Bayern, IX, 125) u. A. wissen den Abschied der beiden Gatten
in der schwäbischen Reichsstadt Meramingen auszumalen. Zwar be-
richtet auch wirklich ein im Allgemeinen wohl unterrichteter Zeit-
genosse, der Verfa.sser der „Ausführlichen Historie des jetzigen bay-
rischen Krieges" (Köln 1705), Caesar Afjuiiinius (Pseudonym \'är Scipione
Errico) von einer Zusammenkunft in Memmingen (S. 1324). Allein
aus den Briefen des Kurfürsten an seine Frau lässt sich erkennen,
dass diese Nachricht falsch ist, dass eine Zusammenkunft der Gatten
überhaupt nicht stattgefunden hat. Ein uudatirtes Schreiben des Kur-
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. H
dem der Kurfürst im oben erwähnten Briefe an Monasterol
Ansdnick verliehen hatte, war also poHtischen Rücksichten
geopfert worden. Damit es nicht den Anschein gewinne,
als ob sich die Familie selbst ihrer legitimen Rechte begebe,
wies der Kurfürst seine Gemahlin an, sie möge unverzüglich
nach der La,ndeshauptstadt zurückkehren und kraft der ihr
übertragenen Vollmacht die Zügel der Regierung ergreifen.
Die Kurfürstin scheint — ihre eigenen Briefe sind uns
nicht erhalten — anfänglich darauf bestanden zu haben, den
Gatten in die Niederlande zu begleiten. Max Emanuel be-
schwor sie aber, in Bayern zu bleiben, „um der Wohlfahrt
der Unterthanen, um der Rettung der Familie willen!" Auch
der Kurfürst müsse das schwere Opfer bringen, von seiner
fürsten, das nach seinem Inhalt nur am 16. oder 17. August ge-
schrieben sein kann (auch Höfler, , Habsburg und Wittelsbach", im
Archiv für österreichische Geschichte. 44. Bd., S. 362, setzt den Briet
vor den 19. August), lässt ersehen, dass der Kurfürst zwar Anfangs
Weisung gab, seine Gattin mit den Kindern möge zu ihm kommen,
in Folge einer Aenderung der Marschroute des Feindes aber selbst
nicht eintreffen konnte. Am 19. Augu.st schreibt er, dass Reichard,
sein vertrauter Sekretär, den er als Kurier an die Kurfürstin abge-
schickt hatte, soeben zurückgekehrt sei und ihm gemeldet habe,
dass die Kurfürstin, um mit ihrem Gemahl zusammenzutreffen, einen
neuen Weg einschlagen wolle; er müsse ihr jedoch eröffnen, dass
sich in nächster Zeit keine Gelegenheit finden werde, sich wieder zu
vereinigen oder auch nur zu sehen. Auch noch andere Briefstellen
schliessen jeden Zweifel aus, dass der Kurfürst nicht persönlich von
seiner Familie Abschied nahm.
Nach Ratzenhofer (Feldzüge des Prinzen Eugen, VI, 535) wäre
Therese Sobieska auf ihrer Reise zur Zusammenkunft nur bis Lands-
berg gekommen; hier habe sie den Auftrag erhalten, die Regentschaft
zu übernehmen, und sei sodann nach München zurückgekehrt, (juellen-
belege für diese Version vermochte ich niclit zu finden. Eine Stelle
in einem Briefe des Kurfürsten vom 28. Sept. 1704: »Ayant ete, mon
tres eher coeur, depuis vostre lettre, que le corate de Gouttes m'a
porte de Memmingen, sans aucun de vous nouvelles« etc., scheint
vielmehr darauf hinzudeuten, dass Therese wirklich in Memmingen
12
Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Familie getrennt zu leben. „Sie glauben nicht, welche Ver-
zagtheit der Bayern und aller Derjenigen, die mir zugethan
sind, sich bemächtigte, als sich die Kunde verbreitete, dass
Sie mit der ganzen Familie Bayern verlassen wollten. Gott
Lob, haben Sie sich jetzt entschlossen , in's Land zurückzu-
kehren und den bewussten Vertrag abzuschliessen, und haben
auch die Kinder zurückgeschickt." Auch er will nun der
Gattin zu Liebe nicht ausführen, was ihm eine Zeit lang
räthlich erschienen war ; er will ihr den Kurprinzen nicht
abfordern, sondern die Kinder sollen insgesammt der Obhut
war und von dort aus nach München zurückkehrte. Auch der Um-
stand, dass im angezogenen Briefe vom 19. August erwähnt wird, die
Kurfürstin wolle die Route über Erolzheim und Leipheim ein-
schlagen, verweist auf Memmingen , da Erolzheim unfern von dieser
Stadt gelegen ist. In seinem Briefe an die Königin von Polen vom
10. Oktober 1704 sagt Max Emanuel ausdrücklich: ,Ich sah mich
genötigt, Eilmärsche zu machen, um die Schwarz waldpässe zu er-
reichen, fast im nämlichen Zeitpunkt, da die Kurfürstin in Memmingen
ankam (arriva a Memuiingen)".
Im kaiserlichen Hauptquartier glaubte man, dass die Flucht der
kurfürstlichen Familie gelungen sei. Am 22. August schrieb Prinz
Eugen an den Kaiser, der Kurfürst habe seine Gattin mit 5 Prinzen
und allen Prinzessinen bereits über Memmingen nach Schaffhausen
salviren lassen, „mithin sambt seiner ganzen familia bis auf den
jüngsten Prinzen Land und Laut abandonirt, welch letztem dem
Verlauth nach die landstündt aus dem Land nicht hatten lassen
wollen" (Heller, militärische Korrespondenz des Prinzen Eugen von
Savoyen, II, 208).
Unter den jetzt im Münchner Hausarchiv aufbewahrten Briefen
des Kurfürsten sind mehrere chiti'rirt. Da bei einzelnen die Auflö.sung
beigesetzt war, gelang es unschwer, den Schlüssel ausfindig zu machen:
1. 2, 3 = a
4, b, 6
7, 8. 9 = c
10, 11, 12 ^ d
13, 14, 15 = e
16, 17, 18 = f
; 19, 20, 21 = g
b 1 22, 23, 24 = h
25, 26, 27 = i
28, 29, 30 = k
31, 32, 33 = 1
34, 35, 36 = in
37, 38, 39 = n
40, 41, 42 = 0
43, 44, 45 = p
46, 47, 48 = q
49, 50, 51 = r
52, 53, 54 = s
55, 56, 57 = t
58, 59, 60 = V
61, 62, 63 = w
64, 65, 66 = X
67, 68, 69 = y
70, 71, 72 = z.
Heigel: Die Gefangemchaft der Söhne Maz EmanueVs etc. 13
der Mutter anvertraut bleiben ^). Auf den Vorwurf, dass
solche Entschlüsse nicht von aufrichtiger Zärtlichkeit zeugten,
erwidert er, es gebe noch etwas Höheres: die Pflicht ^j.
„Wir beide sind nicht dazu geboren, der Befriedigung unsrer
Wünsche den Vorzug zu geben vor dem Interesse des Staates
und dem Vortheil des Hauses." ^)
Die Andeutung bezüglich des „bewussten Vertrages"
bezieht sich auf Unterhandlungen, welche die Kurfürstin durch
ihren Beichtvater, den Jesuitenpater Smakers, im Hauptquar-
tier der Verbündeten angeknüpft hatte*). Prinz Eugen und
1) H. A. Lettre de l'electeur d. d. ^Aprerainuit le 19. aoust".
2) Köder v. Diersburg, Kriegs- und Staatsschriften des Mark-
grafen Ludwig Wilhelm von Baden, H, 74: Brief des Kurfürsten von
Bayern an seine Gemahlin, d. d. Tuttlingen. 21. August 1704. Der
Brief scheint von den Truppen des Markgrafen Ludwig, die vor Tutt-
lingen das Feldgepäck des Kurfürsten, darunter auch die von ihm
eigenhändig geschriebenen Memoiren erbeuteten, aufgefangen und in's
badische Landesarchiv gekommen zu sein. Ein Brief andren Inhalts,
ebenfalls »du camp de Duttlingen le 21 aoust 1704« ausgestellt und
durch Vermittlung des Herzogs von Marlborough an die Kurfürstin
befördert, hinterliegt im bayerischen Hausarchiv.
3) Röder v. Diersburg, H, 75 : Abschrift eines Briefes des Kur-
fürsten von Bayern an seine Gemahlin, d. d. Krummschiltach, 28, Aug.
1704. Das Original im bayrischen Hausarchiv hat noch ein in der
Abschrift fehlendes Postskript mit Nachrichten über geplante militär-
ische Operationen.
4) Hormayr (Die Mord Weihnachten von Sendung, Taschenbuch
für vaterländische Geschichte, Jhrg. 1835, 65) bezeichnet den P. Smakers
als Werkzeug der kaiserlichen Kamarilla und den Ilbesheimer Vertrag
als trügerisches .lesuitenwerk, das die Vernichtung Bayerns bezweckte.
Wenn er zur Begründung dieses Urtheils sagt: „Aber Eugen's ver-
traute Briefe rühmen uns den trefllichsten Bundesgenossen Oesterreichs
in der Kurfürstin Vertrauten und Beichtvater, dem Jesuiten Theodor
Schmackers aus Lüttich', so muss dahingestellt bleiben, ob Hormayr
wirklich solche Briefe Eugen's vor sich hatte; in den bisher ver-
ötfentlichten Briefen des Feldherm ist ein derartiges Lob des Jesuiten
nicht aufzufinden. Unrichtig ist jedenfalls die Behauptung, dass dip
Jesuiten dem Kurfürsten feindlich gesinnt waren. Die von Lipowsky
14 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Graf Wratislaw wünschten noch immer möglichst raschen
Ausgleich mit Bayern. ,Wann wir von der ersten Conster-
nation nicht profitiren", schrieb letzterer am 25. August an
den Kaiser, „und der Churfürst etwan neue Ordre schickt
oder das churfürstliche Collegium sich der unschuldigen
Kinder annehmen thäte und die Seepotenzien vielleicht nicht
dazu einstimmten, dürften alsdann Ew. Kayserliche Mayestaet
diese avantagiose Conditiones nicht mehr bekommen" *).
Dagegen wollte Markgraf Ludwig von Baden — im
Gegensatz zu der früher eingenommenen Haltung, die sogar
bei den kaiserlichen Offizieren Verdacht erregt hatte ^) —
von Verständigung mit den Witteisbachern und Schonung
Bayerns nichts mehr wissen, sondern erwiderte dem um wohl-
wollende Vermittlung bittenden Jesuiten , er sei vom Kaiser
nicht beauftragt, Friedensvorschläge anzuhören oder aufzu-
setzen, sondern einen verrätherischen Feind zu verfolgen und
das Herzogthum Bayern zu erobern. Auch einem zweiten
Gesandten , dem geheimen Rath von Meyer , erklärte der
Markgraf, die Frau Kurfürstin möge sich nur darauf gefasst
machen , das ganze Land ohne Widerstand abzutreten oder
ihre Städte und Dörfer in Flanmien aufgehen zu sehen ^).
Ebenso wenig wollten einige Räthe der Kurfürstin und
die in Bayern zurückgebliebenen Generäle von Verhandlungen
(Kurfürst Maximilian Emanuels Statthalterschaft in den Niederlanden
und dessen Feldzüge, S. 100: Schilderung der Schicksale und Bedräng-
nisse, welche die Jesuiten während des österreichisch-bayrischen Kriegs
von 1701 — 1714 in Bayern, Schwaben, Schweiz und Tirol erduldet
haben) ^mitgetheilten Auszüge aus Chroniken der bayrischen Jesuiten-
collegien beweisen das Gegentheil. Dass der Jesuitenorden überhaupt
während des spanischen Erbfolgekriegs die französische Partei be-
günstigte, ist eine bekannte Thatsache, die ohne Zweifel mit der
antiröniischen Politik des Habsburgischen Hauses in diesem Zeitraum
in Zusammenhang steht.
1) Feldzüge, VI, Anhang 868.
2) Kbendii. VI, y/J2.
3) p:b..ri.ia, VI. o;n.
Ueiffel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanveVs etc. 15
und Verträgen hören. Noch standen starke Heeresabth eil-
ungen im Lande und die Ergänzung auf den früheren Stand
wäre nicht schwer gefallen. Am 7. September schlug General
Weikel, der aus zersprengtem bayerischem Militär ein statt-
liches Corps gebildet hatte, die Kaiserlichen unter General
Anfsess bei Pfinz an der Altmühl und unternahm, um für
die Verwüstung der bayrischen Lande Vergeltung zu üben,
einen Streifzug nach Franken. Die festen Plätze Passau,
Straubing, Kufstein waren noch in Händen der Bayern, die
Hauptfe.^tung Ligolstadt behauptete sich glücklich gegen
wiederholte Angriffe der Kaiserlichen. Durch diese Erfolge
ernuithigt, stimmten Einige in der Umgebung der Kurfürstin
für Fortsetzung des Kriegs, allein die Mehrheit der Landschaft,
insbesondere des Adels und Prälatenstandes, w^ar nicht geneigt,
im Widerstand gegen den Kaiser zu verharren^).
Nicht von Zeitgenossen , sondern erst von späteren Hi-
storikern sind dieser ihrer Haltung wegen Bayerns Adel und
Klerus des „Verraths" bezichtigt worden*). Gewiss nicht
mit Recht.
Wer möchte anders als mit Achtung und Bewunderung
von Bürger und Bauersmann sprechen, die, ihrem ange-
stammten Fürsten treu ergeben, für diese Liebe ihr Herzblut
vergossen! Allein ebenso wenig dürfen diejenigen Männer,
die den übermüthigen Ehrgeiz des Fürsten und den Abfall
1) Ebenda, VI. 633.
2) U. A. sagt Hormayr (Lebensbilder aus den Befreiimfjskriegen,
in, 215) vom Adel und den Prälaten, sie hätten sich ,al3 Wohl-
dienei-, Kundschafter und Werkzeuge in die Antichanibre der
österreichischen Zwingherrn" gedrängt. Ein andermal (Die Mord-
weihnachten von Sendling; Taschenbuch für vaterländische Geschichte,
Jhrg. 1835, 65) spricht er von , entweder blödsinnigen oder erkauften,
hinterlistigen Yerräthern", von dem ,nach der grösseren und reicheren
Antichanibre des Wiener Hofes v?ie der Hirsch nach dem Brunnquell
dürstenden Adel* u. s. f.
16 Sitzung der Mst07\ Classe vom 5. Mai 1888.
von Kaiser und Reich nicht billigten und sich desshalb einer
passiven Haltung ])eflissen , schlechtweg verurteilt werden.
Auch aufrichtige Patrioten und treue Diener des Kurfürsten
fühlten sich durch den heraufbeschworenen Konflikt der
Pflichten peinlich berührt. Der wackere Priel mayer machte
kein Hehl daraus, dass er im Vorgehen des Landesherrn ein
Unglück für Bayern erblicke. Nach der Einnahme von Ulm
schrieb er (31. Oktober 1702) an den noch in Wien ver-
weilenden bayrischen Gesandten Mörmann, es freue ihn, dass
er in jüngster Zeit so wenig von den geheimen Anschlägen
des Kurfürsten erfahre, denn er möchte dafür nicht verant-
wortlich sein. Den Aufruf des Kaisers, der die bayrischen
Truppen vom Fahneneid entband, habe er gelesen: „Weil
ich aber kein Krieger, sondern meines sünns und natur nach
mehrer ein Fridmacher bin, so nimb ich 's nit auf mein Per-
sohn. Die seint in sehr scharffen Terminis eingericht und
wird sonders zweifeis mancher ehrlicher Mann darüber irr
und kleinmüettig werden." ^)
Dagegen soll nicht beschönigt werden, dass sich manche
Mitglieder der privilegirten Stände durch aufdringliche Will-
fährigkeit und Unterwürfigkeit die Sieger günstig zu stimmen
suchten, und insbesondere solche Höflinge, die, wie Max
Emanuel in den Briefen an seine Gemahlin häufig beklagt,
ihre ganze Existenz dem Kurhaus zu danken hatten, das
Andenken an den Wohlthäter unbedenklich in den W^ind
schlugen.''')
1) Bayr. St.-Arch. K. schw. ^5/2. von Mörmann's Berichte aus
Wien 1702. Schreiben Prielraayer's an Mörmann, d. d. Ulm 31. Ok-
tober 1702.
2) B. H.-A. Lettre de l'dlecteur a l'electrice d. d. Bruxelles, le
6 nov. 1704: . . . »autant je vous plaina, d'estre si mal secondöe, et
pour mieux dire, abandnnnee de ce mesme, qui n'ont receu que des
bienfaits de Nouh, et qui .sont ce qu'ils sont par les ^races de leurs
Princes«.
Heigel: Die Gefnuf/evyichaft der Söhne Mn.r EnmnueVs etc. 17
Mit Rücksicht auf die in Bayern herrschende Abneigung
gegen Fortführung des Krieges hielt auch Max Emanuel ein
Abkommen mit dem Kaiser für riithlich. Die Regentin möge
einen möglichst günstigen Vergleich treffen, schrieb er am
1 1 . September von Strassburg aus, und dann mit dem ältesten
Sohne nach Brüssel kommen.^)
Kaiser Leopold Aveigerte sich, den früheren bayrischen
Gesandten in Wien, Mörmann, an seinem Hofe zu empfangen,
und betraute seinen Sohn, den römischen König Joseph, der
die Armee des Markgrafen Ludwig an den Rhein begleitet
hatte, mit Unterhandlungen mit der Regentin von Bayern.^)
Einen ganzen Monat hindurch blieben Mörmann und
Geheimsekretär Neusönner im Lager König Joseph 's. Die
Vertreter Bayerns wollten für die Kurfürstiu wenigstens die
Hälfte des Landes retten, beanspruchten auch, dass der Rest
der kurbayrischen Truppen unter weissblauer Fahne bleibe
und das Nachfolgerecht der Söhne Max Emanuel's ausdrück-
lich anerkannt werde. Da diese Zugeständnisse nicht durch-
zusetzen waren, hinwieder die von kaiserlicher Seite vorge-
schlagenen Bedingungen der Kurfürstin unannehmbar er-
schienen, wandte sie sich — zum Erstenmal seit den Vorgängen
in Memmingen — um Rath an ihren Gatten. Dieser erwiderte
am 28. September aus Philippsburg, der Bericht aus München
habe ihn zwar tief betrübt, doch sei es für ihn kein geringer
Trost, erfahren zu haben, wie ernst die Regentin ihre Auf-
gabe erfasse, wie charakterfest sie in so schwierigen Verhält-
nissen aufgetreten sei. Am meisten verdriesse ihn, dass sie
am Staatsrath nicht bloss keine Stütze finde, sondern von
dieser Seite nur Chicane zu erleiden habe. „Kennen die
Leute denn nicht meine Handschrift und sind Sie nicht ohne-
1) B. H.-A. Lettre de l'electeur a l'electrice d. d. Strasbourg,
11. sept. 1704.
2) Feldzüge, VI, G32.
1888. Philos.-philol. u. bist. Cl. II. 1. 2
18 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
liin ihre Gebieterin und die Mutter unsrer Kinder?" Die
Kurfürstin möge in Gottes Namen auf die kaiserlichen
Forderungen eingehen. An der Entlassung der Truppen sei
nicht so viel gelegen, da ja das Fussvolk grösstentheils aus
Bayern bestehe, die man gewaltsam zum Kriegsdienst gepresst
habe und die gern z.um Pflug zurückkehren würden. Auch
die Niederreissung der ohnehin dürftigen Festungswerke
Münchens habe nichts zu bedeuten. Wirklich schwer falle
ihm nur, dass die Kaiserlichen der Kurfürstin wehren wollten,
zu ihrem Gatten zu ziehen. .Das ist eine Bedingung, die
eher der Teufel als eine Christenseele erfunden hat." Dieses
Verbot müsse fallen , die Kurfürstin müsse zu ihm nach
Brüssel kommen, die Kinder könnten entweder der Obhut
der Grossmutter, der Königin von Polen, oder des Oheims,
des Kurfürsten von Köln, überlassen bleiben. ^)
So wurde denn am 7. November 1704 zu Ilbesheim bei
Landau durch Geheimsekretär Neusönner im Namen der
Regentin von Bayern ein „Partikular-Tractat" unterzeichnet,
der nicht eine dauernde Regelung der bayrischen Verhältnisse,
sondern nur bis zu „nächst verhoffendem Universal-Frieden "
vorläufige „Abwendung der landesverderblichen innerlichen
Kriegsflammen " bezweckte. Demgemäss musste die Kurfürstin
Auslieferung aller zur Zeit noch von bayrischer Miliz be-
setzten festen Plätze, Entlassung säramtlicher Truppen, Zurück-
stellung der aus Tirol entführten Kunstschätze und Waffen-
vorräthe, Schleifung der Münchner Festungswerke und Heraus-
gabe des gesammten in Bayern vorhandenen Kriegsmaterials
zusichern; dagegen sollte ihr das Rentamt München „mit der
Territorialobrigkeit, sämmtlichem Erträgniss und Nutzen etc."
verl)Ieiben, wälirend der Rest des Landes unter kaiserliche
Verwaltung gestellt werden soll. In Bezug auf den von
1) B. II. -A. Lettre de l'ulecteur ii l'electrioo d. fl. IMiilippeville,
28. sept. 17U4.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max Emanucl's etc. 19
Max Enmnuel beanstandeten Punkt wurde festgesetzt, dass
der Kurfürstin, „wanu vorher Alles in angeregten punctis
erfüllt sein wird", freier Abzug mit den Ihrigen gestattet
und zu solchem Ende ein verlangter Passport ausgehändigt
werden sollte. ^)
Der Vertrag von Ilbesheim war für die Haager Ver-
bündeten insoferne vortheilhaft, als die Truppen, die zur voll-
ständigen Unterwerfung Bayerns hätten gebraucht werden
müssen, zum Feldzug an Rhein und Mosel verwendet werden
konnten.'^)
Andrerseits ei-ging sich zwar Max Emanuel, zumal nach-
dem sich die von den ungarischen Insurgenten in Schemnitz
angeknüpften Friedensunterhandlungen zerschlagen hatten, in
Klagen über die Härte des Vertrags, zu dessen Annahme ihn
nur das verrätherische Verhalten seiner Kronräthe genötigt
habe^); in späteren Briefen aber bezeichnete er selbst den
Ilbesheimer Vertrag als „unerwartet günstig". War ja doch
schon die Thatsache von Wichtigkeit, dass mit der Kur-
fürstin ein Vertrag abgeschlossen , mithin die Legitimität
ihrer Regentschaft anerkannt worden war. Vor Allem aber
schien dadurch die kurfürstliche Familie selbst gegen alle
Gefahren und widrigen Folgen des Kriegs gesichert zu sein.
Allein die Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen
stiess beiderseits auf Schwierigkeiten.
An mehreren Plätzen weigerten sich die bayrischen
Truppen, zu kapituliren, insbesondere die Besatzung von Ingol-
stadt wies dieses Ansinnen hartnäckig zurück. Dabei mochte
1) Feldzüge, VI, 635. Der Wortlaut des Vertrags ist ebenda,
VI, 902, veröffentlicht. Es werden dadurch mehrere Punkte, die bei
Rinck, Leopold's des Grossen Leben und Thaten, 1631, u. A. ungenau
mitgetheilt sind, berichtigt.
2) Monatlicher Staatsspiegel, auf den November 1704, 17.
3) B. H.-A. Lettre de l'electeur a Tölectrice d. d. ßruxelles,
9. nov. 1704.
2*
20 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
wenigstens zweifelhaft erscheinen, ob es der Regentin an
Macht oder an gutem Willen gebrach, die Ausführung des
Traktats zu erwirken.^)
Kaiser Leopold ertheilte desshalb an Prinz Eugen den
Auftrag, um jeden Preis die Kriegsflamme in Bayern zu
ersticken, nöthigen Falles sich sogar der kurfürstlichen Familie
zu bemächtigen '^). Als Eugen der Kurfürstin vorhielt, dass
noch nicht einmal Ingolstadt geräumt sei, und mit blutiger
Vergeltung drohte, erklärte sie, es sei gemessener Befehl zur
Räumung der Festung ertheilt worden, doch die Besatzung
habe einfach den Gehorsam verweigert^). Auf ein drohendes
Ultimatum des kaiserlichen Feldherrn wurde zwar die Festung
am 5. Dezember übergeben, allein die Entlassung der Truppen
hier, wie in andren Plätzen ging nur langsam von Statten, „die-
weilen die leith fast allerseits rebellisch und schwürig seyndt"."*)
Andrerseits wurde die bayrische Landbevölkerung von
der kaiserlichen Soldateska hart bedrückt. Die Beschwerde-
schriften der Landstände, welche dabei ausdrücklich jeden
Antheil an der Politik des Fürsten in Abrede stellten, ent-
rollen ein trauriges Bild von der Bedrängniss des bayrischen
Volkes. Viele tausend Wohnhäuser und Scheunen waren in
den zwei Kriegsjaliren in Flammen aufgegangen ! Von
95 Gerichten in Ober- und Niederbayern waren nur 13 noch
nicht der Plünderung verfallen ! ^)
Auch mit dem Vertrag von Ilbesheim kehrten nicht
friedlichere Zustände zurück , obwohl dadurch festgesetzt
war, dass fortan „beiderseitigen ünterthanen der freie Handel
und Wandel restabilirt sein und verbleiben solle".
1) Staudinger, III, 570.
2) Feldzüge, VI, 641.
3) Heller, militärische Korrespondenz des Prinzen Eugen von
Savoyen, II, 255.
4) Heller, H, 277.
5) Feldzüge, VI, 645. — S. die von Scliilfflor, 79. iiiitgethoilton
Volkslieder aus jenen Tagen.
Heigel : Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. 21
In den Briefen, welche Max Emanuel in diesen Tagen
an seine Gemahlin richtete, wechseln, wie es sich aus dem
launenhaften Temperament des fürstlichen Paares erklärt,
l)ittere Anklagen und Vorwürfe mit Ergüssen sehnsüchtiger
Liebe. Immer zeigt er sich aber als zärtlicher Vater, eifrig
besorgt um der Kinder leibliches und geistiges Wohl. , Um-
armen Sie inbrünstig die Kinder in meinem Namen," schreibt
er einmal, „und geben Sie ihnen den Segen, den ich auf
ihre Häupter herab erflehe; ich kann hier in Brüssel keine
Mutter mit ihren Kindern auf der Strasse gehen sehen, ohne
dass mir die Thränen in die Angen kommen, — ich allein
muss ja dieses Trostes entbehren!"^) Da er die Trennung
von seiner Familie so schwer ertrug, ist es begreiflich und
verzeihlich, dass er voll Unwillen und Zorn die , gehässige
Politik", die , Tyrannei" des Kaisers beklagte, wenn sich
auch bezweifeln lässt, ob diese Vorwürfe wirklich berechtigt
waren. In einem Briefe an seine Schwiegermutter behauptet
der Kurfürst, die kaiserlichen Gewalthaber seien in grausamer
Härte so weit gegangen, dass sie der Kurfürstin, die am
21. Dezember einen Knaben geboren hatte, nicht erlaubten,
die erfreuliche Kunde dem Vater durch einen Kurier über-
bringen zu lassen.^) Die Sache ist aber nicht glaublich.
Da die Kurfürstin damals noch selbständig in München re-
gierte, konnte es sich nur um Verweigerung eines Passes
behufs Durchlassung durch militärische Operationslinien ge-
handelt haben. Thatsächlich wurde, wie aus einem kurz
vorher (23. Dezember) an die Königin von Polen gerichteten
Briefe Max Emanuels erhellt, der Briefverkehr zwischen den
Gatten sowohl durch ausserordentliche Boten, als auf dem ge-
wöhnlichen Postwege unterhalten. Weshalb sollte gerade gegen
1) B. H.-A. Lettre de l'electeur a Telectrice d. d. Bruxelles,
17. nov. 1704.
2) B. H.-A. Lettre de l'electeur a la reine de Pologne d. d. Bru-
xelles, 9. ianvier 1705.
22 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
die Mittheilung jenes Familienereignisses Widerstand erhoben
worden sein? Gelangte doch ein Brief der Kurfürstin, der
das freudige Ereigniss kundgab, sowie ein Brief des Kurprinzen,
worin dieser die Geburt seines Brüder leins frohlockend anzeigte,
unbeanstandet in die Hände des Vaters. „Nur mit Gefühlen
herzlichster Ergebenheit" — liess man den damals siebenjährigen
Knaben schreiben — „nehme ich Antheil an der Freude, die
Monseigneur empfunden haben werden bei der Nachricht von
der glücklichen Niederkunft Ihrer Hoheit, meiner innig-
geliebten Mutter; wie wir jetzt an Zahl den berühmten 7
makkabäischen Brüdern in der hl. Schrift gleichen, so wollen
wir uns bestreben, ihnen auch an Muth und Gehorsam ähn-
lich zu werden." ^) Am 15. Jänner 1705 antwortete der
Kurfürst, er hege die Hoifnung, dass ihm aus dem Wohl-
verhalten seiner Kinder neues Glück erblühen werde, und
forderte den Prinzen auf, regelmässig zu schreiben.^) Der
Mahnung wurde auch entsprochen ; solange die Prinzen in
München blieben, gab der Kurprinz von Zeit zu Zeit über
sein und der Brüder Befinden Nachricht^). Erst nach der
1) B. St.-A. K. schw. *^''/43. Originaux des lettres ecrites a feu
l'electeur Maximilien Emanuel pendant rannee 1705 et celle de 1707
par feu Mag. le prince electoral de Baviere. Lettre du prince electoral
a son pere d. d. Munich, 20. dec. 1704. In Bezug auf einen Brief des
Kurprinzen vom 9. Juli 1704 schrieb der Kurfürst am 1. Nov. 1704
an die Königin von Polen: »On lui fait la Minute de la lettre celon
le desir qu'il tesmoigne de ce qu'il veut me dire. Mais il l'escrit
tout seul sans aucune assistance, ny personne luy touche la main.
De cela Votre Majest^ peut voir, qu'il a de la facilitd et capacite
d'aprendre, ce qu'on luy montre ; il est bien avance dans l'ystoire
sacrcie et aprend a present le latin«.
2) Ibid. Lettre de l'ölecteur ä son fils d. d. Bruxelles, 15. ian-
vier 1705.
3) Eine merkwürdige Mittheilung macht der Prinz in einem
Briefe vom 30. Juli 1705; er habe, um später damit seinen Vater zu
überraschen, Verse aus einer nicht näher bezeichneten Tragödie Ar-
minius, „weil diese am besten für die Gegenwart passe" (comme la
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Mcu EmanneVs etc. 23
L'ebersiedlung nach Klagenfiirt wurde den Knaben auch der
schriftliche Verkehr mit den Eltern verboten.
,Das grösste Unglück, das ihn habe treuen können,"
erblickte Max Emanuel darin, dass seine Gattin, die von
ihm ernannte und vom Kaiser anerkannte Uegentin Bayerns,
plötzlich und - wie sich aus den Briefen der Gatten ersehen
lässt — ohne sein Wissen im Februar 1705 München verliess
und nach Venedig reiste, um mit ihrer Mutter /usammen-
zutreften^). Auch von ihren Beamten war ihr abgerathen
worden*); man konnte sich den mivorsichtigen Schritt gar
nicht erklären und wusste auch nicht, welche Absicht die
Königin von Polen bewogen habe, ihren bisherigen Auf-
enthaltsort Rom zu verlassen^). Darüber unterrichtet uns
plus propre pour le temps j^resent), auswendig gelernt; nach der Ein-
nahme Münchens durch die Kaiserlichen sei ihm aber durch Baron
Neuhaus verboten worden, darin fortzufahren. Der Kurfürstin gibt,
seitdem dieselbe München verlassen, die Baronin Neuhaus über das
Befinden der Kinder regelmässig Nachrichten (H.-A. Nr. 753. Briefe
von der Freyfrau von Neuhauss, geb. v. Muggenthal, an I. Ch. D. von
München nach Venedig, 1705).
1) B. H.-A. Lettre de l'electeur a l'electrice, d.d. Bruxelles,
26. fevr. 1705. Schon in einem Briefe an die Königin von Polen vom
5. Jänner 1705 hatte Max Emanuel die Gründe dargelegt, die es un-
räthlich erscheinen Hessen, dass seine Gemahlin aus München fortgehe.
2) In der Deduction etc. des Hofraths und Archivars Baron Unertl
V. J. 1747, worin er seine Haltung während der zweimaligen Occupation
Bayerns durch die Oesterreicher 1705 und 1742 rechtfertigt, heisst
es: , Nachdem aber Ihro Durchlauchtige Churfürstin hochseligen An-
gedenckens auf eine Zeit nach ihrem Wohlgefallen aller geschehenen
Vorstellungen zugegen nach Venedig abgereist" etc. (Cod. bav. 1947
der Münchner Hof- u. St.-Bibl., Fol. 4).
3) ,.Die Ursache dieser Entrevue hat man nicht ergründen
können." (Curieuses Bücher-Cabinet, XV, 787). Die Einen meinten, die
Königin beabsichtige nach Wien zu gehen, um die Aechtung des Eidams
zu hintertreiben, Andere glaubten, sie wolle, da ihr der Aufenthalt
in Rom verleidet sei, nach Graz übersiedeln (Ebenda). Wagner
(Historia Josephi 1., 23) bringt die unwahrscheinliche Nachricht, die
24 Sitzung der Mstnr. Classe vom 5. Mai 1888.
ein Brief des bayrischen Gesandten in Rom, Baron Scariatti,
an die Kurfürstin vom 20. Jänner 1705^); es MÜrd ihr an-
gekündigt, dass die Mutter sich nach Graz begeben wolle,
um dort mit ihren Söhnen zusammenzutreffen und die Inter-
essen des Hauses Sobiesky zu berathen. Dagegen ist auch
heute nicht aufgeklärt, weshalb sich die Kurfürstin zur ver-
hängnissvollen Reise entschloss, — man müsste denn der
Vermuthung des Kurfürsten zustimmen wollen, dass es ihr
um die Vergnügungen des Karnevals in Venedig zu thun
gewesen wäre. Der Kommandant der kaiserlichen Truppen
in Bayern, General Gronsfeldt, hatte der Kurfürstin Pässe
ausgestellt, damit sie durch kaiserliches Gebiet die Reise nach
Venedig unternehmen könne. Es war ein Vorspiel zu
schlimmeren Erfahrungen, dass Kaiser Leopold, wie Prinz
Eugen der Kurfürstin anzeigen musste, sich weigerte, den
Kurfürstin habe München verlassen, weil sie nicht in Verdacht kommen
wollte, als habe sie das Komplott gegen den Kaiser angestiftet oder
gebilligt. Ottieri (Istoria della guerre avvenute dall'anno 1696 all'
anno 1725, U, 239) erzählt, die Kurfürstin habe aus Eifersucht den
Plan gefasst, zu ihrem Gemahl nach Brüssel zu gehen, und desshalb
die Mutter gebeten, nach Bayern zu kommen und an ihrer Statt die
Regentschaft zu übernehmen. Therese sei sodann ihrer Mutter gegen
den Willen ihres Gatten entgegengereist, allein die Königin von Polen
habe sich geweigert, ohne Einwilligung des Kurfürsten dem Wunsche
der Tochter zu willfahren, und da sich überdies zwischen Mutter und
Tochter ein Streit wegen des Ceremoniells erhob, sei die Mutter wieder
nach Rom zurückgegangen, während die Tochter nach einem vergeb-
lichen Versuch, nach Bayern zurückzukommen, in Venedig blieb. —
Aus den vorhandenen Briefen des kurfürstlichen Paares lässt sich
erkennen, dass einige Züge in der Erzählung Ottieri's der Wahrheit
entsprechen; Anderes lässt sich nicht controliren; der Etiquettestreit
z. H. fällt erst in den Juli 1705, nachdem der Versuch zur Rückkehr
nach Bayern längst zurückgewiesen worden war (Cfr. Lettre de
l'i^lecteur a relectrice, 8. aoüt 1705).
1) B. H.-A. Nr. 753/25. Lettres du baron de Scariatti ä S. A. E.
l'electrice Terese Cunegonde 1704—1719.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max Emanuel's etc. 25
Pass zu approbiren und auch der Königin von Polen nahe-
legen Hess, die weitere Reise nach Graz aufzugeben.^)
Bald erwies sich, dass die Besorgniss des Kurfürsten :
München verlassen, heisse München preisgeben, — nur allzu
begründet war.
Die Bedrückung durch die Einquartierung der kaiser-
lichen Truppen wurde im ganzen Lande peinlich empfunden.
Prinz Eugen schärfte zwar auf's Strengste ein , dass die
Verpflegung der Soldaten nur nach den festgesetzten Normen
durchzuführen sei ^), allein es gab immer wieder über Will-
kür und Erpressung der Sieger zu klagen. Schon musste
von Seite der Kaiserlichen gegen „die von denen Bauern auf
öffentlicher Strassen bereits anfangende ärgerliche Thaten"
eingeschritten, schon musste an die Studentenschaft in Ingol-
stadt eine scharfe Warnung gerichtet, gegen Adelige und
Offiziere wegen „ausgestossener nachdenklicher Reden" ein-
geschritten werden^). Die aufgelösten bayrischen Truppen
waren für das kaiserliche Regiment Plage und Gefahr. Schickte
man die Soldaten über die Grenze, so begaben sie sich in
die Niederlande zu ihrem Kurfürsten, der, wie Marlborough
klagte, immer neue bayrische Bataillons formiren konnte;
Hess man sie im Laude, so war zu befürchten, dass sie sich
an die aufgeregten Bauern anschliessen und an Umsturzplänen
1) Heller, II, 329. — Zwei von Gronsfeld ausgestellte Original-
pässe hinterliegen im k. geh. Hausarchiv, der eine d. d. Landshut,
5. Februar 1705, für die Reise der Kurfürstin, die „zu dero Frauen
Muttern, so von Rom nach Grätz sich begiebt, gegen Trient, Roveredo
oder bis Verona entgegenzugehen gesünnef, der andere d. d. Lands-
hut, 3. März 17Ü.5, mit Erlaubniss längeren Aufenthalts in Verona. —
Ganz unrichtig stellt Noorden, II, 152, den Sachverhalt dar, indem
er die Kurfürstin durch die Kaiserlichen zur Flucht genöthigt werden
Uisst.
2) Feldzüge, VII, 366.
3) Prinz Eugen an Gronsfeld d. d. Wien, 4. Febr. 1705 (Heller,
II, 318).
26 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
sich betheiligen würden^). Schon im Jänner 1705 schrieb
der kaiserliche Beamte Vorster an Prinz Eugen, die Kaiser-
lichen seien in Bayern „einer sicilianischen Vesper ausgesetzt"^).
Auch die Entwaffnung der Bauern verhinderte nicht, dass
da und dort Räuberei und Plünderung der Kaiserlichen mit
Ueberiäll und Todschlag vergolten wurden. Immer stärker
wuchs die Besorgniss, dass ein allgemeiner Aufstand beab-
sichtigt werde und die Fäden einer Verschwörung in Brüssel
und München zusammenliefen.
Da mit diesen Anschlägen die Gefangennehmung der
kurfürstlichen Kinder gerechtfertigt wurde, ist es notwendig,
näher darauf einzugehen.
Eine „Gründtliche Reduction und Information, was es
mit denen alsogenanten Ilbesheimischen Tractaten , deren
Schliess- und erfolgten Wiederaufhebung vor aine Bewandt-
nus habe," am 3. Mai 1713, offenbar in Folge des zu Utrecht
erneuten Streits wegen Zurückgabe Bayerns an das Witteis-
bachische Haus abgefasst, zählt eine lange Reihe von Ver-
letzungen des genannten Vertrags auf, welche zu Besetzung
von München und Gefangennahme der Prinzen bewogen ^).
Im April 1705 sei der kurbayrische Kammerrath und Zeug-
amtscommissär Baron Lier wegen dringenden Verdachts, dass
er ein „namhaffter mitwirker mehrer wehrenten infractiones
des Ilbesheimischen Vertrags" , in Haft gebracht worden,
desgleichen etwas später der Kammerdirektor Neusönner,
„durch deren beeden verfolgt(en) examination zu sothanen
yberfluss bestettiget worden ist, was man vorhero schon durch
sichere Kundschafft und andere Weeg zur genieg versichert
und convincirt worden". Demgemäss habe man nicht mehr
bezweifeln können, dass der Kurfürst von den Niederlanden
1) Feldziige, VII, 363.
2) Feldzüge, VII, 364.
3) Das Schriftstück, oft'enbar otiiziellen oder doch offiziöaen Ur-
sprungs, ist mitgetheilt bei Honnayr, 207.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. 27
aus otfeuen Bruch des Ilbesheimer Vertrags augeordnet und
feindselige Anschläge gegen kaiserliches Recht und Interesse
geleitet habe. Dies sei auch aufgedeckt worden aus aufge-
fangenen Briefen des Kurfürsten an seine Gemahlin, insbe-
sondere aber aus Briefen des kurfürstlichen Cabinetssekretärs
Reicliardt an Neusönner und Lier : diese drei Männer hätten
als ,gehaimbiste Ministri" die eigentliche Regierung in Händen
gehabt und die vielfachen Verletzungen des zwischen dem
Kaiser und der Kurfürstin geschlossenen Friedens verschuldet.
Während z. B. Auslieferung des gesammten Kriegsmaterials
ausbedungen war, seien, wie aus einem Brief Neusönner's
an Reichardt vom 29. Dezember 1704 hervorgehe, noch im
Dezember grosse Massen schweren Geschützes durch Baron
Lier vergraben worden, ,da dieser letztere aus höcherem
Bevelch die Vergrabung angeschafft zu haben, sich sogar
der expression zu gebrauchen vermessen, wan er auch das
gantze Zeughaus auf dem Rücken mit sich hinunder nach
Brüssel hette bringen können , er solches gethan haben
wurdte". Statt die Abdankung der bayrischen Soldateska zu
betreiben, habe Neusönner die Revolte in Ingolstadt in Scene
gesetzt und die Uebersiedlung von Offizieren in die Nieder-
lande gefördert. Ebenso wenig sei gehalten worden, was
bezüglich Auslieferung der festen Plätze, Niederreissung der
Münchner Befestigungswerke und andrer Punkte in Aussicht
gestellt war; auch habe sich die Kurfürstin, ,ohne von Ihrer
Kay.serUchen Majestaet die Beurlaubung auszubitten oder die
ürsach und Absechen der fürhabenten Reis gethreulich zu
eröffnen, auch ohne das Sye den in ihren Landten habenten
Tyrollischen Schatz vorhero extradirt hette, aus dem Lande
begeben". Kurz, um einen gefährlichen Herd von Intriguen
gegen das Kaiserhaus zu zerstören, sei es nöthig gewesen,
,den Missbrauch des Besizes und geniessung des Rentamts
München, wo solche böse consilia geschmiedet und der ab-
gedankte geferliche Soldat seinen aufenthalt und underschlaipf
gefundten, zu entziehen".
28 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Die von kaiserlicher Seite erhobenen Vorwürfe sind nicht
unbegründet. Die zwischen Neusönner und Reichardt ge-
wechselten Briefe, die zur Zeit im Wiener Kriegsarchiv hinter-
liegen, schliessen jeden Zweifel aus, dass in der That politische
und militärische Massnahmen, wie sie das österreichische
Memorandum charakterisirt, von den Korrespondenten betrieben
wurden^;. Es wird darin besprochen, wie Offiziere und ganze
Truppenkörper nach den Niederlanden durchzubringen wären;
dessgleichen ist die Rede von Verhandlungen mit Rakoczy,
mit welchem Neusönner durch einen Hauptmann Coulon in
Verbindung getreten war, und von einem Plan, in Böhmen
einen Aufstand anzufachen. Auch in Briefen, welche der
nach Brüssel mitgezogene Minister Baron Malknecht mit dem
Beichtvater der Kurfürstin wechselte, sind nicht bloss Familien-
nachrichten berührt, sondern auch Regierungsfragen und Ver-
handlungen mit den ungarischen Insurgenten und auswärtigen
Mächten^). Ob das kurfürstliche Paar um solche Agitation
wusste? Von Neusönner wurde es im Verhör behauptet^),
und das Lob, das der Kurfürst wiederholt der „heldenmüthigen
Haltung" und „Klugheit" seiner Gemahlin spendet, dürfte
vermutlich als Bestätigung jener Aussage aufzufassen sein.
Dass eine „sicilianische Vesper" geplant worden wäre, wie
damals kaiserliche Beamte befürchtet und später bayrische
Historiker mit einer gewissen Ruhmredigkeit versichert
haben, ist freilich nirgend in diesen Briefen angedeutet'*).
1) Mehrere von den in der „Gründtlichen Keduction" erwähnten
Briefen sind nunmehr nach den Originalen abgedruckt im Anhang
zu Staudinger's Geschichte des 2. Infant. -Regiments, III, 79.
2) B. H.-A. Nr. 754. Lettres du baron de Malknccht et Reichardt
au Pere Schmacker, 1703—1716.
3) Gründtliche Reduction etc.: . . . „wie dann der Neusönner
selber in der bey seiner Exarainirung eingegebenen erleutterung auf
die Churfürstin in allem culpam rejiciendo sich bewirfFt".
•1) In gleichzeitigen Zeitungen wird ein Plan einer allgemeinen
Erhebung erwähnt, der aus den bei Baron Lier aufgefundenen Brief-
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhtie Max EmanueVs etc. 29
Nach Aufdeckung der geheimen Verbindung zwischen
der Regentschaft und dem Kurfürsten hielt sich der Kaiser
für berechtigt, ohne Rücksicht auf den Ilbesheimer Vertrag
mit aller Strenge vorzucfehen.
Schäften entdeckt worden sein soll. Darnach hätte der Kurfürst an-
geordnet, dass an einem bestimmten Tage die in Bayern noch be-
findlichen Offiziere und Soldaten der aufgelösten Armee die Waffen
ergreifen und, unterstützt von vielen tausend ßauem, sich eines
Passes an der Donau bemächtigen und dort so lange behaupten
sollten, bis ihnen aus der Schweiz oder aus dem Elsass Hilfe gebracht
würde. So berichten der Monatliche Staatsspiegel (Monat Mai 1705,
46) und nach ihm das Curieuse Bücher - Cabinet (XV, 808j. Das
Theatrum Europaeum (XVII, 112) bezweifelt die Richtigkeit dieser
Angaben: ,Es wolten aber viele, sonderlich in Bayern, behaupten,
dass die Gefahr nicht vorhanden gewesen." Die das kaiserliche
Interesse vertretende , Europäische Fama" (36. Theil, 840) weiss an-
geblich noch Genaueres zu berichten; am Himmelfahrtstag sollten
Soldaten und Bauern den ganzen Best der in Bayern stehenden
kaiserlichen Truppen ohne Erbarmen todtschlagen ; dann sollten
,Regenspurg und Augspurg durch heimliches Verständniss in Brand
gesteckt und ausgeplündert, enfin das Unterste zu Oberst gekehrt
und eine allgemeine Revolte in Bayern erreget, mithin der innerliche
Ruhstand des Reichs gekränkt und wo möglich der Krieg aus dem
Elsass wieder nach Schwaben gezogen werden". Auch eine von
Hormayr (Mordweihnachten von Sendling, 136) abgedruckte, nicht
näher bezeichnete Relation über die Besetzung Münchens , sowie
eine Flugschrift „Kurtzgefasster, Curieuser Verlauf und Umständlicher
Bericht von der entsetzlichen Revolte und Rebellion im Churfürsten-
thum Bajern" wiederholen diese Angaben. Ihre Glaubwürdigkeit
wird jedoch dadurch erschüttert, dass die mehrgenannte offizielle
Klageschrift der kaiserlichen Regierung, die sonst in jedes Detail
eingeht, nichts von einem organisirten Aufstand, sondern nur von
Aufstandsgelüsten und vereinzelten Vorschlägen zu berichten weiss.
Auch die vorhandenen Briefe enthalten keine Anspielung auf einen festen
Plan einer allgemeinen Erhebung. Demnach ist wohl unhaltbar, was
auch Aretin (Die Oestreicher in Baiern, 16), Honnayr (Mordweihnachten
von Sendling, 135), Schreiber (Max Emanuel von Bayern, 89), Sepp
(Der bayerische Bauernkrieg, 110) u. A. von der in zwölfter Stunde
vereitelten ,sicilianischen Vesper" in Bayern erzählen.
30 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Der ,bekandte und sogenannte" Baron Lier, wie ihn
Prinz Eugen nennt ^), wurde als Gefangener nach Wien ge-
bracht, Neusönner nach Graz; durch ihre Aussagen war die
Aufdeckung von massenhaftem, da und dort vergrabenem
Kriegsmaterial ermöglicht^), auch erneute Entwaffnung von
Bürgers- und Bauersmann wurde angeordnet, die Okkupations-
armee durch schwäbische und tränkische Regimenter ver-
stärkt, endlich die schon früher beschlossene Einsetzung einer
eigenen kaiserlichen Regierung in Bayern in's Werk gesetzt.
Indessen sollte Karl Graf von Löwenstein, der neue „Ad-
ministrator in Bayern", dem Graf Sigmund von Lamberg
und Graf Seeau als Minister für Kriegsangelegenheiten und
Finanzen zur Seite standen, gemäss seiner Instruktion vom
4. April 1705, „so viel es bei jetzigen schweren Kriegszeiten
geschehen kann", Landstände und ünterthanen in guter
Stimmung zu erhalten suchen. Alles thun, um das Volk zu
beschwichtigen, Alles unterlassen, wodurch das Gefühl des
Volkes verletzt werden könnte. Am Beamtenstatus sollte so
wenig wie möglich gerüttelt, jedoch jede Verbindung mit
Prankreich und den Niederlanden sorglich verhindert werden^).
Diese Dekrete waren noch von Kaiser Leopold unter-
zeichnet. Noch vorsichtiger musste Josef I., der nach des
Vaters Tod am 5. Mai 1705 den Thron bestieg, darauf be-
dacht sein, zu verhüten, dass die Hauptstadt des geschlagenen
Peindes ein Herd gefährlicher Umtriebe werde und ein Auf-
stand aus Bayern in's benachbarte Böhmen sich fortpflanze.
1) Heller, II. 343.
2) Dass die Kaiserlichen den Begriff Kriegsmaterial nicht streng
begrenzten, erhellt aus einem Briefe des Baron Neuhaus an Pater
Schmacker vom 3. April 1705 (B. H.-A. Briefe des Freyherrn von
Neuhauss an P. Sehmacker nach Venedig, 1705 — 1706), worin be-
klagt wird , dass die Kaiserlichen auch „die im Arsenal sich be-
fundtene Metallene Statuen schon abgefiehret".
3) Feldzüge, YU, 369.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmantieVs etc. 31
Ob Josef schon damals die Absicht hegte, wenigstens den
Kern des Kurfürstenthnms den ()sterreichischen Erbstaaten
einzuverleiben, lässt sich mit Bestimmtheit weder behaupten,
noch in Abrede stellen.
General Gronsfeldt erhielt Befehl, sich der Stadt München
durch einen heimlichen Ueberfall zu bemächtigen. Der bay-
rischen Regentschaft sollte einfach bedeutet werden, „dass
Ihro KaivSerliehe Majestaet, um allen Gefährlichkeiten, die
sattsam am Tage liegen, auch seiner Zeit der Welt sollten
geoffenbart werden, kräftig zu steuern, das hl. römische Reich
und die Erblande in desto mehr Sicherheit zu stellen, seien
bewogen worden, sich des Ortes zu versichern". Nach Ein-
nahme der Stadt sollte sich Gronsfeldt der Prinzen „mit aller
Höflichkeit versichern, doch gleichwohlen mit wachsamem
Auge beobachten^j".
Am 15. Mai drangen kaiserliche Truppen in die Nähe
Münchens vor. Die Bevölkerung ahnte nichts Schlimmes,
denn es war das Gerücht ausgesprengt worden, dass kaiserliche
Regimenter auf dem Durchmarsch nach Italien das Rentamt
München durchziehen würden. Erst als auf den Höhen rings
um die Stadt Geschütze aufgepflanzt wurden, erkannte man
die feindliche Absicht. Zur Gegenwehr war es jedoch zu
spät; ein Theil der Bevölkerung wollte zwar Widerstand
leisten, allein nachdem Grousfeld versichert hatte, dass er
1) Ebenda, 373. — In Plinganser's Bericht an den Kurfürsten
über Ursachen und Verlauf des Bauernaufstandes wird die Besetzung
Münchens auf Umtriebe von österreichisch gesinnten bayrischen Unter-
thanen zurückgeführt; es hatten sich „einige Landinsassen zur Siche-
rung ihrer Absichten nicht gescheut, die Landesunterthanen bei der
kaiserlichen Administration in Verdacht eines vorhabenden allgemeinen
Aufstandes zu bringen und vorzustellen, dass zur Beibehaltung der
allgemeinen Ruhe das Rentamt München ebenfalls in Besitz ge-
nommen und die junge baiersche Mannschaft jährlich ausgemustert
und ausser Landes in kaiserliche Dienste abgeführt werden müsse"
(Rastlos, 22). Die Richtigkeit der Angabe darf wohl bezweifelt werden.
32 Sitzuvg der histor. Classe vom 5. Mai 188S.
„den Chur- und andren Prinzen nichts Widrif^es werde wider-
fahren lassen", wurde am IG. Mai die Stadt übergeben').
Nun nahm der Administrator Graf Löwenstein hier seinen
Wohnsitz. Schatzkammer, Antiquarium, Kunstkammer und
Archive wurden obsignirt, die Beamten für den Kaiser in
Pflicht genommen und zur Ablegung des Treueeides gezwungen,
die Bürger auf spezielles Betreiben Prinz Eugen's entwaffnet.
Im Uebrigen war Löwenstein angewiesen, für strengste Auf-
rechthaltung der Disciplin der kaiserlichen Truppen zu sorgen.
Schon eine noch von Kaiser Leopold ausgestellte Instruktion
vom 14. April hatte ihn zur Erklärung ermächtigt, dass „die
Prinzen ausser aller forcht und Sorge zu seyn hätten, zu-
mahlen ihnen kein Leid widerfahren, sondern ihrem Stand
nach mit geziemender Ehrerbietigkeit begegnet und alle
Sicherheit verschafft werden sollte"^). Auch nach Einnahme
Münchens erhielt er von Kaiser Joseph Weisung, dafür Sorge
zu tragen, ,dass denen churfürstlichen Prinzen an ihrer
Erzieh- und Bedienung , auch anderen Nothwendigkeiten
nichts abgehe, noch ihnen im geringsten etwas widriges,
sondern vielmehr alle gebührende Ehr und Höflichkeit er-
zeiget werden" ^). Noch deutlicher beweist die kaiserliche
Instruktion vom 31. Mai 1705, dass keineswegs eine rück-
sichtslose oder gar grausame Behandlung der Verwandten des
Kaisers beabsichtigt war. Es wurde angeordnet, dass den
Prinzen ihr bisheriger Hofstaat mit Einschluss der Leibtra-
banten belassen werde; nur Leute, welche dem Administrator
„nicht anständig" erschienen, sollten entfernt werden. An
Abführung der Prinzen werde nicht gedacht, doch soll der
der Administrator „auf selbige gute Obsicht halten", für
1) Da Ratzenhofer's Darstellung sich im Allgemeinen durch
strenge Objektivität auszeichnet , fällt um so unangenehmer auf,
dass bei Erzählung dieser Vorgänge von Widerstandsverauchen des
^Pöbels" gesprochen wird (Feldzüge, VII, 374).
2) K. k. Haus-, Hot- und Staatsarchiv.
3) Ebenda.
Heigel: Die Gefangenschaft der Sohne Max Emamiel's etc. 33
deren Unterhalt und standesmässige Erziehung Sorge tragen,
dieselben zuweilen besuchen und dabei die ihm als Admini-
strator gebührende „Oberhand" nicht ausser Acht lassen.^)
Nach der gäng und gäben Tradition hätte Graf Löwen-
stein nicht darnach getrachtet, die Bevölkerung Münchens
lind Bayerns zu beschwichtigen, sondern wie ein zweiter
Alba durch strengste Zwangsmassregeln die Ruhe des Kirch-
hofs hergestellt. Aus Löwenstein's Berichten an den Kaiser
lässt sich jedoch ersehen, dass diese Auffassung nicht der Wahr-
heit entspricht. Er verwendete sich bei jeder Gelegenheit
zu Gunsten des ihm anvertrauten Landes, im Gegensatz zu
den kaiserlichen Generälen, welche nur auf militärische Vor-
theile Bedacht nahmen. Wiederholt wurde gegen das „un-
geziemende und propositirte Procediren des Herrn Feldmar-
schallen Grafen von Gronsfeldt" Protest erhoben. Als z. B.
ein weiteres Husarenregiment nach Bayern verlegt werden
sollte, verwahrte sich die Administration gegen das Einrücken
von Truppen, „welche aus dem Raub ihren Nutzen und
Vortheil zu suchen gewohnt sind." Der kaiserliche Erlass
bezüglich der Rekrutirung, verlangte Löwenstein, möge
wenigstens dahin gemildert werden, dass ein Vater nicht
genötigt sein soll, den einzigen Sohn wegzugeben etc. Auch
an Prinz Eugen wurde wiederholt appellirt gegen die Be-
schlüsse des Wiener Hofkriegsraths, welcher „supponirt, das
Land Bayern gleich einem Erblande zu traktiren, welches
doch ex addictis argumentis weit differiret und nullo modo
aut genere zureichend sein wird, dass es die schuldige De-
votion mit Sacrificirung von Gut und Blut, gleichwie es für
den Churfürsten gethan, für das Erzhaus Oesterreich bringen
werde". Und als auch Prinz Eugen darauf bestand, dass
die Rekrutirung mit aller Strenge durchgeführt werden müsse,
lehnte Löwenstein jede Verantwortung für die Folgen ab,
1) K. k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv.
1888. Philo8.-pkilol. u. bist. Ol. U. ].
34 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
und prophezeite, dass ans schlimmer Saat eine schlimme Ernte
heranreifen werde. ^)
Auch Kurfürstin Therese wandte sich, als sie die Weg-
nahme Münchens erfahren hatte, an Prinz Eugen um Auf-
klärung des befremdenden Vorgehens, das nur als offene
Verletzung des Ilbesheimer Vertrags aufgefasst werden könne.
Engen erwiderte, ihm seien die Motive, welche den verstor-
benen und den jetzt regierenden Kaiser zu solchen Massregeln
bewogen hätten, nicht bekannt, er zweifle aber nicht daran,
dass seine Gebieter „kein geringes Fundament" gehabt hätten;
es werde wohl in Bayern conspirirt und damit zu Verletzung
der Accordspunkte Anlass gegeben worden sein.^)
Die Kurfürstin sollte durch eine noch peinlichere Er-
fahrung belehrt werden, wie sehr ihr Gemahl Recht gehabt
hatte, die Abreise aus München zu widerrathen. Als sie in
die Heimat zurückkehren wollte, wurde ihr an der tirolischen
Grenze bedeutet, es könne ihr nicht mehr gestattet werden,
1) Feldzüge, VII, 382. — Auch Unertl nimmt in seinem Bericht
über die Okkupation (Cod. bav. 1947, fol. 15) die kaiserliche
Administration in Schutz. „Die kaiserliche Administration ist dem-
nach mit dem Militari in grösster Ruhe, ohne den Landen zu Bayern
die mindeste Bedrängniss zu machen, abgezogen, wie dann auch
gedachte Lande in Zeiten der Administration ausser des ersten Jahres,
wo das Gericht Tölz aus böser, einiger hinterbliebener Offiziere An-
stiftung in eine offene Rebellion und Aufstand sich verfallen und
sogar vor hiesige Residenzstatt gezogen, allzeit wohl erduldlich und
die letztere Jahr so leidentlich mit Steuern und Oblagen gehalten
worden, dass selbiger ünterthan mehrers sich erhohlet als gelitten
hat, darüber ich nicht allein eine löbliche Landschafft, sondern auch
den Landmann zum Zeugen anrufen darff." Richtig und gerecht wird
die Lage im „Curieusen Büchercabinet" (XV, 784) beurteilt: „Jeder-
mann kann sich einbilden, dass dieses fremde Regiment, so gelinde
es auch gewesen, denen Bayern nicht wird angestanden haben, weil
natürlich ist, dass man nicht gerne einem anderen pariren will, vor
deme man jederzeit eine Aversion gehabt".
2) Heller, II, 4()G.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanneVs etc. 35
in Bayern ihren Wohnsitz zu nelimen. Vergeblich wandte
sie sich an den Kaiser, vergeblich an Prinz Eugen, der sich
auf die Erwiderung beschränkte, in Folge der bayerischen
Anschläge auf das kaiserliche Regiment habe der Ubesheiraer
Vertrag alle Rechtskraft verloren.^)
Umsonst richtete auch Kurprinz Karl Albert am 18. Juni
1705 an Kaiser Joseph ein flehentliches Gesuch, er möge ihn
und seine Geschwister „als gleichsam verlassene Pupillen"
in seine gnädigste Protektion aufnehmen und zum Beweis
seiner Huld die Rückkehr der Mutter zu ihren Kindern ge-
statten.^) Die Bitte wurde nicht gewährt, doch liess Joseph
dem Prinzen eröffnen, dass er „ihm und seinen Gebrüdern
mit Gnaden zugethan sey und ihnen solche zu erweisen nit
erraanglen wolte, auch den Verlust seines Bruders Prinzen
Aloysii (gest. 18. Juni 1705) ohngern vernommen und (Löwen-
stein) anbefohlen hätte, Sorg zu tragen, dass ihnen an ihrer
Bedienung, Gesundheit und Erlustigung sowohl als Noth-
wendigkeiten nichts abgehen möge".^)
1) Heller, II, 614.
2) Das im K. k. H.-, H.- u. St.-Arch. verwahrte Originalschreiben
trägt das Datum 18. Juni (übersandt durch Löwenstein am 19. Juni).
Demnach ist falsch das Datum 7. Juni, das der Abdruck des Briefes
in der Europäischen Fama (3G. Bd., 842) und darnach bei Lipowsky
(Des Churfürsten von Baiern, Maximilian Emanuel, Statthalterschaft
in den spanischen Niederlanden, 79) u. A. trägt, wie auch der Um-
stand, dass hier von „Schwestern" Karl Albert's gesprochen wird,
während er nur eine Schwester hatte, den abgedruckten Brief als
aprokryph erkennen lässt. Dass der Kaiser die Bitte des Kurpi-inzen
abschlägig beschied, wurde diesem am 26. Juli, als er bei Löwenstein
zu des Kaisers Geburtsfest gratulirte, eröffnet (Bericht Löwenstein's
vom 28. Juli).
3) K. k. H.-, fl.- u. St.-Arch. Als der Kurprinz einige Wochen
später, wie erwähnt, dem Grafen Löwenstein seinen Glückwunsch zum
Geburtstag des Kaisers übermittelte, versicherte Löwenstein, dass der
Kaiser über den an ihn gerichteten hübschen Brief hohe Befriedigung
empfunden habe, und sprach die Hoffnung aus, dass die Kinder
3*
36 Sitzung der histor. Glasse vom 5. Mai 1888.
Ein weiteres Reskript vom 6. Oktober 1705 verfügte
Neueinrichtung des Hofstaates der kurfürstlichen Familie in
München. Zum Gouverneur der Prinzen wurde Baron Gui-
debon ernannt, zur Erzieherin der zehnjährigen Prinzessin
Baronin Weichs. ^) Zugleich ward wiederholt des Kaisers
ernster Wille betont, dass die Kinder in sorgliche Obhut
genommen werden sollen: „Wir wollen, dass an der Printzen
guter Erziehung in fürtrefflichen Tugenden und Sitten, wie
auch an derenselben anständiger Bedienung nichts unter-
lassen werde, und wie wir zu des von Guidobonne bekannter
integritet, Vernunfft und Erfahrenheit das gnädigste Vertrawen
haben, dass er hierinfallss am besten dienen und die Prinzen
zum Guten, sonderlich zu der schuldigen devotion und Liebe
gegen ihre von Gott vorgesetzte Obrigkeit und das Vatterland
anweissen werde, so haben wir gut resolvirt, ihn für deren
Ober-Hoffmeister und zugleich Oberst-Cammerern vorstellen
zu lassen."
Am G. Nov. 1705 berichtete Löwenstein an den Kaiser
über den Vollzug der „Reformation" des Hofstaates. Ausser
wohl bald wieder mit der Mutter vereinigt würden. Der Prinz
theilte diese erfreuliche Kunde am 31. Juli der Mutter mit. Am
14. Augu.st schrieb er: „Mr. le comte de Löwenstein m'a lu la lettre,
qu'il avoit re9ue de Vienne. Sa Majeste Imperiale aprfes m'y avoir
fortement assure de la continuation de Sa tres puissante protection
et de Ses graces montre un gi-and chagrin de ce que le temps
ne permettoit pas encore de m'accorder le retour de Votre Altease
Electorale, que je luy avois si ardemment demande" (B. A. K. schw.
261/61.)
1) Max Emanuel war mit der Wahl dieser Erzieher nicht ein-
verstanden. „Cependant nos enfants ont toujours une oducation per-
nicieuse, et je ne m'cn afflige pas moins que Vous, car c'est Ih le
plus grand mal, et s'il dure, nous aurons de la jjeine k remedier, car
Tage vient et les plis se fönt; ce que Vous me mandez la dessua de
la Princesse, est asseurement de quoy s'inquieter, je croy Madame de
Weix aussi peu propre que Guidebon et ceux qui les entourent".
(Lettre de l'electeur a l'electrice, d.d. Bruxelles. 1.5. janvier 170(j).
Heigel: Die Gefangenschaft der Sö/»nc Max EmanueVs etc. 37
(lern Obersthofmeister waren nunmehr noch vier Kamraerherrn
jiufgestellt, Graf Thürheim, 7Aigleich Hauptmann der Guardia,
Graf Fugger, zugleich Oberstküchenmeister, Graf Hegnenberg
und Baron Lösch. ,Der Ohurpriutz hat bei dieser Vorstellung
mir geantwortet, dass alles, was Ew. Kayserliche Majestaet
disponirten, gantz wohl gethan sey, nur bittend, ihren Graffen
Joseph von Törring ihnen zu lassen. Alldieweilen aber Ew.
Kayserl. Majestaet in dero allergnädigstem ßefelchsschreiben
von diesem in specie keine Meldung gethan, so habe auch
ich dieses des Printzen Begehren gleichsamb non audiendo
dissimuliret, ihme Graf Joseph von Törring aber schon vor-
her zu verstehen gegeben, dass ich zwar seines Bleibens oder
Abkommens wegen keinen positiven Befelch habe, er möge
sich aber nur dahin befleissen, die Prinzen zu disponiren,
dass sie die vorseyende Reformation ohne Contristation be-
griffen, das übrige wegen seiner Person werde sich demnechst
schon schicken; welches dann auch so viel gefruchtet, dass
alles ohne sonderbahre alteration wohl abgegangen ist. " Ob-
wohl Löwenstein sich dagegen aussprach, wurde Graf Törring
belassen. Präceptor des Kurprinzen wurde Egon Joseph
Wilhelm, Probst von Mattighofen, ein Bruder des Kabinets-
sekretärs Ignaz Franz Wilhelm und gleich diesem nichts
wenit^er als kaiserlich gesinnt. Als Hofdamen der Prinzessin
Maria Anna wurden die Freifrauen von Ovalise und Rechberg
belassen.^)
Von Abführung der kurfürstfichen Kinder nach Oester-
reich ist in keinem der zwischen Wien und München ge-
wechselten Schriftstücke die Rede.
Da tauchte plötzlich im Spätherl^st 1705 das Gerücht
auf, der Kaiser beabsichtige, die Prinzen als Gefangene aus
Bayern zu entführen.
Von wem das Gerücht ausging, konnte auch durch die
1) K. k. H.-, H.- u. St.-A.
38 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai tSS8.
später von den Kaiserlichen anc^eordnete Untersuchung nicht
festgestellt werden.^) Durch das Hofgesinde verbreitet, drang
die Kunde in die Bürgerschaft und rief hier Aufregung und
Entrüstung hervor. Die Bevölkerung von Stadt und Land
war ohnehin erbittert über die Einquartirung so grosser
Truppenmassen, die Eintreibung von Kriegssteuern, ins-
1) In dem Akt, die Untersuchung gegen Graf Törring betr.,
(Münchener Reichsarchiv: Spanischer Erbfolgekrieg, Nr. 107 Graf
Philipp Joseph von Törring, 25 Jahre alt, wurde im Schloss zu Ingol-
stadt am 19. Jänner 1706 verhört, ,weil er Wissenschaft gehabt, dass
die Bauern vor München rücken werden'*) heisst es: „Ob dem H. Graffen
nit bekandt seye, wo das geschwätz herkommen, dass man die Printzen
wegführen wolle V
Nein, wisse es nit, Er seye von dem Kammerdiener duc Lac
deshalb gefragt worden, „man sage in der gantzen Residenz davon".
Er habe bei Sr. Excellenz dem Herrn Administrator zu Mittag gespeist,
den gantzen Nachmittag dort verblieben, darzu aber im geringsten
keine apparenz verspühret. Soviel erinnere er sich, dass etliche tag
zuvor schon einmahl das geschrey durch die Fr. Üäubnerin Cammer-
dienerin auskommen seye, welche vorgeben haben solle, dass Ihr ein
Franziskaner gesagt, in der Kirchen auff dem gang abends in der
Litaney, allwo auch Herr Grnff v. Seeau sich befunden, gehört zu
haben, dass jemand dem Herrn graflen v. Seeau gesagt, man werde
die Printzen hinwegführen, und dieses zwar solle dem Vernehmen
nach ein ofiicier gewesen seyn; diese Däublerin habe es sodan dem
trabanten, der die schildwach gehabt, gesagt, von dannen es under
andere trabanten und so fort under übrige bediente kommen seye.
Dieses geschwätz von entführung der Printzen seye zu München nichts
neues und wohl von der Churfürstin selbsten hiebevor gesagt worden,
Sie wollte selbige ausser Lands führen". --
Es ist oft geschildert und beklagt worden, dasa bei diesen
Untersuchungen so entsetzlich grausamer Gebrauch von Folterqualen
gemacht wurde und auch die Urteile sich durch ungewöhnliche Strenge
auszeichneten. Dagegen wurde nicht erwähnt oder doch nicht betont,
dass die Richter nicht etwa kaiserliche, .sondern Itayrische Beamte
waren, z, B. bei dem Verhör des Hauptmann Mayer: „D. de Unertel,
consiliarius aulicus et secretarius intimus, I). Hess, revisionis con-
siliarius, D. de Wettstein, consilii aulici bellici consiliarius."
Heiijel: Die Gefangenschaft der Söhne Max Emanuel's etc. 39
besondere über die gewaltthätig durchgeführte Rekrutirung.^)
Diese Unzufriedenheit, vermutlich auch durch französische
Umtriebe geschürt^), ging in Widerspänstigkeit über, als
das Gerücht von der Wegschleppung der Prinzen 'Ver-
breitung und Glauben fand. Von sämmtlichen, nach dem
unglücklichen Ausgang des Aufstandes in Haft Gezogenen^)
wurde übereinstimmend ausgesagt, dass zunächst und vor
Allem ihre Absicht war, die Kinder des Landesherrn gegen
1) Im Theatrum Europaeum (17. Bd., 116) sind die Ursachen, welche
zum Aufstand der bayrischen Bevölkerung führten, eingehend ge-
schildert, jedoch oftenbar die Farben allzustark aufgetragen. Es ist z. B.
in hohem Grade unwahrscheinlich, dass die Summe der binnen .lahres-
frist eingetriebenen Brandschatzungen sich auf 7 Millionen Gulden
belaufen habe, dass von dem über das Kameralwesen gesetzten Grafen
Mollart an eigenen „Ersparnissen" anderthalb Millionen in der Bank
zu Venedig deponirt worden seien, dass derselbe Beamte die Pretiosen
der Kurfürstin gestohlen und auf eine Beschwerde des Kurprinzen
erwidert habe, der Kurfürstin gehöre überhaupt nichts mehr im Lande,
dass vornehmen Damen, wie den Gräfinen von Törring, Tauffkirchen,
Rechberg etc. alle Möbel weggenommen worden seien etc. In den
Besohwerdeschriften der Landstände findet kein einziger von diesen
Punkten Erwähnung. — Hormayr (Mord Weihnachten, 110) malt nicht
bloss den Diamentenraub Mollart's (des Mannes „mit der ledernen
Stirne") noch hässlicher aus, sondern verlegt auch, um den Aufstand
als Akt der Notwehr zu rechtfertigen, die Abtrennung von Mindelheim,
Wemding, Inn viertel etc., die natürlich erst nach Verhängung der
lieichsacht über den Kurfürsten erfolgt ist, in's Jahr 1705 ! !
2) Feldzüge, VII, 384.
3) So sagt z. B. Hauptmann Mathias Mayer aus, der Pfleger von
Tölz, der Jägerwirth und andre Führer des Aufstandes hätten „die
aufgefangenen Posten und Correspondenzen aussgesucht und ihme,
Mayern, zu vernehmen gegeben, dass die Kayserl. administration die
Printzen in's Tyrol führen wolle, welches man nit geschehen lassen
könnte und sonsten der Churfürst zu f^einer Zeith es scharpff ahnden
würde" (R.-A. Span. Erbfolgekrieg, Nr. 151: Protocollum examinis
etlicher den 25. Dez. 1705 gefangenen bayr. Rebellanten, gepflogen
den 28. Dez. 1705).
40 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
die geplante Gewaltthat in Schutz zu nehmen.^) Auch Plin-
ganser versichert in seinem Bericht an den Kurfürsten, um
der Rettung der Prinzen willen habe Bürger und Bauer zum
Gewehr gegriffen,^) sei aus dem Widerstand einiger Bursche
im bayrischen Walde, die sich gegen die Aushebung sträubten,
ein über^s ganze Land verbreiteter Aufstand hervorge-
Avachsen,
Patriotische Männer, der Jägerwirth, der Hallraayerbräu,
Revisionsadjunkt Haid und Sekretär Heckenstaller begaben
sich, um über die Sache Gewissheit zu erlangen, zum Erzieher
der Prinzen, dem jungen Grafen Törring. Obwohl dieser,
wie er später vor Gericht erklärte, jede Gefährdung seiner
Zöglinge in Abrede stellte,') beharrten die Bürger bei ihrem
1) Schäffler, die oberbayrische Landeserhebung, 18. — Destouches,
Münchener Bürgertreue, 7.
2) Schels, Beiträge zur Geschichte des Volksaufstandes in Nieder-
bayern in den Jahren 1705 und 1706, in den Verhandlungen des
histor. Vereins von Niederbayern, 8. Bd., 131.
3) Graf Törring erklärte im Verhör, er habe auf den Vortrag Haid's
erwidert, dass er zwar öfter die Ehre geniesse, zum Herrn Admini-
strator zum Essen eingeladen zu werden, jedoch von einem Plan, die
Prinzen wegzuführen, niemals etwas gehört habe; wenn es aber die
Kaiserlichen thun wollten, wie könnte man sie daran hindern? Als
darauf Haid den Plan einer allgemeinen Landeserhebung darlegte,
mahnte Törring ab. Er wisse, „dass weder der Churfürst, weder die
Churfürstin dieses Bauerwesen approbiern, sondern vielmehr, sonder-
lich die Churfürstin sehr darüber lamentire und den Ruhestandt
wüntsche, umb desto ehenter zu ihren Printzen wieder zu kommen,
welches, wie er von Ihro Excell. dem H. Administratorn vernommen,
auch schon auff guthen weegen gewesen wäre, wenn nit das Bauren-
wesen darzwischen kommen".
Dies gab auch Hayd im Verhör zu, dagegen stellte er in Abrede,
dass Törring vom Aufstand abgerathen habe. Als Törring darauf
bestand, „er habe bey allen discursi die contrari partie von denen
Bauern genommen", flüsterte ihm Hayd etwas in's Ohr. Befragt,
was er ihm zugeraunt habe, erklärte er, er habe ihn nur an Berten-
stein erinnert, denn Tön-ing habe, als zwischen ihnen wegen der
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. 41
Vorhaben, zur Rettung der Dynastie und des Vaterlands
mit den aufständischen Bauern gemeinsame Sache zu machen.
Es ist bekannt, welch trauriger Ausgang dem Anschlag
der Patrioten auf die Landeshauptstadt, wie dem ganzen
Aufstand beschieden war. Es fehlte den Streitern von Send-
ung und Aidenbach gewiss nicht an Muth, wohl aber, wie
schon von Zeitgenossen richtig beurteilt wurde, „an guten
consiliis und erfahrenen officiers sowohl als an denen Kriegs-
nothdurfften." ^)
Abführung der Prinzen verhandelt wurde, in Aussicht gestellt, sein
Vetter Bertenstein werde dabei gute Dienste leisten. An dieser Aus-
sage hielt Hayd auch nach wiederholter Folterung fest. (M. R. A.
Span. Erbfolgekrieg. Nr. 107.)
1) Monatlicher Staatsspiegel, auf den Jänner 1706, 71. Die
weiteren Ausführungen dieses publicistischen Organs sind charakte-
ristisch für die damalige Auffassung einer von Bauern ausgegangenen
Bewegung. „Von so vielen biss dato schon Gefangenen von diesem
Gesindel vernimmt man nicht, dass bey ihnen etwas rechtschaffenes
von Teutschen oder Frantzösischen vornehmen Officiers sich aufhalte,
vielmehr dass ihre Rotte aus schlechten Leuten und Canaille bestehe,
wie es das F^xempel des Metzgera zu Kelhaim und die Commandant-
schaft zu Camb bewehret." Der wesentlich gerechte Gott habe noch
niemals einen Bauernaufstand gegen die rechtmässige Obrigkeit ge-
lingen lassen.
Der Biograph Karls VI., Kanonikus Conlin zu Augsburg, widmet
dem Sieg des Kaisers folgende Verse:
Jupiter (Kaiser Joseph) sich lang verweilet,
Abzufeuren seine Blitz,
Doch Pan (Bauern) toll zum Würgen eylet
Und angreifet Löwensitz (München).
Schnell der Blitz das Heer hat troffen.
Miserabel war der Fahl,
Schlagt zu Bod, was nit entloffen.
Neu Gigantes allzumahl. "
„Gewiss ist es, dass Se. Churf. Dicht, an solchem landverderb-
lichem Wesen grösstes Miss-Belieben getragen". (Conlin, Glorreichste
Regierung und unvergleichliche Thaten Caroli VI., 95.)
■12 Sitzung der histor. Glasse vom 5. Mai 18S8.
Dass der Kurfürst nicht für den Aufstand verantwortlieh
zu machen ist, ja, von den Anfängen der Bewegung nicht
einmal unterrichtet war, ist durch seine unverfänglichen
Aeusserungen in den Briefen an die Kurfürstin festgestellt.^)
Allerdings schickte er, als die Aufständischen überraschend
glückliche Erfolge erzielten, einen Vertrauten nach Bayern,
um zu erfahren, über welche Streitkräfte die Patrioten ver-
fügten, welche Pläne sie verfolgten und auf welche Weise
sie etwa einen Einfall des Kurfürsten in Bayern unterstützen
könnten. Ehe jedoch der Vertrauensmann nach Bayern ge-
langte, war schon Alles entschieden, die Hauptkräfte der
Insurgenten waren geschlagen und zerstreut, die festen Plätze
wieder in Händen der Kaiserlichen.^) So blieb dem Kurfürsten
nichts Andres übrig, als das Geschick der Opfer patriotischer
Pflichttreue zu beklagen, sich selbst aber vom Verdacht der
1) Vgl. Heigel, die Korrespondenz des Kurfürsten Max Emanuel
von Bayern mit «einer zweiten Gemahlin Therese Kunegunde, in
Quellen und Abhandlungen zur neueren Geschichte Bayerns, 183.
2) B. H.-A. Lettre de l'electeur a l'electrice d. d. Bruxelles 5. fevr.
1706. Auch die vertraulichen Briefe des an Max Emanuers Hof lebenden
Ministers Baron Malknecht an den mit der Kurfürstin nach Venedig
gezogenen .Tesuitenpater Smackers können zum Beweise dafür, dass
der Kurfürst nicht als Anstifter des Aufstands anzusehen sei, heran-
gezogen werden. Während nämlich darin nicht blos Familienverhält-
nisse, sondern auch politische und militärische Massnahmen, und zwar
solche von geheimstem Charakter, wie z. B. die Verhandlungen mit
Rakoczy, besprochen werden, ist von der Erhebung der bayrischen
Bauern und dem Zug gegen München, sowie von einer beabsichtigten
Insurrektion Böhmens erst in einem Briefe Malknecht's vom 8. Jänner
1706 die Rede, mit dem Bemerken, es müsse die Bestätigung abge-
wartet werden. Der nächste Brief Malknecht's vom 15. Jänner 1706
bringt sodann nur die kurze Nachricht von der Niederlage bei Send-
ung mit dem Beifügen, die Anhänglichkeit der Unbesonnenen an den
Kurfürsten werde ihr eigenes Verderben und den gänzlichen Ruin
des Landes zur Folge haben (B. Hausarchiv, Nr. 751. Lettres du
baron de Malknecht et Reichard au Pere Schmacker, 1703. 1716).
Heigel: Die Gcfangemchaft der Söhne Max Emanuel's etc. 43
Anzettelung zu reinigen.^) Denn es war vorauszusehen, dass
der missglückte Aufstand den Anlass bieten werde, die Aus-
führung der schon beschlossenen Massnahmen gegen Bayern
und die bayrische Dynastie zu beschleunigen.
Schon am 29 Jänner 1705 war vom Kaiser an Kurmainz
das Ansinnen gestellt worden, die Achterklärung gegen Bayern
und Köln in's Werk zu setzen; am 18. Februar hatte der
Erzkanzler den Antrag dem Fürstenkollegium mitgetheilt,'^)
und durch Beschluss vom 27. November hatten die Kurfürsten
ihre Zustimmung zu erkennen gegeben.^) Trotz des Protestes
Karls XII. als Herzogs von Zweibrücken und nachträglicher
Vorstellungen Preussens zu Gunsten der Witteisbacher wurde
am 29. April 1706 in feierlicher Thronsitzung im Rittersaal
der Wiener Hofburg über die beiden Wittelsbacbischen Brüder
die Reichsacht ausgesprochen, Max Emanuel's „unglücklicher
Leib" aus des Kaisers und des Reiches Schutz Verstössen und
dem Unfrieden preisgegeben, beiden Brüdern jegliches Keichs-
lehen abgesprochen.*) Gegen die Rechtsgiltigkeit solchen
Vorgehens konnte freilich eingewendet worden, dass Joseph I.
in seiner Wahlkapitulation beschworen hatte, kein Achturtheil
über einen deutschen Fürsten ohne Zustimmung des gesammten
Reichskörpers auszusprechen, dass aber im schwebenden Pro-
zess das Fürstenkollegium, gerade weil die Witteisbacher hier
manchen Freund und Anwalt hatten, gar nicht um Zustimmung
oder Urteil angegangen worden war. Pro salvandis juribus wurde
desshalb von den Königen von Schweden und Dänemark in
Ansehung ihrer deutscheu Provinzen, den sächsischen Herzog-
thümern, Wirttemberg, Mecklenburg, Hessen - Kassel und
1) B. H.-A. Lettre de l'electeur a l'electrice d. d. Bruxelles,
12. fevr. 1706.
2) Theatrum Europ., XVII, 32.
3) Monatl. Staats.spiegel, auf den Monat August 1706, 17. Con-
clusum collegii electoralis in cauaa privationis et banni contra elec-
tores Coloniensem et Bavarum. Signatuui Regensburg, 27. Nov. 1705.
4) Monatl. Staatsspiegel, auf den Monat Mai 1706, 15.
44 Sitzung der histor. Classe vom 5, Mai 1888.
andren Fürsten unter Berufung auf das westfälische Friedens-
instrument, den Reiehsabschied von 1G63 und die Wahl-
kapitulation Joseph's Beschwerde erhoben und Remedur des
Vorgehens gegen Bayern und Köln gefordert.^) Da der
Kaiser vor Allem den zwischen Oesterreich und Frankreich
schwankenden, unberechenbaren Schwedenkönig nicht reizen
durfte, bequemte er sich zu einer rechtfertigenden Erklärung,
und die gegen das Land des Geächteten geplanten Massregeln
wurden einstweilen aufgeschoben.*)
1) B. R. A. Spanischer Successionskrieg, Nr. 152: Privataufzeich-
nungen und poetische Ergüsse über Vorfallenheiten des spanischen
Successionisivrieges etc.
2) Staatscantzley, XII, 810. — Noorden (Europ. Geschichte im
achtzehnten Jahrhundert, II, 515) sieht die Beschwerde der Fürsten
für begründet an. Dagegen erblickt darin Froboese (die Achtserklärung
der Kurfürsten von Baiern und Köln 1706 und ihre reichsrechtliche
Begründung, 68) nur einen nichtigen Einwand. Allerdings heisse es
in Artikel 3 der Wahlkapitulation, es dürfe kein Reichsstand von
sessio und votum in den Reichscollegiis suspendirt oder ausgeschlossen
werden, „ohne der Churfürsten, Fürsten und Stände vorhergehen-
den Eim-ath und Bewilligung". Jedoch Artikel 27 § 3 laute: „Wäre
es aber Sach, dass die That an sich selbsten ganz offenbar, der Fried-
brecher auch in seinem Verbrechen beharrlich und thätig fortführe,
obwohl es dann nicht eben eines sonderbaren Process vonnöthen, so
wollen wir jedoch auch in diesem Falle mit 'Zuziehung des H. Reichs
erstgemeldtermassen uninteressirten Churfürsten, ehe und bevor wir
zu der wirklichen Achtserklärung schreiten, communiciren und ohne
deren erfolgten Rath und ausdrückliche Einwilligung damit nicht
verfahren". Dass beide Bestimmungen einen Widerspruch enthalten,
erkennt auch Froboese an. Wenn er ihn dadurch zu lösen glaubt,
dass er Artikel 27 als Ausnahme, bezw. als nähere Bestimmung von
Artikel 3 erklärt, wobei man sich nach dem juristischen Grundsatz:
Lex specialis derogat generali, beruhigen könne, so sind damit die
Schwierigkeiten gewiss nicht beseitigt. Freilich liefert eine von
bayrischer Seite erschienene Schutzschrift „Die Republic deren
Souveraenen oder die Teutsclie Freyheit, in einigen vertrauten Briefen
von einem Lombardischen Cavalier einem Florentinischen Abbate
erkläret" (Cod. germ. 3383 der Münchner II.- u. St.-Bibliothek, 973 Bl.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. 45
Dagegen glaubte Joseph ein Mittel nicht verschmähen
zu dürfen, wodurch er sich vor weiteren Aiifstandsversuchen
der bayerischen Bevölkerung sichern und den Kurfürsten,
der noch immer als Genosse des Reichsfeindes in den Nieder-
landen kämpfte, zu Niederlegung der Waffen geneigt machen
könnte.
Noch am 7. Mai 1706 schrieb Baron Neuhaus, der hie
und da dem Pater Smackers über das Befinden der kurfürst-
lichen Kinder Nachricht gab, es werde beabsichtigt, die
beiden ältesten Prinzen auf einige Zeit zur Sommerfrische
nach Dachau und später nach Lichtenberg übersiedeln zu
lassen. Am 22. Mai aber schreibt er, er könne bei allen
Heiligen beschwören, dass er sich damals, als er von jenen
Sommerplänen berichtete, „nit das Mindeste gewiss noch bei-
fallen lassen, dass Ihro Reis auf weiteres angesehen war."^)
8°; das Titelblatt enthält die Bezeichnung: „Colin bey Peter Marto,
Anno 1712", doch konnte ich keines gedruckten Fxemplares habhaft
werden und bezweifle, ob die dem Eurfürsten gewidmete Schrift über-
haupt gedruckt worden sei), nur den Beweis, dass in manchen Kreisen
der Reichsgedanke gänzlich erstorben war. Die Bestrafung eines Kur-
fürsten sei überhaupt eine Verletzung der Verfassung, da der Kaiser
nur Präsident der teutschen Republik, Souverain mit den deutschen
Fürsten, aber nicht über denselben, ,ein König der Könige bis in so
weit, als sich mit einem gecrönten Haubt die sou veraine Freyheit
aller seiner ebenfalls respective gekrönten mitglieder vergleichen lässt".
Der Zwist Max Emanuels mit dem Kaiser wird mit dem Streit zwischen
Achilles und Agamemnon verglichen. Das Gutachten Nestor's passe
auch auf die moderne Zeit. Max Emanuel könne die nämlichen Gründe
für sich geltend machen, wie Achilles, der auch von Agamemnon ein
Verräther an der Sache der Griechen und ein Staatsverbrecher ge-
nannt worden sei, weil er sich gegen die Befehle des Argiverkönigs
aufgelehnt habe; Max Emanuel, wie Achilles köime sagen, „ob er
schon an Cron und Generalstaab ungleich, so seye er doch in dem
wesentlichen, so einen Fürsten ausmachet, gleich, er besitze die Frei-
heit, nach seinem Willen zu thun".
1) B. H.-A. Nr. 753/25. Lettres du baron de Scarlatti ä S. A. E.
l'Electrice Terese Cunegunde 1704—1719.
4:6 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1S88.
Unter dem Vorwand einer Liistreise waren inzwischen die
vier älteren Prinzen, Karl Albert, Philipp Moriz, Ferdinand
Maria und Klemens August von München entfernt, jedoch
nicht nach Dachau oder Lichtenberg, sondern unter starker
Bedeckung über Ehrenberg durch Tirol nach Klagenfurt
gebracht worden. Die zwei jüngsten Prinzen, Theodor und Max
Emanuel, dritthalb und anderthalb Jahre alt, sowie die neun-
jährige Prinzessin Maria Anna Karoline blieben in München der
Obhut der Obristhofmeisterin Frau von Weichs übergeben.^)
Die Weisung zur Abführung der Prinzen liegt in den
Akten der Administration nicht vor, sondern nur ein Schreiben
Löwenstein's vom 21. Mai 1706, worin er dem Kaiser über
die Reise der Prinzen durch Tirol Bericht erstattet. „In-
dessen gehet die Reyss der Printzen noch jmmer glücklich
von statten, und setzen sie selbige heute wieder von Inns-
prugg weiters fort, allwo denen Camraerherren und bayrischen
Creaturen Fugger als Obristkuchelmeistern, sodann Henneberg
und Lösch anfangs zu verstehen gegeben, weilen sie es aber
nit begreiffen wollen, endlichen dar bedeutet worden, dass
sie sich wieder in Bayern begeben mögten, worüber sie sich
zwar sehr alteriret bezeiget, doch endlichen darzu accomodirt
haben. Wird also allein der Obristhofmoister Baron von
Guidabon und GrafF von Thierheim in Cärndten mitgehen . . .
1) Die herkömmliche Angabe, dass die Tochter Max Emanuel's
schon 1706 in's Angerkloster zu München gesteckt worden sei, wird
widerlegt durch die Hofhaltungsvorschriften vom 20. Mai 1706.
Wann dieselbe in's Kloster als Novize eintrat, ist nicht festzustellen.
Max Emanuel selbst spricht in einem Briefe an seine Schwiegermutter
vom 7. November 1708 den Vorsatz aus, ihr eine geistliche i'fründe
in Frankreich zu verschaffen, da sie in Folge des Verlustes eines
Auges auf standesgemiisse Verheiratung nicht rechnen könne. Ein-
gekleidet wurde sie im Angerkloster erst 1719, und im nächsten
Jahre legte sie die Gelübde ab, wobei sie in keinem Punkte Dis-
pensation von den allgemeinen Pflichten erbat. (M. Keichsarchiv;
Fürstensachen, Fasz. 81, Nr. 741. Conlin, 712.)
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. 47
Indessen werden anstatt der abgehenden Cammerherrn wohl
ein paar Edelleuth auss Cärndten ohne oder mit geringeren
Sold zu Bedienung der Prinzen substitnirt werden können."^)
Ueber den weiteren Verlauf der Reise berichtet ein
Schreiben Löwenstein's vom 1. Juni 1706: „Indem E. K. M,
Hofkamnierrath Freyherr von Petschowitz, welcher die bay-
rischen Printzen begleitet, mir von Braun-Eck (Bruneck im
Pusterthal), allwo sie einige Tage wegen der an dem Printzen
Ferdinand sich geäusserten Schaffblattern des Medici davor-
h alten nach etwan 5 Tage werden still liegen bleiben müssen,
berichtet, dass der ältere Printz bis dato den goldenen Flüss,
so er vom Herzog von Anjou bekommen, trage, und ihme
zwar per abusum, aber dannoch ziemlich frequent der Titel
als Churprintz, denen anderen aber der hertzogliche Titul
gegeben, in denen Kirchen ein besonderer Teppich und
Polster aussgebreitet und von denen Edelknaben zum Evan-
gelio geleuchtet werde. So viel nun des Churprinzen prae-
dicat betrifft, habe ich zwar solches abstellen, auch die Vor-
sehung thun lassen, dass ihnen an denen erhöheten Orthen
in den Kirchen kein Teppich abgehangen werde; E. K. M.
aber habe es hiemit allergehorsambst berichten sollen, aufl'
dass dieselbe dero allergnädigsten Befehl, wie Sie es hierin
und sonst in allen übrigen gehalten haben wollen, nach
Clagenfurth ergehen zu lassen geruhen möge."^)
Ueber die Ankunft in Klagenfurt endlich unterrichtet
ein Schreiben vom 25. Juni 1706: . . . „Der Freyherr von
Peschowitz (ist) am abgewichenen Dienstag von Clagenfm'th
hier wieder angekommen, nachdem er den 10. jetzlauffenden
Monaths alda die 4 bayrischen Printzen alle in guther Ge-
sundheit eingebracht und E. K. M. dasiger Obristburggraff
Graff von Rosenberg selbige in das fürstliche Portia'ische
1) K. k. H.-, H.- u. St.-A.
2) Ebenda.
48 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Haus einlogiret hat, mit welchem er die Unterhaltung des
noch auff der Keys und dann zu Clagenfurth mit Zurück-
send- und Abschaffung etlich und 30 Personen und so viel
Pferd möglichst restringirten Hofstaats auflfs genaueste unter-
suchet . . ., mithin die zu Abführung der Printzen auff sich
genommene beschwerliche Commission geendiget, wobey er
sowohl wegen verschiedener zu deren Sicherheit und Spesi-
rung auff der Keys als Einrichtung der Oeconomie und
anderer abgelegenen Anstalten gar nöthig gewesen und sich
so aufgeführet, dass E. K. M. ob seinem hierunder zu dero
Dienst bezeigten Fleiss, Eyffer und Sorge unzweifentlich
allergnädigstes Wohlgefallen tragen werden".^)
Die Söhne Max EmanuePs waren Gefangene, darüber
konnte kein Zweifel bestehen, doch wurden — dies geht
ebenso unumstösslich aus den Berichten Löwenstein 's hervor,
— die Rücksichten, welche Stellung und Alter der Prinzen
verdienten, keineswegs aus den Augen gelassen. Zwar schien
es dem Administrator mit Bezug auf die über den Vater
verhängte Reichsacht nicht mehr geboten, das Prädikat eines
Kurprinzen anzuerkennen, doch wurden alle Brüder sowohl
während der Reise, als während des Aufenthalts in Klagen-
furt als Prinzen titulirt und behandelt, und es ist lediglich
eine Erfindung, dass den Gefangenen nur noch der Titel
„Grafen von Witteisbach " zugestanden worden sei.*)
Auch den in München zurückgebliebenen Kindern wurde
nicht unwürdig begegnet. Nach Entfernung der älteren
Söhne wurde zwar durch Löwenstein eine Einschränkung
1) K. k. H.-, H.- u. St.-A. Beilief?end : „Lista des Hotf-Staabs",
jHoff-Staabs-Besoldungen", ,Hoff-Taffeln und wie selbe besezt werden",
„Liata deren Pferdt, welche bey Hott' verpfleget werden", „Spesirung
der bayrischen Hotf-Statt in Clagenfurth auf ein gantzea Jahr".
2) So schon bei Finsterwald, Germania Princeps : Historia et
Genealogia Boicae gentis (1749), 2371, bei Hormayr, Mordweihnachten
etc., 110, u. A.
Heipel : Die Gefangenschaft der Sühne Max EmanueVH etc. 49
des bayrischen Hofstaats angeordnet. Die überflüssig ge-
wordenen , alten and gebrechlichen von Hofstaat und Be-
dienten" sollten ,mit einer etwahig proportionierlichen Pro-
vision" entlassen werden, die jungen und kräftigeu auswandern
dürfen oder angemessene Chargen im kaiserlichen Kriegsdienst
erhalten. Die Kinder behielten aber einen Hofstaat von
nahezu hundert Personen mit Kammerherren, Hofdamen,
Kammersekretären, Leibärzten, Kanzleibeamten, Mundköchen
etc., und einen Marstall von 72 Pferden.^) Auch aus einer
1710 geschriebenen „Zusammenstellung dessen, was seit anno
1705 für die bayrischen Prinzen und Prinzessin in München
und Klagenfurt von der Hauskaramerei abgegeben worden",*)
welche für die einzelnen Posten namhafte Summen aufzu-
weisen hat, ist der Schluss zu ziehen, dass es nur eitel Klatsch
war, wenn von „kärglichem Tractament" der Gefangenen
gesprochen wurde. ^)
Max Emanuel freilich erblickte in dem Vorgehen des
Kaisers gegen seine Kinder eine unerhörte Tyrannei. „Das
ist ein herrliches Betragen!" schrieb er am 21. Mai an seine
Gattin, „das heisst. unsere Kinder behandeln wie Bankerte!
Welch ein Tyrann ist dieser Kaiser! . . . Ich versichere Ihnen:
solche Thaten werfen einen unauslöschlichen Makel auf den
Thäter, sind etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes im
Reich; kaum hat jemals ein Tyrann so gefrevelt gegen die
Gesetze des Anstandes und das Recht der Völker und Fürsten."*)
1) B. R.-A. Fürstensachen, II, Specialia, Lit. C, Fase. 76, Nr. 710.
Neyerlichere Reduction über der in Minichen verbliebenen durch-
lauchtigsten zwei jüngeren Prinzen, auch Prinzessin, dann der übrigen
Dicasterien und Bedienten Unterhalt und Besoldungen btr. (20. May
1706).
2) Ebenda. Für Wachs z. B. wurden 5556 Gulden, für Zucker
7312 Gulden, für Holz 12785 Gulden etc. ausgegeben.
3) So bei Finsterwald, 2453 etc.
4) B. H.-A. Lettre de l'electeur a l'electrice d. d. Bruxelles,
21. may 1706.
1888. Philos.-philol. u. bist. Gl. II. 1. 4
50 Sitzung der kistor. Classe vom 5. Mai 1888-
Auch in den nächsten Briefen kehrten immer wieder die
bitteren Klagen über die „Sklaverei" der unglücklichen
Kinder. Das kurfürtliche Paar entwarf verschiedene Pläne,
um eine Befreiung der Kinder oder doch Uebersiedlung der
drei jüngsten nach Venedig zu erreichen. Kurfürst Joseph
Clemens sollte die Unterstützung des Papstes erbitten, auch
der Doge von Venedig, ja sogar die Königin von England
wurden um Vermittlung angegangen. Allerdings glaubte
Max Emanuel selbst nicht an günstigen Erfolg einer Ver-
wendung in Wien: „Die Kaiserlichen haben einmal beschlossen,
unsere ganze Familie in Sklavenbanden festzuhalten, doch
der Friedensschluss wird sie trotzdem zur Freigebung
zwingen." Weil er fürchtete, dass sich seine Gattin, um
wieder zu den Kindern zu gelangen, auf unangemessene Zu-
geständnisse einlassen könnte, suchte er sie von der Gehässig-
keit des kaiserlichen Verfahrens zu überzeugen. „Man könnte
nicht mehr Verdruss, Entrüstung und Erbitterung empfinden,
als ich sie empfinde über die Behandlung, die Ihnen der
Kaiser zu Theil werden lässt, seit er sich so schnöden Treu-
l)ruches an Ihnen schuldig gemacht hat. Ich sehe mit Ver-
gnügen, dass Sie endlich anfangen, unsere Feinde zu kennen,
und einzusehen, wie undankbar sich dieselben gegen Sie, die
mit gutem Glauben entgegenkamen, benommen haben. Unsre
Archive bieten eine Menge Beweise ähnlichen Betragens;
mein Grossvater hat solche erfahren und ich gleichfalls.
Blicken Sie nur auch hin, wie Ihrem Vater und nach dessen
Tod der königlichen Familie mitgespielt worden ist. Der
Kaiser war es, der dem Prinzen Jakob die Krone entrissen
hat, gegen das Verspreclien, das er aus Anlass der Heirat
seiner Schwägerin und Tante gege])en hatte." Mit solchen
Beschwerden über den Wiener Hof wechseln Klagen über
die unselige Abreise der Gattin aus München.^)
1) B. H.-A. Lettres de l'electeur a l'c-lectrice d.d. 24. aoüt,
2. sept., 29. dec. 1706.
Heüjel: Die Gefangenschaft der Söhne Maa- EmanueVs etc. 51
Um über das Befinden der Kinder, die nicht mehr un-
mittelbar an die Eltern schreiben durften, unterrichtet zu
bleiben, knüpften die Gatten alle erdenklichen Verbindungen
an. Ueber die in München Zurückgebliebenen gab Frau von
Weichs von Zeit zu Zeit bereitwillig Nachricht. Schwieriger
war es. Zuverlässiges aus Klagenfurt zu erfahren, obwohl
sich der König von Preussen des besorgten Vaters annahm und
durch seine Gesandten und Agenten Erkundigung einziehen
Hess ^). Die einlaufenden Nachrichten lauteten samt und
sonders günstig, sowohl bezüglich der Gesundheit, als der
Geistesentwicklung der Prinzen ^).
Darüber sprach sich auch der Burggraf von Klagenfurt,
Graf Rosenberg, in seinem ersten Bericht an den Kaiser vom
12. November 1706 höchst anerkennend aus. „Auff Ew.
Kayserl. Majestaet allergnädigsten Befehl, dass ich auff die
all hier befindlich vier bayrischen Printzen genau Obsicht
tragen und von deren Thuen und Lassen von Zeit zu Zeit
allerunterthänigst relationiren solle, habe ich hiemit . . . er-
innern wollen, wie dass nemblichen sie alle ^ier Printzen
sowohl in der Andacht und Gottesforcht, alss auch beständiger
application in studiis et virtute dermassen, wie es einer der-
gleichen nascita wohl anstehet und geziemet, treffliich sich
wohl erzeigen, auch bis anhero in steter guter Gesundheit
erhalten worden, mir und deren Herrn Obristhoffmeister und
Graffen von Thürheimb, als von welchen sie Printzen zu
allen guten Tugenden, Gottesforcht und gebührlichen Sitten
mit steter genauester Observanz angewiesen und angehalten
werden, alle parition erweisen, wie ich mir dann auch mög-
lichst angelegen seyn lasse, dieselbe öfters zu besuchen, zu
1) B. H.-A. Lettre de l'electeur ä l'electrice d. d. Mons, 25. jan-
vier 1707.
2) Am ausführlichsten ein (in Abschrift Delling's auf der Münchner
Bibliothek, Nr. 32, verwahrter) Brief Bartholdy's an König Friedrich I.
vom 16. Febr. 1707.
4*
52 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Zeitlien ausszuführen und zu divertiren und an sie alle Vor-
sorg nach Möglichkeit zu tragen mich bemühe. Sie Printzen
haben fürwahr kein grösseres Verlangen , als allein Ew.
Römischen Kayserl. Majestaet allergnädigsten Befehlen aller-
unterthänigst nachzuleben. Sie zeigen gewisslich alle eine
schöne und grosse capacitet. Nebst deme habe ich auch
Ew. Kayserl. Majestaet vortragen wollen, wasgestalteu sie
Printzen auch in dem Gewächs merklich zunehmen und
sowohl im tanzen alss in der music, in welchen beyden sie
ohnedeme schon zu München instruirt worden, ein exercitium
haben sollen, also dass sie einen Tanzmeister und instrumen-
tisten, Avelche allhier nicht zu finden, gar wohl von nöthen
betten. Alss geruheten Ew. Kayserl. Majestaet dero Admini-
stration in München anzubefehlen, dass selbe einen guten
Tanzmeisterund guten instrumentisten anhero senden wolle". ■^)
Da die unsicheren Meldungen von Unbekannten die
Mutter der Gefangenen nicht beruhigen konnten, entsandte
sie im Frühjahr 1707 einen Vertrauensmann, Grafen Berton-
cellis, nach Klagenfurt, damit er sich über Befinden und
Lebensweise der Prinzen und die Beschaffenheit ihrer Um-
gebung möglichst genau unterrichten und zuverlässigen Bericht
über Alles und Jedes erstatten möge.^)
1) K. k. H.-, H.- u. St.-Arch. — Eine kaiserliche Weisung an
Löwenstein scheint in dieser Sache nicht ergangen zu sein.
2) Zschokke (III, 637) und Lipowsky (Lebens- und Regierungs-
geschichte etc. Karl Albert, 15) schreiben ^ßertonelli"; in der unten
besprochenen Abschrift Delling's heisst es ,Pedtoncelli". Unter den
schon erwähnten Briefen des Baron Widmann in Venedig an Baron
Malkneclit in den Niederlanden (B. St.-A. K. schw. 390/10) liegt jedoch
die Abschrift eines Diploms, wodurch „Angelo de Bertoncellis" von der
Kurfürstin als Regentin Bayerns in den Grafenstand unter dem Namen
Segel erhoben wird. d. d. München 5. Oktober 1704. — Den Original-
bericht Bertoncellis' vermochte ich in den Münchner Archiven nicht
zu finden, wohl aber eine Abschrift von Delling's Hand in der Münchner
Bibliothek (ad Dellingiana 32) „Voyage et relation des princes a
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc 53
Am 17. März 1707 gelangte Bertoncellis nach Klagen-
furt, wo er insbesondere durch einen reichen Kaufmann
Antoine Schlutz, an den er empfohlen war, seine Zwecke
aufmerksam gefördert sah. Schlutz (Schulz?) vermittelte
ihm Audienz bei Graf Guidebon, dem Erzieher der Prinzen,
und dem Burggrafen, Grafen Rosenberg, die ihn freundlich
aufnahmen und ihm sofort einen Besuch bei den Prinzen
gestatteten gegen das Versprechen, im Laufe der Unterredung
nicht des kurfürstlichen Paares zu gedenken. Er fand die
Prinzen im Allgemeinen wohl aussehend, wenn ihm auch
ein leidender Zug im Antlitz des Aeltesten zu verrathen
schien, dass der Jüngling seine Lage kenne und beklage.
Bertoncellis muthmasste auch, dass Prinz Karl gern eine
heimliche Frage gestellt hätte, allein die Anwesenheit des
Erziehers hielt ihn davon zurück. ^) Alle vier Prinzen
waren kostbar gekleidet; jeden zweiten Monat wurden ihnen.
Clagenfurt du comte Pedtoncelli". Die Abschrift ist undatirt; da
jedoch das z. B. über die Kamevalsfreuden der Prinzen Erzählte genau
mit demjenigen übereinstimmt, was Graf Löwenstein am 27. März 1707
an Herrn von Stepenez schreibt, ist der Bericht des Vertrauensmannes
der Kurfürstin jedenfalls in's Jahr 1707 zu setzen.
1) „Le Prince Electoral me semble assez me'lancolique et pale
au visage, ses yeux patetiques et sa voix faible de maniere que je
disois franchement, qu'il sent bien son malheur. U a le visage qui
tire sur le long, tres beaux cheveux blonds, que j'aurois pris pour des
perrucques, comme de tous les autres aussi. Ce fut lui qui me parla
le premier, qui me demanda, quand j'etois arrive et qu'il etoit bien
aise de m'avoir vu. Au conge' que je pris, je leur demandai, s'ils
me vouloient honorer de quelque commandement. Je remarquai bien
alors que le dessein du prince electoral etoit de me dire quelque
chose, parcequ'il s'arreta quelque temps avant que de me donner la
reponse et jeta les yeux sur le baron Guidebon, qui ne me quitta
jaraais. II me remercia, comme le second aussi et le quatrieme en
allemand avec un tres grand esprit pour la peine, disoient-ils, que je
m'avais voulu donner de les venir voir, et me souhaiterent plusieurs
fois un bon voyage."
54 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
wie Bertoucellis erfuhr, neue Kleider geliefert. Ueber die
Lebensweise ihrer Zöglinge gaben die Erzieher bereitwillig
Auskunft. Die Prinzen müssen um 8 Uhr sich erheben, bis
9 Uhr angekleidet sein und das Morgengebet verrichtet haben;
um 9 Uhr hören sie eine Messe; von 10—12 Uhr dauert der
Unterricht; um 12 Uhr wird gespeist, dann haben sie Frei-
zeit bis 2 Uhr; nun folgen wieder Vorträge und Uebungen
bis 4 Uhr ; die Abendstunden gehören der Erholung, es wird
entweder ausserhalb der Stadt promenirt oder dem Burg-
grafen oder dem Landeshauptmann Grafen KhevenhüUer
Besuch erstattet.
Der an der Spitze des Hofstaats stehende maitre d'hotel,
Baron Guidebon, ein Kavalier von 50 Jahren, wohne mit
den Prinzen zusammen im gräflich Portia'schen Palast. Der
Oberststallmeister Graf Thürheim scheine ein sehr strenger
Mann zu sein. Bei Tische seien die Prinzen von vier kost-
bar gekleideten Pagen, worunter ein junger Graf Preysing,
und vier Kammerdienern bedient. Ausserdem gehörten noch
zum kleinen Hofhalt acht Estaffiers, zwölf Stallknechte und
Kutscher und zwei Thürhüter, Alle in prächtiger Livree,
vier Köche, eine Köchin und drei Kammerfrauen. Der Mar-
stall enthalte 32 Pferde. Die Prinzen pflegten in vier zwei-
spännigen Kutschen auszufahren ; im ersten Wagen die zwei
Aelteren und Baron Guidebon , im zweiten die zwei Jüngeren
und Graf Thürheim, im dritten ein Lehrer und ein Arzt,
im vierten Pagen und Bediente.
Namentlich der Burggraf sei den Prinzen sehr zugethan,
und ebenso zärtlich seien diese ihm ergeben. Im Hause Rosen-
berg's machten sie desshalb am häufigsten Besuche, die Burg-
gräfin allein dürfe auch die Prinzen besuchen, sonst Niemand
vom Adel ; als einmal eine Baronin Kemeter in's Palais Portia
gekonmien sei und allein mit den Prinzen gesprochen habe,
seien die Kammerdiener, die dies zugegeben hatten, sofort
entlassen worden. Im verflossenen Herbst seien die Prinzen
Heigel: Die Gefatigenschaft der Söhne Max Emanuel's etc. 55
häufig zum Vogelfang gegangen, im Karneval habe man
mancherlei Vergnügungen für sie veranstaltet, wozu die
Adeligen aus der Stadt und Umgebung geladen waren,
u. A. habe ein Maskenball stattgefunden, auf welchem der
Kurprinz als Jäger erschien, Philipp als Fischer, Ferdinand
als Schweizer, Clemens als holländischer Bauer, alle vier in
seidenen Costuraes, die 500 Gulden kosteten, wie auch den
Kavalieren der Maskenscherz 3000 Gulden gekostet habe.
Beichtvater der Prinzen sei ein Jesuitenpater Meiuersberg,
Hofmeister der von München mitgenommene Wilhelm, Hof-
kaplan ein Priester aus Kärnthen, Leibarzt ein Dr. Menrad.
Nur der letztgenannte gelte als anhänglicher Diener des kur-
bayrischen Hauses, im Uebrigen sei die ganze Umgebung
kaiserlich gesinnt.
Ob die Prinzen selbst hie und da an den Kaiser schrieben,
sei nicht genau festzustellen ; der Kurprinz selbst habe wahr-
scheinlich einmal nach Wien geschrieben, ja, ein Richter in
Villach habe sogar versichert, der Kurprinz habe gelegentlich
einer Aufwartung der Behörden die Güte des Kaisers gepriesen
und hinzugefügt: „Mein Vater hätte noch strengere Strafe
verdient' .
Von den Eltern werde häufig im Kreise der Prinzen
gesprochen, obwohl Guidebon es wiederholt verboten habe.
Von einer Rückkehr in die Heimat sei niemals die Rede,
doch träume der Kurprinz häufig von München.
Uebrigens hege man in Klagenfurt den Wunsch, dass
den Prinzen ein anderer Aufenthalt angewiesen werden
möchte, denn man habe dort grosse Furcht vor dem König
von Schweden ; es seien schon Vorbereitungen getroffen, die
Prinzen umgehend aus der Stadt zu entfernen, sobald König
Karl Miene machen sollte, sich Klagenfurt zu nähern. Auch
von den Bayern werde neuer Aufstand besorgt, da dieselben
höchst erbittert seien über die schlechte AuflFührung der kaiser-
lichen Truppen und zugleich den lebhaften Wunsch hegten,
die geliebten Prinzen zu befreien.
56 Sitzung der liistor. Classe vom 5. Mai 188S.
Der Bericht Bertoncellis' wurde auch dem Kurfürsten
mitgetheilt, „Unsere Kinder haben ein gutes Herz," tröstet
dieser seine Gattin, ,und wenn man sich auch Mühe giebt,
sie Vater und Mutter vergessen 7ai machen, so werden wir
sie schon wieder daran erinnern und ihnen begreiflich machen,
was sie uns schuldig sind, und der Hest der falschen Grund-
sätze und Empfindungen wird dann nicht schwer auszurotten
sein/ 1)
Wir werden den Empfindungen eines gekränkten Vater-
herzens unser Mitgefühl nicht versagen; andrerseits dürfte
gerade der unverfängliche Bericht Bertoncellis' zur Genüge
erkennen lassen, dass die herkömmliche Vorstellung von
schnöder Behandlung der kurfürstlichen Kinder unrichtig und
ungerecht ist. —
Während Karl Albert mit seinen Brüdern in Klagenfurt
den Studien oblag, wurde in Regensburg eine für seine Zu-
kunft höchst bedrohliche Entscheidung gefällt. Kurfürst
Johann Wilhelm von der Pfalz verlangte, dass ihm der
für seine Dienste vom Kaiser in Aussicht gestellte Lohn
endlich zugesprochen, dass er nicht bloss in Besitz der alten
pfälzischen Kur und des Erztruchsessenamtes, sondern auch
aller Länder und Gerechtsame, welche Kurpfalz vor dem
Ausbruch des dreissigjährigen Krieges besessen hatte, ins-
besondere der Oberpfalz, gesetzt werde.
Aus den Verhandlungen, welche deshalb im kurfürst-
lichen Kollegium am 30. März 1707 gepflogen wurden, sei
nur der auf die Erben Max Emanuel's bezügliche Passus
hervorgehoben. Während Sachsen und Brandenburg die
Wiedereinsetzung Bayerns in das kurfürstliche Kollegium
beim Fried ensschluss als wahrscheinlich ansahen und deshalb
gegen Uebertragung der bayerischen Kur an die pfälzische
Linie sich verwahrten , erklärten die geistlichen Kurfürsten
1) IJ. H.-A. Lettre de l'electeur a l'^lectrice d. d. 10. mai 17U7.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. 57
von Trier und Mainz, dass sie die Söhne Max Emanuer«,
„obwohl unschuldige und unmündige Prinzen, propter re-
atum paternum aller väterlichen Würden und succession
verlustig" betrachteten; wie einst Friedrichs V. Nachkommen-
schaft, so müssten auch die bayerischen Prinzen ,pro civiliter
mortuis" angesehen werden. Schliesslich gaben sämmtliche
Mitglieder, nachdem der Kaiser die Erhaltung der bisherigen
Rangordnung zugesichert hatte, ihre Zustimmung, dass dem
Km-fürsten Johann Wilhelm nicht nur die alte pfälzische
Kurwürde nebst dem Erztruchsessenamt , sondern auch die
Oberpfalz nebst der Grafschaft Cham eingeräumt werde*).
Obwohl auch gegen diese Massnahme das Fürstenkollegium
Protest erhob^), hielt sich Kaiser Joseph für berechtigt, Bayern
als ein verwirktes Lehen anzusehen und mit diesem seinem
Eigenthum diejenigen Reichsstände und Beamten , die ihm
wichtige Dienste geleistet hatten, zu belohnen. Mit seinen
eio'enen Erblanden vereinigte er das zwischen den Hochstif-
tern Salzburg und Passau gelegene Gebiet mit Ried und
Braunau. Den kleinen Rest mit der Hauptstadt München
beliess er unter kaiserlicher Administration, um, wie er er-
klärte, dem gesammten Reiche zu zeigen, dass er ,in diesem
Stücke lieber die Gnade vor Recht gehen lassen, als durch
Bereicherung des eigenen Hauses mit Unterdrückung des un-
glücklichen Nachbahrs sich von andern Ständen eine Jalousie
zuziehen wolle" ^).
Da die Franzosen trotz aller Anstrengungen fort und
fort nur Niederlagen erlitten und der aus überraüthigem
Glückstaumel jäh erwachte König im Frieden die einzige
1) B. St..-A. K. schw. 380/22. Acta, Sr. Churfürstl. Durchlaucht
Max Emanuelis Achts-Erklärung, dann Transferirung der Bayrischen
Chur und der oberen Ptaltz an das Churhaus Pfaltz, 1707.
2) Theatrum Europaeum, 34.
3) Electa juris publici, II. 70. — Neu eröffneter Staatsspiegel,
VIU, 737.
58 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Rettung erblicken konnte, knüpfte Max Emanuel im Auf-
trag Ludwigs XIV. wiederholt heimlich mit den Holländern
und Engländern an ^) ; es gelang jedoch nicht, die Bundes-
genossen des Kaisers für einen Separatfrieden zu gewinnen. Un-
bekannt war bisher, dass der Kurfürst und seine Gattin im
Winter 1708 einleitende Schritte unternahmen, um mit dem
Kaiser Frieden zu schliessen , wozu sich eine unerwartet
günstige Gelegenheit zu bieten schien. Ein Strolch in Ve-
nedig schrieb an die Kurfürstin, er wolle, falls ihm eine be-
stimmte Belohnung zugesichert werde, den Kaiser durch Gift
aus dem Wege räumen und damit das bayerische Haus von
seinem gefährlichsten Feinde befreien. Die Kurfürstin sandte
den Brief an ihren Gatten, und dieser gab schleunigst dem
Kaiser Nachricht. Daran knüpften sich Unterredungen
zwischen dem kaiserlichen Gesandten in Venedig und einem
Kavalier im Gefolge der Kurfürstin , Baron Widmann , der
wiederholt maskirt den Palast des Gesandten besuchte. Der
kaiserliche Minister Graf Wratislaw war auch jetzt, wie nach
der Höchstädter Schlacht , einer Aussöhnung der Familien
Habsburg und Witteisbach geneigt, und der Gesandte gab
der Hoffnung Ausdruck, es werde sich „aus jenem Gift-
trank ein Heilmittel ziehen lassen , dazu geeignet , die edle,
grossmüthige Handlung des Kurfürsten nach Gebühr zu l)e-
lohnen"'^). Allein auch diese Vei-handlungen verliefen erfolg-
los, und ebenso der erneute Versuch der Kurfürstin, durch
Vermittlung des Dogen und der Grossherzogin von Toskana
wieder in Besitz der Kinder zu gelangen^).
1) Lamberty, Menioires, IV, 302, 305. Neue wichtige Auf-
achlüsse über diese Verhandlungen bietet die KoiTCHpondenz zwischen
dem Kurfürsten und dem geheimen Agenten Frankreichs im Haag,
Mr. HelvetiuH, im oben angezogenen Akt, die Achterklärung Max
Emanuel's btr. (B. St.-A. K. schw. 380/22.)
2) B. St.-A. K. schw. 390/10. Baron Widmannische Korrespondenz
aus Venedig mit Freyherrn von Malknecht in denen spanischen Nieder-
landen, 1705 — 1714. Brief Widmann's vom 17. Nov. 1708.
3) B. H.-A. 754/42. Lettrea de Mr. Bareali au Pere Schmaker
aVenise 1705—1710. Brief Bareali's von 13. Febr. 1709.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. 59
Mit der fable convenue , dass die bayrischen Prinzen
einer schimpflichen Behandlung preisgegeben gewesen seien,
muss unbedingt gebrochen werden ; trotzdem war es ein
hartes Geschick für die Eltern : so viele Jahre sich der zärt-
lich geliebten Kinder beraubt zu sehen, für die Kinder: in
die Hände des strengen Richters, der eben das Land ihrer
Väter zertrümmert hatte, auf Gnade und Ungnade überliefert
zu sein und den Waffen des Kaisers im Kampfe gegen ihren
Vater Glück und Sieg wünschen zu müssen ! ^)
Auch der Tod Kaiser Joseph's schien vorerst keine
freundlichere Wandlung ihrer Lage zu bringen. Die ge-
ächteten Kurfürsten von Köln und Bayern bestritten die
Gültigkeit jeder Kaiserwahl, die man, ohne ihre Kur-
stimmen zu beachten, vornehmen würde ■^); der päpstliche
Wahlgesandte Albani forderte ihre Zulassung, um mit Hilfe
ihrer Stimmen die Wahl des Kurprinzen von Sachsen durch-
1) B. St.-A. K. schw. 261/61. Litterae Caroli Alberti ducis Ba-
variae ad Josephum imperatorem d. d. 14. dec. 1708:
Serenissime potentissiuie invictissime Romanorum Imperator!
Clementissime domine, domine Cognate !
Cesaree Majestatis Vestrae elapso hoc anno una cum festis na-
talitiis felix insequentis auspicium ea qua possum submissione appre-
caturus, omnia vota in ea precesque eo dirigam, ut Benignura numen
Cesaree majestati vestrae innumeros alios addere et certanti corporis
valetudine et multis ab hostibus reportatis victoriis multiplicare velit.
Ego autem omnen conatum adhibeo, ut non aolum pro summis Ce-
sareis gratiis, quas quotidie cum fratribus meis experier gratissimus
existam, sed etiam ulterioribus ac novis dignum me reddere valeam,
atque bisce Cesaree Majestatis vestrae potentissimae protectioni sub-
mississime me commendo et maneo
Cesaree Majestatis Vestrae
Olagenfurti 14. decembris 1708
humillimus et obedientissimus
servus et cognatus
Carolus, Dux Bavariae.
2) Theatrum Europaeum, 19. tom., 380, 384.
60 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
zusetzen ^), während Frankreich insgeheim die beiden Stimmen
dem König von Preussen , falls er als Bewerber auftreten
wollte, in Aussicht stellte").
Erst als der Versuch, dem Haus Oesterreich die Kaiser-
krone zu entwinden, gescheitert und die Wahl Karl's voll-
zogen war, bald darauf aber die bekannte Annäherung der
bisherigen Bundesgenossen Oesterreichs an Prankreich sich
vollzog, gestalteten sich die Aussichten für eine Restitution
Bayerns an das Wittelsbachische Haus günstiger, da der neue
Kaiser diesem Gedanken von vorneherein weniger abgeneigt
war, als sein Vorgänger.
Mit der politischen Schwenkung stand offenbar in Zu-
sammenhang, dass eine üebersiedlung der bayerischen Prinzen
von Klagenfurt, wo ihr Aufenthalt bei aller wohlwollenden
Fürsorge für ihre körperliche und geistige Entwicklung doch
immer den Charakter einer Gefangenschaft an sich getragen
hatte, nach Graz, wo sie wieder eine glänzendere Hofhaltung
erhielten, angeordnet wurde. In diesem Sinne gab Karl VI.
in einem Schreiben an Löwenstein vom 6. April 1712 seinen
Entschluss kund: ,Die besondere gnädigste Affection und
Obsorge, welche wir für die gesambte bayerische Prinzen
und deren fürstmässige education tragen, hat Unss zum
gnädigsten Entschluss bewogen, nicht nur die vier älteren
von Klagenfurth, sondern auch den fünften von München
nach unser . . . Statt Gratz der Ursachen halber bringen
lassen, damit sie Gebrüder von einander desto grössere freud
und consolation haben, insonderheit auch wegen des dasigen
Orts Beschaffenheit und der Menge unsres Adels sowohl als
bequemlicherer Gelegenheit zu ihrer Aufferziehung besser ver-
sorget, mit behöriger Hoffstaat und sonsten allen Nothdurfften
gebührend versehen und verpfleget und nach der heutichen
1) Lamberty, 646.
2) Ibid., 646.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. 61
Welth-Arth geburthmässich erzogen und verpfleget werden
können".^)
Wahrhaft väterliche Sorglichkeit spricht sich aus in der
Instruktion, welche Kaiser Karl am 9. April 1712 dem mit
der , Oberdirektion " über den Hofstaat der Prinzen betrauten
innerösterreichischen Hofkammerpräsidenten Karl VVeikart
Grafen von Brenner zu Graz ertheilte.'^) Die vorsichtigste
Aufmerksamkeit soll er den von den Eltern getrennten Prinzen
widmen, damit sie an Gottesfurcht und irdischer Weisheit
zunehmen, in allen, dem fürstlichen Stand geziemenden Kennt-
nissen und Künsten sich vervollkommnen, auch an allen
standesmässigen Vergnügungen sich ergötzen möchten.^! Zu
1) K. k. H.-, H.- u. St.-A. — Dass die Prinzen selbst, wie im
Theatrum Euroijaeum, 167, erzählt wird, um Versetzung nach Graz
nachgesucht hätten, ist unwahrscheinlich.
2) K. k. H.-, H.- u. St.-A. — Eine Abschrift befindet sich unter
den Dellingiana (Nr. 32) der Handschriftensammlung der Münchener
H.- u. St.-Bibl.
3) , . . . Dass Ihr auf alle ihre Verrichtungen, sonderlich aber
die Personen der 5 Prinzen ein aufraerkhsammes Aug haben, öfters
umb sie und bei ihnen seyn; ihnen nichts ermanglen lassen; alle
etwan wahmehmmende Ungebühr mittels dero Oberhoifmeisters, Beicht-
vätter und Instructoren mit guter Arth abstellen ; hingegen das Beste
und Nuzlichste anordnen; sie forderist zur Andacht und Forcht Gottes,
sodann aber zu recht- und ordentlichen Stunden mittels ihrer theils
wirklich habenden und theils noch darüber aufzunehmen nöthigen
Lehr- und exercitien-Meister ad literas et scientias, zu denen Sprachen
und übrigen, dem fürstlichen Stand wohl anstehenden exercitien, alss
reitten, fechten, dantzen und etwan einer beliebigen Music. so weith es die
Zeit, ihre Gesundheit, Jahr und Kriifften zulassen, anhalten; sie auch zu-
weillen mit einer Hetzjagdt, Bürsch und dergleichen in meinen Forst-
und Waldungen ergötzen und unterhalten lassen, jedoch dass hierdurch
ihre andern Studia und exercitien nicht zuruckh gesezt oder vernach-
lässigt werden; mithin Ihr, dass sie ausser Müssiggang gesezt et ne
libidini indulgeant, sondern so christ- als sittlich und in allem fürst-
lichen Wohlstand und Tugenden , wie zumahlen in der Lieb und
schuldigsten unterthänigsten devotion, auch Erkhantlichkeit gegen
62 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
diesem Behuf soll ihnen die kaiserliche Burg in Graz zAini
Aufenthalt angewiesen, eine grössere Anzahl Lehrer zur
mich ■und mein ganzes löbl. Ertzhaus von Oesterreich von ihrer der-
maligen .lugent an gebührlich auferzogen und gestiirckhet werden,
auf alle Weiss Sorg tragen; und mir endlich von ihren progress,
Beschaffenheit und Nothvrendigkeiten wöchentliche relation erstatten
sollet. Und wie ich anbey sie Prinzen und gesambte ihre Hofstaat
hiemit an Euch dergestalt anweise, dass sie bey vorfallenden Uingen
ihren Kecurs zu Euch nehmen und von Euch den Oberbescheid
annehmen sollen; also befehle ich Euch auch hiemit gnädigst, dass
Ihr zu ihrer Einlogirung alsobald die Burgg zu Grätz so viell nöthig
mobiliren und einrichten, und was die Einquartierung der übrigen
bayrischen Hoffstatt Bedienten oder andere etwan nöthige information
anbetrifft, mit . . . Graffen von Rosenberg (Gf. Friedrich von R.-Or-
sini, Burggraf in Kärnten) nacher Clagenfurth correspondiren, ihme
auch, sobald gedachte Burgg in dem Stand ihrer Einlogirung ist, alss
welches (zumahlen samraentliche Prinzen noch vor Aussmarschirung des
Mercy'schen Regiments nach Grätz zu gehen haben) ohne Verzug zu voll-
ziehen ist, solches durch einen expressen berichten und ihre deren
Prinzen von Clagenfurth Ab- und respective dahinreyss nacher Grätz
beförderen und urgiren sollet. Ihr habt über diess bey Ankhunfft
deren Prinzen zu Grätz in meinem Nahmen nicht nur ihren Ober-
hoft'meister den Gräften von Thürheimb, wie auch ihren Oberstal I-
meister den Graffen von Fugger; und dan, ausser des Probsten zu
Mattickhotten ihres dermahligen inatructoris primiirii , alle übi-ige
mitkhommende dermahlige wirckhliche Hofstatt-Bediente in Diensten
deren Prinzen und ihrem bisshero gehabten Sold zu behalten und zu
bestättigen; den erstgedachten Probsten aber (urabwillen ich den
ältisten Prinzen mit einem anderen subiecto, von welchem er und zu
seiner Zeit auch übrige seiner Gebrüder neben dem jure universal!
auch die Eloquenz, die Historiam, die Mathesin und mithin die Forti-
fication, die Ethicam und Politicam nach und nach bono ordine er-
lehrnen und begreifien sollen, von hier auss gdgst. zu versehen gedenkhe)
seines bissherigen Diensts in Gnaden zu entlassen und hingegen ihmo
zu einer Erkhanntlichkeit .... die der Zeit genüssende Besoldung
pensionis loco auf sein Leben lang zu confirmini; sondern auch ihre
deren 5 Prinzen Hoöstatt dergestalt zu augmentirn und einzurichten,
dass sie inagesambt wenigist 5 Cavaglieri zu ihren Cammerern, wie
auch drey Beichtvätter ex S. .1., von welchen sie praeter officium
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc.
63
Unterweisung der Knaben in allen freien Künsten gewonnen
und damit es auch am nötliigen Glänze nicht fehle, der
Hofstaat durch Aufnahme von Kavalieren und Edelknaben
in gebührenden Stand gesetzt werden. Natürlich schärft die
Instruktion besonders ein, dass die Knaben zu schuldiger
Devotion gegen das Kaiserhaus angeleitet werden sollen.
Da die Gründe der Uebersiedlung nach Graz nicht be-
kannt waren, erregte die Nachricht grosse Bestürzung sowohl
bei den Eltern der gefangenen Prinzen, als bei den Patrioten
in der Landeshauptstadt. Die Kurfürstin sei vor Schmerz
und Zorn ganz ausser sich gerathen, schreibt Baron Widmann
confessarii, die humaniora et philosophiam zu erlehrnen haben; jeg-
licher aber auss ihnen 5 Prinzen in particulari 2 Edle Knaben oder
Page und einen sonderbahren instructorem oder praeceptorem , so
stetts urab sie zu seyn und sowohl in studiis humanioribus alss guter
Sitten halber ihnen an die Hand zu stehen haben; und dan auch
jeglicher von ihnen neben den bereits in Diensten sich befindenden
Chyrurgo und Apotecker (alss welche für alle 5 Prinzen ins gemein
zu verstehen seind), seinen sonderbahren Cammerdiener und drey
Laqueyen zu ihrer Bedienung haben soll. Mit diesem Beysatz, dass,
was anbelangt die 5 Cavaglieri, wie auch die 6 Edelknaben, welche
über die vier bereits in Diensten stehende annoch auffzunehmen seynd,
ihr solche auss dem innerösterreichischen gut- und alten Adel auss-
auchen und \ü\r selbe zu meiner gnädigsten approbation gehorsamst
vorschlagen ; was aber die 3 confessarios simul et instructores humani-
orum et philosophiae betrittt, Ihr mit denen Patribus Soc. J. Euch
unterreden und mir das gut befindliche zu meiner weiteren gnädigsten
disposition ingleichen relationiren ; dann den in literis et scientiis
altioribus anstatt des Probsten zu Mattickhoften dem ältisten Prinzen
der Zeit beyzufügen habenden instructorem primarium von mir er-
warthen und sodan selben ihme Prinzen und dessen Oberhotfmeistern
vorstellen; die übrige vorgedachter massen noch abgehende Bediente
aber ohne weiters Anstehen selbst auftnehmen und installiren; mir
aber anbey, was die Besoldungen dieser in die augmentation khom-
menden Bedienten für jeden ausstragen möchten, oder sonst noch
etwan zu erinnern wäre, zu weiterer meiner gnädigsten Verordnung
unverweilt gehorsambst berichten sollet".
64 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
an Malknecht, sie wolle den Papst nm Hilfe gegen das nn-
mensehliche Betragen des Wiener Hofes angehen ; auch er
selbst, fügt er hinzu, könne sich der Befürchtung nicht er-
wehren, dass der König von Böhmen, der „die Politik
Philipp's IL nachäifen und als frommer Macchiavellist Alles
an sich reissen will", die Prinzen ganz in seine Hand bringen
und auch, wenn es zum Frieden kommen sollte, nur gegen
Bayern ausliefern werde. ■*) Die nämliche Besorgniss äusserte
Widmann gegenüber dem venetianischen Prokurator Pisani,
und dieser versprach, dass die Republik solche Gelüste des
Kaisers energisch bekämpfen werde.^)
Auch an die Gräfin Fugger, welche nach Ableben der
Freiin von Weichs (Oktober 1707) zur Obersthofmeisterin
der Prinzessin Maria Anna ernannt worden war, richtete
Widmann im Auftrag der Kurfürstin einen Brief, in welchem
wehmüthige Klagen mit Ausdrücken zorniger Entrüstung
wechseln. Die Kurfürstin habe geglaubt, der neue Kaiser
werde die Grundsätze der Gerechtigkeit und Menschlichkeit
hochhalten; jetzt sehe sie aber, dass der Wiener Hof von
der alten Willkür und Grausamkeit nicht lassen wolle. Man
verweigere ihr die Rückkehr in die vertragsmässig ihr zu-
gesicherten Staaten, man halte sie fern von ihren Kindern,
ja, man schleppe dieselben noch in weitere Ferne. Man
gestatte nicht bloss nicht, dass die Prinzen nicht mehr auf
Vater und Mutter achten, man verbiete ihnen sogar, ein
Zeichen von kindlicher Achtung und Pietät von sich zu
geben, wie wenn das Kriegsrecht auch die Befugniss verleihe,
das klar ausgesprochene göttliche Gebot, das den Kindern
Dankespflicbten gegen die Erzeuger auferlege, anzutasten und
aufzuheben. Solche Tyrannei lasse befürchten, dass auch
1) M. IT.- u. St.-Bl. Dellingiana Nr. 32. PJxtrait d'une lettre du
baron Widmann d. d. 23. avril 1712.
2) Ibid. Extrait d'une lettre du baron VVidnumn d. d. 14. luai 1712.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanneVs etc. 05
unter der jüngsten Verfügung noch andere böse Anschläge
versteckt seien.')
Die Antwort der Gräfin Fugger enthielt Manches, was
die arme Muttter beruhigen konnte, Manches, was neue
Besorgniss einflössen musste.^) Die in München gebliebenen
Kinder seien immer von ihr angehalten worden, in Liebe
und Ehrfurcht ihrer Eltern zu gedenken, und ebenso habe ihr
Sohn Graf Joseph, so lange er bei den älteren Prinzen in
Diensten stand, seine jungen Gebieter stets an ihre Pflichten
erinnert : möge man sie nach Indien in Gefangenschaft
schleppen, dürften sie nicht derer vergessen, welche ihnen
das Leben gaben und nächst Gott das erste Anrecht auf
ihre Dankbarkeit hätten. Graf Joseph habe für ein jedes
von den kurfürstlichen Kindern Bilder des hl. Maximilian
und der hl. Therese, welche die Züge von Monseigneur und
Madame trugen, malen lassen; Baron Guidebon habe jedoch
die Bilder weggenommen. Die Wegführung des Prinzen
Theodor habe in München bei Hoch und Niedrig Bestürzung
und Unwillen wachgerufen ; in den Gemächern und Höfen
der kurfürstlichen Residenz habe sich eine wehklagende Menge
gedrängt, und obwohl der Prinz, um nicht mit ihm durch
die Stadt fahren zu müssen, durch das Thor des Zeughauses
entfernt worden sei, habe die Bürgerschaft dem Scheidenden
bis zur Ebene vor Haidhausen das Geleite gegeben.
Tröstlicher lauteten die Briefe der Gräfin, worin sie der
Kurfürstin mittheilte, was von den nach Graz mitgenommenen
Hofdienern zu erfahren war, und seit vollends im Juni 1712
das Gerücht auftauchte, der Kurprinz werde sich mit einer
1) Ibid. Copie de la lettre, que par ordre de S. A. E. Madame
l'Electrice le baron de Widmann a ecrit a madame la comtesse de
Fugger, grande maitresse de Madame la Princesse de Ba viere, d. d.
Venise, 22. avril 1712.
2) Ibid. Reponse de madame la comtesse Fugger, d. d. Munich,
6. mai 1712.
18S8. Philos.-pl)ilol. u. bist. C!. II. 1. 5
66 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Tochter Kaiser Joseph 's verloben, schien sich Alles in eitel
Wohlgefallen auflösen zu wollen. Mit Genugthuung berichtete
die Gräfin, die Prinzen seien zu Graz in herrlichen Gemächern
untergebracht, neben ihren Beichtvätern seien ihnen die
tüchtigsten Lehrer an die Seite gegeben, der Hofstaat werde
in glänzender Weise ergänzt und zwar vorzugsweise durch
Angehörige der ersten bayrischen Familien.^)
Auch andere Nachrichten , insbesondere Berichte von
wohl unterrichteten Mitgliedern des Jesuitenkollegiums zu
Graz, bestätigten die günstige Wendung.'^) Der Kaiser, so
wurde erzählt, sei entzückt von den erstaunlichen Fort-
schritten der bayerischen Prinzen, insbesondere des Kur-
prinzen, dem er sein höchstes Wohlwollen zuwende. Der
Grosskanzler, Graf Wratislaw, habe noch kurz vor seinem
Ableben dem Kaiser den Rath gegeben, die zwei Erzherzog-
inen mit zwei bayerischen Prinzen zu vermählen, — : daraus
werde für Oesterreich wie für Bayern Heil erwachsen. Graf
Breuner habe jüngst einmal den Kurprinzen, der gewöhnlich
in ernster Stimmung beharre, ausnahmsweise bei heiterer
Laune getroifen und darüber seine Freude ausgedrückt; der
Prinz habe geäussert: ,Je nun, ich bin heiter, soweit ein
Gefangener heiter sein kann!" worauf Graf Breuner erwiderte:
,Ew. Hoheit sollten nicht von Gefangenschaft sprechen in
einer Zeit, da von Ihrer Heirat mit einer Erzherzogin ge-
sprochen wird !" Der Prinz habe aber würdevoll abgewehrt:
„Wie könnte ein Gefangener davon träumen, dass ihm die
Tochter eines Kaisers die Hand reichen würde!" In der
ganzen Stadt, fügt der Berichterstatter hinzu, habe man
sich über die vornehme Sprache des Prinzen gefreut, da
1) Ibid. Lettre de inadame la comtesse Fugger, d. d. 10. juin,
24. juin, 22. juillet, 28. octobre, 4, novembre, 18. nov. 1712.
2) libd. Extract aus einem Schreiben von Gratz. 4. Dezember
1712.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc. 67
selbst ein reifer Mann keine edlere und klügere Antwort
hätte finden können.^)
1) Ibid. Extrait d'une lettre ecritte au baron de Widmann de
Munich, 30. decembre 1712. — Auch über die Tagesordnung, sowie
über den Hofstab der Prinzen in Graz werden genaue Nachrichten
mitgetheilt.
, Morgen um 8 Uhr steht man auf, Morgengebet, Ankleiden und
Suppen verzieht sich bis 9 Uhr; alsdann kommen die 3 P. P. Jesuiten.
Der erste, so Ihro Durchl. Prinzen Karl die Philosophiam giebt,
nennt sich Walter; der andere, der Ihro Durchl. Prinz Philipp und
Prinz Ferdinand instruirt, den ersten in der 5., den andern in der
4. Schule, nennet sich Mannersberger; der dritte, P. Adlmayer, in-
struirt Ihro Durchl. Prinzen Clemens in der andern und Prinz Theodor
in der ersten Schule.
Dieses dauert bis 10 Uhr. Nach diesem kommt Herr von Schol-
berg zu Ihro Durchl. Prinz Karl, die historiam, geographiam und
anderes zu geben. Zu Ihro Durchl. Prinz Philipp und Prinz Ferdinand
kommt Herr von Schütz.
Mit den 2 letzteren aber, ehe Herr v. Schütz seine Studien giebt,
repetirt ein gewisser weltlicher dasjenige, was P. Mannersberger
dictirt; ingleichen 2 andere weltliche Priester mit den 2 kleineren
solches auch thun, und dauert also das sammentliche Studium un-
geföhr bis ein Viertel nach 11 Uhr oder gar halbe 12 Utir.
Hernach ist die hl. Messe. Um 12 Uhr die Tafel. Um 1 Uhr
kommen wieder 3 weltliche Priester und bleiben alle 5 Prinzen bei-
sammen, welche bis 2 Uhr von den Geistlichen mit discurs unter-
halten werden.
Von 2 bis 3 Uhr kommen abermal die 3 Patres Jesuitae.
Von 3 bis 4 Uhr die 2 weltliche und 3 geistliche, welches ordi-
nari bis 4V2 Uhr dauert, zu Zeiten auch bis 5 Uhr.
Nach diesem kommt der Tanzmeister, hernach die Musik, in
der Ihro Durchl. der Prinz Karl, Prinz Ferdinand und Prinz Clemens
die Lauten wohl schlagen, Prinz Philipp die Flauten blasen, Prinz
Theodor die Guitarre spielen.
Dieses dauert bis 7 Uhr; hernach gehet man zur Tafel; nach
der Tafel ist bis nach 9 Uhr Recreation und Unterhaltung mit den
Geistlichen neben Aufmachung der Haare.
Um %^l'i Uhr ist das Nachtgebet, dass man also um 10 Uhr
schlafen gehen kann.
5*
68 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Als erfreulichen Beweis der freundlicheren Gestaltung
der Beziehungen zwischen den Häusern Habsburg und Wittels-
bach empfing die Mutter der Kurfürstin Therese, die Königin
von Polen, im März 1713 zum Erstenmale seit acht Jahren
einen Brief ihres ältesten Enkels.^) , Sicher würde ich",
schrieb Karl Albert, „nicht so viele Jahre versäumt haben,
Ew. Majestaet meiner tiefsten Verehrung zu versichern, wenn
mir nicht die Ungunst der Zeit und die dadurch hervor-
gerufenen Umwälzungen jede Gelegenheit entzogen hätten.
Mit Ew. Majestaet gütiger Erlaubniss benütze ich aber heute
die kürzlich von Ihrer Kaiserlichen Majestaet erhaltene Er-
laubniss, um Ew. Majestaet die Versicherung zu geben, dass
Vacanz haben Ihro Durchl. die Prinzen Erchtag und Pfingsttag,
an welchen Tagen vormittag die Reitschule und Nachmittags die
Gesellschaft." — — —
„Hofstab der durchl. Prinzen zu Gratz:
Obersthofmeister Graf Thürheim,
Oberststallmeister Gf. Fugger,
1. Cavalier Graf v. Schlossenberg,
2. „ Gf. Alois V. Rechberg,
3. „ Gf. Burgstall,
4. „ Gf. V. Preising,
5. „ Baron Culmayer.
Edelknaben 10, welche sich nennen: Baron Maierhofer,
Spreti, zwei Lamberg — Hegnenberg ~ Schürf, Graf
Windischgrätz, Gf. Kaycianns,
Knaben-Hofmeister und Präceptor,
Zwei Knaben-Laquay's.
Drei Instructores für Ihro Durchl. 3 Prinzen: P. P. Jesuitae
und 8 Beichtväter,
7 Kammerdiener, 15 Lakay, 1 Hoffurier, Controlor nebst sn.
Adjunkten, Zuckerbäcker, Einkäutfer, 2 Kammerknechte,
3 Portier, 2 Küche nebst ihren 2 .Tungen, 2 Köchinen
nebst ihren Gehülfinen, 1 Bereiter, Stallburschen 22,
Pferde 52."
1) B. St.-A. K. schw. 261/61. Lettre du prince dlectoral a la
reine de Pologne, d. d. Grace, 13. mars 1713.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max EmanueVs etc.
69
ich, obwohl ich so lange orenötigt war, Stillschweigen zu
beobachten, und mich niemals schriftlich Ihrer Gnade eni-
])fehlen konnte, an keinem Tag unterlassen habe, mit meinen
Brüdern Gott den Herrn anzAiflehen, dass er Ew. Majestaet
mit seinem reichsten Segen bedenke und uns in Stand setze,
geziemend zu antworten auf die Beweise von Zärtlichkeit,
womit Ew. Majestät uns von Zeit zu Zeit durch durchreisende
Geistliche und hauptsächlich durch Ihre letzten hocherfreu-
lichen Briefe getröstet haben. Als uns dieselben durch den
jungen Grafen Fugger, den Sohn unsres Obriststallmeisters,
übergeben wurden, war unsre Freude gross, und unser Obrist-
hofmeister Graf Tierheim nahm davon Aulass, bei dem Wiener
Hof anzufragen, ob wir nicht Ew. Majestaet ergebensten
Dank ausdrücken dürfen. Kaum hatten wir die Zusage er-
halten, wurden wir einer nach dem andren von der Blattern-
krankheit befallen, — heute aber sind wir Alle gerettet,
sagen wir Alle unsren herzlichsten und unterthänigsten
Dank!"
Kurfürstin Therese erhielt erst ein Jahr später den
ersten Brief ihres Sohnes. „Nachdem wir so lange schmachteten
unter einem unseligen Geschick, scheint endlich die göttliche
Vorsehung dem unmenschlichen Krieg ein Ende bereiten zu
wollen; die Friedensverhandlungen zu Baden scheinen dem
Abschluss nahe zu sein, und die erste Frucht bietet sich in
der Erlaubniss des Wiener Hofes, dass wir endlich auch
schriftlich unsere kindliche Ergebenheit zum Ausdruck bringen
dürfen!" ^)
Uebereinstimmend wurde in den Berichten aus Graz
hervorgehoben, dass der bayerische Kurprinz nicht bloss vor
'seinen Brüdern, sondern vor vielen seiner Altersgenossen
durch Eifer und Kenntnisse sich auszeichne. Im April
1) Ibid. Lettre du prince electoral a Telectrice, d. d. Grace,
10. sept. 1714.
70 Sitzumj der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
1714 wurde von den Grazer Jesuiten eine öffentliche Dis-
putation veranstaltet; der Fürstbischof von Seclcau, Klerus
und Adel von Graz wohnten bei, um sich zu überzeugen,
wie der Kurprinz „universam philosophiaiu defendiren" werde. ^)
1) B. H.-A. Nr. 1749. Des Herzogs Carl abgelegte Defension ex
universa philosophia 1714.
Extractus litterarum ad P. Rectorera Monacensem S. J. d. d.
Graecij 25'" aprilis 1714.
„Quod Actum defensae Philosophiae ä Ser™°: praestitum concernit,
perceperit R. P. Rector ex pluribus iara Mercurijs; ut meum tarnen
de ipsius scientiae successu sufFragiuni addam, certura Reverendum
Patrem facio, Principem hunc 17 annorum Adolescentem eam in hac
semialtera horaria disputatione maturitatem disputandi exliibuisse,
quae virum in scientia consumatum ostentat, praeter resumptionem
fluidissimam penetrantissinium suura ingenium palam omnibus fecit
in resolvendis paritatibus, quas in primo argumento de praedeterrai-
tate physica quatuor omnino habuit enodandas, et in subtilissimis
probis negaturum ä se pro.positionum prolatis, quales tres in 2^° Ar-
gumento Atheistico de demonstratione Dei attulit, unam, quod Pro-
cessus causarum contingentium infinitum sursum versus, quem Atheus
admittit, sit impossibilis, alteram, quod debeat dari natura omnium
optima in omni perfectione infinita, tertiam, quod Atheus ä suamet
malae conscientiae natural! synteresi debeat aliquem Deura agnoscere,
si possibilem eb ipso semper actu existentem, quae singula tantä cum
dexteritate explicuit Dux Carolus Ser""' in continua forma syllogis-
mox'um, ut me ipsum de praeclaro successu Actus ex iam noto eins
talento aliunde quidem certum, longe superavit, alios verö Spoctatores
de tota nobilitate numerosissimos in eam admirationem coniecerit, ut
ingenue mihi post absolutum Actum fassi aliquot comites fuerint, se
nee credidisse vel posse, Personam talem Principalem eiusmodi scientiam
ita possidere, minus tam incomparabili dexteritate explanare. Duo
nostri P: P: Theologiae aliquando Professores interf'uere pariter | R: P:
Rectore nostro iam antea absente in visitatione Parochiarum, qui
asaeniere candidi, futurum fuisse, ut si Ser"""": Dux Carolus gradum
philoHopbicum in AcademiaGraecensicum ceteris sumeret, sine aemulo
prinium locum obtineret. Addo pro clausula, quod toto defensionis
tempore nee pro distinctione, nee pro probk aut ratione danda nee
pro resumptionis errore corrigendo ullum monitorium verbum expen-
dere debuerim, excepti.s binis vicibus, ubi unicum verbulum P. op-
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne M(uv Emanuel's etc. 71
Wie Graf Brenner an den Kaiser berichtete, wusste sich
der Prinz gegen zwei ihn angreifende Jesuiten ,ohne geringste
8ecundirung seines Fatris professoris sowol in reassumirung
der proponierten arguraenten, als Beantworttung und auch
distinguirung derenselben gebenden disparitaeten und andrer
responsionen zu jedermanns Verwunderung dergestalt woU zu
halten, dass ihme von samentlichen ein billiges Lob ausge-
sprochen worden ist und also er hiedureh auch seine an-
gebohrne guette talenta und sonderbahre application genuegsam
erwiesen hat.*" ^) Kaiser Karl Hess für des Kurprinzen rühm-
liches Wohlverhalten seine höchste Anerkennung aussprechen
und denselben „zu weiteren christ-fürstlichen Tugenden und
Wissenschaften anfrischen " , wie sich dies „für einen so
nahen Verwandten des kaiserlichen Hauses zieme. "^).
Die Meldungen von so erfreulichen Erziehungserfolgen
trugen nicht wenig dazu bei, dem Plane einer Vermählung
des Kurprinzen mit einer Erzherzogin am Wiener Hofe
Freunde zu gewinnen. Wie allgemein diese Frage damals
schon die politische Welt beschäftigte, ist aus den zwischen
dem Kurfürsten von Köln und seinem Kanzler Karg von
Bebenburg gewechselten Briefen zu ersehen.^) Karg schreibt
am 8. Februar 1714 aus Paris, man sei hier dem Eheproject,
von welchem man sich Befestigung des Friedens verspreche,
pugfnantis a Principe oniissum eidem insinuavi non omittendum. Satis
haec pro Veritatis integritate atque solutio R. P. Rectoris, donec veniat
ipse, de quo talia.
Interim nie in omnia futura R. P. constantemque benevolentiam
demississime comendio, permansurus ad omnia, pro quibus aptus
videbor obsequia."
1) Ebenda. Bericht des Grafen von Brenner an den Kaiser vom
25. April 1714.
2) Ebenda. Kaiserliches Rescript an den Hof kammerpräsidenten
Grafen von Brenner vom 4. August 1714.
3) Ennen, der spanische Erbfolgekrieg und Joseph Clemens von
Köln; Anbang, Nr. 131.
72 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
nicht abgeneigt; man habe aber Nachricht, dass der König
von Polen, um die Hand der älteren Erzherzogin seinem
Sohne zuzuwenden und eine angeblich beabsichtigte Erhebung
des bayerischen Kurprinzen zum römischen König zu ver-
hindern, fast alle deutschen Höfe zur Bekämpfung des bay-
erischen Projekts gewonnen liabe.^)
Auch in Wien schaarten sich um die beiden Bewerber
Parteien, die sich mit Aufwand aller diplomatischen Künste
befehdeten. Welche Waffe die wirksamste im Streit, erhellt
aus der Mahnung, welche der bayerische Agent, Kapitän
V. Essig, an den Kabinetssekretär Max Emanuel's, Wilhelm,
richtete (14. Nov. 1714) : „Wann Sie anhero kommen werden,
müessen Sie wohlgespickter kommen, sonsten wird die Com-
mission immerhin eine schlechte Folge haben ; hingegen kann
man mit Gelt viel richten,"^)
Am 7. September 1714 wurde zu Baden der Frieden
unterzeichnet, wodurch der geächtete „Herr Maximilian Emanuel
von Bayern" „aus Bewegnüssen des allgemeinen Uuhstands"
alle seine Länder und Würden zurückerhielt.^) Damit hatte
auch selbstverständlich die Gefangenschaft der Prinzen ein
Ende. Nun stehe der Wiedervereinigung der Familie kein
1) Ennen, Anhang Nr. 143. Mainz, Trier und Hannover seien
bereits von Sachsen gewonnen, den protestirenden Fürsten vrerde vor-
gespiegelt, „dass Ihro Kayserl. Majestaet und Ihro Churfürstl. Durch-
laucht zu Bayern würcklieh in geheimer Verstandnuss wären und die
Cron des Römischen Königs auff den Churprinzen zu Bayern zu bringen
trachteten, umb die alternativam religionum in der kayserlichen
Dignität zu verhündern."
2) B. H.-A. Nr. 736. Verhandlungen über Vermählung des Chur-
prinzen Carl Albrecht's mit der erzherzogl. österreichischen Prinzessin
Maria Amalia, Kaiser Joseph's I. Tochter, 1714—1718. — Der bay-
rische Agent nahm zu besserer Betreibung des Heiratsplanes ein
Anlehen von 1 Million Gulden auf, musste aber den Verdruss erfahren,
dass der sächsische Envoye ,4 Millionen hiezu in paratis zu haben
sich vantiret".
3) Zink, Ruhe des .jetzt lebenden Europa, I, 299.
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max Emanuel's etc. 73
Hinderniss mehr im Wege, schrieb Max Emanuel am 9. Ok-
tober an seine Gattin, in Landsberg sollten die lang Getrennten
zusannuentreffen . ^)
Vorher sollte aber der Kurprinz, wie Max Emanuel am
18. Oktober dem Kaiser anzeigte, nach Wien gehen, um im
eigenen und in des Vaters Namen den Dank für die ,güti-
giste Education", deren sich die bayerischen Prinzen während
ihres Aufenthalts in Oesterreich erfreuten, auszusprechen.^)
Die Antwort Kaiser Karl's erfolgte erst am 6. Februar 1715.^)
Ein Besuch des Prinzen in Wien wurde für die nächste Zeit
abgelehnt, auf dass des Kurfürsten Freude, seine Söhne ehestens
zu umfangen, nicht noch weiter hinaus verzögert werde;
später werde sich ja wohl für den Kaiser eine Gelegenheit
bieten, den Prinzen zu sehen.
Ohne Zweifel hing diese Abweisung damit zusammen,
dass der Kaiser über die Verlängerung des Aufenthalts des
Kurfürsten am französischen Hofe ungehalten war, ja wohl
gar von der Erneuung des Bündnisses mit Frankreich Kenntniss
hatte.*) Ausdrücklich wird jedoch in des Kaisers Schreiben
betont, dass er die Anerkennung des Vaters in Bezug auf
die Erziehung der Prinzen wohl verdient zu haben glaube.
„Die vorgeweste Zuefäll haben nicht verhindert, dass man
nicht von anbeginn derenselben verhangnus bis annoch ab-
sonderliche Sorg getragen, damit ihre schmerzliche absonderung
von den Eltern ihnen an geburtsmässiger auferzucht keinen
abbruch bringe. Wie sye dann under diesen Jahren gelegen-
1) B. H.-A. Lettre de l'electeur a Telectrice d. d. St. Cloud,
9. octobre 1714.
2) B. St.-A. K. schw. 352/30. Concept eines Schreibens Max
Emanuel's an den Kaiser, d. d. St. Cloud, 18. Okt. 1714.
3) Ebenda. Schreiben Karl's VI. an Max Emanuel, d. d Wien,
6. Febr. 1715 (Abschrift).
4) Heigel, Quellen und Abhandlungen zur neueren Geschichte
Bayerns, 175.
74 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
heit gehabt, neben der Tugend vill anders zu erlehrnen, so
ihnen khonftig zu gueter underricht dienen kan, mit desto
grossem! Vertrauen Ich sye dann für das pfand der von
Euer Liebden erneuernden Treue annimm. "
Grosses Aufsehen im ganzen Reiche erregte es, dass der
Kaiser im Februar 1715 an den bayerischen Kurprinzen das
goldene Vliess verlieh.^) Bisher war diese Befugniss nur von
den Königen Spaniens beansprucht worden, und auch der
Kurprinz war schon als Knabe, wie oben erwähnt wurde,
von König Philipp V. mit dem höchsten Orden der Christen-
heit ausgezeichnet worden. Ohne Zweifel gerade deshalb
bedachte ihn damit auch Kaiser Karl, um sein besseres Recht
als Erbe der habsburgischen Könige Spaniens darzuthun.*)
Graf Harrach überbrachte nach Graz mit der Kette ein
kaiserliches Handschreiben, worin erklärt war, dass sich der
Kaiser mit Rücksicht auf des Prinzen hohe Geistesgaben,
treffliche Kentnisse und bekannte Ergebenheit gegen Kaiser
und Reich zu solcher Bezeugung freundvetterlicher, sonder-
barer Liebe und Gewogenheit bewogen fühlte. Die Ver-
leihung des Ordens ging in feierlichster Weise in der
Rathstube zu Graz vor sich; überaus zahlreiche Ver-
treter des hohen österreichischen Adels hatten sich dazu ein-
gefunden.^)
Einige Wochen später traten die fünf Prinzen die Heim-
reise an. Auch auf dieser erfreulicheren Fahrt gab ihnen
Hofkammerrath Baron Peschowicz durch die österreichischen
1) Electa juris publici, VIII, 382.
2) Auch Max Emanuel selbst hatte als Statthalter der Nieder-
lande im Namen Philipp'a V. den Orden verliehen, z. B. 1709 an den
Fürsten Rackozy (Staatsgeschichte des durchlauchtigen Churhauses
Bayern unter Carolus VII, (1743), 291.
3) Electa juris publici, 384. — Unertl behauptete, die Verleihung
sei auf seine „unterm letzten Aufenthalt in Wien geschehene unter-
thänigste Erinnerung" erfolgt (Deduction etc., Fol. 16)
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne Max Emanuel's etc. 75
Lande djis Geleit. ^) Am 8. April fand sich die ganze
kurfürstliche Familie auf Schloss Lichtenberg zum Elrsten-
mal nach zehnjähriger Trennung wieder vereinigt.^) Das
Elternpaar hätte die Kinder nicht wieder erkannt, denn aus
den Knaben waren stattliche Jünglinge geworden. „Ihre
Ansprache", erzählt Oberst de la Colonie, der im Gefolge des
Kurfürsten in Lichtenberg anwesend war, , rührte Alle zu
Thränen, so dass sie sich beeilten, ihrer Freude Ausdruck
zu geben ''.^) Am IL April erfolgte der Einzug in München.
In zahllosen Festgedichten wurde die Wiederkehr der
landesherrlichen Familie gefeiert.*) Der Umschwung des
Geschicks erschien um so vollständiger, als die Erhebung
eines bayerischen Prinzen zum Coadjutor von Köln gesichert
war, die Ernennung eines andren zum Abt von St. Gallen
und die Verleihung eines französischen Bisthums an einen
dritten als gesichert galten. Der Kurprinz vollends — so
wurde gerade in der kaiserlich gesinnten Presse ausgeführt,
— dürfe bereits als Erbe der österreichischen Lande und
wohl auch der Kaiserkrone angesehen werden.^) Und er
1) Kaiser Karl zeigte dem Kurfürsten durch Schreiben vom
13. März 1715 die Uebertragung dieses Commissoriums an Peschowicz
an (B. St.-A. K. schw. 352/30.)
2) Sepp, 560, u. A. verlegen die Zusarumenkunft in's Kloster
Elchingen, vermutlich weil sich diese Angabe in Unertl's Deduction
(Fol. 18) findet. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, dass die
übereinstimmenden Angaben in den Memoires du marquis Maffei (II,
237), den Memoires de Mr. de la Colonie (III, 139), dem Augsburger
historischen Mercurius (Jahrgang 1715, 312) etc. den Vorzug ver-
dienen.
3) Me'moires de Mr. de la Colonie, III, 139.
4) Auch der kaiserliche Hofpoet Joh. New verfasste ein Carmen:
Leo Bavaricus etc., das der Gesandte v. Mörmann dem Kurfürsten
übermittelte (B. St.-A. K. schw. 15/3. v. Mörmann's Bericht vom 3. Sep-
tember 1715).
5) Europäische Fama, Jhgg. 1715, 226. — Es gehört nicht mehr
in den Rahmen unsrer Untersuchung, den weiteren Verlauf der Ver-
76 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
verdiene auch so glänzendes Loos, denn immer aufs Neue
lege er überraschende Proben seines Fleisses und seiner Ge-
handlungen in Wien wegen der geplanten Heirat zu verfolgen, doch
sei auf einen Punkt von allgemeinerem Interesse hingewiesen. Be-
kanntlich wurde Prinz Eugen von der spanischen Partei am Wiener
Hofe unerlaubter Begünstigung der bayerischen Interessen bezichtigt.
Aus dem betreffenden Akt des geh. Hausarchivs (Nr. 736) erhellt, dass
der bayerische Agent anfänglich über die Haltung des Prinzen, der
durch den Einfluss der Madame Budiany ganz für das sächsische Inte-
resse gewonnen sei, sogar Klage führte. Im Jahr 1717 trat jedoch ein
Umschwung ein. Auf Briefe des Prinzen Eugen an Max Emanuel
vom 12. Jänner und 3. Februar, die nicht vorliegen, antwortete der
Kurfürst am 16. März, er habe mit grosser Freude vernommen, dass
der Prinz einen Besuch des Kurprinzen in Wien so warm empfohlen
habe; so mächtiger Einfluss werde hoffentlich auch das Eheprojekt
zu glücklichem Ziel fähren, ,wie ich mir dann auss dem alten Ver-
trauen und nachendter Verwandtschaft freundvetterlich nit allein ein
solches, sondern auch dieses ausgebetten haben will, dieselben geruhen
mir zu erlauben, hierinfahls, wie auch in allen andren Begebenheiten
mein beständiges Verthrauen in ihnen zu setzen." Prinz Eugen er-
widerte, der Besuch des Prinzen werde sich am besten in Scene setzen
lassen, wenn er selbst am Feldzuge in Ungarn sich betheiligen und
die bayerischen Truppen nach Wien führen wollte. Bezüglich des
Vermählungswerkes könne er melden, „dass Seine Kayserliche Maje-
staet selbes wohl eingenommen"; er hoffe bestes Gelingen des Werkes,
das er mit seinem ganzen Kredit unterstützen werde. Max Emanuel
ei-klärte sich mit dem Vorschlag einverstanden ; auch sein Sohn er-
blicke darin eine besondere „Vergnüegung, dass zu Diensten Sr. Kayserl.
Majestaet er in einer Armee, so under Ew. Liebden Commando stehet,
sich für das erstemahl stellen könne". Im Mai 1717 begaben sich
Karl Albert und sein Bruder Ferdinand nach Wien und von dort
nach einwöchentlichem Aufenthalt in Prinz Eugens Lager bei Futak.
Die Aufnahme in Wien war die freundlichste, der Eindruck, den der
Prinz machte, der günstigste; wenn trotzdem die Werbung um die
älteste Tochter Joseph's scheiterte und die Heirat mit der zweiten
Prinzessin, Maria Amalia, erst 1722 zu Stande kam, so trug daran,
wie die Kaiserin Amalie dem Brautwerber Grafen Törring mittheilte,
Max Emanuel selbst die Schuld, weil er die dem Kaiser missfällige,
intime Verbindung mit Spanien nicht aufgab (Correspondenz des
Grafen Törring zu Jettenbach während seiner 1719, 1722 und 1723
gehabten Ambassade zu Wien; B. St.-A. K. schw. 16/24).
Heigel: Die Gefangenschaft der Söhne 3[ax EmanueVs etc. 77
lehrsamkeit ab ; während andere Standes- und Altersgenossen
nichts andres seien als Landplacker, die kaum ihren Namen
ordentlich schreiben können und nur mit Soldatenspielen sich
ergötzen, erblicke der bayerische Kurprinz in nützlichen Kennt-
nissen und umfassender Bildung die eines Fürsten einzig und
allein würdige Lebensaufgabe. ,Man hat aber hierbey nicht
zu vergessen, dass dieser bayrische Churprintz alle Glück-
seeligkeit seiner Education dem allermildesten Ertzhause
Oesterreich zu danken hat, welches an diesem seinem da-
mahligen Feinde die grösste Sorgfalt und Gnade bewiesen,
und stehet dahin, ob er zu Hause in München noch so viel
gelernt hätte. " ^)
Auch Kurfürst Max Emanuel erkannte dankbar an, dass
die Erziehung seiner Kinder in den Tagen der Gefangenschaft
nicht vernachlässigt worden sei. „Gleichwie nun," schrieb
er nach der Rückkehr nach München (14. April 1715) an
den Kaiser, „ich mit meiner und meiner Gemahlin Liebden
äusseristen Vergnügung meine Printzen in erwünschlichem
Wohlstandt übernommen und mit noch mehrerer freudt an
selbigen die beste education, welche Ew. Kayserliche und
Königliche Majestaet ihnen gütigst angedeyhen lassen, er-
funden, so werden ich und sie, meine Printzen, unss solch
kayserlicher und königlicher höchsten Gnaden zu aller Zeit
lebenslang underthänigst erinnern" ....*)
Noch wärmer lautet der Dank des Kurprinzen: „Nun
ist es an denie, dass für Eurer Kayserlichen und Königlichen
Majestaet gegen unss so lang allergnädigst gezaigte Obsorg,
so vätterlich für unsere Erziehung und Bequemhaltung ge-
tragene Sorgfalt, so überhäuffig in dero Erblanden genossene
allergnädigste Befelchs-Ertheilungen und bis auf den letzten
Augenblickh sich unerschöpflich erstreckhende Vorsehung
1) Europäische Fama, 452.
2) K. k. H.-, H.- u. St.-A.
78 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
mir geziemende Dankhabstattimg allerunterthänigst ablegen
sollen" . . . ^)
Und wenn es nocli eines Beweises dafür bedürfte, dass
die Ueberlieferung von harter, unwürdiger Behandlung der
Kinder Max Emanuers nicht der geschichtlichen Wahrheit
entspricht, so könnte noch auf die Instruktion Karl Albert's
vom 3. November 1733 für seinen als ausserordentlichen
Gesandten nach Wien abgeordneten Oberststallmeister Grafen
Max Preysing verwiesen werden. Der Kurfürst versichert
darin, als Fürst des Reichs hege er Ehrfurcht gegen dessen
geheiligtes Oberhaupt, als Verwandter, in dem ,das mit
österreichischem so vielfach vermischte Geblüt sich rege",
schätze er den Verwandten, in dessen Adern gleiches Geblüt
fliesse, — er liebe aber von zarter Jugend an den Kaiser
wie einen Vater „wegen der bei (seiner) Erziehung be-
zeugten väterlichen Obsorge."^)
1) K. k. H.-, H.- u. St.-A.
2) Das dem gräfi. Preysing'schen Archiv in Hohenaschau ent-
nommene Schriftstück ist mitgetheilt in (Hormayr's) Anemonen eines
alten Pilgersmannes, II, 109. Graf Preysing's Mission hatte den Zweck,
offen um die Investitur mit den böhmischen Lehen nachzusuchen, ins-
geheim die Vermählung des Kurprinzen Max Joseph mit Erzherzogin
Maria Theresia zu betreiben.
79
Herr v. Reber hielt einen Vortrag:
„Beiträcre zur Kenntniss des Baustiles der
heroischen Epoche."
Das Material, welches sich der Forschung be/iiglich der
Cultur des sog. heroischen Zeitalters Griechenlands vor den
Schliemann'schen Ausgrabungen zur Verfügung stellte, war,
wenn wir die homerischen Epen in der Erstreckung ihres
selbstverständlichen Inhaltes ausnehmen, nicht blos höchst
fragmentarisch und dürftig, sondern auch zum grossen Theile
unauthentisch. Es bewegten sich daher die meisten Versuche,
den Culturäusserungen dieser Periode näher zu treten, mehr
oder weniger auf dem Boden der Vermuthung, wobei je nach
dem Grade der mitspielenden Phantasie die abenteuerlichsten
Vorstellungen sich ergaben. Am schwierigsten al)er war es, ein
Bild von dem architektonischen Vermögen der Griechen der
Heroenzeit zu gewinnen, da ausser dem sog. Schatzhaus des
Atreus zu Mykenä und ausser einigen Befestigungs- und
Thorbauten kein namhafter baulicher Ueberrest vorlag, und
die homerischen Erwähnungen gerade auf die wichtigsten
Fragen für sich allein keine Antwort gaben. Die Sachlage
ist seit den Schliemann'schen Aufdeckungen und den anderen
gleichzeitigen örtlichen Untersuchungen eine wesentlich andere
geworden. Wie die troianische Sammlung des ethnographi-
schen Museums in Berlin und die Schätze des mykenisch-
tirynthischen Museums im Poljrtechnikum zu Athen der
Forschung auf allen Gebieten der heroischen Cultur eine über
80 Sitzung der histor. Classe vom 5, Mai 1888.
Erwarten reiche und zuverlässige Fundgrube darbieten, so
ermöglichen die theilweise oder ganz biosgelegten Palast-
ruinen von Troia, Mykenä und Tiryns, verbunden mit den
während der Aufdeckung gewonnenen Beobachtungen und den
in den Museen gesammelten Architekturfragmenten, auch die
Reconstruction der baulichen Entwicklung jener Zeit. Und
zwar annähernd bis zu dem Grade, dass es gerechtfertigt
erscheint, von einem heroischen Baustile zu sprechen und
wenigstens Beiträge zu einem Gesammtbilde zu liefern, welches
eine spätere Zeit den bekannten Baustilen der historischen
Epochen voranstellen wird.
Ganz vereinzelte Erscheinungen, Planbildungen, Auf bau-
glieder und Ornamentstücke, nur an einem Orte gefunden
und nur einmal nachweisbar, würden dazu noch keine ge-
nügende Berechtigung gewähren. Aber glücklicherweise
decken sich die baulichen Erscheinungen nicht bloss in den
Funden von Tiryns und Mykenä, sondern auch in den Resten
von Ilion oder wie man sonst die Fundstätte von Hissarlik
in der Troas nennen will. Denn so verschieden die übrige
Cultur der genannten kleinasiatischen Fundstätte einerseits
und der argivischen Ausgrabungsplätze andrerseits nach den
Fundobjekten im troianischen Museum zu Berlin und im
mykenischen zu Athen sich darstellt, so verwandt erwiesen
sich die hervorragendsten beiderseitigen Baupläne. Obwohl
daher durch die Museen und ihre Culturobjekte genöthigt,
für die uns zunächst interessirende zweite (verbrannte) Burg
von Hissarlik eine frühere Zeit als für Tiryns und eine der
argivischen ziemlich ferneliegende Bevölkerung anzunehmen,
sehen wir uns doch nicht gezwungen, unsere Vorstellung von
der Bauweise der heroischen Epoche auf Argolis und das
östliche europäische Hellas zu beschränken.
Die Grundlage für die Untersuchung wird nach dem
dermaligen Stande der Aufdeckungen die Burg von Tiryns
bilden müssen, deren Stätte durch keine umfängliche spätere
i\ Reher: Zur Keuuttiisfi des Baustiles der heroischen Epoche. 81
Ueberbaunng verwirrt worden ist, und deren Erforschung
am saelikundigsten und gründlichsten vollzogen und in muster-
giltiger Weise von dem Leiter der Ausgrabungen beschrieben
wurde. An Wichtigkeit für unsern Gegenstand kaum nacli-
stehend erscheint dann Mykenä, dessen von Schliemann be-
sorgte Ausgrabungen der Schachtgräber unmittelbar innerhalb
des Lüwenthores für unseren Zweck freilich von geringerer
Bedeutung sind als die ausserhalb der Akropolis befindlichen
Tholengrilber, während die neuesten, von der archäologischen
Gesellschaft unternommenen Ausgrabungen w'eder /Aisammen-
hängend noch vollendet sind, auch zur Zeit noch keine
Publication erfahren haben. Erst in dritter lieihe stehen
die troianischen Ausgrabungen, welche ausser einigen für
unsere Betraclitung wichtigen Planformen für den Aul'bau
und die architektonischen Stilfragen weit weniger Anhalts-
punkte dargeboten haben als Tiryns. Ich kann sie nur mit
umsomehr Reserve heranziehen, als das troianische Museum
in Berlin an architektonischen Ueberresten auffällig arm ist,
und die persönliche Anschauung des troianischen Ausgrabujigs-
feldes mir nicht zu Theil geworden ist. Nur sehr vereinzelte
Beihülfe endlich gewähren uns auch die Gräberfunde von
Orchomenos, Spata und Menidi.
Ich muss in meinen Beiträgen ganz absehen von den
Gräberanlagen wie von dem Befestigungswerke sammt den
Thoren, welche durch die Schliemann 'sehen Bücher über
Troia, Mykenä und Tiryns bekannt und namentlich durch
Dörpfeld's Hand unübertrefflich untersucht und beschrieben
worden sind. Ebenso von der Planbildung der Säulenhöfe
und der Propyläen, deren Behandlung in Schliemann's Tiryns
kaum etwas hinzuzufügen wäre. Vom Tempelbau kann nicht
die Rede sein, da sichere Reste eines solchen unter den
Ruinen aus der heroischen Epoche bisher nirgends gefunden
worden sind. Die Erörterung der ßaustilfragen lässt sich
auch in der Hauptsache an die Betrachtung des hervorragend-
1S88. Philos.-philöl. u. hist. Cl. II. I. G
82 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
sten Gebäudes des Burgcomplexes, des Megaron, anschliesseii,
da dieses mehr als alle übrigen Wohnräume und soweit er-
halten ist, um ausser dem Plane auch über einen Theil des
Aufbaues und der constructiven wie künstlerischen Formen
Aufschluss geben zu können, und da demselben, als dem
Schauplatze eines grossen Theiles der Odyssee, werthvolle
homerische Notizen erläuternd zur Seite stehen.^)
Ein Blick auf den Plan der Burg von Tiryns lehrt,
dass dieser Saalbau das Hauptgebäude und Centrum des
ganzen Complexes sei, um welches sich alle anderen Palast-
theile untergeordnet gruppiren. Der Säulenhof zeigt zwar
von seinen Seitenportiken aus Zugänge zu den beiderseits
vom Megaron liegenden Gemächeraggregaten der Männer-
wie der Frauen wohnung, ist aber offenbar hauptsächlich
darauf berechnet, dem Saalbau als Vorplatz zu dienen, indem
er sich diesem symmetrisch vorlegt und namentlich auch
seinen Grubenaltar, die einzige bisher gefundene Opferstätte
des Palastes, in der verlängerten Axenlinie des Saales an-
geordnet erkennen lässt. Wenn das zweite Propyläon, das
zu diesem Hofe führt, nicht in der Axe des Saaleinganges
geplant, sondern gegen die südwestliche Hofecke gerückt ist,
so liegt der Grund hievon neben der Berücksichtigung des
vom ersten Propyläon an gegen Westen ansteigenden Terrains
wohl in der Absicht, dem Altar die entsprechende Stelle
freizulassen. Zweitens ist der Saal der grösste gedeckte
1) Von den zahlreichen Kestaurationsversuchen eines homerischen
Saalbaues kommen ausser den älteren völlig überholten Arbeiten in
Betracht: W. Hei big, das homerische Epos aus den Denkmälern
erklärt. Leipzig. 1884: J. H. Middloton, A suggested restoration of
the great Hall in the l'alace of Tiryns, und R. C. Jebb, The Homeric
House in relation to the remains at Tiryns. Journal of Hellenic
Studie» of the Society for the promotion of Hellenic studies. Vol.Vn.
1886; K. Lange, Haus und Halle. Leipzig 1885; und an Bedeutung
alles Vorgenannte überbietend W. DörpfeUrs Antheile an Schlie-
mann's Büchern über Troia (Leipzig. 1884) und Tiryns (Leipzig. 1886).
V. Reher: Zur Kenntniss des Baustiles der heroischen Epoche. 83
Raum des ranzen Complexes und folglich auch durch stärkere
Wände von den übrigen Gemächern unterschieden. Drittens
liegt er am höchsten Punkte des Burgfelsens, wonach seine
Bedachung, die ohne Zweifel den Verhältnissen des Ganzen
entsprechend an sich höher lag als jene der übrigen Gebäude
nur um so höher über die Nachbarräume emporragte, und
wird überdies durch einen Stufenbaa über das Niveau der Hof-
anlagen gehoben. Es ist daher nicht zu verkennen, dass
der Baumeister die Absicht gehabt haben müsse, den Saalbau
als den Kern der Anlage hervorzuheben. Dasselbe ist an
dem neuestens aufgedeckten ganz ähnlichen Saalbau von
Mykenä wenigstens durch die Lage erkennbar, obwohl die
Ausgrabung im vergangenen Jahre nicht weit über den Saal
selbst hinaus gediehen ist, und ebenso an dem Plan der Burg
von Troia. an welchem, dem Plane von Tirvns entsprechend,
neben dem grossen Saale des Megaron der gleichartige kleinere
Saal, der Frauensaal, deuthch wird. Der Plan des Megaron
ist auch in Tiryns wie in Mykenä vollkommen gesichert:
hier wie dort öffnet sich zunächst ein Vestibül von der Gestalt
eines zweisäuligen vaog h 7iaQaOTaoi oder in antis, die aLd^oioa
öw^taTog, nach dem Hofe oder Voi-platz. Von dieser Vorhalle
führen in Tiryns drei unmittelbar nebeneinanderliegende
Thüren in einen Vorsaal von ähnlichen Dimensionen, den
TTQodouog. Von diesem aus leitet eine Thüre in der hnksei-
tigen Schmalwand zu den Gemächern der Männerwohnung,
zum Badezimmer u. s. w., welcher jedoch in der gegenüber-
stehenden Wand sicher keine entsprach, wonach die Frauen-
wohnung ohne direkte Verbindung mit dem Männersaale
bheb. In Mykenä verband nur eine Thüre die Vorhalle
mit dem Vorsaal, auch die Verbindungsthüre mit dem links-
seitigen Wohntrakt ist zur Zeit wenigstens nicht nachgewiesen.
Völlig gleichartig aber ist in beiden Burgen der eigentliche
Saal des Megaron behandelt, zu welchem vom Prodomos aus
in der Mitte der beide Räume trennenden Wand die mächtige
6*
84 Sitzung der liistor. (Jlasse vom 5. Mai 18SS.
Eingangsthüre führt. Selbst die Maasse sind annähernd
dieselben., an dem exakter bekannten Megaron von Tiryns
innen 11,80 ni in der Axenrichtnng, 9,80 m in der Breite,
so dass das Areal des Megaron in seinen Erstrecknngen
ziemlich genau jenen der beiden Vorräume zusammengenommen
entspricht. Vier Säulen in entsprechenden Abständen um
einen kreisförmigen Herd gestellt, stützten die Decke, die
Wände sind durch keinen weiteren Ausgang durchbrochen.
Wie der Baugrund vorgerichtet zu werden pflegte, ist
an verschiedenen Stellen zu Tiryns ersichtlich geworden.
Der Felsen wurde aimähernd geebnet, sonst durch Aufschüt-
tung nivellirt. In dem vorliegenden Hofe, wo das Terrain
gegen Süden zu abfiel, hatte man diese Neigung zur Her-
stellung eines Gefälles ausgenutzt, und durch den über eine
ausgleichende Erdaufschüttung gelegten Estrich eine leicht
nach Süden geneigte Ebene hergestellt. Der Estrich besteht
aus einer 4 — -1 cm dicken unmittelbar auf den gewachsenen
Boden oder auf die Aufschüttung gestrichenen Unterschicht
aus grobem Gemengsei von Steinstücken und Kalk und einer
darüber aufgetragenen 2 cm dicken Oberschicht aus Kalk
und kleinen Kieseln. Erinnert die letzere in ihrer Erschei-
nung einigermassen an jene Pavimentbildung, die man in
Italien Terrazzo nennt, so gewinnt sie an jenen Stellen, wo
die kleinen Geschiebsteine verhältnissmässig dicht liegen,
geradezu die Gestalt eines Kieselmosaiks. In den gedeckten
Räumen aber musste natürlich auf Erzielung einer wag-
rechten Pavimentfläche gesehen werden, wozu es bei der
Neigung des Terrains zu Tiryns an der Stelle des Megaron
eine Ueberhöhung des Südrandes, mithin der Eingangseite
bedurfte, während sonst der Aufbau eines Stereobats, d. h.
einer das ganze Gebäude isolirende Fundamentauf höhung von
der Art, wie Avir sie am griechischen Tempel finden, ver-
mieden ward. In Tiryns reichten zwei vor die ganze Vor-
halle des Megaron gestreckte Stufen, annähernd je 10 cm
V. Beber: Zur Kennt)iiss des Baustiles der heroischen Epoche. 85
hoch und 40 cm breit, zu dem gewünschten Nivellirungs-
zwecke aus. Die Oberfläche der oberen Stufe wurde als
Norm der Fertigstellung des ganzen Fussbodens zu Grunde
gelegt, und dabei ähnlich verfahren, wie bei der Herstellung
des Hofpiiviments. Nur wurde auf die je nach Terrain in
ungleicher Dicke aufgetragene Rauhmörtelschicht ein 1 ^j-i cm
dicker Kalkestrich gestrichen, welcher mit Ausnahme des
Vorsaales, dessen Estrich dem des Hofes identisch ist, kaum
noch Mörtel genannt werden kann, da dem Kalk nur sehr
wenig Sand- oder Kieselbestandtheile beigemengt waren. In
die Oberfläche sind gerade Linien eingeritzt, die sich recht-
winklig schneidend eine Art von Plattenmuster ergeben, das
quadratische Felder von jederseits 55 cm durch gekreuzte
Bänder von etwa 10 cm Breite umsäumt zeigt. Dieses ein-
geritzte Lineament diente jedenfalls dazu, die auf den Estrich
aufgetragenen Farben von einander abzugrenzen. Spuren
von Roth und Blau haben sich noch gefunden, in einem
Corridor westlich vom Megaron zu Tiryns Hess sich sogar
noch einfache Oruamentmusterung (Zickzack und Wellen)
unterscheiden. Das Innere des Megaron zu Mykenä zeigt
dazu noch eine weitere rationelle und schöne Ausstattung,
nemlich eine breite Borte aus blaugrauen Kalksteinplatten,
welche sich am Fuss aller Wände entlang zieht. Jedenfalls
stellen die Pavimente von Tiryns und Mykenä einen höheren
Culturgrad dar, als er sich in den Fussböden des Atreustholos
zu Mykenä und in den Gebäuden der Burg von Troja dar-
bot, oder auch der homerischen Beschreibung des Megaron
von Ithaka vorschwebt, wo er als einfacher gestampfter
Lehmboden nach Art unserer Dreschtennen erscheint.
Die Fundamentirung der Wände reicht nur in geringe
Tiefe, nicht einmal überall bis auf den gewachsenen Boden.
Sie besteht in der Regel aus Bruchsteinen verschiedener Grösse
mit Lehmverbaud. Sobald aber die Wände zu Tage traten,
wurden die nach Aussen gewendeten Bruchsteiuseiten etwas
86 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
sorgfältiger gewählt, um einen ebenen Verputz zu ermög-
lichen. Dieser bestand in einer 1 — 2 cm starken auf die
Lehmausgleicliung gestrichenen Kalkschicht, welche mittelst
Putzhobel geebnet and schliesslich bemalt war.
Dieses Mauerwerk erreichte jedoch nur eine Höhe von
45 — 60 cm über dem Pavimente und bildete sonach nur
einen Wandsockel, auf welchem man die Wände selbst meist
nur in luftgetrockneten Ziegeln mit Lehmverl)and aufführte.
Obwohl man dabei sowohl das Ziegelmaterial, das übrigens
selten sorgfältig gewählt war, als auch den als Mörtel ver-
wendeten Lehm zur Vermehrung der Cohärenz mit Stroh
oder Sumpfgras vermengte, wie dies bei Herstellung von
Backöfen und bei dem Ausstreichen von Feuerungsstellen
noch heutzutage zu geschehen pflegt, so war doch dies
Mauerwerk, trotzdem dass man es innen und aussen immer
durch einen Kalkverputz vor den Einflüssen der atmosphä-
rischen Niederschläge wie bis zu einem gewissen Grade auch
der Hitze schützte, immer höchst unsolid. Es konnte daher
ohne weitere Zuthat nur bei kleineren Räumen wie sie die
Mehrzahl der Gemächer des tirynthischen Palastes darbieten,
genügen, besonders dann wenn diese ohne den beschriebenen
Bruchsteinsockel schon vom Grund auf in Backstein auf-
geführt wurden. Namenthch durch Jahrtausende hindurch
konnten sich solche Ziegelwände nur erhalten, wenn entweder
die deckende Kalkschicht unterstützt von Verschüttung Stand
hielt, oder wenn bei heftiger Brandeinwirkung ein Theil der
Wände in ähnlicher Weise gebrannt wurde, wie die Back-
steine im Ziegelofen. Im letzterem Falle wurden freilich die
luftgetrockneteu Ziegel gleichmässig mit den verbindenden
Lehmbettungen gebrannt und dadurch die erhaltenen Wand-
stücke zu unterschiedslosen Klumpen zusammengebacken.
Es lassen daher nur im ersteren Falle die Ziegel noch ihre
ursprüngliche Gestalt erkennen, welche bei einer Dicke von
10 cm eine Länge von 48 cm und eine Breite von 36 cm
als das tirynthische Localmass ergeben.
c. Reber: Zur Kenntniss des Baustiles der heroischen Epoche. 87
Bei Riiunilichkeiten grösserer Plan- und folglich auch
wohl Höhenerstreckung konnte jedoch die Sicherung der
Luttziegel wände mit Lehrabettung durch Kalkputz nicht aus-
reichen, um dem Reissen der Wände, dem damit verbundenen
Abfallen des Putzes und somit der Zerstörung zu begegnen.
Es bedurfte hiezu vielmehr erstens einer fachwerkartigen
Verankerung der Wände durch ein Holzriegelwerk, und
zweitens einer weitgehenden widerstandsfähigen Verkleidung
derselben, zumeist ebenfalls in Holz.
Von der Holzverankerung der Ziegelwände haben sich
zunächst in Troia deutliche, gleichwohl von Schliemann miss-
verstandene Spuren gefunden. Es zeigten sich neralich hier
an den durch einen Brand nahezu verglasten Ziegelwänden
in gewissen Abständen, etwa der vierten, achten, zwölften u.s.w.
Ziegellage entsprechend, horizontale Bettungen, welche nur
zur Einsetzung rechteckig bearbeiteter Hölzer in der Längs-
richtung der Wände gedient haben konnten, die an der
Aussen- wie Innenfläche der Wände angebracht in erster
Reihe das Reissen des Wandkörpers im vertikalen Sinne zu
verhindern bestimmt waren. Zwischen diese Horizontalrahmen
aber waren in gewissen je nach den Längserstreckungen der
Wände verschiedenen Abständen gleichfalls behauene Quer-
hölzer eingelegt, welche wahrscheinlich mit den Längsrahmen
verdübelt auch der Dicke der Wand erhöhten Halt gaben.
Diese Holzroste konnten nicht nachträglich eingefügt werden,
sondern mussten während des Baues auf die entsprechende
Ziegellage aufgelegt werden, um, nachdem sie mit Ziegelwerk
ausgefüllt waren, mit einigen weiteren, gegebenen Falles drei
Ziegellagen überbaut zu werden.
Dass aber diese Riegel Verankerung auch in der Argolis
ähnlich angebracht wurde, beweisen deren Spuren zu Tiryns.
Am Megaron daselbst hat sich nemlich der monolithe Sockel-
block der linkseitigen Parastade oder Ante, d. h. des Kopf-
endes vom linkseitigen Wandvorsprung der Vorhalle nicht
88 Sitzuvo der lüstor. Classe vom 5. Mai 1888.
blos in situ, sondern auch in unversehrtem Bestände erhalten.
An solchen Stirnenden der Mauern konnte man sich nemhch,
da deren Sockel eine besondere Festigkeit erforderten, nicht
mit den Bruchsteinfügungen oder mit dem Ziegelbau der
übrigen Wände begnügen. Der Brecciablock ist nun an der
Stirnseite wie an der nach dem Innern der Vorhalle ge-
wendeten Seite, nemlich da, wo er unverbaut sichtbar blieb,
sorgfältig geebnet, an der Obenfläche des Blockes jedoch nur
theilweise, nemlich in zwei 30 cm breiten Horizontalstreifen,
welche den genannten Verticalflächen anstossend entsprechen,
während der Rest der Obenfläche rauh gelassen ist. Diese
Vertikalstreifen aber erweisen sich dadurch als die Lager-
flächen von Holzstücken, dass sie fünf cylindrische Dübel-
löcher enthalten, welche für Steinverbindung ganz ungeeignet
nur zur Verzapfung eines Holzaufsatzes gedient haben können,
zunächst jener Riegel, welche in der Art der beschriebenen
Verankerung der Wände von Hissarlik in die Wände ein-
gebunden entlang liefen, dann auch der Querriegel, von
welchen sich an der Stirnseite des Parastadenblockes die Stelle
des äussersten ergibt, wälirend ein von Dörpfeld übersehenes
Dübelloch an der gegenüberliegenden Innenseite des Blockes
die Stelle des zweiten Querriegels andeutet. Dagegen lässt
die beschriebene Bearbeitung des Blockes vermuthen, dass
die Längshölzer an den nach aussen gekehrten Wandflächen
fehlten, wo sie dem Aussenverputz wohl nur Schwierigkeiten
bereitet hätten. Die ungeebneten Theile der Oberfläche des
Antenblockes lassen übrigens schliessen, dass die Holzver-
ankeruug wenigstens nicht durchaus mit Ziegelbau verbunden
gewesen sei, da die rauhe Oberfläche des Steines für ein
Backsteinlager sehr unzweckmässig gewesen wäre, während
es für Bruchstein mit Lehmbettung ganz passend war. Dass
jedoch sonst der Ziegelbau auch hier wie an den übrigen
Hochwänden im Uebergewichte war, ist wegen der einfacheren
Verbindung desselben mit dem Riegelwerk als auch wegen
V. Rehcr : Zur Kenntniss des Baustiles der heroischen Epoche. 89
der gefundenen Ziegelseliuttnia-ssen mit Sicherheit an/.u-
uehuien.
Eine VVandfläche aber, welche in der beschriebenen Art
aus einem Wechsel von Holz und Ziegellagen bestand, er-
möglichte keinen Verputz, der auf Solidität und auf künst-
lerische Ausstattung durch Malerei Anspruch machen konnte.
Die Bewegung des Holzes je nach Jahreszeit oder je nach
dem Feuchtigkeitsgehalt der Luft hätte jede bezügliche An-
strengung wirkungslos gemacht, wie es auch heutzutage der
Fall wäre, wo man doch nicht mehr so geringe Wand-
materialien wie luftgetrocknete Ziegel und Lehmmörtel ver-
wendet. Es ist deshalb hier, soweit die Holzverankerung
an der rohen Wand nach aussen sichtbar war, nicht an Lehm-
und Kalkverputz zu denken, welcher keinen Winter unge-
schädigt überdauert haben würde , sondern nur an eine
Wandverkleidung, die von den Einflüssen und Bewegungen
des Wandkörpers selbst weniger berührt werden konnte.
Ich habe an einer anderen Stelle ^) für die Luftziegel-
wände der altchaldäischen Architektur einen Wandschmuck
in Teppichbehängen nachzuweisen gesucht, wie er nicht blos
durch die Fundverhältnisse in Telloh und durch den Stil
des gemalten und plastischen Wandschmuckes Assyriens
wahrscheinlich wird, sondern auch bei den mit Wollearbeit
beschäftigten Mesopotaraiern von vorneherein nahe liegt.
Für die Annahme einer textilen Wandbekleidung auch an
den Bauten der heroischen Zeit in Griechenland fehlt es
jedoch an allen Anhaltspunkten. An Wänden, welche ihrer
Schwäche wegen ausser dem Schmucke auch noch eine solidi-
rende Wirkung von der Verkleidung beanspruchen mussten,
würde der Teppichbehang auch nicht ausgereicht haben.
Von einer Verkleidung mittelst Steinplatten aber hätten sich
1) Ueber altchaldiliache Kunat. Zeitschrift f. Assyriologie. I.
S. 128—175. 289-303. II. 1—41.
90 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Ueberreste erhalten, und eine solche wäre am Sockel in erster
Reihe herzustellen gewesen. Es kann daher nur eine Ver-
täfelung in Holz angenommen werden, deren vollständiges
Verschwinden in der Natur der Sache liegt, wie ja auch
von den Verankerungsriegeln der Wände ausser dürftigen
verkohlten Resten nur die Bettungen und die in den Anten-
sockel gebohrten Dübellöcher sich erhalten konnten. Die
Verdielung oder Vertäfelung ist auch die einzige rationelle
Verkleidungsart solcher Wände, wie sie sich wenigstens im
Innern der grösseren Räume von Tiryns dargeboten haben
mussten, und durch das Riegelwerk technisch durchaus in-
dicirt. Denn die Horizontalriegel boten die Gelegenheit dar,
die Bohlen mit Holz- oder Metallstiften an die Wände zu
befestigen, so wie diess auch die Praxis bis auf den heutigen
Tag vorzeichnet.
Dass die Vorhalle des Megaron von Tiryns in ihrer
inneren Erscheinung grösstentheils holzverkleidet war, hat
übrigens Dörpfeld bereits zweifellos erwiesen. Es ist durch
seine Nachweise auch durchaus gesichert, dass die Thürwand
derselben Vorhalle sogar ganz in Holz hergestellt war. Die
von den drei Thüren übriggelassenen Pfeiler hatten nemlich
so geringe Breiteerstreckungen, dass sie in Stein solid nur
dann hergestellt werden konnten, wenn sie monolith und im
exaktesten Steinschnitt ausgeführt worden wären. Diese
hölzerne Thürwand aber musste für die Holzverkleidung des
Vorsaales ebenso mitbedingend sein, wie für jene der Vor-
halle. Weiterhin haben wir nicht den geringsten Grund anzu-
nehmen, dass die durch das Riegelwerk der Wände indicirte
Holzverkleidung im Saale des Megaron selbst vermieden oder
anderweitig ersetzt gewesen sei, es ist vielmehr ebenso wie
in der Vorhalle gerade vom Hauptsaale eine besonders saubere
Ausstattung der Wände zu erwarten. Auch deuten einige
Stellen der Odyssee auf die den Dichter beherrschende Vor-
stellung der Holzbekleidung der Saalwände. Wenn sich
c. Reber: Zur Kouitniss des Baustiles der heroischen Epoche. 91
nemlich im Freierkampf wiederholt Lanzen in die Wand
bohren, so ist dies« weder bei einer nnverkleideten Stein-
oder Ziegelwand, iKjch bei irgend welchem Verputz gut
denkbar. Es erscheint aber in voller dichterischer Anschau-
lichkeit unter Voraussetzung einer Holzwand oder Holz-
verdielung.
Steht es aber ausser Zweifel, dass durch die Wand-
verdielung, wie sie sich aus den vorliegenden Indizien ergibt,
der den gegebenen ^'erhältnissen entsprechendste Schutz und
die passendste Verstärkung der unsoliden und schwachen Wand
erzielt werden konnte, so bleibt es doch fraglich, ob durch
eine solche Verbretterung auch der zweiten Anforderung
genügt werden konnte, nemlich jener eines entsprechenden
Schmuckes fürstlicher Räume.
Gewiss konnte eine solche Anforderung, welche in jenen
Räumen, in denen der unten zu besprechende prachtvolle
Kyanosfries und künstlerisch ausgestattete Pavimente gefunden
wurden, unbedingt gestellt worden ist, durch aufrecht neben-
einander gereihte Dielen ohne weitere Zuthat nicht erfüllt
werden. Allein erstlich ist durch die entschiedene Polychromie
der Fussböden und Sockel wie durch die in den kleineren
Gemächern gefundene Wandmalerei die Mitwirkung der Farbe
auch an der Holzverkleidung mehr als nahe gelegt. Wir
dürfen dabei an farl)igen Schmuck denken, welcher ebenso-
wenig sich auf monochrome Tünche beschränkte, als er sich
bis zu zusammenhängenden figürlichen Gemälden verstieg.
Ist auch gegen deren Anwendung an verputzten Wänden
angesichts einiger Gemächerfunde nichts zu sagen, so erscheint
sie doch hier durch die Bretterfugen ausgeschlossen, welche
vielmehr auf parallele Ornamentreihen nach Art jener der
Tholosfayade und der Grabcippen von Mykenä in der Gestalt
von Zickzack, Spiralen, Rosetten und anderer primitiver
Motive hinweisen, wobei die ihre Reihung bedingende Dielen-
richtung horizontale Säume unten und oben nicht ausschloss.
92 Sitzung der liislor. Classe vom 5. Mai 1888.
Zweitens scheint es mir ausser Zweifel, dass in allen jenen
Fällen, in welchen es, wie in den Reprüsentationsräuraen,
auf stattlichen Wandschmuck ankam, auch Metallzierden
eine Rolle spielten, und zwar eine so bedeutende, dass Homer
wenigstens in den Palästen des Menelaos und des Älkinoos
von erzschimmernden Wänden sprechen konnte.
Einen solchen Metallschnnick nehme ich jedoch nicht
in der Ausdehnung an, wie sie gewöhnlich vorausgesetzt
wird. Selbst Dörpfeld scheint geneigt, sich einen vollstän-
digen Ueberzug der Holzverkleidung der Wände mit Metall-
blech (Kupfer) zu denken^), da die liomerischen Erwähnungen^)
allerdings geeignet sind, eine solche Vorstellung zu erwecken.
Der bisher benutzte praktische Beleg für diesen phönikischen
Gebrauch aber ist neuestens hinfällig geworden, indem ge-
nauere Untersuchungen der Nägelspuren an den Tholen zu
Mykenä^) und Orchomenos*) ergeben haben, dass der Metall-
schmuck dieser Gebäude in einzelnen an die Wand gehefteten
Stücken, nicht aber in einem zusammenhängenden Blech-
überzuge bestanden habe, mithin die schön gearbeiteten Stein-
wände der Tholen nicht verbarg, sondern blos dekorirte.
Dass dann diese Einzelzierstücke Rosettenform hatten , ist
bei ihrer Verbindungslosigkeit an sich wahrscheinlich, wird
aber bei dem entschiedenen Vorwiegen dieses Ornamentmotivs
an allen Pundstücken der heroischen Epoche, insbesondere
bei Einzelstücken und losen Reihungen nahezu unzweifelhaft.
Dazu kömmt, dass die Rosetten überall, wo sie aus anderem
Material als Gold oder Kupfer begegnen, z. B. im Kyanos-
fries des Megaron zu Tiryns die Nachahmung getriebener
Metallvorbilder auf's unverkennbarste verrathen. Ja selbst
1) Tiryns. S. 2lu.
2) z.B. Od. VII. 86. 87.
3) Nuc'h nüindlichen Mitthoilungcn Dörpfeld'a.
4) Veihiindlnngen der Berlmcr anthropoloj<ischen Gesellschaft.
1886. S. 376 fg.
r. jReher: Zur Kentitniss des Bau/itiles der heroischen Epoche. 93
die Art der Anbringunor und Reihung der Rosetten an dem
genannten Alubasterfriese lässt der Vermuthung Raum, dass
die Bronzerosetten der Wände in derselben vertikalen Reihnng
an den einzelnen Verdielungsstücken herabgeführt gewesen
seien, vielleicht die Fugen der Dielen selbst verdeckend. Dass
von diesen Metallzierden nichts gefunden worden ist, wie
überhaupt die Metallfunde in Tiryns sehr spärlich sind, be-
weist nichts, da die verödeten Gebäude der Köniffsburg Jahr-
hunderte lang der Abplünderung überlassen blieben und
sonach ihr Metall ebenso gründlich durch Menschenhand
verloren, wie die Verschalungshölzer durch die Elemente,
Liess man sich doch die Mühe nicht gereuen, sogar die
Metallklammern aus den Steinfugen der Ruinen historischer
Zeit herauszumeisseln, nachdem alles offen zu Tage liegende
hinweggeräumt war.
Da sich die Wände nirgends über eine Höhe von 1 m
erhalten haben, geben sie über Vorhandensein, Lage und
Gestalt der Fenster keinen Aufschluss. Wir werden übrigens
sehen, dass Fenster im eigentlichen Sinne überflüssig waren
und daher wahrscheinlich gänzlich fehlten.
Dagegen sind wir über die Gestalt der Thüren ziemlich
genau unterrichtet durch die Auffindung von nicht weniger
als vierzig Exemplaren aus der Burg von Tiryns allein.
Bezüglich dieser ist jedoch Dörpfeld's erschöpfenden Dar-
stellungen^) nichts hinzuzufügen. Die schönen monolithen
Steinschwellen von zweiundzwanzig dieser Thüren lassen über
die Zapfenlöcher (Pfannen), in welchen die theils einfachen
theils gedoppelten Flügel gingen, keinen Zweifel, ebenso
die erhaltenen Thore über die Methode des Verschlusses.
Die Thürrahmen waren, wie das schon Homer erwähnt, von
Holz, und wenn im Palast des Alkinoos nach phönikischer
Art silberverkleidet, so in Tiryns wohl wenigstens theilweise
1) Tiryns. S. 314—323.
94 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
kiipfer- oder bronzebeschlagen. Wenn icb in einer Neben-
sache von Dörpfeld abweiche, so ist es bezüglich des vneq-
^vQiov ^), unter welchem ich im Hinblick auf späteren Sprach-
gebrauch ^) nicht blos den Sturzblock, sondern auch die über
der eigentlichen Thüre befindliche Lichtöffnung verstehe.
Die Wände haben aber nicht blos die Aufgabe, die
Räume nach aussen zu uinschliessen, sondern auch die, den Ab-
schluss nach oben, die Decke, zu tragen. In dieser letzteren
Aufgabe wurden sie, was von Troia nicht sicher behauptet
werden kann, in Tiryns und Mykenä z. Th, abgelöst von
freistehenden Stützen , welche unzweifelhaft säulenartigen
Charakters waren. In Tiryns haben sich nicht weniger als
31 Basen in situ gefunden, und zwar nicht blos an jenen
Stellen, an welchen auch früher auf homerische Erwähnungen
hin säulenartige Stützen angenommen worden sind, nemiich
im Innern der Saalanlagen, sondern auch am Aeusseren der
Gebäude, an Vorhallen, Peristylen und Propyläen, mithin an
Stellen, an welchen sie sich auch in historischer Zeit finden.
Die Säulen der Heroenzeit stehen jedoch ihrer Gestalt
nach mit den griechischen Säulen der historischen Zeit kaum
in Zusammenhang, wie es sich auch bei dem zumeist wesent-
lich verschiedenen Charakter der Ornamentik von Mykenä,
Tiryns, Orchomenos u. s. w. einerseits und der historisch -
klassischen Zeit anderseits erwarten lässt. Denn das dorische
Kapital, das in Tiryns entdeckt wurde, stammt von einem Tempel,
welcher mehrere Jahrhunderte nach der Zerstörung der Burg
auf deren Ruinen gesetzt wurde und zu dem wahrschein-
lich das späte Mauerwerk gehört, mit welchem das Megaron
ohne Rücksicht auf die alten Mauerzüge überbaut gefunden
worden ist. Ebenso verhält es sich mit den wenigen dorischen
Details, welche sich in Mykenä ergaben, und die sich ihrem
Stile nach sogar als noch späteren Datums erweisen.
1) Od. VII. ;)f>.
2) Vitruv. IV. G.
v.Eeber: Zur Ketnitniss des Baustiles der heroischen Epoche. 05
lu den Ruinen der Heroenzeit fanden sich an Ort und
Stelle von den Säulen nur mehr die Basen, mithin gerade
ein der dorischen Architektur ganz fehlendes Glied. Sie be-
stehen aus plattenartigen Blöcken, welche ihrer Lage nach
einen Bestandtheil des Paviments bilden, nach unten ganz
oder fast ganz unbearbeitet sind, wie diess das Aufliegen
auf dem gewachsenen Boden oder einfacher Aufschüttung
nicht anders erforderte, und ebenso auch an den Rändern
nur ganz unregelmässig begränzt sein durften, da sich die
Ränder ganz in dem Beton und Estrich des ringsum auf-
getragenen Paviments verbargen. Die obere Fläche aber
war so abgearbeitet, dass sie in der Mitte eine kreisförmige
Erhebung zeigte, welche, an sich 2 — 3 cm hoch, nicht in
voller Höhe sichtbar war, da der Estrich bis an den Kreis-
rand herangestrichen war. Das Profil dieser Basenkreise
besteht gewöhnlich aus einer einfachen ziemlich steilen Ab-
schrägung oder Schmiege, manchmal aber auch aus einer
nach oben verjüngten Hohlkehle.
Erlaubt schon dieses Profil der Basenringe und deren
Zusammenhang mit dem betreöenden Pavimentblocke die
Identificirung der tirynthischen und mykenäischen Basen mit
der ägypti.^chen Basenplatte nicht, so noch weniger die ge-
ringe sichtbare Höhe und auch der verhältnissmässig geringe
Durchmesser der ersteren. Wir haben es in der That bei
diesem Gliede mehr mit einem isolirenden Scamillus, ^als mit
einer eigentlichen Base zu thun, mit einem Gliede, welches
lediglich, ohne selbständige oder künstlerische Anforderungen
zu stellen, das Auflager des Säulenschaftes vorbereiten und
dasselbe vor den Einflüssen des Bodens schützen, namentlich
aber verhindern sollte, dass sich Feuchtigkeit am unteren
Schaftende ansammle.
Und diese Rücksicht mochte um so noth wendiger er-
scheinen, da die Säulenschäfte selbst unzweifelhaft aus Holz
waren. Diess ist schon nach der fast ausschliesslichen Holz-
96 Sitzzwg der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Verkleidung des Innern des Megaron vorauszusetzen und wird
durch den verliältnissmässig geringen Umfang der Basenkreise
noch wahrscheinlicher gemacht. Zur Gewissheit erhoben wird
aber diese Annahme durch den Umstand, dass zu den 31
erhaltenen Basen von Tiryns auch nicht das kleinste Stück
eines Schaftes gefunden worden ist, wogegen das kleine
cylindrische Schaftstück, anscheinend canellirt, bis zu Un-
kenntlichkeit verstümmelt in Mykenä gefunden und jetzt im
Museum zu Garwathi, als seiner ursprünglichen Bestimmung
nach durchaus unsicher, kaum in's Gewicht fällt. Ein solches
Fehlen der Säulenschäfte unter den Ueberresten wäre un-
möglich, wenn die Schäfte von Stein, gleichviel ob monolith
oder in einzelnen Trommeln hergestellt gewesen wären, da
Säulenstücke für Zwecke späteren Mauerbaues am unbrauch-
barsten sein mussten und darum nicht wohl bis auf den
letzten Rest verschleppt werden konnten.
Dasselbe Material wie für die Schäfte muss für die
Capitäle angenommen werden, da auch hiefür keine Fragmente
gefunden wurden. Denn dass ein in Tiryns gefundenes dorisches
Capital zu einem Gebäude gehört habe, welches frühestens
im 6. Jhrh. auf die Ruinen des längst verödeten Heroen-
palastes gesetzt worden ist, wurde bereits erwähnt.
Aus den Ausgrabungsergebnissen von Tiryns kann daher
die für den Baustil der heroischen Zeit wichtige Frage nicht
beantwortet werden, welche Gestalt die Säulen der heroischen
Zeit hatten, von welchen wir doch eine so stattliche Zahl
von Basen kennen. Allein wenn Dörpfeld diese Frage ganz
umgeht, so legt er sich damit eine Reserve auf, welche nur
durch seine objektive Beschränkung auf den Fundbericht von
Tiryns gerechtfertigt erscheinen kann. Denn wir haben
immerhin Anhaltspunkte genug, \m\ der Frage näher zu
treten.
Wenn auch nicht in Tiryns so sind doch an anderen
ebenso sicher wie Tiryns der heroischen Periode angehörigen
V. Reher: Zur Kemitniss des Baustiles der heroischen Einehe. 97
Punkten Säulen nachgewiesen. Von diesen ist das wichtigste
Exemplar die Säule, welche am Relief des Löwenthores von
Mjkenä zwischen den beiden Löwen dargestellt ist. Das
berühmte Werk, von jeher an der Spitze der Geschichte der
griechischen Plastik stehend, verdient daher eine ähnliche
Stellung auch in der Baugeschichte der Hellenen, zumal die
tadellose Erhaltung des architektonischen Theiles des Bild-
werks über die einzelnen Formen keinen Zweifel zulässt.
Die einfache Schmiege, welche die Basis darstellt, ge-
mahnt an die erhaltenen Basen von Tiryns und Mykenä,
wenn auch Form und Verhältniss am Relief derber erscheinen.
Der glatte, völlig ungegliederte Schaft hat eine Höhe von
5^/4 unteren und von 4^/2 oberen Durchmesser, ist sonach
nach unten nicht unbeträchtlich, neralich um ^/e des oberen
Durchmessers verjüngt, im auffallenden Gegensatz gegen die
sonstige Verjüngung der Säulen nach oben. Diese Anomalie,
an Gipsabgüssen oder geometrischen Zeichnungen höchst
empfindlich, ist freilich an Ort und Stelle, wegen des tiefen
Standpunktes des Beschauers nur wenig zu bemerken , war
jedoch gewiss nicht durch diese optische Wirkung veranlasst.
Die Annahme, dass die Säule jetzt verkehrt stehe, ist durch
die Löwen und den seit der Errichtung des Thores unver-
rückt in seiner dreieckigen Maueröffnung verbliebenen Relief-
stein unbedingt ausgeschlossen, die Erklärung aber, dass der
Künstler eine verkehrte, umgestürzte Säule darstellen wollte,
als lächerlich abzuweisen. Das den Schaft bekrönende Ca-
pital hat einige Aehnlichkeit mit einer umgekehrten attischen
Basis: zwei Toren von einer Hohlkehle getrennt in massiger
Ausladung und ohne weitere Auszierung. Das darüber fol-
gende Glied dürfte nicht als Capitälplatte, sondern als das
Symbol des Architravs zu betrachten sein, wie unten darge-
legt werden soll.
Ein zweites Halbsäulenfragment, nemlich ein Halbsäulen-
Capitäl von der Fayade des Atreustholos in Mykenä, das
1888. Philo8.-philoI. u. bist. Gl. II. 1. 7
98 Sitzung der histor. Classe vow 5. Mai 1888,
W. Gell mit anderen Theilen zu dem in allen Handbüchern
verwendeten Säulenstück restaurirt hat, ist jetzt leider nur
mehr in Abbildung vorhanden; doch haben sich einige an-
dere zugehörige Stücke bei der totalen Aufdeckung des Tho-
los durch Schliemann gefunden und befinden sich jetzt unter
den die Nummern 625 — 649 tragenden Fragmenten von der
genannten Far;ade in der Vitrine Y des Mykenämuseums in
Athen, leider in so ungünstiger Aufstellung oder vielmehr
Aufhäufung der Bruchstücke, und in Schliemann's Katalog
so vernachlässigt, dass jetzt nur ein grösseres in grünem
Stein ausgeführtes Fragment No. 649 als zu einer Säule ge-
hörig zu unterscheiden ist. Schaft und Capital aber waren
vollständig bedeckt mit reichem Zickzack- und Spiralen-Orna-
ment, das in scharfem Relief in den Stein gearbeitet war.
Bei der Untersuchung des Monumentes durch Fr. Thiersch ^)
ergaben sich noch die unteren Theile der Halbsäulensockel,
deren geringe Dimensionen es über allen Zweifel erheben,
dass auch hier das verjüngte Ende des Schaftes nach unten
gewendet sein musste*).
Der sonst ähnlich wie das sog. Atreusschatzhaus ange-
legte Tholos von Orchomenos scheint keinen Halbsäulen-
schmuck gehabt zu haben 3). Wie es sich aber in dieser
Hinsicht mit dem zweiten Tholos von Mykenä, dem sog.
Schatzhause der Frau Schliemann verhielt, ist zur Zeit zwar
noch nicht im Einzelnen zu beantworten , da Frau Schlie-
mann die Ausgrubnngsarbeiten an diesem Tholos unbegreif-
licherweise gerade an der Stelle einstellte, wo sich die Frage
über Facadenschnmck voraussichtlich entschieden hätte, dass
1) Der Tholos des AtiTus zu Mykonä. Mittheilungen des kais.
deutschen archäologischen Instituts zu Athen. IV'. 1879.
2) Vgl. den Restsuirationsversuch von J. Thacher Clarke in der
englischen Ausgabe meiner Kunstgeschichte des Alterthums.
3) Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
1886. S. 376 fg.
V. Beben Zur Kenntnisst des Baustiles der heroischen Epoche. ^^
aber halbsäuleuartige Vorlap;en auch an dieser Tholenfa^ade
vorhanden waren, ist durch den starken Vorsprimg des Ge-
simses wohl ausser allem Zweifel.
Zu den Halbsäulen des Löwenthorreliefs und des Atreus-
tholos kommen noch kleine Säulenformen an Ornament-
stücken. Das wichtigere Fragment der Art ist die in einem
Grabe von Spata (zwischen Athen und Marathon) gefundene
Säulendarstellung auf einem Pastestückchen ^) , deren Aehn-
lichkeit mit der Säule am Löwenthor so gross ist. dass es
geradezu ein Modell zur Löwenthorsäule genannt worden
ist*). Doch ist zu bemerken, dass der Schaft weder nach
unten noch nach oben verjüngt erscheint , was aus dem
Grunde nicht mit voller Sicherheit aus dem kleinen Mass-
stab der Darstellung zu erklären ist, weil an einer anderen
kleinen Säulendarstellung auf einem in Elfenbein oder Kno-
chen geschnittenen Ornament der Gräberfunde von Menidi,
welches Greifen zwischen Säulen darstellt, die Säulchen, sonst
im Detail weniger klar als an dem Stücke von Spata, deut-
lich nach oben dicker erscheinen. Zu den letztgenannten
Fundstücken ist noch zu bemerken, dass beide von attischem
Boden stammen , somit gegen die Annahme sprechen , dass
die beschriebenen Säulenformen von Mykenä blos als mjke-
näische oder argolische Sonderart zu betrachten seien.
Angesichts dieser im Ganzen übereinstimmenden Beleg-
stücke für die Form der Säule in der heroischen Zeit er-
scheint es nicht mehr zulässig , die tiryntischen und niyke-
näischen Säulenbasen rückschliessend aus der späteren Archi-
tektur Griechenlands mit dorischen und ionischen Schäften
zu verbinden und zu ergänzen. Wir haben nicht den ge-
ringsten Grund, den Typus der Löwenthorsäule, so unbehag-
1) 'Ad/jvaiov. VI. 3. Taf. V. 60.
2) N. Köhler, Ueber Zeit und Ursprung der Gralianlagen in
Mykenä und Spata. Mittheilungen des kais. deutschen archäolog.
Instituts in Athen 1878.
7*
100 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1S8S.
lieh er unserer von den Eindrücken der Kunst der classi-
schen Periode präoceupirten Vorstellung auch sein mag, als
den der heroischen Architektur zu Grunde liegenden abzu-
lehnen. Giebt man auch zu, dass die Löwentliorsäule nur
ein Abbild und Symbol sei , welches den wirklich funktio-
nirenden Holzstützen des Palastes selbst nach Verhältnissen
und Formen nicht ganz genau entsprochen haben mag, so
haben wir doch keinen Grund zu bezweifeln, dass die Säule
am Löwenthorrelief, als pars pro toto die Säulenerscheinung
der Höfe, Propyläen und Saalbauten symbolisirend , in den
Formen im Allgemeinen der architektonischen Wirklichkeit
entsprechend gewesen sei.
Es hat aber daran am meisten befremdet, dass sich die
Säulen im umgekehrten Sinne, nemlich von oben nach unten
verjüngen sollten. Das Säulcheu der Paste von Spata zeigt
zwar keine Verjüngung, aber die grösseren Reste vom Löwen-
thor und vom Atreustholos würden schon allein für die That-
sache genügen, die übrigens auch von dem kleinen Knochen-
relief aus Menidi unterstützt wird. Für diese umgekehrte
Verjüngung sprechen aber noch andere bemerkenswerthe
Umstände. Erstens erscheinen die Basen von Tiryns ver-
hältnissmässig klein. An der Vorhalle des Megaron zeigen
sie 7()cm bei einer Axweite der Sänlenstellungen von fast
4m. Nimmt man aber an, dass die Schäfte ein wenig
hinter den Basenrand zurücktraten, so verbleibt für den un-
teren Schaftdurchmesser höchstens 70 cm und wenn nun die
Schäfte in der Weise der historischen Architektur sich nach
oben verjüngt hätten, so würde für den oberen Schaftdurch-
messer nicht mehr als 00 cm geblieben sein. Das wäre für
ein Gebäude von so bedeutenden Erstreckungen höchst be-
fremdlich \md unverhältnissmässig dürftig. — Zweitens stehen
die Säulen der Megaronvorhalle soweit hinter der Flucht der
Parastaden zurück, dass der über den Säulen liegende Archi-
travbalken keinesfalls mit der Stirnseite der I^arastaden bündig
v.Eeher: Zur Kenntniss des Baustiles der heroischen Epoche. 101
laufen konnte. Die rauthmassliche Beirleichung dieser Dif-
ferenz wird bei Besprechung des Gebälks erörtert werden;
jedenfalls aber konnte es nur von Vortheil sein , wenn der
Abstand schon dadurch verringert wurde, dass die Säule
selbst schon nach oben an Umfang zunahm, wodurch auch
der Architrav weiter nach vorne reichte und der Stirnseite
der Parastaden sich näherte. Im Vergleich mit der That-
sache der umgekehrten Verjüngung der Säulenschäfte am
Löwenthor und am Atreustholos mögen allerdings die beiden
letztangeführten Umstände gering werthig erscheinen , aber
sie sprechen doch eher für als gegen die Erscheinung.
Wenn endlich Schaft und Capital an der Säule des
Löwenreliefs ohne ornamentale Auszier ung, am Atreustholos
dagegen überreich mit einer solchen bedeckt erscheinen, so
werden auch diese beiden Varianten dem thatsächlichen Ge-
brauch der damaligen Bauweise entsprochen haben. Wie
von den Wänden nur einige in der Weise der Megaronwände
über blossen Verputz hinausgingen , so werden auch die
Säulen nur in besonderen Fällen zu der reichen Verzierung
nach Art des Tholoshalbsäulen gelangt sein. An den Säulen-
hallen der Höfe waren die Säulen wahrscheinlich schlicht
und glatt, wenn auch wohl farbig behandelt. Finden wir
doch einige der Basen im Hofe vor dem Megaron zu Tiryns
nicht einmal kreisförmig abgearbeitet, sondern aus einfachen
oben geglätteten Steinblöcken bestehend. An den reicher
behandelten Säulen aber ist das Reliefornament wie es die
Steinhalbsäulen des Atreustholos geben, kaum in Holzschnitz-
werk wiedergegeben, sondern vielmehr zum Theil mittelst
angesetzter Metallzierden dargestellt, sowie sie sich im Innern
der Tholen von Mykenä und Orchomenos erwiesen haben,
und wie sie auch an den holzverkleideten Wänden der Me-
gara mehr als wahrscheinlich sind. Und zwar ebenfalls nicht
in der Gestalt totaler Metallumhüllung. Eine solche wäre
schwer ausführbar gewesen und widerspräche auch ebenso
102 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
der Behandlung der Wände wie der Eigenart des Ornaments.
Ich bin daher vielmehr der Meinmig, dass der Ausschmück-
ung der hölzernen Wandverkleidung entsprechend Säulen-
schaft und Capital zunächst durch Farbe ornamental geglie-
dert waren und dass man diese Ornamente nur an geeigneten
Stellen durch metallische Zusätze auf höhte, sei es nun durch
Nägelköpfe, um eine Wirkung zu erzielen, wie sie die Glas-
pasten an dem unten zu besprechenden Kyanosfries darboten,
sei es durch blechgetriebene Sterne oder Rosetten, sei es
durch Reifen und Aehnliches. —
Ueber Wände und Säulen aber legten sich die Balken
der Decke. Die Lage dieser Horizontalbalken ist über den
Säulen unbedingt gesichert, namentlich an den nach aussen
gewendeten Säulenstellungen, wo die Deckbalken in der Art
aller Architrave von einer Säule zur andern und von diesen
zur Wand liefen. Es ergab sich aber naturgemäss die Decken-
construction der nach aussen ofienen Säulenhallen einfacher,
als jene der säulengetragenen Innenräume. Denn an den
ersteren, nemlich an den Hofportiken wie an den Propyläen
und Saalvorhallen, bedurfte es nur des einen Architravbalkens,
über welchen dann bei der geringen Tiefe dieser Hallen die
dichtgereihten und verhältnissmässig schwachen Deckenhölzer
so gelegt wurden, dass ihre Enden einerseits auf den den
Säulenreihen parallelen Innenwänden, anderseits auf den
Architravbalken auflagen. Dass aber diese Deckhölzer über
die Architravbalken soweit vorsprangen, um die Hallen gegen
Sonnenbrand und Regen möglichst zu schützen, ist nicht
blos vorauszusetzen, sondern an der Vorhalle des Megaron
geradezu erweislich, indem nur ein solcher Deckenvorsprung
über den Architrav hinaus die Decke mit den Parastadeu
bündig machen konnte. Für die enge Reihung und Gestalt
der Deckenhölzer selbst aber haben wir positive Anhalts-
punkte am Löwenthorrelief und am Tholos der Frau Schhe-
maun zu Mykenä, an welchen beiden Werken an entsprechender
V. lieber: Zur Kenntniss des Baustiles der heroischen Epoche. 103
Stelle glatte an einander gereihte Kreise in flachem Relief
erscheinen. Dass diese Kreise nur als Basis für Rosetten-
schmuck gedient haben, ist unbedingt ausgeschlossen, indem
am Löwenthorrelief in der Seitenansicht diesen Kreisen der
Stirnseite Cy linderformen entsprechen. Wir haben daher in
dieser Bildung vielmehr die Wiedergabe der in Stangenholz
hergestellten Decken hölzer zu erkennen, sowie dies auch an
gleichartigen Deckenbildungeii an lykischen Grabdenkmälern
längst ausser Zweifel steht, und dürfen daher am Löwenthor-
relief das auf dem Capital liegende oblonge Stück nicht als
Capitälplatte betrachten, sondern müssen es vielmehr als
Arcbitravstück erklären.
Ob diese dichtgereihten Deckenstangen noch eine Ver-
bretterung trugen oder ob ohne eine solche die den Abschluss
bildende Lehmlage aufgetragen war, steht dahin, gewiss ist
nur, dass der Lehmschicht noch mehr wie dem Ziegel- und
Mörtelmaterial faserige Pflanzenstoffe beigemengt sein mussten,
wie auch dass man der Oberfläche durch verschiedene Dicke
der Lehmlage eine leichte Neigung nach aussen behufs Ab-
flusses der Niederschläge gab. Decke und Dach verbanden
sich sonach in ein Glied, so dass die Ausseuerscheinung über
dem Architrav im Wesentlichen nur die Köpfe der Decken-
hölzer, somit eine höchst primitive Gebälkbildung darbot.
Anders aber mussten die Deckungen der Saalbauten
erwirkt gewesen sein, an welchen sowohl die grösseren Er-
streckungen, als auch die Beleuchtungs-, Ventilations- und
Traufevorrichtungen zu complicirteren Anlagen zwangen.
Unter den verschiedenen Lösungen des Problems, welche
möglich sind, ist freilich zur Zeit nur mit grösserer oder
geringerer Wahrscheinlichkeit zu entscheiden, wir werden
aber zur Stellungnahme Anhaltspunkte genug finden.
Gegeben ist am Megaron folgendes: Rings um den
grossen kreisförmigen Herd, dessen Lage in der Mitte des
Saales an den bezüglichen Sälen zu Troia, Tiryns und My-
10-i Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
kenä gesichert ist, und dessen Profil und Schmuck neuestens
eine bemerkenswerthe noch nicht publicirte Präcisirung durch
die Aufdeckung in Mykenä erhalten hat, waren sowohl in
Tiryns wie in Mykenä vier Säulen aufgestellt. Ihre durch
die in situ erhaltenen Basen gesicherte Stelle bestätigt, dass
sie den Zweck hatten, die Hauptbalken der Decke zu stützen.
Dass eine solche Stützung nicht überflüssig, erhellt aus den
Maassen des Raumes, 11:9 m. Da sie füglich nur in einer
Richtung gelegt waren, dürfen wir nur zwei solcher Unter-
zugsbalken (lUEaodfAai ^) annehmen , über deren Richtung
allerdings nichts feststeht, welche wir aber mit grösserer
Wahrscheinlichkeit in der Längs- (Axen-) Richtung laufend,
mithin in die Scheidewand von Megaron und Vorsaal einer-
seits und in die Schlusswand anderseits eingebunden voraus-
setzen dürfen. Ueber diese Hauptbalken aber waren recht-
winklig die Deckenbalzen gelegt, die do'/.ol der eben citirten
homerischen Stelle, über deren Zahl und Abstände zwar
nichts Näheres bekannt ist, welche aber nach der Natur der
Dinge erwarten lassen, dass sie vielleicht etwas schwächer
waren als die Unterzugsbalken und gewiss enger an einander
lagen als diese. Die basilikale Ueberhöhung des Mittelraumes
aber, wie sie von namhaften Autoritäten theils in der ganzen
Axenlänge, theils über der dem Herdraume entsprechenden
Vierung angenommen wird ^), vermögen wir nicht aus den
vorliegenden Bedingungen abzuleiten. Ebenso wenig die
Beschränkung auf horizontale Dachung in der Art, wie sie
für die Aussenhallen zugegeben worden ist, nemlich dadurch
erwirkt, dass das Balkengerüst oben mit dichtgereihten Quer-
hölzern geschlossen gewesen sei, welche ihrerseits eine Lage
1) Ilom. Od. XIX. 37.38. Vf,'l. Dörpfekl in Schliemann'.s Tiryns
S. 251.
2) Konr. Lange, Hiius und Hülle. Studien zur Geschichte des
Wohnhauses und der Ba.silika. — W. Dörpfeld. TirynH. S. 248 fg.
v.Rehcr: Zur Kenntniss des Baustiles der heroischen Epoche. 105
Rohr oder Stroh und darüber eine mächtige Lehmschicht
getragen hätten.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass Dörpfeld auf
diese Theorie durch den Umstand gelenkt ward, dass nirgends
Dachziegelreste gefunden wurden. Aus dieser Thatsache
glaubte er folgern zu müssen, dass ein Giebeldach auszu-
schliessen sei. dessen Construction in der That an allen
Säulenhallen und kleineren Gemächern des ganzen Burg-
complexes undurchführbar gewesen wäre. Er suchte daher
den gegebenen Hyperoonausweg für Kauchabzug und Beleuch-
tung, gewann aber damit nur erhöhte Schwierigkeiten hin-
sichtlich der Construction und der Solidität. Denn abgesehen
davon, dass die Hyperoonannahme der erforderlichen Vierungs-
basis wegen dazu zwingt, die Hauptbalken kreuzweise über
die Säulen gelegt, mithin an der Kreuzung über jeder Säule
eingeschnitten zu denken, führt sie auch zu der Voraus-
setzung, dass die Deckhölzer auf den vom Mittelquadrat nach
den Wänden laufenden Hauptbalken quer, d. h. in der Wand-
richtung gereiht gewesen seien. Diese Annahme aber, un-
ausweichlich, wenn man nicht eine weitere Deckbalkenunter-
lage einschieben will, hat den üebelstand zur Folge, den
Vorsprung der Deckenhölzer über die Wand hinaus, wie
auch die Dichtmachung der Decke nicht unwesentlich zu
erschweren. Weiterhin verschliesst sie jede Möglichkeit
der Erklärung eines bedeutsamen Ziergliedes, das in einem
Exemplare zu Tiryns, in zweien zu Mykenä gefunden worden
ist und unten eingehend erörtert werden soll. Endlich aber
ist sie nicht blos durch keinerlei Erwähnung bei Homer
belegt — was ja nicht ausschlaggebend wäre — sondern sie
macht vielmehr eine Stelle der Odyssee schwierig, welche
unter Voraussetzung eines Giebeldaches, wie wir unten sehen
werden, die ungezwungenste Deutung findet.
Wir ziehen demnach bezüglich der Deckung und Be-
dachung des grossen Megaronsaales eine Annahme vor, welche
106 Sitzung der histo)-. Classe com 5. Mai 1888.
zwar das Bedenken wepjen der fehlenden Dachziegelreste zu
bekämpfen hat, dafür aber aller anderen Schwierigkeiten
überhebt, nemlich die Annahme einer Decken- und ßedach-
ungsconstruction in der Art des urdorischen Tempels.
Dabei gewinnen wir zunächst völlige Ungebundenheit
hinsichtlich der Anordnung der Deckbalken (doy^ol), welche
nun völlig zwanglos über den von den Säulen gestützten
zwei Unterzugsbalken gelegt werden konnten. Auch wir
nehmen für diese öokoI wirkliche Balken an , nicht blos,
weil die Stangenhölzer, die bei den Deckungen der Vorhallen,
Propyläen und Portiken ausreichend waren, hier der grossen
Erstreckungen wegen nicht mehr genügen konnten, sondern
auch weil den Deckbalken des Megaron noch weitere Func-
tionen erwuchsen. Wir können' sie ferner auch nicht dicht
aneinandergereiht denken, dürfen aber annähernd gleiche Ab-
stände voraussetzen. Ebenso ein durch eine untergelegte
Diele horizontal abgeglichenes Auflager auf den Wänden,
welches letztere mit der inneren Holzverkleidung und mit
der beschriebenen Wandverankerung zusammenhängend war
und zugleich zum Schutz des oberen Abschlusses der Luft-
ziegelwände diente. Symmetrische Regularität und horizon-
tale Exactheit war aber aus doppeltem Grunde nothwendig,
denn erstens kamen die Balkenenden, wohl in der äusseren
Wandlinie geschnitten, aussen zum Vorschein, wie auch die
Zwischenräume zwischen denselben sichtbar waren, und zwei-
tens dienten die Deckbalken auch als Träger der Sparren-
balken, welche an ein gut abgerichtetes gleichartiges Auf-
lager ihre bestimmten Anforderungen stellten.
Es gewannen dadurch die Längswände eine wesentlich
andere Behandlung und Erscheinung als die beiden Schluss-
wände. Die letzteren können nemlich so gedacht werden,
da.ss sie entweder in der Gestalt voller Giebelwände höher
emporgeführt waren, als die Wände der Langseiten, oder
dass sie als Ziegelwände sich an die Höhe der letzteren
r. Bchcr: Zur Kenntniss des Baustiles der heroischen Epoche. 107
hielten, während das darüberliegende Giebeldreieck ledi<jflich
in Holzwerk geschlossen, mithin ähnlich nnirahnit und ver-
schalt war, wie es die Giebelbildung der classischen Archi-
tektur andeutet. Im letzteren Falle, den wir als den wahr-
scheinlicheren betrachten, wäre anzunehmen, dass die beiden
äussersten Deckljalken , nemlich der erste und letzte, über
die Schlusswände hinliefen und ebenso die Basis für die
Sparren bildeten, wie die übrigen Deckbalken.
Den Deckbalken entsprachen dann mit oder ohne Zwi-
schenlegung einer Horizontalpfette am unteren Auflager die
Sparren des Satteldaches. Unzw^eifelhaft ragten die unteren
Sparrenenden über die Schnittenden der sie tragenden Deck-
balken und die Wandflächen in ähnlicher Weise vor, wie
es das Geison der dorischen Architektur darstellt und ebenso
sicher waren die oben zusammenstossenden anderen Sparren-
enden von einem Firstbalken getragen , welcher wohl von
kurzen senkrecht auf das Mittel der Deckbalken gestellten
Ständern gestützt war. Die Verdielung der Sparren in ihrer
ganzen äusseren Erstreckung , einschliesslich ihrer unteren
Schnittflächen ist dann selbstverständlich. Nicht so die Me-
thode der Eindeckung, von welcher nur feststeht, dass sie
nicht mittelst Dachplatten ausgeführt war, da sich erwähnter-
massen von solchen, die doch nur aus Steinschiefer oder ge-
branntem Thon bestehen konnten , im Schutte keine Spur
gefunden hat. Allein es fehlt keineswegs an anderen Be-
dachungsmöglichkeiten , unter welchen übrigens eine be-
bestimmte Wahl zu treffen Willkür wäre. Wie an über-
einandergreifende Dielenlagen, so kann auch an eine Art
von Schindelbedachung gedacht werden, beides durch die
weitgehende Holzverkleidung der W^ände gleich nahe gelegt.
Ausserdem an ein Rolir-, Stroh- oder Sumpfgrasdach oder
an eine gemischte Bettung aus Lehm und Rohr. Und wenn
auch zugegeben werden muss, dass ein reiner Lehmaufstrich
über den schrägen Neigungen des Giebeldaches nicht wetter-
108 Sitziimj der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
beständig genug gewesen wäre, so ist doch daran zu erinnern,
dass diess bei sehr flachem Giebel nicht in viel höherem
Grade der Fall sein konnte , als an den des Wasserablaufs
wegen doch auch ein wenig geneigten Flachdächern, nament-
lich danfi, wenn die Lehralage noch stärker als das Wand-
material mit Sumpfgras oder Stroh versetzt wurde und über-
dies wie die Wände und Pavimente noch einen entsprechen-
den Kalküberzug erhielt.
Mit der Annahme eines in der beschriebenen Weise
construirten Decken- und Dachwerks ersparen wir uns aber
die Nothwendigkeit jenes Dörpfeld'schen Hyperoons über dem
Mittelquadrate, welches völlig unverbürgt und mit verschie-
denen naheliegenden Coraplicirtheiten verbunden, zwischen
einem Hypäthron und einer basilikalen Ueberhöbung in un-
befriedigender Mitte schwebt. Denn die Zwecke dieses
Hyperoons werden in weit einfacherer Weise durch eine ent-
sprechende Ausnutzung der Deckenconstruction erfüllt, welche
übrigens nach den Denkmälern der historischen Zeit zu
schliessen von Haus aus in hellenischem Gebrauche war.
Wenn nemlich , wie erwähnt , die Deckbalken natur-
gemäss in gewissen Abständen von einander gelegt wurden,
so ergaben sich von selbst an jenen zwei Wänden, auf wel-
chen sie auflagen, Zwischenräume, welche erst nachträglich
mit Mauerwerk oder durch irgend welchen anderen Ver-
schluss ausgefüllt werden konnten. Diese Ausfüllung erfolgte
jedoch nur dann, wenn ein solcher Verschluss nöthig oder
wünschenswerth erschien, und unterblieb, wenn man aus dem
offen gelassenen Zwischenraum jenen Nutzen ziehen wollte,
der in der That aus dem Prototyp der Metope gezogen
worden ist, nämlich den Nutzen des Lichtzugangs, des Luft-
wechsels und des Kauchabzuges. Die zahlreichen metopen-
artigen Oeffhungen zwischen den Deckbalken erfüllten den
Zweck jenes Hyperoons gewiss nicht weniger und in immer-
hin {Geschützterer und soliderer Weise. Das Licht genügte
V. lieber: Zur Ken)itni.<!S des Baustiles der heroischen Epoche. 109
auch dann noch, wenn ein Theil der Oeffnungen geschlossen
wurde, und der Kauchab/.ug vollzog sich ebenso, wenn auch
der (^lalm an dem Balkenwerk hinstrich, welches als da-
runter leidend von Homer ausdrücklich durch das bezeich-
nende Epitheton ^ald-alösig" (berusst) bestätigt wird. Waren
die Balken roh und ohne weiteren Schmuck, so war das
Uebel auch keineswegs gross und ähnlich jenem der älteren
mittelalterlichen Bauten mit offenen Feuerstellen. Und waren
sie polychrom behandelt, wie ich nach Analogie der Wände
u-laube, so litten sie nicht wesentlich mehr als unter Voraus-
Setzung jenes Hyperoons.
Diese Methode der Beleuchtung und Ventilation, die
urwüchsigste und einfachste, die es giebt, ist wahrscheinlich
nicht die urhellenische allein, aber sie hat sich jedenfalls in
der dorischen Gebälkornamentik, nemlich im Triglyphen- und
Metopenfries am unzweideutigsten symbolisch erhalten. Und
diess ist der Punkt, an welchem sich die heroische Baukunst
mit der dorischen am nächsten berührt, denn der Triglyphen-
und Metopenwechsel war sicher von Haus aus die Stelle
einer weiteren, aus dem Constructiven entsprungenen , aber
darüber hinausgehenden Ausstattung, So gewiss die Holz-
verkleidung des Innern durch Farbe- und Metallverzierung
stattlicher gemacht war, so gewiss war das auch an den
Schnittflächen der wahrscheinlich in der Linie der äusseren
Wandfläche senkrecht endigenden Deckbalken der Fall, wo-
bei es überdiess nicht bloss auf den Schmuck, sondern nicht
minder auf den Schutz der Balkenenden abgesehen war.
Denn da hier die Deckenhölzer nach aussen zur Erscheinung
kamen, und überdiess den atmosphärischen Einflüssen ihre
empfindlichen Schnittflächen darboten, war es doppelt uoth-
wendig, nicht bloss auf entsprechenden Schmuck, sondern
auch und zwar in erster Reihe auf eine schützende Zuthat
Bedacht zu nehmen.
Wir würden demnach eine zugleich schützende und
110 Sitzung der histnr. Classe t^ovi 5. Mai J88S.
schmückende Verkleidung der nach aussen in ihrer Schnitt-
fläche sichtbaren Balkenköpfe, somit eine Art von Protn-
triglyphon irgend welcher Gestaltung annehmen, auch wenn
wir keine weiteren Anhaltspunkte hinsichtlich des Typus
dieser Zuthat hätten. Aber glücklicherweise besitzen wir
solche Anhaltspunkte in nicht weniger als drei zu Tiryns
und Mykenä gefundenen Friesstücken, in welchen ganz ähn-
liche Uebertragungen des tektonischen Vorbildes der heroi-
schen Zeit in das Steinornament und Symbol zu erkennen
sind, wie sie im Triglyphen- und Metopenfries des dorischen
Peripteraltempels als Ergebniss des altgriechischen Structur-
vorbildes vorliegen. Nur insofern ist der Fall etwas ver-
schieden, als die Ausbildung des Triglyphenfrieses am dori-
schen Steingebälk zeitlich der Periode des Holzgebälkes nach-
folgte, während die Steinfriese von Tiryns und Mykenä
gleichzeitig mit und neben dem Holzgebälk erscheinen; aber
befremdlich kann diese Gleichzeitigkeit nicht erscheinen,
wenn man damit zusammenhält, dass die Holzsäule und das
Holzdeckenwerk der tirynthischen und mykenäischen Säulen-
hallen ebenfalls gleichzeitig mit den Steinnachbildungen am
Löwenthorrelief und an den beiden Tholen von Mykenä vor-
kommen.
Von den drei Friesen wurde der eine in der Vorhalle
des Megaron von Tiryns am Fusse der westlichen Anten-
wand gefunden. Er hatte genau die Länge der letzteren,
das heisst des Theiles dersell)en, der sich von der Holzwand
mit den drei Thüren bis zu dem Parastadenblock ausschlies-
send erstreckt. Doch ist von der 3,55 m betragenden Ge-
sammtlänge des Zierstückes mehr als die Hälfte bis zur Un-
kenntlichkeit zerstört gefunden worden, und desshalb an Ort
und Stelle belassen worden, während die erhalteneren Theile
in das Mykenämuseum des Polytechnikums zu Athen versetzt
worden sind.^) Der Fries bestand ursprünglich aus sieben
1) Zur Zeit noch niclit zur Ausstellung gelangt.
v.Eeber: Zar- Kennt niss des Bauntüen der heroischen Epoche. 111
Alabasterplatten, von welchen vier wenifj^er breit als hoch
sind und an die dorischen Triglyphen erinnern, während die
drei andern breiter als hoch ihren Dimensionen nach an die
Metopen denken lassen, und nur 15 cm dick hinter den vor-
springenden 20 cm dicken triglyphen artigen Stücken etwas
zurücktraten. Das Ganze ist theils durch sculpirte Ornamente,
theils durch eingelegte blaue Steinchen, welche Virchow als
Pasten aus kupfergefärbtem Calciumglas erklärt, geschmückt.
An den triglyphenartigen Gliedern besteht der plastische
Schmuck aus einem senkrechten convexen Mittelstreifen, der
nach Art eines Koilanaglyphs versenkt ist und vor dem hori-
zontalen Abschlussbande, das nur an einer der beiden Längs-
seiten erhalten, an der gegenüberstehenden aber sicher voraus-
zusetzen ist, in geradlinigem Abschnitt endigt. Ferner aus
zwei erhaben gearbeiteten Rosettenreihen, senkrecht im Mittel
der etwas breiteren Seitenstreifen angebracht und von gleicher
Erstreckung wie der parallele Mittelstreifen. Die Pasten-
einlagen bilden im horizontalen Abschnitt eine horizontale
Reihe viereckiger Stückchen von 19 mm Breite und 24 mm
Höhe und parallel darüber ein durchlaufendes 9 nmi breites
Band. An den beiden verticalen Seitenstreifen aber zeigen
die Rosetten kreisförmige Herzsterne von 26 mm im Durch-
messer und beiderseits von jeder Rosettenreihe je eine verticale
Reihe kleiner oblonger Pasten von 10 : 13 mm.
Noch reicher als die triglyphenartigen Platten sind die
metopen artigen ornamentirt. Zwei horizontal angeordnete,
in sauberem Relief hergestellte Palmetten, welche unter den
Triglyphenstücken wurzeln und sich in ihren Scheiteln in
der Mitte der i^latte berühren, nehmen die ganze Fläche ein.
Jeder ihrer überhöhten Halbkreise ist aus 19 regulär um
einen oblongen Kern gereihten Doppelblättern gebildet, welche
von einem breiten Bande umrahmt werden, das in geschweiften
Spiralen mit beiderseitigem Saume sculpirt ist. Die Glas-
pasten beschränken sich auf die kreisförmigen Augen
112 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
der Spiralen und auf Reihen von oblongen Stücken, aussen
8:18mm, innen 9:16 mm messend, in den beiderseitigen
Säumen.
Schon vor der Entdeckung dieses Frieses i) war Helbig^)
für die bekannte den Alkinoospalast betreffende Stelle der
Odyssee (VIT. 86. 87):
xdXyteoi fiiv yag xoiyfii ^qrjQtdax^ evÜa xat l'rOa,
sg {xv%6v E^ ovöov. nsQi ös ^Qiyy.og Kvavoio'
Eherne Wände liefen an jeglicher Seite des Hauses
Tief hinein von der Schwelle und herum zog ein Gesims
von Kyanos
zu einer anderen Deutung gelangt, indem er für die frühere,
den -/.uavog als blauen Stahl erklärende Annahme die Er-
klärung durch blaue Smalte (Glaspaste) setzte. Nun fand
sich ein zwar nicht durchaus in Smalte hergestellter, aber
doch wenigstens durch blaue Pasten farbig characterisirter
Pries ungefähr an der Stelle des tirynthischen Palastes,
Avelche Homer vom Phäakenpalast beschreibt, und es wäre
ganz ungerechtfertigt, dieses Zusammentreffen als ein rein
zufälliges zu betrachten. Im Gegentheile liegt es nahe, den
homerischen Kyanosfries in derselben Beschränkung zu deuten,
wie wir die ehernen Wände genommen haben, und den
Fries im Alkinoospalast uns ebenso kyanosgeschmückt und
nicht ganz aus Kyanos bestehend zu denken, wie wir den
vollständigen Metallüberzug abgelehnt und mir stückweisen
Metallschmuck angenommen haben.
Doch ist die ursprüngliche Stelle des tirynthischen Ky-
anosfrieses leider nicht ausser Zweifel. Er wurde am Sockel
der Antenwand anstehend gefunden, und, da er genau die
1) Schliemann, Tiryns. S. :-^23 fg. Tafel IV.
21 Nach R. Lepsius, „Die Metalle in den ägyptischen Inschriften",
Abliandlungen der berliner Akad. d. W. 1871, weiter ausgeführt von
W. Holbig. Das homerische Epos. Lpz. 1885. S. 14 fg.
V. lieber: Zur Kenntniss des Baustiles der heroischen Epoche. 113
Läni^e der enteprechenden Wand von der hölzernen Thür-
wand bis zum Anten block selbst hat und überdiess an seinem
der Parastade angrenzenden Ende die rundliche Abarbeitung
des Winkels am Antenblock gezeigt haben soll, so lässt er
annehmen, dass er zu derselben Wand gehört habe. Doch
hat die Untersuchung des Sockels und des anstossenden Pavi-
mentes unbestreitbar ergeben, dass er nicht ursprünglich an
der Sockelstelle gestanden haben könne.^) Da nun die Auf-
findung ebenso unzweifelhaft ergeben hat, dass er nicht bei
der Zerstörung selbst herabgestürzt sei, was ja die einzelnen
Stücke aus ihrer Reihung gebracht hätte, so lässt sich nur
annehmen, dass er noch in der Zeit der Benutzung des
Palastes von seinem ursprünglichen höher gelegenen Stand-
orte an den Sockel versetzt worden sei, vielleicht anlässlich
irgend einer Baufälligkeit, welche etwa mit Ablösung des
Frieses von dem VVaudkörper und mit Herabsturz desselben
drohte.
Die zwei Friesstücke aus Mykenä,^) beide aus Porphyr,
sind zwar etwas einfacher behandelt als die ebenbeschriebenen
Fragmente, nemlich in ihren triglyphen- und metopenartigen
Theilen nicht aus einzelnen Stücken hergestellt, in den Tri-
glyphen nicht so energisch vorspringend, in ihrer Ornamentik
minder reich und ohne die Einsätze in blauer Smalte. Aber
sie sind in der ganzen Anordnung dem Kyanosfriese sehr
ähnlich. An dem einen ^), Inv.-No. 571, zeigt das Triglyphen-
glied keinen convexen Mittelstreifen und keine Rosetteureihen,
dafür aber sechs parallele Verticalfurchen, von welchen jedoch
die beiden äusseren sich nicht so deutlich aussprechen, wie
sie auf der Schliemann'schen Illustration erscheinen, nach
meiner vor dem Stücke aufgenommenen Skizze sogar unsicht-
1) Dörpfeld in Schliemann's Tiryns. S. 332 fg.
2) Mykenä-Museum in Athen Nr. 571 und .574.
3) Abbildung in Schliemann's Mykenä Fig. 151.
1888. Phi1o8.-pLilol. u. bist. Gl. II. 1. 8
114 Sitzung der liistor. Classe vom 5. Mai 1888.
bar sind. Diess ändert jedoch nichts an der Thatsache, dass
wir in den zwei erhaltenen Triglyphen dieses Fragmentes^)
die allernächste Verwandtschaft mit den dorischen Triglyphen
zu constatiren haben. Die Palmetten der metopenartigen
Glieder sind verhältnissmässig grösser, weil ohne den Spiralen-
saum des Kyanosfrieses , das Herzstück, am tirynthischen
Friese seiner Behandlung nach unkenntlich, erscheint hier
deutlich ausgekehlt, die Blätter sind zwar gedoppelt aber
ohne die am Kyanosfriese ausgeprägte Blattrippe. Direkt an
die Reihen von oblongen Pasten aber erinnert der in der
ganzen Längserstreckung sich hinziehende Horizontalsaum.
Das Fragment 574 dagegen zeigt in dem triglyphenartigen
Stück den Mittelstreifen etwas vertieft und mit einer senk-
rechten Reihe von vier erhaben gearbeiteten Spiralen ge-
schmückt, die senkrechten Seitenstreifen aber ebenso schmucklos
wie die horizontalen Rahmenstücke oben und unten. Die
Palmetten der Metopenfelder unterscheiden sich von jenen
des Fragmentes 571 nur dadurch, dass die Herzstücke der-
selben statt der Auskehlung enganeinandergereihte Vertical-
kerben zeigen.
Leider fehlen alle näheren Fundnotizen, wie überhaupt
Schliemann im architektonischen Theile seiner Untersuch-
ungen Manches zu wünschen übrig lässt. Wenn er übrigens
die beiden Stücke sowohl im angegebenen Werk wie in
seinem Katalog des Mykenämuseums^) Säulenfragmente nennt,
so hat er diese Bezeichnung jedenfalls seit der Auffindung
des Kyanosfrieses aufgegeben. Ein vereinzeltes Ornamentspiel
anzunehmen, verbietet die Auffindung von drei in ihren zum
Theil tektonischen Motiven gleichartigen Werken, welche
eine gewisse architektonische und stilistische Bedeutsamkeit
1) Die zweite Triglyphc, auf einem sicher richtig angepassten
Bruchstücke enthalten, fehlt auf der Schliemann'.sclien Abbildung.
2) Catalogue des Tresors de Mycenes au Musee d'Athenes par
le Dr. H. Schliemann. Lpzg. 1882. p. 46 sv.
V. Reber: Zur Kenntniss des Baustiles der heroischen Epoche. 115
der beschriebenen Ornament - Combination vorauszusetzen
zwingen. Mit einer Sockelverzierung wäre nun diese Com-
bination kaum in Einklang zu bringen, um so leichter aber
bei ihrer unverkennbaren Verwandtschaft mit dem Trigly-
phen- und Metopenschema mit einem Friestypus. Es wird
daher unsere Aufgabe sein zu untersuchen, in welchem Be-
züge ein solches Friesornament zu den constructiven Ele-
menten des Baues stehen könne.
Wie bereits bemerkt Avorden ist, konnten die Deckbalken
den naturgemässen Wechsel von Balkenköpfen und offenen
Zwischenräumen nur an zwei sich gegenüberliegenden Wänden,
voraussetzlich den Längswändeu, darbieten. Es ist nun nichts
wahrscheinlicher, als dass die Erscheinung dieser Langseiten
in den beiden anderen (Schluss-) Wänden ornamental nach-
klang, um den Deckenansatz auch hier zu markiren. Und
so bildete, sich ein Fries, bei welchem es um so näher lag,
die gleiche Lage und Höhe des Deckbalkengliedes festzu-
halten, als dem Fries die naturgemässe Aufgabe zufiel, den
besprochenermasson auf der Schlusswand liegenden äusser-
sten Deckbalken, welcher natürlich nicht die Dicke der Wand
haben konnte, nach dem Inneren oder Aeusseren bis zur
Wandflucht verstärkend zu ergänzen, und zugleich solid zu
maskiren und zu dekorireu. Es war dabei ganz natürlich,
dass man in diesen Fries Reminiscenzen der Deckenlage hi-
neinspielen Hess, d. h. vor Allem denselben in einer Weise
gliederte, welche dem Deckbalkenauflager an den beiden
anderen Wänden entsprach.
Indem man also in gewissen regelmässig wiederkehren-
den Abständen, welche den Weiten der beschriebenen Luft-
öffnungen angeglichen waren, triglyphenartig vorspringende
Stücke anordnete, zwischen denselben aber zurücktretende
oblonge Felder Hess, so war schon ein Theil der Absicht er-
reicht. Es konnte aber der Eindruck der Verwandtschaft
und der symbolisirenden Fortsetzung des gegebenen Con-
116 Sitzung der hiator. Classe vom 5. Mai 1888.
structionsschema's noch erhöht werden, wenn den triglyphen-
artit^en Stücken auch noch eine Ausstattung zu Theil wurde,
welche mit jener der Balkenenden selbst einige Äehnlichkeit
hatte. Freilich konnte dabei nur die äussere Erscheinung
jener Balkenköpfe, die wir als nothwendig geschützt und
verziert erklärt haben, in Betracht kommen, und es ist dem-
nach der Fries in erster Reihe für das Aeussere berechnet
und concipirt. Das hinderte aber nicht, das einmal erfundene
Schema auch innen zu verwenden, wobei keineswegs an einen
festen bis in's Einzelne unveränderlichen Typus gedacht
werden muss. Die drei erhaltenen Friesfragmente weisen
vielmehr gerade an der Dekoration der triglyphenartigen
Stücke Varianten auf, die immerhin nennenswerth sind, wenn
sie auch die an die dorische Triglyphe gemahnenden Haupt-
motive nicht alteriren. Wir dürfen daher auch voraussetzen,
dass der Schmuck des den Schnittflächen der Deckbalken
vorgehefteten Schutzes, nach den Grundformen offenbar aus
einem Leistenwerk bestehend, keineswegs unwandelbar fest-
stand, sondern dass vielmehr der Dekorateur auch in der
Ausstattung des Constructionsgliedes innerhalb der gegebenen
Hau])tmotive sich noch ziemlich frei bewegt haben mochte.
Schwieriger ist die Erklärung der Palniettendekoration
an den zwischen den Triglyphen befindlichen metopenartigen
Bildungen. Da diese Palmetten fast völlig gleich an den
drei erhaltenen Friesstücken wiederkehren, so ist auch hiefür
eine gewisse typische Bedeutung vorauszusetzen. Wie es
sich aber mit deren Vorbildern an jenen beiden Seiten ver-
hält, an welchen zwischen den Deckbalken die offenen Zwi-
schenräume sich befanden, ist deshalb schwer zu sagen, weil
ja an den offenen Metopen überhaupt kein Ornament mög-
lich war. Es bleibt iudess denkbar, dass ein Theil dieser
als Fenster dienenden Oeffnungen, von welchen möglicher-
weise eine reducirte Anzahl für die Zwecke des Licht- und
Luftzuganges wie des Kauchabzuges genügend erschien, zeit-
c.Eeber: Zur Kennt niss des Baustiles der heroischen Epoche. 117
weise oder immer geschlossen war. Dabei kann es füglich
dahingestellt bleiben , ob diese Verschliessungen beweglich,
und zwar in der Form von Schubern oder von Flügeln in
der Art der Fensterläden hergestellt waren, oder ob sie un-
beweglich als feststehende Tafeln ähnlich wie die Metopen-
platten eingefalzt oder sonst eingepasst waren. Auf alle
Fälle aber bemächtigte sich der farbige Schmuck, der aussen
an den Balkeuköpfen unzweifelhaft, innen an den Balken
wahrscheinlich ist , sich auch dieser Verschlüsse und ging
daher auch in das Fenstersymbol der Friese über. Bei fest-
stehenden Füllungen Avürden allerdings ganze Rosetten nament-
lich dann naturgemässer erscheinen , wenn die Felder sich
nicht zu weit vom Quadrate entfernen, bei flügelartigen oder
schuberartigen Verschlüssen dagegen entsprechen diese halben
Rosetten in Palmettenart mehr; übrigens darf, wie der gesammten
Ornamentik dieser Periode eine gewisse Willkür nicht abge-
sprochen werden kann, so auch hier ein gewisser Grad der-
selben mit in Ansatz kommen.
Die Erscheinung eines Steinfrieses kann uns aber na-
mentlich aussen nicht überraschen, wo er sich zu dem wohl
gefärbten Kalkputz der Wandflächen nicht unharmonisch dar-
stellen konnte, möglicherweise aber sogar mit den Haupt-
farben der Triglyphenbemalung im Einklang stand. Der
Steinfries hat aber auch im Innern angesichts der sonstigen
Holzbekleidung nichts Unannehmbares. Im Gegentheile be-
rührt die Erwägung nur wohlthätig, dass dem in Stein oder
oder verputztem Mauerwerk hergestellten Sockel, wie er sich
im Megaron zu Tiryns als unteres Wandglied darstellt, oben
ein ähnlich wirkender aber reich dekorirter Fries entsprach,
dessen Contrast mit der übrigen Wandfläche auch dem Dichter
vorschwebte, als er die oben citirte Stelle vom Alkinoos-
palaste sang. Auch kann es nicht befremden, dass gerade
der Kyanosfries in einem Räume angebracht war , dessen
Construction und einseitige Ofi"enheit die geschilderte Decken-
118 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
construction des Hauptsaales und die metopenartigen Fenster-
öfinungen ausschloss. Denn in dem Architravbalken über
den Antensäulen der Vorhalle war ein ganz ähnliches Glied
wie in den Deckbalken des Saales gegeben, und es konnte
ebenso der Balken selbst in einer dem Kjanosfriese ähnlichen
Weise bemalt und somit gewissermassen die Fortsetzung des
Frieses, welchen wir an den drei Wänden des Vorhallen-
inneren herumgeführt denken müssen, gegeben sein. Auch
die durchaus in Holz hergestellte Thürwand der Vorhalle
steht der Ringsumführung des Frieses nicht im Wege, da ja
der Erbauer wünschen musste, dieses Material verhältniss der
Empfindung des Betrachters eher zu entziehen als fühlbar
zu machen , und da die Polychromie und Metallverzierung
der Wandflächen wie der Säulen das Fremdartige des Holzes
dem Alabasterfriese gegenüber mildern mochte. —
Das im Saalbau in der beschriebenen Weise angeordnete
Deckenwerk aber denke ich mir ohne Verdielung, und somit
das Balkengerüst von Decke und Dach in der Weise der
altchristlichen Basiliken völlig offen. Zu dieser Annahme
zwingt uns ein Vorgang der Odyssee , der zugleich die An-
nahme eines Giebeldaches überhaupt im Gegensatz zur ander-
seits vorgeschlagenen Horizontalbedachung bestätigt. Der
Vorgang wird von Homer im 22. Gesang 239 und 240,
256, 273, 297 und 298 erzählt und bildet die Einleitung
zu dem Freiermord im Megaron zu Ithaka, Athene, welche
als Mentor dem Odysseus Muth eingeflösst, überlässt nun den
Racheakt dem Odysseus und seinem Sohne, und entweicht
von der Seite ihrer Schützlinge, „deren Gewalt und Stärke
sie prüfen will."
avTTi ö'ald^aXoEVTog dva (.leyaQOio /ntlaO^QOv
"Cer' dvdt^aoa yeXiduvi elxe^rj avvrjv.
Jetzt aufstürmend im Flug an die russige Decke des Saales,
Setzte sie dort sich nieder , der ruhenden Schwalbe ver-
gleichbar.
c. lieber: Zur Kennt »isa des Baustilen der heroischen EjMche. 119
Von dort aus beobachtete sie den Verlauf des Kampfes,
nicht ohne selbst im entsprechenden Momente einzugreifen.
Denn sie vereitelte es, dass die Freierspeere den Odysseus
trafen, und als Odysseus mit den Seinigen bereits zehn Feinde
getödtet,
ÖTj tot' ^Ai)^i]vahi (piyioii-ißQOTov alyiö' dveoyev
vipod^sv sB OQOcpriq • twv ös (fgeveg hiToi}]DEV.
Da schwang Pallas Athene die menschenvertilgende
Ägis
Hoch vom Gebälk, und zerschmetternd ergriff das
Entsetzen die Freier.
Wir müssen nothwendig suchen, wo sich Athene setzen
konnte, um von der Decke aus zu beobachten und einzu-
greifen, um schliesslich die Aegis zu schütteln und das Ent-
setzen zu verbreiten. Eine geschlossene Decke würde jede
Möglichkeit des Sitzens absolut ausschliessen. Wenn der
Verfasser früher an die metopenartigen Lichtöffnungen der
Decke gedacht ^), so giebt er jetzt gerne zu, dass der Raum
für die Göttin zu niedrig wäre , und dass der Dichter sie
nicht gebückt und verkrümmt oder verzwergt denken und
der Vorstellung überlassen durfte, wenn er sie in der vollen
Majestät ihres göttlichen Einschreitens darstellen will. Auch
das Dörpfeld'sche Hyperoon erscheint als ein der Scene wenig
entsprechender Raum, der erstlich keine völlige üebersicht dar-
bieten konnte , wenn die Göttin in einem der Fenster des-
selben sass, der zweitens als Rauchfang weder für den Auf-
enthalt der Göttin geeignet, noch auch für die Scene würdig
genug war, und der überdiess vom Dichter selbst, welcher
von der Decke spricht, in keiner Weise angedeutet wird.
Nur wenn die Deckbalken unverdielt waren und allseitig
bioslagen, findet die Göttin die Möglichkeit, aufrecht und
1) Kunstgeschichte des Alterthums, Leipzig 1871. S. 173.
120 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
ihrer Würde entsprechend zu sitzen und zu verharren. Kein
Maler würde im Stande sein, die Gottheit anders als in dem
offenen Balkenwerk schicklich unterzubringen , und nicht
minder richtig und würdig musste der Dichter sehen. Eine
einfachere Lösung der Frage aber, wie die Lokalität dem
Dichter vorschweben mochte, giebt es nicht.
Die gegebenen Ausführungen dürften geeignet sein, die
constructiven und stilistischen Grundlagen der Architektur
der Heroenzeit jenen der historischen Zeit Griechenlands
mehr zu nähern, als diess bei der Dörpfeld'schen Hypothese
der Fall ist. Und wer könnte bezweifeln, dass diess ein
Vorzug unserer Annahme sei. Denn wie wenig es auch
sein mag, was die Formensprache der Heroenzeit mit jener
der dorischen Epoche Gemeinsames hat, so kann doch einiger
traditionelle Zusammenhang nicht geleugnet werden. Zwischen
der Bauweise der homerischen Epoche und der bekannten
der historischen Zeit liegen nur ein paar Jahrhunderte; der
Schauplatz ist derselbe geblieben und trotz der Wanderungen
auch der grösste Theil des Volkes.
Wenn man demnach die Wahl hat zwischen zwei Mög-
lichkeiten, so wird derjenigen der Vorzug zu geben sein, welche
der Entwicklung der Folgezeit näher steht. Gewiss waren
auch in historischer Zeit in Griechenland die meisten Dächer
flach und nur jene der hervorragenderen Gebäude, vorab
der Tempel giebelförmig. Wir haben keinen Grund, es ab-
zulehnen, dass es auch schon in ältester Zeit so war, nament-
lich als einmal die Raumerstreckungen über die corridor-
artigen der mesopotanischen Palastbauten oder über die eng-
brüstigen des Megaron von Troia hinaus zu jenen gediehen
waren, wie sie im Megaron von Tiryns und Mykenä vor-
liegen. Auch wird nicht zu erweisen sein, dass das Giebel-
dach dorische Erfindung sei.
Ich betrachte die gesammte Cultur der homerischen Zeit
in ihren Grundlagen doch ebenso als eine wesentlich hellen-
r. Reber: Zur Kennttiiss des Baustiles der heroischen Eyoche. 121
ische, wie das homerische Gedicht. Gewiss spielen zahlreiche
und gewichtige auswärtige Einflüsse älterer Culturgebiete
dabei eine Kolle: ara wenigsten wohl jene des Nillandes,
mehr die phönikischen, am meisten die kleinasiatischen. Aber
es wird nicht zu behaupten sein, dass irgend einer derselben
das üreinheimische, das wir das Pelasgische nennen wollen,
überwog. Vom Aegyptischen ist das auch nie behauptet
worden. Dagegen hatte die Neigung, dem Phönikischen eine
solche Stellung zuzuschreiben, mehr Grund, da sowohl die
homerischen Erwähnungen, als die Funde die Annahme starker
Einflüsse von dieser Seite unzweifelhaft machen. Doch er-
scheint es vorläufig als ziemlich sicher gestellt, dass die
homerische Kunst keine überwiegend phönikische sei.-^) Die
kleinasiatischen Elemente aber näher zu präcisiren, wie neu-
estens wiederholt versucht worden ist, dürfte noch verfrüht
sein. Selbstverständlich kann dabei weder auf die Abstam-
mung des Perseus, des ersten Gründers Mykenä's, von den
Inseln, oder auf die des Pelops. des Ahnherrn der zweiten
Dynastie von Mykenä, aus Lydien ein besonderes Gewicht
gelegt werden, wenn man auch vielleicht die Objecte der
Schachtgräber von Mykenä als der Zeit der Perseiden zu-
gehörig, jene der erhaltenen Bauten und Palastfunde aber
der Zeit der Pelopiden zuzuschreiben einigen Grund haben
dürfte. So sind auch die Nachrichten über die speziell
karische Cultur zu unbestimmt, um die Theorie, dass wir in
den Funden eine wesentlich karische Grundlage zu erkennen
haben^), über das Bereich der blossen Möglichkeit zu erheben.
Denn wenn dabei auch geltend gemacht wird, dass nach
1) Enmann. Kypros und der ürspninw des Aphroditenkultes
(Mem. de l'Acade'mie Iiup. de St. Petersbourg. 1886.)
2) N. Köhler, üeber Zeit und Ursprung der Grabanliigen in
Mykenä und Spata (Mittheilungen des kais. deutschen archäologischen
Instituts zu Athen. 1878). F. Dümmler und F. Studnicza, Zur Her-
kunft der mykenischen Kultur. (Mitth. 1887).
122 Sitzung der histor. Classe vom 5. Mai 1888.
Strabo VIII p. 374 und Pausanias I. 39. 40 die Städte Her-
mione, Epidauros und Megara karische Gründungen waren,
und dass nach Thukidides I. 8 die karischen Gräber auf
Delos sich durch die niitbeerdigten Waffenrüstungen unter-
schieden, so reichen doch weder die Oertlichkeiten jener
karischen Ansiedhingen noch die reichlichen Watfenfunde in
den Schachtgräbern von Mykenä aus, den angegebenen Schluss
auf die karische Cultur Mykenä's und Tiryns' zu ziehen.
Sucht man aber die Wurzel der heroischen Kunst auf
Kreta^) so hat das insoferne viel für sich als die Vorstellung
von einem uralten Culturcentrum auf dieser Insel allerdings
im Bewusstsein des Alterthums lag und in Minos ihre be-
kannte Verkörperung fand. Allein wesentlich weiter kommen
wir auch damit kaum, da gerade das Wesen der Cultur
Kreta's in jener Mischung lag, welche die durch die dortige
Oertlichkeit sehr begünstigten phönikischen und phrygischen
mithin kleinasiatischen Elemente mit der urgriechischen
(arischen) Stammcultur verband. Wir kommen somit zu der-
selben Mischung, wie sie in der Argolis vorliegt, sind aber
durch die dürftigen Fundnotizen, welche von dem noch viel-
zuwenig durchforschten Kreta vorliegen, vorläufig noch nicht
in den Stand gesetzt, die Identität der Oulturleistungen in
Kreta und Argos, somit die Stellung Kreta's als Ausgangs-
punkt der heroischen Kunst zu belegen. —
1) A. Milchhöfer, Die Anfän<?e der Kunst in Griechenland.
Leipzig 1883.
123
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 2. Juni 1888.
Der Classensecretär Herr v. Prantl hielt einen Vortrag:
,Ueber die Literatur der Logik im 16. und
17. Jahrhunderte."
Historische Classe.
Sitzung vom 2. Juni 1888.
Herr v. Rockinger hielt einen Vortrag:
„Ueber die Benützung des sogenannten ßra-
chylogus juris romani im Landrechte des
Deutscheuspiegels? und des sogenannten
Schwabenspiegels. "
Von der Benützung des ältesten Auszuges der Lex ro-
mana Visigothorum, nach der Ausgabe des Petrus Aegidius
vom Jalire 1517 in Kürze als Summa oder Epitome Aegi-
diana bezeichnet, im dritten Theile des kaiserlichen Land-
rechts, das ist nach dem Art. 313 der Ausgabe des Freiherrn
V. Lassberg bis an den Schluss, hat der Vortrag vom I.März
124 Sitzung der Imtor. Classe com 2. Juni 1888.
1884 gehandelt, der in den Sitzungsberichten unserer Classe
aus jenem Jahre S. 179—201 mitgetheilt ist.
Stellt sich dieser dritte Theil, wie am berührten Orte
S. 205/206 bemerkt worden, im grossen Ganzen als nichts
denn eine vorläufige Stoffsammlung dar, welche erst dem
Bedürfnisse entsprechend zu sichten und in geeigneter Weise
für die Schlussfassung des Gesammtwerkes zu verarbeiten
war, wozu der Verfasser nicht mehr gelangt ist, so verhält
sich das beim ersten und zweiten Theile anders. Der erste
liegt mehr oder minder schon im unmittelbaren Vorläufer des
sogen. Schwabenspiegels, dem Spiegel aller deutschen Leute,
vor. Der zweite ist aus dessen oberdeutscher oder mittel-
deutscher Uebertragung des Sachsenspiegels von Buch II
Art. 12 § 13 an hergestellt.
§ 1.
In diesem ersten und zweiten Theile nun, insbe-
sondere im ersten, begegnet uns auch römisches Recht, aber
nicht wieder aus einer der Leges romanae der von den ger-
manischen Königen unterjochten Reiche, sondern justinia-
nisches oder wenigstens hiefür geltendes, ohne dass
es freilich überall gleichmässig entschieden sichtbar her-
vortritt.
Kaiser Justini an wird in der umfangreichen geschicht-
lichen Einleitung des Rechtsbuches wie in diesem selbst
mehrfach erwähnt. Heisst es in der erstereu nur im Vorüber-
gehen bald nach dem Eingange des Buches der Könige der
neuen Ehe in Massmann's Ausgabe im ersten Bande des
Land- und Lehenrechtsbuches von Dr. v. Daniels Sp. 123
Z. 10/11, dass er „der lantrehte vil gemachet" habe, so wird
in dem Abschnitte über ihn selbst Sp. 151 und 152 genauer
bemerkt: Der was ein wise man der buoche. Er niuwete
alliu diu lantreht diu vor ime gemachet waren. Er machte
V. Eockinger: lieber die Benützung des Brachylogus. 125
von lantrehte ein buoch, daz heizet Instituta, daz sprichet:
der keisere gesetze. Da vindet man innen geistlichin lantreht
unde werltlichiu. Siner lantrehte — wird dann hieran ge-
knüpft — ist vil in diseme buoche, diu ander künege nie
gewandelten; diu hänt sie gebezzert und ouch me gemachet.
Im Landrechte des sogen. Schwabenspiegels selbst ist er unter
den Kaisern und Königen, die als besonders nennenswerthe
Gesetzgeber!) im Art. 3 (= Art. L Ib, Art. W 4) aufgezählt
sind, namentlich berührt. Seiner geschieht auch im Art. L 15
in der Zusanmienstellung der Enterbungsgründe ausdrück-
liche Erwähnung, und zwar zweimal, beim vierten wie beim
achten,
Ist er, wie erwähnt, unter den Kaisern und Königen
aufgeführt, deren Gesetzgebung besonders beachtenswerth
erscheint, so mag man auch l)ei der Stelle in dem be-
rührten Art. L Ib „also stet ouch an disem buche keiner-
slahte lantreht noch lehenreht noch keinerslahte urteil wan
als ez von dirre getriwen keiser geböte unde von römischer
phahte genoraen ist" ohne grosses Zaudern an das römische
Recht und wohl gerade an das justinianische denken. Die
Phaht kurzweg begegnet an zahlreichen Stellen der geschicht-
lichen Einleitung*) als das gemeine von den Kaisern und
Königen gegebene Recht. Als eben dem römischen Kaiser-
reiche entsprossen, wird sie fortan als eine wesentliche Grund-
lage der Gesetzgebung auch nach dem Uebergange der
Weltherrschaft von dort an das Frankenreich beziehungsweise
Deutschland betrachtet. In Sp. 197 Z. 15/16 ist ohne weiteres
geäussert : Wä man die Phaht nennet, daz sint diu lantreht-
1) Vgl. den ersten Bericht ^über die Untersuchung von Hand-
schriften des sogen. Schwabenspiegels" in den Sitzungsberichten der
philosophisch-historischen Classe der Wiener Akademie der Wissen-
schaften LXXIII S. 452 und 453.
2) Rockinge r, der Könige Buch und der sogen. Schwaben-
spiegel, in den Abhandlungen unserer Classe XVII Abth. 1 S. 78— 83.
120 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
buoch. Ihr Geltungsgebiet ist deutlich genug unmittelbar
nach der vorhin erwähnten Stelle des Art. L Ib bezeichnet:
Unde ouch elliu reht diu an disem buche stent diu habent
die keiser unde die kunge also gesezzet, daz si über elliu
laut reht unde gewa3r suln sin, wan swer et römisch keiser
und kunc ist, dem sint ouch von rehte elliu laut undertän
diu cristenlichen gelouben hänt. Unde swaz ouch die rom-
ischen keiser unde kunge lantreht unde lehenreht gesezzet
unde geboten habent, diu suln ouch von rehte gemeine und
gewonlich sin in allen den landen diu under in sint. Blicken wir
nochmal auf jene Stelle, so wird es kaum einem Zweifel unter-
liegen, dass bei der da namentlich als „römisch" bezeichneten
Phaht gerade auf das justinianische Recht angespielt ist.
Was nun die römischrechtlichen Bestimmungen
im ersten und zweiten Theile unseres Landrechts betrifft,
sprach sich Merkel in seiner bekannten Untersuchung de
republica Alamannorum § XVI Note 12 S. 95 dahin aus,
dass der Verfasser aliquot addidit de fidejussoribus Lassb. 6 ;
de testibus repellendis L. 13; de exheredatione L. 15; de
vigore consuetudinis L. 44 ; de minoribus eorumque tutoribus
et curatoribus L. 51, 52, 59, GO, 62 — 66; de usucapione
L. 56—58; de libertis ac servis L. 68, 70b, 71 — 73a; de
rebus sanctis L, 168 b, 169; de homicidio culposo L. 182, 183.
Viel drastischer ging Zöpfl in der neuesten Ausgabe seiner
deutschen Rechtsgeschichte I § 27 Note 13 S. 116/117 zu
Werke, woselbst sich eine lange Liste von Bestimmungen
aus dem römischen Rechte findet, ohne dass freilich einmal
alle als zweifellos gelten dürften, während anderntheils diese
und jene jedenfalls nicht auf Rechnung des Verfassers des
sogen. Schvvabenspiegels zu bringen sind, indem sie sich
bereits im Sachsenspiegel und Deutschenspiegel finden, er
sie also nur von da herübergenommen hat^). Sie sollen nun
1) Das ist beispielsweise der Fall bei den folgenden Artikeln
('. Bocliinger: Uehcr die Benützung des Brachylogus. 127
nach § 32 unter Lit. E nicht weniger als „mindestens den
fünften Theil des ganzen sogen. Schwabenspiegels " bilden!
Fassen wir überhaupt eben die r ö m i s c h r e c h 1 1 i c h en
Bestimmungen im ersten und zweiten Theile in's Auge,
so treten sie als solche theil weise äusserlich nicht in bestimmter
Weise hervor. Daneben stossen wir auf Stellen, in denen
allerdings schon äusserlich die Benützung des römischen
Rechts bemerkbar wird, aber es doch jedenfalls zweifelhaft
bleibt, ob sie auf unmittelbare Verwerthung der justinian-
ischen Quellen ausser den Institutionen zu deuten ist oder
anderswoher stammen mag. Endlich fehlt es nicht an Stellen,
bei denen an Benützung wenigstens der justinianischen Werke
nicht gedacht werden kann.
§ 2.
Die Fälle, in welchen das römische Recht sich äusser-
lich nicht besonders bemerkbar macht, haben für
unsere nächste Frage keine Bedeutung, da es bei dem um-
stände, dass sich einmal keine unbestritten greifbare deutsche
Wiedergabe dieser und jener Stellen zeigt und anderntheils
der mehrfach durch störende Zahlenversehen entstellten Liste, welchen
zum Zwecke etwaiger Yergleichung die entsprechenden Artikel des
Deutschenspiegels gleich beigefügt sein mögen :
Art. 6 (und der nicht besonders aufgeführte Art. 7) = Dsp. 11 ;
13 = 17; 14 = 18; 15 = theilweise 19; 27 = 29 b; 35 = 35; 38
= 38; 40 = theilweise 40; 42 = theilweise 42; 47 = 45 ; 51 = 48
am Schlüsse; 52 = 49; 54 = 49; 55 = 50; 56 = 51 ; 57 = 52
und 53; 59—66 = 55— 59 a; 68 = 60 und 61; 72 = 64; 76 I am
Schlüsse = 352 am Schlüsse; 89 = 80a; 178 (wie wohl anstatt 157
gelesen werden muss) = 118; 186 = theilweise 119; 197b (wie wahr-
scheinlich anstatt 197 § 1 zu lesen ist) = 138; 204 = theilweise 151;
209 = 156; 211 = 158; 221 = 175; 222 am Ende (und 223) = 176;
243 und 244 = 180 und 179; 245 = 181; 247 = theilweise 186;
258 (wie anstatt 158 zu lesen sein wird) = 204 und 205; 279 = 230;
287 = 241; 306 (wie es wohl anstatt 36 heissen soll) = 275.
128 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888-
Verweisungen auf solche nicht angebracht sind, eben an
Kennzeichen für die Bestimmung gebricht, ob sie ohne
weiteres der justinianischen Gesetzgebung entnommen sind,
oder ob der Verfasser seine Kenntniss davon aus anderen
in der Mitte des 13. Jahrhunderts vorhandenen Schriften
über das römische Recht geschöpft hat, oder auch sie als
bereits mehr oder weniger geltendes Recht betrachtet haben
mag.
Wie wenig beispielsweise hie und da ein scheinbar auch
noch so deutlich hervortretender Anklang an den Wortlaut
römischrechtlicher Stellen zu vorschneller Schkissfolgerung
verführen darf, wird gleich beim Art. 3 a von den Verwandt-
schaftsgraden ersichtlich. Da heisst es bei Berührung der
Erbfolge: So der mensch ie nseher sippe ist, so er ie baz
erbet. Das erinnert im ersten Augenblicke ausserordentlich
sowohl an die Glosse zu den Worten „secundum gradus prae-
rogativa est" des sogen. Brachylogus juris romani ^) II Tit. 84
§ 2 am Anfange: ut qui proximior sit gradu, potior sit et
successione ; als auch an die Worte des Textes selbst gegen
den Schluss des § 3 : [ceteri cognati veuiant secundum sui
ordinis praerogativam,] ut qui proximior est gradu, potior sit
in successione. Und doch hat unser Rechtsbuch — ganz
abgesehen von anderen Gründen — nicht daher geschöpft.
Der Sachsenspiegel lehrt I Art. 3 § 3 am Schlüsse: De
sik naer to der sippe gestuppen mach, de nimt dat erve to
voren. Und wie dann der Deutschenspiegel im Art. G gegen
den Schluss? So der man ie naechner sippe ist, so er ie
schierr erbet.
Wenn wir dann weiter im Art. 4 l)eim Erbtheile der
Söhne eines noch nicht abgefundenen Vaters an dem Nach-
lasse des Grossvaters lesen: die nement geliehen erbeteil an
1) Im folgenden Verlaufe ist die Ausgabe von Boeckin^ benützt:
Corpus Icgum sive Brachylogus juris civilis. Berlin 1829. 8.
V. Bockinger: Ueher die BeniUzunrj des Brachylogiis. 129
irs eldern vater stat relite neben iren vetern ; si nenient
al)er alle niwen eins mannes teil, als vil als ir vater an
•^^ehorte ; so denkt man unwillkürlich wieder an den Brachy-
logiis II Tit. 34 §2: [hereditate non in stirpes sed in capita
dividenda, ita tarnen ut] tilii defuncti fratris hujusmodi por-
tionem accipiant quam pater eorum accepturus fuisset, si eo
tempore viveret.^) Der Sachsenspiegel hat hier: sine sone
nemet dele in ires eldervader erve gehke irme vedderu in
ires vader stat; alle nemet se aver eues mannes deil. Der
Deutschenspiegel sagt: [vnd stirbet des chindes ene dar nach,]
seines sunes sun erbet den tail den sein vater seit hän ge-
erbet. Daher hat denn auch der sogen. Schwabenspiegel
seinen Satz. Allerdings ist vielleicht angesichts der Ab-
weichung, die sich doch gegenüber dem Wortlaute des Deutschen -
spiegeis zeigt, nicht in Abrede zu stellen, 'dass die berührte
Fassung eben des Brachylogus hier einen gewissen Einfluss
geäussert haben mag.
Aber nicht allein hier tritt das entgegen. Auch an
verschiedenen anderen Orten hat er überhaupt seine Bestim-
mungen, welche sich auf römisches Recht beziehen oder zu
beziehen scheinen, nicht aus Schriften über dieses erholt,
sondern er fand sie bereits eben im Deutschenspiegel vor.
So fällt beispielsweise dahin — um nur auf einiges aus
Merkel's vorhin S. 126 berührter Aufzählung hinzudeuten —
der Art. 13 über die Untauglichkeit zur Zeugnissabgabe =
1) Vgl. auch in .Tulian'.s Novellenauszug die Const. 109 § 1 : sie
tarnen, ut — si contigerit unum ex descendentibus personis decedere
— liberi ab eo relicti locum ipsius obtineant, et tantum capiant
quantum pater ipsorum, si virus esset, accepturus fuisset.
Ebendort § 3 : Quod si decesserit aliquis fratre vel sorore relicta,
et ex alio fratre vel ex alia sorore jam defuncto vel defuncta liberis
relictis, cum avunculis suis vel patruis liberi fratris vel sororis venient,
et tantam capiant portionem quantam pater eorum vel mater acce-
pisset, si vivus vel viva fuisset.
1888. Philos.-philol. u. bist. Ol. II. 1 . 9
130 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
Dsp. 17. Oder die Art. 51 und 52 von den Jahren der
Mündigkeit = Dsp. 48 und 49. Oder die Art. 56 — 58 =
Dsp. 51 — 54. Oder die Art. 59 und 60 von der Vormund-
schaft = Dsp. 55. Oder die Art. 62 — 66 wieder hierüber
= Dsp. 56 — 59a. Oder der Art. 70b von der Freiheit =
Dsp. 62. Oder die Art. 71 - 73 a gleichfalls von Verhält-
nissen der Freiheit und Leibeigenschaft = Dsp. 63 — 65.
Hievon abgesehen könnte etwa der Art. 182 auf § 4
Inst, de lege Aquilia (IV 3) zurückgehen, der Art 183 auf
den § 5 daselbst oder auch auf den Brachyl. III Tit. 22 § 5.
Aber man darf wohl mit besserem Keclite hier BenützAuig
des Abschnittes de homicidio im zweiten Buche der bekannten
Summa de poenitentia des Raimund von Peniafort^) ver-
mutben, um so mehr wenn man auch sogleich die folgenden
Art, 184 und 185 in's Auge fasst, welche gleichfalls noch
vom Todschlage handeln, und zwar hauptsächlich von der
fahrlässigen Tödtung, nämlich 184 wenn durch unvorsichtiges
Abladen eines Wagens einer um's Leben kommt, Art. 185
von Vorkommnissen bei Bestrafung von Lehrkindern,
Lohnt es sich kaum, hier weiter zu fahren, so drängt
sich da und dort unwillkürlich auch der (Jedanke auf, als
ob die Ordnung namentlich in den Institutionen wenigstens
den Grund zu dieser und jener lieihe von Artikeln unseres
Hechtsbuches gegeben haben könne, wie beispielsweise bei
den Art. 222 — 242 beziehungsweise 243.
Betrachtet man vorerst die Art. 222 — 232 , so stellt
sich — unbeschadet aller Freiheit in der Behandlung, welche
sich der Verfasser wie sonst so auch hier gewahrt hat —
beim Vergleiche des Sachsenspiegels, des Deutschenspiegels,
des kaiserlichen Landrechts, des Titels der Inst, de obligatio-
nibus quae ex delicto nascuntur (IV 1) und des Titels de
furtis im Brachyl, III 20 folgendes heraus:
1) Vgl. die Untersuchung hierüber in den Abhandlungen unserer
Glasse XIII Abth, 3 S. 248/249
V. Rockinffer: Ueher die Benützun(j des Brachyloyus. 131
Ssp. Dsp. sog. Schwsp. Inst. Brachyl.
(III 20 § 4)
(II GO 5; 1.2) (176) 222 \ ,jy j . g.
— — 223 /
— — 224 — —
— - 225 IV 1 § 3 III 20 § 2. 3
— — 226 IV 1 § 8 III 20 § 4
— — 227a IV 1 § 9 III 20 § 5
— — 227b IV 1 § 11 III 20 § 8
— — 228 IV 1 § 15 —
— — 229 IV 1 § 14 —
— — 230 IV 1 § 6 (III 5 am Schlus.se)
— - 231 I\' 1 § 10 III 20 § 7
— — 232 IV 1 § 12 —
Wir haben es hier mit zwei besonderen Gruppen 7a\ thun,
die nur theilweise zusammenhängend entgegentreten, einmal
mit dem Anvertrauen beweglichen Gutes und der Frage
nach der hiebei erforderlichen Sorgfalt des Empfängers für
den Fall des Verlustes oder der Beschädigung, Art. 222 — 224
und 228 — 230, dann mit dem Diebstahle, Art. 225 — 227 a
und b, 231, 232. Es sind nämlich die Fälle der Leihe von
Pferden oder von Arbeitsvieh, sei es umsonst, sei es gegen
Entgelt, als ein Ganzes in den Art. 222 — 224 in Anknüpfung
an (Ssp. in Art. 60 § 1 und 2, beziehung.sweise) den Art. 176
des Deutscheuspiegels unter der ausdrücklichen Bemerkung
,von lehen welle wir reden" an die Spitze gestellt worden,
während das übrige, was sich noch auf Leihen wie Deponiren
u. s. w. bezieht und ni bekannten Schriften über das römische
Hecht in dem Abschnitte vom Furtum behandelt wird, nämlich
die Art. 228 — 230, nicht mehr eigens aus diesem Abschnitte
ausjreschieden. sondern zwischen den Art. 225 — 232 belassen
worden ist. Wenn nichts anderes in Mitte liegt, hat es nach
der obigen Zusammen-stellung den Anschein, dass der Ver-
fasser unseres Rechtsbuches — abgesehen von allenfallsiger
Berücksichtigung des Titels quibus modis re contrahitur ob-
ligatio der Inst. (III 14) beziehungsweise der Titel von den
9*
1 32 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
Nominatrealcontrakteii im dritten Buche des Brachyl. 5 de
commodato, 6 de deposito, 7 de pignoribus — zunäclist aus
dem Titel de obligationibus quae ex delicto iiascuntur der
Inst. (IV 1) beziehungsweise aus dem Titel 20 de furtis im
dritten Buche des Brachyl. seine Arbeit gefertigt hat, mög-
licherweise ans beiden Werken, vielleicht auch noch mit
Zuziehung anderer Schriften über diesen (gegenständ, wie
etwa der schon berührten Summe des Raimund von Peniafort.
Soweit es sich um die Institutionen und den Brachylogus
handelt, ergibt sich die ganz vorzugsweise Verwerthung der
ersteren daraus, dass der Inhalt von §§ derselben begegnet,
welche im Brachylogus nicht zu finden sind, wie (IV 1) 12,
14, 15 mit dem Beispiele vom Schneider, welches auch im
§ IG wiederkehrt, ausserdem im § 1 Inst, de locatioue et
conductione (III 24) und im § 13 Inst, de mandato (III 26)
berührt ist, im Art. 228. Auch ist es wohl wahrscheinlicher,
dass der Art. 230 wieder wie sozusagen alles übrige aus dem
§ 6 am angeführten Orte genommen ist, als aus dem Brachy-
logus, welcher das Beispiel Avenu einer „argentum sibi
comraodatum ad coenam peregre tulerit" nicht im Titel 20
de furtis des dritten Buches sondern in einem ganz anderen
Titel hat, nämlich am Schlüsse des Titels 5 de commodato
im dritten Buche. Ausserdem schliesst sich der Wortlaut
zum Theile weit enger den Institutionen als dem Brachylogus
an. So etwa bei der Hilfeleistung zum Diebstahle ^) im
Art. 227 b.
1) Swer stein wil, unde get hinz einen man unde bitet in dfiz
er im einer leiter lihe, er welle in ein hüs stigen durch stelns willen;
oder der einem diebe ein tur üf tut oder ein venster; oder ein smit
der mit wizzen diepsluzzel machet da er mit üf sliuzzet, oder anderiu
isen diu zer diepheit hörent; oder der im ander helfe tut diu disem
gelich ist.
Üer sogen. Brachylogus a. a. 0. spricht nur von dem qui scalaa
fenestris ad furtum hiciendum apposuit.
V. BocTtinger : Ueher die Benützung des Brachylogus. 133
An die Art. 222-232 reiht sich nun in den Art. 233—235
der Raub an, so dass hier die gleiche Reihenfolge begegnet wie
in den Titeln der Inst, de obligationibiis quae ex delicto
nasciintur (IV 1) und de vi bonorum raptorum (IV 2), oder
in grösserer Ausdehnung in den Titeln der Digesten vom
Diebstahle (XLVII 2—7) und im Titel vi bonorum raptorum
et de turba (XLVII 8), wie im Brachyl. III 20 de furtis,
III 21 de rapina, während umgekehrt Raimund von Penia-
fort im zweiten Buche seiner Summa de poenitentia den
Raub dem Diebstahle vorangestellt hat.
War beim Art. 176 des Deutschenspiegels dessen Faden
bis hieher verlassen worden, so knüpft jetzt wieder an seinen
Art. 177 unser Rechtsbuch im Art. 236 an, ohne aber weiter-
hin ihm ohne Unterbrechung zu folgen, sondern nur um
sofort neuerdings zu einer Vervollständigung in den Art. 236
bis 242 beziehungsweise 243 zu schreiten. Für diese mag
wieder vorzugsweise die Ordnung in den Institutionen den
Grundgedanken gegeben haben, die §§ 12 und 13, 15, 16
Inst, de rerum divisione et qualitate (II 1), welchen auch
die Epitome juris civilis in dem M. c. 14 der Universitäts-
bibliothek in Tübingen ') Fol. 89 (90) und 90 (91) meist
wörtlich getreu gefolgt ist. Der Art. 236 erinnert mehr an
die §§ 12 und 13 der Inst. II 1 als an den Brachyl. II
Tit. 3 § 1. Der Art. 240 von den Pfauen und Tauben kann
nach § 15 Inst. II 1 gebildet sein. Ebenso der Art. 242
von den Gänsen, Hühnern u. s. w. nach § 16 daselbst. Der
In den Institutionen a. a. 0. heisst es: Ope consilio ejus quoque
turtum admitti videtur qui scalas forte fenestris supponit ; aut ipsas
fenestras vel ostium eifringit, ut alius furtum faceret; quive ferra-
menta ad effringendum, aut scalas ut fenestris supponerentur commo-
daverit. sciens cujus gracia commodaverit.
1) Vgl. Fitting, Glosse zu den Exeptiones Legum Romanorum
des Petrus, Note 12 S. 15/16 Zitf. 5.
Im folgenden ist Boecking's Abdruck hinter dem sogen. Brachy-
logus S. 252—280 benützt.
134 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
Art. 243 über gezähmtes Wild könnte auf den schon erwähnten
§ 15 zurückzuführen sein.
Wenden wir nun nochmals den Blick auf die ganze
Einschiebung von Art. 222 bis hieher zurück, so erscheint
vielleicht folgender Umstand bemerkenswerth, der nach einer
anderen Seite hin ein Eindringen in die Werkstätte des Ver-
fassers des sogen. Schwabenspiegels gestattet. Auch noch an
einem anderen Orte in diesem findet sich das, was in den
an der Spitze berührten Art. 222—224 besprochen ist, nur
kürzer gefasst und ohne das im Art. 224 in gleiche Linie
mit den Pferden gestellte Arbeitsvieh. Schon in den Art.
204 und 205 des Deutschenspiegels ist, ganz entsprechend
der Stellung im Ssp. III Art. 5 § 3 — 5, von der Leihe u. s. w.
gehandelt. Hieran ist auch in unserem Rechtsbuche, wieder
ganz der dortigen Stellung entsprechend, im Art. 258 a und b
festgehalten:
Ssp. Dsp. sog. Schwsp. Inst. Brachyl.
III 5 § 3. 4. 204 258a (III 14 § 2. 3) (III 5 § 2)
III 5 § 5 205 258b (IV 1 § 6. 7) (III 5 § 4)
(III 6 § 1) (206) (259)
Laff nun , wie S. 124 bemerkt worden ist , im ersten
Theile des Deutschenspiegels bereits im grossen Ganzen der
erste Theil des sogen. Schwabenspiegels vor, und hat er
denselben theilweise nur durch Erweiterung einzelner Artikel
wie 15 von den Enterbungsgründen vervollständigt, theil-
weise auch neue eingefügt, wie 31, 43, 44, 69, 70a, 73b,
87b, so war beim zweiten Theile des Deutschenspiegels, der
bekanntlich nicht viel mehr als Uebertragung des Sachsen-
spiegels in mittel- oder oberdeutsche Sprache ist, eine um-
fassendere Arbeit vorzunehmen. Hiefür sammelte der Ver-
fasser aus hervorragenden Gesetzgebungen Stoff. So beispiels-
weise was die mosaische betrifft im Art. 201 aus dem
Deuteronomium , für das Gebiet des kanonischen Rechts
verschiedenes aus der weitverbreiteten Summa des Raimund
V. Rockinger: lieber die Benützung des Brachylogus. 135
von Peniafort, wovon seinerzeit ^) die Rede gewesen, also aus
der Arbeit jenes gelehrten Dominikaners, den sich Pabst
Gregor IX zum Compilator seiner Dekretalensammlung aus-
ersehen hatte. Und wie für den nicht mehr zur entsprechenden
Sonderung und je betreffenden Einreihung gelangten dritten
Theil die alten deutschen Volksrechte der Alaraannen und
der Baiern ausgezogen worden^) sind, kam dort auch der
älteste Auszug der Lex romanaVisigothorum^) zurVerwerthung,
während nicht minder wie für den ersten Theil so auch für
den zweiten auf das justinianisch-römische oder wenigstens
hiefür geltende Recht das Auge geworfen worden ist. So
gut sich nun blos einzelne Artikel da und dort einfügen
Hessen, ebenso gut konnte das auch gleich für eine besondere
Gruppe von solchen der Fall sein. So haben wir denn auch
wirklich zwischen den Art. 176 und 177 wie 177 und 178
des Deutschenspiegels die Art. 222—235 und 236—242 be-
ziehungsweise 243 gefunden. Auf den Inhalt der ersten
Artikel der ersten Gruppe stossen wir aber, wie bemerkt
worden ist, im Art. 258 a und b nochmals, und zwar wie
dort wieder genau der Stellung im (Sachsenspiegel beziehungs-
weise) Deutschenspiegel entsprechend. Für ihn ist jetzt aller-
dings kein Bedürfniss mehr abzusehen. Möglicherweise aber
war die Ueberarbeitung des zweiten Theiles des Deutschen-
spiegels zunächst in einem Zuge ohne die Einstellung grösserer
Ärtikelreihen wie oben von 222 an erfolgt, und so der Art.
258 in der da entgegentretenden Fassung aufgenommen
worden. Als nun die umfangreichere Vervollständigung
zwischen den Art. 176 und 177 des Deutschenspiegels vor-
genommen wurde, mag leicht an den Art. 258 als nunmehr
1) In den Abhandlungen unserer Classe XIII Abth. 3 S. 230
bis 253.
2) Vgl. den Bericht über die Sitzung unserer Classe vom I.März
1884 S. 204—206.
3) Ebendort S. 184-204.
136 Sitzung der histor. Classe vom 3. Juni 1S88.
überflüssig nicht mehr gedacht und die Streichung desselben,
die nunmehr am Platze gewesen wäre, übersehen worden sein.
Doch das sei hier nicht weiter verfolgt, sondern wir
wenden uns zur nächsten Frage über unseren Gegenstand.
§ 3.
Wichtiger sind die Stellen, in welchen äusserlich schon
die Rücksichtnahme auf das römische Recht
klar hervortritt, aber freilich noch zweifelhaft bleibt,
ob sie unmittelbar auf die justinianischen Quellen
zu beziehen sind, oder auf anderen Vorlagen be-
ruhen.
Von vorneherein bleibt hier der Art. 6 von der Bürg-
schaft mit der Erwähnung des hier als Rechtslehrer erschei-
nenden Kaisers Hadrian „der des lantrehtes vil gemachet
hat" ausgeschlossen, da er nur aus dem Deutschenspiegel
Art. 11 herübergenommen ist.
Dasselbe gilt vom Art. 68 a und b über die Folgen der
Freilassung einer schwangeren unfreien Mutter oder des
während die Schwangerschaft fallenden Eintrittes einer freien
Mutter in die Hörigkeit auf den Geburtsstand des Kindes
unter Bezugnahme auf „einen meister von lantrehte" Mar-
cellus beziehungsweise Marcian „der half den kunigen vil
guter lantrehte machen" aus den Art. 60 und 61 des Deutschen-
spiegels.
Ebensowenig kommt der Art. 70b mit der Anspielung
auf die römischen Bezeichnungen des Ingenuus, Libertinus,
Liber in Betracht, da das gleichfalls bereits im Art. 62 des
Deutschenspiegels vorhanden gewesen.
Weiter lässt sich die Erzählung von dem schamlosen
Gebahren der adeligen römischen Dame Calefurnia oder
Kaefurnia oder wie sie immer genannt sein mag, im Art. 245
hier nicht verwerthen , da sie sich schon im Sachsen-
spiegel II 63 § 1 *) und daraus — wenn auch in der einzig
1) Dat verlos in allen Calefurnia.
r. Focl-inger: Ueber die Benützung des Brachylogus. 137
bekannten Handschrift verderbt^) — im Art, 181 des Deutschen-
spiegels fand, allerdings ohne die nähere Angabe, dass sie
„ein edeliu Römerin" gewesen. Ob an L 1 § 5 Dig. de
postulando (III 1) gedacht werden darf, ist doch mehr als
zweifelhaft.
Auch die „Arre" im Art. 229 — unde gib ich einem
man ein gut ze koufen, und git er mir sin arre dran, unde
daz gut belibet mir in miner gewalt, unde wirt ez mir ver-
stoln, der schade ist sin unde niht min, unde hau et ich
sin gehütet als ich von rehte solte — führt zu keinem be-
sonderen Ergebnisse. Ob auf pr. Inst, de emtione et ven-
ditione (III 23) angespielt sein mag ?
Am ersten lässt sich wohl an Benützung der justinian-
ischen Quellen beim Art. 15 von den Euterbungsgründen ^)
1) Daz verloz in allen alle sogtane sache.
2) Zur Beurtheilung im einzelnen mag er hier als Ganzes seine
Stelle finden:
§ 1. Ez mac ein kint sins vater vnde siner müter erbe vei'-
wurken mit vierzehen dingen.
Der ist einez: ob der vater hat ein ewip vnde diu de» suns
stiufmüter ist. unde ob der sun bi der lit mit wizzen, oder bi einem
ledigen wibe die sin vater gehabt hat, so hat er allez daz erbe ver-
wurket des er wartend ist. daz erziuge wir mit Davide in der kunge
buche: daz Absalon der schone bi sins vater vriundinne lac suntlichen
mit wizzen, da mit verworht er sins vater hulde unde sin erbe und
halt sin leben.
Daz ander, vnde ist daz ein sun sinen vater vahet vnde in in
sliuzzet wider reht, unde stirbet er in der vancnusse, der sun hat sins
vater erbe verlorn.
Daz dritte ist, ob ein sun sinen vater geslagen hat an daz wange,
oder swä er in gevärlichen geslagen hat.
Daz vierde. ob er in sere unde merklichen gescholten hat. wan
der almsehtigot selbe sprichet: ere vater unde müter, so lengest du
din leben üf der erde, wan nu der mensch sin lanchleben da mit
verwurket daz er vater unde müter niht eret unde in versmjehe biutet,
so ist ouch daz reht, daz er sin erbeteil da mit verwurke. wan disiu
reht satzzte der keiser Justinian.
138 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
denken. Der Deutschenspiegel kennt ihrer vier. Das kaiser-
liche Landrecht zählt nicht wenii^er als vierzehn auf. Eben
Daz fünfte ist, ob ein sun sögetaniu dinc üf den vater gesett
hat diu dem vater an den lip gent : ez si danne ein sögetaniu sache
diu wider dem lande si da sun und vater wonunge inne hsint, oder
wider den fursten des daz lant ist.
Daz sehste ist, ob der sun ein diep ist, oder sust ein boswiht,
oder ob er wizzenlichen mit bösen lüten wont.
Daz sibende, ob der vater von des suns sage grözzen schaden
genomen hat. daz ist also gesprochen, ob er im sinen llp oder sin
gut verraten hat.
Daz ahtod ist, ob der sun den vater an sinem geschsefte geirret
hat. also, swenne der vater an sinem tötbette lett und daz der sun
die tur zu slizzet, daz die brüder noch die andern phaffen dar in iht
komen, daz er siner sele dinc niht schaffe, da mit hat dar sun sin
erbe verworht. unde dar über spricht ein heilig gar ein gut wort, der
sprichet also : dizze ist ein gar gut gesetzede. wan swenne der mensch
an sinem ende lit, dö ist aller siner sselden hört, daz im got danne
riwe unde andäht git. unde swenne des ein kint vater oder müter
irret, daz hat mit rehte sin erbeteil verworht. wan nach sinem tode
so mac der mensch weder wellen noch entwellen. unde also sprichet
ein heilig über die sache die der keiser .Justinian gesezzet unde ge-
boten hat.
Daz niunde ist, ob der sun ein spilman ist wider des vater
willen unde obe der vater nie gut für ere genam.
So ist das zehende, ob der sun des vater bürge niht werden wil
umb zitlichez gelt.
Daz ailifte ist, ob ein sun sinen vater von vancnusse niht
lösen wil.
Daz zwelfte ist, ob ein vater unsinnic wirt unde in der sun in
der unsinne niht behütet und bewart und in niht in siner guten
phlege hat, wan er sol vater und müter eren. daz hat got geboten.
Daz drizehende ist, swenne ein sun sinem vater sin gut raer
danne halbez vertut, und daz mit unfüre tut und mit unrehter wise.
daz ist geschriben reht.
Daz vierzehende ist, ob ein tohter ungeraten wirt, daz si man
zu ir leit äne ir vater willen die wile si under fünf unde zweinzec
jären ist. kamt si über fünf unde zweinzec jär, so mac si ir ere
wol verlisen mit mannen, si kan aber ir erbe nimmer verlisen ze reht.
c. Rockiiifjer: Ueber die Benützung des Brachijlogus. 139
so viele finden sich im Cap. 3 der Novelle 115 = der Const.
112 des Liber Autenticarum (Coli. VIII 12) = der Const. 107
in Julian's Novellenauszug ^). Der Kürze halber soll fortan
einfach die Bezeichnung „Novelle" gewählt sein. Gerade
die so bestimmte Angabe der Zahl gleich im Eingange des
Art. 15 „Ez mac ein kint sins vater unde siner müter erbe
verwurken mit vierzehen dingen" könnte, wie es scheint, mit
Sicherheit auf die Benützung eben der Novelle deuten. Doch
stimmen die Enterbungsgründe selbst weder in der Reihen-
folge zusammen, noch auch deckt sich vollkommen der Inhalt
der einzelnen. Was die Reihenfolge^) betrifft, erklärt sich
§ 2. Ez moht ouch ein vater gen sinem sun sin relit verwurken
mit disen Sachen etlicher, niht mit in allen : wan ez sieht unde schiltet
ein vater sinen sun mit allem rehte.
Doch verwurket ein vater mit den ersten drin sachen, daz er
von sinem gute scheiden müz bi sinem lebenden libe. und sol der
sun an des vater stat sten.
Unde sol dem vater die notdurft geben, und sol im die mit
eren geben, ob er sin stat hat, unde nach den eren als er gelebt hat.
1) Für ihn ist im folgenden Verlaufe die Ausgabe von Haenel
benützt: Juliani epitome latina Novellarum Justiniani. Leipz. 1873. 4".
2) Ihr Verhältniss zwischen der Novelle, dem sogen. Brachy-
logus II Tit. 23 § 2, den Exceptiones Petri I Cap. 15, dem Deutschen-
spiegel Art. 19, dem sogen. Schwabenspiegel Art. 15 (a in seiner altern
Fassung, b in der späteren z. B. in der der Handschrift der juristischen
Gesellschaft zu Zürich in dem Drucke der Ausgabe des Freiherrn von
Lassberg S. 11 Sp. 1 bis S. 12 Sp. 1) ist folgendes:
Nov. Brachyl. Exe. Petri Dsp.
111 —
2 2 2 -
3 3 3 4
4 4 4 —
5 5 5 2
6 6—1
7 7 6 —
8 8 — —
sog. Schwsja.
a b
3
5
4
6
5
3
6
4
1
1
7
7
10
10
140 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888,
ein Theil der Abweichungen ohne Schwierigkeit durch den
Umstand, dass unser Rechtsbuch sich zunächst an den ersten
Grund des Vorgängers hielt, des Deutschenspiegels, welcher
in der Novelle der sechste ist. Konnte dann bei der eigen-
thümlichen Verknüpfung des zweiten Grundes des Deutschen-
spiegels durch die Verbindung mit Absolon^) derselbe leicht
übersehen beziehungsweise nicht besonders beachtet werden,
so verschob sich hiedurch die Reihenfolge nicht blos dem
Deutschenspiegel gegenüber, sondern noch weiter gegenüber
der Novelle, deren fünftem er entspricht. Auf solche Weise
wurde nun der dritte Grund des Deutschenspiegels, in dem
dreizehnten der Novelle enthalten, der zweite des sogen.
Schwabenspiegels. Nunmehr schloss er sich in den Ziff. 3 — 6
Dsp.
Nov.
Brachyl.
Exe. Petri
9
9
—
10
—
—
11
13
8
12
11
9
13
10
7
14
12
10
sog.
a
ächwsp
b
8
8
9
9
14
14
12
12
11
11
2
2
— — — — 13 18
Der § 5 der Novelle, welche im sogen. Schwabenspiegel fehlt,
ist: wenn der Sohn vitae parentum suorum per venenum aut alio
modo insidiari tentaverit.
Der § 14 der Novelle, welchen der sog. Schwabenspiegel gleich-
falls nicht hat, ist: si quis de praedictis parentibus orthodoxus con-
stitutus senserit suum filium vel liberos non esse catholicae fidei, nee
in sacrosancta ecclesia communic;ire, in qua omnes etc.
1) Daz ist eines: ob der vater .... in der chunigen buoche:
daz Absolon der schoene bei Davidis seines vater freundinne suen-
dichlichen lach und wi/zentlich, da mit verworht er seine hulde und
sein erbe.
Absolon verworcht auch seines vater hulde und sein erbe, daz
er seines leibes ofte varet, wie er in ersluege. Da half im got ie von.
Und ist daz ein sun seinen vater vaehet und in u. s. w.
r. Eockiiiffer: Ueber die Benützung des Brachylogus. 141
wanz und gar den §§1 — 4 der Novelle an. War deren
fünfter = dem zweiten Grunde des Deutsclienüpiegels aus-
gefallen, wie bemerkt worden ist, so folgt Ziff. 7 = § 7 der
Novelle. Dann treten einige fernere Umstellungen ein.
Besonders eingeschaltet ist, nicht aus der Novelle genommen,
die Ziff. 13: swenne ein sun sinem vater sin gut mer danue
halbes vertut, und daz mit unfüre tut und mit unrehter wise.
Gar nicht berücksichtigt ist endlich der letzte § 1 4 der Novelle
bezüglich der Orthodoxie der Aeltern und der Ketzerei der
Kinder. Während also ein Theil der Verschiedenheiten
namentlich gleich am Anfange mit dem Verhältnisse zum
Deutschenspiegel zusammenhängt, zeigen andere selbständige
Verarbeitung. Was den Inhalt der einzelnen Enterbungs-
gründe anlangt, ist unserem Rechtsbuche, wie erwähnt, die
Bestimmung der Entziehung des Erbes in dem Falle eigen-
thünilich, wenn die Kinder das halbe älterliche Vermögen
in lüderlicher Weise durchbringen, während es den letzten §
der Novelle nicht berücksichtigt, wenn die Aeltern katholischen
Glaubens, die Kinder aber Ketzer sind. Von den da wie
dort vierzehn Gründen kennt also die Novelle die vorhin
berührte Ziff. 13 des sogen. Schwabenspiegels nicht, während
umgekehrt dieser ihren letzten § nicht aufgenommen hat.
Auch die Fälle, in welchen die Kinder ihre Aeltern enterben
dürfen, stimmen keineswegs im Cap. 4 der Novelle 115 be-
ziehungsweise der Const. 112 des Liber Autenticarum =
Cap. 5 der Const. 107 im Auszuge Julian's und in unserem
Rechtsbuche überein. Es ist nun gewiss in keiner Weise
zu bezweifeln, dass der Inhalt der Novelle die Veranlassung
zu der ganzen Aufzählung gewesen. Ob aber ihr Text selbst,
natürlich nicht die griechische Fassung der veaga dura^ig
Qi€, sondern die lateinische aus einer der damals gang und
gäben Sammlungen, der Const. 112 des Liber Autenticarum
oder aller Wahrscheinlichkeit nach der Const. 107 der Epitome
Juliani, dem Verfasser unseres Werkes vorgelegen, ist hiemit
142 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
noch nicht ausgemacht. Auch der sogen. Brachyl. II Tit. 23
§ 2 enthält die Liste, um die es sich handelt, mit einziger
Ausnahme des Falles vom Eintritte der Kinder in unanständige
Erwerbszweige, welchen sich die Aeltern nicht hingegeben
haben, während auch er so wenig als die Novelle den Fall
der Verschleuderung des halben Vermögens der Aeltern durch
die Kinder kennt. Und hievon abgesehen stossen wir, um
nochmals auf die Reihenfolge zurückzukommen, beispielsweise
auf die Umstellung der §§ 12 und 13 der Novelle in 11 und
10 im Brachylogus ebenso auch in unserem Rechtsbuche :
12 und 11. Nicht minder ist die Stellung des Grundes für
die Enterbung der ungerathenen nicht 25 Jahre alten Töchter
bezeichnend. Während er in der Novelle den § 11 bildet,
ist er im Brachylogus mit vollem Bewusstsein M an den
Schluss des Ganzen gereiht. Ebenda treffen wir ihn im
sogen. Schwabenspiegel als die letzte Ziff. 14. Was endlich
noch den Wortlaut betrifft, sinkt auch bei ihm die Wag-
schale bald zu Gunsten der einen Seite, bald wieder zu
Gunsten der anderen. So hat es den Anschein, dass der
fünfte Grund „ob ein sun sögetäniu dinc üf den vater gesett
hat diu dem vater an den lip gent : ez si danno ein sögetäniu
Sache diu wider dem lande si da sun und vater wonunge
inue hänt, oder \vider den fursten des daz laut isf* mehr
auf dem § 3 der Novelle ,si eos in criminalibus causis ac-
cusaverint, quae non sunt^) adversus principem sive rem-
publicam" beruht, als auf der Fassung des Brachylogus: si
in criminali causa, excepto crimine perdueUionis, eos aecusent.
Beachtet man indessen, dass in unserem Hechtsbuche, wie
sich .später zeigen wird, mit einer gewissen Liebhaberei von
den Glossen zum Brachylogus Gebrauch gemacht ist, so könnte
1) Hoc proprium in filia ob.servanduui : si in contrahcndis nup-
tiis etc.
2) In Julian'.s Auszug: si in criminalibus causis accusator contra
parentes suos exstiterit, exceptis insidiis.
r. Boclihiger: lieber die Benützung des Brachylogtm. 143
das auch hier der Fall sein. Zu dem erwähnten Worte
,perduellionis'' nämlich tindet sich — vgl. Böcking a. a. 0.
S. 216 und uochmal 230 - die Glosse: Cum aliquis molitur
aliquid contra propriam personam imperatoris vel contra
rempublicam. Sie mag vielleicht gerade hier Einfluss geübt
haben. Immerhin aber wird kaum zu läugnen sein, dass
die Ausdrucksweise „wider den fursten des daz lant ist" sich
mehr jener „adversus principem" als der „contra propriam
personam imperatoris" nähert. Umgekehrt liegt beim achten
Grunde wegen Verhinderung der Fertigung des letzten Willens
die kürzere Fassung des Brachylogus ,si parentes testari pro-
hibuerint" der unseres Rechtsbuches „ob der sun den vater
an sinem geschaffte geirret hat" näher als die des § 9 der
Novelle: si convictus fuerit aliquis liberorum ex eo quia
prohibuit parentes suos condere testamentum, ut si quidem^)
postea etc. Dagegen kann bei der Ziff. 9 = § 10 der Novelle
nicht an den Brachylogus gedacht werden, da er so wenig
als Petrus in seinen Exceptiones legum Romanorum ■'^) diesen
§ hat. Auch bei unserer letzten Ziff. 14, welche vorhin
wegen ihrer dem Brachylogus entsprechenden Stellung berührt
werden musste, weist die so bestimmte Beziehung auf 25
Jahre eher anderswohin als auf dessen kurze Fassung: si in
contrahendis nuptiis patris voluntati non consenserit , et
postea more raeretricis stuprata fuerit.
Was dann den Art. 72 über die Freilassung von Leib-
eigenen durch Kinder eines bestimmten Alters mit der Be-
ziehung auf die Lex Aelia Sentia betrifft, ist nicht zu läugnen,
dass man hier an justinianisches Recht zu denken hat, aber
gerade der Wortlaut „Lex Essentia impedit libertatem" deutet,
abgesehen von der Verderbtheit des Namens, welche übrigens
1) Ebendort: si convictus fuerit filius prohibuisse parentes suos
testamentum facere, si quidem illi.
2) Gedruckt im Anhange I des zweiten Bandes in v. Savigny's
Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter S. 321 — 428.
144 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
auch bereits in der Tegernsee -Wiener Handschrift wie in
der vatikanischen und der Breslauer des Brachylogus ^) be-
gegnet, wie auf pr. Inst, qui et quibus ex causis manuniittere
non possunt (I 6) so auch auf Wiedergabe des Brachyl. I
Tit. 6 § 2 : Lex Aelia Sentia impedit libertatem.
Es gestatten hienach diese Beispiele keine untrügliche
Entscheidung, ob der Verfasser des kaiserlichen Landrechts
aus den justinianischen Quellen selbst, insbesondere den In-
stitutionen, und nicht auch aus anderen Schriften über das
römische Recht geschöpft hat.
§ 4.
Drängt sich ja dieser Gedanke bereits beim unmittel-
baren Vorgänger auf, dem Deutschen spie gel.
Schon aus den Anführungen auf S. 129/130 sind die
Spuren des justinianischen Rechts in ihm ersichtlich geworden.
Wohin führt da die nähere Betrachtung?
Ausser Ausatz hat vorerst der S. 136/137 erwähnte Art.
181 bezüglich des unanständigen Betragens der Kaefurnia zu
bleiben, da er nur ars dem Sachsenspiegel II Art. 63 § 1
stammt.
Keinen bestimmten Schluss gestattet die Anführung der
römischen Bezeichnungen Ingenuus Libertinus und Liber im
Art. 62, da sich einmal die Begriffe selbst nicht decken, in-
dem es sich hier um drei Stufen der Freien handelt, während
im römischen Rechte die Ingenui und Libertini nur besondere
Classen der Liberi überhaupt im Gegensatze zu den Servi
sind, anderntheils sich die betreffenden Ausdrücke wie in
den Inst. I Tit. 3 am Schlüsse, Tit. 4 und 5, oder in den
L. 3, 5, 6 u. s. w. Dig. de statu hominum (I 5) auch bei-
spielsweise im Brachylogus I Tit. 3 § 6, Tit. 4 und 5 finden,
oder am Schlüsse des Cap. 3 und im Cap, 4 der oben S. 133
erwähnten Epitome juris civilis zu Tübingen.
1) Vgl. boecking S. 9 Note f.
V. RockitKjer: Ueber die Benützung des Brachylogus. 145
Zweifelhaft ist dann, woher im Art. 11 über die Bürg-
schaft die Beziehung auf den ,maister der haizzet divus
Adrianus, der des lantrechtes vil gemachet hat" gezogen ist.
Kaum aus L. 26 Dig. de fidejussoribus et mandatoribus
(XLVI 1). Nicht aus diesem Titel des Cod. (VIII 4). Aber
auch nicht aus dem Brachylogus III Tit. 10, da er die frag-
liche Andeutung nicht hat.^) Wahrscheinlich wohl aus dem
§ 4 Inst, de fidejussoribus (III 20).
Eigenthümlich ist weiter — vorausgesetzt, dass es sich
hier um römisches Recht handelt — das Verhältniss des
Satzes am Schlüsse eben des Art. 11, dass die Erben eines
Bürgen von der Haftverpflichtung entbunden sein sollen,
wenn das ausdrücklich ausbedungen worden ist. Das findet
sich nicht im § 2 Inst, de fidejussoribus (III 20), auch nicht
im Brachyl. III Tit. 10, wohl aber in Petri Exceptiones legum
Romanorum II Cap. 44.^^)
Ob es nothwendig ist, für den Art. 17 von der Fähig-
keit zur Zeugnissabgabe im römischen Rechte eine Suche
anzustellen, ist fraglich. Merkel hat allerdings den ent-
sprechenden Art. 13 des sogen. Schwabenspiegels als solchen
1) Warum dennoch gerade auf ihn nach S. 126 Merkel Bezug
genommen hat, ist mir nicht genauer bekannt.
Vielleicht hat ihn die Note 1 zu S. 91/92 der Ausgabe Boecking's
dazu veranlasst. Aber der da angeführte Text aus der Heidelberger
Druckausgabe vom Jahre 1570 weicht allenthalben vom wirklichen
Wortlaute des sogen. Brachylogus nicht unbedeutend ab, wie Boecking
selbst in der Einleitung S. CV klar bemerkt: Recensio, quam haec
editio exhibet, haud pauca certe /(STaqpgä^ei atque .-lagaqygdCsi, eandem-
que a genuiuo Brachylogo vehementer recedere atque serioribus demum
temporibus confectam esse ex eo conjici posse videtur, quod aliquotiens
glossarum mentio in ipso textu injecta legitur, satisque frequenter
allegationes, quarum in ceteris codicibus nee vola nee vestigium re-
peritur, interspersae sunt.
2) Fidejussor non tantum ipse obligatur, sed et heredem obli-
gatum relinquit ; nisi speciali pacto heredem non obligandum pro-
misit.
1888. Philos.-pliilol. u. bist. Cl. II. 1. 10
146 Sitzimy der histor. Clnsse vom 2. Juni 1888.
bezeichnet, welcher römisches Recht enthalten solle. ^) Aber
selbst wenn, so entstammt er nicht etwa den justinianischen
Quellen, noch auch dem Brachylogus. Es dürfte wohl eher
an die Exceptiones legum Romanorum des Petrus IV 31
oder insbesondere an einen Ordo judiciarius als Vorlage zu
denken sein.
Ob sodann für den Art. 19 von den Enterbungsgründen
— wieder vorausgesetzt, dass man es hier mit römischem
Rechte zu thun hat — die Cap. 3 und 4 der Const. 112
des Liber Autenticaruni oder die Cap. 3 und 5 in Julian's
Novellenauszug oder der Brachyl. II Tit. 23 vorgelegen, wird
nicht zu entscheiden sein.
Was in den Art. 51 und 52 auf römisches Recht hin-
weist, kann nicht minder als etwa aus dem Titel Cod. de
usucapione transformanda (VII 31) oder aus dem Titel Inst,
de usucapionibus et loiigi temporis possessionibus (II 6) auch
aus dem Brachyl. II Tit. 9 § 3 und G, Tit. 10, Tit. 11 § 8
genommen sein.
Kaum viel anders wird es sich dann bei den Art. 55 — 59a
von der Pflegschaft verhalten. Soweit es sich hiebei um
römisches Recht dreht, wird Berücksichtigung von diesem
und jenem aus den verschiedenen Titelu über die Tutel und
Cura in den Büchern 2ß und 27 der Digesten, den Titeln
13 — 20 im ersten Buche der Institutionen, den Tit. 13 — 18
im ersten Buche des Brachylogus angenommen werden
dürfen.
Betrachten wir ferner die Art. 60 und 61 von den Folgen
der Freilassung der schwangeren unfreien Mutter oder des
während der Schwangerschaft erfolgenden Eintrittes der freien
Mutter in die Hörigkeit auf den Geburtsstand des Kindes
mit der S. 136 berührten Beziehung auf Marcellus = Mar-
ciauus, so kann ebensogut au pr. Inst, de ingenuis (I 4) als
1) Vgl. oben S. 126.
V. Eockinger: Ueher die Bemitzung ileii Brachylogus. 147
an L. 5 § 2 und 3 Dig. de statu honiinum (I 5), weniger wohl
an L. 53 pr. und § 1 Dig. de fideieoiuniissariis libertatibus (XL
5) gedacht werden. Der Braehyl, I Tit. 4 kennt wenigstens
die Beziehung nicht. Wohl aber die oben S. 133 erwähnte
Epitome juris civilis 7,u Tübingen Cap. 4 § 2, welche hier
so'/usagen ganz mit den Institutionen stimmt, nur den Namen
Marcianus als Marcellus gibt, wie übrigens auch mehrfach in
Institutionenhandschriften zu lesen ist.
Beim Art. 63 möchte an Cap. 4 der Const. 36 in Julian's
Novellenauszug 1) oder an den Braehyl. I Tit. 12 § 2*) zu
denken sein. Möglicherweise aber auch gleich an das erste
Cap. de homicidio im 2. Buche der Summa de poenitentia
des Raimund von Peniafort^) gegen den Schluss.
Der Inhalt des Art. 64, ohne die namentliche Bezug-
nahme auf die Lex Aelia Sentia, dürfte mehr den Sätzen des
Tit. qui et quibus ex causis manumittere non possunt Inst.
(l G) als denen des Cap. 2 der Const. 110 in Julian's Novellen-
auszug oder denen des Braehyl. I Tit. 6 § 2 und 3 ent-
sprechen.*)
1) Si quis servum suum aegrotum vel ancillam morbosam con-
tempserit, et nullam curam eis fecerit, necesse est eos liberos esse.
2) [Dominorum potestas solvitur manumissione.] Item si dominus
servum aegrotum contempserit et necessaria non praestiterit.
3) Quid, si pater filium, vel patronus libertum, vel dominus
servum infantem vel etiam adultum sed languidum exponit, vel ei
denegat alimenta? Respondetur, quod hoc ipso filius est a potestate
patria liberatus, et libertus in ingenuitatem et servus in libertatem
transit.
4) Im Capitel von der Manumission der Unfreien im 3. Buche
der Summa de poenitentia des Raimund von Peniafort heisst es:
Minor viginti annorum non potest inter vivos dare libertatem ; Cod.
qui manumittere non possunt (VIT 11), si minor (L 4); in ultima vero
voluntate. Ex quo testari potest: scilicet in quartodecimo anno potest
manumittere; 2 qu. 6 § diffinitiva, vers. item si sententia contra jus
(c. 41 C. II qu. 6) etc.
10*
148 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
Der Art. 65 dem § 2 der Inst, de iis qui sui vel alieni
juris sunt (I 8) oder dem Brachyl. I Tit. 8 § 3.
Alles was berührt worden, fällt in den ersten Theil des
Deutscheuspiegels, Art. 1 — 109, der bereits Umarbeitung des
Sachsenspiegels bis II Art. 12 § 13 ist, nicht mehr blos
mitteldeutsche oder oberdeutsche Uebertragung desselben vc-i
da weg bis an den Schluss.
Im grossen Ganzen möchte demnach hiefür eine nennens-
werthe BenützAuig der Digesten oder des Codex nicht an-
zunehmen sein, wohl .der Institutionen, neben ihnen noch
andrer Schriften über das römische Recht, darunter vielleicht
auch des Brachylogus.
§ 5.
Kehren wir nun zum sogen. Schwabenspiegel zurück, so
ist schon S. 127 bemerkt worden, dass es in ihm nicht an
Stellen feht, bei welchen Benützung der justinianischen
Quellen nicht angenommen werden kann, indem sie
einen derartigen Gedanken ohne weiteres ausschliessen und
jedenfalls zu einem grossen Theile auf ein bestimmtes Werk
hinweisen.
Theilweise Sätze dieses Werkes, theilweise Glossen zu
demselben sind es, welche hier in Betracht kommen.
Das ist übrigens nicht etwa eine neue Entdeckung. Im
Gegentheile hat schon vor nahezu vierzig Jahren Johannes
Merkel im Abschnitte XVI seiner Abhandlung de republica
Alamannorum S. 22 und der dazu gehörigen Note 14 auf
S. 96 mit unzweideutigen Worten von der Benützung des
sogen. Brachylogus juris romani und seiner Glossen^)
1) S. 22 : ex Brachylogo juris civilis ejusque glossis.
S. 96: Com])lure3 loci ex bracliylogo, quem dicunt, juris civilis,
sive „summa novellarum constitutionum Justiniani imperatoris" quam
vocat codex tegernseensis (ed. Boecking praef. LXXXVII), et textu
et glossis excerpti sunt vcrbis ejus aut ipsis Latinis aut Theutisca
versione propositis.
V. Bockinger: Ueber die Benützung des Brachißogus. 14:9
gesprochen. Weiter dann genauer in den Zusätzen zur Ge-
schichte des römischen Rechts im Mittehilter von Karl Friedrich
V. Savigny VII S. 70, woselbst er wiederholt, dass nicht blos
dem Sinne und Inhalte nach, sondern „wörtlich aus Text
und Glossen" die Excerpte genommen seien, und hiebei aus-
drücklich auf alle „lateinischen" im ersten (und zweiten)
Theile eingestreute Fragmente verweist, namenthch nach der
Druckausgabe des Freiherrn v. Lassberg auf die Art. 6, 44,
59, 72, 168 b.
Ohne Zweifel werden näheres hierüber die Quellennach-
weise zum sogen. Schwabeuspiegel enthalten haben, welche
er auf der Grundlage der berührten — aus zwei Hand-
schriften des 13. Jahrhimderts gebildeten — Ausgabe und
des Ambraser Pergamentcodex zu Wien ^) als zweiten Anhang
dortselbst bestimmt hatte. _ Er sollte — wie auf der Schluss-
seite des Werkes genauer bemerkt ist — eine Tabelle ent-
halten, in welcher die nachweisbaren Quellen des vermeintlich
schwäbischen Landrechts verzeichnet sind. Da dieser Anhang
bis zur Stunde nicht an den Tag getreten ist, auch jetzt
wohl kaum mehr auf dessen Erscheinen zu rechnen sein
wird, und er überdiess bei dem Stande der Forschung, wie
sie sich seit dem Auftauchen des Deutschenspiegels gestaltet
hat, theilweise nur mehr von untergeordneter Bedeutung sein
könnte, erübrigt nichts als auf eigene Faust vorzugehen.
§ 6.
Gegenüber dem Deutschenspiegel hat unser Landrecht
noch einen Schritt weiter gemacht, indem es nicht allein in
seinem ersten, vorzugsweise eben auf dem Deutschenspiegel be-
ruhenden Theile, noch anderes eingeschaltet, sondern auch in
seinem zweiten Theile, für welchen es dort nichts weiter als
eine flüchtige Ueber tragung des Sachsenspiegels von Buch II
1) Vgl. a. a. 0. den Schluss des vorletzten Absatzes der Note
4 S. 92.
150 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
Art. 12 § 13 au hatte, das justinianische Hecht berück-
sichtigt hat, wenn auch nicht mehr in dem Umfange wie
von Anfang an der Fall gewesen.
Was nach den bisherigen Erörterungen einfach von dort
herübergewandert ist, wie Art. 6 = Dsp. 11, Art. 13 =
Dsp. 17, Art. 5G und 57 = Dsp. 51 und 52, Art. 68 =
Dsp. 60 und 61, Art. 71 = Dsp. 63, Art. 73 a = Dsp. 65,
Art. 245 = Dsp. 181, kümmert uns nicht mehr. Nur wo
sich etwa Aenderungen bemerkbar machen, welche die un-
mittelbareVerwerthung der justinianischen Quellen ausschliessen
und auf anderweite Schriften als ihre Vorlage deuten, kommt
in Betracht, beispielsweise der S. 137 — 143 erwähnte Art. 15
über die Enterbungsgründe, oder der S. 143—144 angeführte
Art. 72 wegen der besonderen Hindeutung auf die Lex Aelia
Sentia, welche im Deutschenspiegel nicht entgegentritt.
Was gleich den Art. 15 betrifft, schliesst er allerdings
nicht von vorneherein die Möglichkeit der Verwerthung der
Novelle 115 in einer der damals vorhandenen Sammlungen
aus. Sie bleibt natürlich im Ganzen immer die Hauptquelle.
Aber es hat sich bereits ergeben, dass die Umstellung der
§§ 12 und 13 der Novelle in 11 und 10 im sogen. Brachy-
logus auch ebenso in unserem Rechtsbuche begegnet: 12
und 11. Bildet dann der § 11 der Novelle im Brachylogus
den Schluss, so findet sich das wieder so im sogen. Schwaben-
spiegel. Und nicht blos das. Auch der Wortlaut führt da
und dort wohl mehr auf die Annahme der Benützung
eben auch des Brachylogus.
Auf das bestimmteste tritt das sodann im Art, 44 hervor.
In ihm heisst es: Jus civile est quod unaquaeque civitas sibi
ipsi constituit. Vergleicht man hiemit § 1 Inst, de jure
naturali etc. (1 2), so steht da folgendes: C^uod quisque po-
pulus ipse sibi jus constituit, id ipsius civitatis proprium est,
vocaturque jus civile, quasi jus proprium ipsius civitatis. Auf
denselben Wortlaut stossen wir auch im § 0 Dig. de justitia
c. Bockingcr: Ueber die Benützung des Brachylogus. 151
et jure (I 1). Weiter findet sich am Schlüsse des Artikels
eine lange lateinische Stelle, welche entweder aus diesen oder
jenen Glossen gezogen sein mag oder auch gleich anders-
woher stammt. Sie lautet, theilweise handschriftlich nicht
unbedeutend verderbt : Id magis erat, ut — cum aliqua nova
causa interveniente necessitas ingrueret constituendae legis —
consules eam inprimis ut dictarent, et quod dictasset pro lege
tenendum esse populum interrogarent congregatio cum, et
populus, si sibi placebat, sua auctoritate confirmabat. Similiter
et verbum plebis. Magistrata est quicumque propriam juris-
diccionem habeat. Sed diffusa cousuetudinis jus esse putatur
ut qui voluntate omnium, sine lege, voluntas comprobaverit.
Item vel consuetudinis et cetera. Sehen wir uns nun bezüg-
lich der berührten Fälle beispielsweise im Brachylogus um,
so finden wir den vollständigen Wortlaut der ersten Stelle
im Buch I Tit. 2 § 3 : Jus civile est quod unaquaeque civitas
sibi ipsi *) constituit. Was die andere betrifft, ist sie nichts
als eine Zusammenschweissung von Glossen eben zum Brachy-
logus, wie sie in der vatikanischen Handschrift aus dem
Nachlasse der Königin Christine von Schweden Num. 441
begegnen : zu den Worten Lex und Magistratu von Sätzen^)
des Buches 1 Tit. 2 § 6, sodann zu dem Worte Consuetudinis
in einem Satze ^) des § 12 dortselbst. Die erste Glosse*) sagt
da: Id moris erat, ut — cum aliqua nova causa interveniente
necessitas ingrueret constituendae legis — consules eam in-
primis dictarent, et ut cum quid dictaverant pro lege tenendum
est populum interrogarent congregandum, et populus, si sibi
1) Boeckingf, S. 3: ipsa. Die gleich zu erwähnende vatikanische
Handschrift: ipsi.
2) Lex est quod populus ronuinus constituit, senatorio magistratu,
veluti consule, inteiTOgante.
3) Nam consuetudinis ususque longaevi non levis est auctoritas,
verum non adeo u. s. w.
4) Boecking, S. 2U1 zu S. 3 Z. 13.
152 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
placebat, sua auctoritate adhibita confirmabat. Similiter et
tribuni plebis. Die zweite^) bemerkt: Magistratus est qui-
cunque propriam jurisdictionem habet. Die dritte*) endlich
lautet: Secundum TuUium eonsuetudinis jus esse putatur id
quod voluntate omnium, sine lege, voluntas comprobaverit.
Item eonsuetudinis jus est quod aut leviter a natura tractum
u. s. f. Man mag einen Zweifel hegen dürfen, ob die latei-
nischen Stellen, wovon die Rede ist, wirklich schon ursprüng-
lich dem Texte unseres Rechtsbuches angehören, ob sie nicht
vielmehr etwa Randbemerkungen gewesen sind, welche nur
bei der Abschriftnahme mit in den Text selbst herüberge-
nommen worden sind, freilich gleich vom Anfang an, da sie
sich in den ältesten Handschriften finden, erst nachträglich
da und dort mehr oder weniger entfernt worden sind; zu-
nächst aber ist das, wovon später noch eigens zu sprechen
ist, für die Frage, welche uns beschäftigt, nicht von Be-
deutung. Findet sich im § 9 Inst, de jure naturali etc. ^)
(I 2) das Wort Consuetudo gar nicht, zu welchem die 'be-
rührte Glosse gehört, so kann der Verfasser des sogen. Schwaben-
spiegels den Text der Institutionen nicht vor Augen gehabt
haben. Hat er sich aber diese Glosse bemerkt, die eben zu
dem Worte Consuetudo des Brachylogus gehört, so hat er
ihn zu Händen gehabt, und zwar in einem Exemplare, das
wie mit den schon berührten so auch mit dieser Glosse ver-
sehen gewesen. Es wäre allerdings hier vielleicht der Gedanke
nicht ausgeschlossen, dass diese Glosse auch anderswoher
genommen sein könne. Das mag sein. Allein der ganze
Zusammenhang, die unmittelbare Aufeinanderfolge der ersten
beiden Glossen in wenigstens einer der bisher bekannt ge-
wordenen Handschriften des Brachylogus zu I Tit. 2 § G und
1) Ebendort, S. 201 zu S. 3 Z. 14.
2) Ebendort, S. 202 zu S. 6 Z. 2.
3) Ex non scripto jus venit quod usus comprobavit. Nani diu-
turni mores consensu utentiura coinprobati legem imitantur.
V. Bockinger: Ueber die BeniUzunfi des Brachylogus. 153
dann sogleich — da Berührungen wie des Seuatus consultum,
der Responsa prudentum, der Magistratuum edicta für den
sogen. Schwabenspiegel nicht in Betracht kamen — zu § 12
weist doch ungleich mehr dahin, dass es sich, wenn die
vorhergehenden lateinischen Stellen gerade Glossen zu dem
berührten Tit. 2 des ersten Buches des Brachylogus ent-
nommen sind, auch diejenige, welche in Rede steht, gleich
daraus gezogen wurde, als dass sie anderswoher stammt.
Uebrigens ist auch der Art. 44 nicht der einzige, welcher
mit solchem Gewichte in die Wagschale fällt. Im Art. 59
von den Vormündern findet sich die lateinische Stelle: Quod
si periit aliquid de rebus quae sunt in ejus tutela dolo vel
negligentia tutoris, tutorem emendare oportet. Genau so
lesen wir in der Glosse zu den Worten ,rem pupilli salvam
fore" im § 5 des Tit. 14 des ersten Buches des Brachy-
logus. Vgl. Boecking, S. 207 zu S. 24 Z. 8.
Ist der Art. 72 eigentlich nur aus dem Deutschenspiegel
herübergenommen, ist er aber doch S. 150 als zur gegen-
wärtigen Untersuchung fallend erwähnt worden, so liegt der
Grund hiefür darin, dass sich in ihm gegen den Schluss
wieder eine lateinische Stelle findet, welche der Deutschen-
spiegel nicht kennt: Lex Essentia impedit libertatem. Wie
bereits S. 143/44 berührt worden, ist sie wörtlich aus pr. Inst,
qui et quibus ex causis manumittere non possunt (I 6) oder
aus dem Brachylogus I Tit. 6 § 2 genommen. Ob auch in
richtiger Beziehung, ist eine andere Frage, die uns aber hier
nicht näher berührt.
Darf man den Art. L 73 II = W 369, in Handschriften
einer aus sehr früher Vorlage gezogenen sozusagen systema-
tisch geordneten Gestalt des sogen. Schwabenspiegels und den
alten daraus hergestellten Drucken vorfindlich, als einen ur-
sprünglichen erst später ausgefallenen betrachten, so würde
auch der sogleich folgende § 4 des Brachyl. I Tit. 6 zur
Benützung gelangt sein.
154 Sitzung der Mstor. Classe vom 2. Juni 1888.
Weiter ist sodann aus dessen § 6 der Art. 73 b unseres
Rechtsbuches gebildet.
Fällt das alles in den ersten Tht.il desselben, so begegnet
ähnliches auch im zweiten.
Da lautet der Art. 168 b: Sanctum est quod sanctioni
subnixum est, veluti muri et portae civitatis. Unde et capite
puniuntur qui ea sine magistratus competentis pennissione
dolo nialo — id est voluntarie, cum nullam justam causam
corrumpendi habuerint. Und es ist interessant, wie hier der
Text des Brachyl. 11 Tit. 1 § (3 gleich wieder mit einer Glosse
zu demselben verbunden ist. Der erwähnte § 6 nämlich hat
folgenden Wortlaut: Sanctum est quod sanctione quadam
subnixum est, veluti muri et portae civitatum. Unde et capite
puniuntur qui ea sine magistratus competentis permissione
dolo malo corruperint. Zu den Worten „dolo malo'' nun
findet sich die Glosse : id est voluntarie, cum nullam justam
causam corrumpendi habuerit. Boecking a. a. 0. S. 209 zu
S. 30 Z. 14. Bei Gelegenheit dieser Verknüpfung der Glosse
mit dem Texte ist denn auch dessen Hauptverbum „corru-
perint" verduftet.
Hienach kann keinem Zweifel unterliegen, dass in den
beiden ersten Theilen unseres Landrechts eine ausgiebige
Benützung des sogen. Brachylogus und der Glossen
zu demselben, wie sie unter seinen bisher bekannten Hand-
schriften in der Nr. 441 Reginae Sueciae in der Bibliothek
des Vatikans ^) begegnen, stattgefunden hat.
1) Ihre ursiMÜngliche Heimat ist nicht bekannt. Oh das Kloster
Flcury bei Orle'ansV Wenif^stens äussert Haenel in der Kinleitung
zu seiner Ausgabe der Lex roiiiana Visifjothorum S. XXVII in Note 53:
Inter Codices, qui ex monasterio Floriacensi proveniunt, videntur,
praeter Tilianum Codicis Theodosiani exemplum, omnea illi veteris
iuris Codices fuisse, qui nunc in bibliotlieea Vaticana inter libros
Reginae Sueciae asservantur.
Nach gütiger Mittheilung des Ilcnn Heuer scheint der in der
i'. Bockinger: üeber die Benützung des Brachylogus. 155
§ 7.
Diese Erscheinung, an sich ebenso merkwürdig als
wichtig, regt nun aber auch noch eine besondere Frage an.
Es ist doch gewiss nicht anders denn als auffallend zu
bezeichnen, dass ein Rechtsbuch, welches — vgl. oben S. 125/20
— beabsichtigt hat, das in Deutschland geltende ge-
meine Recht zu lehren, seinem Texte hier und dort latei-
nische Stellen einmischt. Und es wird das um so mehr
auffallend erscheinen müssen, da diese Stellen keineswegs
als nothwendig für den Text betrachtet werden können,
theilweise ihn sogar in lästiger Weise unter-
brechen.
Man wende nicht ein, dass man auch sonst als an den
berührten Orten auf lateinische Stellen stosst. So beispiels-
weise gleich in dem erhebenden Vorworte : Wir suln mit
vride und mit süne under ein ander leben. Daz hat unser
herregot gar unmaeziclichen liep. Wan er kom selbe von
himelrich üf ertriche durch anders niht wan durch den rehten
vride, daz er uns einen vride schüfi'e vor des tiuvels gewalte
unde vor der ewigen marter, ob wir selbe wellen. Und da
von sungen die engel ob der crippe: Gloria in excelsis Deo,
et in terra pax hominibus bonae voluntatis : din ere, herre,
in dem himel, vrid üf der erde allen den die gutes willen
sint. Und unser herre sprach alle zit ze sinen jungern do
er mit in üf ertriche gie so waz daz sin ellich grüz und
sin wort : Pax vobis. Daz sprichet ze tüte : vride si mit iu.
Und also sprach er alle zit ze sinen jungern und ze andern
lüten. Hier haben wir es sozusagen mit Predigtausdrücken
zu thun, welche allgemein bekannten Bibelstellen entsprechen,
die auch gewöhnlichen Leuten im lateinischen Wortlaute der
fraglichen Handschrift von Fol. 46a— 47b befindliche Heiligenkalender
entschieden auf die Diöcese Auxerre hinzuweisen. Vgl. die Abhand-
lungen unserer Classe XVIH Ö. M9 Note 2.
156 Sitzung der histor. Classe mm 2. Juni 1888.
heiligen Schriften nicht ungeläufig waren. Zudem ist einfach
gleich die deutsche Uebersetzung daran geknüjjft.
Auch ein anderes Beispiel aus dem Rechtsbuche hat
nichts Besonderes. Im Art. 70b lesen wir: Ingenuus daz
sprichet in latine die höhsten vrien. Libertinus daz sint
mittervrien. Liber die sint lantsaetzen vrien. Um was handelt
es sich da ? Lediglich um eine Gegenüberstellung lateinischer
und deutscher Ausdrücke, wie ja deutlich genug aus dem
Sätzchen „daz sprichet in latine" hervorgeht. Von einer
längeren Unterbrechung des Textes ist da keine Rede.
Das aber tritt bei den Stellen ein, wovon die Frage ist.
Sie stehen mit dem Texte des Rechtsbuches selbst
in keinem näheren, geschweige denn gar noth-
wendigen Zusammenhange.
Es mag da sogleich der erste der selbständigen Artikel
desselben reden, Art. 44 über das Gewohnheitsrecht. Was
hat hiemit die lange lateinische Stelle am Schlüsse, wovon
bereits S. 151/152 gesprochen worden ist, zu thun? Nicht das
mindeste. Und wie steht es um die andere lateinische Stelle
bald nach dem Eingange ? Gütiu gewonheit — heisst es
da — ist als gut als geschriben reht. Daz bewsert disiu
Schrift. De jure scripto et non scripto. Jus civile est quod
unaquaeque civitas sibi ipsi constituit. Daz heizzet burger
reht, swaz ein iglich stat ir selber ze rehte sezzet mit ir
kunges oder mit ir fursten willen unde mit wiser lüte rate
unde als reht si unde als hie vor u. s. w. Zunächst möchte
man bei dem Satze „De jure scripto et non scripto" an die
Anführung irgend welcher Ueberschrift eines Artikels oder
Capitels da oder dort denken, in welchem die dann folgende
Stelle enthalten gewesen. Aber eine dergleichen Ueberschrift
findet sich in den nächsten Quellen unseres Rechtsbuches
nicht, nicht in den Institutionen, nicht im sogen. Brachy-
logus, auch nicht in der oben S. 133 erwähnten Epitome
juris civilis zu Tübingen. Zudem kann es ja in dem Artikel
V. Bockinger : Ueber die Benützung des Brachylogus. 157
über das Gewohnheitsrecht doch nicht um das geschriebene
Recht besonders 7ai thun sein, dessen Begriff eben als selbst-
verständlich vorausgesetzt ist, wenn es heisst, dass gute
Gewohnheit dieselbe Geltung hat wie geschriebenes Recht.
Ganz anders gestaltet sich die Sache, wenn man den Text
ohne die lateinische Stelle überhaupt oder jedenfalls wenig-
stens ohne den Satz „De jure scripto et non scripto" in's
Auge fasst. Dann heisst es : Gütiu gewonheit ist als gut
als geschriben reht. Daz bewa3rt disiu schrift. [Jus civile
est quod unaquaeque civitas sibi ipsi constituit.] Daz heizzet
burger reht, swaz ein iglich stat ir selber ze rehte u. s. w.
Jetzt läuft der Zusammenhang ohne jede sonderbare Störung
bis an den Schluss des deutschen Textes des Artikels fort,
zu welchem auch, wie schon bemerkt, die lange latei-
nische Stelle am Ende nicht passt. Hienach liegt es doch
gewiss nicht ferne, sich das eigentliche Verhältniss so vor-
zustellen, dass ursprünglich nur die Fassung in deutscher
Sprache vorgelegen ist, dass aber am Rande lateinische Be-
merkungen gestanden sind, welche dann bei der Abschrift-
nahme, so gut es eben ging, mit in den Text aufgenommen
wurden. Auf solche Weise wird auch der Satz ,De jure
scripto et non scripto" nichts auffallendes mehr haben. Es
ist eben hiebei nicht an irgendwelche besondere Ueberschrift
zu denken, sondern es ist einfach der Unterschied zwischen
geschriebenem und Gewohnheitsrechte, von welch letzterem
der Artikel handelt, nicht aus einer bestimmten Quelle, sondern
lediglich zur allgemeinen Kennzeichnung des Unterschiedes
mit dieser kurzen für solchen Zweck vollkommen genügenden
Selbstbemerkung an den Rand gesetzt gewesen.
Was dann die lateinische Stelle gleich nach dem Beginne
des Art, 59 betrifft, steht sie gleichfalls ausser allem Zu-
sammenhange mit dem Texte des Artikels über die Eigen-
schaften der Vormünder. Ohne Zweifel war sie eben wieder
zu irgend welchem Behufe an den Rand bemerkt, und ist
von da bei der Abschriftnahme in den Text gerathen.
158 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
Bei solcher Annahme erklärt sich auch das Verhältniss
der Stelle über die Lex Aelia Sentip im Art. 72 ganz einfach.
Bildet sie den Schluss zu §2^) im Brachyl. I Tit. 6 un-
mittelbar vor dem § 3 '-*) desselben, so konnte sie leicht
gerade auf diesen bezogen und so an den Rand geschrieben
werden, wovon sie seinerzeit auch in den Text wanderte.
Nicht minder löst sich dann von selbst wieder die An-
führung im Art. 168 b als lediglich eine Randstelle zu dem
Inhalte des Art. 169, mit welchem er auch häufig in den
Handschriften verbunden ist.
Man wird hienach nicht umhin können, bei der Be-
trachtung der lateinischen Stellen unseres Rechtsbuches
zur Ueberzeugung zu gelangen, dass sie nicht gleich an-
fänglich einen Bestandtheil seines Textes gebildet
haben, sondern erst bei der Abschriftnahme in den-
selben miteingesetzt worden sind, allerdings wohl gleich
bei den ersten Reinschriften aus der Arbeit des Verfassers,
denn gerade die ältesten Handschriften enthalten die-
selben schon.
§ 8-
Kehren wir nach dieser Abschweifung wieder zum
Deutschenspiegel und sogen. Schwabenspiegel zurück, wie
wird die Frage nach den Quellen der in ihnen hervor-
tretenden römischrechtlichen Bestimmungen zu be-
antworten sein?
Was den Deutschenspiegel betrifft, zeigt sich in
seinem ersten aus dem Sachsenspiegel schon überarbeiteten
Theile an verschiedenen Orten Bekanntschaft mit dem justi-
nianischen Rechte. Für unmittelbare Benützung der Digesten
1) Qui in fraudem creditoris consilio et re manumittit, nihil
agit, quia lex Aelia Sentia — vgl. hiezu S. 143/144 u. 147 mit der
Note 4 — impedit libertatem.
2) Item impubes manumittere non potest.
V. Rocl'inger: Ueber die Benützung des Brachylogus. lö<'
und des Codex liegen keine irgendwie verlässigen Anhalts-
punkte vor. Ob beim Art. 19 ohne weiteres an Verwerthung
der Novelle 115 ans einer der damals vorhanden gewesenen
Sammlungen eben der Novellen gedacht werden darf, ist
zweifelhaft. Dagegen wird nicht in Abrede zu stellen sein,
dass dem Verfasser die Institutionen vorgelegen sind. Mag
er daneben noch dieses oder jenes Hand- und Hilfsbuch über
römisches Recht benützt haben, darunter auch etwa den
Brachylogus, ein untrüglicher Anhaltspunkt gerade für ihn
s;teht nicht zu Gebot.
Beim sogen. Schwabenspiegel hat schon Merkel
die Benützung der Digesten und des Codex nicht für aus-
gemacht crehalten. sondern an bereits erwähntem Orte S. 96
in Ziff. 14 geäussert: num Digesta et Codex Justiniani pro
fontibus Speculi aestimari possint, discernere nolui, pauca
enim exempla similitudinis tantum, non derivationis inveni-
untur. Auch für die Verwerthung der Novelle 115 lediglich
aus einer der damals gang und gäben Novellensammlungen,
etwa aus dem Liber Autenticarum oder aus Julians Novellen-
auszug, liegt ein bestimmt entscheidender Grund keineswegs
vor. Dagegen ist nicht zu bestreiten, dass der Verfasser
unseres Rechtsbuchs die Institutionen nicht allein genauer
gekannt hat, wie er sie ja in der geschichtlichen Einleitung
— vgl. oben S. 124/25 — ausdrücklich erwähnt, sondern dass
er von ihnen auch da und dort im ersten wie im zweiten
Theile unmittelbar Gebrauch gemacht hat. Kein Zweifel
ist endlich nach der Ausführung in § 6 darüber, dass er —
und hievon war ja eben vorzugsweise zu handeln — den
sogen. Brachylogus mit Glossen zu demselben in einer Hand-
schrift von der Gestalt der vatikanischen Reg. Suec. 441 bei
seiner Arbeit zu Händen gehabt.
160 Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
Herr v. D ruf fei hielt einen Vortrag:
„Ueber L uther's Bri ef an C hurs achsen und
Hessen wegen des gefangenen Herzogs von
Braun schweig."
Derselbe wird später in den Sitzungsberichten gedruckt
werden.
Herr Stieve hielt einen Vortrag:
„Ueber die Witteis bach er Briefe".
Derselbe wird in den Abhandlungen veröffentlicht werden.
161
Verzeichniss der eingelaiifeiuni Driiclischriffen
Januar bis Juni 1888.
Die verehrlichen Gesellschaften und Institute, mit welchen unsere Akademie in
Tausch verkehr steht, werden gebeten, nachstehendes Vei-zeichniss zugleich als Empfangs-
bestätigung zu betrachten. — Die zunächst für die mathematisch-physikalische Classe
bestimmten Druckschriften sind in deren Sitzungsberichten 188S Heft 3 verzeichnet.
Von folgenden Gesellschaften und Instituten:
Societe d'emulation in Abbeville.
Memoires. 3e Serie. Vol. 4. 1887. 8°.
Südslavische Akademie der Wissenschaften in Agram:
Rad. Bd. 83 Theil 2. Bd. 85 u. 86. 1887. 8».
Monumenta spectantia historiam Slavorum nieridionalium. Vol. 18.
1887 8*^
Starine. Bd". XIX. 1887. 8°.
Ljetopis. 1887. 8°.
Archäologische Gesellschaft in Agram:
Viestnik. Bd. X. Heft 1. 2. 1888. 8".
Geschichts- und alterthumsforschende Gesellschaft des Osterlandes
in Altenburg:
Mittheilungen. Bd. IX. Heft 2—4. 1884—87. 8°.
Societe des Antiquaires de Picardie in Amiens:
Memoires. 3e Serie, tom. IX. Paris 1887. 8°.
Bulletin. 1886 Nr. 3. 4. 1887 Nr. 1. Amiens 1887. 8».
Peabody Institute in Baltimore:
21. annual Report. June 7. 1888. 8".
Historischer Verein in Bamberg:
49. Bericht für d. J. 1886 und 1887. 1888. 8«.
1888. Philos.-i.liilol. u. hist. Cl. II. 1. 11
162 Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften.
Historische und antiqp .irische Gesellschaft in Basel:
Beiträge zur vaterländischen Geschichte. N. F. Bd. II. Heft 4. 1888. 8°.
Universitäts-Bihliotheh in Basel:
Schriften der Universität v. J. 1887/88. 4" und S».
Bataviaasch Genootschap van Künsten en Wetenschappen in Batavia:
Nederlandisch-Indisch Plakaatboek 1602-1811, door Van der Chijs.
Deel IV. 1887. 8».
Notulen. Deel XXV, aflev. 3. 1887. 8°.
K. Preussische Akademie der Wissenschaften in Berlin:
Corpus inscriptionum latinarum. Vol. XIV. 1887. Fol.
Corpus inscriptionum atticarum. Vol. IV. part. I. fasc. 2. 1887. Fol.
Sitzungsberichte 1887. Nr. 40-54. gr. 8". ^ ^
Politische Correspondenz Friedrich des Grossen. Bd. XV. 1887. 8 .
Kaiserlich deutsches archäologisches Institut in Berlin:
Jahrbuch. Bd. II. Heft 4. Bd. III. Heft 1. 1888. 4P.
Antike Denkmäler. Bd. 1. Heft 2. 1888. Fol.
Verein für Geschichte der Mark Brandenburg in Berlin:
Forschungen zur Brandenburgiachen und Preussischen Geschichte.
Bd. I. 1. Hälfte. Leipzig 1888. 8».
Societe d'emulation du Douhs in Besangon:
Me'moires. VI. Ser. Vol. I. 1886. 1887. 8".
B. Accademia delle Scienze delV Istituto di Bologna:
Memoric. Ser. IV. Tom. VII. 1886. 4».
Universität Bonn:
Schriften a. d. Jahre 1887. 4« und 8«.
Verein von Alterthumsfreuvden im Eheinlandc zu Bonn:
Jahrbücher. Heft 84 u. 85. 1887—88. gr. 8".
Aeademie Boyale des Sciences in Brüssel.
Annnaire. 54e annee. 1888. 8°.
Bulletin. 56« annee. 3° Ser. tom. 14. Nr. 12. 57e annee. 3« Ser. tom. 15.
Nr. 2. 3. 4. 1887—88. 8".
Academia Bomana in Bucarest:
Miron Costin, Opere complete. Tom. 2. 1888. 8".
Psaltirea in verauri intocmita de Dosofteiu 1071 — 1686, publ. de J.
Bianu. 1887. 8°. ^^ ^ ^
Etymologicum magnum Womaniae. Tom. Tl. Fasc. 2. 1888. 4 .
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften. 103
K. Ungarische Akademie der Wissenschaften in Budapest:
Ungarische Revue. 1888. Heft 1—6. 8°.
Asiatic Society of Bengal in Calcutta:
Bibliotheca Indica. New. Ser. Nr. 623—637. 1887. 8«.
Proceedings. 1887 Nr. 9. 10. 1888 Nr. 1. 1877—88. 8<*.
Journal. Nr. 276. 278—80. 1887—88. 8".
Histarischer Verein in Darmstndt:
Quartalblätter. Jahrg. 1887. Nr. 1—4. 1887. 8".
Verein für Anhaltische Geschichte in Dessau:
Mittheilungen. Bd. V. Heft 2. 3. 1887—88. 8«.
Academie des Sciences in Dijon:
Memoires. 3^ Ser. Tom. IX. 1887. 8°.
Bibliographie Bourguignonne. Supplement. 1888. 8".
Verein für Geschichte der Baar in Donaueschingen:
Schriften. Heft 6. 1888. Tübingen. 8".
Carl Friedrichs Gymnasium in Eisenach:
Jahresbericht für d. J. 1887/88. 1888. 8°.
Verein für Geschichte und AUerthümer der Grafschaft Mansfeld
in Eisleben:
Mansfelder Blätter. 1. Jahrg. 1887. 8«.
Biblioteca nazionale centrale in Florenz:
ßollettino delle publicazioni italiane. 1887 Nr. 46—48. 1888 Nr. 49
—60. Indici Bogen 1—11 und Tavola sinottica del 1887.
1887-88. 80.
Verein für Geschichte zu Frankfurt alM.:
Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst. 3. Folge. Bd. 1. 1888. 8°.
Inventare des Frankfurter Stadtarchivs. Bd. 1. 1888. 8°.
Kirchlich historischer Verein für Geschichte in Freiburg i. B.:
Freiburger Diöcesan-Archiv. Bd. XIX. 1887. 8°.
Historischer Verein „Schau-ins-Land" in Freiburg i. B. :
,Schau-ins-Land'. 13. Jahrlauf. 1888. Lief. 3. 4. Fol.
Institut national in Genf:
Bulletin. Tom. 28. 1888. 8».
164 Verzeichniss der cimjelaiifeHen Druckschriften.
Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz:
Neues Lausitzisches Magazin. Bd. 63. Heft 2. 1888. 8".
K. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen:
Göttingische gelehrte Anzeigen. 1887 Nr. 21—26. 1888 Nr. 1—13. gr. 8°.
Beilage: F. Wüstenfeld. Die Mitarbeiter an den Göttingor gelehrten
Anzeigen. 1887. gr. 8'^.
Abhandlungen. Bd. 34. 1887. 4".
Lehensversichertingsbank für Deutschland zu Gotha:
Die Stellung der Lebensversicherungsbank für Deutschland zu Gotha
zu der Frage der Kriegsversicherung. 1888. 8''.
59. Rechenschaftsbericht f. d. J. 1887. 1888. 4».
Fürsten und Landesschule in Grimma:
Jahresbericht f.' d. .J. 1887/88. 1888. 4°.
K. Instituut voor de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-
Indie im Haag :
Bijdragen to de taal-, land- en volkenkunde van Nederlandsch-Indiö.
V. Reeks. Deel III. afl. 1. 2. 3. 1888. 8°.
Reis in Oost- en Zuid-Borneo door Carl Bock. 1887. i^.
Deutsche morgenländische Gesellschaft in Halte a/S. :
Zeitschrift. Bd. 41. Heft 4. Bd. 42. Heft 1. Leipzig 1887—88. 8°.
Universität in Halle ajS. :
Schriften a. d. .J. 1887/88. 4° und 8».
Verein für Hamburgische Geschichte in Hamburg :
Mittheilungen. 10. Jahrg. 1887.
Zeitschrift. N. F. Bd. V. Heft 2. 1888. 8".
Historischer Verein für Niedersachsen in Hannover:
Zeitschrift. Jahrg. 1887. 8°.
Verein für siebenbürgische Landeskunde in Herrmannstadt:
Archiv. N. F. Bd. XXI. Heft 3. 1888. 8°.
Historischer Verein in Ingolstadt:
Saramelblatt. 13. Heft. 1888. 8".
Ferdinandeum in Innsbruck :
Zeitschrift. 3. Folge. Heft 31. 1887. 8».
Vcrzeichniss der cinfielaufenen Druckschriften Hio
Universität in Kieiv :
Iswestija. Bd. XXVU. Nr. 10-12. Bd. XXVIII. Nr. 1-5. 1887-88. 8".
Landesmuseum in Kärnthcn zu Klagen fürt:
Carinthia. Jahrg. 77. 1887. S».
Universität in Königsberg:
Schriften der Universität a. d. J. 1887 und 1888. 4° und 8».
K. Akademie der Wissenschaften in Kopenhagen:
Oversigt. 1887. Nr. 2. 3. 1888. Nr. 1. 1887—88. 8».
Skrifter. Historik Afdel. Vol. II. Nr. 1. 1888. 4*^.
Gesellschaft für Nordische Alterthumskunde in Kopenhagen:
Memoires. Nouv. Ser. 1887. 8°.
Aarböger. 1887. II. Raekke. Bd. II. Heft 4. Bd. 111. Hett 1. 1887
—88. 80.
Akademie der Wissenschaften in Krakau:
Rocznik (Jahrbuch). Rok 1886. 1887. 8".
Pamietnik (Abhandlungen). Philolog. bist. Classe. Bd. VI. 1887. 4".
Rozprawij (Sitzungsberichte).
a) histor. philos. Classe. Bd. 19. 20.
b) philolog. Classe. Bd. 12. 1887. 8".
Monumenta medii aevi. Tom. X. 1887. 4^.
Scriptores reruni Polonicarum. Tom. XI. 1887. 8".
Acta historica. Tom. IX. X. XI. 1886—87. 4«.
Carmina Pauli Crosnensis. 1887. 8".
Historyja Stuki. Tom. III, 4. 1887. 4".
Malinowski, ModHtwy Wactawa. 1887. 8".
K. Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig:
Berichte der philol .-historischen Classe. 1887 Nr. 4. 5. 1887. 8'>.
Abhandlungen der philologisch-historischen Classe. Bd. X. Nr. 8.
1888. 4".
Museum Francisco-Carolinum in Linz:
46. Bericht. 1888. 8".
Katholische Universität in Lötven:
Annuaire. 1888. 8°.
Revue catholique. Tom. 54. 1883. (12 Hefte). 1883. 8".
Adolphus Hebbelynck, De auctoritate libri Danielis dissertatio. 1887. 8".
J. de Costes, La problemc de la tinalite. 1887. 8".
K. Universität in Lund:
Acta Universitatis Lundensis. Tom. XXIII. Nr. 1—3. 1887—88. 4«.
166 Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften.
Beul Acaäemia de la historia in Madrid:
Boletin. Tomo XL cuad. 6. Tomo. XII. cuad. 1—5. 1887—88. 8°.
Biblioteca nazionale di Brera in Mailand:
Archivio storico Lombardo. Serie II. Anno XV. Fase. 1. 1888. 8*^.
Verein für Geschichte der Stadt Meissen in Meissen:
Mittheilungen. Bd. IL Heft 1. 1887. 8'\
Academie in Mets:
Memoires. Ile Periode 66^ annee 1884—85. 1888. 8°.
Academie des sciences et Icttres in Montpellier:
Memoires. Section des lettres. tom. VIII. 1. 1887. 4°.
Musees Public et Boumiantzow in Moskau:
Description systematique des collections du Musee Ethnographique
Daschkow. Livr. 1. 1887. 8°.
Catalogue de la section des Gravures. Livr. 1—4. 1888. 4°.
Recueil de materiaux pour Tethnographie. Livr. 3. 1888. 8".
Historischer Verein München :
Bericht bei der Feier des 50jährigen Bestehens. 1888. 8".
Technische Hochschule in München:
Personalstand. Sommer-Semester 1888. 8^.
K. Universität in München:
Verzeichniss der Vorlesungen. Sommer-Semester 1888. 4°.
Amtliches Verzeichniss des Personals. Sommer-Semester 1888. 8*^.
Kaufmännischer Verein in München:
14. Jahresbericht 1887—88. 8«.
Verein für Geschichte und Alterthumskunde Westfalens in München:
Zeitschrift für vaterländische Geschichte. Bd. 45. 1887. 8".
Academie de Stanislas in Nancy:
Memoires. 5. Se'rie. tom. 4. 1887. 8°.
Reale Academia di scienze morali e politiche in Neapel:
Atti. Vol. XXI. XXII. 1887-88. 8».
Rendiconti. Anno 1887. 8".
Historischer Filialverein in Neuburg:
Kollektaneen-Blatt. 51. Jahrg. 1887. 8°.
American Oriental Society in New-Haven:
Proceedinga at Baltimore. Oct. 1887. S*'.
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften. 1G7
Astor Library in Nerc-Yorh:
39. annnal Report, for the year 1887. 1888. 8».
Germanisches Museum in Nürnberg:
Anzeiger. Bd. II. Heft 1. Jahrg. 1887. 8^
Mittheilungen. Bd. II. Heft 1. Jahrg. 1887. 8".
Katalog der im germanischen Museum befindlichen vorgeschichtlichen
Denkmäler. 1887. 8".
TJie English Historical Review in Oxford:
Review. Nr. 9 and 10. January and April 1888. 8".
Ministere de VInstruction publique in Paris:
Catalogue des monnaies musulmanes de la Bibliotheque nationale,
publie par ordre du Ministre de rinstruotion publique par
Henri Lavoix. 1887. 8".
Collection des anciens alchimistes grecs, publiee sous les auspices du
Ministere de Tlnstruction publique par M. Berthelot. Livr. I.
1887. 40.
Musee Guimet in Paris:
Annales du Musee Guimet. Tom. X. 1887. 4".
Revue de l'histoire des religions. Tom. XV. Nr. 3. Tom. XVI. Nr. 1. 2.
1887. 8°.
Securitä dans les theatres par M. Emile Guimet. Lyon 1887. 8°.
Revue historique in Paris:
Revue historique. 13" annee. tom. 3G. Nr. 1. 2. tom. 37. Nr. 1. 2.
Janvier— Aoüt 1888. &\
Deuxieme Table generale 1881—85. 1887. 8°.
Academie Imperiale des Sciences in Petersburg:
Mämoires. Tom. XXXV. Nr. 8—10. 1887. Fol.
Historical Society of Pennsylvania in Philadelphia:
The Pennsylvanian Magazine. Vol. XL Nr. 1—4. 1887—88. 8^
Historische Gesellschaft der Provinz Posen in Posen:
Zeitschrift. 3. Jahrg. Heft 1—4. 1888. 8".
K. böhmisches Museum in Prag:
Casopis. Bd. 61. Heft 2—4. 1887. 8".
Geschäftsbericht für 1887. 1888. 8".
Reale Accademia dei Lincei in Rom:
Atti. Ser. 4. Rendiconti. Vol. HL Faso.. 6-13. Vol. IV. Fase. 1—7.
18ö7— 88. 40.
168 Verseichniss der eingelaufenen Druckschriften.
Annuario. 1888. 8°.
Atti. Ser. Tl. Vol. 4. Ser. III. Vol. 12. 1884—87. 4».
Biblioteca nazionale centrale Vittorio Emanuele in Rom:
Bollettino delle opere moderne straniere. Vol. II. Nr. 4—6. 1888. 8°.
Kaiserlich deutsches archäologisches Institut in Rom:
Mittheilun^en. Römische Abteilung. Bd. IL 1887. 8«. Bd. III. Heft 1.
1888. 80.
Gesellschaft für Sahburger Landeslcunde in Salzburg:
Mittheiluncren. 27. Vereinsjahr 1887. 8«.
China Branch of the Royal Asiatic Society in Shanghai:
Journal. Vol. XXII. Nr. 1—4. 1887. 8".
Museo archeologico in Spalato:
Bullettino di archeologia. Anno X. Nr. 12. Anno XI. Nr. 1—5. 1887
—88. 8°.
Museum in Speyer:
Katalog der historischen Abtheiliing des Museums. 1888. 8**.
Vitterhets, historie och antiquitets Akademie in Stoclxhohn :
Antiquarisk Tidskrift för Sverige. Del 10. Heft 3. 4. 1887. 8".
Universität in Strassburg:
Schriften a. d. .lahre 188G/87. 4" und 8«.
K. Statistisches Landesamt in Stuttgart :
Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. Jahrg. X.
Heft 1-4. 1887—88. 4".
Museo comimale in Trient:
Archivio Trentino. Anno VI. Fase. 2. 1887. 8°.
Korrespondenzblatt für die gelehrten und Realschulen Württembergs
in Tübingen:
Korrespondenzblatt. 34. Jahrg. 1887. Heft 9-12. 1888. Heft 1—4.
1887—88. 80.
R. Accademia delle scienze in Turin:
Atti. VoL XXUL disp. 1-12. 1887—88. 8«.
Memorie. Ser. IL Tom. 38. 1888. 4«.
K. Gesellschaft der Wissenschaften in Upsala:
Nova Acta. Ser. HL Tom. XIII. Fase. 2. 1887. 4'.
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften. lo9
Historisch Genootschap i)i Utrecht:
Werken. Nr. 46 -50. 1888. 8«.
Äccadeniia OUmpica in Vicenza:
Atti. Vol. XX. 1885. 8°.
National Bureau of Education in Washington:
Report of the Commissioner of Education for the year 1885—86.
1887. 8«.
Circular of Information Nr. 3. 1887. 8".
Harzverein für Geschichte in Wernigerode:
Zeitschrift. 20. Jahrg. 2. Hälfte. 1887. 8°.
Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien:
Mittheilungen der prähistorischen Commission. Nr. 1. 1887. 1888. 4°.
K. R. Universität in Wien:
Oeffentliche Vorlesungen im Sommer-Semester 1888. 8".
Verein für nassauische Älterthumskunde in Wiesbaden:
Annalen. Bd. XX. Heft 1. 1887. gr. 8'^.
Herzogliche Bibliothek in Wolfenbüttel:
Die Handschriften der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel, be-
schrieben von Ü. V. Heinemann. Bd. HI. 1888. 8*^.
Historischer Verein in Würzburg:
Jahresbericht für 1886. 1887. 8°.
Archiv. Bd. XXX. 1887. 8».
Die Stadt Würzburg im Bauernkriege von Martin Cronthal. Herausg.
von Michael Wieland. 1887. 8».
Universität in Zürich:
Schriften der Universität aus dem Jahre 1887/88. i^ und 8".
Von folgenden Herren:
Eduardo Äbreu in Lissabon:
Ora^Öes Academicas. Lisboa 1888. 8".
Joaquim de Aranjo in Porto:
Luis de Camoes. 1887. 8".
170 Verzeiehniss der eingelaufenen Druckschriften.
L. r. Borch in Innsbruelc :
Ein Urtheil des Reichs-Kammergerichts über Landeshoheit. Tübingen
1888. 80.
Zur Entwicklung der sächsischen Wergelder. s. 1. 1888. S*".
John G. BourJi-e in Washington:
Compilation of Notes and Memoranda bearing upon the use of human
ordure and human urine in rites of a religious or semi-religious
character. 1888. 8".
Anton Ganser in Graz:
Alles reale Sein beginnt als Act eines intelligenten Wollen. 1888. 8°.
Gaston Paris in Paris:
La litterature fran9aise au moyen tige (XI— XlVe aieclel. 1888. 8°.
Josef Perles in München :
Biure Onkelos. Scholien zum Targum Onkelos von Simon Barueh
Schefftel, herausg. von Josef Perles. 1888. 8«.
Rudolf Both in Tübingen \
Festgruss an Otto von Böhtlingk zum Doctorjubiläum. 3. Feb. 1888.
Stuttgart, gr. S».
Buggero della Torre in Cividale (Friaid):
Poeta-Yeltro, per Euggero della Torre. 1887. 8".
A. Wallin in Stockholm:
Prophetie und Katechismus, 2 religiöse Tractate. 1888. 8°.
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der AVissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 7. Juli 1888.
Herr v. Brunn hielt einen Vortrag;
^Ueber Giebelgruppen".
Die Masse neuen Stoffes, welcher der Archäologie in
den letzten zwei Jahrzehnten zugeführt worden ist, macht
es dem Einzelnen unmöglich, allen durch diese Vermehrung
angeregten Fragen die gleiche Sorgfalt zuzuwenden. Um-
stände verschiedener Art können hier eine Beschränkung
sogar zur Pflicht machen. So glaubte ich darauf verzichten
zu dürfen, mich in den Streit über die Anordnung der
olympischen Giebelgruppen einzumischen. Aber meine guten
Vorsätze sind wieder einmal zu Schanden geworden, indem
zu meiner freudigen Ueberraschung in der diesjährigen Januar-
sitzung der archäologischen Gesellschaft zu Berlin G. Treu
eine Umstellung der beiden, der Mittelfigur zunächst benach-
barten Gruppen des Westgiebels in Vorschlag brachte, die,
wie es scheint, allgemeine Zustimmung erfahren hat : eine
1888. Philos.-pliilol. u. liist. Ol. II. 2. 12
172 Sitzung der phüos.-philol. Classe t;om 7. Juli 1888.
Umstellung, die ich schon seit längerer Zeit im Verkehr mit
Freunden und Schülern als wahrscheinlich, wenn nicht als
nothwendig bezeichnet hatte. Nur hatte ich Anstand ge-
nonnnen, mich öflFentlich darüber auszusprechen, weil ich
mich, ohne die Mittel einer äusserlichen oder thatsächlichen
Beweisführung zur Verfügung zu haben, nur auf innere,
künstlerische Gründe zu stützen vermochte, die als zu „sub-
jectiv" sich bei vielen der Fachgenossen eines geringen, um
nicht zu sagen, eines Misscredits erfreuen. Nachdem man
sich jetzt der Autorität thatsächlicher Beobachtungen gefügt
hat, wird man vielleicht eher geneigt sein, auch künstlerischen
Erwägungen ihr Recht angedeihen zu lassen, um so mehr
wenn es gelingen sollte, die gerade vorliegenden Fragen aus
ihrer Vereinzelung zu befreien und allgemeineren Gesichts-
punkten unterzuordnen.
Schon ein früherer Vortrag über die Composition der
aeginetischen Giebelgruppen (in den Sitzungsbericliten vom
November 1868) bot mir die Gelegenheit, über die Compo-
sition der Figuren im Aetos, dem Adlerfelde des Giebels,
nachzudenken. Der weitere Verlauf meiner knnstgeschicht-
lichen Studien führte mich bei Gelegenheit der Parthenons-
giebel zum zweiten Male auf dasselbe Thema unter etwas
veränderten Gesichtspunkten. Es scheint mir an der Stelle,
hier mitzutheilen , was ich damals niedergeschrieben habe,
und zwar vor der Zeit der olympischen Entdeckungen, aber
nach meinem Vortrage über die Bildwerke des Parthenon
(Sitzungsber. vom Juli 1874). Ich thue es auf die doppelte
Gefahr hin, theils dass ich da und dort mich wiederholen,
theils dass ich diese devregai (pQOvtidtg in meiner jetzigen
dritten, an die olympischen Gruppen anknü))feiiden Betrach-
tung in mehreren Punkten sogleich selbst wieder berichtigen
muss. Ich glaube dadurch den besten Beweis zu liefern,
dass es sich bei diesen Darlegungen nicht um subjective
Ansichten handelt, sondern niu Anschanniigen, die von der
r. Bnnni: Uehcr Giebelgruppen. 173
Betrachtuiior bestimmter Thatsachen ausgehen, aber natiir-
gemäss mannigfachen Berichtigungen und schärferen Begren-
zungen unterworfen werden müssen, sobald das Gebiet der
Thatsachen durch neue Entdeckungen wesentliche Erweite-
rungen erfährt.
Das langgestreckte, in sehr spitze Winkel auslaufende
Dreieck eines niedrigen Giebels bildet im Grunde ein sehr
ungünstiges Feld für Ausschmückung mit statuarischen Gruppen,
und um dem Zwange des Raumes 7ai begegnen, bedurften die
Künstler verschiedenartiger Auskunftsmittel, welche aufzu-
finden bei steigender Grösse des Tempels immer schwieriger
wurde.
Schon an den Gruppen von Aegina begegnen wir dem
glücklichen Gedanken, die spitzen Ecken gewissermassen ab-
zuschneiden und dadurch das mittlere Feld zu verengen und
günstiger zu gestalten : die Verwundeten liegen ausserhalb
des Kam])fplatzes, nicht mehr betheiligt an der Handlung.
In dem erhöhten Centrum durfte man der Göttin ihrem
Kange nach ein bedeutenderes Körpermaass verleihen, als
den sterblichen Helden, um so mehr als sie durch ihre
Stellung in der Vorderansicht auch künstlerisch in einer
gewissen Absonderung von ihnen erschien. Daneben genügte
der sehr geschickt erfundene Wechsel in den Stellungen der
stehenden Vorkämpfer und der knieenden Helfer und Bogen-
schützen, um der weiteren Bedingungen des Raumes Herr
zu werden. In der Gruppe des Paeonios an dem do])pelt so
breiten Tempel zu Olympia sind zunächst Avieder die Ecken
durch die Flussgötter beseitigt, die sich ausserhalb der eigent-
lichen Handlung befinden. Das Centrum aber, im eigentlichsten
Sinne nur das Bild des Zeus, ist hier verstärkt oder verbreitert
durch die unmittelbar vor demselben beschäftigte Doppel-
gruppe des Oenomaos mit seiner Gattin und des Pelops mit
der Hippodaniia. Die Einheitlichkeit dieses erweiterten Centrums
12^
174 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Juli 1888.
ist ausdrücklich dadurch hervorgehoben, dass die nächsten
Figuren, die beiden Wagenlenker, vor den Rossen sitzen,
also einen bestimmten Abschnitt l^ezeichnen. In den Rossen
selbst sind dann allerdings tüchtige Seitenflügel gegeben,
während der niedriger werdende Raum durch den Wagen
und die zwei knieenden oder sonst gebückten Knechte räum-
lich sehr gut ausgefüllt zu werden vermochte. Doch fehlt
hier der schöne Abschluss, den bei den Aegineten die Bogen-
schützen gewähren, welche, wenn auch vom Hintertreffen
aus, noch bestimmt in die Haupthandlung eingreifen. In
Olympia nimmt das Interesse nach den Seiten zu stark ab,
und es fehlt die scharfe Scheidung und der Gegensatz zwischen
Ecken und Flügelgruppen.
Am Parthenon wenden wir uns zunächst zur Gruppe des
Westgiebels, deren Composition uns, Avenn auch nur in un-
vollkommenen Skizzen, doch in den Hauptmassen vollständig
erhalten ist. Auch hier sind die Ecken abgeschnitten, aber
erst im Rücken der beiden Wagenlenkerinnen, und messen
wir auf der Grundfläche nicht der inneren Breite des Giebels,
sondern seiner weitesten Ausladung, so finden wir, dass auf
die Seiten nahezu je ein Drittel der Breite fällt, und auch
der mittlere Theil der Composition kaum mehr als ein Drittel
füllt, welches freilich durch seine Höhenentwickelung die
beiden spitz verlaufenden Ecken weitaus überragt. Diese
Wirkung Avird aber noch bedeutend verstärkt durch die
Grössenverhältnisse der Figuren, die von der Mitte nach den
Seiten in verschiedenen Abstufungen abnehmen, und doch,
so stark dieselben mit den wirklichen Maassen gemessen sind,
so verschwinden sie fast vor dem geistigen Auge, so dass
wir nur mit dem rechnenden Verstände uns das Verhältniss
vijllig klar zu machen im Stande sind. Der Künstler hat
die beiden gewaltigen Hauptfiguren, das eigentliche Centrum,
Athene und Poseidon, von allen andern isolirt, indem er sie
zwischen die Rosse der l)eiden Gespanne stellte, die wir nicht
V. Bru)))i : lieber Giebelgruppen. 175
nach ihren natürlichen Verhältnissen zur menschlichen Gestalt
messen. Die Rosse aber bäumen sich, und so werden wir
durch die mit dem Abfalle des Giebeldaches parallele Neigung
ihrer Körper nach rückwärts von der hohen Mitte des Giebel-
feldes nach dem mittleren Seitendurchschnitt hingeführt.
Dort begegnen wir zunächst je einer nach dem Centrum
eilenden, etwas nach vorn geneigten Figur und darauf den
beiden Wagenlenkerinneu, die stark nach rückwärts gelehnt
und mit stark eingebogenen Knieen und Hüftgelenk, an der
Stelle, wo sie sich befinden, gerade aufgerichtet bedeutend
über den Rand des Giebelfeldes hervorragen müssten. Gerade
dadurch aber vermochte sie der Künstler in das richtige
Verhältniss zu den Rossen zu setzen und, indem er sie im
Profil, mit dem Rücken sich nach den Seiten des Giebels
wenden Hess, bestimmt von den noch übrigen Figuren ab-
zusondern. Diese letzteren bilden nun eine dritte Kategorie,
die der zweiten ihrer Grösse nach etwa so weit untergeordnet
ist, wie die zweite der ersten, d. h. den beiden Centralfiguren.
Flier, innerhalb des so beschränkten Eckabschnittes des Giebels,
war es jetzt möglich, so ziemlich die gleichen Grössenver-
hältnisse für alle Figuren festzuhalten und doch durch höheres
oder niedrigeres Sitzen, Knieen oder Liegen sich mit den
Bedingungen des immer mehr sich verengenden Raumes ab-
zufinden.
Wir dürfen das Princip der gesammten Anordnung ein
malerisches nennen. Dj^e beiden Hauptfiguren nehmen die
Mitte, den Vordergrund ein ; die thätig assistirenden mit ihrer
Begleitung die Mitte der Flügel, den Mittelgrund; die Aus-
läufer der Flügel bilden den Hintergrund. Im Vordergrunde
amfasst unser Auge nur wenige Gegenstände, diese aber in
grösseren Verhältuissen, im Hintergrunde eine grössere Zahl,
aber in verminderter Grösse. So treten uns in der Mitte
nur zwei auseinanders^chreitende Figuren entgegen ; aber auch
im nächsten Gliede herrscht noch Einfachheit und Klarheit,
176 Sitzuny der phdos.-pkllol. Classc vom 7. Juli 1888.
namentlich dadurch, dass wir die Doppelzahl der Rosse doch
immer als einheitliches Gespann fassen. Erst hinter den
Wagenlenkerinnen wächst die Mannigfaltigkeit und fast be-
absichtigt erscheint hier ein gewisser Mangel scharfer Glie-
derung, ein blosses Nebeneinanderstellen von Figuren und
kleineren Gruppen, um den streng geschlossenen Kern der
von den Flügeln eingerahmten Mittelglieder nur um so be-
stimmter hervortreten zu lassen.
Ueber den Ostgiebel haben wir wegen der frühen Zer-
störung seiner Mitte geringere Kunde. Dass aber eine ver-
wandte Abstufung der Hauptgliederungen auch hier geherrscht
habe, scheinen die erhaltenen Seitenflügel zu bestätigen. 8ie
bilden, von der einen bewegten Mädchengestalt abgesehen,
eine Einrahmung, einen Kranz von nicht direct an der Haupt-
handlung betheiligten, ruhig beobachtenden Zuschauern. Sehen
wir nun, wie nach den mehr als halb unter dem Horizoiit
verborgenen Gespannen des Helios und der Selene je eine
liegende, dann zwei sitzende Gestalten folgen, weiter die
einzelne lebhaft nach der Seite vorschreitende, der eine ähn-
liche auf dem entgegengesetzten Flügel entsprochen haben
muss, so ist es kaum möglich, sich der Analogie des West-
giebels zu entziehen und nach diesen Figuren etwas anderes
als einen bestimmten Abschnitt der Composition anzunehmen.
Wie dort die Wagenlenkerinnon das mittlere Feld zusammen-
uud von den Seitenflügeln al)schliessen, so erwarten wir auch
hier zunächst je eine bedeutendere im Profil sichtbare, etwa
thronende Gestalt, die mit dem Rücken nach den Flügeln
gewendet die Aufmerksamkeit nach der Mitte hinlenkt. Ein
gewisser Unterschied würde sich dann zunächst darin zeigen,
dass die Seitenflügel weniger stark angefüllt, überhaupt klarer
und ruhiger erscheinen. Aber gerade dieser Umstand scheint
wieder im engsten Zusammenhange mit der Haupthandhmg
oder vielmehr aus dieser heraus sich zu entwickeln. Dem
Streite der Athene und des Poseidon, den bewegten Gespannen
c. Brunn: Uebcr Criehelgnipimi. 177
des Wt'stinehels gegenüber würde eine Compo.sition der Seiten-
flügel wie die des Ostgiebels künstlerisch zu wenig bewegt
erscheinen. Im Ostgiebel dagegen verlangt umgekehrt diese
künstlerische Ruhe eine grossere Einfachheit und Hube auch
im Centrum. Wir gewinnen sie, wenn wir, wie in Olympia
das Bild des Zeus, so hier den Gott selbst erwartungsvoll,
al>er künstlerisch ruhig, sei es allein als Kolossalfigur, sei
es zwischen zwei ebenfalls ruhigen, ihm assistirenden Frauen
thronend, voraussetzen und die Bewegung auf den Kaum
zwischen ihm und den seitwärts thronenden Gestalten be-
schränken.^)
1) Meine Ansicht, dass der Moment vor der Geburt der Athene
dargestellt sei, ist nicht hervorgerufen, gründet sich auch nicht aus-
schliesslich oder auch nur vorzugsweise auf den Ausdruck des Pau-
sanias (I, 24, 5): .-rdvTa ig jijv'A&rjväg s/st yivEaiv, sondern ich benütze
ihn nur, um meine auf inneren Erwägungen beruhende Ueberzeugung
zu unterstützen, und beharre dabei trotz des von L. Schwabe (Jenaer
Litzeit. 1875, Art. 168) erhobenen Widerspruchs, der bei Pausanias
nur einen Wechsel des Ausdrucks aus stilistischen Gründen anerkennen
will. "E/^Ei k kehrt wieder II, 17, 3 bei Erwähnung des Figuren-
schmuckes am argivischen Heraeon: ta fiev ig rijv Aiog yivsaiv y.al
dewv xal riyärioiv f^dytjy «;?", rd 8e ig rov Jigög Tgoiav ji6?.e/*ov xai
' lUov ri]v älcooiv. Der Ausdruck bezeichnet sehr wohl, dass gewiss
nicht der Geburtsact des Zeus dargestellt war, auch nicht die Gi-
gantomachie, die Einnahme von Troia, sondern verschiedene auf
diese Sagen bezügliche Scenen. Dagegen gebraucht Pausanias con-
sequent iozi bei dem Streit der Athene und des Poseidon, bei den
Giebelgrui>pen von Olympia V, 10, 6 u. 8, von Delphi X, 19, 3, von
Tegea VIII, 45, 6 u. 7, eben so bei den delphischen Gemälden des
Polygnot X, 25, 2: "Ihög xe iaxiv eaktoxvTa xal dnöjiXovg 6 EXXi)v(ov
und 28, 1 : foziv 'OSvaoevg xazaßeßijxcjg ig tov "Aidtjr. Man sieht also,
dass Pausanias hier, wie auch sonst bei seinen Beschreibungen z. B.
des Kypseloskastens, des amykläischen Thrones, keineswegs einen
Wechsel des Ausdrucks nur aus stilistischen Gründen erstrebt, sondern
dass das vom Gewöhnlichen abweichende sxsi mit besonderer Absicht
gewählt sein muss. — Da sich gerade die Gelegenheit bietet, so
möchte ich hinzufügen, dass meine Autfassung des Momentes eine
178 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Juli 1888.
Obwohl es nicht dieses Ortes sein kann, auf die Deutung
der einzelnen Figuren in den Gruppen einzugehen, so ist
schon hier wohl die Frage gestattet, ob denn diese äussere
Gliederung des Raumes, die doch offenbar keine zufällige,
sondern vom Künstler mit klarer und bewusster Absicht
gewählt ist, als etwas von dem Inhalte der Darstellung ganz
Unabhängiges gedacht werden darf, ob nicht beides, Raum
und Inhalt, sich gegenseitig bedingen und harmonisch in
einander greifen muss. Klar liegt im Westgiebel eine der
der räumlichen durchaus entsprechende geistige Abstufung
vor in den beiden handelnden, der höchsten Sphäre an-
gehörigen Hauptgottheiten der Mitte als Protagonisten und
den die Gespanne begleitenden dienenden und helfenden gött-
lichen Wesen als Deuteragonisten. Wir verlangen jetzt eine
gleiche Abstufung von den letzteren zu den als Zeugen oder
Zuschauer anwesenden Gestalten des Hintergrundes. Wir
erwarten hier Tritagonisten, also gewiss nicht Wesen der
höchsten Art, welche die Aufmerksamkeit zu sehr von der
Mitte, von der Haupthandlung ablenken würden. Nur Ge-
stalten von weniger stark ausgeprägter Individualität, die
weniger persönliches Interesse in Anspruch nehmen, eignen
sich für den Hintergrund; und einen Fingerzeig für die
Kreise, in denen wir sie zu suchen haben, liefert uns zunächst
der unverkennbare in der Ecke gelagerte Flussgott. —
Solche Erwägungen haben mich schon früher bei meiner
Deutung der Bildwerke des Parthenon geleitet (vgl. besonders
S. 27), wenn mir auch damals die principielle Bedeutung der
weitere schöne Unterstützung,' durch den Torso H bei Michaelis
Parthenon Taf. 6 findet. Blosses Staunen durch das hohe p]rheben
beider Arme auszudrücken, scheint mir der ruhigen Würde der Kunst
des Phidias wenig angemessen. Ist es aber das Nächstliegende, in
dem Torso den Hephaestos zu erkennen, wie er die Axt mit beiden
Händen erhebt, so kann derselbe in dieser Haltung nur erscheinen,
ehe er den Schlag auf das Haupt geführt hat, nicht nachher.
{'. Bnoin: Ucber Giebelgruppen. 179
Rauragliederung noch nicht zu vollem Bewusstseiii gekommen
war. Die Kritik hat sich begnügt, gegen die einzelnen von
mir vorgeschlagenen Benennungen Stellung zu nehmen. Aber
selbst wenn sie dabei überall in vollem Rechte gewesen sein
sollte, so ist damit noch immer nicht meine Grundanschau-
ung widerlegt, die vielmehr durch die Erörterungen über
die Gliederung des Raumes eine neue, nicht zu verachtende
Stütze gewonnen hat.
Mit der Entwickelung der Raumgliederung im Ganzen
hält die der Composition im Einzelnen gleichen Schritt. In
Aegina entspricht sich streng Figur für Figur; in Olympia
werden zwar schon Figuren zu Gruppen verbunden, aber so
dass innerhalb derselben noch strenge Entsprechung der beiden
Theile waltet. Das letzere Princip ist auch am Parthenon
noch keineswegs aufgegeben, aber vom Künstler mit grösserer
Freiheit behandelt, insofern er sich innerhalb der kleineren
Gruppen einen grösseren Wechsel gestattet. So entsprechen
im Ostgiebel links eine männliche und zwei weibliche Ge-
stalten den drei weiblichen auf der anderen Seite als Gesammt-
gruppen; aber innerhalb derselben sind hier die zweite und
dritte, dort die erste und zweite Figur enger mit einander
verbunden. Im Westgiebel begnügt sich der Künstler in
den Seitenflügeln sogar nur mit einer Gegenüberstellung der
Gesammtmassen innerhalb des festen Rahmens der in den
Ecken liegenden Figuren und der die Mitte streng abschliessen-
den Wagenlenkerinnen.
Für die künstlerische Wirkung einer Giebelcomposition ist
aber nicht ausschliesslich die Xebeneinanderstellung der Figuren
maassgebend : sie sollen auch nach der Tiefe des Feldes den
Raum in einer dem Hochrelief entsprechenden Weise füllen.
Bei den Aegineten ist daher mit Ausnahme der Göttin und des
Gefallenen in der Mitte und der Verwundeten in den Ecken
die Profilstellung möglichst streng festgehalten. Im Ostgiebel
von Olympia ordnen sich wenigstens die Hauptmassen der
180 Sitzung der philos.-jMlol. Classe vom 7. Juli 1888.
Seiten, die Gespanne, dem <;fleichen Princip unter. Die
malerische Disposition der Parthenonsgruppen verlangt auch
hier bestimmte Modificationen. Am Westgiebel kommt das
Keliefprincip in den Gespannen und ihren Lenkerinnen zu
voller Geltung und wird ausserdem in den langgestreckten
Eckfiguren nur in soweit wieder aufgenommen, als durch sie
die ideell hinter das Mittelfeld zurückweichenden Seitenflügel
doch zum Schluss wieder in die strengeren Grenzen des
Raumes zurückgeführt werden. Im Centrum dagegen ist der
Conflict der beiden sich von einander abwendenden Haupt-
figuren auch stylistisch durch ihre schräge Stellung im Relief-
felde ausgesprochen, während der Oelbaum nicht nur als
ideelle Mittellinie für das Gleichgewicht der beiden Seiten,
sondern auch durch seine mehr in den Hintergrund gerückte
Stellung als für den Eindruck der Tiefe des Feldes maass-
gebend erscheinen mochte.
Im Ostgiebel fehlen die breiten Flügelgruppen der Ge-
spanne und ihrer Lenkerinnen, und so stark auch in den
das Mittelfeld begrenzenden sitzenden Gestalten das Relief-
princip betont sein mochte, so musste doch für den quanti-
tativen Abgang eben jener Gespanne ein Ersatz gesucht
werden. Wir finden ihn einestheils in den Ecken, wo die
"•elaurerten Gestalten durch das Hinzutreten des Helios und
der Selene mehr nach innen gerückt werden, andern theils
vermuthen wir ihn im Centrum. Dort kann allerdings die
Gestalt des Zeus nicht im Profil, sondern nur in der Vorder-
ansicht erscheinen, aber gerade dadurch tritt sie uns deutlich
und sichtbar als Centrum entgegen, das unabhängig von den
Seitengruppen diese wie ein Sclilussstein auseinander und im
Gleichgewicht hält, um so mehr, wenn diese Bedeutung durch
zwei ihm zur Seite stehende und im Profil sichtbare Eilei-
thyien noch stärker hervorgehoben wurde.
So haben sich, während am Tempel zu Aegina die
Composition beider Giebelgru])]ifn in der Hauptsache identisch
c. Brunn: lieber G-iebelgruppen. lol
war. am Parthenon bestimmte Gegensätze entwickelt, der
Gegensatz der Ruhe und der Bewegung in formal künstlerischer,
wie in geistiger Beziehung: im ersteren rein mechaniscben
Sinne am Ostgiebel ruhiges Abwägen auf der Grundlinie
des Dreiecks; die Last der Seiten durch das gewichtige
Centrum im Gleichgewicht gehalten ; am Westgiebel durch
die ansprengenden Gespanne die ansteigenden Seiten des
(lielieldaches symbolisirt und der Conflict der mit einander
kämpfenden Seiten durch die nach rechts und nach links
auseinanderstrebenden Gestalten der Athene und des Poseidon
gehoben. In geistiger Beziehung an der Vorderseite er-
wartungsvolle Ruhe, welche den Blick nach der Mitte lenkt;
auf der Rückseite lebendige Handlung, die aber nach ent-
schiedenem Streit die Spannung löst und uns zu uns selbst
zurückführt.
Sind diese Gegensätze etwas Zufälliges, nur dem Belieben
des Künstlers oder der durch andere Rücksichten bestimmten
Wahl der Gegenstände Entsprungenes?
Ich will hier nicht wiederholen, was ich schon in meinem
Aufsatze über die Composition der aeginetischen Giebelgruppen
(S. 460) über die Wiederkehr der gleichen Gegensätze in
anderen Giebelgruppen bemerkt habe. Aber ist es Zufall,
dass wir denselben auch in unseren Tagen an den Giebel-
gruppen der Walhalla wiederfinden? Deutschlands Stämme,
die im Festaufzuge nach der Schlacht bei Leipzig der Ger-
mania huldigen an der Vorderseite; hinten der bewegte Kampf
der Hermannschlacht. Gew^isse Ideen sind unvergänglich.
ja sie wiederholen sich in verschiedenen Künsten. Sonate
und Symphonie beginnen in einem gemässigten Tempo und
schliessen in einem bewegteren ; zwischen beiden in der Mitte
liegt das ruhige Adagio. Vor dem Eintritt in die geweihten
Räume eines Tempels soll sich unser Gemüth sammeln; er-
wartungsvoll sollen wir nahen. Innen empfängt uns maje-
stätische Ruhe und Stille, wir schauen bewunderungsvoll.
182 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Juli 1888..
Erst beim Verlassen des Tempels treten wir wieder in das
bewegte Leben, den Kampf des Daseins zurück.
Erst nachdem die hier mitgetheilten Erörterungen bereits
niedergesclirieben waren, sind die olympischen Giebelgruppen
durch die deutschen Ausgrabungen näher bekannt geworden,
freilich nur in fragmentirteni Zustande, so dass sie selbst erst
wieder einer vorbereitenden Untersuchung bedürfen, um für
die Entscheidung allgemeiner Fragen verwendbar zu werden.
Beginnen wir wieder mit der Betrachtung der Ecken, in
denen wir am Tempel von Aegina nur je einen Verwundeten
fanden. Bei dem um das Doppelte vergösserten Maasse des
Tempels von Olympia konnte eine einzelne Figur zur Füllung
des Eckabschnittes nicht mehr genügen. Der Künstler des
Westgiebels sucht sich sehr unbefangen zu helfen durch eine
zweite etwas höher, aber in gleicher Richtung gelagerte
Figur. Doch bleibt dieses Auskunftsmittel ein sehr äusser-
liches. Dagegen scheint der Künstler des Ostgiebels den
oben (S. 174) ausgesprochenen Tadel, dass die scharfe Schei-
dung und der Gegensatz zwischen Ecken und Giebelgruppen
fehle, nicht zu verdienen, wenn wir der Anordnung von
Flasch (bei Baumeister, Denkmäler des classischen Alter-
thums, S. 1104nB) folgen, der ohne irgendwelche theore-
tische Nebenabsicht mit den Flussgöttern die unmittelbar
sich anschliessenden Figuren als Lokalgottheiten (Ossa und
Olympos) verbindet. Bei dieser Anordnung wendet sich
das knieende Mädchen (Taf. 27, 0 nach Treu) von der
Mitte ab dem Alpheios zu, und auch auf der entgegen-
gesetzten Seite scheidet sich der hockende, dem Kladeos halb
zugewendete Jüngling E noch hinlänglich von der dritten
Figur, dem Pferde wärter, ab, so dass wir also das schönste
üebergangsstadium von den isolirten Eckfiguren zu den er-
weiterten, aber von den Fliigelgruppen abgeschiedenen Eck-
V. Brunn: Ueher Giebelgruppen. 183
^•uppen, von den Aegineten zu der reicheren Entwicklung
der Parthenonsgiebel gewinnen.
Die Seitenflügel sind durch die Gespanne, die knieenden
Wärter und die sitzenden Wagenlenker sicher gegeben, und
die Unsicherheit, welche noch hinsichtlich der Vertheilung der
einen oder der andern Figur walten mag, kommt wenigstens
principiell nicht in Betracht.
Dagegen dürfte wohl die Frage gerechtfertigt sein, ob
die bisherige Anordnung der Mittelgruppe als eine endgültige
zu betrachten ist. Dass sie einen künstlerisch befriedigenden
Eindruck gewähre, hat wohl noch niemand behau])ten wollen.
Bei den Aegineten genügt die Gestalt der Athene, um durch
sie, wie durch das Zünglein an der Waage die ganze Com-
position im Gleichgewicht erscheinen zu lassen. In dem
Giebel von Olympia hat die Gestalt des Zeus durch ihre
Umgebung nicht die gleiche Bedeutung. Bei den weit be-
deutenderen Maassverhältnissen des Tempels erzeugt die ein-
fache Nebeneinanderstellung von fünf Figuren den Eindruck
einer gewissen statischen Unsicherheit. Das eigentliche Centrum
entbehrt des nothwendigen Gewichts; wir verlangen dort
mehr Masse. Es ist wohl nicht zu leugnen, dass dieses Gefühl
der Schwäche vorzugsweise durch die unbekleideten und darum
künstlerisch zu nackt und kahl erscheinenden Beine des
Pelops und Oenomaos hervorgerufen wird, welche die Grund-
fläche des Giebels zu schwach belasten, und dass der Eindruck
ein wesentlich anderer sein würde, wenn die beiden Männer
ihre Plätze mit denen der beiden Frauen vertauschen könnten,
deren lange Gewänder sich mit dem Mantel des Zeus künst-
lerisch mehr einheitlich wie zu einer grösseren Masse zu-
sammenscliliessen würden. Ich sehe voraus, welche Gegen-
gründe man gegen diese Umstellung vorbringen wird, darf
aber wohl die Frage stellen, welches Gewicht denselben bei-
zulegen sei.
Man wird sich zunächst auf die Worte des Pausanias
184 Sitztinf) der philos.-phüol. Classe rowi ~. Juli 1888.
berufen, der ja die Reihenfolge der Figuren klar und deut-
lich bezeichne. Der arme Tansanias muss es sich freilich
gefallen lassen, dass man das eine Mal sein Zeogniss als null
und nichtig einfach bei Seite wirft, das andere Mal auf seine
Worte drückt, als habe man an seine Beschreibungen die-
selben Anforderungen zu stellen, wie an einen der pedantisch
nüchternsten Museumskataloge neuesten Datums. Prüfen wir
vielmehr uns selbst und fragen wir uns, wie wir selbst ver-
fahren, wenn wir nicht peinlich eine Figurenreihe bei Namen
aufzählen, sondern uns dieselben in ihrem Zusammensein vor-
stellen wollen. In der Pelopssage sind Pelops und Oenomaos die
Hauptpersonen ; Hi})podamia und Sterope stehen in zweiter
Reihe, und so haben wir uns gewöhnt, von Pelops und
Hippodamia, von Oenomaos und Sterope zu reden, nicht um-
gekehrt von Hippodamia und Pelops, von Sterope und Oe-
nomaos. Allerdings sagt Pausanias: Olvo/naog fr öe^ia zov
^log .... TvaQce öi avxov yvvi^ ^regontj. Aber durch fv
öe^ia soll zunächst im Allgemeinen die rechte (xiebelhälfte
bezeichnet werden, durch naqd die Zugehörigkeit der Frau
zum Manne. Eine Verwechselung von Frau und Mann war
ja für den Beschauer iiiclit m()glich, und vor der Erwähnung
des Mannes von der Frau und ihrer Genealogie zu sprechen,
war mindestens unl)equemer und umständlicher als das Um-
gekehrte. Weiter aber ist wenigstens nicht ausdrücklich
gesagt, dass neben (etwa yiagd) der Sterope Myrtilos folge,
sondern mit starker Caesur heisst es: MiQiiXog de . . . xa-
i^Tjzai 71 q6 xmv iTvnwv. Nach der rechten Seite folgt dann
wieder zuer.st die Bezeichnung der linken Giebelseite: tci öa
f.g dgiacegd dfio zov Jiog. dann o n.eloij.i xat '^luTCodafXELa j
•/.ai o, T£ r^vioyög fori roh lläXnnog xai uriioi, I ovo xe
avÖQeg . . y.al avx^ig . . . , wo durch das einfache y.al Pelops
inid Hippodamia als Paar zu einer engeren Einheit verbunden
erscheinen, als die durch xe — xat verknüpften Glieder. Man
wird also nicht behaupten können, dass durch die Umstellung
c. Brunn: Ueher Giebel griippen. loo
der männlichen und weiblichen Figuren den Worten des
Pansanias Zwang angethan werde, während in denselben
nichts als eine gewisse Bequemlichkeit der Rede anzuerkennen
sein dürfte.
Einen weiteren Einwand wird man aus den Grössen-
verhältnissen der Figuren herleiten und behaupten, dass sich
die männlichen Figuren nicht an dritter, sondern nur an
zweiter Stelle vom Mittelpunkte aus in das absteigende Feld
des Giebels einfügen lassen. Dabei ist jedoch nicht ein,
sondern sind mehrere Umstände in Betracht zu ziehen.
In den meisten Abbildungen sind ausser bei Zeus nur noch
bei Pelops und Oenomaos die Plinthen sichtbar, bei den
übrigen Figuren nicht. Ein Grund für diese Unterscheidung
ist nicht einzusehen, und wir dürfen daher die Höhe dieser
Plinthen getrost in Abzug bringen. Weiter aber sind von
den beiden männlichen Gestalten die unteren Körperhälften
uns nicht erhalten, in der Restauration aber zu lang gerathen.
Das ist namentlich an der Figur des Pelops augenfällig, an
dem ausserdem noch der Oberkörper einen gar zu schmäch-
tigen Eindruck macht, selbst neben der schlankeren, in neuerer
Zeit mit Recht ihm beigeordneten, früher Sterope, jetzt
Hippodamia genannten weiblichen Gestalt. Auch dieses un-
günstige Verhältniss würde wesentlich gemildert erscheinen,
wenn die Figur in grösserer Entfernung vom Centrum in
dem abfallenden Raum ihre Aufstellung fände.
Endlich gereicht es der Composition keineswegs zum
Vortheil, dass man die fünf Figuren der Mitte jede für sich
isolirt zu breit neben einander gestellt hat. Sie lassen sich
weit näher aneinanderrücken, und namentlich scheint eine
engere Verbindung zwischen Pelops und Hippodamia, sowie
zwischen Oenomaos und Gattin fast mit Nothwendigkeit ge-
boten; wir erwarten eine, wenn auch nur theilweise Ueber-
sehneidung der Umrisse auf ihren einander zugewendeten
Seiten. Jedenfalls würden dadurch die Aussenfiguren um
186 Sitzung der iMlos.-pliilol. Classe vom 7. Juri 1888.
eine halbe Figurenbreite näher an den Mittelpunkt des an-
steigenden Giebelraunies gerückt werden können, womit
wiederum die Schwierigkeiten einer Umstellung um ein be-
stimmtes Maass verringert werden.
Ist aber erst einmal die Möglichkeit derselben gegeben,
so treten uns die Vorzüge derselben für die künstlerische
Gruppirung ganz ungesucht entgegen. Es wirkt wahrlich
nicht angenehm, dass nach der jetzigen Ordnung die fünf
Figuren der Mittelgruppe wie Orgelpfeifen an einander gereiht
mit ihren Köpfen ganz gleichmässig die obere Begrenzung
des Giebelfeldes fast berühren. Eine Abwechselung von
Hebungen und Senkungen, wie sie sich für die Aegineten
ergeben hat, entspricht sicherlich weit mehr dem künstleiischen
Gefühle; und gerade dieselbe Abfolge gewinnen wir, wenn
neben dem Zeus die weit kleineren Frauen und neben diese
die an sich kaum höheren, nur durch die Helmbüsche etwas
erhöhten Männer treten. Ebenso ergibt sich aber auch eine
principielle Uebereinstimmung mit dem Ostgiebel des Par-
thenon, sofern wir richtig vermuthet, dass dort neben dem
Zeus zunächst die weiblichen Gestalten der zwei Eileithyien
treten und erst auf diese zwei Männer, wahrscheinlich He-
phaestos und Hermes folgten. Endlich gewähren die nach
aussen gewendeten Speere des Pelops und Oenomaos der
ganzen Mittelgruppe einen festen und entschiedenen Abschluss,
der sich künstlerisch um so wirksamer gestaltet, als die nun
folgenden sitzenden Wagenlenker eine kräftige Cäsur in der
Gesammtcomi)osition bezeichnen.
Durcli die bisherigen Erörterungen soll eine gegen jeden
Zweifel gesicherte Entscheidung über die vorgeschlagene Um-
stellung noch keineswegs gegeben sein. Sie bedürfen durch-
aus der Bestätigung durch das Experiment am Marmor oder
den Abgüssen, welches in erster Linie die Höhenverhältnisse
genau zu prüfen hat. Gestatten dieselben die Umstellung,
so wird die Untersuchung allerdings noch auf andere Gesichts-
V. Brunn: lieber GieheUiruppen. 187
punkte auszudehnen sein. Es fragt sich z. B.. ob und wie
weit die einzelnen Figuren in ihrer Axe mehr nach rechts
oder nach links zu drehen, in welchem Maasse sie enger
an einander zu schieben sind, wie weit die eine Figur gegen
den Hintergrund des Giebels, die andere gegen den vorderen
Hand zu rücken ist. Erst durch solche Versuche sind wir
im Stande zu beurtheilen, in welchem Maasse die ihrer Natur
nach etwas einförmige Strenge und Härte rein metrischer
Entsprechung die für ein vorgeschritteneres Kunstgefühl noth-
wendige Milderung und Veredelung durch ein rhythmisches
Element erfahren hat, welches seinen Ausdruck findet theils in
einer fliessenden Führung und Verbindung der Linien, theils
in einem reicheren Wechsel und feinerem Abwägen in der
Vertheilung der Massen. Vermuthe ich richtig, so dürfte sich
als Schlussresultat ergeben, dass auch in diesem Theile der
Composition der olympische Giebel eine Vor- oder Uebergangs-
stufe zu der noch mehr gereinigten und abgeklärten Voll-
endung bilde, die wir in den Giebeln des Parthenon voraus-
setzen müssen.
Wir wenden uns jetzt zu dem Westgiebel, über dessen
Ecken bereits oben gesprochen ist. Von diesen abgesehen,
zerfällt die Composition zu beiden Seiten der Mittelfigur in
vier grössere aus je drei, und zwei kleinere aus je zwei
Figuren gebildete Gruppen. Nach der bisherigen Anordnung
wendeten sich die beiden grösseren inneren Gruppen gegen
die Mitte, die beiden äusseren gegen die Ecken des Giebels.
Damit war eine formale Entsprechung in einer äusserlich,
wie es scheint, tadellosen Weise, sogar mit einem ganz an-
sprechenden Wechsel der Gliederung gegeben. Ordnet sich
aber dabei das Ganze einer einheitlichen geistigen Idee unter?
Wir haben vielmehr entweder die grösste Regellosigkeit
und Verwirrung oder ein völliges Auseinanderfallen in ver-
1888. Philos.-pbilol. a. bist. Cl. H. 2. 13
188 Sitzung der jjhilos.-phüol. Classe vom 7. Juli 1S88.
einzelte Gruppen. Denn wie haben wir uns den Anfang,
wie das Ziel und das Ende des Kampfes zu denken ? Dieses
Bedenken war es, welches mich von Anfang an beunruhigte;
und gerade dieses Bedenken Hess sich in einfacher Weise
durch einen Platzwechsel der beiden inneren Gruppen be-
seitigen, wie er jetzt durch die thatsächlichen Beobachtungen
Treu's nachgewiesen ist. Wir sind gewiss berechtigt, in
einem Giebel die Mitte den Ecken als ein Innen und Aussen
gegenüberzustellen. Jetzt nach der Umstellung stürmen die
Gruppen von der Mitte, von innen heraus nach beiden Seiten
auseinander. Dieser Gedanke des Auseinandertretens ist aber
offenbar der gleiche, der die Composition des Westgiebels
am Parthenon beherrscht, und den ich schon längst auch
für die Composition der hinteren Giebel von Delphi und von
Tegea als gewissermassen typisch vorausgesetzt hatte. Es
ist eben eine gewisse im Menschen begründete Notwendigkeit,
welche nach der Sammlung und Spannung, die bei der Be-
trachtung des Vordergiebels und vor dem Eintritt in den
Tempel gefordert wird, bei dem Austritt und der Betrachtung
der Rückseite eine Lösung dieser Spannung, eine Zerstreuung
erheischt. Dieser Gedanke findet durch die Umstellung schon
in den Innengruppen den entsprechendsten Ausdruck, der
aber in den beiden Aussengruppen nur noch verstärkt und
in seinen Consequenzen weiter entwickelt wird. Denn auch
hier stürmen die Kentauren nach aussen. Aber es handelt
sich hier nicht mehr um vereinzelte Kampfscenen: von dort
her wird ihnen der lebendigste Widerstand entgegengesetzt,
damit nicht die wilde Horde gleich einer wüthenden Heerde
aus einer Umfriedigung in's freie Feld ausbreche und ihre
Beute in Wäldern und Schluchten berge. Zügelloser Ueber-
muth wird hier recht eigentlich in die nothwendigen Schranken
zurückgewiesen und so findet hier die Composition wie im
Räume, so auch in der Idee ihren einheitlichen Abschluss.
Nur eine scheinbare Anomalie bieten die beiden kleineren
V. Brunn: lieber Giebel gruppen. lo''
Zwischengrupiien : wie wir sie auch ordnen, so bleibt der
eine Kentaur der Mitte zugewendet. Aber die Gruppen sind
nicht in ganzer Breite sichtbar, sondern in halb malerischer
Autfiissung fast in Vorderansicht gebildet. In künstlerischer
Beziehung entsprechen sie der Caesur, die am Ostgiebel durch
die beiden sitzenden Wagenlenker bezeichnet wird: sie sollen
die Mitte und die Seitenflügel von einander scheiden, einen
gewissen Stillstand, eine Art Pause bezeichnen, wobei die
halb verdeckte Hichtung der Pferdekörper von untergeordneter
Bedeutung ist. Damit stimmt der poetische Gedanke : in den
Innengruppen der Angriff der Lapithen auf die wegeilenden
Kentauren; in den Aussengruppen der erfolgreiche Widerstand,
das Zurückdrängen der Fliehenden; dazwischen ein gewaltiges
Ringen, eine Art Stillstand vor der Entscheidung.
Die Analogie des Westgiebels am Parthenon, in dem
Athene und Poseidon in gegensätzlicher Stellung, aber unter
der Wirkung einer einheitlichen poetischen Idee einander
gegenüber treten, legt die Erwägung nahe, ob das Aus-
einanderstreben der beiden Innnengruppen in Olympia als
eine scharfe gegensätzliche Scheidung zu fassen sei, oder ob
sich dieselben nicht vielmehr einer gemeinsamen Idee als
eine Einheit, als Mittelgruppe gegenüber den Flügelgruppen
unterordnen lassen. Eine solche Vermittelung oder Verbindung,
sofern sie von) Künstler erstrebt wurde, kann selbstverständ-
lich nur in der einzigen noch übrigen Gestalt, in der zwischen
den beiden Gruppen befindlichen Mittelfigur des Giebels ihren
Ausdruck finden.
Pausanias bezeichnet diese Gestalt als Peirithoos. Nach
ihrer Wiederauffindung hat .sich die Ansicht, es sei Apollo
dargestellt, fast allgemeine Zustimmung erworben. Man ist
in neuester Zeit bestrebt gewesen, die früher allgemein übliche
Bezeichnung des ältesten statuarischen Jünglingstypus als
Apollo sehr wesentlich zu beschränken. Auch für den jüngeren
Typus des , Apollo auf dem Omphalos" ist, nachdem die Zu-
13*
190 Sitzung der philos .-pliüol . Classe vom 7. Juli 1888.
f^ehörigkeit des Omphalos zu dem athenischen Exemplar
abgewiesen worden, die Bezeichnung als Apollo keineswegs
überall unbestritten. Um so grössere Vorsicht scheint ge-
boten, auf eine durch ein antikes Zeugniss dem Kreise der
Heroen zugewiesene Gestalt von apollinischem Charakter
ohne Weiteres den Namen des Gottes selbst zu übertragen.
Nun widerspricht zwar das aufgebundene Haar nicht gerade
der Deutung auf Apollo, aber ebenso wenig gewährt es eine
Bestätigung für dieselbe. Auch an dem Fehlen des Köchers
und des Köcherbandes würde man kaum Anstand nehmen,
sofern wenigstens das Attribut des Bogens in der Linken
sicher stände. Aber gerade der Ergänzung durch den Bogen
widerspricht die Haltung des Armes, der durch ein etwas
schwereres Attribut belastet erscheint, widerspricht die wag-
rechte Haltung der Hand, aus der die eine Hälfte des Bogens
in unangenehmer Spitze weit hervorragen müsste, wider-
sprechen das grosse Zapfen- und die beiden kleineren Bohr-
löcher. Eine Ergänzung aber, wie sie von Grüttner versucht
ist, in der sich der Bogen nach oben an den Arm anlehnt,
ist geradezu unmöglich. Es fehlt also durchaus ein äusseres
Zeichen, durch welches der Gott unzweifelhaft kenntlich
gemacht würde. So bleibt zunächst das Grössen verhältniss
der Figur und des Kopfes. Aber wir haben es hier nicht
zu thun weder mit der streng metrischen Gesetzmässigkeit
der Aegineten, noch mit den fein abgewogenen Abstufungen
der Parthenonsgiebel. Die schweren Schädel der Kentauren,
deren Köpfe durch ihre Bärtigkeit nur um so massenhafter
wirken, machen uns unempfindlicher gegen die massigeren
Grössenunterschiede in den Lapithenkirpfen. Eben so berechnen
wir weniger verstau desmässig die Unterschiede zwischen der
gerade aufgerichteten Mittelfigur und den danebenstehenden,
wenn auch keineswegs ge])ückten, doch durch ihre Bewegung
niedriger erscheinenden Jünglingsgestalten. Wir tragen un-
willkürlich der Bedeutung der Mittelfigur Rechnung, die
V. Brunn: Uebcr Qiehelfjruppen. i>'l
allerdings als Hau|itfigiir, darum aber noch keineswegs als
Gottheit hervorgehoben werden soll. Wir empfinden, dass
der Künstler selbst nicht mit dem Maassstabe eines strengen
Systems und Princips gemessen werden will, und begnügen
uns daher, wenn er in der Durchführung den gegebenen Ver-
hältnissen mehr äusserlich sich anbequemt.
Weiter darf man wohl fragen, wodurch sich bei Apollo
das Motiv des ausgestreckten rechten Armes rechtfertigen
lässt. Für ein wirkliches Eingreifen des Gottes in die Hand-
lung selbst besagt es zu wenig ; für die Rolle eines rein
geistigen Leiters und Lenkers, in welcher Athene in Aegina,
Zeus im Ostgiebel zu Olympia erscheint, eigentlich schon zu
viel. Endhch aber: welche Beziehung hat Apollo zum
Kentaurenkampf an sich und weiter zur Darstellung desselben
in Olympia? Die Erzählungen der Sage verweigern jede
Auskunft. Man vermag sich nur auf ein einziges Kunstwerk
zu l)erufen : im Fries zu Phigalia erscheint Apollo beim
Kentaurenkampfe bogenschiessend auf einem von seiner
Schwester gelenkten Hirschgespanne; weshalb? bleibt auch
hier dunkel. Aber wir befinden uns wenigstens im Tempel
des Gottes selbst; und wenn man z. B. am tegeatischen
Athenetempel zum Schmucke des vorderen Giebels die Dar-
stellung der kalydonischen Eberjagd, wie es scheint, blos
deshalb wählte, weil im Tempel die Haut des Ebers als
Reliquie aufbewahrt wurde, so konnte auch in Phigalia die
Verbindung des Gottes mit den Kentauren auf einem ganz
besonderen localen Anlasse beruhen. Dadurch aber sind wir
keineswegs berechtigt, ihn an dem Tempel eines andern
Gottes mitten in das eine Giebelfeld zu stellen. Und warum
in Olympia, wo zwar auch Apollo neben so vielen andern
Göttern Verehrung fand, w^o aber seine Beziehungen zu den
dortigen Hauptculten in keiner irgendwie nennenswerthen
Weise besonders hervortreten. Und das Alles gegen das
ausdrückliche, durchaus nüchterne Zeugniss des Pausanias !
192 Sitzung der phüos.-philol. Classc com 7. Juli 1888.
Da fragt es sich denn doch, ob der Worthiut desselben sich
nicht in Einklang bringen lässt mit dem Befunde der neueren
Ausgrabungen.
Gegenstand der Darstellung ist der Kanii)f der Lapithen
gegen die Kentauren. Soll es sich aber nicht um einen
Kentaurenkampf ganz allgemeiner Art handeln, sondern soll
der Gedanke /Aim Ausdruck gelangen, dass der Streit bei der
Hochzeit des Peirithoos ausbricht, so darf Peirithoos nicht
einer unter verschiedenen gleichberechtigten Kämpfern sein.
Die beiden Kämpfer der Innengruppen sind aber unter ein-
ander gleichberechtigt, und es giebt wohl keine passenderen
Namen für sie als die von Pausanias bezeugten : Kaeneus
und Theseus, die namhaftesten und hervorragendsten unter
den Gästen. Denn welcher von ihnen dürfte vor dem andern
den Namen des Peirithoos in Anspruch nehmen? Dem
Peirithoos gebührt der erste Platz, der des Vorkämpfers,
oder — der letzte. Machen wir uns die ganze Lage klar!
Alle Lapithen sind nicht nur ohne Schutzwaffen; sie tragen
auch kein Wehrgehenk. Einige sind in gewaltigem Ringen
nur auf die Kraft ihrer Arme angewiesen; einer führt im
Kampfe ein nacktes Schwert; Theseus endlich nicht eine
Streitaxt, sondern, wie nach Völkeis Vorgang Welcker (Ant.
Denkm. I, S. 186) bemerkt, nicht ohne gute Absicht ein
Beil, wie es als Werkzeug zum Opfer und zum Mahle zur
Hand sein nuisste, und wie es Theseus schon als sieben-
jähriger Knabe einmal bei einem Gastmahl ergriffen haben
sollte, um gegen die für den Löwen selbst angesehene Löwen-
haut des Herakles beherzt anzugehen (Paus. 1, 27, 8). Das
Alles dient nur, um auszudrücken, dass wir es mit einer
Ueberraschung, einer Ueberrumpelung zu thun haben. Wir
dürfen vermuthen, dass Eurytion , der gewaltthätigste der
Kentauren, als Gelegenheit zum Raube einen Augenblick
wählte, in dem Peirithoos nicht unmittelbar zur Stelle war.
Erst als der KuMii)f bereits entbrannt, eilt dieser wieder her-
V. Brunn: Ueher Giebelgrujipen.
193
bei, zu welchem Beginnen? Darüber würde uns wahrschein-
lich das Attribut der Linken aufklären, wenn es erhalten
wäre. Bedenken wir jedoch , dass gewiss auch Peirithoos
vor dem Beginn des Streites nicht zum Kampfe gerüstet war,
so ist wohl das Natürlichste vorauszusetzen, dass er beim
ersten Lärm eiligst nach einer Waffe griff, und zwar nach
seinem eigenen, beim Mahle abgelegten, in der Scheide
steckenden Schwerte. Blicken wir jetzt zur Vergleichung auf
die Amazonenvase des Hypsis in der hiesigen Vasensamm-
lung (N. 4), auf welcher die vorderste Figur ein solches in
der Rechten hält, so würde sich nach Analogie derselben in
das Zapfenloch der Statue das Schwert so einfügen lassen,
dass nach aussen der Griff sichtbar hervorträte, während die
beiden Bohi'löcher sehr wohl zur Anfügung der Riemen und
Schnüre des Wehrgehänges dienen könnten. Dieser Ergän-
zung entspricht auch die Haltung des Armes, der durch das
Schwert massig, aber doch etwas mehr als durch den zu
leichten Bogen belastet würde. So tritt Peirithoos aus dem
194 Sitzumj der philos.-phüol. Clause vom 7. Juli 1888-
Innern hervor. Unter dem Eindruck der Ueberraschung
hemmt er den Schritt; er bedarf eines Augenblicks der Orien-
tirung. Das Erste ist ein Zuruf, begleitet von einer leb-
haften Bewegung des rechten Armes nach der Seite, wo er
die gefährdete Braut erblickt. Erst wenn er die Lage klar
erkannt, wird auch er selbst das Schwert aus der Scheide
ziehen, um den Kampf zur letzten Entscheidung zu führen.
So nimmt er seine Stellung ein, nicht als ein deus ex machina,
sondern als ein Feldherr und Lenker, als die Hauptperson,
um deren Wohl oder Wehe der ganze Kampf entbrannt ist
und zu einem glücklichen Ende geführt werden wird.
Lassen sich aber schliesslich die Bedenken , welche ich
gegen die bev(n-zugte Stellung des Apollo im Giebel eines
Zeustempels erhoben, nicht in noch verstärktem Maasse gegen-
über dem Peirithoos geltend machen V Ich habe den Nach-
weis zu führen gesucht, dass die Composition des Giebels
erst durch die Gestalt des Peirithoos nach Form und Inhalt
ihren künstlerisch vollendeten Abschluss erhält. Aber selbst
wenn dieser Versuch nicht gelungen sein sollte, so lässt sich
doch die Thatsache nicht aus der Welt schaffen, dass in dem
Giebel der Kentaurenkampf bei der Hochzeit des Peirithoos
unzweifelhaft dargestellt war. Also nicht dass, sondern wes-
halb der Künstler diesen Gegenstand wählte, kann in Frage
kommen. Diese Frage hat aber offenbar schon dem l'au-
sanias einiges Kopfl)rechen verursacht: nach seiner Ansicht
(f./.iui do7.elv) habe der Künstler diesen Stoff" gewählt, weil
er aus Homer erfahren, dass Peirithoos der Sohn des Zeus
war, und weil er Avusste, dass Theseus in vierter Linie von
Pelops abstamme. Diese Begründung hat wohl schwerlich
bei irgend einem seiner Leser Beifall gefunden. Wenn aber
Pausanias trotz seiner Altg]äul)igkeit aus einer reichen Kennt-
niss der h'eligion, der Mytliologie, des Cultus nichts Besseres
beizubringen und (jff'enbar auch in Olympia nichts Sicheres
zu erfahren vermochte, so wird wohl die Frage gestattet
V. Brunn: Ucber Giebeh/ruppen. 195
sein, ob wir überhaupt auf diesem Gebiete eine Erklärung
suchen sollen.
Im vorderen Giebel handelt es sich um die Werbung
des Pelops um Hippodamia, im hinteren Giebel um die Hoch-
zeit des Peirithoos und — einer anderen Hippodamia: denn
so, nicht Deidamia, heisst nicht nur bei Homer (11. II, 742),
sondern überhaupt in den älteren Quellen die Braut des
Peirithoos (vgl. Pauly Realenc. unter Peirithoos). In einer
mittleren Zeit, auf einem schönen unteritalischen Vasen-
gemälde (Ann d. Inst. 1854, t. 16) begegnen wir einmal
dem Namen der Laodamia. Deidamia findet sich zuerst bei
Plutarch Thes. c. 30. Wichtiger jedoch als diese Namens-
übereinstimmung erscheint die innere Verwandtschaft in den
Lagen und Geschicken der beiden Bräute. Nach der Ansicht
der Griechen frevelte Oenomaos gegen ein höheres Gesetz,
indem er der Tochter den Gatten vorzuenthalten trachtete:
Pelops muss sich die Hippodamia erkämpfen. Wider höheres
Hecht wollen die Kentaurn dem Peirithoos die neuvermählte
Gattin entreissen: in heissem Kampfe muss er sie gegen
frechen Uebermuth vertheidigen. In solchen Ideenverbin-
dungen glaubte schon Petersen (Kunst des Pheidias S. 348)
den ideellen Zusammenhang der beiden olympischen Giebel-
gru])pen zu erkennen. Noch früher als er hatte ich das
poetische Bund zwischen den Bildern der Vorder- und liück-
.seite einer unteritalischen Vase (Mon. d. Inst. V, 22 — 28)
in dem Charakter des gegen seine Tochter frevelnden Oeno-
maos und des gegen seine Familie rasenden thrakischen
Lykurgos gesucht, obwohl ich mich dabei nur auf das Zeug-
niss eines sehr späten Dichters, des Nonnos, zu berufen ver-
mochte. Und so wnirde ich mich auch für den oben ange-
deuteten poetischen Zusammenhang der beiden Giebel-
gruppen mit voller Entschiedenheit aussprechen, sofern wir
es nicht mit Giebelgruppen, sondern mit Vaseubildern zu
thun hätten. Hier aber stehen wir plötzlich vor einem Pro-
19() Sitzuny der philos.-philol. Classe vom 7. Juli 1888.
Ijlem von grosser Tragweite: ist es gestattet, das Gesetz der
poetischen Analogie, welches zwei sonst von einander
unabhängige Mythen unter einer gemeinsamen poetischen
Idee mit einander verbindet, auf die beiden Giebel eines
Tempels, des geheiligtsten Tempels in Griechenland zu über-
tragen ? Die Frage lässt sich sicher nicht beiläufig und so-
fort erledigen. Aber wir haben das Recht, sie aufzuwerfen.
Und so erinnere ich zunächst an Perseus und die Medusa,
an Herakles und die Kerkopen in den Metopen des einen
selinuntischen Tempels, an Herakles und die Amazone, an
Aktäon, Zeus und Hera, Athene im Gigantenkampf in den
Metopen des andern. Noch näher auf unser Ziel weist uns
das Tempelbild des Zeus in Olympia selbst. Ich sehe ab
von den Niken an den Füssen, den Hören und Chariten an
der Rücklehne, den mordenden Sphinxen an den Armlehnen
des Thrones. Aber da finden wir weiter die Geburt der
Aphrodite an der Basis, Amazonenkämpfe am Schemel, am
Throne selbst ausser den Kampfarten nochmals eine Amazonen-
schlacht , den Tod der Niobiden , endlich an den gemalten
Schranken neun Scenen aus verschiedenen Heroensagen, und
sogar durch die Gestalten der Hellas und Salamis eine Be-
ziehung auf die unmittelbare Gegenwart. Ist es glaublich,
dass bei der Wahl dieses reichen Bilderschmuckes die Rück-
sicht auf Religion und Cultus ausschliesslich oder auch nur
in hervorragender Weise maassgebend gewesen sei ? Poetische
Beziehungen treten dagegen vielfach und fast ungesucht her-
vor, wenn wir auch bisher noch nicht im Stande gewesen
sind, alles Einzelne in der Weise zu einem Ganzen zu fügen,
wie es uns das Vorbild des Pindar in den vielverschlungenen
Gängen seiner Siegeslieder lehren kann. Wäre es da nicht
sogar möglich, dass auch den Künstlern der Giebelgrnppen
die Poesie vorangegangen, ihnen den Weg gezeigt hättet*
Hippodamia spielte in Olympia keine untergeordnete Rolle :
sie hatte, wie Pelo))s, ihren eigenen Temenos und ihre be-
V. Brunn: IJchcr Giebelyruppen. 1"'
sonderen Opfer; durch die Einsetzung der Heräen, des Wett-
hiufes der Jungfrauen, hatte sie die engste Beziehung zu den
Festspielen. Nehmen wir nun einmal an, dass l)ei der Fest-
feier in Olympia in einem Hymnus, in einem der Chorlieder
ihr Ruhm poetisch verherrlicht, dass die gefahrvolle Bewer-
bung des Pelops um sie dem altberühmten Kampf des Pei-
rithoos um seine Braut an die Seite gestellt und schliesshch
etwa das Walten der Gottheit hochgepriesen wurde, welches
hier wie dort der gerechten Sache zum Siege verholfen, so
hatte der Künstler wenigstens nicht zu befürchten, in dem,
was er anschaulich, aber in der knappen Sprache der Kunst
vor Augen führte, von der Festgemeinde nicht verstanden
zu werden.
Die Verkettung der Gedanken hat mich über mein ur-
sprüngliches Ziel hinaus, von der tektonisch-formalen Be-
trachtung der Gruppen auf ihren geistigen Inhalt geführt.
In letzter Instanz freilich lässt sich das Geistige vom For-
malen nicht trennen, und einmal muss doch mit der Ver-
einigung beider Betrachtungsweisen begonnen werden. Mögen
also die hierauf bezüglichen Erörterungen noch manchen
Zweifeln begegnen oder überhaupt verfrüht erscheinen, —
ohne solche Versuche wird das letzte Ziel sich nicht er-
reichen lassen.
Die letzten Worte mögen es entschuldigen, wenn ich
es wage, einen Gedanken auszusprechen, der sich mir erst
im letzten Momente während des Druckes dieses Aufsatzes
aufgedrängt hat.
Trotz der Umstellung der beiden Figurenpaare im Ost-
giebel von Olympia lässt sich die Ordnung der fünf mittleren
Gestalten neben einander von dem Tadel der Einförmigkeit
immer noch nicht freisprechen. Eine Milderung könnte die-
selbe wohl nur im Centrum erfahren. Betrachten wir darauf
198 Sitzung der phüoH.-pliilol. Classe vom 7 . Juli 1888.
liin die Figur des Zeus: ihre obere Hälfte ist kräftig, breit
und voll entwickelt ; in der unteren Hälfte entbehrt die
Stellung der Beine der rechten Freiheit, der Majestät, wie
wir sie einem Zeus wünschen möchten ; sie erscheint,
möchte man sagen, etwas befangen, und der Breite der
Vorderansicht entspricht nicht die gleiche Tiefe des Profils.
Die Betrachtung der Rückseite zeigt durch die starke Ab-
arbeitung der mittleren Partien und durch zwei grosse Zapfen-
löcher, dass die Figur mit dem Rücken möglichst nahe an
die Giebelwand gerückt sein musste und also die Grundfläche
des Feldes vor den Füssen des Gottes wenig und, warum
sollen wir nicht sagen : ungenügend ausgefüllt war.
In der Sage wird ein besonderer Nachdruck auf den
feierlichen Vertrag gelegt, welcher dem Rennen vorhergeht.
Die Künstler halten daran fest, indem sie in den betreffenden
Scenen entweder ein Opfer darstellen oder wenigstens die
Figuren um einen Altar gruppiren (vgl. Ann. d. Inst. 1858,
p. 1(33). Sollte daher nicht auch in der Giebelgruppe ein
Altar vor den Füssen des Zeus haben Platz finden können?
Aber spricht nicht dagegen das Schweigen des Pausanias?
Pausanias beschreibt nicht ausführlich; er begnügt sich, Zahl
und Namen der Figuren zu bezeichnen und höchstens zu
bemerken, ob sie stehen, sitzen oder liegen. Er schweigt
auch von den Wägen, obwohl Flasch (S. 1104aa) ihr einstiges
Vorhandensein, wie mir scheint, mit Recht annimmt. Erklärt
sich aber ihr Verschwinden leicht daraus, dass sie aus Bronze
gebildet sein mochten, so dürfte man den Altar nicht ge-
funden haben, weil man ihn nicht gesucht oder vielleicht
auch, weil man wegen der Nichterwähnung bei Pausanias
etwa vorhandene Reste unter andern Marmortrümmern nicht
erkannt hat.
Genügt aber ferner der vorhandene Raum für einen
Altar V in durchaus analoger Weise musste im Westgiebel
von Aegina der Kaum genügen, um vor die in ihrer Be-
V. BriDin: Ueber &iehel(jruppen. 199
wegung beengten Fasse der Athene den gefallenen Achilleus
zu legen. Zudem sind wir keineswegs genöthigt, uns den
Altar etwa als einen vollen Würfel vorzustellen. Es würde
vielmehr dem nach vielen Seiten malerischen Styl dieser
Giebelgruppen entsprechen, wenn wir uns den Altar, wie
auf dem in den Annali (1. 1. tav. K) behandelten Relief, über
Eck gestellt und nach Art der fast an die Giebelwand ge-
klebten hinteren Rosse in flacher Behandlung ausgeführt
•lenken.
Ist hiernach das einstige Vorhandensein des Altars, wenn
auch noch nicht als Thatsache, so doch als möglich und
wahrscheinlich nachgewiesen, so bedarf es nur eines kurzen
Hinweises darauf, wie durch diese Zuthat die ganze Dar-
stellung in einem neuen Lichte erscheint. Die Composition
erhält durch den Altar erst ihren künstlerischen und geistigen
Abschluss: die Eintörmigkeit der neben einander gestellten
Figuren ist unterbrochen ; das Centrum gewinnt das nöthige
Gewicht; die Gestalt des Zeus sondert sich weit schärfer
und bestimmter ab als bisher und gewinnt dadurch erst recht
ihre Bedeutung als geistiger Mittelpunkt. Zugleich aber
scheiden sich dadurch die beiden Figurenpaare zur Seite von
der Mitte ab und wirken als zwei Gruppen, die durch den
Altar getrennt, aber in ihren gegensätzlichen Beziehungen
wieder verbunden und einer einheitlichen poetischen und
künstlerischen Idee untergeordnet werden.
Auch die Figur des Peirithoos im Westgiebel zeigt in
der Stellung der Beine eine ähnliche Befangenheit, wie die
des Zeus; und auch an ihr hat man beobachtet, dass die
Rückseite ganz flach behandelt ist und die Figur, ganz eng
an die Hinterwand gerückt, fast mehr wie ein Relief, nicht
wie eine Rundfigur aus derselben hervorragen musste (Voss.
Ztg. 1888, Nr. 19). Wir haben hier keinen Grund, uns vor
ihr einen gesonderten Gegenstand aufgestellt zu denken.
Dagegen dürfen wir uns wohl an den Westgiebel des Par-
200 Sitzung der pliilos.-phttol. Classe vom 7. Juli 1888.
thenon erinnern lassen, und zwar so, dass die Beine des
Theseus und Kaineus sieh allerdings vor denen des Peirithoos
nicht gerade kreuzten, wie die des Poseidon und der Athene
vor dem Oelbaum, aber doch vor dieselben traten und sie
theilwei.se deckten. Auch hier würde dadurch die Figur des
Peirithoos aus ihrer bisherigen Isolirung befreit werden und
in ihrer Bedeutung, die auseinanderstrebenden Gruppen künst-
lerisch zu verknüpfen, nur noch klarer und bestimmter her-
vortreten.
Also hier die Analogie des Parthenon, dort die der
Aegineten: damit mag eine gewisse Gewähr geboten sein,
dass die letzten Vorschläge nicht reine Phantasiegebilde sind,
sondern herausgewachsen aus einer durch Thatsachen unter-
stützten Anschauung von einer streng gesetzmässigen Ent-
wickelung des Princips der Giebelcoraposition, in welcher
Olympia die naturgemässe mittlere Stellung zwischen Aegina
und Parthenon einnimmt.
201
Herr Weck lein legte eine Abhandlung des Herrn
R ü m e r vor :
, Studien zu der handschriftlichen Ueber-
lieferung des Aeschylus und zu den
alten Erklärern desselben."
I.
Zu der Stelle der Suppl. 315:
novov d'Xdoig av ovöafAOv xavxov 7[T€qov
lesen wir in der Adnotatio critica sowohl bei Kirchhoff, wie
bei Wecklein (331): d'Yöoig Turnebus: ösldotg M. und Niemand
wird zweifeln, dass dies eine glänzende Besserung des gerade
um unser Stück (V. 2. 259. 260. 318. 352. 416 etc.) so
hervorragend verdienten Gelehrten ist. Und doch lässt sich
hier die Frage aufwerfen, ob denn überhaupt hier etwas zu
l)essern war und ob nicht das, was Turnebus herstellen wollte,
schon im Texte steht. Nun, ich meine zu bessern war hier gar
nichts und der librarius des M. hat hier nur, von dem Accente
abgesehen, getreulich seine Vorlage copiert: JEIJOI^, was
nichts anderes ist als da Ydoig oder d'Yöoig, und das führt
uns auf eine Eigenthümlichkeit dieser Handschrift, in der
sie geradezu ganz einzig dastehen dürfte.
Bekanntlich ha])en die Philologen in Alexandria sich in
in manchen Fällen des Apostrophs und der Diastole nicht
bedient, vielmehr, wie es scheint, der Deutlichkeit wegen ex
7fXr^Q0vg geschrieben. Man vei-gleiche darüber Lehrs, Ztsch.
202 Sitzung der phüos.-phiol. Classe vom 7. Juli 1888.
f. A.W. 1834 S. 145; Quaest. epic. p. 49 und jetzt Lud-
wich: Didymi fragm. I zu A 323 und A 169.
Auch in unseren arg verstümmelten und verkürzten
Scholien des Aeschyhis findet sich noch eine vereinzelte Spur
von diesem Gebrauche der Alten; denn anders wüsste ich
die Notiz, die wir zu Prometheus 611 lesen
7cvo6g ßooTolg öoTriQ^ ^Q^S TlQO(.irjdla
öfTi jiQooO^slvai t6 a toj öocr^ga dio zr])' TOf-ir^v nicht zu
deuten. Warum die Alten in so manchen Fällen auf das
volle Ausschreiben der Vokale hielten, kann man erkennen
aus Stellen, wie Prom. 238:
syiju ö^ hölf-irjo''' s^elvaaur]v ßgoTOvg.
Wenn sie hier nämlich hoXmjGa schrieben, so war jedes
Missverständniss ausgeschlossen und eine Auffassung vermieden,
von der uns die Scholien ebenfalls zu berichten wissen :
. . . övvuTai '/.al ToX(.irig slvai wg Tiiiirjg rii-irfiig (cf. Didym.
und Ariston. zu / 605, dagegen Nauck Soph. Philoktet 684.)
Die Spuren dieser Schreibweise begegnen uns, wie oben
bemerkt, im Cod. Med. in grosser Anzahl und scheinen uns
in doppelter Beziehung interessant. Einmal bürgen sie uns
für das hohe Alter und die wichtige Herkunft dieser Hand-
schrift, andrerseits bieten sie uns die Möglichkeit, die Ent-
stehung einer grossen Menge von grol)en Fehlern zu erklären.
Zur Constatierung der Thatsache sei nur auf folgende Fälle
verwiesen: Prom. (Kirchh.) 98G : xat m (xar<), 1076 xat
oi'x (xot'x), Pers. 440 xat evytveiav {-/.evysveiav) (cf. Sept.
668 y,' aloxQOJv {'/.aoxQcöv)). So erklären sich die Correcturen,
von denen uns berichtet wird zu Ag. 39 xoi; factum e xat
ov, Sept. 642 ((346 Weckl.) joiniorj^'' v in litura, im arche-
typus und demnach ursprünglich im Medic. stand gewiss
nichts anderes als: ro F7cior)i.ia. Bemerkenswert ist in dieser
Beziehung Prom. 914 (947 Weckl.) olda XV t^öno), wo im
Scholion bemerkt ist: xat ty TQOyrqj. Man vergleiche ausser-
Söiner: Studien z.handschriftl. Ueberlieferung d. Äeschylus. 203
dem Fälle, wie Proni. 722 eV^' ^AfxaQövwv otquzov \ rj^eig
oivydvoQ\ ai QeuloxLQar icoiB /.xl: ovvyavoqa M, Pers. 278
IVr a;ioif.iov ßoav : au M, Pers. 488 xat GeoGahöv jioIek;
i;Teo;iaviOf.dvovg \ ßogäg aöe^avv'': aöi'iavio M, 836 w öalfxov,
wg i-is iiöW ioiQxeiai /.a/.a: jtolla EioiQxezai M, Sept. 137
w ;i6tvC "Hqa: w jiötvia M, 140 ali)^r^Q d' hiif-iaivEtaL: de
ali/^Q M, 866 reTvf.if.ievoi drii)\ ö(.ioö7iläyyviov: df,za M,
Clioeph. 259 ovq Y6oi(.C tyio yiots: XdoinL M, cf. Choeph.
849 xrA.
Aber wenn der librarius des M. an diesen Stellen un-
bedenklich seiner Vorlage gefolgt ist, so muss diese merk-
würdige Schreibweise ihm doch wieder an andern Skrupel
gemacht haben, und er hat sich mit ihr abgefunden, so gut
und so schlecht er eben konnte. Betrachtet man die statt-
liche Reihe dieser Fälle, so wird man einerseits dazu geführt,
endlich einen Grund für die vielen Verschreibungen gerade
nach dieser Richtung zu erkennen, andrerseits aber auch zu
dem Gedanken gedrängt, dass an manchen dieser Stellen
grobe und willkürliche Aenderungen des librarius vorliegen.
Der Vers Pers. 798 (809 Weckl.) :
ov ocfiv y.a/MV vipiov' S7iai.ii.uvsi nuO^slv
a
ist im Med. vipiOTS (superscr. m.) na(.if.ii:vsi geschrieben. Rührt
die Correctur von dem öiogOioTr^g her, so wüsste ich dieselbe
kaum anders als mit der Annahme zu erklären, dass er die
Lesart des archetypus, die vom librarius des M. falsch auf-
gefasst worden war, wieder herstellen wollte. In dem arche-
typus war aber geschrieben : vipioza S7Taiuf.isvsi. Kaum anders
wird man sich die Lesart desselben Cod. zu Suppl. 14 (psvyeiv
avsöt^v did y.vf.i' ühov erklären können dia/.vi.i* aXsov; denn
im archetypus stand unzweifelhaft did /.vi.ia dXiov und daraus
das Missverständniss.
So kann man sich auch für oocfiaj-i'' otco des Prom. 472
das oo(piOf.iCiT(jov des M. entstanden denken. Ja, es lässt sich
1888. Philos.-philol. u. bist. Gl. 11. 2. 14
204 Sitzung der yhUos.-philoL Classe vom 7. Juli 1888.
annehmen, dass der librarius des M. sich manchmal auch aus
diesem Grunde zur Weglassung von Vokalen und Silben ver-
leiten Hess. Den Vers Eum. 105 sv rn^egcc ös f-iolg' ojtqo-
oxoTtog ßgoTiov hat man aus den Schollen richtig hergestellt,
im Med. liest man f^iolQa nQOOzonog und wenn nun auch
ganz unzähligemal gegen die Trennung der Silben in dieser
Handschrift gefehlt worden ist^), so mag der Schreiber doch
hier ^lo'iQa aus dem archetypus herausgelesen und dann aber
willkürlich geändert haben. Eum. 457 ist nQvipao' a gewiss
eine ganz richtige Aenderung von Musgrave, aber auch hier
raaf der librarius das y.Qvipaoa aus seinem archetypus über-
nommen, das unbedingt notwendige a aber dann ausge-
lassen haben; ja, vielleicht hat man auch mit derselben
Willkür zu rechnen Choeph. 847, wo nach Elmsley gelesen
wird : ovzoi (fgir' av y.liilisiev io!Ji.iarcüfAivijr, während der
Med. bietet : cpqiva y.leili€iav. Aus diesem Umstände erklärt
sich vielleicht auch die Verschreibung Choeph. 459, wo Schütz
gewiss richtig Twj/tJ' oxog hergestellt hat, im archetypus stand
aber tcovös ay.og. So wird wenigstens die unerklärliche
Verschreibung des M. twv ö' tKag eher erklärlich.
Indem ich im übrigen eine weitere kritisclie Ausnützung
dieses Gesichtspunktes vorderhand auf sich l)eruhen lasse, soll
1) Gerade nach dieser Richtung hat die Conjecturalkritik
in alter, wie in neuer Zeit ihre schönsten Triumphe gefeiert. Es sei
daher kurz verwiesen auf die adnotat. crit. bei Kirchhoff zunächst zu
Choeph. 392, 423, Eum. 663, 811, Sept. 115 (523?), sowie auf Ag. 299,
1612, Choeph. 159 (?), 222, 254, 342 (darum wird auch das von H. S.
Ahrens zu 387 (398 Weckl.) gefundene Fä das einzig richtige sein;
cf. Eum. 394, 943), 388, 447, 591, 753 (797 Weckl.), 989, 1018. Eum.
265, 446, 514, 540, 549, 872*. 924, 974. Prom. 216, 243, 650, 739,
895. Suppl. 149, 152, 192, 213*, 218, 226, 249, 2(13*, 282*, 290**,
308, 332, 407. Vgl. auch Eum. 943. Suppl. 224, 318. Zu manchen
dieser teilweise ganz ungeheuerlichen Verschreibungen mag auch der
hier berührte Umstand das Seinige beigetragen haben.
Böiiier: Studien z.hand^chnftl. Ueberlieferung d. Aeschylus. 205
nur eine vielbesprochene Stelle liier herangezogen werden.
Suppl. 94 (Kirehhotf), 10(5 (Wecklein). Der letztere liest
dieselbe :
Tcäv anovov daifxovltov
r^f.lsv' avio q)Q6vt]^d Tttog
aiTod^ev e^enga^ev tt-inag
eÖQovior dcp' dyvojv
Aber der Med. bietet r^/nerov, aus dem man d-äooov,
uvr^uoi' oVw, »((>£«' ävco und verschiedenes gemacht hat. Ich
glaube, dass Wecklein hier mit der einfachen Aenderung
rif.iei'' allein das Richtige getroffen hat. Ursprünglich wird
im archetypus i/. 7lXr^Q0vg geschrieben gewesen sein rn-ieva
ävo), das verstand der librarius nicht und machte die, wie
ihm dünken mochte, nahe liegende Aenderung r^f.l€vov, aber
alle Lesarten und Aenderungen. die hier g^Qovt]i.ia als Subjekt
fassen, scheitern und müssen scheitern an der bei Aeschylus
geradezu unerhörten Auffassung des höchsten Gottes als eines
„Gedankens oder Geistes". Dieselbe ist in jeder Beziehung
so unstatthaft, dass das jrwg, wie Steusloff bei Oberdick
gemeint hat S. 100, durchaus nicht im Stande ist, sie zu
entschuldigen oder zu rechtfertigen.
IL
Eine weitere Eigentümlichkeit des Cod. Med., die ich
mit dieser ersten verbinden möchte, sind die vielen jonischen
Formen, die sich in demselben finden, die man sich als
Reminiscenzen der Schreiber aus Homer zu erklären und
grösstenteils zu entfernen suchte. Nun begegnen dieselben
auch in den Codd. des Sophocles und Euripides, aber durchaus
nicht in diesem Umfange und es wird immer ein Haupt-
verdienst Porson's und Elmsley's, denen Dindorf gefolgt ist,
bleiben, dieselben durch richtige Formen des Atticismus er-
setzt zu haben. Aber anders stellt sich doch die Frage bei
14*
20G Sitzung der 2)hilos.-philol. Classe vom 7. Juli 1888.
dem ältesten Tragiker, als bei seinen beiden Nachfolgern,
und da man bei dem ersten entschieden zu weit gegangen
zu sein scheint, so dürfte vielleicht eine kurze Beleuchtung
des Gegenstandes angezeigt sein.
Leicht stellt sich die Sache bei offenbaren Ver-
schreibungen wie Choeph. 353 zeixeooi, 453 und Eum.
185 oveideooiv, Prom. 375 ßiUooi, 684 ilievdeooi, Choeph.
858 TiQOOOiü, Prom. 926 oooov, Pers. 712 toooogöe, Pers. 168
■Koviooag (Bekker Hom. Bl. I, 68, 13 ff.), möXiv in Ver-
bindung mit 7rdoav möliv Sept. 286, xax nxoUnov Suppl.
75. Dazu kann man auch die jonische Form yhü(.iai rechnen,
die an 8 Stellen im Med. erscheint, sowie v.iyyävio und yi-
vwo/.io Choeph. 580 y erasum. Manche dieser Formen wurden
si ^ n
durch Correktur entfernt, wie Pers. 717 y.Xrjioai, 765 naTQrn,
n
auch durch Correktur hergestellt Sept. 818 (Weckl.) Idiöog.
Ganz Singular begegnet Choeph. 237 7iQrjy(.i<xcojv, dem Jiqay^ia
in einer Masse von Stellen gegenüber tritt, vereinzelt tiov
Pers. 773, eycöv im Trimeter Suppl. 706, aöihpeoc, Sept. 559,
V
TiTiQag Pers. 658, öoiolv Pers. 727, Sept. 898. Wenn nicht
in allen, so wird man doch an den meisten dieser Stellen an
Verschreibungen denken dürfen, die teilweise wenigstens in
homerischen Reminiscenzen ihren Grund haben mögen.
Anders stellt sich aber die Frage, wenn uns sowohl bei
dem Nomen, wie bei dem Verbun) jonische Formen be-
gegnen. So Choeph. 556 TcilfjGi, Prom. 725, Sept. 586
und fragm. (Dind.) 127 b vacrrjai, Ag. 632 und Pers. 189
d?li[LjOi. Prom. 6 uiörjioiv, Ag. 906 öriQiog; Ag. 698
7roUa, voog bei Sophocles nur im Melos. so auch Prom. 163,
im Diverbium aber Choeph. 723 (Eurip. j^cw ö'd-KOviuv /ml
ßUnwv). Contrahiert und oHen : Pers. 315 ycoQcfvQta, wo
nicht mit Porson 7ioQ(pvQ(x zu schreiben war, das Wort ist
dreisilbig zu lesen, .atiiovvcu Suppl. 967 (trim.), 7iTEQü£viog
Römer: Studien s.haiKlschrif'H. Ueberlk'('ernn;f d. Aeschylus. 207
Suppl. 540 (luel.), Pers. 380 dnx7r}.oov (trira.), 382 hnXovv,
yeiiioQQOog fragm. 280, 3 (trira.), hiroQQOog fr. 304, 2 (trim.),
71 '/mt vQooig Froni. 850, yaXy.eog Choeph. 667, xQvooig Sept.
434, fragm. 183 (trim.), drthrvovg Prom. 1087 (iiiel.). avTi-
;rvoog Ag. 139, niQnroog immer offen, contrahiert nur Prom.
910. Von Verbalformen lesen wir: dido'i Snppl. 977 (/ 519
d 237, Q 350), Tii^sloi Ag. 445 (/7 262, ß 125), die Con-
traction in ev statt in ov in Prom. 122 eiGoiyvEioi (mel.)
rrcolsvi-avai Prom. 644 (cf. Barthold zu Hippel jt. 166 und
1247), e'o/.ev Pers. 653- Ganz vereinzelt ist : v/^i^s Eum. 610
(trim.), das bei Soph. nur in einer melischen Partie vorkommt
Ant. 846; tooovtov wurde von P]lmsley Prom. 800 0. T. 734
0. C. 789 Med. 254 als die einzig zulässige attische Form zu
erweisen gesucht; bei Aeschylus stehen roiovro und roaovTo
Prom. 799, Eum. 199, 423, Pers. 430 (wo gewiss tooovt'
aQiifiAOv das richtige ist) nach der Ueberlieferung des Med.
und Prom. 799 lässt sich nicht leicht ändern ; toiovtov Ag.
302 {coioitOL a), Choeph. 998 xoiolxov äv (toiovto fxdv M),
die jonische Form ist bei ihm vorwiegend, wenn er vielleicht
auch daneben die attische gebraucht haben mag.
Wie hat sich nun die Kritik gegenüber diesen Formen
zu verhalten ? Sind sie alle zu dulden oder zu entfernen ?
Nun, soviel kann man sagen, dass die Kritik früherer Zeiten
zu unduldsam gewesen ist gegenüber diesen Fremdlingen
und sie unbarmherzig verwiesen hat. Heute hält man den
vernünftigen Grundsatz aufrecht „dem homerischen Worte
die homerische Form" und lässt darum ^r^Qlog, iooiyvevoi,
nojXev^isvat, Ag. 748 nto'kinoQiy'' Blomfield und ähnliches
unbehelligt. Auch muss man Gnade üben gegen so manchen
einzelnen Eindringling und darf darum kaum vui.ie Eum. 610
beanstanden. Auch eywv im Melos dürfte mit der Hand-
schrift zu schützen sein, Pers. 912 und Suppl. 706 ist Uytov
eben eine Verschreibung für eyiov. In dieser Beziehung
bieten sich uns ganz merkwürdige Erscheinungen bei allen
208 Sitzumj der pMlos.-jilvüol. Classe vom 7. Juli 1888.
3 Tragikern. Wer ist nicht überrascht, die Form r^lvdüi>
im Trimeter zu lesen? Und doch findet sie sich unbeanstandet
bei Sophocles El. 598, Tr. 394 (Rhes. 060) und Nauck hat
in seiner letzten Ausgabe des 0. T. 532 t^Xvi^eg in den Text
gesetzt. Ebenso merkwürdig ist z. B, bei Euripides im Tri-
meter Ale. 736 Iv leiQEöoi, das sich in dieser Form bei
Sophocles nur im Melos findet. Erinnern wir uns, dass er
auch die jonische Form in ev hat, so werden wir am Ende
noch duldsamer gegen diesen Fremdling sein.
So würde ich auch bei Aeschylus gnädiger sein gegen
die Formen des Dativ Plural ani-rjOL; sie konnten eben
neben den attischen noch lange sich halten und so mit
einer gewissen Berechtigung von dem Dichter angewandt
worden sein, zumal wir ja auch sonst Doppelformen, wenn
wir der handschriftlichen LJeberlieferung folgen, bei ihm an-
nehmen müssen, wie die jonische und attische zoaovzo und
TOaOVTOV.
Ferner erkennen wir auch aus diesen wenigen Anführ-
ungen, dass wir bei Aeschylus eben nicht so streng verfahren
dürfen, wie bei Sophocles, der z. B. v6og, if.tf.te nur im
Melos zulässt, während Aeschylus sie auch im Trimeter hat.
So gebraucht er das homerische Relativum oote auch im
Trimeter Pers. 292, Eum. 1006, Sept. 482, Sophocles und
Euripides nur im Melos.
Schwieriger stellt sich die Frage bei einzelnen Worten
fiaarog oder ftaCog. Nur an einer Stelle ist das Wort un-
bestritten in der attischen Form ftaazöv überliefert Choeph.
889, 532 steht fxaoiyöv und 517 lesen wir die jonische Form
nQooiaye ftaCöv. Merkwürdig ist nun, weder 889 noch 532
klingen an Homer an; deutlich aber 517 an X 83
BV noxi TOI Xad-fKTjdia fiaCov litLoy^ov.
Es ist nur das eine fraglich, ob die Heminiscenz von
Aeschylus ausgeht oder dem li))rarius. Im ersteren Falle
Römer: Studien z.liandschriftl. UeberUcfcrung d. Aeschylus. 209
würde ich unbedingt an der handschriftlichen Ueberlieferung
festhalten und ^latöv lesen.
l-iiv findet sich heute im Med. überliefert: Choeph. 605
(niel.), 771 (mel.), Eura. 621 (trim.), Sept. 436 (mel). Bei
Sophocles hat die Sache nicht den geringsten Anstand, der
Form viv steht die einzige {.iiv gegenüber Trach. 388, über
Euripides hat Valkenaer zu Hippolyt. 1253 gesprochen.
Auch bei Aeschylus steht den 4 Formen des (.iiv eine er-
drückende Mehrzahl von viv gegenüber. Dazu kommt, dass
Choeph. 771 im unmittelbar Vorausgehenden vtv steht 768
fft 6i VIV (fvXäaooig — ETtei imv (.itya<; agag, wo doch die
alliterierende Verbindung, für die Aeschylus allerdings eine
so ausgesprochene Vorliebe hat, kaum zur Entschuldigung
dienen kann. Demnach dürfte diese jonische Form schwer-
lich zu halten sein.
Dagegen ist schwer glaublich, dass Med. zu Pers. 246
vrjfXEQTi] eine Verschreibung ist für vaf.iEQTri, wie Porson
angenommen. Die vaiiieQTEia des Soph. Trach. 172 beweist
für Aeschylus gar nichts, der ja auch dirjvExtüg hat Ag. 306,
und nicht öiavexdjg^ wie dies Moeris p. 129 für die Attiker
fordert, der nie övoravog mit den andern Tragikern, sondern
nur diozipog gebraucht, övOTavojv nur in dem unechten Schluss
der Sept. 983. Ja gewisse Worte scheinen vom Epos förm-
lich das Gepräge bekommen zu haben, das sie auch später
behielten. So steht bei Aeschylus im Med. überall &Qrjiy,rj
Pers. 507 (trim.), 564 (mel.) , und das Adjectiv GQr^l•Klog
Pers. 860 (mel.), Ag. 632 (mel.), 1372 (trim.) und Wecklein
hat recht gethan. Kirchhoff nicht zu folgen, der überall
&Q(jcy.rj und Qgcr/.iog hergestellt hat. „ Jonica forma tragici con-
stanter usi sunt" (Dind.) Für Aeschylus lässt sich das gewiss
aufrecht erhalten, schwerlich bei Eur. Hec. 428 u. fragm.
362, 48. Vergleichen kann man damit IlaQvrjoog. So lesen
wir im Trimeter Eum. 11 nuQvr^oov i>'"d^ag und das Adjectiv
UaQvrooig Choeph. 550 (f0jvi]v r'oouev Uagviiooida, dagegen
210 Sitzung der jjhilos.-philol. Classe vom 7. Juli 1888.
im Melos Choepli. 948 6 Ao^iag 6 IlaQvaooiog (vgl. Dind.
lex. Aeschyl. s. v. KXdgiog).
Nichts Auffallendes haben natürlich die jonischen Formen
und Worte im daktylischen Versniaasse, wie Ag. 105 xara-
TtvEiBi oder 122 aj/^et, ^zgetöag etc. Wir müssen auch
manche übergehen, die nur im Zusammenhange mit spinösen
metrischen Untersuchungen behandelt werden könnten, und
wenden uns lieber zu einigen syntaktischen Eigentüm-
lichkeiten des grossen tragischen Dichters.
So scheint es mir bei Aeschylus ganz unbedenklich,
wenn er im Anschluss an den Gebrauch der Epiker si mit
dem Conjunctiv verbindet. Pers. 782, Eum, 232. So ist
gewiss auch Ag. 1282 die Lesart der Codd. el de övatvxfj
die richtige und nicht mit Blomfield in övariyol zu ändern.
(Suppl. 385?)
Schwieriger stellt sich die Frage, ob wir, gestützt auf
die handschriftliche üeberlieferung, dem Aeschylus den Ge-
brauch des Potentialen Optativs ohne öv analog dem Gebrauch
im Epos vindicieren dürfen.
Folgende Fälle liegen heute in der Lieberlieferung vor:
Prom. 61(3 Xiy^ rjvviv' alzy • /rar ydg oiv nidoio ftiov M.
Suppl. 19 tiva . . . ovv xwQav . . . dcfiy.oiiLi£Oa M
Ag. 1282 evTvxovvTa /jsv
a/.id zig avTQeil>eiE. libri.
Choeph. 159 Xeyoig' ai'OQyelzai de -aagdia cpoßuj M.
847 ovroi qiQtva -/.Xtipeiav iü/n/.iazcüf.ievrjv M.
Ag. 530 zct f.iiv zig ev Xt^eiev evneziog syeiv. libri.
Prom. 932 zl dal (foßoifjtjv, w Oarelv ov /nogaii-iov M, recc
d'dv.
Bleiben wir nun zunächst bei der letzten Stelle, so hat
man früher dem Worte dai keine Existenzberechtigung bei
den Tragikern zuerkannt. Ellendt noch verkündet: dal
autem a tragicis abire jubenuis, pronis in errorem librariis
öl et e miscentibus assignantes.
Römer: Studien z.hniKhchriftl. Ueberliefeniiig d. Aescht/1i(s. 211
Wir wollen auch die anderen Tragiker aus dem Spiele
hussL'u Antig. 318, Eur. Jon 278, El. 244, lllG, Cycl. 449,
Hei. 1245, El. 978, wo man das Wort an den meisten
Stellen durch de oder d'av zu verdrängen gesucht hat Be-
kanntlich ist dai ein homerisches Wort, das zur Verschärfung
der Fragepartikel ttwq und rig u. a. dient und das Aristarchs
•resunde Kritik bei Homer geschützt hat K 408 ort ovrÖEOf-iog
0 dai y.cd ovy. ccqB-qov. Weil es nun bei Homer in den
Verbindungen mit mag, nov, rtg etc. erscheint und sich
Aeschylus so vielfach an den Gebrauch des Epos hält, muss
die Partikel bei ihm ganz sicher gehalten werden, wo sie
vorkömmt. Sie steht unzweifelhaft handschriftlich sicher in
Choeph. 892
/rOL- öal TO loiTtd Ao^iov {.laviEvi-iaza.
Sie steht auch bei Aristoph. Plutus 156 vi dal. Fraglich
aber ist, ob sie auch Prom. 932 gehalten werden kann.
Zunächst ist einmal eine Verschreibung auch nach dem von
EUendt festgehaltenen Grundsatze doch nur recht denkbar
zwischen dal und de, nicht so leicht zwischen dal und d'aV,
wenn auch im Mediceus und auch sonst die Fälle von Ver-
schreibung des / in iV nicht selten sind. Ich verweise in
dieser Beziehung auf Ag. 1052, 1081, Choeph. 138, 194,
351, 465, 625, 873, 877, Suppl. 102.
Aber da kommen wir auch ferner ins Gedränge mit
dem Potentialen Optativ ohne av. Nun ist ein solcher Ge-
brauch bei Homer fast durchweg ohne Bedenken. Cf. Krüger
Dial. 54, 3, 9. Monro Gr. H. S. 217 ff.
Doch verbinden wir damit noch eine andere der obigen
Stellen:
EVTvxoivra f.iev
ov.ia Tig dvTQeipEie.
So haben die Handschriften hier und die Aenderung in
oV tgeilme bietet sich von selbst. Ich habe dagegen nur
212 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Juli 1888.
das eine Bedenken, dass das verbuni simplex tqLico dafür zu
schwach und dvrqhiio viel besser und kräftiger ist zur Be-
ßezeichnung der Sache.
So heisst es in den Persern 163:
ji//y /.leyag 7iXovTog y.ovloag oidag avxqixpi] rtoöi \ oXßov
ganz in demselben Gedankenzusammenhange wie hier. (Fragm.
321 öovoloa ■/.ai x-Qe/covaa xvqß'' avto xarw.) Man darf
wohl, wie das auch Krüger 1. 1. gethan hat, Ag. 598 heran-
ziehen :
0V7C eod^'' OTT log le§aif.ii rd ipEvdr] -/.aXa
und so möchte ich denn der Erwägung anheimstellen, ob
wir nicht auf Grund des homerischen Gebrauches berechtigt
sind, auch bei Aeschylus den potentialen Optativ ohne äv
anzunehmen, wenigstens an den Stellen: Ag. 1282, Prom. 932,
Choeph. 847 (avo mir der Plural des Verbums ohne Bedenken
scheint).
Lehnt er sich ja doch auch noch mit manchem anderen
Gebrauche so enge an den Dichter an ; z. B. 7ieq mit dem
Participium, das Sophocles nur an einer einzigen Stelle ge-
braucht Philoct. 1068, Euripides aber, wie es scheint, wieder
aufgenommen hat.
Aber noch viel mehr, als diese Einzelnheiten es ver-
mögen, weist uns der Wortschatz des Aeschylus in die Küst-
kammer des Epos und so sei denn hier zum Schlüsse auf
einige recht bezeichnende Eigentümlichkeiten dieser Art ver-
wiesen.
Wenn wir im l'rDUi., der neben den Supplices in dieser
Beziehung hervorgehoben zu werden verdient, in der Erzählung
der Jo 657 lesen :
7tvv.vovg
i^EOTtqonovg XaXkev.,
so sind diese Worte in doppelter Beziehung lehrreich.
Itömer: Studien z.handschriftl. UcberUefcrtuui d. Acschylus. -'V'o
Einmal für sich betrachtet weisen sie uns auf das Epos
oder doch den Wortschatz des Jonisnuis, sodann legen sie
uns die Frage nahe, wie denn Sophocles oder Euripides den
Gedanken etwa ausgedrückt hätten. Und da kann man mit
ziemlicher Sicherheit annehmen, dass sie wohl die Worte
oi'xyöq. dscoQog und h.Tcei.i7ii!.ineiv gewählt hätten, denn
wenn auch bei beiden, sowohl bei Sophocles wie Euripides,
sich Ausdrücke des jonischen Wortschatzes finden , so sind
diese fremden Eindringlinge doch so vereinzelt, dass sie nicht
als charakteristisches Merkmal ihrer Sprache betrachtet
werden können. Ganz anders stellt sich die Sache bei Aeschy-
lus. Gerade vermöge dieser "Eigentümlichkeit ist er noch
weit von dem strengen Atticismus entfernt; denn Aus-
drücke wie der eben angeführte oder Prom. 544 olLyoÖQaviav
CL-Kiy.vv, Sept. 283 yeQinäd' oxgioeooav, Pers. 80 looi^eog cptög^
Prom. 193 elg aqS-i-iov e(.iol /.at (pil6Ti,Ta (Hymn. Merc. 521)
und ähnliche verweisen uns doch unzweideutig auf den Wort-
schatz des homerischen Epos.
Auch das ist bemerkenswert, wie sich Aeschylus mit
der Zeit vielleicht von diesem Gebrauche emancipiert. So
sagt er noch Prom. 449 if.
xAüOvrgg ovY. rfKOvov, dlX' öveiQaTcov d)Jy/.ioi uoQcpa'ioi,
dagegen in Agam. 1172
veovg, oveiQLov Tcgoocpegelg f.iOQcpiOf.iaOL.
Und so ist gar manches , was später zum Wortbestand der
tragischen Sprache gehört, noch gar nicht vorhanden bei
Aeschylus. So kennt er das von den Späteren angewendete
vEcoozi nicht, sondern dafür gebraucht er das homerische
viov (Valkenaer Phoen. 1489 u. G. Herrn. Pers. 13), Prom.
35, 393, 954, Ag. 159G (trim.). Das Wort erscheint bei
den Späteren ganz vereinzelt, wie 0. C. 1772 oder Eur. El.
1070, der überhaupt in seinem Wortschatze dem grossen
tragischen Meister viel näher steht, als Sophocles.
214 Sitzumj der j)hilos.-philol. Classe vom 7. Juli 1888.
So hat Aeschylus die Adverbia: aiij.ia Siippl. 464 (trim.),
qi(.i(fa Ag. 391 (mel.), '/.qvßda. Choepli. 169 (trim.), Tvtd^ci
Pers.562 (mel.), {cvri^oq Ag. 1577 (trim.), fragm.401 (trim.)),
SQate fr. 155 (trim.), (cf. Ag. 1576 dnö otpayriv sgav), voacpiv,
Suppl. 229 (trim.), UtTjTi Prom. 552 (mel.) unbedenklich
aus dem Epos herübergenommen, aber keiner der späteren
Tragiker ist ihm hierin gefolgt.
Und so weist denn eine nach dieser Richtung ange-
fertigte Liste nocli gar manches Eigentümliche auf, wovon
nur das hervorstechendste herausgehoben werden kann.
So hat Aeschylus nur allein das echt homerische atevtai
Fers. 51 (mel.), das hom. «Vrw hat er nicht, wohl aber die
Composita eq)enio Fers. 39, 550, disnoj^ Fers. 97, Eum. 912
{öiOTtog^ Fers, 46), auch hierin ist ihm keiner der Späteren
gefolgt. So gebraucht er auch allein nach dem Vorgange
Homers x/w: Fers. 1039 (mel.), Suppl. 820 (mel.), im Tri-
meter: Suppl. 488, Choeph. 661. So auch niffavoycio Fers.
658. Ein merkwürdiges Nomen ist aldoiog. Das Wort findet
sich heute in 7 Stellen bei Aeschylus und zwar im Trimeter:
Ag. 600, Eum. 684, Suppl. 192, 194, 455, 491; Anapäst:
Suppl. 29 ; weder Sophocles noch Euripides haben dasselbe
in ihren Sprachbestand aufgenommen.
Doch sehen wir lieber von diesen Einzelnheiten a1) und
fassen wir kurz die Resultate unserer Untersuchung zusammen,
so werden wir sagen, dass die Kritik falsche Bahnen wandelt,
wenn sie den Aeschylus in Beziehung auf die jonischen
Formen auf gleiche Linie stellt wie den Sophocles und Euri-
pides, und dass sich ferner in seiner Sprache eine deutlich
hervortretende Abhängigkeit von dem homerischen Epos und
dem Sprachschatz des Jonismus zeigt, der die gesunde natür-
liche Quellenfrische seiner Sprache ins Leben gerufen hat.
Römer: Studien z.handschriftl. Ueheiliefenoui d. Aeschyhis. 21o
III.
Welche Bedeutmi«]^ die Schollen, Hesychius und andere
Lexikographen neben den aus dem Altertum aus den Werken
des Aeschylus erhaltenen Citaten für die Textkritik unseres
Dichters haben, ist längst erkannt worden, und so ist denn
mancher schöne Schatz von hochverdienten Kritikern aus
diesen Quellen längst gehoben worden. Auch das grösste
kritische Talent, die glücklichste Combinationsgabe wäre ohne
diese Hilfsmittel kaum zu den glänzenden Resultaten ge-
kommen ; denn wie unsagbar desolat muss man doch über
den Zustand der Ueberlieferung bei Aeschylus urteilen, wenn
man allen Ernstes daran denken konnte, für Ag. 288 (313
Weckl.) : (fgoigä, 7rXiov -/.aiovoa tlüv elQrj/.ienov mit Dindort
aus Hesychius zu schreiben:
(fQOVQa TTQOOaid^Qi^ovoa 7t6i.ini(xov (fXoya
oder für Ag. 295 (320 Weckl.) : (fUyovoav • «Ir' l'oy.rjilisv,
€£r' dq^ixsTO nach Cobet aus Ael. V. H. XIII, 1:
aaaovoa öH^eXajxipev doTQaTrrfg dUi]v^
Kann man da noch von einer Ueberlieferung reden,
wenn man nicht etwa zu Um- und Ueberarbeitungen seine
Zuflucht nimmt? Oder wenn man an andern Stellen,
von denen nur einige angeführt werden sollen, statt der
handschriftlichen Ueberlieferung z. B. Ag, 133 für Övtojv
keoviiüi', für di/.ag jiqÖ/.toqi Ag. 110 x^Q^ 7rQäy.T0Qi, für
Ofjiui^otai yoQ Ag. 1238 ägage yoQ, für Choeph. 754 h
dyyehit ydg y.Qvmög ogOotoi] (fQevl -/.Qvmog oQO-ovrat
loyog xtA auf Grund der anderweitigen aus dem Altertum
stammenden Ueberlieferung schreiben musste? ^)
1) Wenn das von Wecklein zuerst aus dem Cod. Med. in die
adnotatio critica aufgenommene t^ = C^rsi auf corrupte und nicht
verbesserte Lesarten schliessen lässt, wozu man v?enigstens nach Suppl.
435 in marg. C^ olfiai /htjti xXairjg zav ixsriv m. berechtigt ist, so er-
öffnet das auch eine sehr traurige Perspektive.
216 Sitzung der pWos.-pliUnl. Classe vom 7. Juli 1888.
Wegen dieses traurigen Znstandes der Ueberliefernng
hat man sich denn auch genötigt gesehen, mit den alten
Erklärungen zu rechnen, die am Rande des Cod. Med. stehen,
und auf Grund derselben manche Schäden wirklich geheilt
und die Heilung anderer wenigstens versucht.
Lediglich zur Beleuchtung unserer Behauptung sei hier
zunächst auf einige Fälle verwiesen, wo leicht von selbst
sich ergebende Aenderungen schon richtig in den Scholien
zu finden sind: Choeph. 31 cfoßog (q)olßog) , 55 diy.ag
{dUav)^ 56 Tot'g {toig), 73 /rtx^ov {7iiv.qilv), 209 Ev,na-
y'Kovf.iävi]v (fyi/rayXov/.ievrjg), 243 d^r^qav nargoiav (d-rJQa
naTQtöa), 679 eyyqaq)B {eyyQcxcpEi) etc.
Schwere Schäden sind durch sie geheilt worden: Choeph.
102 -/.sdvä {aef-ivd, contra Sept. 62), 149 oyog (alyog), 426
okoifxav ergiebt sich mit Sicherheit aus dem von Wecklein
angeführten Scholion 437 (cf. Kirchhoff, S. 201): ex toiTOv
eiQrjTai t6 „TE&vah]v, oV' exen-ox' djionvevoavta 7ivOoif.irjv'^
für fAo/,«aj^ des Med., h\l vEoyevig {veogsi'fg), 523 avfid^ov
(dvfjlOov), 932 tXaoE {t?.ay.s), 986 Ityto (<//6>w), Prom. 997
(jjTiTai {lo Trat), Suppl. d^r^ ^OTcrj) etc-
So hat man denn dieser Quelle ein fast überschwäng-
liches Lob gesungen. Weil in der praefatio zu den Choeph.
XIV: ,Quae (scholia Medicea) quum adscripta sint ad codicem
Mediceum, textum interpretantur non eum, qui hoc libro
continetur, sed alium longe emendatiorem. Unde intelligitur,
quanti ea facienda sint; neque hoc fugit viros doctos, qui
Aeschylo operam navarunt, sed nemo disertius veriusque quam
R. Westphal (Emendat. Aeschyl. Vratisl. 1859 p. 8) nuper duas
ad nos pervenisse dixit Aeschyli recensiones „alteram, quae
plene extet codicis Medicei, alteram multoque praestantiorem,
ex qua nihil nobis supersit, nisi ea, quae sint a scholia stis
et Hesychio aliisqnae lexicorum scriptoribus excerpta". Und
Weil versteigt sich Eum. 19 sogar zu der kühnen Behaup-
tung: „Sed scholiorum multo maior est auctoritas,
Römer: Studien z.handschriftl. Ueberlieferung d. Äeschylus. 217
quam omnium, qui aetatem tuterunt, Aeschyli codicum". Es
wäre nur zu wünschen, dass dem so wäre, und vielleicht
war diese Behauptung einmal berechtigt, als der Zustand
dieser Scholien ein ganz anderer war, als wie er nun eben
heute vorliegt. Den Befund derselben , wie er sich uns
praesentiert, hier darzulegen, kann nicht unsere Aufgabe
sein. Nur soviel kann gesagt werden, dass das wenige Gute,
das sie enthalten, mit einer Masse von wüsten und abstrusen
Unsinn durchsetzt ist, von dem man vergeblich ein Heil
erwartet. Eine ganze Menge verdorbener und unverständ-
licher Lesarten ist in sie eingedrungen und es ist ein trauriges
Schauspiel, wenn man die wissenschaftliche Ohnmacht sich
mit ihnen abringen sieht.^) Ausserdem aber ist die Haupt-
1) Es soll bei einer anderen Gelegenheit darauf näher eingegangen
werden. Hier sei nur bemerkt: Das gewöhnliche Auskunftsmittel,
zu dem diese Nullitäten bei schwierigen oder gar verzweifelten
Stellen ihre Zuflucht nehmen, ist das Xsitiei oder .^AsomCf«. Ueberall
begegnen da die köstlichsten Beispiele. Es fehlt xai Prom. 432,
970 tj Eum. 778, a^ia Prom. 897, dem entsprechend wird auch mit
y.ai und 8id in Erklärungen manövriert, dass man staunen muss, wie
z.B. Ag. 107, 215; bei den allerunverfänglichsten Ausdrücken und
Constructionen suchen sie mit ihrem ^.eitsi dem besseren Verständnisse
aufzuhelfen, z.B. Sept. 215, 984, Choeph. 81, 386, 526. 614. Eum. 143.
Dass man ein Wort, das nicht im Texte steht, ohne allen Anstand
ergänzen könne, ist für diese Herren ausser Frage, z. B. Ag. 96,
Choeph. 606, 609, Eum. 806. Pers. 990 lesen sie gewiss /leyäla ra
Usgadv, natürlich mit der Ergänzung y.axd. Ueberall suchen sie diese
Panacee in Anwendung zu bringen, wie z. B. Prom. 601. Die über-
legene Weisheit derselben zeigt sich deutlich Pers. 649; hier ist zu-
erst richtig bemerkt eoixs de 6 AageTo; xai Aagsidv ?Jysa^ac, aber
diese Herren wissen es besser j) rijv Aageiav rpvxh'^ dvöuisfiipov. Der
Triumph der Weisheit ist aber zu lesen an der verzweifelten Stelle
Choeph. 646 . . . nhovä!^Ei tj 'öv\ oder wenn Sept. 602 cpilsi: 8e oiyäv ?}
Uyeiv To xaiQia erklärt wird : :TaoaSia^evxziy.6g dvTi zov xai, xal Uytir
T« xaioia. Es verrät einen sehr geringen Einblick in die Gepflogen-
heit dieser Herren, wenn uns Dindorf seine zu Ag. 14 gemachte Con-
jectur Äv^co mit der Autorität dieser Gelehrten empfehlen möchte, denn
218 Sitzung der iMlos. - philo! . Classe vom 7. Juli 1888.
(juelle, die uns viel öfter und unzweifelhaft auf das Richtige
führen könnte — nämlich die Paraphrase — entweder ganz
zu Verlust gegangen oder heillos entstellt und verderbt worden.
Doch ist dieselbe, soweit sie vorliegt, auch in ihrem
heutigen Zustande wichtig genug, um einer näheren Unter-
suchung unterstellt zu werden. Weist sie uns ja doch in-
direkt in die Schule der alexandrinischen Philologen, über
deren Verfahren nach dieser Richtung Lehrs im Aristarch
S. 153 und nach ihm Lud wich Didymus II, 483 ff. gehandelt
haben. Ob Aristarch den ganzen homerischen Text in
Ilias und Odyssee parapbrasiert, darüber können wir nicht
sicher urteilen, unsere Quellen geben uns nur insoweit An-
haltspunkte, dass wir sagen können: bei schwierigen
Stellen hat sich Aristarch neben der Erklärung auch der
Paraphrase bedient: bei andern weniger schwierigen Versen
hier wird ihre Weisheit eklatant offenbar: i) jiegcoods 6 ydß, i]
XeiTiei tö dXvoj ^qui proxime abfuit ab vera scriptura Av^w". Dind.
lex. Aeschyl. s. v. ?^vCo). Dass diese byzantinische Afterweisheit nichts
zu thun hat mit dem Systeme der Alexandi-iner ist klar. In dem
ji?.sovdCei und Xeinsi scheinen sie mir ganz besonders strenge gewesen
zu sein, was an einem Verse Homers gezeigt werden soll, den man
kaum richtig verstanden hat.
A. 133 fj EÜekeig, öcpq aviog E/jjg ysgag, avTctQ s'/x avzcog
T]aüai dsvo/xevov, xiXeai de fie zt^vö' ujiodovt'ai
Diese beiden Verse wurden von Aristarch athetiert aus den von
Aristonicus angeführten Gründen: özi Evze^.sTg zf/ avvdeasi xai zfj öia-
vola xal iLiij dgitoCorzeg 'Ayufiifivort. Um von den andern Gründen ab-
zusehen, wie kann man sagen, dass die Verse im Munde des Agamemnon
unpassend sind? Nun, ich denke weder Aristarch, noch vielleicht
einem anderen Griechen ist es eingefallen, zu devöfievov den Genetiv
von ysQag zu ergänzen. Aristarch wenigstens nahm die Worte,
wie sie dastehen ohne jede Ergänzung aus dem Vorausgehenden und
da heisst ibm eben 8Ev6fit-vov nichts anderes als was es sonst auch
heisst , dürftig" und so konnte er von dem reichen Heerkönige sagen
ovy aofioCsi 'Ayafxsfivovi. Doch vergleiche man auch Aristonicus zu
A 136, /' 224, A 307, i\ 287 // 55'J.
Römer: Studien z.h(in(lschrifll. Ueherlieferum/ d. Aesch^his. 219
inau; er sicli wohl mit der Paraphrase allein begnügt haben.
Auch über die BeschaÖenheit derselben können wir nach
den wenigen erhalteneu Mustern nicht in Zweifel sein : die
Sprache des Dichters war in die in der damaligen Zeit gang-
baren Wendungen der griechischen Sprache übertragen und
dadurch wohl dem alltremeinen Verständniss /uy'änf'lich ""e-
macht oder wenigstens näher gebracht worden. Wo sich
ihm kein entsprechendes Wort aus der späteren Sprache zu
bieten schien, merkte er das an, wie / 607 on ro arxa
TTQOOff'iövi^GiQ eOTi TTQog TQO(fea afJsraqiQaozog und in
anderen Fällen , sonst aber hat er , wo es anging , in
Worterklärungen oder Widerlegungen den gewöhnlichen
Sprachgebrauch zur Erläuterung herangezogen. Ich verweise
in dieser Beziehung nur auf Aristonicus zu / 219, 542,
Ä 378, 383, 436, ^ 71, 77 57, P 47, 201, 202, Y 290,
ß 304. Da hören wir überall oix log 7]f.ielg oder Tiaga
TTjV y^iABTtgav ovvrjd^eiav ^ ißielg öi iv owr^d^eia, Jtaqcc ro
oivrid^Eg etc. oder aber es war wiederum auf die Ueberein-
stimmung des homerischen Sprachgebrauchs mit dem späteren
verwiesen, wie E 121, / 481, K 98, M 46, iV 493, TT 206,
407, ^ 614 in Ausdrücken wie xara ttiV r^uETtQav ygfjoiv,
ezL öi y.al vcr leyof-iBV, ö/uoiiog iqi.ih', lug kiyot.iev y.xX. Er-
klärungen derart begegnen wir in den Schollen des Aeschylus
selten, es sei hier nur erinnert an Pers. 562, wo zu zvT^d
ö' e/.cpvyeh' aVaxr' bemerkt ist: o rjf-ielg Xeyofxev rtaq' oXiyov^
und die Bemerkung scheint uns um so wichtiger, als das
Wort ein episches ist, das von allen anderen Tragikern
gemieden, von Aeschylus aber sowohl in Chorliedern wie hier,
als auch im Dialog wie Ag. 1577 fragm.401 angewendet wurde.
Viel wichtiger sind natürlich die längeren und ausführ-
lichen Paraphrasen des Aeschyleischen Textes über die wir
aber nur dann ein sicheres Urteil gewinnen können, wenn
wir uns das Verfahren Aristarchs au längeren von Aristonicus
mitgeteilten Paraphrasen klar gemacht haben.
1888. Philos.-philol. u. bist. Gl. II. 2. 1 5
220 SitzutKj (Irr philos.-philoJ. CInfise vom 7. Juli 1888.
Zuniiclist müssen wir natürlich diejenigen Scholien aus-
scheiden, in welchen von Aristarch nur im Allg'emeinen, ohne
wörtliche Umschreibung der Sinn einer homerischen Stelle
wiedergegeben wird .
Wenn die Worte 77 97 ff . :
ai yag., Zev re 7rarEQ /.at l4&)]vaii] yial ^iroKkov
(.irixe tig ow Tookov davarov q^vyoi, ooooi t'aoiv,
(.nt]Te Tig ^QyEuov^ vco'iv ö''exdvjn£v oXed^QOv^
0(pQ' oioL TQoü]g leQa -/.Qr^ösinpa Xvtof.iEv
wieder gegeben werden: tolovtoi yog o\ loyor navTsg airo-
XoivTO 7rXr]v rif.icüv, so ist das durchaus keine Paraphrase,
und kann demnach auch nicht zur Entschuldigung ähn-
licher verschwommener Erklärungen in den Schollen des
Aeschylus dienen, sondern Aristarch wollte nur den Sinn
der Worte im Allgemeinen geben. Ebensowenig dürfen wir
eine Paraphrase erblicken in Ä 173
vvv yaQ drj 7r avreaoi hii ^cqov 'loraTcti oxji/^c,'.
avTL tot' rd 7iQay/.iaza 't^f.iwv XQLyog YjQzrjzaL , o eariv F.v
soyano -/.irövrio tötlv -/.ai hei o^vTtjTog xivöivwv. Das ist
bloss eine Erläuterung durch einen ähnlichen Gedanken,
keine Paraphrase.
Wie Erklärung und Paraphrase zusammenwachsen können,
erkennt man aus Bemerkungen wie die zu
B 417 yaXK(i) ^oiyaläor: ort ovzojg £LQi]y.£v avTi xov
ya't/.(7) (yrjyevra v.ai fx 7iaQe7iofjevov ev jiieQei ro aveXsh.
n 142 äXlcc fnv olng htioraxo 7irjXai ' liyiXkEig : ort avzL
Tov idvvaro, fxovog idvvaro ygrjaaoOai zw duqazL ' z6
ydg inikai fx 7iaQe7io/.ievov zi^i> yQrjOiv oi]^aivu. Mit dieser
Auflassung des €x 7caQ€7iof.ttvov muss man sich vertraut
machen um zu erkennen, dass im F451 (o (.liXleig evyea&ai
Itov fg öovTrov wmvziov in den Worten (o f'oixag evyeGi)ai
7raQuytv6/^ievog elg 7r6Xe/.tov eine gute und wortgetreue
Paraphrase vorliegt.
Homer: Studioi z.hitinlschnffl. I\-hcrlicfeni»(i d. /ieschi/his. 2^1
Aus diesem Grunde möchte ich auch diese Paraphrase
zu den wenigen musterhaften zählen, die wir aus Aristonicus
anführen können.
Dazu kann man auch rechnen
iV315: Ol uiv (xdrjv slöiooi /.ai fOOV(.iEvov 7ioXi(.ioio . . .
k'oti ÖS ixÖTjv iXowoi dvri xov -/.ogsod^^vai avtov vron^oocGi
Tov TtoXei-iov xahrEQ nQO^v(.uav axovta.
P 272 : f-iloiioev ö'aga fuiv drjiojv y.ioi /.iQf.ia yevaad-ai
.... Xeyei de ■ uior^rov i^yi^aaTO eyxvQrjua yevead^ai /.loi
(jöJv ;roXe/.ti(ovy rov TldtQO/.Xov.
T79: iardoTog ,«£»' vmXov d/.oveiv, ovdi tor/.ev
vßßdXsiv • yaXsjiov ydg hnorautvw neq tovri ...
yaXE7i6v eoziv 8TiQ0) VTioßdXleir zor Xoyoi', ov avTog tig
eiyrelv ßovXeTai, xaV bri (.läXiata hiiotr^paov rig r].
In andern Fällen ist nur einiges genau in der Paraphrase
wiedergegeben, anderes wieder nur sinngemäss erläutert, wie
E 150 To7g ovY, fQxof.tevoig 6 ytqtov s-Kgirar'' ovsiQovg ....
oTg Tial fii] enaviovoi tov rroXf-Liov b yiqiov t/.Qivs vovg ovei-
Qovg oder / 116
dvTl VV TCoXXülV
Xacöv sotIv dvriQ, ov ts Zeug '/.f^Ql q>iXrjGi]
. . . Yoog ioTi TToXXolg 6 eig dvi^Q, otav jj 0-eoq'iXrjg etc.
Dageffen kann man durch das ganze Werk die Beob-
achtung machen, dass, wie das oben gezeigt wurde, einzelne
homerische Worte durch entsprechende Wendungen aus der
ovvtjd^eia erläutert waren, die Aufnahme gefunden haben in
die Lexica des Altertums. Suchen wir nun aus den oben
angeführten, wie aus den von Lehrs und Lud wich 1. 1. bei-
gebrachten Paraphrasen die für unsern Zweck notwendigen
Schlüsse zu ziehen, so dürfen wir dieselben vielleicht in
folgenden Sätzen zusammenfassen.
Eine wörtliche genaue Wiedergabe („verbum verbo
expressit") wurde in der Weise angestrebt und erreicht, dass
15*
222 Sitzung der ])hüos.-i)hü()l. Classe vom 7. Juli 1888.
die Worte des Textes, die nicht alltägliche waren, durch
andere geläufigere und verständlichere ersetzt wurden.
Bei Angabe der Construction, der sinngeuiässen Reihen-
folge der im Texte stehenden Worte, wurden die Worte des
Textes durchaus nicht ängstlich gemieden.
Die bei Aristonicus vorliegenden grösseren und guten
Paraphrasen sind der Zahl nach so überraschend wenige, dass
man zu der Annahme gedrängt wird, wozu uns auch der
sonstige Zustand des Werkes berechtigt, dass ein gut Teil
derselben in Wegfall gekommen ist, indem der Excerptor
es wohl an gar manchen Stellen für genügend halten mochte,
nur die Erklärungen zu geben.
Wenden wir uns nun, von diesen Beobachtungen aus-
gehend, zu den Paraphrasen, wie sie heute in den scholia
Medicea zu den Dramen des Aeschylus vorliegen.
Von vornherein ist anzunehmen und zuzugeben, dass das
Verständniss der hochpoetischen, aber gewaltig kühnen Sprache
des Aeschylus bei den späteren Griechen ebenso auf Schwierig-
keiten stiess, wie das der homerischen Sprache, dass also die
Grammatiker der alexandrinischen, wie der späteren Zeit die
Aufgabe hatten, dem Verständniss des Dichters zunächst mit
Paraphrasen oder paraphrasierenden Erklärungen vorzuarbeiten.
Die Resultate dieser Bemühungen sind teils in unsern griechi-
schen Wörterbüchern aus dem Altertume niedergelegt, teils
finden sich dieselben auch in unseren Schoben, die ja den
ersteren, freilich in einer ganz anderen und besseren Gestalt,
als Quelle gedient haben. So liegt denn auch zu den Dramen
des grossen Tragöden sowohl in den Glossen, wie in der
fortlaufenden Erklärung der Scholien eine Paraphrase vor,
die in mehrfacher Hinsicht unsere Aufmerksamkeit verdienen
dürfte, und über die wir nach dieser notwendigen orientierenden
Einleitung etwas genauer handeln möchten.
Indem wir die Frage über das Alter dieser Paraphrase
zunächst aus dem Spiele lassen, wollen wir einige derjenigen
Römer: Studien z.handschriftl. Ueherlieferung d. Aeschylus. 223
umschreibenden Erklilrnngen anführen, in welchen die Worte
des Textes entweder sämmtlich oder doch der überwiegenden
Mehrzahl nach durch andere gleichbedeutende und leichter
verständhche ersetzt sind. Es ist uns also zunächst um den
Nachweis zu thun , dass gute Paraphrasen vorliegen, dass
man an der Hand derselben ein Urteil gewinnt über die
andern, weniger guten und dass und wie mau sie eventuell
für die Textkritik verwerten kann.
Ag. 204 €v yaQ el'i]: -/.aXcog dnoßauj, Sept. 35 ev Tele7-
d-eog: y.aXd O^eog .lageyei, Choeph.442 Ttqtnei 6' o-/.d(.irmi)
f.iivei xa^Tj /.€/»': 7iQt7iEi Öe ooi dueia/uvr^Tw öwai-iei oqli&v
xar' aviwr, Choeph. 628 Jiy.ag d' sgeidtTaL 7cvd^fxriv:
oua ör/Miooivr^g y.araßdXXeTai {&Qeiy.eTai, ioeinerai?); eine
gute, freilich mit einer Erklärung durchsetzte und die Ver-
bindung von (plXiov kaum richtig angebende Paraphrase
könnte man Choeph. 674 ff. nennen :
WC TToXl' sncüfc^g ydy.Ttoöiov ev neii-ieva
TO^oig rtQOöiod^Bv EVO^önoig yeiQOVf.ievr]
cpiXi'tv drioilnXolg (.le. tt^v nava-d-Xiav
ffpoQog Tio?.Xd (ra rjUtrega dTtyr^i-icaa y.al rd) Ttoqqiod^ev
y.aXöig y.eiueva rtov (fiXtov io eari, rd anl Bävrjg ayad^a sv-
6iaiT\\f.icaa tov ^Ooearov) roig xö^oig eioroycog y.ivovf.i(vi]
duoyvf.ivdlg ue, Euni. 318 dlao'ioi yai dedoQyooi uoivav:
^wat /.al d^avovoLv ay.diyov. Eum. 438 zovroig af.ieißov
näoiv Eif-iaO^tg ri fioi: d7ioy.Qivov f.iol ti evyvwoTOv,
Pers. 762 'Lioviav tb rrdaav r'iXaoev ßla: avvtjyaysv t^
löia öwdi-iei, Sept. 18 dnavza jcavöoy.oioa naideiag
otXov: Ttdvra riövov r^g naidiK^g rjXi/Jag (?) vttodexoiLUvr],
Sept. 51 oh/.xog d'oirig v^v did ozofxa: otz 7p eXeog dia
T^g yXtooorjg avxiov (^/igoitov djcoOrjXtvcov Tr]v 6Qf.ii^v), Sept.
76 Bvvd d'eX7(iCio Xtyeiv: y.oivco(feXrj /mI v/jJv /ml tiI-Üv
vofxiCio Xtyeiv, Sept. 161 f-ieXeod^e d'lsQtüv dijf.iiiov: /neXeTrjV
hyETB Ttöv Ugiöv örjuooicov^ Sept. 240 7TaXivoT0f.ie~ig av
224 SitzuiKj der philos.-philoJ. Classc oom 7. Juli 1888.
x) lyyavova' ayak/naTiov. öuacfii/nelg v.aixoi tcuv ayaXf.iaT(ov
ixoi-ievi], Sept. 579 östvog ug ^eovg oißet: övoKaTSQyaaTog
yoQ ioTiv, oazig roig dsoig cif-iä, Sept. (319 ool ^vf-iq^ige-
od^ai xal KTaviov O^avelv viaXag: ovoir^vai ool xal (fovevaag
anod^avüv syyvg, Sept. 1007 f.ir]T 6^v{.i6l7ioig nqooae-
ßeiv ol/Liioy/.iaoiv: (.iiqxe f.ii^v o^vTaroig d^q^voig xif-iäv
avTüV, Siippl. 339 (fQaL,ovoa ßoxrjQi (.i6yJ)ovg: Xfj) mvxrjg
ßoxtjQL orjfAaivovoa xoig duoyi.iovg, Clioeph. 445 axaaig de
7cayy,oivog aö' htLQQoiyel: t/iißoa oe i] ovoxaoig tjfxwv
rj '/.oivr\.
Man vergleiche auch Choepli. 480 niöaig dyaXyieuxoig:
aoiSrjQOtg deof-iolg, Prom. 708 eV etyivy.loig oxoig: ev
xaig evTQoyoig dfxd^aig, Pers. 344 xdlavxa ßgioag: xc
(xwv TIeqowv) tvyd ßag^oag. (Cf. Ariston. zu M 359 coöe
yuQ t'ßQiaav ylwiiiov dyoi: x6 Xeyoiiievov ioxiv ovxiog
sneßdqtjGav.) Ag. 1096 v6f.tov dvo(.iov\ (i>di\v drjdri. Aber
die einzige Musterparaphrase eines grösseren Abschnittes
glaube ich nur zu einer Stelle des Aeschylus, nämlich Prom.
883, gefunden zu haben :
d^oXegoi 08 XoyoL 7iaiovo'' £tx^
oxvyvrig Ttqog •/.v/.iaaiv dxijg:
xexaQay/.iivoi de Xoyoi wg exvye yrQOOnaiovoc xoi xwv /.axiSv
'/.Xiöwvi.
Diese Paraphrasen kamen etwas ausführlich hier zur
Mitteilung, um zu zeigen, dass zu allen Stücken des Dichters
Paraphrasen vorliegen ; ich nenne sie gute Paraphrasen dess-
wegen, weil in ihnen nach Möglichkeit die Worte des Textes
vermieden und durch solche ans der ovvrjÜ^sia ersetzt worden
sind. Als besonders bemerkenswert sei hervorgehoben, dass
selbst Ausdrücke wie ev ydq exr/ Ag. 204 und Sept. 35 para-
phrasiert werden, ferner die SteUung adverbialer Bestinunungen
vor das Verbum, wo im Texte eine freiere Stellung gewählt
ist, sodann die grössere Verdeuthchung durch Hinzutreten
Bönier: Studie» .'. hamhchriftl. VeherUeferutig d. Aescht/lus. 225
d(.'s Artikels oder der l^ronomina wie Su)>|)I. 389. Die Hiiupt-
suclie ist und bleibt aber, dass durch die angeführten Para-
phrasen der Sinn des Textes in klarer, verständlicher, jeden
Zweifel ausschliessender Weise wiedergegeben ist.
Die Wiederholung der Textesworte ist nur dann ohne
Anstüss, wenn die Paraphrasen die Verbindung der vielfach
frei gestellten Worte augeben, also in allen Scholien mit to
f^r^g otTwg, wie z. B. Choeph. 92, 183 und öfters.
Aus dem bisher Angeführten dürfte zur Genüge erhellen,
da?s im Altertum einmal die Stücke des Aeschylus zum
Gegenstand eingehenden Studiums gemacht wurden, dass bei
diesen Stadien dtisselbe Verfahren eingehalten Avurde, wie
bei der Erklärung des Homer, und dass es einmal eine voll-
ständige oder doch ziemlich vollständige Paraphrase seiner
Stücke gegeben hat.^) In den oben angeführten Scholien
haben wir noch Bruchstücke dieser Paraphrase zu erkennen.
Ist es schon schwer, ja fast unmöglich, bei vorliegenden
Verderbnissen an der Hand dieser guter Paraphrasen den
Text mit apodiktischer Sicherheit zu bestimmen, so könnte
sich die Kritik immerhin noch Glück wünschen, wenn bei
ihrer Arbeit ihr solche Hilfsmittel zu Gebote ständen, die
doch wenigstens eine annähernd wahrscheinliche Heilung der
Corruptelen ermöglichen.^) Aber ihre Lage ist in dieser
1) üeber die kritischen Zeichen wird in einem anderen Zusammen-
hange gehandelt werden.
2) Zum Beweis dafür soll auf die schwer verderbten Worte Choeph.
678 ff. verwiesen werden:
xal vvv 'Ogiartj;, tj yäo svßovlog sycov,
s^Oi HOfii^oiv 6/.£Üoiov Jtrjkov .loda,
vvv d' fjjiEo iv döfiotai ßaxx^ioL? xaXrj?
largog sXnig fjv naoovoav iyyQd<psc,
Das Scholien, das sicher mit Wecklein (695) gelesen werden muss :
rd^ov avrov ätpavta&evra doä, (b; ngog x6 ihilg 8' anedcoxev und das
schon in seiner Fassung auf eine gute Quelle hinweist, hat sicher
einen besseren Text gehabt, als wir. Schon Stephanus hat wegen
226 Sitzung der philos.-jihilol. Clnsse vom 7. Juli ISiSS.
Beziehung eine viel traurigere. Denn diese gute, auf gutem
Texte beruhende Paraphrase hat ein trauriges Schicksal ge-
habt, zu dessen Darstellung wir uns jetzt zu wenden haben.
Zu diesem Zwecke müssen wir wieder anknüpfen an die
oben zu Prom. 883 gegebene Paraphrase : TSTaQay/.tEvoi —
— "/.Xiöcori. Dann wird weiter gefahren: toör^ l'oriv tvto
6dvvr]g 7CoXXa (V) XaXcd.
Halten wir nun damit zusammen, was wir zu Prom. 528
lesen :
/nrjöa/ii'' 6 navTa v8f.icov
O^eIt' if.iq yvco/.ia -/.gäzog dvTiTraXov Zsvg
0 7cavTa Ölo fKCÜv Zevg [.irjöenoTS ccvxiTcaXov y-gärog tvoioIto
TYj if.1^ yvw^iTj^ dvTi zov fxtjde7rois svavTiog f.ioi yevoiro oder
zu Sept. 820
r] ÖLGüQvig cc. —
de ^vvaiXia öogög.
övooutviOTog yiyovEV avvolg rj ovincpoQc zr^g /.idxfjg. etil y.aiKo
»owi^Xd^ov elg (.idxrjv.
Auch hier also sehen wir die Textesworte mit mehr
oder weniger Geschick paraphrasiert und an dieselben eine
Erklärung — sit venia verbo — angereiht. Wie weit nun
aber auch diese Scholien von dem ursprünglichen Originale
abstehen mögen, eines zeigen sie uns doch sicher, dass auch
hier, wie wir das vielfach bei den Erklärungen Homers
beobachten können, Paraphrase mit der Erklärung verbunden
gewesen ist, freilich eine Erklärung, mit der die heute vor-
liegende kaum eine Aehnlichkeit haben dürfte.
des rd^ov richtig syyQaq^s ge.schrieben, auch Kirchhoffs Vermutung
sknig, d/iTrkaxovoav lässt sich hören, aber für das u(pavim7h'Ta dgf^
ist das Wort zu schwach. Es sei auch daran erinnert, dasa Per.s. 223
za/.i7ia?ur Sf Twvds yo.in, xdroj^a /lav Qova^ai axörfo
zn ftF. y.axd xaraaxe&h'za vno xfjg yfjg d<pavio{}ijvai x(ö axözo) /nav-
oovnOai mit df/ nvioiJtjvai paraphrasiert ist.
Römer: Studie» z.handschriftl. Ueherüeferung d. Aeschyli(s, 227
Diesen Zustand der ursprünglichen Ueberlieferung muss
man sich klar vor Augen führen, um einerseits zu sehen,
was heute aus derselben geworden ist, andrerseits aber, dass
in dem heutigen Zustand ein grosser, wenn nicht der grösste
Teil derselben für Kritik und Erklärung absolut wertlos ist,
und dass es ein durch und durch verfehlter Gedanke ist,
kritischen Versuchen mit Berufungen auf diese Quellen
Glauben zu verschaffen. Denn das Verfahren dieses Excerptors
ist nur zu klar : an vielen Stellen wurde die Paraphrase
einfach weggelassen, auch gute und annehmbare auf die
alexandrinische Schule zurückgehende Erklärungen fanden
keine Aufnahme : so blieb der schlechten byzantinischen After-
weisheit eigener oder fremder Erfindung der breiteste Spiel-
raum. Das wird uns klar, wenn wir uns zunächst folgende
Erklärungen näher betrachten.
Ag. 162 Tsv^STai (pgevaiv t6 tiüv
öXoGxsQwg (fQoviiiiog sorai. Das ist keine Paraphrase,
sondern eine Erklärung, aber unzweifelhaft scheint es
mir, dass hier eine Paraphrase vorlag verbunden mit einer
Erklärung, die ähnlich gelautet haben kann, wie die heutige.
Der Excerptor hat nun die Paraphrase weggelassen und nur
die Erklärung seiner Vorlage geschrieben oder suo Marte eine
gegeben. Und so ist es bei einer grossen Menge dieser Schollen
gemacht worden, so dass wir unser Urteil über dieselben
bedeutend modificieren müssen.
Diesen Vorgang, wie ich ihn hier dargelegt habe, kann
man manchmal noch deutlich aus der Fassung erkennen.
Prom. 949 /utide jlcoi di/c'Aäg
odovg, nQOi.n]0^ev, TrQoaßdXrjg
b ioTi fu)] Y.äj.iaxöv /uoi öniXovv irqo^evr^orjg öbvtbqov ue tcoliov
miooTQiipuL. Auch hier wurde die Paraphrase weggelassen
und eine schlechte und gewundene Erklärung an deren Stelle
gesetzt ; das erkennt man deutlich an o eaxi, wenn man es
vergleicht mit Prom. 883 rovx' loziv. Ebenso :
228 Sitzung der pJiilos.-j)hilol. Classe vom 7. Juli 1888.
Per«. 90 af.iaxov -/.vf-ia Ita/^aootjg
zr]v 7rQOoßoXr^v rtov IJeooiov.
Pers. 105 dolo/urjc iv d' anärav Oeoi
Tig dvrjQ iyvaTog dkv^ei
... et de dsov e/iißovX^ xd zrg v/x»jg dvaßdXXeTai, tig 6
viKr^otov Seov.
Pers. 261 r; f.ia'/.Qoßiorog cde yi xig
alav l(pdvi)rj yeQaiolg, dv.ov-
eiv rode jcr^n'' aeXmov.
eig TOVTO tjua/.Qvrd^rj 6 ßiog rii-tav, slg t6 dycovaai roiavTa xaxa.
Sept. 79 (.itiyei'iuL oiqarog argaro^i edov Xnttiv
Oiov (sie) acpelrat 6 oyXog anö rov OTQaxontdou.
Sept. 37 tTtsf-iipa, rovg 7Ct7COLi}a (.n] /.i ar&v 6d(i
/.ir] iLidrrjv OQfur^aai.
Sept. 228 firj vvv dy.ovova'' sf-irpavidg ay.ov' ayav
Y.av a'/.ovrjg, 7iQo07ioiov f-ir^ d'/.oveiv.
Sept. 661 oqyi^v ufiolog tut Y.äy.iOT'' av dtof-itviij
1(7) ddshpo) oov ßXao(priixov(xivii) vnö oov.
Sept. 665 ov'/. toxi yr^gag zovöe rov f.ndof.iaxog
did 7cavx6g alaO-rjOexai xö iiiiaof.ia xovxo.
Suppl. 234 y.al xdXXa 7t6XV eneiy.doaioiy.aiov r^v
ei /wr] 7caQ0vxi cpd-oyyog tjv ö aiji-iavwv
e/ueXXov dv (di/.aiog ryV) oxoyaoi-ui) xd yaO' tfjidg Xeyeiv, et
ixii (pu)vi]v elfexe.
Denselben Charakter tra<ren noch eine ganze Meno;e von
Scholien und halten sich denmach aul der gleichen Höhe
des Wertes. Ich verweise nur noch auf Ag. 1065, 1091,
Eum. 163, 720, Prora. 694, 902, Pers. 284, Sept. 4, 122,
Suppl. 340.
Nicht selten sind auch die Fälle, wo Paraphrase und
Text contauiiniert worden sind. Ich verweise auf das oben
Römer: Studien z. hiDiihchriftl. üeherlieferung d. Aeschi/ltis. 229
aiigel'ührte Scholion zu den Choeph. 674. Deutlich erkennbar
ist das auch Suppl. 84 yiirtTEi 6' docpaXig otd' inl viv \
to), y.OQvq^t zl idg ei \ xgcevü^f^ riQuyfxa reXeiov: ei öi
II dwaÜ^ii ro"; vev(.iaTi rot zliög, oocpalcög nimeL y.ai
eLoyjiHovwg. In der paraphrastisch gegebenen Erklärung
wurden unbedenklich wiederholt, nur mit einer kleinen
Aenderung des oag^a/Jg in docpaXiog Ttimei. Gewiss war
nun auch in der Paraphrase oi'd' STti vctzii) mit einem ent-
sprechenden prosaischen Ausdruck erläutert, verbunden mit
der Erklärung evoxtjuovojg oder ovk doxt]i.i6vtog. Der
Excerptor liebst die Paraphrase weg und nahm nur die Er-
klärung auf. Hier haben wir auch einmal einen Halt an
der Glosse, welche do(pcc).cog arroiiaivei erklärt.
Wurde so das für die Kritik wichtigste Hilfsmittel, die
Paraphrase, entweder ganz aufgegeben oder durch Aufnahme
von Erklärungen in dieselbe verändert oder anderweitig ent-
stellt, so war noch ein weiteres Schicksal unausbleiblich,
so bald man begann, sie in unsere Handschriften überzu-
schreiben : sie wurde zerrissen. Das kann man deutlich er-
kennen Pers. 861 Xif-ivag t' exroO^ev at -/.ard yiqoov
.'- I Xt^kaf-ievai neql Tzvqyov roiö' dvay.Tog diov. Die
Paraphrase dieser Worte mag im Zusammenhange gelautet
haben: /.at l'^w TVjg ^aXdoorjg oaai /.axd r^iteiqov zolg reixeoi
y.e-/.v/.Xiof.ievaL (?) xovtov öeorroTOv rixovov. Nun lese man
l)ei Kirchhoff und Wecklein die disjecta membra. Cf. Sept. 86.
Diese disjecta membra haben wir natürlich auch zu erkennen
in den Glossen, die im Cod. Med. sich über manchen
Textesworten befinden. Die Bedeutung derselben ist ja längst
erkannt und desswegen in die Augen springend, weil die
Excerptoren ihre Paraphrase vielfach an oder über einen
Text schrieben, der nicht mit den Worten derselben im
Einklang stand und so vielfach zu einer wichtigen weiteren
Quelle führen. In dieser Beziehung sei der Beachtung
empfohlen: Choep. 62 öiauüviQovoa, 307 aivojiaiftg'i (Har-
230 Sitzung der philos.-phüol. Glasse vom 7. Juli 1888.
tung), Fers. 747 ohorgeTv, Sept. 2 ev e^otala, 62 dorpalrig,
ßsßaiog kann kaum eine Umschreibung von ycedvog sein, das
eher mit dyadog gegeben wäre, wie vielleicht Choeph. 102.
Das Merkwürdigste ist zu lesen Choeph. 656
are IxovTa d' avrocpoQTov oly.eia odyrj
wo die Glosse lautet snl löia nQayi.iaTtic(^ was einen vor-
züglichen Gedanken gibt, zumal olxela oäyrj nach avzocpoQ-
Tov so ziemlich überflüssig ist.
Bemerkenswert dürfte auch sein, was z. T. oben schon
hervorgehoben wurde, dass Scholion und Glosse Suppl. 84
nicht übereinstimmt, wo das Scholion docpaXcZg TtuiTEi^ die
Glosse docpaloig mioßatvei bietet. Dass einige von diesen
Glossen auf gute Commentare der Alexandriner zurückgehen
müssen, erkennt man aus Choeph, 642 wqu d' si-ijroQovg
l^ei^ievai, wo 8(.i7i6Qovg mit odoLrcoQOvg glossiert ist. Das-
selbe Wort finden wir in derselben Weise erklärt und mit
einem % notiert Soph. 0. C. 303.
Weisen uns nun so die Paraphrase und manche Er-
klärungen auf die Schule der Alexandriner, die an der ersteren
vorgenommenen Aenderungen und Contaminierungen auf das
Ungeschick und die Willkür der Excerptoren, so führt uns
die Betrachtung der gegebenen Erklärungen selbst viel-
fach auf das Ungeschick und die Impotenz byzantinischer
Albernheit und zum Unglück ist sie viel mehr zum Worte
gekommen, als die gesunde Stimme strenger wissenschaft-
licher Forschung und Methode. Es ist doch der Gipfelpunkt
der Naivität, wenn die herrliche Stelle Prom. 883 schliesslich
in die dürren Worte zusammenschrumpft tvro ddvvrjg nokXc
"kcxXa. oder 528 {.niötnoxe svavriog /.loi yeroizo.
So müssen wir denn zum Schlüsse noch etwas bei diesen
Erklärungen verweilen, um einerseits das Schicksal des auf
guten Quellen beruhenden Commentares zu erkennen, andrer-
seits ein richtiges Urteil zu gewinnen über den Wert der
Homer: Studien :.h(ii)(lschnftl. Ucherliefeninf/ d. Aeschijlus. 231
gesammten Scholienmasse. An der Hand der Scholien zu
Sept. 96, 240, 319. 820, 807, Pers. 75. die hier mit/Aiteilen
7A\ weit führen würde, wird man die Sache in folgenden
Sätzen zusammenfassen können.
I. Zuerst behaupten die guten älteren C o ra m e n -
tare noch ihren Rang und wir sehen dieselben daher zuerst
und ausschliesslich excerpiert. Darauf weisen unzweideutig die
Nachrichten über die Notation der Alexandriner. Prom. 9,
Sept. 79, Choeph. 521 etc. Daneben macht sich aber das
leidige Bestreben in ziemlich vordringlicher Weise geltend,
die vorgetragenen guten oder doch annehmbaren Ansichten
wo möglich durch neue und anscheinend bessere zu ersetzen.
Die Fälle, in welchen nur allein gute, stichhaltige Er-
klärungen oder Excerpte aus den Commentaren der alexan-
drinischen Schule vorliegen, sind die selteneren, häufiger die,
in welchen sich ein oder mehrere Zusätze von sehr bedenk-
lichem Werte an dieselben anschliessen.
II. Zuerst ist die ungesunde Weisheit der Späteren zu
Wort gekommen und die alten guten Erklärungen haben so
zu sagen nur noch das Gnadenbrod und hinken an zweiter
Stelle nach, nachdem sie der neuen Weisheit das Feld ge-
räumt.
III. Aber in den weitaus meisten Fällen sind dieselben
ganz verdrängt worden und wir bewegen uns in einem Meere
von Unsinn und Albernheit, aus dem kein Heil weder für
die richtige Auffassung des Dichters noch für die Textes-
gestaltung zu suchen oder zu erwarten ist.
Indem ich die Scholien , die aus Commentaren der
alexandrinischen Schule geflossen zu sein scheinen und die
keine Zusätze erfahren haben, einer anderen Untersuchung
vorbehalte, in welchem über die Notation der Alten gesprochen
werden soll, will ich es versuchen, den unter T berührten
Fall an eiuijjen Scholien anschaulich zu machen.
282 Sitzung der philos.-pMM. Clnsse vom 7. Juli 1888.
Ag. 1020 7fQiv aifiarrjQov f^acpQi'Csodai jh^voq
1) dno Tiuv oxQrjVKjüvriov VTroKvyltov, a oir/. iUovxa t(^
yalivw dcfoil^sL f-ierd ait-iarog. Daran hat sich nun eine
zweite Erklärung angeschlossen, über die kein Wort weiter
zu verlieren ist : 2) r] sirsl avirj ov jrsi&erai nqlv ai^axöo,
f.iov xr^v if.ivyj^v f^ag)Qtaai (? dwl xov 7iqIv ogyioS^rivai /je
avxfj). Um kein Haar besser ist die Erklärung, die sich
an die erste Erklärung angeschlossen hat, die wir zu Ag.
108G lesen:
ajiö di ^ eoffaxcov xlg dyaiyd cpdxig
ßqoxoig xtXXex u i
1) yviOf.ioXoyü)v g)rjai xovxo. hioxs yaQ /.al sn'' dyad-olg
Ol yQrjOf.ioi yivovxai. tog ds snl xo nolv liioyOrjQd yQrjOf.iio-
öovoiv. 2) rj x6 o'kov hil xw ygr^a/LUi) Kaoävöqag • dvro xovxiov
xwv d^eo/rio/uax(üv xlg dyad^rj (pdxig yivexai, ßqoxölg de xoig
iyyojQioig.
Richtig ist die Bemerkung, die wir /u Choeph. 764
lesen ; dieselbe geht, wie wir sehen werden, auf die alexan-
drinische Schule zurück, blanker Unverstand die, welche
sich daran angeschlossen hat.
vvv Ttagaixov /iie va (.loi, rrcxeg
1) nleovdtei r] yragd (cf. Dind. lex. s. v.). 2) ri jraqd
aov alxovfxivii'. —
Nicht besser steht es mit der zweiten Erklärung zu
Prom. .558 :
oxe xav OfionaxQiov "övoig
ayayeg "Haiovav ireii^iov dduagra ~/.otv6Xey.XQOv
1) "övoig /ceiOiüv xr^v eoo^hvijv aoi dd/^iuQxa xoivoXexxQov.
2) ri rr(v y.oiv6XexxQOv xov 'QKeavov Ti]0^iv 7iEioag.
Von demselben Kritiker ist und .seiner würdig die zweite
Erklärung zu Fers. 049 :
Bümer: Stmlieu :. hnu<l<iclmftl. Ueherlieferuiifi d. Aeschtfhis. 233
^agelov, olor draxta Jageiav
1) . . . £0/x£ df ö JaQsiog y.al Jaqeidv Xiyeod^ai. 2) tj
T»jv JuQeictv ii'vyi]v dväuei-ixVov.
Nicht anders kann das Urteil lauten, wenn man die
Bemerkungen zu Prora. 601 mit einander vergleicht:
dvQ —
öaif-toviov de rlreg o7, f, f
Oi' iyw (.10 y 01)0 IV.
1) tiveg oXiog, rtov dvadai(.i6viov f.ioyovöiv oia eyto;
2) itvig ovTiog- (di odaii-wvcov a.dd.Dmd.) öi riveg, h'u lEtnri
10 /raldeg.
Staunen muss man über die Weisheit, die wir lesen zu
Choeph. 758
Tq. y.ai TTCÖg; 'Ogtovi^g eXTiig ol'yerai öoiKov.
Xo. 0 1' ji CO • -/iay.og y e uamg cv yvon] xade
1) Tiveg oviLoiOiv elg t6 ovulo, 'iv'fi ■ ovTtco alnlg or/erat
d6f.icür, Tiäxa de /.cd 6 Tvycov (.lavtig yvoii].
2) ravra o/.Qißoig /.icxvTecog emeiv (also ovttco yay.og ye
ficivTig xrA).
Eine ganz wunderbare Leistung lesen wir zu Pers. 366 ff. :
cog el uoQov cfev^oiad^' "EAA/yveg y.ay.ov . . .
näoi oreoeod^at y.oaTog r^v n goxelfievoi'
1) wg el eBedrjoaiev, cfi]Oiv, o\ "EXh^reg dga rsTevoavTeg,
ncLOiv rineilei rolg TayO^etoi avroig cfvlcx^ai rrjg yeq>ah]g
OTEQri^r(vai.
2) dxoirov öe drceileiv :iXtl^ei toooltc>j d^cxvarov • ßel-
Tiov oiv y.QOTOg, xr^g xif-irig y.ai c^QyJig oxeQio/.eo^ai, Yr' ij
y.Qaxog avxi y.Qcxxovg: —
Einen geistlosen Missbrauch des Homer gewahren wir
zu Sept. 155, wo ex egocpcovco erklärt wird:
1) xc7) iLtYf ßoicoxiä'Zovxi. eneidrj de"EkhjV£g y.ai o\ l4Qye~ioi,
Ol-/, ehiei' ßaQßccQOcfo'jvcü.
234 SitZHHf) der pJiilns.- philo]. Classe i'^orn 7. Juli 1888.
2) alXtog: to) e'yovri avögag fx TioXlon- aih-cov "^'Of-iijQog
„älXi] d'aXXiov yXtZoaa" (B 804). Cf. Sept. 879.
Prom. 238:
iycü ö'' EToXfii^o'. l^eXvoä f.ii]v ßgorotg
1) Tivsg ST6X/nr]aa 'Kai xo f-:^rig fiera rjd-ovg.
2) övvaxai y.at zoX/n^g eivai w$ Tif.irjg rifxiqBig.
Aber auch d i e oben unter II berührten Pälle sind
nicht selten, in welchen die gute und stichhaltige Erklärung
noch in so weit Berücksichtigung gefunden hat, dass sie
wenigstens an zweiter Stelle Erwähnung findet. Hin und
wieder scheint sich doch bei diesen Nullitäten das Gewissen
geregt 7a\ haben und so haben sie doch auch einer von ihrer
Weisheit abweichenden Erklärung Raum gegeben. Es wäre
demnach durchaus kein Verlust für die Wissenschaft, wenn
alle die nun unter 1) folgenden Erklärungen nicht geboren
worden wären.
Suppl. 3 : a7Td 7[QOoro/.iioJv X£7iToiliai.io^wv
1) Tivig Trjg Oägov ^lyv7iTov • 7tQ07i<xQ0iiyt yaq eoxiv.
2) o/^ieivov di xa ox6f.iLa dy.oveiv, 7cXEOvaCovorjg rijc
7t Q 6. öia yoQ xov 'HqaxXecoxiycov oxofiiov xrjv (pvyi^v STtoiri-
oavxo.
Eum. 366: /.ax acpfQto 7iodog axf-iav
ocfaXegä xavcögof-ioig
xioXu
1 ) xo'ig xavvdQO/noig avxwv '/.loXotg hiayovoa xa ocfaXega
f.iov xwAa,
2) r^ arr' aXXijg ccqyr^g " y.ai xolg xavv6Q6(.ioig yivexai
OffaXega xa y.oj?M oiov ol xayidQ(jf.ioi ov Övvavxai fxe
^/.(fvyelv.
Prom. 31: dvO^' ibv axegyrr^ xrjvde (fQOVQr'iOeig Trixqav
1) Xlvtg^r^v Ob öwr^aij 7iaQaxQa7i7^vai.
2) axsQTrri did xa hrayöfieva.
Bömer: Studien z.hnutlschriftl. Ueherlieferioif] d. AeAchylits. 235
Sept. 237: oj :i ay/.Qarfg Zev, rqtil'ov eig fxi)^QOvg
ßi^og
1) ßsXog viv TToXei-iov. 2) ßfXog di nov x6 ßakXö^uvov.
So liegt denn bei orenauer Betraehtuno; die auch schon
von Änderen (reäu^iserte Vermutung nahe, dass diese Scholien-
niasse aus zwei an Wert sehr ungleichen Commentaren zu-
sammengeflossen ist.
Am traurigsten ist es daher um die Sache bestellt, wenn,
wie im dritten der oben erwähnten Fälle, die schlechtere
Quelle ausschliesslich excerpiert und so jede Spur des Guten
und Richtigen verwischt und nur der blanke Unsinn byzan-
tinischer Weisheit zum Worte gekommen ist Leider begegnet
man demselben fast auf jeder Seite, so dass Beispiele hier
anzuführen nicht geboten erscheint.
Das muss man sich immer gegenwärtig halten, um über
diese Erklärungen richtig und sachgemäss urteilen zu können.
Darum kann ich durchaus nicht mit den günstigen Aussprüchen
über diese Scholien übereinstimmen : Sie bedürfen einer sehr
bedeutenden Einschränkung; über den Wert des Einzelnen
kann uns natürlich nur eine eingehende Spezialuntersuchung,
die darzulegen bemüht ist, quid distent aera lupinis, genaueren
und endgiltigen Aufschluss geben. Dieselbe darf aber nicht
auf Aeschylus allein beschränkt sein, sondern muss auch die
anderen Tragiker und Aristophanes umfassen.
Auch über die Paraphrase und deren kritische Ver-
wertung ist nur dann ein endgiltiges Urteil möglich, wenn
dieselbe auch bei Sophocles und Euripides so weit als möglich
zur Vergleichung herangezogen wird. Doch glauben wir so
viel auf Grund der bisher gewonnenen Resultate behaupten
zu dürfen : Gute Paraphrasen sind nur solche, in welchen
nach Möglichkeit die Worte des Textes vermieden und durch
klare unzweifelhafte Ausdi'ücke — durch •f.vqia. — umschrieben
sind. Nur solche lassen sich für den Text kritisch verwerfen,
1888. Philos.-philol. u. bist. Gl. II. 2. 16
236 Sitzunfi der phiJns.-iihUol. Classe vom 7. Juli 1888.
wenn aucli da nocli die grösste Vorsicht geboten ist. Es ist
ein reiner Missbrauch und zeigt von wenig Einsicht in den
Zustand dieser Scholienmas'^e, wenn Scholien von höchst zweifel-
haftem Werte zur Emendation herangezogen werden, wie das
leider vielfach geschehen ist. Man muss sie ansehen für
das, was sie wirklich sind, für Nullitäten.
Anders verhält sich die Sache natürlich, wo bei An-
gabe der Konstruktion die Worte des Textes unbedenklich
wiederholt werden können. Es soll dies mit ein Paar Bei-
spielen erläutert werden. Am Schlüsse des Agamemnon hat
der neueste Herausgeber nach dem Vorgange von Canter und
Auratus aus den Scholien y-aXidg aufgenommen, während
Kirchhoff das Zeichen einer Lücke setzte, gewiss von der
richtigen Voraussetzung ausgehend, dass die Umschreibung
des Scholions mit xaliog der sicherste Beweis dafür ist, dass
das Wort nicht im Texte stand. Aber er befindet sich im
Irrtum. Das Scholion gibt hier lediglich die Verbindung an,
vermeidet darum nicht die Worte des Textes und so hat man
es mit vollem Rechte eingesetzt. Dasselbe scheint mir auch
der Fall zu sein mit Eum. 476, 477:
Toiavra f.dv rad' loxiv ' a/uq)6zsQa, /ntveiv
nefxneiv re, övoycr^fxaT'' dfxrjyavcog etnul
Dazu lesen wir das Scholion : 7ref.i7reiv avTog aiiit]vhtog
öioyeqtg aariv Sfxoi. Eine Menge von Versuchen ist in der
a|)pendix bei Wecklein aufgezählt. Aber die Paraphrase,
die nur die Konstruktion angibt, was mir aus dem Schlüsse
övoyEQtg eoTiv e.f40i hervorzugehen scheint, ist durchsetzt mit
einem VVorte des Textes nämlich mit a/iirjvhojg, das gewiss
nicht als ein y.vqiov bezeichnet werden darf oder so nahe lag.
Das dvöiirj(.iax' ist gewiss nichts anderes als eine Erklärung
von d/iiffÖTeQa = dvo nr^fxaTa und darf also gewiss nicht
zur Emendation herangezogen werden. Der Gedanke ist
nacli dem Vorausgehenden vortrefflich und schliesst sich so
Bömer: Studie» z. hnudschriftl. UeherJicferuini <1. A('.schi/li(s. 237
leicht an. Darum möchte ich lesen: 7rein7ceii' d'ajm^i'iTcog
dur^xövwg f//o/ oder mit der leichten Aenderung von Paley:
d/^niViTOig. Das Wort gebraucht Aeschylus auch Ag. 989.
Dass es unzulässig ist auf Grund des Scholions hier zdod'
oder ähnliches einzusetzen, kann man aus den Paraphrasen
zu Suppl. 339, Choeph. 442, Sept. 1007 ersehen.
Zum Schlüsse möge noch Prom. 599 zur Besprechung
kommen :
laßgöavTog YjXd^ov, i'^Hgagy
871 iy-Ötoiöl i.it]dsoi dafieJoa
^'Hqag hat Hermann aus dem Scholion ergänzt und sein
Vorschlag hat fast allgemein Annahme gefunden. Und doch
erheben sich gegen die Zulässigkeit desselben zwei gewichtige
Bedenken. Einmal erwähnt Jo das Eingreifen der Hera zu
ihrem Nachteile nie, sowohl vorher 574, wie nachher spricht
sie nur von Zeus oder ganz allgemein ; das Zeugniss des
Scholions aber ^tolg rrjg "Hqag spricht doch mehr gegen, als
für Hermann; denn die Worte zeigen ja klar, dass der Scholiast
"ÜQug nicht in seinem Texte hatte, sondern ein allgemeines
Wort, das er mit ' Hgag eben erklären wollte, wie er 595
O^soavTov ze voaov mit tov Jiog eqioxa erklärt. Wäre
es metrisch zulässig, so könnte man zunächst auch hier an
i^eioig denken.
IV.
Eine Eigentümlichkeit des aeschyleischen Stiles ist die
Wiederholung desselben Wortes entweder, was das
seltenere ist, in dem unmittelbar folgenden Verse oder doch
in kurzen Zwischenräumen. Dindorf hat nun zwar in seiner
edit. V. Lipsiae p. CHI auf diese Erscheinung aufmerksam
gemacht, sich jedoch mit dem Hinweis auf einige wenige
Stellen begnügt. Da nun diese Eigentümlichkeit sowohl für
die Erkenntniss des Stilcharakters des Aeschylus, sowie auch
16*
238 Sitzung der philos.-philol. CAassc vom 7. Juli J88S.
für die Textkritik von Berleutuncr ist, so dürfte vielleicht eine
eingehendere Behandlung derselben am Platze sein.
Wir werden zunächst unsere Untersuchung zu begrenzen
haben, indem wir Stellen ausscheiden, wo sieh in der Wieder-
holung die bewusste Absicht des Dichters verrät, wie z. B.
Choeph. 248, 250:
narQog veoooovg rovoö' dnoff-^-eiQag iiod^ev
i-'§Eig öf.iolag xeiqog evO^oivov ytQag',
ot'r' aiexov ylved^X' dyi oq^ü^eiQag Tzakiv
na^TTEiv e'xoig av or^/.iav'' evniS^r^ ßgozolg.
oder Choeph. 912, 914. Ebenso dürfte auch Choeph. 99, 101
die Wiederholung von naTQog gerechtfertigt sein. In gleicher
Weise dürfte es ohne Anstoss sein, wenn dasselbe Wort von
verschiedenen Personen gebraucht wird, wie Choeph, 496, 497 :
Or. : axot'', vnfQ oov roiäd' sgt' 6dvQ(.iaxa
avTog öi^ Oiot.rj tovÖb Tif-itjoac Xöyov
Chor: v.ai f-ii^v CLf.iEix(fr^ xövd'' IrdvaTov loyov
oder Pers. 297, 298.
Von ganz anderer Art sind aber doch Fälle wie die
folgenden Choeph. 230, 231 :
üj reQTtvov 0(.ina xeaoaqag (.lolQag e'^ov
i/uoi ' jTQoaavöSv ö' tot' arayuaiiog ty^ov
Merkwürdig ist so auch Ag. 1016, 1018:
Ch.: ... r(>07fog de drjQog log veaigerov
Kl.: tj f.iaivETai yt y,ai -/.ay-on' yXuei (pgerufr
r^'rtc; Xutoioa f.iiv iioXiv veaiQET ov
riY-Bi.
Auffallend ist auch Ag. 1133, 1135:
y.ui /ni^r o yQfjO/nog ovyJx ly. y.aXviuf.iaxo)v
{■'axai ÖEÖoQyjog veoyäiuov vviiKfrjg diy.rjv
Aau/rQog (V t'oiyev tfh'ov 7iQ6g avxoXog
nvto)v f,0(^^eiv. looxe /iv(.iuxog öixijv.
Römer: Studien z.handschriftl. Ueberlieferimg d. Aeschyhis. 239
Sept. 446, 448 :
ffiiiioi öe oiQi^ovoi ßaqßaqov rqonov
Ltvy.tiQoy.6}.i7ioig ;i vev{.iaoiv 7[?.t]Qov/.ievoi.
bO-zj^uccxioiai ö' aanig ov oi.ir/.q6v xqoiiov
Auffallend ist auch Choeph. 227, 229:
10 (fiXxaxov f.ülrjf.ia. öwi.iaaiv naxQog
öayiQvxdg eX7iig 07reQf.iaxog oioxi]qiov
aXycf^ nenoii^cog ötou dvaxxriot] naxqog
Auch Sept. 552, 554 ist bemerkenswert:
"y.xov Xeyoif.i' ov avöqa oto(fQOvtaxaxov
aX'/.riv x' agioxov, /.tovxiv, l4f.iqiäQeio ßiav
'0(.ioXiüioiv de 7iq6g 7cvXaig xexay(.itvog
■/.a-KoloL ßätu iioXXa Tvöecog ßiav
Man vergleiche auch Eura. 461, 463:
'/.ai xiZvöe -/.oivfj yio^lag hiaixLog
aXyr] itqocpwvMv avxUevxQa xa^d/^,
EL (xr^ TL xiJövd'' eQ^ai(.iL xoi-g STtairlovg
Man vergleiche ausserdem Eum. 557 irXrjQOVfxevri — und
gleich darauf nXr^Qov/jtvov. Choeph. 155, 156 (?), 400, 403,
692, 698, Eum. 218, 222.
Bei guter und richtiger Recitation, wie wir die der
griechischen Bühne uns vorzustellen haben, ist der Missklang
gewiss nicht störend hervorgetreten. Mit Recht bemerkt
Bergk, Literaturgesch. lll S. 351, dass wir hierin eine ge-
wisse Schlichtheit des archaischen Stiles zu erblicken haben.
Doch finden sich auch Beispiele bei Sophocles. Neue Phi-
loktet. 267, auch bei Euripides Suppl. 306, 307 (N), fragra.
193, 417, Valk. Diatribe. S. 139. Doch dürften sie bei
demselben anders zu beurteilen sein. Aufschluss kann uns
hierüber nur eine genaue, ins Einzelne gehende Spezial-
untersuchung; brin(i;en.
240 Sitzuiuj der pliilos.-philol. Classe com 7. Juli 1888.
Bei Aeschylus dürfte uns die Einsicht in diese Eigen-
tümlichkeit zur Vorsicht ini Conjicieren mahnen. Nun
unterliegt es freilich nicht dem geringsten Zweifel, dass mit
dieser Beobachtung kaum Stellen, wie Choeph. 1030/32,
Eum. 566/67, Sept. 259 und 261, 376 und 377 geschützt
und gehalten werden können. Hier liegt die Art der Ent-
stehung der Fehler zu offenbar zu Tage.
Aber zu bedenken ist doch, ob wir nicht den Dichter
corrigieren statt des librarius, wenn wir mit Nauck gestützt
auf Euripides Pers. 250 /ueyag, mit Ritschi Sept. 570 (575
VVeckl.) TOvÖE TTiavcZ yvr^v oder mit Weck lein Ag. 14
dvTinvovg lesen.
An diese Beobachtung möchte ich eine andere reihen,
die uns vielleicht an einer Stelle der Choephoren auf das
Richtige führt. Wenn sich auch nicht läugnen lässt, dass
der griechischen Prosa Verbindungen wie oig vof^og eozi, wg
t'O^og eOTL durchaus nicht fremd sind, so dürfte sich die
Sache doch etwas anders stellen bei Dichtern, speziell bei
Aeschylus.
Zunächst stehen vÖ/lwq und ähnliche Verbindungen bei
ihm ohne Verbum tiuitum. Eum. 444: aipO-oyyov eivai xov
7iaXafxvaiov vof^og oder Sept. 995 TeO^vrjKev ov7ieQ ro'ig vtoig
d^vrjoy.Eiv ■A.akbv und Aehnliches Pers. 608.
Auch in den Verbindungen mit oig oder wanEq fehlt
das Verbum regelmässig wie Ag. 251 wa/re^ ■jj TiaQoif.iia.
Choeph. 987 tyei yog aloyivir^gog, log rö/iiog, diY.rjV^ Eum. 4
uig köyog zig, Suppl. 220 ojg loyog, Prom. (510
loanEQ öixaiov, Ttqog cpiXovg oiyeiv atöfxa
Wir stehen also hier einem festen Sprachgebrauch
gegenüber, der (bis hori verpönt, .so gut wie in den Verbin-
Römer: Studien z.handsehnftl. Ueherliefermi;/ d. AcNchi/lus. 241
diui^aMi mit er/.oc, worüber man das Lexicon von Dindorf
ver«i;leichen kann. Diesem Sprachj^ebniuch widerspricht eine
Stelle der Choephoren V. 80, die heute gelesen wird:
tj TOVTO (paoMo Tomiog wg vcfxog ßgorolg
tax' avTiöovvai zoloi TtäfxrcovOL xade
axicpi]^
Aber abgesehen davon, dass diese Stelle dem Sprach-
gebrauch, wie er sonst bei Aeschylus vorliegt, widerspricht,
unterliegt sie noch einem anderen Bedenken. Das ist die
Stellung des eoTi an der ersten Versstelle. Nun findet sich
bei ihm eivul, t^^i-iev^ i^oav an der ersten Versstelle, wie Ag.
1048, Choeph. 867, 1029, Suppl. 373, 437, Ag. 1053 r^^^£v,
Prom. G73 rjoav, Prom. 739 dürfte anders zu beurteilen sein.
Aber ioTi findet sich bei ihm an dieser Versstelle nie. Die
einzige Stelle, die mit der obigen eine entfernte Aehnlichkeit
hat, findet sich gleichfalls in den Choephoren 973:
q)iloi Se xal vvv, cug ineixaoai naif^rj
itoQEOtiv, OQxog t' efxjuävei rciotwfxaaiv.
Aber auch diese dürfte kaum ausreichend sein, das eoii
in dem genannten Verse zu verteidigen. So glaube ich denn,
dass man zu conservativ war, als man Bambergers schöne
Conjectur verschmähte, die doch auch ausserdem dem dvri-
öovvai das unbedingt nötige Object gibt :
wg v6f.iog ßgoTolg,
fc'a' avTidoivat to'iolv 7ii(.i7iovoiv räde
ore(frj. ^)
1) Unbegreiflich ist es mir, wie ein so feiner Gräcist wie Nauck
in .seiner neuesten Ausgabe des Oed. Tyr. die Stelle 715 behandeln
konnte. Dort lesen wir:
y.al rov /iiev, &aneQ y f) cpärig, §ivot nozk
Ij^azal tpovsvovo' iv rgiTiXaig äfia^iroZg.
Es werden schwerlich viele die Bedenken Naucks gegen jioie
242 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Juli 1888.
VI.
Einige ästhetische Bemerkungen zu Aeschylus und den
Tragikern mögen den Schluss dieser Abhandlung bilden.
Dieselben sollen verbunden werden mit einigen mythologischen,
von denen wir zunächst ausgehen wollen. Denn eine richtige
Einsicht in die von den Tragikern und anderen Dichtern
vorgenommenen Versionen verbunden mit einer eindringenden
Erwägung und Beurteilung derselben sind mehr als alles Andere
geeignet, uns zu vollem Erfassen, zur richtigen künstlerisch-
teilen. Entschieden Einsprache muss man aber erheben gegen die
Neugestaltung, dieN. vorschlägt, nämlich: wojieq 7'?/ cpaTig xQazsT, ^svoi.
Dieselbe stammt aus Ajas 978 und die Stelle ist ein sicherer Beleg
dafür, dass sie OT 715 nicht zur Stütze dienen kann. Dort ruft
Teukros entsetzt beim Anblick der Leiche aus :
d) (piXrar^ Aiag, & ^vvaifiov o/n/n^ ifioi
ag rjfxnöXi^xag, wojibq rj (paxig xQaxeT.
So und nicht anders konnte Ajas spi-echen, als ihm nun die traurige
Gewissheit mit Entsetzen vor Augen tritt. Das ist ganz deutlich
aus 998:
o^sTa y6.Q oov ßä^ig (hg {J-sov zivog
öifjkd^^ Ayaiovg Jidvxag, cbg oi'/ei üavcbv.
Darum ist hier (päzig xoareT an seinem Platze, im Oed. aber nicht.
Man vergleiche auch Antig. 829 «S? ffdrtg drSgcöv. Ganz älmlich auch
Pers. 727 ff., wo auf die Frage des Dareios rovi' kz^'jzv^ov; Atossa ant-
wortet: vai, koyog xgazsT aafprjvrjg.
Ich habe aber noch ein anderes schweres Bedenken gegen das
nQazFi. Es scheint mir nemlich bezeichnend für den Charakter der
Jokaste, wie ihn der Dichter geschaffen hat, dass sie in ihrem ober-
flächlichen Leichtsinn mit der nur durch die cpäzig verbürgten Art der
Ermordung operiert, wie mit einer ganz sicheren und unläugbar fest-
stehenden Thatsache. Unbedenklich zieht sie ihre Schlüsse aus der
That, für deren Ausführung sie eben nichts als die (päzig anführen
kann. Ich meine, wenn wir ^^rjarer dazuaetzen, ist das zu schwer und
stört diese Kreise. .Jokaste kommt rasch darüber hinweg; die An-
deutung, die hier etwa zu geben war, hat der Dichter deutlich
gegeben durch das y\
■ Römer: Studien z.handschriftl. Ueberlieferung d. Aeschißus. 243
ästhetischen \Vürdigung des poetischen Kunstwerkes vor-
dringen zu lassen und uns in das Allerheiligste des Dichters
einzuführen. Darum war es einer der glücklichsten und
fruchtbarsten Gedanken in den Anfängen unserer Wissenschaft,
die diesbezüglichen Aeusserungen und Darstellungen der Dichter
anzumerken und festzuhalten, mit andern zu vergleichen
und so ein Urteil üljer die Gründe der Abweichungen, über
den Wert derselben, über ihre Nachhaltigkeit zu ermöglichen.
Das war ein Hauptmittel, zunächst einmal der ästhetischen
Beurteilung festen Grund und Boden zu verschaffen, um so
zur Würdigung des Kunstwerkes als Ganzes vorzudringen.
Da wir nun heute in unseren Scholien des Aeschylus
diese Seite der Erklärung wenig oder fast gar nicht berück-
sichtigt finden, müssen wir auch hier wieder zurück auf
Aristonicus greifen, bei dem wir nur die folgenden wenigen
auf Aeschylus bezüglichen Bemerkungen finden.
Die Psychostasie des Aeschylus wird in folgender Weise
erwähnt. 0 70 ev ö' eri^ei dvo xt^qs zavijXeyaog Ö^a-
växoio: . . . y.al ort rag ^avairjqtOQOvg jnoiQag Xeyei. o öt
Aloy^ilog vof.iiaag Xeysod^ai rag rpvxag i/toirjae Tr]v ipvyo-
aiaolav, iv ij eoviv 6 Zevg \oTag ev t(^ ^vy<ii rr(v tov
Me(.ivovog xai liyiXXiwg xpvxrjV,
X 209 xaZ xöxE df\ yQvoeia TtarriQ ezivaive
TciXavta: oxi svrsvd^ev r^ ^wyoGtaaia Aloyilov 7ciiiKaoTai,
d)q Tov Jiög rag ipvycg lOTovrog, ov d^avaxrjfpoQovg /.loigag.
Seine (Dqiyeg citiert Aristonicus:
X 351 ovo' e.'t /.iv a' avxov y^qvoih eQvoaoO^ai dvwyot
J aQÖaviör^g rLqiu(.iog
oxi vTiEQfiulr/Mg Xiyei. 6 di Alayvlog hi' dltj^siag avifi-
oxa(.ievov yqioov 7re7C0irfKt nqog x6 "E/.xoQog ow{.ia ev (Dgv^iv.
ö 366 Eid 0^ er] . . . /ml AioyvXog 6e iv rigiozel Eido-
d^iav acxr^v /.uXei, 6 öi Zt]v6doxog ygdifei Evqvv6i.ii]. Cf.
fragm. 210 (Dind.).
244 Sitzung der philos.-philol. Clnsse vom 7. Juli 1888.
B 862: 0OQ/ivg av (Dgiyag r^ye /.ai l4 OKcer log
if eoeiö r^g: hxi oi vecoveQOi xr^v Tgolav xal rrv QiQvyiav rrjv
avTijv Xiyovoiv, o de "Of.i)iQog ovx ovrtog '^loyvXog dt
oweyBev.
Das war ein vernünftiges wissenschaftliches Verfahren
und die moderne mythologische Forschung acceptiert alle
diese Resultate mit Freuden.
Es ist der Gipfelpunkt der Beschränktheit, wenn eine
Stimme aus dem Altertume uns von dem Gegenteil über-
zeugen will in den von Trendelenburg: „ Grammaticorum
Graecorum de arte tragica jiidiciorum reliquiae" p. 68 und
von M. Schmidt: ,fragm. Didym." p. 265 höchst unglücklich
behandelten Erklärungen zu Soph. Electra 445 und 539. Zu
der ersteren Stelle:
vcp^ rfi 0-ai'iov aTi/.iog tuars dvaf.ievrjg
i/uaoyakioüri y.d7il XovtqoIoiv v.ccqc^
yii]Xidag i^ejua^ev.
finden wir die Bemerkung: . . . ov öel ös diaq)U)viav doKeiv
elvai 7iQdg tov "Ofjrgov^ iviei q)rjOiv ey.eivog ^ÖEncviooag üg
Tig T€ '/.aTeyiTave ßovv Eni cpäzvrj"' [ö b'6b). rj^xet yaq tcc
ola ovf.ig)Cüvelv rrö jigayf^ari • zd ycig Jtara f.i€Qog e^ovoiav
txBL tTiaoTog wg ßoiiXerai TiQay/javevaaaÜ^ai, ei /r>] z6 näv
ßXdjixrj ^r^g i/io^eaeiog.
Hier war in den guten Quellen eine diacpwvia jcqög tov
'OfitjQov notiert und das war richtig, vernünftig nnd wissen-
schaftlich. Es ist weder Aristarch noch einem seiner ver-
nünftigen Schüler eingefallen, dem tragischen Dichter auf
die Finger zu klopfen und es heisst gegen Windmühlen
kämpfen, wenn man sich zu einer Polemik aufraffen zu
müssen meint, wie sie in unserem Scholion zum Ausdruck
gekommen ist! Zu der zweiten Stelle 539
7101EQ0V eneirw (dem Menelaos) naJdeg ot'x r^aal' di/iXoi,
ovg tf^oÖe /näkkor el/cög rjv O^v^ay.eiv
Römer: Stttdieti s.handschriftl. Urherliefenoifi d. Aeschijlus. 245
war auch ursprünglich kaum etwas anderes an*^emerkt
als die Abweichung von der homerischen Darstellung {Ö 13)
mit einem Hinblick auf die vielleicht in dieser Beziehung
bessere Erfindung des Homer. Hören wir nun unsre Quelle:
ot jiegl fueydXiov öe ai toiaviai öiacptoviai xoHq rioiijTalg
eion\ wove oi 7i6vv de'i atzo'ig Ini xiov roioinov evox^dv,
aq^mtvoig riov dvay/.aiOTtQtor, mreg vraQaxijQelv ^XQrjV " xavia
dt eOTi Tu i]U^iKO y.ai x(}i\oL!.ia f)(.ilv xolg IvTvyy^a-
V ovo IV. üQa ovv Ttwg f/Mno Zio luqel rrjg loroQi'ag y.aTE-
XQ^jOaro, oxL owecfegev tw loyio ttJc; K?^iraifirT]OTQag. Aber
durch diesen Grundsatz zavTa öä iori . . . evrvyxdvovoi ist
der Aberwitz der 7iaiötvTiy.cc und anderer ähnlicher Unge-
reimtheiten gezeitigt worden, der uns um die echten Perlen
gediegener Wissenschaft betrogen hat. Einige Proben in
den Scholien zu Eum. 95, Sept. 165.
Der Mann, der, um mich der Worte von M. Schmidt
zu bedienen, Aristarchi nirais sobriam censuram castigat, soll
Didymus gewesen sein, 1. 1. p. 265. Der Homeromanie ist
Aristarch noch lauge nicht schuldig, wenn er bei dem Dichter
gar Vieles besser, geistvoller, mit grösserem Kunstverständniss
gestaltet findet, als bei Späteren, mag er auch wohl hie und
da der selbständigen Erfindung und der bewussten Abweich-
ung der letzeren nicht das richtige Motiv untergeschoben
haben, z. B. an dem schon citierten Verse ö 535
dtntviooag aq zig ze v.ctzi-A.zave ßoiv enl q^azvjj
wo wir in den Scholien lesen : oi vewzeQOL fxr^ vorjoavzeg zö
'^0(j^t]Qr/.6v ^ÖEinviooag — (fäzvrj'^ rTQoaid-i]'/.av ozi xal neleyei
dvTjQeiti]. Diese Fiction, meinte er, sei daher gekommen,
dass man die Sache wörtlich nahm, weil das Rind gewöhn-
lich mit dem Beile geschlagen wird, während es dem Dichter
nur darum zu thun war, das öeinviaoag mit einem Vergleiche
zu erläutern. Genaueres in dem Scholion zur Hecuba 1279 :
oi vstözegoi f-n] voroavzeg z6 tiüq' '0(i/rj^a» ^öeuiviaoag —
246 Sitzunif der philos.-phüol. Glasse vom 7. Juli 1888.
(fdzvr]'^ (ö 535). avO-^ wv <üv> edei /.lEta zovg Ttovovg mio-
Äavaetüg xv^eiv tovtov wg ßovv dui-x.XEivev r^ KXvTaif^viqOTQa
/tQOGii/rj'/.av, oti /.ai 7ceki'/.Ei dvr^oed^t] • öio arj/nsauziov ivrav^a
Tov ^yiavTOv ye tovtov 7T€ke'/.vv s^agag aVw" (1279^.
Also bei einer solchen Version muss durchaus nicht
gerade der homerische Vers vorgeschwebt haben , ebenso
wenig wie Choeph. 882, wo Klytaemnestra ruft:
doli] Tig dvÖQO'K/.iiJTa ntlsycvv cog Ta^og.
Darin mag er also am Ende des Guten zu viel gethan
haben, aber recht hat er gethan, wenn er daraufhielt, dass
die diacfiüviai JiQog tov "Of.irjQOv notiert wurden. Der Ver-
lust dieser wertvollen Nachrichten wurde aber durch den
durchaus verkehrten Grundsatz der Betonung der rjD^rKd (im
moralischen Sinn) und der XQ^i^^^l-^" '^olg evTvyx^vovoi {7cai-
ÖEVTi/.d) herbeigeführt und dieses leere und seichte Gerede
kann uns dafür durchaus nicht entschädigen. Daher dürfen
wir uns auch nicht wundern, wenn in den so arg zugerichteten
Scholien des Aeschyius sich nur noch wenige Spuren dieser
wissenschaftlichen Bemühungen finden. Gewiss war be-
merkt zu Agamemnon 1003, 1080 und zu verschiedenen
Stellen, wie Aeschyius abwich von der homerischen Dar-
stellung sowohl in der Gestaltung des Charakters der Kly-
taemnestra im diametralen Gegensatz zu l 410, wo Aristo-
nicus bemerkt: bzi tTj ircißouAjj y.dy.eivrj ovvtyvuj, womit
Ag. 1177 etc. zu vergleichen, als auch in den die Hand-
lung begleitenden Nebenumständen: tov ydg yiTiova /.al tov
TCiXsKvv (bei Aeschyius das Schwert Ag. 1217) "Of.irjQog ovy.
olöev.
Heute finden wir in den Scholien des Aeschyius in
dieser Beziehung höchstens Ag. 1 : i)^eQä7nov ^ya/ue/nvovog
6 /CQo'AoyiCo/iievog, ovyi 6 V7i6 ^lyiaifov TayO^eig. Es wurde
also die Abweichung von ö b2ii fi"., zu der Aeschyius durch
die ganze Umgestaltung der Hiuulluiig veranlasst war, hervor-
Fömer: Studien z. hattflschriftl. Ueberlieferunfi d. Aefichiflus. 247
gehoben. Auf eine gute Quelle geht 7Airück, was wir zu
Sept. 407 lesen :
yiyag oö'' oXXog toi nagog XeXsy^evov
(.lElUOV '
^Tvösvg TOI ,«r/o6c /.lev tr^v di^iag, a/la ^tm/j^rrjc;'' (£ 801).
Auch hier war also auf die abweichende Darstellung bei
Homer hingewiesen.
Aber sehen wir einmal lieber von diesen alten Quellen
ab und versuchen unsererseits einige recht auffallende und
belehrende Abweichungen von Homer, die sich bei Aeschylus
finden, darzulegen.
Dass Aeschylus und die Tragiker überhaupt die Bekannt-
schaft mit Homer oder der von ihnen behandelten Sage bei
ihren Zuhörern voraussetzen, ist eine längst ausgemachte
Sache und in launiger Weise geschildert bei einem Komiker
Kock II. 1. fragm. 191
ua/MQiov loTiv rj TQaywdla
TToh/fua /Mxa 7[dvT\ el' ye ttqöjtov ot loyoi
VTtö Twv d^eavcov Eiaiv eyriogiof^evoi
7TQLV -/Ml Tiv' elnElV . '/.tX.
Nun ist das bei unbedeutenden und wenig hervortretenden
Nebendingen ohne Belang, ob man aber den folgenden Ver-
fahren im Agamemnon als einen solchen nebensächlichen
Umstand bezeichnen darf, scheint uns fraglich. Nach der
ganzen Anlage und Führung des Stückes sind die Männer
des Chores, sind die Zuschauer, sind wir, die Leser, doch
wahrhaftig berechtigt, nachdem das so lange erwartete Er-
eigniss der Einnahme Trojas endlich erfolgt, dessen Eintritt
uns zweimal in glänzender Weise geschildert wird — ich
sage wir sind berechtigt, und ist es unerlässliche Pflicht des
Dichters, nachdem er so alle Erwartungen erregt hat, diese
zu befriedigen und seinen bisherigen glänzenden Erzählungen
248 Sitzunci der phUos. -philo]. Classe vom 7. Juli 1888.
die Krone aufzusetzen durch eine reiche, farbenprächtige,
glänzend realistische Schilderung der Einnahme der Stadt.
Aber was geschieht? In ganzen G Versen ist die Schilderung
abgemacht in den Worten des Agamemnon 787 ff".:
y.ai yvvacKog eivE'Aa
nokw dit]/.iaüv}'€v ^Qye'iov daxog
i7t7iov vsoGOog, aaiiidr^cfOQog Xeiog
7T'^dr]f.i' OQOvoag äf.ig^l Illeiddojv övöiv
VTVEQd-OQtüv de nvQyov co/nr^OTr^g Xtiov
aÖ7]v ilei^ev ai/iiaTog TVQavviy,ot.
Denn die Gräuelscenen, von denen uns Klytaemnestra
berichtet, werden nur vermutungsweise entworfen 307 ff.,
auch die verschiedenen Meldungen des Heroldes berühren
gerade diesen Punkt nicht und Aeschylus, der uns in seinem
Septem eine so ergreifende Schilderung von einer eroberten
Stadt entwirft, hätte in einer solchen Schilderung sich selbst
übertreffen können. Warum sie unterblieben, ist wohl leicht
einzusehen : eine solche Schilderung war ja wohl von den
athenischen Zuschauern oft und wiederholt gehört worden —
so konnte die kurze Andeutung unter dieser, aber auch nur
unter dieser Voraussetzung genügen und der Dichter konnte
sein Augenmerk auf andere wichtige Gedanken concentrieren,
die er seinen Zuhörern in erster Linie zu Gemüte führen wollte.
Bei anderen Versionen mögen religiöse und politische
Motive ihm die Hand geführt haben. (Cf. Eum. 11 x^Q^~
Cof-iEvog Tolg ^y4-ifi]vaioig, Eum. 28G wg tote ov/u/xaxovvTcov
IdQyEuov l4i^,ivaioig und Weil ad 294 Thukyd. I, 104, 109).
So widerstrebte es ihm. die Griechen nach der Einnahme
von Troja und bei der Abfahrt als uneinig darzustellen Ag.
G05, daher die Erzählung von dem Verschwinden des Menelaos
Ag.595 ff. Seiner geläuterten religiösen Anschauung widerstrebte
es auch, die Götter als uneinig und vom Parteistreit entzweit
darzustellen, wenn man anders richtig Ag. 777 interpretiert:
jRüwer: Stii(1ie)i .'. haiidschriffl. üeberlieferiouj d. Aeschyhis. 249
öiy.ag yoQ ovx au 6 yXcooGi^g O^eoi
y-Xiovreg dvÖQod^vffVag 'iXlov q>^OQdg
ig aif-iaii^goi' reixog ov d lyoq Qon lo g
i^niq^ovg e&evTO.
Man hat in dem ov diyoQqojiiog einen Seitenhieb auf
Homer gefunden, und das mag richtig sein. Aber dann
muss auch gesagt werden, dass man von dem grossartigen
Ereigniss noch kleinmütiger denken muss, als Thukydides
in seiner agyaiokoyia und dass die zehnjährige Dauer des
Krieges bei Homer, bei dem überhaupt die niii^uvoTrig eine
viel grössere Rolle spielt , als man gemeinhin glaubt, viel
besser motiviert ist, als bei Aeschylus.
Aber das ov öiyoQQ67nog wird sich wohl auf den letzten
Moment der göttlichen Entscheidung beziehen; denn Apollo
ist auf Seite der Troer gegen die Griechen Ag. 487
0 Ilvd-iog t' ava^
TO^oig lanrcov (.itfKez' elg r^f.iäg ßeXi]
oXig 7t agd ^/.auai'dQOv rjod^' dvagoiog
Dagegen wird man mit mehr Recht einen sehr bezeichnenden
Hinweis auf Homer erkennen Ag. 172
{.lavtiv ovTiva ipiycov
wenn man mit Stanley 192 rore liest. „Damals als er zur
Kettung seines Volkes auf sein Kebsweib verzichten sollte,
da donnerte er den Kalchas nieder mit dem j.iävTi -/.aAiov etc.
und jetzt bringt er seiner Herrschsucht das Opfer seines
eigenen Kindes".
Ganz merkwürdig und bezeichnend ist auch die Dar-
stellung des Aeschylus in Betreff des Verhaltens der Troer
dem Paris gegenüber. Wie lodert Hektor, der uns F 38
zum ersten Male in der Ilias entgegentritt, auf in
heiligem Zorne gegen den Feigling, der an allem Unheile
schuld — und wie denken die Troer über ihn F 453
250 Sitzung der phüoH.-phünl. Classe vom 7. Juli 1888.
ov /Lter yaq q^iloTijTi ly.eii)avov, ei Tic, iöolto
loov yaq ocpLv rraaiv oniqyi&ezo y.rjQt (xe.Xaivrj
Paris reisst das Haus seiner Väter — das Volk — Alles in's
Verderben. Da ist doch auch ein Stück von dem quidquid
delirant reges, plectuntur Achivi zu erkennen.
In diesem Gegenhalt wird man die tiefsinnige Darstellung
und Aenderung des Aeschylus verstehen und würdigen Ag. 680
TO VVlLKpOTl-
^ov (.liXog E-Acpärcog tiovrag
vf.itvaiov^ og tot'' sntQQs/rev
ya/Lißgoloiv aeideiv.
/Lieta/Liavi^avovoa d'vf.ivov
IlQidf^ov nolig ysQaia zrA.
Auch die fortgeschrittene Zeit hat ihn wohl zu anderen
Gestaltungen geführt. Bei Homer ist Troja wie ein anderer
fremder Weltteil ^ 71, 154 und wenn auch Achilleus den
durch Sokrates' Citat klassisch gewordenen Vers ausspricht:
ifH-iaTi y.E tqitÜtoj Wi^irjv igißioXor r/.oiiiitjv £ 363
und so nahe also auch die Heimat ist, so scheinen doch die
Helden von jeder Verbindung mit ihr abgeschnitten. Nach-
richten dringen weder hinauf nach Troja, noch hinunter in
die Heimat. Aeschylus trägt nur den anders gewordenen
Verhältnissen seiner Zeit Rechnung, wenn er die Klytaem-
nestra sprechen lässt, wie wir das Ag. 880 ff. lesen.
Zu anderen notwendigen Abweichungen zwang ihn der
gemessene Stil und die hohe Würde der Tragödie.
Wie rührend einfach, wie menschlich schön und er-
greifend ist doch Agameniuons Ankunft in seinem Vaterlande
geschildert d 521
7^ roi o liiiv yaiQiov a/reßrjGeTo 7iaTQ/dog atrjg
y.ai /.vi'Ei ayiTOjLievog rjv /laTQida " 7rokka d''aTi avtov
öä/.ovu Oeo/^ia ylovz\ InEL oo/iaaicog l'öe yaiav.
Böiner: Stndieu z.handschriftl. Ueberliefenuiff d. Aeschi/his 251
Wie hebt sich nun davon so scharf ab die gleich un-
niittelliar geschilderte Unthat des Aegisthos, Wie hoch
feierlich ist nun Agamemnon bei Aeschylus eingeführt. Ag.
775 ff.
Mit Homer wüsste ich mir die herrliche Scene in Shake-
speares Richard II. III, 3 /u vergleichen:
vor Freude wein ich
Nochmal auf meinem Königreich zu stehen. —
Ich griisse mit der Hand dich, teure Erde,
Verwunden schon mit ihrer Rosse Hufen
Rebellen dich ; wie eine Mutter, lange
Getrennt von ihrem Kinde, trifft sie's wieder
Mit Thränen und mit Lächeln zärtlich spielt.
So weinend, lächelnd, grüss ich dich, mein Land,
Und schmeichle dir mit königlichen Händen.
Diese Könige und Fürsten wurden, um sie für den
Tragödienstil brauchbar zu machen, sozusagen entmenschlicht,
ihre hohe, gottgleiche Stellung sollte und durfte nicht an
niederes Menschentum erinnern. Euripides, der das Glück
hatte, über viele, viele Dinge mit bestem Erfolge zu denken,
aber das Unglück, allüberall in seinen Tragödien mit rück-
sichtsloser Schneidigkeit die Resultate seines Denkens zu
verkünden, hat sich auch über dieses Thema vernehmen
lassen in der Iphig. Aul., wo Agamemnon sich dahin aus-
spricht 44G
r^ dvayireia d'ag eyei n ygriOiuov •
xai yoQ öa/.Qvoai Quöicog avTolg f-yei
änavTc t'' elnslv.
Die Findigkeit seines Geistes hat aber auch noch ein
anderes Mittel für diesen Verstoss gegen die Etikette auf-
zuspüren vermocht, in der Hel. 950 spricht Menelaos:
1888. Philos. -philo), u. bist. Cl. II. 2. 17
252 Sitzung der philos.-pliilol. Classe vom 7. Juli 1888.
sytd ocv ol'r' av Ttgoa/reoelv rXairjv yovv
ovx' av daKQvaai ß'kiqaqa' tr^v Tqoiav yaq av
deilol yevöiiisvoi 7tXeloTQv aioxvvoiinsv av
•/.uiToi Xtyovoir tog /iqog dvögog svyevotg
fv ^vfKfOQaloiv day.QV an' oq^^aXf-icov ßaXeiv.
(Man vergleiche damit auch Cycl. 198 ff.)
In nichts aber zeigt sich dieser Gegensatz klarer als in
der Darstelhmg eines und desselben Vorganges bei Homer
und Sophocles in der "E/.zoQog ymI l4vÖQ0i.idyr]g oudia und
in der bekannten Stelle des Ajas 545 ff. Ich darf wohl die
erstere als bekannt voraussetzen, nur auf zwei Momente will
ich hinweisen, die von Bedeutung sind für die Darstellung des
Trasfikers. Da ist der erste der. wie sich der kleine Sohn
des Hector, .erschreckt über den Anblick des in seiner Kriegs-
rüstung prangenden Vaters, an den Busen der Amme schmiegt
und sicli erst beruhigt, als der Vater den Helm mit dem
wallenden Busche, der ihn natürlich besonders erschreckt,
abgelegt. Der zweite Moment ist das Gebet, in welchem
besonders die Worte
xa/ 7coTe Tig einoi '^naxqog y ode 7ioXX6v dfXEivtov'
F.-K iioXtf.iov dvLOvca • (piqoi ö' evaqa ßgoToevra
TiTEivag driLOv avdqa, yaQeh] di q)Qi.va f-HjTijQ
auffallend sind. Wie kann Hektor — fragt man sich —
nachdem er kurz vorher in den Worten
eaasTai r^f-iaq or' dv not' oXioXr^ "iXiog iQtj etc.
den Untergang seiner Vaterstadt, seines Vaters, aller seiner
Brüder und des theuersten, was es für ihn gibt auf der Welt,
seiner Gemahlin in so ergreifenden Tönen voraussagt — wie
kann Hektor nun sozusagen im nächsten Momente das Alles
vergessen, ja geradezu in einen hoffnungsfreudigen Ton ver-
fallen ?
Halten wir nun zur Beantwortung dieser Frage dagegen
die Darstellung des Sophocles:
Homer: Studien z. handachriftl . Ueberlieferunff d. Aeschylus. 253
aiQ^ avTov, aiQs devQO. raQßrjaei yag ov
veoa(payri nov tovös ti QooXevaoiov qovov,
eYrreQ ömaliog k'az^ s/uog tu naxQod^ev ,
aXX' avTix^ to/nolg avrov iv vo/noig viargog
del TTioXodaf-ivEiv 7id^of40iovoi)-ai cpioiv.
ti nai, yavoio naxQog svzvxsoTEQog,
TU (J' aXX' Of.ioiog ' -Kai yeroC av ov "/.ayiog.
Ich denke, die Antwort auf die letzte Frage hat uns
Sophocles deutlich gegeben, wie er vielleicht auch der erste
war, der sich die Frage überhaupt vorgelegt in den Worten :
CO Tvai — ov x.axog.
Und doch wie einzig schön Homer! Bei dem Anblick
des blühenden Kindes, des herzigen Sohnes — hat der Vater
Alles, Alles vergessen und findet naturgeraäss dann auch ein
Wort des Trostes und der Beruhigung für seine Gemahlin,
womit nun diese unvergleichliche Scene ihren würdigen und
beruhigenden Abschluss erreicht. — dnXovg 6 /.ivü^og möchte
man mit den Alten sagen, das sie über eine der genialsten
Stellen der antiken Poesie angemerkt C 115
0(paiQav eueiz' eggiipe f.iB%^ dfxqiiTroXov ßaoileia y.xX.
Aber auch noch eine zweite Frage hat Sophocles dem
Homer und sich selber vorgelegt. Wie? der Sohn eines
Hector — der Sohn eines Helden — das Kind, in dessen
Adern das Heldenblut seines Vaters rollt — erschrickt vor
der Rüstung — vor dem wallenden Helmbusch! Nein — es
greift darnach. So hat Sophocles sich diese Frage beant-
wortet! Das sehen wir auch deutlich in den Worten:
Homer sagt:
xaqßt^aag -/ah^ov le lös Xotpov hntio'^äQi.irjv
und Sophocles direkt dagegen
xaQßrjOei ydq ov
ELitsQ diKaliog bot' f-f-iog ra 7iaTQ0,')ev.
17*
254 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Juli 1888.
Und nun zu wessen Gunsten entscheiden wir uns? Die
Antwort ist nicht schwer. Das Natürliche — das Mensch-
liche — das Ewige in der h o ni er isch en Darstellung wird
uns immer mehr ansi)rechen und anmuthen. als die Gestaltung
des Sophocles. Aber wir würden doch dem grössten Dramatiker
des Altertums Unrecht thun, wenn wir nicht billig einen Um-
stand in Berücksichtigung ziehen würden, der den dramatischen
Dichter zu dieser Darstellung berechtigt — das ist der Unter-
schied des Charakters des Ajas und des Hector. Das
hat Soph. vorzüglich angedeutet
oAA' «it/x' iof.iolg aiTOv iv vo(.ioiQ 7iaTQog xrA.
und wenn er das aus dem Homer, besonders aus der nqeo-
ßela TTQog lä^/^iXKia herausgelesen, dann hat er ihn wohl
mit Verständniss gelesen wie wenige !
Und so haben wir auch damit nicht einen Dichter
gegen den andern ausspielen wollen, beider Darstellung ist
ja von den richtigen Gesichtspunkten aus beurteilt schön
und herrlich, sondern uns nur vermittelst der ästhetischen
Analyse die charakterischen Verschiedenheiten beider gott-
begnadeten Naturen vor Augen führen und zu erneutem
Studium derselben nach dieser Richtung einen Ansporn geben
wollen.
255
Herr v. Christ legte eine Abbaudlung des Herrn
Sittl vor:
, Mitteilungen über eine Iliashandschrift
der römischen Nationalbibliot hek".
Obgleich die Vittorio-Emanuelebibliothek unter den
römischen Handschriftensammlungen die geringste Zahl grie-
chischer Codices aufzuweisen hat, besitzt sie doch ein Keimelion.
das, längst bekannt, noch nicht genügend gewürdigt worden
ist. Es ist die Handschrift, aus welcher Osann das berühmte
Anecdotum Romanum veröffentlichte, einstens Muret gehörig
(von dem die zierlichen Randnoten in griechischer und latei-
nischer Sprache herrühren dürften), dann in die Bibliothek
des Collegium Romanum gelangt und mit dieser in die National-
bibliothek aufgenommen; sie trägt hier die Bezeichnung
, Codex Graecus 6\
Was immer ihr Inhalt wäre, sie verdiente Beachtung
wegen ihres hohen Alters. Osann (Anecdoton Romanum,
p. 7) setzte das Manuscript in das zehnte Jahrhundert, allein
Schow (chart. papyr. musei Borgiani, p. 113) hatte sich für
das neunte ausgesprochen, und diese Annahme wird sowohl
durch einen Vergleich mit dem Euklides von 888 und dem
patraischen Plato von 896, welch' letzterer sogar in den die
Hauptabschnitte trennenden Schnörkellinien übereinstimmt,')
1) Auch dass manchmal Accent und Spiritus über dem ersten
Teil eines Diphthongs stehen, ist unserm Homer mit jenem Plato
gemeinsam. W. Dindorf, der die Handschrift nie gesehen hat, be-
zweifelt Osanns Ansatz (Scholia in iliadem I, p. XLVHl).
256 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Juli 1888.
als auch durch Anwendung der paläographischen Detailgesetze
vollauf bestätigt; es fehlen nämlich die Uncialbuchstaben,
welche seit der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts in
die Minuskel sich eindrängen, ov wird immer mit /-wei vollen
Buchstaben geschrieben, die Worttrennung steht in den An-
fängen und wird gar oft nur durch Spiritus oder Apostroph
angedeutet.'^) Dieser Codex nun stellt die älteste Minuskel-
überlieferung der Ilias dar ; ist doch der vielberufene Venetus
A frühestens im zehnten, vielleicht aber erst im elften Jahr-
hundert geschrieben.
Das erste Blatt ist leider verloren und durch ein etwas
jüngeres, welches von Märtyrern handelt, ersetzt. Jetzt be-
ginnt der Codex mit dem Reste der Fragen, die in der
Schule über die Ilias gestellt wurden, saramt den Antworten,
nämlich : Welche Götter standen den Griechen, weiche den
Barbaren bei ? Tig z (Sv ßagßaQWv ßaoiXevg ; rig Ö€ OTQazrjyog
ßagßaQiy.ov OTQaTEif.iaTog ; ilveg f^avzeig zcuv ßagßaQwv ;
noooi IJQidfiov 7ialdeg\^) Vorher war natürlich dieses Schema
auf die Achäer angewendet worden.
Daran schliesst sich ein Biog '^O^i]qov^ aus welchem
eine Madrider Handschrift einen Auszug enthält; da dieser
allein veröffentlicht ist^), teilen wir diese gelehrte Biographie
anhangsweise mit und werden zugleich deren Bedeutung zu
würdigen versuchen. Nun folgt (Fol. 3) jenes Anekdoton,
von dem nicht einmal der Titel bisher richtig wiedergegeben
ist; er lautet: Ta. 7iaQarii^tfxeva zoig '0(xriQi%oi (sie) otixoig
14qiozccqxici orjuela. yivay/.aiov yviovai rovg ivxvyyavovrag.
Die von Osann übersehene Interpunktion gibt allein einen
guten Sinn ; der Sammler des Corpus rechtfertigt sich einfach
1) Ein paarmal erfüllt ein Komma diesen Zweck.
2) Aus den Antworten ist höchstens der Schluss der letzten
erwähnenswert: iocos de avxog Aölojv (vgl. Hygin. f'ab. 90).
3) Iriarte, catalogus codicum mss. Graec. biVjl. Matiüt. p. 233,
daraus in Westermanns Bioygdqpoi p. 30 f.
Sittl: Mitteilungen über eine Iliashandschrift. 257
wegen der Aufnahme dieser damals schon etwas obsoleten
Doktrin; sie sei gut zu wissen, denn es gebe Handschriften
(wie Venetus A um soviel später!) mit solchen Zeichen.^)
Den Kern der Handschrift aber bildet die grammatisch-
lexikalische Erläuterung der Ilias, so zwar, dass die Worte
des Originals die linke Kolumne, die Erläuterungen die
rechte bilden; gelegentlich sind Excerpte aus den Scholien
eingestreut, bei denen offenbar der Grundsatz obwaltete, alles
nicht „notwendige" — man denke an jene Ueberschrift —
zu entfernen. Ich weiss keinen besseren Vergleich für diese
8chulannierkungen, welche früher dem Didymos aufgebürdet
wurden, als Freunds Präparationen.
Leider ist nicht die ganze Ilias in diesem Codex so
durchgemustert. Das letzte (167.) Pergaraentblatt führt den
Leser bis Z 373. Die letzten Blätter sind verloren gegangen.
Sie enthielten den Rest des Gesanges, da die Ilias, der Dicke
des Pergamentes halber, in vier Bände verteilt war. Jeder
umfasste anscheinend ein Alphabet Quaternionen ; dieselben
sind von fol. 9 (.ß devTeqor rov a) so durchgezählt,^) dass
1) Da Osann die Schrift nicht recht lesen konnte, hat er viele
falsche Angaben: Am Anfang steht nicht zweimal ??, sondern richtig
T] {t}), dann nicht er zoTg ßißUoig, sondern iv raig ßißXoic, nicht sio-
OKpilav (in sig (hqps/.ecav umkonjiciert!), sondern el' ooc (pü.ov. Vor
oxvf^c^T^^ofiovg ist das verblichene xal (das auch im Anecdotum Venetum
steht) übersehen. Dann steht Jiaßdxsirai, nicht ngöaxEixai. Ae zwischen
'H und doxovoa fehlt in der Handschrift. In den Versen steht weder
eariEze noch sojiete, weil der Spiritus fehlt. Am Ende las Osann das
deutliche tjvwvto als ijßoivzo. Dagegen hatte er mit ajr' 'Ehy.öjvog
paUlographisch Recht, denn der Schreiber meinte mit o-t' EhxMvog
nichts anderes, da ihn ji vor Spiritus Asper nicht befremden konnte.
2j Vgl. Gardthausen, griechische Paläographie S. 61. Dazu
Constant. Por|ihyrog. caerimon. p. 668, 5 Bonn, nach der richtigen
Lesung von Brunet de Presle, Academie des inscriptions. Compte-
rendus 1867 p. 197, Fol. 25 steht unten in der Ecke FII, d. h. wohl
y nixzäxiov, denn :zEvzäöiov (Quinioj passt nicht.
258 Sitzuruj der phüos.-phüol. Classe com 7. Juli 1S88.
links das Alphabet durchgegangen wird, während rechts und
in der entsprechenden Ecke jeder Schlussseite die Ziffer steht.
Wir besitzen a — (p tov nQwzov aXcpaßrixov (meist zai tov a
abgekürzt). Abgesehen davon, dass die Handschrift durch
Feuchtigkeit gelitten hat, was die Kollation oft mühsam
macht, ist der Verlust faktisch grösser als nach dem gesagten
scheinen könnte. Die zwei letzten Quaternionen (mit E 824
beginnend) .sind nämlich von einem späteren Schreiber an-
gefügt; da er sich besonders am Anfang bemüht, die alter-
tümliche Schrift nachzumachen, ist die Zeitbestimmung er-
schwert, aber jedenfalls liegen mindestens hundert Jahre
zwischen den beiden Kopisten. Für den Rest der Uias und
für die Odyssee können übrigens zwei Handschriften des
elften Jahrhunderts, Vaticanus Gr. 33 und Bodlejanus auct.
V 51, eintreten.
Bevor wir die Lemmata ausnützen, müssen wir festzu-
stellen versuchen, ob der Schreiber selbst aus einer Homer-
handschrift entweder bloss die Lemmata, denen er Erklärungen
beifügte, oder zugleich die Interlinearglossen und Rand-
glossen ausschrieb. Keines von beiden ist der Fall. Er
kopierte einfach seine Vorlage, und that nichts weiteres als
diese äusserlich übersichtlicher zu gestalten. Da er den Text
dabei nicht einsah, passierten ihm verschiedene schlimme
Verstösse. Als er ^ 519 'EgeO^rjaiv ^ged^iCrj und eqii>rj-
aiv rva()o^ivrj unter einander gesetzt fand, nahm er das erste
sQtO^ljoiv und egei^iCtj als Lemmata, dagegen das zweite und
7iaQu^vvrj als Erläuterungen.^) Auf einem ähnlichen Miss-
verständnis beruht:
Joquii yak/iy^oti oidt^Qii) r^Q^iuo^itno.
1) P]ine ähnliche Dittographie fiel A 156 vor, wo das auf r) odov
Ek^qievm folgende Lemma xdxe zu vielerlei Konjekturen Anlass geben
könnte, folgte nicht die Erklärung xareXütXv.
Sittl: Mitteilungen über eine IJiashandschrift. 259
Denn öoguTi gehört 7a\ e^EOf-Uvu) und sollte yaX/.r]Qei
seinen Platz abtreten. Noch häufiger aber kommt es von
tbl. 120 an vor, dass, wo zwei Lemmata der Raumersparnis
halber neben einander geschrieben werden . der trennende
Doppelpunkt auch dann eintritt, wenn die zsvei erklärten
Wörter im Texte unmittelbar neben einander stehen, /. B.
J 437 olö' l'a : yr^Qix, 455 iiördf re: ii^loae u. ö.^) Da mit-
liiu unsere Scholienhandsclirift sich als Kopie ergibt, sind
die Lemmata jedenfalls älter als das neunte Jahrhundert.
Sie stammen augenscheinlich aus einer alten Uncialhandschrift,
denn die sogenannten Lesezeichen sind offenbar, der Apostroph
ausgenommen, erst von dem unwissenden Kopisten, wo es ihm
einfiel, zugesetzt, weshalb sie gar keinen Wert besitzen ; denn wer
wollte beispielsweise in r^vi(.ir^oev, vt^voiv^ ylr/.siüv (= yXv/uov)^
iLtäka, ioj (= eto) u.dgl. alte Ueberlieferung erblicken? Wir
geben daher dergleichen nicht regelmässig an. Der Mangel
einer Worttrenuung verführte zu toio i'd' ^ 68. Allein eben
dieses geistlose Kopieren erhöht den Wert der Ueberlieferung.
Wir teilen unsere Kollation in Orthographisches und
eigentliche Varianten. Die Orthographie trägt unverkenn-
bar ein Gepräge der Altertümlichkeit. Bei Elision wird,
wie in den metrischen Inschriften, der ausfallende Vokal «x
7c?JlQ0vg geschrieben, z. B. ^ 2 f.iVQia !Ayaiolq aXyea td^if/.ev.
Das gleiche ist von Aristarchs Ausgabe überliefert.'^) Wir
ersehen infolge dessen, dass Zenodots Erklärung von ^ 567
{lövit) noch in Byzanz angenommen wurde, ferner dass die
Infinitive auf iaev vor Vokalen als apokopiert betrachtet
1) Wahrscheinlich bewirkte der gleiche Grund, das8 Wörter aus der
Erklärung; in das Lemma eindrangen, z. B. A 342 fj yag äv] ovxcog yag
äv, 210 d^.A' äye Örj] d?.V äye, ebenso B 257 o.tsq, 270 oi de xal avzol,
374 JioodtjdsToa, 406 Tvdeog :iai8a, A 233 däoavve, £"244 nov (xaza aov).
2) Ludwicb, homerische Textkritik I, S. 189 f.; er beschränkt diese
Schreibweise auf das Ende von Citaten, aber sie finden sich hier
auch innerhalb vieler Lemmata (S. 184 f.j
260 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Juli 1888.
wurden, denn r9 steht aXe^^iemi, E 132 ovTäf.isvai. Trotz
alledem wird der Apostroph häufiger angewendet als uns
Regel ist. Die Präpositionen werden wiederholt vom Verbum
getrennt, was in der Vorlage vielleicht Regel war: also
^ 295 tvr' i^Of-iai. B 41 aincf' eyvTO, F 425 xar' ed^rjyisi>,
J 508 €/.-/az' 'i'öwv, E 20 wc' äytcfvye, 68 äfi(p' ey.älv\pev,
98 e/r' d'Cooovta^ E 139 Ttqoo' af.ivvEi^), wie auch -B 636
s/rldsLsai, 750 syrhhQarrrai, Z 68 snlßall6f.tevog. P'erner
pflegen q, x, (// und 1 im Auslaut mit Apostroph versehen
zu werden, man schreibt daher ^ 8 t'o:q\ A 9 ya^', ß 522
naq\ r 76 ''EyaioQ\ F 201, zi 534, Z 292 7veQ\ J 3 r6xTa^',
E 399 xf^(i', 416 «V^e'i ^ 83 avraQ\ gewöhnlich a(>', dann
meistens ot'x', ferner |Uaj/'' B 215. E 759. ai/;' T 32, 379
392, -E 505, ebenso B 755 d7tOQQW^\ J 489 aloloi>(ÖQtj^\
E 629 Aa^', £ 309 und 357 yvi^\ £ 811 TroÄtoi'^', Z 65
Ao^', Z 118 oWt'^', 173 ava^\ An ot'x' schliesst sich ot^'
^ 498, £ 18. Diese Schreibung, die auch in anderen Hand-
schriften vorkommt^), geht auf Grammatikervorschriften,
wonach ot'x aus ovki verkürzt ist und Doppelkonsonanten
sammt dem homogenen q einer Stütze bedürfen^), zurück.
Mit jener Tmesis verwandt sind ■/.ogvd'' aiolog J5 816, xa^'
vnEQi)Ev B164:, f'/' ovqavioioi Z 129, denen ^ 74 Ja cpike,
413 dä/.Qvxiovoai, E 830, Z 236 evvtaßoiüv entsprechen;
auch wird das lokale dt wie im Venetus A und sonst ge-
sondert, also oXa da A 308, E 598, OX'kv^inov 6t A 394,
425, (föioodt B 309, Jisdiof dt r 263, olxov öi 390, ^lökiv
öi Z 86, ja sogar ra de T 321. Neben juryde wird /.ii] d'
ß 165 zugelassen.
Dem V l(ftXY.votiY.üv gebührt hier mehr Aufmerk-
1) Daher werden A 301 ümv, E 26 äyeiv, 104 oi^oeodai, 142
f^iEHaw?, E 477 ««juev von der Präposition gesondert erklärt.
2) Gardthausen, griechische Paläographie S. 272.
3) Bei lx<Ji>Q «pricht Eu.stathioa zu £"416 von ajioxont) des letzten
Vokals.
Sittl : Mitteilungen aus einer Iliashandschrift. 2()1
sainkeit als ihm sonst zukommt. Denn wieder stimmt der
(iebrauch mit dem der Inschriften überein, nicht aber mit
der Vulgata. üeber die Setzung jenes Anhängsels am Hexa-
meterende ist mancherlei notiert worden, infolge wovon wir
bemerken, dass es in der Mehrzahl der Fälle angefügt wird^);
was ferner das Verhältnis zu zwei konsonantigem Anlaut be-
trifft, so gehört die Handschrift zu denen, welche -r in diesem
Falle lieben ^). Recht fremdartig mutet es uns aber an,
wenn es vor einem Konsonanten gesetzt ist ; die meisten
Fälle treffen auf die Cäsur (^ 5 7iäaiv, 35 und 48 aira-
vEvitev, 166 öUnovoiv, 175, 206, 238, 248, 268, 300, 304,
549, B 17, 92, 130, 166, 175, 345, 400, 454, 626, 664,
704, 816, r 137, 217, 254, 353, 357, 374, 396, J 11, 181,
293, 322, 324, 335, 532. E 69, 113, 192, 200, 283, 312,
354, 373, 397, 476, 536, 590, 635, 680, 722, 772, Z 167,
172, 174, 255), demnächst auf die bukolische Cäsur (^482,
ß 33, 183, r292, 423, J 2, £81, 676, 859, Z 35 zweites
Lemma); manchmal steht -v auch an der ersten Versstelle {A
579 vei-KelrjOiv, B 8\6 Tqiooiv, r346 7vq6oS-£v, 409 xe»-, J 45
rxiezdovoiv, J 462 r^gmev, Z 133 aevev, 251 i^lv'^ev) und
der vorletzten (^ 26 vr^voiv, B 219 Inevr^vod^ev, 792 710610-
■/.eifiOiv. r 77 dveEQ'/ev, 259 ext'Aera«»', 420 riQxev, 425 xar'
eifyxev, 440 elaiv, J 16 d[.i(fOTeQOiaiv, 219 nÖQev, 254 wt-
Qvvei; 452 oQsaffiv. E 18 ev-q^vyiv, 65 /.aTtuaQrtrev, 88 fX6-
öaaoEV, £572 Ttgcözoioiv, Em dvhedev), Z 129 hiovQavioL-
1) Nach La Roches Ausgabe Vjemerken wir, dass es auch A 361,
608, B 16, 80, 142. 183, 218. 238, 543, TSö, 152, 168, 170, 213, 321.
388, 395, A 22, 83, 208, 297, 396, 484, 503, 517, E 47, 68, 137, 887,
893, Z 159, 166, 235, 262 steht, nicht aber A 421, 471, 475, B 119,
153, 220, 236. T 18, 49, 75, 90, 148, 264, 274, 285, A 162, 472, 502,
E 75, 198, 886. 894.
2) A 342 oXoifjOiv rpQeai, 608 idvüjaiv jigasridEaaa', B 264, 317,
r 273, A 66, 95, 139, 298, E 324. Z 69, 285, vor f £ 482, T 220,
A 134, E 887, vor f A 469.
262 Sitzung der philos.-philol. Classe com 7. Juli 1888.
oiv), sowie unmittelbar hinter der Cäsur (B 581 ajiÖTeqi^ev, F
247 ffeQ€v, J 507 veftiotjoev, E 58 u. 294 OQaßtjOev, 856 sjit-
QSiaev, Z 10 JCfQioasv); A 528 ocpQioiv und ß 475 /.ev stehen
für sicli allein. Genau die gleichen Regeln herrschen auf den
Inschriften, wo -v gleichfalls vor der gewöhnlichen Cäsur
(oved-r]xev Kaibel 270, 3, 347, 4 und in der von Usener,
altgriech. Versbau S. 29 angeführten Vaseninschrift), vor
der bukolischen (Kaibel 402, 1, 442, 1) und an vorletzter
Stelle (Kaibel 189, 2. 9 = CIA.I 472 sna^ij-^ev i^avovToiv) zu-
gelassen wird. Spuren finden sich auch sonst bei Homer;
z. B. ist ^ 8 als zenodotisch acpcoi'v, i 486 als aristarchisch
ifil^nooEV überliefert ^) und im Venetus A steht ß 492 airo
TQoitji^ev f.wX6vTa. Noch mehr befremdet es uns, wenn
selbst, wo Elision eintreten muss, das Nj nicht fehlt, eine
in unserer Handschrift sehr häufige Erscheinung ^) , die
auch der Ausgabe Aristarchs nicht fremd war.^) Seltsamer
Weise tragen auch einzelne Verbalformen, denen das Ny
sonst fremd ist, dieses Suffix, nämlich ^^^eileiov (0 690) und
diu7ivtvifijv (Z 697), sowie der Infinitiv elaoev E 264, wo
es schon in dem Originaltext gestanden haben kann, da die
Form fälschlich mit dem Indikativ 8^y\Xaoei' erläutert wird.
Umgekehrt fehlt das Ny, genau wie in den Inschriften,
häufig vor Vokalen.*) Da ferner dasselbe, wie wir sahen,
nicht Position macht, ist seine Anwendung überflüssig, wo eine
kurze Silbe als Länge gelten nuiss^), z.B. OTrjO^eaoi A 189,
1) Lehrs und Ludwich schreiben -v dem Scholiasten zu.
2) 'Hii^iriaev ^11, evExsv 152, jiaQoißsv 360 = 500, eXijiev 428,
xev 547, ferner B 35, 249, 275, F 162, A 286, 397, 486, E 53, «0,
157, 341, 589, 786, Z 162, 217.
3) B 347 stand ßovhvwoiv (vgl. [Aulwich a. O. I, 8. 214 f.)
4) Vor der Cäsur A 333 t]oi, 398 adaväToim, 431. B 199, 294.
475, 555, r 16, 62, 109, 222, 368, 407, E 560, Z 436, sonst A 541
anovöoffi, 434, B 155, 259, 266, 351, /'l, 29, 194, 330, 338, 369, 375,
388, 392, E b7, 322, 508.
5) Vgl. Kaibel, epigr. 189, 3, 4.
Sittl : Mitteilunffen att'^ einer lUashandschrift. 263
eneai 211, roloi 571, ebenso li 45, 104, 425, 548, 699,
775, r51, 61, J 289, 297, £520, Z 260. womit Aristarchs
x£ Qf^ai^it 7 90 übereinstimmt. Endlich sei noch bemerkt,
da.ss E 5. wie bei Eiistathios, da'itv oi steht.
Das Ywra 7i Qooyeyoauutvov fehlt, weil es längst
verstummt war , sehr häufig ; diese Bequemlichkeit hatte
freilich bei hiez-göave ß419 und T 302 oder gar to (gl. aoi)
A 213 keine Berechtigung. Umgekehrt finden wir i^<x£
A 208 und r]i|£»' ß (567 (entstanden aus ih^ev = I^fv),
TXQOTtQioi r 400 (was in den Schoben BLV zu dieser Stelle
und V /u I 192 verboten wird), TltTEWio J 327 (nach
Analogie von -oio), öauvt^iöi E 746.
Die in der Aussprache sich vollziehende Assimilation
der zusaramenstossenden Konsonanten von zwei Wörtern,
für welche inschriftliche und andere Zeugnisse vorliegen ^),
hat wenigstens zwei Spuren hinterlassen; ich meine ovf.i
nXeoreaat A 325 und Tq€i\.t. \.C £256, was an das Didymeische
aiy Y ^269 erinnert^). Aber auch der bekannte entgegen-
gesetzte Fall tritt in den Kompositis OiävnoXiv ß 521 und
iif.ax6vnoKiv B 649 ein.
Beachtung verdient die (übrigens auch Parallelen habende)
Schreibung jraoä E 809.
Mit der Orthographie hängt die Behandlnng der Kon-
traktionen und Diäresen eng zusammen. Auf it und ev
einzugehen verlohnt nicht, da von den Schreibungen er, ev,
f.x\ si, ev, ev u. s. w. gewiss nur die erste dem Original an-
gehört. Bedeutungsvoller sind die diakritischen Punkte in
Tqo'ujv A 129, sowie in viT/t £ 219, ouo E 252, ri'i^Ev B 007
(s.o.), wenn auch hier der Vers nur zwei Silben zulässt*);
1) Gust. Meyer, griech. Grammatik § 274.
2) Auch ivijiiusydootg /' 207 gehört hieher.
3) "EeiJiag A 106 (auchDGHLS Eust.) dürfte, dem entsprechend,
aus e'ijtag entstanden sein.
264 Sitzung der philos.-phüol. Classe iiom 7. Juli 1888.
dagegen müssen dvÖQicfOvrrj B 651 und dtögi F 219 in der
Vorlage kontrahiert gewesen sein. Die grösste Wichtigkeit
aber kommt dazog noXafxoio E 863 zu, dem handschriftliche
Zeugnisse bei Hesiod (Theog. 714, A. 59) entsprechen. -6 447
steht ayr^Qaov, nicht dyrjQiov.
Des Weiteren ist der Text vielfach durch die spät-
griechische Aussprache beeinflusst : e und af , o und w, si
und i und jy, et und vi, v und vi^ oi und v ^), ferner o und
aa werden so oft verwechselt, dass wir dies hier ein für
allemal bemerken. Doch verdienen Beachtung das richtige
reiaao&ai B 356, T 366, dann das von Eustathios notierte
dyyrjOtrivai E 141, die augmentlosen Formen oqge A 10,
J 439 und öxi^rjoav A 570 und daivüc. te (erklärt xat cpo-
ßsQwg) r 172. Vulgär sind auch f-ia{v)xoovvriv A 72 (vgl.
Gust. Meyer 294—95) und dv£yvd(^)(f^rj T 348 (a. 0. § 294),
dem F 215 d/ncpaiuaQTOEyirig entgegensteht.
Auch auf die Formen hat die Koine Einfluss geübt :
A 140 i.iETa(fQaL.ö(.iEiya wie E 34 yaCcui^iEi)^a, 238 nalaj-iaioi^
865 olff^ag, 396 7ioAAax/g, 499 ^Ol,vf.i7ioio, 539 y.eqTO(.iioig
(wie B 44 kLnaQolg, 119 EOGO}.ievoig, F 15 dlXrj'koig, 207
l-iEoagoig, 448 TQrjTolg, J 256 /nsilixioig), 549 Sx^^Xoifui, B 3
AyilXia, 126 dtay.oaf.trjVEhji.iav (wie T 102 öiaKQivVEiriTE)^
300 -»j statt ryf, 360 nEiVoto, 393 tooEzat, 549 AVt^vaig,
767 "AQEiog, 769 ef.trivtEv, 832 fitaaxe, 850 a/a = am wie
877 Avy.iag, F 2 l'eaaaj', 46 wv (zweites Lemma «tu»'), 64
XQvofjg (wie .£ 425 y{ivori mit vulgärem Accent), 140 //po-
TEQov, 279 oar/g, 345 OEiovtEg und yoTtovrEQ., 402 ytayslOt.^
J 181 vuvolv, 245 GfpioL, 308 knoqVovv, 446 avviövTsg,
E 83 y.qavEQt] und 806 ygazEgov, 94 jnfvov, 142 ßaOsitjg,
285 dvaoyj^oEöi)at, 356 raytEg, 36(5 u. 768 dv.ovxE, 400 «Ary-
1) Die Verschmelzung von »/, t, et und ot, u war noch nicht
eingetreten; «^ noirjxoiai E 466 war als svjtoirjxoiai gemeint, rsdvaioi
r 102 durch den gewöhnlichen Optativ beeintlusst.
Sittl: Mitteilungen ans einer I Hashandschrift. 265
Xaro, 744 /roXeiov, Z 38 drvCöfAevoi (wie Eustathios), 285
ixXai^toi^ai Derselben Quelle entspringt die Unsicherheit
in der Anwendung von Doppelbuchstaben: ^ 163 6not\
319 !Axill7,i, B 131 JioXkov (nach uoUg), A 314 und T 80
eßaXov, J 47 svfjeXico, Z 45 eXioaeTo, dagegen A 527 otti,
r 40 l'u/^israi, J 403 lllaße, E 344 SQQvaaTo (mit yegoiv).
Selbst die byzantinischen Akkusative auf -av sind nicht fern
geblieben. ^)
Endlich erfordert die Augmentfrage eine allgemeine
Bemerkung. Die Handschrift gehört der Hauptsache nach
zu denen, welche das Augment begünstigen; sie bringt also
A 6 Ö€ eTeXeieTu, 15 xat eXloasTo, 57 dsyavovzo, 251 r]d'
^ytvovTO, B 35 6' skniei', 668 »;(J' E(fihii)ev, B 317 Tf'zr'
tcfayev, 612 ffg^*»' fc'dwxei'. T 84 eyavovro. £ 425 xare-
l-ir^axo, 446 eTtTvy.TO, ZU baa' fcxaÄt- »/'£»'. Andererseits
aber steht gegen die Vulgata ^ 404 arcXdyyva 7idaavto
(von La Roche nach Aristarch hergestellt) und F 207 sytu
Belvio a)a (nur in L), wozu das oben über o-io gesagte zu
berücksichtigen ist.
Die nach diesen principiellen Vorbemerkungen übrig
bleibenden Abweichungen von La Koches Text sind zum
Teil Schreibfehler, welche teilweise auf eine Minuskelvorlage
(Xa^oi'aro statt XaLoiazo B 418, ferner agetag = egerag
yi 309 und (falf.iuv = (fal/aev B 81 aus Missverständnis der
Ligaturen eg und ev) teilweise aber auf das in Uncialen ge-
schriebene Original (vq^ov statt iipov A 486, ^) I mit ge-
schweifter Hasta als P verlesen : /tuvivd^aögov A 352, Ilagovag
B 848) hinweisen. Gugegöv B 266 und T/w'A((J B 866 sind
psychologisch leicht erklärbar.
Wir erlauben uns, die Lesarten vorauszuschicken, welche
bisher nur durch Grammatikerzeugnisse bekannt
1) E 506 vvxrav, analog B 536 fieveav.
2) In der alten Minuskel ist tf kreuzförmig und von fp leicht
unterscheidbar.
2G6 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 7. Juli 1888.
waren: ^173 itldsTai (als zweites Lemma t7teoovTai),
261 omrorefjoi d. h. ovnoTi {.loi^ ohne /£ (Etymol. Magnum),
308 7TQotQQVo{o)Ev Wie 435 TtQOfQvooar (vgl. die Venediger
Scholien), 404 ßh]v (Aristarch), 424 {-yrovTai (vgl. Lud wich,
Aristarchs hom. Textkr. I 196), 449 nQoßäXovTo (Eustathios),
B 448 T^egi&ovTO (Zenodot), 844 IJeiQog (= JTeiQiug Eusta-
thios), F 10 a/Lieivcüv (vgl. Aristonikos), 51 xaTijq^eir^ (Zeno-
dot), 368 ovo' föäi-iaoGa (Ammonios, s. Ludwich I 239),
zl 62 Enn'jBoii(€v , d. h. £71 iEi§o(.(ev (Apollonios Dyskolos),
319 xar6'xra (s. Lud wich 1247, Analogiebildung nach i/.r,a,
elrta, eöcoKa, r]VEi/.a)
Erheblicher ist die Zahl der eigenartigen Les-
arten, von denen wir die Schreibfehler nicht ausschlies.sen
wollen :
^ 46. tTiKay^Ev {rroiov r^yov a-nEtikEGsv) , nach dem
Schema Pindaricum.
113. KlvTaifxriOTQrjg, die richtige Namensfbrm, die
neuerdings von Papageorgios und Wecklein bei den Tragikern
nachgewiesen ist.
128. t' fehlt.
[132. JcaqElEiOExai, aber Glosse ov naQel&r]q. Vgl.
unten X 86. j
[137. dcorjoi, aber Glosse nagctoyiootr.]
193- oy' (wahrscheinlich mit at'r').
200. qceEi'dEv, also die Form, welche vor der vulgaten
Assimilation (fäav^Ev vorausgesetzt wird.
[220. y.e'Keov, Glosse §iqioi^rjy.r]v.li
221. 0'iXv/.i7iov {eig zov "Olvf.inov), natürlich mit
tßEßr^y.tt, wie auch H 1. man. und Gant, haben.
231. OTiöavolaiv.
282. eyoj oe ; wahrscheinlich drang, wofür der von
l'ywyE hergenommene Accent spricht, oe aus der Glosse fyo)
df OE iiuQct/.uko) für yE ein.
287. öys.
Sittl: MitteUnurfen aus einer Iliashamlschrift. 267
^ 306. f!ii TS /.Xiaiag (offenbar fehlte ."fV).
[333. tvi fiel aus.]
344. (.taxiorrai.
354. LilußQ£,ur,Trjg (? -lTi]g).
354. xovrdov.
356. hxßiov.
359. öf-iixka (vgl. die im Thesaurus von Stephanus
augeführten Grammatiker.)
394. Xiaosai.
435. oQ^tp'.
480. orr^oav.
485. oi'/e nd^JTQioTa (aus o" Tta^nqcDza und oi'^e
(ifKaivav kontaminiert).
[513. (Jff^OJ'.]
550. fftye (dies erfordert avTaq wie 193).
554. aWa d^ehjod^a, wie ß 123 xf d-ekoifjsv.
B 40. xar« x^. v.
[81. gialjUttv.]
137. TtQoriötyiiievai.
139. a'AA' ay£.
208. J'rywv.
229. '/.hl statt tVt (?;' /.al ßgayv n tri ^rjTEig).
232. fuloyrjai.
233. Tjj»'.
241. statt (pqeoiv laßev.
285. d^rifuevai.
295. neqiTQenhov.
301. statt cftQoroai ceXoade.
344. äxE^q>ia.
346. 0^.
367. &E07Teohjv.
371. at'.9£ /a^, wieder aus at /a^ und at'^f kon-
taminiert.
387. diay.Qivoi (A 1. man. diay.Qtiei).
1888. PhUos.-philol. n. bist. Cl. II. 2. 18
268 Sitzung der phi1n<i.-phi1ol. Clnftse vom 7. Juli 1888.
B 436. fyyvaU^Tj (Variante f.yyvaXi^Ei).
453. TÖiGiv ohne (5' (Glosse: rolg de. "EXlrjOiv).
490. svr^ev (wie 489 bei Gramer, Anecd. Oxon. IV
318, 1 riev.)
513. uälCeiöao (^i^eog naiöog).
528. x' oooog.
535. ^liQTjv «Aog, dann avra. Augenscheinlich wurde
einst an den autfallenden Worten vrtQijv "leQfjg Evßoirjg heruni-
korrigiert.
549. evi.
550. IXdayiovtai.
633. KQO-KvXriV.
661. TQa(fev sv fxeydgoiQ {fv rolg diyioig) ev7TiqY.ra}v
{•/.aXiög •/.aTEOx.evao/iieviov).
694. dyEViov mit kurzem Diphthong (Gust. Meyer,
Gr. Gr. § 157).
763. (ÜEQrjziöiodao, kontaminiert aus (D€Qrit(e)idao
und QiEQijTiadao.
765. vojta.
795. aq)iv.
813. BctTeiav.
Hinter 827. folgt das Lennna toBov voiv ev elScog.
840. eyyeoiiiiiüQovg.
849. ^(.tvÖQiovog nach d^ivögog.
872. x/fiJ' (mit 7cC)Xbi.iov).
r 10. '/^OQi'ffif (Glosse y] ljray.Q(i)()i(x ooovg.)
38. statt STieeaai eviaawv (eTttrcXriooojv).
45. errev {(-ttbotiv ooi).
54. %Qaiöi.ia.
67. vvv ö'avz\
76. 6' fehlt.
104. oXouev.
115. 7iki^oioi.
123. ^x«-
SlttL- MittcihDujcu aus einer lUashanäschrift. 269
r 124. ogioTtj (d. h. -v^), also auch ytaodtxr^.
125. EiQEv ohne ev.
134. ecaiai (earai A).
142. Ö^aXai-wi.
145. ^y.ial, möglicherweise = ^y-i]ai, doch wird
jedes ai vor Vokalen im Vulgärgriechischen wie i gesprochen,
z. B. Romios = ^Piof.ia'iog.
186. "ÖTQi^Qog.
212. l'q)aivov.
217. OTcc/iEv (eiGTiqKei).
224. rcV' .'-/w ö\
240. iVro»',
252. Y.aTußr^f.iEvai^ nach unserer Schreibweise xara-
[272. Bicfog, aber in der Glosse ^i(povg].
389. EEiöofxevrj.
394. yaritEiv (xQ^^eiv).
423. tx£v statt x/e.
z/ 27. iÖQiöO^' (to teXsov idgioTa).
31. vi5 ff\ also 6 Uqiafiog.
54. /r^o'^'.
93. ijp' aV ;UOt.
116. EOvXa (ohne o).
204. OQOEO.
205. töfyai.
222. £(5f (ovEÖvoaxo).
248. EQQvarai.
V. 296 fehlt; denn an 29.5 schliesst sich unmittelbar
das Scholion an : Ovtol xa^iaqyoL vjir^Qyov ßaoiXEvg öi nav-
TCüV tiöv TIvXllOV NiOTOOQ.
[373. ^TQog, aber Glosse e'fUTVQoad^Ev.^
[390. Toiiqoi^ aber Toiavtijv a^Ttp.]
390. l/riraQQod^og.
400. r' fehlt.
18*
270 Sitzung der phüos.-philol. Glasse vom 7. Juli 1888.
J [405. Bvyof.ievoi, aber eiyoixed^a^
448. 6f.t(faloiaoag , also auch daniöag {ofAcpakovg
ixotaag).
481. statt x^^^^ov ccQr'iiov.
524. 0 Qa (gesprochen o QQcc).
E 63. TtaXovTO (sysvovto). In allen unseren Hand-
schriften hat die Glosse das Original verdrängt.
110. coi-ioiiv.
127. (5' fehlt.
141. y.iyvvTO.
161. £«%.
185. ovd\
203. slcüO-OTe.
255. statt awwg E(.i7irjg.
263. FTtaC^ag {t(:poQ(.i7ioag).
285. £^%£, d. h. fii'/f'.
315. (paELvoj (XaiA7iQi~).
336. ircäl/uevog.
362. ye fehlt.
378. 6(7/€.
412. /i</j<5' r/V.
416. dnei^ÖQyvv {aTTOi^oQyvv H). Dies erfordert yelg'-
432. yeiQog.
482. ^{-{.lovag [nQod^vfxrj).
646. df^rjoO^tvTa.
865. avt/uoi.
879. oi'r' iVi (oiztti A und Andere).
[905. £f|Ua, aber Glosse «^uarm.]
Z 6. qxiXayye.
18. statt Toi^' oJ.
40. a^avreg ohne £v,
86. iuBTOiyeio, d. h. /ueiolyto wie Eustathios und
Vrat. A haben. Ver<rl. ^ 132.
Sittl: Mitteilungen aus einer Iliashatidschrift. 271
Z [90. xiXri a7T0&' und norw öiye, aber die Erklärung
stimmt zur Vulgata.]
157. xax' ifxreuTo.
[165. id^iXoioay, aber die Glosse steht im Dativ.]
[236. exarojjßoUov, aber Glosse TtolvTslrß.
[252. ^oayoioav, allein die Erklärung lautet /toqbvo-
265. dnoyvKjoorj.
Nun bleiben die Abweichungen von La Koche, welche
die Handschrift mit anderen teilt:
A 11. iqtifir^oev, d. h. rjTiint]o' (s. o.).
20. Xi'aaTE.
168. i7lr^v y.e'/,afAio.
204. TETeXsod^ai (ebenso A', TSTEkea&ai ACD u. A).
258. ßovlri d. i. ßovX^.
212. /iiayJoivTo.
273. ^vviov.
298. fuayjao^ai (die Schreibung mit einfachem ff
kehrt auch bei Didymos wieder, wenn er sagt : ov did zov sä),
304 uayeoaaiLievcü, BSll i^ayaoacci-ted^a, F 393 !.iax€Oodf.iEvov.
350. £Ttl oivona (A und Andere).
365. xlrixoi (AC).
424. xara (Aristarch u. Handschr.)
428. ß 35 djiEßrjaaro, wie 496 dvEÖvoaro, B 48
TVQOOEßijOaTO, 578 edvoato, F 328 sövaaTo, J 86 xarecJi;-
ffaro.
447. xAffTjjv.
521. t' tVi.
-ß 27. ff€t'.
36. Ii^eKXev.
137. EiaxaL er.
163. iuero (D).
238. x' rjf.iElg.
272 Sitzung der ])hil<)s.-jjlulol, Classe vom 7. Juli 1888.
B 269. d7iEf.i6QBaTO.
349. rji xat.
388. OTiq'Hoq^i, wie 544, E 722 oyteoffiv.
391. d' äv (Ambros. u. A.)
635. ovTi'yiEQa (-tQu S, -tq' G) ; ofienbar stand in der
Vorla<(e avTi7TSQaievef.iovTu, wobei der Kopist ai als cc auf-
fasste (s. S. 263).
676. Qäooov = Qäoüv L.
819. rjt'c; (vielleicht mit riQy').
r 28. tioaoiyai.
126. i.iaQi.ia{)i)iv (A u. A.).
177. av eigeai.
239. iiioO^fjv.
295. dq^vaaä^Evoi.
349. EVI.
382. filffev (S Townl.).
406. dnoEiJiE y-slEiif^ufQ.
436. da^tao^Q (A).
441. ELvrjO^tvTsg.
J 17. avTtog (A u. A.).
41. fy.yEydaoiv.
78. r//A/^ (L).
109. fxxa/dtx« ()f'')(>a (G).
178. T Elia El.
202. TQl/r/.r^g.
229. rraQaayJ-fiEv.
244. diaxoiQai'iovza.
277. /o>'r< (MS Eust.)
300. 7I(Aei.uU].
363. /uETa/.to'tha.
433. JioXvjcäfxiiovog.
444. f.itaov d. h. (.itoaov fD Enst.).
506. iU^y.
£ 12. d/ronQiV^tvzeg (0).
Sittl : Mittiilunijiii iiiis einer Ilidshaudschrift. 273
E 28. dXsvofievov.
106. e/rtvx6f.i€vog (mit ydr').
109. Öqoso.
128. yiyvwo'/ioig.
184. od' (Cant.)
231. elio^öze (L).
234. noiyiovteg (DL Eust.)
279. tixoii.li.
293. £^£Ar^/; (A u. A.j.
394. X6V.
701. avreq'eQovTo (A).
874. zö?"'<^' (A u. A.)
898. ^loi^ag {vjifiQXeg).
Z .59. gp€'(>€t {tlveq nach Schol. A und N).
148. w^»;t (A u. A.).
154. T£X£V.
226. eyx£Oi.
Diese Aufzählung hätte mehr Wert, wenn ein wirklicher
apparatus criticus zu Homer vorhanden und das Verhältnis
der Handschriften klar gestellt wäre. So müssen w^ir uns
damit begnügen, zu konstatieren, dass kein bisher bekannter
Codex so viele eigenartige Lesarten aufweist. Es ist sehr
wahrscheinlich, dass das Original eine erhebliche Stellung
in der Geschichte des Homertextes einnahm, weil seine
Schoben in Byzanz die beliebtesten waren. Eine Vorstellung
von diesen kann man aus Bekkers Excerpten nicht gewinnen,
sondern muss zur römischen Ausgabe oder Aldina greifen,
welche nach guten Handschriften gemacht sind. Aus einer
zusammenhängenden Paraphnise ^) sind sie nicht entstanden,
sondern das nicht »eltene de, welches die Lemmata verbindet,
deutet auf mündlichen Lehrvortrag. Der Lehrer analysiert
1) Ludwich, Aristarchs hom. Textkr. II, 8. 516 tt.
274 Sitzung der philos.-philol.. Glasse vom 7. Juli 1888.
den Text, wie noch heute in Griechenland, Wort für Wort,
worauf erst der Schüler die zusammenhängende Uebersetzung
gibt. Was aber der Lehrer einmal erklärt hat, setzt er im
weitereu als bekannt voraus. Desgleichen entspricht es der
Praxis, wenn wiederholt zuerst Wortgruppen erläutert und
dann einzelne Wörter daraus besprochen werden. [Jeber den
byzantinischen Ursprung des Originals, d. h. der Erklärungen
und Katechesen und der Sammlung von Biographie, Anek-
doton und Scholienexcerpten. kann kein Zweifel herrschen;
dagegen verdient die vorliegende Handschrift selbst noch einige
Worte. Da sie auf sehr starkem Pergament mit ungewöhn-
licher Raumverschwendung geschrieben ist, kann sie nicht das
Handexemplar eines jener bettelhaften Grammatiker von Byzanz
gewesen sein; sie gehörte gewiss zur Bibliothek einer Unter-
richtsanstalt. Wir können noch feststellen, dass es eine
ireistliche war, weil fol. 79 zwischen dem zweiten und dritten
Gesang zwei Excerpte aus Gregor von Nazianz eingeschoben
sind. Ob aber die Handschrift aus Konstantinopel oder von
Patmos oder aus einem anderen Kloster stammt, dies fest-
zustellen, reicht der heutige Stand der griechischen Paläo-
graphie noch nicht aus; doch möchten wir an die oben
erwähnte Aehnlichkeit der berühmten Platohandschrift erinnern.
Anhang.
B i og VjjW r'^QOV.
1. T6 /Ltiv ävziKQvg ehtsiv öiioyigiaaitierov ti^vöe xiva
aufföjg etvai Trjv 'Of-ir^QOv ylveoiv r^ Tto'Liv yaXEnov, i-iaKXov
di ddvvatov eivai voi^tiCiu, dvay/.alov di /MTaQidinijoai zag
dvti7ioiov(.iivag Trjg yBvtaewg aviov rcökeig to tb ytvog t^ei-
jCeIv xo diarpiaßrjTrjaiinov toi rcoirjzov.
2. ^va^ii-itvijg fxiv ovv y.al J anäotrjg y.ui llirduQog
0 (xE}.0 7ioLÖg Xlov avTov ditofpaivovTUL /.al QeoKQiTog tv
Sittl: Mitteilungen uns einer Iliashandschrift. ■^«'>
vo'iQ t.i lyQO uuaair^) (6 de JauoOTi^g /.ai dt/.aTov avTOv
0710 Movoaiov cpi]oiv yeyorevai), 'In:riag d'au /.cd "Ecpogog
Kiuatov (0 öe "Ecpogog Kai elg Xagicfi^iiov öi'äyei to yevog
aiToi. 6 df XaQidijtog oixog Kifur^v or/.i^oev'^), Ti/nöf-iayog
de /Ml ^4QiaT0TeXrjg fs "loc ^r^g vr^oov ' /.aza de l^vri-
uctyov KoXoffwviog, xara de ^i i^oif^ßgoTOv zov Qaoiov^)
^^tvQi'cüog, /.axa (DikoyoQOv de ^Aqyslog, xara KakXi/.}.ea
de ir^g ev Kv7iQi^ ^alaf-ihog. l4QiOTÖdi]i.iog de 6 Nvoaevg
'Pitj/.ta'ior aiTov ajioder/.vvoiv ix ririov e^wv Tragd ^Pto^aioig
(.tövov yii'ouenor, voiro /.lev fx xr^g nov iieoaiov 7caidiag,
ToiTO de 6x TOI hiavioiaoÜ^ai riöv i^ä/iov roig r^ooo^'ag
TLüv ßskriöviüv if/.övTCüv*), a /.al i'ir eri cfvkäoöexaL jtaqa
'Poj/.iaioig ei^r^'^). ^'AKXol de ^lyv^cTiov avtov eutov did xö
rj 7iaqayEiv xovg r\Qioag ex OTOf^axog oA/rjAoi/g q)i-
koivxag, 07i£Q eoxiv e'i^og ^lyvnxloig noulr.
3. UaxQog de /.axci /.lev 2x}]aif^ßQOxov eoxiv Maiovog
xov ^7iiX).idog /ai uiiXQog '^Ygvrjd-oig tj KQ)id^iJdog, /.axd de
Jeivuqyov Kaior'^^covog^), y.axd de Jrjuo/oivijv'') yikr^-
uorog, y.axd de roi-g 7r'keioxovg MeXrjioq xoi /.axd ^^ivQvav
Tioxafiol, og «/f' oXiyov geiov evi^ewg elg xxiv 7iaQa/ceif.ievi]v
1) Unter den erhaltenen Epigrammen Theokrits ist keines dieses
Inhalts ; aber es mag sich die Notiz auf ein verlorenes oder pseudepi-
graphes Epigramm beziehen. Liegt jedoch ein Gedächtnisfehler vor,
dann ist Theocrit. idyll. 7, 47 gemeint.
2) Westermann schrieb (o^ias, obgleich die Gründer Kymes ganz
andere Namen trugen (vgl. Rohde, Rheinisches Museum 36, 399).
3) Codex : Oedaiov.
4) Codex: fjxovrag.
5) Wir sehen jetzt nachgewiesen, dass er nicht „wohl im Scherz
das Paradoxon erfand" (Nicolai, griech. Lit. -Gesch. 11, S. 105).
6) Codex xal orj&covo?. Der Name war vielleicht mit Kaioo- zu-
sammengesetzt (vgl. Fick, griechische Personennamen, S. 181).
7) 'Aycov 'Ofi^gov xal 'Haiödov Z. 20 West.: Ar](i6xoixog Ss Tooi-
Cvviog Aarjiiova, Demokrines kommt aber auch Schol. A II. B 744
als Homeriker vor; ebenso scheint der Name Alemon für einen Kauf-
mann passender. AA wechselte leicht mit AA.
276 Sitzung der philos.-jihilol. Classe vom 7. Juli 1888.
Oakaoour l/.diöiüoiv. ^ ()iOTuzt?^t^g di- lOtoQeiv (pijalv
Hrizag^) tu zivog öai/uovog yEyewfjaO^ai tov "0/.hiquv zatg
Movaaig avyxoQEtoavrog.^)
4. Uegi öi xtuv ygövcov, xa^' ort," rix/LiaCEv'-'), (ode '/.eyetai-
'^H Qa'/.Xeidrj g /utr ovv avxdv djiodü/.vvoiv nqeoßireQov'^Hoio-
öov . . . .*). "YQQavÖQüg'") Öt /.al 'Yipi/.QCtTijg o ^/iii-
atjvdg r^kLALWTtjv, KQcciijg ös o MaXXwT rjg^) /.lerd S,' ettj
zov 'Ikia-Kov jioXefiov (frjoiv axijäaai , ^EgaToaO^evijg de
f.iETCc q' ZTfjg ^liöviov mcoiy.iag^ ^7i okXödcoQog de fJSTcc 71'?)
5. 'ExaXslxo di r/. yevsT^g (.MsXrjaiyivrjgy ^) rj MeXrjoa-
yogag, avO^ig dt "Of^tioog tliyiyrj xard xrjv ytsaßiojv diaXeiitov
tvey.Ev TTjg 7ieqI rovg oq^if^al/uoig ovf.iq^o()äg (ovroi yaQ rovg
tvq)Xovg 6/iirJQOvg Xiyovaiv) /y öiöxi rta'ig wv o(.n^qog sdöO^ij
ßaoiXEi o iaiiv svtyvQOv.
6. Tvg)ko)lffjvai öi avtov ovzto niog Xtyovoiv • fA.'>oj'Ta
yuQ hil xov ^yiXltvjg xdcfüv sv^aaOai O^eöoaaO^ai xov r^oa
xoiovxov 07iolog ngor^X^Ev hii xrjv fnäyrjV xoig ÖEixigoig
OTcXüig xEy.oai.njinii'og • 6cfi)ivxog öi atxw xov '^yiX?J(jog xv(f-
Xioif-'qvat xov '^'Of.iijQOv vjiü t^g xcov oirXiov avy^g, iXEtjxf-tvxa
1) Codex: Xrjozag.
2) Codex: ovyyoiQ^oavTog, vgl. aber Ps. Plutarch. d. Honi. 1, 3.
3) Codex: rjxovev.
4) Hier ist in der Handsclirift ein wie 31 aussehendes Zeichen,
das eine Lücke andeuten dürfte, da ganz ähnliche in lateinischen
Manuskripten denselben Zweck erfüllen.
5) Codex "Y'^Qavdgog. Da die Identificiening mit IIvQav^Qog (Ps.
Plutarch parall. min. 37. Tzetz. Lycoplir. 1439) haltlos ist, hat man
die Namen "Yggag und 'Yggäöiog zu vergleichen.
0) Codex: 'AfiakXoJzTjg.
1) Die Zahlen n und n sind von dem Verfas.ser oder einem Al)-
schreiber verwechselt worden, denn die Quelle von Tatianos (ad
(iraecos, p. 122/24 Otto) und Clemens (ström. I p. 327a) weist n
Apollodoroa zu; man müsste sonst annehmen, dass die 60 Jahre sich
ursprünglich auf die Geburt Homers bezogen hätten.
8) Der Name ist aus dem Madrider Auszuge ergänzt.
Sittl: MitteiluHijen aus einer Iliashand-schrift. '-'t i
de V7t6 Qtiidog /.ui Movoiov riutjO^r^vai ngog avtiov rf]
;ioiiiTixi. '^AkXoi öe qiaoiv tovto • avTOv Ttenovö^ivai tovto
did in^riv Tf^g 'i:/f)'»;t; OQyioif^Eiot^g aiTO) öiozi euiBv aiTi\v
Aui(x'ktlti(fivai (.itv Tov TtQOTeQür aröga, rf/.oXovi)^if/.hai 6t
^Xe^ovdQii) . ouTwg yoir uii /.eil jiaQtOTi], cpaolv^)^ vv/.iu<; t]
U>ix>] tilg t]Qioti'ijg jiaQaivoioa /.aloai Tag vioii^oeig awov . . .^)
ei Tüvio TiütrjOoi, .iQÖoyoi ' lüv di urj uvuoyboO^ai /luii^oai
TOVTO.
7. viTtoi^avelv dt avTov Xtyovaiv ii' Iuj if^ i>r^O(i) di.itj-
ycLvic^ 7ieQi7TtoovTa, hieiörpTsg tmv naiöiov twv akitior ovy
olÖotb tyivETo oLriy/iia Acoai ' eoTi di toito-
"Ooa' tlofuev, XiJioneaif^a ' oaa 6' ovy_ ekoi-iev, q^EQÖi-iEoifa.
Kai avTOv hti tw TÖffitj i/iiytyga/rTai i7ciyQajUf.ia tovto •
'Evit^ads Tr\v ^qr^v '/.Eq^aX^v y,aTa ya~ia Y.aXv7TTU
ardgiZv r^gwov •/.oof.ir^TOQa O^tiov "OuijQor.
Trotz ihrer Kürze bringt die Biographie mancherlei
Nenes von Wert. Von dem aus Dionys von Halikarnass
(V. Dill. Ij bekannten Homeriker Deinarchos erhalten wir
hier die erste Probe , Stesimbrotos' Fragmente^ bekommen
einen Zuwachs ^j, von Aristoteles wird, obgleich die nämliche
Geschichte in der Plutarch beigelegten Homerbiographie (1, 3)
viel ausführlicher steht, nur hier ausdrücklich gesagt, dass
er jene nicht gläubig, sondern als Ueberlieferung der Insu-
laner berichtet habe. Da der Verfasser durch den subjektiven
Einleitungssatz von den gewöhnlichen anonymen Öcholiasten
sich unterscheidet, möchten wir ihm gerne unsere Dankbar-
keit bezeugen, indem wir seine Persönlichkeit aus dem Dunkel
hervorzögen. Dazu hilft ein zweiter individueller Zug, die
Bemerkung über den Fluss Meles, welche nach Kleinasien
1) Hier ist eine Lücke gelassen.
2) Vita Honieri, IV, 1 sagt bloss: Kazä /ley rivag Maiovog y.ai
'Ygvfj&oig.
278 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 7. Juli 1888.
weist. ^) Die Schriftsteller, die er citiert, haben, soweit wir
sie kennen,^) spätestens unter Augustus gelebt. Den Namen
können wir freilich nicht feststellen ; der Arzt Hermagoras,
der unter Hadrian über Homer schrieb, wird doch wohl den
Stolz seiner Mitbürger - er war Smyrnäer — nicht so arg
verletzt haben, dass er unter den Geburtsstädten Chios den
ersten Platz anwies.
1) Auch die genaue Heimatsbezeichnung der kleinasiatischen
Schriftsteller jüngerer Zeit {Nvaasvg, 'Afxiorjvög, MaXXu>xy]g) passt dazu.
2) Kallikles ist sonst ganz unbekannt, ebenso Timomachos, der
mit dem Verfasser der KvjiQiaxd (Athen, li, 638a) schwerlich identisch
ist; sonst würde er für den kyprischen Ursprung Homers gestimmt
haben.
Historische Classe.
Sitzung vom 7. Juli 1888.
Herr Cornelius hielt einen Vortrag:
,Ueber die Herzogin Renata von Ferrara in
den Jahren 1528—1548".
279
Historische Classe.
Nachtraor zur Sitzung vom 2. Juni 1888.
Herr v. Druffel hielt einen Vortrag:
„Ueber Luther's Schrift an den Kurfürsten
Johann Friedrieh von Sachsen und den
Landgrafen PhiHpp von Hessen wegen
des gefangenen Herzogs Heinrich von
Braunsch vveig. 1545."
I.
Die Entstehung der Schrift.
Zwei Monate vor seinem Tode veröffentlichte Luther
eine politische Flugschrift, einen offenen Brief, in welchem
der Kurfürst von Sachsen und der Landgraf von Hessen ge-
beten werden, den Herzog von Braunschweig nicht wieder
los zu lassen, als dieser bei dem missglückten Versuche das
ihm früher entrissene und unter Sequester gestellte Land
wiederzugewinnen, in des Landgrafen Philipp Hand gerathoi
war. Luther berichtet darin, dass er zu seiner eigenen Ver-
wunderung von vielen und bedeutenden Leuten häufig er-
mahnt worden sei, sich an die beiden Fürsten mit jener
Bitte zu wenden. Auf eine Besserung des Braunschweigischen
Tyrannen, welchem jetzt durch Gott selbst ein Zügel ange-
legt worden, sei unter keinen Umständen zu rechnen ; was
280 Nachtrnfi zur Sitzuncf der Imtor. Classe vom 2. Juni 1888.
einen solchen Schein vielleicht, erwecken könne, sei jeden-
falls Betrügerei. Den Gedanken, dass das Schicksal des
Braunschweigers von Gott komme und daher Niemand so
kühn sein dürfe, ihn der Hand des Allmächtigen zu ent-
ziehen, führt Luther eifrig aus unter Heranziehung von zahl-
reichen Bibelstellen. Der Herzog von Braunschweig ist ihm
der Syrier Benhadad in dem Buche der Könige , der gegen
die armen Israeliten einen Vernichtungskrieg unternommen
hatte. Ihn traf Gott nicht , wie er es gekonnt hätte , mit
Loth oder Spiess, sondern schickte ihm vor der eigentlichen
Schlacht Verzagtheit ins Herz. Indem der Herr den zornigen,
wüthenden Benhadad in der Evangelischen Hand gegeben,
habe er sie versuchen wollen, ob sie es verständen, seinen
heiligen Namen gegen Lästerer und Verächter zu schützen.
Luther warnt, mit dem Worte des Propheten an den König
Ahab, vor unzeitiger Gnade gegen einen von Gott Ver-
worfenen, und droht anderenfalls mit dem Pfeile, welcher
Ahab getroffen habe wegen der milden Behandlung des be-
siegten Benhadad. Die Erhebung des Braunschweigers rückt
Luther in einen grösseren Zusammenhang, indem er aus-
führt, dass durch die Niederlage Heinrichs vorzugsweise der
Papst und das ganze Papstthum getroffen sei; der Papst
habe seit dem Wormser Edikt die Vernichtung des Gottes-
woris versucht, während der Kaiser zu Speier bereit gewesen
sei, das Edikt zu suspendiren. Die Papisten, unter ihnen beson-
ders einige Aebte^) hätten alles aufgeboten, um die Sächsisch-
Hessische Rüstung zu hintertreiben, da die Kriegsknechte
1) Die Aebtc, auf welche Luther anspielt, sind wahrscheinlich
die bei Herberger S. 35, 38, 45, 47 genannten, wo neben dem Cardinal
Truchsess, dem Deutschmeister, dem Grafen Hang v. Montfort, der
Augsburger Domherr Kaltcnthal und Gerwik Blaurer, Abt zu Wein-
garten, der Unterstützung des Braunschweigers verdächtigt werden.
Luther schrieb, Okt. 21: Non obscurum est, collegiatas ecclesias j^e-
cuniam contribuere Heinzen.
V. DniffeJ : Luthers Schrift an Kiirsachsen. 281
sich aber nicht mit Berufung auf den Papst abschrecken
Hessen, sei die Lüge aufgebracht worden, als geschehe das
Husten wider den Kaiser. Während man für den meuchlinsfs
sich erhebenden Braunschweiger auf den Kanzeln gebetet
und gemeint habe, die Evangelischen würden durch ihn über-
rumpelt werden, sei aber der Brei, welcher durch lange Zeit
sorgfältig gekocht, sammt dem Topfe von Gott zusammen-
geschmissen worden, so dass Scherben und Brei den Köchen
unter die Nase spritzten. Nicht um seiner eigenen weltlichen
i^achen Avillen, sondern dem Papste zu Liebe habe sich Heinrich
erhoben; Hesse man ihn jetzt los, so würden nicht nur die
Papisten triumphiren, sondern mit deren Sünden und mit den
Gotteslästerungen des unverbesserlichen Papstthums würden
sich auch die beschweren, welche ihn befreit hätten. Die
Pflicht der christlichen Barmherzigkeit müsse man auch
gegen Papisten üben, obschon diese ihnen gegenüber von
keiner anderen Barmherzigkeit wüssten, als wie sie Kain
gegen Abel und Kaiphas gegen Christus angewandt habe;
aber die richtige leibliche und geistliche Barmherzigkeit
fordere, 1) dass Herzog Heinrich an der Ausübung von
Tyrannei und Gotteslästerung gehindert werde, das sei ihm
selbst gesund, 2) dass die friedliebenden Leute vor ihm ge-
schützt werden. Der Herzog habe so viele Sünden begangen,
dass er die Hölle reichlich verdient habe, manche seien aufs
Rad geflochten worden, welche nicht zwei von seinen täg-
lichen Sünden verübt hätten; der Herzog brauche Zeit zu
frommer Busse, müsse einsehen, dass ihm nicht nach Ver-
dienst geschehen, sondern durch seine Haft nur eine sanfte
Warnung zu Theil geworden sei. Der Herzog müsse, wie
David, in aller Ergebenheit sagen: „Mache es mit mir, wie
es Dir gefällt;" dann könne es geschehen, dass man ihn hole
und wieder in das Fürstenthum einsetze.
Nach dieser Auseinandersetzung ermahnt Luther noch-
mals die beiden P'ürsten, ja nicht mit der Befreiung zu eilen,
282 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
die Gedanken der Herzen seien noch nicht alle offenbar. Er
weist auf die Wahrscheinlichkeit hin, dass eine Unter-
stützAing des Herzogs Heinrich durch den Papst^) stattgefunden
habe; dies müsse Gegenstand weiterer Berathung bilden, sobald
man Gewissheit habe, ob der Papst oder wer sonst kürzlich
so erhebliches Kriegsmaterial nach Deutschland geschickt
habe. Das stehe fest, der Papst und die Papisten wünschten
1) Dass Herzog Heinrich von Braunschweig vom Papste unter-
stützt worden sei, war eine willkürliche Annahme, welche von der
falschen Voraussetzung ausging, als ob der damalige Träger der Tiara
für die gewaltsame Bekämpfung des Protestantismus ohne Gegenleist-
ung Opfer zu bringen bereit gewesen sei. Dass auf protestantischer
Seite das Gegentheil verkündet wurde, beweist nichts.
Die Notiz, welche G. Schmidt in seinem Aufsätze „zur Geschichte
des Schmalkalder Bundes" — Forschungen zur deutschen Geschichte
XXV, 71 — nach einem Protokoll in dem Braunschweiger städtischen
Archiv gegeben hat, stammt zwar von der Gegenseite, trifft aber die
Wahrheit ziemlich richtig : Brunswicensis, cum arderet hello adversus
nos, habebat Romae procuratorem pi-o extorquendis pecuniis a papa,
sed consecutus est nihil ultra quam verba. Dem entspricht, was wir
aus der früheren Korrespondenz der Bayerischen Herzoge wissen; eine
Notiz darüber gibt Kawerau II, 147. Die Durchsuchung Braunschweig-
ischer Briefschaften, über welche Herzog Heinrich sich beklagte,
Langenn II, 240, scheint auch kein bestimmtes Ergebniss geliefert zu
haben, mochte auch J. Jonas die Neuigkeit melden: de inventa apud
Brunsvicensem arcula plena literis, mirandis conspirationibus, technis,
consiliis Cain, quae non revelabuntur. Kawerau II, 170. Die Er-
öffnungen, welche Schärtlin durch Aitinger erhielt. Herberger 37,
.scheinen über des Herzogs Heinrich Absichten interessante Nachrichten
geliefert zu haben, nicht aber etwas Handgreifliches über die Bethei-
ligung des Papstes und Kaisers. Mont schreibt Febr. 10 aus Frank-
furt an Paget: Exhibitae mihi sunt literae Braunswicensis ducis in
cancellaria lantgravii ad Romanum episcopura scriptae,
quibus signiBcavit prosperos successus ac propediem se lantgravium
exturbaturum ; vicissim quoque larga illi auxilia a papa pollicita
sunt; State-papers XI, 41. Der zweite Satz beruht augenscheinlich
nicht auf einer aktenmässigen Grundlage, wie der erste.
r. Druffel : Lidhera Schrift an Kursachsen. 283
allen Ketzern den Tod, während sie, die Bekenner des Wortes
Gottes, jenen die Seligkeit an Leib und Seele wünschten.
Gegen Gott würden jene nichts vermögen, derselbe werde,
wenn sie auch alle gemartert würden, gewiss aus dem Nichts
einen neuen Luther, oder wie die Papisten es nennen,
andere neue Ketzer erwecken, die dem Papstthum noch ganz
anders zusetzen würden. So habe Gott den Noah und
später den Abraham erweckt, als der Teufel die ganze Welt
beherrschte, um zuerst die ganze übrige Menschheit, und
später durch Abraham's Samen den Pharao zu ersäufen.
Der Teufel habe nach der Kreuzigung Christi gemeint, jetzt
sei das rechte Licht ausgelöscht. ,Ja wohl ausgelöscht!
Da steht er auf von den Todten, zündet ein Licht an, welches
die ganze Welt erleuchtet." Endlich ermahnte Luther die
tollen Narren, den Papst und die Papisten, welche doch in
ihrem Gewissen überzeugt seien, eine schlechte Sache zu
vertreten, nicht gegen Gott, der ein verzehrendes Feuer sei,
anzukämpfen.
Dann wendet sich der Reformator an seine Glaubens-
genossen mit der Ermahnung, wegen des Sieges nicht über-
müthig zu werden. Er weist hin auf die Unterdrückung der
halsstarrigen Juden durch die Heiden , auf die Siege der
Türken über die Christen, welche Gott wegen der Abgötterei
des Papstthums habe bestrafen wollen. Auch jetzt der Sieg
über Braunschweig sei nicht der eigenen Frömmigkeit der
Sieger zu danken, denn leider seien auf ihrer Seite viele
heimliche Papisten, die über den Sieg im Herzen trauerten;
Luther klagt , dass Geiz und Wucher bei ihnen zu Hause
seien, erwähnt die socialen Verhältnisse der Handwerker und
des Gesindes, der Bürger und Bauern, dass Hinstreben zum
Kaufmannsstand. Er meint, man müsse sich wundern, wie
die Erde sie noch trage. Aber so gering die Zahl sei, doch
müsste es etliche rechte Gotteskinder unter ihnen geben, denn
das Wort Gottes könne doch unmöglich ganz vergeblich
1888. Philos.-phlol. abist. Gl. II. 2. 19
2^4 Nnchtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
unter ihnen sein.^) Der heilige Geist erhalte bei ihnen die
Reinheit des Glaubens, welcher nicht ohne Frucht und ohne
gute Werke sein könne, während im Papstthum alles Heuchelei
sei. Während sie Gott die Ehre des Sieges geben, müssten
sie aber auch dafür sorgen gerüstet zu sein, nicht vermessen
auf Gottes Hilfe rechnen; danke man Gott, wie im 76. Psalm
geschieht, so würden die Papisten ihnen nichts anhaben
können.
Nur in einer einzigen Ausgabe folgt dann noch eine
Klage und Bitte zu Gott wider die alte Schlange der alten
Religion und ihre Schutzherrn, ein Theil des 64. Psalms
und dann, mit der Ueberschrift: Lob und Dank, dass Gott
solch Gebet erhöret und sein Nerv, das ist das Wort Christi
geehret hat, der Psalm 76, auf welchen vorher verwiesen war.
In einer Erklärung zweier Worte des Psalms nimmt
Luther noch Gelegenheit zu einer Auslassung über die eigent-
liche Absicht Herzog Heinrichs bei seinem Kriegszuge: er
habe dem Kurfürsten Herzog Moritz und dem Landgrafen
die Weinberge lesen, d. h. sie ihres Landes berauben wollen;
die Städte in Thüringen, Meissen, Hessen, Naumburg, Zeitz
und andere wären ihm köstliche Reben gewesen.
Obgleich sich an die Braunschweiger Frage ein grosses
protestantisches Interesse knüpfte, die glückliche Nieder-
werfung des päpstlichen Sendboden auf den protestantischen
Kanzeln als eine dem Evangelium*) zu Theil gewordene sicht-
1) Ein ähnlicher Gedankengang bei Bucer in seinem Briefe an
die Landgrafen; Lenz II, 376.
2) Vgl. Burkhardt, Luthers Briefwechsel. S. 479— 481. Unter
dem Einflüsse von Luthers Schrift scheint Sleidan am 6. Febr. 1546
geschrieben zu haben: Haud dubie pugnavit ibi Dens, hoc est: ,ani-
mam et mentem eripuit hosti. Baum garten, S. 121. Dort Z. 7
V. U. ist 'mediam' statt multam zu lesen. — Luther erwähnt auch
offizielle Gebete auf katholischer Seite; Seidemann S. 394. Ueber
Prozessionen in Baiern s. Neudecker, Merkwürdige Aktenstücke,
S. 58.5. eine Predigt in (Hasfurt) De Wette V, 769 u. 779. Vgl. S. 298.
r. Druffel : Luthers Schrift an Kursachsen. 28o
bare Gnadeiibezeugung Gottes gefeiert wurde, musste es doch
einigermassen auffalleu. dass der Wittenberger Theologe
sich vermass, seinem Landesherrn und dem Landgrafen von
Hessen, den beiden Häuptern des Schmalkaldischen Bundes
Rathscliläge zu geben , nicht etwa zu der Zeit, wo es galt
zur Wahrung des Evangeliums gegen die Angriffe des Papstes
und seiner Anhänger anzufeuern, sondern erst jetzt, nach
erfochteneui Siege, um sie zu ermahnen, den Preis des Sieges,
das gefangene Haupt der Gegner nicht aus der Hand zu
geben. Es ist begreiflich, dass Luther sich gleich zu Anfang
und noch einmal später desshalb entschuldigt. Er sagt, dass
er sich nicht verhehlt habe, wie die beiden Fürsten über die
in Betracht kommenden Verhältnisse sicherlich viel besser
unterrichtet sein müssten. als er und seines Gleichen. Das
habe er den vielen und bedeutenden Leuten , welche ihn
um eine solche Schrift gebeten hätten, anfänglich erwidert;
als man ihm aber diese Einwendung nicht gelten Hess, sondern
betonte, dass ein unterthäniges Anmahnen trotzdem nicht un-
geeignet sein werde, um den Fürsten in der schwierigen Auf-
gabe zu unterstützen , sich der aus der einflussreichen Ver-
wandtschaft des Braunschweigers hervorgehenden zahlreichen
Fürbitten zu erwehren, habe er sich bereit finden lassen.
Diese höflichen Sätze, welche allerdings den ersten Ein-
wand bezüglich der Einmischung des Theologen in die Politik
nicht beseitigen, sondern vielmehr umgehen, wird man wohl
leicht unbedenklich als eine oratorische Wendung auffassen,
wenn man die Schrift unbefangen durchliest. Braucht nicht
Luther ähnliche Entschuldigungen, dass ihm, dem Prediger
eigentlich nicht gebühre, sich in weltliche Sachen einzu-
mischen,^) als er bei dem Streite zwischen Kurfürst Johann
1) Kösslin Martin Luther II. 576. Vgl. G. Voigt, Moritz
V. Sachsen. S. 28. Damals hatte Luther sich bei Brück entschuldigt,
dass er wegen Kürze der Zeit die Schrift nicht dem Hofe einsandte.
De Wette VI, 310.
19*
286 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
Friedrich und Herzot^ Moritz wegen Würzen zu der Feder
griff? Dort überwindet er auch die selbst gemachten
Einwände , dass er in diesen Dingen nichts zu richten
noch zu handehi habe, im Hinblick auf den Brief an
Timotheus. Hier werde den Predigern und der ganzen
Kirche befohlen, für die weltlichen Herrschaften zu sorgen
und zu beten, zugleich aber auch ihnen zur Pflicht gemacht
Gottes AVort anzuzeigen, und darauf gründet er seine Be-
rechtigung in den obwaltenden Streitigkeiten der Höfe seine
Ansichten kund zu geben.
Dennoch würde man mit derlei Folgerungen die Gründe
für Luthers Vorgehen nicht richtig treffen. Besser als aus
der für die OeflFentlichkeit bestimmten Schrift, werden wir
hierüber durch den Briefwechsel Luthers unterrichtet, der
uns über die Entstehung der Luther'schen Flugschrift Aus-
kunft ertheilt.
Der Kurfürst hatte am 3. Oktober Luther aufgefordert,
Gebete abhalten zu lassen, auf dass Gott in dem Braun-
schweiger Feldzug seiner eigenen Sache zum Siege verhelfe.
Die Gefangennahme des Herzogs that er Luther am 26. Ok-
tober kund: Gott habe ihrem Kriegsvolk Gnade verliehen;
dieses habe den Sieg und das Feld behalten, der Herzog
Heinrich sammt seinem Sohne Karl Viktor ihm und dem
Landgrafen sich auf Gnade und Ungnade ergeben. Von den
zweideutigen Verhandlungen, durch welche dieser Abschluss
des Kriegs herbeigeführt worden war, ist in dem Briefe
nicht die Rede, der Name des Herzogs Moritz, welcher eine
so bedeutende Kolle hiebei gespielt hatte, wird jetzt gar
nicht genannt, während doch in dem Schreiben vom 3. Ok-
tober auf die Mitwirkung des lieben Vetters verwiesen worden
war.^) Leider ist uns eine Beilage,^) welche jenem Brief vom
1) Burkhardt, S. 479: „darzu sich dann uuser lieber vetter
herzog Moritz zu Sachsen mitS.L. hulf auch nit minder anschicket."
2) Burkhardt, S. 481, meint, diese Beilage habe der Bericht de.s
i'. Druffel: Luthen^ Schrift an Kursach/^cn. 287
26. Oktober beif^egeben war und Angaben über den Verlauf
der , Kriegshandlung" enthielt, nicht überliefert. Wir können
daher nicht darüber urtheilen, ob die am 26. Oktober gegen-
über Jonas ausgesprochene Erwartung Luthers, Näheres durch
den kurfürstlichen Hof zu erfahren, erfüllt wurde. Wir
wissen nicht, wie weit Luther durch Johann Friedrich über
die Ereignisj;e während des Feldzuges unterrichtet wurde,
dessen Verlauf man bald nachher in hitzigen Schriften in
verschiedener Weise schilderte. Nur so viel können wir
sagen, dass der Wittenberger Reformator sich nicht mit der
einfach gläubigen Auffassung begnügte, welche jene Briefe
in ihm erwecken sollten , nämlich dass Gott seine eigene
Sache zum Siege geführt und man ihm dafür auf den Knieen
zu danken habe, und dass die ihm vom Hofe zugegangenen
Mittheilungen ihm den Eindruck erweckten, als wisse man
auch dort über den eigentlichen Zusammenhang gar nichts.')
Er selbst habe gemeint, bei der plötzlichen Ergebung des
Herzogs Heinrich müsse irgend ein geheimes Verständniss
zwischen den Parteien mitgespielt haben: aber dieser Ver-
dacht sei durch einen Brief von Cordatus abgeschwächt
worden, dessen Inhalt er eifrig begrüsst habe. Der betref-
fende Brief berichtete über Aeusserungen höchsten Unwillens,
welche ein alter kaiserlicher Soldat, ein Feind des Evange-
liums wegen der Braunschweigischen Katastrophe ausgestossen
Landgrafen gebildet. Das ist sicherlich nicht der Fall, da dieser
spätere Ereignisse, wie den Zug gegen Rittberg bereits erwähnt.
1) De Wette, V, 766. In aula nihil scitur neque ab ipso prin-
cipe. Kogo itaque, digneris ubiubi poteris explorare — habitas enim
inter inimicos principis et amicos — si quid odorari queamus, quo
Cordati testimonium roboraretur. Ego ea de re mihi epistolam, quam
nunc excudendam dedi, ad principem nostrum et iantgravium, ne
Mezentium dimittant, statueram incrassare et dilatare. Ideo aulam
interrogavi, sed isti mihi fabulam ex ea re faciunt, quamquam credo^
exercitum non audisse [statt ausum esseV] talia; hostes enim solet
Deus ita terrere.
288 Nachtrno zur Sitznnrj der histor. Classe vom 3. Juni 1888.
habe, indem er sie als Teufelswerk bezeichnete — es habe
nicht anders ausgesehen, als ob Himmel und Erde zusammen-
fielen — und zugleich den frommen Wunsch äusserte, der
Kaiser werde doch das Werk zu gutem Ende führen und
die deutschen Herren — d. h. die jetzt über den Braun-
schweiger triumphirenden Fürsten — an grüne Bäume hängen.
Gleich dem Cordatus wollte sich auch Luther darüber freuen,
dass also wirklich das Evangelium und der Fapismus auf-
einander getrofi'en, und die Papisten von Gott mit Schrecken
geschlagen worden seien, wie dies Luther jubelnd gleich nach
Eintreffen der ersten noch unverbürgten Nachrichten mit
Dank gegen Gott angenommen hatte: „Die Hackenbüchsen
haben 's gethan,^) und den reisigen Zeug Heinzen dissipaverunt;
milites autem mox dilapsi." Aber er empfand wohl, dass
diese Auffassung nicht auf durchaus fester Grundlage ruhte,
und wünschte darum, dass des Cordatus Zeugniss anderweitig
bestätigt werden möge; desshalb bat er den Naumburger
Bischof Nikolaus von Amsdorf Nachforschungen anzustellen,
und zwar vorzugsweise bei den Freunden des gefangenen
Braunschweigers. Von Seiten des kurfürstlichen Hofes er-
1) So verbessert Kawerau .lustus Jonas II, 166 den Druck bei
De Wette V, 765. Jonas sandte dann, Okt. 28. den Briet' an Georg
von Anhalt, indem er von einem Siege des Kurfürsten, des Land-
grafen und des Herzogs Moritz über den Braunschweiger spricht.
Er sagt: V. R. D. et Cels. mitto literas Rev. patris doctoris Martini
Lutheri, in cuius corde cum Spiritus Sanctus tarn exultanter gaudeat
de hac divinitus parta victoria, etiam omnes ecclesiae merito laetari
et gratias agere debent. Ueber das Datum des Cordatusbriefes s. De
Wette VI, 392. Einzelne Stellen in beiden Briefen sind nicht ganz
klar. In dem Briefe des Cordatus wollen die Worte: „Ex verbis
autem quae dixit de habita strage puto vera dixisse de terrore; solet
enini Deus eum immittere suis adversariis" wohl besagen: Der Bericht
über die stattgehabte Niederlage macht mir die Erziihlung von dem
Schrecken glaublich. In Luther's Brief bezieht sich die ignominia
beide Male auf die Sehmalkaldner; den Gegensatz bildet Gott, der
allein Ruhmwürdiges gethan hat.
V. Druffel: Luthers Schrift an Knrsachsen. 289
fahre er nichts was Hand und Fuss habe, obgleich er eine
Anfrage dorthin gerichtet habe, von dem Wunsche beseelt,
einen jetzt dem Drucke übergebenen Brief an den Kur-
fürsten und Landgrafen, der von der Befreiung des Herzogs
von Braunschweigs abrieth, zu vervollständigen.
Amsdorf musste aus diesem Briefe Luthers gewiss den
Eindruck empfangen, als ob Luther den Entschluss zu seiner
Veröffentlichung gefasst hätte, bevor er sich mit der Bitte
um nähere Auskunft an den Hof wendete. Denn Luther
schien danach den ihm von dort gewordenen Mittheilungen
ablehnend und zweifelnd gegenüber zu stehen. Aus einem
Briefe aber, welchen der Kurfürst Johann Friedrich an
Luther^) richtete, geht hervor, dass jener in dem Entschlüsse
des Reformators, die Flugschrift zu schreiben, nur ein Ein-
gehen auf seinen eigenen, dem Theologen durch Georg Brück
vorgetragenen Wunsch erkannte und begrüsste. Der Kur-
fürst spricht Luther in warmen Worten seinen Dank für
die Bereitwilligkeit aus, mit der Luther ihm entgegen ge-
kommen sei, fügt aber zugleich die Mahnung bei, Luther
möge, so sehr es die Gesundheit nur zulasse, sich damit be-
eilen, „aus allerlei bedenken und Ursachen" sei ihm viel daran
gelegen. Später schrieb Kurfürst Johann Friedrich eigen-
händig noch einmal an Brück um Beschleunigung.^) Dieser
1) Burkhard t, S. 482 datirt das von ihm abgedruckte spätere
Schreiben 'Ende Nov. oder Anfang Dec' Vgl die folgende Anmerkung.
2) In dem Abdruck des Brück'schen Briefes bei Kolde, Anal.
Lutherana, S. 419 ist Z. 9 wohl zu lesen: am — und mit eigner hand;
die Lücke t\ir Einfügung des Datums ist dann aber nicht ausgefüllt
worden ; man wird annehmen dürfen, dass das Datum dem Anfange
der mit Samstag dem 11. Dec. achliessenden Woche angehörte. Hätte
Brück den Auftrag sofort nach Empfang ausgeführt, so würde er dies
hervorgehoben, sich wohl auch noch des Datums erinnert haben. Die
Mahnung an Luther, Burkhardt 4>^2, ging diesem Schreiben an Brück
gewiss um mehrere Tage vorher, und da schon hier die Vollendung
der Arbeit und ihre L'ebergabe zum Druck vorausgesetzt wird, so
290 Nachtrag zur Sitziuuß der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
erhielt von Luther, welchen er am Sonntag den 13. Deeember
in der Kirche desshalb anging, die Antwort, das Manuscript
sei bereits dem Drucker Joseph Klug übergeben; wenn Brück
im Namen des Kurfürsten bei diesem ant beschleunigte
Drucklegung hinwirken wolle, so sei ihm das durchaus er-
wünscht. Brück schickte daraufhin einen Abgesandten zu
Klug. Der Drucker händigte ihm einstweilen zwei Bogen
ein und versprach die Vollendung für den 18. Deeember,
äusserte aber zugleich, dass er gern wissen möchte, wie viel
Abzüge der Kurfürst nehmen wolle. Klug war ein armer
Mann, der nur mit einer einzigen Presse arbeitete; ein
anderer, der zwei Pressen habe, meint Brück, hätte das
Werk wohl eher zum Abschluss gebracht.
Nur dann würde zwischen dem Briefe vom 5. November
an Amsdorf und den Briefen vom Ernestinischen Hofe kein
Widerspruch obwalten, wenn man annehmen könnte, dass
Luther zuerst aus eigenem Antriebe schon am 5. November
eine Schrift über den Gegenstand , dessen Bearbeitung der
Kurfürst wünschte, fertig gestellt hätte und dabei sehr un-
zufrieden mit den ihm vom Hofe zukommenden Nachrichten
gewesen wäre, um dann auf den Vorschlag Brücks an-
scheinend bereitwillig einzugehen, ohne ihm etwas davon zu
sagen, dass die verlangte Arbeit bereits geleistet war. und
erst nach wiederholtem Drängen endlich dieselbe in Druck
zu geben. Die Schwierigkeiten sind geringer, wenn man
annimmt, dass das Schreiben an Amsdorf überhaupt keinen
erf^ibt sich für die erste Aufforderung an Luther durch Brück ein
früherer Termin, den man einstweilen abschätzen möge mit Rücksicht
auf das Mass von Geduld, welches man dem Kurfürsten zutraut. Für
die genauere P'eststellung dieses Datums wäre wohl die Beantwortung
der Krage, wann Luther zuletzt in Torgau gewesen, wichtig; Burk-
hardt, S. 48.3 Z. 15, S. 476 Anm. Ob das Geschenk, für welches De
Wette V, 767 am 8. Nov. von Luther gedankt wird, mit dem Auf-
trage in Verbindung stand? Vgl. Anm. S. 291.
V. Druffel : Luthers Schrift an Kursachsen. 291
andern Zweck hatte, als den offiziösen Ursprung der geplanten
Flugschrift zu verdecken. Der sonst dem Ernestinischen Hofe
so vertraute Nikohius von Amsdorf sollte anscheinend in
einen ähnlichen Irrthum geführt vrerden, wie ihn Luther in
der Vorrede zu seiner Schrift allen Lesern beizubringen
versucht, dass er ohne jede Beeinflussung vom Hofe und
nur zögernd sich in politische Fragen eingemischt habe,
welche eigentlich nicht seines Amtes seien.
Die Veröffentlichung der Luther'schen Schrift zu be-
schleunigen, war nicht die einzige Aufgabe, welche Brück
bei der Sendung nach Wittenberg gestellt war. Der eigen-
thümliche Ton Lutherischer Schreibweise war hinlänglich
bekannt, und man hatte den Wunsch, dass er sich unter
den gegenwärtigen Verhältnissen massigen möge, weil die
Regierung auch für den Fall, dass ihre Anstiftung geheim
blieb, sich veranwortlich fühlen musste, weil die Erlaubniss
zum Drucke von ihr abhing. Aber gerade damals war
Luthers Erbitterung gegen den Hof aus verschiedenen Gründen
auf einen hohen Grad gestiegen,^) er drohte wiederholt
Wittenberg endgültig den Rücken zu kehren; es war daher
eine heikle Aufgabe , einen derartigen Wunsch geltend zu
machen. Als Brück die ersten zwei gedruckten Bogen am
14. December erhielt, war er freudig berührt, weil er der
ihm gewordenen peinlichen Aufgabe einer Einwirkung auf
Luther in obigem Sinne enthoben zu bleiben hoffte. Bei
1) Die Rücksendung der Polizeiordnung gegen Verschwendung
und Ueppigkeit, welche die Universität und besonders auch Luther
genehmigt hatte, zu erneuter Prüfung konnte allerdings auf Luther
den Eindruck inachen, man wolle ihn verhöimen. Brück erfuhr nur
durch Bugenhagen und Melanchthon von Luthers Misstimmung, er
selbst hütete sich augenscheinlich, den Gegenstand bei Luther zu
berühren. Dass Brück Luther nur in der Kirche anzusprechen wagte
und später die Verhandlung wegen der gewünschten Aenderung nur
durch einen Dritten führte, ergibt sich aus Kolde, Anal. 421.
292 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
der Lesung fand er, dass die Befürchtungen grundlos ge-
wesen waren. Er pries Luthers Schrift als trefflich, als
unmittelbar vom heiligen Geiste eingegeben, zudem sei sie,
Gott sei Dank! in dem Ausdruck durchaus gemässigt.
Brücks Befriedigung hielt nicht lange vor. Am 18. De-
cember schrieb er an seinen Herrn, dass es mit Luther nicht
nach Wunsch gehe. Auf dem 4. Bogen fand sich eine Stelle,
deren Beseitigung Brück wünschte.^) Hinsichtlich der Waffen-
sendungen, welche vor einigen Wochen aus Italien kommend
von Württembergischen und Hessischen Zöllnern mit Be-
schlag belegt worden waren,*) hatte Luther angedeutet, dass
1) Es bleibt dahingestellt, ob der von Brück erhobene Einspruch
auf Grund des früheren allgemeinen Auftrags, oder auf einen neuen
ausdrücklichen Befehl des Kurfürsten hin erfolgte. Dieses wäre wohl
möglich, wenn Luthers Brief vom 15. Dec. bereits 4 Bogen beigelegt
gewesen wären, obschon nur die Fertigstellung von dreien in Aussicht
gestellt war, und dann der Kurfürst auf dieses (wann präsentirte ?)
Schreiben am 16. Dec. geantwortet hätte. Brück sagt, er habe ge-
handelt „E. Kf. G. anzeig nach" ; auch das würde wohl jener Annahme
entsprechen. Indessen spricht dagegen, dass Brück die Stelle, um
welche es sich zwischen ihm und Luther handelte, so genau bezeichnet,
wie es nur dann sinngemäss war, falls der Einspruch von ihm selbst-
ständig erhoben wurde.
2) Vgl. Kolde, Analecta Lutherana S. 421. Es handelte sich
um die Waffensendungen, von welchen in meinen Mon. Trident.
S. 191 und in den von Kawerau, Justus Jonas Briefwechsel II, 176
gesammelten Stellen, ferner Neudecker M. A. 596 die Rede ist. Vgl.
Schreiben des Englischen Agenten zu Frankfurt State-papers XI, 6,
19. Ein ausdrücklicher Beweis, dass die Waffen nach England be-
stimmt gewesen, liegt in den State-papers vor. XI, 83 meldet Mont
über den Landgrafen : qui ubi ex literis regiis intellexisset, detentos
archibusos ad Ser"'""" regem pertinere, extemplo se eos dimissurum
respondit, simulque proprio ac peculiari nuncio ad ducem Wirtem-
bergensem scripait, ut is quoque tormenta detenta relaxare velit,
copiamque regiarum literarum ad eundem ducem raisit, non dubitane
quin Wirtenbergcnsis tormenta a se detenta remissurus quoque sit;
XI, 96 folgt der Dank des Engländers an den Landgrafen: for his
r. Dni/fcl: Luthers Schrift an Kursachsen. 293
sie vom Papste herrührten und bestimmt gewesen seien,
gegen die Protestanten verwandt zu werden. Obgleich die
Aeusserung Luthers sehr vorsichtig gefasst war, indem es
hiess, wenn Gewissheit über den Ursprung der Waffen ge-
schafft sei, dann würde man sich berathschlagen und weiter
in die Sache schicken,^) wollte Brück doch die Stelle be-
seitigt wissen. Er stattete seinen Mittelsmann^) mit einer
Abschrift des kaiserlichen Briefes aus, worin die wegen jener
Waffensendung erhobenen Vorstellungen des Kurfürsten von
Sachsen und des Landgrafen von Hessen beantwortet und,
wir dürfen das annehmen, als unbegründet zurückgewiesen
wurden ; so ausgerüstet sollte er Luther den Vorschlag machen,
die wenigen Worte zu streichen,^) der Drucker solle für die
durch die Beseitigung des schon abgezogenen Bogens er-
redynes for the deliverey of th' accubutes (arquebuses). Ebendort
meldet Harvel, der Englische Gesandte in Venedig, über die Anwer-
bung von Italienischen Soldaten für den Englischen Dienst. Nach
den Bucer durch einen Venetianer zugekommenen Nachrichten wären
die unter sich abweichenden Meldungen in der Weise zu vereinen,
dass die anfänglich auf des Papstes Befehl angefertigten Waffen später
an Kaufleute gegeben wurden, als sich herausstellte, dass das Jahr
friedlich verlaufen werde. Vgl. Neudecker, Merkw. Aktenstücke, 619.
1) Ich will wenigstens die Frage aufwerfen, ob die so ausser-
ordentlich unbestimmte Fassung doch eine Wirkung der Brückschen
Vorstellung gewesen sein könnte. Einen weiteren Anhaltspunkt
haben wir hiefür freilich nicht; die in der 2. Beilage zu Brück-s Brief
erwähnte Vollendung des Drucks an demselben Tage spricht eher
dagegen.
2) Brück nennt diesen Mittelsmann nur mit dem Vornamen
Albertus. Auch Kolde scheint keine Vermuthung über diese Persön-
lichkeit zu haben; darf man daraus schliessen, dass es ein unbekannter
unbedeutender Mensch gewesen seiV Es wäre für die Beurtheilung
des ganzen Vorgehens nicht unwichtig. Näheres darüber zu wissen.
3) Vgl. Kolde, Anal. Luth., 422. Es wird 'heraussen' statt
haussen' Z. 4 zu lesen sein; S. 420 Z. 9 ist sicher statt "vil" 'eil' zu
lesen; dies allein gibt den entgegengesetzten richtigen Sinn.
294 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
wachsenden Kosten entschädigt werden. Aber Luther wurde,
wie Brück schreibt, zornig und wunderh'ch, lehnte die Zu-
muthung rundweg al) und erklärte, wenn man ihm solche
Fesseln anlegen wolle, so werde er überhaupt von der ganzen
Veröffentlichung Umgang nehmen. Brück wurde hiedurch
so eingeschüchtert, dass er nicht wagte, sich Einsicht in den
ihm bisher noch unbekannten Rest der Flugschrift zu ver-
schaffen, um festzustellen, ob noch andere Stellen, wie er
sagt: 'des Kaisers halber' bedenklich seien. Nur unter der
Hand liess er sich bei dem Drucker danach erkundigen, und
erhielt von diesem beruhigende Auskunft. Dabei liess es
Brück bewenden. Er meinte, Luthers Schrift sei ein noth-
wendiges schönes und lustiges Büchlein, dessen Inhalt ohnehin
bei vielen Leuten Anstoss erregen müsse. ^)
In einer ersten Beilage bespricht Brück dann noch ein-
gehender die hochgradige Missstimmung Luthers, über welche
ihm ausser dem erwähnten Mittelsmann auch Bugenhagen
und Melanchthon berichtet hatten. Er meinte, Entgegen-
kommen in finanzieller Hinsicht würde hierin Besserung
schaffen und insbesondere den nachtheiligen Einfluss der
Frau Katharina mildern können ; er empfahl, durch Dr. Mathias
Held einen Ausgleichsversuch machen zu lassen. Eine zweite
Beilage meldet, dass eben der Drucker noch einen Quatern
geschickt habe und bis zum Abend die ganze Schrift vollendet
sein werde.*)
1) Leider -wissen wir nicht, ob der von Brück am 15. Dec. für
übermort^en — also doch Dec. 17 — in Aussicht gestellte Brief wirk-
lich abging. Dagegen spricht, dass Brück, Kolde S. 424, sagt, er
habe 'in negstem meinem schreiben' die Anfrage über die Zahl der
von Johann Friedrich gewünschten Exemplare gestellt. Aber wann
schickte Brück den Quatern D, über dessen Inhalt sein Brief vom 18-
als von einer dem Kurfürsten bereits bekannten Sache spricht? Der
kurfürstliche Brief vom Mittwoch, 16. Dec, war geschrieben vor An-
kunft des Brückschen Schreibens vom 1.5. Dec.
2) Sonderbar ist, dass Brück den überschickten Bogen nicht als
V. Driiffel: Luthers Schrift an Kiirsachsen. 295
Während in den ersten Bogen Luther seine derbe
Sehreibart sehr gemässigt hatte, bricht die alte Gewohnheit
auf Bogen E wieder durch. Nachdem Luther ausgeführt
hat, wie bei den Päpstlichen , weil deren Glaube nicht rein
sei , auch die Werke nichts werth sein könnten , fährt er
fort: „Und ist gewiss ir gebet, gleichwie der teuffei selbs
auch ir spottete, da einmal ein truncken pfaflP im bette seine
completen betet, und im gebet speiet er, und Hess einen
grossen bombart streichen: o recht, sprach der teuffei, wie
das gebet ist. so ist auch der Weihrauch. Eben so ist alle
irre lören in den stitten und klöstern. Denn sie können
nicht beten, wollen auch nicht beten, wissen auch nicht was
beten sei, oder wie man beten sol, weil sie das wort und
glauben nicht haben. On das der bapst zu Rom mit seinen
procession und litanien — welchs im andere nachthun —
den königen und herrn gerne wolte eine nase drehen und
ströern hart flechten, das sie glauben sollen, er sei seer an-
dechtig und heilig; wil aber nicht ein har weichen von
seinen greueln und abgottereien. Ach, es ist sein gebet,
des trunken pfaffen completen, und sein Weihrauch. Ja wen's
nur so gut were, so were hofi'nung, er möchte nüchtern
werden, und für solche stinkend completen eine bessere
raetten betten." Mag diese Stelle auch an geschmackloser
Derbheit von manchen anderen in Luthers Werken übertroffen
worden, so wird man doch behaupten dürfen, dass Brück sein,
wohl in der frischen Erinnerung an die Schrift , Wider das
Papstthum vom Teufel gestiftet" gefälltes Lob wegen der ge-
mässigten Schreibweise daraufhin wesentlich hätte abschwächen
müssen. Wäre die Zwischenzeit nicht zu kurz, so könnte man
sogar daran denken, dass Luther, des bisherigen Tones satt,
den das Werk abschliessenden bezeichnet; da die VoUendunor bis zum
Abend in Aussicht gestellt wird, könnte es fast den Anschein ge-
winnen, als hätte noch etwas weiteres in Aussicht gestanden.
20 n Nacht rafi zur Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888
tms Aerger über die Zumuthung, jene oben erwähnte un-
schuldige Stelle zu ändern, im letzten Augenblick ein anderes
Register aufgezogen habe.
Da Brück einen schnellen Absatz der Flugschrift vor-
aussetzte, machte er wiederholt seinen Herrn darauf auf-
merksam, dass es nothwendig sei, die Zahl der von ihm ge-
wünschten Exemplare zu bestimmen. Wir wissen nicht, ob
darauf eine Entschliessung erfolgte.^)
Die Voraussetzung Brücks war in so fern richtig, als
es nicht mehr lange dauerte , bis die Exemplare den Weg
in die Welt antraten. Um Weihnachten, December 27,
konnte Schärtlin von Burtenbach das Schriftchen von Kassel
aus dem Augsburger Magistrat einsenden.^)
Luthers Schrift durfte in einer grossen Zahl von ver-
schiedenen Ausgaben verbreitet werden, daraus geht hervor,
dass die von Brück während des Druckes geltend gemachten
Bedenken doch überwogen wurden von dem Wunsche, dass
das gewichtige Wort des grossen Reformators sich in dieser
Frage vernehmen lasse. Indem aber feststeht, dass von einem
der Fürsten, auf deren Entschluss dem Anscheine nach die
Flugschrift zu wirken bestimmt schien , der Anstoss ausge-
gangen war, dass Luther überhaupt zur Feder griff, ist es
erforderlich auch den Zweck etwas genauer zu untersuchen,
welchen die Auftraggeber verfolgten.
1) Vgl. Anm. S. 294. Es kommt für die Heiirtheilung des kur-
fürstlichen Verhaltens in Betracht, ob der Brief Brücks vom 15. Dec.
schon beantwortet worden war.
2) Issleib in seinem Aufsätze 'Herzog Moritz von Sachsen und
der Braunschweigische Handel 1545' abgedruckt im Archiv für die
Sächsische Geschichte, Neue Folge H, 147, Leipzig 1878, lässt irr-
thümlich das Werk Luthers bereits bei des Landgrafen Philipp
Verhandlung mit den Räthen des Herzogs Moritz am 17. Dec. seinen
Einfluss üben. Üass Luther zur Feder gegriffen, war dem .1. Jonas
am 15. Dec. zu Halle nur gerüchtweise bekanntgeworden; Kawerau
J. .Jonas Briefwechsel II. 174.
r, Dnißi'J: Luthers Schrift an Kursachsen. 297
So viel leuchtet ohne Weiteres ein : insofern die Bitte
Luthers, den Braunschweisjer nicht frei zu geben, sich an
den Kurfürsten von Sachsen richtete, war sie nicht ernst ge-
meint. Man wird nicht einmal sagen können, dass der Wunsch
mitspielte , das eigene Verhalten durch Luthers öffentliche
Kundgebung dem allgemeinen ürtheil mundgerecht zu machen;
denn der Kurfürst, obgleich neben dem Landgrafen das Haupt
des Schmalkaldischen Bundes, hatte in Wirklichkeit keinen
Einfluss auf Herzog Heinrichs Haft.^) Johann Friedrich war
nur zögernd der thatkräftigen Politik des Hessischen Ge-
nossen gegenüber dem Braunschweiger gefolgt. Er hatte
im September den Landgrafen, wenn er Massregeln gegen
des Braunschweigers Umtriebe verlangte, auf Gott verwiesen;
wen dieser einmal gestürzt habe, der werde doch nicht
wieder aufkommen können,^) möge er auch anfangen, was
er wolle. Johann Friedrich meinte, der Kaiser werde das
von ihm verhängte Sequester auch dem Braunschweiger
gegenüber aufrecht halten können und wollen. Als dann
im Oktober diese vertrauensselige Auffassung^) sich als irrig
erwies und Herzog Heinrich, unbekümmert um die kaiser-
lichen Abmahnungen zum Schwerte griff, brachte der Kur-
fürst eine erhebliche Truppenmacht*) auf die Beine, welche
1) Schärtlein S. 37 berichtet: Herr landgraf besorgt, so er per-
sönlich käme, so gepürte Saxen auch zu komen ; dann wurde mer
mit panketiren gehandelt werden. Dem entsprechend suchte der Land-
graf die Forderung des Kuj-pfälzers, dass bei der Zusammenkunft in
Frankfurt der Sächsische Kurfürst persönlich zugegen sein müsse, zu
umgehen; ibid. S. 48.
2) Neudecker Urk. 737.
3) .loh. Friedrich hatte sich im Februar und ebenso im September
1545 dahin ausgesprochen, dass von dem Braunschweiger nichts zu
besorgen sei. Neudecker. M. A. 418 u. Urk. 740. Am 16 Aug.
war er der Meinung, dass Herzog Heinrich allerdings anderweitige
Unterstützung erwarte, und bekämpft werden müsse; ibid. M. A. 468.
4) Vgl. Issleib in Mittheilungen des Sächsischen Alterthums-
Vereins. Dresden 1877, S. 45.
298 Nachtraff zur Sitzung der liistor. Classe vom 2. Juni 1888.
mit dem Landgrafen ins Feld zog. Nachdem aber der
Herzog von Braunschweig in des Landgrafen Hand ge-
rathen und damit die unmittelbare Bedrohung geschwunden
war, wünschte die Ernestinische Politik die nunmehr geschaffene
Lage aufrecht zu halten. Der Kurfürst wies alle Besorgnisse
wegen einer Bedrohung durch Kaiser^) und Papst ^j als an-
begründet zurück. Der Landgraf sandte die Gutachten
Bucers an den Sächsischen Hof, welche die Noth wendigkeit
eines engeren Zusammenfassens der Protestanten betonten,
erhielt aber von Brück, der sich auf die Wittenberger Theo-
logen^) stützte, eine Antwort, welche nach seiner Meinung
1) Dass der Kaiser gegen das Unternehmen Herzog Heinrichs
Stellung nahm, scheint mir hinreichend festgestellt zu sein durch die
von Issleib, Mittheilungen des Sächsischen Alterthums-Vereins 1877
S. 41 beigebrachten Stellen, denen Herberger Schärtlein S. 55 an-
zureihen ist, wo Johann Friedrich daran erinnert, dass die Durchsicht
der Papiere Herzog Heinrichs gar keinen Anhaltspunkt für die An-
nahme einer kaiserlichen Betheiligung ergeben habe; vgl. die Mit-
theilungen, weiche daraus der Landgraf dem Kaiser Okt. 31 machte,
bei G. Schmidt in den Forschungen z. D. G. XXV, 89. Das ist wohl
noch durchschlagender als das Vorhandensein kaiserlicher Abmahnungs-
mandate, von welchen wir durch den Brief wissen, in welchem Herzog
Erich von Braunschweig sich entscliuldigt, dass seine Unterihanen
wider des Kaisers General- und Special-Mandate sich in des Herzogs
Heinrich Kriegsübung hatten brauchen lassen; Neudecker M. A.
545. Der Landgraf selbst spricht davon, dass Spett u. A. sich 'wider
des kaisers mandat' an der Braunschweigischen Empörung betheiligt
hätten. Druffel, Beiträge zur Reichsgeschichte HI, 17. Gerüchte
können dem gegenüber nicht in Betracht kommen, ebenso bedeutet
wenig, dass J. Friedrich 1545 Aug. 16 voraussetzt, Heinrich werde
kaiserliche Unterstützung haben. Luther, De Wette V 779, erwähnt,
dass in den Niederlanden der Klerus eifrig Messen im Interesse des
Braunschweigers aufgeopfert habe.
2) Vgl. Note zu S. 282.
3) Das Gutachten Luthers und der Wittenberger, bei Burkhardt
S. 488, hat Neudecker M. A. S. 521 richtig datirt. Burkhardt greift
noch schlimmer fehl, als der von Neudecker berichtigte Seckendorf,
V. DruffeJ : Luthers Schrift an Kursachsen. 299
nur zeigte, dass diese Leute ein Ding, das treulich und gut
gemeint werde, falsch und unrecht verständen.^) Während
man in Weimar zufrieden war mit sich selbst und mit Gott,
der den Sieg über den Braunschweiger verliehen, und nicht
an die Möglichkeit einer neuen schwierigeren Verwicklung
zu denken schien , sann Landgraf Philipp einerseits darauf,
für den Ernstfall gerüstet zu sein, falls die gespannten poli-
tischen Verhältnisse zu einem gewaltsamen Ausbruche führen
sollten, und anderseits wo möglich die Lage für sich selbst
ungefährlicher zu gestalten. Denn seine Stellung war be-
denklicher , weil in seiner Hand die Braunschweigischen
Gefangenen, Vater und Sohn, sich befanden, und er es auch
gewesen war, der den Kriegszug persönlich geleitet hatte.
Hessen war zudem den Niederlanden näher, wo damals der
Kaiser weilte.
Es war keineswegs undenkbar, dass der unternehmungs-
lustige Landgraf, des Bundes mit dem schwerfälligen Kur-
sachsen und den kleinlich sparenden übrigen Schmalkaldischen
Ständen überdrüssig,^) anderweitig seinen Vortheil suche.
indem er es dem Januar zuweist. S. 489 Z. 3 v. u. ist 'si)ot' — d.h.
Spott — statt 'spät' zu lesen.
1) Vgl. Lenz II, S. 389, 399, 401, 405. Der Brief Bucers vom
1. Dec. bezieht sich vielleicht mit der unklaren Wendung ,Schlaftrunk'
auf den Kurfürsten, und muss dann natürlich verstimmt haben.
2) Der Landgraf widerrieth das Eintreten für den Kurfürsten
von Köln, so lange nicht ein gemeinschaftliches Vorgehen und finan-
zielle Leistungen der Schmalkaldener gesichert seien, und man
eine Verständigung mit Kurpfalz erzielt habe. Neudecker M. A. 655.
Uns unbekannte Eingaben an den Kaiser und den Vicekanzler Naves,
welche sich auf die Braunschweiger Angelegenheit bezogen, hatte der
Landgraf hinausgezögert und sie schliesslich an den Kurfürsten von
Sachsen gelangen lassen, damit dieser sie befördere ; er erhielt von
dort die ziemlich spitze Antwort, dass Kursachsen wohl schwerlich
so erheblich besser, als Hessen, bei dem Kaiser angeschrieben sei,
dass sich desshalb die Einsendung durch Sachsen mehr empfehlen
könnte.
1888. Philo8.-plulol. u. bist. Cl. II. 2. 20
300 Nachtraf/ zur Sitzumf der histnr. Classe vom 3. Juni 1888.
Pliilipp's religiöse Haltung wich ab von der des Ernestinischen
Hofes. Wenn es auf ihn allein angekommen wäre, so würde
man den Schweizern, gegen welche Luther gerade damals
sich sehr schroff gestellt hatte, vielmehr entgegengekommen
sein.^) Nur aus Rücksicht auf Sachsen suchte damals Philipp
bei den Augsburgern die Hinneigung zum Zwinglianismus zu
bekämpfen, während sonst eine Verbindung mit den Kid-
genossen ihm durchaus entsprochen haben würde.
Die Sächsischen Politiker hielten , wie es scheint, mit
Rücksicht auf diese Verhältnisse eine öffentliche Kundgebung
des Wittenberger Reformators für zweckmässig. Indem von
diesem die gemeinsame Stellung des Landgrafen und des
Kurfürsten an der Spitze der Bekenner des Evangeliums be-
tont wurde, versprach man sich wohl eine günstige Einwirkung
auf die Haltung des Landgrafen. In dieser Meinung wurden
sie möglicher Weise dadurch bestärkt, dass vielleicht von
Hessischer Seite selbst der Wunsch nach einer öff'entlichen
1) Schärtlin meldet über Philipp: „Weiter zeigt er an, hette
vernommen, das E. F. W. id. h. der Augsburger Kath) hetten ain
predicanten von Zürich angenommen; er wolte raten, man hielte sir.h
der gemachten concordie geleich, oder machte es doch zum wenigsten
zum gelindsten es gesein mocht; aber seiner person halb solt es
nit mangel haben — redet das auf Saxen. Herberger S. 74. Der
Augaburger Rath machte dem Landgrafen den Vorschlag, die ftrau-
bündner und Eidgenossen heranzuziehen, im April 1545 — man be-
denke die damalige Sprache Luthers gegen die Schweizer — und
muss diesen Vorschlug später noch einmal wiederholt haben. Bucer
rieth Sept. 26 durch Konstanz mit den Allgiiuischen Städten und den
Eidgenossen zu verhandeln. Lenz 11,374. Neudecker, Ürk. S. 734,
und Herberger, Schärtlin S. 46: Der letst artikul in E. F. letsten
schreiben an mich und Dr. Niklas Maier gethan, wie die Grawpunt
und Aidgnossen anzusprechen, geteilt S. F. G. ganz wol etc." ßucer,
d. h. Strassburg gegenüber führt er allerdings 1545 Sept. 9 aus, dass
die Eidgenossen ausserhalb ihrer Herge nicht viel zu leisten ver-
möchten, worauf Bucer Sept. 26 antwortet, man möge Konshinz diftse
Verhandlung überti'agen. Lenz II, 368, 374.
r. Dniffel : Lutheiy Schrift a)i Kursachsen. 301
Kundgebung Luthers über die kirchenpolitische Lage kurz
vorher geäussert worden war. Wenigstens bezeichnete Bucer
dem Landgrafen am 2(). September 1545 als wünschenswerth,
dass Luther, der dies am besten verstehe, eine Flugschrift
verfasse, die auf den gemeinen Mann wirken sollte.^) Bucer
hat sich allerdings einen allgemeineren Inhalt für dieselbe ge-
dacht, er meinte, man müsse die seit 25 Jahren verfolgte
nur das Reich Gottes suchende uneigennützige Politik der
Protestanten der Welt darlegen. Eine Ausführung, welche
an diesen Gedanken anklingt, findet sich in Luthers Schrift
in der That vor, man wird aber darauf hin doch noch nicht
die Vermuthung zur Behauptung erheben dürfen, dass Bucer's
Brief Luther bekannt geworden sei und auf ihn gewirkt
habe.
Dass Kursachsen mit Luthers Schrift auf den Land-
grafen wirken wollte, wird fast zur Gewissheit, indem deren
Veranlasser. Johann Friedrich, sie in diesem Sinne ver-
werthete. Als nach Luthers Tode der Kurfürst dem Land-
grafen jeden Gedanken an Verhandlung mit Herzog Heinrich
auszureden versuchte, berief er sich im März 1546 ausdrück-
lich auf die christliche Ermahnung, welche der treue Mann
Dr. Martinus selig mit stattlichen Gründen der hl. Schrift
an sie beide gerichtet habe: man möge ohne rechte Buss-
zeichen , von denen man aber bisher noch nichts gespürt
hal>e, den gefangenen Herzog unter keinen Umständen frei
geben. ^)
1) Vgl. Lenz II, 373: ^Es muszte auch alsbald ein •christliche
glimpfliche geschrift gesteliet werden, das D. Luther zum besten
konde" etc. Aebnlich Lenz 381 — 882. Der Rückblick Luthers auf
die Zeit neit 1521 steht bei De Wette VI, 391. Wir haben leider
nicht die Antwort des Landgrafen auf den Brief Bucer's vom 26.
Sept.; spätere Briete Bucers sandte Philipp allerdings an Brück, und
dieser an Luther; Lenz II. 389, 399.
2) Neudecker, M. A. 701.
302 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
Dass Johann Friedrich erst verhältnissmässig spät zu
einer Benützung der Flugschrift in der politischen Erörterung
vorging, mag wohl damit zusammenhängen, dass man zu
Luthers Lebzeiten mit einer solchen Verwerthung der Schrift
Anstoss zu erwecken befürchtete. Dann aber schien es eine
Zeit lang, dass Philipp von Hessen keine grosse Neigung
habe, über die Freilassung Heinrichs zu verhandeln. Den
Gesandten, welchen er nach Frankfurt zu dem im December
1545 stattfindenden Tage der Schmalkaldischen Bundesglieder
absandte, war aufgetragen, die Berathung dieser Frage durch
die Stände vornehmen zu lassen. Aber es sollte dies in einer
Weise vorgetragen werden, welche eine bejahende Antwort
nicht erleichterte.^) Schärtlin meldete Anfangs Januar, dass
bei dem Landgrafen von einer Neigung, den Braunschweiger
zu befreien, nichts zu spüren sei. Gegen Ende des Monats
fand Christof von Carlowitz die gleiche Stimmung vor.^)
Aber Philipp machte missliebige Erfahrungen bei den Frank-
furter Verhandlungen, kleinliche und egoistische Gesichts-
punkte lähmten die Kraft des Bundes, der Wunsch der
Sächsischen Städte nach Schleifung der Braunschweigischen
Festungen^) bedrohte die gewonnene Machtstellung Hessens,
und von der anderen Seite drangen auf den Landgrafen
verschiedene Stimmen ein, welche die Befreiung des Braun-
schweigers forderten.*) Das erwartete Eintreten des Kaisers
erfolgte allerdings, so weit wir sehen, )iicht; wenn andere
1) Neudecker, M. A. 515. Herberger, S. 57.
2) V. Langenn Moritz II, 251.
3) Bei Neudecker, Urkunden aus der Reformationszeit S. 754
ist Z. 7 V. u. 'gebrochen' statt 'gebraucht' zu lesen.
4) Schärtlin war der Meinung, Naves solle konimi^n und una
die Befreiung Herzog Heinrichs bitten. Herl)erger, S. 37. Später im
März erkundigte sich J. Jonas bei Veit Dietrich 'de consiliis et cona-
tibua papistarura cogitantium liberare Lycaonem.' Kawerau II, 187.
V. Druffel : Luthers Schrift an Kursachsen. 303
Fürsten, wie Markgraf Hans von Brandenburg*) sich für
den (lefanoeuen verwandten, so konnte dies auch nicht viel
verschlagen; von grosser Bedeutung aber war es, dass Her/.og
Moritz von Sachsen , der schon vor der Gefangennahme des
Braunschweigers sich als Unterhändler eingedrängt hatte,
sehr entschieden darauf hinarbeitete, die Braunschweigische
Angelegenheit in seine Hand zu bekommen.*) Er stellte an
den Landgrafen das Ansinnen, die gefangenen Braunschweiger
Fürsten, Vater und Sohn, ihm nach Dresden zu senden.
Darauf gingr der Landgraf allerdings nicht ein, er wies auf
die Schmalkaldischen Stände hin, die allein zu einer Ver-
handlung über den Braunschweiger berechtigt seien. Aber
das Misstrauen wurde wach gehalten, indem die Verhand-
lungen zwischen dem Landgrafen und Herzog Moritz durch
des letzteren Räthe fort und fort im Gange blieben.^) Die
Stände zu Frankfurt schoben die ihnen auf Philipps Wunsch
zugewiesene Entscheidung über die Zulassung eines Agenten
des Herzogs Moritz zu dem Gefangenen wieder dem Land-
1) Bei Issleib, Archiv S. 146, ist erwähnt, dass Heinrich sich an
diesen und andere wandte; nach S. 148 wollte der MgF. Hans den
gefangenen Herzog in Ziegenhain besuchen, wurde aber abschläglich
beschieden. Nicht zu übersehen ist die Nachricht in dem Tagebuch
des Viglius zum 11. Juni 1546. wonach Markgraf Hans den Kaiser
um die Befreiung des Braunschweigers gebeten haben muss.
2) Issleib, S. 145, hat in seinem Aufsatze im Sächsischen
Archiv den Inhalt der schriftlichen Instruktion für die Räthe des
Herzogs Moritz nach Langenn II, 241 wiedergegeben; dort ist von
der Forderung, dass die Gefangenen nach Dresden eingeliefert werden
sollten, nicht die Rede. Ich glaube indessen, dass mit G. Voigt,
Moritz S. 130 sehr mit Recht an dem Berichte Schärtlins, der persön-
lich zugegen war, festzuhalten ist.
3) Die Schreiben des Moritz, von welchen der Landgraf nach
Christofs von Carlowitz Bericht sprach, sind noch unbekannt; vgl.
Langenn 11,251, während Issleib S. 155 auf mehrere Briefe Philipps,
wohl die .Antworten, hinweist. In der 1. Zeile ist „gewässers" statt
jgewissens," dann , gemocht" statt „gemacht" zu lesen.
304 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
grafen zu und dieser entschloss sich dem Ausinnen Folge
zu geben. Moritz wandte sich wegen der Befreiung Herzog
Heinrichs noch besonders an den Landgrafen, während Christof
von Carlowitz mit dem Ersuchen, Unterhandkmg zu gestatten,
in Frankfurt bei den Ständen erschien.^) Der Landgraf kam
dem Wunsch des Herzogs Moritz nur in soweit entgegen, dass
er auf eine gütliche Verhandlung einzugehen sich bereit er-
klärte, aber die Loslassung des Gefangenen einstweilen un-
bedingt ablehnte. Indem er zugleich sehr unzufrieden sich
über die Lässigkeit der Stände in ihren Geldleistungen aus-
sprach, scheint sogar Bucer von Besorgniss erfüllt. Wider
die Hoffnung hoffen, das war der gute Rath , welchen er
dem Landgrafen gab; indem er sich zugleich selbst den
Einwurf machte, dass. entsprechend den Gedanken der Flug-
schrift Luthers, ein solches Gottvertrauen doch eigentlich
nur dann berechtigt sei, wenn man gethan habe, was
mit eigenen Kräften vermöge. Bucer war, wie er sagt, er-
schreckt, dass so viele und so bedeutende Leute ernstlich für
den gefangenen Braunschweiger eintraten; er wies daraufhin,
dass die Absicht, denselben wieder in sein Fürstenthum ein-
zusetzen, offen an einem grossen, dem Landgrafen nahe ver-
wandten Orte — er meint sicher wohl den Hof des Herzogs
Moritz von Sachsen — ausgesprochen worden sei.^) Später
äusserte er hohe Befriedigung, als ihm der Landgraf zu
wissen that, des Herzogs Moritz Käthe hätten ihm eingestanden,
dass die Ergelnmg des Herzogs Heinrich in der Weise erfolgt
sei, wie er selbst es behauptet hatte, nämlich, dass dabei
von dem Landgrafen kein Mittel der Täuschung gebraucht
und kein Versprechen dem Herzog Heinrich gegeben worden sei.
Wenn auch der Hauptzweck der Luther'schen Flug-
1) Das Nähere bei Issleib.
2) Als Datum des Bucer'schen Briefes bezeichnet Lenz S. 399
den 11 /12. Febr.; durch die Randnotiz darf man sich nicht irre führen
lassen. iS. 4UU Z. 5 v. u. möchte ich das Komma vor 'nacli' setzen.
(■ Ih-itjfel : Luthers Schrift nti Kursachseti. 305
sohrift in der Einwirkunt; auf den Landgrafen bestand, so
vermied der ^'erfasser doch sorgfältig , darauf anzuspielen,
dass man irgendwie Mis^trauen gegen Philipp hege. Dagegen
findet sich eine ziemlich scharfe Bemerkung darüber, dass
„leider auf unser Seiten heimlich viel Papisten sind, die uns
von Herzen ungünstig und diesen Sieg mit grosser Unge-
duld und mit Trauer gesehen haben und noch sehen." Das
ging gegen die teuflischen Meissner und Gleissner, vDr Allem
gegen den Herzog Moritz; Luther spricht seine Gesinnung
gegen diese genügend deutlich in einem Briefe vom 8. Januar
an Amsdorf aus, auf welchen auch eine 1547 niedergeschriebene
Glo.sse zu obiger Stelle verweist. Dass diese Wendung nicht
von dem kurfürstlichen Kanzler beanstandet wurde, zeigt wie
wenig man damals auf ein gutes Verhältiiiss mit Moritz
l)ei den Ernestinern Gewicht legte.
In dieser Beziehung scheint dann aber vor dem Kriege,
in welchem die Vettern gegen einander kämpften, noch eine
Wendung eingetreten zu sein. In einer auch bei Klug zu
Wittenberg, aber 1546 gedruckten Ausgabe findet sich in
einer Erklärung zu einem Psalmenausdruck eine Wendung,
welche in dieser Beziehung von Bedeutung sein dürfte. Hier
ist gesagt, dass Herzog Heinrich als des Teufels und Papstes
Heerführer in den Weinbergen des Kurfürsten, des Herzogs
Moritz, des Landgrafen habe lesen wollen ; er habe die Hände
nach den Städten Thüringens, Meissen und Hessen, nach
Naumburg und Zeitz u, a. — d. h. nach den Bischofsstädten
— ausgestreckt. Hiermit ist der Gedankengang berührt,
welchen Landgraf Philipp einhielt, um seinen Schwiegersohn
Moritz dem Braun.schweiger zu entfremden; Philipp wies
darauf hin, dass Herzog Heinrich besonders die Stifter Magde-
burg und Halberstadt \) bedrohen werde, auf welche Moritz
sein Augenmerk gerichtet hatte. Auch .sie sind in dem ge-
1) Issleib im Archiv 155.
306 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
machten Zusätze zu Luthers Flugschrift mitverstanden , ob-
gleich nur Naumburg und Zeitz genannt sind.
Die Fragen , welche sich hier anknüpfen, ob Luther
selbst den Zusatz machte, ob derselbe mit oder gegen Willen
der kurfürstlichen Regierung erfolgte, können wir einstweilen
nicht beantworten. Dazu brauchte man weiteres archivalisches
Material. So viel aber dürfte nach den obigen Erörterungen
als feststehend anzunehmen sein, dass Luther bei Abfassung
seiner Schrift politischen Gesichtspunkten Rechnung trug. Er
wollte und sollte nicht bloss den protestantischen Standpunkt
gegenüber dem katholischen, päpstlich-kaiserlichen Interesse
unterstützen, sondern vor Allem die Beziehungen der prote-
stantischen Machthaber unter einander im Sinne des Erne-
stinischen Hofes beeinflussen. Die letzte Schrift des Reformators
diente einem Parteiinteresse. Das war nicht bedeutungslos
für die weitere Entwicklung und die Widerstandsfähigkeit
des Protestantismus in der nächsten schweren Gefahr, welche
bereits heraufzog.
IL
Die Ausgaben.
Unter Heranziehung von drei verschiedenen Drucken
hat Seidemann bei De Wette VI, 385 eine Ausgabe ge-
liefert, welche sehr genau zahlreiche Varianten verzeichnet.
Burkhardt Luthers Briefwechsel S. 482 erklärte dann,
dass nach seinen weiteren Nachforschungen die Ausgabe
in 5 Quaternen die erste und ursprünglichste sei; ob-
gleich er es nicht ausdrücklich sagt, scheint er damit den
von Seidemanu benutzten Druck, 18 Quartblätter, zu meinen.
So verstand es auch Kolde, welcher, Analecta Lutherana
S. 422, wie er sagt, mit Burkhardt ausdrücklich dies auch
als seine eigene Ansicht ausspricht. Beide Herren haben
indessen die von Seidemann benutzte Ausgabe nicht selbst
vor Augen gehabt. Denn es leuchtet doch ein, dass nach
V. Druffel: Luthers Schrift an Kursachsen. 307
Brücks Brief vom 18. December, Kolde 4'il, in der ur-
sprünglichen Ausgabe die Stelle von der Rüstung, welche
aus Welschland gekommen, wirklich in dem Quatern D, auf
dem zweiten Blatte gestanden haben muss. Dies trifft nur
zu bei folgender, Seidemann unbekannt gebliebener Ausgabe:
A. An Kurfürsten zu || Sachsen | vnd Land- || grauen zu
Hessen, D. Mart. || Luther von dem gefangenen H. || zu
Brunswig. || Wittenberg. || Am Schlüsse f. E4: „E. K. vnd
F. G. vnter- II theniger Mart. Luth." |i
Dann werden zwei Druckfehler B3 Zeile 12 und B4
Zeile 3 v. U. verbessert, erstlich der Irrthum in der Angabe
des Monats, November statt Oktober, in Avelchem Herzog
Heinrich in des Landgrafen Hand gerieth, dann wird „zn-
sehret" in „zusehnet" verändert. Schliesslich folgt: „Ge-
druckt in der Churfurstli- || chen Stat Wittenberg durch ||
Joseph Klug. II Anno M.D.XLV.
Ich benutzte Bibl. Mon. Th. Un. 104 IV, 5; 5 volle Quaternen.
Derselbe Druck H. Ref. 512 lückenhaft, es fehlen E 2 u. 3.
Die Ausgabe C bei Seidemann könnte die obige sein, wenn man
annehmen dürfte, dass Seideraann übersehen, wie 'Kurfürsten'
nicht 'Kurfürsten' gedruckt war. Das ersterwähnte Exemplar
ist von einer gleichzeitigen Hand glossirt, indem meist die
Bibelcitate und kurze Inhaltsangaben an den Rand geschrieben
sind. Dann aber ist zu De Wette VI, 404 Z. 6 bemerkt:
,vide epistolam Lutheri ad xAmsdorfium de Lypsensibus" (vgl.
oben S. 305), dann Z. 22: „der vorteil auf unserer Seiten,"
Z. 33: ,ingens consolatio", S. 406 Z. 1: „wen sie auch
schön das Te Deum laudamus singen, quod nunc ferunt Lyp-
senses fecisse capto electore". Man sieht, dass der Glossator
Luther nahe gestanden haben muss und doch nicht ganz
mit ihm übereinstimmte.
B. Ib. Th. ü. 104, IV, 7. Sechzehn Quartblätter. An
Churfürsten zu || Sachsen, vnd Land- || grafen zu Hessen: || D.
308 Nachtrag zur Sitzung der histor. Classe vom 2. Juni 1888.
Mart, Luther : || Von dem gefangenen || H. zu Brunswig. ||
Dann ein gezeichnetes Blättchen. Am Schluss die Jahres-
zahl: MDXLV.
C. Ib. Th. LT. 104, IV, 6. Der Titel wie A, nur , Braun-
schweig" statt „Brunswig"; der Satz ist mit anderen Typen
ausgeführt. Die ürthograpliie ist vielfach eine andere. Die
Ausgabe besteht aus 4 Quaternen A — D und einem bedruckten,
einem leeren Blatte ; jenes trägt indessen ebenfalls den Ver-
merk 'D', nicht, wie es sein sollte: 'E'. Dieses ist die Aus-
gabe A Seidemanns. Die Stelle über die welschen Rüst-
ungen steht f. C 4.
D. Die Ausgabe B. Seidemann's in der Universitätsbibl.
Eist. 3975.
E. universitätsbibl. Hist. 3975. An Kurfürsten zu i Sachsen,
vnd Land )| grauen zu Hessen, D. Mart. )| Luther von dem- ge-
fangenen H. II zu Braunschweig. || Wittenberg. || Am Schlüsse
'MDXLV unter Luthers Unterschrift. 17 Quartblätter.
F. B. Monac. Hom. 1148. An Kurfürsten zu || Sachsen,
vnd Land- || grauen zu Hessen, D. Mart. || Luther von dem
gefange- || neu H. zu Brunswig. || Wittenberg. || Am Schluss:
Anno MDXLVI. 5 volle Quaternen, die letzte Seite imbe-
druckt.
(J. Universitätsbibl. Hist. 3977. An Kurfürsten zu ||
Sachsen vnd Land- || grauen zu Hessen, |j D. Mart. Luther,
von II dem gefangen H. zu || Brunswig. || Sampt den LXIIIL ||
vnd LXXVI Psalmen, en || de hin an gesetze. || Wittenberg. ||
Am Schluss: Gedruckt in der kurfurstli- || chen stad Wit-
temberg durch Josehp [so!] || Klug. || Anno M.D.XLVI. ||
6 volle Quaternen, die letzte Seite frei.
Im Vergleich zu der Zahl der verbreiteten Exemplare
sind die bisher mir bekannt gewordenen Stellen , in denen
auf die Schrift Bezug genommen wird, wenig zahlreich.
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 3. November 1888.
Herr Keinz hielt einen Vortrag:
, Beiträge zur Neidhart-Forschung."
Heimat. Zu den im zweiten Bande des Jahres 1887
gegebenen Belegen für Neidhart's Heimat kann zur Zeit neueres
nicht beigebracht werden. Nur zu dem Namen Hohenfels
mag erwähnt werden, dass sich eine Oerthchkeit dieses Na-
mens auch in der Nähe des dort umschriebenen Gebietes
findet. Das betreffende Blatt des topographischen Atlas von
Bayern — Pegnitz. Ost — verzeichnet nämlich ungefähr
eine Stunde nördlich von dem früher genannten Königstein
eine Stelle mit dieser Benennung, allerdings, wie es scheint,
jetzt nur eine bewaldete Höhe.
Zeugnisse. Zu den Zeugnissen für Neidhart, welche
Haupt am Schlüsse seiner Ausgabe S. 245 und Bartsch in
der Germania IV, 250 gesammelt haben, kann das folgende
beigefügt werden. Es betriflFt zwar nicht den Dichter selbst,
aber es gibt einen Beleg dafür, wie volksthümlich in seiner
zweiten Heimat — Oesterreich — seine Gedichte noch fast
zwei Jahrhunderte nach seinem Tode waren. Es sind drei
Stellen aus einem Tractatus de quinque sensibus, welche
1888. Phi1o8.-philol. u. bist. Ol. II. 3. 21
310 Sitzung der philos.-philol. Glasse vom 3. November 1888.
schon Schmeller für die zweite Auflage seines Wörterbuches,
I Sp. 1634 aus Clm 12011 ausgeschrieben hat und ich hier
(etwas verbessert) nach Clm 23781 ex anno 1452 gebe: 1) f. 84**
Videant, qui cum tanta delectatione audiunt rumores de gigan-
tibus item cantilenas alia negligendo item de belHs eorum
fictis, item historias fictas Theodorici Veronensis vel Laurini
de Thirol vel rosengarten vel librum Renner vel audiunt
Teichner Neid hart, tarnen sine rationali causa scilicet pro
moderato solatio post laborem quaerendo; historiam tarnen
Laurini puto habere sensum allegoricum per cingulum intel-
ligendo montes terrae Adtisis, quibus protegitur; f. 87* alio
modo potest fieri cantilena vel musicalium sonus causa la-
sciviae et internae voluptatis inordinatae et illicitae delecta-
tionis vel vanae gloriae gratia deliberate vel ad irritandum
utNeithart et hoc modo est peccatum luxuriae admixtum
praecipue si turpia vel turpiter decantantur. (Hiezu hat in
Schmeller's Codex der Rubrikator roth an den Rand ge-
schrieben: o neytharde).
f. 87*" cantus serpentes volucres et bestias ad se trahit
ita et illum in odium, alium in invidiam sicut patet in canti-
lenis Neidhart ad quas rustici passionantur et irridentur.')
Verfasser des Tractatns ist der Professor der Theologie
an der Wiener Universität Thomas von Haselbach , eigent-
lich Thomas Ebendorfer von H. 1387 — 1464. Seine theo-
logischen Schriften genossen hohes Ansehen, wie schon da-
1) Au9 dem gleichen Tractat mögen für solclie, die es brauchen
können, noch die Stellen bemerkt sein:
f. SS*" fabulae quae fictae sunt de stupris virginum et amatoribus
meretricura ut Adonidis et Veneris de fabula Tanhauser et Auckental
(so in vier Handschriften) et sie de aliis non sunt audiendae; und
die folgende 94'': i)arentes non sine periculo permittunt filios suos
et filias ad publica spectacula accedere vel ad choreas in publicis
plateis (Neidhart 49,3* ,,so der tanz gein äbent an der sträze gie
entwer") adolescentibu» mixtis cum puellis etc.
Keim: Beiträge zur Neidhart-Forschung . 311
raus zu schliessen ist, dass Werke von ihm in 140 Hand-
schriften der Münchener Bibliothek vorkommen. Mehr über
den auch sonst nicht unbedeutenden Mann findet man in
Aschbach's Geschichte der Wiener Universität und in der
Allg. Deutschen Bibliographie.
Dieses Zeugniss mag weniger auffallend sein, weil es aus
der Gegend stammt, welche als die zweite Heimat N.'s auch
der Schauplatz seines Wirkens war.
Dagegen führt uns ein anderes, auf das mich R. Hilde-
brand aufmerksam machte, in einen weit abgelegenen Theil
des Reiches und zeugt so in erhöhtem Grade für die Volks-
thümlichkeit des Dichters.
In Riedel's Cod. dipl. Brandeburgensis findet sich im
I. Theil, Bd. XV, S. 127 folgende Urkunde aus der Zeit
um 1345, ein Ausspruch der Magdeburger Schoppen:
Dy rad to Stendall hadde vorbodet alle gulde meystere
von allen gülden bynnen Stendall vnde setten on vor dar sy
solden vmbe spreken, eyn yowelk med sinen guldebrudern
Des spreken wy wantsnider mestere med vnsen guldebrudern,
als vns dy rad hadde vorgesat. Darna ging vnser guldebruder
ein hinder vns, vnde irfur, wat dy sprake was by andern
guldemeystern vnde quam darna by vnser guldebruder ein
vnde sede, dat dy wantsnyder mester dy sungen als et
Nitard sang, dy sang wat om behagede, dat ander
1yd he faren: so seden vnse meyster, wat on wol behagede,
dat brechten sy vor vnse guldebruder, wat on nicht behagede,
dat lyten sy stan.
Ein bekanntes Zeugniss aus Norddeutschland ist auch
noch: das Bruchstück einer Neidhart-Hs. in niederrheinischer
Mundart des XIV. Jahrb., bei Haupt mit 0 bezeichnet. Da
sich solche auch in schwäbisch - allemanischer Mundart aus
gleicher Zeit finden, so ist durch diese Zeugnisse erwiesen,
dass im XIV. .Jahrhundert die Dichtungen Neidhart's in ganz
Deutschland beliebt waren.
21*
312 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 3. November 188S.
Handschrift. Die reichhaltigste Neidhart- Handschrift
ist die Berliner ms. Germ. Fol. 779, Papier, XV. Jahrh., von
Haupt mit c bezeichnet. Sie enthält nämlich 131 Lieder mit
1091 Strophen, grossentheils mit Singnoten. Von diesen
Strophen ist allerdings die Hälfte als Nachahmung und un-
echt auszuscheiden ; dafür aber enthält sie die echten Lieder
fast alle: es fehlen ihr nämlich nur drei, No. 9 ^), 38 und 65,
die allein in R, eines, No. 17 , das in Rd und dem alten
Drucke und eines No. 8 nebst dem verdächtigen No. 5, das
nur in C erhalten ist; eine bedeutende Anzahl hat .sie nur
mit R gemein, und eines, No. 47, das Haupt mit Recht
unter die echten gestellt hat, ist nur durch sie überliefert.
Von ihrer Geschichte lässt sich einiges beibringen. An
die Berliner Bibliothek kam sie aus dem Besitze v. d. Hagen's.
Vor diesem war ihr Eigeuthümer nach Haupt's Angabe
Thomas Ried. Es ist diess der bekannte Herausgeber des
Codex chronol.-dipl. episcopatus Ratisbonensis, Ratisbonae 1816,
seinerzeit ein eifriger Handschriftensammler. Nach einer
freundlichen Mittheilung des fürstlichen Archivrathes Herrn
Dr. Will in Regensburg, die derselbe aus dem dort aufbe-
wahrten schriftlichen Nachlasse Ried's schöpfte, richtete Ried
am 11. November 1812 eine Anfrage an Docen in München,
was es mit dieser von ihm vor einigen Tagen erworbenen
Handschrift für eine Bewandtniss habe, worauf ihm Docen
erwiderte, er möge ihm die Handschrift auf 8 Tage über-
senden , dann werde er genaue Auskunft erhalten. Weitere
Angaben fehlen. Wahrscheinlich ist also diese Hand.schrift,
vielleicht zugleich mit der Berliner Handschrift des Helm-
brecht, die auch aus der Oberpfalz stammen dürfte (vgl. S. 07
meiner Ausgabe), schon aus Ried's Hand in die v. d. Hagens
übergegangen.
Durch eigene Untersuchung des Codex , die ich sowohl
1) Die Citate nach meiner eben erscheinenden Ansj^abe: Leipzig,
Uirzel.
Keinz: Beiträge zur Neidhart- Forschung. 313
hier in München , in Folge der allbekannten Liberalität
der Berliner k. Bibliothekverwaltung , als in Berlin selbst
pflegen konnte , bin ich aber in Stand gesetzt , noch einen
früheren Besitzer desselben nachzuweisen. Es ist nämlich
f. 130 der Name ,F. Spengler" und auf dem Hinterdeckel
der Vermerk „Franntz Spengler ist diss Buch" eingetragen.
Die Spengler waren ein ursprünglich schlesisches Geschlecht,
von dem um die Mitte des XVI. Jahrhunderts ein Zweig in
Nürnberg — darunter zwei Franz — ansässig war. Einer
von diesen besass also die Handschrift und schrieb auf ihr
erstes Blatt (obiges f. 130) seinen Namen ein. Dann Hess
er sie aber noch mit zwei anderen handschriftlichen Stücken ^)
zusammenbinden und schrieb nun seinen Namen auch auf
den Deckel. Dass der etwa 100 Jahre früher geschriebene
Neidhart-Theil ehemals selbständig bestanden hatte , ergibt
sich auch daraus, dass das erste Blatt auf der Aussenseite
starke Beschmutzung zeigt, also einst äusseres Blatt war.
Die auf dem vorderen Holzdeckel eingebrannte No. 13 stammt
wohl auch aus der Spengler'schen Bibliothek.
In ihrer Anordnung der Lieder ist ein besondrer Grund-
satz, ausser der Scheidung in Sommer- und Winterlieder
nicht zu erkennen ; eine zeitliche Ordnung bietet sie nicht ;
echte und unechte, bayerische und österreichische Lieder stehen
durcheinander; der Schreiber hatte augenscheinlich nur den
Zweck, alles zu .-sammeln, was von N. stammen konnte. Sonst
aber war er ein höchst aufmerksamer Arbeiter , der sich
au.sser der unvermeidlichen Verneuerung der Sprache wenig
Abweichungen erlaubte. Diess erhellt schon daraus, dass
Haupt, der sich nur sehr schwer entschloss, von der Hs. R
1) f. 1 — 68 Die Melusine in der üebersetzung des Thüring von
Ringgoltingen ; f. 72 — 123 A. v. Eyb's Abhandlung : Ob einem Manne
sei zu nemen ein elich Weib; f. 131—269 folgt dann der Neidhart;
jedes Stück von andrer Hand und auch das Papier mit dreierlei
Wasserzeichen.
314 Sitzung der philos.-jiihilol. Classe vom 3. November 1888.
abzuweichen, gerade aus dieser jungen Hs. ziemlich zahlreiche
Textverbesserungen aufgenommen hat.
Der Schreiber entstammte offenbar demselben Boden,
auf welchem sich die Hs. im 16. Jahrhundert befand, d. h.
dem Nürnbergischen oder der nördlichen Oberpfalz. Seine
Mundart verweist nämlich auf diese nordbayerische Gegend
dadurch, dass sie, bei im Ganzenba yerischen Gepräge, ein-
zelne Schattirungen zeigt , die, wie der unregelmässige Ge-
brauch von ie und i, nach dem Mitteldeutschen hinü herführen;
ein ganz besonders oberpfälzisches Kennzeichen ist 29,22 die
Schreibart gunck für junc.
Da ich nun bereits in meiner früheren Abhandlung mit
hoher Wahrscheinlichkeit nachweisen konnte, dass in dieser
Gegend die Heimat Neidhart's zu suchen ist , so würde,
wenn dieser Nachweis , wie ich hoffe , im Verfolg weiterer
Untersuchung mit Sicherheit geliefert werden kann, diese Hs.
an Wichtigkeit bedeutend gewinnen und im Werthe der
Hs. R. nahezu gleichkommen. Doch muss diess vorläufig
der weiteren Forschung vorbehalten werden.
Vriderün. Dasjenige Ereigniss, welches nach des Dich-
ters eigner Angabe die nachtheiligste Wirkung auf sein
Schicksal hatte und den schlimmsten Eindruck auf sein Ge-
müth machte, welches ihn daher auch bis in sein spätes
Alter zu immer erneuter Klage veranlasste, war — dass ein
Bauernbursche einem von N. bevorzugten Bauernmädchen
den Spiegel von der Seite riess — wie er gleich an der ersten
Stelle, wo er das Ereigniss erwähnt, hier noch in einfachen
Worten klagt (32,34 ff.):
mirst an Kngelmaren ungeraach
daz er Vriderünen
ir Spiegel von der siten brach
Keinerlei weitere Erklärung findet sich bei dem Dichter,
worin das Schreckliche dieses Ereignisses bestand ; an keiner
der vielen Stellen, an denen er es erwähnt, ist eine direkter
Keim: Beiträge zur Neidhart-Forschung. 315
Hinweis auf etwaige Folgen gegeben. Und so wird es auch
von den Erklärern als das nämliche Geheimniss behandelt,
als welches es der Dichter selbst zu geben scheint.
Schmolke (Leben und Dichten Neidhart's v. R. , Pots-
damer Gymn.-Progr. 1875, S. 15—17), der den Gegenstand
ausführlich erörtert, spricht sich über den Sinn dieser Klagen
und die Wirkung des Ereignisses gar nicht aus, sondern be-
trachtet das Ganze als ein Geheimniss, das wir aus dem
StoflPe, so wie er vorliegt, nicht ergründen können. Er sagt
(S. 15) nur: „üeber die einzelheiten dieses ereignisses sind
wir eben so wenig genau unterrichtet, als über die folgen,
die es für die drei betheihgten personen gehabt hat."
Etwas näher auf den Versuch einer Erklärung geht
R. M. Mayer (Reihenfolge der Lieder N.'s S. 17) ein: ,Ich
meine, der Vorgang habe seine Bedeutung darin, dass er dem
Dichter eine wichtige Thatsache plötzlich offenbart. Welche
aber? Dass Engelmar ein Tölpel ist? gewiss nicht, sondern,
dass die Art, wie die Geliebte des Dichters die Zudringlich-
keit des Dritten aufnimmt, beweist, dass dieser längst zu
einem glücklichen Nebenbuhler geworden ist (vgl. Freytag,
Bilder II, 50). Und das macht die Wirkung des Ereignisses
denn doch erklärlicher."
Die letzte Schlussfolgerung ist nicht haltbar, denn erstens
ist ja die Art, wie Fr. das Geschehniss aufnimmt, mit keinem
Worte erwähnt, zweitens ist bei der Leichtlebigkeit des Dich-
ters gar nicht anzunehmen, dass gerade dieses eine Mädchen
ihn so gefesselt hätte, dass die Zurückweisung seiner Liebe
allein ihn unglücklich gemacht hätte; wissen wir ja doch,
dass er vor und nach ihr geliebt hat; drittens spricht da-
gegen aufs schärfste der Umstand , dass sein ganzer Hass,
wie aus allen bezüglichen Stellen hervorgeht , nur dem Engel-
mar gilt, während er für Friderun nicht das leiseste Wort
eines Tadels hat, sondern sie im Gegentheil auch in den
spätesten Anspielungen noch diu liebe, diu vil liebe Fr. heisst.
31(] Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 3. November 18S8.
Das ist nicht das Benehmen eines betrogenen Geliebten, zu-
mal vom Charakter Neidhart's, sondern zwingt zu ganz an-
deren Schlüssen.
Wieder einen kleinen Schritt weiter geht W. Wilmans
(Zeitschr. f. d. Alterth. XXIX, 69 f.), dem auch das gänz-
liche Fehlen einer Klage über getäuschte Liebe auffällt. Er
schliesst aber daraus, dass Neidhart durch dieses kleinere
Ereigniss in seiner äusseren Existenz geschädigt wurde, d, h.
dass er durch Engelmar's Auftreten den gedeihlichen Boden
für seinen „ Kunstbetrieb ", als Spielmann unter den Bauern,
verlor.^)
Vor der Erörterung des Gegenstandes mögen kurz die
Stellen aufgezählt sein, in denen von Friderun oder Engelmar
die Rede ist. Es sind mit Weglassung der ganz bedeutungs-
losen 42,29 und 43,40 die folgenden :
1) Gieichgiltige Erwähnung derselben vor der Spiegel-
geschichte findet sich in 17,2o, 18, i9, 18,52, 19,6o;
2) zum Ereigniss selbst gehört das Lied No. 32 ;
3) einfache Klagen in 32,34, 38,44, 43,5o, 51,ioa;
4) übertreibende Klagen in 50,52, 60,42;
5) Klagen über Dörper, die ebenso schlimm sind . wie
Engelmar 41,9, 52,43, 57,96;
6) Klagen über solche, die noch schlimmer sind, als
Engelmar 40,24, 46,2i, 49,45, 53,56, 56,76;
7) Hinweisungen auf Engelmar's späteres Schicksal 58,29,
59,67.
In den vor das Ereigniss fallenden Stellen steht der
Dichter dem Engelmar noch gegenüber, wie jedem anderen
Dorf- oder Gaugen o.'^sen. Die Entscheidung bringt das 32. Lied,
welches zwar in ungenügendem Zustande erhalten ist (vgl.
die Bemerkungen zu demselben in meiner Ausgabe) , aber
1) Ich trenne diese Seite des Gegen8tande8 von Friderun's An-
gelegenheit und behandle sie in einem zweiten, unten folgenden Ab-
schnitte.
Keiiiz: Beiträge zur Neidhart-Forschiing. •>! '
doch die Entwicklung des Ereignisses ersehen lässt. Der erste
Theil enthält die Erwähnung der Absendung eines Kranzes
an Friderun , worauf vermuthlich die Einladung zum Tanze
folgte. Der zweite ist dem Tanze selbst gewidmet: mit
höchstem Wohlgefallen ruht das Auge des Dichters auf dem
Mädchen :
Vriderün als ein tocke
spranc in ir reidem rocke
an der schar.
Nun folgt eine auffällige Bemerkung:
des nam anderthalben
Engelmär vil tougen war.
Was will der Dichter hier mit der besonderen Nennung
Engelmar's, der bis dahin eben nur einer von vielen war.
Schmolke meint, hier , erscheint E. zum ersten male, aber ganz
in der ferne". Ich glaube vielmehr, in sehr bedrohlicher Nähe.
Auch er hatte offenbar um Friderun geworben und bemerkte
mit Verdruss die Freude , die Neidhart an dem Mädchen
hatte und wohl auch dieses an ihm. Die Entscheidung
musste folgen und sie folgte, sei es schon bei diesem Tanze
oder einem der nächsten Feste , wie die angefügte Strophe
mit der ersten — von da an fast stereotyp gewordenen Klage
— zeigt und folgte in der Weise, wie von einem „dörper"
zu erwarten war: er riess Friderunen den Spiegel, den sie
an einer selbstgefertigten Schnur angehängt trug, von der
Seite und nahm ihn an sich. Dieser Spiegel aber musste,
wenn die That einen Sinn haben sollte, ein Geschenk Neid-
hart's sein und Engelmar erklärte damit, dass er die Neben-
buhlerschaft des Dichters nicht dulde. Daraus, dass Engel-
mar diess öffentlich thun konnte und dass der Dichter selbst
von keinem Widerspruch Friderunens zu berichten weiss,
folgt, dass diess der kräftige äussere Abschluss einer wohl
schon anderweitig erledigten Angelegenheit war.
Was war nun das für eine Angelegenheit, und was war
der eigentliche Grund zu der von da an bis in's Alter immer
318 Sitzung der phüos.-philol. Classc vom 3. November 1888.
wiederkehrenden Klage des Dichters? Die Grobheit Engel-
niar's? Dafür hätte er wohl Gelegenheit zur Rache gefunden;
und er hat sich ja, wie aus seinen eigenen Erzählungen
hervorgeht, auch von andern Bauern manches gefallen lassen
müssen, ohne darüber unglücklich zu sein ; oder die Schwäche
oder gar Treulosigkeit Friderunens? Darüber aber klagt er,
wie schon oben bemerkt, mit keinem einzigen Worte. Der
Grund muss demnach anderwärts zu suchen sein, und da die
Verhältnisse des Dichters keinerlei aussergewöhnliche waren,
so haben wir keine Ursache, dahinter ein tiefes Geheimniss
zu vermuthen.
Es ist wohl auch hier die einfachste Lösung die sicherste :
Wir wissen, dass Neidhart zwar nicht besitzlos, aber auch
nicht wohlhabend war. Er hatte ein bescheidenes Lehen
inne, das nach seiner eigenen Beschreibung ihm keinerlei
Ueberfluss lieferte. Was er etwa noch zu freier Verfügung
gehabt hatte, wird die Kreuzfahrt aufgezehrt haben. Die
einzige Gelegenheit aber, zu einer besseren Ordnung seiner
Lage zu kommen, war eine günstige Heirat. Auf eine standes-
gemässe gute Partie konnte er bei seinen eigenen beschränkten
Verhältnissen nicht rechnen. Da wäre ihm wohl auch die
Tochter einer vermöglichen Bauernfamilie willkommen ge-
wesen; und als eine solche werden wir uns Friderun zu
denken haben. Dass solche standeswidrige Heiraten damals
nicht selten waren, können wir aus den Darlegungen des
wenig späteren sogenannten Helbling schliessen. Dass nicht
bloss die Söhne, sondern auch die Töchter der Bauern über
ihren Stand hinaus strebten, wissen wir aus dem gleichen
Werke und aus dem Helmbrecht. Dass für Neidhart selbst
der Standesunterschied ein unüberwindliches Hinderniss nicht
bilden konnte, dass er im Gegentheil von Standesvorurtheilen
frei war, sehen wir aus seinem in der Jugend andauernd
freundlichen Verkehr mit den Bauern, an deren gesellschaft-
lichen Freuden er nicht bloss unter der Dorflinde, sondern sogar
Keim: Beiträge zur Neidhart-ForscTumg. 319
in ihren Häusern Theil nahm. Aus Neidhart's Aeusserungen
lässt sich ferner schliessen . dass auch Friderun ihm wohl-
gewogen war. Wir können also nur annehmen , dass die
Verwandten nichts von Neidhart wissen wollten, und sie dem
Engelmar zur Frau gaben.
Damit war nun Neidhart die einzige Möglichkeit, seine
Lage zu verbessern — noch dazu durch eine Verheiratung
mit einem ihm wirklich lieben und ihn wieder liebenden
Mädchen — verschlossen. Da war wohl derjenige, den er
als den Trheber seines Unglücks erkennen musste , seines
Hasses werth , und von da au die immer wiederkehrende
Klage berechtigt, da.ss er durch dieses Ereigniss um sein
Lebensglück gekommen sei. Von selbst versteht es sich, dass
er in diesen Klagen, um sich nicht sehr lächerlich zu machen,
den eigentlichen Sachbestand nicht erwähnen durfte und da-
her beschränkte er sich auf die geheimnissvolle Hervorhebung
eines dazu gehörenden , aber nebensächlichen Zwischenfalles.
Sehr deutlich ist der Sachverhalt bezeichnet in 18,65 :
we, waz het ich im getan, der mich von erste in disen kumber
stiez, d. h. der die Ursache war, dass ich meine Lage nicht
verbessern konnte ; besonders mit dem Nachsatze : swanne ich
da ze Riuwental unberaten bin.
Hier ist zwar Engelmar nicht genannt. Aber auch so
werden wir diese Stelle kaum auf einen andern beziehen
können.
Dass diese Strophe einem Liede aus früherer Zeit, aus
der Zeit, da der Dichter mit E. noch in Frieden lebte, ange-
hängt ist, hat keine Bedeutung, denn sie hat mit demselben
keine andre Verbindung, als dass sie im gleichen Tone ge-
dichtet ist, ein Fall , der bekanntlich bei Neid hart sehr oft
vorkommt. Es geht ja auch schon aus den ersten Zeilen
derselben deutlich hervor, dass sie erst später verfasst wurde.
Aus der oben erwähnten verschiedenen Art der Klagen
dürften sich wohl kaum sichere Schlüsse ziehen lassen ; hoch-
320 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. November 1888.
stens kann man daraus folu^ern, dass der Dichter selbst das
Ereigniss nicht immer gleich taxirte, wofür uns aber die Be-
weggründe unbekannt bleiben. Auch von den Anspielungen
auf Engelmar's spätere Zeit ist die erste, dass er den Spiegel
noch habe, belanglos; dagegen ist es von Interesse, aus dem
Munde des Dichters zu hören, dass Engelmar's Ehe mit
Friderunen eine unglückliche war (59,67), wenn wir seine
Worte so auslegen dürfen. Nach der obigen Darlegung wäre
diess bei einer so gezwungenen Ehe begreiflich, zugleich aber
auch eine Bestätigung dieser Darlegung.
Die angebliche Armuth des Dichters. Es ist viel-
leicht noch ein Zug aus dem entarteten Bilde , welches die
Nachahmer Neidhart's allmählich von ihm geschaffen haben,
dass manche annehmen, der Dichter wäre dem drückendsten
Mangel preisgegeben gewesen und hätte in Folge dessen sein
Leben von dem Ertrage seiner Dichtkunst, d. h. von den
dafür gereichten Spenden theils der Bauern , theils seiner
Standesgenossen gefristet. Am eingehendsten hat dieser An-
sicht W. Wilmans in einer sehr interessanten Abhandlung
„Ueber Neidhart's Reihen" (Zeitschr. f. d. Alterth. XXIX,
S. 64—85, hier zunächst S. 69—71) Ausdruck gegeben. Der
Gegenstand verdient es , näher untersucht zu werden. Da
anderweitige Zeugnisse fehlen, so kann die Betrachtung sich
nur an die eigenen Andeutungen des Dichters halten.
Dieselben lassen sich in drei Gruppen scheiden:
1) die allgemeinen Angaben des Dichters über seine
Lage, 2) die Klage über die Niederbrennung seines Hauses.
8) die an den Herzog von Oesterreich gerichteten Heische-
oder Bittstrophen.
Die Angaben erster Art sind die folgenden:
1. 8wie Riuwental min eigen si (3,17)
ich bin doch disen sumer aller sorgen vri
2. aalz und körn diu muoz ich koufen durch das jär (18,64)
Keinz: Beiträge zur NeüTfiart-Fon^chuncf. 321
3. kuuit si mir ze Riuwental (22,54)
91 mac grözen mangel wol da schouwen
von dem ebenhüse unz an die rihen
da stet iz leider allez bloz
ja mach ichs wol armer Hute hüsgenoz
4. maneger sagt den wiben von dem guote grozen griule: (35,48)
komt si mit ze Riuwental, si vindet dürre miule.
5. Der Eingang des 33. Liedes:
Sine, ein guldin huon, ich gibe dir weize
(schiere dö
wart ich vro)
sprach si nach der hulden ich da singe etc.
Da5s sein Besitzthum oder Lehen kein bedeutendes war,
können wir aus seinen Angaben (s. meine Ausgabe S. 4)
schliessen, da er als Bestandtheile nur Haus, Anger, Garten,
Wiese angibt. Ueber Felder scheint er nicht verfügt zu
liaben, da er in obiger 2. Stelle ausdrücklich anführt, dass
er das Korn kaufen müsse. Nichtsdestoweniger bezeichnet
er sich in der 1. Stelle als sorgenfrei, was wir ihm glauben
müssen , wenn wir auch annehmen wollen . dass diese Zu-
friedenheit der Ausfluss einer jugendfrohen Stimmung war.
An der 3. und 4. Stelle gibt er ausdrücklich zu, dass
es in seinem Reuenthal an manchem fehle , was zur noth-
wendigen Ausstattung an Einrichtung oder an Vorräthen ge-
höre ; aber beide Aeusserungen stehen in Verbindung mit
der Erwähnung einer etwaigen Heirat, die er aber nicht
will. Wir wissen also nicht einmal, wie viel wir davon als
Wahrheit nehmen dürfen ; wenigstens sind sie in ausdrück-
lichem Widerspruche mit der im Verfolg zu erwähnenden
Angabe beim Brande seines Hauses, dass ihm „viel verbrannt
sei, wovon seine Kinder leben sollten". Wie er in obiger
4. Stelle sagt, dass mancher den Weibern von seinem Ver-
mögen viel vorrenommirt (grozen griule sagt), so scheint er
selbst dabei in's Gegentheil zu verfallen. Auch wissen wir
ja, dass er Uebertreibungen nicht abhold war, wie er z. B.
von der Spiegelgeschichte sagt, dass darüber Trauer in allen
322 Sitzung der iMlos.-phüol . Classe vom 3. November 1888.
Landen herrschte (60,42), oder wie er an mancher Kraftstelle
die ihm feindlichen Bauern bedroht (z. B. 86,55, 58,48).
Einen besonderen Beweis für die Bezahlung seiner dich-
terischen Thätigkeit sieht W. Wihuanns 1. c. in der ersten
Strophe des 33. Liedes. N. lässt sich durch eine Frau zum
Singen aufiordern, welche ihn mit einem Satze anredet, der
offenbar ein Citat ist und auch von Haupt als solches be-
zeichnet wurde. Um dieses richtig zu würdigen , müssten
wir den Zusammenhang kennen, aus dem es stammt. Da
diess nicht der Fall ist, so können wir über die Aufforderung
hinaus keine Schlüsse ziehen. Es wäre dabei auch mindestens
die Anrede an einen Unterstützung bedürfenden als „guldin
huon" sonderbar, und der Dichter selbst sagt, dass er „nach
ir hulden" singe , womit er wohl kaum Geld gemeint hat.
Auch diese Stelle also reicht nicht hin, um den Sänger zum
Spielmann der Bauern herabzudrücken.
Ganz anders ist es mit dem Inhalt der für die Betrach-
tung von N.'s Lage sehr wichtigen Zusatzstrophe zum
37. Lied. Sie mag ihrer Wichtigkeit wegen ganz hier er-
scheinen:
Mich hat ein ungetriuwer toiiprenlichen an gezündet
hat mir vil verbrant, des miniu kindel aolten leben.
diu leit sin unserm trehtin und den vriunden min gekündet.
ich hän nü dem riehen noch dem armen niht ze geben.
mir ist not,
gebent mir die vriunt mit guotem willen brandes stiuwer,
gewinne ich eigen brot,
ich gesanc nie gerner danne ouch hiuwer.
ja fürhte ich daz ich e vil ofte werde schameröt.
Ein persönlicher Feind hat ihm also sein Haus verbrannt,
wodurch — und diess hebt der Dichter besonders hervor —
auch seinen Kindern grosser Schaden zugieng. Ferner er-
wähnt er, dass er in Folge dieses Ereignisses dem Reichen
und dem Armen jetzt nichts zu bieten habe, also wohl, dass
er nun weder Freunde einladen , noch Arme unterstützen
Keinz: Beiträge zur Neidhmi-Forschiing. 323
könne. Es hat ihm also zuvor nicht an Besitzthum ge-
fehlt.
In dieser schwierigen Lage nun wendet er sich aller-
dings an den wohlthätigen Sinn seiner Freunde. Diese sollen
ihm helfen mit brandes stiuwer, d. h. mit Mitteln, dass er
sein Haus wieder aufbauen könne. In solcher Lage war es
keine Schande, zu Verwandten und Freunden um die ent-
sprechende Hilfe zu kommen. Und da war es auch Sitte,
wie selbst in unsrer Zeit, als die Brandassekuranz noch wenig
verbreitet war, dass die Nachbarn und Freunde dem Ver-
unglückten beistanden durch Lieferung von Baumaterial, durch
Ueberlassung von Arbeitern u. dgl.
Und wenn diess geschieht, d. h. wenn ihm die Freunde
in der vorübergehenden Noth beistehen, erhärtet der Dichter
ausdrücklich, dann gewinnt er wieder „eigen bröt'',,d. h.
dann ist er wieder selbständig und auf Niemandes Hilfe mehr
angewiesen. Und selbst da fürchtet er, dass er, wenn dieser
Zustand, d. h. die Bauzeit, zu lange dauern würde, schamerot
werden würde, offenbar, weil er nicht gewöhnt ist, von der
Mildthätigkeit seiner Umgebung zu leben. Dieses Gefühl
konnte er aber nur haben und aussprechen , wenn er sonst
nie auf die Hülfe andrer angewiesen war.
Die letzte Gruppe von Klagen bilden die sogenannten
Heische- oder Bittstrophen , selbständige Strophen , die im
Tone eines vorhandenen Liedes gedichtet und in den Hand-
schriften diesem angefügt sind. Es sind diess die Zusatz-
strophen zu den Liedern No. 50'', 54", 61. In der 1. und 3.
ist der Herzog Friedrich ausdrücklich genannt und an eben
denselben ist wohl auch die 2. gerichtet, und zwar, wie ich
glaube, zugleich mit dem Liede, in welchem sich der Dichter
in launiger W'eise dazu beglückwünscht, dass der Herzog
die ihm feindseligen Bauern zum Heeresdienste einberufen
hat. Er bittet in diesen drei Strophen den Herzog um ein
Lehen, wie er eines ja auch in Bayern besessen hat , und
324 Sitzung der ijhüos.-'pMlöl. Classe vom 3. November 1888.
um Steuernachlass. Von B'ürstengunst aber zu uehmen, war
keinem Adeligen eine Schande, und zum Ueberfluss hebt er
in der 3. Strophe noch ausdrücklich hervor, dass er ein
Haus wünsche, um darin sein „silbers vollez schrin" zu bergen.
Wir sehen also, dass durch alle diese Stellen kein Be-
leg für drückende Lage, oder Lebensfristung durch gemeine
Erwerbsthätigkeit gegeben ist. Der Inhalt derselben ist nur
der folgende : Die erste Gruppe enthält nur Redensarten,
welche aussprechen , dass N. nicht in Ueberfluss lebte ; die
Brandstrophe beweist lediglich, dass er bei einem Unglücks-
falle vorübergehend die Hilfe der Freunde in Anspruch nahm;
die 3. Gruppe heischt Leben von höherer Gunst.
Dazu kommen aber auch noch andere Umstände, welche
auf's schärfste beweisen, dass N. nicht den , Gehrenden " bei-
zuzählen ist.
Vergleicht man zu den angeführten Stellen die Klagen
anderer, Walthers, des Tanhausers, des Kanzlers oder gar
des her Geltär: („so ist mir so not nach alter wät" oder
„ich vliuse des wirtes hulde niht, bit ich in siner kleider"),
ihr Jammern über die Kargheit oder mangelnde milte der
Herren, über das harte Loos des herumziehenden Sängers,
so kann man nur hervorheben, dass sich Aehnlicbes bei N.
in keiner Weise findet.
Ferner waren alle diese „gernden" fortwährend auf der
Wanderschaft; er aber ist sesshaft, zuerst in Bayern, dann in
Oesterreich, hat sein eigen Haus und sein „eigen brot" ; nir-
gends ist von Wanderschaft die Rede. Als Haus- und Grund-
besitzer konnte er aber nicht auf Mildthätigkeit Anspruch
machen und würde jedenfalls auch, da er an einer Stelle
blieb, die Nachbarn bald ermüdet, die Gebelust erschöpft
haben. Dazu kommt endlich noch, dass ihm nirgends ein
hierauf bezüglicher Vorwurf gemacht wird. Ein glücklicher
Zufall hat uns eine Anzahl Trutzstrophen erhalten, in welchen
die Bauern ihm allerlei unangenehmes sagen. Sie werfen
Keinz: Beiträge zur Neidhart-Forschung. 325
ihm seinen Hochmuth, seine Spottsucht, seine Nachstellungen
gegen ihre Frauen vor; aber kein Wort fällt über empfan-
gene Gaben und doch wird bekanntlich der Bauer nie wider-
wärtiger, als wenn er gegeben hat. Wenn also nicht einmal
seine bittersten Feinde ihm einen Vorwurf dieser Art machen
können, so haben wir gewiss nicht den geringsten Grund zu
einer solchen Annahme.
Einzelstrophen. Einer Anzahl von Gedichten Neid-.
hart's sind in den Handschriften und Ausgaben einzelne
Strophen angehängt, die zwar in dem Tone des betreffenden
Liedes gedichtet sind, inhaltlich aber in geringem oder gar
keinem Znsammenhange mit demselben stehen. Sie scheiden
sich in dreierlei Arten:
1) Bruchstücke von verlorenen oder nie zur Vollendung
gelangten Liedern. Solcher Art sind die den Liedern Nr. 22,
34 und 49' angefügten Strophen. Diesen kann man auch
die Zusatzstrophe von Nr. 57 beizählen, welche schon Lilien-
kron als Parallelstrophe zu vorausgehenden , d. h. als eine
andere Bearbeitung des Inhaltes derselben, erklärt hat.
2) Bittstrophen , welche der Dichter an Herzog Fried-
rich von Oesterreich richtete. Solche finden sich bei den
Liedern 50*", 54' und (31 und sind ihrem Inhalte nach be-
reits oben erörtert. Ob zu ihnen auch die dem 23. Liede
angehängte Strophe zu rechnen sei, scheint mir sehr zweifel-
haft. (Vgl. die Bemerkung zu diesem Liede in meiner Aus-
gabe.)
3) Strophen , in denen ein selbständiger Gedanke aus-
gesprochen ist. Von diesen passt die Brandstrophe bei No. 37
insoferne zu ihrem Liede, weil in diesem der Brandstifter
(Megengoz) vorkommt. Die Zusatzstrophe des 20. Liedes
kann als spätere Fortsetzung desselben gelten ; ebenso die
Klage um Friderun bei No. 32 als solche zu dem die Eifer-
sucht Engelmar's andeutenden Liede. Bedeutend selbständiger
stehen schon die Reflexionsstropheu beim 58. und üL Liede,
188S. Phüos-philol. u. bist. Ol. U. 3. 22
326 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. November 1888.
und ganz ohne Verbindung sind die Zusatzstrophen zum 18.
und 23. Liede (wenn letzteres hieher zu setzen ist) ; diese
zwei sind ausserdem auch viel später als ihre Lieder gedichtet.
Es können demnach die sämmtlichen unter 2) und 3)
aufgeführten Strophen als vollkommen selbständige Gedichte
aufgefasst werden. Mit den unter 2) stehenden verfolgte
der Dichter einen besonderen Zweck, während er in den
unter 3) verzeichneten einen einzelnen Gedanken kurz aus-
sprechen wollte. Hiezu aber mochte ihm die Erfindung eines
eignen Tones nicht nöthig erscheinen und er wählte daher
denjenigen eines Liedes, welches in irgend einem Bezug zu
diesem Gedanken stand , in einzelnen Fällen vielleicht auch
den eines eben zur Hand liegenden Gedichtes. Aus dem zu-
fälligen Entstehen dieser Einzeldichtungen möchte sich aber
noch , wenigstens für die letzte Gattung, die wichtige Fol-
gerung ergeben, dass sie nie zur Zeitbestimmmung für das
Lied, dem sie beigefügt sind, benützt werden können.
32'
Historische Classe.
Sitzung vom 3. November 1888.
Herr Gregorovius hielt einen Vortrag :
„üeber die Legende vom Studium der Wissen-
schaften in Athen im 12. Jahrhundert."
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 1. Dezember 1888.
Herr Weckleiu hielt einen Vortrag:
„üeber die Textüberlieferung des Aeschylos
und anderer griechischer Tragiker."
Für die Textkritik der griechischen Tragiker ist die
Frage nicht unwichtig, zu welcher Zeit vorzugsweise die Inter-
polationen und Korruptelen . welche in den Handschriften
vorliegen, entstanden sind, ob die Zeugnisse alter Scholien
und Lexika uns hindern können, eine Stelle für unecht oder
verdorben anzusehen. Ich habe bereits in einem Aufsatz in
der Berl. Philol. Wochenschrift 1884 Nr. 29 f. S. 897—910
nachzuweisen versucht, dass die Entstehung vieler Textver-
derbnisse über die Alexandrinische Zeit zurückgeht , und
möchte jetzt für den Zustand, in welchem die Tragödien des
Aeschylos in das zur Zeit und auf den Antrag des Redners
22*
328 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 1. Dezember 1S88.
Lykurgos gefertigte Kontrollexemplar der drei Tragiker (Leb.
d. zehn Redner p. 841 E) Aufnahme gefunden haben , ein
Zeugnis aus den bei Aeschylos nachgewiesenen Interpola-
tionen zu gewinnen suchen.
Ich beginne mit den Sieben g. Theben. Der unechte
V. nach 177, welcher nur in jüngeren Handschriften er-
scheint, gehört wohl der byzantinischen Zeit an. Er wurde
ergänzt zur Ausfüllung einer vermeintlichen Lücke, weil man
nicht erkannte, dass 182. 183 nach 177 umzustellen sind.
Bemerkenswert ist die vielbehandelte Stelle 257 :
sycu ds x^^Q^9 ^^Zc," 7cohaoovxoig deöig,
7iediovof.ioig ze y^ayogag snioyio/roig
/tiQxrjg ze nrjyaig, ovö^ an'' ^fajiiijvov Xeyio,
ev ^vvzvyßvzMv v.al 7c6leiog oeoiouevfjg, 260
f.nqXo(Oiv oifxäGOOvzag sotiag i^EtZv,
zavQOY.zovovviag d^ecnair, cod^ i7ievyo/iiat
iyiqOELV iQOTtala, jioXeuuov ö' e.od^rif.iaoi
Xa(fVQa öatwv öovQi/ih^xi}'' oyi'olg d6f.toig
oziipü) 7iq6 vacöv, 7ioXeiLiitüP ö'toiyiqfiaza. 265
zoiuvz'' eTtevyov xza.
Ich glaube , wir können dieser Stelle durch Beseitigung
von Glossemen die ursprüngliche Gestalt wiedergeben. Drei
Punkte sind es vor allem, welche wir zur Grundlage unserer
Behandlung des Textes machen. Einmal muss in 259 die
Emendation von Abresch und Schütz ovö^ a/r' ^[o^rjvov Xiyio,
welche lange verkannt worden ist, zu Ehren gebracht werden;
denn sie ist evident. Zweitens erscheint zavQOAZOPOvvzag
d^eolaiv 2()2 nach /Lir'jXoiaiv ai/iiaoaovzag i-ozlag &eü)v als un-
brauchbar und ist von Ritschi als Glossem bezeichnet worden.
Dass wir in dem ganzen V. nur Flickwerk vor uns haben,
zeigt besonders noch das hier ungeschickte cude und das aus
26>3 stammende F.Ttevyofuai , welches dem Sinne nicht ent-
spricht. Denn das dort stehende inevxov bezieht sich auf
Wecllein : Ueber die Textüherlieferung des Aeschylos etc. 329
ein vorhergehendes oder vorher zu denkendes £vxoi.tat : roi-
aiia fyw /.lei' eixof-iai , ov de hrevyov wie Eur. Hek. 542
TOOavT'' eXeBe , nag d' l/rrji^ato oxQaxög , mag auch sonst
hiEiyof.iui in seinem Gebrauche von evyonuL nicht eben ver-
schieden sein. Fällt V. 262 aus , so verliert i^rioeiv das
regierende Verbum und niuss dem folgenden areilitü ent-
sprechend in d^Tf^oiü verwandelt werden. Es ist eine Aende-
rung wie die vorher genannte von a/r' la/urjvot in an' la-
/.trjvov oder von a/ro otpayrig Ag. 1599 in djtd ocpayr(v.
Ausserdem hat Ritschi a\i.iäooovTag in ai^aoocov röy ver-
bessert. Endlich erweist sich die Interpolation der Stelle am
deutlichsten an der Wiederholung von noXeiuUov S' iod^rjfxaai
in iroXsf.iuiJv d' ioO^ri^aza. Dass man über nolef-iiiov ö' ia-
^r^iuaza — denn anders kann diese Wiederholung nicht ent-
standen sein — nolsf^iiov d' eo!}rif.iaoi schrieb, erklärt sich
augenscheinlich aus der Verbindung noXef^uov ö' iai^riinaoi
ffT6(/'w rrQOvaov, während sodr^uaTa azeipco 7iq6 vawv ebenso
gesagt ist wie 50 (.ivi^fxelä ^' avriov zolg rexovoiv elg öo^ovg
/iQog agfx' ^AÖQaoTov ysqoiv eore(pov. So werden wir zu der
Annahme geführt, da^s noAsf-ilcov d' sod^iqftaTa ursprünglich
mit oreipcü 7cqÖ vawv verbunden war. Zu demselben Ziele
gelangen wir auf einem anderen Wege, wenn wir die Verse
sozusagen mechanisch in einander schieben. Zunächst legen
wir 7voleuuov ö' eod^riuaia auf Jio'kef.iuov 6' eoi)^r^(.iaoi, da
augenscheinlich das eine an die Stelle des anderen zu treten
hat. Hierauf drängt sich von selbst der Halbvers artxpio
7iq6 vaiov an den Platz , welchen XdcpvQa öa'uov einnimmt.
So bleibt uns noch läcpvga datcor unter TQ07rala TtoXe/nliov,
und wenn wir die Wahl haben, welches von beiden wir als
ursprünglichen Text betrachten wollen , so werden wir uns
keinen Augenblick besinnen und uns für Xäcpvqu öatcov ent-
scheiden , an dessen Stelle das prosaische XQ07caXa noXe/xiojv
getreten ist. Demnach lautet der gereinigte Text also:
330 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1888.
^yto de xcoQag rolg 7ioXiOGovyoig Ö^solg
7reöiov6uoig xe y.ayoQag f.7iio%07ioig,
JiQxi^g TS 7irjyalg, oid^ a/r' ^[of.irivdv A6/w,
ev ^vvrvyovTiov xal 7CO?.eiog oeaiüfuivrjg,
luijloioiv aif-iäooiov zod-^ horlag O^ewv
d-r]atü XdipvQa, da'itov ö' eoO^Tqf.iava
azä^KjJ 7[qÖ vaiov dovqhtrjyiy ayvolg dof-ioig.
Die Verbesserung dovQi7rif]xd^'' verdankt man Dindorf. Zur
Bestätigung des neuen Textes dienen zwei Beobachtungen.
Die Redensart zi&evat TQ07ia~ia ist ungriechisch für tOTavai
TQOJiaia. Sie findet sich noch einmal Eur. Hei. 1381 , wo
jedoch jetzt allgemein ott^oojv für iyr^Oiov hergestellt ist.
Auch für iyiöd^ai tQ07iaioi> Aristoph. Lys. 318 scheint oxrioai
roonaiov erforderlich. Ob zQOTtaia Tiwg avaari^oeig Ja
Eur. Phoen. 572 mit Recht von Hermann durch Stellen
der späteren Gräcität in Schutz genommen wird, muss frag-
lich bleiben; die Emendation von Porson /rwg aqa ot-qoeig
trifft wahrscheinlich das Richtige. Für O^rjocü läffvqa, worin
d^r^Oio wie avai^r^oio steht, verweise ich auf Eur. Phoen. 576
Or^ßag 7TVQtüoag xdade nolvveUijg iyeo'ig dö7iidag k'dr]xs.
Die zweite Bestätigung finde ich in datojv. Man hat zur
Herstellung des Versraasses Idcpvqa ötjcuv {d^wv) geschrieben.
Aber im Trimeter findet sich bei Aeschylos nirgends die
zusammengezogene Form, nur in melischen Partieen kommt
dieselbe vor. Es hat also in unserem neuen Texte datwv
die Stelle erhalten, welche ihm zukommt. Zu dem Ganzen
vgl. noch Ag. 583 if^eolg Xäcpvqa xalia xolg xa^ '^Eklcxöa
d6/4iüv s/iaoadXevGav agyaiiov yavog, Eur. Rhes. 180 i^eoiaiv
avxd (nämlich 'kä(pvQa) 7raaoaXev€ /r^og doinoig.
Nachdem wir XQ07iala aus dem Texte entfernt haben,
fällt uns auf, dass das Schol. 7TaQaxr]Qr]xeov oxi ovde7co) tqv
r^ vöJv Too7Tui'ior ovo/naoia /mto xov 'ExeoxXia • waxe aveßi-
ßaae xd xaid xöv yjQovov o ^loyvXog sich durch diese Her-
vorhebung eines Anachronismus als ein Produkt Alexandri-
Wecllehi: Ueher die Text Überlieferung des Äeschylos etc. 331
nischer Gelehrsamkeit kennzeichnet, woraus sich ergibt, dass
die ganze Unordnung des Textes alter Zeit angehört.
Noch wichtiger ist für uns die Frage, ob der Paralle-
lisnius der sieben Redenpaare bestanden hat und wie derselbe
gestört worden ist. Eine Wahrscheinlichkeit für die von
Kitschi entdeckte Symmetrie liegt von vornherein darin, dass
auch sonst bei Aeschylos die an melische Partieen, an Strophe
und Antistrophe sich anschliessenden Trimeter sich entsprechen.
Ich verweise auf Sept. 185 — 230, wo sich an drei Strophen
und drei Antistrophen , auf 673 — 698, wo sich an zwei
Strophen und Antistrophen jedesmal drei Verse des Eteokles
anschliessen, auf Fers. 259—292, wo zwei Strophen und
Antistrophen und der dritten Strophe je zwei Verse des Boten
folgen , während nach der letzten Antistrophe eine längere
Rede der Atossa kommt. Ebend. 696—704 umschliessen
Strophe und Antistrophe drei Tetraraeter des Dareios. Einen
sehr sprechenden Fall bietet die Partie Suppl. 350 — 422,
in welcher der Chor den König erbittet, den Schutzflehenden
seinen mächtigen Arm zu leihen. Auf zwei Strophen und
Antistrophen und die dritte Strophe folgen je 5 Trimeter des
Königs, der letzten Antistrophe schliesst sich wieder eine
längere Rede des Königs an. In 742—769 folgen auf zwei
Strophen und Antistrophen je zwei Verse des Königs; in
856—921 sind die nach dem ersten Strophenpaar folgenden
Worte des Herolds ganz corrupt, der zweiten Strophe und
Antistrophe schliessen sich je drei , der dritten und vierten
Strophe und Antistrophe je zwei Trimeter an. Ueber die
Fälle der Orestie werden wir später sprechen. Einstweilen
sei nur auf die Responsion der Kassandrascene 1056 — 1176
hingewiesen. Die Wahrscheinlichkeit des symmetrischen Baus
der in Rede stehenden Partie wird durch die Thatsache nahe
gelegt, dass vier Paare von Reden sich entsprechen. Das
erste Paar enthält je 20 Verse; denn mit Recht sind die
2 Verse 362 f.
332 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1888.
Xeyoif.i'' av elötog ev to. twv evavtUov,
log ev nvkaig "■/.aarog eiXrjy^ev vraXov
als Proodikon bezeichnet worden. Das zweite besteht aus 15,
das sechste aus 29 , das siebente aus 22 Zeilen , wenn wir
wieder die letzten zwei Verse als Epodikon und als Ueber-
leitung zu der folgenden Scene trennen. Gerade hieraus er-
gibt sich die richtige Auffassung der Verse :
TOVTOig irenoid^ag eiui y.ai BiOTr^oouai
avTOg — Tig aXXog (.läXIov höiv.ojTSQOg ; —
OQxovTi r' OQyciJv y.ai /.aaiyvrjtuj y.aoig.
lyß^oog avv fyi^QO) orr^ooiAai' q^fo' cog xayog
y.vr]\.Ci8ag^ a\y[.ir^g /.al /rergiov 7rQoßlrj/.iaTa.
Nicht richtig ist die Interpunktion xdoig , sx^Qog xre.
Durch oQyovTi . . y.aaig wird tlg . . ivöiKioTegog erklärt; es
ist also ccQyovTi und v.aoiyvr(i(ü von ^vaTr^ooi^tai abhängig,
während Eteokles mit ayd^gog avv iyd^Qn) arriOoiuat von neuem
anhebt und die Aufforderung g)tQ€ /.xi einleitet. Dass die
Symmetrie der genannten Paare nicht eine zufällige ist, er-
hält noch eine indirekte Bestätigung. Der V. 413
nvqyoig d' a/ieiXü d£iv\ a /ur] y.Qaivoi xvyji
erscheint in etwas anderer Form 536 nvqyoig dneiXei roiad'
a ,u»j y.Qaivoi i^eog wieder und unterbricht den Zusammenhang
o •/co/u/iog d' ov y.ai' ävS-gionov (pQOVsT' 412
deov T£ ydg d^eXovToq ay7iig(jeiv noXiv 414
y.ai ^r] iyi'kovxog cfrjoiv y.re.
in augenscheinlicher Weise. Mit Recht ist also dieser Vers
von Lachraann als unecht erklärt worden. Damit ist die
Gleichheit der Verszahl wieder aufgehoben. Man konnte in
der Gegenrede daran denken 427 f. in einen Vers zu verbinden:
Ka7TavevQ (Y aziCtov y.d/toyvfjvixOov axojua,
aber bei dxi^cuv verraisst man ungern das Objekt und dgäv
weist zurück auf ylojoaa 42(i. Kapaueus droht nicht bloss
Wecklein: Ueher die Textüherlieferung des Aeschylos etc. 333
mit dem Munde, sondern ist auch bereit die Drohung zur
That zu machen. So scheinen wir also die überlieferte Sym-
metrie wieder zerstört zu haben, da sich 413 auf keine
Weise halten lässt. Aber Verrall hat neuerdings erkannt,
dass von 432 f.
rj$eiv y.eoavi'Oi', ovöiv f^^rj/.ao utvov
ueoi]ußQivo~ioiv dakTTSOiv rolg rjXiou
der zweite den Sinn des ersten „es wird auf ihn der Blitz
herabfahren, nicht ein (auf dem Schild) abgebildeter, sondern
ein wirklicher" (vgl. Aesch. Ag. 1243 xXiorr' aXrjd^iög ovdsv
ehfAaouiva) verdirbt und aus 418 (.ieai]i.ißQivoioiv O^ähieoiv
TTQOojiy.aOEv mit dem matten Anhängsel töig r(kiov gebildet
ist. So bewährt sich also die Gleichzahl der Verse und wir
werden später sehen , wie die neugewonnene Zahl 14 uns
eine weitere Bestätigung bringt. Von den drei in der Ueber-
lieferung ungleichen Paaren enthält das erste 15 und 0 Verse.
Es hat aber H. Wolf erkannt, dass der ungelenke V. 444
•/.ai nr^v xov svTevd'tv Xayovta. nqog vrvXaig,
der in nqog nvXaig und wegen des folgenden Satzes tqitio
yag ETSOxXtrj tqiTog naXog s^ vtttiov nr^ör^oev evyaXxov y.gdvovg,
nvXaioi Nr^oratoi TioooßaXeiv Xöyov unnütz ist , als unecht
betrachtet werden muss , besonders auch weil nach Tilguncf
desselben auf die Aufforderung "kiy" a?-Xov akXaig ev nvXaig
sih]X0Ta die passendste Erwiderung Xi^w ist. Nunmehr be-
steht die Rede des Boten aus 7. 5. 2=14 Versen. Es kann
kein Zweifel sein, dass der Anfang der Gegenrede des Eteokles
rrlf-iTTOiu av 'i[6r^ rövds, avv rvxr] öi toj
y.ai (Jtj TitTte^iTTTai yo(.iJtov fr yeQolr tyoji'
nicht in Ordnung ist. Dindorf hat gewiss Recht , wenn er
hier die Verkleisterung einer Lücke findet. Nur möchte ich
an dem zweiten Verse keinen Anstoss nehmen, der ganz in
Ordnung ist, wenn der Satz mit xat dr] beginnt (xal drj
Tiijt Einmal xofiJiov iv yeQolv l'ywv MeyaQeigj. Dem Perfekt
334 Sitzung der phüos.-'philöl. Classe vom 1. Dezember 1888.
nenEfxmai entspricht TixoLXtaL 435, '(iQtd^rj 492. Demnach
müssen, wenn die Verszahl gleich gewesen sein soll, vor 460
sechs Verse ausgefallen sein. Das zweite ungleiche Paar,
welches das vierte Thor behandelt, besteht aus 15 und
20 Versen. In der Rede des Boten machen folgende zwei
Verse besondere Schwierigkeit:
ocpECüv ds nXe/aäraioi nEQiÖQOfAOv xirog
TtQOOtjdaffiotai y.odoyaoTogog v.v/.'kov
Da TrQOoeda(f>i^eiv bedeutet „an dem Boden befestigen", so ist
nicht verständlich, wie nsQidgouov -/.vzog Subjekt zu rtgoot]-
däcpiatuL sein soll. In dem Scholion tj de neQicftQeia ri^g
dajiidog Y.v'/.ho orpiwv elg tavrovg avTL7.Qvg oqwvtcov /ml
efinerrlEyfxiviJüv xa xihj tyu lyyEyqaixuiva ngog xd xelrj
findet sich eine Angabe, von welcher im Text nichts zu
entdecken ist : elg eavxovg avxr/.Qvg oqivvxlov. Nach dem
Schol. ziehen sich zwei Paare von Schlangen um den Schild-
rand, welche mit den Schwänzen verschlungen sind, während
je zwei Schlangen sich einander anschauen. Diese Darstel-
lung kann aus dem einfachen öcfsojv nXe/.xdvaiai nicht
entnommen sein. Noch ein zweites Scholion xotg yrjyeveig
dQa-/.ovx6iioöag tyQuipsv fällt dadurch auf, dass keine Bezieh-
ung zu dem Texte zu entdecken ist. Es müssen also mehrere
Verse, welche sich wahrscheinlich auch mit dem Sinne des
Bildes beschäftigten, ausgefallen sein. Weiter fragt es sich,
ob die Verszahl der Gegenrede bleibt oder mehrere Verse zu
tilgen sind. Vor allem hat der Schluss Bedenken erweckt.
Nach dem Gedanken „ein glücklicher Zufall hat es gewollt,
dass dem Hippomedon Hyperbios gegenüber steht. Denn wie
sie sich feindlich entgegentreten werden, so werden sie auch
feindliche Götter auf ihren Schilden gegen einander tragen.
Der eine hat den feuerschnaubenden T3^phon auf seinem
Schilde, der andere Vater Zeus, der mit seinem feurigen
Geschosse immerdar siegreich ist" folgen im Med. folgende
Verse :
WecMein: Ueber die Textüberlieferung des Aeschylos etc. 335
TOiädt ^ivTOi jiQOOq^ileia daif.t6vcov. 502
TTQOg TÜtV KQaTOVVTiOV ö' fGutv, ot (5' l]OOlOUtVlOV,
el Zeig ye Tccpiö •/.aqxnQioTEQOQ A'«X/r
'YnEQßiw XB nqog Xöyov zoi oi'juaTog 505
ehog ys ngö^eiv avdgag mö' dvTiozöxag-
acoxr^o yavoix' ar Zeig f;r' do-rlöog xvywv.
bs , siv
In 506 bietet die Handschrift fitxoaye rrgä^iv. Die Ueber-
schrift ist von einer jüngeren Hand Ohne weiteres erkennt
man, dass V. 506 den Zusammenhang unterbricht. In jüngeren
Handschriften findet sich die Ordnung, welche im Med. von
der späteren Hand durch die Buchstaben ß y a ö angedeutet
ist: 506. 504. 505. 507. Aber an dieser Stelle würde jener
Vers gleichfalls den Zusammenhang des Gedankens .stören.
Brunck hat nach zwei Pariser Handschriften 506 nach 504
eingefügt, also nur 505 und 506 umgestellt:
et Zevg ys Tccfiö •/.aQXEocöxeQog f.tayr] •
el-/.6g da 7rQaBeiv övÖQug wd»' dvzioxäxag-
^Yrceqßivj re v.xe.
Aber hierin ist wös matt und seine Beziehung unklar.
Darum hat Francken den V. ausgeworfen und ich habe ihm
früher beigestimmt. Etwas anderes aber ist es, wenn 506
nach 502 umgestellt wird in folgender Form:
xoiaöe t.iiviOL 7rQ0OcpiXeia daiiiovcov
elv.ög xe ngdBeiv avdgag toö' ovxioxaxag'
Nun erhält mos seine Bestimmung durch das vorhergehende
roidöe und avdgag tritt in Gegensatz zu daif-iövcov: „welcher
Art das Liebesverhältnis der Götter ist, solcher Art wird
voraussichtlich der Erfolg der sich feindlich gegenübersteh-
enden Menschen sein". Hiernach glauben wir, dass gegen
keinen Vers der Gegenrede ein gegründeter Einwand erhoben
werden kann und dass in der Rede des Boten ein Ausfall
von fünf Versen angenommen werden muss. Das nächste
336 Sitzung der phüos.-philol. Classe com 1. Dezember 1888.
Kämpferpaar ist in 24 und i:? Versen creschildert. Die Ent-
stellung der Ueberlieferung ist hier so deutlich wie nur
möglich. In 21 Versen ist von dem Helden die Rede, ohne
dass sein Name genannt wird. Oder sollen die Worte iiirjTQÖg
8^ 6QEay.6ov ßXaorrjf.ia y.aXXiTiQc^QOV, dvdqönaiq ovr^q zur Be-
zeichnung des Parthenopaios hinreichen? Der Bote schildert
ja die Kämpfer dem Eteokles, dem sie noch unbekannt sind.
Wie soll dieser die Worte (opiov^ ovxi naq^ylviov imowinov
g)Q6vr]^a . . sywv 523 verstehen , wenn er den Namen nicht
kennt. Es muss also, wie Dindorf gesehen hat, ein V. aus-
gefallen sein und der ausgefallene kann von dem von Dindorf
gedichteten
TTagd^svoTralov viQy.ctd\ ^raXavtijg yovov
nicht sehr verschieden gewesen sein. Es fragt sich nur, an
welcher Stelle dieser Vers ausgefallen ist. Dindorf meint
nach 513, aber da sich 514 sehr eng an 513 anschliesst
{7t£fi7iT0v — 7ref47rTaiOi), so scheint der Platz nach 515 ge-
eigneter. Hieraus folgt notwendig , dass die drei am Ende
der Rede stehenden Verse 534 ff.
Hagd^evoTTalog viq/.äg • o ^i toioaö' avrjQ,
^etoixog, Agyei ö' exTivcov '/.aXag rgorpag
Tjvqyoig dneiXei roloö' o ur^ y.qaivoi dsög
nachträglich hinzugefügt wurden, als der obige Vers ausge-
fallen war. Diese Verse machen auch durch das ungeschickte
6 di TOioode, durch rgoqxxg, welches im Sinne von xQOcpela
oder d^QETtTtjQia gebraucht ist , endlich durch den matten
Schluss, nachdem die kräftigen Worte Oftpvoi . . Tj jlitjV Xa-
7Ta^Eiv aoiv Kad/nEiojv ßia Jiög (518) und ili^a>v d' boi-AEv
ov /.aur^ExaEiv jnäyrjv y.re. (532) vorhergehen, durchaus den
Eindruck der Interpolation. Auch steht die Erwähnung
seiner Umsiedlung nach Argos nicht in Einklang mit /ja/.gäg
y.El£i&ov 533. Denn wenn er nur von Argos kommt , so
hat er keinen weiteren Weg gemacht als die anderen Helden.
Wecklein: lieber die TextiiberlieferiDig des Aeschylos etc. 337
Die Unechtheit der Verse hat zuerst Dindorf erkannt, nur
dass dieser mit L'nrecht auch 533 verdächtigte. Sonach fallen
der Rede des Boten 22 Verse zu.
Dass der Anfang der Gegenrede nicht ursprünglich ist,
geht schon daraus hervor, dass er sich an den als Zusatz
erkannten Ausgang der Botenrede anschliesst. Von diesem
Anfang 527 — 539
£1 yoQ TvyoiEv dv (fqovoioi Jiqoi^ itewv
acTo'ig f/Kstvoig ovoolotg y.Ofj.7iaa(.iuoiv,
7] xav riavcüXeig 7tayxdy.cüg r' oXoiaxo
ist besonders der erste Vers kraft- und saftlos. Der zweite
wird des Aeschylos würdig, wenn man ihn mit Döderlein
dem folgenden Vers nachsetzt: „fürwahr dann würden sie
ganz und gar und elendiglich zu gründe gehen samt ihren
gottlosen Prahlereien". Immerhin ist es also möglich, dass
nur der erste Vers zur Ausfüllung einer grösseren Lücke
hinzugedichtet ist, so dass sich die Lücke auf 10 Verse be-
rechnete; doch lässt sich nichts Bestimmtes sagen. Die
überlieferte Symmetrie des folgenden Redenpaares wäre wieder
zerstört, wenn man mit Valckenaer V. 588 als unecht er-
klären würde. Freilich Hesse sich die Symmetrie wieder her-
stellen . wenn Verrall Recht behielte , der 56(3 ausscheidet.
Aber wie diese Athetese nicht gerechtfertigt ist, so wird
sich auch 588 halten lassen. Ja man kann sagen, in
h TtavTi jioäyei ö' l'oif^' o/uiXiag Aa/.Yjg
xöy.iov ovöiv, -/.aq^tog ov y^OjjiOTtog-
att^g OQUiQu i^övuiov y/./.aQuiLeTai
erscheint die zweite Bestimmung /.agnog ov xofxiOTeog gerade
auf den folgenden Vers angelegt zu sein: „von diesem Felde
muss man keine Frucht ernten, weil man von einem Felde
des Verderbens nur Tod ernten kann".
Unsere Untersuchung ergibt folgende Symmetrie der
ganzen Partie:
338 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1888.
I II III IV
2 I 20— 20 Str. 1 14-14aut. 1 14— 14str. 2 20— 20 ant. 2
V VI VII
22—22 str. 3 29-29 ant. 3 22—22 | 2.
Der Erfol<j spricht für die Richtigkeit der Voraussetzung.
Denn der Umstand, dass die ganze Partie in zwei Teile zer-
fällt, welche symmetrisch geordnet sind : 20 — 14 — 14 — 20 |
22 - 29 — 22, stimmt trefflich zu dem Gesetz der Gliederung
der Chorgesänge und Kommoi, welches ich für Aeschylos in
der Abhandlung ,über die Technik und den Vortrag der
Chorgesänge des Aeschylus" (Jahrb. f. class. Philol. Suppl.XIII
S. 232 ff.) nachgewiesen habe.
Wenn wir die Entstellungen des Textes , denen der
Parallelismus teilweise zum Opfer fiel , überschauen , so be-
rührt uns die Lücke im vierten Redenpaare , welche in den
Handschriften der Alexandrinischen Grammatiker nicht vor-
handen war und als Sache des Zufalls erscheint, hier nicht.
Die Ergänzungen am Anfang der dritten und fünften Rede
des Eteokles und am Schluss der fünften Botenrede verraten
eine nachbessernde Hand , welche dem zerstörten Text eine
annehmbare Gestalt geben und das Vermisste nachtragen wollte.
Auf die sichere Spur eines Diaskeuasten führt uns der
Schluss des Stückes. Ich will hier die Gründe nicht wieder-
holen, mit welchen A. Scholl und Bergk den späteren Ur-
sprung dieses Teils dargethan haben. Bergk betrachtet schon
den Klagegesang der Antigone und Ismene 941 — 995 als
unecht. Aber in 8ß0 — 940 weist nichts auf die Schwestern
hin, alles spricht für Chorgesang und den Vortrag von Halb-
chören — für diesen besonders die Analogie von 872 — 940
mit Euro. 143—178. Es muss also nach 940 noch die 847 ff.
angekündigte Klage der beiden Schwestern folgen. Die Ur-
sprünglichkeit dieser Partie beweist auch noch das eigen-
tümliche Gesetz der Responsion , welches in dieser Partie
herrscht und echt Aeschyleisches Gepräge hat. Es entsprechen
WecMein: Ueber die Textüberlieferung des Aeschtjlos etc. 339
sich nämlich nicht bloss Strophe und Antistrophe, sondern
innerhalb derselben stehen auch die Worte der Antigone mit
den folgenden der Ismene in Responsion. Dieses Gesetz er-
innert an die doppelte Symmetrie . die wir vorher in den
sieben Redenpaaren gefunden haben. In der Partie des He-
rolds dagegen müssen wir weniger wegen der drei Schau-
spieler das Werk eines Diaskeuasten erkennen als weil kein
Dichter sein Stück und die ganze Trilogie mit einem unge-
lösten Konflikt schliessen kann. Der Verfasser dieser Partie hat
augenscheinlich die Antigone des Sophokles vor Augen gehabt.
Soviel zunächst über die Sieben g. Theben. Der Pro-
metheus macht in mehrfacher Beziehung einen moderneren
Eindruck als die übrigen Dramen des Aeschylos. Rossbach
und Westphal haben auf die abweichende metrische Kom-
position der melischen Partieen. die Daktylo-Epitriten 542 ff.
und 913 ff., welche sich sonst nirgends bei Aeschylos finden,
und auf das Vorkommen einer Monodie aufmerksam gemacht.
Weil glaubt in seiner Abhandlung Des traces de remanie-
ment dans les draraes d'E<chyle (Revue des Etudes Grecques.
1888) p. 22 eine schlagende Widerlegung der Ansicht von
Rossbach und Westphal in dem im Jahre 1877 veröffent-
lichten Fragment der Herakliden des Aeschylos, welches das
gleiche Versmass aufweise, gefunden zu haben. Aber in
diesem Fragment , welches nach den Verbesserungen von
Wilamowitz. Kiessling, Weil und mir also lautet :
OQixEvog OQÜo/.eQtOi; ßoig r[kao^ an'' lo^/axtCLV
ya'iaii Ojxeavöv jisQCtaag h' öi/ia yiQvoijkäri^
ßoiiigog t' ddi/.ovg y.uikY.xa ÖEüHÖxr^v xb. iqinivyov
TQia öoQi^ 7cäkXoi'(a ysQaii', rgta ds Xatatg
ad'Kii rrQoveivwv xgelg i' i/uooeicov 'Ao(fovg
taTBiyev "aoc '^qei ßiav
kann ich nicht den Ton der Dorischen Strophe entdecken.
In der oben erwähnten Abhandlung habe ich bemerkt, dass
340 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1888.
der Prometheus in Bezug auf Technik und Gliederung der
Chorgesänge keine Spur von der besonderen Kunstweise des
Aeschylos aufweist. Oberdick (Jen. Litzt. 1876 Art. 380
und Wochenschr. f. kl. Philol. 1888 nr. 43) hebt den Ge-
brauch des Wortes ooq>iOTr'jg (52, 976 hervor und nimmt an,
das Stück sei im Jahre 425 nach dem Thuk. III IIG be-
richteten Ausbruch des Aetna von dem Sohne des Aeschylos
Euphorion zum zweiten Male auf die Bühne gebracht worden.
Diese Gründe sind durch die Schrift von Kussmahly , Be-
obachtungen zum Prometheus des Aesch." Berlin 1888 in
keiner Weise entkräftet worden und man wird nicht umhin
können zuzugestehen, dass wir den Prometheus nicht in der
Gestalt haben , welche er von der Hand des Aeschylos er-
halten hat.
In den Persern finden sich einige Interpolationen, aber
keine Spur einer Diaskeuase. Die V. 256 — 258 könnten noch
vom Dichter selbst neben 254 f. geschrieben worden sein als
eine andere Form für den gleichen Gedanken. Der Bote
kann nicht sagen of^iwg ö' dvdyxrj näv ava/ixv^ai 7iai}og^
wenn er schon alles Leid mit ro IJsqowv d' avd-og ötx^zai
Ttsaov enthüllt hat. Die Erklärung orgaTog yag 7iäg ölioXe
ßagßoQOJv ist unnütz vor wg 7idvTa y' I'ot' rz-Eiva diane-
7iQayf.itva (263). Der ungeschickte V. 780 r/.Tog ös Mägacptg,
Vßdofxog d' liQTaqQtvrig ist das Machwerk eines gewöhnlichen
Interpolators. Die Gründe, welche gegen 468 - 74, 481 f.,
516 f. u. a. vorgebracht worden sind, erscheinen als unzu-
reichend. Besondere Erwähnung verdient nur die kriti.sche
Behandlung der V. 530-534
vjAäg de x?'*) '^'^^ lolode lolg ;re7rQay(.itvoig
711010101 7iiotd ^i/n(fi^QEii' iiovXevf.taiu'
x.ai 7rald\ tdv7ceQ öetQ' ^/.lov 7CQoo!)ev f-iokij,
jiaQrjyoQEiie, y.ul jiQ0Jrt(.i7iEi^ ig do/j^ovg,
f(if y.ai II ycQug /.u/.oioi 7i(jüOi)^i^iui /.a/.ov.
^y'eck^lein: Ueber die TextüberlieferuHff des Aeschylos etc. 341
Conradt tilgt neuerdings die V. 530 —33 und schliesst 534
in der Form /.ai ui[ ii ^roui; y.a/.oloi -tQoaied^fj zaxuj' an 529
aAA' fV 10 XoiJiov ei xi örj hpov .liXoi an. Da nicht der
geringste Zweifel bestehen kann, dass die Sätze 7CQO/vi(.i7tex'
«V ööuoug, itr^ /.ai ii ni)6q xa/.olai 7i Qooiyi]rai y.a/.6v zusam-
mengehören , so niuss ein solches Verfahren . welches nur
bezweckt, eine Gruppe von 13 Versen zu gewinnen, als un-
methodisch bezeichnet werden. Die Verse sind an ihrer
jetzigen Stelle nicht am Platze, weil die Aufforderung 7iaid\
fav7ieQ deco' ^uol .looG^sy iiuXtp :iaQi^yoQHTe nur dann ge-
eignet ist, wenn wirklich Xerxes vor Atossa auftritt. Nikitiii
hat deshalb diese Verse nach 853 umgestellt, Weil (Annuaire
de l'association pour l'encouragement des etudes grecques en
France. 17* annee, 1883 p. 75 — 79) stimmt ihm bei, indem
er die falsche Stellung der Verse von einem Exemplar her-
leitet, in welchem die dazwischen liegenden Scenen , die
Beschwörung des Darius und dessen Erscheinung enthaltend,
unterdrückt gewesen seien. Auch ich bin ihm gefolgt, weil
bei dem Texte
aAA' mui, y.ai kaßoiou /.uaiiov e/. douiov
c 71 avT läleiv ,taidi dt)^) 7cetQdaouui ■
üi: yoQ TU (fiXxai'' sv xaxoFc :iQOÖcöoof.tev.
lua^ df- ygr] \(l xoiaöt xoig 7fen:Qay/LievoiQ /.xt.
alles in Ordnung und die Motivierung der folgenden Scenen
aufs beste gegeben zu sein scheint. Der Aufforderung ^n-
ocolai iV) 7iiOTa ^v/u(f6Q€ii' ijockeci-iaxa wird in dem folgenden
Chorgesange, soweit es bei einer Dichtung nötig ist, Rechnung
getragen, wenn auch nur Vorsicht und weise Beschränkung
als Grund der früheren Grö.sse des Reiches gepriesen wird.
Mit xai 7raiöa . . jruQriyooe'ixe xal 7rQ07ref.inex' fg d6f.ioug
li nuD^i dl/ schreibe itli für iuw .-raiöi. Mit öy , welchc!^ uaeli
di leicht auslallen konnte , wei-st Atossa zurück auf den Auftrag des
Darius y.öauov . . /.aßova' v.-zuviia^s .laidi 835.
1888. Phil08.-philol. u. bist. Ol. II. 3. 23
342 Sitzung der jMlos.-phüol. Glasse mm 1. Dezember 1888.
wird der Schluss des Stückes vorbereitet. Freilich muss man
sagen , dass durch die ausdrückhche Angabe eävireq öevq'
efxov 7rQüo&Ev uöXrj erst recht in dem Zuschauer die Frage
hervorgerufen wird , warum Atossa , wenn sie ihrem Sohne
begegnet und neue Kleider bringt, nicht zugleich mit Xerxes
zurückkommt. Eine noch bedeutendere Schwierigkeit hat
Conradt hervorgehoben. Die Worte hei xdiode rolg 7tb-
n^ayf-itvoig beziehen sich an der überlieferten Stelle passend
auf den Botenbericht, während man nach dem Auftreten des
Darius eher knl rolode rolg Eigrif-ievoig (oder 'qyyelintvoig,
TSTayf.ie.voig) erwarten würde. Sollen nun die Verse ohne
weiteres als Interpolation ausgeschieden werden ? Man könnte
die Entstehung einer solchen Interpolation ebensowenig ver-
stehen, als man sich die Umstellung der Verse trotz der von
Weil versuchten Erklärung zurechtlegen konnte. Der Sach-
verhalt kann wohl nur folgender sein. Die Verse sind
von demjenigen hinzugefügt worden, welcher die
Perser ohne das Auftreten eines Schattens aufführen
wollte. Dieser musste die Scene 601 — 853 und entweder
den vorausgehenden oder den folgenden Chorgesang weglassen.
Da nun vorher Atossa sagt, sie wolle hingehen und zuerst
zu den Göttern beten, dann zurückkommen, um ein Toten-
opfer zu bringen , so musste , wenn diese Motivierung des
Abtretens der Atossa bleiben sollte, der Ausgang des Stücks
vor dem Wiederauftreten der Atossa motiviert werden. Das
geschieht mit rrald' , sdrrveQ deig'' e:/.iov nQoai>Ev (.loh], . .
7Tqo(xtf.uiET'' ig döftovg. Denn wenn der Chor abgetreten ist,
hat das Stück sein Ende. Wer ist nun wohl derjenige ge-
wesen , der — wohl weil die Einrichtung des Theaters es
nicht gestattete — den Schatten des Darius beiseite Hess und
die Perser ohne 535 — 853^) zur Aufführung brachte. Da
die V. 530 — 534 durchaus Aeschyleisches Gepräge haben,
1) Ich lasse den ersten Ghorgesang weg, weil morä ^v/mpegeiv
ßovhvjuuia für dt:*n Inliult «len zw<-iten sich besser eignet.
Wecklein: Uebcr die Textüberlieferung des Aeschylos etc. 343
kann man nur an Aeschylos selbst denken. Nnn aber hat
uns Herr Professor von Christ in der Maisitzung d. J. (vgl.
Berichte S. 249 — 398, besonders S. 371 ff.) nachgewiesen,
dass die Nachricht von der Wiederaufführung der Perser in
Syrakus als verbürgt durch die Autorität des Eratosthenes
nicht bezweifelt werden darf. Also kann man wohl schliessen,
dass Aeschylos die fraglichen 5 Verse bei der Wiederauf-
führung der Perser in Syrakus dichtete, wahrscheinlich weil
die Verhältnisse des dortigen Theaters das Auftreten eines
Geistes nicht gestatteten, vielleicht auch um die Chorgesänge
um zwei zu verringern und die Einschulung des Chores zu
erleichtern. Eine Bestätigung dieser Schlussfolgerung kann
man in der Angabe des Herodikos bei dem Schol. zu Aristoph.
Frö. 1028 f. erblicken: 'H^O()'/xoc; dt q^rjoi öizzag ysyorevac
rag /.aiftOEig (so Dobree für dirtov ysyovevai zov i^avatov)
Kai T i\v TQaya)öiav Taviiqv TreQiaxeiv tt)»' ev Illataialg
uäyr^r. öoy.oiGi 6t ovTOi 6i Uigoai^) V7c6 xov Aloyvlov
deöiödyi^ai ev ^vQaAOvoatg onovöaaavTog '^ItQOJvog, lög (prjoir
^EQaToai)-evr^g tv y 7i£ol ■kwuwÖuov. Das Scholion stellt zwar
Hypothesen zusannnen , um einen verdorbenen Text r^»'/x'
rjxotaa rregl z/aQSiov red^vscÖTog zu erklären ; da aber die
Darstellung der Schlacht bei Platää auf diese Erklärung
keinen Bezug hat, so muss uns die Nachricht, dass die eine
Aufführung die Schlacht bei Platää nicht enthalten habe, als
glaubwürdig und aus den Angaben des Eratosthenes geschöpft
erscheinen, wenn auch die Auffassung, welche bei dem Scho-
liasten hervortritt , als ob die Syrakusanische , nicht die
Athenische Aufführung die Schlacht bei Platää umfasst habe,
verkehrt ist.
Von einer Diaskeuase der Perser nach dem Tode des
1) D. h. ,die vorliegenden Perser" ; denn da der Chor des Ari-
stophanes das vermisste lavoT im Athenischen Theater gehört haben
will, 30 muss die Autführung, in der lavoT nicht vorkam, also die
der qpsQÖusvoi ITsgoai, als die Syrakusanische gedacht werden.
23*
344 Sitzung der phUos.-philol. Chisse mm 1. Dezember 1888.
Dichters haben wir keine Spur gefunden. Das Gleiche gilt
von den Schutzflehenden. Wie die Verse 453, welchen Din-
dorf, und 457, den Geel als unecht erklärt hat, in den Text
gekommen sind, lässt sich nicht genau feststellen. Der erste
ist unverständlich, der zweite ist eine Beischrift, deren Inhalt
dem Zusammenhange wenig entspricht. Ausserdem hat Din-
dorf noch 1010-1013 beanstandet; aber die vorgebrachten
Gründe scheinen die Unechtheit nicht zu erweisen. Der
V. 1013 bedarf nur der Emendation.
üeber die Umarbeitung der Eumeniden habe ich in der
Februarsitzung des vorigen Jahres (vgl. Sitzungsber. 1887
S. 62 ff.) vorgetragen. Es hat sich uns dort zunächst der
spätere Ursprung der Stiftungsrede der Athena ()48— 713
(mit 681) ergeben. Was Weil in dem oben angeführten
Aufsatz S. 13 ff. gegen meine Gründe vorbringt, hat mich
keineswegs überzeugt. Er will rovöe 688 mit einer Hand-
bewegung des Schauspielers erklären , welcher an den Hand
des Logeion tretend auf den wirklichen Areopag liingewiesen
habe. Ich gebe wohl zu , dass ein solcher Gestus für alle
Athener verständlich war, aber ich kann nicht zugeben, dass
in einer Tragödie des Aeschylos eine solche Störung der
Illusion und Aufhebung der idealen Welt vorkommen konnte.
Weiter haben wir 860 — 68 mit Dindorf als späteren Zusatz
erklärt und haben damit ein zu den oben aufgezählten Fällen
hinzuzufügendes sehr bemerkenswertes Beispiel einer ausge-
dehnten Symmetrie gewonnen: Str. 1 13 — Str.^) 1 13,
Str. 2 13 — Str. 2 | 13, 12—12. Ich verstehe nicht, wie
Weil bei seiner Ansicht stehen bleiben kann, dass die ge-
nannten 1» Verse nach 013 umzustellen seien. Ich will da-
von absehen, dass die Symmetrie 12-12 dadurch zerstört
wird. Da die eine Partie Stichomythie, die andere eine Qtiaig
ist und sich diese Partien nicht unmittelbar an ein Melos
1) Die Strophe ist wie ein Ephymnion wiederholt.
Wecklein: Ueber die TextüherUeferHiuj des Äeschylos etc. 34.)
anschli essen, könnte die Symmetrie gefehlt haben. Aber wie
kann Athena. nachdem die Wut der Erinyen vollständijjf l)e-
sänftigt ist und diese gar nicht mehr daran denken dem
Lande zu schaden, viehnehr nur fragen, mit welchen Segens-
wünschen sie das Land beglücken sollen, jenen die scharfen
Worte:
ai ö' SV TOJtoioi toig luolai jU?] ßähjg
jurjd^' aifiarr^gdg d-)]yävag, GTcXäyxviov ßläßag xrl,
entgegenrufen und sich das verbitten, was die Erinyen nicht
mehr beabsichtigen. Die dritte und vierte Stelle, welche ich
mit Dindorf und Weil als unecht erklärt habe, sind 770—777
und 070 — 676. Alle vier Stellen haben die politische Tendenz
gemeinsam und entsprechen Stimmungen und Verhältnissen,
wie sie zur Zeit des peloponnesischen Krieges weit mehr
vorhanden waren als um OL 80,2 (458 v. Chr.). Aber nicht
bloss die Eumenideii, auch die Choephoren weisen Spuren
von der Thätigkeit eines Diaskeuasten auf. Die deutlichste
hat Dindorf in 274—295 entdeckt, in welchen die von
Apollon dem Orestes angedrohten Strafen ausführhch dar-
gelegt werden — nicht nach dem Sinne des Äeschylos,
welcher den Orestes 1030 erklären lässt: or/ equ) Ttjv Qruxiav
TO^ij) yoQ oviig jcrj^drcov riQOOiBeTai. Diese grosse Partie
hat die gleiche übertriebene und manierierte Ausdrucksweise
wie die oben von uns beseitigten Partien der Eum. (besonders
860-868). Einen ähnlichen Ton zeigt die Partie 989 — 994,
nach welcher man nicht umhin kann, t/ vir -igooeimo 995
auf die Mutter zu beziehen, während nach dem Folgenden
damit das Gewand gemeint ist, welches ehemals Klytämestra
hinterlistig über Agamemnon warf. Nachdem Orestes seinen
Gefühlen in betreff des Gewandes Luft gemacht hat, kommt
er wieder in ganz unerwarteter Weise auf die Mutter zurück.
Es kann kein Zweifel sein, dass die V. 989—994 und 1003 f.
der Umarbeitung angehören. Die der Strophe 1005 — 1007
vorausgehende Rede des Orestes enthält dann 2(5 Verse. Da
340 Sitzung der ijhilos.-phüol. Classe com 1. Dezember ItiSS.
die der Antistrophe folgende üTfOig 23 Verse aufweist und
V. 1039 deutliche Ueberbleibsel von 2 Versen enthält und
nach 1040 der Text lückenhaft ist, so dass leicht zwei Verse
ausgefallen sein können, so haben wir Strophe und Anti-
strophe von gleichgrossen Partien symmetrisch umschlossen:
26. Str. 8. Antistr. 26. Im Agamemnon endlich wird durch
das Asyndeton bei 1439 der spätere Ursprung von 143.5 — 1438
angezeigt , worüber ich in meiner Ausgabe gehandelt habe.
Damit erweist sich die letzte Partie bei Aeschylos , in der
sich Trimeter an ein Melos anschliessen , als symmetrisch.
Denn da Enger 1422 als unecht erkannt hat, so enthalten
die beiden Reden der Klytämestra , welche auf Strophe und
Antistrophe folgen, 13 Verse. Weitere Spuren einer Um-
arbeitung lassen sich im Agamemnon nicht finden. Nur
werde ich jetzt zweifelhaft in Betreff der V. 1643 — 1648.
Diese Partie des Chorführers ist nicht am Platze , weil mit
TL öi^ TOP avdqa Tovd' a/ro rfjvxqg xa/CTjc; ot'z avtdg YfVOQiteg,
a'/.?M viv yvvrj . . e/.zeive: dasselbe gefragt wird, was unmittel-
bar vorher mit t6 yccg öolwaai /rgog yvvaiY.6g r(i' oacptog zrt.
beantwortet worden ist. Diese Partie unterbricht auch den
Zusammenhang; denn 1649 muss sich an die Drohung des
Aegisthos 1639 — 1642 tov de iuTj rreid^ävoga l^ev^to ßageiaig
xrc. anschliessen, wie wieder die folgenden Verse in Ordnung
kommen , wenn V. 1649 , dem ich mit dXX' onr^ (für hiei)
doAEig Ta(J' igdeiv /.ov (für xat) Xeyeiv , y^f^Ofj Taya seine
ursprüngliche Gestalt zurückgegeben zu haben glaube, dem
Chorführer zufällt. Heimsöth nun hat diese Partie nach 1627
umgestellt und es scheint damit alles geordnet zu sein. Man
kann sagen, da die Frage xi dV) xov avÖQa xovö' . . ov/. avzog
r^vÖQiCeg xrt. von Aegisthos zunächst nicht berücksichtigt
wird, so wiederholt der Chorführer seinen Vorwurf: og ovx,
l/r€idrj Tf^I}(J' fßovXevaag uc'qov, ögSaai rod' tgyov ow ttXrig
avTO/.töviüg. Aber es ist doch etwas befremdlich, dass der-
selbe Vorwurf zweimal gebracht wird, und es wird nichis
Wecklein: Ueber die Textuberlteterumj des Aeschyloa etc. "34 <
vermisst. wenn V. 1(330 — 1648 fehlen. Der Hinweis auf
Orestes wird durch 1667 genügend gegeben.
Das Ergebnis unserer Untersuchung findet also in fünf
Tragödien des Aeschylos teils Spuren einer Umarbeitung, teils
Xachträge und Interpolationen , die augenscheinlich ihren
Ursprung einer Wiederaufführung verdanken. Dass die Stücke
des Aeschylos nach seinem Tode wieder aufgeführt wurden,
ist mehrfach bezeugt. Warum soll von der Erlaubnis, welche
der Volksbeschluss tov ßovXo^evov öidäo/.eiv rd ^loxvlov
XOQOv XatißävEiv gab, kein Gebrauch gemacht worden sein'?
Vgl. Schol. zu Aristoph. Frö. 868 hcei xd Aloxvlov eipt]-
CpiaavTO ötödo/.eiv und Ach. 10 rt|Urjg de /.leylorr^g txvxe
jiagd 'Ai>i]vaioig o Aloxilog /.al i.i6vov avroi xd öqäf^axa
ijii](fioi.taxi /.OLvio /.al ^lexd d^dvaxov söiddo/.eTO , worin die
Bedeutung jenes Volksbeschlusses etwas schief aufgefasst ist,
Philostr. V. Apoll. VI 11 p. 220 Kays. l4»i]vaioi naxeqa
LiBv avxov xijg xQayiiiöiag -^yovvxo, iyidlovv da /.cd xed^vetoxa
ig Jiovvaia • rd ydg yilaxiXov ipr^cfioat.tei'cov dveöiöaOTieto
■/.ai ivi/a h. /.cuvrig. Aristoph. Ach. 10 erwartet Dikäopolis
eine Didaskalie des Aeschylos und Weil hat aus den An-
spielungen in der Elektra des Euripides 520 — 544 und in
der Parabase der Wolken 534 ff., dann in Eur. Phoen. 751
und Schutzfl. 857 ff. auf eine Wiederaufführung der Orestie
und der Sieben g. Theben geschlossen. Etwas anderes be-
richtet Suidas von Euphorion, dem Sohne des Aeschylos : og
/.ai tolg Aloyvlov xov naxqog olg f^rirrio r,v IniÖEi^af-ievog,
lEiqäy.ig Ivi/.r^öEv. Hiernach muss der Nachlass des Dichters
eine Reihe von Stücken enthalten haben , die noch nicht
aufereführt waren und wahrscheinlich teilweise für die Auf-
führung erst ausgearbeitet werden mussten. Es ist sehr wohl
denkbar, dass der Prometheus zu diesen gehörte.
Soll es nun Zufall sein , dass gerade die zwei Stücke,
bei denen wir keine Spur einer späteren Umarbeitung ge-
funden haben , Stellen enthalten . deren Text bis zur vollen
348 Sitzung der phiJos.-phüol. Classe vom 1. Dezember 1888.
Unverständlichkeit entstellt ist? Ich denke dabei an Pers.
678— (582 und Schutzfl. 832-913. Wir glanben nicht an
einen solchen Zufall und verstehen jetzt erst die Notiz Quin-
tilians X 1,06 tragoedias primus in lucem Aeschylus protulit,
sublimis et gravis et grandiloquus saepe usque ad vitium,
sed rudis in plerisque et incorapositus; propter quod correctas
eins fabulas in certamen deferre posteriori bus poetis Atheni-
enses permiserunt, suntque eo modo niulti coronati. Man
konnte sich bisher über das Urteil rudis in plerisque et in-
compositus nicht genug wundern, da wir gerade das Gegenteil
an Aeschylos anstaunen. Man kann aber das Urteil des (juin-
tilian vollständig unterschreiben, wenn man an die Heroldscene
in den Schutzfl. denkt. Solche Textentstellung hat man bisher
den Abschreibern schuld gegeben. Die Schuld scheint viel-
mehr auf die ursprüngliche Gestalt der Aeschyleischen Schrift-
werke zu fallen, welche demjenigen, der eine Wiederauffüh-
rung von Stücken des Aeschylos ins Werk setzen wollte, die
Notwendigkeit auferlegte, unlesbare Stellen durch Correcturen
in Ordnung /u bringen und grössere Schäden durch Nach-
dichtung von Versen zu heilen. Hierauf beziehe ich den
Ausdruck des Quintilian correctas eins fabulas , Avenn auch
natürlich die vom Volke gegebene Erlaubnis, die Stücke des
Aeschylos wieder aufzuführen und die Verbesserung des Textes
nicht in dem Zusammenhang stehen, in den Quintihan sie
bringt. Correcturen und Umformungen des Textes, welche
die Ausdrucksweise des Aeschylos dem Sprachgebrauch der
späteren Zeit annähern sollten und in die Exemplare der
Stücke eingetragen waren, sind gewiss auch teilweise unter
den von uns s. g. Glossemen enthalten.
Demnach haben wir einen bestimmten Anhaltspunkt
gefunden für die Ansicht, dass eine Reihe von Interpolationen
vmd Corruptelen älter ist als das Gesetz des Lykurgos und
in das auf den Antrag dieses Redners angefertigte Staats-
exemplar Aufnahme fand. Zugleich haben wir für Aeschylos
Wecklein: lieber die Textüberlieferinx] des Aeschylos etc. 349
den Satz festgestellt , dass alle Dialogpartieen , welche mit
melischen Teilen in Verbindung stehen , an der antistrophi-
schen Responsion durch die Gleichzahl der Verse in ähn-
licher Weise teilnehmen wie das Epirrhema und Antepirrhema
in der Komödie.
Anhangsweise möchten wir noch einige Stellen der
Tragiker besprechen, für die wir eine Emendation gefunden
zu haben glauben , Stellen, die teilweise auch für die Text-
überlieferung der Tragiker interessant sind , zunächst eine
in dieser Hinsicht sehr bemerkenswerte, Pers. 601 ff.
(fiXoi, xaxwv iniv ootig Sfj.TCOQog AVQel,
iniataxat ßgotdiaiv cog, oTav -/.Ivöcov
■KaY.ö}v tneX^Tj^ navxa deif-iaiveii' ffiXel "
OTav <5' u dai/ni(jv evqo^, 71 eiroid^evai
xov avrov alei daifjor^ ovqieIv Tvyrig.
Der Gedanke lässt sich trotz aller Fehler der Ueberlieferung
leicht durchschauen. ,Wer Menschenkenner ist. sagt der
Dichter, weiss, wie der Mensch im Unglück gleich an allem
verzweifelt, im Glücke dagegen vertraut, es könne nie anders
werden." Die Sicherheit des Gedankens gestattet uns, die
zahlreichen Schäden des Textes zu beseitigen. Zunächst
fordert der Sinn nicht „wer die Leiden", sondern „wer die
Menschen kennt". Auch muss xay.wj' ^t/^V, welches den Gegen-
satz zu oxav (3' 0 daluiov evQO^ einleitet , nach eTriazaTai
folgen. Nach ßgoTolair würde man (fiXovaiv für cpikel er-
warten. Für tfiTioQog haben geringere Handschriften aji-
jieiQog. Der Dichter hat um des Versraasses willen die Form
fUTtsQrjg gebraucht, welche Hesychios für Sophokles bezeugt:
ilixTtegrjg- Iju/ceigog, 2o(poy.Xfig Oövoosl ijaivof.itvi^. Im dritten
Verse wird xa-Kiöv überflüssig , wenn xazwv ^iv zu orav
xXvöiüv f.7riXi^r] tritt. Sobald man mit Weil erkennt, dass
xaxiüv /uev und ßgotoiow ihre Stelle tauschen müssen und
der Sinn ßQüiEiiov für ßgotolotv erfordert, ergibt sich das
350 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 1. Dezember 1888.
IJebrige, nämlich die Ergänzung- von rivd nach orav., damit
das Subjekt zu (pilei gewonnen wird, von selbst. Es bleibt
noch ein Fehler im letzten Verse übrig. Misslich ist schon
die Wiederholung von öal/^iior. Dann ist die Verbindung
daif.iova tvyjjg unerträglich. Denn die rvyji gehört dem
dai(.in)v , nicht der daif.ttov der tix»] an. Endlich lässt sich
der intransitive Gebrauch von ovQi'Cew weder mit Soph.
Trach. 827 y-al xaö'' oQ^cog l'f.i;ieda y.azovQiCei noch mit
Aristoph. Thesraoph. 1226 r^i'x« . • hiovqiaag rechtfertigen.
Denn an der ersteren Stelle ist der intransitive Gebrauch
von yiarovQiLsiv fraglich , an der anderen haben wir einen
analügen Gebrauch wie bei dem vulgären avvoag, wo sich
das Objekt aus dem Imperativ ergänzt, also ßorjO-rjOüTio zig
dvioag seil. t6 ßor^O-elv , ^Q^X^ s/iovQiGag seil, rö XQbyßLv,
tov ögöi-iov. Blomfield nahm schon Anstoss an diesem Ge-
brauch von ovQiCeiv und wollte ztyag schreiben. Vorzuziehen
wäre Tvyj]v., welches Dindorf als Verbesserung von Blomfield
anführt; aber wie sich leicht begreift, dass Sept. 259 an'
^Igiai]v6v Xeyio in d/i' 'loiutjvol' Xeyto überging, so ist hier für
die Aenderung der Casus kein Grund ersichtlich. Vielmehr
muss Tvyrjg als Kennzeichen des ursprünglichen Textes wohl
bewahrt werden. Darum kann die Vermutung von Weil
tÖv avrov aUv (xve(.iov ovQieiv zvytjv nicht gebilligt werden,
in der ohnedies ai'e,uog dem Sprachgebrauch nicht entspricht.
Es ist einfach zu zov avzöv das in den Text eingedrungene
daifAova in Gedanken zu ergänzen und das durch dai^ova
verdrängte , einzig passende nvEv^aza zurückzuführen , so
dass nunmehr, wie ich glaube, die ganze Stelle in ihrer
ursprünglichen Schlichtheit hergestellt ist:
(flXoi, ßQOielojv oozig i/nyfeQrjg ycvQel,
i/fioraiai,' xaxwr /luv ojg ozav zivc
■/.Xvdiov f-Ti^Xihj^ jictvza dei/uaiveii' ffulBl'
ozav d' o öaii-aov eiQOjp 7tE7ioii)tvai,
zov uiTov ahl 7iveifuaz' ovQieiv ziyjjg.
Wecklein: Ueber die Text überlief er unif des Aeschylos etc. 351
Ich will kein Gewicht darauf legen, dass F.W. Schmidt in Eur.
Tro. 101 ^ueTaiiaXXouh'oc dai'i^iorog avfyov TtXe'i /.ara 7coQd-
fiov, :rXei v.aia öaiuova sehr gut jiveiuoLTct für daiuoru ge-
setzt hat, da ich an unserer Stelle die Vertauschung aus
einem Glossem ableite. Mit Ttvevi-iata xvy\]Q. vgl. Eur. Jon 1502
ÖEival i-iei' Toze rvyai, (.lEd^ioxarai de nvevfxaxa^ Herk. 216
otav i^eog ooi ;ii'eif.ia usTaßaliov rvxf], und mit tov aviov
(ÖaifAOva) Soph. El. 91 H roZt; airoloi toi ovy avrög aiei
öaif.i6vwv iiagaoiaxEi.
Eine alte crux grammaticorum bietet in Sept. 7()7
didv(.ia xa/c' steXeoev '
71 arQOifOvqt XSQi Tcov
■/.Q€iaooTe/.vtov 6/.if.i(iTwv knXayyit^Tq •
ant. rexroioiv d' dgag
ecfr^/.ev kni/Mioig iqoqiäg /.iL
das Wort xQBioaoTi/.vwv. Die Erklärung des Schol. Aeyei
t(Dj' Ttegl ^ETeoxXea y.al nokuver/.rjV, ot rjoav tiov ocfd-aX/niZv
xosioooveg. uf^f-idrcov d' irrXdyx^t] dvrl tov soTegrid^i] tcov
■/.oeiTToriüv o/uiudTiov ist abstrus und widersinnig. Schon die
Bildung des Wortes erweist sich als unmöglich. Vgl. Lobeck
Paralip. p. 48: xQsioaoTsyivog non potest significare TÖr /.gela-
oova Tenvcor cvtu, sed corruptum videtur. Was aber Her-
mann „certa emendatione" dafür gesetzt hat, /.vQOoxtA.vvn'
,privavit se oculis qui liberis occursuri erant", gibt zwar
einen guten Sinn, ist aber hinsichtlich der Wortbildung nicht
minder bedenklich. Das Gleiche gilt von (pQioaoTä/.viov, was
Stanley, und von xQEioooTeyvcdv, was Donaldson vorgeschlagen
hat. Erträglicher erscheint in dieser Hinsicht das von E. Brey
gebildete (pv^iTt/.vwv. Allein wie die Bildung und Bedeutung
unsicher ist, so lässt sich vollends nicht erklären, wie rpv^i-
TeTcviov in /.QEioooTe-Kvcjv übergegangen sein soll. Minder
erheblich ist ein zweiter Ansto.ss, den die Stelle bietet. Das
doppelte Unheil, das dem Oedipus schuldgegeben wird, ist
352 Sitzung der phüos.-philol. Glasse vom 1. Dezember 1888.
natürlich die Blendung der Augen und die Verfluchung der
Söhne. Das zweite wird in der Antistrophe ausgeführt,
nebenbei gesagt ein Beweis , wie Strophe und Antistrophe
zusammengehören und nicht verschiedenen Sängern gegeben
werden dürfen. Der Schol. , welcher mit dldvf.ia ds /.a^d
e'cprj t6 Tiüv ovo ocpd^aXjiiiöv ozeqriiyr^vai . . rj ^EveoY.Xm /.al
JJoXrveU}] yEvrriaag eine ganz verkehrte Deutung gibt, würde
dem Irrtum nicht verfallen sein, wenn das übliche f.i^v vor-
handen wäre , obschon ich nicht behaupten will , dass es
durchaus notwendig ist. Ich denke aber , der Text hat ur-
sprünglich so gelautet :
didvi-ia xax' ftiXeoev
TvazQOcpovo) X€^t ^8V
■/.SQxiöi Tiov of.ii.iäitov Inläy/^i^iy
Für ■/.tQ'/.LOi konnte leicht /.geioato gelesen und tm' als Ab-
kürzung von Tf./.vcov wie etwa Xoig von loyoig betrachtet
werden. Zu /.sq-moi vgl. Soph. Ant. 976 elösv dqatov "X-Kog
dgax^ir . . o.tbqD'' lyytiov tg)' aif.iaTrjQaig yeiqeooi xal xeq-
y.iöiov dy.fxoüoiv. Bei Sophokles sticht sich Oedipus die Augen
mit den goldenen Spangen aus , die er von dem Kleide der
erhängten Jokaste wegreisst (Oed. T. 1268). Euripides hat
Phoen. 61 die goldenen Spangen beibehalten, obwohl Oedipus
nicht die tote Jokaste vor sich liegen hat. Wir dürfen wohl
annehmen, dass Aeschylos, welcher mit dqdg hriMtovg zqocpag
sich an die kyklische Thebais anschliesst , ebendaher auch
das Mittel der Blendung entnommen hat.
Eine Stelle, welche bisher grosse Schwierigkeiten bereitet
hat, möchte ich, obwohl ich meine Ansicht bereits in meiner
erklärenden Ausgabe angedeutet habe, hier nicht übergehen,
weil mir nachträglich der Grund der Corruptel klarer ge-
worden ist, Ch. 414
otav (J' avi'' b.7iah/.Bg
r)-QaQ6\ djitataöEv ayog
JCQog CO rpaveloytai /joi y.aXwg.
Wecklein: lieber die Textüberliefernny des Äeschjflos etc. 35o
Ausser diesen traurigen Resten der Ueberlieferung ist uns
zur Herstellung des ursprünglichen Gedankens das Versmass
und vor allem der Zusammenhang behülflich. Das Versmass
steht durch die heil überlieferten Verse der Strophe 390 ff.
noxärai; ACXQOiü^tv de jrQioQai^
^t.'iUOC, t'yzoro»' atvyog
fest. Aus dem Zusammenhang aber ergibt sich unzweifel-
haft folgender Gedanke: ,Mir zittert das Herz — so erwidert
der Chor dem Orestes — von deinen Klagen her, die ich
eben hörte. Und da wurde ich hoffnungslos und voll schwerer
Betrübnis, da ich deine Worte vernahm. Wenn ich dich
aber wieder in deiner Kraft sehe, sind die kummervollen
Sorgen weg und ich fürchte nichts." Das Adjektiv sjralyirig,
das sich sonst nirgends tindet und von dem Schol. mit loxv-
Q07I oiog erklärt wird , erscheint durch das nomen proprium
'EviäXy.rjg sicher gestellt. Wir verändern hraly-tg einfach in
fJlalxr^ o\ Dann leite ich das monströse &QaQE aus Resten
von üQ(x>ijai , d^äooog ab , was Sinn und Versmass erfordert,
(janz schlimm steht es noch, wie besonders das Metrum zeigt,
mit dem letzten Verse. Vor allem fällt cpavetod^ai aus dem
Versmass hinaus und muss darum als Glossem erkannt werden,
so dass alle Emendationsversuche, welche von den Buchstaben
des überlieferten (paiüod^at ausgehen, auf Sand gebaut sind.
Die übrig bleibenden Worte ngög rö ^ol Y.aliog können un-
schwer auf :iq6g i6 f-ir] reXeo zurückgeführt werden. Aber
wir würden wohl ganz im Dunklen irren ^), wenn uns nicht
ein ganz ähnlicher Gedanke in Ag. 987 erhalten wäre :
1) Conington, welcher .toö,- t6 rpauiaai y.aküx; vermutet, bemerkt
dazu : but probably the true reading has been hopelessly obliterated,
as the words as they stand bear marks rather of tainpering than ol"
ordinary corruption.
354 Sitzung der pMlos.-phüol. Classe vom 1. Dezember 1888.
svyof.iai d^ s§ i^^ic/g
fXiiiöog ilivi^ij .'reoelv
^g To iKTi teXeocpoqov •
Der Sinn , das Versmass und besonders rcQog rö stellt die
Emendation :
d^ctQOog dvreataOEV ayog
jTQog xö f-tiq reXEOcpoQov
sicher: „wenn ich dich aber andrerseits in voller Wehrkraft
sehe, entfernt die Zuversicht mein Bautzen in das Reich der
NichterfüUun«'". Zu Jiqog to (.n^ zeXeocfOQOv wurde die Er-
klärung (favELO^uL über TeXeGcpogov in dem Sinne von ngog
tÖ jiirj (paveiod^aL „dass es sich nicht v^erwirklichen werde"
übergeschrieben und das Eindringen dieses Wortes hat die
weitere Corruptel zui- Folge gehabt. Freilich ist es traurig
um den Text bestellt, der mit solchen Mitteln geheilt werden
muss. Zum Glück sind derartige Stellen im Aeschylos nicht
zahlreich.
Durch ein Glossem ist uns auch Suppl. 1075
Zevg . . 'loj
jrijf.iovag s^voar'' st
ev(.ieveI ßla KTioag
das ursprüngliche Wort , welches den Sinn zu ev(.ieveT ßi(jc
fordert, ^lyiöv verloren gegangen. Vgl. 544 eq^ayrrog 'lovg,
45 Zrjvog tq>aUuv , 584 dyrtjtäviw o^tvEi /.al i)Eiaig snui-
vnlaig JcavEzai (/w) , Proui. 875 fnacpwv dxaqßEi yßiqi /.al
o/eßcöv
Uiyoji' /.idvov. Augenscheinlich ist von ÄaraxTlaag /.rioag
in den unteren Vers gedrungen und hat dort d^iyiov ver-
drängt. Die Bedeutung von
/eiqI nauoviff ■/ atay.ciou g
EVf.i£ytl ßi(^ Oiyojv
Wecklein: Ueber die Textüberliefentng des Aeschylos etc. 35o
passt gut für die oloiQOÖovrjTog ^ho, welche eine feste Stätte
erhalten muss. Die Anstrengungen, welche bisher gemacht
worden sind, um Soph. Oed. K. 813
uaQiiQOttctt iovad\ ov at, ngög de rovg (filovg
oV diraueiiii] ör.(.iaT\ r(v a' f'Aw rroxi
in Ordnung 7A\ bringen, sind erfolglos gewesen. Zunächst
ist zu beachten, dass r(v ff' VXto nott vorher das Futurum
fordert, dass es also dvza^iEixbri für ccvTaueißr] heissen muss.
Offenbar will Kreon sagen: „wir wollen sehen, ob du mir
später, wenn ich dich in meiner Gewalt habe, ebenso unver-
schämte Worte erwidern wirst". Auch 1273 bieten die Hand-
schriften dvvausißt] für avTai-ieiiln]. Wie es Aesch. Ag. 1316
heisst: iyaroiaji ^aqTVQslxä f.iOL xöde, otav yvvr^ ywarAog
dvx' fjuoi d^dvr] xre. , so sollen hier die Koloniaten später
Zeugnis ablegen , dass die neuen Reden ganz anders lauten
als die früheren. Hiernach muss in den jetzt unverständ-
lichen Worten ov oe /rgog de zovg (filovg eine Bezeichnung
des jetzigen Charakters der Reden gesucht werden . und so
finde ich in noog öe rovg das an mehreren Stellen in der
Ueberlieferung fast unkenntlich gewordene Yerbum ;rQ0vOE-
Xeiv und schreibe :
(.laQXvqouai Tüvod\ ovg ov nQOvöEXelg (fiXovg
oV di'Tauenl>rj öi[inaT\ i]v ff' .Uw jiOTt,
so dass ovg ov ngovoehlg (filovg das Objekt zu dirai-ielipr]
bildet. Vj'-l. 1273 avTa/nenl']] i-i' ovder. Wie Aristoph. Ran. 730
7CQOOElov(.ii.v in den Handschriften steht, so konnte hier aus
7iQ0oelEig unter dem Einflüsse des folgenden cpilovg leicht
jfQog dt rovg werden. Das von den alten Grammatikern mit
vßQiteiv, nooTtr^Xa-AiLEiv erklärte jCQOvoelEiv entspricht dem
Sinne des Kreon aufs beste. Bei Aesch. ist Prom. 113 7tqov-
aeXoiuevog für nuooaXEVf.tevog, bei Sophokles Oed. T. l-lSo
TTQOVoih^oav für .iQov^avi^oaf hergestellt.
356 Sitzutif/ ihr philos.-phüol. CJasse vom 1. Dezember 1888.
In Soph. Phil. 1:^82
01ud. xat Tavza XtBag or /.aTaiayvi'ij d^eovg;
NEO. rriog yäg Tig a.layivoix'' äv toqieXovf.iEvo(; ;
(DIA. Xiyug 6' 'ATfJEiöaig ocpeXog fj e/r' f^^fxoi xade;
NEO. 001 7T0V, (filog y löv, yw löyog TOiöoöe uov
ist der Zusammenhang nicht in Ordnung. Der Gedanke
/rwg yag rig aloyvvoiT' ar w(feXoviuei>og ; würde mehr dem
Charakter, den Odysseus in dem Stücke hat, als dem des
Neoptolemos entsprechen, und wenn Neoptolemos von dem
eigenen Nutzen spricht, kann Philoktet ihn nicht fragen,
ob er den Nutzen der Atriden oder den des Philoktet im
Auge habe. Heath hat io(feKov(.ikvoig geschrieben, aber damit
fällt zwar das Unmoralische der Sentenz weg, dagegen bleibt
die Störung des Zusammenhangs: denn der Nutzen der Götter
kann nicht der Nutzen der Atriden sein. Besser wird dieser
Zusammenhang gewahrt, wenn )nan locpelöJv tpiXov oder
öllov iO(feXiov , wie Blaydes vorgeschlagen hat , oder auch
ojcpe'Kvjv (fiXocg. locfelwv tivu setzt. Allein eine solche Aen-
derung ist minder wahrscheinlich. Ich glaube jetzt, dass
allerdings wq)eXoviJ.bvovg aufzunehmen , dass aber vorher ov
y.aTaioyivrj xivä; für ov Aaiaioyivn ^eovg; zu schreiben ist.
Leicht trat das bei aloyvvEaÜcu geläuhge i^eotg an die Stelle
von Ttva. Dieses rtj'« bezieht Neoptolemos wie etwa Ant. 751
rj'd' olv Oavelrai /mI Uavovo' oXel tiva auf die Person des
Sprechenden, während Philoktet es allgemein fasst und so
zu der neuen Frage XtyEig . . läde ; veranlasst wird.
S(j])h. frg. »)l(i N.
10 ()' tvtvyoLV auav dgiO^/ui^oag ßQOTuiv
ov/. boxiv ovxiog ovxir' eigr^oeig l'va
ist neuerdings von Gomperz Nachlese zu den Bruchstücken
der griechischen Tragiker. Wien 1888 S. 11 (Sitzungsb. der
Akad. d. Wiss. CX\'l. Bd.) emgehend besprochen worden.
WecMein: Ueher die 7'extüherliefeniiif) des Aeschi/loa etc. oo7
Gomperz billigt den Vorschlag von Madvig (Advers. I 230),
Tov (f' eiTvxOLiTa ;/«Vr' zu schreiben , nur will er die Ad-
versativpartikel weglassen. Da Gomperz Eur. frg. 062, 1
oix e'oTip ooTig .tavT' di"t]Q eidaiiiiove'i als Parallel vers an-
führt, so betrachtet er auch hier rtövra als Neutrum Plural.
Dieses nävia aber greift dem folgenden ovziog vor. Denn
der Gedanke soll ja doch offenbar sein: .wenn man die für
glücklich geltenden Menschen vornimmt, wird man keinen
finden, der es in Wahrheit (fivTiog) oder in jeder Beziehung
{ttÖvvu) ist". Gomperz nimmt an CLQl^ur^oag Ve\x\ex\ Anstoss,
wofür er auf Aristot. Poet. c. 13 o\ non]Tai tovg zvyövrai;
Livitovg dnt^QiOuovr verweist. Eher Hesse sich roig eviv-
yovvxag yro'vr' verstehen ; aber es ist überhaupt von keinem
Zählen die Rede . weshalb auch die Conjectur von Xauck
ro ö' evTvyoiv rcäv iSaQid^i^iriOag nicht gefallen kann. Ohne-
dies erwartet man vor ovriva . . "va das Maskulinum. Der
Textfehler erklärt sich einfach aus dem Uebergang von ü^^or^-
oag im OQii^iur^aag. Mit
roig d' EVTvyovvTag Tiävrag difgr^oag ßooaov
ovx tOTiv ovTtog ovTiv^ eigiffOsig fva
vgl. Oed. K. 252 ov yog 'idoig av dd^giov ßgocov ooiig /.rf.,
wo di^QEiv gleichfalls die Bedeutung , Umschau halten" hat.
Soph. fr. 775 N.
ccTxavia xdytvvijTa (Tdyivr^ia) jiqioxov r]X^' a;iaB.
Der Sinn dieses Bruchstücks ist verkehrt. Denn niemand
wird behaupten, dass alles nicht Entstandene einmal zuerst
entstanden sei. Was nicht ist, kann nicht entstanden sein.
Der Gedanke und der Zusammenhang , in welchem der Ge-
danke vorkam, ist augenscheinlich folgender gewesen: „Die
Neuheit der Sache darf uns keine Bedenken erwecken; denn
alles was jetzt alt ist, ist einmal neu gewesen. Wenn also
der Umstand , dass etwas noch nicht dagewesen ist , ab-
schrecken müsste, könnte niemals etwas Neues entstehen".
188S. Philos-philol. u. bist. Gl. II. 3. 24
358 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 188S.
Die Ueberliefernng bei Plut. Mor. p. 732 D bietet ra yivij
t6, was Valckenaer in xdytvvi^xa verwandelt hat. Es ist
vielmehr zu schreiben :
OTtavra yag yeyovoTa jvqwiov ijA^' a?ta^.
Eur. Hek. 1039.
aAA' ovTi (.tri cpvyrjTE Xanl'rjQw ttoöI-
ßäXXiov yccQ OLX.COV riövö^ avuQqr^^Lo luvyovg.
idov, ßageiag xeiQog 6qf.iaxai ßü-og.
Mit Recht hat Nauck V. 1040 als corrupt bezeichnet. Ein-
mal ist ßaX'kwv miklar, vor allem aber kann man dva^gr^^v)
fuvyovg nicht verstehen. Aus 1044 agaooe, (feidov iurjdiv,
h.ßäXkwv TtvXag erkennt man , dass Polymestor am Thore
rüttelt. Zieht man daneben ()r. 1473 d6(.aov O^vQSTQa /.ai
azad^/.iovg f-ioykolaiv SKßaXovTeg in Betracht, so werden wir hier
ßaXov ydq oXy.iov xiovd'' dvaQQi]^io (.lox^olg
schreiben. Die altattische Form ßalog hat auch Aesch.
Cho. 569. Vgl. Bekk. Anekd. p. 224, 15 tov ifjg .'h'-gag
Oidov, ov "Oi.i)jQog ßrjXov, oi öi TQayiycol ßaXov.
Nach der Herstellung dieses Verses scheint sich der
folgende Vers, welcher bald dem Polymestor, bald dem Chore
gegeben wird , als Zusatz eines Schauspielers zu erweisen,
der in der äusseren Handlung stark auftragen wollte
Eur. Hek. 1215
■/.a/rvoj d' earff.Hjv'' aatv noXe^iitov Iv/o.
Mit -Kartvog ö' fOVji^irji'' aoxv hat Canter sicher das Richtige
getroffen. Vgl. Aesch. Ag. 809 -/.a/ivw d' äXoloa vvv tV
etötjf.iog iröXig. Dazu ])asst aber wenig nolE(.iuov vito. Auch
mit 7ioAEfjioig vnöv^ was Kvicala vorgeschhigen hat, ist nicht
viel erreicht , da dadurch das Bezeichnende des Ausdrucks
„nur Rauch kennzeichnete die Stätte, an welcher die Stadt
gestanden" wieder zerstört wird. Die Aenderungen von
Heimsöth ciaTv rcvQjroloiuEvov und F. W. Schmidt /.Hypiog
Weclclein: Ueber die Text über} ieferuufi des Aeschifloi etc. 359
auvyfv ÖIjT' aoiv .loAeiiiw mgi sind nicht wahrscli<'in1i<li.
Ich vermute :
xa^rvog (3' far^/i/»;v' aoTv jvokef-iiov /rt'pot;.
Aeschylos würde dci'Coc nvQog geschrieben haben.
Eur. Hei. 1267
M.E. vavv del naqeivai -/.dgerinon' hviöTäxag.
QE. jtÖoov (J' d-relgyei uffKog i-/. yaiag öogv :
Matthiä und Hervverden haben , da .«ijxog als Subjekt kaum
erträglich scheint, dneigyeiv (seil, öel) vermutet. F. W. Schmidt
krit. Stud. II S. 135 bemerkt dagegen, dass dann der \Vechsel
der Konstruktion auffallen würde und dneivai erwartet werden
raüsste. Die Aenderungen von Schmidt ttooov ö' änaigeiv
ely.og r/. yalag dogi oder d:TEigyeiv eiy.og ex yaiag dogv
machen einen unnötigen Aufwand. Die einfachste Verbesse-
rung ist d^relgyeig d. h. ,wie weit muss nach deiner Be-
stimmung das Schiff vom Lande entfernt sein?" Auch anders-
wo sind bei geringerer Klarheit der Beziehung die Personen
vertauscht worden , z. B. Hipp. 273 , wo die Handschriften
zwischen rfKEig und TJy.ei schwanken.
Eur. El. 1102
lü Tiai, niq'VY.ag jrarega oov oregyeiv del.
Wir stimmen F. W. Schmidt bei, wenn er a. 0. S. 164 zu
dieser Stelle sagt: , Nicht die fortgesetzte, dauernde Liebe
macht Kh'tämestra der Tochter zum Vorwurf, sondern deren
einseitiges Verhalten". Diese Einseitigkeit wird aber besser
als durch ha, durch ayav ausgedrückt. Vgl. Ae.sch. Prom. 559
oeßf] d-vaTOvg oyav, Tlgour^i^ev.
Eur. El. 1290
.rengcouert^i' ydg uo'igav iy.7rk^oag (forov
tidaiuovr^oeig tojvÖ' dnalXayO^eig novojv.
Für das unverständliche (povov hat man ßiov oder g}6ßov
schreiben wollen. Schmidt setzt ;i6ron' für (povov und rovd'
24*
300 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1888.
. (povov für rcZvd' . . növtov. An tiovöe . . rcöviov ist nichts
auszusetzen. Es könnte auch rtoröe . . za/wr heissen wie Suph.
Ant. 400 Tiüvd" Q7cri}läyßai xaxw)'. Es wird aber növiov
hinweisen auf das, was in cpovov steckt und für das weitere
Schicksal des Orestes bezeichnend ist, jrlävov. Vgl. 1252
ötivai ÖS Kr^Qtg ff' . . rQoyjilaTi]aovo' ^i^iavi] jiluvu)(.nvov.
Eur. Herc. 403
oigapov ()' t'/fo uiooar
eXavvEL ytQUQ "dqav.^
"Arkavioq Ööuov «A^wj'.
Es ist von den Arbeiten des Herakles die Hede. Sonderbar
berührt uns die Vorstellung von einem Hause des Atlas.
Wie soll der Riese, der immerfort das Himmelsgewölbe auf
seinen Schultern trägt, eine Wohnung haben? In Erinnerung
an frg. 597 röv 'AilavTsiov xtjQovai nölov^ Aeseh. Prom. 445
ovQctviöv ze nökov vaiTOig V7V0OTEvcct,Bi ('AtXag) hal)e ich zu-
nächst an ^'ArlavTog nlikov sXOo'iv gedacht. Aber für f-X'hov
würde man den Begriff des Tragens erwarten. Wahrschein-
lich hat es ursprünglich "^zXavTog /rövov ddliov geheissen.
Eur. Herc. 494
• aQtj^ov, f-lOt, y.ui o/.ia cfärt'di uoi.
Die Interpunktion aQr]^ov, eli/i y.al ffxm, q^öivrjdi f.iOL ist un-
richtig, weil so (päv),iyi f.ioi als bedeutungslos erscheint und
der folgende Satz ahg ydg fA^wr xiövag dv ytvoio ov sich
nicht an (pctviii^i f.ioi, sondern an ilDt -/mI a/.iä anschliessen
würde. Die Bedeutung von xat aber wird erst klar, wenn
man x«t ffxm q^dvrjO' Ojiicjg herstellt.
Eur. Herc. 1302
ßiov x' dyQEiov dvüoior /.e/.iijf.ihvot.
Gewöhnlich behilft man sich mit /' für t\ Nur Nauck hat
(iiotov dyqdov geschriel>en. Auf etwas anderes führt Aesch.
Schutzfl. 200. wu wir die gleiche Lesart td /Qhu (Turn, id
U'ecklein: Ueher die Textüherheferuiuj des Aeachylos etc. 3(>1
XQ^i) tindeii iiml Geel CaxQsV hergestellt hat. Hier bedeutet
ßiov CayQelov ,ein ganz ärmliches Dasein*, wie auch an
der angeführten Stelle des Aeschylos aldo'ia /.at yoedvd Kai
(^ayQeV en\ nicht an ,verba valde ntilia", sondern an , Worte,
welche der Ausdruck grosser Hilflosigkeit sind" zu denken
ist. Vgl. yoBlog Aesch. Schutzfl. 208 und Eur. Herc. 1337.
Vaw. Herc. 128;^
Eig noiov \eq(ji' Jj TtavriyvQiv (fiUor
et Li'' ; ov yciQ drag eirtQoorjyÖQOvg ^yio.
An :javTl]yiQiv ffihov nehmen Nauck und F. W. Schmidt a. O.
S. 201 mit Recht Anstoss; denn für den Kreis der Freunde
passt doch nicht die Bezeichnung Ttavty/iQig. Ohnedies er-
wartet man nach :iolov 'leqöv eine Versammlung des Volkes.
Ich glaube darum, dass Xaiü in (fiXiov enthalten ist. Vgl.
Hiket. 481 oxav ydq ek&rj rroXe/nog elg ilfr^cpov Kuö. Schmidt
schreibt navr^yiqiv i^ewv. Aber &ewv dde yrctvdyvqig Aesch.
Sept. 206 ist nicht von einer Versammlung bei den Festen
der Götter, sondern von der BvvTeXeia ^ew»- (ebd. 237) zu
vei-stehen, der Sinn also hier nicht brauchbar.
Eur. Hiket. 841
nod-ev TTO^' o'ide dianQenelg evipvxic^
O^vrjo.i' tffioai' ; ehrt y\ dg aoffcuTEQog,
vioioiv doTÖJv novo'' • hrLOTr^uiin' ydq €i "
Ich kann nur wiederholen, was F. W. Schmidt a. 0. S. 223
zu dieser Stelle bemerkt: , Schwer verständlich er-scheint der
Inhalt von 842 f. Nicht nur , dass die Bezeichnung des
Adrastos als eines oo(fcÖTBQog höchst seltsam klingt: dieser
Ausdruck ist völlig überflüssig, ja über die Massen lästig als
Vorläufer des folgenden STriOTr^ucov yog ei. Nicht minder
unklar ist die Bezugnahme auf die vaoi daviZv ttövde, zumal
da auf diese sonst nicht weiter hingewiesen wird und man
überhaupt nicht einsieht , wozu nicht sowohl dem Theseus
als vielmehr der Jugend die von jenem begehrte Auskunft
362 Sitzung der philos.-philol. CInsse rom 1. Dezember 1888.
gegeben werden soll". Vollkouimeii gerechtfertigt ist V80iaii\
wenn es in Beziehung steht zu einem Ausdruck , welcher
höheres Alter des Adrastos bezeichnet, und jeder Anstoss
fällt weg, wenn man log 7iQO(p€Qr£Qog für lug oocpcoregog
schreibt. Eum. 851 gibt ebenso die Ueberlieferuiig ooq^ontqa
für 7TQ0(pEQteQa, Eur. frg. 785 oocpioxa-vti) für JiQorpBQtätdj und
auch Soph. El. 1370 scheint icQO(pEQrtQoig dem Sinne mehr
zu entsprechen als oocpwTSQOig. Zu der Bedeutung von tiqo-
(piQTEQog (älter) vgl. Soph. frg. 399 tov nqocpeQxeQov , Oed.
K. 1581 TfJ) jiQOfpeQTaTO) i-tovco öT^(.iaive.
Eur. Hiket. 884
dyqovg de vaitov, ay.hjQa t^ (pioei didovg
tyaioe nQog rdvÖQEiov.
Man hat sßaive, soteixe, toiievöe für s'xcciqe vorgeschlagen.
F. W. Schmidt vermutet rJ/ie/yeT' eg zdvÖQelov. Man könnte
auch an eveve rrgog zdvÖQslov denken. Aber am nächsten
scheint der Ueberlieferung EXQi(xnTE Jtqog xdvÖQElov zu
liegen. Wenn wie gewöhnlich s'xqitite geschrieben war,
konnte dieses leicht in iyaiQE übergehen.
Eur. Kykl. 1(33
dgaotü raö'. oX'iyov cpQOvTiaag yE ÖEOnuiiui'.
cog ey.jcieIv y" dv xi'Atxa [.laivotjutp' f.iiav^
jtdvtiüv Kv'kX(jü7cwv dvTidovg ßoOÄt^uaTa,
Qiipai t' eg dX/urjV ?uooadog riEzqag ano
dna^ I^Ei^vod^Eig /.uTaßaXwv te rag v(fQig.
Die Schwierigkeiten dieser Stelle und die verschiedenen Ver-
suche dieselben zu überwinden erörtert und l)eurteilt F. W.
Schmidt a. 0. S. 319 aufs beste. Er selbst setzt f.iaioii.irjv
für ijaivoif-itiv ^ eine leichte Aenderung, wenn sie nur nicht
weitere Aenderungen zur Folge hätte, da /niav neben fxai-
oiftrjv nicht wohl l)estehen kann ; denn nach einem einzigen
Becher trägt der Silen kein Verlangen. Es ist von einem
Tau.schhandel die Fiede. Der Silen würde unter Umständen
Wecllein: Ueber die Textüh erlief er ung des Aeschißos etc. 3(i3
auch nur Einen Becher Wein eintauschen, müsste er gleich
die Herden aller Kyklopen daran geben. Hiernach ist xiAr/a
f.ian'oif.1 ijV in z i A r/ ' d(.iEißo i (.i /; v zu ändern , \V egen des In-
tin. «X7I7£M' vgl. Krüger I § 55, 3, 20. Für qlxpai 166 hat
man qUpag. geschrieben, doch ist die Sache damit wohl nicht
erledigt.
Eur. Hipp. lt)4
olölviov XE y.ai dcpQOOvvag.
Das 8chol. öXXoi di yQOifoioi öiocpQOOvvag o eoti y.a/.ouvxiag
riZv royiETiov hat zu Vermutungen Anlass gegeben, da man
xaxojur/m^' mit övocpQOOvvag nicht zu vereinigen wu.sste.
Man wollte in /M/.of.ivxl.ag die Erklärung einer wesentlich
abweichenden Lesart erkennen und meinte, dass dvGrpQoovvag
verschrieben sei. Hartmig dachte an öioto/uag. Aber nicht
dvacpQooii'ag, .sondern das merkwürdige Wort ■/.a/.Of.ivyjag ist
verdorben, und zwar aus /.a/.oßovXlag. Vgl. Schol. zu
Tro. 597 duocpQoavvaig- -Aa-Koßovliaig.
Eur. .Jon 52
riog fiiv ovv wv d/.iq'i ßiüi.ilovg xQOCfag
rjAör' dd^vQiov • cog d' d7t)jvdQiod^r] defiag /.te.
Es ist die Rede von Jon, der als Kind im Tempel aufer-
zogen wurde. An ducpl ßtouiovg TQO(fdg nehme ich keinen
Anstoss wie Herwerden, welcher df.i(fiß(öfxiog ZQa(pEig ver-
mutet, wofür es iQEcp6i.iEvog heissen müsste. Ich verstehe
darunter ,um die Altäre wo er Nahrung fand^ Bei df.i(pL'
ßiü^iovg TQO(fdg kann ich die Konstruktion mir nicht er-
klären. Anstoss dagegen muss ich an r^lato nehmen. Etwas
anderes ist es. wenn 576 im Gegensatz zu einer Heimat in
Athen das unstäte Leben in Delphi als dXrjtEia und 1089
Jon geringschätzig als OoißEiog dldtag bezeichnet wird. Zu
d&vQiur ist das passende Wort dtdllEiv, welches das muntere
Herumspringen des spielenden Knaben ausdrückt , und so
möchte ich hier r^xull' di^vQOJV schreiben. Man könnte
364 Sitzung der phüos.-phüol. Classc com 1. Dezember 188S.
noch , wenn man an die transitive Bedeutung von axäXXuv
denkt, viov luv oiv ovi' af.icpißtof.iiOQ ZQOcpi] ijzaXX' ad^vQOvi^'
vermuten ; aber diese weiteren Aenderungen scheinen ent-
behrlich.
Rhes. 252
jTOTi l\lvocdv og ifiav av!Lif.iayJav ari^ei.
Auf das Sprichwort sayazog Mvoojv hat schon der Schol.
hingewiesen (/JxQrjzai de 'Kai vvv EvQLiridrjg naqa roig x?o-
i'ovg). Es kann auch kein Zweifel sein, dass der Chor sagen
will „ein elender Mensch, wer schlecht denkt von meinem
Bundesgenossen", also sicher auf das sprichwörtliche Mvoiov
EOxcczog Bezug nimmt, üimiöglich aber kann dieser Sinn in /r ort
Mvowp liegen, wenn auch das Schol., welches in zwei Teile
zu zerlegen ist: 6 zr^v ouuf.iaxiav dziC,cov o eoziv evzEliC(ov
rrgcg Mvotov, cpr^oiv, eoziv r^ log ehielv toyazog /.ai ovdsvoQ
Xoyov a^iog. — Olov Mvoög hozLV 6 azii-iatcov rjfiag 6 (1.
r^rof) adoTiif-iog Jiaqa zr^v 7cctQ0Li.iiav 7] ovziog' I'otl öe
dagaog axQOv ymI ex röjv Mvocov /r^og zovg aziaä'Qovzag zr^v
6/iii]v ov/Li/iiayiav /.al evzeXiCoviag sich bemüht, /fort Mvowv
zu erklären. Der letzte Teil beruht auf der verkehrten Ver-
bindung l'vi ds d^gaaog er a.ly(.i^ nozi Mvacov. Da das Ver.s-
mass ganz in Ordnung ist, kann die Emendation nicht fern
liegen. Deshalb möchte ich glauben, dass die einfache Ver-
besserung Tiod-i MvocZv schon von anderen gefunden wäre.
Die Worte „wo unter den Mysern" wollen sagen: „man
muss unter den Mysern lang suchen und weit gehen , man
muss bis ans Ende der Myser gehen, bis man den findet".
So ergibt sich der Sinn von saxazog Mvawv.
Eur. Rhes. 811
Kovz' Eioiovzag nzgazönsö' i^a/rcooaze
o'vz'' e^tovzag.
Herwerden vermutet l^EUiOuzt , welches Wort zu l^LOvzag
nicht passt, Nauck (j/gazö/reöa ^vvrfKaze, h\ W. Schmidt
]\'eckleiii: Uclier die Te.rtüherlief'endKi iles Aeschijlof^ etc. 36.)
s^rjxoioaTE. Mit leichter Aenderung ist in f^ojriö/iare das
für Wächter passendste \\'ort hergestellt.
Eur. Tro. 349
ovde a' ai zlx<xi
eoiij(fQovrfAao\ aXX" et' sr ravrw (.Uveiq.
Auf vielfache Weise hat man versucht den Fehler dieser
• Stelle zu heben. Heath hat oiöf oalg riyaig eacocfoovr^y.ag
{0E0iü(fQ0i'i/Äag) vermutet, Seid 1er ovde oai xvyca aeocoffgo-
vq-/.ao\ Härtung ovöi o' cä riyai oo(pr(v e'0^y]Kav, Nauck ovöe
oal ztyai owcpQova rii^er/.cio'' oder eq oüxpQOv riyao\ F. W.
Schmidt Krit. Stud. II. 1886 S. 386 ovök raig rcyaig ig
oiocfQov rjxeig, Busche observ. crit. in Eur. Tro. 1887 S. 31
oiöe ffj Tvytj lg ovjcpqov r^xeg. Für seine Aenderuug ver-
weist Härtung auf frg. 455 cti tvyai dt ue . . ao(pi]v ed-t]-/.av,
aber Nauck Eur. Stud. II S. 130 bemerkt dagegen, dass der
Begriff oocfog der Situation widerstrebe , in welcher es sich
nicht um ao^ia, .sondern um acoq^goovvt] handle. Der Con-
jectur von Xauck gegenüber hat Busche a. 0. dargethan.
dass zed^eixa dem Sprachgebrauch der Tragiker und r^yct
überhaupt dem Gebrauch der Attiker fremd ist. Die Redens-
art ig oöJcpQov r^■/.elg ist sehr zweifelhafter Natur. Als die ein-
fachste Aenderung erscheint ovdi o' ai tvyui ioiocpQÖviCov.
Eur. Tro. 381
ovöe uQog TCKfovg
eod-' ooTig aiTo'ig aiua yf, öiogr^öETai.
Für uLfAu habe ich früher yei/na vermutet. F. W. Schmidt
a. 0. S. 387 wendet dagegen ein, dass yBV[.ia im Sinne von
yoai nicht nachweisbar sei. Schmidt .selbst schreibt HV(.iEvr^g
XiOQTfGeTai. Ich bezweifle, ob yojqEiv diese Bedeutung haben
kann. Das passendste Wort für aiua wäre XovToä. Vgl.
Soph. El. 434 XovTQo nqooq'iQBiv Tiatqi. Jedenfalls aber
i.st aiTolg unter dem Einfluss von dojqriOezui entstanden.
Nimmt man die Lesart der zweiten Klasse der Hand.schriften
366 Sitzung der phUos.-phUoh Classe vom 1. Dezember 1888.
racpoig auf — nach yrgög ging leichter rdcpoig in ■tcc(povg
als rdqiovg in räcpoig über — , so erhält die Stelle die rich-
tige Form mit
oide ngög räcpoig
toiy oaiig aviuiv lortga yf^ dioqr^oetai.
Eur, Tro. 547
do(.ioig di /laficpaeg Oi'Xag
nvQog f-iilaivar aiyXav
tdw/.ev V71VIÜ.
Da schon vorher der Tanz geschildert wird, kann nicht vom
Schlafe die Rede sein. Mit Recht also hat Heimsöth unter
Anleitung des resjiondierenden strophischen Verses öoXiov
iaxov oiav hier dTreöitoy.e vvy.c6g hergestellt. Al)er i-iekairai'
atyXai' wz-TÖg ist ein unmöglicher Ausdruck , welcher sich
mit Phil. 831 oi.tf.iaoi d' dvTt'axoig tavö' ai'yXav a tttaxai
id viv nicht rechtfertigen lässt. Denn an dieser Stelle ist
atyXav nur ironisch gebraucht: , diesen Lichtglanz, welcher
jetzt über die Augen ausgebreitet ist" d. h. , diese Dunkel-
heit, welche an Stelle des Lichtes jetzt seine Augen umgibt".
In der oben angeführten Stelle muss es heissen :
fiikaivav d%Xvv
djcediiO'AE vvY.Tog.
Vgl. (.liluivav oQffvijV Herc. 46. Für dyh:v (wie bei Homer
und Hesiod) verweise ich auf yivvv El. 1213, "hvv (neben
7rrj') Soph. El. 148.
Eur. Tro. 1221
ov t' 0) 71 Ol'' ovoa ■/.aU.ivf/.t iilqIojv
iiifTEQ iqojtclUov^ "E^TOQog (fikov aay.og,
aitffuroi' i^avtl ydg ov '}arovoa ovi' ve-kqw.
Mit diesen Worten redet Hekabe den Schild des Hektor an,
auf welchem sie ihren Sohn zu bestatten im Begriffe ist.
Wecklein: lieber ilie 'lextuherlieferung des Aeschylos etc. 3H7
Die Worte ^arel yag or If^apovoa sind schwei- zu verstehen,
mag man i^avel yag, ov i}ai'OLoa, otr re/igii) oder xf^avel yccQ
ov , ^ai'OLOa avv vexQq) verbinden. Aus dem Schol. /mitoi
aivi^antouivr^ xw vs/.QiJ) oh. a/iod^arfj schliesst Bartliold auf
die Lesart raffe'ioa orr rexQO). Aber seine Erklärung kann
der Schol. sehr wohl ans dem handschriftlichen Text ent-
nommen haben. Dies nuiss man auch deshalb annehmen,
weil mit if^avei yag ov larpeiaa nichis gebessert wird. Schon
die Verbindung von oc mit i^avel wird durch die Stellung
nicht empfohlen. Vor allem aber wird der Schild nicht des-
halb bekränzt . weil er unsterl)lich ist , sondern weil er mit
dem Leichnam bestattet werden soll. Die Vermutung von
F. W. Schmidt a. 0. S. 405 GTefpavov, (fiXw Kaiwif^ev ovoa
aiv vEXQw ist nicht bloss unwahrscheinlich , sondern auch
wegen des Präsens ovaa nicht brauchbar. Den richtigen
Sinn gibt die leichte Aenderung: ozeg^avot ■ y.drei ydg oi
d^avovoa ovv vev.QO). Mit /.ätu „An wirst ins Grab hinab-
gehen" vgl. den doppelsinnigen Gebrauch des Wortes Med.
10L5 n^4l. ifägoei' y.äiet voi /.al ov yvQog teY.vo)v sti.
DIH. aXXovQ /MTo^o) /iQoo^ei' t] xa'Kaiv eyto.
Eur. Tro. 1242
hOiQEilie rdfi'j itQißaXiü^' xarw yihovög,
a(f>ave7g av ovreg ovv. av ifj.vrji)^Blf.i£v ar,
iiovoaig doiöd(; öidovieg doi6ol(; ßgonov.
Die Behandlung der Stelle, Avelche in meinen Stud. zu Eurip.
S. 824 f. gegeben wird, hat F. W. Schmidt a. 0. S. 406 f.
verworfen. Ich habe aus seiner Erörterung einiges gelernt,
kann aber die Verbesserung Movoaig doiddg i^tvxeg kg x6
näv xQovov , welche alle Ueberlieferung über Bord wirft,
nicht gelten lassen. Zunächst halte ich daran fest , dass
dcpavEig dv övzeg , wie die beste Handschritt in 1243 gibt,
in gewissem Sinne die bessere ueberlieferung ist und eazoeipe
3t>8 Sitziuuj der philos.-philol. Classe com 1. Dezember 1888.
ravio nachträglich interpoliert wurde, nachdem aus dem
folgenden Verse dcfavelg av ofzeg eingedrungen war. Wenn
ich dafür ed^rf/.' otarovg geschrieben habe, so wollte ich nur
beispielsweise den erforderlichen Sinn andeuten. Wenn aber
Schmidt el ds ,aij Osög sorgeipe Td/.id xegl ßalwv gibt, so
ist weder l'oTQSijje noch ra^m sehr geeignet, überhaupt der
Sinn nicht deutlich und, wie gesagt, eine Interpolation die
Grundlage. — In dem letzten Verse ist natürlich doidäg und
doiöolg in Zusanimenhang zu bringen ; man wird wohl nicht
fehl gehen, wenn man sagt: doidolg wurde aus seiner Stelle
verdrängt, als doiöäg als Glossem zu /.lovaag in den Text
kam, und wegen doiddg dovreg wurde uovaag zu /.loioaig.
Ferner ist zu beachten, dass hdiöioim das richtige Verbum
ist. Vgl. Hek. 1239 rd x^rjord 7iQdyi.iaTa xqrioriov d(poQi.idg
Ivdiöojo' dei loycov. So gewinnen wir i-iovoag doidolg Ivdi-
öövxec,. An höiöovxeg hat auch Nauck gedacht. Es lehlt
uns noch der Schluss des Verses und zugleich eine nähere
Bestimmung zu doiöo'ig. Nach Hiket. 1225 ujödg voTtQOiai
O^rjOetE kann das Epitheton kaum ein anderes sein, als ioit-
Qoig, so dass der ganze Vers lautet:
{.lovaag doidolg svöidovreg voteQOig.
Die Ueberlieferung im Pal. varegar ist also nicht ohne Be-
deutung und wir müssen annehmen, dass das von seiner Stelle
weggedrückte doiÖolg in den anderen Handschriften das ur-
sprüngliche voctQOig verdrängt hat, während ßoovwv zur Aus-
füllung des Verses herhalten musste.
Eur. Phoen. 322
o'y-fiv E(.i6v TB Xev/.oxQoa /.tiQOf.iai
öcexQvoeoo' dvelaa iitvOei xo/^tav,
liit/ikog (faQHur KEvy.(h\ Ttxvov,
diOOQffvaia ö' dficfi tQvyjj tade
n/.öxC djLiet'iiouui.
DerSciiol. will dficpi mit d(.ieiiioi.iui verbinden (ri d/ncpl rcQog
t6 d^i€ifiof.tai, ToviioTi /legtlidAlofiai). Aber es gibt kein
W'rihJeifi: IJeher die lejiHlicrlirfentufi (ha Aeschj/loa de. 309
\ erbuni dj.tcfauEißo(.nii iiiul kann ein solches nicht geben,
da dem ein ürtsverhältnis bezeiclmenden ducpi der Begriff
des Au-stauschens fremdartig ist. Etwas anderes ist dtperai
i'uq^l ßgöy^ov Hipp. 770, wo die Erklärung des Schol. r] df.t(pi
lOüi^ TG aiiievai drei tov TrEQiäi!>£Tai , trotzdem die Tniesis
l)ei d/itifi zumal in der Anastrophe selir selten ist, nicht be-
anstandet werden kann. Andere Grammatiker Yer])anden
duq^i mit rgi'/i, zu df^Kfixqvyj^ , welches bei Hesych. und
>uidas u. d. W. und in Bekk. Anecd. p. 389 mit y.axEQQio-
yöra erklärt wird. Das Wort wäre gebildet wie d/.t(piT£iy7]g,
aber wie in df^iffireiyrig Xsiog die Mauer, so müssten hier die
Löcii(»r des Gewandes von etwas umgeben sein. Ausserdem
ist o/.oTta nach övoÖQ(fraiu tautologisch und wollte man
OAÖria wie 336 a/.öxia /.qvTxxtxai erklären , so bedeutet es
wenig, wenn .Jokaste .in der Nacht" oder vielmehr „in der
Dunkelheit des Gemaches" schwarze Kleider anzieht. Weit
wichtiger mu.ss es ihr erscheinen, sich in der Oeffentlichkeit
nur mit schwarzen Kleidern zu zeigen. Valckenaer hat dvx'i
für dinfi vermutet. Dabei bleibt das lästige a/.oxia. Ich
habe früher o/.oxia keißoinai vorgeschlagen. Der neueste
Herausgeber der Phoenissen, Bernardakis, belehrt mich aber,
dass man Xeißofjai nicht ohne dd-KQva oder öd/.Qvoi sagen
kann. Gerade dieser Einwand führt auf das Ursprüngliche.
^■/.nxiu stammt aus 33() und hat hier, zu övooQCfvata bei-
geschrieben, da/.Qva verdrängt. Mit ddzgva Xeißoi-iat vgl.
Soph. Ant. 627. Aescb. Prom. 41(). Die Bemerkung von
Bernardakis: /röjg eive övvaxuv rd xr^y.erai xig eig ödxQvn
7T6Qi^ xibr q^oge/ndiojv, dxira fftoei; verkennt die eigentliche
Bedeutung von dfucfi. Da die Thränen von beiden Augen
fliessen, so überströmen .sie beiderseits das Gewand.
Eur. frg. 21, .5
a uri yao foxi xiü rrtvrjxi^ -rrkovOLOg
didojo' ■ a d' oi nXovxovvxeg ov y!.ey.xr^(.itl}u,
io'ioir ;rfri^(Jt yo(')utroi :i ei^(i'jt.ieDu.
370 Sitzung der ithilos.-phüol. Classe vom 1. Dezember 188S.
Das unbrauchbare neid-ioneiya hat man in ,'hrjQOJi.isf}a oder
7V€7ii6fiEi^a verbessert. Aber ^r;^w,u£^a ist in seiner Bedeu-
tung hier zu stark, 7ie7nof.tsd^a ist sowohl des Modus wie
der Form halber bedenklich. Ich vermute 2qtof.iEvoi \'ri-
ATllfXEd^a.
Eur. frg. 166
ro jiii~QOv avxu) lov naxQog, vooiji.i' tvi '
qLXs.1 ycto ovTwg r/. xcr/.iöi' eivai /.axot'c.
Mit Recht findet F. W. Schmidt a. 0. S. 445 die Struktur
von cpiXel befremdend. Dagegen kann ich ihm nicht bei-
stimmen, wenn ihm ovriog als völlig müssig erscheint. Dieses
leitet passend von dem einzelnen Falle auf die allgemeine
Regel über und bezeichnet das Entsprechende. Ganz mit
Unrecht erklärt Schmidt h. y.a/.wv xaxot'g als ungehörig,
weil vorher nur von der Thorheit die Rede sei; to f^ioQOv
v6or]fxa bezeichnet das leidenschaftliche Wesen — der Anti-
gone, denn atV^ hat mit Recht Süvern hergestellt — , recht
eigentlich also eine /•.a/.ia xr^g «/^^'X^fe'- Die Aenderungen von
Schmidt gehen viel zu weit , um glaubwürdig zu sein. Er
verlangt (fvvai yoQ Eixog Ix y.a'/.iov yvtiixaig naxotg, worin
mir yvcüi-iaig die präcise P^orm der Sentenz zu stören scheint.
Wir haben wohl den Fall, der sich öfter findet, dass an die
Stelle von de das geläufigere ydg getreten ist, auch hier an-
zunehmen und zu schreiben :
(fikovoi d' ovTiog fx xaxwv tivai /.uxui.
Eur. frg. 198
ei d' evTvxcjv cig xai ßiov /.eA.trjfxivog
t.ii]div ööf-ioLöi Tojy /.aXwv rrsiQaoeTai,
lyio i^iiv ov7roT^ avTov o'Kßiov /.aloj,
cpvXayia de /jalXov yQrjiuärojv evöat/AOva.
Die treffliche Emendation von Cobet TiErcäaerai sollte nicht
verschmäht werden. In dem was Schmidt a. 0. S. 450
vermutet uijöir arcnXaiaai zoJv /.aXiöv 71eiqÜoexui „wenn ein
Wecklein: lieber ilie Texlnherlieferanii deft Aeschi/los etc. 371
Begüterter es nicht über sich jrewinuen kann , etwas von
seinen Glüeksgütern /u verwenden'', ist schon /reigdaezai
kaum brauchbar und würde iolf.n\oEi eher am Platze sein.
Das Bruchstück gehörte einer Rede des Amphion an , in
welcher der niedrigen Erwerbsucht gegenüber die höheren
Güter des Lebens, welche Kunst und Wissenschaft bieten,
gepriesen wurden. Was also twj- /.aXwv bedeutet, ist klar.
Mit Hecht aber hat Nauck an eidaif.iova Anstoss genommen,
welches einen Widersprucli mit dem vorhergehenden Verse
enthält: der auovoog arr^Q kann noch weniger als Evdai(.iMi'
denn als oXiiiog bezeichnet werden. Denn man wird doch
nicht etwa in eiöai/.iora die Freude des Geizhalses finden
wollen , von der Horaz Sat. 1166 spricht : populus me si-
bilat. at mihi plaudo ipse domi, simul ac numnios contemplor
in arca. Ein solcher Gedanke liegt hier fern. Nauck ver-
mutet Övoöai/Aova, welches auch Schmidt gelten lässt. Damit
würde der Dichter etwas behaupten , was niemand glaubt.
W^ir fordern ein Epitheton, welches das mühselige Leben des
Reichen und dessen Sorgen um sein liebes Geld kennzeichnet,
und schreiben :
cfihxy.a öi /näkXor yQrjuärojr svihrlf.iora.
Vgl. Aesch. Cho. 83 d/Liioai yvvul/.eg , öcouärioi' evÖ-^i.ioreg
mit dem Schol. Tovxiaviv v/rr^getideg et rtO^e'toai zu /.uid
TOV OVA.OV.
Eur. frg. 303
f/(w dt Tovg xakcüg iei)vrf/.6Tag
"Cr^v (pr^ui f.iöXXov xov ßltnEiv zovg /.iij y.ahög.
Es sollte mich wundern, wenn noch niemand an die einfache
Emendation zov ßXiriovzog ov /.alüg gedacht hätte. Wenn
man aber diese etwa de.shalb unbeachtet lässt, weil man
l^yi für notwendig hält, so bemerke ich, dass ov y.ahog
wegen des Gegensatzes zu dem vorhergehenden /.aXcog ganz
richtiy; i^t.
372 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 1. Dezemher I88S.
Enr. frcT. 407
iig aga t/r^r/^^ r^ /lartiQ y.uyior i.ii-ya
ji(JUTul(; tffiat lor dvoo'jvif.iov (fiOorov;
;iOi '/.ai uox' olv.ei aojf.iaToc; Xaywv (.liQüo,;
fr yßQoiv rj OTtläyyroiGtr rj naq' äjnaara
kod-' 7j/Lih> ; tug r-jV fiöyOog laTQoTg fAtyag 5
lOf-ialq äq^aiQslv 7" 710x6101 (paQf.iä'/.oiq
fcaoiöv lusyiOTrjV ttov ev avxf-Qio/TOig vuaov.
Diese feine und eindringliche Form den Neid zu verwünschen
verdient es , dass man ihr die ursprüngliclie Gestalt voll-
ständig wiedergibt. Der Fehler in V. 5 wird schon durch
das Versmass angezeigt; denn die Verkürzung 'i^t-iiv {i^j.iiv)^
welche bei Sophokles häufig vorkommt, hat Euripides sonst
vermieden. Man kann freilich sagen , dass sie auch bei
Aeschylos nur einmal sich finde , Eum. 349 yiyvo^ihaiot
laytj räd' fcf' äf-dv F:/.Qavdrj. Hier kann das daktylische
Versmass zur Entschuldigung dienen. Es gibt aber noch ein
zweites Beispiel bei Aeschylos , Suppl. 970 , wo Kirchhoff'
kvi)'' v^tlv f'oTiv für evdvfieh' sotiv hergestellt hat. Weil
hat allerdings tv^ foriv v^lv vorgeschlagen und Dindorf
pflichtet ihm bei, aber die Ueberlieferung enthält gerade in
der Harmlosigkeit der Korrupte! die Sicherheit der Emen-
dation kvi^ if^iv. Doch wenn man, obwohl in den weit
zahlreicheren Dramen des Euripides kein einziges Beispiel
vcn-komnit, trotzdem glauben sollte, dass if.tir an der einen
Stelle nicht zu beanstanden sei, so wird durch die unbrauch-
bare Verbindung und Konstruktion des folgenden Satzes aller
Zweifel beseitigt. In keiner Weise lässt sich das Imperfekt
erklären ; zur Not könnte man tjv äv verstehen. Dies gilt
auch von den Gonjecturen von Meineke ov-/. totiv log r(v
und F. W. Schmidt a. O. S. 408 aoacfig f.itv, wW r)v und
es is mir nicht recht verständlich, in welchem Sinne Schmidt
auf Krüger 1 § 53, 2, 7 und Kühner W S. 177 verweist.
Gerade ojg tjv lehrt uns, was vorhergegangen sein ninss:
Weclh-iti: Ueher <Ue Textüherlieferuw) des Äescliylos etc. 373
,0 dass wir's wüssten . auf das^ die Aerzte sich alle Mühe
gäben", also
iv xEQolv »I GJi'kayyvoioiv jj yTaq* o/ufiaza;
£t'^' Tjoi-iEi', log r^v fxoyd-og laxQolg /ntyctg xt£.
Schmidt verlangt xaf' 6i.if.iaTa, aber der Dichter scheint 7caQ'
ouf-iaTa (neben den Augen) vorgezogen zu haben, weil ihm
das Schneiden in den Augen nicht praktikabel vorkommen
mochte. Die Aendernng von tvov xai ttov'' in xi dr^ not''
oder iio'iöv tiot' ist deshalb nicht zu billigen, weil sich das
folgende sv yeQOiv an nov anschliesst , während man nach
7io~i6v Tioz' or/.el . . Xaywv fiegog ; eher tag yeigag erwarten
würde. Ueberhaupt vermisst man sowohl xat als rrox' un-
gern, so dass auch die Vermutung /rot- /rolov oh/.el mir nicht
mehr annehmbar erscheint. Der Gedanke ,wo mag er auch
nur wohnen angesiedelt irgendwo im Körper?" soll bedeuten:
„irgendwo im Körper muss er ja stecken , wo mag er nur
seinen Sitz haben?" Sonach dürfte nunmehr das ganze Frag-
ment in bester Ordnung sein.
Der Umstand, dass hier r^f-üv in j^ö(.iev überzugehen hat.
gibt eine gewisse Gewähr für die umgekehrte Verbesserung
von Alk. 278 Iv aol d' eofuiv ymI ^r^v Y.al f-ir^ , wo F. W.
Schmidt a. 0. S. 8 er ool 6' toxiv /.ai Lr^v y.al fii] oder h
aoi ö' tyoixEv /.ai Li^v /lai uTj oder endlich , womit jedoch
die Verbindung verloren geht, sv ool xovf.i6v /.al Cr^v /.al ur[
vermutet , während ich f »' ool 6' 7]uh' /.al C*j»' /.al u\^ vor-
schlage.
Eur. frg. 801
aoypr^qov loxiv dvd^i .iQEoßüxrj xt/.va
diöiooiv üoxiq oty.ty (vgalog yaf.iei '
dtonoiva yccQ ytQOvxi vvf.npuü yvvrj.
Die zwei Wörter xk/.va öidtuoiv , von denen das erste dem
Sinne nicht entspricht, das zweite aus der Konstruktion fällt,
hat man auf verschiedene Weise zu verbessern gesucht. Alj-
1888. Philos.-pbilol. u. bist. Cl. II. 3. 25
374 Sitzuiip der philoi^.-philol. Classe vom 1. Dezember 1888.
gesehen vom Sinne ist auch der Form nach das von Her-
mann vorgeschlagene cexriuv ccQcooig (für agoaig) bedenkhch.
N'alckenaer hat vaa für Tt/.va vermutet, obwohl man erst im
zweiten Vers den Gegensatz zu ot'xf'i^' cuQa'iog erwartet.
Meineke lässt nach jiQeoßvTrj via einen Vers ausgefallen sein,
in welchem das zu didiooiv gehörige Objekt (TiiAWQiav) ver-
loren gegangen sein soll. Nauck verwandelt öiöwaiv in rjAt-
d^iOQ, was nach fxoyßijQOv sativ wenig anspricht. Was Munro
mit didcooiv oorig or/f ^' toQalu) yaf.ieh' bezweckt , leuchtet
mir nicht ein. Mir scheint einerseits /.wyßrjQOv eoTiv . . via
kein passender Ausdruck zu sein, andrerseits wünschte ich.
wie gesagt, den Gegensatz im zweiten Verse. Es kann kaum
zweifelhaft sein, dass der Dichter gesclirieben hat:
(.loyßriQOv ioziv ovöqI 7iQE0ßvrr] liyog,
vE&viv ootig ov'^iiy^ loqalog yai.iei.
375
Historische Classe.
Sitzung vom 1. Dezember 1888.
Herr Riezler hielt einen Vortrag:
„Die Vermählung Herzog Albrechts IV. von
Bayern mit Kunigunde von Oesterreich.**
Bei meinen Studien über Albrecht IV. befestigte sich
in mir die üeberzeugung, dass die Geschichte diesem Fürsten
Ehrenrettung gegenüber einer schweren Anklage schulde.
Von österreichischen Historikern wird behauptet, der Witteis-
bacher halje sein Verlöbnis mit Kunigunde von Oesterreich
nur dadurch erzielt, dass er Erzherzog Sigmund und der
Prinzessin ein von ihm gerälschtes , die väterliche Zu.stimm-
ung aussprechendes Schriftstück Kaiser Friedrichs III. vor-
gewiesen habe. Der Vorwurf findet sich in der gelehrten
historischen Literatur zuerst in Fuggers Ehrenspiegel des
Hauses Oesterreich, hier noch nicht deutlich ausgesprochen,
doch dürfte ihn Fugger bereits im Sinne gehabt und nur
mit Rücksicht auf Albrechts Enkel, den regierenden Herzog
von Bayern verhüllt haben. Er sagt^): ,Zu dem Venediger
Kriege hat Herzog Albrecht Herzog Sigmund eine tapfere
1) Cgm. 895. f. 37U. Bekanntlich liegt Fuggeis Werk in echter,
unverstümmelter Gestalt nur handschriftlich vor.
37() Sitzung der histor. Chtsse vom 1. Dezember 1888.
Summe Geld vorgestreckt, dagegen Sigmund Albrecht so viel
Luft gelassen , dass er den Willen des Kaisers Tochter er-
langt und ihme durch ein seltsames Scheinen, zugleich als
ob solches des Kaisers Willen und Meinung gewesen wäre,
dieselbige zu einem Ehegemahl versprochen, auch die Graf-
schaft Tirol denselben beiden zu einem Heiratsgut verheissen
hat. Mit solchen seltsamen Fügen und Listen hat Albrecht
Kunigunde ohne Wissen und Einwilligung ihres Vaters zur
Ehe genommen." Deutlich hat dann Sigmund v. Birken in
seiner Ueberarbeitung des Fugger 'sehen Ehrenspiegels (1668)
dem Vorwurf Ausdruck gegeben , ohne jedoch dessen Ver-
tretung selbst zu übernehmen. „Wie etliche^) wollen, lehrte
Albrecht die Liebe, die Meisterin vieler Künste, mit Hilfe
Herzog Sigmunds Kaiser Friedrichs Hand und Lisigel nach-
malen und nachmachen und in dessen Namen einen Brief
schreiben, darin der Tochter wegen dieser Heirat das väter-
liche Vollwort gegeben wurde."
Ohne Einschränkung und ohne Bedenken findet sich
endlich die schwere Beschuldigung ausgesprochen in der Ge-
schichte des Hauses Habsburg vom Fürsten Lichnowsky (VHI,
73) und neuerdings von Professor Albert Jäger, im ."il. Bde.
des Archivs für österreichische Geschichte (1873), in einer
eingehenden Abhandlung, welche betitelt ist : Der Uebergang
Tirols und der österreichischen Vorlande von dem Erzherzoge
Sigmund an den römischen König Maximilian von 1478
bis 1490.
Von den bayerischen Historikern (Aventiu , Adlzreiter^
Zschokke, Buchner, Silbernagl) hat zwar keiner diese Ver-
unglimpfung Albrechts aufgenommen , aber aucli keiner den
Fürsten gegen diesell)e verteidigt und keiner der Frage eine
etwas tiefer eindringende Untersuchung gewidmet. So wie
1) VVahr.scheinlirli sind Fugger und der anonyme Hiograj^li Ku-
nigundens gemeint.
I\ie:ler: Vermähl uii;/ Hrrzor/ Alhrechfs IV. von Baifcrii. '^77
die Dinge bisher lagen, könnte man glauben , dass nur aus
patriotischer Zurückhaltung die bayerischen Geschichtschreiber
schweigend über diesen heiklen Punkt hinweggegangen seien.
Um auf den Grund zu sehen, ist vor allem festzustellen,
was wir aktenmässig über den Hergang wissen. Instruk-
tionen inid Urkunden . welche sich auf die Werbung und
Heirat beziehen, sind im dritten Bande von Herrgotts Monu-
menta gentis Habsburgicae und wiederholt als Beilagen
zur anonymen Biographie Knnigundens gedruckt. Wichtige
Correspondenzen sind in Auszügen in einem Copialbuche des
k. b. geh. Hausarchivs gesammelt, das überschrieben ist:
Heirats- und Correspondenz-Acta , Tom. IV., teilweise die-
selben, dann auch weitere im dritten Bande von Arrodens^)
Summarischer Archivbeschreibung im Münchener Reichs-
archiv. Von den meisten in Betracht kommenden Stücken
aus diesen beiden handschriftlichen Bänden, deren Originale
grösstenteils nicht mehr vorhanden zu sein scheinen , finden
.sich Regesten im 8. Bande des Fürsten Lichnowsky , für
welches Werk seiner Zeit sehr umfassende und gründliche
Nachforschungen in den österreichischen wie bayerischen
Archiven angestellt worden sind ; doch sind diese Regesten
nicht so ausführlich und genau gehalten, dass sich mit ihnen
allein in genügender Weise operiren Hesse.
Herzog Albrecht stand bereits in vorgeschrittenen Mannes-
jahren , als er (Ende 1484) zum er.stenmale in Unterhand-
lungen wegen eines Ehebündnisses sich einliess und zwar
mit Bianca Maria von Mailand, welche später die zweite Ge-
mahlin Kaiser Maximilians wurde. Diese Verhandlungen
.scheiterten, allem Anschein nach an den übertrieben hohen
Forderungen des Herzogs, und wahrscheinlich war das Pro-
jekt bereits gänzlich aufgegeben , als ein höheres Ziel vor
Albrecht erstand, Ehrgeiz und Herz des Vierzigjährigen zu-
1) Der Hofkaplan Dr. Michael .\rrodenius, vordem Jesuit, war
1590 von Herzog Wilhelm V. zu seinem Ai-chivar ernannt worden.
378 SitZHiir/ der histor. Classc vom 1. Dezember 1888.
gleich beschäftigend. Auf der Flucht vor den Ungarn, die
ihm seine Hauptstadt und Niederösterreich entrissen . war
Kaiser Friedrich im Sommer 1485 nach Tirol gekommen
und hatte in Innsbruck unter der Obhut seines Vetters, wäh-
rend er selbst Hilfe suchend in das Reich weiter reiste, seine
zwanzigjährige Tochter Kunigunde zurückgelassen. Dort lernte
sie Älbrecht kennen und beschloss um ihre Hand zu werben.
Sicher war politischer Ehrgeiz diesem Entschlüsse nicht
fremd ; dass aber auch wahre Herzensneigung im Spiel war,
darf man doch wohl, um von den poetisch gefärbten Schil-
derungen in der Biographie Kunigundens abzusehen, aus dem
ungetrübten Glück schliessen , das der folgenden Ehe be-
schieden war.
Die erste Nachricht von dem Plane liegt in einem Briefe,
flen Graf Jörg von Sargans, einer der ersten Räte Erzherzog
Sigmunds und als Pfleger des an Bayern verpfändeten Lan-
deck zugleich Diener Albrechts, am 1(). .Januar 1486 aus
Innsbruck an den Münchener Herzog schickte. Wenn auch
einige der Räte der Heirat abgeneigt seien , schrieb dieser
Vertraute, die meisten seien dafür, auch der gemeine Mann,
der davon höre , freue sich. Er und einige andere hätten
sich hinter Sigmund gesteckt und betreiben, dass er die Sache
nicht ausgehen lasse. „Euer (inaden hat manchen Wagbolz
geschossen; so schiessent den auch!" Zum Schlüsse fordert er
den Herzog auf selbst zu kommen^).
Den Erzherzog für das Vorhai)en seines Freundes zu
erwärmen wird nicht schwer gefallen sein und nun beschloss
man, eine vertrauliche Anfrage noch vor dem Kaiser an
dessen Sohn, den eben (Ui. Febr.) zum i-iunisclien Könige
1) Es braucht dies nicht dahin au9<^ele<,'i zu wcrdt-n. daas Albrecht
erst auf diese Kinladung hin die persönliche Bekanntschaft Kunigundens
j^emacht habe. Das Schreiben findet sich in Tom. 1\', fol. 98 der
Heiratssacben im Geh. Hausarchiv. Das nicht ganz klare Datum : Zins-
taf,' zu zwölften des Tag.s verstehe ich als Dienstag nach Dreikönigstag.
Biezler: Vennrihhtiifi Herzog Alhrcchts IV. von Bauern. -^79
crewählten Maximilian M /u richten, auf dessen freundschaft-
liche Gesinnung Alhrecht hauen konnte. Der zu dieser Mis-
sion ausersehene Bischof von Eichstädt, Wilhelm von Reichen-
au, kehrte denn auch mit einem mündlichen Bescheid zu-
rück, der sehr ermutigend gelautet hahen muss; wenigstens
lesen wir in dem Credenzschreiben Maximilians, das der Bi-
schof zugleich überbrachte, datirt vom 6. März aus Frank-
furt : alles , worin er Albrecht freundlichen Willen erweisen
könne, habe er Lust und Begierde zu thun, wie Albrecht
aus der mündlichen Werbung des Bischofs bemerken werde ^).
So schien der Handel günstig eingeleitet, als sich der Bischof
von Eichstädt nach Besprechungen mit AlVjrecht und Sig-
mund in München und Innsbruck, begleitet vom Grafen Al-
wig von Sulz % auch dem Kaiser näherte. Dieser hatte bis-
her alle Werber, die wegen Kunigundens angeklopft, auch
den Ungarnkönig Mathias Corviuus, zurückgewiesen und soll
den abenteuerlichen Plan gehegt haben, durch die Hand
seiner Tochter die Bekehrung des türkischen Sultans zum
Christentum zu erkaufen*). Die Ereignisse der letzten Jahre
werden ihn von dieser Illusion geheilt haben. Zuletzt war
über eine Vermählung Kunigundens mit einem Sohne Kasimirs
von Polen unterhandelt worden und in gewissen Kreisen be-
trachtete man dieselbe schon so gut wie gesichert, als das
Auftauchen des wittelsbachi.schen Projektes, dem der Kaiser
den Vorzug gab . daneben vielleicht auch andere uns unbe-
kannte Gründe bewirkten, dass die Verhandlungen mit Polen
1) Bei der Wahl in Frankfurt waren als Albrechts Gesandte
Pirkheimer und Paulsdorfer zugegen, die ihrem Herzog am 15. Fehr.
über den Stand der Dinge berichteten. Ulmanu, Die Wahl M.'s l.,
Forschungen XXII. 151.
2) Geh. Hausarchiv.
3) .\rroden III, p. 162, 163, 167.
4) Hierauf spielt deutlich auch das Regensburger Volkslied bei
V. Liliencron II, 186 an.
380 Siteuiifi der hi.^for. Classe vom 1. Dezember 1888.
abgebrochen wurden. Die Verstimmung des polnischen Hofes
äusserte sich bald darin, dass diese Macht (Oktober) ihreii An-
schhis?; an des Kaisers Feinde, Böhmen und Ungarn vollzogM-
Als der Bischof von Eichstätt — es war in dem für
Albrecht so ereignisschweren Juli 1486 — an den Hof Sig-
munds 'zurückkehrte, überbrachte er die Nachricht, dass so-
wohl der Kaiser als sein Sohn dem Plane nicht abo-eneigt
seien, dass der erstere jedoch eine schwerwiegende Bedingung
stelle : alle von Sigmund zu gunsten Baierns ausgestellten
Versciireibungen sollten 7Airückgenommen werden. Als Mit-
gift wolle der Kaiser seiner Tochter ausser ihrem mütter-
lichen Schmucke die dem Reiche heimgefallene Herrschaft
Abensberg /.ukommen lassen ; auch Maximilian gedenke etwas
beizusteuern. Wir Ijesitzen den Bescheid des Kaisers selbst
nicht, sondern nur eine auf dessen Grund für Sigmunds Ge-
sandte an Albrecht ausgestellte Instruktion. Aber wir dürfen
folgern , dass der Bescheid entweder Sigmund die unzwei-
deutige Vollmacht erteilte einen Heiratsvertrag zwischen
Albrecht und Kunigunde abzuschliessen oder doch so lautete,
dass Sigmund ihn , wenn auch vielleicht mit einiger Kühn-
heit, dahin auslegen konnte. Denn sowohl der Erzherzog
als Kunigunde hal)en sich dem Kaiser gegenüber später auf
diese Vollmacht berufen '').
Als Gesandte des Innsbrucker Hofes gingen um den
25. Juli Graf Jörg von Sargans, ein Herr von Rappoldsteiu,
Dietrich von Harras und Doktor Aristoteles Lebenpeck nach
1) Vgl. die Zeiigni.sse bei Ulmann, K. Maxiniiliaii. 1, 53. Anni. 1.
von des.sen Auslegung icli etwas abweiche.
2) Arroflen 111. 167; Heirntsacta IV, f. 100. hn dem ersteren
.\uMZUg (Sigmund caesari) wird die Vollmacht als der vom Bischöfe
von Eich.stätt und dem (trafen von Sulz vom kaiserlichen Hoflager
überbrachte Bescheid gekennzeichnet. lägers Autfassung, dass die
von Sigmund im Vertrage vom 30. August angerufene kaiserliche
Vollmacht etwas anderes und zwar eine Fälschung Albrechts gewesen
sei, wird hiedurch hinfälli".
Iiie:!er: Vrrmähliivfi Herzorj AJhrcchts IV. von Brtyvrn. -^^l
München, um dem Herzos^e über die Willensmeinnno- und
das Antjebot des Kaisers zu berichten.
üas letztere war nun offenbar über alle Erwartnnif
schäbig. Nicht nur. dass der lebergang des mütterlichen
Schmuckes auf die einzige Tochter sich eigentlich von selbst
verstand, auch von der kleinen Herrschaft Abensberg, welche
ringsum vom bairischen Territorium umschlossen war, deren
Herren zu den bairischen Landständen gehört hatten und
welche Albrecht nach dem Tode des letzten Freiherrn Nik-
iaus (28. Febr. 1485) bereits in Besitz genommen hatte,
durfte der Herzog nach den herrschenden Gewohnheiten füg-
lich annehmen, dass ihm die Belehnung damit ohnedies nicht
entgehen könne. Beim Lichte besehen , besagten also die
Bedingungen des Kaisers, dass er die Hand seiner Tochter
gewähren wolle, wenn er erstens keine Mitgift zu geben
brauchte . zweitens daneben mit der Rückgabe der Tiroler
Pfandbriefe noch ein glänzendes Geschäft machen konnte.
Dagegen erklärte sich Erzherzog Sigmund bereit , seiner
Muhme als Hochzeitsgut 20000 fl. auf die Herrschaft Hohen-
berg anzuweisen. Auf die früheren Verschreibungen an Al-
brecht erklärte Sigmund selbst keinen grossen Wert zu
legen, da er ja immer noch auf eheliche Söhne hoifte, diese
Verschreibungen aber nur für den Fall seines Absterbens
ohne solche Kraft haben sollten. Sollte indessen Albrecht
nicht sogleich in die Rückgabe dieser Pfandbriefe willigen,
so waren die Tiroler (Gesandten ermächtigt, das von ihrem
Herrn angebotene Hochzeitsgut auf 40000 fl. zu steigern.
Albrecht verlangte nun — soviel ist bekannt — , dass
Abensberg nicht seiner Braut als Mitgift, sondern ihm und
seinen Erben als Bestandteil des Herzogtums verliehen werde.
Mit diesem Bescheid ging am 2. August in Sigmunds Auf-
trag der Graf Josniklas von Zollern an den Kaiser ab , bei
dem er erwirken sollte , dass die Sache nicht auf die lange
Bank geschoben würde. Nochmals verwandte sieh durch
382 SitZHUfi der histor. (Vassc min 1. Dezember 18S8.
diesen Gesandten der Erzher/.o<i aufs wärmste für die ge-
plante Verbindung, die dem hal^burgischen Hanse in seiner
jetzigen Bedrängnis politischen Nutzen bringen , Kunigunde
aber einem Stande entreissen werde , in welchem länger zu
verbleiben in Anbetracht ihres Alters schimpflich wäre.
Ueber den Erfolg dieser Gesandtschaft sind wir nicht
unterrichtet; jedenfalls hatte aber einerseits der Kaiser keine
erneute oder bestimmtere Einwilligung mehr ausgesprochen,
anderseits Albrecht nicht in die Rückgabe der Tiroler Pfand-
briefe gewilligt, als am 30. August in Innsbruck bereits das
Verlöbnis gefeiert wurde. Sigmund . der die Eheberedung
abschloss, erklärte in dersell)en , dass er sowohl vom Kaiser
als vom Könige dazu bevollmächtigt sei. Der Bischof von
Eichstätt und der Graf von Sulz sollten die Nachricht hie-
von an das kaiserliche Hoflager bringen und waren bereits
auf dem Wege dahin, als ein Brief des Kaisers vom 11. Sep-
tember aus Mecheln wohl alle Beteiligten wie ein Blitz
aus heiterem Himmel traf, worin er Sigmund für seine Be-
mühungen in dieser Sache zwar dankte, doch Aufschub der
Sache gebot, bis er und sein Sohn selbst kommen würden.
An seine Tochter schrieb der Kaiser, es freue ihn. aus ihrem
.Schreiben zu sehen, dass sie ohne seinen und ihres Bruders
Willen nicht handeln wolle. Hoffentlich werde sie dies auch
durchführen , das (jJegenteil wäre ein grosser Unfug und zu
ihrem beträchtlichen Schaden ^).
Was Friedrich gegen den Münchener Herzog mittler-
weile verstimmt hatte, werden die genaueren Nachrichten
von den Vorgängen in Kegensburg gewesen sein. Eben in
den Tagen, da er um Kunigunde warb, hatte es Albrecht
gewagt die einzige bairische Reichsstadt an .sich zu ziehen,
nicht wie ein.st Ludwig der Reiche DonauwiMth. mit schnöder
1) Eigenhändif^er undatirter Zettel den Kaisers, nach späterer
Avifsclirift von Mitto .\ugust. vielleicht erst in den September zu
setzen. Heiratsacta IV, 103. Bei Arroden III, Ö. 170 Auszug.
Rif'zler: ]'rnimhlu>ii] Hcr:()fi AIhrechts IV. ro» Baijeni. 388
Gewalt, sondern in Frieden und (nite, auf Antrag der Bürger-
schaft selber. Indessen lie.ss sich der Erzherzog nicht irre
machen und wies die Gesandten an. heim Kaiser, wiewohl sich
dieser auch jede Botschaft verbeten hatte, um , Exekution
der Abrede" nachzusuchen; es geschehe zur Ehre des Hauses.
Kunigunde selbst schrieb an den Vater : sein Brief sei zu spät
gekommen ; nach Kenntnis der Gründe und der Vollmacht
Sigmunds habe sie bereits in die Verlobung gewdlligt; habe
doch Sigmund sogar gedroht, wenn sie nicht einwillige, seine
Haufl von ihr zurückzuziehen . habe sie für den Schaden
verantwortlich gemacht, der dem Hause ( )esterreich aus dem
Scheitern des Planes erwachsen würde. Dringend flehte sie
den Vater um billige Beurteilung ihres Verhaltens und um
seine Zustimmung an, auf dass nicht Cnheil zwischen beiden
Häusern erwachse^). Sigmund vereinte seine Bitten mit den
ihrigen . drohte auch . Kunigunde fortzuschicken , wenn die
Hochzeit nicht zustande komme. Die Gesandten warben neuer-
dings beim Kaiser und seinem Sohne und hatten beim letz-
teren vollständigen . beim Kaiser wenigstens einigen Erfolg.
Maximilian erklärte sich mit der Heirat völlig einverstanden
aus vier Gründen, von denen zwei besonders bemerkenswert
sind: weil er nämlich stets zu .Albrecht, dessen Tugend und
hohe Vernunft ihm bekannt seien . vor anderen Neigung
gehabt habe, ferner, weil jeder Widerstand gegen den Ungar-
könig unmöglich sei ohne Kat und Beistand der bairischen
Herzoge. Auch vom Kaiser berichteten die Gesandten, sie
könnten nicht anders annehmen, als dass ihm die Heirat wohl
gefalle. Nur nebenbei, nicht zur offiziellen Autwort gehörig,
sei die Bemerkung gefallen, dass der Kaiser sich durch die
Regensburger V^orgänge beschwert fühle. Sigmund habe —
so schrieb ihm Miiximilian (11. Nov.) — in dieser Sache
seinen Eifer für Ehre und Nutzen des Gesamthauses erwiesen
und sich nicht nur wie ein Vetter, sondern wie ein getreuer
11 Heiratsacta IV, f. 106: Anoileu III. 17U.
384 Sitzunfi iler /(/s/oc. Cht>!sc vom 1. Deze»iher 1888.
Vater erzeigt^). Am 7. Dezember schrieb der Bischof von
Eichstätt von seiner Bischofsstadt aus , wohin er vom
kaisedichen Hoflager zurückgekehrt war . an Sigmund : er
habe in der Heiratsangelegenheit vom Kaiser eine Antwort
empfangen , an welcher der Erzherzog , wie er hoffe , kein
Missfallen haben werde ^). Tags darauf aber schrieb der
Kaiser selbst aus Speier an Sigmund : dieser habe ihm durch
den kaiserlichen Kämmerer Sigmund vom Niderntor melden
lassen, wenn die Heirat nicht zustande komme, solle er um
seine Tochter schicken, denn er habe Beschwer sie länger
bei sich zu Ijehalten. Er bitte ihn nun die Sache stehen zu
lassen, bis Maximilian, den er täglich erwarte, zu ihm, dem
Kaiser, komme; dann wollen sie beide eine Botschaft zu
ihm senden. Wegen Burgaus bitte er Sigmund keine Ver-
änderung eintreten zu lassen^). Sigmund antwortete am
21. Dezember, mit der Heirat lasse er es beruhen*), ohne
sich jedoch daran zu halten. Am Sonntag vorher (17. Dez.)
waren bereits die Heiratsverträge ausgefertigt worden und
liald schritt man, unbekünnnert um des Kaisers Widerspruch,
auch zum Vollzug der Hochzeit.
Am 2. .Januar 1487 fand in Innsbruck in Gegenwart
Sigmunds und seiner Gemahlin, des Herzogs (leorg, des Pfalz-
grafen ( )tto , des (jrafen von Wirtemberg, der Bischöfe von
Passau und Brixen , durch den Bischof von Eichstätt die
kirchliche Trauung statt, der das Beilager vorausgegangen
1) Heirataacta f. 157. 159. Das am 20. Okt. vom Kaiser in Köln
dem Bischöfe von Eichstätt gewährte Privileg (Chmel Nr. 7870) deutet
darauf, dass der Bischof damals am knisprliclien Fiollager weilte.
2) Heiratsacta IV, t. 160.
3) A. a. O. nach fol. 160.
4) So nach Arroden III, p. 173. dagegen heisst es in dem Aus-
zug in den Heiratsacta IV. f. 163 (der vom Thomas-Abend. 20. Dez.,
nicht Thomastag wie hei Arroden datirt ist): wegen Kunigundens
werde er in kurzem dem Kaiser .schriftlich seine Meinung sagen.
Jiiezler: Vennähluiifj Herutii AIhrechts IV. tau Bayer», -lö^
war^) und nacli einigen Tagen die Ausfertigung der Urkun-
den über Heiratsgut, Widerlage und Morgengabe folgte.
Sigmund liielt sein Wort und gab eine Beisteuer von 40000 fl.
rhein. Am 9. Januar hielten die Neuvermählten ihren feier-
lichen Einzug in München , wozu sich auch Herzog Georg
und mehrere Bischöfe einstellten*).
Wir massen uns nun nicht an, den ganzen Vorgang
klar zu durchschauen. Dass trotz des relativen Reichtums an
Aktenmaterial manches unklar l)leibt, liegt teils in der Natur
dieser Verhältnisse, teils darin, dass doch nicht von allen Ge-
.saudtschaften. die zwischen dem kaiserlichen Hofe, dem kö-
niglichen und denen von München und Innsbruck hin und
her gingen, Instruktionen und Berichte erhalten sind. Vn-
bestreitbar ist, dass Albrecht mit rücksichtsloser Entschlossen-
heit sich nicht gescheut hat, die Braut ohne die Zustimmung,
ja gegen den wenn aucli schwankenden Willen ihres Vaters
heimzuführen. Mit ihrer Hand hoffte er wohl auch die
Donaustadt behaupten zu können. Ueberdies aber vermeinte
er nichts geringeres als durch diese Heirat seiner Familie
ein habsburgisches Erbrecht zu gewinnen zu einer Zeit,
da Haus Habsburg auf wenigen Augen stand. Er Hess
Kunigunde keinen Erbverzicht ausstellen und von bairischer
Seite findet man später die Ansicht ausgesprochen , dass
Knnigundens Erbrecht das gleiche sei wie das Maximilians^),
l'eber diese ehrgeizigen Hoffnungen .Albrechts belehrt uns
auch, was der Bischof von Eichstätt in seinem Auftrage
zur Rechtfertigung der geplanten Heirat dem Vetter, Herzog
Georg in Landshut vortrug. Da die Heirat diesen der An-
wartschaft auf das Münchener Erbe , welche ihm Albrecht
für den Fall seines söhnelosen Todes jüngst zugesprochen
1) Arroden Ilf, 177 f. ,den Einritt, Kirchgang u. a. betreffend."
Dieses Programm der Festlichkeiten widerlegt die Nachricht . die
Hochzeit sei ohne Prunk in der Stille gefeiert worden.
2) Arnpeck 454 ; Urkunden bei Aettenkhover. 378 f.
3) Ulraann, K. Maximilian, I. 53. Anm. 1.
38n Sitz^nifi der hiafor. Clafisie roj» 1. Dezemher 1888.
hatte, rasch wieder zu berauben drohte, galt es ihm gegen-
über die Vorteile für das Gesamthaus Bayern möglichst
glänzend hinzustellen. Die hier von Albrecht ausgespro-
chenen (übrigens seinen Hüten in den Mund gelegten^))
Motive sind demnach allerdings einseitig, ohne jedoch darum
gegen des Herzogs wahre Meinung zu Verstössen. Die Heirat
— so hatte der Bischof zu erklären — sei die ehrenvollste,
die sich jetzt finde und in weiter Zukunft finden werde, und
sie sei zugleich , selbst wenn sich die Bedingungen nicht
günstiger als bisher gestalten Hessen, die nützlichste. Es wird
hingewiesen auf die habsburgischen Erbaussichten , die sich
mit ihr eröffnen würden, auf die Irrung wegen Abensberg",
die damit ihr Ende finden, auf den Handel mit Regensburg,
der „desto leichter werde durchgedruckt werden". Beleh-
nungen mit verfallenen Fürstentümern und Herrschaften,
durch welche ihre Ahnen gross geworden, würden vom Könige
leicht erlangt, die von Sigmund verschriebenen 132000 0.
würden mit geringeren Schwierigkeiten eingebracht werden
können. Zuletzt wird Georg der lockendste Köder hinge-
worfen mit der angeblichen geheimen Aeusserung eines Ge-
sandten : falls Albrechts Heirat zustande komme , zweifle er
nicht, dass dann auch zwischen dem Könige und Georgs
Familie eine Verbindung beschlossen werde , aus der dem
bairischen Hause weitere Vorteile entspringen mögen '^) —
gemeint war wohl das später (1491) wirklich verabredete
Verlöbnis zwischen Maximilians Sohne Philipp und (jreorgs
Tochter Elisabeth, das jedoch, wie bekannt, zu keinem ßhe-
bündnisse geführt hat.
Also eine Welt von schönen Zukunftsträumen nicht nur
für das stille Glück der Familie , auch für die politische
1) Selbst mit ftlifhen soinf-r Lantlstände erklärt er sich übftr
die Heirat beraten zu wollen.
2) Heiratsacta IV, 100, 101. Geor^j gab, wie der Bischof berichtet,
kein Miüsfallen mit den aufgezählten Motiven zu erkennen.
Uieshr: Vermnhhiiui Herzog Alhrechi-< IV. vnti Bai/em. -^87
Grösse seines Hauses hatte sich Albrecht aufgethau und schon
hing sein Her/ zu fest daran . als dass er zurückweichen
mochte. Und hatte der alte, für den Augenblick so macht-
lose Herr im Exil durch schamlosen Geiz und ärgerliches
Schwanken eine geringschätzige Behandlung nicht gewisser-
massen herausgefordert, während auf der anderen Seite Ma-
ximilians entschiedene Zustimmung ermunternd wirkte? War
Kunigunde einmal vermählt, so musste der Vater doch wohl
gute Miene zum üblen Spiel machen ! Man weiss nicht,
war es mehr Optimismus und Ungestüm des Liebenden oder
das weite Gewissen und die kühne Berechnung des Ehr-
geizigen , was sich in diesem Gedanken aussprach und was
Albrecht trieb , die durch seine Freundschaft mit Sigmund,
durch die lange Abwesenheit und die Bedrängnis des Vaters
ihm in die Hände gespielten Vorteile auszunützen und die
Tochter trotz ihrer kindlich ehrbaren Gesinnung in Zwiespalt
mit ihrem Erzeuger zu drängen.
Dieses Verhalten kann und soll moralisch nicht ge-
rechtfertigt werden , aber von ihm bis zu einer Fälschung,
wie sie Albrecht zur Last gelegt wird , ist doch ein weiter
Schritt. Untersuchen wir nun , worauf sich ein solcher
Vorwurf stützen kaim , so muss von vornherein in Abrede
gestellt werden . dass eine Fälschung nötig gewesen wäre,
um Kunigundens Einwilligimg zu gewinnen. Kunigunde
schrieb an ihren Vater: er und ihr Bruder Maximilian
hätten Sigmund volle Gewalt gegeben sie mit Albrecht
zu verloben und es liegt kein Anlass vor , bei dieser Voll-
macht an eine andere zu denken als die durch den Bischof
von Eichstätt überbrachte . auf Grund deren im Juli die
Unterhandlungen zwischen Sigmund und Albrecht eingeleitet
wurden. Sigmund selbst hat sich im September in seinem
Schreiben an den Kaiser deutlich auf die ihm durch den
Bischof von Eichstätt im Juli überbrachte Vollmacht berufen.
Auch Jäger (S. 322), dessen Darstellung sich vornehmlich
388 Sitzuvfi der hisfor. (Vassr vom 1. Dc~emher 1S88.
au die Biographie Kunigunden.s hält , nimmt au , dass der
Kaiser damals Sigmund zur Ehebereduiig bevollmächtigte.
Gegenüber dieser Annahme wird mau fragen , warum
denn die von ihm behauptete Erneuerung dieses Auftrags
in einem von Albrecht gefälschten Schriftstücke nötig ge-
wesen sein sollte. Wäre sich der Kaiser dessen bewusst ge-
vs^esen, dass er Sigmund nie eine Vollmacht zur Eheberedung
oder etwas, was mit mehr oder weniger Kühnheit in diesem
Sinne gedeutet werden konnte, erteilt hätte, so hätten ihn
die Berufungen Sigmunds und Kunigundens auf eine solche
Vollmacht sofort belehren müssen , dass mit seinem Namen
ein unredliches Spiel getrieben worden , und unter diesen
Umständen wäre doch kaum anzunehmen , dass er den Ge-
sandten noch im Spätherbst einen nicht unfreundlichen Be-
scheid erteilt hätte.
Das wiederholte Schwanken des Kaisers , der während
der kritischen Monate in Aachen und Köln , dann in den
Niederlanden weilte, erklärt sich zum Teil vielleicht daraus,
dass bald seine eigenen Erwägungen bald der Zuspruch seines
Albrecht geneigten Sohnes überwog , noch mehr aber und
bestimmt daraus, dass die um sich greifende Politik der
Witteisbacher eben während der Verhandlungen erst, in der
zweiten Hälfte 148(5 die grössten Fortschritte gemacht hatte.
Nahezu mit Sicherheit lässt sich der im September erfolgte
Rückschlag in der Stinnnung des Kaisers von den Regens-
burger Vorgängen , der zweite Rückschlag im Beginne De-
zembers von der Erwerl)ung Burgaus herleiten. Am 28. No-
vember, zehn Tage vor dem abmahnenden Schreiben des
Kai.sers nach Innsbruck , hatte Sigmund die Markgrafschaft
Burgau um 52000 fl. an Herzog Georg von Bayern verkauft
und hieniit dem kaiserlichen Vetter, der ihm die Berechti-
gung habsburgische Lande zu veräussern nicht zuerkannte,
neuen Grund zur Unzufriedenheit sowohl mit ihm selbst als
mit den Witteisbachern gegeben. Wieweit auch die Frage von
Riezler: Vennählniifj Herzncf Alhrechta IV. von Bayern. 380
Kunigundens Erbverzicht auf des Kaisers Verhalten einge-
wirkt habe, entzieht sich unserer Kenntnis.
Nun können sich die österreichischen Historiker allerdings
auf zwei zeitgenössische Quellenschriften berufen, die geradezu
mit der Behauptung auftreten, dass Albrecht die Einwilligung
der Braut nur durch eine Fälschung gewonnen habe. Es fragt
sich nur, ob diesen Zeugnissen genügende Beweiskraft zuer-
kannt werden kann, um eine an sich wenig wahrscheinliche
und so schwerwiegende Beschuldigung zu erhärten. Das zeit-
lich älteste Zeugiiis Kndet sich in einem -sogenannten histo-
rischen Volksliede auf die Einnahme Hegensburgs, welches in
V. Liliencrons bekannter Sammlung^) gedruckt ist. ,Er hat's
erworben durch hohe List'', heisst es hier von Albrecht mit
Bezug auf seine Vermählung, ,aber wenn er auch wohl ge-
lehret ist — Brietiein schreiben und selber dichten und sich
die Heirat selbst zurichten, als hab's der Kaiser .selb.st gethan,
das steht einem Fürsten doch nicht wohl an." „Besser war 's,
er war' im ersten Bad gestorben I " , meint der Dichter in seinem
Grimm. Dieser nennt sich einen „Armen Mann" — also,
wenn dies nicht etwa mu' bildlich zu verstehen ist — einen
Bauern ans Albrechts Land, aber ein Bauer wird nicht, wie
unser Dichter thut, den Aesop citiren, ein Bauer erhält keine
Mitteilungen von Herrn Bernhardin von Stauf über den Ver-
lauf des Feldzugs am Niederrhein, wie .sie der Dichter nach
seiner Aussage erhalten liat. Hinter der Maske des Armen
Mannes verl)irgt sich augenscheinlich ein den höheren Ständen
angehöriger . ein eifrig habsburgi.sch gesinnter Mann , ich
vermute: ein Kleriker des Kegensljurger Sprengeis. Der
Regensburger Klerus war. wie mehrfache Nachrichten be-
zeugen, wegen neuer Auflagen, die Albrecht eingeführt hatte,
und anderer Dinge gegen den Baiernfürsten höchlich aufge-
V)racht. In Kegensburg standen sich die kaiserliche und die
1) Bd. II, S. 18Ü.
1888. Pliilo8.-pluloI. u.hist. Ci. 11. 3. 26
390 Sitzung der liiMor. Clusse com 1. Dezember 1SS8.
bayerisclie Partei wie zwei feindliche Heerlager erbittert
gegenüber. Das Gedicht von der Einnahme Kegensburgs ist
zu gutem Teil ein von wütendem Parteigeiste erfülltes, gif-
tiges Pamphlet gegen Albrecht, gegen die bayerischen Beamten,
denen die Hölle verheissen , die mit Schimpfworten wie
„Schintfesseln" (d. h. etwa Lotterbuben) bedacht werden,
gegen den bayerisch gesinnten Stadtrat und die ganze baye-
rische Partei, Ausdruck der furchtbaren Erbitterung, welche
die für den Augenblick unterlegene Partei gegen die sieg-
reiche beseelte, Vorbote, möchte man sagen, der Verfolgungen
und Folterqualen, welche die Führer der bayerischen Partei
nach der Rückgabe der Stadt an den Kaiser zu erdulden
hatten. Von wildem Humor durchtränkt und reich an histo-
rischen Einzelheiten, ist das Gedicht literarisch ein überaus
interessantes Denkmal, aber keine ausreichende Stütze zur
Führung eines historischen Beweises.
Hier ist die Anklage getragen von Hass gegen den
Bayernfürsten; in der zweiten Quelle, die in Betracht kommt,
ist sie hervorgegangen aus der Pietät für Kvuiigunde , aus
dem Eifer sie zu verherrlichen und jede Makel von ihrem
Andenken fernzuhalten. Auch diese zweite Quelle ist ein
literarisch merkwürdiges Stück, eine von einem Anonymus
verfasste Biographie der Kaiserstochter unter dem Titel:
Das Puch von den seltzamen Geschichten der edlen tewren
frawen Chungunden. Nach einer Copie von 1537 ist das
Buch 1778 in Wien mit einem Codex probationum edirt
worden^). Der Kaiser heisst hier „der alte weisse Kunig%
sein Sohn Maximilian „der junge weisse Kunig", Erzherzog
Sigmund „der fröhliche weisse Kunig", Herzog Albrecht „der
blauweisse Kunig", Frau Minne und Cupido treten auf, kurz
wir haben vor uns ein Poesie und Geschichte vermengendes
1) Kaiser Friedrichs Tochter Kunigunde. Ein Fragment aus der
ödterreichisch-baierischen Geschichte. Der ungenannte Herausgeber
ist Heyrenbach.
Hiezler: VermUhlniKi Heizoi) AUnrclits IV. roii Bayern. 391
Werk in der Art des Teuerdank und des Weisskunig und
wahrscheinlich dem letzteren Werke mit Absicht nachgebildet:
in derselben Art wie dort Kaiser Friedrich und sein Sohn
Maximilian sollte hier die Tochter Kunigunde verherrlicht
werden. Der Verfasser ist natürlich gut habsburgisch ge-
sinnt und wird in Kreisen zu suchen sein , die der Kaisers-
tochter wenigstens in irgend einer Periode ihres Lebens nahe
standen. Geschrieben hat er erst nach Kunigundens Tode,
der noch erzählt wird, also erst nach 1520.
Nach dieser Biographie hatte Frau Minne einen Knaben,
der bei ihr einen „drei^^clilachtigen" Dienst versah: als Kund-
schafter , Bogenschütz und Geheimschreiber. Dieser Bogen-
schütz begab sich in des vveissblauen Königs Briefgewölbe,
also in das Münchener Archiv, liess sich dort ein Schreiben
Kaiser Friedrichs als Vorlage geben , ahmte es geschickt
nach, grub mit seinen Bogenpfeilen ein Insiegel und drückte
dieses dem falschen Briefe auf. Den Brief hat dann Frau
Minne dem weissblauen Könige gegeben mit dem Auftrag
ihn dem fröhlichen weissen Könige vorzulegen , die vom
ersteren dagegen geäusserten Bedenken hat sie siegreich be-
kämpft und ihren Anschlag wirklich mit Erfolg ausgeführt
gesehen.
Ich denke , darüber braucht man nicht viel Worte zu
verlieren . dass sich mit einer derartigen Erzählung kein
historischer Beweis führen und am wenigsten eine schwere
Anklage erhärten lässt. Es ist ja nicht zu verkennen , dass
der Verfasser in manchen Dingen autfallend gut unterrichtet
ist , aber man weiss bei seiner Darstellung nicht , wo die
Geschichte aufhört und wo der Roman beginnt. Die Frage,
ob der Biograph Kunigundens das Regensburger Volkslied
gekannt hat, lässt sich nicht sicher beantworten ; ich möchte
sie eher verneinen. Darum darf man doch in dem Zusammen-
stimmen der zeitlich und örtlich auseinander liegenden Nach-
richten keine Stütze für ihre Richtigkeit suchen. In beiden
26*
392 Sitzung der histor. Classe vom 1. Dezember 1888.
Quellen scheint mir vielmehr ein verbreitetes Volksgerede
seinen Ausdruck zu finden, ein Gerücht, dessen Entstehung
sich leicht begreifen lässt. In Kreisen, wo man Kunigunde
als gutes , ihrem Vater zärtlich ergebenes Kind kannte , auf
Seite des Kaisers aber nur sein Widerstreben gegen die Heirat
und seine spätere Gereiztheit gegen Albrecht und die Tochter,
nicht auch seine vorausgegangene halbe Zustimmung: in
solchen Kreisen lag es nahe , dass man den Ungehorsam
Kunigundens, ihre Auflehnung gegen den väterlichen Willen
nur dann begreiflich fand, wenn die Prinzessin die Betrogene
war. In solchen Kreisen ist der Ursprung der .schweren Be-
schuldigung gegen den Bayernfürsten zu suchen, deren Nich-
tigkeit ich hiemit nachgewiesen zu haben glaube.
Nur mit wenigen Worten noch sei der Abschluss dieses
Familiendramas gezeichnet. Wenn Albrechts Berechnung dahin
ging , durch die habsburgische Pamilienverbindung seiner
ehrgeizigen Politik die Bahn zu ebnen, so ward das Gegen-
teil erreicht. Der Kaiser hat Albrechts Ehe widerstrebt, weil
ihm dessen Politik widerwärtig war, und er hat diese Politik
um so nachdrücklicher l)ek;unpft, nachdem Albrecht sich ihm
zum Schwiegersohn aufgedrungen hatte. Der ganze zähe
Eigensinn seiner Natur war wachgerufen und so nahe es
gestanden war, dass er selber wünschte und förderte, was
nun geschehen war , in der Art , wie es geschehen , sah er
einen ihm angethanen Schimpf, der gerächt werden müsse
und der alles, was ihn gegen Albrecht verstimmte, noch
drückender erscheinen liess.
Als Albrecht den ersten Mann seines Hofes, den Hof-
meister Jörg von Eisenhofen, an den Schwiegervater abord-
nete, um denselben versöhnlicher zu stimmen, fand der Ge-
sandte (Anfang Februar in Speier) kalten und ungnädigen
Empfang. Der Kaiser fragte den Gesandten mit keiner Silbe
nach seiner. Tochter, ebensowenig nach Albreeht, Georg,
Sigmund. In der ersten Audienz war keine andere Antwort
Biezler- VcrmähJutui Herzo(j Alhrvvhts IV. ton Baijcrn. 39M
von ihm zu erlangen . al.s dass er sich bedenken wolle , in
der zweiten, die im Beisein mehrerer kaiserlicher Räte statt-
fand, lautete die Antwort ungefähr ebenso : der Kaiser werde
sich wegen der Heirat mit dem Könige besprechen und dann
Bescheid geben. Mit dieser kurzen Erklärung wurde der
Gesandte ohne Dank und ungnädig abgefertigt. Er glaubte
bemerkt zu haben . dass die anwesenden Kurfürsten anders
dachten als der Kaiser, da man ja bei jedem Unternehmen
gegen Ungarn der bayerischen Herzoge nicht entraten könne.
Dass auch unter den kaiserlichen Räten eine Albrecht gün-
.stigere Strömung vertreten war, erfuhr Eisenhofen durch ein
Gespräch , in das sich Veit von VVolkenstein auf der (.^asse
mit ihm einliess. Wolkenstein äusserte, dass die Heirat für
beide Häuser, Oesterreich wie Bayern, von grossem Vorteil
sei, und erwähnte eines Planes , dass Albrecht, da ja Maxi-
milian nicht tiberall sein könne, den Oberbefehl gegen Ungarn
übernehmen solle. Bei Kimig Maximilian, den die bayerische
Gesandtschaft am 25. Februar in Brügge traf, fand sie so
gute Aufnahme, wie des Königs bisherige Haltung in diesem
Handel erwarten Hess. Aufs neue erklärte Maximilian , die
Heirat habe sein besonderes Wohlgefallen. Er meinte sogar,
der Aufschub sei nur deshalb beabsichtigt gewe.sen, weil der
Kaiser und er selbst zu Erhöhung der Ehre und Befestigung
der Freundschaft gern dem F'este beigewohnt hätten. Auf
dem bevorstehenden Nürnberger Reichstage werde er alles
aufbieten den Kaiser umzustimmen und er hege die zuver-
sichtliche Hoffnung, dass dies gelingen werde ^).
Diese Hoffnung war eine Illusion. Länger als sechs
.Jahre hat es Kaiser Friedrich übers Herz gebracht der ein-
zigen Tochter und dem überall im Reiche so hoch ange-
sehenen Schwiegersohne zu grollen, sie und seine neugebo-
renen Enkelkinder nie zu sehen. Auch nachdem der Wittels-
1) Arroden III. f. 170-172.
;i94 Sitzuiin der Instor. Clasne vom 1. Dezember 1888.
bacher im Frühlunj^ 1492, ohne Blutvergiessen , mir durch
die grosse Ueberlegenheit der kaiserlichen Rüstungen die
tiefste Demütigung erfahren hatte und auf allen Punkten,
wo er aggressiv oder begehrlich vorgegangen war, gegenüber
Kegensbnrg wie gegenüber dem habsburgischen Hausbesitz,
auch in der Frage von Kunigundens Erbverzicht, zum Rück-
zug und zur Nachgiebigkeit gezwungen worden war : auch
dann noch zeigte sich der Starrsinn des Greises unversöhn-
lich, noch immer weigerte er sich seine Tochter zu sehen.
Erst im Dezember 1492, ein halbes Jahr vor seinem Tode,
gestattete er, dass Kunigunde und x4.1brecht mit den Kindern
ihn in Linz besuchten.
395
Die zu Ehren Seiner Majestät des Königs und
Seiner Königlichen Hoheit des Prinzregenten regel-
mässig am 15. November abzuhaltende
Oeffentliche Sitzung
musste wegen der schweren Erkrankung, sodann des Ablebens
Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs Maximilian
in Bayern verlegt werden und fand statt
am 27. Dezember 1888.
Dieselbe wurde eröffnet durch einen Vortrag des V^or-
standes der Akademie. Herrn von DöUinger, , vi her den
Autheil Nordamerikas an der Literatur", welcher ander-
wärts veröffentlicht werden soll.
Hierauf wurden die von der K. Akademie am 21. Juli
lfd. Js. vollzogenen , am 5. November von Sr. Kgl. Hoheit
dem Prinzregenten bestätigten Neuwahlen öffentlich ver-
kündigt.
Es sind für die I. und für die III. Classe folgende:
I. für die philosophisch-philologische Classe
A. als ordentliches Mitglied
Herr Dr. Georg Karl August Bechmann, o. Professor
an der Universität München.
B. als ausserordentliches Mitglied
Herr Dr. Wilhelm (feiger, Privatdocent an der Universität
München und Studienlehrer am Maximilians-Gymnasium
dahier.
C. als auswärtige Mitglieder
Herr Dr. Hermann Usener, o. Professor an der Univer-
sität Bonn,
396 Oefl'entliche Sitzung row 27. Dezember 188S.
Herr Dr. Ludwig W immer, Professor an der Universität
Kopenhagen.
D. als correspondirendes Mitglied
Herr Dr. Johann Kelle, o. Professor an der Universität Prag.
n. für die historische Classe
A. als ordentliches Mitglied
Heri- Dr. Sigmund Riezler, Oberbibliothekar an der Hof-
und Staatsbibliothek und Vorstand des Maximilianeuras
dahier, bisher ausserordentliches Mitglied.
B. als correspondirende Mitglieder
Herr Edmund Freiherr von Oefele, Reichsarchivassessor
dahier.
Herr Dr. Henry Simonsfeld, Privatdocent an der Uni-
versität München und Secretär an der Hof- und Staats-
bibliothek.
C. als auswärtige Mitglieder
Herr Dr. .fulius Weizsäcker, o. Professor an der Uni-
versität Berlin,
Herr Dr. August Otuiar Essen wein. Director des (ger-
manischen Museums in Nürnberg
beide bisher correspondirende Mitglieder.
D. als correspondirende Mitglieder
lli'rr Dr. (leorg Kaufmann, o. Professor an der Akademie
Münster.
Herr Eugen Munt/., Conservator an der Ecole des Beaux-
Arts in Paris.
Herr Dr. Karl Ferd. Frdr. Müller, o. l'rofe.ssor an der
Universität Gie.ssen.
Sodann hielt Herr v. Planck . ordentliches Mitglied der
historischen Cla.sse, die Festrede „über die historische
Methode auf dem Gebiete des Civilprocessrechtes".
Die.seli>e wird al.'< be.sondere Schrift gedruckt werden.
;W'
Verzeichniss der eingelaufenen Druckschriften
Juli bis December 1888.
Die verelirlichen Gescllscliaften und Institute, mit welchen unsere Akademie in
Tausch verkehr steht, werden gebeten, nacl)stehendes Verzeichniss zugleich als Empfangs-
hestätigung zu betrachten. — Die zunächst für die niatliematiscli-physiknlische Classe
bestimmten Druckschriften sind in deren Sitzungsberichten 188S Heft 3 verzeichnet.
Von folgenden Gesellschaften und Instituten:
Geschichtuverehi in Aacheti :
Zoitschiift. Bd. I.\ und Register zu Bd. I— VII. 1887. 8".
Südslavische Akademie der Wissenschaften in Agram:
Rad. Bd. 87-91. 1887—88. 8".
Archäologische Gesellschaft in Agram:
Viestnik. Bd. X. Hett 3. 4. 1888. 8".
Societe des Antiquaires de Ficardic in Amiens:
Memoires. Docuraent.s inedits. Tom. XI. 1888. 4*^.
Bulletin. 1887. Nr. 4. 1888. Nr. 1. 8^
K. Akademie der Wissenschaften in Amsterdam:
Verhandelingen. .\fd. Lettei-kunde. üeel 17. 1888. 4°.
Vershigen en Mededeelingen. Afd. Letterkunde. 3« Reeks. Deel 4.
1887—88. 8".
•laarboek voor 1886. 1887. 8^.
Catalogus der Verzamelingen Bilderdyk en van Lennep. 1887. 8".
Prijsver.s : Matris querela et Susanna. 1887 — 88. 8°.
Historischer Verein in Augsburg :
Zeitschrift. 14. Jahrgang. 1887. 8^.
'398 Verzeicliniss der eiiKjelaufe.nen Dniclachriften.
Johns Hopkins University in Baltimore:
The American Journal of Philology. Vol. IX. Part 1. 1888. 8".
Studies in historical and i^olitical science. Vol. VI. 1888. 8".
Societe des sciences historiqnes et naturelles in Bastia:
Bulletin. VII« annee 1887. Fase. 80—84. Annee 1888. Fase. 85—90.
1887—88. 80.
Bataviaasch Gennotschnp van Künsten en Wetenschappen in Batacia:
Tijdsehrift voor Indische Taal-, Land- en Volkenkunde. Deel XXXII.
aflev. 2. 3. 1888. 8".
Notulen. Deel XXV. aflev. 4. 1887. 1888. 8".
^'erhandelinfi:en. Deel 45. aflev. 2. 1888. 4".
Daf?h-Kegister gehouden int Castell Batavia, Anno 1653, uitgegeven
door J. A. Van der Chijs. 1888. 80.
Historischer Verein für Oberfranl'en in Bayreuth:
Archiv für Geschichte und Alterthumskunde von OberfVanken.
Bd. XVII. Heft 1. 1887. 8«.
K. Akademie der Wissenschafteti in Bchjrad:
Godii^chnjak (Jahrbuch) 1. 1887. 1888. 8°.
Gla.s. (Nachrichtenblatt). Heft 1—9. 1887—88. 8».
Spomen etc. (Erinnerung an die Trauerfeier beim Tode des Dr. .los.
Pantschitsch, ersten Präsidenten der k. serbischen Academie).
1888. 8°.
K. Preussische Akademie der Wisse nschafte)i in Berlin:
Corpus Inscriptionum Latinarum. Vol. XI, 1. XH. 1888. Vol.
Abhandlungen a. d. Jahre 1887. 1888. 4P.
Politische Correspondenz Friedricli des Grossen. Bd. XVI. 1888. 8".
Sitzungsberichte 1888. Nr. XXI— XXXVII. gr. 8".
Corpus Inscriptionum .*\tticacum. Vol. II. pars III. 1888. Fol.
K. Bibliothek in Berlin :
Die Handschriften-Verzeichnisse der k. Bibliothek zu Berlin. Bd. V.
1888. 4».
Kaiserlich deutsches archäologisches Institut in Berlin:
Jahrbuch. Bd III. Heft 2. 3 und Ergänzungsheft I. 1888. 4".
Mittheilungen. Römische Abtheilung. Bd. III. Heft 2. 3. Rom
1888. 8».
Verein für Geschichte der Mark Brandenburg in Berlin:
Fiirschungen zur Brandfmburgischi-n und Preussisclien (leschichte.
Bd. I. 2. Hälfte. Leipzig 1888. 8°.
Verseichniss der eitigelaufeneit Dniclschriflen. 399
Internationale Zeitschrift für allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin :
Zeitschrift. IV. Bd. 1. Hälfte. Heilbronn 1888. gr. 8°.
Allgemeine geschichtsforschenrlc Gesellschaft der Schweiz in Berti:
.Jahrbuch für Schweizerische Geschichte. Bd. XHI. Zürich 1888. 8".
Historischer Verein des Kantons Bern in Bern :
Archiv. Bd. XII. Heft 2. 1888. 8».
Verein von Alterthumsfreunden im Rheinlande zu Bontr.
.Fahrbücher. Heft 86. 1888. gr. 8».
Academie Royale des Sciences in Brüssel.
Bulletin. 3. Serie. Tom. 15. Nr. 5. 6. Tom. 16. Nr. 7—10. 1888. 8°.
K. Akademie der Wissenschaften in Budapest:
Almanach 1888. 1887. 8».
Evkönyv. (Jahrbuch) XVII. 5. 1887. 4".
Ertesitö. (Sitzungsberichte) 1887. Nr. 4—8. 1888. Nr. 1. 1887—88. 8°.
Nvelvtudomänvi Ertekezesek. (Sprachwissenschaftliehe Abhandlungen).
Bd. XIV. 1—7.
Simonyi, Zsigmond, A magyar hatärozök. (Die Bestiramungsworte im
Ungarischen).
K^gi magyar Nvelvemlekek (Altungarische Sprachdenkmäler). IV. 2.
V. 1888.^ 40.
•lözsef föherezeg, Czigäny nyelvtan. (Grammatik der Zigeunersprache
von Erzherzog Joseph). 1888. 8°.
Nyelvtudomänyi közleraenyek. I Philologische Mittheilungen). Bd. XX. 3.
Nyelvemlektär. (Ungarische Sprachdenkmäler). Bd. IX. X. 8°.
Kiinos Ignäcz. Oszmän-török nepköltesi gyüjtemeny. (Sammlung os-
mano-türkischer Volksdichtungen). Bd. I.
Bayer Jözsef, A nemzeti jätekszin törtenete. (Geschichte des natio-
nalen Schauspielwesens). Bd. I. II. 1887. 8".
Förtenettudomänvi Ertekezesek. (Historische Abhandlungen). Bd. XIU,
6-8.
Färsadalmi firtekezesek. (Socialwissenschaftliche Abhandlungen). Bd. IX.
2—7.
Ballagi Ahidär. Colbert. Bd. I. 1887. 8<'.
Szädeczky Lajos, Izabella e's Jänos Zsigmond Lengyelorszägban. (Isa-
bella und .lohann Sigismund in Polen). 1888. 8''.
Marczali Henrik, Magyarorszäg törtenete II. .lözsef koräban. (Ge-
schichte Ungarns unter Josef II.). Bd. 111. und Register zu Bd.
I— III. 1888. 8».
Pesty Frigyes, Magyarorszäg helynevei. (Die Ortsnamen Ungarns).
Bd. I.
Gek'ich Jözsef, Ragusa es Magyarorszäg összekötteseinek okleveltära.
(Urkunden über die Beziehungen zwischen Ragusa und Ungarn).
1887. 8".
400 Vcrzeichniss der riiKjelanfcnen Dnickschriftcn.
Monunii'nta coniitialia rej^ni Transsylvaniae. Vol. XII. 1887. 8".
Archaeologiai Ertesitö. Bd. VII, 3—5. VIII. 1. 2. 1887—88. 4".
Hadtörtenelnii közleirienvek. (Krie^sffeschichtlirhe Mittheilungen).
1887. 80. "
Momimenta Hungariae Hi.st. Sectio I. Diplomataria. Tom. XXXVII.
1887 8*^
Kmlekbeszedek. (Gedenkreden). Bd. IV. 6—10. 1887. S».
Ungarische Reviie. 8. Jahrg. 1888. Heft 7-10. 8'^.
Statistisches Bureau der Hauptstadt Budapest:
i'ublicationen. Nr. XXII. Berlin 1888. 4".
Acadeniia Romana in Bukarest:
Docmnente privitöre la Istoria Romänilor culeso de Eud. de Hurmu-
zaki. Vol. III. parte 2. 1888. 4<>.
Asiatic Society of Bengal in Caicutta:
.Toiunal. Nr. 281—286. 1888. 8".
I'roceedings. Febr. — August 1888. Nr. 2—8. 8".
Bil.liothoca Indiea. Old Serie.s Nr. 263. 264. New Series Nr. 638-648.
1887-88. 8°.
Wochenschrift „The open Court' in Chicatjo:
The open Court, a weekly .lournal. Vol. II. Nr. 33-42. 51— 5H.
1888. 40.
Gesellschaft der Wissenschaftoi in ('hristiania:
Forhandlinger. Aar 1887. 1888. 8".
Historisch-antiquarische Gesellschaft von Graubünden in Chur:
XVII. Jahresbericht. Jahrg. 1887. 8«.
Akademische Lesehalle in Czernotvitz:
12. Verwaltungs-Bericht. 1888. S».
Universität in Czernonitz :
Uebersicht <ler akademischen Behörden. Winter-Sem. 1888/89.
Vcrzeirhni.'is der Vorlesungen. Winter-Sem. 1888/89. 1888. 8".
Gelehrte Estnische Gesellschaft in Dar pal:
Sitzungsberichte 1887. 1888. 8".
Festschrift zur Feier des .50 jährigen Bestehens der (iesellschaft.
1888. 80.
Universität in Dar pal :
Schriften aus dem -lahre 18H7. 4" und 8".
Verzeichnisü der eingelaufenen Dnickitchriften. +01
Alterthitmsverein in Dre.'fden :
Neues Archiv fiir säch8i8che Geschichte und Alterthumskunde. Bd. IX.
1888. 80.
Roffal Iri-sh Acadenuj In Dublin :
List of the Papers 1786—1886. 1887. \^.
Transaction.^. Vol. XXTX. parts 1—4. 1887—88. 4».
Froceedings. Polite Literature. Ser. II. Vol. II. Nr. 8. 1888. 8".
('unningham Memoirs. Nr. IV. 1887. 4".
Royal Society in Edinburgh:
Proceeding8. Session 1883—84, 1884—85, 1885-86. 1886—87. 1884
gy go
Tmnsactions. Vol. XXX. Part 4. Vol. XXXI. Vol. XXXII. Part 2-4.
Vol. XXXIII. Part 1. 2. 1883—88. 4».
Lehr- und Erziehung>iinstitul in Marin-Einsiedehi :
Jahre-sbericht f. d. .1. 1887/88. 4».
Verein für Geschichte der Grafschaft Mansfeld in Eisleben :
Mansfelder Blätter. 2. Jahrg. 1888. 8".
Gesellschaft für hddende Kunst und raterhindische Allerihiimer
in Emden :
Jahrbuch. Bd. VIII, 1. 1888. 8».
Univcrsitäta-Bd)liothek in Erlangen:
.S.hritten vom Jahre 1887/88. 4° und S'^.
Bihlioteca Nazionale Centrale in Florenz:
Bollettino delle pubblicazione italiane 1888. Nr. 61—70. 8°.
Bollettino delle opere moderae straniere. Vol. II. Indice. Vol. III.
Nr. 1—4. Roma 1888. 8«.
Breisgau-Verein ^Schau-in's-Land'' in Freiburg i/Br.:
,Schau-in's-Land.- 14. Jahrg. 1. Hälfte. 1888. Fol.
Unicersität in Freihurg:
Schriften a. d. Jahr 1887/88. 4«» und 8".
Oherlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz:
Neues Lausitzisches Magazin. 64. Bd. 1. Heft. 1888. 8".
K. Gesellschaft der Wisse tischaften in Göttinyen :
Gelehrte .\nzeigen. Nr. 14—19. 1888. 8".
402 Verzeichniss der einrfelaufenev Druckschriften.
Historischer Verein für Steiermark in Oraz:
Mittheilungen. Heft 36. 1888. 8«.
Gesellschaft für Pommer'sche Geschichte in Greifstfohl:
Pomraer'sche Geschichtsdenkraäler. Bd. VI. 1889. 8".
K. Institnut voor de Taal-, Land- en VoJkenkunde van Nederlandsch-
Indi'e im Haag:
Bijdragen. Deel XXXVII. aflev. 4. 1888. 8».
Oher-Gymnnsium in Hall (Tirol):
Programm f. d. J. 1887/88. 1888. 8".
Deutsche niorr/enländische Gesellschaft in Halle alS. :
Zeitschrift. Bd. 42. Heft 2. 3. Leipzig 1888. 8".
Universität in Halle ajS. :
Schriften a. d. J. 1887/88. 4° und 8».
Stadtbibliothek in Hambimj :
Mittheilungen aus der Stadtbibliothek. V. 1888. 8'^.
.Jahrbuch der Hamburgischen wissenschaftlichen Anstalten. 1\'. Jahrg.
1887. 40.
Historischer Verein für Niedersachse)i /» Hannover:
ZeitHchrifl. Jahrgang 1888. 8".
Universitäts-Bibliothek in Heidrlberti :
Schriften der Universität im Jahre 1887—88. 4*^ und 8".
Finländische Gesellschaft der Wissenschaften in Helsingfors:
Acta Societatis scientiaruni fennicae. Vol. XV. 1888. 8''.
Öfver.sigt af förhandlingar. XXVIII. 1885-86. XXIX. 1886—87. 1W8G
—87. 8*^.
Finska V.'tenskap.s-Societeten. 1838—1888. af \. K. Arpi)e. 1888. 8".
Universität in Hehincffors:
Schriften a. d. J. 1887/88. 4" und 8".
Ferdinandeum in Innsbrnck :
Zeitschrift. 3. Folge. 32. Hoft. 1888. 8''.
Verein für thüringische Geschichte und Alterthamskundc in Jena:
Zeitschrift. N. F. Bd. VI. Heft 1. 2. 1888. 8".
Thüringische Geschicht.Hquelien. N. F. Bd. III. Theil I. 1888. 8".
Verzeivhuiss der ei}i(ieJnufeneii Dniclischrifte)). lt)o
Verein für hessische Geschichte in Kassel :
Zeitschrift. N. K. XII. XIII. 1886-88. 8«.
Mittheiluncxen. Jahrg. 1886 und 1887. 8".
Verzeichniss der Mitglieder. 1887. S^.
Gesellschaft für Schlesicig-Holstein-LaHenburijische Geschichte in Kiel:
Zeitschrift. Bd. 17. 1887. 80.
Schleswig-Holstein-Lauenburgische Regesten und Urkunden. Bd. II
Lief. 5. Hamburg 1887. 4«.
R. von Liliencron. Der Runenstein von Gottorp. 1888. 8'^.
Universität Kiel:
Schriften aus dem Jahre 1887. 4° und 8".
Universität in Kietv :
Iswestija. Bd. 28. Heft 6-10. 1888. S».
Alterthumsverein zu Knin:
Izvje§ee etc. (Bericht des Alterthums-Vereins zu Knin). Zadar
1888. 8".
Gesellschaft für Nordische Alterthuniskande in Kopenhagen:
Aarböger. II. Raekke. Bd. 3. Heft 2. 3. 1888. 8°.
K. K. Al-ademie der Wissenschaften in Krakan:
Rocznik (Alraanach). Rok 1887. 1888. 8«.
Rozprawij (Sitzung.sberichte). Histor.-philos. Classe. Bd. XXI. 1888. 8".
Monumenta medii aevi. Tom. XI. 1888. 4'^.
Scriptores rerum Poloniearum. Tom. XII. 1888. 8^.
Andreae Cricii carmina ed. Casimirus Morawski. 1888. 8°.
Godf. Ossowski, Kurhan Ryzanowski (prähistorische Alterthümer).
1888. Fol.
Historiseher Verein in Lundshut :
Verhandlungen. Bd. 25. 1888. 8».
Ministerie van Kolonien in Leiden:
Nederlandsch-Chineesch Woordenboek, door G. Schlegel. Deel IV.
Aflev. 1. 1888. 4''.
K. Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig:
Abhandlungen der philologisch-hi.stori.schen Classe. Bd. X. Nr. 9.
Bd. XI, 1. (Verzeichniss der Originalaufnahmen von Goethes
Bildnissen). 1888. 4«.
Royal Asiatic Society in London:
Journal. N. Ser. Vol. XX. Part 3. 1888. 8°.
404 Verzeichniss der einyelanfcnen Druclischriftcn.
Historischer Verein in Luzern:
Der Geschichtsfreund. Bd. 43. Kinsiedeln 1888. 8^*.
Real Academia de la Historia in Madrid:
Bolotin. Tonio XII, L-nad. 6. Tomo XIII, cuad. 1 - 5. 1888. 8".
Biblioteca E. di Brera in Mailand:
.\rchivio storico Lombardo. Ser. II. Anno XV. Fase. 2. 3. 1888. 8°.
Reale Istituto Lombardo di scienze e lettere in Mailand:
Memorie. (Jlasse di lettere. Vol. XVIII. Fase. 1. 1887. i^.
Rendiconti. Ser. II. Vol. XX. 1887. 8'^.
Literary aial PhilosojMcal Society in Manchester:
Proceeding.s. Vol. 25. 26. 1886-87. 8^
Memoirs. 3. Series. Vol. 10. London 1887. &^.
Universität s-Bibliotheli in Ma rhur<j :
Schriften a. d. J. 1887/88. 4» und 8^.
Historischer Verein für den Reg.-Bez. Mariemrerdcr in Marienwerder:
Zeitschrift. Heft XXII. 1888. 8^.
Henneheryischer altcrlhumsforschender Verei)i in Meiningen:
Neue Beiträge zur Geschichte deutschen Alterthunis. Lief. 5. 1888. 8°.
Fürsten- und Landesschule St. Afra in Meissen:
Jahresbericht 1887/88 mit l'rograinni von Türk , Die Nazarener.
1888. 40.
]'erein für Geschieht r der Stadt Meissen in Meissen:
Mittheilungen. Bd. II, Heft 2. 1888. 8".
Regia Accademia di scienze, lettere ed arti in Modena:
Memorie. Ser. II. Vol. V. 1887. 4«.
Archaeologische Gesellschaft in MosJ:aii:
Drewnosti. Bd. XII. Heft 1. 1888. 4».
Statistisches Bnrcan der Stadt München in München:
.Mittbeilungen. Bd. IX. lieft 4. 1888. 4".
Verzeichnis^ der eingelaufenen Druckschriften. 405
Sekretariat ile.'f k. h. Han>i-Fitter-()r(1rns mw hl. Groni in München:
l>er k. I>. Haus-Rittei-l'iden vom hl. (^ieoro; nacli tleiii Stande vom
8. D.-.Hmber 1888. 8«».
Ä". Alhj. Reichsnrchic! in München :
.\iThiviiIi.sche Zeitschrift. Herausgeg. von Franz v. Lüher. XIII. Bd.
1888. 8".
K. Universität in München:
.\mtliches Verzeichniss des Personals. Somni.-Sem. 1888. 8°.
TV/t/» für Geschichte und Altrrthnmskunde Westfalens in Münster:
Zeitschrift für vaterländi.sche Geschichte. Bd. 46. 1888. 8».
Westfäli.'^cher Provinzial-Verein für Wissenschaft und Kunst
in Münster:
14. und 15. .Jahresbericht für 18S5 und 1886. 1887. 8^
16. .Tahre.^bericht für 1887. 1888. 8".
American Oriental Society in Neir-Hacen:
Proceedings at Boston, May 1888. 8".
Verein für Geschichte der Stadt Nürnberf):
.Jahresbericht f. d. Jahr 1887. 1888. S".
Mittheilungen. Heft 7. 1888. 8^.
The English Histoncal Feview in O.rford:
Review. Nr. 11. 12. 1888. 8".
Musee Guimet in Paris:
Annales. Tom. XIV. 1887. 40.
Revue de Ihistoire des religions. Tom. XVI, 3. XVII. 1. 2. 1887
-88. 8".
Berue hi.'itoriquc (Gabriel Monodj in Pari.i:
Revue historique. XIII. annee. Tom XXXVIII. Nr. 1. Sept.— Oct.
1888. 8".
Societi' des Hudes histnriqucs in Paris :
Revue. 53« annee. 1887. 8".
Academie Imperiale des Sciences in Petershurg \
Bulletin. Tora. XXXII. Nr. 2—4. 1888. 4°.
Memoires. VII. Serie. Tora. XXXVI. Nr. 1-5. 1887—88. 4".
13S8. Philos.-philol. u. bist. Cl. II. ."?. 27
406 Verzeichniss der eingelaufenen Dntcicschriften.
Historical Society of Pennsylvania in Philadelphia:
The Pennsylvania Magazine. Vol. XII. Nr. 2. 3. 1888. 8°.
IJanquet to commemorate the framing and signing of the Consti-
tution of the U. S. 1888. gr. 8".
Lese- und Bedehalle der deutsehen Studenten in Prag:
Jahresbericht f. d. Jahr 1887. 1888. 8°.
K. böhmisches Museum in Prag :
Öasopis. Bd. 62. 1888. 8°.
K. K. deutsche Carl- Ferdinands- Universität in Prag:
Ordnung der Vorlesungen. Wintersem. 1888/89. 8".
Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen zu Prag:
Mittheilungen. 26. Jahrg. Nr. 1—4. 1887. 8°.
Historischer Verein in Begensburg:
Verhandhingen. 42. Band. Stadtamhof 1888. 8°.
B. Accademia dei Lincei in Born:
Atti. Serie IV. Rendiconti. Vol. IV. Fase. 8—13. und Vol. IV. 2o se-
mestre. Fase. 1—5. 1888. 4".
Atti. Serie IV. Classe di scienze morali. Vol. III. parte 2. Notizia
degli scavi. Gennaio — Novembre. 1887. 4°.
Universität in Bostoclc:
Akademische Schriften a. d. J. 1887/88. 4» und 8".
Academie Aes sciences in Bouen:
l'rficis des traveaux pendant l'annöe 1886—87. 1888. 8".
Collegium Borromaeiim in Salzburg:
Programm f. d. J. 1887/88. 1888. 8".
K. K. Staats-Gymnasium in Salzburg:
Programm f. d. J. 1887/88. 8^.
Histor. Verein für das Württcmh. Franken in Schuübisch-Ilall :
Württemb. Franken. N. F. III. 1888. gr. 8".
Verein für Meldenburgische Geschichte in Schtverin:
•fiihrbücher und Jahresberichte. 53. Jahrg. 1888. 8".
China-Branch of the Boyal Asiatic Society in Shanghai :
Journal. N. Serie. Vol. XXII. Nr. 5. 1888. 8°.
Verzeichiiiss der ei)i(jelanfi'neii Druckschriften. 4''<
A'. A' (irchaeoloffisches Musrnm in Spalato:
BuUettino di archeologia. Anno XI. Nr. 6-11. 1888. S°.
K. Statistiftches Landesamt in Stuttgart:
Wiirttenil)eifT:ische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde. Jahrg.
1887. Bd. I. Heft 3. Band Tl. Heft 1—4. 1887—88. 4°.
Museo comunale in Irient :
Archivio Trentino. Anno VIT. Fase. 1. 1888. 8°.
Korrespondenzhlatt für die Gelehrten und Realschulen Württembenjs
in Tübingen :
Korre8])Ondeu/.blatt. 35. Jahrg. Heft 1. 2. 5—10. 1888. 8''.
Universität in Tübingen :
Schriften a. d. Jahre 1887. 4" und 8*^.
R. Aceademia dclle scienze in Turin:
Atti. Vol. XXIU. disp. 13-15. 1888. 8".
Verein für Kunst und Altcrthum in Ulm:
Mün.ster-Blätter. Heft 5 mit einer Beilage. 1888. 4".
Universität in Upsala:
Schriften a. d. Jahre 1887/88. 4" und 8".
Universitets-Arsskrift. 1887. 8*'.
Societe provinciale des arts et sciences in Utrecht :
Bijdragen tot de geschiedenis van de kerspelkerk van St. Jacob te
Utrecht, door Th. H. F. van Riemsdyk. Leiden 1888. 2".
P. M. Netflcher. Geschiedenis van Es.sequebo, Demerary and Berbice.
s'Gravenhage 1888. 8^.
V'erslag algenieene vergadering 1887. Utrecht 1887. 8''.
Aanteekeningen v. h. verhandelde in de Sectien 1887. 8°.
Ateneo Veneto in Venedig:
L'Ateneo Veneto. Serie XL Vol. L Nr. 1-6. Vol. H. Nr. 1. 2. 5. 6.
1887. 8'^.
Istituto Veneto di Scienze in Venedig:
Memorie. Vol. XX IL parte 3. 1887. 4P.
Atti. Serie VL Torao V. disp. 2—9. 1886—87. 8^
Harzverein für Geschichte in Wernigerode:
Archiv. Jahrg. XXL L Hälfte. 1888. 8".
408 Verseichniss der eingelaufenen Druckschriften.
Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien:
Sitzungsberichte, philos.-bist. Classe. Bd. 114. Heft 2. Bd. 11.5. 1887
-88. 8'\
Denkschriften, philos.-hist. Clas.se. Bd. 36. 1887—88. 4".
Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen. Bd. 71, 1. 2.
72, 1. 1887-88. 8^. '
K. R. Universität in Wien:
Oeffentliche Vorlesungen. Wintersem. 1888/89. 1888. 8°.
Verein für nassauische Alterthuniskunde in Wiesbaden:
Annalen. Bd. XX. Heft 2. 1888. gr. 8».
Antiquarische Gesellschaft in Zürich:
Mittheilungen. Bd. XXH. Heft 2 und 4. Bd. XXIII. Heft 1. Leipzig
1888. 40.
Von folgenden Herren:
Joaqiiim de Araujo in Porto:
Occidentaes. 1888. 8°.
Poetas mortos. 1888. 8^.
Greyorio Ghil y Naranjo in Las Palmas (Gran CanariaJ:
Estudics de las islas Canarias. Parte I. Historia. Tom. I. 1879. 4^.
Wilhelm von Christ in München:
Geschichte der griechischen Litteratur bis auf die Zeit Justinians.
Nördlingen. 1889. 8".
Leopold Delisle in Paris:
L'Evangeliaire de Saint-Vaast d'Arras. 1888. Fol.
Les manuecrits des fonds Libri et Barrois. 1888. 8".
/. V. DölUnger in München:
Akademische Vorträge. 2 Bde. Nördlingen 1888 u. 89. 8''.
Ch. A. B. Huth in Hamburg:
Farbige Noten. Vorschlag eines neuen vereinfachten Notensysteuis.
1888. Fol.
Verzeicliiiisu der ciinjelaufeiieu Dnukschrif'teii. -lOJ
Eugene Müntz in Pariti:
Les Collections des Medici.'» au XVe siecle. 1888. Fol.
La Hibliotheque du Vatican au XV. Siede. 1887. 8^
Les sources de rarcheologie cbretienne. Ronie 1888. 4".
La colonne Theodosienne a Constantinople. Paris 1888. 8".
LWntipape Clement VH. 1888. 8".
Giovanni di Bartolo da Siena. 1888. 8°.
Jules Oppert in Pdris :
'I'hc real Chronology of the Babylonian Dynastie«. London 1888. 8".
Wilhelm Preijer in München:
Tischreden Luthers, hsg. von W. Preger. Leipzig 1888. 8".
Constantin Sathus in Venedig:
Doeuments inedits rel. ii l'histoire de la Grece au moyen äge. Tom. VIL
VIIL Paris 1888. 4P.
G. Aug. B. Schierenberg in Frankfurt a/M.:
Die Räthsel der Varusschlacht. 1888. 8*'.
C. Schmidt in Strassburg:
Michael Schütz genannt Toxites. 1888. 8*^.
Jides Swiecianowski in Warschau :
Es.sai sur l'echelle musicale comme loi de l'harmonie. 1881. Fol.
La loi de l'harmonie dans Part grec. Paris 1888. Fol.
111
Namen-Reiiister
Becluuann (Wabll 395.
V. Brunn 171.
Cornelius 278.
V. Döllinger 395.
V. Druffel IGO. 279.
Essenwein (Wahl) 396.
Geiger (Wahl) 395.
Gregorovius 327.
Heigel 1.
Kaufmann (Wahl) 396.
Keinz 309.
Kelle (Wahl) 396.
Müller Karl (Wahl) 396.
Müntz (Wahl) 396.
V. Oefele (Wahl) 396.
V. Planck 396.
V. Prantl 123.
412 Namen-Register.
V. Reber 79.
Kiezler 375. (Wahl) 396.
V. Rockinger 123.
Römer 201.
Sinionsfeld (Wahl) 396.
Sittl 255.
Stieve 160.
Usener (Wahl) 395.
Wecklein 327.
Weizsäcker (Wahl) 396.
Wimnier (Wahl) 396.
413
Sacli-Keirister.
Aesthylus 201. 327.
Albrecht IV.. Herzog von Bayern 375.
Athen im 12. Jahrhundert 327.
Baustil der heroischen Epoche 79.
Bayern, Kurtiirst Max Emanuel 1.
Brachylogus iuris romani 123.
Braunschweig. Herzog Heinrich von 160. 279.
Civiiprozessrecht 396.
Druckschrift en-V'erzeichniss l«jl. 397.
ffiebelgruppHn 171.
Iliashan<l.schrit't 255.
Kunigumle von Oeaterreich 375.
Logik. Literatur derselben 123.
Luthers Schrift an Sachsen un<l Hessen 160. 279.
Max Emanuel von Havern. <,Tetangens< hatt der Söhne 1.
-^ 1 ^ Sach-Jief/istei:
Ni'idhart-Forschiing 309.
Nordamerikas Literatur 39ri.
Renata, Herzogin von Kerrara 278.
Schwaben.s|)ie{?el 123.
Tragiker, griechische 201. 327.
Wahlen, akademische 395.
Wittel.shacher Briefe 160.
AS Akademie der Wissenschaften,
182 Munich. Philosophisch-
MS2j Historische Abteilung
1888 Sitzungsbericnte
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