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Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften
zu München.
Jahrgang 1864. Band I.
^VW^»^<w^W»^ ^^^^%*^^»*- ^w»
w •'*-~# - J*M*tol.M'M^»WWWWW^^
München.
Druck von F. Straub (Witfcelsbacherplatz 3).
1864.
In CommlMion bei G. Fr am.
ff
Uebersicht des Inhaltes.
Die mit * bexcichnetea Yortrftge sind ohne Aussog.
PhilosopJtisch-philol. Glosse. Sitzung vom 2. Januar 1864.
Seite
•Christ: Beiträge zur Geschichte der Antiken-Sammlungen in
München 1
Maihematisch-physihdl. C lasse. Sitzung vom 9. Jan. 1864.
^ St einheil: Ueber einen neuen Meridiankreis seiner Construc-
tion (mit einer Tafel) 1
/Bischoff: Ueber das Verhaltniss des Horizontalnmfanges und
des Sehadel-Innenraumes zum Gehirngewichte (mit
zwei gravirten Tafeln) 13
Buchner: 1) Ueber das Turpethharz, eine Mittheüung des
Herrn Ihr. Spirgatis in Königsberg 68
2) Ueber das Berberin 61
3) Ueber das aetherische Oel aus den Fruchten von
Abies reginae Amaliae 67
?. Eobell: Ueber den Aedelforsit und Sphenokks .... 72
Mohr: Ueber verbesserte Methoden in der Trennung und Be-
stimmung des Kupfers 79
IV
Seit«
Historische Glosse. Sitzung vom 16. Januar 1864.
*Giesebreoht: Eine Untersuchung der Fränkischen Reichs-
annalen des Karolingischen Zeitalters 82
Phüosophisch-philol. Glosse. Sitzung vom 6. Februar 1864.
Sohlagintweit, E.: Ueber den Gottesbegriff des Buddhismus 83
♦Plath: Ueber Verfassung und Verwaltung des chinesischen
Reiches unter den drei ersten Dynastieen .... 102
Mathematisch-physikal. Classe. Sitzung vom 13. Febr. 1864.
Steinheil: Der Astrograph. Ein Apparat zum Zeichnen des
durch Fernrohre betrachteten Sternhimmels . . 103
Schönbein: Chemische Mittheilungen.
1) Einige Angaben über den Wasserstoffschwefel 107
2) Ueber ein neues höchst empfindliches Reagens
auf das Wasserstoffsuperoxyd und die salpetrig-
sauren Salze 113
8) Ein Beitrag zur genauen Kenntniss des mensch-
lichen Harnes 115
4) Ueber die Bildung einer fluorescirenden Materie
beim Faulen des menschlichen Harnes . . . 132
5) Ueber das Vorkommen des Wasserstoffsuper-
oxydes im menschlichen Körper 134
Jolly: 1) Ueber die Ausdehnung des Wassers von 30<>C. bis
lOOo C 141
2) Ueber eine Federwage zu exacten Wägrungen . . 162
Kolbe (in Marburg): Ueber eine neue Classe organischer
Schwefelverbindungen 167
Seite
Historische Glosse. Sitzung vom 20. Februar 1864.
♦Roth: Säcularisation des Kirchengutes unter den Karolingern 170
Einsendungen von Druckschriften 171
Mathematisch-physiial. Classe. Sitzung vom 12. März 1864.
Vogel jun.: Ueber den Einfhus des Frostes auf Kartoffeln 177
Historische Classe. Sitzung vom 18. März 1864.
•Döllinger: Ueber den Untergang des Templer-Ordens, dessen
Ursachen, die Schuld oder Unschuld des Ordens 184
Oeff. Sitzung zur Feier des 105. Stiftungstages v. 30. März 1864.
Vorstand Baron von Liebig: Einleitende Worte 185
Ansprache und Ueberreiohung der
goldenen Medaille an den Jubilar
geheimen Rath von Martius 186
von Martius: Entgegnung 187
Nekrologe: 1) auf Heinrich Rose 192
2) auf Andreas von Zipser . . . 195
3) auf Ferdinand von Schmöger 196
Einsendungen von Druckschriften 197
Philosophischrphilol. Classe. Sitzung vom 7. Mai 1864.
♦Beckers: Ueber die wahre und bleibende Bedeutung der
Naturphilosophie Schellings 207
1
\ .
VI
Seite
Mathetnatisch-physikal. Glosse. Sitzung vom 7. Mai 1864.
Pettenkofer: Bemerkungen über die chemischen Untersuch-
ungen von M. J. Reiset über die Respiration
von landwirtschaftlichen Hausthieren . . . 207
Gümbel: Ueber das Knochenbett (Bonebed) und die Pflanzen-
schichten in der rhätischen Stufe Frankens . . . 216
Vogel jun.: Ueber die Torfkohle 279
f Nägeli: Ueber den inneren Bau der vegetabilischen Zellen-
membranen (mit zwei Tafeln) 282
Historische Glosse. Sitzung vom 28. Mai 1864.
♦Sighart: Ueber ein aus Waohstafeln bestehendes Buch vom
Jahre 1340 826
Einsendungen von Druckschriften 827
Sitzungsberichte
der
königl bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch -philologische Classe*
Sitzung Tom 2. Januar 1864
Herr Christ hielt einen Vortrag:
„Beträge zur Geschichte der Antiken-Samm
langen in München".
Derselbe wurde für die Denkschriften bestimmt.
Mathematisch -physikalische Classe.
Sitzung vom 9. Januar 1864.
Herr Steinheil berichtete
„Ueber einen nenen Meridiankreis seiner
Construction".
Es ist auffallend, dass die Dechnationsbestimmangen
der Fundamental - Sterne noch immer constante Differenzen
[1864. L l.] 1
i
2 Sitzung der math.-phys. Gasse vom 9. Januar 1864.
zeigen, die bis zu 2 Bogensekunden gehen, wenn man die
Ergebnisse verschiedener Sternwarten mit einander vergleicht.
Da diese Differenzen bestehen, obschon allen Beobachtungen
dieselben Reductionselemente zu Grund gelegt sind, so muss
die Ursache darin liegen, dass die Werthe der kleinen Re-
ductionsgrössen a, b, c (die bekannte Reductionsformel ist:
t — (a -f- x) == a. Sin (g> — d) -f- b. cos ($p — d) -f c. See <J)
cos d cos d
unrichtig angenommen werden, oder mit andern Worten,
dass diejenigen Correctionen , durch welche die Bewegungen
des Instrumentes auf mathematisch richtige gebracht werden
sollen, noch behaftet sind mit Constanten Fehlern, deren
Quellen sich bis jetzt der Erkenntniss und Berücksichtigung
entzogen haben.
In der That sind auch Ursachen, die störend wirken
müssen, anzugeben, die sich bei dem jetzt üblichen Meri-
diankreise1) nicht entfernen lassen.
Die Hauptursache der Fehler in den Declinationsangaben
ist wohl in der Durchbiegung des Fernrohrs zu suchen.
Soll daher ein Instrument gebaut werden, welches zu
der Hoffnung berechtigt, die constanten Fehler bis auf kleine
Theile einer Bogensekunde zu entfernen, so muss es die
Möglichkeit geben, die Reductionsgrössen bis zu dieser Ord-
nung sicher vor und nach der Sternbeobachtung, ohne viel
Zeitaufwand zu bestimmen, und es muss das Instrument so
weit vor Temperaturveränderungen gesichert sein, dass die
Annahme der Proportionalität für die kurze Zwischenzeit
zwischen diesen Bestimmungen durch den Erfolg gerecht-
fertigt wird. Wir müssen also die Vorstellung aufgeben,
1) Ich meine damit nicht bloss den ursprünglich von Bessel an-
gegebenen, von Reichenbach zuerst ausgeführten Kreis, sondern auch
die in mancher Beziehung verbesserten Meridiane von Bepsold, von
Pistor xi, A.
Stdnheü: Ein neuer Meridiankreif. 3
dass der Meridiankreis invariabel aufgestellt und in seinen
Tbeilen zu einander invariabel bleibe. Wir müssen im Ge-
gentheil annehmen, dass alles — Instrument und Aufstel-
lung — in beständigem Aendem begriffen sei und jetzt die
Constanten der Reduktion a, b, c so zu bestimmen suchen,
wie sie im Momente der Sternbeobachtung wirklich sind.
Damit diese beständigen Bewegungen möglichst langsam
und gleichmäßig werden, ist est nöthig, das Instrument vor
der strahlenden Wärme des Beobachters und der der Beleuch-
tungsquellen zu schützen und in der Art zu umhüllen, dass
Aenderungen der äusseren Temperatur nur sehr langsam
bis zum Instrumente dringen. Es wird ferner nöthig sein,
Untersuchungen wie die über die Theilungsfehler des Krei-
ses und die Gestalt der Drehungszapfen für zwei sehr ver-
schiedene Temperaturen anzustellen, um ihre Werthe als
Function der letzteren kennen zu lernen. Vor Allem aber
scheint es nöthig, dem Instrument eine solche Gestalt zu
geben, dass eine Durchbiegung der Absehenslinie der streng-
sten und beständigen Gontrole unterstellt bleibt.
Wir wollen nun zeigen, wie diess zu erlangen ist:
Im Allgemeinen besteht das Instrument aus einem Fern-
rohre,2), welches horizontal von Osten nach Westen gelegt
ist und vor dem Objectiv ein rechtwinkeligtes Prisma trägt,
so dass, wenn sich das Rohr um seine Axe dreht, successive
alle Punkte des Meridians durch die Mitte des Gesichtsfeldes
2) Das Fernrohr kann nicht füglich mehr als 4 Pariser Zoll
Oeffhung erhalten wegen des Prisma's von gleicher Oeffhnng. Doch
werden 4 Zoll bei beleuchteten Faden and völlig dunklem Gesichts-
felde genfigen, die kleinen Planeten wohl mit sehr wenig Aasnah«
men beobachten zu können. Wollte man bis zu 6 Zoll Oeffhung an
Objektiv und Prisma gehen, was übrigens erst indicirt wäre, wenn
die Resultate mit 4- zölligen Instrumenten vorlägen und es wun«
Khenswerth machten, so wäre das nur eine Geldfrage — die aber
sonst lösbar wäre.
1*
4 Siteung der math.-phys. Cime vom 9. Jcmuar 1864.
gehen. Ein Kreis am Prisma-Ende durch lange Mikroskope
(a a Fig. 2) abgelesen in Verbindung mit einem Aufsuchungs-
kreis am Ocular-Ende, welcher die Grade und Minuten an-
giebt, misst die Nadirabetände der Sterne.
In dieser Gestalt bietet das Instrument wesentliche Vor*
theile. Das Auge des Beobachters behält stets dieselbe Lage
und Richtung. Ohne den Sitz zu verlassen, kann der Be-
obachter die Sterne einstellen, den Höhenkreis ablesen und
alle Correctionen ermitteln.
Bei diesem Instrument ist der Beobachter durch eine
Scheidewand (b. b. Fig. 1) vollständig von dem Baume ab«
geschieden, in welchem der Meridiankreis steht. Diese Zwi-
schenwand trägt das Mikroskopocular (c. Fig. 1) des Meri-
diankreises, welches mit repetirendem Filannikrometer ver-
sehen ist; aus der Wand treten bloss die Oculare der
Ablesungsmikroßkope und die Loupe (d. Fig. 1) für den
Au&uchungskreis , endlich der Schlüssel (e. Fig. 1) hervor,
durch dessen Handhabung das Instrument gedreht und ein-
gestellt wird. Die Beleuchtung der Fäden des Meridiankrei-
ses und der Fäden des Filarmikrometers im dunklen Ge-
sichtsfeld, dann die Beleuchtung der Stellen an den Kreisen,
die abgelesen werden, und der Trommeln der Mikrometer,
welche die Ablesung bewirken, geschieht von einer einzigen
Lichtquelle aus (Argand'sche Lampe, oder Gasflamme), welche
sich in der Nähe des Beobachters befindet, durch Spiegelung
und Sammellinsen in solcher Art, dass das Bild oder ein
Theil des Bildes der Lichtquelle an den betreffenden Stellen
concentrirt wird. Man sieht hieraus, dass es in dieser
Weise ermöglicht ist, vom bewohnbaren Räume aus zu be-
obachten, ohne dadurch störend auf die Beobachtung ein-
zuwirken.
Bei dieser Anordnung war die Absicht leitend, alle Ab-
weichungen des Instrumentes und seiner Aufstellung leicht
und sicher ermitteln zu können.
Stemkiü: Ein neuer Meridiankreis 6
Obscbon es complicirter scheint, eine durch Spiegelung
gebrochene Absehenslinie in Anwendung zu bringen, so ge-
bührt ihr doch der Vorzug, weil sie in jeder Lage des
Höhenkreises vollständig controlirt ist, was bei den jetzigen
Instrumenten fehlt. Bei unserem Instrumente kann die Ab-
sehenslinie fehlerhaft sein:
A. in Bezug auf ihre Lage zu den andern Theilen des
Instrumentes.
B. in Bezug auf die Aufstellung oder die Orientirung
gegen den Nadirpunkt und Südpunkt.
Wäre das Instrument streng richtig für sich, so hätte
man nur die Grössen a, b zu bestimmen. Die Abweichung
im Azimut a etwa zwischen einem Collimator in Süd und
einem entfernten Signal in Nord, den Fehler der Neigung b durch
eben Quecksilberhorizont unter dem Prisma durch das im
Quecksilberspiegel sichtbar gemachte Bild der erleuchteten
Fäden.
Damit aber diese Grössen richtig bestimmt werden,
muss man wissen, wie viel die optische Aze gegen die an-
dern Theile des Instrumentes, und zwar bei allen Lagen des
Kreises unrichtig ist.
Aach diese Fehler können in b' c' zerlegt und dann
mit den a' b berücksichtigt werden.
Ist die Gerade, die durch den Mittelpunkt des Objek-
tives and den des Fadenkreuzes gelegt werden kann, nicht
zugleich Drehungsaxe des Instruments, so muss dieser Fehler
verkleinert und bestimmt werden. Dazu kann das Mikro-
skopocular dienen, was auf das Fadenkreuz des Rohres ein-
gestellt bleiben muss für alle Angaben des Höhenkreises.
Ist aber einer der Drehungszapfen, oder sind beide nicht
rund, so kann diese nicht erlangt werden und man muss
nach Abnahme des Prisma's und durch Vorsetzen eines Colli-
matorfernrobrs, in der Verlängerung der optischen Aze, in
6 Sitzxmg der math.-phys. CUme vom 9. Januar 1864.
welches, man mit dem Meridianinstrumente siebt, die Ab-
weichungen bestimmen, die das Fadenkreuz deB Collimators
während einer Umdrehung des Meridians macht. Diese Ab-
weichungen lassen sich mit dem Filarmikrometer des Oculars
für verschiedene Angaben des Kreises bestimmen, und zer-
legt in Werthe von c' und b' in Tafel bringen. Die Be-
stimmungen müssen für zwei' sehr verschiedene Tempera-
turen wiederholt werden, um sie als Funktion der Tempera-
tur kennen zu lernen.
Nehmen wir jetzt an, dass sich das Rohr zwischen Ob-
jektiv und Kreuzfaden durchbiege oder verspanne, so wird
in Folge dessen doch keine Biegung im jetzigen Sinne des
Wortes eintreten. Denn der Mittelpunkt des Objektives und
des Fadenkreuzes werden ihre Höhe nicht ändern, da sie
unmittelbar von den Lagern unterstützt sind. Wohl aber
wird die Ebene des Objektives sich ändern gegen die optische
Axe. Wenn wir also jetzt das Prisma vor das Objektiv
Iringen, so wird dieses den ganzen Einfluss der Biegung
oder Spannung des Rohres erleiden.
Allein das Prisma bietet selbst die Mittel zur Bestim-
mung dieser Biegung in aller Schärfe und für jede Angabe
des Kreises. Denn seine Planfläche, welche direkt vor dem
Objektive steht, und normal zur optischen Axe stehen sollte,
bildet einen Planspiegel, der das Bild der erleuchteten Fäden
im Brennpunkte des Objektives zeigt. Dieses Bild der Fä-
den erscheint völlig scharf und ohne Parallaxe gegen die
wirklichen Fäden. Es kann somit der Abstand dieses Bil-
des von den wirklichen Fäden für jede Kreisangabe mit
dem Ocularfilarmikrometer gemessen werden. Indessen könnte
doch das Prisma in dieser Spiegelfläche um ihre Axe drehen,
was nicht sichtbar wäre und doch einen direkten Einfluss
auf die Declinationsbestimmung ausübte. Allein die dritte
Planfläche des Prisma's bildet einen Planspiegel im Innern
des Glases, der ebenso ein Bild der erleuchteten Fäden im
Steinheil: Ein nßuer Meridiankreis. 7
Brennpunkte erzeugt, und dieses Bild würde sich gegen die
wirklichen Fäden um den vierfachen Winkel bewegen, wenn
eine Drehung um die erste Spiegelfläche vorhanden wäre. Auch
eine Verstellung des Mittelpunktes des Objektives gegen die Axe
seines Drehungszapfens ist durch diese Spiegelbilder con-
trolirt, weil diese eben so wirkt, als wenn die Fäden im
Brennpunkte sich verstellten, also den Abstand der Spiegel-
hildfäden um den doppelten Winkel ändert. Wenn also die
Lagen der Spiegelbilder gegen die Fäden, und der Mittel-
punkt des Fadenkreuzes gegen die Axe des Zapfens gemessen
*ind, ißt die Absehenslinie controlirt und die Gontrole ist
sonach ganz vollständig.
Da sich nun das Prisma bis auf wenige Bogensekunden
in den Winkeln richtig herstellen lässt, so scheint es mir
•am zweckmässigsten , die beiden Spiegelbilder den Fäden
symmetrisch auf beide Seiten der wirklichen Fäden zu legen,
wobei die Verstellungen, die nur Theile einer Sekunde be-
tragen , ohne Messung zu erkennen wären. Man darf auch
nicht glauben, dass diese Nebenbilder die Beobachtung des
Sternes beirren, da sie viel schwächer beleuchtet sind, als
die wirklichen Fäden und den Stern durchsehen lassen,
während die wirklichen Fäden ihn decken oder verschwin-
den machen.
Bei der obigen Stellung der Reflexbilder des Faden-
netzes wird eine kleine Collimation des Mittelfadens unver-
meidlich; da eine solche aber doch immer in Rechnung
gebracht werden muss, und da sie höchstens einige Bogen-
sekunden beträgt, so entsteht daraus kein Uebelstand für
die Beobachtungen.
Ist in dieser Weise der Einfluss der Gestalt der Dreh-
ungszapfen und der etwa mögliche Einfluss einer Durch-
biegung des Prisma's für alle Kreisangaben bekannt, so
kann die Collimation zwischen zwei Fernröhren, angebracht
im Nord- und Südhorizont und auf einander gerichtet, in
8 BiUung dar math.-phy8. Classe vom 9. Januar 1864.
aller Schärfe bestimmt werden, und erst jetzt, wenn auch
diese bekannt ist, findet sich die Neigung (b) der Absehens*
linie durch Anwendung eines Quecksilberhorizonts, der unter
das Objektiv gestellt ist, und in welchem man das Spiegel-
bild der beleuchteten Fäden zur Colntidenz bringt, oder
die noch restirenden kleinen Abstände mit dem Filarmikro-
meter des Oculares misst.
Nachdem wir so gezeigt haben9, durch welche Anord-
nung im Bau des Instrumentes die Correctionen a, b, dann,
b' und c' zu jeder Zeit und völlig sicher ermittelt werden
könnea, sei es uns gestattet, zur Beschreibung des Instru-
mentes selbst überzugehen. Ich habe zwar die Idee dieses
Instrumentes schon im Jahre 1850 in den A. N. veröffent-
licht, komme aber jetzt wieder darauf zurück, nachdem ich
unterdessen die oben angegebenen Mittel gefunden habe,
alle Fehlerquellen einer strengen und beständigen Gontrole
zu unterziehen.
Das Instrument liegt in einem gusseisernen Lagerstück
(A), an welchem Höhen- und Azimutalcorrection der drei
Fussschrauben angebracht sind; diese Schrauben besitzen
kugelförmige, zur Drehung genau centrische Enden, welche
in conische Lagerpunkte passen, die in einem eisernen
T-förmigen Stücke (B) angebracht sind, welches unmittelbar
in die Oberfläche des Meridianpfeilers eingelassen .und ein-
gegossen ist.
Die Lager des Rohres bilden einen Winkel von 90°
und zwar durch polirte Steinplatten (C. C. Fig. 2), welche
die Zapfen tangiren. Zur Verminderung des Druckes sind
Gegengewichte mit Frictionsrollen (D. D. Fig. 1) auf der
Tragplatte angebracht, welche den grössten Theil der Schwere
des Instrumentes heben.
Das Rohr ist aus zwei Conus von Eisenblech zusammen-
gesetzt, die in der Mitte zusammengeschraubt und mit einem
gezahnten Kreise (E. Fig. 1 u. 2) versehen sind; in diese
Stcmheü: Ein neuer Meridiankreis. 9
Verzahnung greift ein seiflich gestellte« Zahnrad (F. Fig. 1
und 2) ein, was durch einen langen Schlüssel (e. Fig. 1)
bewegt wird, der durch die Scheidewand zum Beobachter
fuhrt und also zur Drehung des Instrumentes genügt
Das Glasprisma ist mit der Hypotenusfläche durch
Bügel und zwei seitliche Schrauben auf einer Metallplatte
festgehalten. Diese Platte mit dem Prisma schiebt sich in
eine mit dreieckigen Vorsprängen versehene Metallscheibe,
deren Rand in den Lagerzapfen des Objektives etwas ein-
gedreht ist. Durch 3 Zug- und 3 Druckschrauben ist die
Platte mit dem Objektiflagerzapfen verbunden und kann
dadurch gegen die Axe des Rohres geneigt werden.
Ueber dieses Stack hinweg schiebt sich der Glaskreis
auf schwachem Conus, durch eine Flanche des Objektivkopfes
orientirt und mit einem Ringe festgeklemmt. Nun kömmt
am Objektivzapfen der cylindrische Theil , auf welchem das
Instrument im Lager dreht; dann bei etwas kleinerem
Durchmesser der für die FrictionsroUen bestimmte Theil;
endlich ist das conische Rohr am engen mit Flanche ver-
sehenen Theil in den Zapfen eingeschraubt. In diesen
Zapfen selbst sind die Objektivlinsen (i. Fig. 1) genau ein-
gedreht und durch einen cylindrischen Ring (K. Fig. 1)
federnd festgehalten und es ist der Zapfen hinter der Auf-
lage des Objektives zur Verminderung der Last des Zapfens
weiter ausgedreht.
In ahnlicher Weise ist der Zapfen für die Aufnahme
der Fadenplatte construirt. Diese ist so gestellt, dass die
Fäden genau in der Brennweite des Objektives liegen und
in dieser Ebene durch 4 Schrauben verstellt und angedrückt
werden können. Am Ende dieses Zapfens sitzt der Auf-
sochungskreis (h. Fig. 1) conisch aulgesteckt, der wieder
durch einen Federring festgeklemmt wird.
Der Kreis, eine Spiegelglasplatte, ist durch äusserst feine,
nur mikroskopisch sichtbare Theilstriche von 5 zu 5 Minu-
10 Sitsung der math.-phy8. Glosse vom 9. Januar 1864.
ten getheilt; die Mikrometer Hier Mikroskope lassen */*<>
einer Bogensekunde und noch kleinere Theile erkennen.
Dieser Kreis hat keine Zahlen, da der Aufsuchungskreis
(h. Fig. 1) an der Ocularseite Grade* und Minuten durch
einen Nonius giebt. Die Fehler der Theilung können direkt
nach den bekannten Methoden durch 3 Mikroskope ein für
allemal bestimmt werden für zweierlei sehr verschiedene
Temperaturen.
In einem Abstände von etwa 4" von der Fadenebene
ist die Grenze der Scheidewand (b. Fig. 1), welche das
Ocularmikroskop (c. Fig. 1) zu tragen hat. Der Raum
zwischen den Fäden und der Wand ist zur Beleuchtung der
Fäden sowohl im Meridiankreis, als im Filarmikrometer
bestimmt.
In diesem Raum stehen nämlich zwei Planspiegel (1 u.
m Fig. 1) gegen einander 90 ° und zur Axe 45 ° geneigt,
und es ist deren Mitte in der Weite des Fadenraumes aus-
geschnitten. Diese beiden Spiegel erhalten Licht, was recht-
winkelig zur optischen Axe auf dieselben fällt. Der eine
Spiegel (1) reflektirt es in einem Kranze gegen die Faden-
platte des Instrumentes, der andere (m) gegen die Faden-
platte des Mikrometers. Auf beiden Fadenplatten sitzen
aber je 4 Spiegel (o. Fig. 2 Prismen) in der Richtung der
Fadenkreuze, welche das Licht schräg und von beiden Seiten
auf die Fäden werfen und sie von beiden Seiten beleuchten.
Diese 4 Spiegel jeder Platte drehen mit den Fäden hemm,
während die durchbrochenen Spiegel fest stehen bleiben.
Die Fäden des Meridianinstrumentes und des Ocularmikro-
meters sind somit in allen Lagen der Fäden unter gleichem
Winkel erleuchtet und das Gesichtsfeld, was in die ausge-
brochene Stelle trifft, bleibt völlig dunkel. Zwischen der
Lichtquelle, vor welcher eine Blendung steht, die nur einen
Lichtring durchdringen lässt, und der Platte, auf der die
Btemheü: Em neuer Meridiankreis. 11
Fäden befestigt sind, ist eine Sammellinse8) angebracht,
deren Stellung so angenommen wird, dass sie das Bild des
Lichtringes der Flamme, in der Grosse des Ringes in dem
die 4 Fadenspiegel stehen, auf diese Spiegel wirft; so dass,
wenn die Spiegel mit den Fäden drehen, sie immer im
Lichtringe bleiben.
Da die Lichtquelle sich im selben Raum mit dem Be-
obachter befinden soll, so muss in der Scheidewand eine
Oeflhung (etwa mit Glimmerblatt verschlossen) und ein
Spiegel unter 40 ° angebracht sein , der das licht recht-
winkelig gegen die optische Axe auf die durchbrochenen
Spiegel hinwirft.
Alle anderen Stellen, welche einer Beleuchtung bedür-
fen, sind nach demselben Princip durch eine Sammellinse,
die das Bild der entsprechenden Lichtblendung auf die zu
beleuchtende Stelle wirft, behandelt. Die Lichtquelle muss
sonach höher stehen, als der Beobachter.
Die Mikroskope (a a Fig. 2 Objektiv u. feststehender Faden)
"zur Ablesung des Glaskreises sind direkt auf den Lagern des
Instrumentes befestigt. In der Scheidewand sind auf der
Tragplatte für den Filarmikrometer auch die Mikroskopocu-
lare mit den Mikrometerschlitten befestigt; der Ocularapparat
ist jedoch getrennt von dem Mikroskopkörper, welcher den
feststehenden Faden trägt, damit sich etwaige kleine Ver-
stellungen durch Bewegung der Mikrometerschraube dem
Mikroskope selbst nicht mittheilen können.
Damit Temperaturreränderungen möglichst langsam und
gleichmässig auf das Instrument wirken, ist dieses mit loser
3) Um die Helligkeit der Beleuchtung beliebig zu vermindern,
ist nur erforderlich, die Oeffnung dieser Linse zu beschränken, wozu
eine Reihe immer kleiner ausgedrehter Blendungen dient; ebenso
kann durch gefärbte Gläser vor der Lichtkreisblendung die Farbe
der Beleuchtung beliebig geändert werden.
12 Sitoung dar maife.-friy*. Clane nom 0. Jmmar 1864*
Baumwolle umgeben, und es ist nur freigelassen, was der
optische Theil erfordert.
Vor das Prisma des Objektives ist desshalb eine Röhre
von Pappe gestellt, die ebenfalls aussen mit Baumwolle um-
geben ist. Zum Schutze vor Staub sind die Lager mit be-
sonderen Kappen überdeckt.
Der Ocularfilarmikrometer hat einen Positionskreis und
zwei Schuber zur Repetition der Messung. Als Ocular dient
ein Ocularmikroskop. Im Brennpunkte des Mikroskopob-
jektivs liegen die Fäden des Meridiankreises, im Brennpunkt
des Mikroßkopoculars die Fäden des Filarmikrometers. Die-
ses Filarmikrometer und die Oculare der Mikroskope sind
in der Metallplatte (p. p. Fig. 1) eingeschraubt, welche sich in
der Ebene der Scheidewand parallel zur Fadenebene ver-
stellen läset Die Scheidewand muss, wie der Pfeiler des
Instrumentes, vom Fussboden isolirt sein.
Es steht zu erwarten, dass die Gorrectionen der Ge-
sichtslinie gegen das Instrument sich als sehr constant er-
weisen werden, so dass ihre Bestimmung für zweierlei Tem-
peraturen ein- für allemal genügt Dann ist die Berichtigung
durch a und b für die Aufstellung allein vor und nach der
Sternbeobachtung genügend, indem die Werthe b' und c'
aus einer kleinen Tafel so beigefügt werden, wie sie der
beobachteten Temperatur des Instrumentes entsprechen.
Stetojf: 8ckütö*mfim§ md G&kngewicht. IS
Herr Bischoff hielt einen Vortrag
„Ueber das Verhältniss des Horizontal-Um*
fanges and des Innenraams .des Schädels
zum Gehirngewichte".
In seinem verdienstvollen Werke: Ueber Wachsthnm
und Bau des menschlichen Schädels. Leipzig 1862, hat
Herr Professor IL Welker p. 35 und ff. den Gedanken
entwickelt, dass es möglich sei, ans dem Horiaontalumfang
des Schädels einen, wenn auch nur ungefähren, doch inner-
halb bestimmter Gränzen sicheren Schluss auf das zuge-
hörige Hirngewicht zu ziehen. Es ergab sich ihm dieser
Satz vorzüglich aus dem von ihm beobachteten gleichmä-
ßigen Wachsen des Schädelinnenraumes mit dem Horizontal*
umfange desselben, und andererseits glaubt er auch aus den
bekannten Resultaten über Hirnwägungen und seinen Mes-
sungen des Schädelinnenraumes auf ein constantes Verhält-
niss dieser beiden rechnen zu können. Er erhielt nämlich
aus seinen Messungen des Schädelinnenraumes von 30 Män-
nern und 30 Weibern für jene als Mittel 1448 Cm., für
diese 1300 Gm., welche Zahlen sich wie 100 : 89,7 verbalten.
Aus einer Zusammenstellung der bekannten R. Wagnerischen
Tabelle über Hirngewichte berechnet er aber als mittleres
Hirngewicht für Männer 1389 Grm., für Weiber 1249 Grm.,
welche Zahlen sich wie 100 : 89,9 verhalten , also ein fast
ganz übereinstimmendes Verhältniss.
Welker entwirft, gestützt auf diese Voraussetzungen,
pag. 37 seines Werkes folgende Tabelle über Horizontal-
tchädelumfange, Schädelinnenraum und die dazu gehörigen
Gehirngewichte von 100 von ihm auf erstere gemessenen
8chädeln, wobei männliche und weibliche Schädel und Ge-
hirne nicht geschieden sind.
14 Sitzung der nath.~phy9. Cla&te vom 9. Januar 1864.
Horizontalumfang des Mittel des Berechnetes mittleres
Schädels in Millim. Schädelinnen- Gehirngewicht in
raums in Gern . Grammen.
480 1180 1127
490 1245 1189
500 1310 1251
510 1370 1308
520 1435 1370
530 1500 1432
540 1560 1490
550 1630 1557
560 1690 1614
570 1750 1671
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Als Verhältnisszahl zwischen Schädelinnenraum und Gehirn-
gewicht ergiebt sich ihm für den Mann auf 100 Ccm. Schädel-
innenraum : 95,9 Grm. Hirngewicht, für das Weib auf 100
Ccm. Schädelinnenraum : 96,1 Grm. Himgewidht. Um diese
an nicht zusammengehörigen Schädeln und Gehirnen nur durch
Berechnung gefundenen Zahlen, auch durch einige direkte
Beobachtungen zu prüfen, stellte Welker dann auch noch
an einem weiblichen und zwei männlichen Individuen direkte
Bestimmungen aller drei Grössenverhältnisse an, welche fol-
gendes Resultat ergaben:
Horizontal- Schädel- Gewicht des
umfang, innenraum. Gehirns.
Mädchen v. 18 Jahren . 480 1100 1093
Mann „ 40 „ . 551 1610 1539
Mann „ 40 „ . 553 1680 1617
woraus sich als mittlere Verhältnisszahl zwischen Schädel-
innenraum und Hirngewicht 100 : 95,36 ergiebt.
Dieser in Kürze hier wiedergegebene Gedanke Welkera
schien mir bei den jetzt mit Recht wieder allgemein aufge-
nommenen Untersuchungen über das Gehirn und sein Ver-
Bisehoff: Sohädelumfang und OMmgewiekt. 15
haltniss zu der geistigen Begabung und Entwicklung von
. grosser Bedeutung.
P Es ist nämlich ohne Zweifel eine selbst nur theilweise
I Losung dieser wichtigen und interessanten Frage, allein auf
dem Wege zahlreicher, lange Zeit fortgesetzter und sorgfäl-
tiger kritischer Beobachtungen, die gewiss noch über viele
Generationen ausgedehnt werden müssen, zu erwarten, wenn
sie ein einigermassen zuverlässiges Resultat geben sollen»
Dazu ist aber das anatomische und auf Sectionen begrün-
dete Material zu schwierig zugänglich und zu klein, und es
wäre von ausserordentlicher Bedeutung, wenn dieser Weg
umgangen und einfache Messungen an Lebenden zur An-
strebung dieses Zieles benutzt werden könnten. Welche
Masse von Beobachtungen über das Gehirngewicht und sein
Verhältniss zur günstigen Befähigung und Leistung würde
man mit Leichtigkeit sammeln können, wenn dazu nichts
weiteres als die Messnng des grössten Schädelumfanges
gehört l
Allein dazu scheint mir vor Allem nöthig, dass dieser
Satz über ein constantes Verhältniss zwischen Schädelumfang
und Hirngewicht erst noch sorgfältiger geprüft wird. Vor
Herrn Welkers eigenen Beobachtungen, Messungen und
Wägungen habe ich alle mögliche Achtung, da ich aus
früherer und langjähriger Bekanntschaft weiss, wie sorgfältig
er verfahrt. Allein die eine Hälfte der Basis seines Satzes,
diejenige, welche auf Hirnwägungen beruht, ist nicht sein
Eigen thum, sondern hat einen sehr verschiedenartigen Ur-
sprung, der schon an und für sich nicht immer zuverlässig
ist, und mit vielerlei Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und
hat. Auch die zu seiner Aufstellung angewendeten Mittel-
berechnungen haben, wie ich glaube, noch sehr viel Bedenk-
liches. An und für sich aber kann man nicht sagen, dass
Welkers Satz nur Unbedenkliches ausspräche. Denn wenn
gleich zwischen Schädelumfang und Schädelinnenraum, und
16 8itmm§ der math.-phy9. Ckme wm 9. Januar 1864.
auch wieder zwischen Schädelinnenraum und Hirnvolumen
und Gewicht anzweifelhaft innerhalb gewisser Gränzen ein
übereinstimmendes Verhältniss vorhanden ist, and man seit
undenklichen Zeiten ans einem grossen Schädel, wenn er
nidht pathologisch ist, auf ein grosses Hirn and sehr gün-
stige Begabung geschlossen hat and schliesst, so handelt es
sich hier doch am genauere and auf bestimmte Zahlen
zurückführbare Verhältnisse, wenn der in Frage stehende
Satz eine wissenschaftliche Bedeutung haben und gewinnen
soll. Da tauchen dann aber auch noch andere Zweifel auf,
als die, welche in einer verschiedenen Schädeldicke, in einer
Abnormen Form, oder in Ra$en- Verschiedenheiten des Schä-
dels sich aussprechen, welche Welker bereits berührt hat
Eg kommen dabei auch die Hirnhäute und, worauf wahr-
scheinlich in allen diesen Fragen ein besonderes Gewicht zu
legen ist, die Textur- und Mischungsverhältnisse und das
davon abhängige specifische Gewicht des Gehirns in Be-
tracht, welche auf das absolute Hirngewicht und Volumen
und ebenso wieder auf die Hirnthätigkeiten einen bedeuten-
den Einfluss ausüben können.
Alle diese Faktoren sind aber so unendlich schwierig,
ja augenblicklich noch ohnmöglich in Rechnung zu ziehen,
dass, wie mir scheint, vor der Hand nichts anderes übrig
ist, als alle solche Fragen rein empirisch sorgfaltig zu prü-
fen, die Resultate nur vorsichtig zu Schlüssen zu benutzen,
und sie der Zukunft zum weiteren Ausbau zu überliefern.
Wer auf diesem Gebiete sogleich glänzende und Aufsehen
erregende Früchte zu pflücken denkt, der möge besser davon
bleiben. Hier kann nur allein die Ansammlung von gutem
Material verdienstlich sein ; die Ausbeute desselben gehört
der Zukunft; denn das Bedürfhiss an jenem zu einer ratio-
nellen Beantwortung der gegebenen Fragen übersteigt die
Leistungsfähigkeit und Gelegenheitsmöglichkeit des Einzelnen
und selbst der einzelnen Generation.
Schädditmfcmg und Gthirngewicht. 17
*
Ans diesen Gründen und Gesichtspunkten habe ieh
schon seit lange angefangen, das mir dargebotene Material
besonders über Hirngewichte zn sammeln, und sehe mich
jetzt nur desshalb veranlasst, einen Theil der gewonnenen
Resultate zu einer Besprechung der von Welker aufgewor-
fenen Frage zu veröffentlichen, um Andere zur Verfolgung
des gleichen Weges anzuregen , so wie ich selbst auf dem*
selben fortschreiten werde.
Meine Untersuchungen erstrecken sich vorläufig nur auf
150 Köpfe und zwar 100 männliche und 50 weibliche. Sie
gehören fast alle dem bayerischen Volksstamme und der-
jenigen Menschenklasse an , welche in Hospitälern zu ster-
ben und der Anatomie anheim zu fallen pflegt. Es handelt
sich also bei ihnen wohl schwerlich um irgend eine höhere
geistige Entwicklung, von der ich aber auch bei dieser
Gelegenheit die Befähigung und Anlage sehr wohl unter-
schieden haben will.
Die Messungen geschahen an dem ganzen Körper
mit einem nach Art eines älteren Schustermaasses mit einem
Schieber versehenen Messstabe; an dem Schädel mit
einem Bande. Ich habe mich dazu nach Welkers Beispiel
zum Theil eines gewöhnlichen gedruckten Centimeter- Mess-
bandes bedient, auf welchem nur noch die Millimeter nach-
getragen waren. Allein ich fand ein solches Band auf die
Dauer doch nicht brauchbar. Bei trockenen Schädeln geht
es recht gut damit; allein bei den nach Abziehen der Kopi-
schwarte feuchten und blutigen , frischen Köpfen sind diese
Bände? bald ruinirt und unbrauchbar; sie werden nass,
trocknen ein und zerreissen. Ich habe mir desshalb zuerst
ein Maass von Pergament machen lassen, welches erst stark
in Wasser und dann in Fett getränkt war, später aber auch
dieses wieder mit einem lakirten, in Millimeter getheilten
Ledermessbande vertauscht. Es besitzt einen kleinen Metall-
schieber mit einer Stellschraube, so dass es, um den Kopf
[1863. 1. 1.] a
18 Sitzung der math.-phys. Gaste vom 9. Januar 1864.
gelegt, festgestellt und dann abgelesen werden kann. Ich
hätte gerne einen metallenen Messring angewendet, in der Art,
wie ihn die Hutmacher zum Messen der Köpfe bei Auswahl
der Hüte benutzen. Allein der Versuch überzeugte mich,
dass sich ein solcher Messring, wenn er auch schmal und dünn
ist, nicht hinlänglich an den Schädel anschliesst, um mit
Zuverlässigkeit benutzt werden zu können. Das Maas wurde
nach Welkers Anleitung über die tubera frontalia und den
tuber occipitale, d. h. also über den grössten Horizontal-
umfang des Kopfes umgelegt, wobei ich allerdings öfter ge-
wünscht hätte, dass die tubera frontalia deutlicher ausgeprägt
gewesen wären, als dieses der Fall war. Ich glaube nicht,
dass es dabei auf ein paar Millimeter ankommt und an-
kommen darf; denn die übrigen zur Beachtung kommenden
Factoren können auch keiner entsprechenden Genauigkeit
unterworfen werden, und es würde also nur Spiegelfechterei
sein, hier eine minutiöse Genauigkeit zu affektiren.
Die Wägungen geschahen bei dem ganzen Körper mit
einer gewöhnlichen Decimalwage, welche höchstens auf
2 = 20 Grm« zieht; die Hirnwägungen dagegen auf einer
feineren Wage, welche für xlio Grm. noch einen deutlichen
Ausschlag giebt. Ai^ch hier ist grössere Genauigkeit Spie-
gelfechterei; einige Tropfen Blut oder Wasser, die unver-
meidlich verloren gehen, bedingen weit grössere Fehler und
Unterschiede, als die Genauigkeit der Wage und Wägung.
Da ich mir von dem zu prüfenden Satze ganz vorzüg-
lich dann einen Erfolg versprach, wenn derselbe auf den
Lebenden in Anwendung gesetzt werden könnte, so schien
es mir. von Bedeutung, den Einfluss der Haare und der
Kopfschwarte auf den Schädelumfang mit in Rechnung ziehen
zu können, und ich habe daher von einer gewissen Zeit an
den Schädelumfang mit den Haaren, ohne Haare, und dann
ohne Kopfechwarte gemessen.
Das Ergebniss stellt sich in den nachfolgenden Tabellen
Bischoff: Schädelumfang and Gehirngewicht. 19
dar, bei welchen ich zunächst eine Scheidung der Männer
und Weiber habe eintreten lassen, da die durchgreifenden
Verschiedenheiten bei beiden Geschlechtern zu gross sind,
und auch die Zahl der Beobachtungen zu verschieden, um
aus beiden vereinigt eine Mittelzahl zu bilden. '
Ich habe sodann zwei Tabellen entworfen, die eine
vollständigere, bei welcher das Hirngewicht die Reihenfolge
bestimmte. In ihr ist das Alter, Körpergrösse, Körperge-
wicht, Sohädelumfang nach seinen drei Modificationen, Hirn-
gewicht, Schädeldicke und Todesart nebst etwaigen Bemer-
kungen verzeichnet. Es fehlt zuweilen ein und die andere
Angabe, weil ich nicht alle Leichen ganz unberührt, sondern
zuweilen schon theilweise secirt erhielt. Auf Berücksich-
tigung der Schädeldicke unter den drei Rubriken dick,
dünn und normal, machte mich erst Herr Professor Welker
aufmerksam, und sie fehlt also für die früheren Beobach-
tungen, doch ergab sich mir bis jetzt kein Grund für eine
genauere Beachtung dieses Verhältnisses; es verschwindet
dieser Einfluss gegen die übrigen Verschiedenheiten. Mit
der Diagnose der Todesart ist es wohl auch nicht zu genau
zu nehmen; sie ist nur der Bezeichnung auf dem Abliefer-
schein der Leiche entnommen; doch schien sie mir nament-
lich bei grösseren Gewichtsabweichungen, in Beziehung auf
grosse Magerheit oder Fettreichthum , oder Wasseransamm-
lung beachtenswerth.
2*
20
Stttung der math.-phy8. (Masse vom 9. Januar 1864.
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30
Sitmtng dar m<tih.-phys. Ckuae vom 9. Januar 1864.
Tabelle II.
über die Gehirngewichte im Vergleich zum Schädel-
horizontalumfang, geordnet nach dem Schädel-
horizontalumfang.
I. Männer.
Peripherie des
Schädels.
Hirngewicht.
Peripherie des
Schädels.
Hirngewicht.
49,0
1055
52,0
1464
49,2
1170
52,3
1340
49,3
1265
52,3
1475
49,5
1215
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52,5
1452
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51,5
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1285
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51,5
1353
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1305
51,5
1220
53,0
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51,8
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53,0
1236
51,8
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53,0
1305
52,0
1200
53,0
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52,0
1220
53,0
1330
52,0
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53,0
1352
52,0
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1352
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53,0
1382
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53,0
1384
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53,0
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52,0
1357
53,0
1385
52,0
1375
53,0
1395
52,0
1378
53,0
1400
Büchoff: Schädtlumfcmg und Otkirngeuicht.
31
Peripherie des
Schädels.
Hirngewicht
Peripherie des
Schädels.
Hirngewicht.
53,0
1416
54,2
1370
53,0
1420
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54,5
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53,0
1503
54,5
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1300
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32
Sitzung der math.-pkys. Masse wm 9. Januar 1864.
IL Weiber.
Peripherie des
Schädels.
Hirngewicht.
Peripherie des
Schädels.
Hirngewicht.
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1105
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53,0
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53,2
1452
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1205
53,5
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51,0
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54,0
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1150
54,7
1530
51,0
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51,0
1177
51,0
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51,0
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51,0
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51,3
1136
51,5
1195
Bia&off: ßehädehmfimg md Gthirngewicht. 33
Ich ziehe aus der ersten Tabelle für jetzt keine
weiteren Resultate, weil ieh mir rorbehalte , bald eine weit
grossere Reihe von Hirn wiegungen mitzutheilen , die durch
ihre Zahl zu allgemeinen Folgerungen eine grossere Berech*
ägung geben wird. Ich habe sie hier nur in Beziehung auf
die drei Rubriken des Schädelhorizontalum&nges gegeben,
und um dem Leser alles ihm etwa wünschenswerthe Material
zur Beurtheilung der zweiten Tabelle zu liefern.
Diese zweite Tabelle enthält nur eine Rubrik über
den Schädelhorizontalumfang und eine über das Hirngewicht ;
sie ist nach ersterem geordnet und soll also dem eigent-
lichen Zwecke dieser Mittheilung, der Prüfung des Welker' -
sehen Satzes, dienen.
Es ergiebt sich aus ihr zunächst bei dem Manne als
Mittelzahl für den Schädelhorizontalumfang 532 Mm. und
für das Hirngewicht 1387 Gm.; bei dem Weibe ein Schä-
delhorizontalumfang von 511 Mm. und ein Hirngewicht von
1246 Grm., was zwar im Allgemeinen, wie auch nicht an-
ders zu erwarten war, die Beziehung beider Grössen zu
einander bestätigt, indessen keine genauere Einsicht in die-
selbe gestattet.
Zu diesem Zwecke wähle ich das Welker'sche Verfahren
die Schädelhorizoutalumfange in einer von 10 zu 10 Mm.
steigenden Reihe zu ordnen, und dazu das zugehörige Mit-
telhirngewicht hinzuzusetzen; ebenfalls für beide Geschlech-
ter getrennt. *Wir erhalten dadurch folgende beide Ta-
bellen :
(1864. 1. 1.] 3
84
Sitsmg der matK-phys. Ghuae vom 9. Jamtar 1864.
I. Minner.
Zahl der
Gehirne und
Schädel.
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550—557
1523
3
562—565
1525
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1540
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1168
1163
1245
1228
1292
1318
1450
Die Ansicht dieser Tabellen bestätigt, wie wohl an
kaum anders möglich, zunächst den allgemeinen Satz, dai
mit Zunahme des Schädelhorizontalumfanges auch das Hin
gewicht steigt.
Im Allgemeinen könnte man alsdann auch wohl saget
dass sie im Sinne Welkers eine stätige Zunahme beide
Verhältnisse darthun. Für die Männer gilt dieses durchweg
Bischoff: Schäddumfang und QehirngcwuM. 35
bis auf die letzte Reihe, deren Zahl aber auch nur auf ein
einziges Gehirn gegründet ist. Für die Weiber finden sich
schon grossere Störungen, zwischen der 1. und 2. und zwi-
schen der 3. und 4. Reihe.
Allein die von mir gewonnenen Zahlen weichen von
denen Welkers in mehrfacher Hinsicht ab. Sie geben zu-
nächst durchaus keine so gleichmässig steigende Reihe, wie
die Welker' sehe, die sehr gleichmäßig ansteigt. Der
Sprung von der 4. zur 5. Reihe ist z. B. bei mir sehr
gross; die 5. 6. und 7. Reihe, die um 30 Mm. Horizontal-
umfang verschieden sind, differiren im Hirngewicht fast
gar nicht.
Sodann sind meine Zahlen fast durchgängig kleiner
als die Welker'schen , worauf mich Herr Professor Welker,
dem ich dieselben mitgetheilt habe, selbst aufmerksam ge-
macht hat. Man sieht dieses besonders deutlich, wenn man
unsere beiderseitigen Zahlen graphisch verzeichnet, wie die-
ses auf den beiden beiliegenden Tabellen HI. und IV. ge-
schehen ist, auf welchen Welkers Zahlen mit A, die mei-
nigen mit O bezeichnet sind. Bei mir fallt die ansehnlich
grossere Menge derselben unter die mittlere Gurve, in wel-
cher die Welker'schen Zahlen ansteigen. Ich möchte auf
diesen Unterschied kein so grosses Gewicht legen. Er kann
möglicher Weise in einer kleinen Verschiedenheit des ange-
wendeten Maasses und der Messmethode liegen, die selten
wohl bei zwei Beobachtern ganz genau übereinstimmen, und
deren Fehler ich bei der äussersten Genauigkeit und Sorg-
falt des Verfahrens von Herrn Professor Welker ganz zu
meinen Ungunsten auslege. Auf das etwaige Vorherrschen
dolichocephalischer Schädel bei meinen Messungen, bei wel-
chen, wie Herr Professor Welker gezeigt hat, bei einem
verhältnissmassig grösseren Horizontalschädelumfang ein klei-
neres Hirngewicht sich findet, glaube ich dagegen nicht
rechnen zu können, denn die hiesigen Schädel sind fast
3*
36 Sitzt/mg der matK-phys. CUmt vom 9. Jwmar 1864.
ohne Ausnahme brachycephal , wenigstens sind entschieden
dolichocephalische sehr selten.
Allein mehr als diese Abweichungen von der Welker'-
schen Reihe, die sich vielleicht bei einer noch grösseren
Zahl von Beobachtungen und grösserer Sorgfalt und Ueber-
emstiinmuug im Messen und Wiegen möglicher Weise ver-
mindern könnten, stört mich ein Umstand, der mir die
practische Verwertbung und Anwendung des Welker'schen
Satzes und die Mittelberechnungen, aus denen er abgeleitet
ist, unanwendbar zu machen scheint, das sind die ausserordent-
lichen individuellen Verschiedenheiten, die sich bei gleicher
SchädelperipLerie im Hirngewicht, oder bei gleichem Hirn-
gewicht in der Schädelperipherie finden. Diese werden
durch die Mittelberechnungen verdeckt, treten aber bei
Durchsicht der ganzen Tabellen sehr schlagend hervor.
So finden wir bei der so häufig vorkommenden Schä-
delperipherie bei Männern von 520 Mm« Unterschiede von
1200—1464 Grm., bei 530 Mm. Unterschiede von 1160—
1500 Grm., bei 540 Mm. Unterschiede von 1250— 1665 Grm*,
und bei Weibern bei einer Schädelperipherie von 510 Mm. Un-
terschiede von 1045 — 1590 Grm., bei 5 16Mm. Unterschiede von
1090 — 1400 Gm. etc. Andererseits finden sich auch fast
ganz gleiche Hirngewichte bei sehr verschiedener Schädel-
peripherie. So z. B. bei einem Schädel von 492 Mm. Um-
fang ein Gehirn von 1170 Grm. und bei einem anderen
von 530 Mm. Umfang ein Hirn von 1162 Grm. Gewicht.
Auch für diese individuellen Verschiedenheiten scheint
es mir kaum möglich, den Einfiuss der Brachycephalie und
Dolichocephalie als genügende Erklärung zu betrachten, ob-
gleich, wie erwähnt, beide Schädelarten bei gleicher Peri-
pherie einen verschiedenen Innenraum besitzen. Denn es
kommen derartige Verschiedenheiten hier nicht vor, und sie
müssten ausserordentlich gross sein, um für die erwähnten
Unterschiede des Gelurngewichtes eintreten zu können.
Bischof: SkMddumfimg tmd GeMrngewicH. 37
Ebenso habe icb vergebens die verschieden? Schädel-
dicke zu einer genügenden Erklärung zu benutzen versucht.
Meine Aufzeichnungen in dieser Hinsicht geben hiezu keinen
hinreichenden Anhalt, und möchte ich überhaupt bezweifeln,
dass die in dieser Hinsicht vorkommenden Unterschiede für
och allem genügend sein könnten. Ausserdem würde diese
Correctnr natürlich ihre Anwendbarkeit bei Bestimmung des
Hirngewichte8 Lebender ganz verlieren.
Wenn aber schon Brachycephalie und Dolichocephalie
einen bestimmten Einfluss auf das Verhältniss des Schädel-
innenraums zum Horizontalumfang ausüben, so sehe ich
nicht wohl ein, wesshalb nicht auch die verschiedene Schä-
delhöhe hiebei von wesentlicher Bedeutung sein sollte. Bei
dem Extreme des Missverhältnisses in dieser Hinsicht, bei
den sogenannten Thurmköpfen, hat Herr Professor Welker
schon erwiesen, dass trotz sehr kleiner Peripherie der Schä-
delinnenraum und das Hirngewicht beträchtlich sein kann.
Ich kann zwei ähnliche Fälle beibringen, welche eben-
fidle darthun, dass bei ungewöhnlich hohem Schädel der
Horizontalsohädelumfang sehr gering, das Hirngewicht nichts-
destoweniger ziemlich hoch sein kann. Beide sind von Wei-
bern. Die eine war 36 Jahre alt und zeigte einen ziemlich
hohen Schädel mit auffallend stark abfallendem Hinterhaupt.
Der Horizontalumfang betrug nur 485 Mm., der Höhen-
durchmesser 140 Mm., der Schädelinhalt 1388 Gem., das
Hirngewicht 1260 Grm.; die Pfeil* und Kranznath sind an
diesem Schädel ganz verschwunden. Der zweite Fall be-
trifft ein Mädchen von 16 Jahren, die im Wochenbett ver-
starb und mir durch ihren Schädelbau sehr auffiel. Der
Schädel hatte einen Horizontalumfang von 492 Mm., war
135 Mm. hoch, hatte einen Gehalt von 1342 Gem. und ein
Hirngewicht von 1300 Grm.; die Kranznath ist obliterirt.
Person wurde mir als ganz verständig und in ihrer
38 Sitsnmg der maih.'pky*. Qnm vom 9. Jmmar 1861,
Art selbst gebildet geschildert Beide Hirngewichte fidlen
über die Mittelzahl.
Diese deutliche Einwirkung der Schädelhöhe auf das
Hirngewicbt bei gleichem Schädelumfang scheint mir nun
aber auch bei geringeren Graden der Verschiedenheit in der
Schädelhöhe nicht übergangen werden zu können und wahr-
scheinlich zu den erwähnten individuellen Abweichungen von
dem Parallelismus zwischen Horizontalumfang und Hirnge-
wicht beizutragen.
Es ist zu bedauern, dass solche geringere Verschieden-
heiten wohl schwerlich leicht beim Lebenden werden festzu-
stellen oder gar in Rechnung zu ziehen sein.
Einen nicht zu vernachlässigenden Factor kann ferner,
wie mir scheint, auch die Verschiedenheit des specifischen Hirn-
gewichtes, als Ausdruck verschiedener Structur- und Textar-
verhältnisse, ausmachen. Herr Professor Welker schreibt
mir zwar, dass nach seinen eigenen und fremden Erfah-
rungen in dieser Hinsicht bei gesunden Individuen und auch
bei vielen nicht Gesuaden nichts zu furchten sei Allein
wenn ich die bedeutenden Verschiedenheiten bedenke, weichet
die Gehirnsubstanz an Krankheiten Verstorbener rücksicht-
lich ihrer Härte und Weichheit und ihres ganzen Verhaltens
zeigt, so möchte ich für kranke Gehirne diesen Satz für
keineswegs hinreichend befestigt erachten; ja ich glaube,
dass auf diesen Umstand manche der abweichenden Zahlen
meiner Tabelle zu schieben ist, da er natürlich bei Welkers
Berechnungen ganz ausser Acht kam. Wäre hierauf viel zu
rechnen, so würde sich die Sache für die Bestimmung des
Himgewichtes Lebender und Gesunder wieder besser
stellen; denn bei Gesunden dürfte in der That der Unter-
schied nicht zu. gross sein.
Endlich glaube ich aber, dass bei dieser Parallele zwi-
schen Schädelhorizontalumfang und Hirngewicht auch die
Hirnhäute, und namentlich die Dura mater mit den Sinus,
£uck#: Sekäidmfmg und GekkngmrtM. 39
einen Factor abgeben, de? wahrscheinlich zuweilen sehr wirk-
sam, aber leider nicht mit in Rechnung zu ziehen ist Sie
tragen zu viel zur Erfüllung des SchädeHnnenraumes bei
und influiren durch die Verschiedenheit ihrer Entwicklung
zu sehr auf das Himgewicht, als daas man aus dem Schä*
delhorizQntalumfange> auch wenn derselbe mit dem Schädel'
innenraum einen grösseren Parallelismus zeigen sollte, als
wirklich der Fall ist, auf daa Himgewicht schliessen könnte.
Ich komme daher zu dem Resultate, dass das Verfah-
ren, allein aus dem bekannten Schädelhorizontalumfange
einen einigermaassen sicheren ßchluss auf das Hiragewicbt
zu ziehen, zu meinem Bedauern kaum anwendbar und ge-
rechtfertigt sein möchte. Es kommen ausser dem Schädel-
horizontalumfange, als dem allerdings wichtigsten Factor,
doch auch noch zu viele andere auf die Grösse und Erfül-
lung des Schadelinnenraumes einwirkende und leider nicht
einmal an dem scelettirten Schädel, noch viel weniger aber
bei dem Lebenden, bis jetzt möglicher Weise in Rechnung
zu ziehende Factoren ins Spiel, welche die auf dieses Ver«
fahren gesetzte Hoffnung leider nicht berechtigen.
Nach diesem Schlüsse bat die Ermittelung des Ein*
flnsses des Haarwuchses und der Kopfschwarte auf den
Horizontalumfang des Kopfes, wenigstens für diesen speciel*
len Fall, vielleicht kein besonderes Interesse mehr. Indessen
sind die Zahlen einmal gewonnen, und können vielleicht für
andere Fälle noch einen Wertb erhalten. Das Ergebniss
ist übrigens mir wenigstens ziemlich überraschend. Bei dem
Manne beträgt das Mittel des Schädelborizontalumfanges mit
den Haaren 555 Mm., ohne Haare 546, ohne Kopfschwarte
532 Mm. Es wäre danach bei dem Manne im Durchschnitt
auf die Haare 9 Mm., auf die Kopfschwarte 14, auf beide
23 Mm. zu rechnen. Bei dem Weibe beträgt das Mittel
des Schädelborizontalumfanges mit den Haaren 536 Mm.»
ohne Haare 527, ohne Kopfschwarte 511; also kommen auf
40 Siteung der wath.-phy$. Gasse wm 9. Jamar 1864.
die Haare ebenfalls 9 Mm. , auf die Kopflchwarte 16 , auf
beide zusammen 25 Mm. Dieses Resultat hat mich wenig-
stens in Beziehung auf die gleiche Dicke der Haare bei
beiden Geschlechtern und auf die bedeutende Dicke der
Kopfschwarte überrascht. Uebrigens kommen auch hier sehr
grosse individuelle Verschiedenheiten vor. Garns (Grund*
züge der Kranioecopie , p. 38) glaubt für die Dicke der
Hautdecken des Schädels, bei Anwendung des Tasterzirkels
2"' Par. in Rechnung bringen zu können.
Ich habe übrigens das Verfahren des Herrn Professor
Welker auf dessen eigenen Wunsch auch noch dadurch zu
prüfen gesucht, dass ich die Verhältnisse des Schädelhori--
zontalumfanges , des Schädelinnenraumes und des Hirnge-
wichtes an einer, wenn auch nur kleineren Zahl von Schä-
deln und Gehirnen ermittelt habe. Ich bediente mich dazu
zunächst einer Anzahl in unserer Sammlung aufbewahrter
Schädel, die aus irgend einem besonderen Grunde scelettirt
worden waren , und deren zugehöriges - Gehirngewicht ich
aufgezeichnet hatte , wie z. B. Schädel hingerichteter Ver-
brecher.
Die hiezu angestellten Messungen sind alle von mir
selbst möglichst sorgfaltig ausgeführt worden; theils mit
einem in Centimeter und Millimeter eingetheilten Bande,
theils mit dem Tasterzirkel. In der Messmethode habe ich
mich ganz Welker angeschlossen, weil sie mir durchaus
zweckmässig zu sein scheint. Die Bestimmung des Schädel-
innenraums geschah mit trockener reiner Hirse und Ab-
messen der zur Erfüllung des Schädels benutzten Menge in
einem genau graduirten Glascylinder, wobei während des
Füllens Schädel und Glas fleissig geschüttelt und aufge-
stossen wurden.
Die nachfolgende Tabelle enthält die bei 12 männ-
lichen und 6 weiblichen scelettirten Köpfen erhaltenen Re-
sultate.
Bischof z Schäddvmfang tmd GthirngewUM.
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44 Sitonmg der mathrphgs. Giaese wm 9. Januar 1864.
■ Aus dieser Tabelle ergiebt sich als Mittel für die zwölf
Mäanerschädel
Für den Horizontalumfang 533 Mm.
„ „ Schädelinnenraum 1558 Gem.
„ das Gehirngewicht 1386 Grm.
Als Verhältnisszahl zwischen letzteren beiden 100 : 88,9»
Die Welker'schen Zahlen sind
Für den Horizontahunfang 521 Mm.
„ „ Schädelinnenraum 1448 Ccm.
„ das Gehimgewicht 1389 Gnn.
Yerhältnis8zahl der beiden letztern 100 : 95,9.
Nur das Gehirngewicht stimmt hier überein, weil in
der That die Tabelle die Extreme der männlichen Hirnge-
wichte enthält. Die Verhältnisszahl zwischen Schädelinnen»
räum und Hirngewicht ist dagegen sehr abweichend.
Für die sechs weiblichen Schädel ergiebt sich als Mittel
Für den Horizontalumfang 514 Mm.
„ „ Schädelinnenraum 1410 Ccm.
„ das Himgewicht 1356 Grm.
Verhältnisszahl zwischen letzteren 100 : 96,1.
Welker hat zu Mittelzahlen
Für den Horizontalumfang 504 Mm.
„ „ Schädelinnenraum 1300 Ccm.
„ das Hirngewicht 1249 Grm.
Verhältnisszahl zwischen letztern 100 : 96,1.
Während diese letzte Zahl übereinstimmt, sind meine
übrigen Zahlen alle ansehnlich grösser.
Da nun meine Tabelle wirklich sehr verschiedene Fälle
enthält, so dürfte es zweckmässig sein, die Extreme auszu-
scheiden, und nnter den Männern nur die 9 Mörderschädel
zu nehmen, deren in der That keiner ganz besondere Ver-
hältnisse zeigt, und die ausserdem als ganz gesund zu be-
trachten sind; und von den weiblichen nur Nro. I. IV. und
Bitchoff: Sthädekmfamg und GdUrngewid*. 45
V., welche ebenfalls nichts Besondere« ausser der grossen
Schwere und Dicke des letzteren darbieten.
Allein auch diese Ausscheidung liefert wesentlich ver-
schiedene Zahlen von den Welker'schen , nämlich bei den
Mannern
Für den Horizontalumfang 538 Mm.
„ „ Schädelinneraum 1428 Com.
„ das Hirngewicht 1280 Grm.
Verhältnisszahl letzterer 100 : 86,4,
wobei besonders das geringe Hirngewicht und auch die
niedrige Verhaltnisszahl auffallend und abweichend ist.
Bei den drei Weibern stellen sich die Mittelzahlen
Für den Horizontalumfang 509 Mm.
„ „ Schädelinnenraum 1349 Ccm.
„ das Hirngewicht 1328 Grm.
Verhältnisszahl der beiden letzteren 100 : 98,4,
die, wenn auch besser, doch nicht besonders günstig mit
den Welker'schen stimmen.
Allein ich bin geneigt, auf alle diese Abweichungen von
den Welker'schen Zahlen nicht viel zu geben. Meine Schä-
del sind, wie gesagt, meist eigenthümlicher Art und ihre
Zahl noch immer zu klein; Welker' 8 Zahlen könnten an-
dererseits, wenn sie auf eine grössere Zahl direkter Beob-
achtungen gegründet wären, auch vielleicht noch eine Ab-
änderung erfahren; der Weg könnte vielleicht der rich-
tige sein.
Was mich aber an dieser Hoffnung zu meinem Bedauern
wesentlich verzweifeln lässt, das sind die individuellen Dif-
ferenzen, die ich in meiner Liste zunächst zwischen Schädel-
innenraum und Hirngewicht auftreten sehe, welche, wie mir
scheint, den Werth einer Mittelzahl ganz illusorisch machen.
Nro. VHI. differirt von Nro. VH. im Hirngewicht nur um
46 Sitetfng der maih.-phys. Clcuse vom 9. Januar 1864.
5 Gm., im SchädelinhaH am 220 Ccm. Nro. VIII. von
Nro. VI. im Hirngewicht nur am 47 Grm., im Schädel-
innenraum am 365 Ccm. etc. Umgekehrt differiren Nro. II.
and V« im Schädelinnenraum nur um 40 Gem., im Hirnge-
wicht um 152 Grm. Nro. IV. and VII. im Schädelinnen-
raum nur um 10 Gem., im Hirngewicht um 118 Grm. etc.
Aehnliches findet sich hei den weiblichen Schädeln. Auf-
fallende Unterschiede in der Schädelbildung in Beziehung
auf Dicke oder Brachy- und Dolichocephalie , obgleich ich
kaum wüsste, welchen Einfluss solche auf dieses Verhältniss
zwischen Schädelinnenraum und Gehirngewicht ausüben könn-
ten, finden sich in diesen Fällen nicht.
Aus diesen Zahlen scheint mir daher unwidersprechlich
hervorzugehen, dass auf die Ausfüllung der Schädelhöhle
noch andere Factoren einen ansehnlichen Einfluss ausüben,
als das blosse absolute Hirngewicht. Wahrscheinlich kommt
das mit dem speeifischen Gewichte wechselnde Hirnvolumen
und vielleicht noch mehr das Verhalten der Hirnhäute und
besonders der Dura mater und ihrer Sinus in Betracht,
welche durch verschiedene Dicke und Entwicklung einen
-sehr verschiedenen Raum in der Schädelhöhle einnehmen
können. In der That glaube ich, bei der grossen Zahl von
Schädeleröfihungen und Hirnherausnahmen, die ich selbst
-schon vorgenommen habe, bedeutende Verschiedenheiten in
dieser Hinsicht beobachtet zu haben. Leider werden die-
selben schwerlich einer genaueren Messung unterworfen wer-
den können.
Um zu ermitteln, wie es sich in Beziehung des Ver-
hältnisses des Schädelhorizontalumfanges und des Hirnge-
wichtes verhält, habe ich die zwölf Männerschädel in der
Welker'schen Weise von 10 zu 10 Millim. geordnet, was
nachstehende Tabelle giebt:
Zahl der Falle. Horizontalumfang. Hirngewicht.
2 495 1095
1 510 1215
1 520 1332
5 53Q— 538 H31
1 546 1431
2 550 1517
1 570 1671
Diese Reihe stimmt leidlich genug mit der Welker'schen
und zeigt fast einen oonstanten Parallelismus zwischen beiden
Grossen. Bei den Weibern ist dieses keineswegs der Fall,
was man mit Recht auf die drei sehr abweichenden For-
men IL HL und VI. schieben könnte.
Allein auch hier sind wieder die individuellen Differen-
zen so gross, dass sie eine Mittelberechnung ohne Anwend-
barkeit erscheinen lassen. Nro. II. und XII. haben einen
ganz gleichen Horizontalschädelumfang und differiren im
Hirngewicht um 590 Grm ; dazu ist II, noch sehr dick trnd
XII. sehr dünn, keiner von beiden aber von abweichender
Form, sondern einander sehr ähnlich. Ebenso sind III. und
Xu. nur um 5 Mm. im Umfang, aber um 571 Grm. im
Gehirngewicht verschieden. Das sind meines Erachtens Dif-
ferenzen, die offenbar nicht allein in der Verschiedenheit der
beiden berücksichtigten Factoren begründet sind, und daher
durch grosse Zahlen keine irgend zweckmässige Ausgleichung
finden können.
Ich habe endlich, um auch noch diese Probe nicht un-
versucht zu lassen, bei mehreren frischen Leichen die be-
treffenden Messungen und Gewichtsbestimmungen vorgenom-
men, wobei ich nur bemerke, dass ich vor Bestimmung des
Schädelinnenraumes die Dura mater vollständig auch von
der Basis des Schädels entfernte , sowie die , Hypopbysis
cerebri, die beiden Gangl. semilunaria des Trigeminus und
die Carotis interna hinwegnahm, um die Verhältnisse denen
am scelettirten, Schädel möglichst gleich zu machen. Die
nachstehenden Tabellen ergeben das bei 10 Männer«- und
5 Weiber-Schädeln erhaltene Resultat.
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50 Sitzung der matK-phys. Glaste wm 9. Januar 1864.
Der mittlere Schädelhorizoiitalumfang bei den
Männern ist hier 524 Mm.
Der mittlere Schädelinnenraum 1528 Ccm.
Das mittlere Hirngewicht 1338 Grm.
Das Verhältniss zwischen beiden letzteren 100 : 87,5.
Bei den Weibern beträgt das Mittel dieser Grosse
Für den Schädelhorizontalumfang 513 Mm.
„ „ Schädelinnenrauin 1431 Ccm.
„ das Hirngewicht 1290 Grm.
Die Verhältnisszahl zwischen beiden letzteren 100 : 90,2.
Sowohl die Mittelzahlen als auch die Reihe der Einzel-
zahlen stimmen hier besser mit Welker' 8 Zahlen überein,
doch kommen immerhin so grosse Abweichungen yor, dass
die Verhältnisszahl zwischen Schädelinnenraum und Hirn-
gewicht bei mir bei den Männern um 8,4 Proc., bei den
Weibern um 5,9 Proc. geringer ist, als bei Welker. Ausser-
dem finden sich wieder zu grosse individuelle Verschieden-
heiten in dem Verhältniss des Hirngewichtes zu dem Schädel-
innenraum, um die Mittelberechnung zu gestatten, z. B. bei
einer Differenz von nur 2 Grm. Hirngewicht eine Differenz
von 110 Ccm. im Schädelinnenraum.
Eine Zusammenstellung der Schädelhorizontaltimfänge
und der Hirngewichte der Männer nach der Zunahme ersterer
von 10 : 10 Mm. ergiebt folgende Reihe :
Zahlen. Horizontalumfang. Hirngewicht.
1 503 1077
1 512 1222
4 520 1404 *
3 530 1400
1 540 1275
Hier herrscht wieder wenig Harmonie, und wenn auch
wegen zu geringer Zahl von Beobachtungen die Mittelzahlen
kein Gewicht haben, so sind doch individuelle Differenzen,
wie sie sich wieder z. B. bei der ersten und letzten Reihe
Bitthoff: Schädelumfang und Gehimgewicht. 5 1
finden, zu gross, um eine anwendbare Regel aufstellen zu
können. Allerdings trägt zur Erklärung dieses letzten auf-
fallenden Verhältnisses wesentlich bei, dass der Schädel
Nro. IQ. mit 540 Mm. Horizontalumfang und so geringem
Hirngewicht abnorm dick war, auf dem Scheitel nämlich
10 Mm. und in der Peripherie 6 Mm. Sein Innenraum
war nur 190 Gem. grösser als bei dem Schädel von 503 Mm.
Horizontalumfang, und dem entsprechend auch sein Hirnge-
wicht nur 198 Qrm. grösser.
Fasse ich das Resultat aller vorstehenden Erfahrungen
zusammen, so komme ich zu dem Schlüsse, dass, wenn
auch selbstverständlich der Schädelhorizontalumfang der
wesentlichste Factor für die Grösse des Schädelinnenraumes
und des Hirngewichtes ist, dennoch auch noch andere Fao
toren so4 sehr auf das Verhältniss sowohl des Horizontal-
umfanges zum Innenraum, als dieses zum Hirngewicht, und
daher auch des ersteren zu letzterem bestimmend einwirken,
dass für den individuellen Fall nicht mit genügender Ge-
nauigkeit aus dem Schädelhorizontalumfange auf das Hirn-
gewicht geschlossen werden kann. Wo es sich dagegen um
Vergleichung grösserer Reihen von Schädeln und Hirnen
und um eine ihr Verhältniss ausdrückende Mittelzahl han-
delt , wie z. B. bei der Vergleichung^ männlicher und weib-
licher Schädel, oder der Schädel verschiedener Ragen, oder
vielleicht auch nur Stämmen derselben Rage, da glaube ich
allerdings, dass man sich vollkommen mit dem einfachen
Maasse des Schädelhorizontalumfanges begnügen kann.
Anhangsweise glaube ich hier noch einige Worte über
das Hirngewicht von Tiedemann äussern zu sollen. Ich
habe in meiner Gedächtnissrede auf denselben mitgetheilt,
dass sein Gehirn bei der Section nur 1254 Grm. wog, und
R. Wagner hat natürlich nicht unterlassen, dieses Ergebniss
4*
52 Sitzung dar maih.-phys. Clane vom 9. Januar 1864.
zu Gunsten seines Widerspruches gegen den Parallelismus
von Gehirngewicht und geistiger Begabung und Entwicklung
geltend zu machen. l) Welker hatte hierauf an das hohe
Alter Tiedemann'8 und die unzweifelhaften Zeichen der
Atrophie des Hirns erinnert ; *) auch hatte ich selbst brief-
lich R. Wagner auf dieses Sectionsresultat aufmerksam ge-
macht, Wagner hat darauf in den Göttinger gelehrten An*
zeigen, 1862 16. April, p. 604, erwidert, „dass er sicher
glaube, dass eine solche senile Atrophie der Hirnsubstanz
wohl höchstens eine Gewichtsveränderung von 20 — 30 Grm.
betrage. Der Gewichtsverlust müsse stets annähernd er*
kannt werden können durch die Menge der serösen Flüssig-
keit, welche den Raum der durch Atrophie geschwundenen
Stellen einnimmt. Von einer solchen sei in Tiedemann's
Sectionsbericht nicht die Rede." In einer späteren Mit-
theilung in den Nachrichten von der G. A. Universität Göt-
tingen, 1862 v. 12. Nov., p. 480, hat sich dann Wagner
erinnert, dass im Sectionsbericht allerdings gesagt ist: „Die
Arachnoidea war verdickt und getrübt und unter ihr befand
sich selbst an der Überfläche ziemlich viel Wasser u, aber
er meint dennoch, dass der Gewichtsverlust gewiss nicht
mehr als 50—60 Grm. betragen haben werde. Die ange-
sammelte und bei der Section abfliessende Menge Wassers
ist allerdings nicht gemessen worden; doch haben mir die
die Section ausführenden Herren gesagt, dass dieselbe im
Ganzen allerdings bedeutend gewesen sei, und überhaupt
war der Ausdruck der Atrophie an dem Gehirn deutlich
genug ausgesprochen. Ferner ist in dem Sectionsbericht
der bedeutenden Dicke des Schädels Erwähnung gethan,
und es möchte wohl die Frage aufgeworfen werden können,
ob diese nicht auch als eine Folge der schon länger einge-
1) Vorstudien, 2. Abtheilung.
2) Wachsthum und Bau des menschlichen Schädels, p. 69.
Buchner: Das IWpetMor*. 53
loteten Hirnatrophie betrachtet werden könnte; wenigstens
war Tiedemann sonst Ton durchaus nicht starkem Knochen-
bau. Ein analoges Beispiel scheint mir der oben in der
letzten Tabelle mitgetheilte Fall Nro. III. eines 73-jährigen
Mannes zu sein. Um so mehr halte ich es unter diesen
Umständen gerechtfertigt, die Schädelperipherie Tiedemann's
in Betracht zu ziehen. Dieselbe beträgt aber an dem nach
seinem Tode von dem Kopf genommenen genauen Abgnss
545 Mm., und da er fast keine Haare mehr hatte, anch
äusserst abgemagert und die Kopfschwarte sehr dünn
war, so kann für letztern allerhöchstem obige Mittelzahl
von 14 Mm. in Abzug gebracht werden. Die Schädelperi-
pherie betrug also 531 Mm. und dazu würde nach obiger
Tabelle als Mittelgewicht wenigstens ein Gehirn von 1422 Grm.
gehören. Tiedemann's Gehirn hätte sich also danach schon
etwas über das Mittelgewicht erhoben.
Herr Buchner sprach:
1) Ueber das Turpethharz, eine Mittheilung des
Herrn Professor Dr. Spirgatis in Königsberg.
Bereits vor fünf Jahren hatte ich die Ehre , der Kgl.
Akademie der Wissenschaften die vorläufigen Resultate einer
Untersuchung über die Constitution des Scammoniums zu
überreichen.1) Dieselben bewiesen, dass dieses Harz ebenso
wie zwei andere schon früher von Kays er und W. Mayer
untersuchte und gleichfalls der Familie der Gonvolvulaceen
entstammende Harze, nämlich das Convohulin ,') das Harz
1) Gelehrte Anzeigen der k. bayer. Akademie der Wissenschaf-
ten. 1868. Nr. 13.
2) Kayser, Annalen der Chemie und Phannaeie LI, 81. Mayer,
ebendaselbst LXXXTTT, 121.
54 Sitzung der math.-phySr Gasse vom 9. Januar 1864.
von Ipornoea Purga Wender, und das Jalapin,*) das Hais
von Ipornoea Orizdbensis Pelletan, zur Classe der Glucoside
oder gepaarten Zuckerverbindungen gehöre. Auch sprach
ich damals die durch fortgesetzte Versuche4) fast zur Ge-
wissheit gewordene Verinutliung aus, dass Scammonin (ge-
reinigtes Scammonium) und Jalapin identisch seien, und
fügte ferner jener Mittheilung die Bemerkung bei, dass
nach meinen Beobachtungen noch ein viertes drastisches
Convolvulaceenharz, nämlich das der Wurzel von Ipornoea
Turpethwn R. Br., der Gruppe der Glucoside angehöre.
Möge es mir nun gestattet sein, der Kgl. Akademie in
Folgendem ausfuhrlichere Mittheilungen über letzteren Gegen-
stand zu unterbreiten.
Ich bezog die Turpethwurzel von dem Triester Hause
Behr & Comp.
Die Wurzel lieferte gegen 4 % Harz, von dem etwa
Vso in Aether löslich, das Uebrige hingegen darin unlöslich
ist. Meine Untersuchung gilt allein dem in Aether unlös-
lichen Harz.
Um dasselbe zu gewinnen, wurde die Wurzel mit kal-
tem Wasser möglichst erschöpft, hierauf getrocknet, grob
geschnitten und mit Alkohol ausgezogen. Von den bräun-
lich gefärbten alkoholischen Auszügen, welche trotz mehr-
maliger Behandlung mit Knochenkohle sich nur wenig ent-
färbten, zog ich den Alkohol ab und schied das Harz mit-
telst Wasser aus. Die so erhaltene braungelbe Masse wurde
wiederholt mit Wasser ausgekocht, getrocknet, gepulvert und
zur Entfernung des in Aether löslichen Theils vier- bis
fünfmal mit Aether geschüttelt und eben so oft aus ihrer
Lösung in absoluten Alkohol durch Aether gefällt.
Das auf diese Weise dargestellte Harz, welches ich
3) Mayer, daselbst XCV, 129.
4) Daselbst CXVI, 289.
Budmer: Dom' Turpethkars. 55
Turpefhm nennen möchte, bildet eine geruchlose, anfangs
indifferent, später scharf and bitterlich schmeckende bräun-
lich-gelbe Masse, welche ich durch kein Mittel weiter zu
entfärben vermochte.
Es laset sich sehr leicht zu einem graulichen Pulver
zerreiben, wobei es einen fast unerträglichen Reiz auf die
Schleimhaut der Nase und des Mundes ausübt. In Alkohol
ist es ähnlich wie Jalapin und Scammonin leicht löslich , un-
terscheidet sich aber von diesen beiden Harzen wesentlich
durch seine Unlöslichkeit in Aether. Das Turpethin schmilzt
bei ungefähr 183 ° C.
Beim Erhitzen auf Platinblech färbt es sich nach dem
Schmelzen braun, dann schwarz unter Ausstossung eines
eigentümlichen scharfen Geruches, entzündet sich endlich
und verbrennt mit heller, niesender Flamme, unter Zurück-
lassung von Kohle.
Gegen concentrirte Schwefelsäure zeigt dasselbe ein ähn-
liches Verhalten wie Convolvulin, Jalapin und Scammonium-
harz. Das Turpethin löst sich nämlich darin langsam zu
einer schön rothen Flüssigkeit , welche beim Verdünnen mit
Wasser Anfangs noch hpher röth, dann aber braun und
endlich schwarz wird.
Der Elementaranalyse unterworfen, zeigte das Turpethin
im Mittel von ' vier sehr genau stimmenden Verbrennungen
folgende Zusammensetzung:
Kohlenstoff 56,60
Wasserstoff 7,81
Sauerstoff 35,59
100,00.
Diese Zahlen sind auffallender Weise genau dieselben,
welche Mayer für die Zusammensetzung des Jalapin's, und
welche ich für die Zusammensetzung de? Scammonin's erhielt.
56 SiUtmg der t*ath.-phy8. Masse vom 9. Januar 1864.
Mayer fand nämlich als Mittel yon sieben Verbrennungen
des Jalapin's die Zahl:6) v
Kohlenstoff 56,52
Wasserstoff 8,18
Sauerstoff 35,30
100,00,
während ich bei der Analyse des Scammonin's als Mittel yon
acht Verbrennungen folgende Zahlen erhielt : •)
Kohlenstoff 56,50
Wasserstoff 7,97
Sauerstoff 35,53
100,00.
Aus diesen Daten - berechneten wir fiir Jalapin und Scam-
monin die Formel C«s Bas Ost, welche verlangt
Kohlenstoff 56,66
Wasserstoff 7,77
Sauerstoff 35,57
100,00
und ich habe keinen Grund, dem Turpethin eine andere
Formel zu geben.
Auch gegen starke Basen verhalt sich das Turpethin
ganz ähnlich wie Convolvulm, Jalapin und Scammonin. Es
wird durch dieselben unter Wasseraufhahme in eine in
Wasser leicht lösliche Säure, welche ich Turpethsäure zu
nennen vorschlage, umgewandelt.
Ich habe diese Säure wie die Scammonsäure darge-
stellt, indem ich das Turpethin unter Beihilfe von Wärme
in Barytwasser löste, den Baryt durch Schwefelsäure und
die überschüssig zugesetzte Schwefelsäure durch Bleioxyd-
hydrat entfernte, hierauf filtrirte, aus dem Filtrat das gelöste
Bleioxyd mittelst Schwefelwasserstoff ausfällte und die so
5) Annalen der Chemie und Phsrmacie. XCV, 134.
6) Ebendaselbst CXYI, 296.
Buthner: Das Tvrfxthhar*. 57
erhaltene farblose Massigkeit zur Trockene eindampfte. Die
Turpethsaure bildet dann eine amorphe, gelblich gefärbte,
glanzende, durchscheinende, sehr stark hygroskopische Masse ;
geruchlos von säuerlich - bitterlichem Geschmacke und stark-
saurer Reaction, beim Erhitzen auf Platinblech mit heller
rossender Flamme verbrennend.
Ich fand diese Säure im Mittel von drei Verbrennungen
zusammengesetzt aus
Kohlenstoff 53,88
Wasserstoff 7,90
Sauerstoff 38,22
100,00.
Ihre Zusammensetzung entspricht mithin der Formel: Ces
HtoCsf, aus welcher sich berechnet
Kohlenstoff 53,97
Wasserstoff 7,94
Sauerstoff 38,09
100,00.
Die Turpethsäure ist hienach aus dem Turpethin durch
Aufnahme von vier Aequivalenten Wasser entstanden und
unterscheidet sich von der Jalapin- und Scammonsäure,
welche die Formel C«8 H*» Oa* besitzen, durch den Mehr-
gehalt von einem Aequivalent Wasser.
Von zwei Barytsalzen dieser Säure, welche ich dar-
stellte, ergab das erste im Mittel von mehreren Versuchen
die Zahlen:
Kohlenstoff 49,55
Wasserstoff 7,22
Sauerstoff 34,10
Baryt 9,13
100,00.
58 Sitzung der math.'pkys. Gatte vom 9. Januar 1864.
Das zweite:
Kohlenstoff
Wasserstoff
Sauerstoff
45,58
6,63
30,49
Baryt
17,30
100,00.
•
Das erste dieser Salze ist
mithin
nach der Formel:
Ces Hs» Oss,
BaO zusammengesetzt, welche verlangt
Kohlenstoff
49,54
Wasserstoff
7,16
Sauerstoff
34,00
Baryt
9,30
100,00.
Das zweite aber entspricht der Formel:
C*8 Hö8 0l4,
2 BaO,
denn diese verlangt
Kohlenstoff
45,78
Wasserstoff
6,51
Sauerstoff
30,52
Baryt
17,19
100,00.
Dieselbe merkwürdige Spaltung nun, . welche Convolvulin
und Convolvulinsäure, Jalapin und Jalapinsäure, Scammonin
und Scammonsäure bei der Behandlung mit Mineralsäuren
erfahren, erleiden auch Turpethin und Turpethsäure. Auch
sie zerfallen hiebei in eine Säure von fettartiger Gonsistenz,
welcher ich den Namen Turpetholsäure beigelegt habe, und
in Zucker.
Die Turpetholsäure scheidet sich bei der Spaltung in
Form eines gelblich-weissen , körnigen Conglomerats aus.
Man reinigt sie durch Auswaschen und Schmelzen mit Was-
ser, Auflösen in wässrigem Alkohol, Entfärben dieser Lösung
mit Thierkohle und drei- bis viermaliges Umkrystallisiren
aus verdünntem Weingeist. Sie bildet so dargestellt eine
schneeweisse Masse, welche bei 300facher Vergrösserung die
Budmer: Das Twrpdhharg. 59
Gestalt feiner Nadeln und Bündel derselben annimmt. * Die
Nadeln besitzen etwa eine Länge von Vioo bis a/ioo Linie.
Genichlos, von kratzendem Gesohmacke, in Alkohol leicht,
weit schwerer in Aether löslich. Die Lösungen reagiren
sauer. Die Turpetholsäure schmilzt bei ungefähr 88° G.
Beim stärkeren Erhitzen zersetzt sie sich ähnlich wie Scam-
monolsäure unter Verbreitung eines weissen, Augen und
Nase heftig reizenden Rauches, während Kohle zurückbleibt,
die endlich auch vollständig ohne Hinterlassung von Asche
verbrennt
Die Turpetholsäure zeigte im Mittel von drei Verbren-
nungen folgende Zusammensetzung:
Kohlenstoff 66,53
Wasserstoff 11,21
Sauerstoff 22,26
100,00.
Diese Daten stimmen mit der Formel CstHtsOs, denn
daraus lässt sich berechnen
Kohlenstoff 66,66
Wasserstoff 11,11
Sauerstoff 22,23
100,00.
Von der Scammonolsäure, welche die Formel Ost Hso 0«
besitzt, unterscheidet sich die Turpetholsäure hienach da*
durch, dass sie zwei Aequivalente Wasser mehr enthält.
Der Zucker, welcher das zweite Spaltungsproduct des
Turpethins und der Turpethsäure bildet, kann in der Flüs-
sigkeit, aus welcher sich die rohe Turpetholsäure ausge-
schieden hat, ohne Weiteres durch die bekannte Reaction
mit Kali und schwefelsaurem Kupferoxyd, welche sehr schön
ausfallt, nachgewiesen werden. Behufs seiner genaueren
Constatirung entfernte ich, ähnlich wie es bei der Unter-
suchung des Scammonium'8 für den gleichen Zweck ge-
schehen ist, die in der Flüssigkeit befindliche Schwefelsäure
60 Sitzimg der mafa-phyB. Ckuse vom 9. Januar 1864.
durch Bleioxydhydrat, das gelöste Blei mittelst Schwefel-
wasserstoff, dampfte dann stark ein und behandelte den
Abdampfufigsrückstand mit Aether, am die kleine Menge
von Turpetholsäure , welche beim Erkalten dar abgedampf-
ten Flüssigkeit sich noch ausgeschieden hatte, fortzunehmen.
Die so erhaltene gelbbräunliche Flüssigkeit zeigte alle
Eigenschaften des Zuckers (Glucos). Sie besass einen süssen
Geschmack, entwickelte auf Platinblech erhitzt den Geruch
nach Caramel und erlitt durch Hefe die geistige Gährung.
Ich habe bis jetzt zwei Salze der Turpetholsäure unter-
sucht, nämlich das Natron- und das Barytsalz.
Das Natronsalz bildet eine blendend weisse, seidenartig
glänzende Masse, welche bei 300facher Vergrößerung die
Form von scharf ausgeprägten rhombischen Platten mit
Winkeln von etwa 55 und 125 ° annimmt.
In 100 Theilen desselben wurden gefunden:
Kohlenstoff 61,90
Wasserstoff 9,99
Sauerstoff 18,03
Natron 10,08
100,00.
Das turpetholsäure Natron besitzt hienach die Formel:
Gss Hm 07, NaO, woraus sich berechnen lässt
Kohlenstoff 61,94
Wasserstoff 10,00
Sauerstoff 18,06
Natron 10,00
100,00.
Den turpetholsauren Baryt, welchen ich bisher nur in amor-
phem Zustande erhalten konnte, fand ich in 100 Theilen
zusammengesetzt aus
Buthner: Zur Geschichte des Berberil. 61
Kohlenstoff
58,60
Wasserstoff
8,75
Sauerstoff
16,02
Baryt
21,68
100,00.
Die Formel CmHmOt, BaO verlangt
Kohlenstoff
58,99
Wasserstoff
8,72
Sauerstoff
15,75
Baryt
21,54
100,00.
Die bisher erhaltenen Resultate dieser Untersuchung
durften hienach auf folgende Thatsachen deuten:
Das Turpethin gehört, wie das Convolvuljn, Jalapin und
Scammonin zu den gepaarten Zuckerverbindungen, ist aber,
obwohl es eine dem Jalapin und Scammonin gleiche Zusam-
mensetzung besitzt, mit diesen Harzen nicht identisch, son-
dern denselben nur isomer, da es sich von ihnen, abgesehen
Ton minder erheblichen Eigentümlichkeiten, sowohl durch
seine Unlöslichkeit in Aether, wie auch durch die abwei-
chende Zusammensetzung seiner Derivate unterscheidet. Der
Spaltungsprocess des Turpethins in Turpetholsäure und in
Zucker lässt sich durch folgende Gleichung ausdrücken:
CcsHuOst + 12 HO = CstHstOs + S(üisHitOit).
Fernere Versuche, mit deren Anstellung ich zur Zeit
beschäftigt bin, werden entscheiden, ob diese Anschauungs-
weise die richtige ist.
Derselbe gab
2) Beiträge zur Geschichte des Berberins.
Herr J. Dyson Perrins hat in einer im Journal of
the Chemical Society, XV, 339, veröffentlichten Abhandlung
über das Berberin auch die chemische Untersuchung dieses
62 Sitzung der inath.-phys. Masse vom 9. Januar 1864.
wegen seines Vorkommens in verschiedenen Pflanzenfamilien
besonders interessant gewordenen Körpers zu geben versucht.
Aber ich bedauere, sagen zu müssen, dass sich hierin eine
Unrichtigkeit eingeschlichen hat, welche in Berzelius'
Jahresbericht ihren Ursprung hat, und welche ich mir schon
darum zu berichtigen erlaube, weil sie auch von deutschen
Journalen, welche Perrins' Abhandlung aufgenommen haben,
unverändert wiedergegeben wurde. Es wird nämlich be-
hauptet, dass das Berberin im Jahre 1835 von Buchner
und Herberger in Berberis vulgaris entdeckt worden sei.
Es ist allerdings wahr, dass Buchner (mein Vater) und
Herberger, und zwar schon im Jahre 1830, in einer von
ihnen publicirten Abhandlung ') über die Berberizenwurzel
den gelben Bitterstoff dieser Wurzel, welchen sie Berberin
nannten, beschrieben, allein aus dieser Beschreibung ersieht
man deutlich, dass ihnen die Darstellung des Berberins im
reinen Zustande nicht viel besser gelungen war, als Bran-
des', welcher im Jahre 1825 eine Analyse derselben Wur-
zel unternommen hatte.8) Buchner und Herberger beschrie-
ben das von ihnen dargestellte Berberin als eine extrakt-
artige, hygroskopische Masse, sehr leicht löslich in Wasser
und Alkohol. Aus der ganzen Beschreibung ist ersichtlich,
dass sie das Berberin noch nicht im reinen Zustande erhal-
ten hatten; dieser Stoff von damals war kaum mehr als
ein gereinigtes weingeistiges Extrakt, welches sich zum jetzi-
gen Berberin ungefähr verhält, wie ein gereinigtes Bella*
donnaextrakt zum krystallisirten Atropin.
Die Darstellung des Berberins im krystallisirten Zu-
stande gelang erst drei Jahre später meinem Vater allein,
1) Chemische Abhandlang aber die Berberizenwnnel; von Dr.
J. A. Bachner and J. E. Herberger. Repertoriam für die Pharma-
cie, XXX VI, 1.
2) Archiv der Pharmacie, XI, 29.
Budmer: Zw Geschickte des Berberins. 63
ab er eine grössere Menge der Wurzelrinde von Berberis
vulgaris mit kochendem Wasser aaszog and das wässrige
Extrakt mit heissem Alkohol behandelte. 8) Das auf diese
Weise erhaltene and gehörig gereinigte Berberin wurde
hierauf von meinem Vater and mir näher stadirt and in
einer im Jahre 1835 'veröffentlichten Abhandlang beschrie*
ben.4) Diese Abhandlang ist mehr oder minder vollständig
«ich in mehrere andere Zeitschriften übergegangen, nament-
lich in Liebig's Annalen der Pharmacie, XXIV, 228. Ber-
lelius berichtet von dieser Arbeit in seinem Jahresbericht
von 1836 (XVI. Jahrgang) ebenfalls, indem er daselbst
(S. 288 der deutschen Aasgabe) sonderbarer Weise sagt:
,3nchner und Herberger haben das von ihnen entdeckte
Berberin (Jahresb. 1833, p. 275) einer neuen und vollstän-
digeren Untersuchung unterworfen, wobei es ihnen gluckte,
dasselbe rein zu erhalten." Dieser Irrthum ist denn auch
Ton Herrn Perrins in seine sonst ausgezeichnete Abhandlung
aufgenommen worden; er ist dadurch in denselben Fehler
verfidlen, wie mehrere andere Chemiker, welche die Ge-
schichte ihrer Wissenschaft nicht aus den Quellen, sondern
ans Jahresberichten oder anderen mehr oder minder ma-
geren, das Wesen der Sache nicht selten entstellenden Aus-
zügen zu schöpfen pflegen.
Aber ich muss mich hier selbst wegen eines Irrthumes
anklagen, welchen ich bei meinem Studium des Berberins
begangen habe, nämlich wegen des Irrthumes, damals die
basische Natur des Berberins verkannt zu haben. Der Um-
stand, dass das Berberin ein Farbstoff ist, wegen dessen das
3) 8. Repertorium für die Pharmacie, 2. Reihe, II, 8.
4) Ueber das Berberin in chemischer, medicinischer und tech-
nischer Beziehung; von A. Bachner, Vater und Sohn. Vorgelesen
in der Sitzung der k. Akademie der Wissenschaften zu München
am 9. Mai 1886. Repertorium für die Pharmacie, 2. Reihe, 11, 1.
64 Sitzung der math.-phys. Ciasse vom 9. Januar 1864.
Wurzelholz des Berberizenstrauches sogar zum Gelbfärben
des Leders benützt wird, liess in mir nicht den Gedanken
aufkommen, dass dieser schöne Farbstoff, obgleich stick-
stoffhaltig, zu den Alkaloiden gehöre, weil zu jener Zeit ein
farbiges, zum Färben der Gewebe dienliches Alkaloid etwas
ungewöhnliches war. Auch die Eigenschaft des Berberins,
ähnlich einigen anderen gelben Farbstoffen, durch Alkalien
dunkler gefärbt zu werden, und dann beim Ansäuern der
alkalischen Flüssigkeiten seine ursprüngliche reingelbe Farbe
wieder anzunehmen, ferner seine Eigenschaft, durch einige
Säuren, anstatt in einen löslicheren Zustand überzugehen,
aus seiner Auflösung gefällt zu werden und auch mit meh-
reren Metallsalzen Niederschläge zu bilden — alles dieses
lenkte mich leider von der Idee ab, dass das Berberin ein
Alkaloid sein könnte.
Es wird allgemein behauptet, dass der basische Charak-
ter des Berberins zuerst von Fleitmann erkannt worden
sei,* welcher im Jahre 1846 eine ausführliche Arbeit über
das Berberin und seine Salze bekannt gemacht hat. ') Ohne
das Verdienst Fleitmann's, die Eigenschaften und die Zu-
sammensetzung des Berberins und seiner salzigen Verbin*
düngen genauer kennen gelernt zu haben, als diess früher
geschehen war, nur im Geringsten schmälern zu wollen,
muss ich doch erwähnen, dass Herr Dr. G. Kemp aus
Cambridge der Erste war, welcher die Eigenschaft des Ber-
berins, mit Säuren Verbindungen einzugehen, wahrgenom-
men hat. Herr Kemp hat seine Beobachtungen hierüber im
Jahre 1841 gemacht und über einige dieser krystallisirten
Verbindungen eine kurze Notiz im Repertorium für die
Pharmacie, 2. Reihe, XXIH, 118 veröffentlicht. Spater wur-
den von diesem Chemiker das Platindoppelsalz und andere
6) Annalen der Chemie und Pharmaoie. L1X, 160.
Büchner: Zur Geschichte des Berberins. 65
Berberinsalze analysirt ; diese Analysen stehen, wenn ich nicht
irre, in der Chemical Gazette V. 5, S. 209.
Meine erste Analyse des Berberins, welche ich in der
gemeinschaftlich mit meinem Vater veröffentlichten Abhand-
lung mitgetheilt habe, weicht bedeutend von den Analysen
Fleitmann's und anderer Chemiker ab. Die Ursache dieser
Differenz liegt zum Theil darin, dass, wie Fleitmann nach-
gewiesen hat, das früher für rein gehaltene Berberin kein
freies, sondern salzsaures Berberin war. Ich habe mich
seitdem auf das Bestimmteste überzeugt, dass das aus der
Berberizenwurzelrinde durch kochendes Wasser ausgezogene
und durch Auflösen in kochendem Alkohol gereinigte Ber-
berin, anch wenn zu seiner Reinigung gar keine Salzsäure
angewendet wurde, dennoch eine bedeutende Menge Salz«
säure enthält. Allerdings kam bei der Darstellung einer
grösseren Menge Berberins im Laboratorium meines Vaters,
ans welchem auch das Untersucliungsmaterial Fleitmann's
stammte, Salzsäure in so fem in das Spiel, als man damit
das Berberin aus den letzten Mutterlaugen ausfällte, allein
da ich das von mir auf Salzsäure untersuchte Berberin selbst
dargestellt hatte, so konnte ich sicher sein, dass hierzu keine
Salzsäure genommen worden war. Gleichwohl gab es, als
es mit reinem Kalk geglüht und die geglühte Masse in ver-
dünnter Salpetersäure aufgelöst worden war, mit Silber-
lösung einen bedeutenden Niederschlag von Chlorsilber. Es
ist also erwiesen, dass das Berberin unmittelbar aus der
Berberizenwurzelrinde mit alleiniger Anwendung von Wasser
und Alkohol wenigstens theilweise als salzsaure Verbindung
erhalten wird; entweder ist diese Verbindung in der Ber-
berize schon gebildet vorhanden, oder sie bildet sich, wie
Fleitmann vermuthet, durch wechselseitige Zersetzung von Chlor-
kalium *) oder Chlornatrium und organisch-saurem Berberin.
6) In der Asche eines kalt bereiteten wässrigen Antrages der
[1864.L 1.] 5
66 Sitzung der math.-phys. Glosse vom 9. Januar 1864.
Ich habe indessen Ursache zu vermuthen, dass die ans
der Berberizenwurzelrinde erhaltenen gelben Krystalle nicht,
oder wenigstens nicht immer vollkommen salzsaures Ber-
berin seien. Ich habe vor 21 Jahren, als ich mich in Iie-
big's Laboratorium in Giessen mit chemischen Untersuchungen
beschäftigte, ein durch wiederholtes Umkrystallisiren aus
kochendem Alkohol scheinbar vollkommen gereinigtes Ber-
berin mehrmals analysirt und immer mehr Kohlenstoff, als
das reine salzsaure Berberin verlangt, aber weniger, als im
freien Berberin enthalten ist, erhalten. Eine Chlorbestim-
mung wurde nicht vorgenommen, weil ich damals einen
Salzsäuregehalt im Präparat nicht ahnte. Aber selbst die
verschiedenen Krystallisationen eines und desselben Präpa-
rates waren nicht gleich zusammengesetzt; eine KrystaLli-
sation gab mir 63,11, eine zweite 64,29 und 64,33 und
eine dritte sogar 65,55 und 65,68 pr. C. Kohlenstoff. Das
salzsaure Berberin verlangt gegen 63 und das freie Berberin
ein wenig über 67 Proc. Kohlenstoff. Die von mir beob-
achteten Schwankungen mögen zum Theil daher rühren,
dass das salzsaure Berberin, wie Herr Perrins gefunden hat,
bei längerem Erwärmen auf ungefähr 100° C. etwas zer-
setzt wird, wesshalb das salzsaure Salz zur Elementaranalyse
nicht geeignet ist, und auch daher, dass das Beinigen der
Berberinsalze durch Umkrystallisiren sehr schwierig ist.
Allein die gefundenen Zahlen lassen mich auch vermuthen,
dass ich es mit einem Gemenge von salzsaurem und freiem
Berberin zu thun hatte«
Herr Perrins giebt an, dass die Herren Chevallier
und Pelletan das Berberin zuerst beobachtet, dass sie es
schon im Jahre 1826 ans Xanthoxylum ciava Herctdis er-
halten und unter der Benennung XanihopikrU sehr genau (?)
Berberäenwuraelrinde fand iob eine ziemlich bedeutende Menge von
Chlor!
Budmer : Das äiher. Od a. d. Frikktfi* v. Abtes Reg. AmaUae. 67
beschrieben haben. 7) Diess ist richtig , allein dessenunge-
achtet wnsßte Niemand etwas von dem Vorkommen des Bei>
berins in der genannten Pflanze, so lange nicht die Identität
des Xanthopikrits und desBerberins nachgewiesen war, was
erst in neuester Zeit von Herrn Perrins geschehen ist. Die
Entdeckung, dass Xanthoxylum Berberin enthält, ist also
eigentlich von Herrn Perrins und nicht von den Herren
Chevallier und Pelletan gemacht worden. Wie dem auch
aei, so viel ist gewiss, dass das Berberin ans der Pflanze,
von welcher es seinen Namen hat, im krystallisirten Zustande
zuerst von meinem verstorbenen Vater dargestellt worden
ist; die Ehre der Entdeckung dieses schönen Stoffes wird
also auch fernerhin diesem zuerkannt werden müssen. •
7) Journ. de Chimie m&Licale. 11, 314 Im Originale steht Zan~
fhoayhm und Zanfhopicrite anstatt Xanthoxylum und Xanthopicrite,
welche offenbar die richtigeren Namen sind.
3) Ueber das ätherische Oel aus den Früchten
von Abies Beginae AmaUae.
Der Güte des Herrn Leibarztes Dr. Lindermayer in
Athen verdanke ich eine Sendung von Samen oder viel-
mehr Früchten jener Tanne, welche man vor einigen Jahren
in den Wäldern Arkadiens auffand und, weil man sie für
eine neue Art hielt, der Königin von Griechenland zu Ehren
Abies Beginae Amaliae benannte. Es kommt mir nicht zu,
darüber zu entscheiden, ob diese Tanne wirklich eine be-
sondere neue Species, oder ob sie, wie Einige glauben, nur
eine Varietät einer der schon bekannten Abiesarten sei;
ihre Früchte erregten mein Interesse besonders wegen des
sehr angenehm riechenden ätherischen Oeles, welches in der
Fruchtwand in so reichlicher Menge enthalten ist, dass ea
6*
68 Sitmng der maih.-phys. Glosse xxm 9. Januar 1864.
beim Zerdrücken derselben ausfliesst. Dieses Oel iässt sich
daher sehr leicht durch Destillation der zerquetschten Früchte
mit Wasser gewinnen; ans 150 Grammen Früchte wurden
auf diese Weise etwas über 26,25 Grm. Oel erhalten, wel-
ches auf dem überdestillirten Wasser schwamm; da aber
ein Theil des Oeles im Wasser gelöst blieb, so lässt sich
annehmen, dass die genannten Früchte wenigstens 18 Pröc.
flüchtiges Oel enthalten.
Herr Dr. Eduard Thiel aus Gassei hat dieses Oel in
meinem Laboratorium einer Untersuchung unterworfen, wo-
raus sich ergiebt, dass es wie die übrigen bekannten flüch-
tigen Oele der Coniferen zur Gruppe der Camphene mit der
Formel CaoHie gehöre.
Es ist frisch destillirt ganz farblos und sehr dünnflüssig.
Sein Geruch ist von demjenigen des Terpenthinöles ganz
verschieden; er ist, wie schon erwähnt, sehr angenehm bal-
samisch, citronenartig und noch feiner als jener des ätheri-
schen Oeles aus den Zweigen von Pinus Pumilio H. , wel-
ches vor vier Jahren in meinem Laboratorium von Herrn
Miko lasch aus Lemberg untersucht worden ist.1)
Das specifische Gewicht des entwässerten Oeles wunje
bei mittlerer Temperatur = 0,868 gefunden. Es zeigte bei
einer Temperatur von -f 20,2 ° C. und einer Länge der
Flüssigkeitssäule von 25 Centimeter eine Ablenkung der
Ebene des polarisirten Lichtes von bloss 5 ° nach links.
Unter dem gewöhnlichen Luftdrucke begann es bei 156° C.
zu sieden; der Kochpunkt stieg aber bald auf 170°, blieb
dann längere Zeit constant und erhöhte sich endlich bis
auf 192 °.
Die Elementaranalyse des mittelst Ghlorcalciums ent-
wässerten und rectificirten Oeles wurde mit Kupferoxyd im
Sauerstoffstrome ausgeführt und gab folgendes Resultat:
1) S. Annalen d. Chem. u. Pharm. CXY1, 328; auch mein Reper-
toriuxn, IX, 837.
Buchner : Das äther. Od a. &. Früchten t>. Mim Beg. AmaUae. 69
I. 0/200 Grm. gaben 0,630 Kohlensäure und 0,23
Wasser.
II. 0,300 Grm. lieferten 0,946 Kohlensäure und 0,342
Wasser.
HL 0,310 Grm. gaben 0,977 Kohlensäure und 0,355
Wasser.
Diess macht für 100 Theile:
I. U. UI. Mittel.
Kohlenstoff 65,91 86,00 85,96 85,96
Wasserstoff 12,77 12,67 12,73 12,72.
Man sieht aus diesen Zahlen, dass das Oel in dem Zu*
stände, in welchem es zur Elementaranalyse verwendet wurde,
gleich mehreren anderen ätherischen Oelen aus der Reihe
der Camphene nicht vollkommen sauerstofffrei ist. Gleich-
wohl wirkt es auf blankes Kalium oder Natrium nur sehr
wenig ein; es entwickeln sich bloss anfangs einzelne Gas-
bläschen, wobei sich das Oel bräunlich färbt, dann aber
scheint jede Einwirkung aufzuhören, denn das Metall bleibt
in der Regel vollkommen blank; nur manchmal umhüllt es
sich mit einer gelb-rothen gallertartigen Masse. Eine Ver-
änderung des Geruches findet durch diese Veränderung nicht
statt. Die wenigen Gasbläschen, welche sich in deji ersten
Momenten der Berührung des entwässerten Oeles mit Kalium
oder Natrium entwickeln , deuten darauf hin , dass von der
geringen Menge Sauerstoff, welche in dem Oele enthalten
ist, sich wenigstens ein Theil im Hydratzustande darin be-
findet. Uebrigens zieht dieses Oel sehr rasch Sauerstoff aus
der Luft an und verharzt sich dabei, so dass es schon dess-
balb schwer ist, es vollkommen sauerstofffrei zu erhalten.
Die8s gelingt am besten, wenfi man das mit Kalium oder
Natrium behandelte Oel in einem mit Kohlensäure gefüllten
Apparat destillirt und sogleich darauf in Glasröhren bringt,
deren Spitzen vor der Lampe zugeschmolzen werden.
Die Eigenschaft, den Sauerstoff aus der Luft anzuziehen
70 Sifamg der mctfh.-phys. Gasse vom 9. Januar 1864.
und zunächst zu ozonisiren, besitzt dieses Oel in einem viel
höheren Grade, als das Terpenthinöl , denn während man
eine Mischung von letzterem mit Stärkekleister und Jod-
kaliumlösung längere Zeit an der Luft den Sonnenstrahlen
aussetzen muss, um Jod frei zu machen und die blaue
Reaction von Jodstärke zu beobachten, geschieht dieses mit
dem Oele aus den Früchten der neuen Tanne schon nach
wenigen Minuten. Ebenso wird mit Schwefelblei überzogenes
Papier nach dem Befeuchten mit letzterem Oele und Aus-
setzen an das Sonnenlicht viel schneller entfärbt, als durch
Terpenthinöl.
Während das Oel durch Sauerstoffanziehung sich ver-
dickt und verharzt, ändert es auch seinen angenehmen Ge-
ruch in einen viel weniger angenehmen. Da man aber die
Früchte der genannten Tanne einige Jahre in offenen Ge-
lassen aufbewahren kann, ohne dass das ätherische Oel
darin seinen balsamischen Gerach oder den dünnflüssigen
Zustand verändert, so muss angenommen werden, dass es
sich hier in luftdichten Behältern eingeschlossen befindet.
Diese ergiebt sich auch daraus, dass diese Früchte, so lange
sie unverletzt sind, ungeachtet ihres Reichthumes an ätheri-
schem Oele nicht darnach riechen.
Gegen Jod verhält sich dieses Oel ganz anders, alsdaa
Terpenthinöl; es löst nämlich das Jod vollkommen ruhig
ohne Dampfbildung und ohne sich zu erhitzen auf. Die
Auflösung ist braunroth gefärbt und besitzt den unveränder-
ten Geruch des Oeles und des Jodes zugleich.
Ein Theil des Oeles wurde in der Kälte der Einwirkung
Ton entwässertem Chlorwasserstoff ausgesetzt, wobei es sich
gelb, dann braun und zuletft violett färbte. Das mit salz-
saurem Gase gesättigte Oel wurde durch Waschen mit Was-
ser und einer Lösung von doppeltkohlensaurem Natron von
der anhängenden Salzsäure befreit und durch Chlorcalcium
entwässert, worauf es eine gelbliche Flüssigkeit darstellte,
AuJmer: Das äiher. Od a.cL Früchten* Abics Reg. Amaliae. 71
Ton einem dem des ursprünglichen Oeles ähnlichen, aber
minder angenehmen Gerüche.
Zar Analyse dieser Verbindung wurde ihr Dampf über
reinen, in einer Glasröhre zum Glühen erhitzten Aetzkalk
geleitet, dieser dann in verdünnter Salpetersäure gelöst und
die Menge des Chlors in dieser Lösung durch salpetersaures
Silberoxyd bestimmt. 0,330 Grm. der Verbindung gaben
0,280 Gm/ Chlorsilber, was 20,98 Proc. Chlor oder 21,57
Proc. Chlorwasserstoff entspricht. Diese Verbindung ist dem-
nach wie die meisten Verbindungen der Camphene mit
Chlorwasserstoff nach der Formel Cs»Hi<, HCl, welche
20,58 Proc. Chlor verlangt, zusammengesetzt. Da diese
Verbindung in der Kalte nichts Erystallinisches ausschied
und da sich auch beim Erhitzen mit rauchender Salpeter-
säure nach Berthelot's Methode nichts Festes daraus subli-
mirte, so darf angenommen werden, dass das ätherische Oel
aus den Früchten der arkadischen Tanne nur aus einem
einzigen Individuum bestehe, und nicht wie das Terpenthinöl
ein Gemisch von zweierlei Camphenen sei.
Als Heilmittel kann das neue Oel, wie die von Herrn
Professor Seitz in hiesiger Poliklinik angestellten Versuche
beweisen, in allen den Fällen benützt werden, in welchen
man das Terpenthinöl anzuwenden pflegt; wegen seines
angenehmen Geruches verdient es diesem vorgezogen zu
werden.
T2 Sitoung der math^pkys. dorne wm 9. Januar 1864.
Herr von Kobell trug vor:
„Ueber den Aedelforsit and Sphenoklas".
1.
Unter dem Namen Aedelforsit sind zwei Mineralien be-
kannt, welche beide zu Aedelfors in Schweden vorkommen
und von Hisinger und Retzius analysirt wurden. Retzius
i
selbst hat das von ihm untersuchte Mineral zu Hisinger's
Mehlzeolith gestellt. Er giebt an, dass es mit Salpetersäure
gelatinire und schreibt für die Mischung die mineralogische
Formel CS8 + 3ASS + 4Aq. Die Analyse gab:
Kieselerde 60,280
Thonerde 15,416
Kalkerde 8,180
Eisenoxyd 4,160
Talkerde und
Manganoxyd 0,420
Wasser 11,070
99,526.
(Schweigger's N. Jahrbuch f. Chemie und Physik. Bd. 27. 1819.
p. 892.)
Das von Hisinger untersuchte Mineral habe ich meines
Wissens zuerst nach dem Fundorte Aedelfors benannt und
will es hier unter diesem Namen weiter besprechen. Hisinger
hat es nach seiner Analyse wesentlich als GaSi bestimmt
mit eingemengtem Silicat von Thonerde, Talkerde, Eisenoxyd
und Manganoxyd. Er fand nämlich :
Kieselerde
.57,75
Kalkerde
30,16
Talkerde
4,75
Thonerde
.3,75
Eisenoxyd
1,00
Manganoxyd
0,65
98,06.
(Kongl. Vetenskaps-Academiens Handlingaf, För AB 1888.)
v. KobtR: Da» Aeddforrit und Sphcnoklcu. 73
Er rechnete damals die Sauerstoffmenge der Talkerdc
nicht zu der der Kalkerde, sondern zu der der Thonerde.
Dass icti dasselbe Mineral vor mir hatte, beweist ausser der
übereinstimmenden Beschreibung auch dessen von Hisinger
angegebene Eigenschaft, beim Erwärmen mit grünlichgelbem
Lichte stark zu phosphoresciren.
Dieses Mineral kommt in derben Massen vor, welche
ausgezeichnet kleinsplitterigen Bruch zeigen. Unter der Lupe
erkennt man kristallinische, sehr feinkörnige, mitunter auch
in's verworren Faserige übergehende Structur. Die Farbe
ist gelblich-graulichweiss , es ist an den Kanten durchschei-
nend. Die Härte steht der des Orthoklas ziemlich nahe und
das 6pecifische Gewicht fand ich = 3,0 (Hisinger giebt es
nur zu 2,584 an).
Vor dem Löthrohre schmelzen feine Splitter = 4, ein-
zelne Blasen entwickelnd zu einem glänzenden grünlichen,
halbdurchsichtigen Glase. Beim Erhitzen eines grösseren
Stückes kann man schon am Tageslicht das Phosphoresciren
bemerken. Von Salzsäure und Schwefelsäure wird das Mi*
neral nur sehr wenig angegriffen. Da es mit Calcit ver-
wachsen ist, so wurde das zur Analyse verwendete Pulver
zuvor durch schwache Salzsäure von diesem gereinigt und
mit Kalilauge aufgeschlossen. Die Trennung der Basen
R und R geschah durch Neutralisiren der sauren Auflösung
mit doppelt kohlensaurem Natron und wurde am Präcipitat,
welches wieder in Salzsäure gelöst wurde, wiederholt und
dadurch n.och etwas Kalk und eine merkliche Menge Talk*
erde abgeschieden.
Die Analyse gab:
74 Stiftung der math-phys. Clause vom 9. Januar 1864.
>*~
Sauerstoff.
Kieselerde
61,36
. 32,72
Thonerde
7,00
. 3,27
Kalkerde
20,00
. 5,71
Talkerde
8,63
. 3,45
.9
Eisenoxydul
2,70
. 0,59
Spar v. Man-
ganoxydul
9,75
99,69
Obwohl der Eisengehalt sehr gering ist, so stellte ich
doch einen Versuch an, dessen Oxydationszustand zu be-
stimmen. Ich erhitzte etwa 2,5 Gm. des Mineralpulvers
mit dem 5-fachen Gewicht feingeriebenen Boraxglases gemengt
in einer kleinen gläsernen Retorte, deren Rohr in eine Flasche
eingefügt war, in welcher Kohlensäure entwickelt wurde.
Als die Retorte nach längerem Glühen durch Verstärkung
der Gasflamme zu schmelzen begann, schlug ich den Hals
ab und liess den Kolben in einem bedeckten Gefässe erkal-
ten. Ich zerrieb dann den zum Theil nur zusaminengesin*
terten Inhalt, ohne das etwa anhängende Glas zu entfernen,
und kochte das Pulver in einem Glaskolben mit verdünnter
Salzsäure, unter Hinzufügen einiger kleinen reinen Calcit-
krystalle. Die Flüssigkeit wurde filtrirt und ich bewerk-
stelligte dieses in einer Atmosphäre von Kohlensäure in der
Art, dass ich in das Filtrum, welches gross genug war, die
Flüssigkeit auf einmal zu fassen, einen kleinen Calcitkrystall
warf und ebenso Calcit in das Cylinderglas brachte, welches
das Filtrat aufnahm. Die sauere Flüssigkeit entwickelte so
im Trichter, welcher mit einer Glasplatte bedeckt wurde,
Kohlensäure und das Filtrat befand sich auch in einer At-
mosphäre von Kohlensäure. Natürlich ist dieses einfache
Verfahren nur anwendbar, wo es sich nicht um die gesammte
zu filtrirende Flüssigkeit, sondern nur um einen beliebigen
Theil derselben handelt, denn ausserdem würde das Brausen
v. KobeH: Das Aeddforsit und Sphenoklas. 75
und Spritzen im Trichter, ungeachtet der aufgelegten Glas-
platte, doch einen Verlust herbeifuhren. Nachdem das Fil-
trat' erkaltet war, titrirte ich dasselbe durch eine Lösung
Ton phosphorsaurem Manganoxyd. Nach Beendigung der
Oxydation kochte ich die rosenrothe Flüssigkeit in einem
Kolben mit einem Ueberschuss von reinem Zink, stellte
dann das ursprüngliche Volumen durch verdünnte Salzsäure
wieder her und titrirte abermals. Der Verbrauch derMan-
ganlösung war in beiden Versuchen so gleich, dass kein
Zweifel blieb, das Eisen als Oxydul in Rechnung zu bringen.
Ich ziehe für dergleichen analytische Untersuchungen
eine Lösung von phosphorsaurem Manganoxyd *) der ge-
wöhnlichen Chamäleonlösung vor, weil die Rosenfarbe, welche
die Probeflüssigkeit nach Beendigung der Operation an-
nimmt, sich längere Zeit ganz unverändert erhält, während
sie von der Chamäleonlösung in wenigen Minuten sich bleicht
and verschwindet. Wenn man ein Volumen concentrirter
Salzsäure mit dem fünf- bis sechsfachen Volumen Wasser
verdünnt und einen Theil davon durch Zutropfen von Cha-
mäleonlösung, einen andern ebenso durch phosphorsaures
Manganoxyd deutlich roth färbt, so kann man sich leicht
▼on dem Unterschiede in der Haltbarkeit der Farbe über-
zeugen; dass man aber bei der constanten Farbe sicherer
ist, dass die verlangte Oxydation1 gehörig geschehen, als bei
der wieder verschwindenden, ist für sich klar. Nur bei
■tärkerer Verdünnung ist auch die Farbe der Chamäleon-
lösung länger haltbar.
Die Sauerstoffmengen der angeführten Analyse des Aedel-
forsit zeigen das Verhältniss Si : R : R = 30 : 3 : 9 , oder
10 : 1 : 3.
1) Vergl. meine Abhandlung hierüber in Gelehrten Anzeigen der
t bayr. Akademie d. Wissenschaften. 1859. Nro. 47 u. 48. Jahrb.
ftr pract. Chemie LXXY1. 416.
76 Sitzung der ma£h.-$hys. Glosse wm 9. Januar 1864.
Die Formel ist daher:
Ca
ftSi + 9lisi, oderÄlSi + 9Mg
Ee
• • •
>Si.
2.
Das Mineral, welches ich Sphenoklas nenne, von den
keilförmigen Bruchstücken, welche beim Zerschlagen häufig
erhalten werden (ogrfv, der Keil, und xXdco, zerbrechen),
findet, sich zu Gjellebäck in Norwegen. Ich erhielt es von
Dr. Krantz in Bonn mit der Bezeichnung Kalktrisilikat.
Ein solches Silicat von dem genannten Fundorte wird von
Hisinger angegeben (Jahresbericht von Berzelius IV. 1825«
p. 154). Ich muss bezweifeln, dass das von mir untersuchte
Mineral dasselbe sei, welches Hisinger analysirt hat, denn
seine Mischung ist von einem Kalktrisilikat weit entfernt
4 und kommt mit keinem der bekannten Silicate überein.
Das Mineral bildet parallele dünnere und dickere Lagen
in einem bläulichen körnigen Calcit. Die Farbe ist blass-
graulichgelb, es zeigt splittrigen Bruch und beim Kerzenlicht
einen Schimmer, welcher auf krystallinisch-blättrige Structur
hinweist, es ist an den Kanten durchscheinend und nahe
von der Härte des Orthoklas.
Das specifische Gewicht einer von Calcit und etwas ein*
gemengtem Pyrit durch Salpetersalzsäure gereinigten Probe
(in Pulverform) ergab sich == 3,2.
Vor dem Löthrohr schmilzt das Mineral leicht = 3
und vollkommen ruhig zn einem dichten, glänzenden, grün-
lichen Glase, im Kolben giebt es kein oder nur eine Spur
von Wasser. Von Salzsäure und Schwefelsäure wird es
wenig angegriffen, nach dem Schmelzen aber wird es von
Salzsäure zersetzt und scheidet die Kieselerde in gallert-
artigen Klumpen ab. Es wurden 2,5 Grm. des gereinigten
r
t?. Kobett: Das Aedelforsit und Sphendklas. 77
Palvers mit kohlensaurem Natron aufgeschlossen, nach Ab-
Scheidung der Kieselerde, die Thonerde mit dem Eisenoxyd
durch Neutralisiren der salzsauren Lösung mit doppelt koh-
lensaurem Natrum gefallt, das Filtrat eingeengt und mit
einer Lösung von chlorsaurem Kali in heisser concentrirter
Salzsäure versetzt und unmittelbar durch Aetzammoniak das
Hanganoxyd präcipitirt, weiter der Kalk durch kleesaures
Ammoniak und die Talkerde durch phosphorsaures Natrum
und Ammonik.
Das Mittel zweier nahe übereinstimmender Analysen
war:
Sauerstoff.
Kieselerde 46,08 . 24,57 .... 4
Thonerde 13,04 . 6,10 .... 1
Kalkerde 26,50 . 7,57
Talkerde 6,25 . 2,50
Eisenoxydul 4,77 . 1,06
Manganoxydul 3,23 . 0,68
11,81
> m • • • I
99,87
Das Sauerstoffverhältniss von Si, & und R ist offenbar
4:1:2, wonach sich die Formeln fe Si-f 3R2Si, oder
auch £' Si* + 2R*Si bilden lassen.
Dass das Mangan als Oxydul enthalten, zeigte sich
deutlich bei der Behandlung einer Probe mit Phosphorsäure»
Die zur Syrupdicke eingekochte Masse war weuig bräunlich
gefärbt, auf Zusatz einiger Tropfen concentrirter Salpeter-
säure kam sogleich die rosenrothe und violette Farbe des
phosphorsauren Manganoxyds zum Vorschein. Eine Probe
mit Boraxglas in einer Retorte aufgeschlossen und wie bei
der vorigen Analyse des Aedelforsit behandelt, zeigte, dass
das Eisen als Oxydul in dem Mineral enthalten sei.
Obige Formeln haben gegen die gewöhnlichen der Sili-
cate etwas Auffallendes und Exceptionelles, es ist dieses
78 Sitzung der math.-phys. Qasse vom 9. Januar 1864.
aber bei allem Neuen und zum erstenmal Beobachteten der
Fall und lassen sich ungezwungen nicht wohl andere Aus-
drücke für die Mischung geben, man müsste denn, wie aber
auch nicht annehmbarer, ein Aluminat in Rechnung bringen»
Der bläuliche Calcit, welcher den Sphenoklaa begleitet, phos-
phoresirt beim Erhitzen mit einem auffallenden röthlichgel-
ben Lichte. Es ist ein sehr reiner kohlensaurer Kalk, ohne
Talkerde, Thonerde, Fluorcalium oder dergleichen. Der von
diesem Calcit gereinigte Sphenoklas phosphorescirt beim
Erwärmen nur mit schwach gelblichem Schein. Ich prüfte
bei dieser Gelegenheit mehrere Calcite und Dolomite auf
Phosphorescenz und fand, dass auch der bläuliche Calcit
von Cziklowa im Banat, welcher den bekannten Kalkgranat
begleitet, ähnlich dem oben erwähnten, stark phosphores-
cirt. Da Grotthuss gefunden, dass vom Chlorophan, wenn
er in Salzsäure gelöst wird, das Präcipitat mit Aetzammoniak
ebenfalls phosphorescire, so untersuchte ich, ob es sich mit
den genannten Calciten auch so verhalte. Ich löste sie in
Salzsäure und fällte mit kohlensaurem Ammoniak. Das
Präcipitat zeigte aber keine Spur von Phosphorescenz. Die
Eigenschaft des Phospborescirens ist also nicht unbedingt
von der Art der Substanz abhängig, auch nicht von der
Krystallisation, denn das Präcipitat des kohlensauren Kalkes
besteht auch aus Kry stallen, von denen freilich nicht immer
zu sagen ist, ob sie hexagonal, oder von der Aragonitform
sind. Die Aggregation solcher Krystallindiyiduen und die
gegenseitige Spannung, welche an ihnen durch das Erwär-
men des Aggregats entsteht, kann die Molecularschwingung,
welche Phosphorescenz bedingt, auch nicht hervorbringen,
denn fein geriebenes Pulver des norwegischen Calcit's phos-
phorescirt fast so lebhaft, wie ein grösseres Stück, nur ist
die Farbe des lichtes mehr roth. Diese Calcite verlieren
durch Erhitzen ihre bläuliche Farbe, ich hatte aber nicht
Mohr: Trennung und Bestimmung des Kupfers. 79
Material genug, um zu untersuchen, woher diese Farbe ihren
Ursprung habe.
Mit schönem rosenfarbenem Lichte phosphorescirt durch
Erwärmen auch der feinkörnige Dolomit vom St. Gotthard,
in welchem die grünen Tremolitkrystalle vorkommen, der
braunliche Dolomit aus dem Zillerthale zeigt aber keine
Phosphorescenz , eben so wenig der Magnesit von Hall und
ans Mähren.
Zur Vorlage kam von Herrn Mohr in Coblenz eine
Abhandlung
„Ueber verbesserte Methoden in der Trennung
und Bestimmung des Kupfers".
Das Kupfer steht in den Lehrbüchern der analytischen
Chemie mit dem bösen Rufe eingeschrieben, dass seine
frischgefällte Schwefelverbindung sich an der Luft oxydire,
und am Ende des Auswaschens wieder sich löse und in das
Filtrat komme. Ich habe gefunden, dass diese üble Eigen*
schaft des Schwefelkupfers ganz beseitigt werde, wenn man
die Fällung in der Siedhitze bewirkt. Das so gefällte
Schwefelkupfer setzt sich in der Flüssigkeit, die wasserklar
darüber steht, leicht ab, lässt sich durch Filtration leicht
trennen und kann Tage lang feucht auf dem Filtrum stehen,
ohne dass sich eine Spur desselben oxydirt und wieder
durchläuft. Durch diesen Handgriff wird die quantitative
Bestimmung des Kupfers ungemein erleichtert, und die An-
wendungen liegen auf der Hand.
Zur Bestimmung des Kupfers und Eisens im Kupferkiese
dient denn folgendes Verfahren.
80 SitMung der math.-phys. Clasae vom 9. Januar 1864.
Man schliesse den feingepulverten Kupferkies in einer
Porcellanscbale mit starker Salpetersäure und etwas Schwe-
felsäure durch Eindampfen bis zur Trockenheit auf. Hier-
bei verfliegt alle Salpetersäure, der ausgeschiedene Schwefel
verbrennt, und die Metalle bleiben als schwefelsaure Sfdze
übrig. Man wiederhole diese Operation mit weniger Säure
noch einmal« Darauf löst man die übrig bleibende Masse
mit verdünnter Schwefelsäure, um jede Spur von Blei zu-
rückzuhalten und filtrirt. Im Filtrat ist alles Kupfer und
ein Theil des Eisens. Man erhitzt zum Kochen, leitet
Schwefelwasserstoffgas hinein, bis alles Kupfer als Schwefel-
kupfer gefällt ist und sich ganz scharf abgesetzt hat. Nun
fiiltrirt man und wascht mit heissem destillirten Wasser
aus. Im Filtrat bestimmt man das Eisenoxydul mit Cha-
mäleon oder doppelt chromsaurem Kali. Das Schwefelkupfer
kann man nach Rose im Wasserstoffstrom stark geglüht als
solches bestimmen, oder nach einer unten zu beschrei-
benden Methode.
Das Eisen, was (vielleicht mit Blei) noch im Rückstande
ist, kann mit Salzsäure gelöst und nach einer der bekannten
Methoden bestimmt werden.
Ganz besonders schwierig sind sehr kleine Mengen von
Kupfer und Eisen genau zu bestimmen. Hat man ein Fil-
trum angewendet, so ist die direkte Wägung schon unmög-
lich. Ein Filtrum, welches 2 bis 4 Milligramme Asche hin-
terlässt, kann jede Bestimmung von 1 bis 2 Milligramm
Substanz ganz falsch machen. Der blosse Wägungsfehler
kann 100 °/o der Substanz betragen. In diesem Falle ist
die Titrirmethode ganz besonders angezeigt.
Das Werkblei der Hütten enthält in der Regel sehr
kleine Mengen Kupfer und Eisen. Diese lassen sich auf
Filtren gar nicht, selbst nicht annähernd, bestimmen. Bei
einer solchen Untersuchung fand sich die folgende Bestim-
mungsmethode als sehr übereinstimmende Resultate gebend.
Mehr: Trmntmg und BuHwmmmg <k$ Buffers. 81
10 Grm. Blei werden in sehr verdünnter Salpetersäure
gelöst, mit destillirter Schwefelsäure gefallt, filtrirt and aus-
gewaschen. Das Filtrat wird einmal zur Trockne verdampft,
um kleine Reste von schwefelsaurem Bleioxyd unlöslich zu
machen und alle Salpetersäure zu entfernen. Der Rest mit
verdünnter Schwefelsäure ausgezogen enthält nur das Kupfer
und Eisen.
Es wird mit Schwefelwasserstoff heiss gefallt, die kleine
Menge SchwefeHrapfer durch Filtriren geschieden, und im
Filtrat ohne Weiteres das Eisen mit sehr verdünntem Cha-
mäleon bestimmt.
Das Schwefelkupfer wird in eine Platinschale abgespritzt,
mit einigen Tropfen Salpetersäure und Schwefelsäure zur
Trockne gebracht, dann in Wasser gelöst, mit Jodkalium
versetzt und das ausgeschiedene Jod mit Hundertstelunter-
schwefligsaurem Natron bestimmt 1 CG. dieser Flüssigkeit
entspricht 0,0006336 Grm. Kupfer, und liest man mit Vio GG.
ab, so kann man noch 0,00006336 Grm. Kupfer, oder */"
Milligramm mit grosser Sicherheit bestimmen.
Vergleichende Versuche mit bekannten Kupferlösungen
gaben mit der Hundertstelunterschweflichsauren Natron-
lösung absolut richtige Zahlen, so dass die Sicherheit der
Resultate vollkommen feststeht.
[1864. I. 1.] 6
82
Süeung der histor. Glosse vom 16. Januar 1864.
Historische Glasse.
Sitzung vom 16. Januar 1864.
Herr Professor Giesebrecht trag vor
„eine Untersuchung der Fränkischen R
Annalen des Karolingischen Zeitaltei
r
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philo Bophisch- philologische Clasee.
Sitzung Tom 6. Februar 1864.
Zur Vorlage kam von Herrn Dr. Emil Schlagintweit
eine Abhandlung
„Ueber den Gottesbegriff des Buddhismus".
Die Grundlehren des Buddhismus. — Leerheit von Stoff das Höchste,
das Absolute. — Leerheit die Seele, das Alaya, der Dinge. — Die
Buddhas, ihre Thätigkeit, ihre Vielheit, ihr Körper. — Buddhas der
Beschauung. — Systematische Entwickelung des Gottesbegriffes. —
Inhalt des Gotteswesens. — Historische Elemente und ihr Einfluss.
Befreiung vom Dasein und dessen Jammer durch Zer-
störung der Ursachen der Wiedererzeugung ist das Charak-
teristische der Lehre des Buddha. Künftige Existenz wird
verhindert durch Beherrschung der Leidenschaften, die Ver-
gnügungen der Welt sollen vermieden werden, weil ihr Ge-
nuas leicht zu bösen Handlungen ausschreitet, in Tugend
allein soll Befriedigung gesucht werden; es sei zwar nicht
leicht, nach diesen Principien zu handeln, aber der Erfolg
[1864. 1. 2. ] 7
84 Sitzung der phttos.-phüol. Glosse vom 6. Februar 1864.
entschädige für die momentane Entsagung. Bald wurden
die Erfordernisse vermehrt, und je später, desto zahlreicher
werden die Vorschriften, deren Beachtung die vollkommene
Vernichtung der Existenz bedingt, doch wurden jetzt auch
geringere Stufen der Belohnung eingeführt, entsprechend der
Unterscheidung verschiedener Grade in den geistigen An-
lagen. Nur diejenigen, welche der Welt entsagt haben, die
Cleriker, werden zur höchsten Weisheit befähigt erklärt;
Meditation ist dazu unumgänglich nothwendig , Tugend allein
reicht nicht mehr aus zur Erkenntniss. Dann wurde ange-
nommen, die Meditation erzeuge besondere übernatürliche
Kräfte, endlich genügt auch Tugend und Meditation nicht
mehr, wenn nicht mit übernatürlicher Kraft begabte Wesen
ihre Hilfe gewähren, indem sie belehren, noch bestehende
Zweifel entfernen, und die Schwierigkeiten beseitigen, welche
der Erreichung des Zieles von bösen Dämonen drohen; ihre
Hilfe wird durch Gebete, Opfer und Geremonien erlangt.
Der Buddha hatte nicht verboten, zu den alten Volksgöttern
als höheren Wesen mit Verehrung und Vertrauen aufzu-
blicken, aber der Mensch ist von ihrer Beihilfe nicht ab-
hängig, er kann von ihnen lernen und sich an ihrem Bei-
spiele zu guten Thaten begeistern, es ist ihm aber unmöglich
sie zu übertreffen an Einsicht und Macht, da auch sie die
höchste Weisheit erst noch erringen müssen. Selbst noch
dann, als Meditation ein wesentliches Erforderniss wurde,
nahm man Anfangs an, dass Alles «von der Energie des
Menschen allein abhänge; nach der späteren Lehre wird
Energie ohne Erfolg bleiben, wenn sie nicht geleitet wird
von einer höheren Intelligenz , der Gottheit. *) So verliess
der Buddhismus den ursprünglichen Weg, auf welchem die
1) Je weiter wir zurückgehen, desto einfacher ist die Lehre und
desto weniger Götter finden wir. Im Sütra der 42 Satze, Satz 10,
wird durch die Verehrung der Götter und Unholde dieser Welt kein
Verdienst erworben, wohl aber durch die Achtung und Verehrung
ScNagintoeit: Der CMUsbegriff des Buddhismus. 85
Menschen durch Selbstvervollkommnung zum Höchsten sich
erheben sollten, und gelangte zur Annahme eines obersten
göttlichen Wesens. Vom Standpunkte des Stifters betrach-
tet ist diess eine Verschlechterung seines Principe, da die
Gottheit nur denen, welche die oft kleinlichen Opfercere-
monien kennen und beachten, ihre Hilfe gewährt, ohne
welche es unmöglich ist, dem Dasein zu entschwinden; wir
dagegen sehen darin eine unbewusste, ja fast unfreiwillige
Erhebung zu höherer Auffassung, welche jedoch unter dem
Einflasse von Anschauungen, entlehnt dem Gultus der Na-
turkräfte, noch nicht bis zur vollkommensten, reinsten Durch-
bildung fortschreiten konnte. — In meinem „Buddhism in
Tibet" hatte ich Gelegenheit, auf den Zusammenhang hinzu*
weisen, welchen die Ansicht von der Erwerbung übernatürlicher
Kräfte durch Beschauung auf die Entwicklung der gegen-
wartigen Form des Buddhismus äusserte; hier werde ich
versuchen darzustellen, wie das Dogma, dass übernatürliche
Fähigkeiten für die endliche Befreiung nothwendig seien, in
einer theistischen Richtung fortdrängte, und wie die Mit-
wirkung der Gottheit zur Erreichung des Zieles aus den
eigentümlichen Lehrsätzen des Buddhismus begründet und
damit in Einklang gebracht wurde. Begünstigt wurden diese
Bestrebungen dadurch, dass die Unterstützung durch die
alten Volksgötter stets für möglich gehalten worden war,
eine Anschauung, weloher die buddhistischen Führer in
aasgedehnter Weise damals nachgaben, als der steigenden
Erstarkung der Brahmanen entgegen getreten werden musste;
wichtig war auch der Einfluss, den centralasiatische Gultus*
forden auf das Erscheinen der Tantras und der mystischen
Schule in Indien äusserten.
der Eltern. Schiefner, im Bullet, hist.-phil. de PAcmd. de St. Pet,
VoL IX, S. 70. Vgl. Hardy, Manual of Buddhism, 8. 42. Was-
tüjew, der Buddhismus, 8. 91, 101, 108.
7*
86 Sitzung der phüos.-phüol Glosse vom 6. Februar 1864.
Leerheit von Stoff das Höchste, das Absolute.
Der Buddha hatte erklärt, dass die Begehrlichkeit, welche
zur Sünde fuhrt, am sichersten in Zurückgezogenlieit an ab*
gelegene Orte überwunden werde, weil das Leben in der
Welt Wünsche errege, deren Befriedigung zwar momentane
Lust gewähre, allein Veranlassung werde zu sündhaften
Handlungen. Die Führer der Hlnayäna-Schulen behaupten,
dass die volle Erkenntniss nur in Zurückgezogenheit und
Meditation über die Gründe des Seins und der Sünde er-
reicht werden könne, desswegen werden diejenigen, welche
dar Welt entsagen, eine grössere Einsicht erlangen, als die
Laien. Meditation wird noch nicht mit übernatürlichen
Fähigkeiten belohnt ; die Arhats, die höchst weisen Menschen,
überkommen die Abhijnäs erst, nachdem sie die volle Ein-
sicht erlangt haben. Das Nirväna- Werden, das Verlöscht-
werden in Nichts, ist der Gegensatz des Existirens, im Ver-
löschen besteht die höchste Glückseligkeit. Die Mahäyäna-Schu-
len, die Nachfolger des Hinayäna, sagen, ein Nichtswerden müsse
desswegen das höchste Ziel sein, weil die Welt, das Form
habende, keine wahre Befriedigung biete, sondern nur schein-
bare. Alles was Namen hat oder Gestalt, ist vergänglich,
zerfällt, Vergehen ist aber mit Jammer verbunden, im Nirväna
ist kein Jammer, folglich kein Vergehen mehr und auch
keine Form, weil sonst doch wieder Zerstörung und Jam-
mer sich dort finden müsse; daraus ergebe sich, dass der
Zustand derer, welche sich Nirväna verdient haben, vollkom-
mene Befreiung von Stoff und Form sei, eine absolute Leer-
heit, Sünya. *) Aber es ist hervorzuheben , dass hier , ver-
schieden von unserer Definition ^ der Gestalt in den mtthe-
matischen Figuren und Körpern, der blosse Begriff der
2) Der Beweis, dass die Bestandtheile des Körpers, dieSkandhas,
und die Bedingungen der Formerzeugung zerstört werden, wenn
Nirväna erreicht ist, wird auf verschiedene Weise von NSgarjuna,
Schiagintwcit: Der Gottetbegriff des Buddhismus. 87
Gestalt als unzertrennlich von der materiellen Existenz auf-
gefasst wird. Gestaltetes, Existirendes, sei noch nicht wirk-
liches Sein, weil noch Stoff, der vergänglich ist; es sei
Täuschung, sagen sie, wenn man es, verfuhrt durch die
sinnliche Wahrnehmung, als wirkliches Sein betrachte. 4Exi*
stirendes wird nicht höher geschätzt, als die Schöpfungen
der Magier, welche der Reihe nach verschiedene Dingeher-
vorbringen, in denen kein Fortbestehen ist. Absolutes Sein
hat nur das Leere, dieses allein hat das Merkmal der Un-
abhängigkeit, des Einfachen im Gegensatze gegen Zusammen*
gesetztes; es ist unsichtbar und unfassbar, es hat keine
Bescliaffenheit und läset sich nicht beschreiben, es kommt
von keinem Orte und geht nirgends hin. *) Das Forschen
nach den Merkmalen und Kräften einer Sache bewirke nur
relative Wahrheit: Erkennen der Merkmale und Kräfte; das
Zergliedern der Merkmale und Kräfte führe zu absoluter
Wahrheit: es werde erkannt, dass, was als Kraft, als Merk-
mal einer Sache gefunden worden war, dieses nur sei wegen
des Zusammenhanges mit Anderem, nichts Selbstständiges,
dem Stifter der Mahayana- Lehre, in den Unterredungen geführt,
welche er mit dem Könige Milinda hatte. Vgl. die Uebersetzungen
des Milinda Prasna in Hardy's Manual of Buddhism, besonders Seite
424 — 59. — Ich will hier noch einer kleinen Abweichung erwähnen,
welche ich in einer Ausgabe des Beichtbuddhagebetes in der Biblio-
thek der Royal Asiatic Society in London fand. Es heisst dort
Fol. 1, b: „Ich glaube, dass der Leib nicht in NirvSna eingehe. M
Das Manuscript, welches mir zu der Uebersetzung dieses Gebetes
vorgelegen hatte rar die Abhandlung in den Sitzungsberichten 186S,
S. 81—99, hatte nach Leib den Zusatz „der Buddhas"; dieselben
Worte fanden sich auch in dem Pariser Documente, vgl. Sitzungs-
berichte, 1863, S. 149.
3) Yon der Leerheit handeln ausführlich: Das Prajna ParamitS
(Schmidt, in denMem derPet. Acad. Bd. IV, S.185), Hardy, Manual,
Cap. IX.; Burnouf, Introduction , 8. 543. Rgya tch'er rol pa, von
Foucaux, Bd. 1., 8. 173, 324.
88 Sitjmng der phüos.-phüol. (Herne vom 6. Februar 1864.
füivsich Bestehendes. Durch solche analysirende Betrach-
tungen werde Weisheit und Ueberzeugung von der Eitelkeit
der Dinge erlangt. Ferner wird gesagt: in jedem Materiel-
len sei auch Leeres, Selbstständiges, Dauerndes, diess sei
das0Unabhäiigige, der Stoff hänge sich daran an, löse sich
aber wieder ab in Folge der genauesten Beachtung aller
Vorschriften; grösste Enthaltsamkeit wird verlangt und tiefste
Abstraktion von der Aussenwelt in Meditation, überdiess
sollen auch Opfer und selbst momentaner Schmerz nicht
gescheut werden, wenn damit das eigene Heil und das An-
derer gefördert wird ; in diesem Sinne werden die schwersten
Dinge in grösster Zahl von den Bödhisattvas verrichtet, oder
von denjenigen Menschen, welche in Folge ihrer eigenen
Selbstbeherrschung bereits in der nächsten Geburt die Bud-
dhawürde erhalten werden. Ihre Mildthätigkeit, ihr Mitleid
mit den Menschen ist unbegrenzt; um sie zu befreien und
auf den wahren Weg zu führen, steigen sie nieder zur Erde,
und ermuntern zu rechter Handlungsweise durch Wort und
Beispiel. Ein thätiges Eingreifen wird von ihnen noch nicht
erwartet; die Gläubigen blicken zu ihnen als dem höchsten
Vorbilde auf, sie bitten, sie zu bestärken in guten Vor-
sätzen und zu rechter That anzuleiten. Hinsichtlich der
Veranlassung zur Vermischung des Leeren mit formbil-
dendem Stoffe stellt auch diese Schule keine von der früheren
abweichende Erklärung auf. Die Vermischung wird in der
Begehrlichkeit gesucht, welche aber jetzt aus Unwissenheit
erklärt wird; sie sei die Ursache der Weltenbildung und
der Erzeugung, so sei es von Anfang her gewesen und
werde so in Ewigkeit sein, „es giebt keinen Anfang und
kein Ende". __
Leerheit die Seele, das Alaya, der Dinge. Die
Yogächärya-Schule , welche die Lehre des Mahäyäna in der
mystischen Richtung fortbildete, betrachtete das Leere als
Seele, als Alaya, und gab ihr damit bereits einen mehr
SMofftoweit: Der GotUsbegriff des Buddhismus. 89
persönlich begrenzten Begriff als sie ursprünglich hatte.
Sie bezeichnet die Vermischung mit Materie als Verdank-
hing, als Verunreinigung, und als die Aufgabe des Menschen
die Reinigung der Seele, die Ausscheidung der Materie; sie
ist vollzogen im Nirväna, dort ist keine Materie mehr, blofts
Leeres. 4) Es scheinen noch so viele einzelne Alayas ange-
nommen zu werden, als frühere Individuen waren. Die
Aneicht, es gebe im Grunde nur ein Alaya, von welchem
ein Theilchen in jedem Dinge abgetrennt sich befinde, finden
wir erst in der mystischen Lehre; sie geht oonsequenter-
weise auch so weit, zu behaupten, die von der Materie ge-
reinigten Alayas fliessen alle in eine Einheit zusammen.
Dieses einheitliche Alaya ist das Absolute, das Höchste; es
ist das Ewige, und da der Buddhismus keinen Anfang an-
erkennt, weder in Bewegung, noch im Absoluten, auch an-
fanglos. Mit diesem Begriffe tritt auch der Ausdruck des
Gottlichen auf; die Absonderung des Materiellen wird als
Wiedervereinigung mit der Gottheit dargestellt, und diese
als ganz reines Alaya definirt. Damit wurde jedoch der
Fundamentalsatz des Buddhismus nicht aufgehoben, dass die
Zukunft des Menschen durch Schuld und Verdienst geregelt
werde ; auch jetzt noch bewirkt der Mensch seine Reinigung
durch seine eigenen Handlungen, durch den Beistand der
Gottheit wird jedoch der sonst langsame, mit Schmerzen
verbundene Process der Reinigung durch Existenz abgekürzt,
und ihr Einfluss ist so gross, dass das Ziel in überraschend
kurzer Zeit erreicht werden kann; es wird behauptet, dass
in einer einzigen Geburt, ja selbst mit Einem Schlage, die
Befreiung und Vereinigung eintreten könne.
Die Buddhas, ihre Thätigkeit, ihre Vielheit,
ihr Körper. Ueber das Streben nach Vereinigung mit der
Gottheit wird das Ringen nach dem Buddhapfade gestellt
4) Wastiljaw, Der Buddhismus, S. 148, 164, 174, 884—47.
90 Sitsmxg dar philos.-pkilol CUme vom €. Februar 1864.
Vereinigung bewirkt bloss Selbstbefreiung, die Buddhathätig-
keit ermöglicht auch die Befreiung Anderer. - Das reine
Alaya ist zwar keiner Aktualität mehr falög; die Buddhas
jedoch, obwohl ßchon reines Alaya, müssen erst noch ihren
Beruf vollkommen erfüllen, erst nachdem sie als Buddha-
verkünder aufgetreten sind, ziehen sie sich von der Erde
in das vollkommen bewegungslose Nichts der formlosen Welt
zurück. Um die Wesen auch über die Dauer ihres Lebens
als menschlicher Buddha hinaus, welches nicht länger ist
als die durchschnittliche Lebenszeit der Menschen in der
Periode * in welcher sie auftreten, zur Reinigung von der
Materie anleiten zu können, übertragen sie. bevor sie die
Erde verlassen, ihre Machtfülle einem Stellvertreter, welcher
statt ihrer bis zum Erscheinen des nächsten Buddha die
Wesen leitet und die Schwierigkeiten beseitigt, welche von
der menschlichen Schwäche und den Umtrieben der bösen
Geister drohen.
Die ursprüngliche Lehre weiss nur von einem Buddha,
dem historischen Begründer des Buddhismus; eine Vielheit
von Buddhas wird zuerst von der Sauträntika- Schule ange-
nommen. In jeder Weltumwälzung erscheine ein Buddha,
um das Gesetz wieder von Neuem zu verkünden; die Welt-
Umwälzungen seien nicht zu zählen, zahllose seien vorher-
gegangen, zahllose werden folgen, ebenso unbegrenzt sei die
Zahl der bereits erschienenen und der noch kommenden
Heilsverkünder. Damit hängt die Lehre zusammen, dass
diejenigen Menschen, welche alle Bedingungen der Vollkom-
menheit erfüllt haben, jedoch die Buddhawürde noch nicht
erreichen konnten, weil die Zeit für die Erscheinung eines
Buddha nicht gekommen ist — nie kann mehr als ein Buddha
in derselben Periode erscheinen — , ab Bödhisattvas die
Menschen belehren und unterweisen« 'Viele Anäere, wenn
sie schon nahe der vollen Erkenntniss gekommen sind, wer*
den dadurch, dass sie den Versuchungen böser Geister nicht
8Magmtweit: Der Oettesbegriff des Buddhismus. 91
widerstehen and eine verbotene That vollfuhren, jetzt noch
sieht zur Erkenntnis gelangen. Sie bringen es bloss bis
mr Stufe göttlicher Wesen, ab solche sind sie mit grösserer
Kraft als die Menschen ausgestattet, und gerne helfen sie,
nach der späteren Lehre, besonders wenn sie angerufen
werden, gegen die bösen Geister, von denen behauptet wird,
daas sie -stets trachten, durch ähnliche Künste die Menschen
vom Wege der Tugend abzulenken.6)
Da die Buddhas, ehe sie als Lehrer auftraten, die Be-
freiung von Wiedergeburt bereits erreicht hatten, so werden
sie von den älteren Schulen als völlig formlos dargestellt;
das MahaySna unterscheidet jedooh bei ihnen drei Körper,
den Körper des NirmänakSya , des Sambhogakäya und des
Dharmakäya. 6) Im Nirmänakäya wandelt der Bödhisattva
auf Erden, im Sambhogakäya ist die Intelligenz der Bödhi,
der höchsten Weisheit, verkörpert, er erhält ihn in dem
Augenblicke, wo er alle Bedingungen der Vollkommenheit
erfüllt hat; der Körper des Dharmakäya ist den Buddhas
eigentümlich nach ihrem Weggange aus der Welt in die
reinen Sphären des Nichts. Da die ßödhisattvas bereits
nicht mehr der Wiedergeburt unterworfen sind, so hatte
schon der Nirmünakäya Theil an Nirväna, er sei jedoch der
Form nach noch Körper, ganz gleich dem der Menschen;*
unter welchen er lebt und wirkt. Mit feiner Spaltung des
Begriffes wird fortgefahren, die Unwissenden täuschen sich,
indem sie darin einen wirklichen Körper erblicken; es sei
zwar noch äussere Form vorhanden, und deswegen wird
dieser Körper als „Nirväna mit einem Rest" von Form be-
zeichnet, aber es darf dieses nicht in dem Sinne aufgefasst
5) WaasUjew, 1. c, S. 314. Buddhism in Tibet, S. 107 ff.
6) Ygl. Foe Koue Ki, S. 182 der Calcutta Ausgabe; Schmidt,
Mem. de l'Acad. de Pet. Vol. I. S. 221—62; Vol. IV. S. 187. Wae-
«ljew, 1. c. 8. 187.
92 SiUnmg der phikB.-phOoL Ckme vom 6. Februar 1864.
werden, dass noch Wiedererzeugung stattfinde. Aetherischer,
sublimer ist der jäambhogakäya, der feinste ist der Dharma-
kffya, in beiden ist kein Rest mehr von Form.
Buddhas der Beschauung. An die Unterscheidung
dreier Körper anknüpfend entwickelte sich in der mystischen
Lehre das Dogma der Dhyäni Buddhas und Dhyäni Bödhisat-
tvas. Es erscheint jeder Buddha zu gleicher Zeit in den
drei Welten, welche die buddhistische Cosmologie annimmt.
In der Welt der Gelüste, zu welcher die Erde gehört, er-
scheint er in menschlicher Form; in der Welt der Formen
in der verfeinerten Gestalt ihrer Bewohner, in der Welt der
unkörperlichen Wesen ohne Form. Die Erscheinungen m
den beiden unteren Welten werden als Mgnushi Buddhas,
„menschliche Buddhas", und als Dhyäni Buddhas, „Buddhas
der Beschauung" unterschieden, jeder derselben wird auch
mit einem persönlichen Namen benannt. Die Manifestation
in der dritten Welt ist wie formlos, so auch namenlos. Die
Dhyfini Buddhas haben die Fähigkeit, durch die Kraft der
Beschauung aus sich ein Abbild hervorzubringen, einen
gnostischen Sohn, welcher in der Fülle der Machtvollkom-
menheit sofort fertig entsteht. Das Hervorbringen eines
Wesens kraft der Beschauung wird in den heiligen Schrif-
ten Geburt durch Verwandlung, Entstehung aus dem Geiste
(apparitional birth bei Hardy) genannt, nur solche, welche
bereits die Götterregionen bewohnen, werden in dieser Weise
geboren; die Erzeugung wird dargestellt als Ausströmen
eines Strahles aus den Augen, dem Munde, oder dem Her-
zen. 7) Das so entstandene Abbild, der Dhyäni Bodhisattva,
7) Hodgson, Dluitrations, S. 60, 77, 88, 86. Schmidt, Memoire,
Bd. I, S. 106. Schmidt, Ssanang Ssesten, S. 828. Schieftier, die Ver-
soUechterungsperioden, Bulletin hist.-phil. de PAcad. de Pet. Bd. IX,
S & Schmidt, in denMemoirs, Bd. IY, S. 187. Manikambum, in meinem
Buddhism in Tibet, S. 84. Hardy, Manual, S. 40, 64, 441, 448, 456.
Die heiligen Werke unterscheiden, ebenso wie die alten Indier es
SMagmtmcU: Der Gottetbtgriff dm Buddkitmw. 93
hudelt als Stellvertreter des Buddha mit derselben Macht-
ffille, welche seinem Urbilde eigentümlich igt.
Systematische Entwickelang des Gottesbegrif-
fes. Wenn ich nun versuchen werde, die Begrenzung des
Gottesbegriffes in etwas systematischer Weise zu erläutern,
so darf ich wohl zugleich auf die so charakteristischen Mo-
difikationen hinweisen, welchen man in den ursprünglichen
Anschauungen dieser Völker sowohl, als auch in deren spä-
terer Entwicklung begegnet. Mystischer Terminologie ist
um so schwerer zu folgen, wenn sie in zu kühnen /Schlüssen
fortschreitet, oder wenn sie, wie in den Tantras, den Pfad
sinnlicher Führung rerlässt. Hier verbindet sich damit noch
der Umstand, dass auch die Wahl der für die Begriffe ge-
brauchten Worte nicht selten eine etwas unbestimmte ist
Wir sahen, dass Zerfliessen in Nichts, absolute Buhe
und Leerheit als Höchstes gedacht wird; schwer ist es,
dahin zu gelangen, aber gross sind die dadurch geschaf-
fenen Fähigkeiten; diese hinterlassen die Buddhas, indem
sie aus sich ein Abbild als Stellvertreter entstehen lassen
mit der Aufgabe der Leitung, der Lenkung. Anfangs trat
der Bödhisattva wohl ganz an die Stelle des Dhyäni Buddha,
spater wurde auch der Dhyäni Buddha noch als handelnd
gedacht,8) niemals aber wurde auch der Buddha in der
formlosen Welt noch in Thätigkeit dargestellt. So entspricht
thaten, vier Arten der Geburt: die Geburt aus dem Mutterleibe, die
Geburt aus dem Ei, die Geburt aus Wärme und Feuchtigkeit, die
Geburt durch Verwandlung. Die technischen Ausdrücke sehe man
in Schiefher's Buddhistischer Triglotte, BL 26, s. v. *kye-£nas-&shi'i-
ming-la.
8) Nach der Ansicht der Tibeter nehmen die DhySni Buddhas
und DhySni BSdhisattvas menschliche Form an, um sich in unmit-
telbaren Verkehr mit den Menschen zu setzen. Der DhySni Buddha
AmitSbha verkörpert sich im Panchen Rinpochhe, dem geistlichen
Würdenträger welcher zu Tashilhunpo residirt, sein DhySni BSdhi-
sftttra Padmapini im Dalai Lama zu Lhassa.
94 Sfahmg der philos.-philol. Gaste vom 6. Februar 1864.
jedem Mänushi Buddha sowohl ein DhySni Buddha, als auch
ein Abglanz ohne Namen in der formlosen Welt, überdiess
jedem Buddha in Rahe ein Buddha in Bewegung, und zwar
ist die Begrifisverbindung in folgender Weise sich vorzu-
stellen. Der Mänushi Buddha hatte bloss die Au%abe der
Wiederverkündung der Lehre, er verschwindet; der Dhyäni
Buddha ist der Buddha in Bewegung, der Abglanz in der
formlosen Welt ist der Buddha in Ruhe. Beide, der
Dhyäni Buddha und der Abglanz, Bind dem Wesen nach
nur Eins, nur Leeres, nur gereinigte Seele; aus Mit-
leid mit den Menschen ist dieses Leere, ehe es ganz in
Ruhe sich versenkte, einmal /noch in der Hervorbringung
eines Stellvertreters, eines DhySni Buddha, für die noch mit
Materie verbundenen Welten thätig geworden. Und in jeder
Weltperiode wirkt der DhySni Baddha durch seinen Bödhisat-
tva bis zum Auftreten eines neuen Buddha, indem dieser
auch einen neuen Bödhisattva heivorbringt. Der Wechsel
in der Persönlichkeit des Lenkenden ist nicht durch einen
Wechsel in der Kraft veranlasst, die Kraft bleibt vielmehr
dieselbe, es ist stets die gereinigte Seele, und diese ist Eins,
in ihr werden alle von der Materie befreiten Alaya-Theilchen
absorbirt.
Das Alaya der Buddhas, der reine, wesenlose Abglanz,
welchen sie in die formlose Welt senden, ist das Göttliche:
die Alayas der Menschen sind davon ausgeschlossen, sind
als niedriger zu denken, weil die Nirväfla- Vollkommenheit
geringer ist, als die Buddha-Vollkommenheit. Die Buddhas
sind einsichtsvoller, machtvollkommener, ihnen allein, nicht
auch den bloss NirvSna- Gewordenen, wird Verehrung ge-
zollt, weil nur sie die Befreiung Anderer sich zur Aufgabe
setzen, während die einfach Nirväna- Gewordenen bloss ihre
eigene Befreiung bewirkt haben. 9) Selbst schon reines Alaya
9) Vergl. das Rgya tch'er rol pa von Foucaux, Bd. I, S. 258,
wo die Buddha-Intelligenz weit über Befreiung von Existenz gestellt wird.
Sddagirtweit: Ihr Gottetbegriff des BuddhisTnue. 96
geworden, entfaltet der Buddha doch noch seine Machtfalle,
indem er einen Stellvertreter erschafft, ein Akt, wodurch er
den gewöhnlichen Nirväna- Vollkommenen Veit überragt. Be-
zeichnend ist auch, dass in den heiligen Schriften nicht von
der Gottheit in einem objektiven Sinne gesprochen wird,
das Höchste wird persönlich gefasst, als der oberste Buddha.
Auch aus der Betrachtung der Vereinigung als eine Ab-
sorption ergiebt sich der Vorzug des Buddha - Aläya, da
dasjenige, welches etwas in sich aufnehmen soll, als höher
gedacht werden musste, als das Aufzunehmende. Zwischen
den Buddha -Älayas besteht kein Unterschied mehr, denn
ihnen wohnt nach der mystischen Lehre Vollkommenheit von
Ewigkeit her inne, nicht erst seitdem sie Buddha geworden
waren; auch der Shambhogakäya ist bereits früher vorhanden
gewesen, da auch in den Buddhas nichts Anfang oder Ende hat.
Die Gesammtheit der Buddha-Älayas stellt die Gottheit
dar. Den -Inbegriff, die Einheit der Buddhas in der form«
losen Welt gegenüber den einzelnen, die erschienen sind,
bezeichnet der Name Adi Buddha, tibetisch wChhog-gi-
dang-po'i-sang6-rgyas, „der erste, erhabenste Buddha44. Als
thätiger Gott entspricht ihm Vajradhara, tibetisch rDo-ije-
'chhang, auch rDo-rje-'zin, „der Scepterhalter" ; seine Stel-
lung bezeichnen die Prädikate, „der oberste Buddha, der
oberste Sieger, der Herr der Geheimnisse, der Vornehmste
der Tathägataa, das Wesen ohne Anfang und Ende". Ihm
legen die unterjochten Geister das feierliche Gelübde ab,
nichts mehr gegen die Menschen und die Herrschaft der
Lehre zu unternehmen. Er handelt durch seinen Stellver-
treter, den Bödhisattva Vajrasattva, im Tibetischen rDo-rje-
sem5-rfpa', „der mit einer diamantenen Seele Begabte". Er
ist „höchste Intelligenz, das Haupt, der Führer der fünf
Dhyäni Buddhas". 10) Er beschützt die Menschen in jeder
10) Csoma, Analysis of the Kanjuv, As. Bes. Bd. XX, S. 494,
608, 505, 586, 550. Das Verhältnise Yajradharas zu Vairasattva habe
96 SU*m§ der pküos.-philol. Classt vom 6. Februar 1664.
Weise, deeswegen sollen Gebete an ihn zur Bestärkung der
Anrufung anderer Götter gerichtet werden, damit Alles, was
den Erfolg hindern könne, sicher beseitigt werde. Die Ti-
beter glauben jedoch, dass man sich mit derselben Sicher-
heit der Erhörung auch stets an die Vertreter der zuletzt
erschienenen Mänushi Buddhas wenden könne, aber die An-
rufung sei nothwendig, sonst versagen die Gebete und Opfer
ihren Dienst, wie dem Vogel die Flügel, wenn sie geschnit-
ten sind.
Neben Vajradhara, Vajrasattra, den Buddhas, ihren
Stellvertretern und den Bödhisattvas wird noch eine unend-
lich grosse Menge von Gottheiten niedrigeren Ranges ange-
rufen. Auch ihre Macht beruht auf den Folgen verdienst-
licher Thaten. Dem Ursprünge nach besteht also kein Un-
terschied zwischen ihrer Macht und derjenigen der Buddhas,
bloss Steigerung, keine begriffsmässige Verschiedenheit findet
statt. Daraus bildete sich dann in der mystischen Lehre
die Doktrin, alle Göttlichkeit beruhe auf einem Ausflusse
aus der höchsten Intelligenz und die heutigen Tibeter be-
haupten auf Grund davon, alle Götter seien Eines, es gebe
nur Einen Gott, er zeige sich aber den Wesen in verschie-
dener Gestalt.11) Es ist dabei noch hervorzuheben, dass
sie der Ansicht sind, die Gottheiten erregen sich durch
Thätigkeit; es wird angenommen, dass dem Zustande der
Buhe eine andere Stellung, ein anderer Ausdruck entspreche,
ich bereits in Buddhism in Tibet, Gap. VI, erläutert, auf ihre Stel-
lung zu Adi Buddha, und dessen Aeusserungen von Macht durch
Ausflüsse, wurde ich durch Hodgson's Sketch of Buddhism (ülustra-
tions, S. 66), und Schmidts Bemerkungen zu Ssanang Ssetsen, S. SSO
hingewiesen, und ganz besonders durch den glücklichen Umstand
wiederholter persönlicher Besprechung der wichtigsten Tantras mit
meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Schtefner in Petersburg, und
Herrn Prof. Goldstücker in London.
11) Buddhism in Tibet, S. 107.
it: Ihr Gottcsbegriff des Buddhitmug. 97
ab in Momenten der Thätigfceit sich zeige. Auch in Ab-
bildungen werden die Götter in verschiedener Gestalt dar*
gestellt, je nachdem sie in Ruhe oder in Aktion vorgestellt
werden. So hat Melha, der Gott des Feuers, eine er-
schreckende Miene, wenn er die bösen Geister verscheucht,
auch reitet er dann einen Widder, während Bilder, die ihn
in Buhe darstellen, im Ausdrucke an Buddhas erinnern.
Diess ist der Begriff des Gottes im Buddhismus in
Tibet, in Indien war er selbst in seiner letzten Ausbildung
nicht dazu fortgeschritten, sondern dabei stehen geblieben,
die Volksgötter stets nach Ursprung und Wesen als unver-
eint mit dem Buddhagotte darzustellen.
Inhalt des Gotteswesens. So gross der Einfluss
ist, welchen die Gottheit auf das Schicksal der Menschen
übt, so wird ihr doch auch jetzt nicht die Funktion eines
Lenkers und Schöpfers der Welt gegeben. Die Ursache der
Schöpfung ist die Schuld, die Sünden begangen aus Begehr-
lichkeit und Unwissenheit. Es giebt eine Zeit, und diese
Periode kehrt stets wieder, in welcher Alles Chaos ist. Nach
einer langen Zeit der Ruhe kommt das ordnungslose Chaos
in Bewegung. Festes trennt sich vom Flüssigen, einzelne
Welten entstehen, Bewohner höherer Regionen, welche noch
nicht alle früheren Sünden getilgt haben, erhalten kraft der
Geburt durch Verwandlung einen menschlichen Körper und
werden auf die fest gewordene Erde versetzt Anfangs ist
nur Freude, Begierden regen sich und werden befriedigt,
es entsteht Streit, geschlechtliche Triebe erwachen, Gebur-
ten finden statt, diese erzeugen frankheit und Tod, die
Gesinnungen werden auf Sinnliches, Irdisches gerichtet, und
nach einem stetig fortschreitenden Verschlechterungsprocesse
tritt endlich der Zeitpunkt des Weltunterganges ein; die
Welten werden wieder in Chaos aufgelöst, und dann beginnt
wieder vom Neuem derselbe Process des Sonderns, Wer-
dens und Vergehens nach dem unwandelbaren Gesetze, dass
98 Sitzung der phOos.-phüol Game wm 6. Februar 1864.
Verschuldung Abbüssung fordere. 12) Durch Reue und ge-
naue Beachtung der Ritualvorschriften kann zwar die Gott-
heit veranlasst werden, die Folgen der bösen Thaten aufzu-
heben, sie wird auch ihre Hilfe nie versagen, aber nicht
Alle geben sich die Mühe, die Vorschriften sich anzueignen,
und wenden sich nicht mit Zerknirschung an sie, Viele kön-
nen nur durch die Uebel der Existenz zur Einsicht gebracht
werden, und so lange es solche Menschen giebt, so lange
auch besteht das Universum, zerfallt und reconstruirt sich.
Wenn auch der Gott der Buddhisten nach Zweckbegriffen
handelt, in der Richtung nämlich, die vollkommene Entvöl-
kerung des Weltalls herbeizuführen, so ist seine Thätigkeit
doch nicht weder eine spontane, freiwillige, noch eine all-
12) Vgl. Schiefner, Bull. hist.-philol. , Bd. IX. S. 1. — Mit einer
Darstellung der Verschlechterungsperioden ist auch das tibetische
Geschichtsbuch eingeleitet : Tsar-du-dngar-baH-mkhyen-pa'i-ge-sar-
.grzhon-nu'i-lang-tsTio'i-Zchags-ky u-yis ; chhos-kun-ri-dag*-mig- chan-ma-
% yi-«nying-la-tanun-pa'i-rang-(2vang-du ; 'du-'bral-zlos-gar-ri-mo'i-anang-
frnyan-clihos-nyid-me-long-jrtsang-ma'i-ngos ; rdzen-par-'chhar-ba*i-
byed-po-zur-phud-Znga-pa-mgrin-pa,i-rgyan-du-&zhug$". „Von der in
bester Ordnung aufgestellten Eenntniss von dem Jüngling Gesar, in
dessen eigener Gewalt die ganze Lehre (ist), gesaugt mit dem eisernen
Hacken der Jugend am Herzen der Mutter, „welche die Augen der
Gazelle hat", — die klare Oberfläche des Spiegels des Gesetzes
selbst, das Spiegelbild der Figuren des Tanzes, welcher annähert und
trennt, iBt aufgesetzt als Halsschmuck desjenigen, „welcher 5 Haar-
aufsätze hatu und (das Gesetz) aufgehen macht ohne Schleier (wört-
lich: in nackter Weise)". „Die Augen der Gazelle habende44 ent-
spricht dem Sanskrit Mrigakshi, „die fünf Haaraufsätze Habende14
dem Sanskrit Panchasika; beides können eigene Namen sein. Gesarist*
der Held der berühmten Sage vom Gesar Khan. — Es mögen hier noch
einige Details über den Inhalt dieses Manuscriptes angereiht werden,
mit dessen Uebersetzung ich jetzt beschäftigt bin. Die Handschrift
ist die Abschrift des Exemplares, welches der letzte Descendent der
früher in Ladak regierenden Familie besass; er erlaubte meinem
Bruder Hermann, Abschrift davon zu nehmen. Das Manuscript um-
Schlag intweit: Der Gotteabegriff des Buddhismus. 99
umfassende. Er tritt nur in Actiyität unter gewissen Voraus-
setzungen, das Princip des ursprünglichen Buddhismus, der
Mensch kann und soll das Höchste durch sein eigenes Ver-
halten erreichen, ist selbst jetzt noch in der Zulassung eines
obersten göttlichen Wesens festgehalten. Die Gottheit stellt
«ich nur unterstützend an seine Seite, sie ist gebunden in
Macht durch den Willen des Menschen, die Abtrennung der
Materie kann nicht vor sich gehen kraft einer einseitigen
Willensäu8serung der Gottheit. Auf der anderen Seite jedoch
ist der Mensch abhängig von der Gottheit: während früher
ihm Alles möglich war, kann er jetzt nur zur Vollendung
gelangen durch Einwirkung der Gottheit. Auch jetzt noch
wird eine Vorsehung nicht anerkannt ; selbst diejenigen Schu-
len in Nepal, welche den Theismus am weitesten ausgebildet
haben und selbst die Schöpfung, die Erschaffung der Welt
ab sein Werk darstellen, schliessen sie aus. 18)
fasst 81 Blätter mit 6 Zeilen auf jeder Seite and etwa 80 Silben in
jeder Zeile. Fol. 2 wird Ikshvaku erwähnt, der Stammvater des
Sonnengeschlechtes, von welchem sich dieSikyas ableiten; Fol. 8 — 6
enthalten einen Abriss der Verschlechterungsperioden; Fol. 6 — 11
handeln Ton dem Geschlechte der SSkyas, von der Geburt SSkya-
munis, von der Erlangung der Buddhawürde, und von der Geburt
aeines Sohnes. Einzelne Sätze sind wörtlich aus dem Laiita vistara
genommen, z. B. Fol. 8, b ist gleich S. 86, Z. 18 ff. des Fouoaux'sohen
Textes; Fol. 10 ist aus dem Abhinishkramanasutra, Foucaux's Bd. II,
8. 889. Die Geschichte von Tibet beginnt Fol. 11; soweit
ich bis jetzt gekommen bin, bezieht sie sich auf das westliche Tibet,
die Genealogie der Könige und die wichtigsten Ereignisse werden er-
zählt. UeberGesar kommen keine Nachrichten vor; das Nennen seines
Namens auf dem sehr mystischen Titel soll wohl glauben machen, dass
die Ladalri- Herrscher von ihm abstammen. Wegen der seltenen
tibetischen Bearbeitung der Sage von Gesar Khan, wovon das ein-
zige Exemplar, welches bisher erhalten werden konnte, in den
Sammlungen meiner Brüder sich befindet, verweise ich einstweilen
auf den Bericht von Schiefner in Bull, hist.-phil. der Pet Aoad.
Bd. VI, S. 484.
13) Hodgson, Illustration«, S. 81.
[1864. L 2.] 8
\Q0 Sitjsma &r philosi-pMol CbasM vom *. FAruar 1864.
Historische Elemente and ihr Einflnss. Was
hier vorgetragen wurde, ist die Ansicht der Buddhisten in
Tibet and Hochasien. Die Japanesen erkennen ebenfalls ein
oberstes göttliches Wesen an, 14) die Buddhisten auf Ceylon
und auf der indo - chinesischen Halbinsel haben aber das
jäy^tem nicht bis zum Begriffe eines obersten Gottes durch*
gebildet, 1&) Sie blieben bei der Leerheit als dem eigent-
lichen Wesqn alles Exiafcirenden , als dem Zustande derer,
welche Nirvana geworden, und als dem Ziele menschlichen
ßtrebens stehen. Ihnen fehlte der äussere Anstoss, welcher bei den
nördlichen Buddhisten zu dieser Ausbildung der Lehre nöthigte.
Im nördlichen Indien hatten die Buddhisten im 8. und 9.
Jahrhundert fast überall den früheren Einfiuss an die Brah-
n>anen verloren, ihre Klöster wurden zerstört, die Bewohner
vertrieben, ihr Besitzthum eingezogen, und die Zahl der
Laien, welche sich ihnen abwendete, musste rasch zunehmen.
Sie glaubten ihren Verfall verhindern zu können /indem sie
suchten, die Menge durch grössere Vortheile als die Brah-
manen ihr boten, an sich zu ketten ; das beste Mittel schien
ihnen, (Jen alte« Volksgöttern, von welchen sich auch die
Buddhisten nie vollständig abgewendet hatten, wieder mehr Ein-
fiuss zuzugestehen, als es bisher der Fall war. Sie knüpf-
ten hierin an die Lehren an, welche durch Priester aus
Centralasien in Indien bekannt wurden, die vor den mussal-
maaschen Bedrückungen Schutz suchen mochten. Dort waren
abergläubische Vorstellungen schon in weit höherem Grade
als in Indien mit den buddhistischen Anschauungen verwebt
worden. Die Götter, übermenschliche Wesen, zahllos an
14) Hoffinann, in v. Siebold's „Beschreibung von Japan1', B. VI,
S, 67.
15) Es wird als Irrlehre bezeichnet zu glauben, daes einige
Wesen ewig fortdauern. Gogerty, bei Hardy, Manual, 8. 888.
• ♦ * » «
8MagmkDeit: Der Oottesbegriff des Buddhismus. 101
Menge, aller Orten den Menschen umgebend und stets seiner
Bitten gewärtig, sollen durch Gebete, Opfer und die genaueste
Vollziehung von Ceremonien, in denen Alles der Eigentüm-
lichkeit der anzurufenden Gottheit angepasst ist, zum Dienste
der Menschen gezwungen werden können; es wird auf sie
dadurch eine magische Gewalt ausgeübt, der sie nicht wider-
stehen können. Ohne ihren Beistand kann nichts gelingen,
auch die Vereinigung mit der Gottheit wird nur mit Hilfe
ihrer übernatürlichen Fähigkeiten erreicht werden. Diess
and die Hauptzüge ihrer Lehre, welche nach dem wichtig-
sten Werke darüber Kala Chakra, „das Rad der Zeit",
tibetisch Dus-kyi-'khor-lo, genannt wird. 16) Durch zahlreiche
Commentare von Indiern erläutert und in das indische
System des Buddhismus eingeführt, ist sie in der Gestalt,
wie sie uns in den Tantrabüchern entgegen tritt, als ein
Werk indischen Denkens zu betrachten. Die Götter des
Volksglaubens werden an die Stelle der centralasiatischen
Gottheiten gesetzt, sie werden zum Mittelpunkte der Cere-
monien gemacht, der Kreis der Thätigkeit eines Jeden wird
genau abgegrenzt, jedoch durch die allumfassende und doch
sich wieder zertheilende Weisheit der Buddhas, welche in
Adi Buddha sich gipfeln, die Gefahr erfolgloser Anrufung
beseitigt.
In Indien konnten die Führer der Buddhisten ungeach-
tet dieser Zugeständnisse dem buddhistischen Elemente den
Vorrang vor dem Brahmanenthume nicht erringen, spätestens
im 13. Jahrhundert gab es auf dem Festlande keine Bud-
dhisten mehr. Aber ihre Bestrebungen hatten eine völlige
Umgestaltung der Lehre des Buddha zur Folge. Ursprüng-
16) Csoma, On the origin of the Kala Chakra System. Journ.
Ab. Sog. Beng. Bd. II, S. 57. H. H. Wilson, Sketch of the relig.
secto of the Hindus, As. Res. Bd. XVII, S. 216— 29. Hodgson, Illustr.,
S. 23. Burnouf, Introduction, Section V. Wasgiljew, 1. c. S. 201.
8*
102 SiUnmg der phOoe.-phtlol. Ciatsc um 6. Februar 1864.
lieh einfach, auf guten moralischen Grundsätzen bauend,
aber doch den Menschen auf sich anweisend, mit dem Be-
streben, ihn ganz unabhängig zu machen von einem höheren
Wesen, entwickelte sich auf Grund der mystischen Lehre
ein verworrenes, schwer zu erfassendes und noch schwieriger
in allen Details zu befolgendes System von Regeln und
Ceremonien, und zugleich die Anerkennung eines höchsten,
obersten Wesens, welches das Schicksal des Menschen be-
stimmt, an dessen Beistand er gebunden ist, wenn er auch
nicht ein allmächtiger Gott ist, ein Alles regelnder Lenker
in unserem Sinne.
Herr Plath hielt einen Vortrag
„Ueber Verfassung und Verwaltung des chi-
nesischen Reichs unter den drei ersten
Dynastieen".
Diese Arbeit wird in den Denkschriften ihre Stelle
finden.
Stcinhcü: Ueber den Ästrograph. 103
Mathematisch -physikalische Classe.
Sitzung vom 13. Februar 1864.
Herr Steinheil übersendet folgenden Aufsatz:
„Der Ästrograph". *) Ein Apparat zum Zeich-
nen des durch Femrohre betrachteten Sternhim-
mels.
DerWerth der graphischen Methode bei astronomischen
Bestimmungen wird im Allgemeinen unterschätzt. Der Grund
liegt wohl darin, dass man der Aufstellung, wenn sie der
täglichen Bewegung folgen soll, oft die erforderliche Festigkeit
nicht zu geben vermag, um zu genügend genauen Bestim-
mungen zu gelangen. Ich werde im Nachfolgenden zeigen,
dass graphisch eine weit grössere Genauigkeit zu erlangen
ist, als selbst die Sternaufnahmen von Ar gelander in Bonn
durch Beobachtung ergeben haben, und dass dazu nur ein
Beobachter erfordert wird, während in Bonn drei Beobach-
ter zugleich beschäftigt sind. Endlich, dass dieser eine Be-
obachter in derselben Zeit wenigstens eben so viele Bestim-
mungen macht und zwar in bequemster Lage ohne alle An-
strengung.
Ein Fernrohr von wenigstens 4 Zoll Oefihung in hori-
1) Schon vor mehr als 80 Jahren habe ich das erste Instrument
zu diesem Zwecke construirt, und in Schumacher^ Jahrbuch 1838
beschrieben. Die Charte der Gegend des Nordpoles, welche U. Pohrt
seiner Zeit damit zeichnete, zeigt, dass die Positionen der Sterne
etwa auf 1' richtig sind. Der Grund, wesshalb die Genauigkeit nicht
grosser ist, liegt theils in dem Massstab, welcher 1° = 6'" gab, theils
aber auch darin, dass die Zeichnungsflache der Bewegung der Sterne
folgen musste und daher keine genügende Festigkeit hatte.
104 Sittung der moft.*pftt/*. Clane vom 13. Februar 1864.
zontaler Lage von West gegen Ost zeigt durch einen unter 45°
vor dem Objektive angebrachten Spiegel bei Drehung um seine
Axe successive alle Theile des Meridians. Das Tom Objektiv
entworfene Bild des Sternhimmels sei durch ein Okularmikroskop
betrachtet, welches durch die Mauer des Arbeitszimmers des
Astronomen in horizontaler Lage und in solcher Höhe ge-
führt ist, dass der davor sitzende Beobachter* bequem hinein
sehen kann. Der Augenort des Okulares sei wenigstens in
12 Zoll Abstand von der Mauer. Das Okular vergrössere
vorerst nur 36mal, so dass man einen Quadratgrad am Him-
mel leicht übersehen kann. *)
Auf das Bild des Himmels läset sich nun das Bild der
senkrecht unter dem Okulare befindlichen Ebene durch einen
Sömmering'schen Zeichnungsspiegel projiciren, so dass das
Auge gleichzeitig Licht von der Ebene und von dem Stern-
himmel erhält. Das Bild des Himmels wird auf der Ebene
gemessen um so grösser, je weiter die Ebene vom Augen-
ort abrückt. Wäre der Abstand dieser horizontalen Ebene
z. B. 8 Zoll, so erschiene ein Quadratgrad des Himmels als
Quadrat von 60 Linien, oder eine Bogenminute am Himmel
erschiene eine Linie lang, und da man leicht in 8 Zoll Ab-
stand Vio Linie sieht und einstellt, würde man damit 6
Bogensekunden am Himmel haben.
Bewirkt man jetzt durch ein Gestell von Gusseisen in
Verbindung mit der Mauer oder mit dem isolirten Fuss-
boden eine so feste Aufstellung der Horizontalfläche, dass
man diese auch bei Anwendung von einiger Kraft sicher
nicht um Vio Linie verstellen kann, so wird der Ort eines
Sternes auch mit dieser Genauigkeit auf der Ebene zu be-
2) Diesen Anforderungen entspricht mein Meridiankreis, siehe
•diese Berichte 1864, I, 1. Er kann also zugleich auch dazu benutet
werden, Sternzonen -Karten zu entwerfen, um sie mit den vorhan-
denen Karten zu vergleichen und etwaige Aenderungen zu erkennen.
Steinbeil: Ueber am Artrograph. l<tt
zeichnen sein. Dabei ist natürlich vorausgesetzt , dass man
das Okular so gestellt habe, dass die Parallaxe Zwischen
Bild des Himmels und Bild der Ebene verschwindet.
Wenn nun die Ebene am ihren Mittelpunkt drehbar,
aber in jeder Lage zum Feststellen gemacht und mit einein
horizontal und geradlinig gehenden Schuber versehen wird,
der ein weisses Fadenkreuz hat, dessen einer Faden parallel
sar Bewegung des Schubers ist, So kann, weil das helle
Fadenkreuz auf dem dunkeln Schuber über dem Sternhim-
mel gesehen wird, das Kreuz auf jeden Stern im Meridian
eingestellt werden. Man drehe dazu nun die Ebene, bis die
tägliche Bewegung der Sterne parallel zu dem einen Faden
ist, so repräsentirt der andere Faden den Meridian und es
kann durch Bewegen des Schubers im Meridian jeder Stern
auf den Declinationsfaden eingestellt und beim Durchgang
durch den Meridianfaden beobachtet werden.
Um damit eine Sternzonenkarte von 1 ° Breite zu ent-
werfen, müssen wir mit diesem Apparat einen Begistrir-
apparat in Verbindung bringen und zwar auf folgende Art:
Erst muss ein Papierstreifen von etwas mehr als 60 Linien
Breite in der Richtung senkrecht zum Schuber mit einer
Geschwindigkeit bewegt werden, die nahezu dem scheinbaren
Fortrücken der Sterne auf der Ebene gleich ist. Diess wird,
wie bekannt, durch zwei Walzen erlangt, die mit einer von
Triebwerk gegebenen Geschwindigkeit drehen und den Pa-
pierstreifen durchziehen. Dieser Apparat ist mit dem festen
Theil der Ebene in Verbindung und es registrirt sich von
5" zu 5" der Uhrgang auf beiden Rändern des Streifen*
durch Elektromagnete.
Unter dein Schuber ist aber ferner ein Elektromagnet
an diesem so angebracht, dass er sich mit dem fechuber
quer übet den Papierstreifen hin bewegt. Ein galvanischer
Taster an dem feststehenden Theil des Apparates bewirkt,
dass der Hebel des Elektromagnetes einen Punkt in den
106 Sitzung der motk-jriby*. Clause vom 13. Februar 1864,
Papierstreifen eindrückt, sobald der Taster niedergedrückt
wird. Wird also ein Stern durch Bewegung des Schaber»
auf den Declinationsfaden oder besser zwischen zwei in klei-
nem Abstände parallel gezogene Fäden gebracht und der
Taster im Augenblick des Sterndurchganges niedergedrückt,
so ist derselbe in der Zonenkarte eingetragen. Die Grössen-
bezeichnung kann durch die Zeitdauer des Niederdrückens
des Tasters geschehen, wobei ddr grössere Stern durch eine
längere Linie bezeichnet ist. Die Position gilt natürlich für
den Anfang des Striches.
Um Sterne, die gleichzeitig durch den Meridian gehen,
eintragen zu können, ist eine Schuberbewegung des ganzen
Apparates senkrecht zur Bewegung des Schubers nöthig.
Dabei überholt der Meridianfaden die Bewegung der Sterne
und es kann nun ein zweiter oder dritter Durchgang beob-
achtet werden, worauf der Apparat wieder in die erste Lage
zurückgeführt wird.
■
In sehr sternreichen Gegenden wird man stärkere
Vergrößerungen anwenden, z. B. die doppelte. Dabei wird
man jetzt nur V» Quadratgrad übersehen, während die Zeich-
nungsfläche gleich gross bleibt. Es muss daher die Ge-
schwindigkeit des Streifens die doppelte werden« Man er-
langt aber dann auch die doppelte Genauigkeit bei diesen
Zonenaufnahmen von V*° Breite. Damit der Declinations-
schuber leicht aus freier Hand eingestellt werden kann, ist
es nöthig, ihn auf 4 genau gleichgrossen Kugeln zu bew.egen.
Die Kugeln gehen im untern Theil des Apparates in 2
parallelen Rinnen gebildet durch 2 unter rechtem Winkel
zusammen laufenden Ebenen. Ganz ähnliche Rinnen in glei-
chem Abstände sind auf der untern Seite des Schubers.
Sie passen genau auf die Kugeln. Dabei ist gar keine glei-
tende Friktion, so dass sich der Schuber mit der kleinsten
Kraft bewegen lässt.
Schönbtin: Ueber dm Wa$$er$toffkhwefd. 107
Das Triebwerk für den Papierstreifen muss einen Re-
gulator haben, der sehr verschiedene Geschwindigkeiten zu
geben erlaubt Die richtige Geschwindigkeit zeigt sich am
leichtesten durch Vergleich der berechneten Fortrücknng mit
der, welche stattgehabt hat. Ein kleiner Unterschied hat
ms nur Einfluss auf nachträglich im verstellten Meri-
beobachtete Durchgänge und ist auch da, wenn die
Beobachtung nahe liegt, noch unmerklich. Aber im Ganzen
ist die Charte unabhängig von der Bewegung des Streifens,
weil die Uhrzeit am Rande registrirt ist, die das Entnehmen
der AR mit aller Schärfe gestattet.
Sollte man durch solche Karten nicht bloss Aenderungen
am Sternenhimmel aufzufinden beabsichtigen, sondern die
Positionen der beobachteten Sterne ableiten wollen, so wäre
für die Declinationen ein Massstab erforderlich, welcher
nach den Tangenten der scheinbaren Winkel von der Mitte
der Zone aus getheilt wäre (bis + 18°). Im Uebrigen
kämen alle Reductionselemente wie bei directen Beobach-
tungen in Anwendung.
Herr Pettenkofer legt einen Aufsatz von Herrn
Schönbein in Basel vor, welcher unter dem Titel
„Chemische Mittheilungen"
folgende Artikel begreift:
1) Einige Angaben über den WasserstoffschwefeL
Schon Thenard machte darauf aufmerksam, dass manche
derjenigen Materien, welche das Wasserstoffsuperoxyd zer-
setzen, auch den Wasserstoffschwefel zu zerlegen vermögen,
wie z. B. das Platin, die Kohle, die Superozyde des Man«
gaas, Bleies u. s. w. Ich habe unlängst ebenfalls Versuche
108 Siteung der motk-pAyt. Claeee wm IS. Februar 1664.
mit der besagten Schwefelverbindnng angestellt in der Ab-
sicht, die Umstände genauer zu ermitteln, anter welchen
dieselbe eine Zersetzung erleidet und zu diesem Behufe ein
Verfahren beobachtet, von dem ich glaube, dass es zweck*
massiger gewesen sei und zu sicherern Ergebnissen geführt
habe, als der von dem französischen Chemiker eingeschla-
gene Weg.
Nach meinen frühern Versuchen kommt dem Wasser»
stoffschwefel das Vermögen zu, die Indigotinktur zu ent*
blauen, welche Wirkung weder auf einer Reduction noch
Zerstörung des Farbstoffes, sondern auf dem beruht, was
ich Verhüllung des Indigos nennen möchte. Die durch den
Wasserstoffschwefel entfärbte Indigolösung bläut sich näm-
lich wieder von selbst, auch wenn man sie von der Luft
vollständigst abschliesst, und zwar um so rascher, je höher
die Temperatur des Gemisches ist. Der Grund dieser frei-
willigen Bläuung liegt einfach darin, dass der Wasserstoff-
Schwefel von selbst in S und HS zerfällt, auch wenn er mit
der Indigoblauschwefelsäure vergesellschaftet ist. Nach
Massgabe dieser spontanen Zersetzung tritt daher auch die
ursprünglich blaue Färbung der Indigolösung wieder auf,
aus welchem Verhalten abzunehmen ist, dass jede Substanz,
welche die entfärbte Indigotinktur augenblicklich zu bläuen
vermag, auch die Fähigkeit besitzt, den Wasserstoffschwefel
rasch zu zersetzen.
Derartige Versuche lassen sich am bequemsten in fol-
gender Weise anstellen. In Wasser durch Indigotinktur bis
zur Undurchsichtigkeit tief gebläut und mit einiger Salz-
säure versetzt, tröpfelt man unter Umrühren die Lösung
eines mehrfach geschwefelten alkalischen Metalles ein, bis
das Gemisch völlig entbläut erscheint. Dasselbe filtrirt lie-
fert eine vollkommen klare und farblose Flüssigkeit, welche
jedoch bald anfängt, sich zu trüben in Folge der eintreten*
den Zersetzung des Wasserstoffscbwefels und hat man bei
n: Ucbar den Wtmerstoffichmfifd. 109
der Darstellung dieser Versuchsflüssigkeit nicht mehr Schwe-
feUebsrlösung angewendet, als genau zur vollständigen Ent-
blänang der Indigotinktur nöthig war, so hält auch die
Bläaung der Flüssigkeit mit ihrer Trübung, welche selbst-
verständlich von ausgeschiedenem Schwefel herrührt, gleichen
Schritt Ist aber in der entfärbten Indigolösung ein Ueber-
8chus8 von WasBerstoffschwefel vorhanden, so trübt sich an-
fänglich die Versuchsflüssigkeit, ohne zugleich blau zu wer*
den und tritt selbstverständlich deren Färbung um so später
ein, je grösser jener Ueberschuss gewesen.
Nach diesen Angaben dürfte es kaum noch der aus-
drucklieben Bemerkung bedürfen, dass es zweckdienlich sei,
zur Anstellung der im Nachstehenden beschriebenen Versuche
einer Flüssigkeit sich zu bedienen, die entweder nur einen
sehr kleinen, oder noch besser gar keinen Ueberschuss an
Wasserstofischwefel enthält.
Das Ozon und diejenigen Sauerstoffverbindungen, welche
ich Ozonide nenne, z.B. die Superoxyde des Mangans, Bleies
u. s. w., die Uebermangan- , Chrom-, unterchlorige und
salpetrige Säure und deren Salze, wie auch das Eisenoxyd
oder dessen Lösungen in Säuren bläuen die Versuchsflüssig-
keit augenblicklich, falls diese Substanzen nicht in Ueber-
schuss angewendet werden. Eben so verhalten sich Chlor,
Brom und Jod.
Sehr stark mit HO verdünntes Wasserstoffsuperoxyd
wirkt nur sehr schwach auf die Versuchsflüssigkeit ein, fügt
man aber einem solchen Gemisch nur wenige Tropfen ver-
dünnter Eisenvitriollösung zu, so erfolgt unverweilt die augen-
fälligste Bläuung.
Platinmohr bläut die Versuchsflüssigkeit augenblicklich,
verliert jedoch seine Wirksamkeit, nachdem er einmal diese
Reaotion hervorgebracht hat; durch Behandlung mit Kali-
lösung oder Salpetersäure in der Wärme erhält das Metall
jedoch wieder sein ursprüngliches Bläuungsvermögen. Wie
110 Sitzung der math.-phy8* CZame vom 13. Februar 1864.
das Platin t erhält sich auch das Iridium, Palladium, Rho-
dium, Osmium und Ruthenium. Fein gepulverte Holzkohle
verursacht sofort die Färbung der Versuchsflüssigkeit, ohne
wie das Platin ihre Wirksamkeit zu verlieren. Gelöste Phos-
phor- und Arsensäure, selbst im verdünnten Zustande, bläuen
die entfärbte Indigotinktur sofort, während die gleich stark
verdünnte Salpeter- oder Schwefelsäure (frei von NCU) nur
sehr schwach bläuend und die Salzsäure gar nicht einwir-
ken, wie diess übrigens schon die Bereitungsweise der Ver-
suchsflüssigkeit zeigt, in welcher ein Ueberschuss von HCl
vorhanden ist. Thenard giebt an, dass auch die Kieselsäure
den Wasserstoffschwefel zerlege; nach meinen Versuchen
bläut jedoch dieselbe nur dann unsere Versuchsflüssigkeit,
wenn jene noch Spuren von Eisenoxyd enthält; ist die Säure
hiervon gänzlich frei, so verhält sie sich völlig wirkungslos.
Die Lösungen sämmtlicher alkalischer Oxyde rufen die blaue
Färbung der Versuchsflüssigkeit augenblicklich hervor und
ebenso diejenigen einer Anzahl von Metallsalzen, z. B. des
Kupfer-, Mangan- und Nickelsulfates u. s. w.
Was die spontane Bläuung der entfärbten Indigolösung
betrifft, so beruht sie erwähntermassen auf der freiwilligen
Zersetzung des Wasserstoffschwefels, welche diese Verbin-
dung gerade so leicht in ihrem (an Indigoblauschwefelsäure)
gebundenen, als im freien Zustand erleidet. Während der
gewöhnliche Sauerstoff so gut als gleichgültig gegen die
Versuchsflüssigkeit sich verhält, wirkt dagegen wie der freie,
so auch der gebundene ozonisirte Sauerstoff rasch und kräf-
tigst auf dieselbe ein, wie diess aus ihrer augenblicklichen
Bläuung erhellt, welche das Ozon und die Ozonide verur-
sachen, falls sie nicht im Ueberschuss angewendet werden,
in welchem Falle der Indigo wieder zerstört wird. Die
durch die genannten Materien bewerkstelligte Zersetzung des
Wasserstoffsohwefels , d. h. Bläuung der Versuchsflüssigkeit
beruht ohne Zweifel auf einer oxydirenden Wirkung, welche
Schönbein: üeber den Wa8$ersto0*chwefd. 111
sie auf den einen und andern Bestandteil der Schwefel-
rerbindung hervorbringen, wodurch diese zerstört und die
Indigoschwefelsäure mit ihren ursprünglichen optischen Ei-
genschaften in Freiheit gesetzt wird. Dass in gleicher Weise
auch das Chlor, Brom, Jod und das gelöste Eisenoxyd wir-
ken, ist mehr als nur wahrscheinlich.
Was die rasche Bläuung der Versuchsflüssigkeit durch
Wasserstoffsuperoxyd unter Mitwirkung eines gelösten Eisen*
oxydulsalzes betrifft, so beruht sie auf der schon längst von
mir ermittelten Thatsache, dass HOs bei Anwesenheit eines
solchen Salzes gleich dem Ozon oder einem Ozonide wirkt,
wie schon daraus erhellt, dass höchst verdünntes HOt, wel-
ches für sich allein den Jodkaliuinkleister nicht mehr zu
bläuen vermag, diess augenblicklich thut, falls man einem
solchen Gemeng nur wenige - Tropfen Eisenvitriollösung
zufügt.
• Die Wirksamkeit der Platinmetalle leite ich aus ihrem
Vermögen ab, den mit ihnen in Berührung stehenden ge-
wöhnlichen Sauerstoff zur chemischen Thätigkeit anzuregen
oder zu ozonisiren und in dem vorliegenden Falle auf den
Wasserstoffschwefel oxydirend einzuwirken. In früheren Mit-
theilungen habe ich gezeigt, dass Platinschwamm, mit HS
nur einen Augenblick in Berührung gesetzt, sein Vermögen
einbüsste, das Knallgas zu entzünden und ist nachgewiesen
worden, dass dieser Verlust von der Oxydation des Wasser-
stoffes von HS herrühre, in deren Folge Schwefel frei wird,
welcher das Metall umhüllt. Ein gleicher Vorgang findet
nun höchst wahrscheinlich auch bei der Berührung der
Metalle mit der Versuchsflüssigkeit statt, bei welcher der
an ihnen haftende und zur chemischen Thätigkeit angeregte
Sauerstoff dem Wasserstoffschwefel H entzieht und Schwefel
ausgeschieden wird, welcher um die Metalle eine Hülle bil-
dend, deren ozonisirende Wirkung auf 0 aufheben muss.
Durch Behandlung mit Kalilösung u. s. w. wird der um sie
1 12 Sitnmg der maßL-phys. CUum vom 13. Februar 1864.
gelagerte Schwefel entfernt und ihnen dadurch auch ihre
ursprüngliche Wirksamkeit wiedergegeben.
Auf welche Weise die Phosphor- und Arsensäure die
rasche Bläuung der entfärbten Indigolösung bewerkstelligen,
weiss ich nicht anzugeben und es lässt sich einstweilen hier-
über nicht viel mehr sagen, als dass diese Säuren den ver-
hüllenden Einfluss aufheben, welchen der Wasserstoffschwe-
fel auf die blaue Färbung der Indigolösung ausübt. Die in
Rede stehende Bläuung kann keinen Falles auf einer Zer-
störung des Wasserstoffschwefels beruhen, wie sie durch
Ozon, Chlor u. b. w. bewerkstelligt wird, könnte aber mög-
licher Weise davon herrühren, dass die genannten Säuren
eine vorübergehende Verbindung mit dem Wasserstoffschwe-
fel eingiengen und dadurch den Einfluss des letztern auf die
Indigotinktur aufhöben oder doch stark schwächten. l)
Die alkalischen Oxyde bläuen die Versuchsflüssigkeit
einfach desshalb, weil sie mit dem Wasserstofißchwefel in
Wasser und Schwefelmetalle sich umsetzen; auf welche
Weise aber die Kohle wirkt, wüsste ich nicht zu sagen;
1) Dass es chemische Verbindungen solcher Art gebe, dafür,
glaube ich, liegen nun zahlreiche Beweise vor und ich selbst habe
unlängst mehr als eine Thatsache ermittelt, welche zu Gunsten die-
ser Annahme spricht. So z. B. verhüllen nach meinen Versuchen
die Lösungen der Quecksilberoxydsalze die Färbung und den Geruch
des wässrigen Jodes, Bromes und Chlores, wie sie auch ersteres ver-
hindern, den Stärkekleister zu bläuen, während die Haloidsalze der
genannten Salzbildner, wie auch die Wasserstoffsäuren derselben diese
Verhüllung wieder aufheben. Die verdünnte Indigotinktur wird durch
die genannten Quecksilbersalze grün gefärbt und mittelst der er-
wähnten Haloidsalze und Säuren wieder gebläut Solche Veränderun-
gen deuten offenbar auf die Bildung und Wiederzersetzung chemi-
scher Verbindungen hin, welche uns dermalen noch gänzlich unbe-
kannt sind und ebendesshalb die Aufmerksamkeit der Chemiker ver-
dienen.
Schönheit*: Ei» Reagan auf da» WoMewtoffguperomfd. 113
so viel ist gewiss, dass unter ihrem Einftuss der Wasser-
sto&echwefel in S und HS zerfallt
Die oben angeführten Thatsachen scheinen mir nun zu
der Annahme zu berechtigen, dass, wenn nicht in allen,
doch in den meisten der erwähnten Fälle die Zerlegung der
Wasserstofischwefels durch gewöhnliche chemische Wirksam-
keiten bewerkstelligt werde und die Aehnlichkeit, welche
zwischen den Zersetznngserscheinungen der genannten Schwe-
felyerbindungen und des Wasseistoffsuperoxydes besteht, nur
eine scheinbare sei.
2) Ueber ein neues höchst empfindliches Reagens
auf das Wasserstoffsuperoxyd und die salpetrig-
sauren Salze.
Vor einiger Zeit habe ich gezeigt, dass unter der Mit-
wirkung eines Eisenoxydulsalzes der angesäuerte Jodkalium-
kleister ein so empfindliches Reagens auf HOt sei, dass da-
durch noch verschwindend kleine Mengen dieses Superoxydes
mit Sicherheit sich erkennen lassen. Ein anderes Reagens,
welches dem erwähnten an Empfindlichkeit wo nicht völlig
gleich, doch sehr nahe kommt und in manchen Fällen an-
gewendet werden kann, wo gewisser Umstände halber der
Jodkaliumkleister nicht einmal zu gebrauchen wäre, ist die
durch Wasserstoffschwefel entfärbte Indigotinktur, von der
in voranstehender Mittheilung die Rede gewesen. Hat man
zur Bereitung dieses Reagens nicht mehr gelöste Sehwefel-
leber angewendet, als genau zur Entbläuung der Indigotink-
tur erforderlich ist, so wird diese farblose Flüssigkeit durch
Wasser, welches nur Spuren von HOt enthält, noch deut-
lich und augenblicklich gebläut werden, sobald man dem
Gemisch einige Tropfen verdünnter Eisenvitriollösung zufügt,
wobei jedoch zu bemerken ist, dass die unter diesen Um-
standen anfänglich eongetretene Bläuung wieder verschwin-
114 Sitsung der math.-phys. Clane vom 13. Februar 1864.
det, falls das Wasser mehr HOs enthält, als zur Zersetzung
des in der entfärbten Indigolösung vorhandenen Wasserstoff»
Schwefels nöthig ist und zwar um so rascher, je grösser
jener Ueberschuss an Wasserstoffsuperoxyd sein sollte. Wie
empfindlich unser Reagens auf HO« sei, mögen nachstehende
Angaben zeigen.
Bekanntlich entstehen nach meinen Versuchen beim
Schütteln einer Anzahl leicht oxydirbarer Metalle mit Wag*
ser und gewöhnlichem reinen und atmosphärischen Sauerstoff
nachweisbare Mengen Wasserstoffsuperoxydes, unter welchen
das Zink ganz besonders sich auszeichnet. Schüttelt man
50 Gramme amalgamirter Zinkspäne mit etwa ihrem dop-
pelten Gewichte destillirten Wassers in einem etwas geräu-
migen lufthaltigen Gefässe nur wenige Sekunden lebhaft
zusammen, so wird das Wasser schon so viel HO* enthalten,
um den nicht angesäuerten Jodkaliumkleister beim Zufügen
einiger Tropfen verdünnter Eisenvitriollösung sofort augen-
fälligst zu bläuen, da* gleiche Wasser vermag aber auch
die durch Wasserstoffschwefel entfärbte Indigotinktur unter
Mitwirkung der genannten Eisensalzlösung rasch und deut-
lich blau zu färben. Aus diesen Angaben ersieht man, dass
zur Ermittelung kleinster Mengen von HOs die besagte In-
digolösung eben so gut als der Jodkaliumkleister dienen
kann und wie in einer nachstehenden Mittheilung gezeigt
werden wird, lassen sich durch jenes Reagens noch eben
so kleine Mengen Wasserstoffsuperoxydes in Flüssigkeiten
nachweisen, die Substanzen enthalten, welche die Bläuung
des Jodkaliumkleisters verhindern, wesshalb derselbe in sol-
chen Fällen als Reagens gar nicht zu gebrauchen ist. Das
empfindlichste mir bekannte Reagens auf die Nitrite ist der
mit verdünnter Schwefelsäure versetzte Jodkaliumkleister,
welchen schon äusserst kleine Mengen irgend eines jener
Salze auf das Tiefste zu bläuen vermögen. Von gleicher
Empfindlichkeit für die Nitrite ist die durch Wasserstoff-
Schambein-. Zm Kennsmss des men&cKL Harnes. 115
schwefel (ohne Ueberschuss) entfärbte Indigotinktur, welche
beim Vermischen mit Wasser, das verschwindend kleine
Mengen eines salpetrigsauren Salzes enthält, noch augen-
blicklich und deutlichst gebläut wird. Da es bisweilen ge-
schieht, dass eper schwach nitrithaltigen Flüssigkeit noch
anderweitige (reducirende) Materien beigemischt sind, welche
die Bläuung des angesäuerten Jodkaliumkleisters verhindern,
nicht aber diejenige der entfärbten Indigotinktur, so ist in
einem solchen Falle die Anwesenheit sehr kleiner Mengen
eines salpetrigsauren Salzes nur durch das letzterwähnte
Reagens zu erkennen, wie aus den Angaben der folgenden
Mitteilungen erhellen wird.
/
3) Ein Beitrag zur genauem Eenntniss des mensch-
lichen Harnes.
Wie noch nichts vollkommen gekannt ist, so auch nicht
der viel untersuchte Harn, an dem ich unlängst bei Gelegen-
heit meiner Untersuchungen über die Verbreitung katalytisch
wirksamer Materien in thierisohen Flüssigkeiten eine Reihe
von Thatsachen ermittelte, welche mir der Beachtung ßowohl
der Chemiker als Physiologen -nicht ganz unwerth zu sein
scheinen. Herr Pettenkofer hat zuerst die Beobachtung ge-
macht, dass frischer Harn in einem auffallenden Grade das
Vermögen besitze, die wässrige Jodstärke zu entbläuen, ohne
dass meines Wissens der ausgezeichnete Münchner Gelehrte
die Ursache dieser Wirkung näher angegeben hätte. Meine
über den gleichen Gegenstand angestellten Untersuchungen
haben zu folgenden Ergebnissen geführt.
Ein Raumtheil frisch gelassenen, deutlich sauer reagi-
renden und honiggelb gefärbten Harnes mit vier Raumthei-
len stark rothbraunen Jodwassers versetzt, lieferte ein Ge-
misch, das nach wenigen Minuten den Stärkekleister nicht
im Mindesten mehr zu bläuen vermochte und nur noch
[1864. L 2.] 9
116 SiUung der math.-phys. CUum vom IS. Februar 1864.
schwach gelblich gefärbt war; demselben konnten jedoch im
Laufe einiger Tage noch weitere zehn Raumtheile der be-
sagten Jodlösung zugefügt werden, ohne dass das Gemisch
den Kleister gebläut hätte und kaum ist nothwendig zu be-
merken, dass unter Mitwirkung der Wärme diese Jodbin-
dung und die damit verbundene Entfärbung des Harnes
ungleich rascher als bei gewöhnlicher Temperatur erfolgen.
Nicht unerwähnt darf aber die Thatsache bleiben, dass ein
z. B. aus vier Raumtheilen Jodwassers und einem Raumtheile
Harnes bestehendes Gemisch, welches für sich allein den
Kleister nicht mehr bläut, diess bei Zusatz verdünnter Schwe-
felsäure noch augenfälligst thut, auf welche Reaction ich
weiter unten wieder zurückkommen werde.
Mittelst thierischer Kohle völlig entfärbter Harn vermag
zwar auch noch Jod zu binden, aber merklich weniger als
der gleiche nicht entfärbte Harn, und bei einem Versuche
fand ich, dass die Menge des durch ersteren gebundenen
Jodes nur zwei Drittel von derjenigen betrug, welche der
nicht entfärbte Harn zu binden vermochte, wobei es kaum
nöthig ist zu bemerken, dass durch Chlor oder Brom dieses
gebundene Jod wieder frei werde.
Selbstverständlich wird «die besagte Jodbindung durch
oxydirbare im Harn enthaltene Materien bewerkstelligt und
ans der Thatsache, dass der Farbstoff dieser Flüssigkeit
durch das Jod zerstört wird und der entfärbte Harn weni-
ger Jod als der gefärbte bindet, geht hervor, dass das Harn-
pigment eine der oxy dir baren Materien sei, welche an be-
sagter Jodbindung Theil nehmen. Da das Jodwasser oder
die wässrige Jodstärke durch die Harnsäure und deren Salze
entfärbt wird und bekannt ist, dass auf diese Substanzen
bei Anwesenheit von Wasser die Salzbildner zersetzend ein-
wirken und die genannte Säure wie auch einige ihrer alka-
lischen Salze nie fehlende Bestandteile des Harnes ausmachen,
so ist nicht daran zu zweifeln, dass das Vermögen dieser
Sehönbän: Zur Kmntniss de» mentchl Harnes. 117
Flüssigkeit, Jod zu binden, also das Jodwasser oder die
Jodstarke zu entfärben, hauptsächlich auf ihrem Gehalt an
Harnsäure und deren Salzen beruhe. Was die letztern,
namentlich das saure, harnsaure Kali, Natron und Ammoniak
betrifft, so wirken sie nach meinen Beobachtungen noch
rascher als die Harnsäure entfärbend auf das Jodwasser
iL s. w. ein, wobei noch zu bemerken ist, dass die hier-
durch erhaltene und den Kleister nicht mehr bläuende Flüs-
sigkeit beim Zufügen verdünnter Schwefelsäure denselben
augenblicklich und noch merklich stark bläut, welche Reac-
tion nach meinem Dafürhalten von kleinen Mengen eines
unter diesen Umständen gebildeten jodsauren Salzes (Kali*,
Natronjodates u. s« w.) herrührt. Während nämlich ein
Theil Jodes auf die Harnsäure einwirkt, setzt sich ein an-
derer Theil dieses Salzbildners mit der alkalischen Basis des
harnsauren Salzes in Jodmetall und Jodat um, und fugt
man nun dem gelösten Gemisch verdünnte Schwefelsäure zu,"
so wird die hierdurch frei gewordene Jodsäure mit der vor-
handenen Jodwasserstoffsäure in Jod und Wasser sich um-
setzen. Da nun der Harn ausser freier Harnsäure auch
noch harnsaure Salze mit alkalischer Basis enthält, so er-
klärt sich hieraus die oben erwähnte Thatsache, dass ein
Gemisch frischen Harnes und Jodwassers, welches für sich.
allein den Kleister nicht mehr bläut, diess bei Zusatz ver-
dünnter Schwefelsäure thut.
Nach diesen Angaben versteht es sich nun von selbst,
dass wie der Harn, so auch die harnsäurehaltigen Sedimente
dieser Flüssigkeit auf das Jodwasser oder die wässrige Jod-
stärke entfärbend einwirken und kaum wird noch die An-
gabe nöthig sein, dass der Harnstoff auf die beiden letztern
ohne alle Wirkung ist.
Noch verdient hier die Thatsache der Erwähnung, dass
die Anwesenheit kleiner Mengen einer kräftigen Säure die
Wirksamkeit des Jodes gegenüber den oxydirbaren Harn-
9*
118 Sitzung der math.-pkys. Clas&e vorn IS. Februar 1864.
bestandtheilen merklich stark abschwächt, wie daraus erhellt,
dass mit Schwefel- oder Salzsäure versetzter Harn das in
Wasser gelöste Jod ungleich langsamer bindet, als diess der
gleiche, aber unangesäuerte Harn thut. 100 Gramme fri-
schen Harnes, denen nur fünf Tropfen Vitriolöl zugefügt
worden, mit der gleichen Menge Jodwassers versetzt, liefern
ein Gemisch, welches bei gewöhnlicher Temperatur 15 — 20
Minuten stehen muss, bevor es aufhört, den Stärkekleister
zu bläuen, wogegen die gleiche Menge des unangesäuerten
Harnes 400 Gramme Jodwassers beinahe augenblicklich der
Fähigkeit beraubt, den Kleister zu färben. Ohne Zweifel
hängt dieses Verhalten mit der von mir unlängst bespro-
chenen Thatsaohe zusammen, dass schwefel- oder salzsäure-
haltiges Jodwasser die Indigotinktur nur höchst langsam
zerstört, die säurefreie Jodlösung dagegen die abgestumpfte
Indigotinktur ziemlich rasch entbläue.
Bekanntlich zerstört das Ozon alle organischen Farb-
stoffe, wie es auch nach den Versuchen von Gorup oxydirend
auf die Harnsäure einwirkt, wesshalb es nicht auffallen kann,
dass der Harn Ozon aufnimmt und dadurch sowohl entfärbt,
als auch noch anderweitig verändert wird. ' Hat man Harn
hinreichend lang mit Ozon behandelt, d. h. so lange, bis er
letzteres nicht mehr merklich zerstört, so hat derselbe auch
das Vermögen verloren, die wässrige Jodstärke zu entbläuen,
und schüttelt man solchen Harn mit amalgamirten Zink-
spähnen einige Zeit zusammen, oder lässt man Metall und
Flüssigkeit mehrere Tage mit einander in Berührung stehen,
so wird der abfiltrirte Harn den angesäuerten Jodkalium-
kleister bis zur Undurchsichtigkeit tief bläuen. Solcher
Harn, der selbstverständlich vollkommen farblos ist, mit ein
wenig Pyrogallussäure versetzt, bräunt sich bei Zusatz ver-
dünnter Schwefelsäure sofort auf das Augenfälligste und
hängt man in einem verschlossenen Gefasse über diesem
Gemisch einen feuchten Streifen Jodkaliumstärkepapier oder
Sekänbein; Zur Kenntnis* des memdU. Hamm. 119
ein durch Indigolösung massig stark gefärbtes Papierstück
auf, so wird jener bald tief gebläut und letzteres nach eini-
ger Zeit vollständig gebleicht ei-scheinen. Diese Reactioneu
röhren von einem Nitritgehalte des Harnes her und beruhen
zunächst auf NOt , welches sich nach meinen Erfahrungen
bei Anwesenheit von Pyrogallussäure und SOt selbst aus
äusserst verdünnten Lösungen salpetrigsaurer Sake entbin-
det, mit dem in der atmosphärischen Luft des Gefasses vor-
handenen 0 Untersalpetersäure bildend, von welcher be-
kanntlich schon kleinste Mengen das feuchte Jodkaliumstärke*
papier zu bläuen und durch Indigolösung gefärbtes Papier
zu bleichen vermögen (man sehe in Fresenius1 Zeitschrift
meine Angaben über die empfindlichsten Beagentien auf die
Nitrite). Kaum werde ich zu sagen brauchen, dass der in
Rede stehende Harn auch die durch Wasserstoffschwefel
entfärbte Indigotinktur augenblicklich zu bläuen vermöge, so
dass also über die Nitrithaltigkeit desselben kein Zweifel
walten kann.
Es fragt sich nun, wie dieses salpetrigsaure Salz ent-
standen sei. Nimmt man an, dass schon in dem frischen
Harne kleine Mengen eines Nitrates enthalten seien, so ist
es leicht, über die Bildung des fraglichen Nitrites sich
Rechenschaft zu geben. Bekanntlich haben meine Versuche
dargethan, dass das Zink, mit gelösten Nitraten in Berühr-
ung gesetzt, diese Salze schon bei gewöhnlicher Temperatur
zu Nitriten reducire; ist nun meiner Annahme gemäss ein
salpetersaures Salz im frischen Harne vorhanden, so muss
dasselbe durch das genannte Metall ebenfalls in Nitrit ver-
wandelt werden.
Woher aber das Nitrat im frischen Harne? Nach mei-
nen Untersuchungen enthält alles Quell-, Fluss-, Seewasser
u. s. w., wie auch viele als Speise dienende Pflanzen : Kohl,
Spinat, Salat u. s. w. kleine Mengen salpetersaurer Salze,
welcher Umstand die ausnahmslose Nitrathaltigkeit des Har»
120 tiitsung der math.-phy$. Gasse vom 13. Februar 1861.
nee leicht begreiflich macht. Ob aber alles in dieser Flüs-
sigkeit vorkommende Nitrat von Speise und Trank herrühre,
dürfte schwer zu entscheiden sein, da möglicher-, wenn auch
sehr unwahrscheinlicher Weise ein kleiner Theil dieses
Salzes innerhalb des Organismus sich gebildet haben könnte.
Bekanntermassen erleidet der bei gewöhnlicher Tem-
peratur sich selbst überlassene Harn mannigfaltige Verän-
derungen, deren Inbegriff man die Harngährung zu nennen
pflegt und von welchen stofflichen Wandelungen ich vollen
Grund habe anzunehmen, dass sie bei Weitem noch nicht
alle gekannt, geschweige verstanden seien. Meine über die-
sen so interessanten Gegenstand gemachten Beobachtungen
und angestellten Versuche haben zur Ermittelung folgender
Thatsachen gefuhrt.
Vier bis sechs Tage lang bei 6 — 10° sich selbst über-
lassener Harn, gleichgiltig ob offen an der Luft stehend,
oder von ihr abgeschlossen, zeigt die Eigenschaft, den mit
SOs angesäuerten Jodkaliumkleister augenfälligst zu bläuen.
Nach acht- bis zwölftägigem weitern Stehen bringt er diese
Reaction in noch viel stärkerem Grade hervor, um jedoch
dieses Vermögen nach und nach wieder gänzlich zu ver-
lieren. Bei etwas höherer Temperatur, z. B. bei 16 — 20°
finden diese Veränderungen ungleich rascher statt, so dass
bisweilen schon nach acht- bis zwölfetündigem Stehen der
Harn den angesäuerten Jodkaliumkleister deutlichst zu bläuen
vermag, bei welchem Anlass ich nicht unbemerkt lassen will,
dass Harn von dem gleichen Individuum zu verschiedenen
Zeiten gelassen, unter sonst völlig gleichen Umständen ver-
schieden lang stehen muss, bevor er fähig ist, die besagte
Reaction hervorzubringen. Ich habe z. B. den Fall beob-
achtet, dass Harn, um 10 Uhr Vormittags gelassen, 6chon
nach 12 Stunden den Jodkaliumkleister deutlichst bläuete,
während der zwei Stunden später von der gleichen Person
gelassene Harn drei volle Tage stehen musste, ehe er diese
Zwr Kenntnis* des tnen$M. Harnes. 121
■i
Wirkung zu verursachen vermochte, obgleich beide Harn-
portionen neben einander in dem gleichen Zimmer standen.
Ist der Harn in dasjenige Stadium seiner freiwilligen
Zersetzung getreten, in welchem er den angesäuerten Jod-
kaliumkleister am Tiefsten bläut, so vermag er auch, wenn
mit ein wenig Pyrogallus- und verdünnter Schwefelsäure ver-
mischt, einen (in einem Oefass) über ihm aufgehangenen
feuchtesi Streifen Jodkaliumstärkepapieres rasch auf das
Tiefste zu bläuen, wie auch ein mit Indigotinktur gefärbtes
Papierstück in nicht gar langer Zeit vollständigst zu bleichen.
Dass solcher Harn ebenfalls die durch Wasserstoffschwefel
entfärbte Indigolösung sofort zu bläuen vermöge, bedarf
wohl kaum der ausdrücklichen Erwähnung.
Natürlich rühren diese Reactionen gleichfalls wieder von
einem Gehalte des Harnes an Nitrit her, von welchem Salze
obigen Angaben gemäss anzunehmen ist, dass es aus einem
schon im frischen^ Harn vorhandenen Nitrat entstanden sei.
Meine frühern Versuche haben gezeigt, dass alle in
Wasser gelösten salpetersauren Salze, diejenigen mit alkali-
schen Basen nicht ausgenommen, nicht nur durch Wasser-
stoff, Zink, Kadmium u. 8. w., sondern auch durch sehr ver-
schiedenartige organische Substanzen: Stärke, Eiweiss, Leim
u. 8. w. allmälig erst zu Nitriten reducirt und diese Salze
selbst wieder bei noch längerer Einwirkung der genannten
reducirenden Materien des Gänzlichen zerstört werden. Man
möchte desshalb geneigt sein zu vermuthen, dass die schon
im frischen Harn enthaltenen oxydirbaren Substanzen, z. B,
die Harnsäure und deren Salze, auf das in ihm vorhandene
Nitrat in der Weise einwirkten, dass sie es erst in Nitrit
verwandelten, später aber auch noch dieses Salz zerstörten.
Wie man sieht, würde durch eine solche Annahme dieThat-
sache erklärlich, dass der sich selbst überlassene Harn erst
die Fähigkeit erlangt, den angesäuerten Jodkaliumkleister
zu bläuen u. s. w., diese Eigenschaft aber nach einiger Zeit
122 Sitzung dar moih.-phys. Oosse vom 13. Februar 1864.
wieder verliert. Zu Gunsten einer solchen Erklärung Hesse
sich auch noch die Thatsache anfuhren, dass gelöstes Am*
moniaknitrat u. 8. w. mit Harnsäure oder deren Salzen einige
Zeit in Berührung gesetzt, nitrithaltig wird.
Es liegen jedoch einige Thatsachen vor, welche der
Vermuthung vollen Baum geben, dass der Hergang der Sache
nicht ganz so einfach sei und zu der besprochenen Nitrit-
bildung andere als die erwähnten Materien das Wesentlichste
beitragen. Bevor ich aber diese tatsächlichen Gründe näher
angebe, muss ich noch bemerken, dass der Harn, nachdem
er schon so nitrithaltig geworden ist, um den angesäuerten
Jodkaliumkleister augenblicklich auf das Tiefste bläuen zu
können, doch noch in einem ausgezeichneten Grade das Ver-
mögen besitzt, das Jodwasser oder die Jodstärke zu ent-
färben, Eigenschaften, welche sich gegenseitig auszuschliessen
scheinen, die aber beweisen, dass in einem solchen Harne
neben einer oxydirenden Materie (Nitrit) auch noch oxydir-
bare oder jodbindende Substanzen enthalten seien. Dieser
scheinbare Widerspruch löst sich jedoch ganz einfach durch
die oben erwähnte Thatsache au£ dass die Gegenwart einer
kräftigen Säure die Einwirkung des Jodes auf die Harnsäure
oder deren Salze stark hemmt, wesshalb in dem vorliegen-
den Falle daß Jod schneller ausgeschieden, als durch die
zuletzt genannten Säuren und Salze des Harnes wieder ge-
bunden wird, welcher Umstand, wie man leicht einsieht, die
Bläuung des Stärkekleisters möglich macht. Noch muss ich
beifügen, dass auch der Harn, welcher durch hinreichend
langes Stehen wieder nitritlos und alkalisch geworden ist,
immer noch in einem ausgezeichneten Grade das Vermögen
besitzt, das Jodwasser oder die Jodstärke zu entfärben, auch
nachdem die Flüssigkeit durch eine Säure vollkommen neu-
tralisirt worden ist, was beweist, dass die im frischen Harne
schon enthaltenen reducirenden Materien auch noch im alten
vorhanden sind.
8chfinbd*: Zur Kemümiu de* men$dd. Harnet. 128
Meinen Beobachtungen gemäss, und ich darf wohl sagen,
aber diesen Gegenstand Hunderte gemacht zu haben, zeigt
der Harn, so lange er noch röllig klar ist, niemals die
Nitritreactionen ; fängt er aber an, sich deutlich zu trüben,
so hat er auch die Fähigkeit erlangt, den angesäuerten Jod*
kafiumkleister, oder die durch Wasserstofischwefel entfärbte
Indigotinktur zu blauen, und ich will hier nicht unbemerkt
lassen, dass der Harn auf letzteres Reagens schon deutlichst
bläuend einwirkt, wenn er das erstere noch ungefärbt lässt,
woTon der Grund darin liegt, dass obigen Angaben gemäss
auch selbst bei Anwesenheit von Schwefelsäure die im Harn
enthaltenen reducirenden Materien doch immer noch, wenn
auch langsam bindend, auf freies Jod einwirken. Tritt nun
der Fall ein, dass nur sehr geringe Mengen Jodes aus dem
Jodkalium des Klosters entbunden werden, so treten die-
selben im Augenblicke ihres Freiwerdens sofort wieder in
den gebundenen Zustand, wesshalb sie auch den Kleister
nicht zu bläuen vermögen. Was aber die durch den Was-
serstofischwefel entfärbte Indigolösung betrifft, so bläut sie
sich gleich leicht, ob neben einem Nitrite auch noch Harn«
säure u. b. w. vorhanden sei oder nicht, wesshalb sie in
gegebenen Fällen ein noch viel empfindlicheres Reagens ist,
als selbst der Jodkaliumkleister.
Bald nachdem die Trübung des Harnes und die ihr auf
dem Fusse folgende Nitritbildung eingetreten ist, kommen,
falls die Flüssigkeit an der offenen Luft steht, auf deren
Oberfläche kleine Pünktchen zum Vorschein, welche allmälig
zu kreisrunden, grünlich aussehenden Scheiben anwachsend
im Laufe einiger Wochen den Urin völlig bedecken. Bringt
man solche nitritlose Harnpilze zu frisch gelassenem Harne,
so wird derselbe viel früher die Nitritreactionen zeigen, als
diees Portionen des gleichen Harnes thun, welche man für
sich allein unter sonst gleichen Umständen sich selbst über-
lässt. Mittelst der durch Wasserstoffschwefel entfärbten
1
124 Sitzung der maih.-p7*f$. Gaue vom 13. Januar 1864.
Indigotinktur fand ich, dase frischer Harn, nachdem er bei
gewöhnlicher Temperatur kaum eine Stunde lang mit Harn-
pilz in Berührung gestanden hatte, bereits deutliche Spuren
eines Nitrites enthielt, während der gleiche Harn erst nach
mehrstündigem Stehen den angesäuerten Jodkaliumkleister
zu bläuen vermochte. Unter dem Einflüsse besagter Pilze
wird auch das im Harn entstandene Nitrit ziemlich rasch
zerstört, wie daraus erhellt, dass verhältnissmässig wenig
frischer Harn mit viel Pilzmaterie bei 16—20° in Berühr-
ung gesetzt,, schon nach 36 — 48 Stunden die Nitritreaction
nicht mehr zeigt, während der sich selbst überlassene Harn
ungleich längere Zeit stehen muss, bis er völlig nitritlos
geworden ist.
Was die Materie betrifft, durch welche die freiwillige
Trübung sowohl des abgeschlossenen, als offen an der Luft
stehenden Harnes verursacht wird, so erweist sie sich unter
dem Mikroskop ihrer Hauptmasse nach als eine organisirte
Materie, d. h. als ein fadiger Pilz, häufig gemengt mit Pilz*
spuren und einigen Krystallen. Wie den auf der Oberfläche
des offen stehenden Harnes sich bildenden Pilzen, kommt
auch der besagten organisirten Materie in einem sehr merk-
lichen Grade das Vermögen zu, nach Art des Platins das
Wasserstoffsuperoxyd zu katalysiren, wie ich auch finde,
dass sie, dem frischen Harne beigemengt, die Nitritbildung
in demselben namhaft beschleunigt. Da meinen früheren
Versuchen gemäss die Fähigkeit, das Wasserstoffsuperoxyd
in Wasser und gewöhnlichen Sauerstoff umzusetzen, bei allen
uns bekannten Fermenten angetroffen wird, so darf man
sagen, dass die in und auf dem Harne sich bildenden Pilze
hefenartige Materien seien.
Man kann nun fragen, wie diese Organismen die Er*
zeugung und Zerstörung eines Nitrites im Harne zu bewerk-
stelligen vermögen. Es könnte diess auf zweierlei Art ge-
schehen: entweder in Folge des Vorganges der Bildung
Schönbein: Zur Kermnms des mensehl. Harnes. 126
besagter Organismen selbst, oder aber durch eine reducirende
Wirkung, welche das stoffliche Material der schon gebil-
deten Pilze auf das im Harn enthaltene Nitrat hervor*
brachte.
Da gegenwärtig viel die Rede ist von chemischen Wir-
kungen, deren nächste Ursache man in Bildungsvorgängen
thierischer oder pflanzlicher Organismen sucht und man
namentlich Gährungserscheinungen von einer solchen Ursache
ableitet, so kann ich nicht umhin, bei diesem Anlasse die
Bemerkung zu machen, dass mir die Richtigkeit dieser An-
nahme noch höchst zweifelhaft erscheint, wenn auch nicht
in Abrede zu stellen sein dürfte, dass mit manchen Zer-
setzungsvoigängen immer auch die Bildung gewisser Organis*
men zusammen gehe. Hieraus aber zu schliessen, dass eine
dieser Erscheinungen auch die unmittelbare Ursache der
andern sei, möchte doch eine allzu gewagte Folgerung sein ;
denn gar wohl lässt sich die Möglichkeit denken, dass die
einem Organisationsvorgange als solchem zugeschriebenen
Wirkungen von der diemischen Beschaffenheit des stofflichen
Materiales thierischer oder pflanzlicher Gebilde hervorge-
bracht werden und des Gänzlichen unabhängig wären von
den physiologischen Vorgängen, welche bei der Bildung sol-
cher Organismen stattfinden.
Auf den ersten Anblick möchte man vielleicht zu der
Annahme geneigt sein, dass auch die Bildung der besagten
Harnpilze als solche es sei, welche die Erzeugung und Zer-
störung des Nitrites im Harne zur unmittelbaren Folge habe
und dieselben somit die Wirkungen eines organischen Bil-
dungsvorganges wären. Es liegen jedoch Thatsachen vor,
gemäss welchen die fragliche Nitritbildung und Zerstörung
mit physiologischen Vorgängen unmittelbar nichts zu thun
hätten, d. h. als gewöhnliche chemische Wirkungen zu be-
trachten wären.
Lässt man nämlich verhältnissmässig kleine. Mengen
126 Sitzung der ma£h.-phy$. Ckme vom 13. Februar 1661.
einer verdünnten Lösung chemisch reinen Ammoniaknitrateg
mit Harnpilzen nur etwa fünf bis sechs Standen lang bei
gewöhnlicher Temperatur zusammen stehen, so wird die
Flüssigkeit bereits in deutlichster Weise die Nitritreactionen
zeigen: Bläuung der durch Wasserstoffschwefei entfärbten
Indigotinktur und diejenige 3es angesäuerten Jodkaliumklei»
sters, und ich will beifügen, dass unter den gleichen Um-
standen auch die übrigen Nitrate mit alkalischer Basis, z. B.
der Kalisalpeter, nitrithaltig werden. Es kann aber wohl
kein Zweifel darüber walten, dass in dem vorliegenden Falle
das salpetrigsaure Salz aus dem vorhandenen Nitrate da»
durch entstehe, dass einem Aequivalente desselben zwei
Aequivalente Sauerstoff entzogen werden, was nur durch die
oxydirbare Materie des Harnpilzes bewerkstelligt werden
kann. Auch ist offenbar, dass unter den erwähnten Um-
ständen nicht nur keine Pilzbildung stattfindet, sondern Pilz-
materie nothwendig zerstört werden muss.
Wie schon erwähnt, vermögen nach meinen früheren
Versuchen sehr verschiedenartige organische Materien mehr
oder minder rasch reducirend auf die Nitrate einzuwirken,
wesshalb es nicht auffallen kann, dass auch der Substanz
der Harnpilze dieses Vermögen zukomme; warum dieselbe
aber gegenüber den Nitraten kräftiger reducirend wirke, als
diess viele andere und namentlich die im frischen Harn
enthaltenen organischen Materien thun, wüsste ich eben so
wenig zu sagen, als es mir möglich ist, den Grund anzu-
geben, wesshalb das Zink ein oxy ehrbareres Metall ist, als
das Gold.
Da ich annehme, dass im frischen Harn ein Nitrat ent-
halten sei, so muss ich auch geneigt sein, dem reduciren-
den Vermögen der besagten Pilzmaterie die Umwandlung
dieses Salzes in Nitrit und die Zerstörung des letztern vor»
zugsweise zuzuschreiben, an welchen Wirkungen jedoch auch
noch andere im frischen Harne schon vorhandene organische
ScMkbtm: Zur Kenntms$ dm men$M. Hame$. 127
Materien, wie z. B. die harnsauren Salze einigen Theil haben
konnten, eine Möglichkeit, die aus der bereits erwähnten
Thatsache erhellt, dass gelöetes Ammoniaknitrat, nachdem
es einige Zeit mit harnsaurem Ammoniak zusammen gestan-
den, als nitrithaltig sich erweist.
Ob aber alles beim Stehen des Halmes zum Vorschein
kommende Nitrit aus dem ursprünglich in dieser Flüssigkeit
enthaltenen Nitrate hervorgehe, ist eine Frage, welche ich
weder im bejahenden, noch verneinenden Sinne zu beant-
worten wage; denn so lange wir die zahlreichen und allem
Anschein nach höchst verwickelten Vorgänge, welche bei der
sogenannten Harngährung stattfinden, noch so unvollkommen
kennen, als es dermalen der Fall ist, lässt sich Nichts mit
Sicherheit hierüber sagen und daher auch die Möglichkeit
sich denken, dass im Harn noch auf eine weitere, als die
Ton mir angenommene Weise Nitrit gebildet werde, was ich
jedoch nicht für sehr wahrscheinlich halte.
Ehe ich zur Besprechung anderer den Harn betreffen*
der Thatsachen übergehe, muss ich noch einiger Beobach-
tungen erwähnen, welche auf die spontane Nitritbildung die-
ser Flüssigkeit Bezug haben und nicht ohne theoretische
Bedeutung sein dürften. Meine oft und immer mit dem
gleichen Erfolge wiederholten Versuche haben dargethan,
dass in frisch gelassenem Harne , den man nur wenige Mi-
nuten hatte aufsieden lassen, die spontane Nitritbildung un-
gleich später eintritt, als in dem gleichen Harne, welcher
nicht erhitzt worden. Wenn z.B. vom gleichen Harne eine
Portion ohne vorausgegangene Erhitzung schon nach zwölf-
stündigem Stehen in einem geheizten Zimmer die Nitrit-
reactionen auf das Deutlichste zeigte, vermochte unter sonst
gleichen Umständen eine andere vorher bis zum Sieden
erhitzte Portion erst nach fünf oder sechs Tagen den ange-
säuerten Jodkaliumkleister zu bläuen u. s. w. Erwähnens-
werth dürfte hier noch der Umstand sein, dass durch eine
128 Sitzung der mafh.-phy$. Ckme wm 13. Februar 1864.
solche kurze Erhitzung die gelbe Färbung ctee Harnes etwas
tiefer wird, als sie es ursprünglich gewesen, was beweist,
dass irgend ein Harnbestandtheil eine chemische Veränderung
in der Siedhitze erleide.
Einen ähnlichen Einfluss übt das Wasserstoffsuperoxyd
auf den Harn aus, dessen freiwillige Trübung und Nitrit-
bildung schon durch verhältnissmässig kleine Mengen beige*
mischten HO« namhaft verlangsamt wird, wie daraus erhellt,
dass frisch gelassener Harn, dem nur 1 % WasBerstoffsuper«
oxydes beigefugt worden, volle zehn Tage stehen musste,
bevor er anfing, sich zu trüben und die Nitritreactionen zu
zeigen, während eine Portion desselben Harnes unter den
gleichen Umständen sich selbst überlassen, schon nach 15
Stunden trüb und nitrithaltig wurde. Ich will hier noch
beifügen9 dass auch die Trübung des HOs-haltig gemachten
Harnes von einer pilzartigen Materie herrührt, wie die Un*
tersuchung derselben unter dem Mikroskop zeigt, woraus
erhellt, dass wie bei dem gewöhnlichen, so auch bei dem
mit Wasserstoffsuperoxyd vermischten Harne die Bildung
der Pilze mit derjenigen eines Nitrites in engem Zusammen*
hange stehe, d. h. dass die Umstände, welche die Entwick-
lung der Organismen im Harne zurückhalten, auch die Er-
zeugung des erwähnten Salzes verlangsamen. Auf welche
Weise das Wasserstoffsuperoxyd oder die Erhitzung des
Harnes die Pilzbildung verzögert, weiss ich für jetzt noch
nicht zu sagen, doch ist mir schon so viel bekannt, dass
der Harn und das genannte Superoxyd in einer merkwür-
digen Beziehung zu einander stehen, wie eine nachstehende
Mittheilung diess umständlicher zeigen wird.
Noch habe ich einige den Harn betreffende Thatsachen
zu besprechen, welche mir ebenfalls der Beachtung werth
zu sein scheinen und auf das Verhalten dieser Flüssigkeit
gegen amalgamirte Zinkspähne und den atmosphärischen
Sauerstoff sich beziehen. Bekanntlich entsteht beim Schütteln der
Schökbem: Zm Kenntms$ de» memttM. Barne». 129
besagten MetaUspahne mit reinem Wasser und atmosphärischer
Luft rasch und in noch nachweisbaren Mengen Wasserstoff-
superoxyd , unter gleichzeitiger Bildung yon Zinkoxyd. Da
ich annehme, dass unter diesen Umständen 0 in © und d
gleichsam sich spalte, ersteres mit dem Wasser zu HO + 0
sich verbinde und 0 das Zink oxydire, so musste ich es für
möglich halten, dass dieses 6 zwischen dem Metalle und
einer etwa vorhandenen oxydirbaren Materie sich theile,
d. h. die letztere zugleich mit dem Zink oxydirt werde in
ähnlicher Weise, wie diess geschieht, wenn man durch In*
dagotinktur gefärbtes Wasser mit fein zertheiltem oder ge-
schmolzenem Phosphor und atmosphärischem Sauerstoff zu-
sammenschüttelt, unter welchen Umständen durch das hier*
bei auftretende Ozon nicht nur der Phosphor, sondern auch
das gelöste Indigoblau zu Isatin oxydirt wird, unter gleich*
zeitiger Bildung von HOt. Ich hielt es daher für möglich,
dass beim Schütteln der genannten MetaUspahne mit atmos-
phärischer Loft und Harn Oxydationswirkungen auf den einen
oder andern organischen Bestandteil dieser Flüssigkeit her-
vorgebracht und dadurch in ihr chemische Veränderungen
verursacht werden.
Frischer Harn von honiggelber Färbung, mit etwa dem
doppelten Gewicht amalgamirter Zinkspähne und atmosphäri-
scher Luft zusammengeschüttelt, entfärbte sich allmälig und
hatte man diese Operation längere Zeit fortgesetzt, so ver-
mochte der vom gebildeten Zinkoxyd abfiltrirte Harn nicht
mehr so viel Jodwasser zu entfärben, als diess der gleiche
Harn in seinem natürlichen Zustande that. Bei einem Ver-
suche betrug die Menge des Jodes, welche durch den mit
Zink behandelten Harn gebunden wurde, nur noch 2 Drittel
von derjenigen Menge, die der gleiche, aber unveränderte
Harn zum Verschwinden brachte, woraus erhellt, dass unter
den erwähnten Umständen ein Theil der in der thierischen
Flüssigkeit vorhandenen jodbindenden Substanzen durch Oxy-
130 Sitzung der maih.-phys. Glosse tom 13. Februar 1S64.
dation zerstört wurde. Ob durch eine derartige hinreichend
lang fortgesetzte Behandlung des Harnes ausser dem Farb-
stoff dieser Flüssigkeit auch noch die übrigen darin enthal-
tenen oxydirbaren Materien zerstört werden können, habe
ieh noch nicht ermittelt, eben so wenig als die chemische
Natur der aus ihrer Oxydation hervorgehenden Erzeugnisse;
eine Materie tritt jedoch unter den erwähnten Umständen
auf, über welche ich einige nähere Angaben machen kann.
Beim Schütteln frischen, so gut als geruchlosen und
etwas sauer reagireudeu Harnes mit amalgamirten Zmkspäh-
nen und atmosphärischer Luft kommt sofort ein eigentüm-
licher und für mich unangenehmer Geruch zum Vorschein,
an denjenigen erinnernd, welchen man nicht selten in schwa-
chem Grade am frischen normalen Harn wahrnimmt. Merk«
lieh stärker tritt der besagte Geruch auf, wenn der Harn
vor dem Schütteln mit dem Metalle durch SOs etwas ange-
säuert wird. Die unter diesen Umständen zum Vorschein
kommende riechende Materie besitzt folgende Eigenschaften*
1) Sie wird durch ozonisirten Sauerstoff, die Lösungen
der Permanganate und Hypochlorite, wie auch durch die in
Wasser zertheilten Superoxyde des Manganes, Bleies u.s. w.
augenblicklich zerstört. Ebenso durch Chlor, Brom und Jod,
welche selbstverständlich gebunden werden, wie diess z. B.
daraus erhellt, dass durch Jod gefärbter Stärkekleistor, wenn
der Einwirkung der riechenden Materie ausgesetzt, mehr
oder minder rasch entbläut wird, je nachdem dieselbe mehr
oder minder reichlich vorhanden ist.
2) Eine Anzahl farbloser Metallsalze wird durch die
riechende Materie gefärbt, so oder anders, je nach der Basis
des Salzes und der Dauer der Einwirkung des Riechstoffes.
Zu den empfindlichsten Reagentien dieser Art gehört das
Silbernitrat, welches im festen und gelösten Zustande erst
gebräunt und dann geschwärzt wird. Ein mit verdünnter
Silberlösung auf Papier geschriebener Buchstabe zeigt diese
Schönbein: Zur Kenntnis* des menschl. Harnes. 131
Farbenveränderung ziemlich rasch und ebenso die mittelst
Blei Salzlösungen hervorgebrachte Schrift. Die Kadmium-
und Antimonoxydsulze werden durch die riechende Materie,
die ersteren gelb und die letzteren rothbraun gefärbt, welche
Beactionen am Bequemsten erhalten werden mittelst Papier-
streifen, die mit den Lösungen der genannten Salze be-
schrieben sind. Damit diese Färbungen jedoch recht augen-
fällig und etwas rasch auftreten, ist nöthig, dass die rie-
chende Materie möglichst reichlich in einem Uefasse entwickelt
worden sei, was, wie weiter unten angegeben wird, leicht
bewerkstelligt werden kann.
3) Alle gelösten Alkalien bringen die riechende Materie
augenblicklich zum Verschwinden, was jedoch nicht auf deren
Zerstörung, sondern Bindung beruht, wie daraus hervorgeht,
dass sie beim Uebersäuern dieser Alkalien wieder zum Vor-
schein kommt. Damit hängt auch die Thatsache zusammen,
dass der durch £0, NaO u. s. w. alkalisch gemachte Harn
mit amalgamirten Zinkspähnen geschüttelt, den fraglichen
Geruch nicht einmal spurweise entwickelt ; wird aber der so
behandelte Harn übersäuert, so tritt die riechende Materie
sofort auf, wie diess der ihr eigenthüinliche Geruch und die
erwähnten empfindlichem Reagenspapiere zeigen.
Aus den voranstehenden Angaben ersieht man, dass die
in Bede stehende Materie eine flüchtige, leicht oxydirbare,
mit Alkalien verbindbare, somit säureartige Substanz sei
und gegen die erwähnten Metallsalze wie Schwefelwasserstoff
sich verhalte, wesshalb es wohl auch keinem Zweifel unter-
worfen sein kann, dass die riechende Substanz eine schwe-
felhaltige Verbindung sei.
Durch rasches Eindampfen verliert der Harn seine
Fähigkeit nicht, unter den erwähnten Umständen die rie-
chende Materie zu erzeugen ; er entbindet sie im Gegentheil
.um so reichlicher, je stärker er auf diese Weise concentrirt
worden. Harn auf den zehnten Theil seines ursprünglichen
[1864.1.2.] 10
132 Sitstmg der matk-phys. C&assc tum 1$. Februar 1864.
Raumes eingedampft und mit 80i angesäuert, entwickelt
beim Schütteln mit amalgamirten Zinbßpähnen u. s. w. so
viel der riechenden Materie, dass selbst mit Brechweinstem-
oder einer Kadmiumsalzlösung getränkte Papierstreifen ziem-
lich rasch dadurch gefärbt werden.
Welcher Harnbestandtheil zur Bildung der besprochenen
Materie beitrage, weiss ich nicht anzugeben, jedenfalls haben
aber die im Harn enthaltenen Sulfate nichts damit zuthun,
wie sich daraus abnehmen läset, dass derselbe, auch wenn
er völlig von den besagten Salzen mittelst Chlorbariums
befreit worden, wie gewöhnlicher Harn sich verhält.
Weitere Untersuchungen werden sowohl über die Zu-
sammensetzung, als auch den Ursprung der fragliehen Schwe-
felverbindung Aufschluss geben ; anderweitiger Arbeiten halber,
tue alle meine freie Zeit in Anspruch nehmen, ist es aber
mir selbst nicht möglich, den Gegenstand weiter zu verfol-
gen, wesshalb ich wünschen möchte, dass ihn ein anderer
Chemiker aufnähme, der damit freilich keine sehr leichte
Untersuchung tibernehmen würde.
Schliesslich sei noch bemerkt, dass in den beiden fol-
genden Abschnitten von einigen Bestandteilen des Harnes
die Bede sein wird, welche bis jetzt noch nicht erwähnt
worden sind«
4) Üeber die Bildung einer fluorescirenden Materie
beim Faulen des menschlichen Harnes.
Lässt man Harn offen an der Luft so lange stehen,
bis er wieder nitritlos geworden ist und auf seiner Ober-
fläche eine dicke Pilzschichte sich gebildet hat, wozu je nach
der obwaltenden Temperatur kürzere oder längere Zeiten,
jedenfalls Wochen erforderlich sind, so wird die abfiltrirte
alkalisch reagirende Flüssigkeit eine merklich starke Fluores-
cenz von smaragdgrünem licht zeigen, ohne dass zur Wahr-
Bckömbefa: Xtimmemm A» fmienitm Hamm. 188
aehmung desselben irgend ein künstliche» Mittel erforderlich
wäre. Da meine Aufmerksamkeit noch nicht lange auf die*
sen Gegenstand gerichtet ist, so vermag ich jetzt auch noch
nickt su sagen, ob jeder Harn durch fcäulniss fluorescirend
werde und eben so wenig ist es mir möglich, über die che-
mische Natur der Materie irgend etwas anzugeben , welcher
diese optische Eigenschaft zukommt. Was den ersten Punkt
betrifft, so habe ich zu wiederholten Malen einen solchen
Harn erhalten, wobei ich bemerken will, dass derselbe
immer alkalisch reagirte, also schon ammoniakhaltig gewor-
den war.
Geringe Mengen der stärkeren unorganischen und or-
ganischen Säuren, Schwefelsäure u. s.w., Weinsäure u.b. w.,
einem derartigen Harne beigemischt, heben dessen Fluores-
cenz sofort auf, welche jedoch durch Alkalien wieder her-
vorgerufen werden kann, woraus erhellt, dass die fluores-
rirende Harnmaterie wie das Aescuün sich verhält und
desswegen gleich diesem einen Gegensatz zu dem Ghininsul-
fate bildet, dessen Fluorescenz bekanntlich durch die gleichen
Sauren noch gesteigert wird, von denen jedoch die Wasser»
stofeäuren des Chlores, Bromes und Jodes eine Ausnahme
machen, welche das Vermögen des gelösten Chininsalses, zu
äuoresciren, beinahe bis zur Vernichtung abschwächen. Es
wäre wohl der Mühe eines Chemikers werth> die beim Fau-
len des Harnes sich bildende fluoreseirende Materie wo
möglich rein darzustellen und deren Zusammensetzung zu
ermitteln, wobei es sich herausstellen dürfte, dass sie eine
dem Aesculin ähnliche Basis sei1)
2) Mir vorbehaltend, später wieder auf diesen Gegenstand zu-
ruckzukommen, will ich vorläufig bemerken, dass schon der frische
Harn schwach fluorescirt und eine verdünnte Eiweisslösung durch
Hageres Stehen an der Luft diese optische Eigenschaft in ziemlich
Zobern Grade erlangt
134 SiUtmg der math.-phys. Glosse vom IB. Februar 1864.
6) Ueber das Vorkommen des Wasserstoffsaper*
oxydes im menschlichen Körper.
Von der Annahme ausgehend, dass die durch den at-
mosphärischen Sauerstoff im lebenden Thierkörper verur-
sachten Oxydationswirkungen ebenso zu Stande kommen,
wie diejenigen, welche unter Beihilfe des Wassers der gleiche
Sauerstoff ausserhalb des Organismus bei gewöhnlicher Temr
peratur auf unorganische und organische Materien hervor-
bringt, habe ich, wie diess in meiner Abhandlung „Ueber
das Verhalten des Blutes zum Sauerstoff ' unlängst erwähnt
worden, schon lange mich bemüht, Ozon und Wasserstoff-
superoxyd im menschlichen Körper aufzufinden, ohne dass
jnir diess bis jetzt gelungen wäre. Es sind aber auch in
der erwähnten Arbeit die Gründe angegeben, wesshalb im
Blute weder 0 noch HO» als solche bestehen können, selbst
wenn sie in dieser thierischen Flüssigkeit wirklich auftreten
sollten. y
m
Da es eine Anzähl sonst leicht oxydirbarer Substanzen
triebt, neben welchen das Wasserstoffsuperoxyd längere Zeit
nnzersetzt zu bestehen vermag, wie uns hievon die Pyro-
gallussäure ein auffallendes Beispiel liefert, so hoffte ich, in
solchen thierischen Flüssigkeiten, deren sämmtliche organische
Bestandteile gegen HOs so gut als völlig gleichgiltig sich
▼erhalten, das besagte Superoxyd auffinden zu können.
Würde nämlich diese Sauerstoffverbindung auch nur in sehr
geringen Mengen irgendwo im Thierkörper angetroffen wer-
den, so lieferte nach meinem Dafürhalten ein solches Vor-
kommen den tatsächlichen Beweis, dass meiner Annahme
gemäss die durch den atmosphärischen Sauerstoff im leben-
den Organismus hervorgebrachten Oxydationswirkungen ge-
nau so wie diejenigen ausserhalb des Körpers stattfinden,
d. h. dass jenen wie diesen diejenige Zustandsveränderung
des neutralen Sauerstoffes vorausgienge, welche ich die che-
Sckönbein: Wa&erstoffsuperoccyd im> mentchl Körper. 185
röche Polarisation dieses Elementes. zu nennen pflege. Es
würde mit ändern Worten aus einem solchen Vorkommen
des Wasserstoffsuperoxydes geschlossen werden dürfen, das*
die im Organismus stattfindenden Oxydationsvorgänge an
dieselben Bedingungen geknüpft seien, unter welchen die als
typisch zu betrachtende langsame Verbrennung des Phos«
phors in wasserhaltiger Luft schon bei gewöhnlicher Tem-
peratur zn Stande kommt, bei welcher' bekanntlich neben
dem Ozon auch immer das ihm complementäre © im Was«
serstoffsuperoxyd auftritt.
Wenn nun nach meinen früheren Versuchen das Blut
Materien enthält, neben welchen weder das Ozon, noch
auch das Wasserstoffsuperoxyd bestehen kann, so ist diese
anders mit dem menschlichen Harne, dessen hauptsächlichste
organische Bestandteile: der Harnstoff und die Harnsäure
oder der Salze gegen HOi gleiohgiltig sich verhalten, wie
ich mich hiervon durch Versuche mit diesen Substanzen zur
Genüge überzeugt habe. Gelangten daher von irgend wohetf
m den Harn auch nur kleine Mengen von Wasserstoffsuper-
oxyd, so würde diese Verbindung nicht wie im Blute (durch
die Blutkörperchen) sofort wieder zerstört , sondern neben
den organischen Harnbestandtheilen fortbestehen und somit
auch durch die geeigneten Mittel nachgewiesen werden
können. <
Eines der allerempfindlichsten Reagentien auf HOt ist
sicherlich der Jodkaliumkleister in Verbindung mit einem
gedösten Eisenoxy dulsalze , wodurch sich noch ein Milliontel
Buperoxydes im reinen Wasser mit Sicherheit erkennen lässt^
wie man aber leicht einsieht, kann es trotz dieser sogrossen
Empfindlichkeit doch nicht dazu dienen, die Anwesenheit
van HOt auch im Harne nachzuweisen, falls in demselben
nur kleine Mengen Superozydes vorkommen sollten. Ei
würde die kleine durch HOt ausgeschiedene Menge Jodes
durch die gleichseitig im Harne vorhandene Harnsäure,
186 SUmmg der mrtkrpkgg. Ckmmm IS. Februar 189L
deren Salze und das Hampigment sofort wieder gebunden
«od daher der Kleister nicht gebläut werden können. Max
kann sogar dem frischem Harne noch merkliehe Mengen
verdünnten Wasserataffisuperoxydes beifügen, ohne daas ein
solches mit Jodkalnunkleister vermengtes Gemisch beim Zu-
fügen verdünnter Eisenvitriollösung im Mindesten sich bläuete,
wobei es jedoch von selbst sich versteht, dass eine Bläuung
eintritt, felis dem Harn ehe hinreichend grosse Menge Was»
serstoffsuperoxyd beigemischt worden.
Vor einiger Zeit habe ich ausser dem Jodkaliumkleister
noch einige andere höchst empfindliche Reagentien auf HOt
keimen gelernt , welche theils auf reducirenden , theils aaf
ezydirenden Wirkungen dieses Superoxydes beruhen and
wobei intensive Farben entweder auftreten oder verschwin-
den. Ein Reagens der letzteren Art ist die Indigotinktur,
auf welche stark verdünntes Wasserstoffsuperoxyd höchst
langsam entblfiuend einwirkt, diess aber unter Mitwirkung
kleiner Mengen einer Eisenoxydulsalzlösung ziemlich rasch
thut. Enthält Wasser z.B. nur ein Hnnderttausendtel HO*
und wird diese Flüssigkeit durch die besagte Tinktur deut-
lichst gebläut, so erscheint noch nach Stunden die Färbung
des Gemisches unverändert; fügt man ihm aber nur wenige
Tropfen verdünnter Eisenvitriollösung zu, so entbläut es
sich in kurzer Zeit vollständigst und auf diese Weise läset
sich im Wasser noch ein Halbmilliontel HOt entdecken.
Wie schon in einer voranstehenden Mittheilung ange«
geben worden, ist die durch Wasserstoflschwefel enthäute
Indigatinktur in Verbindung mit einer Eisenoxydulsabdösung
ein anderes höchst empfindliches Reagens auf das Wasser-
stoffsuperoxyd und eben die beiden letztgenannten Mittel
sind es, deren ich mich bei meinen Untersuchungen des
Harnes auf einen etwaigen behalt desselben an HO« be-
diente, nachdem ich mich vorher durch zahlreiche Versuche
vergewissert hatte, dass mit den besagten Reagentien seihet
Sckönbein: W<u$enkff$uptroayd im m$n$cKL Körper. 137
iosBerst kleine, dem Ham absichtlich beigemischte Mengen
Ton HOt noch deutlichst sich nachweisen liessen und somit
erwiesen war, dass die im Harne vorhandenen oxydirbaren
Bestandtheile keinen hemmenden Einfluss auf diese so cha-
raofceristischen Reactionen des Wasserstof&uperoxydes aus*
üben.
Tröpfelt man zu etwa 200 Grammen frisch gelassenem
Harnes so viel Indigolösung, dass das Gemisch eine deutlich
grüne Färbung zeigt und theilt man nun dasselbe in zwei
gleiche Hälften, zu einer derselben 15 — 20 Tropfen verdünn-
ter Eisenvitriollösung fügend, so wird diese Harnportion
bald heller grün oder bräunlichgelb erscheinen , welche Far»
benveränderung selbstverständlich von einer theilweisen oder
gänzlichen Zerstörung der Indigotinktur herrührt, während
dagegen die eisensalzfreie Hälfte ihre anfangliche grüne Fär*
bong noch immer zeigt. Lässt man in 30 — 40 Gramme
frischen Harnes 8—12 Tropfen durch Wasserstoffschwefel
genau entfärbter Indigetinktur fallen, so wird das Gemisch
anfangs sich nicht bläuen, diess aber beim Zufügen einiger
Tropfen Eisenvitriollösung sofort thun.
Aus den voranstehenden Angaben ersieht man, dasa
diese beiden Reactionen des Harnes: Zerstörung der Indigo*
tmktur und Bläuung der gleichen durch Wasserstoffschwefel
entfärbten Lösung unter Mitwirkung eines Eisenoxydulsalzea
bewerkstelligt, Oxydationswirkungen sind, welche das Wasser*
stofsuperoxyd kennzeichnen, wesshalb ich auch geneigt bin
anzunehmen, dasa im Harne, wenn auch nur äusserst kleine»
doch noch nachweisbare Mengen dieses Superoxydes ent-
halten seien. Um jedoch über die Richtigkeit dieser An*
nähme keinen Zweifel übrig zu lassen, habe ich mich be-
müht, noch weitere thatsächliche Gründe dafür aufzufinden
und wie ich glanbe, sind nachstehende Angaben als solche
zu betrachten.
Bekanntlich wird HO« durch $Ot sofort zu Wasser
1 38 Sittung der math.-phys. Clane wm 13. Februar 16641
reducirt und wenn nun die rorhin erwähnten Reactionen de»
Harnes von kleinen in ihm enthaltenen Mengen Wasserstoff-
superoxydes herrühren, so wird derselbe, mit entsprechend
kleinen Quantitäten SO« vermischt, besagte Wirkungen nicht
mehr hervorbringen können, was in der That auch der Fall
ist. Zu einem gleichen Behufe habe ich mir eine Flüssig«
keit künstlich bereitet, welche die vorhin genannten Harn-
reactionen auf das Genaueste nachahmt und in der nur
äusserst geringe Mengen Wasserstoffsuperoxydes enthalten
sind. Hat man reinstes Wasser auch nur wenige Sekunden
lang mit amalgamirten Zinkspahnen und atmosphärischer Luft
zusammengeschüttelt, so enthält dasselbe schon so viel HOt,
um entweder den Jodkaliumkleister, oder die durch Wasser-
stoffschwefel entfärbte Indigotinktur beim Zufügen einiger
Tropfen Eisenvitriollosung augenblicklich auf das Deutlichste
bläuen zu können. Ebenso wird ein in der erwähnten Weifte
erhaltenes HOt -haltiges und durch Indigolösung noch deut-
lich gebläutes Wasser unter Mitwirkung der Eisenvitriol-
lösung in kurzer Zeit entfärbt. Vermengt man so oder auf
irgend eine andere Weise bereitetes höchst verdünntes Was*
aerstoffsuperoxyd mit einer hinreichend grossen Menge ge-
lösten hamsauren Kali's oder Natron's, so ist das Gemisch
nicht mehr fähig, unter Beihilfe eines Eisenoxydulsalzes den
Jodkaliumkleister zu bläuen (der Anwesenheit des harnsauren
Salzes halber), wohl aber zeigt dasselbe das Vermögen, wie
der Harn Jodstärke oder Jodwasser zu entfärben. Das
gleiche Gemisch vermag jedoch unter Mitwirkung der Eisen-
vitriollösung sowohl das gelöste Indigoblau zu zerstören, als
auch die durch den Wasserstoffschwefel entfärbte Indigo-
tinktur zu bläuen und kaum wird es der Angabe bedürfen,
dass die schweflige Säure besagtem künstlichem Gemisch
die Fähigkeit entziehe, die besagten Reactionen zu verur-
sachen.
Diese vollkommene Uebereinstimmung der Wirkungs-
ScMntef*: WamergtofflBHperoayd im mmuM. Körper. l'M
weise des Harnes mit derjenigen des künstlichen Gemisches
beruht nach meinem Dafürhalten auf der gleichen UrBache
and da es keinem Zweifel unterworfen sein kann, dass es
das Wasserstoffsuperoxyd des besagten Gemisches sei, durch
welches die beiden Arten von Indigotinktur, die eine enfr*
bläst, die andere gebläut wird, so lässt sich wohl nicht
daran zweifeln, dass auch der frische Harn die gleichen
Beactionen vermöge seines HOi-Gehaltes hervorbringe.
Der Umstand, dass dieser Gehalt nur ein sehr kleiner
ist, benimmt, wie mir scheint, der Thatsache nichts von
ihrer theoretischen Bedeutung ; denn offenbar handelt es sich
hier mehr um das „Wasu, als um das „Wieviel", weil das
Vorkommen des Wasserstoffsuperoxydes im Thierkörper für
sich allem schon den tbatsachlichen Beweis liefern würde,
dass den im Organismus stattfindenden und scheinbar durch
den neutralen atmosphärischen Sauerstoff bewerkstelligten
Oxydationen Zustandsverändftrungen vorausgehen, vollkom-r
men gleich denen, welche wir in so vielen andern Fällen
langsamer Verbrennung an dem gleichen Elemente Plaüf
greifen sehen. Es darf daher, wie ich glaube, das erwähnte
Vorkommen des Wasserstoffsuperoxydes als eine Thatsache
betrachtet werden, welche für die Theorie der thierischefy
Respiration von Bedeutung ist und die ich desshalb auch
der besondern Aufmerksamkeit der Physiologen empfehlen
möchte.
In einer der voranstehenden Abhandlungen „Ein Bei-
trag zur nähern Kenntniss des Harnes" ist die Thatsache
erwähnt , dass HOi , frisch gelassenem Haine beigemischt,
die Trübung und die immer- damit beginnende Nitritbildung
dieser Flüssigkeit verzögere und ich will nachträglich noch
beifügen, dass nach meinen Versuchen diese Veränderungen
des Harnes um so später eintreten, je mehr ihm anfänglich
Wasserstoffsuperoxyd beigemischt worden. Ebenso wurde
in der besagten Mittheilung bemerkt, dass Harn, von der
140 Siünmg der natk.-fky*. Omm wom 13. FArwur 18U.
gleichen Person zu verschiedeneu Zeiten gelassen, unter sonst
gleichen Umstanden verschieden lange Zeiten erfordere, am
trabe and nitrithaltig zu werden. Da nun meinen Beobach-
tungen zufolge der zu verschiedenen Zeiten gelassene Harn
die oben erwähnten, das Wasserstoffsuperoxyd kennzeich«
senden Reacfcionen nicht immer gleich stark hervorbringt,
so darf man wohl hieraas schliessen, dass auch der Gehalt
dieser Flüssigkeit an HO* veränderlich, bald grösser, bald
kleiner sei* Auf welche Weise besagtes Superoxjd die Trü-
bung und Nitritbildung auch immer verzögern mag, so er-
klart sich jedenfalls aus einem solchen Einflasse ziemlich
einfach die Thatsache, dass der zu verschiedenen Zeiten
abgesonderte Harn unter sonst gleichen Umständen verschie-
den lange Zeiten zu seiner Trübung und spontanen Nitrit*
bildung braucht.
Meine Untersuchungen haben ferner gezeigt, dass das
dem Harne absichtlich beigemischte HOs alltnälig sich ver-
mindert und völlig verschwunden ist, sobald die Flüssigkeit
anfingt sich zu trüben und nitrithaltig zu werden, welches
Verhalten auch der natürliche Harn zeigt.
Aus den Angaben dieser und einer voranstehenden Ab-
handlung erhellt nun, dass die hauptsächlichsten bis jetzt
erkannten Veränderungen, welche der Harn während seiner
sogenannten Gährung erleidet, die folgenden sind:
1) Verschwinden seines Gehaltes an Wasserstoffsuper-
oxyd, was ohne Zweifel die Oxydation irgend eines andern
Harnbestandtheiles zur Folge hat.
2) Auftreten pilzartiger Materien, welche sofort redu-
cirend auf das im Harn enthaltene Nitrat einwirken, das*
selbe erst in Nitrit verwandelnd und dann auch dieses Salz
völlig zerstörend, wodurch selbstverständlich auch die redu-
cirenden Pilzmaterien eine chemische Veränderung erleiden
Jbty.' Ueber Awdshmwj 4* TTeMer*. 141
S) Umsetzung des Harnstotfes in kohlensaures Am*
moni&k unter Aufnahme von Wasser und Bildung einer
ftsoreseirenden Materie.
Es ist für midi jedoch keinem Zweifel unterworfen,
dass wahrend der Harngährung noch viele andere chemische
Vorgänge stattfinden, von welchen wir bis jetzt Nichts
Zum Schlüsse dieser Mittheihing nur noch eine kurze
Bemerkung, die ich nicht unterdrücken möchte. Man wird
ee vielleicht für eine Uebertreibung halten, wenn ich vom
Harne zu behaupten wage, dass in ihm eine ganze chemische
Welt eingeschlossen sei. Unorganische und organische Ma-
terien sind darin in der mannigfaltigsten Wechselwirkung
begriffen, finden Bildungen und Wiederzerstörungen organi-
scher Wesen statt und spielen überhaupt in dieser wunder-
baren Flüssigkeit chemische, physikalische und physiologische
Thätigkeiten so bunt durcheinander, dass es nach meinem
Dafürhalten kaum ein anderes thierisches Secret geben dürfte,
welches einen so reichen Stoff der Forschung darböte, als
diesB der menschliche Harn thut» Schon seit geraumer Zeit
mit diesem, Gegenstand beinahe täglich beschäftigt, dürfte
ich wohl berechtigt sein, dessen Bedeutung aufs Neue her*
Torauheben und der Ansicht Ausdruck zu geben, dass wir
?on einer erschöpfenden Kenntniss des Harnes und seiner
freiwilligen Veränderungen noch weit entfernt seien.
Herr Jolly hält einen Vortrag:
1) Ueber die Ausdehnung des Wassers von
30° C. bis 100° C.
Die Volumanaaderungen des Wassers durch die Warme
sind seit Hallström wiederholt Gegenstand exacter einen*
142 Sitzung der math.-phgs. CUme vom 13. Februar 1864.
meoteller Untersachimg geworden. Innerhalb der Tetnpera-
tursoh wankungen, wie sie unsere Atmosphäre bietet, sind die
Resultate, welche verschiedene Forseher erhalten haben, so
genau übereinstimmend, dass voraussichtlich durch eine Wieder-
holung der Messungen, auch unter Benützung all der Hilfe«
mittel, welche heutigen Tages die Technik bietet, eine wei-
ter reichende Genauigkeit nicht zu erreichen ist. Die Dif-
ferenzen fallen in die 5. Decimale, und die noch auftreten-
den Differenzen sind durch unvermeidliche Fehlerquellen
bedingt. Sollten Probleme auftauchen, zu deren Lösung
eine noch weiter reichende Genauigkeit erforderlich wäre,
so würde nur durch Vervielfältigung der. Messungen der
richtigere Mittelwerth zu gewinnen sein. Indess liegt hier«
nach dermalen ein Bedürfhiss nicht vor*
Für Temperaturen über 30° C. werden die Abwei*
drangen schon beträchtlicher, und für Temperaturen über
50° G. gehen die Abweichungen nahe bis auf eine Einheit
in der 3. Decimale. Specifisohe Gewichte von Flüssigkeiten,
bezogen auf Wasser von gleicher Temperatur, können daher
m diesen höheren Temperaturen noch nicht in 4er 3. Dect«
male als verlässig betrachtet werden. Eine Experimental*
Untersuchung über einige physikalische Eigenschaften der
Salzlösungen in höheren Temperaturen erforderte eine weiter
reichende Genauigkeit in der Bestimmung der speciöschen
Gewichte, und wurde hiermit Veranlassung zur Wiederholung
der Messungen über die Volumenänderungen des Wassers
in eben diesen höheren Temperaturen.
Zwei Wege bieten sich zu solchen Messungen dar. Man
kann die Aenderungen der Volumina aus den Gewichten
ableiten, welche Glaafläschchen von bekanntem Inhalt, ge-
füllt mit Wasser verschiedener Temperaturen, fassen, wie
Gay-Lussac es vorschlug und zur Bestimmung des specifischen
Gewichtes des Weingeistes anwendete , oder man kann un-
mittelbar voluminometrisch, messen, d. h. die scheinbaren
/aöy: Ueber Ausdehnung des Wtners. 148
Volumenänderungen au Grund legen, welche an einem ther-
mometerähnlichen Instrumente, nach Kopp einem Dilator-
meter, beobachtet weiden. Beide Wege wurden einge-
schlagen.
Die Messungen mit Glasfläschchen wurden schon im
vergangenen Winter durch Herrn Henrici aus Eberbach
(Mitglied des math. -phys. Seminars) mit grösster Umsicht
durchgeführt. Es wurden Gläser angewendet von beiläufig
30 CG. Inhalt. Der Hals der Gläser war in eine feine
Spitze ausgezogen. Auf den. Hals war eine Glaskappe auf-
geschliffen, und ebenso passte auf den Hals eine aufgeschlif-
fene, oben offene, weitere Glasröhre. *) Die Gläschen wur-
den mit destillirtem Wasser gelullt, die aufgeschliffenen
Glasröhren wurden aufgesetzt, ebenfalls mit Wasser gefüllt,
und durch anhaltendes Kochen, schliesslich unter der Glocke der
Luftpumpe, wurde das Wasser luftfrei erhalten. Die Gläs-
chen wurden hierauf zunächst in gestossenes Eis gestellt.
War nach etwa zweistündigem Stehen die Temperatur 0°
mit Sicherheit erzielt, so wurden die Bohren abgezogen, der
Hals getrocknet und die Glaskappen aufgesetzt Die Wä-
gnngen ergaben das Gewicht des Wassers, welches die
Fläechchen, bis zur Spitze gefüllt, bei Null fassen. Das
Verfahren blieb das ähnliche für Füllungen bei anderen
Temperaturen. Die Glasröhren wurden wieder aufgesetzt,
mit ausgekochtem Wasser gefüllt, und sämmtliche Gläschen
wurden in ein grösseres Wasserbad, bestehend aus zwei
concentrischen Gelassen , von denen das äussere beiläufig
zwei, das innere einen Kubikfuss Wasser fasste, gebracht.
Durch Bewegung eines Bührers war für Gleichförmigkeit
1) Der gleiche Apparat wurde von Herrn C. v. Neumann zur
Bestimmung des Maximums der Dichtigkeit des Meerwassers benützt,.
und in seiner Inauguraldissertation, München 1861, beschrieben und
abgebildet
144 SiUung der math.~phy*. Ckteee vom 13. Februar 1864.
der Temperatur in allen Schichten gesorgt. Die Tempera-
turerhöhungen wurden durch Anwendung von Gasflammen
bewirkt Je nach der Zahl und Grösse der Flammen konn-
ten höhere Temperaturen unveränderlich auf die Dauer von
10 bis 15 Minuten erhalten werden. Mit einem Stechheber
wurde das über den Spitzen der Fläschohen stehende Was-
ser weggenommen , und hierauf wurden gemeinsam und
gleichzeitig alle Flaschchen« aus dem Bad genommen. Es
war nun nur noch übrig, die Bohren abzuziehen, den Hals
zu trocknen und die Glaskappen aufzusetzen. Die Wägungen
ergaben dann das Gewicht, welches die Flaschchen, gefällt
mit Wasser Von bekannter Temperatur, fassen.
Unter Anwendung dieses Verfahrens hängt die erreich-
bare Genauigkeit von dreierlei ab. Nämlich von der Schärfe,
mit welcher Gewichtsbestimmungen gemacht werden können,
dann von der Schärfe der thermometrischen Bestimmungen
und endlich von der Genauigkeit, mit welcher der Ausdeh*
nungßcoefficient der zu den Flaschchen benutzten Glassorten
ermittelt wurde. Gewiss ist auch die Technik des Verfah-
rens von Einfluss; da aber die Füllung bis zur Spitze mit
grosser Sicherheit erreicht wird und da ein Verlust durch
Verdampfen nicht eintreten kann, so treten die Fehlerquel-
len, welche mit der Technik des Verfahrens verbunden
sind , weit gegen die Fehlerquellen der Wägungen und na-
mentlich der thermometrischen Bestimmungen zurück.
Die Wage war vielfach geprüft; sie hat eine Empfind-
lichkeit der Art, dass sie noch bei 100 Grm. Belastung und
einem Uebergewicht von */*<> Mgnn. einen deutlichen Aus-
schlag giebt. Die grösste Sorgfalt ist bekanntlich bei Wä-
gungen auf die Gleichheit der Temperatur des zu wägenden
Körpers mit der Temperatur der Wage zu richten. Ein
Unterschied von nur wenigen Graden macht sich bemerk-
bar. Die Temperaturerhöhung, welche Glas durch Ab*
scheuern mit trockenem Fliesspapier erreicht, genügt,
JöBy: üsber Äusdehmmg des Wassers. 146
scheinbare Gewichtsänderung von ein oder mehreren
Müligrainmen zu erzeugen. Immer bemerkt man, dass der
wärmere Körper scheinbar leichter, and der kältere Körper
tdieinbar schwerer ist Erst wenn der Körper zur Tem-
peratur der Wage zurückgekehrt ist, erhält man das ur-
■primgliche Gewicht wieder. Eine Elektricitätserregung durch
Reibung ist — wie man diess vermuthungsweise aussprach
— sicher nicht die Ursache dieser Erscheinung. Denn er-
wärmte Metalle zeigen ganz dieselbe Erscheinung. Die, je
nach dem Sinne der Temperaturdifferenz, auf- oder abwärts
eintretenden Lnftströme scheinen dagegen bei empfindlicheren
Wagen genügend die scheinbaren Gewichtsdifferenzen zu
erzeugen.
Die Reduction der Gewichte auf den luftleeren Raum
wurde in bekannter Weise ausgeführt. Doch ist ausdrück-
lich hinzuzufügen, dass nicht allein die durch den zu wägen-
den Körper verdrängte Luft, sondern auch die durch die
Gewichtsstücke verdrängte Luft ztr berücksichtigen ist« Das
specifische Gewicht der Gewichtsstücke war 8,4. Der Ge-
wichtsverlust von p. Grm. Wasser ist daher nach der
Formel
p. 0,001293 . ^ • 2 + 0^8666 t (l - £)
zu berechnen, in welcher b den Barometerstand und t die
Temperatur der Wage bezeichnet. Da die Temperatur des
Wagenzünmers während aller Wägungen nahe bei Null oder
nur wenige Grade über Null stand, und da überdiess das
Zimmer trocken gelegen, auch die Luft in der Wage künst-
lich trocken erhalten wurde, so konnte der Einfluss der
Wasserdämpfe auf den Barometerstand unbeachtet bleiben«
Unter Beachtung der bezeichneten Vorsichtsmassregeln
finde ich, dass die unvermeidlichen Fehlerquellen bei Wä-
gungen von Glaqgeßssan den Betrag von ± 0,0002 Grm.
nicht überschreiten.
146 Sittmg der math.-phya. CUuse vom 13. Februar 1864.
•
Die thermometrischen Bestimmungen bieten grössere
Schwierigkeiten dar. Ich hatte Thermometer von Geis$ler
in Bonn, von Fastre in Paris, und hatte Thermometer mit
willkürlicher Theilung, die ich hier von Greiner anfertigen
liess, und zu welchen ich Bohren aussuchte, welche auf ge-
nügende Länge sich von gleichförmigem Kaliber zeigten.
Sämmtliche Instrumente gaben Zehntel Gelsius'scher Grade
in solcher Grösse, dass mit einem Steinheil'schen Ableser
noch ganz scharf Vioo ° beobachtet weisen konnte. Aber
in den Temperaturen über 50 ° beschränkt sich die Ueber-
einstimmung der Instrumente nur auf Zehntel der Grade.
loh will hier nicht darauf eingehen, in wie weit die
beobachteten Abweichungen von kleinen Ungleichheiten im
Kaliber der Röhren oder von der Gestaltänderung der dünn-
wandigen Gefässe unter dem Druck einer langen Quecksil-
bersäule in höheren Temperaturen bedingt sind, ich führe
nur an, dass ich den Gang der Quecksilberthermometer mit
den Angaben eines Luftthermometers *) verglich, in einer
Tabelle die erhaltenen: Resultate festhielt, und die Beobach-
tungen nach den Angaben der Tabelle corrigirte. Da auch
das Luftthermometer höchstens auf 1jio ° G. die Tempera-
turen genau bezeichnet, so nehme ich an, dass in den.ther-
mometrißchen Bestimmungen dies« die Grenze der erreichten
Genauigkeit war.
Der Ausdehnungscoefficient der angewendeten Glassorteß
wurde direkt und wiederholt bestimmt. Die Fläschchen
wurden zu diesem Zwecke mit Quecksilber gefüllt, die auf-
-geschliffenen Glasröhren wurden aufgesetzt, Quecksilber wurde
bis zur Bedeckung der Spitze der Fläschchen eingegossen,
und schliesslich das Ganze so vollständig wie ein Thermo*
2) Es war dasselbe Instrument, welches in der Inauguraldisser-
tation des Herrn Dr. Recknagel „Thermometrisohe Untersuchungen",
Hünchen, 1868, beschrieben und abgebildet ist*
/©%: Utbar Amtddmung des Wassers. 147
ueter ausgekocht. Die Besorgniss, ob die dünnwandigen
Glasfläschchen , die ober 500 Grai. Quecksilber £assten, ge-
. fahr los ein Auskochen des Quecksilbers ertragen könnten,
zeigte eich unbegründet. Das Auskochen geschah unter An-
wendung Bunsen'scher Brenner, und die Fläschchen waren
in eisernen Schalen, deren Boden mit Sand bedeckt war,
aufgestellt. Je nach der Dicke der Glaswandungen und der
Grosse der Fläschchen sind zwei oder drei Brenner erfor-
derlich. Die ausgekochten Apparate wurden in gestossenem
Eis aaf die Temperatur Null gebracht, die Röhren wurden
hierauf abgezogen, die Kappen aufgesetzt, und durch Wä-
gmtgen wurde das Gewicht des Quecksilbers bestimmt, wel-
ches die Fläschchen in der Temperatur Null fassen. In
einer zweiten Operation wurden die Gläschen mit abgezo-
genen Glaskappen in einen Kochapparat gebracht; das Queck-
silber konnte entsprechend seiner grösseren Ausdehnung aus
der Spitze der Gläschen austreten ; darauf folgende Wägungen
ergaben die Gewichte, welche die Gläschen in der Tempera-
tur des kochenden Wassers von Quecksilber eben dieser
Temperatur fassen. Begreiflich sind die Gewichtsreductionen
auf den leeren Raum auszufuhren; und die Kochwärme des
Wassers ist nach dem jeweiligen Barometerstand zu bestim-
men. Bezeichnen p0 und pt die Gewichte Quecksilber, welche
die Fläschchen in den Temperaturen 0° und t° fassen, und
sind a und ß die Ausdehnungscoefficienten des Glases und
des Quecksilbers, so hat man
ft — p° 1 + ß V
welche Gleichung zur Berechnung des Werthes von a be-
nutzt wurde.
Zu den Versuchen wurden im Ganzen 7 Glasfläschchen
benutzt. Nr. 1 und 2 waren aus einer älteren zufallig vor-
handenen Glasröhre geblasen, die übrigen aus Röhren, die
aus der Glashütte bei Deggendorf bezogen waren. Für den
[1864. L 2.] 11
148 Sitsung der matK-fhgt, Cümee vom 13. Februar 1864.
Ausdehnungscoefficienten der ersten Glasgort* wurde gedul-
den 0,0000261, und für den der andern 0,0000271.
Nach diesen Vorbemerkungen lasse ich die Zahlen fei«
gen, welche Herr Henrici in den Messungen erhalten hat.
Temperatur des Wassers 0°.
Num-
Scheinbares
Baro-
Tem- Gewiohts-
Wahres
mer des
Gewicht des
meter
perator vertust.
Gewicht.
Gläs-
Wassers.
in
der
chens.
Millim.
Wage.
1
67,1408
712
3 * C. 0,0479
67,1887
2
41,0524
»
» 0,0344
41,0868
3
37,6619
»
» 0,0316
37,6935
4
87,6175
»
» 0,0316
37,6491
5
38,6400
»
» 0,0324
38,6724
6
88,4108
716
3,5 0,0281
33,4889
7
36,9421
718
3,0 0,0312
86,9733
Temperatur des Wassers 28,3' C.
1
56,9768
716
2,0 0,0482
57,0250
2
40,9349
»
» 0,0347
40,9696
3
37,5549
»
» 0,0318
37,5867
4
37,5096
»
» 0,0317
37,5413
5
38,5287
»
» 0,0326
38,5613
Temperatur des
Wassers 36,5° C.
1
56,8366
722
1,5 0,0486
56,8852
2
40,8347
»
» 0,0349
40,8696
3
" 37,4660
»
» 0,0320
37,4980
4
37,4210
»
» 0,0320
37,4530
5
38,4458
»
» 0,0329
38,4787
Temperatur des Wassers 40° C.
1
56,7683
724
2,0 0,0486
.56,8169
2
40,7852
»
> 0,0849
40,8201
3
37,4172
»
> 0,0320
87,4492
5
38,3869
»
> 0,0329
88,4218
^F^^^^J * %^^^^^9 s^sVW^^pW^^r^^^WM» vV^^ ^W ii^^fv* ■» ^V
Nun- Scheinbare« Baro» Tem- Gewichte* Wahn*
merdes Gewicht des meter peratur verlost. Gewicht.
Glas- Wassers. in der
chens. Mülim. Wage.
Temperatur des Wasser« 50,6 ° C.
1 56,5265 716 4,0 0,0475 56,5740
2 40,6111 » » 0,0341 40,6452
3 37,2585 • » 0,0313 37,2898
5 38,2254 » • 0,0321 38,2575
Temperatur des Wassers 58,3° C.
1 56,3220 726 5,2 0,0478 56,3698
2 40,4644 » » 0,0344 40,4988
3 37,6409 » » 0,0316 37,6725
5 38,0873 » » 0,0324 38,1197
Temperatur des Wassers 75,0° G.
1 55,8290 722 6,1 0,0470 55,8760
2 40,1170 » » 0,0337 40,1444
3 36,7999 » » 0,0309 36,8308
5 37,7553 • » 0,0317 37,7807
Temperatur des Wassers 82,7° ü.
1 55,5568 720 6,0 0,0466 55,6034
2 39,9172 » » 0,0333 39,9505
6 32,4889 » » 0,0273 32,5162
7 35,9192 » • 0,0301 35,9493
Temperatur des. Wassers 89,6 ° C.
1 55,3109 712 6,5 0,0458 55,3567
2 ÄBI,73Ä1 » » 0,0325 39,7706
6 32,3447 » » 0,0265 32,3447
Temperatur des Wassers 98,78 ° C.
1 54,9688 714 6,5 0,0457 55,0145
Temperatur des Wassers 98,87 1 C.
2 39,4866 717 7,0 0,0329 39,5195
Nimmt man das Volumen des Wassers ton 0° zur
Einheit, und bezeichnet V« das Volumen bei t°, bezeichnen
11*
150 Sitzung der nttth-ptys. Ctasm vom 13. FArmr 1861.
ferner q#undqt die Gewichte des Wassers.
, welches die Fläsch-
eben in den Temperaturen
0° und t* fassen, so hat man zur
Bestimmung von Vt
V; =
:3s(l+at).
a.
«•
Ans den Messungen des Herrn Henrici erhält man hiernach
Temperatur.
Volumen.
Mittel.
or
■
1,00000
28,3
1,00361
1,00360
1,00361
1,00364
1,00365
1,003622
36,5
1,00629
1,006252
1,00627
►
*
1,00621
1,00623
*
1,00626
•
40,0
1,00759
1,007597
1,00758
1,00761
1,00761
50,6
1,01220
1,002220
1,01220
1
1,01221
•
1,01223
•
58,3
1,01607
1,01606
1,016077
•
1,01608
i
1,01610
75,0
1,02549
1,02547
1,025492
i
1,02550
•
1,02551
Jäfljy: ütber Au9ie9mtm0 des W*8$ers. 151
Temperatur.
Volumen. . Mittel.
82,7
1,03073 1,030677
1,03066
-
1,03068 4
1,03064
89,6
1,03551 1,035508
1,03551
1,03549
98,78
1,04219
98,87
1,04234
Gestützt auf diese Ergebnisse lassen sich folgende In
terpolationsfonneln bilden.
Interpolationsformel für Temperataren von 28° bis 50 •:
V = 1 + 0,00006659 1 - 0,000002277 t*
+ 0,00000021264 t» — 0,0000000019644 t4.
Für Temperaturen von 50° bis 80°:
V = 1 ~ 0,00080419 1 + 0,0000194546 t*
— 0,00000022645 t8 + 0,00000000108731t4.
Für Temperaturen von 80° bis 100° C:
V = 1 — 0,00006468 t + 0,0000067561 1 — 0,000000017994 1*.
Man erkennt leicht die Vorzöge und die Schwierigkeiten
des eingeschlagenen Verfahrens. Die Grösse, die gemessen
werden soll, ein genau abgegrenztes Volumen Wasser, wird
durch die in eine feine Spitze endigenden Glasflaschchen mit
grosser Scharfe erhalten, und die Technik des Verfahreng
ist sehr einfech. Nach der Oapacität der Gefässe wird}
durch eine sechszifferige Zahl das. Gewicht des Wassers
ausgedrückt, und erst die 6. Ziffer wird unter Anwendung
einer guten Wage bei Wägungen von Glaskörpern unsicher«
Da bei jedem Versuche mehrere Gläser zugleich in das Bad
eingesetzt sind., die hiermit alle in absolut gleicher Tem-
peratur sich befinden, so ist Gelegenheit gegeben, durch das
arithmetische Mittel der für gleiche Temperaturen berech*
neten Volumina: mit um so grösserer Annäherung die wahren
iöd BUmmg Ar mäh.-pky*. ötam t*nr 49. Ftbmar 1864.
Volumina z« erhalten. Dagegen ist die gross* Zahl der
exact auszuflihreiaden Wagungen lästig und zeitraubend.
Man sieht sich hiernach Teranfasst, nur für grössere Tem-
peraturabstände die Messungen auszufahren. Die Interpolar
tionsformeln sind also auch nur auf eine relativ geringe
Zahl der Messungen gestützt.
Das Yoluminometrische Verfahren erfordert nur eine
oder wenige exacte Wägungen, im Uebrigen beschränkt sich
die Messung auf die Ablesung der Stellung des Fadens in
der kalibrirten Röhre. Die Mühe des Amssudiens der Röh-
ren von gleichmäs&igei» Kaliber wird reichlich aufgewogen
durch die einfachere Berechnung der Beobachtungen. Doch
ist die Benützung der Röhren, die einfach konisch verlau-
fen, nicht gerade von besonderer Schwierigkeit. Man kann in
diesem Falle durch Tabellen, in welchen die Aenderungen des Ka-
libers etwa von 10 zu IG Theilstrichen niedergelegt sind, sich
die Rechnung sehr erleichtern. Begreiflich wählt man dann
nur solche Röhren aus, welche eine gleichförmige und sehr
geringe Aenderung im Kaliber zeigen. Unter den Röhren,
die mir zu Gebot standen, waren nur zwei auf eirie Länge
ton etwas über 4 Decimeter von durchaus gleichmässigem
Kaliber.
Eine kleine Abänderung der gebräuchlichen Dilatometer
hat sich praktisch sehr bewährt. Kugel und Röhre Hess
ich trennen. Die Kugel wurde mit einem weiteren Halse«
tersehen, und die kalibrirte Röhre wurde mit ihrem unteren,
etwas aufgetriebenen Ende in den Hals der Kugel einge»-
8chliffen. Für das Einschleifen ist daß Verfahren auf den
Glashütten, nämlich das Vorschleifen init kupfernem Konus
und kupferner Büchse sehr empfehlenswerth. Erst am
Schlüsse wird mit feinem Schmirgel Gifts in Glas einge-
öchliffen. Im Anfange machte mir die Trennung der einge-
schliffenen Theile zuweilen Schwierigkeiten. Fettet man das
Ende der Röhre mit Luftpumpenfett schwach ein, bo schwach,
/*%; Ulster Audd^mmg de$ Wmum
163
cbss die Gewichtszunahme des Instrumente noch
kaum 0,0003 Gxm. beträgt, und verbindet man
Kugel and Rohre unter schwachem Druck und
mit sanftem Drehen, so bietet die spätere Tren-
nung der Theile, selbst wenn sie lange verbun-
den waren, keine Schwierigkeiten. An dem
oberen Ende der kalibrirten Röhre ist eine oben
offene Engel angeblasen. Die neben stehende
Zeichnung erläutert die gebrauchte Anordnung.
Durch die Trennung der Kugel und der
Rohre ißt Reinigen, Füllen und Auskochen wesent-
lich erleichtert. Ist die Kugel durch Ausspülen
mit Salpetersäure und hierauf durch wiederholtes
Ausspülen mit Wasser gereinigt, und ebenso die
Röhre, so wird das Austrocknen beider Stücke
statt unter Anwendung der Wärme weit rascher
und bequemer dadurch erreicht, dass man nach der Reihe
mit Weingeist und mit Schwefeläther ausspült, und mit
Hilfe des Blasetisches einen Strom trockener Luft durch die
Apparate leitet. Wasser, und ebenso jede andere Flüssig«
keit, deren Volumenänderung in höheren Temperaturen be-
stimmt werden soll, müssen vollkommen luftfrei angewendet
werden, indem sonst in eben diesen Temperaturen eine Ent-
wicklung von Luftbläschen eintritt, die die Messung illu-
sorisch machen. Durch anhaltendes Kochen kann die am
Glas haftende und die von der Flüssigkeit absorbirte Luft
vollständig entfernt werden. Man kürzt diese Operation ab,
wenn man die Dilatometer, nachdem sie im Kochapparat
einige Zeit verweilt sind, unter die Glocke der Luftpumpe
bringt, und das Kochen im luftverdünnten Räume fortsetzt.
Flüssigkeiten, deren Zusammensetzung in der Kochwärme
sich ändern könnte, wie Weingeist, Salzlösungen u. s. w.
müssen unter einer kleinen Abänderung des Apparates, einer
solchen, unter welcher die Verdampfung der Flüssigkeit ver-
154 Sitzung dar «Mtk-pfty*. dorne vom IS. Februm 1864.
mieden wird, ausgekocht werden. Man erreicht diess, wenn
man die obere Kugel des Dilatometers mit einer Kälte-
mischung umgiebt Zu dem Ende befestigt man unter An-
wendung eines gespaltenen Korkes ein Blechgefäss, welches
die Eältemisehnng aufnimmt, am oberen Ende des Dilato~
meters. Die Flüssigkeit in der unteren Kugel kann anhal-
tend im Kochen erhalten werden, wahrend die in der oberen
Kugel unter Null stehen bleibt.
Nach dem Auskochen bringt man in einem Bad die
Temperatur rasch zurück. * Meist bleibt ein Luftbläschen an
der Verbindungsstelle von Kugel und Röhre hängen» Um
diess zu entfernen, wird Röhre und Kugel getrennt, was
schon aus dem Grunde erforderlich ist, um die benutzte
Röhre ausspülen und austrocknen zu können. Der einge»
schliffene Theil der Röhre wird nun schwach eingefettet und'
vorsichtig in den Hals der Kugel eingesteckt. Das Mess-
instrument ist hiermit hergestellt Es bedarf weiter nichts,
als ein Einsetzen des Dilatometers in ein Bad, welches
successiv in höhere und immer genügend lange dauernde
Temperaturen versetzt wird. Ich habe bei den folgenden
Y ersuchen zwei Dilatometer angewendet, die Temperatur
wurde mit einem Thermometer von Geissler, welches nach
den Angaben eines Luftthermometers geeicht war, bestimmt.
In dem Bad war beständig ein Rührer in Bewegung. Dm
ungetheilt die Aufmerksamkeit den Dilatometem und dem
Thermometer zuwenden zu können, wurde der Rührer des
Bades durch eine kleine Dampfmaschine8) in Bewegung er-
halten.
Von hier an war die Ausführung der Beobachtungen
S) Die Dampfmaschine ist eine kleine Hochdruckmaschine, die,
geheizt mit zwei Bunsen'schen Brennern, eine Arbeit von 2 Klgm.
Verrichtet. Ich habe die Maschine nicht wegen der paar Versuche,
die ich mit Wasser ausfahrte, Bondern wegen einer ausgedehnteren
Versuchsreihe mit Saklöeungen construiren lassen.
J*%: ücbcr.AuadchHunfl de? Werner** 15&
so äusserst einfach, . dass ich sie meist detu Dianer des Insti-
tuts übertragen konnte. In allen Fällen wurde zur Ver-
meidung der Parallaxe mit einem Steinheil'schen Ableser,
der ungefähr eine lO&che Vergrösserung bot, das Ablesen
der Instrumente ausgeführt. Um die Verdunstung des Was-
sers abzuhalten, die in höheren Temperaturen selbst durch
die engen Bohren der Dilatometer hätte erfolgen können,
wurden die Bohren durch einen Quecksilber&den von un-
gefähr 30 Mülim. Länge geschlossen. . Zwischen dem Queck-
silber und dem Wasser war qine Luftblase , so dass also
der Quecksilberfaden nicht unmittelbar auf dem Wasser
anfsass.
Zunächst wurde für beide Dilatometer das wahre Ge-
wicht des Wassers, welches sie fassen, und der Stand des
Wassers in den Dilatometerröhren in der Temperatur Null
bestimmt. Es wurde gefunden:
Nummer des Wahres Gewicht Wasserstand bei
Dilatometers. des Wassers. der Temp. 0°.
1 31,6661 Grm. 110,5
2 18,1240 » 114,2
Beide Instrumente wurden auf eine Temperatur von
etwas über 30 ° C. gebracht. In dieser Temperatur wurden
Röhren und Kugeln getrennt, die Bohren wurden ausge-
trocknet und hierauf wieder mit den Kugeln verbunden.
Das vorbereitete, auf mehr als 30 • G. verdünnte Bad nahm
beide Dilatometer auf und die Beobachtung begann. Es
wäre sehr zeitraubend, wenn man mit dem Bad genau vor-
aus bezeichnete, etwa von 5 zu 5 Grad steigende Tempera-
turen successiv erreichen wollte. Dagegen hat -es keine
Schwierigkeit, Temperaturen herzustellen, die nur um wenige
Zehntel von jenen abweichen, die man zu erreichen wünscht*
Die Interpolation, durch welche der. Stand des Wassers ia*
Dilatometer, entsprechend einer bestimmten Temperatur des
i6ff SiUung i*r «o*fc.-j*yr. dorne «** 13*. Febmar 1864.
Bades, gefunden wird, ißt höchst einfedh. War etwa beob*
achtet
Thermometer Dilatometer
29,92 41,6
30,24 44,6
so entspricht einer Temperaturdifferenz von 0,32 eine Aen-
dernng des Dilatometers von 2,9, also einer Temperatur*'
differenz von 0,08 entspredben 0,7248 Theilstriche deö Dila-
tometers, tmd iur die Temperatur 30 • 0. ist der Stand des
Wassers im Dilatometer 42,3.
Die Beobachtungen ergaben:
Temperatur. Dilatometer Nr. 1. Dilatometer Nr. 2.
30 • 42,3 34,5
35° 96,4 87,3
40° 158,8 148,6
45 ° 228,8 217,8
50° 306.0 294,6
55 ° 392,2 378,6
60° 484,7 469,3
Wahres Gewicht des in den Dilatometern enthaltenen Wassers
in Nr. 1 31,5023,
in Nr. 2 18,0264.
Die Kalibrirung ergab den Logarithmen des cubischen In-
halts zwischen zwei Theilstrichen
in Nr. 1 zu 0,9263822 — 4,
in Nr. 2 zu 0,6916360 — 4.
Zur Einheit ist hierbei wie in allen folgenden Fällen der
Raum angenommen, den ein Gramm Wasser in der Tem-
peratur Null einnimmt.
Das Dilatometer Nr. 1 fasßt, bis zum Th eilstrich 110,5
mit Wasser von 0* gefüllt, 31,6661 Grm. Würde es nur
bis zum Theilstrich 42,3 gefüllt, so würde es fassen
81,6085 Grm. Bezeichnet Vt das Volumen des Wassers bei
/«%: Uebtr AtuiUhtmnf in Watten.
157
t*, wenn das Volumen bei 0 ° zur Einheit angenommen wird,
so hat man
(l+«t)
P» = P« y >
wo Po Pt die Gewichte des Wassers bei 0° und t°, und
« den Ausdehnungscoöfficienten des Glases bezeichnet Da
p0) ^ aas den Beobachtungen bekannt sind, und a zu
0,0000271 für 1° C. gefunden ist, so giebt die oben ange-
führte Gleichung das Mittel zur Berechnung des numeri-
schen WertheB von Vt.
Die Berechnung der mit den Dilatometern gemachten.
Beobachtungen ergiebt:
Temperat. Vol. des Wassers
nach Dilat. Nr. 1
1,000000
0«
30°
35»
40°
45°
50°
55°
60°
1,0041 26
1,005714
1,007522
1,009536
1,011745
1,014193
1,016813
Vol. des Wassers
nach Dilat. Nr. 2,
1,000000
1,004111
1,005684
1,007498
1,009523
1,011753
1,014191
1,016801
Mittel
1,004118
1,005699
1,007510
1,009529
1,011749
1,014197
1,016807
Ein zweite Reihe von Beobachtungen ergab:
Temperatur Dilatometer Nr.
60° 48,5
65° 145,6
70° 248,5
75° 357,3
80° 470,5
Wahres Gewicht des Wassers
- im Dilatometer Nr. 1
L Dilatometer Nr. 2
50,5
146,2
247,4
354,3
465,6
31,1380,
17,8218.
im Dilatometer Nr. 2
Das Instrument Nr. 1, gefällt bis zum Theilstrich 48,5 mit
Wasser von 0°, fasst 31,6108 Grm., und das Nr. 2, gefüllt
15$ tiitsung der math.-pky$. Gam vom IS. Februat 1864.
bis zum Theilstrich 50,5, fasst 18,0927 Gra. Gestützt auf
diese Zahlen und auf die an den Dilatometern gedachten
Beobachtungen, erhält man ffir die Volumina des Wassers
in den Temperaturen yon 60° bis 80 6:
Teraperat. Vol. des Wassers
nach Dilat. Nr. 1
1,016834
.1,019608
1,022542
1,025626
1,028850
60°
65°
70°
75°
80°
Vol. des Wassers
nach Dilat Nr. 2
1,016854
1,019638
1,022573
1,025656
1,028880
Mittel
1,016844
1,019623
1,022557
1,025641
1,028865
Eine dritte Reihe von Beobachtungen ergab:
Dilatometer Nr. 2
38,4
153,4
272,9
396,0
522,7
Temperatur Dilatometer Nr.
80° 28,2
85° 145,6
90° 267,4
95° 393,3
100° 522,7
Wahres Gewicht des Wassers
im Dilatometer Nr. 1
im Dilatometer Nr. 2
Das Dilatometer Nr. 1 , mit Wasser von 0 ° bis zum
Theilstrich 28,7 gefüllt, fasst 31,5966 Grm., und das Nr. 2,
bis zum Theilstrich 58,4 mit Wasser von 0° gefüllt, fasst
18,0877 Grm.
Die mit den Dilatometern in den bezeichneten Tem-
peraturen gemachten Beobachtungen führen hiernach zu fol-
genden Resultaten:
30,7763,
17,6190.
Temperat.
Vol. des Wassers
Vol. des Wassers
Mittel
nach Dilat Nr. 1
nach Dilat. Nr. 2
80°
1,028881
1,028830
1,028855
85°
1,032248
1,032184
1,032219
90°
1,035787
1,035660
1,035698
95°
1,089337
1,039248
1,039342
100°
1,043034
1,042934
1,042984
Joüy: Ueber Ausdehnung 4es Wassers. 169
Man bemerkt, dass die mit den beiden Dilatometern
erhaltenen Resultate sehr gut übereinstimmen, und dass über-
haupt Differenzen erst in der 5. Decimale oder in der 6.
Ziffer der Zahlen, welche die Volumina ausdrücken, bemerk-
bar werden. Die Abweichungen traten also genau erst in
derselben Ziffer ein, in welcher auch die Gewichtsbestim-
mungen des in den Dilatometern enthaltenen Wassers be-
ginnen , unsicher zu werden. Die Abweichungen , welche
Herr Henrici nach dem oben beschriebenen Verfahren er*
hielt, sind noch geringer, als die unter Anwendung der
Dilatometer, dagegen ist die Anzahl der beobachteten Tem-
peraturen die doppelte von jener des Herrn Henrici, und es
ist nicht wie dort eine Interpolation zwischen weit abstehen-
den Gliedern erforderlich.
Berechnet man nach den Interpolationsformeln die
Volumina für die gleichen Temperaturen, welche direkt bei
den Dilatometern beobachtet wurden, so ergeben sich Dif-
ferenzen, welche weder aus den unvermeidlichen Fehler-
quellen der Wägungen, noch aus der Technik des jeweils
eingeschlagenen Verfahrens sich erklären, welche also ohne
Zweifel in den Fehlerquellen der thermometrischen Bestim-
mungen begründet sind. Die Differenzen betreffen meist
erst die 5. Decimale, und treten in einer Grösse auf, dass
'sie einem Fehler in der Temperaturbestimmung 0,1° bis
0,2° G. entsprechen, nur in den Temperaturen von 40° bis
50° sind sie noch bedeutender und entsprechen im ausser-
sten Falle einem Fehler in der Temperaturbestimmung von
0,4* G
Ich halte die dijatometrisch gefundenen Zahlen für die
richtigeren, und zwar nicht des Verfahrens halber, sondern
weil ich mich bei diesen Versuchen eines Thermometers
bediente, dessen Angaben mit denen eines Luftthermometers
unmittelbar zuvor verglichen waren.
Von den vielfachen Messungen über die Aendetung dea
160 Sitzung 4er math**$hy*. Glam vom 13, Fdmar 1864.
Volumens des Wassers in höheren Temperaturen nahm ich
hier zur Vergleichung nur die Resultate der Arbeit des
Herrn Pierre4) und der des Herrn Kopp5) auf, weil beide
Arbeiten mit allen Hilfsmitteln der Technik des heutigen
Tages und von den bewährtesten und umsichtigsten For-
schern ausgeführt sind.
Teatp.
Volumen.
Temp.
Volumen. I
T«mp.
Volumen. .
0°
1,000000
■
30?
*
1,004071 P.
55°
1,014359 P.
80°
1,029360 P.
4064 K.
4100 E.
8581 E.
4098 H.
4393 H.
•
8767 H.
4118 J.
4192 J.
8873 J.
35°
1,005677 P.
60°
1,017118 P.
85°
1,032769 P.
5697 E.
6590 E.
1894 K.
5710 H.
6963 H.
i
2377 H.
5699 J.
6825 J.
2216 J.
40°
1,007512 P.
65°
1,019946 P.
90°
1,036294 P.
7531 K.
9302 E.
5397 E.
7601 H.
9643 H.
5786 H.
7510 J.
9623 J.
5698 J.
45°
1,009562 P.
70°
1,022937 P.
95»
1,039924 P.
9541 K.
.2246 E.
'
9094 E.
9705 H.
2468 H.
94Q2 H.
9529 J.
2255 J.
9342 X
50°
1,011815 P.
75° .'
1,026078 P.
100°
1,043649 P.
-
1747 K.
5440 E.
*
2986 E.
1940 H.
5487 H.
3099 H.
1749 J.
5641 J.
2984 J.
Die grössten Differenzen der Resultate des Herrn Pierre
und des Herrn Kopp gehen bis auf neun Einheiten in der
4) Ann. Ch. Ph. XV. 184».
4) Pogg. J&nii. LKXn. 1647.
JvUyx Uebmr Amddmmg de$ IFoatar*.
m
4. Decimale, sie entsprechen einer Temperaturdifferenz von
1,2° C. Dagegen sind die Differenzen der Resultate des
Herrn Kopp und des Herrn Henrici weit geringer und zei-
gen überhaupt kaum grossere Abweichungen, als die, welche
zwischen den von Herrn Henrici erhaltenen und den dilato-
metrisch gefundenen auftreten. Im Ganzen halte ich es für
entschieden, dass die von Herrn Pierre erhaltene© Zahlen
von 50 ° C. an aufwarte sämmtlich, und nicht unbeträchtlich,
su gross sind.
Da die Messungen mit den beschriebenen zerlegbaren
Dilatometern wenig Mühe machen, und die erreichbare Ge-
nauigkeit wesentlich von der sorgfältigen Vorbereitung der
Instrumente, der esacten Wägung, der Kalibrirung u. s. w.
abhängt, so bereitete ich drei solcher Instrumente vor und
Hess mit denselben von 0 ° bis 45 °, und zwar von Grad su
Grad, die Volumenänderungen verfolgen. Ich begnüge mich,
in der folgenden Tabelle die erhaltenen Resultate zusammen-
zustellen«
Temp.
Volumen.
Temp.
Volumen.
Temp.
Volumen.
0°
1,000000
16«
1,000868
32°
1,004728
1«
0,999972
17°
1,001030
33°
8052
2°
0,999904
18«
1209
34°
5376
3»
0,999884
19°
1399
35°
5700
4°
0,999874
20°
1605
36°
6050
5°
0,999880
21°
1812
37°
6405
6°
0,999902
22°
2026
38«
6766
7°
0,999933
23«
2253
89°
7131
8«
0,999988
24°
2487
40°
7600
9°
1,000046
25°
2729
41°
7880
10°
1,000128
26°
2969
42»
8271
11°
1,000210
27°
3229
43?
8673
12°
1,000323
28°
3506
44*
9094
13»
1,000431
29°
3802
45°
9514
14»
1,000569
30°
4107
158
1,000720
3t°
4412
1 62 Sitzung der math.-fhfs. GUmt vom 13. Februar 1864.
>
Herr Jolly trägt vor:
2) Eine Federwage zu exacten Wägungen.
Manche Untersuchungen werden nur desshalb nicht in
Angriff genommen , weil die Technik der Versuche zu um-
ständlich ist. Vielleicht erscheint hiernach folgende Notiz
über die Einrichtung einer Federwage, welche bei einer Be-
lastung von einem oder nur wenigen Grammen noch Milli-
gramme genau ablesen läset, gerechtfertigt.
Ein Versuch, unter Anwendung einer Federwage die
Aenderungen im Gewichtsverlust eines in Luft verschiedener
Dichtigkeit aufgehangenen Körpers abzulesen, und hiernach
einen Apparat zu erhalten, der das Barometer ersetzen
könne, gab Veranlassung, Federwagen verschiedener Form
zu prüfen. Das Ziel, das ich erreichen wollte, scheint nicht
erreichbar, weil einerseits der EinfluBS der Temperatur auf
die Federkraft nicht auf einen einfachen Ausdruck zurück-
zubringen ist, und weil andererseits Alles, was die Empfind-
lichkeit der Wage vermehrt', ihre Gompendiosität vermin-
dert, wodurch der Apparat nur in Laboratorien verwendbar
erscheint. Handelt es sich dagegen nur um solche Anwen-
dungen der Wage, in welchen kleine Gewichtsgrössen noch
mit grosser Genauigkeit bestimmt werden sollen, so leistet
sie genau das Gleiche, was die feinsten Wagen leisten, und
hat den Vortheil einer unvergleichlichen Wohlfeilheit und
einer, grösseren Bequemlichkeit voraus. Sie kann zu abso-
luten Gewichtsbestimmungen, sowie zu specifischen Gewichts-
bestimmungen fester und flüssiger Körper benutzt werden,
und wird namentlich in Fällen, in welchen es sich um spe-
cifische Gewichte sehr kleiner Körper, von etwa nur weni-
gen Decigrammen Gewicht, handelt, oder um die specifischen
Gewichte flüssiger Körper , die nur , in kleinen Quantitäten
zur Verfügung stehen, die besten Dienste leisten.
163
Die bestehende Figur erläutert die
b Anordnung. Ein spiralförmig
deuer Draht ist in a aufgehangen
■ad trägt an seinem unteren Ende b
«rei Wagachalen c nnd d. Die Wag-
aebale d ist beständig in Wasser einge-
Das Glas, in welchem sich die
i Schale befindet, steht auf
einem Träger, der am Stativ der Wage
auf und nieder verschiebbar ist. Eine
Marke bei m dient, um mit einem Ab-
teser (einem an einer vertikalen Stange
verschiebbaren Fernröhrchen von 6- bis
8-facber Vergröesurung) die Dehnung der
Spiralfäden an der an dem Stativ ange-
brachten Scale abzulesen. Um das Fern-
rohr zn ersparen, habe ich an andern
Wagen die Theilung unmittelbar auf
einem Spiegelstreifen, der «in Stativ be-
festigt wurde , aufgetragen. Es wird
dann mit unbewaffnetem Auge in der
Art abgelesen, dass man Marke und
Spiegelbild zur Deckung bringt. Diese
letztere Art der Ablesung setzt etwas
mehr Uebung voraus, aber doch nicht
mehr, als zu genauer Ablesung eines
Barometers- ebenfalb erforderlich ist.
Belastet man die in der Luft be-
findliche Schale successiv mit grösser
werdenden Gewichten, etwa steigend »on '/io zu '/i# Grm.,
so zeigt die Erfahrung, dass die Zunahme der Dehnung der
Spirale proportional den aufgelegten Gewichten ist. So fand
ich z. B., dass eine spiralförmig gewundene Klaviersaite (im
Handel mit Nr. 6 bezeichnet) bei 36 'Windungen, unter
[1864. L 2.] 13
164 Sitzung der maik-phya. Clane vom IB. Februar 1864.
Anwendung einer Belastung van 0,1 Grm. eine Dehnung von
45,2 Theilstrichen einer Scale willkürlicher Theilung erfuhr«
Dieselbe Spirale zeigte bei einer Belastung von 1 Grm. eine
Dehnung von 452 TheUstrichen , und bei einer Belastung
Ton 0,001 Grm. eine Dehnung ron 0,452 Theilstrichen.
Dickere Drähte zeigen bei gleicher Zahl der Windungen
und gleicher Belastung kleinere Dehnungen, aber immer
sind in ziemlich weiten Grenzen die Dehnungen den aufge-
legten Gewichten proportional.
Der Gebrauch der Wage ist höchst einfach. Man liest
bei unbelasteter Wage die Stellung der Marke an der Scale
ab , man belastet hierauf die obere Schale mit einem Ge-
wicht bekannter Grösse und liest wieder ab. Die Differenz
der abgelesenen Zahlen giebt die Anzahl der Scalentheile
an, welche der Grösse des aufgelegten Gewichtes entspre-
chen. So fand ich z. B., dass eine Spirale von 30 Win-
dungen durch eine Belastung von 1 Grm. eine Dehnung von
372,2 Theilstrichen erfuhr« Bewirkt ein aufgelegter Körper,
ein Mineralsplitter, ein kleiner Krystall u. dgL eine Dehnung
von 211,1 Theilstrichen, so ist sein absolutes Gewicht
211 1
„ ' = 0,5611 Grm., und zwar ist von dieser Zahl erst
372,2 '
die 4. Decimale, d. h. die Zehntel der Milligramme, un-
sicher.
Handelt es sich nicht um absolute, sondern um speci-
fißche Gewichte, so ist es gar nicht nöthig, den Werth des
absoluten Gewichtes in Grammen auszudrücken. Man hat
nur nach der Reihe drei Ablesungen zu machen. Die erste
bei unbelasteter Wage, die zweite nach Auflegung des Kör-
pers in der oberen Schale, und die dritte nach Auflegung
des gleichen Körpers in der unter Wasser befindlichen Schale.
Die Differenz der beiden ersten Zahlen giebt, in Scalenthei-
len ausgedrückt, das absolute Gewicht, und die Differenz
der zweiten und dritten Zahl giebt, nach der gleichen Ein-
JoBy: Eine Federwage. 165
bot ausgedrückt, das Gewicht des verdrängten Wasser».
Der Quotient dieser Differenzen ist also das specifische Ge-
wicht So fand ich z. B. für die Stellung der Marke
bei unbelasteter Wage .... 64,2
belastet die obere Schale mit einem
kleinen Mineralsplitter . . . . 275,3
derselbe Mineralsplitter in der un-
teren Schale 220,8.
Das absolute Gewicht des Körpers ist demnach ausgedrückt
durch 275,3—64/2 = 211,1 Scalentheile, und der Gewichts-
verlust in Wasser ist ausgedrückt durch 275,3 — 220,8 = 54,8
211 1
Scalentheile. Also ist das specifische Gewicht e ' = 3,85»
D4,o
Die dritte Ziffer dieser Zahl, oder die zweite Decimale, ist
hier unsicher. Es ist diess genau die gleiche Grenze der
Genauigkeit, welche mit der hydrostatischen Wage erreicht
werden kann, deren Unsicherheit bekanntlich bei Wagungen
so kleiner Körper unter Wasser die Zehntel der Milligramme
ergreift. Ein Spiraldraht von grösserer Zahl der Windungen,
oder auch ein dünnerer Draht von gleicher Zahl der Win-
dungen, würde, wenn diess nöthig sein sollte, die Genauig-
keit vermehren und die Empfindlichkeit über die der hydro-
statischen Wage bringen lassen.
Körper von einem Gewicht von mehreren Grammen
erzeugen eine so beträchtliche Dehnung, dass die Scale
unbequem lang werden müsste, und endlich würde bei noch
grösserer Belastung die Elasticitätsgrenze der Spirale über-
schritten, oder doch die Proportionalität zwischen Belastung
und Dehnung nicht mehr vorhanden sein. Also ist es für
solche Fälle angezeigt, stärkere Drähte anzuwenden.
Soll das specifische Gewicht . eines flüssigen Körpers
bestimmt werden, so wird die untere Schale entfernt und
statt derselben wird an einem dünnen Platindraht ein Glas-
körper von beiläufig 1 CG. Inhalt aufgehangen. Die Ge-
12*
166 Sitzung der math.*j>ky& Glosse vom 13. Februar 1864.
wichtsverluste in Wasser und in anderen Flüssigkeiten wer*
den dann, wie in dem früheren Falle, in Scalentheilen aus-
gedrückt.
Klaviersaiten, wie sie im Handel allerwärts zu erhalten
sind, bieten das zweckmässige Material zu Spiralfedern.
Man erhält sie bekanntlich aufgespult auf kleinen hölzernen
Rollen, und darf nur Windung um Windung abspringen
lassen, um unmittelbar brauchbare Spiralen zu besitzen.
Die Zeichnung erläutert alles Uebrige. Am Stabe A
ist der Träger B verschiebbar angebracht. Die Stange G
hat die gleiche Länge wie A, sie kann auf und nieder ver-
schoben und in jeder Lage festgehalten werden. Je nach
der Länge der Spirale, mit der man arbeitet, zieht man G
so weit heraus, dass die Marke bei unbelasteter Wage an
einen der oberen Punkte der Scale zu stehen kömmt» wo-
nach man also für die ganze Ausdehnung der Scale, die
eine Länge von 600 Mm. hat, die Dehnung der Spirale
verfolgen kann.
Jede Spirale zeigt im Anfang kleine elastische Nach-
wirkungen, die aber von Tag zu Tag geringer werden und
die für die Dauer einer Messung geradezu Null sind. Ist
durch Unvorsichtigkeit eine Spirale beschädigt, so ist der
Schaden mit einem Aufwand von zwei Kreuzern ersetzt.
Diese ist wenigstens hier der Preis einer Drahtrolle. l)
1) Mechanikus Stollenreuther in München verfertigt Wagen mit
Spiegelablesungen zum Preis von 8 fl.
KMe: Organische Sckuxfeherbmckmgen. 16T
Herr Baron v. Liebig übergiebt einen an ihn von
Herrn Kolbe in Marburg eingesendeten Aufsatz:
„Ueber eine neue Glasse organischer Schwefel-
verbindungen".
Das einfache Schwefeläthyl : ~ J Ss verspricht die
Quelle mehrerer interessanter neuer Verbindungen zu wer-
den. Herr von Oefele hat eine derselben bereits im Sep-
temberhefte der Annalen der Chemie vom vorigen Jahre als
Diäthylsulfon kurz beschrieben. Diese ausgezeichnet schön
krystallisirende , sehr stabile, indifferente Substanz von der
Ca Hb)
Zusammensetzung : r „ I [Si 0*] , welche man durch Be-
handlung von einfach Schwefeläthyl mit rauchender Salpe-
tersäure in reichlicher Menge erhält, ist dem Sulfobenzid:
c rr I [Ss 0*] analog zusammengesetzt , und steht zur Zu-
sammensetzung der Schwefelsäure: [SiOfJOi in ähnlicher
C4H5)
Beziehung, wie das Areton der Propionsäure: p „ [CsO»]
zur Kohlensäure: [CsOtjOt.
Bei Fortsetzung seiner Versuche hat Herr von Oefele
unter Anderem weiter gefunden, dass das einfache Schwefel-
äthyl sich mit Jodäthyl direkt zu einer schön krystallisiren-
den Verbindung vereinigt, welche in Wasser und in Alkohol
leicht löslidb ist, und aus diesen Losungen beim Abdampfen
wieder auskrystallisirt, ohne sich mit den Wasser- oder Al-
koholdämpfen zu verflüchtigen.
Diese Verbindung ist ein wahres Salz, nämlich das
Jodür des Radikals: C* Hs \ [Si] und hat die Zusammen*
UHöJ
108 Siteung 4er «utfA.-f%«. Classe von 13. Februar 1864.
C4H5)
Setzung: CaHöHSjJ^J. Ihre Bildung erhellt aus folgender
C4H5J
Gleichung :
C4H6I C4H5) ""
n5 Si + C*HsJ= (J4H6 [&],J;
C4H5J ^ — — p.ttJ
»inferfi 8clwre- v s, ■ ■*
folithyl Tri&thylsulfyljodftr
de ist zu vergleichen mit der Bildung des Tetraäthylam-
moniumjodürs aus Triäthylanin und Jodäthyl.
Wird die wassrige Lösung des Triäthylsulfyljodurs mit
salpetersaurem Silberoxyd vermischt, so fällt sofort Jodsil-
ber nieder, und die Lösung enthält salpetersaures Triäthyl-
si&lfyloxyd.
Durch Digeriren der wässrigen Lösung des Jodürs mit
frisch gefälltem Silberoxyd entsteht Jodsilber und Triäthyl-
CiHö]
wdfyloxydhydrat : G4 Hs | [Sa] 0. HO, welches beim Abdampfen
C4 BW
zuletzt im Exsiccator leicht in klaren, an der Luft zer-
fliessenden Erystallen anschiesst.
Das Triäthylsulfyloxydhydrat ist eine nicht flüchtige,
bgün stärkeren Erhitzen Schwefeläthyl ausgebende, orga-
nische Base! deren wassrige Lösung stark alkalisch reagirt»
welche die Metalloxydhydrate aus ihren Salzlösungen wie
Kalilauge fällt und sich mit Säuren zu neutralen Salzen
vereinigt. . Das schwefelsaure und salzsaure Sah sind kry-
stallinisch, aber sehr zerfliesslich. Das Platindoppelsalz de»
C4H5]
CWorB»:"C«HsHS»]Cl + PtCb krystallisirt nach dewVer-
GiHs)
dampfen der wässrigen Lösung leicht in prächtigen grossen,
wie es scheint, quadratischen Säulen. .
Kdfhe: OwgtmMhe 9dmrfdomi>mdm*§e* 169
Jene Base, welche als Grandradikal den vieratomigen
ttft
Schwefel: [St] enthält, wird vermuthlich durch Oxydation
mit Salpetersäure oder Quecksilberoxyd in eine Verbindung
des sechsatomigen Schwefels übergehen von der Zusammen-
C4Hs|
setzung: CU Ha} [Ss Os] O.HO,die vielleicht auch noch schwach
basische Eigenschaften hat.
Gleichfalls lässt sich erwarten, dass etwa durch Be-
handlung von einfach Schwefelmethyl mit Jodäthyl das Jodür
von Dimethyläthylsulfyl: CiHt|[S*]J entsteht, Und dass in
C4H5J
ähnlicher Weise noch eine Menge analog constituirter Ver-
bindungen mit diversen Alkoholradikalen sich erzeugen lassen.
Auch unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass das ein-
fache Schwefeläthyl sich wie mit Jodäthyl, so auch mit Jod-
wasserstoff oder Chlorwasserstoff direkt verbindet. Mit die-
sen und anderen Versuchen ist Herr von Oefele in meinem
Laboratorium eben beschäftigt.
170 Sitsung der Meter. Classe vom *Ö. Februar 1864.
Historische Classe.
Sitzung vom 20. Februar 1864.
Herr Roth hielt einen Vortrag:
„Die Säcularieation des Kirchengutes unter
den Karolingern".
Einsendungen von Druckschriften, 171
0
Einsendungen von Druckschriften.
Von der Boy dl Society in Edinburg:
«) Transactions. Yol. 23. Part. 2. For the Session 1862—63.
b) Proceedings. Session 1862—63. Yol. 5. Nr. 59. 8.
Von der Chemical Society in London:
Journal. Ser. 2. Yol. 1. Oot. Novbr. Decbr. 1863. 8.
Vom historischen Verein in St. GaÜen:
a) Mittheilungen zur vaterländischen Geschichte, 1. 2. 1862. 1864. 8.
b) Urkundenbnch der Abtei St. Gallen. Auf Veranstaltung der anti-
quarischen Gesellschaft in Zürich; bearbeitet von Herrn. Wart-
mann. Thl. 1 Jahr 700—640. Zürich 1863. 4.
Von der SocUti imperiale des naturalistes in Moskau:
Bulletin. Armee 1868. Nr. 1. 2. 8.
Von der Jfc. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen:
a) Gelehrte Anzeigen. 1 Stück. Januar 1864. 8.
b) Abhandlungen. Eilfter Band. Yon den Jahren 1862 und 1868.
1864. 4.
Von dem zoologisch-mineralogischen Verein in Regensburg *>
Correspondenzblatt. 17. Jahrgang. 1868. 8.
Von der Academie des sciences in Paris:
Comptes rendus hebdomadaires des seances.
Tom. 57. Nr. 22—26. Novbr.-Decbr. 1868.
„ 58. Nr. 1—4. Janvier 1864. 4.
172 Einsendungen von Druckschriften.
Von der k. Universität in Christiania:
a) Det kongelige norske Frederiks« Universitets Aarsberetning for
Aaret 1861. 1862. 8.
b) Norske vaegtlodder fra § ortende aarhundrede, beskrevne af C. A.
Holmboe. Universitetsprogram for andet halvaar 1863. 4.
o) Det kongelige Frederiks Universitets Halvhundredaars Fest Sep-
tember 1861. 1862. 8.
d) Indledning til Statsvidenskabernes Studium den historiske Deel
Ted J. F. Monrad. 1. u. 2. Heft. 1854. 1860. 8.
e) Snpplementer til Dovres Flora af F. Hoch. 1863. 8.
t) Om en i Sommeren 1861 foretagen entomologisk Reise af H. Siebke*
1868. 8.
g) Om en i Sommeren 1862 foretagen zoologisk Reise i Christiania*
og Trondhjems Stifter af Sars. 1863. 8.
b) Geologiske og zoologiske Jagttagelser anstillede paa en Reise i
en Deel af Trondhjems Stift i Sommeren 1862. 1863. 8.
Von der h. Gesellschaft der Wissenschaften in Chrietiania:
a) Aegyptische Chronologie. Ein kritischer Versuch von J. Lieblein.
1863. 8.
b) Forhandlinger i Videnskabs-Selskabet i Ghristiania Aar 1862. 8.
Von der physikalischrmedicinischen Gesellschaft in Würzburg:
a) Würzburger naturwissenschaftliche Zeitschrift. 4. Band. 1. Heft
1863. 8.
b) Würzburger medicinische Zeitschrift. 4. Band. 3. und 4. Heft.
1863. 8.
Vom historischen Füidl- Verein in Neuburg o. Dr.
Collectaneen-Blatt für die Geschichte Bayerns, insbesondere für die
Geschichte der Stadt Neuburg a. D. und der ehemaligen Graf-
schaft Graisbach. 29. Jahrg. 1863. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 173
Vom Verein nur Erforschimg der rheinische* Geschichte und Aber-
tfhümer in Mainz:
Führer in dem Museum des Vereins zur Erforschung der rheinischen
Geschichte und Alterthümer in Mainz und dem römisch-germa-
nischen Central-Museum daselbst. 1863. 6.
Von der Je. physikalisch-ökonomischen Gesellschaft in Königsberg:
Schriften. 4. Jahrg. 1863. 1. Abtheilung. 4.
Von der Bedaction des Correspondemblattes für die gelehrten und
Bealschvien in Stuttgart:
Correspondenzblati. 10. Jahrg. Decbr. Nr. 12. 1863. 8.
Von der Academia real das sciencias in Lissabon:
Memorias. Nova Serie Tomo 3. Parte 1. 1868. 4.
Vom historischen Verein für Steiermark in.Gratz:
Mitteilungen. 12. Heft. 1863. 8.
Vom Real Observatorio in Madrid:
Anuario. Quinto Anno. 1863. 8.
Vom Verein zur Beförderung des Gartenbaues in den k. preussischen
Staaten in Berlin:
Wochenschrift für Gärtnerei und Pflanzenkunde. Nr. 1 — 4. 1864.
Januar. 4.
Von der Umversitäts-Bibliothek in Leipzig:
Archiy rar die sächsische Geschichte. Herausgegeben von Dr. Wilh.
Wachsmuth und Dr. Karl Weber. 2. Band. 2. Heft. Berlin*
1863. 8.
Von der pfälzischen Gesellschaft für Fharmacie in Speier i
Nene« Jahrbuch für Pharmaoie und verwandte Fächer. Band 21.
Heft 2. Februar. 1864. 8.
• ■ ;- ;
174 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Verein für mecklenburgische Geschichte und JUerthumskunde in
Schwerin:
Mecklenburgisches Urkundenbuch. 1. Band. 786—1259. 1863. 4
Vom Herrn Gustav Schneider in Frankfurt:
Geschichte der englischen Sprache, dargestellt in ihrem Verhältnisse
zur deutschen und französischen. Freiburg im Breisgau. 1863. 8.
Von den Herren Georges Perrot, Edmond Guillaume et Jules DeJbet
in Paris:
Exploration Archeologique de la Galatie et de la Bithynie d'une
partie de laMysie, de la Phrygie, de la Cappadoce et du Pont
executee en 1861 et publiee sous les auspices du ministere d'ätat.
6 et 6. livraisons. Titre du tome 2. 1862. Fol.
Vom Herrn J. T. Walker in Calcutta:
Tables of heights in Sind, the Punjab, N W. Provinces, and Central
India, determined by the great trigonomical Survey of India,
trigonometrically and by spirit leveling Operations to May 1862.
1863. 8.
Von den Herren Hermann, Adolph und Bobert v. ScJUagintweit,
8. Z. hier:
Results of a scientific mission to India and High Asia. Boute-Book
of the Western parts of the Himalaya, Tibet, and Central Asia
and geographical Glossary from the languages of India and
Tibet, inoluding the phonetio transoription and interpretation.
Vol. 3. Mit Atlas. London, Leipzig. 1863. gr. 4.
Einsendungen von Druckschriften. 175
Vom Herrn JESmü v. Schlagintweit, s. Z. hier:
Buddhism in Tibet illnstrated by literary doonments and objecto of
religions worship. Mit Atlas. London, Leipzig. 1868. 8.
Vom Herrn Fenicia in Neapel:
Della Politica. 1868. 8.
Vom Herrn Paul Botten Hansen in Christiania:
Peter Andreas Manch. 1863. 8.
Vom Herrn Johann Fritzner in Christ iania:
Ordbog over det gamle norske Sprog. 1—4. Heft 1862. 1868. 8.
Vom Herrn Christ, C. A. Lange in Christiania:
Norsk Forfatter-Lexikon. 1814—1856, of Jens E. Kraft. 1—6. Heft
1857—1863. 8.
Vom Herrn Bruch in Frankfurt a. M.:
Der zoologische Garten. Nr. 7 — 12. 4. Jahrg.
„ 1. 5. „ 1861. 1863. 8.
Vom Herrn M. Ad. Hatzfeld in Paris:
Revue critique et bibliographie. 1. Livr. Janv. 1864. 8.
Vom Herrn Dudik, resp. mährischen Landesausschuss in Brunn:
Mahren's allgemeine Geschichte. S.Band. Vom Jahre 1125 bis zum
Jahre 1173. 1864. 8.
Vom Herrn U. J. Le Vertier in Paris:
Annales de Fobservatoire imperiale de Paris.
Observations: Tomes 1 — 8 nnd 12 — 18.
Memoires: Tomes 1—7. 1861. 1863. 4.
176 Einsendung** von Druckschriften.
Vom Herrn M> Gochord in Britati:
Don Carlo» et Philipe II. Tom. 1 u. 2. 1863. 8.
Vom Herrn Siegw. Petersen in ChrisUama:
Nonke Rigsregistranter tildeeis i uddrag. TJdgive efter offentlig
foranstaltning udgivet ved Otto Gr. Lumdh. 1861—1863. 1. Bd.
1623—1571. 2. Bd. 1. Heft 1672—1579. 2. Heft 1579— 168a
Sitzungsberichte
der •
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Gasse,
Sitzung vom 12. März 1864.
Diese Sitzung fiel aus.
Mathematisch -physikalische Classe.
Sitzung vom 12. März 1864
Herr Dr. Vogel jun. hielt einen Vortrag :
„über den Einfluss des Frostes auf Kar-
toffeln."
Dass die Kartoffeln durch Frost eine Veränderung er-
fahren, unterliegt keinem Zweifel, indem schon das äussere
Ansehen einen wesentlichen Unterschied ergiebt. Eine stein-
hart gefrorene Kartoffel wird beim Aufihauen weich, stellt
eine welke, fast knetbare Masse dar, aus welcher sich eine
braune Flüssigkeit abscheidet und geht nach wenigen Tagen
[1864. L 8.1 18
178 Sitmmg der math.-pkys. Gasse vom 12. Mars 1864.
in Fäulniss über. Dagegen ist die Natur dieser Veränder-
ung, ob eine mechanische oder chemische, wiederholt Ge-
genstand der Controverse geworden.
Entgegengesetzt der verbreiteten Ansicht, nach welcher
gefrorene Kartoffeln als unbrauchbar verworfen werden,
empfiehlt Lampadius *) nicht nur die zufallig gefrorenen
Kartoffeln zur Stärkmehlfabrikation zu benützen, sondern
sogar die Kartoffeln, aus welchen man Stärkmehl bereiten
will, absichtlich vorher frieren zu lassen, indem man sich
dadurch das Zerreiben erleichtere und einige Procente
Stärkmehl mehr erhalte, als aus den frischen.
Später hat Girardin*) im Auftrage der Ackerbaugesell-
schaft des unteren Seinedepartements den Gegenstand wieder
aufgenommen und eine umfassende Versuchsreihe angestellt,
um die Art der Veränderung kennen zu lernen, welche die
Kartoffeln durch Frost erleiden. Das Resultat war, dass
der Frost keine chemische, sondern nur eine mechanische
Veränderung durch Zerstörung der vegetabilischen Organisa-
tion bewirke und dass namentlich der Stärkmehlgehalt der
gefrorenen Kartoffeln im Vergleiche mit den frischen nicht
vermindert sei. Scheinbar abweichend von diesen Resultaten
ist die Beobachtung Payen's8), welcher angiebt, dass man
aus den gefrorenen Kartoffeln nach dem Aufthauen kaum
V* des Stärkmehles erhalte, als vor dem Frieren, — schein-
bar insofern, als man die gefrorenen und wieder aufge-
thauten Kartoffeln, wie Payen schon sehr richtig bemerkt,
wogen ihrer teigartigen Consistenz nicht so vollständig zu
zerreiben und auszuwaschen im Stande ist, wie im frischen
Zustande.
1) Mittheilungen des Industrievereins für das Königreich Sachsen.
5. Lief. S. 256. 1833.
2) Journal de Pharmacie. Juin 1838.
3) Comptes rend. 19. Mars 1839.
Vogd: Einfimu de$ FrotU$ **f Kartoffel 179
Die folgenden Versuche mögen nr Bestätigung der
Payen'schen Beobachtungen einen Beitrag liefern. Die Ein-
wirkung des Frostes geschah, indem eine Anzahl Kartoffeln
währad ener Nacht bei — 16 • C. der freien Luft ausge-
setzt blieb. Nachdem einige derselben an einem warmen
Orte in kurzer Zeit wieder aufgethaut waren, wurden 2
Stacke gewogen, in feine Scheiben zerschnitten und getrock-
net, bis dass keine Gewichtsabnahme mehr bemerkbar war.
Es ergab sich hiernach in der Berechnung des Wasserge-
haltes nach Procenten kein Unterschied zwischen den ge-
frorenen und frischen Kartoffeln.
Zur Stärkmehlbestimmung wurden frische und gefrorene
Kartoffeln, nachdem letztere wieder aufgethaut waren, auf
dem Reibeisen gerieben und das Stärkmehl unter einem
langsamen Wasserstrahle auf einem Haarsiebe möglichst
vollständig ausgewaschen. Zur quantitativen Bestimmung
des Stärkmehles bediente ich mich durchgängig des vor
einiger Zeit beschriebenen Amylometers. *) Der Stärkmehl-
gehalt der untersuchten Kartoffelsorten im frischen Zustande
ergab sich nach mehrfach wiederholten Versuchen constant
zwischen 18 und 19 Proc. Dagegen zeigte sich die Amy«
lonmenge in den gefrorenen Kartoffeln sehr wechselnd und
zwar bei ganz gleicher Vornahme der Manipulationen in 5
verschiedenen Versuchen zu 9,2, 10,01, 11,6, 13,4, 12,6 Proc.
Wollte man aus diesen 5 Versuchszahlen das Mittel nehmen,
was indess bei ihrer grossen Abweichung nicht statthaft sein
kann, so würde sich allerdings eine bedeutende Verminder-
ung des Stärkmehlgehaltes durch den Frost ergeben und
zwar erschiene hiernach das Stärkmehl um mehr als ein
Dritttheil des ursprünglichen Gehaltes vermindert. Gerade
aber diese geringe Uebereinstimmung zwischen den ein-
zelnen Beobachtungen zeigt auf das Deutlichste, dass die
4) Polyteokn. Centralhalle. 13. Jahrgang. B. 122.
13*
180 SUnmg dar math^pty. Gkmm vom IX Mir* 1864.
mechanische Methode der Amylonbestimmung , wie sie hier
gewöhnlich durch einfaches Zerreiben der Kartoffel ausge-
geffihrt wird, nicht ausreichend ist. Beim Reiben der ge-
frorenen und wieder aufgethauten Kartoffeln bemerkte man
schon entschieden einen eigenthumlkhen Widerstand and
ungeachtet sie eben so fein zerrieben wurden, als die
frischen Kartoffeln, so hatte doch der auf dem Siebe zurück-
bleibende Best ein ganz anderes Ansehen und eine andere
Art der Consistenz. Payen ist daher offenbar völlig im
Rechte, wenn er den Verlust daraus zu erklären versucht,
dass die durch das Gefrieren von einander getrennten und
gegenseitig keinen Druck mehr auf einander ausübenden
Zellen rundliche Gestalt annehmen, und wenn die Zähne
des Reibeisens sie treffen, sich einzeln oder zu mehreren
vereinigt losreissen, ohne jedoch Widerstand genug zu
leisten, um zerrissen zu werden.
Um zu entscheiden, ob in der That auf diese Weise
der Stärkmehlgehalt nicht völlig aus den gefrorenen Kar-
toffeln ausgeschieden war, wurde in mehreren Versuchen
der auf dem Siebe nach dem Auswaschen der Stärke ge-
bliebene Rückstand, von welchem das Wasser ganz klar
abgeflossen war, in einem Porceüanmörser zerstampft, dann
unter allmähligem Zusätze erneuter Quantitäten- Wassers
zerrieben und endlich wieder auf dem Siebe mittelst flies-»
senden Wassere ausgewaschen. Aus der so behandelten
Masse setzte sich noch eine beträchtliche Menge Stärkmehl
ab, welche nach dem Trocknen und Wägen durchschnittlich
4 Proc. ausmachte, so dass der Stärkmehlgehalt dem der
frischen Kartoffeln zwar sehr nahe kam, ohne denselben
jedoch jemals vollkommen zu erreichen.
In einer weiteren Versuchsreihe habe ich von der
mechanischen Methode der Stärkmehlbestimmung gänzlich
Umgang genommen und die chemische Methode durch Ueber-
führung des Amylon's in Stärkezucker zur Anwendung ge-
Vogd : Bkiflmm cks Frost* <nf Kartoffel 181
bracht. In ähnlicher Weise hat schon früher Krocker5)
den Stärkmehlgehalt in vegetabilischen Nahrangsmitteln be»
stimmt, indem das Amylon in Zacker übergeführt und mit
Hefe versetet der Gährung überlassen worden war, 10 Gnn.
geriebene Kartoffeln wurden mit Wasser gekocht und
das Amylon durch Schwefelsäure in Zocker übergeführt*
Nach Neutralisation der freien Säure geschah die Stärkebe-
rämmung nach der bekannten Fehling'schen Zockerprobe.
10 C. C. der Probeknpferlösuog entsprachen 0,045 Gnn.
Amylon. Es ergab sich aus diesen wiederholt ausgeführte»
fieetimmungen zwischen dem Amylongehalt der frischen und
gefrorenen Kartoffeln durchaus kein bemerkbarer Unter-
schied.
Diese chemische Methode der Axnylonbestimmung gibt
mdess gerade in diesem Falle insofern kein entscheidendes
Besultat, als nach derselben eine geringe auf Kosten de*
Stärkmehles durch den Frost bedingte Zuokerbildang nicht
bemerkt werden kann«
Es ifrt hier vor Allem zu berücksichtigen, dass zu diesen
vergleichenden Versuchen Kartoffeln von ganz gleicher ar-
sprünglicher Beschaffenheit, d. h. von der nämlichen Art
und Zeit der Aufbewahrung anzuwenden sind» Wenn eine
Kartoffel nur wenige Tage im warmen Zimmer liegt, so ist
im Zuckergehalte wahrscheinlich durch die Anbahnung des
Keimprocesses , ungeachtet während einer so kurzen Zeit
naturlich keine äusseren Zeichen des Keimvorganges sichtbar
geworden, doch schon eine Veränderung eingetreten, so dass
ohne Berücksichtigung dieses Verhältnisses bei so geringen
Differenzen im Zuckergehalte wesentliche Irrthümer statt-
finden können. Ich habe daher, um ein möglichst vergleich-
bares Untersuchungsobjekt zu erhalten, eine Kartoffel in
zwei Theile zerschnitten und die eine Hälfte während einer
6) Annal. der Chem. uad Pkaim. B. 06. 8. 312.
182 SUnmg der ma^hys. dorn vom 22. Main 1864.
Nacht dem Fro6te aasgesetzt.6) Als Endresultat meiner
Versuche in dieser Beziehung, deren Einzelnheiten ich hier
übergehe, ist zu erwähnen, dass ich durchgängig eine Ver-
mehrung des Zuckergehaltes durch den Frost, wenn auch in
wechselndem und geringem Maasse beobachtet habe. Kochte
man die Kartoffeln vor der Zuckerbestimmung, so stellte
sich das Verhältniss etwas grösser, als bei den frischen
heraus. Es scheint somit nicht unmöglich, dass durch den
Frost ein der Diastase ähnlicher Körper erzeugt werde,
dessen Wirkung auf die Zuckerbildung durch Kochen ver-
mehrt wird. Die teigartige Beschaffenheit der gefrorenen
Kartoffeln, welche dem vollständigen Auswaschen des Amy-
loids hindernd entgegentritt, kann bei der leichten Löslich-
keit des Stärkeznokers wohl nicht in Betracht kommen.
Neben der Fehling'schen Zuckerprobe, welche bei
diesen Versuchen angewendet worden war, wurden auch
direkte Zuckerbestimmungen ausgeführt. Zu dem Ende be-
handelte ich in dünne Scheiben geschnittene und scharf ge-
trocknete Kartoffeln, nachdem sie fein gepulvert waren, im
gefrorenen und frischen Zustande mit kochendem Alkohol.
Auch nach dieser Methode ergaben sich Resultate, welche
eine Vermehrung des Zuckergehaltes durch den Frost be-
stätigten. Bestimmt man in dem durch Weingeist vom
Zuckergehalte befreiten Rückstande den Starkmehlgehalt nach
der chemischen Methode, so ergibt sich in der gefrorenen
6) Nach Beobachtungen des Herrn Prof. Nägeli, welche mir
leider erst naoh Abschluss dieser Arbeit bekannt worden, ist es
nicht ohneEinfluss auf die Zuokerbestimmung, ob man die su unter-
suchende Kartoffel nach der Länge oder der Quere durchschneidet,
indem die Zuckervertheilung in dem oberen und unteren Theil der
Kartoffel verschieden sein kann. In wiefern dieser Umstand auf die
Resultate hier eingewirkt haben dürfte, muss einer spater wieder
aufzunehmenden Versuchsreihe xu entscheiden vorbehalten bleiben.
Vogel: Mnfims des Frostes auf Kartoffeln. 183
Kartoffel eine geringe dem Zuckergehalte entsprechende
Verminderung des Amylon's.
Beim Aufthauen der gefrorenen Kartoffel fliegst be-
kanntlich eine Flüssigkeit aus, deren Menge durch leichtes
Drucken noch bedeutend vermehrt werden kann. Dieselbe
wird durch Jodwasser nur schwach hellblau gefärbt, ent-
hält daher kaum Spuren von Stärkmehl. Dagegen ist sie
sehr reich an Pflanzenei weiss , indem sie beim Aufkochen
stark coagulirt und einen voluminösen Niederschlag absetzt,
in weit grösserer Menge, als die aus frischen Kartoffeln aus-
gepresste Flüssigkeit Die gefrorene und wieder aufgethaute
Kartoffel ist daher offenbar ärmer an Stickstoffhaltigem
Nahrungsstoff geworden. Den vollen Nahrungswerth wür-
den die gefrorenen Kartoffeln nur in dem Falle bewahren,
wenn man sie noch im hartgefrorenen Zustande sogleich in
kochendes Wasser legte, wobei das gerinnende Eiweiss,
ähnlich wie das Albumin des Fleisches, welches man in
kochendes Wasser bringt, nach dem bereits allgemein in
die Praxis übergegangenen Vorschlag des Herrn Baron von
Liebig, nicht verloren gehen kann. Ueberhaupt wäre es
vielleicht zweckmässig, die Liebig'sche Methode des Fleisch*
kochens auch auf die Kartoffeln auszudehnen. Bringt man
Kartoffeln, namentlich geschälte, in kaltes Wasser und er-
hitzt langsam zum Sieden, so bemerkt man stets eine
Schaumbildung, theilweise von Spuren geronnenen Pflanzen-
albumins herrührend. Wird dagegen von vornherein kochen-
des Wasser angewendet, so kann natürlich durch das plötz-
liche Gerinnen des Eiweisses an der Oberfläche dieser Ver-
lust nicht eintreten. Vergleichende Stickstoffbestimmungen
in Kartoffeln, welche mit kaltem und kochendem Wasser
behandelt worden waren, ergaben bei der vom Anfang
herein mit kaltem Wasser behandelten Kartoffel eine be-
merkbare Stickstoffverminderung. Wenn dieselbe auch nicht
als eine wesentliche betrachtet werden kann, so dürfte sie
184 Sitxung der matk-phy*. Clause xxm IM. Man 1864.
doch immerhin bei einem Nahrungsmittel, welches an und
für sieh arm genug an blutbildenden Stoffen ist, einiger*
maassen berücksichtigt werden. Ich behalte mir vor, meine
bisherigen Versuche in dieser Beziehung, deren Mittheilung
hier nur eine vorläufige ist, weiter fortzusetzen und sie
namentlich auf die Bestimmung des Stickstoffgahaltee ver-
schiedener Gemüse je nach .der Art ihrer Behandlung zo
erstrecken*
Da die Kartoffeln, wie aus früheren und meinen eigenen
hier erwähnten Versuchen hervorgeht, keinen wesentlichen
Verlust an Amylon durch Frost erleiden, frische Kartoffeln
dagegen bei der gewöhnlichen Methode der Aufbewahrung
vermöge des voransehreitenden Keimproeeeses sehr bald eine
Veränderung erfahren, so könnte das absichtliche Frier«-
lassen vielleicht als ein geeignetes Mittel zur Gonservimng
der Kartoffeln, welche zur Stärkmehlfabrikation gebraucht
werden sollen, dienen. Dieser Vorschlag ist auch schon in
grösserem Maasstabe zur Ausführung gekommen, indem in
Peru 7) bereits Kartoffeln auf diese Weise conservirt werden.
Man lässt die Kartoffeln im Winter auf hohen Bergen frieren
und trocknet sie dann rasch in den warmen Thälern des
Landes, wodurch sie ihren Stärkmehlgehalt unverändert bab-
behalten.
7) Airaalen der Pharmacie. B. 27. S, 343.
Historische Classe.
Sitzung vom 18. März 1864.
Herr Stiftsprobst Dr. v. Döllinger hielt einen Vortrag:
„Ueber den Untergang desTempler-Ordens,
dessen Ursachen, die Schuld oder Un-
schuld des Ordens."
Oeffentliche Sitzung der k. Akademie der Wissen-
schaften
zur Feier ihres 105. Stiftungetage«
am SO. Mars 1864.
Einleitende Worte
des Vorstandet
Dr. Justus Freiherrn von Liebig:
„Die Erinnerungsfeier des Tages, an welchem vor 105
Jahren unsere Akademie der Wissenschaften gestiftet wurde,
fiHt in die Zeit der tiefen Trauer um den theuren, unver-
geßlichen Fürsten, den ein unerforschlicher höherer Wille
dem Lande und der Welt so ganz unerwartet und erschüt-
ternd rasch entriss. In seiner Klage und seinem Schmerze
erkennt das treue Volk, welch einen treuen Hüter seines
Wohles es in dem König Max verlor, und nie hat fürwahr
ein reineres Streben für das Glück seines Volkes das Herz
eines Fürsten erfüllt. Er war ein warmer Freund der
Wissenschaften, nicht wie ein Monarch, der ihnen als äus-
seren Schmuck seines Thrones seine Gunst zuwendet, son-
dern er liebte sie, weil sie ein Bedürfniss seines Geistes
waren; die Beschäftigung mit der Wissenschaft gehörte zu
seinen unentbehrlichen, liebsten Genüssen, zu ihr flüchtete
Sein Geist, wenn er erregt und ermüdet war von den
Kämpfen und Störungen des äusseren Lebens. Seinem
Wollen und Entschliessen ging wie bei dem Manne der
Wissenschaft in der Lösung schwieriger Probleme ein nur
allmäüg sich tollendender geistiger Process, ein angestrengt
tes Bingen nach Klarheit und Ueberzeugung voraus und aus
seinem Drange, sich Rechenschaft zu geben über sein Thun,
entsprang seine grosse Gewissenhaftigkeit. Der äussere
186 SiUung der Gesammt-JJbademie wm 30. Märe 1864.
Friede, den er mit seinem Volke haben wollte, war der
innere Friede mit seinem Gewissen. Das Rechte zu wollen,
war er stets sich bewnsst; die Seele war gesund, und wir
wissen jetzt, dass sein körperliches Leben ein langes schweres
Leiden war. Die Förderung und Pflege der Wissenschaften
in allen ihren Richtungen betrachtete er als eine seiner
würdigsten Aufgaben und nach seinen Absichten sollten
allen Kreisen der Bevölkerung die Güter und Gaben theil-
haftig und Nutzen bringend sein, welche die Cultur der
geistigen Gebiete dem Menschen verleihen."
Der Vorstand schloss seinen Vortrag mit der Bemerk-
ung, dass die Verdienste des S, M. Königs Maximilian um die
Förderung der Wissenschaften weit über die Zeit hinaus«
reichen, seit welcher er dem Lande angehöre, und dass er,
weil er nur ein unvollkommenes Bild davon entwerfen könne,
seinen Collegen, den Herrn Stiftsprobst von Döllinger, er-
sucht habe, diese Schilderung zu übernehmen«
Nach Beendigung des Vortrags des Herrn von Döl-
linger*) wurde von dem Glassensekretär Herrn von Martins
ein kurzer Bericht mit Ehrenerwähnung einiger seit November
vorigen Jahres durch den Tod abgegangenen Mitglieder der
Akademie abgestattet.
Hierauf überreichte der Vorstand dem Herrn Geheimrath
von Martins die goldene Medaille, welche die k. Akademie auf
sein öOjähriges Doctorjubiläum prägen Hess, mit folgenden
Worten: „Unsere heutige Sitzung fällt mit dem Tage zuv
sammen, an welchem vor einem halben Jahrhundert eines
der ausgezeichnetsten Mitglieder unserer Akademie zum
Doctor medicinae promovirt wurde; heute vor 50 Jahren
begann unser College, als vielversprechender, talentreicher
Jüngling, seine glänzende wissenschaftliche Laufbahn — sie
*) König Maximilian II. und die Wissenschaft, von J. v. Döllinger,
d. Z. Sekretär der historischen Classe. München, Verlag d. k. Aka-
demie 1864. 8°.
Mmtim: Jhtgtgmmg de$ Jubilars. 187
entrollt sich uns als eine Periode der erfolgreichsten Thätig-
keit und der bewundernswürdigsten wissenschaftlichen Leist-
ungen; mit gerechtem Stolz darf unser Jubilar auf sie zu-
rückblicken. Was die Welt an Anerkennung einem Manne
bieten kann, ist ihm geworden; nicht nur in Europa, son-
dern überall, in allen Kreisen, in welchen die Wissen-
schaften gepflegt werden, wird der Name des brasilianischen
Reisenden, des berühmten Botanikers Martins mit Hoch-
achtung und Verehrung genannt. Zum dauernden Gedacht-
nis8 dieses Tages, den unser College heute feiert, hat die
Akademie eine goldene Medaille prägen lassen, und mir ist
die Freude vergönnt, sie meinem Freunde zu überreichen.
Empfangen Sie denn, Herr Geheimerath von Martius, diese
Medaille ak ein sichtbares Zeugniss unserer Anerkennung
der bedien Verdienste, die Sie sich um die Wissenschaft und
um die Akademie erworben haben. Möge Gott Sie noch
lange erhalten, uns und der Wissenschaft, geistig frisch und
jung, wie heute/4
Entgegnung des Jubilars (Ex texnp.):
Hochgeehrtester Herr Vorstand!
Meine theueren Herren Collegen!
Die Ehre, welche Sie mir heute, vor den erleuchteten
Käthen der Krone, vor dieser hochansehnlichen Versamm-
lung erweisen, ist so gross, dass ich nicht Worte finde, ge-
bührend dafür zu danken. Bestürmt von den mannigfach-
sten Gefühlen stammle ich nur. Gestatten Sie mir also
nur, dass ich aus tiefbewegtem Herzen stammle: ich danke
Ihnen für diesen Beweis von collegialischer Freundschaft
und Nachsicht Ich empfinde eine stolze Freude, denn,
„was in dem Herzen Anderer von uns lebt, ist unser
tiefstes, bestes .Sein!" Ihre Theilnahme ist nicht blos eine
reinmenschliche, wie wir sie dem Alternden zu widmen
188 Sitzung der Gesamr+Akademic wm SO. Man 1864.
pflegen, der seine Laufbahn fast vollendet hat, sondern sie
beglückt einen Mann, der weit aber eis Mensehenalter hinaus
dieser praswfirdigen Körperschaft angehört. Ja, ich bin
ein Pflegesohn dieser Akademie; ich empfinde mich als
solcher. Wenn ich daher ihr nach meinen besten Kräften,
mit den reinsten Absichten zu dienen bemüht war, an ihren
Schicksalen und Erfolgen, an ihrer zunehmenden Wurzelung
in das patriotische Gemeingefuhl der Bayern den innigsten
Antheil genommen habe, so darf ich wohl unbedenklich
wenigstens das Lob, von dem mir so gütig zuerkannten
annehmen, ich sei „fide probatus". Und hätte ich diese
Treue nicht stets bewahrt, wie stünde ieh heute an diesem
Orte? Mächtig mahnt er mich an meine akademische Ver-
gangenheit. Es ziemt sich nicht, viel von mir selbst zu
reden; doch hoffe ich, diese hohe Versammlung werde mit
Kachsicht anhören, wenn ich erzähle, dass ich in diesem
Saale im Dezember 1813 zum Eintritt unter die Eleven der
Akademie bin geprüft worden. Unter diesem Namen wur-
den damals junge Gelehrte aufgenommen, um sich, der
Leitung eines Mitgliedes untergeben, in einer Wissenschaft
auszubilden; so Steffanelli für Astronomie, Meyer für Physik
und Chemie, Ruland für Physik. Ich, für Botanik, der
Führung des ehrwürdigen, mir im dankbarsten Gedächtniss
stehenden v. Schrank zugewiesen, war der jüngste und
letzte. Sie alle sind schon längst heimgegangen. — In diesem
Saale empfieng ich im October 1816 das k. Decret als Ad-
junct und damit als Staatsdiener, bald darauf auch die In-
structionen der Akademie für eine wissenschaftliche Reise
nach Brasilien mit meinem , schon 1826 (24. Mai) gestor-
benen Freunde Spix. Diese Reiseunternehmung, auf welche
wir, nur eilig und ungenügend vorbereitet, uns schon am
6. Februar 1817 begaben, hat meiner ganzen- literarischen
Thätigkeit eine bestimmte Richtung gegeben. — Nach der
Rückkehr aus der neuen Welt ward iah in der Januar*
Martins: Entfernung de* Ju&km. 180
Sitzung 1821 als ordentliches Mitglied der Akademie in
diesem Saale eingeführt; — liier ward ich gewürdigt, bei
dar akademischen Feier zum 25jährigen Jubiläum der Re-
gierung Seiner Majestät des höchstseligen Königs Max
Joseph I. ab einer der drei Redner aufzutreten, — und
hier habe ich am 28. März 1848, da- die akademische Ju-
gend das Haas von Waffen erdröhnen machte, statt deB
verhinderten Vorstandes, zum Erstenmale König Maximilian II*
als Bort und Beschützer unserer Akademie begrüsst, den
edlen Monarchen , dessen unvermuteter Tod einen dunklen
Schatten wirft auf das ganze Bayerland.
Heute stehe ich an demselben Platze , aber nicht mehr
umgeben von denselben Männern« Welche Veränderungen
habe ich in diesen 50 Jahren erlebt 1 Noch waltet in
meiner Erinnerung die Gestalt des ehrwürdigen Präsidenten
Friedr. Heinr. Jacobi, wie ein Weltweiser des classischen
Alterthnms im modernen Gewände; — dann als Vorstand
das Triumvirat von Schlichtegroll, Moll und Westenrieder,
darauf der catonieoh- ernste Weiller, — der vielgelehrte
Schrank, dun, die uns schon näher stehen, der mächtig-
bewegende Philosoph Schelling, — Freiberg und Thiereoh.
Und welcher Umschwung in dem Personale der Ciaseen l
Die ganze erste und dritte Glasse aus jener Zeit sind aus-
gestorben und in neuen Geistern verjüngt In der zweiten
Classe ist nur der ehrwürdige Nestor unserer Körperschaft,
Herr Hofrath von Vogel noch übrig. Welche ausserordent-
liche Entwiekelung haben die Wissenschaften in diesem Zeit»
räume erfahren I Aber gerade diese Erwägung hebt uns
hinweg über die wehmitthigen Empfindungen, die uns heim-
suchen in der Erinnerung an so viele edle, hervorragende
Geister, mit denen wir gelebt haben 1 Die Einzelnen sind
hinfällige Blätter am Baume der Wissenschaft; dieser selbst
aber, von göttlichem Hauche durchdrungen, treibt rastlos
immer neue Wurzeln, neue Aaste, die sich aus allen Akar
190 Sitzung der Gesammt-AJcadmie vom SO. März 1864.
demien mächtig in einander verschränken. Eine innige
Solidarität verbindet alle diese Heerde der Forschung nnd
sie feiern mit einander den ewigen Fortschritt in den Er-
folgen ihrer Mitglieder, wohl getröstet aber des Einzelnen
Sterblichkeit: denn Vivitur ingenio, cetera mortis erontl
Dem Greise, dessen Sarg nicht mehr grünbeblättert im
lebendigen Walde steht, sondern schon gefällt und angeschnit-
ten ihn erwartet, dürfte es wohl gestattet sein, an diesem
Orte die Ueberzeugung ab die seinige auszusprechen, dass
wir im Geiste leben.
Auch wäre es wohl gerechtfertigt, wenn man mich
fragte, was ich denn als die Frucht eines so langen, der
Naturforschung geweihten Lebens mir eingethan, mir für
das letzte Experimentum crucis erworben habe?
Unsere Zeit ist gar zu bereit anzunehmen, dass jene
Männer, welche sich der Pflege der Naturwissenschaften
ergeben, den Materialismus bekennen, abgewendet seien
vom Glauben an das, was Jenseits der sinnlichen Wahr-
nehmung liegt, dass sie kein Gehör geben den Mahnungen
an die geistige Unterlage der Dinge. Und doch; wer könnte
nnd müsste sie deutlicher vernehmen, als' der Naturforscher,
der nicht am Rande der Erscheinungen steht, sondern mitten
im Strome des Lebens? Das erkennt er allerdings wohl,
dass „dieses grosse Ganze nur für einen Gott gemacht ist;"
aber damit erkennt er auch, dass darin noch etwas An-
deres walte, als die Gesetze der Erscheinungswelt.
Diese sucht und findet er mehr oder weniger und sein
Verstand begreift ihr harmonisches Zusammenwirken als den
Ausdruck einer höchsten, einer göttlichen Zweckmässig-
keit. Aber zur Ursache vermag er nicht durchzudringen,
nnd in vollster Anerkenntniss menschlicher Unzulänglichkeit
wird er demüthig. Dbrum hat unsere Akademie den Wahl-
spruch gewählt : rerum oognoscere causas ; — sie sagt nicht
causam. Wunder umgeben den Naturforscher überall. Der
Martina: EiUgtgmmg d» Jubüan. 191
des einfachen Lichtes zum bunten Farben-
spiel des Spectrams, die Unendlichkeit in den Verbindungen
und Scheidungen des Stoffes, die Entstehung und Entwick-
lung des einfachsten Lebenspunctes, wie die Entfaltung und
Gliederung in immer höher gesteigerten Organismen bis
herauf zum Menschen : wir sehen , wir beobachten sie* wir
fuhren ihre Erscheinungen auf gesetzmässige Reihen und
Bedingungen zurück, — aber wir begreifen sie nicht in
ihrem Wesen, — fern, in incommensurabler Weite liegt ihr
Urgrund — und das &avpdtew des Plato, das sich Ver-
wundern, ist nicht blos der Eingang, es ist auch der Aus-
gang unserer Forschung. Wer aber findet, dass Anfang
und Ende dar Erscheinung ausser seinem Gesichtsfelde liegt,
der wird hingetrieben auf ein geistiges Wirken in dieser
erhabenen Weltordnung, wo Leben Tod und Tod Leben
bedeutet, wo in dem ewigen Schöpfungsstrome Wellen
steigen und fallen und sich verschlingen zu Einer unend-
lichen Kraft, nicht wie todte Spindeln laufen in einem
Menschenwerke.
Zufall gibt es wohl in der materiellen Welt, nicht aber
in jener höhern Region der Intelligenzen, die Gottes Vater-
äuge auf ihren parabolischen Bahnen begleitet. Das war der
Glaube grosser Meister der Wissenschaft, eines Linne, Eid-
meyer, Cuvier, Humphry Davy, meines unvergesslichen Lehrers
Schrank u. A.; es ist auch der meinige. Auf sehr ver-
schiedenen Wegen kommt der Forscher zu diesen lieber-
zeugungen. Was mich betrifft, so habe ich nicht wie ein
Bergmann, die Lampe des Genius auf der Brust, analytisch
forschend in die Tiefe gegraben. Ich' war vielmehr ein
Bergsteiger, der am Abhänge der Wissenschaft emporklet-
tert, möglichst hoch oben die Sonne der Wahrheit aufgehen
zu sehen und seinen Horizont zu erweitern; wohl bewusst,
dass er den Gipfel nicht erreicht. Auf dem langen Wege,
der mir vergönnt war, habe ich zunächst meine Unzuläng-
192 Sitzung der Oaetmimt Aiadmie tom SO. Märe 1864.
4ichkeit kennen geleint, damit Aber auch dm ewigen Beruf
einer Intelligenz, deren Wesenheit denken ist Und weil,
•wie schon S. Augustinus sagt, das Wesen von sieh selbst
eich nicht trennen kann, so ist mir'a Gewisaheit geworden,
dass ich unsterblich bin. Das ist die Frucht meiner Arbeit
als Naturforscher.
Bei solcher Ueberzeugung verfolgt der Alternde mit
heiterer Gelassenheit das Stück Weges, daß ihm etwa noch
übrig sein möchte, und er wiederholt sich »täglich , was ein
grosser Dichter einen König sagen lässt: „Bereitschaft igt
Alles." Hierin haben wir die Euthanasia, davon uns in
diesen Tagen der Trauer um den aUgeliebten König und
Landeevater, sein hehres Beispiel tröstet. Ja, König Maxi-
milian war bereitl Mit rollern Bewuss teein, iberraacht
aber nicht erschrocken, mit tapferar Gelassenheit hat er
dem Tode in's Auge gesehen. Er ist gestorben königlich.
Er hat, dessen sind wir gewiss, seinem Sohne, König Lud-
wig IL, der so frühe die Börde des königlichen Amtes
überkommen, den Segen hinterlassen, der Friede und Freude
ist Mit Zuversicht blickt unsere Akademie, blickt das
ganze Volk der Bayern auf den jugendlichen Herrscher.
Möge Friede und Freude ihn umgeben! Das walte Gottl
Nekrolog auf Heinrich Böse. 193
Erinnerung
an die neuerlich gestorbenen Mitglieder der mathematisch«
physikalischen Classe vom Classensecretär Herrn v. Martius:
Heinrich Rose,
den seine Fachgenossen den grössten praktischen Analytiker
sät Berzelioß nennen, ist am 5. August 1795 geboren und
am 27. Januar d. J. gestorben. Unserer Akademie gehörte
er seit 1835 an.
Schon sein Grossvater (Valentin, Vater, geb. zu Neu-
ruppin 1735, gest. 1771) und sein Vater (Valentin, Sohn,
geb. zu Berlin 1762, gest. 1807), beide Apotheker und
Assessoren des Medicinal-Collegii in Berlin, waren Chemiker,
haben ihrer Zeit nicht unwichtige Beiträge für die Wissen-
schaft geliefert und sind insbesondere für die geistige Ent-
wickelung und Hebung des Apothekerstandes thätig gewesen.
Auch Heinrich widmete sich diesem Stande, doch
nicht bei dem Vater, der bald nach dem unglücklichen
Frieden von Tilsit gestorben war und seine Wittwe in trüber
Zeit mit vier unerwachsenen Söhnen zurückgelassen hatte,
sondern in Danzig. In dieser, damals „freien" Stadt, unter
ihrem Gouverneur, dem General Bapp, erlebte er am An-
fange des Jahres 1813 die furchtbare Belagerung. Im
Jahre 1815 zog er, wie seine drei Brüder, mit in den
Krieg. Ais Friede wurde, nahm er in Berlin seine Studien
wieder auf und 1819 setzte er sie in Stockholm unter Ber-
zelius zwei Jahre lang fort. In der Schule des grossen
Meisters , dem er stets mit Pietät anhieng , erhielt sein
emsiger Geist die Richtung für die analytische Chemie, zu-
mal der unorganischen Körper, welche er seitdem mit der
ihm eigenen Arbeitsfreudigkeit und der vollen Thatkraft
eines gediegenen, ernsten Charakters verfolgt hat. Er pro-
movirte 1821 unter Pfaff in Kiel und habilitirte sich 1822
an der Universität zu Berlin, wo er schon 1823 ausser-
ordentlicher, 1835 ordentlicher Professor wurde.
[1864. L 8.] 14
194 Sitmmg der Quam**- Akademie t*m 90. Märe 1861,
Als Lehrer bösaas er ein eigentümliches Talent, die
Wissenschaft populär zu machen. Auf dem Katheder war
es die einfache, prunklose, wissenschaftlich - ernste Darstel-
lung; im Laboratorium die umsichtige, milde, dem Schüler
entgegenkommende Unterweisung, wodurch er Liebe zur
Doctrin weckte und tüchtige Kenntnisse aussäete. Er hat
das erste Privatlaboratorium in Deutschland hergestellt, sich
jedoch hier niemals mit vielen* Schülern zugleich umgeben;
aber diese wusste er theoretisch wie praktisch in die Tiefen
der Wissenschaft zu geleiten. So bildete er eine, zwar
nicht zahlreiche, aber gründliche Schule, welche vorzugs-
weise die reine Analyse und insbesondere die Mineralanalyse
vertritt»
Die erste grössere Arbeit H. Rose's war die Untersuch-
ung der Mineralien, welche die Krystallform des Augits auf-
weisen. Sie wurde in dem Laboratorium von Berzelius
ausgeführt und bildet (mit SponsdoriFs Arbeit über die
Hornblende und jener des Grafen Trolle Wachtmeister über
die Granaten) die Grundlage für die Kenntniss der Iso-
morphie im Mineralreiche. Sie war im Geiste von Berzelius
unternommen, des Lehrers, welchen gleichsam fortzusetzen
Rose sich in zahlreichen Untersuchungen zur Aufgabe ge-
macht hat Der Ernst, die Treue und Wahrheitsliebe eines
edlen Charakters spiegeln sich in diesen wie in allen spatem
Arbeiten H. Rose's ab, die so zahlreich sind, dass ihre
Aufzählung hier nicht am Platze wäre. Immer zeichnen sie
sich durch die Methode aus, welcher die Chemiker das Lob
des Scharfsinns uaI der Einfachheit zollen und um deren
Vervollkommnung er sich rastlos bemühte. Es kam ihm
niemals darauf an, einen glänzenden Erfolg zu erhaschen,
oder duroh Neues und Unerwartetes zu blenden, londern
lediglich auf die Sicherheit und Unumstösslichkeit seiner
Resultate, auf die möglichste Ergründung der Wahrheit
Der Chemiker, welcher einer unübersehbaren Zahl von
JMtvb* mrf Heimrich Mm. 196
Stoffen i von deren Verbindungen and gegenseitigen Bezieh*
sogen, einer ganzen Well von Einzelheiten gegenübersteht)
erfährt eine mächtige Verlockung, eich richtenfslog nach
allen Seiten auszubreiten. Obgleich nun Rose in diese Man*
nigfaltigkeiten eindrang, wie Wenige, so haben doch seine
Arbeiten keinen desultorisohen Charakter, sondern sie hangen
innerlich organisch zusammen« Es war die Idee einer sorg-
faltigen, den Zweifel ausschlieesenden, gründlich abschliessen-
den Methode, welche Wahl und Richtung seiner Arbeiten
leitete« So sind denn die Probleme, welche er sich aufgab
und die Mittel, mit denen er sie zu lösen suchte, in der
Klarheit seines, die reichsten Erfahrungen beherrschenden
Geistes verbunden. Diese innerliche Einheit des Gedanken-
ganges tritt auch in seinem grössten literarischen Werke,
dem Handbuche der analytischen Chemie (I. Ausgabe 1851.
2 Bde.), welches mehrfach aufgelegt, und erweitert in's Eng-
lische und Französische fibersetzt worden ist, hervor. Die
Fachgen ossen verehren es, wie eine untrügliche Leuchte
auf dem Wege experimentaler Forschung. In nüchterner,
die qualitativen und quantitativen Untersuchungen der Stoffe
streng von einander haltender Fassung gewährt es subjeo-
tfoen theoretischen Speculationen keinen Raum.
In seinen theoretischen Ansichten schloss sich EL Rose
denen seines Meisters Berzelius an. Er verwarf die Ideuti-
ficirung der Atomgewichte und der Aequivalente und hielt
daran fest, dass die Gewichte gleicher Volumina einfacher
Gase das Verhaltniss der Atomgewichte ausdrücken.
So stellt sich uns in diesem hervorragenden Manne
das Bild eines Scheidekünstlers im wahrsten Sinne des
Wortes dar und, zwar arbeitete in ihm der Gedanke nach
Efgrfindung richtiger Einzelnverhältnisse so unablässig, dass
er die vorhabende Aufeabe ruhelos verfolgte, und sich oft
dem Kreise der Freunde oder dem Schoosse der Familie
sogar in Stunden der Nacht entzog, um die in ihm plötz-
196 QUmmg der Qetammt Akademie xxm 90. Man 1864.
lieh aufsteigenden Conceptionen praktisch zu prüfen. In der
Geschichte der Wissenschaften wird diese Gestalt durch
sittlichen Ernst, Wahrheitsliebe und bis an's Ende unge-
brochene Arbeitskraft stets als ein edles Vorbild leuchten.
Christian Andreas ron Zipser,
Doctor der Philosophie und Professor der Naturgeschichte,
zuerst in Brunn, dann zu Neusohl in Ungarn, geb. zu Raab
am 25. Not. 1783, seit 1848 corresp. Mitglied unserer
Akademie, ist am 20. Februar 1864 gestorben. Er hat sich
besonders um die geognostische und oryktoguostische Erfor-
schung seines Vaterlandes sowohl durch selbstständige Schrif-
ten (topographisch-mineralogisches Handwörterbuch und oryk-
tognostisches Handbuch von Ungarn) und mehrere einzelne
zerstreute Abhandlungen als durch Verbreitung der ungarischen
Mineralien hochverdient gemacht.
Ferdinand von Schmöger,
Professor der Physik am Lyceum zu Regensburg, geboren
zu München am 8. Januar 1792, ist am 4. Man d. J. ge-
storben. Es folgt ihm das Lob eines wohlwollenden, nüch-
ternen, bescheidenen Charakters, eines sorgfältigen Lehrers
nach. Ganz besonders thätig war er auf dem Gebiete der
Witterungskunde und die durch ihn bekannt gemachten viel-
jährigen Beobachtungen (von 1774 bis 1834) haben im An«
Schlüsse an die von Placidus Heinrich die Meteorologie
von Begensburg wesentlich bereichert. Wir besitzen von
ihm eine Kosmographie (1817, zweite Aufl. 1820), Elemente
der Astronomie und Chronologie (1830) und mehrere kleinere
Schriften.
I
Eineendungen von Druckschriften. 197
Einsendungen von Druckschriften.
Von der SocUU pour la recherche et la conservation de* monumente
historiquee dorne le Grand- Ducht de Luxembourg in Luxemburg:
Pablicationz. Annee 1862. 18. Luxemburg 1868. 4.
Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in GöWngen:
Göttingisohe gelehrte Anzeigen. 5—21 Stfiok. Febr.— Mai 1864. Göt-
tingen 1864. 8.
Vom landwirthschaftlichen Verein hier:
Zeitschrift. 54. Jahrgang. März 8. April 4. Mai 5. 1864. Münohen
1864. 8.
Von der Sodetä Scale in NapoU:
a) Rendiconto dell' Accademia della scienze fisiche e matematiche.
Fascic. 1—8. Maggio— Dicembre 1862. Anno 2. Fascio. 1 — 10.
Gennajo -Ottobre 1863. Napoli 1862. 1863. 4.
b) Rendiconto delle tornate e dei lavori delP accademia di scienze
morali e politiche. Anno 1862. Anno Seoondo. Gennajo — Ottobre
1868. Napoli 1868. 4.
Von der Accademia deUe Sciense dcW Istituto in Bologna:
a) Memorie. Tomo 11. Fase. 8 — 4.
n "• n 1-4.
8erie 2. „ 1. „ 1 — 4.
„ 2. „ 2. H 1. Bolog. 1861—68. 4.
b) Rendiconto delle sesaioni dell' accademia. Anno
1861—1862. Bologna 1861. 8.
19o jBhnäendMßQcn toll Dmokstjhftifitn,
Vom Reale Istituto Lombardo di seien**, leUere ed arH in Milano*
a) Memorie. Vol. 8. 2. della .Serie 2. Faso. 7.
„ 9. 8. „ „ 2. „ 1. 8. 4.
Milano 1862 1868. 4.
b) Atti. Vol. 3. Fase 1—4.
n 9—18. Milano 1862-68. 4.
o) Rendiconti. Ciasee di scienze matematiche e natural! Yol. 1. Faso.
1. e. 2. Gennajo — Febrajo. Milano 1864. 8.
Von der Imperiale Regia Aceademia di scienze, lettere ed arH in
Padua:
a) Nuovi saggi. Yol. 6.
„ 7. Parte 1. Padua 1847—57. 4.
b) Rivista periodic*. Yol 12. (Semestre primo e secondo del 1862 —
1868) Padua 1863. 8.
Von der Societä italiana di scienu natural* in Milano:
Atti. Yol. 1. 2. 3. Anno 1855—1861.
i, 4. Faso. 1—4.
„ 5. „ 1—5. Milano 1859. 1861—63. 8.
Von der Royal Institution of Oreat Britain in London:
a) Prooeedings. Yol. 4. Part. 1. 2. Nr 37. 38. London 1863. 8.
b) List of the Membres, Officers and Professors 1863. London
1863. 8.
Von der SociSU Asiatique in Paris:
Journal Asiatique. Sizieme Serie. Tom. 8. Paris 1864. 8.
Von der Aeademie des seiendes in Paris:
Gomptes fendut hebdomadaires des seances. Tom. 08. N*. 5—15.
Ferner— Avrü 1864. Paris 1864. 4.
Einsendungen von Druckschriften. 199
Van der haiserl. LeopcWno-Cardinischen deutschen Akademie der
Naturforscher in Dresden:
VerhandlungeiL 80. Band. Dresden 1864. 4.
Vom historischen Verein in Osnabrück:
Mittheihmgen 7 Bd. 1864. Osnabrück 1864. 8.
Von der Socittt royale des sdences in Lüge:
Memoire*. Tom. 18. Liege 1868. 8.
Von der Directum Gen. de V Institut des provinces de France in
Paris:
Annnaire des societea savantee et des oongres seientinques 1864.
Paris 1864. 8.
Von der SociHi dy Anthropologie in Paris:
Bulletin«. Tom. 4. Fase. 4. Septembre— Deeembre 1868. Paris
1868. 8.
Von der SociHi de phgsique et d'histoire naturelle in Geneve:
Memoire*. Tom. 17. 1. Partie. Oeneve 1868. 4.
Vom Museum Francisco-Carolinum in Line:
a) Dreinndswancigster Berieht. Nebst der 18. Lieferung der Bei-
trage aar Landeskunde von Oesterreich ob der Enns. Lins.
1868. 8.
b) Urkundenbuch des Landes ob der Enns. 8. Bd. Wien 1862. 8.
Von der senkenbergischen naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt
am Main:
Abhandlungen, 6. Bd. 1. Heft. Frankfurt a. M. 1864. 4.
200 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Verein eur Beförderung des Gartenbaues w den h. preussischen
Staaten für Gärtnerei und Pflanzenkunde in Berlin :
Wochensohrift. Nr. 6—16. Febr.— April 1864. Berlin 4.
Vom Verein für Geschichte und Älterthumskunde in Frankfurt a. M.:
a) Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt a. M. von J. G. Bat-
tonn. 2. Heft. Frankfurt a. M. 1863. 8.
b) Aerzte, Heilanstalten, Geisteskranke im mitteralterliehen Frank-
furt a. M. Yon Dr. Ludwig Kriegt Frankf. a. M. 1863* 4.
o) Mittheilungen an die Mitglieder des Vereins. 2. Bd. Nr. 3. Frank-
furt a. M. 1863. 8.
Vom historischen Verein für Niederbayern in Landshut:
Verhandlungen. 10. Bd. 1. Heft. Landshut 1864. 8.
Von der SociHi dfagriculture et d' Industrie agricole du departement
in Dijon:
Journal d'Agriculture de la Cöte-d'Or. Annee 1862. 24. Vol. Dijon
1862. 8.
Von der natural-history Society in Montreal:
The Canadian Naturalist and Geologist. Vol. 8. Nr. 6. Decbr. 1863.
Montreal. 1863. 8.
Von der Academie imperiale des sciences, arts et beües lettres in
Dijon:
Memoires. 2 Serie. Tom. 10. annee 1862. Dijon 1863. 8.
Von der Phüomatischen Gesellschaft in Neisse:
Denkschrift zur Feier ihres 25jährigen Bestehens. Neisse. 1863. 8.
I
Einsendungen van Druckschriften* 201
Von der Üniversitäto-Bibliothek in Leipsig:
a) Archiv für die sachsische Geschichte. Herausgegeben von Dr. M.
Wsvchsmuth und Dr. Karl Weber. 2. Bd, 8. 4. Heft Leipzig
1864. 8.
b) Codex diplomaticus Saxoniae regiae. Von 6. E. Gersdorf. 2.
Hanpttheil. Urkundenbuoh des Hochstiftes Meissen. 1. Bd. Leipzig
1864. 4.
Von der Universität in Heidelberg:
Heidelberger Jahrbücher der Literatur unter Mitwirkung der vier
Fakultäten.
56. Jahrgang 12. Heft. Dezember 1863.
57. „ 1. „ Januar 1864.
Heidelberg 1863. 1864. 8.
Von der BedakUon des Correspandem - Blattes für die gelehrten und
Real- Schulen in Stuttgart:
Correspondenzblatt für die gelehrten und Real- Schulen. Januar 1.
1864. Stuttgart 1864. 8.
Von der Lesehalle der deutschen Studenten in Prag:
Jahresbericht. 1. Juli 1862 — Ende Dezember 1863. Prag 1863. 8.
Von der h. k. Sternwarte in Wien:
a) Annalen. 3. Folge. 12. Bd. Jahrgang 1862. 'Wien 1863. 8.
b) Meteorologische Beobachtungen an der Wiener Sternwarte von
1775 bis 1865. 4 Bd. 1823—1838. Wien 1863. 8.
Van der pfälzischen Gesellschaft für Fharmacie in Speier:
Neues Jahrbuch für Pharmacie und verwandte Fächer. Zeitschrift.
Bd. 21. Heft 3—5. März—Mai 1864 Speier 1864. 8.
Von der Aeademie rayaU de Mideeim de Belgiqne in Brüssel:
Bulletin. Annee 1863. Deuxieme 8erie. Tom. 6. Nr. 10. 11.
„ 1864. „ „ y, 7. Nro. 1. 2«
Brüssel 1863. 1864. 8.
3MW Einsendungen von Drueiceehriften\
Von der American Acaismy ef Jit» and Ataie* <» ^awiM^:
Lift of new nebalae und star-eiusters eeem at th« obserratory ol
Html* College 1847—18*8. Cambridge 1888. &
Vom IsHtuto Veneto di scienu, Untere ed <mü im Veneria:
Atti. Tomo nono. Serie terra. Dispens* seconda, tena, quarta, dal
Novembre 1868 all' Ottobre 1864. Venedig 8.
Von der SocUU des sdences naturelles in Neufchatd:
Bulletin. Tom. 6. Second eahier. Neufchatel 1868. 8.
Vom naturhistorischen Verein in Hannover:
Dreizehnter Jahresbericht von Michaelis 1862 bis dahin 1868. Han-
nover 1864. fol.
Von der koninklijfBe natuurkundige Vereeniging in Nederkmdeoh
Indii in Batavia:
Natuurkundig Tijdschrift voor Nederlandsch Indiß.
Deel 24 Vijfde Serie Deel 4 Afl. 5. en 6.
»t *&• „ „ „ o. ,, l.
„ 26. Zesde „ „ 1. „ 1. en 2.
Batavia 1862. 1868. 8.
Von der Royal Society in Dublin:
Journal. Nr. 80. July 1868. Dublin 1868. 8.
Von der Jb. preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin:
Monatsberichte. August bis Desember 1863. Januar, Februar 1864
Berlin. 8.
Von der JB. Äcmimia de nobles owtes de San Fernando in Madrid:
Los desastres dela guerra. Coleeeion de ochenta laminas inventadai
y grabadas al agua fuerte por Don Francisco Coya. 1 — 8.
Madrid 1863. 4.
Einsendungen ton Druckschrift**. JOS
Von der phy^ltMs^^Mdiiinischen Qe#Ms<9*ft in Wurzburg :
Wtabvr'ger medizinische Zeitschrift. 6. Bd. 1. Heft Wtrsborg
1864. a
Von der Gesellschaft der Wissenschaften in Frag:
a) SUeungiberiohta. Jana* — Juni
Juli — Dezember. JeJargang 1868.
Prag 1864. 8.
b) Die pharmacognostisehe Sammlung des Apothekers Joseph Dittrich
in Prag. Ausgestellt zur Feier der dritten General-Versammlung
des allgem. Österreich. Apotheker- Vereins am 1. und 2. Septbr.
1868 in Prag. Prag 1868. 8.
Vom Geschichte- Verein für Kärnten in Klagenfurt:
Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie. 8. Jahrgang.
Kirnten 1868. 8.
Vom statistischrtopographischen Bureau in Stuttgart:
Württembergische Jahrbücher für vaterlandische Geschichte, Geo-
graphie, Statistik nnd Topographie. Jahrgang 1862. 1. und
2. Heft
Tom historischen Verein van ünterfranken und Aschaffenburg in
Wurzburg-.
a) Archiv. 17. Bd. 1. Heft Wurzburg 1864 8.
b) Die Sammlangen des historischen Vereins, herausgegeben von
Prot Dr. Contzen. 1. AbthL Bacher , Handschriften, Urkunden
Wunburg. 1866. &
c) Die Sammlungen des historischen Vereins , herausgegeben von C.
Heffher. 2. Abthl. Gemälde, Sculpturen, Gypsabgusse, Waffen,
Glaser etc. Ger&the, Mobilien, Siegel etc. Ausgrabungen.
Wurzburg 1860. 8.
Von der naturfonchenden Gesellschaft in Zürich:
Viertejjahrsheit 6. 7. 8. Jahrgang, je 1—4. Heft 1861—1868.
Zürich a
204 Einsendungen von Druckschriften.
Vom physikalischen Verein in Frankfurt a. M.:
Jahresbericht 1862. 1863. Frankfurt a. M. 8.
Von der deutschen morgenländischen Gesellschaft in Leipzig :
a) Zeitschrift. 18. Bd. 1. und 2. Heft. Leipzig 1864. 8.
b) Indische Stadien. Beitrage für die Kunde des indischen Alter-
thums, von Dr. Albrecht Weber. 8. Bd. Leipzig 1868. 8.
Vom Herrn M.mB. Studer in Bern:
De Porigine des lacs Suisses. Bern 8.
Vom Herrn Henle in Braunschweig:
Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen. 2. Bd. Ein-
geweidelehre 2. Lieferung, Harn- und Geschlechtsapparat.
Braunschweig 1864. 8.
Vom Herrn Franzesco Zantcdeschi in Padua:
Intorno alla spettrometria e chimica astroatmosferica; all9 oaono
studiato ne' suoi rapporti colla elettricita atmosferica e La foto-
grafia; e con un cenno degli avanzamenti della meteorologica
in Italia. Padua. 8.
Vom Herrn James D. Dana in New-Haven:
1. The Classification of anünals based on the principle of cephaliza-
tion. Nr. 3. Classification of herbivores.
2. Note on the position of amphibians among the classes of verte-
brates. New-Haven. 8. »
Vom Herrn J. A. Grunert in Greifswald:
Archiv der Mathematik und Physik. 41. Tbl. 3. Heft Greifswald
1864. 8.
Einsendungen von Druelrechriften. 205
Vom Herrn G. P. Bond in Cambridge:
On the new form of the achromatic object-glass introdaced by
Steinbeil. Cambridge 1868. 8.
Vom Herrn Emü Oeyrnidnski m Krakau:
Nene chemische Theorie, durchgeführt durch alle unorganischen
Verbindungen in allgemeinen Formeln. Krakau 1864. 8.
Vom Herrn Alfred Volkmann in Haue:
Physiologische Untersuchungen im Gebiete der Optik. 2. Heft.
Leipzig 1864. 8.
Vom Herrn Albert Oppel hier:
Pal&ontologische Mittheilungen. Text und Atlas. Fortsetzung.
Stattgart 1863. 8.
Vom Herrn Friedrich W. Schultz in Wemenburg a. d. Lauter:
Grundzuge zur Phytostatik der Pfalz. Weissenburg a. d. Lautei
1863. a
Vom Herrn Attilio Tassi in Siena:
a) Sulla flora della provincia Senese e Maremma Toscana. Siena
^ 1862. 8.
b) Esame d'una singolarita di struttura del flore dell1 aquilegia vul-
garis. Siena 1862. 8.
Vom Herrn De Colonet - D'Huart in Luxembourg:
Nouvelle theorie mathexnatique de la chaleur et de l'electricitä. 1.
Partie.
Determination de la relation qui existe entre la chaleur rayonnante,
la chaleur de conductibilite et l'eleotricite. Luxembourg 1864. 8.
206 Eimmdmngen von Druebcnriftm.
Vom Herrn QueencriUe in &m$:
he moniteor soientifiqne da ofcimiste et du manulwturier.
Tom. 1—6. Annee 1857—1869.
„ 6. „ 1864 (1—7 livraison) Paria 4.
Vom Herrn F. wm der 8traten-Pbnth>£ 4* Pan:
Les nenf pvenx, gravnre sur bois dm oomauneement du qoinaiene
sieole, fragments de Phdtel de Villa de Mets Pau. IfisU. 6.
Vom Herrn L. Vaueher in Genf:
In M. Tullii Ciceronis libroa philoaophicoa curae criticae. Fase. 1.
Lauaanne 1864. 8.
Vom Herrn Alexander Ecker in Freiburg:
Die Anatomie des Frosches. 1. Abthl. Knochen- und Muskel-Lehre.
Brannschweig 1864 8.
Vom Herrn A. Köüiker in Würgburg:
Weitere Beobachtungen über die Wirbel der Selachier, insbesondere
über die Wirbel der Lamnoidei, nebst allgemeinen Bemerkungen
über die Bildung der Wirbel der Plagiostoman. Frankfort *. M.
1864. 4.
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften,
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 7. Mai 1864
Herr Beckers hielt einen Vortrag:
„Ueber die wahre und bleibende Bedeut-
ung der Naturphilosophie Schellings".
Derselbe wurde für die Denkschriften bestimmt.
Mathematisch-physikalische Classe.
Sitzung vom 7. Mai 1864.
Herr Pettenkofer trug vor:
„Bemerkungen über die chemischen Unter-
suchungen ron M. J. Reiset über die
Respiration von landwirth schaftlichen
Hausthieren".
Reiset hat in den Annales de Chimie et de Physique
(dritte Serie Bd. 69. Oktober 1863) eine Fortsetzung der
[1864.1.4.] 15
208 Sitnmg der maft.-ftyt. CHam vom 7. Mai 1864.
früher (1849) gemeinschaftlich mit Reg na alt angestellten
Untersuchungen geliefert. Da seit dieser Zeit der thierische
Stoffwechsel theils in seinen festen und flüssigen, theils auch
in seinen gasförmigen Endgliedern Gegenstand umfangreicher
und genauer Untersuchungen in Deutschland gewesen ist, so
war die Hoffnung gewiss nicht unberechtigt, Beiset werde
die bisherigen Resultate in den Kreis seiner neuen Unter-
suchungen ziehen. Der Verfasser hat diese Hoffnung ge-
tauscht und seinen alten Standpunkt von 1849 unverändert
beibehalten; anstatt sich eine neue Aufgabe zu stellen, bat
er die alten Versuche unter denselben wesentlichen Um-
standen wie früher wiederholt. Die Fortsetzung der Ar-
beiten hat uns desshalb auch keinen Fortschritt in unserm
Wissen gebracht» Die früheren Versuche von Regnault und
Reiset verdienten zu ihrer Zeit die grösste Beachtung und
Anerkennung, die sie auch gefunden haben, namentlich weil
sie an verschiedenen Thierklassen angestellt waren; aber
nur die grösste Kurcsichtigkert konnte sich einreden, dass
.sie mehr ata ein guter Anfang, dass der Gegenstand im
Wesentlichen hiemit erlediget wäre. Die Versuche von Reg-
nault und Reiset haben in Bezug auf den Stoffwechsel nur
den Werth von qualitativen, aber nicht von quantitativen
Untersuchungen, weil die Quantität der im Körper sich um-
setzenden Stoffe gar nicht berücksichtiget worden ist Der
ganze Gasaustausch ttebt als eine ieolirte Grösse für sich
da, und kann ohne die willkürlichsten Hypothesen nicht
mit dem gesammten Stoffwechsel in Beziehung gebracht
werden. Die Untersuchungen von Regnault und Reiset
-haben gelehrt;
1) dass die Produkte der Perspiration bei verschiedenen
Thierklassen wesenflick die gleichen sind;
2) dass der athmende Körper aus der Luft wesentlich
nur Sauerstoff aufnimmt und Kohlensaure abgibt;
3) dass er unter Umständen auch zwar geringe, aber
P*tte*hof*r: Respiration t*m lamdww<fa<*af& HtnuiMarcn. 209
m
doch mesBbare Mengen Wasserstoff und Grubengas aas-
scheidet ;
4) das« zwischen der Quantität und Qualität der Nahr-
ung und der Perspiration ein noch zu erforschender Zu-
sammenhang sich verräth;
5) dass weder Ammoniak noch Schwefelwasserstoff
in bestimmbarer Menge ausgeschieden werden und endlich
fanden sie
6) daas der Stickatoßgefaalt der in ihrem Apparat ein-
geschlossenen Atmosphäre sich wahrend eines Versuches bald
etwas vermehrt, bald etwas vermindert, wo sie dann an-
nahmen, das Thier habe Stickstoff ausgegeben oder einge-
nommen. Das abgedunstete Wasser ist ebenso, wie die
Nahrung und die Ausscheidungen durch Darm und Nieren
unberÄckaichtiget geblieben.
Das Verdienst der Untersuchungen von Begnauli und
Beiset liegt somit weniger in der Neuheit der Resultate,
denn alles Wesentliche war eigentlich schon durch Forsch-
ungen Anderer einzeln da, als vielmehr in der unzweifel-
haften Bestätigung und theilweisen Begränzung der vor-
handenen Vorstellungen, z. B. welche Gase und in welchen
Mengen bei verschiedenen Thieren und verschiedenen Zw-
ständen derselben auftreten, worauf mithin bei künftigen
Versuchen zu achten ist, und worauf nicht Dass der
Körper bald Stickgas abgeben, bald aufnehmen sollte,
war das Unerwartetste. Begnault und Beiset scheinen
bisher eine Beziehung zwischen dem ans der Luft aufge-
nommenen Sauerstoff und dem entwickelten oder verschwun-
denen Stickstoff gesucht zu haben, wenigstens führen sie für
das Gewicht der beiden Stoffe ein proportionales Verhältnis*
an, das aber auch in Beiset 's neuesten Untersuchungen so
wenig constant ist, dass das entwickelte Stickgas einmal 24,
das andermal 8760 Hunderttausendstel vom Gewicht des
verzehrten Sauerstoffes betragt, während ein anderes Mal
15*
210 Sitzung dar math.-pky$. Clause vom 7. Mai 1S&L
Stickstoff verschwindet, ohne dass .man nur entfernt einen
chemischen oder physiologischen Grund, ein Gesetz für
dieses Hin- und flerspazierea des Stickstoffes zu ahnen ver-
möchte. Für einen Chemiker, der mit der Zersetzung der
eiweissartigen Körper näher bekannt ist, gehört diese Aa-
*nabme gewiss zu den unerwartetsten' und erheischt desshalb
4ie strengste PrQfung«
Die inzwischen in Deutschland gemachten Untersuch-
ungen über den Kreislauf des Stickstoffes der Nahrung beim
Stoffwechsel im Thierfcörper waren der Annahme von Reg-
<nauk und Reiset nicht günstig. Bidder und Schmidt hatten
•bei der Katze, Bischoff und Voit beim Hunde, Henneberg
beim Wiederkäuer, J. Lehmann beim Schweine, J. Ranke
beim Menschen gefunden, dass aller Stickstoff der Nahrung
— nicht mehr und nicht weniger — durch Nieren und
Darm aasgeschieden wird» Voit, der sich um die Lösung
dieser Etage unstreitig das Hauptverdienst errungen, hat in
neuester Zeit nachgewiesen, dass eine Taube, welche Monate
lang mit einer gewogenen Menge Erbsen gefuttert wurde,
allen Stickstoff des Futters — nicht mehr und nicht weniger
•— - in den Excrementen der Niere und des Darmes wieder
-ausgeschieden hat. Bei diesem so lange fortgesetzten Ver-
suche von Voit hätte es unfehlbar zu Tage kommen müssen,
wenn das Thier täglich auch nur eine höchst unbedeutende
Menge dieses Stickstoffes an die Luft verloren oder aus ihr
aufgenommen hätte;
Solche Thatsachen haben ein unbestreitbares Recht,
Beachtung zu verlangen, und können nicht mehr durch
Stillschweigen beseitiget werden. Reiset hätte die Pflicht
gehabt, seine behauptete Stickstoffiausscheidung damit in
Einklang zu bringen. Anstatt dessen aber hat er uns ohne jede
weitere Prüfung der deutschen Arbeiten seine alte Methode
mit ihren bekannten Resultaten Wieder vorgeführt. In-
zwischen hatte ich auch gezeigt, wie man einen grossen und
Ptttcnkofer : Respiration wm landwirthschafll. Housthüren. 21 1
complicirten Respirationsäßparat auf die Genauigkeit seine*
Angaben durch üontrolversuche sicher prüfen kann. Hätte!
Beiset anstatt Kälber, Schafe und ßofaweine eine brennende
Stearinkerze in seinen Apparat gebracht, so hätte er ebenso
wie ich in Erfahrung bringen können, mit welcher Genauig-
keit er arbeite; und er hätte sicherlich gefunden, dass er
auch beim Verbrennen eines ganz stickstofffreien Körpers
kald Zuwachs, bald Verlust von Stickstoff in der Luft seine»
Bespirationsraumes erhalte, sobald der Versuch 12 bis 24
Stunden andauerte.
Der Apparat und die Methode Reiset's sohliessen erst-
Uch den Einfluss der Diffusion der Gase nicht aus, welche
trotz Kitt und Kautschuk an allen Verbindungsstellen statt*
findet, und um so merklieber im Resultate hervortritt, je
länger der Versuch dauert, und je kleiner das im Apparat
stagnirende Luftvolumen ist.
Wie leicht kann die Bereitung und Aufbewahrung des
erforderlichen Sauerstoffes von einer Verunreinigung durch
Stickstoff begleitet sein 1 An einer genommenen Probe kann
diess sehr wenig oder kaum erkennbar sein, aber der Stick-»
stofftRöckstand von hunderten von Litern, die in der Re-
spirationsglocke verzehrt worden, kann zuletzt doch sehr
bemerkbar sein.
Eine noch so geringe Undichtigkeit im Respirations«
Räume, welche an einem Queoksilbermanometer durch einige
Minuten lange Beobachtung gar nicht wahrgenommen wird,
kann binnen 20 und 24 Stunden immerhin eine beträchtliche
Menge Stickstoff aus der Glocke heraus oder hinein beför-
dern, je nachdem der Druck innen oder aussen grösser ist.
Ebenso kann das Versuchstier selbst Veranlassung zu
Störungen im Stiokstoffvolum der eingeschlossenen Luft geben.
Wenn ein Wiederkäuer eben gefressen hat, ehe er in den
Apparat kommt, so hat er mit seinem Futter mindestens
so viele Liter Luft verschluckt, als das Futter Kilogramme
212 SUmmg der mafl-jrty*, Oam *m 7. Mai 1*64.
wiegt. Wenn nun bei dtr Verdauung reichlich Kohlensäure,
Grubengas und Wasserstoffgas entwickelt werden, so wird
der au Anfang dies Versuches in Magen und Gedärmen
vorhandene Stickstoff am Ende des Versuches ausgetrieben
sein, und sich nun in der Luft des Apparates befinden. In
dem Versuche 3. fand Reiset bei einem Schafe, das wahrend
des Versuches bedeutenden Meteorismus bekam, die höchste
Menge ton ausgeschiedenem Stickstoff (33 Liter), während
sonst das Maximum bei Schafen 6 Liter war. Dieses Gru-
bengas hat offenbar zur Vermehrung des Stickstoffes beige-
tragen , indem es allen Stickstoff der beim Fressen ver-
schluckten Luft aus dem Körper ausgetrieben hat Dieser
Versuch leidet übrigens auch noch an einem anderen grossen
Gebrechen, was ihn geradezu als unbrauchbar erscheinen lässt*
Der gasförmig ausgeschiedene Stickstoff beträgt nahezu 42
Gramme. Wollte man nun annehmen, dass sich diese
grosse Menge Stickstofigas aus den Bestandteilen des Kör-
pers binnen 14 Stunden entwickelt hätte, so könnte das
Thier in dieser Zeit Stickstoff weder im Harne, noch im
Kothe ausgeschieden haben y was doch gegen alle physiolo*
gische und chemische Wahrscheinlichkeit ist. Ein Schaf sehet
nämlich in 24 Stunden nicht 40 Gramme Stickstoff um, und
in diesem Falle sollten binnen 14 Stunden bloss in den
gasförmigen Ausscheidungen 42 Gramme enthalten sein!
Dieses Experiment Nr. 3 beweist nur, dass im Apparate
oder in der Methode irgend wo eine beträchtliche Fehler*
quelle ist, und wenn der Fehler einmal 30 Liter betragen
kann, so ist auf die Resultate, wo sich 2 ttnd 3 Liter er«
geben, wohl auch kein Vertrauen mehr zu setaen.
Bei den Versuchen 6» 7 und 8, die Reiset mit Kälbern
anstellte, steigt und fallt die Menge des entwickelten Stick-
stoffes mit der Menge des entwickelten Grubengases:
Versuch 6) 14,5 Liter Grubengas 2,8 Liter Stickstoff
„ 7) 16,4 „ „ 3,1 „ „
FeUmtofer: EespiraUm «m UmSwkthtcKaftL Hausühiarm. 213
Versuch 8) 20,4 Liter Grabengas 3,4 Liter Stickstoff.
Ein weiterer Grund zur Aenderung des Stickstoffge-
haltes der inneren Lnft während des Versuches ist die
Differenz in der Zusammensetzung zwischen der Luft, in
welcher das Thier unmittelbar vor dem Versuche gelebt hat,
■nd der Luft im Apparate beim Schluss des Experimentes.
Die Luft, welche das Thier nicht nur im Ernährungskanal,
sondern auch in den Zwischenräumen der Haare und Federn,
in der Lunge in den Apparat mitbringt, setzt sich mit der
Luft im Apparate allmälig in's Gleichgewicht. Die Luft des
Beiset'schen Apparates ist nun meistens viel kohlensaure*
reicher, als die äussere Luft. Bei den Versuchen 6 bis 8
mit Kälbern beträgt der Kohlensäuregehalt 8 bis 13 Volum
pro mille. So viel Kohlensäure trifft man in den echlechteet
TentiKrten Ställen nicht an. Henneberg und ich untersuch-
ten im Winter die Luft eines sehr dicht belegten Kuhstalles
auf Kohlensäure, nachdem Fenster und Thuren eine Zeit
lang geschlossen gehalten waren, und fanden nur 2V« pro
mille Kohlensäure als Maximum. Dieses Uebermass von
Kohlensäure in der Luft des Apparates ist jedenfalls ein
unnatürliches Verhältniss.
Schon die früheren Versuche von Dulong und Des-
pretz zur Bestimmung der thierischen Wärme litten an dem
Gebrechen; dass sie eine ganz unrerhältnissmässige Vermehrung
des Stickstoffes im Apparate ergaben, die in nicht zu recht*
fertigender Weise als Stickstoffausscheidung desThieres ton
Vielen angenommen wurde; von Lieb ig hat bereits im
Jahre 1845 (Annalen der Chemie Bd. 53. S. 76) nachge-
wiesen, dass eine solche Annahme geradezu absurd und un-
möglich ist.
Nach diesen Thatsachen ist sicherlich nichts weniger
bewiesen, als dass der Stickstoff der Luft am Stoffwechsel
auch nur den geringsten Antheil habe. Unter diesen Um-
ständen bleibt Herrn Reiset wohl nichts übrig, als mit
214 ßiUtw? der math^pkys. Otau* vor» 7. Jfa» 18*4.
seinem Apparate gleichfalls Controlversuche zu machen. Erst
dann, wenn er beim Verbrennen von mehr und weniger
Stearin, bei grösserer oder geringerer Thätigkeit der Kali-
Pipetten, welche die Kohlensäure absorbiren u. 8. w. genau
so viel Kohlensäure erhält und Sauerstoff verbraucht, als
die Elementaranalyse des Stearins verlangt, und erst wenn
sich dabei daa Stickstoffvolum in seinem Apparate unter
verschiedenen Umständen während einer Yersnchsdauer von
12 bis 24 Stunden gleich bleibt, können seine Angaben über
die Ausgabe und Einnahme von gasförmigem Stickstoff wieder
in Betracht gezogen werden, bis dahin muss man sie zu
den Dingen zählen, welche ebenso grundlos behauptet wer-
den, als sie unwahrscheinlich sind.
Und wenn sich auch diese Ausscheidung gasförmigen
Stickstoffes wider alle Wahrscheinlichkeit nicht ganz als
Täuschung erweisen würde, so wäre dennoch die bisherige
Methode von Begnault und Reiset für den Beweis unzu-
reichend. Wer behaupten will, dass Stickstoff sich zeitweise
auch gasförmig aus den Bestandteilen der Nahrung und
des Körpers entwickeln könne, muss auch nachweisen, dass
dieser Stickstoff der treffende Bruchtheil des gesammten
StickBtoffumsatzes im Körper ist. Er muss ebenso, wie es
Voit, Bischoff, Henneberg, Lehmann und Ranke gethan
haben, durch eine bestimmte Quantität Nahrung einen
Gleichgewichtszustand des Körpers herstellen, bis sich Um-
satz und Ersatz genau entsprechen, und dann muss nachge-
wiesen werden, wie viel von dem Stickstoffgehalt der täglich
umgesetzte^ Nahrung in den gasförmigen, und wie viel in
den flüssigen und festen Excreten erscheint. So lange diese
Bilanz nicht klappt, so lange sind Fehler an den Apparaten
oder Methoden zu verbessern.
Gümbd: Knochenbett und Pflantensehickten Franken*. 215
Herr G um bei hielt einen Vortrag:
„Ueber das Knochenbett (Bonebed) und die
Pflanzen - Schichten in der rhätischen
Stufe Frankens."
Die Untersuchungen über die Grenzgebilde zwischen
Trias und Lias, mit welchen sich in jüngster Zeit so viele
Geognosten in so vielfacher Weise beschäftiget haben,
geben uns in dem ausseralpinen Gebiete Bayerns — in
Franken — Veranlassung zur Erörterung einer besonders
interessanten Frage.
Die Gebilde der triasischen und jurassischen Forma-
tionen, welche sich in dem grossen Dreieck zwischen der
r echt sr h einischen Urgebirgskette (Schwarzwald und Oden-
Wald), dem hereynischen GebirgBsystem (Thüringer-
Wald, Fichtelgebirge und ostbayer. Grenzgebirge) ausbreiten,
gehören unzweifelhaft ein und demselben Entwicklungagebiete
an und lassen demgemäss eine grosse Uebereinstiramung in
Bezug auf Gesteinsbeschaffenheit, Gliederung und auf die
Art ihrer organischen Einschlüsse erwarten.
Dieses Gebiet ist für die jurassischen Formationen,
für Lias, Dogger und Jura (weissen Jura) fast allseitig
strenge abgeschlossen und steht nur unter Vermittlung ge-
wisser Schichten, welche bei Schaff hausen über deb
Rhein treten und südlich fortsetzen, in entfernterer Verbindung
mit den gleichaltrigen Ablagerungen in dem eigentlichen
Juragebirge und in den Alpen. Daher schliessen sich
die in diesem engeren Distrikte verbreiteten jurassischen
Ablagerungen für sich zu einer besonderen Provinz — dem
schwäbisch-fränkischen Kreise — ab, welche durch
gewisse Eigentümlichkeiten in der Beschaffenheit der Stein*
masse der verschiedenen Stockwerke, Stufen und Schichten,
durch reichere oder ärmere Entwicklung gewisser Lagen,
216 Sitotmg dir math.-phy* dam vom 7. Mai 1864.
endlich auch in Bezog auf Fülle und Art der Versteiner-
ungen ebenso sehr mit den Gebilden innerhalb ihres Gebietes
Uebereinstimmungen, als sie von den benachbarten jurassischen
Provinzen, — den alpinen, Jura-nordfranzesischen
und englischnorddeutschen — deutliche Verschieden-
heiten zeigt.
Mit der Trias erweitert sich die Grenze dieses Ge-
bietes selbst weit über die Linien des vorhin gezogenen
Dreiecks, so dass wir eigentlich bei diesen alteren Sedi-
mentgebilden nur von einem grösseren Unterschied zwischen
alpiner und ausseralpiner TriaB zu sprechen pflegen.
Doch verleugnet sich auch bei den Ablagerungen dieser
geogno8tischen Periode die grössere Verwandtschaft in der
Entwicklung der Schichten an benachbarten Punkten gegenüber
jener in weit auseinander Hegenden Gegenden nicht. Die
Beschaffenheit gewisser Glieder der jüngsten Trias, des
Keupers, in Schwaben und in dem unmittelbar ange-
schlossenen Franken wird hierfür die Belege liefern.
In Schwaben schliesst der Keuper nach oben gegen
den Lia8, wenigstens stellenweise, mit einem Schichtencom-
plexe ab, welcher in der neuesten Zeit als einer der wich-
tigsten und weit verbreitetsteai Gebirgsglieder der Sekundär-
periode erkannt wurde. Es sind diese die Schichten, auf
welche hier zuerst Bergrath Alberti (Beitrage zu einer
Monogr. d. bunt. Sandst. Muschelk. und Keupers, Stuttgart
1834) die Aufmerksamkeit gelenkt hat, indem er in diesem
von ihm „versteinerungsreichen Sandstein von
Tübingen" genannten Schichten organische Ueberreste
eigentümlicher Art nachwies. Dieser praktische Gebirge-
Forscher setzte den feinkörnigen, harten, gelblichen Sand«
stein voll von Zähnchen, Knochen und Muscheln bereits
ganz richtig in das Niveau des obersten Keupers.
Audi Quenstedt beschreibt diese Grenzbildung gegen
den höherfolgenden Lias bereits in seinem „Flöttgebirge
OümM: Ekoehekbm w*ä Fflm*$m*chichtm Fnmkms. 217
Württembergs 1843 S. 110 sehr ausführlich als gelben
Sandstein, der ganz oben den rothen Thonletten des Keepers
bedecke und aas einer Reihe äusserst feinkörniger, barter,
oftmals gesitteter | in mannigfaltigem Wechsel durch gelb«
graue, aber niemals rothe Lettenlagen von einander geschie-
dener Sandsteinbänke bestehe, in den untersten Bänken finden
sich nach seinen Beobachtungen niemals Petrefakten, in den
oberen Lagen zeichnen sieh aber schwarze fitssrige Kohlen»
reate, welche in kleinen eckigen Brocken im Sandstein ser*»
streut liegen, sehr ans, und endlich stellen sich in den
aUerobersten Partieen auch einige Muscheln ein: Modiola,
Arieula, Mjraciten, dickschalig, wie die durch Dr. Ber-
ger aas der Koburger Gegend bekannt gewordenen Thalas-
siten (Gardinia), ferner Knochen, Zähne, Schuppen und
Koprolithen. Diese Schiebten stellte Quenstedt schon
damals, obwohl sie sehr rerwandt mit dem Knochenbett der
Lettenkohlenbildung seien, gleichwohl bestimmt den in
Sftdengkaid schon 1824 durch Buckland und Cony-
beare (Transact. geol. Soc. 2 Ser. toI I. p. 301) nachge-
wiesenen, knochenreichen Schichten gleich, welche man in
England Bone-bed nannte.
Dieses richtige Erkennen der Parallelstellung einer
eontinentalen und englischen Schicht durch Quenstedt
und die Gewinnung eines so bestimmt orientirenden Ho-
rizontes müssen als ein bedeutender Fortschritt in der
Kimntniss des Sekundargebirges bezeichnet werden. Denn
ausser in Schwaben wurde die gleiche Schichtenlage noch
an zahlreichen Punkten Englands (Strickland, Proc. of
Ol geol. Soc. Vol. HL p. 585 und 732, Vol. IV. p. 17;
Murchison, Geol. of Cheltenham 1845 p. 54), in Irland
(Port Und in GeoL rep. on Londonderry p. 80) und in
Frankreich zu Valognes in der Normandie (Defrance, Ann.
d. L soc. Linn. d. 1. Normandie), auch bei Lyon (Leymerie
in M6m. d. L soa geol. de Fr. Vol. III.) nachgewiesen.
219 Sitowty der math.*ph*$. QUmt 4** 7. Mai 18G4.
In ein ganz neues Stadium trat die Bedeutung
Schichtencomplexes durch die wahrhaft epochemachenden
Resultate, zu welchen 1856 Prof. Oppel und Süss, ge-
stützt auf die Vorarbeiten der österreichischen Reiohsgeo*
logen, namentlich die Frz. v. Hauer's, dann auf jene
der Schweizer Gebirgsforscher Escher's v. d. Linth
i#id Pet Merian's, durch Untersuchungen und Vergleich-
ungen alpiner und ansseralpiner Versteinerungen, gelangten,
indem, sie dasBonebed und die begleitenden Muschel-
bänke Schwabens, Englands und Frankreichs
für die Aequivalente der in den Alpen an so zahl-
reichen Punkten nachgewiesenen und wegen ihres Reich-,
thums an charakteristischen Versteinerungen für die Orien*
tirung höchst wichtigen, sogenannten Kö ssener Schich-
ten erklärten (Sitz. d. kais. AkacL d. Wiss. in Wien Bd.
XXL S. 535. Juli 1856). Damit war einer der besten, bis
dahin nur erst ganz spärlich festgestellten Horizonte für die
Parallelisirung alpiner und ausseralpiner Ablagerungen ge-
wonnen, dessen Erkennen der geognostischen Erforschung,
namentlich der Alpen, die schönsten Erfolge sicherte, und
allerorts zu sorgfaltigeren Nachforschungen nach diesen Ge->
hirgßgliedern aufmunterte.
So kam es, dass innerhalb weniger Jahre diese Grens*
schicht nicht bloss ausserhalb der Alpen, in dem Gebiete
der Entwicklung von vorherrschend sandigen Ablagerungan
oder in dem extralpinen rhätischen Reiche, wie
man dieses Verbreitungsbezirk gegenüber dem alpinen
rhätischen Reiche mit vorherrschend kalkiger Natur
seiner Gesteine nennen könnte, an unzähligen, bisher unbe*
kannten Orten, selbst in Norddeutschland gefunden wurde,
sondern auch, dass dieser Horizont innerhalb der Alpen auf
beiden Gehängen derselben und in dem grossen Alpenge«*
birgssystem überhaupt von der Schweiz . bis nach Ungarn und
Galizien, neuerlichst selbst bis zum Himalaya sich erweitertet
Q*mM: JBtoefttufetf und PßmutmsekkMm Frankens. 219
In den Alpen wächst die Mächtigkeit der zu dieser
Stufe zu rechnenden Gestemsbänke häufig bis zu mehreren
Hunderten, ja Tausenden von Füssen. So gewinnt dieses
Schichtensystem nicht nur vermöge seiner eigentümlichen,
sehr bestimmt gesonderten Fauna, sondern auch durch seine
sehr grosse Verbreitung ausser- und innerhalb des alpinen
Gebiigssjstemes und ansehnliche Mächtigkeit die Bedeutung
eines in sich abgeschlossenen geognostischen Ganzen. Aus
diesem Grunde habe ich 1858 (Amtl. Bericht a. d. XXXIV.
Versammlung d. Naturf. 1859 8. 84.) den Vorschlag ge-
macht, diese eigentümliche Zwischenbildung zwischen Keuper-
mergel und unterstem Lias mit der Bezeichnung rha e tische
Stufe, — weil diese Schichten in den rhaetischen
Alpen am grossartigsten entwickelt sind, — zu belegen
und als ein gesondertes Glied den triasischen Formationen
-anzuschlie88en. Diese Bezeiehnungsweise hat sich bereits
mehrfach der Zustimmung österreichischer und englischer
Geologen, welche sich derselben bedienen, zu erfreuen.
Je ausgedehnter der Nachweis der Verbreitung dieser
interessanten Bchichtenstufe in den triasischen Bezirken in-
nerhalb und ausserhalb der Alpen ist, desto auffallender
müsste es scheinen, wenn in dem engeren und offenbar zusam-
menhangenden, schwäbisch-fränkischen Distrikte, obwohl in
dessen sudlichem oder schwäbischem Antheil das Bonebed
und seine Muschellage so reichlich verbreitet sind, die
nördlichen Gegenden, d. h. Franken sich dieser Bildung
nicht zu erfreuen hätten«
Zwar sind auch in Württemberg nicht allerorts die
•Verhältnisse dieser Schichten die gleichen. Quenstedt
hebt in seinem „Jura'; 8. 25 bereits die üngleichartigkeit
der Entwicklung hervor, indem er anführt, dass der charak-
teristische gelbe Sandstein nur auf den Bergen, die mög-
lichst ferne vom Rande der Alpe liegen und auch hier nur
in der Sff. Hälfte, nicht auf der NO. vorkomme. Dem-
220 Btonmg der mertb.-gfrt, Clam «wt 7. Jfii» J0ftt
nach würde nach NOM d. h. gegfen den fränkischen Bezirk
*u schon in Schwaben eine sichtliche Verminderung oder
ein gänzliches Erlöschen der Zwischenhildung eintreten*
In Frauken und in dem angeschlossenen coborgisohen
Gebiete sind seit sehr langer Zeit schon Ablagerungen be-
kannt y welche ebenfalls zwischen den oberen Lagen des
Reupera and den tiefeten des hier entwickelt«! Lias gestellt
«Od. Sie enthalten einige wenige Steinkarne von Muscheln,
vorzüglich aber sehr zahlreiche und prachtvolle Pflanzen-
reste, welche ihnen zwar eine grosse Berühmtheit verschafft
haben, jedoch nicht geeignet schienen, über ihre Einreihung
in diese oder jene Formation vollgültig zn eotcheiden.
Berger war wohl der erste, welcher (Versteht, der
fische und Pflanzen im Sandsteine der Coburger Gegend
1832) die hierher gehörigen Vorkommnisse wissenschaftlich,
aber ohne gehörige Sonderung der verschiedenen, über einr
•ander liegenden Sandsteinbänke beschrieb. Er exUirte
die betreffenden Schichten für unteren Lias und hob be-
sonders das Vorkommen der von ihm Thalassides ge-
nannten Gardinien hervor. (N. Jahrb. von v. Leonh. u.
Bronn 1833. S. 70.)
Zunächst später wurden die Pflanxenreste ans der Ge-
gend von Bamberg in dem unter dem Einflüsse Graf von
Münster 's entstandenen „Verzeichnisse der Versteiner-
ungen in der Kreisnaturalien -Sammlung zu Bayreuth" m>
wähnt und das sie umschliessende Gestein der K eup er-
Formation zu gerechnet (Vergl 1. e. S. 86—88), wohl
mit Einschluss einiger unmittelbar ausgelagerten Sandstein-
Platten, welche die liasischen Asterias lumbrioalis be-
herbergen, aber im Ganzen doch richtig aufgefasst. Diese
Bamberger Fundstätte bezog sieh hauptsächlich auf die
Steinbrüche von Strullendorf, aus welchen der bam-
berger Gelehrte Dr. Kirchner die prachtvollen Pflanzen-
reste eifrigst sammelte.
GOmtol: KnochmbeU mä PfimumtduMim Frunkms. 221
Bis dahin scheinen bloss die Steinbruche bei Bamberg
mit ihren Pflanzen-führenden Lagen in Franken bekannt ge-
wesen zu sein. Den vereinten Bemühungen dee Grafen von
Munster und Prof« C. Fr. W. Braun in Bayreuth hat man
es sn danken, dass wenige Jahre später dieselben und wohl
noch reichere Lagerstätten an mehreren Punkten in dar
nächsten Nahe ron Bayreuth entdeckt wurden« Schon 1886
schreibt Gr. v. Münster (N. Jahrb. von y. Leonh. «.
Bronn 1886 S. 509) von diesen neuen Fundstellen, und
ihren schönen Pflanzenresten, von denen ein Thefl in Stern-
borg9 a Flora der Vorwelt beschrieben wurde, ohne dass aber
der Ort genannt wurde. Es war diese neue Fundstelle bei
dem Orte Theta NO. von Bayreuth, Münster nennt
auch hier noch die einschliestenden Schichten geradem
„Ken per".
Audi Theodori erwähnte 1840 in seiner für den
damaligen Stand der Wissenschaften wahrhaft bewunderungs-
würdigen * durch lithologische Genauigkeit ausgezeichneten
geognostisch-potrefaktologischen Uebereicbt aller Abteil-
ungen der liasformation von Sans (gedruckt bei M. fteindl
in Bamberg 1840) unter der Abtheilung Eeuper 1, 2
und 3 denselben Schichtencomplex , fugt jedoch unter der
Bezeichnung 4, Qoercites-Sandstein, eine Schichtenlage
dem unteren Liassandstein hinzu, welche ich nach Unter-
suchung der Original-Stellen wohl nur für eine Modification
seiner dem Keuper beigezählten 3. oder Equiseten - Sand-
stein-Schicht halten kann.
Dr. G. Fr. W. Braun in Bayreuth gebührt das Ver-
dienst zuerst in v. Münsters Beiträgen (Heft VI. S. 1 1843)
den Versuch einer möglichst vollständigen und systematischen
Beschreibung dieser Pflanzeareete versucht und zugleich
viele neue, sehr ergiebige Fundstellen in der Nähe von
Bayreuth ausfindig gemacht zu haben. Er erklärte damals die
Schichten, welche jene Pflanzen-führenden Thonlsgen in kleinen,
222 Stomg der ma&.-phys. Classc wm 7. Mai 1661.
muldenförmigen , und daher von ihm „Oasen" genannten
Vertiefungen einschHessen, für unteren Liassandstein.
Auch in dem nördlichen Franken wurde eine* sehr er-
giebige Lagerstätte in den Steinbrüchen am Lindig bei
Veitlahm unfern Culmbach entdeckt. Der Rentbeamte
Weltrich in Culmbach brachte aus diesem Lager eine
prachtvolle Sammlung der interessantesten Pflanzenüberreste
zusammen, von denen auch v. Schauroth (Zeitsch; d. d.
Geol. Ges. 1852. Bd. IV. S. 542) spricht. Indem dieser
Forscher das Veitlahmer Pflanzenlager und seine geog-
nostischen Verhältnisse genau beschreibt, bleibt er unschlüs-
sig, ob dasselbe eher dem Keuper als dem Lias einzuver-
leiben sei, obwohl er es für genau identisch mit dem von
Strombeck (Zeitsch. d. d. geol. Ges. IV. S. 54) als ober-
stenKeupersandstein bezeichneten Gebilde Norddeutsch-
lands erklärt.
Ausführlicher spricht sich derselbe Geognost über diese
Gegenstände 185» (Zeitsch. d. d. geol. Ges. V. S. 734)
aus. Er hält hierbei für diese Pflanzen-führenden Schichten
(Veitlahm-Theta) an dem Niveau des „gelben Sandsteins
Quenstedt's in Würtemberg" und des „obersten Keuper-
Sandstein8 v. Strom beck's im Braunschweigischen1', also
an dem Niveau der Bonebedschichten fest, glaubt jedoch
"wegen der mehr der Liasgrenze folgenden Verbreitung des
'Gesteins, gemäss seiner petrographischen Beschaffenheit und
endlich nach seinen organischen Einschlüssen dasselbe zum
Lias ziehen zu müssen.
Die Mittheilungen Pfaffs (N. Jahrb. 1857; S. 4)
beziehen sieh niebr auf die mittleren fränkischen Bezirke
und bezeichnen den weissen, dort in zahlreichen Steinbrüchen
aufgeschlossenen Bausandstein, auch jenen mit pflanzen-
führenden Zwischenlagen an der Jägersburg, als oberstes
Glied des Keupers.
Im Jahre 1858 glückte es mir, die ersten Spuren von
GHmbel: Knochenbett und Pflantenschichten Frankens. 223
dem Vorhandensein auch das Bonebed als solches durch
den Fand eines Sargodon tomicus und zwar gerade in
den auch durch Pflanzen-Einschlüsse so reichen Steinbrüchen
Ton Strullendorf bei Bamberg über diesen Pflanzenschichten
und unterhalb des Lias zu constatiren (N. Jahrb. von v.
Leonh. u. Bronn 1858 S. 550) *). Ich erklärte demnach
diesen ganzen Schichten com plex als ein A äquiva-
lent der das Bonebed einschliessenden Sandstein-
Gebilde. AuchCredner bezeichnet (N. Jahrb. 1860 S. 314)
eine Reihe der pflanzenfuhrenden Schichten bei Koburg und
im nördlichsten Franken über dem bunten Eeupermergel
und unter dem Sandschiefer, Schieferthon und Sandstein, in
welchem er bei Oberfüllbach einen Ammonites planor-
bis (A. psilonotus Qu.) entdeckte, als Bonebed-
Schichten und giebt folgendes Generalprofil der Aufeinan-
derfolge dieser Gesteinsreihe in Nordfranken.
£.
Mittlerer Lias
Ammonites costatus
D.
Obere Gruppe des
unteren Lias
«
dunkelgraue Kalksteine und
Mergel
(ß und y Quenstedt's)
C.
gegen 30'
mächtig
Sandschiefer, Schiefer-
Thon und Sandstein
(a nach Quenstedt.)
Cardinia trigona (die sog,
Coburg. Muschelbank
bildend)
Ammonites psilonotus ^IAma
Hammanni, Asterias lum-
bHcaliSjPentacrmus, Ostrea
spec.
B.
10' „
Grauer Thon und
Schieferthon
— Bonebed - Thon —
Cycadeen (am häufigsten
Zamites brevifolius) Sphe-
nopteris.
Clathropteris
A.
40' ,,
Gelber Sandstein
— Bonebed-Sandstein —
bisweilen mit Pflanzenresten
Anodonta postera ■)
1) Die Angabe Dr. Schrüfer's in „Ueber Juraform, in Franken
1861" S. 8 ist diesem nach zu berichtigen.
2) Mit diesen Anodonta postera ist es eine verhangnissYolle
[1864. 1. 4.] 16
224 Sitzung der tnath.-phys. Clam vom 7. Mai 1864.
Keupermergel.
Dieses Profil ist für unsere späteren Vergleichungen
von grösster Wichtigkeit.
Dr. C. Fr. Wilh. Braun in Bayreuth hat nach mehreren
älteren, die Pflanzenreste dieser Stufe betreffenden Arbeiten
diese neuerlichst wieder aufgenommen. (Die Thiere in den
Pflanzenschiefern der Gegend von Bayreuth, Schulprogramm
1859/60 und Sitzungsb. d. k. geol. Reichsanstalt 7. Januar
1862 Bd. XU. S. 144) Er hält die Stellung des betreffen-
den Schichtensystemes noch für unentschieden und giebt
dieser Ansicht dadurch Ausdruck, dass er die Bildung
Liaskeuper nennt; wenigstens wählt er zur Artenbezeichnung
das Beiwort „liaso-keuperinus" sehr häufig. Bezüglich der
Bildung selbst glaubt er annehmen zu müssen: „dass die
Glieder dieser oberfränkischen Bonebed-Gruppe nicht
aus Schichten von weiter Verbreitung bestehen, sondern
mehr örtlicher Natur, auf kleineren Raum beschränkte Er-
zeugnisse sind, welche nach der Periode des Keuperabsatzes
und zu gleicher Zeit, als die Bildung der unteren Lias-
Schichten aus dem nahe gelegenen Meere erfolgte, ent-
standen." Noch deutlicher spricht sich derselbe Forscher
über diese vermeintliche Faciesbildung aus: „Der Bonebed-
Sandstein ohne Bonebed und ohne jede andere Iiasmuschel
tritt nicht unter dem Lias, sondern neben demselben
auf. Er ist das Landerzeugniss zur Zeit des Absatzes des
Geschichte. Credner erwähnt sie (L c. S. 312), wahrscheinlich
nach mündlichen Angaben v. Schauroth's, als Einschluss der
sogenannten Gurgenkern- Schichten. Mein sehr verehrter
Freund erklärte nun aber bei meinem Besuche in Coburg, dass Nie-
mand eigentlich recht wisse, was die ächten Gurgenkern • Schichten
eeien und dass jener Fund einer unzweifelhaften Anodonta
postera nicht sicher gestellt sei. Darnach fallt Schrüfer's An-
gabe (1. e. S. 6) von selbst weg.
Gümbd: Knochenbett und PflcmeemcUcUen Frankens. 225
marinischen Lias vom untersten Gliede bis hinauf zu dem
Poadonien-Schiefer. Die Vegetation der thonigen Einlager-
ungen in demselben ist jene der Gestade der liasmeere,
die Fortsetzung jener des Eeupers. Das Pflanzen-
lager von Theta horizontirt mit dem unteren, jenes von
Veitlahm bei Kulmbach fällt mit oberem Lias zu-
sammen."
Mein verehrter Bayreuther Freund denkt sich mithin
den Bonebed-Sandstein ohne Bonebed, wie er meint — den
er lieber Palissyen-Sandstein (wegen der häufigen
Einlagerung der Palissya Brauni Endl.) nennen möchte —
als eine blosse Facies des gesammten Lias. Ich bedauere
dieser geistreichen, aber nicht auf direkte Beobachtungen
gegründeten Theorie nicht zustimmen zu können, weil, wie
ich in den folgenden zahlreichen Profileü unzweideutig nach-
weisen werde, überall durch ganz Franken der Lias in
seiner Ganzheit, in welcher er überhaupt hier entwickelt ist,
normal über und nur in Folge von Dislokationen und
Schichtenneigungen neben dem sog. Palissyen -Sandstein
lagert. Die Braun'sche Ansicht sehen wir von einem dank-
baren Schüler Braun's Herrn Dr. Popp fast wörtlich
wiederholt.
Ich wende mich nun zur näheren Erörtenpg der Dop-
pelfrage: 1) giebt es in Franken wirklich eine
Schicht, welche das Bonebed vertritt, und 2)
dürfen die pflanzenführenden Gebilde über dem
buntfarbigen Eeuperlettenschiefer Frankens als Aequiva-
lente der das Bonebed begleitenden Gesteins-
Lagen angesehen werden.
Wenn wir absehen von dem keineswegs unzweifelhaft
verbürgten Vorkommen der für das Bonebed sehr charak-
teristischen Anodonta postera, welches Credner, wie früher
angeführt wurde, erwähnt, so ist bis jetzt in dem ganzen
Schien tencompl exe, welchen man fast einstimmig wegen
16»
226 Sitnmg der math.-phys. Clane wm 7. Mai 1864.
seiner dem Bonebed gleichen Lagerung zwischen dem ober-
fiten bunten Eeuper und den tiefsten Liasgliedern als dessen
Vertreter annimmt, kein einziger Ein- oder Zweischalerein-
schluss nachgewiesen. Anders verhält es sich mit Knochen-
oder Zahnresten. Es ist bereits auf den Fund eines Sar-
godon tomicus in dem Steinbruche von Strullendorf hinge-
wiesen worden. Bei einem Besuche derselben Steinbrüche
im Sommer 1863 kam ich gerade zur Zeit dahin, wo durch
Abräumung behufs Gewinnung des tiefer liegenden Bausand-
steines die Schichtfläche auf einen bedeutenden Raum bloss-
gelegt und durch Regengüsse rein gewaschen war. Bei dieser
günstigen Gelegenheit entdeckte ich nun in der gleichen
Lage, aus der Sargodon tomicus Flien. stammt, noch zwei
sehr bezeichnende Bonebedspecies :
Ceratodus cloadnus Qu.
Eyhodus cloacvnus Qu.
in einer von Eisenoxyd durchdrungenen Sandsteinlage zu-
gleich mit einer Cardinia als Steinkern, die zwar kaum
eine ganz sichere Bestimmung zulässt, jedoch nach dem
Steinkorn und seinem Abdruck beurtheilt der von Martin
beschriebenen Cardinia actminata am nächsten zu stehen
Bcheint. Sie wird als Cardinia cf. acuminata in der Folge
bezeichnet werden.
Ganz gleiche Cardinien hatte ich früher schon an vielen
Punkten unmittelbar über dem Bausandstein — immer ver-
einzelt und nicht dicht aufeinander gehäuft, wie in der
höher liegenden sogenannten Goburger Muschelbank —
getroffen und als ein Zeichen angesehen, dass diese Schicht
bereits dem eigentlichen Lias angehöre. Dieser Fund mit
unzweifelhaften Bonebed -Knochen und ein zweiter in dem
Steinbruche bei Witzmannsberg zwischen Sesslach und
Coburg, wo ganz dieselbe Form der Cardinia cf. acumi-
nata mit einem ebenfalls sehr charakteristischen Bonebed-
Zahn (Termatosaurus ASberiii Flien.) zusammen sich findet,
Oümbd: Knochenbctt und Pflamenschichten Frankens. 227
und endlich die Mittheilung meines Freundes Prof. Oppel,
d&ss ganz ähnliche Cardinien auch dem schwäbischen Bone-
bed nicht fremd seien, lässt diese Form der Cardinia, die
allerdings von den höheren, folgenden des eigentlichen Liaa
abweicht, als charakteristische Begleiterin der Bonebedschicht
in Franken erscheinen.
Durch diese Sicherstellung des Bonebed-Niveau's in den
Steinbrüchen bei Strullendorf gewinnen die dort aufgeschlos-
senen Profile erhöhte Bedeutung, wesshalb ich sie hier mit-
theilte und zwar, um das Schwankende der Grenzgebilde
selbst in den unmittelbar aneinander stossenden Lagen zu
zeigen, in drei in dem Thiergartenholz daselbst beisammen-
liegenden Steinbrüchen:
Profil A.
I. Steinbruch d. Wedel.]IL Steinbruch d. Bader. \III. Steinbruch d. Sauer.
Oberfläche. | Oberfläche.
1)
3'm: gelber, ockriger, sehr feiner, dünn-
bankig geschichteter, selten dickbankiger
weisser Sandstein mit Ostrea sublamel-
losa, Panopaea cf. Dunker i, Cardinia
laevis, Tancredia securifonnis, Cardium
Philippianum und in ziemlich reich-
licher Menge kleinen Fischzähnchen von
Hyhodus, wie auf der westlichen Thal-
Seite Bamberg's an der Altenburg und
auf dem Michelsberge ober dem Roth-
hofe.
2)
3'm : graublauer Let-
tenschiefer mit weis-
sen, festen Sandstein-
Platten mit Cardinia
laevis
5'm: blaugrauer,
gelbgestreifter Let-
tenschiefer, oftmar-
morirt.
3)
2'm: grauer, eisen-
schüssiger Letten-
Schiefer mit Eisen-
Schwarten- u. -Geo-
den und sandigen
Zwischenlagen.
6'm: gelbgrauer Let-
tenschiefer mit san-
digen Thonzwischen-
lagen und zahl-
reichenEisengeoden.
228 SUnrng der math.-phy$. Ckutte vom 7. Mai 1364.
4)
Vm : Eisenschwarte
and gelber Sand-
stein.
1 V*'m • Gelber dünn-
schichtiger Sand-
stein , unten voll
kugliger Concretio-
nen mit Gardinia.
Oberfläche.
5) 3'm : grobkörniger,
gelblicher Sandstein,
meist locker gebun-
den mit einzelnen
Pflanzenstengeln =
Bonebedt
Bonebed.
1— l^tm: Eisen-
schüssige, oliven-
grüne bis gelbe, ge-
fleckte, thonigeLage
voll grober Sand-
Körner mit Sargo-
don tomicus Flien.
Ceratodu8 cloacinus neben
Qu. Hybodus cloac-
cinus Qu. und Gar-
dinia cf. acuminata
Mart.
Bonebed«
3 — 4"m : rauhe
Sandstein-Schwarte ,
durGhZersetzung von
Schwefelkies eisen-
schüssig und mit
weissen Geoden und
Fisch-Zähnchen
Gardinia cf.
acuminata Mart
6)2*/*— 10'm: oben
grünlich grauer Let-
tenschiefer , nach
unten übergehend in
grauen,oftröthlichen,
zuweilen intensivroth
und grüngestreiften
Lettenschiefer, sehr
wechselnd mächtig ,
die Unebenheiten der
Unterlage ausfüllend.
Unebener Wellen-
Boden mit grauem
Thonüberzug.
Welliger unebener
Boden mitUeberzug
% grauen Thon's.
7) V* — 3'm: meist
dünnschiefriger, stel-
lenweise geschlossen-
bankiger (zu Baustei-
nertbrauchb.), gelber,
in's Olivenfarb. über-
spielender , stellen-
weise sich ganz aus-
keilender Sandstein
mit einzelnen rohen
Pflanzen Stengeln.
2'm: rauher eisen-
schüssiger Sandstein
mit weissen, harten
Geoden, Schwefel-
Eiesputzen,einzelnen
Pflanzenstengeln
und grossen Saurier-
knochen«
V — 8'm : intensiv
gelber, auch weisser,
blasiger, schwefel-
kieshaltiger Bau-
sandstein mit ein-
zelnen grossen, meist
quer durchziehenden
rohen Pflanzen-
stengeln.
Gümbd: Knochenbett und PfkmeenscMchtm Frankens. 229
8) l'm: stellenweise
sich ganz auskeilende
Bank fetten, grauen
Lettenschiefers mit
den bekannten Strul-
lendorfer Pflanzen-
6'm : grauer, oft in's
Röthliche spielender
Lettenschiefer voll
Pflanzenreste; stel-
lenweise sich aus-
keilend.
6'm: fetter, grauer
oder röthlicher Let-
tenschiefer mit
schwarzen Zwischen-
lagen von Pflanzen-
resten.
resten.
Haupt -Horizont des fränkischen Pflanzenlagers.
9) 15— 20'm: oben
in gelbe Sandstein-
Schiefer übergehen-
der, nach unten sehr
fester, meist weisser,
stellenweise auch
gelblicher, feinkör-
niger Bausandstein.
18'm: oben: Sand-
Stein mit thonigen
Streifen, nach unten
weisslicher Bausand-
stein , in der Mitte
mit einer durch
eisenhaltige Putzen
getigerten Bank.
18'— 20'm: oben
unregelmässig ge-
lagerter, unten
schöner,feiner, weiss-
licher Bausandstein.
10) Gemeinschaftliche Unterlage: Grauer und intensivrother
Keuperlettenschiefer.
Zu diesem Profile ist nur Weniges als Erläuterung
hinzuzufügen. Die Schichten mit der Panqpaea cf. Dunkeri
und den sonstigen, dieser Stufe angehörigen Versteinerungen
Orientiren uns, wie später gezeigt wird, über den Horizont
des tiefsten Lias. Ich muss gleich hier Veranlassung nehmen,
auf einen Umstand aufmerksam zu machen, der zu Miss-
verständnissen fuhren könnte. Es finden sich nämlich in
den Angulatenschichten und tiefer im ganzen nördlichen
Franken sehr häufig Fisch- und Saurier-Zähne,
welche allerdings mit jener des ächten Bonebed verwandt,
jedoch nicht identisch sind. Ich halte es nicht für über-
flüssig zu bemerken, dass ich ihre Lage und Schichten
sehr wohl von tiefer liegenden (Bonebed) unterscheide
und eine Verwechselung beider um so weniger zu be-
fürchten ist, als nach umfassenden Vergleichungen beide
Faunen strenge geschieden sind. Durch die Güte des
Herrn Vorstandes der naturforschenden Gesellschaft in Bam-
berg Dr. Küster, für dessen freundliche Unterstützung ick
230 Sitzung der math.-phys. (Hasse vom 7. Mai 1864.
hier meinen herzlichen Dank auszusprechen, gerne Veranlas-
sung nehme, sowie durch eigene, zahlreiche Aufsammlungen
war ich in den Stand gesetzt, mir diese Ueberzeugung zu
verschaffen.
Sehr bemerkenswerth ist die Schicht 6. Diese Schicht
ist durch die intensive rothe, dem Eeuperletten höchst ähn-
liche Färbung, welche sie allerdings nur stellenweise an-
nimmt — denn meist ist der Lettenschiefer grau oder gelb-
lichgrau — ausgezeichnet und spricht, da sie oberhalb des
weissen Bausandsteins und der pflanzenführenden Schiefer
liegt, durch diese Analogie mit dem bunten Eeuper zu
Gunsten der Zurechnung der letzteren zu den triasischen
Formationen.
Ein zweiter Steinbruch, in welchem die Bonebed-Schicht
direkt nachgewiesen werden konnte, findet sich weiter N.
von Bamberg zunächst bei Witz man nsberg zwischen
Sesslach und Coburg. Das dort in dem Steinbruche ent-
blösste
Profil B. (Witzmannsberg.)
zeigt folgende Einzelschichten:
Oberfläche: Krume.
1) Grobkörniger, sehr stark eisenschüssiger,
etwas kalkiger Sandstein, nach dem benach-
bart beobachteten, völlig gleichen Gestein
mit Arteten und Gryphaea arouata orientirt,
= Arietensandstein 3'm:
2) Gelber Lettenschiefer, stark zersetzt 2'm:
3) Gelber, oft ockriger, lockerer, oft fester
feinkörniger Sandstein in dünnen Bänken
geschichtet mit Ammonites angulatus, Lima
pectinoides, Astarte pustlla, Pentacrinus an-
gulatus, Ghemniteia Zirikeni, Anatnya peU
lucida. 7'm :
Gimbd: Knochenbett und PflansenscMchten Frankens. 231
4) Grauer and gelblicher Sandsteinschiefer mit
FncoideiL 5'm :
5) Oben intensiv gelber Lettenstreifen, darunter
grauer Lettenschiefer mit Zwischenlagen von
Eisengeoden und eisenreichen, wohlgeschich-
teten Banken mit Cardinia laevis 15'm:
6) Feiner, gelber, sehr dichter Sandstein in
grossen Gesteinslinsen mit Panopaea cf.
Bunkert 0— lVm:
7) Gelber Lettenschiefer mit weissen, harten
Geoden, und Schwefelkiesputzen '/i'm :
8) Grobkörniger, sehr kieseliger Sandstein mit
zahlreichen, durch Auswitterung kaolinhal-
tiger Substanz und des Schwefelkieses ent-
standenen blasenähnlichen Höhlungen, mit
kohligen, grossen Pflanzen-Stengeln, vielen
Steinkernen der Cardinia cf. acuminata Mart.
von der charakteristischen Form und mit
zahlreichen, meist ausgewitterten Knochen-
Theilchen, deutlich erkennbar Termatosaurus
Jlbertii Plien: — Bonebedschicht. — */• — ll*'m:
9) Graue thonige und thonigsandige Schichten
von ungleicher Mächtigkeit, putzenartig aus-
gebildet voll Pflanzenreste. — Fränk-
isches Pflanzenlager — 0 — 3'm:
10) Fester weisslicher, oft gelblicher Bausand-
stein 20'm :
11) Bunter Kenperletten: Liegendes.
Ein Blick auf das früher gegebene Profil lehrt die
grosse. Uebereinstimmung in der Aufeinanderfolge der ver-
schiedenen Schichten. Von ganz merkwürdiger Gleichförmig-
282 Sittung der math^hya. Classc vom 7. Mai 1864.
keit nnd Eigentümlichkeit ist die Schicht 8, so dass e&
unter sonst übereinstimmenden Umständen nirgends im
nördlichen Franken schwer wird, diesen Horizont aufzu-
finden.
Den zwei voranstehenden Profilen soll hier ein dritte*
angefügt werden, welches uns mit der relativen Lage einea
interessanten Ammoniten des Ammonites Johnstoni (Stellver-
treter des Amm. planorbis) bekannt macht. Es ist der
Durchschnitt, den die Steinbrüche auf dem Erappenberg
bei Lichtenfels liefern.
Profil C. (Erappenberg.)
Waldboden — Oberfläche.
1) Grauer Schieferthon mit Sandsteinzwischen-
Lagen voll Ostrea sublamellosa , Tancredia
securiformis, Lima pectinoides Area hettan-
giensis und Ammonites angulatus 3'm:
2) Welliggebogener, feiner, gelblicher, quarziger,
sehr fester Sandstein mit Chemnitzia Zvnkeni,
Area Terquemi, Astarte spec., Mytilus mir
nutus Panopaea spec. xjs'm:
3) Grauer Lettenschiefer, unten mit einer starken
Brauneisensteinlage ~ V* 'm :
4) Ockriger, gelber feiner Sand und Schiefer,
oft sich aufkeilend, sehr fein, oft quarzig mit
Tancredia securiformis in Unzahl, Hybodus
sp. Ostrea sublamellosa, Gardina laevis 0 — l'm:
5) Gelber feiner , manchmal weisslicher Sand-
stein, oft anschwellend, oft an Mächtigkeit
sich vereinigend mit Ammonites Johnstoni,
Ostrea sublamellosa DunJc., Oardinia IAsteri,
Cardium Philippianum, Lima cf. tecticosta
Rolle, Lepidotus spec. in grösster Häufigkeit
QümMz Knochmbett md Pflcmsenechichtm Frankens. 23$
aber eine höchst charakteristische Panopaea
ähnlich Dtmkeri Terg. und ein Pleurophorus
ähnlich elongatus Moore und Inoceramus
Weissmanni Opp. 0 — 2'm:
6) Graner Schieferthon 3'm:
7) Eisenschwarte nnd feiner weisser Sandstein
voll kleiner Steinkerne, die unbestimmbar
sind, unten mit einer Thonlage abschliessend, 4"m :
8) Durch Zersetzung von Schwefelkies rostfar-
biger, sonst weisser, grobkörniger, sehr
kieseliger Sandstein voll Höhlungen z. Th.
von Knochentheilen herrührend = Schicht
A, 5) nnd B, 8) nnd mit Kohlenputzen l'm:
9) Graner Lettenschiefer voll Pflanzenreste, oft
sandig, in einen sdhiefrigen Sandstein über-
gehend, auch röthlich gefärbt. (Flora der
Palissyen- Schichten.) 0 — 3'm:
10) Weiss, gelbstreifiger, ziemlich feinkörniger,
zuweilen grobkörniger Bausandstein 12'm:
11) Rother Eeuperlettenschiefer
Daran reiht sich unmittelbar das Profil bei 0. Füll-
bach, unfern Eoburg, aus welchem Gredner (c. c. S. 313)
das Vorkommen eines Ammonites psüonotus = A. planor-
b%8 anführt. Ich war nicht so glücklich, hier die charak-
teristischen Ammoniten, die überhaupt äusserst selten sind,
wieder zu finden, konnte jedoch durch die begleitenden,
organischen Einschlüsse deren Horizont feststellen. Ich fand
(Sommer 1853) daselbst folgendes Profil aufgeschlossen.
Profil D. bei 0. Füllbach.
Oberfläche — Ackerkrume.
1) Sehr eisenschüssiger, grobkörniger Sandstein,
234 Süsung der math.-phys. Classe vom 7. Mai 1864.
oft kalkig anzersetzt grau, oberhalb des
Ortes in gleichem Horizonte mit Gryphaea
arcuata = Arieienbank lV*'m:
2) Gelber lettiger Schiefer mit sandigen und
eisenreichen Zwischenlagen 7'm:
3) Eisenreiche, kalkige Sandsteinbank, durch
Mangan blauschwarz und ockergelb, voll
Ammonites angulatus, Ostrea irregularis, 0.
sublamellosa, Lima punctata, L. pectinoides
Area pulla, Pentacrinus angulatus 2 Va'm :
4) Sehr gelber, eisenschüssiger, lettiger Schiefer
auf den Schichtflächen voll zopfähnlicher
Zeichnungen und mit Fucoiden 2'm:
5) Graugelber, lettiger Schiefer mit Eisenstein-
Geoden und knolligen Lagen mit Fucoiden
und Asterias lumbricaUs Gdf. 10'm:
6) In zwei Bänken eisenhaltiger, gelblicher,
harter Sandstein mit : Panopaea cf. Dunkeri
(sehr charakt. cf. Prof. C; S.) Cardinia
Listeri, Cardinia laevis., Pleurophorus cf.
elongatus, Ostrea sublamellosa , also Bett
des Ammonites Johnstoni oder planorbis!
7) Graugelber Lettenschiefer 2"m:
8) Grobkörniger eisenreicher Sandstein, ähn-
lich wie Schicht 6) Va'm:
9) Dünnschichtiger, thonig glimmeriger, grau-
gelber Sandstein mit thonigem, Eisengeoden
umschlie88endem Lettenschiefer öVs'm:
10) Graues dünnschichtiges, sandiges Thonlager
mit groben Sandkörnern und Schwefelkies '/i'm:
OümM: Knochenbett und Pflantensehiehten Frankens. 235
11) TVeissKcher, grauer, stellenweise intensiv
rother 'oder rothgeflammter Lettenschiefer
mit Zwischenlagen von eingesprengten, groben
Sandkörnern und mit vielen durch Zersetzung
porösen Thonlagen; durch Verwitterung
plastisch = A 6), B 9) und C 9); mit
spärlichen Pflanzenresten 8'm:
12) Weisser Thonsandstein in dünnen Bänken,
oben mit einer Eisenschwarte, nach unten
übergehend in ll%'m:
13) Grossbankigen, weisslichen und gelblichen
Bausandstein 45'm :
14) Rothe und buntscheckige Eeuperletten.
Im Dorfe 0. Füllbach stehen dieselben Schichten an,
namentlich ist die Arietensandsteinbank sehr charakteristisch
ausgebildet. Darüben folgen an der Strasse nach Klein-
Garnstadt in unzweifelhafter Uebereinanderlage die sämmt-
lichen Liasstufen, zuerst die hellgrauen Mergel des mittleren
Lias mit ihren flachen Kalkbänken voll Belemnites paxiU
losus und mit Ammonites Davoei über 35'm, dann der
Amalthee.nthon, nach oben grau mit geodenartigen,
grauen, in's Röthliehe spielenden Trümmerkalken voll Am-
monites spinatus in einem über 120' mächtigen Schichten-
Complexe. Die drauffolgenden Posidonomyenschichten sind
hier vorzüglich durch Monotisplatten vertreten mit auf-
fallend grosser Monotis. Die noch höher liegenden 22a-
diansschichten zeigen sich merkwürdig reich an Belemnites irre-
gtUaris, Ammonites Aalensis und A. radians. Am Kreuz-
wege auf der Höhe sind sie noch schliesslich von Qpa-
linusthon bedeckt, dessen weisse Schalenreste sogleich
in's Auge fallen. Höher ist der Dogger hier nicht entwickelt,
nur etwas weiter 0. fand ich auf dem Eichberg zwischen
M. Waaungen und Plesten auch den Eisensandstein (Stufe
236 Bitomg der «afk-pfty*. CUuae vom 7. Mai 1864.
■des Ammonites MurcUsonae) darüber ausgebreitet. Einen
günstigen Platz zum Sammeln der hier prächtigen Ver-
steinerungen bieten bei Wasungen in den Wasserrissen die
€o8tatenschichten.
Schon dieses einzige Profil genügt, die Unhaltbar-
Tteit der Theorie unzweifelhaft darzulegen, nach welcher
dife pflanzenführenden Schichten Frankens eine Bildung
neben, nicht unter dem Lias wären. Aber hunderte
yon Profilen beweisen die unzweideutige Aufeinanderfolge
sämmtlicher Liasstufen über der triasischen Grenzbildung.
Die einzelnen Steinbrüche schliessen diess freilich nicht voll-
ständig auf, aber eine geognostische Begehung der nächsten
Umgebung giebt uns in der Regel volle Aufklärung. Ich
will nur noch ein Profil erwähnen, das, durch seine schönen
Aufschlüsse und durch die rasche Aufeinanderfolge der ver-
schiedenen Stufen ausgezeichnet, fast mit einem Blicke den
.ganzen über einander geordneten Aufbau erkennen lässt. Es
findet sich dieser Anfschluss bei dem Orte Eirchlein von
der Thalsohle bis zur Höhe des Reinbergs (NO. von
JBurgkunstadt und NW. von Culmbach).
Profil E. (Kirchlein-Reinberg.),
Höhe des Reinbergs : Eisensandstein«
1) Opalinusthon 180'm:
2) Radiansmergel 15'm:
3) Posidonomyenschiefer mit vielen Monotia-
Platten 60'm:
4) Blaugraue Mergel und Trümmergeodenkalk
voll Ammonites spinatus 105'm:
-5) ' Lichtgraue Mergel mit Ammonites mar gar
ritatus 10'm :
«6) Graue und gelbliche Mergel, unten meist
blaugrau mit Eisengeoden, in der Mitte mit
Chümbel: Knochenbett und PflanzcnsckickUn Frankens. 237
kleinen Kalkknöllchen, oben lichtgrau mit
einzelnen Bänken fleckigen Mergelkalkes mit
Ammonites fimbriatus, Plicattda spinosa,
Terebratula nwnismalis, Spirifer verrucosus
etc. = Numismälis Stufe 47'm:
7) Arieten&andstein mit Gryphaea arcuata 3'm:
8) Ziemlich grobkörnig gelber Sandstein 4'm:
9) Feinster, dünnschichtiger, gelber, eisenschüs-
siger Sandstein mit Ammonites angulatus 3'm:
10) Feiner hellfarbiger , dünnplattiger Sandstein
mit Cardinia laevis lVm:
11) Gelber lettiger Thon 8/4ym:
12) Eisenschüssiger gelber Sandstein */4'm:
13) Eisenschwarte als Decke l"m:
14) Dünnschichtiger Sandstein, gelblich weiss mit
lichtgranem Lettenschiefer voll Pflanzen-
reste 4'm :
15) Knolligklotziger, gelber, grobkörniger, luckiger
Sandstein mit Pflanzenstengeln (Bonebedlage) 2'm:
16) Grauer Lettenschiefer voll sehr guterhaltener
Pflanzen des fränkischen Pflanzenlager's 3'm:
17) Bausandstein bis zur Thalsohle anstehend.
Aber selbst in den allermeisten Steinbrüchen am N.
und W. Band der fränkischen Alb (nicht so am östlichen),
gehen die Aufschlüsse im Abraum mindestens bis in die
Angulatusschichten, mehrfach bis in die Arieten-
Sandbank. Wohl sind die Zwischenschichten zwischen
den Angulatenbänken und dem Bausandstein sehr wechselnd
238 8üzung der math.-phys. Olasse vom 7, Mai 1864.
zusammengesetzt, verschieden mächtig und unbeständig in
der horizontalen Ausbreitung, selbst in ein und demselben
Steinbruch. Dadurch verwischt sich das einheitliche Bild,
das man sich für eine bestimmte Gesteinsstufe zu machen
pflegt, allerdings leicht. Aber diese Stufen sind doch immer
vorhanden, wenigstens angedeutet.
Aus den zahlreichen Aufschlüssen, die ich in den Stein-
brüchen des nördlichen Frankens untersucht habe, will ich
nur noch zwei hervor heben, welche sich durch den Reich-
thum der Schichtenentwicklung oder ihrer organischen Ein-
schlüsse vor den übrigen auszeichnen.
Das eine Profil schliesst ein Steinbruch am Mainthal-
rande zwischen Ober- und Unterbrunn, Ebensfeld gegen-
über auf.
Profil F. (Oberbrunn.)
Oberfläche: Ackererde.
1) Grünlicher lettiger Schieferthon ohne Ver-
steinerungen 10'm:
2) Ar ietensandsteinbank, oben mit 5 "m:
Lage leberbraun oder graulich grünen
Thones voll grosser Quarzkörner, darunter
2 '/»'m : dünngeschichteter, blaugrauer, durch
Verwitterung ockerfarbiger Sandkalk mit
Gryphaea arcmta, getrennt durch eine 2"m :
gelbe Thonlage von der s/4'm: unteren
Bank eines gelben, ockerfarbigen, unver-
wittert dunkelblaugrauen Kalkes voll grober
Sandkörner mit Arieten 31/» — 4'm:
3) Versteinerungsleerer, grauer Schieferthon 3'm:
4) Sandsteinbank mit unterlagerndem gelblich-
grauem Schieferthon und braungelbgefärbten,
ockrigen, sandigen Zwischenbänken erfüllt
GümM: KnochenbeU md Fßm*m$ck6dUm Ftomto**. 239
▼on den Versteinerungen der Ang u latus-
Schichten Ammonites angtdahw, Lima
pectinoides, Area Hettangiensis , Gardüm
FhUippianum 2V»'uk
5) Eisenschüssige, dicht mit Oardima laevis er-
füllte Muschelbank Vm:
6) Gelher Schieferthon mit sandigen Zwischen«
Lagen 3'm:
7) Weisslich gelber, feiner, gelbpunktirter, fester
Sandstein mit einer Lettenzwischenlage in
zwei Bänken mit Ostrea sublamettosa, My-
tüus Morrisi, Lima cf. pectinoides, Ger-
veüia cf. Hagenowei, Panopaea cf. Dtmkeri 2'm:
8) Grünlichgrauer Schieferthon 8'm:
9) Grünlich grauer Schieferthon und Letten mit
eisenhaltigen Zwischenlagen und Eisenstein-
Geoden, voll von Fucoiden, Ostrea subla-
mettosa und Cardinia laevis 12'm :
10) Grünlich grauer, schiefriger, sandiger Thon
mit glimmerigen Sandstein-Zwischenschichten
voll Fucoiden •> lVi'm:
11) Grauer, sandiger Schieferthon s/4ym:
12) Gelber, eisenschüssiger grobkörniger Sand-
stein, luckig, porös mit zahlreichen Hohl-
räumen Ton ausgewitterten kleinen Muscheln
und Schneckchen herrührend — Bonebed — ty'm :
13) Hellgrauer, fetter, durch Zersetzung pla-
stischer Thon voll Pflanzentheilchen 4'm:
14) Grobkörniger Sandstein mit querdurchzie-
henden Pflanzenstengeln 16'm:
[1864. L L] 17
340 , Sitmßi &* «mftdflü» Game «m 7. Jfo» t8G4.
15) Weissliqh VWfr* etwas röthlksbor, aoltqp
schwär^tebfr ^ohwfertlwn mit dar Flor* 4«r
fränkisohei} P^issjrö^chicht
16) Weißsiicher and gelblicher Bausandstein ^m:
17) Schwändicker, darunter gelber und rotber
Keuperletten.
\ i
Der andere Steinbruch, weWher besonders reiche Aü-
golatenschichten über dem Baasandstein aufechliesst, liegt
an dem Thalgehänge zwischen L^uf und Sassendorf im
sogenannten, Buohhplz N. von Bamfcqrg.
Profil 6. (Lauf- Sassendorf.)
Oberfläche: W^ldbq4ep*
1) Grobkörniger Arietensandstein lll*'m:
2) Graugelber bis grünlichgrauer Lettenschiefer
mit eisenschüssigen and ockrigen Zwischen-
lagen voU von Anmonites angtdatus, Amm.
spvratissimus , Pentacrintis angtdatu*, Gar-
dinia laevis, C. exigua, Anomya peUucida,
Astartepu8illafA.6bsoldatArcdpidla1Ludna . • ■ i
problemaüca, Panopaea Gkdatkea, P. Du*- .
fori, Ostrea sublamellosa, 0. ungida, PU* •
eattda Hettangiensis , TurriteUa Punkeri,
Acteonina fragilis, Cerithium grattm, Pleu-
rotomaria poliia, Neriüna candbis, Denta-
lium Andleri, Ichthyosauruszahnen 3'm:
*
3) . Gelblicher , sehr fester qproogcr , dünn- .
schichtiger Sandstein mit Lima gigantea,
Avictda Deshoyesi, Cardima exigua, Ostrea
sublameUosa, Leda Rmmeri, Taneredia
securiformis , Pliwttda Hetfangiönw, Tur-
vitetta Dunkeri, Cftemmfetq Zenkmi 2'm:
CHkmbd: MkochenUtt u*d PflwiMtnttMditeH Ftomkens. 241
4) Dünnschichtiger, sehr ferner, gelblicher, nicht
sehr harter Sandstein mit Pampaea cf>
Dunkeri '5'm:
5) Grauer, wohlgeschichtetur Lettenschiefer mit
Zwischenlagen von Eisengeoden und eisen-
reichen Lagen 15'm:
6) Grünlich grauer, fleckiger Thon mit groben
Sandsteinlagerungen und mit weissen Geoden
voll Schwefelkies- und Kohlenputzen, unten
sehr grobkörnig und luckig — Bonebed-
Lage — . - l'M'm:
7) Gelblich weisser Bausandstein voll schief
und aufrecht stehender Pflanzenstengel 4'm :
8) Diinnschichtiger Sandstein mit thonigen
Zwischenlagen und grauem bis röthlichem
Lettenschiefbr voll von Pflanzenresten —
Oberfränkisches Pflanzenlager — rVi'u:
9) Fester weisslicheir, oft gelblicher Sandstein
nur 6' aufgeschlossen, soll im Ganzen 20'm
mächtig sein.
Durch vorstehende Profile glaube ich, wenn auch nur
für einen kleineren Bezirk bei und zunächst N. von Barn*
berg, nachgewiesen zu haben:
1) Dass auch in Franken eine wirkliche Bonebed-
Schicht vorhanden ist.
2) Dass die mit und hauptsächlich unmittelbar unter
diesem orientirenden Horizonte gelagerten, weissen und
gelben Sandsteine stets über buntem Kenperletten, aho
in absolut gleichem, geognostischen Niveau mit den
schwäbischen Bonebed-Schichten, ihre Stelle ein-
nehmen.
3) Dass die innerhalb dieses Schichtencomplexes auf einem
17*
242 Sitnmg der math.-phys. CUme vom 7. Mm IBM.
oder zwei thonigen Zwischenlagen vorkommenden
Pflanzen-führenden Schiefer mithin als ein Zeitäqui-
valent der in den Bonebedschichten entwickelten
Ablagerungen betrachtet werden müssen.
4) Durch die unmittelbare Ueberlagerung der Bone-
bed- und Pflanzen-führenden Schichten durch
die Gebilde der drei untersten Liasstufen,
nämlich der Stufe des Arnmonites Johnstoni (oder A.
planorbis), des Ammonites angulatus und der Arielen-
ammoniten, welche selbst in ein und demselben Stein-
bruche über einander entblösst sind, ist festgestellt,
dass die oberfränkischen Pflanzenschiefer nicht
als eine Faciesentwicklung des Gesammten-
lias in einer Lagerung neben denselben be-
trachtet werden können.
Um nun für diese Folgerungen die allgemeine Gültig-
keit innerhalb des ganzen nordbayerischen Keuperbezirkß
zu gewinnen, wird es nöthig sein, dieselben Grenzschichten
längs ihrer Gesammtausbreitung zu verfolgen.
Ich beginne meine Erörterung über diesen Gegenstand
mit der Schilderung der Verhältnisse im äussersten SW.
da, wo die Grenzgebilde aus Schwaben in ihrem NO. Ver-
laufe zunächst nach Bayern herüberstreichen und werde ver-
suchen, sie von da an am Fusse des fränkischen, Albgebirgs
im W., N. und 0. bis in die Gegend von Regensburg ver-
folgend, ihre Eigentümlichkeiten zu beschreiben.
Im äussersten Südwest begegnet man zuerst den Grenz-
gebilden zwischen Keuper undlias diesseits der bayerischen
Grenze an und um den Hesseiberg bei Wassertrüdingen.
Natürliche Aufschlüsse auf dieser Grenze trifft man in dem
Orte Opfenried (Hohlweg im Orte bis zu den Stein-
brüchen an dem Wege nach Böckingen), unterhalb des
Ortes Dambach und in Beyerberg. Viel vollständigere
Aufschlüsse jedoch gewährte der Versuchsbergbau, weicher
G*mM: Knodienbett md PßamtumMMm Ftomkew. 248
in den letzten Jahren hier zum Zwecke der Gewinnung von
Schwefelkies geführt wurde.
Zunächst bei dem Dorfe Dambach wurden 2 Schächte
auf das Schwefelkieslager abgeteuft. Mit diesen wurden
durchsunken :
Profil IL Dambach,
im Schacht Nr. L im Schacht Nr. II.
1) Lehm 5'm:| Rauher Sand 3Vm:
2) Arietensandstein 5'm:| Arietensandstein 6ll*m:
Gelbe sandige Schichten ohne
Versteinerungen ll"m:
Brauner Sandstein wechselnd
mit gelbem Lettenschiefer und
manganreichen Lagen 3ll*'m:
mit Ammonites angtdatus, Chemnitria Zenkeni, Lima pec-
tmoides.
3) Kalkige und thonige Schich-
ten ohne Versteinerungen l'm :
4) Gelber, oft intensiv brau-
ner, sandiger Schiefer und
Sandstein 6'm :
5) Brauner Plattensandstein
und blauer, lettiger Schiefer
mit Asterias lumbriccdis.
2'2"m:
6) Dünnschiefriger, sehr fester
Sandstein in Platten voll Cor-
dinia laevis.
Brauner Sandstein, gelber Let-
tenschiefer und thoniger, dünn*
schiefriger Sandstein voll
Ostrea sublamellosa l*/s'm:
Dünne , kieselige Sandstein*
platten voll Cardinia laevis
l'4"m :
*nu
7) Blaugrauer Lettenschiefer Blaugrauer Lettenschiefer
und Sandsteinplatten l'm:, 0'7
8) Schwefelkiesschicht in beiden Schächten mit
Pflanzenresten, Kohlenputzen und weissen
Brocken, breccienartig mit Mytilus minutus,
Cardinia cf. acuminata, Ostrea irregularis,
Lima cf. praecursor, punctata. ll%"m:
844 SUmmg der «ofe-pfy*. Oa$ee vom 7. Mai 1864.
9) Weisser Thon ein« Breocie mit Hornstein
und Schieferbrocken bildend in beiden
Schächten gleich lVi'm:
10) Bother und bunter Keuperletten.
Profil I. (Beyerberg.)
Am Versuchsstollen dabei.
i
1) Rauhkörniger, kalkiger Arieterisandstein in
mächtiger Bank anstehend mit Arieten-Am-
moniten 10— 15'm:
8) Gelber, mergeliger, dünnscfcichtiger Letten-
Schiefer ohne Thier - Versteigerungen mit .
schönen Fucoiden 10'm:
*
3) Braungelber , feinkörniger, ockriger Sand- ,
stein mit Manganputzen und kugeligen Con-
. cretionen, gelbe sandige Mergel und Mergel-
Sandstein, erfüllt von Versteinerungen der
Angulatusschichten: Ammonitesangulatus
häufig, dazu: Cardinia concinna, Tancredia
securiformis. Ästarte pusiüa, Ostrea stibla-
mellosa, Dentalium Andleri 6'm:
4) Sehr fester, kieseliger, dünnschfchtiger Sand-
stein und Sandsteinplatten voll Cardinia
Listeri mit Lettenzwischenlagen und Wül- .
sten auf den Schichtflächen wie die Asterias-
platten 5'm :
5) Blaugrauer, poröser, blasiger Lettenschiefer
oder thoniger Sandstein mit Pflanzenspuren
und voll sehr schlecht erhaltener, nicht genau
bestimmbarer Conchylien P/i'm:
6) Schwefelkies mit groben Sandkörnern und
Qvmbd: Knodtctibett md P/tomBtruHMthte* Frauken*. £45
Kohkrtbmken gemengt, brectienartig voll -
Ostrea irregularis, Mytilus minufas 1 — 3"mi
r '
■ • ■ 'i
7) Grünlicher Letten mit Hornsteinbrocken die
unebene Oberfläche des unterlagernden rothen
Kenperlettens auffüllend 0 — ll/*'ni:
8) RotheJr and griiAer Keaperletten BO'm:
*
i i
9) Röthlicher grobkörniger, lockerer Keuper*
Sand — Streusand liefernd.
Aus diesen Profilen geht hervor,, dass ähnlich, wie
dießs im nordöstlichen Schwaben der Fall ist, der Gigant»
liehe Bonebed-Sandstein fehlt, dafür unmittelbar üb*r. dem
rothen Keuperietten eine grünliche. Breccienbildung mit
Horoptern, Kohlen und Schwefelkies genau so, wie Qu en-
gte dt. diess (Jura S» 25) von Mitt$lbronn erwähnt, y$i>
kommt. Auch bei Beyerberg wurde früher detr Schwefel*
kiee zur .Vitriolbereitung verwendet
Es unterliegt demnach kaum einem Zweifel , dase in*
SW. Keuperliasdisftrikte ~* um den Hesseiberg <•— die
Bonebedschicht dbzig und allein durch die 1—1 */i "mächtige
schwefelkiesreiche Breccie vertreten werde.
Während auf diesen Schichten oberhalb der Arieten-
Saadsteinbankj welche rings um den Hesseiberg ia zahlreichen
Brüchen (bei Opfenried, Echingen etc.) gewonnen wird, durch
die unmittelbare angeschlossene Tuberculatusschicht
(mit Pentacrinus tuberculatus) den mittleren und oWen
Lias, dann durch den ganzen Dogger und Jura bis zum
Scyphienkalk ftber dem mergeligen Kalke mit Ammcmites
tenuilobatus , welcher die höchste Bergkuppe ausmacht, sich
das Gebirge zum hohen Hesselberge insularisch aufthürmt,
zieht die Grenze zwischen Keuper und Lias ostwärts Weiter
am Fusse der Alb« Bei Oronheim und Gnotzheim sind
noch dieselben Schwefelkieslagen ohne weissen Sandstein
34t 8*mmg der mtfh.-jph*$. Ckme vom 7. MtU 1864.
unmittelbar über dem grellfarbig rothen Keuperlet)teo aus*
gebreitet, wie um den Hesseiberg.
Doch schon jenseits des Altmühlthales an der Wasser-
scheide gegen die schwäbische Rezat beginnt erat in geringer
Mächtigkeit bei Dornhansen sich eine weisse Sandsteinlage
auf den rothen Kenperletten aufzulegen, welche so rasch an
Mächtigkeit wächst, dass schon /bei Dörschbrunn, SW.
von Pleinfeld ein Steinbruch behufs Gewinnung von Bau-
steinen betrieben werden kann.
Bei Ellingen und Weissenburg hat dieser zwischen
rothem Eeuper und Liae eingeschaltete, weisse oder gelbliche
Sandstein schon seine für Franken normale Mächtigkeit und
Entwicklung erreicht, wie die schönen Steinbräche bei Wei-
boldshansen, Hattingen und Ottmannsfelden lehren.
Ich wähle aus dieser Gegend drei interessante Grenz-
profile y welche das Unbeständige der Schichtenbildongen
hier sehr klar machen und zeigen, dass selbst stellenweise
mittlerer Lias unmittelbar auf dem oft gelblichen, dem An-
golatensandstein sehr ähnlichen Bausandstein aufliegt, so
dass es scheinen könnte, als ob dieser möglicher Webe
selbst diesen Angulatensandstein vertreten könnte. Diess ist
jedoch bestimmt nicht der Fall.
Profil K.
an der Weiboldshauser Mühle bei Weissenburg.
Oberfläche: Schwarze Ackererde.
1) Dünnschichtiger, wellig flasrigbrechender,
kalkiger, durch Verwitterung brauner, grob-
körniger, fast breccien-artiger Sandstein mit
Gryphoea cymbium, Bdemmtes brevis, Pento-
crmus tub&culatus 3'm:
2) Kieeeliger, blaugrauer, bei Verwitterung roth-
brauner, grobkörniger Gryphaea arcuaia
enthaltender Anetensandstetn 5'**
GtomM: EnochenbeU *md P/kmMemddektm Fronten*. 247
3) Gelber Lettanechiefer mit einer Eisenschwarte
und nur stellenweise entwickelt, selbst in
demselben Steinbruch theilweise ganz fehlend
intensiv gelber, brannstreifiger, ockriger
Sandstein mit Ammonites angulatus nnd
vielen Gagteropodan 0 — 2^/i'm:
4) Grünlich graue, thonige Lage mit harten
Knollen, Brocken und voll ron Schwefelkies
mit Kohlenputzen und Mytilus inimtus,
Ostrea irregtüans; ungleichmächtig 0 — l'm:
5) Grünlich graue, gestreifte und gefleckte, oft
kleinblasige Lettenschiefer, zuweilen bunt
gestreift» selbst stellenweise intensiv roth
mit Spuren von Pflanzenresten 8'm:
6) Weisser, unebengeschichteter fester, grob-
körniger Sandstein mit grünlichem Thon als
Zwischenlagen und Spuren von Pflanzen-
stengeln 1 V*'n :
7) Mulden ausfüllender, daher ungleich- mäch-
tiger, gelblicher, braunstreifiger Sandstein,
zuweilen linsenförmige Partieen bildend 3— 5ym:
8) Feiner, weisser oder gelblicher, braun ge-
fleckter oder getigerter, sehr brauchbarer
Bausandstein 1 5 — 20/m :
9) Rother Keuperletten.
Profil L.
Aus einem Theile der grossen Steinbrüche bei Höt-
tingen unfern Weissenburg.
Oberflache: Ackererde.
1) Grauer weicher Mergel mit grauen Kalk-
bänken voll grosser Quarzkörner, enthaltend:
248 8ttmm§ der motik-pA?*. {8mm oh*. 7. Jfo» JSftL
Belemnites ppaülö&us, JBlicattda spinosa,
Terebrafulb immismaliss Asnmoniies fimr. >
briatus
-— Mittlerer Lias.. •*—
2) an dem nördlichen Theil
des Steinbruchs fehlend
*• *
.' . *
3)
-f ' = Arietensandsteinbank
Grobkörniger, eisenschüssiger
Sandstein oben mit Belem-
nites brems . lv/«'m:
unten, mit Gryphaeä arcuata
*' 3Vm:
4) Im nördlichen Thefle des Steinbruch» imftifr-
telbar -unter dem grauen " Mergel dee mitt-
leren Lias^ im südlichen unter dem Arteten-
'Sandstein: Eisensteintiohwarte 2"m:
5) Grünliche Letten mit harten Geoden und '
Schwefelkiesknollen */4'm:
61 Grauer, grünlicher, stellenweise intensiv
" rother Lettenschiefer von wechselnder Mäch-
tigkeit ' 2-7<m:
7) Wgisslicher und gelblicher, meist braun ge- .
*' tigerter Bausandstein 20'm:
Profil M. bei Ottmannsfelden
SO. von Pleinfeld.
Oberfläche: Wiesenboden.
1) Wellig gebogener, dünngeschichteter, grob-
körniger, braungelber Sandstein wie die
<Arietenbauk 3'm:
-j ■ • i ' • ■
2) Rother und grüngestreifter Lettenschiefer
mit etwas Schwefelkies 6'm:
3) Gelber Letten und gelber thoniger Sand-
stein 8M'm :
GümUh Smchenbett und PflaneennüdUe* Frwkms. M9
4) In zwei Bänken sehr fester,
artig-harter Sandthon . . lfm:
5) Dünnschichtiger, hellgrünlicher Thonstein-
ähnlicher Sandstein mit gelben Flecken
6) Hellgrauer Sandsteinschiefer mit' Wülsten
auf den Schichtfläcben wechselnd mit hell-
grauem Tbon 2*/s'm:
7) Grobkörniger, fein gelbgetigerter, sehr fester
unten mürber Sandstein, z. Tb. in 3~>-4
Binke getheilt, z. Th. mit den darauf lie-
genden sandig entwickelten Schichten bis
zur Steinmergellage 4) ia ein Ganzes ver-
schmolzen 10'm:
8) Rother Kquperlettea.
Die Profile zeigen die Doppelnatur des N. und 8. In
den Schwefelkieslagen ist die Entwicklung im Südeby durch
das Vorkommen des weisslichen Bausandsteins und der Pflan-
zeureste der Norden repräsentirt. In der successiven Ver-
folgung dieser Schichtenentwicklung liegt die Bürgschaft,
dass ich mich wohl nicht täusche, wenn ich die Schichten
K4; L5 und M 2 für die Zeitäquivalente der obersten
Bonebedlage halte.
Eine sehr ähnliche Beschaffenheit behält dieser Schich-
tencomplex von dieser Gegend an weiter in N. und NO.
Richtung gegen Neumarkt und Altdorf zu. An der Strafc&e
von Nürnberg nach Neumarkt macht sich diese Grenzregion
schon durch die plötzliche Steigung hinter Pensetahofen
deutlich bemerkbar.
In dieser Gegend stossen wir auf einen vorzüglichen
Aufschluss in dem Steinbruche zuBurgthann b$i Schwarzach
in der Nähe des hier vorüberziehenden Kanals. Dieser Auf-
schluss ist um so belehjföftfcr, als er die Schichtenfolge
250 Sitzung der mafh.-phys. Glosse wm 7, Mai 1864.
vom Bausandstein aufwärts bis zum Mergel mit Ammonites
margaritatus im mittleren Lias unmittelbar blosslegt.
*
Profil N. bei Burgthann unfern Neu markt.
Oberfläche: Krame.
1) Blaugrauer Mergel und Thon mit Ammo-
nites margaritatus und seinen Begleitern 10'm:
2) Brauner, eisenschüssiger Mergel mit Eisen*
haltigen Geoden und voll Belemnites paxil-
losus IV» "m:
3) Weisslich grauer, etwas fleckiger Kalk mit
Belemnites paxillosus und Ammonites mar»
garitartus Vm*
4) Gelblich weisser, schichtenweise blauer
Schiefermergel, oft fleckig mit einseinen,
nicht harten Kalklagen in linsenförmigen
Massen mit zahlreichen Belemnites paxil-
losus 5'm :
5) Blaugrauer Mergelschiefer , 1 Vm:
6) Blaugrauer Kalk, Flecken mit geodenartigen
weissen Concretionen und Ammonites Davoei,
A. fimbriatus, Bhynchonella rimosa, Tere-
bratula numismaiis und Pecten aequivalius.
7) Blaugrauer, etwas sandiger Mergelschiefer
mit weissen Kalkknollen und Plicatida
spinosa 1 Vm ;
8) Gelber, kalkig eisenhaltiger Mergel mit groben
Sandkörnern voll Belemnites elongatus 2'm:
9) Blaugrauer, weicher Kalk mit weissen Kalk-
Knollen und zahlreichen Versteinerungen;
Ammonites ibex, A. fimbriatus, Belemnites
Oümbd: KnochenbeM und PflantenaekickU* Fnmkms. 251
elongatus, Spirif er verrucosus Bhynchoneüa
rimosa, Pentaormus subangularis, Phola-
domya decorata ll*'m:
10) Grauer, harter Kalk mit vielen Quarzkörn-
chen voll Gryphaea Gigas (von Amberg)
und Ammonites Masseanus, Ehynchonellen,
Terebratetn, Pecten-strionatis und Fleuroto-
maria expansa l'm:
*
11) Blaugrauer Sandmergel mit Gryphaea ob'
liqua V»'m :
12) Eisenhaltiger, sandiger, durbh Verwitterung
brauner, rauher Kalk mit Ammonites cf. rari-
costatus ll*4m:
13) Dichter, harter, stark eisenschüssiger Kalk-
Sandstein mit groben Quarzkörnchen und
mit Pentacrinus tubercvlatus, Gryphaea obli-
qua, Belemnites spec. 5"m:
14) Gelber, grobkörniger Sandstein mit Arieten
(undeutlich) i Vi'm :
15) Gelber lettiger Schiefer, oft weiselich l'mi
16) Gelblich weisser, braun geflammter, feiner
Sandstein in dünnen Bänken mit Lima pec-
tinoides (Angulatenqchjcht) ,5'm:
17) Sehr eisenschüssiger Sandstein (Eisenputzen) 2'm:
18) Gelblichweisser, getigerter, feiner Sandstein lll%'m:
19) Eine muldenförmige Vertiefung im Bausand-
stein ausfüllend, oben vtm der Schicht 18)
abweichend bedeckt, rother Letten, grauer,
thoniger Sandsteinschiefer, weisser, sandiger /
Schiefer, Pflanzenlager, grajierlfßttenschiefer 0 — 3'm :
252 - Sitzung der math.-phys. €%t**e vom 7. Mai 1694.
20) Weisser, schöner Bfeusandstein, oben stellen-*
weise mit einer zweiten Lage von Thon nnd ' v
Pflanzenresten 18— 20'm:
21) Rother Keuperkrtten. ■> »,,:
Obwohl wir in diesem Profile die direkte Grenzscheide
zwischen Lias and seiner Unterlage an der SchwefeUriesschicht
piofayt erkennen können, so giebt doch hier die Lagerung
einen Anhaltspunct zur Bezeichnung dieser Grenze. Es liegt
nämlich die Schicht 18 abweichend oder — auch flach auf
den- Gebilden der Schicht 19, welche in bogigen Lagen eine
Vertiefung im weissen Sandstein ausfüllen. In dieser Ana-
füllmasse liegt 4as obere Pflanzenbett, iu weissem Saadstein
etwas tiefer ein zweites.
Aehnlich sind die Verhältnisse in einem zweiten, durch
natürliche Entblössung aufgeschlossenen Profile am Dorfe
Rasch zunächst südlich voa Altdori
Profil 0. bei Rasch unfern Altdorf.
»
Oberfläche: Ackerboden.
*
1) Blaugrauer, lettiger Mergel mit Einlagerungen
von knolligen, gelblichen Kalken mit grossen
AmmonUes margaritatus, Belemnites paxilr \
losus 5'm:
2) Kalkbank, fest, gelbgrau voll Belemnites
paxillosus und mit Ammomtes fimbriatua
Pavoeikalkbank lll%'m:
3) Lichtgelblich grauer Mergel mit Eisenstein-
schalen und kalkigen Zwischenlagen voll
Plicatula spinosa und Sdemnites elongatus Wm:
4) Gelbgrauer Kalk in unregelmässiger, linsen*
fönhig verengter und erweiterter Bank mit
Oümbd: Bkochenbett mi &fiwmwMMMm fVontai*. fe5ft
weissen, kieseligen Concräionen. (Niveau
dee Amm. ibez) i • » $'mt
i
5) Schiefermergel und grauer Kalk mit grossen
Qnarzkörnern voll von Oryphaea gigas (von
Amberg) Vs'nu
6). Grobkörniger, ßi^enscbüssiger Sandstein (4rö*
tensandsteinb^nk) t.. 5'm;
7) G*iber Lettenschdrfer mit Zwfeehenlagen
gelben feinen, oft ockerfarbigen Sandsteins
and kieseliger Sandsteinplatten (nicht deut-
lich zu speciälisiren) ' 15'm:
8) Grobkörniger, gelber Sandstein, nach unten
unregelmässig geschichtet, thonig und mit .
Pflanzenresten 3'm :
9) Grobkörniger, weisser, gelbgestreifter Sand-
stein mit Kohlenputzen ' 7'm:
10) Stellenweise sich auskeilender, grauer Letten-
schiefer mit schonei) Pflänzenresten der
fränkischen Pflanzenschicht 0 — lVs'm:
11) Feinkörniger Bausandstein, oben mit An-
wachsstiteifen 15'm:
Von Ältdorf zieht sich die untere Grenze des
Lias durch den Nürnberger Lorenzii- und Sebaldiwald
und am Fasse der Vorhügel des jurassischen Gebirgs
oknq b^om^ei» bwerjwiswerthe JSigenttouwlichkeiten fort.
Uw findet zwar uberaü die Spuren der pflanaenfahrenden
Schicht übar dem weissen Sandstein und dem grobkörnigen
eisenschüssigen Sandstein — im Niveau der Arietensanfl-
st ein b an k — , aber die Gesammtentwicklung ist so gering
mächtig und in Folge fovon sind die einzelner} Schichtet»
so w&üg bcitunsit abgogrea&t, daaa, da auch fast alle Von»
254 Stom*§ der motk*?**». Ctam vom 7. Jfiti 18*4.
Steinerungen hier fehlen, eine eingehendere Darstellung un-
XW&tig erscheint. Es gentigt die Bemerkung, daae diese
Grenzgebilde mit Einschluss des unteren Lias in der Ge-
gend 0, von Nürnberg im Vergleiche mit den entsprechenden
Schichten des ganzen westlichen Albrandes wohl am dUrftig-
Sten ausgebildet sind.
Fast das Gleiche gilt auch von der nächsten Umgebung
Von Erlangen, wie das schon Pfaff hervorgehoben hat.
Zum Beiego führe ich das Profil an, das gleich unterhalb
Marlofstein in einem Steinbruche aufgedeckt ist
. Profil 0« bei Marlofstein bei Erlangen«
Oberfläche: Krume.
1) Gelbgrauer, lichter Mergel des mittleren Lias
. mit Kalkbänken 10'm:
2) Gelber, grobkörniger, eisenschüssiger, kalkiger J
Sandstein — Niveau der Arietensand-
* *
steinbank — 2'm:
• .. . .
3) Gelblicher, grobkörniger Sandstein mit Eisen-
Schwarten und thonigen Zwischenlagen 7'm:
4 .
4) Nagelkalklage . 3"m;
5) Gelber, eisenschüssiger, grobkörniger Sand- .
. stein mit Schwefelkies und weissen halten
, Knollen? — Bonebed — 8) lVm;
•» •
3) So eben bei Correktur dieser Zeüen kommt mir von Herrn
Caplan Dr. SobTüfer 'in Rattelsdorf ein Separatabdruek • seiner
neuesten Arbeit über den ob. Keuper und ob* Jura in Frankejr
zu, (Jahrb. der naturf. GeseUech. in Bamberg 1864 SL 1), wprin sich
der. Verfasser S. 2 in folgender Weise gegen eine meiner froheren
Beobachtungen ausspricht: „Dass bei Strullendorf, SO. von Bamberg
das Bonebed vorkomme, wie diess Gümbel — angiebt — , muss in
Abrede gestellt werden. Bei Strullendorf findet sich kein Bonebed.
Gümbd: Knochenbett und Pflamenschichtm Frankens. 255
6) Weiblicher, durch Verwitterung zersetzter,
plastischer Thon mit Pflanzenresten 2"m:
7) lichtgrauer, knollig uneben, wellig dränge-
Bchichteter, glimmeriger Thonsandstein und
Lettenschiefer mit den Pflanzen der fränk-
ischen Pflanzenschicht 0 — 2'm:
8) Weisser Bausandstein mit Anwachsstreifen 10'm:
wenigen Fischreste, die Hr. Bergrath Gümbel von da besitzt,
stammen loahneheinUch ans dem untersten Lias." Diese Behauptung
ist mit so grosser Bestimmtheit und in so absprechendem Tone der
Unfehlbarkeit aufgestellt, dass man nicht glauben sollte, dass sie
von Jemanden herrühren könnte, welcher in der Geognosie nur
so nebenbei sich zu versuchen eben erst angefangen hat, und es ge-
winnt fast den Ansehein, als ob der junge Anfanger hier den Zweck
gehabt habe, statt durch Gründe durch die kategorische Art und
"Weise seiner Darstellung den fehlenden Beweis zu fuhren. Denn
fragt man nach dem Grunde für seine Ansicht, so liegt dieser allein
in der vermeintlichen „Wahrscheinlichkeit", dass ich gewisse
Schichten verwechselt habe. Herr Schrüfer scheint sich wohl nicht
denken zu können, dass etwas Geognostisches in Franken vorhanden
sei, was seinem Blicke bisher entgangen ist. Indess ist diese
„Wahrscheinlichkeit" völlig unbegründet und bloss eine kühne
Conjektur, um eine unbekannt gebliebene Thatsaohe in Abrede stellen
zu können. Herr Schrüfer kennt eben einfach die Schicht
noch nicht, aus der die Bonebed- Versteinerungen stammen, aber
desshalb existirt sie doch, obgleich und wenn sie auch bis jetzt
demselben unbekannt geblieben ist. Denn es bestehen in Franken
wohl noch manche geognostische Verhältnisse, trotzdem sie bis jetzt
von diesem fränkischen Landeskinde noch nicht entdeckt oder er-
kannt wurden, wie z. B. die Existenz der Ammonites planorbis-
Schichten, das Vorkommen basaltischer Gesteine im Bamberger Jura,
die Streitberger Schwammlagen bei Würgau und vieles Andere.
Ich habe nie ein Staatogeheimniss daraus gemacht, wo dieses frank-
ische Bonebed zu finden sei; Hr. Schrüfer selbst hat Stücke davon
bei mir gesehen, aber gleichwohl, wie es scheint, bei Strullendorf
das Gestein nicht wieder erkannt. Die ausfuhrliche Schilderung in
den vorausgegangenen Blattern lasst mich hier davon Umgang
nehmen, noch einmal auf die Beweise für das Vorhandensein der
Bonebedschiohten in Franken zurück zu kommen.
[1864 1.4.] 18
256 Sitzung der tnath.-phys. Gasse vom 7. Mai 1864,
Prächtige Aufschlüsse gewähren wieder die zahlreichen
Steinbrüche 0. von Forchheim am Rande des Wiesentthales
bei Wiesenthau, Reuth1 Weilersberg, ganz insbesondere
jene bei der Jägersburg, welch' letztere überdiess durch
den Reichthum ihrer Pflanzeneinschlüsse wichtig gewor-
den sind.
Bezüglich des Aufschlusses der aufgelagerten Lias-
schichten gibt der südliche Theil des grossen Steinbruchs
bei Reuth die besten Aufschlüsse.
Profil P. bei Reuth unfern Forchheim.
Oberfläche: Waldboden.
1) Gelber, zersetzter, lehmiger Mergel mit aus-
gewitterten Belemnites paxülosus und Eiaen-
schwarten (Margaritatenmergel) 10'm:
2) Grauer, durch Verwitterung gelbgrauer Mer-
gelkalk voll Fucoiden, dann mit Terebrafada
mmnsmalis, Ehynchonella rimosa und Be-
lemnites dwvatvs llt'm:
3) Wohlgeschichteter, grauer, durch Verwitter-
ung gelber Mergelschiefer mit 4 — 5 Zwischen-
lagen von meist in Linsen zertheiltem Kalk,
mit Quarzkörnchen : Belemnites elongatus,
Plicatula spinosa, Gryphaea obliqua. (Mittlerer
Lias) 10'm :
4) Oben grüngrauer, unzersetzt schwarzerSchiefer-
thon mit Schwefelkiesputzen, unten etwas
sandig mit Ealkknöllchen voller Ammonites
rarecostatus (Obere Lage des unteren Lias) 13'ni:
5) Gelber, dolomitischer Kalk (Tuberculatusbank)
und eisenschüssiger, grobkörniger Sandstein
— Niveau der Arietensandsteinbank — ll*'m:
6) Weisslicher und grauer weicher Mergel und
Gümbel: KnochenbcH und Pßan$ensehiehten Fronten*. 257
gelbliche Sandsteinplatte — Vertreter der
tiefsten Liasschichten — 1/4/m:
■
7) Stellenweise rother, meist nur rothgefleckter,
gelblich grauer Lettenschiefer und Thon
durch weissliche, leicht auswitternde rund-
liche Körnchen ausgezeichnet, die auswitternd
der Masse ein poröses Aussehen verleihen 3'm:
8) Rother und grünlicher Thon mit Schwefel-
kies und Sandeisenstein 7"m:
9) Weisser gelbgestreifter, grobkörniger Bau-
sandstein 15'm:
Daraus kann man die geringe Entwicklung der unter-
sten Lagen des unteren Lias, selbst die der sonst doch
einige Fuss mächtigen Arietensandsteinbank klar ersehen. Dass
die Schicht 6) die Angulaten- und noch tiefere Schichten
vertrete oder ersetze, lässt sich bestimmter in dem Hohl-
wege gleich oberhalb des Dorfes Reuth ersehen, wo über
dem weissen Thonstreifen wirklich eine schwache Lage
feinen gelben Sandsteins vorkommt. Ganz ähnlich ist der
Aufschluss in dem Steinbruche bei Weilersbach und Wie-
senthau.
Ich fuge nun zunächst das Profil eines Steinbruches bei,
der im F orchheim er Bürger wald im sogenanntenLeierkram liegt.
Profil Q. im Bürgerholz bei Forchheim.
Oberfläche: Waldboden.
1) Grauer Mergel mit eisenhaltigen Kalkmergel-
Zwischenlagen 1 l'm :
2) Starkeisenschüssiger, grobkörniger — (Arie-
ten-) Sandstein 21/»/m:
3) Gelber und grauer Mergelschiefer mit Eisen-
geoden und sandigen Zwischenlagen oft mit
einzelnen in vollkommen gelben Sandstein
18*
258 Sitmmg der tnath.-phys. Ckme vom 7. Mai 1864.
übergehenden Schichten — Stellvertreter
des tiefsten Lias — 6'm:
4) Gelber Thon mit rothgelbem Sandeisenstein
voll grober Quarzkörner und Schwefelkies-
theilchen, fein porös wie P Nr. 7 (Keuper) •/t'm:
5) Grauer Lettenschiefer mit zahlreichen sehr
schönen Pflanzenresten, besonders Equisetiten,
nach unten mit einer Eisenschwarte abschlies-
send (II) 2Vm:
6) Grobkörniger fester Bausandstein in 20' von
oben mit einer lettigen Zwischenlage eben-
falls voll Pflanzenreste (I) 84'm:
Die Steinbrüche an der Jägersburg liegen N. von diesem.
Um die Uebereinstimmung und Verschiedenheit der Grenz-
gebilde zu zeigen, theile ich zwei Profile mit, das eine aus
dem östlichen Theile, dem sogenannten Königsbruche, das
andere aus dem westlichsten Theile unmittelbar neben der
Strasse — dem Heldbruche.
Profil R. Königsbrach an der Jägersburg.
Oberfläche: Waldboden. v
1) Gelbgrauer schiefriger Mergel des mittleren
und unteren Lias 15'm:
2) Eisenschüssiger, grobkörniger — Arieten-
sandstein — stellenweise 6'm: durchsch. l'm:
3) Grauer und gelber Mergelschiefer und Schiefer-
Thon mit sandigen Zwischenlagen (Lias) l8/4'm:
:4) Grobkörniger Sandstein durch eine thonige
Zwischenschicht in zwei Bänken getheilt,
mit grossen Pflanzenstengeln (III) (Keuper) 6'm:
5) Oben weisslicher, unten schwarzgrauer Let-
G*mbd: Knochenbett und Pflan$en»chichtm Frankens. 259
▼oll der schönsten Pflanzenreste
des frankischen Pflanzenlagers (— Q. Nr. 5)
(II) 2Vm:
6) Oft etwas röthlicher, sonst gelber, ziemlich
feinkörniger Sandstein in dünnen Lagen,
unten mit einer Thonschichte (I) 3'm:
7) Grobkörniger Baasandstein 30'm:
Profil 8* Heldbruch an der Jägersburg.
1) Grobkörniger — Arietensandstein — l'm:
2) Gelber, unten stark eisenschüssiger Mergel
und Schieferletten — Lias — 5'm:
3) Grobkörniger, gelblicher Sandstein mit blasen-
ahnlichen Bäumen — Keuper — 7'm:
4) Gelber, oft röthlicher Schieferthon mit kleinen
Knöllchen, durch deren Auswitterung die
Masse porös wird, mit wenigen Pflanzen*
resten (IE) 0— 2'm:
5) Grobkörniger Sandstein wie Nr. 3 lV*'m;
6) Feiner grauer, nach unten oft etwas röth-
licher Lettenschiefer voll Pflanzenreste
(= B. 5 und Q. 5) (II) 2'm:
7) Feinkörniger, gelblich weisser Bausandstein 10'm:
8) Grauer und röthlicher sandiger Schiefer voll
Pflanzenreste wie Nr. 6 von wechselnder
Mächtigkeit, oft ganz verschwunden (I) 0 — 1 Vm:
9) Grobkörniger, weisslicher Bausandstein 16'm :
10) Blauer und rother Keuperletten.
Aus diesen Profilen geht insbesondere hervor, dass
innerhalb des unzweifelhaft einheitlichen Schiehtencomplexes
260 Sümmg der maft.-pfy*. Ckuse vom 7. Mai 1864.
3 pflanzenfuhrende Lagen vorkommen (bezeichnet I, II, III)
die jedoch bald verschwinden, bald sich aufthun; ob sie einen
.Unterschied in Bezug auf die Art ihrer Pflanzeneinschlüsse
darbieten, ist schwierig zu ermitteln. Die Differenzen, die
etwa bemerkt werden, können ebensogut denen der Stand-
örtlichkeit, als eines bestimmt abgegrenzten Niveaus entsprechen.
Da übrigenB diese Lagen so sehr wechseln, stellenweise vor-
kommen und verschwinden, so wurde bis jetzt beim Sammeln
ausser Acht gelassen, diese Pflanzenlager auseinander zu halten.
An diese Profile von der Jägersburg reiht sich zu-
nächst jenes von Strullendorf bei Bamberg und dann so-
fort diejenigen, die unter B, C, D, E. F, und 6 früher
mitgetheilt worden sind, wenn wir die Grenzgebilde am
Fusse der Alb in der eingeschlagenen N. Richtung immer
weiter verfolgen.
Es ist nur bezüglich der pflanzenfuhrenden Schichten,
die fast in keinem der zahllosen Steinbrüche dieser N.
fränkischen Gegend fehlen, noch die allgemeine Bemerkung
hinzuzufügen, dass es immer mehrere Lagen sind, die man
beobachtet, und dass bald das tiefere, bald das höhere sich
an Pflanzen ergiebiger zeigt. Für Sammler sind die Stein-
brüche bei Reut unfern Kirchlein NO. von Burgkunstadt,
dann jene an der Teufelsbrücke bei Küps und die Tegel-
grube bei Burgersdorf, in welcher der feine plastische Thon
(voll Pflanzenreste) des tieferen Lagers (für Kapseln und
Glashäfen brauchbar) gewonnen wird, während im NW.
Theile Ober- und im 0. Theile Unterfrankens, also in der
Gegend von Baunach (Gethönig auf dem Stiefenberg, Thon-
löcher auf dem Lussberg), Ebern (schwarze Thongrube
auf der Ebent im Ebener Hasswalde) und bei Sesslach so-
wie an vielen Orten im Koburgischen das obere Thonlager,
das fast ohne Pflanzeneinschlüsse ist, für gleiche Zwecke *
ausgebeutet wird.
Jenseits der beschriebenen Profile gelangen wir, der
Qümibd: Knochenbett und Pflan*en$ehichten Frankens. 261
Grenze des Lias weiter nach N. folgend, in die Gegend von
Kulm ba eh. Hier ist das Pflanzenlager am Lindig bei
Veitlahm, vorzüglich zur Zeit des Hrn. Rentbeamten Welt-
lich in Culmbach ausgebeutet, von hohem Interesse. Ich
fand daselbst folgenden Gebirgsaufechluss mit Beiziehung
des Hohlwegs am Lindigbach bei Veitlahm:
Profil T. am Lindig bei Veitlahm.
1) Mittlerer Lias: Margaritaten- und Numis-
malis-Mergel am Fusse des Patersberges.
2) Band des Hohlwegs: Grobkörniger, eisen-
schüssiger Arietensandstein mit Gryphaea
arcuata 3'm :
3) Dünnschichtiger, feinkörniger, ockeriger,
braunfleckiger Sandstein (Angulatensch.) 5'm:
4) Mergeliger Sandsteinschiefer, lichtgelb lV*'m:
5) Dünne Bänke harten, kieseligen Sandsteins
in Platten voll Ostrea sublamellosa * 2'm:
6) Grauer Thon und Sandsteinschiefer mit
Wülsten auf der Schichtfläche — Lias — 2 Vm :
7) Grobkörniger, gelber eisenschüssiger Sand-
stein von der Beschaffenheit des Bonebed-
lagers bei Witzmannsdorf — Keuper — Vi'ni:
8) Rand des Steinbruchs: Grauer, durch
Verwitterung weisslicher, plastischer Thon
mit Sandsteinschieferzwischenlagen und ein-
zelnen undeutlichen Pflanzenresten lVi'm:
9) Lockerer, grobkörniger, etwas röthlicher,
eisenschüssiger, dünnbankiger Sandstein 3'm:
10) Hellgrauer Lettenschiefer mit Pflanzen Vm:
262 Süeung der maih.-phys. Ciasee vom 7. Mai 1864.
11) Grobkörniger Baasandstein — Obere Bank —
weisslich gelbstreifig SO'm:
12) Roth und graulicher feiner Letten mit
Pflanzen V* — l'm*
13) Rauhe Sandsteinbank lVm:
14) Hauptpflanzenlager in grauem, oft röth-
lichem und rothfleckigem Thon von verschie-
dener Mächtigkeit in Mulden des Sandsteines
eingelagert 1 V» — 3'm :
15) Grobkörniger streifig gelber, vorherrschend
weisser Bausandstein — Untere Bank — 40^:
16) Bunter Eeuperletten.
Aus diesem Profil geht die vollständige Uebereinstim-
mung mit Strullendorf und den Steinbrüchen an der Jägers-
burg bei Forchheim hervor.
Von diesem weit N. vorgeschobenen Punkte wendet
sich nun die Grenze zwischen Keuper und Lias wieder
lückläufig fn SO. Richtung längs des Ostrandes der Alb
über Peesten, Thurnau, Pleofen, Neustädtlein,
Forstlahm nach Eckers dorf, Fantasie, Donndorf und
Hardt in der unmittelbaren Nähe von Bayreuth. An allen
Orten, wo hier die Schichten durch Steinbrüche aufgeschlos-
sen sind, zeigen sie sich reich an Pflanzeneinschlüssen. Es
sind diess die Fundstellen, welche durch Braun' 8 phyto-
paläontologische Arbeiten eine klassische Berühmtheit unter
den Geognosten erlangt haben.
Unter den vielen Profilen aus diesen nördlichsten Di-
strikten des 0. Albrandes , welche eine ungemein grosse
UebereinBtimmung zeigen, wähle ich zu Mittheilungen die-
jenigen aus, welche wegen des Anschlusses an die Lias-
gebilde erhöhtes Interesse gewinnen. Denn meist ist hier
der tiefste Lias so schwach ausgebildet, dass, da in der
CHkmbd: Knochenbett und Pflansenschichten Frankens. 263
Regel zugleich das Terrain über der Terrasse, welche durch
den Balisandstein erzeugt wird, ganz flach ansteigt, kaum
die letzten Spuren der Liasformation noch im obersten
Abraum der Steinbrüche sichtbar sind. Diess zeigt sich so*
gleich in den Steinbrüchen bei Thurnau. Hier sind nur
wenige Schichten aufgeschlossen.
Profil U.
im Steinbruche des H. Münch bei Thurnau.
1) Grobkörniger Sandstein (?) Arietensandstein 3'm:
2) Eisenschale und gelber Lettenschiefer mit
Cardinia laevis 2'm:
3) Blauer Mergelschiefer mit Zwischenlagen sand-
igen Schiefers und undeutlichen Versteiner-
ungen von Cardinien, Mytilus etc. — Lias — 5'm :
4) Gelblich weisser Lettenschiefer — Eeuper — 1 Vm :
5) Grobkörniger Sandstein, oben durch eine
Eisenschale abgeschlossen, blasig, Schwefel-
kieshaltig, die Unebenheiten seiner Unterlage
ausfüllend mit Pflanzenspuren V*— 3'm:
6) Feinster, weisser, glimmeriger Sandstein mit
weissen Punkten zu Schleifsteinen benätzt 10'm:
7) Grauer, sandiger Letten und Lettenschiefer
voll schöner Pflanzenabdrücke Vs'm:
8) Gelblich weisser Bausandstein.
Von den Profilen naher bei Bayreuth kann jenes am
Forst bei Neustädtlein für den ganzen Verbreitungsbezirk
von Dörnhof, Forstlahm, Teufelsgraben, Donn-
dorf, Fantasie, Eckersdorf, Hardt und Mistelbach
gelten, welche sämmtlich wesentlich gleiche Lagerung zeigen.
264 Süäung der mafh.-phg8. Gaste wm 7. Mai 1861.
Profil V. am Forst.
1) Fester, eisenschüssiger, grobkörniger Sand-
stein (Arietensandsteinbank) lll%'mz
2) Dunkelgrauer eisenhaltiger, durch Verwitter-
ung intensiv gelber Schieferthon lji'm:
3) Grauer, durch Verwitterung gelber Letten-
schiefer mit gelbem Sandstein in Zwischen-
lagen, oben mit schwarzen Putzen (dem
Angul^tensandstein gleich) unten fein, kalkig
mit einem Amtnonites cf. planorbis (Lias) 5'm:
4) Rauher Sandstein mit Brauneisensteinputzen l\t'm :
5) Dunkelgrauer Thon mit Pflanzenresten, oft
fehlend — Köuper — l'm:
6) Weisser, feinkörniger, glimmerführender,
dünnschiefriger Sandstein 5 — 10'm:
7) Grauer bis schwarzer Schieferthon und san-
diger Schiefer, oft glimmerreich auch ins
Röthliche spielend mit Kohlen, Schwefelkies
und zahlreichen Pflanzen — Hauptlager des
fränkischen Pflanzenschiefers V* — 3'm:
8) Weisser und gelber Bausandstein bis 30'm:
9) Rother Eeuperletten.
Verfolgt man das ansteigende Hügelland gegen den
Fus8 der Juraberge, so überzeugt man sich leicht, dass in
regelmässiger Folge auch hier über dem Arietensandstein,
aus dessen Lage ein sehr schöner Ariet: Amtnonites Bodlei
vom Heisenstein stammt, der mittlere und obere Lias u. s. w.
aufgethürmt ist, dass mithin auch in dieser Gegend von
einem Ersetztsein des Lias durch die pflanzenfuhrenden
Schichten nicht die Rede sein kann.
GümM: Knochenbett und Pflanämsckichtm Frankens. 265
Am deutlichsten zeigt uns diess das Schachtprofil
des vielberühmten Fundortes bei dem Dorfe Theta auf
jener Liasinsel, die fern ab vom eigentlichen Jurakörper
nach NO. vorgeschoben ist. Dieser neuerlich behufs Ge-
winnung des hier in diesen Schichten vorkommenden
Kohlenflötzes und Schwefelkieses abgeteufte Schacht legt den
Schichtenbau vollkommen klar dar.
Profil W.
des Schachtes bei Theta N. von Bayreuth.
1) Oberfläche: Gelblicher Lehm entstanden aus
dem, Mergel des mittleren Lias voll Gry-
phaea obliqua, Plicattda spinosa, Belemnites
elongatus 2 — 3'm :
2) Grober, sehr eisenschüssiger Sandstein durch
den Fund eines Arieten: Ammonites Bodlei
in nächster Nähe des Schachtes und in voll-
ständig gleichem Gestein und gleichem Ho-
rizonte bei Heisenstein als Arietensand-
stein festgestellt l*/i'm:
3) Blaugrauer Letten- und Mergelschiefer mit
Zwischenlagen dünner Bänke schiefrigen
festen Sandsteins und mit eisenreichem Kalk-
mergel (Lias) 6'm:
4) Eisenschüssiger, grober Sandstein mit weissen
Thongallen 3'm :
5) Hellgrauer, feiner, fettig anzufühlender
Schieferletten und Sandsteinschiefer mit
spärlichen Pflanzenresten 2'm:
6) Oben schiefriger feiner, unten etwas grob-
körniger, dickbankiger Sandstein mit Thon-
gallen und Kohlenputzen (Eeuper) lö'm:
266 8ü0mg der math.-phys. CUme vom 7. Mai 1864.
7) Dünnschichtiger, thoniger Sandstein mit
Pflanzenstengeln, stellenweise darunter ein
Pechkohlenflötz von */i— l1/«' Mächtigkeit
und unter diesen eine 1" starke Schwefel-
kieslage, oft in Schwefelkies umgesetzte
Holzstücke umschliessend 3'm:
8) Blaugrauer bis schwarzer, glimmeriger, oft
sehr kohliger oder die Kohle ersetzender,
zuweilen bloss grauer Lettenschiefer voll
der prachtvollsten Pflanzenreste — Haupt-
lager der Thetapflanzen bis 21/»'m:
9) Grobkörniger Sandstein, dünnbankig mit
Schwefelkies auf der Schichtfläche 2 Vm:
10) Weisslicher Bausandstein (Tiefstes des
Schachtes). Nach dem Aufgeschlüsse über
Tag ist diese Bausandsteinbank 30'm:
11) und wird unterteuft von rothem Keuper-
letten.
Auch im benachbarten Pechgraben liegt die pflan-
zenfiihrende Schicht zwischen den Sandsteinbänken Nr. 6
und 10.
Das Eohlenflötz, wegen geringer und sehr unbestän-
diger Lagerung und seinem Beichthume an Schwefelkies
wohl unter keinen Verhältnissen bauwürdig, findet sich ähn-
lich auch bei Schloss Fantasie. Auch hier wurde ein
Versuchsbau darauf getrieben.
Südwärts von Bayreuth beschränkt sich die Entwick-
lung des Lia8 noch mehr auf die oberen Stufen (Posidono-
myen- und Radiansmergel), so dass selbst der mittlere Lias
selten mehr sichtbar wird. Dagegen behält der weisse Bau-
sandstein oberhalb der rothen Keuperletten nicht nur seine
Mächtigkeit bei, sondern tritt auch dadurch, dass seine
€Hkmbd: KnochtnbHt und PflmßmschidUm Framkms. 267
festen Gesteinmasseo eine steile Terrasse zwischen dem
ilachen Keuperland und der sanftansteigenden Liasfläche
bilden, sehr bestimmt in der Oberflächengestaltung hervor.
Die Liasschichten sind hier kaum zu erkennen, wie das
Profil an der Strasse zwischen Schnabelweid und Creussen
an der hohen Warte lehrt
Profil X* an der h. Warte bei Creussen.
1) Grünlicher Mergel und Letten, unten voll
grober Sandkörner und weisser Mergeigeoden
mit spärlichen Belemniten (? B. elongatus)
Mittlerer Lias Vm:
2) Sehr eisenreiche, feste Kalksandbank, grob-
körnig mit weissen Quarzkörnern oben mit
einer Eisenoxydrinde (wohl sicher Arieten-
sandbank) Vm:
3) Grobkörniger, eisengelber Sandstein, locker-
sandig, nach oben von weisslichen Adern
durchzogen — lias — 15'm:
4) Weisslicher Letten und grober eisenschüssi-
ger Sandstein 3'm:
5) Weissgelber Sandstein mit Blasengruben
und schiefdurchziehenden Pflanzenstengeln —
Keuper — 10'm:
6) Schwarzer und röthlicher lettiger Schiefer
mit einzelnen, schwarzen Pflanzentrümmern,
sonst glimmerreich und voll Sandputzen ty4'm:
7) Grober weisser und gelblicher Sandstein,
dessen Liegendes hier nicht ausgeschlossen
ist. Bei der Neumühle liegt aber der rothe
Eeuperletten deutlich darunter, während im
Dorfe Schnabelweid die Poaidonomyenschiefer
darüber ausstreichen.
268 Süjmng der wAh.-phgs. Classe vom 7. Mai 1864.
- Die Schichten neigen sich flach widersinnig nach SW.
Je weiter wir aber nun die Grenzgebilde nach S. zu am
Ostrande der fränkischen Alb verfolgen, um so mehr ver-
stärkt sich diese Schichtenaufrichtung und bald geräth diese
Grenzbildung in die Richtung jener grossartigen DislokationV
spalte, welche von Greussen über Kirchen thumbach,
Pappenberg, Freihung bis ins Hirschauerthal bei
Schnaittenbach fortsetzt. Längs dieser Linie lässt sich
nichts zuverlässiges über die Zusammensetzung der GebirgB-
schichten ermitteln.
Erst in der Hirschau-Amberger Gegend beginnt wieder
ein regelmässiger Aufbau, indem die Liasgebilde buchten-
förmig in die Vilsthalung weiter westlich vordringen und
dann, über Amberg fortsetzend, einen Zweig in die
grosse Urgebirgsweitung des Bodenwöhrer Beckens
längs des Urgebirgsrandes entsenden, einen anderen aber in
normaler Lagerung am Fusse des jüngeren und aufgelager-
ten Kalkgebirges ausbreiten. In diesem ganzen südöstlichen
Juradistrikte ist der Lias höchst kümmerlich entwickelt,
nur die oberen Schichten der mittleren Stufe und die obere
Stufe sind einiger Massen vertreten; das Ganze nimmt
ausserdem einen petrographisch abweichenden Charakter an.
Denn die oberen Schichten des mittleren Lias sind in der
Form von oolithischem, eisenreichem Gestein (Eisenerz von
der Bucher-Zeche bei Bodenwöhr und oolithischem
Rotheisenstein vom Keilberg bei Regensburg) ausge-
bildet und die Posidonomyenschiefer , obwohl bei Amberg
noch typisch, gehen bei Regensburg in einen gelben, blätt-
rigen Lettens chiefer über. Es ist daher um so schwieriger,
die Grenzgebilde hier sicher aus einander zu halten. Nur
der mächtig entwickelte weisse Bausandstein, welcher auch
in diesem Landstriche nicht fehlt und durch seine Terras-
senbildung sofort schon äusserlich ins Auge fällt, erleichtert
die Aufgabe der Grenzbestimmung in hohem Grade.
GUmbd: KmckenbcU md PflmmmmbUMm Frauke**. 269
Nördlich Ton Amberg und westlich von Hirschan ist
wohl kein Aufschlags schöner und vollständiger als der bei
Gr. Albertshof, wesshalb hier dieses Profil, welches den
Character des ganzen südlichen Distriktes reprasentirt, nicht
übergangen werden darf.
Profil T. bei Gr. Albertshof.
Oberfläche: Krume.
1) Gelbgrauer, eisenhaltiger Mergelkalk toU
Quarzkörnchen mit Qrgphaea gigas, Jsnmo-
nites Masseanus etc. 2Vm:
2) Braimgclber, sandiger Kalk mit thonigen
Zwischenlagen in dünne Bänke geschieden
mit Pentacrinus tuberculatus 2'm:
3) Branngelber, kalkiger Sandstein mit grossen
Quarzkörnern (Arietensandstein) 3'm:
4) Gelber, brauner und graner Letten- oder
Mergelschiefer mit Zwischenlagen gelben
Sandsteins — Lias — 4'm:
5) Grobkörniger Sandstein mit Brauneisenstein-
schalen, porös — Keuper — 3'm:
6) Gelber Sandstein 12'm:
7) Thonige Zwischenlage mit Spuren von
Pflanzenresten Vm :
8) Weisslicher Bausandstein 43'm:
In den beiden durch den versteinerungsreichen Wach-
telgraben bei Raigering und den Hohlweg oberhalb
Panlersricht entblössten Profilen genügt es zur Orientir-
nng mit den tiefsten Lagen des mittleren Lias, mit dem
durch seine gigantische Oryphaea (gigas) ausgezeichneten
270 Sümmg der math.-phf6. Glosse wm 7., Mai 1864.
Quarzkalke oben zu beginnen. So erhält man beide zu-
sammenfassend folgende Schichtenreihenfolge:
Profil Z.
Wachtelgraben — Paulersricht NO. von Amberg.
1) Oryphaea gigas-Bank, grauer Quarzkalk mit
Ammonites brevispina 2Vm:
2) Fester, grauer, durch Verwitterung brauner
Mergelkalk mit grossen rohen Fettquarz-
körnern ohne Oryphaea gigas (? Tuberculatus-
Schichte) lVm:
3) Braungelber bis schwarzbrauner Hergel mit
groben Quarzkörnern und festen Hergel-
knollen — Arietensandstein — 3'm:
4) Grauschwarzer, sehr fester Schieferthon mit
Pecten Hehli *l*'m:
5) Qelber, sehr harter kieseliger Schiefer 2'm:
6) Gelber Letteuschiefer — Iias — lVt'm:
7) Gelber grobkörniger Sandeisenstein und
Eisenschwarten, unzersetzt mit Schwefelkies-
putzen, unten von weisslichen Letten be-
grenzt — Eeuper — $/4'm:
8) Grauer, oben schwärzlicher, feiner Letten-
schiefer, zu oberst glimmerreich, kohlig und
voll Blasenräume l'm:
9) Lebergelber Lettenschiefer s/i'm:
10) Eisenschüssiger, gelber, grobkörniger Sand-
stein, nach unten übergehend in weissen
Bausandstein 54'm :
*
11) Unterlage unmittelbar unter dem Sandstein :
gelber Letten, Eisenschwarte, gelber Letten-
sdiiefer zusammen V*'m:
12) Rother Keuperletten.
Innerhalb des grossen Bodenwöhrer Beckens sind die
Aufschlüsse auf der Grenze zwischen Lias and Eeaper sehr
dürftig, da hier in dem weissen Kenpersandstein keine
Steinbrüche angelegt sind.
Die schönste Entblössung fand ich am Wege von
Brack nach 0. Rausberg und an dem Bergwege nach Ein-
siede 1. Um zu zeigen, dass auch in dieser weit in's
Urgebirge eingreifenden Bucht keine wesentliche Aenderung
in der Zusammensetzung der Grenzgebilde eingetreten ist,
folge hier das combinirte
Profil ZI bei Brück im Bodenwöhrer Becken.
1) Gelber Kalk ¥911 Ammonites crassus und
Belenmites irregularis 3'm :
2) Gelber, dünngeschichteter Hergelschiefer mit
Ammonites communis, oben kalkig und eben-
schichtig, unten dolomitisch, braungefleckt,
in knolligen Lagen mit Monotis substriata 16V''m:
3) Weisser aufgelockerter Lettenschiefer 3'm:
4) Gelber, unzersetzt blaugrauer Posidonomyen-
Schiefer mit Pflanzenresten 5'm:
5) Oben in Nagelkalk-ähnlichen Massen ausge-
bildeter Brauneisenstein (Kräußelerz) , unten
grüngrauer Mergel mit Brauneisenoolith-
körnchen (Sohlerz) mit Ammonites spitiatus,
Bhynchonella acuta etc.: Bergbauschicht. lVm;
6) Eisenschüssiger , grobkörniger Sandkalk voll
Crinoideen mit Pecten liasinus, Spirifer
Münsteri und Qryphaea obliqua 3'm;
[1864. 1. 4] 19
272 Biimmg der math.-phys. Oa$m wm 7. Mai 1864.
7) Sehr grobkörniger, eisenschüssiger Sandstein
mit Pecten Hehlt, P. texturatus, BdenmUes
acutus — Arietensandstein — 2'm:
8) Weisser grobkörniger Sandstein ll/»'ni:
9) Gelblich weisser, feinster gelbstreifiger unten
dünnschichtiger Sandstein — Keuper — 8'm:
10) Weisser Baasandstein 20'm:
11) Rother Keuperletten.
In der direkten Verbindung zwischen Amberg und
Regensburg berührt die Naabthalung den Schichtencomplex
des tiefsten Lias und obersten Keupers, dieselben quer durch-
brechend, oberhalb Burglengenfeld. Hier kann man ihre
Zusammensetzung am vollständigsten in dem Hohlwege ?on
Dorf Bub ach gegen den Buchheimer Forst beobachten. Be-
schränken wir das Profil auf die Schichtenreihe yon der
ersten bestimmt orientirten Liasbank, so erhalten wir das-
selbe in folgender Weise.
Profil ZL bei Bub ach.
1) Eisenbraune, dünnbankige Schichte mit grossen
Quarz-, auch Feldspathkörnchen mit Gryphaea
obliqua und Pentacrinus tuberculatus V*'m:
2) Grobkörniger, eisenschüssiger braungelber
Sandstein (Arietensandstein) 3'm:
3) Weisser und gelber locker gebundener Sand-
stein, nach unten feinkörnig bis dicht in
dünnen Bänken getrennt 7'm:
4) Feinster gelbweisslich gefärbter Sandstein in
dünne Bänke geschichtet, auf den Schicht-
ungsflächen wellig uneben, mit Wellenschlägen
und rothgefärbten Wülsten (zopfartig), in
Gümbd: KnochenbeU tmd Pfla$vemckichtm Frankens. 273
der Masse mit rothen, quer durchsetzenden,
Algen-ähnlichen Zeichnungen — Lias — 10'm:
5) Thonig sandige Lage, buntfarbig, weiss,
blauroth und gelb; weich 5'm:
6) Sandsteinbildung genau wie Schicht Nr. 4 10'm:
7) Grobkörniger Sandstein mit Rotheisenstein-
putzen, in der Mitte mit einer an Rotheisen-
stein reichen Lage 18'm :
8) Mittelkörniger Sandstein nach Art des Bau-
sandsteins — Keuper — 9'm:
9) Weisse, sandig thonige Lage mit Pflanzen-
abdrücken 3'm :
10) Grobkörniger, weisser Sandstein mit röth-
lichen Feldspathkörnchen, arkoseartig ' 25'm:
11) Rother, grüngefleckter Keuperletten.
Zum Schlüsse der Darstellung in den einzelnen Pro-
filen setze ich noch den Durchschnitt im äussersten SO.
des ganzen Verbreitungsgebietes, nämlich auf dem Keil-
berg bei Regensburg hier bei, wie ihn ein Schacht
früher hat beobachten lassen.
Profil ZA auf dem Eeilberg bei Regensburg.
1) Gelber lettiger aufgewitterter Boden mit
geodenartigem blauem Kalk in Brocken mit
Ammonites radialis 6s/4'm:
2) Blaugrauer Mergelschiefer, nach unten gelb
dünnblättrig mit Posidonomya Bronni und
sonstigen Versteinerungen der Posidonomyen-
Schicht 23,/t'm:
*
3) Gelber Mergel mit Brauneisenerz 1 Vm :
4) Oolithischer Rotheisensein mit EhynchoneUa
19*
274 Stiftung der math.-phya. Clont wm 7. Mai 1864.
acuta, Pecten priscus, P. aeq&walvis, Myti-
lus subpulcher, Beletnmtcs breviformis,
(Margaritatus und Spinatus- Schichten oder
Niveau des Bodenwöhrer Sohlerzes) \ll%'mi
5) Eisenhaltiger, fast kiystallinisch körniger
Kalk mit Quarzkörnern und Gryphaea obliqua 1 */*'!" :
6) Grobkörniger, sehr fester Quarzsandstein
— Arietensandsteinbank — l*/t'm:
7) Ganz feinkörniger, oft hornsteinartiger gelb-
licher Sandstein mit Ammonites cf. John-
stoni — Lias — 3'm :
8) Feinkörniger, gelblicher, röthlicher und weiss-
licher Sandstein (Bausandstein) — Keuper — 27'm:
9) Rother Keuperletten 31 'in:
10) Keupersandstein von mittlerem Korn in
Lagen wechselnd mit buntem Keuperletten 32'm:
11) Weisser, mittelkörniger Keupersandstein,
dessen feldspathige Beimengung in Por-
zellanerde umgewandelt ist, daher behufs
der Gewinnung der Porzellanerde berg-
männisch ausgebeutet (Stubensandstein) 6s/*'m:
12) Sand und bunter Keuperletten. 41'm:
Urgebirgs schichten.
Aus dieser Reihe von mitgetheilten Profilen, die im
äussersten SW. am Westflusse des bayerischen Antheils
am fränkisch-schwäbischen Juragebirge beginnen und längs
des ganzen Randes bis zum letzten nördlichen Ausläufer
bei Koburg und dann auf dem 0. Rande der Alb durch die
Oberpfalz bis zum letzten südöstlichen Punkte dicht an der
Donau bei Regensburg von Stelle zu Stelle die Beschaffenheit
der Grenzgebilde zwischen Keuper und Lias darstellen, möchte
unzweifelhaft hervorgehen, dass die durch ihre weisse und
Gümbel. Bhodtmbett und Pflantenschichten Franker*. 275
gelbliche Färbung und meist feste Beschaffenheit
— daher zu Bauzwecken brauchbare Sandsteinbildung,
stets aber dem rothen, oberen Keuperletten und
unter den tiefsten Liasschichten lagernd, ein
zusammenhängendes Ganzes, eine bestimmt ab-
gegrenzte Stufe ausmacht; dass ferner die berühmte
oberfränkische Pflanzenschicht (von Strullendorf,
Jägersburg, Veitlahm, Theta und Fantasie etc.), in 1, 2
oder 3 dicht an einander hegenden Schichten vertheilt, in-
nerhalb dieser Stufe des Bausandstein's lagert, fast
gleichem geognost^schem Horizonte angehört und
unter der eigentlichen Bonebedschicht liegend mit
diesen entweder nach den triasischen Formationen
als oberste Abtheilung angeschlossen, oder als eine
Vorbildung der jurassischen Formation zu diesen
hinaufgezogen werden muss. Man kann mithin diesen
Schichtencomplex der die ptianzenführenden Schiefer ein-
schliessenden Gebilde mit Recht entweder als Bonebed-
Schichten oder wie ich vorgeschlagen habe, als Rhae-
tische Stufe bezeichnen.
Hierfür sprechen noch die Analogien anderer Lokali-
täten. Denn nicht bloss in Franken liegen pflanzenführende
Schichten innerhalb der Bonebedstufe, sondern auch
unter ganz entsprechenden Verhältnissen an Orten, wo auch
wirkliches Bonebed entwickelt ist, in Schwaben.
Quenstedt fuhrt ausdrücklich in seinem „Jura4,
(S. 25) diese Pflanzenablagerungen an und scheidet sie sehr
bestimmt von der kleinen Kohlenbildung, die tiefer im Stu-
bensandstein stellenweise sich zeigt. Auch Oppel (Sitzb. d.
k. Ak. d. Wiss. in Wien XXI. S. 539) erwähnt in dem
Esslinger Profile in den Grenzschichten hellgrauen, glimmer-
.reichen Thon mit Kohlenresten. Wären in Schwaben
gerade in dieser Hohe zahlreichere Steinbrüche, hätte man
wahrscheinlich auch dort dieselbe Flora, wie in Franken.
276 8tonmg der tnath.-phy$. Chase wm 7. Mai 1SS4.
Die Analogie ist wenigstens eine vollständige. Auch in dem
nächsten der schwäbischen angeschlossenen Bonebedbezirke
kommen in derselben Lage Pflanzenreste vor, nämlich bei
Langenbrücken am Rheinthale (Deffner and Fraas. d. Jura-
versenk. N. Jahrb. 1859. S. 8).
Im norddeutschen Gebiete werden solche Pflanzenlager
in gleichem Niveau ebensowenig vermiest. Schlönebach
bezeichnet sie in seinen äusserst lehrreichen Profilen mehr*
fach (N. Jahrb. 1860 S. 520; 523; 525; 1862 S. 150;
163; 175) und Gredner (N. Jahrb. 1860 S. 298) spricht
gleichfalls davon.
Auch aus England erwähnt Moore (Quart. Journ. of
the geol. Soc. Nov. 1861 S. 512), das Vorkommen von
Pflanzen in den Bonebedschichten.
Es ist demnach die Einlagerung pflanzenführender
Schichten in der dem Bonebed entsprechenden Stufe Fran-
kens keine aussergewöhnliche Erscheinung.
Was nun die Natur dieser Pflanzen anbelangt, so darf
ich mich hier auf einige allgemeine Bemerkungen beschrän-
ken, weil wir in Bälde eine ausführliche Arbeit über diesen
Gegenstand von Hrn. Prof. Schenk in Würzburg zu er-
warten haben.
Bei Untersuchimg der verschiedenen Lagerstätten im
SW. , N. und NO. konnte ich einen wesentlichen Unter-
schied in ihrer Flora nicht erkennen. Es kommen zwar
viele Arten nur an einzelnen Fundorten vor, aber diess
sind meist überhaupt Seltenheiten. Die charakteristischen
Species finden sich gleichmässig fast an allen Hauptfundorten,
an welchen mit Energie gesammelt wurde. Diess geht auch
unzweideutig aus einer Zusammenstellung aller bisher im
nördlichen Franken in diesen Schichten gefundenen Arten
hervor, welches Verzeichniss ich der besonderen Güte des.
Hrn. Prof. Braun in Bayreuth verdanke. Ich nehme hier
gerne Veranlassung, für diese uneigennützige Unterstützung
Gümbd: EnochenbeU und PflantentckidUm Frankens. 277
sehr verehrten Freundes meinen besten Dank aus-
zusprechen.
Unter den gewöhnlichsten d. h. häufigsten Arten finden
sich nach dieser Zusammenstellung beispielsweise:
Eguisetües Münster* Sternb. zu Strullendorf, Reindorf,
Höfen, Veitlahm, Hardt, Saaserberg, Jägersburg und
Reuth, ich kann hinzufügen auch bei lloth unfern
Schesslitz und im Bürgerwalde bei Forchheim.
Tcumiopteris Münsteri Oöpp. zu Theta. im Teufelsgraben,
bei Forst.
Astdriania baruthina Fr. Braun zu Theta, Veitlahm, Forst
und am Saaserberg.
l&rchneria ovata Fr. Braun zu Theta und im Teufelsgraben.
Camptopteris Münsteriana Presl. zu Strullendorf, Fantasie,
Theta, Veitlahm, Saaserberg und Atzeisberg bei Erlangen.
Camptopteris crenata Presl. zu Fantasie, Veitlahm, Hardt
und im Teufelsgraben.
Pecopteris Uaso-heuperim Fr. Braun zu Veitlahm, Theta,
Forst und Saaserberg.
Pterozamites Münsteri Presl. zu Strullendorf, Fantasie,
Veit lahm, Saaserberg und Reuth.
Podosamites distans Presl. zu Strullendorf, Fantasie, Veit-
lahm, Saaserberg und Reuth, auch bei Oberleiterbach
fand ich diese Art.
PaUssya Brauni Endl, zu Strullendorf, Veitlahm, Hardt,
ausserdem fand ich sie an der Birkenleite unfern
Rentweinsdorf, am Gentberge und in den meisten
Steinbrüchen bei Sesslach, Ebern und Schesslitz, in
welchen die Pfianzenschiefer entblösst waren.
Was nun die Natur der Gattungen und Arten von
Pflanzen, welche in diesen Schichten eingeschlossen sind,
anbelangt, so scheinen auch die Pflanzenreste, analog der
Fauna, eine doppelte Richtung nach rückwärts und nach
vorwärts zu vertreten; einige Arten sind Abkömmlinge
278 Sitgung der math.-phys. Ck*se wm 7. Mai 1894.
der triasischen Flora, andere Prototypen der nachfolgen-
den jurassischen Formen. Im Allgemeinen läset sich ein
enger Anschluss an die Liasflora nicht verkennen. Doch
soll, wie mir Hr. Prof. Schenk mitzutheilen die Güte hatte,
soweit seine Untersuchungen reichen, keine Art mit
einer Liasspeciee identisch sein. Dass starke An*
klänge an die jurassische Flora zu bemerken sind, ist
übrigens nicht anders zu erwarten, da ja, auch wenn wir
von der Flora des Kanonenbergs bei Halberstadt, deren
ganz genauer Horizont nach den neuesten Mittheilungen
Schlönebach's (1. c. 1860 S. 319 und 1862 S. 146 u.folg.)
immer noch in tiefes Dunkel gehüllt bleibt, absehen, vergleich-
bare Pflanzenreste mehr in höher liegenden Liasbildungen be-
kannt sind, welche diesen Grenzgebilden nach der
Zeit ihrer Entstehung weit näher stehen, als die vor-
ausgehenden der Lettenkohlenstufe oder gar des bunten
Sandsteins. Ich glaube, bei dem gegenwärtigen Standpunkte
der Kenntniss der Fauna und Flora dieser Grenzschichten
und in Berücksichtigung der Lagerung und Verbreitung
derselben hat die Streitfrage, ob diese Grenzgebilde zur
Keuper- oder Liasformation zu rechnen seien, kaum mehr
eine grössere Bedeutung, als die eines Wortstreites. In
geognostischer Beziehung ist die Hauptsache, festgestellt
zu haben, dass diese Schichten ausnahmslos zwischen den
oberen Keuperlagen und den bisher als tiefste Liasbildung
angenommenen Schichten ihre Stelle finden und vermöge
ihrer sehr ansehnlichen, horizontalen und vertikalen Aus-
breitung die Bedeutung einer selbstständigen Abtheilung zu
beanspruchen berechtigt sind. Ich nehme desshalb hier
Veranlassung, meinen Vorschlag, diesen Schichtencomplex
als rhaetische Formation auszuscheiden, zu wieder-
holen.
Vogdjun.: Ueber Torftohte. 579
Herr Vogel jun. hielt einen Vortrag:
„Ueber die Torfkohle."
Die zahlreichen Versuche, welche in neuerer Zeit mit
Verkohlung und Destillation organischer Körper angestellt
worden sind, haben verschiedene zum Theil ganz neue
Verkohlungs- und Destillationamethoden za Tage gefördert)
von denen einige, wie z. B. die Verwendung von. überhitzten
Waaserdämpfen , sich zwar als wissenschaftlich höchst in»
teressant, gleichwohl in der Praxis ziemlich schwierig er-
wiesen and wenigstens bis jetzt nicht die Hoffnungen er-
füllt haben, die man anfangs davon hegte. Unter diesen
Methoden ist eine, welche sich ganz besonders dnrch die
überraschende Qualität ihrer Produkte auszeichnet, indem
sie selbst solche organische Körper, ; welche in der; Regel
bei erhöhter Temperatur ihre Form verlieren, wie z. B.
Haare, Federn, ja selbst ganze Thierkörper, feine Pflanzen*
theile, Aehren, Blumen u. dgl. ohne Veränderung ihrer
ursprünglichen Form vollständig zu. verkohlen gestattet.
Die Methode besteht darin, dass man ein durch Ver*
brennung trockner Bubstanzen erzeugtes, hcdsses, Sauerstoff-
freies Gasgemeage mittelst eines ganz einfachen Ventilat
tionsapparates über den in einem verschlossenen Räume
befindlichen zu verkohlenden Körper leitet. Es schien mir
diese Verkohlungsmethode, die eben so ' wohl zur blossen
Röstimg, wie zur vollständigen Einäscherung modifkxbt
werden und deshalb eine sehr vielseitige Anwendung er •
halten kann, hier insofern besonders erwähnenswert!^ weil
sie zuerst in Bayern eine praktische Verwendung im Grdsseft
und zwar zur Verkohlung von Torf erhalten hat. * .
Die Beschaffenheit der Torfkohle hängt, wie man weiss,
von der Beschaffenheit des zur Verkohlung verwendeten
Torfes ab; eine harte consistente Torfsorte, wie die durch
280 Sitzung der **&.-f>ftfs. Ctqs* wm 7i Mai 1864.
Maschinenbearbeitung erhalten wird, gibt selbstverständlich
eine härtere Kohle, als, eine lockere Tprfsorte, wie diees
ja auch mit den verschiedenen zur Verkohlung verwendeten
Holzarten der Fall ist. Bei der Verkohlung des Maschinen-
torfes tritt «ach der wohl zu berücksichtigende (Instand
ein, dass zur Herstellung einer als Heizmaterial brauch-
baren Torfkohle es sieht hinreichend erscheint, einen mög-
lichst harten und oofeipakten Torf anzuwenden, sondern
dass es ausserdem noth wendig ist, nur solche Torfeorten
zu wählen, welehe sieh beim Erhitzen nicht in Schichtet*
abblättern; durch dieses blättrige Gefuge ist z. R mancher
im üebrigen ganz branchbare Presstorf zur Verkohlung
ganz und gar ungeeignet.
Wenn es nun für Heizzwecke vorteilhaft sein mnsa,
möghehst harte and nicht abblätternde Torfkohle herzu-
stellen, so wird es zu einer anderen Reihe technischer An*
Wendungen rationell sein, möglichst lockere Torfkohle zu
gewinnen. Bisher hat man indess nur selten und ober-
flächlich den Werth und die Brauchbarkeit der lockeren
Torfkohle beachtet. In England resp. Irland entstand zu-
erst zu Derrymullen ein grösseres Werk, das sich mit der
Herstellung von lockerer Torfkohle als Düng- und Des-
infektionsmittel beschäftigte; die Verfahrungsweise ist aber
noch sehr roh und ungenügend.
Einige auf den bekannten Torfwerken Staltach bei
Starniberg und Moosschwaige bei Schleisheim ausgeführte
Versuche stellen jedoch für diese Art Kohle eine so ausge-
dehnte und wichtige Art der Verwendung in Aussicht, dass
ich nicht umhin kann, hier das Ergebniss meiner eigenen
Beobachtungen zu erwähnen. Es ist nämlich auf den ge-
nannten Torfwerken gelungen , aus einem als Heismaterial
fast unbrauchbaren, leichten Torfe eine Kohle darzustellen,
die an Porosität alle anderen Kohlensorten , mit Ausnahme
der ganz reinen Blutkohle, weit übertrifft. Die- Absorption**
Vogü rm.i üebtr TdrflMe. 481
filiigkeit der auf solche Weise erhaltenen Kohle ist, *i*
direkte Versuche gezeigt haben, überaas gross. Zu den
Versuchen wurde zunächst künstlich bereitete* Sohvefal+
rasserstoffwasser verwendet Dasselbe enthielt nach der
bekannten mit Normalarsenlösung und Jod ausgeführten
Titrirmethode 0,14 Grmm. Schwefelwasserstoff in 100 G.G.
360 G.G. dieses Schwefelwasserstoffwassers wurden in
einer Flasche mit 40 Grmm. Torfkohle in Pulverform ge-
schüttelt; das nach kurzer Zeit von der Torfkohle abfiltrirte
Wasser hatte den Geruch nach Schwefelwasserstoff gänzlich
verloren und zeigte auch nicht die mindeste schwarze Fär-
bung mit einer Lösung yon essigsaurem Bleioxyd. Erst bei
der Anwendung tob 660 C.C. des Schwefelwassersteff-
wassers auf 40 Grmm. Torfkohle zeigte die durchgelaufene
Flüssigkeit noch schwachen Geruch nach Schwefelwasserstoff
und eine geringe Färbung mit dem Bieisalze. Weitere
quantitative Absorptionsversuche ergaben das Resultat, dass
100 Grmm. Torfkohle 2,1 Grmm. Schwefelwasserstoff m
absorbiren, mithin 1622 C.C. eines Schwefelwasserstoff-
wassers yon 0,18 Proo. Gehalt zu desiräciren vermochten,
ßie steht somit in dieser Beziehung, wie Yergleieheinde Be»
obacbtangsn nachgewiesen haben, der thierischen Kohle
nahezu gleich, obsehon sie letzterer als Entfäubungamaterial
nachsteht.
Faule und übelriechende Körper Jnit dieser Kohle be-
streut, verlieren fast augenblicklich jeden Geruch. In ihr
dürfte wohl das beste Mittel gefunden sein, um Cloaken in
grösseren Städten zu desinficirea , auch für Krankenzimmer
wird sie sehr geeignet sein , um den üblen Gertich der De*
jektionen zu beseitigen. In Verbindung mit tbierischett
Exnremfcnten, mit Bhit, Abfällen u. dgl. bildet sie eines der
wirksamsten Düngemittel, welches wegen seiner völlkonh
Bienen Geruchlöeigkeit einen unbeanstandeten Transport ge-
stattet Da diese Torfkohle zu einem VeAältoissraSstig
262 Süamg der matospkjp. (Harne vom 7. Mai 1864.
sehr niedrigen Preis gestellt werden kann , so steht ohne
Zweifel* ein« bedeutende Anwendung dieses Materials« im
GrtMenzu erwarten.
4
Herr ftägeli hielt einen Vortrag:
„Ueber den innern Bau der vegetabilischen
Zelle nmembranen((.
CMi t Ewei Tafeln )
Es ist schon lange bekannt, dass die pflanzlichen Zell-
membranen nidht bloss geschichtet sind, sondern dass sie,
auch von der Flache angesehen, eine zarte Zeichnung «eigen,
unabhängig von der grobem Zeichnung, welche Folge un-
gleicher Verdickung ist und in Form von Fasern und Poren
auftritt. Die ersten genauen und sichern Angaben hierüber
rühren von Mo hl her (Erläuterung und Verteidigung
meiner Ansicht von der Structur der Pflanzensubstanz 1836).
Derselbe beobachtete an den Wandungen vorzüglich von
Baetzellen eine netzförmige Structur und leitete dieselbe
von spiralförmig gewundenen, steil aufsteigenden Fasern
her, welche in den verschiedenen Membranschichten sieb
kreuzten und daher die Fläche der Zelle in rhomben-
förmige Felder zu theilen schienen.
Valentin machte gleichzeitig ähnliche Beobachtungen,
glaubte aber irrthümlicher Weise, dass die spiralförmigen
Fasern an einer Zelle in gleicher Richtung verlaufen und
iass die Kreuzung derselben von dem Durchscheinen der
hintern Zellwand herrühre und daher wie bei den eigent-
lichen Spiralfasern nur scheinbar sei (Valentins Reperto«
raun für Anat. und Phyaiol. I, 88). Derselbe fand ferner^
dass nicht die äusserste Schicht der Membran (die sog.
ursprüngliche Membran), sondern nur die übrigen Schichten
(di* sog. VerdtokungB- oder Verholzungsschichten) die spirali-
Nägdi: Innerer Bau vegetobüüeher ZtRmmmbrantn. 28$
geB Streifen erkennen lassen; und es sottten dieselben aus
Körnchen hervorgehen, welche auf der- innen* Fläche der
Membran sich anlagern, zuerst ohne bestimmte Anordnung,
bald aber mhenförniig geordnet erscheinen und achliesaüeh
m die fasern übergehen.
Zu der nämlichen Zeit beschäftigte sich auch Meyen
mit der spiraligen Zeichnung der Zellennaembranen r ver-
öffentlichte seine Untersuchungen aber etwas später (Pflanz
zenphysiologie 1837, I, 18, 45, 108). Durch Vermengung
von wirklichen SpiraUksencellen, welche sehr feine und eng«
gewundene Spiralfasern besitzen, mit den spiralförmig ge-
streiften Membranen wurde derselbe zu dem Ausspruche
veranlasst,- die Schichten der Zettwandung, auch die
ännserste nicht ausgenommen, bestehen aus trennbaren
Fasern*
Fortan tritt nun die Frage, ob die Membranen aus
sogenannten Primitivfasera zusammengesetzt seien, in den
Vordergrund. Mohl widmete ihr eine Abhandlung (über
den Bau (kr vegetabilischen Zellmembran 1837) und ver-
neinte sie. Indem er die Irrthümer Meyen's nachwies,
legte er besonderes Gewicht auf die beiden Thatsachen,
erstlich, da» bei den Bastzellen der Apocyneen die Fasern
häufig einen netzförmigen Verlauf haben, und dass die
Lücken zwischen denselben mit einer glatten Membran aus-
gefüllt seien, ferner dass die jugendlichen Zellhäute immer
homogen erscheinen und erst später gestreift werden; die
Faserung oder Streifung im einen und andern Fall erklärte
er durch ungleiche Verdickung der Membranschichten.
Für die Zusammensetzung der Zellmembranen aus
Primitivfasern trat hinwieder J. Agardh in die Schranken
(De cellula vegetabili fibrillis tenuissimis contexta 1852).
Er untersuchte ausschliesslich einige grosszellige Meeralgeo
und glaubte hier aufs deutlichste die Selbstständigkeit der
Fibrillen erweisen zu können, welche gleichsam wie in der
284 Mtom§ der «utk-pfy». OUme etat 7. Mai 1864.
Leinwand mit einander verwoben und gekreuzt seien und
wdbt nur von einer Membranschicht in die andere, sondern
nfeh von einer Zelle in die andere übertreten. Diese
Fibrillen werden durch eine Gallerte bedeckt und vereinigt
und lassen sich nur selten vollkommen Ton einander
trennen«
Dagegen erwiederte Mohl (Bot. Zeit 1853 p. 75$),
dass der Uebergang einer Faser ans einer Membraosohidri
in die andere an den von Agardh untersuchten Pflanzen
nicht zu beobachten sei, dass im Gegentheü die Selbst»
ständigkait der Schichten hier besonders deutlich und lehr»
reich entgegentrete. Die einzelnen Schichten seien aber
mit sehr feinen, parallellaufenden, einander sehr -genäherten
Linien besetzt, welche sich ungefähr unter einem rechten
Winkel kreuzen und welche in der gleichen Fläche zu liegen
scheinen. Eine Trennung dieser Streifen oder Fäserchen
lasse sich weder durch mechanische noch durch chemische
Mittel vollziehen; diese gelte auch von den Spiralstreifen
der Bastzellen, welche entweder in gleicher Richtung ver-
laufen oder gleichzeitig rechts und links gewundene Spiralen
darstellen, wobei es unentschieden gelassen wurde, ob die
sich kreuzenden Linien der nämlichen oder verschiedenen
Membranschichten angehören. Ebenso lässt es Mohl schliess-
lich unentschieden, ob die Membran aus Elementarfasern
von bestimmter Form und Organisation zusammengesetzt,
oder ob jene Streifen nur die Andeutung einer ungleich-
förmigen, nach der Richtung einer Spirale geordneten An-
ordnung der Molecüle seien.
Durch eine Reihe von Untersuchungen an den ver-
schiedenen pflanzlichen Geweben wollte H. Grüger (Bot«
Zeit. 1854 p. 57 und 833) nachweisen, dass die Schichten
ans nebeneinander liegenden und leicht trennbaren Primitiv*
fesern bestehen. Beobachtung und Urtheil lassen aber all-
zusehr den Mangel an Critik fühlen. Mit der Streiftang
Nägeli: Innerer Barn wgetabüücher ßtMmmembrcmen. 285
wird nicht nur die Faltung der Membranen , sondern gelbst
die Schichtung vielfach verwechselt. Die Angaben betreffend
das zweite Liniensystem, welohes auf den Bastzellen der
Apocyneen und Asclepiadeen sich mit? den aufsteigenden
Spiralstreifen kreuzt und eine netzförmige Zeichnung hervor-
bringt, werden missverstanden und dasselbe für eine auf
Interferenz beruhende optische Tsusohung erklärt.- Die
Messungen , welche Crü ge r über die Zunahme der Zellen«
durahmesser und die Richtungsänderungen der Streifen bei
der Quellung anstellte, entscheiden nicht, wie er meinte,
über die Existenz der Primitivfasern, sondern nur über
deren Imbibitionsfahigkeit ; sie geben übrigens, wenn die
Rechnung richtig ausgeführt wird, das entgegengesetzte
Resultat von dem, das der Verfasser ableitet, indem sie
nämlich eine beträchtliche Wasseraufnahme in der Längs-
richtung der Streifen darthun.
Crüger ging noch weiter und wollte die Primitiv**
fiaeern der Zellmembranen mit den ProtoplasmasfaSmcben
des Inhaltes in Verbindung bringen (Bot. Zeit. 1855 p. 601).
Es ist überflüssig, auf diese Phantasie einzutreten, da jeder,
der die Strömchen des Inhaltes und die Streifen der Mem-
bran beobachtet hat, ihre Verschiedenheit mit Bezug auf
die Grösseverhältnisse , die Anordnung und die Richtung
kennt.
Rücksichtlich der tatsächlichen Beobachtungen stellt
sich Schacht (Beiträge zur Anat. und PhysioL der Ge-
wächse 1854 p. 221) auf Seite Agardh's, indem er an*
giebt, dass in vielen Fällen die Membranschichten durch
diemische und mechanische Mittel sich zerfasern lasseu«
Er bestreitet aber, dass dieselben desswqgen aus Fasern
beständen, behauptet vielmehr, dass die faserahnlichen
Streifen nichts anderes als verdickte Stellen der Mem-
branschichten seien, wenn ich anders den Sinn richtig auf-
fasse; denn im Verlaufe der Abhandlung wird dann die
28* S&mng der matk-phy$. dam wm 7. Mai 1864.
Verdickung mit Verdichtung und schliesslich selbtf die an*
gleiche Verdichtung der verschiedenen MembrnnsteUen mit
der in verschiedenen Richtungen angleichen optischen Dich-
tigkeit, welche die Polarisationserscheinungen bewirkt, ver-
mengt.
W ig and (Ueber die feinste Structur der vegetabilischen
ZeHenmeutbranen, in den Schriften der Gesellschaft zur
Beförderung der gesammten Naturwissenschaften au Mar*
butg 1856) folgte im Allgemeinen der Darstellung Mohl's.
Ueberdem hält er dafür, das» die sich kreacenden Streifen
verschiedenen Membranschiebten angehören und leitet die
Streifung, in den einen Fällen von einer Faltung oder
wellenförmigen Biegung der Membran, in den anderen
Fällen von einer chemischen Differenz des Zellstoffes ab.
Ich habe mich veranlasst gesehen, das Resultat meiner
eigenen Untersuchungen bereits bei einer früheren Gelegen-
heit kurz darzulegen. Hier will ich, einlässlicher darauf
eingehend, zunächst einige allgemeine Fragen behandeln
und dann das Verhalten der verschiedenen Zellenformen
Wörtern,
Die erste und wichtigste Frage ist die, wodurch das
feingestreifte Aussehen der Membranen veranlasst werde.
Es giebt drei mögliche Ursachen , die auch alle bereits in
Anspruch genommen wurden: 1) wellenförmige Biegung,
2) ungleiche Dicke, 3) ungleiche Substanz der Schichten.
Vorerst sind natürlich alle diejenigen Falte auszusehliessen,
wo ein gefeiertes Aussehen durch zarte Falten bewirkt wird,
welche sich in Folge der mechanischen Behandlung (Zerren
mit Nadeln ete.) an den dünnen Membranen bilden. Es ist
das . Verdienst Mohl's in diesem Umstände eine Quelle des
ItTthilms nachgewiesen zu haben.
Dass auch die wirkliche Streifung ganz oder zum TheU
auf einer wellenförmigen Biegung beruhe, wurde von Wi-
gftnd für Cönferva Melagonium, Polysiphonia com««
Nägdi: Innerer Bau vegetabilischer Zeüenmembranen. 287
planata, Halurus equisetifolius und für Bastzellen
angenommen. Es scheint mir aber, dass er in dieser Be-
ziehung nicht genau genug beobachtet und nicht scharf ge-
unterschieden habe.
Wellenförmige Biegung oder Fältelung lässt sich nämlich
sehr vielen Zellen beobachten; und sie kann als ge-
wöhnliche Erscheinung betrachtet werden an weichen gallert-
artigen Membranen (Algen), welche getrocknet waren und
wieder aufgeweicht werden oder die in Weingeist und
andern Mitteln aufbewahrt wurden, sowie an festem Mem-
branen (Bastzellen, Holzfasern), welche durch ein quellendes
Medium aufgelockert werden. Da die Menge der abgegebenen
oder aufgenommenen Imbibitionsflüssigkeit nicht in allen
Schichten die nämliche ist, so erfolgt natürlich eine Fälte-
lang einzelner Schichten oder Schichtencomplexe. Man
kann dieselbe bald auf dem Querschnitt, bald auf dem
Längsschnitt, bald auch auf beiden sehen.
Eine gleiche Fältelung sieht man zuweilen auch an
Präparaten, die frisch von einem lebenden Pflanzentheil
angefertigt werden (z. B. an den Epidermiszellen von
Blättern). Ich lasse es unentschieden, ob diese Erscheinung
wirklich der lebenden Zelle angehöre und eine Folge
angleichen Wachsthums der verschiedenen Membrantheile sei,
oder ob sie erst durch die Präparation hervorgebracht
werde. Letzteres wäre insofern möglich, als, wie ich an
einem andern Ort gezeigt habe, lebende Zellmembranen,
welche durchschnitten werden, eine beträchtliche Menge
von Imbibitionsflüssigkeit aufnehmen.
Alle diese Fältelnngen erscheinen, wenn man die Mem-
bran von der Fläche betrachtet, als parallele Streifungen.
Neben diesen Faltungsstreifen kommen aber noch andere
vor, die ich wegen ihrer später zu erörternden Natur als
Dichtigkeitsstreifen bezeichnen will. Die Faltungsstreifen
sind im Allgemeinen breiter (lty— 5mal so breit), stärker
[1864. 1. 4.] 20
268 Sitmmg der mafh.-phy*. Clause wm7. Mai 1884.
und viel unregelmässiger als die Dichtigkeitsstreifen, welche
letztere sich durch ihre Zartheit und Gleichmäßigkeit aas-
zeichnen. Oft werden die letzteren durch die erstem gans
verdeckt oder undeutlich gemacht, so dass man sie nur bei
längerem und genauem Zusehen erkennt Dass beide aber
von einander unabhängige und selbstständige Bildungen
sind, ergiebt sich klar aus dem Umstände, dass man sie
sowohl auf der Flachen- als auf der Durchsdhnittsansicht
neben einander sieht, und dass die Dichtigkeitestreifen ge-
rade da am deutlichsten sind, wo die Faltungsstreifen durch-
aus mangeln1).
Nachdem die Dichtigkeitsstreifen ak eine Eigentüm-
lichkeit der ungefalteten Membranschiebt nachgewiesen sind,
handelt es sich ferner um die Frage, welchem Umstände
1) Bei Untersuchungen über die Streifung der Zellwände giebt
es noch andere Erscheinungen, welche den Beobachter zu täuschen
suchen, die aber bei einiger Aufmerksamkeit leicht erkannt werden.
Auf den Durchschnitten erscheinen einmal gewöhnlich Streifen, die
von der ausgezackten Messerklinge herrühren. Sie sind oft sehr
deutlich, bald in gleichen, bald in ungleichen Abständen abwechselnd
hell und dunkel. Sie geben sich leicht dadurch zu erkennen, dass
sie über den ganzen Schnitt parallel verlaufen.
Auf Durchschnitten durch hornartige Gewebe bilden sich ausser-
dem zarte Bisse. Dieselben sind streifenartig, abwechselnd hell und
dunkel, etwas hin und hergebogen, oft verzweigt. Sie werden durch
die Messerstreifen unterbrochen und bilden mit diesen spitze Winkel.
Eine mit solchen Bissen besetzte Fläche des hornartigen Albumens
erscheint oft wie wellig-gestreiftes Papier.
Die eigentlichen Messerstreifen und die Rissstreifen werden um
bo eher vermieden, je besser das Messer polirt ist. Beide unter-
scheiden sieh, ausser ihrer constanten Richtung, namentlich auch
dadurch, dass sie sich nur an der Oberfläche des nicht zu dünnen
Schnittes befinden, während die eigentlichen, durch die innere
Structur bewirkten Streifen sich durch die ganze Dicke des Schnittes
verfolgen lassen und in ihrer Richtung von der Membranfläche ab-
hängig sind.
Nägdi: Innerer Bern vegetabiUedur Zdlenmembrwnn. 289
dieselben ihre Sichtbarkeit verdanken. Es wurden ver-
achiedene Ursachen, jedoch ohne weitere Begründung, ab
erklärende Hypothese angenommen, bald eine ungleichför-
mige Anordnung der Molecüle, bald eine chemische Ver-
schiedenheit, bald eine ungleichmäßige Verdickung nach
Art der Spiralfaserzellen, bald eine wirkliche Zusammen-
setzung aus Fasern. Diese Möglichkeiten gehören zwei
Kategorien an: entweder wechseln in der Hembranschioht
bei gleicher Dicke Substanzen von angleichem Lichtbrech-
ungsvermögen, oder bei gleichem Lichtbrechungsvermögen
der Substanz Stellen von ungleicher Mächtigkeit ; es können
auch beide Verhältnisse zusammenwirken.
Die Entscheidung dieser Frage durch direkte Beobach-
tung stösst bei der ausserordentlichen Zartheit der Strafen
auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Doch giebt es, wie
mir scheint, einige Thatsachen and einige Berücksichtig-
ungen, welche eine Beantwortung mit ziemlicher Wahrschein-
lichkeit erlauben. Zuerst bemerke ich, dass, wie schon von
verschiedenen Beobachtern hervorgehoben wurde, die Streifen
nicht etwa bloss an der Oberfläche der Membran, sondern
in deren ganzer Dicke vorkommen, ferner dass, wie ich
später zeigen werde, dieselben in den verschiedenen La-
mellen einer Wandung sich genau entsprechen. Wenn nun
die Streifen Folge ungleicher Verdickung wären, so müssten,
weil die verdickten Stellen einerseits, die verdünnten ander-
seits auf einander treffen, leere Lücken zwischen den Mem-
branschichten sich finden. Diese Lücken wären im be-
feuchteten Zustande mit Flüssigkeit, im trockenen mit Luft
gefüllt, und es müssten daher im letzteren die Streifen viel
deutlicher hervortreten; denn in der trockenen Membran
würden sie durch den Gegensatz von Substanz und Luft,
in der befeuchteten durch den Gegensatz von Substanz (die
überdem mit Wasser imbibirt ist) und Wasser sichtbar. Es
ist nun aber gerade das Umgekehrte der Fall; beim Ein-
20*
290 Sitomg der matk-pfty*. Clane vom V. Mai 1864.
trocknen verschwinden die Dichtigkeitsstreifen mehr oder
weniger, während die Faltungsstreifen in der Regel deut-
licher werden. — Abgesehen hievon trifft die Annahme eines
solchen inneren Baues der Membran noch auf mehrfache
Schwierigkeiten bei der Erklärung der Erscheinungen, welche
das Aufquellen, das Austrocknen und das Wachsthum der
Membran darbieten. Ich kann auf diese Erörterungen hier
nicht eintreten, und bemerke nur, dass in allen diesen Be-
ziehungen die Membranen sich ganz analog den Stärke*
körnem verhalten.
Wir werden demnach auf die andere Erklärung geführt,
dass nämlich die Streuung durch Substanzen von ungleichem
Lichtbrechung8vermögen hervorgebracht werde. Es kann
sich hier offenbar weder bloss um eine verschiedene An-
ordnung der Molecüle, noch um chemische Verschiedenheit
handeln, sondern lediglich oder vorzugsweise um verschie-
dene Dichtigkeit, d. h. um verschiedene Mengen des einge-
lagerten Wassers, denn nur dadurch sind die bedeutenden
optischen Differenzen erklärbar. Somit ergiebt sich eine
genaue Analogie zwischen Streifung und Schichtung; wie
die Schichten einer Membran im befeuchteten Zustande
aLternirend dicht und weich sind, so bestehen die Streifen
einer Schicht abwechselnd aus wasserarmer und wasser-
reicher Substanz. In der That verhält sich die Streifung
in verschiedener Beziehung wie die Schichtung. Wie diese
beim Eintrocknen ganz oder grösstenteils verschwindet, so
wird auch jene in der Regel viel undeutlicher; dass sie oft
in geringem Grade sichtbar bleibt, wird gerade durch die
Vertheilung des Wassers in der frischen Membran bedingt,
wie ich später zeigen werde. Wie die Schichtung, so wird
an festen Membranen auch die Streifung erst durch quellende
Mittel bemerkbar. Wie endlich die Schichten an stark auf-
quellenden Membranen wieder unsichtbar werden, so ver-
schwinden auch die Streifen.
NägeU: Innerer Bau wgetabiUscher ZeUenmembranen. 291
Rücksichtlich der Anordnung der Streifen ist zuerst
festzustellen, dass sie in allen Lamellen einer Membran
einander entsprechen. Wenn sie daher auf Durchschnitten
der Zellwandung sichtbar sind, so stellen sie sich ebenfalls
als ununterbrochene Streifen von alternirend dichter und
weicher Substanz dar. Der dichte Streifen des Durch-
schnittes wird durch wasserärmere Stellen aller Schichten,
der weiche Streifen durch wasserreichere Stellen gebildet.
Ist die Structur besonders deutlich und unterscheidet man
an den einzelnen Schichten der durchschnittenen Membran
die alternirenden Stellen von ungleichem Wassergehalt als
helle und dunkle Punkte, so erkennt man auch direkt, dass
in zwei benachbarten Schichten einerseits die hellen Punkte,
anderseits die dunkeln opponirt sind. — Die Streifen, welche
der Durchschnitt der Zellmembranen zeigt , sind übrigens
meistens gerade, zuweilen jedoch gebogen; es hängt diess
mit dem Verlauf und der Verdickung der Schichten zu-
sammen.
Eine schon mehrfach behandelte Frage ist ferner die,
ob die Streifen in der nämlichen Schicht nur nach einer
▼erlaufen, oder ob sie nach zwei Richtungen
sich kreuzen. Gewöhnlich fiel die Antwort in
ersterem Sinne aus, und es wurde angenommen, dass die
Kreuzung durch die in den sucoessiven Lamellen mit
ungleicher Neigung aufsteigenden Fasern bewirkt werde.
Die Beobachtung ist hier ausserordentlich schwierig, so dass
z. B. Mohl nach sorgfältiger Untersuchung eine bestimmte
Ansicht nicht auszusprechen im Stande ist. Nach Andern
wäre freilich die Sache leicht zu entscheiden. So sagt
Schacht (Beiträge zur Anat. und Physiol. <L 6. p. 228),
alle die von ihm aufgeführten Bastzellen lassen sich nach
der Maceration mit chlorsaurem Kali und Salpetersäure
mehr oder minder leicht in ihre einzelnen Verdickungs-
schichten zerlegen, und jede Schicht lasse sich alsdann,
292 Stomg der matK-phy*. Olasse «oft 7. M* 19*4.
aber immer nur in einer Richtung zerfasern; er fügt bei,
daßs er unter Oelsüss Präparate der Bastzellen von Vinca
minor und von Aselepias curassavica bewahre, wo er
jede Schicht für sich abgelöst habe und wo jede derselben
ihre eigene einfache Streifungsrichtung zeige. Auch Wigand
will an einem Membranstück von Gonferva Melagonium,
welches sich in der Weise geblättert hatte, dass am Rande
drei Schichten, die eine über die andere, hervorragten, in
der obersten dieser Schichten bloss Querstreifung , in der
folgenden bloss Längsstreifiing und in der untersten gar
keine Streifung gefunden haben.
Mit Rücksicht auf die beiden eben erwähnten Angaben
muss ich vorerst bezweifeln, dass Schacht und Wigand
wirklich einfache Schichten beobachteten. Es ist ungemein
schwer, von einer Membran so äusserst dünne Lamellen ab*
zublättern, und gelingt es ausnahmsweise, so ist daran
platterdings nichts mehr zu sehen» Diess ist auch bereits
von Mohl angegeben worden. Daher möchte ich vennuthen,
dass die genannten Beobachter Schichtencomplexe vor sich
hatten, — und in diesem Falle würde ihre Aussage nichts be-
weisen. Es ist nämlich, wie ich später zeigen werde, eine
häufige Erscheinung, dass, von der Membranfläahe ange-
sehen, die Streifen in verschiedenen Schichtencomplexen
einen ungleichen Verlauf haben. So sieht man namentlich
an Bastzellen oft, dass die Streifen in der äussern Hälfte
der Membran eine linkswendige, in der innern Hälfte eine
rechtswendige Spirale beschreiben, oder umgekehrt; und
insofern kann man uneigentlich von einer Kreuzung sprechen.
Darum handelt es sich aber nicht. Neben diesen starkem
Streifen kommen in den nämlichen Schichtencomplexen noch
zartere vor, welche in entgegengesetzter Richtung verlaufen,
und die, wie ich vermuthe, von Schacht übersehen wurden.
An einer solchen Bastzelle hat man also aussen z. B. links-
Nägeli: Immer Barn vegetabüitcher Ztßmmembranen. 293
wendige stärkere und rechtewendige schwächere, innen
rechtswendige stärkere und linkswendige schwächere Streifen.
Von diesen ungleich verlaufenden, in dem nämlichen
Schichtencomplex befindlichen Streifen ist es im höchsten
Grade wahrscheinlich, dass sie auch beide in jeder einzelnen
Schicht vorkommen. Bald sind sie nämlich gleich stark,
und dann behalten beide eine gleiche Stärke, wenn man
die Fooalebene langsam verändert. Bald sind sie ungleich
stark, und dann bleibt das Verhältniss ihrer Deutlichkeit
bei FocuBveränderungen ebenfalls das nämliche. Würden
die ungleich gerichteten Streifen verschiedenen Schichten
angehören, so müssten bei unmerklicher Höher- und Tiefer-
stellung des Focus die einen an Schärfe gewinnen, die
andern verlieren. — Ueberdem sind in einzelnen Fällen,
wo die Streifen besonders breit und deutlioh hervortreten,
die hellen Quadrate, Rechtecke oder Rhomben, welche durch
die sich kreuzenden Streifen bewirkt werden, auf allen vier
Seiten so scharf gezeichnet und gleich stark oonturirt, dass
man die Ursache der ungleichen Lichtbrechung in der näm-
lichen Schicht zu suchen geneigt ist. Die Streifung ist näm-
lich, wie besonders auch die Durchschnitte der Membranen
zeigen, oft nur an den dichten Schichten sichtbar; die
weichen können in diesem Falle wegen ihrer geringen Sub-
etanzverschiedenheit ganz vernachlässigt werden. Wenn nun
in einer Schicht bloss Streifen nach einer Richtung vor-
kämen, so müsste das parketähnliche Aussehen der Mem-
branfläche durch Kreuzung in den successiven dichten
Schichten erzeugt werden, und könnte demnach, da die
einen Linien von dem Durchscheinen einer zuweilen merklich
tieferliegenden Schicht herrührten, kaum die gleichmäßige
Scharfe zeigen, wie es wirklich der Fall ist.
Ein möglichst dünner Complex von Schichten zeigt
also, von der Fläche betrachtet, folgende Structur, und
ohne Zweifel gilt diees auch für jede einzelne der dichten
294 Süe^mg der matk-phys. OUuse wm 7. Mai 1864.
Schichten (Fig. 3 — 7). Nach irgend einer Richtung streicht
ein System yon dichtgedrängten parallelen Streifen, welche
abwechselnd aus dichter und weicher Substanz bestehen
und daher abwechselnd hell und dunkel erscheinen. Damit
kreuzt sich unter einem rechten oder schiefen Winkel ein
zweites System von ähnlichen Streifen. Jedes dieser beiden
Streifensysteme umfasst die ganze Substanzmasse des Schieb-
tencomplexes. Dieses ist daher parkefcartig gefeldert mit
quadratisch-rechteckigen (Fig. 3—5) oder mit rhombischen
Feldern (Fig. 6, 7). Wenn die beiden sich kreuzenden
Streifensysteme einander ganz gleich sind, so zeigen die
Felder chen ein dreifach verschiedenes Aussehen; sie be-
stehen nämlich aus dichter, weicher und mittlerer Substanz,
je nachdem sie der Kreuzungsstelle zweier dichter, zweier
weicher oder eines dichten und eines weichen Streifens ent-
sprechen (Fig. 3, 6, 7; d, und d„ die dichten, w, und w„
die weichen Streifen). Es besteht also ein Streifen nicht
aus einer homogenen Masse, sondern aus kleinen aneinander
gereihten Felderchen, die alternirend ungleich dicht sind.
In dem dichten Streifen wechseln dichte und mittlere, in
dem weichen Streifen weiche und mittlere Areolen.
Zeigen die beiden sich kreuzenden Streifensysteme nicht
die nämlichen Dichtigkeitsverschiedenheiten, so besteht die
Membranschicht aus 4 verschiedenen Arten von Felderchen.
Die dichten Streifen des einen Systems bestehen aus dichten
und halbdichten, die weichen Streifen aus weichen und
halbweichen Areolen, und dem entsprechend die dichten
Streifen des andern Systems aus dichten und halbweichen,
die weichen Streifen aus halbdichten und weichen Areolen
(Fig. 4). Daraus folgt, dass das erste System (d, und w,)
als das stärkere erscheint und deutlicher gesehen wird, das
das zweite (d„ und w„) schwächer ist und bis zum Ver-
schwinden zurücktreten kann. Die beiden Streifensysteme
sind aber auch von ungleicher Deutlichkeit, wenn sie bei
Nagelt: Innerer Bm vegetabtfocher Zeüenmembranm. 295
gleichen Dichtigkeitsverschiedenheiten aus ungleich breiten
Streifen bestehen (Fig. 5).
Wenn die Areolen einer Fläohe nach zwei Richtungen
in Reihen geordnet sind, so müssen auch noch in andern
Richtungen Reihen, aber undeutlicher, sichtbar werden.
Kreuzen sich die primären Reihen unter einem rechten
Winkel, so giebt es zwei gleiche Systeme von secundaren
Reihen, die bezüglich jener eine symmetrische Lage haben.
Wenn die primären Reihen sich dagegen anter schiefen
Winkeln schneiden, so sind die beiden secundaren Reihen
ungleich; diejenigen, welche den stumpfen Winkel der pri-
mären Streifen theilen (Fig. 6 und 7, 8 — s, t— t), sind
immer deutlicher als diejenigen, welche in den spitzen
Winkel derselben fallen. Wenn die primären Reihen einen
sehr spitzen und einen sehr stumpfen Winkel bilden r so
treten diejenigen secundaren Reihen, welche dem letztem
angehören, selbst mehr hervor als die beiden primären
Reihen.
Diese theoretische Forderung wird durch die Beob-
achtung vollkommen bestätigt Wo eine Membranfläche
zwei sehr deutliche sich kreuzende Streifensysteme zeigt, so
gelingt es in der Regel, auch ein drittes oder viertes System
von Streifen wahrzunehmen. Ich habe es namentlich bei
verschiedenen Algenzellen gesehen. Die drei oder vier
Streifensysteme haben anscheinend den gleichen Charakter,
nur dass sie in der Deutlichkeit von einander abweichen.
Es läset sich desshalb nicht immer entscheiden, welches die
primären und welches die secundaren Systeme seien.
Das Vorhandensein von drei oder vier sich schneidenden
Streifensystemen auf einer Membranfläche ist von der
grössten Wichtigkeit; denn es liefert so zu sagen den mathe-
matischen Beweis für die Theorie von der Natur der Streif-
ung, wie ich sie entwickelt habe. Es lassen sich nämlich,
296 Sitmmg der math.-phys. Chm vom 7. MM 1864.
da die Winkel zwischen den Streifen oft sehr genau ge-
messen werden können, die relativen Abstände in Jedem
System berechnen. Die so berechnete Breite der verschie-
denen Streifen stimmt genau mit der wirklichen aberein.
Diese Uebereinstimmung macht es aber unmöglich, dass die
Streifensysteme in verschiedenen Membranschichten liegen,
und fordert eine areolirte Zeichnung der einzelnen Schicht.
Ich verweise hierüber auf die später folgenden Untersuchun-
gen an Algenzellen.
An den mit drei oder vier Streifensystemen gezeichneten
Membranen lasst sich noch eine andere Wahrnehmung
machen, welche ebenfalls mit aller Schärfe den Beweis da-
für liefert , dass dieselben der gleichen Schiebt angehören.
Es kommt nämlich öfter vor, dass das eine System höher
zu liegen scheint als tfie anderen; ebenso ist es häufig der
Fall, dass bei einer gewissen Stellung des Spiegels nur das
eine System deutlich gesehen wird oder stärker hervortritt
als die übrigen. Diese Beobachtungen, aus denen man den
Schluss gezogen hat, dass die in verschiedenen Richtungen
verlaufenden Streifen nicht derselben Ebene angehören, be-
ruhen auf optischer Täuschung. Dreht man nämlich das
Mikroskop um seine vertikale Axe, so fallen andere Systeme
mehr in die Augen; und was die Niveauverschiedenheiten
betrifft, so kann man sicher sein, dass das höhere System
nach einer halben Umdrehung in gleichem Verhältniss tiefer
zu liegen scheint als die andern, während eine mittlere
Stellung es in gleicher Höhe mit denselben zeigt. Diese
ungleichen Bilder sind eine Folge der schiefdurchgehenden
Lichtstrahlen, die nicht rings um die Axe gleichmässig ver-
theilt sind und daher bald das eine, bald das andere
Streifensystem deutlicher hervortreten lassen. Dass man
aber, ohne die Focaleinstellung zu ändern, beliebig dem
einen oder dem andern eine scheinbar höhere Lage geben
Näfdi: Itmerer Barn wpttoMfafor Zdfomembranm. 997
kann, beweist gerade, dass sie in der gleichen Ebene sich
befinden *).
Auf Durchschnitten durch die Zellmembran sieht man
zuweilen ebenfalls zwei Streifensysteme , die eich kreuzen,
and welche in einzelnen Fällen ein ganz ähnliches Aussehen
darbieten, wie die gefelderte Zeichnung der Membranfläche.
Das eine der beiden Systeme wird nun aber durch die
Schichten der Zeihrand dargestellt. Die dichten Schichten
erscheinen als eine Reihe von getrennten dichten Punkten,
d. h« als eine Reihe von abwechselnd dichtem und weichern
Areolen, ganz wie ein dichter Streifen der Flächenaneicht.
— Der Querschnitt stimmt auch darin mit der Membran-
fläche überein, dass ausser den primären zuweilen noch
secundäre Streifen sichtbar werden. Diess ist namentlich
dann der Fall, wenn die primäre Streifung die Schichtung
nicht unter einem rechten Winkel, sondern schiefwinklig
durchsetzt.
Eine Membran lässt sich also in 3 Richtungen in La*
mellen zerlegen, die. alternirend aus wasserreicherer und
wasserarmerer Substanz bestdien, und die sich in ähnlicher
Weise wie die Blätterdurchgänge eines Giystalls kreuzen.
Die Lamellen der einen Richtung sind die Schichten, die
der beiden andern die zwei Streifensysteme. Die letztem
können sich fast unter jedem Winkel schneiden; beide
stehen auf den Schichtenlamellen, wie es scheint, in den
meisten Fällen rechtwinklig.
Bücksichtlich der Neigungen der drei Lamellensysteme
zu einander giebt es folgende drei mögliche und auch
2) Ganz ebenso verhält es sich mit den Streifensystemen der
Navicula, von denen auch Schacht (Beiträge p. 268) sagt, dass sie
in verschiedenen Schichten liegen. Man kann beim Drehen des
Mikroskops abwechselnd jedes der drei Systeme als das höhere
■eben.
208 SUmmg der math.-phys. Ome vom 7. Mai 1864.
wirklich vorkommende Falle, wenn man ein kleines Mem*
branstück, in welchem die Schichten als eben betrachtet
werden können, berücksichtigt 1) Die Schichtung und die
beiden Streifungen schneiden sich unter rechten Winkeln;
ihre Normalen verhalten sich wie die Crystallaxen im quad-
ratischen and orthorhombischen System. 2) Die Schichtung
kreuzt die beiden Streifungen rechtwinklig, indess diese
sich schiefwinklig schneiden, oder es kann auch die Schieb»
tnng su einer der beiden Streifungen schiefwinklig geneigt
sein, indess die andere Streifung eich rechtwinklig ansetzt;
die Normalen verhalten sich wie die Crystallaxen im klino-
rhombischen System. 3) Die Schichtung und die beiden
Streifungen schneiden sich unter schiefen Winkeln; ihre
Normalen haben die Lage der Crystallaxen im klinorhom-
boidischen System.
Fig. 8 giebt eine schematische Darstellung dieser Ver-
hältnisse an einem kleinen würfelformigen Stack, das in
Gedanken aus einer Zellmembran herausgeschnitten wurde.
Die drei Lamellensysteme kreuzen sich unter rechten Win-
keln. Sie wurden ferner rücksichtlich der Dimensionen
und Dichtigkeitsverschiedenheiten einander gleichgesetzt
Unter dieser Voraussetzung giebt es Areolen von vier Dich«
tigkeitsgraden, je nachdem sich drei weiche Lamellen, oder
zwei weiche und eine dichte, oder eine weiche und zwei
dichte, oder endlich drei dichte kreuzen. In der Zeichnung
sind die weichsten weiss gelassen; die dichtesten sind mit
dreifacher Schraffirung versehen; die zwei mittleren Grade
sind mit einfachem und mit doppeltem Liniensystem ge-
zeichnet.
Unter dieser Voraussetzung sind die drei Lamellen-
systeme gleich deutlich. Sie werden ungleich deutlich, wenn
ihre Grössenverhältnisse oder ihre Dichtigkeitsverschieden-
heiten ungleich sind. Stimmen zwei Lamellensysteme rück-
sichtlich der Dichtigkeitsverhältnisse überein, indess das
Nägdi: Immr Bau ve§etabüis<bcr ZeUenmembnmen. 290
dritte Abweicht, so hat man sechs, wenn alle drei Lamellen-
systeme von einander abweichen, 8 verschiedene Dichtig-
keitagrade für die Areolen.
Ich habe bereits oben gesagt, dass beim Eintrocknen
die Streifung mehr oder weniger verloren geht. Nach der
eben stattgehabten Erörterung der innen Structur ist es
begreiflich, dass trocknende Membranen sich sehr ungleich
verhalten können. In einem Falle verschwindet die Zeich-
nung vollständig, nämlich dann, wenn in dem einen der
zwei Lamellensysteme, welche unter dem Mikroskop sich in
senkrechter Lage befinden, die Dichtigkritsverschiedenheiten
gegenüber dem andern System unbemerklich sind, so dass
man also im feuchten Znstande nur das letztere deutlich
sieht. Diess beobachtet man nicht sehr selten auf Durch-
schnitten, welche befeuchtet nur die Schichtung zeigen und
trocken homogen ersehenen. Solche Membranen verhalten
sich wie die Stärkekörner. Wenn dagegen in den beiden
senkrecht vor dem Beobachter stehenden Lamellensystemen
Substanzen von beträchtlich verschiedener Dichtigkeit weeh-
Beh, so bleibt die Zeichnung auch bei vollständiger Wasser-
entziehung noch sichtbar, obgleich sie undeutlicher wird.
Die dichten Lamellen, welche sich kreuzen und gleichsam
ein Gebälke darstellen, halten einander gegenseitig und
springen daher rippenartig an der Oberfläche vor. Bei-
spiele hiefur giebt sowohl die Flächenansicht der Mem-
branen, wo die beiden Streif ensyBteme , als Durchschnitte,
wo die Schichtung und das eine Streifensystem zuweilen
auch im trockenen Zustande noch bemerkbar sind.
Die Schichtung und die beiden Streifensysteme sind
rucksichtlich ihrer Mächtigkeit und Deutlichkeit ausserordent-
lich verschieden. Es giebt weiche Membranen, welche mit
Wasser befeuchtet die innere Structur sehr schön hervor-
treten lassen. Andere dagegen zeigen dieselbe erst, nach-
dem sie eine mechanische oder chemische Einwirkung er-
800 8ümm§ der mmik-phgi. dam vom 7. MW 1964.
fahren haben; zuweilen reicht einfaches Quetschen ans;
häufig bedarf es der Auflockerung durch Quellangsmittel
(Schwefelsäure, Aetzkali, Salpetersäure mit chlorsaurem
Kali etc.). — Streifen und Schiebten bewegen sich, sobald
sie sichtbar geworden, innerhalb der nämlichen absoluten
Grössenverhältnisae. Es gehen 10 Streifen (eigentlich
Streifenpaare, jedes ans einem dichten nnd einem weichen
Streifen bestehend) auf 8 — 30 Mik., so dass also j<
einzelnen eine Dicke von 0,8 — 1,5 Mik. zukommt.
Ausdehnung haben sie aber bei nelen Membranen erat
durch beträchtliches Aufquellen erhalten. Aus der Zunahme
beim Aufquellen läset sich in einzelnen Fällen berechnen,
dass in der unveränderten Membran 10 Schichten oder
Streifen nicht mehr als 0,14 und 0,13 Mik. einnehmen.
(Beispiele geben Bastzellen und aufquellende Epidermiszellen
von Samen und Früchten.)
Eß giebt auch Membranen und Membrantheile , an
denen auf keine Weise eine innere Struotur sichtbar ge»
macht werden kann. Schon Valentin hat die Zellen und
Gefasee mit treppenförmig- und porös-verdickten Wandungen
als solche bezeichnet, an denen die Spiralstreifen schwierig
wahrzunehmen seien, und Mo hl konnte sie an vielen Paren*
chymzellen nicht nachweisen. Wie mir scheint, liegt der
Grund davon in zwei Verhältnissen, in der Dicke der
Wandung und in dem Verlauf der Schichten. Nur wenn
der Schichtencomplex eine gewisse Mächtigkeit hat, sieht
man die Streifung deutlich. Desswegen mangelt sie an
allen jungen Zellen und an dünnwandigem Parenchym. Die
Streuung ist ferner um so deutlicher, je mehr die Schichten
unter einander parallel nnd je ebener sie sind. Dieser
regelmässige Schichtenverlauf findet aber die grössten Star*
ungen an Zellen mit zahlreichen Poren, so wie an solchen
mit Bing-, Spiral- und Netsfasern.
Von den bisherigen Beobachtern wurde femer vorzüglich
Näfdii Imerer Bau vegttdb&icher Z4Rm*mt*mm. 301
die Frage erörtert, ob auch die äusserste Schicht der ZeU-
wand (sog. primäre Membran) gestreift sei, und diess ge-
wöhnlich verneint Nach Schacht soll auch die innerste
Membranschicht nngestreift sein. Ich moss in beiden Be-
ziehungen eine andere Meinung verfechten. Allerdings sieht
man diese Schichten, wenn man sie von der Fläche be-
trachtet, ohne Zeichnung; auch die Durchschnittsansioht
zeigt sich meistens homogen, was ich in manchen Fällen
ihrer beträchtlichen Dichtigkeit zuschreibe. In andern Fällen
dagegen erscheinen sie auf dem Durchschnitte sehr deutlich
gestreift An dickwandigen Parenchymzellen besteht dann
die innerste, auch wohl die mittlere Schicht der Wandung
zwischen zwei Zellen abwechselnd aus dichten und weichen
Areolen, und an dünnwandigem Parenchym löst sich die
ganze durchschnittene Wand in eine Reihe von Knötchen auf.
Schichtung und Streifung sind nicht nur an verschie-
denen Membranen und Membrantheilen sehr ungleich; sie
bieten auch, wenn wir sie in dem nämlichen Membrantheü
mit einander vergleichen, höchst mannigfaltige Verhältnisse
dar. Was zuerst die beiden Streifensysteme betrifft, so
sind dieselben zuweilen von gleicher Stärke; es scheint diess
namentlich dann vorzukommen, wenn sie mit der Zellenaxe
gleiche Winkel bilden. Bei der Spiralstreifung, wo die sich
kreuzenden Streifen zu der Aze ungleich geneigt sind, be-
obachtet man in der Regel auch eine mehr oder weniger
ungleiche Ausbildung derselben; die einen können selbst
bis zur Undeutlichkeit verschwinden, indess die anderen
sehr entschieden hervortreten.
Vergleichen wir femer Streifung und Schichtung mit
einander, so giebt es Zellen, an denen beide eine gleiche
Entwickelung zeigen, sei es, dass sie beide sehr augenfällig
sind, sei es, dass sie sich gleich sehr der Wahrnehmung
entziehen. Bei der grossen Mehrzahl der Zellen aber tritt
die Schichtung viel deutlicher hervor als die Streifung, und
302 Stimmt *r mafa-phys. ÖUme vom 7. Mai 1894.
auf Durchschnitten ist es namentlich die scharfe Zeichnung
der Schichten, welche die zarten Streifen locht übersehen
lässt Doch kommt auch das Umgekehrte vor. Es giebt
Zellen, an denen die Streifung sehr deutlich gesehen wird,
während die Schichtung entweder nur schwach angedeutet
ist, oder auch ganz mangelt Dieses auffallende Factum
findet sich zuweilen an alten Holzzellen, und zwar sowohl
bei der Längsanaicht derselben als auf Querschnitten.
Für die Anordnung der Streifen kenne ich bis jetzt
mit Sicherheit 3 verschiedene Typen: 1) die gerade, 2) die
Spiralstreifung und 3) die schiefe Ringstreifang. Bei der
geraden Streifung, die man an einfach gebauten Algen be-
obachtet, läuft das eine Streifensystem mit der Zellenaxe
parallel, das andere quer zu derselben. Bei der Spiral-
streifung beschreiben beide Systeme Schraubenlinien, ge-
wöhnlich mit entgegengesetzter Wendung und in der Regel
schiefwinklig zu einander geneigt. Gerade und spiralige
Streuung sind übrigens nicht prinzipiell verschieden, indem
sie unmerklich in einander übergehen.
Von diesen beiden Typen ist die schiefe Bingstreifung,
die von den bisherigen Beobachtern übersehen wurde, wesent-
lich verschieden. Sie bildet, wenn wir eine einfache Mem-
branschicht berücksichtigen, schiefe Ringe, welche nach zwei
Richtungen geneigt sind und sich somit kreuzen. An dem
ganzen Schichtencomplex einer cylindrischen oder pris-
matischen Zelle stellt der einfache Spiralstreifen eine Wen-
deltreppe dar, der Ringstreifen dagegen eine in der Mitte
durchbrochene, geneigte Scheibe, die genau einem schief
geführten Querschnitt entspricht. Alle Streifen des einen
Systems bilden einen Satz von solchen schiefen, unter ein-
ander parallelen Scheiben, die Streifen des andern Systems
einen Satz von ebenfalls schiefen und unter sich parallelen
Scheiben, welche aber die des ersten Systems unter einem
schiefen Winkel schneiden.
Nätcii '_ Tüüoitt .Bot» umifsftiliirftfr j*dkmmtmliimm_ 308
Mohl (Bot Zeit 185» p. 769) giebt an, dass die an
der Oberfläche der Frons von Dictyosphaeria favulosa
freiliegenden Zellmembranen mit zwei Systemen von Streifen
besetzt seien, von denen die einen radienförmig vom Gent-
ium der Zellwand zu ihrem Bande verlaufen, während die
Andern oonoentrische Kreise um den Mittelpunkt beschreiben.
Es scheint mir, dass diese Anordnung keinen neuen Typus
begründet, sondern der geraden Streuung beizuzählen ist;
denn das freie Ende einer mit Längs- and Querstreifen be-
gabten Zelle muss, wenn es von oben betrachtet wird, die
beschriebene radial-conoentrische Zeichnung zeigen. — Auch
Epidermiazellen von Blättern lassen an der freien Wand
zuweilen radiale, vom Gentrum ausgehende, starke Streifen
wahrnehmen. Ich habe aber die dazu gehörigen oonoen-
trischen Linien nicht sehen können.
Bei allen Typen laufen die Streifen des nämlichen
Systems unter einander parallel Geringe Abweichungen
von dem strengen Parallelismus kommen indessen nicht
selten vor, und bestehen vorzüglich darin, dass ein Streifen
sich in zwei theilt, oder, was das Nämliche ist, dass
zwei zu einem sich vereinigen. Auf der Flächenansicht
ist es im Kleinen die gleiche Erscheinung wie die Ver-
zweigung der Spiralfasern im Grössern. Der Querschnitt
der Zellen zeigt an den stärkern Biegungsstellen der Mem-
bran, namentlich wenn die letztere eine grössere Mächtigkeit
besitzt, mehrfache Theilung der Streifen, welche hier natür-
lich eine radiale Richtung haben. Ein einzelner derselben
kann sich von innen nach aussen je nach Umständen
in 2, 3, 4 und mehrere spalten. Die Streifen erinnern
dann rücksichtlich ihrer Lage und Anordnung an die ver-
zweigten Porenkanäle dickwandiger Zellen, für welche sie
auch irrthümlicher Weise gehalten wurden; nur sind sie
viel feiner und gedrängter. Dadurch wird erreicht, dass
an dem äussern und an dem innern Band der Zellmembran
[1864 1. 4] 21
dunfcsohnittlich gleich ml Strafen auf die Längeneinheit
kommen.
Wie die verasteiten Spiralfedern, wenn die Verästelung
häufiger eintritt, in Netzfasera tibergehen, so scheinen auch
die zwei «h kreuzenden Systeme paralleler Streifes in 4er
Flfefeenansicht der Membran in manchen Fällen durah ein
Mete ersetzt za werde». Die Streiftmg nimmt dann das an
den netzförmigen Gefitssen bekannte Aueseben an. Die ver-
längerten rhombischen Maschen ermnern an zwei Systeme
von Linien, die sich anter einem kleinen Winkel kreuzen.
Die Zeichnung ist aber so zart and undeutlich, dass ich
nicht zu entscheiden wage, ob sie bloss durch einen un-
regelmässigen Verlauf der sich kreuzenden Spiral* und Ring-
-streiftmg hervorgebracht werde , oder ob es ein eigener Typus
mit wirklicher netzförmiger Vereinigung der Streifen sei.
Die Streuung kann an einer Zelle überall den gleichen
Charakter zeigen; sie kann aber auch in bestimmten Re-
gieren einen andern Charakter annehmen. So kommt es
namentlich an Bastzellen vor, dass in bestimmten Intervallen
schiefe Ringstreifaag and Spiralstreifting mit einander alter-
airea. — Selbst in den verschiedenen Schichtencomplexen,
welche in dickwandigen Zellen übereinander liegend die
ganze Wanddicke bilden, beobachtet man nicht selten eine
mehr oder minder bedeutende Aenderung in der Richtung
und Anordnung der Streifen. Bei Holz- und Bastzellen sind
häufig die staiitern oder allein sichtbaren Streifen in der
äussern Hälfte der Membran andersweadig als in der In-
nern. Es können selbst die gleichwendigen Streifen in ver-
schiedener Tiefe eine ungleiche Neigung zur Zellenaxe
«eigen. Zuweilen besitzen auch die äussersten Schichten
netzförmige, die übrigen Spiralstreifting.
Mit Rückeicht auf die Entwicklungsgeschichte der
Streifungen ist kaum etwas Sicheres bekannt. Sie scheint
indess interessante Ergebnisse zu versprechen. Einige That-
r
NäfftU: Innerer Bau ve§€tabili*cher Zdlmmmbrmen. 805
tttfhen deuten darauf hin, dass in dm iiMmliohen Schick.
toucoraplex der Charakter der Streiftuig sich verändern
kann, dass namentlich die Spirafetreifung verschwinden und
durch schiefe Ringströifung ersetzt werden kann, Denn es
kommt tot, dass an Jüngern Bastzeilen undeutliche Spiral-,
an älteren aber undeutliche RilgstreifeB gesehen werten.
Ea würde also in verschiedenen Perioden das Wachgthum
mit Räcksicht auf die Einlagerungen in ungleichen Kch-
tangsverhältniesen thätig sein. Andeutungen dieses ver-
schiedenartigen Wachsthums dürften sich in solchen ausge-
bildeten Bastzellen finden, welche je nach der Einwirkung
des Quellungsmittels die eine oder andere Streuung (sptralige
oder ringförmige) hervortreten lassen. Dagegen ist es mir
bis jetzt nicht gelungen, an dem nämlichen Scbichtencom-
plex gleichzeitig die beiden Streifungen zu sehen.
-Es liess sich erwarten, dass die Oonfiguration der Ober-
fläche in gewisser Beziehung zu dem innern Bau der Mem-
bran stehe, dass also die durch ungleiche Verdickung der-
selben erzeugten Fasern und Poren von dem Verlaufe der
Streifen bedingt werden. Am schönsten sieht man diese an
den Spiralfasern der Holzzellen und an den Poren der
Bast- und HdizseBen. Der Querschnitt zeigt zuweilen,
dass jedem dichten Streifen ein schwacher Vorsprung
auf der innern Fläche entspricht; zuweilen trifft auf je den
4. bis 7. Streifen eine stärkere Verdickung. Deberemstim-
mend mit der letztem Beobachtung sieht man auf der
Flächenansicht zwischen je zwei Spiralfasern 8 bis 6 damit
parallel laufende dichte Streifen. Für diese Falle ist es
sicher, dass die feine Spiralfaser einem Spiralstreifen ent-
spricht Stärkere Spiralfasern seheinen mehreren (2—4)
Spiralstreifen zu entsprechen.
Wenn die Poren, von der Membranfläche angesehen,
elliptisch oder linear verlängert sind, so stimmt dieser
Längsdurchmesser genau mit der Richtung der starkem
21 •
306 Stünmg der math-phys< Cfom vom 7. Mai 1864.
Spiralstreifung überein. Ich habe sogar an Bastzellen be-
obachtet, dass die Richtung des Porös in den verschiedenen
Membranechichten mit den Streifen sieh ändert, dass der*
selbe z. B. in der äussern Hälfte der Zellmembran einer
links-, in der innern Hälfte einer rechtsgewundenen Schrau-
benlinie folgt In solchen Fällen ist also der flachgedrückte
Porenkanal, wenn wir ihn von der innern bis zur äussern
Grenze der Membran verfolgen, wie eine Wendeltreppe gedreht
In der gegenwärtigen Abhandlung habe ich die Zeich-
nung auf den Zellen der Diatomeen nicht berücksichtigt
Obgleich dieselbe eine grosse Analogie mit der gekreuzten
Streuung der übrigen Pflanzenzellmembranen hat, so scheinen
mir doch einige Verschiedenheiten es rathsain zu machen,
die beiden Erscheinungen vorerst nicht mit einander zu
vermengen.
Ich bin auch nicht auf das Problem eingetreten, ob die
Membran ans Primitivfasern zusammengesetzt sei oder nicht.
Offenbar hat diese formelle Frage, welche mit Unrecht die
Erforschung der factischen Verhältnisse in den Hintergrund
drängte, bei den Beobachtern um so mehr an Werth ver-
loren, je mehr dieselben sich mit dem wirklichen Bau der
Membran beschäftigten. Sie muss gänzlich obsolet werden,
sowie das Wesen der Streifen richtig erkannt ist. Es zeigt
sich dabei, dass denselben von den Einen ein zu grosses,
von den Andern ein zu geringes Maass der Selbständigkeit
eingeräumt wurde. Der Fehler war, dass nur die dichten
Streifen der dichten Schichten berücksichtigt, und die weichen
Streifen derselben sammt den weichen Schichten ganz über-
sehen oder als homogene Bindesubstanz in Anspruch ge-
nommen, dass ferner ein anatomisches Verhältnis für den
Beweis einer bestimmten Entstehungsweise genommen, und
dass demnach die unrichtige Alternative „Mambranschicht
oder Faser" gestellt wurde. Der Streifen ist so gut vor-
handen und hat ebensoviel und ebensowenig Berechtigung
NägeU: Inmrer Bau vegetabüücher Zdlenmembranen. 307
auf Selbständigkeit als die einzelne Membranschicht; beide
sind ein scharf geschiedener Theü der ganzen Zellwand,
aber weder der eine noch die andere tritt je selbständig
für sich und unabhängig von den andern Schichten und
Streifen auf. Ob die dichten Streifen, .worauf so viel Ge-
wicht gelegt wurde, durch mechanische oder chemische
Mittel isolirt werden können oder nicht, ist eben so gleich-
göltig , als es für die Existenz der Schichten unerheblich
ist, ob sich die dichten Schichten von einander trennen
lassen. Beides ist mit grossen praktischen Schwierigkeiten
verbunden, gelingt aber ohne Zweifel, wenn man die ver-
bindende weiche Substanz auflösen oder gehörig auflockern
kann, ohne die dichten Streifen oder Schichten allzusehr
anzugreifen.
Nachdem ich das Verhalten der Streifen im Allge-
meinen erörtert habe, will ich die an den einzelnen Zellen-
formen gemachten Beobachtungen besonders darlegen. Ich
beginne mit den Verhältnissen der innern Structur, welche
uns die Parenchymzellen darbieten.
1. Zellencryptogamen.
Uücksichtlich des Baues der Membran von Ghaeto-
morpha, welcher von J. Agardh, H. v. Mohl und
W ig and untersucht wurde, verweise ich besonders auf die
gründliche Darstellung Mohl's. Die Streifung geht parallel
der Zellenaxe und rechtwinklig zu derselben. Bei wenig
andern Zellen ist deutlicher zu sehen, dass der Streifen
nichts anderes als ein Theil der Membranschicht ist, und
dass von einem Uebertreten eines dichten Streifens (Primitiv-
faser) aus einer Schicht in die andere und aus einer Zelle
in die andere keine Rede sein kann.
Sehr schön sieht man die Streifung auf der Membran-
' fläche von Cladophora hospita Kg. Die Längsstreifen
308
SUnmg der maih.-phys. CUme wm 7. Mm 1864,
beschreiben eine linkswendige (südöstliche), die Querstreife»
eine entgegengesetzte Spirale. Ich fand s. B. folgende
1
2
8
4
l*°
16°
17«
«r
89#
79°
Wf%%
68°
78°
86°
86Vt°
84*
Winkel zwischen den Längastreifen und
4ut Zellenaxe
Winkel zwischen den Querstreifen und der
Zellenaxe
Winkel zwischen Längs- und Querstreifen
Ein drittes System von Spiralstreifen wird sowohl bei
Chaetomorpha als bei Cladophora hin und wieder ge-
sehen. Doch ist dasselbe nur stellenweise erkennbar und
meistens äusserst zart. — Die Längsstreifen sind etwas
starker und etwas unregelmässiger; zuweilen scheinen sie
nicht genau parallel zu sein, sondern ein Geflecht mit sehr
verlängerten Maschen zu bilden. Die Querstreifen sind zarter,
regelmässiger, genau parallel und gleich weit von einander
entfernt. Von jenen gehen 12—18, von diesen 16 auf 25Mik.,
so dass also der einzelne Längsstreifen 2 Mik. , der Quer-
streifen 1,56 Mik. breit ist8).
Die Membran der grossen Seilen, ans denen Valonia
utricularis Ag. besteht, lässt fast überall drei Streifen-
Systeme erkennen. Die stärksten schneiden die Zejlenaxe
fast rechtwinklig, dieselben sind häufig etwas unregelmässig;
die mittlem laufen mit derselben faßt parallel ; die schwäch-
sten haben eine schiefe Richtung. Nur die Querstreifen
konnten, sicher gemessen werden; es gehen deren meist 8
9) Wenn ich von der pieke einer Membransohicht oder- von dcv
Breite eines Streifens sprechet so verstehe ich darunter den Abstand
zwischen der Mitte zweier dichter oder zweier weicher Lamellen,
also eigentlich die Dicke eines Paars bestehend ans einer dichten
und der zugehörigen weichen Lamelle.
iftSaefti: .ZiMirar Süu flAMCobtliidhir £sBsiisms*smmmm. 8Q9
wrt 12 Nik, Die Breite der andern Streifen liest sich aus
dieser Grosse und aus den Winkelmessnngen berechnen.
In Fig. 1 geben die Linien A, B and C die Richtungen
der drei StresfenejBtame. a, b und o sind die senkrechten,
Abstände zweier benachbarter Streifen der Systeme A, B
und C. a ist der Winkel zwischen A and B, ß zwischen
B und C, f zwischen A and G. Wenn 91m das Stück der
Linie B, welches zwischen zwei benachbarten Linien des
Systems A (oder C) liegt, gleich 1 gesetzt wird, so sind
die drei gesuchten Werthe
a = Sin a
c = Sin ß
. Sin «. Sin ß
t> 35 —
Sin y
denn b = C, Sin ß, wenn Ct das Stück der Linie C be-
zeichnet, welches zwischen zwei benachbarten Linien des
a 4)
Systems B sich befindet, und CÄ = =j— — •
4) Man kann alz Einheit auch das Stück der Linie A, weichet
zwischen zwei benachbarten Linien des Systems B, odaj? das Stück
der Linie C, welches zwischen zwei benachbarten Linien des Systems
A liegt, annehmen.
Im etstotu Fall hat man die Formeln
c == Sin y
b = Sin *
im zweiten Falle
J= Sin «. Sin y
Sin ß
b = Sin fi
a = Sin y
Sin fi. Sin y
Sin «
Es versteht sich, dass das Yerhaltniss zwischen a, b und o das
nämliche bleibt, man mag die Berechnung nach der einen oder
andern Formel ausführen.
310
8itmm§ der tnotk-pftys. CUme vcm 7. Mai 1864,
An drei Zellen worden folgende Winkelgrössen gefunden ;
a ist der Winkel zwischen den Quer- und Längsetreifen,
ß derjenige zwischen den Quer- und den schiefen Streifen,
f zwischen den Längs- und den schiefen Streifen.
| 1 ! 2 | 3
a
83°
80»
78°
ß
53°
57«
58°
r
44°
48°
44°
Daxaus wurden nach den obigen Formeln für die
Breite der verschiedenen Streifen die relativen Werthe und
ferner vermittelst derselben aus der gemessenen Breite der
Querstreifen die absolute Breite der beiden andern Streifen
berechnet; a ist die Breite der Längsstreifen, b der Quer-
streifen und c der schiefen Streifen.
1 I 2 I 3
raUtir« W.
ftteoluteW.
reUtiy« W.
akaoluteW.
relatire W.
itaotateW.
b
1,1411
1,6 Mik.
1,2110
1,5 Mik.
1,1941
1,6 Mik.
a
0,99256
M -
0,98481
1,2 —
0,97815
1,8 -
0
0,79863
M -
0,88867
1,0 -
0,84805
M -
Ich habe diese Berechnungen nicht angestellt, um die
Breite der Streifen an und für sich zu erfahren, sondern
um zu prüfen, wie die gefundenen Werthe sich zu der An-
nahme verhalten, dass die drei Streifensysteme durch die
Areolen der nämlichen Schicht dargestellt werden. Das
Resultat stimmt genau mit dieser Annahme überein. Die
Längsstreifen sind in dem Maasse zarter und gedrängter,
als es die berechnete Breite verlangt. Die Deutlichkeit der
schiefen Streifen ist noch etwas geringer, als es ihre Dimen-
sionen erfordern, was sich leicht daraus erklärt, dass es
secundäre Streifen sind, die bei gleicher Breite weniger in
die Augen fallen als die. primären. — Es wäre nun gewiss
undenkbar, dass die Streifen verschiedenen Schichten ange-
hörten und dabei genau dieselben Verhältnisse der Stärke
und Richtung zeigten, wie die sich kreuzenden Areolen einer
Nägdi: Innerer Barn vtgetabüMur ZeUetmembnutoH.
311
Flache. Ich werde ähnliche Berechnungen noch für Micro-
dictyon und Chamaedoris mittheilen, und bei letzterer
auch einen Fall von Valonia anfuhren, wo 4 Streifen-
Systeme sichtbar waren.
Die Membran der Zellen von Microdictyon Agard-
hiannm Dcsne. zeigt, von der Fläche angesehen, deutliche
Langsstreifen. Von andern Streifen sieht man zuweilen
nichts, doch giebt sich deren Anwesenheit schon aus dem
Umstände kund, dass die Längsstreifen zart gegliedert sind.
Manchmal erkennt man zarte Querstreifen und noch zartere
schiefe Streifen, jene mit den Längsstreifen einen Winkel
von 80 — 85°, diese mit den nämlichen einen Winkel von
51 — 63° bildend. In zwei Fällen wurden folgende Winkel-
meesnngen gemacht, aus denselben die relativen Werthe für
die Breite der Streifen berechnet, und aus der gemessenen
Breite der Längsstreifen die absolute Breite der beiden
andern Streifen gefunden.
« (zwischen den Längs- und Querstreifen)
ß (zwischen den Quer- und schiefen Streifen)
y (zwischen den Längs- und schiefen Streifen)
1 1
2
80°
86°
47°
35*
58°
60°
I
I
2
relative W.
0,98481
0,90184
»bsoluteW.
1,4 Mik.
1,3 -
relative W.
0,9962
0,65979
»bsolnteW.
1,6 Mik.
1,06 —
0,73136
1,0 -
0,57358
0,9 —
a Breite der Lftngsstreifen
b Breite der Querstreifen
c Breite der schiefen
Streifen
Auch hier stimmt die aus den Winkeln berechnete
Breite der Streifen mit dem Grade ihrer Deutlichkeit. Es
ist übrigens noch zu bemerken, dass diese Structur nur in
der geschichteten eigentlichen Zellmembran sichtbar ist. Die
dicke, ungeschichtete Hüllmembran (Extracellularsubstanz)
erscheint ungestraft.
Fast am schönsten unter den Zeüencryptogainen zeigte
312 Sitmtng der mathrphy*. Otam mm 7. Ufa* 1864.
mir die Streifuag an Cbamaedoris anaulata Mm-
tagne (Fig. 9).
Die Längastreifen laufen ziemlich genau parallel der
Zellenaxe; die Querstreifen schneiden dieselbe ziemlich anter
einem rechten Winkel. Die Breite der einen und der andern
variirt nicht unbedeutend. Zuweilen sind die Längsstreifen
merklich stärker als die Querstreifen; von jenen gehen
%. B. 10—13, von diesen 16—19 auf 25 Mik.; jene sind
also 2,5—1,9 Mit, diese 1,8—1,3 Mik. breit Manchmal
zeigen beide Systeme eine gleiche Stärke; der einzelne
Streifen hat eine Breite von 1,6 — 2 Mik. Nicht selten treten
auch die Querstreifen etwas deutlicher hervor; sie sind
1,8—2,1 Mik. breit, indess die Längsstreifen 1,4—1,7 Mik.
betragen. — Die Querstreifen verlaufen gerade und äusserst
regelmässig; die Längsstreifen haben zuweilen eine gleiche
regelmassige Anordnung, und die Membranfläche gleicht
dem feinsten Battistgewebe. Manchmal jedoch sind di$
Längsstreifen etwas hin und her gebogen, zuweilen etwas
verzweigt, und ausnahmsweise scheinen sie selbst ein Netz
mit sehr langgezogenen, linealrhomhisohen Maschen zu
bilden.
Wenn die Structur der Membran von Chamaedoris
besonders deutlich ist, so erkennt man ausser den Längs-
und Querstreifen noch zwei Systeme von schiefen Streifen,
von denen das eine nach rechts, das andere nach links ge-
neigt ist Dieselben sind so zart, dass es mir nicht möglich
war, die Breite zu messen. Sie lässt sich aber wieder
durch Rechnung aus den Winkeln finden. Die Linien A, B,
C, D in Fig. 2 geben die Richtungen der 4 Streifensysteme ;
a, b, c, d die verticalen Abstände zweier benachbarter
Streifen des gleichen Systems; a, ß} y, & die Winkel und
zwar et zwischen A und B, ß zwischen B und G, y zwischen
A und G, i zwischen B und D. Nehmen wir das Stuck
der Linien B, welches von zwei auf einander folgenden
NäpK: Lmtrer Barn «systaftflitdbe* &Rmmmbra*$n.
318
linen der andern Systeme eingeschlossen wird, gleich 1,
ao sind die 4 gesuchten Abstände *)
a = Sin «
c = Sin /fr
d = Sitt*
, _ 8ia a. Sin /?
Sin y
Es worden nun im den Streifensystemesi ron Chamae*
doria annulata folgende Winkelbertimmungen gemacht:
] 1 1 2 | »| 4 j 5 | 6 | 7
« (gemessen)
ß —
<r —
<F (berechnet)
a ist der Winkel zwischen den Querstreifen (B) und
Längsstreifen (A) ; 0 derjenige zwischen den Querstreifen (B)
und den ersten schiefen Streifen (C) d. k dem etwas star-
kem System ron schiefen Streifen, welches in dem stampfen
Winkel (von 91 — 93°) zwischen Längs- und Querstreifen
sieh befindet, y ist der Winkel zwischen den Längsstraftn
(A) und den ersten schiefen Streifen (C), und i derjenige
zwischen den Querstreifen (B) und den zweiten schiefen
Streifen (D), d. h. dem etwas schwächern System von schiefen
Streifen, welches in dem spitzen Winkel (von 87—89°)
88°
87°
«8°
$7°
L 88°
90°
90°
88°
42°
44°
48°
82°
w «
40°
87°
54°
61°
47°
46°
40°
60°
68°
34°
40°
48°
47°
47*
41°
86°
36°
89»
48°
46p
49»
40°
87°
6) Nimmt man eine andere Einheit an, so erhält man die näm-
lichen Verhältnisse in anderer Form. Wenn s. B. das 8tüok der
Linie A , welches zwischen je ewei benachbarten Linien der andern
Systeme sich befindet, = 1 gesetzt wird, so ist
*> = Sin y
b = Sin a
Sin y. Sin a
* ~~ Sin ß
8in y. Sin &
Sin ß
d =
814
SUmm§ der math.-phy$. &a$ee vom 7. Mai 1844.
zwischen Längs- und Qnerstreifen liegt. Für i sind je zwei
Werthe angegeben; in der ersten Horizontalzeile sind die
Resultate der Messungen enthalten, in der zweiten dagegen
die Winkelgrössen , welche sich dureh Berechnung aus den
andern Winkeln (a, ß, y) ergeben.
Aus den eben mitgetheilten Winkelmessungen erhalt
man nach den obigen Formeln für die verticalen Abstände
a, b, c, d (wenn a die Breite eines Längsstreifens, b die-
jenige eines Querstreifens, c die Breite eines ersten schiefen
Streifens und d die eines zweiten schiefen Streifens be-
zeichnet) folgende relative Werthe, und ferner aus der ge-
messenen Breite von a folgende absolute Werthe:
| 1 I 2 | 3
relative W.
absolntaW.
reUtivoW.
ftbflolvteW.
relatireW.
abwlateW.
a
0,99939
2,2 Mik.
0,99863
1,7 Mik.
0,99986
1,9 Mik
b
0,76053
1,7 -
0,85983
1,6 -
0,94968
1,8 -
c
0,61666
1,36 —
0,66913
1,1 -
0,69466
1,8 -
d
0,56019
Iß -
0,64279
1,1 -
0,68200
1,3 -
1
4
1 5 |
6
1
7
b
c
d
reUtW.
absoL W.
relat W.
absoL W.
relatW.
abaoL W.
relat W.
0,99868
1,5 M.
0,99989
1,7 M.
1,0000
2,0 M.
1,0000
1,0495
1,6-
1,2252
2,1 -
0,83910
1,7 -
0,75355
0,74314
1,1-
0,78801
1,3 -
0,64279
1,3-
0,60182
0,73136
1,1 -
0,73185
1,2-
0,65606
1,3 -
0,58778
ftbsot W.
2,4 M.
1,8-
1,4-
Ich lüge hier noch einen Fall bei, wo bei Valonia
utricularis ebenfalls 4 Streifensysteme sichtbar waren und
folgende Messungen gestatteten:
relative W.
absolute W.
a (gemessen) 85o
a
0,9962
gemessen 1,2 Mik.
ß — 64o
b
1,2284
gemessen und
y — 41o
berechnet 1,5 —
«r — öoo
0
0,80902
berechnet 1,0 —
<f (berechnet) 48o
d
0,76604
— 0,9 —
Von den 4 Streifensjstemen, welche bei Ghamaedoris
gewöhnlich, bei Valonia ausnahmsweise sichtbar werden,
sind offenbar die Längs* und Querstreifen als die primären,
Nägdi: Inmcrtr Am vegrtabüiicher Zettmmembr&nen* 815
die schiefen nach rechts and links geneigten als die secun*
dären zu bezeichnen. Die erstem treten im Verhältnis zm
ihrer Brate immer etwas deutlicher hervor als die letztern«
Wenn Längs- und Queretreifen sich unter einem rechten
Winkel schneiden, so sind die beiden schiefen Systeme von
gleicher Stärke. Sie werden um so ungleicher, je mehr
jener Winkel sich von 90° entfernt. Es sind diess alles
Thatsachen, welche aufs Schönste mit der Annahme über-
einstimmen, dass die Streifen nichts anderes sind als die
Areolenreihen der Membranschichten. Eine weitere Be-
stätigung wird auch durch den Umstand geboten, dass die
Winkel, welche das vierte Streifensystem mit den drei
übrigen bildet, nach der Messung und der Berechnung ziem-
lich genau übereinstimmen, wie sich aus den Werthen für
& in den mitgetheilten Beispielen ergiebt.
Die Querschnitte durch die Membran zeigen die Längs*
streifen mehr oder weniger deutlich als Linien, welche
rechtwinklig oder schiefwinklig die Schichten schneiden
(Fig. 10). In letzterm Falle sieht man noch ein zweiteß
System von schiefen Streifen, welches nach der andern
Seite geneigt ist und sich mit jenen kreuzt, mehr oder
weniger deutlich. In beiden Fällen ist jede einzelne dichte
Schicht in regelmässigen Intervallen von einer weichen
Masse durchbrochen und besteht somit aus einer Reihe
dichter Areolen von fast quadratischer oder etwas rhom-
bischer Gestalt. Die Dicke der Schichten beträgt im Mittel
der ganzen Wanddicke meist etwa 2,7 Mik. , also wenig
mehr als die Breite der stärksten Streifen; zuweilen ist
dieselbe auch merklich geringer.
Um das Verhalten der beiden primären Streifensysteme
beim Aufquellen der Membran zu beobachten, wurden aus
den grossen Zellen kleine viereckige Membranstücke heraus-
geschnitten und diese im trockenen Zustande, darauf in
Wasser und schliesslich in Säuren gemessen. Das Ergebniss
816
1M1
der Läng»*
«nr, dam die Membran, tob der fliehe
■ehr Flüssigkeit in der Qoerrichtang ab in
richtnng einlagert, da» also die Langsstreifex
mehr winehmfn ab die Qnerttrafen, wie folgende
(in Millimetern) beweisen:
in Wi
1'
100,00
Freite 1,09
100,00
Lange 1,06
*- 100,00
Brette 1,47
— 100,00
Die Scheiden ron
Ml
102,78
1,13
103,67
Ml
104,71
1,56
10442
M2
103,70
1,16
106,42
1,13
106,60
1,69
108,16
gekocht
1,13
104,63
1,18
100,26
1,15
108,49
1,62
110,21
Petalonema alatum Qrev.*) be-
stehen aus zwei Partieen. Die innere ist schmäler, dichter
und, wie die Scheiden der verwandten Gattungen, parallel
der Axe geschichtet. Die äussere ist viel breiter, tfdfcher
tmd scheinbar gegliedert, indem hier die Schichten mehr
oder weniger rechtwinklig nach aussen biegen. Dieser
Süssere Theil der Scheide besitzt zwei Streifensysteme. Im
Längenprofil sieht man deutliche Streifen, welche die Schich-
ten rechtwinklig durchbrechen und somit ziemlich parallel
6) Kütsing hat den von Berkeley gegebenen Gattungsnamen
Petalonema und den von Greville gegebenen Artnamen alatam
ohne Noth and ohne Recht in Arthrosiphon Grevillii verän-
dert Er fuhrt als Grund an. dass dieselben auf einem offenbaren
Irrthum beruhen. Wenn dieser Grund ausreichend- wäre, so müssten
noch manche Gattungsnamen und namentlich mehrere von Kütsing
selbst aufgestellte preisgegeben werden. Arthrosiphon selbst
wäre nicht sehr glücklich gewählt Petalonema alatum bedeutet
einen Faden, der ein geflügeltes blumenblattartiges Aussehen ge-
wahrt. Diese Bezeichnung ist sehr charakteristisch, wenn sie aueh
nur bildlieh ist und den Schein statt des Wesens wieder gibt
JfiMK: Jfamjmr £w mortuftfliicfor £*flm*MM&nM«ft. 817
mit der Fadenaxe verlaufen. Wir können sie mit Rüeksioht
anf ihre Sichtung als Längsetreifen bezeichnen. Diese
Längsstreifen stellen sich anf Querschnitten als concentrigche
Binge dar. Ausserdem sieht man auf den Querschnitten
eine zarte radiale Streifung.
Bei dieser Pflanze finden wir also in der äussern
Soheide, wie bei andern Pflansenzellen, drei sich kreuzende
Lamellensysteme. Aber in Folge eigentümlicher Ent-
wickelnng sind ihre räumlichen Verhältnisse vertauscht. Die
Schichtung hat die Lage und Form der Querstreifung, die
Querstreifung dagegen die der Schichtung angenommen.
Die Schläuche der Flechten, z. B. von Hagenia cili-
aris, lassen auf Querschnitten zuweilen eine zarte radiale
Streifung wahrnehmen; dieselbe tritt besondere hervor,
wenn man die Schläuche schwach durch Jod färbt. Die
Flächenansieht zeigt sie nur höchst undeutlich.
Auf den grossen Sporen einer Pertusaria sieht man
sehr deutliche Querstreifen, welche wie in einem netzförmigen
«Gefasse unter einander anastomosiren und verlängerte rhom-
bische Maschen bilden. Sie gehören, wie es scheint, bald
den äussern, bald den ümern Membranschichten, nicht aber
der ganzen Wanddicke an.
2. Parenchymzellen der Phanerogamen.
Wenn die Parenchymzellen hinreichend dickwandig sind,
so beobachtet man an ihnen nicht selten die Anwesenheit
von Streifen. Aber es ist oft schwer, den Verlauf derselben
im Uatune genau auszumitteln. So sah ich die durch-
schnittenen Wände des Blattparenchyms von Hyacinthus
orientalis Lmn Agave americana, Hake« pectinata
Dum. Com*, hin und wieder von zarter Querstreifung
rechtwinklig durchsetzt. Fig. 12 zeigt dieselbe an einer
Epidermiszelle der letztern Pflanze. Ist die Wandung dänner,
so besteht sie durch und durch aus dichter Substanz und
318 SUrnrng der matk.-phy$. Ckuse 00» 7. Mai IBM.
die Streifen sind in der ganzen Dicke ziemlich scharf ge-
zeichnet (a). An den dickem Stellen dagegen befindet
sich zwischen den zwei dichtem AuMenachichten eine weiche
Mittelsubetanz; die letztere ist äusserst zart gestreift, während
jene deutlich unterbrochen und in eine Reihe von Punkten
aufgelöst sind.
Die eben erwähnten Streifen sieht man zuweilen auch,
wenn man die Zellmembran von der Fläche betrachtet.
Bald sind es zarte Linien, bald Reihen von Punkten, welche
auf gekreuzte Linien deuten, bald auch zarte Punkte schein-
bar ohne Ordnung.
Sehr deutliche Querstreifung würde femer auf den
durchschnittenen Wänden der innern Samenhaut von Plar
typodium speo. beobachtet. (Fig. 21). Diese Streifen gehen
bald rechtwinklig, bald schiefwinklig durch die Wandung.
Im letztern Falle kreuzen sich zwei Systeme mit entgegen-
gesetzter Neigung, und es treten die für diesen Fall charak-
teristischen Zeichen V X Y auf. Einzelne dieser Querstreifen
sind von beträchtlicher Stärke und gleichen feinen Poren»
kanälen. Dass es keine Poren sind, sieht man daraus, dass
sie sich bis zu der zartesten Streifung abstufen, femer
daraus, dass neben ihnen noch wirkliche Porenkanäle vor-
kommen, und endlich besonders aus der Flächenansicht der
Zellwandung. Diese zeigt theils unregelmässig parallele,
leicht hin und her gebogene, theils verzweigte und netz-
förmig anastomoairende Streifen, letztere mit langgezogenen
schmalen Maschen.
Die räumliche Construction dieser Streifen würde aus
den Beobachtungen an den Zellen von Platypodium kaum
möglich sein. Die Analogie der beiden Ansichten mit den
Holzzellen der Coniferen zeigt deutlich, dass es Ringstreifen
sind. Ich verweise auf die später folgende Analyse dieser
Formation.
Die innere Samenhaut von Entada Gigalobium DO.
Nägdi: Innerer Bau vegetabilischer Zellenmembranen. 319
verhak sich ganz wie diejenige ron Platypodium. Die
Streifen auf den Durchschnitten der Wandungen sind bald
sehr stark und deutlich, bald' äusserst zart und gedrängt.
Wenn die Schnitte den Rand der Zellenhöhlungen treffen,
so sieht man die Streifen dos Profils in die der Flächen-
ansieht übergehen. Auch hier kommen neben denselben
einzelne Poren vor.
Die Zellen des Fruchtfleisches von Hymenaea Oour-
baril Sin. sind lauglich und zusammengefallen. Man nimmt
auf deren Fläche 3 oder 4 Streifensysteme wahr, zwei
Systeme ron Querstreifen und 1 oder 2 von Längsstreifen.
Es giebt Zellen mit glatter Wandung, andere, auf denen
nur die Querstreifen sichtbar sind, ferner solche, welche
Quer- and Längsstreifen zogen , endlich solche , auf denen
die Längsstreifen stark hervortreten, die Querstreifen aber
mehr oder weniger andeutlich sind. Da die erstgenannte
Kategorie von Zellen im Allgemeinen die zartesten, die letzte
die derbsten Membranen hat, so vermuthe ich, dass die 4
verschiedenen Bildungen zugleich die Entwicklungsstadien
der nämlichen Zellen darstellen, dass nämlich zuerst die
Querstreifen auftreten und nachher von den Längsstreifen
verdrängt werden. £s giebt auch Zellen, die auf verschie-
denen Stellen ungleich ausgebildet sind und somit zwei
verschiedene Zustände vereinigen.
Die beiden Querstreifensysteme sind sehr zart und ziem-
lich symmetrisch; jedes ist zur Zellenaxe unter einem
Winkel von 65° — 75° geneigt. Die Breite eines Streifens
beträgt 0,7 — 1,2 Mik. — Die Längsstreifen sind zuweilen
ebenso zart und fein wie die Querstreifen; andere Male
übertreffen sie dieselben um das Zwei* und Dreifache an
Stärke. Die zarten Längsstreifen stellen zwei regelmässig
sich kreuzende und ziemlich symmetrische Systeme dar,
von denen jedes mit der Zellenaxe einen Winkel von 10°
bis 20° bildet. Die stärkern Längsstreifen dagegen sind
[1864. I. 4] 22
320 SUemg der math.-phy$. (Masse vom 7. Mai 1864.
stellenweise parallel, wohl auch nach einer Seite fächer-
förmig ans einander weichend und dabei sich verzweigend;
meistens aber sind sie etwas hin and her gebogen, hin and
wieder verzweigt und mit einander anastomosirend. Es hat
zuweilen den Anschein, als Qb die unregelmässigen stärkern
aus den zarten gekreuzten Längsstreifen so entständen, dass
die einen Linien des Netzes in anregelmässiger Zickzack-
folge sich weiter entwickelten, die andern unterdrückt wür-
den. — Die starken Längsstreifen sind abwechselnd die
einen breit und weisslich, die andern schmal und spalten-
ähnlich. Die erstem erscheinen meist unregelmässig-ge-
gliedert, aus dichten und weichern Stellen bestehend. Zu-
weilen ist die Gliederung regelmässig und deutlich, und in
einzelnen Fällen erkennt man bestimmt, dass dieselbe durch
zwei sich kreuzende Systeme von Querstreifen erzeugt wird
(Fig. 18). Ob die stärkern Längsstreifen bloss durch un-
gleiche Dichtigkeit hervorgebracht werden, oder ob dabei
auch eine ungleiche Verdickung oder selbst Biegung und
Faltung der Membran in's Spiel komme, muss ich dahin
gestellt sein lassen.
Das farblose Rindenparenchym, welches in Zweigen der
Rothtanne (Abi es excelsa) innerhalb der Epidermis und
ausserhalb des grünen Parenchyms sich befindet, lässt netz-
förmige Streifung erkennen. Das Netz besteht aus schmalen
rhombischen Maschen und wird in einzelnen Fällen ziemlich
deutlich aus zwei Systemen paralleler Streifen gebildet,
welche sich unter einem Winkel von 10 — 20° kreuzen. Das
Netz hat fast jede mögliche Neigung zur Zellenaxe, indem
es bald steilspiralig, bald flachspiralig, bald horizontal ge-
richtet ist. Die Richtung übt aber keinen Einfluss auf die
Ausbildung des Netzes; dasselbe kann bei jeder Neigung
sowohl regelmässig als unregelmässig sein. Bald erscheint
es äusserst zart, bald ziemlich stark, als ob es aus wirk-
lichen engen Netzfasern gebildet würde.
Nägdi: Innerer Bau wgetabiUeeher ZeHenmembranen. 321
Die beiden Streifensysteme, deren Kreuzung das Netz
hervorbringt, scheinen in der gleichen Fläche zu liegen. In
der Regel bilden sie die einzige Zeichnung der dünnen
Wandung zwischen zwei Zellen, so dass wahrscheinlicher
Weise nur in der einen der beiden mit einander vereinigten
Membranen die Streifung ausgebildet ist. — Diese. Ansicht
wird dadurch plausibel gemacht, dass zuweilen ausser der
genannten netzförmigen Streifung noch eine zweite zartere
Streuung , die in entgegengesetzter Richtung verläuft , be-
obachtet wird. Von derselben blieb es zweifelhaft, ob sie
ebenfalls netzförmig und aus zwei sich kreuzenden Systemen
gebildet sei oder nicht.
Ganz ähnliche netzförmige Streifung kommt auf der
Wandung der Gefasse im Holze der Pappelwurzel vor. Ich
werde später dieselbe naher beschreiben.
m
3. Epidermlszellen der Phanerogamen.
Ich spreche hier nur von der Aussenwand der Epider-
miszellen, welche *zum Theil sich analog wie die übrigen
Membranen des Parenohyms, zum Theil etwas abweichend
verhält. Ihre Seitenwandungen unterscheiden sich nicht von
den im Innern des Gewebes liegenden Zellen.
Der Längsschnitt durch das Blatt von Hyacinthus
orientalis Lin. zeigt auf der äussern Wand der Oberhaut-
zellen sehr zarte und äusserst regelmässige, genau parallele
und häufig gleichweit von einander entfernte Querstreifen,
welche die Membran rechtwinklig durchbrechen (Fig. 16).
Wenn sie am stärksten ausgebildet sind, so ist der einzelne
nicht über 1,2 Mik. breit; häufig sind sie beträchtlich
schmäler. Diese Querstreifen reichen nach aussen bis zu
der innersten Schicht, welche viel dichter als die übrige
Zellwand ist, und wegen der sie kreuzenden Querstreifen oft
einer Reihe von Knötchen gleicht. In der übrigen Membran
sind sie zwar schwächer ausgebildet, aber doöh treten sie
22*
322 Stonmg der maih.-phys. (Kernt vom 7. Mai 1664.
oft noch deutlicher hervor als die äusserst zarten Schichten,
welche man in der Zahl von 2 bis 5 zwischen der innersten
and der Guticula beobachtet.
Auf frischen Längsschnitten ist die innerste dichte
Schicht meist etwas gekerbt (Fig. 16). Die Kerben sind
zuweilen sehr schmal und gedrängt, zuweilen breiter. Im
entern Falle trifft jeder weiche Querstrafen, im zweiten
je der zweite, dritte, vierte n. s. w. auf eine Einkerbung.
Läset man die Schnitte austrocknen, so wird die Kerbung
viel stärker. Entfernt man die übrigen Membranen, so
dass die Aussenwand der Epidermis isolirt ist, so krümmt
sie sich, mit Wasser befeuchtet, stark nach aussen und
die Kerben der innersten Schicht verschwinden gänzlich
oder doch grösstenteils.
Betrachtet man die Oberhautzellen von der Fläche
(Fig. 17), so erscheinen etwas gebogene, hin und wieder
verzweigte Querstreifen, welche den Kerben des Profils ent-
sprechen. Die einen sind breiter und bläulich weiss, die
andern schmal, spaltenförmig und röthlich; jene stellen die
Erhabenheiten, diese die Einschnitte der Kerbung dar.
Trocken ist diese Streifung ebenfalls viel stärker und deut-
licher als im befeuchteten Zustande. Ausserdem kommen
auch zarte Längsstreifen vor (Fig. 17).
Die innere Wand der Epidermiszellen, sowie noch tiefer
liegende Wände des Gewebes zeigen zuweilen, wie ich be-
reits oben bemerkt habe, ganz ähnliche Querstreifung so-
wohl im Profil als in der Flächenansicht.
Die Epidermiszellen der trockenen, reifen Fruchtwandung
von Fedia Gornucopiae Vdhl. erheben sich nach aussen
mehr oder weniger kegelförmig. Von der Fläche betrachtet,
lässt die Aussenwand zarte radiale Streifen wahrnehmen,
welche sich nach aussen verzweigen. Der Querschnitt durch
die Aussenwand zeigt Streifung, welche rechtwinklig durch
die Membran geht und an der dünnen Guticula aufhört
NägeU: Immer Bam vtgetab&tcker ZeOermembrantn, 323
Sie ist die Profilansicht der auf der Flächenansicht undeut-
lichen concentrischen Streifen.
An der Epidermis des Blattes von Agave americana
IA*. (Fig. 11) bildet die Cuticola (die sog« Cuticularschich-
ten) eine dicke Membran (c), welche nach innen starke
Fortsätze zwischen den äussern Theil der Epidermiszellen
ausschickt. Innerhalb der Guticula und zwischen jenen Fort-
sitzen derselben befindet sich der unveränderte Theil der
Aussenwand, in welchen das kegelförmige Lumen hineinragt.
Die innerste Schicht der Guticula und ihrer Fortsätze ist
dichter, zuweilen etwas wellenförmig oder gekerbt; die letz*
tern bestehen manchmal Jbloss aus zwei Blättern dieser
dichten Schicht. Sie sind auf Durchschnitten quergestreift
und zwar besonders deutlich an der dichten Grenzschicht,
während in der mittleren weichern Masse die Streuung
mehr oder weniger zurücktritt. Von der übrigen Guticula
ist nur die innere Grenzschicht zuweilen quergestreift (a).
Der nicht cuticularisirte innere Theil der Wandung
ist oft deutlich geschichtet und die Schichten rechtwinklig
von Streifen durchsetzt, welche sich an die Querstreifen der
Cuticulafortsätze anschliessen und als deren Fortsetzungen
zu betrachten sind. Diese Querstreifung fallt besonders an
der innersten dichtem Schicht in die Augen, welche in eine
Reihe von Knötchen aufgelöst ist (b). Es kann auch eine
einzelne Schicht zwischen den übrigen durch Dichtigkeit sich
auszeichnen und die nämliche schöne Querstreifung zeigen.
— Die kegelförmige Verlängerung der Zellhöhlung ist auf
der Flächenansicht mit Streifen gezeichnet, welche von den
im Profil sichtbaren Knötchen der innersten Schicht aus-
gehen und denselben entsprechen (d). — Die dünnen Seiten-
wände der Epidermiszellen lassen im Profil die Querstreifiing
oft eben so schön sehen, wie die innerste Lamelle der
Aussen wand, als deren Fortsetzung sie sich kundgeben.
Es giebt verschiedene Epidermiszellen , die in dem in-
324 aammg der moih.-phps. Ootse vom 7. Mai 1864.
nern Theile ihrer Aussenwand Linien erkennen lassen, welche
die Schichten quer durchsetzen. Sie sind von Mo hl an
Hakea abgebildet (Vermischte Schriften Taf. X. Fig. 18)
und als Tüpfelkanäle erklärt, auch dazu benutzt worden,
um weitere Schlüsse für die morphologische Deutung des
betreffenden Membrantheiles zu ziehen. Schacht zeichnet
sie ebenfalls an verschiedenen Pflanzen (II ex, Gaster ia,
Hakea, Hechtia, vgl. Anat. Phys. Taf. III) und nennt
sie Tüpfelkanäle.
Ich habe diese Erscheinung nur an den Blättern von
Hakea untersucht, hier aber mich von der Unrichtigkeit
der bisherigen Deutung überzeugt Bei Hakea pectinata
Dum. sind die Epidermiszellen in der Axenrichtung der
Blattlappen verlängert, und es zeigen Quer- und Längs-
schnitt in besondern Fällen ein ungleiches Verhalten der
porenähnlichen Querstreifen. Auf Querschnitten ist der in*
nere gestreifte Theil der Aussenwand gewölbt und die
Streifen in der Mitte am stärksten und längsten (Fig. 14).
Auf Längsschnitten zeigt sich der innere Theil der Wandung
an den beiden Enden am mächtigsten und mit Streifen
versehen; in der Mitte ist derselbe dünner und nicht oder
kaum gestreift (Fig. 15).
Auf der Flächenansicht (Fig. 13) bieten diese Streifen
eine sehr mannigfaltige Zeichnung dar. Im Allgemeinen sind
es verzweigte und anastomosirende Linien von etwas ge-
schlängeltem Verlaufe und mehr oder weniger radienformiger
Anordnung. Oft gehen sie von einem centralen oderexcen-
trischen Mittelpunkte aus. In sehr langgestreckten schmalen
Zellen können die Strafen um zwei Mittelpunkte gruppirt
sein, welche sich nahe den Zellenenden befinden und durch
parallele Längsstreifen verbunden sind, an die sich zuweilen
noch zarte Querstreifen seitlich anschliessen. Solche Zellen
entsprechen der in Fig. 15 gegebenen Abbildung.
Bei Hakea Baxteri JB. Br. sind die Streifen des
Nagelt: Innerer Bau vegetabilischer Z&enmembranen. 325
Querschnittes besonders stark,' mangeln aber dem innersten
nicht cuticularisirten Theile der Zellmembran (Fig. 20). Die
Flächenansicht ist ähnlich wie bei H. pectinata, und sind
die Zeichnungen womöglich noch mannigfaltiger und unregel-
mässiger (Fig. 19). Gewöhnlich sind es die schmälern,
8paltenähnlichen Streifen von rechlicher Farbe, welche sich
verzweigen und mit einander anastomosiren , seltener die
breitern weisslichen Streifen.
Dass diese Streifen in der Aussenwand der Epidermis
bei Hakea, und ohne Zweifel auch bei andern Pflanzen,
keine Porenkanäle sind, ergiebt sich unzweifelhaft aus der
Flächenansicht. Dagegen muss ich unentschieden lassen, ob
es Lamellen aus weicherer Substanz oder wirkliche Bisse
seien, welche durch ungleiches Wachsthum oder durch das
Austrocknen veranlasst wären.
Erklärung der Tafeln.
Die in ( ) eingeschlossenen Ziffern geben die Vergrößerung an.
1, 2. Constrnotionen , um ans dem Abstand und der Neigung
der primären Streifen gegen einander den Abstand und die Neigung
der seeundären Streifen zu bestimmen (Pag. S09).
3 — 7. Schematische Darstellung von gestreiften Flächen (Pag. 294).
8 Schematische Darstellung eines kleinen aus einer Zellmem-
bran in Gedanken herausgeschnittenen Stückes (Pag. 296).
9 (900). Zellmembran von Chamaedoris annulata Montaigne
Ton der Fläche gesehen (Pag. 312).
10 (900). Dieselbe im Querschnitt (Pag. 315).
11 (1200). Querschnitt durch die Aussenwand der Epidermis-
sellen des Blattes von Agave amerioana Lin. (Pag 823.) c Cuti-
oula; a innerste Schicht derselben; b die innerste Schicht des nicht
cuticularisirten Theils der Membran; d Streifung dieser Schicht von
der Flache gesehen, auf der hintern Seite der kegelförmigen Aus-
buchtung der Zellhöhlung; e seitliche Wand zwischen zwei Epider-
mi8zellen.
12 (760). Epidermi8zelle des Blattes von Hakea pectinata
Dt/m. Cowrs. parallel der Oberfläche durchschnitten (Pag. 324) p
Porenkanäle.
326 Sitzung der math.-pkys dorn vom 7. Mai 1864.
18 (500). Zwei EpidermisseUen der gleichen Pflanze, von aussen
gesehen (Pag. 824).
14 (600). Querschnitt durch solche Epidermiszellen mit den
porenähnlichen Streifen (Pag. 324).
16 (600). Läng8sohnitt durch dieselben (Pag. 824).
16 (1000). Aossenwand der Oberhautzellen im Längsschnitt des
Blattes Ton Hyacinthua orientalis Lin. (Pag. 321).
17 (1000). Die nämliche Zellmembran im trockenen Zustand von
der Fläche gesehen (Pag. 322).
18 (1400). Zellmembran aus dem Fruchtfleische von Hymenaea
Courbaril Lin. von der Fläche (Pag. 319).
19 (1000). Epidermiszellen des Blattes von Hakea Baxt er i
& Br., von aussen gesehen (Pag. 324).
20 (700). Dieselben im Querschnitt mit den porenähnlichen
Streifen (Pag. 824).
21 (1000). Innere Samenhaut von Platypodium spec; man
sieht eine Zellmembran von der Fläche, die übrigen im Durchschnitt
(Pag. 816).
Historische Clässe.
Sitzung vom 28. Mai 1864.
Herr Föringer theilte eine Notiz über zwei Abhand-
lungen des Herrn von Koch-Sternfeld and eine von Herrn
Professor Sighart, corresp. Mitglied, eingesendete Abhand-
lung mit:
„(Jeber ein aus Wachstafeln bestehendes
Buch v. J. 1340".
Das Buch stammt aus dem Kloster Polling, enthält
Bandbemerkungen in deutscher Sprache und betrifft Leist-
ungen von Victualien.
Dieselbe wurde für die Denkschriften bestimmt.
Einsendungen von Druckschriften. 827
Einsendungen von Druckschriften.
Vom Verein sur Beförderimg de§ Gartenbaues m de» h. preussisehen
Staaten m Berlin:
Wochenschrift für Gärtnerei und Pflanzenkunde. Nr. 17 — 24. April-
Juni 1864. 4.
Vom landwirtschaftlichen Verein in München:
Zeitschrift. Juni. Juli 6. 7. 1864. 8.
Von der Acadbnie des eciencee in Paris:
Comptes rendufl hebdomadaires des seances. t. 58. N. 16. 17. 18. 19.
Avril, Mai 1864. 4.
Von der SocUti tfRistoire de la Suisse Bomane in Lausanne :
Memoire» et Documenta t. 18. 19. 1868. 1864. 8.
Von der pfälzischen Gesellschaft für Fharmacie in Speyer:
Neues Jahrbach. Bd. 21. Heft, Juni. 1864. 8.
Von der Academia real das sciencias in Lissabon:
a) Historia e Memorias. Classe de Bciencias moraes , politicas e
bellas-lettras. Nova Serie, t 8. Parte 1. 1868. 4.
b) Memorias. Classe de sciencias mathematicas, physicas et naturaes.
Nova Serie, t. 2. p. 1. 2. t. 8. p. 1. 1861. 1868. 4.
Von der SocUU d' Anthropologie in Paris:
Bulletins, t. 5. 1. Fase. Janvier — Mars 1864. 8.
S28 Einsendungen von
Von der Geschichte' und AUerthumsforschenden Gesellschaft des Oster-
lande* in JUenburg:
Mittheilungen. 6 Bd. 1. Hft. 1863. 8.
Vom historischen Verein des Kantone Bern:
a) Archiv. 5. Bd. 1—6. Heft. 1862. 1863. 8.
b) Neujahrsblatt für die bernische Jugend 1862. Die Berner in
Veltlin unter ihrem Heerführer Nikolaus von Mülinen. 1862. 4.
c) Der Friedenscongress von Frankreich und dem deutschen Reiche
zu Baden im Aargau im Sommer 1714; nach K. J. Dorer's Tage-
buch herausgegeben von Ludwig Lauterburg, Grossrath. 1864. 8.
ä) Die feierliche Erneuerung des Bürgerrechtes der Münsterthaler
mit Bern den 24 Septbr. 1743. Von Franz Ludw. Haas. 1863. 8.
Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin:
Zeitschrift 15. Bd. 4. Hft. 16. Bd. 1. Hft. 1864. 8.
Von der SoeiHi Linneenne de Normandie in Com:
a) Memoire*. Annees 1862—63. 1864. 4.
b) Bulletin. 8. Yolume. Annee 1862—63. 1864. 8.
Von der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft in Königsberg:
Schriften. 4. Jahrg. 1863. 2. Abthlg. 1863. 4.
Vom Istituto Veneto di scienze, teuere ed arti in Venedig:
a) Memorie. Vol. 11. Part. 2. 1863. 4.
b) AttL t. 8. 9. Serie 8. Dispensa 11. 1862. 63. 8.
Von der k. ft. geologischen ReichsansjaU in Wien:
Jahrbuch 1863. 18. Bd. Nr. 4. Oktbr. Novbr. Dezbr. 8.
Von der k. k. geographischen Gesellschaft in Wien :
Mittheilungen. 6. Jahrg. 1862. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 329
Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien:
a) Denkschriften. Mathematisch-naturwissenschaftliche Classe. 22. Bd.
1864. 4.
b) Sitzungsberichte. Philosophisch-historische Gasse.
Jahrg. 1863. März— Juli. Oktbr. 8.
42. Bd. Hft. 1. 2. 8.
*•• ii » L 2.
44. n n 1.
o) Sitzungsberichte. Mathematisch-naturwissenschaftliche Classe.
47. Bd. Hft. 4. 6. Schluss.
Erste Abthl. 48. Bd. Hft. 1—3. Juli— Oktbr. 1863.
Zweite „ 48. „ „ 1—4 Mai— Novbr. 1863. 8.
d) Archiv für Kunde österreichischer Geschieh ts- Quellen. 30. Bd.
1. und 2. Hälfte. 1863. 8.
e) Fontes rerum austriaoarum. Oesterreichische Geschiohts-Quellen.
1. Abth. Scriptores. 4. Bd.
Siebenbürgische Chronik des Schässburger Stadtschreibers Georg
Kraus«. 2. Theil 1864. 6.
f) Almanach. 13. Jahrgang. 1863. 8.
Von der Commission imperiale Archeohgique in St. Petersburg:
Compte - Rendu ponr Pannee 1862. (Avec un Atlas) 1863. 4.
Vom Verein für Kunst und JUerthum in Ulm :
15. Veröffentlichung. 1664. gr. fol.
Von der geofogieal Survey of Indio. Oeological Museum in Calcutta :
a) Memoire. Palaeontologia Indica. Vol. 6. Ser. 2. Vol. 1. Ser. 3. 4.
b) Annual Report for the year 1862. 63. 8.
Von der Linnean Society in London:
a) Transacüons. Vol. 24. Part. 2. 1863. 4
b) Journal of the Proceedings. Vol. 7. Botany Nr. 27. Zoology
Nr. 27. Oktbr. 1863. 8.
c) Address of George Bentham, Esq. F. R. S. Read at the anniver-
sary meeting on Monday, May 25. 1863. 8.
d) List of the Linnean Society. 1868. 8.
330 Einsendungen von Druckschriften.
Vom naturhistorischen Verein der preuss. Bheinlande und Westphalens
in Bonn:
Verhandlungen, 20. Jahrg. 1. und 2. Hälfte. 1863. 8.
Von derAcademe imperiale dcssciences, beUes4ettres et arte in Bauen:
Prelis analytique des travaux, pendant l'annee 1862—1863. 8.
Von der St. GaUischm naturwissenschaftlichen Gesellschaft in St.
Gauen:
Bericht über die Thätigkeit derselben während des Vereinsjahres
1862—68. 8.
Vom Committee of ine overseere of Harvard College in Boston:
Report appointed to visit the observatory in the year 1863. Submit-
ted January 28. 1864. 8.
Vom historischen Verein von und für Oberbayern in München:
Oberbayerisches Archiv. 23. Bd. 1863. 8.
Von der Asiatic Society of Bengal in Calcutta:
a) Bibliotheca Indica a Collection of Oriental Works. Nr. 196—200.
New Series Nr. 88-41. 1863. 8.
b) Journal. Nr. 292. Nr. 4. 1863. New Series. Nr. 118. &
Vom historischen Verein fürOberpfaU und Begensburg inBegensburg:
Verhandlungen. 22. Bd. der gesammten Verhandlungen und 14. Bd.
der neuen Folge. 1864. 8.
Vom naturhistorisch-medisinischen Verein in Heidelberg:
Verhandlungen Bd. 8. 8. 1863/64. 8.
Vom Verein für hessische Geschichte und Landeskunde im Kassel:
a) Zeitschrift. Bd. 10. Hfl. 1 und 2. 1868. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 331
b) Ifittheilungen an die Mitglieder des Vereins. Nr. 9 — 11. April,
Juli, Oktbr. 1863. 8.
c) Mittheilungen des Hanauer Bezirkrereins. Nr. 8. Historische Bei-
träge zur Geschichte der Schlacht bei Hanau am 80. und 81.
Oktbr. 1818. Bearbeitet und zusammengestellt von G. W. Roeder.
1868. 8.
Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen:
a) Gelehrte Anzeigen. 22—26 Stück. Juni 1864. 8.
b) Nachrichten von der k. Gesellschaft der W. und der G. A. Uni«
versitat. Nr. 9. 10. Juni 1864. 8.
Von der natural History Society of Dublin:
Proceedings for the session 1862—1863. Vol. 4. Part. 1. 1864. 8.
Von der Entomological Society in London:
Transactions. Third Series. Vol. 1. Part. 8. 1863. 8.
Von der Royal Asiatic Society in London:
Journal. Vol. 20. Parts. 3 und 4 1868. 8.
Von der Royal geographica! Society in London:
a) Journal. Vol. 32. 1862. 8.
b) Proceedings. Vol. 8. Nr. 2. February 1864. 8.
Von der Society of Antiguaries of ScoÜand in Edinburgh:
Proceedings. Vol. 4. Part. 2. 1863. 8.
Von der Qeological Society in London:
Quarterly Journal. Vol. 20. Part. 1. Nr. 77. February 1864. 8.
Von der Chemical Society in London:
Journal. Serie 2. Vol. 1. 2. Decbr. 1863— March 1864. 8.
332 Einsendungen «oft Druckschriften.
Von der Redaktion des CorreepondenMattes für die gelehrten und
Realschulen in Stuttgart:
Blatt. Nr. 2—5. Febr.-May 1864. 8.
Von der Universität in Heidelberg:
Jahrbücher der Literatur. 57. Jahrg. 2—4 Heft. Febr. März. ApriL
1864. 8.
Vom U. 8. Nacal Obecrvatory in Washington:
Astronomical and Meteorological Observations. The year 1862.
1863. 4.
Von der h. bayer. Central- Thierarmeischule in München:
Thierärztliche Mittheilungen 4. Heft. 1863/64. 8.
Von der Historisch Genootschap in Utrecht:
a) Werken. Kronijk 1862. Blad 22—33.
„ 1863. „ 1-18. 1863. 8.
b) Werken. Berichten. 7 DeeL 2. Stuk. Blad 22—83. 8.
c) Werken. Nieuwe Serie. Nr. 2. Verbaal von de Buitengewone Am-
bassade van Jacob van Wassenaar-Duivenvoorde, Arnout van
Gitters en Everard van Weede van Dykveld naar Engeland in
1685. 1863. 8.
Vom Institut Royal MSUorologique de Pays-Bas in Utrecht:
Meteorologische Waarnemingen in Nederland en zijne Bezittingen
en Afwijkingen van Temperatunr en Barometerstand op Tele
plaatsen in Europa. 1862. 1863. 8.
Von der k. Akademie der Wissenschaften in Amsterdam:
a) Jaarboek 1862. 1863. 8.
b) Verhandelingen. Afdeeling Letterkunde. Deel II. 1863. 4.
c) Verslagen en Mededeelingen. Afdeeling Letterkunde. Deel. 7.
1863. 8.
d) Verslagen en Mededeelingen. Afdeeling Natuurkunde. Deel 15.
und 16. 1863. 64. 8. *
Einsendungen von Druckschriften. 333
e) De lebetis materie et forma ejusque tutela in macliinifl yaporis yi
agentibus. 1868. 8.
f) Catalogue du cabinet de monnaies et m6daiües. 1868. 8.
g) Hutoire des Pnmnces-Unies des Pais-Bas, depuis le parfait
Etablissement de cet etat par la paix de Munster par M. Ab-
raham de Wicquefork Publice par M. L. Ed. Lenting. t. 1.
1861. 8.
Van der allgemeinen geschiehtsforsehenden Gesellschaft der Schweig in
Bern:
Schweizerisches Urkunden-Register. 1. Bd. 1. Hft. 1868. 8.
Vom Institut historique in Paris:
L'investigateur Journal. Trente-Unieme Annee. t 4. 4. Serie.
864 livraison. Hai 1864. 6.
Von der SoctiU des Antiquaires de Pieardie in Paris:
Memoire«. Deuxieme Serie, t 9. 1863. 8.
Van der Helllandsehen Maatsehappij der Wetensehappen in Hartem:
Natuurkundige Verhandelingen. 18. Deel. (Tweede Veraameling.)
1863. 4.
Vom Comüe der Versammlung van Berg- und Hüttenmännern eu
Mdhrisch-Ostrau :
Bericht über die dritte allgemeine Versammlung. 14 — 18. Sept. 1868.
Wien 1864. 8.
Von den Herrn Jos. Böhm und Maris JJU in Prag :
Magnetische und meteorologische Beobachtungen zu Prag. 24 Jahrg.
Vom 1. Jan. — 31. Dezbr. 1863. 1864. 4.
Vom Herrn Friedrieh van Alberti in Stuttgart:
Ueberblick über die Trias mit Berücksichtigung ihres Vorkommens
in den Alpen. 1864. 8.
334 Eineendungen von Druckschriften.
Vom Herrn Th. Scheerer in Berlin:
a) Ueber den Astrophyllit und sein Verhältnis« zu Angit und Glim-
mer im Zirkonsyenit, nebst Bemerkungen aber die platonische
Entstehung solcher Gebilde. 1864. 8.
b) Vorläufiger Bericht über krystallinische Süikatgesteine desFassa-
thales and benachbarter Gegenden Südtyrols. 1864. 8.
Vom Herrn Ferdinand Mütter in Melbourne:
Fragmenta Phytographiae Aostraliae. VoL 8. 1862. 1868. 8.
Vom Herrn Adolph Friedr. Riedel in Berlin:
Koyus codex diplomatioos Brandenburgensis. Erster Haupttheil oder
Urknndensammlang zur Geschichte der geistlichen Stiftungen,
der adeligen Familien, sowie der Städte und Burgen der Mark
Brandenburg. 24. 26. Bd. 4
Vom Herrn W. Dollen in St. Petersburg:
Die Zeitbestimmung vermittelst des tragbaren Durchgangsinstruments
im Verücale des Polarsterns. 1868. 4.
Vom Herrn Joh. Vesgue von PutÜingen in Wien:
Das musikalische Autorrecht. Eine juristisch -musikalische Abhand-
lung. 1864 8.
Vom Herrn Bdbert Main in Oxford:
m
Astronomical and meteorological observations made at the Radcliffe
observatory Oxford, in the year 1861. Vol. 21. 1864. 8.
Vom Herrn Alfred Beumont in Born:
Cause diplomatiche italiane a proposito delF opera „oauses celebres
du droit des gens del Barone di Martens", memoria. 1864 8.
Vom Herrn A. Grunert in Greif ewald:
Archiv für Mathematik und Physik, 41. Thefl. 4. Hft. 1864. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 335
Vom Herrn Christian August Brandts in Berlin:
Geschichte der Entwicklung der griechischen Philosophie und ihrer
Nachwirkungen im römischen Reiche. 2. Hälfte. 1864. 8.
Vom Herrn QuesneviUe in Paris: -
Le moniteur scientifiqne du chimiste et du manufaoturier. t. 6. 179.
180. 181. Livraison. Armee 1864 8
Vom Herrn Julius Braun in München:
Naturgeschichte der Sage. 1864. 8.
Vom Herrn V. Bitter von Zepharovich in Wien:
a) Erystallographische Studien über den Idokras. 1864. 8.
b) DieEry8tallformen des unterschwefligsauren Kalkes. CaO, Sf0t-+-6Aq.
1862. 8.
c) Erystallographische Mittheilungen aus dem Laboratorium der
Universität zu Graz. 1863. 8.
d) Berichtigung und Ergänzung meiner Abhandlung über die Kry-
stallformen des Epidot in dem 34. Bd., Jahrg. 1859 der Sitz*
ungsberichte d. k. Akad. d. W. in Wien. 1862. 8.
e) Ueber die Krystallformen des zweifach ameisensauren Kupferoxydes
und des ameisensauren Kupferoxyd-Strontian. 1861. 8.
Vom Herrn B. Hidiber in Bern:
Gesammelte kleinere historische Aufsätze. 1864. 8.
Vom Herrn F. GoUardeau in Baris:
Origine d'un deficit annuel de plusieurs millions pour l'ätat et pour
une classe de oommercants. Urgence d'un controle des areo-
metres. 1864. 8.
Vom Herrn G. Bruch in Frankfurt a. M.:
Der zoologische Garten, Zeitschrift für Beobachtung, Pflege und
Zucht der Thiere. Kr. 2—6. 5. Jahrg. Febr.— Juni 1864. 8.
[1864. 1. 4.] 23
Sach - Register.
Aedelfonit 72.
Alaya 68.
Algen 287.
Antdkerisammlungen in München, Beiträge zu deren Geschiente 1.
Aatrograph 103.
Berberin 61.
Buddhismus, dessen Gottesbegriff 88.
Buddhas, die 89.
Buddhas, die der Beschauung 92.
Chemie 58. 79. 107. 167. 207. (ökonomische) 279.
China unter den drei ersten Dynastieen 102.
Desinfection 281.
Dilatometer 158. *
28*
338 Sach-Btgister.
Federwage zu exacten Wägungen 162.
Fränkische Reichsannalen des Karolingißchen Zeitalters 82.
Frost, dessen Einfluss auf Kartoffeln 177.
Fluorescenz des menschlichen Harnes 182.
Geologie-Palaeontologie 215.
Geschichte:
chinesische 102.
deutsche 82. 170.
geistl. Ritterorden 184.
Harn, menschlicher 115.
dessen Nitrithaltigkeit 119.
dessen Veränderungen wahrend seiner G&hrung 140.
Harnpilze 123.
Heizungsmaterial 280.
Indigotinctur, durch Wasserstoffschwefel entfärbt, ein Reagens auf
Wasserstoffsuperoxyd 118. 136.
Interpolationsformeln für Wasservoliunina bei Temperaturen von
28—50o und von 60— 80oC. 151.
Kartoffeln 177.
Knochenbett (Bonebed) und Pflanzenschichten Frankens 216.
Kupfer, verbesserte Methoden in dar Trennung und Bestimmung
desselben 79.
Meridiankreis 1.
Mineralogie 72.
München 1.
Sach-Begister. 389
Haturphilosophie Schellings, ihre Bedeutung 207.
Oei, ätherisches von Abies Reginae Amaliae 67.
Pflanzenphysiologie 282.
Reagens höchst empfindliches auf das Wasserstoffsuperoxyd und die
salpetrigsauren Salze 118.
Respiration von landwirtschaftlichen Hausthieren 207.
Rhaetische Stufe 219.
Säcularisation des Kirchengutes unter den Karolingern 170.
Schädelumfang und Gehirngewicht 13.
von Männern 19.
von Weibern 26.
an frischen Leichen von Männern 48.
Schädelinnenraum und Gehirngewicht
von Männern 41.
von Weibern 43.
Sphenoklas 76.
Schwefelverbindungen organische, eine neue Classe derselben 167.
Stickstoff der Nahrung durch Nieren und Darm ausgeschieden 210.
Templerorden 184.
Torfkohle 279.
Turpethharz 53.
Turpethin 56.
Turpetholsäure 58.
340 Sach-Repister.
Turpetholsaures Natron 60.
Turpetholsaurer Baryt 60.
Turpethsäure 56.
Wachstafeln von Polling aus dem 14. Jahrhundert 826.
Wasser, dessen Ausdehnung von 30 — lOOoC. 141.
Wasserstoffschwefel 107.
seine Zerlegung 108.
Wasserstoffsuperoxyd im menschlichen Körper 134
Zellenmembranen vegetabilische, ihr innerer Bau 282.
1. Zellencryptogamen 307.
2. Parenchymzellen der Phanerogamen 317.
3. Epidermiazellen der Phanerogamen 821.
Namen-Register,
Becken 207.
Berger 220.
Bidder 210.
Bischoff 13. 210.
Braun 221. 224.
Buchner 63. 61. 67.
Carus 40.
Christ 1.
Credner 223.
Döllinger 184. 186.
Föringer 326.
Giesebrecht 82.
Gümbel 215.
Henneberg 210.
Jolly 141. 162.
Kirchner 220
Kobell, von 72.
Koch -Sternfeld, von 326.
Kolbe (in Marburg) 167.
Kopp 160.
Küster 229.
342 NamenrRcgisUr.
Lehmann 210.
Liebig, von 167. 186. 213.
Martius, von 187. 193.
Mohl 282.
Mohr 79.
Münster, Graf von 220. 221.
Nägeli 282.
Oppel 218.
Ferring 61.
Pettenkofer 107. 115. 207.
Pierre 160.
Plath 102.
Ranke 210.
Regnault 208.
Reiset 207.
Rose, Heinrich (Nekrolog) 192.
Roth 170.
Schenk 276.
Schlagintweit, E. von 83.
Schmidt 210.
Schmöger, von (Nekrolog) 196.
Schönbein (in Basel) 107. 113 115. 182. 134
Sighart 326.
Spirgatis (in Königsberg) 53.
Steinheil von 1. 103.
Süss 218.
Togel jun. 177. 279.
Voit 210.
Wagner 51.
Zipser von (Nekrolog) 195.
1
\
d^¥
Sitzungsberichte
der
königl. hayer. Akademie der Wissenschaften
zu München.
Jahrgang 1864. Band II.
München.
Druok toh F. Straub (WittelibacherpUt* S).
1864.
In CommiMion bei 6. Frans.
Uebersicht des Inhaltes.
DU Bit * WitiefcMtoB Vortrlf • si»4 o*u Aula*.
Hol. Glosse. Sittung vom 4. Juni 1864.
Halm: Ueber einige controverse Stellen in der Germania des
Tacitus 1
vom 2. Juli 1864.
Steub : Zar Erklärung etnukischer Inschriften 42
Prantl: Ueber den Unirersalianstreit im 18. und 14. Jahr-
hundert 58
Thomas: Ueber handschriftliche renerianisohe Chroniken und
den Lateinenug nach einer solchen 67
Einsendungen ron Drucksohriflen 81
m*
IV
Seite
Mathematisch-physikalischeClasse. Sitzung vom 28. Mail864.
♦Pettenkofer: Ueber Fleisch- und Fettnahrung beim Hunde 91
Sitzung vom 9. Juli 1864.
f Lamont: 1) Ueber den Einfluss des Mondes auf die Magnet-
nadel (mit 3 lithograph. Tafeln) 91
2) Ueber die jährliche Periode des Barometers 97
3) Ueber die zehnjährige Periode der magnetischen
Variationen und der Sonnenflecken 109
{Nägeli: Ueber den innern Bau vegetabilischer Zellenmem-
branen (mit 3 Tafeln) 114
Historische Classe. Sitzung vom 16. Juli 1864.
*Valentinelli: Regesten zur deutschen Geschichte ans den
Handschriften der S. Marcus-Bibliothek 171
*Riehl: Ueber das Verhältniss der Geschichtsquellen zur
mittelalterlichen Architeotur 171
*v. Hefner- Alten eck: Ueber Auffindung der Originalent-
wurfe zn den Prachtrüstungen der
Könige Franz I. und Heinrich H.
von Frankreich 171
Seite
Oeffenüiche Sitzung zur Vorfeier des Allerhöchsten
Geburts- und %Namensfestes Seiner Majestät des
Königs Ludwig IL am 25. Juli 1864 ... 173
Neuwahlen 176
Fküosophisch^phüologische Classe. Sitzung vom 5. Nov. 1864.
Hofmann: Ueber den Meier Helmbrecht 181
Mathematisch-physikalische Glosse. Sitzung vom 12. Nov. 1864.
v. Martins: Ueber phosphorsaure Thonknollen (Koprolithen?)
von Leimendorf 191
Wagner: Ueber die anthropologischen Entdeckungen im ge-
schichteten Diluvium bei Abbeville 19S
Vogel: a) Ueber die Umwandlung der Vegetation durch Ent-
wässerung 200
b) Ueber die Umwandlung des Starkmehls durch
den Keimprozess 206
H. v. Sehlagintweit-Sakünlünsky: Beobachtungen über
den Einflaes der Feuchtigkeit auf die
Insolation, in Indien und Hochasien . 216
Buhl: Ueber die Aetiologie des Typhus 247
Sohönbein: Weitere Beiträge zur nähern Kenntnis« des
Sauerstoffe 249
VI
feite
Classe. Sitzung vom 19. November 1864.
•v. Döllinger: Ueber die Beweggründe und Urheber der
Ermordung des Henogs Ludwig von Bayern
Jahre 1281 290
Einsendungen von Draoksehriften 291
Philosophisch-philologische Classe. Sitzung vom 3. Ben. 1864.
Haneberg: Ueber Panische Inschriften 299
/E. Sohlagintweit: Tibetische Inschrift ans dem Kloster
Heinis in Ladak. (Mit 1 Textes-Bei-
läge.) 806
Mathematisch-physikalische Classe. Sitzung vom 10. Dez. 1864.
v. Siebold: Ueber die im Auftrage der königlichen Akademie
der Wissenschaften vorgenommenen vorläufigen
Nachforschungen, um das Vorkommen von Pfahl-
bauten in Bayern festiustellen 818
Qümbel: Ueber ein neu entdecktes Vorkommen von phos-
phorsaurem Kalke in den jurassischen Ablagerungen
von Franken 826
vn
Seite
Bis oh off : Ueber das Verhältnis* des absoluten und specifi-
sehen Hirngewiohts, sowie des Hirnvolumens zum
Schftdelümenraum 847
t. Besold: Zur Lehre vom binocularen Sehen 872
Historische Glosse. Sitsung vom &. Dezember 1864.
Kunstmann: Ueber einen i. J. 1794 in München entwor-
fenen Plan, Bayern mit Hilfe Frankreichs in
eine Bepublik zu verwandeln 881
Einsendungen von Druckschriften 882
Sitzungsberichte
der
königl bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 4. Juni 1864.
Herr Halm hielt einen Vortrag:
„Ueber einige controverse Stellen in der
Germania des Tacitus".
Es kann nicht Wunder nehmen, wenn in einer so
schwierigen Schrift, als die Germania des Tacitus ist,
über Erklärung und Schreibung einer Anzahl von Stellen
noch immer sehr abweichende Meinungen herrschen, nur
glauben wir, dass sich mehrere controverse Punkte mit
ziemlicher Sicherheit feststellen lassen, wenn man nur auf
das achtet, was Tacitus wirklich gesagt hat und nicht einem
Systeme zu lieb seinen Worten einen Sinn unterschiebt, der
mit dem Geiste der Sprache in offenbarem Widerspruche
steht. Das ist nach meinem Dafürhalten an mehreren der
so viel besprochenen Stellen über die principes geschehen,
über welche Stellen es nicht in meiner Absicht liegt ganz
neue Ansichten vorzutragen, sondern nur die Unhaltbarkeit
einiger vielverbreiteten Erklärungen vom sprachlichen Stand-
[1864. U 1.] 1
2 Sitzung der phOos^hüci. CUuse vom 4. Juri 1864.
punkt aus nachzuweisen. Wir berühren zuerst das berühmte
Kapitel 13, dessen Erörterung zu einer förmlichen Literatur
angewachsen ist. Tacitus sagt: Nihil cmtem neque publicae
neque privatae rei nisi armati agunt: sed arma sumere
non ante cuiquam moris quam civifas suffecturum proba-
verit. Tum in ipso concilio vel prineipum cUiquis vel pater
*
vel propinqui scuto frameaque iuvenem ornant; haec apud
Mos toga, hie primus iuventoe honos; ante hoc domus pars
videntur, tnox rei publicae. Insignis nobüitas aut magna
patrum merita prineipis dignatimem etiam adulescentulis
adsignant: ceteris robustioribus ac iom pridem probatis ad-
gregantur, nee rubor inter comites adspici. Ueber die sehr
bestrittenen Worte prineipis dignationem adsignant gibt es
abgesehen von vielen Modifikationen im Einzelnen zwei
Hauptauffassungen. Die einen erklären prineipis dignationem
im Sinne von Geltung (Rangstellung) eines Häuptlings, fürst-
liche Würde (Ansehen), andere im activen Sinne „Würdig-
ung eines Fürsten, Erklärung der Würdigkeit" ; die dignatio
prineipis, sagt man, habe darin bestanden, dass bei den
Eigenschaften, die Tacitus nennt, schon vor einer W ehr-
haft macliung der Fürst die Jünglinge auszeichnete, sie den
Erprobten, Wehrhaftgemachten gleichstellte, d. h. sie in
sein Gefolge aufnahm. Dabei wird besonders betont, dass
die Stelle im engen Zusammenhange mit dem stehe, was am
Eingang des Kapitels von der Wehrhaftmachung gesagt
sei, während andere, welche der ersteren Auffassung folgen,
ganz entgegengesetzt annehmen, dass mit den Worten tn-
signis nobüitas , mit denen Tacitus auf die Schilderung der
comitatus übergeht, ein grösserer Abschnitt beginne. Eine
kritische Uebersicht über die verschiedenen Erklämngen der
Stelle gibt Waitz in seiner deutschen Verfassungsgeschichte
I, 149 ff. und in seinem Aufsatze über die Principes in
den Forschungen zur deutschen Geschichte II, 392 ff. Er
selbst entscheidet sich für die active Auffassung von dig-
Hak*: Controverse 8teUen in der Germama des Tacüus. 3
natio, die von der Mehrzahl der Historiker and Juristen
adoptiert wird, bo grosse sprachliche Bedenken ihr auch ent-
gegenstehen. Entlieh wird bei dieser Annahme die Lesart
der besten Handschrift, des codex Pontani, dignitatem
völlig ignoriert, so geringes Gewicht auch die übrigen Hand-
schriften dieser gegenüber besitzen; 2) wird dem Worte
dignatio ein Sinn unterlegt, den es sonst nirgends bei
Tacitus hat1), und für den auch die wenigen Stellen, in
denen dignatio bei anderen Schriftstellern im activen Sinne
vorkommt, nicht als adäquat erscheinen ; denn in diesen hat
dignatio mehr die Bedeutung „Gnade, Gunst" als „Würdig-
ung. Anerkennung, Beachtung"1); 8) ist der beliebten Auf-
1) 8. Ann. 2, 63. Excepere Qraeci quaesitissimis honoribus, vekra
suorum facta dietaque praeferentes , quo plus dignatumis adulatio ha*
beret. 4, 16 utque glisceret dignatio meerdotum . . decretum etc.
£, 34 8ed ut, sicut locis ordinibus dignationibus antistent, ita iis
quae ad requiem animi parentur. 3, 75 consulatum ei adceleraverat
Augustus, ut Läbeonem Antistium isdem arübus praeceüentem digna-
fkme eius magistratus (durch die mit diesem Staatsamt verbundene
Rangstellung) anteiret. 4, 52 is recens praetura, modicus dignatumis
et quoquo facinore properus clarescere. 6, 27 non permissa provincia
dignationem (ei) addiderat. 13, 20 ope Senecae dignationem Burro
retentam. 13, 42 omnia potius toleraturum quam veterem agendo (der
cod. Med. ae dd) partam dignationem subitae felieitati submitteret.
Hist. I, 19 agitatum aecreto num et Piso proficisceretur, maiore prat-
textu, Uli auetoritatem senatus, hie dignationem Caesaris laturus (un-
richtig urtheilt über diese Stelle Gent he in den Jahrb. f. Philol.
1864 Heft 1, S. 79), I, 52 (s. obenS 4) 3, 80 auxit inrndiam . . proprio,
dignatio viri. Germ. 26 quos (agros) mox inter se seeundum digna-
tionem partimtur. Vergl. noch Liv. II, 16, 5 : Appius inter patres
Uctus haud ita muUo post in prineipum dignationem pervenit.
2) Suet. Calig. 24 reliquas sorores nee cupidüate tanta nee digna-
tume (d. L Werthhaltung) dilexit, ut quae saepe exoletis suis prostra-
verit. Just. 28, 4, 10 a quo honorifice suseeptus diu in summa dig*
natione regis vixit. Paneg. I, 1, 2 voceram potissimum, ut me dig-
nati&ne, qua pridem audieras, rursus audires. ibid. VI , 23, 1 quoniam
1*
4 Sitsung der phüos.-pMtol. Clane vom 4 Juni 1864.
faesung die Stellung von principis als erstes bedeutsames
Wort nach dem Subjecte nichts weniger als günstig, welches
gewichtige Bedenken T hu dich um (der altdeutsche Staat
S. 13 A. 3) durch die schale Bemerkung zu beseitigen
meinte, principis habe deshalb den Nachdruck und stehe
voran, weil jetzt der Fall erwähnt werde, wo ein prinoeps
und nicht der Vater oder Verwandte die Wehrhaftmachung
vornehmen. Man vergleiche dagegen die auch in anderer
Beziehung sehr ähnliche Stelle bei Tac. Hist. I, 52: Ft-
tdlio tres patris constdcUus . . imponere tarn pridem im-
peratoris dignationem et auferre privati securitatem. 4) passt
zu dignatio im activen Sinne das Verbum adsignant nicht,
das sich wohl im Deutschen in gewissen Wendungen mit
„verschaffen" übersetzen lässt, aber niemals seine Grund-
bedeutung „zuweisen, anweisen, zuordnen, zuertheilenu auf-
gibt In dem angenommenen Sinne muss die Wendung
magna patrum merita principis dignationem etiam adtdes-
centtdis adsignant im Lateinischen ebenso als ein Unding
erscheinen, als wenn man im Deutschen sagen wollte:
„grosse Verdienste der Väter weisen auch ganz jungen
Männern eines Fürsten Würdigung zu". Auch dem folgen-
den adgregantur wird eine kleine Zwangsjacke angelegt
und der Begriff „zugesellt" in den von „untergeordnet" er-
weitert. Endlich stehen der besprochenen Auffassung auch
die Worte nee rubor inter comites adspici entchieden ent-
ad sunmum votorum meorum tua dignatione perveni. Cod. Theod.
VI., 85, 15 quae (peculia) out labore proprio aut dignatione nostra
quaesioerint Firmious Maternus de err. prof. relig. c. 12 Fuit enim
et apud veteres, licet nondum terram inluminasset domini nostri Christi
veneranda dignatio, in epernendis superstitumibus rdigiosa eonstantia.
Auf Missverstandniss beruht es, wenn Orelli glaubt, dass auch
Liv. X, 7, 12 (eos nos tarn populi R. beneficio esse spero, qui sacer-
dotiis non minus reddemus dignatione nostra honoris quam aeeepe-
rimus) dignatio im activen Sinne zu verstehen sei
Holm: Coutravene Bußen tn der Germania des Tacitus. 5
gegen, die als befremdend erscheinen müssen, nachdem
eben znvor von einer Ehre, welche den adulescentuli er-
wiesen ward, die Bede gewesen sein solL Diese lassen
vielmehr, wenn die Darstellung einen richtigen Fortgang
haben soll, erwarten, dass vorher irgend eine auffällige
Handlang erwähnt war, aber nicht ein Act von was immer
für einer Auszeichnung. Da man keine Ursache hat anzu-
nehmen, dass in der Ueberlieferung ein Fehler vorliege,
so bleibt nichts übrig als die beliebt gewordene Auffassung
aufzugeben und auf die ältere wieder zurückzukommen, nach
welcher Tacitus sagt: Hervorragender Adel (d. i. Angehörig-
keit zu einem berühmten Geschlecht) oder grosse Verdienste
der Väter verleihen eines Fürsten (Häuptlings) Geltung und
Würde auch noch ganz jungen Männern (auch solchen, die
noch unmündige Jünglinge sind). Solche schliessen sich
(gesellen sich bei)9) anderen Fürsten an, die kräftigeren
Alters und schon als solche (als principes) bewährt sind,
und es ist keine Schande unter dem Gefolge (den Gefolg-
leuten eines schon bewährten princeps) zu erscheinen. Da
Tacitus hierauf unmittelbar die Erwähnung der gradus
eomitatus anschliesst (gradus quin etiam ipse comitatus
habet, iudieio eius quem sectantur), so wird man annehmen
dürfen, dass solche adulescentuli als gleichsam geborne
principes in der Regel auch eine hervorragende Stellung
im comitatus eingenommen haben. Zu beachten ist auch,
dass Tac. weiter sagt: magno semper electorum iuvenum
globo circumdari in pace decus, in letto praesidiumf woraus
zu schliessen ist, dass die nobiles adulescentuli auch numerisch
eine wichtige Stelle im comitatus eingenommen haben4),
8) adgregantor ist hier dasselbe, was unten quem sedantur heisst.
üeber den medialen Sinn vgl. Tac. Ann. 15, 59 si conatibus eius
conecii adgregarentur, secuturos etiam integros etc.
4) Auch cap. 14 werden wieder ausdrücklich plerique noUUum
admle$cenUum hervorgehoben.
6 SüJttmg der pk&x.-phüd. dam vom i. Jmi 186L
bis sie selbst cor Stellung wirklicher principes sich empor-
schwangen. Ein Haupteinwurf, den Waitz gegen diese
Fassung erhebt, als sei der, Ausdruck robustioribus et iam
pridetn probatis auf die übrigen (oder wohl richtiger „auf
andere') principes bezogen ein ganz unzulässiger, erscheint
schwerlich als stichhaltig ; denn robustiores „Männer reiferen
Alters" 5) bildet einen ganz richtigen Gegensatz zu aduUs-
centuU, eben so iam pridetn probati „die als principes schon
längst bewährt und anerkannt sind", zu der vorerst nur
durch väterliches Geschlecht oder Verdienst zu Theil ge-
wordenen dignitas principalis. Um noch einen positiven
Beweis für die Richtigkeit der von nns gebilligten Auffas-
sung der ganzen Stelle zn geben, so erscheint blos bei
dieser die sonst unbegreifliche plötzliche Erwähnung der
comites richtig motiviert, indem das freiwillige Eintreten in
dieses Verhältniss bereits in den unmittelbar vorausgehenden
Worten ceteris robustioribus . . adgregantur angedeutet
Hegt.«)
In enger Beziehung mit dieser Stelle steht eine andere
über die comites cap. 14, wo es heisst: Si rivitas in qua
orti sunt longa pace et otio torpeat, plerique nobüium adu~
lescentnm petunt nitro eas nationes, quae tum bellum alt-
quod gerunt, quia et ingrata genti quies et facihus inter
ancipitia clarescunt magnumque eamitatum non nisi vi belr
6) Vgl. Tac. Ann. 13, 29 deerat robur aetotis; 14, 63 sed iUis
röbur aetatis adfuerat. Nep. Alcib. 2 ineunte adulescentia amatus est
a muUis . . postquam robustior est f actus, non minus muUos amavit
6) Das scheinen auch die Vertreter der entgegengesetzten Auf-
fassung gefühlt zu haben, weshalb es in der oben S. 2 mitgetheil-
ten Erklärung heisst: „der Fürst stellte sie den Wehrhaftgemachten
gleich, d. h. er nahm sie in sein Gefolge auf', als ob diese Gleich-
stellung schon nothwendig eine Aufnahme in das Gefolge bedingt
hätte, oder als ob durch einen solohen Actus schon die sogleich
folgende Erwähnung der comites irgendwie als vorbereitet erschiene.
r
Halm: Cmiüvvene Stiüm in der Germania des Tacitus. 7
loque tuentur; exigtmt mim principis sui liberalitate 1)
iUum bellatorem equum, illam cruentam victricemque frameam.
Auch in dieser Stelle theilen sich die Erklärer in zwei
Heerlager, indem die einen anter den .,gar manchen jungen
nobiles" sich Gefolgeführer, andere richtiger comites
denken. Wenn aber unter den plerique nobilium adules*
centium, was eine ganz unpassende Bezeichnung von Gefolge-
fuhrern wäre , comites zu verstehen sind , so machen die
Worte magmmque comitatum tum nisi vi belloque tuentur
grosse Schwierigkeit Dieses scheinen schon die alten Ab-
schreiber gefühlt und deshalb tueare geändert zu haben,
eine Lesart, die sich schon aus dem Grunde als eine ge-
machte erweist, weil durch sie ein in diesem Zusammen-
hange ganz unpassender allgemeiner Satz hereingebracht
wird. Waitz verwarf früher die Redart tuentur entschieden,
jetzt läset er sie (in dem Aufsatze über die Principes
S. 391) bedingungsweise gelten, wenn man mit Jessen
(Zeitechr. f. d. Gymnasialw. 1862, 72) das Subject aus
gen* entnehmen will. Die Erklärung scheint gesucht; auch
erhält man so doch wieder, wenn auch auf einem Umweg,
das Subject principes als Gefolgeführer, während bisher nur
von nobiles adulescentes die Rede war. Aber bleibt denn
keine Möglichkeit, geradezu einen Wechsel des Subjects an-
zunehmen? Die Stelle steht in enger Beziehung mit der
eben aus cap. 13 erörterten. Wie es dort von jungen
Adelichen, quibus insignis nobilUas aut magna patrum
merita principis dignitatem adsignabant, heisst, dass sie in
jungen Jahren in das Gefolge eines princeps traten, um die
der Anwartschaft ihrer Geburt entsprechende Stellung zeitig
zu erlangen, so erfahren wir hier, dass sie der Durst nach
Thaten und der aus gefahrvollen Kämpfen erhoffte Ruhm
in die Fremde führt, indem sie ihren Wunsch, selbst der-
7) Richtiger scheint: exigtmt mim a principis «im UberäUtate etc.
8 Sitzung der phüos.-phüol. CUuse vom 4. Juni 1864.
einst ein Gefolge zu bilden, am leichtesten durch einen be-
rühmten Namen erreichen können. Wie es nun Tacitus
liebt, eine Nebenbemerkung in leichter und loser Weise an-
zufügen, so schiebt er an den Satz f acutus inier ancipitia
clare8cunt den Gedanken an: magmmque comitatum non
nisi vi belloque tuentur: wozu noch kommt, dass zur Halt-
ung eines grossen Gefolges reiche durch Gewalt8) und Krieg
erworbene Beute erforderlich ist1*. Ist diese angefügte Be-
merkung auch zunächst von den Gefolgeführern ausgespro-^
oben, so erscheint ein solches Ueberspringen von den nobile«
adulescentes, die principes werden wollten, auf die principes
selbst, wenn auch kühn und hart (oder, wenn man will, als
eine starke stilistische Nachlässigkeit), aber doch insoferne
etwas motiviert, als die Quintessenz des Satzes, das vi bello-
que praedam capere, auch für die jungen Adelichen ihre
volle Anwendung hatte. Uebrigens lehrt die Stelle im Ver-
gleich mit cap. 13, dass nach Tacitus Darstellung die co-
mites vorzugsweise aus jüngeren Mannern von edlerer Ab-
kunft bestanden haben, und dass in dem ganzen Institut
der principes mit ihren Gefolgschaften schon die Grundzüge
der späteren deutschen Adelsverhaltnisse unverkennbar vor-
liegen. Mit den Worten exigunt enim etc. tritt ein drittes
Subject ein, indem aus dem vorausgehenden comitatum der
allgemeine Begriff comites (nicht mehr der engere plerique
nobüium adul.) zu entnehmen ist. Ein rascher Wechsel der
Subjeote liegt auch in der Stelle c. 19 vor: Paurissuna in
tarn mmerosa gente adutteria, quorum poena praesens et
tnaritis permissa : • accisis ö) crinibus, nudatam, coram pro-
8) d. h. durch Raab, wie es unten heisst: materia mumfieenUae
per betta et raptus.
9) Das Wort accisis, das man in neuerer Zeit fast allgemein
gegen äbscisis aufgegeben hat, ist vielleicht doch richtig im Sinne
von „beschnitten, kurz geschnitten"; denn gerade die Stelle, die
Halm: Comtroverse SteUm in der Germania de» Tacüus 9
pthquis expeUit domo maritus ae per omnem vicum verbere
agit; pubUeatae emm pudicHiae nuüa venia: non forma, non
aetate, non apibus maritim invenerit, wo zu invenerit nicht
mehr uxor als Subject zu denken ist, sondern quadibet
tritiata (also im Qegensatee von Frauen Unverheiratete),
welcher Subjectsbegriff ans publieata pudioMa zu entnehmen
ist, nemlich aliqua quae pudicitiam pubUcaverit. In dieser
Stelle hat man an enim nach pubKcatae Anstoss genommen,
and Nippe rdey geht so weit (N. Rhein. Mas. f. PhiloL
XVIII, 844) es streichen 2u wollen, welcher Vermuthung
Dr. Th. Wiedemann (e. Forschungen zu- deutschen Ge-
schichte IV, 1, 176) seinen vollen Beifall schenkt. Uns
scheint mini für die Verbindung der Sitae unentbehrlich
und leicht durch die Ergänzung eines Satzgliedes zu er-
klären: „Kein Wunder I 10) (d. i. eine so harte Strafe des
Ehebruchs darf nicht Wunder nehmen) findet ja doch Pro*
stitution überhaupt keinerlei Nachsicht", Hatte Tac. die
Sitae ohne Verbindung als einzelne Thatsachen an einander
gereiht, so hätte er wohl mit dem geringeren und allge-
meinen (dar publieata pudicitia) begonnen und nicht umge^
kehrt. Mit der Besprechung dieser Stellen verbinden wir
noch einen anderen Fall sehr kühner Karte c. 17 a. E. (18):
nam prope soli barbarorum singulis uzoribus contenti sunt
exceptis admodum paucis, qui non Ubidine, sed ob nobili-
takm pheribno nuptiis ambhmfar, wo ku non Ubidine aus
Schweizer-Sidler (Anm. au Tac. Germ. II, 20) ans dem Seligen-
stadter Sendrecht (Grimms Rechtealt. 711) anfahrt: „Und die frawe
(die ein unehliche« Kind geboren) sal den sun umb die Kirchen
tragen, wollen und barfass, und sal man ir bar binden an dem
haubet abesniden eto." spricht eher für als gegen diese Les-
art. Wie heutigen Tags der Kranz das Zeichen der jungfräulichen
Braut ist, so war es noch lange im deutschen Mittelalter das lange
lose Haar; 8. Meinhold, die deutschen Frauen im Mittelalter. S. 25S.
10) Aehnliche fiteilen s. bei Oeswer au Quintflian II, 11, 7.
la
10 SUnmg der phSk».-pkOol. CUme vom 4. Jmi 1864.
dem Gegensätze phtres nuptias quaerunt m ergänzen ist u).
Aach diese Kürze beruht eigentlich auf dem raschen Ueber-
epringen zu einem anderen Subject: nicht sie suchen aus
Lüsternheit mehrfache Ehen, sondern andere suchen sie
dazu wegen ihres vornehmen Geschlechtes zu gewinnen.
Noch an einer anderen Stelle, wo principes erwähnt
werden, hat man den Wortlaut des Tacitus missachtet, um
seine Darstellung mit vorgefassten Meinungen in Einklang
zu bringen. Im cap. 11, wo Tac. von den Volksversamm-
lung«! der Germanen handelt, heißet es: Mox rex vel prin-
ceps, prout aetas cuique, prout nobiliias, prout decus bei*
forum, prout facundia est, audümtur, auctoritote suadendi
magis quam iubendi potestate. Si displicuit sententia, /re-
mUu aspernantur: sin placuit, frameas concutnmt: kmora»
Hssitnum adsensus genas est armis laudare. Die Worte
mox rex vel princeps . . audiuntur sind kurz gesagt für:
„sodann ergreift der König oder ein Princeps das Wort und
findet Gehör nach Massgabe des Alters oder Adels oder
des Kriegsruhms oder der Redegabe, die ein jeder hat".
Cuique bezieht sich sowohl auf rex wie auf princeps, nicht
wie man gewöhnlich mit Rücksicht auf den Anfang des
Capitels annimmt, blos auf princeps. Cuique im Sinne von
11) Als Curiosum erwähnen wir die neueste Erklärung von
Baumstark (Jahrb. f.Philol. 1868 Bd. 66, 778): „man macht ihnen
viele Heirathsanträge, jedoch nicht cum Zwecke, d. h. zur Be-
friedigung ihrer Wollust, sondern um ihrem Adel zu huldigen". Eben
so geistreich weiss derselbe Gelehrte, der die Kritiker und Erklärer
des Tacitus in so hochmüthiger Weise schulmeistert, den unhalt-
baren Superlativ pUurimis nuptiis zu deuten (s. die Zeitsohr. Eos
1864, 53): „sie werden zu vielen (vielmehr „zu sehr vielen") Hei-
rathen eingeladen, wovon die Folge ist, dass sie wenigstens manch-
mal mehr als eine Frau nehmen". Man sollte denken, dass wenn
Tac. einmal von plurimae nuptiae gesprochen hat, auch wirklich
Fälle solcher plurimae vorgekommen sind, oder dass wenigstens der
Historiker ein solches Vorkommen vorausgesetzt hat.
Halm: Oontroeerse Stdlm in der Germania des Tacitus. 1 1
iatiqovv zu fassen (s. Eöpke, Deutsche Forschungen S. 9,
A» 3) ist, wie der Ausdruck vorliegt, sprachlich nicht zu-
lässig. Denn hätte Tacitus sagen wollen, dass ausser dem
König oder einem princeps noch andere gesprochen haben,
so musste es nothwendig heissen : mox rex vel princeps,
tum prout aetas cuique etc. Auch hätte dann sicherlich
Tacitus nicht den bezeichnenden Ausdruck audiuntur, den
man bisher wenig beachtet zu haben scheint, gewählt, der
nur in Verbindung mit prout aetas cuique etc. als passend
erscheint, nicht aber wenn mit prout aetas cuique . . est
ein neues Subject eingeführt wurde. Wenn diese Darstellung,
der zufolge der Volksmenge nur die Annahme oder Ver-
werfung der jedesmaligen Vorlage zustand , wie auch aus
den folgenden Worten si dispUcuit etc. mit Bestimmtheit
zu entnehmen ist, mit späteren Zeugnissen in Widerspruch
steht, so ist man darum noch nicht berechtigt, einem Sy-
steme zu lieb dem Tacitus einen Gedanken unterzuschieben,
der seinen Worten gänzlich ferne steht. Er kann sich ge-
irrt haben, aber von der Berechtigung eines dritten, ausser
dem König oder einem princeps, in der Volksversammlung
zu sprechen, steht bei ihm auch nicht eineSylbe. Vor einer
solchen Annahme musste schon der Zusatz auctarüate sua-
dendi magis quam iubendi potestate warnen, welche Worte
man unmöglich auf einen beliebigen Redner aus der Menge
beziehen kann. Sie besagen nur soviel, dass bei den freieren
Germanen auch der König eine bedeutende Persönlichkeit
sein musste, um seinem Willen dem Volk gegenüber eine
Geltung zu verschaffen.
Man hat längst die Bemerkung gemacht, dass sich im
Dialogus de oratoribus viele pleonastische Wendungen finden,
die nur dazu dienen, der Rede einen volleren Klang zu ver-
leihen, wie in allen Sprachen vorkommt, besonders in der
pathetischen Rede, aber kaum in so ausgedehnter Weise,
als wir es in den früheren Schriften des Tacitus vorfinden.
13 Sütwtg der phüo$.-phtiol. CUsse vom 4. Jmti 1864.
Denn auch in der Germanin hat er von diesem Mittel de»
rhetorischen Aufputzes sehr reichlichen Gebrauch gemacht,
and zwar nicht blos in der Weise, daas einzelne Begriffe
durch mehrere Synonymen ausgedrückt, sondern ganze
Phrasen in anderer Form wiederholt werden. Eine kurze
Uebersioht dieser Stellen wird in dem Umstand eine Ent-
schuldigung finden, weil #inige der Art streitiger Natur sind
oder solche, bei denen es sich fragt, ob man die Überliefer-
ung mit Recht angefochten hat. Man vergleiche 2 Gen-
manos minime aUartm gentium adventibus et hospitiis
mixtos, wie 40 loca quaecumque adventu koapitioque (dea)
dignatur. 2 quod unum apud ittos memeriae et anno-
lium genas est 4 Gertnaniae populos proprium et sinr
ceram et tan tum sui similem 19) gentem e&Misse.
5 posßessione et usu (argenti et auri) haud perinde adn
fieUmtur. 7 non casus neque fortuita cenglebatio tun-
mam aut cuneurn facti. 9 lueos ac nemora ccmseoromt
(wie auch c, 10, Dial. de Orat. 9 und 12). 10 eosque
(surculos) super candidam vettern temere ac fortuito
spargunt. ib. equorum praesagia ac monitus experiri.
11 sie constituunt, sie condieunt 12 aecusare et dis-
crimen capitis intendere. 13 id nomen, ea gleria est.
14 infame ac probrosum — def endete tueri (wie Dial.
de orat. 7 tueri et defendere) — pace et otio — pigrum
et iners — nee arare terram aut expeetare annum
tarn facile persuaseris quam vocare hostem et vutnera
mereri (vgl. Agr. 31 ager atque atmus). 15 fortissimus
quisque ac bellicosissimus ib. domus et penatium . .
cura. 16 conexis et cohaerentibus aedifieüs 18)- 18 inter-
12) Aehnlich ist die Fülle im Dial. de orat. 26: ut sincera ei
integra et nullis pravitatibus detorta unius cuiusque natura
toto statin* pectore arriperet artes honesta* etc.
13) Eine Art von Harämg liegt in demselben Capitel auch in
Halmi Controvene Suüm in der Gbrmmia des Ttctots. IS
sunt parentes ac propdnqui ac prebant munera, non ad de*
licias muliebres quaesita nee quibus nova nupta co-
matur; denn unter den deUciae muliebres wird man sich
doch wohl hauptsächlich Putzgegenstände zu denken haben«
19 sie unum aeeipiunt ntaritum, quomodo unum corpus
unamque vitam, ne ulla eogitatio ultra, ne longior
eupiditas etc. 20 heredes tarnen successoresque sui
euique liberi. 22 deteeta et nuda mens. 23 sine appa-
ratuy sine bland imentis eapettmt fernem. 24 ut . . ex-
tremo ac novissimo iactu de libertate ae de corpore
contendant; denn die oontentio de corpore ist eben keine
andere als de libertate, indem der im Spiel verlierende zum
Knechte ward. 25 suam quisque sedemf suos penatee
(servuß) regit, ibid. non diseiplina et severitate (rgl.
DiaL 28), sed impetu et ira. 26 faenus agitate et in
usuras e xt ender e ignotum, an welcher Stelle man aus
Verkennung der rhetorischen Amplification so ungeschickt
gewesen ist, an Zinseszinsen zu denken. 27 lamenta et
lacrimas cito, dolorem et tristitiam tarde ponunt.
28 tamquam per hanc gloriam sanguinis a similitudine
et inert ia GaUorutn separentur, an welcher Stelle man
a similitudine et inertia = a similitudine inertiae erklärt)
während richtiger in -dieser Verbindung nur eine rhetorische
Häufung oder Erweiterung zu erkennen war. 30 ita sede
finibusque in nostra ripaf mente animoque nobiscum
agunt (nfattiaoi), wie 46 sermone eultu, sede ac domi-
cilii* ut Gennam agunt. 31 omnium penes hos initia
pugnarum, haec prima semper acies. 33 oblecta-
tioni oculisque ceciderunt, d. l zu unserer Ergeteung
der Wendung materia ad omnia uttmtur mformi et eitra epeciem
aut delectationem vor: denn wm auf Schönheit beim Bauen be-
rechnet ut, dient eben aaoh zur Krgetslichkeit.
14 SUmmg der phüoe<-pk%M. CUu$e vom 4. Jum 1864.
und Augenweide "). 34 sanctius ac reverentius visum
de actis deorum credere quam scire; vgL dial. de oimt 10
omnes eins (eloquentiae) partes sacras et venerabües puto,
and über sanctus im Sinne von „ehrfurchtvoll" Germ. 8:
messe quin etiam sanctum aliquid (in feminis) et providum
putant. 37 veterisque famae (Gimbronun) lata vestigia
manent, utraque ripa castra ac spatia, quorum ambitu
nunc quoque metiaris molem manusque gentis. ibid. oc-
easione discordiae nosträe et oivilium afrmorum. 38 map*
orem Germaniae partem obtinent (Suebi), propriis adhuc
nationibus nominibusque discreti. 39 cetera subiecta
et parentia. 41 cum ceteris geniibus arma modo castra-
que nostra ostendamus (vgl. Agr. 33 finem Britanniae . .
castris et armis tenemus). 42 vis et potentia. 46 Hettur
sios et Oxionas (Etionas Müllenhoff) ora hominum vuh
tusque, corpora atque artus ferarum gerere. Eben
dahin gehört ohne Zweifel auch die Stelle cap. 5: Argen-
tum quoque magis quam aurum sequuntur . ., quia numerus
argenteorum facäior usui est promisca ac vilia mer-
cantibus, wo die Uebersetzung „allerlei" für promiscus nicht
passt, sondern nur „gewöhnliche (ordinäre) und geringe
(wohlfeile) Gegenstande". Auch cap. 17 „eUgunt feras et
detracta vdamina spargunt m a cutis 'pellibusque bdua-
rum, quas exterior Oceanus atque ignotum mare gignitf*
scheint in den Worten maeulis peiUbusque nur eine rhe-
torische Häufung vorzuliegen: „sie sprenkeln {machen bunt)
die abgezogenen Häute (worunter man sich wohl dunkle,
wie z. B. braune zu denken haben wird) mit Flecken
(Stücken) und Pelzen von Seethieren'' , als Robben etc., so
dass der Begriff „Besatz", womit die Wildschur bunt ge-
14) Ganz ähnlich ist die Verbindung Dial. 20 tortfm auribus
et iudieiis obtemperans nostrorum oratortun aektB ptdchrior et or-
natior extitit.
Hahn: Controvene 8töm in der Qerwmia de* Tacitus. 15
macht wurde, in zwei Worten ausgedrückt erscheint. Falsch
ist die gewöhnliche Uebersetzung „mit gefleckten Pelzen"
statt „mit Pelzflecken", was nach unserer Ausdrucksweise
das richtige wäre. Wir sehen auch nicht ein, wie die Ton
Schweizer-Sidler (nach Wackernagel, s. Z. f. d. Alterth.
IX, 563 Anm. 192) beigezogene Bemerkung Lachmanns zur
Aufklärung dienen soll, der zu Nibel. 354, 1 sagt: „Das
Unterfutter der seidenen Küssen oder hier und in fiiterolf
1156 der seidenen Kleider ist von Fischhäuten» Im Wigalois
8. 33 hat ein Mantel mit Cyolad tiberzogen zum Unter*
fbtter Hermelin mit eingelegten Bildern Ton Mond und
Sternen aus blauer Fischhaut". Dam wurden Fischhäute
als Unterfutter verwendet, so ist damit doch noch nicht
bewiesen, dass diese solchen Germanen „qui feranm pdles
exquiritius gerebant" auch als verschönernder Besatz ihrer
Pelzüberwürfe gedient haben.
In kritischer Beziehung kommen drei Stellen in Frage.
Die unsicherste ist cap. 43: omnesque hi papuU pauea cam-
pestrium, ceterum saUus et vertices montium iugumr
que msederunt; dirimit enim scinditque Suebiam contmuum
montium iugum etc. Denn da montium iugum sogleich
wieder folgt und Tacitus die ungefällige Wiederkehr gleicher
Worte nach kurzen Zwischenräumen sonst ängstlich ver-
meidet, so hat die Vermuthung des feinen und geistreichen
Aeidalius, dass iugumque zu streichen sei, allerdings viele
Wahrscheinlichkeit
Grössere Schwierigkeit macht die Stelle c. 16 : Quaedam
loca diUgentius ülinunt terra ita pura ac splendente, ui
pieturam ae Uniamenta colorum imüetur, an der Haupt
die sehr leichte Aenderung Nipperdey's locorum st co-
lorum aufgenommen hat. Wenn ich diese Conjectur in
meiner Textesausgabe abgelehnt und der von Köchly cor-
porum einen Vorzug eingeräumt habe, so geschah es, wie
ich ganz aufrichtig bekenne, aus dem Grunde, weil mir der
It ßiUnmg der pNta-pMtoL tJktm vom. 4. Jfmi 1964.
Sinn der N. Conjectur nie klar gewesen ist and weil es
mir überhaupt unmöglich schien, dass loca, das schon im
Hauptsätze vorkommt, aach wieder im abhängigen Satze
erscheinen konnte. Unser Gefühl, dass durch diese Conjeo-
tur das Vezständniss der Stelle nicht klarer geworden sei,
ist durch die Erklärung, die jetzt Nipperdey selbst (Rhein.
Mus. für Philol. XVIII. 842) gibt, nicht beschwichtigt, soo»
dem eher verstärkt worden. Er sagt nemlich: „die reine
und glänzende Erde dient als Spiegel: und so trägt der
Ueberzug scheinbar ein Gemälde, cL h. die Farben und
die Umrisse der Umgebungen. Denn nur auf ein Spiegel*
bild können Reinheit und Glanz des Ueberzugee hinweisen,
wie Plinius histor. nat. XXXI, 7, 86 von einer Salzart sagt :
eirca Oekm in eadem Sicüia tanti aptendoriS) ut imaginem
recipiat". Weiter unten wird die Umgebung noch bestimm-
ter als die Landschaft bezeichnet, welche bei der nöthigen
Beleuchtung nie aus dem Spiegel verschwunden seL Gegen
diese Deutung der Stelle erheben eich sehr gewichtige Be-
denken. Sie setzt erstlich voraus, dass der Anstrich, durch
den sich eine ganze Landschaft wiederspiegeln sollte, vo»
aussen stattgefunden habe, während man eher annehmen
mus8, dass, nachdem Tac. vorher die unschöne Form der
Häuser geschildert hat, mit quaedam loca einzelne Räume
im Innern bezeichnet seien. Sodann hat es keine Wahr-
scheinlichkeit , dass loca, wenn es überhaupt in so kurzer
Folge wieder eingebracht werden konnte, an der zweiten
Stelle in ganz anderem Sinne gesagt sei, abgesehen davon,
dass Umamenta locontm als eine sehr unklare Bezeichnung
fiir „Umrisse der Umgebungen" erscheinen muss> Vollende
pictwra passt in diesem Zusammenhang noch weniger als
«ach der gewöhnlichen Auffassung der Stelle, was Nipper-
dey selbst gefühlt zu haben scheint, weshalb er ohne alle
Berechtigung „Farben" erklärt: aber auch zugegeben, dass
pictura diese Bedeutung haben kenne, wo hat man je von
Halm: Oontroverse St&en in der Germania des Tacitus. 17
einem Schattenbild an einer Wand gehört, das auch die
Farbenunterschiede wiedergab? Das zeigt am besten
die ans Punkts beigezogene Stelle, wo nicht von einer pic-
turay sondern von einer imago die Rede ist ; wir haben dort
auch das bezeichnende Wort für Wiederspiegeln, während
imitari von Gegenständen gesagt, sich zum Begriffe „ähn-
lich sein, ähnlich aussehen" erweitert, wie Plin. N. H. XU,
6, 12: foUum alas avium imitatwr „das Blatt sieht wie
Flügel von Vögeln ansu. Unter diesen Umständen müssten
wir auch jetzt noch der Vermuthnng Eöchly's den Vorzug
einräumen, wenn überhaupt eine Aenderung unabweislich
wäre. Es scheint jedoch eine solche nicht nothwendig zu
sein, sondern auch hier eine rhetorische Häufung vorzu-
liegen, wenn sich auch Tac. undeutlich ausgedrückt und
vielleicht selbst keine klare Vorstellung von dem, was er
geschrieben, sich gemacht hat. Subject zu imitetur ist
nicht terra, sondern terra inlita. Dieser Anstrich (oder
Ueberzug), sagt er, sieht wie eine Bemalung aus; weil ihm
aber dieser Ausdruck vielleicht als ein zu starker erschien,
fugt er hinzu ae Uniamenta colorwm „er sieht aus wie
Farbenrisse oder färbige Linien", d. h. als wäre quibus-
dam locis das Holzgetäfel, nicht mit einem Erdbewurf, son-
dern mit förmlichen Farben überzogen. Zur Sache macht
Weinhold (die deutschen Frauen im Mittelalter S. 328) die
passende Bemerkung, dass noch heute in vielen deutschen
Gegenden der Holzanstrich mit einem feinen weissen und
glänzenden Thon bekannt Bei.
Es liegt noch eine dritte Stelle vor, bei der sich unser
Historiker offenbar einer Häufung synonymer Begriffe be-
dient hat, aber das als zweifelhaft erscheint, ob die Stelle
richtig überliefert ist. Tacitus berichtet c. 40 von der
Zeit, zu der die Terra mater ihren Umzug bei mehreren
Völkerschaften hielt, folgendes: tum bella meunt, non arma
summt; clausum omne ferrum; pax et quies tunc tantum
[1864. IL 1.] 2
18 Süzuty der phOoa.-phOol. Claese vom 4L Jmi 1864.
nota, tunc tantum amata. Lachmann hat die letzten
Worte so umgestellt: tunc tantum amata Urne tantum nota,
worüber Nipperdey (Rhein. Mos. f. Phil. XVIII, 346) be-
merkt: „insofern richtig, als die gänzliche Unkenntnis des
Friedens ausser dieser Zeit ein umfassenderer Begriff ist als
die fehlende Neigung dazu: ausser dieser Zeit lieben sie
den Frieden nicht, ja sie kennen ihn nicht einmal, denken
sich nicht seine Möglichkeit; und Kritz hat sich die Be-
deutung des tantum nicht klar gemacht, wenn er die Vul-
gata durch die Bemerkung zu rechtfertigen meint, die
Eenntniss müsse der Liebe vorausgehen, was hier gerade
für Lachmann spricht". Nipperdey selbst sucht der Schwierig-
keit dadurch abzuhelfen, dass er eine andere Umstellung
vorschlägt: pax et gutes tantum tunc notaf tunc tantum
amata „nur Frieden und Buhe kennen sie dann, nur dann
lieben sie dieselben". Allein abgesehen davon, dass es
keine Wahrscheinlichkeit hat, dass sich Tacitus in einem
ganz rhetorisch angelegten Gemälde einer so unrhetorischen
Form soll bedient haben, so hat der ganze Gedanke eine
so spitzfindige Wendung erhalten, dass die Conjectur schon
deshalb für Tacitus abzulehnen ist. Dass der Ausdruck, wie
die Stelle überliefert ist, etwas Schiefes, ja Unlogisches
habe, ist kaum zu verkennen, aber in den bisherigen Ver-
besserungsversuchen scheint man den wahren Sitz des
Fehlers noch nicht erkannt zu haben. Er liegt sicherlich in
dem matten Worte nota, wofür man lieber ein grata oder
einen ähnlichen Begriff sähe; allein das Richtige hat ohne
Zweifel Hr. Prof. Freudenberg in Bonn gefunden, der
nach privater Mittheilung die Stelle sehr schön so ver-
bessert: pax et quies tunc tantum inmota9 tunc tantum
amata.
Es fehlt auch nicht an Stellen, wo das Streben nach
rhetorischer Amplification , zu der man auch das durch-
gängige Anspielen auf römische Sitte wird rechnen dürfen,
Hahn: Contrwerse Stellen in der Germania dee Tacüus. 19
zn unlogischem Ausdruck oder zu schiefen und wider-
sprechenden Urtheilen geführt hat 16). Einer unlogischen
Erweiterung begegnen wir c. 5 in den Worten: numero
(armentorum) gaudent, eaeque solae et gratissimae opes
sunt. Wiewohl Tac. hier sich so ausdrückt und noch be-
sonders hervorhebt, dass bloss die germanischen Anwohner
des Rheins auf Gold und Silber Werth gelegt und Geld
gekannt hätten, heisst es doch c. 26: Faenus agitare et in
usuras extendere ignotum, ideoque magis servatur quam si
vetitum esset, eine Stelle, bei der durch das leidige Ehe-
torisiren die Darstellung in mehrfacher Beziehung schief
und fehlerhaft geworden ist. Abgesehen davon, dass bei
Völkern, die noch kein Geld kennen, von einem faenus
agitare überhaupt keine Bede sein kann, erscheint es als
grosse Härte, dass zu magis servatur als Subject nicht
faenus agitare, sondern faenus non agitare zu ergänzen ist
(vermittelt durch die Wendung ignotum est = faenus non
agüant oder non agitare moris est\ während zu vetitum
esset wieder das positive f agitare als Subject erscheint.
Die unlogische Sentenz, bei der es auf eine pikante Anti-
these abgesehen war „ideo (quia aliquid ignotum est) ma-
gis servatur, quam si vetitum esset", ist schon längst ge-
rügt worden. Es schwebte dem Schriftsteller hier wohl der
Gedanke c. 19 plus ibi boni mores valent quam älibi bonae
leges vor; wie aber der Wortlaut vorliegt, so lässt sich
nicht anders urtheilen, als dass die rhetorisirende Dar-
stellung zu einer unverständigen geworden ist. In die gleiche
Kategorie gehört was c. 19 von den litterarum secreta be-
merkt ist, wo wieder eine Kehrseite des römischen Lebens
15) Mehrerea, was in diesem und im nächsten Abschnitte be-
rührt werden sollte, hat inzwischen sohon Baumstark in dem
Aufsätze über das Romanhafte in der Germania des Tac. (in der
Zeitechr. Eos I, 89 ff.) hervorgehoben.
2*
20 Sitzmg der phüos.-phUoi: Clasae vom 4. Juni 1864.
hervorgehoben 'wird, aber die Nichtkenntniss solcher Heim-
lichkeiten deshalb den Germanen nicht zum Verdienste ge-
reichen konnte, weil eine Eenntniss der Schrift für diese
Zeit bei ihnen überhaupt noch nicht vorauszusetzen ist.
Auch die Form des Satzes Utterarutn secreta triri parüer
ac feminae ignonmt erscheint als eine schiefe; derselbe hat
durch den Zusatz des Subjectes triri parüer ac feminae
Wohl an Klang gewonnen, aber wo ein brieflicher Verkehr
zwischen beiden Geschlechtern angenommen wird, da rnoss
ja selbstverständlich auch eine Kenntniss der Schrift auf
beiden Seiten vorausgesetzt werden. Cap. 20 heisst es:
Sororum filüs idem apud avunculwn qui ad patrem honor.
Quidam sanctiorem artiaremgue hunc nexum sanguinis ar-
bitrantur et in accipiendis- obsidibus magis exigunt, tam-
quam ii et a/nimum firmius et domutn latius teneant.
Das animum firmius tenere ist verständlich, aber nicht ab-
zusehen, wie ein grösserer Theil der Familie sich gebunden
fühlen konnte, wenn nicht der Sohn, sondern der Neffe als
Geissei gestellt ward, s. J. v. Gruber zur Stelle. Ueber die
Worte cap. 12 : igwwos et inbdles et corpore infames caeno
ac paiude iniecta msuper1*) erate mergunt bemerkt Wilda
(Strafrecht der Germanen S. 153 Anm. 3): „eorpore in-
fames beziehen die Erklärer, weil sich allerdings mit den
Worten kaum ein anderer Sinn verbinden fitsst, auf un-
natürliche Unzucht, die die Germanen von den Galliern gelernt
16) Die Uebersetzung „obendrein" ist ungeschickt und unrichtig;
der Zweck des Bedeckens mit Flechtwerk erhellt aus Livius I, 51, 9 :
ibi tum atrox irmdia orta est gladiis in medio positis, ut indicta
causa novo genere leti deiectus (Turnus) ad caput aquae Ferentmae
crate superne iniecta saxisque congestis mergeretur. Aus dieser
Stelle ergibt sich auch, dass die Umstellung, die Döderleiu in
seiner Uebersetzung gibt „sie werden mit Flechtwerk bedeckt und
in Schlamm und Sumpf versenkt" auf einer schiefen Auffassung von
crate iniecta beruht.
Halm: Contrevars* Stdk» in der Gtrmcmia des Taeitus. 21
haben aollen. Aber ich habe in allen Reohtsquellen fast
nicht eine Stelle gefunden, die auf Paederastie hindeutet".
Wie derselbe Gelehrte S. 498 bemerkt, so darf man ans
der Stelle des Tac. so wenig annehmen, dass Aufhängen
und Versenken in Moor und Sumpf die einzigen üblichen-
Todesarten gewesen, als dass nur allein Landcsverräfcher,
Ueberläufer und Heeresflüchtige mit denselben belegt worden
seien. Hat man so die Erwähnung der ignavi et inbelles 17)
nur als beispielweise zu betrachten, so liegt es nah bei den
corpore infames einen selbstgeschaffenen Znsatz zu ver-
muthen, welchen dar Hinblick auf ein in Rom so häufig
vorkommendes flagitium leicht eingeben konnte. Dieser
Annahme dürfte kaum entgegenstehen, dass sich, was Wüda
übersehen hat, doch eine Spur eines derartigen Verbrechens
in den altdeutschen Gesetzen findet Wie nemKch Wilda
selbst, S. 789 mittheilt, so kommt im salfränkischen Recht
unter den Bussen für Schmähungen auoh ein& von 15
Schillingen vor, wenn man einen einaedum schimpfte, eis
Schimpf, der voraussetzen läset, dass auch die Sache selbst
wenigstens in jener späteren Zeit nicht mehr unbekannt
gewesen ist.
Dem Haschen nach rhetorischem Effect ist es auch
zuzuschreiben, dass an mehreren Stellen auch die Klarheit
der Darstellung gelitten hat. In der sehr übertriebenen
Schilderung von dem schwarzen Heere der Harier c. 43
heisst es: insitae feritati arte ae tempore lenocinantur:
nigra scuta, üncta corpora: atras ad proeUa noctes legunt,
ipsaque formidme atque umbra feralis exercitus terrorem
mferunt, nuUo hostium sustmente novum ae velut infernum
adspectttm ; nam primi m onmibus prodiis octdi vincuntur.
Hier macht umbra noch mehr Schwierigkeit als feralis exer-
citus, was im Sinne von infernus exercitus „ein Heer aus
17) Dieselbe Verbindung in Tao. Agrie. c. 15 und 34.
22 SiUnmg der pkOos,-pkaol. Gaue vom 4. Jum 1864.
dem Todtenreiohe" gesagt scheint Die Erklärung von
umbra, die noch Kritz gibt „i. e. obscuritate noctis" ist
ganz verkehrt und hebt alle Gonstruddon der Stelle auf.
Dass dem feralis exercitus wie formido (furchterweckende
Erscheinung), so auch umbra beigelegt wird, ist klar, aber
das nicht deutlich, ob mit umbra das dunkle Aussehen oder
das Schattenhafte des Heeres bezeichnet sein soll. Wenn
übrigens Baumstark (Eos I, 47) die ganze Schilderung
als eine abenteuerlich romanhafte verspottet, weil die
Harier ihren jeweiligen Feinden doch nicht hätten befehlen
können, sich mit ihnen nur zur Nachtzeit zu schlagen, und
weil in einer finster schwarzen Nacht jeder aspectus un-
möglich gewesen sei, so ist bei dem letzteren Einwurf über-
sehen, dass Tacitus mit ater nur ein starkes Wort gesetzt
hat, um den Gegensatz einer mond- und sternhellen Nacht
zu bezeichnen ; was aber den ersten Einwurf betrifft, so hat
er es dem eigenen Verständniss seiner Leser überlassen,
dass nur von Angriffskämpfen die Bede sei, oder von solchen,
bei denen den Hariem das legere proeUi tetnpus zustand.
Ein unklarer Auedruck liegt auch in obiectus pec-
torutn an der bekannten Stelle c. 8 vor: Memoriae pro-
ditur quasdam aeies, inclinatas iam et labantes, a feminis
restitutas constantia precum et obiectu pectorum et mon-
strata Continus captivitate 7 quam lange impatientius femi-
narum suarutn nomine timent. Die einen erklären obiectu
pectorum im Sinne von hostibus se obiciendo, indem sie sich
selbst dem Kampfe aussetzten, was in Verbindung mit conr
siantia precum et monstrata c. captivitate ganz unpassend
erscheint; andere erklären pectora suis obiciendo, als Mahn-
ung lieber ihre Brust zu durchstossen als sie der Gewalt
der Feinde preiszugeben. Da der obiectus pectorum als ein
incitamentum pugnae erscheint , so ist vielleicht noch eine
dritte Deutung, die uns auch poetischer dünkt, möglich,
dass die Mütter und Gattinnen ihre offene Brust hinhielten,
Halm: Controverse SUBm in der Germania des Tacitus. 23
gleichsam fragend, ob sie die, die sie gesäugt, die ihre
Kinder aufgenährt hätten, der Knechtschaft preisgeben
wollten. Indem sie so Söhne und Männer an das erinner-
ten, was sie von ihnen empfangen, erwarteten sie Vergelt-
img in der Stande der höchsten Gefahr.
Die zwei letzteren Auffassungen gehen von der Ansicht
aus , dass pectorum im buchstäblichen Sinne zu fassen jund
nicht etwa poetischer Ausdruck für corporutn sei. Wäre
diese Annahme zulässig, so würde die einfachste Erklärung
sein, dass sich die Frauen mit ihren Leibern den wanken*
den und zurückweichenden Reihen entgegengeworfen und
so versucht haben, ihrer Flucht ein Ziel zu setzen.
Dass einiges was Tacitus berichtet oder aus einzelnen
Umständen folgert 18) auf Missverständniss beruht, hat man
bereits früher bemerkt; die stärkste Stelle der Art ist der
bekannte von der dos c. 18 19) und das Capitel 25 von
den Sklaven. Aus einem solchen Missverständniss scheint
auch der offenbare Widerspruch hervorgegangen zu sein,
der in der Stelle c. 31 vorliegt: Et aliis Germanorum po-
puUs usurpatum raro et privata cuiusque audentia apud
Chattos in consensum vertit, ut pritnutn adoleverint, crinem
18) Dahin gehört c 21 die 8telle: cum defecere (epulae), qui
modo hospes fuerat, momtrator hospitii et oomes, bei der man schon
längst auf die altgermanische Sitte, das Gastrecht nicht über drei
Tage auszudehnen, hingewiesen hat; ferner die Bemerkung c. 12
über die Basse equorum pecorumque numero, als ob diese nur für
leviora delicta gegolten hätte, während, solange als die Germanen
noch kein Geld kannten, eine andere Art von mulcta überhaupt
nicht vorkommen konnte.
19) Besonders bezeichnend ist, was in dieser Stelle von den
boves gesagt ist; zuerst heisst es, dass die Braut als munera boves
et frenatum equum et scutum cum framea gladioque empfange. Sodann,
wo die Innigkeit der ehelichen Verhältnisse in ganz sentimentaler
Weise geschildert wird, werden die boves plötzlich iuncti boves und
müssen auch ihrerseits zum Sinnbild ehlichen Bandes dienen.
24 Sitzung der pkfo$.-phtiol. Ckme vm 4. Juni 1864.
barbamque submittere nee nisi haste caeso exuere votivum
obligatumque virtuti oris habikm. super smguwetn et spolia
revelant frontem segue tum detnum pretia nascendi rettu-
lisse dignosque patria ac parentibus ferunt: ignavis et im-
bdlibus mattet squalor. Fortissimus quisque ferreum in~
super anulum — ignominiosum id genti -— velut vinculum
gestat, dorne se caede hostis absohüt. Plurimis Chattorum
Me placet habüus, iamque eanent10) insignes et hostibus
simd suisque monstrati. Omnium penes hos initia pug-
narum etc. Nipperdey, der zuletzt diese Stelle eingehend
(Rh. Mus. XVIII, 344 f.) besprochen hat, bemerkt: „das
Vorhergehende zeigt deutlich, dass diese Chatten, welche
freiwillig bis ins hohe Alter, so lange ihre Kraft ausreicht,
das ungeschorne Haupt- und Barthaar und den eisernen
Ring tragen, nur ein Theil der unmittelbar vorher erwähn-
ten Tapfersten sind. Denn selbst die Tapfersten legen Haar,
Bart und eisernen Ring nach Erlegung eines Feindes ab.
Diesen dagegen gefällt die Tracht, was doch an und für
sich und in Verbindung mit dem folgenden nur heissen
kann: sie behalten die Tracht bei. Wie können es also
die meisten der Chatten sein? Eben so und noch deutlicher
zeigt das folgende, dass es nur wenige waren . . . Doch
finde ich nur bei Ritter eine hierauf bezügliche Bemerk-
ung, welcher sagt plurimi seien hier permulti, nicht der
grössere Theil des Volkes. Aber so steht wohl plerique
bei Tacitus und anderen, aber nicht plurimi; und selbst
permultis, wenn es hier stände, könnte nur durch einen
ungebührlichen Missbrauch der in ihm liegenden Unbe-
20) iamque eanent scheint kurz gesagt für: suntque qui tarn cor
neant. Logisch richtiger wäre die Umstellung der Glieder gewesen:
suntque (ita) insignes iam canentes, die Tac. wohl aus dem Grande
nicht gewählt hat, weil er noch ein zweites Praedicat et hostibus. •
monstrati beifügt.
Halmx Controvene Stellen m der Germama des Taeitm. 25
stimmtheit gerechtfertigt werden . . . Plurinris inuss ein
Schreibfehler sein. Was der Zusammenhang verlangt, ist
klar: es muss hier eine Steigerung des vorhergehenden
fortissimus quisque gestanden haben; ich finde nichts pas-
senderes als ferocissimis Chattorum." Man wird zunächst
fragen : worin liegt denn die Notwendigkeit plurimis Chat-
torum im Sinne von „dem grösseren Theile des Volkes der
Chatten' * zu fassen? oder soll die Bedeutung „sehr viele
von den Ch/' für Tacitus ausgeschlossen sein, weil er in
diesem Sinne gewöhnlich plerique sagt? Es genügt auf
c. 40 hinzuweisen: Contra Langobardos paucitas nobiUtat;
plurimis et valentissmis nationibus einet* non per obse-
quium, sed proeliis et periclitando tuti sunt: vgl auch 43
ultra quod (montium iugum) plurimae gentes aguni; u. 35
prompta tarnen omnibus artna ac, si res poscat, plu/rumm
virorum equorumque*1). Die grössere Schwierigkeit, die
man in dem Widerspruche, der zwischen den Worten ig-
navis et inbettibus manet squalor und der darauffolgenden
Schilderung von den plurimi Chattorum mit Recht gefunden,
hat, glaubt Nipperdey durch die Bemerkung zu erledigen:
„Die Feigen und Unkriegerischen müssen ihr Lebelang die
entstellende Tracht tragen, die Unbändigsten thuen es frei*
willig; sie legen sich aus freier Wahl die äusseren Zeichen
einer Schande auf, welche aber, da sie jeder kennt, bei
ihnen nur Symbol ist, ein Zeichen, dass ßie sich zu ewiger
Tapferkeit verpflichtet haben". Man wird billiger Weise
fragen, woher sie denn jedermann gekannt habe, wenn ein
21) Sollte man den Gebranch des Genetivs betonen wollen, so
verweisen wir auf Stellen wie Genn. 43 nullo hoetium sustinente
novum . . adspectum, ib. 44 sclvtum, ut in quibusdam fluminum
. . remigium. Ann. 8, 10 penteis famüiarium adhibitis. Hist. 2, 1
paueia amicorum adhibiüs. A. XI, 22 cuncHsque civium . . liciUm
petere magietratus u. a. a. 0.
26 SiUung der phOos.-phüol. Glosse vom 4. Juni 1864.
und dasselbe Symbol als Zeichen der Schmach und als das
ganz besonderer Tapferkeit gegolten hat. Was die plurimi
Ghattorum betrifft, betrifft, so hat schon Müllenhof f Z. f.
d. Alterth. X. 561 bemerkt, dass der Nachdruck auf placet
beruhe und dass, wie das weitere lehrt, nur von einzelnen
die Rede sei, die zusammen eine erlesene Kriegsschaar oder
eine Art stehendes Heer bildeten, weil jeder die Tracht
beibehielt und dadurch nun, dass er weder Haar und Bart
noch den Ring ablegte, sich für immer in, der Pflicht und
den Dienst des Kriegsgottes begab ; denn nur das könne
die Bedeutung des Ringes als eines vinculum sein. Je
richtiger diese Auffassung erscheint, desto mehr hätten wir
gewünscht, Müllenhoffs Ansicht auch über den Widerspruch
in den Worten ignavis et inbdlibus mcmet squalor zu er*
fahren. Es wird nicht hinreichen, so richtig auch die Be-
merkung an sich ist, wenn man sagt, dass Tac. in den
Worten wohl nur eine selbstgezogene Folgerung hingestellt
habe, durch die er, während er einen Zug rhetorisch aus-
zumalen suchte, in »Widerspruch mit seiner eigenen weiteren
Darstellung gerathen sei: man wird vielmehr wohl noch
einen Schritt weiter gehen müssen. Wir denken uns nem-
lich das Verhältniss in folgender Weise. Tacitus hat von
der eigentümlichen Tracht bei dem Volke der Chatten ge-
hört, und zwar dass sie in zweifacher Weise bestand, theils
ak ständige Tracht auf Seite der fortissimi, deren Schilder-
ung nach Tacitus ganz an die späteren deutschen Lands-
knechte erinnert, theils als zeitweilige. Worin aber bestand
eine solche zeitweilige devotio? Nach unserer Vermuthung
nicht darin , dass jeder einzelne seinen Feind erschlagen
muss, um Haar und Bart ablegen zu dürfen, sondern darin
dass das ganze Volksheer gelobt nicht eher des struppigen
Wustes sich zu entkleiden, als bis der Feind, der ihm ge-
genüber steht, geschlagen ist. Auf diese Auffassung fuhrt
eine ganz übereinstimmende Schilderung, die aus späterer
ßahn: Comtroveree SteUen in der Germama des Taoitus. 27
Zeit überliefert ist. Vgl. Gregor. Turon. V, 15: HU quo-
que, qui ex Saxombus remamerant, detestati sunt nuüum
se (sibi?) earum barbam neque capillos incisurum, nisi
priu8 de adversariis ulciscerentur (aus Gregorius auch bei
Paulus Diac. de rebus Langob. 3, 7). Was bei anderen
Stämmen der Fährer für sich that (s. Tac. Hist. 4, 61:
Civilis barbaro voto post coepta adversus Romanos artna
propexum rutüatumque crinem patrata demum caede legio-
num deposuitit)1 das gelobte bei den Chatten gewöhnlich
das ganze Volksheer, wenn es zum Schlagen kommen sollte.
Tac. hatte vielleicht ganz richtig von dem Branche gehört
nm caeso hoste non exuere votivum oris habitum, aber sich
nur eine irrige Vorstellung von dem caedere hosten* ge-
macht. Sollte diese Auffassung des Verhältnisses als richtig
oder wahrscheinlich erkannt werden, so bedarf es kaum der
Bemerkung, dass was Tac. nach den Worten super sangui-
nem et spolia revelant frontem, die erst bei unserer An-
nahme in das rechte Licht treten, noch hinzu fügt (bis
manet squalor), ganz auf Rechnung der rhetorischen Aus-
malerei zu schreiben sei.
Wir fügen zum Schlüsse noch einige kritische Bemerk-
ungen hinzu.
In den Worten c. 3 „sunt Ulis haee quoque car-
mina, quorum relatu, quem barditum vocant, accendunt
cmimos futuraeque pugnae fortunatn ipso cantu augurantur"
habe ich, soweit mir die Sache bekannt ist, zuerst an haec
Anstoss genommen13) und bin auch jetzt noch von der
22) Passend vergleicht J. v. Graber auch was Suetonius von
Julius Caesar c. 67 erzählt: Düigebat quoque ueque eo (Caesar mili-
tes), ut audita dade Tituriana (durch Ambiorix, s. Caes. b. g. 5, 37)
barbam capiUumque eummiserit nee ante dempserit quam vindicasset.
23) Was sich Reisig (Yorles. üb. lat. Sprachw. 359) über die
Stelle gedacht hat, geht aus seinen Worten nicht deutlich hervor:
„bei Tac. kann haec carmina nicht für ea carmina stehen, als wenn
28 • Sitzung der phiio$~-ph#6l. Clane vom 4. Juni 1864.
Verderbiusa des Wortes überzeugt. Da die Woite den Ge*
gensatz xu jenen in c. 2 „Celebrant carmimbt48 antiquis,
quod tmum apud Mos memoria* ei anmUum genus est,
Tuistonem deum" etc. bilden, so ist es klar, daes hier ein
Pronomen nicht passt, solidem statt dessen alia oder ein
Adjectivbegriff wie z. B. heroica oder bellica erwartet wird.
Vollends gegen haee spricht nicht blos der Sinn, sondern
auch der Sprachgebrauch; denn die Erklärung „talia, ejus*»
modi", ist eben so sprachwidrig als die Uebersetzung , jene
bekannten", oder gar wie Schweizer-Sidler will „die
bekannten und furchtbaren Klänge". Die Phrase, es
bedürfe keiner Conjectaren , ist in aolchen Fällen eine ganz
wohlfeile ; man braucht ja nur einem Worte einen beliebigen
Sinn unterzuschieben und kann dann getrost die Hände in
den ächooss legen. Die einzige mir aus Tac. bekannte
Stelle, die man allenfalls mit der vorliegenden vergleichen
könnte, findet sich Ger m. 20: In omni domo nudi ac sor*
didi in hos artus, in haec corpora, quae miramurt, excres-
ctmt* Hier aber hat Ate seine richtige Beziehimg auf das
Nahe und Gegenwärtige ; es ist gesagt in Rücksicht auf die
zahlreichen germanischen Soldaten und Sklaven, welche die
Bewohner Roms täglich vor Augen hatten. Auch wenn Tac
c. 10 sagt: et ülud quidem etiatn hie notum, avium voces
volatusque interrogare oder c. 3 ceterum et TJUxem quidam
opinemtur longo Mo et fabtdoso errore in kirne Oceamtm
delatum adisst Germaniae terras, kann der Gebrauch von
hie nicht als eine Abweichung von dem gewöhnlichen er-
scheinen; denn hier ist hie von dem Lande gesagt, dessen
Schilderung gerade den Schriftsteller beschäftigt, in ähnlicher
Weise wie Cornelius Nepos so häufig hie von dem Feldherm
durch das folgende quorwn mit seinem Satze erst die nächste Kennt-
niss davon gegeben würde, da doch quorum nur eine weitere Be-
schreibung des jüngst Vorausgegangenen gibt11.
Bahn: Controeerse Stoßen in der Germania des Tacitus. 29
gebraucht, dessen Leben er so eben beschreibt. Um auch
das noch hinzuzufügen, so findet die überlieferte Lesart
kaec quoque carmina auch in dem, was Tac. sogleich weiter
sagt „terrent enim trepidantoe, prout sonuü acies, nee tarn
weis ille quam virtutis concentus wäetur**) keine Unter-
stützung.
C. 10. Auspicia sortesque ut qui maxime observ&nt:
sortium consuetudo simplex. Vivgam frugiferae arbori de-
cisam in suretdos amputant eosque notis qwbusdam die-
eretos super candidain vestem fernere ae forfarito spargunt.
moxy si publice consuletur, saeerdos civitatis, sin pri-
vatim, ipse pater famüias precatus deos caelumque suspi-
ciens ter singulos tolUt etc. Dass das futurum si cansuletur
nicht richtig ist, beweisen am besten die verkehrten Erklär-
ungsversuche. Ritter wärmt wieder die Erklärung von
Passow auf: „wenn von Staatswegen die heiligen Loose
befragt werden sollen" , wobei das bequeme deutsche
„sollen" zur Bemäntelung dient, dass man mit raschem
Sprunge aus consuletur ein consulendum est gemacht hat;
noch verzweifelter erscheint die Erklärung von Kritz:
Futurum pendet ex praegressa sortium praeparatione, quam
sequitur ipsa consultatio. Von den verschiedenen Conjec-
turen, die man beigebracht hat, consulatur, constdtatur,
consulitur, verdient die des alten Beatus Rhenanus, consu-
latur, aus dem Grunde den Vorzug, weil sie auf der
riohtigen Erkenntniss eines eigentümlichen Sprachgebrauches
des Tacitus beruht; nur ist es noch leichter, wie ich vor-
geschlagen habe, consultetur zu lesen. Tacitus hat nemlich
den bekannten Gebrauch des Conjunctivs bei wiederholten
24) Diese Lesart ist bekanntlich Conjectur von Rhenanus statt
der handschriftlichen Lesart nee tarn voces ittae quam vwtutis cm-
centue videnbur, die so bestechend sie auch ist, doch wegen des Sin-
gulars weis nioht als völlig überzeugend erscheinen kann.
30 Sitmmg der pMos.-pkOol. Clane vom 4. Juni 18S4.
Handlungen in vergangenen Zeiten in der Germania in Ver-
bindung mit si auch auf das Präsens ausgedehnt, so dass
si mit Conjuncti? ganz einem griechischen idv oder ©Wer?
entspricht; s. c. 7 et duces exemplo potius quam imperio,
si prompti, si conspicui, si ernte aciem ogemt, admiratiane
praesunt. c. 13 nee solutn in sua gente cuique, sed apud
finitimas quoque civitates id nomen, ea gloria est, si numero
ac wirtute eomitatus ernineat. c. 14 si ewitas in qua orti
sunt longa paee et otio torpeat , plerique nobMum adules-
centkm petunt vitro eas civitates, quae tum bellum aüquod
gerunt. c. 17 Tegumen omnibus sagum fibtda aut si desit
spina consertum. c. 35 prompta tarnen omnibus arma et,
si res poseat%% plurimum virorum equorumque**). Die
25) Ganz entsprechend heisst es im Praeteritum Tac. Hist. 2, 5
si res posceret, H. 1, 79 übt res poeceret. Agr. 9 übt conoentus et iudi-
cia poscerent etc.
26) Die Handschriften haben si res poeeat exerdttu plurimum
virorum etc. Wir billigen jetzt an dieser Stelle die Streichung von
exercitus mit Walch (emendatt. Liv. p. 273) und Haase, wiewohl
sonst nur wenige Spuren von Glossemen in der Germania vorkommen,
vielleicht nur c. 9 et Hereulem (schon durch die Wortstellung nach
der Lesart der besseren Handschriften verdachtig), und c 28 Oer*
manorum naiione; das vielbesprochene victus inter hospites comie
scheint aus einer Inhaltsangabe des Capitels vom Band in den Text
gerathen zu sein; die Lesart c. 4 Germaniae populos nuüis [aiiis]
aliarum nationum conubiis infectos, die man auch jetzt noch so ver-
kehrt ist dem Tacitus in die Schuhe zu schieben, ist wahrscheinlich,
wie die Schreibung im cod. Pontani (nuüis aiiis aliarum nationibus)
zeigt, aus einem alten Assimilationsfehler der Urhandschrift nvUis
aliis nationibus hervorgegangen. Hingegen dürfte das doppelte iam
e. 83 (quando urgentibus iam imperii fatis ttihü iam praestare forhma
maius potest quam hostium discordiam) bei der verschiedenen Be-
deutung der beiden iam nicht als anstössig erscheinen. Eben so
selten ist der entgegengesetzte Fehler, dass etwas zu fehlen scheint,
vielleicht nur o. 10 (nee uüi auspicio maior fides, non sohtm apud
plebem, apud proceres, apud sacerdotes: se enim mimstros deorum,
Halm: Gontroverse Stellen in der Germania des TaeUus. 31
einzige Stelle, wo der gewöhnliche Sprachgebrauch einge-
halten ist, findet sich c. 20: si liberi non sunt, proximus
gradus in possessione fratres etc. *7) Für die Herstellung
iüos conscios putant), wo sed nicht n&ch plebetn, sondern mit Thomas
nach proceres einzusetzen ist, und c. 34, wo in den Worten nee de-
fuit audentia Druso Germanico, wie J. v. Grub er vermuthet, wohl
Neroni zwischen den beiden Namen ausgefallen ist, s. oap. 37 Drusus
ae Nero et Germanicus (vgL Mommsen's röm. Forsch. I, S. 86
Anm. 61); denn Drueo Germanico zusammengelesen scheint eben so
bedenklich als die Annahme eines zweigliedrigen Asyndeton Druso,
Germanico. Hingegen erscheint es fraglich, ob c. 3 in den Worten
Asciburgiumque, quod in ripa Rheni süum hodieque incolitur, ab iüo
(XFlize) constitutum nominatumque eine Lücke anzunehmen sei. Denn
wenn auch der Name Asciburgium sicherlich ein acht germanischer
gewesen ist, warum sollte es -als unmöglich erscheinen, dass ein
griechischer oder römischer Antiquar oder Etymolog, der von einem
germanischen Odysseus gehört hatte, in dem Namen bei dem An-
klang an dex6g und nvoyog einen griechischen gewittert und darauf
weitere Gombinationen gebaut habe? Dass im cod. Pont, am Rande
von anderer Hand ein Zeichen eines Verderbnisses oder einer Lücke
steht, oder dass in geringeren Handschriften nach nominatumque
eine Lücke gelassen oder ein griechischer Name eingesetzt ist, hat
keine Bedeutung; denn es beweist nur, dass man nominatum im
Sinne „benannt, so genannt worden" nicht verstanden hat.
27) Wenn Beispiele dieses Sprachgebrauchs in andern Schriften
des Tac. nicht vorkommen (nicht ganz sicher ist Agr. 13 Britarmi . .
iniuncta imperii munera impigre obeunt, si iniuriae absint), so erklärt
sich das aus dem Umstände, dass in historischen Schriften sich über-
haupt wenig Gelegenheit zum Vorkommen des Falles im Zeitver-
h<niss des Praesens ergibt. Der Sprachgebrauch findet sich be-
kanntlich auch nach dem rein zeitlichen cum im Präteritum (vgl.
Madvig'8 Bemerkt zur lat. Sprachl. S. 61, A. 2), wie z. B. Tac. Hist.
1, 10 nimiae voluptates, cum vacaret, Dial 37 quae mala . . cum
acciderent, ingentem doquentiae materiam subministrabant. Ein Bei-
spiel mit Praesens scheint vorzuliegen Dial. 41: quid enim opus est
longis in senatu sententiis, cum optimi cito consent iant? quid multis
apud populum contiombus , cum de re publica non imperiti et muUi
deUberent, sed sapienHssimus et unus? etc.
32 Sitzung der phüos.-phikt. Gasse vom 4. Juni 1964.
von consulteiur spricht auch der Umstand, dass Ruodolfus.
der bekanntlich die Stelle benatzt hat, sich folgender Wend-
ung bedient (s. Monum. hißt. Genn. II, 675): Mox, si
publica consultatio fuit, sacerdos populi, si privata,
ipse paterfamüias precatus deos caelumque suspiciens ter
singulos tulit etc. Dabei darf man als sicher voraussetzen,
dass er st publica consultatio fuit im Sinne von „wenn
eine Berathung in öffentlichen Angelegenheiten stattfand"
gefasst hat, wie auch die meisten Debersetzer des Tacitus
in der weiter unten vorkommenden Stelle (si prohibuerunt,
nulla de eadem re in eundem diern consultatio) consultatio
unrichtig mit „Berathung" statt mit „Befragung" übersetzt
haben. Der Irrthum des Chronisten ist begreiflich, wie er
consultare, nicht aber, wenn er cotisulere in seinem Exem-
plare vorgefunden hat. .In der seltenen Bedeutung von
cotisulere findet sich consultare auch in Tac. Ann. II, 54:
sacerdos numerum modo consultantium et nomina audit,
ib. II, 29 u/ consuttaverit Libo (mathematicos), an habi-
turus foret opes, quis triam Appiam Brundishm usque pe-
cunia operiret bei Plin. Paneg. 76 um erat in limine mora
(Traiano), consultare aves revererique numinum monitus.
Gap. 30. Ultra hos Chatti initium sedis ah Hercynio
saltu inchoant, man ita effusis ac palustribus loeis, ut ce-
terae civitatis, in quas Germania patesdfy durant siquidem
colles, paülatim rarescunt, et Chattos mos salius Hercynius
prosequitur simul atque deponit. So wird die Stelle ge-
wöhnlich gelesen und interpungirt, wie es noch in den
Ausgaben von Orelli und Haase der Fall ist. Soll Tacitus
wirklich so geschrieben haben, so hätte man allen Grund
die Stelle als eine der härtesten in seinen Schriften und
geradezu als stilistisch fehlerhaft zu bezeichnen. Schon der
erste Satz erregt gerechtes Bedenken „die Chatten beginnen
den Anfang ihrer Wohnsitze mit dem herc. Walde", welche
Ausdrucksweise um so seltsamer erscheint, wenn man den
Beim: Gsutrovem Stettm wt der Germania äet TaciUu. 33
Aaschhtss non ita effusis ae palustribus loeis erwägt. Denn
fisat man bei diesen Worten auch den Gedanken an das
mitium sedis fallen und denkt nur noch an die sedes, so
muss es doch Hast als unmöglich erscheinen, dass ein solches
Prädicat, das nur eine rein locale Schilderung enthalt, von dem
Subject Chatti ausgesagt werden könnte. Sodann ist die
Stellung durant vor si quidem geradezu unlateinisch, und
wäre es auch möglich ein Verbum vor ein si quidem zu
stellen, so wäre es doch an vorliegender Stelle unzulässig,
weil auf durant si quidem cottes noch ein zweites Prädicat
paulatim rareseunt folgt. Den nicht verkannten grossen
Schwierigkeiten der Stelle hat man durch Aenderungen in
der Interpunction abzuhelfen gesucht, wie z. B. Ultra hos
Chatti initium sedis ab H. saltu inchoant: non ita effusis
ac paiustribus loeis . . durant, si quidem etc. Damit ist
aber wenig ausgerichtet, weil sie, abgesehen davon, dass
die anstössige Phrase Chatti initium sedis inchoant unver-
rückt bleibt, die von dem Subject Chatti gegebene locale
Schilderung noch schroffer hervortritt: „die Chatten dauern
(gehen) fort in nicht so ausgedehnten Ebenen und sumpfigen
Gegenden", wie gewiss unmöglich war zu sagen, wie weit
man sich auch die Grenzen des Sprachgebrauchs in Ver-
tauschung eines Landesnamens mit dem Volksnamen ausr
gedehnt denken mag. Alle diese Schwierigkeiten beseitigt
die Herstellung der Lesart des cod. Pontani von erster
Hand unter Verbesserung der Interpunction:*8) Ultra hos
Chatti:**) initium sedis ab Hercynio saltu inchoatur9*°)
28) Die Verbesserung steht schon in meiner zweiten Ausgabe
des Taoitus, aber durch Versehen ist in dem in die Druckerei ge-
gebenen Exemplar das Komma der alten Lesart nach cottes stehen
geblieben, wodurch die Stelle unklar geworden ist.
29) Man vgl die ähnlichen Anfange und Uebergange c. 41 Pro»
pior . . Hermundurorum ctoitoe; c. 43 Protinus deinde ab Oceano
Rugiiet Lemovii.
30) Zu der Häufung initium $edis inchoatur bieten passende
[1864.IL 1.] 3
34 Sümmg der pktkm.-phibl. CM* wm 4 Jfctti 19fa
non ita effksie ac91) palustribus loci*, ut c. t. in quas tt
patescit, durans, si quidem ccttes paukdim rarescunt etc.
Die einzige Kühnheit, welche jetzt noch im Ausdrucke a«f-
gtösst, die übrigens auch nach den bisherigen Fassongen
vorliegt, besteht darin, dass mit durans so fortgefahren ist,
als gienge nicht inUium sedis, sondern wies voraus; alles
übrige erscheint in bester Ordnung. Ueber das letzte Satz-
glied der vorliegenden Stelle hat sich Bergk (Philologita
XVI, 627) eine unnöthige Schwierigkeit gemacht: er meint
nemlich, es könne, weil sich deponit und prosequitur ge-
radezu aasschliessen, Ton einem simid hier keine Rede sein,
und will daher, da er sieh auch an dem allerdings etwas
gezierten Chattos suos stosst, die Stelle so lesen: et Gatfoi
suus saltus prosequitur, simid atque deponit Hcrcynius:
„wo die letzten Vorberge des hercynischen Waldes auf«
hören, da beginnt sofort das cattische Gebirge". Das über
simul erhobene Bedenken beruht auf einer Verkennnng des
Sprachgebrauchs des Tacitas, der in seiner gehobenen Dar-
stellung statt eines einfachen et-et sich mit Vorliebe beson-
ders in seinen früheren Schriften der Wendung simul et9
simul ac (atque) bedient; vgL Germ. 31 iamquc canent
Parallelen die Stellen Hist. H, 79 Initium ferendi ad Vespasianum
imperii Alexandriae coeptum; Ann. 13, 10 quamquam censuissent
patres ut principium anni inciperct «tatst Deccmbri; Germ. 18
ipsis incipientis muArimcmi auspiciis admonetmt (mulier) temr*
se laborum periculorwmpue sociam.
31) Wenn es bei Tross heisst: „in codice nostro primitus
scriptum fuerat inchoatur, sed hoc erasa syllaba «r, in inehod't mu-
tatom est Porro non durant scriptum est, sed dmrans, ut totas
locus sie constitutus sit: inchoat non ita efinsis pahutribms loci*: Ut
coderae ciuitaUs in qua* Germania patescit durans, siquidem etc., so
ist die Auslassung von ac, die eine passende Sinnesänderung her-
beifuhren würde, wohl nur einem Schreib- oder Druckversehen bei-
zumessen, indem die späteren Benutzer des Codex nichts von einer
solchen Variante anfuhren.
lädst: Cawtrosmse SUHm 1m «br Oemmia de$ Tadtu*. J5
m$ifnß8 et hostibus simul suieque tnonstratu ib. 34 seä
ebetitit Oceanm in se simul atque in Bereutem inquiri.
Agjn. 6 in subsidium simul et sdacimu 7 successor simul
et ultor. 35 t* speciem simul ae terrorem. ib. ne in fron-
ten smul et latera worum pugnaretur. Ann. 13, 40 ut,
ei hasUs intravisset, fronte simul et ein» exciperetur, Aehn-
lich ist der Gebrauch von pariter et, wie Ann. 13, 30 non
ignaro duce nestroy qui via* pariter et pugme composuerat
exercitum. Germ. 46 idemque venatus vires pariter ae
feminas dlit. ")
Ü. 37. M Oermani Carbone et Oaseio et Scauro
Aemüio et Servilio Caepione, Marco quoque Manlio
fusis vd captie quinque simul consularis exercUus popule
Romano . . abstulerumt. An dieser Stelle hat man wohl den
Fehler in dem Pränomen Marcus erkannt, das bei allen
Schriftstellern, die diesen Consnl Manlius (oder richtiger
tfallius) erwähnen (s. Sali. log. 114, Cüo. p. Mar. §. 36.
p. Plane. §. 12. de Orat. II. §. 125, Liv. Perioch. 67,
Granins Licin. p. 10, VaL Max. II, 3, 1, Oros. V, 16,
Eutr. V, 1) Onaeus heisst, aber über die Verbindung ist
man stillschweigend hinweggegangen, so geringe Wahr-
scheinlichkeit es auch hat , dass das letzte Glied nach dem
Polysyndeton Carbone et Gassio et Scauro A. et Servilio
Caep. mit quoque eingeführt worden sei. Wir vermuthen,
dass Tac. Qnaeoque Manlio geschrieben und dass man
nach eingetretenem Verderbniss die scheinbare Lücke durch
den Zusatz Marco ausgefüllt habe. Der Uebergang in der
Verbindung von et in que ist dadurch motivirt8'), weil
32) Die spatere rhetorische Sprache verbindet sogar beide
Formen, wie Firmicus Mat. de err. prof. relig. c. 7 p. 11, 21 Bura.
proreue aptun locus, qui gratia sua pueüares animoa et invitaret pariter
et tautet o. p. 12, 10 et ecpuUa in looo est parüer et ooneecrata
{Corte) et divmo cum flia appeUata nomine.
38) Vgl. Agr. 41 tot exercitua in Moesia Daeiaque et Germania
8t Bümmg der pMoe-phQoL Okme vom 4. Juni 1864.
dieser letzte Schlag der Cimbern ein combmirtes Armee»
corps, das unter zwietracfatigen Führern stand, getroffen
hat; wie bekannt, wurde zuerst das Heer des unter dem
Consul Malliuß stehenden Prooonsul Oaepio, und unmittelbar
darauf die zweite römische Armee unter dem Consul selbst
vernichtet. Ein fehlendes que glaube ich auch richtig c. 27
(Nunc singtUarum gentium insütuta rüueque, quatenus
differant, quae nationes e Germoma in Gattias commi-
gr averint, expediam) hergestellt zu haben, zu welcher
Stelle J. y. Grub er nicht ohne Grund bemerkt hat, dass
auch das sonderbar erscheine, dass Tac das zuerst abzu-
handelnde nachstelle. Schreibt man quaeque nationes, so
beseitigt sich ausser dem störenden Asyndeton auch dieser
Umstand, indem schon durch die Verbindungspartikel das
zweite Glied als ein minder wichtiger Nebentheil der fol-
genden Darstellung bezeichnet wird. Hingegen wird c. 11
in den Worten ütud ex libertate Vitium, quod non simd
nee ut iussi canveniunt, sed et alter et tertius dies cwncta*
Hone coeuntium absumitur das erste et als Dittographie von
sei zu streichen sein, da bei einem derartigen Gedanken,
„sondern es geht ein zweiter und (manchmal auch) noch
ein dritter Tag durch das säumige Eintreffen verloren" eine
Partition mit et-et als ungehörig erscheint.
Cap. 38. Insigne gentis (Sueborum) obUquare crinem
nodoque subsiringere ; sie Suebi a ceteris Germanorum, sie
Sueborum ingermi a servis separantur. In aliis gentibus
seu cognatione aliqua Sueborum seu, quod saepe accidit,
imüatione, rarum et intra iuventae spatiwn, apud Suebos
usque ad canitiem horrentem capillum retro sequuntur, ae
saepe in ipso vertice religatur. Ueber diese Stelle hat
et Pamumia temeritate out per ignaaiam ducum amim, wo in gleicher
Weise Mösien and Dacien alt zusammengehörige Länder vertraur
den sind.
Halm: Omiwwem Mn t» Ar Chmmia 4m Tactos. W
jüngst Baumstark sein licht in der Eos (I, 61 ff.) leuch-
tan lassen und sieh über das viele Kreuz Instig gemacht,
das die Stelle den Kritikern und Erklären! verursacht
habe. Freilich- wenn man die Behauptungen liest, die dort
aufgestellt werden, dass obliquare crinem nodoque subsirin-
gert*4) dasselbe sei, wie capiüum retro sequi atque in iter»
Hee reUgare, dass in sequor das Unmittelbare, Feste
ein Hauptbegriff sei, dass selbst die Lesart in ipso sah
veriice**) den gelehrten Herren kein Kreuz machen sollte^
da ja diese Lesart bei der Erklärung „knapp auf dem
Punkte der Scheitel, d. h. auf dem sogenannten Haar-
wirbel und sonst nirgend (soio)u ganz leicht verständ-
lich erscheine, dann giebt es keine Kreuze mehr und man
braucht in Nothfallen nur das Orakel der Eos zu befragen.
Anderen, die durch blosse Machtsprüche nicht so leicht au
befriedigen sind, werden die Schwierigkeiten der Stelle noch
nicht beseitigt erscheinen. Was zuerst die Worte insigne
gentis obliquare crinetn nodoque substringere betrifft, so
scheint damit die am häufigsten übliche Art der Haartracht
34) Baumstark sagt: .,1m Allgemeinen ist obliquare = tu latus
fieetere, also: auf die Seite streichen. Ist das Haar erst auf die
zwei Seiten gestrichen, dann wird es an seinem Ende erfasst, und
da» unterste mit dem obersten zugleich gegen die Seheitel erhoben
und zusammengenommen nnd der so fest gehaltene und mit der
Hand angezogene (stringere) Wulst ganz unten (sub), unmittelbar und
knapp auf dem Kopfe selbst, geknotet oder geknüpft (nodo), so dass
der Haarbusch über der Knüpfung mehr oder weniger in die Höhe
und auseinanderwallt". Und das alles soll TaoHas mit seinem kurzen
nodo mbstrmgere gesagt haben!
86) Was die Handschriften betrifft, so scheint Baumstark dem
Grundsatz zu huldigen, dass jene Lesarten die besten sind, welche
die Mehrzahl der Handschriften für sich haben; dass der cod. Pont,
t» ipso hat mit der von anderer Hand überschrieben en Glosse oder
Variante solo, ist für ihn völlig gleiohgiltig.
90 tffepy <** j*öw.*WW. Clam vom 4 Im* i#W.
bezeichne zu sein, ftacfc dar das Haar seitwärts gestrichen M)
lind am Hinterkopf mit einem Knoten unterbunden, d., h.
in einen Zopf gofeast wurde. Dass diese Schilderung im
folgenden von Tachos nicht nochmals wiederholt, sondern
jettf eine Abart; von der allgemeineren Haartracht geschil-
dert werde, ist abgesehen davon, das* der wortkarge Autor
sich nicht in solcher Weise zu wiederholen pflegt, aus den
Worten ac saepe ganz deutlich zu entnehmen» Dass aber
diese zweite Schilderung niobt richtig überliefert ist, dafür
liegen ziemlich deutliche Spuren vor. Denn dass Tacitus
nicht einen solchen Satz „in aliis gentibus — rar um et
pUra iuventae spatium ajmd Suebos — reUro sequuntur"
gebaut hat, zeigt die ParalleUtelle cap. 31: Et alixs Qer»
numorum populis usurpatutn rara et privata cuiusque
audenüa apud Chattos in censensum vertilg ut primun
adoleverint, crinem barbamque submitter*. Man erwartet
wie in dieser Stelle nach retm einen Infinitiv, und diesen
von einer im personellen Redensart (wie im eonsensum vertif)
abhängig, wie schon durch die Wendung ajpwd Suebos an»
gedeutet liegt. Dass in sequuntur ein Fehler steckt, zeigt
ferner die Unverständlichkeit der Phrase retro sequi an
sich, über die auch die Eos kein helleres licht verbreitet
hat; denn wie ein Rückwärtsstreichen des Haares gegen
dessen natürliche Richtung des Herabwaliene in lateinischer
Sprache ausgedrückt wurde, erfahren wir aus der bekannten
Stelle bei Quintilian XI, 3, 160: Vitiosa enim sunt Uta . .
capillos a fronte contra naturam retro agere, ut sit
korror ille terribüis. Ein weiterer Beleg für die Ver-
derbtheit von sequuntur liegt in der von den besseren Hand*
Schriften glücklicher Weise erh<eüen Lesart religatur, ans
86) Dagegen tragen, wia Paulas Diao. 4, 33 erzahlt, die Lange-
barden capiüos a fade usque ad os dimissos, quos in utramqut par-
tim tu finmtü discrimine dividebant, $. Grimm'« d. Bechttalterth. 205.
xZoPPft.* C&ß9fQV&8€ 'WtetMH tfl WT vdPSUWlMK (K# xek!tftC0. 99
4er ta Anschhiss an das verderbte sequuntur durch Inter-
polation relxgant ge&lscht worden ist. Wie nun das so
starke Verderbniss 2a heilen sei, ist allerdings schwer zu
sagen ; doch möge wenigstens ein Versuch mitgetheilt werden :
im aliis gentibus — rarum et Antra iuventae spatium apud
Suebos — horrentem capülum retro agere suetum, ac
saepe in ipso vertice retigatur, wenn man nioht die Ein-
Setzung Von Suetum naoh Suebos Toraeben, und dann lieber
nach Haupte Vorgang retrorsum agere schreiben will.
C. 46. Peucinorum Venetorumque etFennorum natkmesf
Germanis an Sarmatis adscribam dubito, quamquam Pen»
eini, quos quidam Bastamas vocant , . sermone , cuttu, sede
ac domicüiis ut Oermani agunt. Sordes otnmum ac terpor f
precemm conubiis miztis nonnikü in Barmatarum habitum
foedantur. Veneti tnultum ex moribus traxerunt; nam quid*
quid inier Peucinos Fenmsque siharum ae montium efigir
tut, latrociniis pcrerrant Hi tarnen intet Oermanos potiuS
referuntur, quia et domos figunt et scuta gestaut et pedufn
u$u ae pemicitate gaudent, quae omnia diversa Sarmatis
sunt in plaustro equoque viventibus. Fennis mira feritas,
foeda paupertas etc. In dieser Stelle hat zuerst Muetzell
richtig erkannt, dass in dem corrnpten procerum der Name
Peucinorum steckt, und die ganze Stelle so geschrieben:
Sordes omnium: at corpora Peucinorum conubiis tnixiorum
nonnihü in Sarmatarum habitum foedantur. Näher der
UeberllefeniDg schhesst sieh die auf Mvetzell's Vorgang von
nrir versuchte Verbesserang an: Sordes omnium ac torpor:
ora Peucinorum (oder Peucinorum ora) conubiis mixtis . .
foedantur. Es schien, als ob man mit dieser Herstellung
einer schwer zerrütteten Stelle sich genügen konnte, indem
jetzt alle Theile der ganzen Schilderang in einem hannon».
ischen Zusammenhange stehen. Nachdem Tacitos den nur
in Besag atf die Peucinen Kmitirten Zweifel ausgesprochen
hat, ob die genannten drei Völker zam Stamm der Oer*
4i 8*mm$ der pMm.pMil. Oäm *o» 4. Juni 1BU.
maneo oder Sarmaien zu rechnen seien, sagt er zuerst
etwas aus, was den drei Völkern gemeinsam zukommt,
dann von jedem einzelnen Volke etwas besonderes. Dabei
schien auch der Gegensatz zwischen ora Peueinorum . .
foedantur und Veneti muttum ex moribus traxerunt em
sehr entsprechender und ganz im Geiste des Tacitus. Nip-
perdey ist jedoch mit dieser Anordnung der Stelle noch
nicht zufrieden und hat den neuen Vorschlag beigebracht
(a. a. 0. S. 350): Sordes omnium ae torpor; corporum
procerum . . foedatur. Wir möchten fast befürchten, dass
der Gedanke, procerum mit langer Mittelsylbe, statt mit
kurzer zu lesen, ihn bestochen und gegen die sonstigen
Bedenken seines Vorschlags blind gemacht habe. Er fühlt
selbst, dass nach der ganzen Anlage der Schilderung auf
das allgemeine das besondere folgen müsse, meint jedoch,
dass das besondere von den Peucinen schon sogleich am
Eingange angehängt sei, während doch dieses besondere
blos auf der Beschrankung des Satzes Oermanis an Sar*
matte adscribam dubito beruht. Wer von unserem Schrift*
steller eine nicht gar zu geringe Meinung hegt, wird nicht
anders urtheilen können, als dass auch nach diesem be-
schränkenden Zusätze noch eine besondere Aussage von den
Peucinen folgen müsse. Soll sodann corporum procerum
foedatur sich auf alle drei Volkerschaften beziehen, so ver-
langt eine sachgemässe Darstellung im folgenden wenigstens
Veneti muUum ex moribus quoque traxerunt, nicht ein
einfaches ex moribus, nachdem so eben von allen eine
körperliche foedatio ausgesagt war. Dass endlich bei Misch-
ungen verschiedener Völkertypen gerade die proceritas in
erster Linie in Frage komme, wird sich vom ethnographi-
schen Standpunkt schwerlich beweisen lassen, während ora
foedantur so ganz am Orte steht, wobei man an die breiten
Gesichter der asiatischen Völker um so mehr wird denken
dürfen, als bekanntlich dieser Typus schon bei einer Anzahl
Hahn: Controvene Stellen in der Germania des Tacitus. 41
russischer Völker abwischen Stammes ganz sichtbar hervor-
tritt ").
87) Vgl. Latham's native Races of the russian Empire S. 22:
In all respects the Sarmatian is more European than Asiatic; more
German, Keltic, Latin, or Greek, than Mongolian, Tibetan, or
Chinese. The straight black hair, and black or hazel irides, charac-
teri8tios of the Turks, Mongole, and almost the other Asiatics, are
largely replaced axnongst the Sarmatians by grey eyee and brown
hair — brown in its lighter as well as its darker shades ; brown, in-
clnding flaxen. Tet the face is flatter, and the head broa-
der, than is the case with the more extreme European types —
e. g., the Italian, the Spanien, and some varieties of the German.
In den während der Abwesenheit des Verf. gedruckten Seiten
17 ff. sind folgende Verbesserungen vorzunehmen:
S. 17 Z. 16 ist >sich< zu streichen
S. 17 Z. 22 lies farbige
S. 22 Z. 11 v. u. 1. cvmtninua
S. 23 Z. 15 1. ist die bekannte
S. 23 Z. 8 v. n. 1. multa
S. 26 Z. 9 1. in die Pflicht
S. 31 Anm. Z. 6 1. zusammenzulesen
S. 32 Z 13 1. wenn er
S. 33 Z. 16 1. weil so,
S.38 Z.2 y. u. L demissos.
3a
Sitzungsberichte
der
königl bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 2. Juli 1864.
Zur Vorlage kam ein Aufsatz von Herrn Dr. Ludwig
Steub:
„Zur Erklärung etruskischer Inschriften."
Auf die Erklärung etruskischer Inschriften wird in
Deutschland heut zu Tage wenig Mühe verwendet und wohl
auch mit Recht, da die vorhandenen Kräfte gar leicht ein
fruchtbareres Feld sich wählen können. Wenn nun gleich-
wohl einer, den sein Beruf von derartigen Forschungen
ferner halten sollte als manchen andern, auch als Deuter
jener räthselhaften Sprachdenkmäler auftritt, so will er's
nicht thun ohne einige Beschreibung des Weges, auf welchem
er zu diesen Aufgaben gekommen.
Es war vor zwanzig Jahren, als ihm bei verschiedenen
Wanderungen in Tirol mehr ab je vorher jene seltsamen
undeutschen Namen auffielen, welche selbst in ganz deut-
schen Gegenden und bis an die nördliche Gränze der Alpen
hin zu finden sind. (Namen wie: Tulfes, Axatms, TUisuna,
Steub: Erüänmg etruekuchor Inschriften. 43
Qvfidmm, Laterns, Schludems, Velthwns u. s. w.) Diese
Namen schienen einer Untersuchung werth zu sein und
nachdem diese angestellt, ergab sich, dass in Deutsohtirol
wie in Graubünden eine dreifache Schicht von Namen auf-
einander liege; eine deutsche, natürlich die jüngste, eine
romanische und eine vorromanische, die man wohl rhätisch
heissen darf. Es handelte sich nun darum, diese letztere an
irgend eine der adjacenten Sprachen anzuknüpfen und auch
diess scheint gelungen zu sein, da die rhätischen Namen
ganz und gar dieselbe Structur zeigen, wie die etruskischen
Orts- und Personennamen, woraus dann allerdings zu schliessen
war, dass die Rhätier nicht, wie gerne behauptet wird, zu
den keltischen Völkern gehörten, sondern ihre nächsten
Verwandten, wie schon Livius, Plinius, Justinus berichten,
am Padus, am Arnus, an der Tiber hatten. Wer darüber
näheres nachlesen will, den verweisen wir auf die beiden
Schriftchen: „Ueber die Urbewohner Rhätiens und ihren
Zusammenhang mit den Etruskern" (München 1843) und
„Zur rhätischen Ethnologie" (Stuttgart, 1854).
Jene Studien hatten nun zwar zunächst nicht die Auf-
gabe, Beiträge zur Erklärung etruskischer Inschriften zu
liefern, allein hin und wieder stellte sich doch eine Wahr-
nehmung ein, welche in jener Sichtung verwendet werden
konnte. Das Wenige, was sich auf diese Weise im Laufe
der Arbeit gesammelt, findet sich am Schlüsse der letzt
genannten Schrift (S. 222—230) zusammengestellt. Es lag
dort bisher in tiefer Vergessenheit und ich würde es in
dieser wohl auch noch ferner liegen lassen, wenn nicht
eben in dem letzten Hefte der Zeitschrift für vergleichende
Sprachforschung (IV. 1.) eine Abhandlung von Dr. Lorenz : „Zur
Erklärung etruskischer Inschriften" — erschienen wäre und
mich gereizt hätte, meine Deutungen neben die seinigen zu
stellen. Unsere beiderseitigen Versuche haben sich meisten-
theils dieselben Inschriften zur Erklärung vorgesetzt, doch
44 Süzung der phüos.-phüol. Glosse vom 2. Juli 1864.
stimmen wir eigentlich nur einmal zusammen, nämlich, wie
sich unten zeigen wird, in der Erklärung eines Zahlwortes.
Dass Dr. Lorenz mein letztgenanntes Schriftchen nicht gekannt
hat, versteht sich von selbst. Ebendesswegen aber, weil ich
nämlich sehe, dass es selbst denen unbekannt zu bleiben
pflegt, die auf demselben Felde arbeiten, nehme ich es sehr
dankbar an, wenn mir gestattet wird, hier das vor zehn
Jahren Gefundene noch einmal vorüberzufuhren und zwar
mit einigen Erläuterungen und Zusätzen, wie sie mir eben die
durch die Abhandlung des Herrn Dr. Lorenz neu angeregte
Beschäftigung mit diesem Gegenstand an die Hand gegeben.
Ehe wir beginnen, wollen wir aber noch aufmerksam
machen, dass die etruskische Epigraphik überhaupt sehr im
Argen liegt.
Viele Inschriften sind durch die Unbild der Zeit mehr
oder weniger angegriffen, lückenhaft, kaum leserlich. Manche
Mittheilungen sind daher sehr unzuverlässig und so kommt
es häufig vor, dass einzelne Texte, die längst festzustehen
schienen, bei einer neuen Revision wieder in ganz anderer
Leseart auftreten. Femer hat die Sprache ein sehr rasches
Leben gefuhrt, und ist in den wenigen Jahrhunderten, die
unsrer Beobachtung zugänglich sind, von Vülauna, Velsuna
auf Veisina, von Vulia, Velia auf Veia, Via, von Anassa,
Larthiassa, Atiana auf Anesa, Larihisa, Arno, herabgegangen.
Ueberdiess zeigt sich, namentlich in den Jüngern Denkmälern
neben einer auffallenden Art, die Wörter abzukürzen, auch
eine grosse Nachlässigkeit in der Orthographie. So wechseln
z. B. v, p und f, t und fh, c und ch im Stamm und in den
Ansätzen regellos durcheinander, so dass „die philologische
Akribie41 auf diesem Felde kaum eine Stelle finden kann.
Mehr als dieses steht aber der Deutung der Inschriften der
Mangel an Texten entgegen. Was uns nämlich übergeblieben,
sind meistens Grabinschriften, die aber nur den Namen des
Verewigten enthalten.
Steub: Erklärung etruskischer Inschriften. 45
Gegen eine zahllose Menge solcher Namen, ans denen
sich höchstens die Geschichte der Laute constroiren lässt,
steht nur eine sehr geringe Anzahl von eigentlichen Texten
— darunter namentlich die perusinische Inschrift, die
längste, von etwa sechzig Zeilen, und etliche zwanzig oder
dreissig andere von einer oder zwei, höchstens vier oder
fünf Zeilen. Erwägt man nun ferner, dass bisher keine
Sprache gefunden werden konnte, die der Etruskischen
so nahe läge, als etwa das Lateinische dem Umbrischen
und sohin als verlässiger Schlüssel zur Erklärung dienen
möchte, so wird es nicht auffallen, dass die Interpretation
über die drei oder vier Wörter, deren Bedeutung schon
Lanzi festgesetzt hat, bisher eigentlich noch nicht hinaus*
gegangen ist.
Da nun eine solche, als Schlüssel dienende Sprache
nicht gegeben ist, so bleibt unseres Erachtens nichts über,
als die Inschriften sich selbst erklären zu lassen, d. h. nach
Ort und Stellung derselben und etwa auch nach der Physio-
gnomie der Worte ihren Zweck und ihre Bedeutung zu er-
rathen und darnach den Sinn der Vocabeln festzustellen —
ein Verfahren, das aber, wie sich leicht begreift, nur bei
den kürzeren Inschriften angewendet werden kann. Die
Probe der auf solche Weise gefundenen Bedeutung der
Wörter ist aber selbstverständlich dann für gelungen anzu-
sehen, wenn sie an anderen Stellen, wo sie wieder vorkom-
men, den gleichen Sinn zulassen. Dass man übrigens bei
vorliegenden Anklängen immerhin auf andere Sprachen hin-
weisen darf, versteht sich wohl auch von selbst.
Nach diesem beginnen wir denn unsere Versuche.
Eine der sprechendsten Inschriften scheint mir die auf
einem Stein gefundene:
MI SUTHI LARTHIAL MÜTHIKUS
(Otfrd. Maller. Etrasker. I. 140 )
Die beiden letzten Worte sind offenbar Namen {Larihial
46 Sitzung dar pMos.-phäol. dam wm 2. JmU 1864.
ist ab solcher sehr häufig) und die ganze Inschrift kann
kaum etwas anderes besagen als: Mich setzte Lartkial
Muthihus, was für einen redenden Stein eine ganz adäquate
Sprache ist. Bei mi darf man wohl an lat me, bei suthi
an goth. satjan, lat. sidoy deutsch setzen denken.
Uebrigens beginnt eine ziemliche Anzahl etruslrischer
Inschriften, namentlich älterer, mit jenem mi. So noch zwei
andere :
(0. M. IL 852.)
MI AYILES TTTES MULENIKE
MI LARÜS THENIMES TTTES MULENIKE
Hier ist nur mi-mulenike zu erklären, denn die übrigen
Worte sind Namen — mulmihe aber ist sicher ein Verbum,
wie ich denn auch schon früher die homogenen Formen
turece, taisece, peruce, caleseoe, mianece, miace als Verba
(und zwar als dritte Person eines Präteritums) bezeichnet
habe, was auch Dr. Lorenz annimmt. Die Bedeutung von
mtdenike möchte aber fecit sein. Also: me Avüus Titas
fecit u. s. w.
Dr. Lorenz nimmt mit allen Vorgängern mi für dpi,
wogegen aber die Linguisten wohl erinnern möchten, dass
auch von der ersten Sylbe billiger Weise etwas übrig ge-
blieben sein sollte. Nach dieser bisherigen Annahme musste
man allerdings behaupten, dass die folgenden Namen im
Genitiv stehen, wie z. B. mi Lotus = sum Lari u. s. w.
Wenn aber mi mich bedeutet, so muss man annehmen, dass
das Verbum, so ferne es fehlt, was allerdings oft der Fall
ist, nur weggelassen wurde, weil die Formeln mi-turce,
mi-mtdenike u. 8. w. — den griechischen pinoirjOs, p'Ärofo
vergleichbar — so landläufig und bekannt waren, dass jenes
leicht ergänzt werden konnte.
Es ergibt sich dann ferner, dass die nach mi folgenden
Namen, wie Latus, Arnthialus, Muthicus, Venerus Nomina-
tive sind und also ganz gleich den lateinischen. Dieses us
Steub: Erklärung etruskUcher Inschriften. 47
sich dann zu es ab, wie in Aviles Utes, und in
der spätesten Zeit blieb auch hievon nur noch ein e übrig,
wie in Aule, Tite, Vete u. s. w.
Aach die von Lepsius (Tyrrhenische Pelasger, S. 42)
mitgetheilte, auf einem kleinen Töpfergefässe befindliche
Inschrift: MI NI MULVENE KEVELTHÜ IB PÜPLIANA ist
nach diesem leicht erklärbar, wenn man statt tr, was wohl
falsch gelesen ist, setzen darf: in. Da im Original die
Worte nicht getrennt sind, so stellen wir folgende Leseart
auf: mini mulveneke Vdthu in Pupliana. Nun scheint mul-
veneke vollständigere oder ältere Form für das oben be-
sprochene mulenilce. Velihu ist Nomen proprium, welches
die Römer, die das etrusk. VeUu mit Vtdso wiedergaben
(vergl. Livius 33, 42 und Urbew. Rh. S. 18), sicherlich
Vtdtko aussprachen. Die Präposition in können wir als
etnißkisch aus einer Inschrift belegen, welche im Bullettino
1833 (S. 55, jetzt auch von Dr. L. S. 26) mitgetheilt ist.
Dort kommt vor in Wienern und etliche Zeilen weiter
Flenanate.
Nun bezeichnet ate bekanntlich, wie in den übrigen
italischen Dialekten, wenn es den Städtenamen angehängt
wird, den Einwohner der Stadt. Flensma ist daher Stadt-
name und in die Präposition. Pupliana ist eine dritte Form
von Pupluna, Puplana, den etrusk. Namen von Populonium.
So bleibt noch ni zu erklären übrig und da nehmen wir
denn an, dass für mini zu lesen ist mim, wie den NI und
M in der Epigraphik sich sehr ähnlich sind und sehr oft
verwechselt werden. (0. M. I. 423).
Diess mim wäre so viel als me, die vollständige Form
des späteren mi. Es erinnert an sansk. matn. Sonach
übersetzen wir: Me fecit Vultho in Populonia.
Dr. L. hat diese Inschrift nicht berücksichtigt. Dr.
Karl Meyer übersetzte sie früher in den Münchner Gelehr-
ten Anzeigen mit: Ich salbe mich mit Od von Pupliana.
48 Sitzung der phOos.-philol. Glosse vom 2. Juli 1864.
MI SUTHI L. VELTHÜRI THÜRA TURCE Aü. YELTHÜRI
FNISRAL (0. M. 452).
L. und Au. Velthuri Fnisral sind Namen und der An-
fang erklärt sich daher:
Me posuit L. Velthurius.
Lanzi hat turce mit dedit erklärt, indem er ein griech-
isches Sedoiqrjxs heranzog. Diese Anlehnung hat wohl keinen
Werth, aber der Sinn des Wortes ist nach allgemeiner An«
nähme richtig gefunden. Wenn nun turce dedit ist, so
kann thura (trotz seines th) leicht donum sein und wir
hätten also die bekannte lateinische Formel donum dedit.
Demnach hätte die ganze Inschrift den Sinn:
me posuit L. Velthurius, donum dedit Aulus Velthurius
F. — wobei man dann etwa annehmen müsste, dass zwei
Verwandte ein Denkmal errichten, so dass der eine die
Basis, der andere das Weihgeschenk bestreitet.
Eca suthi, was als öfter wiederkehrende Formel über
Grabgewölben steht, kann doch wohl nichts anderes sein
als hoc posuit. ECA SUTHI LATHIAL CILNIA auf einem
Grabe bei Soyana (Denis I. 500) wäre also: Hoc posuit
Lathial Cilnia. Hier noch drei andere ähnliche Inschriften:
ECA SUTHI NESL T1TNIE —
ECA SUTHI NEISL —
EPA SUTHI NESL PAN (0. M. 452)
Hier scheint die zweite unvollständig, in der dritten
ist für epa sicherlich eca zu lesen. Was ist aber nesl?
Vielleicht noster oder noviter; vielleicht sind die Worte
unrichtig abgesetzt, so dass suthines zu lesen wäre, etwa
PL y. suthina, Verbalsubstantiv von suthi, in der Bedeutung
sedes, aedes. L wäre dann eine Abkürzung von Lar und
die erste Inschrift würde etwa bedeuten: Diess sind Grün-
dungen des L. Titiniu8. Dr. L. übersetzt (N. 27) Eca suihi
nesl tetnie mit hoc munus offerebat Titinius. Da ich suthi
SUmb: Erklärung etrushiseher Inschriften. 49
für das Verbum nehme, kann mir natürlich diese Deutung
von nesl nicht gefallen.
Im Builettino von 1857 S. 36 liest man: „Ein beson-
derer Vorzog dieser Sammlung von Broncen aus dem alten
Volsinii ist es, dass fast alle bedeutenderen Stücke eine
etruskische Legende tragen, welche bei einigen in dem ein-
zigen Worte Suthina besteht, das man bisher noch nicht
genügend zu erklären weiss." — Wenn sich nun suthi mit
dvixhrjxe vergleichen lässt, so darf man suthina wohl für
avct&rjpa nehmen. In einer neuerlich gefundenen Inschrift
(Builettino 1860. 148.) findet ach sogar ein ansuthi — soll
diess ein Zeichen sein, dass auch das Etruskische Yerba und
Präpositionen zusammensezte?
Sehr häufig findet sich als Zusatz zu Personennamen
das Wort cfow, dessen Gegensatz ein allerdings selteneres
eiera «ein muss. Man hat bisher keine sichere Erklärung
dafür gefunden; ich versuche sie in Folgendem zu geben:
Da die Etrusker nur acht oder neun geläufige Vor-
namen hatten und der Sohn gerne nach dem Vater genannt
wurde (0. M. I. 411. 436.), so musste eine masslose Ein-
förmigkeit der Personennamen entstehen und also das Be-
dürfnis von Unterscheidungszeichen schon sehr früh fühlbar
werden. Als solche betrachte ich nun die vielbesprochenen
eiera und clan (0. M. I. 446); etera (lat vetus?) gilt mir
ab senior, clan dagegen als junior. Für letzteres nehme
ich aber auch die Bedeutung Sohn in Anspruch — zwei Be-
griffe, die sich wohl leicht unter einen Hut bringen lassen.
Dr. L. setzt für etera zweifelnd sacra% für clan aber votum.
MI LAfiUS ARIANAS ANASSES CLAN
(eine der ältesten bekannten Inschriften)
übersetzt Dr. L. (N. 22) mit: 8um Lari Arianae principis
votum. Mir bedeutet es: me Larus Arianae Anassae ßius
(sc. posuif). Bei Anasses darf man doch kaum an's Griechische
denken. Es ist, wie schon oben bemerkt, die frühere vollere
[1864. IL 1.] 4
50 Sütung der philo* -philol. Oasse vom 2. Juli 1864.
Form des späteren Anesa. Das Bullettino 1850 (S. 92) bringt
in einer Inschrift: eterav (viell. eterar) clenarci; könnte dies
nicht senes juvenesque bedeuten?
Ziehen wir auch lautni hieher, über welches Dr. L.
S. 37 spricht* Dies Wort ist zwar zu Eigennamen ver-
wendet worden (0. M. I. 424), aber es kömmt auch als
Appellativum vor. Es findet sich stets vor oder hinter
Personennamen. Steht es voran, so darf es, da lautni kein
etruskischer Vcfmame ist, immer als Appellativum gelten
und dann schlägt am besten die Bedeutung gens, Familie, an.
So z. B. in der Inschrift : EITH FANU SATHEG LAUTN.
PUMPU8 (Bullettino 1838. S. 55), welche auf einer Gruft
sich findet. Eith fanu hat man, wenn ich mich recht er-
innere, schon mit id famm gedeutet ; saihec, saihece scheint
ein schwaches Präteritum desselben Verbums, welches oben
als stähi vorkam (wenn nicht etwa dieses als Präsens zu
fassen ist?) und man darf daher wohl übersetzen: Dieses
fanum errichtete die Familie Pumpu. So auch wieder in
der Inschrift Nr. 73 ETH FANU LAUTN. PRECÜ8= Familie
Precu. Ebenso in der Perusinischen Inschrift LAUTN VEL-
THINAS, das Geschlecht des Velthina. Und das öfter wieder-
kehrende Lautnetere (s. auch 0. M. I. 424), was kann
es anderes bedeuten, als die ältere Familie oder die
ältere Linie? ARNTH ATINI LAUTN. ETEM (Dr. L. N. 52)
ist mir daher ein Aruns Atinius „vom älteren Geschlecht
der Atinier". (Ebenso N. 53.) Dr. L. übersetzt es mit
memoriae sacrurn, was mich nicht üßerzeugt. Die Inschrift
N. 60 TA (wofür oben eca) SUTI MUCETIS CNEUNAS LlU-
TUNIS übersetze ich: Dies setzte Muoetius, des Geschlechts
der Cneye (lat. Gnaeus). Für das Derivat lautnita würde
ich die Bedeutung nobüis vorschlagen, wie man früher in
den süddeutschen Reichsstädten den Patricier einen „Ge-
schlechter" nannte. Die Inschriften, welche Dr. L. S. 37
zusammengestellt, erlaube ich mir daher so zu übersetzen:
Steub: Erklärung etrutkiseher Inschriften. 51
LABTHI LDTNI CEISIß = Larthia vom Geschlecht der Ceise.
LARTHI L AUTNITHA PRE8NTS = Larthia nobilis Perusina*
(Dass presnt nicht Praesentius, sondern Perusinus, soll
unten gezeigt werden).
In den beiden andern dort aufgeführten Inschriften
wäre dann lautnita auch nichts anderes, als der Beisatz
nobüis.
Das Gegenstück zu lautnetera kommt etliche Male
(z. B. Dr. L. N. 73) als lautnesde vor, wo denn allerdings
dan in einer auffallenden Verkümmerung erscheint.
MI FLERES EPÜL . . . FEARITIMI FASTI RÜFRUA TURCE
CLEN CECHA.
0. Müller übersetzt mit Lanzi: Sum donarium Apollini
et Artemidi (?), Fastia Rufrunia posuit — wobei ich nur
ßum in me ändern würde. Die beiden letzten Wörter sind
noch nicht erklärt Nun ist aber ziemlich allgemein aner-
kannt, dass clensi ein Casus von dan ist (s. 0. M. 445)
und zwar wahrscheinlich der Genitiv. Ich nehme nun den
als eine Abkürzung von clensi und nach diesem kann cecha
kaum etwas anderes sein, als causa. Nach einer neueren
Revision des Textes (Bullettino 1862, p. 73) ist zwar für
epul . . fearitimi zu lesen svuiare aritimi, allein diese
Aendernng hebt nur die Anlehnung an Apollo, vielleicht
auch an Artemis auf, während der Sinn der übrigen Worte
fest bleibt, nämlich: me donarium Fastia Btufrua
dedii fitöi causa.
Auf der Statue eines Knaben findet sich die Inschrift:
VELIAS. FANACNAL. THÜFLETHAS. ALPAN. LENACHE. CLEN.
CECHA TUTHINßS. TLENACHEIS (Lanzi IL 638).
Hier schreiben wir die fünf letzten Worte ergänzend:
lenaches clensi cecha tuthines tes lenacheias und bemerken
nur zu dem letzten, dass, wie schon 0. M. (S. 419) her-
vorhebt, in der späteren Epigraphik gewöhnlich ei und i
steht für eia und ia, wonach ich denn ein lemchei als den
4»
62 BUemg der phüos.-phOol. Classe vom 2. Juli 1864,
Nominativ eines Subst. fem. für lenacheia voraussetze und
lenacheis als den Genitiv desselben — für lenacheias —
ansehe. Das vorgesetzte t kann nichts anderes sein als der
Artikel.
loh nehme nun den cecha wieder, wie oben, für fUii
causa, lenaches ist ein Adjectiv, das an den gehört und
eine Bedeutung in Anspruch nimmt , die auch wieder für
das Substantiv lenacheia passen muss. Ich halte jenes für
aeger, dieses für aegritudo. Dabei springt dann auch von
selbst der Sinn von tuthines hervor und ich übersetze also
diese fünf letzten Worte:
aegri fiM causa Sonata aegritudine.
tuthines tes lenacheias wäre also ein Oenitivus ab-
solutes.
Was nun die vier ersten Worte betrifft, so muss in
ihnen der Nominativ des Satzes zu finden sein und da Ve-
lias Fanacnal thuflethas augenscheinlich Genitive sind, so
bleibt nichts übrig als jenen in alpan zu suchen, dem wir
nun allerdings auch wieder keine andere Bedeutung beilegen
können, als Gabe, Geschenk, Votivbild.
VeUas Fanacnal sind Namen und bedürfen also keiner
Erklärung. Thuflethas kömmt öfter vor und steht z. B. bei
Dr. Lorenz vier Male (15, 16, 18, 19) unmittelbar nach
Namen. Es zeigt dieselbe Bildung wie lautnitha und
scheint ein Amt, eine Würde oder sonstige persönliche
Eigenschaft zu bedeuten, etwa eques, civis, sacerdos, vidua
u. dgL Stellen wir, um den Platz nicht leer zu lassen,
letzteres ein, so besagt die Inschrift also:
Vcliae F. (viduae) donum aegri filii causa Sonata aegri-
FLERES. TLENACES. SÜER. kömmt auch bei Ver-
migUoli, Inscript. Perusinae, p. 44 und 58 vor, wo also
donum aegri, Geschenk des Kranken zu interpretiren wäre.
Das dritte Wort ist mir nicht verständlich.
Bteub: Erklärung etrtukischer Inschriften. 53
AULE8I. METELI8 VE. YE8IAL. GLENSIGEN. FLEBES.
TEGE. SAKSL. TENINE. TUTHINES. CHISÜLICS. (Lanzi II.
547.) Die Inschrift steht auf einer Statue, dem Ärrin-
gatore von Pisa, welche eine fascia nel tneeeo detta gamba
hat. Eine solche Binde trug auch Poin pejus, um eine
Narbe zu verdecken. Tuthines chietdics könnte daher heissen
scmato vtdnere. Nach Lanzi ist nämlich die Statue für eine
Gabe ex voto zu halten.
AtUesi Metelis clensi (Ve. Vesiäl sind Beinamen) ist
ein Genitiv; clensicen scheint aber auch nichts anderes zu
sein, als clensi cecha, und fieres tece ist dem Sinne nach
sicherlich gleich mit fleres turce. Den Nominativ, die Be-
zeichnung des Stifters, muss sansl tenine enthalten. Eigen-
namen Bind diese beiden Worte nicht und man verfällt
daher leicht auf den Gedanken, es möchte etwa ein „glück-
licher Vat&r" darunter verborgen sein. Wenn wir nun hie-
für — freilich ohne jeden Anhaltspunkt und nur auf Ge-
rathewohl — felix pater setzen, so rundet sich die Phrase
allerdings folgender Massen ab :
Auli MetelU V. V. filii causa donutn dedü felix pater
scmato vtdnere.
Anders Dr. L. Nr. 20.
„THANCHVILÜ AVILS CIS CEALCHS (Bullettino 1836.
S. 147). Avil, aivü bedeutet, wie anerkannt ist, aetas,
vielmehr aetatis. Vielfach fehlt das Zeichen des Genitive, hier
aber ist es gegeben. Nach avü folgen gewöhnlich Ziffer,
hier dagegen Worte, welche Zahlen bedeuten.
Auf einem Wärfei, den man neuerlich gefunden, steht
CHI für fünf. Cealchs, vielleicht cealichas zu lesen, scheint
die Decade davon zu sein; also Tanaquil (mortua est)
ae&atis LV (omorum). Cealichas darf man vielleicht mit
üthauischen Formen vergleichen, in denen UJca zehn be-
deutet. S. Grimm, Gesch. d. d. Spr. 246.
Hiemit fibereinstimmend Dr. L., der noch drei neuere
54 Sittung der phüo8.-phüol. Masse vom 2. Juli 1864.
Funde gleicher Gattung beibringt. S. 32. Ciemc thrms
würjde ich ebenfalls mit fünf und dreissig übersetzen. —
Zu avils macks semfaUMs sei bemerkt, dass auf dem eben
erwähnten Würfel Eins mit mach wiedergegeben ist. Da
die Zeichen für f und th oft verwechselt werden, so darf
man wohl auch semthalchls y vielleicht sogar seihmalcKls
schreiben und mit Sicherheit Em und siebzig übersetzen.
Bis hieher könnte man die arische Verwandtschaft gleichwohl
noch herausfühlen, aber was bedeuten die Zahlwörter (tn) achs
mekhlsc? — Oefter findet sich nach avils und den Zahlwörtern
das Verbum lupuce, was dann wohl nichts anderes bedeuten
kann, als mortuus est.
Im Bullettino von 1860 S. 148 finden sich zwei In-
schriften mitgetheilt, in welchen ein Zahlwort muvalchl vor-
kommt, als
AVILS THÜNESI MÜVALCHLS LUPÜ und AVILS CK MUVALCHL.
Wenn man hier nuvakhl schreiben dürfte, so läge die
Deutung aus lat. novem sehr nahe, allein diese Aenderung
ist kaum gestattet; thunesi möchte duo vertreten.
Eine leichte und doch nicht ganz unergiebige Arbeit wäre
eine Zusammenstellung aller etruskischen Personennamen,
welche von Städtenamen herkommen oder herzukommen
scheinen. Ottfr. Müller hat bereits (455) CASPRE (auch
vollständiger CASPERIENA) mit Casperia, SÜTHRINA mit
Sutrium zusammengestellt. CÜSINE wird von Cosa (Cusa),
VELTHURNE von Volaterra (Velatkuria) , CAMARINA,
vielleicht auch CUMERÜNI von Camars, CALUSNA von Ghh
sium, ARTINS von Aretiutn, CAPEVANIAL von Capua
abzuleiten sein. Der häufigste Ansatz dieser Art ist aber
ATE, wie im Lateinischen, Umbrischen und Oskischen. So
FRENTINATE von Ferentimm, 8ENTINATE von SewHnum,
ÜRIKATE von Aurinia oder einem unbekannten Urina,
ARPNATIAL von Arpinum. Ferner SENA'HA von Sena (Siena),
Steub: Erklärung etruskiseher Inschriften. 55
dann eine Anzahl anderer, welche meist auf uns unbekannte
Städte gehen. So PETINATE, LARTNATE, TRENTINATE, VECI-
NATE, HELYINATE von Petina, Lartina, Trentina, Vecina,
Helvina (vergL HehiHumf wahrscheinlich Helvintdum in
ümbrien), UNATASA, THUNATNAL, VENATNAL von Una,
Thuna, Vena. Ferner mit ATHA, was eben so viel als
ATA, da in den Ansätzen, wie schon oben bemerkt,
T and TH beständig mit einander wechseln: MARCNA-
THA, TETIN ATHA von Marcina, Tetina. Man sieht aus
diesen Beispielen, dass sich ATE nur an Namen hängt,
welche in NA auslauten, doch kömmt einmal auch TRE-
PATUAL vor. Uebrigens finden sich in den andern
italischen Ländern auch Ethnica auf inate. wie lat. Pa-
dinates, Lirinates, Aletrinates, Aesinates, Iguvinates von Pa-
dus, Litis, Aletrium, Aesium, Iguvitm. Sicherlich darf diese
Erscheinung auch in Etrurien gesucht werden, und ich
nehme daher an, dass das oft vorkommende PRESNTI
nicht lateinisch Praesentius, sondern Perusinate sei, nach
späterer Aussprache, wo man, wie Velesa für Velusa, so
wohl Peresa für Perusa sagte. Auch von Velia, Veiia,
Veii scheint Velinate, Veiinate gebildet worden und daraus
mit verrücktem Accent — Veiinate — das lateinische Veiens,
Veientis entstanden zu sein. So möchte auch FELGINATE
(Bullettino 1849, 52) ein Volciens von Volci sein, vielleicht
aber auch ein Einwohner von Fulginium.
Ausserdem wäre auch noch eine ziemliche Anzahl bis-
her unbekannter Ortsnamen auf $a, welche, dem lateinischen
Beispiele folgend, Ethnica auf sinus bilden (vgl. Glusium:
Clusinus, Perusia: Perusinus), aufzuzeigen. Wie aber in
dem oben Stehenden Caiusna oder in Presnti der Vokal
nicht geschrieben wird, so auch regelmässig in allen übrigen.
Ich will hier nur die neuerlich von Gonestabile veröffent-
lichten Namen beiziehen, so Ap$naiy Csalisna, Cursnis,
Ctmsnea, Capisnei, Pertumsnei, Samsnial, StatSnei, Velusna
56 Sittimg der phOos.-phOol. (Hasse vm 2. Juli 1864,
und viele andre. Nach meiner Ansicht sind dies lauter
Ethnica von den Ortsnamen Apsa, Curesa, Statusa, Velusa
u. dgl., einer Gattung, welche demnach (gerade wie in Rhä-
tien) sehr häufig gewesen. (Audi Presne kommt vor und
ist wohl Peresine zu vocalisiren, eine Nebenform des oben
erwähnten Presnti-Peresinate.)
Jene Ethnica zeigen uns nun, dass es Gewohnheit war,
auch den Ort der Geburt oder Herkunft den Personen-
namen beizufügen. Diese Wahrnehmung fuhrt uns zwar
nicht sehr weit, aber sie gewährt doch zwei kleine Vor-
theile. Erstens bereichern wir unsere Kenntnisse mit einer
Anzahl etruskischer Ortsnamen, denen wir allerdings auf
der Landkarte keinen Platz anzuweisen wissen, zweitens
wird es bei der Erklärung etruskischer Grabinschriften doch
auch forderlich sein, wenn aus dem Einerlei monotoner
Eigennamen wieder ein Element ausgeschieden und als Be-
zeichnung der Herkunft erkannt werden kann.
Nach allem diesem ist nicht zu leugnen , dass die
etrußlrische Nomenclatur einen ganz mittelitalischen (latinisch-
umbrisch-oskischen) Charakter habe. Die Personennamen
zeigen nämlich das gleiche Gepräge, die etruskischen Orts*
namen sind so beschaffen, dass sie ohne aufzufallen, eben-
so gut in Latium stehen könnten und selbst die Derivate
sind die gleichen. — Neben dieser Identität ist aber die
sonstige Kluft zwischen den beiderseitigen Idiomen nur um
so räthselhafter und bisher hat Niemand den Versuch ge-
wagt, dieses Räthsel aufzulösen.
Nunmehr erlaube ich mir, die erklärten Inschriften —
wenigstens die erheblicheren — der besseren Uebersicht
wegen hier noch einmal zusammen zu stellen, wie folgt:
1) Mi Lotus Ariemas Anasses clem.
Me Lotus Arianae Anassae fttius (sc. posuit).
2) Mi suthi Larthial Muihikus.
Me posuit Larthial Muthicus.
8Umb\ Brtoänmg ebuskisther Insänriftm. 57
S) Mi Avües Tites mulenihe.
4) Me Avüus Titus fecit.
5) Mim mtdveneke VeKhu in Pupliana.
Me fecit Vultho in Populonia.
6) Mi suthi L. VelthuH thura turce Au. VelÜmri.
Me posuit L. Velthurius, donum dedit A. Velthurius.
7) Eca suthi Lathial Cilhia.
Hoc posuit L. Cilnia.
8) Velias Fanacnäl thuflethas aJpan lenache den cecha
tuthines tlenacheis.
VeliaeF. (viduae)donum aegripueri causa sanatä aegritudine.
9) Aulesi Metelis Ve. Vesicü densicen fleres tece sansl
tenine tuthines chisulics.
Atdi Metetti F. V. ßii causa donum dedit (felix pater)
sanato mlnere.
Und zum Schlosse sei mir gestattet, zum etruskischen
Pikenik, das bisher so viele ungenießbare Beiträge erhalten,
auch meine kleinen Spenden, doch nur jene, welche mir mehr
oder weniger verlässig scheinen, an einander zu reihen, wie folgt:
m — in lenache — aeger
cecha — - causa lenacheia — aegritudo
mim, mi — me chisuUc — vtdnus
eca — hoc lautni — gens, familia
alpan — donum suthi, sathece — posuit
thura — donum lupuce — mortuus est
dem — filius, junior mulveneke, mulenike — fecit
densicen — ßii causa tuthine — sanata
etera — vetus cedlchs — quvnquaginta.
Allerdings eine dürftige Ausbeutel aber wenn die Auf-
stellungen alle richtig wären, doch mehr als der fleissigste
Mitarbeiter bisher geboten. Man sieht, wie weit wir noch
zurück sind, wie vieles noch zu thun wäre! Dass wir die
perusinische Inschrift — diese Hauptaufgabe der Etru-
scisten — noch nicht verstehen, sagte einst Jacob Grimm,
58 Sitzung der phOoe.-phOd. Clam vom 9. JWK 1864.
sei ein Schandfleck der neueren Philologie — aber es ist
leider zu furchten, dass noch viele Zeit vergehen möchte,
ehe dieser Schandfleck von uns genommen wird. Wer weiss,
ob die Menschheit überhaupt noch dieses Ziel erreicht?
Vielleicht ist es ein Trost, dass manche der Ansicht sind,
es sei gar nicht so viel daran gelegen.
Herr Prantl hielt einen Vortrag:
„Ueber den Universalienstreit im 13. und 14.
Jahrhundert/'
Diese Forschungen bilden einen integrirenden Theil
des 3. Bandes seiner Geschichte der Logik.
Nach dem Eindringen des neuen arabisch-aristotelischen
Stoffes, welches bekanntlichst im 13. Jahrhundert stattfand,
gestalten sich die logischen Gontroversen in einer ganz
anderen Weise, als diess vorher der Fall gewesen war, und
es steht geradezu im Widerspruche mit der Geschichte,
wenn man die Parteistellung mit den üblichen Schlagworten
„Nominalismus" und „Realismus" ausdrücken zu können
und die zahlreichen Autoren unter diese beiden Scha-
blonen rubriciren zu dürfen glaubt. Dass auch vordem, d. h.
im 12. Jahrhundert, zwischen jenen genannten zwei Auf*
fassungen noch eine erkleckliche Menge von Mittelgliedern
auftauchte, habe ich wohl hinreichend im 2. Bd. der Gesch.
d. Logik nachgewiesen. Aber in jenem Jahrhundert lag
ausschliesslich nur logisches Material, und zwar auch dieses
nur in sehr beschränkter Ausdehnung, zur Benützung vor,
daher die reichlich geführten Gontroversen jener Zeit be-
treffs der Universalien sich überwiegend nur auf dem Ge-
biete der Logik bewegen konnten. Welche Wirkung es etwa
gehabt haben könnte, dass zur Zeit des Johannes von Sa*
lesbury allmälig auch die Haupttheile des Organons (Ana-
lytiken und Topik) bekannt geworden waren, können wir
PrcmU: Der UnfoeraaKautreU im IS. und 14. Jdhrhmdert. 59
nicht mehr beurtheilen , da alsbald hernach das lateinische
Abendland eine reiche Zufuhr neuen Stoffes empfing, welcher
nun alle Schriftsteller in dem Gebiete der Philosophie in
Anspruch zu nehmen begann.
Der Nachweis, wie sehr das ganze Mittelalter in in-
nerer UnselbstBtändigkeit lediglich voh dem äusserlich zuge-
föhrten Materiale abhängig gewesen sei, musste ein haupt-
sächlicher Zweck der Geschichte der Logik sein, welche
eben hiednrch über den engeren Kreis der eigentlichen
Logik hinausgreifen nnd in manchen Punkten den richtigen
Schlüssel für Geschichte der mittelalterlichen sogenannten
Philosophie überhaupt darbieten kann.
Die Araber, welche durch denPorphyrius gleichfalls auf die
nem liehen Fragen über die Universalien geführt wurden, wie das
Mittelalter seit Boethius, hatten zur Beantwortung, der selben
von Anbeginn ein weit reicheres Material zur Hand, indem sie
sammtliche Werke des Aristoteles nebst den Gommentatoren
derselben besassen; und so war in der arabischen Literatur
seit Alfarabi und insbesondere durch Avicenna die Sache
*
reichlich durchgesprochen und vielseitig erörtert worden, so
dass in* dieser Beziehung das lateinische Abendland nach
dem Eindringen der arabischen Erzeugnisse eigentlich Nichts
mehr zu thun fand.
Von Avicenna war (wie ich bereits im 2. Bd. nachge-
wiesen) die Unterscheidung ausgegangen, dass die Univer-
salien zugleich erstens in Gottes Denken den Dingen vorher-
gehen und zweitens in der Materie vervielfältigt den Ein*
zeln-Dingen einwohnen und drittens hernach vom abstrahi-
renden Denken des Menschen erfasst werden. Und wenn
nun auch diese arabische Doctrin, welche sich in die be-
kannten Stichworte „ante rem, in re, post rem" zuspitzt,
eine ebenso bequeme als nichtssagende Verquickung des
aristotelischen und des platonischen Standpunktes ist, so
war sie wohl eben darum recht geeignet, in Folge der
60 Svtrtmg de* phOm.phitol Clane wm 2. Juli 1864.
m
philosophischen Kurzsichtigkeit des Mittelalters eine allge-
meine Aufnahme bei den Lateinern zu finden. Sie bildet
im 13. und 14. Jahrhundert den einstimmigen Grundzug
bei allen Autoren, und mit ihr geht zugleich die arabische
Bezeichnung, dass die im menschlichen Denken erfassten
Universalien die secunda inteotio (im Gegensatze gegen das
primäre Sein der Dinge selbst) seien, durchgängig in das
Abendland über.
Sämmtliche sogenannten Philosophen der zweiten Hälfte
des Mittelalters bis zum 15. Jahrhundert sind ron der neu
aufgetauchten arabischen Auctorität gefangen genommen,
und in den Universalien ante rem, in re, post rem liegt an
sich gar nicht das Motiv einer Parteispaltung; denn Keiner
verneint es, dass die Universalien im göttlichen denken
liegen, und Keiner verneint es, dass sie in den Dingen
individualisirt werden und Keiner, dass sie vom mensch-
lichen Denken aus den Dingen zu entnehmen sind. Auch
stimmen Alle darin überein, dass die Universalien nicht als
platonische „Ideen" eine losgetrennte Existenz zwischen
Gott und Welt besitzen können, und sowie es überhaupt
ein Aristotelismus war, welcher durch die Araber im Abend*
lande zur Herrschaft gelangte, so gibt es in jener Zeit in
der That keinen Platoniker , während das 12. Jahrhundert
bei einem weit beschränkteren Materiale unter den ver-
schiedenen Parteigängern auch Platoniker (Bernhard von
Chartree, Wilhelm von Gonches) aufzuweisen hat Erst seit
dem Widererwachen des Alterthums tritt der Piatonismus
wieder auf und findet bekanntlich durch die Medioeer in
der platonischen Schule zu Florenz seine Unterstützung und
seine Veranlassung zum Kampfe gegen die Aristoteliker.
Spüren wir aber den Gründen einer entstehenden
Meinungsverschiedenheit und einer bunten Controversen-
Literatur des 13. und 14. Jahrhunderts nach, so finden wir
dieselben auch nicht in den Begriffen ante rem, in re, post
PranÜ: Der ünwermüienrtreii im IS. und U. Jahrhundert. 61
rem, sondern in ganz anderen Momenten, welche sich in
sehr eigentümlicher Weise verketten. v
Da68 Albertus Magnus der grösste Stofflieferant
seiner Zeit war, ist ebenso verdienstlich als allgemein be-
kannt; aber man hüte sich nur, ihn für etwas Anderes als
für den Unternehmer eines ausgedehnten Fuhrwerkgeschäftes
zu halten ; denn sowie Nichts von Allem, was er geschrieben
hat, sein eigenes geistiges Besitzthum, sondern Sämmtliches
nur fremdes Out ist, so zeigt er auch seinen Mabgel an
Verstand in hunderten innerer Widerspräche. Nur an Viel-
schreiberei übertrifft er seine Zeitgenossen Wilhelm von
Auvergne (Parisiensis) und Robert Capito (Lincol-
niensis), und sowie schon diese die verschiedenen Geltungen
der Universalien neben einander hingepflanzt und gegen
Plato polemisirt hatten, so schreibt auch er seinerseits in
der bei ihm üblichen Verworrenheit die Lehre desAvicenna
(ante rem, in re, post rem) an vielen Stellen ab, um zuletzt
doch in dem mystischen Fahrwasser des laber de causis
sich zu schaukeln. Wieder von ihm bedingt und abhängig
ist sein Schüler Thomas von Aquino, welcher das sehr
zweifelhafte Verdienst beanspruchen kann, durch unklares
Denken den Aristotelismus und das Ghristenthum mit
einander verquickt zu haben; denn wer es vermag, den
aristotelischen Begriff der individuellen Substanz anzuerken-
nen und daneben trinitätsgläubig zu sein, oder die anthropo-
logische Ethik des Aristoteles mit der christlichen Moral-
theologie (mit der „Tugend um Gottes willen") zu amal*
gamiren, kann in philosophischem Denken unmöglich beim
ABC angekommen sein (wie viel klarer dachte hierüber im
Anfang des 16. Jahrhundert Petrus Pomponatius!). Die
Theorie über die Universalien entnimmt Thomas einfach
von seinem Lehrer.
War man somit um das Jahr 1270 betreffs der Drei-
geltung der Universalien nicht über die arabische Doctrin
62 SU*mg der phOo§.-phüoL GZmm vom 2. Juli 1864.
hinausgekommen, und verblieb man in dieser Beziehung
auch fortan bei derselben, so erwuchs nun alsbald von
einem ontologischen Momente her eine Parteispaltung und
zwar war es die Theologie, durch welche dasselbe in den
Vordergrund gestellt wurde.
Wenn Demiich Avicenna den Grund der Individualisirung
der Universalien ( — principium individuationis — ) in der
Materie erblickte, und ihm auch in diesem Punkte Albert
und Thomas gefolgt waren, so begann man schon um das
Jahr 1276 die theologischen Bedenken laut werden zu lassen,
dass ja dann sowohl die persönliche Unsterblichkeit unhalt-
bar sei als auch die individuelle Persönlichkeit der Engel
gefährdet wäre (denn in diesen beiden Beziehungen spricht
die Orthodoxie ja eben von immateriellen Individuen). Ver-
wandt aber mit dem Principe der Individualisirung war
ferner bei Avicenna und seinen genannten zwei Nachtreten
auch die Auflassung der bei Entstehung der Individuen
wirksamen Form, indem man jedenfalls daran festhielt, dass
Ein einheitliches Universale das Formgebende sei, also 2. B.
homo eben nur durch humanitas dasjenige werde und sei,
was es ist. Indem jedoch hiedurch bezüglich der Trinität
eine allzu starke Individualisirung der drei Personen drohte,
so tauchte in jener nemlichen Zeit die gegnerische Behaup-
tung auf, dass z. B. in homo die Formen der oorporalitas,
der animalitas und der rationalitas wirksam seien. — Kurz,
die unitas formae oder andrerseits die pluralitas formaram
und das principium individuationis wurden nun zu Contro-
versartikeln.
So war schon am Ende des 13. Jahrhunderts ein
kleiner Krieg gegen die thomistische Lehre eröffnet worden,
an welchem sich Stephan Tempier, Robert Kilwardby,
Godofredus de Fontibus, Henricus de Gandavo
(Göthals) und insbesondere Wilhelm Lamarre in manig-
faltiger Weise betheiligten, und die Schildknappen des Thomas,
Pranti: Der ünivenalienstreit im 13. md U. Jahrhundert. 63
Aegidius de Lessines, Bernardus de Trilia und
hauptsächlich Johannes Parisiensis (insoferne er als
der Verfasser des dem Aegidius Romanus zugeschriebenen
Defensorium zu betrachten ist), suchten auf verschiedene
Art die Vertheidigung ihres Meisters zu führen, wobei
namentlich die Unterscheidung zwischen „sinnlichen Formen"
und „geistigen Formen" für die spätere Parteispaltung und
zumal für vermittelnde Stellungen einflussreich wurde.
Indem aber nun der Franziskaner Duns Scotus,
welcher ebenso wie alle Uebrigen die Dreigeltung der Uni-
Versalien ausdrücklich anerkennt (ja wie Wilhelm von
Auvergne erschliesst er sogar die reelle Existenz derselben
aus dem Reize, welchen sie auf unser Denken ausüben!),
bezüglich des principium individuationis den Thomisten eine
positive Ansicht gegenüberstellte, erhielt der ganze Streit
einen bestimmteren Charakter, welcher sich nun eigentlich
um die universalia in re drehte. Scotus nemlich fingirte
für die Individualisirung selbst wieder gewissermassen ein
Universale, indem er die „entitas positiva" als das allein
Wirkliche bezeichnete und somit in der „haecoeitas" (d. h.
der individuellen Substantialität) das Prinzip der Individua-
tion erblickte. So waren die universalia in re und die
universalia post rem schon ziemlich nahe an einander ge-
ruckt, denn nach Scotus soll nun eben jene haecceitas durch
die ratio universalitatis (d. h. durch die intentio secunda
der Araber) im Denken erfasst und so zur ratio quidditativa
gestaltet werden. Aber dieses Verfahren gelte nur für die
Welt des sinnlich wahrnehmbaren Einzelnen und führe so
zum menschlichen Wissen, soweit dasselbe reiche; hingegen
im Uebersinnlichen werde der . substantielle Begriff eben nur
durch Offenbarung gewonnen.
War es so ermöglicht, dass man bezüglich der in
Gottes Denken liegenden universalia ante rem einem eksta-
tischen Realismus nahe kam und zugleich betreffs der uni-
64 aummg der phiioi.-phiiol. GUme vom 2. S«K 1864.
salia in re und post rem einem nominalistischen Empiris-
mus folgte, so ist es nicht auffallend, wenn schon Petrus
Aureolus auf das Objective verzichtend die Universalien
für das subjective Wissen als ratio fabricata per inteUeetmn
bezeichnete, und selbst Wilhelm Durand vom Thomismus
aus ebendahin gelangte, oder z. ß. Walther Burleigh in
der That zugleich als Realist und als Nominalist arscheint.
Eben aus Letzterem aber ist ja gerade ersichtlich, das*
Realismus und Nominalismus nicht das Wesen der Partei*
Stellung ausmachten und nicht Gegenstand der Controverse
waren, und gleichsam zum Beweise hievon wiederholen uns
die Autoren aller Farben zum Ueberdrusse, daas ausser-
halb der Seele die Universalien nur in den Einzelndingen
ezistiren.
Wohl hingegen trat mit und durch Scotus eine ander*
weitige Parteistellung hervor, nemlich der zwischen dem
Dominikanerorden und dem Franziskanerorden bestehende
Gegensatz. Während nemlich der Dominikaner Thomas den
transcendenteu Glaubensgehalt in Formen des Wissens fassen
zu können verweinte und überhaupt principiell auch das
Practische dem Theoretischen unterordnete, so dass die
thomistiscben Dominikaner als Kathederhelden die theologische
Gelehrsamkeit repräsentirten , blieben die Franziskaner dem
unmittelbar gläubigen Bewusstsein getreuer und standen der
Unmittelbarkeit des sogenannten niederen Volkes in Seel-
sorge u. dgl. näher, daher ihnen gerade die praktische
Aufgabe der Theologie, welche eine Seelenarznei sein solle,
als die eigentliche galt. So auch dürfen wir im Zusammen-
halt mit dem vorhin Bemerkten in den Franziskanern die-
jenigen erblicken , welche den geschichtlichen Auslauf des
scholastischen Mittelalters, welcher einerseits zu Mysticismus
und andrerseits zu Empirismus führte, bereits mehr als dem
blossen Keime nach in sich trugen.
Durch Occam aber trat die Sache in eine neue
PrcmÜ: Der ünherxdienstreit im IS. und 14. Jahrhundert. 65
Wendung. Dieser nemlich verflocht die byzantinische Logik
des Psellus, welche schon seit dem Anfange des 13. Jahr-
hunderts im Abendlande recipirt worden war (Wilhelm
Shyreswood, Lambert v. Anzerre, — s. m. 2. Bd. — , erst
spater Petras Hispanns), aber bis dahin immerhin nur
parallel nebenher lief, nun innig mit der aristotelisch-
arabischen Theorie. Und sowie es sich hier abermals be-
währt, dass das Mittelalter nur durch Material-Zufuhr be-
dingt ist, so kann in diesem Falle die Geschichte der Logik
jener UnTerständlichkeit des Occam, über welche bisher mit
Recht vielfach geklagt wurde, genügend zu Hülfe kommen:
denn sobald man entdeckt hat, dass das Unverständliche
nur auf byzantinischer Terminologie beruht, ist die Brücke
zur Erklärung gegeben. Es ist nemlich der langathmige
und in viele Unterabiheilungen zerfallende Abschnitt De
terminorum proprietatibus, welcher aus der Logik des Petrus
Hispanus bei Occam in die ganze Lehre von den Univer-
salien verwoben ist Da in Folge der haecceitas des Scotns
dem Menschen alles Erfahrungsmäesige nur in singulfiren
Individuen erscheinen kann, gelangt auch Occam wie Petrus
Aureolus zu der Ansicht, dass die Universalien nur ein
Actum quoddam ezistens obiective in mente sind (dass im
Mittelalter durchgängig „obiective" dasjenige bedeutet, was
später seit Baumgarten „subjectiv" heisst, und umgekehrt,
ist bekannt). Aber eben dieses von der Menschenseele er-
zeugte Universale konnte Occam in dem byzantinischen Be-
griffe „terminus" wiedererkennen, welcher als Allgemein-
begriff das Einzelne in sich voraussetzt (supponit) und in
gewissen Modalitäten auf das Einzelne vertheilt wird (distri-
butio, und was sonst noch Alles in der abstrusen Logik des
Psellus vorkam). So bewegt sich dann, — um nur bei der
Kernfrage zn bleiben — -, auch bei Occam das Gebiet der
menschlichen Logik und der hierauf begründeten Wissen-
schaft in den universalia in re und post rem, und auch er
[1864 Hl.] 6
66 Stonmg der phOos.-philol. Glosse wm 2. Jtdi 1864.
konnte (nur schärfer, als schon durch Andere geschehen war)
das ante rem auf Gott Bezügliche und so überhaupt das
transscendent Dogmatische als ein jenseits der Logik liegen-
des bezeichnen. (Für die Theologen mag der Aufschlug
von Interesse sein, dass auch das vielbesprochene Centi-
logium des Oocam nur eine Uebertragung byzantinischer
Sophismen auf das Dogma enthält und hiedurch die Incom-
mensurabilität syllogistischer Formulirung und gläubiger Hin-
gabe darthun will.)
Und nun gestaltet sich die Parteistellung derartig, dass
diejenigen, welche mit Occam die Universalien in die viel-
seitig anwendbaren „termini" verlegen und dort die Wechsel-
beziehungen zwischen Allgemeinem und Singulärem unter-
suchen, erklärlicher Weise „terministae" genannt werden,
hingegen Jene, welche sich auf die universalia in re werfen
und dort die Frage über Individuation und Formgestaltung
des Singulären discutiren, als „formalistae" bezeichnet
werden, so dass hiebei immer noch die doppelte Möglichkeit
offen bleibt, entweder ein thomistischer oder ein scotistischer
Formalist zu sein. Und nachdem die Kirche sich gegen den
OccamiBmus erklärte, bleibt für die Folgezeit nur eine thomi-
stische oder eine scotistische Logik im Reste. In der
Zwischenzeit aber kreuzen sich die Parteistellungen auch
innerhalb der Orden, d. h. in der zweiten Hälfte des 14.
Jahrhunderts finden wir thomistische Franziskaner und ooeami-
stische Dominikaner und Augustiner, ein Verhältniss, welches
sich dadurch erklärt, dass der Parteistandpunkt nur von dein
Grade der Macht abhieng, welche der byzantinische Lehr-
stoff auf die Einzelnen ausübte. Glaubt man aber die Ter-
ministen als Nominalisten und die Formalisten als Realisten
bezeichnen zu können, so irrt man nach beiden Seiten, und
zumal nach der letzteren, sowie auch bei ersterer der ge-
schichtliche Sachverhalt durch solche Ausdrucksweise eher
verschoben als dargestellt wird.
Thomas: Der Laieinerzug nach einer venez. Chronik. 67
Wenn endlich am Auslaufe des Mittelalters eine Per-
sönlichkeit wie Gerson in sich Mysticismus und sogen.
Nominaüsmu& paart, so dürfen wir hierin, wie oben bemerkt
wurde, gleichsam das abschliessende Corollarium einer ganzen
Zeit erblicken, welche auf diesen Doppelweg hinausgetrieben
werden musste und es der nächsten Folgezeit als Erbe
hinterliess, sich in Mystik und Empirismus zu theilen.
Herr Thomas sprach:
Ueber die handschriftlichen venezianischen
Chroniken, die er während seiner jüngsten wissen-
schaftlichen Reise zu examiniren Gelegenheit gehabt
hat, und legte der Glasse das „Fragment einer
solchen aus dem 15. Jahrhundert vor, das
den Lateinerzug nach Constantinopel be-
handelt."
Cronaca di Yenezia, autore Zorei Dolfin. Codex
Italicus Appendix Classe VII. Nr. DCCXCIV (qu. Girol.
Contarini Nr. 96), cart. in folio Saec. XVI. auf der Marcus-
Bibliothek in Venedig.
Fol. 74\] Cotne una gran compagnia de signori oltramon-
tani manch a domandar soccorso a Venetiani per andar a
recuperar le terre sante e per hauet il re Balduin re de
Jerusalem el quäl era prezo m man de Saracini.
In tempo di questo doxe [sc. Rigo Dandolo] per uolonta
de dio una grande et alta compagnia si assunorono insieme
de principi et signori oltramontani et fra loro fu deliberato
de andar a seruir miser domenedio oltra el mar et andar
a conquistar le terre sante et fu el primo
5*
68 Sitemg der phHoB.-pkOdl. dorne vom 3. JuU 1864.
El Conte Timbaldo de CSompagoia com El Conte Bal-
duino de Fiandra. El Conte Aluixe Debes. El Conte de
Si88on. El Vescouo de Stisire. El Conte de Sanpolo ot
molti altri signori nobilissimi et chaoalieri oltramontani. Et
come el piaxete a dio el mancho el conte de San Polo. El
quäl lasso in suo testamento che la sua uegte darme com
la croxe fasse portada al Marchexe Bonifacio de Monfera,
et cußi tutto lo suo hauer che lui hauea parechiato per
portar oltra el mar, et cusi il ditto marchexe rezeuete quelle
cosse aliegramente. Queste compagnie de signori pellegrini
uogliando mandar ad exeqution quella cosa, mandorono
ambasciada per tractar cum Venetiani che li desseno passazo
cum li 8ui nauilij per 450 chaualieri, 900 schudieri armadi,
'XX' homini armati cariazi et uictuarie et tutte sue altre
cosse et aparechiamenti. Item uoleano galie .L? armade
e ben in ponto et fusseno per uno anno poste in ordene et
promesseno per la spexa de armar LXXXV millia marche
de arzento fin al peso de Chologna cum pacto de uoler dar
la mita de tutto quello se conquistasse ali Venetiani. Et
piaxando questi patti a miser lo doxe et ala signaria, fdrono
F. 75.] confirmati li patti | tra ambe due le parte et cusi
li ditti ambasciatori cum questo se ne parti.
Dapoi pocho tempo ritornorono li ditti ambasciatori o
signori a Veneria digando non esser possibile ad attender
ali primi pacti, et feceno menor patti et Obligation una
parte et laltra.
Dapoi questo fu chiamato publicho arrengo de tutto il
populo assunati in la chiexia de miser San Marcho et per
miser lo patriarcha fu cantado la messa del spirito santo
cum la oration del euangelista miser San Marcho. Dapoi
ditta la messa fu pronnnciadi et publichadi i pacti et con-
dition era concluxi tra el doxe et la signoria da una parte,
et li signori pellegrini cum el m&rchexe de Monfera»
Thomat: Der LateinerMug nach einer tenes. Chronik. 69
£1 doxe die hatteua curta uista et li occhij sui erano
bellissiuri monto sopra il capitelo et diese
Signori Venetiani, le uero che nui siamo acordati et
contiegnudi con questi signori oltramontani per andar al
aeruitio de dio oltra el mar per conquistar le terre sante
doue lui fu morto per nai et ben che io mi ueda uechio et
dispossente non di meno questo pocheto di teinpo che resta
de la mia uita lo uoglio metter uolontiera nel seruitio de
dio, et prender lo segno de la santa croce et andar cum
questi signori in coinpagnia et com uoi altri siando nostra
uera uoluntade che altramente non intendo de far perche io
son uostro doxe.
Alhora cominciorono a cridar che erano content! Et
subito ü ditto doxe ando al altar et tolse la croce in man
che hauea el patriarcha et per simile li altri zintilhomini
et boni Venetiani cum bon animo et cum lachryme piangendo
cum li dilti signori pellegrini cum grandissima allegreza et
charita abrazandosi luno et laltro, et cusi in quella deliberono
et ordinono che miser lo doxe de Venetia sopraditto douesse
esser suo chapo, et li ditti steteno in Venetia per fina che
furono aparechiade le naue et gallie per la ditta armada.
Cotne lo itnperador JEmanuel mori in questo tempo.
In quello tempo mori Emanuel de Gonstantinopoli del
quäl era rimasto uno garzon suo fiolo habuto da una dona
del re de Franza lo quäl lui lasso in guardia de uno suo
cuxin per nome Andronicho el quäl strangolo el ditto garzon
et fecesse imperator et fu uno crudelissimo aignor et hauea
piacer de lezer uno libro de le profecie de Gonstantinopoli
de le coese che doueano uignir. El quäl se diceua esser
facto per miser San Daniel profetta, et in quello trouo come
uno per nome Jursa l) lo douea cazar de lo imperio, et cusi
1) i. e. Kyr Sac; Isaac.
70 Sümmg der phüos.-phüol. Oas$e vom 2. Juli 1864.
lui per dubito comando che tutti quelli che hauesseno nome
F. 75v.] Jursa fosseno morti, et cusi fu facto, exetto | tmo
pouero nobillissimo del parenta del ditto Emanuel el quäl
per la sua pouerta era disperato chiamato Jursa, et quello
douendo essere morto da uno messo de lo imperator amazo
el ditto messo et ando cridando per tutta la terra in modo
che tutto il populo el sequiua et si se saluo in Santa Sofia
in luocho de franchixia, et facto li grande assunanza del
populo mando per el patriarcha et fu coronato imperator
contra la sua uolunta et menollo al pallazo doue era An*
dronicho imperator el quäl fuzando fu prexo et messo in
man de Jursa imperator nouo.
Et Jursa imperator nouo habiando nele man Andronicho
imperator cazado per lui per le crudelitade facte al tempo
del suo imperio lo aprexento al populo a zudegarlo, onde
el fu determinato chel douesse morir et cusi fo strasinado
per tutta la citade pelandoli la barba in modo che per li
gran tormenti fu morto et butado ad uno certo loco ali
cani, et lo ditto Jursa rimaxe liberamente imperator. Et a
questo modo perse li grifoni2) lo imperio de Romania el
quäl loro tene molti anni per forza.
2) Weiter unten f. 85b, 86 heiaat (a. 1230) Uataeo ' imperator
de grifoni. Diese Bezeichnung der Byzantiner, wahrscheinlich ein
Spottname religiöser Zwietracht, scheint im Occident ziemlich ge-
läufig und im Gegensatz zwischen Lateinern und Griechen gebräuch-
lich gewesen zu sein. So z. B. ist in der französischen Fortsetzung
des Wilhelm von Tyrus immer der Gegensatz — Grifom — LaUns,
wo die Handschriften statt des ersteren auch Orex bieten, wie in
der hieher bezüglichen Stelle der sogenannten 'Estoire de Eraoles
Empereur', Recueil des historiens des croisades, Historiens occidentauz
t. II, p. 268 ff. Vgl sonst Ducange im Glossar zu Villhardnin a. v. CHriffbns,
und das Glossarium mediae et infimae Latinitatis t. 3, 567 sub
Griffones.
Thomas: Der Latemereug nach einer venes. Ghronik. 71
Come el ditto imperator Jursa habiando recuperato il suo
fratello el ditto li fece chauar li ochij.
Questo imperator haueua uno suo fratello in prexon in
in man de Saracini, et delibero de hauerlo, et cum XL Villi
perperi lui lo haue, et zonto lui in Constantinopoli le fece
granmaistro et bauea nome Alexio. onde per spatio de tempo
el ditto Alexio prexe uno zorno el ditto Jursa imperator et
cauolli li ochij et per forzalui si fece imperator, ingrato del
seruitio a lui facto per el ditto suo fratello che lo hauea
rechauato fora di prexon. El ditto Jursa si haueua uno
suo fiolo con lo imperator de Alemagnä el quäl sapiando de
quello hauea fatto il barba8) a suo padre, uene a la pre-
xentia del papa de Roma lamentandosse del ditto suo barba
che hauea cauato li ochij a suo padre et toltoli lo imperio
per forza. la quäl cossa molto dispiacette al papa et niando
el ditto garzon a Venetia molto aricomandandolo al doxe
et a la signoria di Venetia et a quelli signori pellegrini che
lo douesseno aiutar et soccorer a questa sua andada cum
larmada dagandoli perdon de colpa et de pena et cusi il
ditto garzon Alexio fiolo de Jursa zonto a Veijetia fece molti
pacti cum el doxe et la signoria et cum quelli signori
pellegrini.
Come Alexio imperator dubitando de suo neuodo mando a
dommidar soccorso.
F. 76.} | Alexio imperator dubitando del neuodo fuzido
mando a la signoria di Venetia obligandosse uolerli deffender
da tutto il mondo, onde miser lo doxe li rispoxe ringrati-
andolo de la sua bona offerta et dispositione. Et quando
li ambasciatori de lo imperator uetteno tanta baronia et
3) Venezianisoh = sio, Onkel.
72 SUmmg der phihi.-phQol. dam vom 3. MU 1S64.
et aparechiamento de naue et gaDie, se deno grau
marauiglia et subito ritornorono in Constantinopoli, et do-
mandadi da lo imperator de la risposta haueano habuta,
disseno, chaualaria chara uia chatregapolla 4), che uenne a
dire 'caualli et gallie et naue assai'. Et questo Alexio penso
chel fusse per la prexa lui hauea fatto di suo fratello al
quäl lui hauea tolto la signoria , et dubitando se messe in
ordene de tutte cosse per non esser scazado dal imperio dal ditto
suo nieuo per ladiutorie lui hauea obtenuto de la signoria.
Come se partim U Venetiani per andar a conquistar le
terre sante.
Ritorniamo allo exercito et armada se aparichiaua in
Venetia per andar oltra il mar. Quando tutto fu apa-
rechiato et in ordene, cum el nome del spirito santo et del
euangelista miser San Marcho se dispartino de suzo il porto
de Venetia et feceno uella et questo fu neLM. cc. ij. et
tutte le done di Venetia piangeua pregando idio li desse
uictoria sperando in lui die per tanto seruitio et honor di
quello iudioauano et pensauano che lui saria suo diffensor
et in aiuto.
Come la ditta armada ando a Zara a combaterla et re-
quistarla laquai hauea rebeUato.
Et zonta che fu la ditta armada a Zara i determino
de combaterla per forza darme et li tramontani forono con-
tent! perche li Venetiani li promesseno de darli la mita
del butino che li uadagnasse et subito miser lo doxe fece
aparechiar suo ediffitij et schale a combatter, et quelli de
Zara uedando tanta nobil baronia et tanta moltitadine de
4) Das ist grieohisoh: xaßaXXdQta, xaQußw> xatqpa nott*.
Thomas: Der Lcdeinermtg ntuh einer ****. Chnmik. 73
zente i serendeteno a miser lo dose iassando in liberta lo
•
hauer purche le persone fosseno salue et cos haueno la
citade et lo dominio de Zara. et auarrti la sua partida zonse
li Alexio fiol de Jursa imperator de Constantinopoli, el quäl
uigniua da Roma com lettere et raformo sui patti com el
doxe et altri signori de lannada die ee i lo metteuano in
signoria lui daria aloro * CC * marche daizento et tutta
uictuaria che li bisognasse. Et furono stabiliti li lor patti.
Com la ditta armata zonse a Constantinopoli.
F. 76T.] ( Dapo habuta Zara se dispertino et nauigando zonseno
a Constantinopoli et subito larmada rompe nna chathena
che era da Pera a Constantinopoli. subito la ditta armata
entro dentro el porto et prexeno nno castello apresso la
terra che se chiamaua Belmonte et acampose tutto lo exer-
cito, da nna parte li oltramontani da laltra miser lo doxe
et Venetiani, et da mar et da terra duro la battaglia parechij
zorni, finalmente per Venetiani fu prexa la ditta cita de
Constantinopoli, et li Greci uedando lo imperator Alexio era
scampato, non habiando animo de star a defexa de la cita
contra la possanza dltaliani, andando da lo imperator Jursa
el quäle era in uno monastier de calojeri et disseli (nui
uolemo che tuo fiol Alexio zouene sia nostro imperator' et
poi li ando da miser lo doxe et dal marchexe et dal conte
deFiandra et cum quelli rimaxeno dacordo chel fusse tolto
il ditto Alexio fiol de Jursa per imperator suo et quello fo
menado in la chiexia de Santa Sofia et li fu incoronato
imperator. el quäl sapiando de uno suo parente molto
sapientissimo homo el quäl era in prexon chiamato Mar- x
silio6), lui el fece cauar de prexon et fecelo suo baron et
gran maistro mazor che lui hauesse apresso de si.
5) Das ist Mursuphtiu.
74 SUnmg der pMUm.-phOoi Chm vom 2 JwU IBM.
Dapoi facto questo miser lo dose et li ditti signori oltra-
montani domando a questo Alexio zoueae facto imperator
che li «douesse attender a le promesse facte perche essi erano
per andar a far mazor facende, si che li pregauano che lui
douesse dar spazamento acio potesseno andar a far li facti
80i et exequir lo suo uiazo. lui ueramente pensaua darli
una parte et del resto darli ganze6) in pagamento non
corando del sagramento lui haueua fatto al doxe et ali
principi, et de questo era caxon quello Marsilio lui hauea
cauato de prexon et facto modo del suo hosteile et durando
la ditta contexa per uoler quelli signori lo * 200 ' marche
darzento, Marsilio amazo occultamente Alexio nouo imperator
et tegnudo occulto dagando ad intender a tutti chil fasse
agrauado da male perho non potenano hauer sua Intention.
Ma miser lo doxe cum quelli altri principi se ne acorse, et
cusi uedando esser inganadi da questo Marsilio, deliberono
da rechao7) dar battaglia ala cita et de combatterla et
quello mando sui ambasciatori a miser lo doxe et a quelli
signori domandando uoler esser a parlamento cum essi et
cusi uene il ditto Marsilio fuora a parlamento cum miser
lo doxe et seguite molte parolle et partido da lui ritorno
a Gon8tantinopoli regnando in lo imperio apertamente. Et
una nocte mando occultamente * XVI * naue carge de bruscha
F. 77*.] cum vento da buora sopra larmada di Venetiani |
per bruxarla. onde per questo non potte far danno niuno
a quella et subito fu deliberato dar battaglia ala terra et
ditta la messe del spirito santo for Ordinate le battaglie da
mar et da terra a le sue poste cum gran numere de schale.
6) Entspricht dem Italienischen eiance, in der Bedeutung von
parole, pura puta verba.
7) da rechao: dereekef, dinuovo. S Boerio Dizionario del dialetto
veneziano sab da recä.
Thomas: Der Lateirwtug nach einer venez. Chromk, 75
Et subito per Venetiani fu sehalado la terra, el primo che
monto fu uno chiamato Pietro Alberto, et per lui fu messa
la insegna de miser San Marcho suxo la prima torre.* e poi
tutti seguendo cum le schale tutti quelli oltramontani ualoro-
xamente portandosse. et tutto lo exercito de Italiani prexeno
et introno in Constantinopoli , et fa prexo et morto per
Italiani quel Marsilio inperacjor traditor. £1 doxe, el mar-
chexe de Monfera, el conte de Fiandra contra laltra hoste
entro in la citade et quella haue liberamente. Et lo mar-
chexe de Monfera mando in prexon a Monfera Alexio che
hauea fatto chauar li occhij al suo fratel Jursa.
La zente de larmada del serenissimo miser lo doxe al
tempo de quelli signori guadagno una gran quantita de oro
et de arzento mettando tutta la cita de Constantinopoli a
sachomano. Et questa uictoria fu corando li anni del signor
.m. cc. nn.
Come dapoi la prexa de Constantinopoli fo deliberato per
il conseglio de quelli baroni ' XII • eUectori che hauesseno
ad ettezer lo Imperator de Constantinopoli. De^i quali fu
6 oltramontani et 6 Venetiani.
Prexa la ditta cita fii deliberato per miser lo doxe et
quelli signori de far per il suo zeneral conseglio * XII a
eUectori i quali douesseno ellezer uno nouo imperator de
Constantinopoli de i quäl eUectori fusseno sei Venetiani et
sei oltramontani et Lombardi. alcuni uoleuano il conte de
Fiandra, alcuni el doxe de Venetia et alcuni el marchexe
de Monfera , et fatta gran contexa et parlamento tra essi
ditte et allegate molte raxon. de queste raxon finalmente
uno miser Panthalon Barbo disse a conforto per ogni bon
respecto et per lo meglio de lo imperio chel fosse elletto
el conte de Fiandra, el quäl era uno grandissimo signor et
richo, et li oltramontani sariano piu contenti de lui che de
76 aummg der pKkm.-phOol. ÖUtm vom 2. MU 1*#*.
altro ßignor et essi Venetiani com li ottramontani se acor-
dorono insieme tutti questi ellectori et com el nome del
spirito sancto deliberorono de ellezer imperator de Romaoia
et de Constantinopoli el conte de Fiandra.
Come el magnificho conte de Fiandra fo incoronato imperator
de lo itnperio de Constantinopoli.
El magnificho et potente conte ßignor de Fiandra ditto
imperator de lo imperio de Constantinopoli el fh con gran-
dissimo honor acompagnatö ala chiexia de Santa Sofia doue
F. 77b.] honoreuel | mente incoronato com grandissime
solemnitade et cerimonie Imperator de Constantinopoli et
de tutto lo imperio, doue el fece dapoi assaissimi chaualieri
tutti homini notabilisaimi et degni et feceli suzetti et offitiali
segondo la dignita de lo imperio. Dapoi de li se parti et
andono al pallazo a chauallo et lo imperator et miser lo
doxe per le quäl dignita portauano bachette in man cum
le spade auanti de loro et nel pallazo forono facte gran-
dissime feste et triumphi si come se conuigniua a tanto
imperio et signoria de far per dignita.
De U prwüegij et prementie che sono facte ali Venetiani
in ConstantinopoU.
Dapoi la ditta incoronation el serenissimo doxe miser
Rigo Dandolo, et marchexe de Monfera cum quelli oltra-
montani ordinorono che tutto quello exercito douesse ro-
magnir a Constantinopoli per uno anno per refor et stabilir
lo imperio, et che miser ie doxe et li Venetiani per lui et
sui successori hauesseno mero et iusto imperio de Constan-
tinopoli zoe in la cita et fasaeno asciolti de ogni datio ne
fuseeno astretti de far akun zuramento et che nela iustiäa
Thomas: Der LaMmreng nach einer venee. Chronik. 77
et raxon ne foese tre Venetiaoi et tre oltramontani et per
totte le parte fo zurado de otaeruar i pacti et romagnir
oootento de quella sua parte li tochasse.
De le partixon che furono facte de lo imperio de Con-
stanUnopoli.
Fo facte le parte de lo imperio de tutta la Romania
tra el conte de Fiandra Imperator elleoto et Venetiani et
lo marchexe de Monfera in queeto modo:
A li oltramontani tocho cinque octaui de la cita de
Constantinopoli et de molte altre bone cita.
A tniser Eigo Dandolo doze per el comiin di Venetia
tre octaui de la dicta cita de Constantinopoli et molti
altri lochi.
AI marchexe de Monfera la cita de Salonicho com tutte
le sue pertinentie.
Lo reßto ueramente de tutto lo imperio rimaxe sotto
lo imperio del nouo imperator de liquali seria longo scriuere
tutti nominada mente per ordine.
Come la signoria de Venetia compro lixola de Candia et
come el ei haue el dämme de quella.
In tempo di miser Rigo Dandolo doxe di Venetia el
marchexe de Monfera chiamato Bonifacio el quäl era insido
de una fiola de lo imperator Alexio de CJonstantinopoli ma-
ritada nel padre de questo Bonifacio marchexe de Monfera
al quäl fii dato in dota lixola di Gandia, laqual era diuixa
F. 78.] | et separata da lo imperio, al tempo del conquisto
de quello, come di sopra e dicto, el ditto la aende come di-
80tto se narra com el modo infrascripto.
i7S Sünmg der phüos.-phOol. Clane wm 3. Juli 1864.
Cotne Bonifacio marchexe de Monfera lasso tutta la sua
parte de lixola de Candia a la signoria.*)
Del anno del nostro signor Jhesu Christo •M'CC'IHI'
al tempo de papa Inocentio Io Bonifacio marchexe de Mon-
fera libera mente lasso et refudo quanto a lui apartenigniua
et che mai li podesse apartegnir a lui et sui heriedi et
successori a tempo alcuno a miser Marco Sanudo et miser
Bauan *) da Verona per nome de miser Bigo Dandolo doxe
di Venetia et de quella comunitade la sua ixola de Gandia
con tutte le sue pertinentie et coherentie la quäl fu concessa
per suo auo Alexio imperator al suo padre e signor marchexe
de Monfera per la sua dotta de sua madre et questo per
pretio de marche *M* de arzento fin de le quäl se chiamo
ben contento, et per simile cum tutte raxon et doni de
perperi centomillia che dono lo imperator Emanuel al ditto
signor marchexe et a fede et memoria di questö fo facto
publico incanto et instrumento per bon et pacificho stado.
Cotne fu azonto a Venetiani questo titolo dux Venetiarum
et dominus quarte partis 10) dimidie totius imperii Bomanie.
Missier Bigo Dandolo doxe illustrissimo de Venetia
auanti la sua morte in Constantinopoli fece azonzer per
titolo al dogado queste parole cDux Venetiarum et dux (l.
dominus) quarte paiüs (et) dimidie totius imperii Romanie', et
fece transmutar la sua arma. perche la era simile a quella
de marchexe de Monfera et fecela biancha et azura cum li
zigli transmutadi de colori onde la era prima biancha et
6) Vgl. die vollständige Urkunde im 'Urknndenbuch der Republik
Venedig' Fontes rerum Austriacarum XII, 512 ff.
9) Lies Bauan.
10) add. et.
Thomas: Der Lateinerjntg nach einer vme*. Chronik. 79
meza rossa come al prexente porta li altri u) et la differontia
che era di queeta arma da quella de Moafera si era che
quella de Monfera porta il uermeglio di sopra et quella da
cha Dandola porta il biancho di ßopra et molte uolte uig-
niua tolto in scambio luna per laltra et per questa caxon
etiam per allegreza di grande uictoria el serenissimo miser
Rigo Dandölo scambio la sua arma. et etiam auanti la sua
morte messe a la guardia de la sua parte de la cita de
Constantinopoli homini per guardia de quella et cusi in tutti
li altri luochi che li tochorono per parte sua.
*
Come la cita de Raguxi rebello a la signoria de Venetiani
F. 78".] | et fu facta una armada per requistarla.
La cita de Raguxi in questo tempo rebello a Venetiani
et per questo li fo mandado uno notabilissimo exercito de
armata del quäl ne fu capitanio miser Thomaxo Morexini,
patriarcha de Grado, el quäl zonse a Raguxi con la sua
armada et cum la sua prudentia tanto sape far che senza
darli battaglia lui redusse la terra a la prima obedientia
de la signoria di Venetia et feceli zurar fedeltade. et questo
fo del 1205.
Come i aquista Durazo e Gorfu.
In quel tempo era sta facto una grossa armada in
Venetia de la quäl fu facto capitanio miser Jac° ") Morexini
et si uigniua mandado al patriarcha de Constantinopoli et
in questa sua andada li fu promesso a lui la prexa de la
cita de Durazo et lixola de Gorfu et lui ualoroxamente ando
11) sc. Dandoli.
12) Tomaso im cod. 1274.
80 aiimtng der phikx.-phikl. Oku* vom 2. JuU 1864.
a H dicä luoohi et presch totto mettandoli a la signoria di
Venetia.
Come et serenisswio doxe morite et dapoi la sua märte fu
fatto suo fiol in suo logo.
Auanti chel doxe di Venetia miser Rigo Dandolo fasse
per partir da Constantinopoli se infermo de una graue ma-
latia onde el rexe il spirito a dio, et pocho auanti che in
Venetia se hauesse habuto noticia de la morte del sopraditto
doxe quem de Venetia haueano facto miser Setutij Dandolo
fiol del ditto doxe a gouerno del dogado domentre diel padre
tomasse da Constantinopoli. onde habiando dogado el ditto
miser Rigo in summa anni (add. X) * Uli ' el passo di questa
Tita in Constantinopoli et in quel lnogo el fu sepellito cum
grandi honori. et quando in Venetia el fu addutta questa
nouella la constrense molto tutti li Venetiani grandi et
picholi a far molti pianti et molti lamenti de la morte de
quel ualoroxo principe.
Obiges Stück wurde namentlich mit desswegen ausge-
wählt, weil es eine schickliche Ergänzung jener historischen
Zeugnisse bietet, welche das „Urkundenbuch der Republik
Venedig" 1, 286 — 358 zusammengestellt hat. Es muss folge-
recht mit den dortigen Erzählungen inhaltlich verglichen
werden.
Die Chronik ist auch aus dem Grunde von besonderem
Werth, weil sie zugleich neben anderen Quellen aus Ur-
kunden geschöpft ist, wie auch eine andere, sehr umfang-
reiche, die sogenannte Cronaca Zancaruola. So bestätigt
unsere Chronik (f. 59), was das Urkundenbuch (I. N. XXX, 66)
durch Conjectur vorausgesetzt hat, nämlich ein wirk-
liches Handelsprivilegium der Venezianer mit Balduin L,
König von Jerusalem.
Bin9endMn§en.von Drueketkrifien. 81
Einsendungen von Druckschriften.
Von dar Beal Acaiemia de Gencuu in Madrid:
a) Libros del saber de Astronomia dal rey D. Alfonso 10 de Castilla.
Tomo 1. 2. 1863. gr. Fol.
b) Memoria». Tom. 3. 2. Serie. Giencias fisioas. Tomo 1. Parte 8.
„ 4. 2. „ n „ „ 2. |, 1*
1863. 1864. 4.
c) Resumen de las aotas en el ano academioo de 1861 ä 1862, por
el secretario perpetao Dr. D. Antonio Aguilar y Vela 1863. 8.
Von dar AcadSmie da sciencee in Baris:
a) Comptes rendus hebdomadaires des seanees Tome 68. Nr. 20 — 26.
Mai— Juin 1864.
Tome 59. Nr. 1—4 Jaillet 1864. 4.
b) Table« des comptes rendus des seanees. Deturieme 8emestre 1863.
Tom 57. 1864 4.
Von der OesdUchaft für vaterländische AUerthümer tu Zürid*:
a) Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft Bd. 14. Halt 6. 6.
Bd. 15. Heft 1. 2. 1863. 1864. 4.
b) Achtzehnter und neunzehnter Bericht über die Verrichtungen der
antiquarischen Gesellschaft. Vom 1. Novbr. 1861— Decbr. 1868.
1864. 4.
o) Anseiger für schweizerische Geschichte und AHerthumskunde.
10. Jahrg. Nr. 1. Januar 1864. 8.
Von der Boyal Irieh Academy m Dublin:
a) Transaotions. Vol. 24. Antiquities. Part. 1. Polite literatnre Part. 1.
Science. Part. 3. 1864. 4.
b) Prooeedings. Vol. 8. Part 1—6. 1861—64. 8.
[1864. n. 1.] 6
Fon der *. k. geologiechen BeichsanstaU m Wien :
Jahrbuch 1664. 14. Band. Nr. 1. Januar, Februar, Mars. &
Von der senkenbergischen naturforschenden (Gesellschaft **
Frankfurt a. M.:
Abhandlungen. 5 Bd. 2 Hft. 1864. 4.
Von der Acadhme totale de M&decme de Beigigue in Brüssel:
Bulletin. Annee 1864. Deusieme Serie. Tom. 7. Nr. 3. 4. 8.
Von der Redaktion des Correspondenzblattes für die gelehrten und
Realschulen in Stuttgart:
Correcpoüdenzblatt. Juni Nr. 6. Juli Nr. 7. 1864. &
Von der Asiatic Society of Bengal in Calcutta:
a) Bibliotheea Indica; a oollection of oriental works. Nr. 201. 202.
Fase. 13. 14 New Series Nr. 42. 43. Fase. 1. 2. 1863. 8.
b) Journal. Nr. 293. Nr. 1. 1864. New Series. Nr. 119. 1864. 8.
Vom Verein von AUerthumsfreunden der Rheinlands in Bonn:
JahrbÄcher. 86. 18. Jahrgang 2. 1864. 8.
Vom historischen Verein der fünf Orte Luxem, Uri, 8ehwys€ unter-
uxüden und Zug in Einsicddm:
Der Geschiehtcfreund. Mittheilungen. 20. Bd.
Von der naturforschenden Gesellschaft Qrambündens in Chur:
Jahresbericht. Neue Folge. 19. Jahrg. 1862—63. 1864. 8.
Vom Kunst- und Handwerksverein und der naturforschenden Gesellschaft
in Altenburg \
Mittheüungen aus dem Osterlande. 16. Bd. 4. Hft. 1864 8.
Emsendungsn von Thutfsschtiflün 88
Von dar 8ocUte fAntMrofciefiie in Parti:
Bulletin*. Tom. 6. 2. und 3. Farn. Mars— Juillet 1864 8.
Von dm k. prsusi. Akademie dm Wissenschaften in Berlin:
März, April, Mai 1864 a
Von der deutsche* morgetüändischen Gesellschaft in Leipsig:
Zeitschrift. 18. Bd. Hft 3. 1864 8.
Vom historischen Verein von Unterfrtmken und ÄBchaffenbmg in
Wartburg:
Sammlungen des bist. Vereins. Erste Abtheilung. Bücher. Hand-
schriften. Urkunden von Professor Contzen. 1856. 8. Zweite Ab-
theilung. Gemälde. Sculpturen. Gypsabdrüoke. Waffen, Gläser. Kruge
u. dgl. Geräthe. Mobilien etc. von C. Heimer. 1860. 8. Dritte Ab-
theilung. Gravirte Kupferplatten. Münzen. Kupferstiche. Handzeich-
nungen. Lithographien, Holzschnitte etc. von C. Helfher. 1864 8.
Von der Universität in Upsaia:
Upeala Uniyenitets Arsakrift 1868. 8.
Von der Oeological Society in London:
a) Quarterly Journal Yol. 20. Part. 2. May 1. 1864 Nr. 78. 8.
b) Address deliyered at the anniversary meeting of the Society, on
the 19th of February 1864 By Prof. Gl. C Ramsay. 8.
Von der Universität in
jiteratur. 57. Jahrgang
1864. 8.
Von dm Äoadhnie royate des sciences, des lettres et des beaux-arts de
Bslgiqus in Brussd:
Bulletin. 83. annee. 2 Serie; tarne 18. Kr. 7. 1864 &
6»
64 Einsendungen von Druekschriften.
Von der nasmhistorischm Gesellschaft in Nürnberg:
Abhandlungen. 8. Bd. 1. Hälfte 1864. 8.
V
Von der Gesellschaft für vatoUmdische Geschichte in Kid:
Jahrbücher für die Landeskunde der Heraogthümer Schleswig-
Holstein und Lauenburg. Bd. 7. Heft 1. 1864 8.
Vom k. sächsischen Verein für Erforschung und Erhöhung der vater-
ländischen JUerihümer in Dresden:
Mittheüungen. 18. Heft. 1868. 8.
Von der pfäUtischen Gesellschaft für Fharmacie in Speyer:
Neues Jahrbuch für Pharmacie und verwandte Fächer. Bd. 22.
Heft 1. und 2. Juli und August. 1864. &
Von der schksischen Gesellschaft für vaterländische Cultur in Breslau:
a) Abhandlungen. Abtheilung für Naturwissenschaften und Medicin
1862. Heft & Philosophisch- historische Abtheilung. 1864
Heft 1. 8.
b) 41. Jahresbericht. Enthalt den Generalbericht über die Arbeiten
und Veränderungen der Gesellschaft i. J. 1868. 1864. 8.
Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in Qättingen:
a) Gelehrte Anzeigen. 27—85 Stück. Juli, August 1864. &
b) Nachrichten der kgL Gesellschaft und der G. A. Universität
Nr. 11—18. Juli und August 1864. 8.
Von der gelehrten estnischen Gesellschaft in Dorpat:
a) Schriften der Gesellschaft. 1. 2. 8. 1868. 8.
DJ cntisungsDericnte. iooo. o.
Vom landwirthsihaftliehen Verein in München
Zeitschrift 8. 9. August September 1864. 8.
85
Vom Verein zur Beförderung des Gartenbaues in den k. pre\
Staaten für Gärtnerei und Pflanzenkunde in Berlin:
Wochenschrift Nr. 25—32. Juni. August. 1864. 4.
Van der Commiseion KydromHrique in Lyon:
des observations recueillies dans les bassins de la
Saöne, du Rhone et quelques autres regions, aooompagne' de
notices diverses. 1863. 8.
Vom Verein für eieberibürgidche Landeskunde in Hermannstadt:
a) Jahresbericht für das Jahr 1862—63; vom 1. Juli 1862 — Juni
1868. a
b) Archiv. Neue Folge. 6. Band. 1. und 2. Heft. Kronstadt 1864. 8.
c) Enumeratio stirpium magno Transsilvaniae principatui praeprimis
indigenarum in usum nostratum botano-philorum conscripta
inque ordinem sexuali-naturalem ooncinnata auotore Joh. Christ.
Gottlob Baumgarten. Tom. 4. Cibinii 1846. 8.
d) Fontes rerum Austriacarum. Oesterreiohisehe Geschiohtsquellen.
1. Abthl. Scriptores. 4. Bd. Siebenbürgische Chronik des Schass-
burger Stadtschreibers Georg Kraus. 2. Thl. Wien. 1864. 8.
e) Deutsche Sprachdenkmäler aus Siebenbürgen. Aus schriftlichen
Quellen des 12.— 16. Jahrhunderts. Von Ferd. Müller 1864. 8.
f) Geologie Siebenbürgens. Von Franz v. Hauer und Dr. Quido
Stäche. Wien 1863. 8.
Van der Boyal Society in London:
a) Phüosophical Transactions. Vol. 163. Part. 1. 2. For the year
1863. 1864. 4.
b) Proceedings. Vol. 12. 13. Nr. S7--64. 8.
o) Fellows of the Society. Nov. 1863. 4.
d) Observations of the spots on the sun from November 9. 1863 to
march 24. 1861 ; made at Redhill by Richard Christopher Car-
rmgton. 1863. 4.
Von der Äcademia ddU scimte deW letituto in Bologna:
a) Memorie. Ser. 2. Tom. 2. Fase. 2. 8. 4
- 2. „ 8. „ 1. 2. 8. 1863. 64. 4.
b) Rendiconto delle sessioni dell'Istituto, anno accadcanioo 1862 — 63.
63—64. 8.
Vom Istitvto di Correspondenea Archcdhgica in Rom:
a) Bulletino. Per l'anno 1863. 8.
b) Annali. Volum. 35. 1868. &
c) Monumenü inediti. Vol. 6 a 7. 1867—63. gr. fol.
Von der Society of Antiquaries in London:
Proceodings. Second Series. Vol. 1. Nr. 8. Vol. 2. Nr. 1—4.
1861. 63. 8.
Von der sehweieerischen naturforschenden Gesellschaft in Bern:
a) Nene Denkschriften der allgem. Schweiz. Gesellschaft für die ge-
sammten Naturwissenschaften. Bd. 20. Zürich 1864. 4.
b) Mittheilungen ans dem Jahre 1868. Nr. 531—552. 1863» &
o) Verhandlungen der Gesellschaft bei ihrer Versammlung zu Sa-
maden den 24.25. und 26. August 1863. 47. Versammlung. Ghur
1864. 8.
Von der Äcademc imperiale des sdences, beUeslettres et arte inBouen:
Precis analytique des travaux pendant l'annee 1862. 6&, 8.
Vom historischen Verein für das OrosshereogÜwm Hessen in
Darmstadt:
a) Archiv für hessische Geschichte und Alterthumskunde. 10. Bd.
3. Hft. 1864. 8.
b) Hessische Urkunden« Aus dem grossherzogi hessischen Haus* und
Staatsarchive. 3. Bd. 1863. 8.
Von der Chemical Society in London:
Journal Ser. 2. VoL 2. Nr. 16. 17. 18. April, May, June 1864. 8.
Von der EnUmdiogical Society in London:
Transactions. Third Series. Vol. 1. Part the ninth, 1864. 8.
Bmsendmgen von Druckschriften. 87
Vom Institut Mstorique in Forts:
Llnrestigateur, Journal. Trente-unieme annee. Tom. 4. 4e Serie.
866 litraison. Juillet 1864. 8.
Fon der SocUti de Geographie in Paris:
Bulletin. Aoftt 1864. 8.
Von der k. k. OeseUsehaft der Aerste in Wien:
a) Medizinische Jahrbücher. Zeitschrift. Jahrgänge 1861 — 1863 je
1—6 Heft. 1864. 1—4. Heft. 1861—64. 8.
b) Wochenblatt der Zeitschrift der k. k. Gesellschaft der Aerzte in
Wien: 17.— 19. Jahrgang je Nr. 1—52. Janaar 1861— December
1868. 20. Jahrg. Nr. 1—80. Januar— Juli 1864. 8.
Von der SocüU des sciences naturelles du Grand-Duchi in
Luxemburg:
Rapport. Tom. 7. Annee 1864. 8.
Vom historischen Verein für Niederbayern in Landshut:
Verhandlungen. 10. Bd. 2. und 3. Hft. 1864. 8.
Vom Herrn Oiancarlo Conestabüe in Perugia:
a) DeUa vita, degli ttndi, e delle opere di Giambattista Vermiglioli;
discorso con note, illnstrazioni e documenti. 1855. 4.
b) II sepolcro dei Volunni per Giambattista Vermiglioli, nuovamente
edito con note, aggiunte, e 16 tavole in rame. 1855. 4.
o) Monomenti etruschi e romani della necropolr del pallazzone in
Perugia oiroostanti al sepolcro dei YolnnnL 1856. 4.
d) Iscräioni etrnsohe e etrnsoo-latine in monomenti che si oonser-
yano nelT J. E. B. Galleria degli nffiai di Firenxe. 1858. 4.
Vom Herrn Eduard Gerhard in Berlin:
üeber den Bildkreis von Eleusis. 2. AbhandL 1864 4
88 Eineendungen von Drueto&rifien.
Vom Herrn J. Hoffmcmn in Amsterdam:
Ghinesohe Druekletters vervaardigd in Nederland. Nfouw overcigt
met opgave van de nieuw bijgekomen karakters. 1864 4.
Vom Herrn Frone Legdig in Tübingen:
a) Vom Bau des thierischen Körpen. Handbuch der vergleichenden
Anatomie. 1. Bd. 1864. 8.
b) Tafeln zur vergleichenden Anatomie. 1. Heft. Zorn Nervensystem
und den Sinnesorganen der Würmer und Gliederfuwler. 1864. Fol.
Vom Herrn Fh. F. von Siebold in Würzburg:
a) Open Brieven utt Japan. Desima 1861. 8.
b) Lettre sur Putilite des musees ethnographiques et sur Pimpor*
tance de leur creation dans les etats Europeens qui possedent
des oolonies ou qui entretiennent des relations commerciales
avec les autres parties du monde A. M. Edme-Francois Jomard.
Paris 1848. 8.
Vom Herrn Georg von Jäger in Stuttgart :
Ueber die Wirkungen des Arseniks auf Pflanzen. 1864. 8.
Vom Herrn FiUeward Hau in Cakutta:
A contribution towards an index to the bibliography of the Indian
philo8ophical Systems. 1859. 8.
Vom Herrn Alfred Beumont in Born:
Necrologia di Giovanni Federigo Böhmer. 8.
Vom Herrn MaresciaUo Duca di Saldanha in Born:
Conoordanza delle scienze naturali e prinoipalmente della geologia
oon la genesi fondata sopra le opinioni dei santi padri e di
altri distinti teologi. 1863. &
Vom Herrn Ferdinand MSßer in Melbourne:
Fragmenta Phytographiae Australiae Vol. 1. 2. 3. 1868—63. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 89
Vom Herrn Frans Fiedler in Sonn:
Die Geipewalder Matronen- und Mercuriussteine. Festprogramm zu
Winkelmanns Geburtstage am 9. Deobr. 1863. 4.
Vom Herrn Pedro Francisco da Costa Alvarcnga in Lissabon:
a) Pareoer de alguns medioos nacionaes e estnngeiros aoeroa da
memoria sobre a insoffieieneia das valvulas aorticas. 1866. 8.
b) Anatomie pathologiqne et Symptomatologie de la fievre jaune qui
a regn6 a Lisbonne en 1867. Paris 1861. 8.
o) Noticia sobre a these e ooncurso na escola medioo-cirurgioa de
Lisboa em 1862. 1863. 8.
d) Estado da qnestao acerca do duplo sopro ornral na insuffieienoia
das valvulaa aorticas. 1868. 8.
Vom Herrn Francesco ZantedescM in Fadua:
a) Lettera a' suoi colleghi amiei, intorno alle forae che solleoitano
le moleeole dei corpi, la loro risoluzione, il loro aggregamento ed
ai momenti meccanioi delle irradiazioni. 8.
b) Lettere. AI dotto Gamillo Flammarion, professore di astronomia
in Parigi, intorno all1 origine della rogiada e della brina. 8.
Vom Herrn F. Schultz in Weissenburg:
Archivee de Flore, recueil botanique. Mars 1864. Wissemboorg (Bas-
Bhin-Franoe) 8.
Vom Herrn A. Qrunert in Greifswaid:
a) Archiv der Mathematik und Physik. 42. Thl. 1. 2. Heft 1864. 8.
b) Archiv der Mathematik und Physik. Inhaltsverzeichnis» zu Theil
26 bis 40. 1864. 8.
Vom Herrn QuesnecüU in Paris:
Le moniteor ecientifique da chimiste et da manafacturier. Tom. 6.
Anne« 1864. 182—186 livraison Juillet— Septembre. 1864. 8.
90 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Harn Giovanni fiuschktti in Fartafruaro:
Della illustrazione di vetusta lapida Romano - Concordiese „lettera
inedita del conte Bartolomeo Borghesi". 1864. 8.
Vom Herrn Albert Wild in München:
Geschichte und Staatenbildung, Verfassung, sociale und politische
Htätietik der Niederlande and ihrer Ooloniea. Leiptig 1804 B.
Sitzungsberichte
der
königl bayer. Akademie der Wissenschaften.
Mathematisch-physikalische Classe.
8itEong vom 2a Mai 1864.
Herr Pettenkofer hielt einen Vortrag:
„Ueber Fleisch- und Fettnahrang beim Hände".
Sitzung vom 9. Juli 1864.
Herr L am ont brachte folgende Abhandlungen in Vorlage:
1) „Ueber den Einfluss des Mondes auf die
Magnetnadel".
(Mit 3 lithogr. Tafeln.)
Der Einfluss des Mondes auf die Magnetnadel, zuerst
von Ereil aus den Mailänder Beobachtungen im Jahre 1839
abgeleitet *), und später zur Widerlegung der dagegen erho-
benen Zweifel durch Benutzung eines viel umfassenderen
Materials bestätiget *), ist in neuerer Zeit durch die Arbeiten
des Herrn Sabine8) zu einer der wichtigsten wissenschaft-
lichen Fragen ausgebildet worden.
Wenn gleich gegen das von diesen verdienstvollen Ge»
1) Osservazioni soll' intensita e sulla direaione della forsa mag*
nefcica. Milano 1839 p. 171—188; — Magnetische and Meteorolo-
gische Beobachtungen in Prag. Bd. 1; — Fünfte Folge der Abhand-
hingen der k. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Frag.
Band 2.
2) Denkschriften der math.-natarwissenschaftlichen Ciasse der
Wiener Akademie 3. und 5. Band.
8) Die hierauf bezüglichen Arbeiten des Hrn. Sabine finden sieh
theils in den Philo*. Transactions , theils in den Magnetical and
Meteorological Observations at Toronto, St Helena, Hobarton u. s. w.
[1864. IL 2J 7
92 Sitzung der math.-$hy8. Classe vom 9. Juli 1864.
lehrten angewendete Verfahren Bedenken, die jedenfalls Be-
achtung verdienen, vorgebracht worden sind4) und bei der
Grösse dar zufälligen Abweichungen eine Beobachtungsreihe
von wenigen Jahren kaum ausreichend erscheinen dürfte,
um den kleinen Einfluss des Mondes unzweideutig hervor-
treten zu lassen, so zeigen doch auf der anderen Seite die
Resultate, welche Herr Sabine aus Beobachtungen der nörd-
lichen, wie der südlichen Hemisphäre gewonnen hat, und
welche man zugleich mit den von Hrn. Bache aus den
Beobachtungen von Philadelphia abgeleiteten Resultaten in
folgender Tabelle zusammengestellt findet, eine so auffallende
Uebereinstimmung , dass das Vorhandensein einer mit der
taglichen Bewegung des Mondes um die Erde zusammen-
hängenden Bewegung der Nadel nicht wohl in Abrede ge-
stellt werden kann.
Citate und eine allgemeine Zusammenstellung kommen vor in Mag-
netical and Meteorological Observation at St. Helena. Vol. 2 p. 146.
4) Broun, Proceedings of the Royal Society Vol. 9 p. 298. Ich
habe in dem gegenwärtigen Aufsatze bloss die von Hrn. Sabine und
nach ganz gleicher Methode von Hrn. Bache erhaltenen Resultate
berücksichtiget, muss aber bemerken, dass sie mit den Resultaten,
welche Ereil ans den Prager und Münchener Beobachtungen abge-
leitet hat, sowie mit den von Hrn. Broun gegebenen Zahlen weit
weniger Uebereinstimmung zeigen als zu erwarten gewesen wäre.
Bezüglich der Berechnung des Mondeinflusses giebt es überhaupt
noch manche Umstände, die Aufklarung erfordern: so z. B. zeigen
die dreijährigen Beobachtungen von Eew, nach Hrn. Sabine's Me-
thode, grössere Regelmassigkeit als die zehnjährigen Beobachtungen
von Prag nach Ereils Methode; so hat Ereil aus den Prager und
Münchener Beobachtungen übereinstimmende, Haintz dagegen nach
einer andern Methode nicht übereinstimmende Zahlen gefunden; so
geben die Intensitäts-Beobachtungen von Philadelphia, gegen welche
(Fortschr. der Physik von der Berliner phyB. Gesellten. 1849 S. 854)
sehr gewichtige Einwendungen vorgebracht werden können, für den
Mondeinfluss, ähnliche Resultate, wie die Beobachtungen von
Toronto. Wie übrigens die Berechnungsmethode hiefur eine Er-
klärung liefern soll, ist mir nicht einleuchtend.
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Lammt: Einflute des Mondes auf die Magnetnadel. 93
Wir wollen zunächst die durch den Mond erzeugte Be-
wegung der Declination, welche man auf der Tafel I.
graphisch dargestellt findet, näher betrachten, und versuchen
einen präcisen Begriff Ton dem Vorgange selbst und von
den Modifikationen, welche durch die geographische Lage
bedingt werden, zu geben. Für's erste ist es aus den
Zahlen, wie aus der graphischen Darstellung klar, dass im
Laufe eines Mondtages zwei Maxima und zwei Minima in
nahe gleichen- Zeitintervallen auf einander folgen, also der
hier beobachtete Vorgang die vollkommenste Aehnlichkeit
mit der Ebbe und Fluth des Meeres hat und wohl nicht
anders als durch eine in ihrer Wirkung analoge Kraft her-
vorgebracht werden kann.
Was die örtlichen Modificationen betrifft, so bestehen
sie darin, dass die Grösse und Richtung der Bewegung so-
wohl , als die Zeiten der Maxima und Minima verschieden
sind. Um einen Zusammenhang herzustellen, habe ich durch
ein Sternchen (*), durch zwei Sterndien (**) und durch
drei Sternchen (***) die Wendepunkte bezeichnet, welche
ich als die correspondirenden annehme und diess als be-
gründet vorausgesetzt, würde die Regel so lauten: Der
Mondeinfluss lenkt die Magnetnadel in der nörd-
lichen und südlichen Erdhalbkugel in entgegenge-
setztem Sinne ab, und die Wirkung tritt um so
später ein, je weiter man von dem Aequator sich
entfernt.
Ist diese Auslegung der vorhandenen Beobachtungs-
resultate die richtige, so ergiebt sich als nothwendige Folge-
rung, dass am Aequator selbst der Mondeinfluss bei der
Declination gänzlich verschwinden wird. Hinsichtlich der
Grösse der Bewegung bemerkt man, dass sie an verschie-
denen Orten sehr verschieden ist, und a priori war dies«
auch zu erwarten wegen der Ungleichheit der Kraft, wo-
durch die Nadel in ihrer Richtung gehalten wird. Je grösser
7*
94 Sititmg der matK-pbgs. Oku$e vom 9. JvU 1864.
die horizontale Intensität an einem Orte ist, desto weniger
wird die Nadel durch eine gegebene Kraft abgelenkt werden,
nnd deeshalb muss man als Maass des Mondeinflusses nicht
die Ablenkung, sondern das Produkt der Ablenkung und
der HorizontaUntensitat gebrauchen. Den Betrag der Ab*
lenkungen, (Unterschied zwischen dem Mittel der östlichen
und dem Mittel der westlichen Extreme) dann die Hori-
zontalintensität (in brittisohen Einheiten) findet man in
folgender Tabelle ; daneben steht das Produkt dieser Grössen
und zuletzt ist noch die geographische Breite beigefügt:
Ablenkung Horiz. Int. Produkt Geogr. Breite
M
0 '
Kew
17,7
3,7
65,5
5129
Toronto
39,7
*ß
133,9
43 39
Fhüadelphia
27,9
4,0
117,2 .
39 57
Pehin
9,0
6,0
54,0
39 54
8t. Edma
10,6
5,6
59,4
16 67
Cap
19,5
4,5
87,8
38 56
Ebbarton
17,0
4,5
76,5
42 52
Wenn man aus dieser Tabelle irgend eine Schluss*
folgerung ziehen will, so darf man nicht vergessen, daes,
um den Mondeinfluss zu erhalten, in den Beobachtungsreihen
zufallige Abweichungen eliminirt werden müssen, die um
das Zwanzigfache grösser sind, als der Mondeinfluss, und
demnach den erhaltenen Bestimmungen nur ein geringer
Grad von Sicherheit zugeschrieben werden darf. Mit Rück-
sicht auf diesen Umstand kann man sagen, dass die in der
Tabelle enthaltenen Zahlen mit den oben aufgestellten Sätzen
insoferne übereinstimmen, als sie den Mondeinfluss kleiner
in der Nähe des Aequators und grösser in höheren nörd-
lichen und südlichen Breiten geben. Sogar ist der Unter*
schied zwischen den Punkten, die dem Aequator naher, und
denen die entfernter liegen, hinreichend gross, um die An-
Lamont: Einfluss des Mondes auf die Magnetnadel. 95
nähme einigermaßen zu rechtfertigen, dass am Aequator
selbst der Mondeinfluss gänzlich verschwinde5).
Wir haben bisher nur den Einfluss des Mondes auf die
Declination berücksichtiget; genau dieselben Sätze aber
passen eben so gnt auf die Inclination, denn anch hier
treffen wir zwei Mazima und zwei Minima, dann eine ent-
gegengesetzte Sichtung der Bewegung in der nördlichen
and südlichen Halbkugel an, und auch die übrigen Modifioa-
tionen würden ohne Zweifel hervortreten, wenn das Material
vollständiger wäre. Was die Intensität betrifft, so scheinen
die zwei Mazima und zwei Minima überall zu der gleichen
Ortszeit und überall (wie diess in der Natur der Sache
Hegt) in gleichem Sinne stattzufinden.
Noch bleibt die Hauptfrage zu beantworten übrig, in
welcher Weise der Mond auf die Magnetnadel einen
Einfluss ausübt.
5) Wahrscheinlich wird sich aber die Sache in der Wirklichkeit
anders verhalten. Bei dem täglichen Gange der Declination, wo
▼on Morgens bis ungefähr eine Stunde nach der Culmination der
Sonne in der nördlichen Erdhalbkugel die Bewegung nach Westen,
in der südlichen Halbkugel nach Osten geht , hatte man ebenfalls
geschlossen, dass am Aequator die Bewegung gänzlich verschwinden
müsse; die Beobachtung hat aber gezeigt, dass sie nicht verschwindet,
sondern einen Verlauf nimmt, der, wenn die Sonne nördlich steht,
mit der Bewegung der nördlichen Halbkugel, und wenn sie südlich
steht, mit der Bewegung der südlichen Halbkugel, Analogie hat. So
wird es auch wohl bei dem Mondeinflusse der Fall sein und damit
stimmt die Angabe des Hrn. Broun überein, wornach in Trevandrum
(8° nördlich vom Aequator) der Mondeinfluss bei nördlicher und
südlicher Declination des Mondes verschieden wäre. Dass Hr. Sabine
Ar Toronto (Philos. Trans. 1847. Art. 6 p. 6) und Hr. Bache für
Philadelphia (Discussion of the Philadelphia magnetic Observation»
P. HI p. 14. Smithsonian Contributions 1860) keinen entschiedenen
Einfluss der Monddeclination gefunden haben, erklärt sich leicht
daraus, dass jene Stationen schon zu weit vom Aequator entfernt
sind.
96 Sitzung der mafh.-phys. Gasse vom 9. Juli 1864.
Es ist zwar von einer direkten magnetischen Einwir-
kung des Mondes, dessgleichen von einer elektrischen Ein-
wirkung gesprochen worden; aber alles, was bisher zur
Lösung des Problems geschehen ist, bleibt doch im Grande
auf blosse Vermuthungen beschränkt. Unter diesen Um-
ständen glaubte ich, dass es von Nutzen sein könnte, aus
den vorhandenen Beobachtungsresultaten vorläufige Anden-
tungen zu suchen und so bot sich unter anderen die Frage
dar, ob nicht zwischen dem Mondeinflusse und der täglichen
Bewegung, welche als Wirkung der Sonne zu betrachten ist,
irgend eine Analogie aufzufinden sei. Ich verzeichnete dem-
nach, wie in Tab. II Fig. 1 zu ersehen ist, den in Toronto
beobachteten Einfluss des Mondes auf die Declination,
multiplicirte dann die tägliche Bewegung der Declination
mit Vi** rückte die Zeit um zwei Stunden zurück und er-
hielt die punktirte Gurve, deren Aehnlichkeit mit dem Mond-
einflusse augenscheinlich ist. Ich multiplicirte dann die täg-
liche Bewegung derlnclination und Intensität mit demselben
Faktor, setzte die Zeit wie oben um zwei Stunden zurück
und erhielt die Curven Taf. III. Fig. 6 und 8, wobei man
die gleiche Uebereinstimmung in der Form und Grösse
wie bei der Declination bemerken wird. Bei weiterer Fort-
setzung der Untersuchung fand ich, dass der Faktor */i*
nicht für alle Orte angewendet Werden kann, sondern Werthe
angenommen werden müssen, welche zwischen */** und V**
schwanken. Dieser letztere Grenzwerth kommt bei Hobarton
vor, wofür die Declinations- und Inclinations-Curven in Taf. II.
Fig. 5 und Taf. III. Fig. 7 dargestellt sind; auch bei diesen findet
man übrigens bezüglich auf Form und Grösse dieselbe Ueber-
einstimmung wie bei Toronto. Noch kommen auf Tafel II.
und III. vier Figuren vor, welche das bezüglich auf Toronto
und Hobarton Gesagte weiter bestätigen; jedoch muss be-
merkt werden, dass wenn man für St. Helena, dann für
die Inclination und Intensität am Gap die Zeichnungen her*
Lamont: Einfluss des Mondes auf die Magnetnadel. 97
stellt, eine gleiche Uebereinstimmung wie bei den übrigen
Stationen nicht wahrgenommen wird, was theils in den In-
strumenten, theils darin, dass in der Aeqnatorialzone der
Mondeinfluss klein und vielleicht von der Declination des
Mondes abhängig ist, seinen Grund haben könnte.
Bisher ist von einer Uebereinstimmung der Curven
überhaupt gesprochen worden, es muss jedoch die wesent-
liche Beschränkung beigefügt werden, dass die Ueberein-
stimmung eigentlich nur auf den Theil der täglichen Be-
wegung, der den Stunden 6h Morgens bis 6b Abends ent-
spricht, sich bezieht und während der Nacht fast alle Ueber-
einstimmung verschwindet. Als Grund davon möchte viel-
leicht die Temperatur zu betrachten sein, wodurch eine
Vermehrung des magnetischen Einflusses der Sonne bei Tage
und eine Verminderung bei der Nacht erfolgen könnte:
es wäre jedoch ganz zwecklos, jetzt eine Hypothese in dieser
Beziehung aufzustellen, und ich begnüge mich vorläufig da-
mit, die Aufmerksamkeit derjenigen, welche mit magnetischen
Forschungen sich beschäftigen, auf die Thatsache zu lenken,
dass zwischen der Einwirkung der Sonne und des
Mondes auf die Magnetnadel eine unleugbare Ana-
logie stattfindet, welche bei der weiteren Untersuchung
möglicher Weise einen nützlichen Anhaltspunkt darbieten
könnte.
2) Ueber die jährliche Periode des Barometers.
(Mit einem Holzschnitte.)
Der Druck der Atmosphäre hängt in zweifacher Be-
ziehung von der Wärme ab, einmal in so ferne, als das
specifische Gewicht der Luft durch die Wärme vermindert
wird, dann auch, weil die Wärme Wasserdampf erzeugt,
der das Volumen der Luft vermehrt, aber von geringenn
specifischem Gewichte ist. Da die Luftwärme eine jährliehe
Periode hat, so muss auch im Stande des Barometers eine
»8
dütnmg der matk-pky*. Gaue vom 9. Juü 1864.
ie Periode vorhanden sein, wenn gleich dabei von
vorn herein unentschieden bleibt, ob diese Periode nicht
durch die vielen indirekten Einflüsse der Wärme und die
vielen vorkommenden Zufälligkeiten unkenntlich gemacht
wird.
Bei meteorologischen Untersuchungen dieser Art kann
man entweder die Beobachtungen mit ihren Zufälligkeiten
and ihrer Unsicherheit als Grundlage nehmen, und daraus
Lehrsätze abzuleiten suchen, oder man kann von den Be-
dingungen, welche in der Atmosphäre bestehen, ausgehend,
den Erfolg theoretisch bestimmen, and das Ergebnis«
mit der Erfahrung vergleichen. Ich halte den letztem Weg
für den einzig richtigen, und werde zuerst (und zwar ohne
Bäcksicht auf die Strömungen, welche durch die Wärme
entstehen) untersuchen, welche Wirkung die Sonnenwärme
würde, wenn die Erde eine vollkommen
kugelförmige und gleichmässig beschaffene Oberfläche hätte.
Es sei ANES der Durchschnitt der Erdkugel, an es
Lamont: Die jährliche Periode des Barometers. 99
die obere Grenze der Atmosphäre und die Sonne scheine
senkrecht auf den Punkt b, so wird in b die Wirkung der
Sonnenstrahlen am grössten sein und allmählig abnehmen,
bis c in Norden und d in Süden, so dass ein Baum cbdgfc
entsteht, wo das sperifisohe Gewicht der darin enthaltenen
expansiblen Masse durch die Wärme und den im Verhält-
nisse zur Wärme sich entwickelnden Wasserdampf vermindert
wird, während die Spannkraft dieselbe bleibt, wie sie tot
dem Hinzutreten der Wärme gewesen ist.
Der Baum cbdgfc stellt sich als eine wellenähn-
liche Erhöhung dar, wesshalb wir diesen Baum die tropische
Temperaturwelle nennen wollen.
Die Temperaturwelle zieht sich in gleicher Form und
in einem Parallelkreise um die Erde herum, und erscheint
im Durchschnitte auf der andern Seite in cf b' d' g* &. Der
Punkt b, d. h. die Mitte der Temperaturwelle befindet sich
im Wintersolstftium 23*/*° südlich vom Aequator und im
Sommersolstitium um ebensoviel nördlich vom Aequator:
zwischen diesen beiden Punkten wandert die Temperatur-
welle in halbjähriger Periode hin und her. Die Höhe
bg der Temperaturwelle lässt sich aus den bisherigen Be-
obachtungen nicht bestimmen; wir wollen sie übrigens vor-
läufig zu 30000 Fuss annehmen; so weit soll sich zwischen
den Tropen die durch die Sonne an der Erdoberfläche er-
zeugte Wärme vertical aufwärts fortpflanzen, abnehmend
ungefähr in arithmetischer Progression.
Was die über der Temperaturwelle befindliche Luft
betrifft i so behält sie gleiche Temperatur und gleiches
spezifisches Gewicht das ganze Jahr hindurch; auch die
Höhe der Atmosphäre Aa, Nn, Ee, Ss würde das ganze
Jahr sich gleichbleiben, wenn die Atmosphäre eine absolut
flüssige Masse wäre.
Die Atmosphäre hat aber einen bedeutenden Grad von
Zähigkeit (Viscosität), wodurch die Herstellung des Gleich-
100 Sitzung der math.-phys. Clwse vom 9. Juli 1864.
gewichts verzögert wird und so geschieht es, dass, wenn die
Temperaturwelle auf die nördliche Halbkugel kommt und
die Atmosphäre über die eigentliche Niveaulinie emporhebt)
nur ein Theil der emporgehobenen Luftmasse auf die süd-
liche Hemisphäre abzufressen Zeit hat, und eine Erhebung
paq vom. Pole aus nach beiden Seiten abnehmend, zurück«
bleibt. Gleiches gilt für den Südpol. Da. die hier bezeich-
nete Erhebung der Luft sowohl hinsichtlich der Form als
der Veränderlichkeit der Höhe mit einer Welle sich ver-
gleichen lässt, so werden wir sie als Polarwelle be-
zeichnen.
Soll der Einfluss, den diese Vorgänge auf das Baro-
meter ausüben, bestimmt werden, so kommt zu berücksich-
tigen, dass die über einem beliebigen Punkte k befindliche
Luftsäule aus zwei Thetlen besteht ; aus einem untern Theile
k f , welcher der tropischen Temperaturwelle angehört und
dessen Gewicht durch Expansion und Wasserdampf ver-
mindert ist, und einem oberen TheUe von constanter Be-
schaffenheit, dessen Gewicht durch die Polarwelle eine Ver-
mehrung erhält.
Die Aenderung des Barometerstandes ist demnach der
Unterschied zwischen der Verminderung durch die tropische
Temperaturwelle und der Vermehrung durch die Polarwelle,
und da die erstere gegen den Pol hin kleiner, die zweite
grösser wird, so muss in der warmen Jahreszeit an allen
Punkten vom Aequator an bis zu einer gewissen Breite der
Luftdruck abnehmen, von da bis zum Pole aber zunehmen.
Diess gilt für den imaginären Fall, dass die Erdoberfläche
vollkommen kugelförmig und gleichmässig beschaffen sei
und die Wirkung der Wärme überall hin regelmässig sich
verbreite. In wie weit letzterer Bedingung in der Wirklich-
keit genügt wird, lässt sich durch Vergleichung von ein
paar Punkten leicht entscheiden. Die dreizehnjährige Be-
Lamcnt: Die jährliche Periode des Barometers. 101
obachtungsreihe 1851 — 1863 liefert für München und Hohen-
peissenberg folgende Bestimmungen:
Lu
ftdruck
Temperatur
München
Hohen-
München
Hohen-
iH
peissenberg
tu
0
peissenberg
0
Januar
817,87
299,71
—1,78
—0,99
Februar
317,24
299,56
-1,21
—1,46
März
316,64
299,17
1,78
0,58
April
316,66
299,43
5,99
4,74
Mai
316,56
299,58
9,88
7,82
Juni
317,41
300,64
13,15
11,03
Juli
317,80
801,06
14,14
12,27
August
817,78
301,06
13,85
12,33
September
317,93
300,97
10,36
9,13
Oktober
317,56
300,43
7,08
6,81
November
316,91
299,38
1,08
0,86
Dezember
317,69
300,01
—1,19
—0,68
Man sieht sogleich, dass der jährliche Gang des Luft-
druckes in München ein anderer ist, als auf dem 1400'
höher gelegenen Hohenpeissenberg, wofür als nächster Grund
der Umstand sich darbietet, dass das Gewicht der 1400'
hohen Luftschichte, welches durch den Barometerunterschied
ausgedrückt wird, von den Aenderungen der Temperatur,
sowie von denen des absoluten Druckes abhängt, und die
Rechnung zeigt, dass, wenn man die Temperatur (Mittel
von München und Hohenpeissenberg) = T, und den Luft-
druck auf dem Hohenpeissenberg = 300"' ■+. ß setzt , zu
der Differenz der Barometerstände die Correction
0"',0438 (T— 6°) + 0"',0584 ß
hinzugefügt werden muss, um das Gewicht zu erhalten,
welches die obige Luftschichte bei einem Drucke von 300"'
und einer Temperatur von +5° ausüben würde. Noch ein
weiterer Umstand kommt zu berücksichtigen, nämlich die
Menge des in jener Luftschichte enthaltenen Waeserdunstes,
worüber eine sichere Bestimmung nicht zu erlangen ist und
102 Sitsung der mafk-pkys. Glosse 90m 9. Juli 1864,
nur so viel als nahe Approximation angenommen werden
kann, dass der Wasserdunst der Temperatur T proportional
sein wird. Sucht man unter dieser Voraussetzung den Beobach-
tungen zu genügen, so ergiebt sich, dass zu der obigen
Correctionsformel wegen der Feuchtigkeit der Luft noch
ein Glied
+ 0"',0162 (T-5°)
hinzugefügt werden muss.
Die Barometerdifferenzen unmittelbar beobachtet und
corrigirt, gestalten sich nun wie folgt:
Barometerdifferenz
beobachtet corrigirt
444 444
Januar
17,66
17,26
Februar
17,58
17,28
März
17,47
17,18
April
17,23
17,21
Mai
16,9$
17,16
Juni
16,77
17,20
Juli
16,74
17,26
August
16,72
17,25
September
16,96
17,29
Oktober
17,18
17,26
November
17,53
17,25
Dezember
17,68
17,32
Der Unterschied des jährlichen Ganges des Barometers
in München und auf dem Hohenpeissenberg lässt sich also
vollständig erklären und es ist überhaupt leicht einzusehen,
dass an jedem höher gelegenen Punkte die im Sommer ein*
tretende Verminderung des Luftdruckes geringer ausfallen
wird, als an den in der Nähe befindlichen tiefer gelegenen
Punkten. Diess geht auch aus der Betrachtung der Figur
hervor: sogar ist es einleuchtend, dass, -wenn eine Berg*
spitze bis zur oberen Grenze der Temperaturwelle in f hinauf-
reichen würde, die im Sommer eintretende Verminderung
des Luftdruckes ganz wegfiele.
Ltmumt: Die jährliche Periode See Barometer*. 10t
Vergleichen wir nun ferner den jährlichen Gang dm
Barometers in München und Brüssel; Das Mittel der Jahre
1848—52 giebt:
Luftdru
ick
Tempera
,tur
München
Brüssel
444
München
A
Brüssel
Januar
817,49
336,02
—2,52
1,17
Februar
817,99
335,55
0,80
8,82
März
317,02
335,16
-1,12
3,90
April
315,76
883,59
5,86
7,10
Mai
817,17
336,07
9,14
12,19
Juni
817,67
384,95
13,02
13,26
Juli
317,72
335,13
18,48
14*63
August
817,83
335,00
12,92
13,60
September
817,97
335,60
9,31
10,96
Oktober
316,96
334,22
6,17
.7,89
November
816,72
334,23
1,90
6,01
Dezember
318,70
836,13
—0,88
3,37
Hier schwanken die Barometerunterschiede zwischen
17"',17 und 18"', 14, also fast um eine ganze Linie aber
ohne Zusammenhang mit der Temperatur oder dem abso-
luten Luftdrucke oder dem Wasserdunste, und eine Correo
tionsformel nach den obigen Regeln entwickelt, würde eine
Uebereinstimmung der Barometerdifferenzen nicht herstellen.
Die Thatsache ist, dass die Luftmasse, welche über Belgien
lagert, und die Luftmasse, welche über Mitteldeutschland
lagert, von ganz anderer Beschaffenheit sind, und während
sie sich im Mittel das Gleichgewicht halten, keinesweges die
Wärme und die Dunstmenge haben, welche sie bei normaler
Verbreitung der Temperatur und des Wasserdunstes haben
sollten.
Diese Verhältnisse habe ich an einem andern Orte be-
reits näher entwickelt6); das Ergebniss im Allgemeinen ist,
6) Sitzungsberichte der k. Akad. d. Wisflensch. 1862 H. I. S. 14.
104 Süsung der #«rfft.-pÄy*. Claese vom 9. Juli 1864.
dass man die Luft als eise zähe Flüssigkeit betrachten
müsse , in welcher eine vollständige Ausgleichung nie zu
Stande kommt, und die Atmosphäre aus wärmeren und
kälteren, feuchteren und trockneren Luftmassen besteht,
welche sich das Gleichgewicht halten, ohne ihrer Beschaffen-
heit nach den mathematischen Bedingungen des Gleichge-
wichtes zu entsprechen.
Die Meeresoberfläche absorbirt die auffallenden Sonnen-
strahlen, so dass wenig davon zur unmittelbaren Erwärmung
der Luft verwendet wird; auf der Landoberfläche dagegen
entwickelt sich die Wärme der auffallenden Sonnenstrahlen
sogleich und geht in die Luft über, dagegen ist die Dunst-
entwickelung auf dem Meere weit stärker, als auf dem festen
Lande. Auf dem festen Lande ist wiederum bezüglich auf
Temperatur und Feuchtigkeit ein grosser Unterschied da-
zwischen, ob der Boden sandig und kahl, oder ob er mit
Wald bewachsen ist, ob er wenig oder viel über die Meeres-
fläche sich erhebt.
Bei gleicher geographischer Breite wird also die Tem-
peraturwelle über dem Meere und über dem Lande, über
hohen und tiefen Landstrichen anders sich gestalten, ohne dass
ein mathematischer Zusammenhang bei der Regellosigkeit
der bedingenden Ursachen hergestellt werden könnte: dabei
wird aber immer der Charakter der Temperaturwelle gleich-
sam als Grund hervortreten.
Diesem gemäss kann die jährliche Periode des Baro-
meters im Allgemeinen charakterisirt werden, wie folgt:
1) Die jährliche Periode besteht darin, dass im Sommer
am Aequator eine Depression des Barometers, an den Polen
eine Erhebung des Barometers sich zeigt, wobei von dem
einen System zum andern ein allmahliger Uebergang statt-
findet;
2) das Vorhandensein eines grossen Unterschiedes
zwischen Winter- und Sommertemperatur begünstigt das
Lamont: Die Jährliche Periode des Barometers.
105
Aequatorialsystem , d. h. vermehrt die Depression oder ver-
mindert die Erhebung im Sommer;
3) grössere Höbe über dem Meere begünstigt das Polar-
system, d. h. vermehrt die Erhebung oder vermindert die
Depression im Sommer;
4) die Nahe des Meeres mildert die Hitze und be-
günstigt die Dunstbildung, zwei Wirkungen, die entgegen-
gesetzten Erfolg haben, so dass nach Umständen eine Be-
günstigung des Aequatorial- oder des Polarsystems als Re-
sultat hervorgehen kann.
Zur Erläuterung der bisher dargelegten Prinzipien lasse
ich hier ein Verzeichnis« derjenigen Orte folgen, für welche
der Unterschied des Luftdruckes im Sommer (Juni, Juli,
August für die nördliche, December, Januar, Februar für
die südliche Hemisphäre) und im Winter (December, Januar,
Februar für die nördliche, Juni, Juli, August für die süd-
liche Hemisphäre) durch Beobachtung bestimmt worden ist.
Name
Geograph.
Breite
Barometer-
stand
&
t
§
Barometer
Sommer —
Winter
Temperatur
Sommer —
Winter
0
tu
0
tu
«
Hobarton
—48
836,32
9,6
-0,03
+7,3
Melbourne
—38
886,70
IM
+0,37
+7,1
Auckland
—36
837,65
11,8*
+0,53
+«,»
Port Jackson
—84
832,32
16,0
—2,84
+8,4
Gapstadt
—83
338,27
15,8
—1,99
+6,9
Grahamstown
—83
888,08
16,0
—1,87
+5,6
8t. Jago
—33
319,90
—1,04
Rio Janeiro
—22
836,02
18,6
—2,80
+4,6
St Denis
—21
386,63
20,0
—2,43
+8,2
Honolulu
—21
832,72
19,3
—0,74
-2,6
Port L onis
—20
837,96
20,7
—2,61
+8,0
Mauritius
—20
888,82
20,4
—2,68
+8,9
8t Helena
—16
818,40
16,6*
-1,22
+2,6
106
SUnmg der math.-fkg$. Clam vom 9. JuU 18«*.
Name
Geograph.
Breite
Barometer-
stand
Temperatur
Barometer
Sommer —
Winter
Temperatur
Sommer —
Winter
Buitenzorg
0
—6
ttt
826,04
0
19,8
ttt
+0,15
0
—0,3
Christiansborg
+*
33M9
21,5
+0,95
-1,6
Gayenne
+e
836,93
+0,58
— 0,2
Georgetown
+6
837,10
21,1
+0,24
+0,3
Colombo Ceylon
1 +7
336,36
22,2
—0,70
+0,3
Trevandrum
i +8
334,30
21,0
-^0,69
—0,1
Dodabetta
14-11
247,72
-1,07
+0,6
Octacamund
+11
259,54
11,4
—2,98
+2,2
Mercara
+12
293,57
16,2
—1,29
0,0
Barbadoes
+13
334,66*
22,2
+0,06
+1,2
Madras
+13
336,28
22,6
—3,17
+«,7
Jamaica
+18
337,71
—0,43
+1,8
Galcutta
+22
334,56
22,4
—6,26
+4,1
Hongkong
+22
337,23
18,9
—4,90
+9,8
Ganton
+23
886,60
16,8
—5,08
+12,0
Bahamas
+25
338,50
20,6
-0,57
+5,5
Natchez
+81
334,36
—1,69
+12,8
Bermuda
+82
338,71
17,2
—0,02
+7,3
Funchal
+32
337,96
15,8
-0,86 +8,6
Gibraltar
+86
388,61
15,7*
—0,94 ' +9,1
Malta
+36
837,6ff
16,0
+0,56 +10,0
St. Michael
+88
339,16
13,5
+0,46
-Hfi
Alicante
+38
-1,07 +10,8
Corfu
+89
337,82
15,4
—0,96
+11,3
Philadelphia
+40
337,02
—0,29
+17,9
Pekin
+40
386,59
10,1
—7,78
+24*2
Cambridge U.S.
+42
337,75
7,4
+0,38
+19,1
Neapel
+42
832,47
+0,78
Rom
+42
335,88
12,7
+1,24
+12,8
Toronto
+48
333,87
5,4
+0,67
+16,3
Kingston
+44.
887,77
—0,89
+20,9
Mailand
+45
332,88
10,8
—0,88
+16,4
St. Bernhard
+46
249,72
—0,8
+2,96
+11,1
St. Gotthard
+46
261,66
-0,8
+3,80
+12,1
Lamont: Di* jikrluhe
des B*rometer$.
107
Name
i
»4
Sa
peratur
Mi
8«
2^6
e8
§
§1*
lg*
o
«
H
PQgq
Hl»
0
Hl
0
tu
0
Kioolajew
+47
336,30
7,7
-2,11
+19,7
tfewfundland
447
836,78
6,2
+1,81
+16,2
8t. Johns
+47
334,82
2,8
+1,89
+18,7
Wien
+48
330,36
8,6
—0,89
+16,6
Peissenberg
+48
299,37
4>7
+1,63
+12,6
Manchen
+48
817,78
5,9
+0,38
+14,6
Begensburg
+49
324,07
6,9
+0,24
+16,6
Paris
+49
386,05
8,6
-0,22
+11,9
Leinberg
+4»
826,78
-0,98
Guernsey
+49
837,68
10,8
+0,76
+M
Breslau
+51
331,92
6,6
—0,12
+16,6
London
+61
336,20
8,4
+0,12
+10,4
Brüssel
+61
334,98
8,3
-0,05
+11,6
Nertschinsk
+61
812,04
-3,4
—3,66
+84,4
Berlin
+62
885,62
7,2
+0,74
+14,7
Brocken
+02
293,34
0,7
+2,09
+18,6
Warschan
+62
332,44
5,9
—0,93
+16,8
Irkutzk
+62
321,91
—0,4
—5,49
+27,9
Manchester
+63
336,52
7,5
+1,74
+9,6
Danaig
+64
336,80
6,1
+0,18
+1^2
Königsberg
+66
836,36
-0,22
+16,8
Moskau
+66
330,27
3,4
—2,02
+**fi
Edinburg
+66
886,51
6,7*
+0,46
+9,1
Kasan
+56
834,56
2,2
—2,80
+24,8
Katherinenburg
+67
827,17
0,4
—2,68
+24,4
Bogoslawsk
+«9
327,14
—0,9
Petersburg
+60
337,16
> 8,0
—1,16
+18,8
Christiania
+60
386,83
*,2
—0,09
+16,8
Bergen
+60
835,25
6,6
-K80
+9,9
Beikiavig
+64
382,63
3,3
+8,81
+10,8
Archangel
+64
334,80
0,6
—0,47
+21,5
[1864. H. 2.]
8
108 Sitemg der maü%.-phys. Classe vom 9. Juli 1864.
Da die meisten in der Tabelle enthaltenen Zahlen ans
wenigen Jahren abgeleitet sind, während kaum eine fünfzig-
jährige Beobachtungsreihe sichere Bestimmungen 7) liefert,
so ist man nicht berechtiget, eine genaue Uebereinstimmung
der Beobachtungsresultate mit den theoretischen Lehrsätzen
zu fordern; vielmehr dürfte es vorläufig ausreichen, wenn
im Allgemeinen eine Uebereinstimmung sich nachweisen
lässt und diess ist auch der Fall. So offenbart sich in allen
Breitegraden der Einfluss der Höhe durch eine dem Aequa-
torialsystem entgegenwirkende Tendenz; desgleichen tritt
das Aequatorialsystem von 35° südlicher bis 35° nördlicher
Breite ausschliesslich auf, mit Ausnahme von Buitenzorg,
Christiansborg, Cayenne und Georgetown, wo die Sommer-
temperatur kleiner ausfällt, als die Wintertemperatur, oder
wo ein merklicher Unterschied dazwischen nicht vorhanden
ist. Zugleich bemerkt man, dass das Barometer im Sommer
um so tiefer steht, je grösser der Temperaturunterschied
zwischen Sommer und Winter ist. Von 35° nördlicher
Breite anfangend, wird das Auftreten des Polarsystems
immer häufiger, aber auch hier macht sich der Einfluss der
Temperatur geltend, und überall, wo die Sommertemperatur
um 20° bis 30° oder noch mehr über die Wintertemperatur
sich erhebt, (in Nicolajew, Nertschinsk, Jrkutzk, Moskau
u. s. w.) findet eine Depression des Barometers im Sommer
statt.
Wenn übrigens gleich kein Zweifel darüber bestehen
kann, da6S der Unterschied der Sommer- und Wintertempe-
ratur, die Meereshöhe und die geographische Breite die
Hauptfaktoren bilden, von welchen der Unterschied des
Barometerstandes im Sommer und Winter abhängt, so reicht
doch ein allgemeiner Ueberblick der obigen Tabelle voll*
7) Sitzungsberichte der k. Akad. der Wissenschaften 1862. L 5.
Lamont: Die lCjäkr. Periode der magnet. Variationen etc. 109
kommen bin, um die Ueberzeugung zu begründen, dass bei
dem jetzigen Stande der Beobachtungsdata jeder Versuch,
der zum Zwecke hätte, die oben angedeutete Abhängigkeit
durch eine mathematische Formel darzustellen, noth wendig
misslingen muss.
3) Einige Bemerkungen über die zehnjährige Periode
der magnetischen Variationen und der Sonnen-
flecken.
Wenn die tägliche Bewegung der Magnetnadel ihren
Grund in einer direkten Einwirkung der Sonne etwa in
einer durch die Sonne hervorgerufenen elektrischen Ebbe
und Fluth hat, und die zehnjährige Periode dadurch zu
Stande kommt, dass die Einwirkung der Sonne allmählig
grösser und kleiner wird, so muss für alle Punkte der Erd-
oberfläche die Grösse der täglichen Bewegung nach gleichem
Verhältnisse sich ändern, d. h. wenn die tägliche Be-
wegung in dem nt<n Jahre an einem Orte durch a„ , an
einem andern Orte durch a/ ausgedrückt wird, so hat man
a»' ^
= Constante
und wird die Aenderung der Bewegung durch eine für sich
bestehende cosmische Kraft und nicht durch eine Modifi-
cation des Sonneneinflusses hervorgebracht, so hat man
an' — a'
= Constante
an — a
wo a' und a die mittlere Bewegung bedeuten: entsteht
aber die zehnjährige Periode durch Modification von Kräften,
die im Innern der Erde ihren Sitz haben, so wird ein
constantes Verhältniss der erwähnten Art nicht wohl be-'
stehen können.
Ich habe die wenigen bisher vorhandenen und zur
Entscheidung der angeregten Frage geeigneten Bestim-
mungen der täglichen Bewegung zusammengetragen, und
8*
110
Sünmg der maih.-phys. Clane vom 9. Juli 1861.
folgende zwei Tabellen erhalten, denen ich zur Vergleichung
die correspondirenden Jahre für München beigefügt habe.
Tabelle I.
Rassische Observatorien
Jahr
Petersburg
. Kather-
inenburg
Nert-
schinsk
Barnaal
München
1848
1849
1850
1851
1852
1853
1854
1855
1856
1857
4
9.90
9.36
9.82
7.88
7.86
7.62*
6.55
6.15
5.50
6.19*
8.95
9.16*
8.70
8.08
7.53*
7.79*
6.45
6.40
5.80
6.80
4
7.86
7.16
7.32
6.06
5.66
6.30
4.50
6.35
4.50
5.23
4
8.13
7.66
6.08
6.26
5.95
6.03*
4.86
6.23
4.63
6.12
4
11.20
10.64
10.42
8.71
9.00
8.63
7.56
7.38
7.08
7.64
Die mit * bezeichneten Zahlen sind nach den Monatmitteln neu
berechnet.
Tabelle II.
Jahr
Brittische Observatorien.
München
Hobarton
Toronto
St. Helena
1841
4
6.12
S
7.74
j
4
2.64
7.86
1842
5.43
6.61
2.74
6.78
1843
6.17
6.25
2.55
6.86
1844
5.39
6.67
2.81
6.34
1846
5.72
6.66
3.08
7.39
1846
6.00
7.11
2.78
861
1847
6.34
7.61
8.37
9.38
1848
7.60
8.05
8.48
11.20
1849
7.20
8.49
8.68 (6M.)
10.64
1850
7.39
7.90
10.42
1851
6.13
7.62
8.71
1862
6.74
9.00
1868
6.22
8.63
1854
6.71
7.66
Lamont: Die lQjöhr. Periode der wagtet. Variationen etc. 111
Da die Grösse der täglichen Bewegung nur ans zwei
Standen abgeleitet wird, so haben notbwendig die Störungen
beträchtlichen Einfluss, und die obigen Zahlen sind nur als
eine vorläufige Approximation zu betrachten: gleichwohl
nähern sie sich soweit dem oben bezeichneten constanten
Verhältnisse, dass wie mir scheint, hinreichender Grund vor-
handen ist, die Ursache der zehnjährigen Periode in der
Sonne oder überhaupt in einer aus grosser Ferne wirkenden
'cosmischen Kraft zu suchen.
In meinem Aufsätze im II. Bande der Sitzungsberichte
1862 habe ich vergessen, eine zur genaueren Bestimmung
der Länge der Periode wichtige Beobachtungsreihe zu er-
wähnen, welche Arago in Paris von 1821 — 1830 angestellt
hat, und womach ein Minimum auf 1823, 3 und ein Mammmw
auf 1829,0 gefallen ist Die sicher bestimmten Wende-
punkte sind jetzt wie folgt:
Maxima: 1786,5, 1817,0, 1829,0, 1837,5, 1848,8, 1859,5.
Minima: 1823,3, 1843,0, 1855,0,
und wenn man die Länge der Periode, wie ich sie be-
stimmt habe, zu 10,43 Jahre annimmt, und von 1786,5
als Anfangspunkt ausgeht, so bleiben folgende Fehler übrig:
Maxima: 0.0 +0.4 +1.6 +1.1 —0.3 0.0
Minima: —0.3 +0.8 —0.7.
Herr Wolf hat in Pogg. Annahm (Mai 1863) wiederholt
die Behauptung aufgestellt, die Periode müsse zu 11,11 ange-
nommen werden, was folgende Fehler übrig lassen würde.
Maxima: 0.0 +2.8 +1.9 +4.5 —4.4 —4.8
Minima: —2.0 —4.6 —3.7.
Man sieht, dass es ganz unmöglich ist, den Beobach-
tungen durch eine Periode von 11,11 zu genügen, und diess
ist auch der Schluss, zu welchem die sorgfältige Unter-
suchung des Herrn Sabine (Magn. and met Observ. of 8t
Helena. II p. 126) geführt hat.
Um die magnetische Periode von 10,43 als unzulässig
112 SiUung der math~-phy$. doste vom 9. Juli 1864.
nachzuweisen, beruft sich Herr Wolf darauf, dass nach den
Beobachtungen von London im Jahre 1796 ein Minimum
stattgefunden habe, während nach jener Periode ein Maximum
ha^te eintreten sollen.
Die Beobachtungen von Gilpin geben nun für die 11
Jahre 1795—1805 folgende Zahlen
7',6, 8',0, 7',9, 7',6, 7',3, 7',1, 8',0, 8',2, 8',2, U'Ä
8',5, 8',6.
Wie aus diesen Zahlen ein Maximum im Jahre 1796
herauszubringen sein möchte, kann ich mir nicht vorstellen ;
in der That zeigen sie gar keine Periode, was ganz be-
greiflich ist, wenn man bedenkt, dass dabei eine auf einer
Spitze aufgestellte Nadel benützt wurde, die so unempfind-
lich war, dass nach der ausdrücklichen Erklärung Gilpin's
die zufälligen Abweichungen „8 bis 10 Minuten oder wohl
noch mehru betragen konnten.
Interessant ist es, die Grundbestimmungen kennen zu
lernen, aus welchen Herr Wolf eine einjährige Sonnen-
fleckenperiode abgeleitet hat. Das erste „sichere" Maximum,
sagt Herr Wolf, ist jenes von 1750 (Staudacher) und das
erste „sichere" Minimum jenes von 1755, (Staudacher und
Zucconi) und wenn man diese mit dem Maximum von 1860
und dem Minimum von 1855 vergleicht, so ergiebt sich
sehr übereinstimmend eine Periode von 11,11 Jahren. Die
Rechnung ist ganz richtig; sieht man aber in Staudachers
Beobachtungen nach, so findet man, dass er im Jahre 1750
nur an 31 Tagen, im Jahre 1755 aber nur an einem
Tage die Sonne beobachtet hat und überhaupt in der
Periode 1750 — 1755 nicht ganz 25 Beobachtungen im Mittel
auf das Jahr treffen, und was die Beobachtungen von Zuc-
coni betrifft, so umfassen sie nur 3 Jahre (im 4. Jahre
fehlen 6 Monate ganz) und geben weder für sich ein ent-
schiedenes Minimum, noch können sie als Ergänzung der
Lamont: Die lOjähr. Periode der magnet Variationen etc. 113
Staudacher'schen Beobachtungen benützt werden 8). Das ist
ee nun, was Herr Wolf „sichere*' Bestimmungen nennt.
Da es auch mit den sonstigen „sicheren" Anhaltspunk-
ten der verflossenen zwei Jahrhunderte ähnliche Bewandt-
niss hat, so lässt sich leicht voraussehen, dass Hr. Wolf
trotz derber Polemik und trotz zuversichtlicher und oft
wiederholter Verkündigung seiner Resultate geringen Erfolg
haben wird« Von den wenigen Schriftstellern, welche die.
„einjährige" Sonnenfleckenperiode erwähnen, hat sicherlich
keiner die Publikationen des Herrn Wolf mit Aufmerksam-
keit gelesen.
Was in dieser Beziehung weiter gesqgt werden könnte»
übergehe ich vorläufig und will zum Schlüsse über den
Standpunkt, welchen jetzt die Untersuchung der Sonnen-
flecken einnimmt, ein Paar Bemerkungen beifugen.
Nimmt man die Tabellen des Herrn Schwabe zur Hand,
so drückt sich darin überall das Regelmässigperiodische
der Sonnenflecken in der bestimmtesten Weise aus. Ganz
anders verhält sich die Sache, wenn man die jährlichen
Resultate der Beobachtungen von Staudacher, Zuoconi,
Flaugergues betrachtet ; denn hier treten auch in den Jahren,
wo die Beobachtungen zahlreich waren, so auffallende
Spränge hervor, dass man versucht sein könnte, eine gänz-
liche Aenderung in den Verhältnissen der Sonnenatmosphäre
vorauszusetzen, wenn man nicht beachten würde, dass die
genannten Beobachter weder eine bestimmte Methode im
Auge hatten, noch eines bestimmten Zweckes sich bewusst
8) Dass die Zählung verschiedener Beobachter sogar auf das
Zehnfache von einander abweichen kann, lässt sich durch neuere
Belege nachweisen. Aeltere Beobachter scheinen ihre Aufmerksam-
keit hauptsächlich auf grosse Sonnenflecken gewendet zu haben und
daraus dürfte unter Anderm zu erklären sein, warum Flaugergues
im Widerspruch mit andern Beobachtern die Sonne gar so häufig
ohne Flecken fand.
114 Sttmmg dsr mafk>*phgs. Glosse vom 0. Juli 1864.
waren, noch- hinreichende, optische Hilfsmittel besassen.
Erst wenn die nächsten zwei Deeennien die vorhandenen
Grundlagen befestiget and erweitert haben werden, wenn
über mögliche Grösse der Aendenmgen von einem Tag zum
andern, über das Verhältnis der Aendenmgen auf der uns
zugewendeten und abgewendetta Seite der Sonne u. s. w.
Näheres confetatirt ist, und Anhaltspunkte für eine
Kritik der altern Beobachtungen gewonnen sind, mag
eine umsichtige Benützung derselben für die Theorie von
einigem Vortheile sich erweisen, wogegen die unmittel*
bare Vereinigung des alten und neuen Materials ohne
alle Kritik nur zu haltlosen Zahlenbestimmungen fuhren
kann.
Herr Nägeli macht weitere Mittheilungen
„Ueber den innern Bau vegetabilischer Zellen*
membranen" K).
(Mit 3 Tafeln.)
4. Aufquellende Epidermiszeüen von Samen und
Früchten.
Das merkwürdige Verhalten der zu Gallertschläuchen
aufquellenden Oberhautzellen, wenn dieselben mit Wasser
in Berührung kommen, ist besonders durch die Untersuch-
ungen Schleiden's und Hofmeister's bekannt. Ich be-
absichtige nur insofern darauf einzugehen, als an der her-
vortretenden Gallerte Streifung sichtbar ist.
Wenn die Fruchtschale von Ocimum basilicum Lin.
befeuchtet wird, so kommen aus den Epidermiszellen lange
Gallertschläuche heraus. Dieselben sind zartgeschichtet
1) Vgl. diese Berichte 1864. I. 282 ff.
Innerer Btm vegetobütocher Zdlammbrcmen. 1 IS
(Fig. 12, 13); zuweilen erscheint die äusserste und die in*
nerste Schicht etwas dichter. Auf dem Querschnitt zeigen
sieh die Schichten viel deutlicher; die innersten sind stark
verbogen (Fig. 12), indem sie in tangentialer Richtung mehr
aufquellen als die äussern. Die Verbiegungen werden nach
aussen allmählich- schwächer. — Von der Fläche angesehen
(Fig. 13), erscheint der Gallertschlauch gestreift. Die
Streifen sind parallel, hin und wieder mit einer Verzweigung,
spiralförmig, meistens südostdrehend (linkswendig); aber sie
haben in verschiedener Tiefe eine etwas verschiedene Lage.
An der Oberfläche sind sie sehr wenig ansteigend, oft bei-
nahe horizontal und dabei ziemlich gerade oder nur schwach
geschlängelt; der Band des Gallertschlauches erscheint zu-
weilen fein gekerbt: die Kerben entsprechen den ausseiften
Streifen. Die Streifen der mittleren Schichten sind steiler
und massig hin und hergebogen. Die der innersten Schieb*
ten zeigen oft sehr starke zickzackförmige Biegungen und
besehreiben in der Regel auch die steilste Spirale. Der
Winkel, den diese Spirale mit der Axe bildet, beträgt 45°
und weniger. Der zickzackförmige Verlauf der Streifen auf
der Flächenansicht (er ist in Fig. 13 durch die punktirten
Linien angedeutet) hängt mit den Verbiegungen der innern
Schichten im Querschnitt zusammen«
Die Breite eines Spiralstreifens variirt von 0,6 bis 1,2
Mit; sie beträgt im Durchschnitt 0,9 Mik. Die Gallert*
Schläuche haben eine Länge von 700 Mik.; vor dem Auf-
quellen war die trockene Substanz derselben in den Epi-
dermiszellen 110 Mik. lang. Daraus folgt, dass die Streifen
vor dem Aufquellen eine durchschnittliche Breite von
0,14 Mik. einnahmen.
Die Oberhautzellen der Früchte von Lallemantia
peltata Fisch, ei Mey. und von Dracocephalum Mol*
davica Lin. verhalten sich wie bei Ocimum. Wenn die
Schichten besonders entwickelt sind, wie es bei Lallemantia
116 , Sitzung der matfr.-pfty*. CUsat vom 0. Juli 1864.
beobachtet wurde, so werden sie von den sie kreuzendem
Spiralstreifen in eine Reihe getrennter Knötchen zerlegt.
Es ist bekannt, dass die Epidermiszeüen der Frucht-
wandung von Salvia, mit Wasser befeuchtet, Gallertschläuche
heraustreten lassen, in denen ein oder mehrere Spiralbänder
eingeschlossen sind. Bei Salvia Aethiopis Ztn. lässt der
Schlauch sehr zarte Schichten und in der Flächenansicht
äusserst zarte Querstreifen wahrnehmen, welche wahrschein-
lich flach ansteigende Spiralen sind (Fig. 10). Das einge-
schlossene Spiralband windet sich südöstlich (links); es ist
breit und spaltet sich stellenweise in zwei, die sich weiter-
hin wieder in eines vereinigen (Fig. 10). Oft auch ist das
breite Spiralband bloss mit einer Mittellinie, welche einer
weichen Schicht gleicht, versehen, als ob es sich zur Spaltung
anschickte. Es kann ferner, wenn die beiden Hälften ungleich
sind, die breitere, oder es können auch beide Hälften von
ähnlichen aber etwas schwächeren halbirenden Längslinien
durchzogen werden. Im* letztern Falle beobachtet man also
drei streifenartige Längslinien auf dem Bande, welche eine
Spaltung desselben in vier Bänder andeuten.
Im trockenen Zustande liegen die Windungen der
Spiralfaser dicht aneinander und bilden eine scheinbar un-
unterbrochene Schicht der Zellwandung. Es ist diese Bild-
ung auch wirklich als Lamelle der Membran, welche nach-
her spiralförmig zerreisst, und nicht etwa als enggewundene
Spiralfaser zu deuten, wie das bereits von Hofmeister ge-
schehen ist (Berichte der k. sächs. Gesch. d. Wiss. 20. Febr.
1858). Diese Lamelle ist mit sehr niedergedrückten 'Spiral-
streifen versehen, und wird, da sie nur wenig aufquillt, von
dem umgebenden Gallertschlauch auseinander gezogen, wo-
bei die Trennung an den weichen Streifen erfolgt. Die Ab-
rollung des Spiralbandes ist daher immer sehr unregel-
mässig, indem die einen Partieen weniger, die andern mehr
sich abrollen. Gewöhnlich bleibt eine Stelle des Bandes,
Nagelt: Innerer Barn vegetabilischer Zettemnembranen. 117
welche etwa der ursprünglichen Länge der Zelle entspricht
und den Primordialschlauch sammt dem Inhalt umschliesst,
ziemlich enggewunden, indess das Band daneben fast ge-
rade ausgesogen ist. Diese wenig abgerollte Partie befindet
sich häufig in der Mitte, zuweilen auch nahe dem Grunde
oder nahe der Spitze des ganzen Bandes.
Die innere Lamelle der Epidermiszellen, welche in das
Spiralband zerrissen wird, ist unregelmässig-prismatisch mit
Torspringenden Kanten und einspringenden Seiten, wie die
Flächenansicht der abgelösten Epidermiszellen zeigt (Fig. 11).
Diese prismatische Gestalt hat auch das abgelöste Spiral-
band mehr oder weniger beibehalten und zeigt ausser
den Knötchen am Rande noch solche innerhalb desselben
<Fig. 10).
Die Fruchtschale von Salvia Horminum Lin* ver-
hält sich ähnlich wie bei S. Aethiopis, weicjbt jedoch in
einzelnen Partieen ab. Der Gallertschlauch (Fig. 1) ist
weniger dickwandig, dabei deutlicher geschichtet und deut-
licher gestreift. Die Spiralstreifen sind flachansteigend und
wenden sich wie die eingeschlossenen zwei Spiralbänder südöst-
lich (links). Diese bleiben anfanglich beisammen und rollen
sich mit einander ab; nachher aber trennen sie sich von
einander.
Die Spiralbänder von Salvia Horminum zeichnen
sich durch ihre beträchtliche Dicke (Tiefe) aus. Sie bilden,
solange die Windungen sich noch berühren, eine Lamelle
von ziemlicher Mächtigkeit, an der man selbst bis auf vier
Schichten erkennt Diese Lamelle zerreisst in ihrer ganzen
Dicke und stellt die beiden Spiralbänder dar, welche drei-
bis fünfmal so dick als breit sind und daher die Form
einer wendeltreppenartigen, in die Höhlung hineinragenden
Platte haben. Das Profil der Längsansicht zeigt sie ab
nach innen gerichtete Stäbchen (Fig. 1), welche in einzelnen
deutlichen Fällen zartgegliedert erscheinen und aus drei bis
118 SUsung der math.-phy* Oa$x wm 9. JuU 1864.
»
vier dichtem Knötchen, die durch weiche Substanz getrennt
sind, bestehen (bei a). Diese Gliederung ist nichts anderes
als die Schichtung der sich in die Spiralbänder spaltenden
Lamelle, deren ich bereits erwähnt habe. Von diesen
Schichten ist die äu6serste die dichteste; oft ist sie im auf-
gequollenen Zustande allein deutlich. Die Bänder zeigen
dann im Profil nur ein dichtes rundliches Knötchen auf der
äussern Seite, indess die übrige Masse als ein zarter weicher
Anhang erscheint« — Wenn die Bänder sich ganz abrollen,
so kann man sie flach legen und dann ihre äusserst zarte
Schichtung als abwechselnd dichtere und weichere Längs*
streifen beobachten (Fig. 1 bei b).
Nach Hofmeister (1. c. p. 28) soll es in manchen
Fällen „überaus deutlich sein, dass innerhalb des Schrauben-
bandes noch eine Schicht zu Gallerte aufgequollener Mem-
bransubstanz liegeu. Diess stimmt durchaus nicht mit meinen
Beobachtungen überein, so dass ich im Zweifel bin, ob
wir beide das gleiche Objekt hatten. Die Zeichnung Hof»
meisters giebt seine Anschauung sehr bestimmt wieder,
ist aber wenig genau und charakteristisch, wenn sie die
Zellen meiner Früchte darstellen sollte. Ich kann den
Widerspruch nicht lösen, will aber doch auf zwei Er-
scheinungen hinweisen, welche möglicher Weise zu einem
Irrthum führen können.
Die eine Veranlassung zur Täuschung liegt in dem
Umstände, dass, wie ich schon sagte, das plattenartig nach
innen vertiefte Schraubenband zuweilen nur in seinen ausser»
sten Theilen aus dichter Substanz besteht, nach innen aber
weich und undeutlich begrenzt ist Es kann selbst diese
innere Partie bloss als ein schwacher Schimmer sichtbar
werden. — Die andere Veranlassung zur Täuschung besteht
darin, dass die Zellen und ebenso die Spiralbänder eine
prismatische, meistens sechsseitige Gestalt haben. Die Kan-
ten des Prismas zeigen desswegen, wie das auch an andern
NägeU: Innerer Bau veeetabüiecher ZeUenmembranen. 119
prismatischen Zellen und Gefassen oft sehr deutlich ißt,
noch innere Conturen und in einzelnen Fällen können diese
Gontnren ganz den Anschein gewähren, als ob eine weiche
gallertartige Verdickung sich im Innern befände.
Um die Zellen langsam aufquellen zu lassen, was für
die genaue und sorgfältige Untersuchung nothwendig ist,
und um zugleich die einzelnen Theile deutlicher zu sehen,
thut man gut, wenn man das trockene Präparat in wasser*
arme Jodtinktur bringt und dann Jodwasserstoffsäure zu«
setzt. Dabei färben sich die Gallerte und die Bänder Tiolett;
sicherer tritt die Färbung ein , wenn man das Präparat zu*
erst mit alter Jodtinktur eintrocknen lässt und dann mit
Jodwasserstoffsäare befeuchtet.
Der Gallertcylinder, welcher aus den Zellen der Samen-
oberhaut von Gollomia (G. heterophylla Hook., G. coo»
oinea Lehm., C. linearis Ntät. verhielten sich ganz gleich)
heraustritt, enthält ein südwestlich (rechts) gewundenes
Spiralband. Dasselbe wird stellenweise breiter und spaltet
sich dann in zwei; stellenweise wechselt es auch mit Ring-
bändern ab. Manchmal zweigen sich von dem Spiralband
einzelne dünnere Fäserchen ab, welche eine Strecke weit
getrennt verlaufen und dann wieder sich mit demselben
vereinigen, oder welche auch, wenn zwei Bänder vorhanden
sind, zwischen denselben hinziehen und sich mit den Enden
an das eine und andere ansetzen. Diese Fäserchen sind
bisweilen so zart, dass man sie kaum sichtbar machen
kann. In einzelnen Fällen war es sicher, dass sie sich
seitlich mit dem Hauptband vereinigten. Ob sie auch,
wie es andere Male schien, von der inneren Fläche des-
selben abgehen können, muss ich zweifelhaft lassen.
Die Substanz des Gallertschlauches ist sehr weich und
lässt nicht immer und nur äusserst zarte Streuung erken-
nen. — Wenn das Spiralband durch Schwefelsäure oder
Kupferoxydammoniak aufquillt, so zeigt es sich der Länge
120 Sibnmg der matk.-pkys. OUum vom $. Juli 19$4*
nach d. h. parallel den Rändern gestreift Die Streifen er-
scheinen, wie gewöhnlich, abwechselnd dichter und weicher.
Man zählt an einem Band innerhalb der dichten Ränder
drei bis sechs dichte Streifen. Ausserdem sieht man hin
und wieder sehr zarte schiefe Streifung, zuweilen selbst
zwei sich kreuzende Systeme von schiefen Streifen (Fig. 2)«
Die Haare auf den Samen einiger Acanthaceen
zeichnen sich bekanntlich dadurch aus, daas die Bong*- und
Spiralbänder des aufquellenden Gallertcylinder umschliesaen
und nicht abgerollt werden. Ich untersuchte vorzüglich
Dipteracanthus ciliatus Nees. Auffallender Weise sagt
Hofmeister (1. c. p. 27) von Ruellia ciliata (ohne
Autor), dass deren Samenhaare keine aulquellenden Schich-
ten enthalten. Dipteracanthus Schauerianus Nees.
verhält sich ganz wie D. ciliatus. Zweckmässig ist es auch
hier, das trockene Präparatynit Jodtinktur zu übergiessen
und dann sogleich oder nach vorgängigem Eintrocknen Jod*
wasserstoflsäure zuzusetzen, wobei sich die Scheide mit den
Ringbändern gelb, die Gallerte violett färbt.
Die einzelligen Haare sinc^ cylindrischfedenförmig, nach
der Spitze verschmälert. Eine äussere dünne Membran-
schicht oder Scheide besteht aus dichter, nicht aufquellender
Substanz; sie ist in regelmässigen Entfernungen mit stark
nach innen vorspringenden Ringfasern derselben Beschaffen-
heit besetzt, welche stellenweise in kurze Spiralen über-
gehen oder durch Spiralbänder verbunden sind. Diese
Spiralen sind bald rechts, bald links gewunden. Die Bänder
haben ein beinahe kreisrundes Profil mit einem Punkt im
Gentrum. Die Höhlung innerhalb dieser äusseren mit Ring-
fasern besetzten Scheide ist beinahe vollständig mit einer
quellungsfahigen Substanz ausgefüllt. Bei Berührung mit
Wasser reisst die Scheide und der Gallertschlauch tritt
heraus (Fig. 3). Derselbe hat ein sehr enges, fadenförmiges
Lumen, das einen dünnen Plasmastrang umschliesst.
Nägüi: Innerer Bau vegetabifocher Zcttewmembrcmen. 121
4
Der Gallertschlaach ist zartgeschichtet, was man be-
sonders in der Queransicht sieht. Die äusserste Schicht ist
meistens viel dichter and doppelt coeturirt, während die
innern Schichten äusserst fein und bloss als einfache Linien
sichtbar sind. Zuweilen jedoch treten auch einzelne innere
Schichten (in der Zahl von 1 bis 4) stärker hervor , ohne
jedoch die Dichtigkeit und Dicke der umschliessenden Schicht
zu erreichen (Fig. 4). Zuweilen auch erscheint die ganze
innere Masse homogen und strukturlos, so dass man nur
die äusserste Schicht unterscheiden kann (Fig. 5).
Die Längsansicht des Schlauches zeigt spiralige Streif-
ung, welche sich gewöhnlich auf die äusserste dichte Schicht
beschränkt. In einzelnen Fällen beobachtet man auch
äusserst zarte Spiralstreifen im Innern, und zwar dann,
wenn hier einzelne Schichten besonders mächtig und dicht
geworden sind. Aber von diesen innern Streifen kann ich
weiter nichts als deren Vorhandensein aussagen, da es mir
nicht möglich war, etwas über deren Verhalten weiter zu
ermitteln.
Was nun die Streifen der äussern Schicht betrifft, so
beschreiben dieselben äusserst flache südwestliche (rechts-
wendige) Spiralen. Der Winkel, den dieselben mit der
Horizontalen bilden, beträgt nicht mehr als 3 bis 6° (mit
der Axe 87 bis 84°). Nur selten sind sie ziemlich gerade,
.meistens mehr oder weniger geschlängelt, und oft selbst
sehr stark verbogen (Fig. 3, 6, 7). Diese Verlegungen der
Streifen auf der Längsansicht werden durch die Einfaltungen
der Schichten hervorgebracht, die man auf vielen Quer-
schnitten sieht. Bald sind es nur die innern Schichten,
welche hin- und hergebogen sind (Fig. 4)b bald zeigt aber
auch die äusserste Schicht diese Erscheinung (Fig. 5), und
im letztern Falle beobachtet man den unregelmässigen Ver-
lauf- der Streifen auf der Längsansicht — Oft können diese
122 8Unmg der matk-pbye. dam vom 9. J*U 2064.
Spiralen in ein ans 4 — 6 Streifen bestellendes Band abge-
rollt werden (Fig. 6 and 7 bei a).
Die Verlegungen der Spiralstreifen machen es sehr
schwer, ihren wahren Verlauf au erkennen. Hanfig gewähren
sie den Anschein von übereinander geschichteten glocken-
förmigen Kappen (Kg. 7); eine genaue Untersuchung zeigt
aber, dass diese Kappen die verbogenen Windungen der
zugekehrten Fläche sind und in die Windungen der abge-
kehrten Seite übergehen. Die sichere Bestätigung dieser
Anschauung ergiebt sich sogleich, wenn es gelingt, die
Spiralstreifen abzurollen (Fig. 7, a). Wenn ich nicht irre,
ist diess die gleiche Erscheinung, die Hofmeister an
andern zu Gallerte aufquellenden Zellen beschreibt, für die
er aber eine unrichtige Deutung beibringt
Ich bemerke noch, dass der aus der Scheide heraus-
tretende Gallertschlauch zuweilen enger ist als jene, und
soweit er in ihr steckt, sie nicht ganz ausfüllt. Aus der
Thatsache, dass der Schlauch häufig gerade den Duroh-
messer der Scheide hat (wie in Fig. 3), könnte man leicht
zu dem Schlosse sich verleiten lassen, die eingeschlossene
Substanz quelle nur in der Längsrichtung, nicht auch in die
Dicke auf. Es wäre diess bei einer so enormen Wasser*
einlagerung höchst auffallend. Bei dieser Deutung würde
aber eine Erklärung für diejenigen Fälle mangeln, wo die
aufgequollene Substanz die Scheide nicht mehr ausfüllt,
wahrend sie im trockenen Zustande den ganzen Baum ein*
nahm. Diese Fälle lassen sich nur durch die Annahme er-
klären, es sei die Einlagerung der Wassertheilchen in der
Art erfolgt, dass durch dieselbe eine stärkere Krümmung
der Spiralstreifen bewirkt wurde. Mit dieser stärkern Kriün*
mung ist selbstverständlich eine Verkürzung des Krümmungs-
halbmessers, also eine Abnahme des Cylinderdurchmessers
verbunden. Letztere ist so gross, dass sie in den meisten
Fällen der Quellung in den transversalen Richtungen das
NägeU: Innerer Bau vegetabilischer Zellenmembranen. 123
Gleichgewicht hält, zuweilen aber dieselbe noch übertrifft.
In Zahlen lassen sich diese Verhältnisse jedoch nicht aus*
drücken, solange nicht die Neigung der Spiralstreifen und
ihre Breite vor und nach der Quellung genau bekannt ie€-
Die Samen von Ruellia strepens Lin. und K. for-
mosa Andr. verhalten sich im Wesentlichen wie Diptera-
canthus. Nur ist die Wandung der Gallertschläuche be-
trächtlich dünner und deren Lumen weiter. — Die Scheide
zeigt sich, wenn sie noch nicht ganz aufgequollen ist, in
der Längsansicht zwischen den Ringbändern gefaltet, ein
Beweis, dass sie nur sehr wenig Wasser einzulagern ver-
mag. Scheide und Bänder lösen sich nicht in Kupferoxyd-
ammoniak, quellen auch nicht einmal sichtbar darin auf.
5. Baumwollenfasern.
Lässt man die Baumwollenfasern aufquellen, z. B.
durch Schwefelsäure, so tritt an denselben Spiralstreifung
hervor. Die Wendung ist bald rechts bald links; es kommt
selbst nicht selten vor, dass sie an der nämlichen Faser
wechselt (Fig. 8). — Die Spiralstreifen der äussern Mem-
branschichten steigen im Allgemeinen weniger steil empor
als die der tiefern Schichten, jene bilden z. B. mit der
Zellenaxe einen Winkel von 55°, diese von 25°. Die Rich-
tung der Streifen kann aber in der nämlichen Schicht auf
kurze Strecken ziemlich beträchtlich variiren. So sah ich
an der Oberfläche der Zelle eine Neigung von 40° zur
Aze sehr rasch in eine Neigung von 65° übergehen, wobei
eine reichliche Verzweigung der Streifen nach einer Seite
hin stattfand. — Die Streuung ist zart aber deutlich. An
der Oberfläche befinden sich breitere Bänder, denen schwache
Hervorragungen am Rande entsprechen. Unmittelbar in-
nerhalb derselben sieht man aber die gewöhnliche Streifung
mit der ganz gleichen Richtung.
Bisweilen beobachtet man an einer Baumwollenfaser
[186411.2.] 9
124 Sitnmg der «tafe-pAy*. Clane wm 9. JuU 1864.
nur Streifen der nämlichen Wendung. Häufiger jedoch wird
noch ein zweites, meist etwas schwächeres System sichtbar,
welches sich mit jenem kreuzt und oft eine etwas andere
Neigung zur Zellenaze hat. Beide Systeme können auch
gleich deutlich sein, oder es kann selbst bei verschiedenen
Einstellungen bald das eine, bald das andere starker her*
vortreten. Es giebt Baum wollfasern, deren Aussehen dafür
zu sprechen scheint, dass in den äussern und in den innern
Schichten die Streifen eine entgegengesetzte Wendung haben.
An andern sieht man dagegen, wenn man mit dem Focus
langsam von der Oberfläche bis zur Axenfläche vordringt,
die Wendung mehrmals wechseln. Endlich beobachtet man
Fasern, an denen jede der beiden Streifungen bei Veränder-
ungen des Focus ihre Deutlichkeit und Schärfe behält oder
in gleichem Grade verändert. Diess spricht dafür, dass die
Streifen in jeder einzelnen Schicht sich kreuzen und dass
die Rhomben, welche man sieht, nicht nur scheinbar, son-
dern wirklich vorhanden sind.
Wenn man die Baumwollenfasern in Schwefelsäure auf-
quellen lägst, so werden dieselben gedreht. Da die Faser
flachgedrückt ist, so gleicht sie bei starker Drehung einem
aus zwei Stricken, die sich umeinander winden, bestehenden
Seil. Dabei beobachtet man, dass die Drehung an ver-
schiedenen Fasern ungleich gewendet ist, oder dass sie an
der nämlichen Faser wechselt. Sie ist constant der Wendung
der stärkern Spiralstreifen, welche auch schon in Wasser
sichtbar werden, entgegengesetzt (Fig. 9).
6. Holzzellen der Coniferen.
Ich habe meine Untersuchungen vorzugsweise an Abi es
excelsa Poir. angestellt, bemerke aber, dass Pinus syl-
vestris Lin. sich ganz ebenso verhält. Im Allgemeinen ist
im unveränderten Zustande nicht viel über die innere Struo-
tur der Holzzellen zu sehen. Mit Ausnahme von besonders
Nägdi: Itmerer Barn wpMctbümher ZdUnmembrcmen. 125
günstigen Partieen werden in Wasser gewöhnlich nur ein-
zelne stärkere Streifen sichtbar. Die geringe Quellung,
welche die Holzzellen bei der Maceration in Salpetersäure
oder Salpetersäure und chlorsaurem Kali erfahren, schliefst
weitere Verhältnisse auf, und dieses Verfahren gewährt über*
dem den Vortheil, dass die Zellen isolirt werden und daher
von verschiedenen Seiten beobachtet werden können. Zar
vollständigen Erkenntniss des innern Bau's ist es aber
nöthig, die Membranen noch durch stärkere Mittel aufquellen
zu lassen. Hiezu eignet sich Schwefelsäure am besten; dabei
ist es zweckmässig, die optische Wirkung dadurch zu er-
höhen, dass man die Holzzellen zuerst mit Jodtinktur behan-
delt, indem durch die ungleiche Einlagerung der Jodtheil-
chen eine ungleiche Widerstandsfähigkeit der verschieden«!
Streifen gegen die Schwefelsäure und eine ungleiche Inten-
sität der Färbung bewirkt und dadurch der Contrast ge-
steigert wird.
Die Erscheinung, die dem Beobachter an altem Fich-
tenholz am häufigsten entgegentritt und die auch hier sich
am besten studiren lässt, sind die Ringstreifen. Man
sieht sie sowohl an Holzzellen, die im Wasser liegen, als
an solchen, die etwas aufquellen. Besonders deutlich sah
ich sie oft bei Behandlung mit wenig concentrirter Schwefel*
säure hervortreten, ehe ein eigentliches Aufquellen stattfand.
Sie sind wohl von allen Beobachtern wahrgenommen, aber
irrthümlicher Weise für Spiralstreifen oder Spiralfasern ge-
halten worden. Es sind Querstreifen, die meist mehr oder
weniger schief, seltener rechtwinklig über die horizontal-
liegende Holzfaser verlaufen (Fig. 14, 15, 17). Man sieht
dieselben bei jeder Einstellung des Focus von der zugekehr-
ten bis zur abgekehrten Fläche, sowohl in der Mitte als zu
beiden Seiten.
Dass es keine Spiralstreifen sein können, wofür man
sie bei oberflächlicher Beobachtung wohl halten kann, er-
9* -
126 Sititmg der matk-pAy«. Clane wm 9. Juli 1864.
giebt sich ganz sicher aus der Thatsache, dass dieselben,
wenn nur ein System ausgebildet ist, sowohl rechts als
links, so wohl auf der zugekehrten als auf der abgekehrten
Fläche nach der gleichen Seite geneigt sind. Es kommt
hin und wieder vor, dass an einer sonst glatten Stelle der
Holzfaser nur ein einzelner Streifen vorhanden und beson-
ders deutlich entwickelt ist. Derselbe stellt sich als eine
schief über die ganze Breite der Zelle verlaufende gerade
Linie dar, welche bei jeder Einstellung die nämliche Lage
und Richtung behält. Diese Linie ist also nichts anderes
als die Profilansicht eines schiefen Durchschnittes durch die
cylindrische oder prismatische Faser. Fig. 15 zeigt im
obem Theile eine, im untern zwei solcher Linien, die gegen
einander geneigt sind. Somit ist der Ringstreifen, körper-
lich aufgefasst, eine äusserst dünne, ebene Scheibe, welche
die Wand der ganzen Zelle durchsetzt.
Diese Scheibe ist immer mehr oder weniger zur Zellen-
aze geneigt; die Neigung variirt von 60° bis zu 85°, und
beträgt meistens circa 70°. Dreht man die liegende Holz-
faser um ihre Axe, so kommt sie einmal in die Lage, wo
der Ringstreifen am deutlichsten gesehen wird, und wo er
mit der Zellenaxe den kleinsten Winkel bildet (Fig. 14, 15).
Bei weiterem Drehen wird er allmählich undeutlicher und
nähert sich der horizontalen Lage. Nach V* Umdrehung
ist er rechtwinklig zur Zellenaxe und am schwächsten ge-
zeichnet.
Die Ringstreifen zeigen übrigens, wenn sie durch
quellende Mittel hinreichend deutlich gemacht wurden, darin
eine genaue Analogie mit den Spiralstreifen, dass sie zwei
sich kreuzende Systeme darstellen und dass die Streifen
jedes Systems unter einander genau parallel und dicht ge-
drängt sind (Fig. 19). Von diesen beiden Systemen ist
häufig das eine etwas stärker ausgebildet als das andere.
Ein Streifen des schwächern hat z. B. eine Breite von
Nagelt: Innerer Bau vegetabilischer ZeUenmembranen. 127
1 — 1,3 Mik.; einer des starkem Systems ist 1,6—2,7 Mik. breit.
Dabei bemerkt man aber zuweilen ziemlich deutlich, dass
die breitesten Streifen von einer äusserst zarten röthliohen
Mittellinie durchzogen werden. Dieselbe deutet, wie ich
glaube, die beginnende Theilung des breiten in zwei schmale
Streifen an. In andern Fällen sind die beiden Systeme
vollkommen gleich deutlich. Zuweilen entzieht sich das
eine gänzlich dem Blicke des Beobachters (Fig. 17, 20).
Von den Streifen des nämlichen Systems sind oft die
einen stark, die andern wenig entwickelt. An schwach ge-
quollenen Membranen sieht man daher einzelne schon sehr
deutlich, indess die andern sich noch dem Blicke entziehen
(Hg. 14). Die stark ausgebildeten Streifen gehören ent-
weder nur einem oder beiden Systemen an und die liegende
Holzzelle zeigt im Profil bald vereinzelte Linien, die nach
der nämlichen Seite geneigt sind, bald solche, die in ent-
gegengesetzter Richtung sich neigen und sich zu den für die
Ringstreifung charakteristischen Figuren V Y X verbinden
(Fig. 18). Bei stärkerer Einwirkung des Quellungsmittels
werden alle Streifen eines Systems deutlich und von gleicher
Stärke.
Die beiden Streifensysteme kreuzen sich gewöhnlich
symmetrisch, d. h. die Linie, auf welcher sich zwei Scheiben
schneiden, steht auf der Aze der Zelle rechtwinklig. Seltener
ist ein System gegen das andere etwas verschoben, doch
ist die Abweichung von der symmetrischen Lage nie sehr
bedeutend. Bei normalem Verhalten kann man die liegende
Holzzelle in eine Stellung bringen, in welcher beide Streifen-
Systeme mit ihren Ebenen senkrecht stehen und daher die
grösste Deutlichkeit besitzen. Nach einer Viertelsumdrehung
sind beide horizontal. Bei unsymmetrischer Anordnung lässt
sich auf einmal nur ein Streifensystem ganz deutlich im
Profil sehen; die Zelle muss, um das andere ebenfalls in
die verticale Lage und zur grössten Evidenz zu bringen,
128 Siteung der math.-phys. dorne rem 9. Juli 1864.
etwas gedreht werden. Ferner kann man die Zelle nicht
in eine Stellung bringen, wo beide Streifensysteme horizontal
und somit parallel wären; sie kreuzen sich immer noch
unter einem kleinen WinkeL Eine solche Kreuzung beob-
achtet man auch bei symmetrischer Anordnung der beiden
Systeme, wenn dieselben nicht genau horizontal liegen. Sie
gewähren dann den Anschein eines undeutlich gezeichneten,
oft unregelmässigen Netees mit verlängerten rhombenförmigen
Maschen (Fig. 21). — Die Ringstreifen haben zwar keine
ganz constante Richtung; dennoch geheint im Allgemeinen
als Regel zu gelten, dass man sie auf radialen Längs*
schnitten durch das Holz schiefgekreuzt, auf tangentialen
dagegen horizontal über die Zellen verlaufen sieht. Sie sind
daher meistens so gestellt, dass das eine System sich nach
aussen im Stamme, das andere nach innen neigt.
Um sich von der Beschaffenheit des einzelnen Ring-
streifens sowie von der Anordnung der beiden Systeme zu
überzeugen, muss man die dickwandigen Holzzellen an der
Grenze der Jahrringe zur Untersuchung wählen. Man kann
die angegebenen Verhältnisse mit Sicherheit an der unver-
letzten, wenig aufquellenden Faser beobachten. Doch ist es
zweckmässig, auch die Auflösungserscheinungen zu berück-
sichtigen. Wenn man die durch Maceration in Salpeter*
säure freigemachten Holzzellen mit concentrirter Schwefel-
säure behandelt , so werden sie angegriffen und nach und
nach aufgelöst. Da die äusserste Schicht (sog. primäre
Membran) stärker widersteht, so geschieht die Auflösung
von den Enden ans und da die Festigkeit der übrigen Sub-
stanz von aussen nach innen hin zunimmt, so sind diese
Enden conisch zugespitzt (Fig. 17). An der Basis dieses
Kegels bildet die „primäre Membranu einen schwach vor-
stehenden und (wegen der aufquellenden Substanz) nach
aussen gebogenen Rand. Wenn die „primäre Membran4'
irgendwo an der Faser eingerissen oder verletzt ist, so
r
Nägdi: Innerer Bau vegetabilischer ZeUenmmbranen. 129
dringt die Schwefelsäure daselbst ein und die Faser zerfällt
in zwei Stücke, deren Enden bald wieder die charakter-
istische Pyramidenform annehmen. Bis an die Spitze dieser
Enden nun sieht man die Ringstreifen als schiefe Linien,
der beste Beweis dafür, dass sie die angegebene Form und
Lage besitzen. In Fig. 17 ist eine in Auflösung begriffene
Holzzelle abgebildet, an welcher nur ein Streifensystem
sichtbar war.
Ich habe bis jetzt die Ringstreifen mit Rücksicht auf
ihr Verhalten zur ganzen Zelle betrachtet. Sehr oft sieht
man dieselben nicht in ihrem ganzen Verlaufe sondern nur
bruchstückweise. Namentlich ist es das Profil der liegenden
Zelle, wo sie manchmal allein sichtbar werden. Sie stellen
hier je nach der Lage der Zelle entweder schiefe Linien
dar (Fig. 20, wo man nur ein System, Fig. 19, wo man
beide Systeme beobachtet), oder sie treten als gerade Quer«
linien auf (Fig. 28). Bei günstiger Einwirkung des Quellirogs-
mittels kann man in einzelnen Fällen die dichten Areolen
sich allmählich von einander trennen und dann in einer
wasserhellen Gallerte verschwinden sehen (Fig. 22).
Ausser den normalen Ringstreifen, wie ich sie beschrie*
ben habe, scheint noch eine andere Form vorzukommen)
über deren Verhalten ich jedoch sehr wenig weiss. Ich sah
einige Male auf jeder der beiden Seiten einer Holzzelle
zwei Streifen, die zu einem nach innen geöffneten Winkel
▼ereinigt waren (Fig. 16); sie wurden nur bei mittlerer
Einstellung ganz deutlich gesehen, wobei zugleich die innern
Enden durch zarte über das Zellenlumen hingehende Quer«
linien verbunden waren. Bei höchster sowie bei tiefster
Einstellung beobachtete man eine mittlere quer über die
ganze Zelle verlaufende Linie. Die ganze Figur wurde also
durch zwei mit ihren weiten Mündungen einander berührende
Trichter gebildet. Ich kann vorerst nichts weiter, als diese
einfache Beobachtung mittheilen.
1 30 Sitzung der matfc-pty*- <3**** von 9. Juh 1864.
Die Holzzellen der Fichte and Föhre zeigen nicht nur
die beschriebenen schiefen Ringstreifen, sondern auch spiralige
Streuung; es sind namentlich die innersten 6 bis 12 Jahr-
ringe, an denen sie deutlich ist, sowohl im jagendlichen
Zustande an kleinen Zweigen als auch im Alter an grossen
Stämmen. Die Spiralstreifen bilden mit der Zellenaxe einen
Winkel von 55° und weniger und sind südöstlich (links)
gewunden. Sie haben genau die gleiche Neigung, wie die
spaltenförmigen Porenkanäle (Fig. 23, 24). Dabei gehen
die Streifen selten in gleicher Stärke mit den übrigen über
die Porenhöfe hinweg, so dass die Porenspalte unmittelbar
von starken Spiralstreifen eingefasst ist. Gewöhnlich sind
dieselben auf den Höfen zarter, wobei sie entweder, sowie
sie den Hof verlassen habqn, die Stärke der übrigen er*
langen (Fig. 24), oder aber in gleicher Zartheit sich weiter-
hin über die Zelle fortsetzen. Die Spiralstreifen können
auch auf dem ganzen Porenhof oder dem innern Theil des-
selben, sowie auf der dieser glatten Stelle entsprechenden
Spiralzone vollständig mangeln (Fig. 23). — Die genannte
Spiralstreifung ist nicht nur an den Seiten der Holzzellen
su sehen, wo diese an andere Holzzellen angrenzen, sondern
auch an den die Markstrahlenzellen berührenden Stellen. Sie
sind hier im Allgemeinen etwas weniger steil ansteigend
und werden oft besonders deutlich da gesehen, wo sie über
die Porenhöfe weggehen.
Die Spiralstreifen sind oft sehr schmal und haben
kaum eine Breite von 0,7 — 1 Mik. Zuweilen sind sie viel
breiter; namentlich zeigen die weichen spaltenförmigen
Streifen ungleiche Stärke. Manchmal sind die letztern ab*
wechselnd stärker und schwächer, so dass die dichten
Streifen paarweise genähert sind und den fandruck machen,
als ob sie durch Zerfallen eines breitern in zwei schmale
entstanden wären. — An den Spiralstreifen beobachtet man
ferner nicht selten Verzweigung, indem einer sich in zwei
NägeU: Innerer Bau vegeUtiüischer Zeüenmembranen. 131
Gabeläste theilt und anderwärts zwei Zweige sich zu einem
Stamm vereinigen (Fig. 25, a).
Man könnte die Spiralstreifen des Fichten* und Föhren-
holzes leicht für zarte Spiralfasern ansehen und sie z. B.
mit den Holzzellen von Taxus vergleichen wollen, wo be-
kanntlich neben den Poren gleichzeitig auch Bing* und
Spiralfasern vorkommen. Es giebt aber zwei Thatsachen,
welche einer solchen Deutung sich entgegenstellen. Auf dem
Querschnitte zeigt sich einmal die innere Membranfläche
jneistens ganz glatt, namentlich wenn keine merkliche Quell-
img eingetreten ist. In diesem Falle befinden sich also die
Streifen innerhalb der Substanz, und es werden die Spiralen
nicht etwa durch verdickte Linien gebildet. Andere Male
beobachtet man zwar schwache knötchenförmige Hervor-
ragungen; es ist diess aber eine Erscheinung, welche auch
sonst häufig mit der Streifenbildung und zwar nicht nur
mit den Spiral- sondern auch mit den Ringstreifen ver-
bunden ist.
Die andere Thatsache, welche die Identifizirung der
Spiralstreifen des Fichten- und Föhrenholzes mit« den Spiral-
fasern des Taxusholzes verbietet, ergiebt sich bei der Ver-
gleichung selbst. Wenn man Holzzellen von Taxus bac-
cata durch Schwefelsäure stark aufquellen lässt, bleibt die
innerste Schicht ziemlich dicht und zeigt zwischen den
Spiralfasern, die man deutlich als Verdickung, oft beinahe
als Faltenvorspränge erkennt, je 4 bis 6 gleichlaufende
Spiralstreifen (Fig. 29). Man erhält den Eindruck, als ob
einzelne der Spiralstreifen sich zu Fasern ausgebildet hätten.
Diese Beobachtung lässt sich sehr schön an solchen Stellen
machen, wo keine Poren vorhanden sind. An denjenigen
Stellen dagegen, wo zwischen den Spiralfasern sich Poren
befinden, beobachtet man häufig während des Aufquellens
eine zarte Streifung, welche, wie bei Abies und Pinus,
mit den schmalen Porenkanälen parallel läuft, aber sich
132 Sitzung der math.-phys. Masse vom 9. Juli 1864.
*
mit den Spiralfasern kreuzt. Diese Spiralstreifdng hat wie
bei der Fichte und Föhre südöstliche, die Spiralfasern haben
südwestliche Drehung, nur sehr selten kommt das Umge-
kehrte vor. Man hat also bei Taxus zweierlei Spiralstrei-
fiing zu unterscheiden, eine die mit den Spiralfasern und
eine andere die mit dem Poren correspondirt. Wenn ich
nicht irre, gehört die entere nur der innersten, die zweite
den übrigen Schichten an1).
An den Spiralstreifen des Fichten- und Föhrenholzes
lässt sich manchmal keine weitere Struotur nachweisen.
' Manchmal indessen sieht man sie beim Aufquellen gegliedert,
sie gleichen dann einer Reihe von getrennten dichten Knöt-
chen (Fig. 25). In besonders günstigen Fällen wird auch
das zweite System von Spiralstreifen sichtbar, welches eben
jenes gegliederte Aussehen verursacht. Es hat ziemlich die
2) Vor dem Druck des Manuscripts wurden die Elementarorgane
des macerirten Taxusholzes zu andern Zweeken untersucht. Die
oben ausgesprochene Ansicht bestätigte sich dabei durch eine weitere
Thatsache. Die Holzzellen von Taxus sind doppelter Art. Die
einen haben deutliche am Rande knötchenartig vorspringende Fasern,
entweder Ringfasern oder 1 — 2 Spiralfasern, die unter einem Winkel
von 15 — 80° mit der Horizontalen ansteigen, und bald südöstlich,
bald südwestlich gewendet sind. Ausserdem besitzen sie verlängerte
Poren, welche sich oonstant südostlich (links) drehen und mit der
Horizontalen einen Winkel von ungefähr 60° bilden. Die andern
Holzzellen haben zarte Spiralstreifen in der Zahl von 3—8, welche
in Richtung und Neigung genau mit den spaltenformigen Poren
übereinstimmen und im Profil nicht als Vorsprünge wahrzunehmen
sind; die Wendung ist beständig südöstlich. Zwischen beiden Arten
von Holzzellen giebt es Uebergänge. Wir können also sagen, dass
alle mit steil ansteigenden südöstlich gewendeten Poren versehen
sind und ausserdem mit Fasern oder Streifen, welche von 30° süd-
westlicher bis ungefähr 70° südöstlicher Neigung variiren, im letz-
tern Falle mit den Poren parallel laufen und am schwächsten aus-
gebildet sind.
Nägtli: Innerer Bau mgetabiUscfier Zellenmembranen. 138
gleiohe Neigung zur Zettenaxe wie das andere System,
wendet Jtch aber nach der entgegengesetzten Seite und ist
meistens ziemlich feiner (Fig. 26).
Ich habe bereits bemerkt, dass die Spiralstreifen vor-
zugsweise in den innersten Jahrringen sichtbar sind. In-
dessen sieht man sie hier durchaus nicht an allen Zellen.
Anderseits zeigen zuweilen auch die Zellen der spätem
Jahrringe, namentlich diejenigen des jüngsten, undeutliche
spiralige Streifung. Was die Ringstreifen betrifft, so findet
man sie am leichtesten in denjenigen TheiJen des Holzes,
denen die Spiralstreifen mangeln. Doch kommen sie auch
gemeinschaftlich mit den letztern vor. Es giebt Holzzellen,
an denen man stellenweise die Spiralstreifen, stellenweise
die Ringstreifen deutlich sieht. Es giebt selbst solche, an
welchen beide Streifenarten auf kürzere oder längere Strecken
mit einander vereint auftreten. Die Spiralstreifen sind dann
auf der zugekehrten Fläche als zwei schief sich kreuzende
Liniensysteme, die Ringstreifen dagegen vorzugsweise am
Rande und zwar je nach der Lage der Zelle entweder als
ein System von horizontalen, oder als zwei Systeme von
sich kreuzenden schiefen Linien sichtbar.
Der Querschnitt aller Holzzellen, es mögen dieselben
in der Längsansicht Ringstreifen oder Spiralstreifen oder
beide vereint zeigen, erscheint, wenn die Substanz gehörig
aufgequollen ist, radial gestreift. Bald bedarf es einer nur
geringen, bald einer beträchtlichen Auflockerung, um diese
Streifung zu zeigen. Auf Zellen mit fester Substanz muss
man eine ziemlich concentrirte Schwefelsäure einwirken
lassen. Die äusserste Schicht („primäre Membran") quillt
dabei nicht auf, wohl aber wird sie öfters von der innern
sich ausdehnenden Masse zersprengt. Von der letztem
dehnt sich die innerste Sohicht stärker in die Fläche ans
als die übrigen, und legt sich, besonders wenn die primäre
Membran unverletzt bleibt und die freie Ausdehnung hemmt,
134 Sitzung der maih.-phy8. Clane vom 9. Juli 1864.
in Falten. Dabei werden radiale Streifen achtbar, welche
bald äusserst fein und zart, bald ziemlich stark und breit
sind (Fig. 27). Dieselben verlaufen an den ebenen Seiten
der Zelle meistens parallel. An den Ecken und gebogenen
Seiten divergiren sie und werden nach aussen zahlreicher
und wenn man sie ganz deutlich sieht, so verzweigen sie
weh, wobei ein Streifen nach aussen sich in 2 — 5 theilt
Sie erscheinen altemirend hell und dunkel, indem sie aas
dichter und aus weicher Masse bestehen. Die innerste
Schicht, welche etwas dichter ist, als die übrige aufge-
quollene Masse, zeigt sich zuweilen gegliedert und besteht
aus einer Reihe von getrennten dichten Knötchen. Diese
Knötchen springen zuweilen etwas vor, so dass der Band
feingekerbt erscheint Von den Vorsprüngen setzen sich
die dichten, von den Einkerbungen die weichern Streifen
nach aussen fort Beide sind im wenig veränderten Zu*
stände fast von gleicher Breite, oder die dichten sind wenig
breiter. Je mehr aber die Substanz die Wirkung des
Quellungsmittels erfahren hat, um so breiter werden ver-
hältnissmässig die dichten Streifen, indess die weichen zu
feinen Spalten sich verschmälern. Die äusserste, nicht auf*
quellende Schicht der Wandung (primäre Membran) läset
in günstigen Fällen ebenfalls zarte Gliederung erkennen.
Die Knötchen, in welche sie sich auflöst, sind aber kleiner
und gedrängter als diejenigen der innersten Membranschicht
An dieser zählte ich 18— -32 Knötchen auf dem ganzen
Umfange. — Es geschieht zuweilen, dass die „primäre
Membran" an einem freiliegenden Querschnitt einer Zelle
zerreisst und dass sich derselbe umstülpt Dabei quellen
die dichten Streifen noch mehr auf und dehnen sich unge-
hindert in die Breite; sie trennen sich auch hin und wieder
von einander. Die weichen Streifen dagegen theils in Folge
von mechanischer Trennung, theils von chemischer Auf-
lösung erscheinen nun oft als wirkliche Spalten. — Die
Nägdi: Innerer Sau vegetabilischer Zeüenmembranen. 135
radialen Streifen der Querschnitte haben grosse Aehnlichkeit
mit feinen Poren; sie wurden auch von Schacht irrthüm-
licher Weise als solche erklart (Anat. Physiol. Taf. 2
Fig. 19).
7. Holzzellen der Laubhölzer.
Die Erscheinungen, die man an den Laubhölzern wahr-
nimmt, sind im Wesentlichen dieselben wie bei den Nadel-
hölzern. Doch findet man dort nicht so leicht wie hier
Allee bei einer Art vereinigt. Man muss, um zur Voll«»
ständigkeit zu gelangen, ein grösseres Material durchmustern.
Die Untersuchungen an verschiedenen Arten ergaben 1) Quer-
streifen ganz in gleicher Weise wie beim Fichtenholz,
2) Spiralfasern und damit parallele Spiralstreifen, 3) ausser
diesen Spiralfasern mit denselben sich kreuzende Spiral-
streifen und Poren, die in der Richtung mit den Spiral-
Streifen übereinstimmen, 4) Querstreifen und Ein System
von Spiralstreifen, 5) Querstreifen und zwei sich kreuzende
Systeme von Spiralstreifen.
Daraus folgt, dass bei den Laubhölzern wie bei den
Nadelhölzern in der nämlichen Membran Ring- und Spiral-
streifen vereint auftreten, dass die Spiralstreifen in den
nämlichen Schichtenoomplexen zwei sich kreuzende Systeme
bilden, von denen das eine in der Regel deutlicher ausge-
bildet ist, endlich, dass die stärker entwickelten Spiral-
streifen im äussern und innern Theil einer Membran un-
gleiche Wendung zeigen können, wobei die eine mit den
Porenkanälen, die andere mit den Spiralfaeern überein-
stimmt.
Die Holzzellen von Kerria japonica DG, verhalten
sich alle gleich. Sie zeigen Poren (ohne Höfe), Spiral-
fetsern und Ringstreifen (Fig. 40).. Die hin und wieder ver-
zweigten Spiralfasern haben südwestliche Wendung; die
Porenkanäle liegen in sehr steilen südöstlichen Spiralen.
13Ö Sitzung der math.-phys. CUme v*m 9. Juli 1664.
Die Ringstreifen treten in den mit Salpetersäure maoeriiten
und mit Schwefelsäure aufquellenden Membranen stellen-
weise sehr zahlreich und gedrängt auf. Sie sind besonders
im . Profil der liegenden Zelle deutlich , meistens nur in
einer schiefen Richtung (wie Fig. 40), zuweilen in zwei sich
kreuzenden Richtungen. Bei anderer Lage der Zelle sind
die Streifen horizontal. Der Winkel, den die Ringstreifen
mit der Horizontalen bilden, beträgt 12—20°.
Im Holze von Fagus sylvatica Lin. giebt es zweierlei
Zellen. Die kleinere Zahl ist weit und wenig dickwandig,
mit ab und zu verzweigten Spiralfasern und mit Poren
zwischen denselben, welche in entgegengesetzter Richtung
geneigt sind. Ueberdem beobachtet man undeutliche Spiral-
streifung. — Die meisten Holzzellen sind dickwandig und
mit deutlicher Ringstreifung versehen. Oft sieht man auf
den beiden Seiten der Zelle zahlreiche schiefe Streifen, die
sich nach der nämlichen Richtung kehren und spärliche
Streifen, die in entgegengesetzter Richtung verlaufen und
sich mit den erstem kreuzen. Andere Zellen zeigen hori-
zontale oder fast horizontale Streifung. Ausserdem kommen
an diesen dickwandigen Holzzellen Porenkanäle vor, welche
in der Flächenansicht sehr schmal erscheinen und sehr steil
ansteigen, und mit diesen Poren parallel laufende zarte
Spiralstreifen.
Eine im Wasser gewachsene Wurzel von Populus
di latata Ait. zeigte auf allen Holzzellen spiralige Streifung
in doppelter Richtung. Das eine System war stärker und
zuweilen allein deutlich; es. bildete mit der Zellenaxe einen
Winkel von mehr als 45°. Das andere System bestand aus
viel zartem, zuweilen ganz undeutlichen Streifen, welche
merklich steiler anstiegen und mit der Zellenaxe einen
Winkel von weniger als 45° ausmachten. Die schmalen
Poren stimmten in der Richtung genau mit den stärkern
Streifen überein. Die Wendung beider war in der Regel
Nagelt: Innerer Bau vegetabilischer ZeUenmembronen. 137
südöstlich (links); sie wurde bei Holzzellen, die nur an
andere Holzzellen grenzten, nie anders gefunden. Eine Wand
zwischen zwei Holzzellen zeigte somit 4 Systeme von Streifen,
zwei stärkere weniger steile und zwei schwächere steilere,
von denen jene beiden, ebenso diese unter sich entgegen-
gesetzte Neigung hatten, und von denen je ein stärkeres
and ein schwächeres der einen Zelle angehörten.
Unter den Holzzellen, welche die Gefasse berührten,
gab es indess manche, welche in der Wendung von den
übrigen abwichen, bei denen somit die stärkern Streifen
sammt den Poren eine südwestliche (rechtswendige) Spirale
bildeten. Die Wand, wo zwei antidrome Holzzellen sich
berührten, zeigten ebenfalls 4 Streifensysteme; es waren
hier aber die zwei stärkeren sammt den Poren einerseits,
anderseits die zwei schwächeren nach der nämlichen Seite
geneigt Nur war der Winkel der Neigung etwas verschie-
den und erlaubte es, die Streifen der beiden Zellen zu
unterscheiden.
An manchen Holzzellen wurde ferner Ringstreifung be-
obachtet. Dieselbe zeigte sich beiderseits auf dem Profil
der liegenden Zelle als schiefe Streifung bald nur nach
einer Richtung, bald nach zwei Richtungen.
Die Holzzellen von Lonicera sind mit Poren und
Spiralfasern versehen, diese mit südwestlicher, jene mit süd-
östlicher Wendung. Es giebt auch Zellen, in denen bei
gleicher Richtung der Poren die Fasern horizontal oder nur
wenig geneigt sind, und solche, wo die Fasern und die
Poren ziemlich rechtwinklig zur Zellenaxe verlaufen und
somit fast parallel geworden sind. Die Fasern gehen üb-
rigens, ihre Neigung zu den Poren mag die eine oder andere
sein, wohl über die Höfe, nicht aber über die Poren selbst
weg. Ausserdem ist die Zellwand mit zarten Spiralstreifen
versehen, welche in der Richtung mit den Poren überein-
188 Statung der math.-phys. Clause vom 9. Juli 1864.
stimmen, zuweilen indessen deutlich etwas steiler sind als
diese (Fig. 30).
Ich könnte diese Beispiele noch vermehren, sie würden
nichts Neues enthalten. Bald sind es Holzzellen mit Spiral«
fasern und mit Poren, die eine entgegengesetzte Wendung
zeigen, wie z. B. bei Aesculus Hippocastanum und Ro-
binia Pseudacacia; wenn Streifang sichtbar wird, so
folgt sie der Richtung der Poren. Bald sind es Holzzellen
bloss mit Poren und mit spiraliger Streiflmg. Bald endlich
sind es dickwandige Zellen mit ringförmiger Streifung, wie
z. B. bei Hakea pectinata.
8. Holzgefisse und Siebröhren.
Auf den Gefässen ist die Streifung selten deutlich zu
sehen. Was zuerst diejenigen mit abrollbaren Fasern be-
trifft, so haben dieselben eine allzudünne Wandung, um
daran eine Structur zu erkennen. Die Fasern ßdbst er-
scheinen gewöhnlich homogen. Doch beobachtete ich an
den Spiralgefassen im Blüthenschafte von Hyacinthus
Orient alis üw., als dieselben mit Schwefelsäure behandelt
wurden, deutliche Streifung. Jede Faser bestand aus vier
dichten weisslichen und drei dazwischen liegenden dunkeln
Streifen (Fig. 32 , wo die dichten hellen Partieen schattirt, .
die weichen weiss gelassen sind). Das Profil der Spiral-
faser zeigte ringsum eine dichtere Rindensubstanz und eine
weichere innere Masse. Jene war an der innern convexen
Seite scheinbar homogen; an der äussern ebenen Flache
dagegen war sie unterbrochen und liess vier dichte Partieen
oder Knötchen wahrnehmen. Es sind dieselben, welche auf
der Flächenansicht die Streifung bewirken.
Diese Thatsache erinnert an die Holzzellen mit Spiral-
fasern und Spiralstreifen. Bei den Holzzellen ist es meistens
nur ein Streifen, welcher sich verdickt und die Faser bildet,
während mehrere dazwischen unverdickt bleiben. Bei den
r
Nägeli: Innerer Bau vegeidMUseher Zellenmembranen. 139
Spiralgefäseen von Hyacinthus scheint die Faser je am 4
dichten Streifen der Wand entstanden zu sein, während nur
je einer dazwischen ausfiel.
Die TreppengefasBe von Cyathea dealbata Stv. lassen
auf der Flächenansicht ihrer Membran zwischen den Poren
zuweilen schiefe Streifang erkennen. Bald ist es nur ein
System, bald sind es zwei Systeme, die sich kreuzen. Die
Streifen and sehr zart und dicht gedrängt, abwechselnd hell
und dunkel und gleichen genau den gekreuzten Spiralstreifen,
die man auf Pareachymzellen, Holz- und Bastzellen beob-
achtet. Zuweilen sind auch nur einzelne Streifen beider
Systeme deutlich und diese stärker entwickelt; sie bilden
zwischen den leiterfönnigen Poren entweder einzelne schiefe
Linien oder sie verbinden sich zu V- und Xformigen Zeichen.
Die Neigung der Streifen zur Axe des Gefmsses beträgt 45°
oder etwas weniger. — Auf den Poren selbst zeigt sich nur
selten und äusserst zarte Streifang. Es sind, wie es scheint,
schiefe Linien, die bald nur nach einer Seite geneigt sind,
bald sich kreuzen und in der Richtung mit den Streifen
auf den verdickten Membranstellen übereinstimmen. In
andern Fällen zeigen die Poren eine feinponktirte Zeichnung,
welche an die Siebporen erinnert.
Aehnlich wie die Treppengefiisse von Cyathea ver-
halten sich die netzförmigen und netzförmig-porösen Gefässe
von Viburnum Lantana Lin. Sie sind mit zarten Streifen,
welche zu den Fasern quer verlaufen, gezeichnet. Diese
Streifen bilden oft ein undeutliches Netz weit; nur selten
sieht man deutlich, das» zwei Systeme paralleler Linien vor-
kommen, die sich unter einem spitzen Winkel kreuzen und
die, wie es scheint, unter annähernd gleichen Winkeln zu
den Fasern geneigt sind.
In der Wurzel von Populus dilatata Ait., deren
Holzzellen früher erwähnt wurden, zeigten auch die porösen
Gefässe deutliche Spiralstreifung. Ihre Poren beschreiben
[1864. IL 2.] 10
140 SUmmg dar matkrphjft. Cku$e wm 9. Juli 1864.
eine flach ansteigende südöstliche Spirale; der Winkel, den
dieselbe mit der Zellenaxe bildet, beträgt wenigstens 70°.
Oft auch sind die Poren beinahe oder wirklich horizontal,
und können sich im letztem Falle an der Wand zwischen
zwei Gefassen genau decken. In der Richtung der Poren
▼erlaufen zarte Streifen; zuweilen kommt nur ein System
vor und die zwei sich kreuzenden Sreifenrichtungen, welche
an der Wand zwischen zwei Gefassen sichtbar sind und den
gekreuzten Poren entsprechen, gehören verschiedenen Mem-
branen an (Fig. 39). Meistens jedoch befinden sich in der
nämlichen Membran zwei Systeme, welche sich unter einem
sehr spitzen Winkel sehneiden und ein Netz mit quer ge-
streckten rhombischen Maschen darstellen. Dieses Netz ist
oft mehr oder weniger unregelmässig; stellenweise macht es
den Eindruck, als ob die Streifen sich verzweigten und mit
einander anastomosirten. — Dass die sich kreuzenden und
das eben besagte Netz bildenden Streifen wirklich im glei-
chen Niveau liegen, sieht man stellenweise an der Wand
zwischen zwei Gefassen deutlich. Während nämlich häufig
das Netz einer Gefässmembran ziemlich horizontal verläuft
und dasjenige der anliegenden Membran deckt, lassen sich
in andern Fällen zwei Netze unterscheiden, also 4 Systeme
von Streifen ; das Netz, welches der Membran des zugekehr-
ten Gefasses angehört, steigt nach rechts, dasjenige in der
Membran des abgekehrten Gefasses nach links auf. Ferner
zeigt die Wand zwischen einem Gefass und einer Holzzelle
das fast horizontale Netz des erstem und die steiler an*
steigenden Spiralstreifen der letztern.
Auch auf den porösen Gefassen des Holzes von Hakea
pectinata Dum. Cours. wurde zarte Spiralstreifung in
doppelter Sichtung beobachtet.
NägeH: Innerer Bau vegetabilischer ZdleNmemibrmen. 141
9. Porenhöfe und Porenkantte.
Die Porenhöfe sind sehr oft, wenn die Membran ringB
um dieselben mit deutlichen Spiralstreifen gezeichnet ist,
entweder gar nicht oder nur undeutlich gestreift. Da die
Streifung sicher der Aasdruck von innern Vorgängen in dar
Zellwandung ist, so beweist deren Mangel in derjenigen
Partie, welche die Porenhöfe bedeckt, dass hier die gewöhn-
lichen räumlichen Verhältnisse der Ernährung gestört waren.
In einzelnen Fällen wird aber eine eigentümliche Streifung
auf den Höfen und auf den Porenkanälen beobachtet, und
wenn diese Erscheinung nicht häufiger und nicht stärker
aasgebildet auftritt, so liegt die Ursache theils an der
Kleinheit dieser Gebilde, theils möglicher Weise auch daran,
dass die Ursachen, welche die Streifungsriohtung der übrigen
Membran bedingen, hier ebenfalls noch in etwelchem Maasse
thätig sind und daher die eigentümliche Entwicklung zu
hemmen streben.
Die Streifung des Porenhofes wurde am deutlichstell
auf den Holzzellen der Fichte und Föhre gesehen. Die ge-
wöhnlichste Erscheinung ist ein weisslicher Bing, welcher
den Porenkanal zunächst umgiebt, und radiale Streifen,
welche von da bis an den Band des Porenhofes gehen
(Fig. 31). Bing und Streifung sind übrigens unabhängig
von einander; zuweilen kommt auch das Eine ohne das
Andere vor. Was zuerst den weisslichen Ring betrifft, so
ist derselbe meistens überall von gleicher Breite und daher
wie die äussere (kleinere) Mündung des Porenkanals von
rundlichovaler oder ovaler Form. Zuweilen ist er auf der
einen Seite breiter als auf der andern. Seine Deutlichkeit
ist sehr verschieden. Bald tritt er sehr entschieden hervor;
bald wird er kaum beobachtet^ bald ist er nur auf der
einen Seite sichtbar, auf der andern nicht. Dieser Bing
rührt vorzüglich davon her, dass die Decke des Hofes in
10»
142 dtehmg der matK-phy$. C&uw vorn 9. JuU 1904.
der Nähe des Kanals eine Biegung nach innen macht; er
igt also die Flichenansicht einer warzenförmigen Erhaben-
heit Ausserdem kommt zuweilen noch eine etwelche Ver-
dickung der Membran hinzu. Um skh hievon zu fiberzeugen,
ist es am zweckmässigsten , dflnne Längsschnitte durch das
Holz anzufertigen, dieselben in Gummi einzutrocknen und
dann noch einmal in anderer Sichtung zu durchschneiden.
Man erhalt dadurch kleine Stücke, die man unter dem
Mikroskop drehen und von jeder Seite ansehen kann.
Mit diesem Ring haben die radialen Linien auf dem
Ttipfelhofe nichts zu thun, und es ist zufällig, wenn die-
selben sich an ihn anzusetzen und von ihm auszugehen
scheinen. Sie können, wenn er mangelt, bis zu dem Poren*
kanale reichen. Rücksichtlich ihrer Stärke, Deutlichkeit und
Regelmässigkeit herrscht grosse Verschiedenheit. Die radialen
Ötreifen sind bald äusserst fein und zahlreich wie die fein-
sten Spiralstreifen, bald weniger zahlreich und stärker. Sie
können überall gleich entwickelt sein, oder auf der einen
Seite mangeln. Meistens sind sie regelmässig angeordnet,
?otn Gentruin gerade ausstrahlend und häufig nach aussen
mh in zwei Schenkel spaltend. Säten sieht man sie auch
gebogen und mehr oder weniger unregelmässig. — Ich be-
merke noch, dass die radialen Streifen auf dem Porenhofe
deutlich nur auf solchen Holzzellen gesehen wurden, welche
bloss Ringstrafen und keine Spiralstreifen zeigten.
Diese Beobachtungen lassen an und für sich verschie-
dene Erklärungen zu. Wenn indess das Verhalten der Qe-
fitaswandungen von Robinia, von dem ich sogleich sprechen
werde, berücksichtigt wird, so ist die Deutung kaum zweifei*
haft. Die den Porenhof auskleidende Membranschicht ist
gestreift, mit radieniormiger Anordnung der Streifen. Diese
bestehen entweder bloss aus abwechselnd dichter und weicher
Substanz, oder die dichten Streifen springen überdem noch
leistenförmig über die Fläche vor. Im letztern Falle hätte
Nägdi: Itmorer Bau vtfctabiUteker Zeltomewtbrmm. 143
die Oberfläche des Porenhofes das Ansehen des Dache*
einer runden Halle, welches auf radienförmig geordnete»
Sparren ruht
Die deutlichste Streifung der Porenkanäle wurde an der
Wandung der Gefässe im Holz von Robinia Pseuda«
eacia beobachtet. Wenn die Wandung dieser Porenkanäle
genau senkrecht steht, so ist die sie auskleidende Membran
aartgegliedert, indem die hellem Stellen eine Reibe von ge-
trennten Knötchen bilden, ganz in gleicher Weise wie auf
Querschnitten durch Zellwandungen zuweilen einzelne Schich-
ten zarte Gliederung zeigen« Dabei kann die Wandung des
Porenkanals entweder glatt sein (Fig. 85), oder es ragen
die Knötchen etwas vor. Steht aber die Wand schief, so
scheinen die ganzen Knötchen über die Fläche vorzuragen
und sehen selbst wie isolirte Körnern aus. Diess ist wegen
der trichterförmigen Gestalt des Kanals oft auf beiden
Seiten desselben der Fall (Fig. 36). Zuweilen erscheinen
die sahmalen Poren auch als zickzackförmige und unreget*
massig gebogene Spalten (Fig. 84).
Die Beobachtung des Porenkanals in der Fiächenansioht
der Zellwand spricht also dafür, dass die ihn auskleidende
Membranschicht mit Streifen gezeichnet ist, welche mit der
Axe des Kanals parallel laufen. Dieselben beruhen bald
bloss in einer Dichtigkeitsverschiedenheit der Substanz, bald
aber bilden sie sich an den dichten Stellen zu leistenartigen
Vorsprüngen aus. Mit dieser Deutung stimmt auch die An-
sicht des Porenkanals auf Wanddurohschnitten; sie zeigt
aber zugleich, dass die Streifen vorzugsweise an dem äussern
Ende des Kanals, da wo derselbe in den Hof mündet, aus*
geprägt sind*
Betrachtet man nämlich die Poren auf dünnen Durch-
schnitten durch die Zellmembran, so zeigt sich zwischen
dem Kanal und dem Hof eine Reihe von 3—5 dichten
Knötchen (Fig. 33,a). Zuweilen gewährt sie den Anschein
144 Sitnmg der maÜL-phys. CUme vom 9. Jüh 1864.
einer dünnen Wand, die ans dichtern and weichern Partieen
bestehe oder die siebartig durchbrochen sei. Bei vorsieh*
tiger Verschiebung des Focus gewinnt man aber die Ueber-
zeugung, dass in diesem Stadium die Wand zwischen Poren-
kanal und Porenhof meistens mangelt. Denn bei genau
mittlerer Einstellung sieht man die beiden Ecken sammt
den Rändern des Porus ganz scharf, die vermeintliche Wand
aber undeutlich; letztere wird deutlicher, wenn man etwas
höher oder tiefer einstellt. Die Knötchen befinden sich also
rings um den Rand der Porenkanahnündung. Zuweilen sieht
man, namentlich bei etwas schiefer Lage, dass dieselben sich
als Streifen mehr oder weniger weit, in den Kanal hinein,
selbst aber den ganzen Kanal verlängern (Fig. 33,b). Sel-
tener setzen sich, ebenfalls bei schiefer Lage, die Knötchen
als sehr zarte Streifen aber den Porenhof fort. Sie haben
hier eine radienförmige Anordnung ähnlich wie auf den
Holzzellen der Coniferen. Fig. 38 giebt eine schematiche
Darstellung der Streifung auf einem Porenkanal und dem
anliegenden Porenhofe. Auf der Flächenansicht der Zell-
wandung bemerkt man zuweilen am Umfange des Poren-
hofes einen Kreis von Knötchen (Fig. 37); es sind die
Enden der dichten radialen Streifen, die aber in dieser
Lage kaum sichtbar werden.
10. Streifung der Bastzellen.
Die Untersuchungen wurden vorzüglich an den Bast-
zellen der Chinarinde angestellt. Wenn dieselben durch
Maceration in verdünnter Salpetersäure isolirt worden, so
bringt die Behandlung mit verdünnter Schwefelsäure den
innern Bau meist sehr deutlich zur Anschauung. Je nach
der stattgehabten Einwirkung der Schwefelsäure werden
bald die Spiralstreifen, bald die Rangstreifen sichtbar. Ich
will zuerst von jenen sprechen.
Von Spiralstreifen sieht man häufig in einem Schieb-
Nagelt: Innerer Bau vegetabüiscker ZeUenmembrcmen. 145
tencomplex nur ein System. Bei günstigem Aufquellen wird
jedoch noch ein zweites schwächeres System bemerkbar,
entweder nur unvollständig und durch einzelne Linien an-
gedeutet oder vollständig und mit dem andern System ein
regelmässiges Netz mit rhombischen Maschen bildend (in
Fig. 42 sieht man die Oberfläche einer Bastzelle). Die
stärkern Streifen haben z. B. eine Breite von 1,8 — 1,5 Mik«*
die schwächern von 0,8 — 1 Mik. In jedem System sind die
weichen (dunkeln) und die dichten (hellen) Streifen unge»
fahr von gleicher Mächtigkeit.
Berücksichtigen wir bloss die starkem Streifen, die
meistens auch allein sichtbar sind, so bietet sich sogleich
die Wahrnehmung dar, dass sie in den verschiedenen Schich-
ten einer Membran einen ungleichen Verlauf nehmen. Ge-
wöhnlich scheidet sich die Membran in zwei ungefähr gleich
dicke Hälften, welche die entgegengesetzte Wendung der
Spiralstreifen aufweisen. Diejenigen der äussern Hälfte
steigen gewöhnlich südwestlich (rechts), die der innern süd-
östlich auf; ausnahmsweise kommt auch der umgekehrte
Fall vor. In Fig. 41 sieht man die dichtgedrängten Streifen
des äussern Schichtenoomplexes (a— a); von den Streifen
des innern Complexes (b — b) sind nur einzelne stärkere an
dessen Oberfläche deutlich. Die Strafen der äussern Hälfte
sind rücksichtlich ihrer Neigung sehr verschieden ; der Winkel,
den sie mit der Zellenaxe bilden, variirt von 25—75°, so
dass sie also bald sehr steil, bald beinahe horizontal sind.
Die innern Streifen dagegen steigen immer sehr steil empor;
sie schneiden die Zellenaxe gewöhnlich unter einem Winkel
von 15 — 25°. Nur selten beobachtet man, dass die äussern
und die innern Streifen einer Membran die gleiche Neigung
von 25° (aber in entgegengesetzter Richtung) besitzen. Aus*
nahmsweiee vermindert sich die Steigung der innern Streifen
noch mehr, so dass sie weniger steil als die äussern sind.
Einzelne besonders günstig aufgequollene Bastzellen
146 &tfim? dar math.-phy$. Oot« w» 9. JuU 1S64.
lassen selbst 3 und 4 Streif ensjeteme in verschiedenen
Schichtencemplexen der gleichen Wand erkennen. Dabei
scheint es aber, dass der Wechsel in der Wendung nur ein-
mal eintritt, und dass einerseits die verschiedenen Schiebten*
complexe der äussern, anderseits die der inaern Hälfte,
unter sich homodrom, nur durch einen angleichen Neigungs-
winkel von einander abweichen.
Mit der Richtung der starkem Spivalstreifen stimmt
die Richtung der Porenkanäle überein; dieselben sind zu-
sammengedrückt und erscheinen in der Flächenansioht der
Zellwand als schmale Ellipsen. Häufig sind sie aber nur
in der innern Hälfte der Zellwand deutlich und folgen dann
meist einer südöstlichen (linkswendigen), zuweilen aber auch,
einer südwestlichen Spirale. Wenn die Porenkanäle auch
in der äussern Partie der Membran gesehen werden, so
haben sie hier die entgegengesetzte Neigung. An besonders
günstigen Objekten kann man, bei vorsichtiger und lang*
samer Veränderung des Foeus die verschiedenen Lagen des
Porenkanales allmählich in einander übergehen sehen. So
zeigte an einer Bastzelle mit exoeptioneller Wendung der
Spiralstreifen der Porenkanal bei Einstellung auf die äussere
Oberfläche die Richtung einer südöstlichen Spirale ; bei etwas
tieferer Einstellung wurde er mit der Zellenaxe parallel ; bei
noch tieferer Einstellung neigte er sich nach der entgegen«
gesetzten Seite zu einer südwestlichen Spirale; und als der
Focus in der Nähe der Zellhöhlung anlangte, nahm der
Porenkanal wieder die Richtung der Zellenaxe an. Die zu-
sammengedrückten Porenkanäle dieser Bastzellen sind also
um ihre eigene Aze gedreht; die Drehung beträgt etwa
60 — 90°. Fig. 45 giebt eine schematische Ansicht eines
solchen Porenkanals.
Die Ringfasern werden zuweilen schon an unveränder-
ten Bastzellen gesehen; doch treten sie dann meist nur
vereinzelt auf. Um die ganze Substanz in Querctreifen auf
NägeU: Innerer Bau vegetabilischer Z&enmembrcmen. 14T
fttlösen, bedarf es in der Regel eines bestimmten Quellungs-
grades. Nicht selten beobachtet man an der nämlichen
Bastzelle stellenweise spiralige und stellenweise ringförmige
Streifung. Da dabei gewöhnlich die verschiedenen Stellen
ungleich gequollen sind, so macht es den Eindruck, als ob
verschiedene Quellungagrade die Substans der Zelle in Ring-
oder Spiralstreifen zerlegen könnten. Doch ist es auch
möglich und zugleich wahrscheinlicher, das» die beiden
Streifenarten auf verschiedene Partieea einer Zelle ver*
theilt sind.
Die Natur der Bingstreifen läset sich an den Bastzeüea
der Chinarinde fast ebenso gut studiren, wie an den Hol*
seilen der Coniferen. Sie haben auch die nämliche Anord-
nung wie dort und zeigen die gleichen Eigentümlichkeiten
des Vorkommens. Bald sind sie stärker und wenig zahl*
reich, bald sehr zahlreich und dichtgedrängt. Die beiden
Systeme bilden mit der Zellenaxe den nämlichen Winkel,
welcher meistens zwischen 65 und 70° beträgt, und schnei-
den sich symmetrisch. Wenn sie an der liegenden Bast*
seile sich in senkrechter Stellung befinden, so sind sie jede
unter einem Winkel von 70 bis 65° zur Zellenaxe und so*
mit unter einem Winkel von 40 bis 50° zu einander ge-
neigt, während sie bei jeder andern Stellung einen kleineren
Winkel bilden und bei einer bestimmten Lage horizontal
und parallel werden. Fig. 48 zeigt das Ende einer Bast*
seile, welche durch concentrirte Schwefelsäure von der
Oberfläche aus angegriffen und gelöst wird. Man sieht nur
•das eine System von Querstreifen in wenig schiefer Lage.
Die gekreuzte Spiralstreifong sowie die gekreuzte Bing-
etreifung ist jede für sich in einzelnen Fällen sicher und
deutlich nachzuweisen. Es giebt indess eine Erscheinung,
die man hin und wieder an den gequollenen Bastzellen der
Chinarinde beobachtet, und über deren Deutung ich im
Zweifel bin. Diess ist eine Querstreifung zwischen den
148 Siteimg der math>-phys. Claste um 9. Jtdi 1864.
Spiralstreifen. Sie besteht in feinen, scharfen, oft zarten
Rissen ähnlichen Querlinien, die meistens unterbrochen sind,
und bald nur bei bestimmten Einstellungen, bald aber bei
jeder Einstellung gesehen werden. Ich bemerke noch, das*
ich sie gewöhnlich dann beobachtete, wenn nur das eine
System von Spiralstreifen sichtbar war. Es bleibt nun frag-
lich, ob, wie es allerdings wahrscheinlicher ist, diese Quer»
linien den gleichen Schichten angehören, welche die Spiral-
streifen enthalten, und ob sie in diesem Falle vielleicht das
zweite System von Spiralstreifen mit sehr flacher Steigung
darstellen, — oder ob einzelne Schichtencomplexe zwischen
den übrigen eine besondere Structur besitzen. Uebrigens
ist auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass es nicht
Streifen, sondern zarte Querrisse sind; denn es ist That-
sache, dass die Substanz der verschiedenen Schichten un-
gleich aufquillt und dass sie in Folge dessen vielfache Ver-
schiebungen erfahrt. In Fig. 44 ist ein Stück einer solchen
Zelle dargestellt, wo man an der Oberflache Spiralstreifen
und wenig schiefe Querstreifen beobachtet.
Die Bastzellen von Linum usitatissimum Li*., für
deren Untersuchung man alte Leinwand benutzen kann,
zeigen im unveränderten Zustande Querlinien, welche ent-
weder rechtwinklig oder schiefwinklig über die Zellen ver-
laufen und im letztern Falle oft sich kreuzen (Fig. 46).
Beim Rollen des Fadens erscheinen sie bald schief, bald
gerade; der Wechsel tritt je nach einer Viertelsumdrehung
ein. Zuweilen sind sie auch etwas gebogen oder sonst an-
regelmässig und häufig bleiben sie beim Rollen dss Fadens
nicht in allen Lagen deutlich. Meistens sind sie durch
glatte kurze Intemodien getrennt, so dass ein Knoten zwischen
je zwei Internodien mit mehreren gekreuzten,, oder auch
parallelen, seltener mit einer einzigen oder mit zahlreichen
Querlinien gezeichnet ist.
Diese Querlinien werden nicht durch die verschiedene
Nägeli: Innerer Bau vegetabilischer ZeUenmembranen. 149
Dichtigkeit der Substanz hervorgebracht, sondern sind wirk-
liche Risse. Diess ergiebt sich klar aus dem Umstände,
dass sie an trockenen in Oel liegenden Fäden noch deut-
licher sichtbar sind als im Wasser. Die Zeichnung, welche
der ungleiche Wassergehalt in befeuchteten Körpern hervor-
treten läset, verschwindet im trockenen Zustande, so die
Schichtung und Streifung. Die beschriebenen Risse stehen
aber mit der verschiedenen Dichtigkeit der Substanz in ge-
wissem Zusammenhang, und sind wohl nichts anderes als
weiche Ringstreifenlamellen, welche sich in wirkliche Spal-
ten verwandelt haben, sei es in Folge des Wachsthums, sei
es in Folge des Austrocknens oder einer andern mecha-
nischen Ursache. Lässt man die Leinwandfasern durch
Schwefelsaure aufquellen, so treten oft zahlreiche und zarte
Ringstreifen auf, welche mit den schon früher sichtbaren
Rissen parallel laufen und sich ebenfalls schief durch-
kreuzen.
Den stärkern Querlinien entspricht meistens eine Bie-
gung des Randes; häufig zeigen sich auch die innern Schich-
ten, insofern man dieselben erkennt, an dieser Stelle ver-
bogen. Dass eine solche Verfaiegung der Schichten an allen
Querlinien der trockenen Leinwandfasern vorhanden sei,
auch wo man dieselbe nicht wahrnimmt, ergiebt sich aus
der Beobachtung mit polarisirtem Lichte. Wenn die Zellen
sich zu den Prismen in orthogonaler Stellung befinden und
somit auf dem dunkeln Gesichtsfelde ebenfalls dunkel er-
scheinen, so sind alle Querlinien von Interferenzfarben er*
hellt. Da die Substanzmoleciile so orientirt sind, dass eine
Elastizitätsaxe auf der Fläche der Schichten senkrecht steht,
so ist es noth wendig, dass die Schichten in der erhellten
Linie von dem geraden Verlaufe abweichen.
Die zahlreichen Ringstreifen, welche beim Aufquellen
vermittelst Schwefelsaure sichtbar werden, sind gewöhnlich
auf die Stellen der Leinwandfasern beschränkt, die ich als
150 SiUung der matK-phy$. Ckme vom 9. Juli 1861.
Knoten bezeichnet habe. An den Internodien beobachtet
man zuweilen zarte Spiralstreifen, bald nur ein System,
bald zwei sieh kreuzende und zur Zellenaxe ziemlich gleich,
geneigte Systeme.
An den Bastfasern von Cannabis sativa Lin* , auf
welche Schwefelsäure einwirkt, beobachtet man ebenfalls
theils Ringstreifen, theils Spuralstreifen. Die entern sind
schon im wenig veränderten Zustande deutlich.
Die Bastzellen im Blatte von Agave americana Litu
haben wenig verdickte Wände. Dieselben sind spiralig-ge-
streift mit südostlicher Wendung. Die dichten Streifen er-
schienen in günstigen Fällen zartgegliedert , ab ob sie aus
einer Reihe von Knötchen beständen. Diese Erscheinung
war aber nicht in der Art ausgebildet, dass sie den An-
schein eines zweiten Streifensystems und somit einer eigent-
lichen Kreuzung hervorgerufen hätte.
Die Bastzellen von Vinca minor Lin. und Y. major
Lin. haben, wie diejenigen der Chinarinde, in der äussern
und innern Membranhälfte antitrope Spiralstreifen. Die
äussern sind südöstlich- (links), die innern südwestlich-ge-
wunden; doch kommt auch das Umgekehrte vor. Die Nei-
gung beider zur Zellenaxe ist beinahe die nämliche. Die
Streifen sind ungleich stark; namentlich zeigen sich ein-
zelne weiche Streifen breiter und spaltenförmig. Desswegen
erscheint häufig die Masse in Bänder abgetheilt, welche je
aus 2 bis 4 dichten Streifen bestdien, und welche den Ein-
druck machen, als ob sie durch Theilung eines einfachen
Streifens entstanden wären. Auch Verzweigung der Streifen
kommt hin und wieder vor. — Das zweite System, welches
sich mit den. stärkern Spiralstreifen kreuzt, wurde nur
selten und undeutlich gesehen. Dagegen trat auch hier
einige Mal die Erscheinung auf, welche an den Bastzellen
der Chinarinde beobachtet wurde. Mitten in der Substanz
und zwar, wie es schien, ziemlich zwischen den antitrop
NägeJi: Inner» Bau vegetabilischer Zetletmembranen. 151
9 9
gestreiften Schichtencomplexen zeigten sich zarte, unter-
brochene Querstrtifen , welche feinen Rissen sehr ähnlich
waren und zuweilen ein Netz zu bilden schienen.
11. Quellungsergcheftinngen der Bastfasern.
Die Queßungserschekiungen können uns darüber Auf-
schlüge geben, welche Verschiedenheit zwischen den Flüssig*
keitsmengen besteht, die der nämliche räumliche Punkt in
den verschiedenen Richtungen einlagert und wie sich die
verschiedenen Partieen einer Membran in dieser Beziehung
zu einander verhalten. Es handelt sich dabei, wie ein«
leuchtet, namentlich um den Gegensatz einerseits zwischen
weichen und dichten Lamellen (Schichten, Streifen), ander*
seHs zwischen Schichtung und den beiden Streifungen. An*
dere Anforderungen kann man an die Quellungserscheinungea
an und für sich nicht stellen.
Ich habe schon Eingangs von einem Versuche Cr (ig er* s
gesprochen, durch Messungen an aufquellenden Membranen
m entscheiden, qb dieselben aus Primitivfasern bestehen
oder nicht. Derselbe sagt (Bot. Zeit. 1854 p. 853), es
gebe drei Möglichkeiten für die Einlagerung der Feuchtig-
keit: A zwischen die Primitivfasern, B zwischen die Schich-
ten, G zwischen die Molecüle. Ist schon dieser Gegensatz
auffällig, so zeigen die Betrachtungen, die daran geknüpft
werden, wie wenig klar der Verfasser über seine Aufgabe
ist. Es musste sich für seine Auffassung vor Allem darum
handeln, ob die sogenannten Fasern bei der Quellung
der Membran ebenfalls quellen, somit sich verlängern oder
nicht. Diess irar leicht durch Messung festzustellen. Wenn
die Länge der Zelle durch 1 und der Winkel, den die Faser
mit der Axe bildet, durch « aasgedrückt wird, so ist die
mit x bezeichnete Länge der Faser
= l
Cos «
152 SiUmg der maih.-phys. dam vom 9. Juli 1864.
und es verhält sich, wenn die analogen Grössen in der ge-
quollenen Zelle T und af sind, die Länge der Faser vor
und nach der Quellung wie
1 1'
Cos et Cos et
Zunächst ist festzustellen, dass, wie sich zum Voraus
annehmen Hess, die Spiralstreifen beim Aufquellen der
Membran sich verlängern. Diess ergiebt sich sowohl aus
vielen Messungen Crüger's, als aus meinen eigenen Be-
obachtungen. — Ferner konnte auf ähnliche Weise ermit-
telt werden,*' wie gross die Ausdehnung in einer zu den
Fasern rechtwinkligen Richtung ist. Daraus Hessen sich
für das Verhalten der Membranen nicht uninteressante
Thatsachen gewinnen. Für den Zweck aber, für den Crü-
ger seine Beobachtungen anstellte, nämlich für die Ent-
scheidung der Primitivfaserfrage, konnten sie selbstverständ-
lich nicht verwerthet werden. Denn erstens hat die Exi-
stenz der Primitivfaser nichts damit zu thun, ob sie Quell-
ungsfähigkeit besitze oder nicht, und zweitens lässt sich
durch Messung nur ermitteln, ob ein Aufquellen in der
Längsrichtung der Faser, nicht aber ob ein solches in ihrer
Querrichtung stattgefunden habe«
Zur Erledigung der Fragen, welche sich bezüglich der
Quellungserscheinungen darbieten, bedarf es umsichtiger
Behandlung und grosser Genauigkeit im Messen. Derjenige,
der sich mit solchen Untersuchungen beschäftigt hat, und
weiss, wie viel Zeit, Mühe und misslungene Versuche dazu
gehören, um nur eine einzige sichere Angabe machen zu
können, erstaunt daher billig über den Wald von Zahlen,
welche der Verfasser vorführt. In der That erweisen sich
dieselben als im höchsten Grade unzuverlässig.
Als Beleg genügt die Thatsache, dass in einer ganzen
Reihe von Fällen die Messungen Crüger's eine beträcht-
liche Verkürzung des Spiralstreifens während des Quellens
NägeU: Innerer Bau vegetabilischer Zdknmembranen. 153
ergeben, denn es ist nach sein«: Angabe einerseits die Zelle
kürzer, anderseits die Steigung der Streifen steiler geworden.
Es versteht sich von selbst, dass diess eine Unmöglichkeit
ist. Im günstigsten Falle könnte der Spiralstreifen seine
ursprüngliche Länge behalten, wenn nämlich die Einlager-
ung der WasBertheilchen und die Ausdehnung ausschliess*
lieh rechtwinklig zu demselben erfolgte. Unter jeder andern
Voraussetzung muss er an Länge zunehmen. Wo so grobe
Irrthümer vorkommen, ist der Ausspruch gerechtfertigt,
dass die Messungen Crüger's vollständig unbrauchbar sind.
Was meine eigenen Untersuchungen betrifft, so war es
mir zwar nicht möglich, das Maass der Aufquellung in den
Richtungen defr beiden Streifensysteme zu bestimmen. Die
Unsichtbarkeit der Streifen in den geringern Quellungsgraden
und der Umstand, dass dieselben in den verschiedenen Schich-
ten ungleich zur Zellenaxe geneigt sind, vereiteln bis jetzt
alle Versuche, zu sichern Messungen zu gelangen. Doch
gewähren die gewonnenen Resultate immerhin einiges In*
teresse, und geben - Fingerzeige für fernere Untersuchungen.
Als Quellungsflüssigkeiten wurde Schwefelsäure und
Kupferoxydammoniak angewendet, erstere mit und ohne
Jod. An der dickwandigen Bastzelle unterscheidet man
beim Aufquellen drei verschiedene Theile, die gewöhnlichen
Wandschichten, die äussente Schicht und den Inhalt. Der
Inhalt erscheint als ein dünner, fadenförmiger, meist hin
und her gebogener Strang, der durch Jod und Schwefel-
säure sich gelb färbt (Fig. 55,a — a; 54,a).
Die äusserste Membranschicht (primäre Membran,
Oberhäutchen) widersteht den Quellungsmitteln manchmal
energisch, wie diess bereits von Cr am er (Vierteljahrsschrift
der naturforschenden Gesellschaft in Zürich 1857) beob-
achtet wurde und färbt sich durcli Jod und Schwefelsäure
gelb bis braun, während die stark aufquellenden übrigen
Membranschichten schön gebläut werden. Sie wird durch
164 8tonmg der mafk-pkyg. CU*$e vom 9. JnH 1864.
die letztern meist unrqgelmässig zerrissen und bedeckt die
Gallerte als Flocken und Fasern. Diess beobachte man
2. B. bei den Basteellen der Chinarinde.
Zuweilen vermag das Oberhäutchen den ganzen Quell*
tmgaprozess so zu 8 tönen, dass man keine Messungen an*
stellen kann. Diees ist besonders bei den Basfasellen des
Hanfes der Fall. Das nicht aufquellende Oberhautdien
wird auch hier zerrissen. Da es aber eine bedeutende
Zähigkeit besitzt, so schnürt es die Ton ihm umschlossene,
sich ausdehnende Substanz stellenweise zusammen. Gewöhn*
lieh bildet sich in demselben eine schraubenförmige Spalte,
durch welche die innere Substanz heraustritt. An der stark
aufgequollenen Bastfaser stellt dann das Oberhäutchen ein
schmales Spiralband dar, welches sie mehr oder weniger
stark einschnürt (Fig. 54,b). Stellenweise, oft in regel-
mässigen Intervallen, geht das Sohraubenband in Ringe
über (Fig. 55,b; die Windung c liegt auf der zugekehrten,
d auf der abgekehrten Seite), so dass die Zelle rosenkranz-
förmig erscheint. Zuweilen sind, statt eines, zwei Spiral*
bänder vorhanden. Die Wendung derselben ist immer süd-
östlich (links).
Wenn eine Bastfaser deutlich ausgebildete Ringstreifen
hat, so werden dieselben zuerst von dem Quellungsraittel
angegriffen. An den Bastzellen des Hanfee blauen sich bei
Einwirkung von Jod und Schwefelsäure einzelne besonders
entwickelte weiche Ringstreifen und bilden gefärbte Quer«
linien, während die übrige Substanz noch farblos ist. Be-
sonders aber sind es die Lemfasern , an denen sehr be-
merkenswerte Erscheinungen auftreten. An diesen Zellen
wechseln, wie ich schon früher erwähnt habe, Ringstreifen
und Spiralstreifen oft in regelmässiger Weise, so dass sie
wie gegliedert erscheinen. Die Gelenke sind durch einige
Ringstreifen bezeichnet, an den Internodien wird beim Auf-
quellen Spiralstreiftmg sichtbar.
NägeU: Innerer Bau vegetabilischer Zdlenmembranen. 155
Die Wirkung der Schwefelsäure giebt sich zuerst an
den durch Ringstreifen charakterisirten Gelenken kund. Die-
selben werden knotenförmig aufgetrieben. Die aufgequollene
Masse blättert sich von aussen nach innen gleichsam in
Schichten ab (Fig. 47), zerfallt dann in Körnchen und ver-
schwindet bald dem Auge gänzlich. Die Bastfasern zeigen
nun das entgegengesetzte Verhalten von früher: während
bei der ersten Einwirkung der Säure die Gelenke durch
die aufquellende Substanz verdickt waren , sind sie jetzt,
weil diese Substanz gelöst wurde, verdünnt (Fig. 48). —
Später zerfällt d\e Bastfaser in isolirte spindelförmige
Stücke. Fig. 49 zeigt ein solches Stück mit den äussern
stark aufgequollenen und im Verschwinden begriffenen
Schichten. Zuweilen beobachtet man Spindeln jederseits
mit einem pyramidenförmigen Aufsatz von weicher, zart
geschichteter Substanz, der die Dicke der Faser um das
Sechsfache übertreffen kann.
Dieses eigentümliche Verhalten der Bastzellen von
Linum wird durchaus nicht immer beobachtet, wenn man
Schwefelsäure mit denselben zusammenbringt. Es scheint
vielmehr auf eine ganz bestimmte Goncentration derselben
oder auf einen bestimmten Grad ihrer Einwirkung beschränkt
zu sein. Es ist nicht selten der Fall, dass von einem
grössern Präparat nur auf einer kleinen Stelle die Fäden
in der angegebenen Weise in Stücke zerfallen, während alle
übrigen andere Quellungserscheinungen zeigen. Uebrigens
hängt es auch davon ab, wie der Schwefelsäurestrom mit
den Zellen in Berührung kommt. Trifft er auf das Ende,
so erweitert sich dasselbe trompetenförmig. Trifft er aber
auf die Seite und umspült somit gleichzeitig die ganze
Zelle, so treten die knotenförmigen Anschwellungen auf.
Endlich hat auch die vorgängige Behandlung der Leinfaser
einigen Einfluss. Die Abblätterung der Schichten wurde
[1864. ü. 2.] 11
156 BiUvmg Aar math.-phys. Classe vom 9. Juli 1864.
namentlich schön an solchen gesehen, die in Salpetersäure
macerirt worden waren.
Ein concentrirteres Lösungs- oder Queüungsmittel greift
die Substanz von der Fläche aus an und schreitet allmäh-
lich nach innen vor, wie es in dem vorhin beschriebenen
Versuche der Fall war. Ist dasselbe sehr verdünnt, so
durchdringt es sogleich die ganze Substanz und übt die
quellende Wirkung in allen Punkten gleichzeitig. Ein Mittel
von mittlerer Concentration dringt mit massiger Schnellig-
keit ein; die ganze Substanz dehnt sich aus, aber die
äussern Partieen eilen den innern voran und sind stärker
aufgequollen als diese« Dadurch werden bemerkenswerthe
Veränderungen an den Präparaten bewirkt.
Vorerst muss ich bemerken, dass in Folge der Quellung
die Bastzellen dicker und kürzer werden. Nachher werde
ich näher darlegen, in welchen Verhältnissen diess der Fall
ist. Die von aussen nach innen fortschreitende Wirkung
eines Quellungsmittels von mittlerer Concentration macht
sich nicht bloss dadurch geltend, dass die Enden sich er-
weitern und mehr oder weniger trompetenförmig werden,
sondern auch dadurch, dass ein äusserer Schichtencomplex
sich stärker verkürzt als der innere. Eine Zelle in diesem
Stadium macht den Eindruck, als ob die innern Schichten
stärker in die Länge gewachsen wären, als die äussern.
Es lässt sich diess sehr schön an den Bastzellen des
Leins nachweisen. Wenn man dieselben in verdünnter
Schwefelsäure oder in Kupferoxydammoniak aufquellen lässt,
so treten häufig an dem Ende des Fadens die innern
Schichten heraus. Schneidet man die Fäden in kurze Stücke,
so treten sie an beiden Enden heraus (Fig. 52). Zuweilen
scheidet sich die ganze Wanddicke in drei Partieen, welche
an den Enden ebensoviel Absätze bilden (Fig. 53).
In längern Fäden, wo die innern Schichten nicht her-
austreten können, biegen sich dieselben wellenförmig (Fig. 51).
Nägdi: Itmeter Bau vegetabilischer ZeÜenmembranen. 157
Mao bemerkt auch oft, dass an den sich auf einander ver-
schiebenden Schhshtencomplexeo je die innerste Schicht
wellenförmig geworden ist (Fig. 50). Es beweist diese, dass
die Schichten nicht etwa nach Complexen sich gleich ver-
halten, sondern , dass jede äussere das Bestreben hat , sich
stärker zu verkürzen, als die nächst innere. Die dadurch
bewirkte Spannung vermag aber nur an einer oder zwei
Stellen die Schichten von einander zu (rennen und auf
einander zu verschieben. An diesen Stellen bilden sich
wirkliche Spalten, wie sowohl die Seitenansicht als der
Querschnitt zeigt.
Um einen Begriff von den obwaltenden Differenzen zu
geben, theile ich folgende Messungen mit. In dem kurzen
Fadenstück, welches in Fig. 59 von der Seite und in der
Queransicht dargestellt ist, waren die äussern Schichten
15, die innern 19 Mik. lang. In drei andern Stücken, ähn-
lich wie Fig. 52, wurden folgende Längen gefunden, wobei
natürlich nicht die geraden Entfernungen zwischen den End-
punkten, sondern die Krümmungen gemessen wurden.
Aeosserer Band desäuasemSchichtencomplexes
Innerer „ „ „ „
Aeasserer Rand des innera Schichtencomplexes
Innerer „ „ „ „
Die stärkere Verkürzung der äussern Schiebten ist
zwar zunächst eine Folge der von aussen nach innen fort-
schreitenden Wirkung des Quellungsmittels. Indessen bleibt
auch nach längerer Einwirkung noch ein Unterschied in der
Länge der Schichten zurück, so dass die inneren fortwäh-
rend die äusseren überragen. Diess beweist, dass die äussern
Schichten an sich die Fähigkeit besitzen, sich stärker zu
verkürzen, als die innern; eine Fähigkeit, die aber nur
dann sich.realisirt, wenn durch ungleichzeitiges Aufquellen
11*
Mik.
Mik.
Mik.
66
n
70
71
88
82
92
104
111
100
119
120
158
SitMung der math.-phys. (Rasse vom 9. Juli 1864.
die Spannung zwischen den Lamellen der Membran so gross
wird, dass eine Trennung und Verschiebung erfolgt.
Die Bastzellen des Leins eignen sich ganz gut, um
daran die während des Aufquellens erfolgende Verkürzung
und Verdickung zu mesden. Sie werden zu diesem Ende
in kurze Stücke geschnitten, damit das Quellungsmittel
möglichst gleichmässig einwirke. Neben Stücken, deren innere
Schichten, wie vorhin beschrieben wurde, sich herausschie-
ben, und andern, die ohne gerade diese Erscheinung zu
zeigen, doch an den Enden stärker aufquellen, giebt es
auch solche, die cylindriscb bleiben. An den letztem wur-
den folgende Zahlen, welche die Dimensionen in Mikro-
milümetera ausdrücken, gewonnen:
1
2
3
4
5
6
7
Länge in Wasser
Länge in
85
78
73
71
51
53
50
Kupferoxydammoniak
42
47
33
55
15
33
34
Breite in Wasser
17
18
20
15
19
16
19
Breite in
Kupferoxydammoniak
Öylinderfläche in
86
89
121
47
93
61
46
Wasser
4541
4413
4589
3347
3045
2665
2986
Cylinderflache in
Kupferoxydammoniak
11352
13147
12549
8124
4384
6327
4915
Querschnitt in
Wasser
227
255
314
177
284
201
284
Querschnitt in
Kupferoxydammoniak
6811
6224
11504
1736
6796
2924
1662
Kubikinhalt in
' Wasser
19295
19890
22922
12567
14484
10658
14200
Kubikinhalt in
Kupferoxydammoniak
244062
292528
379632
95480
101940
96492
56508
Bei folgenden zwei Beispielen wurden während des
langsamen Aufquellens mehrere Messungen vorgenommen:
Nagelt: Innerer Bau vegetabilischer Zettenmembranen. 159
8
in Wasser
in Kupferoxydammoniak
Länge
38
83
25
21
Breite
17
30
42
55
Cylinderfläche
2030
3111
3300
3630
Querschnitt
227
707
1386
2877
Kubikinhalt
9
Länge
8626
•
23332
34650
49917
44
35
31
24
Breite
18
31
38
63
Cylinderfläche
2489
3410
3702
4762
Querschnitt
256
755
1135
3118
Kubikinhalt
11220
1
26425
35185
74882
Wie aus diesen Messungen ersichtlich ist, kann sich
ein länglicher Cylinder durch das Aufquellen in eine flache
Scheibe verwandeln. Derselbe kann sich nämlich auf */*i
selbst auf V* und V* seiner ursprünglichen Länge ver-
kürzen, während sein Durchmesser bis auf das 4*, selbst
bis auf das 5- und 6fache sich ausdehnen kann. Damit ist
natürlich immer eine beträchtliche Volumenzunahme ver-
bunden.
Ich habe den Messungen die Berechnung der Seiten-
fläche, des Querschnittes und des Volumens des Cylinders
beigefügt. Auf allzugrosse Genauigkeit dürfen diese Zahlen
nicht Anspruch machen, indem nicht selten während des
Aufquellens die regelmässige Form etwas alterirt wird.
Doch ist diess von keinem Belang, da es sich immer um
sehr grosse Differenzen handelt. Der Querschnitt ver-
grössert sich auf das 10-, 20- und 30fache, während die
Cylinderfläche nur auf das l1/« — 3fache zunimmt. Wie
die Seitenfläche des Cylinders verhalten sich die einzelnen
Schichten desselben.
Mas könnte also auch sagen, eine die Axe unter einem
rechten Winkel schneidende Molecularschicht wachse durch-
schnittlich lOnial mehr in die Fläche, als eine solche,
160 Sitsung der math.-phys. CUme vom 9. Juli 1864.
welche in Form eines Cylindermantels die Axe concentrisch
umschliesst. Doch wäre es jedenfalls eine ganz irrthüm-
liche Vorstellung, wenn man annehmen wollte, es rücken
beim Aufquellen in der erstgenannten Fläche die Molecüle
10 Mal weiter aus einander als in der zweiten. Die Ein-
wirkung der Quellungsmittel hat nämlich ohne Zweifel ein
Zerfallen der Molecüle in kleinere und zugleioh eine theil-
weise Verschiebung der letztern zur Folge.
Noch viel irriger wäre es, wenn man aus der That-
sache, dass die aufquellenden Cylinder sich verkürzen, den
Schluss ziehen wollte, es rücken die Molecüle in der Längs-
richtung zusammen. Denn mit dem Kürzerwerden findet eine
Drehung des Cylinders statt, was man an den Spiralstreifen
deutlich sieht. Ihre Windungen werden niedergedrückt,
so dass sie weniger steil ansteigen und mit der Axe einen
grössern Winkel bilden. Dabei wird jeder einzelne Streifen
absolut Fänger, und ohne Zweifel gilt dasselbe für die
Molecularreihen, die wohl mit den Streifen in der Richtung
zusammenfallen. Da beim Aufquellen die Cylinderfläohe
und ebenso jede einzelne mit ihr concentrische Molecular-
8chicht auf eine grössere Fläche sich ausdehnt, so ist die
Möglichkeit vorhanden, dass, vermöge einer für die gegebene
Molecularanordnung gunstigen Drehung je die benachbarten
räumlichen Punkte in allen Richtungen sich von einander
entfernen.
Die mitgetheilten Messungen sind an Fadenstücken an-
gestellt, welche durch Kupferoxydammoniak aufquellen. In
Berührung mit Schwefelsäure verhalten sie sich gleich. Die
Einwirkung beginnt ebenfalls an den Enden der Stücke
und schreitet von da nach der Mitte fort An den sich
verkürzenden und verdickenden Fasern werden die Spiral-
windungen der Streifen ebenfalls niedriger. So betrug der
Winkel zwischen denselben und der Zellenaxe an einer
Nagelt: Innerer Barn vegetabilischer ZdUmnembramm. 161
wenig gequollenen, 21 Müc. dicken Faser 14°, an derselbe»
Faser aber, als sie 42 Mik. dick geworden, 36 •.
Die Verkürzung der aufquellenden Bastzellen wurde be-
obachtet, wenn dieselben im Wasser lagen, und darauf mit
Kupferoxydammoniak oder Schwefelsäure behandelt wurden»
Es fragt sich, ob dieselbe auch schon erfolge , wenn die
trockenen Bastfasern sich mit Wasser imbibiren. Dies«
Frage wurde bereits vor geraumer Zeit von Schieiden
besprochen. Veranlassung dazu fand er in Aeusserungeft
von Link und Meyen. Erster«- sagt (Elem. phiL bot.
Edit 1. p. 366), die trockene und todte Pfaasenfaser siehe
die Feuchtigkeit an und verkürze sich dabei. Er führt keine
Thatsacben an und wurde, wie Schieiden wohl richtig
vermuthet, durch das Factum, dass ein Seil beim Benetzen
straff wird, zu seinem Ausspruche veranlasst. Meyen
(Pflanzenphysiol. I. 30) gebt von dem Ausspruche Link's
als von einer sichern Thatsache aus und sucht diese durch
seine Theorie zu erklären, dass die Membran aus Spiral«
fesern bestehe; dieselben seien hygroscopisch und ziehen
sich bei der Befeuchtung in ihre Windungen zusammen.
Schieiden (Wiegmann's Archiv 1839 Bd. I. 274) er-
klärt die Annahme einer Verkürzung für widersinnig und
die Thatsache für falsch, indem beim Befeuchten immer
Ausdehnung erfolge. Am geringsten sei dieselbe bei den
Bastfasern; bei denjenigen von Linum usitatissimum
schätze erv sie auf 0/0005 und weniger.
Ich konnte bei verschiedenen Bastzellen keine Differeos
in der Länge wahrnehmen, wenn sie aus dem trockenen in
den befeuchteten Zustand übergiengen. Eine trockene, ge-
rade Leinfaser von 0/349 M. M. Länge schien, als sie sich
mit Wasser imbibirte, genau die gleichen Dimensionen zu
behalten. Doch wäre es voreilig, daraus einen Schkrse
sieben zu wollen. Die Bastfasern nehmen so wenig Wasser
162 Stotmg der math.-phy8. Garn vorn 9. JmU 1864.
auf, dass die Veränderung ihrer Länge unbemerkbar klein
ausfallen muss.
Die Angabe Schleidens verdient keine Berücksichtig-
ung. Denn eine so äusserst geringe Zunahme von 0,0005
kann gar nicht beobachtet werden. An einem Faserstück
von 100 Mik Länge müsste eine Verlängerung um 0,05 MikT
an einem solchen von 400 Mik., eine Verlängerung von
0,2 Mik. gemessen werden können. Die Zumuthung ist der
Art, dass es fast auf eine Mystification abgesehen scheint.
Es ist also unmöglich, durch direkte Messung festzu-
stellen, ob die Bastfasern bei der Befeuchtung mit Wasser
die nämliche Länge behalten, ob sie länger oder kurzer
werden. Die Frage bleibt ungelöst. Wenn freilich die
Analogie ein Recht hätte, so würde sie es wahrscheinlich
machen, dass die benetzten Bastfasern sich äusserst wenig
verkürzen. Denn, wie es scheint, gilt sonst für alle andern
Fälle die Regel, dass ein weiteres Aufquellen durch Säuren
oder Alkalien in gleichem Sinne thätig ist, wie die Imbi-
bition mit Wasser, dass also beim Benetzen mit Wasser
und bei der Einwirkung stärkerer Quellungsmittel im All-
gemeinen analoge Formveränderungen erfolgen.
Die bisher mitgetheilten Beobachtungen beziehen sich
auf Dimensionsveränderungen, welche die liegenden Bast-
zellen wahrnehmen lassen, also auf die Verhältnisse, welche
zwischen der Länge und dem Durchmesser oder dem Um-
fange, ferner zwischen der Cylinderfläche und dem Quer-
schnitt bestehen. Die Beobachtung von Querschnitten giebt
uns Aufschlags über die Verhältnisse zwischen den Dirnen*
sionsveränderungen des Radius oder der Dicke und des
Umfanges.
Für diese Untersuchungen eignen sich die Leinfasern
weniger gut. Doch lassen sich an denselben einige be-
merkenswerthe Thatsachen nachweisen. Die aufquellende
Zelle zeigt gewöhnlich in der Querschnittsansicht die innern
NägeU: Innerer Bau vegetabilischer ZeUemnembranen. 163
Schichten mehr oder weniger verbogen (Fig. 57). Daraus
folgt, dass dieselben in tangentialer Richtung stärker auf-
quellen, als in radialer. — Die innern Schichten dehnen
sich ferner in tangentialer Richtung stärker aus, als die
äussern Schichten. Diess verursacht zuweilen ein Platzen
der äussern (Fig. 58). Die entzwei geborstene äussere
Hälfte der Wandung löst sich manchmal theilweise von der
innern Hälfte ab und streckt sich mehr oder weniger ge-
rade. Diess beweist, dass an ihr ebenfalls die innern
Schichten in tangentialer Richtung stärker sich ausdehnen
als die äussern.
Für diese Untersuchungen bieten die Bastzellen der
Chinarinde ein vorzügliches Objekt. Dieselben quellen in
Kupferoxydammoniak wenig auf; in concentrirter Schwefel-
säure dagegen mit oder ohne Jod quellen sie sehr stark
auf und lassen eine Unzahl von zarten Schichten zum Vor«
schein kommen. An Querschnitten beobachtet man gewöhn-
lich während des Aufquellens , dass zuerst die äussersten
Schichten einreissen, und dass der radiale Riss sich von
Schicht zu Schicht nach innen fortpflanzt. Ein innerster
Schichtencomplex von verschiedener Grösse bleibt ganz
(Fig. 56).
Rücksichtlich der Ausdehnung wurden folgende Mess-
ungen angestellt; sie werden dadurch erleichtert, dass sehr
oft eine markirte Grenze zwischen einer äussern und innern
Wandhälfte sichtbar ist. In einer solchen Zelle war der
innere Schichtencomplex oval, der äussere rundlich-oval.
Der letztere platzte und bildete ein nach und nach sich
fast gerade streckendes Band. Die innere Partie bekam
bloss einen kleinen radialen Riss, der kaum zur Hälfte gegen
das Centrum sich erstreckte.
104
SitMung der math.-phyt. (Mate vom 9. Juli 1864.
I.
Lineare Dimensionen.
Quadrat-
inhalt.
a. Innere Partie in
Wasser
Radien = 9,5
und
16,5 Mik.
462 M
b. Innere Partie in
Schwefelsaure
i. = 23
ii
30,5 „
2205 „
c Innere Partie in
Schwefelsäure spater
„ =8ß
ti
40 „
4023 „
<L Aeussere Partie in
Wasser
Dicke = 12
bis
16 „
1617 „
e. Aeussere Partie in
Schwefelsäure
n = 46 M. Breite :
= 168 „
7498 „
f. Aeussere Partie in
Schwefelsaure später
)» Ä *" »
7» :
=sl70 „
JLOOW ,,
Von der innern Partie wurden die grosse und kleine
Aze gemessen und daraus der Quadratinhalt berechnet
(a, b, c). Für die äussere Partie des im Wasser liegenden
Präparats (d) wurde der ganze Querschnitt aus den beiden
Axen berechnet und davon der Inhalt der innern Partie (a)
abgezogen. Die durch die erste Einwirkung der Schwefel-
säure entzwei gerrissene äussere Partie rollte sich soweit
ab, doss sie einen Kreisquadranten darstellte; ihr äusserer
Umfang hatte, als Kreisbogen gemessen, eine Länge von
176, der innere von 150 Mik., was eine mittlere Breite von
168 ergiebt (e). Die letzte Messung wurde vorgenommen,
nachdem durch neuen Zusatz von Schwefelsäure ein stär>
keres Aufquellen erfolgt war (f).
Eine zweite Zelle, die an der ersten anklebte und die
gleiche Einwirkung des Quellungsmittels erfuhr, ergab
folgende Messungen:
Nägdi: Innerer Bau vegetalütochtr Zeßmmmbranm. 165
II.
Lineare Dimensionen.
Quadrat-
:
inhalt
a. Inner« Partie in
Wasser
Radien = 12 und
9 Mit
839 M.
b« taaerd Partie in
Schwefelsäure
» = 24
19 „
1433 „
c. Innere Partie in
ftchwefelsftare später
,, = 36 „
3» «
8281 „
d. Aeossere Partie in
Wasser
Dicke = 24Mik.
2829 „
a. Aeustftre Partie in
Schwefeloftare
„ = 64 „ Breite ==
166 „
10560 ,y
t. Aeassere Partie in
ww
8dkff%f«lsättre später
„ =r!28 „ f, =s
17S n
22144 „
Die innere Partie spaltete sich auch hier in ihrer
äussern Hälfte durch einen radialen Riss. Die äussere
Partie rollte sich bei der ersten Einwirkung der Schwefel-
säure ebenfalls so weit ab, dass der äussere umfang einen
Kreisquadranten bildete; derselbe hatte, als Bogen ge-
messen, eine Länge von 202 Mik., der innere Umfang da-
gegen 128 Mik., also im Mittel 165 Mik.
An zwei andern Durchschnitten wurden folgende Mess-
ungen gemacht:
IXI.
Innere Partie.
Aeassere Partie.
a. In Wasser
Radius = 15,5 Mik.
Radius = 16 Mik.
b. la Schwefelsäure
c. In Schwefelsaure
später
d. In Schwefelsäure
noch später
IV.
i, =42 „
„ = 54 ,,
ii == 80 „
»» = 88 „
„ = 112 „
a. In Wasser
Radien = 12 und 14 M.
Radien = 14 u. 16 M.
b. In Schwefelsämre
„ =44 „ 50 „
w =^ö»» HO »
Aus den eben mitgetheilten Beobachtungen ergeben sich
folgende Resultate für die Bastzellen der Chinarinde, die
in Schwefelsäure aufquollen.
166 Sitzung der math.-phy$. Classe vom 9. Juli 1664.
1. Die äusserste Schicht dehnte sich in tangentialer
Richtung beinahe gar nicht aus. In den Durchschnitten I.
und II. war der Umfang der Zelle in Wasser (d) fast
ebenso gross wie der äussere Rand der durch Schwefel-
säure gequollenen und zersprengten äussern Partie (e); an
der Zelle I mass jener 165 Mik., dieser 176 Mik., an der
Zelle II jeder 202 Mik.
2. Die innerste Schicht der äussern Partie dehnte sich
in tangentialer Richtung an den beiden Durchschnitten I
und II ungefähr auf die doppelte Breite aus, au I von 82
auf 150 Mik., an II von 66 auf 126 Mik. nach der ersten
Einwirkung der Schwefelsäure; nach neuem Zusatz von
Säure war die Ausdehnung auf etwas mehr als das doppelte
gestiegen.
3. Die ganze äussere Partie wuchs in radialer Richtung
auf das 5 — 7fache der ursprünglichen Grösse.
4. Die innere Partie mass nach der Quellung im
Durchmesser 21/«— -3V«mal soviel, als vor derselben. In-
sofern sie nicht von aussen her einriss, dehnten sich ihre
einzelnen Schichten ebenso stark in tangentialer Richtung
ans, als in radialer.
5. Vergleicht man die äussere und die innere Partie
von I und II mit einander, so nahm der Flächeninhalt
beider Partieen fast in gleichem Masse zu; aber die innere
wuchs in allen Richtungen gleichmässig, die äussere vor-
zugsweise in radialer Richtung.
Vergleichen wir die Ergebnisse der Untersuchungen
über die Quellungserscheinungen, welche an den Bastzellen
der Chinarinde, des Leins und des Hanfes durch Eupfer-
özydammoniak oder Schwefelsäure hervorgebracht werden,
so lassen sich folgende allgemeine Sätze aufstellen.
I. Das Oberhäutchen („primäre Membran") widersteht den
Quellungsmitteln energisch, und dehnt sich in den Flächen-
Nägeli: Innerer Bau vegetabilischer ZeUenmembranen. 167
dimensionen nicht ans. Es wird entweder in Flocken oder
Bänder zerrissen.
II. Wenn an den Bastzellen die Ring- und Spiralstreifen
zonenweise abwechseln, so sind es die Ringstreifenzonen,
welche zuerst aufquellen. Sie lösen sich auch zuerst auf
und verursachen das Zerfallen der Bastfasern m kurze
Stücke.
IQ. Beim Aufquellen wird die Bastfaser und ebenso
jede einzelne Schicht derselben kürzer und dicker, wobei
eine Drehung um die Axe erfolgt und die Windungen der
Spiralstreifen niedergedrückt werden.
IV. Die Volumenzunahme der einzelnen concentrischen
Lamellen ist ungefähr gleich gross, oder nur wenig beträcht-
licher bei den innern. Alle Lamellen haben ferner das Be-
streben, stärker in die Dicke als in die Fläche aufzuquellen;
aber rüchsichtlich der Quantität besteht eine bedeutende
Differenz zwischen aussen und innen. Die äussersten Schich-
ten haben nämlich verhältnissmassig die grösste Neigung zur
Verdickung und die grösste Abneigung in die Fläche zu
wachsen. Dieser Gegensatz zwischen Dicken- und Flächen-
wachsthum wird allmählich schwächer, je mehr die Lamellen
nach innen liegen.
Erklärung der Tafeln,
Tafel I.
1 (1000). Stück eines aus den Epidermiszellen der Frachtwand-
ung von Salvia Horminum Im. herausgetretenen Gallertschlau-
ches. Aus dem oben zerrissenen Schlauche sind die beiden Spiral-
bänder, deren Streifen man bei a in der Durchschnittsansicht, bei b
in der Flächenansicht sieht, herausgezogen.
2 (1000). Kleines Stück des Spiralbandes aus dem Gallert-
cy linder der Samenoberhautzellen von Gollomia coccinea Lehm,
in Kupferoxydammoniak, von der Flache gesehen. Man beobachtet
ausser der stärkern Längsstreifung zwei sehr zarte sich kreuzende
Spiralstreifungen.
168 SUtung der maih.-phya. Ciasee vom 9. Juli 1864.
3 (1000). Stück eines im Wasser liegenden Samenhaares von
Dipteracanthus ciliatus Nees, a äussere Membranschicht mit
den Ring- und Spiralfasern, b herausgetretener Gallertschlauch.
4 (1000). Querschnitt durch einen solchen Gallertschlauch, an
welehem man zwischen der äussern dichten Schicht und dem dunkeln
Lumen 4 stärkere dichte Schichten wahrnimmt.
5 (500). Em derartiger Querschnitt, welcher zwischen der äussern
dichten Schicht und dem dunkeln Lumen bloss eine strukturlose
Gallerte erkennen Uess.
6 (1000). Gallertschlauch von Dipteracanthus mit verbogener
Spiralstreifang, welche sich bei a in ein 6streifiges Band abrollt.
7 (1000). Ebenso; das sich abrollende Band besteht aus vier
Streifen.
8 (200). Eine Baumwollenfaser in sehr verdünnter Schwefel-
säure, bei a mit südöstlicher, bei b mit südwestlicher Wendung.
9 (200). Eine ebensolche, in etwas concentrirterer Säure, bei a
mit südöstlicher Wendung der Spiralstreifen und südwestlicher Dreh-
ung der ganzen Zelle; bei b umgekehrt.
10 (1000). Stück eines aus den Epidermiszellen der Fruchtwand-
ung von Sal via Aethiopis Lin. herausgetretenen Gallertschlauches.
11 (1000). Querschnitt durch die trockene Epidermis derselben
Pflanze, in Glycerin beobachtet. Die innere Lamelle der Membran
(welche beim Aufquellen eich als Spiralband abrollt) ist dichter und
prismatisch.
12 (1000). Querschnitt durch einen aus den Epidermiszellen der
Fruchtschale von Ocimum basilicum Lin. herausgetretenen
Gallertschlauch. In der Zellhöhlung liegen durch Jod gefärbte
Stärkekörner.
13 (1000). Kleines Stück eines solchen Schlauches, an der Fläche
gesehen. Die Zeichnung zeigt die oberflächlichen Streifen; die in-
nersten sind durch die punktirten Linien angedeutet. 1 Zellhöhlung.
Tafeln.
14 (500). Dickwandige Holzzelle der Fichte (Abi es excelsa
JVrir.) in verdünnter Schwefelsäure, mit Ringstreifen.
15 (500). Ebenso, mit wenigen sehr deutlichen Ringstreifen.
16 (500). Ebenso, mit eigentümlichem Verhalten der Streifen
(Pag. 129).
17 (500). Eine dickwandige Holzzelle der Fichte, welche durch
concentrirte Schwefelsäure von dem einen Ende aus aufgelöst wird.
Nägdi: Innerer Bau vegetabilischer ZeUemnembranen. 169
18 (850). Dünnwandige Holzzelle der Fichte in verdünnter
Schwefelsaure; von den Ringstreifen treten einzelne starker hervor.
19 (600). Membran einer dickwandigen Holzzelle der Fichte,
welche die gleiche Lage wie Fig. 18 hat, in stärkerer Säure.
20 (600). Membran einer dünnwandigen Holzzelle in gleicher
Lage wie Fig. 18 und 19, ebenfalls in stärkerer Säure.
21 (850). Dünnwandige Holzzelle wie Fig. 18, aber in der Lage,
dass die beiden Streifensysteme fast horizontal verlaufen, also etwa tun
90° ans der Stellung von Fig. 18 gedreht* in verdünnter Schwefelsäure.
22 (750). Membran einer dickwandigen Holzzelle im Profil ge-
sehen. In concentrirter Schwefelsäure haben sich die dichten Areolen
deutlich von einander getrennt, nach unten hin sind dieselben bis
zur TJndeutlichkeit aufgequollen.
28 (700). Dünnwandige Holzzelle der Fichte, mit Spiralstreifen
zwischen den Porenhöfen.
24 (700). Ebenso, an der ganzen Fläche mit Spiralstreifen besetzt.
25 (1200). Spiralstreifung an der porenlosen Stelle einer dünn-
wandigen Holzzelle. Durch Einwirkung von concentrirter Schwefel-
bäum vnd Jod haben die Streifen ein gegliedertes Ansehen erlangt ;
der Streifen a theilt sich in zwei.
26 (700). Gekreuzte Spiralstreifen an der porenlosen Stelle einer
dünnwandigen Holzzelle, bei Einwirkung von Jod und Schwefelsäure.
87 (1000). Zwei Querschnitte durch dickwandige Holzzellen der
Fichte, mit Jod und concentrirter Schwefelsäure behandelt.
28 (600). Membran einer dickwandigen Holzzelle, welche die
gleiche Lage wie Fig. 21 hat, in stärkerer Schwefelsäure.
29 (600). Holazelle von Taxns baccata Lin., mit concentrirter
Schwefelsäure behandelt (Pag. 181).
80 (1000). Holzzelle von Lonicera spec, mit Spiralfasern,
Poren und Spiralstreifen.
81 (1000) Porenhof auf den Holzzellen der Fichte.
82 (500). Spiralgef&es ans dem Blüthenschafte von Hyacinthns
orientalis Lin., mit conoentrirterer Schwefelsäure behandelt
(Pag. 138).
83 (2000). Längsschnitt durch eine Gefässwandung mit einem
Poras im Holze von Robinia Psendacacia Lin. (Pag. 143).
34, 85, 86 (1500). Solche Poren, auf der Membranfläche der Ge-
fäsae gesehen.
87 (1500). Porös mit Porenhof, ebemdwelbet.
88. Schematische Darstellung der Streifung auf dem Porenkanal
(a) und dem Porenhof (b).
170 Sitsung der math.-phys. Glosse vom 9. JuU 1864.
89 (600). Poröses Gefass aus der Wurzel von Populus d ila-
tat a Ait.
40 (1000). Holzzelle von Kerria japonica DO. nach Macera-
tion in Salpetersäure, mit Spiralfasern, Poren und Ringstreifen.
Tafel in.
41 (300). Stück einer Bastzelle der Chinarinde; man sieht
die Spiral8treifen des äussern (a — a) und des infljgn (b~-b) Schich-
ten complexes, welche unter sich in entgegengesetzter Richtung ge-
dreht sind.
42 (1000) Die Oberfläche einer solchen Zelle, welche durch
Schwefelsäure etwas stark aufgequollen ist, mit «wei sich kreuzenden
Systemen von Spiralstreifen.
43 (330). Ende einer Chinarindenbas tzelle, welche durch con-
centrirte Schwefelsäure aufgelöst wird, mit einem System von Ring-
streifen.
44 (300). Stück "einer Bastzelle der Chinarinde; die oberfläch-
liche Ansicht zeigt Spiralstreifen und wenig schiefe Querstreifen.
45. Schematische Darstellung eines gedrehten Porenkanals in
den Chinarindenbastzellen.
46 (500). Leinwandfaser in Wasser.
47 (500). Eine Leinwandfaser, von concentrirter Schwefelsäure
angegriffen; die Abblätterung beginnt an den durch Ringstreifen
bezeichneten Gelenken.
48 (500) Eine solche Faser, bei welcher die Auflösung an den
Gelenken so weit fortgeschritten ist, dass sie aus spindelförmigen
Gliedern besteht.
49 (1000). Ein spindelförmiges Glied einer in Auflösung be-
griffenen Faser (Fig. 48) iaolirt; die äussern Schichten stark auf-
gequollen und im Verschwinden begriffen.
50 (400). Ende einer längern in Kupferoxydammoniak liegenden
Faser.
51 (400). Kleine Partie aus der Mitte einer solchen Faser.
52 (250). Kurzes Stück einer zerschnittenen Leinwandfaser mit
beginnender Einwirkung des Kupferoxydammoniaks.
53 (250). Ebenso, mit etwas stärkerer Einwirkung des Reagens.
54 (200). Kleine Partie einer mit Schwefelsäure und Jod be-
handelten Hanffaser, a dünner durch den Inhalt gebildeter Faden,
b Spiralband durch das zerrissene Oberhäutchen gebildet.
55 (300). Ebenso. Das Band des Oberhäutchens (b«b) ist theils
ring-, theils spiralförmig; c zugekehrte, d abgekehrte Windung.
56 (200). Querschnitt einer Bastfaser der Chinarinde mit Schwefel-
säure und Jod behandelt.
57 (500). Kurzes Stück einer zerschnittenen Leinwandfaser,
durch Kupferoxydammoniak aufgequollen, im Qnersohnitt gesehen«
58 (500). Ebenso.
59 (500). Sehr kurzes Stück einer Leinwandfaser bei beginnender
Einwirkung des Kupferoxydammoniaks, a Querschnittsansicht, b Seiten-
ansicht.
Sttemq der toter, dam vom 16. Juli 1864. 171
Historische Classe.
Sitzung vom 16. Juli 1864.
Herr Giesebreoht theilte mit, dass ihm ein Manuscript
des Bibliothekars Herrn Valentinelli in Venedig, Mitgliedes
der Akademie:
„Regesten zur deutschen Geschichte aus den
Handschriften der Marcus-Bibliothek"
eingehändigt worden.
Die Classe beschlösse dass diese umfangreiche, wichtige
und für die deutsche Geschichte werthyolle Arbeit in den
Denkschriften abgedruckt werden solle.
Herr Riehl machte eine vorläufige Mittheilung über
eine Untersuchung:
„das Verhältniss der Geschichtsquellen zu
der mittelalterlichen Architektur"
betreffend«
Herr v. Hefner- Alteneck hielt einen Vortrag:
„Ueber Auffindung der Originalentwürfe zu
den Prachtrüstungen der Könige Franz I.
und Heinrich II. von Frankreich" *
aus der noch ungeordneten Masse des k. Handzeichnungs-
[1864 H. 2.] 12
172 Stamng der Katar, Glosse vom lß.JvM 18&L
Kabinets in München, — Werke von der Hand deutscher
Künstler am Hofe der Herzoge Wilhelm IV. und Albrecht V.
von Bayern.
Dabei suchte er nachzuweisen, dass die Blüthe jener
Kunstrichtung, welche bis jetzt von den Franzosen und auch
fast allen deutschen Kunsthistorikern ausschliesslich Frank-
reich und theilweise Italien zugeschrieben und nur als
italienische und französische Renaissance bezeichnet wurde,
deutschen und vorzugsweise bayerischen Ursprungs sei.
Proben in Originalien und photographischen Nachbildungen,
sowie ein höchst günstiges Gutachten der Akademie der
bildenden Künste wurden vorgelegt.
Die Ausführong der Entwürfe wird zu Paris im Loutto
und Musee d'artillerie als die Blüthe französischer und
italienischer Renaissance gezeigt.
MfOtor: Nekrolog auf Leo von Kknce. 173
Oeffentliche Sitzung der k. Akademie der Wissen-
schaften
i
zur Vorfeier des Allerhöchsten Geburts- and
Namensfestes Sr. Majestät des Königs Ludwig II.
am 25. Juli 1864.
Nach den einleitenden Worten des Vorstandes Herrn
Baron von Liebig widmete der Secretär der philosophisch-
philologischen Classe Herr Marcus Jos. Müller den jüngst
verstorbenen Mitgliedern dieser Classe folgenden Nachruf.
Leo von Klenze.
Es ist eine nicht sehr häufige Erscheinung, dass eine
grosse Künstlernatur zugleich den Trieb Und die Fähigkeit
in sich fühlt, die Schöpfungen seines bildenden Genius
durch literarisches Wirken zu unterbrechen. Es ist aller-
dings natürlich, dass ein Geist wie Michel Angelo ausser
12*
174 OeffmtU&e Süamg vom MS. JmU 1864.
der Malerei, Sculptur und Architectur sich auch in der
Poesie aaszeichnete; denn die Gunst der Musen ist dem
Talent für bildende Künste analog. Selten aber ist es, wenn
ein Genius aus dem Kreise des Anschauens und Produ-
cirens heraustritt und die spontane Thätigkeit durch dis-
curaives Denken ergänzt und fordert, wie ein Leonardo da
Vinci und unser deutscher Albrecht Dürer. Ein solcher
Geist war auch unser tiefbetrauerter College Leo von
Klenze, der neben den staunenswerten Herorbringungen
in der Architektur noch Zeit fand, in gelehrte Erläuterungen
dieser seiner Kunst und in archäologische Forschungen sich
zu vertiefen. Wie er als Heros in der bildenden Kunst
dastand, so konnte auch unsere Anstalt in ihren speciellen
Bestrebungen ihm als Archäologen schon sehr früh ihre
Huldigungen darbringen. Der Gang und die Resultate seiner
Untersuchungen sind von durchsichtiger Klarheit und edler
Einfachheit und die Ideen, zu denen er gelangte, stehen
im nächsten Zusammenhang mit der Entwicklung der andern
geistigen Thätigkeiten; zeichnen sich somit auch durch
philosophische Tragweite für die Aufhellung der Geschichte
des menschlichen Geistes aus. Wie er die hellenische
Schönheit in seinen Werken wiederzugeben verstand, so
zeigt sich auch der Abglanz dieses himmlischen Lichtes in
seinen wissenschaftlichen Betrachtungen. Dieser achte Schön-
heitssinn war in diesem reichen Geiste mit einem klaren
und umfassenden Verstände verbunden, der sich in den
mannigfaltigsten Fächern einer ausgebreiteten Bildung leicht
und sicher bewegte. Ich erinnere mich mit Vergnügen an
eine höchst lebhafte Discussion, welche ich mit ihm ein
Jahr vor seinem Tode hatte, und welche durch eine Reihe
von Fragen veranlasst war, die er schriftlich redigirt hatte.
Sie bezogen sich auf die rätselhaftesten Probleme der
alten Völker* und Religionsgeschichte. Er zeigte sich darin
nicht nur als vollkommen bewandert in den neuesten
Mnüer: Nekrolog auf Leo von Kimme. 175
Forschungen, wie man es nur von einem Fachmanne er-
warten konnte, sondern er behandelte auch diese abstrusen
Gegenstände mit einem unübertrefflichen Scharfsinn und
einer nie fehlenden Umsicht. Allerdings sind seine wissen-
schaftlichen Arbeiten, so hohen Bang sie auch in der Ge-
schichte der Literatur behaupten mögen, nicht so zahlreich,
wie Beine vielbewunderten architektonischen Meisterwerke,
mit denen er nicht nur unsere Stadt, sondern auch andere,
selbst entfernte Gegenden unseres Erdtheils geschmückt hat.
Ein eingehendes Urtheil über diese abzugeben, ist weder
meines Amtes, noch diesem Räume angemessen. Genüge es
zu sagen, dass er neben Schinkel der Gründer einer neuen
lebensvollen Renaissance wurde und dass Ideenreichthum
mit Schönheit und Mass sich zu einem das Gemüth be-
geisternden Ganzen in seinen Schöpfungen vereinigte, welche
vollkommen dazu angethan sind, diese das höhere geistige
Leben bedingenden Potenzen im Sinne des Beschauers wach
zu rufen und den Geist damit sättigen, und also den er*
habenen Zweck der Kunst, wodurch sie alle feinfühlenden
Geschlechter zum grössten Dank verpflichtet, in höchstem
Masse erfüllen.
Carl Benedict Hase
wirkte seit dem Anfang dieses Jahrhunderts in Paris,
wohin er ans seinem Heimathslande Thüringen sich begab,
nachdem er seine Universitätsstudien zu Helmstedt und Jena
zugebracht hatte, in einer Epoche, wo die classische Philo-
logie in Deutschland eine der hervorragendsten Entwick-
lungen erreicht hatte, um in den nächsten Zeiten die höch-
sten Stufen des Glanzes zu erklimmen. In Frankreich, wo
früher Philologen des ersten Ranges blühten, waren damals
zum Theil in Folge der politischen Verhältnisse diese
176 OeffmOkhe SÜsung vom 26. JuU 1864.
Studien in ziemlichem Verfall; aber bald erhoben sich aus-
gezeichnete Forscher und ein neuer Aufschwung in den
Untersuchungen über das römische und hellenische Alter-
thum machte sich geltend, wozu unser Hase vor allen
durch sein Beispiel aneifernd, ausserordentliches beitrug und
einen mächtigen Einfluss ausübte. Seine Gelehrsamkeit, seine
Arbeitskraft, sein Scharfsinn, welchen Eigenschaften sich
bald französische Eleganz beigesellte, erwarben ihm in
kurzer Zeit in jener gastlichen Stadt, wo jedes Talent das
ihm angemessene Feld der Thätigkeit leicht findet und wo
demselben den Eifer mächtig anspornende Belohnungen
winken, eine ehrenvolle Stellung. Mit einer vollendeten
Kenntniss des römischen und griechischen Alterthums ver-
band er, wie wenige, auch eine ausgebreitete Einsicht des
spätem Graecismus. Was byzantinische Literatur und Ge-
schichte betrifft, so hatte er bald eine solche Beherrschung
des Stoffes, der an sich nicht durchaus 'einladend, aber
von der höchsten Wichtigkeit ist und viele ausserordentliche
Schwierigkeiten darbietet, erreicht, dass ihm unwidersprech*
lieh die höchste Auctorität in dieser Sparte allgemein zu-
erkannt wurde. Ein Glanzwerk in dieser Richtung ist die
von ihm zuerst herausgegebene Geschichte des Leo Diaconus
von Caloe, woran ebenfalls editiones prineipes des Tractates
de velitatione bellica des Nicephorus Phocas, des Frag-
mentes einer Geschichte von Johannes Epiphaniensis und der
Brief des Mönchs Theodosius über die Eroberung von
Syracus sich schliessen. Dieselben Verdienste weisen seine
Beschäftigungen mit Johannes Laurentius Lydus Philadel-
phiensis auf. Vorarbeiten über diesen Schriftsteller finden
sich in den Notices et Extraits und in der Fuss'ischen Aus-
gabe des Tractatus de magistratibus reipublicae romanae,
wo er ausfuhrliche Untersuchungen über das Leben und die
Schriften des Lydus anstellt. Bald folgte die editio prin-
ceps des Werkes de ostentis, nebst einem Fragment des-
Mtifcr: Nekrolog auf Benedict Hase. 177
selben de mensibus , sowie der Abhandlang des Anicras
Manlias Severinus Boethius de diis et praesensionibus,
Ausser der oben genannten Schrift über Lydus finden sich
noch höchst schätzbare Arbeiten in den Notices et Extraits,
über das Werk des Draco von Stratonicea über die Vers-
masse, ferner über byzantinisch -theologische Controverse
und Polemik gegen den Islam, weiter über einige der by-
zantinischen schönen Literatur angehörige, der Art des
Lucian nachgebildete satyrische Gespräche, endlich über eine
Geschichte der Moldau, welche in dacoromanischer Sprache
von Nicolaos Costin verfesst und von Alexander Amiras ins
Neugriechische übersetzt worden ist. Höchst beachtenswerth
sind auch seine Ausgaben des Suetonius und Valerius für
die Lemaire'sche Sammlung. Einen grossen Theil seiner
Thätigkeit nahm seit beinahe 30 Jahren die Oberaufsicht
über die Herausgabe des Thesaurus linguae graecae von
Henricus Stephanus in Anspruch. Dieses kolossale Werk,
ursprünglich von L. v. Sinner und Th. Fix in Angriff
genommen, wurde bald den kräftigen Händen L. und W.
Dindorfe anvertraut und naht jetzt seiner Vollendung. Wie
seine Zusätze zu diesem einen Glanzpunkt des Unternehmens
bilden, so verdienen auch seine Beiträge zu der Sammlung
der Schriftsteller über die Kreuzzüge, welche die franzö-
sische Acad&nie des inscriptions et belles lettres heraus-
gibt, sowie seine gediegenen Aufsätze im Journal des Savans
hervorgehoben zu werden. Wenn diese gedruckten Arbeiten
vollkommen hinreichend wären, um den Ruhm eines vir
Primarius in der Philologie zu begründen, so muss noch
ein ungedrucktes Werk als Denkmal seines unendlichen
Fleisses und seiner bewunderungswürdigen Gelehrsamkeit
erwähnt werden, die Catalogisirung der griechischen Hand-
schriften der kaiserlichen Bibliothek zu Paris. Jeder, der
ßich mit diesem Fach beschäftigte und Gelegenheit hatte,
178 Oeffmdiche BUmm§ vom M. Juli 1964.
jene ausserordentlichen Schätze zu benützen, hat mit Dank
ans den feinen und gediegenen Bemerkungen Hase' 8 Be-
lehrung gezogen oder sich die Richtung seiner Forschungen
bestimmen lassen: viele derselben haben Anstoss zu neuen,
weiter gehenden Untersuchungen gegeben oder sind ge-
radezu Grandlage von solchen geworden.
Hierauf wurden die Wahlen der neuen Mitglieder in
den drei Gassen verkündet.
1. Philosophisch-philologische Glasse.
A. Als ordentliches Mitglied:
Philologische Classe:
Dr. Wilhelm Christ, Professor der classischen Philologie an
der Hochschule München und Conservator des kgL Anti-
quariums.
B. Als auswärtige Mitglieder:
1) Dr. Karl Philipp Fischer, t. qu. Professor an der Uni-
versität Erlangen.
2) Dr. Heinrich Keil, Professor an der k. Universität Er-
langen.
3) Dr. Friedrich Theodor Vischer, Professor an der Uni-
versität Zürich.
4) Dr. Gustav Flügel, Professor in Dresden.
NemccMm. 179
G. Als correspondirendes Mitglied:
Dr. Emil Schlagintweit in Würzburg.
2. Mathematisch-physikalische Ciasse-
A. Als auswärtige Mitglieder:
1) Peter Merian, Professor und Rathfeberr in Basel.
2) Armand de Quatrefages, Pigfateor ain natouftistorischen
Museum zu Paris und Mitglied des Instituts.
B. Als correspittodirende Mitglieder:
1) Dr. Wilhelm Henneberg, Vorstand der landwirtschaft-
lichen Versuchsanstalt in Weende bei Göttingen.
2) Dr. Gustav Wiedemann, Professor der Physik in Braun-
schweig.
3. Historische Glasse.
A. Als ordentliches Mitglied:
Friedrich Hektor Graf von Hundt, k. Kämmerer und Mini-
sterialrath im k. Staatsministerium des Innern.
B. Als auswärtige Mitglieder:
1) Eugen de Roziere, Generalinspektor der Archive zu
Paris,
2) Dr. Philipp Jaffe, Professor an der Universität in Berlin.
C. Als correspondirende Mitglieder:
1) Joseph Würdinger, Hauptmann im k. b. 3. Infanterie-
Regimente Prinz Karl.
180 Öffentliche Sümmg vom 25. Juli 1864.
2) Dr. Rudolph Köpke, Professor an der Militärakademie
und an der Universität zu Berlin.
3) Dr. Ernst Dümmler, Professor an der Universität Halle«
Die Festrede hielt Herr Thomas:
„Ueber die Stellung Venedigs in der Welt-
geschichte".
Dieselbe ist im Verlag der Akademie erschienen.
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Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 5. November 1861.
Herr G. Hof mann hielt einen Vortrag:
„Ueber den Meier Helmbrecht".
(Mit einem Kärtchen.)
Die tragische Dorfgeschichte vom Meier Helmbrecht
nimmt bekanntlich in der mittelhochdeutschen Literatur
eine so bedeutende und einzige Stellung ein, dass jeder
Beitrag zum genaueren Verständniss des Gedichtes will-
kommen sein muss.
Ich lege der philosophisch-philologischen Classe hiemit
den Plan und ersten Druckbogen eines nächstens erscheinen-
den Werkchens von Herrn Friedrich Keinz vor, welches
die Beachtung der Classe, abgesehen von seinen sonstigen
Ergebnissen, auch schon darum in Anspruch nehmen darf,
weil aus unserer Mitte die erste Anregung zu dieser Arbeit
ausgegangen ist und wir sie daher als in den Kreis unserer
Thätigkeit gehörend betrachten dürfen.
Der Stand der Frage ist in Kürze dieser. Der Meier
Helmbrecht , in zwei jüngeren Handschrillen aus dem Ende
[1864 a 3.] 13
182 Siitnmg der pkOos.-phOol. CUuae vom 5. November 1861.
des 15. und Anfange des 16. Jahrhundertes (der Ambraser
und Berliner) erhalten, wurde zuerst von Bergmann im 85.
Bande der Wiener Jahrbücher der Literatur (1839) nach der
Ambraser jüngeren aber besseren Handschrift abgedruckt, dann
von Haupt im 4. Bande der Zeitschrift für deutsches
Alterthum (1844) nach beiden Texten, aber mit Zugrunde-
legung des Ambraser, kritisch bearbeitet.
Haupt (mit Hülfe Earajans) beschäftigte sich natürlich
auch mit den im Gedichte vorkommenden Ortsnamen, deren
Deutung allein über seine Heimath Licht verbreiten konnte,
und fand für Hohenstein und Haldenberg, welche nebst
dem sicheren Wanghausen damals als die einzigen Orts-
angaben erschienen, zwei Schlosser, deren eines nordostlich von
Nürnberg, das andere südlich von Augsburg lag. Eine früher
von Lachmann (Singen und Sagen s. 12) aufgestellte An«
sieht, wonach unter Haldenberg ein Hakenberg an der
mahrischen Grenze gemeint sein sollte, war damit auf-
gegeben.
V. d. Hagen liess in seinen Gesammtabentheuern
(3. Bd.) das Gedicht nach der Berliner Handschr. abdrucken
und hielt gegen Haupt und Karajan auch den Vorzug des
Berliner Textes in Bezug auf die Ortsnamen aufrecht, welche
dort statt Hohenstein, Haldenberc, Wankhusen so
lauten: Wels, Trunberc, Leubenbach (Wels, Traun*
stein, Berg am Traunsee und Leonbach, eine Stunde von
Wels). Da man auf die Ansichten von der Hagens nie
grosses Gewicht zu legen gewohnt war, so blieb die von
Haupt und Karajan aufgestellte Ortserklärung die geltende,
bis im Jahre 1863 Franz Pfeiffer in: Forschung und
Kritik auf dem Gebiete des deutschen Alterthums
1. Heft, die Frage von Neuem aufnahm und den Beweis
antrat, dass erstens die Ortsnamen der Berliner Handschrift
die ursprünglichen, folglich auch zweitens der Werth dieses
Testes viel höher anzuschlagen sein, als bisher geschehen,
Hofmam: üeber den Meier HdmbretM. 183
demgemäss Pfeiffer auch eine Anzahl Stellen nach der
Berliner Handschrift emendirte, wozu noch manche Ver-
besserungen aas eigenen Mitteln kamen.
Da diese Abhandlung Pfeiffers in den Händen aller
Fachgenossen sein wird, so brauche ich hier ud^ so weniger
darauf einzugehen, als Polemik überall ausser meiner Ab-
sicht liegt und das neugewonnene Resultat ohnehin nicht
auf polemischem Wege, sondern durch sich selbst seine
Rechtfertigung finden muss.
Gegen Pfeiffers Auffassung erhob sich zunächst Herr
Archivrath Karl Muffat, bekanntlich einer der besten
Kenner der älteren bayerischen Geographie. Er legte seine
Resultate im Morgenblatt zur Bayerischen Zeitung
Tom 8. Oktober 1863 nieder. Er fand einen urkundlichen
Helmbrechtshof in der Obmannschaft Gilgenberg. Ein
Helmbrechtshof allein hätte natürlich wenig zu bedeuten ge-
habt; da aber Gilgenberg in sehr geringer östsüdöstlicfaer
Entfernung von Wanghausen liegt, also von dem einzigen
Punkte, welcher unter den Ortsangaben der Ambraser Hand-
schrift eine relativ grosse Sicherheit bot, so war die Ent-
deckung höchst wichtig und sie hat auch in der That zu
allen folgenden Funden den Weg gewiesen. Für Hohenstein
und Haldenberg stellte Muffat zwei Namenpaare auf 1. Hohen-
burg und Hantenberg, .die ungefähr in östlicher und west-
licher Richtung gleichweit entfernt von Gilgenberg liegen,
so dass die drei eine fast gerade Linie bilden. Da nun aber
diese zwei Namen von den überlieferten in der Form ziem-
lich abweichend erschienen, so stellte Muffat noch ein zweites
Paar auf, nämlich Halmberg (auf der Finkischen Karte
Hallenburg) und Hohenstein, beide von Gilgenberg in süd-
westlicher Richtung gegen den Chiemsee hin gelegen, so
also, dass Gilgenberg nicht zwischen den beiden andern,
sondern in nordostlicher Richtung über ihnen liegt Es ist
klar, dass von diesen beiden Namenpaaren das erstere in
18*
184 Sitzung der phüos.-phüol. Glosse vom 5. November 1864.
geographischer, das zweite in graphischer Beziehung den
Vorzug verdiente and umgekehrt; ganz genügend war daher
keines von beiden. Auf den Karten fand sich der Helm-
brechtshof nicht vor.
Unter solchen Umständen urtheilte ich , dass jetzt die
Untersuchung ungefähr so weit gedeihen sei, als sie durch
blosse Benützung von Gedrucktem ohne Autopsie gebracht
werden könnte. Sie weiter zu fördern, dazu bot sich mir
vor etwa */i Jahren Gelegenheit, als der Privatgelehrte
Herr Friedrich Keinz zum Behufe einer Arbeit über die
niederbayerische Mundart seiner Heimathstadt Passau von
der Akademie zur Begutachtung an mich gewiesen wurde.
Da Herr Keinz in Folge meines Gutachtens ein kleines
Reisestipendium zur erneuten Untersuchung der Mundart in
und um Passau erhielt, so setzte ich ihn vor seiner Abreise
von dem Stande der ganzen Frage in Kenntniss und er-
suchte ihn, von Passau aus, sei es schriftlich oder mündlich
den Legalitäten und den bisher unerklärbaren Wörtern und
Redensarten im Meier Helmbrecht weiter nachzuforschen. Dabei
war dann vor Allem zu untersuchen, ob im heutigen Wang-
hausen sich etwa noch der berühmte Brunnen finde, den
der alte Meier Helmbrecht in seinem Wankhüsen kennt;
dann war der urkundliche Helmbrechtbhof und von ihm
aus, wenn er sich finden sollte, der Hohenstein und
Haldenberg zu suchen. Herr Keinz untersuchte nun in
dieser Richtung. Durch Freunde in Pa^sau und Burghausen
(dem gegenüber auf dem rechten Salzachufer Ach und als
dessen fast unmittelbare Fortsetzung Schloss und Dorf
Wanghausen liegt) wurde er mit einem gelehrten und orts-
kundigen Eingebornen des Inn vierteis, Herrn Pfarrer Sa-
xeneder in Ueberackern bekannt, und hauptsächlich
diesem trefflichen Manne verdanken wir alle neue Kunde,
die das vorliegende kleine Buch des Herrn Keinz den Freue-
Hofmann: üeber den Meier Helmbrecht. 185
den unserer alten vaterländischen Literatur- und Cultur-
gescbichte gewähren kann.
Der leichtern Uebersichtlichkeit wegen hat Herr Eeinz
auf meinen Rath seinem Büchlein eine Karte beigegeben,
eine zweite , diesem Berichte beiliegend , die er ebenfalls
auf mein Verlangen ausgearbeitet hat, macht die verschiedenen
Hypothesen über die Heimath des Gedichtes anschaulich.
Das Itinerarium ist nun einfach dieses:
Aus der bayerischen Grenzstadt Burghausen gelangt
man über die Salzachbrücke in das Innviertel, jetzt Innkreis
zunächst nach Ach und Wanghausen. Der Kirche gegenüber,
unmittelbar an der Strasse steht das „goldene Brünnlein",
ohne Zweifel dasselbe , welches der alte Helmbrecht in den
Versen 893—98 nennt:
lieber sun min, nü trinc
den aller besten ursprinc
der üz erdem ie gefloz;
ich weiz niht brunnen sin genöz,
wan ze Wankhüsen der:
den tregt et uns nu-nieman her.
Dem „goldenen Brünnlein" schreibt der Volksglaube
Heilkraft, besonders für die Augen zu und ein mittelalter-
liches lateinisches Gedicht im Kapuzinerkloster zu Burg-
hausen soll die Tugend der Quelle preisen. Von Wang-
hausen fuhrt der Weg durch den bis an den.Inn ausge-
dehnten Forst Weilhart nach dem Pfarrdorfe Gilgenberg, und
in geringer Entfernung nördlich davon zu zwei Bauernhöfen,
die jetzt die Namen Lenzengut zu Reit und Nazigut zu
Reit fuhren, deren ersterer aber alten Leuten noch unter
dem Namen Helmbrechtshof bekannt ist. Diess sind die
zwei Halbhöfe, „in welche nach der Steuerbeschreibung des
Gerichtes Braunau vom Jahre 1721 der Helmprechtshof
in der Obmannschaft Gilgenberg getheilt war". (Muffat.)
Auf dem Lenzen gut wird noch eine Pergamenturkunde
186 Siimmg der pftäofc-pftOoZ. Clane vorn 5. November 1664.
aus dem Jahre 1656 aufbewahrt, die unter andern Höfen
den Helmbrechtshof auffahrt.
Eine Stunde südsüdöstlich von Gilgenberg liegt der
Berg Hohenstein, auf dem jetzt eine Wallfahrtskapelle des
heiligen Coloman steht. Eine halbe Stande von Gilgenberg
in nördlicher, vom Helmbrechtshofe aas in mehr östlicher
Richtung liegt der höchste Berg der Umgegend, der auf der
Gilgenbergerseite gewöhnlich Adenberg, auf der nördlichen
(Ranshofener) Seite Aldenberg (nach altbayerischer Aus-
sprache Ajdenberg) genannt wird. Beide Berge sind die
höchsten Punkte der Gilgenberger Gegend. Vom Aldenberg
aus kann man bei sehr reinem Wetter sogar die Frauen*
thürme in Manchen unterscheiden.
Eine kleine Viertelstunde vom Helmbrechtshofe begin-
nend, zieht eich in nordöstlicher Richtung gegen den Alden-
berg ein steiler Waldabhang, beim Volke noch heute die
Eienleite genannt, in deren Mitte ein schmaler Steig
auf die hinter ihr liegende Hochebene führt. Im Gedichte
wird nun dieser schmale Steig an der Eienleite als
dem Helmbrechtshofe zunächst gelegen ausdrücklich von der
Tochter Gotelint genannt v. 1426 — 27.
ich trite mit dir den smalen sttc
an die Eienliten.
Man sieht, die einzige Differenz zwischen den Angaben
des Gedichtes und den heutigen Namen liegt in Halden-
berc und Aldenberg. Ich glaube die Grenzen der näch-
ternsten Kritik nicht zu überschreiten, wenn ich behaupte,
dass diese Differenz nicht bedeutend genug ist, um die
Sicherheit der sämmtlichen übrigen Identitäten in Fragö zu
stellen. Der Aldenberg kann früher Haldenberc geheissen
haben, oder, was das Wahrscheinlichste ist, der Schreiber
der Ambraser Handschrift oder einer seiner Vorgänger kann
Haldenberc gesetzt haben für Aldenbero, etwa wegen des
gleichen Anlautes mit Hohenstein.
Hofmam: Ueber dm Meier Hdmbrtcht. 187
Doch die Reihe der neuen Ergebnisse ist hiemit noch
Jkeine8weg8 erschöpft. Herr Pfarrer S., der sich nie in
seinem Leben mit mittelhochdeutscher Sprache und Literatur
beschäftigt hat, war im Stande, eine so erhebliche Anzahl
von bisher unerklärten Wörtern, Redensarten und Gebräuchen
ans seiner angebornen Kenntniss der Mundart und Sitte zu
erklären, dass diese Aufschlüsse kaum minder ins Gewicht
fallen dürften, als die geographischen Uebereinstimmungen.
Ich will der Kürze wegen nur auf folgende Wörter und
Ausdrücke eingehen. Das vielbesprochene, unerklärliche
clamirre ist ein veraltender, aber noch bekannter Aus-
druck für die Speise, welche man bei uns in Altbayern
Paresen nennt, zwei schildförmige Semmelschnitten mit
dazwischenliegendem Kalbshirn oder Zwetscbgenmuss, daher
Hirnpavesen, Zwetschgenpavesen, vom romanischen pavese,
pavois = Schild (s. Schindler B. W. L 278). Herr Keinz
hat selbst diese „Klammer oder Klemmer" an der Tafel
des Herrn Pfarrers S. gegessen.
lün (v. 35) bedeutet noch jetzt den aufsteigenden Rand
der Haube;
spargolzen v. 223 bedeutet einen inneren an der
Hose befestigten Hohlgurt zur Aufnahme von Geld.
stürz v. 390 bedeutet die Falten, in welche ein Stück
Tuch oder irgendwelches Zeug gelegt wird«
maser v. 1003 ist noch ganz gebräuchlich und bedeutet
einen Pokal von einer Ahornart.
isenhalt v. 1205 ist ein eisernes Kästchen zur Auf-
bewahrung von Geld und Geldeswerth, welches in die Wand
eingesetzt wird, zu welchem Behufe man schon beim Baue
des Hauses einen Balken um etwas kürzer läset. Herr
Pfarrer S. zeigte Herrn K. einen solchen tsolt in seinem
Pfarrhofe.
Ouwer, der Ochsenname in v. 819 ist identisch mit
Au er. So nennt man dort einen Stier, der zwei bis drei
188 SUmmg der phOoi.-phMl. dam vorn §. November 1864.
Jahre lang Sommer and Winter auf den Inseln (Auen) der
Salzach zur Weide gelassen worden ist. Sie sollen dann
besonders kräftige Kälber erzengen.
Eine kuo von siben binden v. 1831 ist eine Kuh,
die siebenmal gekälbert hat. Bei jeder Geburt setzt sich
nuten an den Hörnern ein Ring oder eine Binde (bandl)
an, nach deren Zahl man die gebrachten Kälber berechnet.
flf den fnoz er ir trat v. 1534, bezieht sich auf eine
in der dortigen Gegend noch heutzutage herrschende Sitte
oder vielmehr Unsitte, die Herr Pfarrer S. sogar schon
mehrmals von der Kanzel herab gerügt hat. Wenn Braut-
leute vor dem Altar stehen, sucht eines dem andern, sobald
die Traunngsformel gesprochen ist, so schnell als möglich
auf den Fnss zu treten. Wer dem andern zuvorkömmt,
kriegt das Regiment im Hanse und bringt den andern Theil
unter den Pantoffel.
Eine Erklärung, die Herr Pfarrer S. zu V. 783 (haet
ich dann alle vische) gegeben hat, dass nämlich: Fische
haben, soviel bedeutet, wie Unglück haben, ist zwar in
sofern dankenswerth, als sie uns eine (meines Wissens) neue
Redensart kennen lehrt; aber an der betreffenden Stelle ist
diese Erklärung unnöthig, wie ich durch Auslegung einer
bis jetzt unverstandenen Stelle Wolframs nachweisen zu
können glaube. Ich meine die bekannten Verse, Parzival
487, 1—4
Swaz da was spise für getragen,
beliben si da nach ungetwagen,
daz enschadet in an den ougen niht,
als man fischegen handen giht.
Im Orient, wo man mit den Fingern isst, gehört das
Händewaschen bei Tische zu einer der ersten socialen
Pflichten. In 1001 Nacht lässt bekanntlich eine Dame ihrem
Geliebten die Hände abhauen, weil er ihr mit ungewaschenen
Fingern zu nahen wagt. Im Petrus Alfonsus, Dieciplina
Hofmann: üeber den Meier Heknbrecht. 189
clericalis (ed. F. W. V. Schmidt 1827) findet sich nun
folgende Hauptbeweisstelle Gap. 28. S. 75. Der Vater sagt
zum Sohne: Post prandium manus ablue, quia physicum
est et curabile. Ob hoo enim multorum oculi deterioran-
tur, quoniam post prandium manibus non ablutis terguntur.
Die Orientalen, die alle Speisen mit den Fingern essen,
mussten sich natürlich nach jeder waschen, die Europaer
nach solchen, die sie mit den Fingern essen, also haupt-
sächlich nach Fischen. Fischege hände sind also nach dem
Fischessen nicht gewaschene Hände, wodurch oculi deterio-
rantur. Im Meier Helmbrecht bedeutet somit: Hände
waschen, so viel als Fische essen.
Solche Erklärungen dürfen wohl auch als direkte Be-
weise dafür gelten, dass wir in der Gegend von Gilgenberg
nicht bloss den Schauplatz, sondern auch Sprache und
Sitten des Gedichtes vom Meier Helmbrecht wiederfinden.
Wie käme sonst ein mit allem Mittelhochdeutschen bis da-
hin gänzlich unbekannter Landpfarrer dazu, auf den ersten
Blick Dinge zu verstehen, an denen sich bis jetzt alle Ger-
manisten vergeblich abgemüht haben?
Zu diesen positiven Beweisen kommen nun noch An-
deutungen über den historischen Gehalt der Helmbrecht-
dichtung und über den Dichter selbst, die freilich nur Mög-
lichkeiten geben, aber so ansprechend sind, dass man sie
ungerne missen würde. In der Gegend lebt die Sage vom
verlornen Sohne Helmbrechtel noch fort und hat sich haupt-
sächlich geknüpft an einen Schacher (so heisst dort ein
Votivkapellchep am Wege) der fast mitten im Walde (dem
Weilhart) in nordwestlicher Richtung vom Helmbrechtshof
und in gerader Linie zwischen diesem und dem Dorfe
Ueberackern steht, wo Herr Pfarrer S. geboren ist und
lebt. Das Volk erzählt, hier sei ein schlimmer Geselle, der
seinen Eltern davongelaufen und Soldat geworden, zur
Strafe für seine Uebelthaten gehängt worden. Zutreffender
190 Sitnmg der phikH.-phOoL dam vom 5. November 1864.
könnte die Volkssage den Inhalt des Meier Helmbrecht
kaum zusammenfassen. Da nun in jener Gegend tun die
Mitte des 13. Jahrhunderts wirklieh ein arges Raubritter-
wesen herrschte und Ratishofen eines der berüchtigsten Raub-
nester in nordlicher Richtung nicht weit Tom Helmbrechtshofe
auf dem rechten Innufer lag, so entsteht direkt die Frage,
ob nicht unserer berühmten Dorfgeschichte eine wirkliche
Geschichte zu Grande liegt.
Die zweite Andeutung betrifft den Dichter, Weinher
den Gartenaere. Das uralte und berühmte Kloster Bans-
hofen liegt einige Stunden nordnordöetlich vom Schauplatze
der Dichtung, auf dem Wege nach Braunau. Wie fast alle
mittelalterlichen Klöster in Deutschland pflegte es den Garten-
bau nicht bloss selbst, sondern verbreitete und unterstützte
ihn auch in seiner Umgegend. So erinnert man sich denn
in der Gilgenberger Gemarkung, dass zu Klosterzeiten immer
I ein Ranshofener Pater mit diesem Geschäfte beauftragt war
und weiss von mehreren Patres zu erzählen, die in erspriess-
licher und zuweilen launiger Weise dem Amte oblagen. Ein
[ solcher monachaler Hortikulturtechniker hiess Pater Gärtner
und so bietet sich denn die Vermuthung dar, dass unser
| Wernher der Gartenaere, der auf der einen Seite ein gar
j nicht ungelehrter Mann, auf der andern ein meisterhafter
Kenner und Schilderer des Volks- wie des Junkerlebens ist,
I etwa ein solcher Pater Gärtner yonRanshofen gewesen sein
könnte.
Diess sind die Hauptresultate, die Herr Keinz mit
Hülfe des Herrn Pfarrers Saxeneder gefunden hat, und es
wäre wohl übertriebene Bescheidenheit, wenn ich mich nicht
freute und mir zu einigem Verdienste anrechnete, diese
Lokalforschung zuerst und methodisch angeregt zu
haben.
Hiemit ist der Theil des Büchleins besprochen, der
sich an die Forscher wendet. Herr Keinz hat ausserdem
v. Marüus : KopreUthm von Leimendorf. 191
noch für Ungelehrte den ganzen Test des Meier Helmbrecht
abdrucken lassen und mit einem Wörterbüchlein und mit
solchen Anmerkungen begleitet, wie sie für unsere Zeit
passen, wo man nach halbhundertjährigem Betriebe der
deutschen Sprach- and Alterthumskunde von Jedem, der
nicht den strictesten Gegenbeweis bereits geliefert hat, per
se annehmen mnss, dass er vom Altdeutschen gar keine,
oder was fest schlimmer, eine bloss belletristische Kenntniss
besitzt. Der Text ist nach Haupt mit Benutzung von
Pfeiffers Verbesserungsvorschlägen, wobei Fehlgriffe in der
Auswahl mir allein zur Last fallen. Eine eigentlich kritische
Bearbeitung wurde durchaus nicht beabsichtigt, da der Text
mit seinen Zuthaten ja nur für solche bestimmt ist, die das
Mittelhochdeutsche gar nicht kennen und doch das berühmte
and treffliche Gedicht vom Meier Helmbrecht gerne einmal
lesen möchten.
Mathematisch -physikalische Classe.
Sitzung vom 12. November 1864.
Herr von Martins hielt einen Vortrag:
„Ueber phosphorsaure Thonknollen (Kopro-
lithen?) von Leimershof, unter Vorlage
der Mineralien/'
Auf den Aeckern seines Landgutes Leimershof, ändert*
halb Stunden von Breiten-Güssbach im Landgerichte Schess-
litz, hat mein Neffe, Herr Wilhelm Martins eigentümlich
gestaltete Thonknollen gefunden, die er für Koprolithen
hielt, was sich auch durch die chemische Reaction auf
Phosphorsaure durch molybdänsaures Ammoniak zu bestätigen
192 Sitzung der maih.-pktfs. Classe vom 12. November 1864,
schien. Diese Knollen von der Grösse eines Taubeneies,
auch grösser and kleiner, welche ich hier vorzulegen mich,
beehre, enthalten, nach einer von Herrn Prof. Kaiser ver-
0
anstalteten Analyse:
Wasser mit Spuren stickstoffhaltiger Materien . . 5,77
Thon (in Salzsäure unlöslich) 22,86
Phosphorsauren Kalk 68,72
Kohlensauren Kalk . . • 2,65
Die von graugelblioher Farbe scheinen mehr Phosphor-
säure zu enthalten, als die grüngraulichen. Beide Sorten,
findet man einzeln zerstreut auf den Feldern (in einem,
ziemlich schweren Alluvialboden), die gegen Süden vom
einem Hügel eines sehr reinen plastischen Thones begrenzt
werden. Ihre Verbreitung erstreckt sich über viele Tag-
werke des Grundes und wird sich erst bei öfterem Umackern
genauer bestimmen lassen.
Der Grösse nach stehen diese vermeintlichen Kopro-
lithen denen aus der Kirkdaler Höhle und anderen eng-
lischen, die ich gesehen habe, nach; und auch ihre Form
ißt abweichend. Ich muss es den Paläontologen über-
lassen, ob sie von Ichthyosauriern herrühren möchten, die
in der Nähe, bei Kloster Banz, sind aufgefunden worden.
Die schneckenförmig gewundene Gestalt, von welcher man
auf eine spiralige Falte im Darme jener Thiere hat schliessea
wollen, ist hier nicht zu bemerken. Eben so wenig habe
ich in einigen aufgeschlagenen Exemplaren Spuren von
Fischschuppen oder Gräten bemerken können. Was ich
aber als besonders auffallend von Einem Stücke bemerken
möchte, ist der Umstand, dass es den deutliche^ Abdruck
eines mit Höckern oder Stacheln versehenen Ammoniten
zeigt, welcher sich als Ammonites margaritatus bestimmen
Hess. Darnach zu schliessen müsste die Schicht, in welcher
diese Koprolithen-artigen Körper gefunden wurden, dem
mittleren Lias angehören.
Wagner: Anthtopologisehe Entdeckungen im Diluvium. 193
*
Herr M. Wagner hielt einen Vortrag:
„Ueber die anthropologischen Entdeckungen
im geschichteten Diluvium bei Äbbeville".
Die Untersuchungen, welche Herr Boucher de Per«
thes in den Diluvialgebilden der Picardie seit 27 Jahren
mit rastlosem Eifer fortsetzt, haben zu Ergebnissen geführt!
welche für die Geologie ebenso, wie für die Anthropologie
und Ethnographie, von hoher Wichtigkeit sind. Erhebliche
Zweifel, welche von verschiedenen Seiten gegen die Richtig-
keit der dortigen Funde und Beobachtungen hervortraten,
wurden in jüngster Zeit durch die genaueste Prüfung eines
wissenschaftlichen Scliiedsgerichts von namhaften Natur-
forschern Frankreichs und Englands widerlegt. Ich glaube,
dass die Forschungen des Herrn Boucher de Perthes,
welche über die frühesten Spuren des Menschen in Mittel-
europa manche neue, merkwürdige Thatsachen bringen und
deren Resultate derselbe unserer Akademie regelmässig mit-
theilt, auch hier eine ehrende Erwähnung verdienen.
Im Jahr 1837 hat Herr Boucher de Perthes eine erste
Schrift publicirt, in welcher er eine Anzahl von roh zuge-
hauenen Feuersteinen, an denen deutlich erkennbar, dass
man ihnen durch Zuschlagen einen scharfen Rand zu geben
versuchte, als künstliche Werkzeuge von ^Menschenhand aus
der Diluvialperiode beschrieb. Die paläontologische und die
ethnographische Sammlung des Staates sind im Besitze
einiger dieser sogenannten Steinäxte und eine grössere An-
zahl echter Fundstücke ist uns von Herrn Boucher de Per-
thes in Aussicht gestellt.
Die sicher uralten ethnographischen Gegenstände werden
ziemlich zahlreich im Sommethal bei Abbeville, Auiiens, St.
Acheul u. s. w. 8 bis 12 Fuss unter der Dammerde in
Schichten von Sand und Gerolle gefunden, welche die meisten
194 Sitmmg der «aft.-pAyt. OUme vom 12. November 1864.
Geologen, mit fast einziger Ausnahme des Herrn Elie de
Beanmont, als dem Düuvium zugehörig betrachten. Neben
diesen Steinwerkzeugen worden in den gleichen Schichten,
unmittelbar über der Kreide liegend, Knochen von Elephas
primigenins, von Bhinooeros tichorhinus und andere Ueber-
reste aasgestorbener Säugethiere der quaternären Periode
nachgewiesen.
Diese Entdeckung konnte jedoch lange keine rechte
Beachtung und Anerkennung finden, selbst nicht in Frank-
reich, wo der Ausspruch Cuvier's, dass der Mensch nicht
gleichzeitig mit dem Mammuth und andern ausgestorbenen
Thieren der Diluvialzeit gelebt habe, zwar durch die Kno-
chenfunde in den Hohlen bei Lüttich und später im süd-
lichen und westlichen Frankreich etwas erschüttert war,
doch aber im Ganzen noch die herrschende Ansicht vertrat.
An den Zweifeln, welche die steinernen Artefacte von
Abbeville erregten, mochte die etwas zu phantasiereiche
Auslegung, die der Entdecker den verschiedenen oft sehr
unregelmässigen Formen der gefundenen Gegenstände gab,
einigermassen beigetragen haben. Nach verschiedenen klei-
neren Abhandlungen hatte derselbe ein grosses zweibändiges
Werk unter dem Titel „Antiquites celtiques et antediluvien*
nes" publicirt. Ausser denjenigen Artefecten, die er nach
ihrer annähernden Form als Beile, Hämmer, Keile, Messer,
Waffen etc. beschrieb und abbildete, gab er darin auch die
Beschreibung von vielen grösseren und kleineren unregel-
mässigen Feuersteinstücken, in denen er Nachbildungen von
Organismen mit symbolischen Bedeutungen zu erkennen
glaubte. Ein unbefangener und gründlicher Beobachter,
Herr v. Bär, der diese ethnographischen Gegenstände selbst
in Abbeville sah, hält dieselben wohl mit Recht nur für
Späne öder Splitter, welche beim Zuschlagen der Stein-
werkzeuge abgefallen waren.
Auch die übrigen Feuersteinobjekte wurden anfangB
Wagner: Anthropologische Iktdechmgen 4m Düuoiwn. 195
ron einigen Forschern für betrügerische Fabrikate der bei
den Steinbrüchen beschäftigten Arbeiter gehalten. Ein»
ziemliche Anzahl von diesen rohen Artefacten mag auch
wirklich nachgemacht worden sein. Ueberall,' wo solch»
Funde gemacht und Ton sammelnden Liebhabern gekauft
werden, wird auch eine betrügerische Industrie entstehen,
die sie zu falschen sucht. Diess beweist indessen nichts
gegen die Echtheit der wirklichen Fundstücke.
Einige meinten sogar, die Natur könne diese Feuer»
steinabsplitterungen selbst bewirkt haben, ohne allen An«
theil yon Menschen. Sie hielten die Objekte von Abbeville '
für zufallige Formen, sogenannte Naturspiele. Diese Forscher
haben die Artefacte der Picardie wohl nur aus Abbildungen
gekannt. Wer mit dem natürlichen Vorkommen des Feuer-
steins in der Kreide nur einigermassen vertraut, die Original-
exemplare dieser Steinäxte unbefangen betrachtete, konnte
keinen Augenblick darüber in Zweifel sein, dass die Form
derselben eine künstliche ist. Doch erst im Jahre 1859
als der britische Geolog Lyell nach Abbeville kam und nach
einer genauen Untersuchung der dortigen Diluvialgebilde die
bestimmte Erklärung gab: er könne die Feuersteinobjekte
nur als absichtlich von Menschen geformt betrachten, und
er habe deren selbst in ihrer ursprünglichen Lage in den
unteren Diluvialschichten gefunden, nahm die Streitfrage
eine für den Entdecker etwas günstigere Wendung.
Unerklärbar blieb jedoch immer die grosse Zahl der .
gefundenen Artefacte und dabei doch der Mangel aller
menschlichen Knochen. Merkwürdig war auch die überaus
rohe Form dieser alten menschlichen Kunstprodukte. An
Plumpheit der Arbeit stehen dieselben weit unter andern
ähnlichen Steinwerkzeugen, welche man in den alten Höhlen
des westlichen und südlichen Frankreich, namentlich in den
Departements de la Oaronne, de V Artege und de la Dop-
dogne gefunden hat und die von den Herren Lartet und
196 Sitomg der matk-phys. Gam wm 12. Nwmber 1864.
Christy beschrieben worden. Aach die verschiedenen Werk*
senge aus der sogenannten Steinzeit in Dänemark und
Meldenbarg, sowie aas den ältesten Pfahlbauten am Boden-
see and in der Schweiz zeagen von einer weit hohem
Stufe der Handfertigkeit and Kunst. Bei diesen bat man
immer versucht, den scharfen Band der Werkzeuge and
Waffen gleiohmässig zuzuhauen oder zuzuschleifen, während
bei den Feuersteinobjekten in der Picardie dieser Band
anregelmässig ausgebuchtet geblieben und nie zugeschliffen ist.
Herr Boucher de Perthes setzte inzwischen seine Nach-
forschungen in den quaternären Gebilden der Umgegend von
Abbeville unermüdlich fort. Am 28. März 1863 wurden
von ihm in der Nähe der Steinbrüche von Moulin-Quignon
ein halbes menschliches Unterkieferbein, in welchem noch
der vorletzte Backenzahn sass und ausserdem noch mehrere
einzelne Zähne gefunden und mit eigner Hand herausgenom-
men. Die Schicht, in welcher diese Fundstücke neben alten
Steinästen lagen, ist die unterste von den 6 Schichten, die
dort das Diluvium bis zu einer Mächtigkeit von 4 Meter
unter der Dammerde zeigt. Dieselbe besteht aus einem
schwarzbraunen, ziemlich festen Sande» der mit eisenhaltigem
Thone gemischt ist und unmittelbar auf der Kreide liegt.
Dieser Fund erregte allenthalben grosses Interesse.
Herr Quatrefages, Professor der Anthropologie in Paris und
Herr Falconer, ein ausgezeichneter Paläontolog von London,
begaben sich selbst nach Abbeville. Beide schienen nach
einer genauen Besichtigung der Fundstätte von der Echtheit
des Fundes überzeugt. Falconer erhielt einen der Zähne,
und Quatrefages den Unterkiefer, den er seitdem in meh-
reren Abhandlungen beschrieben hat. Die Form dieses
Unterkieferbeines hat manches Ungewöhnliche. Der Gelenk«
ast ist auffallend breit, niedrig und etwas schief gestellt,
der Gelenkkopf ist ungewöhnlich rund und der hintere
Band etwas nach Innen gebogen. Diese auffallenden Merk-
Wagner: J*fhropolo§i$dm BmdedNmg** «si Dilmim*. 197
male finden siah vereinet «och bei Unterkiefern der jetagen
Menschearacen, aber nirgends zusammen vereinigt.
Herr Quatrefages, der sich hinsichtlich dir anthropolo-
gischen Sehlussf olgerungen , welche ihm den Vergleich der
Kinnlade mit anderen Raceschädeln der Jetztzeit darbot,
mit einiger Zurückhaltung äussert, glaubt gleichwohl mit
Nachdruck hervorbeben in müssen, da» der primitive
Mensch, von dem diese Kinnlade herstammt, nicht zu den
negerartigen Schaefzähnern an rechnen sei. Zwar fehlten
dem Unterkieferbein , von dem nur die rechte Hälfte er-
balten ist, die Schneidezähne, aber schon nach der fast
senkrechten Stellang der Alveolen glaubt Herr Quatrefages
sich zn dieser Behauptung berechtigt: dass jene ältesten
Bewohner der Picardie, die Zeitgenossen des Mammuth,
doch jedsofslls einer arthognaten Race angehört haben
müssten. Herr v. Bär ist darüber anderer Ansicht. Nach
einer Vergleichung der Kinnlade von Moulin-Qnignon mit
denen der reichen anthropologischen Sammlung in St.
Petersburg meint er, dass nach der schiefen Stellung des
aufsteigenden Gelenkaetes der Unterkiefer am nächsten bei
den Papuas und bei ähnlichen Völkern mit sehr Yorsprin«
gendem Gesicht stehe und er glaubt daher, dass jene primi-
tive Bevölkerung von Nord -Frankreich einer ähnlichen
niedern Race angehört habe. Herr Falconer hatte indessen
den mitgenommenen Zahn aufgesägt und gefunden, dass die
schwarze Färbung, die er äusserlich zeigte, ihn nicht ganz
durchdrungen* Die chemische Analyse ergab, .dass im Zahne
noch viel thierische Substanz enthalten war, die sonst bei
längerem Aufenthalt in der Erde gewöhnlich verloren geht.
Herr Falconer schöpfte aus diesen Thatsaohen den Verdacht:
die Arbeiter bei den Steinbrüchen von Moniin- Qnignon
hätten den Zahn und ebenso den Unterkiefer aus irgend
einem alten Grabe genommen, ihn mit dem thonhaltigen
Sande der Schicht bekleidet und so eingegraben« Auch an
[1864 IL 3.] 14
198 SitMtmg der puäk-pty*. Clas* vom 12. November 18U.
einigen der Feueretainwerkzeuge glaubte er die Beweise
sa finden, dass sie nicht sehr alt sein könnten. In einem
offenen Schreiben an die Times erklärte er hierauf diese
und alle ahnlichen Funde im Diluvium bei Abbeville für
Betrug der Arbeiter.
. Nach einer Aufforderung des Herrn Quatre&ges, die
Sache nochmals an Ort und Stelle mit ihm genau zu unter-
suchen, kam Herr Falconor in Begleitung von drei andern
geachteten britischen Paläontologen , den Herren Prestwicb,
Buk, Carpenter, eammtlich Mitglieder der Royal Society,
nach Paris. Von französischer Seite nahmen die Herren
Lartet, Desnoyers, Delesse Theil an der Verhandlung. Die
französischen Paläontologen suchten den Beweis zu liefern,
dass auch in sehr alten Zähnen und Knochen von unzweifel-
haft ausgestorbenen Thierarten der quatemären Periode
noch eine ansehnliche Menge tbierischer Substanz enthalten
sein könne, sobald der Zutritt der Luft in die Schichten
sehr erschwert ist.
Da die Ansichten hinsichtlich der Echtheit des Unter«
kieferbeins sich nicht einigen konnten, auch nachdem das*
salbe in Gegenwart Aller entzweigesägt worden, wurde
nochmals ein gemeinsamer Besuch der Fundstätte bei
Moulin-Quignon beschlossen. Alle Verhältnisse sollten dort
mit der grössten Vorsicht geprüft werden.
Unter der Leitung des Herrn Milne-Edwards kam die
aus 20 Naturforschern bestehende Gesellschaft in Abbeville
an, ohne Herrn Boucher de Perthes zu?or in Kenntniss ge-
setzt zu haben. Die gemietheten Arbeiter wurden nach
dem Taglohne, nicht nach den Fundstücken bezahlt und
überdiess zuverlässige Aufseher bestellt, um jeden Betrug
unmöglich zu machen. An verschiedenen Stellen der auf*
geschlossenen Schichten wurden, nachdem man sich genau
überzeugt hatte, dass daselbst früher weder eingegraben
noch gebohrt worden war, mehrere senkrechte Schachte
Wagner: Aatonpohgiaehe Bttdrihrngm im Diktvium. 19$
gegraben. Die anwesenden Naturforscher übernahmen selbst
die genaueste Beaufsichtigung der Arbeiten. In Gegenwart
Aller wurden im Laufe des Tags 5 Feueroteinbeile ganz in
ihren ursprünglichen Lagen, welche vorher verdeckt gewesen,
gefunden. Vier davon hatten alle diejenigen Merkmale,
nach denen man in England ihre Echtheit bezweifelt hatte.
Darauf stimmten auch die britischen Paläontologen mit der
Erklärung bei, dass auch sie nun die Fundstücke und
namentlich auch das Unterkieferbein für echt hielten.
Herr Mibe - Edwards erstattete als Präsident dieses
wissenschaftlichen Schiedsgerichtes der Pariser Akademie
darüber einen ausführlichen Bericht ab. Die so lange be-
zweifelte, bedeutsame Entdeckung des Herrn Boucher de
Perthes war durch den einstimmigen Ausspruch desselben
glänzend gerechtfertigt.
Die Resultate der fortgesetzten Ausgrabungen dieses
eifrigen Forschen waren im Laufe dieses Jahres noch loh-
nender. Wir finden darüber eine vorläufige Mittheilung in
der Nummer des Journal 1'AbbevilloiB vom 17. Juli, das
Herr Boucher de Perthes an unsere Akademie gesandt hat.
Vom Mai bis Juli 1864 wurden bei Moulin - Quignon
unweit derselben Stelle, wo die Kinnlade gefunden worden,
40 Ausgrabungen vorgenommen. Man wählte immer Stellen,
wo der ungestörte Schichtenbau zeigte, dass da nie zuvor
gegraben worden war. Bei den grossem Ausgrabungen waren
ausser Herrn Boucher de Perthes auch andere wissenschaft-
lich gebildete Männer, welche an diesen Untersuchungen
Interesse nahmen, wie Dr. Dubois, Arzt des Hospitals von
Abbeville, und zwei Geistliche, der Abbe Dergny und der
Pfarrer Martin anwesend.
Ausser mehreren fossilen Thierknochen , zugehauenen
Feuersteinwerkzeugen und einer Anzahl von Seemuscheln,
die wahrscheinlich zu den Küchenüberresten der alten Be-
wohner gehörten, wurde auch eine ziemliche Anzahl von
14*
200. SüMm§ <fer mathsf***. Gkm* «am £?, Nrntcmb* 1864.
menschlichen Knochen, leider meist, nur in kleinen Bruch-
stücken gefunden. Doch be&nden sich darunter auch ein
wohlbehaltenes Kreuzbein, ein üst ganzer Unterkiefer,
mehrere Z*hne und awei Stücke des Oberkiefers. Der be-
deutendste Fund aber war ein Schädel, welchen Herr Bon«
eher de Perthes am 17* Mai d. J. aus der untersten Schicht
mit eigner Haad heranßgrub. Der äussere Band der Schädel*
knochen war etwas durch Verwitterung angegriffen. Ueber
die Form des Schädels ist in dieser vorläufigen Mittheilung
nur erwähnt, dass er die Anwesenden durch die sonderbare
Abplattung seines „obern Theiles", womit wohl das Stirn-
bein gemeint sein dürfte, in Erstaunen setzte. Mit der ge-
nauem wissenschaftlichen Untersuchung der gefunden«!
Knochen beschäftigt sich gegenwärtig Dr. Jules Dubois.
Diese verschiedenen anthropologischen Entdeckungen
des Herrn Boucher de Perthes, die sich an ähnliche Re-
sultate von theihreise älteren Untersuchungen der Herren
Schmerling, Spring, Tournal, Lartet, Vibraye, Rames in den
Knochenhöhlen von Belgien, West« und Südfrankreich an-
sehliessen, verdienen gewiss allgemeines Interesse. Dia
Fundstüche bei Abbeville bilden bis jetzt die einsogen mensch-
lichen Ueberreste, welche im geschichteten Diluvium
nachgewiesen sind.
Herr Vogel hielt einen Vortrag:
„1) Ueber die Umwandlung der Vegetation
durch Entwässerung".
Bekanntlich ist man im Stande, durch abgeänderte Be-
handlung einer Wiese eine geänderte, von der ursprünglichen
ganz verschiedene Vegetation auf derselben hervorzubringen.
So. z. B. ruft Aschendüngung aus der Grasnarbe die klee-
Vogel: Vmoamdkmg dir Vegetation dmäi B*tmäa$erung. 201
artigen Gewächse , eine Düngung mit saurem , phosphor-
sanrem Kalk dagegen die Entwicklung von Raigras hervor *).
Der charakteristische Einfluss der unorganischen Be-
standteile des Bodens anf die Natur der Vegetation, wel-
chen zuerst Herr Baron von Liebig festgestellt und ausge-
sprochen hat, eine Thatsache, für deren richtige Erkenntnis
auch Sendtner in seine» berühmten Werke „die Vegetations*
Verhältnisse Südbayerns" die entschiedensten Beweise nieder-
gelegt hat, bedarf selbstverständlich keiner erneuten Be-
stätigung von meiner Seite; da ich aber Gelegenheit hatte,
«eit einer Reihe von Jahren die VegetationsverhSltnisse auf
verschiedenen Torfmooren und deren allmälige Veränderung
daroh fortschreitende Oultnr wiederholt zu beobachten, so
labe ich einige Erfahrungen gesammelt, welche die oben-
erwähnte Thatsache noch mehr anschaulich zu machen im
Stande sein dürften, weshalb ich mich beehre, einige meiner
Beobachtungen als Beispiele hier vorläufig mitzutheilen.
Das Torfmoor, von welchem hier zunächst vorzugsweise
die Bede ist, bildet einen Theil des zwischen Schieissheim
und Dachau sich ausdehnenden Torflagers und gehört in
die Classe der Wiesenmoore. Die Mächtigkeit des Torfes
beträgt 2' bis 8'; der Torf ist durchgängig mit einer */•'
lohen Schichte schwarzer, feuchter Erde bedeckt. Das Moor
bietet von der Ferne aus gesehen den Anblick einer Wiese,
indem es dicht mit sogenanntem saurem Grase bedeckt ist,
welches hauptsächlich zur Stiren, mitunter auch zur Fütter-
«ng verwendet wird.
Die Gultur dieses Torfmoores begann nach Anlage der
Haupt- Abzugs-Graben damit, dass das zu ctdtivirende Torf-
feld mit V bis 2' tiefen Gräben durchzogen wurde. Die
erste Folge dieser Trockenlegung ist eine sehr bemerkbare
Veränderung der Vegetation. Das saure Gras verschwindet
1) v. Liebig, Annalen der Chemie B. 121. S. 169.
302 ffifjfMwn der «Mtb-dba. Qmme mm 13. Mtmmber 1864.
und es treten tbeiis neue Grasarten, theils dykotyledonische
Gewächse hervor» welche dem Torffelde ein total Törändertes
Ansehen verleihen. Während es im nioht entwässerten Zu-
stande eine ganz glefchmässige grangrüne Decke zeigte,
gleicht es nun schon einem von zahlreichen Blutfaen durch-
zogenem bunten Teppich.
Ich habe diese gänzliche und auch bei oberflächlicher
Betrachtung schon sehr in's Auge fallende Umwandlung der
Vegetation an zwei unmittelbar aneinanderliegenden Feldern
beobachtet ; das eine etwas hoher liegende entwässerte zeigte
bereits eine üppige normale Grasvegetation, das zweite von
ersterem nur durch einen 1' breiten Graben getrennte nioht
entwässerte Feld dagegen das gewöhnliche saure Gras der
Torfmoore. Wir haben hier ajso nebeneinander, nur 1'
breit getrennt, Futtergras und Streugas und somit einen
mächtigen Unterschied in der Vegetation ohne weitere
Cultur, ohne irgend eine Düngung, ausschliesslich durch die
Entziehung des stehenden Wassers.
Eine lediglich durch Entwässerung eines Moores her-
vorgerufene Vegetation wird indess in der Folge immer nur
eine sehr magere Wiese darstellen, indem bei nicht weiter
•getriebener Cultur des Bodens durch Auftehütten von
Strassenkoth, durch Düngung u. s. w. der in den ursprüng-
lichen bis dahin ruhenden Wurzeln aufgespeicherte Nahrunga-
stoff nioht lange auszureichen vermöchte, namentlich dann,
.wenn er durch eine Heuernte dem Boden entzogen wird.
Jedenfalls würde die spontane Verbesserung einer solchen
Wiese nur äusserst langsam voranschreiten können.
Eine ähnliche Umwandlungserscheinung zeigt sich auf
den Hochmooren. Diese bieten bekanntlich meistens den
Anblick eines niederen Waldes, sie sind von der Krüppel-
föhre bedeckt; alsbald nach der Entwässerung verschwindet
diese, die Birke tritt auf und bei weiter fortgesetzter Cultur
Vogel: Umwandlung der Vegetation durch Ekhoüteerung. 203
die Fichte* und Eiche, ohne dass eine künstliche Besamumg
stattgefunden hätte.
Es giebt indess auch Hochmoore, welche keine Neigung
snr Waidvegetation besitzen; bei dieser verschwindet nach
der Entwässerung zuerst das Sphagnvm, dann das Geschlecht
der Vaocinien, die Eriken dauern am längsten. Die frei
gewordenen Stellen nehmen zuerst einige hochwüchsige
Grasarten, dann Arten von Syngenasisten ein. Zwischen
ihnen treten gewöhnlich noch einige Straucharten, Weiden
and einzelne Sämlinge von Baumarten, wie Pappeln, Sorbus
n. dgl. auf. Wird die Oberfläche dieser Moore nach der
Entwässerung von den strauchartigen Vaccinien und Eriken
etwas gereinigt und dann gedüngt, so tritt sogleich eine
oompakte Vegetation von süssen Gräsern und Compositen
an die Stelle der Moorvegetation •).
Eine sehr in die Augen fallende Beobachtung über die
Wirkung einer anscheinend unbedeutenden Entwässerung
auf Baumvegetation machte ich auf einem kleinen Moore
in der Nahe des Gebirges. Dasselbe bildete einen
vollständigen fast unzugänglichen Sumpf. Nach der Ent-
wässerung durch einen Graben wurde «ein Tbeil ausgehoben,
so dass sich ein kleiner Weiher bildete, in welchem man
eine kleine Insel von etwa 10' Durehmesser desshalb anf
meine Veranlassung stehen liess, weil sich nahezu in der
Mitte derselben seit Jahren ein kleiner verkrüppelter Birken-
stamm befand, aus einem Stämmchen von l1/»" Durchmesser
und einigen fast blätterlosen Reisern bestehend. Obwohl
durch die unvollständig vorgenommene Entwässerung das
Wasserniveau nur um 1 */*' ungefähr erniedrigt worden war,
und das Bäumohen noch immer mit seinen Wurzeln im
2) Sendtner hat auf einem beschlämmten Moorgrande von seibat
einen Anflug von 30 Speeien tauglicher Futterpflanzen angetroffen.
Vegetationflverh<niese Südbayerns. 1854. S. 676.
204 Mmmg dar matk.+pky*. Clmme mm 12. Nmumbtr 1064.
Wasser fhsste, so wirkte deoh diese geringe Veräaderang so
mächtig, dass aus jener ärmlichen Ruthe nach 8 Jahrai ein
prachtvoller Bann mit einem Stamme m 4" Durchmesser
und mit einer dicht» die kleine Onfte weit überragenden
Laobkron* von 12' Durchmesser geworden war, Aehnliche
Beispiele werden bei der immer fortschreitenden Entrisse**
tmg der bayerischen Moore natürlich umähHge zufällig an
beobachten nein, wenn auch nur aosnahmswefse in so auf»
fallender Art, wie das hier erwähnte.
Was nun zunächst die ginaliehe VogetationsumwaMt*
lung auf Wieeenmooren durch Entwässerung betrifft, so er-
giebt sich die Erklärung dieser eigenthimlichen Thatsaohe»
wie schon Herr Baren von Liebig geneigt hat, daraus*),
dass die im Boden ruhende Grasnarbe längst schon eine
Menge unentwickelter oder auf einer niederen Stufe der
Entwicklung stehender . Wurzeln oder Pflanzenkeime birgt,
welche erst dann aus ihrem unterirdischen Dasein an Tage
treten können , wenn sich ihnen die «-Bedingungen eines
höheren vegetabilen Lebens erschlossen haben. Hiezu kömmt
noch, dass alljährlich eine reiche Menge von Samen duck
den Wind und die Exoremente der Vögel dem Boden Ab-
geführt werden. In Hochmooren findet man nicht selten
in der Tiefe liegend üchtenstämme , dicht umschlossen von
eompakter Torfinasse; auch in einem Wiesenmoore der
Sohleissheim-Dachauer Ebene habe ich Fiehftenstämme mH
dem ganzen Wurzelstocke angetroffen. Einige derselben
mögen wohl in alter Zeit durch grosse Wasserfltothen dahin
gelangt und dann von der wuchernden Torfvegetation über»
deckt worden sein, die meisten aber, namentlich alle die-
jenigen, deren Wunsektock eine ganz normale aufrechte
Stellung zeigt, sind sicherlich an Ort und Stelle entstanden.
Also mus8 eine solche Stelle, ehe die Torfvegetation alles
8) a. a. 0.
Yegeli Utmaamdltmg der Vegetation durch EntoxUeertmg. 206
Uebrige verdrängt hatte, in friherai Zeiten einer Waldb»
nntaur fähig gewesen «ein, welche aber m bestehen aatfhöito
akit dem Verschwinden der hiem nothwendigen Bedingungofc
des Beden«, nach deren erbeuter Gewährung die Vegetation
allinälig zu ihrer ursprünglichen Natur zurückzukehren in
Stande ist
Ein «ehr einfacher Verweh, welchen ich ober die Ui>
aacfaa. des Vegetntkmsweohseb durch wanderte Bodenier*
hältaisse angestellt habet dürfte vielleicht in dieser Beziehung
nicht ohne lataresse sein. Es- war nämlich ans «inem noch
nicht in Angriff genommenen Torffelde ein Stück Waten
mit den Wuraek ausgehoben und von letzteren die auf-
hängende feadbte Moorerde möglichst vollständig abgewaschen
worden* Die Pflanaen wurden hierauf mit dem ganzen dicht
verworrenem Wurselgeflechte — einzelne Wurzeln zeigten
-eine Länge von 18" und darüber — in gedüngter Erde
eingesetzt. Nachdem die Pflaneen vorübergehend gekränkelt
hatten» erholten sie sich augenscheinlich und schritten im
Waohsthume vor. Doch dauerte diese nur kurie Zeit —
Bald entwickelte sich ans dem Boden eine neue Vegetation,
während die Halme des Strengrases sn verwelken begannen»
Offenbar war hier die durch besseren Boden erst zu Tage
geförderte Vegetation schon im nicht onltmrten Torflande
unterirdisch vorhanden, wo sie aber nicht zur Entwicklung
gelangen konnte. Zugleich könnte man aus diesem ersten
Versuche vielleicht den Schlnss sieben, dass eine auf nn-
fruchtbaren Boden mögliche Vegetation auf fruchtbarem
wohl auch gedeihen würde, wenn sie nidht m der Felge der
üppigeren und kräftigeren nachfolgenden Vegetation, wie sie,
erst durch Cultur eintreten kann, erliegen müsste. Jedoch
ergaben sich bei öfterer Wiederholung des Versuches mit
anderen Torfrasenstücken mehrmals von dem erwähnten
abweichende Resultate. Bisweilen gingen die Pflanzen des
in fruchtbaren Boden versetzten Torfrasens sogleich sämmt-
206 8tomg der tuatk-pfty«. Was* wm 12. November 1664.
lieh zu Grande, obgleich sich mir eine sehr spärliche Menge
Ton neuen Gräsern entwickelt hatte. In einem ander«
Falle verschwand die ursprüngliche Vegetation nur thcil-
wefee und amalgamirte sich mit der neu hervorgerufenen
zu einer ziemlich gleichmäßigen Decke.
Die Verschiedenheit der erzielten Resultate erklärt sich
wohl daraus , dass einige 8pecies der sogenannten sauren
Gräser keine Veränderung des Standortes ertragen *), andere
dagegen durch die Versetzung m einen besseren Boden sogar
gewinnen. Es scheint hier der umgekehrte Fall einzutreten,
wie bei so manchem chemischen Experimente, welches im
Kleinen gelingt, in grösserem Maasstabe aber nicht knmer
ausfahrbar ist. Der erwähnte Vegetationsversucfc gelingt, im
Grossen ausgeführt, immer. Wenn wir die grössere Fläche
eines Torffeldes entwässern und düngen, so entsteht gase
sicher eine neue Vegetation von Futterkräutern , wobei die
Torfgräser entweder ganz oder theflweise verschwinden ; —
der Versuch im Kleinen dagegen misslingt öfters, da maa
hiebei doch nur einen verhältnissmässig verschwindend
kleinen Theil des ganzen Torffeldes in Betracht ziehen kann,
durch dessen zufälligen Reichtbum oder Mangel an Pflanzen-
keimen niederer Entwicklung das Resultat des Versuchs
modificirt werden muss.
Es erübrigt noch den Unterschied des Nahrungswerttas
zwischen den auf cultivirtem und uncultivirtem Boden
gewachsenen Gräsern, wie sich derselbe aus meinen in
dieser Beziehung angestellten Versuchen ergiebt, kurz zu
erörtern. Der chemische Unterschied zwischen diesen beiden
Grassorten ist , da sie ganz verschiedenen Pflanzenspecißn
angehören, wie voraus zu sehen war, ein sehr grosser.
Da das Streugras nur 50 Proc. Wasser, das Futtergras
aber 78 Proc. enthält, so wird natürlich durch
-^«ta__a...
4) Sendtner, a. a. 0. S. 702.
Fjpd: ümwmdkmg der Vbgtiatim dmrth BKhoütstrmg. 207
von gleichen Mengen beider Grassorten durch erstere
eine grossere Summe Trockensubstanz dem thierischen
Organismus rugeföhrt. Dieses Verhältniss wird aber mehr
als ausgeglichen, wenn man den Gehalt an stickstoffhaltigen
Bestandteilen der bisher von mir untersuchten beiden
Grassorten berücksichtigt. Nach meinen Versuchen verhält
sich die Menge der stickstoffhaltigen Bestandthetle des
Streugrases zum Futtergrase wie 50 : 71. Der Instinkt dtfr
Grasfresser ist daher ein sehr begründeter, wenn sie jede
andere Fütterung dem sauren Grase vorzuziehen pflegen.
Dass die Pferde von dieser fiemlioh allgemeinen Regel eine
Ausnahme zu machen scheinen, hängt vielleicht mit dem
Umstände zusammen, dass bei däm Pferde eine ausschliess-
liche Heufütterung doch nur ausnahmsweise stattfindet.
Hiezu kömmt noch, dass das Streugras bedeutend
weniger durch Aether extrahhrbare Fettsubstanz enthält, als
das Futtergras, womit auch die Rauhigkeit und Härte des
Torfgrases zusammenhängen dürfte. Wegen des gänzlichen
Mangels an ätherischen Oelen entwickelt sich beim Trocknen
des Streugrases nicht der mindeste Heugeruch.
Endlieh besteht auch im Aschengehalte beider Gras*
sorten ein wesentlicher Unterschied, indem das Streugras
beinahe um die Hälfte weniger Asche enthält, als das Futter-
Gras, — beide im absolut trocknen Zustande verglichen —
ein Unterschied, der allerdings für die frischen Gräser be-
rechnet, auf das Verhältniss von 10 : 13 herabsinkt. Die
Asche des Torigrases ist übrigens auch um die Hälfte reicher an
Kieselerde, dagegen um mehr als das Dreifache ärmer an Phos-
phaten, als die Asche des Grases eines entwässerten Bodens.
Zur Beurtheilung des Einflusses der Entwässerung und
Düngung auf den Ertrag der Ernte dürfte folgendes Re-
sultat einiger Versuchsreihen einen Anhaltspunkt gewähren.
Zu diesen Versuchen dienten :
I. Ein noch nicht in Angriff genommenes Wiesenmoor.
908 Sitoung 4&r *fatffcf»ftgp. dm* vom 12. Ntmmber 1864.
IL Eine entwässerte Strecke desselben Wiesenmoores.
HL Sine entwässerte und auf die gewöhnliche Weise mit
animalischem Dünger behandelte Strecke desselben
Wtesenmoores»
Auf jeden der drei Felder war der Ertrag von 4Q0D',
d. i. llu* bayer. Morgen, sorgfältigst für mk gesammelt,
getrocknet and gewogen werden. Die Ertrage auf 1 bayer.
Morgen (40,00000 berechnet, ergaben folgende Zahlen.
I. Wiesenmoor im Natareuetande.
Ernte per Morgen: 7' Zentner saures Heu, fast nur als
Stret verwendbar, unverkäuflich.
II. Wiesenmoor entwässert.
Ernte per Morgen: 11 Zentner Fwtterhea.
III. Wiesemnoor entwässert und gedüngt.
Ernte per Morgen: 26 Zentner Futterhen von derselben
Qualität, wie auf dem entwässerten Moore.
Diese Versuche geben insofern ein anschauliches Bild
von dem Einflasse des Entwässern und Düngen* auf die
Natur and Menge des Ertrages, als dar dam benätzte Boden
weder jemals vorher gedüngt , noch auch von demselben
jemals eine Ernte gewannen worden war. Ueber die Er-
tregsverhältnisse der Wiesen dieses Moores bei einer Be»
handlang mit verschiedenen Sorten Ton Mineraldüngwng
sind soeben Versuche eingeleitet worden, aber deren Erfolge
ich seiner Zeit Bericht zu erstatten, mich beehren werde.
2) „Ueber die Umwandlung des Stärkmehls
durch den Keiinprozess".
Die Umwandlung des Stärkmehls während des Keimeng
ist insofern eine Frage von nicht unbedeutendem Interesse,
<als sich, wie man weiss, gerade an diese Veränderungen
des Amylon'8, dessen Auflösung und Umwandlung in Zucker,
wichtige technische Prozesse, — die Bier- und Branntwein-
bereitung knüpfen. Dessenungeachtet ist die Art und
Vogd: Umm*ndlu»g des St&kmäiU dunh Keimmg. 209
dieser Veränderungen des Amyloids durch den Keimprozess,
d. h. die eigentliche Ursache, welche das Stärkmehl in den
keimenden Samen rar Lösung bringt; eine noch wenig auf-
geklärte Erscheinung geblieben. Einige Keimungsversucbe,
welche ich im Verlaufe des vorigen Sommersemesters zum
Theil in kleinerem MaasBtabe in Kästen, zum Thefl auf
Versuchsfeldern bei Schieissheim angestellt habe, dürften
vielleicht, obgleich weit entfernt, die Frage zu losen, zur
Aufklärung des Gegenstandes einen kleinen Beitrag Hefern.
weshalb ich deren Resultate hier schon zur vorläufigen
Mittheilung bringe. Die angestellten Versuche beziehen sich
zunächst auf die Umwandlung des Kartoffelstärkmehls in
der keimenden Kartoffel.
Die Umwandlung des Amylon's in der Kartoffel be-
ginnt an den Stellen, an welchen die Keimung zuerst statt-
findet, also zunächst an den Augen und deren nächster
Umgebung. Schneidet man einer Kartoffel, welche einige
Zeit bei gewöhnlicher Temperatur an der Luft gelegen und
Keime zu entwickeln begonnen hat, letztere aus, so bemerkt
man, dass die dem Keime zunächst anhängenden Stellen
des Parenchyms der Kartoffel weit weniger blau gefärbt
werden durch Benetzen mit Jodtinktur, als die aus der
Mitfee genommenen Stücke , welche noch in unveränderter
Weise tief dunkelblau durch Jodtinktur gefärbt erscheinen.
Von den Keimpunkten, d. h. von der Peripherie aus schreitet
die Zersetzung des Amylon's nach und nach gegen das In-
nere der Kartoffel zu fort; schneidet man eine Kartoffel,
die einige Zeit in feuchter Erde gelegen und daher schon
durch die Entwicklung zahlreicher Keime eine ganz rauhe
Oberfläche erhalten hat, in zwei Hälften, so kann man
durch vorsichtiges Betupfen mit Jodtinktur ganz deutlich
bemerken, dass das Amylon an den äusseren Schichten vor-
zugsweise verschwunden ist, gegen die Mitte zu aber je nach
210 SUrnm? Ar ■!■* fjfcyt. Ckme vom 1*. M**mber 1S$4.
der Zeit der Keimung eine grössere oder kleinere Stelle
sich befindet, welche noch sehr deutlich Amylonhaltig ist.
Ueber die Zeit, in welcher sämmtliches Stärkmehl in
einem Samen durch Keimen völlig zerstört ist, scheinen nur
sehr vereinzelte Beobachtungen vorzuliegen. Nach einer im
physiologischen Institut in Jena ausgeführten Versuchsreihe
enthielt eine am 1. Juni gelegte Kartoffel schon am 5. Juli
keine Spur Stärkmehl mehr6). Ich erwähne daher hier
die Resultate meiner in dieser Beziehung angestellten Ver-
suche. Die Stärkmehlbestimmungen konnten der Natur der
Sache nach nur nach der bekannten mechanischen Methode
vorgenommen werden, wesshalb sie auf absolute Genauigkeit
keinen Anspruch machen dürfen. Da es sich indess hier
stets nur um vergleichende Beobachtungen handelt und die
Unterschiede in den Amylonmengen bei diesen Versuchen als
sehr bedeutend sich ergaben, so ist auch diese Methode hier
als ausreichend zu betrachten. Ueberhaupt dürfte ein ganz
vollständiges Verschwinden des Amylon's wohl nur ausnahms-
weise eintreten. Kartoffeln, welche Monate lang in Acker-
erde gelegen und bereits ein ganz verschrumpftes Ansehen
zeigten, ergaben allerdings beim Reiben und Auswaschen
durchaus keinen Absatz von Stärkmehl, indem auch die
gekochte und in Scheiben geschnittene Kartoffel sich mit
Jodtinktur nicht im Allgemeinen blau färbte. Jedoch zeigte
der Faserstoff beim Benetzen mit Jodtinktur einzelne ganz
kleine blaue Punkte, so dass also der Amylongehalt wohl
für die quantitative Bestimmung verschwunden, aber doch
noch in äusserst geringen Spuren nachweisbar vorhanden war.
Es scheint somit, dass stets kleine Reste von Stärkmehl sich
der Einwirkung des Keimvorganges und daher der Zucker-
bildung unter Umständen zu entziehen im Stande sind.
Auf einem Ackerfelde wurde die eine Hälfte der zur
5) Sohleiden, Theorie der Pflansenoultur. B. 3. 8. 104.
Vopd: Umwa*(ü**g du ftdrJbnciUf dmek Keim*»?, 211
Aussaat bestimmten Kartoffeln am 6. April, die andere
Hälfte am 6. Mai gelegt* Am 30. Mai war die Keiment-
wicklung an den zu den bezeichneten verschiedenen Zeit-
abschnitten gelegten Kartoffeln ziemlich gleich voran ge-
schritten. Die quantitative Untersuchung auf Amylon zeigte
bei den im April und Mai gelegten Kartoffeln keinen we-
sentlichen Unterschied der Ainylonverminderung. Es dürfte
somit durch ein verfrühtes Logen der Kartoffeln in unseren
Gegenden wenigstens eine besondere Beschleunigung der
Ernte nicht wohl erzielt werden, indem die um 3 Wochen
später gelegten Kartoffeln die früher gelegten noch in Be-
treff der Zuckerbildung eingeholt hatten. Indess könnte
vielleicht durch ungewöhnlich frühen Eintritt eines milden
Frühjahres, wie diess aber im verflossenen Jahre nicht der
Fall war, eine Aenderung in dem beobachteten Verhältnis*
bewirkt werden.
Ueber das allmälige Verschwinden des Amylon's der
im Keimvorgange sich befindenden Kartoffel dürften folgende
Versuche einigen Ausschluss gewähren.
Am 2. Mai 1864 wurden ausgewählte Kartoffeln einer und
derselben Sorte in geräumige Holzkästen gelegt und zwar:
A. in Gartenerde,
B. in Quarzsand.
In den beiden Versuchen fand gleichmässiges Begiessen
mit destillirtem Wasser statt, ebenso war hiebei eine gleiche
Einwirkung der Temperatur und des Sonnenlichtes einge-
halten worden. Der Amylongehalt der hier zur Aussatt
verwendeten Kartoffeln betrug nach dem Durchschnitte
mehrerer unter sich sehr nahe übereinstimmenden Versuche
13,14 Proc. Die einzelnen Kartoffeln waren vor dem Legen
in die verschiedenen Bodenarten gewogen worden. Am 1. Juni,
1. Juli und 15. Juli wurden Kartoffeln aus den beiden Holz-
kästen herausgenommen, gewogen und deren Stärkmehlgehalt
bestimmt. Es ergaben sich folgende Zahlenresultate:
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2\4t SitMung der math.-pfys. Clane vom 12. November 1864.
Diese zweite Versachsreihe konnte wegen Mangels an
gehörig entwickelten Materiale nicht so weit ausgedehnt
werden, als die erste.
Zur vergleichenden Uebersicht sind die aus vorstehen-
den Versuchen, in Gartenerde und Quarzsand, gewonnenen
Zahlenresultate der Wasseraufnahme und der Amylonab-
nahme in Procenten, letztere nach dem ursprünglichen Stärk*
mehlgehalt der frischen Kartoffel berechnet, neben einander
gestellt.
I.
Wasseraufnahme der Kartoffel in Procenten.
Nach 4 Wochen.
1. In Gartenerde. 14,8
2. In Quarzsand. 18,5
Nach 9 Wochen.
16fl
19,1
Nach 10 Wochen.
23,3
IL
Amylon&bnahme der Kartoffel in Procenten.
Nach 4 Wochen.
Nach 8 Wochen.
Nach 10 Wochen.
1. In Gartenerde. 61,29
90,25
100
2. In Quarzsand. 30,7
47,4
56,8
Es ergiebt sich zunächst als Resultat aus diesen Be-
obachtungen, dass wie es scheint, die Wasserauihahme zu
der Amylonverminderung in einem gewissen Verhältniss
steht. Sobald das Amylon verschwunden ist, zeigt sich auch
eine nahezu um das Vierfach verringerte Wasseraufnahme.
Femer stellt es sich heraus, dass die Natur des Bodens
auf die Zersetzung des Amylon's, resp. auf die Zuckerbild-
ung in der Kartoffel , von grossem Einflüsse sei. Während
in fruchtbarem Boden der Stärkmehlgehalt innerhalb 9 bis
10 Wochen schon verschwunden war, zeigte sich derselbe
in reinem Quarzboden in der nämlichen Zeit erst etwas
über die Hälfte vermindert. Allerdings sind hier die beiden
Extreme der Bodenarten, fruchtbare Gartenerde und ganz-
Vogel: Umwandhmg des 8Mrkmdds dmen Keimung. 215
lieh unfruchtbarer Quarzsand, gewählt worden, so dass hier
wohl der möglichst grösste Unterschied in der Starkinehl-
verminderung erwartet werden durfte. Es wäre nicht ohne
Interesse, den Einfluss der verschiedensten Bodenarten, ge-
düngter und ungedfingter, — mit Mineral* oder natürlichem
Dünger behandelter Felder u. s. w. auf diese Verhältnisse
kennen zu lernen. Auf einem Landgute bei Schleiesheim,
welches sich wegen der grossen Mannichfaltigkeit des Bodens
zu derartigen Versuchen ganz besonders eignet, ist die Ein-
leitung getroffen, demnächst in dieser Beziehung ausgedehnte
Beobachtungen anstellen zu können und ich behalte mir vor,
hierüber seiner Zeit Bericht zu erstatten.
Zur Nachweisung des aus dem Amylon durch Keimung
der Kartoffel entstandenen Zuckergehaltes wurden direkte
Zuckerbestimmungen nach der bekannten Fehling'schen Me-
thode vorgenommen. Eine Anfangs Mai auf freiem Felde
gelegte Kartoffel, im Gewichte von 75,1 Grmm., wog am
1. Juli 87,2 Grmm. und enthielt 0,757 Grmm. Amylon,
während sie auf den Procentgehalt der Kartoffelsorte (13,14)
berechnet, 9,86 Grmm. Amylon hätte enthalten müssen.
Es waren somit 9,86—0,757 = 9,103 Grmm. Stärkmehl ver-
schwunden, welche 9,6 Grmm. Zucker entsprechen. In der
vom abgesetzten Amylon abgegossenen Flüssigkeit ergaben
sich 2,32 Grmm. Zuckergehalt. Somit waren 7,28 Grmm.
Zucker zur Ernährung der Pflanze verwendet worden. Die
getriebenen Ausläufer bestanden in 6 Stengeln mit Kraut
ä l1/*' lang im Gewichte von 72 Grmm.
In einem zweiten Versuche ergab eine Kartoffel, welche
vor dem Legen Anfangs Mai 88,1 Grmm. gewogen hatte,
am 15. Juli ein Gewicht von 92,71 Grmm. Der Amylon-
gehalt war verschwunden. Die vom Faserstoff abgegossene
klare Flüssigkeit trübte sich mit Alkohol auch im concen-
trirten Zustande nicht, setzte aber beim längeren Kochen
braune Flocken ab. Die Zuckerbestimmung ergab 1,05 Grmm.
15*
216 Sügung der Maft.-f%t. Claeee vom 12. November 1664.
Der ursprüngliche Amylongehalt dieser Kartoffel {hatte
11,57 Grmm. betragen; von der diesem Amylongehalt ent-
sprechenden Zackermenge war demnach dem angestellten
Versuche zu Folge nur noch 1 Zehntheil vorhanden. Die
von der Kartoffel getriebenen l1/*' langen Ausläufer nebet
Kraut wogen im frischen Zustande 63,7 Grmm. Zahlreiche
fernere Zuckerbestimmungen in gekeimten Kartoffeln haben
ganz übereinstimmende Resultate ergeben. Im Allgemeinen
folgert sich hieraus, dass der durch Keimung verschwundene
Starkmehlgehalt einer längere Zeit in Ackererde gelegenen
Kartoffel als Zucker nicht nachgewiesen werden konnte.
Herr Hermann von Schlagintweit- Sakünlünski
übergab
„Beobachtungen über den Einfluss der Feuch-
tigkeit auf die Insolation, in Indien und
Hochasien". ')
Wahl und Aufstellung der Instrumente. — Besonnung und Strah-
lung; Modifikation der Wärmeerzeugung durch Terrainverhältnisse;
Erhöhung durch gasförmige Feuchtigkeit — Beohachtungsreihen aus
Indien. — Vergleichende Analysen des beschatteten und besonnten
Thermometers. — Absolute Extreme. — Insolation in Sikkim im Ver-
gleiche zu Ladak. — Einfluss der Entfernung der Erde von der
Sonna — Tyndalls Versuche.
Wahl und Aufstellung der Instrumente.
In den Tropen, wo die Wirkung der Besonnung am
intensivsten ist, lassen sich auch die Umstände am besten
1) Temperaturgrade: Fahrenheit. Höhen: engL Fuss. Transcrip-
tion (gleich jener in meinen früheren Abhandlungen): Die Vocale
und Diphthongen lauten wie im Deutschen. Consonanten wie im
Deutschen mit folgenden Modificationen : ch = Uch im Deutschen
= ch im Englischen; j = dach im Deutschen = j im Englischen; sh =
«CA im Deutschen; « = iü im Deutschen, 'bezeichnet die Silbe, welche
den Ton hat.
v. ScMagintweit: Einflute der Feuchtigkeit auf die Insolation. 217
erkennen, weiche nächst der Sonnenhöhe dieselbe modi-
üriren, und eines der Resultate, das sich sehr bald während
unserer Reisen erkennen liess, verdiente ganz besondere
Aufmerksamkeit , da man , soviel mir bekannt , auf diese
eigentümliche Erscheinung in der Analyse meteorologischer
Beobachtungen noch nicht Rücksicht genommen hatte: es
ist diess der Einfluss der atmosphärischen Feuchtigkeit auch
im gasförmigen Zustande*
Um ganz vergleichbare Werthe zu erhalten, ist es
nothwendig, den Einfluss der nächsten Umgebung des
Thermometers möglichst gleichartig zu gestalten. Eine der
einfachsten Vorrichtungen ist es, ein Thermometer mit ge-
schwärzter Kugel in der Mitte einer hinlänglich grossen
Fläche schwarzer Wolle der Besonnung auszusetzen*); Ap-
parate, wie jene von Saussure 8), Herschel 4), Pouillet 5), er-
lauben zugleich, Besonnung und Strahlung bis zu einem ge-
wissen Grade getrennt zu beobachten, und aus den Dimen-
sionen und den physikalischen Eigenschaften der verschie-
denen Theile des Apparates Folgerungen in Betreff der
Wirkung auf eine Fläche von den Dimensionen der
ganzen Erde zu ziehen. Aber für verschiedene allge-
meine Fragen ist auch das Ablesen eines frei der
Sonne ausgesetzten Thermometers, fest (nicht im Winde
schwankend) und in gehöriger Entfernung von den Ge-
genständen seiner Umgebung aufgestellt, ein sehr wichtiges
Material Es lassen sich solche Beobachtungen „der
2) Das Detail dieser Vorrichtung habe ich im „Third Report
lipon the Progress of the Magnetic Sorvey" angegeben; auch abge-
druckt im Journ. Ac. Soo. of Bengal, 1866.
8) Heliothermometer in „Yoyages dans les Alpes 1786—1796
§. 932.
4) Actinometer in „Report of the 8rd meeting ot the British
Assoc" Cambridge 1888.
5) Pyrheliometer in „Pogg. Ann." 90, p. 544
218 Sitt%m§ der math-phy*. GUm* vom 12. November 1894.
Insolation"6) um so besser in jenen' Regionen be-
nützen, wo überhaupt die Veränderlichkeit der meteoro-
logischen Verhältnisse eine weniger grosse und anregel-
mässige ist.
Bereits als ich nach Indien kam, fand ich an einer
grossen Anzahl von Stationen, und an einigen wahrend
mehrerer Jahre fortgesetzt, Beobachtungen eines besonnten
Thermometers vor; die wesentliche Ursache, dass diese
Materialien bis dahin nicht untersucht und verglichen waren,
war zunächst, dass allerdings, wie mir die Analyse der-
selben zeigte, eine grosse Anzahl solcher Beobachtungen als
werthlos, willkührlich bezeichnet werden mussten; manche
dieser Instrumente waren mit zu wenig Bücksicht auf die
Umgebungen aufgestellt, bald befanden sie sieh in der Nähe
einer Mauer, bald in sehr geringer Entfernung über dem
Boden, der letztere war am häufigsten trockner rother
Thon oder schwarze Erde, Schichten, die sich während
eines Theiles des Jahres mehr als eine freie Thermometer-
kugel in der Sonne erwärmten, aber auch während des
Ueberganges von den nassen in die trockenen Perioden durch
Verdunstung wieder um so länger sich zu kühl erhielten.
Lebhafte Winde könnten das besonnte Thermometer abkühlen
und zwar in verschiedenem Grade je nach ihrer Heftigkeit ;
doch etwas Schutz gegen den Wind, in einiger Entfernung an-
gebracht, genügt, da überdiess die Luftströmung, welche
in der unmittelbarsten Nähe der Kugel durch die Erhöhung
ihrer Temperatur entsteht, die Berührung mit der freien
Atmosphäre wesentlich verzögert.
Auch die Construction des Thermometers, die Dicke
und Farbe des Glases kann von Einfluss werden; unem-
6) Es sei hier unter Insolation das Resultat ans der Erwärmung
durch die Sonne und dem gleichzeitigen Verluste durch Strahlung
verstanden.
v. 8Ma§intweit: Einflun der Feuchtigkeit mf die InxXation. 219
pfindliche Instrumente zeigen nie das wahre Maximum, ein
Fehler, der bei der Bestimmung von mittlerer Temperatur-
bestimmimg im Schatten zum Theile durch den Fehler des
Minimums, im entgegengesetztem Sinne, ausgeglichen wird;
bei Beobachtungen der Besonnung jedoch, wo zunächst die
Maxima des Tages verglichen werden müssen, ist die Wahl
und die Aufstellung der Instrumente von besonderer
Wichtigkeit.
Der persönliche Besuch der meisten Beobachtnngsstatio-
nen, wozu mir nebst meinen Brüdern und meinem Assistenten,
Lieutenant (jetzt Gapitain) Adams, während unserer Reisen
Gelegenheit geboten war, verschaffte mir zugleich eine sehr
bedeutende Anzahl von Beobachtungen besonnter Thermo-
meter, die unter sich mit hinlänglicher Genauigkeit ver-
glichen werden konnten ; in meiner Meteorology of India
(4. und 5. Band der ,,Results(l) werde ich für jede der grössern
Gruppen, deren mittlere Lufttemperaturen im Schatten,
nebst Isothermen, ich bereits früher der kgl. Akademie vor-
gelegt7), auch eine Reihe von Ablesungen besonnter Ther-
mometer zusammenstellen. Sehr günstig war es mir zur
Vervollständigung derselben, dass auch nach meiner Abreise
aus Indien an vielen Stationen die Ablesungen in der von
mir angegebenen Aufstellung fortgesetzt wurden *).
7) Sitzungsberichte der k. b. Akad. 1868, I. Specielleres Über
Monatsmittel und Isothermenkarten: Monatsberichte der Berl. AML
1863, April 27; und Transactions of the Boyal ßoc. London
May 21, 1863.
8) Die neuesten Resultate finden sich bei den verschiedenen
Stationen in den Parlamentsberichten über den Gesundheitszustand
der Armee in Indien: „Royal Commission on the Sanitary State of
the Anny in India: London 1863, vols. 1 nnd 2.
220 8tomg <fer matK-fhgs. Clane vom 12. November 1864.
Besonnung und Strahlung; Modification der
Wärmeerzeugung durch die Terrainverhältnisse;
Erhöhung durch gasförmige Feuchtigkeit.
Die resultirende Erwärmung der Bodenoberfläche sowie
der Einfluss auf Pflanzen- und Thierwelt ist (analog dem
Stande des Thermometers) als. Unterschied zwischen der
Wärmeerzeugung durch Besonnung und dem gleichzeitigen
Wärmeverluste durch Strahlung zu betrachten ; an der letzteren
hat die Temperatur der Umgebungen einen so grossen An-
theil, dass an jedem regelmässig wolkenfreien Tage zu sehen
ist, wie die Stunden vor der Gulmination weniger hohen
Stand des besonnten Thermometers zeigen, als die Stunden
gleicher Sonnenhöhe am Nachmittage; noch weit deutlicher
zeigt sich ein ähnlicher Unterschied darin, dass in grösseren
Breiten, wegen der geringeren Lufttemperatur, bei gleichen
Sonnenhöhen sowohl der absolute Stand des besonnten
Thermometers als die Grösse seiner Differenz von der Luft-
temperatur so bedeutend abnimmt. Und doch erreicht die
Sonne noch in Breiten von nahe 70° im Sommer eine Cul-
mination, wie in den östlichen und centralen Theilen Indiens
zur Zeit des Wintersolstitiums, gegen 40°.
Für die Beurtheilung meteorologischer Verhältnisse im
Allgemeinen in Verbindung mit den Beobachtungen der
Insolation, deren Resultate stets etwas abhängig bleiben
von der Methode, nach welcher sie bestimmt wurde
und von der Häufigkeit bewölkter Tage, möchte ich
besonders des nicht unwichtigen Umstandes noch erwähnen,
dass überhaupt in verschiedenen Gegenden der
Effect auf die Wärme des Bodens und der Luft nickt
unmittelbar der Stärke der Besonnung proportional ist,
und dass die Beobachtungen besonnter Thermometer
v. ScHagimtweit: Ektfluee der Feuchtigkeit auf die Insolation. 221
nicht in derselben Weise vergleichbar sind, wie man jene
im Schatten zur Construction der Isothermen und zur Er-
läuterung des Barometerganges, der Windesrichtung, ver-
binden kann ; der Effect der Besonnung auf grössere Strecken
ist wesentlich von der Bodengestaltung abhängig. Schon
der Umstand, in welchem Verhältnisse bebaute und unbe-
baute Strecken, Sand, schwarze Erde, Thon, Felsen, Wasser
über eine gegebene Fläche vertheilt sind, muss die lokale
Erwärmung durch die Sonnenstrahlen bedeutend verändern;
nicht weniger gross ist der Unterschied, der sich zwischen
hügligen und flachen Gegenden zeigt, und mit der Form
der Bodenoberfläche zusammenhängt; das grössere oder ge-
ringere Vorherrschen von Winden, selbst in der weniger
heftigen Form der periodischen Land- und See -Winde ist
unter den meteorologischen Ursachen von lokalen Modifica-
tionen zu berücksichtigen.
Dagegen bietet die Vergleiohung des besonnten Ther-
mometers unter sich Resultate, die, wenn nicht als Masse,
doch als typische Formen, auch auf die Beurtheilung der allge-
meinen thermischen Verhältnisse der Erdoberfläche sich an-
wenden lassen. Hier werde ich allein den Einfluss der
atmosphärischen Feuchtigkeit auf die Insolation zu erläutern
versuchen.
Bereits die ersten Beobachtungen während unserer
Reise durch das südliche Indien, 1864/m, zeigten, dass nicht
nur durch das Entstehen von Nebelbläschen und Wolken
Wärmestrahlen der Sonne von der Oberfläche der Erde
abgehalten werden, sondern zugleich, dass der Wassergehalt
der Atmosphäre im gasförmigen Zustande die Insolation —
die Differenz zwischen Besonnung und Strahlung — sehr
bedeutend erhöht; diese bestätigten die fortgesetzten Beob-
achtungen in den Tropen, und auch in den verschiedenen
Regionen Hochasiens liess sich dieselbe Modifikation der
Insolation erkennen.
322 Sitomg der math.-phyß. Glaste vorn 12. Kovember 1864.
Es ergab sich, allgemein übereinstimmend
„dass den Seeküsten entlang sowie im östlichen Himalaja
„die Insolation sioh grösser zeigte, dass die Sonne das Thermo-
„meter höher steigen machte als im Innern der Halbinsel, oder
„in Tibet verglichen mit dem Himalaya ; ferner ergab sich, in
„analoger Weise, dass die absoluten Maxiina der Insolation
„mit Tagen sehr grosser Feuchtigkeit zusammenfielen. Tage
„in der Regenzeit, an welchen, wenn auch nur wahrend
„einer kurzen Periode, die Wolken sich auflösen und, im
„Allgemeinen, jene Monate, welche unmittelbar auf die
„Regenzeit folgen, diese sind die Perioden, innerhalb welcher
„die absoluten Extreme der besonnten Thermometer sich
„zeigten/1
Zunächst hatte ich die Ursache in einem durch Feuchtigkeit
verminderten Wärmeverluste der erwärmten Körper zu
suchen, indem für die direct von der Sonne ausstrahlende
Wärmemenge keine Vermehrung durch die Feuchtigkeit
der Luft angenommen werden konnte.
Diees bestätigte sich unmittelbar durch directe Beobach-
tung über die Abkühlung erwärmter Körper im Schatten *), die
Zeit des Erkaltens der Bodenoberfläche, die nächtliche
Strahlung, an Stationen solcher Climate, die nur durch Feuch-
tigkeitsverhältnisse allein sich wesentlich unterschieden i0).
Wenn es so grosser Verschiedenheit der Climate bedurfte,
um dieses Gesetz auch an dem Stande des besonnten Ther-
mometers an verschiedenen Stationen erkennen zu lassen,
9) Die Einzelnheiten der Experimente mit den Pyrheliometer, Beob-
achtungen nächtlicher Strahlung an Thermometrographen , im nord-
westlichen Indien während der 12 Monate an einem Thermometro-
graphen im Focus eines Brennspiegels, sieh „Results, VoL V.u
10) Die Leitungsfähigkeit der Atmosphäre, die überhaupt hier
nur von sehr geringem Einflüsse ist, kann durch das Vorhandensein
von Feuchtigkeit als etwas erhöht betrachtet werden.
v. SM*§in**it: Einflute der Feuchtigkeit aMf die h*6U*Um. 223
so muss diess wesentlich dem Umstände rageschrieben
werden, dass es so schwer zu beurtheilen ist, wie viel der
atmosphärischen Feuchtigkeit etwa durch Luftströmungen
ungleicher Temperatur in der Form von trübender Nebel«
bläschen vorhanden ist. Selbst Experimente mit dem
Diaphanometer geben nur genäherte Resultate, wenn wir
bedenken, dass im günstigsten Falle von den Schichten von
kaum 8000 Fuss Mächtigkeit auf die ganze Atmosphäre
geschlossen werden muss.
Der Umstand, dass die absolute Menge der Feuchtig-
keit bei gleichen relativen Werthen so rasch mit der Tem-
peratur zunimmt, mag ebenfalls einen wesentlichen Autheil
daran haben, dass vorzüglich in den Tropen die
derselben zu erkennen war.
Beobachtungsreihen aus Indien.
Beobachtungen während der ganzen Jahresperiode
in den folgenden Tabellen für Ceylon, Bengalen, Hindost&n
und das Pänj&b zusammengestellt : es ist auch eine Tafel
beigefügt, um die Vergleichung der verschiedenen Typen in
ihren graphischen Formen zu bieten.
Die Stationen wählte ich so für jede der 4 Regionen
ans, wie sie den mittleren Verhältnissen der Provinz am
besten entsprachen. Für Ceylon und Bengalen blieb es
Kolombo und Calcutta für alle 3 der hier zu vergleichenden
Elemente; für Hindostan und das PÄnjab musste ich für
die Extreme und für die Besonnung aus einer Gruppe von
Stationen in geringer Entfernung und in einer auch in
topographischer Beziehung gleichartigen Lage die höchsten
Werthe zusammenfassen, um mich so möglichst Resultaten
zu nähern, welche ein Zeitraum von bedeutend grösserer
Dauer ergeben hätte. Für die mittlere Temperatur im
224 8ünmg der Mtk?*yt. Omee mm 12. November 1864.
i
Schatten sind die hier angegebenen Werthe für Hmdoetan
jene von Fatigarh, für das Pänjab jene von Vaniabad.
Von den Beobachtungen über Insolation dürften zunächst
die absoluten Maxima") als die am meisten vergleichbaren
zu betrachten sein, denn sie sind jene, wobei die Umstände
am wenigsten Einfluss hatten, die den Effect der Sonne ver-
ringern, und mit Ausnahme der leicht zu bestimmenden Tem-
peratur der Umgebungen und der Feuchtigkeit sind eben
alle Störungen nur solche, die den Stand des besonnten
Thermometers mit Bestimmtheit niedrer machen. Doch zog
ich es vor, die mittlere Insolation den folgenden Gurven zu
Grunde zu legen, zunächst weil die Beobachtungsreihen
nicht lange genug fortgesetzt sind, um nicht in dem Werthe
einzelner Mazima noch wesentliche Veränderungen erwarten
zu lassen. Zugleich durften Resultate, wie sie selbst aus
Beobachtungen sich ergaben, bei denen noch nicht die Um-
stände in den günstigsten Verhältnissen sich verbinden, auch
mit grösserer Wahrscheinlichkeit wenigstens als die allgemeinen
und überall sich wiederholenden Charaktere betrachtet werden.
Der mittlem Temperatur im Schatten hätten auch noch
die- mittlem Maxima und Minima folgen können; doch
wie bereits die Untersuchung über den täglichen Gang und
die Berechnung des Mittels ") aus den 24 Stunden gezeigt
hat, weicht die Curve des Tagesmittels nicht so bedeutend
von jener des arithmetischen Mittels der Extreme ab, um
in der graphischen Darstellung durch ihre Formen sich zu
unterscheiden, während überdiess durch das Hinzufugen
neuer Gurven 18) die Einfachheit der zu vergleichenden
Bilder wesentlich leiden müsste.
11) Die Angaben auch einzelner Maxima sowie der Ablesungen
während Perioden kürzerer Dauer in Hochasien werden im vol. T.
I der „Results" enthalten sein.
12) Sitzungsberichte der k. b. Akad. 1863 I. p. 335.
13) Die Linien für Ceylon sind durch den dünnen Strich dar-
I
v. SMagintwmt: Smfitm der Feuchtigkeit auf die Insolation. . 225
Auch unmittelbare graphische Darstellungen für die Dif-
ferenz zwischen beschattetem und besonntem Thermometer
hätten hier noch beigefugt werden können, doch liess sich
sogleich erkennen, dass eine so einfache VergleichuDg nicht
hinlänglich den Veränderungen entspräche. Das beschattete
Thermometer ist der Ausdruck allmählig sich verändernder
thermischer Verhältnisse der Tages- und der Jahresperiode,
wesentlich auch von Breite, der Vertheilung von Land und
Meer und den Höhenverhältnissen bedingt. Das besonnte
Thermometer wird unmittelbar von der Sonnenhöhe beein-
fhtsst und überdiess ist es von der gleichzeitigen Temperatur
der Umgebungen je nach der Stärke der Besonnung in un-
gleichem Maasse verändert, ferner wird es von der atmos-
phärischen Feuchtigkeit afficirt, die bald erhöhend bald er-
niedrigend wirkt; es würde daher die Differenz allein, ohne
dass gleichzeitig die Ursachen ihrer Veränderung berück-
sichtigt werden könnten, für die verschiedenen Theile einer
Gurve oder für Gurven verschiedener Stationen nicht wohl
vergleichbar sein.
Das Ourvennetz um&sst 90 F., von 140 bis 50,
(oder 50° C, von 60 bis 10) und wurde vfm den Werthen
der Monatsmittel bereits beinahe ganz ausgefüllt, während
absolute Extreme der nächtlichen Minima, so wie der Maxima
der Insolation diese Grenzen noch 'überschreiten würden.
gestellt, Bengalen durch den Doppelstrich : der volle schwarze Strich ist
für Hindostän und die stärkste Linie für das Pänjab gewählt, indem sich
dadurch in den verschiedenen Gegenständen leicht die einzelnen Provin-
zen wieder erkennen lassen, und weil zugleich die Wahl der Darstellung
der Grosse der Variation der täglichen Periode annähernd entspricht.
Die absoluten Maxima der Lufttemperatur sind durch Punkte als
isolirte Beobachtungen gehalten, die durch gerade Striche unter sich
verbunden sind. Um die Stellung der verschiedenen Gurven in der
thermischen Scala bequemer vergleichen zu können, ist die horizon-
tale Linie, welche dem Werthe von 100° Fahr, entspricht, durch
kleine Marken unterschieden.
226 Sibnmg der matk, p»ff . (Um vom IM. November 1864.
L Kittlere Temperatur der Luft.
Indischer Ooean, Ost-Küste von Ceylon.
Breite N. 6° 56"; Länge 00t. Gr. 79° M (Kolömbo).
Jan. 78,7 April 82,4 Juli 80,7 Oct. 79,1
Febr. 79,5 Mai 81,8 Aug. 80,6 Nov. 78,8
Man 81,2 Juni 81,8 Sept. 80,3 Dea. 78,1
Ganges* Delta an der Bay von Bengalen.
Breite N. 22« 33'; Lange öst. Gr. 88*21' (Calcutta).
Jan. 66,60 April 88,87 Juli 82,69 Oct, 81,85
Febr. 71,06 Mai 85,87 Aug. 88,05 Nov. 74,68
März 77,99 Juni 84,18 Sept. 83,06 Des. 67,70
Hindostan, am linken Ufer des Ganges.
Breite N. 277t*; Länge öst Gr. 79 Vt; Höhe 660 engLFoas.
Jan. 67,9 April 82,4 Juli 86,2 Oct. 76,9
Febr. 65,8 Mai 91,2 Aug. 88,7 Nov. 67,8
März 74,1 Juni 90,7 Sept. 83,4 Dez 59,0
.<*.
Pänjäb zwischen Satlej und Indus.
Breite N. 82Yi°; Länge öst. Gr. 74°; Höhe 900 engLFuaa.
Jan. 52,0 April 77,8 Juli 89,1 Oct 77,7
Febr. 61,9 Mai 86,1 Aug. 88,0 Nov. 66,1
Mars 67,8 Juni 93,3 Sept. 87,3 Dez. 57,3
v. Schl*gwto*it: Einflum dm Flüchtigkeit a*f die Insolation. 227
II. Absolute Maxima der Lufttemperatur (im Schatten),
Indischer Ocean, Ost -Küste von Ceylon«
Breite N. 6° 56'; Lange ort. Gr. 79° W (Kolömbo).
Jan. 85 April 89 V» M 86 Oct. 84
Febr. 88l/i Mai 88 Aug. 86l/t Nov. 861/«
Mir* 88 Juni 87 Sept. 85 Des. 85
Ganges- Delta an der Bay von Bengalen.
Breite N. 22° 83*; Linge öst. Gr. 88° 21' (Calcntta).
Jan. 78 April 95 Juli 98 Oct. 90
Febr. 81 Mai 106 Aug. 92 Kot. 78
März 90 Juni 105 Sept. 92 Dez. 80
Hindostan, am linken Ufer des Ganges.
Breite N. 27l/t°; Länge öst Gr. 79s/t°; Höhe 650 engl. Fuss.
Jan. 85 April 1041/« Juli 102 Oct. 96l/t
Febr. 90 7 t Mai 108 Aug. 941/* Nov. 90l/i
Märe 93 Juni HO1/* Sept. 96 Vi Dez. 76
Pänjab zwischen Satlej und Indus.
Breite N. 381/»; Länge öst. Gr. 74°; Höhe 900 engl-Fusa.
Jan. 69 April 96 Juli 97 Oct. 95
Febr. 81 Mai 105 Aug. 100 Nov. 84
März 82 Juni 120 Sept. 98 Dez. 70
228 Stommg der math-phys. Claim vom 1%. November 1864.
TEL. Mittler« Insolation.
Mittel aus den Ablesungen des besonnten Thermometers
zur Zeit des höchsten Standes nahe der Gulmination der
Sonne (Trübe Tage sind ausgeschlossen).
Indischer Ocean, Ost -Küste von Ceylon.
Breite N. 6° 66'; Lange öst Gr. 79° 60' (Kolombo).
Jan. 109 April 105 Juli 98 Oct. 103
Febr. 111 Mai 96 Aug. 108 Nov. 107
Mars 111 Juni 99 8ept. 102 Des. 106
Ganges -Delta an der Bay von Bengalen.
Breite N. 22° 33'; Länge öst. Gr. 88° 21' (Calcntta).
Jan. 180 April 135 Juli 133 Oct. 136
Febr. 132 Mai 134 Aug. 126 Nov. 129
März 135 Jnni 133 Sept. 136 Des. 124
Hindostan, am linken Ufer des Ganges.
Breite N. 271/*0; Länge öst Gr. 791/*; Höhe 660 engl. Fuae.
Jan. 90,5 April 121,5 Juli 111,6 Oct 109,2
Febr. 98,5 Mai 125,4 Aug. 107,9 Nov. 101,8
März 111,8 Juni 119,0 Sept. 111,1 Des. 89,9
,j>.
Pänjab zwischen Satlej und Indus.
Breite N. 331/*0; Länge öst. Gr. 74°; Höhe 900 engl. Fosa.
Jan. 95 April 115 Juli 180 Oct. 118
Febr. 98 Mai 130 Ang. 115 Nov. 96
März 103 Jnni 125 Sept. 108 Dez. 79
V.
Binflmse der Feuchtigkeit auf die Ineolatum. 229
Vergleichende Analyse des beschatteten and be-
sonnten Thermometers.
In Beziehung auf die atmosphärische Feuchtigkeit,
die ich wiederholt mit der Insolation und der Lufttemperatur
erwähnen muss, ohne in die Einzelnheiten hier eingehen
zu können, genüge es, Folgendes über die Vertheilung and
den Gang derselben zu bemerken.
In Ceylon schwankt die relative Feuchtigkeit am wenig«
sten; an der Südküste fallen die Monatspaittel zwischen
90 und 80, das Jahresmittel ist 84. In Madras sind die
grössten und kleinsten Monatsmittel 76 und -64, Jahres-
mittel 73. Weiter gegen Norden und zugleich gegen das
Innere des Landes in westlicher Richtung ist die Regenzeit
besser begrenzt, auch ist die heisse Jahreszeit, die ihr vorher-
geht, trocken. Im Gangesdelta, am Nordende der Bay von
Bengalen, ist. das Jahresmittel der relativen Feuchtigkeit
noch 75, aber sie schwankt bereits zwischen den Monats«
mittein 87 und 69; in Hindostan ist das Jahresmittel 67,
die feuchten Monate der Regenzeit sind 86 im Mittel, die
trockensten Monate 50, an einzelnen Orten selbst nahe 45.
Im Pänjäb kann 60 als das Mittel des Jahres angenommen
werden, die Mittel der feuchtesten und der trockensten
Monate liegen nahe bei 75 und 45.
Zugleich ist zu berücksichtigen, dass in den feuchtesten
Monaten, so lange sie mit der Regenzeit zusammenfallen,
auch während der Tage ohne Regen Trübungen der Atmo-
sphäre durch Nebelbläschen das vorherrschende sind, was
also das Mittel der Insolation dieser Monate verhältniss-
inässig so nieder machen muss.
Die mittlere Lufttemperatur zeigt für die vier aus-
gewählten Stationen, von Ceylon über Bengalen bis nach
dem Pänjab, das Eintreten des wärmsten Monats ent-
[1864 IL 3.] 16
230 Sitsmg dir math.*p*g$. Gltme um V*. Jfewwfer 1864.
schieden früher als es in höheren Breiten der nördlichen Hemi-
sphäre der Fall ist Es hängt dies« wesentlich mit dem
Brechen der Hitze durch die Regenzeit zusammen, die im
Allgemeinen im Juni, Juli und August vorherrscht. Das Ein-
wirken der Regen macht sich an den Küsten früher bemerk-
bar als im Innern, und selbst im P&njib, wo bereits auch
unsere Sommerperiode, Juni, JuK und August, die heisse
Jahreszeit geworden ist (nicht mehr wie in den mehr süd-
lichen Theilen von Indien, März, April und Mai, unser
Frühling) ist wenigstens unter den 3 Monaten fest überall
Juni der heisseste geblieben.
Im Herbste wird im Innern die Verminderung der
tropischen Hitze bereits im Octobermittel sehr fühlbar, im
Pänjäb beträgt die Temperaturdifferenz zwischen Juni und
Januar nicht selten 40 bis 45° Fahrh.; in Bengalen aber
beginnt die Temperatur des Herbstes erst gegen Anfang
November sich etwas zu kühlen, an den Küsten von Ceylon
beträgt die höchste Temperaturdifferenz der^ Monatemittel
noch nicht ganz 4*/*° Fahrh., also ein Zehntel der Schwan-
kung im Panjab.
Die absoluten Maxima bieten ziemlich regelmässige
und gleichartige Curven, obwohl mehr Abweichungen viel-
leicht sich hätten erwarten lassen, wenn man bedenkt, wie
vieler Jahre es wenigstens in der gemässigten Zone bedarf,
um annähernd vergleichbare Werthe zu erhalten. Audi
hier finden wir an den Küsten eine von dem Eintreten der
heissen Jahreszeit abhängige Beschleunigung im Eintreten
der Maxima. Doch Hindostan, wo ungeachtet der Regen-
zeit, zusammenfallend mit dem hohen Sonnenstande nicht
selten Unterbrechungen mehrerer Tage eintreten, zeigt eben-
falls wie das Pänjab") die absoluten Maxima im Juni
14) Als die absoluten Extreme können im Panjab für die Maxima
120 bis 1 25* Fahr, genannt werden, die auch bisweilen südlich davon
«. ScMagintoeü: Einfluss der Feuchtigkeit auf die Insolation. 231
Das Sinken in der Mitte der Regenzeit macht sich
in diesen Curren ganz besonders bemerkbar; es ist um
so überraschender in der Pänj&bcurve , da hier die Regen*
menge verhältnissmässig gering ist; aber die Hitze der
Luft und der Staubstürme ist jetzt gebrochen, und die Tem-
peratur ist besonders im Juli durch die nun eintretende,
wenn auch oft regenlose, Bewölkung in Beziehung auf
die M&rima wesentlich gemildert. Sie sinkt sogar, wie im
vorliegenden Falle, an vielen Stationen unter die isolirten
Maxima von Bengalen; aber nach wenigen Wochen, gewöhn-
lich im August, hebt sie sich wieder bedeutend über die
Extreme der andern Provinzen empor; auch in Hindostan
sehen wir ein ähnliches zweites Ansteigen der Curve der
absoluten Extreme nach dem Aufhören der Regenzeit, im
Oetober.
Die mittlere Insolation15) weicht in ihrem jahr-
in den Wüsten von Rajvära and in Sindh vorgekommen sein sollen;
im Pänjäb sind die extremen Minima, ohne Erniedrigung dureh Strah-
lung des Thermometers gegen den nächtlichen Himmel, etwa 25 bis
20° Fahr. Eisbildung in Wassergefassen, die auf schlecht leitender
Unterlage der nächtlichen Strahlung ausgesetzt werden, ist auch
in vielen Theilen von Hindostan noch ausführbar.
15) Die Höhe der Sonne am Mittag =H, ist unmittelbar aus der
einfachen Formel H = 90 — q> -+- cf abzuleiten, wobei tp die Breite,
<f die Declination ist; für die letztere folgen hier genäherte Angaben
für die 15*» der Monate (für 1865, Gr. Mttg.) J. — 21° 11' F — 12° 46'
M — 2° 141/«' (0 vom 20 auf 21«^) A. + 9° 40' M. + 18° 48' J. + 23o 19*
(+28° 277t' Max. am 28*»0 J.+210 36' A.-f- 14° 101/»' S. +8°9' (0 am 23*-)
O. — 8° 26' N. — 18° 26' D. — 28° 161/* (— 23° 277t' am 22-*») Dagegen
verändern sich gerade in den Tropen die Höhen von einer Stunde
des Tages zur andern nicht unbedeutend, während dessenungeachtet
in Folge der Temperatur örtlicher Umgebungen und ihres Einflusses
auf die Strahlung das besonnte Thermometer in den Tropen gewöhn-
lieh bis 2 Uhr, selbst bis 3 Uhr Nachmittags steigt. In Galentta
16*
232 Sitzung der m<tih.-phys. Ciasse wm 12. November 1864.
liehen Gange wesentlich von den beiden anderen Gurren-
Systemen ab, fast könnte man sich in einzelnen Perioden in
der südlichen Hemisphäre denken und doch liegt selbst
Kolombo noch 7° nördlich. Diese Abweichung muss um so
mehr überraschen, wenn man die Aehnlichkeit in den perio-
dischen Veränderungen zwischen der mittlerem Lufttemperatur
und den einzelnen Extremen damit vergleicht.
In Ceylon sehen wir die Besonnung, ungeachtet der
wenigstens etwas geringeren Monatsmittel im Schatten von
Oktober bis Februar, gerade in dieser Periode am höchsten
steigen; in den übrigen Monaten ist allerdings von April
bis August die Insolation durch das Vorherrschen von Regen
in direkter Weise beschränkt; aber auch das Steigen von
August bis Mitte November ist keineswegs den nun ein-
getretenen Veränderungen in der Durchsichtigkeit der Atmo-
sphäre vollkommen entsprechend, sondern ist verhältniss-
mässig grösser. Die Durchsichtigkeit lässt sffch fast während
des ganzen Jahres als durch Suspension von Nebelbläs-
chen getrübt erkennen, wie der warme duftige Hauch aller
landschaftlichen Bilder nicht weniger deutlich als die direkte
Beobachtung mit diaphano metrischen Apparaten es zeigt;
auch die nicht extreme Grösse der einzelnen Insolationen
stimmt damit überein.
a. B. verändert sich die Sonnenhöhe zur Zeit, wo ef am gröesten,
in 8 Stunden um 42 7* : Mittags ist H gleich 90°, um 3b p.m. 4 7 Vi0. Im
Winter, wenn cf = —23° 271/» wird H am Mittag 43° 68', um 8h 26° 9*.
(Nach der Formel : sin H = sin tp sind <f •+■ cos <p cos <f cos r).
Sowohl in der täglichen Periode bei dem Vergleiche des besonn-
ten Thermometers zn verschiedenen Stunden als auch, ganz beson-
ders, während der jährlichen Periode bei dem Vergleiche verschie-
dener Breiten bei ungleicher Lufttemperatur aber gleichen Sonnen-
höhen zeigt sich, wie bedeutend der Einfluss der Temperatur des
beschatteten Thermometers auf den resultirenden Grad der Insola-
tion ist.
*. SMaginkoeU: Einftwn der Feuchtigkeit auf du Insolation. 233
Am meisten überrascht Bengalen. In den beiden anderen
Beobachtungsreihen tiberall zunächst auf Ceylon folgend, er-
hebt es sich nun über alle andern Zonen, die wir hier zu
Tergleichen Gelegenheit haben. Wenn wir zugleich die ab-
solute und relative Feuchtigkeit und die Durchsichtigkeit
in den verschiedenen Monaten betrachten, so sehen wir
zunächst, dass die atmosphärische Feuchtigkeit sehr be-
deutend ist, aber es ist doch die Temperatur so hoch,
dass während der Stunden der grössten Tageswärme die
Durchsichtigkeit der Atmosphäre auch in der kühlen Jahres-
zeit, ungeachtet häufiger Morgennebel, nur selten in mess-
barem Grade getrübt ist. — Auch hier finden wir, wie in
Ceylon und, ich füge es zur Vergleichung vorgreifend hinzu,
wie in den übrigen Theilen von Indien, ein beginnendes
Steigen der absoluten Werthe der Insolation im Späthherbste,
ungeachtet der bereits fühlbar gesunkenen Temperatur der
freien Atmosphäre im Schatten.
In B%ndo8tdny das hier annähernd auch als der Typus
für Centralindien im Allgemeinen gelten kann, zeigt sich
nur das Steigen der Temperatur der umgebenden Atmo-
sphäre während der heissen Jahreszeit als von bedeutendem
Einflüsse auf das Mittel der Insolation; Extreme einzelner
Tage jedoch finden sich auch hier gerade in Unterbrechungen
der Regenzeit ganz besonders hoch.
Das Pänjäb, wo der Wärmezustand der freien Atmo-
sphäre wenigstens eine Höhe des besonnten Thermometers
hätte erwarten lassen, welche jener in den wärmBten Regionen
Indiens nicht nachgestanden hätte, bietet eine überraschend
geringe Differenz zwischen dem besonnten und beschatteten
Thermometer, die z. B. ungeachtet der so bedeutend ver-
schiedenen Sonnenhohen nur sehr wenig während der
heissesten (aber auch der trockensten Monate) und der Winter-
monate sich unterscheiden. Hier im Pänjab, dem nordwestlich-
sten Theile von Indien, hatte sich für die isothermen Linien
234 Sümmg der math.~fky*. OUme vom IM. November 1864.
eine isolirte Marimumsone ergeben, deren Temperatur im
Schatten jeden andern Theil von Indien weit übertrifft
Dessenungeachtet sind auch in diesen Monaten die einzelnen
Ablesungen sowohl als die mittlem Resultate der Insolar
tionsbeobachtungen wesentlich niederer als jene von Bengalen.
Die Depression im Monat Juni, die fast in allen Stationen
des Pänjab sich wiederholt, hat hier eine ganz besonders
anomale Ursache: es ist diess die Anhäufung suspendirter
fester Körper in der Atmosphäre, welche auch während der
Pausen der herrschenden Staubstürme nur theilweise sich
au senken vermögen ; die Temperatur der Luft im Schatten,
wie wir sahen, erreicht gerade in dieser Periode ihr Maximum ;
die nächtliche Strahlung wird ungemein vermindert, aber
die Besonnung wird bei Tage ebenfalls bedeutend geschwächt
Feuchtigkeitsveränderungen haben hierauf wohl keinen bemerk-
baren Einfiuss, da die Unterschiede zwischen den einzelnen
Monaten ebenso wie die Werthe der Feuchtigkeit sehr
gering sind. In Peshaur z. B. steigt sie vom Mai bis Juli
von 50 bis 56, im August dagegen gewöhnlich bis 60; das
Mittel für die Monate Dezember bis April ist im Durch«
schnitte etwas über 70 (die Sättigung = 100 gesetzt.) ie)
Im vorletzten Sommer, 1863, als überdiess zahlreiche
Tage ungewöhnlicher Wärme dazu beitrugen, auch in den
klimatischen Verhältnissen Europas Nebenumstände leichter
erkennen zu lassen, zeigte sich besonders häufig die bei
gleicher Lufttemperatur grössere Wärme des besonnten
Thermometers in England, wenn man damit die entspre-
chenden Beobachtungen in Frankreich verglich. Da ich
16) Auch in Europa lassen sich Tage, an denen die Eütse,
man den Schatten verlaset , in so ungleich grösserem Masse gefühlt
wird, auf solche zurückfuhren, an denen, ebenfalls mit grösseren
Feuchtigkeitsverhältnissen verbunden, das besonnte Thermometer
höher steht.
v. SMagtohmt: Binflues d$r FeuditigJxit tmf die Insolation. 286
den Sommer bis Bu Anfang August in London und die
nächöte Zeit in Frankreich zubrachte, hatte ich wiederholt
Gelegenheit, analoge Verhältnisse auch durch persönliche
Beobachtung zu vergleichen.
Als Beispiele aus dem Inneren des südlichen Indien, '
wofür die mir vorliegenden officiellen Beobachtungsmaterialien
keine so ausführlichen Reihen boten, füge ich noch einige
einzelne Angaben aus unseren Beobachtungen im White*
1854/m bei; die Trockenheit, verglichen mit Bombay und
Madras war hier im Inneren, bei Entfernungen von 120 bfe
180 englischen Meilen von den Kästen der Halbinsel, sehr
bedeutend; die Nächte waren, seit wir die Ghfite der wert1»
liehen Küste überschritten hatten, ohne Thau, der sich zum
ersten Mal bei Davanhalli (13° 15' nördL Breite 77° 43'
öst. Lange von Green., 2910 engl. Fuss Höhe) in der Nacht
vom 6. auf 7. Februar einstellte. Das Minimum des Morgens
war damals 59° F., doch waren an den vorhergegangenen
Tagen. ohne Thau bereits viel niederere Minima beobachtet
worden; als besonders unerwartet nenne ich, dass wir im
Krishnathale zwischen A'napur (NördL Breite 16° 41'; Oestl.
Länge Or. 74° 54'; Höhe des Krishnaspiegels 1673 E. F.)
und TercUfl am Morgen des 16. Januars 1855 ein Minimum
von 48° F. beobachteten.
Die geringe Insolation in Breiten von wenig übet
15° N. war mir um so überraschender, weü sie uns hier zum
ersten Male in Verbindung mit verminderter relativer
Feuchtigkeit vorkam, wobei man, der gewöhnlichen Annahme
folgend, den entgegengesetzten Effect erwarten konnte ; es ver-
anlasste mich diess zugleich hier desto vorsichtiger in der
Wahl der Beobachtungsmomente zu sein, und hier die erste
ausführliche Reihe auch von Experimenten in Südindien an-
zustellen.
Es würde zu sehr in das Detail der Versuche fuhren,
wenn ich hier bereits auch die optischen Nebenumstände
236 Sämmg der maitL-phys. dam um ia„ JXowmbcr 1864.
angeben würde; nur diesa eine sei noch erwähnt, dass
ich, veranlasst durch den so niederen Stand des besonnten
Thermometers, hier wie auch später ein Thermometer mit
geschwärzter Kugel der Insolation aussetzte, dessen Stand
in Folge der Veränderung der Kugel erhöht war, und über-
dies», wie die fortgesetzten Beobachtungen zeigten, in vielen
Regionen der indischen Tropen fast immer um die gleiche
Zahl von Graden höher stand. 17)
In der folgenden Zusammenstellung fugte ich noch die
Werthe von Calcutta und Kolömbo bei, und zwar die Mittel
aus 10 Tagen, um von zufalligen Modificationen an dem
einen der identischen Tage weniger abhängig zu sein.
17) Zur etwaiges Vergleiohung mit anderen Beobachtern, die
sich der geschwärzten Kugeln allein bedienten, sei hier erwähnt,
dass in Indien gewöhnlich 10 bis 11° Fahr, den Unterschied zwischen
besonnten Thermometern mit blanker und mit geschwärzter Engel
bildeten; es ist auch durch Beobachtungen mit Thermometern von
englischer Form, die sich z. B. durch Metallscalen und freie Gapillar*
röhren von unseren Thermometern mit äusseren Glascylindern als
Hüllen unterscheiden, die Erhöhung meistens gleich 10 Graden ge-
funden worden (Hook. Hirn. Journ. vol. II., p. 409.)
Doch wenn die Bedingungen des Luftdruckes, der Temperatur
und der Feuchtigkeit sich bedeutend änderten, wie z. B. zwischen
fien Küstenregionen und den Provinzen im Nordwesten, war auch
die Abweichung nicht mehr dieselbe geblieben; wo die Strahlung
lebhafter, wurde diess ' am geschwärzten Thermometer etwas mehr
bemerkt als an jenem mit blanker Kugel.
v. ScUmgintwmt: Einfluss der
amf Juj Imofatum. 237
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238 8Umm§ der «Mtk-fftyt. Ohme warn IS. November 1B64.
Dass die beiden Beobachtungsorte in Maisgar über
1500 Fuss hoch sind, kann an sieb nur die Wirkung der directea
Besonnung vermehren, da, wenn alle übrigen Umstände
gleich, in grossen Höhen die besonnten Thermometer,
über die Lufttemperatur sich mehr erheben als in niederen.
Dagegen, so wie die Resultate hier sich zeigen, macht ei
den Verlust durch Strahlung in Folge der Trockenheit nur
noch deutlicher.
Auch diess läset sich wohl in Verbindung mit der leb*
hafteren Strahlung bei trockner Atmosphäre als bei feuchter
sehr genügend erklären, dass sowohl im Pänjab während
der Sommerhitze als in Maissür während des in Folge der
geringen Breite noch stets sehr warmen Winters (77* F. im
Mittel) die Hitze weit weniger dem Menschen fühlbar, auch
der Gesundheit weniger nachtheilig sich zeigt, als diess im
Sommer von Hindostan oder im Winter an den Küsten
von Ceylon der Fall ist.
Um auch ein Beispiel ron Insolation in einiger Höhe
in den Tropen zu geben, fuge ich noch eine zwar verein«
zelte, aber doch der topographischen Verhältnisse wegen
interessante Beobachtung von Diirrschmitt 18) aus Calcutta
am Parisnath ") bei. Es sind die geographischen Coordinaten
dieses Gipfels, in Bahar: Nördl. Br. 23°57'8 Oestl. Länge
Ton Greenwich 86° 6',9, Höhe (engl. Fuss) 4469 ; er ist zugleich
der höchste Punkt im centralen Indien zwischen dem öst-
lichen Himalaya und den Nilgiris.90) Die Beobachtungen
18) loh verdanke die Mittheilung derselben Herrn Dürrsohmitt
in München, dem Bruder des Ventorbenen; als ich im März 1867
den Gipfel besuchte, war die Atmosphäre nicht rein genug, um
Beobachtungen über die Besonnung zu machen.
19) Vergl. Atlas der „Reaults", Sten Theil, Tafel XIX.
20) In den Nilgiris erreicht der höchste Gipfel, Dodab&ta
8640 F.: der Pedüru tille gille in Ceylon 8805; Pic. Kalsubtt im
D&han 5410 Fuss.
». 8<*Ugin*»U: Einfitu* Ar FmMightU mf die ImoUMm. 289
waren in der Nahe des Jain-Tempels , bei 4039 Fuss Hohe
gemacht und ergaben:
1846, Mai 16. und 17. Besonntes Thermometer: 112* F.
Gleichzeitiges Maximum der Lufttemperatur zwischen lh und
2h p. m.: 81°. Mittlere Tagestemperator (Mittel der Extreme):
74° F.")
Absolute Extreme.
Die absoluten Extreme der Insolation fand ich in den
meteorologischen Beobachtungen zu Galcutta; die höchste, zu-
verlässige91) Ablesung, die mir bis jetzt bekannt geworden,
erhielt ich nach meiner Rückkehr durch General Thuiller
wn dem Observatorium des Generalstabes mitgetheilt.
Es war diess 147° Fahr. (51,4° C.), am 29. October 186S;
absolutes Maximum der Lufttemperatur im Schatten 90° F.;
21) Sehr interessante Beobachtungen über Barometergang, mitt-
lere Lufttemperatur und Feuchtigkeit, aber ohne Daten über Be-
Bonnnng, enthalt Dr. G. v. Liebigs „Discussion of some meteorolo-
gioal Observation« made on Parisnath Hill.44, J. As. Soo. Beng. 1667,
p. 1—46.
22) In den „Parliamentary Beportsu finden sich in Glaishers Zu*
•ammenstellung vol. I. p. 919 von einer Station „Dudoopore"
(Breite N. 80° 12", also etwa 10 Meilen südlicher als Ambäla, Länge
und Höhe „unbekannt41) Beobachtungen des einen Jahres 1848 mit
einem Mittel von 138° F., zwischen Monatsmitteln von 111 im Dezember
und 161 im April eingeschlossen, wahrend in Ambälla 89 das ge-
ringste Monatsmittel, 122 das grösste und 108 das Jahresmittel ist
Es dürfte wohl, wie so hanfig an kleinen Seitenstationen , ein Ein-
geborner allein diese Beobachtung besorgt haben; diese Reihe ohne
alles Analoge kann nicht weiter berücksichtigt werden, da überdies»,
wie ich oft gefunden, in solchen Fällen auch die Fehler der Auf«
Stellung und Ablesung, da sie ganz willkührlioh sind, keine Gor*
rection mit Wahrscheinlichkeit vorzuschlagen erlauben.
\
240 dümmjf der wmth.-pkys. Gaset vem 12. November 1964.
zu gleicher Zeit war die relative Feuchtigkeit 69, aber die
Luft war klar und durchsichtig, die Bewölkung beschrankte
Äch auf grosse, gut begrenzte Haufenwolken. Im Mai Bind
Ablesungen von 140 — 142° Fahr, nicht ungewöhnlich; die
mittlere Lufttemperatur des Monat Mai im Schatten ist
85,4° F. In Jhänsi, in Centralindien, das bedeutend südlicher
liegt und eine viel höhere mittlere Lufttemperatur hat, 93, 7°F.
im Monat Mai, fand ich ein einziges Mal 140° Fahr, in den
BeobachtuDgslisten , kurz vor dem Eintritte der Regenzeit.
Es ist daher nicht ein Effekt der Besonnung auf unsera
Oiganismus allein, wenn wir dieselbe bei feuchter Luft
„stechender" , fügen wir bei in den Tropen „beengender,
gefährlicher44 fühlen, da auch der Stand des Thermometers
in der Sonne stets unter gleichen Umständen seine Maxima
erreicht. Für den Organismus ist allerdings die Verminder-
ung der Verdunstung in einem feuchten Klima auch noch eine
wesentliche Ursache, die Hitze fühlbarer zu machen.
Insolation in Sikkim im Vergleiche zu Ladak.
Der Gegensatz zwischen den klimatischen Verhältnissen in
den südöstlichen und nordwestlichen Theilen Hochasiens,
zwischen Ländern wie Sikkim und Ladak, bot Gelegenheit,
auch in grösseren, aber unter sich gleichen Höhen Insolations-
Beobachtungen zu sammeln und sie in Beziehung auf das
Zusammenfallen ihrer Modificationen mit jenen der atmo-
sphärischen Feuchtigkeit zu prüfen. Mit der Höhe des
Standpunktes steigert sich die Wirkung der Sonne in Folge
der Verdünnung der Atmosphäre, aber die absolute Wärme«
t erhöhung, die das besonnte Thermometer erreicht, wird
I geringer, da die Wärme der Umgebungen abnimmt. Zu-
I gleich, wie alle Versuche mit Berücksichtigung der Feuchtig-
keitsverhältnisse übereinstimmend ergeben, hatte auch hier
v. SdOagmkoeü: Smfium der Femd*i§keU axf die IneoLttom. 241
das Vorhandensein feuchter Atmosphäre ohne Trübung durch
Nebel einen geringeren Wärmeverlust des besonnten Ther*
mometers zur Folge. Dabei verdienten, wie ich glaube,
gerade jene mit Ausnahme der Feuchtigkeit ähnlichen Ver-
hältnisse, welche die Regionen Hochasiens boten, besondere
Aufmerksamkeit
Auf der Singhaiila Kette, wo ich nördlich von Darjiling
den Sommer 1855 zubrachte, bot sich mir in den Höhen
von 10000 bis 12000 Fuss keine Gelegenheit zu Beobach-
tungen bei ganz ungetrübter Atmosphäre. Es hatte die
Regenzeit des östlichen Himalaya begonnen mit Nebeln,
die ich oft, bange für meine landschaftlichen Bilder, nach
wenigen hellen Morgenstunden Tage lang mit fast unver-
änderter Dichtigkeit mich umgeben sah. Zuweilen trat auch
gegen Mittag ein unerwartetes Zertheilen der Hülle ein,
mächtig, aber nie von langer Dauer und genügender Klarheit«
Für Ladak bei Höhen von 11000 Fuss kann ich zu-
nächst die Beobachtungen während des längeren Aufenthaltes
in Leh nennen; sie ergaben zu Leh für Mitte Juli und
Mitte September 1856:
Leh, Nördl. Breite 34° 8'
Oestl. Länge von Greenwich . 77° 15
Höhe, engl. F 11532
Juli Sept.
Sonnenhöhe
am Mittage .... 77^ 59°
Besonntes Thermometer
um lh p. m. . . . 92 88°F.
Lufttemperatur im Schatten
Tagesmittel .... 66 56° F.
Tagesmaximum ... 79 68° F.
Relative Feuchtigkeit um lk 47 30
242 SUmmg der mrih.-phyB. Omm wm IM. November 1864,
Dagegen erwähnt Hooker , allerdings ohne auf die
Bäheren Details der Umstände einzugehen, ans Sikkim in
fast gleichen Höhen folgende Beobachtungen: im December
(wahrscheinliche Breite nahe 28° N., also Sonnenhöhe circa
40°) bei 10,000 Fuss ran 91 a. m. besonntes Thermometer
mit geschwärzter Kugel: 132° F., Luft im Schatten: 38° F.;
an einem anderen Tage bei 11,500 Fuss um llh a. m. be-
sonntes Thermometer: 122° F., beschattetes 40: Es betrugen
also hier die Unterschiede 94 und 82* F., oder wenigsten»
75 bis 60° F. für das gewöhnliche Thermometer, bei gerin-
gerer Sonnenhöhe als in Leh, während dort die Differenz
nur 20° F. betrug. ") Feuchtigkeit war bei Hooker nicht
angegeben, aber es lässt sich wohl beurtheilen, dass sie
jene in Leh bedeutend übertroffen habe, wenn man bedenkt,
dass in Darjiling, (mag es auch viel feuchter sein als das
Innere von Sikkim) das Mittel der relativen Feuchtigkeit for
den December 81 ist, (das Jahresmittel ist 84).
Unter den Eingebornen kommen Leiden in Folge der
Besonnung, wegen ihrer überall sehr grossen Widerstands-
fähigkeit durch Gewohnheit, auflallend selten vor: Europaer
haben auch hier durch Kopfbedeckung sich zu schützen;
doch gilt auch bei jenen Bewohnern tibetischer Race, die
sich im östlichen Himalaya finden, die Wirkung der
Sonne in den nebelfreien Monaten, obwohl sie vorzüglich
der kühlen Jahreszeit angehören, als gefährlicher als für die
innern Regionen Hochasiens im Sommer.
Zu Darjiling erlaubten es die Umstände während meines
Aufenthaltes in Sikkim im Jahre 1855 an einigen Tagen
Beobachtungen bei einer von Wolken- und Nebelbildung
unbeschränkten Besonnung am Mittage zu machen, die mir
von Dr. Withecombe mitgetheilt wurden.
23) Hooker „Himalayan Journals" vol. 2, p. 410.
SMaginUoeü: Einfluss der Feuchtigkeit a*f die Insolation. 243
Das Maximum im Juli 1855 war 129,9° F. bei einer
gleichzeitigen Temperatur von 70,4° F. im Schatten; die
mittleren Verhältnisse für dieses Jahr waren im Monat Juli:
Besonntes Thermometer 99° F.
Lufttemperatur im Schatten,
Tagesmittel 62,2
Tagesmaximum 66,8
Auch die Monatsmittel in Darjüing zeigen eine auf-
fallend grosse Differenz zwischen beschattetem und besonn-
ten Thermometer, dagegen ist selbst in der fast regenfreien
Periode von November, December, Januar und Februar die
Zahl der Tage, an welchen Beobachtungen am besonnten
Thermometer gemacht werden konnten, eine nicht sehr
grosse.
Die folgende Tabelle enthält die Mittel von 3 Jahren
nach meinem Aufenthalte in Sikkim (1857 bis 1859). I4)
Dmijüing N. B. 27° S',0 Oest. L. Greenw. 88°16',8 Höhe 7168 Furo.
Mittel der Besonnniig
Tagesmittel
Mittleres Max.
Temp. F.
Zahl der Tage.
der LofL
der Luft.
Jan.
91
20
43,9
50
Febr.
92
17
44,8
51
Mars
101,4
22
51,0
67
April
101
15
53,9
60
Mai
102
14
58,2
63
Juni
103
8
60,8
64Vt
Juli
104
6
61,5
647t
Awg.
99
10
61,5
65
Sept.
101,9
12
60,2
641/»
Okt.
96,1
17
56,6
61
Nov.
95,8
16
50,5
67
Dec
89,9
10
44,1
61
24) Auoh mitgetheilt in den „PsrliamenUberiohten „On the
Sanitär? State of India", vol. 2, p. 141.
244 Sitzung der math.-phy*. Cfejate vom 12. November 1664.
Gewöhnlich vermindern sich mit der Abnahme der
Lufttemperatur auch die Differenzen zwischen besonntem
und beschatteten Thermometer ; hier sehen wir den extremen
Unterschied fast 60° F. betragen, während er in Calcutta
bisher nur etwas über 57° F. gestiegen war.*6)
Einflnss der Entfernung der Erde von der Sonne.
Koch scheint auch die Veränderung der Entfernung der
Erde von der Sonne während ihrer Umlaufszeit nicht ganz
ohne Einfluss zu sein.
25) £s würde zu sehr in die Besprechung von Einzelnheiten
führen, Daten aas den nordischen Regionen und der Alpen hier
anzureihen. Zusammenstellungen davon gab ich zunächst für Ge-
birgsregionen in den Untersuchungen über die phys. Geogr. der
Alpen, Band 1., p. 429. Der gegenseitige Einfluss in der Verbindung der
verschiedenen modificirenden Elemente, der sich jetzt noch nicht
nach bestimmten Maassen schätzen lässt, wird aber durch die Ver-
gleichung der Jahreszeiten, Breiten und Höhen definirt werden, wenn
die Zahl genauer Daten sich vermehrt.
In den Alpen lässt sich der Einfluss der Feuchtigkeit auf Strahlung
wohl nie mit gleicher Deutlichkeit beobachten als in Hochasien, weil die
Sonnenhöhe und die Temperaturverhältnisse keinen so grossen resul-
tirenden Effect der Besonnung erlauben — daher auch nur geringe
Schwankungen in den Extremen — und, was noch wesentlicher sein
dürfte, weil die Feuchtigkeit nie so grosse Unterschiede zeigt, indem
die Trockenheit auch auf den höchsten Alpengipfeln wegen der nicht
hinreichenden Entfernung von der verdunstenden Oberfläche der
Erde nicht jenen Grad erreicht, der in den centralen Theilen Hoch-
asiens durch seine continentale Lage, ebenso wie durch seine Höhe be-
günstigt wird. In Höhen über 20,000 Fuss fand Glaisher auch über
Europa bei Beinen so sorgfaltig ausgeführten Ballon-Beobachtungen
eine Trockenheit der Luft, die an absoluten Mangel an Feuchtigkeit
grenzte. Aehnliches hatten wir in Tibet und Turkistan wiederholt
in Höhen bis herab zu 12,000 Fubb, und nicht in freier Atmosphäre,
sondern längs der Oberfläche, während der Reisen beobachtet, ohne
jedoch auch während längeren Andauerns solcher Trockenheit irgend
fühlbar dadurch zu leiden.
' v. ScUagintwtiU Einftuss der Feuchtigkeit auf die IneoUttüm. 246
Zunächst ist es die bedeutend hohe Insolation in Ceylon
bei 7° nördlicher Breite während des Winters, welche diess
vermnthen lässt. Die scheinbare Grösse der Sonnenscheibe
ist Anfangs Januar 161/* Minuten, Anfangs Juli 15'/*', sie
ändert sich also im Durchmesser um V'o, in der Fläche
um 1/ib. In unseren Breiten kann sich der Einfluss dieser
Veränderung kaum bemerkbar machen; in den Tropen
aber ist diess nicht ausgeschlossen, da dort noch immer die
Richtung der Sonnenstrahlen auch in einiger Entfernung vom
Aequator, eine sehr steile ist. In Hindostän , bisweilen
selbst im Pänjäb, begegnen wir noch einem ungewöhnlich
hohen absoluten Steigen im Späthherbste (noch auffallender,
wenp wir damit den Stand des beschatteten Thermometers
vergleichen), was ebenfalls mit der veränderten Entfernung
der Erde von der Sonne nicht ohne Zusammenhang sein
durfte. Während des Winters wird allerdings in den nordwest-
lichen Provinzen Indiens und im Pänjäb die l^raft der
directen Besonnung durch die Breite wesentlich verringert;
in Bengalen aber ist die Differenz zwischen besonntem
und beschatteten Thermometer während der ganzen kühlen
Jahreszeit grösser als während der heissen Monate; sie ver-
hält sich so ganz analog zu den Veränderungen, die wir,
in extremeren Formen, in den Curven von Ceylon sehen.
Tyndall's Versuche.
Ganz besonders wichtig wurde mir auch jüngst die
anerwartete Bestätigung, welche die Ergebnisse dieser Be-
obachtungen durch die Arbeiten von Tyndall") über
26) Tyndall, 1868. „Transact Royal 8oc.u, „Philo«. Magazine", etc.
Die Ergebnisse der Experimente, die Prof. Magnus anstellte (Pogg.
Ann. 1864) und die von Tyndall's Resultaten abwichen, seien zu-
[1864 IL 8.] 17
246 Siimng der moft.»i%#. Clont um 12. November 1864.
den Widerstand verschiedener Körper gegen den Durch-
gang strahlender Wärme", gefunden haben. Ohne hier in
das Detail dieser schönen Untersuchungen eingehen zu
können, sei mir erlaubt, zum Schlüsse nur Folgendes
noch in Kürze zn erwähnen. Er fand, dass Wasserstoff!
Sauerstoff, Stickstoff, auch trockene Luft, für Warme,
von irgend einer Quelle ausgehend, in gleicher Weise durch-
lassend sind, während Glas und viele feste Körper, welche
für die Sonnenwärme in hohem Grade diatherman sind,
dunkle Wärme in weit geringerem Grade durchlassen. Audi
für viele Gasarten und Dämpfe ergaben seine vergleichenden
Untersuchungen sehr bald analoge, nicht unbedeutende Ver-
schiedenheiten. In Beziehung auf die Hitze, welche die
Erde periodisch durch Strahlung verliert, kann man nach
Tyndall's Versuchen annehmen , dass 16 Prozent durch den
Feuchtigkeitsgehalt der Athmosphäre in der untersten
Schichte von 10 Fuss Höhe absorbirt werden.
Für das Klima im Allgemeinen lässt sich der Schutz,
den die atmosphärische Feuchtigkeit gegen rasche Erkaltung
durch Strahlung bietet,37) mit der schätzenden Glasdecke
eines Gartenbeetes vergleichen. Ohne der Einwirkung der
directen Sonnenstrahlen auf die Erdoberfläche Widerstand
entgegenzusetzen, verursaoht die Feuchtigkeit zugleich eine
temporäre Accumulation von Wärme, auf welcher eine nur
allmählige Abkühlung durch Strahlung folgt.
gleich noch angeführt, obwohl ich hier nicht specielle Angaben über
Versuche und die Beobachtungsmethoden beifügen kann.
27) Aach bei der Beurtheilung klimatischer Verhältnisse i»
früheren geologischen Perioden dürfte dieser Umstand Berücksichtig-
ung verdienen; ebenso fcann die Verschiedenheit in dem Kohlen-
Säuregehalte der Atmosphäre in manchen Perioden etwas von Einftast
auf die thermischen Verhältnisse der Erdoberfläche gewesen
Jfc&J: ÄeHologie des Typku$. 247
Herr Buhl giebt die Resultate seiner Untersuchungen
•bekannt
„Ueber die Aetiologie des Typhus".
Er stellte nämlich in statistischer Weise das ihm zu
Gebote stehende Material von den letzten 10 Jahren zu-
sammen, nämlich die von ihm in diesem Zeiträume secirten
900 Typhusleichen und setzte sich 3 Fragen zur Beantwort-
ung Vor: welchen Einfluss die Jahreszeiten , welchen die
meteorischen Niederschläge und welchen das Grundwasser
auf In- und Extensität des Typhus in München haben.
Es ergaben sich folgende Schlusssätze, deren nähere
Begründung demnächst anderwärts zur Veröffentlichung ge-
langen 80 11.
1. Die Extensität des Typhus in München ist nach
Jahrgängen sehr verschieden, zeigt ein abwechselndes Steigen
und Abnehmen. Von 1855—1858 Steigerung, von 1859 ein
starker Abfall, von 1861 an wieder eine Steigerung bis in
den heurigen Sommer. (Maximum 177, Minimum 31 Typhus-
todte im Schuljahre.)
2. Die Extensität des Typhus ist auch verschieden nach
Monaten. Die grösste Häufigkeit wird im Dezember, Januar,
Februar und März (91— -104 Fälle) beobachtet, die geringste
im Mai, August und Oktober (34—38 Fälle).
3. Diese Schwankungen müssen von einer bestimmten
Ursache abhängen, welche analoge Fluktuationen macht
4. Obwohl der Typhus im Winter am häufigsten, im
Sommer am seltensten ist, so kann die Ursache doch nicht
in den Jahreszeiten, resp. den Temperaturverhältnissen ge-
legen sein. Denn es giebt z. B. Winter, in denen der Typhus
sein Minimum zeigt (1860/61).
17*
248 Sitzung der maih.-phys. Ciatee «om 12. November 1864.
5. In dem Quantum der meteorischen Niederschläge
kann diese Ursache auch nicht gelegen sein, denn ihre
Linien bilden in keiner Weise eine Gongruenz mit den
Linien der Typhusfrequenz.
6. Dagegen ergiebt sich ein unverkennbares Zusammen-
gehen der Typhusmortalität mit den Grundwasserstanden
und zwar in umgekehrter Weise; Steigen der einen geht
mit Sinken des anderen, Sinken der einen mit Steigen der
anderen Hand in Hand. Diese zeigt sich nicht nur im Be-
reiche dieses oder jenes Einzeljahres, sondern auch im Ver-
laufe aller beobachteten Jahre. (S. die beigegebene Tab. IL)
7. Der Typhus steht dabei eigentlich nicht im Verhalt-
nisse zum jeweiligen Niveau des Grundwassers, sondern nur
zur jeweiligen Bewegung desselben.
8. Die Dauer und Raschheit der einen oder anderen
Grundwasserbewegung enthält das Maass für die In- und
Extensität des Typhus.
9. Aller Wahrscheinlichkeit nach befindet sich dalier
die specifiache Ursache des Typhus im Boden, wird mit dem
Sinken des Grundwasses blossgelegt, mit dem Steigen des-
selben überdeckt.
10. Bis eine eigentliche Typhusepidemie ausbrechen
kann, muss das Grundwasser schon 4 — 5 Monate lang vor-
her sich gesenkt haben.
11. Die Ursache des Aufhörens einer Epidemie liegt
nicht in einer Durchseuchung der Bevölkerung, sondern im
Wiederanschwellen und Steigen des Grundwassers«
12. Dem Trinkwasser, obwohl grösstenteils vom Grund*
wasser stammend, kann die Ursache der verschiedenen
Typhusmortalität nicht zugeschrieben werden«
Schönbein: Zur näheren Kenntnis» du 8auentoffm. 249
Herr Baron v. Liebig legt vor:
„Weitere Beiträge zur nähern Kenntniss des
Sauerstoffes von C. F. Schönbein/'
1) Nach welchem Verhältniss verbindet sich
bei der langsamen Oxidation, welche unter der
Mitwirkung des Wassers stattfindet, der Sauerstoff
mit der oxidirbaren Materie und dem Wasser?
Wie man leicht einsieht, hat die experimentelle Beant-
wortung dieser Frage eine nicht ganz kleine Bedeutung für
die Theorie aller langsamen Oxidationen, welche so viele
organischen und unorganischen Materien unter der Mitwir-
kung des Wassers durch den freien gewöhnlichen Sauerstoff
schon bei gewöhnlicher Temperatur erleiden und wobei
meinen frühern Versuchen gemäss immer auch das Wasser
oxidirt, d. h. Wasserstoflsuperoxid gebildet wird.
Die Thatsache, dass die Ozonide und Antozonide unter
geeigneten Umständen nach einfachen Aequivalentverhält-
nissen gegenseitig sich desoxidiren, d. h. hierbei gleiche
Mengen von @ und 0 erforderlich sind, damit dieselben zu
freiwerdendem 0 sich ausgleichen, z. B. HO+®, MnO+O
und SO» um in HO,MnO,SOs und 20 sich umzusetzen, liess
mich 6chon längst vermuthen, dass bei demjenigen Vorgange,
welchen ich mit dem Worte „chemische Polarisation des
Sauerstoffes" zu bezeichnen pflege und von dem ich an-
nehme, dass er bei der langsamen Oxidation des Phosphors,
vieler Metalle, der Pyrogallussäure und anderer organischen
Materien stattfinde, der neutrale Sauerstoff (O) zu gleichen
_ 0
Theilen in © (Antozon) und 0 (Ozon) übergeführt werde
und © mit HO zu Wasserstoffsuperoxid' und Q mit dem
250 Sitwng der math.-phye. Gaste vom 12. November 2604.
Phosphor, den Metallen u. s. w. zu Phosphorsäure, Oxiden
u. 8. w. sich verbinde.
Aus der Richtigkeit dieser Annahme würde folgen, dass
z. B. beim Schütteln SO 8 -haltigen Wassers mit Bleiamalgam
und Sauerstoff auf ein Aequivalent Bleisulfates beziehungs-
weise Bleioxides auch ein Aequivalent Wasserstoffsuper-
oxides sich bilden müsste. Nichts scheint nun leichter zu
sein, als die Ermittelung der Mengen Bleioxides und Wasser-
Stoffsuperoxides , welche unter den erwähnten Umständen
gleichzeitig neben einander gebildet werden; denn wendet
man eine bestimmte Menge Wassers mit einem bekannten
Schwefelsäuregehalt an, so lässt sich mit einer titrirten
Kalilösung die Menge der zum gebildeten Bleioxide getre-
tenen Schwefelsäure, somit die Menge des Oxides seihat
bestimmen, und ebenso leicht kann auch der Betrag des in
dem geschüttelten sauren Wasser vorhandenen Wasserstoff-
superoxides mit Hülfe einer titrirten KalipermanganaÜöauog
(K0,Mns Ot 06 = 5H0©) gefunden werden.
Andererseits ist aber auch die leichte Zersetzbarkeit
von HOt und namentlich die Thatsache wohl bekannt, dass
dieses Superoxid durch viele Metalle, unter welchen das
Blei selbst zu nennen ist, zerlegt wird, wesshalb ein Theil
desselben während des Schütteins des Bleiamalgames mit
dem gesäuerten HO und O wieder zerstört werden muss,
so dass es also eine diemische Unmöglichkeit ist, selbst
unter den günstigsten Umständen auf ein Aequivalent Blei-
Sulfates ein volles Aequivalent Wasserstoffsuperoxides zu
erhalten.
Einen sehr merklichen Einfluss auf die Menge des
wieder zerstörten HOt übt selbstverständlich die Dauer des
Schütteins, das Verhältniss des hierbei angewendeten SOs-
haltigen Wassers zu derjenigen des Bleiamalgames, gans
besonders aber das Verhältniss des Bleies zum Quecksilber
im angewendeten Amalgam aus, wie auch der Grad
Schönbein: Zur näheren Kenntoie* de* Sauerstoffes, 251
Säuerung des Wassers und die Temperatur nicht ohne
einigen Einfluß» sind. Im Allgemeinen laset sich sagen, dass
je langer die Dauer des Schütteins, je grösser die Menge
des Amalgam es im Verhältniss zu derjenigen des Wassers
und je reicher das Amalgam an Blei , alles Uebrige sonst
gleich, um so kleiner fallt im Verhältniss zum gebildeten
Bleisulfate die Menge von Wasserstoffsuperoxid aus, welche
man im gesäuerten Wasser noch vorfindet. Unter sonst
gleichen Umständen erhält man daher bei kurzem Schütteln
verhältnissmässig mehr HOt, als diess bei längerm Schütteln
der Fall ist; immer aber wird auf ein Aequivalent gebilde»
ten Bleisulfates weniger als ein Aequivalent Wasserstoff»
Superoxides zum Vorschein kommen.
Da mir unter all den langsamen Oxidationen, bei
welchen die Bildung von HOt sich nachweisen lässt, für die
experimentelle Beantwortung der oben gestellten Frage di*
jenige am Geeignetsten erschien, welche das mit Quecksilber
verquickte Blei beim Schütteln mit SO» -haltigem Wasser
und reinem oder atmosphärischen Sauerstoff erleidet, so
habe ich bis jetzt auch nur mit diesem Metalle Versuche
angestellt, deren Ergebnisse mir ausser Zweifel zu stellen
scheinen, dass der bei der langsamen Oxidation des Bleie*
thätige Sauerstoff sich halbire, d. h. hievon ebensoviel von
dem Metalle als vom Wasser aufgenommen werde.
Bevor ich im Einzelnen diese Ergebnisse mittheile, wird
es am Orte sein, die Anstellungsweise meiner Versuche näher
anzugeben. Was das bei denselben gebrauchte Amalgam
betrifft, so enthielt dasselbe auf 200 Theile Quecksilbers
mir einen Theil Bleies, welches Verhältniss ich nach zahl*
reichen Versuchen als dasjenige gefunden, bei dem matt
rücksichtlich des erhaltenen HOt das günstigste Ergebniss
erhält; denn wendet man Amalgame an, die merklich reicher
an Blei sind, so fallen in erwähnter Hinsicht die Ergebnisse
um so ungünstiger aus, je mehr darin das genannte Metall
252 SUmmg der «wiÄ.-p*y*. (fasse 90m X3. November 1864.
vorwaltet. Ein Amalgam z. B. mit 5°/o Bleigehalt gibt im
Verhältnis zum gleichzeitig gebildeten Bleisulfat, nicht viel
mehr als die Hälfte HOt von derjenigen Menge, welche
man anter sonst völlig gleichen Umständen mit einem nur
0,ö0/o haltigen Amalgam erhalt.
Das zu meinen Versuchen dienende Wasser enthielt
*/*oo SOs,HO, von welchem auf 200 Gramme des erwähnten
Amalgames je auf einmal 100 Gramme angewendet und
beide Flüssigkeiten in einer Zweilitergrossen Flasche mit
reinem Sauerstoffgas zusammengeschüttet wurden. Nachdem
auf diese Weise nacheinander 300 Gramme des besagten
Wassers gleichlang mit dem Amalgam und Sauerstoff be-
handelt und durch Filtration von dem gebildeten Bleisulfate
getrennt waren, dienten 100 Gramme dieser Flüssigkeit zur
Bestimmung der noch darin enthaltenen freien Schwefelsäure!
was mittelst Sättigung durch eine verdünnte Kalilösung ge-
schah, welche so titrirt war, dass ein Gramm derselben ein.
Milligramm des ersten Schwefelsäurehydrates neutralisirte.
Da 100 Gramme des sauren Wassers ursprünglich 200 Milligr.
SO s, HO enthalten, also zu ihrer Sättigung 200 Gramme der
titrirten Kalilösung erheischen, bei dem Schütteln der Flüssig-
keit mit dem Amalgam und Sauerstoff aber ein Theil der
Säure mit dem unter diesen Umständen sich bildenden Blei-
oxide zu einem unlöslichen Salze zusammentritt, so werden
100 Gramme des geschüttelten sauren Wassers zur Sättigung
nicht mehr 200 Gramme der besagten Kalilösung erfordern
und wird aus dem übrig bleibenden Reste derselben die
Menge der beim Versuche gebundenen Schwefelsäure, somit
auch diejenige des gebildeten Bleisulfates oder die Menge
des vom Blei aufgenommenen Sauerstoffes sich ergeben.
Wären also z. B. zur Sättigung der 100 Gramme des ge-
schüttelten sauren Wassers nur noch 151 Gramme der
titrirten Kalilösung erforderlich, so entsprechen die übrig
bleibenden 49 Gramme eben so vielen Milligrammen SO«, HO
Sekönbem: Zur näheren Kenntnise des Sauerstoffes. 253
welche sich mit Bleioxid verbunden und woraus folgte, dass
während des Schütteins 103/7 Milligramme Bleies mit
8 Milligrammen Sauerstoffes sich vereiniget hätten.
Andere 100 Gramme desgleichen mit dem Amalgame
geschüttelten Wassers wurden zur Bestimmung der Menge
des darin vorhandenen Wasserstoffsuperoxides verwendet,
also zur Ermittelung des Sauerstoffes, welche während der
Oxidation des Bleies mit dem Wasser in chemische Ver-
bindung getreten, zu welchem Behufe ich mich einer Kaliper-
manganatlösung bediente, die so titrirt war, dass ein Gramm
derselben ein Milligramm 6 enthielt, d. h. durch ein Milli-
gramm © entfärbt wurde, oder was das Gleiche ist, dass
8 Gramme der entfärbten Permanganatlösung 17 Milligrammen
Wasserstoffsuperoxides entsprachen, in welchen 8 Milli-
gramme © enthalten sind. *) Würden nun in einem Ver-
suche durch 100 Gramme des mit Bleiamalgam und 0 ge-
schüttelten sauren Wassers 8 Gramme der titrirten Per-
manganatlösung vollständig entfärbt, so ergäbe sich hieraus,
dass in diesem Wasser 17 Milligramme HO« oder 8 Milli-
gramme © enthalten gewesen wären, folglich gleich viel
Sauerstoff mit dem Blei und Wasser sich vereiniget hätte.
Beifugen will ich noch, dass dem besagten Wasser, bevor
ich es mittelst der Permanganatlösung auf seinen HOt -Ge-
halt prüfte, noch einige Tropfen Schwefelsäure zugegossen
wurden, weil dadurch die Reduction der Uebermangansäure
zu Oxidul rasch und vollständigst bewerkstelliget wird.
Kaum wird es noch der Bemerkung bedürfen, dass die
bei meinen Versuchen gebrauchten Probeflüssigkeiten mit
1) Ist chemisch reines Kalipermanganat zur Hand, so erhalt
man eine solche titrirte Flüssigkeit am Einfachsten durch Auflösen
von 1,682 Grammen dieses Salzes (0,400 Gramm 0 enthaltend) in
398,418 Grammen Wassers, in welcher Weise ich mir meine titrirte
Lösung bereitete.
254 Sit0*ng der nafk-phyi. Ctone vom 12. Not*mber 1864.
möglichst grosser Genauigkeit titrirt waren und auch
Sättigung des geschütttelten sauren Wassers durch Kali»
lösung mit äusserster Sorgfalt ausgeführt wurde. Erst nach*
dem eine Viertelstunde lang gelbes Curcuma- und blaues
Lakmuspapier in der Flüssigkeit unverändert gelegen hatten,
wurde dieselbe als neutralisirt betrachtet.
Es ist bereits bemerkt worden, dass das Verhältnias
der Menge des gebildeten Bleisulfates zu derjenigen des
Wasaerstoffsuperoxides unter sonst gleichen Umständen ver-
schieden ausfalle, je nachdem das SO s -haltige Wasser kürzere
oder längere Zeit mit Bleiamalgam und Sauerstoff zusam-
mengeschüttelt werde und zwar so, dass dieses Verhältnias
zu Gunsten des Bleisalzes mit der Dauer des Schütteln»
wachse. Will man daher im Verhältniss zum gleichzeitig
gebildeten Sulfate möglichst viel Wasserstoffsuperozid er*
halten, so darf das Schütteln nicht länger dauern, als bis
so viel PbO,SOs und HOt gebildet ist, damit die Mengen
dieser Verbindungen mit den vorhin erwähnten Mitteln noch
genau sich bestimmen lassen.
Als Mittel aus einer grossen Anzahl von Versuchen, bei
welchen lebhaftes Schütteln 10 Sekunden lang dauerte, ergab
sich, dass die Menge des vom Blei aufgenommenen Sauer-
stoffes zu der mit dem Wasser verbundenen Menge wie
100:95 sich verhielt, ja in einzelnen Fällen stellte sich da»
Verhältniss wie 100:98. Ob bei diesen Versuchen reiner
oder atmosphärischer Sauerstoff angewendet wurde, übte
auf das erwähnte Verhältniss keinen merklichen Einfluss
aus, wobei es sich jedoch von selbst versteht, dass, alles
Uebrige sonst gleich, mit reinem Sauerstoff mehr Bleisulfai
und Wasserstoffsuperozid erhalten wurde als bei Anwendung
atmosphärischer Luft, wie diess aus nachstehenden Angaben
erhellen wird. Versuche, bei welchen das Schütteln 20 Se-
kunden lang dauerte, gaben im Mittel das Verhältniss von
100 : 80 , bei 30 Sekunden langem Schütteln dasjenige von
8dtfnbein: Zur näheren Kenntniss des Sauerstoffes. 255
100:69 und bei 100 Sekunden lang dauerndem Schütteln
des Verhältnißs von 100:54. Einige der Daten, aus welchen
diese Verhältnisse berechnet wurden, sind folgende. Bei der
ersten Versuchsreihe und Anwendung atmosphärischen Sauer«
Stoffes erforderten 100 Grammen des geschüttelten sauren
Wassers (ursprünglich 200 Milligramme SOs,HO enthaltend)
191 Gramme der titrirten Kalilösung zur Sättigung, woraus
erhellt, dass während des Schütteins 9 Milligramme Schwefel-
säurehydrates verschwanden, d. h. an das unter diesen Um-
ständen gebildete Bleioxid getreten waren, welche Säure*
menge 1,46 Milligramme Sauerstoffes voraussetzt, die sich
mit dem Blei verbunden; denn 49 (SOs,HO): 8(0) =
9 (S08,H0): 1,46 (0). 100 Gramme desgleichen Wassers ver-
mochten 1,39 Gramme der titrirten Kalipermanganatlösung
zu entfärben 1,39 Milligrammen Sauerstoffes entsprechend,
welche mit Wasser zu HOt verbunden waren. Es verhielt
sich somit die Menge des mit dem Blei zusammengetretenen
Sauerstoffes zu derjenigen des gleichen Elementes, welche
mit dem Wasser vergesellschaftet war, wie 146:139 oder
wie 100:95,2.
Wurde anstatt atmosphärischer Luft reines Sauerstoflgas
angewendet, alles Uebrige sonst gleich, so erforderten 100
Gramme des sauren geschüttelten Wassers nur 169 Gramme
der titrirten Kalilösung zur Sättigung, woraus abzunehmen,
dass besagte 100 Gramm Wassers 31 Milligramme SOs,HO
verloren hatten, welche vollen 5 Milligrammen Sauerstoffes
entsprechen, die sich mit Blei zu Oxid verbunden. 100 Gramme
des gleichen Wassers vermochten 4,76 Gramme der Per-
manganatlösung zu entfärben, woraus erhellt, dass 4,76 Milli-
gramme Sauerstoffes zum Wasser getreten waren und somit
die Menge des bei diesen Versuchen mit dem Blei verbundenen
Sauerstoffes zu derjenigen, welche sich mit Wasser vereiniget
vorfand, wie 50:47 oder wie 100:94 sich verhielt und ich
256 Stonmg der matK-phy*. Classe vom 12. November 1664.
will nicht unerwähnt lassen, dass auch bei mehreren dieser
Versuche ein Verhältniss von 100 : 97 — 98 sich ergab.
Schüttelt man mit Bleiamalgam und Sauerstoff das ge-
säuerte Wasser so lange zusammen, bis dasselbe das blaue
Lakmuspapier nur noch schwach zu röthen vermag, so wird
in dieser Flüssigkeit zwar eine sehr merkliche Menge von
HOt enthalten, selbstverständlich aber im Verhältniss zu
derjenigen des gleichzeitig gebildeten Bleisulfates eine kleine
sein und wird mit dem Schütteln bis zum völligen Ver-
schwinden der freien Schwefelsäure fortgefahren, so finden
sich in dem Wasser kaum noch nachweisbare Spuren von
Wasserstoffsuperoxid vor, so schnell wird dasselbe zerstört,
wenn es nicht mehr unter dem schützenden Einflüsse freier
Schwefelsäure steht Und beifügen will ich hier noch die
Bemerkung) dass in dem Augenblicke, wo die letzte Spur
freier Säure verschwindet, das bishin milchig gebliebene
Aussehen des Wassers m ein Aschgraues übergeht.
Wenn nun aus obigen Thatsachen erhellt, dass bei
10 Sekunden langem Schütteln die vom Blei und Wasser
gleichzeitig aufgenommenen Sauerstoffmengen wie 100:95
sich verhalten, ja nicht selten ein Verhältniss von 100:97
erzielt wird, diese Mengen somit nicht weit von der Gleich-
heit sich entfernen, und wenn es femer Thatsache ist, dass
dieses Verhältniss für das Wasserstoffsuperoxid um so un-
günstiger ausfällt, je länger das Schütteln gedauert, so
glaube ich hieraus schliessen zu dürfen, dass in dem Augen-
blicke der Oxidation der an ihr betheiligte Sauerstoff genau
sich halbire, d. h. die eine Hälfte desselben mit dem Blei
zu Oxid, die andere Hälfte mit dem Wasser zu Superoxid
sich verbinde, so dass auf ein Aequivalent der einen Ver-
bindung auch ein Aequivalent der andern gebildet würde. *)
2) In einer der nachstehenden Mittheilungen „Ueber das Ver-
halten des Sauerstoffes zum Blei" werde ich zu zeigen suchen, dass
: Zw näheren Kmwtniss des Sauentoffe*. 257
Bei der leichten Zersetzbarkeit des Wassersto&uperoxides
kann es aber nicht Anders sein, als dass ein Theil desselben
bei fortgesetztem Schütteln wieder zerstört werde und zwar
hievon verhältnissmässig um so mehr, je reicher das ge-
säuerte Wasser an HOt wird and das Amalgam an Blei
ist Desshalb ist es, wie schon bemerkt, eine chemische
Unmöglichkeit, anf ein Aequivalent Bleisuliates ein volles
Aequivalent Wasserstoffsuperoxides zu erhalten, wie günstig
sonst auch die Umstände sein mögen, unter welchen diese
Verbindungen gebildet werden. Wäre es möglich, die kleine
Menge von Schwefelsäure genau zu bestimmen, welche in
der ersten Sekunde des Schütteins gebunden wird, und
ebenso die Menge des gleichzeitig gebildeten Wasserstoff-
superoxides, so würde sich ohne Zweifel eine so vollkom-
mene Aequivalenz herausstellen, als eine solche auf dem
Wege des Versuches nur immer ermittelt werden kann. Darf
aber angenommen werden, dass bei der beschriebenen Oxi-
dation des Bleies der Sauerstoff zwischen dem Metall und
Wasser sich gleich theile, so sind wir wohl zu der Ver>
muthung berechtiget, dass eine solche Halbirung des Sauer-
stoffes auch bei allen übrigen langsamen Oxidationen Platz
greife, deren Stattfinden von der Anwesenheit des Wassers be-
dingt ist, und dass es immer nur Nebenumstände seien, auf der
leichten Zersetzbarkeit des Wasserstoffsuperoxides beruhend,
wesshalb eine solche Halbirung nicht stattzufinden scheint.
Wenn wir z. B. im Blute, wo doch sicherlich Oxidationen der
erwähnten Art vor sich gehen, kein Wasserstoflsuperoxid nach-
zuweisen vermögen, so folgt hieraus noch nicht, dass dort
Keines gebildet werde; denn wir wissen jetzt, dass die
Blutkörperchen in einem ausgezeichneten Grade das Ver-
vor der Bildung des Bleisulfates oder Bleioxides noch ein anderer
chemischer Vorgang stattfinde, dessen Besprechung jedoch hier noch
nicht am Orte wäre.
258 Stonmg der wrth.-phy$. Okme vom 12. November 1864.
mögen besitzen, schon fertig gebildetes HOt zu zerstören,
welche Wirkung sie selbstverständlich auch auf das wahrend
der Respiration erzeugte Wasserstofisuperoxid hervorbringen
mfissten.
Welchen Einfluss Nebenumstände auf das in Rede
stehende Verhältniss ausüben, mag man ans folgenden An-
gaben ersehen. Wie oben erwähnt f verhielt sich bei 30 Se-
kunden langem Schütteln des SOt-haltigen Wassers mit
Bleiamalgam u. s. w. der mit dem Blei verbundene Sauer-
stoff zu demjenigen, welcher an Wasser gebunden ange-
troffen wurde, wie 100 : 69. Fügte man nun dem gesäuerten
Wasser vor dem Schütteln (mit dem Amalgam u. s. w.
einiges Kohlenpulver zu, alles Uebrige sonst gleich, so ergab
sich ein Verhältniss wie 100:29, obwohl in beiden Fällen
die Mengen der verschwundenen Schwefelsaure merklich
gleich waren. Bei Anwendung einer etwas grössern Menge
von Kohle, alles Uebrige ebenfalls wieder gleich, enthielt
das geschüttelte und abfiltrirte saure Wasser gar kein
Wasserstoffsuperozid mehr. Es kann wohl keinem Zweifel
unterworfen sein, dass bei Gegenwart von Kohle ebenso
wie bei Abwesenheit dieser Materie HOt gebildet wurde; da
aber bekanntlich die Kohle diese Verbindung in Waseer
und gewöhnlichen Sauerstoff umsetzt, so muss dieselbe eine
solche zersetzende Wirkung auch auf das unter den letzt-
erwähnten Umständen sich bildende Wasserstoffsuperozid
hervorbringen, und insofern das Platin noch kräftiger als
die Kohle zerlegend auf HOt einwirkt, versteht es sich von
selbst, dass die Anwesenheit einer verhältnissmässig sehr
kleinen Menge Platinmohres in dem SOt-haltigen Wasser
das Auftreten von HOt ebenfalls gänzlich verhindern würde.
Ein Beispiel ähnlicher Art ist Folgendes. Bekanntlich
bilden sich nach meinen Versuchen beim Schütteln einer
alkalisirten Lösung von Pjrrogallussäure mit Sauerstoffgas
oder atmosphärischer Luft merkliche Mengen von Wasser-
8chönbe4n: Zur näheren Kemebtrie* den Sauerstoffes. 259
Btofisuperoxid. Löst man z. B. nur 25 Milligramme der
genannten Säure in 50 Grammen Wassers auf, denen etwa
ein Gramm massig starker Ealilösang zugefugt wird and
schüttelt man das Gemisch eine Minute lang mit atmo-
sphärischen Sauerstoff zusammen, so wird dasselbe, nachdem
es mit verdünnter SOs übersäuert und dann mit einem
gleichen Raumtheil Aethers nebst einigen Tropfen verdünnter
Chromsäurelösung zusammengeschüttete worden, diesen
Aether merklich stark lasurblau färben, welche Reaction die
Anwesenheit einer schon merklichen Menge von HOt an*
zeigt. Dieselbe Menge von Pyrogallussäure in 50 Grammen
kalihaltigen Wassers gelöst, welches vorher durch entfasertes
Blut stark gerottet worden, liefert bei sonst gleicher Be-
handlung eine Flüssigkeit, in welcher sich mittelst Aethers
und Chromsäure kein HOt mehr nachweisen lässt, obwohl
nicht im Mindesten daran zu zweifeln ist, dass auch unter
diesen Umständen die Pyrogallussäure gerade so rasch wie
ohne die Blutkörperchen durch den atmosphärischen Sauer-
stoff oxidirt und dabei HOt gebildet werde. Wie man aber
leicht einsieht, kann bei diesem Vorgang aus dem gleichen
Grunde kein Wasserstoffsuperoxid auftreten, wesshalb diese
Verbindung beim Schütteln des SOt-haltigen Wassers mit
Bleiamalgam und Kohle oder Platinmohr nicht zum Vor*
scheine kommt und da nach meinen Beobachtungen das in
dem entfaserten Blut enthaltene Eiweiss nicht katalysirend
auf HOt einwirkt, so sind es die Blutkörperchen, welche
das unter den erwähnten Umständen entstehende Wasser*
stoffsuperoxid nach Massgabe seiner Bildung auch wieder
zerstören. Unlängst ist von mir gezeigt worden, dass durch
die ganze Pflanzen* und Thierwelt Materien verbreitet seien,
welchen gleich dem Platin, der Kohle und den Blutkörper-
chen das Vermögen zukommt, das Wasserstoffsuperoxid zu
zerlegen. Wenn nun organische Substanzen bei Gegenwart
derartiger Materien in Berührung mit atmosphärischem
260 Bitomng der maffc-fifty«. Glosse vom 12. November 1864.
Sauerstoff and Wasser die langsame Oxidation erleiden und
unter diesen Umständen auch HO» gebildet wird, so be-
greift sich leicht, dass dieses Superoxid je nach Umständen
sofort entweder gänzlich oder doch theilweise wieder zer-
stört werden muss, gerade so, wie Diess mit dem Wasser-
stofisuperoxide geschieht, welches, beim Schütteln SOs-halt-
igen Wassers mit Bleiamalgam und Sauerstoff bei Anwesen-
heit von Kohle oder der Blut- und Kalk-haltigen Pyro-
gallu8säure mit atmosphärischer Luft gebildet wird. Scheint
nun auch bei der Respiration des Blutes, der Verwesung
vieler organischen Materien und den in feuchter Luft statt-
findenden Oxidation unorganischer Substanzen kein Wasser-
stoffsuperoxid erzeugt zu werden, so kommt diess nicht
davon her, dass bei den erwähnten Vorgängen überhaupt
kein Solches entstehe, sondern hat nach meinem Dafürhalten
seinen Grund in Nebenumständen, ähnlich Denen, welche
vorhin bezeichnet wurden.
Nach diesen Erörterungen wird es wohl kaum noch
der Bemerkung bedürfen, dass ich die oben besprochenen
Thatsachen zu Gunsten der von mir wiederholt geäusserten
Ansicht zu deuten geneigt bin, gemäss welcher der
Sauerstoff in zwei einander entgegengesetzt thätigen Zu-
ständen und in einem Neutralen zu bestehen vermag und
diese Zustände in einander sich überfuhren lassen, obwohl
ich immer noch nicht wage, irgend welche Vermuthung
über den nächsten Grund dieser Zustände und ihrer Ver-
änderung auszusprechen. Worauf dieselben aber auch immer
beruhen mögen, so viel scheint mir doch jetzt schon gewiss
zu sein, dass sie bei allen, scheinbar durch den gewöhn-
lichen Sauerstoff bewerkstelligten Oxidationen und namentlich
bei denjenigen eine massgebende Rolle spielen, welche so
viele Materien unorganischer und organischer Art in Be-
rührung mit atmosphärischer Luft und Wasser schon bei
gewöhnlicher Temperatur erleiden, wie uns hievon die Vor-
ScMtibein: Zur näharm Kumtate dm Sauerstoffe* 261
weeung omanischer Stoffe und die Respiration der Thiere
die grossartigsten Beispiele liefern, gegen welche alle
übrigen auf der Erde stattfindenden Oxidationsvorgänge als
klein und unbedeutend erscheinen. Ehe man die verschie-
denen Zustände des Sauerstoffes kannte, musste man an-
nehmen, dass dieser Grundstoff so wie er in der Atmos-
phäre vorhanden ist, auf die oxidirbaren Materien sich
werfe, ohne vorher selbst irgend welche Veränderung er-
leiden zu müssen. Die in neuerer und neuester Zeit ermit-
telten Thatsachen scheinen mir aber zu der Annahme zu
berechtigen, dass dieser Sauerstoff als solcher keine Oxida-
tionswirkungen hervorzubringen vermöge und bevor er diesa
zu thun befähiget ist, erst diejenige Veränderung erleiden
müsse, in Folge deren er in zwei einander entgegengesetzt
thätige Hälften gleichsam sich spaltet, oder, wie ich mich
gern weniger hypothetisch ausdrücke, chemisch polarisirt wird«
Beziehen wir nun diese Annahme zunächst auf die Er-
scheinungen der Verwesung und thierischen Respiration, so
lässt sie uns als nächste Ursache dieser weitgreifenden
chemischen Vorgänge eben die Spaltung oder Polarisation
des atmosphärischen Sauerstoffes erscheinen, eingeleitet
einerseits durch das vorhandene Wasser, andererseits durch
das oxidirbare Material unorganischer und organischer Sub-
stanzen, zwischen welchen Materien im Augenblicke der ein-
tretenden Oxidation der polarisirte Sauerstoff sich theilt, in
gleicher Weise wie Diess obigen Angaben gemäss beim Zu-
sammenwirken von Bleiamalgam, SO* -haltigem Wasser und
atmosphärischem Sauerstoff, oder um ein noch einfacheren
Beispiel zu wählen, bei der langsamen Verbrennung des
Phosphors geschieht.
(1864. IL 3.) 18
262 Sitwmg im urtk-ffty». OI/uh vom 1*. Nowtmb&r 1964.
2) Ueber das Verhalten des Sauerstoffes zum
Thallium.
Das Thallium, obwohl erst seit Kurzem aufgefunden
und spärlichst in der Natur angetroffen, ist von den Ent-
deckern desselben und einigen andern Chemikern doch schoa
ziemlich genau erforscht und das, was wir bereits von ihm
wissen, laset es uns als einen der merkwürdigsten metal-
lischen Körper erscheinen.
Gewisse Eigenschaften, welche das Thallium einerseits
mit dem Blei, andererseits mit den alkalischen Metallen
gemein hat, liessen mich vermuthen, dass auch sein Ver-
halten zum Sauerstoff manches Eigentümliche zeigen dürfte
und desshalb wünschen, einige Oxidationsverhältnisse dieses
Metalles durch eigene Versuche kennen zu lernen. Hot
Kuhlmann aus Lille hat mich durch die Uebersendung
einigen Thalliums in den Stand gesetzt, die gewünschten
Untersuchungen auszuführen und ich benütze diesen Anlast
gerne, demselben für seine so verbindliche Freigebigkeit
meinen besten Dank öffentlich zu bezeugen.
Die Ergebnisse meiner Versuche , welche den Gegen-
stand dieser Mittheilung ausmachen, sind so ausgefallen,
dass sie wohl von Seite der Chemiker einige Beachtung
verdienen dürften, insofern sie uns mit Thatsachen bekannt
machen, welche, wie ich glaube, nicht ohne allgemeinerei
Interesse und desshalb auch geeignet sind, manche andere
schon bekannte, den Sauerstoff betreffende Vorgänge fer
uns verständlicher zu machen, als sie es bisher gewesen.
Wie bei gewöhnlicher Temperatur der wasserfreie neu-
trale Sauerstoff kein Metall zu oxidiren vermag, so auch
nicht das Thallium, welches, wie lange man es unter den
erwähnten Umständen in gewöhnlichem Sauerstoff verweilen
lässt, des Gänzlichen unverändert bleibt. Anders verhält
ScMMetn: Zur näheren Kenntnim des Scmentofee. 263
sich der ozonisirte Sauerstoff (6) gegen das Metall, welches
er rasch zu braunem Oxid (TlOs) oxidirt, wie daraus er-
hellt, dass ein glänzendes Thalliumstäbohen, in stark ozoni-
sirte Luft eingeführt, unverweilt mit einer tiefbraunen Hütte
sich überzieht. Fährt man mit einem Thalliumstück drückend
über weisses Papier hin, so dass daran einiges Metall haften
bleibt, so bräunt sich die beschriebene Stelle in ozonisirter
Luft beinahe augenblicklich, aus welchen Angaben erhellt!
dass dem Ozon gegenüber das Thallium als höchst oxidir-
bares Metall sich verhält Ich darf hier jedoch nicht uner-
wähnt lassen, dass selbst der ozonisirte Sauerstoff, falls er
vollkommen wasserfrei ist, kaum merklich oxidirend auf
das Thallium einwirkt, wie ich diess früher auch schon vom
Silber und Blei gezeigt habe und noch Weiteres über den
Einfluss des Wassers auf die chemische Wirksamkeit des
Ozons in einer eigenen Abhandlung späterhin mittheilen
werde.
Eben so leicht wie mit dem Thallium selbst verbindet
sich der ozonisirte Sauerstoff mit dessen Oxidul (TIO) zu
dem braunen Oxide (TlOi), wie daraus hervorgeht, dass
beim Durchleiten eines Stromes stark ozonisirter Luft durch
eine wässrige Losung des Oxidules Letztere sofort stark
sich bräunend trübt in Folge der Bildung und Ausscheidung
von TlOt und kaum ist nöthig noch beizufügen, dass unter
diesen Umständen das Ozon gänzlich verschwindet. Die ein-
fachste Art der Anstellung dieses Versuches besteht darin,
Streifen weissen Filtrirpapieres, mit gelöstem Thallinmoxidul
getränkt, in eine Ozonatmosphäre einzufuhren, in welcher
dieselben augenblicklich auf das Augenfälligste gebräunt
werden, wesshalb auch mit TlO-behaftetes Papier ab sehr
empfindliches Reagens auf Ozon und die Lösung dieses
Oxidules als sogenannte sympathetische Dinte dienen kamt.
Gleich dem freien — wird auch das an Kohlensäure
gebundene Thallinmoxidul durch den ozonisirten Sauerstoff
18*
364 Sitemg der math.-phy*. Clane vom 12. November 1864.
zu TlOs oxidirt, obwohl merklich langsamer als die reine
Basis, wie man diess schon aus dem Umstände abnehmen
kann, dass ein mit der Lösung des Carbonates getränkter
Papierstreifen in einer Ozonatmosphäre nur sehr langsam
sich bräunt. Auf das an kräftigere Säuren gebundene Oxidul
scheint das Ozon nicht ozidirend einzuwirken.
Auch der gebundene ozonisirte Sauerstoff, wie er z. B.
in der Uebermangansäure enthalten ist, vermag sowohl das
Thallium, als dessen Oxidul zu TlOs zu oxidiren, woher es
kommt, dass die wässrigen Lösungen dieser Säure oder
ihrer Salze durch Metall und Oxidul entfärbt werden unter
Bildung von MnO» und TlOs. Da schon kleine Mengen be-
sagter Säure oder ihrer Salze verhaltnissmässig sehr grosse
Quantitäten Wassers noch merklich stark röthen, so werden
solche verdünnte Lösungen auch durch äusserst kleine Men-
gen Thalliumoxidules unter bräunlicher Trübung augenblick-
lich entfärbt und kaum ist nöthig beizufügen, dass seiner
Unlöslichkeit halber das Metall langsamer als sein Oxidul
diese Wirkung hervorbringe. Wie die Uebermangansäure
oxidiren auch die gelösten Hypochlorite Metall und Oxidul
zu TlOs mit dem Unterschiede jedoch, dass sie etwas lang-
samer wirken, als diess die genannte Säure thut. Wenn
erwähntermaassen der freie ozonisirte Sauerstoff nur das an
CO», nicht aber das an stärkere Säuren z. B. SOs gebun-
dene TIO zu TlOs oxidirt, vermögen dagegen aus allen Thal-
liümsalzen die Permanganate das braune Oxid zu fallen,
dem natürlich immer das durch die Reduction der Ueber-
mangansäure entstandene MnOs beigemengt ist. Die Super-
oxide des Thalliums (TlOs) und Wasserstoffes reduciren
sich gegenseitig unter Entwickelung gewöhnlichen Sauer-
stoffgases, welche Thatsache zeigt, dass das Erstere ein
Ozonid ist 8) ; ich darf jedoch nicht unerwähnt lassen , dass
3) Bekanntlich vermag auch das in mancher andern Beziehung
8ekönbein: Zur näheren Kenntnis* dee Sauerstoffes. 266
hierbei ausser T10 auch noch in geringer Menge ein Oxid
zum Vorschein kommt, welches wie das TlOs in Wasser
unlöslich ist, gelb aussieht, gegen HOs für sich allein gleich-
gültig sich verhält und den angesäuerten Jodkaliumkleister
augenblicklich tief bläut, welche das basische (hridul nicht
hervorbringt und die deutlichst zeigt, dass das fragliche
Oxid mehr Sauerstoff enthält als TIO. Wie dasselbe zu«»
sammengesetzt ist, habe ich wegen der Kleinheit des mir
zu Gebot stehenden Materiales noch nicht ermitteln können,
möglicher Weise könnte es TlsCls entsprechen, also Tis Ob
sein. Am Einfachsten läset sich dieses Verhalten von
TlOs zu HOs in folgender Weise zeigen. Man lässt einen
mit Thalliumoxidullösung getränkten Streifen weissen Filtrir-
papieres erst in einer starken Ozonatmosphäre sich stark
bräunen und übergiesst ihn dann mit Wasserstoffisuperoxid,
durch welches er unter noch sichtlicher Gasentwickelung
ziemlich« rasch gebleicht wird. Führt man das so beschaffene
und mit Wasser ausgewaschene Papier in ungesäuerten Jod»
kaliumkleister ein, so färbt sich dasselbe sofort blau in
Folge der kleinen Menge des noch in ihm enthaltenen
gelben Thalliumoxid, von dem vorhin die Rede gewesen.
Ein ganz eigentümliches Interesse bietet das Verhalten
des Thalliums zum Wasserstofisuperoxid dar, wie aus nach*
stehenden Angaben erhellen wird. Ein Stuckdien des Me-
talles von glänzender Oberfläche in HOs eingeführt, behält
auf einige Augenblicke sein metallisches Aussehen bei, wie
es anfänglich auch nicht im Mindesten zersetzend auf das
Superoxid einwirkt; bald bedeckt sich jedoch das Metall
dem Thallium ähnliche Kalium mit S Aequivalent Bauerstoffes au
einem Superoxid sich zu verbinden, welche« jedoch durch seinen
antozonidischen Charakter stark von TlOs abweicht, was auf eine
grosse zwischen beiden Metallen bestehende Verschiedenheit hinzu-
deuten scheint.
2*6 Süftny der «atfc.-jpfy«. GImn vom 12. ifooemter J8*4.
Mit einer tiefbraunen Halle und ist letztere bemerklich ge-
worden, 80 treten an ihr Gasbläschen auf, welche bei der
geringsten Bewegung sich losreissen und braune Flocken in
die Höhe fahren, wodurch die Gasentbindung durch die
ganze Flüssigkeit verbreitet wird. Das entbundene Gas, die
braune Holle und die aufsteigenden Flocken sind nichts
Anderes als gewöhnlicher Sauerstoff und Thalliumoxid, durch
welches Letitere allein und nicht durch das Metall selbst
die Zersetzung des Wassersto&uperozides bewerkstelliget
wird. Da mit dieser Zersetzung auch diejenige des ent-
standenen TlOt Hand in Hand geht, d- h. dieses Oxid bei
Anwesenheit einer hinreichenden Menge von HOi dem
grössten Theile nach zu HO reducirt wird, so löst sich
Letzteres in dem vorhandenen Wasser auf, ihm desshalb
die Eigenschaft ertheilend, das Curcumapapier zu bräunen,
aus gelöstem Jodkalium gelbes Jodthallium zu fallen u. s. w.
Versteht sich von selbst, dass auch unter diesen Umstanden
in kleiner Menge das schon erwähnte unlösliche gelbe Oxid
entsteht, welches den angesäuerten Kleister zu blauen
vermag.
Was das gelöste Thalliumoxidul betrifft, so Esst es
sich mit Wasserstolfeuperoxid vermischen, ohne dass das
braune Oxid entstünde oder Sauerstoffgas entbunden würde.
Ich bewahre eine solche Mischung schon mehrere Wochen
lang auf und finde, dass dieselbe immer noch auf T10 und
HOs reagirt. Es ist desshalb aller Grund zu der Annahme
vorhanden, dass das metallische Thallium vom Wasserstoff-
superoxid unmittelbar zu TlOs oxidirt und das unter diesen
Umständen zum Vorschein kommende T10 auf mittelbarem
Wege, d. h. erst dadurch gebildet werde, dass die Super-
ende des Thalliums und Wasserstoffes gegenseitig sieh
reduciren ; denn da T10 gegen HOs erwähntermassen gleich-
gültig sich verhält, so kann das im Wasserstoffsuperoxid
aus metallischem Thallium entstehende TlOs nicht durch die
Sekönbfm: Zur nähen» Kemtmss des Sauerstoffes. 267
Bildung von TU) hindurch gegangen, d. h. auf eine sekun-
däre Weise entstanden, sondern muss auf einmal gebildet
worden sein.
Da das Thallium wie auch dessen Oxidul vom ozoni-
siften Sauerstoff rasch su TlOs oxidirt wird, das zweite
Sauerstoffaquivalent des Wasserstoffsuperoxidee dagegen voll-
kommen unthätig gegen TIO sich verhält, so erfährt man
hieraus, dass besagter Sauerstoff nicht in demjenigen Zu*
Stande sich befindet, in dem er sein mnss, damit er mit TIO
zu TIO» sich zu verbinden vermöge. Nach meiner Annahme
ist HOt = HO + © und TlOs = TIO + 20 und da erfohrungs-
gemäss das Thallium und dessen Oxidul nur durch 6 zu
TlOs oxidirt werden kann, so muss ich annehmen, dass
dem Metalle, nicht aber dem Oxidule das Vermögen zu*
komme, das © des Wasserstoffsuperoxides in 0 umzukehren
und eben dadurch seine eigene Oxidation einzuleiten. Auf
eine Anzahl ahnlicher Thatsachen mich stützend, habe ich
schon früher darzuthun versucht, dass unter dem Beriihrungs-
cinflusse gewisser Materien die eine Sauerstoffmodification
in eine andere und namentlich das © des Wasserstofisuper-
oxidee in 6 übergeführt werden könne, wesshalb ich, um
Wiederholungen zu vermeiden, auf die betreffenden Abhand-
lungen verweisen will. Wird ein Amalgam, welches 0,5 °/o Thal-
liums enthält, mit SOs -haltigem Wasser und gewöhnlichem
Sauerstoff nur wenige Minuten lang zusammen geschüttelt,
so erweist sich die saure Flüssigkeit schon so HOt -haltig*
dass dieselbe mit dem gleichen Baumtheile Aethers und
einigen Tropfen verdünnter Chromsäurelösung geschüttelt,
den Aether deutlichst lasurblau färbt, welche Reaction das
Vorhandensein einer schon merklichen Menge Wasserstoff*
Superoxides anzeigt, die unter den erwähnten Umständen
gebildet worden. Selbstverständlich entsteht aber auch zu-
gleich schwefelsaures Thalliumoxidul , welches sich in dem
vorhandenen Wasser löst, wie diess der gelbe Niederschlag
268 Sitnmg der math.-phys. CUme mm 12. November 1864.
von Jodthallium beweist, welcher beim Zufügen gelösten
Jodkaliums erhalten wird. Hieraus erhellt, dass der ge-
wöhnliche Sauerstoff zum Thallium gerade so wie zum Blei
sich verhält, wie es auch höchst wahrscheinlich ist, dass
unter den erwähnten Umständen auf ein Aequivalent Thal-
liumsulfates ein Aequivalent Wasseretoffsuperoxides auftrete,
also auch in diesem Falle der oxidirende Sauerstoff zwischen
dem Metall und Wasser sich gleich theile.
Beim Schütteln des erwähnten Amalgam es mit reinem
Wasser und gewöhnlichem Sauerstofijgas wird kein Wasser-
stoffsuperoxid, sondern nur Thalliumoxidul erhalten, welches
in dem vorhandenen Wasser sich löst; lässt man dagegen
das Amalgam, mit einer sehr dünnen Schichte Wassers be-
deckt, längere Zeit mit 0 ruhig zusammen stehen, so bildet
sich zwar auch TIO, es treten jedoch auch braune Schüpp-
chen auf, welche im Wasser unlöslich sind, durch HOt
unter Entbindung von Sauerstoffgas zu löslichem (hrfdul
und dem oben erwähnten gelben Oxid reducirt werden, den
angesäuerten Jodkaliumkleister auf das Tiefste bläuen und
in jeder weitern Beziehung wie TlOt sich verhalten. Da
der gewöhnliche Sauerstoff gleichgültig gegen das gelöste
Thalliumoxidul sich verhält, d. h. unfähig ist, dasselbe zu
TlOt zu oxidiren, so kann auch das Thalliumoxid, welches
bei der Einwirkung des wasserhaltigen 0 auf das Thallium
allmählig sich bildet, nicht so entstehen, dass das Metall
erst zu TIO und dieses durch weitere Sauerstoffaufnahme
zu TlOt oxidirt würde.
Wie ich glaube, lassen sich alle die erwähnten, durch
den gewöhnlichen Sauerstoff auf das Thallium hervorgebrach-
ten Oxidationswirkungen kaum Anders als durch folgende
Annahmen erklären.
Kömmt Thallium und Wasser in Berührung mit neu«
tralem Sauerstoff zu stehen, so werden auf ein Aequivalent
Metalles und drei Aequivalente Wassers sechs Aequivalente
Schönbem : Zur näharm Kitmimiu da ßmmtkgu. 269
0 zu drei © und drei ö diemisch polarisirt, welche Enteren
mit Wasser zu 3 HOs , die Letztem mit Tl zu TlOs sich
verbinden. Bei der oben erwähnten Gegensätzlichkeit dieser
Oxide wirken sie aber anmittelbar nach ihrer Bildung ge-
genseitig desoxidirend auf einander ein und da zur Reduction
des TlOs zu T10 zwei Aequivalente Wasserstoffsuperoxides
erforderlich sind, so bleibt von den drei Aequivalenten des
gebildeten HO» noch Eines übrig und es müssen somit auf
fünf Aequivalente des in dieser Weise oxidirten Metalles
eben so viele Aequivalente HOs übrig bleiben. Da nun
obigen Angaben gemäss beim Zusammentreffen des Thal*
liums mit Wassersto&uperoxid rasch TlOs sich bildet, so
wird noch ein sechstes Aequivalent dieses Metalles durch
drei Aequivalente HOs oxidirt, Letzteres jedoch sofort wieder
durch die noch übrigen zwei Aequivalente Wasserstoffsuper-
oxides zu TIO reducirt werden, so dass also kein HOs
übrig bleiben kann und es das Aussehen haben muss, als
ob unter den erwähnten Umständen nichts Anderes ge-
schehen wäre, als dass gleiche Aequivalente von Metall und
Sauerstoff sich unmittelbar zu Thalliumoxidul verbunden
hätten.
Diesen Annahmen gemäss würden somit durch fünf
Aequivalente Thalliums und fünfzehn Aequivalente Wassers
dreissig Aequivalente neutralen Sauerstoffes in Anspruch ge-
nommen, obgleich von dieser Sauerstoffmenge schliesslich
nur sechs Aequivalente mit dem Metalle vereiniget bleiben,
während die übrigen 24 in Mitleidenschaft gezogenen Sauer*
stoffaequivalente abwechselnd als © und 0 gebunden und
im O-Zustande wieder in Freiheit gesetzt würden. Es wer-
den indessen diese Vorgänge nur dann völlig so stattfinden
können, wenn das amalgamirte Thallium mit reinem Wasser
und 0 geschüttelt wird, weil das unter solchen Umständen
sich bildende Thalliumoxid im Augenblicke seiner Entsteh«
tmg mit der zu seiner Reduction notwendigen Menge von
390 SUmmg im matkrfh**. Claim vm 12. Nowembcr 1964
Wasserstoffsuperoxid in Wechselwirkung gesellt wird. Lädst
man dagegen das besagte Amalgam mit Wasser und neut-
ralem Sauerstoffe ruhig mit einander in Berührung stehen,
so sind, wie man leicht einsieht, diese Umstände so, daas
kleine Mengen des ursprünglich gebildeten Thalliumoxidea
der reducirenden Einwirkimg des gleichzeitig entstandenen
Wasserstoffsuperoxides entgehen können.
Wird das Amalgam mit SO» -haltigem Wasser und 0
geschüttelt, so finden natürlich auch unter diesen Umstän-
den die gleichen Vorgänge statt, wie in den beiden andern
Fällen, mit dem Unterschiede jedoch, dass das hierbei se-
kundär entstandene Thalliumozidul mit der vorhandenen
Schwefelsäure ein Sulfat bildet und überdiess noch Wasser-
stoffsuperoxid zum Vorschein kommt. Es werden nemlich
auch in dem vorliegenden Fall auf ein Aequivalent Metalles
und drei Aequivalente Wassers sechs Aequivalente neutralen
Sauerstoffes in drei © und drei 6 übergeführt, d. h. 3 HO»
und TlOs gebildet und zur Reduction des Letztern 2 HO*
▼erbraucht, während das übrig bleibende dritte Aequivalent
Wasserstoffsuperoxidee (wenigstens ein Tkeil desselben) aus
dem gleichen Grunde der Zersetzung entgeht, wesshalb ein
Gleiches beim Schütteln SOt- haltigen Wassers mit Blei*
amalgam und Sauerstoff geschieht.
Derartige Vorstellungen über den Hergang der Sache
mögen manchem Chemiker auf den ersten Blick sonderbar
und künstlich genug vorkommen gegenüber den Ansichten,
welche man bisher über derartige Oxidationsvorgänge hatte,
und gemäss welchen man z. B. die Bildung des Thallium*
oxidules in wasserhaltigem Sauerstoff als eine ganz einfache
und ursprüngliche Verbindung dieses Elementes mit dem
Metalle betrachtet. Meinem Dafürhalten nach liegt aber
bereits mehr als nur eine Thatsache vor, welche zu dem
Schlüsse berechtiget, dass das Endergebniss der Einwirkung
des Sauerstoffes auf eine oxidirbare Materie nicht der einzige
Schönbein: Zw näheren Kenntnis* de» Sauerstojfts. 271
Vorgang sei, welcher zwischen beiden Körpern stattgefunden,
sondern dass demselben noch anderweitige stoffliche Ver-
änderungen vorausgegangen and die Bildung der zuletzt er-
haltenen Sauerstoffverbindung, um bildlich zu reden, nur
der Abschluss eines aus mehreren Acten bestehenden chemi-
schen Dramas sei, welche Acte bisher nur desshalb unbe-
achtet geblieben sind, weil dieselben in der Regel so rasch
aufeinander folgen, dass sie der Zeit nach in einen Einzigen
zusammen zu fallen scheinen. Wie man sehen wird, be-
spricht die nachstehende Mittheilung „Ueber das Verhalten
des Sauerstoffes zum Blei" eine Reihe von Thatsachen,
denen völlig ähnlich, von welchen soeben die Rede gewesen,
wesshalb ich auch nicht umhin kann, sie in gleicher Weise
zu deuten. Die Annahme, dass jede chemische Verbindung
oder Trennung zweier oder mehrerer Stoffe mit- oder von-
einander in Wirklichkeit ein „Processus" und nicht ein
blosses urplötzliches Aneinanderlagern oder Auseinander-
reissen ihrer kleinsten Theilchen sei, sondern die an diesen
Vorgängen betheiligten Urstoffe selbst gewisse Zustandsver-
änderungen erleiden, bevor ihre Verbindung oder Trennung
vollendet ist, hat mich namentlich bei meinen Untersuch-
ungen über die Oxidations- und Desoxidationsvorgänge ge-
leitet und ich bereue es nicht, dabei von einer solchen un-
gewöhnlichen Voraussetzung ausgegangen zu sein, da ich ihr
die Ermittelung von Thatsachen verdanke, welche ich ohne
sie sicherlich nicht gefunden hätte und denen wohl auch
nicht alle theoretische Bedeutung , abgesprochen werden
dürfte. Ich gedenke daher auch fernerhin meine chemischen
Forschungen von diesem Standpunkte aus fortzusetzen, nicht
ohne die Hoffnung, noch den einen und andern Fund zu
thun zur Vermehrung des thatsächlichen Materiales der
Wissenschaft sowohl als auch zur Erweiterung unserer der-
malen noch so geringen Einsicht in den Zusammenhang der
272 SiUrtmg im math.-pkys. OUmee vom 12. November 1864.
chemischen Erscheinungen, insbesondere Derer, welche sieh
auf den Centralkörper der Chemie beziehen.
Nachtrag zur voranstehenden Mittheilang.
Leitet man Chlorgas in eine wässrige Lösung von Thal-
liumoxidul, so bildet sich sofort braunes Thalliumoxid , in
Folge dessen die Flüssigkeit stark getrübt wird, bei weiterer
Einführung von Chlor verschwindet jedoch das Oxid wieder
und wird die Lösung wieder vollkommen klar und farblos,
woher es auch kommt, dass mit gelöstem TIO getränkte
Papierstreifen in einer Chloratmosphäre sich erst bräunen
und dann wieder weiss werden. Da aus der wieder farblos
gewordenen Lösung die Alkalien braunes Thalliumoxid nieder-
schlagen, so ist wahrscheinlich, dass unter den erwähnten
Umständen 3 TIO und 2 Cl zunächst in 2 T1C1 und TlOs
sich umsetzen und bei weiterer Einwirkung von Chlor diese
beiden Thallium Verbindungen in Thalliumchlorid übergeführt
werden. Aehnlich dem Chlor wirkt auch das Brom auf die
Thalliumoxidullö8ung ein.
Die Lösungen der Thalliurnoxidsalze z. B. des Sulfates
wie auch diejenigen des Chlorides und Bromides bläuen
selbst in höchst verdünntem Zustande den Jodkaliumkleister
auf das Tiefste, scheiden also Jod aus dem Jodkalium aus
ohne Zweifel so, dass z. B. TlOs, 3 SOs und 3 KJ in TU +
3 KO,SOs + 2 J oder T1CU und 3 KJ in TU + 3 KCl + 2 J
sich umsetzen.
Zu erwähnen ist noch, dass das Thalliumoxid SOs rasch
zu SOs oxidirt, wie diess schon aus der Thatsache abzu-
nehmen ist, dass durch Ozon gebräunte TlO-haltige Papier-
streifen in SOs -Gas eingeführt, beinahe augenblicklich weiss
werden.
Schfinbein: Zur nähert* Kenntom de» Sauerstoffes. 278
3) Deber das Verhalten des Sauerstoffes zum Blei.
Bekanntlich verbindet sich nach meinen Versuchen der
ozonisirte Sauerstoff mit dem Blei unmittelbar zum braunen
Superoxid, obwohl merklich langsamer als mit dem Thal-
lium und zwar thut er diess in seinem gebundenen wie im
freien Zustande, wie er z. B. in den Permanganaten und
Hypochloriten enthalten ist, in welchen 6 -haltigen gelösten
Salzen polirtes Blei allmählig gerade so mit einer Hülle
von PbO» sich überzieht, wie diess mit dem gleichen Metall
in einer Ozonatmosphäre geschieht.
Aehnlich dem metallischen Blei wird auch dessen basiv
sches Oxid durch freien ozonisirten Sauerstoff nach und
nach zu PbOs oxidirt, welche Oxidation selbst ein Theil
der Basis des Bleiessigs erleidet, wie ich diess schon vor
Jahren gezeigt habe. Eine solche Wirkung bringt auch der
in den Permanganaten und Hypochloriten gebundene ozoni-
sirte Sauerstoff auf freies und gebundenes Bleioxid hervor,
wesshalb die Lösungen der ersten Salze mit Bleioxidhydrat
geschüttelt oder beim Vermischen derselben mit gelöstem
neutralen oder basisch-essigsauren Bleioxid entfärbt werden.
Was das Verhalten des Bleies zum Wasserstoffsuper-
oxid betrifft, so wird angenommen, dass dieses Metall in
seh wachem Grade das Vermögen besitze, HOi zu kataly
siren, ohne dabei selbst oxidirt zu werden. Meine über
diesen Gegenstand angestellten Versuche haben Folgendes
gezeigt Polirtes Bleiblech mit HO« in Berührung gesetzt,
wirkt anfanglich nicht merklich auf das Superoxid ein, nach
kurzer Zeit sieht man jedoch die Oberfläche des Metalles
sich schwach bräunen und dann mit Gasbläschen sich be-
decken. Nach längerem Zusammenstehen des Bleies mit
HOt hört die Zersetzung des Letztern gänzlich auf und ist
nun die Oberfläche des Metalles mit einer dünnen gelblichen
274 Summa der fwrtfc. jpfty. Clane vom 1*. November 1S64.
Oxidhülle überzogen, welche, obwohl gleichgültig gegen HOt
sich verhaltend, dennoch den angesäuerten Jodkaliumkleister
zu bläuen vermag. Da bekanntlich das basische Oxid diese
Wirkung nicht hervorbringt, so muss das fragliche Oxid
mehr Sauerstoff als PbO enthalten, welche Thatsache es
mir wahrscheinlich macht, dass wie dem Thallium so aaeh
dem Blei das Vermögen zukomme, das 0 des Wasserstoff»
Superoxides erst in 6 umzukehren, um sich mit Diesem zu
Bleisuperoxid zu verbinden, welches dann ähnlich dem Thal-
liumoxid durch weiteres HOs unter Entbindung gewöhn-
lichen Sauerstoffes zu dem vorhin erwähnten, dem ange-
säuerten Jodkaliuinkleister bläuenden Oxide reducirt wird.
Hieraus würde somit folgen, dass das Blei als solches das
Wasserstoffsuperoxid nicht zu katalysiren vermochte, sondern
dass diese Zersetzung durch das ozonidische Bleisuperoxid
bewerkstelliget wurde, welches anfänglich das Metall mit
HOs erzeugt. Ich will bei diesem Anlasse nicht unbemerkt
lassen, dass nach meinen Erfahrungen die Annahme irrig
ist, nach welcher PbOs durch HOs vollständig zu PbO redu-
cirt würde, was nur unter der Mitwirkung einer Saure ge-
schieht, welche mit dem Bleioxid ein lösliches Salz bildet,
denn wirkt HOs für sich allein auf PbOs ein, so erhält
man immer ein Oxid, welches den angesäuerten Jodkalium-
kleister augenblicklich noch auf das Tiefste bläut, wie
lange man die genannten Superoxide aufeinander wirken
lassen mag.
Wenn obigen Angaben gemäss das Thalliumoxidul un-
verändert neben HOs bestehen kann, so verhält sich m
dieser Beziehung das entsprechende Bleioxid wesentlich
anders. Wird nemlioh das Hydrat desselben mit HOs über-
gössen, so färbt es sich bald bräunlich in Folge gebildeten
BleisuperoxideB und augenblicklich entsteht PbOs, wenn man
in das Gemisch einer Bleisalzlösung und Wasserstofisuper-
oxid gelöstes Kali tröpfelt, wie aus der sofort eintretende«
der Flüssigkeit erhellt Eben so wandelt nach
meinen frühem Versuchen HOi einen Theil der Basig des
Bleiessigs augenblicklich in Bleisaperoxid um und in allen
diesen Fällen fängt,, falls ein Ueberschuss von HO* vorhan-
den ist, das gebildete PbOs sofort an, zersetzend auf das
Wasserstoffsuperoxid einzuwirken, wobei selbstverständlich
beide Superoxide einen Theil ihres Sauerstoffes verlieren,
ohne dass aber PbOs wieder gänzlich zu PbO reducirt
würde, wie daraus erhellt, dass das entstandene und gegen
HO* vollkommen gleichgültig sich verhaltende Bleioxid im-
mer noch die Eigenschaft besitzt, den angesäuerten Jod-
kaliumkleister zu bläuen, was beweist, dass es mehr Sauer-
stoff als PbO enthalte. Kaum wird es nöthig sein, noch
ausdrücklich zu bemerken, dass alle Beisalze, die unlös-
lichen nicht ausgenommen, augenblicklich sich bräunen
wenn sie erst mit HOt und dann mit Kalilösung übergössen
werden, ein Verhalten, an dem sich noch sehr kleine Men-
gen eines Bleisalzes erkennen lassen.
Thenard gibt an, dass auch das wasserfreie Bleioxid
(Massicot) das Wasserstoffsuperoxid zerlege, war aber der
irrigen Ansicht, dass hierbei PbO unverändert bleibe. Nach
meinen Beobachtungen wirkt allerdings dieses Oxid anfäng-
lich ziemlich lebhaft zersetzend auf HOs ein, es hört jedoch
diese Wirksamkeit nach einiger Zeit gänzlich auf, wie viel
uiizersetztes HO* auch noch vorhanden sein mag, welche
Unthätigkeit beweist, dass die Oberfläche desMassicots eine
Veränderung erlitten habe. Legt man ein so verändertes
und vorher mit Wasser abgespültes Stuck Bleioxides in an«
gesäuerten Jodkaliumkleister, so färbt sich dieser tiefblau,
woraus erhellt, dass unter den erwähnten Umständen ein
Oxid gebildet wird, welches bei Mitwirkung einer San»
Sauerstoff an das Kalium des Jodsalzes abgeben und dess-
halb Jod ausscheiden kann. Ich ziehe desshalb aus diesen
Thatsachen den ScUuss, dass auch das wasserfreie PbO
276 SitMtmg der mdhrpkyt CUas* vom 12. November 1864.
durch HO erst zu PbOi werde und dieses Superoxid es sei,
welches das Wasserstofisuperoxid zerlegt, dass also das
wasserfreie Bleioxid gleich seinem Hydrate zu HOs sich
verhalte.
Was das Verhalten des gewöhnlichen Sauerstoffes zum
Blei bei Anwesenheit Ton Wasser betrifft (trockener ist
vollkommen gleichgültig gegen das Metall), so werden nach-
stehende Angaben zeigen, dass dasselbe bis jetzt nicht ganz
richtig aufgefasst worden ist Bekanntlich wird angenom-
nammen, dass bei Abwesenheit von Kohlensäure unter den
erwähnten Umständen reines Bleioxidhydrat gebildet werde;
da ich aber aus mehr als einem Grunde an der Richtigkeit
einer solchen Annahme zweifeln musste, so sah ich mich
veranlasst über diesen Gegenstand eine Reihe von Versuchen
anzustellen, deren Ergebnisse meine Zweifel vollkommen
rechtfertigten und bemerkt sei hier noch, dass das zu diesen
Versuchen dienende Blei aus einer Bleizuckerlösung durch
Zink abgeschieden und vor dem Gebrauche sorgfältigst mit
destillirtem Wasser ausgewaschen wurde.
Wird in diesem Zustande das Metall mit reinem Sauer-
stoffgas und Wasser in einer verschlossenen Flasche ^so lange
zusammengeschüttelt, bis die Flüssigkeit milchig geworden,
was schon nach wenigen Minuten der Fall ist, so vermag
dieselbe den mit Essigsäure oder SO» angesäuerten Jod«
kaliumkleister in kurzer Zeit zu bläuen, welche Reaction
um so augenfälliger und rascher auftritt, je länger die be-
sagten Materien zusammengeschüttelt worden und ich darf
nicht unterlassen, hier noch ausdrücklich zu bemerken, dass
nur im Anfange des Schütteins das hierbei gebildete Oxid
ran weiss erscheint, bei langem Schütteln aber merklich
stark gelb wird, in welchem Zustande es den angesäuerten
Jodkaliumkleister augenblicklich auf das Tiefste bläut. Da
diese Färbung von dem reinen basisdien Oxide nicht her»
vorgebracht wird, so kann auch die fragliche Materie nicht
Schönhein: Zur näheren Kenntniss des Sauerstoffes. 277
reines Bleioxidhydrat sein, sondern muss mehr Sauerstoff
ab PbO enthalten. Wie man sieht, verhalt sich dieses Oxid
gleich demjenigen, welches bei der Einwirkung einer hin-
reichenden Menge Wasserstoffsuperoxides auf das freie
basische Oxid oder auf einen Theil der im Bleiessig ent-
haltenen Basis, oder beim Zusammenstehen des metallischen
Bleies mit HO* entsteht, welche sämmtliche Oxide man
wohl als PbO mit kleinen Mengen Bleisuperoxides verbun-
den betrachten darf.
Es fragt sich nun, wie bei der gleichzeitigen Einwirk-
ung des gewöhnlichen Sauerstoffes und Wassers auf metal-
lisches Blei das fragliche PbOs -haltige Oxid sich bilde. Auf
den ersten Blick möchte man zu der Annahme geneigt sein,
dass zuerst Bleioxidhydrat entstehe und dann ein kleiner
Theil desselben durch weitere Sauerstoffaufnahme zu PbO»
oxidirt werde. Dass die Sache nicht so sich verhalte, geht
schon aus der einfachen Thatsache hervor, dass das Blei-
oxidhydrat, wie es z. B. aus einer Bleizuckerlösung mittelst
Kali u. 8. w. erhalten wird, weder sich gelb färbt, noch
die Eigenschaft erlangt, den angesäuerten Jodkaliumkleister
zu bläuen, wie lange man auch das feuchte Hydrat mit ge-
wöhnlichem Sauerstoff zusammen stehen lassen mag.
Nachdem ioh bei einem Versuche in zwei litergrossen
Flaschen einen ganzen Monat lang: in dem einen Oefäss
kleine Mengen Bleioxidhydrates, in dem Andern fein zer-
theiltes Blei in Berührung mit Sauerstoffgas und Wasser
hatte stehen lassen unter jeweiligem Schütteln, fand ich das
Hydrat noch weiss und unfähig, den angesäuerten Jodkalium-
kleister zu bläuen, wogegen das wahrend dieser Zeit aus
dem metallischen Blei gebildete Oxid ziemlich stark gelb
gefärbt war, den besagten Kleister auf das Tiefste bläuete
und mit Essigsäure behandelt, wenn auch eine verhältnis6-
mässig sehr kleine doch noch merkliche Menge von PbOi
zurück liess. Ich muss jedoch bemerken, dass nur der im
[1864. IL 3.] 19
278 Sitzung der math.-phys. Gaste vom 12. November 1864.
Dunkeln gehaltene Sauerstoff diese chemische Gleichgültig-
keit gegen das Bleioxidhydrat zeigt, der besonnete dagegen
dasselbe schon im Laufe weniger Tage deutlich gelb färbt,
in welchem Zustande das Oxid selbstverständlich auch das
Vermögen besitzt, den angesäuerten Jodkaliumkleister sofort
auf das Tiefste zu bläuen u. s. w. Es ist diess eine der
vielen Thatsachen, welche zeigen, dass das licht chemisch
bethätigend auf den gewöhnlichen Sauerstoff einwirkt, d. h.
ihm eine ozonartige Wirksamkeit verleiht. Kaum ist not-
wendig, noch ausdrücklichst zu bemerken, dass bei der
Einwirkung des wasserhaltigen Sauerstoffes auf metallisches
Blei auch in gänzlicher Dunkelheit ein PbOt-haltiges Oxid
gebildet wird, wovon ich mich durch vielfache Versuche zur
Genüge überzeugt sab*.
Wollen wir von der Bildungsweise dieses Oxides eine
richtige Vorstellung gewinnen, so müssen nach meinem Da-
fürhalten folgende Thatsachen in Betracht gezogen werden:
1) dass das Blei und dessen basisches Oxid nur durch den
ozonisirten Sauerstoff zu PbOs oxidirt werden; 2) dass
obigen Angaben gemäss das © des Wasserstoffsuperoxides
unter dem Berührungseinflusse des Bleies und seines basi-
schen Oxides in 0 übergeführt und desshalb das Eine und
das Andere erst zu PbOi oxidirt, dieses Superoxid jedoch
in Folge der Einwirkung weiteren Wasserstoffsuperoxides zu
PbOs -haltigem Oxide reducirt werde; 3) dass blosses Wasser
mit reinem oder amalgamirtem Blei und Sauerstoffgas ge-
schüttelt, keine nachweisbare Menge von HOi enthalte und
4L) dass beim Schütteln SOs-haltigen Wassers mit Bleiamal-
gam und Sauerstoffgas merkliche Mengen von Wasserstoff-
superoxid auftreten, welche frühern Angaben zufolge dem
gleichzeitig gebildeten Bleisulfate d. h. Bleioxide als Aequi-
valent betrachtet werden dürfen«
Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die in
allen diesen Fällen erfolgende Oxidation des Bleies auf die
Seköiibem : Zwr näheren Kennfnin dee Sauentoffee, 279
gleiche Weise statt finde und dabei Wasserstoffsuperoxid
gebildet werde, wesshalb sich fragen läset, wie es komme,
dass in dem einen Falle HOs auftrete und im Andern nicht.
Wie ich glaube, verhält sich die Sache folgendennassen.
Bei der gleichzeitigen Einwirkung des Bleies und Wassers
auf den neutralen Sauerstoff wird, wie diess bei Anwendung
des Thalliums geschieht, 0 zu © und 6 polarisirt und wie
das isolirte 0 (Ozon) mit dem Blei unmittelbar zu PbOt
sich verbindet, so wird auch das unter diesen Umstanden
auftretende 0 mit dem Metalle zu ozonidischem Bleisuper-
oxid und das complementare © (Antozon) mit Wasser zu
antozonidischem Wasserstofisuperoxid zusammen treten. Und
da die Bildung von PbOs zwei Aequivalente 6 erfordert,
so mu8s man annehmen, dass unter den erwähnten Um-
standen vier Aequivalente neutralen Sauerstoffes zu 2® und
2 0 polarisirt und daher auf ein Aequivalent PbOt zwei
Aequivalente HOs gebildet werden. Weil nun aber PbOs
als Ozonid neben dem antozonidischen HOs nicht zu be-
stehen vermag, so wird Ersteres durch ein Aequivalent des
Letztern (bis auf wenige Spuren) zu PbO reducirt und bleibt
desshalb (nahezu) ein Aequivalent HOs übrig. Auf drei
Aequivalente Bleies, in angegebener Weise oxidirt, blieben
somit drei Aequivalente HOs übrig, da aber, wie vorhin
erwähnt, das metallische Blei das Vermögen besitzt, das ©
des HOs in 0 umzukehren, um mit demselben zu PbOs
sich zu verbinden, so oxidirt sich noch ein viertes Aequi-
valent Bleies durch 2 Aequivalente HOs erst zu PbOs,
welches durch das dritte noch vorhandene HOs wieder (dem
grössten Theile nach) zu PbO reducirt wird, wesshalb unter
diesen Umständen auch keine merkliche Menge von Wasser-
stoffsuperoxid zum Vorschein kommen kann.
Die Spuren von PbOs , welche sich in den auf diese
Weise gebildeten vier Aequivalenten Bleioxides noch vor-
finden, sind es nun eben, welche mir nicht blos darauf
19*
280 Sänrng der «M*.-f*y». Ckme vom 12. November 1864.
hinzu deuten, sondern genügend zu beweisen scheinen, dass
das fragliche Oxid auf eine sekundäre Weise, d. h. ans
dem ursprünglich entstandenen Bleisuperoxid unter dem
reducdrenden Einflüsse des gleichzeitig gebildeten Wasser-
stoflsupercorides hervorgegangen sei.
Selbstverständlich finden die gleichen Vorgange auch
bei Anwendung SOt -haltigen Wassers und amalgamirten
Bleies statt, mit dem grossen Unterschiede jedoch, dass
unter diesen Umständen auf ein Aequivalent gebildeten
Bleioxides auch ein Aequiralent Wasserstoffsuperoxides auf-
tritt, wie dies8 in einer voranstehenden Mittheilung ange-
geben ist, wenn nach meiner Annahme auch ein Aequiralent
Bleies und zwei Aequivalente Wassers vier Aequivalente
neutralen Sauerstoffes sich chemisch polarisiren, so werden
die in Folge hievon auftretenden 2 0 ebenfalls erst mit Pb
zu PbOs sich verbinden, welches Superoxid jedoch durch
ein Aequivalent HOs zu PbO reducirt wird, mit der vor-
handenen Schwefelsäure ein Sulfat bildend. Was das übrig
bleibende zweite Aequivalent von HO« betrifft, so wird das-
selbe gegen die zersetzende Einwirkung des noch vorhan-
denen metallischen Bleies theils durch das mit ihm ver-
gesellschaftete Quecksilber, theils durch die noch vorhan-
dene freie Schwefelsäure bis auf einen gewissen Grad ge-
schützt, wie ein solcher schützender Einfluss aus der That-
sache erhellt, dass HOs- und SOs-haltiges Wasser mit Blei-
amalgam längere Zeit zusammengeschüttelt werden muss,
bis alles Wasserstoffsuperoxid völlig verschwunden ist, unter
welchen Umständen sich natürlich ebenfalls Bleisulfat bildet.
Wurden z. B. 150 Gramme SO» -haltigen Wassers, denen
nur 12 Milligr. HOs beigemischt waren, unter völligem Aus-
schlüsse der atmosphärischen Luft mit 200 Grammen Blei-
amalgames, das 5°/oPb enthielt, eine halbe Stunde lang
zusammengeschüttelt, so fanden sich doch noch 7 Milligr.
HOs in dem so behandelten Wasser vor und es musste
Schönbein: Zw nähert* SemUmm des Sauerstoffes. 281
dasselbe mehrere Tage hindurch mit dem Amalgam in Be-
rührung bleiben, bevor die letzte noch nachweisbare Spur
von Wasserstoffsuperoxid verschwunden war, wahrend bei
Abwesenheit von Schwefelsäure diese kleine Menge von HO»
rasch zersetzt wurde.
Die Annahme, dass selbst bei Anwesenheit von SOs
daß Blei erst zu PbOt oxidirt werde, das h eiset, die
Bildung dieses Superoxides derjenigen des Sulfates be-
ziehungsweise Bleioxides vorausgehe, erhält nach meinem
Ermessen ihre Bestätigung durch die Thatsache, dass auch
in dem unter diesen Umständen gebildeten Bleisulfate noch
Spuren von PbOi sich vorfinden, wie daraus hervorgeht,
dass besagtes Bleisalz den angesäuerten Jodkaliumkleister
zwar etwas langsam aber doch noch merklich stark zu
bläuen vermag, was natürlich das reine Sulfat nicht zu
thun im Stande ist. Audi will ich hier nicht unerwähnt
lassen, dass metallisches Blei, in SOs- und HO» -haltiges
Wasser gelegt und von der atmosphärischen Luft völlig ab-
geschlossen, nach und nach mit einer Hülle von Bleisulfat
sich überzieht, welche ebenfalls noch den angesäuerten Jod-
kaliumkleister bläut, eine Wirkung, die nur von Spuren
noch vorhandenen Bleisuperoxides herrühren kann. Diese
Thatsache scheint mir zu beweisen, dass selbst bei Gegen-
wart freier Schwefelsäure das Blei auch durch das Wasser-
stoffsuperoxid erst zu PbO* oxidirt und dann durch weiteres
HO* zu PbO reducirt werde, um mit SOs zu Sulfat sich
zu verbinden, welches seiner Unlöslichkeit halber kleine'
Mengen von PbO» einzuhüllen und desshalb vor der redu-
ehrenden Einwirkung des noch vorhandenen Wasserstoff-
superoxides zu schützen vermag. Vergleicht man nun das
Verhalten des Sauerstoffes zum Thallium mit demjenigen
zum Blei, so kann man nicht umhin, zwischen beiden Me-
tallen eine grosse Aehnlichkeit zu bemerken und ich hoffe,
282 S&nmg der mafk. jriby*. Garn vorn IM. November 1864.
bald zeigen zu können, dass auch noch andere Metalle m
ganz ähnlichen Beziehungen zu jenem Elemente stehen.
4)' Ueber das Verhalten des Sauerstoffes zum NickeL
Der freie ozonisirte Sauerstoff wirkt zwar langsam
oxidirend auf das metallische Nickel ein, bildet jedoch mit
demselben unmittelbar Nickelsuperoxid ', wie daraus erhellt,
dass ein Stück dieses Metalles in stark ozonisirter Luft
aufgehangen, allmahlig mit einem schwarzen Ueberzug sich
bedeckt, welcher mit HCl übergössen, unter Bildung von
Chlorniokel Chlor entbindet, den angesäuerten Jodkalium-
kleister augenblicklich auf das Tiefste bläut, mit Wasser-
stoffsuperoxid «ine lebhafte Sauerstoffgasentwickelung verur-
sacht, indem es aus Schwarz sofort in Lichtgrün und mit
£0», ebenfalls unter rascher Entfärbung, im Nickelsulfat
übergeht«
In gleicher Weise verhält sich auch der in den Hypo-
chloriten gebundene ozonisirte Sauerstoff zum Nickel, welches
in der wässrigen Lösung eines solchen Salzes rasch mit einer
schwarzen Hülle von Superoxid sich überzieht Wie das
Metall selbst wird auch dessen basisches Oxid durch den
freien ozonisirten Sauerstoff in NitOs übergeführt, was
schon daraus abzunehmen ist, dass das grüne feuchte Nicket-
oxidulhydrat auf einen Streifen weissen Papieres aufgetragen,
in stark ozonisirter Luft rasch schwarz wird, in welchem
Zustande es alle Reactionen des Superoxides hervorbringt.
Dass die gelösten Hypochlorits das Nickeloxidulhydrat zu
NiaOs oxidiren, ist eine längst bekannte Thatsache.
Schon Thenard beobachtete, dass das Wasserstoffeuper-
oxid vom Nickel langBam zerlegt werde und nahm an, dasB
hierbei das Metall keine Oxidation erleide, worin er &oh
jedoch täuschte, wie diess nachstehende Angaben zeigen
Schönbtin: Zur näheren Kenntnis* des Sauerstoffes. 283
werden. Beim Einführen glänzender Nickelstticke (ich wen-
dete bei meinen Versuchen Würfel von 4'" Seite mit polir-
ten Flächen an) in Wasserstoffsuperoxid kommen nach
einigen Minuten Sauerstoffbläschen an der Oberfläche des
Metalle8 zum Vorschein, welche jedoch nur spärlich auf-
treten und nach längerer Zeit gänzlich aufhören zu er-
scheinen, auch wenn noch nneersetztes HOt vorhanden ist.
Die Beschaffenheit der Oberfläche der gegen dieses Super-
oxid nnthätig gewordenen Metallwürfel scheint zwar kaum
▼erändert zu sein, welcher Umstand wohl Thenard zu der
erwähnten Annahme veranlasst hat; nichts destoweniger
sind aber dieselben mit einer äusserst dünnen Hülle eines
Oxides überzogen, welches den angesäuerten Jodkalium-
kleister noch deutlichst zu blänen vermag; denn legt man
die besagten Würfel in den erwähnten Kleister, so färben
sie sich sofort blau, was beweist, dass das fragliche Oxid
mehr Sauerstoff als das Nickeloxidul enthält.
Dass das Wasserstoffsuperoxid auch vom Nickeloxidul-
hydrat zersetzt werde, ist ebenfalls schon von Thenard be-
merkt worden und eben so die Thatsache, 'dass Letzteres
hierbei sich lichter grün färbe, wesshalb der französische
Chemiker vermuthete, dass besagtes Hydrat unter diesen
Umständen eine chemische Veränderung erleide, d. h. einigen
Sauerstoff aufnehme. Die Ergebnisse meiner darüber an-
gestellten Versuohe lassen die Verauthung Thenard's als
vollkommen begründet erscheinen; denn behandelt man das
apfelgrüne Hydrat hinreichend lange mit HOt, so wird das-
selbe nicht nur sofort viel blasser, als es ursprünglich ge-
wesen, sondern büsst auch des Gänzlichen sein Vermögen
ein, zersetzend auf das Wasserstoffisuperoxid einzuwirken,
obwohl es noch den angesäuerten Jodkaliumkleister auf das
Tiefste zu bläuen vermag, welche Reaction das reine Oxidnl
selbstverständlich nicht hervorbringen kann. Das fragliche
Oxid enthält demnach mehr Sauerstoff als das Nickeloxidul
284 Sitzung der math.-phy*. Classe vom 12. November 1864.
Wird feuchtes Nickelsuperoxid , wie es z. B. bei der
Wirkung gelöster Hypochlorite oder ozonisirter Luft auf das
metallische Nickel sich bildet, mit Wasserstoffsuperoxid über-
gössen, so tritt in Folge der gegenseitigen Zersetzung beider
Superoxide eine stürmische Entbindung von Sauerstoffgas
ein und wird bei Anwesenheit einer hinreichenden Menge
von HO» das schwarze NisOs beinahe augenblicklich zu
einem lichtgrünen Oxide reducirt, welches gegen HO» völlig
gleichgültig sich verhält, aber auch noch den angesäuerten Jod-
kaliumkleister augenblicklich auf das Tiefste zu bläuen vermag,
was beweist, dass es sauerstoffreicher als das Nickeloxidul ist
und höchst wahrscheinlich macht, dass das fragliche Oxid
das gleiche sei, welches bei der Einwirkung des Wasser-
Stoffsuperoxides auf das Nickeloxidulhydrat gebildet wird,
das Eine durch Verlust das Andere durch Aufnahme von
Sauerstoff. Vom Nickel wird angenommen, dass es bei ge-
wöhnlicher Temperatur durch gewöhnlichen Sauerstoff nicht
einmal bei Anwesenheit von Wasser oxidirt werde, eine An-
nahme, die ich für unbegründet halten muss. Bringt man
Nickelwürfel von rein metallischer Oberflache in gleichzeitige
Berührung mit Wasser und Sauerstoffgas oder atmosphäri-
scher Luft, so überziehen sie sich sehr langsam mit einer
äusserst dünnen grünlichen Hülle und übergiesst man so
beschaffene Würfel mit etwas angesäuerten Jodkaliumkleister,
so färbt sich deren Oberfläche sofort blau, woraus erhellt,
dass das Metall von einem Oxid umhüllt ist, welches sich
gerade so verhält, wie die Oxide, welche bei der Einwirkung
des Wasserstoffsuperoxides auf NiO und NisOs entstehen.
Aus dieser Thatsache erhellt somit, dass entgegen der all-
gemeinen Annahme das Nickel unter den erwähnten Um-
ständen oxidirt wird, wenn diess auch sehr langsam
geschieht.
Rascher erfolgt die Bildung eines solchen Oxides bei
Anwendung SOs-haltigen anstatt reinen Wassers, wie aus
Schönbein: Zwr näheren Kenntnis* du Sauerstoffes. 285
der Thatsache zu ersehen ist, dass dünner und schwach
durch SOt angesäuerter Jodkaliumkleister mit Nickelwürfeln
und atmosphärischer Luft in Berührung gesetzt, in kurzer
Zeit auf das Augenfälligste sich bläut, welche Reaction
kaum anders als durch die Annahme zu erklären ist, dass
unter den erwähnten Umständen ein Oxid gebildet werde,
welches bei Anwesenheit einer Säure an das Kalium des
Jodsalzes Sauerstoff abgibt und desshalb Jod ausscheidet.
Beifügen will ich noch, dass auch das feuchte Nickeloxid-
hydrat, wenn mit gewöhnlichem Sauerstoff oder atmosphäri-
scher Luft in Berührung gesetzt, bald die Eigenschaft er-
langt, den angesäuerten JodkaliumkleJster zu bläuen, was
zu beweisen scheint, dass unter diesen Umständen kleine
Mengen von NiiOs gebildet werden.
Aus allen diesen Thatsachen geht hervor, dass das
Verhalten des Sauerstoffes zum Nickel demjenigen zum
Blei sehr ähnlich ist, wesshalb ich auch geneigt sein muss,
die am erstem Metalle stattfindenden Oxidationsvorgänge
eben so wie diejenigen zu deuten, welche sich auf das Blei
beziehen. Ich nehme daher an, dass beim Zusammentreffen
des Nickels oder seines basischen Oxides mit Wasserstoff-
superoxid das © dieser Verbindung in 0 übergeführt werde
und desshalb beide Substanzen zu NisOs sich oxidiren. Da
Letzteres ein Ozonid ist, so wirkt es unmittelbar nach seiner
Bildung auf das noch vorhandene antozonidische HO» zer-
setzend ein, wobei es selbst Sauerstoff verliert, ohne jedoch
gänzlich zu Oxidul reducirt zu werden, wie ein ähnliches
Verhalten auch das Thalliumoxid oder Bleisuperoxid gegen
HOs zeigt.
Bei der gleichzeitigen Einwirkung des Metalles uad
Wassers auf den neutralen Sauerstoff findet Polarisation
dieses Elementes statt, in Folge deren die Superoxide des
Nickels und Wasserstoffes gebildet werden, welche aber in
der vorhin erwähnten Weise gegenseitig sich wieder des-
286 SUnmg der mmäk-pkigs* Gkum vom 1*. November 1664.
oxidiren. Bei diesem Anlasse darf ich nicht unterlassen, an
die schon früher Ton mir ermittelte Thatsache zu erinnern,
dass beim Schütteln von Nickelamalgam und Wasser mit
gewöhnlichem Sauerstoflgas noch nachweisbare Mengen ron
Wasserstoflbaperoxid erhalten werden, was die anter den
erwähnten Umstanden erfolgende Polarisation des Sauer-
stoffes und somit auch die Oxidation des Nickels ausser
Zweifel stellt
Kaum wird es noch der ausdrücklichen Bemerkung be-
würfen, dass ich weder dem Nickel noch seinem Cbridul als
solchen die Fähigkeit beimesse, das WasserstoJfenperoxid m
katalysiren; sie bringen diese Wirkung nur mittelbar her*
vor, insofern sie mit HOt das ozonicüsche Nickelsuperoxid
erzeugen, welches allein die in Bede stehende Zersetzung
bewerkstelliget.
5) Ueber das Verhalten des Sauerstoffes zum
Kobalt.
Ich will diese Mittheilung gleich mit der allgemeinen
Angabe beginnen, dass der Sauerstoff zum Kobalt wie snm
Nickel sich verhält. Freier ozonisirter Sauerstoff oxkfirt
das Metall unmittelbar zu Superoxid, was ebenfalls langsam
geschieht. Ungleich rascher erfolgt diese Oxidation durch
das in den Hypochloriten gebundene 6, wie daraus erhellt,
dass ein in die wässrige Lösung eines solchen Salzes ge-
legtes Stück Kobaltes in kurzer Zeit mit einer schwarzen
Hülle sich überzieht, welche nichts Anderes als CosOs ist.
Wie das metallische Kobalt wird auch dessen Oxidulhydrat
durch den freien ozonisirten Sauerstoff zu Superoxid oxidirt,
durch Oxid-Oxidul hindurchgehend, wie daraus zu ersehen
ist, dass das rosenrothe Hydrat erst gebräunt und dann
schwarz wird, und längst bekannt ist, dass die gelösten
Schdnbem: Zur näheren Kewntnm des Sauerstoffes. 287
Hypochlorite das gleiche Oxidul rasch in Superoxid über-
führen.
Das Wasserstoffsuperoxid wird durch das Kobalt um
ein Merkliches lebhafter als durch das Nickel zersetzt und
Thenard hielt dafür, dass jenes Metall hierbei nicht oxidirt
werde, was ich ebenfalls in Abrede stellen muss; denn legt
man ein glänzendes Stück Kobaltes in HO» , so wird das-
selbe nach einiger Zeit matt erscheinen und mit einer bräun-
lichen Hülle umgeben sein, welche gegen HOs gleichgültig
sich verhalt und den angesäuerten Jodkaliumkleister auf
das Tiefste zu bläuen vermag.
Feuchtes Kobaltsuperoxid, wie es bei der Einwirkung
der gelösten Hypochlorite auf metallisches Kobalt erhalten
wird, mit einer gehörigen Menge Wasseratoffsnperoxides
übergössen, reducirt sich rasch zu einem braunen Oxide,
welches ohne Wirkung auf HO» ist, aber ebenfalls den an-
gesäuerten Jodkaliumkleister sofort auf das Stärkste bläut.
Auch das rothe Kobaltoxidulhydrat zerlegt das Wasserstoff-
superoxid unter ziemlich lebhafter Entwickelung von Sauer-
stoffgas, wobei es sehr rasch in ein gelbbraunes Oxid über-
geführt wird, welches HO» unzeraetzt lässt und den ange-
säuerten Jodkaliumkleister auf das Tiefste zu bläuen vermag.
Wie vom Nickel wird auch vom Kobalt behauptet, dass
es bei gewöhnlicher Temperatur vom gewöhnlichen Sauer-
stoff auch bei Anwesenheit von Wasser nicht im Mindesten
oxidirt werde, welche Annahme ebenfalls irrig ist, wie
daraus erhellt, dass das Metall, längere Zeit mit neutralem
Sauerstoff in Berührung gestanden, in angesäuertem Jod-
kaliumkleister sich tief bläut, welche Reaction zeigt, dass
das Kobalt von einem Oxid umhüllt ist, das unter Mitwir-
kung einer Säure Jod aus dem Jodkalium abzuscheiden
vermag. Feuchtes Kobaltoxidulhydrat, mit gewöhnlichem
Sauerstoff in Berührung gesetzt, erlangt sehr rasch das Ver-
mögen, den angesäuerten Jodkaliumkleister zu bläuen und
288 Sitsnmg dar math.-phg*. Cbuse vom 12, November 1664.
bekannt ist, dass unter den erwähnten Umstanden die rathe
Farbe des Hydrates allmählig in eine gelbbraune übergeht
Es lässt sich wohl kaum daran zweifeln, dass trotz ihrer so
verschiedenen Bildungsweise alle die erwähnten bräunlichen
Oxide nichts anders sind, als Verbindungen von CoO mit
CotOs.
Dass ich mir die in voranstehender Mittheilung be-
sprochenen Oxidations- und Desoxidations Vorgänge eben so
erkläre wie diejenigen, welche sich auf das Thallium, Blei
und Nickel beziehen, brauche ich kaum ausdrücklich zu be-
merken, daran muss ich aber noch erinnern, dass auch beim
Schütteln des Kobaltamalgames mit Wasser und gewöhn-
lichem Sauerstoff Wasserstoffsuperoxid gebildet, also 0
chemisch polarisirt wird.
6) Ueber das Verhalten des Sauerstoffes zum
Wismuth.
Wie zum Blei, Nickel u. s. w., so verhält sich der
Sauerstoff auch zu dem Wismuth, mit dem Unterschiede
jedoch, dass er dasselbe ungleich langsamer, als die vorhin
erwähnten Metalle oxidirt. Blankes Wismuth muss längere
Zeit der Einwirkung des freien ozonisirten Sauerstoffes aus-
gesetzt sein, bevor dessen Oberfläche deutlich gebräunt
(durch BiOö) erscheint und beinahe eben so langsam wirken
die Lösungen der Hypochlorite auf das Metall ein, unter
welchen Umständen jedoch das Wismuthoxidhydrat etwas
rascher oxidirt wird.
Wie schon Thenard beobachtet hat, wird das Wasser-
stoffsuperoxid vom Metall nur äusserst langsam unter Sauer-
stoffentbindung zerlegt, wobei es sich mit einer sehr dünnen
etwas bräunlichen Hülle bedeckt, welche gegen HOs wirk-
ungslos ist und aus einem Oxide besteht, das den ange-
Schönbein: Zur näheren Kenntnis* des Sauerstoffes. 289
säuerten Jodkaliumkleister noch deutlichst zu bläuen ver-
mag. Auch wird HOt durch das Wismuthoxidhydrat zer-
setzt unter merklicher Entwickelung von Sauerstoffgas und
Bildung eines gelblichen Oxides, welches keine zersetzende
Wirkung auf HO» hervorbringt, jedoch den angesäuerten
Jodkaliumkleister ebenfalls* bläut.
Das Wismuthsuperoxid wirkt anfanglich ziemlich lebhaft
zersetzend auf das Wasserstoffeuperoxid ein , verliert aber
nach und nach diese Wirksamkeit und lässt ein Oxid zu-
rück, welches wie das vorige den angesäuerten Jodkalium-
kleister rasch und tief bläut. Alle diese gegen HO2 un-
thätigen und mehr oder minder gefärbten Oxide können
als Verbindungen von fiiOs mit BiOs betrachtet werden.
Es ist wohl kaum daran zu zweifeln, dass auch das Wis-
muth in Berührung mit Wasser und gewöhnlichem Sauer-
stoff sehr langsam oxidirt und hierbei ebenfalls ein Oxid
gebildet werde gleichgültig gegen HO», und fähig, den ange-
säuerten Jodkaliumkleister zu blauen.
7) Ueber einige neue höchst empfindliche Reagen«
tien auf das Wasserstoffsuperoxid.
Schon vor Jahren zeigte ich, dass zu den empfindlich-
sten Reagentien auf das Wasserstoffeuperoxid die gelösten
Eisenoxidulsalze und der Bleiessig in Verbindung mit dem
Jodkaliumkleister gehören, welcher bei Anwesenheit kleiner
Mengen der genannten Salze durch Wasser, das nur ein
Milliontel HO* enthält, noch auf das Deutlichste gebläut
wird. Seither habe ich gefunden, dass die Hydrate der
basischen Oxide des Nickels, Kobaltes, Wismuthes und
Bleies, nachdem sie einige Augenblicke mit solchem HOt-
haltigen Wasser in Berührung gestanden, das Vermögen
zeigen, den angesäuerten Jodkaliumkleister noch äugen*
290 Sitzung der math.-phg*. Glosse vom 12. November 1864.
fälligst zu bläuen. Wie aus den voranstellenden Mittheil«
ungen erhellt, liegt der Grund dieser Reaction in dar
Eigenschaft der vorhin genannten Oxide, das 0 des Wasser*
stofisuperoxides in 0 umzukehren, um damit Verbindungen
zu bilden, welche unter der Mitwirkung einer Säure Sauer-
stoff an das Metall des Jodsalzes abgeben und dadurch
Jod frei machen.
Um in bequemster Weise mittelst der erwähnten Reagan-
tien kleine Mengen von HO* im Wasser nachzuweisen, ver-
fahre ich so, dass ich einen oder zwei Tropfen der Lösung
eines Nickel-, Kobalt-, Blei- oder Wismuthsalzes in die auf
HOs zu prüfende Flüssigkeit einführe, dann zur Fällung
der Salzbasis einige Tropfen Kalilösung zufüge, hierauf
einigen verdünnten JodkaliumJdeister beimische und zuletzt
Essigsäure oder verdünnte Schwefelsäure zusetze, unter
welchen Umständen sofort eine augenfällige Blauung des
Gemisches eintritt, wenn in demselben auch nur Spuren
von Wasserstoffsuperoxid vorhanden sind. Schüttelt man
z. B. 100 Gramme destillirten Wassers mit 200 Grammen
amalgamirter Zinkspähne nur einige Sekunden lang mit
Sauerstoffgas oder atmosphärischer Luft lebhaft zusammen,
so werden die genannten Reagentien in dem abfiltrirten
Wasser das unter diesen Umständen in so kleiner Menge
gebildete Wasserstoffsuperoxid doch noch auf das Deutlichste
durch die eintretende Bläuung anzeigen.
Historische Classe.
Sitzung vom 19. November 1864.
Herr Stütsprobßt v. Döllinger gab die Resultate einer
neuen Untersuchung
„Ueber die Beweggründe und Urheber der
Ermordung des Herzogs Ludwig von Bayern
i. J, 1231".
Einsendungen von Druckschriften. 291
Einsendungen von Druckschriften.
Von der Aeademie des seiendes in Borns*.
Comptes rendus hebdomadaires des seanoes Tom. 69. Nr. 6— 11.
Aout. Septbr. 1864. 4. s
Vom Istituto Veneto di scienee, lettere ed arii in Venedig:
Atti, Tomo nono, Serie terza, Dispensa quinta. 1868. 64. 8.
Von der pfdlaischm Gesellschaft für Fharmacie in Speyer:
Neues Jahrbuch für Pharmacie und verwandte Fächer. Zeitschrift.
Bd. 22. Hfl. 8. Septbr. 1864. 8.
Vom naturhistorischen Verein in Augsburg:
Siebenzehnter Bericht. Veröffentlicht im Jahre 1864. 8.
Vom Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen in Prag:
a) Beitrage zur Geschichte Böhmens. Abtheilung 1. Bd. 2. Johanne»
dictus Porta de Avonniaco de coronatione Caroli IV. Born. 1m-
peratoris 1S55. 1864. 4.
b) Mittheilungen. 2. Jahrgang. Nr. 4. 5. 6. 8. Jahrgang. Nr 1.
1864. 8.
c) Andeutungen zur Stofoammlung in den deutsehen Mundarten
Böhmens. Von Ignaz Petten in LeitmeriU. 1864. 8.
Vom Verein mir Beförderung des Gartenbaues in den Je. preussischen
Staaten in Berlin:
Wochenschrift. 33—86. Aug. Septbr. 1864. 4.
292 Einsendungen von Druckschriften.
Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingcn:
a) Göttingiflche gelehrte Anzeigen. 36—39 Stück. Septbr. 1864. 8,
b) Nachricht von der k. Gesellschaft der Wissenschaften und der
k. A. Universität zu Göttingen. Septbr. 7. Nr. 14. 1864. 8.
Vom historischen Verein für Niedersachsen in Hannover:
a) Zeitschrift. Jahrgang 1863. 1864 8.
b) Siebenundzwanzigste Nachricht über den Verein. 1864. 8.
Vom landwirthschafiUchen Verein in Mimchen:
Zeitschrift. Oktober 10. 1864. 8.
Von der Je. k. patriotisch-ökonomischen Gesellschaft im Königreich
Böhmen in Prag:
a) Centralblatt für die gesammte Landeskultur. Jahrgang 1864.
Nr. 86—39. 1864. 4.
b) Wochenblatt der Land-, Forst- und Hauswirthschaft für den
Bürger und Landmann. 15. Jahrg. 1864. Nr. 86—39. 4.
o) Verhandlungen und Mittheilungen für das Jahr 1864. Nr. 22—27. 4b
Von der h. k. Gesellschaft der Aerste in Wien:
Wochenblatt Nr. 34, 85. 20. Jahrg. Ang. 1864. a
Von der Universität in
Archiv für die sächsische Geschichte. 8. Bd. 1. Hft 1864. 8.
Von der Smithsonian Institution in Washington:
a) Annual Report for 1862. 63. 8.
b) Smithsonian Contributions to knowledge. The gray substanoe of
the medulla oblongata and trapezium. by John Dean (Photo-
graphs) 1864 4.
c) Smithsonian Miacellaneous Colleotions. löst of foreign oorreepon-
dents. January 1862. 8.
d) Smithsonian Gatalogue of Publications of the Smithsonian Institu-
tion June. 1862. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 293
e) Smithsonian A dictionary of the Chinook Jargon or trade language
of Oregon. By George Gibbs. 1863. 8.
f) Patent offioe reporte 1861. Vol. 1. 2. 1863. 8.
g) Report of the Superintendent of the coast survey for 1861.
1862. 4.
h) Introductory report of the commissioner of Patents for 1863. 8.
i) Fourteenth annnal report of the Trustees of the Wisconsin In-
stitute for the eduoation of the Blind for the year ending
Septbr. 30, th. 1863. Madison 1863. 8.
k) Nineteenth annual report of the Trustees and Superintendent of
the Indiana Institution for educating the deaf and dumb. India-
nopolis 1864. 8.
1) Sickness and mortality of the army during the first year of the
war. 8.
m) Address of hi* Ezcellency John A. Andrew to the legislature of
Massachusetts togetherwith accompanying documents January 8,
1864. Boston 1864. 8.
Von der American Fharmaceatical Association in Philadelphia:
Proceedings, at its eleventh annual meetixig, held in Baltimore,
Septbr. 1863. 8.
Von der California Academy of natural sciences in San Francisco:
Proceedings. Vol. 2. 1858—1862. 63. 8.
Vom Museum of eomparaUoe zotilogy in Boston:
Annual Report of the Trustees 1862. 63. 64. 8.
Von der Society of Natural Eistory in Boston:
a) Boston Journal. Vol. 7. Nr. 4. 1863. 8.
b) Proceedings. Vol 9. April 1863— Maroh 1864. 8.
Von der American Academy of arts and sciences in Boston:
a) American Journal Vol. 36. Kr. 106—108 1863.
„ 37. „ 109—110. 1864.
New-Hayen. 1863. 64. 8.
[1864. IL 3.] 20
294 Einsendungen von Druckschriften.
b) Proceedings. January— -November 1868. Vol. 6. Bogen 11 — 22.
New-Haven. 8.
Von der Academy cf Science in St, Louis:
Transaktione. 8.
Von der American Phüosophicae Society in Philadelphia:
Proceedings. Vol. 9. Nr. 70. Jane 1863. 8.
Vom Lyceum of Natural Sistory in New-Torh:
Annais, Yol. 8. May— Oktober 1863. Nr. 1. 8.
Von der Academie of natural sciences in Philadelphia:
a) Journal. New Serie. Yol. 5. Part. 4. 1863. 4.
b) ProceedingB. Nr. 1—7. Jan.— Decbr. 1863. 64. 8.
Von der Staats- Ackerbau-Behörde in Ohio:
Siebenzehnter Jahresbericht der Staats-Ackerbau-Behörde von Ohio
mit einem Auszug der Verhandlungen der County- Ackerbau-
Gesellschaften an die Generalversammlung von Ohio für das
Jahr 1862. Golumbus Ohio 1863. 8.
Von der Gesellschaft der Wissenschaften in Leipsig:
a) Berichte über die Verhandlungen. Philos. hiator. Classe 1. 2. 8.
1863. 1. 1864. 8.
b) Berichte über die Verhandlungen. Mathem. physikal. Classe 1. 2.
1863. 64. 8.
o) Abhandlungen. Elektrodynamische Massbestimmungen insbeson-
dere über elektrische Schwingungen. Von Wilhelm Weber
1864. kl. Fol.
d) Darlegung der theoretischen Berechnung der in den Mondtafeln
angewandten Störungen. 2. Abtheilung. Von P. A. Hansen.
1864. kl. Fol.
Von der Royal Society in London:
Proceedings. Vol. 13. Nr. 65. 66. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 295
Von der Linttean Society in London:
a) Journal of the prooeedings. Vol. 8. Botany. Nr. 28. 29. 30.
1864. 8.
b) Journal of the proceedings. Yol. 7. Zoology. Nr. 28. 29. 30.
London 1864. 8.
c) List of Fellows. 1863. 1864. 8.
d) Address of George Bentfaam Esq. F. R. S. etc. The President cm
Monday, May 25. 1863. Taesday May 24. 1864. 1863. 64. 8.
Von der Academie royale de Midedne de Belgique in Brüssel:
Bulletin. Annee 1864. Deuxieme Serie. Tom. 7. Nr. 5. 6. 7. 8.
Von der naturforschenden Gesellschaft in Emden:
a) Neunundvierzigster Jahresbericht (der naturforschenden Gesell-
schaft) 1863. 64. 8.
b) Kleine Schriften der Gesellschaft. 11. Ergebnisse der Witterung s-
beobaohtungen zu Emden 1862. 1863, sowie Andeutungen über
die Beziehung der Witterung zur Seefahrt. Landwirtschaft
Gesundheitszustand etc. Von Dr. Prestel 1864. 4.
Von der Academie Boyale de Belgique in Brüssel:
Bulletin. 32. annee. 2. Serie, tome. 18. Nr. 8. 1864. 8.
Vom Koninhliik Nederlandsch Meteorologisch Instituut in Utrecht:
Meteorologische Waarnemingen in Nederlanden zijne bezittingen en
afwijkingen van temperatuur en barometerstand opvele plaatsen
in Europa. 1868. 1864. 4.
Von der h. preuss. Akademie der Wissenschaften in Berlin:
Monatsberichte. Juni, Juli, August. 1864. 8.
Von der k. b. Centrc^Thierarsneischule in München:
Tierärztliche Mittheilungen. 9. Heft. 1863. 64. 8.
20*
296 Einsendungen von Druckschriften.
Von der Natural History Society in Montreal:
The Canadian Naturalist and Geologist. NewSeries. Vol. 1. Nr. 1 — 4.
Febr. April. Juni. August 1. 1864. 8.
Vom historischen Verein von Oberfranken in Bayreuth:
a) Archiv für Geschichte und Alterthumskunde von Oberfranken.
9. Bd. 2. Hft. 1864. 8.
b) Geschichte der Studienanstalt in Bayreuth. Festschrift zur 200-
jahrigen Stiftungsfeier des kgl. Gymnasiums. Verfasst von Karl
Friess. 1864. 4.
Von der Societä Reale in Neapel:
a) Atti delP Accademia delle scienze fisiche e matematiche. YoL 1.
186S. 4.
b) Rendiconto dell' Accademia deDe scienze fisiche e matematiche.
Anno 2. Fase. 11. 12. Novbr. Decbr. 1868. 64. 4.
Anno S. Faso. 1. 2. Gennajo. Febr. 1864. 4.
Von der Seal Äcademia de ciencias exaetas, fisicas y naturales in
Madrid:
Memorias. Tom. 2. 1. Serie. Ciencias exaetas, Tom. 1. Part 2.
1863. 8.
Von der Oeological Society in London:
Quaterly Journal. Vol. 20. Part. 8. Aug. 1864. Nr. 79. 8.
Von der Societä Italiana di scienze naturali in Mailand
Atti. Vol. 5. Fase. 6 Vol. 6. Fase. 1. 2. 1864. 8.
Vom Verein nur Erforschung der Rheinischen Geschichte und
ÄUerthümer in Mains:
Zeitschrift. 2. Bd. 4. Hft. 1864. 8.
en von Druckschriften. 297
Von der Redaktion des Correspondensblattes für die gelehrten und
Realschulen in Stuttgart:
Correspondensblatt. August. Nr. 8. 1864. 8.
Vom Moologisch-tnineralogischen Verein in Regensburg:
Abhandlungen. 9. Heft 1864. 8.
Vom kgl statistischen Bureau in Berlin:
Preussische Statistik. 6. Witterungserscheinungen des nördlichen
Deutschland« von 1868—1863. y. Dove. 1864. 4.
Von der Sociät imperiale des Naturalistes in Moskau:
Bulletin. Annee 1868. Nr. 8. 4.
„ 1864, Nr. 1.
1863. 8.
Vom Institut historique in Paris:
L'investigateur Journal, Trente-Unieme Annee. Tom. 4. 4. Serie.
867. Livrais. Aout. 1864. 8.
Vom Herrn C. Plantamour in Genf:
a) Determination Tälegraphique de la difference de longitude entre
les obtervatoires de Geneve et de Neuchatel. 1864. 4.
b) Resume1 me'teorologique de l'annee 1862. 1868. pour Geneve- et la
Grand St. Bernard. 1864. 8.
Vom Herrn GugUehno Gasparini in Neapel:
a) Memorie Botaniohe. Embriogenia della Canape. Malattie degli
Agrumi. Modificasioni di Cellule Yegetali. 1868. 4.
b) Sopra la melata o trasudamento di aspetto gommoso dalle foglie
di aleuni alberi avvenuto nell' estate passata e vitenuto general-
mente quäl Pioggia di Manna. 1863. 4.
c) Rioerche sulla embriogenia della canape. 4.
d) Sulla maturazione e la qualita dei fichi dei oontorni di Napoli 4.
298 Einsendungen von Druckschriften.
e) Osservasioni sopra talune modifioadoni organiche in alcune oeDnle
vegetalL 4.
f) Prelezione all' insegnamento della botanioa nella R. Univeraita di
Napoli letta a di 9. Deoembr. 1861. 8.
Vom Herrn Napoleon NichUs in Benfdd:
Helvetus et ses environs (Ehl Pres Benfeld) au cinquieme • iecle.
Paris. 1864. 8.
Vom Herrn Quesnevüle in Pari*:
Le monitenr seientifique da chimiste et da mann&otarier. Tom. 6.
Annee 1864. 186—188 livraison. 8.
Vom Herrn J. Datcson in Montreal:
a) Air-Breathers of the Coal-Period of Nova Scotia. 1863. 8.
b) Synopsis of the flora of the carboniferoas period in Nova
Scotia. 8.
Vom Herrn Thomas Bland in New- York:
ßemarks on classifications of North American Helices. 8.
Vom Herrn F. Grohc in Greifswald:
Der Chylos ein Ferment. Ein Sendschreiben an Herrn Justus von
Liebig in München. Dansig 1864. 8.
Vom Herrn Alfred Gilbert in Grimme:
Deutsche Geschichte in Form von Tabellen. 1. Abthl. 1864. 8.
Vom Herrn Friedrich Hessenberg in Frankfurt a. Jf.:
Mineralogische Notizen Nr. 6. 1864. 4.
Vom Herrn Marichal Comic Randon in Paris:
Notice sur la Carte de PAfrique sous la domination des
dregßee au depot de la guerre d'apres les travaux de M. Lacroix.
Par M. Nau de Champlouis (Mit 2 Karten). 1864. 4.
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Sitz)
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Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch - philologische Classe.
Sitzung vom 3. Dezember 1864
Herr Haneberg legt vor:
„Punische Inschriften/'
Wir haben im verflossenen Jahre durch die Verwaltung
des brittißchen Museums in London das Facsimile sammt einer
hebräischen Transscription und lateinischen Uebersetzung von
90 punischen Inschriften erhaltän. (Inscriptions in the Pheni-
cian Character, now deposited in the British Museum, dis-
covered on the Site ofCarthage, by Nathan Davis. Printed
by Order of the Trustees 1863.) Die letzte ist jene Opfer-
tafel, welche bereits Davis selbst publicirt hatte und über
welche wir mit Bezugnahme auf H. Heidenheims Erklärung
früher in diesen Blättern Bericht erstattet haben. Diese
wurde von H. Ewald in einer verdienstlichen Abhandlung
(Göttingen, Bd. XII. der Abh. d. K. Gesellschaft der Wissen-
schaften) durch Zusammenstellung mit der Opfertafel von
Marseille ergänzt und erklärt.
[1864. H. 4] 21
300 Sitzung der pkihe.-phOcl Classe vom 3. Dezember 1864.
Wir sind in der Lage, den reichen Fund von Davis
durch zwei neue Inschriften zu vermehren, welche hier in
Facsimile und mit hebräischer Transscription gegeben werden.
Sie wurden verflossenen Sommer durch den Benediktiner
P. Petrus Hamp bei Gelegenheit seiner Rückreise von der
Mißsionsstation Porto Farina hieher gebracht. Die erste,
ziemlich vollständig erhaltene wurde unter den Ruinen von
Karthago aufgehoben. Von der zweiten wird der Fundort
nicht ausdrücklich angegeben. Beide fanden sich in den
Händen eines Privatmannes in La Goletta.
Sie gehören wie fast alle Inschriften der britüschen
Sammlung der Gattung von Votivtafeln an; deren Interesse
zunächst darin besteht, dass auf ihnen eine grosse Anzahl
karthagischer Eigennamen in ihrer ursprünglichen Form
erhalten ist. So in der britischen Sammlung Meherbal
^pmnD N. 36. 47. 57. 89., Hannibal hv^n N. 11. 20. 26. 87.
wahrscheinlich identisch mit Baal Hanno ftonbjD Nr. 59. 65.
wie Baal halass ybnbv2 N. 86 mit Halass baal N. 18, —
dann Asdrubal ^ymiy N. 1. 36. 37. 58. Hanno *on N. 3.
4. 6. 10 und öfter; Mago po N. 4. 12. Hamilcar ist wohl
Abkürzung für Abdmelkarth mp^DIDP N. 3. 21. 60., auch
abgekürzt mp^D12 N. 10. 12 u. 8. w.
Fin Theil dieser Namen bietet insofern ein besonderes
Interesse dar, als darin Götternamen erscheinen, z. B.
Abdeschmün,DienerdesE8chmÄnod. Äsculapius; Abdashthoret,
Diener der Astarte; Abdmelkarth, Diener des Melkarth, oder
Herakles«
Von diesem Gesichtspunkte aus würde unsere zweite
Inschrift eine bisher unbekannte Gottheit darbieten wenn
gelesen würde
(TW)K
idid p rao nbjrt
„welches geweiht hat Abd-sabas Abd sebus Sohn des parso."
Sabas müsste die Gottheit sein von deren Verehrung
Haineberg: Panische Inschriften. 301
der Name des Weihenden herzuleiten wäre. Man müsste
an eine Flussgottheit denken mit Vergieichung des Namens
Seibüse, des Flusses, der sich bei Hippo findet.
Indessen lässt sich auch lesen:
1D1D p MD 1
„welches geweiht hat Sabas oder Sibas, Sohn des Parsö."
Ein DSD erscheint auf den Tafeln des brittischen Mu-
seums nicht; an Parso kann imD N. 7. erinnern.
Auf der ersten Tafel erscheinen die bedeutendsten Namen
der Familie Hannibals, wenn Baal hannö als identisch mit
Hannibal genommen und in Abdmelkarth Hamilcar er-
kannt wird.
In der ersten Zeile, welche die Widmung enthält, findet
sich hier, wie auf mehreren früher edirten Votivtafeln, neben
dem Namen der Göttin Tanith ein Beisatz, dessen Deutung
Schwierigkeit macht; es ist jener Ausdruck, den wir mit:
„Genossin Baals" geben.
Die Weiheformel beginnt regelmässig
bm ]D run^ rarb
Ganz genau, wie auf unserer Tafel, auf den Inschriften des
Br. Mus. N. 1. 4. 3. 4. Mit der Variante ^JDJJJD N. 2. u.
^JDfcOD N. 82. Audi ^jD*op& ist gefunden worden.
Herr Vaux hält mit frühern Erklärern daran fest, dass
dieses j£) vor by2 mit dem hebräischen >3D Angesicht
übereinstimme und übersetzt daher die Weiheformel : „Dominae
Tanith faciei-Baal."
Mit Recht hat kürzlich H. Ewald gegen diese Auffassung
Einsprache erhoben; man könne sich unter „Angesicht Baals"
nichts denken. Es sei etwas ganz anderes, wenn ein Ort,
wie das bekannte Vorgebirg in Syrien &*ov n^QOwnov ge-
nannt werden.
Er zieht das arabische fenn, welches: „Fach'1, „Ab-
theilung'4 heissen kann, herbei und entwickelt daraus den
21*
s
802 Sitzung der phOos.'phüdl. Clont vom 3. Duember 1864.
Sinn von „Stand" und „Würde14. Die ganze Formel hat nach
ihm den Sinn: Der Herrin Tanith höchst göttlicher Würde.
Es sei uns gestattet, gegen die Richtigkeit dieser Deutung
nnser Bedenken zu äussern. Ist auch das arabische Fenn
in's Panische einzutragen, so möchte es doch Bedenken
erregen, von der spätem Bedeutung „Fach" Gebrauch zu
machen und daraus „Würde'S „Dignität" zu entwickeln. Es
bleibt das Einfachste und Sicherste, wie uns scheint, mit
Bücksicht auf die Varianten *oe), Xtyü die Wurzel rOD „sich
wenden, kehren" zu Qrunde zu legen, von welcher die in den
Opfertafeln von Marseille und Karthago annerkannte Prä-
position rüö (andere Schreibart r02) „gegen, für, neben"
herzuleiten ist. Daran reiht sich das syrische ^D , KnOS
„Seite", woraus wir „Genossin" .ableiten; die Formel heisst
also eigentlich: „Der Herrin der Tanith zur Seite Baals.'*
Der nicht sehr erhebliche mythologische Gewinn, welcher
in dieser Formel liegt, wird durch symbolische Zeichen ver-
mehrt, über welche wir uns einige Andeutungen erlauben.
Auf unseren beiden Tafeln findet sich am untern Rande eine
complicirte Figur, die man für eine Art von Arabesken halten
könnte, wenn nicht durch Vergleichung mit andern Exem-
plaren das Bedeutsame sich darstellen würde.
Ueber unserer ersten Inschrift zeigen sich ausser den
beiden Vertiefungen, welche wohl von Eisenklammern her-
rühren mögen, zwei fast parallel laufende Striche, welche
man für ein grosses Thet ansehen könnte, wenn uns
nicht die Vergleichung mit andern Inschriften eines bessern
belehrten« In der brittischen Sammlung schliesst sich Nr. 55
fast ganz an unsere Figur an. Diese entwickelt sich in
N. 13« 22. 34. 50. 78. zu einer emporgehobenen Hand mit
ausgestreckten, eng zusammengehaltenen Fingern. Auf N. 26.
zeigt sich diese Hand zwischen den Bildern von Sonne und
Mond und einem Sterne (?). Zwei Hände N. 75.
Würde dieses Symbol für sich allein vorkommen, so
Hanebcrg: PvniscM Inschriften. 803
mü88te man geneigt sein, darin wie eine plastische Dar-
stellung des Schwures, oder der Widmung und Huldigung
des Veranlassers der Votivtafel zu erkennen. (Man ver-
gleiche die Betheuerung Jobs 31, 26. „Wenn ich nach dem
Lichte schaute, da es glänzte und auf den Mond, wenn er
prächtig wandelt und heimlich ward mein Herz bethört und
meine Hand hätte von meinem Mund den Kuss" genommen.)
Bei genauerer Erwägung wird diese Hand jedoch nicht die
des Weihenden, sondern die der Göttin Thanith sein.
Auf diese bezieht sich die am untern Rande vorkom-
mende Figur; die bald mehr, bald minder roh gezeichneten
Linien mit zwei Blumenkelchen zur Seite erscheinen ähnlich,
wie auf unserer ersten Tafel auf den brittischen Inschriften
N. 29. 39. 75. 76.; während die Figur auf unserer zweiten
Tafel mit N. 3 übereinstimmt. Andererseits trifft hiemit
die merkwürdige Figur zusammen, welche H. Beule bei seinen
Ausgrabungen gefunden hat, nur dass hier die Blumenkelche
mit der Hauptfigur vereinigt sind. Bei Beule Tafel IV. Fig. 6,
ygl. mit Fig. 7. (deutsche Ausgabe.) Er sagt (S. 83): „Ich
gebe auf T. IV. F. 6. 7. zwei Stelen, die der Aufmerksam-
keit mehr werth zu sein scheinen, obgleich sie den Lieblings-
gegenstand der karthagischen Basreliefs darstellen. Auf der
ersten ist Astarte (Thanith) mit Lotusblumen anstatt der
Hände abgebildet und ihr Kopf ist eine Scheibe mit einer
Art Halbmond darüber, was an die Ornamente der Isis
erinnert."
An einer andern Stelle bezeichnete H. Beule Statuen
mit einer emporgehobenen Hand, als ausgeführte Bilder der
Juno Coelestis (Tanith). „Ich traf auf plumpes Mauerwerk
aus altern Materialien, auf Bruchstücke römischer Bauart,
auf Steinplatten, die dem Tempelbezirk der Juno Coelestis
entnommen waren und Bas- Relief- Votiv tafeln, welche die
Göttin selbst, die eine Hand gehoben, mit der linken das
304 Sitewxg der phtioe.-phOol. Clont vom 3. Betonter 1864.
Gewand zusammenfassend vorstellten." (S. SO der deutschen
Uebersetzung.)
In Marseille wurden kürzlich unfern dem Fundorte der
grossen punischen Inschrift verschiedene Figuren, darunter
eine gefunden, welche beide Hände aufwärts hebt und sonst
an die von Shaw an der Brücke von Cirtha gefundene er*
innert. (Shaw; Reisen Leipzig 1765 S. 57.) Die Notiz
vom neuen Marseiller Fund verdanke ich Herrn Alvares mit
Copien von mehreren dieser Bilder. Vielleicht gelingt es
durch fernere Entdeckungen, weiter in das Innere der
astartischen Symbolik einzudringen. *
Unsere beiden Inschriften lauten transscribirt und über-
setzt so.
I.
bi byz |B rün^> nmb
■n: wn |Dn bvA p«
aü)n bvn p nybn izy
po p ropte nay p
Der grossen Herrin der Thanith, Genossin des Baal und
dem Gebieter dem Baal Hamman, was gewidmet (gelobt)
hat Abdmelkarth Sohn des Baal-Hanno, Sohn Abdmelkarths,
Sohnes von Magon.
H.
6ini) nb rorh
(w)« cn ^ pn
^ -1D1D p DDD 1
Der grossen Herrin der Thanith (und dem) Gebieter
dem Bal'cham, was geweiht (gelobt) hat Sabas (od. Sibas)
Sohn des Parso.
Dass in dieser zweiten Inschrift Baal by2 in ta zu-
sammengezogen und pn chamman in cham cn verkürzt
ist, sieht Jedermann. Ueber die Lesung kann in dieser Hin-
sicht kein Zweifel obwalten.
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K Schlagintweit: Eine Tibetische Inschrift. 305
Herr Müller legt eine Abhandlang des Herrn Emil
Schlagintweit vor:
„Tibetische Inschrift ans dem Kloster Hemis
in Ladäk".
(Mit 1 Textes-Beilage.)
Während seines Besuches im Kloster Hemis, zwei Tag-
reisen von Le entfernt, der Hauptstadt von Ladäk, liess
mein Bruder Hermann von Schlagintweit -Sakünlünski eine
Copie anfertigen von einer grossen in Stein gehauenen In-
schrift, welche in tibetischer Capitalschrift hinter dem
Haupteingange in der Wand befestigt war. Nach dieser
Abschrift besorgte ich den Druck des Textes für Tafel IX.
meines „Buddhism in Tibet"; bei der Erläuterung dieses
Documentes hatte ich mich jedoch damals auf einige allge-
meine Bemerkungen über dessen wesentlichsten Inhalt be-
schränken müssen. Viele Sätze gaben bei wörtlicher Ueber-
setzung keinen Sinn; die Ursache war zunächst diese, dass
die darin vorkommenden Eigennamen und Ereignisse bei
dem Mangel anderer Details unverständlich blieben, oder
sich nicht mit Bestimmtheit erkennen Hessen; dazu kam
noch, dass die Abschrift manche sonst nicht vorkommende
Abweichungen von der Schreibart der Wörterbücher bietet,
und überdiess mitunter undeutlich ist, indem die Tusche
auf dem stark gefetteten Papiere nicht gleichmässig anging.
Wichtiges neues Material erhielt ich durch die Ueber-
setzung des Geschichtswerkes „Von der in bester Ordnung
aufgestellten Kenntniss von dem Jünglinge Gesar"1).
1) Der ganze sehr lange und mystische Titel ist bereits in den
Sitzungsberichten 1864 S. 98 mitgetheilt; der Text und die Ueber-
setzung dieses MS. von 31 Blättern wird in Bd. X, Abth. 3 der
„Denkschriften" der k. Akademie mitgetheilt werden. Ich werde es
der Kürze wegen Gyelrap (rGyal-rab*) nennen „Genealogie" (der
Könige von Tibet), eine Bezeichnung, welche auch der rGyal-po von
Ladak gebrauchte, als er meinem Bruder eine Abschrift davon gab.
306 Sitzung der phOos.-phüol. CUuse vom 3, Dezember 1864.
Ich hatte erwartet, darin einen kurzen Abriss der Sage
von Gesar rGyal-po zu finden, allein nur einmal, fol. 23a,
kommt sein Name vor, den Gegenstand des Manuscriptes
bildet eine Genealogie der Könige von Tibet. Es ist diess
dasselbe Manuscript, von dessen Existenz Gsoma Korasi in
Zankhar gehört hatte, ohne es sich jedoch verschaffen zu
können; Gonningham forschte 1846 in Le vergebens nach
demselben und hielt die Nachricht, welche Gsoma erhalten
hatte, fdr ungenau,1) allein die königliche Familie mochte
damals, so kurze Zeit nach der vollständigen Unterwerfung
durch den Maharaja von Kashmir, noch sich scheuen, Frem-
den in ihre dynastischen Verhältnisse Einblick zu gestatten.
Eine besondere Veranlassung, die Uebersetzung der
Inschrift wieder aufzunehmen, fand ich in dem Umstände,
dass wir darin zum erstenmale Jahresangaben für Er-
eignisse in der Geschichte des westlichen Tibets begegnen.
Cunningham's Schätzungen beruhen auf den mündlichen Mit-
theilungen seiner Pandits, sie werden jedoch durch die
Hemis Inschrift bestättigt; das Gyelrap gibt die Dauer der
Regierungszeit der einzelnen Regenten nicht an. Es ent-
hält die Namen der Gyalpos, die Zahl und Namen ihrer
männlichen Descendenten , und welcher derselben zur Re-
gierung kam, bis in die mit Fabeln reich ausgefüllte Zeit
zurück, als im 3. Jahrhundert vor Christi Geburt König
^Nya'-khri-fttsan-po die zwölf kleinen Fürstentümer des
südlichen Tibets (Yarlung) unter seinem Scepter vereinigte.
Die Ländertheilungen, die Dynastien, welche in den Theilen
westlich vom Lhassagebiete bis gegen Kashmir, Nübra, und
Balti zu gegründet wurden, dann die Einfälle der Hors, der
türkischen Stämme nördlich von Ng&ri und in Sk&rdo, sind
registrirt; die Namen der berühmtesten Lamas und der nen
erbauten Klöster sind als die denkwürdigsten Ereignisse be-
^ ^ — — — — ^mm^^
2) Gsoma, in Prinsep „Useml Tables", ed. Thomas, p. 291. Ctm-
ningham „Ladak" 817.
S. SMagintweü: Eine Tibetische Inschrift. 807
trachtet; sie sind es, welche bei den einzelnen Regenten er-
wähnt werden.
Besonders ausführlich sind von Fol. 27 bis 30 b die
Ereignisse geschildert unter den Gyalpos 'Jam-dvyang*
„süsse Harmonie" und Seng-ge, „der Löwe". Diese beiden
Herrscher sind aber in der Heinis Inschrift als die Erbauer
des Klosters genannt; 'Jam-dvyang* hatte den Grundstein
gelegt, der Bau erlitt durch seinen Tod eine längere Unter-
brechung, erst in der späteren Zeit der Regierung von
Seng-ge, seinem Nachfolger, wurde das Fest der Vollendung
gefeiert. Die Zustände von Lad&k unter diesen Fürsten
werden in nachfolgender Weise geschildert : 8)
'Jam-dvyang*' älterer Bruder Ts'he-dvang , „der Zeit
Gebieter* ' (bei Cunningham Cho-vang genannt), welcher
ihm in der Regierung vorangegangen war, hatte dem Reiche
nach allen Seiten hin neue Provinzen erobert, und benach-
barte Fürsten zu Tributleistung gezwungen ; die Hors, welche
Einfälle bis nach Le4) gemacht hatten, sollten gezüchtigt
werden; allein auf Bitten der Bewohner der nördlichen
Provinzen, durch welche das Heer hätte ziehen müssen,
unterblieb der Feldzug. An den Stätten der Siege, sowie
an anderen Orten wurden Klöster erbaut, auch Citadellen
wurden errichtet zum Schutze gegen die nördlichen Nach-
barn; unter diesen Burgen wird auch die Feste auf dem
Berge rTse-mo „der Spitze u zu Le genannt.
Gegen das Ende der Regierung von Tslie-dEvang muss
die Macht des Gyalpos zu Le abgenommen haben; denn
als 'Jam-dvyang* den Thron bestieg, wurde er in einen
Krieg mit den Herrschern von Pürig verwickelt, von wel-
S) Die wörtliche Ueberseteung wird mit den übrigen Theilen des
Ifanuscriptes gegeben werden.
4) Le wird im Gyelrap «Le geschrieben ; es bedeutet4, „der Korb1
ein Name, weloher sich auf die Lage von Le in einem Kessel von
Bergen besieht
808 Stomg der jAOofc-pAOot. Ckme vom 3. Dttmber 1864.
chen der eine „vom oberen Theile" dem neuen König nicht
huldigen wollte. Ali Mir, der mussalmanische Herrscßer
vom hinteren Balti, d. i. Skardo, unterstützte den sich auf-
lehnenden Fürsten; die Ladiki -Armee , die gegen Ali Mir
heranzog, litt stark durch einen heftigen Schneesturm und
wurde von den Verbündeten gänzlich geschlagen, der Gyalpo
und der Rest des Heeres nach Balti in die Gefangenschaft
geführt. LadÄk fiel den Siegern zur Beute, welche in
religiösem Glaubenseifer, der die Heerzüge der Mussalmans
überall charakterisirt, die Klöster zerstörten, die heiligen
Bücher verbrannten, oder im Wasser zerstreuten. Spater
jedoch gab Ali Mir dem Gyalpo das Reich wieder zurück,
und gab ihm sogar seine Tochter zur Gemahlin; mit dem
Herrscher von Purig versöhnte sich 'Jam-dvyangs ebenfalls,
eine Heirath mit dessen Tochter befestigte das neue Bund-
niss und erweiterte die Herrschaft auch über Pürig. Grosse
Freude war im ganzen Lande; die Klöster wurden wieder
aufgerichtet, neue Bücher aus dem östlichen Tibet geholt,
doch mitten unter den Arbeiten für die Wiederbefestigung
der Buddhalehre ereilte 'Jam-dvyang* der Tod.
Ihm folgte Seng-ge, ein Sohn von der Tochter von
Ali Mir. Schon in seiner Jugend zeigte er die Zeichen
des grossen Mannes; im Fechten, Schnelllaufen, Springen
und Bogenschiessen , dann im Lesen und in den Wissen-
schaften war er bereits als Jüngling vollendet. In der ersten
Zeit seiner Regierung führte sein kriegerischer Sinn zu
Kämpfen „mit dem jugendlichen Lama von Gage" d. i. dem
Dalai Lama des östlichen Tibets;5) reiche Beute an Vieh
wurde nach Lad&k gebracht, „so dass es voll ward von
5) Eb ist diess der öte Dalai Lama mit Namen Ngag-dvang-felo-
fczang-rgya-mts'ho, der nach Csoma im Jahre 1615 als Kind auf den
Stuhl von Lliassa erhoben wurde. Auch sein Vorgänger war schon im
Alter von 28 Jahren gestorben; Ts'he-dvang hatte seine Jugend und
die wenig energische Regierung der Regentschaft zu Einfallen in
E. ScMagintweit: Eine Tibetische Inschrift. 809
Yaks und Schafen". Später jedoch wandte er sich der
Buddhalehre zu; bei der Geburt seiner Söhne sandte er
sogar reiche Geschenke an die beiden erhabenen Herren
yon U und Tsang, d. i. den Dalai Lama zu Lhassa und den
Panchen rinpoche zu Tashilhünpo. Der höchst vollkommene
aTag-tsTiaDg-ras-chhen,. welcher Indien, China, Udyana (Kafiri-
stan) und Kashmir bereist hatte, kam nach Ladäk, und lehrte
im Sinne der „5 Bücher des Maitreya" '), auch errichtete er
dem Maitreya ein grosses kostbares Bild. Viele neue Werke
werden in's Tibetische übersetzt, neue Klöster errichtet,
vollendet wurden „des Vaters Gedanken ausführend" folgende
3 Klöster: Hemi-byang-chhub-isam-^ling „(zu) Hemi, das
Eiland der Betrachtung für Vollendete1' 7) ; ZChe-ftde-theg-
Güge und zur Erhebung von Tribut benutzt. Gyelrap fol. 27 a;
vergl. über die Kämpfe dieser Fürsten mit den Dalai Lamas die
Notizen bei Koppen „die Religion des Buddha11. Bd. II., p. 146.
6) Die 5 Bücher des Maitreya will ArySsanga, der Stifter der
YogSchärya-Schule, aus dem Himmel Tushita geholt haben. Diese
Schule ist die Vorläuferin des Tantra Systems; sie r&umt der Yoga,
der tiefen Beschauung, viel grosseren Einfluss ein auf die endliche
Erlösung, als es die anderen Schulen thun und liest bereits über-
natürliche Energie durch Beschauung erlangen Vgl. Wassiljew „der
Buddhismus'4 p. 141.
7) Byang~chhub-faam-$rling ist der Name des Klosters, Hemi, in
der Aussprache mit einem s am Schlüsse, häufig auchHimis lautend,
ist der Name des kleinen Dorfes neben demjfloster. Die Lage
von Hemis ist von meinem Bruder Hermann zu 33*59' nördlicher
Breite und 77° 16' östlicher Länge von Green, bestimmt, die Höhe
des Eingangs zum Tempel 12,324 engl. Fuss.; die Lage der beiden
Klöster Che und Yamle weiss ich nicht anzugeben, sie müssen aber
grossere Orte sein, da sie Zeile 13 der Inschrift als „Residenzen41
bezeichnet werden. Im Gyel-rap fol. 24b kommt auzh ein Name
Van-le vor, als der Name der Residenz von König Lha chhen gnag
lug; es ist dieses das Hanle der Karten. — In der Hemis Inschrift,
Zeile 13, wird diesen Dreien das Epitheton gegeben Sangye-ohi-ku-
sung-thug-chi-ten , „der Buddha -Vorschriften Sinnes-8tützeu ; im
„Buddhism in Tibet*' hatte ich dieses Epitheton für den Namen des
Klosters gehalten.
810 Siteung der philoa.-phüoL Qassc vom 3. Dextmher 1864.
mchhog „(zu) Che, das vorzüglichste Vehikel der Glückselig-
keit4' ; Vamle-fcde-chhen „(zu) Vainle, die grosse Glückseligkeit".
Diese 3 Klöster werden die Häupter, die Vorzüglichsten genannt.
Es wird erwähnt, dass die Eingangsthüren, die Dächer, die
Gebetcylinder mit vergoldetem Kupfer bekleidet wurden;
von den Büchern seien viele mit roth, Silber un,d Gold ge-
schrieben worden8), „so wurde allen Menschen gebracht
die kostbare Buddhalehre, dem Sonnenaufgang gleich".
So berichtet das Gyelrap. Die Jahreszahlen, welche
das Hemis Document gibt, sind:
1) Der Monat dVo-zla (Voda gesprochen) des männ-
lichen Wasser-Tiger Jahres als das Jahr, „in welchem des
Anfangs Grund" gelegt wurde.
2. Das männliche Wasser-Pferde Jahr als dasjenige, .„in
welchem der bestens vollendeter Errichtung grosses Freuden*
fest" gefeiert wurde.
3. Das männliche Eisen- Hunde Jahr als dasjenige, in
welchem „300,000 Gebetcylinder unten an den verschiedenen
Seiten, an der Umfassungsmauer " hinzugefügt wurden. Die
ungewöhnlich grosse Menge kleiner, leicht drehbarer Gebet-
cylinder ist eine Hemis eigentümliche Zierde, nur wenige
Klöster erfreuen sich derselben9). Die Zahl von 300,000
ist zwar sehr übertrieben; denn da die Cylinder einen
Durchmesser von 6 engl Zoll haben und nach je 8 oder auch
10 ein grösserer Abstand von einigen Zollen ist, würden
sie eine Mauerlänge von über 30 engl. Meilen beanspruchen,
8) Ein heiliger Sprach mit rother Farbe geschrieben, hatl08mal
mehr Kraft, als in Schwarz; Silberfarbe ist wieder kräftiger als
Roth, Goldfarbe erhöht seine Wirkung noch mehr. Vgl. Schilling
von Cannstladt, Bull, hist-phil. de l'Acad. de Petersb, VoL IV.,
p. 331, 333.
9) Torrens „Travels in Ladak, Tartary et Kashmir", p. 177 be-
richtet von einem Kloster, 3 engl. Meilen von Le entfernt: „pray-
ing cylinders were placed in shelves along the wall* about the
height of a man's waist".
E. Scklagintweit: Ein* Tibetische Inschrift. 311
während in etwa */t Stande die Umfassungsmauer abge-
schritten ist. Sie sind an den Wänden des Haupthanses nnd an
den bedeckten Gängen, welche die Seiten des Gartens begren-
zen, in einer Vertiefung der Mauer, 5 — 6' über dem Boden auf-
gestellt; der durch den Cylinder gehende Eisenstab ruht
oben und unten in einer Pfanne, nnd die Andächtigen
machen diese Cylinder unter Gebeten drehen, indem sie
während des Gehens mit der Hand sie berühren ; die sämmt-
lichen in diesen GyUndern eingeschlossenen „Om mani
padme hum's" 0, das Kleinod im Lotus, Amen!, gelten
dadurch als mit den Lippen gebetet10).
Für die Uebertragung der tibetischen Jahresbezeich-
nungen in die entsprechenden Jahre der christlichen Aera
sei erwähnt, dass diese Bezeichnungen Jahre des Sexage-
eimalcyklus sind, welcher in Tibet zum ersten male im
Jahre 1026 unserer Zeitrechnung in Gebrauch kam. Das
Wasser-Tiger Jahr ist das 39ste des Gyklus; das Wasser-
Pferde Jahr das 19te, das Eisen-Hunde Jahr das 47te. Die
Zahl der abgelaufenen Gyklen wird den Jahren nicht bei-
gesetzt, in historischen Documenten werden zu ihrer näheren
Bestimmung berühmte Personen erwähnt, ?on welohen die
Zeit ihres Wirkens als bekannt vorausgesetzt wird n).
In der Hemis Inschrift bestimmen die Namen des
10) Vgl. über die Gebetcylinder „Buddhism in Tibet", p. 229;
über Hemis die Ansicht Hermann's in Nr. 16 des Atlas zu den „Re-
sults of a scientific Mission to India und High Asia". — Gapitain
Knight fand in einem der Cylinder, den er von Hemis mitnahm,
51/» engl. Zoll hohe Papiere von zusammen 60 Yards Länge; die
6 Sylben nehmen jedesmal eine Länge von l1/* Zoll ein und sind
auf einer Seite in je 10 Linien gedruckt. Der Inhalt dieses einen
Cylinders reichte hin, um der ganzen Auflage seines Buches ein
Stück in der ganzen Höhe der Original-Rolle beigeben zu können,
„Diary of a Pedestrian in Cashmere und Thibet", p. 200.
11) Details über die tibetische Zeitrechnung sind in Cap. XVI.
meines Buddhism in Tibet gegeben.
812 Sitzung der phüos.-phOol Glasae vom 3. Dezember 1864.
Lama sTag-ts'hang-ras-chhen, und der Könige 'Jam- cZvyangs
und Seng-ge die Cyklen, denen die obigen Jahresbeseich-
nungen angehören. Nach Gunningham starb 'Jam-dvyangs
am 1620; da ein neuer, der Ute Cyklus, in 1626 begann,
ist das Wasser-Tiger Jahr ein Jahr des 10t en Cyklus, der
1566 begann; es entspricht dem Jahre 1604 unserer Zeit*
rechnung. Das tibetische Jahr beginnt im Februar, Voda,
im Sanskrit Uttaraphälguni , ist der 2te Monat, demnach
fällt die Grundsteinlegung in den Monat März des Jahres
1604. Das Wasser-Pferde Jahr, das 19te der Cyklus Reihe,
ist das Jahr der Vollendung des Baues, und gehört somit
dem 11. Cyklus an; ihm entspricht das Jahr 1644. Im
Eisen-Hunde Jahre wurden die 300,000 Qebeteylinder auf-
gestellt ; dieses Jahr ist das 47ste des Cyklus und entspricht
dem Jahre 1672 der christlichen Aera1*). Die Gebetcylin-
der sind wohl auf Befehl von Seng-ge's Nachfolger
ZDe-ldan hinzugefugt worden, der nach Cunningham 1670
zur Regierung kam, und durch Bereicherung des hochge-
achteten Klosters mit der so ungewöhnlichen Zahl von Gre-
betcylindern seine Anhänglichkeit an die Buddhalehre zeigen
mochte.
Ich lasse die wörtliche Uebersetzung der Urkunde
selbst folgen; die Marginalzahlen beziehen sich auf die
Zeilen der Textes-Beilage ").
Heil und Segen 1 Verehrung den Lehrern I Dem
durch seine Zeichen und Proportionen vollkommenen
12) Im Buddhism in Tibet, p. 186 hatte ich das Wasaer-
Pferd Jahr als das Jahr der Grundsteinlegung, und das Wasser-
Tiger Jahr als dasjenige der Vollendung angegeben; erst die be-
stimmte Erwähnung im Gyelrap, dass 'Jam-dvyangt den Bau be-
gonnen habe, und Seng-ge ihn vollendete, liess mich den Sinn der
Worte erkennen, welche in der Inschrift den Jahresangaben vor-
hergehen.
13) Für freundliche Mittheilungen über eigentümliche Ausdrucke
bin ich Herrn A. Schiefher in Petersburg verbunden.
K Schlaginüveü: Eine Tibetische Inschrift 313
Buddha; dem die restlose (d. i. ganze) Wahrheit ver-
kündendem Gesetze; dem versammeltem Collegium der
Schaar der Ehrwürdigen, welche sich der Erlösung
befleissigen, — diesen drei Vortrefflichsten14) sei An-
betung nach Verneigung zu den Füssen der Oberen 1
Dieses, femer, ist der Ort, wo erscheint der völlig
Siegreiche der drei Geheimnisse, der von allen Sieg-
reichen mit Machtvollkommenheit versehene, /durch
alle vier Welten 15) verehrte, verehrungswürdige, grosse
Herr rfPal-mnyam-med-'brug-pa „des unvergleichlichen
* *. Glückes Donner" ie). (Dieser) vollkommene Beine,
ringsum berühmt, der das Kleid des Aethers hat, den
Kern der Buddhalehre weithin umfasst habend, war
insbesondere in die Gegenden von Jambudvipa (d. i.
Indien) gekommen, und hatte (die Lehre) dort weit
und breit verbreitet. Da viele noch zu Bezähmende
das Geschäft der begründenden Werke17) für den
Wog der Reife und der Erlösung (zu verrichten
hatten), — erfasst habend die Lehre in den drei uner-
messlichen Regionen, erhob er in alles überragender
Gnade18) um der heiligen grossen Männer willen die
14) VergL über die Vortheile, welche die Anrufung der 3 Kost-
barkeiten bringt, d. i. Buddha, Dharma und Samgha, Hardy, „Eastern
Monachism", p. 209.
15) Tibetisch arid; hier wohl so viel wie Dvipa, welches sonst
mit gling wiedergegeben wird.
16) Die Brugpa Sekte, eine der 9 orthodoxen Sekten in Tibet,
neigt sich dem Tantrika-Mysticismus besonders stark zu. Nach dem
Gyelrap foL 24 b, 25 a, 27 a, war im westlichen Tibet „die Lehre der
Tantra Vollendung1* schon unter 'Jam-<2vyang* Vorfahren eingeführt
worden.
17) Bezähmung der Leidenschaften, Uebung der Tugenden ist
gemeint, welche Erlösung von Wiedergeburt begründen.
18) Im Texte steht hier und sonst bkrin; wohl eine Abkürzung
von frka'-drin.
314 Sitzung der pküoe^pkOol. Glatte vom 8. Detemb&r 1864.
Stimme der Lobpreisung in unübertrefflicher
Hieher auch wechselte .(den Wohnort) der Herzens-
sohn, der siegreiche *God-tschang-pa "). Durch des
Vaters und Sohnes *•) Gabenspendung war vollendete
tiefste Medetation geworden. Zeitlos (d. i. in kurzer
Zeit) versammeln sich, der DskinI*1) Wolkenschaar
s. 10. gleich, bringen Opfer, und preisen das treffliche S'ri
Gharitra-Bad (das Rad des sittlichen Verhaltens)
24 Geistliche, and gleichfalls auch etliche des Ranges
Zeichen habende Gross-Lamas, die gekommen waren
dem vollendetet-mächtigen (— zaubermächtigen), vorzüg-
lichst geehrten (?)") sTag-ts'hang-ras-pa-chhen „dem
grossen Bhikshu des Tigernesteeu zu Füssen.
Der Dharmaräja Seng-ge rNam-par-rgyal-va, des
Vaters Sohn, der Herr, dann die Minister und die Unter-
thanen, in unverminderter Andacht mit dem Haupte *s)
Verehrung zollend, schliessen sich an, und halten in höchst
vollkommener Weise den edlen Schatz der zwei Claasen
(d. i. der Priesterciasse und der Laien). In des Königs
Residenzen wurden drei Stützen des Sinnes der Buddha-
Vorschriften , der Residenzen Mutter und Kinder, die
Vihäras des kostbaren Edelsteins, von innen und aussen
in ausgedehnter Weise vollendet94), wodurch der Lehre
Sonnenaufgang gleichsam entsand.
19) Bewohner der Höhlen der Wildniee; er kam wohl aus dem
Kloster rGod-tsliang im östlichen Tibet.
20) Nemlich 'Jam-rfvyang* und Seng-ge.
21) Weibliche Genien, Bewohner der Wolkenranme, zahllos an
Menge und Beschützerinnen der Menschen; vgl. „Buddhism in Tibet**
p. 248.
22) Das Tibetische tonyes des Textes findet sich in den Wörter-
büchern nicht; vielleicht ist es eine Abkürzung für myed-fckor „Ver-
ehrung".
23) Das sbyi des Textes steht wohl statt spyi „Scheitel".
24} Der Text hat Krun, welches ich nicht zu erklären weiss,
Herr Schiefher schlag vor, grab , vollendet" za lesen.
E. ScMaginttoeit: Eine Tibetische Imdmft. 315
'Jam-dpal „der erhabene Milde", des Schutzherrn
Vater, war nicht unterlegen26). Unter der Regierung
*. «. dieses von diamantener Stärke und Macht war der
Wissensherr dPal-wnyam-med-qe-'brug-pa „des unver-
gleichlichen Glückes Donner", der Alles wissende Grosse
selbst gekommen; anhängend dem trefflichen Gesetze
der Reife und der Vollendung (spendete er) Segen. Der
unvergleichliche Herr, der Herr des Wandels und der
Lehre, der Schützer alle Zeit, der treffliche Herr, das
Wissen erfassend, — dadurch dass durch (diesen) Gross-
mächtigen, das Haupt des Wandels und der nicht in Par-
theien zerspaltenen Lehre, auch in diesem Lande von Sand
und Felsen lf) der Buddhalehre und der Wohlfahrt der
Wesen gedacht wurde, ist nachher die Vorschrift
und ihr Sinn $uch von mir, dem beglückten Manne
(d. i. Seng-ge) erfasst worden. Nicht ging unter
das Zeichen; Ts^he-dvang-'phrin-lae-J^tan-'dzin-mi-rgyur-
rdorje „der Zeit-Gebieter, erfassend die Lehre und
die Geschäfte (cL i. die Werke), ein unwandelbarer
Scepter"17) mit Namen, Macht verleihend18) segnet,
25) 'Jam-dpal ist identisch mit 'Jam-dvyang«, „süsse Harmonie",
welches zugleich Name des Gottes Manjusrl ist, und auch bei anderen
Eigennamen alternirend gebraucht wird. Cf. Gsoma „Grammar",p.l98.—
Die Worte „nicht unterlegen11 (auch: nicht geschlagen) scheinen sich
darauf zu beziehen, dass 'Jam-dvyaags spater sein Reich von Ali
Mir wieder zurückerhielt; die Inschrift stellt aber den Ladak-Gyalpo
als Sieger hin, weil er schliesslich doch wieder die Regierung erhielt.
26) Der Flugsand, der aus den grossen Wüsten im Norden von
Tibet herüberkommt, füllt schon bei Le alle Vertiefungen der Berg-
abhänge aus. Vgl. die Ansichten von Le, und des Kiük Eiöl im
Atlas zu den „Results of a scientific Mission to India and High Asia".
27) Das Epitheton „unwandelbarer Scepter" lässt annehmen,
dass auch dieser Lama ein Anhänger der Brugpa Sekte war, welche
dem Dorje eine besondere Verehrung erweist.
28) Für das im Texte folgende gamnyas (ohne Silbenpunkt
gesehrieben) weiss ich keine Erklärung.
[1864 IL 4.] 22
316 Sitzung der philos.-phOol. doste vom 3. Dezember 1864.
die von der Buddhalehre und der Geistlichkeit ab-
hängige Erwerbung.
*. * Der hochehrwürdige dPal-Zdan (d. i. tfPal-mnyam, etc.)
rtea-ya'i-Ma-ma „der erhabene Wurzel-Lama lö)u, verweilt
habend in den Pflichtgesetzen der drei Statuten in den
Abtheilungen der hier und dort angesammelten (d. i. befind-
lichen) Klöster, (und) von den 10 Tugenden das zu Lassende
und zu Verrichtende iriihumslos gethanso) habend, ge-
schickt in der mit dem grossen Siegel versehenen
Gnade ; — darauf gestützt, und des Vaters und Sohnes
Gnade im Gemüthe behalten habend, um zu vollenden
den Gedanken, vollzog er aus eigenem Antriebe, nach-
dem früher, beginnend im Monat dVo-zla (d. L März)
des männlichen Wasser-Tiger Jahres (d. i. 1604) des
Anfangs Grund gelegt worden war, im männlichen
Wasser-Pferde Jahre (d. i. 1644) des Vihära's bestens
vollendeter Errichtung grosses Freudenfest des Segens
als Gipfel der Vollendung. Im männlichen Eisen-
Hunde Jahre (d. i. 1672) wurden ausserhalb des Löwen-
einganges, gegenüber an den verschiedenen Seiten unten
an der Umfassungsmauer 300,000 Manis (Gebetcylinder)
errichtet, sowie eine Hecke vom Spenstrauche. (Dann),
der gänzlich errichtet Habende von innen und aussen,
Achtung erwiesen habend den drei durch Segen Vorzugs
*. *. liebsten Oberen (der 3 Klöster), bat um das wunderbare
Hervorkommen der mehr als weissen Dienstleistung 5a),
die gleich ist einem Monate der vorzüglichsten Ge-
dankensammlung. Dem Werkvereiniger gleich Shes-
29) Wurzel-Lama* werden die Begründer besonderer Schulen
genannt. Vgl. „Buddhism in Tibet1', p. 186, 141, 186.
30) Tib. «pyod; es kehrt diese« Wort noch öfter wieder; in
Z. 81 könnte es auch «kyod „wandeln" gelesen werden.
81) rTog des Textes wohl gleich dem tog der Wörterbücher-
E. SMagintocit: Birne Tibetische Inschrift. 317
rab-ts'he-dvang, „des Wissens und der Zeit Gebieter ",
die Werkleute, die Zimmermeister, die Werkmeister
an Mauern und die an's Ziel Lasten Tragenden, —
alle diese Arbeiteleute, nachdem sie gläubig vollendet
worden waren, in der völlig reinen Natur der grossen
Glaubensmeditation, stützen sich durch die sündlose
Vermögenskraft der weit reichenden Tugend auf die
Füsse der Oberen, welche völligen Schutz angesammelt
haben. Der Regen der Reife und Vollendung, indem
er Jambudvipa umfasst, macht gemessen dem Gaben-
spender der Lehre, dem Gesetzeskönige (d. i. Dhar-
marSja Sengge), dem Herrn sammt den Unterthanen,
die besondere Grösse der Glückseligkeit, während zu-
gleich die Heeresmacht der Mitte und der Grenze8*),
eine schlimme Schaar von Gedankensammlung, ohne
Rest gänzlich wird beruhigt. (So) hier und dort Freude
und Glück (Gedeihen).
Gemäss des mit dem Wunsche übereinstimmenden
Gesetzes wurde sich der Vollendung befleissigt, gehalten
wurde der Zusammenhang der Ursachen der Samm-
lung und der Gaben (= Vergeltung) "), auch durch die
fiefleissigung Aller in den 10 Benützungen des Ge-
setzes84). Zur rechten Zeit fällt herab das Regen-
wasser der Gnade in den 10 Weltgegenden. Das
82) Eine Anspielung auf die Zage von Ts*he-<Zvang and Seng-
ge** nach Guge, dem Territoritun des Dalai-Lama; von den späteren
Gyalpos berichtet das Gyelrap keine Einfalle mehr in sein Gebiet.
88) Im Tibetischen rgyu-sbyor-yon-gyi-'brel. Es sind hierunter
wohl die 12 Nidanas zu verstehen, welche sonst mit rten-twel über-
setzt werden.
84) Oder, wenn wir «kyod lesen (v. Anm. 29) „dem lOfachen
Geaetseswandel"; vergl. Aber die 10 Tagenden Hsrdy, „Manaal of
Baddhismu p. 460.
22»
318 Sitzung der natK-phys. Clont wm 10. Dezember 1864.
Jahres - Vieh (?) 86) dem beständig trefflichen, glück-
lichen Zeitalter (= Satya Yoga) gemäss genossen
werdend, mögen der Buddhawürde Thürflägel schnell
erlangt werden I
Alles Glück; Siege, siege, siege!
Mathematisch-physikalische Clasae.
Sitzung vom 10. Desember 1864
Herr C. Th. von Siebold legt einen Bericht vor:
„Ueber die im Auftrage der königlichen
Akademie der Wissenschaften vorgenom-
menen vorläufigen Nachforschungen, am
das Vorkommen von Pfahlbauten in Bayern
festzustellen".
Nachdem ich die Pfingsttage dieses Jahres dazu
benutzt hatte, um mir über die Beschaffenheit der in
dem Neuchateier See so häufig vorkommenden Pfahl-
bauten an Ort und Stelle Einsicht zu verschaffen und mit
der Ueberzeugung nach München zurückgekehrt war, dass
auch in Bayern diese ältesten Denkmäler menschlicher
Thätigkeit vorhanden sein müssten, führte ich am 13. Juni
Herrn Desor, welcher als erfahrener Kenner der Pfahl-
bauten nach getroffener Verabredung von Neuchatel hie-
her gekommen war, nach dem Starenberger See, wo sich
ein Auffinden von Pfahlbauten am sichersten erwarten liess.
Es ist bereits durch Zeitungsberichte vielfach besprochen
worden, dass es die Ufer der Rosen-Insel waren, an wel-
chen die Ueberreste früherer Pfahlbauten auf das Deut-
lichste von Desor erkannt worden sind. Dieses Auffinden
36) Dieser sonderbare Ausdruck ist wohl so zu verstehen, dass
Jahr für Jahr ein günstiges sein möge; denn die Jahre werden
Thieren benannt; vgl. Anm. 11.
* . Siebeid : Pfahlbauten in Bayern. 319
eines beträchtlichen Pfahlbaues im Starenberger See gab
Veranlassung, dass Hr. Professor Moritz Wagner und ich
den Auftrag erhielten, diese Untersuchungen noch auf andere
Lokalitäten Bayerns auszudehnen. Es wurden diese Nach-
forschungen nach Pfahlbauten in der ersten Zeit unter
der Begleitung des Schiffers Benedict Kopp vorgenommen,
welchen Hr. Desor bei seinen Untersuchungen an den Seen
der Schweiz vielfach benutzt, und welchen derselbe uns als
Beihülfe überlassen hatte.
Hr. Professor Wagner stellte seine Untersuchungen
auf dem Starenberger See, Ammersee , Wörthsee , Ringsee
und Ostersee an, den Staffelsee untersuchten wir gemein-
schaftlich, und von mir wurden in gleicher Absicht der
Tegemsee, Schliersee, Chiemsee und Seeon-See besucht.
Nach den mir von Herrn Professor Wagner ge-
machten Mittheilungen kommen im Starenberger See nahe
den westlichen Ufern an drei verschiedenen Punkten Spuren
von Pfahlbauten vor. Am deutlichsten und ausgezeich-
netsten sind dieselben an der Südseite der Roseninsel zu
erkennen. Dort stehen die Pfahle um einen sogenannten
„Steinberg" gruppirt, einen künstlich aufgeschütteten Hügel
im See, der jetzt im Sommer l1/* Fuss unter dem
Wasser sich befindet, früher aber wahrscheinlich über dem
Seespiegel hervorragte. Solche „Steinberge" oder künst-
liche Inseln wurden von den alten Seebewohnern in der
Schweiz offenbar zu dem Zwecke errichtet, um ihren Wasser-
dörfern einen trockenen Boden oder den eingeschlagenen
Pfählen eine festere Grundlage zu geben. Dieser aus zer-
schlagenen Steinen und Gerolle aufgeschüttete Hügel, wel-
cher denen des Neuenburger und Bieler Sees, namentlich
dem Steinberge von Nidau bei Biel ganz ähnlich ist, zieht
sich südlich von der Roseninsel noch über 300 Fuss in den
See hinein und bildet dort eine Untiefe. Die ganze Rosen-
320 Sitsung der m*tk.-phy$. Gaue vom 10. Dumbet 1864.
insel scheint aus der nördlichen Fortsetzung dieses
bergs zu bestehen (ähnlich der von Hm. Desor beschrie-
benen Pfahlbauinsel im Lago di Varese) und wurde wahr-
scheinlich erst in der Römerzeit, aus welcher Zeit dort so
schöne Alterthümer gefunden wurden, erhöht und ver-
grössert. Zu beiden Seiten dieses „St ein bergs" gehen die
alten Pfahlbauten bis über 300 Fuss in den See hinein.
An den tieferen Stellen stehen die Pfähle 10 bis 12 Fuss,
an den seichteren 1 bis 3 Fuss unter dem Wasser. Die
meisten Pfahle haben 4 bis 6 Zoll im Durchmesser und
ragen nur einen halben Zoll, höchstens 2 bis 3 Zoll über
der obersten Schlammschichte des Bodens hervor. Die
meisten Pfahle sind als kleine kuppenförmige vom Schlamm
bedeckte Erhöhungen auf dem Seeboden bemerkbar, doch
bedarf es eines geübten Auges, um sie bei klarem Himmel
und ruhigem See als Pfahlköpfe zu erkennen. In grösserer
Entfernung und bedeutenderer Tiefe (in etwa 16 bis 22 Fuss
Tiefe) ragen andere stärkere Pfahle in südwestlicher Fort-
setzung noch bis 6 Fuss über dem Seeboden empor. Die
Sage schreibt dieselben einem früher vorhanden gewesenen
Brückensteg zu, obwohl keine älteren geschriebenen Urkun-
den zur Bekräftigung dieser Sage angeführt werden können.
Eine wiederholte Untersuchung dieser Pfahle nach der Rück-
kehr aus der Schweiz, wohin Hr. Wagner um Pfahlbauten
zu studieren, gereist war, hat denselben zu der Ueberzeng-
ung gebracht, dass diese Pfahle in ihrer Vertheilung und
Form die grösste Aehnlichkeit mit einigen Pfahlbau-Stationen
der Broncezeit im Bielersee, besonders aber mit denen bei
Morges im Genfersee haben. Eine Brücken- Verbindung zwi-
schen der Rosemnsel und dem Lande haben diese Pfähle
gewiss nie gebildet, denn es ist nicht anzunehmen, dass die
alten Bewohner des Sees einen Brückenbau in dieser
Sichtung versuchen konnten, wo derselbe bei der gleichen
Tiefe die doppelte Länge gehabt hätte, wie in der westlichen
«. Siebold'. Pfahlbauten *» Bayern. 821
Richtung. Auch verschwinden diese Pfahle schon in einer
Entfernung Ton 200 Fuss vom Lande. Hr. Wagner glaubt,
dass diese Pfahle, die eine dreifache Reihe bilden, zu den
Pfahlbauten der Broncezeit selbst gehörten und dass Bag-
ger-Versuche gerade in dieser Tiefe, wo die zufallig in das
Wasser gefallenen Gegenstände von den alten Bewohnern
nicht so leicht herausgezogen, werden konnten , am meisten
Erfolg versprächen. An der Ostseite entfernen sich die
Pfahle nicht so weit von der Insel. An der Nordseite der-
selben fehlen sie ganz. Professor Wagner liess an zwei
Stellen der Südseite der Roseninsel und an einer Stelle der
Ostseite in den Boden des Sees Löcher von etwa 10 Fuss
Länge, 6 Fuss Breite und 4 Fuss Tiefe graben. Ein Fuss
unter der oberen Schlammschicht des Sees kam an der
Südseite der Insel die „Culturschicht" zum Vorschein, welche
aus einer gelblich-schwärzlichen Masse von meist verfaultem
Holze mit kleinen beigemengten Enochentheilen vermischt
bestand und einen unangenehmen scharfen Geruch von sich
gab. In dieser Masse fanden sich hunderte von zertrüm-
merten alten Thonscherben und zerschlagenen Thierknochen
vor, die sogenannten „Küchenabfalle" nebst verschiedenen
Artefakten von Knochen und Bronze. Diese Culturschicht
ist l'/> Euss mächtig. Unter dieser Culturschicht liegt hell-
grauer Letten, der ursprüngliche alte Seeboden, in welchem
die Pfähle stecken. Sobald dieser Letten beim Graben zum
Vorschein kömmt, verschwinden die Küchenabfalle mit den
Knochen, Scherben und Artefakten. Dass unter diesem
Letten ältere Pfahlbauten der Steinzeit zum Vorschein
kommen könnten, wie Hr. Desor vermuthet, glaubt Wagner
nicht, da derselbe an einigen Stellen bis 5 Fuss eingraben
liess, ohne auf eine Spur von einer zweiten tiefer gelegenen
Culturschicht gestossen zu sein.
Eine andere Gruppe von alten Pfählen, aber in be-
deutend grösserer Tiefe befindet sich in dem sogenannten
$22 Sitzung der matk-pky$. CUme vom 10. Dezember 1864.
Karpfen winkel, einer gegen Wind und Wellenschlag woW
geschützten Bucht des Starenberger Sees zwischen Totring
und Bernried. Die Pfahle stehen über 400 Fuss vom Ufer
südöstlich von dem Ausflüsse des Bemrieder Mühlenbacheg
in einer Tiefe von 12 bis 14 Fuss und ragen einen halben
Fuss ans dem Seeboden hervor. Es sind starke Pfahle von
mindestens 8 Zoll im Durchmesser, welche Wagner aber nur
bei ganz hellem Himmel und besonders bei der Morgen»
sonne deutlich erkennen konnte.
Eine dritte Stelle, die sich ihrer geringen Tiefe wegen
zu Ausgrabungsversuchen besonders empfiehlt, liegt zwischen
der Villa Knorr und der herzoglichen Villa von Poasenhofen,
etwa 300 Fiiss von dem westlichen Seeufer entfernt. Ee
ist ein sogenannter „Steinberg", als welchen ihn Hr. Desor
sogleich erkannte. Dieser aufgeschüttete künstliche Hügel
zeigt auch im Sommer bei gewöhnlichem Wasserstande nur
1 Fuss Tiefe und dürfte in den Wintermonaten wohl theil-
weiße ganz trocken liegen. Hr. Bergrath Gümbel fand bei
seinem Besuche dieses Steinbergs ein Stückchen Hornstein,
der sonst unter den Rollsteinen des Seebodens von Staren*
berg nicht vorkömmt. Die alten Pfähle dürften hier, wie
theilweise im Bielersee wahrscheinlich unter der obersten
Lage des Steinberges verborgen stecken. Leider gestatteten
die geringen Geldmittel, die uns für diese Untersuchungen
zur Verfügung standen, keine Nachgrabungen dieser Stelle.
Im Ammersee fand Hr. Professor Wagner eine merk-
würdige Gruppe von Pfählen zwischen Holzhausen und
Utting etwa 200 Fuss vom westlichen Ufer. Es sind starke
noch ziemlich gut erhaltene Pfahle, welche 6 bis 7 Zoll im
Durchmesser haben und anderthalb Fuss über dem See-
boden emporragen. Die Tiefe des Sees war an dieser Stelle
im Monat Juni 7 Vi Fuss. Diese Pfahlgruppe war den
älteren Fischern des Ammersees längst bekannt, sie ausser*
ten sich darüber, dass dort einmal ein Haus im Wasser
v. Siebdd: PfMbautm in Bayern. 323
gestanden haben müsse, denn darüber waren sie einig, dass
diese dicken starken Pfähle nicht zum Zwecke des Fisch-
fangs in solcher Tiefe eingeschlagen worden sein konnten.
Auch diese Stelle wäre im Winter, wo das Seewasser klarer
wird, zu Baggerversuchen sehr zu empfehlen.
Im kleinen Wörthsee, den Hr. Professor Wagner im
Monat Juni besuchte, fand derselbe nahe der Insel, welche
Eigenthum des Grafen von Seefeld ist, bei dem Graben mit
der Baggerschaufel 1 Fuss tief unter dem Seeboden an 4
zwei Stellen Trümmer von alten ungebrannten Thongeschirr
und die charakteristischen schwarzen und aufgeschlagenen
Thierknochen. Pfahle waren nicht bemerkbar.
Der Staffelsee, Ringsee und Ostersee zeigten keine
Spur von Pfahlbauten, ebenso wenig konnte ich im
Tegernsee, wo besonders die bei Abwinkel gelegene Insel
ins Auge gefasst worden war, irgend eine Spur von
Pfahlbauten auffinden.
Dagegen bot mir die an der Südseite der Insel des
Schlierseee vorhandene seichte und schlammige Stelle eine
ziemlich reiche Ausbeute von ungebrannten Thonscherben
und verschiedenen gespaltenen Thierknochen dar, welche
mit der Baggerschaufel leicht hervorgehoben werden konnten.
Auf dem Ghiemsee suchte ich an der Fraueninsel
Torgebens nach Pfahlbauten, während ich ebenda an der
nordwestlichen Seite der Herrninsel mehrere Fuss vom
Ufer entfernt und mehrere Fuss tief eine Gruppe von
uralten Pfählen aus dem Seeboden hervorragend er*
kennen konnte, welche weder als Uferbau noch zu Zwecken
der Fischerei gedient haben konnten. Eine nähere Unter-
suchung dieser Stelle konnte wegen des hohen und trüben
Wassers, in Folge anhaltender Regengüsse, nicht vorgenom-
men werden. Ebenso musste eine genauere Durchforschung
des Seeoner Sees, dessen Boden an verschiedenen Stellen
324 Sitzung der WMth.-phy$. GZom* vom 10. Detember 1864.
die Anwesenheit von Pfahlbauten verrieth, wegen Ungunst
der Witterung unterlassen werden.
Was nnn die von uns gesammelten Thierknochen be-
trifft, so wurden dieselben von mir einer genaueren Unter-
suchung unterworfen. Sie rührten von dem Starenberger
See, dem Wörthsee und dem Schliersee her, und boten in
ihrer Beschaffenheit, Form und Färbung ganz dasselbe An-
sehen dar, wie die bisher in den Pfahlbauten der Schweiz
aufgefundenen Thierknochen.
Alle Knochen waren der Länge nach gespalten, nur die
kleineren und kürzeren Knochen, namentlich die Zehenglieder
und Fus8wurzelknochen waren unzerbrochen geblieben. Man
sah es der Form der Knochenfragmente an, dass sie ab-
sichtlich yon Menschenhänden zerschlagen waren, theils um
durch solches Zerschlagen bestimmte zur Verarbeitung für
Gerätschaften und Waffen geeignete Splitterformen zu er-
halten, theils um dem Marke der Röhrenknochen beizukom-
men. Am auffallendsten nehmen sich die der Länge nach
aufgespaltenen Unterkieferknochen jüngerer Wiederkäuer
aus, deren nachwachsende und noch unvollkommen ent-
wickelte Backenzähne angenehme Leckerbissen geboten haben
mögen. Solche Zerspanungen der Knochen können nie durch
zufällige Zertrümmerungen zu Stande gekommen sein.
Ich konnte ans den verschiedenen Knochentrümmem,
welche aus dem Schlamme des Starenberger See, des Wörth-
see und des Schliersee hervorgezogen waren, folgende
9 Säugethier- Arten mit Bestimmtheit herausfinden:
1) Bär. 6) Reh.
2) Hund. 7) Gemse.
3) Wildschwein. 8) Torfkuh.
4) Sumpfechwein. 9) Pferd.
5) Hirsch.
Da vom Rind keine Schädelstücke von grösserem Um-
fange aufgefunden wurden, so konnte die Race des vor-
Oümbel: Fbosphorsaurer Kalk im fura ton Franken. 826
gefundenen Rindes nicht näher bestimmt werden. Noch ist
zu bemerken, dass auch hier in Bayern, wie es schon Rütt-
ln ey er für die Pfahlbauten der Schweiz hervorgehoben hat,
die Mehrzahl der Knochentrümmer der Torfkuh, dem Hirsch
und dem Sumpfschwein angehörten.
Jedenfalls haben unsere Nachforschungen ergeben, dass
die Pfahlbauten auch den bayrischen Seen nicht fehlen und
dass die Küchenabfalle dieser urältesten menschlichen Woh-
nungen auch in Bayern auf dasselbe Material hinweisen,
mit welchem jene ältesten Menschen-Racen der Schweiz
gewirthschaftet haben. Es dürfte sich daher verlohnen, in
Bayern Nachgrabungen nach diesen ältesten menschlichen
Denkmälern in einem grösseren Maassstabe vorzunehmen, als
es uns mit den wenigen zur Disposition gestellten Geldmit-
teln erlaubt war.
Herr G um bei hielt einen Vortrag:
„Ueber ein neu entdecktes Vorkommen von
phosphorsaurem Kalke in den jurassischen
Ablagerungen von Franken5'.
Die grosse Rolle, welche die Phosphorsäure in dem
Gesammthaushalte der Natur spielt und die Bedeutung,
welche sie insbesondere für den rationellen Fortbetrieb
unserer Landwirtschaft erlangt hat, machen es zu einer
wichtigen Aufgabe der geognostischen Forschungen, nach
natürlichen Niederlagen zu suchen, an welchen, ähnlich wie
bei den Kohlenlagern, frühere Perioden der Erdbildung von
ihrem aus dem Kreislaufe . durch das Organische ausgeschie-
denen Vorräthen an bestimmten Orten grössere Massen auf«
326 Siteimg der motfc.-j>ftys. Ckuae am 10. Dezember 1864. -
gespeichert hat. Solche natürliche Ablagerungen Phosphor*
«äure-haltiger Mineralien oder Gesteinsbildungen sind, wenn
vir den nicht hierher zu ziehenden Guano und das Som-
brero-Phosphat *) abrechnen, im Ganzen zur Zeit nur
wenige in solchen Quantitäten bekannt, dass sie einen er-
giebigen und dauernden Bezug von Phoephorsäure* haltigen
Stoffen in Aussicht stellen.
Wir wissen, dass die Phosphorsaure in der Natur in
vielerlei Mineralien als constituir ender Bestandteil auftritt;
im Apatit und seinen Abänderungen (Phosphorit und Osteo-
lith), im Zwieselit, Wagnerit, dann im Coeruleecit *) , Vi*
rianit, Triphylin, Triplit, Monazit, Kryptolith, Xeootim,
Wawellit, Kakoxen, Kalait, Gibbsit, Childrenit, Amblygonit,
Svanbergit, Uranit, GhalkoUth, Pseudotriplit, Heterosit, Hu*
reaulit, Melanchlor, Grüneisenstein, Diadochit, in den ver-
schiedenen Kupferoxydphosphaten 9 Bleioxydphosphaten und
Beudantit, abgesehen von kleinen Quantitäten Phosphorsanre,
welche sich noch in einigen andern Mineralien vorfinden.
Die allermeisten dieser Minerahen gehören zu den Seltenheiten
und die wenigen, die häufiger vorkommen, wie etwa Apatit,
Vivianit und Wawellit, finden sich gleichwohl nicht in solchen
Anhäufungen, dass man sie für Agrikulturzwecke benützen
könnte. Mithin bleiben hierfür nur die dichten und erdigen
phosphorsauren Kalk-haltigen Mineralien übrig, der Phos-
phorit und Osteolith , welche an einzelnen Stellen in
1) Fr. Sandberger; das Sombrero-Phosphat, Verh. d. phys.
med. Ges. in Würzburg 1864. S. 158.
2) Schon 1853 habe ich bei Aufzählung der in der Oberpfal»
vorkommenden Mineralien (Eorresp. d. zooLmin. Vereins in Regens-
bürg 1853, 7. S. 143 u. ff.) den Vorschlag gemacht, das ursprüng-
liche weisse, erst unter dem Einflüsse der Luft sich bläuende
Eisen oxydulphosphat (aFeO,P05 -f- 8 Aq ), aus welchen der Vivianit
entsteht, als Goerulescit zu bezeichnen.
Gtonbd: Fhosphorscmra- KdUc im Jura von Framkm. 827
bedeutenden Quantitäten vorkommen, so namentlich bei dem
Dorfe Logrosan südöstlich von Truxillo in Estremadura
und bei Amberg in Bayern. An dem ersten Fundorte
bildet der Phosphorit *) auf Apatit-haltigem Granit aufliegend
in den tiefsten Lagen des versteinerungführenden Thon-
schiefers gegen zwei Meter mächtige Bänke, in welcher je-
doch nur die mittlere gegen 9ji Meter mächtigen Lagen
stellenweise einen Gehalt von 81°/o phosphorsauren Kalk
besitzen, so dass der Versuch, die ganze Masse für die
Zwecke der Landwirthschaft abzubauen, als nicht rentabel
wieder aufgegeben wurde.
Ein ähnliches Resultat hatte auch der Versuch, das
Lager von Phosphorit bei Amberg auszubeuten, weil es
bei beschränkter Ausdehnung für eine einiger Maassen
grossartige Produktion zureichendes Material nicht nach-
haltig liefern konnte. Der Amberger Phosphorit, wel-
cher nach Mayer' s4) Analyse besteht aus:
Fluor 2,00
Jod kleine Menge
Phosphorsäure . . . 43,53
Kalk 53,55
Magnesia 0,10
Eisenoxid 0,90
Kali und Natron . . . 0,73
100,81
liegt unterhalb des Pulvermagazins am Erzberge in der
nächsten Nähe des mächtigen Brauneisensteinflötzes von
Amberg und senkt sich unter ungefähr 45° nach SW. ein,
ohne aber nach der Tiefe zu auszuhalten. Stellenweise
IV stark wächst es bis über 8' Mächtigkeit an und er-
3) Geol. Quart. Jonrn. 1845. N. 1, p. 52— 55j
4) Rammeisberg Handb. der Mineralchemie, S. 353.
328 Sitamg der maih.-phy$. Ckuse vom 10. Ducmber 1864.
streckt sich in putzenförmigen Absätzen auf eine Länge von
etwa 170', wobei die bekannt gewordene Breitensusdehnnng
zwischen SVs' und 36' wechselt. Von nur 2'— 3' hohen
Ackererde bedeckt bricht der Phosphorit deutlich als Ge-
steinsmasse (nicht beigeschwemmt) und besteht aus theils
derben, theils bröcklichen, wie durch Austrockung zerrissenen
Parthieen, in welchen Knollen bis zu Kopigrösse eingebettet
liegen. Brauner und gelber Letten füllen häufig die Spalten*
risse in Phosphorit aus. Auch das Liegende wird ohne
scharfe Abgrenzung von weisslichem, gelblichem, grüngelbem
und zu unterst rothbraunem Letten mit Mangan* und Braun-
eisenstreifchen in eine Gesammtmächtigkeit von ungefähr
2 — 3' gebildet Die Grünoolithkalke des Jura und die hän-
gendsten Schichten des Dogger können als das ältere
Liegende der ganzen Phosphoritlagerstätte angesehen werden.
Ihre Schichten schiessen in der Nähe (am Bergrucken)
unter 68° in St 3 nach SW. ein.
Wir haben es zweifelohne hier mit einem grossen, bloss
oberflächlichen Putzenwerk zu thun, dessen Entstehungszeit
nahe mit der des benachbarten Brauneisenerzes zusammen-
zufallen scheint; wahrscheinlich sind beide alttertiäre Ab-
lagerungen. Diese ganz besondere concentrirte Anhäufung so
grosser Menge von phosphorsaurem Kalk an einem so beschränk-
ten Orte kann nur durch das Zusammentreffen ganz ausser-
gewöhnlicher Verhältnisse erklärt werden, z. B. als Folge
der Anhäufung ungeheurer Mengen von Knochen, welche be-
kanntlich nach und nach bei Verlust jeder Spur organischer
Struktur in unförmlich klumpige Massen sich verwandeln
oder von Thierezkrementen, aus denen vielleicht das
Phosphat sich allmählig concentrirte und im Liegenden ab-
setzte in ähnlicher Weise, wie das schon erwähnte Sombrero-
Phosphat in der Jetztzeit Wir werden später noch eine
Quelle kennen lernen, aus welcher der Phosphorit von
Amberg möglicher Weise stammen kann.
QümM: Phosphorsamer KM im Jura von Franken. 329
Die auf der Eisenerzlagerstätte von Amberg vorkom-
menden Phosphorsäure-haltigen Mineralien, Vivianit und
Kakoxen, scheinen noch bestimmter die innigen Be-
ziehungen anzudeuten, welche zwischen der Ablagerung
des Phosphorits und der Bildung des Brauneisenerzflötzes
stattfinden. Der Vivianit kommt nach den bisherigen
Beobachtungen hier nur inAltungen der Grubenbaue, häufig
auf faulendem Grubenholze vor, ist also zwar sekundärer
Entstehung, in Folge wechselseitiger Zersetzung von Eisen*
salzen und phosphorsaurem Kalke entstanden, aber der
letztere scheint doch innerhalb der Eisenerzlagerstätte selbst
mit und neben dem Kakoxen oder in seiner nächsten Nähe
vorzukommen. Man müsste sonst annehmen, die Phosphor-
säure stamme aus den organischen Massen, die allerdings
in Altungen sich oft sehr anhäufen, wie denn auch die
Phosphorsäure des Vivianits in den Schwefelkiesbauen zu
Bodenmais wohl keinen andern Ursprung haben kann.
Ausser dem Vorkommen von Phosphorit bei Am-
berg sind in Bayern noch einige Orte bekannt, an welchen
sich dieses Mineral in mehr oder weniger grossen Nestern
vorfindet und zwar in der Nähe jener Braunkohlenablager-
ungen, welche in dem basaltischen Gebirge zwischen Fichtel-
gebirge und Oberpfälzerwalde und in der Rhön verbreitet
sind. Man hat dergleichen Putzenwerke von Phosphorit
auf der Braunkohlengrube „Sattlerin" bei Fuchsmuhl
unfern Kemnath beim Betrieb der Stollen aufgefunden und
zwar immer nur in zerstreuten Nestern auf der Grenze der
Tertiärschichten und der basaltischen Gesteine. Aehnlich
verhält es sich mit dem Phosphoritvorkommen auf der
Braunkohlengrube „Schindellohe" bei Redwitz5) und mit
jenem des Rhöngebirgs. Nirgends ist die Masse des Phos-
6) Nauck in Zeitsch. <L deutsch, geol. Ges. 2. 1850 S. 39 ff.
330 Siteumg der math.-phg*. Glosse vom 10. Desembtr 1861.
phorites auch an diesen Fundstellen eine so bedeutende,
dasB an eine lohnende Gewinnung für Agrikulturzwecke ge-
dacht werden könnte.
Man hat nun ausser in den eigentlichen, reineren
Mineralausscheidungen des Phosphorits noch in verschie-
denen Gesteinsbildungen einen ziemlich grossen Gehalt an
phosphorsaurem Kalke nachgewiesen, in erster Linie stehen
hier die Koprolithen, insbesondere die der Liasschichtai
Englands, welche in gewissen Lagen so häufig abgelagert
sind, dass dieses an Koprolithen reiche Gestein zur Her-
stellung von künstlichem Dänger benutzt wird, da manche
derselben, wie jene von Bourdiehause nach Connel 83,3
bis 85,1 °/o phosphorsanren Kalk enthalten. Durchschnittlich
jedoch wechselt ihr Gehalt zwischen 20 und 60°/o. Solche
Koprolithen finden sich zwar an vielen Orten und in den
verschiedensten Formationen6) auch in Bayern, wie ich in
meiner geognostischen Beschreibung des bayerischen Alpen*
gebirgs nachgewiesen habe 7); aber sie liegen hier meist so ver-
einzelt und zerstreut in den Gesteinsschichten, dass es sich
nicht lohnt, behufs ihrer Gewinnung ganze Gesteinamassen
herauszunehmen und zu zerschlagen.
Ausser in den Koprolithen findet sich weiter noch phos-
phorsaurer Kalk untermengt mit Thon und sonstigen erdigen
Theilen und daher äusserlich (ohne chemische Analyse) voll-
ständig unkenntlich in knolligen Goncretionen verschiedener
Gesteinsschichten. Solche Nieren mit einem Gehalt an sCaO,POs
zwischen 40 — 67,5 */o wurden in den sibirischen
6) Z. B. trifft man in den Höhlen die Exkremente der diluvialen
Bewohner derselben; von Bären und Hyänen, Koprolithen im Roth«
liegenden Böhmens nach Reuss, in der Kreideformation, im Roth-
liegenden des Landsbergs in der Rheinpfalz, sehr selten in
Posidonomyenschiefer Schwabens u. s. w.
7) Geog. Beschreib, d. bay. Alpengebirgs 1861. S. 557.
Chümbel: Phosphorsaurer Kätk im Jura von Franken. 881
am Lac des Alumetes, am Ouello R. und an anderen Orten
in Canada8) entdeckt, werden aber von Einigen für Kopro-
lithen angesehen. Dagegen enthalten die in grossen Geoden
ausgeschiedenen, thonigen Sphärosiderite des Kohlengebiigs
und der postcarbonischen Schichten, welche Englands Eisen-
reichthum begründen und anch bei uns, aber weit spärlicher
sich vorfinden, wenigstens geringe Mengen von Phosphor-
saure. Sie findet sich wieder in den knolligen Absonder-
ungen des böhmischen Planers , wie in jenen der englischen
Kreide und des Grünsandes • ) ; in den knolligen Massen der
alttertiären Ockerablagerung am Battenberg in der Rhein-
pfalz, wie in dem Bindemittel eines braunen Sandsteins von
Kursk im mittleren Russland10), um von geringen Mengen an
Phosphorsäure ganz zu schweigen, welche nach den Unter-
suchungen Fowne's11), Sullivan's") und Thomson's"),
in den meisten Gebirgsarten u. s. w. auch in Liaskalk,
Amaltheenthon und oberen Posidonomyenschiefer nach Faist14)
anzutreffen sind. Ja selbst in dem Quellwasser fehlt sie
nicht, wie Berzelius in den heissen Quellen von Carls*
bad15) (mit l/4«ooooo phosph. Kalk) zuerst und nach ihn
Viele in anderen Quellen nachgewiesen haben.
So verbreitet die Phosphorsäure demnach in der Natur
ist, so selten dagegen trifft man sie, wie wir gesehen haben,
in grösserer Menge angehäuft, um sie für Zwecke der Land*
wirthschaft gewinnen zu können« Die wenigen Koprolithen*
8) Logan, geol. Sürvey for. 1861—62.
9) Herapath, Jahresbar. 1849. S. 828.
10) N. Jahrb. für Min. etc. 1863. S. 464.
11) Edinb. new philoe. Journ. 1844. S. 294.
12) Journ. für prakt. Ch. 36. S. 261.
18) Philos. Mag. 27. S. 310.
14) Württ. natorw. Jahresb. 1860. 8. 76.
16) Gilberts Ann. Bd 76 S. 136.
[1864.11.4.1 28
332 Siteung der math.-phy$. (Rasse vom 10. Dezember 1864.
lager16) verschwinden in der Grösse des allgemeinen Be-
dürfnisses. Gleichwohl ist es für jede Gegend wichtig, wenig-
stens für sich einer solchen, wenn auch schwachen Quelle
des Phosphorsäurebezugs sich erfreuen zu können. Intelli-
gente Landwirthe haben daher längst ihr Augenmerk auf
das Vorkommen von Koprolithen gerichtet, welche gemäss
der Analogie in den Gebirgsverhältniäsen mit jenen Englands
auch in den Liassohichben unseres Landes vermuthet werden
durften. In der That liegen sie auch, aber höchst spärlich im
sogenannten Posidonomyenschiefer des oberen Liaa einge-
bettet. Auch in den Schichten des Iäas, welche den eben
erwähnten zunächst unterbreitet sind, stösst man auf knollige
Concretionen von Ei- und Walzen-förmiger Gestalt, welche
durch die Verwitterung des sie umhüllenden Mergels häufig
über die Oberfläche ausgestreut, ihrer Form nach einiger
Maassen an Koprolithen erinnern, aber sonst auch nicht
entfernt vermuthen lassen, dass sie an phosphorsaurem Kalk
reich sein könnten. Es war ein glücklicher Griff des Hrn.
Oekonotmen Martins auf dem Leimershof bei Bamberg,
diese Knollen wegen ihrer Aehnlichkeit mit Koprolithen einer
chemischen Analyse unterwerfen zu lassen, bei welcher so-
fort ein erstaunlich grosser Gehalt an phosphorsaurem
Kalke 6ich herausstellte17).
Bei dem so bedeutenden Gehalte dieser Knöllchen an
phosphorsaurem Kalke, der mehr als 60°/o beträgt, gewinnt
die Frage nach der Natur und dem geognostiechen Vor-
kommen derselben eine um so grössere Bedeutung, ak
je nach der Art und Häufigkeit ihrer Einlagerung an die
Möglichkeit gedacht werden könnte, sie für Zwecke der
Landwirtschaft zu verwenden.
16) Quenstedt's Jura S. 221.
17) Sitzungab. der k. Akad. d. Wi*a.. math.-phys. Cl&ase yom
12. Nov. 1864.
Qümbd: Fhosphorsaurtr Kalk im Jura von Franken. 333
Die mir zur Untersuchung vom Hrn. Geheimrath Dr.
y. Martius anvertrauten Originalstücke vom Leimershof
stimmen vollständig mit gewissen knolligen Absonderungen,
welche ich vielfach in Franken bis in der Gegend von Bay-
reuth in gewissen Schichten des Lias zu beobachten Ge-
legenheit hatte. Eine chemisch quantitative Analyse solcher
Endlichen aus dem Bayreuth'schen, welche von Hm. Dr.
Wittstein vorgenommen wurde, weist einen fast gleichen
Gehalt von nahe 60°/o 3CaO,P05 mit27,50°/oP05 nach, so dass
auch chemisch die Identität der Substanz von beiden Fund-
stellen festgestellt ist. Bei einer grösseren Anzahl Stuck-
chen aus verschiedenen Gegenden Frankens habe ich den
Gehalt an Phosphossäure qualitativ gleichfalls erkannt, so
dass diese an 3CaO,P06 reichen Knollen eine sehr grosse
Verbreitung zu besitzen scheinen.
Es handelt sich zunächst um die Frage, ob wir diese an
3CaO.POö so reichen knolligen Ausscheidungen als Kopro-
lithen oder als Geoden anzusehen haben. Ihre äussere
Form ist zwar im Ganzen ziemlich übereinstimmend läng-
lich rund, am nächsten mit der Form der Lösskindchen
vergleichbar oder gewissen Varietäten von Kartoffeln ähn-
lich, welche sich durch ihre walzenförmige Gestalt aus-
zeichnen. Doch nähert sich die Form unserer Knollen mehr
der linsenförmigen. Ihre Grösse dagegen ist eine sehr
verschiedene und wechselt von 10S Länge und 4= Dicke
bis zu 70= Länge und 30™ Dicke; dabei kommen sehr viel-
fache Unregelmässigkeiten, lokale warzenartige Anschwell-
ungen oder Einbuchtungen vor, und dieser Wechsel in der
Grösse und Form allein reicht schon hin, aufs bestimmteste
zu erkennen, dass sie sich nicht den Koprolithen zuzählen
lassen, welche immer eine gewisse Formgleichheit besitzen.
Auch fehlt unseren Knollen jede Spur jener ring- oder
spiraligen Aufschuppungen der ächten Koprolithen, welche
als Eindrücke der Afterklappen gelten müssten; unsere
23*
334 Siteuiig der math.-phys. Glosse vom 10. Dezember 1864.
Knöllchen sind glatt und müssten, wären es Koprolithen,
als abgerollt betrachtet werden. Dass sie aber nicht durch
Abrollung ihre glatte Oberfläche erhalten haben, geht aus
dem Umstände hervor, dass zuweilen in denselben Ammoniten
eingebacken vorkommen, welche über die Oberfläche mit
einem Theil der Schale hervorragen und keine Spur einer
erlittenen Abreibung an sich tragen. Diese oft sehr grossen
Exemplare von Ammoniies margaritatus können zugleich ah
ein schlagender Beweis für die Nichtkoprolithennatur ange-
führt werden, weil solche Schalen unmöglich in der Grösse,
und in dem hohen Grad von guter Erhaltung, in der sie
vorkommen, durch den Organismus von Saunen oder dergL,
welchen diese Koprolithen zugeschrieben werden müssten,
unzerbrochen hindurchgegangen sein können. Auch besitzen
unsere Knollen im Innern eine solche gleichartige Masse ohne
Spur einer Beimengung von Knochen- oder Schuppentheilchen,
dass diese Beschaffenheit gleichfalls verbietet, sie den Kopro-
lithen zuzuzählen. Fügt man endlich hinzu, dass ähnliche
Gestaltungen bis zu Kopfgrösse in diesen und andern Schieb-
ten des Lias zu den gewöhnlichen Erscheinungen der Geoden
oder Concretionenbildung unzweifelhaft gerechnet werden
müssen, so bleibt mir nicht das geringste Bedenken, diese
Knollen für blosse Concretionen zu erklären.
Ihre Entstehung muss der Bildung aller Geoden-artigea
Ausscheidungen analog gedacht werden. Es ist eine Art
der Goncentrirung gleicher Stoffe um gewisse Gentren, wie
wir sie in den Geoden der thonigen Sphärosideriten , der
Kreide- oder Jura-Homsteinknollen , bei den Lösskindchen
oder den Schwefelkiesknollen sich wiederholen sehen. Dabei
wirkt gleichzeitig ein Auslaugungs- und Concentrations-
Prozess zur Erzeugung solcher Concretionen zusammen.
Denkt man sich nämlich eine weiche, schlammartige Thon-
masse, ein Zustand, in welchem der die Knollen einhüllende
Mergel nach der Sedimentation zweifelsohne sich befand,
Qümbd: Phosphortaurer Kalk im Jura von Franken. 335
und in demselben die sich spater concentrirende Substanz
ziemlich, gleichmässig yertheilt, 80 werden sich bei der all-
mähligen Verfestigung der Massen da und dort zuerst feste
Theilchen ausgeschieden haben, vielleicht um einen organischen
Körper, und diese bildeten nun den Mittelpunkt, um welchen
sich, analog wie bei der Krystallisation in Flüssigkeiten
die gelösten Stoffe zu dem erstgebildeten Krystalltheil aus
der ganzen Flüssigkeitsmasse sich nach und nach heran*
ziehen, die homogenen Massen theilchen aus der nächsten
Nachbarschaft der erhärtenden Schlammlage ansammelten und
sich zwischen die Thon- oder Mergelpartikelchen festsetzten, bis
der Stoff in der Nähe der Gentren erschöpft war und ein neuer
Zuzug nicht mehr stattfinden konnte. Daher rührt auch die
allmählige Verringerung der sich ansammelnden Stoffe vom
Centrum der Geoden gegen ihre Peripherie und der all-
mählige Uebergang in die Utnhüllungsmasse her, welche
man wahrnimmt, da wo die Geoden noch auf ihrer ursprüng-
lichen Lagerstätte zu beobachten sind. Bei der Verwitter-
ung widerstehen dann nur die festeren Kerntheile der Zer-
störung und so gewinnen die abgewitterten Stücke das An-
sehen ziemlich gleichartig gemischter Massen.
Schwieriger, als die Entstehung und Form unserer
Knollen ist ihr grosser Gehalt an phosphorsaurem Kalke zu
erklären. Diese Geoden liegen allerdings in Schichten, welche
an organischen Substanzen ziemlich reich sind, aber bei
Weitem nicht in gleichem Maasse, wie viele andere Lagen der-
selben Formation, z. fi. die höher liegenden sogenannten
Posidonomyenschichten. Dass der phosphorsaure Kalk
von den organischen Einschlüssen herrühren müsse, bedarf
wohl nicht erst eines Beweises. Wir wissen, dass alles
Organische, Pflanzen wie Thiere, phosphorsauren Kalk ent-
hält, und dass dieses Salz im Wasser, welches Kohlensaure-
haltig ist, sich auflöst, wodurch es geschieht, dass Knochen
3S6 Süswy der maih.-phys. CUute vom 10. DtMmbet 1864.
und Schalen, welche lange im Boden liegen, zuweilen alleg
phosphorsauren Kalkes beraubt werden **). Aber es sind
nicht bloss die Knollen, sondern auch die Steinkerne der
in gleichen Schichten vorkommenden Thierreste, welche einen
selbst bis auf 40°/o steigenden Gehalt an Phosphor-
saure besitzen.
Die Schichten, in welchen die Knollen und die Steinkern©
mit so hohem Gehalt an 3CaO,P06 eingebettet sind, gehören
zu der Stufe des mittleren Iias, welche durch das Vorkommen
des Ammonites margaritatus charakterisirt ist Diess wird
ausser Zweifel gestellt durch einzelne Exemplare der Knöllchen
selbst von der typischen Fundstelle bei dem Leimershof,
welche diesen Ammoniten in deutlich erkennbaren Stücken
eingeschlossen erkennen lassen. Diese Schichten enthalten
bekanntlich zahlreiche Versteinerungen; man überzeugt sich
aber erst recht von der ungeheuren Menge thierischer und
pflanzlicher Körper, welche bei der Entstehung dieser Ab-
lagerungen von der Schlammmasse eingehüllt wurden, wenn
man noch nicht zersetztes Gestein näher untersucht, bei
dessen Verwitterung der grössere Theil der organischen
Einschlüsse zerfallt und unkenntlich wird. Schon der grosse
Gehalt des Gesteins an Bitumen deutet die Fülle einge-
schlossener Thier- und Pflanzenreste an, wie diesa auch
durch die mikroscopische Untersuchung der Rückstände nach
Wegschlämmen des Thons und Mergels direkt nachgewiesen
wird. Es kommen hierbei nicht nur zahlreiche Foramini*
feren, Ostrokopoden etc. zum Vorschein, sondern auch eine
sehr grosse Menge zerfallener, organischer Theilchen, die
man in dieser Trümmerform freilich auf bestimmte Arten
vom Organismus nicht mehr zu beziehen vermag.
Durch solche Untersuchungen wird es mehr als wahr*
18) Compt. rendu. 1846. p. 1060 und Jonrn. für praot. Chemie
XII, S. 172.
CHhnbel: Phoqphorsawrcr KaXk im Jura von Franke». 337
scheinlich, dass die in den Niederschlägen ursprünglich ein*
gehüllten organischen Stoffe ihrer Menge nach wohl genügen,
um der hohen Gestalt an 3CaO,POs zu erklären, der sich
jetzt in den einzelnen Knollen concentrirt findet.
Die Veränderungen, welche die thierischen und pflanz-
lichen Stoffe auf dieser Lagerstätte erlitten haben, muss dem
Prozess analog sein, welche heut zu Tage noch vor sich geht,
wo organische Reste im Schlamm vergraben eine Art von
Versteinerung erleiden. Dieser besteht hauptsächlich darin,
dass die organische Materie abnimmt und der phosphorsaure
Kalk daraus verschwindet, indem CaCO» an seine Stelle tritt.
Die sich zugleich entwickelnde CO« vermittelt offenbar die Auf-
lösung des 3€aO,P05. Ein ähnlicher Vorgang wird auch nach
der Umhüllung der organischen Beste in dem Schlamm der
Atnmonites margaritatus-Stufe die Loslösung des 3CaO,PQ*
aus der Verknüpfimg mit dem Organischen bewirkt und so
möglich gemacht haben, dass der gelöste 3CaO,POs dem Zug
nach gewissen Concentrationspunkten folgen konnte.
Wir haben hier noch einige Bemerkungen anzufügen,
welche sich auf die Art der Verbreitung dieser interessan-
ten Knöllchen und dann auf die Frage beziehen, ob wohl in
ähnlichen Concretionen versteinerungsreicher Mergel und
Thonlagen eine ähnliche Anhäufung von 3CaO,POs vermuthet
werden darf.
Es ist zunächst zu bemerken, dass diese Art der Geo-
den sich nicht bloss auf den ursprünglichen Fundort am
Leimershof beschränkt, sondern dass gleichgehaltreiche
Knollen ziemlich durch ganz Franken verbreitet zu sein
scheinen. Wenigstens lieferte eine aas gleichem Horizonte
stammende Knolle aus der Gegend von Bayreuth, wie schon
erwähnt, nahezu gleiche Menge an 3CaO,POt, wie die Original*
stücke aus der Gegend von Bamberg. Auch ergab sich bei
einer vorläufigen chemischen Untersuchung verschiedener
Stücke von verschiedenen Fundorten in Franken immer ein
388 Sitoung der matik-phys. GUme vom 10. Desember 1864.
namhafter Gehalt an Phoephorsäure, so dass ein ähnliches
Verhalten bei allen Knollen ans geognostisch-glei-
eher Lage durch ganz Franken fast mit Bestimmtheit
angenommen werden darf, um so mehr, als auch ein Stück-
chen aus der Gegend von Boll in Württemberg eine sehr
bestimmte Reaktion auf grössere Mengen von Phosphorsänre
gab. Ob aber alle Stücke auch nahezu gleiche Mengen von
8Ca0,P0s enthalten, wie nicht wahrscheinlich ist, dass kann
nur durch quantitative Analysen, welche bei der Wichtigkeit
des Gegenstandes möglichst vielseitig gewünscht werden
müssen, festgestellt werden. Hier begnüge ich midi vorerst
mit dem Nachweis des bestimmten geognostischen Hori-
zontes, auf welchen sich solche Knollen finden und mit der
Andeutung der Verbreitung durch das ganze nordbayerische
Liaagebiet.
Diese Knollenbildung beschränkt sich aber nicht auf die
engen Grenzen der sogenannten Ammonites mc&garitatu*-
Stufen, sondern sie beginnt schon in tiefern Lagen des Lias
und setzt bis in die unteren Stufen des Jura (sogenannten
weissen Jura) fort.
Bereits die ersten und tiefsten Schichten dee Lias,
welche den Horizont des Atntnonites pUmorbie und (mgulaius
repräsentiren , sind stellenweise mit weissen Enöllchen and
Thongeoden erfüllt, wie z. B. in den Steinbrüchen bei
Unterbrunn unfern Ebensfeld. Doch herrschen hier die eisen-
haltigen Conoretionen vor« In höhern Lagen sind es die
meist versteineruDgsleeren Mergel über dem grobkörnigen
Arietensandstein , welche zahlreiche kleine Enöllchen um*
schliefen, wie in Schwaben die Numismalismergel. Dann folgt
erst der Haupthorizont der phosphoraauren Kalkhaltigen
Geoden in den Ammonites mar garitatus Schichten. Hier bleiben
die Geoden durchschnittlich sehr klein. Zu fast riesiger
Grösse dagegen schwellen sie in den zunächst angelagerten
Lagen des Ammonites spinatus an. Hier sind es jene oft
GümM; Iho&phonamrer Kalk im Jura von Franken. 339
kopfgrossen nid noch umfangereicheren knolligen Aus*
Scheidungen, welche sehr häufig im Innern von Rissen durch*
sogen (dem sogenannten lusus Helmontii gleich) und auf
diesen Zerspanungen mit weissem Kalkspath bedeckt oder
mit Schwefelkies, Zinkblende und Schwerspath erfüllt, ganz
besonders unsere Aufmerksamkeit fesseln. Zahlreiche Am-
moniten, welche in diesen Geoden gleichsam zusammen*
gehäuft vorkommen, vermehren dieses Interesse. Zugleich
und diese Riesengeoden in manchen Gegenden so häufig,
dass sie in grossen Quantitäten gewonnen werden könnten.
Viele dieser Concretionen , welche herausgewittert an der
Oberfläche liegen, zeichnen sich durch ihre Schwere und
braune Färbung aus. Man kann es nicht erkennen, dass
sie reich an kohlensaurem Eisenoxydul sind und einen ge-
ringhaltigen, thonigen Sphärosiderit darstellen, dessen theil-
weise Zersetzung an der Luft ihre braune Färbung erzeugt.
Andere bleiben grau und nehmen an der Luft eher eine
hellere Farbe an. Ich habe zwar in verschiedenen Proben
Sparen von Phosphorsäure gefunden, nach den Untersuch-
ungen jedoch, welche Herr Geheimrath Baron v. Liebig
vornehmen liess, sind zwei Proben als sehr arm an Phos-
phorsäure zu bezeichnen. Indessen halte ich es für wünschens-
werth, noch weiter möglichst viele Proben von verschiedenen
Fundorten zu prüfen, da gerade diese Art Concretionen am
häufigsten und massenhaftesten in der Natur vorkommt und
am ehesten eine Benützung Ar Agrikulturzwecke in Aus-
sicht stellen würde.
In der nächst höheren Stufe desLias folgen nun die so-
genannten Posidonomyenschiohten, welche in manchen
Lagen von organischen Ueberresten strotzen, wie namentlich in
den bituminösen Fisch- und Saurienknochen-reichen Stinkkalk-
schichten, dem Hauptlias-Koprolithenlager. In diesen
meist wohlgeschichteten und dünngeschieferten Mergeln fehlen
eigentliche Geodenbildungen fast ganz und es liegen nur
840 Siteung der maih.-pKy*. OUum vom 10. Datember 1864.
hier und da bis zu riesiger Grösse anwachsende Kalkklötse
im Schiefer, welche gewöhnlich Theile eines Saunen,
Fisches etc. umgeben. Audi hierin zeigen sich, wie in fast
allen Gesteinsschichten des oberen Lias, allerdings nur sehr
geringe Spuren von Phosphorsäure, wie später an mehreren
Proben nachgewiesen werden wird. Indessen verdienen
diese Schichten gleichwohl alle Aufmerksamkeit, weil ich
nicht zweifle, dass sich darin einzelne Lagen anafindig
machen lassen, welche wegen ihres Gesammt-Kalk* und
Phosphorsäure-Gehaltes wenigstens in der Nähe ihres Vor-
kommens zur Aufbesserung kalkarmen Sandbodens eine
vielleicht lohnende Verwendung finden könnten.
Knollige Concreüonen bemerkt man nun weiter wieder,
sobald in dem Aufbau der Liassohichten aufe Neue Thon
und Mergel eintreten, nämlich in dem sogenannten Jurensis-
mergel, welcher die Schiefer des oberen Lias bedeckt und
den Schluss der Liaeformatdon ausmacht. Es zeigt sich
dabei recht deutlich, dass die Bedingung, unter welcher
beschriebenen knolligen Geoden sich auszuscheiden
mochten, in der thonigen Beschaffenheit der Gesteinsmasse
begründet ist, welche dieselbe in sich schliessen und dass
die Goncretionen nur in einer anfänglich weichen, schlami
artigen Thon- oder Mergelmasse sich bilden konnten,
aber in den kalkig-geschieferten der Posidonomyenschichten.
Die Knollen in den Jurensismergel enthalten nach einem
qualitativen Versuche, gleichfalls, wie ich vermuthe, sogar
ziemlich reichlich Phosphorsäure. Doch sind sie zu selten
und klein, um besondere praktische Bedeutung zu gewinnen.
Die Knollenbildung setzt sich aber auch über die obere
Grenze des Lias fort und ist ganz besonders reich in der
sogenannten Opalinusstufe des Doggers entwickelt. Hier
liegen grosse linsenförmige Geoden bis hinauf zu dem Eisen-
sandstein (Schichten des Asnmonites Murckisonae). Viele
dieser Geoden des Opalinusthons künden sich durch ihre
öümM: Phoiphorsamrcr Kalk im Jura von Franke*. 841
braune Verwitterungsrinde als eisenhaltig an, namentlich
jene an der Grenze gegen den anfliegenden Sandstein. An-
dere dagegen bleichen an der Oberfläche ans und gerade
diese sind es, bei welchen ein Gehalt an phosphorsaurem
Kalk vermuthet werden dürfte. Leider scheinen auch sie
sehr arm an Phosphorsäure zu sein. Dagegen fand sich in
den Knollen der Ornatenthonschichten wieder eine so
reiche Menge von phosphorsaurem Kalke, dass dieser Hori-
zont mindestens als ebenso reich, als jener des mittleren Lias
bezeichnet werden darf. Diese Knollen liegen dicht unter
der Grenze des Jurakalkes in überaus grosser Häufigkeit,
und zeichnen sich ebensowohl durch ihre Härte, wie durch ihre
schwarze Färbung aus« Zahlreiche Ammoniten (A. atkleta),
Posidonomya ornata, und weisse Flecke, welche von einer
Alge herzurühren scheinen , lassen diese Knollen leicht er-
kennen.
Die bisher näher untersuchten Proben aus den verschie-
denen, soeben erwähnten Lagen des Lias und Jura lassen be-
reits jetzt schon einen bestimmtem Ueberblick gewinnen. Hier-
bei verdanke ich der gütigen Mittheilung des Herrn Geheimrath
Baron von Liebig das vorläufige Ergebniss der chemischen
Untersuchung einiger von mir vorgelegten Proben, bei welchen
ich bereits einen Gehalt von Phosphorsäure erkannt oder
vermuthet hatte. Nach der Menge der in denselben ent-
haltenen Phosphorsäure geordnet schliessen sie 6ich in folgen-
der Weise an einander:
A. Sehr arm an Phosphorsäure:
1) Grosse Kalkconcretionen in dem Blätterschiefer des
liasischen Posidonomyenschiefers, welche sehr häufig
Ichthyosauren-Reste in sich schliessen von Mimbach
zwischen Amberg und Hirschan.
843 Sitzung der matk-phys. CUuse vom 10. Dezember 1864.
2) Brodlaib-ähnliche Concretionen aas dem Blätterschiefer
des liasischen Posidonomyenschiefers Ton Steinlinglohe
an der Strasse von Amberg nach Hirschau.
3) Knollige Concretionen ans dem Opalinusthon des unteren
Dogger an dem Berge zwischen Hirschan und Gross-
schönbrunn in der Oberpfalz.
4) Grosse Oeoden im Innern mit Biesen, welche durch
1 Kalkspath wieder ausgefällt sind, und voll von Ver-
steinerungen: Ammonites spinatus (mittlerer Lias).
Es zeigen sich Einsprengungen von Schwefelkies und
an der Oberfläche giebt sich durch eine braune Ver-
witterungsrinde ein Gehalt an kohlensaurem Eisenoxydul
zu erkennen. Fundort: Höttingen bei Weissenburg.
5) Aehnliche Geoden wie jene von Nr. 4, deren Austrock-
ungsrisse im Innern mit Schwefelkies, Zinkblende und
Schwerspath ausgefüllt sind, gleichfalls aus den Am-
monites spinatus-Schichten des mittleren Lias von
Kraimoos bei Schnabelwaid südlich von Bayreuth.
B. Mit sehr geringem Gehalte an Phosphorsäure:
6) Knollenförmige Concretionen mit weissschaligen Am-
monites margaritatus (in grosser Menge) aus den unteren
Lagen der oberen Stufe des mittleren Lias von
Klein-Herreth bei Lichtenfels.
7) Knollenförmige Concretionen mit schweissschaligen
monites spinatus, ohne jene Zerreissungsrisse der Proben
Nr. 4 und 5, aus den oberen Lagen der oberen Stufe
des mittleren Lias von Oberwaiz westlich von
Bayreuth.
Gümbd: Phosphorsaurer Eätk im Jura von Ftamken. 148
C. Mit namhaftem Gehalte an Phosphorsäure and
zwar geordnet nach der zunehmenden Menge derselben.
8) Kleine Geoden und aus Mergel herausgewitterte Stein-
kerne von Amtnonites spinatus aus den oberen Lagen
der oberen Stufe des mittleren Lias vom Kanal bei
Neumarkt.
9) Kleine Knollen z. Tb. mit Schwefelkies und kleinen
Exemplaren von Amtnonites margaritatus aus dem
untersten Lagen der oberen Stufe des mittleren
Lias, dem geognostisch gleichen Schichten, aus welchen
die Martins' sehen Proben stammen, von Schesslitz öst-
lich von Bamberg.
10) Schwarze, weisslich auswitternde Knollen aus der Am-
tnonites athleta- Schichten des Ornatenthons aus der
Gegend bei Boll in Württemberg.
11) Ganz ähnliche Knollen aus geognostisch gleicher Schicht
oberhalb Geyern bei Weissenburg an der fränkischen Alb.
12) Kleine Knollen aus den Radiansmergeln der ober-
sten Lagen des Lias von Tiefenroth bei Lichtenfels.
13) Knollige Concretionen aus der Stufe des Amtnonites
macrocephalus mit einzelnen Brauneisenoolithkörnchen
von Püchenbach unfern Pegnitz, S. von Bayreuth.
14) Schwarze und durch Auswitterung lichtergefärbte Knollen
von weissen, algenähnlichen Flecken durchzogen, wie
die Knollen unserer Proben Nr. 10 und 11 von Laptel
in Gnari-Khorsum Tibets aus Schichten, welche wohl
dem obersten Dogger entsprechen dürften (v. Schlagint-
weit'sche Sammlung).
15) Kleine Knollen aus den Schichten des Amtnonites mar-
garitatus mit eingeschlossenen, weissschaligen Exem-
plaren dieses Ammoniten, ähnlich wie Probe Nr. 9 und
aus geogno8tischgleichem Horizonte von Merkendorf
östlich von Bamberg.
344 Sitomg der matii.-phys. Clane vorn 10. Dezember 1864.
16) Schwarze, sehr harte, aussen in eine lichtfarbige Ver-
witterungsrinde übergehende, von zahlreichen, weissen
Algen-artigen Flecken durchzogene Knollen aas den
obersten Lagen des Ornatenthons wie die Proben 10,
11 and 14 (?) von dem Gehänge anfern der Schweins-
mtihle zwischen Rabenstein and Waischenfeld mit der
erstaunlichen Menge von:
86,1 °/o Phosphorsäure.
17) Steinkerne ron Ammonites margariiatus und Pleuro-
tomaria anglica, welche aus dem umhüllenden Mergel
ausgewittert sind (nicht Knollen), von gleicher Schicht
wie die Proben Nr. 9 und 15. Die Stücke stammen
aus der Umgegend von Boll in Württemberg und ent-
halten
40,0% Phosphorsäure,
ein Gehalt, welcher dem des Phosphorits ganz nahe
kommt.
18) Schwarze, heller auswitternde Knollen erfüllt mit Posi-
donomya ornata aus den obersten Lagen des Dogger
wie die Proben 10, 11, 14 (?) und 16 vom Zogen-
reutherberg bei Auerbach in der Oberpfalz.
Aus dieser Untersuchungsreihe lässt sich bereits un-
zweideutig erkennen, dass es in den jurassischen Forma-
tionen zwei Haupthorizonte giebt, auf welchen an Phos-
phorsäure sehr reiche Massen, — der thonige Phos-
phorit — vorkommen, nämlich die unteren Lagen der
obern Stufe des mittleren Lias (Margaritatus-Schichten)
und die obersten Lagen der obersten Stufe des
Dogger (Ornaten- Schichten). Wo immer diese Schichten
entwickelt sind, dürfen wir vermuthen, dass 'sie auch
thonige Phosphorite beherbergen. Denn nicht nur Proben
von verschiedenen Punkten Frankens ergaben einen analogen
Gehalt an Phosphorsäure, sondern derselbe lässt sich auch
(Jümbd: Fhosphorsawrer Kalk im Jura von Franken, 345
an Massen aus den gleichen Schichten Schwabens , ja sogar
Tibets wieder nachweisen.
Da nun das Phosphoritlager von Amberg theilweise
wenigstens unmittelbar auf dem Ornatenthon, dessen Knollen
so reich an 3CaO,POft sind, aufliegt, so ergiebt sich aus
dieser Lagerungsweise eine sehr natürliche Erklärung für
diese massenhafte Anhäufung von 3CaO,POs. £3 ist sehr wahr-
scheinlich, dass der 3CaO,P06 aus den Knollen des Ornaten-
thons stamme, aus diesen durch CO* aufgelöst und auf
sekundärer Lagerstätte in dem dichten Zustande wieder ab-
gesetzt wurde, in welchem wir jetzt den Phosphorit bei
Amberg finden.
Was nun die praktische Bedeutung dieses Nachweises
so weit verbreiteter und an 3CaO,POs ausserordentlich
reicher Gesteinsmassen, welche wohl nicht bloss auf die
Hauptlager in dem mittleren Lias und in dem Ornaten-
thon beschränkt sind, sondern in verschiedenen Lagen
sich zu wiederholen scheinen, anbelangt, so erklärt dieses
Vorkommen zunächst jene wirklich erstaunliche Fruchtbar-
keit der Aecker, welche Schichten des mittleren und
oberen Lias zu ihrem Untergrunde haben. Die an 3CaO,PO*
so reiche Gesteinsmasse bildet nämlich in dem aus diesen
Schichten entstandenen Boden eine grossartige Vorrats-
kammer, aus welcher durch langsame Zersetzung der dem
Boden beigemengten Phosphoritstückchen stets neue Mengen
von Phosphorsäure der Vegetationserde zufliessen. Dass unter
diesen Bedingungen die Pflanzen vortrefflich gedeihen, ist von
sich selbst verständlich. Eine weitere Frage aber knüpft sich
hier an, ob es nicht ökonomisch möglich ist, aus diesen
zum Theil unbenutzten Vorratskammern den Ueberfluss
für andere, ärmere Gegenden zu verwenden. Die Beant-
wortung dieser Frage hängt ab von der Häufigkeit des
Vorkommens der 3CaO,P06-reichen Knollen und von der
Kostspieligkeit ihrer Gewinnung im Grossen. Soweit ich bis.
846 Sürung der math.-pky± CUtate vom 10. Detmber 1864.
jetzt die Verhältnisse nach meinen Beobachtungen so be-
urtheilen im Stande bin, würde es sich nicht rentiren, diese
kleinen Knollen, wie sie bei Bayreuth und Bamberg in dem
Margaritatns-Thon des mittleren Lias vorkommen,
auf ihrer ursprünglichen Lagerstätte aus der grossen Masse
des sie einhüllenden Mergels durch Abdeckarbeit zu gewin-
nen, weil sie viel zu vereinzelt und in zu kleinen Parthieen
zerstreut sind. Vorerst müsste man sich begnügen, die
bereits schon herausgewitterten, auf der Oberfläche liegenden
Stücke aufzulesen und zu benützen.
Indess scheint es mir, dass in den höhern Lagen des
Ornatenthons (Dogger), in welchen grossartigere Ausscheid-
ungen ähnlicher Art sich wiederholen, da oder dort günstige
Verhältnisse zusammentreffen könnten, welche es möglich
machen würden, grössere Menge des brauchbaren Roh-
materials zu gewinnen. Vorerst aber muss es durch quanti-
tative chemische Versuche festgestellt werden, in welchem
Grade diese in grösseren Massen vorhandenen Geoden tob
den verschiedensten Fundorten an 3CaO,P05 reich sind,
um dann in Erwägung zu ziehen , ob das Vorkommen tf
dieser oder jener Stelle mächtig genug sei, um in Verhalt*
niss zu dem Gehalte eine Massengewinnung ökonomisch zo-
.zulassen. Wenn auch nicht zu erwarten steht, dass durck
diese neu entdeckten , an POs -reichen Gesteinsmassen die
Nachfrage nach dem so werthvollen Dungstoff auch nur
für grössere Distrikte befriedigt werden kann, so darf man
gleichwohl die Bedeutung nicht unterschätzen, welche dieser
Fund fiir die Landwirtschaft wenigstens der nächsten Um-
gegend ihrer Fundstellen gewinnt, da dieses Rohmaterial
durch ganze Länder hindurch sich verbreitet findet
Bischoff: Absohdes und tpeci/behes Hirngewidd. 847
Herr Bischoff hielt einen Vortrag
„Ueber das Verhältniss des absoluten und
specifischen Hirngewichtes sowie des Hirn-
volumens zum Schädelinnenraum".
Im Anschlüsse an meine frühere Mittheilung über das
Verhältniss des Schädel-Umfanges und Schadelinnenraumes
zum absoluten Hirngewicht, erlaube ich mir, der geehrten
Classe nachfolgende Resultate einiger Beobachtungen über
das Hirnvolumen und das specifische Hirngewicht vor-
zulegen.
Ich hatte es in meinem früheren Vortrage bezweifelt,
dass man aus dem bekannten Schadelinnenraum einen hin-
reichend sicheren Schluss auf das Hirnvolumen und das
damit wohl am meisten übereinstimmende Hirngewicht ziehen
könne, und diesen Zweifel auf den mangelnden Parallelis-
mus zwischen dem wirklich beobachteten Hirngewicht und
Schädelinnenraum bei denselben Individuen begründet. Ich
glaubte diesen mangelnden Parallelismus durch Verschieden-
heiten des specifischen Hirngewichtes und des damit in Ver-
bindung stehenden Hirnvolumens, sowie durch die Ver-
schiedenheit der Erfüllung des Schädels, ausser dem Hirn,
durch die Hirnhäute, deren Sinus und das in denselben
enthaltene Blqfc erklären zu können.
Es erschien indessen nothwendig und zweckmässig,
diese Meinung durch direkte Beobachtungen zu prüfen, und
ich habe desshalb im vergangenen Sommer einige Beob-
achtungen über Hirnvolumen und specifisches Hirngewicht so-
wie über den zugehörigen Schädelinnenraum und wenigstens
die Gewichtsverhältnisse der Dura mater angestellt.
Es ist bemerkenswerte , dass, soweit meine Literatur»
Kenntniss reicht, bisher sehr wenige Bestimmungen des
specifischen Gewichtes des Gehirnes angestellt worden sind.
[1864. a 4.] 24
348 Sitzung der tnath.~phy*. Clasae vom 10. Dezember 1864.
Der Erste, welcher solche Bestimmungen unternommen,
scheint Muschenbroak gewesen zu sein. Er bestimmte in
seinen Introductiones ad philosophiam naturalem, Lugd.
Batav. 1762 IL p. 556 das specifische Gewicht des Gehirns
zu 1031, indem er dasselbe einfach in der Luft und dann
im Wasser abgewogen und danach das specifische Gewicht
berechnet zu haben scheint Die Mehrzahl aller Nachfolger
hat diese Zähl ohne Weiteres angenommen.
Wahrscheinlich ist Krause der Erste gewesen, der dann
wieder eine selbstständige Bestimmung des specifischen
Hirngewichtes unternahm. Er giebt dasselbe in seinem 1838
erschieneneni Handbuche der menschlichen Anatomie Bd. IL
p. 850 für das grosse Gehirn zu 10361 und p. 841 für
das kleine Gehirn' zu 10415 an, ohne zu erwähnen, welcher
Methode er sich bei seinen Untersuchungen bedient hat.
Dann veranlasste Nasse d. Ae. 1843 einen seiner As*
sistenten Halles zu solchen Untersuchungen, welche im
Khein.-W68tphäl. Correspondenz - Blatt 1843. I. mitgetheüt
wurden. Ich konnte dieses Blatt nicht zu Gesicht bekom-
men, ersehe aber in Canstatts Jahresbericht Bd. I. p. 59
aus Dr. Wallachs Referat, dass derselbe zu keinem Resultat
gelangte, weil die Hirnsubstanz verschiedene Mengen der
Flüssigkeit, in welcher die Wägungen vorgenommen werde,
einsauge.
Daher sind denn die Zahlen Krauses in fa§t alle neueren
Hand- und Lehrbücher übergegangen, welche überhaupt des
specifischen Hirngewichtes Erwähnung thun. Bei Sömme-
ring (Vom Baue des menschl. Körpers Bd. V. p. 18) finde
ich nur noch die Angabe, dass das specifische Gewicht im
Alter geringer werde, ohne dass derselbe sich in dieser
Hinsicht auf besondere Untersuchungen beruft. Dieselbe An»
gäbe wird von Tanon gemacht, (Recherches sur le Crane
humain. Memoires de l'Institut sc. phys. et mathem. I.) and
sodann auch von Desmoulin bestätigt, welcher bei Greisen
Bischoff: Absolutes und specifisehes Hirngewicht. 349
über 60 Jahre die Dichtigkeit des Gehirns um V1* — '/••
geringer gefanden haben will, als bei Jüngern Personen,
während bei durch viele Krankheiten herabgebrachten und
abgemagerten Menschen keine Verschiedenheit von dem
specifischen Gewichte wohlgenährter bestehe. (Journ. de
physique 1820 Juni und Anatomie du Systeme nerveux
T. II. p. 216 — 218.) Auch bei einem Idioten wollte er das
specifische Gewicht einer Hämisphäre um 6 — 7 Procent
grösser, als das der anderen gefunden haben, und J. F.
Meckel d. Ae. (Abhandlungen der Berliner Akademie der
Wissenschafben 1764) giebt an, dass das specifische Gewicht
des Gehirns Geisteskranker geringer sei, als das geistig Ge-
sunder. Doch haben Leuret und Mitivie diese Angabe
zweifelhaft gemacht und wollen zugleich bedeutende Unter-
schiede in dem specifischen Gewicht des Hirnes verschiedener
Geisteskranker gefunden haben. Diese Angaben, welche sich in
einer Schrift Parchappe's: Sur l'encephale Mem. I. p. 66
finden sollen, habe ich nicht zu Gesicht bekommen können.
Eiliigermassen umfassende Untersuchungen über das
specifische Hirngewicht finde ich nur von einem Engländer
Dr. Sankey, Arzt an dem Fieberspital in London ausge-
führt, welche derselbe in der British and foreign med«
Review 1853. Vol. 11. p. 240 mitgetheilt hat. Leider ist
sein Zweck vorzüglich nur darauf ausgegangen, den Unter-
schied des specifischen Gewichtes zwischen grauer und weisser
Substanz und dessen etwaige Abänderung in Krankheiten
zu bestimmen. Eine Bestimmung des specifischen Gewichtes
des ganzen Hirns findet sich in seiner Arbeit nicht. Die
Methode, deren sich Sankey bediente, bestand darin, dass
er eine Anzahl Gläser, jedes mit einer Kochsalzlösung von
einem bestimmten specifischen Gewichte aufstellte, in welche
er die Stücke des Gehirnes hineinfallen liess, bis er die-
jenige herausfand, in welcher das Stück grade schwimmend
erhalten wurde. Er fand so als specifisches Gewicht für die
24*
850 SiUnmg der mtth-phy*. Ciaset vom 10. Dezember 1864.
graue Substanz 10346, das Mittel zwischen den Grenzen
von 1028 und 1046 und für die weisse Substanz 10412 ab
Mittel 1032 und 1048. Ein Unterschied rücksichtlich beider
Geschlechter fand nach Untersuchung von 73 Gehirnen
sich nicht, denn das Mittel für die graue Substanz war bei
Männern 10353 bei Weibern 10349; und für die weisse
Substanz bei Männern 10410 und bei Weibern 10414;
Unterschiede, die bei der angewendeten Methode ohne Be-
deutung sind. Rücksichtlich des Alters liess sich auch
kaum behaupten, dass die Dichtigkeit beider Substanzen in
früheren Lebensperioden grösser war als in späteren.
Zwischen dem absoluten und specifischen Hirngewicht
beider Substanzen liess sich keine Parallele finden. In Be-
ziehung auf den Einfluss yon Krankheiten auf das specifische
Hiinge wicht hatte Sankey nur eine Gelegenheit, das Gehirn
eines sonst gesunden, durch den Biss einer Cobra in zwei
Stunden getödteten, dabei aber auch noch betrunkenen
Menschen zu untersuchen, wonach die Ansicht, dass Krank-
heiten im Allgemeinen das specifische Hirngewicht vermin-
dern, wohl noch nicht hinlänglich gesichert erscheint. In
Beziehung auf Gehirnkrankheiten scheinen Sankey's Zahlen
zu beweisen, dass wenn das specifische Gewicht der grauen
Substanz ansehnlich unter das Mittel sinkt, immer irgend
eine Krankheit des Hirns vorhanden ist, nicht aber wenn
dasselbe sich über das Mittel erhebt Bei der weissen Sub-
stanz ist aber ein ansehnliches Abweichen des specifischen
Gewichtes nach beiden Richtungen über das Mittel immer
mit Krankheiten des Gehirnes verbunden.
Da sich nun so nur sehr wenige und für das ganze
Gehirn, wie es scheint mit Ausnahme Muschenbroek's, gar
keine specifischen Gewichtsbestimmungen finden , so war es
tun so nöthiger, dieselben selbst zu unternehmen.
Zur Bestimmung des specifischen Gewichtes des Ge-
hirnes bediente ich mich um so lieber der Methode der
Biächoff: Absolutes und specifiachcs Hirngetcicht. 851
Berechnung derselben aas dem beobachteten Hirnvolumen
und dem absoluten Hirngewichte, weil diese beiden Faktoren
jedenfalls auch an and für sich für mich unentbehrlich
waren. Das angewendete Verfahren zur Bestimmung des
Hirnvolumens ist speciell voji Herrn Professor Pettenkofer
vorgeschlagen worden.
Wir besitzen eine kräftig gebaute Tellerwage, welche
bei 30 Pfund und darüber Belastung noch für ein Deci-
gramm einen sehr deutlichen Ausschlag giebt; eine Em-
pfindlichkeit, welche die hier anderweitig gesogenen Grenzen
längst übersteigt. Auf dieser Wage wird zuerst das abso-
lute Gewicht des Gehirnes bestimmt. Hierauf bringt man
auf die eine Wagschale ein hinreichend grosses Gefass mit
Wasser, in welches eine Glasschale eingesenkt ist, die mit-
telst dreier feinen Drähte an einem von dem Stative der
Wage ausgehenden festen Querarm herabhängt und stellt
durch Tariren Gleichgewicht her. Legt man jetzt das Ge»
hirn auf die Glasschale ins Wasser, so fügt man dadurch
der bisherigen Belastung der Wage ein dem Volumen des
Gehirns gleiches Volumen Wasser hinzu, während der Ueber-
schuss des Himgewiohtes von, dem festen Querarme, an
welchem die Glasschale hängt , getragen wird. . Wird jetzt
das Gewicht dieses Volumen Wassers durch Auflegen eines
gleichen Gewichtes auf die andere Wagschale bestimmt, so
erhalt man das spedfische Gewicht des Gehirns durch ein«
fache Division des absoluten Hirngewichtes durch das Ge-
wicht dieses Volumen Wassers.
Man sollte denken, dass dieses ebenso einfache als
sinnreiche Verfahren, sehr brauchbare und genaue Resultate
ergeben müsste. Allein leider ist dieses nur in Beziehung
auf die Bestimmung des Volumens, weniger in Beziehung
auf das specifische Hirngewicht der Fall ; denn hier ergeben
sich wieder die grossen Schwierigkeiten in der Behandlung
organischer Objekte, welche eine hinreichende Genauigkeit
352 Sitzung der math.-phys. Olam vom 10. Dezember 1864.
fast ohnmöglich machen. Es handelt sich nämlich bei diesem
Verfahren leicht begreiflich um eine genaue Bestimmung des
absoluten Hirngewichtes, da einige Grammen mehr oder
weniger auf die Bestimmung des specifischen Hirngewichtes
einen Einfluss ausüben, welcher dem zu erwartenden Unter-
schiede in den specifischen Hirngewichten gleichkommt, oder
ihn gar übersteigt. Allein es ist fast ohnmöglich eine so
genaue Bestimmung des absoluten Hirngewichtes zu erlangen.
Das grösste Hinderniss bildet hiebei die Subarachnoideal-
FlÜ8sigkeit, die, wie ich grade bei dieser Veranlassung mehr
als jemals früher bei so vielen Hirnwiegungen bemerkt habe,
meistens in grösserer Menge vorhanden ist, als man glauben
sollte. Sie gehört nicht mit zum Hirngewicht, fliesst aber
nur allmählig und nach und nach ab, so dass es für eine
grössere Zahl und nicht nur für eine einzige Wiegung
kaum möglich erscheint, dieses AbSiessen, selbst unter Schutz
vor Verlust durch Verdunstung, abzuwarten. Nach der ersten
Wiegung ist immer eine grössere oder kleinere Menge auf
die Wage abgeflossen; dasselbe ist der Fall, wenn man
darauf das Gehirn wieder von dem Teller aufhebt, auf
welchem es während der Tarirung des Gefässes mit Wasser
und der Schale gelegen hat. Ich habe diese abgeflossene
Menge Subarachnoideal-Flüssigkeit meistens immer gewogen
und in Abzug gebracht; allein man sieht leicht ein, wie
unvollkommen dieses Verfahren ist. Es ist dem Zufall unter*
worfen, wie viel Flüssigkeit ab und aus den Ventriklen aus-
fliesst; man behält an den Händen bei Anfassen des Ge-
hirns und auf dem Teller beträchtliche Mengen; es ver-
dampft bei der ansehnlichen Oberfläche rasch eine sehr be-
merkbare Quantität.
Welchen ausserordentlichen Einfluss die Subarachnoideal-
nnd Spinal-Flüssigkeit und der Augenblick und die Art der
Wiegung des Gehirns auf das Gewicht ausübt, geht aus
folgendem Beispiel hervor:
Bischoff: Absolutes und spccijisebes Hirngewicht. 853
Das Gehirn eines an akuter Miliartuberculose der
Longen verstorbenen Mannes, bei dessen Herausnahme ans
dem Schädel schon ziemlich viel Flüssigkeit abfloss, wurde
gewogen und ergab 1522,6 Grm. Hierauf wurde das Ge-
hirn in mehrere, aber nur grosse, die Hirn Ventrikel öffnende
Stücke geschnitten und dann nach einiger Zeit, während es
zugedeckt gestanden hatte, wieder gewogen. Jetzt wog das
Gehirn nur 1470,6 Grm., hatte also 52 Grm. an Gewicht
verloren. Das Volumen des zerschnittenen Hirns betrug
1420,5 Gtm. Nach dem ersten Gewichte wäre das specifische
Gewicht 10718 nach dem zweiten 10359 gewesen. Ein
anderes Gehirn wog gleich nach der Herausnahme aus der
Schädelhöhle 1144 Grm.; 5 Minuten darauf, nachdem es
in sechs Stücke zerschnitten war 1132,2 Grm. Das Volumen
dieser Stücke betrug 1095,1; also das specifische Gewicht
nach ersterem Gewicht 1053,7, nach letzterem 1033,8.
Ausser derSubarachnoideal-Flüssigkeit kommt nun auch
noch das Blut in Betracht, welches in sehr verschiedenen
Mengen in den Gefässen der Pia mater sich findet, und in
verschiedener Menge abfliesst Es ist nicht möglich, diesen
Uebelständen durch Abziehen der Araohnoidea und Pia
mater des Gehirns vorzubeugen* Denn obwohl man da«
durch die Substanz des Gehirns eigentlich allein rein zu
Gewicht bringen würde, so ist dies Abziehen doch sehr oft,
und wenn die Häute dünn sind, an vielen Stellen schwierig,
sehr zeitraubend und nicht ohne Substanz* und jedenfalls
nicht ohne beträchtlichen Wasserverlust durch Verdunstung
ausführbar.
So ist es denn kaum möglich, eine ganz genaue abso-
lute Hirnwiegung zu Stande zu bringen, und zweimal hinter
einander z. B. vorgenommen, finden sich häufig beträcht-'
liehe Unterschiede von mehreren Grammen.
Das Verfahren ist ferner auch unzweifelhaft darin
mangelhaft, dass bei dem Eintauchen des Gehirns in das
854 Sitttmg der «utk-pAy*. Chum mm 10. Dttmber 186t.
Wiutr, »gleich Bubaradinoideal-Flüasiglceit und Blut ab-
gespült, das Wasser dadurch verunreinigt, sogleich aber
auch Wasser Ton dem Gehirn und ■einen Häuten aufgesogen
wird. Es ist desshalb auch zwecklos etwa deetillirtes Wattn
zu nehmen, and habe ich mich immer nur Regenwusen
bedient Der Machtheil, welcher durch diese WasaerdiSawn
herbeigeführt wird, beruht nicht sowohl darin, das gerade
erlangte Resultat zweifelhaft zu machen. Denn ea handelt
sich bei der erwähnten Methode nur nm Ermittelang da
Volumens des Gehirns , welches während des kurzen Auf-
enthaltes des Gehirns von wenigen Minuten der Wägung in
Wasser auf keinen Fall eine wesentliche Änderung erfahrt
Dagegen ist die Wasseraufnahme oder Abgabe allerding»
gross genug , um in dem absoluten Hirngewicht eine solche
Aenderong hervorzubringen, dass eine Wiederholung a*
Wägung und der ganzen Operation ohnmoglich wird, «■*
doch nicht selten recht wünschenswerth wäre.
Ich habe mich übrigens zur Bestimmung des Bpedfischan
Gewichtes auch der gewöhnlichen sogenannten hydrostati-
schen Wage bedient, d. tu des einfachen Abwiegens d»
Gehirns in der Luft und im Wasser, worauf das apecinsche
Gewicht gleich ist dem Gewichte in der Luft dividirt durch
den Gewichtsverlust, den es im Wasser erlitten. Das Be-
snltat war nicht verschieden von dem durch das oben an-
gegebene Verfahren erhaltenen, d. h. ich erhielt ähnliche
Zahlen. Mit demselben Gehirn konnte ich freilich nicht
nach beiden Methoden verfahren, da durch den erstmaligen
Aufenthalt im Wasser schon zn grosse Veränderungen Ter-
'isst wurden.
Um diese zn vermeiden, habe ich mich dann auch statt
Wassers des Petroleums bedient , und unter Berück-
itigang Ton dessen specinschem Gewicht und seines sehr
nächtlichen Ausdehnungs-Coefficienten, nach der ersten
hode verfahren. Die Fehlerquellen bei der Bestimmung
Bischoff: Absolutes und speeifisches Hirngewicht 355
des absoluten Gewichtes konnten natürlich auch hier nicht
vermieden werden, und da waren denn die Resultate von
denen bei der Benützung des Wassers erhaltenen nicht in
der Art verschieden, dass es sich der Mühe verlohnt hätte,
das Arbeiten mit der unangenehmen Flüssigkeit dem mit
dem Wasser vorzuziehen.
Für diesesmal glaube ich mich indessen bei den nach
der zuerst erwähnten Methode erhaltenen Resultaten voll-
kommen beruhigen zu können. Dieses geht, wie mir scheint,
aus der Betrachtung nachstehender Tabelle hervor, in wel-
cher die Beobachtungen von 40 Männer Gehirnen und 20
Weiber Gehirnen verzeichnet und dieselben nach dem ab-
soluten Hirngewicht geordnet sind.
356 SitMimg dar Math.-phy». Oane vom 10. Vttemher 186*.
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3(2 Sitzung der moth.-phys. Claste vom 10. Dezember 1864.
Aus dieser Tabelle ergiebt sich:
1) Das absolute Gewicht des ganzen Hirns ist bei
beiden Geschlechtern wie immer ansehnlichen Schwankungen
unterworfen, die bei diesen 40 Männergehirnen 534 Grm.
und bei den 20 Weibergehirnen 424 Grm. einschliessen.
Das mittlere Männerhirngewicht ist 1363,6 Grm., das mitt-
lere Weiberhirngewicht 1244,5, also eine Differenz ran
117 Grm., das ist, letzteres ist im Durchschnitt über ljxi
leichter ab das Männergehirn. In meiner frühem Tabelle
betrug das mittlere Männerhirngewicht 1387 Grm., das da1
Weiber 1246 Grm., also ein Unterschied von 141 Grm.
oder etwas mehr als */••
Das kleine Gehirn wurde so von dem grossen ge-
trennt, das8 vorne und unten die Hirnschenkel dicht tot
dem vorderen Rande der Brücke; hinten die Crura cere-
belli ad Corpora quadrigemina dicht hinter dem hinteren
Vierhügelpaar und dem Ursprung der N. N. trochleares
abgeschnitten wurden. Die Medulla oblongata wurde ohn-
gefähr 1 Zoll lang gehalten. Das absolute Kleinhirngewickt
bei den Männern schwankt zwischen 138,6 und 210,3, d.h.
um 71 Grm., bei den Weibern zwischen 139,8 und 175,5 Grm.
d. h. um 35,7 Grm. Das mittlere Kleinhirngewicht der
Männer ist 168,1 Grm. , das der Weiber 155,9 Grm. , also
nur eine Differenz von 12,2 Grm. oder etwas weniger als
*/i *, so dass, wenn auch das kleine Gehirn der Weiber ab-
solut etwas leichter als das der Männer ist, dieses doch
weit weniger als bei dem grossen Gehirn der Fall ist, und
deshalb das kleine Gehirn der Weiber relativ zu dem grossen
Gehirn schwerer ist als das der Männer ; der Hauptgewichts-
unterschied zwischen beiden Geschlechtern aber auf das
grosse Gehirn fallt. Das Gewicht des kleinen Gehirns steigt
zwar im Allgemeinen mit dem des ganzen Gehirns, aber
doch durchaus nicht gleichmässig, z.B. sind Nr. 28 und 30
der Männer um 8 Grm. im Gewichte des ganzen Hirns,
Bischoff \ Absolutes und specifischcs Hirngewicht. 363
dagegen am 71 Grm. des kleinen Gehirns and zwar noch
dazu umgekehrt verschieden.
2) Das Bpecifische Gewicht des ganzen Gehirns ist
keinen sehr grossen Schwankungen unterworfen; es wechselt
bei den Männern ?on 1030 (Nr. 2») bis 1043,7 (Nr. 40),
bei den Weibern von 1030,5 (Nr. 7) bis 1047,8 (Nr. 15);
doch ißt das mittlere Bpecifische Himgewicht bei beiden
Geschlechtern so gut wie gleich, bei den Männern 1038,3,
bei den Weibern 1038,6. Das specifische Hirngewicht steht
in gar keinem bestimmten Verhältniss mit dem absoluten
Hirngewicht, obgleich zufällig bei den Männern das absolut
schwerste Gehirn (Nr. 40) auch 4as relativ schwerste ist.
Dagegen gehört auch das specifisch leichteste (Nr. 29) schon
unter die das absolute Mittelgewicht überschreitenden Ge-
hirne und mehrere der absolut leichtesten (Nr. 3. 5. 6)
näheren sich dem Maximum des specifischen Hirngewichtes.
Es ist ebenso unter den Weibern, wo das absolut (Nr. 1)
leichteste Gehirn zu den specifisch schwersten gehört.
Das specifische Gewicht des kleinen Hirns zeigt viel
grössere Schwankungen als das des ganzen Hirns; es ist
ferner bald ansehnlich höher bald ansehnlich kleiner als
das des ganzen Hirnes; es ist im Mittel bei den Männern
etwas kleiner 1037,2, bei den Weibern ansehnlich grösser
1043,9, als das des Ganzen; Alles dieses sind Verschieden-
heiten und Verhältnisse, die ich mir nicht wohl zu erklären
weiss, und die ich desshalb auf die Fehler der Methode zu
schieben geneigt bin, welche um so grösser werden, je
kleiner die zu bestimmenden Massen sind. Uebrigens will
ich bemerken, dass das Volumen des kleinen Gehirns immer
zuerst und dann erst das des ganzen HirneB bestimmt wurde,
weil nur auf diese Weise das einmal im Wasser befindliche
kleine Hirn nicht wieder herausgenommen und das einmal
tarirte Wasser nicht wieder aufs Neue tarirt zu werden
brauchte.
[1864. IL 4 ] 25
364 Sünmg der «k»tfc.-pAy«. Ctone vom 10. Datember 1864.
Im Ganzen ergiebt eich indessen, worauf es mir diesa-
mal bei der specifischen Gewichtsbestimmang vorzuglich an-
kam) dasB die Verschiedenheiten des spezifischen Gewichtes
der Gehirne auf ihr Volumen und ihre Erfüllung der Schadel-
höhle keinen bemerkenswerten Einfluss ausüben, und so zur
Erklärung der Nichtübereinstimmung zwischen absolutem
Hirngewicht und Schädelinnenratm nicht viel beitragen.
Dazu ist einmal überhaupt die Verschiedenheit des spec
Gewichtes verschiedener Gehirne nicht gross genug; denn diese
Verschiedenheit beträgt im höchsten Falle 1,37—1/73 Proc.,
was also bei einem Hirnvolumen von 1200 Ctm. 16 — 20,
bei einem von 1600 Ctm. 22—27 ausmachen würde, also
bei Differenzen von 200—400 Ctm. zwischen Hirnvolumen
und Schädelinnenraum kaum von irgend einer Bedeutung er-
scheint. Alsdann findet sich auch gar kein Beleg dafür, dass
etwa da, wo Hirnvolumen, absolutes Hirngewicht und Schadel-
innenraum besonders von einnander verschieden sind, das
speeifische Hirngewicht dafür mit besonderen Abweichungen
einträte. Man müsste nämlich da, wo sich ein besonders
grosser Unterschied zwischen absolutem Hirngewicht, und
Volumen einer Seite und Schädelinnenraum anderer Seite fände,
ein verhältnissmässig grosses specifisches Hirngewicht, and da
wo diese beiden Grössen mehr übereinstimmen, das letztere
geringer finden. Dieses ist aber durchaus nicht der Fall ; denn
z. B. bei Nr. 1 ist der Unterschied zwischen absolutem Gewicht
und Volumen des Gehirns einer Seits und dem SchädelinneD-
raum anderer Seits ansehnlich gross, 283 Ctm. ; dennoch war
das speeifische Hirngewicht sehr gering 1033,2. In Nr. 14
beträgt der genannte Unterschied 466 Gm. das speeifische
Hirngewicht 1038,9 also keineswegs ein Maximum. In
Nr. 22 und besonders 23 ist der Unterschied zwischen
Hirnvolumen und Schädelinnenraum nur 139 und 90 Grm.;
doch ist das speeifische Hirngewicht gross 1039,2 und 1042,1.
3) Das Hirnvolumen steigt, wie auch im Ganzen
Bischoff: Absolutes und specifischcs Eingewicht. 865
wohl nicht Anders zu erwarten war, gleichmässig mit dem
absoluten Hirngewicht Das Hirnvolamen ist immer etwas
geringer als das Hirngewicht Der Unterschied zwischen
beiden beträgt im Mittel bei den Männern 56,5; bei den
Weibern 44,8. Dieser Parallelismus zwischen absolutem
Hirngewicht und Hirnvolumen stimmt mit den im Ganzen
unbedeutenden Verschiedenheiten des specifischen Gewichtes
überein. Die einzige y einigermassen bemerkenswerthe Aus-
nahme macht unter den Männergehirnen Nr. 17 , wo das
absolute Hirngewicht fast um 100 grosser ist, als das Hirn-
volumen, wofür denn auch das höchste specifische Hirn*
gewicht eintritt
4) Der Schädelinnenraum wächst zwar im Ganzen
und Grossen begreiflich ebenfalls mit dem absoluten
Hirngewicht und Hirnyolumen, allein es fehlt ausser-
ordentlich viel an einem Parallelismus in dieser Hinsicht,
es finden sich vielmehr wie bei meinen früheren Unter-
suchungen, die bedeutensten individuellen Verschieden-
heiten. Unter den Männern findet sich der geringste Unter-
schied zwischen Hirnvolumen und Schädelinnenraum bei
Nr. 23, wo er nur 90 Ctm. beträgt. Unter den Weibern
beträgt er bei Nr. 4 nur 68. Unter den pag. 29 meiner
früheren Abhandlung verzeichneten Schädeln findet sich der
Nr. IV. des Mörders Graf, wo der Unterschied zwischen
absolutem Hirngewicht und also wahrscheinlich auch Vo-
lumen und dem Schädelinnenraum nur wenige Grm. und
Ctm. beträgt. Dagegen beträgt dieser Unterschied in Nr. 14
466 Grm., in Nr. 32 403 Grm., in Nr. 29 399 Grm., in
Nr. 26 330 Grm. etc., also Unterschiede von 3—400 Ctm.
Dieser Unterschied differirt bei demselben Hirnvolumen oft
mehr als 200 Ctm. z. B. Nr. 7 und Nr. 9; und ist bei
einem sehr verschiedeneu Hirnvolumen fast gleich, z. B.
Nr. 9 und Nr. 28. Im Mittel aus allen 40 Beobachtungen
beträgt der Unterschied 227 Ctm. Bei den Weibern finden
25*
366 SiUung der tnath.-phys. Classe vom 10. Dezember 1864.
sich ähnliche Beispiele, z. B. differiren Nr. 2 und Nr. 15
in Schädelinnenraum nur um 70, während die Hirnvolumina
um 143 Ctm. von einander differiren; Nr. 3 and 4, sowie
9 und 10 Bind die Hirnvolumina fast gleich, der Unterschied
zwischen den Schädelinnenräumen aber 150 Ctm. lieber-
haupt aber ist der Unterschied bei den Weibern geringer
and beträgt im Mittel aas den 19 Beobachtungen nur 175 Ctm.
Es fragt sich nun, wodurch wird dieser Unterschied
zwischen Hirnvolumen und Schädelinnenraum überhaupt be-
dingt und der Zwischenraum zwischen Schädel und Gehirn
erfüllt, and wodurch werden die bedeutenden individuellen
Verschiedenheiten herbeigeführt ?
Die Verschiedenheit des specifi6chen Hirngewichtes tritt
dafür, wie wir oben bereits gesehen, nicht ein. Dieses ist
nun aber auch nicht mit der Dura mater der Fall, so weit
sich dieses aas ihren Gewichtsverhältnissen beurtheilen lässt
Das Mittelgewicht der Dura mater nebst der Hypophysb
Cerebri dem Ganglion Gasseri und der Carotis interna so
weit sie in dem Stdcus caroticus verläuft, beträgt bei Män-
nern 61,6, bei Weibern 58,5 Grm., eine Zahl, die so ziem-
lieh mit der einzigen mir über das Gewicht der Dura m&t*
bekannten Angabe von Huschke (Schädel , Hirn und Seele
p. 56) übereinstimmt, welcher dasselbe auf 70 Grm. angiebt
Dir Gewicht zeigt nun zwar , wie aus der Tabelle her-
vorgeht, Verschiedenheiten, die bei den Männern zwischen
51 und 81 Grm., bei den Weibern zwischen 45 und 77 Grm.
schwanken , was daher auch gleichen Schwankungen in der
Raumerfüllung der Schädelhöhle nach Ctm. entsprechen
wird. Allein diese 30—34 Ctm. sind ebenfalls nicht an*
reichend, um die angeführten und ermittelten grossen
Differenzen zwischen Hirnvolumen und Schädelinnenraum
von 200—400 Ctm. zu erklären. Allerdings kann davo*
noch ein Antheil auf eine verschiedene Entwicklung der Sin*
der Dura mater und ihre Erfüllung mit Blut kommen, ab*
Bischoff: Absolutes und qpccifoches Himgewickt. 887
jeden Falk wird auch dieser Umstand nicht ausreichend
erachtet werden können.
Unter diesen Verhältnissen bin ich durch die Beobach-
tung, dass die Meoge der ansfliessenden Liquor cerebro
spinalis und subarachnoidealis auch ohne dass schon deut-
lich Oedem oder gar Hydrops und dadurch bedingte Atrophie
des Gehirns vorhanden ist, sehr ansehnlich und sehr wech-
selnd sein kann, zu der Ueberzeugung gelangt, dass es diese
wechselnde Menge der genannten Flüssigkeit ist, durch
welche der so wechselnde Zwischenraum zwischen Gehirn
und Schädel erfüllt, und die Differenz zwischen Hirnvolum,
Hirngewicht und Schädelinnenraum ihre Erklärung finden.
Ich glaube, dass viel häufiger, als man es bisher ver-
muthet, oder wenigstens von der pathologischen Anatomie
ausgesprochen worden ist, das Gehirn sich an dem tödt-
lichen Ausgange vieler Krankheiten dadurch mit betheiligt,
dass es mehr oder weniger lange Zeit vor dem Tode zu
einer beträchtlich starken Exsudation des Liquor cerebro
spinalis und subarachnoidealis und einem dadurch bedingten
Schwinden der Gehirnsubstanz kommt, und dadurch die
Incongruenz zwischen Schädelinnenraum und Hirnvolumen
wie Hirn gewicht herbeigeführt wird. Da diese Theilnahme
des Gehirns in den verschiedenen Krankheiten eine sehr
verschiedene und sehr wechselnde sein kann und sein wird,
so rührt daher die ausserordentliche Verschiedenheit des
Verhältnisses zwischen Schädelinnenraum und Hirnvolumen
wie Hirngewicht, wie solche von mir beobachtet wurde.
Um diese Ansicht zu prüfen, wird von besonderem In-
teresse sein, zu sehen, wie sich das Verhältniss von Hirn-
volumen und Schädelinnenraum bei Personen verhalt, welche
im vollkommenen Gesundheitszustand verstorben sind.
Man kann dazu zunächst vielleicht die in meiner früh-
eren Abhandlung mitgetheilte Reihe von hingerichteten Ver-
brechern benutzen, welche ab gesunde Menschen zu betrach*
368 Süjnmg der maih.-phyi. Ckusc vom 10. Dezember 1864.
ton waren. Zu diesem Zwecke müsste man indessen zuerst
ans den beobachteten und mitgetheilten Hirngewichten das
Hirnvolumen ableiten, indem man von jenen die ans der
jetzigen Tabelle hervorgehende mittlere Differenzzahl 56 in
Abzug brachte. Anderer Seits wäre von den Zahlen über
den Schädelinnenraum die Zahl 61 als Mittelzahl für die
Raumerfüllung durch die Dura mater abzuziehen, und end-
lich auch noch eine durch das Austrocknen der Schädel her-
vorgebrachte Differenzzahl *) in Anrechnung zu bringen. Ich
habe dieses ausgeführt, allein man erhält auch da für die
verschiedenen Schädel sehr verschiedene Resultate. So z. B.
1) Nach Versuchen und Messungen von Welker (Wachstbmn
und Bau des menschlichen Schädels p. 28) erfahren die Knochen
namentlich auch die Schadelknochen durch Austrocknen eine Ver-
kürzung ihrer Haase. Durch Anfeuchten eines vorher trockenen
Schädels wurden sämmtliche Hauptdurohmesser desselben verändert
Die Veränderung, welche ein frischer Schädel durch Austrocknen
erfährt, hat er nicht direkt bestimmt; doch vermuthet er, dass ein
solcher frischer Schädel durch Austrocknung seine Gestalt um ein
Geringes nach der dolichooephalen Seite hin abändern werde, glaubt
indessen» dass die Austrocknungserscheinungen des erwachsenen
Schädels für die Zwecke der Schädelmessung fuglich ausser Betracht
bleiben.
Ich habe die Gelegenheit benutzt, bei drei Männerschädeln die
Veränderung des Schädelinnenraumes durch die Austrocknnng tu
messen. Eis ist dieses freilich, da es sich immer nur um wenige
Gtm. handeln wird, eine missliche Sache , da leicht einige solche je
nach der Art der Messung hinzukommen oder ausfallen können.
Doch scheint es mir bemerkenswerth, dass ich bei allen drei Schädeln
und bei einem möglichst gleichartigen Verfahren eine Abnahme des
8chädelinnenraums wahrgenommen habe. Derselbe betrug
I. n. in.
Im frischen Zustande 1775 1680 1780
Im trockenen Zustande 1780 1625 1760
Unterschied 45 55 20
was doch schon immer zu berücksichtigen sein mochte.
Bischoff: Absolutes und spccifisches Hirngewicht. 369
bei N** VI, dem Mörder Graf, entsprechen eich, wie oben
schon erwähnt, Hirnvolumen and Schädelinnenraum fast
genau, was mir so auffallend erscheint, dass ich an der
Richtigkeit der angegebenen Zahlen zweifeln würde, wenn
nicht dieser Mörder gerade sehr genau behandelt worden
wäre, da er das zweite Individuum war, an welchem ich
die in v. Siebold's und Kölliker's Zeitschrift Bd. IX. pag. 65
mitgetheilte Blutmengen Bestimmung unternahm. Dagegen
finden sich andere unter jenen Mördern, z. B. VIII und IX,
bei welchen ein Unterschied zwischen Hirnvolumen und
Schädelinnenraum von 279 — 300 Gtm. besteht. Ausserdem
ist bei diesen Hingerichteten auch noch zu bedenken, dass
sie enthauptet wurden, also auch fast alles Blut aus dem
Gehirn ausfloss, dessen Einfluss auf Hirngewicht und Hirn*
volumen schwer anzugeben ist.
Es scheint mir daher sicherer, zu dem genannten Zweck
zwei Fälle von Selbstmördern, von denen sich einer in der
mitgetheilten Tabelle (Nr. 8) befindet,* und einen von einem
Erstochenen zu benätzen. Alle drei waren junge kräftige
Männer von 25 — 36 Jahren, in deren Leichen sich bei der
Sektion keinerlei Abweichungen fanden. Die beiden Erhäng«
ten waren Sträflinge, denen ihre Gefangenschaft unerträg-
lich geworden zu sein scheint. Sie zeigten einen Unter*
schied zwischen Hirnvolumen und Schädelinnenraum von
155 und 100 Gtm. und wenn ich das Gewicht der Dura
mater mit 52 und 59 Grm. von dem Schädelinnenraum
abziehe, 103 und 41 Gtm. Der Erstochene, ein ganz ge-
sunder, in wenigen Minuten gestorbener Mensch zeigte einen
Unterschied zwischen Hirnvolumen und Schädelinnenraum
von 136 Ctm., von denen 52 auf die Dura mater gekom-
men sein mögen, also effectiv *on 84 Gtm.
Bei einer vor Kurzem dahier durch Leuchtgas erstick-
ten, übrigen* gesunden jungen Person von 23 Jahren betrug
der Unterschied zwischen Hirnvolumen und Schädelinnen-
870 Sitamg der math.-phy*. Clan* vom 10. Ducmbcr 18C4.
räum nach Abzug der Dura mater mit 61 = 68 Ctm Das
Gehirn war ansehnlich gross and schwer, 1496 Grm. und
sogleich sehr mit Blut überfüllt. Bei einer zweiten etwa
40 Jahre alten zugleich mit jener durch das Gas betäubten,
ebenfalls sonst ganz gesunden Person, die aber noch
24 Stunden ohne Bückkehr des Bewusstaeins lebte 9 betrug
der Unterschied zwischen Hirnvolumen und Schadelinnen-
raum nach Abzug von 64 für die Dura mater 53 Ctm.
Auch dieses Gehirn war ansehnlich schwer 1438 Grm.
ebenfalls blutreich, doch war es schon zu einem Austritt
von Serum in den Subarachnoidealraum gekommen.
Aus diesen 5 Fällen geht hervor, dass der Unterschied
zwischen Hirnvolumen und Sohädelinnenraum oder mit
anderen Worten die Menge der den Zwischenraum zwischen
Hirn und Schädel vollständig erfüllenden Flüssigkeit swar
auch bei ganz gesunden Menschen ein verschiedener und
selbst um das dreifach wechselnder sein kann: 41:53:68:
84 : 103. Allein diese Zahlen (deren Mittel 64 beträgt) er-
reichen doch bei weitem nicht die Grösse jener Differenzen,
welche sich sowohl in meiner früheren als jetzigen Tabelle
verzeichnet finden. Diese grösseren Zahlen dürfen daher
wohl als Folgen pathologischer Zustände, als hervorgebracht
durch eine dem Tode vorausgegangene lebhaftere Abscheid-
ung von Liquor cerebro spinalis und subarachaoidealis und
Abnahme des Hirnvolumens und Hirngewichtes, betrachtet
werden.
Verhält es sich aber so, so komme ich zu dem Schlüsse!
dass der Welker'sche Satz von dem annäherungsweise hin-
reichenden Parallelismus zwischen Schädelperipherie, Schädel*
ionenraum und Hirngewicht bei ganz gesunden Menschen
dennoch richtiger ist, als e»bei der empirischen Ermittel*
ung dieser einzelnen Factoren bei den gewöhnlichen Sek*
tionen meist an Krankheiten verstorbener Menschen den
Anschein hatte. Im ganz gesunden Zustande füllt daa
Biackoff: Abmüutm und spccifisehes Hirngetoicht. 871
Gehirn mit seinem Volumen und absoluten Gewichte ausser
der Dura mater, der Blutmenge und einer gewissen Menge
des Liquor cerebro spinalis, welche sowie auch das specific
sehe Gewicht des Gehirns keinen so grossen Verschieden-
heiten unterworfen sind, die Schädelhöhle so Tollständig
aus, dass man von der Schädelperipherie und dem Schädel-
innenraum einen hinreichend annähernden Schluss auf Hirn-
volumen und Gewicht ziehen kann. Will man möglichst genau
verfahren, so müsste man zuerst von dem gefundenen
Schädelinnenraum bei Männern 61,6, bei Weibern 58,5 Ctm.
für die Dura mater in Abzug bringen. Von dieser Zahl
wären dann weiter um das Hirnvolumen zu erhalten, etwa
64 Ctm. für den Liquor cerebro spinalis abzurechnen, und
von der dadurch erlangten Zahl wieder bei Männern 56,5,
bei Weibern 44,8 als DifFerenzzahl zwischen Hirnvolumen
und Hirngewicht abzuziehen, um Letzteres möglichst genau
zu erhalten« Allein den bei weiten meiaten Todesarten,
geht eine solche Veränderung in dem Hirngewicht und Him-
volumen unter Abecheidung einer grösseren oder geringeren
Menge Liquor oerebro spinalis vorher, daas man diesen
Parallelismus in den Leichen vorher erkrankter Personell
nioht mehr nachweisen kann.
Ich hoffe, dass dieses per varia disorittuna erreichte
Resultat sich auch anderweitig bestätigen und nicht ohne
praktisches Interesse für Schidelüjessungen und physiolo-
gische wie pathologische Hirnuntersuchungen sein wird.
872 Sitzung der matK-fhy*. Oasee vom 10. Dezember 1864.
Herr Joily legt eine Abhandlang des Herrn W. von
Bezold vor;
„Zar Lehre vom binocularcn Sehen."
Die folgenden Zeilen enthalten kurze Mittheilungen über
zwei Untersuchungen, welche dem Gebiete des binocularen
Sehens angehören, ohne deshalb in einem engeren Zusam-
menhange zu ßtehen. Die erste soll einen Beitrag liefern
zur Lehre von der Identität der Netzhäute; die zweite ent-
hält eine Behandlang des Horopterproblemes unter Berück-
sichtigung des Umstandes, dass nicht nur correspondirende
Punkte im engsten Sinne des Wortes, sondern innerhalb
gewisser Grenzen auch hievon abweichende Netzhautpunkte
zur Vermittlung einer einfachen Wahrnehmung geeignet sind.
I.
Während eines langen Zeitraumes bildete das von
J. Müller aufgestellte Princip der Identität der Netzhäute
den einzigen Ausgangspunkt für alle Untersuchungen über
das Zusammenwirken der beiden Augen beim Sehakte. Diess
Princip besteht wesentlich aas folgenden zwei Theilen:
erstens, Reize identischer Netzhautstellen bedingen immer
eine einfache Wahrnehmung, und zweitens, nur bei Reizung
von identischen Stellen ißt eine solche möglich.
Nachdem durch die Entdeckung Wheatstone's der
zweite Theil des Principe in voller Schärfe unhaltbar ge-
worden war, und auch der Versuch Brücke's die neu ent-
deckten Thatsachen mit demselben in Einklang zu bringen
durch Volkmann and Dove widerlegt worden war, suchte
man auch den ersten Theil zu entkräften, und somit das
ganze Princip zu stürzen. Der Streit darüber ist heutigen
Tages noch nicht geschlossen.
Gegen den Satz, dass Reizung identischer Stellen nie-
mals Doppelbilder veranlassen könne, fuhren die Gegner der
«. Btsold: Binoctdares Sehen. 878
Identitätslehre besonders drei Versuche an, welche von
Wheatstone *), Nagel8) und Wundt8) herrühren. Jeder der*
selben zeigt ein anderes Figurenpaar, das durch die Mög-
lichkeit, stereoscopisch verschmolzen zu werden, den frag-
lichen Beweis liefern soll. Diese Beweise sind jedoch sämmt-
lich nur gültig, wenn erstens gewisse Linien in den beiden
entsprechenden Figuren sich wirklich genau auf correspon*
direnden Netzhautpunkten abbilden, und wenn zweitens kein
Theil der Zeichnungen im Wettstreite der Sehfelder dauernd
untergehen kann.
Schon Ewald Hering hat in seinen ausserordentlich
verdienstvollen „Beiträgen zur Physiologie" nachgewiesen,
dass unter Beobachtung gewisser Vorsichtsmassregeln, welche
die Erfüllung der ersten der genannten Voraussetzungen
wahrscheinlich machen, niemals eine Verschmelzung der
fraglichen Figuren zu einem stereoscopischen Sammelbilde
gelinge.
Im Folgenden soll eine Methode beschrieben werden,
welche einerseits den strengen Nachweis liefert, dass in den
fraglichen Fällen, die beiden Voraussetzungen niemals zu-
gleich erfüllt sind, und anderseits gestattet, die Abweich-
ungen von denselben genau zu studieren.
Führt man die Zeichnungen mit Tusche auf einer
Glasplatte aus, und betrachtet man sie alsdann mit dem
Rücken gegen ein Fenster gekehrt, so kann man leicht eine
Stellung der Platte ermitteln, bei welcher die eine der
Figuren durch den Kopf beschattet ist, während die andere
schwach glänzend erscheint. Man entzieht nun auch dieser
Figur durch einen neben den Kopf gehaltenen Schirm das
1) Poggdff. Ann. Ergbd. 1842 S. SO.
2) A. Nagel. Das Sehen mit zwei Augen. S. 81.
3) Henle und Pfeufer Zeitschr. f. rat. Med. m. Reihe. Bd. 12
S. 249.
874 SiUung der math.-phys. Ciasee vom 10. Dezember 1864.
licht, und verschmilzt beide Zeichnungen durch Schielen.
Sobald man nun durch Wegnehmen des Schirmes dem
Lichte wieder den Zugang gestattet, sieht man die glänzen-
den Thedle der einen Figur neben den dunklen der anderen
aus dem Gesichtsfelde auftauchen. Dabei bleiben einzelne
Stücke noch immer verschmolzen, und dieser Umstand er*
laubt es bis in's Detail nachzuweisen, wie die stereoscopische
Wahrnehmung zu Stande kam. Dieses Auftreten der Theüe
der einen Zeichnung neben denen der anderen hat durch-
aus keine Aehnlichkeit mit dem Auseinanderfallen des
stereoscopischen Bildes, wie man es bei Schwankungen der
Augen beobachtet»
Leichter und schöner kann man die Versuche in einem
gewöhnlichen Unsenstereoscop machen, wenn man sich die
Figuren auf folgende Weise herstellt. Man klebt Stanniol
auf Glasplatten, und schneidet, sobald diess fest haftet, die
Figuren in der Art aus, dass die Linien durch feine Stanniol*
streifchen gebildet werden. Betrachtet man nun diese Figuren
bei horizontaler Lage der Platte im durchfallenden Lichte,
ao sieht man sie schwarz auf hellem Grunde, hebt man
alsdann die Klappe, welche dem auffallenden lichte den Zu-
gang gestattet, nachdem man die hiefür bestimmte Oeffirang
zur Hälfte bedeckt hat, so erscheint die eine der Figuren
glänzend und man sieht sie dann in der oben beschriebenen
Weise neben der anderen aus dem Sehfelde auftauchen.
Man kann den Vexsuch auch dahin abändern, dass man die
Glasplatten ganz mit Stanniol überzieht, und dann die Figuren
so herausschneidet, dass sie im durchfallenden lichte hell anf
dunklem Grunde erscheinen. Bringt man alsdann nach gelun-
gener stereoscopischer Verschmelzung hinter die eine der Figu-
ren eine farbige Glastafel, so findet dasselbe Auseinanderfallen
statt, wie oben. Selbstverständlich lässt sich der Versuch
auf diese Art sowohl mit als ohne Stereoscop ausführen.
Die Resultate stimmen vollständig mit den auf den anderen
9, Bezold: Binoctdares Sehen. 375
Wegen erhaltenen überein, sie sind jedoch weniger präg-
nant, da sich in diesem Falle in den verschmolzenen Theilen
der Wettstreit der Sehfelder lebhaft geltend macht.
Eine eingehendere Beschreibung der Erscheinungen,
deren Studium zu manch' neuem Gesichtspunkte über das
Zustandekommen der stereoscopischen Vereinigung führen
dürfte, so wie eine Berücksichtigung der grossen individuellen
Verschiedenheiten, welche sich bei diesen Versuchen offen-
baren, verspart sich der Verfasser iür einen anderen Ort.
Das Resultat ist:
„Wenn eine stereoscopisohe Vereinigung der
fraglichen Figuren gelingt, so sind dabei niemals
die beiden Voraussetzungen erfüllt, unter denen
der Versuch allein beweiskräftig ist, sondern es
fallen entweder die Stücke, von denen man diess
annahm, nicht genau auf identische Stellen, oder es
tritt nur eine theilweise Verschmelzung ein, welche
alsdann zur Bildung einer stereoscopischen Wahr-
nehmung Veranlassung giebt, während die übrigen
nicht in das Sammelbild passenden Theile über-
sehen werden.
U.
Das Horopterproblem lässt sich bekanntlich auf
zweierlei Art auffassen, je nachdem man unter dem Horopter den
Ort aller derjenigen Punkte versteht, welche sich genau auf
correspondirenden Netzhautpunktea abbilden, oder den In-
begriff aller Punkte, welche wir bei einer bestimmten Augen-
stellung binoculär einfach sehen. Im erst erwähnten Sinne
st das Problem ein rein mathematisches und einer scharfen
Lösung fähig, welche ihm in jüngster Zeit durch Helmholtz *),
Ewald Hering 6) und Hankel 6) zu Theil wurde ; die erhaltene
4) Arch. f. Opthalmol. Bd. X. und Poggdff. Ann. Bd. 123. S. 158.
5) A. a. 0. Heft 3 und 4.
6) Poggdff. Ann. Bd. 122. S. 576.
376 Sitzung der maih.-phy$. CUmt vom 10. Dezember 1864.
Linie nennt man den mathematischen Horopter. Die Auf-
fassung des Problemes im zweiten Sinne, d. h. die Frage
nach dem empirischen Horopter, mnss ein ganz anderes Re-
sultat geben, da die sterescopischen Erscheinungen zeigen,
dass auch Bilder , welche nicht ganz genau auf correspon-
dirende Punkte fallen, einfache Wahrnehmungen vermitteln
können, so lange nur die Entfernung von solchen Punkten
gewisse Grenzwerthe nicht übersteigt.
Schon Panum 7) bemerkte , dass man von diesem Ge-
sichtspunkte aus als Horopter einen von bestimmten Flächen
begrenzten Raum erhatten müsse. Doch wurde meines
Wissens noch niemals der Versuch gemacht, die Gestalt der
begrenzenden Flächen auch nur annähernd zu bestimmen,
noch die Grösse des Einflusses zu schätzen , den das Vor-
handensein gewisser Grenzdistanzen auf die Ausdehnung
des empirischen Horopters äussern muss. Im Folgenden
soll gezeigt werden, wie ungemein gross der Einfluss dieses
«
Umstandes ist, und wie dessen Beachtung geeignet scheint,
einerseits die auffallenden Widersprüche zu erklären, in
welchen die Versuche einer experimentellen Lösung des
Horopterproblemes mit der Theorie stehen, sowie ander-
seits ein eigentümliches Licht auf das Wesen der soge-
nannten Identität der Netzhäute zu werfen.
Da die Messungen Volksmann's8) über die Grenz*
distanzen zeigen, dass man es auf diesem Gebiete mit
ausserordentlich grossen individuellen Verschiedenheiten zu
thun hat, und dass überdiess eine Menge von Nebenumstan-
den auf das Einfach- oder Doppeltsehen influiren und des-
halb eine eingehendere mathematische Behandlung des Prob-
lemes, doch immer nur eine rein theoretische Speculation
bleiben würde, so wollen wir uns hier nur auf den ein&ch-
7) Das Sehen mit zwei Augen. Kiel 1858. 8. 62.
8) Arch. f. Ophthalmol. Bd. V. Abth. II. S. 1 ff
0. Beztld: BimocvAarta Sehen*. 377
sten Fall beschränken, wo bei horizontaler Blickebene die
Gesichtelinien sich in der Medianebene schneiden. Wir
•suchen vorerst nur den Durchschnitt des empirischen Horop-
ters mit der Blickebene und wählen den Kreuzungspunkt
der Richtungslinien k des linken Auges als Ursprung eines
Systeme« von Polarcoordinaten , dessen Aze die durch den
Fixationspunkt f gehende Richtungslinie, d. h. die Gesichts-
linie dieses Auges ist, und wobei die Winkel, welche durch
Drehung im Sinne eines Uhrzeigers beschrieben werden,
positiv gerechnet werden sollen.
Nun giebt es aber auf jeder durch k gezogenen Ge-
raden, die etwa mit k f den Winkel a bilden möge , einen
Punkt p, dessen Bild genau auf dem correspondirenden
Punkte der anderen Netzhaut entworfen wird. Die von
p nach k', d. i. nach dem Kreuzungspunkte der Richtungs*
linien im rechten Auge gezogene Gerade, bildet alsdann mit
k' f ebenfalls den Winkel a. Jedoch nicht nur der Punkt p
der Geraden p k wird einfach wahrgenommen, sondern auch
noch alle ihm benachbarten, bei denen die Winkel, welche
die durch sie und k' gezogenen Geraden mit p k' einschliessen,
unterhalb gewisser Grenzwerthe bleiben, die wir durch ya
und xpa bezeichnen wollen, da beide Funktionen von a sind,
und wobei tpa der Grenzwinkel auf der positiven Seite von
pk', tffa der auf der negativen sein soll. Durch den ersteren
ist mithin ein Punkt der äusseren, durch den letzteren ein
Punkt der inneren Begrenzungscurve gegeben. Nennt man
die entsprechenden Radienvectoren rt und rs, während man
die Grundlinie kk' durch o und den Winkel kfk' durch 2y
bezeichnet, so werden die Gleichungen:
a) für die äussere Curve
ri = * o I °°s (*— >0 + «tt8 (*+*) • 8)a y* \ I
1 sm 2y L N " r v T " sin (2y— g>a)J
378 Sitzung der math.-phys. Cfoese vom 10. Dezember 1864.
b) für die innere Curve
T% = - — 1 COB (<*— y) — C08 («4- f) -. /0 , . I
1 Bin 2y L v " x ^ ' sin (2y+*fßu)J
Zwischen den Funktionen gm and t//a besteht die
Relation
während
^p (— a) = V« ist,
ao dass die Kenntnis* von jpa für wachsende a von o= — yO an
hinreicht, um sowohl diese Funktion für alle negativen, als
auch xpa für beliebige Argumente zu bestimmen.
Anstatt einer eingehenderen Discuasion, welche hier
zuviel Raum beanspruchen würde ,- und welche ich überdies*
erst dann geben will, wenn ich im Stande bin, durch eigene
Messungen die Funktion <pa genauer zu bestimmen, als diess
nach den sonst so vortrefflichen aber hiefür unzureichenden
Angaben Volkmann's möglich ist, gebe ich hier eine Zeich-
nung eines Stückes der beiden Curven, wie sie sich nach
den erwähnten Daten ungefähr darstellen würden.
A ist die äussere, B die innere
'A Grenzcurve für eine Augendistanz von
64 Mm. und eine Entfernung des
Fixationspunktes von 400 Mm. von
der Grundlinie, in V» der natürlichen
Grösse. F ist der Fixationspunkt,
F E und F K' sind die Gesichtslinien.
Man sieht, dass selbst bei so
nahe gelegenem Fizationspunkte nur
ein kleiner Raum übrig bleibt, in dem
Doppelbilder wahrgenommen werden,
nämlich der zwischen den Gesichts-
linien liegende, und die benachbarten TheOe.
Von besonderem Interesse ist es, die Gleichung der
inneren Curve für den Fall zu untersuchen, wo 2y = 0 ist,
v. BezM: Binoculares Sdusn. 379
d h. für parallele Gesichtslinien. Man erhält, unter An-
wendung der bekannten Regeln für die Bestimmung von
Funktionen, welche unter der Form -$> erseheinen,
rs = 2c (sin o-fcos a cot tpa)
Da nun tya selbst f Br a = 0 immer noch eine ziem-
lich beträchtliche Grösse ist, so wird rs immer unterhalb
einer bestimmten massigen Grenze bleiben. Durch eine In-
terpolation, die freilich gerade für diesen Fall kaum statt-
haft sein dürfte, ergäbe sich aus den Angaben Volkmann's
9 (0) = 20* , es wäre demnach der Maximalwerte von r,
ungefähr 11 Meter. Aber selbst wenn die Empfindlichkeit
für Doppelbilder in der Netzhautgrube viel weiter gienge,
so wird sie doch kaum die Grenze erreichen, welche in
einem Auge für die Wahrnehmung distinkter Eindrücke
existirt, und selbst dann würden Punkte, die über ein paar
hundert Meter entfernt wären, keine Doppelbilder mehr
liefern können.
Betrachtet man die erste der Gleichungen, so sieht
man, dass für einigermassen kleine Werthe von y, wie sie
in Wirklichkeit allein vorkommen, sin (2y—$pa) für ein be-
stimmtes a gleich 0 werden muss, d. h. dass für diesen
und alle grösseren Werthe von a gar keine äussere Be-
grenzungscurve mehr existirt.
Wenn y immer kleiner wird, so muss es einmal den
Ideinsten Werth erreichen, den q>* annehmen kann, von da
ab wird alsdann gar kein ausserhalb des Fixationspunktes
gelegener Punkt mehr Doppelbilder liefern können, während
auch noch eine beträchtliche Anzahl der näher gelegenen
Punkte einfach erscheinen muss. Wäre 20' der Minimal-
werth ton 9a, so würde diese bereits bei einer Entfernung
des Fixationspunktes von 22 Meter eintreten.
Da die vorliegenden Messungßdaten für die Untersuch'
ting der Durchsohnittscurven der Begrenzungsflächen des
empirischen Horopters mit der Medianebene noch viel unzur
[1864 a 4.] 26
380 Sitzung der math.-phys. Oam vom 10. Dezember 1864.
reichender sind, wie für die ebengefiihrte , so genüge es zu
bemerken, dass sie ebenfalls ans zwei symmetrischen Hälften
bestehen, die ihre Concavität der Horizontalen zuwenden,
und dass ihre Gestalt, so weit sich diess übersehen lässt,
jenen der vorhin gefundenen Gurven ziemlich ähnlich
sein wird.
Daraus ergiebt sich, dass die Begrenzungsflächen des
empirischen Horopters etwa die Gestalt der Mantelflächen
von Hyperboloiden haben werden.
Fasst man Alles zusammen, so hat man das Resultat:
Bei einer massigen Convergenz der Gesichta-
linien bilden sich die meisten Punkte der Aussen-
weit auf so wenig differenten Stellen beider Netz-
häute ab, dass sie einfach wahrgenommen werden
können.
Wir empfangen also nicht, wie man sonst allenthalben
ausgesprochen findet, im gewöhnlichen Leben immer eine
Menge von Doppelbildern, die wir nur übersehen, sondern
es ist. uns im Gegentheile nur in exceptionellen Fällen Ge-
legenheit geboten, solche wahrzunehmen.
Es werden mithin unter den gewöhnlichen Verhältnissen
immer correspondirende „Stellen" (nicht Punkte) gleich-
zeitig durch die gleichen Ursachen gereizt.
Dieser immerwährende gleichzeitige Gebrauch zu gleichem
Zwecke macht es höchst wahrscheinlich, dass das eigen-
tümliche Verhalten dieser Stellen ein rein aquirirtes sei,
ganz ebenso wie nur die Theile unserer Finger uns durah
Tasten eine einfache Wahrnehmung vermitteln, welche ge-
wöhnlich gleichzeitig zu diesem Behufe angewendet werden,
während andere hiezu vollkommen unfähig sind, wie der
bekannte Versuch mit dem Kügelchen zwischen verschränk-
ten Fingern beweist.
Bedenkt man über diese, dass, wie schon Volkmann
a. a. 0. S. 70 nachwies, das Gesetz, nach welchem sich die
*. BuMi Btnocxdares Sehen, 381
Grenzdistanzen mit der Neigung gegen den Horizont ändern,
vollkommen dieser Anschauung entspricht, und dass endlich
auch die eigentümliche Assymetrie der Netzhäute, welche
uns, wie Helmholtz gezeigt hat, bei horizontalen parallelen
Gesichtslinien die ganze Bodenfläche zur mathematischen
Horopterfläche macht, von unserem Standpunkte aus not-
wendig vorhanden sein muss, so dürfte es schwer sein, diese
Anschauungsweise durch eine bessere zu ersetzen.
Die Entwicklung dieser Beziehungen war der Haupt-
grund v der die vorliegende Untersuchung über die Gestalt
des empirischen Horopters veranlasste, die sonst bei den
grossen individuellen Verschiedenheiten, die sie jedenfalls
zeigen wird, und bei der geringen mathematischen Eleganz,
deren die Lösung des Problemes fähig ist, nur untergeord-
netes Interesse bieten würde.
Historische Classe.
Sitiung vom 17. Dezember 1864.
Herr Dr. Kunstmann hielt einen Vortrag:
„Ueber einen i. J. 1794 in München entworfenen
Plan, Bayern mit Hilfe Frankreichs in eine
Republik zu verwandeln/4
26*
382 Einsendungen vm Druckschriften.
Einsendungen von Druckschriften.
Von der Soctitt royaie des edencts m Upsala:
Nora acta regia© societatis soientiaram Upsalensis 3. Ser. Vol. 5.
Fase. 1. 1864. 4.
Von der Societä italiana deUe stieme in Modena:
Memorie di Matematioa e di Fisica. Serie Seconda. Tomo 1. 1862. 4.
Vom Observatoire in Utrecht:
Recherohes astronomiques. Publiees par Hock. Denxieme Livraison.
La Haye 1864 4.
■
Vom naturiHsssnsehafUichen Verein für Sachsen tmd Thüringen in
Haue:
Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften.
Jahrgang 1863. Juli— Dezember. Band 22. Heft 7—12.
„ 1864. Band 23. Berlin 1863. 64. 8.
Von der Societä Italiana di scienze naturali in Mauernd:
Atti. Vol. 6. Fase. 3. 1864. 8.
Vom historischen Verein von Mittelfranken in Ansbach:
32. Jahresbericht. 1864.
JwiMMiiMyffi von x^rmjriwififiWi« ooo
Vom nc**tostori9C*-meMtnnuchc* Verein in Heidelberg :
Yerhandhwge*. Band 8«; Nr. 4. 1864 8.
Fo» der pfälzischen Gesellschaft für Pharmacie in Speyer:
Neues Jahrbuch für Pharmacie und verwandte Fächer. Zeitschrift
Bd. 22. Heft 4—6. Oktober— Dezember 1864. 8.
Vom landwirtschaftlichen Verein in München:
Zeitschrift. November 11. 1864. 8.
Vom Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen in Prag:
a) Beitrag zur Geschichte Böhmen«. Abthl. 1. Bd. 1. Das Homilar
des Bischof von Prag. Saeo. 12. 1863. 4.
b) Mittheilungen. Nr. 1—4. 2. Jahrg. Nr. 1—3. 1863. 64. 8.
c) Die Laute der Tepler Mundart. Von Joh. Nassl. 1863. 8.
Von der Oedogieal Survey of India in Gakutta:
Memoire. Palaeontologia Indica. 8. 2 — 5. 4.
Von der SocUU Linnienne in Lyon:
Annale«. Annee 1862. Tom. 9. Lyon. Paris 1863. 8.
Von der Chemical Society in London:
Journal Juiy, August, September. 1864. Ser. 2. Vol. 2. 8.
Von der Entomological Society in London:
Transaktion«. 8 Serie. Yol. 2. Part the first. 1864. 8.
Von der Asiatic Society of Bengal in Calcutta :
Journal. New Series. Nr. 120. Nr. 294. Nr. 2. 1864. 8.
Vom entomologischen Verein in Stettin:
Entomologische Zeitung. 25. Jahrg. 1864. 8.
384 Emsendmgen von Druek$chriftm\
Von der k. dänischen QeseUschaft der Wissenschaften in Kopenhagen:
Oversigt over det Forhandlinger og dete medlemmert arbeider i
Aaret 1862. 68. 8.
Von der Universität in Heidelberg i
Heidelberger Jahrbücher der Literatur unter Mitwirkung der vier
Fakultäten. 67. Jahrg. 8. 9. Heft. August. Septbr. 1864 8.
Von der Beddktion des Ctorrespondcnzblattes für die gelehrten und
Realschulen in Stuttgart:
Gorrespondensblatt. Nr. 9. 10. Septbr. Oktbr. 1864. 8.
Von der SociiU imperiale des seiences naturelles in Oherbourg:
Memoires. Tom. 9. 1863. 8.
Von der Social franeaise cP Archäologie in Caen:
Congres aroheologique de France. 80. Session. Paris 1864. 8.
Vom Institut des prcvinces des socUtSs sa/eantes et des congres
scientifiques in Caen:
Annuaire. Seoonde Serie. 6 Vol. 16« 1864. Paris 1864. 8.
Von der Association Normande in Caen:
Annuaire des cinq departements de la Normandie. SOAnnee 1864. 8.
Von der Academie royalt des sciences des lettres et des beaux arte äs
Beigigue in Brüssel:
Bulletin. 88« annee. 2 serie. Tome 18. Nr. 9—11. 1864. 8.
Vom Bureau de la Becherehe de Geologique de la Suede in
Stockholm:
Sveriges geologiska undersökning, pa offentlig bekostnad utford
ander ledning af A. Erdmann. Livraisons 6 — 18 de la Garte
geologique de la Suede. 1868. 61.
Emsendmgen von Druckschriften. S85
Vom Institut National Genevois in Geneve:
a) Bulletin. Tom 11. Seances et travaux des oinq sections. 1864. 8.
b) Bulletin. Seanoe generale du 28. Mai 1868. 8.
Vom Boy dl Observatory in Edinburgh:
Astronomical Observations. YoL 12. for 1866 — 69. 1868. 4.
Von der Royal Irisch Academy in Dublin:
Transactions. Volumen 24. Antiquities. Part. 2. 1864. 4.
Vom Ministerium der kaiserlichen Güter in St. Petersburg:
Osostojanii etc. Untersuchungen über den Zustand des Fischfangs
in Russland. ThI 1. 2. 3. 4. Mit 1 Atlas in Folio. Zeichnungen
zu den Untersuchungen des Fischfangs im kaspischen Meere.
1861. 4.
Vom Observatoire physigue central de Bussie in SL Petersburg:
Annales. Annee 1860. Nr. 1. 2. 1868. 64. 4.
„ 1861. Nr. 1. 2. 1868. 64. 4.
Vom naturwissenschaftlichen Verein der BheinpfäU in Neu-
Stadt a. d. H.:
2a und 21. Jahresbericht der Pollichia 1868. 8.
Von der Gesellschaft für Aufsuchung und Erhaltung der geschicht-
lichen Denkmäler im Grossherzogthum Luxemburg:
Publications. Annee 1863. 19. 1864. 4.
Von der Academie des sciences in Paris:
Comptes rendus hebdomadairea des seances. Tom. 69. Nr. 12 — 17»
Sept.— Oktbr. 1864 4.
Von der physikatisch-medismischen Gesellschaft in Würsburg:
a) Würzburger medizinische Zeitschrift. 6. Band. 2. und 8. Heft.
1864. 8.
386 Smsendungen von Dmckechriften.
b) Würzburger naturwissenschaftliche Zeitschrift.
4. Band 2. und 8. Heft.
6. „ 1. „ 2. „ 1863. 64. 8.
Vom Verein für Hamburgische Geschichte in Hamburg:
Zeitschrift. Neue Folge. 2. Bd. 2. Hft. 1864. 8.
Von der Gesellschaft für Fommerieche Geschichte und AJUerthumskunde
in Stettin;
Baltische Studien. 20. Jahrg. 1. Hft. 1864. 8.
Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin:
Zeitschrift. 16. Bd. 2. Hft. Febr. Man. April. 1864. 8.
Vom Institut historique in Paris:
L'Investigateur Journal. Trente — Unieme. Annee. Tom. 4. 4* Serie.
858. 859* Livraison. Septbr. Oktbr. 1864. a
Von den Herren Höh et A. C. Oudemans in Utrecht:
Recherches sur la quantite" d'öther contenue dans lea liquides. La
, Haye 1861. 4.
Vom Herrn Cristoforo Negri in
Memorie ßtorico-politiohe sugli antiohi greoi e romani. 1864. 8.
Vom Herrn C Marignac in Paris:
Recherches sur les arides silioo tungstiques et note sur la Constitu-
tion de Pacide tungstique. 1864. 8.
Vom Herrn C. Bemigius Fresenius in Wiesbaden:
Anleitung sur quantitativen chemischen Analyse. Braunschweig
1864. 8.
JUwmUmg** von Drudctikrtfbe* SS7
Vom Herrn & 90» Matorüe in Hmmmer:
Beiträge «ur Geschichte des Braunschweig-LüneburgiBchen Hauses
and Hofes. 4. Heft. 1864. 8,
Vom Herrn J. A. Qrunert in Greifnoalde:
Archiv der Mathematik und Physik. 42 Thl. 9. Hft. 1864. 8.
Vom Herrn E. Muleant in Lyon:
Souvenirs d'un voyage en Allemagne. Paris 1862. 8.
Von den Herren C. A. Dorn und Behm in Stettin:
Amtlicher Bericht über die 38. Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte in Stettin im Septbr. 1809. Herausgegeben von den
Geschäftsführern derselben. 1864. 4.
Vom Herrn Engelbert Matsenauer in Wien:
Kometen und Sonnenlicht, eine Wirkung der Attraktion aus Prof.
P. T. Meissners Wärmelehre 1845. 8.
Vom Herrn Francesco ZantedescM in Fadua:
a) Documenti risguardanti la oattedra di Galileo Galilei. 1864. 8.
b) Appendice alla spettrometria e chimica astroatmosferioa; all
ozono studiatone* suoi rapporti colla elettricita atmosferioa e
la fotografia; e con un oenno degli avaasamentl della Meteoro-
logia in Italia. 1664. 8.
Vom Herrn Otmo Klopp in Hannover:
Leibnitii de expeditione Aegyptiaca Ludovico XIV. Franciae regi
proponenda scripta quae supersunt omnia adjecta praefatione
historico-critica. 1864. 8.
•»
Vom Herrn Samuel Haughton in Dublin:
a) On the Tides of the Arctic Seas 4.
388 Einsendungen von Druckschriften.
b) On tbe Reflexion of pokris^ lighi from poHshed sarfaoes, trans-
parent and metallio. 1862. 4
c) Erperimental researches on the granites of Ireland. Part. 3. On
the granites of DonegaL Part 4. On the Granites and Syenites
of DonegaL London 1862. a
Vom Herrn Ferdinand Piper in Berlin:
Dante und seine Theologie. 1865. 8.
Vom Herrn A. T. Eupffer in St Petersburg:
Compte-rendu annnel. Annee 1861. 62. 68. 4.
Vom Herrn Ferdinand Müller in St. Petersburg:
Ueber die Vorherbestimmung der Stürme und insbesondere über die
Stürme vom 1.— 4 Dezbr. 1863. 64. 4.
Vom Herrn B. Clausius in Braunschweig:
Abhandlangen über die mechanische Wärmetheorie. 1. Abthl. 1864. 8.
Vom Herrn Friedrich Hultsch in Berlin:
Heronis Alexandrini geometricorum et stereometricorum reliqoiae,
accedunt Didymi Alexandrini mensurae marmorum et anonymi
variae collectiones ex herone Euclide gemino Proclo Anatolio
aliisque. 1864. 8.
Vom Herrn Garem de Tassy in Paris:
Conrs D' Hindoustanä a l'ecole imperiale et speciale des langnes
orientales Vivantes, pres la bibliotheque imperiale 1864. 8.
Sach-Kegister.
Abies excelsa 124.
Aesculus Hippocastanum 188.
Agave americana (Bastfaser) 150.
Albertus magnus 61.
Avicenna 59.
Barometer, seine jährliche Periode 97.
Baumwollenfasern 128.
Blei, Verhalten sum Sauerstoff 278.
Cannabis sativa (Bastfaser) 150. 154.
Geltisohes 42.
Chemie (der Hausthiere) 91.
Chinarinde (Bastsellen) 144. 147. 168.
Chroniken (venezianische) 67.
Collomia 119.
Cyathea dealbata 189
Diluvium bei Abbeville 198.
Dipteracanthus ciliatus 120.
Dipteracanthus Schauerianus 120.
Dracocephalum Moldavioa 115.
Duns Scotus 68.
390 Sadi-Begisfr.
Epigraphik (etruskische) 42.
Fagus eylvatica 186.
Fleisch- und Fettnahrung beim Hunde 91
Formalistae 66.
Germania (Tacitus) 1.
Germania (Principe«) 1.
Geschichte (Kreuzzüge) 67.
zur deutschen G. Regesten aus den Handschriften der 8. Marcus-
bibliothek 171.
Geschiohtsquellen, ihr Verhältnis* zur mittelalterlichen Architektur 171,
Hakea pectinata 188. 140.
Hirngewicht 847.
Hirnvolumen 847.
Hyacinthus orientalis 188.
Inschriften, etruskische 42.
die perusinische 45. 47.
punische 299.
tibetische 805.
Insolation 216.
Keimprocess 208.
Kerria japonica 185.
Kobalt, Verhalten zum Sauerstoff 286.
Koprolithen 191.
Kunstgeschichte (mittelalterliche) 171.
Lallemantia peltata 115.
Lateinerzug nach Constantinopel 67.
Leinwandfasern 149. 154.
Linum usitatissimum (Bastzellen) 148.
Loucoera 187.
Bach-Register. 391
Magnetnadel 91.
Magnetische Variationen, ihre zehnjährige Periode 109.
Meier Helmbrecht 181.
Meteorologie 91. 97.
Mond, sein Einflnss auf die Magnetnadel 91.
Nickel, Verhalten zum Sauerstoff 282.
Oocam 64.
Ocimnm basilicum 114.
Philologie 1.
Phosphorit, Vorkommen 325.
Philosophie 58.
Pfahlbauten in Bayern 818.
Pflanzenphysiologie 114.
Pinus silvestris 124.
Polarwelle 100.
Popnlus dilatata 186. 139.
Begesten ans der St. Marensbibliothek 171
Robinia pseudacacia 138. 143.
Ruellia strepens 123.
Rnellia fgrmosa 123.
Salvia Aethiopis 116.
Salvia Horminom 117.
Schadelinnenraum 874.
Sehen, binoculares 372.
Sonnenflecken, ihre zehnjährigen Perioden 109.
Stärkmehl, Umwandlung 206
1
392 Sad*&gi$ser.
Taxus baocata 131.
Terministae 66.
Tacitas (Germania) 1.
Thallium, Verhalten zum Sauentoff 262.
Thomas von Aquino 61.
Thonknollen, phosphorsaure 191.
Torfmoorkultur 201.
Tropische Temperaturwelle 99.
Typhus, Aetiologie 247.
Universalienstreit im 13 und 14. Jahrhundert 58.
Yenedig, seine Stellung in der Weltgeschichte 180.
Viburnum Lantana 139.
Vinca minor, major (Bastzellen) 160.
Wasserstoffsuperozid, empfindliches Reagens 289.
Wismuth, Verhalten cum Sauerstoff 288.
Zellenmembranen (vegetabilische) ihr innerer Bau 114
1. Epidermiszellen von Samen und Früchten 114
2. Holzzellen der Coniferen 124.
3. Holzzellen der LaubhÖlzer 136.
4. Holzgefasse und Siebrohren 138.
6. Porenhöfe und Porenkanäle 141.
6. Bastzellen, ihre Streifung 144.
7. Bastfasern, ihre Quellungserscheinungen 151.
Namen -Kegister.
Bezold, von 372.
Bischoff 347.
Bohl 247.
Crüger 151.
Cramer 153.
Christ (Wahl) 178.
Döllinger, von 290.
Dammler in Halle (Wahl) 180.
Fischer in Erlangen (Wahl) 178.
Flügel in Dresden (Wahl) 178.
Qiesebrecht 171.
Gümbel 325.
Halm 1.
Haneberg 300.
Hefner- Alteneck, von 171.
Hase, Carl Benedikt (Nekrolog) 175.
Heneberg in Merode (Wahl) 179.
Hofmann 181.
Hundt, Graf von (Wahl) 179.
Jaffe in Berlin (Wahl) 179.
Joily 372.
394 NamenrRegister.
Keil in Erlangen (Wahl) 178.
Keinz 181.
Klenze, Leo von (Nekrolog) 179.
Köpke in Berlin (Wahl) 18a
Kunstmann 881.
Lamont 91. 97. 109.
Liebig, von 249.
Lorenz 48. 46.
Martins, von 191.
Merlan in Basel (Wahl) 179.
Müller, Marcus Josef. 178. 176.
Nageli 114
Pettenkofer 91.
Prantl 58.
Quatrefagee in Paris (Wahl) 179.
Biehl 171.
Roriere in Paris (Wahl) 179.
Schlagintweit, Emil (Wahl) 179.
Hermann, Ton 216.
Schönbein 249.
Siebold, von 818.
Steub 42.
«
Thomas 67. 180.
Talentinelli in Venedig 171.
Vißcher in Zürich (Wahl) 178.
Vogel jnn. 200. 208.
Wagner 198.
Wiedemann in Brannsohweig (Wahl) 179.
Würdinger (Wahl) 179.