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SITZUNGSBERICHTE
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DER ^ , '^ C C
PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
HUNDERTDRITTER BAND.
WIEN, 1883.
IN COMMISSrON BEI CARL GEROLD'8 SOHN
BDCHHAlinLIR DIR KAIS. AKADBMfB DBR WISBRNBCHAPTRM.
Druck von Adolf Holsbansen.
k. k. H*f« und UnlTenitäta'Buclidrocker in Wioa.
INHALT.
Seite
I. SItsuir ▼om 3. Jinner 1883 t
Schnchardt: Kreolische Stadien. IIL Ueber das Indoportn-
giesische you Dia 3
II* Sttnair ▼om 10. Jiniier 1883 19
Schachardt: Ueber die Bengaelasprache 21
Weihrich: Das Specalam des h. Aa^astinas and seine hand-
schriftliche Ueberlieferang 33
III. Sitzuif vom 17. Jänner 1883 65
Zimmermann: Ueber Hamens Stellang^ sa Berkeley and Kant 67
Gomperx: Herodoteische Stadien. 1 141
IT. Sitsuiir vom 31. Jänner 1883 179
Kremer: Beiträge sar arabischen Lexikographie 181
Hir Sehfeld: Gallische Stadien 271
T. Sitzniig Tom 14. Febraar 1883 329
Tl. Sitzung vom 28. Febraar 1883 330
Pfizmaier: Untersachnngen über Ainn-Gegenstände .... 333
Miklosich: Ueber Goethe^s ,Klaggesang von der edlen Frauen
des Asan Aga' 413
Petschenig: Ueber die textkritischen Grundlagen im sweiten
Theile von Cassians Conlationes 491
TIL Sitzang vom 7. März 1883 520
Gomperz: Herodoteische Stadien. II 521
I. SITZUNG VOM 3. JÄNNER 1883.
Herr Regierungsrath Dr. C. Ritter von Wurzbach er-
stattet den Dank fUr die dem 46. Theil des ^Biographiscken
Lexikons des Kaiserthums Oesterreich^ bewilligte Subvention.
Der Ausschuss der akademischen Lesehalle in Lemberg
übersendet den Rechenschaftsbericht für das Studienjahr 1881/2.
Von dem Director des k. bayr. Reichsarchivs zu München,
Herrn Geheimrath Dr. von Löher^ wird der VH. Band der
yArchivalischen Zeitschrift' für die akadenÜBche Bibliothek ein-
gesendet.
Das c. M. Herr Regierungsrath Dr. Beda Dudik, Capi-
tularpriester des Benedictiner - Stiftes Raigem, legt: , Aus-
züge aus dem RathsprotokoUe des k. k. Tribunals in Mähren
vom Jahre 1683' zur Veröffentlichung in den akademischen
Schriften vor*
Von dem c. M. Herrn Professor Dr. Hugo Schuchardt
in Graz wird eine Abhandlung unter dem Titel: ^Kreolische
Studien HI. Ueber das Indoportugiesische von Diu' flir die
Sitzungsberichte überreicht.
Siteufiber. d. phU.-kitt OL cm. Bd. 1. Hft.
An Druoksohriften wurden vorgelegt:
Acad^mie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique:
Bulletin. 50« ann^e, 3* s^rie, Tome ü, Nos. 9 et 10. Braxelles, 1881; 8«.
51« ann^e, 3« s^rie Tome ELI, No. 6. Bruxelles, 1882; 8». — 51« ann^,
3« s^rie, Tome IV, No. 11. Bmxelles, 1882; 8».
Akademie der Wissenschaften, königliche: öfversigt af Ftfrhandlingar. 39: de
Arg. Nr. 5 o. 6. Stockholm, 1882; 80.
Central-Commission, k. k. statistische: Ausweise über den auswärtigen
Handel der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahre 1881. ,Waaren-
einfuhr in das allgemeine Österreichisch-ungarische Zollgebiet^ II. Ab-
theilung, XLn. Jahrgang. Wien, 1882; gr. 4».
— zur Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale.
Vni. Band, 3. und 4. Heft. Wien, 1882; gr. 4\
Gesellschaft, kroatisch -archäologische: Viestnik. Godina IV, Br. 2 — 4.
U Zagrebu, 1882; S^.
— geschichts- und alterthumsforschende des Osterlandes: Mittheilungen.
Vm. Band, 2.-4. Heft. Altenburg, 1879—1882; 8». — IX. Band, 1. Heft.
Altenburg, 1882; 8«.
Handels- und Gewerbekammer in Linz: Statistischer Bericht Über die
gesammten wirthscfaaftlichen Verhältnisse Oberösterreichs in den Jahren
1876-1880. Linz, 1882; 8^.
Heidelberg, Universität: Akademische Schriften pro 1881—1882; 21 Stücke
8^ und 40.
Johns Hopkins University: Seventh annnal Report. Baltimore, 1882; 8<^.
— University Circulars. No. 3. Baltimore, 1880; 4». Vol. II, Nr. 19. Balti-
more, 1882; 4",
Journal the American of Philology. Vol. IH, No. 11. Baltimore, 1882; B^.
Mittheilungen aus Justus Perthes' geographischer Anstalt von Dr. A. Peter-
mann. XXVni. Band, 1882, XH. Gotha, 1882; 4«.
Müller, F. Max: The sacred books of the East. Vols. XIV et XVIII.
Oxford, 1882; 8».
Society, the royal goographical : Proceedings and monthly Record of Geo-
graphie. Vol. IV, Nr. 12. December 1882. London; d«.
Verein fOr Landeskunde von NiederOsterreich: Topographie von Nieder-
österreich. II. Band, 10. Heft. Wien, 1882; 4».
Wissenschaftlicher Club in Wien: Monatsblätter. IV. Jahrgang, Nr. 3.
Wien, 1882; 40.
Schuchardt. KreolUche Studien, ni.
Kreolische Studien.
Von
Hugo Sohuohardt,
corr. Mitglied der kais. Akademie der Wissenschaften.
III.
Ueber das Indoportoglesische von Dia.
■
J ulien Vinson im Dictionnaire des sciences anthropologi-
ques Art. Cr^oles (Linguistique) S. 335 f. bemerkt, dass das
Indoportugiesische nicht bloss auf Ceylon, sondern auch in dem
ganzen dravidischen Land, d. h. auf der Südspitze Indiens
gesprochen werde. Nach der Mittheilung Sr. Hochwtirden des
apostolischen Vicars von Pondich^ry, Herrn F. X. Corbet, wäre
das Indoportugiesische von Pondich^ry und überhaupt von der
Ostküste ausgeschlossen. Anderseits kommt es auch im Norden
vor, wie mir bezüglich Thanä's, Bassein's und der Nachbar-
schaft ein berühmter Bombayer Gelehrter versichert, der aber
wiederum meint, dass in den portugiesischen Besitzungen, näm-
lich Diu, Damäo und Goa, ausschliesslich das reine Portu-
giesisch herrsche. Diese Behauptung wird mir nur bezüglich
Goa's von Herrn Advocaten Antonio Felix Pereira in Nova
Goa bestätigt, und ich selbst bin im Stande sie gerade mit
Hinsicht auf den nördlichsten der angegebenen Punkte zu
widerlegen.
S. Excellenz der Gouverneur von Diu, Herr Pedro
Francisco d'O. Ferry da Camara, ist meinem Wunsche nach
Proben des dort volksthümlichen Portugiesisch mit besonderer
Liebenswürdigkeit nachgekommen, als Einer von denen, welche
den Denkmälern und Erinnerungen, die ihre Vorfahren an den
1*
Schuchardt.
africaniscUen und indischen Gestaden zurückgelassen haben,
ein warmes und förderndes Interesse entgegenbringen;
,Que hum ergue Dio, outro o defende erguido/
Die Proben, welche er mir geliefert hat, stammen aus
einer doppelten Quelle und damit hängt ihr verschiedener
Sprachcharakter zusammen. Die zuerst gesandten Materialien
(jB), besonders die Gespräche, sind gewiss aus dem Volks-
munde geschöpft; aber theils scheinen die Personen selbst^
denen sie abgehört wurden, in verschiedenen Graden das eigent-
liche Kreolisch mit dem Portugiesischen gemischt zu haben,
theils ist die Aufzeichnung flir das Befremdliche und Mannich-
faltige verantwortlich zu machen. Indem ich die etwas ver-
altete Ansicht hege, dass die Uebersetzung eines Bibelcapitels,
z. B. des Gleichnisses vom verlorenen Sohn, auf einem gewissen
Standpunkt sprachlichen Studiums einen Vortheil gewährt, der
anderswie kaum zu erreichen ist, bemühte ich mich einen
solchen Beitrag aus Diu zu erhalten und erhielt ihn in der
That. In diesem Texte (A) herrscht eine fast vollkommene
Consequenz; der, welcher ihn niedergeschrieben hat, beant-
wortet auch einzelne von mir an B angeknüpfte Fragen und
es ergibt sich, dass ihm hier Ein und das Andere fremd ist.
In der Schreibung habe ich Nichts geändert was irgendwie
von Wichtigkeit sein könnte.*
^ Ich glaabe, dass auch der fol^nde Brief eines dortigen Eingeborenen die
Oeffentlichkeit verdient; Phonetisches ist daraus mit Sicherheit nicht zn
entnehmen (vgl. fager = fazer, jitgado = zangado), Ueberhanpt lehr-
reich ist das, regelmässige -o für das weibliche -a {»iUtismo = exeeüentif-
aimaf, famüho, vido, dis/eüo u. s. w.) und daneben »ua für seu (s. Kreo-
lische Studien II, S. 812), und als tiefeinge wurzelt zeigt sich das para
bei directem und indirectem Object, dem vielleicht sogar das kaphol-
ländische voor entstammt (obwohl sich in der Lingfua franca und im
Rumänischen ein entsprechendes per und pre finden).
Ill»» Snr !• Sargente
istamareio a bom saude de VG* e do siletismo a famiiho deus
deis vido saude par VG* e par famiiho que a VG' perdoi par sua Pobre
Criado nao leve disfeito do pobre Criado vaa mador esta resebo que nao
VG' fici jagado heu fici do falar para a VG* que par heu fager o
serviso com Arvorado tei a hevige a tndo soldo anda fazendo a meu
quixos par madar desnomiar ellos dormo ate no sentinello vai meio
Kreolische Studien, m.
Diese Proben werden ausdrücklich als solche des portu-
guez criovlo oder ccistigo von Diu bezeichnet. Das Wort casti90
scheint hier eine Bedeutung zu haben ^ welche mit seiner ur-
sprünglichen im Widerspruch steht. Nach den portugiesischen
Wörterbüchern isjt ein casti90 ein in Indien von portugiesischen
Eltern Geborener; an die Stelle des Gegensatzes zum Einge-
borenen trat wohl schon früh der Gegensatz zu dem europäi-
schen Portugiesen, dem reinol; s. J. Long The Portuguese in
North India, Calcutta Review V, 255 (June 1846). Ob dieser
Ausdruck noch weiter im Werth gesunken ist und etwa, wie
sonst in Indien der Name topaz, sich auf einen Mischling oder
gar einen portugiesirten Indier bezieht, vermag ich nicht zu
sagen. Jedenfalls ist das portuguez casti90 weit davon ent-
fernt, vorzugsweise die Sprache der Leute von rein portugie-
sischem Blute zu sein.
Das KreoUsche von Diu unterscheidet sich, wie ich später
im Einzelnen zeigen werde, weit mehr von dem von Ceylon als
das von Cochim. Zur Vergleichung setze ich die bewusste
Parabel auch im Ceylonportugiesischen (O Novo Testamente,
Londres 1826) her.
A.
Kreolisch von Ceylon.
A Parabola de o ftlho prodigo.
11. Per hum certo hörnern tinha
dous ßlhos:
12. E 0 mais mogo d'elles ja
falla per o pai, Pai^ da
par mi a quinhaö de a fa-
zenda que par mi te compete.
E eile ja reparti per ellotros
seus Bens.
Kreolisch von Diu.
Barah d^utn ßlh estravagant»
Um komm tinh doiz ßlh :
Ja fallou par au pai aquel mais
piquirij que da-cd^ 8U quiäo
que ta pertence a eil. E eil ja
repartiu por tud doiz filh tud
quant tinh.
horras lises recoi as 5 horras i dipois quando fa^i micrico a dianto Sr.
fimher qne ello ficou para madar disnomiar a sua pobre Criado
Govinde Pungia.
^ Vgl. Cuervo Leng. Bogot.' S. 143.
Schnchardt.
13. j? naö muitos dias despois o
filho mais mogo ajuntando
tudo, ja parti per huä terra
longe, e ali ja desperdiga
8ua fazenda vivendo disso-
lutamente,
14. E quando d'elle tinha gas-
tado tudo^ huä grande fomi
ja sucede n'aquella terra; e
eile ja comega pera padege
necessidade.
15. E eile ja foi e ja ajunta st
mesmo per hum de os cida-
diads d'aquella terra; e eile
ja manda per eile per seus
varzes pera paatia os per-
COS.
16. E eile tinha desejado pera en-
cht seu barriga de os moti-
daduras que os porcasja co-
m4: e ninguem nunca ja da
per eile.
n. E tomando em si mesmo, eile
ja falla, Quantas jorncdei-
ras de meu pai tem ohun-
dangia de paö, e eu te pe-
rege de fome!
18. Eu lo irgue e lo anda per
meu pai^ e per eile lo fdüa,
Pai, eu ja pecca contra ceos,
e diante de ti,
19. £ mais naö tejn digno pera
ser chomado teuJUho:faze
par mi como hum de teus
jomaleiros.
20. E eüe irguindo, ja foi per
seu pai. E quando ainda
eile tinha de longe, seu pai
ja olha par eile, e ja senti
Depois de passd algum temp fez
um imbrui de tud su fat aquSll
rapaz piquin e ja foi jlcd
n'um terr hastant lonje estranh
e aUjd deu cah de tud, fazend
munt estragagäo.
E depois de ter dad cab de tud,
sucedeu vi iC aquill tei-r grand
caristi e eil prinspiou ter pri-
cizäo.
Ja sahiu d* ali e ja jicou com
um homm d' CLquell terr. Mais
est ja mandou par aquell par
um quintal d' eU par tomd cui-
dad de su criagäo deporc porc.
Nest lugar tinh buscd SU inche
SU barrig com comer d'aquell
porc porc, mais ninguem nä
tinh da.
Atd qui ja pensou e ja fallou:
na caz de mim pai te bastant
criad qui te munt comer e eu
ctqui td morre fom !
Eu had lavantd e had vai buscd
par mim pai e hadfalld: Pai^
eu jd pecou contr Cio e diant
de ÖS.
Jd nä ta merce nom de su. JUh:
faze de mim como de 6s criad
criad.
Ell jd levantou e jd foi buscd
SU pau E quand tinh ind lonj,
SU pai olhou par eil ejdjlcou
com pen qui jd cotTcu e bu-
Kreolisch« Stadien. III.
grande compaixäOy e corref^-
doj ja cahi sobre aeu pescogo,
e ja beija per eile.
21. E o JUho ja falla per eile,
Pai, eu ja pecea contra ceos,
e diante de tiy e mais naö
tem digno pera ser chamado
teu filho.
22. Mas o pai ja falla per seue
servidorsy Trize aqui o me-
Ihor vestido^ e vesti per eUe;
e bota hvm anela em 8ua
maöj e sapatoe em oa pes ;
23. E trize aqui o vaccinha gour-
day e mala; e eomemos, e
alegramos noe:
24. Videque este meu filko tinha
mortOf e toma tem vida; eile
ttnha perdidoj e tem achado.
E eUotros ja comega pera
ahgra.
25. E seuJUho o maia velho ti^
nha ne o varze: e como que
eile ja vi e ja ckega per a
caaa^ die ja ouvi o mvsico
e as dangas,
26. E chamando huma de os ser-
vidors, eile ja enculca que
tinha istol
27. E eile ja falla per eile,
vosso irmad ja vi tem; e
vosso pai ja mata a va-
ccinha gourda, videque eile
ja recebe per eile em bom
Saude,
28. E eile tinha irado e nada
entra: Videaquel seu pai ja
sahi, eja roga com eile pera
entra.
tou mäo na su gargant par
akragd e jd bijou.
E SU filh jd fallou : Pai, eu jd
pecou contr Ceo e diant de ös,
ja nä td mercS nom de ös filh.
Entäo jd fallou su pai par su
criad: Tird de press su me-
Ihor r6p e da visii par eil e
butd um anel na su ded e
sapat na su p4.
Trase tamem um vaquinh bem
gord e matd par nös come e
par nös regald:
Parqui est mim filh er mdrt e
agor jd Jicou viv: tinh per-
did e jd achou, E tud jd co-
megou fase banquSt,
E SU filh mais grand tinh an-
dad na camp e quand veo e
chegoupert de su caz, jd ouvio
muzic e cant,
E jd chamou um criad e jd
perguntou qui couz er aquelL
E criad jd fallou: Jd veo 6s
irmäo, e ös pai jd inandou
matd um vaquinh parqui eil
jd chegou com saud.
Ell entäo jd Jicou zangad e näo
queri entrd, Mais su pai jd
sahiu e jd rogou par eil par
entrd.
8
Sehnehardt.
29. E elie repostando ja falla
per seu pai, Olha^ estes tan-
tos annos eu ja servi per
tiy nem eu nehum tempo
nunca traspasaa teu man-
damento: e ainda nehum
tempo tu nunca ja da par mi
ati hum cabrito, que eu pode
alegra com meus amizades:
30. Maa este teu filho quem ja
desperdiga tua fazenda com
mudanas quandoja vi, tu ja
mata por eile o vaccinha
gourda.
31. E elleja falla per eile, FühOj
vosse sempre tem com mi, e
todas minhas cousas tem
V098a8.
32. Tinha competido que nos ja
Jica alegrados, e ja folga :
videque este vosso trmaö f t-
nha mortOy e toma tem vida;
e tinha perdidoj e tem aehado.
Mais eU ja deu est repost par
SU pai: Ja passou bastant ann
que eu ta servi sem nunc
deixd de respetd ös manda-
ment e ös nunc par mim na
deu um cahrit par eu regald
com mim amig;
Mais log que veo est ös ßlh qfie
ja gastou lud quant tinh com
mulher mtdher de md vidj log
ja mandou matd cahrit gord,
Entäo SU pai ja faUou: Filhj
ÖS sempr tem junt de mim e
tud de mim d de ös:
Er preciz faxe banquet e fun^äo
parqui est ös trmäo tinh mor-
rid e agor jd Jicou viv: tinh
perdid e achou.
B.
I.
Portugiesisch.
Frage. Como estil seu papä,
menina?
A senhora conceda Üceiifa para
eu me retirar, porque tenho
5 doente meu filho.
Gasta-se muito dinheiro nas
guami9oes d'um vestido.
Kreolisch von Diu.
Antwort. Meu pay tem que-
brad^ seu corp näo prest.
A senhara dd par mim licenqx
par vai casa, porque minh ßlh
td corpo näo prest,
Muito dinheir gastd quand butd
puty ^ e ßtinh no vestids.
^ A bemerkt: ,E8 giebt Nfchta, was pub^ heisst*. Rind. |)a^, ,B*od*?
Kreolische Studien, m.
9
Na viagem que fiz de Göa para
aqui, corri muito risco.
Muito me assustei na viagem.
Eu vim para aqai n'um vapor.
Morrea o infeliz Custodio sem
nada legar il familia.
A senhora . comprou hoje o
peixe ?
Participo a V. Sr.* que pelas
nove horas de noite minha
mulher teve o seu feliz buc-
cesso dando & luz uma me-
nina.
A senhora visinha sabe pre-
parar o doce bibinca?
Frage. A senhora para onde
vai?
Frage. AsdiscipulasdeV.Ex.»
aprendem bem?
Jantei e vim para aqui.
A senhora de por mim um bei-
jinho ao menino.
O meu cora9ao näo supporta
mais desgostos.
Ab crian9a8 fazem travesBuras
e desordens.
Quando veu de Gda par qai,
minh vid pvligaoa,
Muito 8tMt tomd meu corp na viaz. 10
Eu veu par qm nü vum vapor.
Murre v4 infelix Cuaiodj näo
deixd nem bibsurucam par 8Ü
famil.
A senhdra ja mercd dt de hoj 15
pamird^f
Particip Voss Senhori que honte
noo vor noiti minh mulher
ja fem patidj e da par luz
vuma bahy'chocory,' 20
Senhdra visinh sabe prepard vü
doci bibinc^f
Antwort. Eu oufazeminh vid.
25
Antwort. Duvds temcabeg brut,
voutras nad prendy eu minh
cust gast tud, dd par ellotres,
mos näo prend.
Eu agora mesmo jantdy e t;Su30
par qui.
A senhdra dd vüm boecö ^ a sü
hahasinh^y hamf
Meu cor^äo td madureddy com
disgost ja näo td mechi. 35
As crians id faze datanagäo^
e estäo gerreand.
* Ä : ,p{»mhird ist ein Fisch, welcher der muffem llhnelt^ Unter den Namen
Ton Aber 60 gewöhnlichen Fischen bei D. Forbes Dict. Engl. Hind. S. 108^
finde ich keinen ähnlichen. Nach Herrn Professor G. Btthler würde es
der in Indien viel gegessene pdmelo {bamelo) sein.
' Hind. backt {ch s= ti) ,weibl. Kind', chho/cH ,Mädchen^
3 Bibinca, s. Kreolische Studien II, 8. 806.
^ Ai um bde\ vgl. deutsch ^äulchen' ftir ,Ku88'.
^ Deminutiv von habd (unten IV, 2), hind. habä, häbu ,KiQd^
0 Nach A mu88 es heissen dayyujjao (damn.J,
10
Sehnekardt.
Ellas mutaamente se deBoom-
pöem.
40 A mim me bateu.
O cavallo deu um couce que
acertounobei90 do meu filho.
O seu filho DomingOB e muito
travesso.
46 Eu vou para a egreja e deixo
ficar com a senhora a minfaa
filha Paschda.
Ao apear-me do cavallo dei
uma quMa que magou-me
50 um bra90.
O cavallo tem bom passo.
Näo deixe ahi a crian9a, qfue
Ihe pode maguar no assento
alguma formiga.
^ö Näo empresto o beryo do meu
filho, porque estragam-no.
A visinha comeu hoje peixe
guisado?
E facil arranjar-se este prato,
^^ i por-lhe azeite, alhos, e a9a-
fräo.
Assim preparado toma-se mag-
nifico.
Visinha, saiba que eu estou
65 muito sentida com aquella
nossa visinha^ olha que tem
cora9ao duro, e lingoa que
nem o Christo poupa.
70 Senhor, eu vou hoje para Mu-
chuvard; volto amanhä e co-
Estavi dand rundad ^ vum para
votro.
Par mim jd td da.
Vou cavall jd td da vum ponpS
que acertd nohossö du minh ßllu
Vü 8Ü ßlh Damingui std muit
traquin,
Eu vai egrej e deixd ßear junto
se minh ßlh Pasquin,
Quand eu disembarc du cavaUj
cahiu e davou minh bra^.
0. cavall fdz bom pass.
Näo deixd ald a babesinh, que
macurd podS ruvi culat,^
Nd td da doldol ^ du minh ßlh,
porque levd e estragd.
Visinh cume di d'hcje bafß du
peix
4f
Näo vS fiad par faze^ butd pi-
cinh azeU, picinh alh, pidnh
aafräo.
Asei faxend ßcd vum prat que
näo ta podS largd du bocc,
Visinhj sabi que td eentid muit
com aqueüe outr visinh de
cor^o dury aquella eu lingu
dur näo quebr porque eetd
cumund, nem par Christ
poupds
Senhor, eu td vai hoje par Mu-
chuvardy aminhä ad vif de-
t = ndndetde.
' = cuUUra für cu,
' Kinderausdruck = dorme-Aorme] 8. unten IV, 2, 1.
* A: ,baßd de peix ^gesottener Fisch'. Wie Herr Professor G. Bühler mir
gütigst mittheilt, von gudsch, bdf^ ,DMnpf .
Kreolische Studien. III.
11
me90 com o servi^o dos con-
certos da caza de Malila.
Meu filfao estä incommodado,
apresentou-se-lhe um queixal.
Estaphanca mude-se para este
lugar.
Meu papa foi hoje para a horta
Dangravaddy.
De-me um peda90 d'aquelle
objecto.
Estou augmentando com o su-
stento da minha filha familia^
tenho alem de pagar os ope-
rarioB que trabalhäo c& em
casa.
Quanta i a terra que aqui
existe?
poi8 Maldia vaij tud concert
fasS.
Mi filh td incommod, porqtie
veu no 8Ü bocc vüm preg. 75
Eataphand d^ aqueUe inand *
müde.
Me pay td foi dt de hoj par
hört Dangravary,
Da par mim um pidnh d' aquel 80
coiz.'
Sobre minh cabeg td cahi au-
Stent du tud minh famil, tem
€u de pagd tambem os operes
que trabalhäo casa, 85
Quant male tem aquif
n.
1. Fapägai verd
Com bicc du lacre,
Levai est cart
Aquell ingrat.
Coro ;
Oh! bahy cur-cü-ry
Pentid cabel pela manh ced.
2. Amarai chendö^ grand
Com ping du azeite,
8e näo tem azeite,
Butä sangue do meu peit.
* Wohl für mao,
' Ä erklärt: yamarrai a traw^a (das senhonu) em f6miR senii- effpherica
em ponto grande por trae da cabe^^ Man könnte an franz. chignon
denken ; aber das Wort ist ein einheimisches ; R. Drummond Illustrations
of the grammatical part of the Gnzerattee, Mahratta and English lan-
gua^es (Bombay 1808) im unpaginirten Glossar: ,Cho(lo Guz: and Shendq
12 Sohveliardt.
3. Noibo com noibinh,
Oalinh com pentinh
Baix de janeil
J& trucä amiel.
4. Debaix du ramad
J& naceu lavar,
lA ve SU noibo
De chap^ annad.
5. CumSm arec betle,
Näo cuspi nu cham^
CuBpi nu m6 peit^
Regai mi cor9äo.
in.
Raminh, raminh,
Fegi na mäo,
Se querß amor,
Largd nu chäo.
Coro:
Oh! r£ manhäy
Oh! T% manhä^
R£ manhä.
Com vidrinh
Mandi panhi
Vuruvalh du manha.
IV. Kindenrene.
1.
Oh! boiÄ,« oh! boiA,
Oh! boiA, que i de leit?
Mah: the hair tied in a buncb on the back of the head hj Indian women,
and some yonng beanx. — It gives a comeliness to the face and there-
fore the widows, who are forbidden to look on men, cut it off.*
< Nach Ä: «Fuhrmann*. Vgl. Drummond a. a. O. ,Bhoee or Bhooee (Gui.)
Bearing on the Shoulder, Palankeen 6o^, Chairmao',
Krttolischt Stadien, m. 13
Nao vi leit;
Näo vi leit^
Vacc fiigi oiteir.
2.
1. Doly hah&j doly
Babi querS col^
Ni-nim, babi, ni-nim,
Babä piquinin.
2. AmbU-indö,
Amblä-indö,
Babä porque chor?
Mama, papä quer^ babi,
A mä butä för.
V. Negerlieder.
1.
Capitao forma companhia,
Marche Qt>-go-l&,
Go-go-lä, Go-go-U,
Marche Go-go-Ii,
Gogo-li, Go-go-U.
2.
Sam Paulo, ji batä eine,
Meia noite, ji nacd minino,
Meia noite, ja nacS minino.
3.
AventoUa ji pedi vento
Para nosso casamento,
Casamento du senhara,
Du senhara D. Ritta.
14 Schuchardt
VI. Sprichwort.
Vo caläo vai qui vai par pu9u qui vum di da mergulh.
vn. Anfang des G-laubensbekenntnisBea.
Creu meu Deu firmamento qui s^u un sua Deu du tudo
m^ cor9äo u. s. w.
Ob das Hindustani und das Gudscherati das Indoportu-
giesische von Diu — abgesehen vom Lexikalischen — irgend-
wie beeinflusst haben ^ vermag ich noch nicht mit Sicherheit
zu bestimmen. Das Verhalten des v, das vor labialem Vocal^
bald entsteht (vurny vurna, vuy vou^ vo, vor, voutras, votro B I,
11. 12. 18. 20. 22. 27. 32. 38. 39. 41. 43. 62. 75. VI, dovou
B I, 49), bald schwindet {6s A 18. 19. 21. 27. 29. 30. 31. 32,
iu B I, 24) macht durchaus den Eindruck, als ob es aus
einheimischer Spracheigenheit stamme. Mit den neuarischen
Sprachen Indiens stimmt unser Kreolisch in der Vorliebe für
consonantischen Auslaut überein (vgl. Beames, Comp, gramm.
I, 181). A zufolge fkllt jeder unbetonte auslautende Vocal (in
mehrsilbigen Wörtern) ab ; offenbar drückt B denselben Sprach-
zustand aus, gleitet nur vielfach in die portugiesische Schrei-
bung hinüber, so dass manche Wörter in doppelter Form
erscheinen (corpo corp, mnito muUy para par). E für a, o
{aquelle, mate) weist indirect ebendahin. Man könnte glauben,
dass in aeiihdra (B) das a lautbar ist; eher aber beruht
wohl der Unterschied von senhor auf dem ersten a allein,
das sich aus regressiver Assimilation erklärt (auch cap-
verd. sinhdray abgekürzt nhd). Selbst nach Muta cum liquida
fehlt der Vocal, so contr {A 18. 21), aempr (A 31), oiUr (Ä
I, 65), quebr (B I, 67); vgl. ellotrea {B I, 28) mit voutras
(B I, 27). Beispiele vom Schwund der Nasalvocale: homm^
^ Auch nach einem solchen: luvar B H, A.
- Das mm deutet nur an, dass hier keine Nasalimng des Vocals stattfindet.
Kreolische Stadien. III. 15
(4 11. 15), viaz {B I, 10). Zwei unbetonte Vocale sind ab-
geworfen in Cusiod (B I, 12), famil (B I, 14. 83), parab {A Tit.),
welches wohl zunächst für paraboa steht (altport. paravoa =
palavra). Aber lingu B I, 66. Von den sonstigen Lauterschei-
nungen ist keine besonders charakteristisch: Uebergang von
Ihf 7Üi in i (imbrui, quiäo)^ Schwund vortoniger Vocale (prins'
piau, mercey corgäo)^ a für e vor a {lavantd, vgl. curaz. la-
manid), i fUr a vor n (aminhä^, vgl. caringuejo Kreolische
Studien 11, S. 801), u, o fbr e, ei nach labialem Consonanten
(puUgavay hossö), Nasalirung des Vocals nach Nasal {cumund,
eumem) u. s. w. Manches davon ist aus dem Mutterland
herübergebracht worden.
Da im Auslaut die Vocale schwinden, so lautet z. B.
filka und ßlho im Kreolischen gleich : ßlh. Ob im Nothfall das
verschiedene Geschlecht hier wie anderswo (s. Kreolische Stu-
dien I, S. 904) durch Zusammensetzung wiedergegeben wird,
weiss ich nicht; meine Texte bieten mir kein Beispiel da^.
Ausdrücklich bezeugt A, dass der Plural der Substantiva
durch Wiederholung gebildet wird: cäo cäo ,Hunde'. Dasselbe
ist im Macaistischen der Fall. Aber nur wo auf Hervorhebung
des Plurals etwas ankommt und derselbe nicht auf andere Weise
sich kennzeichnet, wird dieses Mittel in Anwendung gebracht,
so porc porc A 15. 16, aiad criad A 19, mulher mulher A 30.
Hingegen doiz filh A 12, bastant criad A lly sapat na 8U pe
A 22, com mim amig A 29. B gewährt keinen Beleg fllr plu-
ralische Verdoppelung; wo Bezeichnung nothwendig erscheint,
dient derselben das flexivische -«, entweder an dem das Sub-
stantiv begleitenden Artikel (oder sonstigen attributiven Form)
allein (s. Kreolische Studien II, S. 814): as man« I, 36 (wenn
nicht etwa hier ci'tans lautlich dem criangas entspricht), oder
am Substantiv : no vestids I, 7, oder an beiden : os opirea I, 84.
Ebenso an substantivischen Pronominen : duvas, voutras I, 26 f.
Die Personalpronomina bieten nichts Bemerkenswerthes
dar; in der 2. P. S. wird ös, in der 2. P. PL dwutr, in der
3. P. PL eUauir gebraucht. Junto se (= vastef) ,bei Ihnen* B I,
46. Die port. Possessivpronomina dauern fort: ös (vosso^ -a),
»u (seu, 8ua), Wie aber dies su auf die weibliche Form 9ua
^ B II, 1 manh für manha befremdet.
16 Schachardt.
zurückgeht (vgl. Kreolische Studien II, S. 813 und oben S. 4),
so scheint auch fQr die 1. P. S. minha zu Grunde zu liegen;
mink finden wir in B (neben dem rein portugiesischen miu;
mS Jy 74. 78, mS II, ö. VII), aber A hat dafür mm, so dass
hier das Possessivpronomen sich an das Personalpronomen an-
geglichen haben würde, wie beide in ös lautlich zusammen-
gefallen sind. Was duvdä ,d\e Einen' (B I, 26) anlangt, meint
Ay so sage man in Diu nicht. Man bemerke den Gebrauch
von aqtid im Sinne des Artikels A 12; im spanischen Jargon
der Philippinen ist derselbe ganz gewöhnlich. Der portugie-
sische Artikel tritt in A nii'gends auf, wohl aber in B und zwar
sehr häufig, auch vor dem Possessivpronomen und sogar in
Fällen, wo er ganz unportugiesisch ist, so I, 57. 83 (zu letz-
terem vgl. du smhara Y, 3). Na gilt in A für em ; B scheint dem
männlichen no, nu den Vorzug zu geben (nu vum = n'um I, 11).
In Bezug auf die Umschreibung der Zeitformen unter-
scheidet sich das Kreolische von Diu in höchst beachtens-
werther Weise von dem von Ceylon und Cochim. Ich folge
zunächst der klaren Darstellung von A.
Dem Präsens dient hier nicht te^ sondern ta (auch cap-
verd. td): eu td vat, eu td murre ^ eu td mafd. Von einigen
Verben hat sich die 3. P. S. Ind. Präs. und zwar in der zeit-
lichen Function erhalten; so eu pöd, eu sab, natürlich auch eu
td für sich. Vor Allem te, ,hat* und ,i8t' (Beides 17); die Form
tem 31 unterscheidet sich davon wohl nur graphisch (vgl. na
29, jB I 55 neben näOy nä), Ist c 31 echt kreolisch?
Das Imperfectum wird mit tinh gebildet : tinh huscd, tinh
dd 16. Neben dem präsentischen ta hätte man hier tav er-
warten sollen, welches aber nur selbständig vorkommt, wie
übrigens auch tinh (,hatte' 11. 30; ,war' 20. 24). Andere orga-
nische Imperfectformen : er (24. 26. 32), queri (28), podie d. i.
pädia. Aber tinh sähe.
Im Präteritum verbindet sich jd nicht mit der aus dem
Infinitiv abgeleiteten in den andern Zeiten verwandten Form,
sondern mit dem portugiesischen Perfectum : eu jd comeuy eu
jd ßz. Im Texte fehlt das jd nicht selten (13. 14. 20. 25. 29);
ob unter besondem Bedingungen (z. B. neben der Negation:
na deu)f vermag ich nicht zu ergründen. AcJum 32 = jd aehou
Kiaolisohe Studien. III. 17
24. Als Präteritum von $ab$ wird mir sSb angefUhrt (vielleicht
ist die Weglassung des jd hier zufkllig). Haben wir nun hi^r
eine Vermischung zwischen dem portugiesischen Perfectum
und dem rein kreolischen: eomeu -\- jd comef Oder hat man in
Diu das Letztere früher nie (s. unten) gebraucht und ist also
das jd von Anfang an pleonastisch, nur verstärkend gewesen?
Das portugiesische Plusquamperfectum hat sich auch hier
erhalten: eu tinh andad, eu tinh aabid^ eu tinh podid.
Für das Futurum wird nicht lo verwandt; sondern hcui
(capverd. al) : eu had vai, eu had sabe, eu had pod^, eu had vi
(estarei). Schon im Portugiesischen hat ha-de grossentheils
rein futuralen Sinn angenommen. Im Süden ist diese Form
nur in Verschmelzung mit der Negation (nade) geblieben; s.
KreoUsche Studien 11, S. 812.
In B (wo im Folgenden keine römische Ziffer steht, ist I
gemeint) herrscht im Ausdruck der Zeiten grosse Verwirrung.
Das Präsens mit td findet sich 35. 36. 55. 82 ; ebenso oft steht
der blosse Infinitiv: 6. 45. 56. 62. Statt sabe : aabe 22;
statt pöd : pode 53 und sogar ta pode 63. Anderseits particip
17, gast 28 = gcutd 6, prend 27 (apr.), faz 51, quebr 67. Ja
eu du 24 neben eu vai 45, eu td vai^ 70. Von organischen
Imperfectformen : pidigava 9. Das Perfectum erscheint zuweilen
in seiner portugiesischen Gestalt: veu 8. 11, cahiuj davdu 49;
öfter bloss durch die Hauptform wiedergegeben, z. B. tomd 10,
murri 12. Seltener mit^a: jd mercd 15, jd tem 19. Sehr be-
fremdlich ist jd td dc£ 40. 41, wo wir jd dd erwarteten; ebenso
td foi 78. Diaembarc (desembarquei) 48 ; man beachte neben-
bei hier einen von den Seemannsausdrücken, wie sie in allen
kreolischen Mundarten, mit erweiterter Bedeutung, sich finden.
Futurum: ad vi 71; daneben vai, fcue. Eigenthümlich ist vi,
,es gibt' 59; vgl. vd IV, 1. Nicht wenig rein portugiesische
Formen, wie estäOy trabalhäOy munde, levai, regai, haben sich
eingeschmuggelt.
Mai8 für nuis (wie altport.) A 15. 16. 28. 29. 30.
Die Wortstellung weicht nicht selten von der in den
kreolischen Mundarten gewöhnlichen ab; nicht nur, dass das
Subject dem Verbum nachsteht, wie A 12, es steht auch das
Object dem Verbum voran, so B I, 10. 28. 35. 68. 72 (depois
Maidia vai% ,dann werde ich nach MaUla gehen'), selbst der
Sitsanfsbfr. d. pkil.-hist. Gl. Cm. Bd. I. Hfl. 2
18 Schaeliardt. KreolUehe Stadien, m.
Infinitiv vor dem ihn regierenden Verbum {maeurd pode ruvi
culat, ,weh thun kann eine Ameise dem H.' B ly 53). Im Hindo-
stani ist die Stellung des Objects (und auch des abhängigen Infi-
nitivs) vor dem Verbum die durchaus regelmässige, während
das Subject an der Spitze des Satzes zu stehen pflegt (J. Platts,
A grammar of the Hindüstäni, S. 228), so dass man z. B. so
ordnen würde : ^Die Leute grosse Steine in das Boot zu werfen
begannen^
n. SITZUNG VOM 10. JÄNNER 1888.
Die Leitung des Vereines für Landeskunde von Nieder-
österreich übermittelt ein Prachtexemplar der von dem ge-
nannten Vereine in Verbindung mit dem Alterthums- Vereine,
dem heraldisch-genealogischen Vereine ^Adler' und der numis-
matischen Gesellschaft herausgegebenen Festschrift zur sechs-
himdertjährigen Gedenkfeier der Belehnung des Hauses Habs-
burg mit Oesterreich.
Das c. M. Herr Director Dr. Conze in Berlin stellt
schriftlich einen die Nachlese zu der Sammlung der attischen
Ghrabrehefs betreffenden Antrag.
Von dem c. M. Herrn Professor Dr. Hugo Schuchardt
in Graz wird eine Abhandlung: ^Ueber die Benguelasprache^
mit dem Ersuchen um ihre Aufnahme in die Sitzungsberichte
tibersendet.
Die Kirchenväter-Commission legt zur Aufnahme in die
Sitzungsberichte eine Abhandlung des Herrn Professor Dr.
We ihr ich in Wien vor, welche den Titel führt: ,Das Spe-
culum des heiligen Augustinus und seine handschriftliche Ueber-
lieferung^
An Druckschriften wurden vorgelegt:
Acad^mie des sciences, inscriptions et belles-lettres de Toalonse: M6-
moires. 8« ß^rie, Tome II. — 1«^ semestre. Toulouse, 1880; 8«. Tome III. —
l**" semestre. Toulouse, 1881; 8^ — Table alphab^tique des mati^res
contenues dans les dix volumes de la septi^mo s^rie (1869—1878). Tou-
louse, 1880; 80.
2*
20
Acad^mie royale de Copenhag^e: Oyeraigt over Forh&ndlinger og^ dets Me-
dlemmera Arbejder i Aaret 1882. Nr. 2. Kj^benham; 8^^.
Akademie der Wiasenschaften, k. bayr. zu München: Sitzungsberichte der
philosophiflch-philologischen und historischen Classe 1882. Band II, Heft IL-
Manchen, 1882; 80.
Biblioteca e Mnseo comonale di Trento: Archivio Trentino. Anno I. Fa-
scicolo 10. Trento, 1882; 8».
Bonn, Universit&t: Akademische SehriAen pro 1881. 60 Stücke 4» und 8®.
Commission, Wünaer archäographische: Buch der Wirthschaft in Grodnoi
I. und II. Theil. Wilna, 1881 und 1882; 4«. — Beschreibung der Hand-
schriften der Öffentlichen Bibliothek zu Wilna, von F. Dobrjanskj.
Wilna, 1882 ; 8«.
Societas regia scientiaram danica: Reg^ta diplomatiea historiae danicae.
Series secunda, Tomas prior. II. Ab anno 1349 ad annum 1419. KjO-
benhayn, 1882; 4«.
Schuchardt. üeber die B«ngaelMpncke^ 21
lieber die Benguelasprache.
Von
Hugo Sohuchardt,
corNipondiitndein Mitglied« d«r kait. Akadeaiie dar Wissenscliaftexi.
Auf Kreolisches fahndend, erhielt ich von Herrn Constaneio
de Almada Gaerra in Benguela Mittheilungen über die Bengnela-
sprache, für welche i(^h ihm auch an dieser Stelle meinen ver-
bindlichsten Dank sage. Sie beziehen sich auf das reine
Benguela, wie es im Hinterland (port. sertdk>, afr. nano) ge-
sprochen wird, nicht auf das durch die Berührung mit dem
Portugiesischen und mit anderen afrikanischen Idiomen ziemlich
stark modificirte, wie es in der Stadt Benguela üblich ist.
Zwei Individuen, welche jenes vollständig mächtig sind, haben
als Autoritäten gedient.
Nach Cannecattim' (Obs. gramm. sobre a Lingua Bunda
S. XV) ist das Öenguela vom Bundu ' so verschieden, dass es
Personen, denen das letztere Muttersprache ist, nur mit Mühe
lernen; seine Herrschaft reicht bis zum Quanza, indem es sich
über die Quisama erstreckt, während deren östliche Nachbarn,
die Libolo, eine Bundu-Mundart reden. So viel ich sehen kann,
hält das Benguela zwischen dem Bundu und dem Hererö etwa
die Mitte; am aUemächsten verwandt scheint es mit dem Bondu
und dem Vanda zu sein, aus denen Hahn in seiner ,Grammatik
des Hererö' eine Reihe von Substantivformen mittheilt.
Bleek sammelte ein Vocabular und einige Gresänge in der
Benguelasprache, und zwar der Nano-Varietät (A comp, gramm.
§. 41. 496). Er konnte eine ziemlich lange Reihe von Sub-
1 Mein Gewährsmann nennt swar das Idiom, über welches er mich unter-
richtet, ka9nlnmdo'y es ist aber zn bedenken, dass dieser Ausdruck ur-
■prtlnglich eine sehr weite Bedeutung hat; im Angolensischen oder Bundu
heisst omu'bundu ,der Neger*.
22
Sehnoh^rdt.
stantivformen aufstellen ^ von denen er meint; dass sie im
Wesentlichen mit den Nano- Wörtern in Rath's Handschrift der
Grey Library übereinstimmen. Sein und mein Material lassen
nur in wenigen Punkten eine Vergleichung zu, wobei einige
Verschiedenheit wahrnehmbar ist.
Bei meiner nur oberflftchlichen Kenntniss von den Bantu-
sprachen imd meinen äusserst dürftigen Hilfsmitteln sind meine
Versuche, das Dunkle aufzuhellen, mit Nachsicht zu betrachten;
gerade auf diesem Gebiete würde die Heranziehung von räumlich
sehr Entferntem Öfters besonderen Nutzen gewähren. Ich halte
es ftir angezeigt, die portugiesische Uebersetzung, die ein-
gestandener- und offenkimdigermassen eine wenig wörtliche
ist, tmverändert wiederzugeben.'
Qeaprftohe.
Uaripöf
3i, Uatunda pif
Co nano.
Co onghira oeasti tchiudf
sSif ungana, ocaari tdiiuä.
Endemdi buapitaret
Date, ungana, capitare; nwlui
baiucoi'B andi,
Umbere uiroea andif
10 Si, ungana, opaari yatcho paa-
aelena an4ne.
Uambatere cnhSf
Diambata ^ epungo, cuenda ecupa,
cuenda onuuaa,
15 Po ocuiandiBsaf
Si.
Diangola oculanda.
Ulanda ya*
Epungo tehinganaf
20 Oiangolo [-a?] ouanga.
Est^ bom?
Estou sim. D'onde vens?
Venho do nano (sertao).
O caminho esti bom?
Sim, senhor, esti bom.
As chuvas ]& passaram?
Nao, senhor, näo passaram; os
rios ainda väo cheios.
Ainda cae chuva?
Sim, senhor, o chäo ainda tem
muita lama.
O que trazes tu?
Trage milho c ginguba e mos-
samballa [Felderzeugnisse].
Isso i para yender?
Sim.
Quero eu comprar.
Entao compra ja.
O milho custa muito caro?
Eu quero fazenda.
> DtM die Niedenchrift der Bengaelatoxte nach portugiesiBchen Principien
erfolgt ist, mnss Überall, besonders bei einigen Inoonsequenzen im Ange
behalten werden. O und o sind in der Hds. oft nicht su unterscheiden.
' 3n. cu-embdta ,traser^ Cann.
Veber.die BAngmlMprsehe.
23
Oango onh4f ohrin ^ oangola,
oeanj0nga, onheobe uangolaf
Diangola obrin.
Uichingana obüif
Bitano.
TchiHud; n-angola,
Tehicare, ungana; diende c'olo-
tchindere, Tchindere ufeta ^
te/utuL
Cuende.
Saripö, ungana.
Saripö.
Q116 fkzenda? algodäO; pano da
coata, ten^OB) canjinga ou 0
que queres tu?
Quero algodao.
QuantoB bitis [ein Längenmass] 26
queres?
CÜnco.
E caro; nao quero.
Pais deixe, sehher; vou ter com
0 branco. 0 branco paga bem. 30
Vai-te d'aqui.
Adeus, senhor.
Adeus.
Iiiedehen.
Umbi, umbi yangue
Yerera tuende
Caguere catchimbombo
Ososserd powi.
Os meuB paasarinhoB fugiraniy35
pousaram alem no chao^ lä
estao a daii9ar.
Eti müisei ungande, eti mitissi
ungande:
üendepif Diendecotchipa longo.
Uringa onhSf Oeutenda oloango,
Oango onkef Oango tchicola
omuenho.
Otchi andi pulare:
OH oeulalare co amen.
Um certo sujeito perguntou:
40
Onde vais? Vou falar ä miiiha
amante.
Dizer 0 que? Vou conversar.
Qual conversa? Dizer tolices
(causas m^). 45
Replicou entao 0 sujeito:
Vem antes estar commigo.
Caombo queto ocumola cosema,
Ocuende carire poaula;
Ociienje eto ocumola c'uacayno^
Ocuende carir angola.
Ob noBsoB cabritos veem a farinha,
Desejam ir para o pö do piläo;
Os nossos rapazes veem as rapa- 50
rigas,
Desejam ir para jimto d'ellas.
1 He. oeu-nUa, Ba. cu-ßUa, Congo curßUa, eu-fita Cann. ,zahlen^ Nach Bleek
§. 143 würde, wie im Hererö, so auch im Nano / fehlen ; dies wird jedoch
durch Formen, die er selbst citirt {(hgu-fa S. 188, o-fda S. 219), widerlegt.
24
Bokuekard«.
Binselne S&tiM.
Tvlangareeo catchuMebare eo Fallemos baixinho (ou em Be-
muno. Da umue uacupulay
56 urimhica.
Amen Baquerfyo, am»ii dapwnha.
Dacuiangola uiangola^ cai4 da-
eujuäta.
60 Datehuanda 9anda, caU datchv-
mola.
üfigande tuocupula uatehirumba.
gredo) paraqueninguemper'
ceba. Seatguemtepergontar,
dize-lhe outra (mente-lhe).
Ausentei-me, e entao perdi.
Tanto quiz que consegui.
Tanto procurei qne aehei.
Aquelle individuo (ou certo
individuo) eetA descontente.
Folgende Belege für die einzelnen Classen der Sub-
Btantiva stehen mir zu Gebote:
I. 0-, Bl. omu-, u- (He. Bu. omu-, U. ud-, Bl. ava-, oma- (He. wa-,
Bu. oa-, Ro. a-):
uä'Cayu ,die Frauen^
ud'lume ,die Männer^ Bl. ova-
lome.
Ro. u-, Va. 0-):
O'cayu ,die Frau' (He. otnu-
caze[ndu]y Bu. amu<agi, Ro.
u-^Mt/a).
fhlume ,der Mann', Bl. u-lome
(He. oiMirrvme[niu]^ Ro. u-
lume[n]f Va. o-lume),
O'cuenje ,der Jüngling', 50 (das
Deminutiv nach der XIH. Cl.
o-ga-cuendye BL).
ud-quemba ,die Lüge' (Lügen?);
vgl. uemhi ^lügenhaft'.
ud'Cayno ,die Mädchen' 50 (He.
ova-cazona, Bayeiye ba-cand).
m. 0-, Bl. «WIM-, t*. (He. Bu. Ro. IV. obi-, Bl. omi-, ort- (He. Bu.
omu): ofni-f Ro. ovi-):
O'tnuine ,der Finger' (He. omu- obi-muine ,die Finger'.
nt<6^ Ro. omu-ene).
Hier ist das Singularpräfix ganz mit dem Substantiv
verwachsen (vgl. Kreolische Studien I, S. 29, Anm. 1).
obi-ti ,die Ellen' 25 (He. omiti,
Bu. omi'xi ,Hölzer, Bäume*).
Die Portugiesen haben wie es
scheint die häufiger vorkom-
ü«b«r die B«iig«el»ipnck«.
25
V. e-, a-, BL e-, f- (He. c-, Bu.
ori', Ro. €"):
&fepe ydie Schulter' (Sindonga
e-pepS, He. e-vam&t, Congo ^
vemho Bastian H, 314).
trcupa ydie Qinguba' 13.
e-pungo ,die Hirse' 13. 19 (auch
Bl. yMais'; Sindonga oma-
pungu jMais').
a-io ,,der Zahn', Bl. e-yo (He.
Ro. e-yOf Bu. ori-ju),
Vn. fojteÄi-, Bl. o<yi- (He. Va.
Ro. otyi-, Bu. öj'tti-):
ichi andere ,der Weisse' 30.
Bl. otyi-ntere (Bu. omii-ndeZ«).
IX. o(ri)-, tt(^nj- (He. Bu. Ro.
Va. o[n]-):
om-bua ,der Hund' (He. om-hua,
Bu. oim-hua),
um-bere ,der Regen* 9, Bl. om-
6^2» (He. om-hura, Bu. on-
tTuZa^ Ro. am-bera).
on-ghira ,der Weg' 4 = Bl. on-
dyilla (He. on-^yira^ Bu. on-
on^gombe ,der Ochse' (He. Bu.
Ro. Va. oti-gombe).
un-gana ,der Herr' 7. 10. 33
(Bu. on-gana).
mende Pluralform adoptirt
(biti)^ so wie wir der Baauto,
der Betechuane sagen.
obi-pando ,die Ruder*.
VI. o-, obd- Bl. (WO-, OD- (He.
Bu. oma-^ Ro. o-, ova-):
o-pepe ,die Schultern' (Congo ma-
&em&tia Cann., Loango ma-
vembo Bastian H, 272).
obd'io ydie Zähne', Bl. ovä-yo
(Ro. ova-yo).
ovi-fitere Bl.
X. olo(nJ-, Bl. ozo(n)-^ (He.
ozofnj'y Bu. ojt[n]'f Ro.
olofn]', Va. ozi[n]-):
olon-gombe ,die Ochsen'.
I Es ist hier, wie im Herer6, mit z die gelispelte, d. h. interdentale Fri-
cativa gemeint, für welche Bleek 6' schreibt. Er sagt §. 150: ,The
softer sound 0' which is also found in the Nano language, sounds some-
times mach like V
26 8cli«ebardt.
o-8angueydB»Hviin^{Bn,o-8angi, olo-aangue ;die Hühner^
Va. o-santye).
o-massa »Mossamballa^ 14 (Bu.
o-masaa ydie Hirse').
Dahin gehören wohl auch 9-
angola, o^rin u. s. w.
Xni. (o)ca', oco'f Bl. occt-, oga-
(He. Bu. oca-):
ca-ombo ^das Zicklein' 48. Das
Wort für ,Ziege' lautet sonst
consonantisch an: He. on-
gombOf Bu. Ro. o^xomboy Va.
om-hondyo,
oco-njo ydsLß Haus' = Bl. oca-
ndyu ydas kleine Haus?' (He.
Ro. Va. on-dyuo, Bu. on-zo
,das Haus^).
XVI. Bleek sagt (§. 531), das
Vorkommen des Praefixes
pa- im Nano sei unsicher.
Vielleicht haben wir einen
Beleg dafür in
opa-ssi ,der Boden' 10, welches.
doch sicher mit Tette pa-nsi,
Indu parm ,Erde, Land' iden-
tisch ist. Ob hier der gleiche
Stamm vorliegt, wie im gleich-
bed. Fem. e-tchi XHI, Nika
tsi IX, Pokomo n-si, Kamba n-
di, Suaheli n-tt, Bu. o-cAt, He.
ocu-^tu. s. w.,muss ich dahin-
gestellt lassen.
Es ist indessen nicht unmöglich,
dass im Nano jxi durchaus mit
dem Stamm verwachsen und
das Wort der IX. Classe zu-
zuzählen ist; Kele pSndshe
,Erde, Land' gehört zu dieser
(Plur. ma-pindahe).
lieber die BengnelMprache. 27
Eine Reihe von Substantivformen weisB ich nicht zu be-
stimmen, so sande ^BlutS aturi ^Blutegel^ Co-pianga ^RaubS
8. S. 31. Sind endemdi ,die Regengüsse' 6, molui ^die Flüsse* 7,
umbi ,die Vöglein* 35 wirklich Plurale? Bleek hat o-rut ,der
Fluss* (Ro. Va. o*lui)y Plur. ozo-rui. Sollte in mo4ui das XVIII.
nur im Hererö nachgewiesene Präfix mo- stecken? Vgl. übrigens
Loango cu-Ue ^Fluss', Plur. ma-Uu Bastian U, 273.
Die Geschlechter werden, wo dies erforderlich ist, durch
Beifügung der Wörter für ,Mann' und ,Frau* unterschieden,
z. B. om-bua o-lume ,der Hund^ om-bua o-cay ,die Hündin';
on-^ombe o-lume ,der Ochs*, on-gombe o-cay ,die Kuh*.
Adjectivische Präfixe kann ich nicht mit Sicherheit
nachweisen ; man bemerke [pcisselena] e-nene (V) 11 {onene wird
mit ,Gro8ses' übersetzt; He. nene, Bu. honene ,gross').
Ein Numeralpräfix liegt vor in [oM-ftTI bi-tano (IV)
25. 27 (He. m-tano).
Wenigstens einen besondern Comparativ kennt das Ben-
guela: bare ,mehr' zu maene ,viel' (Loango btala zu bäne Bas-
tian n, 294. 304).
Demonstrativ-, Frage- und unbestimmte Pronomina
sind: u ,dieser', iü ,der dort^, aiü ,jener*, 4tch ,dies^ (He. otyiy
Loango atchij otcko Bastian H, 298. 300), erief ,wer?' o-nhSf
,was?^ ungande oder umue , Jemand^ muno ^Niemand^
Die absoluten Personalpronomina lauten:
Sing. 1 . amen ^ (He. ami^ Bu. emme),
2. obe (He. ove, Bu. ei6)y
3. eie I. (He. eye, Bu. muene)y
Plur. 1. eto (He. ete, Bu. etu),
2. eno (He. «ne, Bu. enu\
3. obo n. (He. ot?o, Bu. ene).
Eine Nebenform von amen, nämlich angue, wird im Genitiv-
verhältniss verwendet: tchi-angue oder tchi-ang ,mein^ Für
tchi-eie ,sein^ finde ich angegeben tch-ay.
Die Possessivpronomina werden natürlich durch die
Personalpronomina mit Genitivpräfixen dargestellt ; ich kann nur
wenige Belege geben. Ich weiss nicht, weshalb man das der
Vn. Classe so bevorzugt. Wie Cannecattim ,mein^ mit quiami
1 Das auslautende n erklärt sich aus der Wirkung des vorausgehenden m,
ganz wie das zweite m in port. mim.
28 Schmchardt.
übersetzt^ so mein Gewährsinaiin mit tehianguey und er nimmt
da wo das PoBsessivurn anders anlautet, eine euphonische Ver-
änderung an^ 80 in c&njo i-ohe ,dein Haus^; vgl. He. on-dyw>
y-a-vSy Bu. an-sso i-e. Ein anderes Beispiel von vermeintlichem
i' fbr tchi-: cambar y-angue (die Uebersetzung ist nicht beigefügt).
Cc^ombo qvreto 48, Xm. Classe.
Die pronominalen Verbalpräfixe subjectiver Func-
tion sind diese:
Sing. 1. di (He. dyi, Bu. nghC)y
2. u (He. u, Bu. ti),
3. u I. (He. Uy Bu. u)y
Plur. 1. tu (He. tuy Bu. in),
2. mu^ (He. mu, Bu. nu)y
3. ba n. (He. ve, Bu. a).
Präfixe anderer Classen als der beiden ersten kann ich
mit Sicherheit nicht nachweisen. Statt u-iroca 9 erwartete ich
y^aroca (He. ocu-roca, Bu. cu-noea ,regnenO, da das vorher-
gehende um*&6r6 der IX. Classe angehört; vgl. [opassi^y-atcho 10.
Die Grundform des Verbums liegt vor im Imperativ,
z. B. landa oder nachdrücklich landa iobe ,kaufe' (He. randa)]
hier vermag ich das i vor dem Personalpronomen nicht zu er-
klären. Eine indicativische (oder conjunctivische) Form an
Stelle einer imperati vischen: u-landa 18, Urrimbica 55 (vgl. He.
ocvr-rimbica ,den Athem an sich halten').
Das Präsens wird gebildet durch die einfache Ver-
bindung der Subjectspraefixa mit der Grundform:
amen di-landa ,ich kaufe',
obe U'landa,
eU u-landay
eto tU'landay
eno mu-landay
obo ba-landa.
Die vollen Pronomina werden hier, wie überhaupt, nur
selten angewandt; ja sogar die Präfixe fehlen öfter, z. B.
tchingana 19, welches so viel heissen muss wie ,du verlangst ^7;
vgl. u-tchingana 25.
Das Präteritum wird auf dreifiiche Weise gebildet:
1 Mu für ntt in Folg^ der labialen Wirkung des u.
17«b«r die B«iifu«lftipnelie. 39
1. ein imperfectisches Präfix a- und ein perfectischeB
Suffix -rej welche in anderen BantuBprachen eine getrennte
Anwendung finden (s. Fr. Müller ^ Grundriss I, u, S. 259),
wirken hier gemeinsam:
amen d-a-landa-re ^ich kaufte^,
obe u-a-landa-re,
eie u-a-landa-rej
eto tu-a-landa^rey
■
eno mu-a-landa-re,
oho bu-a-landa-re.
Man bemerke bu-a, während man erwarten sollte b-a
(He. v-a, Bu. a) = ba + a: es hat wohl die Analogie der 1.
und 2. P. Plur. sich geltend gemacht. Aber b-a-iuca-^e 8 (vgl.
He. ocu-yuca ^auswerfen und ausstossen' ?). Das Hererö und
Bundu imterscheiden sich noch darin vom Benguela, dass das
a, mit welchem die Grundform schliesst, vor -re (-fe) regel-
mässig zu e oder i wird (z. B. He. tu-a-rande-re) , während
dies im Benguela nur bei einigen Verben zu geschehen scheint
(s. unten).
Diese Form ist gewissermassen die Hauptform ; alle Verba
können sie bilden, manche bilden nur sie. Am häufigsten ge-
braucht wird jedoch
2. diejenige, in welcher das a der unveränderten Gmnd-
form präfigirt ist (im Hererö: imperfectes Präsens):
amen d-a-possuca ,ich wachte auf ^,
obe u-a-possucay
eie Vra-possucay
eto tu-a-posmca,
eno mu-a-possuea,
obo buro-poBsuca,
3. endlich tritt, und dieses Mittel scheint verhältniss-
mässig jung zu sein, neben das a ein tchiy welches dem tyi
des Hererö (arire ,e8 geschah^ -|- tyi + imperf. Präs. =
Präteritum, Hahn §. 204) und dem qui des Bundu {qui + Pro-
nominalpräf. -\- Grundform = Conj. Fut. 2 nach Cann. ; Prono-
* Ich glaube das port. acordar, welches dies Verbum übersetzt, in der
intransitiTeii, nicht in der transitiven Bedeutnng nehmen su müssen;
das Snffiz -uoa pflegt Intransitiva abznleiten (s. Hahn §. 163).
30 Schaohtrdt.
minalpräf. + qui -f Grundform = Ind. und Conj. Fut. 1 und
2 nach SA.; Pronominalpräf. + a -|- qui + Perfectform auf
'le = Conj. Prät. nach SA.) entspricht:
amen d-a-tchi-sanda ,ich trachtete^
obe Ura-tchi'Sanda,
eie u-a^tchi'Sanday
eto tu-a-tchi^sanda,
eno mu-'€htch%'8a7ida^
obo bu-a-tchusanda.
Das Futurum enthält in seiner zweiten Hälfte den In-
finitiv; die erste areca muss daher ein Verbum mit einer Be-
deutung wie ,wollen*, »wünschen^, ,gehen' sein (vgl. He. fiara,
womit ein Optativ gebildet wird: b-a-hara ocu-aruca ,ich wünsche
heimzugehen' Hahn §. 213):
amen d-areca ocu-landa ^ich werde kaufen'^
obe u-areca ocu-landa,
eie u-areca ocu-landa,
eto tu-areca ocu-landa,
eno mu-areca ocu-landa,
obo bu-areca ocu-landa.
Im Conditionalis bemerken wir vor dem Infinitiv das
von den beiden Partikeln da und a eingeschlossene Pronominal-
präfix. Da wird eine hypothetische Partikel sein (da ,wenn' 54)
vielleicht identisch mit dem verbalen nda des Hererö (,wäh-
rend', ,indem'; nda-cuzu, ebenso wie tya-cuzu, ,wenn' Hahn
§. 291); a kann hier nicht präterital^ sondern nur futural sein,
Abkürzimg von ya ,gehen':
amen da^nd-a ocu-landa ^ich würde kaufen',
obe da'-ura ocu^landa^
eie da^u-a ocu-landa
eto da-tu^a ocu-landa,
eno da^mu-<i ocu-landa
obo da-bu-a ocu-landa.
Der Infinitiv besteht, wie im HerercJ, ßundu u. s. w.,
aus der Grundform mit dem Nominalpräfix der XV. Classe:
ocu-landa, ocu-posenca, ocu-nhana , rauben', ocn-tapura ,mdem*.
Es zeigen sich bei einzelnen Verben Unregelmässigkeiten.
Statt des Infinitivpräfixes ocv- findet sich blos o-, so in o-cassi
,sein' (estar, ser), Präs. di-cassi, o-tunda ,sich entfemen^^ Imp.
Ueber die BengnelMpnoh«. 31
tumda. Daher kami es gescliehen, dass das »cu- von ocu- als
stammhaft betrachtet wird (vgl. oben a-mulne = omu-ine) : o-cur
pula = oeurpula (He. oOürpwra, Bu. cuibuhi), Imp. 2. PI. cupula
6110, Prät. d'€hcupulare (vgl. u-^-^eupida 54^ das der Form, nicht
der Bedeutung nach ein Prät. der 2. Bildung ist). Doch scheint
auch pula als Grundform verwandt zu werden. Auch pulissa wird
angegeben in der Bed. »frage^, obwohl mit dem SufiELx -iasa
Causativa gebildet werden (so ocu-landa 17 ^kaufen', ocu-
landiasa lö ^verkaufen') ; umgekehrt pulare 46 ^antwortetet
Ouende ,geh' enthält infinitivisches cur] vgl. He. oeu-enda
(für ocih'yenda), Bu. cu-enda ^gehen^. Im Loango minu yendi
und minu cuenda ,ich gehe^ Bastian H, 288. 297; tuenda und
yendu ^geh^ ebenda 303. Mit o- für ocu- ist identisch u in u-afa
ySterben^ (nach Bleek im Nano o-gurfa S. 188 Anm., wo die
Formen der verwandten Sprachen, meist -fa oder -fua, ver-
zeichnet sind; statt Congo cu-fua hat Cann. cu-Hiff&a.\ Präs.
dirafa, Prät. d-^i-fare (für d-ärafare). Manche Infinitive finde
ich ohne jedes Präfix, so tambula ,nehmen' (He. ocu-camhuray
Bu. cfj^-tambula) y^ capa ,setzen^, Präs. di-tamhulay di-capa. Bei
tuara ^bringen' ist es schwer, die Grundform zu ermitteln:
Präs. duara, Prät. duarerey Cond. da-ndara (wo zu erwarten
gewesen wäre: da-nd-a tuara), — Das Präteritum geht zu-
weilen statt auf -are auf -ere oder -ire (dies nach i und n in
der vorhergehenden Silbe) aus, wie das regelmässig geschieht
im Hererö und Bundu (hier -e/e, -ile)] so das eben erwähnte
duarere, u-a-mbatere 12 (vgl. di-a-mbata 13, Präteritum der
2. Bildungsweise) und d-a-tundü^e zu tunda. Merkwürdige Er-
weiterungen der Präteritalendung zeigen sich in d-a-tunderiare
neben d-a-tundire und in d-a-tckicapaebare zu capa. Von der
Gbnndform weicht im Stamme ab d-a-^narare zu ocu-mola ,sehen^
(He. ocu-manay Bu. cu-mona). Zu o-caad ,sein' lautet das Prä-
teritum: d^-earere (He. ocu-caray Bu. cu-cala, Loango käl^, käre
Bastian H, 279, ,8ein^, eig. ,sitzen^).
Die verbale Negation erscheint in Gestalt von ca (dies
ist das gewöhnliche Wort in den Bantusprachen) neben dem
Perfectum : ca-pitare 7 (vgl. bu-a-pitare 6 ; He. ocu-pita ,heraus-
gehen^y Bu. ocu-bita ^hinübergehen^) ; neben dem Präsens als «?
in si-angola 28 (vgl. saquerSpo 57 ?) ; si, .,co mit häufig unter-
drücktem n verneint im Lpango (Bastian H, 275. 290). Haben
32 Scbuchardt. Ueber die B«iign«lMpraelie.
wir dieses co (auch im He. ca , . . co) in tu-langareco 53 wieder-
zufinden ?
Den äussern Anschein einer verbalen Partikel hat -po
in u-aripö 1, aarvpö 33. 34 (übt hier s- Optative Function?),
scLqiMre'po 57 ; aber in Bezug auf den Sinn weichen diese drei
Fälle untereinander und die beiden letzten wenigstens vom
fragenden po des.Hererö ab.
Was die Adverbien anlangt, so erscheinen sie im Hererö
und Bundu vielfach mit dem Präfix tyi-^ [bez. qui-; aber es
ist das kein speciell adverbiales, sondern das Präfix der VII. CL,
welches viele substantivirte Adjectiva (bes. mit neutralem Sinne)
tragen und sogar einige abhängige Adjectiva, indem sie sich
von dem Substantiv, zu dem sie gehören, emancipiren. Im Ben*
guela wird in entsprechender Weise tchi- verwandt : tchretito
heisst ,Kleines^ und ,wemg^ Wenn für ,Kleines^ auch etito an-
geführt wird, so ist daa wohl die Form des eigentlichen Adjectivs
(vgl. He. oka-titi ,klein'). Adverbium ist tchi-tui ,gut' 4. 5. 31
(He. ua ,gut% wohl auch tchi-tiue 28. Von Ortsadverbien kann
ich anftkhren : papa ,hier^ (Bu. boba, Congo bava Cann., Loango
ava Bastian n, 302), vpapa ,von hier^, upopo ,von dort' (d'alli;
Loango ovo ,dort' Bastian a. a. O.), oco ,dort' (acolä), pi? ,wo?'
(He. pif Bu. hebif). Von sonstigen: date ,nein' 7; andi ,noch'
8. 9, vgl. 46 (Bu. kangi). Ist otchi 46 = He. otyi ,so' ? St 2.
10. 16 (Bu. chim\ ,ja' ist Lehnwort = port. sim; ebenso ya 18.
Präpositionen sind :.co ,von' (He. Bu. cm), />o ,ftir' (He.
pH, Bu. iu), la ,mit' (He. na, Bu. ni, Sotho le).
Wie schon erwähnt, behauptet mein Gewährsmann, dass
zur Vermeidung von Hiatus und Elakophonie mancherlei Ver-
änderungen vorgenommen würden. Wenn das z. B. einleuchtet
bei danda 'carere oder dand'ocarere für danda ocarere und bei
da 'ndai'e oder dJendare für da-endare (diesen Worten ist keine
Uebersetzung beigegeben, s. ähnliche Formen auf der vorher-
gehenden Seite), so vermag ich eine solche Wirkung nicht zu
erkennen in : cotchipa lango für otchipa ango, noch in : ocuUnda
oloango für ocutenda ango.
Wei brich'. Das Specnlnm des h. Angnstinns n. seine hsndschr. Ueberlieferung. 33
Das Speeulum des h. Augustinus und seine
handschriftliehe üeberiieferung.
Von
Prof. Dr. F. Weihrioh.
L
1. -oLugustinus beschäftigte sich in den letzten Jahren
seines Lebens mit der Abfassung des Speculums und hinterliess
die Schrift in unvollendetem Zustande. In der kritischen
Revue, welche er um 426 — 427 über die bis dahin veröffent-
lichten Werke schrieb, ist das Speeulum nicht angeflihrt, aber
der Bischof Possidius von Calama, der innige Freund und
Biograph des grossen Mannes, erwähnt in der Vüa nach Be-
sprechung jenes Werkes de recensione librorum und unmittelbar
vor dem Berichte über die kriegerischen Ereignisse des Jahres
428 die genannte Schrift als das bemerkenswertheste der-
jenigen Werke, die in Folge von des Verfassers vorzeitigem
Ableben nicht mehr vollendet wurden. Possidius bemerkt dabei,
Augustinus habe als ein Mann, der bemüht war^ Allen in jeder
Beziehung zu nützen, seine schriftstellerische Thätigkeit auch
darauf ausgedehnt, dass er zu dem Zwecke, den Leser zu sitt-
licher Selbsterkenntniss zu flihren, aus dem Alten und Neuen
Testamente Sittengesetze auszog und zu einem Buche vereinigte,
eine Vorrede voranschickte und die Bezeichnung ^Speculum^
als Titel bestimmte.^ Es wird zwar in dieser Bemerkung des
^ Possidius de vüa S. AugutUni c. 28: Imperfecta eiiam quaedam wo-
rum librorum praeuentu» morle dereliguU, Quique prodeste omnUnu
uolenij tt ualentibus multa Ubroi-um legere et non ualentibuef ex utroque
diuino teeiamerUOf uetere et nouo, praemieea prae/atione praecepla
diuina eeu uetita ad uUae regulam pertinentia excerpeit atque ex hie unum
Sitrangtber. d. phil-hitt. Gl. an. Bd. I. Hft. 8
34 Weihrich.
Biographen eine Andeutung über die Art und den Umfang der
UnvoUkommenheiten dieser Schrift vermisst, so dass man in
dieser Frage ausschliesslich auf den überlieferten Zustand und
Inhalt der Schrift selbst angewiesen ist. Die Arbeit muss aber
zu einem solchen Abschluss gediehen sein, dass sie veröffentlicht
und von Possidius in dem Verzeichnisse der Schriften noch
aufgeführt zu werden verdiente. Um die Wende des fünften
und sechsten Jahrhunderts erfreute sich das Werk der beson-
deren Anerkennung von Seiten des gelehrten Staatsmannes
Cassiodorus Senator, der es als eine Art Moralphilosophie
bezeichnete und der aufmerksamen Leetüre nachdrücklich
empfahl.^
Diese beiden Zeugnisse über die Entstehung und Ver-
breitung der Schrift stimmen in der Angabe des Inhalts, den
sie bot, und in der Bezeichnung des Zweckes, dem sie diente,
vollkommen überein; es ist aber ein Moment von nicht un-
erheblicher Bedeutung, wenn Possidius noch die äussere Eigen-
schaft hervorhebt, dass sie eine 'praefatio besessen habe, und
die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dass auf Composition
und Formgebung Cassiodorus hindeuten will, wenn er sie einen
liber quasi philosophiae moralü nennt.
2. Das überlieferte handschriftliche Material bietet uns
zwei Werke, welche Stoff und Zweck im Allgemeinen mitein-
ander gemein haben, aber durch die Auswahl der Bibelstellen
und den Wortlaut des Textes, durch Anlage und Gliederung
eodieem fedt^ ut qui ueUel Ugeret <U^e in eo uel quam oboedien» Deo tn-
oboedienaue eiset agnoacerety et hoe opu» uoluit apectklum appeUari, Der
durch quique angedeutete ZusAmmenhang zwischen beiden Stttzen ist
ein solcher, dass der zweite nur ein specielles Beispiel von dem anführt,
was im ersten allgemein durch imperfecta quaedam ntorum librorum be-
zeichnet ist: ,und so hat er auch — — Sittengesetze ausgezogen*. In
uoluit hegt nicht die Bedeutung der blossen Absicht, sondern das Ver-
bum hat den in der amtlichen Sprache des römischen Curialstiles ge-
läufigen Sinn von beatimmerif feataetzen, so dass appeUari uoltät so viel
heisst als tnacripait,
^ Cassiodorus de inatit, diu. aeript, c. 16: Liber eiuadem Äuguatini quaai
philoaophiae mof*a/t«, quem pro vioribtia inatUuendia atque eorrigendia
ex diuina aueioritate coUegit apeculumque nominauit, magna intentione
Ugendua eat
Da« Specnlum des h. Angustinas and seine handscHr. üeberliefernng. 35
sich wesentlich von einander unterscheiden.^ Beide Schriften
sind eine Sammlung von ausgewählten Bibelstellen, die geeignet
sind, den Menschen durch das unvermittelte göttliche Wort
zur Selbsterkenntniss und Selbstbeurtheilung zu führen ; die
eine aber, ,Qww ignorat'j besteht in einer einfachen Aneinander-
reihung der Stellen in der Folge der biblischen Bücher nach
dem hieronymianischen Texte und besitzt eine Vorrede, die
andere, ,Audi lerahd^y fasst die Sittengebote unter höheren
Gesichtspunkten in Capiteln zusammen, die mit entsprechenden
Ueberschriften versehen sind, sie folgt dem Texte einer älteren
und zwar afrikanischen Bibelübersetzung und entbehrt der
Vorrede.
3. Alle Ausgaben, sowohl die der gesammten Werke von
der Baseler ^ aus dem Jahre 1506 bis zu der der Benedictiner
von St. Maur, als auch die römische Sonderausgabe von 1679, ^
brachten nur das Speculum ,QaiB ignoraif zum Druck, während
die andere Redaction bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts im-
beachtet blieb. Im Jahre 1654 veröffentlichte Hieronymus
Vignier, Priester des Oratoriums zu Paris, das Speculum ,2lt^^i
^ Die Unechtheit der beiden kleineren Schriften, die gleichfalls den Titel
Speculum S. Augtutini führen, ist so unzweifelhaft, dass dieselben von
aller Discussion ausgeschlossen sind. Das eine: fAdetto mihi* (Migne
40, 967 — 984) ist betitelt Speculum oder Manuale oder Libellus catho-
Kcae fidei und enthält selbst Excerpte aus Alcuins Schriften; das
zweite: tQuoniam, eari^aime, in uia huius saeculi fugientit sumus* (Migpae
40, 983 — 992), in der Begel Speculum Peccatoris betitelt, kann nicht
vor dem zehnten Jahrhundert abgefasst sein. Dieselben werden hier nur
erwähnt, weil Montfaucon (Biblioth. bibl. II, 728—729 und Palaeogr.
gr. 326) die Mittheilung macht, dass sich in einem Pariser Codex des
Kicetas Choniates Acominatus ein griechisches Fragment fände
EX Tf}C Sidrrpa^ toü [xoxopfou aOyouffTJvou. Dieses Fragment entstammt
nämlich dem erstgenannten Speculum ^Adeato mihi* und ist die griech.
Uebertragang von Cap. 17 und des Anfangs von Cap. 18 bei Migne 40,
976. Die Handschrift, der Codex Parisinus gr. 1234, saec. XIY., von
loannes Scutariotes geschrieben, 394 Blätter in Folio, enthält Nicetae
Choniafae AeommaH Panoplia dogmatica und bietet das Fragment auf
Fol. 5 in der Mitte. Es dtlrfte nicht ohne Interesse sein, dasselbe in
seinem ganzen Umfang in dem Excurse folgen zu lassen.
' D. Attgustini opera. Basileae apud Joannem Amerbachium. 1506.
' Dini Aurelii Augustini episcopi Hipponensis Speculum. Romae. Ex typo-
graphia Josephi Vanaccii. 1679. (Ed. J. M. Thomasios.)
8*
36 Wethrich.
Israhd^y das er in der aus der Bibliothek der Herren deMesmes
stammenden und jetzt in der Nationalbibliothek zu Paris auf be-
wahrten Theodulfbibel entdeckte. < Es war jedoch ein eigenes Miss-
geschickt dass der Herausgeber nur aus demjenigen Manuscripte
schöpfen konnte, in welchem der Text unter Beibehaltung der
wesentlichen Eigenschaft der Capiteleintheilung in den Wortlaut
der Vulgata umgesetzt erscheint und dass er bei der Herstellung
des Druckes mit einem Ungeschick und einer Sorglosigkeit
verfahr, die nach heutiger Anschauung allen Tadel verdiente.
Die Benedictiner zollten der neuen Erscheinung so wenig Aner-
kennung, dass sie in ihrer Gesammtausgabe von 1679 — 1700 das
Werk nicht einmal unter die unechten Schriften aufnahmen.
In unserem Jahrhunderte ward die Aufmerksamkeit von Neuem
auf diese Schrift gelenkt. In der Bibliothek des Cistercienser-
klosters von Sta Croce di Gerusalemme zu Rom fand sich
der Codex Sessorianus, in welchem das neue Speculum in einer
ursprünglicheren Gestalt erschien. Der Cardinal Wiseman
benützte die Handschrift und entnahm ihr 1832 das vielbe-
sprochene Citat für seine Erörterungen über das Comma
Johanneum,^ und der Cardinal Angel o Mai gab Aufschluss
über den Umfang und die Bedeutung des Manuscriptes ^ und
liess 1852 das Speculum daraus vollständig abdrucken.^ Durch
die neue Form des Bibeltextes, sowie durch eine Reihe sprach-
licher Erscheinungen erweckte die Publication Mai's das Interesse
der biblischen Exegese und der historischen Sprachwissenschaft;
einer kritischen Untersuchung aber^ deren sie dringend bedarf,
ward sie bisher nicht unterzogen.
4. In der Praefatio des Speculum ,Qww ignorat^ spricht
sich der Verfasser über den Zweck seiner Schrift in einer
Weise aus^ dass in diesem Punkte mit Possidius' Angaben
^ S. Aurelii Augastint HipponensiB episcopi operam omnium ante annam
M. DC. XIV. editorum supplementam Hteronymas Vignier ex codicibus
mas. eniit. t. I. Parisiis, Sim. Pig^t, 1664. Fol., p. 515—646.
3 Wiseman, Two letters on some parts of the controveny conceming I.
Joh. 6, 7 : Catholic Magazin, 1832 und 1833. Essays on various subjects.
London 1853. I, 24. Abhandlangen über verschiedene Oegenstinde. A. d.
Engl. Regensbarg, 1854. I, 11—36.
3 Mai, Spicilegium Romanum. t. IX. p. II, 1 — 88.
« Nova Patrum Bibliotheca. Romae 1862. vol. I, part. 11, p. 1^117.
Daa Speenlnm des h. Angnstinus und seine handschr. Ueberlieferung. 37
vollste UebereinBtimmang hcrrBcht/ und er stellt noch die Ab-»
fasBung eines die Schwierigkeiten in den Q-egensätzen einzelner
Sittengebote commentirenden zweiten Theiles in Aussicht,
der nicht mehr zu Stande kam,^ so dass wir hieraus zunächst
verstehen, weshalb Possidius die Schrift als Beispiel der quae-
dam imperfecta anführt. Auch der Umstand, dass die Bibel-
citate dieses SpeculumB dem hieronymianischen Texte folgen,
stimmt vollkommen zu der Thatsache, dass Augustinus um die
Zeit, in welche die Abfassung des Speculums fallen muss
(426 - 427), den neuen Text adoptirt hatte und der Verbreitung
desselben Vorschub leistete. Qegen das Jahr 426 sieht er sich
nämlich zu der Erklärung veranlasst, dass er jetzt der Ueber-
Setzung des Hieronymus folge. ^ Es musste ihm die^ Annahme der
neuen Vulgata auch leicht fallen, da ihr seine ,Itala' näher stand
als die älteren afrikanischen Texte. Dieses Speculum war femer
von der Anerkennung des sechsten Jahrhunderts getragen ; denn
der Abt Eugippius benützte es fUr seine Augustinus-Excerpte
und entnahm aus der Vorrede die einleitenden Worte: ,Quis
ignorat' bis ,apeTta fastidiunV^ Die Eintheilung des Ganzen der
vier Evangelien in einen activen (Matthäus, Marcus und Lucas)
und einen contemplativen (Johannes) TheiP entspricht genau
' lligne 34, 889: no9 autem in hoc opere nee infidelem uel adducimuä uel
aedifieamut ad fidem^ nee exercemut quibuadam aeUuhribu» dij^icultati-
bu9 ingeniuin inienüanemque diseeniium, »ed eum qui iam creden» oboedire
Deo uohterUf tU hie se mtpidatf admonemut^ quantumque in bonU moribut
openbtuque pro/eeerü et quantum sibi desüf attendat.
' Ibid. — in hU autem omnibu* quae inspieienda ponere instüui quaeeumque
inter se uidebuntur eate eontraiia, pottea propoiüU quaettionibus exponenda.
aique iduenda sunt, Sane aupplieia male faetorum et praemia rede fa-
etorum, quamuie nonnulla emnmemoranda exUtimauerim ^ tarnen in nouo
teetamento dieeimüia ueteribue eue quis neeeiatf
* An gast, de doctr. christ. 4, 7 in Bezug auf eine Stelle ans Arnos (7, 14.
16): Non autem »ecundum septuaginta inierpretea — — — , »ed sieut ex
hebraeo in latinum doquium, preebytero Hieronymo utriusque linguae perüo
interpreiantef translata eunt,
* Engippins Ezc, c. 322: Ex Speeuh Sancti Äugwtini. Qui» ignorat —
aperta faetidiunt,
* Angost. Specul., Migne 34, 993: ubi intellegi pUeat^ tres euangdletaa^
MaUhaeum acUieet ei Mareum et Lueam, ideo nobi» plura dedieee praecepta
uiuendi, quia eam maanme aeeuU sunt partem^ quae aetiua dieitur: quia
uerö lohannee eontemplatiuam magi» tenuit — -^ — » multo pauciora
tarnen in eo snorum praeeepta eompertmue.
38 Woihirich.
den Erörterungen, in denen Augustinus schon um 400 diese
Scheidung vornahm und näher begründete.^
5. Die Benedi ctiner hatten sich also von einem richtigen
Gesichtspunkte leiten lassen, indem sie mit den früheren Heraus-
gebern tibereinstimmend Augustinus für den Verfasser dieser
Schrift hielten. Als sie aber das Speculum ,Audi Israhel^ aus
inneren Gründen zu verwerfen unternahmen, so war das ihnen
vorliegende Material der Ueberlieferung nicht geeignet, ihnen
einen Blick in die Fundstätten derjenigen Argumente zu er-
möglichen, deren eine erfolgreiche Beweisführung bedurfte und
mit denen wir heute die Zweifel an der Echtheit dieser Schrift
zu begründen vermögen. Es erregte ihnen die Meinung Be-
denken, dass nicht alle Capitel ethischen Inhaltes seien, was
man doch nach der von Possidius gegebenen Charakteristik
der Schrift zu erwarten berechtigt ist,^ eine Erwägung, die von
Tillemont mit grösserer Schärfe wiederholt wurde. 3 Einige
^ de consensu euangelistarnm I, 6, §.8: Proinde cum duae uirhUes propo-
aüae sitU animae humanaef vnia aetiua^ altera eonlemplaiiua: — —
illa ett in praeceptU extrcendae uitae huiui temporalUy isla in doctrina
uitae illiua aempiternae, — — — Ex qtto intellegi datur^ si diligenter
adtiertatj trt» euangeliattu temporalia facta damini et dicta qnue ad in-
formandos mores uitae praesentit maxime uaUrent^ copioHut perae-
cutoa, drca illam aciiuam uirtutem fuiaac ueraatos: lohannem uero facta
domini muUo pauciora narrantenif dida uero dua^ ea praeaertim quae
tnnitcUia unitatem et uitae aeternae felicitcUem inainuarent, dil^entiua et
uberiua conacribentem, in uirtute coalempleUiua commendanda auam intentio-
nem praedicationemque tenuiaae,
> Aliud non ita pridem Hieronymi Vignerii cura prodiit apeculum auh Augu^
atini nomine^ in quo aententiae aeriplurarum reuocantur ad eerta quaedam
capita inatituta uariia de rebua aacram doctrinam apectantibuSf adeo ut non
tarn uitae inatituendae conailio, quam erudiendi animi oauaa
comparatam eaae uideatur, Quodrca iatud minua cum eo conuenit apeado^
quod et Poandii uerbia et Auguatini prae/atione deacribUur: planeque
oportet aieutt noatrum hoc genninum^ ita Vignerianum iüud apurium fiabeamua,
3 Tillemont, Lexuun de, M^moires pour servir k Thistoire eccl^&Ustique
des six Premiers siöcles. t. XIIL Venise, Pitteri, 1732. Art. 336, p. 896:
Le Phre Vignier noua a donni un recueil dea paaaagea de l'Eeriiure fait
par matikrea et aana priface. 11 VeUtribue auaail ä S, Auguatin et luy
donne le meame titre de Miroir, — ; Ce recueil eat aur toutea lea matih^a
de la religion (eine Uebertreibang), auaai bien aur la foy que aur le»
mceura, Ainai ce n*eat paa eelui qui eat prcmia dana la pr^face que noM
Das Specalnm des h. AngustiniiB und seine handschr. Ueberliefening. 39
Capitel erscheinen nämlich in der That, wenn man nur aus
den Ueberschriften auf den Inhalt derselben schliesst, theils
dogmatischen, theils exegetischen Charakters. Allein bei näherer
Betrachtung findet man, dass sie nur solche Belehrungen ent-
halten, die der Moral zur Grundlage dienen und ethische Zwecke
verfolgen. Die dogmatischen Capitel handeln von der Wesen-
heit und Persönlichkeit Gottes als der höchsten Auctorität der
Sittengebote und als der Quelle der Rechtfertigung und Gnade
(Cap. 1, 2, 3, 104, 134, 144), von der Allgegenwart, Allwissen-
heit^ Allmacht der strafenden und lohnenden Gerechtigkeit.
(8, 9, 54, 56, 57, 131, 132); die exegetischen citiren die
mystischen und allegorischen Bezeichnungen der Menschen in
ihren Beziehungen zu dem Reiche Gottes an den Stellen, in
denen sie einzeln und in der Gemeinschaft der Kirche bezüglich
ihrer fruchtbringenden Werke mit Erscheinungen oder Gegen-
ständen der Natur verglichen werden, und in denen gezeigt
wird, wie die Bösen Unheil stiften und die Guten Nutzen
bringen, wie die Bösen Schaden leiden und untergehen, die
Guten zu Ehren kommen und im Glänze des Lichtes erscheinen
(112, 113, 114, 116, 117, 121, 124, 135, 138). Die moralische
Bedeutung dieser Abschnitte ist offenbar. Sie erwecken in dem
Leser Furcht und Vertrauen und mahnen ihn an seine hohe
Berufung, so dass sie unter den schlichten Geboten eine er-
hebende und erbauende Abwechslung bieten. Die so gesichtete
und geordnete Auswahl der Bibelstellen ist uns so wenig ein
Beweisgrund der Unechtheit, dass sie vielmehr als das Werk
eines denkenden und wohlunterrichteten Mannes erscheint.^
avons ä la teiU du Mirair qui est dam le troisthnie tome de S. Auguatin.
Or ceUö prifoct a un tel raport avee ee que dU Posaide qu*on ne peut
douter qu'eUe ne aoU de 8. Augtutin. Airui 9% le Miroir du P, Vignier
en eatoU auaaiy ü faudroit que 8. Augustin dans les deux ann^ea qu*il a
vicu depuü se» Retraeiation», euat fail deux reeueUs differena de VEcri-
ture, qu'ü leur euet donni ä iou» deux le metme türej et un tUre aeaez
extraordmairet et que Poaaide en parlant de tun avee aaaex d'Üendue euat
negligi de parier de Vautre, qui est et plua ample et plus travailU. Ceat
ce qui n'a aueune apparenee: et mnai il ne faut point heiter ä dire que
ce Miroir donni par le P, Vignier n'eat point de S. Auguatin.
1 Schon in der Verwendung der Stelle Oen. 1, 6—7 und 1, 26—27 für
die Trinitätslehre läast der Verfasser eine tiefe Auffassung des Bibel-
teztes und eine grosse Gewandtheit in der Exegese erkennen.
40 Weihrteh.
Eane systematische Anlage aber durch Zusammenfassung der
ausgehobenen Stellen unter einheitliche Gesichtspunkte ist eher
eines Geistes wie Augustinus würdig, und man ist leicht
versucht, zu glauben, dass ein Werk von solcher Eigenschaft
es gewesen sein müsse , welches Cassiodor eine Art Moral-
philosophie nannte.* Auffallend ist es freilich, dass zusammen-
gehörige und nahe verwandte Capitel weit auseinander liegen^
während ganz heterogene bunt aufeihander folgen. Man vermisst
in der Anordnung noch die letzte Hand, und der vorliegende
Zustand macht den Eindruck, als ob der Verfasser bei dieser
Thätigkeit der Sichtung unterbrochen worden wäre. Es ist
dies eine Eigenschaft, durch welche auch dieses Speculum in
besonderer Weise zu der Angabe des Possidius stimmt, dass
dem fraglichen Werke die Vollendung gemangelt habe.
Unter diesen Umständen ist es verzeihlich, dass die ge-
lehrten Cardinäle Wiseman und Mai strenger Rücksicht auf die
von den Benedictinern geltend gemachten Bedenken sich ent-
schlagen zu dürfen glaubten, als sie fbr die Echtheit des
Speculum Sessorianum eintraten. Beide Eminenzen aber ver-
fügten bei ihren mit Scharfsinn entwickelten Ausführungen in Be-
treff der Urheberschaft des Werkes über kein zwingendes Argu-
ment, so dass die von ihnen vorgetragene Meinung auch nicht
zur Reife wissenschaftlicher Ueberzeugung gedeihen konnte.^
Wiseman sah sich vielmehr, da er die besonderen Eigenschaften
dieses Werkes nur aus mündlichen Mittheilungen kannte, auf
Combinationen allgemeiner Natur angewiesen und nahm zu der
1 Vgl. Miller, E., Journal des Savants. Ann^e 1863, p. 574: Si Von com-
pare ce Speculum avee celui qui #6 trouve dan» VMition de» BMdieUn$,
on voÜ que le premier ii*accorde bien mieux avee la d^nition que Caeauh'
dore noua en donne, en appelarU eet ouvrage un reeueÜ de phHoeophie
morale.
3 Mai, Praef. XI, p. VI : Sed iam hone comparatianeni non proeequar^ primo
quidetn quia muUia tempori» anguetUe premor; deinde quia uix spero rem
mihi ex eententia euccetturam. Nam Verumlamerty ui »emel iterum-
que dixiy niUlam ego mordicue opinionem circa Speeuli huiu* naturam
de/endendam nucepi. Femer p. III: Igitur hoc nottrum Speculum siue
Augustinum auetorem habeat Hue a^tuirt, »ed certe antiquum neque eexfo
foeculo iv/eriorem, ad ueterem quidetn bibliofum textum quod atUnely per'
inde est. Wiseman, a. a. O., S. 31: wenn wir auch annehmen, ein minder
berühmter Schri/Uleller »ei der Verfa»»er,
Du Speculam des h. Angastinas und 8«Ine h&ndBchr. Ueberliefernng. 41
äuBBersten Annahme Beine Zuflucht, dass Augustinus in diesem
Speculum der afrikanischen Uebersetzung gefolgt sei, während
er allerdings in den übrigen Schriften den italischen Bibeltext
verwendet habe. Angelo Mai konnte bei seiner vielseitigen
Thätigkeit sich der zeitraubenden Mühe nicht unterziehen, die
von ihm nur berührte Methode der Vergleichung der Citate
durchzuführen und so einen Weg völlig zu durchwandern, auf
welchem die Gewähr für die richtige Erkenntniss in der vor-
liegenden Frage sich gefunden hätte. Das hohe Interesse,
welches die aufgefundene Handschrift erregt haben musste,
und die günstige Aussicht auf die neue Stütze, welche die
Auctorität des grossen Kirchenlehrers dem Comma Johanneum
(I, Joh. 5, 7) gewähren konnte, mochten wohl die Zuversicht
bewirkt haben, mit welcher Se. Eminenz in der für die Edi-
tion gewählten Titelüberschrift die Urheberschaft des heiligen
Augustinus wie eine sichere Thatsache zum Ausdrucke brachten.
Einem unbefangenen Blicke ergibt sich vielmehr, dass
die in Rede stehende Schrift aus dem Grunde nicht von
Augustinus herrühren könne, da ein unausgleichbarer Unter-
schied besteht zwischen der Bibel, aus welcher die Stellen des
Speculum Sessorianum excerpirt sind, und derjenigen Bibel, die
als das ,Itala^ bezeichnete Exemplar des Augustinus voraus-
gesetzt werden muss. Dies beweisen zunächst die vielen aUzu
bedeutenden und allzu umfangreichen Abweichungen des
Textes von den Anführungen der gleichen Stellen in den
übrigen Schriften, eine Erscheinung, auf die der verdienstvolle
Italaforscher Herr Leo Ziegler in München hingewiesen hat.
Es genügt eine Vergleichung nur folgender Stellen:
2 Paralip. 15, 2, Septuag. (Tischendorf 1, 549):
xüpiog ix£0' u{i.(i5v ev Tu) elvat byLoq [xeV ourou * xac ediv exl^YjTi^jOTiTe
flwTov, eupeSi^aeixt ujaTv • xal eav e-ptaTaXetWTfjTe outov, 6YxaTaXetf];6t upiag.
Speculum cap. 29 (Mai p. 43) :
dominus deus uester uobücum est, quamdiu uos estis cum eo.
quodsi dereUqueritü eum, derdinquet uos. ^
1 Eine Aberratio, die wohl schon im griechischen Texte vorkam und jeden-
falls auch in der von Cyprian benützten Uebersetzung vorlag. Cyprian.
ad Fortnnat. 8 (Hartel 1, 329): dominut uobiacum tat, quamdiu estis uos
cfim ipso, si mUem derdiquerilis eum, derdinquet uos. Vgl. testim. 3, 27
(R 1, 142). Sabat. 1, 664. Ziegler, Die lat. Bibelübersetxungen vor
42 Weihrioh.
August, de grat. et lib. arb. 11 (Migne 44, 888):
dofninus uobiscum, cum uos estis cum so, et si qu€tesisrüia eum,
inuenietü: si autem reUqueritia eum, dereUnquet uoa.
Mich, 6, 8, Septuag. (Tischendorf 2, 233) :
£1 acrriY^iXr^ aci avdpoMce ti xaXov^ i) ti xwpio^ exl^tjTet rrapa ccu iXX' fj
lou irotE^v xpi(jLa x.al dYoscov eXeov xal eTO({ACV slvat xou icopeusoOou lAexa
xupiou Oeou 90u;
Speculum c. 5 (Mai p. 13):
adnuntiatum est tibi, hämo, quid sit bonum, aut quid qwwrat a
te aliud dominus nisi ut fadas aequitatem et diligas miset'tUionem
et paratus sis ut eas cum domino deo tuo. >
August, de ciuit. dei 10, 5 (Dombart 1, 409):
si adnuntiatum est ttbi^ homo, bonum f aut quid dominus eocquirat
a te nisi facere iudidum et diligere misericordiam et paratum
esse ire cum domino deo tv/o.^
1 Timoth. 6, 7—10:
cü^iv vap eioif)v^*pia{JLev etg töv x6a(JLov * S^Xov &ci oüSe ^eve*f k£iv ti ^uvapieOa *
l'/O'ntq ^k licnpo^ctq %oi axEiCaajjLocTa toutoi^ apx£o6v)96{AeOa. ol Se ßouX6-
|Ji£Voi 9cXcuT€Tv €(Aniirrouoiv ei( lueipaapLbv xat 'xarf.ioL ytax iizi^iulaiq ttoXXo^
ayoif^iTOU(; xal ßXaßepoci;, aitiveg ßuOi^ou^t loug av6puMcou; v,q 5Xe8pov xai
a7:u)Xeiav. ^i^a, '^ap icavicov lüiv xax<i)v eotIv ii ^(kapfjpioLy ^; xv^k^ 6peY^(A6voc
omt'KkQrdfir^oa^ on:o xf^^ ziaxeid^ xai eoturou^* iceptiiceipotv 68uvx(^ icoXXat^.
Speculum c. 98 (Mai p. 92):
nihä intulimus in hunc mundum: uerum quia nee auferre possu-
mus. habentes autem uichim et v^estitum his contenti simus. nam
qui uolunt diuites fieri incidunt in temptationem et laqueum dia-
buli et desideria multa quae nihil prosunt ^ et nocent, quae demer-
gunt hominem in interitum et perditionem.^ radix enim omnium
mcdorum est cupiditas. quam quidam appetentes naufragauerufd a
fide et inseruerunt se doloribus multis,^
HieronyxnuB und die Itala des Augustinus. München, 1879. S. 41. Itala-
fragmente. Marburg, 1876. S. 7.
1 Cjprian. testim. 3, 20 (H. 1, 137): renuntiatum ut tAi, Aomo, quad
bonumj aut quid dominu» exquirat aÜud niH mi fada» mdiemm et tiw<t-
tiam et diligat miaericordiam et paratu» eis ut eae cum domino deo tuo,
) SaUt. 2, 961.
> avoyi{TO'j$.
« cf. Salvian. ad eccles. 2, 61, 59 (Paulj 264).
^ Cyprian. de domin. orat. 19 (H. 1, 281): nihil uUuUmue »n hune mumdum:
«enffii nee attferre poeeumue» habeiUea 1(09110 exMbUiouem et tegumentum
Das Specolnm des h. Augustinus und seine handschr. üdberliefemng. 43
August, de ciu. dei 1, 10 (Dombart 1, 17):
nihil enim intulimys in hunc mundum, sed nee auferre aliquid
pos9umu8, habentes autem uictum et tegumentum hie contenti aumus.
nam qui udunt dimtes ßeri inddunt in temptationem et laqueum
et desideria multa etvlta^ et noxia, quae mergunt komines in
intmitum et perditionem. radix est enim omnium malorum auaritia
quam qvidam adpetentes a fide pererrauerunt et insertierunt se
dohribvs mtUtie.'^
2 Timoth. 3, 1—7:
£90VTat Y^P ^^ dty6pu>7:ot f iXauTOC, 9iXap*|a>po(, aXai^ovs^, u?C€pi^favoi, ßXa-
G^[tJ0i, Yovei3atv a?cei6eT(;, a^iptoroi, avoaiot, aoropYoi, av^ovSot, SiißoXoi,
oxpaTeti;, avi^oepot, o^iXaYaOoi, '^po§6Tat, icponexei^, TeTUffa)(i.€voty
f iXi^Sovot pLaXXov ^ (piXoOsot, Ix^vre^ (jL6p^ü)9iv eüoeßeia;, tvjv de $6va(jLiv
oojvfiq T^pvTQix^vot • xal toutou^ awoTps-sroü • ex toütwv Y^tp swtv ol evBuvovTe^
ei^ Tag oixiag xal aixiAotXcoTiCovTeq Y^vaixapta ae9fa)p£U[jL£va apLapiCatg,
dY^lx£va exiOüjjLtat^; xotxiXaiq, ^rdtVTOte |Aav6ivovTa xal [JLYjSeicoTe etg ewt-
YV<i>a(v akrfi&ia^ eXOeiv Buvi[i.eva.
Speculum c. 50 (Mai p. 62):
Hoc autem 8 cito quoniam in nouissimis temporibue aduenient
tempora periculosa. ertmt homines se ipsos amantes, cwpidi, su-
perbi, fastidiosiy blasfemi, parentibus non oboedientes, ingrati,
scelesti, inßdeles, sine affectione, pactum custodientes detractare,
incontinentes, inmites, sine benignitate, proditoreSy proterui, tu midi,
uoluntatum amatores magis quam dei, habentes formam pietatis,
uirtutem autem eius negantes, et hos deuita. ex Ms sunt qui
penetrant domos et captiuas ducunt mvlierculas oneratas peccaüs,
quas ducuntuT uariis desideriis, semper discentes et numqvxim ad
scientiam ueritatis peruenientes. ^
hi§ eorUenti mmus, qui autem uolunt diuUea fieri inddunt in temptationem
ei muedpuku et desideria mtäia et nocentia quae mergunt hominem in
perditionem et in interüum, radix enim omnium malorum eet eupidüa»
quam quidam adpeientee nau/ragauerunt a fide et inserueruni se doloribu*
muUie. Vgl. testim. 3, 61. de op. et eleem. 10 (H. 1, 165. 381). Sa-
bat. 3, 877.
1 avoiJTOUC.
> cf. August, serm. 14, 7. 39, 2 (Migne 38, 114. 242); ferner epist. 130,
6, 12. in psalm. 6, 12. 136, 14 (Mign^ 33, 498. 36, 96. 37, 1769).
' Cyprian. de catbol. eccles. unitate 16 (H. 1, 224): — in nouiteimie die-
bue aderunt tempora moUsto, erunt hominee eiU placenteif euperbi^ tumidi^
44 W«ikHcfa.
August, epißt. 199, 8, 22 (Migne 33,913):
H(>c autem scitote^ quoniam in nouüsimü diebus inttcAunt tem-
pora saeua, et'unt enim homines se ipeos amantes, amaiores pecu-
niae, '^ elati, superbi, blasphend, parentibus non oboedientes, ingratiy
scelesH, irreUffiosiy sine affectione, detractorea, incontinenteSj in-
mites, sine benignitate, proditores, procaces, caecati,^ uoluptatum
amatares magis quam dei^ habentes spedem ptetatia^ nirttUem autem
eius abnegantes. et hos deuita. ex Jus enim sunt qui penetrant
domos et' captiuas ducunt mulierculas —
1 Petr. 3, 1—4:
swceiOoudi TW X6yC}), hk tij? xöv y^vökxöv ivaarpo^^ «veu Xö'foo xep-
Br|0/j9a)VTa(,^ 2xoxts6aavTe^ vfjy £v ^oßci) a-i^v ävaorpofriV u|jui&v. <!»v loru
xd9|jbo^, dXX' 6 xpuircbg t^^ xopSiot^ avOp(i>T:o(; dv xco a^Oapra) toO icpa^o;
xal i^9u;^iou icve^iAoro^, 3 iortv evcoxeov toO Oeou xoXureXI^.
Speculum c. 81 (Mai p. 80):
midieres subditae estote uiris uestris: ex quibus si qui non cre-
dunt huic u^rbo, per mulierum suarum conuersationem sine uerbo
lucrifiant, considerantes uestram in timore castam conuersationem,
quarum sit non extrinsecus cnpillorum inplicaius, aut auri ctrcum-
positio, aut habitus uestimentorum aut omatus, sed ille abseonsus
cordis hämo incorruptus, mansueti et modesti Spiritus, quod est
magrUficum in conspectu dei.
August, de bon. coniug. 12, 14 (Migne 40, 383) :
sinuliter mtdieres obaudientes maritis suis: ut et si qui non cre-
dunt uerbo, per mulierum conusrsationem sine loqueUa lucrifieri
possint , uidenfes timorem et castam conuersationem uestram: ut
sint non quae a foi*is ovnantur captUorum incrispationibus aut
cupidi, bUuphemif parentUm» in diclo non andiente», ingnUi, impii, sine
atffeetUy »me foedere, delatorea^ ineontinente», inmUes, bonum non a$nanle»,
proditorte, procace», stupore inflati, uoluptaie» magie quam deum dili-
gentea^ habente» deformationem religionia, uirttUem autem eiua tümegantee.
ex hie euni qui repuni in domos et praedantur muliereulas oneratae peo-
caüe quae dueuntur uariis desideriis^ semper discentes ei numquam ad
»eientiam uerUalis peruenientes.
3 cf. de ciu. d. 14, 7.
* T£Tu9Xü>(x^vo'.. cf. in Job. ea. tract. 123, 5 (Migne 35, 1968): non intelU"
gant neque quae loquunluPf neque de quibue aJjßrmasU eieut eaeeati.
Das Specnlnm des h. An^stinns und seine handsclir. Ueberliefernng. 45
circumdatae awro aut ueste decora, sed iUe abscAmdüus cardü
tiesiri homo in illa perpetuitaie quieti et modesH spiritua, qid et
apud dominum locuples est ^
Ein weiterer Beweisgrund der Unechtheit der in Rede
stehenden Schrift i^t die Verwendung des apokryphen Briefes
an die Laodicenser, welcher in dem von Augustinus selbst auf-
gestellten Canon der heiligen Schrift'^ nicht angeführt ist.
Endlich spricht noch gegen die Echtheit die in der Bibel dieses
Speculums vorauszusetzende Reihenfolge der Schriften,
nach welcher beispielsweise die Evangelien in der Reihe Mat-
thäuS; Johannes^ Lucas, Marcus folgen.-^ während Augustinus
sonst den grössten Nachdruck auf die Folge Matthäus^ Marcus,
Lucas, Johannes legt, indem er die drei ersteren in ein Ganzes
fasst und gegen das Evangelium Johannes in entschiedenen
Gegensatz briugt. *
6. Sicher ist nun, dass der grosse Bischof von Hippo
die Idee der Anlegung eines solchen Sammelwerkes hervor-
brachte und in der Schrift ,Q:uis ignoraV unter dem Titel ySpe-
culum', einer Bezeichnung, die er sonst auch von der ganzen
Bibel gebrauchte, zu verwirklichen unternahm, dass er aber
durch den Tod verhindert wurde, dieselbe in dem beabsich-
tigten Umfange durchzuführen. Andererseits steht auch fest,
dass die unter dem gleichen Namen und Titel überlieferte
systematische Zusammenstellung nach der mehrfachen Ueberein-
stimmung des benützten Bibeltextes mit den Citaten bei anderen,
besonders afrikanischen Earchenschriftstellem in Afrika ent-
standen ist und nach dem Wortlaut der Bibelcitate wie nach
der Beschaffenheit des ältesten Codex ein hohes Alter bean-
sprucht, indem sie jedenfalls bis an die Grenze des 5. Jahr-
hunderts hinanreicht. Es liegt die Vermuthung nahe, dass
dieses Werk zwar von unbekannter anderer Hand entworfen
ist, doch auf Augustinus indirecten Einäuss zurückgeht.
In dieser Combination liegt die Rechtfertigung, wenn in der
bevorstehenden Veranstaltung eiüer kritischen Ausgabe des
1 cf. Sabat. 3, 950.
' August, de doctr. christ. II, 8, 13.
' Mai, a. a. O., p. VII (cap. XIII: Aliae laudes huius Speculi^.
* August, de consensu evang. I, 2, §. 3.
46 Weihrieh.
Speculum das Spec. Sess. in die Bearbeitung einbezogen und
insbesondere wegen der Bedeutung der vorliegenden Frage
bezüglich seiner handschriftlichen Ueberlieferung im Folgenden
zunächst besprochen werden soll.
II.
Dem durch die Publication Mai^s bekannt gewordenen
Codex Sessorianus stehen noch sechs Handschriften zur Seite,
die sich sämmtlich in Frankreich befinden. Von diesen sechs
ist nur das Speculum in der Pariser Bibel des Theodulf mit
dem Vulgatatext durch Vignier's Edition ans Licht gezogen
worden, während die anderen fünf mit dem älteren Texte bis
jetzt noch nicht ausgebeutet sind. Ich habe dieselben während
meines Aufenthaltes in Frankreich alle verglichen und, wo es
die Natur der Sache erforderte, abgeschrieben, und es gilt nun,
das verwandtschaftliche Verhältniss der sämmtlichen Codices
untereinander und den Werth jedes einzelnen für die kritische
Gestaltung des Textes zu erforschen. Dieser Untersuchung,
welche auf Grund einer Reihe von Beobachtungen über die
Beschaffenheit der Handschriften vorzunehmen ist, soll eine
kurze beschreibende Uebersicht über die der neuen Textes-
gestaltung zu Grunde liegenden Handschriften vorangeschickt
werden.
1. Codex Sessorianus 58 in Sta Croce (S) in Halb-
uncialen des 8. oder 9. Jahrhunderts, enthält noch Cyprians
drei Bücher (Testimonia) ad Quirinum und ist aus früheren
Beschreibungen bekannt. Ich verdanke der kaiserlichen Aka-
demie eine genaue Abschrift dieses Codex, welche Herr
August O. Fr. Lorenz vor mehreren Jahren veranstaltete.
Auf dem ersten Blatte stehen von einer Hand des 11. Jahr-
hunderts zunächst folgende zwei Zeilen:
de testimoniis scripturarü . aug.
contra donatistas
worunter eine andere Hand derselben Zeit anfügte:
libri de speculo
1 Reifferacheid, Aug., Biblioth. patrum lat. ital. I, p. 129. Corpus scr.
eccles. lat. vol. III, 8. Thasci Caecili Cypriani opera ex recensione
G. Hartem. P. HI. Append., p. XXV.
Das Specvlnm des h. Angustinns nnd sein« handsclir. üeberUefening. 47
Darauf folgt dann von der zierlichen Hand des 11. Jahrhimderts,
die auf Fol. 6' und Fol. 154^ das bei Reifferscheid Angege-
bene schrieb, folgende Bemerkungen:
Beati augustini . de testimoniis scripturarü
primas
contra donatistas . & idola . hie Über esse dinoscit
ceteri tres . qui subter adnexi sunt . de sacraiiito
xpi . cum duabus epistolis . ad quirinum . beati
cjrpriani epi . ac martiris esse noscuntur.
Auf der folgenden Seite desselben Blattes auf dem oberen
Rande von einer Hand des 11. Jahrhunderts:
hie est liber **** + ********** q
mit starker Rasur von zwölf bis fUnfzehn Buchstaben. Darauf
in grosser rother Schrift:
IN NOMINE Din Nl lÖÜ XPl .
IN(5¥ ORDO CAPITULO
RUM • DE DIUINIS SCRIP
TURIS • "S • CXL • Ulli • SIT
Die Zahl ist mit schwarzer Tinte nachgezogen und weil das
zweite I des Rubricators in ein Loch kam, noch ein I von der
nachziehenden Hand hinzugefügt. Es folgt das Capitelver-
zeichniss; die Zahlen alle roth:
I de uno deo
Fol. 6* Zeile 15 und folgende:
15 CXTiTTTT quod dns fons uitae sit.
16 Iste est liber unus beati augusti contra donatistas & idola
17 — ^-—
18 de testimoniis scripturarum
19 I DE UNO DEO
20
21 IN DEUTERO NOMIO
wo Zeile 16 und 18 von der Hand des 11. Jahrhunderts ge-
schrieben ist, Zeile 17 eine verzierte Trennungslinie von der
ersten Hand bildet und Zeile 19 und 21 in grosser rother
Schrift der ersten Hand die Ueberschriften enthält, während
Zeile 20 blank gelassen ist.
Fol. 154^ Zeile 6:
6 uidebimus lume.
^^^h^»^ ^'^^^^^^^
48 Wtihrieh.
8 EXPLICIT TESTIMONIORUM
Liber beati augusti cont donatistas * & ydola
9
It« Liber beati cypriani epi ac martyris ' de sacramtis xpi *
10 INCIPIT AD QUIRINUM
Das zwischen die Zeilen 8 und 9, 9 und 10 Geschriebene von
der jüngeren Hand des 11. Jahrhunderts. ' Zwei gleichzeitige
Hände haben das Werk geschrieben: die eine, mit ganz
schwarzer Tinte und ziemlich plumpen Buchstaben, geht von
Fol. V bis 34^ incl. und macht von 1^ bis 16^ inclusive nur
26 Zeilen auf jeder Seite, sodann von llS*" bis 128^ inclusive
mit wieder je 26 Zeilen; die andere, mit braunerer Tinte,
schlankeren und zierlicheren Buchstaben, geht von 34^ bis
112^ , sodann von 129'^ bis zum Ende und macht stets 29 Zeilen
auf jeder Seite.
Ich darf mir schon an dieser Stelle erlauben, eine An-
zahl Fehler zu berichtigen, welche der Edition des Cardinais
Mai unterlaufen sind und die richtige Beurtheilung der Hand-
schrift beeinträchtigen können. Es musste heissen:
Mai p. 3, 16 aput, 3, 20 müericordiae tuae qui fcuds omnia,
8, 5 Item de spu sco quod, 13, 17 et suscipiet te sicut,
17,37 quia amo te, 18,33 h^sdr^ X 20,24 red\de8 ei est
enim et hoc solum 20, 33 entitrieretur 22^ 17 maledices
23, 3 duplici corr. m. 1. 24 Anm. b) peccauis 24 Anm. g)
Bfefanum 25, 19 habit m. 1. 2b, 33 timorem mortis: seito
quoniam 26, 27 refrigerat 27 Anm. k) possione corr. m. 2.
29, 3 erit et cor 30, 7 memores estote horum 31, 18 corda ueatra
et non 31, 23 erant in memonam 32, 30 et non derelijiquaa
b
37, 26 ex8ecrahiliu8 corr. m. 1. 39, 14 seminatur interitum
41,4 inteUectos 41, 14 redarguitto \ ne 42, 26 in concUio et
in synagogis 44, 19 adueraus frcUrem fuum 47 32 intdlegen»
52 5 nohi esse 52 lo non mentium (in der Ueberschrift zu
Cap. 43) 54, 23 astaroth 56, 18 FÜioli 60, 30 canUn-
tione (in der Ueberschrift zu Cap. 49) 61 29 Dens
(df) autem pacis conterat (so haben übereinstimmend mit 8
auch alle französischen Handschriften, so die Vulgata, und
' Vgl. Reifferscheid, a. a. O., bei dem jdola wohl nur ein Dmckfehler ist.
Dm Specttlnm des h. Aaguatinni and seine liandachr. ÜeberHeferang. 49
auch im Griechischen heisst es 6 8e Oeb? Tij? e'-pijvY)?, Rom. 16, 20)
64, Zeile 3 von unten et tar\du8 loqui (Jac. 1, 19), also richtig;
65, 4 (s. Anm. b) navss quiaetam inmenaae sunt 65 Anm. c)
notum m. 1 (der Buchstabe n ist radirt) 66, 6 ad corinthioa ^ non
auari 66, 19 (Anm. d) palphe \ bis 66, 27 adsiduus 67, 12
grandines niuea (in der Ueberschrift zu Cap. 54) 69 Anm. b)
mdens sdtOy also richtig; 71, Zeile 2 von unten luuenis qui
cum SCO est directa est uia eins 12 y 11 caput tuum 74, 18
in\\quiet( et in uigiins 74, 11 stupebant 80, Anm. f) subrios
81, 21 gctzoßlacio s. Anm. m) Öl, 31 und Anm. o) saxa genta, \
qu^ 81, ^2 pedes 88, 6 diaholi 90, 31 und Anm. h) haec^di-
centes corr. m. 1 94, 10 quod autein uiuit uiuit\dö (so ganz
richtig) 96, 18 sperare in düo 97, 26 ad timoiheum quae
98, 30 in (sata pf, Vinea\\ 136^ enim dni sabotk. domus est istra-
hd et Äomoj. Das ganze Stück von Nunc autein bis in concvl-
cationem Item illic hat Mai willkürlich hier eingesetzt; er hat
es, ohne ein Wort darüber anzumerken, von Fol. 137^ aus
einer in Verwirrung gerathenen Stelle hergenommen, weil er
dort den Zusammenhang nicht verstanden hatte.
99, 29 Schluss der Ueberschrift und Anfang des Cap. 113
sint uocati Item in qsaia j>f; Nunc | autem nuntiaho uohis quid
faciam vineae | mecte auferä macheriam eius et erit \ in direptione
et distruam parietem eius et \ erit ** conculcatione; ItS iUic et in
nuhtbus \ mandabo ne pluant svp eam pluuiä Item \ in deutero
nomio; expectetv/r sicut pluuia\ u. s. f. sup faenum; Item in
fscda pf; ddec \ ietur.
103, 34 quando uenicU 105, 31 in \ cadum uident fadem
105, 39 angdus eius est et \ legem mandatorum sententiis
euacuauit ut\duos conderet in semetipso in uno nouo ho-
mtne:\ Item in apocalipsi. Das Wort et und die beiden fol-
genden Zeilen (Zeile 15 und 16 von Fol. 144^) gehören aller-
dings nicht hierher; sie sind von Fol. 145, wo dieselben Worte
in Zeile 21 beginnen und in Zeile 23 schliessen (Mai S. 106,
Zeile 17; Eph. 2, 15) irrthümlich hieher gerathen; allein es
hätte dies angemerkt werden müssen. 107, 17 In psalmo XVl
107, 20 In psalmo CXXX^ 108, 12 singnaculum 108, 13
paradysi 110, 29 in psalmo tu posuisti (om: CVI) 110,
Anm. h) padule 112, 13 aeream suam 113, 3 advlterium facit\
Iti illic et qui dimissam 113, 16 sendenti Uli 113, 33 tra-
Sitiwigtber. d. phil.-hiit. Gl. Cm. Bd. 1. Hft 4
50 • Weihlich.
dederet eum m. 1 114 lO nominS (Ueberschrift zu Cap. 142)
114 12 colosenses 114; Zeile 2 von unten memores esses
115 6 qifi ue h^c duo m. 1 115 12 erit fonuB.
2. Codex Michaelinus (M) aus der Benedictinerabtei
von Moni St. Michel au peril de la mer, seit 1793 in der Stadt-
bibliothek zu Avranches unter Nr. 87,^ eine Handschrift des
9. Jahrhunderts von 132 Pergamentblättern in der Grösse von
255 auf 170—175™ mit 23 Zeilen auf jeder Seite.
Fol. 1:
IN NOMINE DiTl NKI
iffV XFl IN HOC
CORPORE CONTINETUR
SPECULUM STPI AGVS
TINI : TAM DE UETUS
QUAM DE NOUO TESTA
MENTUM
I de uno do
n de distinetione pfonaru . patrif . & filii & fpf fei
Auf dem oberen Rande von modemer Hand: Ex Mona-
sterio ä'* Michaelis in periculo maria; auf dem unteren Rande
ist ein kleiner Zettel aufgeklebt mit der Aufschrift: Specuiü
S'*' August, super uet' et nouü testam. Auf dem äusseren Rande :
w. 64, und ein Zettel mit: A 8.
Fol. 4:
CXLIin quod dnf fonf uitae eft.
CXLV (mit dieser Ziffer ist der Schreiber über sein Ziel hin-
ausgerathen).
EXPLICIUNT CAPITULA
Fol. 4':
INCIPIT TEXTUM
Audi Isrl. dns ds tuus
Fol. 132': in lumine , tuo uidebimuf lumen.
EXPLICIT IN NOMINE
XPI IHÜ D^I NUI
AMEN.
* Catalogue g^ndral des mss. des biblioth^ques publ. des d^partements.
Paris, 1849. I, 467.
Dm Specnlum des h. AngastinuB und selDS haadschr. Uebcrliefernng. 51
Auf dem oberen Rande von Fol. 40' Bclirieb eine Hand
deB 11. Jahrhanderts : IM fd michaelif qui fwraiuf fuerü mit
der Fortsetzung auf der gegenüberstehenden Seite Fol. 41 ana-
th&ma fit.
Eine ebenso späte Hand Aigte Fol. 132' unten die Be-
merkung bei : Audite & inteUigite tradicdonef qua/ dfif dedU nobif
Die fUnf ersten Quatemionen sind je auf der letzten Seite unten
bezeichnet Q / Fol. 8' bis Q V Fol. 40', jedoch nicht von
erster Hand.
Vorne sind drei Papierblätter vorgesetzt; auf deren erstem
von modemer Hand die Aufschrift: Ex numaßerio S*^ Michaelis
in perieido maria und darunter die Bemerkung: Speculum Tom,
Primi Supplementi \ cUtamen in mtdtiß differt ma.,^ auf dem dritten :
173
Hie habetur
Speculum S. Auguetini tarn t/Meris
quam novi teatamsnti diuersum
in aliquibue ah ediiis.
Die alte Katalognummer 173 steht auch noch auf der Innen-
seite des vorderen Deckels.
Da die Handschrift nicht versendet wird, so habe ich
dieselbe in Avranches collationirt, und ich gedenke mit Dank-
barkeit der Liberalität; mit welcher der Conservateur Herr Du-
prateau mir die Benützung an Tagen und Stunden gestattete,
an welchen die Stadtbibliothek fllr das Publicum geschlossen ist.
Der Codex ist schön geschrieben und gut erhalten. Die
richtige Orthographie ist in Fällen wie (Melum maeatitia eicio
abicio inteäego milia cotidie durchgeftihrt, während ein Schwanken
zu bemerken ist in paciens patientia ittditium neben iudicium
mendatium, aduleacens neben adolescens. In dem Wechsel von
ae und e herrscht entschiedene Vorliebe flir das erstere, so
dass der Diphthong meist richtig geschrieben ist und selbst
das Gebiet des e im Auslaut überwuchert; selten sind Fälle
wie: egrotans plage uite, dagegen häufiger solche wie die
Schreibung der Adverbia maximae iniquae nimiae iniuatae do-
losae, des Vocativs timothee und des neutralen Adjectivs grauae.
Verhältnissmässig selten ist die Unterdrückung der Aspiration
^ Es ist hiennit Vig^er*« Ausgabe gemeint.
4*
52 Weihrieh.
wie in adaeaü exortare und in der Regel treu bewaMrt die
überlieferte Setzung derselben wie in danihd, tniacAel. Im Aus-
laut findet sich oft unorganisches m, besonders vor folgendem
m wie omnem malunty und vereinzelt die dentale Media in tuiud,
quotquod reliquid. In der Vertauschung einzelner Buchstaben
verdient der besondere Fall hervorgehoben zu werden, wo t
und t verwechselt sind, so uicancer (ut cancer)^ v/t deberef (ut-
deb&i^)y delictia (delicna), ut a (uia), aportamur (aporiamur).
Einzelne Verschreibiingen kommen noch vor wie urü (uirum)
emi (mihi).
Interessant ist die enge Verbindung zusanmiengehöriger
Satztheile : inmperbia amalis deore nedefidas offiiü ßratrimeo
eduxite seocädit memoresto benefiicito itaut quantoTnagis, sowie
die grösseren Abstände zwischen solchen Verbindungen an
Stelle der Interpunction, z. B. Cap. CX qui indeliciis est apuero
aeruvserit Nouissime aut \ dolebit supse (Prov. 29, 21).
3. Codex Lemovicensis (L) , eine Handschrift des
11. oder 12. Jahrhunderts aus Saint-Martial de Limoges, von
wo sie nebst den tibrigen Manuscripten von .St. Martial ^ im
Jahre 1730 durch Kauf in die königliche Bibliothek zu Paris
gelangte. In dem ftlr die Gelegenheit dieses Ankaufes an-
gefertigten Kataloge*'^ ist sie unter Nr. 127 angefUhrt; gegen-
wärtig trägt sie in der Pariser Nationalbibliothek die Signatur
2977 A. Es sind 143 Pergamentblätter von 180 auf 120»"-
Auf dem ersten dreier unnummerirten Umschlagblätter von mo-
demer Hand Sti Augustini Specvlum, das folgende ist leer, auf
dem dritten uerso steht 127 du Cataiogue imprimiy itnter dieser
Notiz ein aufgeklebter Papierzettel mit der Angabe:
Cod. X et XU saeculi
Fragmentum varianmi sententiarum et exemplorum
ex Historia Ecclesiastica. Vide
Fol. 5. 8. et 9. Hoc fragmentum
videtur esse scriptum X. saeculo.
> Delisle, L^op., Le Cabinet des manuscrito (Hintoire g^n^rale de PaziB).
Paris 1868. I, 387.
' Bibliotheca insi^nis et renalis ecclesiae Sanctissiini Martialis LemovicenBu.
Parisiis, apad fratres Barbou, 1730, p. 18: 127 Saneli Avguatini Speculum,
in octavOf arm, 600,
Da8 Specnlam de« h. Angnitiniu und stine handtcbr. ütberliefarnng. 53
Speculom quod dr Sti AuguBtim
ex varÜB locis Sacrae Scripturae
^ Xn Baeciüi. Fol. 68 Lamenta
^ tiones Jeremiae referuntur aliter
© ac in Vulgata.
^ Ex aliquot lineis pene erasis Fol.
143 liquet hoc yolumen datum
fuiBBe cuidam monasterio a
Regnolfo sacerdote et monacho.
fol. uerso medicina contra dolorem capitis.
Fol. 1 und 2 sind noch Schutzblätter^ in welche der Codex
ursprünglich gebunden war, und bieten umgedreht ein Frag-
ment von Lucanus; ^ auf dieselben folgen noch Reste von
zwei ausgeschnittenen Blättern desselben Lucanus-Codex. Auf
der Mitte von Fol. 1 recto ein kleiner Papierzettel aufgeklebt
mit der Inhaltsangabe der beiden Bestandtheile der Handschrift:
Elenchus Rerum \ Specidum SancH Äugastini,
Der erste Theil erstreckt sich nur über Fol. 3 bis 10 und ist
von einer Hand des 10. Jahrhunderts geschrieben.^ Den Haupt-
theil bildet das Speculum, das die Fol. 11 bis 143 umfasst.
Fol. 11:
gro.. roth: INCIPIUNT CAPITVLA LIBRI •
.chwarz: SPECVCV ^I AGVSTINI YPPO
roth: NEREGENSIS EPISCOPI
I de uno do
In dem folgenden Capitelverzeichniss die Zahlen roth.
Mit diesem Blatt beginnt die Quatemionenzählung. Fol. 11
bis 18 macht Quat. 1, 19 bis 26 Quat. H, und so fort bis Quat. XVI,
der mit Fol. 138 abgeschloBsen ist, worauf noch 5 Blätter folgen.
» Lncan. VI, 661—743.
2 Fol. 3 Atictor igitur dh iudex omnium deiu \ liedb ab iUa paradyti feli-
cita I U gentu nostrum iu»le repulerit , «u« | tarnen bonitatia memor . . .
11 fol. 5' De mulierib; Sc« german' ad ge | nouepha int alia. 8i inquid tcti
Attt* I %ut eoßiguue deeor ttui iuperauerit ßU^ | . . . deinde ü db illut eon ] stat
quia nihil nllra permUtsre po5$, ntn quanJtu «e« be \ nedietui ad eu9tendand<i
natureneeesnta^ permint || fol. 6 Memoriale. Prima damnacio e ut Auguatin^
dig'orrenda profundittu ignorande . . . fol. 10' . . . (6 U* diapexietia omne
«ttfttt meu I db uoeaui <ft renuiaHa, Ego quoq; in inU\ritu uro rtcte^. eü
inruerit repeniina \ ealamitaa gtiando ueneril euper uoe tri\bulaeio et ari"
ptatiO' tune uffcßbunt me et f^ exaudiS,
54 We ihr ich.
Das Capitelverzeichniss schliesst Fol. 14', wo sich der
Text sofort anschliesst. CXLIIII quod dna fons uitae e.
roth: EXPLICIUNT CAPITULA
roth: INCf? TEXTV" INDEüTR .
Audi israhel . dns ds tuus
Fol. 143 . . . uidebimus lumen.
EXPLICIT LIBER SPECULUM
t
RegnolfuB lic& exiguus sei* in xpi no •!<•!<•!< 4* sacer
dos & monachus . sacro huic loco >i<4**i<*i'*i'4*4*4<4*4*4*'iini
monasterio deuotus istum * <¥ didit librum quem
si quis hinc abstulerit uel *<¥*'¥ uerit anathema sit
Si^d •i<4*4<4*«4<*i<4<lector 4«4*4*otiens poteris lectione huius
lib 4« 4* * * * ando prae 4.**4.**4.*** regnolfi.
•
Die Handschrift ist sorgfältig geschrieben, nur an wenigen
Stellen sind Verbesserungen, manchmal zum Schlimmen, von
einer zweiten Hand vorgenommen. Was die Orthographie be-
trifft, so bietet sie regelmässig die richtigen Schreibimgen cadum
paenitentia oboedire neglegere intellegere. Dagegen findet sich
auch die herkömmliche Confusion im Gebrauche der Vocale e
und i, 0 und u, der Consonanten b und u, in der Setzung und
Auslassung der Aspiration im Anlaut.
Der Punkt auf der Linie dient zur kleineren, der Punkt
über der Linie zur grösseren Interpunktion; das Fragezeichen
ist selten angewendet. Häufig findet sich die Verschlingung
des r mit t und das Zeichen ^ für est
Es war der gelehrte Jean Le Beuf/ der mit eigener
Hand die oben mitgetheilte Notiz auf den Zettel schrieb und
auf die Bedeutung des in dieser Handschrift gebotenen Bibel-
textes hinwies, indem er auf die Differenzen mit der Vulgata
aufmerksam machte. Einer öffentlichen Erwähnung dieses Codex
begegnen wir erst um die Mitte unseres Jahrhunderts, da
E. Miller^ gelegentlich der Anzeige von Mai's Ausgabe seine
1 lieber ihn vgl. M^moires de TAead« des iuBcr., t 29., und Delisle, Le
Cabinet des manuscrits I, 397.
^ Jonmal des Savants. Ann^e 1B63. Paris, p. 574 — 576.
Dm Specnlam des h. Augustintis und aeine bandschr. Ueberliefernng. 55
Verwandtachaft mit dem Sessorianus nachwies und seine Wichtig-
keit für die Constituirung des Textes betonte.'
4. Codex Parisinus 15082 aus der Abtei von St. Victor
(V), eine Sammelhandschrift von 204 Pergamentblättem in Quart
von 240 auf 150"»"» aus dem 12. Jahrhundert.^
Auf der Innenseite des vorderen Deckels die durch ein
aufgeklebtes kleines Pergamentsttick ^ zum Theil verdeckte
Aufschrift :
LM
AVGVS
TINI
Fol. 1: Iste Hb* e sei Victoris Par q*cq: eu furat* fuerit 1 celauerit
1 titulü istü deleu*it anathema sit. CC 13. S. Victor 906.
Fol. 1': Tabulam hie contentorum reperies Folio 204.
Fol. 2: Aristotehs Über de secretis secretorum etc.^
Das Speculum beginnt auf Fol. 152 ohne Titelüber-
schrift mit dem Verzeichniss der Capitel, das gleichfalls keine
Ueberschrift trägt.
I de uno do
n de distinctione psonar.
Diese Handschrift, von der unten mehr zu sagen ist, nimmt
eine eigene Stellung in der Gruppe der französischen Codices
ein. An mehr als 100 Stellen sind ganze Citate oder mehrere
Citate zusammen ausgelassen; der Text aber geht auf eine
sehr alte Quelle zurück. Was der Sandschrift aber ein ganz
besonderes Interesse verleiht, ist die Manus secunda, welche
nicht blos nach dem in anderen Codices gebotenen Texte und
^ a. a« O., p. 676: nou» pentotu que la eomparaison de ce nu, avec Vidüion
dm rUlustre Cardinal ne petU manquer d*Hre uHle ei de foumir des iU-
ntenU nouveaux pour la con$lütUian du texte de Vancietme version üalique.
> Miller, £., a. a. O.
' Der Deckel ist an dieser Stelle darchbohrt in Folge der ehemaligen
Befeetigang eines Hakens. Die Hs. muss ein Codex concatenatus ge-
wesen sein.
^ Delisle, Inventaire des mss. latins conservÄs k la Biblioth^ne Na-
tionale 3, 71. Biblioth. de T^cole des chartes. t 30, p. 71.
56 Weihrioli.
nach der Yulgata corrigirt, sondern vielfach ganz neue
Varianten darbietet.
5. Codex Parisinus 256 der nouv, acqu, (C) aus dem
12. Jahrhundert, 146 Pergamentblätter von 250X180"»", jede
Seite in zwei Colunmen zu 30 Zeilen. Diese erst in neuester
Zeit von der Nationalbibliothek angekaufte Handschrift bespricht
Delisle in seinem neuen Werke, ^ wobei er an die Manuscripte
von St. Martial und St. Victor erinnert, und äussert die Ver^
muthung, dass dieselbe aus einer Cistercienserabtei stamme.
Fol. 1: De immortalüate anim^ UV fhri .... Auf dem
unteren Rande von moderner Hand: /S. Augustini MisceUanea.
R, 7004^ Das Speculum beginnt Fol. 58' col. a.
Toth: In hoc corpore continetur\8pc£m 8 Aug. De uno deo
Atuii isrt,
Fol. 118' col. a, Zeile 11:
uite 7 in lumine tuo uidebimus lumen
^^M ^Efl t^U ^Efl ^Efl ^^H ^^^ ^^M ^^^ ftSd ^^H fl^M ^^^ ^^M ^^M ^^M ^^M
^^n ^V^ ^^P ^M^ ^W^ ^m^ ^i^ ^I^ ^^. ^^t ^I^ ^^^ ^^k ^I^ ^I^ ^I^ ^I^
Eine starke Rasur, durch welche, wie es scheint, der
Name des Klosters getilgt ist. Hierauf blank bis unten, wo
die Ueberschrift zu dem auf der folgenden Seite beginnenden
Capitelverzeichniss folgt :
roth: Capta libH pcedentis
Fol. 118' col. b, das Verzeichniss der Capitel ohne Ziffern:
De uno dd
de stinctione paonar pat*s 7 /. 7 «. 8,
1 DelislOi L^op., M^langes de paUographie. Paris, Champion, 1880.
p. 366—369.
' Fol. 8'b Expfic \ Ub^ tci Änguttini de immortalUtUe aU, IneipU pfaUo de
anima <& eitu origine, fol. 9 b Explicü prologtu, Ineipit liber 9aneti Augu-
stini epi ad Vincentiu Victore de natura & origine anime, Quod mihi
fol. 81 'a Explicü lib* sei Aug^istini epi de natura <& origine antme || b /n-
eipU liber saneti Augustini ^iscopi de quantitate anime fol 68' b incorporea
giomnis e anima || Nach dem Specolnm folg^ : fol. 120 a Liber AureUi
Augustini de uidendo do tuL Paulinam \ Memor debUi . . . fol. 133 'a
Aurelius Augustinus ad Italica Dfie eximie . . . fol. 135 a Augustinus ad
Fortunatianum commonitoriti . . . fol. 139 b Hylarius ad Augvstinum epm
Dno «CO . . . fol. 139'b Augustinus episcopus ad Bylarum • . . fol. 146 'b
qd* eni hoih* impossibVe e Ü ipsis || Darauf folgten noch drei Blätter, die
herausgeschnitten sind.
Dm Bpeeuluoi des h. AugnstioM und Mine handtchr. üeberliefernng. 57
Fol. 119' col. a
qd' <ü fans uüe ut.
Auf den übrigen freien Raum dieser Columne, sowie auf
den Anfang von Col. b hat eine spätere Hand zwei Heilungs-
und Segnungsformeln notirt.
Die Q.natemionen sind rückwärts unten bezeichnet^ Fol. 1 19
ist das vorletzte Blatt von Quat. XV, dessen letztes heraus-
geschnitten ist. Mit Fol. 120 beginnt eine neue Quatemionen-
Zählung 120 bis 127 Quat. I, 136 bis 143 Quat. in.
6. Codex Aniciensis (a), die Bibel des Bischofs Theo-
dulf von Orions, die sich in dem Schatz der Kathedrale von Le
Puy befindet. Die Handschrift, ein Prachtwerk der Kalligraphie
aus der 2jeit Karls des Qrossen in der Grösse von 385™™ auf
230™™; enthält die Bibel in der Eintheilung nach den sechs
Ordines und als exegetische Beigaben Isidors Chronographie,
Eucherius' Lib&r de TionUnibua hebraicis, Meliton's Clami» und
auf Fol. 338 bis 344 in zwei Columnen zu je 62 Zeilen Augu-
stins Specuhim. Letzteres steht durch den vorhieronymianischen
Bibeltext in naher Verwandtschaft zu den erwähnten Manu*
Scripten, unterscheidet sich aber äusserlich dadurch^ dass die
Bibelstellen entweder nur mit den Anfangs- und Schlussworten
citirt sind, indem ein sie verbindendes uaqvs die mittleren
Worte ersetzt, oder nur mit den ersten Worten angeftlhrt sind,
wie die Verse aus den Psalmen und ähnliche kürzere Ab*
schnitte. Es verdient Beachtung, dass auch dieses Speculum
keine Ueberschrift besitzt; denn dieser Umstand erinnert an
den Mangel der Ueberschrift im Sessorianus von erster Hand
und im Speculum von St. Victor, und ihm ist es zuzuschreiben,
dass dieser Theil des Codex so lange Zeit unerkannt blieb.
Man wusste zwar längst von der Existenz des verborgenen
Schatzes in Le Puy,< allein das Speculum ward erst in unseren
Tagen durch die Vergleichung mit der Schwesterhandschrift in
Paris erkannt. Es waren die zwischen die Purpurpergament-
> Gallia ehr ist. 11, 692: Circa ttmpxu epiieopatua Roricii Theodulftu
AurelianenMU epi$eopu» obitdü, tU aiunt, iruignem eodieem ecdetiae Ani-
denn quo ewuHnenUtr uetu» et novum teitamentum muUaquB alia. In
fronU Hbri . . . H&enel, Ghut., Catalogi libr. mannscr. Lips. 1880, p. 888.
Pitra, J. B., SpicUegiam Solesmense. t. II. Paris 1866, p. 647.
58 Weihrich.
blätter zum Schutze der Gold- und Silberschriffc eingelegten
Gewebe von Seide und Wolle, welche das Interesse der ein-
heimischen Gelehrten erweckten und zu näheren Erörterungen
tkber die Handschrift Anlass gaben J Auf die Aehnlichkeit mit
dem Pariser Manuscripte aber, dem schon früher bekannten
Codex Mesmianus, welchen bereits Vignier^ zur Ausgabe des
Speculums, Sirmond ^ zur Sammlung von Theodulfs Gedichten
und Pitra^ zur Edition von Meliton's Clavis benützt hatten,
machte Bourquelot^ durch Mittheilung einer aus Le Puy an
ihn gelangten Zuschrift aufmerksam. Zu einer gründlichen und
umfassenden Analyse des Codex kam es jedoch erst, als in
Folge eines glücklichen Umstandes die beiden prächtigen Werke
einander nahe gebracht waren und dem competentesten Beur-
tbeiler, Herrn Leopold Delisle,® nebeneinander vor Augen
lagen. In dem Vortrage, welchen Delisle bei der Weltaus-
stellung in der feierlichen Sitzung des Institut vom 3. Juli 1878
über die beiden im Trocadero ausgestellten Bibeln Theodulfs
hielt, ward zum ersten Male die Erkenntniss ausgesprochen, dass
der ohne Ueberschrift gelassene Theil der Handschrift von Le
Puy, der dem in dem Pariser Manuscripte als Speculum Augu*
stini ausdrücklich bezeichneten Abschnitte entspricht, eine
abermalige unter Theodulfs Leitung besorgte Fassung des Spe-
culums sei, und aus der von Delisle mitgetheilten Probe ergab
sich einerseits die Verschiedenheit, die zwischen dem Texte der
beiden Specida Theodulfs besteht, andererseits die nahe Bezie-
hung des Speculums von Le Puy zu dem Texte des Sessorianus.
< Annales de la Soci^t^ d*agriculture, des sciences, arts et commerce du
Puy pour 1836. Au Puy, p. 126, 141.
' 8. oben.
' Sirmondi opera varia. t. H. Paris 1696, p. 914—1128. Jetst ist hierüber
zu vergleichen Dum ml er, E., Die handschriftl. Ueberlieferung der lat.
Dichtungen aus der Zeit der Karolinger. 11. Theodulfus von Orleans:
Neues Archiv der Qesellsch. für ältere deutsche Geschichtsknnde. IV,
239—260. Li er seh, K., Gedichte Theodulfs. Halle 1880. Po6tae
latini aevi Carolini Rec. £. Dttmmler. t. I, p. prior.
^ Pitra, J. B., Spicilegium Solesmense. t. 11. Paris 1866, p. XIX, p. 647.
^ M^moires de la Soci^t^ imperiale des antiquaires de France. 3e s^r.,
t. IV, 1869, p. 109.
B Delisle, Läop., Les bibles de Th6odulfe. Paris, Champion, 1879
(= Bibliothique de T^cole des chartes. t. 40. Paris, 1879, p. 6—47).
Dm Speenlnm dts h. Aasfastinus und 8«iDe handsohr. I7eberli«f«ning. 59
Wie die Handschrift nach Le Pny kam, ist unbekannt.
Eine locale Ueberlieferong, die man in Le Pny nicht leicht
atifgibt, < meint , dass sie von Theodulf bei einer Wall&hrt
nach dem Puy d'Anis, die er in Folge eines während seiner
Gefangenschaft in Angers gemachten Gelübdes unternommen
habe, der Kirche von Notre-Dame du Puj zum Geschenk ge-
macht worden sei. Diese von Localhistorikem stets nur mit
aller Reserve mitgetheilte Meinung entbehrt der Belege und
ist dem ältesten Landeschronisten unbekannt. Da Petrus
Rostaing, Miles ^ der Kirche St. Jean in Lyon und Canonicus
der Kathedrale von Le Puj, seinen Namen mit der Jahreszahl
1511 auf das letzte Blatt eingetragen hat und seine Versetzung
von Lyon nach Le Puy gemäss einer geistreichen Combination
des Herrn Augustin Chassaing, Richters am Civiltribunal
in Le Puy, dessen Bekanntschaft ich zu machen die Ehre
hatte, und dem ich lehrreiche Aufschlüsse verdanke, um eben
diese Zeit erfolgt sein muss, so hat die Vermuthung der
Herren Chassaing und Delisle^ hohe Wahrscheinlichkeit, dass
eben dieser Rostaing, der aus einflussreicher adeliger Familie
entstammt ^ und als Freund von Büchern bekannt ist, das
Manuscript ursprünglich besessen und aus Anlass seiner lieber-
Siedlung nach Le Puy in die dortige Kathedrale gestiftet
habe. Ueber die früheren Schicksale des T^rkes aber fehlen
noch alle Aufschlüsse.
Die eigenartige Gestaltung des Textes liess eine Collation
nicht zu, sondern machte eine vollständige Abschrift nothwendig.
7. Codex Mesmianus (fji), jetzt Parisinus 9380, die
zweite Bibel des Theodulf, eine Zierde der Nationalbibliothek
> Gallia Christ. II, 692. Histoire Htt^r. de la France. tlV. Paris 1738,
p. 467. Hedde, Phil., Notice sor le Manuscrit de Th^odnlfe. Avec
2planches. Annales de la Soci^tS d'a^culture du Pny pour 1837 — 1838.
An Pny 1839, p. 168—224. Echo du Velaj, Oct. 1877. Hedde, Isi-
dore, Pal^ographie des tissns: Bible de Th^odnlfe. Le Monitenr des
soles N. 876. Lyon 1879, p. 5— 12. Bevne retrospective, p. IS — 32.
^ Galgen e, M. 0., Obitnarinm Lugdunensis ecclesiae. Lyon 1867, p. XXVII
nnd XXVni.
* Delisle, a. a. O., p. 9 und 10.
* Histoire g^nMog^que et chronologique . . . par le P. Anselme. Paris
1726, t Vni, p. 940—943. Ouithermy, M. de, Inscriptions de la
France du Ve au Vllle siicle. Diocise de Paris I, p. 468—473.
60 Weilirioh.
in Paris. Aus dem gleichen Inhalte zusammengesetzt, in der
gleichen fast mikroskopischen Schrift ausgeführt und mit der
nämlichen Pracht ausgestattet, ist dieses Werk aus derselben
Schreibstube hervorgegangen wie das ManuBcript von Le Puy^
das ihm nahezu zum Verwechseln ähnlich sieht. Um so auf**
fallender erscheint es, dass unser Speculum zwar nach derselben
Art der Behandlung des Textes in der durch Anwendung jenes
U9que verkürzten Gestalt der Citate sich darbietet wie das von
Le Puy, aber von allen Manuscripten durch die volIkommMi
durchgeführte Umwandlung des Textes in den der Vulgata
sich unterscheidet und bezüglich seines Umfanges Merkmale
besitzt, durch die es sich von allen übrigen französischen Hand-
Schriften entfernt und wieder dem Codex Sessorianus nähert
Im IL Jahrhundert muss sich diese Handschrift noch
im Domschatz zu Orleans beftmden haben. Auf Fol. 346 ist
nämlich von einer Hand des IL Jahrhunderts die Abschrift
einer Urkunde eingetragen, durch welche der Bischof Odolricus
die gegen das Jahr 1025 erfolgte Rückgabe einer von dem
Canonicus Azinerius im Besitz gehaltenen Kirche bestätigt. Da
Odolricus die Urkunde für seine Nachfolger auf dem bischöf*
liehen Stuhle abfasste, so war eine Abschrift derselben gut
angebracht in einem Bibelwerk, das im Gebrauche der BiBchöfe
war; und Delisle vermuthet daher mit Recht, dass diese Bibel
von Theodulf zu eigenem Gebrauch angefertigt und auf seine
Nachfolger vererbt worden sei. Im 17. Jahrhunderte war das
Manuscript in der Bibliothek der Famiüe de Mesmes. Aus
dieser Epoche datiren die ersten Versuche wissenschaftlicher
Behandlung. Der gelehrte Jacob Sirmond' ist als der Erste
bekannt, der in der Bibliothek der berühmten Familie dieses
Bibelwerk studirte und die hohe Bedeutimg desselben er-
kannte. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts nahm der Jesuit
Philipp Labbe^ Einsicht in die Handschrift imd verzeichnete
sie in seinem bibliographischen Werke. Die Benedictiner
sahen sie noch, ohne sie ftlr ihre Arbeiten zu verwerthen,
und Vignier veranstaltete daraus die Editio princeps des Spe-
culums im Jahre 1654. Als nach dem Ableben des Parlaments-
1 Siimondi opera 11, 1046.
> Labbe, Ph., Nova bibliotheca mannscriptoram libroram. Paris, 1663,
p. 21-22.
Dm Speonlum des h. Augustinus und seine handsehr. Üeberliefernng. 61
Präsidenten Jean-Antoine de Mesmes Comte d'Avaux (1723)
der Rest der Bibliothek von den Erbinnen an die Pariser
Bibliothek abgelassen wurde (1731), ward diese Theodulfbibel
noch zurückbehalten und scheint erst gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts der Nationalbibliothek einverleibt worden zu sein.
Auch sie hat eine würdige Beschreibung und Zergliederung
durch Delisle an der angegebenen Stelle erhalten.
Vor mehreren Jahren nahm Herr Rudolf Prinz im Auftrage
des Herrn Professor R. von Hartel eine Collation vor, die mir
zu Grebote steht und in Paris von mir selbst revidirt wurde.
Indem ich hiermit die Aufzählung und äussere Beschrei-
bung der Handschriften schliesse, drängt es mich, an dieser
Stelle dem Generaldirector und Administrator der National-
biblioihek zu Paris, Herrn Leopold Delisle, für die wesent-
lich fördernde Unterstützung, deren ich mich von seiner Seite
zu erfreuen hatte, sowie dem Bischof von Le Puy, Monseigneur
Lebretouy für die Grüte, mit der er mir das kostbare Juwel des
Domschatzes anvertraute, meinen aufrichtigsten und herzlichsten
Dank auszusprechen. Auch der kaiserlichen und königUchen
Botschaft in Paris sage ich wärmsten Dank für die wiederholten
gütigen Vermittelungen.
(Fortsetzung folgt.)
62 Weihrioh.
EXCURS.
(Za Seite 36, Anmerkung 1).
Fragment einer grieehisehen Uebersetzong des pseudo«
angustinisclieii Speenlnm ^Adesto mihi, nernm Inmeii^
Cod. ParisinuB gr. N. 1234 saec. XIV. 394 Blfttter orient
Pap. in-folio. * Fol. 5^ medio.
ex Tij^ Siorrpo^ loO {Jiaxoeptou auYOuorivou.
UfAoXoYci^ 9^ Tov "Konipa %a\ xbv u&v %m xb icveö(jia tb ^tov, iv
xpooiiMcoig tptrcbv, ev x^ ouoia Iva, dikrfi^ 6ebv 9cavTo36ya|jLOV, ipotTüiv xol
dppoitci>v| ^SifjpLioupYbv, ol» adifjia f) ev ff(i)|Aorri xsifuvov, o^ ix 8taf6p»y
siSäv ^ j^e!^£iv f) |AeX(5v ouvdiopbo^ stxoviqAivov * dXX^c luSq dicXf^
xal aou>|i.itou | 'xai aopixou xal oncepiYpiicxcu f6ceia){. ck Brmq dXiQOcvbv
icoxdpa dfxpotc «Y^Oirvjxog xal 5Xiq{ xi); 0e6xv]xog ^^^ 9 dbcepcypixxou |
^xal arfvirf^xou \u^akei6vrjf:Q^ Oeov, i^ oud^tvo^ d^fovTa apx^) ÄXXdi
icaatv opxV ^^^cma, ictoxeuo) xal 6{mXoy(<^ oü aopx ' ' | ^ ^tvnf^tt^ oim
£Sa>6ev, oux • e^ ovcrpcr^g ouxe OeXi^jaeot^, dXXdi ^et xbv ulbv y^v^vto.
Migne, Patrol. lat. XL, p. 976.
XVn. Confiteorte Patrem et Filium et Spiritum sanctum in
personis trinum, in substantia ununi; uerum Deum omnipotentem^
uisibilium et inuisibilium conditorem, non corpus aut in corpore
positum, neque ex diuersis speciebus admixtum^ aut membrorum
conpaginibuB effigiatum, sed unius simplicis et incorporeae,
inuisibilis et incircumscriptae naturae. Te quidem uerum Patrem
summae bonitatis et totius deitatis principium, incircumscriptae
et ingenitae maiestatis Deum, ex nullo ducentem initium, sed
Omnibus initium dantem^ credo et confiteor non corporali progenie
neque extrinsecus , non necessitate neque uoluntate, sed natura
Filium generantem. Confiteor et uerum te Filium ex Patre sine
> CaUlogus codd. mss. bibliothecae reg^ae. II, p. 260. Herr Dr. Anton
Kunz war letzten Sommer 00 g^tig, auf meine Bitte das Fragment in
Paris zu copiren, wofllr ich hier nooh besten Dank sage.
Dill SpMuIii» des h. Aafuatiniis nnd seine handselir. üeberlieferun^. 63
c|JLoXoYo> xot ak tov deXiQ6tvbv ex tou icorpo^ | ^ a^d^iii^ d^paoTh)^ -f ^^^~
6^a, ÄXv]6i) 6«bv [agvo^sv^, 8«' o5 t3c T:ivza ivsvovto • *tva [Ai^xe aurb?
TO^Ei f) iuvflEjuc S6vy; | ^ elvai xornoTepoq * tö^ov ff£ elvot 6|jioXoyci> tov
ysrrrfiivxa, &o< eoriv oörb^ 6 yvhHioaq • o?)X Srt Bi \t{ia ^s^Ytixo^ ix
toö woTpb^ xbv ülbv, I ®TiJ 6€ia xaJ a^pdoru) y^^^^^^ "^'^^ XP^vov £w
"YpifU), dXX' oÖTe tov Tcaxipa Xir^t») xot^ dp^aaOat, oQte ae tov autou
ulbv ' 5tc j V Gtel f)v iroTVjp, 9J yap dv ouS* 5XfO{ f)o6a Mq ; ou -f op oXXco^
6(mXoy6iv SuvdfJieOa dfö(ov tov ?cax€pa, idv [ay] 6(JioXo'^aü)[jLev { ^^ xat a^
ouvottSiov xbv ülbv • dncb tou üIoü ^^ ^ woTTjp X^^^*^*' ' ^' ^'^^^ ^^ ^^
icoT^ip, dee x6xXv)98ae ulbv dva{ji9{ßoX6v eort.
9^1 ^i5vT(i>( TCi9re6io Tb rveujjia Tb dyiov, dcXr|Ov) Bebv, ou 7r9tT]Tbv,
ou xTtrbv, oßre Y6Wt)Tbv oöre arftirri'vo'f - aXX' ex xorcpb? uiöu Te dvexSitj-
y/jTCiK I '2 icpox(i>pouv , xal iv vonpi &\i,a T€ ulc!) ouat(i)3o){ [ji^ov * o&cü)
ToCvuv e^ dt&fotv fcpoxcopel^ , Tva dxo)ptaT(i>( ev ixa . . . | ^^ l^^viQq * xac
ha o&T(i> xord xovra Ijq Tb> Oecii xal xorpl xal ul£> Taov, ouvatScov, 6(ao-
ouoiov, C^ [Lif^e OeXifoee {JH^Te | ^^ 8uvd(Ae( |jii^e d't3(6tv)T( (Jii^Te ouoia
Siof ^etv ae 26vaa6a( die* auT(ü>v i) exxoirreoOat d(p' ü>v T:pox<«>p€t( * to . . . |
^^ d(8(ov TOV icttT^pa dveu y^^^^^c*^^? ^^^^ '^^ icorepa ev t(3 ulca xal ev va
initio ineffabiliter natum, uerum Deum unigenitum, per quem
omnia facta sunt^ et uerum Patrie Verbum, non factvm, non
creatum, nm adoptaUuum: sed genüum et unius cum Patre
substantide , atque üa per omnia aequalem Deo Patri, ut nee
tempore^ nee gradu, nee potestate esse possis inferior. Tantum-
que te esse confiteor qui genitus es, quantus est ipse qui te
genuit. Non autem quia dico genitum a Patre Filiuni; diuinae
et ineffabili generationi aliquod tempus ascribo: sed nee Pa-
trem dico aliquando coepisse, nee te eins Filium. Quia seinper
fuit Pater ; nunquam igitur non fuisti Filius. Non enim aliter
confiteri possumus aetemum patrem, nisi confiteamur etiam
coaeternum filium. £x filio enim pater dieitur: et quia semper
Pater fuit, semper habuisse Filium dubium non est.
XVin. Te quoque credo Spiritum sanctum uerum Deum,
non factum, nee creatum, nee genitum, neque ingenitum : sed ex
Patre Filioque inenarrabiliter procedentem, et jn Patre simul-
que Filio substantialiter permanentem. Sic igitur ab utroque
procedis, ut inseparabiliter in utroque maneas: atque ita per
omnia Deo Patri et Filio aequalem, coaeternum, consubstan-
üalem, ut neque potestate neque uoluntate neque aetemitate
64 Weihrich. Das Specvlum des h. An8;Qstii»is u. seine handschr. Ueberliefetung.
^e6(jL3Ti T(5 obfici), 5Xov tov utbv h tu) icotpi %a\ iv tu) 7cve6(jLaeTe tu> . . .
*• 5Xov TO wveO|jLa ib &y^ov 4v t<5 ^orpl xal tü) ulu) Sia(i.evov • tov
TCOT^pa xal TOV utbv xal xb icveuiAot to Sviov §va Oebv ^covtoSuv . . . . {
^^ |jLiaq e^ouoia;, [udu; ßa^iXeio«;, |jL(ä{ {JLSYaXetÖTYjTO^, fito^ aVSt^TiQTO^,
aicb TOTS xal vuv %a\ ael icocvtoxou ßaoiXeuovra | i^ict9Te6a>, ot6|xocxi
61J1.0X0YU) xat vol aYoncdi.
icpbq Toihov tbv zr^q Tciorecoq xovova xaTeu66vb>v xbv oxoicöv |aou,
Tcooov [Ji£ S6v . . . . I ^®. €':coiT)xa{ 6 6cö{ (xou •{*•{••{•
ai:pntecedi]neque substantia di£Ferri possis ab eis vel praeddi a quibus
procedis. Igitur aetemum Patrem sine natiuitate, aetemum
Filium cum natiuitate, aetemum Spiritum sanctum cum proceS'
sione sine natiuitate: totum Patrem in Filio et Spiritu sancto
totum Filium in Patre et Spiritu sancto , totum Spiritum
sanctum in Patre et Filio permanentem: et Patrem et Filium
et Spiritum sanctum unum Deum omnipotentem, una potestate,
unoque regno, ima maiestate^ una aetemitate, ex tunc et
nunc et semper ubique regnantem cor de credo, ore confiteor
et mente diligo.
Ad lianc fidei regulam dirigens intentionem meam, quan-
tum me posse fecisti deus mens, quaenui te et desideraui intel-
lectu uidere quod credidi»
III. SITZUNG VOM 17. JÄNNER 1883.
Das k. u. k. Ministerium des Aeussem übermittelt die
TOD der königl. niederländischen Regierung der Akademie ge-
widmeten beiden ersten Lieferungen eines mit Unterstützung
des Ministers der Colonien von Professor Dr. Schlegel in
Lejden herausgegebenen ,Nederlandsch-chineesch Woordenboek
met de transcriptie der chineesche karakters in het Tsiang-
Tsiu dialekt*.
Von dem k. k. mUitär-geographischen Institute werden
weitere siebzehn Blätter der Specialkarte der österreichisch-
imgarischen Monarchie übergeben.
Das w. M. Herr Hofrath Robert Zimmermann legt eine
ftir die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung vor^ welche
den Titel führt: ,Ueber Hume's Stellung zu Berkeley und Kant^
Das w. M. Herr Professor Th. Gomperz legt eine fUr
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung vor \mter dem
Titel: ,Herodoteische Studien^
Ad Druoksohriften wurden vorgelegt:
Akademie der Wissenschaften, k. bayr. zu München: Sitzungsberichte der
philosophisch -philologischen und historischen Classe, läb2. Band II,
Heft L München, 1882; 80.
Archaeological Survey of Southern India. Nr. 3. Kotes on the Amarä-
vata StQpa, hy Jas. Burgess, L. L. D., F. R. 6. S., M. R. A. S., etc.
Madras, 1882; 4'\
SitsvBKtber. d. phil.-hitt. Cl. CHI. Bd. 1. Btt. 6
66
Erlangen, Universität: Akademische Schriften vom Jahre 1881; 17 Stücke
80 und 40.
Facult^ des lettres de Bordeaux: Annales. 4* ann^e, No. 6. D^cembre
1882. Bordeaux, Londres, Berlin, Paris, Toulouse; S^,
Gesellschaft, kOnigl. nordische für Alterthumskunde: AarbOger for nordisk
Oldkyndighed og Historie, 1882. 2. und 3. Heft. KjObenhayn; 80. -^
Tillaeg til AarbOger for nordisk Oldkyndighed og Historie. Aargäng
1881. KjObenhayn, 1882; 8».
Society the Asiatic of Bengal: Proceedings. Nos. YII et YHI. Juli und
August 1882. Calcutta; 8^.
Verein, historischer von Oberbayern: Oberbayerisches Archiv für vater-
ländische Geschichte. XL. Band, 1. Heft. München, 1882; 80. — XLH.
und XLIII. Jahresbericht für die Jahre 1879 und 1880. München,
1881; 80.
— historischer zu Bamberg: 44. Bericht über Bestand und Wirken im
Jahre 1.881. Bamberg, 1882; 8».
.«
Zimmermann. Ueber Hume*8 Stellnng zu Berkeley und Kant. 67
üeber Hume's Stellung zu Berkeley und Kant.
Von
Bobert Zinunerxnann,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften
A.n der Geschichte der neueren deutschen Philosophie ist
es rühmend hervorgehoben worden, dass dieselbe von Kant'
bis Hegely der sich selbst als den Vollender des Eriticismus
bezeichnete^ eine in sich geschlossene Entwicklungsreihe bilde.
Eine ähnliche stellt sowohl die Entwicklung des continentalen
Rationalismus von Descartes bis Leibnitz, wie die parallel
laufende des englischen Empirismus von Bacon bis Hume dar.
Wie aus Kant's Halbidealismus der zuerst als subjectiver^ dann
als transscendentaler, zuletzt als absoluter sich entwickelnde
ganze Idealismus, wie aus Descartes' Dualismus der Gegensatz
des Monismus und monadischen Pluralismus , so entwickelte sich
aus Bacon's und Locke's Empirismus, aus jenem des ersteren
Hobbes' Materialismus, aus jenem des letzteren Berkelej's Idea-
lismus, aus beiden zusammengenommen Hume's Skepticismus.
Beide, die continentale und die insulare Strömung, sind dann
in Kant zu einer neuen, aus Rationalismus und Empirismus zu
gleichen Theilen gemischten Geistesrichtung zusammengeflossen.
Wie der Rationalismus, so dreht der Empirismus in seiner
Entwicklung sich um ein bestimmtes Problem, der eine um
ein metaphysisches, der andere um ein erkenntniss- theoretisches.
Jenes, das Problem der Unio corporis atque animae, hat nach
einander die Lösungsversuche durch die assistentia divina, den
Occasionalismus, die Identitätslehre und die prästabilirte Har-
monie hervorgerufen. Dieses, die Frage nach der Möglichkeit
einer Vermittlung zwischen dem erkennenden Subject und dem
6*
68 2imraerttiaiiti.
ZU erkennenden Object, hat von dem ursprünglichen Gegensatz
des materialistischen Objects und des spiritualistischen Subjects
aus, durch die entgegengesetzten Standpunkte der einerseits
materialistischen^ andererseits spiritualistischen Identität beider
hindurch, sowohl bezüglich des Objects wie des Subjects zum
Nihilismus und in Folge dessen zum absoluten Skepticismus
geflihii;.
Letzterer Standpunkt ist in der Geschichte der Philosophie
mit Hume's Namen verknüpft, welcher dadurch seinen englischen
Vorgängern, insbesondere Berkeley, wie seinem deutschen Nach-
folger Kant, der seine Erweckung durch ihn aus dogmatischem
Schlummer selbst eingeräumt hat, gegenüber eine zugleich nach
rückwärts imd vorwärts deutende Janusstellung behauptet. Wie
er in rückwärts gekehrtem Sinne als Vollender von Berkeley,
so erscheint er in nach vorwärts blickender Kichtung durch
seinen Zweifel an der Gewissheit aller nicht analytischen oder
identischen Urtheile als die Veranlassung, dass Kant, um zu-
gleich die Gewissheit und die synthetische Natur der mathe-
matischen Urtheile zu retten, den Apriorismus der Zeit- und
Raumanschauung^ die transscendentale Aesthetik und damit die
Wurzel der Kritik der reinen Vernunft erfand.
Hume's Einfluss auf Kant steht als von diesem selbst
bezeugte Thatsache fest; dagegen ist gegen die Behauptung
ernstlich gemeinter Abhängigkeit seiner Lehre von Berkeley's
Idealismus oder vielmehr ,Immateriali8mus^ von einer Seite her
Einspruch erhoben worden, welcher umsomehr Beachtung ge-
bührt, als der Urheber desselben, Thomas CoUyns Simon, zu
den berufensten Kennern und wärmsten Verehrern des englischen
Idealisten gehört, imd des letzteren Wiederbelebung im heutigen
England beinahe ausschliesslich dessen seit Jahren fortgesetzten
ebenso uneigennützigen als erfolgreichen Bemühungen zuzu-
schreiben ist. Derselbe bildet den Gegenstand einer zuerst
in Mamiani's philosophischer Kevue ,La philosophia delle scuole
italiane^ (XV. Bd., Nr. 1) erschienenen philosophischen Studie
,über Hume's angebliche Folgerungen aus Berkeley und Kant's
vermeintliche Widerlegung derselben', welche der Verfasser in
englischer Uebersetzung seiner sorgfältigen Wiederherausgabe
von Berkeley's Hauptwerk ,The principles of human knowledge'
(London 1878) als Anhang beigefügt hat. Der Untersuchung
Ueber Hnme^s Stelloog sn Berkeley und Kant. 69
\
seiner Berechtigung und damit dem Versuche zur Feststellung
des Verhältnisses Hume's zu Berkeley und Kant einen Beitrag
zu leisten; ist diese Abhandlung gewidmet.
Durch die gesammte rationalistische Strömung der neueren
Philosophie^ deren Problem, wie oben erwähnt, die Unio corporis
atque animae ausmacht^ geht stillschweigend oder laut die Vor-
aussetzung hindurch, dass nur Gleiches auf Gleiches wirken,
durch die ganze empiristische Strömung, deren Angelpunkt das
Erkenntnissproblem bildet, ebenso die Annahme, dass Gleiches
nur durch Gleiches erkannt werden könne. Aus dem Axiom,
dass die Erkenntniss der Wirkung jene der Ursache einschliesse,
dass demnach Ursache und Wirkung etwas gemein haben
müssen und folglich dasjenige, was nichts mit einem Anderen
gemein habe, auch weder Ursache noch Wirkung dieses Anderen
sein könne, ist die Behauptung des Cartesianischen Dualismus
von der Unmöglichkeit der Wechselwirkung zwischen Sub-
stanzen, die, wie die denkende (Geist) und die ausgedehnte (Ma-
terie), nichts mit einander gemein haben, hervorgegangen. Aus
dem Axiom, dass dasjenige, durch welches ein Anderes erkannt
oder welches durch ein Anderes erkannt werden solle, diesem
Anderen dem Wesen nach gleichartig sein müsse, ist sowohl
die (materialistische) Behauptung, dass der Geist, um zur Er-
kenntniss der (materiellen) Eörperwelt zu gelangen, selbst
körperlicher (materieller), wie die entgegengesetzte (idealistische)
Behauptung, dass die Materie (die Körperwelt), um vom Geiste
erkannt werden zu können, selbst geistiger (immaterieller) Natur
sein müsse^ entsprungen.
Weil die Erfahrung durch die Sinne als Quelle der Er-
kenntniss eine Einwirkung der äusseren (materiellen) auf die
innere (Geistes-) Welt bedingt, welche nach der Voraussetzung,
dass ungleichartige Substanzen (wie Leib und Seele) auf ein-
ander nicht einzuwirken vermögen, unmöglich ist, darum schliesst
der Rationalismus von Descartes bis Leibnitz die äussere Er-
fahrung als Erkenntnissquelle von der strengen Wissenschaft
aus. Weil die Erfahrung nur unter Voraussetzung qualitativer
Gleichartigkeit des Erfahrenen (Objects) und des Erfahrenden
70 Zimmermann.
(Subjects) möglich ist, schliesst der Empirismus von Bacon bis
Hume, dessen einzige Erkenntnissquelle die Erfahrung ist, die
Folgerung, dass Subjeet und Object der Erfahrung einander
gleichartig , also entweder beide körperlich (materiell) oder
beide unkörperUch (immateriell) sein müssen, ein.
Folge des ersteren ist, dass der Rationalismus zum Aprio-
rismus, Folge des letzteren, dass der Empirismus entweder
zum Materialismus oder zum (empirischen) Idealismus wird.
Jener entsteht, indem der Mangel der Erfahrung durch die
selbstschöpferische Kraft der reinen Vernunft ersetzt d. h. der
Inhalt der ersteren aus dem Innern der letzteren als selbstge-
wobenes Gewand herauszuspinnen versucht wird. Diese bestehen
darin, dass der eine der beiden Erkenntnissfactoren zum Phä-
nomen des anderen gemacht, also entweder (materialistisch)
der Geist zum ,Phänomen der Materie' herabgesetzt, oder
(idealistisch) die Materie als blosses ,Phänomen des Geistes'
begriffen wird. Erstere Consequenz, welche das Ganze' der
Wissenschaft nach dem Vorbilde der reinen Mathematik vor
und unabhängig von aller Erfahrung durch Deduction aus einer
oder einigen Grundvoraussetzungen (Grundbegriffen und Grund-
Sätzen) zu deduciren verlangt, haben diejenigen zu mildem
gesucht, welche, wie Leibnitz, den Unterschied von nothwendigen
imd zufälligen Wahrheiten (veritates aetemae und ex contin-
gentia), von welchen die letzteren durch Freiheit (Sittengesetz),
die ersteren durch Nothwendigkeit (Naturgesetz) bedingt seien,
in die Philosophie einführten und den sogenannten ewigen
Wahrheiten das Gebiet aUes desjenigen, was weder anders sein,
noch anders gedacht werden könne, als es ist, dagegen den
sogenannten zufälligen Wahrheiten das Gebiet aUes desjenigen
zuwiesen, was an sich auch nicht sein oder anders sein könnte,
als es ist, und dessen Sein und So-Sein, wie es ist, sein Dasein
der Rücksicht auf dadurch zu erreichende Zwecke d. i.
einer Wahl aus mehreren an sich gleich Möglichen verdankt.
Ersteres als Nothwendiges vermag die Vernunft aus sich, letz-
teres als Nicht -Nothwendiges, sondern aus mehreren gleich
Möglichen Gewähltes vermag die Vernunft nur insofern zu
erkennen, als sie den Ausfall der getroffenen Wahl selbst
erkennt. Da nun dieser vom wählenden Willen abhängig, dieser
als Wille aber nicht selbst nothwendig (dem Naturgesetz),
Ueber Hame's StaUiing m Berkeley und Kant. 71
sondern frei (dem Freiheitsgesetz unterworfen) ist, so vermag
die Vernunft das vom Willen Gewählte nur aus der Thatsache
zu erkennen; dass dieser so und nicht anders gewählt hat,
woraus sich ergibt, dass^ da jede Thatsache als solche nicht
anders als durch Erfahrung erkannt zu werden vermag; der
Gegensatz zwischen sogenannten reinen Vernunft- und Erfah-
rungswahrheiten und damit die Erfahrung selbst als Erkennt-
nissquellC; wenn auch in verschämter Weise, in den strengen
Bationalismus sich eingeschlichen hat.
Der Consequenz des Materialismus auf der einen, des
Idealismus auf der anderen Seite suchen diejenigen Empiristen
zu entgehen, welche entweder, wie Bacon, zwar die menschliche
Seele (anima) flir einen ,dtinnen warmen Körper^ aber den
,Geist' (spiraculum) fUr immateriell ansahen, oder, wie Locke,
die Natur des Objects der Erkenntniss (des Körpers) in einer
Weise aufklärten, dass dieselbe von jener des in der Regel
als körperUch Bezeichneten sich entfernt und jener des Un-
körperlichen bedenklich nahe kommt, aber dennoch den ,Geist^,
das Subject derselben, für nicht nothwendiger Weise immateriell
erklärten, da ,Gott auch die Materie mit der Fähigkeit zu
denken begabt haben könnet
Wie der consequente Materialismus im englischen Empi-
rismus durch den Namen von Hobbes, so ist der consequente
Immaterialismus (Idealismus) in demselben durch jenen von
Berkeley bezeichnet. Während Bacon demjenigen, was nicht
körperlich ist, wie Gott und der menschliche Geist, zwar Er-
kennbarkeit, aber nicht Existenz abspricht, erklärt Hobbes aus-
drücklich alles, was existirt, fhr körperUch. Von den drei
Objecten (Obiectum triplex), welche Bacon der Philosophie zu-
weist, trifft. nur das eine, die Natur, den menschlichen Intellect
im directen (directo), dagegen Gott denselben wegen des ungleich-
artigen Mittels (propter medium inaequale) nur im gebrochenen
(refracto), der Mensch im zurückgeworfenen Strahl (reflexo
radio). Während der menschliche Intellect als Subject der
Erkenntniss der Natur als Object derselben gleichartig, ist er
Gott und dem Menschen, insofern dieser ,Geist^ d. h.^ ,Hauch
Gottes^ (spiraculum) ist, ungleichartig. Insofern der Intellect
der Natur gleichartig, also selbst natürlich ist, erkennt er die
Natur; insofern Gott und Geist übernatürlich, also dem In*
72 Zimmtrmann.
tellect ungleichartig sind, erkennt dieser beide nicht ihrem
Wesen, sondern höchstens ihrer durch die Natur des Intellects
als des Mediums bedingten {Erscheinung für diesen nach. Voll-
kommene Erkenntniss des Uebematürlichen gewährt daher
nur eine übernatürliche, dagegen eine blos natürliche Erkennt-
nissquelle Erkenntniss nur des Natürlichen. Jene weist daher
Bacon der Theologie, welche aus der Offenbarung der Schrift,
die Erkenntniss der Natur dagegen der Philosophie zsu,
welche aus der Offenbarung der Sinne schöpft. Die theo-
logische Erkenntniss ist zwar vollkommen, aber nicht Wissen,
sondern Glauben, die philosophische zwar Wissen, aber nur in
Bezug auf die Natur vollkommenes, in Bezug auf Gott und
Geist dagegen unvollkommenes Wissen. Die sogenannte natür^
liehe Theologie d. i. das natürliche oder philosophische Wissen
von Gott begründet zwar eine negative, aber keine affirma-
tive Erkenntniss desselben d. h. reicht zwar hin, die Behaup-
tung des Atheismus, dass kein Gott sei, zu widerlegen, nicht
aber jene des Theismus, dass und was Gott sei, zu erweisen.
Da sonach die Natur der einzige einer vollkommenen
Erkenntniss durch die Philosophie fähige Gegenstand, der
einzige Inhalt der Natur aber Körper und ihre Beziehungen
auf imd unter einander sind, so folgt, da der menschliche
Intellect, um zur Erkenntniss der Natur zu gelangen, derselben
gleichartig d. h. selbst Natur sein soll, consequent, dass derselbe
körperlich, weil natürlich, gedacht werden müsse. Damit
stimmt es überein, dass Bacon einerseits die Philosophie, welche
als natürliche Wissenschaft von der Natur nichts anderes als
Naturphilosophie sein kann, nicht nur, je nachdem sie von dem
allen Körpern Gemeinschaftlichen handelt, oder sich auf das
einer gewissen Classe von Körpern Eiigenthümliche einschränkt,
in einen allgemeinen und besonderen Theil, sondern diesen
letzteren selbst, je nach der besonderen Gattung der Körper
(Naturkörper, Himmelskörper, menschlicher Körper) in weitere
Unterabtheilungen (Physik, Astronomie, Anthropologie) sondert,
andererseits die menschliche Seele, die Trägerin des Intellects,
für einen dünnen, warmen Körper erklärt d. h. selbst unter
das Körperliche überhaupt einreiht. Sonach ist alles, was
Object einer wirklichen Erkenntniss durch den Intellect werden
kann, die Seele selbst eingeschlossen, körperlich, die Philosophie,
üeber Hvme*8 StolliiDg s« Berkftlej und Kant. 73
soweit ihr Charakter durch jenen ihres Erkenntnissgegenstandes
beatimmtwird, durchwegs Materialismus. Dass neben den Körpern
eine Welt unkörperlicher Wesen (spiracula) und ein gleichfalls
unkörperlicher Gott existire, wird nicht geläugnet, aber die
Fähigkeit, dieselben zu erkennen, eben um ihrer Unkörper*
Hchkeit willen der Philosophie ab- imd einer anderen Wissen-
schaft, der Theologie^ zugesprochen d. h. die Identität, was
das Erkenntnissobject betrifft, des Materialismus mit Philosophie,
des Immaterialismus mit Theologie (Nicht- oder Un- Philosophie)
behauptet.
Wissenschaft von der körperUchen und solche von einer
geistigen Welt, Materialismus und Immaterialismus, Philosophie
und Theologie, treten nach Bacon als zwei zwar zusammenge-
hörige, aber von einander abgekehrte Hemisphären auseinander,
die sich zum ganzen. Wissen und Glauben umfassenden System
der Erkenntniss, zum ,gIobus intellectualisS ergänzen. Beide
stehen einander gegenüber wie feindliche Brüder, die sich
in das Erbe getheilt haben, und von welchen jeder innerhalb
des eigenen Gebietes auf seinem Rechte besteht, ohne auf
jenes des anderen innerhalb des seiuigen eifersüchtig zu sein.
Materialismus und Immaterialismus machen, von diesem Ge-
sichtspunkte aus betrachtet, keinen Gegensatz innerhalb und
auf der philosophischen Halbkugel, sondern sie machen den
G^ensatz zwischen dieser selbst und ihrer Antipodin, der
theologischen Halbkugel, aus. Der Streit zwischen diesen
endet entweder mit dem Siege der Philosophie, durch welche
die Theologie, oder mit jenem der letzteren, durch welche die
erstere vernichtet wird. Der philosophische Streit zwischen
Materialismus und Immaterialismus dagegen beginnt erst dann,
wenn diese bisher mit den einander ausschliessenden Gebieten
der Philosophie und Theologie zusammengefallenen Gegenpole
auf eines derselben, das philosophische, ausschliesslich über-
tragen und innerhalb dieses letzteren nicht wie bisher als zwei
verschiedene Wissenschaften, sondern als verschiedene Auf-
fassungsweisen derselben Wissenschaft ins Feld geführt werden.
Dieser Fall tritt ein, wenn einerseits nicht nur die soge-
nannte natürliche Wissenschaft (Philosophie) für die einzige
wirkliche Wissenschaft erklärt, die sogenannte übernatürliche
Wissenschaft (Theologie) aus dem Gebiete der Wissenschaften
74 Zimmermann.
ausgeschloBsen, sondern zugleich als die einzig wahre Form
der natürlichen Wissenschaft der Materialismus anerkannt,
andererseits, wenn zwar die übernatürliche Wissenschaft (Theo-
logie) als eine von der natürlichen (Philosophie) wesenhaft ver-
schiedene bestehen gelassen, der Begriff der Philosophie auf
die natürliche Wissenschaft eingeschränkt, jedoch der zuvor
von der Theologie ausschliesslich eingenommene Standpunkt
des Immaterialismus auch als einzig berechtigter in der Philo-
sophie anerkannt wird. Wenn es für ersteren Standpunkt nur
einerlei Wissenschaft, die philosophische, und nur eine Philo-
sophie, den Materialismus, so gibt es für letzteren zwar zweierlei
Wissenschaften, aber nur eine Philosophie: den Immaterialismns.
Repräsentant des ersteren ist Hobbes, des letzteren Berkeley.
Zu der Ausschliessung der Theologie aus dem Umkreise
der Wissenschaft hat Bacon insofern selbst die Veranlassung
gegeben, als er die Frucht übernatürlicher d. i. aus der gött-
lichen Offenbarung geschöpfter Erkenntniss als Glauben, jene
dagegen der natürlichen d. i. aus der Erfahrung durch die
Sinne geschöpften Erkenntniss als Wissen bezeichnet. Wem
nur um das letztere d. i. um Wissenschaft, keineswegs um
den ersteren, das Dogma, zu thun ist, ist daher vollkommen
berechtigt, sich auf die natürliche ErkenntnissqueUe (Elrfahrung
durch die Sinne) zu beschränken, dagegen die übemattlrliche
Erkenntnissquelle (göttliche Offenbarung) als überhaupt nicht
oder doch wenigstens nicht ftLr die Wissenschaft vorhanden
anzusehen. Wem aber, einmal auf diesem Standpunkt an-
gelangt, um wirkliches, nicht blos um scheinbares Wissen d. i.
um Erkenntniss der zu erkennenden Objecto, wie sie (ihrem
Wesen nach) sind, nicht blos, wie sie dem erkennenden Sub-
jecte (seinem Wesen nach) erscheinen müssen, zu thun ist,
der wird nur diejenige Erkenntniss als vollkommene d. i. als
Wissen gelten lassen, bei welcher das erkennende Subject dem
zu erkennenden Object gleichartig, dagegen diejenige als un-
vollkommen d. i. als Scheinwissen (Illusion) verwerfen, bei
welcher das Subject dem Object ungleichartig ist.
Bacon selbst hat ,unsem Intellect* (nostrum intellectum)
als ,imgleichartige8 Mittel' (medium inaequale) sowohl der Gott-
heit als dem Menschen, dessen geistigem Kerne nach, gegen-
über bezeichnet. Während das Wissen ,unseres Intellects' von
Ueber Hume's Stellnng zo Berkeley und Kant. 75
diesen beiden Erkenntnissobjecten nur ein unvollkommenes
sein kann, ist dasselbe ein vollkommenes von der Natur d. i.
von der Körperwelt, flir welche derselbe ein ,medium aequale*
d. i. als Ausfluss seines Organs, der ^physischen Seele', dieser
und dadurch der Natur selbst wesensverwandt ist. Wird daher
alles unvollkommene Wissen als blosses Scheinwissen bei Seite
gelassen und der Begriff des Wissens auf das von Bacon als
solches anerkannte vollkommene Wissen eingeschränkt, so
folgt, dass wirkliches Wissen sich überhaupt nur auf die Natur
d. i. auf die Körperwelt, beschränke, und weder ausser noch
über derselben ein wirklich Gewusstes existire.
Der Satz des Hobbes, dass ,ftLp die Philosophie' nur
Körper existiren, ist damit gegeben. Denn da es einerseits
keine andere Wissenschaft gibt als natürliche und keine an-
dere natürliche Wissenschaft als Philosophie, und da anderer-
seits was nicht auf vollkommenes Wissen sich stützt keine
Wissenschaft und das Einzige, von dem ein vollkommenes
Wissen möglich ist, die Natur, also der Inbegriff der Körper-
welt ist, so folgt, dass die letztere sowohl der ausschliessliche
Gegenstand der Philosophie, wie dass diese ausschliesslich
Wissenschaft von Körpern sei. An die Stelle des Gegen-
satzes des Körperlichen (Materiellen) und Unkörperlichen (Im-
materiellen) tritt jener eines gröberen und feineren Körper-
lichen. Auf die Seite des letzteren filllt das Subject, auf
die Seite des ersteren das Object der Naturerkenntniss ; jenes
(die Seele) ist nur ein feinerer, dieses (der im engeren Sinn
sogenannte Naturkörper) ein gröberer Körper. An die Stelle
des Gegensatzes zwischen Vereinigungen von materiellen (körper-
lichen) Substanzen zu einem körperUchen, und von immateriellen
(geistigen) Substanzen zu einem unkörperlichen Ganzen tritt
bei Hobbes der Gegensatz zwischen sogenannten natürlichen
und künstlichen Körpern. Jene sind solche, welche auf natür-
lichem d. i. mechanischem, diese dagegen solche, welche auf
künstlichem d. i. vom Willen abhängigem Wege hervorgebracht
sind. Elemente der ersteren sind wiUensimfkhige, solche der
letzteren dagegen mit Willen begabte Körper, also im Gegen-
satz zu den im engeren Sinne sogenannten seelenlosen Körpern
sogenannte ,Seelen' d. i. beseelte Körper, wie es z. B. die
lebenden Menschen sind. Wie die natürlichen Körper aus
76 Zimmermann.
kleinsten Eörperchen (Korpuskeln), so sind die künstlichen,
unter welchen der Staatskörper der vornehmste ist, aus Indivi-
dualwillen d. i. den kleinsten unter den mit Willen begabten
Körpern (der Staatskörper aus Staatsbttrgem) zusammen-
gesetzt. Folgerichtig zerfallt die von Körpern handelnde
natürliche Wissenschaft (philosophy) in zwei Theile, deren
einer (natural philosophy) von den natürlichen, der andere
(civil philosophy) von den künstlichen Körpern, der letztere
insbesondere von dem wichtigsten derselben, dem Staatskörper,
handelt.
Auch fUr diese Unterordnung der Staats- unter die all-
gemeine Körperlehre findet sich der Keim schon in Bacon's
f^ntheilung der Wissenschaften. Was die natürliche Wissen-
schaft (Philosophie) vom Menschen erkennt, beschränkt sich
auf dessen natürliches d. i. nicht geistiges Wesen, da letzteres
ebenso wie das Wesen der Gottheit auf natürlichem Wege
unerkennbar bleibt. Das natürliche Wesen des Menschen
aber sowohl, was dessen Leib, als was dessen ,Seele' betrifft,
ist nach Bacon ,körperlich', die sogenannte ^Seele' nur ein
,dünner, warmer Körper^ Der Mensch als Object der Philo-
sophie ist daher nichts weiter als ein Körper und fällt unter
die aUgemeine Körperlehre; folgerichtig bildet daher die philo-
sophische Lehre vom Menschen neben der philosophischen
Lehre von den Himmelskörpern imd jener von den Natur-
körpem im engeren Sinne einen Theil der philosophischen Natur-
lehre überhaupt und hat, wie jede der beiden anderen, sowohl
einen speculativen, auf die Erkenntniss, wie einen operativen,
auf die Anwendung der die jeweilige Gattung von Körpern
beherrschenden Naturgesetze gerichteten Theil. Lisofem die-
selbe den Menschen d. i. nach Obigem den aus dem körper-
lichen Leibe und der gleichfalls körperlichen Seele zusammen-
gesetzten beseelten Menschenkörper als Einzelnen betrachtet,
ist sie Anthropologie (philosophia humana), je nachdem sie
denselben jedoch als Glied einer durch Vereinigung mehrerer
seines Gleichen gebildeten Gesellschaft in Betrachtung zieht,
aber PoUtik (philosophia civilis). Erstere ftlUt, wie man sieht,
als Lehre vom Menschen als beseeltem Naturkörper in den
Umfang der von Hobbes als Naturphilosophie bezeichneten Lehre
von den natürlichen Körpern; letztere aber Mit als Lehre
üeber Home's Stellung tu Berkeley nnd Kant. 77
von der durch Vereinigung Mehrerer entstehenden Menschen-
gesellschaft mit der von Hobbes als civil philosophy bezeichneten
Lehre vom künstlichen oder Gesellschaftskörper (Corporation)
zusammen.
Bacon's Lehre, soweit sie den Anspruch erhebt, natür-
liche Wissenschaft d. i. Philosophie zu sein, ist, was das Wesen
sowohl des Subjects, wie des Objects der Erkenntniss, den
Menschen und die Natur, betrifft;, von jener des Hobbes nicht
verschieden, da sie das eine ebenso wie das andere gleich
dieser für körperlich (materiell) ansieht. Die Möglichkeit
der Erkenntniss der Natur durch den Menschen beruht für
beide auf der Wesensgleichheit d. i. Körperlichkeit beider,
die Wirklichkeit d. i. Wahrheit derselben jedoch für beide
auf der Uebereinstimmung des im Object mit dem im Subject
der Erkenntniss Vorhandenen d. i. in der treuen Wiedergabe
des ersteren durch das letztere (seien tia veritatis imago).
Je nachdem bei dieser Bestimmung, dass die Ueberein*
Stimmung des Inhalts des im Subject enthaltenen Bildes mit
dem Inhalt des Objects d. h. der in jenem abgebildeten
Wirklichkeit Ek'kenntniss sei, von der Seite des Subjects oder
von jener des Objects ausgegangen wird, treten entgegen-
gesetzte Forderungen zu Tage. Geht man von Seite des Sub-
jects aus, so wird verlangt, dass von diesem in den Inhalt des
Bildes nichts hineingetragen werde, was nicht im Inhalt des
Abzubildenden gelegen ist. Geht man dagegen von der Seite
des Objects aus, so wird verlangt, dass alles, was im Inhalt
des Abzubildenden gelegen ist, aber auch nur dieses im Inhalt
des Bildes wiederzufinden sei. Erstere Forderung geht von
der Voraussetzung aus, dass das Subject der Erkenntniss
Eigenes, also mehr enthalte als im Objecto, letztere dagegen
von der entgegengesetzten Annahme , dass das Object der
Erkenntniss weniger enthalte als im Bilde d. i. dass in diesem
Fremdes anzutreffen sei.
Erstere Forderung entspricht dem. Verlangen Bacon's, dass
der menschliche Intellect, um die Natur getreu zu interpretiren,
sich solcher VorsteUungen, die nicht aus der Natur der zu
erkennenden Objecto, sondern aus seiner eigenen geflossen
und daher in Bezug auf jene ,Idole* (Trugbilder) seien, ent-
ledigen mtlsse. Letzterer Forderung entspricht die Lehre des
78 ZimmermaDn.
HobbeB; dasB die sogenannten Empfindungsqualitäten (Farbe
Ton u. B. w.) als solche nicht in den Körpern d. i. in den Ob-
jecten, sondern nur in dem dieselben empfindenden Wesen
d. i. dem Subject der Erkenntniss vorhanden seien. Subject
und Object der Erkenntniss, obgleich beide körperlich, ver-
halten sich doch zu einander wie feinere und gröbere Körper-
lichkeit. Die Vorgänge im ersteren, die intellectuellen, nehmen
an dessen feinerer, dagegen die Eigenschaften des letzteren,
die reellen, an dessen gröberer Körperlichkeit Theil; jene
können daher im Verhältniss zu diesen ihrer Körperlichkeit
unbeschadet als gleichsam unkörperlich, diese müssen im Ver-
hältniss zu jenen, ihrer gröberen Körperlichkeit halber, im
verstärkten Grade als materiell bezeichnet werden. Auf diesem
Wege entsteht inmitten der allgemeinen Körperlichkeit, sowohl
der Vorgänge im Subject wie jener in den Objecten der Er-
kenntniss, ein neuer Gegensatz zwischen den als unkörperlich
in weiterem Sinne vorgestellten Vorgängen im Subject und den
als körperlich in engerem Sinne vorgestellten Vorgängen in
den Objecten der Erkenntniss, von denen die ersteren als
relativ immateriell, die letzteren als gleichsam in zweiter Potenz
materiell angeseheA werden.
Gelten in Folge dessen alle im menschlichen Intellect
sich vollziehenden Vorgänge im Vergleich und im VerhältniBS
mit den Körpern, ihren Eigenschaften und Bewegungen für
^relativ immateriell^, so lassen sich in dieser ihrer Immaterialität
zwei weitere Grade unterscheiden, je nachdem dieselben aus
der Natur der Erkenntnissobjecte oder aus jener des Erkennt-
nisssubjects selbst geflossen sind. Denn da nach dem er-
kenntnisB-theoretischen Grundsatz, welcher durch die ganze
Entwicklungsgeschichte des englischen Empirismus hindurch-
wirkt, das Erkennende dem Erkannten gleichartig sein muss,
80 muss der intellectuelle Vorgang im Subject, welcher aus
der Natur des (materiellen) Objects geflossen ist, eine diesem
Ursprung entsprechende Materialität an sich tragen, welche
demjenigen intellectuellen Vorgang, welcher ausschliesslich auB
der Natur des erkeimenden Subjects stammt, noth wendiger
Weise abgehen muss. Ersterer mit letzterem verglichen ist
daher gleichsam in seiner Immaterialität materieller, letzterer
dagegen in vervielfachtem Grade immaterieller Natur, gleich-
Üeber Hnme*8 Stellung cn Berkeley und Kant. 79
sam immateriell in zweiter Potenz. Werden die ersteren,
die aus der Natur des Erkenntnissobjects fliessen. mit Bacon
Ideen d. i. Abbilder ^ dagegen die letzteren ; weil sie aus der
Natur des Erkenntnisssubjeets allein stammen^ mit demselben
Idole d. i. Trugbilder genannt , so verhalten sich beide , auf
ihren Erkenntnisswerth hin angesehen, wie wahre und falsche
Vorstellungen (Erkenntnisse und Illusionen), dagegen auf ihre
physische Natur hin angesehen, insofern beide Vorgänge inner-
halb der jSeele* d. i. des ,dünnen warmen Körpers^ sind, welchen
Bacon mit diesem Namen auszeichnet, wie ,IIimbilder' zu blossen
yHii'iig^'^püi^^stenS von welchen die ersten als ,Abdrtlcke^ durch
die Dinge selbst im Hirne hervorgebracht, die letzteren dagegen
als ,wunderbare Blasen^ vom Hirne selbst »aufgeworfen' werden.
Gelten in Folge des Obigen *die Körper, ihre Eigen-
schaften und Vorgänge, verglichen mit den im InteUect sich
vollziehenden relativ immateriellen Processen, im verstärkten
Grade für »materiell', so lassen sich innerhalb der an ihnen
haftenden Eigenschaften zwei Gattungen unterscheiden, von
welchen die eine ihnen wirklich, dagegen die andere nur
scheinbar ihnen zukommt. Zu den ersteren gehören diejenigen,
welche den Körpern absolut d. i. ohne Beziehung auf ein den-
selben gegenüberstehendes und auf ihre Erkenntniss ausgehen-
de« Subject innewohnen. Als letztere werden diejenigen be-
zeichnet, welche den Körpern nur relativ d. i. in Bezug auf
ein denselben gegenüberstehendes wahrnehmendes Subject an-
haften oder richtiger gesagt von diesem auf dieselben über-
getragen werden. Hobbes betrachtet als solche die Farbe, den
Klang u. s. w., welche als solche nur im und vom Subjecte
empfunden werden^ in und an den Körpern aber nichts weiter
als blosse Bewegungen sind. Während die absoluten Eigen-
schaften wirkliche, sind die relativen denselben nur angedich-
tete Eigenschaften der Körper, die sich zu jenen innerhalb
des Erkenntnissobjects auf dieselbe Weise verhalten wie Idole
zu Ideen innerhalb des Erkenntnisssubjeets und daher gleich-
sam innerhalb der Materialität der körperlichen Welt ein Im-
materielles, wie die Ideen innerhalb der Immaterialität der in-
tell^ctuellen Welt das Materielle ausmachen.
Wie Bacon's Erkenntnisstheorie in die immaterielle Ge*
dankenwelt ein materielles, so führt des Hobbes' Körpertheorie
80 Zimmermann.
in die materielle Körperwelt ein immaterielles Element ein.
Was in der Vorstellung des Körpers nicht ans dessen Ein-
wirkung auf den Intellect selbst entsprungen, sondern von diesem
in dieselbe hineingelegt worden ist^ ist nach Bacon nicht Er-
kenntniss; sondern Fiction. Was am Körper nicht diesem an
sichy sondern nur in Folge seiner Beziehung auf das empfin-
dende Subject durch dieses zukommt ^ ist nach Hobbes nicht
Eigenschaft des Körpers^ sondern des empfindenden Subjects.
Wie nach Abzug desjenigen; was in der Vorstellung des Körpers
Idee d. i. Erfahrung ist; das hohle Idol, so bleibt vom Körper
nach Abzug dessen, was von seinen Eigenschaften Erscheinung
d. i. durch dessen Beziehung auf das empfindende Subject in
diesem hervorgerufener Schein ist, dessen wirkliches Wesen
als Rest zurück. Wie das Idol als solches ,Himgespinnst'; so
ist das Wesen des Körpers als solches ^Materialität^ ; wie die
Idee als solche ; Abbild^ im Hirne, so ist die Erscheinung als
solche; mit dem Wesen verglichen; ,Immaterialität^ Zu den
Ideen gehören alle sinnlichen Empfindungen; welche als solche
die Grundlage alles auf sinnlicher Wahrnehmung beruhenden
(empirischen) Wissens bilden; zur Erscheinung des Körpers
gehören die sogenannten yEmpfindungsqualitäten^ welche ak
ySinnesphänomene' (Farbe EJang Geruch Geschmack Härte
Weichheit u. s. w.) den materiellen Kern der Körperwelt mit
dem Illusionen weckenden Schleier der Sinnlichkeit umhüllen.
Weil die sinnlichen Empfindungen die einzigen Ideen ; wird
das auf solche sich gründende Wissen sensualistisch; weil das
Wesen des Köi*pers materiell; wird die von demselben aus-
gehende Körperlehre materialistisch genannt. Jene Bezeichnung
entfiele; wenn es sich herausstellte; dass es noch andere Ideen
als ausschliesslich die sinnlichen Empfindungen gebe; auf diese
müsste verzichtet werden; wenn es sich herausstellte; dass die
Materialität des Wesens des Körpers kein Gegenstand der Er-
kenntniss sein könne.
Beides zusammengenommen ist Locke's Fall und bezeichnet
die Stelle; an welcher dieser sowohl den Sensualismus, wie den
Materialismus seiner Vorgänger hinter sich lässt. Ersteren,
indem er neben den einfachen IdeeU; welche durch den äus-
seren Sinn (Sensation); auch solche anerkennt; welche durch
einen sogenannten inneren Sinn (refiection) hervorgebracht werden ;
üeber Hnroe's Stellung zu Berkeley and Kant. 81
letzteren, indem er zwar die Annahme eines Subsistirenden
(einer Substanz) als Wesen des Körpers und Trägers der körper-
lichen Eigenschaften flir unvermeidlich, das Wesen dieser Sub-
stanz selbst (deren Materialität oder Immaterialität) aber nicht
nur für unbekannt, sondern für (dem menschlichen Intellect)
unerkennbar erklärt. Während nach Bacon alle Vorstel-
lungen, welche nicht aus der Natur des (äusseren) Objects,
sondern aus jener (innem) des Subjects stammen, nicht
Ideen, sondern blosse ,Idole' sein sollen, räumt Locke ein, dass
alle diejenigen einfachen Vorstellungen, welche nicht durch
ySensation^, sondern durch ,Reflection' entstehen, obgleich ihr
Object demzufolge kein äusseres (ausserhalb), sondern inneres
(innerhalb des erkennenden Subjects selbst gelegenes) ist,
demungeachtet nicht ,Idole^ , sondern wirklich ,Ideen^ seien.
Unter Voraussetzung des erkenntniss-theoretischen Axioms,
dass Subject und Object der Erkenntniss einander gleichartig
sein müssen, bedeutet diese durch Locke herbeigeführte Er-
weiterung des Umfangs der ,Idee^ so viel, dass, während
nach Bacon die Vorgänge im Subject, um ,Ideen' heissen
zu dürfen, mit der Natur des äusseren (materiellen) Objects
wesensverwandt, also selbst ,materiell< sein mussten, die-
selben jetzt, um ,Ideen' zu sein, auch blos der Natur eines
,inneren' (d. h. innerhalb des Subjects selbst gelegenen), also
der (vergleichsweise ,immateriellen') Natur dieses letzteren
gleichartig sein, also aus dessen, nicht aus der Natur eines
von ihm verschiedenen Objects stammen können. Während
Bacon's Erkenntnisstheorie nur zweierlei, kennt jene Locke's
dreierlei Gattungen von Vorstellungen. Nach jener werden
nur solche Vorstellungen unterschieden, welche entweder aus
der Natur des Objects (Ideen), oder aus jener des Subjects
stammen (Idole). Nach dieser werden Vorstellungen unter-
schieden, welche entweder ein ausserhalb des Subjects gelegenes
Object oder ein innerhalb des Subjects gelegenes Object oder
gar kein Object haben. Vorstellungen der beiden erstgenannten
Arten werden von Locke ,Ideen^ genannt, gleichviel ob sie
aus der Natur eines ausserhalb oder innerhalb des Subjects
gelegenen Objects, wenn sie nur überhaupt aus der Natur
irgend eines Objects geflossen d. h. durch ein solches gegeben,
nicht, wie es bei Vorstellungen ohne alles Object der Fall ist,
Sitanngsber. d. phiL-hist. Cl. CUI. Bd. I. Hft. 6
82 Zimmermann.
(vom Subject) frei d. i. aus seiner eigenen Natur heraus er-
funden sind. Locke's erste Gattung von Ideen fUlt mit Bacon's
Ideen überhaupt, des letztei^en Idole fallen mit Locke's objeet-
losen Vorstellungen (Imaginationen) zusammen. Die zweite
Gattung von Ideen^ die Locke eigenthUmlich ist^ umfasst ein
Gebiet von Vorstellungen^ welche im Sinne der Bacon'schen
Erkenntnisstheorie^ welche nur äussere Objecte zulässt^ sub-
jectiv (Idole), dagegen mit den ^objectlosen^ Vorstellungen ver-
glichen objectiv (Ideen), also zugleich (wenn auch in verschie-
dener Hinsicht) das eine und das andere, weder, wie Bacon's
Ideen, äussere Erfahrungen, noch, wie dessen Idole, blosse
,Himge8pinn8te^ (Träume), sondern innere Erfahrungen sind.
Verhalten sich nach der Annahme sowohl des Sensualismus
wie des Materialismus Subject und Object der Erkenntniss
(intelligente Seele und Körperwelt) wie feinere und gröbere
Materialität, oder wie relative Immaterialität und ebensolche
Materialität zu einander, so verhalten sich nun auf dem Stand-
punkte des Empirismus, der nicht Sensualismus, und des Rea-
lismus, der nicht Materialismus sein mag, die beiden Gattungen
von Ideen, deren eine ausserhalb, die andere innerhalb des
Subjects gelegene Objecte hat, obgleich als Vorgänge innerhalb
des relativ immateriellen Subjects beide relativ immateriell,
doch zu einander selbst, wie mehr und minder immaterielle,
beziehungsweise minder und mehr materielle Vorgänge. Denn
da die äussere Erfahrung (Sensation) ein äusseres, relativ
materielles, die innere Erfahrung (Reflection) ein inneres, relativ
immaterielles Object besitzt, jene daher ihrer relativen Im-
materialität unbeschadet einem relativ materiellen Object gleich-
artig sein soll, während die letztere ihrer relativen Immaterialität
halber ihrem gleichfalls relativ immateriellen Object von Haus
aus wesensverwandt ist, so stellt die erstere als Materialität in
der Immaterialität im Verhältniss zur letzteren als in doppelter
Hinsicht reiner Immaterialität, gleichsam das gröbere, jene das
feinere Eletnent in der Ideenwelt und stellen die beiden Gebiete
der durch äussere und der durch innere Wahrnehmung ent-
standenen Ideen, in welche dieses letztere zerfkllt, zwei ge-
schiedene Reiche von Ideen dar, die sich zu einander ähnlieh
wie innerhalb des Umfangs der Wirklichkeit das Reich des
Körperlichen (sinnlich Wahrnehmburen) zu jenem des Geistigen
Ueber Hnme's Stellnog sa £erk«l«j und Kant. 83
(den Sinnen Unzugänglichen) verhalten und daher passend als
sinnliche und nichtsinnliche Ideen unterschieden werden können.
Hängen nach Bacon's Erkenntnisstheorie Subjectivität
d. i. relative Immaterialität; und Wahrheit der Vorstellung in
dem Sinne von einander ab, dass mit der zunehmenden Im-
materialität derselben deren Anspruch auf Wahrheit sich ver-
mindert, so zeigt die Erkenntnisstheorie Locke's an der Glaub-
würdigkeit der durch innere Ei*fahrung gegebenen Ideen, dass
eine Vorstellung an Subjectivität d. i. Immaterialität (mit der
äusseren Erfahrung verglichen) zu wachsen und doch ihren
Anspruch auf Wahrheit, gleich dieser, zu behaupten vermag.
Lautet dieses Ergebniss, mit jenem der sensualistischen Er-
kenntnisstheorie verglichen, für die äussere d. i. auf der Gleich-
artigkeit der Vorstellung mit dem äusseren (materiellen) Object
beruhende Erfahrung insofern ungünstig, als es dieselbe des An-
spruchs, als ausschliessliche Erkenntnissquelle zu gelten, beraubt,
so fkllt das Urtheil Locke's über das vermeintliche Recht des
Materialismus, den Kern und das Wesen der körperlichen Welt
als Materie bezeichnen zu dürfen, nichts weniger als vortheil-
haft filr diesen aus.
Zwar die Unterscheidung Locke's zwischen secundären
und primären Eigenschaften der Körper (secundary and primary
qualities), von welchen die ersteren nur in der Seele und nur
die letzteren in den Körpern selbst sein sollen, fällt mit der
Unterscheidung des Hobbes zwischen relativen, dem Körper
nur in Bezug auf das Subject, und absoluten d. i. demselben
an sich zukommenden Eigenschaften dem Inhalt nach zu-
sammen. Jene, welche Locke auch abgeleitete nennt, sind
Farben Töne u. s. w., diese, die von ihm auch als ursprüng-
liche (original) oder reale Eigenschaften bezeichnet werden,
sind Grösse Gestalt Zahl Lage Bewegung oder Ruhe ihrer
dichten (raumerfUllenden) Theile. Die letztgenannten Eigen-
schaften sind in den Körpern selbst wirklich und von ihnen
in jedem Zustande unzertrennlich, die erstgenannten dagegen
nicht in ihnen, sondern nur in dem wahrnehmenden Subject
wirklich und daher von den Körpern selbst nicht nur ab-
trennlich , sondern thatsächlich getrennt. Die Farbe der
Körper besteht nur insofern sie gesehen, ihr Klang nur inso-
fern sie gehört, ihre Härte oder Weichheit nur insofern sie
6*
84 ZimmermaDa.
getastet werden^ und zwar nur für das Auge das Ohr die
Hand, welches und welche dieselben sieht hört und tastet.
Wird das Vorgestelltwerden der Körper von diesen getrennt,
so verschwinden alle Farben Töne Härte- und Weichheitsgrade
und es bleibt nichts übrig als eine gewisse Gestalt Grösse,
Bewegung und Lage der Körper und Körpertheile.
Wie des Hobbes relative, so sind Locke's secundäre
Körpereigenschaften solche, welche dem Körper nicht wirklich,
sondern nur dem Scheine nach zukommen, wirklich d. i. nicht
blos dem Scheine nach in dem wahrnehmenden Subject d. i.
in der Seele sind. Dieselben können demnach, was ihre Natur
betriffi;, von der Natur des Subjects, in welchem sie sind, nicht
wesenhaft verschieden d. h. sie mtlssen von derselben Natur
wie die ,Seele^ sein. Wird dieselbe, wie es von Bacon und
Hobbes geschieht, als ein Körper, jedoch als ein solcher von
grösserer Feinheit vorgestellt, als die sogenannten eigentlichen
Körper (im engeren Sinn des Wortes) sind, so werden auch
jene Eigenschaften als körperlich, aber von einer feineren Körper-
lichkeit, als es die von dem eigentlichen Körper unabtrenn-
lichen, absoluten oder ursprünglichen Eigenschaften derselben
sind, gedacht werden müssen. Dieselben gelten sodann zwar
für materiell^ aber im Verhältniss zu den ursprünglichen Eigen-
schaften ftlr relativ immateriell d. h. der völligen UnkörperUch-
keit bei weitem näher stehend als diese. Wird dagegen
die Seele, wie es von Locke geschieht, zwar nicht als im-
materiell, aber ebenso wenig als materiell vorgestellt d. h.
zwar dieselbe als existirend (real) anerkannt, auf eine Erkenntniss
ihrer Natur (ihres Quäle) aber verzichtet, so gelten dieselben als
Wesensverwandte der Seele zwar ebensowenig wie diese für
immateriell, aber auch ebensowenig für materiell d. h. sie
werden als in der Seele seiend und derselben dem Wesen
nach, wie auch dasselbe beschaffen sei, gleichartig anerkannt,
aber es wird auf die Erkenntniss ihres Wesens ebenso und
aus demselben Grunde wie auf jene des Wesens der Seele
.Verzicht geleistet.
Während Hobbes mit Bacon die Materialität der Seele für
wirklich, hält Locke dieselbe nur für möglich. Während
Bacon die Existenz unkörperlicher Wesen auf philosophischem
Wege für unerweislich, auf theologischem dingen für ans-
üeber Hnme's Stellung zu Berkeley und Kant. 85
gemacht, Hobbes für schlecbterdings unmöglich^ hält Locke
dieselbe fUr möglich. Letzterer steht daher der Anerkennung
immaterieller Existenzen als Thatsache insofern näher als HobbeS;
als er dieselbe nicht ausschliesst, aber auch näher als Bacon^
insofern er nicht wie dieser die ,Seele^ vom ^Geiste' trennt^
also zugibt, dass, wenn sich die Immaterialität des Geistes
philosophisch' erweisen liesse, damit auch die der Seele er-
wiesen wäre.
Wie die abgeleiteten Eigenschaften, weil sie in der Seele
sind, dieser, so müssen die ursprünglichen, weil sie im Körper
sind, diesem wesensverwandt sein. Ist daher dieser, wie
Bacon und Hobbes lehren, seinem Wesen nach, materiell, so
sind es auch dessen ursprüngliche Eigenschaften. Ist da-
gegen, wie Locke lehrt, der Körper zwar ,reaP d. h. liegt
demselben ein Substrat zu Grunde, bleibt aber das Wesen
dieses letzteren selbst für den Intellect unzugänglich d. i.
unerkennbar, so sind auch die demselben wesensverwandten
Eigenschaften zwar, wie das Substrat, real und ihrem Wesen
nach dem Wesen desselben verwandt, aber gleich unerkennbar
wie' dieses. Dieselben werden, wenn das Substrat materiell
ist, materiell, wenn es dagegen immateriell sein sollte, selbst
gleichfalls immateriell sein, und da Locke die Existenz des
Immateriellen ebenso wenig wie jene der Materialität des Exi-
stirenden ftlr unmöglich hält, so ist es an sich nicht aus-
geschlossen, dass die Materialität der ursprünglichen Eigen-
schaften blosser Schein d. h. diese selbst Erscheinung eines
Immateriellen und als solche den in der möglicher Weise
gleichfalls immateriellen Seele seienden secundären Eigenschaften
gleichartig, ursprüngliche und abgeleitete E^genschafl;en der
Körper daher beide immateriell wären.
Wie in Bezug auf die Seele, so in Bezug auf den
Körper steht Locke's Realismus, welcher die Realität eines
sowohl der einen wie dem andern zu Grunde liegenden Sub-
strates anerkennt, aber die Unerkenn barkeit der Qualität des-
selben behauptet, dem Immaterialismus d. i. der Behauptung
der Immaterialität alles Existirenden um einen Schritt näher
als Hobbes mit seiner Behauptung der Unmöglichkeit der
Existenz eines Immateriellen. Letztere schliesst mit dessen
Möglichkeit von selbst dessen Wirklichkeit aus. Locke lässt
86 ZimmermaDn.
mit der Anerkennung seiner Möglichkeit die Frage von dessen
Wirklichkeit offen.
Secundäre und primäre Eigenschaften der Körper nach
Locke, wie relative und absolute Eigenschaften derselben nach
Hobbes verhalten sich zu einander wie Schein zu Wirklichkeit,
Subjectives zu Objectivem, Phänomene zu Realitäten. Dabei
wird den letzteren ebenso als Eigenschaften^ welche als solche
einen Träger, wie jenen als Phänomenen, welche als solche
ein Subject erfordern, ein Substnit untergelegt, welches als
Träger von Eigenschaften ebensowenig eine] blosse Eigen-
schaft, wie als Träger von Phänomenen selbst blos ein Phä-
nomen sein kann, daher in jenem Fall als Subsistirendes (Sub-
stanz d. i. Wesen, das Eigenschaften hat), in diesem als ,Seele^
(Subject d. i. Wesen, das Vorstellungen hat) bezeichnet wird.
Wie der Begriff der ,Sub8tanz' nichts anderes * enthält als den
Oedanken eines übrigens unbekannten Etwas, welches den
Eigenschaften, die wir dem Körper zuschreiben, zu Grunde
liege, so bedeutet der Begriff ,Seele* (Subject) in diesem Zu-
sammenhang nichts anderes als den Gedanken eines übrigens
gleichfalls unbekannten Etwas, in welchem die Phänomene,' die
wir Empfindungsqualitäten nennen (Färbe Klang Härte Weich-
heit u. 8. w.), vor sich gehen. Wie die Annahme der Sub-
stanz nur durch die Eigenschaften, so wird jene der Seele nur
durch die Phänomene nothwendig gemacht, weil die ersteren,
wenn sie vorhanden sind, nicht ohne Träger, die letzteren,
wenn sie gegeben sind, nicht ohne Subject gedacht werden
können. Wären daher keine Eigenschaften, so fiele die
Nothwendigkeit der Annahme einer denselben zu Grunde liegen-
den Substanz, wären keine Phänomene, die gleiche der An-
nahme eines Subjects, dessen Scheinw^lt sie ausmachten, von
selbst hinweg.
Ersterer Fall tritt ein, wenn die sogenannten primären
oder ursprünglichen Eigenschaften der Körper , welche als
solche real und den sogenannten secundären oder abgeleiteten
Eigenschaften derselben, welche blosse »Phänomene' sind, ent-
gegengesetzt sein sollen, sich gleichfalls als nicht real d. i.,
wie die secundären, als blosse Phänomene erweisen sollten.
Denn da die secundären Eigenschaften, wie oben erwähnt,
nicht in den Körpern, sondern, weil , Phänomene', nur in der
üeber Hnme^s Stellaog tu Borlreley und KAnt. 87
Seele^ also keine Eigenschaften der Körper sind^ so sind; so-
bald die bisher sogenannten primären d. i. in den Körpern
befindlich gedachten Eigenschaften sich gleichfalls als *Phäno-
mene d. i. als nur in der Seele befindlich erwiesen haben
sollten, überhaupt keine Eigenschaftien; die in den Körpern sein
könnten, mehr vorhanden, und die Annahme eines Trägers
ftir (nicht mehr vorhandene) Eigenschaften wird Überflüssig.
Dieser Fall ist derjenige Berkeley's und wird durch
dessen Nachweis, dass die sogenannten primären Eigenschaften
(Ghrösse Gestalt Zahl Lage Bewegung oder Ruhe der raum-
erftlUenden Theile) ebenso gut wie die secundären (Farbe
Klang Härte Weichheit u. s. w.) blosse ,Phänomene^, und als
solche nur in, aber nicht ausser der Seele seien, herbeigeführt.
Da nach Locke dasjenige, was wir Körper nennen, ein
Ganzes ist, welches aus (realen) Eigenschaften und deren
(gleichfalls realem) Träger (der Substanz) besteht, welche
letztere nur durch die Realität der Eigenschaften nothwendig
gemacht wird, ein Ganzes aber imaginär wird, sobald seine
Theile imaginär geworden sind, so verwandelt sich durch den
Nachweis, dass die Realität der Eigenschaften eine Imagination,
die nur um ihrer Realität willen unvermeidliche Annahme einer
Substanz somit grundlos sei, der Glaube an die Realität des-
jenigen, was wir Körper nennen, selbst in eine blosse Imagi-
nation, und die vermeintliche Körperwelt stellt sich als blosse
Scheinwelt heraus.
Folge davon ist, dass der Körper als ein Ganzes von
Eigenschaften, von welchen jede, sie sei nun in der von Locke
festgestellten Bedeutung eine ursprüngliche oder eine abgeleitete,
blosses ,Phänomen' ist, als Ganzes von blossen Phänomenen
selbst blosses Phänomen und als solches, wie alle die Eigen-
schaften, aus denen er besteht, nicht ausser, sondern in der
,Seele' vorhanden sein kann.
Von den beiden Gegensätzen, dem Körper als Object
und der Seele als Subject, bleibt sonach, da der Körper sich
in ein blosses Phänomen in der Seele aufgelöst hat, nur die
,Seele' als Realität d. i. Nicht-Phänomen, obgleich Sitz und
Schauplatz von Phänomenen, übrig. Indem durch die Ver-
wandlung der vermeintlich realen Eigenschaften der Körper in
blosse (subjective) Phänomene die Nöthigung, denselben eine
SB Zinmerinann.
reale Substanz als Grundlage unterzuschieben, aufhört, ver-
schwindet umsomehr die weitergehende^ diese letztere selbst
als materielle (körperliche) Substanz zu denken. Realismus
d. i. die Lehre, dass der erscheinenden Eörperwelt reale Sub-
stanzen (mehrere oder eine), ebenso und noch mehr der Materia^
lismus d. i. die Lehre, dass der Erscheinung der Körperwelt
materielle (körperliche) Substanzen (mehrere oder eine) zu
Grunde lägen, hat seine Berechtigung eingebUsst; an die Stelle
des ersteren tritt der IdeaHsmus d. i. die Lehre, dass der
Erscheinung der Körperwelt keine reale, an die Stelle des
letzteren der Immaterialismus d. i. die Lehre, dass der Er-
scheinung der Körperwelt, weil Überhaupt keine reale, umso-
mehr keine materielle Substanz zu Ghrunde liege. Beide Be-
griffe haben zunächst nur einen negativen, die Behauptungen
ihrer beziehungsweisen Gegensätze verneinenden Sinn: der
Idealismus, insofern er die Unwahrheit des Realismus, der Im-
materialismus, insofern er jene des Materialismus behauptet,
keineswegs aber etwas anderes als Wahrheit an dessen Stelle
setzt. Letzteres thut erst der ,Phänomenalismus' d. i. die
Lehre, dass die Erscheinung der Körperwelt blosses Phänomen
d. i. das Wesen des Körpers Phänomenalität sei. Während
der Idealismus das Was der körperlichen Erscheinung negativ
durch die Bestimmung definirt, dass ihr eine reale Substanz
nicht zu Grunde liege, definirt der Phänomenalismus dasselbe
positiv durch die Bestimmung, dass der Körper Phänomen
sei. Beides fkllt zwar der Sache nach, indem dasjenige,
dem nichts Reales zu Grunde liegt, nichts anderes als ,Phä-
nomen' (Illusion) sein kann, keineswegs aber dem Begriffe
nach zusammen. Phänomenalismus und IdeaUsmus in den
oben angegebenen Bedeutungen sind Wechselbegriffe, welche
als solche zwar denselben Umfang, keineswegs aber denselben
Inhalt haben. Ersteres in dem Sinne, dass alles dasjenige,
dem kein vom Subject verschiedenes Object als Reales zu
Grunde liegt, nur Phänomen im Subject d. h. insofern dasselbe
auf ein vom Subject verschiedenes reales Object von jenem
bezogen wird, ,Illusion^ sein kann. Letzteres in dem Sinne,
dass der Inhalt des einen aus positiven, jener des anderen
aus negativen Merkmalen zusammengesetzt ist. Phänomenalis-
mus und Immaterialismus, beide in den oben angegebenen
Ueber Hame's Stellung zn Berkeley und Kant. 89
Bedeutungen genommen, sind dagegen nicht Wechselbegriffe,
denn dasjenige , welchem keine vom Subject verschiedene
materielle Substanz zu Grunde liegt, muss darum noch
keineswegs ,Illusion^ d. h. ein ^Phänomen' sein, dem über-
haupt kein vom Subject unterschiedenes Object zu Grunde
liegt, indem es ja auch ein Phänomen sein könnte, dem eine
vom Subject verschiedene aber immaterielle Substanz zu
Ghrunde läge. Beide Begriffe decken einander dem Umfange
nach nicht, dagegen ist der Umfang des Begriffs Immaterialis-
mus in dem des Begriffs Idealismus eingeschlossen, denn dem-
jenigen, welchem überhaupt kein reales Object zu Grunde
liegt, kann umsoweniger ein materielles Object als Substrat
dienen. Daraus folgt , dass der Phänomenalismus immer
sowohl Idealismus als Immaterialismus, aber nicht umgekehrt
der Immaterialismus immer Phänomenalismus (im obigen Sinne)
sein wird, oder, was dasselbe ist, dass es zwei Gattungen des
ImmateriaUsmus geben wird, je nachdem den Phänomenen (im
Subjecte) entweder überhaupt kein vom Subject verschiedenes,
oder nur kein vom Subject verschiedenes materielles Object
zu Grunde liegt. Nur die erstere Gattung flült mit dem
Phänomenalismus und dem demselben gleich geltenden Idealis-
mus, insofern dieser das Gegentheil des Realismus ausmacht,
zusammen. Die zweite Gattung des Immaterialismus stellt
vielmehr eine Art des Realismus, und zwar diejenige dar, nach
deren Lehre den Phänomenen (im Subject) zwar kein mate-
rieUes, aber ein immaterielles, vom Subject verschiedenes Object
zu Grunde liegt.
Berkeley's Lehre nun ist, was ihre negative Seite betrifft,
Idealismus und Immaterialismus , was ihre positive betrifft,
Phänomenalismus. In ersterer Hinsicht bildet sie den voll-
kommenen Gegensatz sowohl zu Locke's Realismus, wie zu
Hobbes' Materialismus, insofern ihr zufolge als Grundlage der
körperlichen Welt weder überhaupt eine reale, noch insbe-
sondere eine materielle Substanz (Materie) existirt. In letzterer
Hinsicht besteht ihr Kern in der Behauptung, dass die körper-
liche Welt ,Phänomen^ d. i. Vorstellung im vorstellenden Subject
sei. Dieselbe hat daher ihr zufolge ausserhalb des vorstellen-
den Subjects keine, innerhalb desselben eine nur phänomenale
Existenz, gerade wie die im Traume gesehene Welt nicht
90 Zimmermann.
ausserhalb 9 sondern innerhalb des Traumes existirt. Ur-
sprüngliche wie abgeleitete Eigenschaften der Körper^ deren
Grösse Gestalt Lage und Ehitfemung im Räume Bewegung
und Dauer in der Zeit, Farbe Klang Geruch GeschnuK^
Härte und Weichheit u. s. w.^ sowie die Körper selbst als
beharrende oder wechselnde Vereinigungen ursprünglicher und
abgeleiteter Eigenschaften sind nur insofern vorhanden, als sie
vorgestellt werden^ oder was dasselbe ist, sie sind nur aLs Vor-
stellungen, deren Inhalt Ghrössen Gestalten Entfernungen und
Bewegungen, Farben Klänge u. s. w. ausmachen , vorhanden.
Von einem Verhältniss der im Snbject vorhandenen ^Phänomene'
zu einem ausserhalb des Subjects befindlichen realen (materieUen
oder immateriellen) Object zu reden, gleichviel ob dasselbe als
ein solches der Causalität oder der blossen Congruenz oder
Incongruenz des beiderseitigen Inhalts verstanden werde, ist
daher unstatthaft, weil es dieser Lehre zufolge ein vom Subject
verschiedenes reales (sei es materielles, sei es immaterielles)
Object überhaupt nicht gibt, also auch weder von demselben
auf das Subject oder umgekehrt von diesem auf jenes eingewirkt,
noch dessen Inhalt mit jenem des .Phänomens' irgendwie ver-
glichen, also auch weder als diesem entsprechend noch als
nicht entsprechend bezeichnet werden kann. Ebensowenig
kann von Beziehungen zwischen angeblich ausserhalb des Sub-
jects vorhandenen realen (materiellen oder immateriellen) Ob-
jecten zu und unter einander z. B. von einem Causalverhältniss
zwischen denselben die Rede sein aus dem gleichen Grunde,
weil derartige Objecto nach obigem überhaupt ebensowenig
als angebliche ursprüngliche oder abgeleitete Eigenschaften der-
selben (Grösse, Gestalt, Entfernung, Bewegung, Farbe, Klang
u. 6. w.) anders denn als ,Phänomene', daher real nicht exi-
stiren. Da sowohl Körper als ihre Eigenschaftien ,Phänomene',
abgesehen von dieser phänomalen Existenz derselben aber weder
Körper noch Eigenschaften von solchen vorhanden sind, so
können schlechterdings alle zwischen Körpern und deren Eigen-
schaften obwaltenden Beziehungen und Verhältnisse nichts
anderes als Beziehungen imd Verhältnisse zwischen Phänomenen
sein, welche das einzige thatsächlich ,Gegebene^ aber weder
durch ausserhalb des Subjects befindliche Objecto (die es nicht
gibt) erzeugt sind, noch auf solche, da es dergleichen nicht
üeber Hnme's Stellung sn Berkeley nnd Kant. 91
gibt, bezogen werden dürfen. Was vom Standpunkt des
Materialismus und Realismus angesehen z. B. die Beziehung
der Lage d. i. eines wirklichen Körpers zu dem wirklichen
Räume; das ist in den Augen des Phänomenalismus die Beziehung
des Phänomens eines Körpers zu dem Phänomen eines Raumes.
Ebenso kann das Causalverhältniss^ das vom Gesichtspunkt der
beiden erstgenannten Welttheorien als ein Verhältniss zwischen
wirklichen Dingen (realen Substanzen oder materiellen Körpern)
gedacht wird, nach den Grundsätzen des Phänomenalismus nur
als ein zwischen Phänomenen stattfindendes Verhältniss gelten,
was für dieses die Folge hat, dass alle diejenigen Auffassungen
der Causalität, welche die reale oder körperliche Natur des
Verursachenden und Bewirkten voraussetzen, von demselben
ausgeschlossen werden müssen. Von dieser Art ist der so*
genannte Influxus physicus, welcher entweder, wie der Ma-
terialismus den Vorgang sich vorstellt, in einer materiellen
Ausströmung aus dem materiellen, Ursache, in den gleichfalls
materiellen, Wirkung genannten Theil oder^ wie der Realismus
sich den Process denkt, in einer realen Vermittlung der realen,
Ursache, und der gleichfalls realen, Wirkung genannten Substanz
besteht. Es leuchtet ein, dass, wenn sowohl der vom Materia-
lismus als Ursache wie der von ihm als Wirkung angesehene
Körper und ebenso, wenn sowohl die vom Realismus als Ursache
wie die von ihm als Wirkung angesehene reale Substanz, wie es
nach den Principien des Phänomenalismus gar nicht anders
sein kann, blos ,Phänomene' bedeuten, weder von einer mate-
riellen ,Ausströmung^ noch von einer realen ,Vermittlung'
zwischen denselben gesprochen, der BegriiF der Causalität in
dem Sinne, in welchem sowohl Materialismus als Realismus
sich desselben bedienen, demnach gar nicht angewendet werden
kann. Derselbe muss entweder gänzlich hinwegfallen oder
in einer Weise umgestaltet werden, dass er mit der Grundlehre
des Phänomenalismus, dass Körper und körperliche Eigenschaften
bloB Phänomene seien, verträglich wird.
Ebensowenig als die dem Materiatismus und Realismus
geläufige Form der Causalität, kann das im Sensualismus aus-
schliesslich übliche materiale Kriterium der Wahrheit vor
dem veränderten Gesichtspunkte des Phänomenalismus Bestand
haben. Dasselbe geht davon aus, dass (nach Bacon's Aus-
92 Zinmerinann.
druck) scientia veritatis imago d. h. der Inhalt des im Subject
vorhandenen Gedankens ^Abbild' des ausserhalb desselben in
der Wirklichkeit gegebenen Inhalts, oder (nach Locke's Aus-
druck), dass die Vorstellung (im Subject) ^Zeichen^ für das
ausser- oder innerhalb desselben befindliche Object sei. Er-
stere Ansicht bedingt, dass der Inhalt der Vorstellung jenem
des (äusseren) Gegenstandes ähnlich sei; letztere räumt ein,
dass er diesem auch unähnlich sein könne, wie es bei den
meisten der ,sinnUchen^ Vorstellungen der Fall sei, und ,wie
es die Worte den durch sie bezeichneten Vorstellungen sind'.
Beide jedoch kommen darin überein, dass die Vorstellung, um
für glaubenswürdig zu gelten, durch das ihr entsprechende
Object erzeugt oder verursacht sein müsse, wobei Bacon als
selbstverständlich betrachtet, dass die erzeugte Vorstellung dem
sie erzeugenden Objecto ähnlich sein werde, während Locke
zugibt, dass sie, obgleich durch das Object erzeugt, diesem
demungeachtet unähnlich sein könne. Das eigentliche Kri-
terium liegt daher nicht sowohl in der Aehnlichkeit der Vor-
stellung und ihres Objects, welche auch fehlen kann, als vielmehr
in dem Erzeugtsein der Vorstellung durch das Object, welches
niemals fehlen darf, wenn dieselbe fUr gegeben d. i. für Er-
fahrung (äusssere bei Bacon, äussere oder innere bei Locke)
gelten soll. Da vom Standpunkt des Phänomenalismus aus
nun das äussere Object (die Körperwelt) die vom Materialismus
und Realismus ihr beigelegte reale Existenz eingebüsst hat,
das Object, welches der Erkenntnisstheorie beider zufolge eine
ihm correspondirende (ähnliche oder unähnliche) Vorstellung
im Subject verursachen soll, somit nicht mehr existirt, so kann
der Unterschied glaubwürdiger und unglaubwürdiger Vorstel-
lungen auch nicht mehr darauf basirt werden, dass die einen
durch real existirende Dinge erzeugt, die anderen nicht durch
solche hervorgerufen, sondern auf irgend eine andere Art im
vorstellenden Wesen entstanden sind.
Wie an die Stelle der Beziehungen zwischen den Körpern,
so treten an jene der Beziehungen zwischen diesen und dem
Vorstellenden solche zwischen blossen Phänomenen. Nur dass
diejenigen Beziehungen zwischen den Phänomenen , welche
innerhalb der Welt der Phänomene jene Stelle ausfüllen, welche
innerhalb der Welt der Körper z. B. das Causalitätsverhältniss
üeber Hame*s Stellung zu Berkeley und Kant. 93
und Aehnlicfaes einnehmen, andere sind als jene^ welche in der
Welt der Phänomene an die Stelle derjenigen treten, welche
nach den Erkenntnisstheorien des Sensualismus und Empirismus
zwischen der Vorstellung und ihi-em (erzeugenden) Object statt-
finden. Wie in ersterer Hinsicht die sogenannte Generations-
folge in der Körperwelt, vermöge welcher das Erzeugte nicht
blos später als das Erzeugende, sondern zugleich aus dessen
Stoffe erzeugt d. h. ein Theil desselben ist^ durch die blosse
Zeitfolge in der Welt der Phänomene ersetzt wird, vermöge
welcher die sogenannte Wirkung keineswegs stofflich aus der
sogenannten Ursache erzeugt, sondern eben nur als Phänomen
später als diese ist, so tritt in letzterer Hinsicht an die Stelle
der Beziehung zwischen dem Inhalt der Vorstellung, welche
als solche Phänomen und dem Inhalt des Objects, welches als
solches real (Nicht -Phänomen) ist, die Beziehung zwischen dem
Inhalt eines Phänomens, welches als Vorstellung, und dem Inhalt
eines andern Phänomens, welches als deren Vorgestelltes fun-
girt. Wie dort das blosse Nacheinander der Phänomene als
CansalverhältnisB , so muss hier die blosse Uebereinstimmung
der Phänomene mit und unter einander als (formales) Kriterium
der Wahrheit ausreichen.
Wie in dem Ersatz der realen Körperwelt durch blosse
Phänomene ein nihilistisches, so liegt in der Ersetzung des
materialen Kriteriums der Wahrheit durch ein blos formales
ein skeptisches Element. Wenn das Phänomen, hinter dem
ein reales Wesen existirt, Erscheinung, so ist ein solches, hinter
dem keinerlei Realität verborgen ist, blosser Schein. Jene,
insofern sie Erscheinung eines Wesens d. i. eines Was ist, ist
selbst Etwas, dieser dagegen, insofern er zwar scheint, aber
Nichts in ihm erscheint, ist, mit einem Erscheinenden verglichen,
Nichts. Der Phänomenalismus, von dessen Gesichtspunkt
aus Körper nur Phänomene, ist daher sowohl dem Realismus,
flir welchen die Körper ihrer substantiellen Grundlage nach
Realitäten, wie dem Materialismus gegentlber, fUr welchen die-
selben ihrem Wesen nach Materialitäten sind, als Idealismus
und Immaterialismus in der That Nihilismus, insofern den
Körpern eine reale , geschweige denn materiale Grundlage nicht,
abo im buchstäblichen Sinne Nichts zu Grunde liegt. Er-
scheinung und blosser Schein, von welchen die erste an der
94 Zimmermann.
Realität des in ihr erscheinenden Wesens theihiimmt und da-
durch selbst eine von dieser abhängige, also abgeleitete Realität
erlangt, während der letztere ein in ihm erscheinendes Wesen,
an dessen Realität er Theil haben könnte , überhaupt nicht
besitzt; also ebenso wesensleer, als die Erscheinung wesensvoU
ist, verhalten sich zu einander, von Seite des Wesens angesehen,
wie Position und Negation, wie Sein zu Nichtsein, wie Etwas
zu Nichts. In den Augen desjenigen, ftir welchen, wie es
bei dem Materialismus der Fall ist, jede nicht materielle, oder,
wie es beim Realismus der Fall ist, jede nicht auf reale Sub-
stanzen gestützte Körperwelt eine nichtige d. i. nichtsseiende
Welt ist, ist die Körperwelt des Phänomenalismus in der That
eine solche, ein pures Nichts, weniger selbst als der Schatten
einer Körperwelt, weil eben dasjenige, was diesen werfen müsste,
die schattende Welt, nicht vorhanden ist. Wie die Körper-
welt im Ganzen, so ist jeder Theil derselben, jeder grössere
oder kleinere Körper als solcher Nichts, sind die Beziehungen
und Verhältnisse der Körper auf und zu einander solche zwischen
Nichtsen nnd daher nichtig, wie diese selbst. Das, mit dem
Sein vergUchen, Nichtige kann als Schein zwar mannigfaltig,
das Mannigfaltige des Scheins, mit dem Sein verglichen, aber
nicht anders als nichtig sein; die phänomenale räumlich -zeit-
lich sinnliche Welt ist ein buntes Nichts, das an die Stelle der
räumlich -zeitlich materiellen oder der räumlich -zeitlich realen
Welt getreten ist.
Wie derjenige, der, wie der Materialismus und Realismus,
zwar Erscheinungen, aber nicht blossem 'Schein eine, wenn
auch abgeleitete Realität einräumt, durch den Phänomenalismus,
dessen Phänomene nur Schein sind, zum Nihilismus, so wird der-
jenige, der, wie der Sensualismus und Empirismus, nur in der
Erzeugung der Vorstellung durch das Object die Bürgschaft
für die Wahrheit der ersteren erblickt, durch denselben, der
das Object in Schein verkehrt, zum Skepticismus geführt
werden. Wird die Vorstellung als Wirkung ihres Objects,
dieses als Ursache jener angesehen, so verhalten sich beide,
sie seien einander ähnlich oder nicht, wie Erscheinung zum
Wesen, so dass aus der ersteren der Rückschluss auf letzteres
möglich, dieses in jener (adäquat oder inadäquat) offenbar
wird. Fällt mit der Aufhebung nicht blos der materiellen,
üabar Hume^s Stellung su Berkeley und Kant. 95
sondern der auf reale Substanzen gestützten Eörperwelt die
Möglichkeit hinweg, die Vorstellung als erzeugt durch das Ob-
ject d. h. als Erscheinung des letzteren anzusehen, oder, was
dasselbe ist, wird die Vorstellung (das Phänomen) in blossen
Schein verwandelt, so tritt mit der Unmöglichkeit, dass sie
ein Object, auch die Unmöglichkeit ein, dass sie in Bezug auf
ein solches einen Erkenntnisswerth habe, und dieselbe ver-
wandelt sich aus einem ,Abbild^ (imago) in eine blosse ,£in-
bildung^ (imaginatio). Während die durch das Object erzeugte
Vorstellung als dessen Erscheinung und ,Abbild' Erfahrung und
als solche Grundlage des (im Sinne des Sensualismus und Em-
pirismus) allein wirklichen Wissens, des empirischen, ist dagegen
die nicht durch ein solches erzeugte Vorstellung, der Schein
als blosse ,Einbildung^ auch nicht Erfahrung und das sich auf
solche stützende auch kein auf Erfahrung gestütztes^ also wirk-
liches (empirisches), sondern nur vermeintliches Wissen (Wahn).
Letztere Folge wird dadurch nicht aufgehoben, dass der
Inhalt sämmtlicher Phänomene unter einander sich in Ueber-
einstimmung befindet. Wenn jedes derselben, einzeln fUr
sich betrachtet, eine blosse ^Einbildung' ist, so ist nicht abzu-
sehen, wie das Ganze zusammengenommen als Summe durch-
gängiger Einbildungen selbst etwas anderes sein sollte als
Einbindung. Als solche wird dasselbe, falls die einzelnen
Theile ihrem Inhalte nach einander widersprechen d. h. sich
unter einander ausschliessen sollten, nicht nur nicht Wahrheit
(weil es sonst nicht ,Einbildung' wäre), sondern nicht einmal
den Anschein derselben besitzen d. h. das in demselben Ein-
gebildete (Imaginirte) wird nicht nur nicht wirklich, sondern
nicht einmal möglich (,imaginär'), dagegen, falls die einzelnen
Theile sich nicht nur unter einander vertragen (einander nicht
widersprechen), sondern sich unter einander sogar gegenseitig
bestätigen sollten, zwar (als Einbildung) noch immer nicht wahr,
aber, wenn das erstere der Fall ist, doch nicht unmöglich,
wenn das letztere der Fall ist, sogar wahrscheinlich sein.
Vorstehendes zeigt den Weg, wie ein Ganzes, das seiner
Natur nach nicht ,ErfahrungS sondern ,Wahn' ist, doch den
Schein einer solchen sich zu geben vermag. Denn da die
Erfahrung als ,imago veritatis' dieser letzteren gleichen muss,
diese aber als Ganzes nicht nur keinen Widerspruch der Theile
96 Zimmermann.
unter einander duldet, sondern deren harmonische Ueberein*
Stimmung mit einander fordert, so dar£ die Erfahrung (wenn
sie dieses Namens werth sein soll) nicht nur' keine unter
einander im Widerspruch stehenden Sätze einschliessen, sondern
ihre sämmtlichen Sätze müssen sich unter einander in Ueber-
einstimmung befinden imd gegenseitig bestätigen. Findet aber
dieses letztere bei jeder wirklichen Erfahrung statt und
wird es dadurch zum Kennzeichen einer solchen, so erlangt,
wenn sich dasselbe irgend einmal auch bei einer blos ver-
meintlichen Erfahrung (einem ,Wahn') einstellt, diese dadurch
den Anschein einer wirklichen Erfahrung.
Hieraus ergibt sich zweierlei. Der Phänomenalismus,
indem er das Dasein einer realen Körperwelt negirt, kann
keine ,Erfahrung' im Sinne einer durch solche erzeugten, wohl
aber im Sinne einer nicht nur widerspruchsfreien, sondern in
sich übereinstimmenden und sich in ihren Theilen gegenseitig
bestätigenden Vorstellungswelt besitzen. Von den beiden Merk-
malen , welche der Sensualismus und Empirismus als zum
Begriff der Erfahrung gehörig ansieht, und von welchen das
eine derselben ausschliesslich, das andere derselben gemeinsam
mit der sogenannten poetischen Welt zukommt, kann seine
Vorstellungswelt nur das letztere an sich tragen. Dieselbe
kann nie in dem Sinne Erfahrung sein, dass irgendwelche
ihrer Theile durch denselben correspondirende reale Objecte
erzeugt werden; dagegen steht nichts im Wege, dass sämmt-
liehe Theile derselben^ wie es in einem poetischen Kunstwerk
der Fall ist, unter einander in vollkommener Harmonie und
gesetzlich geordnetem Zusammenhange sich befinden.
In letzterem Falle wird dieselbe in den Augen des Sensua-
listen und Empirikers, mit der durch reale Objecte erzeugten
Erfahrung verglichen, zwar ein ,WahnS aber um ihrer nicht
blos gesetzlich geordneten, sondern harmonisch zusammenstimmen-
den Gestalt willen, wie das dichterische Kunstwerk der Phantasie
(der ,schöne^ Wahn), ein ,wahr^ scheinender Wahn, demnach
der wirklichen Erfahrung zwar nicht dem Ursprung, aber der
Wirkung nach ähnlich sein.
Wer durch den Phänomenalismus von der Nichtigkeit
der (realen, umsomehr der materiellen) Welt überführt, zu-
gleich aber durch die Erkenntnisstheorie des Sensualismus und
üeber Home*! Stdlimg zu. Barkalej und Käst. 97
Empirismus nach wie vor in dem Vorortheil befangen ist, dass
nur die durch reale Objeote erzengte VorsteUung (Eirfahmng)
Wissen nnd nur das auf solche gestützte Gedankengebäude
Wissenschaft sei, muss daher nothwendig Skeptiker, von der
Unmöglichkeit wirklichen Wissens, weil von der Unmöglichkeit
wirklicher Erfahrung überzeugt und nicht nur in Bezug auf
die Körperwelt zu dem Glauben geführt werden, dass er es an
deren Stelle mit einer blossen Vorstellungswelt, sondern zu
dem weiteren, dsAs er es in dieser an der Stelle einer Welt
wahrer, mit einer solchen blosser Wahnvorstellungen zu thun
habe. Dies ist Hume's Fall und bezeichnet dessen Stellung
zu Beikeley einer- , zu Locke andererseits. Mit jenem ver-
bindet ihn die Ueberzeugung, die er durch denselben ge-
wonnen hat, dass sowohl der Materialismus im Unrecht sei,
die Existenz materieller Körper, wie der Sealismus, die Exi-
stenz realer Substanzen zu behaupten. Mit diesem hat er den
Grundsatz gemein, dass die Ekfahrung die einige Quelle wahren
Wissens, diese selbst aber ohne Erzeugung der Vorstellung
durch das ihr correspondirende (wenn auch derselben noch
so unähnliche) Object unmöglich sei. Beide zusammen haben
zur Folge, dass Hume, weil er weder an die Existenz materieller
Körper, noch an die realer Substanzen, auch an die Möglichkeit
einer Erfahrung nicht glauben kann, ihm daher jede vermeint-
liche Erfahrung und folglich jedes vermeintliche Wissen (mit
Ausnahme deqenigen, welches aus blosser Wiederholung oder
Zerghederung eines schon Ghewussten besteht, also eigentlich
kein Wissen ist) zweifelhafi: wird.
Wie das, was in Folge des Phänomenalismus an die
Stelle der realen Welt tritt, in den Augen des Realisten (und
Materialisten) ein pures ,Nichts^, so ist dasjenige, was durch
diesen an die Stelle der Erfahrung tritt, in den Augen des
Sensualisten (und Empiristen) ein purer ,Wahn'. Jener Con-
sequenz sucht der Phänomenalismus dadurch zu entgehen, dass
er darauf hinweist, dass das ,Phänomen' der Körperwelt, wenn
auch nicht ausser dem vorsteUenden Wesen (im objectiven
Sinne), doch in demselben (im subjectiven Sinne) vorhanden
sei, also zwar keine (materielle oder reale) Substanz, aber doch
,dM VorsteUen^ selbst zur Voraussetzung habe. Wie der
Materialismus und Realismus von dem Grundsatze ausgehen:
Sltniiftber. d. p1ul.-Ust. Cl. Cm. Bd. I. Hfl. 7
98 Ziameraami.
WO keine (reale oder materielle) SubBtanz^ da ist kein Phä-
nomen, 60 geht der Phänomenalismas von dem Axiom ans:
wo kein Vorstellen, da ist kein Phänomen. Während aber
die ersteren beiden das Vorstellen selbst als ein Phänomen,
der Materialismus als ein solches , dem eine materielle, der
Realismus als ein solches, demeine überhaupt reale (imUebrigen
ihrer Qualität nach unbekannte) Substanz asu Grunde fiegt,
betrachtet der Phänomenalismus dasselbe nicht nur als ein
solches, das nicht mehr ,Phänomen^ sondern zugleich als das
Einzige, was mehr ist als ein Phänomen d. h. als dasjenige,
was nicht blos, wie dieses, accidentelle , sondern, wie die
Materie für den Materialismus, die reale Substanz fär den
Realismus, substantielle Wirklichkeit (Subsistenz) besitzt
Wie der Materialismus von dem Satze ausgeht, dass da«
Einzige, was wirkKch d. h. im eminenten Sinne des Wortes
ist, die Materie, der Realimnus von dem Satze, dass dieses
Selbe der Qualität nach unbekannte Substanz sei, so geht der
PhänomenalismuB von dem Satze aus, dass das einzige im
eminenten Sinn Wirkliche das Vorstellen sei. In Folge
dieser Ausschliesslichkeit erklärt es sich nicht nur, dass der
Materialismus dem Vorstellen selbst nur insofttn Realität zu-
erkennt, als es selbst ein materieller Voi^^ang (etwa wie die
Verdauung im Magen oder nach dem bekannten uropoetischen
Gleichniss die Harnabsonderung in den Nieren), der Realismus
nur insofern, als dasselbe ein Vorgang im Innern einer realen
(gleichviel wie im Uebrigen beschaffenen) Substanz ist, sondern
auch, dass der Phänomenalismus sowohl der ,Materie^ des
einen, wie der realen Substanz des andern nur insofern Rea*
lität zuschreibt, als jene wie diese ,Vor8teliung^ d. i. eine be*
sondere Art und Weise des (allein realen) Vorstellens sind.
Wie fUr den Materialismus das Vorstellen ein ,Phänomen^
der Materie, so ist fiir den Phänomenalismus die Materie
ein ,Phänomen' des Vorstellens. Wie unter den Phänomenen
der Materie neben den physikalischen chemischen und physio-
logischen auch das ,psychologi8che% so hat unter den Phär
nomenen des VorsteUens neben Farbe Klang Glanz Härte
Grösse Gestalt Bewegung Ausdehnung u. s. w. aach die
Materie ihren Platz. Den Phänomenalismus als ,Nihilismus^
zu bezeichnen hat daher zwar der Materialismus von seinem.
lieber Hnme'e SCelloiig sn Berkelej und Kant. 99
wie der ReaUsmuB von dem ihm eigenen Gesichtspunkt aus
das Recht, weil nach ersterem das Vorstellen, insofern es kein
Phänomen der Materie ist, überhaupt nicht ist, insofern es
aber jenes ist^ das eigentliche Seiende die Materie ist; und
weil nach letzterem das Vorstellen, insofern es nicht Vorgang
im Innern einer realen Substanz ist, überhaupt nicht ist, in-
sofern es aber ein solcher ist; das wahrhaft Seiende die reale
Substanz ist. Soll aber damit gemeint sein, dass der Phäno-
menalismus ein Etwas, das seinerseits nicht Phänomen, aber
Voraussetzung aller Phänomene und daher mit diesen ver-
glichen, ,reaP (nicht ^phänomenal') sei, überhaupt nicht be-
sitze, so ist es ein Irrthum, denn als ein solches gilt demselben
das Vorstellen. Wie für den MateriaUsmus die körperliche,
für den Realismus die (ihrer Qualität nach unbekannte) reale
Substanz, so stellt ßir den Phänomenalismus das Vorstellen
den ,NageP dar, an dem das Phänomen der Körperwelt ,auf-
gehängt' werden soll; allerdings läuft derselbe Gefahr (nach
Herbart's treffendem Ausdruck) ,in die Luft geschlagen zu sein^
Inwiefern i|om Gesichtspunkte des Phänomenalismus aus
die Materie unter den Phänomenen des Vorstellens, also nicht
dieses bedingend, sondern umgekehrt durch dasselbe bedingt
auftritt, hat derselbe ein Recht daa Vorstellen als immateriell
und daher sich selbst, ftlr welchen das Vorstellen alles ist, was
ist, als ,Immaterialismus' zu bezeichnen. Inwiefern nach den^
Sprachgebrauch Locke's Idee mit Vorstellung (notio) gleichbe-
deutend ist, hat der Phänomenalismus, fUr welchen das Vorstellen
alles in allem ist, das Recht, sich ,Idealismus' zu nennen.
Eine Bestimmung des ,Immateriellen' d. i. des Vorstellens
ist dadurch nur insofern gegeben , als alle diejenigen Beschaffen-
heiten, welche als Phänomene zusammengenommen das Phä-
nomen der Materie ei^eben, von demselben ausgeschlossen
werden. Insofern zu denselben nach den Einen Ausdehnung,
nach den Anderen überdies Schwere gehört, werden dem Vor-
stellen sowohl die eine als die andere abgesprochen. Insofern
jedoch sowohl ,Ausdehnung' als ,Schwere' Phänomene sind,
werden beide als Besondenmgen des Vorstellens im Allgemeinen
betrachtet, welches letztere in der einen das Phänomen des
Ausgedehntseins, in der anderen das Phänomen des Schwerseins
hervorruft. Ebensowenig wie von einer Ausdehnung, kann
7»
100 Kimmertnann.
beim Vorstellen als solchem von einem Orte oder von einer
Lage im Baume, sowie von einem Punkte in der Zeit gesprochen
werden^ da ebenso wie die Ausdehnung, der Raum mit seinen
Orten Entfernungen und Lageverhältnissen (so wie die Zeit mit
den ihrigen) ein Phänomen des Vorstellens, also nicht vor und
unabhängig von diesem, sondern erst mit und in diesem
gegeben ist.
Ebensowenig als die Materie etwas von den Körpern,
deren Wesen sie ausmacht, oder die reale Substanz etwas von
den realen Substanzen, die unter ihren Begriff fallen, ist das
Vorstellen etwas von den Vorstellungen, in die es zerftllt, in
dem Sinne Verschiedenes, dass die Materie als solche eine von
der Existenz der materiellen Körper, die reale Substanz eine
von der Existenz der unter ihren Begriff fallenden individuellen
Substanzen, das Vorstellen als solches ausser den Vorstellungen
eine abgesonderte Existenz besässe. Wie die Materie als Vielheit
von Körpern, die Substanz als Vielheit von Substanzen, so
existirt das Vorstellen als Vielheit von Vorstellungen (Phäno-
menen), so dass diese das Vorstellen zwar zu ikrer gemeinsamen
Basis und Voraussetzung haben, ein Vorstellen aber, das nicht
zugleich Vorstellung d. i. speciflsch geartetes durch einen ge-
wissen Inhalt charakterisirtes Vorstellen wäre, nicht existirt.
Ungeachtet daher der Phänomenalismus ohne eine den Phäno-
menen zu Grunde liegende Basis , welche selbst nicht Phänomen
ist, ebenso wenig bestehen kann, wie nach der Ansicht des
Materialismus die einzelnen Körper bestehen können ohne Vor>
aussetzung einer Grundlage, welche selbst nicht ein einzelner
Körper, oder nach der Ansicht des Realismus die realen Sub-
stanzen ohne reale Grundlage, welche selbst nicht eine Elinzel-
Substanz ist, so geht doch jene sämmtlichen Phänomenen
gemeinsame nicht phänomenale Grundlage, das Vorstellen in
der Totalität der Einzelphänomene ebenso auf, wie die Materie
des Materialismus in der Totalität der Einzelkörper und die
Substanz des Realismus in der G^sammtsumme der realen
Einzelsubstanzen. Daraus folgt, dass die Phänomene des
Phänomenalismus im Verhältniss zu ihrer gemeinsamen Basis,
dem Vorstellen, dieselbe Rolle spielen wie die Einzelkörper
des Materialismus im Verhältniss zu ihrer gemeinsamen Basis,
der Materie, und die realen Einzelsubstanzen des Realismus im
üeber Hume's Stallang za Berkeley and Kant. 101
Verhältniss zu ihrer gemeinsamen Basis; der substantiellen Rea-
lität. Wie fUr den Materiatismus jeder Einzelkörper eine
Individualisation der allgemeinen Materie, wie im Realismus
die Einzelsubstanz eine solche der allgemeinen substantiellen
Realität, so stellt sich für den Phänomenalismus jedes einzelne
Phänomen als Individualisation des Vorstellens im Allgemeinen
d. i. als individuaUsirtes Vorstellen, als Vorstellimgsindividuum
dar, welches dem Körperindividuum (Individualisation der Ma-
terie) des Materialismus und dem Substanzindividuum (Indivi-
dualisation der Substanz) des Realismus entspricht.
Zur Erläuterung diene das Beispiel des Raumes. Derselbe
kann, vom materialistischen Gesichtspunkte aus gesehen, nicht
anders denn materiell, vom realistischen aus nicht anders denn
real, vom phänomenalistischen aus nichts anderes als ein Phänomen
sein. Ersteres insofern, als das Ausgedehntsein eine Eigen-
schaft ist, welche zum Wesen der Materie gehört, wenn sie
auch nicht (wie im Cartesianismus und Spinozismus) dieses
erschöpft. Das zweite, weil die räumlichen Eigenschaften der
Körper, deren Gestalt Lage Begrenzung zu den ursprüng-
lichen Eiigenschaften derselben gehören, die so real sind wie
diese selbst, und deren Realität jene des Raumes bedingt, von
dem diese Gestalten Entfernungen begrenzten Flächen und
Köiper Theile ausmachen. Das dritte, weil unter den ihrem
Inhalt nach mannigfaltigen Aeusserungen des Vorstellens d. i.
den verschiedenen Vorstellungen sich auch solche befinden, die
sich unter einander ausschliessen d. h. deren Objecte so be-
schaffen sind, dass sie nicht mit einander d. i. weder in einander,
noch zugleich als wirklich gedacht werden können^ also als
ausser einander, und zwar entweder als neben einander (in der
Form der Räumlichkeit) befindlich^ oder als nach einander (in
der Form der ZeitUchkeit) sich einfindend vorgesteUt werden
müssen. Letztere beide sind daher nichts als Vorstellungsweisen
(Phänomene), welche durch die Beschaffenheit gewisser anderer
Vorstellungen (Phänomene) nothwendig gemacht und daher
ebenso wenig ,real' oder gar ,materiell^, wie diese selbst, sind.
Wie im Materialismus der Raum gleichsam die ,verdttnnte',
mit Ausschluss aller übrigen Eigenschaften auf jene des ,Aus-
gedehntseins' reducirte Materie, im Realismus die Räumlichkeit
die nach Ausschluss aller übrigen ursprünglichen Eigenschaften
102 ZimmermftBB.
zurückgebliebene Gestalt Lage und Begrenzung der Körper,
so ist derselbe für den Phänomenalismus die nach Abzug des
besonderen Inhalts des als im Nebeneinander befindlich Vor*
gestellten allein zurückbleibende Form des Im-Nebeneinander-
VorsteUens selbst. Im Materialismus stellt daher der Raum
als dasjenige, was übrig bleibt, wenn von allen Eigenschaften
derselben mit' Ausnahme der Ausdehnung abstrahirt wird,
gleichsam eine Materie zweiter Ordnung, das von seinem In-
halt entleerte Gef^ des gröberen Stoffes, im Realismus stellt
die Räumlichkeit die nach Abzug aller übrigen ursprünglichen
Eigenschaften erhaltene ,hohle^ Gestalt und Begrenzungsober-
fläche des Körpers, im Phänomenalismus die Raumform den
selbst phänomenalen Rahmen dar, innerhalb dessen die Bunt-
heit der Phänomene im Vorstellen angeordnet ist.
Es wäre nun eines der gröbsten Missverständnisse zu
meinen, dass der auf diese Weise in ein blosses Phänomen
verwandelte Raum von dem des Materialismus und Realismus
gänzlich verschieden sei. Nur das metaphysische Wesen desselben
verwandelt sich^ wie dieses ja schon im Realismus ein anderes
als im MateriaUsmus ist; die geometrischen Eigenschaften des-
selben bleiben unter allen drei angeftlhrten Auffassimgen die
nämlichen. Der Raum als Phänomen besitzt ebenso gut wie
der materielle oder der reale Raum Dreidimensionalität d. h.
die Phänomene, welche in der Form des Nebeneinander-
befindlich vorgestellt werden, werden in dieser im Nebeneinander
nach drei (und nicht mehr) auf einander senkrechten Richtungen
befindlich vorgestellt. Daher bleiben auch die räumlichen
Bestimmungen der Körper, deren Lage gegen und Entfernungen
von einander dieselben, gleichviel, ob diese wie im materiellen
Räume als materiell oder wie im realen als real oder wie im
phänomenalen als phänomenal angesehen werden. Die als
blos phänomenal betrachtete Körperwelt ist daher ungeachtet
der Phänomenalität ihres Raumes als räumlich bestimmte der
ftlr materiell oder real ausgegebenen Körperwelt, der behaup-
teten Materialität oder Realität des Raumes, in welchem diese
sich ausbreiten sollen, ungeachtet, in allen geometrischen Eigen-
schaften und Gesetzen völlig analog. Das Maass der Ent-
fernung bleibt dasselbe, ob zwei als Phänomene vorgestellte
Körper als von einander in dieser Distanz befindlich gedacht
lieber Hiime*s Stellang su Berkeley and K»nt. 105
Erfahrung leidet, zu entfichädigen gesacht, daeis er dieselbe im
selben Sinne, wie der Theismus die wirkliche Welt, fttr eine
Schöpfiing Gottes und zwar, da die sogenannte Materie unter
seinen Händen sich gleichfalls in ein blosses Phänomen ver-
wandelt hat, ftar eine solche ,aus Nichts' erklärt. Wie die
weltsehaffende Gottheit der theologiseben Creationslehre sowohl
das Material wie die Formen der. wirklichen Welt, so bringt
Gottes Schöpferthätigkeit nach Berkeley's Darstellung des Phä-
nomenalismus sowohl diejenigen Phänomene (Vorstellungen),
welche (wie Farbe Klang Geruch Geschmack Härte Weich-
heit u. 8. w.) das Material, wie diejenigen Phänomene (Vor-
stellungen), welche, wie Räumlichkeit (Neben-) und Zeitlichkeit
(Nacheinander) die Form der phänomenalen Welt abgeben, im
Vorstellen hervor. Die so entstandene Vorstellungswelt hat als
Werk Gottes vor der Erfahrung als der durch die realen Objecto
erzeugten Vorstellungswelt das voraus, dass sie nicht blos wie
diese (besten Falls) ,imago veritatis', sondern als Werk des wahr-
haftigen Gottes die ,veritas' selbst ist. Dieselbe ist, obgleich
blos phänomenal, seit dem Verschwind^^i der sogenannten realen
Welt nicht nur die einzige, sondern verm($ge ihrer Verursachung
durch Gott nothwendiger Weise eine wahrhaftige Welt. Erstere
Eigenschaft macht sie derjenigen, welche der Materialismus, wie
derjenig^i, welche der Realismus fUr die einzige erklärt (der so-
genannten ,materiellen' und der ,realen'), letztere derjenigen Vor-
stellungswelt, in welcher nach der Ansicht des Sensualismus und
Empirismusallein Wahrheit enthalten ist, der Erfiahrung ebenbürtig.
Sucht diese Form des Phänomenalismus ihre Vorstellungs-
welt der in den Augen des Sensualismus und Empirismus allein
berechtigten Empirie dadurch gleichzustellen, dass sie der-
selb^i einen überempirischen Ursprung (aus Gott) zuschreibt
so kann dieser Grund fbr diejenigen, welche wie Hume der
Meinung sind, dass einerseits (mit Locke) Erfahrung die einzige
Quelle des Wissens, andererseits (mit Bacon) die Gottheit kein
Gegenstand der Erfahrung sei, keine Beweiskraft besitzen.
Wenn Gott überhaupt kein Gegenstand der Erkenntniss, so
auch der Ursprung der (Berkeley zufolge phänomenalen)
aus Gott kein solcher sein und der Grund, um dess-
\ derselben ,Wahrhaftigkeit^ und dadurch Aehnlichkeit
er I^ahrung zukommen soll, wird hinfällig. Die Welt
104 Zimmermann.
Neben- und Nacheinander der Objecte selbst ^erzeugt^ d. h.
ebenso wie das im Neben- und Nacheinander Befindliche (sinn-
lieh) ^wahrgenommen' würde. Während daher der Umfitand,
dass in der durch reale Objecte erzeugten Vorstellungswelt
nicht blos die einzelnen Vorstellungen durch ihnen entsprechende
Objecte^ sondern auch deren räumliches Neben- und zeitliches
Nacheinander durch ein entsprechendes Neben* und Nachein-
ander ihrer Objecte erzeugt sein soUen, dieselbe zur ^Erfah-
rung' macht, kann die phänomenale Welt des Phänomenalis-
mus gerade darum^ weil weder ihre einzelnen Elemente, noch
deren Neben- und Nacheinander durch reale Objecte und
deren Neben- und Nacheinander hervorgebracht sein kann,
auch niemals ^ErÜEthrung'; obgleich sowohl um ihrer Sinnlich-
keit wie um ihrer Räumlichkeit und Zeitlichkeit willen ein
Analogon der Erfahrung heissen.
Wie darin, dass das so entstandene Analogon der Er-
fahrung keine Erfahrung, der Gegensatz, so verräth sich darin,
dass dasselbe Analogon der Erfahrung ist, die verwandtschaft-
liche Beziehung des Phänomenalismus zum Empirismus. Da
derselbe in Folge der gewonnenen Ueberzeugung von der Phä-
nomenalität der Körperwelt weder SensuaUsmus noch Empiris-
mus bleiben kann, aber doch seiner Herkunft aus beiden halber
deren Ergebnissen dem Inhalt nach möglichst nahe bleiben
möchte, so- sucht er den Inhalt seiner Vorstellungswelt jenem
der eigentlichen (und einzig diesen Namen verdienenden) Er-
fahrung dem Material und der Formgebung nach so ähnlich
als möglich zu gestalten d. h. derselben nicht blos den Stoff»
sondern auch die Formen der wirklichen ErfahruQg, so weit
dies thunlich ist, zu geben. Dabei ist vorauszusehen, dass,
je ähnlicher auf diesem Wege das Analogon der Erfahrung
dem Stoff und der Form nach der wirklichen Edkhi^ung ge-
worden sein wird, um so leichter die Möglichkeit eintritt, das-
selbe um dieser Aehnlichkeit willen mit der letzteren selbst
zu verwechseln d. h. an die Stelle wirklicher Erfahrung ein
blosses Trugbild derselben als vermeintliche Erfahrung untei^
zuBchieben.
Berkeley selbst hat die phänomenale Welt dadurch zu
höherem Range emporzuheben und ftlr die Einbusse, welche
dieselbe durch die Entziehung des Charakters wirklicher
üeber Hame*8 Stellaug zn Berkeley and Kant. 105
Erfahrung leidet, zu entfichädigen gesucht, dass er dieselbe im
selben Sinne, wie der Theismus die wirkliche Welt, fUr eine
Schöpfimg Gottes und zwar, da die sogenannte Materie unter
seinen Händen sich gleichfalls in ein blosses Phänomen ver-
wandelt hat, ftar eine solche ,auB Nichts^ erklärt. Wie die
weltsohaffende Oottheit der theologischen Creationslehre sowohl
das Material wie die Formen der. wirklichen Welt, so bringt
Gottes Schöpferthätigkeit nach Berkeley's Darstellung des Phä-
nomenalismus sowohl diejenigen Phänomene (Vorstellungen),
welche (wie Farbe Klang Geruch Geschmack Härte Weich-
heit u. 8. w.) das Material, wie diejenigen Phänomene (Vor-
stellungen), welche, wie Räumlichkeit (Neben-) und Zeitlichkeit
(Nacheinander) die Form der phänomenalen Welt abgeben, im
Vorstellen hervor. Die so entstandene Vorstellungswelt hat als
Werk Gottes vor der Erfahrung als der durch die realen Objecte
erzeugten Vorstellungswelt das voraus, dass sie nicht blos wie
diese (besten Falls) ,imago veritatis', sondern als Werk des wahr-
haftigen Gottes die ,veritas' selbst ist. Dieselbe ist, obgleich
blos phänomenal, seit dem Verschwinden der sogenannten realen
Welt nicht nur die einzige, sondern vermöge ihrer Verursachung
durch Gott nothwendiger Weise eine wahrhaftige Welt. Erstere
Eigenschaft macht sie derjenigen, welche der Materialismus, wie
derjenigen, welche der Realismus fUr die einzige erklärt (der so-
genannten ,materiellen' und der ,realen^), letztere derjenigen Vor-
stellungsweit, in welcher nach der Ansicht des Sensualismus und
Empirismusallein Wahrheit enthalten ist, der Erfiahrungebenbürtig.
Sucht diese Form des Phänomenalismus ihre Vorstellungs-
welt der in den Augen des Sensualismus und Empirismus allein
berecht^en Empirie dadurch gleichzustellen, dass sie der-
selben einen überempirischen Ursprung (aus Gott) zuschreibt
so kann dieser Grund für diejenigen, welche wie Hume der
Meinung sind, dass einerseits (mit Locke) Erfahrung die einzige
Quelle des Wissens, andererseits (mit Bacon) die Gottheit kein
Gegenstand der Erfahrung sei, keine Beweiskraft besitzen.
Wenn Gott überhaupt kein Gegenstand der Erkenntniss, so
kann auch der Ursprung der (Berkeley zufolge phänomenalen)
Welt aus Gott kein solcher sein und der Grund, um dess-
willen derselben ,Wahrhaftigkeit' und dadurch Aehnlichkeit
mit der f^ahrung zukommen soll, wird hinfällig. Die Welt
106 Zinattraaiiii.
des Phänomenalismus und die EMahnmg haben swar das mit-
einander gemein, dass sie beide Vorstellungswelten sind, unter-
scheiden sich aber dadurch; dass die erste ,Illasion'y die zweite
^Spiegelbild^ d. h. dass ausser (praeter) der ersten keine,
ausser (extra) der zweiten dagegen eine andere Welt, die der
sogenannten realen Objecte, vorhanden ist. Wer daher Ber-
keley in Betreff des phänomenalen Charakters der Weh zu-
stimmt, den von ihm behaupteten Ursprung derselben aus
Gk>tt aber fhr unerweislich hält, kann nicht umhin, dieselbe
nicht nur als ,nicht wirklich' d. i. als ,Phänomen', sondern
auch als ,nicht wahr' d. i. als ,Illusion' zu betrachten d. h.
dieselbe sowohl im metaphysischen als im erkenntnisstheorisohen
Sinne als ,nichtig' anzusehen.
Hume zieht diese Consequenz und darauf beiuht der
Charakter einerseits des Nihilismus andererseits des Skepti-
cismus, welchen der Phänomenalismus (Berkeley's) unter seinen
Händen annimmt. Jener äussert sich darin, dass er in Folge
des Phänomenalismus nicht nur dem materiellen Universum
(material Universe) als Object, sondern auch dem ,Ich' (Ego)
als dem Subject des Vorstellens die Existenz abspricht, dieser
darin, dass er in Folge des Phänomenalismus die vermeintliche
Verknüpfung der Phänomene als Ursachen und Wirkungen auf
eine vermöge ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge entstandene und
durch häufige Wiederholung zur Gewohnheit gewordene Asso*
ciation derselben zurückführt.
,Wenn,' so lautet Hume's Argumentation, ,da8 materielle
Universum altf solches nicht existirt, so existirt erstens auch
kein solches Ding, was man Ursache von etwas nennt (no
such thing as the Cause of anything); so existirt zweitens
auch kein mit der Anordnung des Universums verknapfter
Gedanke (no Thought connected with the Arrangement of ike
Universe); so existirt drittens auch kein Ich (no Ego at all)^
Die erste und zweite dieser Folgerungen sind, da sie nur auf
das materielle Universum, welches der Voraussetzung zufolge
nicht existirt, Bezug haben, selbstverständlich; die dritte dagegen
ist eine wirkliche und wie nicht zu leugnen scharfsinnige
Erweiterung des von Berkeley aufgestellten Princips, Die
erste der beiden Folgerungen ist insofern interessant, als sie
ein Licht wirft auf Hume's Verhältniss zum CausaUtätsbegriff,
tleber Hnme's Stollnng in Berkelej und Kant. 107
dessen Theorie den Hauptanspruch auf seine SteDung in der
Oeschichte der Philosophie ausmacht; die zweite charakterisirt
seine Stellung zu den Theologen und Vertheidigem einer in
der Natur nach Zweckmässigkeitsgründen verfahrenden InteUi-
genz und in der Geschichte waltenden Vorsehung; die dritte
bildet die Vorläuferin zu Eant's berühmtem ^Paralogismus',
welcher der rationalen Psychologie ihr reales Object, die Seele
entziehen sollte. Da in Hume's Augen mit der Existenz des
materiellen Universums auch die Existenz eines Dinges , welches
^Ursache von etwas' sein kann, hinwegfallen soll, so ist klar,
dasB sich Hume das ursachliche Verhältniss so eng mit der
Materialität verbunden denkt, dass wo die letztere fehlt auch
von jener nicht die Rede sein und folglich die von ihm später
behauptete angebliche Causalität zwischen blossen »Phänomenen*
mit der wirklichen Causalität nichts als den Namen gemein
haben kann. Die zweite Folgerung stützt sich darauf, dass die
teleologische Weltauffassung auf dem ursprünglichen Gegen-
satz des materiellen Universums und einer ausserweltlichen
Intelligenz beruht, von welchem nach dem Hinwegfallen des
ersteren nicht mehr gesprochen werden kann. Die dritte
Folgerung ergibt sich, meint Hume, unmittelbar aus Berkeley's
eigenem Princip. Denn wie nach Berkeley das materielle Uni-
versum keine Existenz hat, weil dasselbe einzig aus solchem
besteht, was unmittelbar wahrgenommen werden kann (since
it consists only of what can be perceived immediately), so
hat gleicher Weise das Ich oder das Selbst (Seif) keine wie
immer beschaffene Existenz, weil dieses Ich seibstbewusst ist
d. i. sich selbst unmittelbar wahrnimmt und folglich darum
aoBBchUesslich aus solchem besteht, was unmittelbar wahrge-
nommen werden kann (consists only of what can be perceived
immediately). Der Nerv dieses Beweises liegt darin, dass was
wahrgenommen wird Wahrnehmung, also nicht das Wahrge-
nommene selbst sei, und da es kein anderes Mittel gibt zum
Wahrgenommenen zu gelangen, als durch die Wahrnehmung,
zu jenem überhaupt gar nicht gelangt werden könne und daher
das einzige, was wirklich besessen wird, die Wahrnehmung sei.
Intofem nun das Wahrgenommene wahrgenommen wird, ist es
nicht Wahrgenommenes, sondern Wahrnehmung; insofern es nicht
wahrgenommen wird, ist Wahrgenommenes überhaupt nicht.
108 Zimmarmann.
Wie daher kein materielles UniverBum neben und ausser dem
phänomenalen; so existirt kein reales Ich ausser und neben
dem phänomenalen und wie die phänomenale Welt ein Schein
isty der uns zu dem falschen Glauben verleitet^ dass neben
und ausser demselben eine wirkliche Welt existire, so ist das
phänomenale Ich ^eine Art optischer Illusion unsererseits, welche
uns dazu bringt anzunehmen, dass wir selbst existiren' (a sort
of optical illusion upon our part which leads us to suppose
that even we are ourselves existing).
Die richtige Consequenz des Phänomenalismus wäre daher,
meint Hume, gewesen, nicht nur wie Berkeley thut der mate-
riellen Eörperwelt, sondern auch, wie er nicht thut aber
eigentlich thun müsste, dem eigenen Ich die reale Grundlage
abzusprechen. Hume dehnt die PhänomenaUtät, welche Berkeley
auf das Object des Vorstellens (das Voi^estellte) beschränkt,
auch auf das Subject des Vorstellens (das Vorstellende) aus,
welches letztere ihm zufolge ebenso illusorisch d. i. blosse
Vorstellung ist wie das erstere. Während Berkeley der mate-
riellen Körperwelt als Object das vorstellende Ich als Subject,
stellt Hume im Ich selbst dieses als Vorstellendes sich selbst
als Vorgestelltem gegenüber und behandelt das Verhältniss
letzterer beiden auf dieselbe Weise, wie Berkeley das Verhalten
des Ichs zur Aussenwelt darstellt. Wie sich die letztere Air
das Ich in Vorstellung, so löst sich fUr das Ich als Vorstellendes
das Ich als Vorgestelltes gleichfalls in solche auf; wie fbr das
Ich die Aussenwelt, so verwandelt sich fUr das Ich als Vor-
stellendes das Ich als Vorgestelltes in eine ,optische Täuschung/
Der Schluss von dem Schein einer Eörperwelt auf das
Sein einer solchen ist nach Berkeley, der Schluss von dem
Schein unseres Ich auf das Sein dieses Ich wäre nach Hume
ein Fehlschluss. Wie nach Berkeley das Vorgestellte, die
Körperwelt, so ist nach Hume der Vorstellende, das individuelle
Ich, ein blosses ,Phänomen^; die Materie und der ,GeistS inso-
fern er individualisirt (Einzelgeist, Seelenindividuum) ist, sind
beide nicht existent; die Anihilation, welche nach Berkeley die
materiale sowie jede reale Grundlage der phänomenalen Eörper-
welt traf , erstreckt sich nach Hume nunmehr auch auf jedes
real-individualistische Substrat der phänomenalen Geistesindivi-
dualität. Wenn nach Berkeley nur Geister, nicht aber Materie,
Ueber Hamens Siellung bq Bdrkaley und Kant. 109
80 existiren nach Hume weder Materie noch Geister ; der anti-
materialistische PhänomenalismuB hat einen weiteren Schritt in
der Richtung gegen den Nihilismus zu gethan^ indem er als
antiindividualistischer nicht blos wie jener die Materialität der
Körper-, sondern überdies die Individualität der Geisterwelt zu
blossem Scheine herabsetzt.
Dass Hume bei dieser Folgerung aus Berkeley's Theorie
wirkHch die Aufhebung der Existenz des Individualgeistes
(nicht des Geistes überhaupt) im Auge hat, geht daraus hervor,
dass er unmittelbar an die ArgumentatioD, dass die Existenz
des Ich eine Selbsttäuschung sei, die Bemerkung hinzufügt,
,da nun kein Ich sei, so sei auch weder Raum noch Verwand
fiir die UnsterbUchkeitsfrage^ (as there is no Ego, there is no
room here nor pretext for the question of Immortality). Diese
so ausdrücklich auf das Ich bezogen kann nur die ewige
Fortdauer des Individuums als solchen, ihre Leugnung daher
nur die Fortdauer des Geistes als Individuum betreffen, wo-
durch die Fortdauer des individualitätslosen Geistes ebenso
wenig als durch die Aufhebung der Existenz individueller
Geister die Existenz des (individualitätslosen) Geistes ausge-
schlossen ist.
Letztere wird vielmehr durch den Nachweis, dass das
individuelle Ich ein blosses Phänomen sei, nothwendig voraus-
gesetzt. Indem der Phänomenalismus dasjenige, was dem Mate-
rialismus und ReaHsmus fiir Wirklichkeit gilt, in ein blosses
Phänomen verwandelt, kommt er dazu, diesem letzteren einen
Träger unterzulegen, der selbst nicht wieder .Phänomen^ ist.
Dieses selbst nicht Phänomenale, dessen Phänomen die gesammte
KOrperwelt ist, ist nach Berkeley der Vorstellende, nach Hume
dagegen, für den auch der Vorstellende (das Ich) ein blosses
,Phänomen' ist, das (individualitätslose) Vorstellen selbst. Wie
nach Berkeley die einzelnen Körper Phänomene des Vor-
stellenden, so ist nach Hume dieser Vorstellende selbst nur ein
(weiteres) Phänomen des Vorstellens, sowie das Geträumte dem
Traum, dieser selbst aber schliesslich dem Träumer zugehört.
Während daher die phänomenale Körperwelt mit der realen
verglichen, so erscheint die phänomenale Geisterweit mit dem
Geist selbst verglichen als ,nichtig*. Wie fUr den consequenten
Realisten nur das Gesetztsein ohne Gesetztwerden, so hat ftUr
110 ZimmermanD.
den consequenten Idealisten nur das Setzen ohne Oesetztsein
wirkliche (nicht phänomenale) Existenss.
Liegt in dieser Aufhebung der Existenz des individuellen
Ich eine Erweiterung des nihilistischen, so liegt darin zugleich
eine Verstärkung des skeptischen Elements des Phänomenalismus.
Wie aus der Phänomenalität der Körperwelt die UmnögUchkeit
einer Erfahrung von denselben, so folgt aus der Phänomenalität
des Ich die Unmöglichkeit einer Erfahrung nicht blos von dem
eigen^i sondern auch von fremden Ichen. Jene setzt als
yimago veritatis' die Existenz der realen Körperwelty^diese, sie
sei nun ^unmittelbar' (wie es nach Berkeley die Erkenntniss
des eigenen) oder mittelbar (wie es nach demselben die Er-
kenntniss eines fremden Selbst sein soll), setzt die Existenz,
sei es des eigenen sei es des fremden Ich, als eine reale
voraus. Wer daher wie der Empirismus die Erfahrung für die
einzige Quelle des Wissens hält, verliert nicht nur mit der
Aufhebung der realen Existenz der Körperwelt den Boden für
alles auf eine solche, sondern mit der Aufhebung der realen
Existenz des individuellen Ichs zugleich die Basis eines auf
individuelle Geister (den eigenen und fremde) bezüglichen
Wissens unter den Füssen. Für einen solchen gibt es unter
diesen Umständen kein Wissen, weil es keine Erfahrung, und
es gibt diese nicht, weil es nach Vernichtung der realen Körper-
und individuellen Geisterwelt nichts mehr zu erfahren gibt
Das Einzige, was nach Verwandlung sowohl der Körper- wie
der individuellen Geisterwelt in eine lediglich phänomenale übrig
bleibt, sind Vorstellungen d. i. Acte des Vorstellens, die sich
von den Vorstellungen, aus welchen die Erfahrung besteht,
dadurch unterscheiden, dass sie sich nicht auf etwas ausser
und neben ihnen Existirendes als dessen ,Erscheinungen' be-
ziehen, sondern umgekehrt den Schein, als sei ein ihnen Ent-
sprechendes ausser und nebst ihnen real vorhanden, ihrerseits
erzeugen d. h. nicht wie jene »Abspiegelungen' sondern blosse
,Vorspiegelungen' sind. Wie nach Berkeley die Materie und die
aus solcher bestehende Körperwelt, so ist nach Hume das Ich und
die aus solchen bestehende Geisterwelt eine ,optische Täuschung'
(optical illuai<m), mit welcher das Vorstellen sich selbst täuscht
Nicht nur die reale Körperwelt d. i. dasjenige, dessen
Inbegriff die Natur, sondern auch die individuelle Geisterwell
U«b«r Hame*a StUlmif in Btrketoj nnd Kant. 111
d. i. dasjenige y dessen Inbegriff den Inhalt der Geschichte
ausmacht, verwanddt sich, aus diesem Gesichtspunkt gesehen,
in dne ihrem Material nach ebenso bunte als immerfort
wechselnde Phantasmagorie , deren Formen , das rttumliche
Neben- das. zeittiche Nach- und das causale Auseinander, nicht
weniger illusorisch sind als dieser Inhalt selbst Dieselbe
gleicht einem Gewebe, dessen Stoff das V<H«tellen, dessen
Muster die bunte Mannigfaltigkeit der Körper- und indivi-
duellen Geisterwelt ausmacht. Urheber dieses Musters, soweit
es Darstellung einer Welt materieller Körper ist, soll nach Ber-
keley Gott, nach Hume kann es sowohl was den Schein einer
materiellen Körper- wie was den einer individuellen Geister-
welt betrifft, nur das Vorstellen selbst sein. Dasselbe ist als
einnge nicht phänomenale Ghrundlage des Gtesammtphänomens
einer zeitlich- rttumlich-cansalen Natur- und Geisterwelt Stoff
Musterzeichner und Weber zugleich.
Durch diese seine positive Seite ist der englische Phä-
nomenalismus mit dem deutsch^i Idealismus Kant's und seiner
idealistischen Nachfolger von Fichte bis Hegel verwandt; von
Hume ist derselbe nach seiner negativen antimetaphysischen
und insbesondere antitheologischen Seite hin ausgebeutet wor-
den. Jene Verwandtschaft besteht darin, dass an die Stelle
der sogenannten wirklichen materialen oder realen Welt so-
wohl im Phänomenalismus wie in diesem Idealismus eine phä-
nomenale tritt, entweder, wie im Halbidealismus, als ,£lrscheinungs-
welt', neben welcher die wirkliche als ihrem Dass nach anerkannte,
ihrem Was nach jedoch unbekannte noumenale (intelligible)
Welt (,Ding an sich^ fortexistirt, oder, wie im Ganzidealismus,
als ,Scheinwelt^, aber zugleich einzige Welt, in welcher statt
der Natur des Vorgestellten (des Objects) jene des Vorstellens
(des Subjects der Vorstellung) als des einzigen Seins zum Vor-
sehein kommt. Diese Ausbeutung besteht darin, dass Hume
ans der Phänomenalität sowohl der Körperwelt wie des indivi-
duellen Ich die Folgerung zieht, dass es weder Seiendes Über-
haupt noch Ursachen von irgend etwas gebe, demnach eine
letzte sowohl wie eine intelligente Ursache der Welt ebensowenig
als eine individuelle Seele existire, von der Unsterblichkeit der
letzteren sonach, nicht geredet werden könne. Der erste
Theil dieser Folgerung macht der Ontologie d. i. der philo-
112 ZimmerinftnD.
sophischen WUsensehaft vom Seienden, der zweite Theil der
natürlichen Theologie und eben solchen Psychologie d. i. den
philosophischen Wissenschaften Yon Gott und von der Seele,
als Wissenschaft ein Ende.
Dass es dem ^Skeptiker' Hume mit diesen Folgerungen
aus der Natur des Phftnomenalismus sowie mit dieser selbst
völliger Ernst gewesen sei, ist bisher von dessen Freunden
und Gegnern, einheimischen und fremden , übereinstimmend
angenommen und es sind die versuchten Widerlegungen, die
seine Lehre von den verschiedensten Seiten her, vornehmlich
aber durch Reid in England und Elant in Deutschland erfahren
hat, auf diese Annahme gestützt worden. Nur ein einziger
Schriftsteller, der Wiedererwecker des Phänomenalismus in
England und Herausgeber wie Commentator seines Haupt^
Werkes ,über die Principien der menschlichen Erkenntniss',
CoUyns Simon, macht davon eine Ausnahme. Er bezeichnet
(a. a. 0. S. 194) als eines der merkwürdigsten Missverständ-
nisse, denen man in der Geschichte der Philosophie beg^pne,
merkwürdig nicht blos rücksichtlich ihrer Grösse sondern auch
ihrer Verbreitung, die, wie er selbst sagt, ,in der Gegenwart
ganz allgemeine' (now almost universal) Annahme, Hume's
philosophische Schriften seien von ihm als ,emsthafte meta*
physische Auseinandersetzungen' (serious metaphysical expo-
sitions) gemeint gewesen. Er sagt: ^Allgemein wird gegen-
wärtig vorausgesetzt, dass Hume in diesen Schriften nicht
Scherz trieb (was not in jest), dass er sich selbst als einen
Metaphjsiker ansah und als ein solcher schrieb mit derselben
Ernsthaftigkeit (gravity), mit der er später seine Geschichte
Englands abfasste. Man sagt uns, er habe natürlicher Weise
erwartet, dass alle, die etwas von der Sache verstehen, es ihm
anmerken würden, dass er im Elmst rede, wenn er auf solche
erleuchtete Principien hin die Existenz des mat^ellen Uni-
versums leugne, weder die Wissenschaft der Metaphysik, wie
manche Neuere, als eine Wissenschaft des Unsinns (science of
nonsense) lächerlich machen, noch sich auf Kosten der Meta-
physiker unter seinen Zeitgenossen in einer Phantasmagorie
der bittersten Sarkasmen lustig machen wolle. Die Ueber^
Zeugung vieler, besser gesagt, der meisten Neueren ist, dass,
wenn Hume von jenem obigen zu seinen weiteren berühmten
Uober Hnme^s Stellang zu Borkaley und Kant. 113
drei Grundsätzen kam, es auf diesem ernsthaften Wege des
Kachdenkens und der Logik geschah, und wir werden noch
ganz besonders aufgefordert (invited); die majestätische Gravi-
tät zu bewundern, mit welcher dieser tiefe Denker zu diesen
feinen (quaint) Schlussfolgerungen fortschreitet/
Diese Folgerungen sind im Vorhergehenden angeführt
worden. Dass Hume, wenn er einmal von der Annahme aus-
ging, dass das materielle Universum nicht existire, sehr rasch
(very rapidly) zu der weiteren Folgerung gelangen konnte,
dass überhaupt nichts existire, räumt dessen Gegner selbst ein
und das Ilrgebniss der vorangegangenen Darstellung der Ent-
wicklungsgeschichte des Phänomenalismus scheint dem zu ent-
sprechen. Weder ist die ausschliessliche Phänomenalität der
Materie und der aus dieser bestehenden Körperwelt mit deren
gleichzeitiger Realität, noch ist die Aufhebung der realen
Körperwelt mit dem Bestände eines realen Causalverbandes
oder mit der Beherrschung eines realen Universums durch eine
nach Zwecken handelnde Intelligenz verträglich. Was aber
die Leugnung der Realität des Ichs betrifft , so leitet Hume
dieselbe unter ausdrücklicher Berufung auf Berkeley auf einem
demjenigen ganz ähnlichen Wege ab, auf welchem jener selbst
die Nichtexistenz der Materie oder überhaupt jedweder dem
Phänomen einer solchen zu Grunde gelegten realen Substanz
darthut.
Warum soll nun Hume den Phänomenalismus und seine
Folgerungen daraus nicht ernst gemeint haben? Der Beweis
soll nach Simon in der Art und Weise liegen, wie er über
denselben spricht und die der Anhänger Berkeley's als ,attacks^
auf dessen Lehre und als ,eine Phantasmagorie der bittersten
Sarkasmen' bezeichnet. .Das ganze Ding,' sagt Hume, ,ist
falsch y ja noch mehr, es ist ungereimt (absurd). Ich für
meine Person wenigstens, ich kann davon nicht anders denken
als von dem reinsten Unsinn (purest nonsense). Was mich
selbst betrifft, ich könnte die Lehre niemals annehmen; noch
halte ich es fUr möglich, dass irgend ein Mensch, der bei
Sinnen ist (in his senses), im Ernst und auf die Dauer (seriously
and steadily) eine solche Lehre festhalten könnte. Der Philo-
soph in seiner Studirstube mag vielleicht auf eine
halbe Stunde so von dem materiellen Universum und
Sitmngih'T. d. phiL-bitt. Ol. Cm. Bd. I. Hf«. 8
114 SSinmermann.
von dem menschlichen Körper denken; aber sobald er
auf die Strasse geht und mit anderen Menschen verkehrt, wird
er bald der Ungereimtheit alles dessen gewahr werden, was er
denkt und sagt über den G-egenstand/
Dass dieser erste ,Angriff^ (wenn es einer war) in der
wissenschaftlichen Welt keinen Erfolg gehabt habe, gibt Simon
(nicht ohne Befriedigung) zu. ,Berkeley's Lehre,^ sagt er, ^fuhr
trotzdem fort, unter den wissenschaftlichen Denkern diejenigen
Fortschritte zu machen, welche die klare Wahrheit (clear truth)
jedesmal macht unter jenen, die sich auf den Gegenstand ver-
stehen/ Dass es aber ein Angriff auf die Lehre Berkeley's,
insofern dieselbe als wissenschaftliche Meinung von Männern
der Wissenschaft und im Kreise derselben festgehalten würde,
auch gar nicht sein sollte, geht klar aus dem Zugeständniss
des vermeintlichen Angreifers hervor, ,dass der Philosoph in
seiner Studirstube*, wenn auch nur in dieser und nur für die
Dauer seiner wissenschaftlichen Betrachtung diese Meinung
wirklich nicht nxu* hege, sondern hegen möge d. h. dass dieselbe
nur mit dem gemeinen Bewusstsein und der Praxis des täglichen
Lebens im Widerspruch, an sich wissenschaftlich aber unan-
fechtbar sei. Hume befindet sich Berkeley's Lehre von der Nicht-
existenz des materiellen Universums gegenüber in einer ähnlichen
Lage, wie sich die Denkenden unter den Zeitgenossen dem
Paradoxon Zeno's von der Nichtexistenz der Bewegung gegenüber
befiinden haben mögen. Wie Diogenes dasselbe dadurch wider-
legt zu haben meinte, dass er aufstand und über das Zimmer
ging, so gibt sich Hume den Anschein, als glaube er, die Lehre
von der blossen Phänomenalität der Materie lasse sich dadurch
widerlegen, dass der Philosoph selbst die Strasse beschreitet
und mit Anderen verkehrt, als ob diese wirklich existirten.
Berkeley's Vertheidiger hat richtig gesehen, dass obige Stelle
Hume's einen Scherz (jest) einschliesst, nur ist derjenige, über
den der ironische Schriftsteller sich lustig macht, nicht der
Philosoph, der in seiner Studirstube, wie Berkeley, durch
wissenschaftliche Gründe zur Einsicht in die Nichtigkeit des
materiellen Universums gefiihrt wird, sondern der kurzsichtige
Laie und Weltmann, der ein wissenschaftlich begründetes Para-
doxon mit den wohlfeilen Argumenten des Augenscheins und
der Praxis entkräften zu können wähnt.
Ueber Bnme^s Stellnng n Berkeley and Kant. Il5
In seinem zweiten vermeintlichen ^attack' auf Berkeley's
Lehre folgt Hnme, wie CoUyns Simon meint, einem entgegen-
gesetzten Angriffsplan. Trat er in dem ersten angeblich als
offener Gkgner, so tritt er in diesem als (angeblich nur schein-
barer) 6(kiner des Phänomenalismus auf. ^Berkeley/ lässt er
ihn sagen, ,i8t im vollen Recht (right)^ seine Lehre ist klärlich
wahr (clearly true), kein Mensch^ der nur das geringste Urtheil
besitzt 9 kann das leugnen. Aber anstatt uns Skeptiker zu
widerl^en, wie unser junger Student (Collegian) vorhatte
(Berkeley war 24 Jahre alt, als er sein System erfand) und
wie die werthen Herren von der Kirche geglaubt haben, dass
er es gethan habe^ kommt diese wunderliche (stränge) Lehre
von der Phftnomenalität der Materie unserer lustigen Bruderschaft
(jocose Sect) zu Hilfe und rechtfertigt sie auf die wundervollste
Weise in ihren Theorien. Obgleich gar kein Zweifel darüber
herrschen kann^ dass Berkeley nicht die Absicht hatte^ Skepti-
cismoB zu lehren, so lehrt er ihn doch^ und zwar auf bewunde-
rungswürdige Weise (admirably). Lasst uns ihm Glauben
schenken in beidem, in dem, was er thut, und in dem, was
er wollte. Obgleich er, daran ist nicht zu zweifeln, ein ganz
anderes Ziel im Auge hatte bei der Aufstellung dieses seltsamen
kleinen Systems und sein Verdienst nicht gering ist, dasselbe
aufgerichtet zu haben auf einer so vollkommen unwider-
leglichen Basis (upon a basis so completely irrefragable), so
ertheilt er uns dabei nichtsdestoweniger einige so vortreffliche
Lectionen in skeptischer Philosophie^ als wir sie je von irgend
einem Schriftsteller erhalten haben, viel besser als meine arme
Feder je eine zu liefern im Stande war. Er zeigt uns klärlich,
dass wir an nichts, was es auch immer sei, glauben dürfen,
nicht einmal an unsere eigene Existenz, und dass wenn wir es
doch thun, wir ,Narren' sind (fools). Er erweist mit grosser
Klarheit und grosser Schönheit der Rede, dass das materielle
Universum real nicht existire; dass die Voraussetzung seiner
Existenz eine reine Einbildung (mere illusion) und Selbstbe-
rttckung (delusion) ist, denn alles, wovon wir als Materie und
materiellem Weltall sprechen, besteht einzig aus solchem, was
durch die Sinne wahrnehmbar d. i. aus solchem, was unmittelbar
(immediately) wahrnehmbar ist. Dieser Wink (hint) reicht hin
als erleuchtender Blitz (lightning glance) für den Skeptiker.
8»
116 Zimmermann.
Wir können aus diesem allein mit Leichtigkeit (easilj) ableiten
die Nicht-Existenz alles Uebrigen (the non-existence of all the
rest)/
Dieses ^Uebrige' ist die Causalität (physical causation),
das immaterielle Ich (immaterial E^o) und ;G-ott' (S^)- »D^u^
da Materie und ein materielles Weltall überhaupt nicht ezistiren,
so ist; wie Berkeley so treffend (well) zeigt; auch keine physische
Verursachung je möglich : kein materielles Ding kann Ursache
sein von etwas (no material thing can be the cause of anything).
Weil aber physische Verursachung eine Unmöglichkeit (impos-
sibility) und eine Ungereimtheit (absurdity) ist; ist es klar,
dass es kein solches Ding wie eine Ursache von etwas geben
kann; auch gibt eS; wie zu seheU; kein immaterielles Ich, denn
dieses ist ein Ding; ebenso unmittelbar wahrnehmbar wie die
Materie selbst. Endlich; da es so klar ist (evident), dass es
eine Ursache von irgend etwas nicht gibt; wie können wir
mit unserem Verstände so spielen (trifle), dennoch anzunehmen
es sei Gott?'
Diese Worte enthalten ;die Substanz von Hume's zweitem
Angriff' und ;die Substanz von allem dem, was Hume schliess-
lieh (ultimately) gelehrt hat'. ;Was soll maU;' filhrt Col-
lyns Simon fort; ;nun von jenen Schriftstellern denken, die
uns sagen; dass Hume in alledem klärlich die Wahrheit und
Vemunftmässigkeit (reasonableness) der Lehre Berkeley's ge-
sehen und dieselbe frank und frei (francly) als ein wissen-
schaftliches Factum (scientific fact) angenommen habe, an
welchem für die Person; die sie begreift; kein Zweifel möglich
sei?' Was solle man denken von CommentatoreU; die uns in
langen Commentaren versichern; dass Hume hier nicht ;im
Spass' (in jest) mit eitel ;Hohn und Spott' (with sneers and
derision) rede und all diese ;Hochschätzung' (estimate) von
Berkeley's Lehre und deren Folgerungen weder ironisch (ironial)
noch .sarkastisch (sarcastic) gemeint sei; mit einem Wort, dass
Hume diese seine ;philosophiBchen' Schriften (»philosophicaP
papers) mit genau der nämlichen Enthaltsamkeit von Scherz
und Trug, genau mit dem nämlichen geziemenden Anstand
(becoming gravity) und dem Elmst bei Feststellung von
Thatsachen abgefasst habe wie etwa seine Geschichte von
England?
Üeber Hnme's Stellaag zu B«rkoley nnd Kant. 117
Wenn der vortreflfliche Herausgeber Berkeley'ß mit den
letzten Worten nichts anderes gemeint hat, als dass der Styl
der philosophifichen Schriften Home's ein anderer ah der seiner
historischen sei^ und dass sich derselbe in jenen gelegentlich
die Einmischung eines nicht blos scherzhaften, sondern satiri-
schen und spöttischen Tones gestatte, die er in diesen sich
versage^ so wird man ihm Recht geben müssen. Sowohl der
erste wie dieser zweite angebUche ^Angriff" ist in einem Tone
gehalten, dass man deutlich fühlt, der angebliche Angreifer
habe einem inneren Bedttrfniss Ghentige gethan, sich über ein
Object, das seine Lachlust herausforderte, lustig zu machen;
keineswegs aber folgt daraus ebenso gewiss, als es Simon zu
sein scheint, dass dieser fragliche Gegenstand eben die Ber-
keley'sche Lehre sei. Wie im ersten ,Angriff*, wo er nach
Simon's Versicherung sein wahres Gesicht, so hat er im zweiten,
wo er nach dieser eine Maske zeigt, für die Lehre Berkeley's
als wissenschaftliche Meinung nieht nur Anerkennung, sondern
(nach Simon's eigenem Ausdruck) sogar ,Hochschätzung' (esti-
mate)« Dort räumt er ein, dass der Philosoph in seiner Studir-
stube ein Recht habe zu denken und zu lehren, wie Berkeley
denkt und lehrt, hier nennt er die Lehre desselben nicht nur
,wahr', sondern deren Basis geradezu ,unwiderleglich^ (irrefra-
gable). Wenn letzterer Ausdruck Verstellung heissen soll, so
muss entweder obiges Zugeständniss, dass der Philosoph in
seiner Studirstube Recht behalte, auch Maske heissen, oder,
wenn Hume an jener Stelle im Ernste spricht, so ist kein
Grrund abzusehen, warum seine Versicherung, die Lehre sei
wahr, kein Mensch von nur ein bischen Urtheil könne sie
leugnen (least discemment), hier ironisch gemeint sein sollte.
Dass nun Hume, der in dem ersten ,Angriff^ Berkeley's
Lehre von dem Augenblicke an für augenscheinlich falsch, ja
absurd erklärt, sobald der Philosoph auf die Strasse hinaustritt
und mit Anderen verkehrt, an demselben Ort und in demselben
Sinne deren Falschheit und Ungereimtheit behauptet habe, so-
lange der Philosoph in seiner Studirstube bleibt und sich aus-
schliesslich der Ikwägung und Betrachtung wissenschaölieher
Schlussfolgerungen hingibt, hat Simon selbst nicht statnirt;
andererseits hat Hume dort, wo er Berkeley's Lehre für wahr
nnd deren Fundament für unwiderleglich erklärt, nicht gesagt,
118 Zinmermann.
daBB sie dies anders denn als wissenschafitiiche Meinung und
aus wissenschaftlichen Gründen (für die »Studirstube^, and
dass sie weder mit dem Augenschein, noch mit der Praxis des
täglichen Lebens im Widerstreit sei. Hat mm Hume in seinem
ersten ,attack' zugegeben (was Simon nicht leugnet), dass
Berkeley*s Lehre, ihrem Widerstreit gegen die Anschauungs-
weise des gemeinen Bewusstseins und des praktischen Lebens
zum Trotz, vom rein philosophischen Genchtspunkt aus be-
trachtet, richtig sei oder doch sein könne, so braucht seine
ausdrückliche Behauptung im zweiten ,attackS dass dieselbe
,wahr^, ja ,unwiderlegUch' sei, nicht (wie Simon annimmt) eine
,Maske', seine Zustimmung zu derselben weder ,ironisch' noch
,sarka8tisch' d. h. der vermeintliche zweite ,attack' braucht
ebensowenig wie der erste als , Angriff' auf Berkeley's Lehre,
wenn auch vielleicht, wie es sich zeigen kann, auf Berkeley*»
Person gemeint zu sein.
Dass der scharfsinnige Denker und scharfsichtige Satiriker
zwischen letzteren beiden einen Unterschied werde gemacht
haben, lässt sich voraussetzen. Wie im ersten sogenannten
,attack' Hume zwischen der wissenschaftlichen Denkweise des
Philosophen, welcher an der Bestätigung durch den Augen-
schein ebensowenig wie an der Brauchbarkeit derselben fbr
das gemeine Leben gelegen ist, und jener des sogenannten
gesunden Menschenverstandes unterscheidet, der alles dasjenige,
was dem Augenschein widerstreitet oder den Air unumgänglich
erachteten Voraussetzungen des praktischen Alltagslebens zu-
wider läuft, als ,falsch* und ,absurd' verwerfen zu dürfen
glaubt: so unterscheidet derselbe im zweiten ,attack' zwischen
der Lehre Berkeley's, die, wie Hume überzeugt ist und dar-
thut, zum* Skepticismus fllhrt, und dem Urheber der Lehre d. i.
Berkeley selbst, der den Skepticismus nicht wiU und denselben
durch jene Lehre unmöglich gemacht zu haben wähnt. Für
den, der wie Hume selbst die wissenschaftliche Denkweise am
höchsten stellt, muss der gemeine Menschenverstand, der seinen
(unzureichenden) Maassstab an jene legt, thöricht und daher in
den Augen des Besserwissenden lächerlich erscheinen. Ebenso
bietet für denjenigen, der wie Hüme aus wissenschaftlichen
Gründen überzeugt ist, dass die unausbleibliche Folge des
Phänomenalismus der Skepticismus sein müsse, derjenige, der
üeber Hum«*! Stellung zu B«rk«l«7 und Kant. 119
nicht nur das Gegentheil glaubt, sondern vielmehr den Phäno-
menalismus flir ein BoUwerk gegen den Skepticismus ansieht,
um dieser seiner, mit der eigenen (wahren oder vermeinten)
Scharfsichtigkeit verglichen, in die Augen fallenden Blödsichtig-
keit willen, einen komischen Anblick dar. Dieser Eindruck
steigert sich, wenn, wie im vorliegenden Falle, der in Bezug
auf die Consequenzen einer gewissen Denkweise so äugen-
scheinlich Kurzsichtige zugleich der Erfinder und erste Be-
gründer dieser Denkweise selbst ist und folglich, wie Berkeley
in den Augen Hume's, zugleich als Entdecker einer von diesem
ftir ^unwiderleglich^ gehaltenen Weltansicht als sehend und
filr die unvermeidlichen aber von ihm ungeahnten Consequenzen
derselben als blind sich herausstellt.
Der Jünger Berkeley's hat richtig gesehen. Sowohl in
der ersten wie in der zweiten Stelle hat Hume seinen Hang
zur Ironie, zum Sarkasmus und zur Satire freien Lauf gelassen,
aber der Gegenstand derselben ist Berkeley's Lehre nicht.
CoUyns Simon erbhckt in der ersten Stelle einen ironisirenden
Angriff auf den Phänomenahsmus, aber nicht dieser, sondern
der Angriff wird ironisirt. Wie Sokrates als der Wissende dem
Unwissenden gegenüber selbst den Unwissenden spielt, so stellt
sich Hume^ der die Grundlage des Phänomenalismus für unwider-
leglich hält, zum Schein auf die Seite des gemeinen d. i. un-
wissenschafdichen Bewusstseins, um in dessen Namen und mit
dessen vermeintlichen Argumenten Berkeley's Lehre zum
Schein Air widerlegt gelten zu lassen. In der zweiten Stelle
hftlt CoUyns Simon Hume's Anerkennung der Wahrheit und
UnwiderlegUchkeit des Phänomenalismus fbr ,Ironie^ aber der-
jenige, der nicht wissentlich wie der Ironiker den Unwissenden
spielt, sondern unwissentlich wie die komische Person der
Unwissende ist, ist hier Berkeley selbst. ,Der gute Bischof
(the good bishop) von Cloyne geräth durch die ,unwiderleg*
liche^ Entdeckung, die er gemacht, und die für die Gegen-
stände des Glaubens der Kirche, deren. Glied er ist^ geradezu
vernichtenden Folgerungen daraus, welche (nach Hume) unver^
meidlich sind und die er übersehen hat, in die fatale Lage,
in Hume's Augen entweder &Xt einen beschränkten Kopf, wel-
cher die Tragweite seiner eigenen Principien nicht zu über-
schauen vermag, oder, was schlimmer wäre, fUr einen Heuchler
120 Zimmermann.
ZU gelten, der sie verleugnet. Ersiere Annahme, bei welcher
nur eine Schwäche des Verstandes blossgelegt würde, könnte
nicht verfehlen, von Seite des Klügeren den Spott, und weil
der Verstand, der sich in Anbetracht der Folgerungen so schwach
zeigt, derselbe ist^ der sich in Anbetracht der Grundlegung so
stark erwiesen hat, die beissendste Form desselben, den Sar-
kasmus, letztere Annahme, bei welcher vielmehr eine mora-
lische Schwäche offenbar würde, müsste dahin fiihren, von
Seite des Bessergesinnten moralischen Unwillen, und zwar, da
die wirksamste aber zugleich für den Bestraften unschädlichste
Bestrafung darin besteht, dessen üble Willensbestrebungen
dadurch zu vereiteln, dass man sie blosslegt, die Satire heraus-
zufordern.
Scherz, Hohn und Spott also finden sich in beiden Stellen
reichlich aufgehäuft, in der ersten über die Unphilosophie, welche
den Philosophen, in der zweiten über den schwachherzigen
Denker, der die Vernunft (in Hume's Sinn) meistern will. In
beiden Stellen wird nicht Berkelej's Philosophie, sondern in
der ersten deren unphilosophischer Angreifer, in der zweiten
Berkeley selbst, deren schwachsichtiger oder schwachmüthiger
Verleugner, angegriffen. Nicht Hume's Bekenntniss zum Phä-
nomenalismus, sondern gerade umgekehi*t dessen scheinbare
Bekämpfung desselben ist Ironie. Mit der Anerkennung der-
selben und noch mehr ihrer Folgerungen ist es ihm völliger
Ernst.
Und warum sollte auch Hume jenen und dessen Folgen
nicht ernst gemeint haben ? Etwa darum, weil der Inhalt dieser
Folgerungen von der Art sei, dass sie von einem ernsthaften
Denker überhaupt nicht festgehalten werden könnten? Oder
weil diese Folgerungen von der Art sind, dass sie Berkeley
niemals als Consequenzen seiner Lehre würde zugegeben haben?
In ersterer Hinsicht muss daran erinnert werden, dass kein
noch so paradox scheinender Inhalt eines Lehrsatzes, zu
welchem ein Denker auf dem Wege ernsten Nachdenkens mit
logischer Nothwendigkeit gelangt zu sein versichert, zu dem
Verdachte berechtigt, derselbe habe sich mit dem wissenschaft-
lichen Publicum einen irreführenden Scherz zu treiben erlaubt.
In letzterer Hinsicht muss zugestanden werden, dass die Kurz-
sichtigkeit des Urhebers eines Princips, dessen «reitere Folgen
Ueber Hnme^s Stelluog za Berkeley und Kant. 121
ZU überBchanen^ oder die Abneigung eines solchen sich dieselben
gefallen zu lassen, diese Folgerungen selbst weder zu verhüllen,
noch zu verhindern vermag.
In ersterer Hinsicht wtkrde der Verdacht, dass eine paradox
scheinende Lehre von ihrem Urheber nicht ernst gemeint sei,
in erster Linie den Phänomenalismus selbst d. i. Berkeley's
eigene Lehre treffen. Denn was kann in den Augen des soge-
nannten gemeinen Menschenverstandes und der mit diesem mehr
oder weniger in diesem Punkte harmonirenden materialistischen
und selbst der realistischen Philosophie Paradoxeres behauptet
werden, als dass die Materie, welche derselbe mit Händen
greifen zu können wähnt, ein blosses ,Phänomen', ein Gaukelspiel
sei, worin doch nach Simonis eigenen Worten der Kern der
Lehre Berkeley's, die specifisch ,Berkeley'sche Doctrin' (Berke-
leian Doctrine) besteht? Wenn Berkeley ein Recht hat zu
fordern, dass seine Lehre von der Phänomenalität der Materie,
so sehr dieselbe der herkömmlichen Ansicht widerstreitet und
die allgemein verbreitete nicht blos unter Laien, sondern unter
fast allen (englischen) Philosophen, ihn allein ausgenommen,
übliche Auffassung derselben als eines ,gänzlich Unphänomenalen
und den Sinnen Unzugänglichen^ (entirely unphenomenal and
inaccessible to the senses) auf den Kopf stellt, von Männern
der Wissenschaft in wissenschaftlichem Ernste genommen und
als Ergebniss ernsten wissenschaftlichen Nachdenkens respectirt
werde, so kann Hume das gleiche Recht bezüglich der von
ihm aus dieser Lehre gezogenen Folgerungen, so sehr dieselben,
wie z. B. die Leugnung der Realität des Ich, nicht blos dem
DafUrhalten des gemeinen Bewusstseins, sondern auch dem
philosophisch gebildeter Geister und unter diesen vor allem des
B^ründers und des Jüngers des Berkeley'schen Phänomena-
lismuB selbst zuwiderlaufen mögen, unmöglich verweigert werden,
umsoweniger, da Hume, wie das von CoUyns Simon selbst, wenn
auch zu entgegengesetztem Zweck angezogene Beispiel seiner
einstigen Vorliebe und vertrauten Freundschaft fUr und mit
Rousseau beweist, nicht der Mann war von Wahrheiten, die
(nach Jean Paul) ,um ein Jahrhundert zu früh kommen^ um
ihrer scheinbaren Abenteuerlichkeit willen sich abschrecken zu
lassen. Näher läge es ihn zu beschuldigen, dass vermöge der
ganzen Anlage seiner Natur gerade das auffällige Paradoxale
122 Zimmermann.
und vom Herkömmlichen Abweichende für ihn einen besonderen
Reiz besessen und auf ihn eine bestrickende Anziehungskraft
ausgeübt habe, womach sich denn eher eine geheime auf Wahl-
verwandtschaft gegründete Hinneigung zu der ihren Zeitgenossen
und Landsleuten paradox erschienenen und darum von diesen
fast gänzhch bei Seite geschobenen und vergessenen Lehre
Berkeley's, als eine zum Spott über dieselbe um ihrer schein-
baren Curiosität und Seltsamkeit willen aufgelegte feindselige
Gesinnung bei ihm voraussetzen liesse.
War Hume kein Mann, vor einem Paradoxon, wie die
Lehre von der Phänomenalität der Materie eines war, zurück*
zuschrecken, so war er es noch weniger, um Folgerungen, wie
jene waren, die sich ihm mit unvermeidlicher Kothwendigkeit
daraus zu ergeben schienen, aus dem Wege zu gehen. Dieselben
machen nach Collyns Simon's eigenem Ausdruck die Substanz
dessen aus, was Hume schliessUch lehrte, und welches darin
besteht, dass er die Nicht -Existenz nicht nur der materiellen,
sondern auch der immateriellen Welt, sowohl eines individuellen
endlichen wie eines unendlichen Geistes behauptete. Letztere
schien ihm mit ersterer so eng verbmiden, dass erstere nicht
ohne letztere behauptet, letztere dagegen von ersterer so unab-
hängig, dass sie auch ohne die erstere gelehrt werden könne.
Wer von der Phänomenalität (d. i. von der Nicht -Existenz)
der Materie überzeugt ist, kann seiner Meinung nach nicht
umhin, auch von der Phänomenalität (d. i. Nicht -Existenz) des
Immateriellen (sowohl des menschlichen wie des göttlichen Geistes)
überzeugt zu werden. Wer dagegen von der Nicht-Existenz
des Immateriellen überzeugt ist, kann daneben immer noch an
die (und zwar sodann ausschliessUche) Existenz der Materie
glauben. Wem daher an dem Glauben an die Nicht- Existenz
des Immateriellen gelegen ist, für den bietet dem Vorangehenden
zufolge die Ueberzeugung von der Phänomenalität der Materie
unter allen denkbaren das sicherste Mittel dar, um dadurch
auch der Nicht -Existenz des Immateriellen gewiss zu werden,
und dies ist der Dienst, welchen Berkeley (sehr wider seinen
Willen) nach Hume's Meinung der ,lustigen Secte^ (jocose Sect),
zu der sich dieser zählt, geleistet hat.
Schon dieser Ausdruck weist darauf hin, wer unter den
,Skeptikem* (sceptics) verstanden sei. Offenbar hat Hume
üeb«r Haine*« Stellung za B«rkel«y und Kant. 123
dabei diejenigen im Auge, welchen vor allem an der Leugnung
der Wahrheiten der sogenannten natürlichen Religion d. i. der
Eizisienz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele gelegen ist.
Diese Secte, die er die , lustige^ '(jocose) nennt, weü sie, um
das Leben nach Art der Epikuräer zu gemessen, wie diese
den Glauben an ein künftiges Leben und eine überweltliche
Macht zu beseitigen sucht, bedarf zu diesem Zwecke einer Meta-
physik, die so beschaffen ist, dass sie den Glauben an die
Existenz dieser beiden unmöglich macht. Dieselbe hat sich,
meint Hume, bisher dem Materialismus angeschlossen aus dem
Ghnunde, weil die Ueberzeugung von der AusschUesslichkeit der
Existenz der Materie die Möglichkeit des Glaubens an die
Existenz und Unsterblichkeit der Seele und das Dasein Gottes
m
von selbst aufhebt. Dieselbe, fährt er fort, könnte sich aber aus
demselben Grrunde ebenso gut dem Phänomenalismus anschliessen,
weil die Ueberzeugung von der Phänomenalität der Materie
den Glauben an die Phänomenalit&t des loh und Gt)ttes noth-
wendiger und logischer Weise im Gefolge hat. Berkeley's
Phänomenalismus hebe daher zwar den Materialismus, aber er
hebe die Folgen desselben, die Ueberzeugung von der Nicht-
Existenz des Immateriellen so wenig auf, dass er vielmehr
seinerseits dazu wesentUch beitrage^ dieselben zu befestigen.
Materialismus und Phänomenalismus, die Lehre von der Realität
vaid jene von der blossen Phänomenalität der Materie stünden,
was den Inhalt der natürlichen Religion, die Lehre von der
Existenz und Unsterblichkeit der menschlichen Seele und von
dem Dasein Gottes angehe, auf ganz derselben Stufe; keine
von beiden habe in diesem Punkt auch nur das Geringste vor
der anderen voraus. Die Nichtigkeit des Inhalts der natürUchen
Religion, die Nicht- Existenz des menschlichen wie des göttlichen
Geistes folge aus der einen wie aus der anderen mit gleicher
Unwiderstehlichkeit
Wo ist in diesem ganzen Raisonnement etwas, was Hume
nicht ernst gemeint haben könnte? Davon, dass es Hume mit
seinem Unglauben an die Existenz der Unsterblichkeit der Seele
sowie an das Dasein Gottes ernst gewesen, ist wohl Collyns
Simon selbst überzeugt. Da er nun in Berkeley's Phänomena-
lismas eine Lehre erblickt hat, welche ihm diesen Unglauben
wissenschaftlich zu begründen schien, wie sollte er dieselbe
124 ZinmermanB.
nicht ernsthaft genommen haben und seine Versicherung, die-
selbe sei wahr, blosse VersteUnng gewesen sein? Wenn wir in
Betracht ziehen, dass neben den beiden einander ausschliessen-
den Fällen der Realität od^r der blossen Phänomenalität der
Materie kein dritter möglich ist, aber einer von beiden noth-
wendig stattfinden muss, so wird, wenn sich heransstellt, dass
sowohl in dem einen, wie in dem anderen Falle die Elxistenz
der menschlichen Seele und Gottes ausgeschlossen bleibt, die-
selbe schlechterdings und ein- fttr allemal unmöglich gemacht
Darin bestand der grosse Dienst, den Berkeley in Home's
Augen den Gegnern der Existenz und Unsterblichkeit der Seele
und des Daseins Gottes erwies. Bisher hatten denselben zu
diesem Zwecke nur die Materialisten gedient; Hume glaubte
bewiesen zu haben , dass auch die Immaterialisten zu dem E}nde
verwendbar seien.
V Allerdings ,wider Willen^ und das ist der Punkt, über
den sich Hume lustig macht. Keinem Leser der ,Principle8 of
human knowledge' kann es entgehen, dass der Urheber der
neuen Lehre von der Phänomenalität der Materie nicht nur
bemüht ist, deren völlige Ungefährlichkeit fUr den Inhalt der
Lehre der natürlichen Religion, sondern auch deren Brauch-
barkeit zur entscheidenden Vernichtung der dem Inhalt dieser
letzteren entgegengesetzten Lehre der Gottes- und Seelen-
leugner in volles Licht zu setzen. Nicht nur die Existenz des
eigenen Ich, sammt dessen Unsterblichkeit oder wenigstens Jn-
corruptibilität' (incorruptibility) ist nach Berkeley's Theorie a
priori, sondern auch die Existenz anderer Geister und die
Gottes selbst ist, wenn auch nur a posteriori (by inference),
durch ihre Wirkungen oder die von ihnen in uns erzeugten
Ideen (by their Operations, or the ideas by them excited in us),
aber mit Evidenz gewiss. Durch den Erweis, dass die Materie
als solche keine Realität habe, sondern ein blosses Phänomen
sei, aber sei der Behauptung des Materialismus, dass dieselbe
das ausschliessend Existirende, und was, wie Geist und Qott
nicht materieU, auch nicht existirend sei, von vorneherein der
Boden unter den Füssen entzogen. Welcher Triumph nun Air
Hume, wenn er erweisen zu können glaubt, dass die zum
Verderben der Gottes- und Seelenleugner auszuschlagen be-
stimmte Lehre die der Absicht ihres Urhebers gerade entgegen-
Ueber Hüne*! Stellung so Berkeley und Kant. 1 25
gesetzte Wirkung übt und durch ihre ungewoUten aber unver-
meidlichen Consequenzen die schlimmsten Theorien der letzteren
,aufs wunderbarste rechtfertigt' (justifies most wonderfully) I Ber-
keley haty sagt Hume, der ^lustigen Secte' der Gottes- und Seelen-
Verächter und Unsterblichkeitspötter die »beste' Methode, viel
besser als irgend einer von ihnen und als Hume selbst, au die
Hand und durch den ^unwiderleglichen' Nachweis, dass die
Materie nicht existire, einen unschätzbaren ,Wink^ gegeben,
wie sich beweisen lasse» dass auch sowohl Seele als Gott keine
Realität besitzen! Der gegen die Gottes- und Seelenleugner
abgeschossene Pfeil springt auf den Schützen zurück; der zur
Vernichtung des Materialismus ersonnene Phänomenalismus ver-
wandelt Gott und Geist, wie dieser, in blosse Phänomene I
Nicht mit der Lehre Berkelej's trieb Hume Spott: mit
dem Spott über Berkeley war es ihm bitterer Ernst. Für
Berkeley, den Gottesmann, kann es beinahe als ein tragikomi-
sches Verhängniss gelten, durch sein System den Gegnern
Waffen, die zu ihrer Vernichtung bestimmt waren, zur Selbst*
vertheidigung in die Hand zu geben. Hume der Gottesleugner
mochte eine Art diabolischen Vergnügens darüber empfinden,
dass der zur Parirung des Angreifers geführte Hieb dem zu
Beschützenden selbst die tödtliche Wunde versetzt habe. Ob-
gleich, sagt er, nicht der mindeste Zweifel darüber herrschen
kann, dass Berkeley nicht der Meinung war, den Skepticismus
zu lehren, so thut er es und thut es in bewunderungswürdiger
Weise (admirably). Oder kann der Skepticismus überhaupt
weiter getrieben werden als bis zum Zweifel an der eigenen
^Existenz? Letztere nun leugnet er zwar nicht selbst und nicht
mit ausdiücklichen Worten; ja mit solchen behauptet er vielmehr
das Gegentheil und erklärt die Gewissheit der eigenen Existenz
für eine Erkenntniss a priori d. i. eine unmittelbare; aber diese
Enthaltsamkeit ist nur die Folge einer Inconsequenz im Denken,
und wenn er folgerichtig verführe, so müsste er sie leugnen.
Durch den »Wink', den er uns gibt, und der darin besteht,
dass alles, von dem wir als Materiellem und Materie reden,
blosse VorsteUung, und eine Materie, die mehr oder etwas
anderes als Vorstellung wäre, gar nicht vorhanden sei, zeigt
er ^Järlich' (clearly), dass dasjenige, von dem wir als unserem
Ich reden, auch nichts weiter als Vorstellung und ein Ich, das
126 Zimmermaiiii.
mehr oder etwas anderes wäre als blosse Vorstellung; nicht
vorhanden sein könne. Da wir daher nach seiner eigenen Ver-
sicherimg; wenn wir an die Existenz der Materie glaubten^
uns einer Selbsttäuschung (delusion) hingäben d. i. nach Art
Geistesgestörter Wahn fllr Wahrheit, Inhalt einer Hallucination
für Wirklichkeit nehmen würden ^ so hätte er folgerichtig hin-
zufügen müssen, dass, wenn wir an die Existenz des Ich d. i.
des eigenen Selbstes glaubten, wir gleichfalls unter dem Einfloss
einer optischen Täuschung, eines zwar, wie es bei der Materie
der Fall ist, unvermeidlichen, aber grundfalschen Selbstbetrugs
ständen, also wie der Hallucinant einfach ,Narren' (fools) seien.
Wer um des Vorstehenden willen der Ansicht wäre, Hume
könne die Versicherung, dass er den Phänomenalismus ftkr un-
widerleglich und wahr halte, nicht im Ernste gemeint haben,
würde dadurch behaupten, dass der Skepticismus an der Ge-
wissheit der eigenen Existenz seine Grenze finden müsse.
Descartes hat gezeigt, dass das Gegentheil der Fall ist. Die
Gewissheit des eigenen Seins ist weder unmittelbare noch die
letzte Gewissheit, von der alle übrige abhängt. Dieselbe setzt
als Bedingung die Gewissheit des eigenen Denkens, die Ge-
wissheit des sum jene des cogito voraus. Indem Hume die
Existenz des eigenen Ich für aufgehoben, den Glauben an
dieselbe für Selbsttäuschung erklärt, wird von ihm zwar der
Inhalt der Ich -Vorstellung als von dieser unterschiedenes reales
Object verneint, aber die Thatsache der Ich -Vorstellung als
Act des Vorstellens und dadurch dieses selbst als Thatsache
bejaht. Mit anderen Worten: das Ich d. i. das vorstellende
Individuum als solches ist zwar ein blosses Phänomen, aber
das Vorstellen, dessen Phänomen d. i. dessen Vorstellung es
ist, selbst ist kein Phänomen. Wie die Skepsis des Cartesia-
nismus bei dem cogito, so macht die Skepsis Hume's bei dem
Vorstellen als solchem Halt. So wenig nach dem ersteren das
cogito, so wenig kann nach dem letzteren das Vorstellen be-
zweifelt werden. Jenes wie dieses sind Thatsachen, welche
durch den Versuch der Leugnung derselben nur Bestätigung
erfahren könnten: das cogito, weil das dessen Thatsächlichkeit
bezweifelnde dubito selbst ein Denken, das Vorstellen, weil
jedes dessen Facticität bestreitende Zweifeln selbst ein Vorstellen
wäre. Weder Descartes noch Hume haben dadurch, dass ihr
lieber Hiime*8 Stelloiig xn Berkeley and Kmnt. 127
Zweifel sich auch auf die Realität des eigenen Seins erstreckt^
den Anspruch verwirkt^ ihr Denken als ernst und sich selbst
als ernste Denker betrachtet zu sehen. Weder der auf die That-
sache cogito sich stützende Rationalismus des einen^ noch der
auf die Thatsache des Vorstellens gebaute Phänomenalismus des
anderen kann, weil die Qmndlage des einen nicht die Gewissheit
des eigenen Seins und die Basis des anderen das noch nicht
zum vorstellenden Individuum krystallisirte Vorstellen ausmacht,
der (im ersten Fall) logischen Halt- oder (im zweiten) der meta-
physischen Bodenlosigkeit beschuldigt und ebensowenig dürfen
deren Urheber um deswillen verdächtigt werden, mit der wissen-
schaftlichen Wahrheit frivoles ,Spi^l' getrieben zu haben.
Kaum wird die^ wie Collyns Simon selbst einräumt, all-
gemein herrschende Meinung, dass Hume Berkeley gegenüber
ernsthaft zu nehmen sei^ durch die im Vorstehenden gewürdigten
Ai^umente erschüttert worden sein. Indem Hume, wie oben
gezeigt, die unphilosophischen Gegner der Berkeley 'sehen Lehre
verspottet und die aus derselben seiner Ansicht nach mit
logischer Nothwendigkeit sich ergebenden Folgerungen sich
aneignet, erscheint er so wenig als Gegner des Phänomenalismus,
dass er vielmehr als dessen auch vor den äussersten Conse-
quenzen nicht zurückweichender Fortsetzer und (im wissen-
schaftlichen Sinne) dreister Vollender gelten muss. Sowohl das
nihilistische Element wie das skeptische des Phänomenalismus
erreicht durch ihn seinen Gipfelpunkt: jenes dadurch, dass zu
der Nicht-Existenz der Materie die Nicht-Existenz des indivi-
duellen Geistes, des menschlichen wie des göttlichen, sich
gesellt, dieses dadurch, dass zu der Einsicht in die Unmöglichkeit
einer Erfahrung dem Stoffe, die weitere der Unmöglichkeit
derselben der Form nach hinzutritt. Die Erweiterung des
nihilistischen Elements durch Hume bedarf nach den vorange-
gangenen Erörterungen keines Beweises mehr; die Erstarkung
des skeptischen aber zeigt sich in unwiderleglicher Weise in
den Hume allein angehörigen Untersuchungen über die Causa-
litätsform in der Erfahrung, die seinen Ruhm begründet hat.
Dass die Causalität, den Gesichtspunkt des Phänomena-
lismus einmal als giltig angenommen, nicht mehr eine ,phyBische^
sein kann, sagt er in der ersten seiner drei Folgerungen
deutlich. fSne solche setzt sowohl von Seite des Verursachenden
128 ZiiDineriii»no.
wie des VerurBachten eine Materialität oder mindestens Bealitftt
voraus, welche blosse ^Phänomene' eben nicht besitzen. Daraus
folgte dasB, wenn zwischen Phänomenen ein Causalverband
übei;haupt stattfinden soll, derselbe nur in einer Weise beschaffen
sein könnC; wie es die blos phänomenale Natur des dadurch
Zusammenhängenden gestattet. Phänomene nun vermögen ein*
ander nicht zu ^erzeugenS denn dieses würde erfordern, dass
sie mehr als Phänomene d. h. dass sie Wirklichkeiten, also
nicht blos fkhig Wirkungen hervorzubringen, sondern wirkend
seien. Wohl aber können sie (wie dies z. B. bei den Phänomenen
des Bewusstseins der Fall ist) das eine das andere ,nach sich
ziehen', so dass mit dem Eintreten des einen das Eintreten des
anderen erfolgt, ohne dass doch das eine durch das andere im
strengen Sinne des Wortes hervorgebracht, sondern lediglich
das Auftreten des einen durch das Auftreten des anderen
herbeigeführt wäre. Der Unterschied beider Fälle besteht darin,
dass bei der Erzeugung das Erzeugende und das Erzeugte
dem Stoffe nach identisch sein müssen, dagegen bei dem
blossen Nachsich-Ziehen das Nachziehende und das Nachge-
zogene ihrem Inhalt nach völlig verschieden sein können. Daher
lässt sich wohl aus dem Inhalt des Erzeugenden auf den des
Erzeugten, nicht aber aus dem des Nachsichziehenden auf den
des Nachgezogenen jedesmal mit Sicherheit schliessen. Letzteres
ist nur dann der Fall, wenn der Inhalt des Nachgezogenen dem
des Nachsichziehenden gleich oder in demselben eingeschlossen,
dagegen nicht, wenn er demselben völlig ungleich ist.
Da nun das Erzeugtwerden die Materialität oder mindestens
Realität des Erzeugenden und des Erzeugten voraussetzt, eine
solche im Phänomenalismus, welcher die Realität sowohl der
Materie als der Objecte leugnet, ausgeschlossen wird, so bleibt
fUr die Welt der Phänomene als einzig mögliche Art eines
Verbandes derselben unter einander nur diejenige übrig, durch
welche das Nachgezogenwerden des einen oder mehrerer durch
eines oder andere herbeigeführt wird. Diese Art des Verbandes
ist aber keine andere als die Association, von welcher die
sogenannte Ideenassociation in Bezug auf die Phänomene des
individuellen Bewusstseins ein Beispiel gibt. Wie in diesem
die Ideen nach dem sogenannten Gesetze der Aehnliohkeit^
des Contrastes., der Gleichzeitigkeit und der Suocession sich
üeber Hnme's Stdlnng so Berkeley nnd Kant 129
unter einander in der Weise und mit dem Erfolge verbinden^
dass die gleiche die gleiche^ oder die entgegengesetzte die
entgegengesetzte^ die angleiche die angleiche aber mit ihr
gleichzeitig gewesene oder auf sie gefolgte nach sich zieht; so
associirt sich in der Welt der Phänomene das gleiche mit dem
gleichen^ das imgleiche mit dem ungleichen aber gleichzeitigen
oder darauf folgenden Phänomen, was zur Folge hat, dass mit
dem gleichen das gleiche, mit dem ungleichen das ungleiche
aber gleichzeitige gleichzeitig, oder das darauf gefolgte nach
demselben eintritt. Das gleiche Phänomen wird daher sein
gleiches immer, das imgleiche aber das ihm ungleiche nur
dann mit sich führen, wenn dasselbe mit ihm gleichzeitig
gewesen oder auf dasselbe gefolgt ist. Auch hängt die Ver-
knüpfung des gleichen mit dem gleichen nicht von einem be-
stimmten Zeitpunkt d. i. überhaupt nicht von der Zeit ab, da
das gleiche mit dem gleichen stets gleichzeitig ist; dagegen
beginnt die Association des ungleichen mit dem ungleichen
erst im demjenigen Zeitpunkt, in dem beide gleichzeitig waren
oder auf den das andere gefolgt ist. Während daher gleiche
Phänomene auf eine von der *Zeit unabhängige, sind dagegen
ungleiche auf eine von der Zeit abhängige Weise unter einander
verknüpft, oder mit anderen Worten: die Verkntipfang gleicher
Phänomene ist eine zeitlose (ewige), die ungleicher Phänomene
eine zeitliche (in der Zeit entstandene); jene eine solche, von
der sich, da sie von der Zeit unabhängig ist, nicht sagen lässt,
dass sie zu irgend einer Zeit nicht gewesen sei und ebensowenig,
dass sie zu irgend einer Zeit nicht sein werde, diese eine
solche, die, weil sie in der Zeit entstanden ist, mindestens vor
dieser Zeit nicht war. Verbindungen der ersten Art sind aus-
nahmslos, weil sie die Annahme eines Zeitpunkts, in welchem
sie nicht stattfinden, ausschliessen ; Verbindungen der zweiten
Art dagegen lassen Ausnahmen zu,' weil sie die Annahme einer
2^it, zu der sie noch nicht bestanden, einschliessen. Jene
können daher mit Fug und Recht nothwendige, diese dürfen
nicht anders denn zufkUige, weil durch den Zufall der Gleich-
zeitigkeit oder der Aufeinanderfolge (ohne welchen sie gar nicht
entstanden wären), herbeigeführte Verknüpfungen heissen.
Der Gegensatz apriorischer d. i. von dem Eintritt was
immer fUr einer an irgend einen Zeitpunkt geknüpften Thatsache
SiUungaber. d. phil.-hiat. Cl. CUI. Bd. I. Hft. 9
130 ZimmermAnn.
unabhängiger^ und empirischer d. i. durch eine Thatsache. die
auch nicht oder anders als sie erfolgt ist^ hätte erfolgen können,
geknüpfter Gesetze in der materiellen Körper- oder realen Sub-
stanzenwelt kommt als Gegensatz nothwendiger und zufälliger
Verbindungen unter den Phänomenen in der phänomenalen Welt
wieder zum Vorschein. Wie die Naturgesetze das bleibende,
die Freiheitsgesetze das veränderliche Element in der materiellen
und realen, so bilden die nothwendigen Zusammenhänge der Phä-
nomene das apriorische^ deren zufidlige das empirische Element
der phänomenalen Welt. Wie jene zusammengenommen die
Form der materiellen oder realen Welt, deren Material im ersten
Fall die Materie, im zweiten die realen Substanzen ausmachen,
so bestimmen die letzteren zusammengenommen die Form der
phänomenalen Welt, deren Material die (noch unverbondenen)
»Phänomene' d. i. singulären Acte des Vorstellens ausmachen.
Von diesen Verbindungen von Phänomenen sind die noth-
wendigen mit Verbindungen gleicher (identischer), die zubilligen
mit jenen ungleicher, entweder in Folge von Gleichzeitigkeit
oder von Succession mit einander associirter Phänomene gleich-
bedeutend. Beide Arten sind sd beschaffen^ dass in Folge der
Association das eine (als antecedens) das andere (als consequens)
nach sich zieht. Ungeachtet daher das Band der Phänomene
in jedem der beiden Fälle ein anderes, in dem einen die Gleich-
heit oder Aehnlichkeit, in dem anderen die blosse Gleichzeitigkeit
oder Succession der Phänomtoe ist, so werden dieselben doch in
Folge der Association sämmtlich in succedirende verwandelt,
indem sowohl das gleiche das gleiche, wie das ungleiche das
ungleiche nach sich zieht d. h. dasselbe als späteres sich als
dem früheren nachfolgen macht. Diese Aufeinanderfolge selbst
aber erzeugt abermals eine neue Art der Association unter den
beiden auf einander gefolgten Phänomenen nach dem Gesetze
der Succession, in deren Folge das vorangegangene Phänomen
bei seinem Wiedererscheinen umsomehr das ihm gefolgte aber-
mals als folgendes nach sich ziehen wird, ein Process, der
mit jeder erneuerten Wiederholung die Stärke der Association
und dadurch den Grad der Kraft, mit dem das vorangehende
Phänomen das nachfolgende nach sich zieht, erhöht, so dass
jene zuletzt unzerreissbar und diese unwiderstehlich wird, wie
es bei jeder durch häufige Wiederholung allmälig erleichterten
Ueb«r Haine*s Stellung zu Berkeley und Kant. 131
und durch Uebung und Gewöhnung bis zur unvermeidlichen
Gewohnheit sich steigernden Denk-, Gefühls- und Handlungs-
weise der Fall ist.
Ein Verband dieser Art zwischen Phänomenen ist es nun^
der von Hume als Causalverband bezeichnet wird. Derselbe
hat mit der ^physischen^ Causation das gemein, dass das eine
Phänomen jedesmal als vorangehendes, das andere jedesmal als
nachfolgendes auftritt , und diese Ordnung niemals umgekehrt
wird, sowie in der physischen Welt die Ursache stets früher
als die Wirkung erscheint und diese Ordnung immer dieselbe
bleibt. Dagegen unterscheidet sich dieselbe von jener dadurch,
dass sie ein Band zwischen blossen Phänomeneü, diese dagegen
ein solches zwischen materiellen Körpern oder doch realen Sub-
stanzen ausmacht, also in jener das spätere auf das frühere zwar
folgt, aber nicht durch dieses erzeugt wird, in dieser dagegen
das spätere durch das frühere erzeugt wird und daher auf das-
selbe folgt. Hume selbst ist sich dessen, dass die von ihm so-
genannte Causalität von dem, was. in der Naturansicht der
Materialisten und Realisten mit diesem Namen belegt wird,
von Grund aus verschieden sei, vollkommen bewusst; jede Art
physischer Causation, sowie die Existenz irgend eines im physi-
schen Sinn des Wortes als Ursache anzusehenden Etwas ist der
ersten seiner drei Folgerungen nach aus dem System des Phäno-
menalismus ein- iUr allemal ausgeschlossen. Zwar stellt die Welt
der Phänomene ebenso wie jene der materiellen Körper oder
der realen Wesen ein im Fortschritt der Zeit sich veränderndes
Ganzes dar, allein mit dem Unterschiede, dass in der ersteren
das ,Neue' (d. i. die neuen Phänomene) auf das ,Alte' (d. i.
auf die alten) nur folgt, in diesen dagegen das ,Neue' (d. i. die
neuen Körper und neuen Realitäten) durch das ,Alte' (d. i. die
vorangegangenen Körper und vorangegangenen Realitäten) er-
zeugt wird. Der Scenenwechsel ist, um ein Beispiel aus der
poetischen Welt heranzuziehen, in der Welt des Phänomenalismus
ein epischer, in jener des- Materialismus und Realismus ein dra-
matischer. In jener verläuft derselbe einfach am Faden der
Zeitlinie, in dieser treibt die vorangehende Scene die nachfol-
gende mit innerer Nothwendigkeit aus sich hervor, daher
SchiUer in diesem, nicht aber im Hume'schen Sinne die Cau-
salität flir die Kategorie des Pramas erklärt hat.
9*
132 Zimmer mann.
Folge dieser Verschiedenheit des Verhältnisses^ in welchem
das Spätere zum Früheren in der phänomenalen, von demjenigen,
in welchem es in der materialen und realen Welt steht, ist nun
die Verschiedenheit des G-rades der Zuversicht, mit welcher
das künftige Eintreten des Späteren auf Grund des Eingetreten-
seins des Früheren erschlossen und vorhergesagt zu werden
vermag. Dasselbe erfolgt in der materialen und realen Welt
auf Grund des Vorhandenseins der ,phy8ischen' , d. i. der er-
zeugenden Ursachen, deren Erzeugtes, die Wirkung, nicht aus-
bleiben kann, und der Grad der Zuversicht, mit welcher das
Eintreten des Künftigen erwartet werden darf, ist folglich
der höchste, der überhaupt sich denken lässt. Dagegen er-
folgt dasselbe in der phänomenalen Welt auf Grund der durch
wiederholte Erneuerung im directen Verhältniss zu der Zahl
der Wiederholungen eingetretenen Verstärkung der Association
zwischen den Phänomenen mit demjenigen Grade der Zuver-
sicht, welcher der eingetretenen Verstärkung proportional und
daher wie diese einer stetigen Zunahme fähig ist. Erstere
heisst, da sie nicht vermehrt werden kann, absolute, diese, da
sich stets ein höherer Grad von Zuversicht, als der ihrige ist,
deüken lässt, relative Zuversicht; jene gewährt apodiktische,
diese nur problematische Gewissheit (Wahrscheinlichkeit).
Wie in der Aufhebung der Existenz des individuellen,
sei es endlichen, sei es unendlichen Geistes die Erweiterung
des nihilistischen, so liegt in der Ausschliessung apodiktischer
und alleinigen Zulassung problematischer Gewissheit die Ver-
stärkung des skeptischen Elements, welche der Phänomenalismus
durch Hume erfahren hat. Letztere wird dadurch, dass die
Phänomene, deren eines das andere nach sich zieht, ursprünglich
sowohl gleiche als ungleiche gewesen sein können, zwar modi-
ficirt, aber nicht aufgehoben. Die Verbindung gleicher Phäno-
mene ist zwar eine nothwendige, insofern als der Grund, in
Folge dessen das eine das andere nach sich zieht, nicht deren
Gleichzeitigkeit, sondern deren Gleichheit ist; allein die Zuver-
sicht, mit welcher nach dem Eintreten des einen das Eintreten
des anderen erwartet werden darf, bleibt nichtsdestoweniger
der Menge der Fälle proportional, in welchen durch den wirk-
lichen Eintritt die Association beider Phänomene verstärkt und
dadurch die Kraft des vorangehenden, das nachfolgende nach
üeber Hnm«'» Stellnng zu Barkeley nnd Kant. 133
sich zu ziehen^ erhöht worden ist. Verbindungen ungleicher
Phänomene aber sind an sich schon zufkUig und der Grad der
Zuversicht, mit welchem nach dem Eintreten des einen jenes
des andern erwartet werden darf, kann daher gar nicht anders
als der Zahl der Wiederholungen proportional sein, in welchen
der wirkliche Eintritt des einen Phänomens nach dem andern
das Band der Succession zwischen beiden befestigt und dadurch
die Kraft des vorangehenden, das nachfolgende abermals nach
sich zu ziehen, zum Wachsen gebracht hat. Der Unterschied
der verschiedenen, obgleich unter beiden Voraussetzungen nie-
mals anders als problematischen Gewissheit in dem einen und
in dem anderen Falle besteht darin, dass, sobald die Phänomene
gleiche sind, ihre Verbindung unter einander daher von der
Zeit unabhängig ist, ein Zeitpunkt, zu welchem dieselbe nicht
stattfand, niemals angegeben werden kann, folglich dieThatsache,
dass das eine das andere nach sich zieht, sich so oft wieder*
holen muss, als überhaupt Momente in der Zeit gegeben sind ;
während, sobald die Phänomene ungleiche, ihre Verbindung
eine erst in der Zeit entstandene ist, sich jedesmal eine Zeit
angeben lässt, in welcher dieselbe nicht vorhanden war, folglich
die Anzahl der möglichen Wiederholungen obiger Thatsache
nothwendiger Weise kleiner sein muss als jene der in der
ganzen Zeit enthaltenen Momente. Wie daher, gegen die abso-
lute d. i. einer Vermehrung unfähige Gewissheit gehalten, die
relative comparativ d. i. jederzeit der Vermehrung fkhig ist,
80 ist von obigen beiden relativen Gewissheiten die eine um
80 viel grösser als die andere, als die Menge der Zeitpunkte
überhaupt grösser als die der von einem gegebenen an ablau-
fenden ist.
Wie durch die Phänomenalität der Materie das Material
der Natur, so geräth durch die ausschliessliche Relativität der
Gewissheit deren Form, die Naturgesetzlichkeit des Zusammen-
hanges ihrer Theile, ins Schwanken. Jene ersetzt die materiellen
Körper oder doch realen Substanzen durch blosse Phänomene,
diese führt an der Stelle apodiktischer d. i. von der Zahl der
sie bestätigenden Fälle unabhängiger Zusammenhänge, welche
die Möglichkeit der Nichtbestätigung ausschliessen, und der-
gleichen allein den Namen von Naturgesetzen führen und
verdienen, problematische d, i. mit der Zahl der bestätigenden
134 Zimmermann.
Fälle an Vertrauenswürdigkeit wachsende, aber auch die Mög-
lichkeit der Nichtbestätigung zulassende Zusammenhänge d. i.
blosse Naturregeln ein. Wie in Folge des ersteren an die
Stelle wirklicher der blosse Schein einer Materie, so tritt durch
das letztere an die Stelle wirklicher der Schein von Natur-
gesetzen, durch beides zusammengenommen dem Material und
der Form nach an die Stelle wirklicher der blosse Schein
einer Natur.
Dieser Punkt, der äusserste, zu welchem der Phänome-
nalismus durch Hume über dessen Vorgänger und seinen ur-
sprttnglichen Urheber , Berkeley , hinausgeftlhrt , bezeichnet
zugleich denjenigen, von welchem an Hume's Nachfolger Kant
von diesem abgeflihrt worden ist. Aus der Verwandlung der
Materie wie der realen Substanz in Schein ist schliesslich eine
solche der natürlichen in eine Scheinwelt geworden. In der
Rückverwandlung dieser in eine naturgesetzlich geordnete Er-
scheinungswelt besteht die Umbildung, welche Kant an Hume's
Lehre vollzogen hat. Jene beginnt mit dem Material der Natur
und erstreckt sich zum Schlüsse auch auf deren Form. Diese
beginnt mit der Form der in Schein verwandelten Natur und
erstreckt sich zum Schlüsse auch auf deren Material. Während
der Phänomenalismus durch Berkeley das reale Substrat der
phänomenalen Welt in ein blos vermeintliches auflöst, durch
Hume die Naturgesetze zu blossen Naturregeln herabsetzt,
geht Kant darauf aus, nicht nur die letzteren wieder zu Natur-
gesetzen zu erhöhen, sondern auch der phänomenalen (sensiblen)
wieder eine noumenale (inteUigible) Welt als reales Substrat
(,Ding an sich*) unterzulegen. Ersteres Bestreben, das, wie
man sieht, die Form der in Schein verwandelten Natur betrifft,
macht dasjenige aus, was man die Widerlegung Hume's durch
Kant, letzteres, welches durch Wiederherstellung einer realen
Grundlage des Scheins mit dem Material der in Schein ver-
wandelten Natur sich zu thun macht, begreift dasjenige in sich,
was man die Wiederlegimg Berkeley's durch Kant zu nennen
ein Recht hat.
Kant's Mittel zur Erreichung des Erfolges in ersterer Rich-
tung besteht darin, den Grund gewisser Zusammenhänge unter
den Phänomenen statt,' wie Hume, in deren Association, in das
Vorstellen selbst oder vielmehr in eine diesem eigenthümliche
Ueber Hnme's Stellnog ca Berkeley and Kant. 135
Disposition zu y erlegen. Treten nach Hume gewisse Phänomene
in Folge der Association, so bringt sie nach Kant das Vorstellen,
dessto Phänomene sie sind, vermöge einer ihm innewohnenden
Disposition in einen solchen Verband, dass sie nicht mehr von
einander getrennt werden können. Während daher nach Hume
jener Verband der Phänomene mit der Association steht und
fiült, mit deren Eintreten beginnt, mit der Zahl ihrer Wieder-
holungen an Stärke wächst, also zwar sich steigernde, aber
niemals mehr als relative (problematische) Grewissheit zu erlangen
vermag, steht und fkUt er nach Kant mit der Natur des Vor-
stellens selbst, dessen Phänomene sie sind, und da mit dem
Wegfallen des ersteren auch die Phänomene selbst hinwegfallen
würden, so besteht er so lange imd so oft, als diese selbst be-
stehen, also mit absoluter (apodiktischer) d. i. von der Zahl der
bestätigenden Fälle unabhängiger, weder einer Vermehrung noch
einer Verstärkung fähiger Gewissheit.
Verbände dieser Art unter Phänomenen, welche von einer
dem Vorstellen eigenen Disposition geschaffen werden, haben
daher diejenige Gewissheit, welche wahren Natuj^esetzen eigen
and dadurch über jene in Folge blosser Association entstandenen
Naturregeln so weit erhaben ist, als das Unbedingte jeder Art
über Bedingtes, Apodiktisches über Problematisches sich erhebt.
Gerade den Üüt den naturgesetzlichen Zusammenhang einer
Welt, mag sie im Uebrigen phänomenal oder real sein, wich-
tigsten Verband, den Causalverband, welchen Hume als einen
blos in Folge der Association (ex post) entstandenen (a poste-
riorischen) betrachtet, rechnet Kant zu denjenigen, welche in
Folge einer dem Vorstellen innewohnenden Disposition durch
dieses selbst zwischen gewissen Phänomenen desselben herge-
steUt, also diesen gleichsam ,von Haus aus^ (a priori) angeschaffen
werden. Die Aufeinanderfolge gewisser Phänomene in der Ord-
nung, dass jedesmal dasselbe vorhergeht und dasselbe nachfolgt,
besitzt unter dieser Voraussetzung, aber auch nur unter dieser,
die nämliche Unverbrüchlichkeit und Ausnahmslosigkeit, welche
im Sinne des Materialismus und Realismus die ,phy6ische' Cau-
sation d. i. der Erzeugungsprocess oder die Auseinanderfolge der
Zeitfolge des Erzeugten auf das Erzeugende verleiht, und die
dadurch zum Kennzeichen eines Naturgesetzes wird. Wenn
daher Kant dasjenige, was in seiner Auflassung als Causalverband
136 Zimmcrmftnn.
zwischen gewissen Phänomenen figurirt, die unverbrüchliche
und ausnahmslose Aufeinanderfolge derselben in gleichbleiben-
der Ordnung des Vorher und Nachher in der Zeit, ungeachtet
dieselbe nur eine Auf- und keine Auseinanderfolge ist, als
Naturgesetz bezeichnet, so hat er dazu insofern ein Recht, als
jene Unverbrüchlichkeit und Ausnahmslosigkeit wenigstens eines
und zwar ein wesentliches derjenigen Merkmale ausmacht,
welche zum Begriff eines solchen gehören, jedenfalls ein grösseres
Recht als Hume, die nur in Folge immer wiederkehrender
Association allmälig entstandene Gewohnheit der Aufeinander-
folge gewisser Phänomene, welche bei ihm Causalverband
zwischen denselben heisst, mit jenem Namen zu belegen.
Diese Unverbrüchlichkeit und Ausnahmslosigkeit gewisser
Zusammenhänge unter den Phänomenen des Voi*stellens war
es, welche Kant der durch Hume's Associationsprincip herbei-
geführten Lockerung aller Bande zwischen denselben in den
Weg zu stellen sich bemühte. Nicht nur der Causalverband
zwischen Phänomenen sollte dem durch Hume's Theorie be-
günstigten Verdacht, dass derselbe der Unterbrechung durch
Ausnahms&Ue jederzeit fähig sei, entrissen d. h. der Satz,
dass keine Wirkung ohne Ursache sei, zu einem wirklichen
Naturgesetz erhoben werden, sondern auch andere G^anken-
zusammenhänge, welche in Folge des Hume'schen Skepticismus
einer nur problematischen Gewissheit anheimfielen, sollten der
nämlichen, deren wahre Naturgesetze sich erfreuen, d. i. der
absoluten Gewissheit theilhaftig werden. Unter den letzteren
lagen Kant die Zusammenhänge der mathematischen Gedanken
(d. i. der Phänomene der reinen Mathematik) am nächsten am
Herzen, deren apodiktische Geltung gewahrt und vor dem in
Folge der Hume'schen Theorie drohenden 'Schicksal einer blos
problematischen für immer geschützt werden sollte. Zwar hatte
Hume dieselben für analytische Verbände d. i. für Verbindungen
gleicher (identischer) Phänomene erklärt und ihnen dadurch
vor von ihm sogenannten synthetischen Verbänden d. i. vor
Verbindungen ungleicher (nicht identischer) Phänomene insofern
einen Vorzug eingeräumt, als, wie an vorangegangenem Orte
gezeigt worden ist, ersteren jederzeit eine grössere (wenngleich
ebenfalls nur problematische) Gewissheit zukommen muss als
letzteren. Kant aber war weder gewillt, sich betreffs der Geltung
TJeber Hnme*« Stellung: sn Berkeley und KftDt. 137
der Mathematik überhaupt mit einer nur problematischen Ge-
wissheit zu begnügen, noch war er im Stande, seinerseits zu
deren Gunsten von dem analytischen Gedankenverbänden durch
Hume eingeräumten relativen Vorzug Gebrauch zu machen, da
seinem (von Schreiber dieses an anderem Orte: Sitzungsberichte
LXVn, p. 7 dargelegten) ^mathematischen VorurtheiP zufolge
dieselben nicht (wie Hume gemeint hatte) analytischer, sondern
synthetischer Natur sein sollten. Kant befand sich daher vor
der Alternative, entweder die ihm vor allen anderen Wissen-
schaften theure Mathematik dem Lose nur problematischer,
und zwar jener zweifelhafteren problematischen Gewissheit
welches nach Hume sämmtliche auf synthetischen Gedanken-
verbänden beruhende Wissenschaften treffen müsste, auszu-
liefern, oder Mittel und Wege zu schaffen, durch welche die
Verbände mathematischer Gedanken ihrer synthetischen Natur
zum Trotz die Unverbrüchlichkeit und Ausnahmslosigkeit wahrer
Naturgesetze zu erlangen fkhig würden. Er erreichte diesen
Zweck auf dieselbe Weise, wie er es Hume gegenüber bei der
Verwandlung des Causalverbandes aus einer blossen Naturregel
in ein echtes Naturgesetz gethan hatte, indem er den Grund
der Synthese der mathematischen wie dort der als Ursache
und Wirkung verknüpften Phänomene, statt wie Hume, in die
Association dieser Phänomene selbst, in eine ursprüngliche Dis-
position des Vorstellens, dessen Phänomene sie sind, verlegte.
Wie die ursprüngliche Disposition des VorsteUens, welche dem
Causalverbande zu Grunde liegt, in der transscendentalen Ana-
lytik der ,Kritik der reinen Vernunft^ als apriorische Urtheils-
form des reinen Verstandes , so erscheint die ursprüngliche
Disposition, welche der mathematischen Synthese den Charakter
der Unverbrüchlichkeit und Ausnahmslosigkeit eines echten
Naturgesetzes verleiht, in der transscendentalen Aesthetik der-
selben als apriorische Anschauungsform der reinen Sinnlichkeit.
Das Vorstellen, das im Phänomenalismus der Träger
sämmtlicher Phänomene, aber bei Berkeley und Hume nach
Bacon's und Locke's Vorgang selbst tabula rasa d. i. als solches
ohne ursprüngliche (angeborene) sowohl Ideen als Anlagen und
Dispositionen ist, nimmt durch Kant den Charakter einer nach
verschiedenen Seiten hin bestehenden Prädisposition ftir be-
stimmte Verbände und Zusammenordnungen der dasselbe er-
140 ZimiDermann. üeber Hnme's Stellung zu Berkelej und Kuit.
ZU Berkelej; so glaubt sie durch die Darstellung der Umbildung
welche Hume's Phänomenalismus von Seite Kant's durch die
EinftOirung apriorischer anstatt ausschliesslich aposteriorischer
Synthesen erfahren hat, die Stellung Hume's zu Kant in ähn-
licher Weise klargestellt zu haben, wie es Schreiber dieses an
anderem Orte (Sitzungsberichte LXVÜI, p. 713) bezüglich der
Stellung Kant's zu Berkeley versucht hat. In die Erörterung
des Missverständnisses näher einzugehen, das dem Vertheidiger
Berkeley's begegnet, wenn er Kant's behauptete Unerkenn-
barkeit jenseits der Grenzen der Erfahrung gelegener Dinge
für eine Leugnung derselben ansieht, und welches auf einer
Verwechslung des Standpunkts kritischer Enthaltsamkeit mit
jenem dogmatischer Verneinung beruht, ist in dieser Abhandlung
nicht der Ort. Ihr Zweck ist erreicht, wenn es gelungen ist zu
zeigen, dass nicht nur Hiune's, sondern auch Elant's phänomenale
Welt eine natürliche Tochter des Phänomenahsmus und des
letzteren Erscheinungswelt (xb fatvdixevcv), wie von der Schein-
weit Berkeley 's durch ihr reales Substrat (xc vcoutACvov, Ding
an sich), so von jener Hume's durch den Apriorismus ihrer
Formen (Zeit Raum Causalität) unterschieden sei.
Oomperz. Herodoteiiche Studien I. ]41
Herodoteische Studien L
Von
Prof. Dr. Th. Gomperz,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
1.
Die Frage nach dem Abschluss des herodoteischen
Geschlehtswerkes.
Oerodot beginnt sein Werk mit einer Ankündigung;
deren Wortverstand zwar zumeist richtig aufgefasst, deren
Tragweite jedoch kaum nach Gebühr gewürdigt worden ist.
Er will — so sagt er uns — ,was von Menschen geschehen
ist' der Vergessenheit entreissen und gleichzeitig verhindern,
dass ^grosse und wunderwürdige Thaten , welche Griechen
sowohl als Nicht -Griechen vollbracht haben, des ihnen ge-
bührenden Ruhmes verlustig gehend Er will — dies ist augen-
scheinlich der Sinn seiner Worte — einerseits das Andenken
der geschichtlichen Vergangenheit überhaupt erhalten, dieselbe
vor pietätloser Nichtachtung und Geringschätzung bewahren
helfen, andererseits der Mit- und Nachwelt hohe Vor- und
Musterbilder, Gegenstände der Nachahmung und Nacheiferung
vor Augen halten. Er will, mit einem Worte, nicht nur be-
lehren, sondern zugleich erheben und erbauen. Darum und
nur darum stellt er neben das allgemeine Object seiner Ge-
schichtsdarsteUung ,t3( e^ ovOpcü^cDv Y6v6(xeva^ noch das besondere,
die ,lpYa \t£'^£ka te xal 6ü>u(xa9Ti' — die ,haut8 faits et gestes
merveilleux', wie Paul Louis Courier, die ,gro8sen Wunder-
thaten', wie Friedrich Lange, die ,great and wonderful actions',
wie George Rawlinson übersetzt.^
* Heinrich Stein's Wiedergabe der fyyoL* durch ,WerkeS »daaemde Denk-
mSler* (s. seine Uebersetzung nnd commentirte Ausgabe) richtet sich
142 Gompers.
Wäre man sich dieser Doppelabsicht des Vaters der
Geschichte allezeit vollständig bewusst gebheben, schwerlich
hätte die Ansicht, sein Werk liege uns in unvollendeter Gestalt
vor, so weite Verbreitung gewinnen können. Mir erscheint
diese Meinung, wie ich schon vor geraumer Zeit erklärt habe
(Zeitschr. für österr. Gymn. 1859, S. 820), als völlig grundlos,
nicht nur in jener weiteren Fassung, nach welcher ,die ur-
sprüngliche Disposition . . nicht zur Ausführung^ gelangt und
,da8 ganze, grossartig angelegte Werk . . ein Torso^ geblieben
ist (Kirchhoff, Ueber die Entstehungszeit ^ u. s. w., 27), sondern
auch in jener Einschränkung, mit welcher Rawlinson dieselbe
vorträgt: der Geschichtschreiber habe zwar das ursprünglich
ins Auge gefasste Ziel seiner Erzählung erreicht, jedoch sein
Werk nicht zu einem äusserlichen Abschlüsse gebracht (I^ 33
und 114). Sprechen wir von der erstgenannten Hypothese
zuerst.
Herodot würde — so meint Dahlmann — ,auch Kimon's
Züge, den grossen egyptischen Krieg der Athener, er möchte
selbst das Eingreifen Persiens in den peloponnesischen Krieg
geschildert haben, wenn das Leben ausgereicht hätte' (Herodot,
aus seinem Buche sein Leben, S. 137 — 138). Und Adolf Kirch-
hoff ist der Ueberzeugung, ,da8s es das Vorhaben Herodot's
war^ (an dessen Ausführung ihn vielleicht nicht sowohl der
Tod, als ,die trüben Erfahrungen gleich der ersten' Jahre des
peloponnesischen Krieges gehindert haben), ,die Darstellung des
Kampfes zwischen Barbaren luid Hellenen bis zur Schlacht am
Eurymedon oder bis zum Tode Kimon's herabzufUhren und
diese Darstellung in eine Verherrlichung Athens und seines
selbst. Denn weder spielt die Schilderung der Bau- und sonstigen
Knnstdenkmale in unserem Geschichtswerke eine derartige Rolle, dass
sie an so hervorragender Stelle erw&hnt werden durfte, noch konnte
ein Hauptabsehen des Historikers dahin gehen, Dinge zu verherrlichen,
welche ihre Herrlichkeit laut genug selbst verkünden und mithin seines
Heroldsamtes am ehesten entrathen mochten. Will man das Sinnwidrige
dieser Auslegung und Uebertragung gleichsam mit Händen greifen, no
braucht man blos an die Stelle des Genus eine oder die andere der
Species zu setzen, also etwa: ,Herodot von Halikamass hat dies erkundet
und aufgezeichnet, damit weder was von Menschen geschehen mit der
- Zeit verklinge, noch auch — die egyptischen Pyramiden, die Tempel
von Theben u. s. w. ihres Ruhmes verlustig gehen.*
Herodoteische Studien I. 143
grossen Staatsmannes auslaufen zu lassen' (a. a. O., S. 28).
Woraus erschliesst man diese Absichten des Historikers? Doch
wohl nur aus der Thatsache^ dass er Griechenland im Kampfe
mit Persien schildert, indem man nunmehr meint, er müsse,
was er also begonnen, bis zum letzten Ende haben durchführen
wollen. Allein dies heisst, unseres Erachtens, die tiefste Eigen-
thümlichkeit herodoteischer Geschichtsdarstellung, die Tendenzen,
von welchen sie getragen, die Antriebe, aus denen sie entsprungen
ist, vollständig missverstehen. Zwei dieser Impulse haben wir
kennen gelernt. Zu ihnen gesellen, mit ihnen verschwistem
sich andere, deren das knappe Vorwort keine Erwähnung thut.
Denn gleichwie dieses in Betreff des ersten Hauptzweckes, der
Befriedigung berechtigter Wissbegier, nur auf historische ,Ge-
schehnisse^ oder Begebenheiten Bezug nimmt, hingegen der
Zustände der Völker, ihrer Sitten und Bräuche, ihrer Ver-
theilung imd ihrer Wohnsitze, kurz des ganzen im Verlaufe des
Werkes so reich entfalteten ethnographisch-geographischen
Hintergrundes mit keinem Worte gedenkt, so müssen wir uns
auch den zweiten — den ethischen — Hauptantrieb durch
mannigfache andere Einflüsse verstärkt, beschränkt, indivi-
duell ausgestaltet denken. Herodot ist nicht nur ein für alles
Grosse und Erhabene im höchsten Masse emp&nglicher Mensch,
er ist auch Grieche, und zwar ein trotz seiner beispiellosen Ge-
rechtigkeit gegen Barbaren ^ national und ungeachtet seiner
^ Kein Grieche war jemals freier von Racenhochmuth und nationalem
Dünkel als Herodot. Schweres Unrecht erweist man ihm, wenn man mit
Bemays (Phokion, S. 25) annimmt, er erwähne die phönikische Abknnft des
Thaies (I, 170), um ihm dieselbe vorzuwerfen. Man muss fttrwahr über-
scharf sehen, um ans einem Satze, welcher das unumwundenste Lob des
grossen Milesiers enthält (xp^^ ^^ [sc* T^<^H-^] ^^^^ • - * ^^^^^ avSpo;
MiXY)a{ou iyevETo; man beachte auch die Zusammenstellung mit Bias:
ouTOt |iiv $i{ 09t yvcüfia^ xts.), zugleich eine ,genealogische Malice^ heraus-
zulesen. Birgt jene Zwischenbemerkung (rb av^xa6£v y^vo; covto^ <t>o{vixo<)
in der That eine polemische Spitze, so kann sich diese nur gegen
die ZwOlf- Städte- Jonier richten, welche der Halikamassier ja auch ein
anderes Mal (ihrer nationalen Exclusivität wegen) scharf aufs Korn
nimmt (I, 146). Dann würde jener Hinweis etwa besagen sollen: erst
ein Mann von fremdländischer Herkunft musste den Joniem einen Rath
ertheilen, der sie zu retten vermocht hätte, wären sie anders weitsichtig
und grossherzig genug gewesen, denselben anzunehmen. — War übrigens
Herodot selbst von jeder Beimischung fremden Blutes frei? Man möchte es
144 Ooraperi.
ausgesprochenen Vorliebe für Athen panhellenisch gesinnter
Grieche; er ist femer ein warmer Volks- und Freiheitsfreund,
der die asiatische Gewalt- und WiUkührherrschaft aus dem
Grunde seiner Seele verabscheut; er ist endlich eine gläubige
und tiefreligiöse Natur , welche in der Niederlage des über-
müthigen Nationalfeindes ein göttliches Strafgericht erblickt.
Der Zusammenfluss all' dieser Motive hat es bewirkt; dass er
zum Ziel- und Kernpunkt seines unerhört grossartig angelegten
Weltgemäldes nicht irgendwelche andere ^Grossthaten^, sondern
den heroischen Kampf seines Volkes mit der persischen
Uebermacht erhob. Darum fliesst der Strom seiner Erzählung,
der in den früheren Büchern so häufig stockt^ sich in Episoden
wie in Nebenarme spaltet und zu weitläufigen zuständlichen
Schilderungen wie zu Landseen verbreitert^ in den letzten drei
Büchern mächtig und ungetheilt dahin — daher die Fülle der
Vorzeichen und Traumgesichte, der Reichthum an tiefsinnigen
Aussprüchen und an ergreifenden Einzelscenen , welche der
riesengrosseU; der schicksalsschweren Entscheidung vorangehen.
Mit vollstem Rechte nennt einer der wenigen Herodot eben-
bürtigen Geschichtschreiber, welche die Welt gesehen hat,
den Zug des Xerxes ,und die endgiltige Niederlage
seiner Streitkräfte^ nicht nur ,das ausschliessliche Thema
der drei letzten Bücher^ sondern ;den Hauptgegenstand
des ganzen Werkes', ,die Vollendung von Herodot's histo-
rischem Plane', (,the consummation of his historical scheme'
Grote, bist, of Greece, V*, 7). Und in der That, der Höhe-
punkt der Wirkung ist erreicht, ein nicht mehr zu überbieten-
der Eindruck ist hervorgebracht, der Vorhang rauscht nieder
— und nun sollten wir annehmen dürfen, dass es die eigent-
liche, nur durch zufkUige Umstände vereitelte Absicht des
bezweifeln, wenn man sich des unzweifelhaft karischen Namens seines
Oheims Panyassis erinnert (vgl. die Zusammenstellung der gleichartigen
Namen Bull, de corr. hell. IV, 318 und VI, 193, auch A. MilchhOfer, Die
AnfKnge der Kunst in Griechenland, S. 112, Anm. 1). Beiläufig sei bemerkt,
dass der alten, jüngst mit allzu weitgehendem Skepticismus angefochtenen
Tradition über Herodot*s Familie neuerlich eine nicht unerhebliche Stütze
erwachsen ist durch das Auftauchen des Namens Lyxes (so hiess nach
Suidas der Vater des Historikers) auf einer halikamassischen Inschrift
(BuU. de corr. hell. VI, 192).
Berodoteisck« Stadien I. 145
gewaltigen Künstlers war^ der markerscfaüttemden Tragödie
ein Nachspiel folgen zu lassen^ das ssum Allermindesten den
EflEect nicht zu steigern vermocht hätte und darum allein schon
ihn nothwendig abschwächen musste? Allein dies ist nicht
Alles. Nicht nur hatte unser Historiker^ der ja keineswegs
gleich Thukydides zum Behuf pragmatisch-politischer Belehrung
Geschichte schrieb;^ keinerlei Grund über diesen Punkt hinaus-
zuschreiten, er hatte die allerstärksten Gründe^ eben hier Halt
zu machen. ELätte er doch — und dies scheint bisher nicht
erwogen zu sein — nicht die Ereignisse der nächsten Monate
erzählen können, ohne den Lorbeerkranz des Siegers von
Platää Blatt für Blatt zu zerpflücken; hätte er doch nicht die
Voi^änge des folgenden Jahres schildern können ; ohne mit
der athenischen Mauerbau - Angelegenheit den ersten Anlass
und die früheste Aeusserung jenes Zwiespalts der beiden Gross-
staaten zu berühren, welchen der panhellenische Patriot als
den Fluch seines Zeitalters empfinden musste und dem das
erhebende Gegenbild griechischer Einigkeit und griechischer
Grösse entgegenzuhalten eine der Hauptaufgaben seines Le-
bens gewesen ist. Und endlich: sieht die Eingangs in den
Nebel der Urzeit tauchende Darstellung etwa so aus, als ob
sie in eine ^Geschichte der neuesten Zeit^ ausmünden, in einer
ganz eigentlich ^zeitgenössischen Geschichte^ ihren Abschluss
finden sollte? Erforderte eine solche nicht eine wesentlich an-
dere, eine minder poetische und mehr staatsmännische Anlage,
als es diejenige Herodot's war? Konnte seine Neigung zu
novellistischer Färbung^ zu theologischer Motivirung auf diesem
Felde ausreichende Nahrung und Befriedigung finden? Oder
war es seinem Genius nicht ungleich gemässer, nur solche
Stoffe zu behandehi, über welche der Duft der Sage sich zu
lagern zum Mindesten bereits begonnen hatte?
Dass jedoch das Werk wenigstens nicht zu einem äusser-
lichen Abschluss gediehen sei, dies soll angebhch ,schon aus
dem plötzlichen und unbefiriedigenden Ende^ (Stein, S. XLV),
I HXUe man doch immer Otfried Müller*8 goldene Worte beherzigt: ,Herodot
ist wirklich ebenso sehr ein Theolog and Dichter, wie er Historiker ist.
. . . Das blosse Wiedergeben einer gewöhnlichen Erfabrang in den
Kreisen des Menschenlebens ist nicht seine Aufgabe^ (Qeschichte der
griech. Literatur I>, 492—493).
SiU«ngsber. d. phU.-hiit. Cl. CUI. Bd. I. Hft. 10
146 Ooraperz.
aus der ^Ungeschicklichkeit des Schlusses und dem jähen Ab>
brach der Elrzählung^ (^the awkwardness and abruptness of its
close'y Rawlinson, a. a. O.) unwidersprechlich hervorgehen. Eb
trifft sich glücklich , dass wir hier wenigstens zwei unserer
Gegner als Zeugen wider die von ihnen vertretene These an-
rufen können. Denn ebenderselbe Rawlinson, der sich in der
Einleitung zu seiner Herodot-Uebersetzung in der angefiihrten
Weise ausspricht^ kann sich in seiner letzten Anmerkung
(IV"*, 466) des Eindrucks nicht erwehren, dass das Ghesammt-
werk ^geschichtlich sowohl ahs künstlerisch' wohl abgeschlossen
sei: ^geschichtlich^ denn die Handlung endigt mit der sieg-
reichen Heimkehr der athenischen Flotte von der Kreuzfahrt,
in welcher sie die letzten Ueberreste des Angreifers vernichtet
und durch die Einnahme von Sestos den Schlüssel ihres Con-
tinents, der sich nach allen Niederlagen des Feindes noch in
seinen Händen befand, zurückgewonnen hatte; künstlerisch,
indem das Ende durch das Sohlusscapitel wieder an den An-
fang geknüpft, . . . der Orundton der ganzen Erzählung von
Neuem angeschlagen und auf ihre Moral hingewiesen wird,
dass der Sieg nämlich den kraftvollen Insassen rauher Berg-
lande gehört' [wer denkt hier nicht an das Kernwort: tij 'KXXidt
TcsWi) {jLsv aUt KOT€ ouvrpoföc ioti VII, 102 ?], ,die Niederbtge den
verweichlichten Bewohnern fruchtbarer Ebenen, welche ihrer
alten kriegerischen Sitten vergessen und in Trägheit und Ueppig-
keit versinken'.* Und wenig anders, freilich nicht minder sich
selber widersprechend, urtheilt Otfried Müller (Gr. Lit. -Gesch.
^ Ein neckiflcher Zafall bat es so ^ftl^ dass der Vorwurf der Inconse-
quenz, welcher hier Rawlinson mit Recht trifft, von eben diesem geg^n
Dabimann erhoben wird ~ auf Omnd der anriohtigen Wiedergabe
einiger deutschen Worte durch einen englischen Uebersetaer. Dahlmann
schrieb n&mlich (a. a. O., 8. 138): ,Die Alexandriner theilten in neun
Musenbücher ein, was sie ausgearbeitet vorfanden; seitdem gilt die
unvollendete Schrift für ein in allen Gliedern abgerundetes, mit Bedacht
geschlossenes Kunstwerk.* In der englischen Uebertragung fehlt jedoch
das WOrtchen ^seitdem*, und ,gilt* wird mit ,has all the value' über
setitl S. Rawlinson I, 114, wo man übrigens eine Reihe der treffend-
sten Bemerkungen über den Plan und Umfang des herodoteischen
Werkes findet, eine Aniahl weiterer Beweisgründe gegen die Dahlmann-
Kürehhoff'sche Ansicht, die wir rollinhalftlich billigen, jedoch ans Scheu
vor übermässiger Breite nicht ausdrücklich wiederholen.
Herodoteitehe Stadien I. 147
P, 490): jObgleich daeWerk unvollendet ist, schliesst es
doch mit einem G^danken^ der nicht ganz zufällig an das
Ende gekommen zu sein scheint^ dass, wie der grosse Eyros
gesagt haben soll, nicht gerade das fruchtbarste^ reichste Land
auch die tüchtigsten Männer hervorbringe/ Doch es fehlt
nicht an anderen, ganz ebenso deutlichen Anzeichen, welche
darauf hinweisen, dass Herodot an eben dieser Stelle sein
Lebenswerk beenden und beschliessen wollte. Wenn irgend
etwas das HochgeAihl, mit welchem der Grieche von den
wunderbaren Siegen seines Volkes las, zu steigern, seine
Freiheitsliebe zu entflammen, die Freude an den staatlichen
Einrichtungen seiner Heimat zu erhöhen vermochte, so war
dies die Einsicht in die zerrüttenden Wirkungen, welche der
Bcfarankenlose Despotismus seines Gegners bis in den innersten
Familienkreis des Herrschers hinein zu üben geeignet war.
Und da sollte es ein Zufall sein, dass dem hellen Glänze von
Salamis und Artemision, von Mykale und Platää in den Wirren
und Gräueln am persischen Hofe eine Folie gegenübertritt,
wie sie dunkler nicht gedacht werden kann? Zufall sollte es
sein, dass uns gerade in einigen der letzten Abschnitte (IX,
108 — 113) der Einblick in jenes Pandämonium tobender Lei-
denschaften gewährt wird, denen kein göttliches oder mensch-
liches Gesetz, kein verwandtschaftliches Band, selbst nicht
das geschwisterliche oder das elterliche, Zaum und Zügel an-
legt — ein Kreis, in dessen Mitte Xerxes, ein echter ,Purpur-
gebomer', durch den knabenhaften Unbestand seiner Begierden
noch mehr die Verachtung, als durch deren Masslosigkeit den
Unwillen herausfordert? Und ganz ebensowenig wird es zu-
{UKg sein, dass der in den Eingangs-Capiteln ausgesprochene
Gedanke von dem uralten Gegensatz zwischen Morgen- und
Abendland hier wieder aufgenommen (IX, 116 greift unmittel-
bar auf I, 4 zurück) und durch die Erinnerung an Protesilaoß
(den ersten Griechen, der in feindlicher Absicht asiatischen
Boden betrat!) nachdrücklich aufgefrischt wird, dass an der
Begräbnissstätte eben dieses Heros ein Perser sich versündigt
und dafür entsetzliche Strafe erleiden muss. Wie ein leuchtendes
Symbol der vollendeten Befreiung Europas von der drohenden
fVemdherrschaft endlich — und dies ist das eigentlichste
Thema des ganzen Werkes — erscheint das in den letzten
10*
148 Oomper».
Worten der öeschichtserzählung » (IX, 121) erwÄhnte Weih-
geschenk, welches die rückkehrenden Athener in die hämischen
Heiligthümer mitbringen, die Taue von den Brücken, welche
der Eroberer geschlagen hatte um die occidentalische Griechen-
welt unter sein Joch zu beugen!
Allein warum — so mag man uns entgegnen — hat
Herodot den Schluss seines Werkes nicht ausdrücklich und
unzweideutig als solchen bezeichnet? Ich antworte mit einer
Gegenfrage: Warum ist das Proömium so überaus wortkai^?
Warum ist es zugleich so knapp und so vieldeutig? Warum
verräth es von des Autors Absichten so wenig, von Inhalt
und Aufbau des Werkes so gut als gar nichts? Warum sagt
es uns nicht mit dürren Worten: Ihr werdet die Erzählung
der griechischen Freiheitskriege vernehmen und zugleich das
Wissenswürdigste aus der Natur* und Volkerkunde, aus der
Erdbeschreibung und der Geschichte der Vorzeit? Warum
gedenkt der Geschiohtschreiber ebendort mit keinem Sterbens-
w(>rtchen seiner persönlichen Umstände, seiner langjährigen
und mühevollen Vorbereitungen, seiner Studien und Reisen?
Warum versagt er es sich, auch, nur den bedeutsamen Aus-
spruch über den , Wechsel alles Irdischen^ den er Capitel 5
vorbringt, wie einen Lock* und Weckruf an die Spitze des
Buches zu stellen? Warum taucht er unverweilt in seinem
Stoffe unter, um nur gelegentlich und immer nur für Augen-
blicke aus demselben emporzutauchen ? Warum legt er seine
weitreichendsten Gedanken fast durchwegs den Personen seiner
Erzählung in den Mund und verschwindet hinter diesen so
schleimig und nahezu so vollständig, wie Aristoteles dies von
dem epischen Dichter verlangt? Man nenne dies Alles wie
man wolle : ,edle Selbstvorgessenheit' , strengen und vornehmen
Kunststyl, schriftstellerische Keuschheit, antike Naivetät, künst»
lerische Objectivität, Scheu vor platter Ueberdeutlichkeit; nur
^ Es folgt nur mehr das S&tscfaen: ,ii]id in diesem Jahre* (es ist das
Jahr der Siege von Platftä und Mykale!) ,begab sich nichts Weiteres*,
worauf das Werk mit dem scheinbar absichtslos und darum nur um so
kunstvoller angeknüpften Rathschlag des Artembares und der vielsagen*
den Antwort des Cynis wie mit einer sinnvollen Gnome abschliesst. Wie
man hier von ,plOtslichem AbbniohS von ,Ungeschioklichkeif o. s. w.
sprechen kann, ist mir schwer verst&ndlich.
Herodoteische Studien I. 149
▼ergesse man nicht, dass unser Autor in diesem Betracht genau
Bo verftlhrt wie viele andere und nicht die mindest hervor-
ragenden unter seinen Zeit- und Volksgenossen. An die epische
Dichtung hahen wir bereits erinnert; aber auch ein Pindar
und ein Sophokles unterlassen es gar häufige die inneren Be-
züge zwischen verschiedenen Theilen einer Ode oder eines
Strophenpaares durch wegweisende Winke klarzulegen: sie
heischen die thätige Mitarbeit des Lesers. Und in wie hohem
Masse dies bei Plato der Fall ist, der an individueller Selbst-
entäusserung noch über unseren Geschichtschreiber hinausgeht^
dies weiss nachgerade Jedermann.
Dabei wird es denn hoffentlich wohl sein Bewenden haben.
Die Worte: ,und sie zogen es vor ein kärgliches Land als
Herren zu bewohnen, statt im Besitz eines firuchtbaren Saat-
gefildes Anderen zu dienen^) bilden den echten und rechten
Schluss des herodoteischen Geschichtswerkes. Die Muthmassung,
der Halikamassier habe jemals eine Fortsetzung desselben bis
zur Zeit des peloponnesischen E^rieges herab, oder bis zu
Kimon's Tod, oder auch nur bis zur Schlacht am Eurymedon
geplant, ist nicht nur eine unerweisliche, es ist eine dem In-
halt der SchlusBcapitel; der Anlage des Werkes, der Neigung
und Begabung seines Urhebers gleich sehr widerstreitende
Annahme.
2.
Ueber das Werthferhältnlss der Handschriften, insbeson-
dere des Codex Yindobonensis^ des Sancroftianas und des
Yaticanns (123).
S[aum in Betreff eines anderen Schriftstellers des Alter-
thums schwankt das Urtheil über die handschriftliche
€h*undlage so sehr als bei Herodot. Fast jeder neue Heraus-
geber bringt hier eine besondere Ansicht zu Markte, wenn er
nicht gar (wie dies bei Heinrich Stein der Fall ist) im Laufe
der Jahre deren zwei, einander schnurstracks widersprechende
za Tage fördert. Wenn ich hier von Neuem auf diese Frage
eingehe, so geschieht dies nicht, weil ich das Urtheil^ das ich
vor bald einem Vierteljahrhundert geäussert habe (Zeitschr.
f. österr. Gymn., 1859, S. 811, Vgl. S. 824 ff.), irgendwie
150 Oorapers.
ZU modificiren mich yeranlaast sehe. Ich halte noch heute wie
ehemals daran fest, dass die durch den SancroftianuB ^ den
Vindobonensis, den Codex des Lorenzo Valla und (wie wir
seither durch Stein's Mittheilungen erfiübren haben) auch durch
den Vaticanus und Urbinas, gleichwie durch mehrere andere
von Abicht und Stein namhaft gemachte, aber bisher nicht
genauer bekannt gewordene Codices vertretene Handschnften*
classe die treuere Bewahrerin der Ueberliefernng ist — die
treuere insofern ^ als sie trotz zahlreicher Lücken und Buch-
stabenfehler, trotz des mehrfachen Eindringens von G-lossemen
in den Text und ungeachtet der bekannten Kürzungen im
ersten Buche doch im Grossen und Ganzen von willkürlichen
Eingriffen ungleich freier ist als die andere Familie. Ver-
dunkelt ward dieser Sachverhalt — für welchen es vorläufig
genügt, auf die classische Stelle V 91 (vgl. a. a. O. S. 826,
und Cobet in Variae lectiones, p. 419) zu verweisen — durch
den Umstand^ dass jene andere, vornehmlich durch den Me-
diceus^ den Florentinus oder Schellersheimianus und den Passio-
neus vertretene Familie in weitaus älteren und daher von
absichtslosen Irrungen freieren Elxemplaren vor uns liegt; und
weiters ward der also erzeugte falsche Eindruck noch durch
andere Thatsachen, von denen sogleich die Rede sein soll, er-
heblich verstärkt. Auf diese Fragen in ihrem vollen Umfange
einzugehen versage ich mir aus mehrfachen Gründen, haupt-
sächlich darum, weil Cobet kürzlich die Stein -Abicht'sche
These von der Superiorität der Handschriftenclasse , die ich
fortan die zweite nennen will, in umfassendster Weise zu
bekämpfen unternommen hat und weitere Erörterungen über
diesen Gegenstand in Aussicht stellt (Mnemos. N. S. X, p. 400
sqq.). * Gleichzeitig ist jedoch der holländische Kritiker in einen
Irrthum verfallen, den die unvollkommene Beschaffenheit des
Stein' sehen Apparates erzeugt hat und welchen ungesäumt zu
berichtigen ich mich berufen glaube. Er nennt den Vaticanus
123 (Stein's R) den ^besten und ältesten' Vertreter der von
ihm gleichwie von mir bevorzugten Handschriften -Familie
(^Optimum omnium et antiquius ceteris . . . exemplum', a. a. O.,
' Einen neuen Bandesgenosaen in diesem Streit vermag ich eben noch in
einer Correctar-Mote m begrüssen: M.Wehrmftnn, de herodotei codicis
romani auctorilate (Halle, Decemb. 1882).
Herodofteische Stadien I. 151
p. 405). Er folgt hierbei nicht nur der ausdrücklichen Be-
hauptung Steines (angefilhrt ebend. p. 403) ^ sondern er zieht
auch aus des Letzteren Einzelangaben dasjenige Facit^ welches
sich aus ihnen mit Noth wendigkeit ergeben musste. Allein
jene Behauptung ist falsch und diese Angaben sind
unvollständig. Was das Alter der Handschrift betrifft^ die
Stein selbst dem 14. Jahrhundert zuweist (p. XI), so sei zu-
nächst nur daran erinnert ^ dass die augenscheinUch und an-
erkanntermassen zu derselben Familie gehörige Wiener Hand-
schrift von demselben Stein gleichfalls dem 14. Jahrhundert
zugesprochen wird (p. XIV). Was aber die Güte des Codex
und seine Rangordnung innerhalb seiner Sippe anlangt , so
muss der Leser der Stein'schen Ausgabe dieselbe aus Angaben
erschUessen, deren Methode ich — trotz meines lebhaften
Wunsches, jeden ungerechten oder auch nur herben Ausdruck
zu vermeiden — nicht anders als ungeheuerHch nennen kann.
Es wird nämüch B an geradezu zahllosen Stellen als die
alleinige Quelle von Varianten genannt; die sich völlig identisch
auch im Sancroftianus und Vindobonensis (in beiden oder in
einem derselben) und fast sicherUch auch in andern Vertretern
derselben Classe vorfinden. Und nicht nur indirect wird hie-
dnrch der falsche Eindruck von der ausserordenthchen Superio-
ritftt der vaticanischen Handschrift erzeugt, der Cobet zu dem
Ausspruch verleitete, ,alle anderen Handschriften' (d. h. sämmt-
liche Herodot-Codices ausser Stein's A, B als Vertreter der
einen und R als Repräsentant der andern Classe) seien werth
ins Feuer geworfen zu werden, (a. a. O., p. 400) ; auch ganz
unmittelbar, nicht mehr durch blosses Stillschweigen über die
gleichartigen Lesarten der verwandten Handschriften, sondern
durch ein ausdrückliches ,ceteri' oder »reliqui' wird die Aus-
schliesslichkeit jener Lesungen geradezu versichert ! Ich schlage
fast aufs Gerathewohl ein Blatt der Stein'schen Ausgabe auf
(I 250 — 251) und merke von falschen Angaben der zweiten Art
(denn jene der ersten ELategorie aufzählen wollen, hiesse so
ziemlich jede zweite oder dritte Variante berichtigen) die fol-
genden an: Zu II, 174, 4 bemerkt Stein : ,nM iQXtoxeio Valcke-
naer: xoraXtaxeTo R, xanfjXioxsxo ceteri*. In Wahrheit findet sich
x<xxaXiax£To auch in S(ancroftianus) und V(indobonensis) ! — Zu
175, 6; ,xat dxOojuvov R: xotaxWiAevo; z, xoroxööiAevov ceteri^
1Ö2 Gomperz.
R'ß Lesart wird ebenso von SV dargeboten! — Zu 177, 24:
,ie Rz: "^hk F, hk reliqui'. Mit Rz stimmt auch diesmal SV
vollständig überein. — Ich suche nach Argumenten, welche
irgendwie zur Erklärung oder Entschuldigung dieses monströsen
Verfahrens dienen können, und ich glaube deren zwei zu ent-
decken. Einmal dürfte Herr Stein uns erwidern , dass er ja
selbst (Praef. p. XIV) den Leser darauf vorbereitet habe, die
Varianten der geringeren Handschriften (oder jener, die er ab
solche ansieht) nur gelegentlich und aushilfsweise erwähnt zu
finden. Uns erscheint solch' ein Voi^ang überhaupt als unstatt-
haft^ denn Mittheilungen von so sporadischer Art, dass sie uns
keinerlei Einblick in die ,indoles' einer Handschrift eröffnen,
sind schlimmer als nutzlos ; F. A. Wolfs Wort von den ,surda
oracula nisi constanter consulentibus' darf wohl noch nicht als
veraltet gelten. Doch man denke darüber, wie man wolle ; ^
eine Lesart nicht erwähnen und ihre Existenz leugnen ist jeden-
falls zweierlei; das letztere thut jedoch unser Herausgeber
durch sein ,ceteri^ und ,reliqui', und er erzeugt dadurch einen
Schein, der von der Wahrheit so weit als irgend möglich ab-
liegt. Zweitens jedoch mag Herr Stein uns vielleicht erwidern,
dass er unter R nicht immer blos die eine Handschrift, son-
dern mitunter auch den angeblichen Corrector verstehe, der
nach seiner Meinung in dem Stammcodex jener ganzen Classe
gewaltet habe. Etwas Derartiges scheint wenigstens aus zwei
Stellen seiner Vorrede hervorzugehen (p. XXVH) : ,nam praeter
correctorem extitit alter quidam, quem dico R^, desgleichen
(p. XXVni): ,hoc vero dubium admodum, ab eodem illo qui
correxit, quem R appello, etiam decurtationem coeptam an
ab alio aliquo credamus^ Sollten wir mit dieser Erklärung des
sonst Unerklärlichen seine Meinung getroffen haben, so bedarf
es kaum wieder der ausdrücklichen Bemerkung, dass auch
dieses Verfahren ein völlig unzulässiges ist. Denn nach dem
,index codicum' (p. LXXVI) bedeutet die Sigle R so viel als
Vaticanus; und hiesse es nicht wie absichtlich Verwirrung
stiften und fortpflanzen, wenn man den ungewamten Leser
durch den doppelsinnigen Gebrauch eines und desselben Aub-
' Galt es an Raum zu sparen, so war es doch nicht allzu schwierig, die Les-
arten, welche alle oder die meisten Handschriften derselben Familie geroein-
sam darbieten, durch eine besondere Sigle als solche kenntlich zu machen.
Herodoteische Studien I. 153
dmcks (und nun gar eines zum Behufe der Orientirung er-
sonnenen Zeichens!) wiUkürlich irreführte? und femer: seit
wann gilt denn der kritische Apparat als eine Stätte^ an der
man constructiven Gebilden gleich jenem vermeintlichen Cor-
rector und seinen muthmassUchen Leistungen Aufnahme ge-
währen darfy anstatt dem Leser den objectiven Thatbestand treu,
nackt und scharf vor Augen zu stellen? So vermag ich denn
trotz redlichsten Bemühens keine irgend stichhältige Recht-
fertigung für ein Verfahren ausfindig zu machen, welches in der
philologischen Literatur ebenso vereinzelt dasteht, wie es Herrn
Stein eigenthümlich ist. Hat doch eine ganz gleichartige Pro-
Cedur schon vorlängst (es galt die zweite Auflage der commen-
tirten Herodot- Ausgabe) Herrn Abicht bittere Klagen entlockt. *
Die zu erwartenden Folgen sind nicht ausgeblieben. Herr
Cobet vor Allem — in dessen Arbeitsgewohnheiten es liegt,
meist nur eine Ausgabe eines Autors zur Hand zu nehmen
— ist durch Stein's unzulängliche Angaben getäuscht worden.
Sein Urtheil über den Werth jener vaticanischen Handschrift
entbehrt mithin jedes sicheren Fundamentes. Die Frage nach
der Rangstellung von R innerhalb seiner Sippe bedarf einer
neuen Erörterung. Wir erweitem dieselbe zu der Frage nach
dem WerthverhältnisS; in welchem S, V und R zu einander
stehen, indem wir von den übrigen Vertretern derselben Classe,
über welche uns jede sichere Kunde fehlt, nothgedrungen ab-
sehen müssen, darunter leider auch von dem sogenannten Codex
Mureti, welcher nach Abicht's Mitdieilung und Fascimile (a. a. O.,
p. 36 — 37) der weitaus älteste Sprössling dieses Geschlechtes
ist. Allein auch innerhalb dieser unvermeidlichen Beschrän-
kung dürfte die Untersuchung, die wir mit aller nur irgend
erreichbaren Kürze ftlhren wollen, eine für die Hauptfragen
der herodoteischen Textkritik keineswegs ergebnisslose sein.
Die Güte einer Handschrift bedeutet zweierlei : ihre
relative Fehlerlosigkeit und die relative Naivetät oder Absichts-
losigkeit der ihr anhaftenden Fehler. In ersterem Betrachte
gilt es zunächst jene Fälle ins Auge zu fassen, in welchen
' ,Deinde vero etiam Steiniam iragari patet, in adnotatiooe critica haud
raro scribentem „die Handflchriften ausser T" [so hie« die damals bevor-
zugte Handschrift], id quod fere nbivis fictnm atque commentieium est'
(De codicum Herodoti fide atque auctoritate, p. 36).
154 0omp«rz.
Cobet ganz ausdrücklich von den ^antiquae et verae lectioneB
ab Herodoti manu profectae^ spricht^ welche ,in solo Vaticano
codice' erhalten seien (p. 409). In dem ersten derselben
(IV, 3; wofür es irrthümlich III, 1 heisst) ist der hoUändische
Kritiker selbst von dem Vorwurf der Flüchtigkeit ^ nicht 6rdi-
zusprechen; denn hier hatte Stein^ sicherlich richtig; angegeben,
dass die — von ihm freilich erstaunlicher Weise verschmfthte,
aber schon Yon Oaisford^ Bekker u. s. w. aufgenommene und
natürlich allein wahre — Schreibung itcexptd^ni (statt erpofv))
sich im Vaticanus (und^ wie Graisford lehrt^ im Sancroftianus,
desgleichen, wie ich aus Autopsie versichern kann, auch im
Vindobonensis) nur in leichter Entstellung (als iiceotpi^v)) er-
halten hat. Hier ist also der Vaticanus nicht nur nicht der
einzige, sondern überhaupt kein Bewahrer des Ursprünglichen!
Im zweiten Falle: VI, 128, wo die gute, bereits von Schäfer
und Krüger in den Text gesetzte Lesart ouvsttoi dem PassioneoB
(Stein's B) entnommen war (in welchem dieselbe nach des
Genannten Angabe jedoch nur von zweiter Hand und nicht
ohne die leise Trübung zu ouvsroi vorfindlich sein soll), ist, wie
ich wieder vorbürgen kann, neben dem Vaticanus gleichfaUs
der Vindobonensis Zeuge der echten Ueberlieferung. — Die
dritte Instanz ist VH, 21, wo ebenfalls nicht nur ,optime romanus
Über omittit tai et v. et xpoff in xpocY^vötuvote',* sondern S, V
und zum Theil auch andere Handschriften in diesen Auslas-
sungen (gleichwie in der fehlerhaften Ersetzung von al durch ou)
mit demselben übereinstimmen. Und in der That ist die Stelle —
bis auf die von Cobet mit Recht vorgeschlagene Tilgung von
oux vor <£^iat — genau so, wie er sie schreiben will, bereits bei
Bekker zu lesen^ der von jenem Vaticanus niemals etwas
I Einer Uebereilung bat sich wohl Cobet auch dort schuldig gemacht, wo
er R's (und SV 's) Lilcke in VI, 105 durch den Verlust eines Blattes (unum
folium periit) im Stammcodex erklären will. Dann müssten I, 77 — 79,
wo die drei Handschriften gleichfalls eine gemeinsame, und zwar genau
doppolt so grosse Lücke aufweisen (31*— 82 Zeilen der Stein^aohen
Ausgabe neben 16—16 im ersten Fall), zwei Blätter verloren gegaagen
sein. Ungleich wahrscheinlicher ist es, dass die VI, 105 fehlenden
40 Zeilea (an 16 — 18 Buchstaben, wie Cobet gans richtig ermittelt hat)
eine Seite und diel, 77—79 verlorenen SO Zeilen einBlalt, noch wahr-
scheinlicher, dass die ersteren eine, die le^teren swei Colamnen (oder
eine Seite) ausgemacht haben.
HerodotoiMhe Stadien I. 155
vernommen hatte: ourai at icaoat ov»8' ixepctt xpb^ TOBurgat f^K^vai
oxponiQXaaiat [ur^q Tilade o!m d|cau < — Endlich^ viertenB, in dem
Satze (IX^ 39): ol n^jpg« dupetSdb^.i^^veuov, [oü] feiB6|i£yoc oQte
u9co2;uY(o^ oUevb^ oure avOpcSncou konnte man das überschüssige «ou
lAngst nach ß al/ (so Gaisford, desgleichen fehlt es ^^ V)
tilgen, und es bedurfte auch hier nicht des neuen Lichtes, das
angeblich vom Vatioanus ausgegangen ist. (Wohl aber hat
Cobet das Verdienst, diese Besserung, die auch ich vor Jahr-
zehnten in meinem Handexemplar angemerkt hatte, zuerst
ausgesprochen und ab zweifellos richtig erwiesen zu haben.)
In Betreff all' der anderen so überaus z^üreiohen Varianten,
die Cobet zwar keineswegs insgesammt B allein beimisst,
von denen er aber doch annehmen muss, dass ein grosser
Theil nur dieser Handschrift eigen sei, da ja sonst sein Urtheil
(,optimus omnium et idem pessimus testis^ etc. 404 — 405)
ganz und gar in der Luft schweben würde, — in Bücksicht
all' dieser Lesarten, Lücken, Zusätze u. s. w. können wir uns
weit kürzer fassen. Sie sind, von ein paar nichtssagenden
Buchstabenfehlem (wie e§c(iiv£To, (A^Xeva oder Tcpoorr^eev) und
von mehreren durch Homoioteleuton entstandenen Lücken ab-
gesehen, durchwegs B mit SV, oder doch mit einem von beiden
oder auch mit anderen Handschriften gemein. Und obgleich
diese nicht von uns gewählten Stichproben genügen dürften,
ao will ich doch noch die Erklärung beifügen^ daSs B meines
Wissens überhaupt keine nennenswerthen , im guten oder ita
schlimmen Sinne charakteristischen Varianten darbietet, die ihm
allein eigenthümlieh sind. Besteht nun keinerlei tief greifende
Verschiedenheit zwischen den Bepräsentanten dieser Hand-
schriften-Familie? Gilt es gleich viel, welchen Sprossen der-
selben man — falls wir nicht aUe gleichmässig berücksichtigen
woUen oder können — zu ihrem typischen Vertreter erhebt?
Ich antworte: Ganz und gar nicht; es war vielmehr ein fUr
den 'Fortschritt der Herodot-Eritik geradezu verhängnissvoller
Umstand, dass der am frühesten und bis vor Kurzem alldn
' Beiläufig bemerkt, in dem analogen Fall IV, 28: i^j[a{ovoi 8k ouSe ovoi [oOx]
av^)^ovTat eip)(^ijv, war das oOx, welches Stein wieder in den Text gesetzt
hat nnd Cobet mit Tollstem Recht von Neuem tilgen will, bereits in der
Aldina (Gaiaford nennt es die Vnlgat-Lesart) nnd desgleichen von Bekker
beseitigt worden.
156 Oompers.
genau gekannte Repräsentant dieser Classe einer ihrer schleck-
testen, wenn nicht gar ihr schlechtester Ableger ist — der
SancroftianuB, eine Handschrift, welche gar oft die Spuren
einer. Willkür zeigt, die anderen Gliedern desselben Ge-
schlechtes fremd gebliebeuMSt und mithin nicht der Familie
als solcher und ihrem Stammvater zur Last fällt. Der Schreiber
dieses Codex oder seiner unmittelbaren Vorlage — und damit
wenden wir uns zum zweiten Theile unserer Betrachtung —
hat nicht selten zufällig entstandene Lücken ausgefüllt oder
verkleistert, Glosseme und das Glossirte mit einander ver-
schmolzen , Textesschäden übertüncht und dadurch bis ins
Ungeheuerliche vergrössert — kurz, er hat mehr als einmal den
Pfad verschüttet, der zur Urgestalt des Textes zurückfuhren
konnte. Ihm gegenüber sind der Vindobonensis und Vaticanus
die ungleich treueren und naiveren Bewahrer der Ueberiieferung,
und Stein hat sich durch die Mittheilung der Lesarten des
ersteren ebenso sehr ein Verdienst erworben, wie er (wenngleich
in entschuldbarer Weise, da er einmal über die Bedeutung der
ganzen Classe eine falsche Ansicht gewonnen hatte) darin ge-
fehlt hat, dass er sich mit der unglaublich unzulänglichen Col-
lation des Wiener Codex zufrieden gab, welche ein Unbekannter
vor mehr als einem Jahrhundert fbr Wesseling angefertigt hat
(vgl. Schweighäuser's Ausgabe I, 2, XHI). Und fragen wir
endUch nach dem. WerthverhältniBS von V zu R, so muss die
Antwort also lauten: V ist der naivere und unbefangenere, mithin
der verlässlichere und werthvoUere der beiden Zeugen. Alle
diese Behauptungen wollen wir nunmehr durch eine Beihe von
nicht sowohl zahlreichen, als zugleich typischen und durch
sich selbst einleuchtenden Belegen zu erhärten suchen:
1. Willkürliche Verschmelzung eines Glossems mit dem
Text: In den Worten %a\ 713^ l|A^p<i), wpooxti^aoOai wpb^ tijv £<iiutou
jfcoipav ßoüX6|jL6vo^ (I, 73, 5 — 6) war IfJLipu» durch ^iR6u[i,dv erklärt
worden. Die Randglosse ist im Stammcodex der Classe in
den Text gedrungen und hatte die leichte Verderbniss von
•pj? zu "rtv ("pjv dx(^{jLüiv l(Aep<i> VR) veranlasst. In S jedoch
liest man "piv Ii7i0u{jl(i)v ^[jiepov!
2. Verkleisterung einer Lücke in S: IQ, 148 fin. hatte
eine durch Homoioteleuton entstandene Lücke den Abschluss
eines Satzes und den Beginn eines andern verschlungen. R und
Herodoteitebe Studien I. 157
V zeigen .die Lücke nackt, während S den Abgang (wie man
bei Gaisford nachlesen mag) aus eigenen Mitteln zu decken
bestrebt ist. Dasselbe geschieht
3. ein anderes Mal IV, 183, 2—3. Hier waren in der
S und V gemeinsamen Mutter-Handschrift die Worte zwischen
AtObira^ und AiO^orceg ausgefallen. V bietet vollkommen treu und
vollkommen sinnlos: AlOCoica^. ic6dag xixjdaxoi^ S hingegen mit
dreister Interpolation: ASOCotc«^ ftvzo^süoitsi, of ic6Sa^ T^xt^^t — •
4. Willkürliche Fortbildung eines geringen Buchstaben-
fehlers: I, 111, 15 ist i(i)6(ix; in B zu ecopO^»^, in V zu sjtapbS^
(sie) geworden, in S hingegen zu 6p0ü»^I — Ebenso erscheint
5. pi6Ts{6iQ I, 114, 24 (das auch im Florentinus zu (AenfOri
verschrieben und nur nachträglich berichtigt ward) in V als
(xrr^Or), in B als iiAereCx^, in S dagegen ist das Wort, offenbar
mit Bttcksicht auf das fast unmittelbar vorangehende (Aaffrqfifov^
zu iiAooiCx^ verschlimmbessert worden, desgleichen wurden
6. die Worte iq ^&tai«9 Ipr/ovzoa. (H, 106, 11) leicht ent-
stellt (zu &; 9c2mat dcv^px^vtai in B, zu iq ^xai av^ovroee in V),
in S aber ward daraus: if & xal dvip^ovrat. Nicht viel anders ist
7. eWs «Y^^ (in> 6^; 3) in VB zu ekdr^m verschrieben, in
S jedoch, wo man augenscheinlich das nunmehr fehlende Ver-
bum zu ersetzen trachtete, weiter zu etai^et verderbt worden;
gerade so wie
8. x<i^<: (n, 154, 10) in all' den drei Hiandschriften zu
Xp^vou^ entstellt, nur in S aber das unmittelbar folgende xp^^v
nun auch (wie zum Ersatz) in x(a^ geändert ward.
Sind so die I^lle überaus zahlreich, in welchen V und B
die erste Stufe der Verderbniss darstellen, während die
Corruptel in S mit unheilvollem Scharfsinn weiter und weiter
fortgebildet ward, so kenne ich wenigstens keinen Fall, wo sich
von V Aehnliches behaupten liesse. Freilich steht auch dieser
Codex gelegentlich gegen B zurück — so durch Ausfall eines
Wortes, welches in der Mutter-Handschrift von SV ausgelassen
ward (wie 3^ov nach ouSiv DI, 65, 6, das in S durch Jjooov er-
setzt ward, in V hingegen unersetzt blieb), oder durch Weg-
lassung von ein paar Buchstaben (wie denn HI, 63, 10 eiceSifAevov
in B zu c?C(^(uvov, in V zu eicc^ov zusammenschwand, während in
S der Text bis zur Unkenntlichkeit entstellt ward). In diesen
und ähnlichen Fällen ist jedoch in V keine Spur von Willkür
158 Oomperi.
oder mala fides zu erkennen; hingegen fehlt es nicht an Bei«
spielen, in welchen V allein einen Textesschaden in seiner
primitivsten Gestalt darbietet , B und S jedoch (in gleicher
oder auch in verschiedener Weise) das Bestreben verrathen,
den Fehler in gleissnerischer Weise zu verdecken. Zwei In>
stanzen mögen vorläufig genügen:
m, 4; 19 sind die Worte oicoarsfXac tpcifpeV xax" aüt^v in B
und S 35U dhcooxaCXoe; xptifpsV ei^ taut6v verderbt woirden. Nur in
V kann man den Ursprung des Fehlers gleichsam mit B&nden
greifen. Im Stammcodex der Classe war €IC Über KAT als
Erklärung beigeschrieben worden, und V zeigt uns mit einer
wahrhaft rührenden Naivetät das Glossem, wie es sich mitten
in den Text hineinschiebt — ohne den leisesten Versuch einer
Vertuschung oder Verhüllung — : tpiiipetxa (sie) ri^ xacM^.
n, 117, 8—9 waren im Stammcodex ein oder zwei Striche
unkenntlich geworden und somit lesen wir statt obap C|i.xpocOey
(ecdOeaov y(fi&(j^) in V: ol Tip^ai xp6o6cv (aus Oin€P6M ward
OinePCAl), in B jedoch nur mehr olicsp irp6o0evy in S endlich
gar blos ol icpioOev — ein Textesschwund, von dem aus es
ohne fremde Hilfe unmöglich gewesen wäre das Ursprüngliche
jemals wieder zu gewinnen.
Ich v^zichte darauf, an dieser Stelle auch solche Fälle
namhaft zu machen, in denen die Lesart von V allein auf
die richtige Fährte und zur Verbesserung des noch immer
verdorbenen Textes AÜiren kann; denn damit müsste ich einen
Boden betreten, auf welchem Meinungsverschiedenheiten zum
Mindesten möglich wären. Ich fasse vielmehr die Engebnisse dieser
Erörterung wie folgt zusammen: Um die Lesarten der besseren
Handschrifien-Classe in jedem einzelnen Falle mit voUer Sicher-
heit beurtheilen zu können, ist es unbedingt nothwendig, den
Archetypus derselben zu k*econstmiren. Die bisher erreichbare
Annäherung an dieses Ziel ist genügend um uns die Grundlosig-
keit weitaus der meisten Anklagen erkennen zu lassen, welche
vordem (insbesondere von Abicht) gegen die Handschriften-Familie
als solche erhoben wurden und die in Wahrheit (insofern es sich
dabei nicht um naive und zufällige Irrungen handelt) zumeist
nur einen ihrbr werthlosesten Abkömmlinge tre£Pen.^ B ist einer
> Wie miflslich die La^ Derjenigen geworden ist, welche die Superiorit&t
der ersten Handnchriften-Classe noch immer hartnäckig bestreiten, kann
Herodoteitehe Stadien I. 159
der besseren Vertreter der ersten Handschriften-ClasBe^ aber
keineswegs ein so ^guter^ dass seine Kenntniss die Vertrautheit
mit den übrigen Sprossen der Sippe überflüssig machte. Höher
steht durch unbefangene Treue V^ dessen Lesarten bislang von
den Herausgebern so gut als gar nicht berücksichtigt wurden.
Noch höher mögen andere ELandschriften stehen, von denen
wir zur Zeit kaum mehr als die Namen kennen. Ehe von
einer wahrhaft kritischen Ausgabe Herodot's die Rede sein
kann, müssen alle Repräsentanten der ersten Handschriften-
Classe vollständig ausgebeutet und verwerthet werden. Stein's
einseitige Bevorzugung von R war ebenso grundlos, als sein
systeuMitisches Stills<Aiweigen über die Mehrzahl der Lesungen
auch jener Codices, welche er genauer gekannt und gelegent-
lich benützt hat, seine Nachfolger (wie Cobet's Beispiel lehrt)
irrezuführen geeignet war.
3.
Zar Kritik und Erklärung.
Erstes Buch.
I, 2, 21 hatte Stein früher mitGaisford, Bekker, Krüger
die Lesart von V und S pr. m. tbv RoX^ov statt tov. R6Xxci>v
ßa^iX^a, wie es sich gebührte^ in den Text aufgenommen und
durch die Verweisung auf vieles Aehnliche bei Herodot (wie
uns Stein*8 Beispiel leluren. Derselbe sieht sich zu Concessionen ge-
nOthigt, die seine Stellung vollständig unterhöhlen, ohne doch den An-
griff KU entwaffnen. Er muss — um unabweisbaren Thatsachen auch nur
einigermassen gerecht zu werden — das Walten eines Correctors an-
nehmmi, welcher in vielen und bedeutsamen FftUen das Richtige ex
ingenio gefunden und der sogar (ein im Alterthum und Mittelalter uner-
hörter Fall t) die Zeugnisse späterer Schriftsteller methodisch verwerthet
hat — und zugleich soll doch dieser eminente Kritiker den Text vielfach
muthwillig bis ins Sinnlose entstellt haben I Und trotz dieser weittra-
genden und widerspruchsvollen Zugeständnisse sieht sich Herr Stein
mehr als eininal vor die Alternative gestellt, entweder seine Theorie
fiber Bord zu werfen oder (und dies ist es, was er meistentheils vorzieht)
sonnenklare, von den stimmfähigsten Beurtheilem längst gutgeheissene
Verbesserungen (so zu IV, 73, 14—16 oder zu V, 91, 9—10) wieder aus
dem Text zu treiben und durch die sinn* und sprachwidrige Vnlgata zu
ersetzen (vgl. Cobet*s mehrfach angefahrten Aufsatz).
160 Oompers.
0 iVu86<,TcdTup{(i>,T£>'Apaßu()yiII^poY]^u. s. w.) ausreichend begründet.
In seiner grossen Ausgabe ist er jedoch zur Lesart der Vulgata
zurückgekehrt und findet jene Variante nicht einmal mehr
einer Erwähnung werth! — Ich verzeichne diese charakteri-
stische Thatsache, um an sie die Bemerkung zu knUpfen^
dass ich mit derartigen Rttckbesserungen mich im Folgenden
zu befassen nicht beabsichtige. Auch zahllose andere Verbesse-
rungen^ welche Niemand Terfehlen kann, der über das Werthver-
hftltniss der Handschriften eine richtige Ansicht gewonnen hat,
können füglich einem künftigen Herausgeber überiassen bleiben.
Der Schluss von Cap. 5, der so viele Irrungen erzeugt
hat, ist augenscheinlich also zu verstehen: ^da sie (lo) sich
aber schwanger fUhlte und die Eltern scheute, da sei sie frei-
willig, damit es nicht ruchbar werde, mit den Phönikem davon
gefahren^ Die — schon bei Gaisford und Bekker mit Recht
in Beistriche eingeschlossenen — Worte ai3eo(4ivv) Touq toxio^
können nur die Empfindung bezeichnen, welche die Wahr-
nehmung ihres Zustandes begleitet; denn unmöglich ist es, vor
otrno S^ den Nachsatz beginnen zu. lassen, auch dann unmöglich,
wenn man mit Herold und Krüger aiSeopi^ni] in at3eo(iiviQv ver-
ändert. Ein Uebriges in sinnwidriger Uebertragung der Worte
thut übrigens Stein: ,und wie sie ihre Schwangerschaft gemerkt,
sei sie aus Scheu vor ihren Eltern und aus eigenem Willen'
(als ob dies zwei Motive wären) u. s. w. — Doch auch
solche Uebersetzungs- und Interpunctionsfehler gedenke ich
nur ganz ausnahmsweise zu berühren.
Eine grobe Interpolation in Cap. 18 scheint bisher nicht
bemerkt worden zu sein: ta jxiv vüv l^ Its« twv evSex« SaJuocmQ^
h "ApSuo^ ext AuS(i5v v^XS [^ ^^ eaßaXXu>v TiQVtxaGTa iq ttiV McXiqoCvjv
T^y OTpaTiifv- ZaSuflcm;^ outo^ y^P ^' ^ ^^ i:6Xs(ibov ^ auvdK|ia<] > T3t
ik TC^VTS Töv etifov [xät licdpieva roiat l^] 'AXüarcY)? 6 SaSuinew iicoXi-
(jiee xtI. Verrätherisch ist hier die unangemessene Anwendung
der Zeitpartikel irjvtxauTor, die aus Cap. 17 (Sxu>{ |ji^v tXr^ ev tfj
Y^ xapicb; aSp6;, ngvoutuia £9^ßaXXe t^v axpacivfy*) gedankenlos herüber-
genommen ist, und der einmal rege gewordene Verdacht darf
wohl * an der Überdeutlichen Breite der völlig entbehrlichen
•I
1 Die \yort6 SaSuatti)( — auva*|ftc wollte aucb Gobet tilgen; b. Bfthr^B He-
rodot ed. alt. I, p. X* Vgl. auch Excars 11 unserer e weiten Abhandlung.
Herodoteitehe Stndien I. 161
Zusätze, sowie an der schwankenden Ueberliefening eines Theils
der Worte neue Nahrung finden, sowie schliesslich und vor-
nehmlich daran, dass jene Rückbeziehung eine unrichtige ist,
da an der soeben angeführten Stelle nicht von dem Vater,
sondern von dem Sohne die Rede isL^
Der Weg, der zur Herstellung von 27, 8 — 10 führt, ist
schon mehrmals betreten, aber nicht bis zu seinem Ziele ver-
folgt worden. Schneidewin (Philolog. X, 330) und nach ihm Cobet
(Var. lect. 413) haben erkannt, dass die in mehreren Hand-
schriften vorfindliche Lesart opäoOat das Ursprüngliche und
e5xeo62( ein fremder Zusatz ist. Allein weder konnten sie es
wahrscheinlich machen, dass das von dem angeblichen ,Glossem
euxeo6ai^ verdrängte apaa6ai nun auch ,an verkehrte Stelle ge-
rathen' sei, noch vermochten sie femer die Ersetzung des In-
finitivs durch das Particip (apo)[Aevoe) zu erklären, noch endlich
that ihre Herstellung dem Ohr (und bei einem so rhythmischen
Schriftsteller, wie Herodot es ist, darf man auch daran erinnern)
ein volles Genüge. Der Qeschichtschreiber schrieb weder:
VT^ouitta^ ^k Tt Soxeetq euxea6ai äXXo "ij, eic€txe tdc^njLTva ei:6dovT6 ae
(liXXovTa &A a^iai vauirv]Y^eo6ai v^ou;, XaßeTv ^(Ofjisvoi AuSoü^ sv 6a«
Xocor, — ; (Stein mit der Vulg.)
noch auch: w)9(a>Ta^ 8e ti Boxiec^ dipäo6at aXXo i| — Xaßeiv
Ai>3ou{ ev 6aXie9V) — ; (Schneidewin, Cobet)
sondern: vri^uota^ ^kxi doxeet^ oXXo 9^ — Xaßstv dipaoOai Au3ob^
iv OaXaaov) — ;
Zur elliptischen Ausdrucksweise — welche die Wirmisse
der üeberlieferung vollständig erklärt ^ — vei^leiche man bei
> Vielleicht vermiaste der Interpolator eben eine Angabe über die Methode
der Kriegführung des Sadyattes gegen Milet und wollte diesem Mangel
durch den Zusatz abhelfen: ,auch dieser hat gleichfalls in der tlber
Alyattes berichteten Weise Krieg gefQhrtS was nur zu sehr undeutlichem
Ausdruck gelangt ist.
^ Die Verkennung der Ellipse hat nämlich die Einschiebung des Infinitivs
eC/EsOat und diese die Ersetzung des nach und neben et>;^Ea6at unmöglich
erscheinenden apSaOai durch apcufAEvot zur Folge gehabt. Der glückliche
Zufall, welcher die Lesart apaoOai in einigen Handschriften erhalten hat
(im cod. Bemiger. und in den Parisini c und a, in letzterem neben der
Marginalvariante apto^uvot, nach Wesseling, Schweighäuser und Gaisford ;
nur im Paris, a und im Florent. von zweiter Hand nach Stein), eröffnet
uns den sicheren Einblick in einen Process, den sonst kein menschlicher
Seharfeinn aufzudecken vermocht hätte.
SitsongtUr. d. phU.-hist. Cl. Cm. Bd. I. Hft. 11
163 Gomp«r«.
Herodot selbst II, 14, 2 — 3: oXXo tt f) ot toOttt) oixeovre; Aituxciwv
icer/ijcoüoi — ; und VII 168, 11 — 13: ij^ ykp ^^aXfj, a^sT? y* o'J^sv
oXXo i) BouXsuwjffi xYj Tzpihrri twv tjfAepifov (ferner viel Derai*tiges bei
Krüger 62, 3, 5 und 7 oder auch Xenoph. Anab. V, 7, 26: rat
TouTou<; V, SoxsTts; oder Plato Meno 80 A: ott ob oüSev aX>»o i) outp^
TS axopeT^ x.ts.).
lieber Solons Gespräch mit Krösus, dessen legendenhafter
Charakter in alter wie in neuer Zeit vergeblich bestritten
worden ist, wäre in sachlicher wie in kritischer und sprach-
licher Rücksicht gar Vieles zu sagen; ich beschränke mich
auf wenige Bemerkungen. Den Widerspruch, der darin liegt,
dass die ,Lu8t die Welt zu sehen^ zuerst als Vorwand (xati
6e(i)p'!Y]; xpo^aotv, tva St) (xy^ xts. 29, 3) und gleich darauf als
ein realer Beweggrund (owTüiv 8y] wv tsutwv xat tij^ OecopiT]^ —
sTvexev 30, 7 — 8) bezeichnet wird, löst die folgende Erwägung.
Es war ein Theilmotiv, welches von Selon als alleiniger Beweg-
gi*und geltend gemacht wurde; insofern und im Gegensatz zu
dem gewichtigeren, aber unausgesprochenen Motiv, der Hintan-
haltung von Verfassungsänderungen zu Athen, durfte es ein
Vorwand heissen. Mit ähnlicher Ungenauigkeit drückt sich
einmal W. v. Humboldt aus (Briefwechsel mit Goethe, S. 257):
, — wo ich unter der Ursache und dem Verwände der
Geschäfte jede Gesellschaft mied'. — Eine crux interpretum
bilden seit jeher die Anfangsworte des Cap. 31: o); Se ta xora
Tov TeXXov TCpo6Tp€t|;aTO 6 ZoXcov tov KpoTdov eizaq roXXa te
xat 5Xß(a, eiueipcüta Tiva deurepov \ux^ exeTvov iBoi, Sox£U)v Tzirf/y
SöiTspeta 7<ov ofoec6at. Dass hier eine Textesstörung vorliegt,
dies lassen uns schon die ebenso gewagten als weit ausein-
ander gehenden Uebertragungsversuche der Uebersetzer, gleich-
wie die verzweifelten Auskunftsmittel der Erklärer erkennen.
In der That entziehen sich die Worte jedem sprachlichen
Verständnisse und jeder vernünftigen Auslegung. Denn weder
ist es erlaubt, mit Stein zu izpotzpi^oczo ein ,sc. etpu)Tav' hinzuzu-
denken oder besser zu dichten, noch konnte (wie schon Herold
dargethan hat) die Schilderung jenes schlichten BUrgerglücks
den stolzen König von Lydien ,immer begieriger* machen
weiter zu fragen (Lange), noch lässt sich Krtiger's Deutung:
,als Selon die Vorzüge des Teiles dem Krösus einleuchtend
gemacht hatte* mit den überlieferten Worten irgendwie in
Herodotoiiek« Bt^di«n I. 168
Einklang bringen; RawHnson endlich (;thas did Solon ad*
moniah Croeaus by the example of Tellua, enmnerating the'
manifold particulara of bis happiness; when he had ended^ etc.)
vermeidet zwar einige der Klippen^ an denen seine Vorgänger
gescheitert waren; ohne jedoch seinerseits in den sicheren Port
einer befriedigenden Uebertragung einzulaufen J
Ich verändere mit G. Herold (Jahrb. f. Philol. 1857, S. 424)
e?xa? in cTirai,* will aber keineswegs mit dem trefflichen Gelehrten
Solon und Krösus ihre Stellen vertauschen lassen, sondern den
Satz wie folgt verstanden wissen: ,Als nun Krösus nothge-
drungen das Loos des Tellos hoch und glücklich gepriesen
hatte, da* u. s. w. War es denn — so frage ich — denkbar,
dass ein Meister der Darstellung, wie Herodot es ist, uns von
der Art, wie Krösus die Mittheilung des Solon aufnimmt, kein
Sterbenswörtchen berichtet? Nahm der König dieselbe starr und
stumm wie ein Steinbild entgegen, ohne ein Wort der Zustim-
mung oder auch des Widerspruchs zu finden? Jedenfalls musste
ein guter Erzähler uns auch dies ausdrücklich sagen und durfte
es nicht blos zwischen den Zeilen lesen lassen. Wenn nun
aber (nach meiner Auffassung der Stelle) der steinreiche lydi-
sche Fürst das Loos des einfachen athenischen Bürgers mit
vollen Backen preist, halb aus HöfUchkeit gegen den gefeierten
Gastfreund, und zur grösseren Hälfte um fien Ausspender des
zweiten Glückspreises bei guter Laune zu erhalten (Soxeiov
'Kdy/y BsütepsTa ^wv orffeo6d«I) — wie heiter musste dies doch den
antiken Leser stinunen und mit welchem schmunzelnden Behagen
* RpoTp^rEaOat heisst nicht schlechtweg ,ermahnen' (und auch dieser Be-
griff würde dem Znsammenhang nicht wohl entsprechen, sondern besten-
falls jener des Belehrena), sondern ,antreiben, drängen, nOthigen', sei
es man, dass ein nachfolgender Infinitiv oder dasa ein Aecosativ mit
9Cpd( oder fr{ die erforderliche Oedankenergänzung bietet (vgl. Herold
a. a. O). — Auch EinEiv Ttva izoXXa ie xal oXßia kann nicht das bedeuten,
was Rawlinson es bedeuten lässt. Man vergleiche beispielsweise Sophocl.
Electr. 523: xaxro; hi az Xiyto^ frg. trag, adesp. 447: ouSei; Sv etnot xetvov
&vOpa>n(t>v xax£<, Chaeremo frg. 24: ov^ cu{ vofJi(CEic tb ^poveTv tlna^ naat&i
und daneben Aristoph. Eecles. 435: xht^ (ilv Yuvatxa« nokV ayaO« Xsyei, 0^
SijljcoXXa xaxa. Und hieran vermag das Hendiadjoin jcoXXat ie xai oXßt«
nichts zu lindem ; s. Krüger 69, 32, 3 und (worauf Stein verweist)
Herod. VIÜ, 61, 9—10; IX, 107, 15—16.
' Mehrfkche Beispiele derselben Buchstabenverwechsinng eben in den
Herodot-Handschriften habe ich Krit. Beiträge m, 14 snsammengesteUt.
11*
164 Oonperi.
mochte er aus dem nächsten Abschnitt ersehen, dass der Liebe
MtLhen umsonst gewesen, dass die dem griechischen Lebens-
ideal widerwillig dargebrachte Huldigung unbelohnt geblieben
war. — Der Wechsel des grammatischen Subjects kann ange-
sichts der weit grelleren Fälle, wie sie uns insbesondere 1, 33,
I, 114, 21—22, VI, 30 in., VH, 208, 18—19 aufstossen, ni^t
im Mindesten befremden. Die Phrase icoXXd te xat 5Xßta endlich
gewinnt einen eigenthümlich ironischen Beigeschmack, wenn
man sich der ganz anders gearteten, auf Fürstenmacht und
Herrseherglanz bezttgUchen Anwendung dieser Wortverbindung
erinnert, welche uns in der allbekannten Sardanapal-Orabschrift
begegnet (Choeril. Samii quae supers., ed. Näke, p. 196):
xepTv' iTCaOov, xa 8^ xoXXä xal 5Xßia icavia XeXsiTTcai.
Cap. 32, 12 erörtert Selon die Frage nach dem Werth
des Reichthums und gelangt hierbei zu folgendem Ergebniss:
Der Steinreiche, aber im Uebrigen vom Glücke nicht Begün-
stigte besitzt vor dem massig Bemittelten, aber sonst Glück-
lichen zwei, dieser aber vor jenem vielerlei Vorzüge. Die zwei
Vortheile des Ersteren bestehen in der Fähigkeit, einen schweren
Schicksalsschlag leichter zu ertragen und eine Begierde leichter
zu befriedigen. Die vielerlei Vorzüge des Letzteren aber setzen
sich aus all' den Segnungen zusammen, die das GUick seinen
Günstlingen gewährt und über welche der Besitz von Geld
und Gut keinerlei Macht verleiht. Dieser klare und so weit er
reicht, richtige Gedanke ist aber durch ein altes Missverständ-
niss, welches die Interpunction verderbt und die Einschaltung
der Adversativ-Partikel Be am unrechten Orte veranlasst hat,
bis zar Unkenntlichkeit entstellt worden. Man verstand und
versteht nämlich die Worte laOra Ik ilj euxuxiifj o\ dii:ep6xet dahin,
als ob der wenig begüterte eutu^i^c; auch von jederlei Schicksals-
schlag und vor jedem Verlangen bewahrt bliebe. Wäre aber
dies richtig, dann hätte ja der [Ur^a xXou^io^ dLvdXßeo^ li vor seinem
Widerpart nicht etwa ,nur zwei Vorzüge* (SuoTm «poexei —
[jLouvov), sondern überhaupt keinen voraus! Denn wenn dem A
ein Heilmittel gegen eine Krankheit eignet, B hingegen das
Heilmittel entbehrt, aber von der Krankheit ohnehin verschont
wird, wo bleibt dann A's Vorzag? Man übersetze die Stelle
H«rodotei86he Studien I. 165
(und schreibe die fraglichen Worte) vielmehr also: ,Der gewaltig
Beiche, aber im Uebrigen Unglückselige besitzt nur zwei
Vorzüge vor Jenem, welchem das Glück hold ist, dieser aber
Tor dem Reichen und Unglückseligen gar viele. Der Letztere
ist vermögender eine Begierde zu befriedigen und einen Schick-
salsschlag, der ihn trifft, zu ertragen ; Jener aber hat Folgendes
vor ihm voraus. Einen Schicksalsschlag freilich und eine Be*
gierde zu tragen ist er nicht gleich vermögend, allein vor dem
was ich nunmehr nennen will^ bewahrt ihn. sein günAtiges Ge*
schick: er ist frei von Gebrechen, von Siechlhum und von
Leiden — mit Kindern gesegnet und mit Schönheit (Taura 8s
IQ euTux^i] o\ oeTcepuxet' anjpo^ [bk] eori drvouffo^ dica6^ xoou5y, eCxat^
euetBif«;). Wenn er nun überdies noch sein Leben wohl be*
schliessen wird, dann hast du den Mann gefunden, den du
suchst;* er verdient es, glückselig zu heissen.' — Zweierlei, so
1 Die Worte oÜio; ixEtvo; r^v au (7)t^£i; bilden ein in sich ab^scMossenes
8atEgp1ied, indem die Copnla zn oüro; exetvo« (genan so wie zu oV cyeS,
t^S^ exeivo, 9u xeivo( u. dgl.) hhiaugedacht wird. Vgl.'AiiBt. Poet, c 4
(1448**, 16—17): — (MivOatveiv xat 9uXXof^ioO«t xl exavtov, oTov oti oIjtoc
exEivo{. Lucian. Somn. c. 11: — txoLvxoi tov 3:Xy]a{ov xivi)««; dsf^ei ve T<j>
SotxTuXo), ov>TO{ exeTvo; X^ycov. Derselb. Herodot. s. Aktion §.2: — Ed€{xvuto
Sv TW BaxTuXw* o^To; IxeTvo;, *Hpo5oToc eaiiv, 6 Ta$ p-ax^C ^'^^' Man sieht,
wie nnmotivirt Steines Bemerknng' ,ET:f ist von seinem Bezage gesperrt'
und wie grundlos seine angebliohe Beasemng o oXßto; statt oXßio; ist. —
«jn)po( (in den meisten und besten Handschriften zu ooKipoc rersohrieben
und von Heinsius wieder hergestellt) bezeichnet — gleich oX^xXijpo; —
den im Vollbesitz seiner Gliedmassen und im Vollgenuss seiner geistigen
und leiblichen Fähigkeiten befindlichen Menschen und ist somit das an
der Spitze dieser Anfs&hlung man mOchie sagen allein mögliche Wort,
das man sehr mit Unrecht um seiner Seltenheit willen angefochten hat.
anaO^( xaxuv muss man, damit es eine Species neben anderen Speciea
und nicht ein allumfassendes Genus bedeute, in eingeschränkterem Sinne
als z. B. n, 119, 13; V, 19, 2; VII, 184 in. oder bei Plato Phaedr. 250C
verstehen, wohl von Körperleiden (vgl. p, 384: iidcvriv üj 2Y]tf(pa xaytjv).
Der Widerspruch, der darin zu liegen scheint, dass der Eijiu)fi{( dennoch
von einer gelegentlichen atv) getroffen wird, ist mehr sprachlicher als
sachlicher Art. In Wahrheit vergleicht Herodot nicht sowohl den TsXouato^
mit dem euiu^iJ^, als den :cXo-jto; mit der zuxMyfJix. Dass die letztere in
keinem einzelnen Falle zu vollständiger Verwirklichung gelangt, dies
gesteht er ja alsbald selbst in der rückhaltlosesten Weise (ta Ka^xa (i.^v
vuv tauTa vuXXaßEtv av6po>7rov e^vt« «fiuvaT^v laxi)* Im höchsten
Grade ungereimt wHre es hingegen, dem eutu/tj; — wie die gegnerische
Auffassung dies erheischt — jede e;;iOu|jli* {abzusprechen« (Bereits Werfef
163 Oomperi.
scheint es, hat den uralten, schon in der AnfUhrung bei Stobäus
(Floril. 105, 63) erkennbaren Missverstand verschuldet: die
minder gewöhnliche, aber durch eine Fülle von Beispielen auch
bei Herodot gesicherte Verwendung von ,o3to;' mit Bezug auf
Folgendes (vgl. Stein zu I, 137), und die unerwartete Wen-
dung, mittelst welcher statt der Güter, deren der Glückliche
theilhaft wird, die Uebel genannt werden, vor welchen er
bewahrt bleibt, woran die zwei positiven Glücksfactoren , die
Solon namhaft macht, nicht ohne eine kleine Unregelmässig-
keit sich anschliessen.
Die ganze Stelle ist auch darum so interessant, weil sie
wohl die älteste Anwendung der von J. St. Mill so genannten
Di£Perenz-Methode auf moralische Gegenstände enthält. Herodot
inll die damals viel verhandelte Frage über den relativen Werth
der Lebensgüter (man vergleiche vor Allem die auffallend ähnliche
Erörterung bei Euripides ftg. 287) durch ein ideales Experi-
ment entscheiden. Auf der einen Seite steht der Reichthum,
zur höchsten Potenz erhoben und von seinen natürlichen Con-
Sequenzen begleitet, aber losgelöst von allen sonstigen Glücks-
gütern; auf der anderen Seite der Inbegriff der übrigen Glücks-
gaben : leibliche und geistige Integrität, Gesundheit^ Schönheit,
Kindersegen (nicht blos der quantitative) — und nun wird aus
dieser Gegenüberstellung die Bilanz gezogen. In methodischer
Beziehung mag man Piatos, freilich ungleich geist- und lebens-
volleres Experiment mit dem unsichtbar machenden Bing des
Gyges in der Republik vergleichen.
Die der irrigen Auffassung des Zusammenhanges entstam-
mende Einschiebung eines hi lässt sich in unserem Texte, falls
ich nicht irre, noch mehrmals nachweisen, am sichersten wohl
Vm, 137 : ^Jaov ^ap to itaXat x«t aü TupovvfSe^ twv avOptizwv «o6e-
v^e^ XP^Ixa«, Oü jxoövov b l9i\t.o^* ilj [^k] vuvtj toö ßaciXso? aux^i toi ama
9fi Jicsovs. Stein hat hier durch eine Umstellung helfen wollen,
welche eine der hervorstechendsten Eigenthümlichkeiten des
herodoteischen Sprachgebrauchs einfach wegwischt : die Voran-
stellung des begründenden Nebensatzes, gleichviel ob der Haupt-
satz mit einem xai, hi oder dXXol an das frühere angeknüpft
wollte, wie seine Andeutung Acta monac. I, 98—99 lehrt, xaSt« auf
das folgende beziehen; doch hat er diese Auffassung weder begründet
noch in ihre Consequenzen verfolgt.)
Herodoteische Stadien I. 167
wird, oder ob, wie an unserer Stelle, jede solche Verbindung
mangelt (vgl. Valckenaer ad loc). Beispiele des letzteren und
selteneren Falles bieten IV, 162, 2: toöro lici wovtt -yitp T(p 8t86-
fisvw IXsY«, TeXsütaTov o\ e^dTcejA^e Scopov xxi oder VIII, 94, 24:
TOUTa XeYÖvTidv dxtorseiv -y^p fbv 'A^effJtovTov, aih'.^ TölSe Xs^eiv xtI. * —
Missverstanden ward m. E. diese Construction, ohne dass jedoch
mehr als die Interpunction darunter gelitten hätte, auch I, 112,
17 ff., wo ich die Sätze wie folgt zu verbinden empfehle: iiceX
TOivuv oh $uva{Aai ae Tcei'Osiv (jly] exOetvat, ob ^k (oSe 'tuoitjocv* ei 3^ irdcaa
Y« (ys Oaisf. , Bekk. mit den besten Handschriften) ovöIyxij
i^^vat dxxcCfAevoVj^ xitoxa ^ap xat eyci), tsTOxa 5e xeOveöq, Toiho jx^v
tp^f<i)(JL£V.
I, 38 spricht Krösus zu Atys: et? ^ötp |xot jjioövo? w^xaveic
e«i)v Tcot;' TOV yatp Byj Itepov Sie^öapjjisvov t^v dcxo^v oux eTva( (AOt
XoYtCopwt. Es ist traurig, dass man wieder die Feder ergreifen
muss, um die von Reiz vorgeschlagene Tilgung der durch-
schossenen Worte von Neuem zu empfehlen. Freilich brauchte
,die Sage^ es nicht zu achten, dass ,der bisher taubstumme
Sohn' des Krösus bei der Einnahme von Sardis, als er vor
Schreck und Aufregung die Sprache gewinnt, ,Bofort dem
Perser verständhch spricht und den Namen seines Vaters' weiss
(Stein zu I, 85). Allein Herodot kennt ihn eben nur als stumm.
Er nennt ihn I, 84 Ta (4.ev aXXa £i7teixi4(;, dt^covog $e und
wieder 85 6 $e icoi? outo? 6 a^fovo?, desgleichen 34 tü)v oikepo?
|i4v Ji^^OapTo, ijv Y«P ^^ xwfö?, was (wie der Orakelvers ^
^ Andere Beispiele siehe bei Melander, De anacoluthis Herodoteis p. 64 — 65.
* An der Stelle, wo der Hirt den Befiehl empfSngt, das Leben des kleinen
Cyms unter keinen Umständen zn verschonen, liest man (I, 110 fin.):
)lv {x^ a3:oxTE(vif)( 'aOrb aXXa iecu zpoizta ;:£piicoiij7T) — . Nicht quodam
modo, sondern quocunque modo verlangt jedoch der Zusammenhang
(anjhow übersetzt Bawlinson mit Recht). Also: aXX^ oteo) xp^nu) wie
II, 121, 3: OT£ü) ipoTio) Sivaiai — .
' Als ein Curiosum mag es gelten, dass Stein auch bei dieser Stelle an
der Bedeutung taubgeboren, d. h. taubstumm, festhält und den Vers
nunmehr wirklich so übersetzt, wie ich Zeitschr. f. Österr. Gymn. 1867,
445, um seine Auffassung ad absurdum zu führen, scherzhaft empfohlen
hatte. Oder vielmehr womöglich noch verkehrter, nämlich nicht: ,Und
den Tauben vernehm ich* — sondern: ,Merk' den Gedanken des
Tauben und hOre die Sprache des Stummen.* In Wahrheit bedeutet
168 Gomperz.
y.a'. xii>fou (7uviv](At xat ou 9<ovEuvto{ axo6(i> Cap. 47, 3 lelut) auch
bei Herodot wie sonst mehrfach ,8tummS nicht ,taub' be-
deutet; und endlich musste denn der Vater dem Sohne erst
sagen, welches das Gebrechen seines Bruders sei, ja kam es
denn in diesem Zusammenhange überhaupt darauf an und nicht
vielmehr blos darauf, dass der unglückliche Prinz Bie^Oopii^vo^
und nicht 6X6xXiQpo^ sei? Nicht weil er taub oder stumm oder
auch taubstumm, sondern weil er ein Krüppel und somit zur
Uebemahme der Regierung unfähig ist, darum zählt er dem
königlichen Vater so wenig, als ob er nicht vorhanden wäre.
Der Satz, in welchem Herodot sein Befremden über die
plumpe List ausspricht, mittelst welcher Peisistratos seine Rück>
kehr nach Athen bewerkstelligt hat, 60, 10 ff., scheint sich
mir ohne Annahme einer Lücke jeder verständlichen Deutung
zu entziehen. Denn die geistige Ueberlegenheit der damaligen
Griechen über Nichtgriechen und der Athener über die sonsti-
gen Griechen macht jenen Vorgang zwar erstaunlicher oder
wenn man will unbegreiflicher, aber nicht einfältiger' als er
an sich ist, und somit vermag ich nicht abzusehen, wie der
Hinweis auf jene Thatsachen das Urtheil eüigSsoraTov — [Aaxf<j> irgend
zu begründen im Stande ist. Und pflegt sich denn unser Gre-
schichtschreiber sonst so unbeholfen auszudrücken , wie es hier
der Fall ist: |JLt;xav60VTai — TcpiiYjxa cur^ösaropcov — €• xal Tore —
(AiQXA^^ovTai toioiSe? Es muss ein kleines Satzglied ausgefallen
sein, welches eben der Verwunderung des Historikers directen
Ausdruck Heh. Ich setze ein solches beispielsweise ein: — iaij-
5^av£0VTat Bt] stci -nj xaröBo) Tcp^Yixa euijOeararov, ox; s^u) eOpivxü), [ka-
xpc^. (6(i)u[Jia Y<xp (JLOt), erei ve a7;sxpi6Y] £x icaXatT^pou toO ßotpßdpdu [i6-
der Orakel vers, ohne jeden Pleonasmus: ,Ich verstehe das Lallen
des Stummen und ich höre den, der keinen Ton von sich gibt.* Ebenso
werden (juv{Tjji.i und axouto verbunden bei Hippocr. VIII, 671 Littr^:
— xai [L^ axoucüv, fi7]$k ^uvieU, OavaTtod?}; ; oder bei Demosth. Mldian.
§. 50: Et lauT^ axouaaiEv xat 9uve?ev ol ßdtpßapoi. Die unarticulirten
Laute des Stummen sind ebenso wenig ouvet«, wie es die articulirte Rede
eines Fremdsprachigen ist; vgl. Herod. ü, 57, 8.
^ Freilich mag man eine Speculation auf die Unbildung oder Leichtgläubig-
keit eines Volkes um so einfaltiger und abgeschmackter nennen, je wentjrer
jene Voraussetzung zutrifft. Doch kann dies nur dann geschehen, wenn
der Versuch erfplglos geblieben war» was hier eben nicht der Fall ist
Herodotoische ■Qtii<!i<>Q I. 169
veog] * TÖ *EXXr|Vixbv eöv xal SeJtüJTepov xai Eur|6aiT;(; i^XtOtou dmQXXoYjAevov
(jLoXXov, et TKoi t6t6 fe ourot ev ^A6r^vaio(9t toici xpcitotOt Xv(0\Lt>ovsi
eTvai *EXXi5^^^ ffo^^rjv |jLT)xav60VTat totaSe. Vgl. IX, 65, 4: 6o)0{Jia 8e [aoi
5x<ix; — oh^k et? e^i^/fi töv Oepaecüv xie. (oder VI, 123, 17 OcouiJia iv
{jLoi XT£.) . Zur Verbindung von OüjujjloII^ü) und dergleichen mit et
(z. B. Vin, 8, 1 6(i)up.al^o) S^ et xk XeYOfxevd eori ceXiQS^a) mag
man die analogen Wendungen der englischen Sprache ver-
gleichen : I marvel oder l wonder how, why u. s. w., was ebenfaUs
heisst: ich staune und frage mich wie, warum u. s. w. Diese
Ausdrucksweise ist bei Herodot mehrfach verkannt worden,
so IV, 30 in. : Ocoufxd^u) ^k — Sti (lies o ti) ev ttj 'HXeiyj icatot] x^PT)
oü Büvdflcrat y^'veaöat t^jjiCovoi. Denn die Verbindung 6ü)U{Aal^ü) Stt wird
man bei unserem Autor vergebens suchen, hingegen entspricht
dieser Stelle aufs Genaueste VHI, 65, 15: ditoOwuiJLfltl^etv t^ ofea?
tbv xoviopTov 5Teh)v xore ew) dv6po)TCU)v. — Ueblere Folgen als hier
hat das Missverständniss Vü, 125 fin. gehabt, wo es die Inter-
punction gestört und (irre ich nicht) auch eine Interpolation
veranlasst hat. Ich lese : 6(i)u[jLaZ^(i> ^k xb ahiov b xt xoxe )Jv, x(i>v
aXXcov [xb avorptaljov] axexopi^voüq xob? Xdovxac; xi^at xapLijXotffi eiti-
TiÖ6ff6at — . ,Ich frage mich verwundert, was wohl die Ursache
gewesen sein mag, dass' u. s. w. Gleichfalls sprachwidrig
oder doch dem herodoteischen Sprachgebrauch zuwiderlaufend
ist die Verbindung von bm\t.a Trotesaöat mit icepi c. gen., wie sie»
an einer mehrfach interpolirten und irrig gelesenen Stelle be-
gegnet^ die ich daher lieber zum grösseren Theil hieher setze;
m, 22 fin. sqq. : i:po<; xauxa 6 AtOio^^ ouS^v 1^ (so statt e^r]
ou3ev SVR) 6a)u|JLal^etv et a(xe6[Aev9t xcrcpov Ixea okv^a !^(i>9U9i' ohhk ^op
Sy xoffouxa l^d^etv SuvooOat o^eac; (statt $. 1^. 97. SVR), et piTi x^ ic6-
IMTci ovi^epcv, 9pdCo)v [xoist ''Ix^ooforfovsi secl. Krüger] xbv oTvov
1 xb ßapßapov eOvo; kann anm{$glich das gesammte barbarische Wesen be-
zeichnen, welches hier dem ganzen hellenischen (ib 'FXXyjvixov z. B.
I, 4 fin.; I, 68 in. u. s. w., ebenso xb neXaaYtxov I 57, 6) entgegengesetzt
wird, xb ßapßapov gebraucht genau so unser Autor VIII, 19, 18, des«
gleichen Dionjs. Halic. (Antiquit. rom. I, 12 ss I, 15, 22 KiessL) , der
Nachahmer Herodots, der I, 29 ein Stück aus den unmittelbar vorher-
gehenden Capiteln 57 — 58 anfuhrt. Beil&ufig, Sauppe's Yerbessening der
wichtigen Stelle I, 58, 15—16, lässt sich wohl zugleich etwas sprach-
gemXsser und minder gewaltsam also gestalten: — au^xat 1; 7:Xi{0o<
löv^wv KoXXtüV, xuiv (OfiXaTifüiv) {jiaXioxa npo^Ksytoprixotto^ xxl. Zu r^ffio^
Wv^wv JcoXXwv vj^l. I, 66, 15 ; xai zXifiii ovx pXfywv ()iv$p<ü»v,
170 Gomperi.
TouTo ^ Y^P ^<*>'^ol)^ ^^ Il6pa£ü)v 69aoua6a(. avreipotAdvcoy ^k [töv ßocaiXda
om. SVR] tGv *Ix^'"^®?*Y*»^^ — — • Öwujj.« Bs ?:otsu(A^vu>v twv xara-
ax6TCü)v [xepi twv etdwv] xt^.
Doch ich kehre von dieser Abschweifung zurück. I, 73,
21: o\ li Toi/ra icpbq Kua^apecu TzMrQeqj &9T6 dva^ta a^icov otuTöv
iceicovöore?, ^ßoüXeucov xt§. Nicht ein Urtheil des Historikers über
die den Skythen widerfahrene Unbill — und nur dieses könnte
Äffte (= ÄTs) aussprechen — sondern ihre eigene Empfin-
dung muss hier zum Ausdruck gelangen, um die daraus ent-
springende Handlung zu motiviren. Man lese also &<; fe, wie
es in ganz ähnlichem Zusammenhange heisst: 6 Ih eicsCte (xerei^
tixi^rca, o)? ^e 8yj ovaSi« ^wutoü itoOciv, xtd. (I, 114, 24, vgl. auch
IX, 37, 17 und Schweighäuser's Besserung zu II, 10, 8). Dass
T und r in der Ur-Handschrift leicht verwechselt wurden, kann
auch eine andere Stelle lehren, die bis auf ein Wort bei Stein
in Ordnung gebracht ist, nämlich H, 22, 19 — 21: xö(; wv 8^
^^01 dv aitb xi6^o^ (der Nil), dixb töv SepfjioTaKOv ^eu>v i^ ta ^^jr^njpmpoi
Ywv ti TToXXi eoTt; Ich stelle y<*^^ *^^8 "^«^^ l^^r, welches Stein
tilgt, obgleich es von beiden hier weit auseinander gehenden
Handschriften - Classen dargeboten wird und, da es die Con-
struction nur verwirrt, nicht wohl absichtlich eingeschoben sein
kann. Die abschwächende Partikel ist hingegen sehr wohl
an ihrem Platz: ,Wie sollte der Nil von Schnee her fliessen,
da er aus den allerheissesten Erdstrichen in solche fliesst, die
(zwar nichts weniger als kalt, aber) mindestens doch zum
grossen Theile kälter (und nichts destoweniger völlig schneelos)
sind?* Man bedenke, dass vonNubien und Egypten die Rede ist.*
I, 77, 15 erscheint in der Handschriften-Familie, welche
ich die erste nenne, eine jener vollständig sinnlosen Lesarten,
unter denen sich so oft das Ursprüngliche zu verbergen liebt.
Krösus und Cyrus hatten in heissem , aber ergebnisslosem
* Nach Gaisford wird das minder elegante touto» nur von drei Hand-
schriften, dem Schellershemianufl oder Florentinus (Stein*8 C) und zwei
Parisini geboten, nach Stein hingegen (dessen wunderliche Methode der
Varianten-Angabe wir sattsam kennen lernten) ist touto vom Vaticanus
und der Aldina allein bezeugt. Jedenfalls bietet es der Vindobonensis.
3 Verwechslungen von te und ye sind in unserem Text schon vielfach
nachgewiesen worden. Sollte nicht auch III, 35, 17 zu schreiben sein:
(o; |jL^v iytü T£ (so Dobree und Bekk. statt ^^yi) ou (xaNopiat ye (ts SV)
Herodoteischt Stadien I. 171
Kampfe mit einander gerungen, bis die einbrechende Nacht
die Streitenden trennte. Am nächsten Tage trat Kr^tsus in
der Absicht, seine unzulänglichen Streitkräfte zu verstärken,
den Rtickzug an, da Cyrus ihn nicht angriff. Nein! — da er
ihn ,nicht wieder angriff*^ (Stein), ,nicht wieder herankam'
(Lange), ,did not repeat the attack' (Rawlinson), wie die
Natur der Sache zu übersetzen zwingt; allein der gangbare
Text erhebt dagegen Einsprache, denn aus seinem A; tyJ üorrepaiTj
oux eicsiporo 6xi(j>v 6 KOpo; lässt sich unmöglich etwas Derartiges
herauslesen. In SVR hingegen liest man statt iwfbv vielmehr
Sn [Jisvetv, d. h., wenn nicht Alles täuscht: eicaveXöeiv! (Aus
€nAN€Ae€IN ward CTIM€N€IN; die falsche Lesung 671 statt
€n begegnet in der ersten Handschriften-Classe auch III, 78,
13, wo R und S Iti ^(rceo);, V mit ausnahmsweise weiter greifen-
der Verderbniss Scrct iffTEG); bieten statt sTreateo)?; desgleichen zeigt
der öfter vorgekommene Ausfall einzelner Buchstaben, dass
der Stammcodex gedrängt geschrieben war und die Lesart
ixiejii.6vov [in R] statt eiciO^jxevov [III, 63, 10] weist auf eben das
schmale 6 hin, welches unsere Voraussetzung hier erfordert.)
Schliesslich mag Schweighäuser's Lexikon lehren, dass die
Verbindung von xsipaiöj». mit dem Infinitiv bei Herodot nicht
seltener ist als jene mit dem Particip. Dass aber der Redacteur
des Textes der zweiten Handschriften-Classe ohne Rücksicht auf
die wirren Zeichen, die der Archetypus darbieten mochte, das
halbwegs passende e7rt(i)v schrieb, dies stimmt vortrefflich zu
der Vorstellung, die wir uns von diesem dreisten, aber keines-
wegs imgeschickten Kritikaster bilden müssen.
I, 94 fin. : avTt ^k AuBwv [jLeTovo[jLa90i}va( ouTouq ewl tou ßaatX£o;
[ivo|xao6r;vai] Tuptyirjvou;. Dass der Satz so zu interpungiren ist,
hat Herold (a. a. O. S. 436) in einer Darlegung erwiesen, die
darum nicht weniger überzeugend iöt, weil sie die jüngsten
Herausgeber nicht überzeugt hat. Dieselben gehen wieder
hinter Herold zurück — indem sie den einheitlichen Satz durch
stärkere Interpunction hinter dvi^va^e in zwei Hälften zerreissen
— statt über denselben hinauszuschreiten.* Denn 5vc[ji.ac0^vai ist
sicherlich zu tilgen, da es das eng zusammengehörige dvrl Ss AuBcjv
)ASTovo{Aaa6i)vat TupoY;vo6^ ,8tatt Lyder zu heissen, hiessen sie nun-
mehr Tyrrhener* auseinander zerrt und jede legitime Cou-
17^ Gompers.
struction unmöglich macht. Man vergleiche IV, 155, 10: Botto? Ik
)ji€Tu>vo|AoeffOv], was ja gleichfallB besagt ,er wurde zu Battos um-
getauft', oder Vni, 44, 27 (worauf Herold selbst verwies):
*A8Y)vaToi {jLet(i>vo(Aao6Y)aav ,sie veränderten ihren Namen und hiessea
fortan Athener^ oder auch Antiochos von Syrakus bei Dionys.
Halic. Antiquit. rom. I, 12 (1, 15, 25 Kiessl.): a^' ou (AeTcovoii^aoOiyrcEv
iTaXo'!.^ In ähnlich brachylogischer Weise werden auch andere
Verba gebraucht, wie sTCovopOoucööti, {jLetorriOeoOat, eX^^x^^^ (vgl- Stall-
baum zu Plato's Euthyphro 9D). An aU' diesen Irrungen ist der
kleine Zwischensatz 3^ o^eaq ä'rfy^oc^e allein schuld, da er ,die
nachdrückliche Wiederholung des Satzgliedes^ zu dessen näherer
Bestimmung er dient, durch das Demonstrativum' veranlasste^
(Herold). Die gleiche Ursache und die gleiche Wirkung wird
uns noch einmal (zu HI, 97) begegnen.
Habe ich Unrecht, einen Scrupel nicht verwinden zu
können, der mir bei der Leetüre von I, 105 (fin.) immer
wieder von Neuem aufsteigt? Die Erzählung von der Plünde-
rung des uralten Heiligthums zu Askalon durch die Skjrthen
und der göttlichen Ahndung dieses Frevels, der Verhängung
der ^\ea voüao(; über die Plünderer und ihre Nachkommen,
schliesst mit den Worten: üxrce &[kOL "ktfowi xe oi SwjOat 2ta tout6
Q^eoL^ vo(7^etv xal 6pav 7:ap' IcouToTai tou^ aictxv£0|Aevou^ e^ t^iV SxuOtx^v
X(opt;v b)^ Biix^oToci Tob^ xaXeouai 'Evapea^ ol ZxuOai. Ich komme
über das folgende Dilemma nicht hinaus: Entweder Herodot
hält seine skythischen Berichterstatter für vollkommen verläss-
liche und auch seinen Lesern gegenüber Rlr ausreichende
Zeugen; warum legt er ihnen dann jenen Appell an das Zeug-
niss der ihr Land besuchenden Fremden in den Mund? Oder
es steht anders; warum beruft er sich dann, da er ja doch
Skythien selbst bereist hat (vgl. insbesondere IV, 81 — 82) und
überdies am Pontus die reichhaltigsten und genauesten Erkundi-
gungen über Land und Leute einziehen konnte, nicht auf die
eigene Autopsie oder auf das directe Zeugniss seiner Lands-
leute? Kurz^ was soll diese Bekräftigung, die keine solche ist
— was die mittelbare Beglaubigung einer Nachricht dort, wo
^ Beiläufig, ebendaselbst Z. 28 muss man lesen: oZxbi S^ (nicht Sk, da aus
dem Vorhergehenden das Facit gezogen wird) SixeXoi x«\ ^Upr^tt^ rf^vovto
xtl.; desgleichen ist Z. 21 nach ra r.\T:6xaLZ0L xal 9a^i<nxvoi offenbar ein
particip ausgefallep, etwa 9uvO«(( pd^r c»Xc{d(|Asvo(.
Herodoteiach« Studien I. 17 S
eine unmittelbare so leicht zu erreichen war? Und nicht nur
erreichbar war dieselbe^ sondern Herodot hat sie zweifelsohne
wirklich erreicht, da er an einer späteren Stelle (IV, 67) die
Enareer nicht im Mindesten als problematische Wesen betrachtet
und über ein Detail ihrer Lebensweise ganz und gar nicht wie
nach unsicherem Hörensagen berichtet. Ich vermuthe daher,
dass der Text hier schweren Schaden gelitten und ursprünglich
wie folgt gelautet hat: &axe &\La Xe^ouai xe cl ZxuOae Bca touto c^taq
voaiecv %a\ 6pav icapeaTi toTai d?r(xveo(Jt.€VO(a( iq tv)V ZxuOex.Y)v
X<<*pTQv %xi. Die Aussage der Skythen über die einstige Ent-
stehung der Krankheit und der Augenschein, welcher ihr
gegenwärtiges Dasein bekundet, treten — sich wechselseitig
stützend und erklärend — neben einander. < Wie überrascht
war ich einstens, aus Rawlinson's Uebertragung zu ersehen,
dass er die Stelle fast genau so wiedergegeben hat, als stünde
sie ihm in der von mir vermutheten Gestalt vor Augen (vgl.
Zeitschr. ftlr österr. Qymn. 1859, 820), nämlich also: ,They
* Ich berafe mich zur Bestätigung meiner Yermuthung nicht auf die
Stelliing von t^ nach X^oum, denn an Beispielen derartiger Hyperbata
fehlt es keineswegs bei Herodot (vgl. Stein zu I, 207). Wohl aber war es
an sich wenig wahrscheinlich, dass der Relativsatz tou; xoX^ouvi ^Evipeac
oX £xu6at von einem Hauptsatze abhängen sollte, in welchem oi IxuOai
gleichfalls das Subject ist: ,die Skythen sagen . . . dass man bei ihnen
jene Menschen antrifft, welche die Skythen Enareer nennend Und dieser
sprachliche Anstoss, den ich wenigstens nicht wegzuräumen weiss, nOthigt
mich an meiner Hypothese festzuhalten, während meine sonstigen a;:op{ai
sich vielleicht (wie ich nicht verhehlen will) durch eine noch weniger
gewaltsame X6ai; beseitigen Hessen. Man könnte nämlich im Uebrigen
die fiberlieferte Textesgestalt durch eine nicht allzu gewagte Annahme
am rechtfertigen versuchen. Man brauchte blos vorauszusetzen, dass He-
rodot, als er jene Worte schrieb, seine Pontusreise noch nicht gemacht
hatte und es späterhin nicht der Mühe werth fand, die Stelle zu ändern.
Verfasste er, wie ich mit Kirchhoff glaube, die ersten Bücher zu Athen,
so mochte etwa die dortige Polizei- Wachtstube der Ort sein, wo er seine
ersten Erkundigungen über Skythien einzog, und Mitglieder des Corps
der Speusinier könnten es gewesen sein, welche die Wahrheit ihrer Er-
sählung von dem göttlichen Strafgericht zu Askalon durch die Versiche-
rung besiegelten: man brauche nur ihr Land zu besuchen, um sich
von dem wirklichen Vorhandensein der Enareer zu überzeugen. Unter
dieser oder einer ähnlichen Voraussetzung verlöre unser Einwurfe ,i{
{AapT6p(ov II SXXcuv oxouEiv hii \i* & y* E?<7opav xapa;' (Orest. 632 — 533) aller-
dings seine Geltung.
174 Gompart.
themselves coufess that tliey are afflicted with the disease
for this reason, and travellers who visit Scythia can see
what a sort of disease it is. Those who suffer from it are
calied Enarees/
Und da ich einmal der skythischen Enareer gedenken
muBste, so will ich nicht von ihnen scheiden, ohne die alte
Mähre, dass das skythische Wort ,von Hippokrates durch
ovavJpiKJ^ übersetzt' sei (so Stein, aber auch viele Andere),
hoffentlich für immer zu beseitigen. avovSpni^j; ist weder ein
griechisches Wort, noch in irgend welcher zulässigen Weise
gebildet; und seit wann bedient man sich denn zu lieber-
Setzungszwecken einer Neubildung, auch einer statthaften,
dort wo der gangbare Sprachschatz uns mit einer vollkommen
ausreichenden Bezeichnung versieht? Warum übertrug der Vater
der Heilkunst das skythische Wort nicht durch avavBpoi statt zu
dem abenteuerlichen avor^Spiet*; zu greifen? Aber er wollte über^
haupt nicht übersetzen, sondern die fremdländische Benennung,
wie er mit sonnenklarer Deutlichkeit sagt (xaXsuvrai xe), seinen
Lesern mittheilen. Woher stammen also die ovavSptsl;, die man
im hippokratischen Texte findet? Auf richtiger Fährte war einzig
und allein Karl Neumann, als er die Vermuthung aussprach, ,die
Abschreiber' hätten ,da8 ihnen unbekannte barbarische Wort
dem Sinne nach gräcisirt, ohne ihm eine vollkommen griechische
Form zu geben' (Die Hellenen im Skythenlande 162, Anm. 2).
Was steht aber in Wahrheit in den besten unter den wenigen
Handschriften, durch welche uns das Buch iztpi deepcov, uSorcuv
%a\ Toitwv überliefert ist? Der Parisinus 2146, der Vaticanus
276 und der Monacensis 71 (über den ersten berichte ich nach
Littr^, über den zweiten nach Autopsie und über den dritten
nach W. Meyers freundlicher Mittheilung) — also drei Ver-
treter der besseren Handschriften-Familie (vgl. Kühlewein im
Hermes 18, 17) — bieten überhaupt nicht dvav5pi£Tq, sondern
avSpiei?. Man schreibe dvapt£i? und die Finsterniss ist in
Licht verwandelt! Der nur im Ausgang leicht gräcisirte arische
Name der skythischen ,Unmänner^ — vielleicht der klarste
Beleg fUr die Richtigkeit von Müllenhoff's Skythen-Hypothese
— . tritt hier vermöge des unversehrten privativen ,a' noch
deutlicher hervor als in der bei Herodot erhaltenen Wertform
(vgl. Zeuss bei Keumann, S. 163). Der für die Sprachge-
Herodoteiteke Stedien I. 175
schichte und Ethnographie so belangreiche Satz des Hippe-
krates aber mufts, wie ich denke, also gelesen werden (de aer.
aqu. et loc. §. 22 in.): "Ett te Tcpb^ Touxctct euvouj^iai •^(vovxai ol
TwXeToTct SV 2x66Y)ai, xal -fuvasxTjiat epvii^ovTZi, yiai u>^ cA Y^vaixe^ (Siae-
Tsovrai), ^laXeYOvrat ts b\tjou»iq' xocAsuviat ts ol xotouioi 'AvapieT^.
I, 122 fin.: ol Se xoxee; — xatsßaXov ^ativ, d)^ e3UK£t{jievov
Kupov timy eqeOpe^e. Nicht ohne Kopfschütteln kann man die
Bemerkungen neuerer Erklärer zu dieser Stelle lesen. Krüger:
,x(2TcßaXov, begründeten, ungewöhnlich so'; Stein: , legten
den Grund zu der Sage, waren ihre Urheber, xocre^i^R^^oV.
Was mag wohl diese Interpreten bewogen haben von der alten,
dem Zusammenhange allein gemässen Auffassung abzuweichen
(Valla: divulgarunt; Schweighäuser: sparserunt famam; Lange:
verbreiteten das Gerücht; aber auch Rawlinson: spread the
report) ? Offenbar nichts Anderes als die mangelnde Einsicht in
den Process, durch welchen /.aTaßäXXü) die hier erforderliche
Bedeutung erlangt hat. Und doch ist die Sache einfach genug,
obgleich auch die Wörterbücher hierüber hartnäckig schweigen.
Das Lexicon Vindobon. (pag. 105, 17 Nauck) bemerkt zu un-
serem Verbum: XÄTaßdXXet toy ::oX6|jlicv xal xaTaßdXXei t« axep*
(Aata, eine Gebrauchsweise, für welche der Thesaurus allerdings
nur eine einzige Stelle eines Kirchenschriftstellers anführt, die
in Wahrheit jedoch in allen Epochen der griechischen Sprache
nachweisbar ist. Ich citire das Wenige, was mir eben zur
Hand ist:
Plato Theaetet. 149 E: eiq xoi'av ^^v woTov g/Utov te xal aicipixot
xaTaßXY)T60v — .
Arist. Problem, x, 12 (924*3): xoXXol y^P ^s'^s'-pavTat xa! ^i^ai;
jjLSTa^epovTc^ xal cTreppiaTa xataßaXXovteq — .
Pseudo- Arist. de mirab. auscult. 80(836*20 — 21): xal tou?
xapwj^ auToT^ ty;v "pjv ::oXXazXaa{oü^ dviccOai täv xaxaßaX-
Xo[Aev(i)v — .
Theopomp. frg. 143 (C. Müller): u)^ sxeivsu; xbv xapwbv tov
AY;{xi^Tpiov [txt avopüTTSiv xaTaßXiQOsvTa et^ Ttjv "pä^ — .
Demosthen. c. Timocrat. §. 154: aikW ob^k aicepiia ^et xaT«-
ßiXXeiv Twv TOto*jTu>v i^paYPLaxcav — .
Telephus Pergam. (te/v. cuvoy. 211 Speng.): xal Sri *0|Jir^po? la
c-jc^piAata TTi*; t£)<vr,? xaxEßaXcv — .
176 Oomperz.
Clem. Alex. Strom. II, 23 (p. 506 Pott.): xaTaßaXXc|A^yuv
aicepiAGCTcov — — x,aTaßätXXoüat t« aicep|A«Ta ol '^&fapr(oi.
LongUB Pastoral. III, 30 (165, 26 Herch.): Sit ixtxpoü 8eiv 6Xi-
Y(OTspa ^v Twv xoctaßXiQOävTcov aicspixoETCdv — .
Ist es da zu verwundern, wenn an dem Verbum die Bedeu-
tung des Ausstreuens, Verbreitens haften blieb, so dass
Aristoteles von xaTaß6ßXiQ[jLeva( pLoO^oei^, x,arcaßeßXv](Aeva ^ae$e6(Aarra
im Sinne der allgemein verbreiteten, Jedermann geläufigen
Kenntnisse und Bildungsmittel spriclit (siehe Bonitzen's Index)^
und Plato von dem was alle Welt las und kannte, von den
populärsten Büchern seiner Zeit, den protagoreischen Gelegen-
heitsschriften sagt: $eSY]}JL0(7iu)[jLeva 1C0U xaraßeßATjtat (Sophist 232 D),
wo übrigens Schleiermacher mit seinem ,das liegt öffentlich be-
kannt gemacht ... da*, desgleichen H. Müller (,in veröffent-
hebten Schriften niedergelegt^) die Bedeutungs-Nüance ganz
erstaunUch verfehlt haben.
Thut es Noth daran zu erinnern, dass oiceipo) in diesen
und ähnUchen Verbindungen genau so gebraucht wird wie oxsSiv-
vujjLi? Man vergleiche, falls dies erforderUch scheint, Xen. Cyrop.
V, 2, 30: xai outo^ b Xö^o? %okhq •J^Stj lawapTat mit Herod. IV,
147 : i9X£8a9(jiivo'j $s ^By] toO Xd^ou oder Plato Minos 320 D : ouxi;
1^ 9i^j(AT) xocTsoxeSaatai mit Eurip. frg. 229: o)^ 6 ^Xetoro^ eaicapxat
XoYcx; (vgl. auch Herod. VII, 107, 18 oder Sophocl. frg. 587
und Electr. 642, gleichwie Aristot. Poet. 1457 ^ 26 ff.). Eine
vollständig zutreffende Parallele zu unserer Stelle bietet endlich
ein Scholion zu Pindar Nem. VIII, 20 = 32 Böckh: icoXXai o5v,
9Y]a{, ^ept ToO Kiv6pou xataßsßXriVtai loxopiai xal Bii^opoi.
I, 139, 16: TOE ouv5|i.aTa 991 eovTa 5|jLota Toiat ciJJiJLaai xac
TTJ (leYaXoTCpexeiY) TeXeutöjai Tcoivxa e^ twüto YpoifX[jLa xts. Von dem
ersten Theil dieser Bemerkung gilt noch immer das Wort, mit
welchem Schweighäuser seine weitläufige Erörterimg der Stelle
beschliesst: ,caeterum uberiorem etiam nunc lucem locus hie vi-
detur desiderare'. Denn die bisherigen Erläuterungen derselben
stellen unsere Glaubenskraft auf eine gar harte Probe. Herodot
soll hier — dies ist die gemeinsame Voraussetzung aller Ueber-
setzer und Erklärer — von der etymologischen Bedeutung
der persischen Personennamen sprechen. Nun frage ich nicht,
ob es von vornherein wahrscheinlich ist, dass unser Geschicht-
schreiber eine so tiefe Kenntniss der persischen Sprache besass
Herodoteiiche Studien t. 177
oder auch nur zu besitzen glauben konnte, um solch' einen
etymologischen Versuch zu wagen, er, der durch seine un-
mittelbar folgende Aeusserung über den gleichen Ausgang aller
Persemamen (wie man jetzt allgemein annimmt) den Beweis
liefert, dass er dieselben nur in ihrer gräcisirten Gestalt ge-
kannt hat.* Ich frage nur, was der Satz unter jener Voraus-
setzung bedeuten soll. Und da trifft es sich jedenfalls seltsam,
dftss die Uebertragung dieser Worte um so ungereimter ausfällt,
je getreuer sie ist, und einen Schein von Sinn und Berechtigung
nur dann gewinnt, wenn man sich mit ihnen ganz und gar
unzulässige Freiheiten gestattet. Zur ersten Kategorie gehört
Lange's Uebersetzung : ,die da hergenommen sind von dem
Leibe oder der PrachtM Am andern Ende der Reihe steht
Rawlinson's Deutungsversuch: ,their names which are expressive
of some bodily or mental excellence'. Und doch muss auch
Kawlinson sofort in einer Anmerkung bekennen, dass die Ge-
walt, die er der Sprache anthut, der Sache wenig frommt;
denn nur ^selten' sei es der Fall, ,that the etymologj can be
traced to denote physical or mental quaUties^ Und Stein's
Wiedergabe mehrerer persischer Namen durch ihre griechischen
Aequivalente (wie <l>tXaYaöo;, Kt/iffiTrico;, *HXt6$ü>po;, <l>iXiinco^) be-
weist nur das Eine was sie sicherlich nicht beweisen soll : dass
jene Namen durch ihren Bedeutungsgehalt Herodot's Erstaunen
unmöghch erregen und weder zu der uns vorliegenden noch
zu irgend einer Bemerkung Anlass geben konnten ! — Von
all' diesen Irrwegen fUhrt uns die einfache Wahrnehmung zu-
rück, dass 5|jiota iovxa keineswegs das besagt, was die Inter-
preten es besagen lassen: ,die da hergenommen sind' oder
die ,in ihrer Bedeutung entsprechen^ u. s. w., sondern: welche
ähnlich sind. Und wie können Namen ähnlich sein ToTai acoiJLaai
xai Ti} [ji€YaAoxp6X6iY;? Doch wohl nur, indem sie einen gleich-
artigen Eindruck hervorbringen. Kurz, Herodot, der von den
persischen Namen wenig mehr kennt als ihren Klang (und
von ihrer äusseren Gestalt handelt ja auch die Haupt-
' Vgl. Matzat im Hermes VI, 447. — Auch an das seltsame Versehen,
▼ermOge dessen er den Gott Mithra, durch den scheinbar weiblichen
Namensausgang getäuscht, für eine Göttin hielt (I, 131), darf erinnert
werden. Vgl. Br^al, De Persicis nominibus apud scriptores g^aecos (Paris,
1863) p. 6—8.
8ilmiftb«r. d. phU.-Ust. Ol. Cm. Bd. I. Hft 12
178 Oomperz. Herodotcisuho Siodion I.
bemerkung; an welche unsere Notiz als eine durchaus beiläa-
fige und nebensächliche sich anschliesst^ wird durch diesen an
andere Eigenthümlichkeiten der Perser erinnert. Auf sein Ohr,
welches an die lispelnde Sprache seines Volkes gewöhnt ist,
machen Kamen wie Ariaramnes^ Artabazanos^ Artaxerxea,
Milhrobarzanes 9 Tanyoxarkes u. s. w. mit ihrem Vocalreich-
thum und ihrer ConsonantenfUlle einen ähnlichen Eindruck
wie auf uns die Namen spanischer Hidalgos. Und er gibt diesen
Eindruck durch eine Bemerkung wieder ^ welche buchstäblich
also zu übersetzen ist: ^Ihre Namen^ welche ähnlich sind ihrem
stattlichen Eörperwuchs und ihrer sonstigen Pracht, endigen
alle auf denselben Buchstaben^ u. s. w., oder (in freierer
Wiedergabe): ^Ihre Namen, deren voller Klang ihrem statt-
lichen Wuchs und ansehnlichen Wesen entspricht' u. s. w.
(Die Worte toToi acopiafft xai Tt) (UYaXo9cpe?cetT) bilden ein Hendia-
dyoin in dem einzigen Sinne, in welchem ich diese Redefigur
überhaupt anzuerkennen vermag, nämlich als eine Verbindung
zweier coordinirter Begriffe, deren einer auf den andern be-
stimmend einwirkt, ohne jedoch in dieser Einwirkung seine
volle Kraft zu erschöpfen.) Dass die Perser in der Regel höher
gewachsen waren als die Griechen, sagt uns Herodot selbst
(VII 103), und wie sie ihr stattliches Ansehen noch durch
lange herabwallende Gewänder, ^ durch Stöckel und hohe Filz-
mützen zu steigern wussten, darüber brauche ich ebenso wenig
etwas zu bemerken wie über die sonstige Pracht der EJeidung^
der Rüstung, der Pferde und Wagen und des Hausgeräthes
dieses damals weltbeherrschenden Volkes und seiner vornehmen
Häupter im Gegensatz zu Hellas, welchem ,7cev(v] (uv atct xot£
1 Darüber und über die, das grieohiBche Auge sugleich blendende und
schreckende (s. Her. VI, 112 fin.), medische Tracht überhaupt vgl. nebst
Xenoph. Cyrop. VIII, 1, 40—41 die reichlichen Zusammenstellungen bei
Brisson, de regio Persarum principatu p. 245 sqq.
IV. SITZUNG VOM 31. JÄNNER 1883.
Von der k, Akademie der Wissenschaften in Berlin wird
der IX. Band des Werkes: ,Politische Correspondenz König
Friedrichs UJ, von Herrn Dr. S. Gelbhaus in Karlstadt seine
Schrift: ,Imre Schefer* flir die akademische Bibliothek ein-
gesendet.
Von Herrn Dr. Anton Frank, Professor in Reichenberg,
vrird eine Abhandlung : ,üeber den Begriff des Sittlich-Schönen
und seine Bedeutung flir Schiller's Philosophie' mit dem Ersuchen
um ihre Aufnahme in die Sitzungsberichte übersendet.
Die Abhandlung wird einer Commission zur Begutachtung
zugewiesen.
Das w. M. Herr A. Freiherr von Krem er legt eine flir
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung unter dem Titel:
«Beiträge zur arabischen Lexikographie' vor.
Das c. M. Herr Professor Dr. Otto Hirschfeld über-
reicht flir die Sitzungsberichte: ^Gallische Studien. I. Die
civitates foederatae im Narbonensischen Gallien'.
Als Mitglieder der Central -Direction der Monumenta Ger-
maniae in Berlin werden die wirklichen MitgUeder Hen* Hofrath
Sickel und Herr Hofrath Maassen mit einer vierjährigen
Functionsdauer seitens der kaiserlichen Akademie der Wissen-
schaften neuerUch delegirt.
Auf Antrag der philosophisch -historischen Classe wurde in
der Gesammtsitzung am 30. Jänner d. J. von der kaiserlichen
Akademie die ihr flir das Jahr 1881 zur Verfligung gestellte
12*
180
ZiDsenmasse des Savigny-Stiftungs -Vermögens im Betrage von
4400 Reichsmark dem Herrn Dr. Paul Ewald in Berlin zur
Herstellung einer kritischen Ausgabe der sogenannten Ayellana,
einer Sammlung von Schreiben und Verordnungen römischer
Kaiser und Päpste^ überwiesen.
An Druokaohrlften wurden vorgelegt:
Archaeological Survey of India: Report of Tours in the south-eastem
Provinces in 1874—1876 and 1875—1876 by J. D. Bdglar. Vol. XHI.
Calcatta, 1882; S^, ~ Report of a Tonr in the Pnnjab in 1878—1879
by Alexander Cunnin^ham, C. S. J., C. J. £. Yol. XIV. Calcatta,
1882; 80.
Association, the American philological: Transactions. 1882. Vol. XIH.
Cambridge, 1882; S\
Central-Commission, k. k. statistische: Ausweise über den auswärtigen
Handel der österreichisch -ungarischen Monarchie im Jahre 1881. XUI.
Jahrgang, I. Abtheilnng. Wien, 1882; 40.
— Statistisches Jahrbuch für das Jahr 1880. m. und IV. Heft Wien,
1882; 8^ — Nachrichten über Industrie, Handel und Verkehr. XXIV.
Band, IV. und V. Heft. Wien, 1882; 8».
Genootschap, het Bataviaasch van Künsten en Wetenschappen : Realia.
Register op de generale Re8oIuti6n van het Kasteel Data via, 1632 bis
1806. I. Deel. Leiden, 1882; 4».
Geschichtsyerein und naturhistorisches Landesmuseum in Kirnten:
Carinthia. Zeitschrift für Vaterlandskunde, Belehrung und Unterhaltung.
72. Jahrgang, 1882. Klagenfurt; 80.
Hamburg: Verhandlungen swischen Senat und Bürgerschaft im Jahre 1880.
Hamburg, 1881; 4^.
Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde te Leiden: Handelingen en
Mededeelingen over het Jaar 1882. Leiden, 1882; 8^. — Levensberichten
der afgestorvene Medeleden. Leiden, 1882; 8^.
Mittheilungen aus Justus Perthes' geographischer Anstalt von Dr. A. Peter-
mann. XXIX. Band, 1888. L Gotha; 4*.
Society, the Asiatic of Bengal: Bibliotheca indica. Old series, Nr. 244.
Calcutta, 1882; 8«. — New series, Nrs. 478, 476, 476, 484, 48Ö. Calcutta,
1882; 80 und 4<i.
— The oriental biographical Dictionary, edited under the superintendenoe
of Henry George Keene, M. R. A. S. Calcutta, 1881; 4«.
— - the royal geographica!: Proceedings and monthly record of Geogrmphy.
Vol. V, Nr. 1. January, 1883. London; 8°.
Wissenschaftlicher Club in Wien: Monatsblätter. IV. Jahrgang, Nr. 4
und Ausserordentliche Beilagen Nr. U und HI. Wien, 1883; 4^
i
K res er. B«itrif» «mr anbiieheii Uxikograpkie. 181
Beiträge zur arabischen Lexikographie.
Von
A. Freiherm von Kremer,
wirUickeai MitgUcde der kais. Akademie der Wineasckiiten.
JDie grosse Arbeit des gelehrten Professors der Hochschtde
zu Leyden, R. Dozj's: Supplement aux dictionnaires arabes, hat
das bleibende Verdienst, einen wichtigen Fortschritt angebahnt
zu haben, indem zum ersten Male die Literatur und die Volks-
dialekte in um&ssender Weise zur Bereicherung des Lexikons
herangezogen und hiedurch ein bisher ungeahnter Grad Ton
Vollständigkeit in der Beherrschung des lexikographischen Ma-
terials erreicht wurde.
Allerdings ist diese Aufgabe eine so grosse und schwie-
rige, dass sie die Kräfte eines Einzelnen übersteigt Nur der
gemeinsamen Arbeit Vieler wird dies gelingen, soweit überhaupt
bei der lexikographischen Darstellung einer Sprache, und be-
sonders einer so schwierigen wie der arabischen, eine annähernde
Vollständigkeit erreicht werden kann.
Den ersten Beitrag in dieser Richtung Ueferte der geheime
Hofrath und Professor in Leipzig, Dr. H. L. Fleischer, durch
seine Studien über R. Dozy's ,SuppUment aux dictionnaires
arabes' in den Berichten der philolog.-hist. Classe der Eönigl.
Sächsischen Oesellschaft der Wissenschaften, 1881.
Hiedurch angeregt, meine im Laufe vieler Jahre gesam-
melten Materialien zu sichten, fand ich, dass hieraus eine nicht
ganz unbedeutende Nachlese sich zusammenstellen lasse.
Dies geschieht hier für die erste Hälfte des Wortschatzes,
indem eine grössere Anzahl von Wortformen gegeben wird,
die entweder in den Wörterbüchern fehlen, oder doch unge-
nügend erklärt worden sind.
182 Kremier.
Diese Nachträge erstrecken sich auf das gesammte Sprach-
gebiet von der ältesten classischen Zeit der Sprache bis auf die
vulgären Dialekte der Gegenwart. Während die ersteren aus
den Literaturwerken gesammelt wurden, sind die letzteren zum
grossen Theil aus dem Volksmunde aufgezeichnet und erklärt
worden.
Die Benützung europäischer Sammelwerke, Glossare u. s. w.
blieb principiell ausgeschlossen. Selbst de Goeje's treffliches
Glossar zu den arabischen Geographen, das von Dozy nur zum
kleinen Theile herangezogen werden konnte, bleibt bei meinen
Nachträgen ausgeschlossen. Es wird die Aufgabe des Bear-
beiters eines Nachtragsbeftes zu Dozy's Werk sein , das in
solchen Arbeiten angesammelte werthvoUe Material, das gerade
in den letzten Jahren vielfache Bereicherung erfahren hat,
zusammenzustellen. '
Eine solche compilirende Thätigkeit war nicht meine
Aufgabe. Ich beschränkte mich darauf, meine eigenen Samm-
lungen, von deren Inhalte allerdings Dozy's Werk den bei
Weitem grössten Theil entbehrlich gemacht hatte, zu be-
nützen. Nur ein einziges arabisches Sammelwerk habe ich
herangezogen, nämlich das Buch: Shifi' alghalyl fym& fy
kal&m aParab min aldachyl von Chafägy. (Ausgabe von Kairo
vom Jahre 1282 H.)
Bei den aus gedruckten oder handschriftlichen Werken
geschöpften Wortformen ist immer die bezogene Stelle genau
angegeben und, da viele dieser Werke schwer zugänglich sind,
oft auch noch die betreffende Stelle, wo das Wort vorkommt,
angeflihrt worden.
Ich lasse hier das Verzeichniss der benützten Werke
folgen und füge den Titel der im Druck herausgegebenen,
dann auch nebst dem Druckort die Jahreszahl bei, da viele
seitdem in mehreren Ausgaben erschienen sind.
I Ich nenne nur Socin's Arbeiten über den Dialekt von üfosul und Mardin
in der Zeitschrift der Deutschen morgenlftndischenGesellsobaft, Bd. XXXVI
Q. ff. Desselben: Arabische Sprichwörter und Redensarten. Tübingein, 1878.
Spitta-Bey's: Grammatik des arabischen Vulg&rdialektes von Aegypten.
Leipzig, 1880. Desselben: Contes arabes modernes. Leide, 1883. Huart:
Notes sur quelques expressions du dialecte arabe de Damas. Journal
Asiatique. Janvier, 188S n. s. w.
Beitr^e tva arsbitchen Lexikographie. 188
Agh&ny: Ausgabe von Buläk. 1285 H.^
Anbäry (^^CjI): Nozhat aPalibbä* fy ta^rych al^odabÄ':
Lithographie. Kairo. 1294 H.
*Antar: Syrat 'Antar. Ausgabe von Beirut. 1871.
•Artos: ^Li^a? al'anbij&' von Ta'laby. Kairo. 1282. H. Die
Bedaction^ welche in dieser Ausgabe vorliegt, enthält viele alte
dialektische Eigenthümlichkeiten.
Ihn 'Arabshäh: Alta'lyf alzlkhir fy shijam almalik al^ähir
Ab]^ Sa*yd Ga^a]|:. Manuscript meiner Sammlung.
Ash'&r: unter dieser Aufschrift citire ich der Kürze halber
ein Manuscript meiner Sammlung, das eine Abschrift aus
einem Manuscript der Bibliothek des Khedive ist und im Kata-
loge die Aufschrift aU^ü^ Xmj&\ trägt. Es ist in Wirklichkeit
der zweite Band eines Commentars zum 'Adab alk&tib des Ibn
^otaibah und der Verfasser ist ein Philologe der strengen, alten
Schule. Der Commentar des Gaw&lyj^y ist es nicht.
Asma'y: Commentar zu den Gedichten des T^a,ra£sih und
Zohair. Manuscript meiner Sammlung.
*Ätar al'owwal fy tartyb aldowal. Kairo. 1295 H. Verfasst
im Jahre 708 H.
Azdy (Abu Ism&*yl), Ausgabe von W. N. Lees in der
Bibliotheca Indica. Calcutta. 1854.
Bslkurah: Albäkurat alsolaimänijjah fy kashf asrär aldi-
j&nat alnofairijjah. Beirut.
Bochäry: l^a^yb albochäry. Bulak. 1280 H. Da diese
Traditionssammlung in zahlreichen Ausgaben erschienen ist, so
bietet die Art iind Weise der Citationen einige Schwierigkeit.
Ich citire zuerst jede Tradition nach der fortlaufenden Nummer
der einzelnen Capitel (bftb), dann aber noch die Nummer der
Tradition in jedem einzelnen Buche (kitab).
Ibn Chaldun: Universalgeschichte, Ausgabe von Bul&V-
Vn Bände. 1284 H.
Ibn Chaldun: ProWgomfenes etc. Ausgabe und lieber-
Setzung von Slane in den Notices et Extraits de la Biblio-
th^ue Imperiale, T. XX u. ff.
1 Mit besonderem Danke muBs ich hier der Bereitwilligkeit gedenken, mit
welcher Dr. Fritz Hommel, Secretär der Hof- und Staatsbibliothek in
München, mehrere Stellen des Kitftb alagfh&n^ mit den Handschriften der
Mttnchener Bibliothek verglich.
184 Kremtr.
Fawät : Faw&t alwafajstt von Ihn Sh&kir. Bul&k. Ohne Datam.
Fihrißt ed. Flügel.
Gabarty : * Agäib alät&r fyltarfigim warachb&r. Bul&k. Ohne
Datum (der Druck fand im Jahre 1880 statt). Ich benützte
flir diese Arbeit den zuerst erschienenen IV. Band, den ich
mit einem eingeborenen Kairiner las, der alle die oft vorkom-
menden Localidiotismen mir erklärte. Dort, wo ich Gabarty
citire und eine arabische Erklärung beifüge , sind dies die
Worte meines Gewährsmannes von Kairo.
Gäliii?: RasäYl, gesammelte Auszüge aus den Briefen und
Abhandlungen desselben. Manuscript meiner Sammlung.
GUtii?: Kitäb al^aiwän. Manuscript der Hofbibliothek.
G^t^ii^: Almaliiäsin wal'a4dftd. Manuscript meiner Sammlung.
Qadirah: Specimen etc. Alhadirae. Ed. Engelmann. Ley-
den. 1858.
Hamad&ny : RasäYl. Gedruckt auf dem Rande der in Bul&k
1291 erschienenen Ausgabe des Werkes: Chaz4nat al'adab.
Ihn Qamdun: Tadkirah. Manuscript meiner Sammlung.
Ibn H&ni': DywÄn. Ausgabe von Kairo. 1274.
^ary^y: Dorrat alghawwa§. Ed. Thorbecke. Leipzig. 1871.
•H:d: Al'itd alfaryd von Ibn 'Abd Rabbih. Bulak. 1293.
l'läm alnäs bimä wa]^a' lilbar&mikah fy Bany Tabbäs^ von
Itlydy. Kairo. 1280 H.
I^fahäny: Moh&4arat von R&ghib ali^fah&ny. BuUtk. 1287.
Lata'if: La^äif alma*ärif auctore at-Tha'&libi, ed. de Jong.
Leyden. 1867.
Lozumijj^t von Ma'arry. Manuscript meiner Sammlung.
Mai:i:ary: Alnafb altyb. Ausgabe von Kairo. 1279.
Ma^ryzy: Chitat. Kairo. 1270 H.
Ibn Mamäty: i^aw&nyn aldaw&wyn. Manuscript meiner
Sammlung.
Mas'udy: Les Prairies d'or. Ausgabe von Barbier de
Meynard.
Mowatta'y Shar)^ alzorj^äny 'alk Imowatta', Zorj^ny's Com-
mentar zur Traditionssammlung des Mälik Ibn 'Anas. ELairo.
1279—1280. 4 Bände.
'Orwah: Gedichte des 'Orwah Ibn alward. Herausgegeben
von Th. Nöldeke (IX. Band der Abhandlungen der Königl.
Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen).
Beitrige zur anbisclien LezikognpUe. 185
Kaby* al'abr&r^ Auszug dieses Werkes von Ibn ^ftsim.
Kairo. 1279.
Rashf ahia^äill;! etc. Manuscript der Wiener Hofbibliothek:
Saif aljazan: Sjrat färis aljaman Saif Ibn almalik Dul-
jazan. Lithographirte Ausgabe aus Castelli's Presse, Kairo. Nur
das erste Heft erschien. Die spätere^ gedruckte Ausgabe enthält
nicht so viele vulgäre Formen.
Sal^t alzand von Ma'arry. BulÄk. 1286.
ShaVäny: KitHb albabr almaurud fjlmaw&tj]^ waFohud.
Lithographirt in Kairo. 1278 H.
Sha'räny: Kitäb aljaw&tyt walgaw&hir fy baj&n *A\&ld,
arak&bir. Kairo. 1277.
Sha*räny: Kitäb alkibryt al'at^mar fy bajän *olum alshaich
al'akbar. Lithographirte Ausgabe. Kairo. 1277.
Shyräzy: Jus Shafiiticum, at-Tanbih^ auctore Abu Isbak
as-Shirazi. Ed. A. W. T. Juynboll. Lugd. Batavorum. 1879.
Sobky: Mo'yd alni'am wa mobyd alni^am. Manuscript
meiner Sammlimg.
Abu Tammäm: Gedichtsammlung. Ausgabe von Kairo.
1292 H.
Tanbyh: unter diesem Titel citire ich ein Manuscript
meiner Sammlung^ dessen voller Titel lautet wie folgt: i^La^
8l^ Jt tr> * ll^l ^^Jx oL^aaJüJI. Der Verfasser ist Abul^äsim
*Aly Ibn I^amzah^ ein hervorragender Gelehrter, der nach
Sojuty (Tftba^^t alnobah) im Jahre 375 H. starb. Das Werk
enthält kritische Bemerkungen zu den folgenden Schriften:
1. Nawftdir des Abu zijäd alkalby al'aVäby. 2. Nawädir des
Abu *Amr alshaib4ny. 3. Kitab alnab&t des Abu Qanyfah
aldynawary. 4. Alk&mil von Abtd'abb&s Mohammad Ibn al-
mobarrad. 5. Alfa^yb von Abul'abbfts Abmad Ibn Jabji^ Ta'lab.
6. Gharyb almo§annaf von Abu 'Obaid al^sim Ibn Salläm.
7. Ifl&b almanti^ von Ibn alsikkyt. 8. Almai^ur walmamdud
von Abul'abbäs Ibn Mohammad Ibn Walläd.
Die Handschrift; die ich benutze, ist aus einer sehr alten
Handschrift der Bibliothek des Khedive abgeschrieben und
sorgfältig coUationirt. Der letzte Abschnitt ist nicht vollständige
80 dasB der Schluss der kritischen Bemerkungen zur Schrift
des Ibn Walläd fehlt.
186 KremAi'.
Ta^tyf; Das Werk, welches ich hiemit bezeichne, fährt
folgende Aufschrift: s-äa^^I aui ääj Lo --^ ^ JiJ^I ^'A\
(\ A*^ ij^ &JJI iXxA ^ ^j>*^\ 4X4^1 ^^1 u4Jb u&j^svJI y
^yXwwjiJI. Es ist wie das früher genannte ausschliesslich der
Textkritik gewidmet. Der Verfasser 'Askary starb 382 H.
(Vgl. Ibn Challikän, ed. Wüstenfeld, Vita 163). Leider ist nur
der erste Theil erhalten. Das Manuscript meiner Sammlung ist
die Abschrift eines alten, leider oft unpunktirten Codex der
Bibliothek des Khedive in Kairo. Ein anderes Exemplar dieses
Werkes ist mir nicht bekannt.
Ibn alwardy: Tatimmat almochta§ar fy achbSr albashar;
Auszug und Fortsetzung der Geschichte des Abulfeda. Ausgabe
von Kairo. 1285 H.
Zahar aFädäb von Ho§ry, gedruckt auf dem Rande der
früher angeführten Ausgabe des *H:d alfaryd.
I.
I
— Die ]
y
^ G9 Mt ^ «• c
ftM — Die Fracht des Sarb-Baiunes: ^ i>^, ^( JU
o^Uil « LTL c>dx.l y^; ^^1 ..^ i W Ul^
ojfiJI &JuP ^jf*^yjy — Tanbyh, fol. 106 ^ und 107 •.
Die bezogene Stelle findet sich bei Ibn Wall&d:
KitHb alma^ur walmamdud fol. 1. Das Wort kommt
nur in der oben angeführten Stelle des Zohair (I,
V. 16. ed. Ahlwardt) und in einer Tradition vor,
die im Täg-ararus sub voce citirt wird.
^fwl — (jV?^- Trog, Kufe, Badewanne. Agh&ny V, 32, Z. 7 ;
XVni, 143, Z. 6 V. u., 147, Z. 16; XIX, 51, Z. 11.
Persisch ^V?'»
B«itri^e snr urablidhen L«zikoKraphl6. 187
— (jCLj\ auch ijd^l = y^^yJ^^ die Zeit. Ibn Doraid
S. 153, Z. 1. Generalog. etymolog. Handwörterbuch,
herausgegeben von Wüstenfeld.
^i -- ltM ;^' = ^l-^l^ Shifä S. 36. — &3^ ^1,
ein giftiges Insekt, die Tarantel. Fawät I, 135,
Z. 11: Journal asiatique, 1854. Aout-Septembre,
S. 225.
dbl — Der Saum des Gewandes: y^ dUUJi ^1 v:;^J^I
L^K. Türkisch: etek. Saif aljazan, S. 56.
^i\ — sjyl nächtliche Erscheinung, Gespenst. Ma|^^:ary
I, 198, Z. 4 V. u.: Hj-^ ^ ^Jf^ ^^^ »^Q J^^
J^yi ^iUöL s^b Jca.5l V.AAJLÄ oiiö^l. Vgl. Ibn
•Ad4ry H, S. 288, Z. 14.
*i1 — %jf, der für eine oder mehrere Pflanzenarten
geeignete Culturboden. Ibn Mamaty, S. 45: ^'LJI
^ aJ:^I dUUJI, der Aetherhimmel. Ma^ry 11, 740,
Z. 1 V. u.
^^^1 — iüL^I grosse Schüssel: Mas'udy VIII, 270. Chi-
nesische Vase: Ma^ryzy I, 415, Z. 14.
" • t
\0\ — 8^4>l, Elephantiasis, Hodengeschwulst, sehr ver-
breitet in Aegypten^ auch xwü? genannt. Gabarty
IV, 275, Z. 15.
vsjuf — aüy, die Grube, worin Feuer angemacht wird:
^\y_ iJ p;b L^ Juu2 gyi* L^l y^5n i U|,*S«,
v&>p'l ««4>S ^^' ''^y ^<^* Tanbjh fol. 80*.
^y — eine Art Stoff: Agh&nj V, 173, Z. 12 v. u.: ye^
188 Kr«in«r.
^\\ — ^\U In einem Gedichte des 'A'shk heiflst es:
^ßn ^iX^l ^^ läjj ^. Aber Abu 'Obaidah und
A^ma'y überliefern die Lesart ^\\ als Plural von
&3U, das die Bedeutung von JuIJum; Unglücksfalle,
haben soU und sie erklären ^\l als gleichbedeutend
mit «y, Bedrängniss. Von andern jedoch wird die
Lesart ^jl beibehalten, und zwar soll &3jl, Plural
{j)^y folgende Bedeutungen haben : Unglück , die
Linie auf dem Kopfe des Chamäleons^ und endlich
im Dialekte von Bagdad : frische Käse. Ta^bj^»
fol. 128».
^sl — V. sich um etwas bekümmern:
,Er kümmert sich nicht um das, was in dem Kessel
seiner wartet, und es nagt nicht an seinem Einge-
weide der Hunger/ Der Vers ist aus einem Gedichte
des 'A'shk B&hilah. Ash'ftr, fol. b\
8 J, Die Ghrube, in der Feuer gemacht und dann
das Brod gebacken wird. ^^} ^)l ^ vJ^ SjiäLl
U** pi (52?» (5»3 ^i J^,'.Ta9hyf, fol. 56 f.
j\l — )rh^ ^^® Hüfte, Jjrf? In einem Verse des Abul*
Nagm al'igly:
JppI I^U ^1 ^^ l'yL ^ ^ L^A^ ^ i> .Uaj
Ash'Ar. fol. 198*.
v£>K^\Le = "S^K^S^ in dem von Qarjry, Dorrah
S. 52 angeführten Ausspruch des Propheten.
^\l — ^y oder iü\l = iUxl, Unglück, Schicksalsschlag,
Widerwärtigkeit. Ta9iyf, fol. 128^ Vgl. ^^ J.
^\l — ^ iM, indisches Rohr als Lanzenschaft.
'Orwah p. 40, Z. 11, aber auch gleichbedeutend mit
^U^ gebraucht Aghäny XVm, 161, Z. 6.
Beitiige znr umbisehen Lezikographi«. 189
fMi\ — ^vM't ^t4>, ein Haus aus Ziegeln und Qyps er-
baut, Aghftny XVI, 43, Z. 1. So auch in den Mün-
chener Handschriften, 472, fol. 16 r«, 495, fol. 9 v».
»>lj4XjLftiwt — eine Speise, sauer eingemachte Rebhühner. Agh&ny
X, 125, Z. 7. Persisch: b Juju«-
^JL*S — auch ^jSiM*^ der Wein der Nichtaraber (j%j^Lfcl),
oder auch ein aus Negerkom(Hx6) bereitetes Getränk
der Abessinier. Mowatta' IV, 27, Z. 9.
S%LmI — pl. ^L&l, Derwischbrüderschaft, religiöser Verein,
Qesammtbezeichnung flir die Bettelderwische. Ga-
barty IV, 120, Z. 17; 165, Z. 22.
c^o^l — der Blinde, im syrischen Dialekt. Shifit S. 38.
Das Wort ist sonst nicht zu belegen und denmach
sehr zweifelhaft.
J^l — JloU^I sich aneignen. Gabarty IV, 299, Z. 14.
^\ — ^Lif der Bock. Aghftny XVH, 30, Z. 9: ^J*^\
^^u^\ — eine Art Jagdfalken. At4r-alowwal S. 140, Z. 5 v. u.
(jÄjjW — pl. von ji^—jj^ (türkisch), Klepper, Lastpferd.
Gabarty IV, p. 226, Z. 13 v. u.
J5f — Vr^9 *6^ yöJJI oS\i sprichwörtliche Redens-
art: er genoss lange Zeit Essen und Trinken. Kämil
S. 125, Z. 11. Ed. Wright.
^\ — jüidi p^Lue. MatryzyI,416,Z.17 v.u. Silberne
Eoiöpfe oder Knäufe.
i(^^t — gestreifter Stoff aus Baumwolle und Seide, türkisch
Alageh genannt. Gabarty IV, 223, Z. 5 v. u.
JmIjJI — pl. v;;»LMl4XJi) Name einer Söldnertruppe: r-^^
I* d^^^ e^5 J^ t,i;' 45!-*^» (fjr**'^ «^*>J' ^^'^
^^ K^yi ^y Gabarty IV, 127, Z. 16.
190 Kremer.
f,\ — ^1^1 ^\ die Flamme, das Feuer. Sa*:» X 159, Z. 3.
Jkx*^ |ll die Welt. IsfaMny 11, 217, Z. 10.
*L4^ l»l der Verrath, Eidbruch (ösJL^) Aghäny
V, 157, Z. 11.
(jJ^ |ll Hyäne. Meid. m. S. 1 18. Z. 8 v. u.
^^A^l ^1 Hyäne. Ta§byf, fol. 59.
^ Ä ^^ ^
yo\ — yjoiS sich verhalten, sich benehmen, thon wie ein
Emyr. Gabarty IV, 307, Z. 3 v. u.
0 a.
yjolf pl. v:L>lyo|, terrassenartige Anhöhen. a~ *6\yji
^jJh^jJI^ viyUi^y,. Ta^byf, fbl. 158, wo als Beleg
der folgende Vers angeführt wird:
2ü%^i, Befehlshaberschaft, Emyrat. Gabarty IV, 11,
Z. 11 V. u.
^ — iU^U, das Feuer. Shifit S. 210.
%^l wuot — Stallmeister; jICim wajoI, Jägermeister; |%Jx uu«!
General (Mirlivä). Sobky, fol. 13.
n^l -- - VÄ)L^i[f vieJI^ Imhät, eine Dattelart. Ma^jyzy
n. 24, Z. 8. Kremer: Aegypten I, 214.
^^t — pl. v:i»LfOl, die Mangofrucht, aus dem indischen,
^ auch ins Persische übergegangenen auj|. I§tachry
S. 173, 176; Taaliby; Lajätf S. 110. Conserven im
Allgemeinen: Shifä S. 36. Mangoconserven: Kremer:
Culturgeschichte I, S. 301.
^L^l — ein grober, einfarbiger Kleiderstoff ohne Dessins.
Mowatta' I, 182, Z. 16; Bochäry 254 (KitÄb al§al&h 14).
lP' — vj'^'? 61^6 Art Stoff von Gewändern. Ma^^ary
n, 1200, Z. 10.
^y\ — i^^^l (jM^lj P"* (5-»*'l;'i ^^^^ 'A.rt von Gründen,
die in Betreff der Steuer einer besonderen Stellung
sich erfreuen. Gabarty IV, 93, Z. 3 v. u.; 95, Z. 6;
123, Z. 2v. u.;28l, Z. 9v. u.
Q « . ^ g^
BeitriLge xvr arabischen Lexikographie. 19 1
J^l — ^jli ^^i, nach and nach. Ihn Mamäty p. 34.
Vulgär: J^b J^l.
jl — väajI oder ool, eine Interjection, welche die Ver-
wunderung ausdrückt, w^kaJJ und mit ^ construirt
wird, wie in folgendem Verse:
wozu der Ueberlieferer noch die'Bemerkung beifügt:
Lä^l *;45r Taebyf, fol. 127».
J4I — Slj^, Stützpfeiler. Ibn Doraid p. 104, Z. 10 v. u.
^«*^
« . > .-'
Jijl — )u^l c^t^, Name einer Schlange in einer alten
Legende: va^ttnatv-ftJLJf ^^ül ^vaöl^&A&>&JL;tcjtj
kM^^ O-^' J^- Sakt I, 197, Z. 14 V. u.
^1 < — eine Art Tanz: ^^\ &^ J^ ^jju v^Lc^ t O^j^^
ik ^ül ^^1 JüUx^jjl ^ oai^l. Aghäny XIX,
139, Z. 3.
l^t = ^1, was, was für ein: aJÜI Jux b ö\juo &J JUi
cUa-p Ijü» Jli Ijüö ^\ ^j^ ^1 Bochäry 2218
(Kit&D almagh&zy 61). Hiezu bemerkt der Com-
mentar: cLjyl ^j^ H^'^ '^ W' ^>^* ^g^* übrigens
Lane ad vocem »jI*
LU — der Flecksieder, Fleckausbringer. Sobky, fol. 49 o.
v^UÜI SL.1^ iJiy J^ ^^ ^1 ^U ^y ÜUI
ilUo^^. Der Barbier ^)Ji- Shifä S. 48.
(jM^L — ein Kosewort für kleine Bender. Bochary 763:
^1 ^1^ Jli d^l ^ o-^L U JU
«^Lj — Verzehrungssteuer, Zoll auf Lebensmittel. Shifä
^ S. 43. Türkisch: -.b-
6f.
192 Kremer.
^U — j^, das in die Erde gegrabene Loch, worin das
Fleisch gebraten wird, wie im folgenden, von Sok-
kary überlieferten Verse:
Ikd^U s-illll jJ^öJ ^1 ^JL^qÜJI
Das Wort Lox hat hier die Bedeutung von 4>LLo,
Bratspiess. Ta^byf, fol. 92 b.
»U^b — Persisch: »L^b. Shifä S.44.
^b — Vni. In der Tradition bei Bochäiy (3904 Kitab
altaubyd 36) überliefert IJatädah die Lesart ^UjI
statt jljül mit der Bedeutung: aufsammeln, anhäufen
JJLXi)b — Gfit^iz: RasäYl, fol. 68^ wo es von den Türken
heisst: ^j^^^ ^Ikjül C>yXjJ\y sJ^4^l J^AkJt LÜ^
— Im Persischen bedeutet ^^^^X»Kb den rückwärts
bis über die Schultern herabhängenden Besatz des
Mantelkragens. Es handelt sich also um ein eigen*
thümhches Kleidungsstück. Vgl. de Goeje: Biblio-
theca Qeogr. Arab. IV, S. 278.
v:i)ljuJLM#b — Wurf ketten zum Entern, auf den Kriegsschiffen.
'Atär al'owwal S. 196, Z. 1. Es heisst dort bei der
Beschreibung der Ausrüstung der arabischen Kriegs-
schiffe, S. 195: ^jiX 11^ C^fi\y J^yb LfJL^ 1^'
^ V äJ^*^S (»• 196) ^1^ ^Uyi^ ^)yXS\y
ö^iXe^ iüCo^ \^^^^ vJ (5'*^*^ J-wiL« ^^ vä*Läa-L«IJI
Jtb — oUtLJt, Eisenfesseln, (jm JyÜi ^1 Ij (jt;^^ Jl^
JliüÜI vidUUII^ J^I^I » Jü6. Antar, Heft 89, S. 549,
Ibid., S. 550, Z. 7.
Beitr&g« zur arabischen Lexikographie. 193
JL — Vni. sich stützen, sich verlassen ((X«>A£t). Tanbyh,
IM
fol. 14": ^ ^ ^y&AüJI (J^^) v*A ^1 4XÄj|,
— ^bl, stolzer, hochmtithiger. Meid. I, 195, Z. 6.
s5^
jb, die Schleussen, sonst gewöhnlich die
Kanalöffnungen, Abflussstellen. Ihn Atyr IX, 413,
Z. 6; n, 331, Z. 3.
äJ — ^, der Weih oder der Sperber. Kremer: Aegyp-
ten I^ S. 150.
ya^ — w— xa^., eine Schindmähre, schlechter Klepper.
Joyö ^^ ^ J^ ^Li ^ äaIä J^U. Aghftny
XIV, 167, Z. 12. Vgl MeiS. II, 81, Z. 14 v. u.
6 ^^
^j^, — J-i, Spalt, Riss. Gabarty IV, 312, Z. 10. ,j*äL?
pl. (jA^lo) fliessend. K&mil p. 153, Z. 17.
y^ — ^, von der Seekrankheit ergriffen werden. Ibn
Doraid, p. 118, Z. 10 v. u.
yAi\ A^U? bequem zum Sitzen, vom Reitsattel. Atar
al'owwal p. 156, Z. 3.
^«^ü •»(> = v^ü |»i>. Ibn Doraid p. 118, Z. 11.
lü JuUb iü>2^ eine Art Jagdfalken (aus Balangar
im Lande der Chazaren). 'Atär al'owwal S. 141, Z. 1.
%^^ÜI jaül, Byruny S. 268, Z. 3; die heissesten Tage
im Monat Juli. Shifä, S. 45.
— i<5i*^? ®^^® -^ Hühner mit befiederten Füssen
(Jjj^). Aghäny XVH, 101, Z. 13. ssAxi?, vom
Glücke begünstigt. — Ebenso: vaAJgyo. Mal^^ry
m, 101, Z. 16 V. u.
M^. — Gärtner, vom türkischen ^^lj.:gVf U« Gabarty
IV, 308, Z. 14 V. u.
SiUan(,'8ber. d. phil.-hist. Cl. CHI. Bd. 1. hti. 13
9 ^ ^ o^
194 Kremer.
jjjo — ^v^^' lüJuJf, ein besonderes Ebrengewand, für
Prinzessinnen, wie es scheint. TahsiTy III, iv, S. 1083,
Zeile 2.
Ijo — stob, die Wüste im Dialekte der Banu Tajji •
Tashyf, fol. IIP.
abiju, plur. ci^Ulju« Gabarty IV, 64, Z. 15 v. u.
(^Ut JuJI^ ^UJjtll |»ggJli» c^^* Scheint zu bedeuten:
die Zöglinge eines Derwisch-Scheichs. Mein Gewährs-
mann in Kairo konnte das Wort nicht erklären und
ist es nicht mehr im Gebrauch.
o — 8\o, plur. von %U. Ueber die besondere Bedeu-
tung dieses Wortes: Ibn Atyr 11, 304, Z. 13.
vjI, frömmer, der frömmste. Kllmil 135, Z. 19.
v:y|ljjo, Localitäten = ^Ul. Aghäny III, 184, Z. 9
V. u. Vielleicht ist zu lesen c^t^uo. — Der Mün-
chener Codex, 473, fol. 142^, hat v:y|^.
2üu^o — Ackerboden dritter Qualität. Ibn Mamaty S. 46.
giÄvJ — kitzeln, ausstöbern, aufkratzen. Syrisch^ vulgär.
4>v? — *J4X:>;J «>^!4- Aghäny XI, 161, Z. 11 v. u. ist
fehlerhaft für iüjow) t^yy^i also Mäntel der Leute
vom Stamme Jazyd, die sich eines grossen Rufes
erfreuten. Sie waren roth gefUrbt und deshalb sagt
ein alter Dichter (Ta§byf, fol. 149^):
,Sie straucheln, von der Spitze der Schwerter ge-
troffen, als wären mit (rothen) Mänteln von Jazyd
bekleidet worden die Panzer.' Nach dem Verfasser
des Ta^tyf (1- !•) sind die Jazyd Kaufleute in Mekka,
welche diese rothen Mäntel verkaufen. :Die Lesart
4>ow> statt Juyj ist falsch.
jjloo, der Vorhang. s^Lcui im Dialekte von Bag-
dad. Shifö S. 39. Vgl. abli>^.
^ ,JL-s.tt>o^ poetischer Ausdruck, um den Anbruch
des Morgens anzudeuten, weil der Schmuck^ den
Beitr^e zur arabischen Lexikographie. 195
die Frau trägt, dann kühl geworden ist. ^^^ *^r?
— (j^IvaJI 4>>J7 poetische Wendungen, um die sorg-
lose Ruhe anzudeuten. Shifä S. 49. — v-ftx^" ^y^
kühles (Wasser). Labyd S. 52, Z. 2. — §ol^. Die
Beschreibung, die Lane giebt, ist ganz richtig, aber
es scheint, dass auch eine besondere Vorrichtung
zum Kühlen des Wassers mit diesem Wort bezeichnet
wird, wobei die Wassergefasse in Bewegung gesetzt,
oder ein künsthcher Luftzug erzeugt wurde, was mit
Geräusch verbunden war. Denn nur so ist die fol-
gende Stelle (Atär al'owwal S. 114, Z. 7) zu ver-
stehen: ^j ^Lü ^1^ ÄJ^ ^ iü^tUf <X*flX ^1 ^^
5^ a.1 Jüu äJLJ JuJUI s^^ 8 J>I IJI »iiyö- Vor-
züglich passen hiezu die Erläuterungen Dozy*» zum
Worte
jo — erbeutete Griechenmädchen, weisse Sklavinnen.
Das Wort findet sich in einem Gedichte des *Aggäg,
von dem Ibn l^otaibah folgende Bruchstücke anführt:
\ ö.Jüy J,^ Äiiy I a^^. ^^- t^UxÄ JlJ^
^•«>i »J ,>«^ cK^ ' — =?•r^» '-ä^ SILo juujü
■^ o> ^^ ^ ^Ü^
I — *^l ^ ^I;i^ cj U.y:äil ^,;*ij iu^f oiX:^
Hiezu wird folgende Erklärung gegeben: rLjuüül
^yj, UjAiAÄ Ji«J JJiV »^4^ äÜÄa^pi MJ«
8 JuJI jJ^ r)^S ^5^' &Ua^ ^>J 2ü»yMJ U.ya;
W ^ IQ» "^
196 Kremer.
>^^
aüJUjÜu^t^ LTT^' <J^^ <^' '^ ^'Z' V^>J^ JüoLaJI
-.1^ j?^ oyül. Ash'&r, fol. 148S 149».
jlwo — Ackerboden, der besonders für Gemüsezucht
geeignet ist. Ibn Mamäty, S. 46.
aLp^ — ^Jb^^, Mostatrif; Ausgabe von Kairo, 1268 H.
II, S. 56, Z. 13. Betrüger, Schwindler/
|m1o^ — Holzbalken, Pfosten, plur. «aIoIo. Gabarty IV,
258, Z. 13; 300, Z. 13.
\^^yi — eine Art Schiff. Ibn Mamäty, S. 24.
|.^ — ,^^, ein Fussring, JL4BJLä.. Agh&ny VIII, 98,
Zeile 2. Ä4JW — Stoppelzieher, tire-bouchon.
^^uo oder ^^««üo, Factura, Waarenverzeichniss. Mo-
wattaHlI, 138, Z. 1.
^^^ -- plur. iüCtflo', Zigeuner. Gabarty IV, 198, Z. 12.
Kremer: Aegypten I, S. 141.
J^^yi — Tabary III, iv, S. 1169, Z. 14. Nach dem Shift
Z. 36 ist die Bedeutung von sl^v^ auch \y^^ also:
das Anhängsel, der Zusatz, das Hinzugefügte. In
der oben angeführten Stelle würde es also den Be-
satz, oder die aufgenähte Einsäumung bedeuten.
^^ — III = «U oder Jb. Aghany XIU, 103, Z. 9.
%w — statt ^\y j 8ji bei Freytag ist zu verbessern
^ ^ >» «
^jW S^7 und hat das Wort den Sinn gewaltig,
reichlich. Shifa S. 57. — ^)'v^) ^^^ Markt der Lein-
ölhändler, oder der Leinsamenhändler. Shifa S. 57.
Beiträge rar arabitclieii Lexikographie. 197
0»^^Uyj — eine Art Backwerk^ Aghäny IV, 97, Z. 11; 154,
Z. 7 V. u.; IX, 63, Z. 1. Ibn ^Jarndun II, fol. 185\
Vgl. ösyLoy Persisch: J^^Lo^j.
^O ^f
yM*j — y> m^MiyjuOj mit Hämorrhoiden behaftet. Vulgär.
Shifä S. 42.
SJ^JULmo — eine Speise. Ibn ^amdun I, fol. 136^. Persisch:
{JiJ^ — ^^Ij«)-" jSU^gJt, die göttliche Huld. Kibryt.
S. 226, Z. 8 V. u.
&3U^ — plur. vfi^bli^, der Vorhang. 'Ilam-alnäs S. 134,
Z. 6; S. 135, Z. 9 v. u. Das Mückennetz. Shifö S. 55,
jetzt &Lm«jcU genannt.
Mj^ — V. hässlich finden: i^-^JüLuLo* ^^amlÖj ^ü. Aghäny
XIX, 137, Z. 4.
o ^
dUi^ — ein Fünfpiasterstück. Türkisch: Gabarty IV,
312, Z. 6 V. u.
f^Mi^ — j»L^*, pl. [.xwLye, von starkem Ekel ergriffen.
Hädirah p. 4, Z. 11.
{jCLi — (ja AJ, Vulg. sehen, schauen. Aegypt. Syr. —
^Loj, Spion, Polizeiagent. Vulg. Aegypt.
^ = iySdJj ein Zettel, ein Briefchen. Gabarty IV,
61, Z. 1 V. u.
AJtÄJ — V. = 8 Jul^ ^ti-ttj, zerspringen, von der Haut.
Ta§byf, fol. 148»>. — ÄjLdj, Teppich ioLo. Ta9byf,
fol. 149». — P^*^7 ein Kleinhändler, Hausierer.
Vulgär.
Jaj — ii^i pl- w^i^i grosses Geftlss aus Leder: Lw^
jJLi-J ^;;j» 8*4*^ Gabarty IV, 202, Z. 12. Shift,
S. 43. Schmalztiegel.
yx» — ^flal = Ja^. Ibn Chaldun III, 35, Z. U v. u.
198 Kiemer.
fjtJoj — u**^' grosses Kriegsschiflf. Atllr aFowwal p. 197,
Zeile 4.
yiiaj — SLmJoj, grosses Kriegsschiff. Makryzy: I, 480.
Z. 16 V. u. — ijiioL^ = \J*yiaLuo^ zu Boden ge-
worfen. BocMry, 3900 (Bab altau^yd 31).
silioj — Register, Verzeichniss. Makryzy I, 415, Z. 9.
JlIoj — Jl-J^? ein Spassmacher, Possenreisser. &J Jli^
jJCLä)^ xjüo v,>jiJLj. 'AräYs p. 195, Z. 3 v. il —
JlkLJ = ^ItXj; Lügner. Gabarty IV, 249, Z. 14.
aÄIoj — Nüsse des wilden Pistazienbaumes. Russell: Na-
tural History of Aleppo.
^jJoj — »^Liflj, Unterfutter, Unterkleid, Hemd. Gabarty
IV, 228, "Z. 15; 255, Z. 5; 283, Z. 13. Der vertrau-
teste Freundeskreis, aüCäLbj ^^ ^^^ Juw^t. Tläm
alnas p. 163, Z. 2. Boehäry 3813 (Kitab alabkam
41). Futter des Helmes. *Antar, Heft 94, p. 121,
« i" >-
Z. 12. — X*;in), ein rauher Stoff aus Schafwolle,
weiss oder grau, auch mit rothcn oder braunen
Streifen am Rande verziert, dessen sich die Be-
duinen der libyschen Wüste bedienen, um eich
darin einzuhüllen, vorzüglich in Tunis verfertigt. —
aUloAX, ein gefüttertes Oberkleid: xlhiA^ ^ J^cJu
üLjäaJI ^\ Jjuo ^LmJjJo^, er trat herein in einem
gefütterten Oberkleide und eingehüllt in einen Shawl
wie die Rechtsgelehrten. Aghäny V, 109, Z. 9.
l»Jaj — n. grossthim, prahlen. So im folgenden Verse
des Abu Tammdm:
,Als mir klar ward an dir die Gemeinheit, um
welche sich drängt eine Seh aar (von Schwindlern),
bei welcher Grossthuerei als Regel gilt.' Dywan.
S. 198, wo »^>Ä. jedenfalls emendationsbedürftig
>• *» o ^
^ rf'O*'
Beitn^e zur arabischen Lexikographie. 199
ist. Vgl. auch den Vers im Journal Asiatiquc 1854,
Mars-Avril S. 300, Z. 1 v. u.
— unzüchtige Bewegungen machen. 1001 N. I, S. 47,
Z. 10 V. u. Ausgabe von Bulak vom Jahre 1252.
Aou — galoppiren (vom Kameel). 1001 N. I, S. 303,
Z. 6. — &3'jjwO ßJkM^ er veränderte sein Aussehen,
verkleidete sich, 2uiLM v^A.<flfc< aüJL^ c^^^iü JJ»«
; — *^S r^'' *^^^ C?*^^ *^^**^'^ ^^ »^'^^^
^Ui^iH, ».l/wi"- Antar, Heft 108, S. 76, Z. 10.
— ■••'! '1**1 EntsenduDgen. Gabarty IV, 269,
Z. 11 V. u.
^ju — AjtAX), der Schlupfwinkel der Eidechse. Meid.
II, 19.
— sich versammeln. Ibn Doraid S. 99, Z. 4.
Lju — rV. Bei Freytag ist zu lesen LiM%i sLsul i. q.
xJL^t statt aJLd.i.
^\«xLo — chinesisches Porcellan. Gabarty IV, 223, Z. 9.
jLij — ÄjJüüJI jf KjJI, eine Art Silbermtinzen, die alten
unter den Sasaniden geschlagenen Silberstücke. —
äJUb) pl. v:;^^Üü, eine Art von Sklavinnen, aus ge-
mischten Ehen von europäischen Sklaven mit afri-
kanischen oder anderen Sklavinnen entsprossen. So
nach Gabi? in Shifa S. 51.
— (jäUj ÄJLÄ^, ein ganzes Stück Kattun. Fawat I,
21, Z. 3 V. u.
^•U — Ackerboden erster Qualität. Ibn Mamaty S. 45.
aLijeUb — Ackerboden vierter Qualität. Ibn Mamaty S. 46.
Hiezu findet sich eine Kandnote wie folgt: j^g*'»*»M
— ni. anschreien, schmähen. Gabarty IV, 27, Z. 12.
200 Kremer.
^ das Pferd mit dem Zügel bewältigen, bezwingen.
Vgl. ^ 'AraiB 212, Z. 13.
s\(^»SyjS<i — Obertschokadar, Hausoffizier der türkischen
Grossen oder des Sultans. Gabarty FV, 249, Z. 3.
äJUo — pl. J^, Portion (einer Speise). Makryzy I, 493,
Z. 17: 2L-o^l JX? — idX^ ^^ J^^.
^ — v^^Lä ^5^13 = »-.lH. LabydS. 120, Z. 8. — SUSb,
ein Bogengewölbe, 8^. Gabarty IV, 190, Z. 14.
juXJb — Gefkss, Korb, Tasche. AghÄny Xu, 167, Z. 10.
— abbrechen, ein Gespräch, im folgenden Verse
des ^^)^l vfyA^^:
,Es ist, als suche sie auf der Erde etwas Vergessenes,
das sie verfolgt in ihren Gedanken, und wenn sie
mit dir spricht, bricht sie plötzlich ab.* Der Vers
schildert ein Mädchen, das vor Bescheidenheit die
Augen auf den Boden senkt. Ash'är, fol. 144*.
&^ Jb — grosses Weingefilss, Amphore. Makryzy I, 416,
Zeile 2.
^o — Dieses Wort, das bei Freytag in der Bedeutung
von vultur senescens erscheint, ist nach Ta§tyf,
fol. 35, durch Schreibfehler aus ^ö hervorgegangen.
Das Wort ^J erscheint in einem alten, von dem
Philologen Tawwazy tiberlieferten Verse:
^ ^ f ^ » o ^ e ^
ui;*5 fr**" '^ "^^^^ «^
^3*i»l ^ir ^i» iJjl,
Hiezu wird bemerkt^ dass i»^ ,. ,gAM das Weibchen
des Adlers, ^%£ das Männchen und ^ den jungen
Adler bedeute. Der Plural ist ^^"^^ oder ^y^»
Ta§byf 1* 1* Im Tag aParus findet sich aber nur die
B«iftrftge zur anbtaolien Lezikographie. 201
" 9
Form ^o und, wie bei andern Lexikographen, auch
die Form ^-J^S und so dürfte die angeführte Stelle
zu berichtigen sein.
C^aJb — die Bestechung := Sj»^s. Sha'räny: Albabr
S. 94, Z. 10.
iftJb — in. Aghäny Vm, 110, Z. 13 ist zu verbessern
in iaJLo.
kXj — 2>^AJb, gelbe Lederpantoffel, Fussbekleidung der
untern Volksclasse in Aegypten. PI. AJLj. Ibn Chal-
dun V, 475, Z. 11. gibt Gabarty IVr95, Z. 16.
^j^yoXi — pl. ^^dioJUb soll ein Wort sein, das aus einem ge-
fälschten Verse stammt. Das Wort selbst findet sich
bei Byruny S. 254, Z. 17, dann im Tanbyh, fol. 108^
wo die vorhergehende Bemerkung gemacht wird und
bei Ibn WallÄd im Kitab alma^sur, fol. 7 *, der aber
gegen die Echtheit nichts vorbringt, sondern sogar
aus einem Gedichte eine Belegstelle anführt. Im
Mogmal aber fehlt das Wort, während Gauhary es
aufgenommen hat.
äü JCJLj — eine Art Jagdfalken, siehe Jb%^.
.^IJjftl - Ibn Atyr II, 391, Z. 6 v. u.: 404, Z. 1.
^t^jJo — Mal^^ry I, 184, Z. 13, ein spanisches Kleidungs-
stück (vielleicht polaina, Kamaschen).
iü%l Jüü Xhjjifc — Extrapostsendung, Reservatdepesche. Tabary HI,
IV, 1130, Z. 17; 31, Z. 1.
— Gefilss, Riechfläschchen? Makryzy I, 415, Z. 10.
Lü — iLJjiH, Name der Anhänger des Amyn, sind
identisch mit der Truppe, die den Namen 5ar-
bijjah führt. Ibn Atyr VI, 200, Z. 4 v. u.; 208,
Z. 7; 223, Z. 10. — JJLJ cyLü — edle Pferde.
Lojum, fol. 240 r*. JJlby ist der Name einer be-
rühmten Stute. — >i va>Uj = J^ <yLjo, weisse
202 Kremer.
weisse Wolken, die vor Eintritt der Sommerhitze
sich zeigen. Tanbyh, fol. 85. — \^)^^ ^^^^j auf-
gewärmte Suppe. Shifa S. 54, — o^f c^vjü, eine
Pflanze. Meid. II, 709.
ia^j — iäiöL. In dem Verse des Shabyb Ibn albarsä
Tanbyh, fol. 11».
(34^' — L>4^' U^'? sßlir weiss. Ibn Atyr III, 41, Z. 6.
Vgl. <3äj odxjl.
JilpLjj — Athlete. Gabarty IV, 309, Z. 4 v. u.
^ o > > o ^
|V^ — l»g*^, 1»^ (^ *.<o^ südarab. behauen, ausgemeisselt.
Iklyl nach Müller: Die Burgen und Schlösser Süd-
arabiens, in den Sitzungsberichten der Wiener Aka-
demie 1879, S. 390, Note.
&JÜ — Gattung, Art = c^; dann das Schattenspiel,
von dem zwei Arten (äbL) angeführt werden: JLa^
ua»t Jl Ji9j>, und dann «>i\^t JLaS.. Bäbah ist der
Name des koptischen Monats, in dem die Nilschwelle
eintritt. Shifä S. 50.
d^MJu ^U Jyü ^1 ;L^ifl^ »^yi:)^. Aghäny I,
53, Z. 1.
,j^ — V. Aghany, Xm, 131, Z. 8. Ü^ viLijlö. Die
entsprechende Bedeutung fehlt in den Wörterbüchern.
— &iy dJü3. Isfahäny II, 371, Z. 2 v. u. Ein Igel
besonderer Art.
— i^y^^ (^y^^^N oine Art Birne. Ibn Mamäty
Seite 45.
0-» ^B-'
oder &— AO, Wasserabfluss, Rinnsal. Ibn
Doraid S. 44, Z. 9; 147, Z. 5 v. u.
— II. einfügen, einsetzen. öy^\jLi\ ^\s ä^^ x3t 0^
fti^ ^ '^^«^ ^^^7^ ^^^^ ^^^^ '^'^ oUlmJI ^. Saif
Beiir&ge zur arabischen Lexikographie. 203
aljazan S. 77. — ä^LIj, die Nachtwache, die Nacht-
wächter. Mafc-yzy 11, 200, Z. 14 v. u. Es ist von der
Nachtronde um den Palast des Sultans die Rede:
äjLJI^ Jydo^^y Jl&U^I^ vr^'^' ^y^y
uugu — pl. vaä-Uj, Lastpferd, Wallache, von dem türki-
schen yi^^i das bejgir ausgesprochen wird. Gabarty
IV, 202, Z. 1.
^j - ^lli, Dünger, pl. v:yUlL. Aghany XVin, 11,
^ Z. 8 V. u.; 12, Z. 5. K&mil S. 245, Z. 13, wo sich
die Anmerkung findet, das Wort ^Iaj bedeute dl«^
,Fisch^ und ^)^Laj sei das, womit man den Fisch
fängt. Hiezu stimmen aber nicht die oben ange-
führten Textstellen.
,j Jüu oder ,jJuu — ier fUr die Jagd abgerichtete Weiher
oder Sperber (^J-&b). Atär al'owwal S. 138, Z. 3
v.u. Es ist wohl (JfJuo das Richtige. Vgl. Shifa, S.41.
iÜmüu — eine Ai*t feiner Trinkschalen: ..>A^LLaJt ..ho c%j
^yi JIjÜI. Gabarty IV, 224, Z. 2.
y^j&tj^ — yXAxjJ\ v..JoJt, eine Art Datteln. Ibn yamdun,
fol. 187. '*
^Lo — Weisswaare, Leinwand. Gabarty IV, 206, Z. 1
V. u. Die ägypt. Aussprache ist ^jöLaj.
— *Löli ,11, der Kessel. 'Orwäh S. 35, Z. 15.
s:J^ — Wasseruhr. Zahr aFadab I, S. 363, Z. 7. Vgl.
persisch ^1^^/ Vulgär r^Kjo oder u^Kjue.
^ÜLo — Meissel, Grabstichel. 1001 Nacht I, 247, Z. 1
V. u. v>h^^ xijJaJ 'isJofO^ ö^yAi\ ^jjo K(Co oa»%^t
204 Kremar.
8\Ü — frisch = (5>^* Türkisch-persisch. Syrisch-aegyp-
tisch vulgär.
yju — n. vergolden, ausschmücken: Lozum, fol. 107^:
^ o^ ^^ ,yij-i v«M^ pi^^ ^ ^^ ^5t>Ji tM^
^^9 > o*»
Aö — Py^^ ^^^ einem Geiste (/•^l^*) heimgesucht.
Aghany IH, 189, Z. 17.
9 0^
^^^* — (jH^I V)^' ^^® Milchstrasse. B&kurah S. 9.
^ — ^j^, vulgär statt .^*. Ihn Doraid S. 120, Z. 9 v. u.
vüAi^ — pl. c^^) Kisten. Koffer, WaarenbaUen. AghAny
V, 63, Z. 6: 8^— Aä^ (^Lyy't^ V? c^^ ^^* ^«-f-^^
«M .^9
^y^ — CS^'t^' Spitzname der Anhänger 'Aly's, der den
Beinamen ^^lö ^1 führte. Ihn Atyr III, 397, Z. 18.
•ikd n, 301, z. lo;
i>jj — ^y^'i Binsenkörbe oder Fischreusen. Makryzy
I, 494, Z. 18 V. u. siUiJI L4Ai ^1 öjbj\y
^J> — U*7^^ Schimpfwort: Elender, Wicht. Syrisch,
Aegyptisch. Vulgär. — ^jj^jJS^ Eseltreiber, welche
Erde, Schutt oder Getreide auf ihren Thieren in
Körben transportiren. Gabarty IV, 31, Z. 13; 273,
Z. 8 V. u.; 281, Z. 8 v. u.; dann 1001 Nacht T, 75,
Z. 2v. u.; 76, Z. 1.
^ o ^
&:^y3' — pl. v:Dl^y>, Hobelbank, aus dem türk. sKi^miO.
Gabarty IV;291, Z. 2 v.u.
^j*sJLi — ^j**yüuo, unglücklich, dem Untergange geweiht.
Dorrah S. 82.
syÄkj — Der Kaiser von Byzanz. Aus dem Armenischen:
takavur. Aghany XVII, 45, Z. 5 und 7.
Beitr&ge snr anbiachen Lexikographie. 205
Jj — Jb i34i>l, sehr einfeltig. Meid. III, 117, Z. 9.
»>^ - '^
j^Jü) — der innere Sudan, Centralafrika; davon ^^^%xj,
pl. ^jl^') einer der aus dem Sudan stammt. Mal^^ary
m, li3, Z. 4. Kremer: Aegypten 11, 280.
aJu* — /JJuuMüO, hoch emporragend. Nöldeke: Beiträge
S. 139.
— c^U^'l, zusammen mit s a "i^Lfc gebraucht.
Sportein, Naturalbezüge. Gabarty IV, 171, Z. 15.
Vgl. zu viyliiül. 5am&8ah, S. 380, Z. 5.
iL) — - v^', pl. ^LIJU), (telj) im Dialekte der Beduinen
von Qig&z das Lamm. Es entspricht dem hebräi-
sehen Hpip und dem altarabischen iÜ0, pl. ^LJio,
Nach mündlicher Mittheilung des Professors Dr. Ro-
bertson Smith. — «^ auch Jc> ausgesprochen : der
Draht. Türkisch: Ja. Gabarty IV, 314, Z. 10.
JL«J* — immer, andauernd. Adverbial gebraucht. Syrisch,
ägyptisch. Vulgär. Vom türkischen ^JULjJf.
I43 — ^b = aJl^S stolz, hochmüthig. Meid. III, 53,
Z. 6 V. u.
v:l9L) — J^Y^I vs^lj) sich in sein Kleid verhüllen, sich damit
bedecken : ^yiS^ ^^ä^sü^I 1 61 . Ibn Doraid S. 59, Z. 8.
oü) — n. >\y^\ *i^S schwächen, entnerven. Mas'udy
V, 94. Es ist wahrscheinlich zu verbessern &j «J.
Jüüü — tetal, vulgär statt JüOj, der Steinbock, ibex.
--U — ft^^i sehnsüchtig. Diese Bedeutung giebt Ibn
Doraid S. 1G2 mit Anführung eines Verses als Be-
legsteUe. Sie ist von den späteren Lexikographen
übergangen worden.
^Ü — RjumaJI c^KLaJI, Erklärung dieses Ausdruckes.
Dorrah S. 7.
206 Kremer.
ijt^y^ — Vulgäres Schimpfwort: Syrisch, ägyptisch. Es
ist das altarabische ^yJO in modemer Aussprache.
In demselben Sinn wird (jmuu gebraucht. Shifa' al-
ghalyl S. 62.
^^
wÄJ — vA^p^') pl. w-Aö^ÜI, .die Trebem oder Trester
(Hülsen von ausgepressten Datteln, Trauben oder
andern Früchten), Aghäny XIII, 28, Z. 12 v. u. —
99 IM
n. &^yAJ = «üuiOjX, breit machen, erweitem. Ibn
DoraidS. 120, Z. 10 v.u.
Jläj — VII. bei Dozy nach Ibn Doraid. (Wright) S. 25,
hängt offenbar mit der Wurzel >*sp^ zusammen in
der Bedeutung sich erweitern, sich ausbreiten.
Vo — Jü^-, eine Pflanze der Wüste. Agh&ny XIV, 95,
Z. 1 ,j6;ilb iüuD ü ,jy I &JLJU ^UäoJI kÄASO äJLaj
— zur Schlange werden. Mak|^ary II, 766, Z. 16 v. u.
j-ftj — X. ^AaxamI = jUl, in Bewegung setzen, auf-
wühlen. Aghäny VIII, 68, Z.l v.u. ^^^L cjLqaa^jo
Lftj — (5*^7 ®5°^ Frau, welche drei Gatten hatte. Dieser
Bedeutung liegt aber eine andere, ältere zu Grunde,
und diese deutet auf die alte Polyandrie hin, indem
das Wort eine Frau bezeichnete, die drei Ehe-
männer hat. Den Beweis hiefür finde ich in ein
paar alten Reimen, die anlässlich einer lexikalischen
Erörterung im Tanbyh, fol. 76 r® angeflihrt werden.
Ich lasse sie hier folgen, indem ich nur beifüge,
dass man sie dem weisen Lokmän zuschreibt. Die
Stelle lautet:
Beiträge zur arabischen Lexikographie. 207
^^
,0 du Besitzer des schwarzen Oberkleides — und
der gemeinschaftlichen Gattin — sie kommt nicht
dem zu, der nicht dir (befreundet) ist/ — Wie
immer man den letzten Vers verstehen mag — denn
der Sinn ist dunkel — so zeigen doch die beiden
ersten deutlich das polyandrische Verhältniss, das
später in volle Vergessenheit gerieth, so dass der
ursprüngliche Sinn des Wortes ^ — Üjo ganz verdun-
kelt ward.
iuaSI, pl. ^jÜI und oLSl; ausser der gewöhnlichen Be-
deutung wird der Plural gebraucht zur Bezeichnung
einer Gruppe von drei Sternen in der Nähe des mit
dem Namen ^d^^ bezeichneten Sternbildes. So
sagt Bofetory:
^Ü5I|^ ^ ;UJI ^ ^ ^i li L4J ::^\ 0ÜI5
Shifä' alghalyl S. 27. '
S — vlsli = ^^yüüo. Tanbyh, foL 38^ ZM^ be-
» deutet sowohl ,durchbohrt', als auch ,angezündet',
und in letzterer Bedeutung findet es sich Agh&ny
^ .^•^ 6 o ^^ if
XV, 71, Z. 1. LäLo UI^ ^^ v:;^^^ Uit Vgl. Lane.
Jju — Jäwo, ein beladenes Kiimeel. Tastyf, fol. 17«*
und 86 ^
Jlj — JaIÜIj pl. von J^ijl, veinnuthlich Schreibfehler
für JuJLS, pl. von jy^-. 'Arais S. 166, Z. 11 v. u.
Ji — ^^ Sicherheit, Gemüthsruhe: ,5jJI ^jj^\ JJÜI
ÄAi ÄJu^. Mowatta' IV, 71, Z. 4 v. u.; vgl. Lane
sub voce. BalÄdory 214 c^mJÜI und die Bemerkung
von de Goeje zu dieser Stelle.
1^ — l»iJu:/>, poetisch für \jdys^^ d. i. der steinerne Trog
am Brunnen. Labyd S. 64, Z. 2 v. u.
208 Kremer.
Oo"
Jl^i* — cl^*, dauerhaft, beständig. Zohair S. 90, V. 26
(Ahlwardt).
^ — kl^Ujl. Isfahany H, 205, Z. 11 v. u. Die acht
Kurflirsten von Jemen, welche den Oberkönig wähl-
ten. Vgl. Kremer: Südarab. Sage S. 125.
^yo — ^^)^) pl. ^y^i der, welcher nach dem Opfer-
feste in Mink noch zwei Nächte dort verweilt; das
Wort findet sich im folgenden Verpe des Dü-lrommah:
Tanbyh, fol. 23».
v^tä — v„^A^ü, eine Reiterschaar (poetisch). Hamäsah
S 526, Z. 8 V. u.
^U — wui^ ^LoU. 'Antar, Heft 114, S. 286, Z. 17:
grosser Vorhang griechischer Arbeit, mit aufgenähten
Flecken (oder runden Ausschnitten) von Gt)ldbrokat.
— In der Bedeutung Becher ist das Wort schon
früh aus dem Persischen herübergenommen worden.
Vgl. Bochary 1739 (Kitäb alwa^äja 36). Das Worfr
hat auch die Bedeutung: Tasse, Platte: va^l a\s^
J^\y}^ mehrere Tassen mit Mandorlate. Mas'udy
Vin, 270. — |*^L^ yjj, ein mit runden Flecken
benähtes Kleid. Ma^a-yzy I, 410, Z. 10.
wÄ — wÄ' ^^® Vertiefung, der Trog, in dem der Färber
die Wolle f&rbt. 'Ar4is S. 423, Z. 13. ^.Ä^yj Z^
= i.vOJi S« öj, das Grübchen am Kinn. Shifä
Seite 70. — o^xä? — 9jS£\ ^jO »Jo w^6 ^ JJI.
Sobky, fol. 13»>. '
^^:> — ^ffe>"i pl. ^L«^7 Bienennester. Mal^l^ary 11, 696,
Zeile IH.
• ^.
B«itrifs s«r »nbiseken Lczikographie. 209
— in Kairo CoUectivbezeichnung der Leute von der
ostafrikanischen Küste.
\j*j^ — LTH^) GypsBtampfer. Gabarty IV, 198, Z. 2 v. u.
Li^ — n. iuaAJI, verkehrt, mit dem Gesichte nach
rückwärts (wie die Verurtheilten) jemand reiten
lassen. Boch&ry 3606 (Kitftb almob&ribyn 10) vl^^l
L»-y^*-*- — \J^^ ^S^ = jj^' V^^- scharf-
sehend. AghÄny XI, 142, Z. 7 ^U. ^Uä. Ju.1 ^
<^ v5<^ v:^^^ wozu bemerkt wird: ^^^j^I ^^^L^
yjiJI JoiXÄ ^^^jüJI v^U^. - *Uil bU^, Wasser-
behälter. Ibn 'Adäry 108, Z. 5.
-o^
,%ia. — IV. = n. Kämil 223, Z. 12. — j^-Jü^l, fest,
schwellend (vom Busen). N&bighah VIi, 30.
J3^ — ein Thier^ das der Heuschrecke ähnlich ist und
auch fliegt. Ibn Doraid S. 29.
l^ — ^^*^s auch L^ oder ,^« der arabische Eulen-
Spiegel, Witzbold, Spassvogel. Hiezu macht l^aljuby
in seinem Nawädir S. 81 (Ausgabe von W. N. Lees,
Calcutta, 1856) die Bemerkung: |^l la^ ^1 |JUt^
^\ aJUI^ 1^ I,ä4 La?. •
iX^ — ^<J^) kleine Kupfermünzen, Para: Gabarty IV,
313, Z. 12» Im Singular JoJ^. — Ein Para =
10 Gadyd.
4>lJi^ — Fetzen, zerrissene Kleider, angeblich vom per-
sischen (>lj^. Shifä S. 68.
sd^ — *^\ \ib^^ eine ungerade Zahl, eine Zahl, die nicht
durch Multiplication hergestellt werden kann. Shifä
Seite 77.
e J^ — £^^9 P"* \J^^^ (gAtl'^i^) 9 iii^ ägyptischen Dia-
lekt wird p4)^ b ja gada' gebraucht im Sinne von
^^i L, he Junge, Bursche!
SlUangsber. d. phil.-Utt. Ol. Cm. Bd. I. Hft. 14
210 Kremer.
^ys^ — ^sys^y eine Art Steine (Jemen) Ü^^-mm S
v^j^l ^^^-^aJI Jj^I. Mos4mer&t I, 183. — ^f^ in
der Bedentuifg: Heerde von wilden Eseln, gehört
nach einer Angabe des Jä|i:ut dem Dialekte des
Eanänahstammes an. Mard^id V, S. 48.
L^^aj^ — Meid. UI, 69; siehe Frejrtag sab: SL-Jiojuajj^
jbjub^ — Jagdtasche. Saif aljasan 11, 12. Patrontasche,
Aegypt.
^^U?^ — Aghäny V, 158, Z. 13.
a.1^ — Aghäny XVI, 76, Z. 4: ,f Uä ^ JJI ^y:^\ yL>
H^L^ g^Uifl *i^b^ .U.ifl ^L ^^,
jUs^I^I |»UJb^ iüo^Läi.1 8^^^ S^^UI^I. Diese
Angaben sind ungenau^ denn der Name Garägimah
bezeichnet die in den gebirgigen Theilen Syriens
erhaltenen Reste der alten, nicht arabischen Be-
völkerung. Kremer: Culturgeschichte II, S. 163.
«>*^ — II. einschreiben (in den Register der Löhnungs- •
berechtigten): &jju^ ^ &4«amI 4>^, Aghäny XVIII,
23, Z. 14. — S*^*^, eine Tnippenabtheilung. Gabarty
IV, 225, Z. 2 V. u. — Jol^l Jjöl, glebae adscripti.
Aman: Storia dei Musulmani in Sicilia III, 1, 238.
^o*
— «^>^l) Milch, deren Schaum abgeschöpft ist, die
keinen Schaum hat, Buttermilch. Ash'&r, fol. 192*".
Der Vers des 'A'shk Bakr, wo das Wort vorkommt,
lautet:
'^ f > C6 > >, ^** • . O -
,Ea geben uns BUrgscliaft ihre Hüften (der Kameele)
ftlr das Fleisch in unseren Kochtöpfen, und ihre
Beitrftge snr anbiMliMi Lexikographi«. 21 1
Eater (verbürgen) uns reine Milch/ In der Hand-
schrift der Wiener Hofbibliothek Nr. 241 (in Flügers
Katalog) ist eine andere, theilweise fehlerhafte Re-
daction dieser Verse erhalten, und zwar fol. 172^.
— Joyag, militärische Expedition. Gabarty IV^ 305,
ZeUe 4.
• • >»
^,0^ = ^Oytf. Ibn Atjrr V, 11, Z. 12.
-bo-a. — Agh&ny X, 136, Z. 17.
Der letzte Halbvers lautet an einer andern Stelle:
^^^juUläJI ^Ur^ ^^^7=^^- Agh&ny XHI, 130,
Z. 13. Persisch L^4>^ ein Braten. Siehe ^Iaa^
^^ - n. udiy^. AghÄny XV, 18, Z. 7.
oy>> — n. Rinnsale ziehen, zum Zwecke der Bewässe-
rung. Vulgär. Gabarty IV, 112, Z. 2. — o^^,
Rinnsale, Furchen (franz. rigoles); o%^, das Ufer,
der Rand = JLä. Gabarty IV, 116, Z. 8.
^)y^ — ein Gebäck in Damascus, dem dljiS-Zwieback
sehr ähnlich. Türkisch ^jm^-
— n. Geld erpressen, mit Accusativ der Person;
1^^, Gelderpressung. Gabarty IV, 307, Z. 8 =
f^^y^ — ^uuy^» pl. iüUl%£^, Name der alten, nicht ara-
bischen Bevölkerung in Irak. Kremer: Culturge-
schichte H, S. 164. ^&mus: ^Üul^.
y>^ — ^Sj^i Diminutiv von ^*ä^. Meid. II, 817.
v5^ — v^XJnJI Kxix ^Sys^ ^jjo ; wer von liegendem Besitz-
thum ein fixes Einkommen hat. Ibn Atyr H, 392,
Z. 8. — (5^(-4') der fixe Gehalt. — <5jl^l n^äLö,
der Zahlmeister, pl. <5^l^l. Agh4ny III, 95, Z. 7.
Ibn Mamäty p. 33. — v5^t^i leichtes Gewicht, im
14»
«■ ^9 ^
212 Kremer.
Q^gensatz zum schweren (^v*a4* Ibn Mam&ty p. 37,
49, 57.
La. — ils^^ Koranabtheilung. PawÄt 11, 109, Z. 4; 160,
Z. 12. Collegienheft. Faw&t 11, 163, Z. 5.
cy^ — ^y^t Futteral eines Buches. Aegyptisch.
Jy^ — &J^, ein Stück. 1001 Nacht I, 73, Z. 11 v. u.
dU^ &J^ = 75, Z. 11 dU^ uiLij.
— Jüum^) roth ge&rbt sein. Ibn H&ni' p. 30.
M^ — IV. = I., gefrässig sein. Aghäny VI, 25, Z. 6.
Vgl. Ibn Atyr HI, 382, Z. 6, wo die V. Form: schwer
ertragen, scheuen, vermeiden wollen zu bedeuten
scheint.
— eine Speise, eine Platte von einer Speise. Aghftny
XIV, 113, Z. 7 V. u. Aber die Münchener Hand-
schrift 470, fol. 189^ hat an dieser Stelle ^^y^
Der Codex der Wiener Hofbibliothek hat
IM ,
(jto^ — eine besondere Krankheit der Falken. Atär al-
'owwal S. 143, Z. 7 v. u. Vgl. Jo^
— v^>>>7 Kameelmist: Freytag bemerkt aber nicht,
dass das Wort ausschliesslich dem Dialekte des
Stammes 'Azd angehört. Agh&ny XH, 50, Z. 5 v. u.
^ — yMj^:^) die Hyäne. Vgl. JIac>, ausschliesslich jetzt
im Gebrauche bei dem TaV:yf- und Hodailstamme.
Mündliche Mittheilung des Professors W. Robertson
Smith.
Jhju^. — ^Jguu>, dick, plump. Ta^byfi fol. 89^ nach
'A^ma'y.
lb^ÄJu> — eine Art Schiff. G&biz: Kitäb al|]iaiwän, fol. 196.
Die bezügliche Stelle ist abgedruckt in meiner Ab-
handlung: Ibn Chaldun und seine Culturgeschichte.
Sitzungsberichte der Wiener Akademie, XUIU. Bd.
Seite 636.
— ^, der Pfeilköcher. Ibn Doraid S. 198, Z. 9.
BeitrAge zur arabischen Lexikographie. 2 15
J(X^^ — türk. y«>x5^, Kammerdiener^ Hausofficier im
Haushalte der türklBchen Grossen oder des Sultans.
Gabarty IV, 249, Z. 6.
— n. iaiLl Ju^\ Schönschreibekunst. Fawat 11,
23, Z. 5. O^ÄöP iaä.. Gabarty IV, 95, Z. 2.
— s^y^^f>", Masdarform, abweichen, abschwenken,
J^Jlc. In einem Verse des *Aggäg:
" * ^ " ^ ^^ ^ ' «.^ «^?^*'
,Allmälig entfernt sie (die Barke) von der Abschwen-
kung (in das imrichtige Fahrwasser) das Anziehen
der Taue (ZS') durch die Matrosen, wenn da bläst
in ihr aufgespanntes Segel eine irische Brise (i^I^Jl^),
die da kommt von den Bergen des Sinai/ Ash'ar,
fol. 216'*. In dem Manuscript der Wiener Hofbiblio-
thek Nr. 241 finden sich folgende Varianten: xjoÜü
v»Ä. — IV. --LÜsxLä-I, die feierliche Entlassung der
Pilger am Pilgerfeste. Vgl. Caussin de Perceval:
Essai sur l'histoirc des Arabes ü, 262. Aghany III,
4, Z. 17. — \Lä.I = V4d^l. Mit Unrecht hat Lane
diese schon von Freytag gegebene Bedeutung nicht
aufgenommen. Sie ist alt. Vgl. Tabaiy II, i, S. 225,
Z. 19. — ^)r?^J grosser, doppelt gewundener Turban.
Gabarty IV, 164, Z. 4 v. u.
|fty>. — 1*3 • Vt^^ ^^^ mit runden Flecken benähtes oder
gemustertes Kleid. Makryzy I, 410, Z. 10. Vgl. |aL^.
ay^l^ — pl. ol^l^. Aghany XII, 167, Z. 13 v. u.
k^^duQ i^^l^^ juLO^ JoU iU^ |*5ki, das junge
Huhn. Persisch £yo jLä, arabisirt in d^L&, Vgl
Damyry sub voce.
216 Kremer.
^y^ — (jy^' ^^® Grube, Bodenvertiefdng. 'I*l&m S. 306,
(bis), ^jy^ (jfljuo^, eine Speise. Aghänj XVH, 81,
Z. 15 V. u. — va>IJo^: Sha'r&ny: Albafer S. 72,
Z. 9 V. u.: Ä Ljjl^t lu3 J,li vidLo^^I cUId lil^
ij**«.ftJLJI: Schwelgerei. Vgl. (j^ bei Freytag.
»L^ — IV. = Ja^mI oder Jl^I, herabhängen la&sen.
Labyd S. 132, 133. Aber sicher ist dieses Wort
nicht; denn eine andere Lesart gibt an dieser Stelle
t statt ^Wt.
•• • •
.>x> — X. «^L^umI, nehmen, rauben, einsacken; in der
Diebssprache. Shifa S. 75.
= ^L&oa» ^(XS) ein grosser Becher. Aghany Xm,
112, Z. 4 V. u. Codex der Wiener Hofbibliothek:
O 9
ix^ = o^jtf, verdorben (vom Fleische). Syrisch, vulgär
migwif ausgesprochen.
c
— ^Jai\ vJio., die Krätze. Shifa S. 79.
— Gaukler, Poseenreisser. Gabarty IV, 198, Z. 11.
r*Ä. — ^j^ SwM>&. Aghany XIV, 30, Z. 7 v. u., dürfte
zu lesen sein: ..yjc^ S«jui^« und so schreiben die
Codd. in München und Wien. — 8)^-*^y die Ober-
priesterwürde (bei den Juden). 'Ar&is S. 230, Z. 2
V. u. — yAjtf, verziert, geschmückt. Labyd S. 80,Z.l.
— loA^, von kurzer Gestalt. Ibn Doraid S. 6, Z. 12.
— Ll^, Possenreisser. Sha*r&ny: Alba^r S. 189,
Z. 12. ^j» ,1 8^1 ^^ ^ ^jy^üJ y-Ul ^^
B«iirlge s«r arftbuchM Lexikographie. 217
^ÜUJU Loy& yS Usu^ jfJ^I ^^. VglDozy zum
Wort üfl-ZafiP.
y^kj^ — I. heften, binden (ein Buch). Sobky, fol. 40*.
(auch modern ägyptisch). — ^U^, ein Hefter. Ga-
barty IV, 198, Z. 4 v. u.
L^ — u^, pl. v'"^' ^^^ ^^ ^^ jemand hockt, und
die Spur im Sande, die er zuriicklässt, wenn er auf-
steht. AghÄny XI, 147, Z. 1 v. u.
yjs^ — Jütf = Ü^^i f®^*^ ^®s* gemacht. Labyd S. 77,
Z. 3 V. u.
x^ — lU?^, Thürhüter, Kämmerer. Sobky, fol. 14».
3t> — y^'^? der Fuss, der Rand des Berges JusLi jLftjM#t.
Gabarty IV, 29, Z. 17.
^ — VÄ^UV' v^L4'7 'Antar, Heft 114, S. 276, an
beiden Seiten mit Schildern behangene Streitrosse
oder Kameele.
— ^^? nach Frey tag: male nutritus infans, ist ein-
fach zu streichen, indem es irrthümlich für ^j3t
steht. Hiemach ist auch die Stelle in Nöldeke: Bei-
träge zur Kenntniss der altarabischen Poesie S. 128
— Q^
richtig zu steUen. — ^>^Ä3t, Schilf = yj^y^- Gabarty
IV, 300, Z. 14; 309, Z. iö.
— v:^lcX^I. lieber die Bedeutung dieses Wortes habe
ich in meiner Culturgeschichte I, S. 200, Note, ein-
gehend mich geäussert und ganz unabhängig davon
Dozy in seinem Supplement. Nach seiner Ansicht
bedeutet der Ausdruck v^tüL.^^! ^^1^ so viel als:
Polizeipräfekt , und in der That lässt es sich an
vielen Stellen nur so übersetzen, aber anderseits be-
deutet das Wort c^l Jl^I? wie ich schon in der be-
zogenen Stelle hervorhob, auch ein Einkommen und
die Aufgabe des v^tj^ft ^^1^ war die Einhebung
dieser Einnahmen. Wenn ich damals dies nur als
Vermuthung aussprach, so kann ich nun einen Be-
218 Kremer.
weis hieftir vorbringen. In den gesammelten Briefen
des Hamadäny findet sich ein, wie es scheint, an
einen höheren Beamten gerichtetes Schreiben, worin
sich die folgende Stelle findet (Hamadäny: Briefe,
S. 545): ,j0^jü3if ^b ^LkJLyy ^ v^ÜcTdLJU 4>^^
I^jU^ ^^^I v;:^J^* ^ v^liX^yi JLo ^^ \Juqj^\ ^JLc
vÄiqJlH v:;aj3I^ ^'-«all v:>XAäjoU v^tjjL4JI JL« ^. Hier-
aus erhellt; dass die A^dät eine Abgabe von den
Erbschaften sind, also eine Art Erbschaftssteuer.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass aber auch andere
Einnahmsqnellen ebenfalls hiezu gerechnet wurden.
— v32lyJI^ ol Jka^ifl VÄ>^. Mawardy S. 306, Z. 2.
Diese Stelle, die von Dozy nicht besprochen wird,
bietet grosse Schwierigkeit. Im Texte ist statt ^^aaj,
wie die Ausgabe von Enger hat, mit einer sehr alten
Handschrift in meinem Besitze zu' lesen ^«^^ wonach
zu tibersetzen wäre: ,und es erfordern die Häuser
für die jungen Männer und Mädchen zehn Millionen •
Dirham^ Enger (S. 32) versteht hierunter Waisen-
häuser. Mit Sicherheit lässt sich nichts sagen, so
lange nicht andere hierauf bezügliche Stellen bei
den Schriftstellern aufgefunden sein werden. — JjftI
öujjk^l, die juridische Schule von Irak im Gegen-
satze zu den \S^ji\ J^'? der juridischen Schule von
Qig&z. Shahrastäny: Haarbrücker I, S. 39.
yy^ — )^^ = )^ — *^ ij^T^' ^^^^ Krankheit (nicht
vulgär-ägyptisch). Gabarty IV, 22, Z. 11.
JiX^ — Ji^"^) Saum, Rand des Zeltes, wo es am Boden
befestigt wird. Ibn Chaldun V, 441, Z. 11 v. u.
Vgl. JtXa..
icX^ — iülcX^, der Weih, Sperber. Plur. ^jljL^ (vulg.
ägypt.). Sha'räny: Albabr S. 255, Z. 1.
»iX» — ij'^X^t PI- pl. von yiX^i sing. üj^Jl».. Aghäny
IV, 126, Z. 16.
Beitrflge snr arabisclifln Lexikographie. 219
' o
— o cX%) pl. o6L^, der Wurfstock, die Schleuder.
Ibn Doraid S. 51, Z. 9.
(4X2^ — S^tijL^, die äussere Erscheinung; das Aussehen:
^i^Lojf g^fiXÄ. IJüö g^lj^ loy Aghäny XX, 102,
Z. 8. (^jLtf. Abu Nowas, ed. Ahlwardt IX, v. 2 ist
fehlerhaft statt ^Jl^).
^ — ^1^1 ooül, Oel aus Saflorsamen: auch sa^., ^\
^Lä genannt. Gabarty IV, 291, Z.6. Kremer: Aegyp-
ten I, 210, 211. — ^^jtf, adscriptus, geweiht = >^4X3-
•Ar&is S. 403, Z. 16. Jto JjJ^ ^J:^ 161 ^^aJI ^I^^
— 2LAj^i (ijJLS. Vgl. Kremer: Culturgeschichtc
I. 236."
vaij^ö. — &3I^, coitus = gUa^. Ihjä* H, S. 333, Z. 8.
(jmÜ^ — ein Beiname des Löwen. Ibn Doraid S. 154, Z. 9.
^Jf^ — VIII. J AJ.H ^yCÄ.1, die Nilüberschwemmung
nahm ab, reichte nicht aus. Gabarty IV, 153, Z. 8.
^Ud J^t, CoUectivbezeichnung für die beiden Stämme
Banu Sa'd und Banu Taim. Taa^yf, fol. 136^, wie
auch im ^ämus.
• X »—
(a*Ä. — (jL^^I *^r^i das Schnupftuch der Begnadigung.
Gabarty IV, 129, Z. 5 v. u.
>• . -» o^ ^
^iiX^ji^ — pl. Ci»üt Jüo^, Erker, vorspringendes, vergittertes
Fenster. Gabarty IV, 28, Z. 8.
*». — '')'y^^ ®^^ Schnitt, eine Schnittwunde. Aghany
XIV, 173, Z, 8.
>!*». — ^jr^i pl- ji')^i Jahrescyclns. Byruny S. 291,
Z. 1 : 295, Z. n und 12.
^O ^9
\Jjr^ — O;/^' eingekerkert. Aghäny II, 31, Z. 17. Vgl.
{^')y^' Diese letztere Aussprache soll die richtige
sein. 'Ash'är, fol. 153.
A •>
220 Kremer.
Jli^ — oLvLMy^.! 9 sinnliche Wahrnehmungen. 'I^j& IV,
144, Z. 7 V. u.
^-A.Mo'v — xjula»! frommer Duldersinn: « %■ a^H xju«^I
(H^JLjJI. Mowatta' ü, 25, Z. 2.
Juam»> — n. die Formel aJÜI LüJmii^ aussprechen. Oabartj
IV, 225, Z. 5 V. u.
^ji^Mkd» — SUaw^, das Mal^ Schönheitsmal. ^Lum^^I, Kup-
pelei. ^^^wM*j0uMüO, Kuppler. Aegyptisch, vulgär. Shifil
S. 37, 84.
— U. sich aufmachen (zur Reise). Aedj S. 32, Z. 12.
— vomL^, Agent der Finanzverwaltung. Ihn Mam&tj
S. 15: ^ ^^UaJI^^ÄJJL JU^iff ^y «üo^b y^\AS
lUjJI. — Sjy^, eine kräftige Kameeistute. 'AsVär
fol. 143^
— wOi^, Enge, Beengung (^>Adid)) von Palmen ge-
sagt, bedeutet es die zu enge Anpflanzung: wie in
dem Verse des Labyd (Labyd S. 53). Es ist nämlich
eine alte Regel der Palmenzüchter, dass zwischen
den einzelnen Bäumen ein hinreichender Raum ge-
lassen werden müsse. Abu ^&tim in seiner Schrift
üder bie Palmen ftlhrt eine Stelle aus Afma'y an,
wo er sagt: ,eine Parabel der Perser und Nabatäer
lautet, dass die Palme zu ihrem Schwesterbaume
sagt: halte dich ferne von mir, so trage ich meine
Last (von Früchten) und die deine noch dazu.' Von
Palmen gesagt, bedeutet yo^ die geringe Distanz
zwischen den Stämmen (J^--oill ^jju L« k^XSj).
Die Regel ist, dass die Stämme zwanzig Ellen ent-
fernt sein müssen, wenn auf das Erträgniss der
Palmen, anderer Baumarten und des Bodens ge-
rechnet wird; fUnfzehn Ellen, wenn man nui^ auf
die Palmen und anderen Bäume rechnet ; zwölf Ellen,
wenn man ausschliesslich die Dattelemte im Auge
hat. Tanbyh, fol. 38\ 39*. - ^v>LIä >eö^ ^^i Dozy
Beitrige cur urabitchea LezikognpUe. 221
bedeutet: 'Abadfiny-Stroh- oder Binsenmatten. Vgl.
Kremer: Colturgeschichte 11^ 298.
&y<^'^ — It^usrum in der modernen Aussprache: der aus
unreifen Trauben gepresste Saft, den man in man-
chen Theilen Syriens statt des Essigs gebraucht.
Russell: Natural History of Aleppo.
Jl^vc^ — J^iVTtfy pl. JüuoLdP, Gerichtstaxen. Gabarty IV^
249, Z. 7 V. u. JuuöIäJI j^l ^ Ij^aJI^JjLa..
— S^jÄ^, die Residenz. üy/cM JU^t, die zum Ge-
biete der Residenz gehörigen Bezirke. Ibn ChaUikän,
Vita \\\ (ed. Wüstenfeld).
— Vin. sich nähern. Aghäny VH, 162, Z. 13. —
Jjüaa., Verfertiger der Stoffe &-Llii^l v*^''*
^hb alna§aib, fol. 71.
— ftlili^ = «IJ'^- Ibn Chaldun V, 463, Z. 12;
f •>'
473, Z. 18. — o^ia^, poet. = r'^y^'* Mo'allakah
des Labyd, ed. Arnold, S. 95.
O 0 9
— JajüaLyjo, in der Türkei jetzt die Reserve, in
Aegypten die Gendarmerie.
— bJÄtf, ein Pedant, Sylbenstecher. 'AjÄ4 Taiit^wy:
Traitä de la langue arabe vulgaire I.
fj<^ — ^^Jt^ 1^^^' J^^ ^^ Spiel, wo der Verlierende
sich verpflichtet, den Wunsch des Gewinnenden zu
erfüllen. T14m S. 236, Z. 16.
J^ — Jyi^i pl. JuJLtf, frei, erledigt, ohne Inhaber:
&^^-,l ^^^jOäm ^yXxAyiX»x)\ v^Ub, JuJUtf. Gabarty
IV, 249, Z. 8.
i_aJI». — ibÜLL», Pantoffel aus Binsengeflechte. Sha'r&ny:
Albatr S. 221, Z. 2 v. u.
(3^ — v^ L$^^ monopolisiren, sequestriren. Gabarty
IV, 279, Z. 7 V. u. — Ä&JL^, der von der Behörde
222 Kremer.
bestimmte Verkaufsplatz fUr gewisse Lebensmittel,
von denen die Regierung eine Verzebrungssteuer
einhebt, z. B. \*l 4m*H &aJL^, der Fischmarkt (in
Kairo). — ^Xa^^ mit einer Krankheit am Gliede
behaftet: Shifä S. 80 v>Ui »^6 ^ ^5 jJI. Vgl. Agh&ny
XII, 107, Z. 7. - ^Libl ^^ = ^f f^, das
Opferfest von Mink. Agh&ny, ed. Kosegarten, S. 224.
Agh&ny (Bulak) I, 150. Der Name kommt daher,
weil unmittelbar nach der Ceremonie der Steinigung
des Teufels am grossen Opferfeste in Mink die Wall-
fahrtsceremonie als beendet gilt, demnach jeder
Pilger das Wallfahrercostüme ablegt und sich den
Bart scheeren lässt. Vgl. Burton: Pilgrimage III, 284.
— SU«Uii, Fehde, Kampf. Agh&ny XVI, 49, Z. 9.
— va^l <n ♦ -^P, Agrumen. Ibn Mam&ty S. 44.
Jk*» — \jXi cM^ = KÄaä, Kronleuchter aus Glas. Ga-
barty IV, 245, Z. 11. - >a»iiU«i, Gepäck. Ibid.
S. 122, Z. 10; 123, Z. 13. üi^ S. 74, Z. 1 v. u.
U» — ^(a]»»! t^ldPl, solche, die sich in strenger Diät
befinden, Reconvalescenten. Abdallatif, ed. Sacy,
1810, S. 316.
,j*^ — u)"^^ C^' ^^ ^^^ Bedeutung von ^^^7 gerade
«9 S 9
SO wie man sagt: ,^j>j^^ yj^***^ oder *»j^ |%^^. Solche
Wörter heissen ^Lol Vgl. Agh&ny XI, 121, Z. 9.
m m
Ueber f^yy |%^ vgl. Tanbyh, fol. 121.
Jux^ — J^Uä'? Maytarj' II, 1200. Vgl. Dozy ad vocem.
— vaAAÄÄA, das Rhinoceros (taAby^)^ dessen Hom
die Eigenschaft haben soll, das Gift auszuscheiden.
•Antar, Heft 122, S. 52.
*' *- — die Bedeutung propulit bei Freytag ist zu strei-
chen, wie schon Lane gethan hat. Es ist, wie im
Beitr&ge znr aimbitchen Lexikographie. 223
Tanbyh, fol. 90* bemerkt wird, der Fehler dadurch
entstanden, dass jma^ verschrieben ward in
• 9 f O 9
O 9
oder y^ hjLflfc , ein Reptil oder Insekt. Ibn Doraid
S. 75, Z. 14.
— das Männchen der Heuschrecke. Ibid.
— ^fll^, pl. ^La^I, Angehörige der Schule des
Abu ?anyfah, Hanefiten. Gabarty IV, S. 260,
Z. 4 V. u.
— (V'^) pl- ^^^ ^^} Schenke. Ibn Atyr 11,
369, Z. 5.
w^ — %2l^, Schrannenschreiber, ^1«^^!^^ V^aX^v^'I^
mÄty S. 14. (Statt ^^1 lese ich yj^^). — y^,
der Posten des Einnehmers der Armentaxe ^J^ ^i^
y^ojo y^. Mowatta' 11, 51, Z. 2 v. u. d^^j a^
J«Ä — ^1^, einjährig. Ibn Mam&ty S.31. Von Thieren
gesagt: ^S^^ ^^y^y ^yjo\M.
f^y^ — {Sy-^i pl- ^'y^t SchlangenfUnger, Gaukler. Meid.
I, 419. Gabarty IV, 198, Z. 11; 309, Z. 4 v. u.
— v5^^i verzaubert, gegen die Schlangen gefeit.
D. H. Müller: Sitzungsberichte der Wiener Aka-
demie, 1879, Bd. XCIV, S. 50 (nach dem Iklyl).
i^> Glückwunschschreiben.' Aghäny IX, 87,
Z. 4 V. u. JuJJI oIa^, die Nacht stets im Gebete
zubringend. Ibn Atyr HI, 345, Z. 3 v. u.
Ju» — Juf^, pl. von Ju^l, sich abwendend: \^\^ \J^
^''j|. Ta§byf, fol. 153^
— *^U., nicht vollgewichtig. Shifä S. 87.
224 Kr«B«r.
Albabr 130, Z. 17; 218, Z. 18.
y^jL* — ^I2l = JüLjJI. Mo'aU, ed. Arnold, S. 182.
c
— SH^) Tafeidecker, der Diener, welcher bei der
Tafel bedient. Ifcd IH, S. 7, Z. 21. Ibn Atyr H,
365, Z. 11.
ucui^ — üoju^, pl. lLajks^\. Ibn Atyr ET, 336, Z. 1. Aghäny
XVn, 102, Z. 6.
loAÄ. — IoLä, Verwirrung. Ibn'Arabshäh, fol. 110, 112^
— SJLuX, das Geschenk = klkjüf. Ta§byf, fol. 123*.
Nach Abu *Obaidah.
-^ Stempeltaxe. Gabarty IV, 95, Z. 16.
— SJütf. Shifä S. 222 fUhrt hiezu die sprichwört-
liche Redensart an: SJitf |%Xm«K ssa^ ^^«Jl^ und
erklärt sie für eine versteckte Androhung eines bald
zu erwartenden Unglücks.
iX^J^ — OL^Jl^, Becher:
Aghiny VIH, 40, Z. 2 v. u.
— r»<>^) Eunuche: |»(>l^ a3I |f^ \J^y ™^^ ^^^~
muthete, er sei ein Eunuche gewesen. Mas*udy VHI,
43. Aber diese Bedeutung hat das Wort nicht aus-
schliesslich. Vgl. Aghäny XVHI, 184, Z. 10.
— ^^y^t niit dem Schwerte verwundet. Das Wort
kommt in einem Verse des Abu Do'aib vor: L^^^
cji? »LaJüt JJoj, wo aber eine andere Lesart lautet
B«itr&fe xnr urabiscben Lexikographie. 225
c jLi^, d. i. in den Kriegslisten erfahren. Ta^byf;
fol. 148^
^Jk^ — SjuJ^y wohl richtiger äJbcX^^ Dame, hohe FraU;
iert: das türkische ^4>Lj oder ^^l^i.. Ihn Chaldun
m, 80. Z. 12: oH^J» ab; aüUiDjJf ^^ SLJojLä..
LatHYf S. 30.
o9 o'i.*' ■ w.ftoy
.#?^^
,^^Ä. — ^j^i iXJiXil i^Ä. — ^l <nüf i^«^, ScoriO;
Schlacken. Gabarty IV, 312, Z. 2.
>y^ — der Abtritt, die Retirade. Faw&t I, 82, Z. 7 y. u.
>» 0^9^
sJUü^ — Eseltreiber. Aghä.nyIV,174, Z.2. Auch -.JUü^.
Raby* alabrär, S. 261, Z. 8. ^
f^y^ — *^7^> pl- ^'^T^i vorspringende Fenster, Erker,
Balkon. Gabarty IV, 28, Z. 8. — va*^l -.^^ =
o^l^. Shift S. 92. — J^dB3u,/ifiyv>, Steuer-
einhebungsamt. Arifcd I, 179, Z. 15. — frf^ ~
X.>Jütf, Eameele, die den baktrischen Kameelen
ähnlich sind (Juifl ^ vsxäJI JlTLä Lo). 'Aräis,
S. 70, Z. 14.
^5(>f4>«^ — Weinpokal. Makryzy: I, 414, Z. 14.
)^ — ^)7^' Steinplatte, welche die Brunnenöffhung um-
schliesst oder einfasst. «jlJI ^ J^ g^*^»H ^l.
Gabarty IV, 162, Z. 18. — )^, pl. ^^liff, die Naht.
Labyd S. 96, Z. 1. — S^ji?, die Näherin. Lozumijj&t
fol. 244^
lt;^ — LTr*"' C5^l>^' ^^ >9^'' unbebaute, brachliegende
Grttnde. Gabarty IV, 156, Z. 13 v. u.
u^T^ — C>ai7^7 pl. J^/i^' Sa\\ n, 84, Z. 2. — (>u^
= (>uP>.«>. Shift S. 59.
^/^ — XII. Jd^^^l, diese Form findet sich nur im
Aghäny XI, 25, Z. 2, und zwar in einer Stelle, die
Silxnnpber. d. phii.-hist. Cl. CHI. Bd. 1. Hft. 15
326 Kremer.
auch in andern Werken wiederholt wird^ nämlich
der Beschreibung des Löwen durch Abu Zabjd,
aber sowohl bei Gd.l9ii?: Malt^äsin, fol. 95^ als in den
Mosftmarät des Ibn 'A*rd.by II; 94 liest man h^j^U
8«l^»H hyi\ vfJLoUjÜI, aus gedrechseltem Holz
augefertigte Fenstergitter^ in Kairo: Masharabijjeh
genannt. Gabarty IV, 28, Z. 10. — ätsi^^, Couvert
eines Briefes, Umschlag, Umhüllung desselben. Agh&ny
VI, 76, Z. 14. Tasche, Portefeuille. Ibid. 90, Z. 17;
Depesche (amtliche) iajt%ill ijdi y^yXj Jli^I ^^yi
Ahmed hatte die Depeschen ssu ersähen. AgbAny
XIV, 37, Z. 11-, PostfeUeisen. Isfahany H, 301, Z, 5.
(Joy^ — n. (J^y^) mit J^^ sich überheben, sich in die
Brust werfen. Agh&ny Xm, 83, Z. 10 v. u.
^ßSy^ — U«^r=^) rauh, uneben, grobkörnig. Gabarty IV,
305, Z. 10; 312, Z. 2. — ^ßJu>^^ der Hahn. Tan-
• byh, fol. 85^- vafiLJI jÄuo^^ J^f^j ^HH^^I JU^
JJkXj\ IjI sdbjJf JiMj^\ Ul^, also der Hahn,
wenn er die Federn sträubt. — Das Wort \J*jOj^
fehlt auch in den Wörterbüchern, hingegen hat Frey-
tag nach dem ^^ämus qmjo^I oder uax^l in der
Bedeutimg: schweigen.
jCijOwa» — jÄjuol^Ä., Pfotenhiebe der Katze oder Kratzwunden,
die sie macht. Meid. HI, S. 477.
Cy^ — *\Iä,^^, geronnene Milch. AghÄny VIH, 74
Z. 4 V. u. Das Wort ist ein Schreibfehler oder eine
dialektische Variante statt oL^ ^^.
iu4).s^ — ein Gewand : 4X*^ Jl ^j^^^^ ^f v^Lo v^
^U^kif vi -L-^ 4Xjw^^ iuA)Ä. ^juAj. Tasbyf,
fol. 22\
j»yÄ. — *^^>^> eine besondere Art von Registern, hn
Kanzleistyl. Shif& S. 88.
Beitrftge z nr unblsehMi Lexikographie. 327
^'y^ — jUb *Aj^> eine Classe von steuerfreien Grund-
stücken. Gabarty IV, 94, Z. 17.
— v.jLyM^, Flechtwerk aas Palmblättem: ^1 jj^ol^
Umi^ S;Jj^ ^gJ^ J^t \jOy£^ xJ 1^43^. Saif al-
jazan S. 20.
^jAMto^ — das Segel {p}r^)' N&bighah, Commentar der
Ausgabe von Kairo S. 26. Das Wort als Variante
angeftihrt zu V, 46 der Ausgabe der sechs Dichter
von Ahlwardt für HaUyx^.
J^ — ji^liÜ = s-4t^'- ShaV&ny: Albafer S. 128,
Z. 9 V. u.
— w^Liff. Ahlwardt: The Divans S. 170, V. 33
ist wahrscheinlich eine falsche Lesart. In dem Gam-
harat al*arab von ^orashy, fol. 34^, Manuscript
meiner Sammlung liest man statt s^^\jff LjJue —
— Jli4>^> y^ LaC) ein eiserner Stab. Ibn Chaldun
IV, 57, Z. 10, eine Art Speer: ^Lo; m<il\ ^"ify^y
cL^^^ä^ ^ Ju lU^y^ ^ Lo. Ma^yzy: Chitat I, 412,
Z. 15. 'Antar, Heft 111, S. 196. Wurfspeere, Heft 134,
S. 461.
jitljLA^ — pl. ^^juybljLM^, Freunde, Kameraden (von den
Mameluken unter einander gesagt). Vgl. Dozy. Ga-
barty IV, 22, Z. 15; 27, Z. 11; 196, Z. 9.
^yM ^lA^ — ein Kleiderstoff. (5^ ^^iL^^^ «^M oder nach
anderer Lesart ^^Xla^. Agh&ny H, 124, Z. 8 v. u.
oder dbUC&^. Mas'udy VHI, 230. Gabarty IV, 137,
Z. 9 V. u. Vgl. Dozy.
- ^^-fl^ =^ »y«> ^,^*> »LuÜl wUDi ^iUI. Sobky,
fol. 13\
i% A L.
^ X
— ^^^4^ v5*^^N grüne, d. i. frische, unvergessene
Wohlthaten. l%m S. 202, Z. 4 v. u. — LdlT, grün.
schwarz, aber auch: himmelblau, ^t ^y^^ ^^ ^ji
228 Kreiii«r.
S. 230, Z. 5 V. u.
v,aJl<n7» — v.AJLdiS&Jl (j^JeJ\f Dattelpalme, die nur verküm-
merte Frucht tr>. Nach dem Buche Naw4dir von
Abu 'Amr. Tanbyh, fol. 142^
^j..i6^ — I. kokettiren (J^). Ta§byf, fol. 152*.
iJL
S9o^ e>> ,-'-' . j*,. ^^ C ^^
«• IM
JaÄ^ — au^t 4^ io^t den Namen (im Register) strei-
chen. Aghäny XI, 164, Z. 14 v. u. — &LL, Stadt-
viertel. Gabarty IV. 256, Z. 16 v. u. — SWisÄ.,
pl. langfUssig, lange Beine habend. 'Antar, Heft 107,
S. 60: ,J, ^L^l »^ uiSf, ye ^^su, ^t^l ^,
JI^J« kfelLil ^ ^jir «a5l;^3» y^ ;-« ^^ (JLxä:
,und stürzte auch das Ross, so kam er auf den Boden
zu stehen und nichts konnte ihm ein Leid verur-
«
Sachen: denn er war einer der Langbeinigen, Hoch-
gewachsenen' — Das Wort scheint eine vulgäre
Fortbildung der Wurzel Uo^ zu sein.
Lää. — III. verbergen. T^'rafah XHI. v. 11. Ahlwardt.
Aber sicher ist das Wort nicht, denn bei Zohfur
XV, V. 13 findet sich die IV. Form. Keiner der
alten Lexikographen hat die III. Form aufgenommen,
obgleich sie nach Ahlwardt in allen Handschriften
erscheint.
Jlä. — Jj^) adverbial = ^yxi^ zwischen. Labyd, S. 70,
104. Tarafah (Ahlwardt) S. 65, v. 11; S. 66, v. 2.
— Jl^ — ,^ib Jlä. ^jjo ye Lo; es ist nicht der
Essig fUr meinen Salat. Volksthümliche Redensart.
Shifa S. 91.
Beitrüge zur arabischen Lexikographie. 229
As^ — Xn. Xyi^^' Zohair XX, v. 25 (Ahlwardt). Diese
Fonn fehlt bei den alten Lexikographen, demnach ist
wahrscheinlich die überlieferte Lesart falsch, oder der
Vers unecht. Letzteres dürfte in der That der Fall
sein. Vgl. Kremer: Culturgeschichte II, S. 385, Note.
UoJL^ -*• (joil^, im modernen ägyptischen Dialekte in
adverbialem Sinn zur Verstärkung der Bedeutung
eines yorhergehenden Eigenschafti^ortes gebraucht,
so wie IJLä oder ^y^y z. B. uaJlL ^LjjiS, sehr
ermüdet^ uaiL> {j^y^i sehr schön u. s. w.
^Iä. — rV. mit JLä, schenken. *Antar. Heft 137, S. 64,
Z. 2: aJI^I^ ^(iUo sJui. s^JLÄ ^ Vr^^ tf ^^
v^fl.ls — aLiXs, Zuckerrohr schlechter Qualität. Ibn Ma-
maty S. 48, 49. — SUjJLä», Officier über fiinfzig Mann,
zur Zeit des Chalifen Mosta*yn. Ibn Chaldun HI,
299. Vgl. Kremer: Culturgeßchichte I, S. 237. —
uiuJLitf, die Eingeweide, die AbfllUe?, wahrscheinlich
im Sing. y^yXiff. Das Wort kommt zur Bezeichnung
einer besonderen Art Fleisch nur einmal vor, und
zwar bei der Beschreibung der Nahrung, die dem
Falken, wenn er maust, gegeben werden soll: A^^
i»L>t mju(m Ü&x^LoJu (uLJU^I iWtisLj«. Atar al'owwal
Seite 143.
(3JL^ — V. mit ^^, sUmen auf jemand. Gabarty IV,
116, Z. 2. viJÜö v_M-«j p-jJU (3lil,. - .[iXL,
poetisch: die Wolke. Labyd S. 85, Z. 4 v. u. —
xjLäJLä., ein Fetzen, ein Lappen. Mochta^ar Raby'
al'abrär S. 9, Z. 11: iüliOillj l^j)^ vaiai Ju>.
^Lä.' — Lj^ ^^ ^Lä. Jo »IjjoI, eine Frau, die im Alter
vorgeschritten war. AghÄny D, 196, Z. 10. lieber diese
Redensart vgl Lane, wo LjJuo ^»^ in derselben Be-
230 Kromer.
deutung angeführt wird. — s^L^^ mit jemimd ge-
heim sprechen. Aghäny XV, 137, Z. 11. Vgl. Lane.
— ^Ui^) das Wort ist von den alten Lexikographen
nicht aufgenommen worden. Wie es scheint, auch
mit Recht. Es kommt zweimal in einem dem N&-
bighah fälschlich zugeschriebenen Gedichte vor. Ahl-
wardt: The Divans 8. 170, V. 17 und 26. Die Be-
deutung ist: berauschend, betäubend.
— Jüy dMjf», Ftinfparastück, eine Kupfermünze. Gk-
barty IV, 312, Z. 6 v. u; 313, Z. 12 v. u.
— U*;,»T», vox, strepitus bei Frejtag ist zu streichen,
denn es ist verschrieben fUr \J*^kS^*
So» ?""'
= cMß. K&mil S. 66, Z. 6, nach einer
9 O t
vereinzelten Lesart. Vgl. v'aJ^, das an dieser Stelle
am passendsten scheint
^^Jvik. ^ ssUä^. Vgl. hierllber: Culturgeschichte I, S. 46,
47. Es kommt auch das Femininum vor: Aghany
n, 174, Z. 15.
^Ä — ein Kleiderstoff. MaJ^ta^y I, 168, Z. 6 v. u. ^
— cjll^, schlechte Nachrede. A^gJ! «OLCII, nach
einem Verse des Azdy, der hier folgt:
goLill »1^1 ^j^ ^^AaLb ^i5 j^ J^ ,gf^ ^ ^2^« ^d1 il
Als Varianten werden hiezu angefahrt die Formen:
^<>ll>) y>\SL. Ta^byf; fol. 16P.
^JUÄ. — das befestigte Lager. Gk>eje: Fragmenta Histor.
I, 188, Z. 2.
,»«U^ -^ MdjAS ij^. Agh&ny VI, 93, Z. 4 v. u. Dieselbe
Lesart auch im MUnchener Codex 478
^ — hinken. Ma^^paty U, 1182, Z. 19: ^ v>*^OJ>)
*^ sIsj i^ ^ ^ }UmSo KAÄ*J5^cV*f. Viel-
Beitrig« znr arabisclien Lexikographie. 231
leicht verschrieben für ^^t denn es fehlen andere
Belege fUr diese Bedeutung.
— ^*U^) der Ejragen (des Kleides). Gabarty IV,
33, Z. 12 (vulgär).
>XX^ — musiciren, musikalisch sich produciren. Agh&ny
V, 15, Z. 2 V. u. Vgl. Doay. — ^Uaä., Musikant.
Sänger. Agh4ny V, 64, Z. 7 v. u. PI. ^J\jJ^.
Aghäny XVII, 123, Z. 18. Persisch: y/Uil..
8p*. = gy».l, Bruderschaft. Shifä S. 88.
^y£^ — I. sich abwenden, ablassen von, mit dem Accusativ
der Person. Aghäny VI, 63, Z. 12. ü»;^' vJl^l if,
wozu der Commentar bemerkt; Lgir ^>aj ^jjj^*
sl^, der Wildstier, das Männchen der Wildkuh,
poetisch so genannt in dem Verse des Dulrommah:
Es wird eine verlassene Wohnstätte (^^4>) geschildert,
wo nur der Wildstier, der Strauss und die alten
Wildkühe mit ihren Kälbern sich herumtummeln.
Ash'&r, fol. 182^
m 9
\£\f^ — ein Eiogeborener von Chuzistän (Susiana). Der
Name wird als Schimpfwort gebraucht. Aghäny VUI,
174, Z. 8 V. u.
j£Uä^ — pl. iUÄL£&y^. Fawät I, 109, Z. 17 = ^^IJlää.
^joy^ — spärlich geben: Lui ^y^ ^'^ ^s^-^^^^ J^
I^A^ L& ^^ ^1^ 161 LUojJI. Tartyf, fol. 142».
— J%— ^) pl. v;:^^^) die als Frauen gekleideten
Tänzer, die in Kairo den Namen Chawal führen.
Gabarty IV, 101, Z. 11: ^^jucIäJI ^ f^^^y
oi;jl ^L ^,J^ ^H^ «^"^ cH^^/*^'
v^Ulo^ o^«> |^4«^^' Vgl. Lane: Modem Egyp-
232 Kremer.
c
tian«, unter dem Worte khowal. — <i^) pl- *^^
oder aÜI^, der Gärtner. Gabarty IV, 195, Z. 9;
275, Z. 6 (modern ägyptisch: ch6Iy ausgesprochen).
Nach einer Note in der Ausgabe des Shifä' alghalyl
ist die moderne Bedeutung des Wortes: Obergärtner.
Vorstand der Gärtner und der ländlichen Arbeiter,
S. 87. Zur Zeit des Verfassers dieses Werkes hatte
es vorwiegend die Bedeutung: Schafhirte.
^y£^ — dasselbe wie ^JLa.. lOOl Nacht I, 222, Z. 8 v. u.
^Lsü^y dasselbe wie ^^LfiXSy daraus zubereitetes
Wasser. ^jIäJ^I .Lo. 1001 Nacht I, 138, Z. 15.
— SJJ^, pl. v:L>t<>3^, Dame, hohe Frau. Gabarty
IV, S. 92, Z. 1 V. u.
— 8«jkil. Ueber die Bedeutung dieses Ausdrucks
vgl. Ihn Atyr ü, 304, Z. 13.
— ^gjU^ ia** = ^. ia**. Ibn Atyr IH, 124,
Z. 19; 163, Z. 19. Tabary III, iv, 1095, Z. 14.
JoÄ. — i}Jä}\ JLa. v^, das Schattenspiel. Shifa S. 50.
Vgl. das zu dem Worte iüL Gesagte.
*^if|j — siehe ^^ — 8^«>,
^Lol«> — eine Art Aepfel. ShifÄ S. 101.
S^fo — pl. VÄ>l^lv>, Frachtschiff (im Rothen Meer). Ga-
barty IV, 53, Z. 2 V. u.; 103, Z. 2; 126, Z. 12 v. u.
V*^ -• ^^^ pl- isi^'^^ Satteldecke, ein Tuch oder
Teppich, der über den Sattel der Reitesel gebreitet
wird. Sha'räny: Albafer S. HO, Z. 6: aüül«> y^JJ
(«>aj4> — Partei nehmen, für oder gegen jemand, im Spiele.
AtÄr al'owwal S. 131, Z. 12, wo von dem Verhalten
B«itrftg« zur aMbischen Lezikogrmphie. 233
im Schachspiele die Rede ist^ wenn man mit dem
Sultan spielt: sU ^^ ^^j y:^4^ "^J^^ULI JU^ ^y
^ji M>\^ oiJJ^ öU^lolo ÜL »U JUrf Ut^ oU
^yßO^ S!>\y (l &Ä^) lU^ 3 £T^ ^5^^ '^'^ V5^
|w«aill v!)yUo^ aud^Ltf JüU^ auJt Ifi ^^. — An
einer andern Stelle auf derselben Seite: >i)J \^iXj(Xf
ij^^ er nimmt Partei flir dich gegen mich.
(jmJ4> — jMb^ot, fem. »LmU4>; man sagt: (jMi^O ^^^
was so viel bedeutet als ^\yjJ\. So nach A^ma'j.
Tanbyh, fol. 87^ Vgl. ^j^^
jM^4> — (j^«>9 Bruchstein (moällon)^ unbehanener Bau-
stein. So in Kairo, Gabarty IV, 253, Z. 16.
JfX^O — die Truhe, worin feine Leinwand aufbewahrt
wird und davon die Leinwand selbst. Das Wort
kommt in einem Verse des Abu Do'Ad arijädy vor,
wo ein Pferd geschildert wird, dem, nachdem es
sorgfältig zum Rennen vorbereitet worden, die Decke
abgenommen wird:
jfj^Ailff K»4falH ^ Ju. L^jOft J^l Ü^^
Hiezn bemerkt der Commentar: >w^»><AS Jl^UJ Jjb
ssi^ yD^ 8 Jjkä^ IgjCialj ^1 xjLu aLJü aj a^
v^LiJf. Ash'är, fol. 154\ Vgl. Aghany H, 24, Z. 2
V. u.; 41, Z. 9. Der oben citirte Vers findet sich
auch im Divan der Hodail (ed. Kosegarten) S. 249.
jjjÄO — «;L^- Tabary III, iv, S. 1169. Vermutblich
statt {jQj^X^f^*
jLa.J — Jys.J = st^f ^^f,,,^ Shia, 8. 92.
236
Kremer.
-• o ^
KigU^O — Fläschchen. Anbäry S. 121 : ^ ^UsyXMiC> auuo^
vä: er hatte zwei Fläschchen Tinte mit sich. —
JuLo XäZ^v>, Weinflasche V, 170, Z. 7 v. u.
^yXA^f> — das Original, das Autograph. Fihrist S. 151, Z. 7:
&^ ^üliU i2r*^t Äj|^ 3 Jisyt ^yX^C> ssoi^ Jüf^.
Ibid. S. 346, Z. 13: ^^jJ» »a^ * UI IJü» ^K^.
^4> — j-iw4>jo, zusammengehalten, befestigt, verbunden.
•Ar&is S. 298, Z. 6 v. u.
^t> — 8^U<XJI Jliöl, Räuber, Strolche ((^jJaJI plii*).
Sat:t n, 46, Z, 8. Aghiny XVI, 61, Z 9 v. u.
^*> — ,j5^Lc4> (türkisch), eine Art Gnadengabe für
die Armen. Gabarty IV, 211, Z. 18: LöjI »^JL^fJ^
^^LejJI^ s^oLmJL aLi^uLjt ILLäauoLii o>^ ^i
L^i^ (S^J^^i JUUlII^ .lyuJÜ.
cJlcO — £OLDt>, pl. von &£4\xi>, Gemüthsaufregung. Ma-
wätif S. 226, Z. 9.
Oi> — ÄA>4>, pl. ^Uo =r \Jyc Ä:>U&) ein Oberkleid
nach Art der 'Ab&jeh, aus Schafwollstoff. Gabarty
IV, 283, Z. 1.
Jv> — itfv>, Tribüne, Schaffet. Ghorar S. 214, Z. 16:
^<>f sy^ iutU:>y (J-a;^! JLoJI ^ &5b i^Uo ^1^
vJ^Lä. ^ (*4J^;S 1^-44^' ^>*faiLi L^julfi \yiXJuo\ fj.
dl?*> — Taschenspieler, Gaukler. Shifa S. 125.
\i*> — VI. sich drücken, sich drängen. Labyd S. 27,
Zeile 5.
yjSf> — £7^ yj^^^'i poetisch: der Wasserschlauch. Ha-
dirah S. 8, Z. 9.
Jo — Jny^t^t ein Regierungsschreiber. Ibn Mamäty S. 14:
Beitrige zur anbiachen Lexikographie. 237
wJ^4> — I. sich wenden, umkehren. Ibn Doraid S. 140,
Z, 8 V. u. Aghiny VI, 5, Z. 9.
Wo — l»winH aJ4>) widerlich oder fade von Geschmack.
1001 Nacht, I, S. 242, Z. 9.
^0 — 85>v> oder iUj5H4>, im sing, ^^^ifl^^ Gabarty IV,
3, Z. 18; 214, Z. 13; 229, Z. 2 v. u. Name der irre-
gulären Reiter, die im Türkischen /c^L» ^ö heissen.
Ihre Kopfbedeckung bestand in einer fast einen
Meter hohen, schwarzen Filzröhre ohne Krampe,
unten mit einem Tuche umwunden. Sie waren mit
Lanze, Schwert und Gewehr oder Tromblon be-
waflfhet. 'Äbbäs-Pascha flihrte sie wieder in Aegyp-
ten ein, musste aber diese Truppe in Folge der
Einsprache der Consuln auflösen, indem sie sehr in-
disciplinirt war und wegen ihres Fanatismus die
Sicherheit der Europäer gefährdete. Vgl. über die
Delybashy Mouriez: Histoire de M^h^met AH. Paris^
1855, Vol. I, S. 192.
w O ^ 9
y04> — fJ5j^^ (i^ ägyptischen Dialekt), Name einer
vorzüghchen Qualität von Wassermelonen, so benannt
nach dem Dorfe SwueO.
,j^4> — fj^i>^ Stallmist (^j-j^L io^JLitf (^Lj^Jt Jüiv).
Gabarty IV, 125, Z. 8.
>Äv> — ^l^^7 in der modernen Sprache wird es oft ge-
braucht in dem Sinn von: Kopf {{jt*U)' &£L04> J^.
seinen Sinn ändern. Gabarty IV, 1 12, Z. 5 v. u.
^4> — X. = rV. bluten machen. Agh&ny XVI, 107. Z. 21.
ijj^^ — ein abführender Trank. Shifä S. 190.
^i^ — 1L^«>, der Schmutz. 'Antar, Heft 108, S. 76.
Siehe
238 Kremer.
^Jm^ — bUjUO c^Jla». Mas udj V, 24. Die Lesart
scheint fehlerhaft. Die Ausgabe von Kairo hat
bUje J. Vgl. yäÄ4>. Ihn Doraid S. 326, Z. 3.
(3^0 — n. ^3a>JJ, sparen^ knausern. Gd^bi?: Rasäil,
fol. 209, Vgl. Lane.
s
ye4> — ^yjlv>, Genosse, Gefährte. Abu Nowäs XII,
V. 5 (Ählwardt).
jMp4> — I. mit den Füssen treten (ltI^). Gabarty IV,
163, Z. 5 V. u.
yxli&J — V^^^^ ui der modernen Aussprache, der allge-
meine, feierliche Empfang bei Hofe, jetst in Indien
Durbar, d. i. ;^)*> genannt. Fawät I, 195, Z. 10:
yjJjojJf A»4> Juu ,nach Aufhebung der allgemeinen
Audienz^ Statt >04> ist besser zu lesen a*«.
^O — »i^^l (fXjl. Ibjä'in, 141, Z. 9 V. u. Schwarze
Rosse, <Ue angebunden im Stalle stehen. Vgl. Lane.
yj*^^ — I. überlisten, überrumpeln wollen. Sha'rUny: Al-
babr S. 92, Z. 18: Uü Juio:^ &AJLxt Uä^«> 131
.yD4> — IT. sich ungestüm benehmen. Fihrist S. 190, Z. 21.
-^j4> — V. Byruny S. 4, Z. 5; es ist an dieser Stelle zu
lesen N..^;cX}t Ssd3 statt s..>lXJI ^IcU, denn für den
Gebrauch der V, Verbalform der Wurzel ^^ö ist
sonst keine sichere Belegstelle zu finden. Vgl. übri-
gens Dozy sub voce.
4>^4> — «^^4X5, Futterstand, Krippe, im Stalle, vulgär
statt 4>5Jl;. Gabarty IV, 159, Z. 7. lOOl Nacht I,
5, Z. 9 V. u.
j^t> — yi^i Name eines Gefilngnisses in Jamlimah.
Kämil S. 91, Z. 9. — lyAö^ die Mühle, wo. der
Reis enthülst wird: \j^\ aui ^Jo ^JJI Jl^Jt.
Beiträge znr arabischen Lexikographie. 239
Gabarty IV, 154, Z, 20. — ^«^dJI, die Ringe des
Helmes, mit welchen dieser vor dem Gefechte am
Panzer festgemacht wird, damit er nicht herabfalle.
Der Verfasser des Tanbyh, fol. 62*» flihrt dies des
Näheren aus, indem er gegen Mobarrad, den Ver-
fasser des Kämil polemisirt: ^juyJLi ^ (jmLIiÜI.^1 J\jy
4I5 JJI (XÄ£ dJi» ÖS y.MS:f y»\ liXÄ tot ijyif^ J^ v«U ^
4Ui> JjU j5^ t6t u«pUJt ^Li £,;tXit ^\yO Juo
^J«^UJt ^j<^,Jj «J x», 5t ^ »^ «X».t xiib (J IJüO^
•hi, g^jJL? jLij iUi^t Lil, ^t^ LfSL? ^;jJt
j^yC&uJt Jisuit JLS «XSj ^j«^UJt ydjj tot ia&»ö
Der oben angeft&hrte Vers des *Orwah findet sich
im Kämil (ed. Wright) S. 349, wo die schlechte Les-
art wl^(> zu beseitigen ist. Das Bruchstück aus
einem Gedichte des Monachchal findet sich in der
^am&8ah S. 264, wo gleichfalls die falsche Lesart
zu berichtigen ist. Das Wort 5ol4>, pl. >^\^^ wird
bei den alten Dichtem in der Bedeutui^: Hinter-
theil des Hufes gebraucht. Vgl.gädirah S. 12, Mo'aU.
Labyd (ed. Arnold) S. 101. Es passt fiir den Helm
um so weniger, da er, wenn nur hinten befestigt, um
so leichter herabgefallen wäre. Das altarabische
Panzerhemd ward über den Kopf gezogen, dann
der Helm daraufgesetzt und derselbe an den Ringen
. des Panzerhemdes sowohl von vom ab rückwärts
befestigt. Die Lesart >^l^«> ist also falsch, o^ljuo
= \JI 5*5lo, die Tenne, wo der Reis gereinigt
238 Kremer.
^JM*> — ÜLäJüO v£iJuu. Mas'udy V, 24. Die Lesart
scheint fehlerhaft. Die Ausgabe von Kairo hat
bUje4>, Vgl. fßMjO. Ihn Doraid S. 326, Z. 3.
(3^i> — n. (3a^J3, sparen^ knausern. Gr^^i?: Ras&tl,
fol. 209. Vgl. Lane.
s
yS^<y — sSy^^^'i Genosse, Gef&hrte. Abu Nowäs XU,
V. 5 (Ählwardt).
jMp4> — I. mit den Füssen treten (L^t^)* Gabarty IV,
163, Z. 5 V. u.
ytJ^^ — y^^^^ üi der modernen Aussprache, der allge-
meine, feierliche Empfang bei Hofe, jetst in Indien
Durbar, d. i. ^^)i> genannt. Fawät I, 195, Z. 10:
yjjjojjf MiO Juu ,nach Aufhebung der allgemeinen
Audienz^ Statt ^i> ist besser zu lesen a*j.
^j — f^yS^\ ^0J\. Xbj&'m, 141, Z. 9 V. u. Schwarze
Rosse, die angebunden im Stalle stehen. Vgl. Lane.
jM^4> — I. überlisten, überrumpeln wollen. Sha'räny: Al-
batir S. 92, Z. 18: Uü Juo:^ a^ Uä^«> tol
jyD4> — n. sich ungestüm benehmen. Fihrist S. 190, Z. 21.
. ^4> — V. Byruny S. 4, Z. 5; es ist an dieser Stelle zu
lesen y^^fSS3\ ^\iX^ statt s,^JjCJi ^9<X>) denn für den
Gebrauch der V. Verbalform der Wurzel ^^4> ist
sonst keine sichere Belegstelle zu finden. Vgl. übri-
gens Dozy sub voce.
o
t>^(> — Oy^y^^ Futterstand, Krippe, im Stalle, vulgär
statt i^yduo. Gabarty IV, 159, Z. 7. lOOl Nacht I,
5, Z. 9 V. u.
j^4> — y^^) Name eines Gefilngnisses in Jamämah.
K&mil S. 91, Z. 9. — 8^1 0, die MüUe, wo der
Reis enthülst wird: \y^\ aui ^Jo ^dJ\ J^^l.
Beitrftge zur arabischen Lexikographie. 239
Gaharty IV, 154, Z. 20. — ^«,dJI, die Ringe des
Helmes, mit welchen dieser vor dem Gefechte am
Panzer festgemacht wird, damit er nicht herabfalle.
Der Verfasser des Tanbyh, fol. 6^ flihrt dies des
Näheren aus, indem er gegen Mobarrad, den Ver-
fasser des Kämil polemisirt: ^jumaS 3 (jmLIiÜI.^1 Jli^
düo Jüb ^j^ 161 u-pUil ^Li g,^jJI ^f^4> joo
,j«^IjÜI jjKy^ «i «^5 ^ y iy*^ <X».| xiü ,J I Jl*B^
Der oben angeft&hrte Vers des *Orwah findet sich
im Eämil (ed. Wri^t) S. 349, wo die schlechte Lies-
art wl^4> zu beseitigen ist. Das Bruchstück aus
einem Gedichte des Monachchal findet sich in der
^am&8afa S. 264, wo gleichfalls die falsche Lesart
zu berichtigen ist. Das Wort 8>jl4>, pl. ^t^«> wird
bei den alten Dichtern in der Bedeutung: Hinter-
theil des Hufes gebraucht. Vgl.Qsldirah S. 12, Mo*aU.
Labyd (ed. Arnold) S. 101. Es passt für den Helm
um so weniger, da er, wenn nur hinten befestigt, um
so leichter herabgefallen wäre. Das altarabische
Panzerhemd ward über den Kopf gezogen, dann
der Helm daraufgesetzt und derselbe an den Ringen
des Panzeibemdes sowohl von vom ab rückwärts
befestigt. Die Lesart wt^^ ist also falsch, yi^^
= \JI 8jSt^, die Tenne, wo der Reis gereinigt
4 -* C * . CB «, «^ ^^
240 Kremfir.
und enthülst wird. Gabarty IV, 265, Z. 11. V^.
9
JJüo bei Dozy.
J^t> — J^l4> (südarabisch), derjenige, der die Verthei-
lang des Wassers zur Bewässerung der Saaten über-
wacht. Iklyl nach D. H. Müller: ,Die Burgen und
Schlösser Südarabiens^ in den Sitzungsberichten der
Wiener Akademie, Bd. XCIV, S. 393.
C^O — Lol^<>i die Erde. Tanbyh, fol. 18^.
v^.3 — v-)n3I, schärfer, schneidender:
Ta^byf, fol. 164^
S'ä — ^toO, pl. ^^jO 6f Gedächtnissfest eines christ-
lichen Heiligen. Byruny S. 288, Z. 18, 19. ,lf<L;,
^KI- ^yL. Ibn Atyr III, 89, Z. 11.
J^ — jU,J6, Rüssel (des Elephanten). 'Antar, Heft 72,
S. 622, Z. 3. Vgl. X*yü^.
vyJDJ — i«*ljt(i, Vergoldung. Sobky, fol. \T". Ju 5> «SU
^ wü&(> ^ s^^ j't^^ uiaüue Jo 3 — vyJ&l6
(3^1, auf der einen Seite verkrüppelt (von einem
Kinde). Ibn Atyr III, 93, Z. 12.
s^^i> — wl43üo, Becher, Trinkgefkss. Mas'udy VÜI, 243.
^^ — II; bei Freytag in der Bedeutung: vilem reddidit
ist falsch, indem einfach zu schreiben ist ^(>* Im
Tanbyh, fol. 77** und 78* wird hicEU folgendes ge-
sagt: JIJu lUi^O «a^^i^ IUJJ<>^^1 ^S>^ ^^
JÜb Jo ^1 ^\ö ^ *Xä.^4> süJiXS^ 1U4^ jAk
'^ iü:S.^(>. Vgl. auch T&g ararus sub voce.
Beiträge xvr anbisehen Lezikograplile. 341
^t^ — L«lJ, vollständig = LoUS'. Gabarty IV, 313,
Z. 8 jj^l Jt s^^fijidS oder auch (j*'UI, das Zuckerrohr
bester Qualität. Ibn Mamäty S. 48, 49: JLJ^ v^^a.*«
^Lj*> ^j«4X^^ uft-oi^ ^^'^ Vj';^*^ «Äiilf^ ;^bt>
<iJ^i^ U^t ) <1( /«>;7 vulgär statt aJL»^ Lr^^j« Shifä
S. 108: iumK v^aS^7 forteilen, entfliehen. Aghäny XII,
127, Z. 13: vom Wege abweichen uäIjü. Shifä
S. 110: auwK <^A^ entschieden (fUr eine Sache) sich
aussprechen. Ja'kuby S. 86, Z. 7 : ^.äASj UiU. ^^1
o^L^ *-«l;; S.90, Z.l v.u.: oLäJo ,JU^^^I
aui JUwK. — «^Lm^JI u**ajj) Staatssekretär. Sacy:
Abdallam: Relation de TE^pte S. 480. Grosswezyr
unter den Chalifen. Ibn alwardy I, 357, 363. Diese
Benennung erscheint zum ersten Mal unter dem
Chalifen ?&to. Ibn Chaldun III, 458, Z. 2 v. u.;
460, Z. 10 und 6 v. u.
6L5l^ — ein Getränk. Agh&ny X, S. 102, Z. 12.
^\ — V .)* ^®^ Makryzy 11, 233, Z. 1 v. u. kommt
das Wort in einer eigenthUmlichen Bedeutung, als
Name eines Schiffes vor. Es wird erzählt, dass jemand
zwei Schriftstücke in den Nil wirft: ^^y» Ui^j^^li
c^^ ü^ c^^T^c^^ V^/'^ *^r=^' «^r^ cs^
*^)^ pJ- V^J (^*^ Schreibart äbj bei Dozy ist irrig),
Silranftber. d. pbii-bist. Cl. CIU. Bd. I. Hft. 16
242 Kreraer.
der frische, in Blüthe stehende junge Klee, im Gegen-
sätze zum ausgewachsenen (^/*Jj4>)« Gabarty IV,
52, Z. 1.
k^^s — II. sich schämen, beschämt den Kopf senken.
So in einem Verse des *Agg4g:
Tanbyh, fol. 78».
Jo* — - \^d^\i die Bogensehne (poetisch). Kämil S. 193,
Z. 7; 195, Z. 18. Bei Freytag ^JuJ dürfte zu strei-
chen sein, eben so wie bei Dozy die Bedeutung:
rapide.
uoj^ — SLioiJ = ILcly Tanbyh, fol. 76»: ^^JU-obll JU
&£iojJ^ &^'4Xajü»^ &yyt^ aaltb ^^ jO't^t J^Jt aüa^
IM
äj^ — iS^)'^ ^^°^ Stamme Raby'ah angehörig. Ihn
Atyr m, 398, Z. 2. — *^fjJ, Taglöhner. 1001 N.
I, 373, Z. 11 V. u. Gabarty IV, 156, Z. 12 v. u.
yjjs — vJ -^I' iiachlassen, sich abschwächen. Shifä S. 33.
Aus einer Tradition. im Mot^tadib des Ibn Sajjid.
Es dürfte übrigens ^^X»^ zu lesen sein.
y^s — IV. wird in der Bedeutung von ü sl gebraucht:
verweilen = *UI — ^^UlII ^^7 ein Findling (wört-
lich: der, den der Ortsrichter aufgezogen hat). Shifft,
Seite 65.
T*^) — V^' 5' vollständig erwachsen, von Kühen, Büffeln
u. s.w. Ibn Mamäty S. 31: v^'^^ C^)i^^ u*'^^'
V^-jtyi \^^^ ^Ja^iUI ^3^.51^ 4>^4XaJI VÄiUJLxftf^
wöK^ — 2UjK KAxIb^) fixes Einkommen. Aghäny
XV, 37, Z. 14.
-p^ — ^^J' Verbalnomen von — x. 'Arais S. 41, Z. 10
von unten.
Beiträge xnr arabischen Lexikographie. 243
Jl^% — J^K- Vtilgär syrisch und ägyptisch statt J^^^
denn letzteres Wort ist in der Volkssprache nicht
üblich.
Je>.j — I. zum Sattel nehmen, als Reitthier besteigen. Abu
Now&s (Ahlwardt) XXIV, v. 3. — J^;, vulgär,
Lesepult (für den Koran). ShifH S. 109. — Jda.«^
FrachtschiflF. Gabarty IV, 114, Z. 17.
^ o ^^
y*>^^) — n. ^j-^^y^t sich geistlichen Uebungen ergeben.
Gabarty IV, 195, Z. 11 v. u.
U^ — XjU.^, Mühle. Lozumijjät, fol. 310\
8>ijufl»j — eine Speise. Ta§)^yf, fol. 28^.
e ^
sjÄs — ov^JI v^Iaj jmxJ) er zog die Festkleider an.
•Antar, Heft 62, S. 282, Z. 6.
fiv>^ — V. v^AxtaJLj p*^p^ sich mit Salben und Wohlge-
rüchen parfÜmiren. Ash'är, fol. 101^.
^ ^^
o«>j — ^^Ij? pl- '^«^'^J' Collectivbezeichnung jener
arabischen Stämme^die erst nach den beiden Schlachten
von Jarmuk und Ij[fidisijah sich an den Eroberungs-
kriegen betheiligten und deshalb geringere Jahres-
dotationen aus dem Staatsschatze erhielten als die
Moh&girs und die An^ärs. Ma^ayzy: I, 93, Z. 12. —
9«^ 9
O(>w09 hinter dem Eameelreiter sitzend. Labyd
Seite 13ä.
• ^
|a4>p — y^)jujü0f Ajiöy Aghäny XVI, 96, Z. 8, abge-
rundete, volle Fersen habend.
^^^
y^\\ — iüfVj, ein Grundstück, das jemand zur Nutzniessung
^ o f
besitzt. ShifSt S. 109. — 2ü|^^, die Söldner, Sold-
tnippen. Kremer: Culturgeschichte S. 236.
^j|\^ — Vin. = I. Aghäny XVm, 186, Z. 8 v. u.
dJ^s — iXxÄ*, volljährig. Shyräzy: Glossar — ^^^^^
der Erstgeborene: Ulk iXJLo &Jü(Xjt sjjt^ v^;5^t
16*
244 Kram er.
sdAjj6 ^ (X^yki ^iXxjy dÜ Saif aljazan S. 24,
Zeile 15.
v-ft^^ — vjLä^ = v-Ä^I^. Labyd S. 90: JläUJI vjU>^
JL&p — eine Art Zuckerwerk. Gabarty IV, 213, Z. 9.
Jl*ö^ — IV. flir immer festmachen 'Aräis S. 447, Z. 2:
•^Ä^^ — vyJft3 iUiLöj, eine Goldrosette. 'Antar^.lSGjS.SS:
v^jJf Heft 138, S. 79: Ju*l 61 JJtXf ^ L-»JUo
^^j-os — tätowiren, bei Labyd S. 62, Z. 6, wozu der Com-
o ^ ^ o ^ ^^
mentar bemerkt: <a^4^% \a*JuCy
»j6\ — /*^^)) ^^ Lamm im ersten Jahre. Ibn Mamäty
S. 31: ^5*5 &JL* ^^Ü^ o,^ L56^J> yAUJI (.Uiifl
Jaj^^ — Schlamm, Koth. ^^1 J^pl. Gabarty IV, 202,
' Zeile 1.
^ 9
•Je* — c^lüo|«je, Schwanke, Schnurren. Fihrist S. 151,
Z. 3 V. u.
n ^ O 9
.\ — jjüüt w^^JuM^) weites Schrittmaass haltend (vom
Pferde). Ahlwardt: Chalef alahmar S. 126.
:>i^ — II aus dem Dienst entlassen, vom Amte absetzen,
türkisch ^^JUjüI oJ^ — ^H^)? Passierschein, ftlr
Waaren, welche den Zoll entrichtet haben.
jLi. - »3Li., das Helmfutter. 'Antar, Heft 120, S. 517:
5t>liJtv'AwtrtV L^^. — Kopfpolster unter dem Helm.
Boitr&ge zur arabischen Lexikographie. 245
•Antar, Heft 109, S. 129: 'ioli^ lu.!^ JLa J^ J6^
2Üi>lx Tii^y^ ^^^ J^4^^ O^AamJI y^ J^^ k«JL^£
•i. — Vi^Lwybil Äi*, Summiren, addiren. Shifä S. 109, 110.
AAip, vulgär: /*>^)) fein, dünn, zart. Ibid. S. 109.
üiLjc, Steuererhöhung. Ma^ryzy: II, 291, Z. 14:
wLm^I Pf^y^i die Summe, der Totalbetrag. Shifa
S. 109. py^)^i ^fts Einkommen, Erträgniss eines
Gutes. Fawätl, 157: ^jücf gU^^f L^J aJCJLo ^ Xjuuö.
>w* — ^^, feine, weiche Erde. Aghäny VI, 62, Z. 17:
,jlJLJI ^Jut-^aJI vl^l ^yi. — äLiSj, Niederlage,
Platz, wo das Getreide zum Verkaufe aufgeschichtet
wird. Gabarty IV, 63, Z. 14: ^ J^UII l^^t^
a3' Jl^ vs^LdyJI . S. 92, Z. 1: es wird vom Getreide
gesagt: vajLgUiJt.yt^ ^P'^ ^^^^ r^^*
l%jj — Man sagt: *UJI ^j jvifw ^^ von dem, der in
einer Handarbeit sehr gewandt ist. Ihn Doraid S. 45.
yfs — T^T^' ^^® Hauptstadt, der Hauptort eines Landes
oder eines Distriktes. — ')^r^f ®^^® ^^^ Bratwürste
(^jliü. Shifa, S. 211. Im afrikanischen Dialekte.
uafs — (joK^J, als Verbalnomen. Aghäny XV, 46, Z. 14.
1^ — (Sy^f aufgehäuft, aufgestaut. Kämil S. 168, Z. 5.
yjf^\ — *^^i ein Aßt, ein starker Zweig, im südarabi-
schen Dialekte. Ibn Doraid S. 54, Z. 6.
^\ — plündernd durchstreifen (eine Gegend). Gabarty
^ IV, S. 174, Z. 16: I^J^I^ %yJ.\ ^L? 1^^^ Syoxi
Vordertheil des Pferdes, der Bug, der Rist. Zu Zo-
hair XV, v. 29 sagt A§ma*y in seinem Commentar
(S. 189): yD, ^yj\ Sj^ ^jJJu ^^I ^^ ».y^
246 Krdmtr.
Ein Vers des Shamm&ch lautet:
^yjJi!\ ob? ^ ^p< ^l<i LI; ^^ ^1^1 ti f 6f
wozu A§ma*y bemerkt: ^Kjo x^^.ai.Ag» ^^ Klutciy
^yj\ vOil Äj o^^' f 31 ^yt- Ta9tyf; fol. 147^
Es beschreibt der oben angeführte Vers den Wild-
esel; der die Stuten beriecht, während diese aus-
schlagen und ihn auf den Yordertheil des Nackens
treflFen und zwar auf dieselbe Stelle, .welche der
Lanzenschaft trifft, wenn mit demselben das Ross
geschlagen wird. Das Wort c^jJ hat die Bedeutung
von P^y^- — r^y^) ^T^) ^^^ gewaltiger Lanzen-
stoss. Labyd S. 134,. Zeile 3. — ülk^w ^I ^Mp?
die Krücke S^6^. Satt H, 189, Z. 11. — ^f^ das
Wettrennen, das Gerydspiel. Gabarty IV, 173, Z. 11.
ä^yXs — ^7*)) Gemurmel. Bochäry 1642 (Kitab alsha-
hädUt 3), 1899 (Kitäb alwa§&j& 158), 3287 (Kitab
aladab 96).
jMjoj — 0*^)1 das Lamm (weiblich), im ersten Jahre*
(Statt ^jäjuo^ ^^7^ tei Ibn Taghrybardy ü, 382
ist demnach zu verbessern {j»^^\ o^v^). Ibn Ma-
mäty S. 31.
ü^) ~~T u^^')7 pl- {J*^^^)f Musikanten, Sänger. Persisch
yJlÄuof^. Abu Nowks m, V. 8. Agh&ny XVII, S. 154,
Z. 3 V. u.
Im Text steht fehlerhaft ^^^JyuoK und xJLAüoK. —
LÄuyol^, das Myrthenblatt ^\ äü>^^. Shifa, S. 108.
^% — ^^;) Zuschlag zu den Steuern, Erhöhung der-
selben. Gabarty IV, 68, Z. 1 v. u.
Beitrige nur »nbiMdien Lexik<^^phi6. 247
\^s — V^'r^9 P^* ^^^ v^r^ ^^ ^^)y* ^^^ighah I^ v. 12.
^) '^ ^^J^' V^p') ^^^^ ^^^^ ^SHf^)i ®i^^ ^^^ ^of~
musikbande am Hofe der ägyptischen Sultane. Mak-
ryzy I, 446, Z. 9; 452, Z. 12 v. u.; Z. 7 v. u.;
453, Z. 15 V. u.; 475, Z. 15.
■^ f» ^
i^\ — u'^^' Passgänger (Pferd, Esel oder Maulthier).
Gabarty IV, 121, Z. 1 v. u.
^ 0 ^
^•t — tLa^^yi) eine Taxe auf den Verkauf der Waaren.
Gabarty IV, 100, Z. 2 Xa^^^ *-y ya*) ;^*äj ^I,
iSo,JiÜI, 4S;AJI, »iykJf^ &4^l ^*isl ^
)5J — j2K, der Schiffspatron. Nach dem Werke 'Asäs
(albaläghah). Shifä S. 111.
^^)% ~ ^^^ Taglöhner. Ibn Chaldun HI, 197, Z. 15.
&oU\^^ — ^^^ Pensionsregister (im ägyptischen Kanzlei-
styl). Davon ^^\^\^y der Pensionist, der in diesem
Register eingeschrieben ist. Gabarty IV, 50, Z. 6.
^^s — pA.M»JLft \J^^^y% poetisch, d. i. der Behälter, das
Gefäss des Zephins, für: ^J&oL, Windfang, Ven-
tilationsvorrichtung. Shifa S. 110.
i»t« — altpersisches Fest, das am 21. jedes Monates
gefeiert ward. ShifSsl S. 109. Das Wort kommt bei
Abu Now&s vor.
v5^J — ^' ®*^^ besprechen. Gabarty IV, 3, Z. 5 v. u : JLüi
m >•
^5j, Ländereien, die von der Nilüberschwemmung
erreicht werden und künstliche Bewässerung nicht
erfordern, im Gegensätze zu ^^*L^ oder (Jjlv^?
Ländereien, die künstliche Bewässerung erfordei*n.
«» >•
Bo-emer: Aegypten I, S. 179. — ^\yäJ\ ^sj Acker-
gründe zweiter Qualität in Aegypten. Ibn MamÄty
S. 45: U^U^I uftJLA^* ^^1 )^0<i^ aL^l^yi ^^
248 Kremar.
iuj^^5 ^^sl^l ^^;, Jü L^ Jüui L^Jlys»« o:*j3.L?
Ä-,^ \JÜ, J.^, j«^ (Ja, (fifJyX^) ^yX^y »»U«^
Ju\ — V. Juö', auf besondere Art singen (technischer
Ausdiiick). Aghäny VI, 81, Z. 6.
^s — ^K, der Schmutz, der Rost. Ihjä' DI, 15, Z. 1
V. u.: Li6 JluJI v^6f 161 ^jl^ ^ Ur^ '^'^
^y 1^ äJj ^ ^^ LjAi 4Xj^ 4>U ^I^. Hiemit
O y.
scheint das Wort ^^ ^ synonym zu sein. Ibj&' IV,
385, Z. 5.
u. 9
v^\ — Jh^^ V)' Greisel oder Ochsenziemer aus Rhino-
ceroshaut. Gabarty IV, 68, Z. 6 v. u.
(Xj^ — au j4^;? pl- ^^.^y Sänfte, Palankin. Agh&ny
V, 29 Z. 13 V. u. Aber auch Tasse, kleine, ver-
tiefte Schüssel, jetzt au Ju\ ausgesprochen, pl. ^^ v)-
Aghäny XVin, 185, Z. 6 v. u.
^\ — -.l^jJL ^Ul Vr^:?> >®^ trinkt den Wein in
einem gläsernen Becher'; eine sprichwörtliche Re-
densart, die so viel bedeutet, als: ,er kann sein
Geheimniss nicht bewahren*. Shißl S. 134.
Q^ o ^
^v »Y^v ^^^ Augurium, eine Vorhersagung nach
dem Vogelfluge. Kamil S. 84, Z, 5. — r^vi ^^^
Wahrsager nach dem Vogelfluge besonders erfahren,
KÄmil 1. 1. Z. 4.
- 9
^y^') — V)^J7 schwach, hohl uUjl/^I oy^^l. Ihn
Doraid S. 326, Z. 7.
Beifarige zur anbiBchen Lezikognphie. 249
A^\ — Ä^i^M ein mit einem Holzgriffe versehener kurzer
Riemen, womit die kleine Handtrommel geschlagen
wird, öabarty IV, S. 191, Z. 11 v. u.
i>ys — «>jA, gelb, persisch i>jy Eämil S. 335, Z. 13.
O^v _ Saffran ^i-^OÄ. Shifä S. 112. ^f>y^ bei Dozy.
ij^f>)\ — ein Kleiderstoff aus Seide und Baumwolle : v>— ^'
jjys^y^jinS^ frr**^- G^^^arty IV, 82 Z. 2, 223,
ZeÜe 19. ^
^i>y^ — Reihe, Linie. Agh&ny IX, 25, Z. 11 Ls5jj illSy
Ash'ir, fol. 151 '^ 152*, wo es in einem Verse des
Aus Ibn Qogr heisst:
,f^ lunfasste sie (d. i. den Strauss und sein Junges)
in ihrem Laufe eine breitgetretene Karawanenstrasse,
die aber dort wo Bergvorsprünge sie einengten, wie
eine Linie war*. Vgl. GawWyJiy S. 71.
^yy — H belügen, betrügen. ShiÄ S. 117. Vgl. übrigens
Dozy. — Ov)' Wahrsager, Sterndeuter: davon das
Sprichwort: ^jl^^ ^j^S><^'- SW*» S. 117.
v^^ — ,j-ÜI ySiy der Flaum, Bartanflug. Shifa S. 116.
im
^\ — stechen, stossen, mit der Lanze. *Antar, Heft 100,
Seite 382.
Jl»* — JhH^I^S) ein syrischer Volksstamm. Ibn Atyr VI,
178, Z. 13; de Goeje: Fragmenta Historicorum Ära-
bicorum S. 328, Z. 11.
^^'^ — ^1 ermattet, abgemagert. Labyd S. 44, Z. 15.
3; — J> Teppich = 45;- Ibn Atyr VIH, 13, Z. 17.
iaj^ — ilfaJ^, pl. ie^'i'y Kupfermünze, Scheidemünze.
Gabarty IV, 156, Z. 8. iaSiJ^ Ly ^^y^^ &ju»ö
1**^) — &— ^yJ^, der Rüssel des Elephanten. 'Antar,
Heft 77, S. 151; Heft 112, S. 236; Heft 139, S. 116,
Schnauze. Vgl. iU^6 und Dozy zu ^y^y
250 Kr«mer.
v-«J\ — o^4>\l, im Kanzleistyl, bedeutet die Umrechnung
des mohammedanischen Mondjahres in das Sonnen-
jahr, sonst auch Jo^ genannt. In der ersten Zeit
des Islam pflegte man nach je 32 arabischen Mond-
jahren ein Jahr abzuziehen, lun mit der Rechnung
in Sonnenjahren in Uebereinstimmung zu bleiben
und dies nannte man o^4>y* Shifä S. 28, 116.
^jjj — ÄSiJ^, Pflasterweg. Gabarty IV, 104, Z. 9. Damm
wie bei Ibn Mamäty S. 51: SuJuc aÜLo ^jjo <aU»r 161
*xi .Ul^l XjyLi.1 iüjyp Jix» li3^] ^ i' ^
Ajj&^ Uuö 3Ü^ JüjCi^iM ilL^U. — ^JJJyo, schiefe
Ebene, Böschung. Gabarty IV, 162, Z. 13.
I»\ — äUbv, Controlor, Aufseher. Tabary III, iv, S. 1183,
Z. 15, 16. Aber es ist nicht ganz sicher, ob nicht
LoLo\ zu lesen sei. Vgl. Dozy sub voce.
Jüo^ — J^Co, mit Geflecht tiberspannt. Ibja' IV, 290,
Z. 2: nKM»i Jyjoyjo yJty^ tj^ f^^ y^y ^^ schlief
auf einem Ruhebette, das mit Palmstricken tiber*
flochten war. Andere Belegstellen fehlen.
Jk^^ — *^)i Sammelbuchse, Almosenschale der Bettler.
Ua^ryzj n, 318, Z. 2 v. u.
^jJLaij — die Glocke oder das Tamtam. Fihrist S. 339,
^ Z. 25. Persisch &JSjy
ü\ — v^\, ein Räucherwerk. Lozumijjät, foL 190*:
^•\ — die von Dozy angeiiihrte IX. Form \y\\ findet
sich in der Bulaker Ausgabe der 1001 Nacht I,
S. 75, Z. 11 ersetzt durch s^y welches offenbar so
viel bedeutet als : ,durch den Schlund hinabwürgen*.
Lane übersetzt syji: he was choked«
Beitrftge rar arabiBChen Lexikographie. 251
^y^ — 'Antar, Heft 148, S. 483 : fL^\ yXJ^ ^ UU
ydX^\. Die Bedeutung ist mir unbekannt.
^fv — ein hartes Holz: <X-^Lil ^^.^4.1. Gabarty IV,
297, Z. 6.
yj\ — o\, in Aegypten, grosser Filtrirkrug aus porö-
sem 'fhon.
^Jj\ — *Äj)? eüie Art Kleider aus Zyk, einem Orte bei
Naisäbur. Nach andern ein grober, schlechter Kleider-
stoflF aus Oberägypten. Mowatta'III, S. 131, Z. 7 v. u.
^\ — was Dozy sagt, passt auf viLov, und ich glaube,
dass auch dort, wo ^\ in der Bedeutung verzieren,
schmücken vorkommt, überall >djo\ zu lesen ist.
LT
{}kXMt — X. bei Dozy in der Bedeutung: ,sich dem Tode
weihen' scheint mir aus einem Schreibfehler ent-
standen und ist dafür zu lesen Jumaa^I.
A^M> — ib^.LliM, eine indische Völkerschaft. Vgl. Bala-
^ * dory S.^375, 376. Gawäly^y S. 82.
^^ — ^L^^l^ ^LuaJt) das Forte und das Piano im
Gesänge. Agh&ny V, 102, Z. 9 v. u. ^\^^\ -.1^1,
pianissimo IX, 51, Z. 5 v. u.
fi^ f
y^ — T^^) ®iß Stoff, in welchem Zeichnungen von
Bäumen gestickt sind: I^ajüd J^ n.^43JU rY**^
%^^JI. Gabarty IV, 179, Z. 8, wozu noch bemerkt
werden muss, dass statt j^, Baum, die ägyptische
vulgäre Aussprache ^ lautet.
— v^yc^, pl. lül^, kleinste Scheidemünze, Bruch-
theil eines Para, jetzt nicht mehr im Gebrauch. Ga-
barty rV, 313, Z. 13.
252 Kremer.
M.^»
y^ — 7^' ^^^ ^^ Zwieback: jIoaJI ^LaX)!. Gabarty
IV, 278, Z. 14 V. u. — (^jij^tVje, verdorben, saaer
geworden. Vgl. Lane ad vocem )y^^^- Agh&ny IV,
99, Z. 4 V. u. jjäUjO JuLxi^ JoS u«ty »äl^ij-f^ »i.L«J
J^ — KA^) ini ägyptischen Vulgärdialekt: die Eid-
echBe. Sha'räny: Albal^ S. 235, Z. 1.
ä^ — ts^''*^'? dunkel in der Farbe des Körpers, tief
braun. Ibn Doraid S. 62, Z. 1 v. u.
JSf — J^— ^' verhöhnend, betrügerisch. , Lozumijjat,
fol. 105\
^^w^ — ^iJl^^ \£Mifi^) dein Auge möge heiss werden; eine
Verwünschung. Aghäny XVEI, S. 59, Z. 4; XX,
156, Z. 3 V. u.
s(Xj^ — vi^G^Juwu, Töpfe, Schmalztiegel. Gabarty IV, 279,
Z. 1 = ^jk4^l ^^^^Ij-*»
c) Jum — vjl Juw, ein grosser Korb ^iAxCII JjloÜI. Aghany
XVII, 98, Z. 1 und 4.
y- *» ^
^ wwy — k^yMt^ die Reise, das Herumziehen s^m^^XJ ^^jSkJi\
Gabarty IV, 144, Z. 3; 235, Z. 11 v. u. — -.Ij^,
ein Hausirer, ein wandernder Händler. Gabarty IV,
252, Z. 17.
jLmJwm — Zügel, Zaum. Fawat I, 127, Z. 1 v. u. Persisch
s^y*** '— eine Art berauschendes Getränk. Kremer: Cultur-
geschichtliche Streifzüge S. 68.
• -<•
iül^ — pl. ^^\yM,*i Palast, türkisch ^Sy^* Gabarty IV,
183, Z. 4 V. u. — '^^^^»^ Reptilien oder Insekten,
die nur Nachts aus den Löchern kriechen: Ibn Do-
raid S. 108, Z. 9.
Beitrfige zur arabltohen Lexikographie. 253
^ h<M — ^ h kMj pl. ^^ixutf, d|t8 platte Dach^ die Terrasse :
in der Viilgärspraehe wird der Plural statt des Sin-
gulars gebraucht. Gabarty IV, 92, Z. 8 : ^yi «J g jö
^ Jk^JI) eine sprichwörtliche Redensart, die so viel
bedeutet als: jemand durch schöne Worte beruhigen.
JJom — JJolam, ein Bettler, der sich blind stellt, um Mit-
leid zu erregen. Shifil, S. 125. — JjJöuyuo, im ägypt.
Dialekt: derjenige, der dem Genüsse des Hashysh
ergeben ist. Shifil S. 119, 125. — JjaxL[ durch den
Genuss des Qashysh sich berauschen 1. 1.
fJoMt — «Üa«»!, der Vordertheil des Schiffes. Atär al-
'owwal s! 197 :
JuLdM — JuLdM ^1, ein Beiname, womit ein hinfälliger,
entkräfteter Greis bezeichnet wird. Shifä S. 35. —
si\ JüLm, in übertragener Bedeutung: die Lüge.
SUfil S. 95.
iaJUM — io «jumuo au^^7 ein verzerrtes, hässliches Gesicht.
1001 Nacht I, 47, Z. 18.
Jum — f^y***'i ^^TL^- ^r^^ ^^^^ )^^9 Posaune oder
das hiezu verwendete- Widderhom. Byruny 275,
z. 16: erLXll ^^^ v5^^/'r*^S or^^*^ '^ ^•
— g^lül, pl. ^Iju*., Flöte. Gabarty IV, 73, Z. 15.
^^a^MJ^ — Kfl.M»g.»M. Ibn Chaldun IV, S. 31, Z. 12 v. u. sUXi
^ - • " ^ *
•Ka.^,fl^^ Ui'ldLIo. Hiernach scheint die von Slane
254 Kren er.
gegebene Bedeutung: iBetrug^ Schlechtigkeit^ ge-
rechtfertigt. Vgl. Dozy ad vocem.
Sül^Iaw — eine türkische Truppengattung. Gabarty IV, 177,
Z. 1; auch zu Pferde, 212, Z. 1: aÜLsl' »^äLäiJI.
(3-ÄuftA« — Gürtel (eines Kleides). Balädory S. 308, Z. 18
und 19: «SLo (J-Afl,M> ^küüLi. — ^Jjdji, be-
deutet im modernen Vulgärdialekt von Mosul: das
Hosenband. Vgl. Socin : Sprichwörter, Nr. 460. Es
dürfte also zu lesen sein: {^^^JJl&i.
MMi — £^^^9 ^^^ heftig blasender, heisser Wind. Nöl-
decke: Beiträge S. 111, Z. 4. — kMJLmjo^ Nach Ibn
Doraid S. 82, Z. 17, ein südarabisches Wort in der
Bedeutung: &!&JI ^1 g^l &Jt.
^JLui — bei Freytag ist irrig, die richtige Schreibart ist
^ B Hf Vgl. Kämus, Gauhary und Mot;tyt.
s^jJjM — »U^aaJI v^AiLw. Dieser Ausdruck, der in einem
Verse des 'Al^^mah Ibn ^Abdah vorkommt (L-e;j
»LmmJI \^a£^ f^^\ bezieht sich auf die Legende
der Tftiiiuditen und das Kameel des Propheten ^alih.
Vgl. Koran Sur. VH und Sur. XI. Ta^byf, fol. 164»».
^yU — ^-^j der LöflFel. 'Antar, Heft 142, S. 217: '
KaJLm »Idu|p Jr^ 4X0.Ü.
JjLmi — IÜIäam, pl. c^H^Lm') Schiffstreppe, Brett das vom
Schiffe aufs Ufer fUhrt. Aus dem italienischen scala.
— JjuILa^I, die Leitern, das Gerüste bei einem Bau.
Ma^ryzy: H, 407, Z. 12 v. u.
siXMi — &Cur9 pl. viLXdM, Poststation. Sprenger: Post- und
Reiserouten S. 2.
>, kleine Stechmücke, Muskito, die beim
Fliegen nicht summt, aber sehr empfindlich sticht;
Beitrife xur ara^teck«» Lexikograpbie. 3&&
deshalb auch oXmo^ J^^^ genannt. Aegyptisch.
Vulgär.
jIJJCmI — Name des Registera der im Postamte (^)t^*>
JuwJf) eingeschriebenen Briefe. Aus dem persischen
^J«^ x5\l. Dieser Register enthielt also die Angabe
der Provenienz jedes Briefes. Sprenger: Die Post-
und Reiserouten des Orients S, 159. Diese Bedeutung
eines Vormerkregisters scheint das Wort auch in der
Stelle zu haben, wo es im Aghftny V, 61, Z. 6 ge-
braucht wird.
JLm — &JUlo ^jl Ju«7 vulgäre Ausdrucksweise , die so
viel bedeutet als: vollständig betrunken. Shift, S. 47
126. — tJ**"^ assecuriren^ jiy^^j^^ assecurirt, vom
italienischen: assicurare; vulgär.
aJUCimI — pl. Ji^Lwl, Hafenplatz, Hafenstadt. Gabarty IV,
126, Z. 11 V. u. Französisch: öchelle.
yjS^u^ — &AAAX.W &«^, eine in die Mode gekommene Fri-
sur, nicht blos für Damen^ sondern auch flir Herren,
so genannt nach der Gattin IJusains^ deiei Enkels des
Propheten. Aghäny XIV, 165, Z. 3 und 2 v. u.
»7 Seil ans Palmbast Gabarty IV, 252,
Z. 12. — ^1 SJLi^, Brannenseil. 1001 Nacht I,
356, Z, 15. — ^LXw, ein Musikinstrument. Mas'udy
vm, 91.
— ^^Lm»7 pL Kl .njJLmj Bcttlcr, in der Ganner-
sprache. Shifä S. 125.
o
i>AiMiHJLiM — die Fontäne, der Springbnmn, |#L^«Jt ^^ JUamJLw«
Gabarty IV, 28, Z. 12, der at» Marmor gehauene
mittlere Aufsatz der Fontäne, von dem das Wasser
herabfliesst.
IbJLm» — loA^im^j Name Gottes bei dem Dichter 'Omajjah.
Ihn Abykalt. Agh4ny HI, 187, Z. 13.
256 Krämer.
^Lm — ^^iLyw, ein gelber SeidenstoflF Gabarty IV, 223,
7ä, 5 V. u.
^^Mi — ^y^MiJi, Dotation, Geldanweisung. Gabarty IV,
68, Z. 15 V. u.; 311, Z. 12.
^4-AM — >i^^ der ZuhörerkreiB: ^jjo S^IjJI ^I iUliLl
^ v5^Ü.I J^ ^\ji\. Gabarty IV, 69, Z. 8. Vgl.
Lane. ÜtyoLiM^ u^)^' t^^ ^o ^oLm als Fttllwort
in der Bedeutung von woL&) verödet, gebraucht wird.
Müller : Die Burgen und Schlösser Südarabiena.
Sitzungsberichte der Wiener Akademie, Bd. XCVH,
^1 • -^
S. 1035. Nach dem IklyL — 8 «IZam &JjJ, eine im Gb-
spräche zugebrachte Nacht, so sagt Zohair: «
4>Üt ^;U^t ^ t<^t ^^ gpl iU' &JLJ oJL»^ Üb
Ta^byf, fol. 69«. Statt ciob ist wohl vsöb zu lesen.
Der Vers fehlt übrigens in den Gedichten des Zohair.
— 'iSsyJLy ein Zobelpelz. Aghäny XIII, 25, Z. 9 v. u.
yit>M> — lajLMw, pl. ULmwI, eine Art Zwieback. Gabarty
"'•^..
IV, 309, Z. 3 V. u. Vgl. Ju*-*..
^^ J^y (jl-^'i die Altersklassen der Kameele, in
welche sie zum Behufe der Besteuerung mit der
Armentaxe (^ada^ah) eingetheilt waren. Bocb&ry,
3846. (Eitäb al'i'tisäm bilkitäb walsonnah 6).
— Fuchspelz, Shift S. 120.
y ^
- va^yL»** = vsajO^. Mas*udy VIII, 37 : vsy^ &^U.
^A^Mt^ j^bO) mit der Jahreszahl versehene Gx>ld-
stücke. Aghftny X, 164, Z. 4.
<XUm — dJ^M^\ s^M'i Redensart, die so viel bedeutet
als: eine schöne Handschrift schreiben. Shifä S. 213.
O ^ ^ ^ jß
zJKm — zJkm iLLm^ in der Tradition, als vom Propheten
gebraucht angeführt; Ausruf der Bewunderung.
Boch&ry 3207 (Kitäb aladab 17), an einer anderen
Beitrige snr arabitcben Lez!kofl^r»pbie. 257
Stelle 3109 (Bat&b allib&s 22) kommt das Wort in
der Form sLU; vor. Es soll nach dem Commentar
abessynisch sein und schön bedeuten.
y^ju^ — ^^L^dM, die Zeit der Nachtwache, die Zeit, wo
man wacht. Gabarty IV, 215, Z. 5. Diese Form ist
vulgär ägyptisch. Vgl. Spitta: Contes arabes, Leide,
1883, S. 37: ^^l^H^ i ,am selben Tage^ Saif al-
jazan S. 59: ^ 1-4^1 ^^L...«ae ,in der Nachmittags-
standet Der Singular ist 2Ü%^g u. s. w.
s\i>j^Mt — roth (persisch); bei der Beschreibung eines Fal-
ken. Abu Nowäs. Manuscript der Hofbibliothek,
fol. 60:
Jl^ — Infinitivform JL^jmo. Imra' al|:ais: Dywän LH,
V. 17 fehlt bei Lane.
f^.^ — f^-^t pl. &y^} Stange, langes Holzstück. Ga-
barty IV, 258, Z. 12; 300, Z. 13. Die dicken Balken
heissen i» J0O.
dyM» — kji>|^, die Bevölkerung des Landstriches t>i m«.
Ibjft I, 47, Z.5; 112, Z. 8.
9
yyA^ — syu^ das Hochzeitsfest. Shifä S. 120. Ibn Ma-
mäty S. 24: J^LJf ^^1 (persisch).
\LiM — stimmen (ein Musikinstrument). Tläm alnäs S. 135,
Z. 6: oOft.^ &SjLli i>yX^\ ILmj^ ^ <>^ 1^(Xaj^
1^^ — Jot*^M«) der Zubereiter der sehr zähen Teigmasse^
die den Namen ««JJbu trägt und eine beliebte süsse
Speise ist. Aghäny V, 125, Z. 8 v. u. Dieser Teig
muss nämlich lange geschlagen, gezogen und ge-
knetet werden.
äitznngtber. d. phil.-hitt. Ol. CHI. Bd. I. Hfl. 17
358 Kr«im«r.
— IV. \^/xwf, frei lassen, laufen lassen« 'Antar, Heft
93, S. 84, Z. 16. ^A^iM vx«,»^.
wu^ — »JLm, eine Art Gehalt: Gabarty IV, 211, Z. 18:
s^LJL äi^uLiJl xlCoLll o«.o ^ Ldjf 5^.j[^|«i'
^^.^LdJJI^ — im ägyptischen Kanzleistyl: S««iiJI
»*5LmJI, die fortlaufende Nummer der Register oder der
Aktenstücke. — '^y-^t^i Procession, feierlicher Um-
zug. Grabarty IV, 190, Z. 8. Ejremer: Mittelsyrien
und Damascus S. 133. — jt^^^ £7^'^ ^^^^ ^^
länglicher Kürbisse. Gabarty IV, 223, Z. 15.
— ^r^^ ^^^y Sesamöl. Aegyptisch.
*j^ — eine Art unechten Golddrahtes. Bei den ägypti-
schen Zigeunern ist ajlm« die Benennung der unter
ihnen gebräuchlichen Diebssprache. Ejremer: Aegyp-
ten I, 144.
yj^xM* — Name des Mondes bei den Sabiem. Bynmy,
S. 205, Z. 18. — iüLL., Zelte. Vgl. ^\y^' Gabarty
IV, 122, Z. 1.
LT
^«.•J^Lm — Das Wort ist offenbar verschrieben ftlr ^LjoLm,
das junge Huhn. Aghäny XX, 57, Z. 1. Ueber
letzteres Wort vgl. Damyry.
s^LAA^ — s^JuÄ ^t) die Tarantel. Aegyptisch.
yjuyi — Rappe, Pferd von dunkler Farbe. Shifä S. 129.
Aus dem persischen W(Xy^*
yj^ — S^^Lä, die Schläfe, die Wange. AghÄny VC,
33, Z. 13 V. u. L^l^ au v/^^ ^<J^ O^ *^y^' ^^
(jäwA-& — I. ins Netz locken (den Vogel, abfangen). So
heisst es in einem Gedichte:
Beitr&^e zur araMsebpn Lexikogreplii^. 259
A o ... «w 9 f ^ o^^^
Shif& S. 139. — Es ist von dem Worte ji»bU ab-
geleitet, welches die Laiidleute in Nordsyrien zu
rufen pflegen, wenn sie einen Fremden sehen, wo-
bei sie sein Pferd oder Reitthier anhalten und die
Hand ausstrecken, um ein kleines Geschenk zu em-
pfangen. Vgl. Russell: Natural History of Aleppo,
der die Sitte recht gut schildeii;.
x-ä — in. Aghäny XII, 130, Z. 19. Die Bedeutung ist
vermuthlich: mit gekrümmtem Rücken sitzen, einen
Buckel machen wie der icyJii^ ein im Euphrat vor-
kommender Fisch (vgl. Aghäny XIII, 18, Z. 9) oder
die darnach 'benannte Laute iAAjLu£jl ..JcV— *tll.
Aghäny V, 24, Z. 6. — JoLcÄ^ -^U^^ Geschrei und
Gezanke. Gabarty IV, 138, Z, 7 v. u.
dL^ — V. sich an einander fügen. 'Aräis S. 213, Z. 5:
c^Ka-ä ^Ut^Uai ^jXIäö JiX^S JU>il aJUl ^^Li
^^^Ulioil ^'A^^ Diese Stelle bezieht sich auf den
Durchzug der Israeliten durch das Rothe Meer.
— c^bUjcr, eine zum Zwecke der Besteuerung auf-
gestellte Altersklasse für BüfiEel, indem nach den
verschiedenen Altersstufen der Thiere die Steuer
sich änderte. Ibn Mamaty S. 31 : diese Klassen führen
folgende Namen: v^'K ^3^^ v^i^ULjw ^ys^ /^^J
(3^^t (3^^* Vermuthlich ist cjÜLLcw zu schreiben.
— sU^t^ an der Sonne getrocknete (^j-jJ) oder ge-
brannte (jJIaJ) Ziegel. Labyd S. 112, Z. 8.
^jüä* — |VajLäjo, pl. vom sing. |»IJuw&üo, einer, der heftig
beschimpft oder schmäht. Hädirah S. 4, Z. 11.
.y^ — Äjoy:^, Ackerboden fünfter Qualität. Ibn Ma-
\sAX\ S. 45, 46. An beiden Stellen steht ^^^i^ und
17*
260 Kremer.
nicht iüyjuM' Vgl. Dozy ^^Ixär, woraus trotzdem
die Lesart inyj^ als die richtigere erscheint.
^ — JkA»:^! Jub£ &ä^) sprichwörtlicher Ausdruck fUr
ein Gebrechen, das die Schönheit des Betreffenden
erhöht, wie die Narbe des *Abd al^amyd ihn noch
schöner erscheinen Hess als früher. Shif& S. 136.
j^ — sSl^, daA Betteln, die Bettelei. Ibn *Arabshäh
fol. 114. Shifä S. 133. Vulgär kSL^ oder &jL^.
ia^ — V. selten werden, sich verringern. ioA^jJI =
»JUJI. Gabarty IV, 158, Z. 6: vsaSoj^ diö s^jj^^y
{joSt — n. in Wirklichkeit vorweisen, tbatsftchlich vor-
•• A
zeigen oder herbeibringen. Shifä S. 134. —
von Geldmünzen gesagt: effectiv, baar, comptant.
Gabarty IV, 117, Z. 1 u. a. a. O.
iXj&t — Lo Ju&, Ausruf der Verwunderung statt: 5 JläI Lt.
Shift S. 134.
i& — v^4>^) im Dialekt von Kairo: der Begleiter
der Sängerin oder Tänzerin, der zu applaudiren hat,
w^enn sie sich producirt, auch wlti^ genannt. Sha*-
rftny, Albafcr S. 189: ^ {J^/^- LT^' \J^ j^
U^^ ^\ ÜbLA^ fd^\ ^^ J ^\ 8^1 ^ y^
%4>Uu — pl. >ol^, Verkaufsstätten des Holzes, Holznieder-
lagen (v«AdMMill M^ jLrtf) in Bulak bei Kairo. Ga-
barty IV, 11, Z. 7 v. u. Vermuthlich vom türkischen
si^lLj Zelt.
K^yJi — JsJj^^^ Scherbetverkäufer. Gabarty IV, 198,
Z. 5 V. u.
9 • » -'
l%j^w& — lang von Gestalt, gross. Ibn *AVAby Mosämar&t
I, 308, Z. 3 V. u. = v^^ und v*y^, V^/-^-
B«itrif« zur anMMben Lexikographie. Sol
^^ — 2k — s^yl. pl. py^i r'^)^' f^'/*^' Glastafeln
(-.1^0- Gabarty IV, 28, Z. 10.
iöyj&t — »ytnjj M> J^ = aüuo5 ^^, auf seine Verantwort-
lichkeit, auf seine RecBnung. Gabarty IV, 236,
• 9
Z. 10 V. u. — ^yy^t der Notar. Sobky, fol. 21*».
Aucli ic^yjSiJ\ \^\SP\^ im Iklyl. Mtüler: Die Burgen
und Schlösser Stldarabiens, in den Sitzungsberichten
der Wiener Akademie, XCVII. Bd., DI, S. 1035.
— ^\^y^\, vgl. KÄmil S. 449, Z. 10 und 13.
y^wÄ — y^^yjSitjo = ^^^yj&t. Lnra' alfeais IV, v. 57, nach
einer Variante, dann E&mil S. 87, Z. 9, gestreift (wie
die KleiderstoflFe von Shar'ab). Agh&nv XIV, 88,
Z. 4, wo das Wort erklärt wird: hu*aI v.^^JLJI
\J^Y&» — o't^ U^^' ^^ (S^S**^' Ländereien, die zu hoch
liegen, um von der Nilüberschwemmung erreicht zu
werden, die also künstlich bewässert werden müssen.
Aegyptisch. Es wird davon das Verbum ^J)Vä und
das Verbalnomen ^^^^ÄJ gebildet. — o't^' Zünd-
holz zum Feuer machen. Aegyptisch. Auch >^t^g»
^•1^1. Gabarty IV, 309, Z. 3. Aber die gewöhn-
liche Aussprache ist \J^y^* — c^L-^I^J^I, weisse
Sklaven oder Sklavinnen, die aus dem Hause eines
Grossen ausgemustert oder entlassen werden. Ga-
barty IV, 266.
^y&» — ^)^9 pl' ^}y^^ Segment, Ausschnitt in der
Form eines Dreieckes, wie bei den einzelnen Stücken
eines Zeltdaches oder Sonnenschirmes. Ma^yzy I,
448, Z. 11, wo von dem Sonnenschirm des Chalifen
gesagt wird: ^\j^ J^Jüum (j^y» ^sym^ätA Lol ^^
^y ^ J;^t yJ, .&WÜ, g;i>f «aü JJ^,
262 Kr^HMr.
I Jca. v3*»^. — te^yt' J^. Agh&ny XIX^^ 137
Z. 3; vielleicht ist zu lesen «»^1 |>Za«>.'
o >-
1»^ — «VM, ein kleiner Wasserweg. Gabarty IV> 121,
Z. 7 V. U.5 311, Z. 8. -Die Abzweigung eines Kanalea.
.-' y
\ym — *:?'^, die Irrlehre der Sekte üU--ä, d. i. der
Azrakiten. Aghany XVI, 153, Z. 2; 157, Z. 13 v. u.
wJxi^ — V. sich zerschneiden, sich verwunden. Saif al-
jazan 11, 41. — x*tn A, der Federstrich (um ein Wort
zu tilgen). Shifit S. 138.
^ tn M > — I. sich entfernen, abweichen. Sha'rany: Jawalyt
^ n, 116, Z. 7: &JU^I yöLfc ^ ^Ja^ ^ ^^^^i^,
,alle, die von dem äusseren Sinne aer Offenbarung
sich entfernen.^ — Sich überheben, sich emanzipiren:
Sha'räny : Kibryt S. 173, Z. 10: ^SaS J^ ^ia-Ä ^^
adUl ^J^ 2JLM jLxt JLr. ^Ja^ ^ Lol ysTl aJLM
aüüudJ o>^^^t o^ auu^ ^>Jx^l Joib
Jo^ — vajU*lfl.a>, Schnitten, eine Speise. Aghäny VlU,
185, Z. 5 V. u. Vgl. Dozy: vKä.
u,a,tr>^;> — kiloM», ein gi*tlnes Band, das die Nachkommen
des Propheten, die Sheryfe, um den Turban zu tragen
pflegen. Shifa S. 139.
^n.^ — w^^ ein Felsriff. Gabarty IV, 142, Z. 16.
viAJ ,cAÄ-Ä = dijüjo, also ein Ausruf wie: Gott er-
halte dich. Shifa S. 134. Nach dem Werke: Tahdyb.
(Xaju&i — SJlulmJuo slyol = ä^^L», unbekleidet, unver-
hüllt. Aghany XVII, 121, Z. 8; das Wort ist, so
lange nicht andere Stellen nachgewiesen sind, zwei-
felhaft. Vielleicht ist zu lesen KxmJjJJo.
yMM — ^;Ia4i die Ziegen. Ibn Mamaty S. 31 : ^^IaAJI
^Li«x &JUM oJU'^ ^tiXXft ÜD^^O^ sLu«. — y«x
.*',«»>'
** -"
Beiträge zur arabischen Lexikographie. 263
'i% \jL&y die Beduinen des Stammes Sha*&rah, welche
der ägyptischen Pilgerkarawane das Geleit geben.
ShaVÄny: Albabr S. 218.
«Ä — y^^AJuit^ die Flechsen, die Muskeln, die feine Haut^
die auf dem Fleische sitzt Gabarty IV, 257, Z. 8:
iJI^ Jo^mJ!, wozu mir mein Gewährsmann in
Kairo folgende Erkläi-ung gab: ,jjJl»>JI^ u«! Jl Io^mJ!
|v^l J^ ^gXi\ IJL» JUuSJi SJJU-I oJLiJI^.
JLÄ — jÜvaI^, Kameeltreiber. Gabarty IV, 5, Z. 8.
^3dÄ — (j«M^ (3^? ^^^ -^^ Ackerland. Ibn Mamaty
S. 46: yc^ <>^^ ^T^^W ^ ^^) U^HsUx jMb4>^ (3dM
g^yi s^ü .^^ '^1^1 i;, jjUi ^^ ^^.
jüi, Zelt, ^Lfe &li. Lozumijj&t, fol. 108». Ma-
^zy n, 200, Z.21: äU^ä^ ^^^ üääJI JI Jl^xJ,
^UÜ — pl; ^jjuLjuÄ, eine Art Wildpret. ,jjuIJLäJI ' L^.
Aghany X, 136, Z. 17: XIH, 130, Z. 13. Der Text
ist an beiden Stellen zu berichtigen.
Aj Hebel, Hebebaum. Atar al'owwal S. 192,
Z. 7. Es ist von einer schweren Belagerungsmaschine
die Rede und wird die Art und Weise erklärt, wie
sie in Bewegung gesetzt wird: wJ^J^Lol aü5l^ y^^^^
L^ ^iXj {jaSLiL^ ^\ ,man setzt sie in Bewegung
entweder durch eine Welle oder durch Hebel, wo-
mit sie vorwärts geschoben wird.*
A
ßüL&t — aurUiA^ oLaJ) eine Art Kleider. Hamadäny :
Rasail S. 156.
ülmw — va>UgA,<o, eine Art Kleidungsstacke. Ma|i:]^ary
II, 1200, Z. 12.
iJU — stechen, kitzeln. 1001 Nacht 1, 96, Z. lO.Il.Waaren
auf Credit nehmen und dann (ohne fkinächtigung)
264 Krem er.
an einen Dritten abgeben. Sha'riny: Albabr S. 105.
Z. 7 V. u: yjj ^JLJI sdJLXlÄi il ^1 i>^f LjuJU iU.!
IjüD L^dMuJL). — ^>^J^) die vollständige Rüstung, mit
Einschluss der WaflFen. Aghiny XX, 132, Z. 17.
Ä^yjCÄ — eine Art Nilschiff, mit Rudern. Öabarty IV, 8,
Z. 10 V. u. Jetzt ist das Wort nicht mehr üblich.
JCm — ^*5Lä, pl. &>^Lä, arabische Soldtruppe. Ere-
mer: Culturgeschichte I, 238.
JXä — JJCä, elegant = v-oj^. AghÄny XVII, 8, Z. 14.
XX, 114, Z. 12 V. u. Vgl. auch Agh&ny IX, 140,
Z. 10 V. u.: uftj^ JJCä jJL^.
|JC.Ä — iH^J^t) Ledergürtel der Mönche. Ma^yzy 11,
508, Z. 9 V. u: s^^xLcKAi tV-U.^^ye^ (vaCä^'
(^JLä — I. besprengen^ bespritzen (mit Wasser). B&kurah
S. 33: äL-Jv^lVI X:>;Ul Xj\ sjüö Jl ^Ju v^iLo
iUloLi il 83*^ i' '^J'^ ü^ ^) "^'^^ v5^^' ^4X4JI
JLä v^JL^- ^x^JI ^^ajl:?. J^ kiO-ä s^JiLs^ JyDpI
^^, Jagdtasche. Vgl. \^yc bei Dozy. Faw4t I,
195, Z. 13.
v;;^UjJUm — eine Art kleinerer Kriegsschiffe. Gabarty IV,
259, Z. 3.
^X& — türkisch ^iLUL*.. Gabarty IV, 56, Z. 4. Auch
<iLJL& wie bei Dozy.
*» o -*
,j«M^ -< lU^^, Rosette, Medaillon. ShiAS.lSS. —
Sonnenschirm. Tabary III, iy, S. U83, Z. 18.
B«itrig« inr arabUehen L«zikogTapbie. 385
jL«dÄ — &X4«ä) ein Tuch, worin etwas eingehüllt wird.
Fachry S. 361. Nach Lane: Arabian Night» m, 570:
ein Mantel^ ein Uebervnirf. — &a^ = äa:^, Ober-
kleid. Gabarty IV, 105, Z. 15 v. u.
— IüoUam, Ackerboden vierter Qualität. Ibn Ma-
m&ty S. 47.
— Aghäny XH, 130, Z. 2. Die Wiener Handschrift
schreibt JuJum. Bedeutung unsicher.
^Uä — eine Art SchiflFe. Gabarty IV, 298, Z. 13. Aus
dem türkischen
ÄJLÄ — n. emporsteigen, sich erhöhen. Ta^tyf, fol. 32»:
es wird dort ein alter Dichter angefahrt, der sagte:
AAJuä 1^7^' \J^y '^^^^ ^^^ ^^^ ^^^ erhaben^ Aus
einem andern alten Gedichte wird angeführt: 161
k^ I^Äil ^ ^^ÜJI y^yS3\ ,wenn sich der nächst-
folgende Stern von den Plejaden aus in die Höhe
bewegt*.
•^Uä — Tabary HI, iv, S. 1170, Z. 8. Bedeutung unsicher.
— pl. v£bLL&, aus dem türkischen vlLLL&, Volksfest,
Beleuchtung. Gabarty IV, 81, Z. 1; 173, Z. 11. Hier-
nach ist Dozy ad vocem sdLcw zu berichtigen.
4X4^ — JjöLä, der Assistent, Adjunkt im Kanzleidienste.
Ibn Mamaty S. 14. — JüJÜI Jü&t^, poetisch: die
Gestirne. Shifa S. 135.
y^Mii — II. an den Pranger stellen = j^vä.. Shifa S. 136.
— iLsjöLä, eine Pomade. ShüGa, S. 165. — 8>4Aje,
ein Kennzeichen, Merkmal. Kämil 682, Z. 4.
0tr^ — pl- ffy^^^ oder ka.^Lj^, eine aus der Zeit des
persischen Reiches stammende Classe von Landedel-
leuten oder Grundbesitzern, die sich noch bis in die
Chalifenzeit hinein erhielten, sich selbst mit Stolz
,Söhne der Dikh&ns (Agh&ny XH, 176, Z. 3 v. u.)
nannten und besonders im nördlichen Mesopotamien
266 Krener.
am längsten ihi^n Einfluss sich wahrten. Sie be-
kannten sich daselbst Torwiegend zum Christenthum.
Vgl. Ihn ^au{}:al; ed. de Goeje S. 146. Ihn Atyr ü,
407. Nöldeke: Geschichte der Perser und Araber
nach Tabary S. 102, Note 2.
s^4^ = sty^U, Reichsstrasse. Shifä S. 139.
c^4-Ä — II. expediren, befördern, Vorschub leisten. Doey
ist hienach zu berichtigen. Vulgär, aber auch im
Eanzleistyl üblich.
^^j^Lä — ein Musikinstrument, das geschlagen wird. Hj&'
n, 319, Z. 1 V. u. Vermuthlich eine Art Handtrom-
mel. Das Zünglein der Wage. Shi& S. 137.
LfÄ — lUf-ä, Appetit, Begierde. 1001 Nacht I, S. 3,
Z, 13; S. 70, Z. 5.
»La — ^jf J SLm, poetisch: der Wildstier, das Männchen
der wilden Kuh, einer Antilopen&rt. Labyd S. 66,
ZeUe 7.
V*-*^ — V»*>4^^ gemischt =^ io^JLitiP. So in einem Verse
des Solaik:
Ash'Ar, fol. 212^ ,e8 wird dir Ersatz geben fiir die
saure Milch deines Stammes das auf Kohlen gebra-
tene Fleisch und die Suppe der Kessel, die in den
Schüsseln gemischt wird^ (Variante: ^j^pw).
va)LllfluuÄ — eine Art SchiflFe. Gabarty IV, 298, Z. 13. Ver-
gleiche Dozy.
v:;^ULuä — Augenwasser. Ma%:ryzy II, 406, Z. 2 v. u.
Ju^ — Jvy^) Lastträger = JLx^ oder Ju>.
^ — U^ui, Wirbel im Wasser, pl. ^. Shift S. 133,
wo nur für die Pluralform eine Belegstelle ange-
ftthrt wird.
Z. 7 V. u.
I, schöner, herrlicher. Agh&ny XVI, 124,
Beitr&^e zur arftbischen Lexikognpliie. So?
y*li — eS^ sl^. Aghany VII, 43, Z. 9. — 8^, der
B{dl«st^ vom italienischeii BavoiTA- Shifa S. 126-, eben
Bo m derselben Bedeutung 8%^Lö. Shift S. 126, 143.
^ e > *^ 9
— &A^, pl. w^ifi^7 Leuchter mit mehreren Kerzen.
Gabarty IV, 28, Z. 13 v. u. •— ^^s^Ljojo^ Diener,
Lakai. Gabarty IV, 111, Z. 10 v. u. Sie werden un-
mittelbar nach den äaä» siL-A^ angefahrt.
— ^JiiisP ^^ = («AA^ <ii wegen mir, meinethalber.
Gabarty IV, 224, Z. 5.
fi tf
ÖJgp — <X^I yLd^Jl. Nabighah VII, 28 erklärt der
Commentar als: ,glatte FekUöcke^
6. . e «* 6.
nJl*^ — &I3KJL0 ^t(>, ein fürstliches Haus, einem Manne
gehörig, der xJL»ö ist. Vgl. über dieses Wort Dozy.
Tl&m S. 161, Z. 9. — ya^ ^ijJaS* gJy Faw&t 11,
215, Z. 2 V. u. scheint zu bedeuten; er stand in An-
sehen in Kairo.
s 9 ^
cjL*d — £^^^) entscheidend, das Urtheil sprechend. Vgl.
Lane: (3-^W F,^^^'^' ^^^ Ismä*yl alazdy S. 29,
Z. 12: (3ib g;J^.
juj6t yxjic^yc — die Ohrläppchen. Saif aljazan II, 54.
f^yc — y^y^i pl. fr^^ rother Schuh. Aegypt. — ^\jsyc^
Schuster. Gabarty IV, 71, Z. 9.
äi Joidt — aus dem italienischen stoffa, eine Art Seidenzeug.
Gabarty IV, 223, Z. 6 v. u.
jL:&^f — tXAifl^, in der Beschreibung des Löwen. Gabi?*'
Mabäßin» fol. 97^:
^U ^jyi-U ^'^;^l v^ vS/^ LT^I^ iXÄ-orf (jM^^ u^y^
Im Aghäny XI, 25, wo dieselbe Schilderung des
Löwen gegeben wird, fehlen diese Verse. Die Form
J^^i^l fehlt in den Wörterbüchern. Vgl. üdev^l,
268 Krftfli«r.
das aber im $abab nicht aufgenommen i&t. Hingegen
ist öJujc^ zu belegen aus Aghanj VII, 182, Z. 18.
— In einer Handschrift desselben Werkes auf der
Wiener Hof bibHothek (Mixt. 94, fol. 48») iSadet man
die Lesart
k^i>\Juo — Possenreisser = SLJLäIjLo. Fihrist S. 3, Z. 8;
S. 140, Z. 8.
jÄ^ — 'ijtjA^^ pL ^^Iäo, der Zeltriiig, der auf dem
Tragpfeiler sitzt und die Spitze des Zeltes trägt.
Mai^zy n, 419, Z. 12; 125, 33.
<^ ■ "
•t I ••
^flJuo — gj&XJ^ A^i vulgäre Redensart: stehlen. Shifii
S. 144. — ^[jLSuojo. Ma^tary H, 878, Z. 17, ein
Schmähwort, das einen bezeichnet, der immer Schläge
erhält.
— eine Art türkischer Truppen oder Polizeisoldaten.
Gabarty IV, 129, Z. 15. Auch xxAlia^M geschrieben.
— IL lüdbaj, Liquidation einer Concursmasse. \ —
iLoji, pl. Töpfe. Gabarty IV, 312, Z. 11.
— eine Art Soldaten oder Regierungsbedienstete.
Gabarty IV, 177, Z. 1. Sie werden daselbst zusam-
men mit den iU,^li^ angeführt: ot^^l m^y^
SU iüLit yjL^\. Das Wort iAsuc entspricht
dem türkischen JüUuo.
— KAAJL>to, Vollblut, von ungemischter Abstammung.
Aghany XVH, 9, Z. 16: iüJLo aif^oUe^l ^Jl,
ty^j^ ü^ 7*^ ^ ^ ^^ ^'^^' ^- *•
A,jc — &i&wia^, Administration, z. B. J^\ JL^wio«, die
Administration des Salzes. Modern ägyptisch. Vgl.
Gabarty IV, 10, Z. 8 v. u.
Beitrtc^ zvr ar»biaeb«n L«zikofr»phi«. 269
Ju&Le — I. kneten. Boch&ry 1997 (Kitäb bad'alchalk 18):
jLioJLiai Jüeo lais <^>^ JLoJLo iO^^(>^ |»(>l (jJi^
uaJLd — kkLöy Prahlerei, Dtokel, OrosBinutb. Mostatrif
I, S. 18, Z. 8 V. u.: JJiÄ J^ aÜifjJI ^ ^^ 51^
dULo — yi)yX^, die Armuth. Ibn Doraid S. 170, Z. 5.
Vgl. J^yJjuö.
^^ — n* {S^H^ J^^^. y^t sprichwörtliche Redensart für
^ISjy Jb^. Shift S. 142. — m. = JloI^ oder
v^xU, ein Büdarabisches Wort, das bei Hamdäny
sowohl im Iklyl als in seiner Beschreibung von Ara-
bien öfters vorkommt, in der Bedeutung angränzen,
anstossen, z. B. L^JLoj^I L4JU0 u^ü^ ^ItXi- Müller,
Die Burgen und Schlösser u. s. w. in den Sitzungs-
berichten der Wiener Akademie, Bd. XCIV, S. 383.
— ^Lö, vulgär im Dialekte von Damascus und
Qom^ mit der Bedeutung: abwartend, aufpassend.
Shift S. 143.
f^ — fJo\ = ^\ oder J^. Aghany VI, 129, Z. 7 v. u.
%«M9 — >yy, 4din, der Mann, welcher die Palme durch
Uebertragung des Blüthenstaubes der männlichen
auf die weibUche Blüthe befruchtet. Ash'dx, fol. 192.
In einer Handschrift der Wiener Hofbibhothek (Flü-
gel: Katalog Nr. 241, fol. 173) findet sich aber hie-
filr )^r4io und wird das Wort erklärt als : ausge-
trocknetes Holz. Das Wort kommt in einem Gedichte
des 'Omajjah Ibn Abyl^alt vor, von dem ich ein
Bruchstück bekannt machte in der Abhandlung:
Ueber die Gedichte des Labyd (Sitzungsberichte
der Wiener Akademie, Bd. XOVin, S. 576).
^•- ^
^^ßC — ^i^^f^? das Normalgewicht. Ibn Mamäty S. 41,
270 • Kremftr. B«itrig« znr anbiseben L6xik«flfr*pbie.
s.j^^ — ^14^, vom Weine gesagt: roth; in emem Ge-
dichte deB Ibn Mo^bil':
J^' ^U2iÄ ^^^iJj Lo ^ 3L-5b^O t^L^oj ^gÄxk^
Ash'är, fol. 118*. Bei Mas'udy Vm, 328 wird es in
der Bedeutung: kalt, frostig gebraucht.
syö — v-^LJI oLö = vM ^J^'i die ThüröflFnung. Bo-
e« ^
ehäry 2202 (Kitab almaghäzy 45). — s. «o, ein
dichtes Palmengehölze (so nach Abu Qätim), nicht
blos: junge Palmen. Der Plural lautet )l^'« Tan-
byh, fol. 16^ Vgl. AghÄny XIEt, 123, Zu 1 v. u. —
^ ^L-^ö, der Matrose, der Schiffer, in einem alten von
Matryzy IT, 121, Z. 14 v. u. angeführten Verse. Es
ist wohl \Syy^ zu lesen.
Ayc — VII. -^ A't*'' *^®^ umwenden, sich entfernen.
•Aräis S. 484, Z. 5.
^5n*«o — ^Hy5? ^^^ Forte im Gesänge im Gegensatze zum
Piano. Aghäny V, 98, Z. 15; 102, Z. 9 v. u.
*" ** 0 *•
t •
^Ju-iö — »Jjuyö, Apothekergeschäft. Fihrist S. 317, Z. 11.
— ^5*^*0, pl. ^jHyö? die Sommersaaten. Ibn Ma-
mäty S. 48, 52.
Anmerkung. Alle jene Wörter, bei welchen die Quelle
nicht angegeben ist, sind aus dem Volksmunde aufgezeichnet.
Zu S. 187 u. 199 muss ich einen Schreibfehler berichtigen: es ist
ä^liü zu verbessern in lii&UiL^. Mit Xlolloc» S. 228 ist zu ver-
gleichen (jmLmJ von yuS^ nach Dozy. Von Nachträgen habe
ich nur zwei beizufügen: Soyi^ im ägyptischen Dialekt in
derselben Bedeutung^ die Freytag zu Vij^^ gibt. — ^50^, der
Bajazzo, Spassmacher, ähnlich dem als ^U yj^\ bei den Hoch-
zeitsfesten in Kairo auftretenden Komiker.
Hirvchfold. <HUiiebe Studien. 371
Gallische Studien.
Von
Br. Otto Hirsohfeld,
eerrMpondirendeiB Vitf^iede der bii. Afaidemie der Wieeensebaften.
JJie Bearbeitung der lateinischen Inschriften von Gallien
hat mir Veranlassung geboten, verschiedene historische und
epigraphische Fragen zu untersuchen, die innerhalb der engen
Grenzen des Corpus Inacripiianum nur andeutungsweise berührt
werden können. £s schien daher angemessen, einige wichtigere
Punkte in einer Beihe von Aufsätzen einem weiteren Leserkreise^
als ihn die Folianten des grossen Inschriftenwerkes beanspruchen
können, an dieser Stelle vorzulegen. Dass diese Ausführungen
vorläufig einer systematischen Anordnung entbehren^ ist durch
die Natur des Materials bedingt; vielleicht wird mir nach Ab-
schluBs der Inschriftenarbeit vergönnt sein, die anscheinend
nicht in engem Zusammenhange stehenden Einzelforschungen
zu einem organischen Ganzen zu verbinden. — Da der Ab-
schluss des zwölften Bandes des Corpus, welcher die Inschriften,
der narbonensischen Provinz umfassen* wird, in nächster Zeit
noch nicht erfolgen dtLrfte, werde ich bei AnfUhrung der In-
schriften neben der Nummer des Corpus noch eine und die
andere zugängUche Publication citiren ; von einer Volldtändigkeit
der bibUographischen Angaben, so leicht dieselbe sich bewerk-
stelligen liesse, ist hier selbstverständlich Abstand genommen
worden.
I. IMe Ciritates Foederatae im narbonensischen Gallien.
Mit der Eroberung GalHen's ist von Julius Caesar der
erste und entscheidende Schritt gethan worden, die Besitzer-
greifung des Westens durch die Römer aus der engen Begrenzt-
272 HirsehfaU.
heit einer rein militärischen Occupation, wie sie bis dahin in
Spanien und dem südlichen Frankreich angestrebt war, zu einer
Herrschaft des römischen Geistes und Wesens über die Ton
civiUsatorischen Einflüssen noch wenig berührten Barbarenländer
umzugestalten und zu veredeln. Die Romanisirung des westlichen
Europa hat dem hohen Geiste Caesar's als grosse dem römischen
Volke vom Schicksal beschiedene Aufgabe nicht etwa nur in
unbestimmten Umrissen vorgeschwebt, sondern ist von ihm mit
kraftvoller und sicherer Hand energisch in Angriff genommen
worden. Der Mann, der die Worte niederschrieb, »Cicero habe
einen um so viel schöneren Lorbeer, als ihn alle Triumphe
gewähren könnten, errungen, um wie viel grösser das Verdienst
sei, die Grenzen des Geistes^ als die des Reiches erweitert
zu haben,' hat sicherlich auch seine Siege nur als Mittel zu
dem hohen Ziele angesehen, die durch die Waffen eroberte
Welt durch römische Cultur zu einem einheitlichen Ganzen zu
verschmelzen. Es war ihm vom Schicksal nicht beschieden,
dies Werk in dem Lande, das er selbst dem römischen Reiche
gewonnen hatte, zu beginnen; nur in dem Süden Galliens ist
ihm zu zeigen vergönnt gewesen, in welchem Sinne und mit
welchen Mitteln er an die Durchfllhrung dieser Aufgabe zu
gehen gedachte, und es ist ihm in unglaublich kurzer Zeit ge-
lungen, diesem reichen und schönen Lande unauslöschlich den
römischen Stempel aufzudrücken. Durch die Gründung zahl-
reicher Colonien an der Küste des Meeres und an den Ufern
der Rhone ist Südfrankreich römisch geworden, während es bis
auf diese Zeit theils gfiechisch, theils keltisch war, denn die
einzige Colonie Narbo — Aquae Sextiae hatte wohl aus Rück-
sicht auf das benachbarte Massalia noch nicht Stadtrecht er-
halten — hat^ so weit wir sehen können, auf die Romanisirung
selbst des westlichen Theils der Provinz nicht den mindesten
Einfluss geübt oder auch nur angestrebt.* Es musste zuvor
^ Dass Efthlreiche rOmische Kauf leute sich schon vor Caesar in der ProTins
Qeach&fte halber aufhielten, wie aus den bekannten Worten Cioero*i
{pro Fonteio §.11 — 12): referta 0<Ulia negotkUorum eit^ pletia eivium Roma-
norumf nemo Gailorvm \iint eivt Romano guieguam negotii ggrit; mtmmu9 in
Qaüia nvüu» nne eivium Romanorum tabfilii eommovetur ersichtlich ist,
Hpricht natürlich nicht dagegen, denn bekanntlich sind rOmische Kaufleute
auch im mittleren Gallien bereits während der Feldzüge Caesar's massen-
OaUisehe Studien. 273
das Emporium griechischen Handels und griechischer Cultur :
das mächtige Massalia niedergeworfen werden^ ehe Rom hier
seine civilisatorische Mission beginnen konnte. Die Eroberung
Massalias durch Caesar bildet den Wendepunkt der römischen
Politik im Süden von Gallien: ein Blick auf die Vorgeschichte
dieser Stadt, die eine so bedeutungsvolle Rolle in der Ge-
schichte der Civilisation zu spielen berufen gewesen ist, wird
den Abstand zwischen dem machtvollen alten Massalia und
dem Schattenbilde, das seinen Namen in der Kaiserzeit trägt,
darzuthun geeignet sein.
Die Gründung Massalias^ f&Ut in das Jahr 600 vor
unserer Zeitrechnung: Seefahrer aus dem ionischen Phokaea
waren es, die an dieser fiir eine Handelsstation unvergleichlich
günstigen Stelle ^ im Gebiete der ligurischen Salyer dem Grie-
chenthum die erste Stätte bereiteten. Einen Zuwachs erhielt die
junge Colonie etwa sechzig Jahre nach ihrer Gründung durch
flüchtige Landsleute, die nach Eroberung ihrer Vaterstadt
durch Harpagos den heimatlichen Boden verliessen, um sich
neue Wohnsitze im Westen zu suchen.^ Die Fehden j in welche
haft vorhanden gewesen und daher regelmässig zuerst der Wnth der GaHier
zum Opfer gefallen, so in Cenabum (b. G. VII, 3, 1), in Cabillonum
(Vn, 42, 5), in Noviodunum (VII, 65, 5). Dagegen geht aus Cicero^s
Worten (a. a. O. §. 12) über die genera hominum et dvitcUum, welche
sämmtllch den RtJmern offen feindlich seien, klar hervor, dass abgesehen
von der Colonie Narbo (colonia nostrorum eivium, speeula populi Romani
ae propugnaeulum itti» ipai» nationibu» oppoaitum et obiec-
ium) und Massalia die Römer keine moralischen Eroberungen in der
Provinz gemacht hatten.
1 Die Geschichte Massalia's ist vielfach behandelt worden, allerdings wesent-
lich mit Rücksicht auf die ältere Zeit; vgl. die Literatur bei K. Fr.
Hermann, Griechische StaatsalterthÜmer, fünfte Aufl., §. 78 Anm. 28.
' Vgl. Kiepert, Alte Geographie §. 436: ,Massalia umfasste ein von Hohen
eingeschlossenes sicheres Hafenbecken, hinreichend entfernt von den
Mündungen des Rhodanus, um der Alluvion des Flusses nicht ausgesetzt
zu sein, nahe genug, um sich den ausgezeichneten Handels weg nach
dem Norden, welchen der Fluss darbietet, zu sichern.* lieber die Lage
der alten Stadt vgl. de Villeneuve, Statulique du dipartement de» Bouche»-
du-Rhdne H 8. 209.
• Die Gründung der Stadt wird bekanntlich von mehreren Schriftstellern
erst in die Zeit nach der Einnahme Phokaeas gesetzt; wir folgen mit
den meisten Neueren den Angaben des Aristoteles (bei Harpocration
8. V. Mat(jaaX(*) und des Timaeus (I p. 201 Fragm. 40 Müller).
8itsiing8b«r. d. phil.-liist. Gl. GUI. Bd. I. Hft. 18
274 flirtchfeU.
die Stadt mit den umwohnenden Barbarenstämmen nothwendig
verwickelt werden musste, vermochten nicht ihr raaches Anf-
blühen zu hindern und als sie dann später den unvermeidlichen
Kampf mit den an der spanischen und gallischen ' Küste seas-
haften Karthagern zu bestehen hatte^ zeigte sie sich dem mäch-
tigen Nebenbuhler nicht allein gewachsen, sondern ging siegreich
aus dem gefährlichen Kampfe hervor.' Verbindungen mit den
Iberern, die wahrscheinlich mit Massalia gegen den gemein-
samen Feind gekämpft hatten, wurden angeknüpft; aber auch
nach Süden hin finden wir die Stadt im vierten Jahrhundert
bereits in reger Wechselbeziehung. Denn so wenig auch
die Angabe des Galliers Pömpeius Trogus^ Glauben verdient,
dass die Freundschaft mit Rom schon unter Tarquinius Pnacos
von den auf der Fahrt nach Gallien begriffenen Phokaeem
geschlossen worden sei, so spricht doch die imverdächtige
Nachricht Diodor's,^ es sei im Jahre 358 d. St. nach der
Einnahme von Veji das von den Römern nach Delphi gesandte
Weihgeschenk in dem Schatzhause der Massalioten niedergelegt
worden, fUr freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden
Städten. Wenige Jahre später ward Rom ein Opfer der galli-
schen Horden: wohl mochten mit Theilnahme und nicht ohne
Sorge die Massalioten von dem gallischen Brande hören, viel-
leicht selbst durch materielle Unterstützung ihr Mitgefühl be-
thätigen,* und es mag seit jener Zeit sich ein näheres Ver-
^ lieber die phönikischen NiederlaMungen an der Südküste Galliens t^I.
Desjardins, Qiographie de la Garde II p. 131 ff. Auch der Name Massa-
lia wird in neuerer Zeit als phOnikisch erklärt, vgl. Schroeder, Die
phOnikische Sprache (Halle 1869) S. 241: ,Der Name MaaaoXU ist offenbar
nicht g^echischen, sondern phönizischen Ursprunges und bedeutet Woh-
nung, Niederlassung*, und Kiepert, Alte Geographie §. 436, n. 2; andere
Ableitungen bei Dederich Rhein. Museum für Fhilol. 4, 1836, S. 104.
' Justinus 1. 43 c. 6: Carlhoffinieneium quoque eocereitue, cum bellum eaplu
pieclUortnn navilme ortutn ettet, »aepe fuderunt paeemqu/e victü dedenuU;
cum Hiepanie amicUiam iunxerunt. Vgl. Müllenhoff, Deutsche Alterthums-
kunde I S. 179 ff.
' Justinus 1. 43, c. 3.
« Diodor 1. 14, c. 93.
* Justinus 1. 43 c. 5: MauHiefuium legaU . . . audwerant urhem Romanam a
OaUU captam inceneamque, Qtia re domi nuntiaia (so lesen nach freund-
licher Mittheilung Rührs die Transalpinen Handschriften, quam rem domi
nuntiatam die Italischen) publico funere ider Gebrauch von /«mit« fOr
Oalliseh« Studien. 275
hältniss zu Rom gebildet haben^ möglicherweise sogar damals
bereits ein Bündniss abgeschlossen sein.^ Jedesfalls finden wir
bei Ausbrach des hannibalischen Krieges die Massalioten als
Bundesgenossen^ auf Seiten der Römer und treu haben sie in
jenem Wechsel vollen Kampfe^ wie auch in den folgenden Zeiten'
zu ihnen gestanden. Wenn Hannibal den tollkühnen und ftir ihn
selbst im Gelingen fast verhängnissvoUen Zug über die Alpen
wagte , anstatt längs der leicht zu passirenden Küste in Italien
einzufallen, so bewog ihn dazu in erster Linie wohl die Erwägung,
dass der Marsch auf einem von massaliotischen Colonien bedeck-
ten Gebiete dem römischen Heere entgegen^ mit der mäch-
tigen Stadt im Rücken, ein noch grösseres Wagniss sein würde. ^
Hing doch an der Entscheidung dieses Kampfes auch die Zu-
kunft Massaliasy ja des ganzen Westens; blieb Hannibal in
Italien Sieger^ so war auch Gallien den Karthagern rettungslos
IwUu» ist meines Wissens nnerhOrt, vielleicht ist eq schreiben munere eam,
n&mlich ttrhetn üamanam; fibrig^ns liest, wie mir soeben Professor Kühl
mittheilt, der den fibri^n Classen selbständig ^g<enflberstehe&de Codex
Casinas pubUco muuere) MoMinlienMes proMeuH tuni aummqtte et argen'
tum fmbUcum pritxUumque contulerunt ad explendum pomdm» OalUs, a guibuM
redemplam pacem eognoverant. Auf diese Nachricht ist freilich nicht viel
zu geben, denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass Trog^ durch starke
Hervorhebung der alten und in schweren Zeiten bew&hrten Freundschaft
Massalia^s su Gunsten der zu seiner Zeit so schwer getroffenen Stadt
Stimmung zu machen suchte.
I Auch auf diese Angabe des Trogns bei Justinns a. a. O.: ob quod me-
riium et immunitae Ulis decreta et locua tpeetaeulorum in tenatu datu* et
foeduM aeqtio iure percuteum ist wenig Gewicht zu legen; jedoch nimmt
auch Mommsen (R. G. I* S. 416 und S. 462) an, dass die Graecostasis
in Bom im vierte|& Jahrhundert sunichst (Ur die Massalioten errichtet
worden sei. Vgl. Strabo IV, 1, 5 p. 180: (ot IMaaootAtctfTat) ^cpotcpov (liv
«^ EtiTu^ouv dta9Ep<SvTci>(, TCEpi Tt tSaX« Xtfl iccpl ij^v i^po^ *P«i»{iLa(oUC ^ikloM,
^^ lOoXka Sn tt« Xoßoi 9r\\itXa. x«i ^ xolX io (tfavov xi\^ *ApW(<.i(o{ Tijc ev tcä>
!\ßevT{fa> ot 'Pci>{&aiot djv airJjv (idEScatv Ij^ov t(o icap« xot^ MaaootXuuTai«
«v^Of 90CV, und dazu Herzog, GalL Narbon. p. 38 f.
' Livius XXI, 20, 7 — 8 : nee höepUale quiequam pacatumve eatiepriu* amditum
quam MaeeiUaim venere; Un amnia ab eociie inquitita cum eura aeßde cognita»
' Polybius III, 95, 7 : tOyivcü« yoip, el xa( tivc; IrEpot, XEXo(vo>v^xaai 'Pci>(Mibi(
;;pay(MtTft>v xai MaooaXibiTai, )coXXaxi$ alv xat (Uta tauta, t^^icrcc 31 xara
t^ ''Awtßaaov 3:oXs(jiov.
* Anders Mommsen (R. G. I^ S, 579): ,abgesehen von dem Küsteaweg,
den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die ROmer ihn sperrten,
sondern weil er ihn von seinem Ziele abgeführt haben wttrde.*
18*
276 Hirtc1if«ld.
ausgeliefert. Nach der Niederwerfung des furchtbaren Feindes
hatte Massalia hier keinen Nebenbuhler mehr zu fürchten; es
stand auf dem Höhepunkte seiner Entwicklung.^ Seine Handels-
Stationen zogen sich längs der Meeresküste von Monoecus (Mo-
naco) bis nach Emporiae (Ampurias) in Spanien, am linken Rhdne-
ufer bis Avennio (Avignon) hin;^ der gesammte Handel nach
dem Norden lag in seinen Händen;' massaliotische Münzen
fanden ihren Weg weit über die Grenzen Galliens hinaus.^
Griechische Sprache und griechische Schrift waren nicht allein
in dem von seinen Ansiedelungen besetzten Gebiete heimisch^^
sondern auch die Kelten fingen allmälig an^ sich des griechi-
schen Alphabets für ihre sparsamen' Aufzeichnungen zu be-
dienen, ^ und wohl darf man für die spätere Zeit bis zu einem
1 Ich kann daher den Worten Müllenhoff^s (Deutache Alterthumskunde I,
S. 178): ^offenbar f&llt die höchste BlÜthe von Massilia in das vierte Jahr-
hundert' nicht zustimmen , denn wenn auch bereits zur Zeit des kühnen
massaliotischen Seefahrers Pjtheas das Ansehen und die Macht der Stadt
bedeutend gewesen sein muss, so hat doch sicherlich erst die Yerdrängung
der Karthager aus Spanien den Handel Massalia*s zu voller Blfithe gebracht
> Vgl. die Zusammenstellung derselben bei Desjardins, Geographie II S. 185 ff.
und die Karte zu S. 224, auf der die massaliotischen Orte mit rother
Farbe bezeichnet sind.
' Ueber den Transport des Zinns von Britannien durch Gallien nach
Massalia Fgl. Diodor V, 38, 5; Thierry, HUioire d&t Qauloit I, S. 642;
Friedländer, Deutsche Rundschau 1877, S. 399.
^ Ueber die Funde massaliotischer oder nach massaliotischem Master ge-
prigter Münsen in Oberitalien, Tirol und dem Alpengebiet vgl. Momm-
sen. Romisches Mtlnzwesen S. 397.
^ Ueber den Namen OreHa auf der Peutinger*schen Tafel vgl. Detjardins,
Table de Peuänger, OaüU (Paris 1869), introduetioif p. XXIX, und Q4th
graphie 11 p. 146.
^ Bezeugt wird dies von Caesar b. G. I, 29: in autm Hdtetiorum tabtäae
repertae Munt liUerit öraeeit (aber gewiss in keltischer Sprache) eof\feetae^
nnd VI, 14 : (Druide») cum in reliquie fere re6tM, pubUdt privatüque rtUumi-
bue Oraeci» liUerit utantur; Strabo IV, 1, 6 p. 181: iFj jcoXic (Ma99aX{a) . . .
9iXAXi)va( xatcaxiuaCc xouc FaXara^, u>are xai x« au{AßoXaia 'EXXijvivrl YpcEfciv.
Vgl. auch die Bronzehand unbekannten Fundortes, die sich jetzt im Pariser
Cabinet de midaiüei n. 3884 befindet (C. I. Gr. n. 6778 = Herzog n. 616)
mit der Aufschrift: SrMBoAoN { nPoS { Ort:AArMlor£. Im Norden GaUiens
scheint dagegen noch zu Caesar's Zeit die griechische Sprache und Schrift
unbekannt gewesen zu sein, da er an den im Lande der Nervier ein-
geschlossenen Q. Cicero einen Brief sendet: Oraedä eoneoriptam liUeri$, me
intereepta epiattUa noHra ob hotübue eontilia eognoeeaniur (b. G. V, 48).
GaUitelie 8ta«i«ii. 277
gewissen Grade die Worte des Trogus ^ gelten lassen : ,aft hü
igäur GaÜi et tisum vüae ciätioris deposita ac manmefacta bar-
baria et agrorum cuUvs et urbes moenihus cingere didicerunt,
Tunc et legibtis, nan armis vivere, tunc et vitem putare, tunc oli-
vam serere consuerunty adeoque magnus et homirubtu et rebtis
impogitus est nitor, ut non Graecia in GaUiam emigrcuse, sed
Gallia in Graedam translata videretur^.
Das Verhältniss Massalia's zu Rom hatte sich nach dem
hannibalischen Kriege noch inniger gestaltet. Der Gedanke,
dass die Römer, die im Osten immer grossartigere Erfolge er-
rangen, über Spanien hinaus ihren Blick auf Gallien werfen
könnten, scheint den leichtblütigen, vor Allem auf Handels-
gewinn und Lebensgenuss bedachten Massahoten wenig Sorge
gemacht zu haben. Man fing an die eigene Wehrkraft zu
vernachlässigen iind verliess sich auf den starken Arm des
mächtigen Freundes; man war sogar unbesonnen genug, die
Römer selbst ins Land zu rufen, um sich der unbequemen
Angriffe der benachbarten Barbaren, die bereits die massalioti-
schen Orte Nicaea und Antipolis einzunehmen drohten, zu
erwehren. Wie aus diesen Römerzügen nach GalHen sich bald
genug der blutige Kampf entwickelte, in dem die überlegene
Kraft der Legionen über die mächtigen Stämme der Allobroger
und Arvemer triumphirte, wie Rom dann von dem reichen
Lande selbst Besitz ergriff, Aquae Sextiae im Osten in un-
mittelbarer Nähe von Massalia gründete und nahe der spani-
schen Grenze die feste Colonie Narbo und Tolosa zu Stütz-
punkten der neuen römischen Provinz machte, durch Anlage
der via Domitia die Communication mit Spanien sofort gesichert
ward, ist sattsam bekannt; der dominirenden Stellung Massalias
war in der That damit bereits ein Ende gemacht, wenn auch
Rom vorläufig die alte Bundesstadt nicht nur schonte, sondern
Bs ist eine bemerkenswerthe und von Villefosse (an dem unten citirten
Orte) hervorgehobene Thatsache, dass die erhaltenen keltischen In-
schriften im Süden von Frankreich in griechischer, in Mittel- und Nord-
frankreich in lateinischer Schrift eing^hauen sind; vgl. die Zusammen-
stellung, die Übrigens bereits aus neuen Funden vermehrt werden kann,
bei H^ron de Villefosse, Itueription* de St-Bemtf et des Baux (Separat-
abdruck ans dem BmUeiin monumental 1878 und 1879) 8. 24 ff.; Serrure
4iudea Qatämte», premiere parfte, Bmxelles 1883.
^ Jnstinns 1. 48 c. 4.
278 Hiracbfeld.
sogar ihr Gebiet ans Erkenntlichkeit flir alte und nene Dienste
vergrösserte. ' Doch die Tage ihrer Herrlichkeit waren gezählt:
in dem Kampfe zwischen Caesar und Pompeius, der über das
Schicksal der Welt entschied, ward auch der Massalioten Ge-
schick besiegelt. Wohl mochten sie, die beiden Männern zu
Dank verpflichtet waren, die Neutralität zu wahren wünschen:
aber sei es, dass sie, wie Caesar es darstellen will, während
der Verhandlungen den Pompejaner Domitius in die Stadt
einliessen, oder dass Caesar selbst, der sich mit .einer Neutra-
litätserklärung nicht zufrieden geben wollte, sie zu offener
Parteinahme fUr den Feind zwang, ^ sie wurden in den Wirbel
des Kampfes hineingezogen und nach langer und heldenmüthiger
Vertheidigung mussten sie sich dem aus Spanien zurückkeh-
renden Sieger auf Gnade und Ungnade ergeben. Caesar gab
zwar die Stadt nicht der Rache und der Raubgier seiner Sol-
daten preis, ^ aber ihre Waffen, ihre Schiffe,* ihren Schatz Hess
I So haben sie bereits von SextiuN Calvinus den westlichen von den
Salyern bewohnten Küstenstrich erhalten (Strabo IV, 1, 5 p. 180);
Marias überliess ihnen den Hafenzoll ans den von ihm von den Rhdne*
mündungen zum Meere gegrabenen Canal, den sogenannten fowae Maria'
nae (Strabo IV, 1, 8 p. 183); schliesslich haben dann Pompeins und Caesar
ihnen Theile des Gebietes der Salyer, der Volcae Arecoroici und der
Hei vier genchenkt: Caesar, b. c. I, 35 mit Anmerkung Nipperdey's.
^ Vgl. Florus II, 13, 23: mUera dum eiipit paeem^ hellt mein in bellum tn-
cidit. Die Darstellung Caesar^s über das Verhalten Massalia's (b. c. I,
35—36) ist, wie die ganze Schrift über den Bürgerkrieg, mit Vorsicht
aufzunehmen*, Dio 41, 19, dem hier wohl Livius als Quelle gedient hat,
weiss weder von der Aufnahme des Domitius in die Stadt während der
Verhandlungen, noch von dem schmählichen Ausfall der Massalioten
während des Waffenstillstandes (Caesar, b. c. II, 14) zu berichten, sondern
behauptet vielmehr, dass die ROmer die Angreifer gewesen seien (1. 41
c. 26): Tov TE AofA^Ttov uTC£E^7:£|Ji4>av, xat tou; atpatuot«^ e:ciOt[i/vou( o^biv
SV Tat; onovSaif vuxib; oQko Bt^Oeaav eoaiE [iifih Ixt toX[j.i{9a'.. Offenbar
ist Caesar^s Bestreben darauf gerichtet, die harte und in Rom viel-
fach gemissbilligfte Bestrafung der Massalioten durch ihren Treubruch zu
motiviren.
^ Er sagt kurz (b. c. U, 22, 6): magit eos pro nomine et veltutaie quam
pro meriii» in ae civitatit eon§ervanM; dass er zuerst der Stadt mit Plünde-
rung gedroht hatte, scheint aus Cicero^s Worten {Philipp. 8, 6, 19) her-
vorzugehen : Caetar ipse^ qui iUi$ fuerat irati»$imugj tarnen propter wnffU'
larem eiu» oivUati* gravitafem et fidem eotidie eUiquid iraeundiae remiiteltal.
* Ueber die Reste zweier im Jahre 1864 in der Nähe der Kirclie Saint-
FerrM gefundenen Galeeren (eine befindet sich im Museum voa Marteille)
Gallische Studien. 279
er sich sofort ausliefern; fast das gesammte massaliotische Ge-
biet ward confiscirt, um mit ihm die römischen und latinischen
Colonien, die dem Dictator ihre Entstehung verdanken : Forum
Jtdii, Arelate, Baeterrae, Antipolis^ Grlanum, Avennio, Cabellio,
Nemausus(?), auszustatten;^ auch das Münzrecht ist vielleicht
damals bereits der Stadt entzogen worden ^ und das Bild Massa-
lia's prangte zum Schmerze Cicero's und seiner Gesinnungs-
genossen' in Caesar's Triumphzug. Mit einem Schlage war
an Stelle der griechischen Oberhoheit im südlichen Gallien
die römische Herrschaft getreten, und wenn man sich auch
unmittelbar nach dem Tode des Dictators in römischen Aristo-
kratenkreisen mit dem Gedanken getragen hat, der befreundeten
Stadt das Geraubte wiederzugeben,^ so hat doch Augustus, vne
seine Nachfolger, auch in dieser Hinsicht die von Caesar vor-
gezeichnete Bahn nicht verlassen. Nur der kleine östliche
Küstenstrich bis Athenopolis nebst den davorliegenden Stoe-
chadischen Inseln ^ (Ues d'Hylres) blieb Massalia erhalten, dazu
das Gebiet von Nicaea jenseits des Varus- Flusses, das noch im
▼gl. Penon et Saurel, Le mu»4B (Tareheologie de Marseille (MarseiUe 1876)
8. 3t und S.41 n. 6: ^det midaüle» antirieurea^ eontemporainea oupeu poate-
rUures (f) h Julea daar^ 4taient arr^t^ et comme ineruaUea dana le bda.^
> Vielleicht ist die Einziehung des Landes erst einige Jahre später, als
der Vater des Kaisers Tiberius im Auftrage Caesar's die Colonieg^ündungen
in Gallia Narbonensis vollzog (Sueton. Tiber, c. 4), durchgeführt worden ;
daranf scheint auch Dio (41, 25) hinzudeuten: xai S^ exe^vcüv tote \t.h zi
TS onXa xai xetq vau^ Tdt tc )(p^(iata a96fXcTO. CaiEpov 8k xat toc Xovkol ;ravTa.
' Dies nimmt Mommsen ROm. Münzwesen S. 675, an, während de la Saus-
saye, NumumtUiqtie de la Qatde Narbonnaiae S. 78 ff., der Meinung ist
(8. 81): ^que le motmayoffe, quoique fort reatreinty aubaiata juaqu' aux tempa
de la dieadenee eompUte dea arta\ vgl. auch Lenormant, La monnaie dana
Vantiquiti TL 8. 191: ,la viüe libre et autonome de Maaaalie . . cotUinue
juaque dana le 11* aikeU la fabrieation de aea petita quadrana*,
» Cicero, de offie. H, 8, 28, PhUipp, VIH 6, 18.
* Das wirft Antonius (Cicero, PhiUpp, 18, 15, 32) der Senatspartei vor:
MaaaUienaihua iure belli adempta reddituroa voa polUcemini , vgl. auch
Cicero, adAtäc, XJV, 14, 6 (Ende April 710 geschrieben): tu autem quaai
iam reeuperata rqmbUca vteniit tuia MaaaiUenaibua aua reddia ; haec
armia, quae quam firma habeamua ignoroy reatitui fortaaae poaaunt^ aueiori-
tate non poaaunt.
^ Plinius, n. A. 3, 36: in ora autem AthenopoUa Maaaüienaium (am Golfe
de St-Tropes, vgl. Desjardins, Odographie TL p. 174) und Tacitus, hiat, 3,
48: Stoechadaa Maaailienaium inaulaa.
280 Hiriclifeld.
zweiten Jahrhundert der Kaiserzeit als massaliotische EncLave
von einheimischen Beamten verwaltet worden ist, während da-
gegen Antipolis bereits ausserhalb ihres Gebietes lag ' und ia
dem Hafen von Forum Julii eine römische Flottille ankerte.
Auch sein Handel erlitt einen starken Stoss nicht allein durch
die Concun*enz von Arelate und Narbo^ das bereits in der
Zeit des Augustus den Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht
zu haben scheint,^ sondern mehr noch durch die beispiellos
rasche Blüthe der neuen Hauptstadt Gralliens Lugudunum, das
bald nach seiner Gründung den Handel nach dem Norden an
sich gerissen haben dürfte.^
Aber auch nach seiner politisctien und commerciellen
Depossedirung hat Massalia sich eine Sonderstellung bewahrt
1 Strabo lY, 1, 9, p. 184: ^ Ntxaia rfj^ ItaXia; y^veiai xaTa tov vuv
Seiyt^^vov opov xalntp ouva MaaooiXia>t(ov . . . vuv{ ti tovoutov ;:poo6eT^ov
oTi Tii; jjilv 'AvtiäoXeojs iv xor^ t^; NapßtovdiSo^ [Uptai xetfi^w);, ifl; 5i
Nixa{a; ev toi; t^( ^iTaXta;, ii [ikv NUaia &7cb xot; MaaaaXi(uTai( [x^ei xaX
ttJ; iizapyloL^ (&7cap)^{a( die Handschriften) iaifv, ^ $^ ^AvifiroXtc tcüv '*lTaXtb>-
t{8ü>v E^eioCETai^ xpiOEtaa 7:pb; tou; MaaaaXiu>Toic (man erwartet etwa «co-
xpiOstoa tbjv MaooaXiiotbjv) xat iXsudEpcoOfitaa tüSv nop^ cxefvüiv icpooraYiiorw.
Dementsprechend findet sich ein massaliotischer Beamter als ipiteopus
Nicaenaium in der S. 284 besprochenen Inschrift: C. J. L. V n. 7914,
der freilich im dritten Jalirhundert durch einen kaiserlichen proc(wtUorJ
Aug(u»torum) n(ottrorum)^ item ducenaritu epUcepseot ehorae inferiorU (C. J.
L. V n. 7870, vgl. Mommsen ebendas. p. 916) ersetzt worden ist. Dass
qoch im Beginn des dritten Jahrhunderts dieser Besitz den Massalioten
geblieben war, bezeugt die in Vence auf zwei zusammengehörigen Säulen
gefundene Inschrift (C. J. L. XII n. 7 = Herzog n. 610): [rt» publicaf]
MatsUiensium curante ac dedieante Jid(io) HonortUo proc(uratore) Aug(u$t%)
ex p(rimi)p(Uo) pr€k€9id(e) Alpfium) Maritimarum; derselbe Mann kehrt
wieder auf zwei im Jahre 213 von Caracalla g^esetzten und in der N&he von
Yence gefundenen Meilensteinen (Blanc, Epigraphie anlique du d^Mtrtt-
ment dea Alpet maritimes 1 n. 62 und 63), in denen einer Restitution der
Brücken und Strassen durch, den damals übrigens gerade in Qallien be<
findlichen Kaiser gedacht wird, und es ist denkbar, dass aus diesem
Aulass von Massalia, das vielleicht für die Erhaltung derselben mitzu-
sorgen verpflichtet war, das oben erwähnte Monument errichtet worden ist
> Das bezeugen die wahrhaft monumentalen Inschriften, die grOsstentheils
dem ersten Beginne der Kaiserzeit angehören.
' Schon Strabo (IV, 3, 2 p. 192) sagt von Lugudunum: EuavSpEr $k [loXivra
Ttov SXXcov jcX^v Napßcovof xai ^^p 6(At:op{u> ypwvTai. lieber die Bedeutung
von Narbo als Handelsplatz vgl. auch Strabo IV, 1, 12 p. 186; Fried-
länder, Deutsche Rundschau 1877, S. 402.
Oftllisehe Stadien. 281
und eg ist nicht ohne Interesse, die ferneren Geschicke der
Griechenstadt in der römischen Provinz zu verfolgen.
Der Ehrenname einer »freien und verbündeten* Stadt nebst
der Unabhängigkeit von dem römischen Statthalter' und dem
Exih^echt' ist Massalia dauernd belassen worden, und selbst
die wahrscheinlich bei und nach der caesarischen Belagerung
zerstörten Mauern sind unter der Regierung des griechenfreund-
lichen Kaisers Nero von einem reichen und patriotischen Mit-
1 Florus n, 13: mox dedentibus ae omnia ahlata praeter quam potiorem
omnibtuf habebant libertatem. Dio 41, 25: a^efXEto . . . la Xoiica :;avta,
n)k^v Tou T7]( iXEoSepCa; ovo{j.aro(. Orosius VI, 15: Caesar Maaailiam re-
diens, obaidione domitam, vita tantum et libertate coneeaaa, ceteria rebua
abraait. Für den Beginn der Kaiserzeit wird diese auf Livius zurück-
gehende Angabe bestätigt von Strabo, IV 1, 5 p. 181: xai o Kaiasp hl
xat ol [is?^ exEivov ^^y^H'^^^t ^9^i "^^^ ^^ "^^ 7coXs(jl(i) yzvrfltloA^ afiaptta^
ctJLETpfaaov, ^Ep.yY][jL/vo( t^; 9tX{a( xai ti^v a^iovojxfav tp^Xa^sv, 9)v e^ ^PX^^
ttyv* -fi 7:^1$, wffTE [i^j önaxo^Eiv twv e?; "rijv inapy (av 7:E(X7:o{jivtüv aTpanrjyüiv
[jLiJTE ai^TJjv (jLi^TE tou( bwr\x6o\j^j und Plinius, n. h, 8, 34: in ora Maaailia
Oraecorum Pkopaeenaium foedereUa.
' Dass Massalia dies Recht vor Caesar besessen hat, ist selbstverständlich
und durch den bekannten Fall des Milo überdies bezeugt. Aber noch
zum J. 58 n. Chr. berichtet Tacitus, ann, 13, 47: Comeliua Sulla . . .
proindet quasi convietua eaaet^ eedere patria et Maaailienaium moenibua
eoerceri iubefur. In eine etwas frühere Zeit (25 n. Chr.) gehört die
Nachricht des Tacitus, ann. 4, 43 : traelatae MaaaiUenaium precea, pro-
hatumque P. ButiUi exemplum. Namque eum legibus pulaum civem aibi
Zmymaei addiderant. Quo iure Volcaciua Moachua exul in Maaailienaea
reeeptua bona aua rei publieae eov'um ut patriae reliquerat. Es ist dies
übrigens, beiläufig bemerkt, unzweifelhaft der zu August's Zeit be-
rühmte Rhetor aus Pergamum, dessen Process Horaz {epp. I, 5, 9, vgl.
Porphyr, z. d. St.) erwähnt und der nach seiner Verurtheilung seine
Lehrthätigkeit in Massalia fortsetzte, vgl. Seneca controv. 11,5, 13: nom
declamatorea poat Moachum ApoUodoreum^ qui reua venefieii fuU et a Pol-
fione Aainio de/enaua^ damnatua MaasHiae docuit; aber auch der angeb-
liche Rhetor Oscus in Massalia bei Seneca, controv. X pfaef,, §. 10 und
VII, 3, 8 (in der letzteren Stelle lesen alle Handschriften noacttm)^ ist
allem Anscheine nach mit demselben identisch. — Der Kieselstein mit
der Inschrift Ma(7ai(>.{a) [<l>(oi]x(a^cov) 59uX(o() aOr(^vop.o$) , zuerst ver-
Offentlicht von Caylus, recueil VI p. 130 tab. 39 n. 3, ist bereits von
Anderen (Franz zu C. J. Gr. III n. 6766; Herzog G. N. 8. 163 Anm. 28),
wie auch neuerdings von dem jetzigen Besitzer Herrn Th^denat {Revue
arcMoL 40, 1880, S. 229 ff.) als unzweifelhafte Fälschung bezeichnet
worden.
282 HirKchfeU.
biü^er ^ wieder erbaut worden. Vor Allem blieb Mafisalift seine
einheimische von Cicero ^ hochgepriesene aristocratische Ver-
fassung, die spätestens im vierten Jahrhundert an Stelle der
ursprünglichen oligairchischen getreten war."* Ein wenigstens
in den Hauptzügen ausgeföhrtes Bild derselben verdanken wir
Strabo, ^ dessen Angaben theilweise wenigstens aus Aristoteles
geschöpft sein mögen.
^ Plinius, fi. h. 29, 9: OHno» Mtuailieruü (medicuaj . . nuper HS |c, reli-
quü j muris patriae tnoenibtuque aliis (wohl die Hafenbefestigungen) paene
non minore »umma exstructia; den Namen Kpiva; trägt übrigens ein Hassa-
liote in der Inschrift bei Wescher-Foucart, Imcr. de Delphes n. 18. Noch
in dem gewöhnlich unter dem Namen des Eumenius gehenden Pane-
gyricus auf Constantinus wird (c. 19) die starke Befestigung der Stadt
und des Hafens, wenn auch nicht ohne rhetorische Uebertreibung,
gerühmt.
2 Cicero, pro Flacco 26, 63: MaasiUa . . . quae tarn proeul a Oi'oecorum
omnium regionibu9f ditdplinia Unguaque diviaa, cum in ultimit Urrit eincta
Qaüorum gentibua harhariae fluctibu» adluettur^ nc opUmaUtan coiuiUo
gubematur, iU omne» eins iruHtuta laudare faeüiu» potnnt quam oemMtlari,
Vgl. de repuhL I, 27, 43.
3 Aristoteles, polit, V, 6 p. 1305 b: otav oXlyoi a^o^pa b^viv ol ev xaX^ xi\u,Ui
oTov &v Ma99aX{a xai iv ^laTpco xat sv 'HpaxX£{a . . . xai Iv6a p^v roXitixo)-
xipa £Y^v£TO 1^ oXiyap'/^ta, iv "laTpüi 8** £t( $ij)Aov aTrcisXeuTvjaev, iv *UpaxXE{s
0^ i^ iXaTTov(üv ci; lEaxoafou; ^XOcv. Wahrscheinlich ist zu Ende an
Stelle Yon 'üpaxXtia zu schreiben MavoaXJa und der erste Satz IvOa —
okr(QiLpyiJ.a auf Heracleia zu beziehen, wenn nicht ev6a aus iv 'HpaxXc{a
verdorben ist; der Variante cv K(5 für evO« in dem Codex des Wilhelm
von Moerbeke ist gewiss keine Bedeutung beizumessen, da nach dem
Vorhergehenden die Nennung derselben drei St&dte nothwendtg erwartet
wird. Susemihl (ed. 1879) schreibt ev Mft99aX{a an erster Stelle für
KvOa, aber einerseits passen die Worte icoXiTixtoWpa ly^veTo i^ oXiyopx^Ja
wenig zu der nachweislich streng aristokratischen Ver&ssung Massalias,
andererseits wissen wir zwar von Massalia, aber nicht von Heracleia,
das0 es einen Regierungsausschuss von 600 besessen habe. W&re aber
das auch in Heracleia der Fall gewesen, so hätte Aristoteles wenigstens
beide Städte zusammen nennen müssen. — Aristoteles hatte übrigens
die Verfassung Massalia's in seinen Politien geschildert (Athenaeas Xm,
36 p. 576; Harpocration s. v. Ma9aaX{oi, vgl. die Fragmente bei Rose in
der Ausgabe der Berliner Akademie V p. 1561 n. 508). Dass Strabo in
seiner Darstellung sich hieran anlehne, ist eine wahrscheinliche Ver<
muthung von Rose, AriitoUlea ptendepigraphun p. 499 ; doch ist dabei im
Auge zu behalten, dass diese Institutionen offenbar noch zu Strabo^s Zeit
in Kraft waren.
« Strabo IV, 1, 5 p. 179.
OaUiMh» Studien. 283
Der Rath der Massalioten ist aus sechshundert auf Lebens-
zeit besteUten Timuchen zusammengesetzt, die mindestens im
dritten Gliede Bürger und im Besitze von Kindern sein müssen.
Als Ausfbhrer der Rathsbeschlüsse fungirt ein Vorstand von
fünfzehn Männern, dieselben, mit denen Caesar vor Eröffnung
der Belagerung die Unterhandlungen führt, die jedoch nur die
Beschlüsse des Rathes einzuholen und auszurichten haben. ^
Aus ihnen ist dann ein engerer Ausschuss von drei Männern
mit ausgedehnter Vollmacht, von denen einer das oberste Prä-
sidium fuhrt, bestellt. Das Volk nimmt offenbar eine ganz
untergeordnete Stellung ein und scheint von jeder Mitwirkung
an der Regierung ausgeschlossen gewesen zu sein.^ Sicherlich
ist dieses Verfassungsschema nach phokäischem oder vielleicht
allgemein ionischem Muster gestaltet^ wie das von den eigen-
thtlmlichen G-esetzen und Vorschriften, aus denen einige inter-
essante Züge ein römischer Schriftsteller mittheilt, ' ausdrück-
lich Strabo hervorhebt* und durch analoge Einrichtungen
anderer ionischer Städte bestätigt wird.^ Auch auf sacralem
I Caesar, b, c, I, 36: evocat ad #e Caetar MaasiUa quindecim pnmo9, Cfum
hi» eufU, fie inilium inferendi belU ab MMnUentibus oriatur. . . . Cuiua
oraHonma legaU domum referunt atque ex auetoritate haee Claetari
renunHant. Wahrscheinlich hat auch das Recht, Todesstrafen su ver-
hängen, nur den 600 zugestanden, wenigstens deutet darauf die eigen-
thümliche Nachricht bei Valerius Maximus (II, 6, 7), dass in ihrer
Obhut sich Schierlingsgift befunden habe, das sie Selbstm()rdem, die
ihnen hinreichende Oründe zur Motivirung ihres Entschlusses angaben,
auszufolgen befugt waren.
' Cicero, de republ, I, 27, 43: si Mtunliense» per deleetos et principe^ cives
anrnma iuitüia regunlur (vgl. §. 44 Afa««i7t«n#ittm p€mcorum et prineipum
adminiftratiimij, ine§i tarnen in ea eondicione pcpuli tinuUtudo quaedam
•t¥xUtui». Ein solches Eingestftndniss wiegt doppelt schwer in Cicero's
Munde.
s Valerius Maxirous II, 6, 7.
« 8trabo IV, 1, 6 p. 179: ol l\ v^tioi 'ItuvtxoL
^ Timuchen in anderen Jonischen Stfidten: Athenaens IV c. 13 p. 149
(Naucratis); C. J. Gr. n. 3044 ▼. 29: Ti|AOux^ovTct und n. 3059, 3060 (Teos);
n. 2162 eine Frau (Thasos). Derselbe Name findet sich übrigens auch bei
den Messeniem : Suidas s. v. ^E]c{xoupo( und Ti|jiou)^oc. Vgl. Brückner,
Hiätcria reipiä>lieae MaBMÜienHttfn 8. 42 f. ; Geisow De Maseiliennum repu-
bUea 8. 35. — Die l^ax^aiot kehren wieder in Lampsakos (vgl. das
neuerdings gefundene Beeret aus dem Jahre 196 v. Chr.: Lolling in Mit-
theilungen des deutschen archäolog. Instituts in Athen 1881 8. 96);
284 Hirsclifeld.
Gebiete tritt der enge Anschluss und Zusammenliang mit der
Mutterstadt noch in der Kaiserzeit deutlich zu Tage,* wenn
sich auch früh zu den heimischen Göttern^ der Kaisercult und
zu den griechischen Priestern die römischen Diener des all-
mächtigen und überall verehrten Kaisergottes gesellt haben.*
Jedoch bereits unter Marc Aurel begegnet in Massalia ein augur
perpetuvs* und in einer schwerlich viel späteren Inschrift,
deren Echtheit früher fälschlich in Zweifel gezogen worden
ist, treten die römischen Colonialämter : Quaestur, Duovirat
und Quinquennalität auf,^ die ausser Zweifel stellen, dass in
nicht damit zusammenzustellen ist der Bath der 600 in Athen. Auch bei
den Nerviern werden übrigens 600 Senatoren von Caesar (6. G, II, 28)
erwähnt, vgl. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte I' S. 225 Anm. 1.
1 Vgl. die in Phokaea gefundenen Inschriften eines ripuiavi; ots^avY^^dpo; xst
Upeu( TfJ( Ma9aoiX(a$ t6 y^ und einer irpuTavt^ OTE^owj^po; St^ xai Uptta
Ti)( MaoaaX(ft( ayo^voO^i^: C. J. Gr. II, n. 3413 und 3415; letztere ist die
Tochter eines Moschus, vielleicht verwandt mit dem oben (S, 281. Anm. 2)
erwähnten. Beide Inschriften gehören wohl in die Kaiserzeit.
^ Ueber die Verehrung der Artemis Ephesia, des Apollo, der Athena und
ihre Darstellung auf massalio tischen Mtlnzen vgl. Brückner a. a. O.
S. 47 ff., und Geisow a. a. O. S. 41 ff. In den lateinischen Inschriften
finden sich nur Apollo (auch als Belenus), Jupiter Optimus Maximus
und Dolichenus und die Mater Magna mit dem DendrophorencoUeg ;
über die 66a ^txTua vgl. Franz zu C. J. Gr. III n. 6764.
3 Dedication an Germanicus aus dem Jahre 19, wohl unmittelbar nach
seinem Tode, von drei metgUtri Larum AugfuatorumJ : XII n. 406 ^
Herzog n. 607; zwei »eviri AuffuHaleM corporoH: XII n. 400 = Herzog
n. 612 und XH n. 409 = Murat. 704, 9. — Betreffs der griechischen
Priester vgl. C. J. Gr. n. 6771, wo der UpEu; AEuxo6^as und der itpo^rjtij«
sich auf Massalia zu beziehen scheinen: Ein prophetet scheint auch
in einer im Museum von Marseille befindlichen , stark verwitterten
lateinischen Inschrift aus der Zeit Marc AnreFs (XII n. 410 =: Herzog
n. 613) genannt zu werden; npo^TfTai in anderen griechischen Städten:
Roehl, Index zu C. J. Gr. p. 39 s. v. und Kaibel im BuUett, ddC Inatituto
archeolog. 1878, S. 36.
* C. J. L. XII n. 410 = Herzog n. 613.
' C. J. L. V n. 7914: C. Memmio Macrino q(uae$tori)y fduoj virfoj Afo»-
tilfieruiumjf [duo] wr(o) q(uin)q(uennali) ^ item praefecto pro duoviro
q(uin)q(uennalij, agonothelae, epiacopo Nicaetmum. — Ein decurio C. J. L.
XU n. 407 = Penon, Catahgue du muaee p. 60 n. 102. Die Bemerkung von
Jung, Die romanischen Landschaften des rKmisohen Reiches 8. 211:
,Die Bedeutung der Stadt zeigt sich nicht zum wenigsten in dem Um-
stände, dass die Regierung die municipale 'Autonomie hier, wie sonst
nur in den Hauptstädten des Reiches beschränkte und die Verwaltung
QaUiscIia Stadien. 285
jener Zeit, unter oder kurz vor Marc Aurel, die. einheimische
Verfassung durch das römische Colonialschema ersetzt worden
istJ Damals mag auch Massalia, das als freie griechische
Stadt ausserhalb des Tribusverbandes stand, in die Tribus Qui-
rina, die in zwei massaliotischen Ehreninschriften dieser Zeit^
sich findet, aufgenommen worden sein, wenn auch das Fehlen
derselben in den zahlreichen Grabschriften eher darauf hinzu-
weisen scheint, dass jene Männer entweder persönlich diese
Tribus erhalten haben, oder nicht aus Massalia selbst, sondern
vielleicht aus den benachbarten, der, Quirina zugetheilten
Alpenprovinzen stammten. Aber von einer eigentlichen Rp-
manisirung der Stadt, die trotz der zahlreichen römischen,
keltischen-^ und phönikischen Elemente ^ doch durchaus ihren
griechischen Charakter zu bewahren gewusst hat, kann keines-
wegs gesprochen werden,^ und obschon die griechischen In-
duroh Reichabeamte führen liessS iat wohl auf eine Verwechslung mit
Logadanum zurückzuführen.
* Eine ganz analoge Wandlung ist jetzt für Tomi bezeugt, vgl. Tocilescu
in ArchJ&ologtsch-epigraphische Mittheilnngen aus Gestenreich VI, 1882,
S. 16 n. 29.
2 C. J. L. Xn n. 410 t= Herzog n. 613: Cn, ValCenoJ Cn. f. QuirfinaJ
FompfeiofJ Valeriano und C. J. Gr. UI, n. 6771: T. IXopxfo) nopx((ou) Aouxt-
Xutvou iSox<i>tdrcou avBpbc xai repo^i^Tou ula> Kupefya Kopvi2Xiavu>. — Der zur
Tribus Voltinia gehörige L. Dudistius Novanus (XII n. 408 = Herzog
n. 609) war wohl aus Aquae Sextiae gebürtig.
' Varro (bei Hieronjmns, eamment. in epistul. ad Galatat cap. III lib. 2
und Isidoms origg, XV, 1, 63) nennt die Massilienser: trüingueM, quod ei
OroBce logtumtar et Latine et Oaüiee, Keltische Inschriften haben sich
in Marseille bis jetzt nicht gefunden.
4 Ueber die grosse im Jahre 1845 in Marseille gefundene phOnikische
Inschrift und ihre zahlreichen Bearbeiter vgl. Desjardins QiographU II
S. 136 — 136: ^eUe wnu faü eonnaUre Um pretcriptioM religieuMes envoySe*
de Carlhage j de la mh'e palrie; lee caracthre$ n« dMoncent qu^une 4poque
ofMs 5a««e, probaUemerU le II* eihcle avant notre hre . . . EUe prouverait
• . . gue let Phinicien» avaient im eampt&ir et peut^etre leur quartier
rieervi dans la ville phoeienne^^ Ueber phOnikische Funde in Marseille
vgl. Lenth^ric, La Orhee et r Orient en Provence (Paris 1878) S. 382 ff.
^ Für die ältere Kaiserzeit mag der Hinweis auf die Worte des Pomponius
Mela Uf 6 genügen: nunc ut pacatit, ita dieeimülimis tarnen vieina genti-
InUf mirum quam /aeüe et tunc eedem aUenam eq^erit et adhuc morem
»uum teneat. Aber noch in dem um das Jahr 400 abgefassten Staats-
handbnch (Notü, Dignü. Oecid. c. 42, 16) heisst die Stadt Mateilia Orae-
eorum.
286 RirsebfeU.
Schriften an Zahl weit hinter den allerdings meist kurzen und
inhaltleeren römischen Inschriften^ zurückstehen und auch die
römische Namengebung in Massalia früh an Stelle der griechi*
sehen getreten zu sein scheint, so zeigen doch schon die nur
Massalia eigenthümlichen gräcisirenden Buchstabenformen in
den lateinischen Inschrift;en, dass die lateinische Schrift den
heimischen Steinmetzen stets eine fremde geblieben ist. War
doch Massalia, wie einst in den Zeiten seiner Grösse,^ noch
lange nach seinem Fall eine Pflegstätte griechischer Wissen-
schaft und Literatur geblieben, in der nicht allein gallische Jüng-
linge, sondern auch vornehme junge Römer, deren Väter den Auf-
enthalt in der einfachen und sittenstrengen Provinzialstadt dem
Leben in den üppigen griechischen und kleinasiatischen Städten
vorziehen mochten, ' ihren Studien oblagen. Freilich hat sich
^ Es sind etwa 100 römische Inschriften, besonders in der auch f&r
christliche Inschriften ergiebigen Gegend bei dem sogenannten biu*in
du Carittage am Hafen nahe der Kirche St. -Victor g^efünden worden,
während die Zahl der griechischen Inschriften kanm den vierten Theil
betragen dürfte. Uebrigens sind aas diesem Zahlenverhältniss keine
Schlüsse zu ziehen, da die in Marseille zu Tage getretenen inschrift-
lichen wie monumentalen Reste in Folge der mannigfachen Verände-
rungen der Stadt im Alterthum, Mittelalter und Neuzeit im Verhftitniss
zu ihrer einstigen Bedeutung ausserordentlich gering sind, vgl. de Ville-
neuve, SiatiiHque du dipartement de* Bouehet'du'RhSne II p. 384 tf.
2 Ich verweise auf die bei Brückner S. 61 ff. und Geisow S. 30 ff. zu*
sammengestellten Notizen. Ueber die Bedeutung der geographischen
Stadien des Pytheas vgl. jetzt besonders MüUenhoff, Deutsche Alter-
thumskunde I S. 307 ff.; Über die massaliotische Reeension der homeri-
schen Gedichte, die unter den alten Editionen xo^a n^si^ am h&ufigsten
eitirt wird, vgl. Seng^busch Honier, ditaerL prior. S. 188 ff. und S. 197.
' Strabo FV, 1, 6 p. 181 : dijXot Sl ra xaOsatvjxtfta wv( * jt&m^ yap ot /a-
pi^vTEc ;:po( tb X^tiv Tp^novr« xai oiXovo^ctv, &90^ i) xtfXic (lucpbv ^
icp^TCpov Toic ßapßdipotc aveito icaiSEvnJpiov xal 9iXAXy)voi( xarcaxeuaCt ^rou^
roXirac, ^^re xa\ ra oufipöXaia *£XXi)viaTl yP^<^^ * tv 2k tcö Kop^t xai
Tol)( Y^^P^K'^'^'^^^C *Pcü{JLa{a>v «tfjcEtxcv, ovrl t^; e?c **AOi{va( ai:o$i]{i.{a( ixeiai
^itov, 9iXo(&aOEt; ovra^. 6ptt>VTC( dk to6tou( ol FdiXdbat xai jfjjia etpijviiv ayovrc;,
djv o)^oX^v aajuvoi Tifo^ Touc ToioOxou; 8iaT{6£VTai ß{ou( oO xat^ 5v^a f^vov, oXX«
xat dii)p.09{a * oo^iota; yoCv &nodExovTai tou( (aIv 2${a, rouc ^^ [xdtra?] noXEt{
xoivi] (AiaOot&{i£vot, xaOa;:Ep xa\ 2aTpo6c. Tacitus, ann, 4, 44: L. ÄnUmium
aqpontU Äugu9iU9 in eivitatem Maaaüientem, tthi tpedt »huüorum nomeii
exUü tegeretur. Tacitus, AgrieoL c. 4: arcebal eum ab iUeeeMB peeeantnim
praeter ipeiu* boitam iniegramqfie naiuratn^ quod »toHm 'parvuime aedem
ae magiatram atudiorum Maaailiam habuit^ locum Oraeca camÜat^ ei pro-
GaUiiche Studien. 287
die einst sprichwörtliche massaliotische Sittenstrenge ^ bereits im
Laufe des zweiten Jahrhunderts in ihr Gegentheil verkehrt, ^ und
wahrscheinlich hat auch sein wissenschaftlicher Ruf nicht die
späteren Jahrhunderte überdauert, denn unter den ^berühmten
Städten' des Ausonius hat MassaUa keine Stelle gefunden.
Inwieweit das Eindringen des Christenthums beigetragen
hat, die antik -heidnische Bildung zu verdrängen, lässt sich
hier, wie überall, kaum feststellen. Dass in einer mit Eleinasien
in so enger Verbindung stehenden griechischen Seestadt sich
frühzeitig eine grössere Christengemeinde, wie sie in Vienna
und Lugudunum bereits zu Marc Aureis Zeit bestanden hat,
gebildet habe, ist jedoch eine an und iUr sich sehr wahrscheinliche
Annahme, die durch eine spätestens dem dritten Jahrhundert ange-
vineiaH parnmonia mixtum ac hen» compatilum, Agricola war bekanntlich
in dem benachbarten Fomm lalii geboren und nach Massalia in die
Schule geschickt; doch blieb er dort offenbar bis er erwachsen war, denn
Tacitus füg^ hinzu: memoria teneo golilwn ^nan narrare »e prhna in
itiventa »Uiäium phüoiophioe ocrtia täira quam eonceatum R&mano ae
tmuaiari AaicmM. In griechischen in Biarseille gefundenen Inschriften
findet sich ein ^AOi)va$T}( AiovxouptSou Ypa[jL[i«Tixo( *P(a[iaixö; (B4pwU>ire
de la »odäd de sialisHque de Marseille m, 1839, S. 469), und ein T. Fla-
vius Nicostratus wird als xa8T]77)-nj( bezeichnet: Bulletin de la aocUte
de» antiquaire» de France 1877, S. 113. lieber die Anstellung von
(grossentheils wohl massaliotischen) Sophisten und Aerzten in Gallien
berichtet Strabo a. a. O.; der Khetor Agroetas aus Mafwalia scheint in
Rom docirt zu haben (Seneca, eon4nH7. II, 6, 12) ; ft-emde Rhetoren, wie
Moschus (s. o.) und wohl auch Pacatus (Seneca, controv, X prtte/, §. 10)
wirkten wiederum in Massalia.
* Plautus, Caiina 5, 4, 1: ubi tu e», qui colere mores MaeaiUenae» postulaef
Cicero, pro Flaeeo 26, 43: MaetiUa . . . adu» ego civitati» dieciplinam
alque gravitaiem non solum Oraeeiae, »ed haud »cio cm eunetis gentHnu ante*
ponendam dicam. Strabo IV, 1, 6, p. 181 führt als Zeugniss für die
XtT^ni« T(ov ßfcüv an, dass die h^Jchste Mitgift bei ihnen hundert Gold-
stücke betrage und dazu fünf Goldstücke für die Kleidung und ebenso
viel für den Goldschmuck, lieber die Einfachheit der mit Spreu und Erde
gedeckten Häuser: Vitruv. II, 1, 5. Die ditdplinae granita» und prieei
morie oheeroavUia rühmt Valerius Maximus II, 6, 7 und berichtet, dass in
dieser ovttot Mveritafie euato$ aeerrima die Aufführung von Mimen ver-
boten sei. Vgl. auch die eben angeführten Worte des Tacitus.
> Athenaeus XII, o. 26 p. 523c (also am Anfang des dritten Jahrhunderts) :
MoaaoXiiaTai V eOi)XuvOi]9av ol tov autov ^'Ißi^pat Ti{( e96y{to( ^opouvtEc xovfiov *
ao*/^i)|AOvowat youv dia TJjv ev tat( ^ytyiaX^ |iaXax£atv, dta tpu9ijv yuvaixoica-
OouvTt« * o6ev xai Tsapotji/a isopjjXOe ,nAeu9eia^ ei« Ma09aX{av\
288 Hiricbfeld.
hörige Inschrift, welche freilich möglicherweise von Rom nach
Marseille verschleppt sein könnte/ auch eine äussere Bestäti-
gung zu erhalten scheint. Jedesfalls dürfte, wenn man der
Schilderung in den allerdings wenig zuverlässigen Acten des
heiUgen Victor,^ in denen Massalia als ,sehr eifrige Verehrerin
der römischen Dämonen^ bezeichnet wird, Grlauben schenken
kann, das Christenthum nicht ohne heftigen Kampf hier Einlast
gefunden haben. Der Bischof von Massalia erscheint bereits in
den Acten des arelatensischen Concils vom Jahre 314, während
die in der Nähe des früh zu hoher Berühmtheit und grossem Um-
fang erwachsenen Klosters des heiligen Victor imd in der Krypta
der Kirche selbst zu Tage getretenen christlichen Inschriften
grossentheils ^ erst dem fünften und sechsten Jahrhundert an-
zugehören scheinen, also einer Zeit, in der Massalia bereits
in Folge der erfolgreichen Thätigkeit des Johannes Cassianus,
der hier zwei Klöster gründete, und des an derselben Stätte in
seinem Geiste wirkenden Salvianus, ein Hauptsitz des Christen-
thums und insbesondere der sogenannten semipelagianischen
Richtung in GaUien geworden war. — Mit der Besitzergreifung
der Provence durch die Franken ist auch Massalia nach dem
Zeugniss eines Schriftstellers jener Zeit aus einer helleni-
schen zu einer barbarischen Stadt geworden und hat an SteUe
der heimischen die Gesetze seiner neuen Herren angenom-
men.^ Aber ein Funken griechischen Geistes scheint sich
1 XII n. 489 = Leblant II n. 548 • (nach meiner Copie): /Valjerio Vo-
lunano , . . Eutychetis filio [et , . , Jo Forbuncdo qui vim ff ignij* paui
sunt. Die Ergänzung rührt von Leblant her, der mit Recht die Inschrift,
Über deren Fundort leider nichts bekannt ist, bezeichnet als ^contem'
poraine des plus vieux marbres de la Rome aouterraine*. Derselbe fügt
hinzu: ^devant une teile anliquUi^ les mota PÄSSI SVNT^ la mention du
genre de mort, prerment, oii le conqoitf une haute importance, Si, par une
riaerve peut-itre exeeaaive , je noae toulefoia ajyirmer que noua aoyofia en
face d^une tonihe de martyra, nul ne penaera^ je croisy h nier la poaaihüUi
de ee fait.* Vgl. seine pr^/ace p. XXXIII.
2 Vgl. Tillemont, M^oirea pour aervir ä Vhiat, eccUa, (ed. 1706) IV, 3,
p. 1165 und 1346.
> Aelter (nach Leblant wohl dem vierten Jahrhundert angehOrig) ist XII
n. 490 = Leblant II n. 490.
^ Agathias, hiatoi\ I, 2: vCv cf *KX^i]vföo{ hx\ ßa(>ßaptx:{ * T?jv yap ndkptov
flticoßcßXvjxuta TcoXiteJav, io?( Tb>v xpatouvKov 'XpTjrat vop.{tJLO(c * ^a^vctat 8^ 7ta\
Öftlliscke Stndiea. 289
noch bis in das Mittelalter in der phokäischen Stadt erhalten
zu haben/ die Jahrhunderte, bevor Rom, auf den von ihr ge-
ebneten Wegen fortschreitend^ seine civilisatorische Mission im
Westen begonnen, griechische Sprache und Cultur auf den
gallischen Boden verpflanzt hat. —
Ein eigenthümliches Gegenbild zu der griechischen Han-
delsstadt bietet die zweite verbündete Gemeinde der narbonen-
sischen Provinz : die civitcu Vocontiorum, deren Gebiet zwischen
den Flüssen Is^re, Rhone, Durance und den cottischen Alpen
liegend, einen Theil der Departements Drome, Vaucluse, Basses-
Alpes, Hautes -Alpes und Is^re umfasst.^ Erst mit der Unter-
werfung unter die Herrschaft Roms treten die Vocontier in
unseren Gesichtskreis^ und auch dann begegnet uns ihr Name
nur selten in den Annalen jener Zeit. In dem Kampfe der
Römer gegen ihre nördlichen Nachbarn: die Allobroger, traf
sie der erste Stoss, dem sie wol ohne ernstlichen Widerstand
erlagen.^ Zu einer wirklichen Occupation des zum Theil rauhen
vuv oO (jLfläa T^( äiia^ tcuv noXaicov o(xr,TOpu>v xaraSEETT^pa * e?9i fap o\
4>pe^oi oO vo(idl2E( etc.
* Kiepert, Alte Geographie §. 436, Anm. 4: ,Ab8chriften griechischer Werke
sind hier noch im früheren Mittelalter gemacht worden (worauf diese
Angabe beruht, habe ich übrigens nicht ermitteln können), und der Name
Oraecia war damals für die Landschaft, mare graecum für den Meer-
busen noch in Gebrauch.* Ueber Massalia zur Zeit Gregors von Tours
vgl. Longnon, Geographie de la Oaule au VI* tihcU S. 447 ff.; die Ein-
fuhr des Papyrus aus Aegypten bezeugt Gregorius, HUt, Franc. V, 5,
vgl. auch über den Handel mit Aegypten ebendas. VI, 6 und Jung
Romanische Landschaften S. 210.
3 Betreffs der im Einzelnen nicht ganz sicheren Begrenzung des Gebietes
vgl. Desjardins, Geographie II S. 228 ff., und Florian Vallentin, BuUeUn
de la 9ocaU d'äudea de* Hautet- Alpu I, 1882, 8. 22 ff., und die soeben
erschienene Schrift desselben Verfassers: Lea Alpes OoUienne» et Graten
(Paris, 1883) S. 24 ff. Die angrenzenden kleineren gallischen Stämme,
wie die Vulgieptes, Memini u. a. m. dürften in älterer Zeit den Vocon-
tiern botmässig gewesen sein, vgl. Desjardins a. a. O. S. 232: ^Vimpor'
tanee asset seeondaire de tous ces petqdea . • . avait dC lei faire abtorber
dan» la dierUkle des VoeontU*, Ueber das Fortbestehen der gallischen
dvUaUs in ihren wesentlich unveränderten Grenzen in römischer Zeit vgl.
£. Kuhn, Ueber die Entstehung der Städte der Alten (Leipzig 1878) S. 443.
' Gelegentlich des Zuges Hannibak nennt sie Livius 21, 31,
4 Ihr Name erscheint in den Jahren 631 und 632 in den capitolinlschen
Triumphalfasten: C. J. L. I p. 460.
SiUnngtber. d. phil.-hiflt. Cl. Cm. Bd. I. Hit 19
390 Hi'rsclifoU.
und unwegsamen Gebirgslandes hat aber die in Folge dieses
Krieges beschlossene Errichtung der narbonensischen Provinz
sicherlich nicht gefuhrt: die gewaltigen Kämpfe gegen die
Cimbem und Teutonen ^ gegen die Italiker und Mithradates
haben ein halbes Jahrhundert hindurch Rom nicht zur Ruhe
kommen lassen und eine energische Occupation und Organisa-
tion der gallischen Provinz hinausgeschoben. Eine Erhebung
der gallischen Stämme, die kein gemeinsames Band verknüpfte,
war freilich, so lange Rom hier auf Ausübung seiner Oberhoheit
verzichtete imd Gallien dem Kriegsschauplatz fem blieb, nicht
zu befürchten.* Erst der kühne und gross angelegte Versuch
des genialen Sertorius, den Westen zu gemeinsamer Erhebung
gegen die Aristokratenpartei in Rom in die Schranken zu rufen,
rüttelte auch die gallischen Stämme aus ihrer apathischen Un-
zufriedenheit zu offenem Kampf gegen die Unterdrücker auf.
Als Pompeius über den Mont-Öenfevre in das Land der Vo-
contier einrückte, fand er hier den ersten heftigen Wider-
stand;*^ die Beendigung des Kampfes musste er, da ihn immer
dringendere Hilferufe der von Sertorius bedrängten Städte zur
Eile mahnten, dem Statthalter von Gallien Marcus Fonteius
überlassen. Die arge Verstümmelung der gerade ftir gallische
Verhältnisse so wichtigen Rede Cicero's für Fonteius hat uns
näherer Nachrichten über den Verlauf des Krieges beraubt;
nur aus der erhaltenen Ueberschrift de hello Vocontiorum^
können wir schUessen, dass es hier zu ernsten Kämpfen ge-
kommen ist. Jedoch darf man nach der bekannten Tactik
der Römer erwarten, dass auch in diesem gallischen Stamme
neben der nationalen eine römische Partei nicht gefehlt
haben wird, eine Annahme die sowohl durch die Angabe
des Vocontiers Pompeius Trogus,^ dass sein Gross vater im
1 Vgl. über die Stellung von Narboneosis in dieser Zeit Herzog, O. N.
S. ö9flf.
3 Epist, On, Fompei ad senaiuvi §. 4 (Sallust. p. 118 Jordan): dielnu qua-
drtiginta exercUum paravi hoatisque in cervicibu» iam Ilaliae agentis
ab Älpibu» in ffitpaniam ntbmovi; per eaa (über die Alpes Oottiae) iter
alitui atque Hannibal^ nobiä opp&riuniut p<Ue/eci, Recepi Galliam etc.
3 Auch die neugefundenen Fragmente des Kicolaus von Cues haben zur
Ausfüllung dieser Lücke (§. 20) keinen Ertrag gewährt
* Der keltische Name Trogu»'(=: minr, cf Zeuss, ffrämm. celt, ed. II, p. 23
und 1057) ist sonst in dieser Gegend nicht nachweisbar; das davon ab-
GaUisehe Shidian. 29 i
sertorianischen Kriege das römbche Bürgerrecht erhalten habe
und im mithradatischen sein Oheim ReiterofSzier unter Pompeius
gewesen sei,' als durch das auf Bürgerrechtsyerleihungen im
weiteren Umfange deutende mehrfache Auftreten des Namens
PompeiuB in den Inschriften des Gebietes der Vocontier und
der benachbarten Vulgienter eine Bestätigung findet. Mit der Be-
seitigung des Sertorius und der Auflösung der nur durch seine
geniale Persönlichkeit zusammengehaltenen Banden war auch der
Widerstand in Gallien hoffnungslos geworden;^ imd seit jener
Zeit haben die Vocontier keinen neuen Versuch gewagt, das
römische Joch abzuschütteln: Caesar, bei dem der Vater des
Trogtts eine Vertrauensstellung einnimmt,^ zieht bei dem Ein-
marsch in Gallien ungehindert durch ihr Gebiet^ und wenn
Plancus im Jahre 711 an Cicero meldet, dass der Weg durch
das Land der Vocontier zuverlässig offen stehe, ^ so ist daraus
nicht auf eine Parteinahme derselben gegen Marcus Antonius^
sondern wohl nur auf vollständige Passivität in diesem Kampfe
zu schliessen. So haben sie auch nach der definitiven Gestal-
tung Galliens durch Augustus als Theil der narbonensischen
Provinz eine stille, von den gewaltigen Erschütterungen des
römischen Reiches kaum berührte Existenz geführt.
geleitete gentile TVogiuB findet sich in einer Inschrift von Nemausns
(Mnrat. 1663, 12), ebendaselbst und in der Umgegend die Formen Tro-
eiu$ und Troeciua (Murat 1411, 4 und 1779, 10).
^ Justinas 43, 5, 11: in poatremo libro Trogua maioret »uo$ a Vocontiu ort-
ginem dueere: avum auum Trogum Pompeium Sertoriano hello civÜatem
a On. Pompeio pereepUse dicit, patruuni Mithridalico hello turm<u equitum
9ub eodem Pompeh duxiste,
^ Betreffs der verunglttckten Rebellionsversuche der Allobroger (Cicero,
in Catilin, III, 9, 22: ex civitate male pacala, guae gen» %na rectal, quae
bellum populo Romano facere poate et non noüe videaturj vgl. Herzog,
O, N. S. 68; ein Bild der verzweifelten Lage derselben nach der Nieder-
werfung der EmpOrung gibt Sallust, Caiilina c. 40.
3 Justinus 43, 5, 12: (Trogua dicU) patrem quoque aub Oaio Caeaare mili-
taaae epiatularumque et legalionum^ aimtd et anuli euram habuiaae,
* Caesar, 6. O, I, 10, 5 : ab Oeelo, guod est citerioria provmciae extremumy
in finea Vocontiorum uUerioria protnneiae die aeptimo pervenU: inde in
Ällobrogum ßnea, ab AUobrogibua in Seguaiavoa exercUum ducU,
^ Plauens bei Cicero, ad famü, X, 23, 2 : VoeanHi aub marw ut eaaenty per
quorum loca fideliier mihi pateret iter,
19»
392 Miricbfeia.
Und doch, so wenig dieser Stamm im gewöhnlichen Sinne
des Wortes historisch interessant ist, bieten die Vocontier ein
eigenartiges, allerdings bis jetzt kaum beachtetes ^ Bild in dem
anscheinend so gleichförmigen Gewebe des römischen Kaiser-
reiches. Abseits von dem grossen Getriebe hat sich hier eine
in den Hauptztigen alte nationale Verfassung erhalten, die in
merkwürdiger Weise sich von dem alles Individuelle verwischen-
den Schema der römischen Municipalordnung abhebt. Wie der
griechischen Stadt der MassaUoten, so ist dem keltischen Stamme
der Vocontier, ohne Zweifel als Lohn für geleistete Dienste
und bewiesene Treue, vielleicht schon vor Caesar die privilegirte
Stellung einer verbündeten Gemeinde zuerkannt worden. Wenn
irgendwo, so darf man daher hier hoffen, ein nach heimischer
Sitte organisirtes Gemeinwesen erhalten zu finden,^ und in der
That haben die staatlichen Institutionen hier eine stärkere
Widerstandsfähigkeit bewiesen als die heimische Sprache, die,
wenn auch vielleicht nur im schriftlichen Gebrauch, von der römi-
schen fast vollständig verdrängt worden ist.^ Bei unserer geringen
* Sowohl in der Abhandlung über die Vocontii von Moreau de V^rone im
Bvlletin de la toeiiti de MtatUtique de la Drdme I, 1887, S. 70 ff. und
S. 129 ff., als auch in der werthvoUen Monographie von Jean-Denis Long :
Recherche» nar lea antiquiUM Eomames du paya des Vocontiens (in Mi-
moire» pr^aenlis par diver» »avanU ä Vacad6m%e dea Itucr^Mons et Bellea^
Lettre; //« airie, t. II, 1849, S. 278 ff. mit Karte) ist auf die Verfassung
der Vocontier kaum Rücksicht gpenommen. Auch die Ausführungen
Herzog's in seinem sehr verdienstlichen Buche über Gallia Narbonensis
sind gerade betreffs der Verfassung der Vocontier, da wichtige Zeugnisse
erst später zu Tage getreten sind, in wesentlichen Punkten verfehlt.
Eine kurze Uebersicht über die Beamten und Priester der Vocontier
hat zuerst AUmer gegeben im Bulletin de la SoeUti d^ archiologie et de
atatiatique de la DrSme X, 1876, S. 81 ff. Vgl. auch Kuhn, Entstehung
der Städte der Alten S. 488.
> Mommsen, Schweizer Nachstudien im Hermes XVI, S. 486 (über die
zum römischen Bürgerrecht gelangten fDderirten Gemeinden) : ,Eine römi-
sche Bürgergemeinde dieser Art . . . behielt billig in ihrer inneren Ein-
richtung den nationalen gallischen Zuschnitt^
3 Nur eine einzig^ keltische Inschrift mit schlecht und oberflächlich ein-
gehauenen griechischen Buchstaben ist in dem ganzen Vocontier-Gebiete
gefunden worden (Herzog n. 446 = AUmer, Inaeriptünu de Vieime TU,
n. 467). In dem benachbarten Gebiete von Apta sind neuerdings noch
vier keltische, ebenfalls griechisch geschriebene Inschriften so Tage
Gftllifche Stadien. 293
Kenntniss der politischen Verfassung der Gallier, über welche
Caesar selbst da, wo er von ihrer Religion und ihren Sitten in
grossen Umrissen ein Bild entwirft, fast gänzliches Schweigen
beobachtet und Zeugnisse anderer Schriftsteller kaum in Be-
tracht kommen, « sind wir um so mehr darauf hingewiesen,
die inschriftlichen Documente heranzuziehen und diejenigen
nationalen Züge auszuscheiden, welche unter der römischen
Tünche noch erkennbar hindurchschimmern.
Dass die Stellung der Vocontii zu Rom, wie die Massalias
und mehrerer gallischer Stämme diesseits und jenseits der
Alpen' auf Grund eines Foedus geregelt war, bezeugt Plinius,
der zweimal von der cimtas oder gens foedertxta^ der Vocontier
spricht. Ueber die näheren Bestimmungen desselben haben
wir keine Kunde; dass jedoch darin die nach Cicero in
einzelnen dieser Bündnisse befindliche Clausel, es solle keiner
der Föderirten in das römische Bürgerrecht aufgenommen
werden dürfen,^ enthalten gewesen sei, ist wohl sicher zu
verneinen, wenn auch die Bürgerrechtsverleihung an den Gross-
vater des Trogus vor dem Abschluss des Foedus erfolgt sein
dürfte. Ueberhaupt ist der Fortbestand einer solchen Bestim-
mimg in der Eaiserzeit für die zum römischen Reichsverbande
gehörigen Gemeinden schwer denkbar, vielmehr müssen, so weit
nicht an Stelle des Foedus das römische Bürgerrecht mit oder
ohne das ivs honorum getreten ist^ diese föderirten Gemeinden
getreten, vgl. Villefosse, BuÜelin de» antiquaires 1879, S. 128, und Mowat,
ebendas. 1880, S. 245; Allmer, Revue ^pigraphique I, S. 333 u. 367.
' Bemerkenswerth ist, was Strabo (IV, 1, 12 p. 186) von der Bomani-
sirung der den Vocontiem benachbarten Cavares bemerkt: ou8l ßapßopou;
Ixi ovTotc, akXk [jiEToueei|Aivou( to tcX^ov lU tov tü>v 'Pcupafcov TtSnov xai ttj
yXcorn) xal Tot; ß{ot(, itvac h\ xai ifj nokixilix.
2 Cicero, pro Balbo 14, 32: etenim quaedam foedera exstant^ ut Cenoma-
norunif Inettbrium, HeLvetiorum^ Japydum^ nonmiUorum item ex OaUia
barbarammf qu&rum in foedenbus exceptum eet, ne qui» eorum a nobie
eMe reeipiatur, Ueber die fMerirten Llngones, Remi, Haedui, Carnuteni
(Plinins, n. h, 4, 106-- 107) ygl. Mommsen im Hermes XVI, S. 486 mit
Anm. 1 nnd S. 478 ff. über Aventicnm.
' Plinins, ti. h, 3, 37 : Voconliorum eivitati» foederatae und n. k. 7,
78: equUem Bomamum lutium VitUorem e Voc<mUorftm gente foederata^
was Des|ardins {Giographie ü, S. 228) ganz unrichtig auf das Clientel-
▼erhftltniss der angrenzenden kleineren St&mme bezieht.
^ Vgl. darüber Mommsen a. a. O. 8. 447 ff.
294 Hirschfeld.
im Wesentlichen die Stellung der mit latinischem Recht aus-
gestatteten Städte erhalten haben, ^ vor denen ihnen jedoch die
Existenz des Bündnisses mit Rom und unter Umständen
bestimmte darin zugesicherte Privilegien einen Vorrang sichern
mochten. Dem entspricht auch das Rechtsverhältniss der
Vocontier; römische Auxiliartruppen sind nach ihnen benannt^ ^
also ohne Zweifel ursprünglich aus ihnen recrutirt worden,
und wenn sich einzelne Vocontier in den Prätorianercohorten
und Legionen finden, ^ so können diese, ebenso wie die in
den Inschriften zuweilen mit der Tribus Voltinia versehenen
Vocontier, füglich entweder virüim das Bürgerrecht erhalten
haben, oder ihre Vorfahren durch Aemterbekleidung kraft
der Bestimmungen des latinischen Rechtes dazu gelangt sein.
Möglich ist freilich, dass im Laufe der Kaiserzeit auch hier
an Stelle des Foedus das römische Bürgerrecht getreten ist,
wie dasselbe bereits unter Augustus der zweiten Hauptstadt
des Landes: Lucus Augusti verliehen zu sein scheint.* Wie
lange sie das Recht der Münzprägung ausgeübt haben, ^ ist
* Cicero, pro Balbo 24, 64: Latinis id est foederatisy vgl. Mommsen, ROm.
Mttnzwesen S. 323.
2 Eine ala AugCusiaJ VooontiofrCumJJ : C. J. L. VH, n. 1080; ein n(t
Voc(ontiorum): Ephem. epigr. IV p. 207 n. 698 (Huebner zweifelt
der meines Erachtens richtigen Ergänzung), vgl. Trebell. Poll., vUa Po-
stumi^. 11: Posiumo IribuncUum Vocontiorum dedi, — Vgl. die aus dem
heutigen Wallis ausgehobene ala Vallennum: Brambach, Inacr. Rhenan,
n. 1631 und die cohors I Hdvetiorum : Brambach, Index S. 386.
' Ein Veteran der 7. Prätorianercohorte aus Vasio: C. J. L. VI n. 2623
und der 6. Cohorte in einer Inschrift von Ventavon im Vocontier-Gebiet :
XII n. 5*29 =: Herzog n. 489. Ein Soldat der legio I Minervia in
einer Inschrift aus Dea Augnsta: XII n. 1576 =s Herzog n. 463.
^ Dies schliesst Mommsen (nach brieflicher Mittheilung) gewiss mit Recht
ans dem Umstände, dass zahlreiche Legionare in Inschriften der ersten
Kaiserzeit (C. J. L. III n. 1653; Ephem. epigr. H n. 496; Brambach,
Imcr. Rhenan. n. 940, 1065, 1223, 1247; Mommsen, Inscr. Helvet, n. 251;
Renier, Revue des SocUUs savantes ser. H, 3, 1860, p. 42) Lucus Augusti
als ihre Heimat angeben ; dass nicht die gleichnamige Stadt in Gallaecia
gemeint ist, beweist die Tribus Voltinia, da das spanische Lucus der
Galeria angehört (C. J. L. H p. 359). Dass Tacitus an der S. 296
Anm. 2 mitgetheilten Stelle die Stadt als munietpium bezeichnet, würde
allerdings nicht entscheidend sein.
^ lieber die Münzen mit der Aufschrift VOOC und die vielieicbt nicht
hierher gehörigen mit ROW und VOCVN" vgl. de La Saussaye, Numis-
mtUiqut de la Gaule Narbonnaise S. 132 ff.
Gallische Stadien. 295
fraglich, sicherlich nicht über Augustus' Zeit hinaus; dagegen
bezeugt Strabo, dass sie, ebenso wie Massalia und die Volcae
Arecomici, von der Gewalt des narbonensischen Proconsul
eximirt gewesen seien.* Gewiss darf man nicht, wie das ge-
meinhin geschieht^ 2 darin ein allen latinischen Colonien auch
der späteren römischen Kaiserzeit zustehendes Recht erblicken.
Wie wäre denn überhaupt eine Verwaltung denkbar gewesen,
wenn z. B. in Gallia Narbonensis die zahlreichen Städte latini-
schen Rechts der Ingerenz des Statthalters entzogen gewesen
wären, oder gar in Spanien, nachdem Vespasian das latinische
* Strabo IV, 6, 4, p. 203: 'AXXoßptyg? [lev oiv xat Alyxtei uno toi? atpanjYoi;
Torcovrat Tot; a^ixvoujjivott £?; -djv NapßcDvtnv, Ouoxdvrtoi hl, xaOobcsp tou^
OuoXxa; l^aixEv tou; r,ip\ N^[xauarov, Ta-rrovr« xkO^ aurou^.
> So sagt Marquardt, Staatsverwaltung I^ S. 62: ,Die neue (latinische)
Gemeinde bildet einen souveränen Staat . . ., ist keinem römischen
Magistrate unterworfen und besitzt das Münzrecht, dessen die Bürgercolo-
nien entbehren', und beruft sich dafür auf Strabo, der IV, 1, 12 p. 187
von der latinischen Gemeinde Nemausus sagt: $ta $e tou7o o^di* 6no toTc
icpooToyfxaat tu>v ex ri\q 'P«j{it}c arpaTnjY^^ ^^^^ '^^ t^'to^ touto. Die Worte
Ol« Sc TouTo schliessen allerdings unmittelbar an ^e Bemerkung an:
iy^o^aai (so ist die handschriftliche Ueberlieferung, nicht l;^ou7a) xai xo
xaXoupiEVov AccTioVy daxe xou; a^icoO^vTa; aYopavo[x{a( xai TajxiEJa; iv NEjiauato
Tci)[jLafou; U7:apx£iv, aber so wenig auch an der Thatsache zu zweifeln
erlaubt ist, so rtthrt die Motivirung doch blos von dem mit dem römi-
schen Staatsrecht nur oberflächlich vertrauten griechischen Schriftsteller
her. Ueber die Stellung der Colonie Nemausus wird an einem anderen Orte
zu sprechen sein; hier sei nur bemerkt, dass die Volcae Arecomici (von
dem Volk, nicht von der Colonie spricht Strabo hier, wie in der in vor.
Anm. angefahrten Stelle) offenbar, wie sich aus der S. 309 Anm. 3 bespro-
chenen Inschrift (XII n. 1028) und aus den Angaben des Plinius (III, 37) und
Strabo ergibt, ursprünglich ganz ähnlich den Vocontii organisirt gewesen
sind und daher vielleicht ebenfalls auf Grund eines Foedus eine privilegirte
Stellung eingenommen haben mögen, woraus sich auch die Ertheilung
des MUnzrechtes an Nemausus erklären würde; wenigstens von ihren
Nachbarn, den Volcae Tectosages, ist überliefert, dass sie das ihnen ge-
währte Foedus durch ihre Haltung im Cimbernkriege verscherzt haben,
vgl. Dio Cassins, fragm, 90: ToXoaav TrpoTspov (xev fvarovSov o\Saav tot?
Ta>{jiafoi(, oraaiaaaaav oe npo^ la^ icov K^^ißpcüV iXTcfBa^, vgl. Herzog, G.
N. S. 52. Eine Generalisirung für sämmtliche latinische Provinzialge-
melnden der Kaiserzeit aber aus dem Suc touto des Strabo herzuleiten,
ist nicht gestattet, und sicherlieh ist bereits in der ersten Kaiserzeit,
wohl schon durch Augustus, das Recht der Latini coloniarii we9entllch
beschränkt worden.
296 Hirsehfeld.
Recht der ganzen Provinz verliehen hatte? Vielmehr wird man
hier ein specielles Privileg, das wohl ausser den föderirten Ge-
meinden 1 nur wenigen latinischen Colonien und seit Augostus
überhaupt nicht mehr eingeräumt sein dürfte, zu erkennen
haben, und das möglicherweise auch den Vocontiem im Laufe
der späteren Zeit entzogen worden ist.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die im Vocontier-
Lande gelegenen Städte, so werden wir von der Angabe des
PUnius (n. h. 3, 37) auszugehen haben: Vocontiorum civitatis
fo&deratize duo capüa Vcudo et Lucas Augfosti, appida vero igno-
hilia XVIIII sicat XXIIIl Nemauaensibus adtributa. Ob das an
zweiter Stelle genannte Lucus Augusti seinen Namen von dem
Kaiser Augustus erhalten hat, oder ob der Ort schon in kelti-
scher Zeit als »heiliger Hain' (wohl der in der Nähe verehrten
Göttin Andarta, über die sofort zu sprechen sein wird) be-
nannt und sein römischer Name als lateinische Umgestaltung
des keltischen anzusehen ist, muss dahingestellt bleiben. Wahr-
scheinlich wollte man neben der damals noch ganz kelti-
schen Hauptstadt Vasio einen mehr römische Elemente enthal-
tenden und an der grossen Strasse gelegenen Ort schaffen, dem
durch Verleihung des Bürgerrechtes künstlich eine gewisse Be-
deutung gegeben werden sollte. Jedoch scheint dieser Zweck
nicht erreicht worden zu sein, denn ausser bei Plinius und
Tacitus, der bei Gelegenheit des Raubzuges des Fabius Valens
durch Gallien die Stadt erwähnt,^ erscheint der Name nur noch
in den oben erwähnten Soldateninschriften der früheren Kaiser-
zeit und später als Station der Strasse, die von Mediolanum
her über die cottischen Alpen durch das vocontische Gebiet
1 Daa Recht der föderirten Gemeinden definirt Marqnardt, R()m. Staatsver-
waltung I' S. 45 (im Anschloas an Mommsen, Rom. Münzwesen, S. 322 ff.)
folgendermassen: ,Sie sind autonome Staaten; als solche haben sie das
Münzrecht, Befreiung yom Dienste in den Legionen gegen Stellung yon
Hilfstruppen oder Schiffen und Matrosen, eigene städtische Verwaltung
und eigene Gerichtsbarkeit*.
2 Tacitus, hUL I, 66: lento deinde agmine per finea ÄUohrogum ac VoeonHo-
mm dueiui eoßereUtUf ipaa itinerum tpatia et ataHvorum mtUaUonee vendi'
tarUe duee^ foedis paetionibua adverau» poaaeaeoree €igrertim et magiHnUui
ehüahim^ adeo mtnactter, ut Luco (munieipkLm id VoeorUunvm eti) faioe»
admwerU^ donee pecuma müi^areinr.
Gallisch« Stadien. 297
an die Rhone führt, ^ und zwar lässt die Bezeichnung maimo in
dem JeruBalemer Itinerar, wie das Fehlen des Ortes in der
Notitia Galliarum keinen Zweifel darüber, dass Lucus Augusti in
der späteren Kaiserzeit aus der Reihe der Städte verschwunden
und zu einer einfachen Wegstation herabgesunken ist. Auch
die auffallend geringe Zahl der dort gefundenen Inschriften ^
und der gänzliche Mangel antiker Ruinen^ in dem kleinen Ort
Luc-en-Diois^ der noch den alten Namen bewahrt hat, sprechen
für die kurze Zeit der Blüthe von Lucus Augusti.
Nur wenige Meilen von Luc entfernt, in gebirgiger Ge-
gend liegt auf dem rechten Ufer der Drome am Fusse eines
Hügels das Städtchen Die, das alte Dea Augusta, das ohne
Zweifel der keltischen Sitte gemäss sich oberhalb der heutigen
Stadt an dem Hügel hingezogen hat.^ Der Name erscheint
weder bei Plinius, noch bei irgend einem älteren Schriftsteller ;
dagegen finden wir ihn in den Itinerarien^ als Station der
obenerwähnten Strasse von Italien nach Gallien, zwölf Miglien
von Lucus entfernt, und da in der Notitia Galliarum die civitas
Deenstum^ unter den civUates der provinda Viennensis vertreten
ist^ so muss sie, wahrscheinlich nach dem Niedergang von
^ Itiner. Anton, p. 357: Lueo; itiner. Hierosol. p. 554: maruio Ijueo,
3 Es sind nur sieben, die jüngste (XII, 1692 = Allmer, Bull, de la Drdtne
1873, S. 257) allerdings noch aus dem Jahre 514.
3 Dass dieselben sich in einem See, der im Jahre 1442 einen Kilometer von
Luc entfernt sich durch einen Bergsturz gebildet hat, befinden und noch
sichtbar seien, bezeichnet der genaueste Kenner dieser Gegend, Long,
in der oben angeführten Abhandlung S. 409 als eine Fabel: jM. Walcke-
naer et plusieur* auteuvM placenl V ancien Lucus dan9 ce lae, S(ü'
vaing de BoUsieu et Charter croyaietU votr dam »e» eaux U» ruine» de
eetle ville. . . . Ce$ pritenduei ruinea dans le lac de Lfic appartenaient ä
de» rette» d^habUation» rurcdea qui avaient dl£ engfoutie»/
* Long a. a. O. S. 374: yÜne partie de Paneienne tnüe itaü bdtie »ur le
pfaieau eompri» dan» Tencemte de »e» rempart»: depui» longtemp» eet em^
plaeement e»t cuUivL Die i^itendaU »ur le penehant de la eoUine oh »e
trouve cette partie hahiUe appeUe Chaetd (Castellum), et »e diveleppaü
dan» la plaine,*
^ Itiner. Anton, p. 357: Dea Boeantiorum; itiner. Hierosol. p. 554: civita»
Dea Voeontianim; tabul. Peuting.: ad Deam Boeontiorum.
* Notit Gall. XI, 7; der Bischof von Dea erscheint seit dem Jahre 517
oft in den Concilienacten des sechsten Jahrhunderts. — Als ic^t( lioXCa^
bezeichnet die Stadt flüschlich Stephan. Bjaant. s. v. üia.
298 Hirschfeld.
Lucus Augußti, Stadtrecht erhalten haben J Aber beredter
als diese mageren Notizen spricht für die Blüthe und verhalt-
nissmässige Bedeutung der alten Stadt die Fülle von Inschrifteiiy
die hier und in der nächsten Umgebung gefunden oder aus
den im frtthen Mittelalter aufgeführten Wällen^ zum Vorschein
gekommen sind. Allerdings hat Dea niemals eine politische
Rolle gespielt; aber es war sicherlich schon in keltischer Zeit
das religiöse Centrum des Vocontier- Gebietes und hat diese
Stellung bis in die späte Eaiserzeit bewahrt. Hier war die
Cultstätte der keltischen Göttin Andarta,^ nach welcher der
Ort ohne Zweifel seinen Namen Dea Augusta (so wird auch
die Andarta regelmässig in den Inschriften genannt), oder
ursprünglich vielleicht ad Deam Auguatam Vocontiorum^ fiihrt.
In späterer Zeit scheint der Cult der phrygischen Göttermutter *
an die Stelle getreten zu sein, der hier noch in der Mitte des
dritten Jahrhunderts der Kaiserzeit unter Assistenz der Priester
1 In einer Inschrift von Arles (XII n. 690 == Henzen n. 5223) führt sie
sogar den Titel col(onia), vielleicht aber nur durch ein Versehen des
Concipienten der Inschrift, da dieser Titel ihr weder in den sonst^en
Inschriften beigelegt wird, noch derselbe überhaupt zu dem Yerfas-
sung^chema der Vocontier passt.
2 Vgl. Artaud, Voyage ä DU, bei Miliin, ÄnnaU» encydop^diquea 1818, 1,
S. 180 ; Long a. a. O. S. 393 : ,La conatruclion dea remparta remonte plu»
haut aux dSveutcUions des peuplea du Nord, dea Lombarda et dea Sarraains,
, , . On relire aouvent dea remparta en ruinea dea inacr^tuma.^ Florian
Vallentin, Dicouvertea arehMogiquea faUea en Dauphini pendant Vannfe
1879 (Grenoble 1880), p. 27 ff.: ,La plupart dea monumerUa de Vipoque
romaine provenant de Die . . . orU 6U extraüa dea remparta de eette müe^
oü Von n'a jamau rencontri de fragmenta du moyen dge. . . . Lea rem-
parta de Die aubaiatent encore en grande partie au nord-eat de la viüe^
le quartier a'appeüe Chaalel,^
3 Der Name ist nicht mit Sicherheit zu erklären, vgl. Zeuss, Gramm, cell.
2. Aufl., S. 859 und 867. Ehrklärungsversuche sind zusammengestellt bei
Florian Vallentin: Eaaai aur lu dioiniiia indigkea du VoeonUum (Gre-
noble 1877) S. 28 ff.
* So heisst sie in der Peutinger'schen Tafel: ad Deam Boeontioruwn^ vgl.
Xn n. 1529 «= Hersog n. 489: ßamfinia) Aug(u$ti) et muükerfiaj pubUd
curatforiaj ad Deam Aug(uatam) Voe(ontiarum),
^ Dass Andarta, wie Einige angenommen haben (vgl. dagegen Vallentin
a. a. O. S. 29 ff.), mit Cybele zu identificiren sei, soll damit natttrlich
nicht behauptet werden.
Gallische Studien. 299
aus den umliegenden Städten Valentia, Arausio, Alba Helvia*
blutige Taurobolienopfer dargebracht wurden. — Neben dem
Göttereult hat nur der Kaisercult Einlass gefunden, von dem
die hier gefundenen Inschriften der Flamines. Flaminicae und
Seviri Augustales i', in denen nicht selten der Name der Stadt
dem Titel hinzugefügt wird,^ zeugen, während Denkmäler von
Beamten in Dea gar nicht zu Tage getreten sind.* Im Verein mit
den religiösen Festen sind femer selbstverständlich die von ihnen
unzertrennlichen Gladiatorenspiele und Thierhetzen gefeiert
worden, * und es ist für den exclusiven Festcharakter der Stadt
» C. J. L. XII n. 1567 = Herzog n. 450 vom J. 245; andere Tauro-
bolieninschriften XII n. 1568— 1569 = Herzog n. 451— 452; in dem Garten
des Doctor Long (jetzt Lamorte-F^lines), der gewissermassen das epigra-
pfaisehe Museum von Die bildet, befindet sich ausserdem noch ein Tauro-
bolienaltar ohne Inschrift, aber mit dem Opfermesser und den anderen
üblichen Instrumenten, lieber die in Die gefundenen Taurobolienaltäre
vgl. Delacroix, StatUtique du cUpartemenl de la Drome S. 477. Beachtung
verdient, dass ein Vialor Sahini filiiu ein Taurobolium in Lactora in
Aquitanien, dem Hauptsitz des Tauroboliencultus in Gallien, vollzieht
(Grut. 30, 3 SS Memoire» dea antiquairea de France XIII, tab. 3 n. 12
p. 142; der Schrift nach gehört die von mir gesehene Inschrift wohl
noch dem ersten Jahrhundert an), der mit dem Vialor SMni /(iliusj
einer Sepulcralinschrift aus dem Vocontier-Gebiet (XII n. 1516 = Herzog
n. 494) identisch sein dfirfte. Vielleicht darf man demnach, die Identität
vorausgesetzt, die Vermuthung wagen, dass die religiösen Centren des
Tauroboliencultns in Gallien in enger Beziehung zu einander gestanden
haben.
3 Es möge hier genügen, auf die Zusammenstellung in C. J. L. XII zu
verweisen.
3 C. J. L. Xn n. 690 (Herzog 460), n. 1371 (Allmer, BuU. de la Drome
18^6, p.'210), n. 1529 (Herzog 489), n. 1581 (Yallentin, Divin. indig,
S. 34 Anm. 1). Vgl. die Inschrift von Nimes bei Herzog n. 194.
* Dass ein Grabmonumetlt von einem praetor und flamen hier seiner Gattin
errichtet, ist (XII n. 1586 = Herzog n. 457), spricht natürlich nicht
dagegen.
^ C. J. L. ^IT n. 1529 (Herzog 489): muneria puhlici curatfor) ad Deam
Äugfuatam) VoefontiorumJ ; n. 1590 (Herzog 468) : coUfegiumJ venatorfum)
Deenaium gut miniaterio arenario fungunt (vgl. 8neton, Nero c. 12:
confectorea ferarum et aaria harenae miniateria und C. J. L. VII n. 830:
venatorea BamieaeaJ', XH n. 1596 (Long, p. 404): Inschrift einee aeetUor-^
n. 1586 (Herzog n. 453) ein curator muneria gladiatori(i) VWiani, dem
der ordo Voeontior(um) ex corutnau et poatulalione populi ein Monument
in Dea setzt: o6 praecipuam eiua in edendia apeetaeuUa liberatiteUem.
300 HirBchfeld.
bezeichnend, dass die spärlich in den Inschriften auftretenden
Gewerbetreibenden oflfenbar nur solche sind, die zur Zurüstong
der Opfer und für die Bedürfnisse der fremden Festbesucher
erforderlich waren: ein Fleischhändler, eine Salbenverkäuferin,
ein Geldwechsler, ein Schreiber. * Auch die öffentlichen Sclaven
der Vocontii, die nur an diesem Orte vertreten sind, werden
zur Dienstleistung bei den Opfern' und Festlichkeiten verwendet
worden sein ; so fehlen nur noch die Händler mit Heiligenbildern
und Reliquien, um die Analogie mit unseren modernen Wall-
fahrtsorten vollständig zu machen.
Wie Dea das religiöse Centrum der Vocontier gebildet hat,
so ist Vasio, das Plinius an erster Stelle als Hauptort derselben
bezeichnet, offenbar der politische Mittelpunkt gewesen und
dauernd geblieben. Der Name vielleicht hergeleitet von dem
Flüsschen (heute VOuveze)^ an dessen rechtem Ufer die alte
Stadt sich befand,^ während das heutige Vaison auf dem linken
Ufer der Ouvfeze an einem Hügel sich hinzieht, bezeugt gleich
den ähnlich auslautenden Städtenamen Arausio und Avennio
den keltischen Ursprung, und wahrscheinlich hat Vasio, begün-
stigt durch seine Lage in fruchtbarer und lieblicher Gegend,
1 C. J. L. XII n. 1593 (ined,): maeeUarius; n. 1594 (Herzog 472): unguen-
taria; n. 1597 (Herzog 470): argentariu»; n. 1592 (Herzog 471): Ubra^
riiM (die im Text gegebene Uebersetzung des auch in anderen Bedeu-
tungen gebrauchten Wortes liegt wohl am nächsten).
2 C. J. L. XII n. 1595 (Herzog 461): Vocfontiorum) Hn^m»); n. 1598
(AUmer, BiJJL de la DrSme 1871/72, p. 359): Vocfontiorum) $eHu (sie)
fvictimajntu; die von mir gegebene Ergänzung (Allmer*s Vorschlag
arenarius ist nicht zulässig) scheint mir für den Charakter des Ortes
am angemessensten.
' Vgl. Courtet, Dictiormaire du dipaHement de Vauduae (2. Aufl., Ayignon
1876) S. 3415 s. v. Vtuion: jLapartie sur la rive gauche est bdtie en amphi'
thSdtre sur Um fiatm dkune eoUvM e$carp4e: c^est la nouvdle vtUe, qui
aera bientSt la vieiUe ä aon tour. OeUe de la rive droUe eat IfäUe en pUnme,
9ur Vemplaeement de Vaneierme eiti gaUo^romaine. Ct quartier a etmHroi
le nom de la VilUuae ou vieille vüle*; cf. Suaresins, Chorogr, dioece», Vaato-
netu, y. 3 ff.: vaattUaque Herum a Gothü Ärabieque Mupremum | Raifmundus
prineepe intutit txitium; | atque uhi aurgebtU fani* ae turribu» attt«, | hihiü
Megetet isreictmt, ViUatieimque vocarU. Ueber die ZersUSrung der alten
Stadt durch Raymund V. Grafen von Toulouse vgl. Courtet, Revue
archiol. 8, 1851, 8. 312 ff. Ursprünglich dürfte allerdings das keltische
Oppidum auf dem Hügel gelegen und erst in römischer Zeit in die
Ebene hinabgestiegen sein.
Oalluehe StadieD. 30 1
Bchon lange vor der römischen Occupation den Vorort der
Vocontier gebildet^ ähnlich wie Vienna als Metropole und Sitz
der vornehmen AUobroger bezeichnet wirdJ Diese Stellmig
der Stadt tritt äusserlich darin deutlich zu Tage, dass unter
dem Namen Vcisiensea Vocontii nicht die Bewohner des städ-
tischen Territoriumi ; sondern die Bürger des ganzen Gebietes
der Vocontier bezeichnet werden,^ ebenso wie der Name
Viennenses auch im officiellen Gebrauch in der Kaiserzeit voll-
ständig an die Stelle der AUobroges getreten ist und die civäas
Viennenaium das gesammte Gebiet von der Rhone bis zu den Alpen
und dem Genfersee in sich begreift.' Daher wird man, wie später
noch gezeigt werden soll, unter den Beamten der Vasiefises Vo-
contii Beamte des ganzen Gebietes zu verstehen haben, während
der Stadt Vasio, die den Beinamen lulia,^ vielleicht schon seit
Caesar, gefUhrt zu haben scheint, ein eigener Präfect, vergleichbar
1 Strabo IV, 1, 11 p. 186: 'AXX(^ßpiY£( ot ^ aUoi x(D(i.7)8bv («^viv, ot S'eici-
9av^9tocTot TTJv 05{evvav Ij^ovre^, x(ü[jly]v 7cp^T£pov o^aav, (jLYjip^noXiv d* o|x(i>( tou
IBvouc Xr]fO[iivif]v xdtTEaxEudSxxai noXiv. Vgl. Kuhn, Entstehung der Städte
S. 193.
' Vgl. was S. 308 über den praetor Vafientium Vocontiorum und S. 306
Anm. 5 über die Priester gesagt ist. Bemerkens werth ist, dass diese
Bezeichnung sich bis jetzt nur in Inschriften von Vasio selbst ge-
funden hat; es mOgen daher streng genommen nur die in Vasio
ansässigen Gemeindebürger so bezeichnet und nur abusiv in den
Magistrats- und Priestertiteln der Name in weiterem Sinne verwendet
worden sein. Aehnlich, wenn auch nicht ganz identisch, ist die Stel-
lung von Aventicnm, vgl. Mommsen im Hermes XVI S. 480.
' C. J. L. XII n. 113 (AUmer, Intcriplian» de Vienne I n. 10) im Jahre 74
n. Chr.: 0», Pinarius Cornef(nuJ CUmens . . . inter Vtennense» et Ceti-
irofia» terminavU; ein duovir Viennennum in einer Lyoner Inschrift:
AUmer II n. 172. Vgl. über diesen Gebranch Benier, Revue arehiologique
16, 1859, S. 363 ff.; AUmer II p. 110 ff.; Kuhn a. a. O. S. 193 und 439.
* Nur unter dieser Voraussetzung scheint mir die in Vado gefundene In-
schrift, die der Schrift nach ins erste Jahrhundert der Kaiserzeit zu ge-
hören seheint, C. J. L. XII n. 1357 (Herzog 433) zu erklären: Va-
nensfeaj Voefanlii) C. Sappio C. JUio Vol/ftnia) Flavo praffeet(o) Mien-
Hmn ... gut H8 \3^\ rei pubÜcae lulieiuium quod ad JI8 \XXXX\
ueturie perdueereiur tettamento reUquüy idem^ H8 Z ad porlieum ante ther-
ma» marmiaribuM omandam hgaoU, Denn weder wird man bei der re9
pulHca luUensium mit Henzen (zu n. 6948) an Forum lulii denken dürfen,
noch mit Herzog (zu n. 433), der übrigens sonst richtig die lalienses
302 Hirsclifeld.
den später zu besprechenden praefedi pagorum, vorgesetzt ist.*
Dass die Stadt aber auch das Cognomen Augusta gehabt habe,
ist dagegen eine ebenso unrichtige Behauptung^ ^ als dass sie
als die EUnwohner von Yasio erklärt, die preiefectura Julieruium als eine
praefectura cohortii Vocontiorum fassen, noch schliesslich mit Renier (bei
Desjardins, Table de Peutinger S. 439) die Julienses für Bewohner eines
pagus oder viöua der Yocontier halten dürfen. Abgesehen von dem Fund-
ort in der Hauptstadt selbst spricht dagegen die Höhe der geschenkten
Summen (1,200.000 Sesterzen, die durch Zinsen auf vier Millionen ge-
bracht werden sollen) und die Bestimmung des Legates yon 60.000 Se-
sterzen, wonach bereits Thermen mit einem Forticus vorhanden waren,
was offenbar auf einen nicht ganz unbedeutenden Ort hinweist. Auf ähn-
liche Benennungen, wie Segini luliensesy hat bereits Herzog a. a O. hin-
gewiesen; Tgl. auch DeÜefsen, Index zu Plinius S. 215 s. y. lulienses vluS.
die coloni luUeiue» . in der eohnia Opsequen» lulia Pisana bei Wilmanns
n. 883.
* Ausser dem praefecttu lulienfium findet sich ein allem Anschein nach
mit demselben identischer praefecltu Vaaiennum (über den pra^fectuM
Vocontiorum vgl. S. 310 Anm. 2) in einer im Jahre 1860 zu Vasio im
alten Theater gefundenen Marmorinschrift, die sich jetzt in Avignon im
Mus6e Calvet befindet und meines Wissens nicht publicirt ist. Ich theile
sie nach meiner Copie mit (XH n. 1375):
UV
RVF VS
praef. /FABR^PRAEF/^
^
«a S I fe N S • II Ä E DVOC
p%OSCÄE r^WMRMORfe
O RN A R I • ■£ STÄMENI VSST
V E T V STATE- CONSVMPT-RPREST
Die Inschrift gehört der schönen Schrift nach spätestens dem zweiten
Jahrhundert an, und da es am Ende heisst: vetuitate conntmptfum) r(e»)
pfublica) re9t(Un\t), so wird der erwähnte praefectu» Vanentium^ nach
dessen testamentarischer Bestimmung das Proscaenium des Theaters mit
Marmor ausgeschmückt worden ist, wohl in die erste Kaiserzeit zu setzen
sein; dass daher diese Präfectur auch in späterer Zeit noch fortbestanden
hat, ist vorläufig nicht zu erweisen. Dass es sich hier um das (in der
Stadt) höchste Amt handelt, wird durch die Iteration desselben wahr-
scheinlich; ob der aedfili») VocfonlioruvO als Landesbeamter jedoch im
Range höher gestanden hat, ist nicht sicher, wenn auch die prarfeeüira
fahr^im, in der Regel frühzeitig bekleidet zu werden pflegt und man daher
die Aemterfolge für eine aufsteigende zu halten geneigt sein möchte.
3 Dieselbe beruht nur auf der falschen Erklärung der Abkürzungen in der
Inschrift einer flam(imca) lul(iae) Äug(u$taeJ (also der Livia vor der
OaUische Stadien. 303
den Titel einer Colonie besessen habe ; vielmehr wird sie nur,
abgesehen von der allgemeinen Bezeichnung reapublicay^ in einer
allerdings nicht ganz unverdächtigen Inschrift ^ dmtas V(M(ie7i8iym)
genannt. Unter den blühendsten Städten des narbonensischen
Gallien führt sie ein Schriftsteller der ersten Kaiserzeit ^ auf und
sie allein erwähnt im Vocontier-Gebiete der Geograph Ptolemaeus;
später erscheint sie nur bei Sidonius, in der Notitia Galliarum -*
und in den Concilacten ; auch die zahlreichen in und bei der
Stadt gefundenen Inschriften bieten für die Stadtgeschichte kaum
einen £rtrag imd die Seltenheit der in ihnen erwähnten Hand-
werkergilden (fahrt centonarü imd opifices lapidarii) spricht
nicht für eine bedeutende Entwickelung der Industrie. Ohne
Zweifel ist Vasio, das entfernt von den grossen Strassen weder
politisch, noch commerciell eine Rolle spielen konnte^ stets eine
von der römischen Cultur kaum berührte, ackerbautreibende
Landstadt geblieben.
Das Gebiet der Vocontier zerfiel nach gallisch -germani-
scher* Sitte in eine Anzahl von Gauen (pagi), deren Namen
Apotheonrnng durch Claudius) Vaa(iennuin) VoefonUarumJt XII n. 1363 =
Henzen u. 5222) wo die Neueren, obgleich Henzen bereits die richtige £r-
klftrung gegeben hat, ItU(ia) Auß(u»ta) Vtufione) Voc(orUiorumJ ergänzen.
1 C. J. L. XU n. 1282 (Herzog n. 439) und n. 1376 (tnecf.); über die res
publica luliermum s. oben S. 301 Anm. 4.
3 C. J. L. Xn n. 1381 (Moreau de V^rone Voeaneea p. 130).
' Fomponius Mela II, 76.
* Ptolemaeus IX, 10, 7; Sidonius epp. V, 6 und VII, 4: Vcuioneme oppi-
dum; Notitia Galliarum XI, 10: eivitaa Vatiennum,
^ Vgl. die Zusammenstellung der pagi in Gallien aus Schriftstellern und
Inschriften bei Deloche Etüde» tur la giogt'ophie hUtorique de la Oaule
in Memoire» de Vaead. dee inscr, sir, II t. 4, 1860, S. 346 ff. und besonders
8. 373 ff. Longnon, Qiographie dela Oaule au Vh tikcU^. 24 ff. Waitz,
Deutsche VerfassungsgeschichteyP S.222 und die dort angeführten Schriften.
Baumstark,Urdeutsche Staatsalter thOmer S. 330 ff. Mommsen im Hermes 16
S. 460 ff. und S. 483 ff., dessen Worten (S. 460): ,wo sonst (ausser in den
helvetischen) in den gallischen Inschriften pagi begegnen, scheint das
Wort in dem eigentlich italischen, von jenem gallischen wesentlich ver-
schiedenen Sinn gesetzt zu seinS ich jedoch betreffs der pagi bei den
Vocontiem und Allobrogem nicht beipflichten kann. Wo der pagus, wie
hier, als eine unter eigenen Beamten stehende Unterabtheilung der Civitas
auftritt, entspricht er ohne Rücksicht auf seine Grösse durchaus dem Be-
griffe des keltisch-germanischen <3raus, wie ihn Waitz a. a. O. Anm. 1 mit
Recht definirt: Jede civitas hat die pagi als Unterabtheilungen; diese
304 Hirschfeia.
noch grossentheils erhalten sind. So nennt Plinius Aenpagus Veiten
comacorumf^ vielleicht eines ursprünglich unabhängigen^ später
zum Vocontier-Gebiet geschlagenen Stammes. Dieser^ wie die
übrigen inschriftlich bezeugten pagi, ^ sind als grössere Unterab-
theilungen und Verwaltungsbezirke der dmtas zu fassen, welche
von freigeborenen Präfecten^ und von ihnen im Range unter-
geordneten Aedilen ^ verwaltet werden^ die in ihren Befugnissen
m()geii an Grösse verschieden gewesen sein* (vgl. ebendas. S. 223 Anm. 1);
anch gibt Mommsen (a. a. O. Anm. 1) selbst zu, dass der Unterschied mehr
quantitativ als qualitativ sei; aber auch an GrOsse hat vielleicht s. B. der
pagus Vertacomacorum den helvetischen nicht nachgestanden. — Heimat»-
bezeichnung n&ch pcigua und vicut findet sich in Cemenelum an der Grenze
der Narbonensis: C. J. L. V n. 7923, vgl. add. p. 931 (darnach ist allem
Anschein nach gefälscht die Inschrift bei E. Blanc, EpigraphU de» Alpes
MariHme9 1 p. 94) und in Pannonien (C. J. L. VI n. 3297, vgl. Voigt, Drei
epigraphische Constitutionen ü, lll)t wofür in Moesien, Thracien, Syrien
regio und vicut eintritt (vgl. Marini, Ärvali S. 476; Archliol.-epigr. Mit-
theilungen aus Oesterreich IV, S. 127). Ganz eigenthümlich ist der Ge-
brauch von pagu» (für conipctganif) in zwei britannischen Inschriften :
C. J. L. Vn n. 1072 : pagua VeUoM» milüfanäj coh(orU) U Twng(rwmm)
und n. 1073: pagu9 CondruttU mUi{t(<nuJJ in cohforte) II Tvmgrorum,
* Plinius, n. h. UI, 124: oria Novaria ex Verlamaeoris, VocanHonnn kodier
que pagOf non (ut Calo exUHmaf) Ligurum; der beste Codex Leidensis
(A) hat nach Detlefsen uertamoeoriä , der Riccardianus: uertaeonuicori» ;
ob Detlefsen im Text und Index mit Recht Vertamaeoria schreibt, ist
mir zweifelhaft. Gegen die gewöhnliche Identification dieses pagua mit
dem heutigen Vercora im Norden des Vocontier- Landes erklärt sich
Longnon, Geographie S. 25 Anm. 4.
^ Ueberliefert sind folgende Namen: Aleianua, Bag,y Bo. . . ., DeobemaiU^
EpoliuSf luniua (vgl. die folgenden Anmerkungen).
3 C. J. L. Xn n. 1529 (Herzog n. 498): praef, pagi EpoH-, n. 1376 (BevM
archioU n. », 19, 1869, p. 301): prwf, vigintivirorum pctgi Deobenaia;
n. 1307 (LongpMer, Bull, archiol. de VÄUiinaeum frangaia I, p. 16,
unsicheren Fundortes, aber wahrscheinlich, wofür auch die Dedication
Malria f deren Cult hier sehr verbreitet war, spricht, aus dieser Gegend):
praefectua pagi luni; n. 1371 (Allmer, Buü, de la Drdme 1876 p. 210):
pfutef. Bo , , , iiory wo schwerlich Bo/con/tior zu ergänzen ist; n. 1708
{ined.f gefunden in Le Pögue): praef. pafgi . . ., der Name ist verloren.
« C. J.L.Xn, n. 1377 (Herzog n. 447): aed(il%aJpag(iJBag.; n. 1711 (Herzog
448): aedUi pagi Aletani (vielleicht schon ausserhalb des Gebietes der
Vocontier); n. 1564 (Allmer, ßulL de la Drdme 1873 p. 183): aed(iUa)
iler(umj ohne Zusatz, wahrscheinlich, da die Inschrift fem von den
städtischen Territorien gefunden ist, ebenfalls auf einen pagua oder viel-
leicht vicua zu beziehen.
Omilisoke StadMO. 305
durchaus dem römischen Vorbilde entsprochen, ^ aber allem
Anschein nach keine CoUegen zur Seite gehabt haben.^ Auch
bei den benachbarten Allobrogem hat sich diese nationale
Eüntheilung des Landes erhalten , jedoch nur, was Beachtung
verdient, in dem östlichen gebii^gen Theile ihres Territoriums :
in Savoyen,' während dieselbe in dem der Colonie Vienna
näher gelegenen Gebiete schon frühzeitig geschwunden sein
dorfie. Die grösseren und kleineren Ortschafiten (vici) der Yocon-
tier, die Plinius unter den neunzehn oppida ignobäia versteht
und von denen nicht wenige sich mit grösserer oder geringerer
^ Vgl. die interessante Inschrift, ron der ich einen guten Abklatsch der
freundlichen Intervention des Herrn Tribnoalrathes Accariasin Grenoble
Tordanke, C. J. L. XII n. 1377 (Herzog n. 447): L. Veraäut RtuticuM aed(i'
U») P^ftj Bog, leg. hmn^fieiaria ex rnuifü») et aere fraeto, d. h. eine
Widmong ans den 8tra%eldem (muUae = ae» muUaiieium) und den als
nicht richtig befundenen and daher von den Aedilen kraft ihrer Amts-
gewalt zerbrochenen Maassen nnd Grewichten (framgere ist der technische
Ausdruck dafftr, vgl. die Beispiele bei Mommsen 8t. E. 11 > 8. 4S9
Anm. 2). Ganz entsprechend dem aere frado heisst es in anderen Aedilen-
insehriften bei Wümanns n. 724: ptmarioe fobrieandoe ex metr felis et
ponderihju» migni» ... cwaioenmf, und n. 2113: ex iniquUatibne men-
Mmranam. et ponder(tattJ . . . aed(iUtJ dateram aereo(m) et pendera <Ueret(o)
deemrfkmmmj ponenda curavenmt. Die Ergfaznng von Ug. bleibt zweifel-
haft; Mommsen {AnmaU ddV InaHhUo 1854 8. 43 ff. und 8tadtrechte von
Salpensa und Malaca 8. 460 Anm. 175) erklärt leg(ata et) hen^tdaria:
fOMto, comg cretfo^ i danarj ripoed mel iempio eia per doncaUone te»tamen-
taria. Ha per aUro heai^iaMif'; mir scheint die Eigiazung Ug(e) benefidaria
vorzuziehen, worunter vielleicht (obschon der Ausdruck ben^Uiaria auf-
fiUlig ist) eine allgemeine Yorschiift betreffiB der Verwendung der fOr
Öffentliche Wohlthaten bestimmten Gelder zu verstehen ist.
' Sowohl die Priiecten, als die Aedilen treten in den bis jetzt bekannten In-
schriften durchaus ohne Ck>llegen auf, und besonders spricht die in der
vor. Anm. erörterte Stiftung aus Offientlichen Stra%eldem gegen die Col-
legialitit, da man sonst, wie in anderen ahnlichen Insehrifteo, bei einem
solchen offidellen Act beide Aedilen vertreten zu sehen erwarten mOsste.
> Frht^tm mnd drei pagi, deren Namen jedoch in den Inschriften simmtlich
abgekürzt sind, nebst ihren Prifeeten: pagm» Dia. (Allmer tnwr. de
Viemme 11 n. 219, in HauteviUe bei Bomillj gefunden), pagm» Ott. (Allmer
n n. 221 : Aoste auf der Grenze von Is^« und Bavoie), pagu» Valer. (Allmer
n n. 220: St-Sigismond bei Albertville); die beiden letzteren Namen sind
wohl von den GentUnamen Oetaivims und Vaieriu» abgeleitet, der erste viel-
leicht zu eigiazen DiitCnetuie). Dass auch hier die vid Unterabtheilungen
des pagmt bilden, wird durch die zweite Inschrift bestitigt, in der der
prae/feetaej pagi OeL den vioamfi Aujguslami, d. h. den Bewohnern von
flitBWipWr. d. yluL-Ust. GL Cm. Bd. L Hft. 20
306 Hirschfeld.
Wahrscheinlichkeit benennen und localisiren lassen^ < haben
keine eigene oder doch nur untergeordnete Localbehörden ^
gehabt.
Blicken wir nun auf die Verfassung des gesammten Ge-
bietes der Yocontier, so ergibt sich sofort^ dass dasselbe als
eine einzige dvitas im gallischen Sinne fortbestanden hat und
verwaltet worden ist. Schon äusserlich tritt dies darin zu
Tage, dass abgesehen von den Militärinschriften die Bewohner
des Gebietes schlechthin als Vocontier bezeichnet werden ; ^
deutlicher noch in der Existenz der oben erwähnten servi Vo-
contiorum, am schärfsten aber in der Thatsache, dass sowohl
der Gemeinderath, als auch die Beamten und Priester* durch-
aus als der ganzen Civitas, nicht als einem bestimmten Orte
derselben zugehörig bezeichnet werden.^ Angaben über die
Aoste ein Geschenk macht. — Der angebliche pagua Luminu (Allmer
III n. 775) ist allem Anscheine nach dem Namen des Fundortes Limonj
fd4p. de VArdhehe) zu Liebe gefälscht.
' Plinius, n. ^.3^ 37: oppida vero ignohilia XIX, tieut. XXIV Nemautemsi-
bus adtHhuta. Wahrscheinlich haben dazu gehört S^gustero (Sitteronjy
Mons Selencus (Mont-ScU^on) , Alaunium (AulunJ] andere sind nicht so
sicher zu localisiren, vgl. Vallentin, Bull, de» Hauten- Alpe» 1 S. 24 ff.
' Dahin gehören wohl die vielleicht sacralen curatorea in der im Vocontier-
Gebiete gefundenen Mars-Inschrift (XII n. 1566 = Long p. 371), wenn sie
nicht nur für diesen bestimmten Fall bestellt worden sind. — Ueber die
deeem lecti in Aquae (Aix-en-Savoie), vergleichbar den in einigen CoUegien
vorkommenden decemprimi, vgl. meine Restitution der Inschrift bei Allmer,
Revtte 4pigr, du Midi I S. 351. Selbst die bedeutenden Orte Cularo und
Genava stehen bekanntlich, so lange sie vici von Vienna sind, d. h. bis
ins vierte Jahrhundert, unter viennenirtschen Beamten, nur ist in Genava,
wie auch in italischen Vici, die Aedilität als Vicanalamt nachweisbar:
Allmer II n. 225.
3 Justinus 43, 6, 11; Plinius, n, h. 7, 78 und 29, 64; C. J. L, V n. 7822;
Herzog n. 178; Allmer III n. 371.
* Dies ist bereits von Long und A^lni^ hervorgehoben worden.
° Dass als Functionsort der Priester der Name Dea Augusta zuweilen
hinzugefügt wird, kann nach unseren obigen Ausführungen nicht da-
gegen geltend gemacht werden. Abgesehen davon führen die Gotter-
wie die Kaiserpriester oder Priesterinnen entweder keinen Zusatz oder
werden sogar ausdrücklich als Priester der Vocontii oder Vusiefue» Vo-
cofUii bezeichnet, vgl. Xn n. 1362 = Deloye, ^!cole de» charte», sir. II
vol. 4 p. 308: flamimc(a) Voifieruium) VocContiorum) ; n. 1363 = Henzen
n. 5222, s.S. 302 Anm.2; n. 1366 = Herzog nAS6:ßafninic(a)VocConeiorum);
n. 1667 = Herzog n. 460: »acerdfosj civitatis VocContiorumJ. Nur der
GalUfch« Studien. 307
Competenz des ordo Vocontiorum^ dessen Mitglieder in der
älteren Zeit den ehrenvolleren Namen Senator geführt zu haben
scheinen^^ nnd über die Mitwirkung des Volkes bei der Gesetz-
gebung und den Wahlen fehlen leider vollständig,^ wahrschein-
lich war jedoch die Verfassungsform^ wie überhaupt in den
gallischen Civitates nach Abschaffung des Königsthums, eine
durchaus aristokratische.^ Neben dem Qemeinderath oder rich-
tiger wohl als engerer Executivausschuss desselben findet sich,
etwa vergleichbar den Fünfzehnmännem in Massalia und den
3exflhcp(i)T0( in asiatischen Städten/ aber durchaus abweichend
von römisch -municipalen Verfassungsformen und daher wohl
»exfvirj Aug(uataU9) Va», (XII n. 1370 = Herzog n. 438) hat Vielleicht
zum Unterschied von den in Dea befindlichen Sexviri den Zusatz Vtuione
geführt; doch ist die Richtigkeit der Copie dieser verlorenen Inschrift
nicht zweifellos.
^ In einer nur von Peiresc handschriftlich Überlieferten Inschrift (XII
n. 1614) aus Manosque wird ein T. VtriaHtL» PrUeui Mti. Voe, genannt,
was, die Richtigkeit der Copie vorausgesetzt, eine andere Deutung kaum
zulässt. Dazu kommt eine fragmentirte Inschrift von Die (XII n. 1591
= Long p. 467): LDDSV, die wohl l(0coj d(ato) dfecretoj s(enatu»J
V (ocf/ntiorum) aufzulösen sein wird, und die analoge Formel in der In-
schrift des coU(tgium) venator(um) Deentium (XII n. 1590 = Herzog
n. 468): [l(oco)] d(ato) ex d(ecreto) ifenatusj V(ocontu>rumJy denn die von
Henzen (n. 7209) vorgeschlagene und von Herzog angenommene Er-
gänzung ex d(ecreto) s(olutoJ v(oto) ist nicht zulässig. — Später tritt
dann der Titel decurio auf (Herzog n. 456 und wohl auch in' einigen
nicht ganz sicher zu ergänzenden Fragmenten). — Senattu wird der
Rath der gallischen Civitates bekanntlich oft von Caesar genannt, vgl.
die mir während des Druckes durch die Freundlichkeit des Verfassers
zugegangene gründliche Abhandlung von Gustav Braumann: Die Prin-
cipes der Gallier und Germanen bei Caesar und Tacitus, Berlin 1883,
S. 17 und dazu Cicero, Catil. UI, 5, 10 ff.; ebenso, um von italischen
Städten zu schweigen , in der ciüU<u foedercUa Boeckorüanorum : C. J. L.
n n.3696, vgl. ebenda», n. 1343. 1669 undC. J. L. X n. 10525.
3 Kaum angeführt zu werden verdient in dieser Hinsicht, dass der ordo
Voconliorum in Dea ein Monument setzt ex eoneeneu et poHulatione po-
ptdi: XII n. 1585 = Herzog n. 453.
3 Caesar, b, O, VI, 13, 1: in omni Gallia eorum kominumj qui aUquo eunt
numero iUque hanore, genera »unt duo (vgl. §. 3: alterum ett druidunty
alterum equUum); nam plebes paene eeroorum habetur loco, quae nihil
audet per <e, nuüo adhibetur eoneilio. Vgl. dagegen Braumann a. a. O .
S. 16 ff., dessen Ausführungen ich jedoch betreffs der Volkssouveränität
nicht beipflichten kann.
* Harquardt, Staatsverwaltung I' S. 214.
20»
308 Hirschf«Id.
ebenso wie die undecemviH in Nemausus als national -keltische
Institution anzusprechen , ein CoUegium von zwanzig Männern/ zu
deren Befugnissen gewiss nicht allein die Bestellung der proe-
fecti pagorum,^ sondern wahrscheinlich die gesammte Executive
gehört hat und die, wie alle Oberbeamten der civitas Vb-
conüorum ihren Sitz in Vasio gehabt haben werden. Ducvirn
oder Quattuorvim, wie sie den römischen Colonien und Muni-
cipien eigen sind, fehlen hier durchaus; an ihrer Statt finden
sich Prätoren, mit und ohne den Zusatz Vasiensium oder Vcuien-
8%um Vocontiorumy^ die bekanntlich auch sonst, abgesehen von
Italien, in verschiedenen Städten des narbonensischen Gallien^
und vereinzelt auch in Spanien ^ in der ersten Kaiserzeit nach-
* Am nächsten stehen diesen Zwansigmftnnem die undeeimviri in Kemansiia
(Herzog n. 109: //// vir(umj et XI virfumj {rgl. anch die cirtensische
Inschrift C. J. L. VIII n. 7041: prineep» ei undecimprimus genii» Saboi'
dumjf während die in einigen spanischen Städten vor Ertheilung des
latinischen Rechts auftretenden decemviri (C. J. L. II n. 1953 mit Anm.
nnd add. n. 5048: X v(irj tnaxiniua) andere Beamte wohl fiberhanpt
nicht neben sich gehabt haben. Dass die Zwanzigcahl bei den Yocontieni
in Zusammenhang mit den 19 oppida ignohüia nebst Vasio stehe, ist,
wenn auch der einundzwanzigste Ort Lucus Aug^sti vielleicht erst romi-
schen Ursprunges sein dflrfte, sicherlich nicht anzunehmen.
2 C. J. L. XII n. 1376 (Bertrand, Revue archSoL n, t. 19, 1869 p. 301: ge-
funden bei S^guret in der Nähe ron Vaison, jetzt im Museum von St-
Germain) : Valeri(i) Maximi . . . pra/ef(eeti) vigintioircrum pagi De6benti9^
der demnach Ton den Zwanzigmännern bestellt sein muss. Dass der
Zusatz bei den Präfecten sonst fehlt, beweist nicht, dass diese Bestell
lung nur ausnahmsweise erfolg^ ist.
' C. J. L. XII n. 1369 (Herzog n. 432): prfaetori) Va»(ien»ium) y ob am
Schlüsse Voi (otUiorum) ausgefallen ist, bleibt fraglich, ebenso bei n. 1371
(Allmer, BulL de la DrÖme 1876 S. 210: py(aetor%) Vfan . . ./. Ohne Zu-
satz n. 1586 (Herzog n. 457, in Die gefunden): praetor, flamen, vgl. n. 1584
(Allmer, Bull, de la Dr$me 1873 S.187 mit Ergänzung): fpraet/arf /tarnen/.
^ Vgl. Herzog, de praeiorünu Oalliae Narhoneruis municipaltbue (Leipzigs
1862) und Hietoria öaiUae Narbonentü S. 56 £f. und S. 213 £f.; Pritoren
sind nachweisbar in Narbo, Nemausus, Carcaso, Aquae Sextiae (Avennio
ist zu streichen, vgl. S. 309 Anm. 3), also mit Ausnahme von Narbo nur in
Städten latinischen Rechtes. Die praetore» dwnnri in Narbo und die
praeloree quattuoroiri in Nemausus bilden deutlich die Uebergangsstufe
von den Prätoren zu den gewöhnlichen Magistratsnamen. — Ueber die
Prätoren in Latium vgl. Henzen, Anuali delt inatituto 1859 S. 196 £f.;
Marquardt, Staatsverwaltung I^ S. 148.
s Bis jetzt nur sicher nachweisbar in dem oppidmn /oederatmm Bocekorita-
norum: C. J. L. II n. 3695 vom Jahre 6 n. Chr.; wahrscheinlieh sind aber
Oalliteh« StBdien. 309
weisbar sind. Gewiss ist der Grund fiir das häufige Auftreten
dieses Titels in Gallien nicht mit Herzog ^ darin zu suchen^ dass
man die Institutionen der übrigen Städte nach dem Beispiel
von Narbo, wo Prätoren sich finden, gestaltet hat, sondern
vielleicht darin, A&sq praetor als der passendste Titel für den Nach-
folger des obersten gallischen Beamten : des vergohretus, wie er
wenigstens bei den Aeduern heisst,^ erscheinen musste. Dem-
nach dürfte vielmehr umgekehrt der Titel praetor in Narbo,
wo er nur in Verbiiftlung mit duovir erscheint, den obersten
Magistraten beigefügt sein, um sie den gallischen Municipal-
beamten zu assimiliren. Vollständig analog diesen Prätoren der
Vocontier ist der Prätor der in vielfacher Hinsicht den Yocon-
tiem nahestehenden Volcae Arecomici,^ der wohl noch der
Zeit vor der Erhebung von Nemausus zur latinischen Colonie ^
auch in Celsa auf Münzen der Triomyiralzeit pr(aetor9t) duoviri und
pr(attoru) quinqummalea mit Lenormant, La monnaiit dana VanHquiU HL
8. 227 ff. anzunehmen. Auch in CalagurriB haben unter Augustus vielleicht
praetorei duomri fungirt, vgl. die Mttnze C ' MAB ' M VAL * P£ * IIVIR '
Eekhel, d. n. I p. 40 = Cohen m^aüUä imp^ialet V p. 156 n. 677.
1 Herzog, de praetoribu* p. 34: ,u2 tanium peculiare huie provinciae est,
ul quo tempore alibi praetorum nomen prope aboUtum erat, eodem in OalUa
novi imtUuti eint praetoree. Quod nuUa alia ex eaui»a factum eaee cenaeo
quam ex Narbonie MaHii exemplo*.
2 Caesar, b. 0, I, 16, 6; ,RechtAwirker* übersetzt Mommsen, R. G. III*
8. 235, vgl. Zeuss, Gramm, celt. 2. Aufl. 8. 857: ,iudieio e/fieazV
' C. J. L. XII n. 1028 (Herzog n. 403): T. Cariaiue T(üi) f(iUua) pr(aetor)
Voicarfum) dat. Die Ton Mommsen bei Herzog vorgeschlagene Ergänzung
Volefano) arfamj dal iBt, wie bereits von Anderen hervorgehoben ist (vgl.
Garrucd, Bull deü* instituto archeoL 1860 S. 220, aylloge inaer. Latin.
TL 2221), nicht zulässig, da zwischen VOLC und AB auf dem (auch von
mir gesehenen) Stein kein Punkt steht und derselbe auf dieser sehr sorg-
fältig eingehauenen Inschrift nicht fehlen dürfte ; eher konnte man sonst,
was aber ebenfalls nicht zulässig erscheint, geneigt sein, nach Analogie
der Mttnzau&chriften VOLC | AB (de la Saussaye, Numiamatique de la Gaule
Narbannaiae 8. 149, vgl. Herzog, G. N. 8. 53 Anm. 38) Volefarum) Ar(e-
eamieorum) zu ergänzen.
* Die Zeit der Verleihung des latinischen Bechtes an Nemausus ist
nicht sicher; Mommsen (BOm. Gesch. III* 8. 553 und BOm. Münzwesen
8. 675) schreibt sie Caesar zu, jedoch ist sie vielleicht, worüber an
einem anderen Orte zu handeln sein wird, erst später vollzogen worden.
Nach der schOnen und alten 8chrift gehört die Inschrift von Avignon
(Facsimile bei Garrucci ayUog. Taf. 2 n. 9), wozu das Fehlen des Cog-
nomen passt, wahrscheinlich noch der republikanischen Zeit an. — Auf
310 Hirsehfeld.
angehören wird, und hier, wie bei den Vocontiera, möchte ich
annehmen, dass abweichend von dem in den Colonien und
Munieipien sonst durchgeführten römischen Princip der Colle-
gialität nur ein Prätor an Stelle des einstigen Fürsten oder
Oberbeamten an die Spitze der civitcu getreten sei.' Wie
lange diese Prätoren fortbestanden haben , ist , da die be-
treffenden Inschriften sämmtlich der älteren Kaiserzeit ange-
hören, nicht festzustellen, und möglicherweise sind später an
ihre Stelle praefecti Vocontiorum getreten, von denen uns ein
Beispiel in einer fragmentirten und verlorenen Inschrift ^ er-
halten ist. Aber wahrscheinlicher erscheint mir die Annahme,
dass beide Magistrate in der Weise nebeneinander fungirt haben,
dass den Präfecten als einer den Prätoren untergeordneten
nähere Beziehangen zwischen den Vocontiem und Nemausas deutet
übrigens die in Vaison gefundene keltische Inschrift: C6rOMAPOG|
OriAAON€OC I TOOmorC l NAMArCAIIC I €!ÖPOr BHAH ( GAMICOGIN |
NeMHTON, nach Pictet's Erklärung {Revue arehM. n. #. 16, 1867 S. 385 ff.):
Segomaroe ViÜoneo» (fiUueJ ni€tgittratue Netnaueenn» ^ffeeit Belieamae
hoece fanum (über Minerva Bdieama vgl. Orelli n. 1431). Die Inschrift
dürfte trotz der schlechten und oberflächlich eingehauenen Schrift doch
spätestens unter Augustus gesetzt worden sein.
1 Mit Sicherheit ist darüber freilieh bei der geringen Zahl der Inschriften
nicht zu entscheiden, aber sowohl der Umstand, dass die Dedication in der
Inschrift von Avignon nur von einem Prätor vollzogen wird, als auch,
was S. 305 Anm. 2 über die Beamten der pagi bemerkt ist, und vor Allem
die von Caesar (6. G, VII, 32, 3) und von Strabo (IV, 4, 3 p. 197) betonte
NichtcoUegialität bei den Beamten der Gallier (vgl. Braumann a. a. O.
S. 22) empfiehlt diese Annahme.— Die Angabe GaesarV(&. 69^. VI, 23, 5): tn
paee ntUlu» est communi» mtiffietrahu, »ed prindpee regionum atque pago-
rum inier 9uoa tu« dicunt eontrovertiatque minuunt, wird man keineswegs
von den Germanen auf die in Cultur, wie staatlicher Entwicklung weit
htJher stehenden Kelten übertragen dürfen, wenn auch Spuren grosser
Selbstständigkeit der pagi, z. B. in dem Auszug des pagua THgtirifnfu bei
den Helvetiern (Caesar, h, G. I, 12) hervortreten und im Norden Galliens
der staatliche Verband ein sehr lockerer gewesen sein dürfte, vgl. Caesar,
b. G. IV, 22, 5 und dazu Braumann a. a. O. S. 13.
2 C. J. L. Xn n. 1578 (Herzog n. 474, gefunden in Luc; nach Angabe
älterer Abschreiber war die Schrift schon, also wohl aus guter Zeit) : FeUx
praef(ectu8) Voc(ontiorum), Gb der oben (S. 302 Anm. 1) besprochene
prete/ectu» Vtuiennum mit dem praefectus Vocontiorum identisch ist, lässt
sich aus dem bis jetzt vorliegenden Material nicht entscheiden. Die Prae-
fecten etwa als Stellvertreter der Praetoren (entsprechend den municipalen
praefecti pro duovirit oder quattuorvirut) zu fassen, halte ich fUr uniulässig.
GftUJMk« Staaten. 311
MagiBtratur die Aufsicht über die Sicherheit des Landes ob-
gelegen habe. In einer verlorenen Inschrift ans Le Rastean
bei Vaison^ die uns nur handschrifUich in einer Copie aus dem
finde des sechzehnten Jahrhunderts überliefert ist, > kehrt der Titel
pra^ectusy aber in ausführlicherer Fassung wieder. Die Inschrift
ist folgendermassen überliefert:
D • M •
L • LAELI • FORTVNATI
PRAEF • PRAESIDIO, ET
PRIVAT • VOC FLA
MINI AVGPONTI
FICl LLAELIVS
OLYMPVS FILIO
P I I S S I M O
Wahrscheinlich stand in der dritten Zeile an Stelle des mit
Nachsetzung einer Art von Komma überlieferten PRAESIDIO, auf
dem Original eine von dem Abschreiber missverstandene Ligatur
PRAESIDICR* d. h. fraesidior(um)y^ ein singulärer, nur hier auf-
tretender Titel, der aber eine passende Illustration in den das
benachbarte helvetische Gebiet betreffenden Worten des Tacitus
fiildet: rapuerant pecuniam mUsam in gdpendtum casteUi, quod
olim HdvetU suis mäitibus ae stipendiis tuebantur.^ Denmach hat
es solche casteUa oder praesidia auch im Gebiete der Vocontier
gegeben, und man wird in dem praefectus praesidiorum^ wie
bereits Allmer richtig gesehen hat, den Commandanten der
Municipalmiliz zu erkennen haben, vergleichbar Aem. praefectus
I C. J. L. Xn n. 1368 (AUmer, B^L de la DrSme, 1876 S. S92).
' Daas prae/eeim$f wo es als militärischer Titel auftritt, in der Regel
den GenetiT bei sich f&hrt, ist bekannt.
' Tacitus kisicr. I, 67, Tgl. Mommsen, Die Schweia in römischer Zeit
S. 21: yBemerkenswerth ist es, dass noch zn 6alba*s Zwt es den HeWe-
tiem gestattet war, im eigenen Lduide von ihnen selbst organisirte and
besoldete Truppen zu halten, was yermathlich zosammenh&ngt mit der
grossen durch ihren Gau geführten Militarstrasse, deren Sicherung ihnen
obgelegen haben wird/ Das olim bei Tacitus soll übrigens nicht besagen,
da« SU seiner Zeit diese Sitte bereits abgekommen war, sondern ist in
der in der silbernen Latinit&t nicht seltenen Bedeutung (vgl. Hand, Tur-
sellin. IV. S. 370, 6; Heraens zu Tacitus hütor. I, 60) ,seit langer Zeif
zu fassen.
312 Hirachfeld.
arcendü latrociniü bei den Helvetiern,^ dem mckgitter hagdfe-
rorum in Vienna, -^ dem praefectus vigäum et armorum in
Nemausus^ und anderen ausserhalb von Gallia Narbonensie
erscheinenden ähnlichen municipalen Commandanten. * Dement-
sprechend möchte ich den zweiten Theil des Titels ergänzen:
et privatforum) und danmter die manus privatay d. h. die
Municipalmiliz der Vocontier verstehen.
Den Prätoren und Präfecten standen ohne Zweifel an Rang
die aedües Vocontiorum nach/ die nicht mit den in den einzelnen
pagi fungirenden Aedilen zu verwechseln sind. Fügt man zu den
genannten Beamten schliesslich noch einen Vaafiensium sermu) ta-
buLarius ^ hinzu, so ist, abgesehen von den oben besprochenen «am
VoconbUyrum in Dea, der ganze Beamtenapparat der Vocontier, so
weit er ims bis jetzt bekannt ist, erschöpft: eine Organisation,
die, abgesehen von den Aedilen, durchaus unrömisch ist und allem
Anschein nach als Bild einer keltischen Civitas mit ihren pagi
und ihren theils für das Gesammtgebiet, theils für die einzelnen
Gauen bestellten Beamten wesentlich unverändert sich bis in
die Kaiserzeit erhalten hat. Sicherlich wird es im mittleren
und besonders in dem von römischer Cultur wenig berührten
nördUchen Gallien nicht an Beispielen einer ähnUchen Conser-
virung nationaler Verfassungsformen gefehlt haben,' aber leider
1 Mommsen, Inner, Helvet. n. 119.
2 C. J. L. Xn n. 1814 (Allmer H n. 211).
« Vgl. Herzog G.N. 8. 223 ff.
< Vgl. Jung, Die Militärrerhältnisse der provincioB inermea in der Zeitschiift
für die österr. Gymnasien 25, 1874 S. 668 ff.; Marqoardt, Staatsverwal-
tung n S. 520.
5 C. J. L. xn n. 1375 (ined,), n. 1514 (intd.), n. 1579 (Allmer. BulL de la
Dröme, 1876 S. 307). In der Inschrift n. 1371 (Allmer, a. a. O. 8. 210)
ist wohl eher ein Aedil eines Pagus, als der Vocontii anzunehmen.
^ C. J. L. XU n. 1283 (Bertrand, Rwue archSol n. «. 19, 1869, 8. 301).
— Der angebliche ab tierfarioj bei Long 8. 305 ^ Herzog n. 462 ist
verlesen aus FRAER.
^ Selbst der keltische Priestertitel guluater ist noch in zwei InBchriften
von Le Puy-en-Velay und M&con erhalten: Desjardins, Oiographiel 8. 415
Anm. 2, vgl. H 8. 511 Anm. 3: ,il seraU posnble qu'Hirlnu (6. O. VÜI,
38, 3) eüt pris U titre »(icerdotal de ee per§onnage pour un nom propre^
Dass bei Hirtius für das in den Ausgaben recipirte OtUrualum vielmehr
Outuatrum einzusetzen ist, erhellt schon aus der handschriftlichen
Ueberlieferung, vgl. Duebner (edü. 1867) zu der Stelle: fGutuairum
hie A (das sind Faris. 5763, Vat, 3864, Moytiacerma) praeter B {Bon-
Oallitchc Studien. 315
auf keltischen Gebrauch hinweist. Auch deuten manche An-
zeichen darauf hin^ dass man sich nicht ganz leicht und nicht
ohne Missverständnisse an die römische Art der Namengebung
gewöhnt hat: so der Gebrauch eines abgekürzten Pränomens,
das die Stelle des Namens überhaupt vertritt/ so die Benen-
nung Pwpus und Pupa^ die in römischen Inschriften bekannt-
lich nur kleinen Kindern eigen ist, hier aber auch für ältere
Personen sich mehrfach '^ verwendet findet. Bemerkenswerth ist
femer der zwar auch in anderen Gegenden vorkommende^ aber
bei den Vocontiem und in dem benachbarten Territorium von
Apta besonders häufige Gebrauch, die drei Namen des Dedi-
canten oder des Bestatteten nur mit den Initialen zu bezeichnen/
oder sogar auf den Grabsteinen den Namen des Todten gar
nicht zu erwähnen, sondern sich einzig und allein auf die An-
gabe der Maasse des zu dem Grabmal gehörigen Terrains zu
beschränken.^ Damit dürfte die ganz eigenthtimliche Form der
Grabsteine in dieser Gegend, besonders in und bei Vaison, zu-
sammenhängen, die mehr Terminalcippen, als Grabsteinen ähn-
lich sehen "^ und offenbar nicht so sehr zu dem Zwecke errichtet
sind, das Andenken an den Verstorbenen zu erhalten, als viel-
mehr als Grenzsteine und Documente flir den Umfang der area
des Vaters (v^l. Hettner, a. a. O. S. 7) abgeleitet wird. Ein Mann wird als
Sohn der Mutter bezeichnet s. B. in einer bei Alais {d4part, du Qard) ge-
fundenen Inschrift (Germer-Durand, Äead6mie du Qard, 1868/69 S. 143):
/ttttwis Mariaejüi.
1 C. J. L. Xn n. 1296 (Long S. 476): L(uciu») CeUmi ffiUuaJ; n. 1314
(Deloye, Eeole de» eharta, #^. II, t 4, S. 316): 8ex(tu9) Marcelli
libfertM),' n. 1322 (Deloye, ibid, S. 326): Mareut ausgeschrieben, ohne
Zusatz.
a C. J. L. XU n. 1640 (Grnt. 695, 3): Seeundino Pupi filio; n. 1678
(Long 8. 466): /VJerino Pupi ffilio), Vera Pupi /(ilia)', n, 1727 (Orelli
n. 2840): Pupa cimftjubemali»,
' So in dem Vocontier-Gebiete Xu n. 1287 (inedj: M. L F.; n. 1419
(ined.J: Q. L. B.; n. 1446 (Long 8. 447; das Pränomen ist zerstört):
8, S.; n. 1468 (Bertrand, Bemte archeoL n. s. 19, 1869 S. 301): C V. R.;
n. 1633 (VaUentin, Visite au musde de Oap S. 4): [CJn, H. 8. Bei an-
deren ist Pränomen und Qentile nur mit den Initialen bezeichnet, aber
das Cognomen ausgeschrieben.
* C. J. L. XII n. 1476—1489.
^ Zwei sehr häufige Typen dieser Gattung sind nach einer Zeichnung
Allmer*8 im C. J. L. XH S. 162 in Holzschnitt mitgetheilt.
314 Hirschfeld.
und inhaltleeren lateinischen in grossen Massen vertreten sind ; ^
ein Beweis gegen die Fortdauer der Muttersprache im mündlichen
Verkehre ist aber, wie Hettner in seinem interessanten Auf-
satz: ,Zur Cultur von Germanien und Gallia Belgica'^ mit Recht
bemerkt; aus der geringen Anzahl keltischer Inschriften gewiss
nicht zu entnehmen. Dagegen haben sich keltische Namen hier
noch vielfach erhalten,' wie auch die durchgängige Hinzufugung
des Vaternamens, bisweilen selbst ohne den Zusatz fiUus,^
1 Ueber die keltische Inschrift aus Vaison s. S. S09 Anm. 4; über dia
keltischen Inschriften von Apta: S. 292 Anm. 3. Die von Becker und Pictet
für keltisch oder für aus keltischen und lateinischen Worten gemischt
gehaltene Inschrift aus Malauc^ne bei Vaison (sie ist rechts unToIl-
st&ndig)? SVBRON | 8VMELI | VORETO | VIRIVSF (XH n. 1351 ==
Deloye, EcoU des chartes sÄr. II yoI. 4 p. 326; besser bei Allmer, Buü.
de la Dr6me 1876 S. 208) ist gewiss römisch; w&re sie keltisch, würde
sie in griechischer Schrift eingehauen sein. — Griechische Inschriften
bei den Vocontiern: C. J. Gr. III n. 6780; Long S. 356; Deloye, Cangrh
arcMol. 1855 S. 439 ff.; AUmer IV n. 2032. Die Zahl der in dem
Vocontier-Gebiete gefundenen lateinischen Inschriften beträgt etwa 450.
3 Westdeutsche Zeitschrift II, 1883 8. 7. Wenn Hettner übrigens 6. 25
Anm. 2 dagegen polemisirt, dass ich in meinem Aufsatz über ,Lyon in
der Römerzeit' die Intensivität der Romanisirung in Gallien im Vergleich
zu Germanien zu hoch angeschlagen habe, so bemerke ich, dass ich,
wie aus dem Zusammenhange hervorgeht, dabei nur den Süden Galliens
im Auge gehabt habe. Ueber den Gebrauch der keltischen Sprache in
Gallien während der Kaiserzeit vgl. Diefenbach, Ofigines Europaeae
S. 157 ff. und Budinszkj : die Ausbreitung der lateinischen Sprache
(Berlin 1881) S. 114 ff.
' So, um von einigen nicht mit Sicherheit als keltisch zu bezeichfieaC
Namen abzusehen: AdciiUua,Adm<Uius (wohl auch Ädrwiietwt)^ AfnMltr
Caretuty DaveriuSf Coddonus^ lovincatua (wohl auch das zweimal
kommende loventius), Licnua, Lüugenus^ Lutemu, Matto^ Afn.
MogetuSf Vaaaatu» (f)^ Vcuatdo^ Vercatua, Frauennamen : Epato, S
Rütica.
« C. J. L. XII n. 1310 (Vallenün, Bulletin 6pigraphique I S. 187): /■
Solimuti; n. 1348 (Procha verhaux de VAcad. du Gard^ lS.07;6fi
SedatuM Sacrini. — Eigenthümlich ist bei zwei Frauen (wohl
und Tochter) die Angabe des Namens der Mutter an Stelle d*
XII n. 1433 (Allmer, BuU. de la I)r6nut 1876 S. 305): Mod^^•
ß(ia) und n. 1435 (Miliin IV S. 154): Namuta if- '
finden sich ähnliche Beispiele auch bei den Volcae
nard, Ntme» VII S. 401 : Caauniae Ccisunae f(iliae) S
tile der Tochter aus dem Namen der Mutter gebilde
Nordgallien oft das Gentile des Sohnes aus dem
Oilliich* Bndioii. 316
auf keltiecheß Gebrauch hinweiet. Aucb deuten manche An-
zeichen darauf hin, dass man eich nicht ganz leicht und nicht
ohne MisBTerBt&ndnieBe an die römische Art der Namengebung
gewöhnt hat: so der Gebrauch eines abgekürzten Pränomeos,
das die Stelle des Namens überhaupt vertritt,' so die Benen-
nung I^ipm und I\ipa, die in rSmischen Inschriften bekannt-
lich nur kleinen Kindern eigen iBt, hier aber auch fUr ältere
Personen Bich mehrfach ^ verwendet findet, Bemerkenswerth ist
femer der zwar auch in anderen Gegenden vorkommende, aber
bei den Vocontiem und in dem benachbarten Territorium von
Apta besonders häufige Gebrauch, die drei Namen des Dedi-
canten oder des Bestatteten nur mit den Initialen zu bezeichnen,'
oder sogar auf den Grabsteinen den Namen des Todten gar
nicht zu erwähnen, sondern sich einzig und allein auf die An-
gabe der Maasse des zu dem Grabmal gehörigen Terrains zu
beschränken.* Damit dürfte die ganz eigenthUmliche Form der
Grabsteine in dieser Gegend, besonders in und bei Yaison, zu-
sammenhängen, die mehr Terminalcippen, als Grabsteinen ähn-
lich sehen ^ und offenbar nicht bo sehr zu dem Zwecke errichtet
sind, das Andenken an den Verstorbenen zu erhalten, als viel-
mehr als Grenzsteine und Documente für den Umfang der area
des Vaters (vgl. Hettiier, a. a. O. 8. T) abgeleitet wird. Ein Hann wird als
fiohn der Mutter bezeichnet i. B. io einer bei AUa (dipart. du Oard) ge-
Inichrift (Germer-Donnd, Aeaäimü da Oard, 1868/66 8. 143):
Jffl.-iae ßli.
L. Xn Q. Vi'JH (LoDg S. -llj): LfueiuiJ Ceioni j7iU»*^i "■ 131*
Etole des rharta, net. II, t. 1, B. SIS): 8ex(liu) MaretlU
ti. 132S (Deloye, ihitl. ,S. 3^6): Marctit klugeHchiieben , ohne
:f) S«eundino Pttpi filio; a. 1678
. Vitra Pupi y(Uia); a. 1727 (Orelli
1-287 finad.): M. I. F.; n. U19
, -117; da« PritDomen Ut leratört):
oL n. B. 19, 1869 8. 301): C V. R.;
U llap 8. 4): [CJn. H. S. Bei an-
- mit den IniUalen beieicbnet, aber
Tj-peu dieser fiaitiing and Dach einer Zeichnung
\U -. 1><J in Ilolirtehnitt mitgetheilt.
.11 «.
l«40 (Grill, (i9ö.
m): ,
' Vjerino Pupi f(\Uo
*V"
co„(tluhemali,.
\ Vnr
onlier-debiete XII
/(
'. ; 11. 1145 (LuQfT *
iiitirnnd, Rcciif. orrh
:„,
in. V'uite au munt'
ii»n nnA Hnntjln ni'
wf geschrieben.
316 Hirsehfeld.
sqpulcri zu dienen. > Die Maasse sind zwar nach römischer Weise
in Fassen ausgedrückt, aber doch hat sich noch auf einer in
Die gefundenen Inschrif); das gallisch -hispanische Feldmaass:
der arepenrns (daher der französische Name arpent) erhalten.^
Auch die sacralen Inschriftien zeugen von der zähen Con*
servirung des heimischen Cultes. Abgesehen von zahlreichen
Dedicationen an die von Caesar als gallische Nationalgötter
bezeichneten Mercurius, Jupiter, Mars (mit verschiedenen Bei-
namen), Minerva*^ und an andere auch sonst überall wieder-
kehrende Gottheiten, wie Diana,^ die Lares, die Nymphae, Sil-
1 Vgl. auch C. J. L. Xn, n. 1680 (Goirimand, Aeod. Delphinale 1876
S. 126): soium Hpul(cr%) 8ex(H) VtarviTU Lepidi itUra termino9 longfum)
p(ede»J LX latfum) pfedes) XX
' C. J. L. Xn n. 1667 (Herzog n. 473): dfu) m(anibut) liberarum ae eofWH-
gitmt (sie) PuMieifi) OaliiH ei ipnuet eoneecrtUum cum het(9)e vineae arepfen-
ni$X ca? cuttM reditu omnib(uä) annu proUbari volo ne minui XV v(im)
BefxtariisfJ, Bfie) tfumtäuäf) hferedem) n(<m) sfequetur), lieber die Be-
zeichnung des ac^iw oder setnüufferum in Baetica und Gallien durch
ar^tennia (oder c^rapennis) vgl. Hultsch, Griechische und rOmische Me>
trologie, zweite Bearbeitung, 1882 S. 689 und S. 692, der jedoch diese
Inschrift nicht erw&hnt.
s Caesar 6. G. VI, 17, 1 (vgl. auch die S. 309 Anm. 4 erwähnte keltische
Dedication an die BeUsama). An den von Caesar ebenfalls unter den zumeist
verehrten GOttem genannten Apollo ist in diesem Gebiete nur eine In-
schrift (Xn n. 1276 = Allmer, Buü. de la Dr6me 1876 S. 204) gerichtet.
Dass übrigens die keltischen Namen dieser Hauptgötter in den Inschriften
von Gallien kaum nachweisbar sind (über den Altar der nauiae Parifiaei
vgl. Mowat hulL ipigr, 1 &. 49 ff. und S. 111 ff.), ist gewiss nicht allein aus
der Schnelligkeit und Intensivität des Assimilationsprocesses zu erkl&ren,
sondern vielmehr durch staatliche Einwirkung auf die Bomanisirung des
nationalen Cultus herbeigeführt worden.
* Auch Luna ist auf drei in und bei Vaison gefundenen Dedicationen ver-
treten: xn n. 1292 (V6rone, Voecncea S. 129) und in den bisher unedirten
Inschriften n. 1293 und 1294. — Sol und Luna sind ohne Zweifel unter
den Igneg aeUmi in einer Inschrift aus dem Ende des dritten Jahrhunderts
(Xn n. 1551 = Herzog n. 564) zu verstehen (vgl. Jahn, Arch&ologische
Beitrüge S.89; Preller, BOm. Mythologie, 3. Auflage, 8.326), die fälsch-
lich von Einigen auf die in der Nähe des Fundortes befindliche F<m-
taine ardenU bezogen wird. Eine interessante Parallele bietet, was Caesar
von den Germanen sagt (6. G. VI, 21, 2, anders Tacitus, Gsmum. c. 9):
deorvm numero eo« wlot dwMtnt, quoi eemutU et quorum tgperte opilmt
iuvantur: Sclem et Vulcanum et lAtnam, reliquo» ne fama quidem aece-
perunt; der Cult der Luna ist demnach hier sicher nicht auf orienta-
lischen EinfluBS zurückzuführen, sondern als kelto-germanisch anzusehen.
OallUolie Stadi«n. 317
vanus, Volcanus, Victoria nebst den orientalischen Göttern Isis,
Magna Mater, Mithras und Belus,' treten Localgottheiten, wie
Vasio^ Alaunius, Andarta, Dullovius ^ und die auch in janderen
Gegenden Galliens nachweisbaren Bormanus und Bormana^
die Fatae, die Matres und die Proxumae^ nicht selten in dieser
Gegend auf. Erst spät mag hier das siegreich vordringende
Christenthum die alten Götter vollständig verdrängt haben und
wenn auch bereits zu Constantins Zeit in den Acten des ersten
Arelatensischen Concils Vasio als Bischofssitz genannt wird,^ so
sind doch christliche Inschriften wenigstens in dem von Vasio
and Dea entfernteren Gebiete der Vocontier nur ganz ver-
einzelt zum Vorschein gekommen. —
In den vorstehenden Erörterungen ist der Versuch ge-
macht worden, auf Grund der monumentalen, leider sehr zer-
trümmerten Ueberlieferung ein Bild der beiden ^verbündeten
Gemeinden' der narbonensischen Provinz in der Römerzeit zu
geben, die beide ein eigenartiges Interesse in Anspruch zu
nehmen geeignet sind. Auf der einen Seite die glänzende
phokäische Meeresstadt, griechische Cultur im Westen ver-
breitend, lange bevor Roms Name nach diesem Theile des
Erdkreises gedrungen war, und selbst nach ihrer politischen
Vernichtung ein bedeutsamer Träger hellenischer Bildung in
Gallien; auf der anderen Seite ein keltischer Stamm, der,
kaum in den Annalen der Geschichte genannt, fem und unbe-
1 C. I. L. Xn n. 1277 =r Renier, Melange* cP^pigropkU S. 129 ff., der g^e-
wiM mit Unrecht in dem Dedicaoten den Vater des Elagabal: Sextus
VarioB Marcellas erkennen will.
> Ygl. die Zusammenstellung bei Allmer, BulL de la Drßme 1876, S. 86 ff.;
Florian Vallentin, E$9ai 9ur lu diviniUM indigHes du Vocontium (Grenoble
1877), der auch S. 13 einiger ^tierrea dnddique$* im Vocontier-Gebiete
Erwfthnnng thut.
' Vgl. über diese besonders im Gebiete von Nemansns verehrten Göttinnen
Signier m^otr. de Vacad, de Dijon I 1769 8. 442 ff.; Aur^ mim, de
Vaead. du Gard 1869/70 S. 105 ff.; Lndovic Vallentin, Bull, de ta Dr6me^
1876 8. 316; Florian Yallentin, Le euUe dea Matrae dam» la tiU deeVo-
eoneea (Paris 1880) 8. 22 ff. — lieber die Fata oder Fatae: Grimm,
Deutsche Mythologie I< S. 340.
* Ob freilich das beigefügte Yerzeichniss der nomina epieeoporvm cum
clericu euie authentisch ist, scheint mir zweifelhaft. Ueber 8. Albinns,
der lur Zeit des Alamannen-Ein£üles in Vasio, Bischof gewesen sein
soU, ygl Gallia Chriatiana (ed. H) Bd. I 8. 921.
318 Hirselifeld.
rührt von dem grossen Getriebe, sein nationales Gepräge unter
römischer Hülle mit merkwürdiger Zähigkeit bewahrt hat. Der
gewöhnliche Bieschauer, dessen Blick nur durch blendende^ auf
der Oberfläche liegende Erscheinungen gefesselt wird, geht
wohl theilnahmlos an solchen stillen Existenzen vorüber. Aber
gleichwie der Naturforscher mit Hilfe des Mikroskops die klein-
sten^ dem unbewaffneten Auge nicht erfassbaren Oi^anismen
zu ergründen sich bestrebt^ um aus ihrer Erkenntniss die sicht-
baren Erscheinungen der Natur und ihre Gesetze zu erschliessen,
so wird auch der Historiker^ der nicht daran ein Genüge findet^
die Berichte seiner antiken Vorgänger über Krieg und grosse
Staatsactionen in moderne Form zu kleiden, aus der Betrach-
tung der unscheinbaren, aber unmittelbaren 2ieugni88e der Ver-
gangenheit den Weg zu den verborgenen Schachten zu finden
suchen, in denen sich der ernsten Forschung ein, wenn auch
nicht unversehrtes, so doch echtes und ungetrübtes Bild der
antiken Welt erschliesst. Eine Geschichte des römischen Kaiser-
reiches hat in erster Linie die Romanisirung der antiken Welt
in allen ihren mannigfachen Abstufungen und Verschiedenheiten
zu verfolgen, den Spuren nationaler Sitte sorgsam nachzu-
gehen und die Widerstandskraft derselben gegenüber dem
Eindringen fremder Bräuche und Institutionen zu prüfen. Viel-
leicht nirgends ist diese Aufgabe so lohnend als in Gallien,
wo der Romanisirungsprocess erst begonnen hat, als das kel-
tische Volk bereits eine lange Bahn durchmessen, möglicher-
weise sogar bereits erreicht hatte, was ihm auf dem Gebiete des
Staatswesens zu leisten beschieden warJ Wohl treten in den
nördlicheren Gebieten Galliens die Ueberreste nationaler Eigenart
deutlicher zu Tage als in dem von römischer Cultur über-
flutheten Süden, der nach Plinius' bekanntem Ausspruch nicht als
Provinz, sondern als ein Theil von Italien anzusehen sei. Aber
doch gilt dieses Wort in vollem Sinne nur von den bedeutenden
städtischen Centren, wie Aquae Sextiae, Arelate, Nemausus,
Narbo und den blühenden Städten längs dem Ufer der Rhdne
bis nach Vienna hinauf: in die abseits der grossen Strasse
befindlichen Gegenden ist nur ein vielfach gebrochener und
abgeschwächter Strahl römischer Cultur gedrungen und in den
1 Vgl. Mommsen, Rom. Gesch. III« 8. 241.
Gallische Studien. 319
stillen Tfaälem der Berge haben noch Jahrhunderte lang die
heimischen Götter und nationale Sitte eine sichere Zufluchts-
stätte vor dem Römerthum, wie vor dem Christenthum ge-
funden. Wer der ebenso schwierigen, als lohnenden Aufgabe^
eine Culturgeschichte des römischen Reiches zu schreiben ge-
recht werden soll, wird vor Allem diesen Resten einer ver-
schwundenen Welt seine Aufmerksamkeit zuwenden müssen:
als ein Beitrag zu einer in solchem Sinne unternommenen
Darstellung der Kaiserzeit wünscht die hier versuchte Schilde-
rung der griechischen und keltischen Gemeinde auf römischem
Boden angesehen zu werden.
E X C U R S.
. Die Yerbreitnng des latinischen Rechts im romiseben
Reich.
In der vorstehenden Abhandlung habe ich mehrfach Ge-
legenheit gehabt, dankbar der fruchtbaren und zu weiteren
Forschungen anregenden ^Schweizer Nachstudien' Mommsen's
zu gedenken und an sie meine in vieler Beziehung verwandte
Untersuchung anzuknüpfen. Absichtlich habe ich dabei eine
wichtige Frage vorläufig bei Seite gelassen, der Mommsen eine
eingehende Betrachtung gewidmet hat: die Frage nach der
Rechtsqualität der helvetischen Colonie, die zugleich entschei-
dend ist fUr die Rechtsqualität zahlreicher anderer Colonien
und t\lr die Bestimmung der Grenzen des latinischen Rechtes.
Es erscheint mir umsomehr geboten, die von Mommsen vor-
getragene neue und der früheren Anschauung entschieden
widerstreitende Theorie hier einer Prüfung zu unterziehen, als
ich selbst an einem anderen Orte mit dieser Frage mich be-
schäftigt habe und dabei zu Resultaten gelangt bin,^ die, wenn
Mommsen's Ansicht sieh als richtig erweisen würde, als unbe-
1 ,Znr Geschichte des latinischen Rechts* in der Festschrift zar fQnfzig-
jfthrigen Grfindangsfeier des Archäologischen Instituts in Rom. Wien 1879.
320 Hir«chf«ld.
dingt verfehlt bezeichnet werden mUssten. Aber auch abgesehen
von diesem persönlichen Moment erheischt die Bedeutung der
Frage, der von Mommsen gebotenen Anregung zu einer er-
neuten Prüfung derselben nachzukommen.
Aus dem Umstände^ dass ein Helvetier^.und zwar nach der
Ertheilung des Colonialrechtes an Aventicum, unter den equiites
singulares gedient hat, zieht Mommsen den Schluss, dass Aren-
ticum wahrscheinlich nicht römisches, sondern nur latinisches
Colonialrecht erhalten habe, weil jene Truppe nachweislich nicht
aus römischen Bürgern, sondern aus Peregrinen oder nach
Mommsen's Ansicht aus Latinern zusammengesetzt war. Daran
knüpft Mommsen (Hermes 16 S. 471) die allgemeine Consequenz,
;daBs diejenige Gemeinde, welche Soldaten zu einem latinischen
Truppenkörper stellte, entweder peregrinisches oder latinisches,
also das römische Bürgerrecht nicht besessen hat', und fügt
selbst hinzu: ,es ist dies allerdings ein Satz von der grössten
Tragweite und geeignet, die bisherige Anschauung dieser Ver-
hältnisse in weitem Umfange zu modificiren, zunächst also
wohlbegründetes Bedenken zu erwecken*. — In der That, wäre
dieser Schluss richtig, so würden wir genöthigt sein, eine statt-
liche Reihe von Städten — Mommsen (S. 472) zählt deren selbst
neunzehn auf — die wir gewohnt waren als Bürgercolonien
anzusehen, fortan als latinische zu betrachten; wir würden
ferner die Ausbreitung des latinischen Rechtes, von dem sich
Spuren bis jetzt nur in Sicilien, den Alpenländem, Gallien,
Spanien und Afrika, also in den wesentlich romanisirten Pro-
vinzen nachweisen Hessen, < auf das ganze römische Reich,
den Orient nicht ausgeschlossen, erstrecken müssen.' Gewiss
wird man ohne durchaus zwingende Gründe sich zu einer
solchen Annahme nicht entschliessen. Ob nun die von Mommsen
hervorgehobene Thatsache wirklich die Beweiskraft besitzt, die
er ihr beilegt, oder ob dieselbe nicht vielleicht in anderer Weise
erklärt werden kann, werden wir später erörtern; zunächst
dürfte es sich empfehlen zu prüfen, ob die von Mommsen selbst
angeführten Beispiele mit seiner Theorie sich in Einklang brin-
gen und als Probe für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der-
selben verwenden lassen.
1 Vgl. S. 16 der anf S. 319 Anm. 1 citirten Abhandlung.
OalliMhe Stadton. 321
Mommsen nennt (S. 472) in erster Linie drei Colonien:
^auBclrücklich werden in den fraglichen Inschriften selbst als
Colonien bezeichnet Claudia Ara^ die colonia Malvensis und
Sarmizegetusa in Dacien, ausserdem Apri, Beroea in Thra-
kien, Brigetio, Caesarea in Mauretanien, Mursa, Pafanyra, Sa-
varia, Scupi, Serdica, Sirmiuni; Siscia, Traiana, Traianopolis,
die Treverer, Virunum und schliesslich die colonia Helvetiorum*.
yWenn unsere Ausfiihrung richtig ist/ fügt er hinzu, ,wird allen
diesen Gemeinden das römische Büi^errecht ab- und soweit
sie als Colonie erweislich sind, ihnen das Kecht der latinischen
Colonie zugesprochen werden müssen . . . Wenn Plinius Siscia
Colonie nennt und die Inschriften Sarmizegetusa, warum soll
dabei nicht an eine Colonie latinischen Rechtes gedacht wer-
den können?'
Was zunächst diese letzte Frage betrifft, so wird fUr die
Beantwortung derselben der Sprachgebrauch des Plinius ent-
scheiden müssen. Wenn man nun die Fälle prüft, in denen
Plinius von coloniae spricht, so ergibt sich, dass Plinius die
sogenannten latinischen Colonien überall mit dem ihnen eigent-
lich zukommenden Namen oppida LaÜna (3, 35 oppidum Lati-
num AntipoUe; 3, 77: oppida . . Latina Cinium et TWm; 5, 29:
oppidum Latinum uiwm üzalttanum) oder oppida Ixxtinorum (3,
15 und 3, 23, wo oppida unmittelbar vorhergeht; 3, 20, wo
oppidum unmittelbar folgt; 3, 32; 5, 20) bezeichnet, ^ während
die Municipia oppida civium Romanorum heissen, dagegen unter
colomae^ soweit wir überhaupt ihre Qualität kennen, nachweis-
lich nur römische Bürgercolonieen von Plinius verstanden
werden. Es wird genügen, auf die in Jan's Index s. v. coloniae
zusammengestellten Fälle zu verweisen und hier nur einige mar-
cante Beispiele hervorzuheben. So werden in Gallia Narbonen-
sis (n. ti, 3, 36) die coloniae Arelate, Baeterrae, Arausio, Valen-
tia, Vienna gegenübergestellt den oppida Latina Aquae Sextias,
Avennio u. a. m.; in Afrika (n. h, 5, 29) die Bex coloniae (nämlich
< Die ffemie§ werden als LaHnae ecndieUmU (3, 91), oder Latini iuru (6,
ISS) oder als Lo^to donatae (8, 7 and 135; 6, 29) beeeichnet. lieber
die Bezeichnung der spaniBchen Städte aU oppida LaÜi anUqvi oder
vtietit oder LaÜo arUiquiUu danafa vgl. Detleften in Commentcd. Momm-
mman. 8. 29 ff.
ai«ataii(ib«r. d. phil.-hUt. Cl. Cm. Bd. 1. Hft. 21
322 Hirschfeld.
civium Romanorum) den oppida civium Romanorum XV (d. h.
den Munieipien) und den oppida Latina, stipendiaria, libera.
Dasselbe gilt für Spanien (n. ä. 3, 7 und 18; 4, 117), und
ebenso heisst es bei Besprechung Mauretaniens von den Städten,
die unmittelbar vorher einfach als cohniae bezeichnet worden
sind (5; 12): quinque sunt (ut diximus) Romanae coloniae in
ea provincia. Allerdings hat Mommsen schon früher (C. J. L.
V S. 83)* betrej9fs Aquileia nachzuweisen versucht, dass Plinius,
der diese Stadt als colonia bezeichnet (n. h. 3, 126), darunter
eine latinische Colonie verstanden wissen wollte. Aber es spricht
kein Zeugniss dagegen, dass Aquileia zu Plinius' Zeit, ja sogar
schon in der ersten Elaiserzeit römische Colonie gewesen sei.
Denn Vitruv, der es munidpium nennt, hat etwa um das
Jahr 740 geschrieben und die Inschriften, die Mommsen als ein-
zige sonstige Instanz (aus der Nichterwähnung der flrhebung zur
Colonie ist bei dem Stande unserer Tradition ein Schluss nicht
zulässig) gegen die Colonialqualität anflihrt, da in ihnen Aqui-
leia als munidpium und die Bürger als munidpes bezeichnet
werden, gehören der Schrift nach (n. 903: ,litteris optimig']
n. 968: flitteris magnis et antiquis') ebenfalls wohl kaum einer
späteren. Zeit an. Aus dem verstümmelten Fragment (C. J. L.
V add, n. 8267) endlich, in dem Mommsen [colonia S]epti[mia
Severa Clodia AJUnna [Aquileia] zweifelnd ergänzt, ist, wenn
die Ergänzung auch das Richtige treffen sollte, ftar die Zeit
der Erhebung zur Colonie nichts zu entnehmen, da z. B. hdia
oder Claudia oder Flavia vor Septimia ausgefallen sein könnte.
Demnach spricht auch dieses Beispiel nicht gegen den con-
stanten Gebrauch des Wortes colonia bei Plinius und schon
daher wird meines Erachtens auch Siscia, wie allen von Plinius
als coZomoe bezeichneten Städten, der Charakter als römische
Colonie nicht abgesprochen werden können.
Wie steht es nun mit der Colonialqualität der von Momm-
sen an erster Stelle genannten Städte Claudia Ära und Sarmi-
1 y^l. jetzt Mommsen im Hermes 18, 1883» S. 195: ,es ist nicht anmOg-
lich die Inschriften (die Aquileia als mumdpitan bezeichnen) vor die
flavische Epoche zu setzen; Plinius Ansetzung der Stadt als Colonie
kann also vertheidigt werden, wenn man die Ertheilung ^»^ Colonial*
rechts etwa auf Vespasian zurückfuhrt. Wahrscheinlicher aber flUIt die
GftUiBChe Studien. 323
zegetofia?^ Von der ereteren^ die unter dem Ifamen colonia
AgrippmensiB (das heutige Cöln) allbekannt ist, sagt Tacitus
ausdrücklich, dass sie als Veteranen-, d. h. als römische Bürger-
colonie gegründet worden sei, vgl. aunal, 12, 27 : Agrippina . . .
inappidum übiorum, in quo genita ercUy veteranos coloniamque
dedud impetrat, cui nomen inditum e vocabtdo ipsiui; demnach
spricht dieses Beispiel auf das Entschiedenste gegen die Richtig-
keit der Mommsen'schen Hypothese. Aber auch von Saimize-
getusa kann man wenigstens mit grosser Wahrscheinlichkeit
behaupten, dass sie von Traianus nicht latinisches Recht erhalten
hat, sondern als Veteranencolonie mit römischem Büi^errechte
gegründet worden ist. Schon aus militärisch-politischen Gründen
war es geboten, die Hauptstadt des eroberten barbarischen
Landes zu einer Militärcolonie zu machen, umsomehr als
die einheimischen Bewohner bekanntlich mit furchtbarer Härte
aus Dacien ausgetrieben wurden und das entvölkerte Land
mit neuen Colonisten, also neben den besonders aus dem Orient
dorthin verpflanzten Kauf leuten in erster Linie doch mit aus-
gedienten Soldaten besiedelt werden musste. Dass aber über-
haupt in der Kaiserzeit bei solchen Neugründungen in den
Provinzen, deren militärischer Charakter auch durch die be-
kannte Gründungsinschrift von Sarmizegetusa^ bezeugt wird,
jemals das latinische Recht anstatt des Bürgerrechtes verliehen
worden sei, ist nicht nur nicht nachweisbar, sondern auch an
und für sich höchst unwahrscheinlich. Dazu kommt, dass Sar-
mizegetusa, ebenso wie die colonia Agrippinensia , zu Ulpian's
Zeit bereits eine Colonie italischen Rechtes war,^ also ohne
Zweifel bereits vorher römische Bürgercolonie gewesen ist. Die
Lischrift dagegen, auf deren alleiniges Zeugniss hin Mommsen
der Stadt die Qualität als römische Bürgercolonie absprechen
will, gehört unzweifelhaft dem dritten Jahrhundert, vielleicht
Umwandlung erst sp&ter, möglicher Weise erat unter Severus (vgl. C.
J. L. V. n. 8267) und hat PliniuB die latinische Colonie Aquileia aus
Versehen seiner Liste eingereiht/
* Ueber die Qualität der colonia MalvenM ist nichts N&heres bekannt.
3 C. J. L. m n. U43.
> Digg. 50, 16, 1 § 9 aus der Bchrift de eeruibtUj die unter Caracalla
abgefasst ist, vgl. Fitting, Ueber das Alter der Schriften römischer Ju-
risten 8. 37.
21*
324
Hirschfeld.
erst der Zeit des Seyeras Alexander an/ in der bereits Sar-
mizegetusa die höchste Bürgerqualität ^ das itaUsche Recht er-
halten hatte. — Heben wir nun aus den übrigen von Mommaen
aufgezählten Städten noch Caesarea in Mauretanien hervor, so
ergeben sich auch hier die schwersten Bedenken gegen Mpinin-
sen's Ansicht. Denn aus den Worten des Plinius (w. A. 5, 20):
Cartenna cohnia Atigtistiy legio secunda; üem colonia einsdmn
deducta cohorte praetoria Gv^nugu, Promontorium ApoUinis appi-
dumque ibi celeberrimum Caesarea^ antea vocitatum 161, lubae
regia, a divo Claudio coloniae iure donatay eitudem iu8$u
deductia veteranis Oppidum Novum geht deutlich hervor, dass
er unter coloniae iv/re donata nicht an ErtheUung des latini-
schen Rechtes gedacht hat, besonders wenn man damit die
unmittelbar folgenden Worte vergleicht: et Latio dato Tipata,
itemque a Ve»paAano imperaiore eodem munere dovuttum leo-
»iwni. Aber selbst abgesehen von diesem Zeugniss scheint es
mir undenkbar, dass die Hauptstadt der barbarischen Provinz
Mauretania bis in die späte Kaiserzeit nur latinisches Recht
gehabt haben sollte, während zahlreiche Colonien derselben
Provinz schon unter Augustus, Oppidum Novum durch Clau-
dius, Sitifis durch Nerva römisches Bürgerrecht erhalten haben.^
Vielmehr muss nach Constituirung der Provinz und Erhebung
von Caesarea zur Hauptstadt derselben ihr auch das in dieser
Stellimg geradezu unumgänglich nothwendige römische Bürger-
recht verliehen worden sein.
Wenn demnach Städte, die als Heimatsort von equiU»
singulares (respective von Flottensoldaten seit Hadrian) ange-
geben werden, einerseits als coloniae, d. h. als römische Bürger-
colonien von Plinius bezeichnet werden, andererseits entweder
sicher oder doch allem Anscheine nach, wie die eben be-
sprochenen Städte, römische Bürgercolonien gewesen sind, so
geht daraus meines Erachtens hervor, dass die Heimatsangabe
sowohl bei diesem, wie bei anderen Truppencorps überhaupt
1 C. J. L. VI n. 3175; envähnt werden die eaatra priora^ demnach miiasen
damals bereits die caatra nova Severiana gebaut gewesen sein, die viel-
leicht erst von Severus Alexander herrühren, aber keineswegs &Iter ab
Septimius Severus sind, vgl. Marquardt, Staatsverw. II S. 475 Anm. 1.
3 Vgl. Marquardt, Staatsverwaltung I' S. 487.
OaUlMhe Stadien. 325
nicht zur Bestimmung der städtischen Qualität verwendet wer-
den kann. Aber auch die Art und Weise, wie diese Heimats-
angaben auftreten, muss gegen derartige Schlüsse bedenklich
machen. Denn in den von Mommsen selbst flir die equitea angu-
lares und die Flottensoldaten zusammengestellten Beispielen >
findet sich nur ganz ausnahmsweise in zwei Inschriften^ der
Soldat als dvis bezeichnet, während sonst der blosse Ablativ oder
Genetiv der Stadt (respective einmal das Adjectiv Palmyrenvs),
nur hin und wieder mit dem Zusatz domo sich findet, in vielen
Fällen aber noch dazu ruUione mit folgendem Ländernamen
gefUgt wird, zuweilen sogar natione oder tuxtus direct dem Stadt-
namen vorausgeschickt erscheint. ^ Daraus scheint mir hervorzu-
gehen, dass es sich bei diesen Angaben nicht so sehr um einen
Nachweis der Heimatsberechtigung oder der rechtlichen Zuge-
hörigkeit als Bürger zu der betreffenden Colonie gehandelt hat,
als um eine Herkunftsangabe, die zu einer etwaigen Iden-
tification in den Qrabschriften dieser fern von der Heimat ver-
storbenen Soldaten erwünscht und ohne Zweifel auch, wie das
regelmässige Auftreten derselben erweist, gesetzlich vorge-
schrieben war. Aber aus derartigen Angaben ist selbst in offi-
ciellen Documenten, wie den Militärdiplomen, keineswegs der
SchlusB auf die Zugehörigkeit als Bürger der Heimatsstadt zu
ziehen : denn auf dem Diplom n. 34 aus dem Jahre 134 (C. J.
L. HI p. 877) wird Stobi, das bereits Plinius (n. h, 4, 34) als
oppidum civivm Romanomm bezeichnet, als Heimat eines Cohor-
tensoldaten, in zwei Diplomen (n. 53 und n. Ö6: C. J. L. UI
p. 896 und 899) die römischen Bürgercolonien Misenum und
Ateste als Heimat von Flottensoldaten ^ bezeichnet.
1 Eine Untersuchung der Heimatsangaben sämmtlicher Auxiliartruppen
w&re sehr noth wendig und jetzt nach Abschluss der hauptsächlich dafür
in Betracht kommenden Bände des Corpus (mit Ausnahme von Ger-
manien) ohne Schwierigkeit zu bewerkstelligen.
2 C. J. L. VI n. 3196: nai(U)neJ Trox civU Berofejnns und n. 3241: natum(e)
Pannon(io) elvi FauaHanOf vgl. auch n. 3300, wo die Herausgeber cfivi»)
8avari(enHj9 ergänzen, vielleicht aber CflaudiaJ SavarifaJ zu lesen ist.
3 Vgl. fttr die equüei Hngulare» C. J. L. VI n. 3311: not. aCaueUa) Ära;
n. 3192: nai, SawtrU; n. 3287 (vgl. n. 8291) fnaUjone €H(audia) Savaria;
n, 3314: natu» Ülpia 8erdie<u.
< Dazu kommen zwei Inschriften, in denen Formiae and Mola als Heimath
von Flottensoldaten angegeben werden: Ferrero L^ordiaametUo delle artnate
326 Hirsehfeld.
Die Erklärung dieser Thatsachen ist meines Eracfatens darin
zu suchen, dass es einestheils in jeder Colonie zahlreiche Ein-
wohner gab, die nicht als Vollbürger der Qemeinde angehörten,
die aber trotzdem mit gutem Recht als ihren Geburtsort diese
Stadf nennen durften, andererseits, wie Mommsen selbst (a. a. O.
S. 475) hervorhebt, dass den Colonien in den Provinzen vielfach
Gemeinden peregrinischen Rechtes attribuirt waren, die in
ähnlichem Verhältniss zu denselben gestanden haben werden, wie
die Camer und Cataler zu Tergeste, oder die Anauni Tulliasses
und Sinduni zu Tridentum.^ Schwerlich wird man nun in diesen
Soldatengrabschriften Anstand genommen haben, an Stelle des
kleinen obscuren vicus, dessen barbarischer Name oft gewiss
selbst den die Inschrift setzenden Erben oder Commilitonen
unbekannt war,^ die Hauptgemeinde, welcher derselbe attribuirt
war, einzusetzen, woraus sich dann auch bis zu einem gewissen
Grade der fUr Städtenamen unpassende Zusatz nntions erklärt.'
Wenn sich daher, um zu dem Ausgangspunkt der Mommsen-
sehen Untersuchung zurückzukehren, ein eqvss singuiaris ganz
allgemein als natione Hdvetius bezeichnet, so braucht derselbe kei-
neswegs als Angehöriger der colonia Pia Flavia Constans Ems-
rita ^ Helvetwrum Foederata angesehen zu werden, da sicherlich
auch nach der Ertheilung der Colonialqualität an Aventicmn,
den Vorort der Helvetier, einzelne helvetische, wahrscheinlich
Romant n. 48 : On, Arriu» Myro n(<Uione) Formiantu und n. 85 : P, SexiiUo
Marcdlo n((U%one) Italua domu Nol(a). Dem von Mommsen a. a. O. S. 477
daraus gezogenen Schluss: ,vielleicht wird der Satz, dass für die Flotten-
conscription die Latinität gefordert wird, dahin zu beschränken sein,
dass man seit Caracalla daneben einzelne römische Bürger zugelassen
hat', möchte ich mich nicht anschliessen.
1 Vgl. Über dieses Verhältniss Mommsen im Hermes 4 S. 112 ff.
^ Genaue derartige Angaben sind in diesen Inschriften nicht häufig, vgl.
jedoch z. B. C. J. L. VI n. 3297 und 3300.
3 Aehnliche Angaben finden sich in Gladiatoreninschriften, vgl. z. B. die
Inschrift eines ret(%ariu9j in Ntmes: nfationej Viannesna (das ist FwMtien-
m) bei AUmer revue ^pigraphique 1 8. 172; ähnlich C. J. L. VI» 2
n. 10184.
^ Schon dieser Beiname deutet auf eine Veteranencolonie; vgl. über die
colonia Avguata Emerita in Lusitania: Huebner C. J. L. II p. 52. Der
noch im zweiten Jahrhundert nachweisbare eurator cimtim Romanorum
conventuB Helvetici, auf dessen Vorkommen Mommsen Gewicht legt.
Galliich« Stadien. 327
der Colonie attribuirte Gebiete minderen Rechtes geblieben
sind.^ Gewiss hat es solche Gemeinden auch in den tres 0aUia4
noch in späterer Zdit gegeben^^ da ja auch das weit mehr
romanisirte Spanien erst durch Vespasian das latinische Recht
erhielt^ und wenn, wie Mommsen (a. a O. S. 470) betont^ Gallier
und Spanier unter den egtdtes singuiares und den Flottensoldaten
vollständig fehlen, so wird das ohne Zweifel auf einer kaiser-
lichen Verfügung beruhen, nach der diese Provinzen als Aus-
hebungsbezirke für dicBC Truppengattungen nicht dienen sollten.
Vielmehr werden die in diese Corps eingereihten Soldaten aus-
schliesslich aus Gemeinden peregrinischen Rechtes ausgehoben
sein imd in der Regel erst beim Eintritt in den Dienst, woflir
sowohl die häufigen Doppelnamen bei den Flottensoldaten (vgl.
Mommsen a. a. 0. S. 466 Anm. 2), als auch die zahlreichen
Kaisergentilicia bei den equites singvlares sprechen, römische Na-
men an Stelle der barbarischen und in Verbindimg damit eine
der latinischen ähnliche, wenn auch nicht identische Rechts-
stellung erhalten haben. ^
Aus den Angaben der Herkunft dieser Soldaten, wenn
dieselben nicht ausdrücklich als Bürger der betreffenden Ge-
meinden bezeichnet werden, einen Schluss auf die Colonial-
qualität der Heimatsstädte zu ziehen, scheint mir demnach
scheint mir ^e^en diese Annahme nicht zu sprechen; denn die eives
Bamanij wohl meist Italiker, die als Kaufleute in Helvetien sich auf-
hielten, waren den Behörden der Colonie sicher nicht unterstellt, und
ganz entsprechend erscheint in dem benachbarten lugdunensischen Ge-
biet der summiu curator efimum) RfomanorumJ provine(iaeJ Lug(udunenns) :
Wilmanns n. 2224.
1 Betreffs der benachbarten Banraci hebt Mommsen selbst Hermes 16,
S. 482 Anm. 1 eine ähnliche Thatsache herror.
' Mommsen Hermes 16 S. 471 sagt: ,das8 die drei Gallien bereits unter
Claudius das römische Bürgerrecht besassen, ist durch Tacitus sicher
bezeugt'; aber Tacitus (annal. 11, 23) spricht nur von den primore*
Oalliae, guae comata appeUatuVf foedera et ewUatem Bomanam pridem
oaMecuti.
' Vgl. die Bemerkungen von Marini, ArvaLi S. 436 ff. und S. 477 zu Ari-
stides p. 352 Dindorf und besonders zum Biartyrium S. Tarraconis
(5. October) : Td^a^o^ napk tuv -^vtrriQdrzfa^ (i£ xaXoufxai, ev h\ tu> oipa-
Tcuca6a{ |u BUxcop exXi^Oiijv, femer vüa Maximini c. 1 §5 ff. Vgl. Mommsen
a. a. O. S. 474 mit Anm. 1.
328 Hirschfeld. OftlliMhe Stadien.
nicht gestattet^ und so glaube ich an der von mir früher ' aus-
gesprochenen Ansicht festhalten zu müssen^ dass das latinische
Recht auf die ganz oder theilweise romanisirten Provinzen be-
schränkt geblieben sei und weder in den rein militärischen Occu-
pationsgebieten am Rhein und in Britannien, noch in dem
griechisch redenden Orient Gemeinden latinischen Rechtes be-
standen haben.
^ Zur Oescfaichte -des Latinischen Rechts S. 16 ff.
V. SITZUNG VOM 14. FEBRUAR 1883.
Die gräflich von Chambord'sche Güterverwaltung zu
Eatzelsdorf übersendet zur Copiatur für die Weisthümer-Samm-
lung ein Pantaiding von Lejding aus dem. Jahre 1546.
Die corresp. Mitglieder Herr Professor Dr. Benndorf
und Herr Professor Dr. Hirsch feld in Wien übermitteln flir die
akademische Bibliothek das zweite Heft des VI. Jahrganges der
^Archäologisch-epigraphischen Mittheilungen aus Oesterreich'.
Von Herrn Dr. Fr. Martin Mayer, k. k. Professor in Graz,
wird eine Abhandlung, betitelt: ,Der innerösterreichische Bauern-
krieg des Jahres 1515 nach älteren und neuen Quellen' mit dem
Ersuchen des Herrn Verfassers um Veröffentlichung derselben
in dem Archiv vorgelegt.
Die Abhandlung wird der historischen Commission über-
geben.
An DTUokacliriften wurden vorgelegt:
Ackerbau-Ministerium, k. k.: Statistisches Jahrbuch fttr 1881. HI. Heft,
2. Ldeferang. Wien, 1882; 8^.
Bern, Uniyersit&t: Akademische Schriften pro 1881. 28 Stücke 8» und 4«.
Central-Commission, k. k. statistische: Statistisches Jahrbuch fOr das
Jahr 1880. V. Heft. Wien, 1882; 8«.
Oenootschap, Bataafsch der proefonderrindelijke Wijsbegeerte: Nieuwe
Verhandelingen; tweede reeks, deel III, 4x« Stuk. Rotterdam, 1882; 8^.
Oesellschaft, deutsche morgenländische: Zeitschrift. XXXVL Band, 3. und
4. Heft. Leipzig, 1882; 8".
— kOnigl. s&chsische der Wissenschaften zu Leipzig: Berichte. 1881. I. H.
Leipzig, 1882; 8^.
SitannKsber. d. pliil.-hist. Cl. CHI. Bd. U. Hit 22
330
Gesellschaft, köni^I. sächsische der Wissenschaften zu Leipzif^: Abhand-
ln ngen des VIII. Bandes Nr. IV. Beiträge zur Kenntnis« der melan*-
sischeUf mikronesischen und papuanischen Sprachen, ein erster Nach-
trag zu Hans Conon's yon der Gabelentz Werke ,Die melanesischen
Sprachen* von Georg von der Gabelentz und Adolf Bernhard Meyer.
Leipzig, 1882; 8».
Harz -Verein für Geschichte und Alterthumskunde: Zeitschrift. XV. Jahr-
gang, 1882. Wernigerode, 1882; S^. — Register über die ersten zwOlf
Jahrgänge der Zeitschrift des Harz -Vereines für Geschichte und Alter-
thumskunde (1868—1879). Wernigerode, 1882; 8^
Instituut, het koninklgk voor de Taal-, Land- enVolkenkunde van Neder-
Iandsch-Indi6: Bijdragen. IV. Volgreeks, VI. Deel. — 2* Stuk. 's Gra-
venhage, 1882; 8».
Kriegs-Archiy k. k., Direction: Büttheilungen. Jahrgang 1882. I— IV.
Wien, 1882; 8«.
Mittheilungen aus der livländischen Geschichte. XIH. Band, 2. Heft
Riga, 1882; 8^
Soci^t^ d'histoire Qt d'archäologie de G^n^ve: M^moirea et Documenta.
2* s^rie, Tome premier. G^n^ve, Paris, 1882; 8^.
Society, the Asiatic of Bengal: Journal. N. S. Vol. LI, Part I, Nos. m
und IV, 1882. Calcutta, 1882; 8".
— the royal of New South Wales in 1881: being a brief Statistical and
descriptive account of the Colony up to the end of the year, extracted
ochiefly from fficial records, by Thomas Richards, Esquire. 2^ issne.
Sydney, 1882; 8^.
Verein, historischer für den Regierungsbezirk Marienwerder: Zeitschrift.
V. Heft, l. und 2. Abtheilung. Marienwerder, 1881—1882; 8^
VI. SITZUNG VOM 28. FEBRUAR 1883.
In der Gesammtsitzung der Akademie am 22. Februar
gedachte Se. Excellenz der Präsident des Verlustes, den die
Akademie durch den am 20. d. M. erfolgten Tod des w. M.
Eduard Freiherm von Sacken erlitten hat, und die Anwesenden
gaben ihr Beileid durch Erheben von den Sitzen kund.
Das k. u. k. Ministerium des Aeussem Übermacht das ron
dem k. italienischen Unterrichtsministerium der Akademie ge-
widmete Exemplar der vierten Lieferung des IV. Bandes des
^Vocabolario degli Accademici della Crusca'.
331
Das k. k. Reichs -KriegsminiBterium übersendet die im
Drucke erschienene amtliche Zusammenstellung, betreffend ,die
Verluste der im Occupations- Gebiete und in Süd-Dalmatien
befindlichen Truppen im Jahre 1882^
Von Herrn Hofrath M. A. Ritter von Becker wird das
achte Heft seiner ^Topographie von Niederösterreich* für die
akademische Bibliothek eingeschickt.
Von dem w. M. Herrn Dr. Pfizmaier wird eine flir die
Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ^Untersuchungen über
Ainu*<}egenstände' voi^elegt.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Miklosich legt eine flir
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung vor unter dem
Titel: über Goethe's ^Elaggesang von der edlen Frauen
des Asan Aga'.
Die Kirchenväter Commission überreicht zur Aufnahme
in die Sitzimgsberichte eine Abhandlung des Herrn Professor
Dr. Petschenig in Graz: ,Ueber die textkritischen Grund-
lagen im zweiten Theile von Cassian's Conlationes^
Das w. M. Herr Hofrath Zimmermann theilt mit, dass
das für das laufende Triennium constituirte Preisgericht der
Grillparzer- Stiftung an Stelle des verstorbenen Preisrichters
Hofrath Hettner in Dresden das c. M. Herrn Professor Dr. Wil-
helm Scherer in Berlin cooptirt und dieser die Wahl an-
genommen habe.
▲n BruciLBohriften wurden vorgelegt:
Acad^mie royale des sciences, des lettres et des beaux-arts de Belgique:
Balletin. 61* ann^e, 3* s^rie, Tome IV, No. 12. Bruxelles, 1882; 8<».
Annaaire, 1883. 49« ann^e. Brnzelles, 1888; kl. 8«
Aecademia della Crusca: Vocabolario degli Aceademici. Quinta impres-
sione. Vol. IV. Fascicolo IV ed ultimo. Firenze, 1882; Folio.
22»
332
Bureau, k. statistisGh-topegrapiiiflches: Württembergische Yierteljahnhefte
far Laudesgeschichte. Jahrgang Y, 1882. Hefte I— IV. Stuttgart,
1882; 40.
Gesellschaft, k. k. geographische in Wien: Mittheilungen. Band XXV
(N. F. XV), Nr. 10, 11 und 12. Wien, 1882; S\
— für Schleswig-Holstein-Lauenburgische Geschichte: Zeitschrift. XIL Band.
Kiel, 1882; 8».
— kais. königl. mährisch-schlesisohe, zur Beförderung des Ackerbaues, der
Natur- und Landeskunde zu Brunn: Mittheilungen, 1882. LXH. Jahr-
gang. Brunn; 4t^.
Institute, the anthropological of Great-Britain and Ireland: The JoumaL
Vol. Xn, Nr. III. London, 1888; 8«.
Ministerium cultus et pnblicae institutionis : Monuinenta graphica medii
aevi ex archivis et bibliothecis imperii Austriaci collecta. Faseiculus X.
Vindobonae, 1882; Folio.
Mittheilungen aus Justus Perthes* geographischer Anstalt, von Dr. A. Peter-
mann. XXIX. Band, 1883. II und III. Gotha; 4^
Society, the American gpeographical : Bulletin, 1882. Nr. 2. New- York; 8*.
— the royal Asiatic of Great Britain et Ireland: The Jonmal. N. S. VoL
XIV, Part IV. October, 1882. London, 1882; 80. — N. S. Vol. XV.
Part I. Januaiy, 1883. London; 8^.
— the royal geographical: Proceedings and monthly record of Geography.
Vol. V, Nr. 2. February, 1883. London; 8°.
Tübingen, Universität: Akademische Schriften pro 1882. 36 Stdcke,
40 und 80.
Verein, historischer für Schwaben und Neuburg: Zeitschrift IX. Jahigang,
1. und 3. Heft. Augsburg, 1882; 8".
— für Hamburgische Geschichte: Mittheilungen. V. Jahrgang. Hambuig,
1883; 80.
Wissenschaftlicher Club: Monatsblätter. IV. Jahrgang, Nr. 6. Wien,
1883; 40. — Jahresbericht 1882—1883. VII. Vereinsjahr. Wien, 1883; 8«.
Pfizmaier. Untersuchungen Aber Ainn-Gegenstftnde. 33«3
Untersuchungen über Ainu-Gegenstände,
Von
Dr. A. Pfizmaier,
wirkl. Hitglied der kais. Akademie der Wissenschaften.
JJie in dieser Abhandlung untersuchten Gegenstände be-
ziehen sich vorerst auf Glaube und Sitten der Ainu^ was auf
Grund der von M. M. Dobrotwörski zur Kenntniss gebrachten
Nachrichten aus Sachalin geschah. Bas Verständniss dieser sehr
werthvoDen (posthumen) Nachrichten war indessen, besonders
in Rücksicht auf manche Lücken und bei den Eigenthümlich-
keiten des russischen Textes, im Ganzen nur in Verbindung
mit Erläuterungen und fortwährenden Hinweisen auf die Ainu-
sprache vollkommen möglich.
Gegenstand weiterer Untersuchung ist femer die von H, de
Charencey theilweise aus meinem Wörterbuche zusammenge-
stellte Ainu-Flora, indem ich die in dieser Schrift vorkommen-
den botanischen Namen, auch die japanischen und Ainunamen,
nach ihrer Richtigkeit prüfe und, wenn nöthig, verbessere.
Bemerkt werde noch, dass ich in dieser Abhandlung den
bisher gebrauchten Volksnamen Aino überall durch das mehr
angemessene Ainu ersetzt habe. Ueber den Unterschied beider
Wörter wurde schon in meinen ,Erörterungen imd Aufklärungen
über Aino' S. 48—49 (1068—1069) Einiges gesagt.
Glaube nnd Sitten.
yDie Sar&ntara verehren den Sitöri^ den Onnew, den
EAmporo. Sie ziehen den Bären und den Fuchs auf.'
Sarü iflt ein Ainudorf an dem Flusse Sikari auf Jezo.
Sikari ist ein grosser Fluss im Inneren von Jezo.
334 Pfizroaier.
Sarüntara oder sarun-ütara ist soviel als sarü-un-utara
,em Mensch des Dorfes Sarü*. Man sagt auch sarun-kuru, d. i.
sarü'Un-kuru ,ein Mensch von Sarü^ So heissen die Bewohner
der Ostseite von Jezo. Sie wohnten früher auf der Insel Sikoch.
Sitöriy ein grosser Vogel mit langem Halse. Als der
schwarze Storch betrachtet. Derselbe verschlingt einen ganzen
kleinen Häring. Syn. no.
Onnew ,ein Adler^
KdmporOy eine schwarze Krähe mit etwas dünnem Schnabel.
,Die Cuwka-untara drücken den HaJs des zu Tödtenden
(yMepin;B^fleMaro) Urai kinihe(ani) XV zusammen imd ersticken
ihn mit diesem Werkzeuge. Die Üpifer sind ihre eigene Leute
und Fremde, vorzüglich jedoch Kranke und Feinde.*
Vor Allem ist hier Uraiki nihe abzutheilen und dabei
richtig zu sagen: die Cuwka-untara drücken den Hals des zu
Tödtenden mit dem Urai-ki nihe zusammen.
Cüwka'üntarUy ein Bewohner des östlichen Theiles von
Jezo. Auch Cup- katä'ütare,
Uraiki niJA ani ,mit dem tödtenden Pfeifenstiele^ Der Name
des Werkzeuges uraiki nihe, dessen Abbildung nebenan steht,
ist aus uraiki ^tödten^ und nih^ ,Pfeifenstier zusammengesetzt.
;Zu dem Cohujeku betet man wie zu einem Gotte. Zu
dem Delphin Oköm betet man ebenfalls und wirft ihm zum
Opfer Seeflaggen für eine glückliche Schiffahrt hin.*
Ööhujeku ,ein Meerschwein'.
Oköm, ein kleines Cetaceum von schwarzer Farbe, ein
kleinflossiger Delphin.
Ind'U ^Baumopfer^ eine Flagget Im Japanischen durch
nigi-te ,gefaltete Papierstücke als Opfer für die Götter' erklärt.
,Wenn der Töki-köuna bemerkt hat, dass der Ipöje den
kleinen Häring verzehrt, und nicht den Rogen, so geht er zu
dem Ööhujeku und erzählt ihm davon. Der Cohujeku kommt
dann und tödtet desswegen den Ipöje.*
Das Wort tiki-kSuna wurde von mir nirgends aufgefunden.
Es scheint jedoch soviel, als das in meinem Wörterbuche ver-
zeichnete tekina ,der Name einer grossen Walfischart* zu sein.
Ip(}je, ein magerer Walfisch, der mit dem kleinen Häring
ankommt und dessen Rogen er verzehrt. Er hat nach der
Erzählung der Ainu keine Zitzen.
Untonachnngen ttber Ainn-Oegenstinde. 335
C6ku,jekuy wie oben ,ein Meerschwein^
,£in Ainusarg (porö-ni) besteht : aus niedrigUegenden
Seitenbretem (sokom itä), Haupt- und Fussbretem (ettiwsu) und
Deckeln (inumbita). Er hat keinen Boden. Dieser wird durch
das Qrab selbst gebildet.^
Porö-ni ;Sarg' bedeutet wörtlich: grosses Holz. Auf ähn-
liche Weise sagt man im Japanischen fitstb-gi und ßto-ki ,Men-
schenholz/ in der alten Sprache auch owo-gi ^grosses Holz'.
Sokom-üay ein Wort theilweise ungewissen Ursprungs. Itä
^Bret' ist ein japanisches Wort. Sokom könnte als das japani-
sche aoko yBoden' betrachtet werden^ jedoch wurde die Zusam-
mensetzung 8oko-ita von mir nicht verzeichnet.
Etüwm dürfte von etüwso ^Seite, Wand' nicht verschie-
den sein.
Inimbiia lässt sich nicht mit Gewissheit erklären Ita ist
ita ^Bret'. Sonst sind von ähnlichem Laute inun ^beten' und
mwnhe ,Wärmofen, Herd'.
fi^i den Ainu geht die Seele nicht zugleich mit dem
Leibe in das Grab, sondern sie geht nach Pochna-Siri oder
Pochna-kotan durch eine OeflEhung im Walde, welche Iwäsui
genannt wird. In Pochna-Siri ist es Sommer, wenn es bei uns
Winter ist, und umgekehrt. In Pochna-Siri lebt blos der Gott,
der Erschaffer, welcher Kotan-karape genannt wird.'
Pöchnchsiri (in meinem Wörterbuche bokt-na-Siri) ,die
untere Erde'.
Pöchna-kotän ,die untere Niederlassung'.
Itcä-mi ,eine Felsenhöhle'.
Kotän-karappk ,der Gründer einer Ansiedlung'.
Kamiii-m6aka^o ,die Glaubenslehre'. Bis zu dem fUnften
oder zehnten Lebensjahre beten die Ainukinder nicht. Aber
dann beginnen die alten Leute sie zu den verschiedenen Göttern
beten zu lehren.
Kamdi'i&ikaSno ,die göttliche Lehre'. Von iMkahio ,lehren
oder lemen^
Das japanische nigi-te^ und das ind-u der Ainu, beides
,Handopfer', sind nach ihrer äusseren Gestalt zwei sehr ver-
< Auch mit anderen vemchiedenen Namen wie nusa^ mi-ntua, fei, go-fei^
wan^bei, fei^/aku, te»gura, mi^U^gura benannt.
336 Pfizmaier.
schiedene Dinge. Der japanische Gegenstand waren tirspiüng-
lieh Stücke fUnffarbigen Tuches, ungewebter Baumwolle oder
Hanfes, welche man den Göttern zum Opfer brachte. Gregen-
wärtig sind es gefaltete Papierstücke. Das Ainuwort ind-u
wird von den Japanern 5(5p ^ (nigi-te) geschrieben. Ueber
das ind'U der Ainu's gibt Dobrotwörski mehrfache Auf-
klärung.
Die Inä-u als Opfer von Bäumen oder als Flagge be-
trachtet, sind Stäbe und Stäbchen mit Hobelspänen. Man bringt
sie verschiedenen Göttern und bei verschiedenen Gelegenheiten
dar, z. B. bei Beginn einer Krankheit und bei Befreiung von
ihr. Die Ind-u unterscheiden sich je nach den Göttern, welchen
man sie zum Opfer bringt. So werden die Feuer-Inä-u (unH-
ind-u) den Göttern des Feuers, die Berg-Inä-u (nuburi-tnä-u)
den Göttern der Berge, die Haus-Inäru (tiSl-ind-u) dem alten
Hausgotte dargebracht.
Isb-ind'U ,Bärenflagge^ sind Stäbe, welche für den zum
Opfer herbeigeführten Bären bestimmt sind.
Tdkusa oder wSre'tdkusa ist eine Flagge der Zaubertrommel,
eine Flagge für die Götter der Schamanen. Die Bedeutung
dieser zwei Wörter ist ungewiss.
Die Theile der Flagge sind:
EfpusU ,das Blumenauge^ oder iTid'Vrsabä ,da8 Flaggen-
haupt^ Dazu gehören Stochko ,der WirbeP, ind-u-sabarü ,da8
Haupthaar der Flagge* und bisweilen ninkari ,die Ohrringe*. Die
letzteren sind Ringe aus angehobelten Bindfaden.
ijpuaU steht für epui-iiä ,Blumenauge^
£tochko oder etbch ,das Ende^
NiAkari ,ein Ring oder Ohrring^ Man sagt auch nWcar
korb und-u ,eine Flagge mit Ohrringen^
Femer treküf ,der Hals' und tM ,die Hände*.
Kotorb ,die Vorderseite des Rumpfes*.
Nusa-kotorhe, auch ntim-kotorb, nusa-kotorohe, nusci-kotorckt
und nvsa-kotoro-ka, grosse Hobelspäne. Dieselben stellen die
Haare des Rumpfes dar.
Töchpa ,Einschnitte'. Dieselben stellen das Aufschlitzen
des Bauches dar.
Kickpa-keckpa etwas kurze Anhobelungen (soporeHBKie
3aCTpysKH). Dieselben, von den Einschnitten (tödipa) aufwärts
Untennchnngen ttber Ainn->Gefenstftnde. 337
und abwärts gehend, stellen die nach oben und unten abge-
wendeten weichen Theile der vorderen Bauchwand dar.
NiHmpa oder nf^'it ,der Stiel'. Derselbe ist die Hand-
habe des Fusses (qepeH'b hofh).
Dobrotwörski glaubt, dass, nach diesen Theilen zu schlies-
sen, die Inä-u unzweifelhaft Ueberbleibsel der Sitte der Men-
schenopfer seien.
Ungeachtet der Umständlichkeit der obigen Beschreibungen
kann man sich, solange eine Abbildung fehlt, von der Gestalt
der Inä-u keine richtige Vorstellung machen. Noch einige Auf-
klärung, welche nachträglich gefunden wurde, folgt jedoch
weiter unten.
Das Ainulied, welche bei dem im Monate November, an
den drei ersten Tagen des Vollmondes stattfindenden Bärenfeste
von drei Mädchen gesungen wird, lautet:
Uwa'Uworuwa-nUj Uwa-nnwa-uwa-nu,
Uwa-uwa-nuioa-nu, Uwa-urwa-uwa-nu,
Uwa-uwa-urwa-nUf Uwa-nurwa-utoa-nu,
Uwa'Uwa-nwrwa-nu, Uwa-nuwa-nuwa-nu,
Nwoa-uwa-uwa-nUy
Urworuwa-uwa-nu,
Nurwa-uwa-uwornu,
Nutca-uwa-urwa-nu.
u. 8. f. ins Unendliche. Es konnte flir diese Wörter nicht ein
bestimmter Sinn gefunden werden. Ein Ainu Namens Ciwokdnke
bemerkte gegen Herrn Dobrotwörski, dieses Lied werde ma-
chnekü-ch^tsire ,Frauenspielen' genannt. Es seien nicht die
Lieder Jäkara, Sinochtä oder Chäuki.
Nachrichten von dem Bärenfeste:
Kamäi-agWce ,daB Herausführen des Gottes^ KamHi-omänte
,das Fortschicken des Gottes' . Kamäi ,Grott^ bezeichnet auch
ein geisterhaftes oder wildes Thier. Beide Wörter bedeuten
das Fest des Herausfbhrens des Bären. Zu diesem Feste laden
die Ainu die Bewohner der benachbarten Dörfer, Verwandte
und Bekannte. Sie laden auch japanische und russische An-
gestellte ein^ in der Hoffnung, von ihnen sake (japanischen
Wein oder russischen Branntwein) und Geschenke zu erhalten .
338 Pfizmaier.
Nüman-nijdto ,der Vorabende Diesen Tag, sowie die ganze
ihm vorangehende Nacht verbringt man im Reigentanze. Bei
diesem Tanze trennen sich die Reigen der Männer von den
Reigen der Frauen. Bei dem Tanze der Männer ist die un-
gewöhnliche Kunst, die Laute des Bären, dessen Brummen und
Brüllen nachzuahmen, bemerkenswerth. Der Tanz der Frauen
lächert, selbst bei den Ainu durch starkes Zurückziehen der
Hintern (cHtmHTb dUbHUMi OTOfl^HBameirB 3aAHHi^%)..An diesem
Tage trinkt man Sakfe, aber nicht viel.
Osiri kotonu ukurän ,die schlaflose Nacfat^. So heisst die
Nacht vor dem Feste. In dieser Nacht schläft man nicht, man
verbringt sie ganz mit Tanz und Tanzliedern in der Nähe des
Bärenkäfigs und nicht zu Hause, wie auch die vorhergegangene
Nacht. Sak^ trinkt man nur wenig, und selbst dieses thuen
nur die geehrtesten Gäste. Den Uebrigen gibt man keinen
Sakfe. Gegen Morgen hören Singen und Tanzen auf, und die
Ainu beginnen den Bären zu beweinen, indem sie vor ihm
kauern, niederknieen oder in gekrümmter Stellung mit dem
Angesicht auf der Erde liegen. Dabei fliessen bei ihnen häufig
eine Menge Thränen, und bei Männern gefrieren die Nasen-
tropfen in Gestalt von Eiszapfen auf dem Barte. Man weint um
den Bären, welcher getödtet wird, aber nicht über Sünden.
Kamüi-oHin-to ,der Tag des HerausfÜhrens des Gottes'. An
diesem Tage wird der Bär herausgeführt. Am Meißen gegen
neun oder zehn Uhr legt man an den Bären eine doppelte
Schlinge, welche ihm den Bauch oder die Brust umfasst. Man
zieht fingerdicke Riemen aus Seelöwenhaut von zwei Seiten
des Käfigs zwischen einem oberen Balken der vier Wände und
einem der Balken, welche die Decke ersetzen, hindurch. So-
dann springen zwei Ainu hinauf und beginnen die Decke
hinimter zu werfen. Sie sind kaum zu der letzten Reihe der
Deckenbalken gekommen, als der Bär wie ein Pfeil sich hinauf
wirft, die letzte Reihe selber hinunter wirft und aus dem Käfig
so schnell herausspringt, dass die auf dem Käfig Stehenden
kaum Zeit haben herabzuspringen und die Riemenhalter kaum
Zeit haben, ihn zurückzuhalten, indem sie die Riemen der-
jenigen Seite, von welcher er sich entfernt, anziehen.
Ein schlauer Bär betrügt zuweilen dabei die Aiiiu. Wenn
er den Widerstand von der einen Seite bemerkt, wirft er sich.
üntersQchnngen Aber Ainn-Gegenst&nde. 339
ehe man an der entgegengesetzten Seite noch Zeit hat, die
Riemen anzuziehen, plötzlich nach dieser Seite und es geliingt
ihm mitunter, irgend wen zu packen, zu beissen und zu kratzen.
Doch gelingt es, indem man ihn neckt, ihm einen Stock in
den Mund zu stecken, und während er diesen Stock erfasst
und ihn zu zernagen beginnt, bringt es einer von den Behen-
deren dahin, den Bären beim Halse zu packen. In einem Augen-
blicke Wlt der ganze Haufe der Ainu über den Bären her,
erfasst ihn bei den Ohren, bei den Füssen u. s. w.
Hierauf legt man dem Bären einen aus der Sumpfpflanze
Orikön verfertigten Gürtel an. Dieses nennt man ish-ekuf-kdnte
,den Bärengürtel gebend Dieser Gürtel wird mit dem rothen
Safte gewisser Früchte, z. B. der Beere Hu-turip oder Enönuka,
bunt gefärbt. Hernach schmückt man den Bären mit Ohr-
ringen, welche aus Hobelspänen der Sandweide (sibsu-nl) zu-
sammengedreht sind. Man nennt dieses öihUncch honte ,Ohr'
ringe aus Hobelspänen gebend Man flihrt den auf diese Weise
geschmückten Bären an Riemen zu dem Inä-u-6ubo, einem
Halbkreise aus Flaggen (tna-u), welche zu Ehren des als Opfer
dargebrachten Bären , aber nicht zu Ehren des Berggottes ,
verfertigt wurden. Man nennt sie deshalb xsh-ind-u ,Bären-
flaggen'. Andere Flaggen gibt es in diesem Halbkreise keine.
An den Flaggen hängt man ausserdem Sachen von Seide,
Gold- und SilberstofF, sowie mandschurische Säbel (ca6^H) aus-
einander. Auf dem Gaukelwerke (*OEyc'B)^ Inä-u-öubo wird an
demselben Tage des Festes ein nach oben gabelförmig zer-
theilter Baum ohne Aeste aufgestellt. Derselbe ist an den Gabeln
mit Hobelspänen geschmückt und wird T&kusi ,Pfahl'- oder
Tükusi-un^-u ,Pfah]flagge' genannt. Das Führen des Bären zu
dem Halbkreise Inä-u-öubo > nennt man tUü-ämpa ,zu den Banden
bringen'. Hier bindet man den Bären an den Pfahl. Daher
heisst täkun-odUä-muß ,an den Pfahl binden'.
Einer der Ainu, welcher gut mit dem Bogen zu schiessen
versteht, nimmt Bogen und Pfeil und tödtet gewöhnlich mit
einem einzigen Schusse den Bären, der nur noch den ein-
dringenden Pfeil zerbeissen kann. Alsdann nimmt Einer der
Aeltesten unter den Anwesenden, oder ein Schamane einen
t Nach einer anderen Angabe zu dem Pflocke Tükiisi.
340 Ffizmaler.
langen Stab^ d. i. einen geschmückten Inä-u, Namens Jöritako-
iniL-u, welchen er über dem erschossenen Bären schwingt, iro-
bei er halblaut ein Gebet murmelt. Man nennt dieses jorüdku
,ein Gebet über dem getödteten Bären hersagend
Hierauf legen sich drei oder vier Ainu, nachdem sie sich
durch Betasten und Zupfen überzeugt^ dass der Bär wirklich
gestorben 7 um ihn mit dem Gesichte zur Erde und beweinen
ihn zum letzten Male. Dann zieht man dem Bären das Fell
ab (man sagt üh trije ,dem Bären das Fell abziehen^); zeriheilt
ihn in Stücke (man sagt ish trukümpa ,den Bären zertheilen')
mit dem Messer, nicht mit dem Beile ^ und trägt ihn zum
Kochen. Das abgetrennte Haupt bringt man dabei in das Hauß
des Wirthes und legt es an der vorderen Seite (ruruw9o) nieder.
RüruwBO ist die der Thüre gegenüberliegende Seite. Hernach
verzehrt man das Fleisch des Bären, trinkt den ganzen Tag
Sak^ und tanzt.
Der zweite Tag des Bärenfestes heisst rui-kara-to ,Tag
des Herrichtens des Felles^ Von rv^ yFell^ karä ^machen, in
Ordnung bringen^ und to ^Tag^ Man reinigt das FeU und
das Haupt des Bären. Auch diesen Tag verbringt man in
Trunkenheit.
Der dritte Tag des Bärenfestes heilst $aba-mahdnkt'io
yTsg des Ausspannens des Hauptes'. Von sabä ,Haupt' und
makdnke ^ausspannend Man sagt auch kei-makänke-to ^Tag des
Ausspannens der Hirnschale', von hei ,Himschale^ An diesem
Tage trinkt man bis Mittag Sak^ und trägt um Mittag die
Hirnschale des Bären in den Wald in der Richtung der Berge. ^
Die Trunkenheit hat jetzt gänzlich ein Ende, weil, wie der
Ainu Ciwokänke bemerkte, kein Sak^ vorhanden ist.
Dieses Fest feiern auch die den Ainu benachbarten
Volksstämme, die Olök und die Amurischen Giläken. Die 01&
machen dabei auch von der Flagge {md-u) Gebrauch. In Siika,
nahe der Mündung des Flusses Su findet sich eine eben
solche, sehr grosse Aufstellung von Flaggen (tnd-u-#t) wie bei
den Ainu. Dieselbe gehört den 016k, aber nicht den Ainu.
Ind'Vrgi bedeutet eine Sammlung oder Aufstellung von Ini-n.
* Nach einer anderen Angabe trägt man sie nach dem Laufe des Flusses
hinauf.
UntersQchuogeD Über Ainn-Gegenttinde. 341
Die Giläken führen jährlich von Sachalin an den Amur Bären,
welche zu diesem Zwecke gefangen oder bei den im Bärenfang
geschickteren und kühneren Ainu gekauft wurden.
Der mit Dobrotwörski befreundete Ainu Öiwokänke gestand^
er selbst habe durch die Söja-äntara (Bewohner des nördlichen
JesBo) erfahren, dass die Cüwka-üntara (Bewohner des östlichen
Theiles von Jezo)*, vor den Japanern es geheim (pinufydne)
haltend, in den Wäldern an dem Ursprung der Flüsse noch
jetiEt Menschen braten.
Ueber die Ini-u finden sich bei Dobrotwörski noch
mehrere Angaben. Es wird vorerst gesagt, dass, wie in den
Schriften der sibirischen Abtheilung der russischrgeographischen
Gesellschaft (Jahrgang 1864) zu sehen, gelehrte Reisende er-
klären, das Opfer InA-u bestehe in Stäbchen mit krausen An-
hobelungen (naaoHKE cb sjapabhhh sacTpysicaMH). Wenn man
eine solche Benennung als Ausdruck für die Ini-u der Ainu
annehme, Verstösse man stark gegen die Wahrheit Die Ind-u
verfertige man sowohl aus Stäbchen als aus grossen Stäben,
aus langen Stangen und selbst aus ganzen Bäumen. Die Hobel-
späne (crpysBH) an ihnen seien gekrauste und ungekrauste.
Endlich brauchen die Inä-u gar keine Anhobelungen zu haben
und alle würden doch Inä-u genannt.
Ausserdem, wenn man alle Theile der Inä-u aufmerksam
betrachte, sehe man in ihnen eine Aehnlichkeit mit dem mensch-
lichen Körper. Denn es gebe an den Ini-u ein Haupt, einen
Hak, Hände u. s. w. Desswegen seien die Hobelspäne, welche
das Haar an verschiedenen Körpertheilen vorstellen, bloss ein
Theil der Inä-u. Somit passe auf diese Baumopfer, höchst
wahrscheinlich Ueberbleibsel der Sitte der Menschenopfer,
keineswegs die Benennung: .Stäbchen mit krausen Anho-
belungen% während, wenn man bei vorläufiger Beschreibung
das Wort Ini-u gebrauche, man uch kurz, deutlich, und in
der Hauptsache richtig ausdrücken werde.
Die Ainu bringen alljährlich im Monate November dem
Berggotte ein Sühnopfer, indem sie den Bären tödten, den sie
fbr einen Sohn des Berggottes halten. Es wird noch bemerkt,
^ Von den ,Ciiwka-antara' wurde oben gesagt, dasB sie den Hals der
Menschen mit einem gewissen Werkzeuge zusammendrücken.
342 Pfizmaier.
das8 man den aus dem Käfig befreiten Bären mit Blumen-
gewinden bekränzt. Dobrotwörski heilte einen Ainu Namens
SAmbakus-ainu aus Näjero. welchem der Bär an dem Festtage
zur Zeit der Bekränzong mit Blumengewinden die Fingerspitze
abgebissen hatte.
Der Richtplatz, auf welchen man den Bären führt (tiMf-ti-
öubu)y wird, so heisst es, in halbkreisförmiger Gestalt aas
einer Menge InA-u gebildet und mit reichen Teppichen, Schärpen,
Tüchern und Zobelfellen geschmückt. In der Mitte dieses Halb-
kreises binde man den Bären an zwei mit einer Menge Ini-n
geschmückte und oben gabelförmig endende Pfähle > und
erschiesse ihn mit einem Bogen.
Das gebräuchlichste und häufigste Opfer bei den Ainn
sei ein mit krausen Hobelspänen geschmückter Stock yon
verschiedener Grösse. Es sei der Inä-u. Die Grösse der Ini*a
schwanke zwischen zwei Werschök und anderthalb EJafbem.
Den verschiedenen Göttern bringe man verschieden heige-
richtete InA-u zum Opfer. Doch bei allen. Ini-u treffe man
Theile des menschlichen Körpers. Als Dobrotwörski aufmerk--
sam einen kopflosen Inä-u betrachtete, argwöhnte er, dass eine
solche Art, InA-u zu bilden, ein Ueberbleibsel der Sitte der
Menschenopfer sei.
Die Gestalt eines See-Inä-u (atü%'ind^u)y der zur Zeit der
Stürme in das Meer geworfen wird, desen ausgestreckte Arme
und zerhackter Bauch erinnerten stark an die biblische Er*
Zählung von dem ausgeworfenen Jonas. Die Ainu selbst, heisst
es, schämen sich, davon zu reden und versichern, dass unter
allen Ainustämmen nur die Cuwka-äntara in der alten Zeit
Menschenfresser (ünkaju) gewesen seien.
Von dem Halse der Ini-u (ind-Vrtreküf) gehen nach oben
kurze Anhobelungen, welche zeigen, dass kein einziger Leib
^anfknglich^ (nepBOHa^ajBHo) sich der ,Aufdeckung^ (cxpwfie)
unterwerfen konnte. Das Gesagte ist nicht gut verständlich.
Die Feuer-Ini-u (imSi'ind'U) stellt man auf die vordere
Ecke des Herdes. Ihre Zahl belauft sich bis auf zwölf. Die
alten trägt man zu der gewöhnlichen Zusammenlegung hinaus.
1 Nach der früheren Angabe ist es ein nach oben gabelförmig getheilter
Banm ohne Aeste, welcher Tiiknsi ,Pfahl' oder Tüknsi-nnA-n ,PfahUUni-n'
genannt wird.
UntcrsQchangen fiber Ainn-Gegentt&ndc. 343
Indem man in dieser Abhandlung zu gottesdienstlichen
Gegenständen übergeht, möge vorerst über das Wort kaniüi,
welches ursprünglich ,Gott^ bedeutet, Einiges gesagt werden.
Herr Dobrotwörski kommt mit Recht zu dem Schlüsse, dass
der Gottesglaube der Ainu anfänglich in der Vergötterung
sinnlicher Gegenstände bestand, sagt aber, dass das Wort kamüi
von kamu ,Fleisch* und trui ,stark^ abgeleitet werde und somit
,ein an Fleisch reiches Wesen' bedeute. Dass es höchst wahr-
scheinlich einige Wirbelthiere gewesen, welche von den Ainu
vergöttert wurden, mag ebenfalls unbestritten bleiben.
Es ist indessen unzweifelhaft^ dass das japanische kami
und das Ainu kamüi in der Bedeutung ,Gott' ein und dasselbe
Wort sind, dass jedoch beide Wörter, wo man sie auf Menschen
bezieht, nichts mit dem Sinne von ,Gott' gemein haben. Obgleich
sich eigentlich nicht nachweisen liesse, ob das fragliche Wort
japanischen oder Ainu-Ursprungs ist, steht es doch fest, dass
von dem japanischen kami ^oben' alle übrigen Bedeutungen
des Wortes stammen, zumal das Ainu- Wort für ,oben' nicht
koTni oder ein ähnliches Wort, sondern kdske, auch rikta ist.
Was die Japaner über die Ableitung sagen, ist grundlos, wider-
sprechend und kindisch.
Als Ainu-Ausdrücke, in welchen kamiii nicht ,Gott' be-
deutet, sondern das veränderte japanische kami ,älteste Obrigkeit,
Statthalter' ist, mögen genannt werden mösiri-karnüi .Statthalter
der Insel, König des Reicjies' und die hinsichtlich des ersten
Theiles der Zusammensetzung noch immer unerklärbaren zwei
Wörter Tsmdjeri-kamäi ,Himmel8Sohn' und Tsidnhi-kamüi ,der
Heerführer von Japan, der Siögun'.
Die Zusammensetzungen, in welchen kamüi ursprünglich
,Gott* bedeutet, sind sehr zahlreich. Besonders bemerkens-
werth sind:
Porb-atüi'kamüi ,der grosse Meergott', der Seelöwe.
Pon-aiüi'kamüi ,der kleine Meergott', der Seehund.
Kamüi'tiäi ,das göttliche Haus', der Bärenkäfig.
Pon-kamUd ,der kleine Gott', ,das Sommerjunge des Robben'.
önnew'kamtd ,der Adlergott', ,das im Winter geborene
Junge des Robben'.
Cuw'kamtd ,der Sonnengott', ,das Junge des Robben,
welches im Herbste getödtet wird'.
344 Pfismaier.
Janiä'kamm ,der Waldgott', ein Thier des Waldes.
Die Götter der Ainu's sind eine unzählige Menge und es
gibt deren für jedes Land und jeden Ort. So sagt man tan
mösiri sikdSma kamui ,die Schutzgötter dieser Insel', tan kotän
sikahna kamüi ,die Schutzgötter dieses Dorfes'. Es gibt gote
und böse Götter. Die vorzüglichsten guten Götter sind:
CnW'kamidj die Lichtgötter.
N&buri'kamüi^ der Berggott.
Atid-kamüi, die Meergötter.
UniSi'kamüi, die Feuergötter, die Götter des Herdes.
Tüh-kamüi^ die Hausgötter.
Toi'kamüi, der Erdgott.
Tusü'kamüif die Schamanengötter.
Kotän-karapp^, der Gründer der Niederlassung.
K6iki'kamilij die Jagdgötter.
SikdSma-kamüi, die Schutzgötter.
Besonders die Schutzgötter sind unzählige, da jede Gegend,
jede Insel, jeder Hügel, jedes Dorf u. s. f. einen eigenen
Schutzgott hat.
Das Aeussere dieser Götter ist den Ainu's unbekannt.
Bios der Herdgott kommt nächtlich aus der Asche in Gestalt
eines hübschen Knaben hervor und das Angesicht des Licht-
gottes kann man in einer hellen Nacht an dem Monde sehen.
Der Mond der Lichter, oder der Mondgott lebt in dem Monde.
In jedem Neumond wird er geborgen, wächst dann auf, wird
ein Knabe, ein Mann und stirbt am Ende der Abnahme des
Mondes als hochbetagter Greis. Unter allen Göttern hat blos
der Mondgott ein Weib unÄ einen Hund bei sich, welche er
fing, als er in den Mond fortging.
Zu den bösen Göttern gehören:
Ojä»iy der Dämon.
Wen-ojdsiy der böse Dämon. Auch toen-kamüt ,der böse
Gott' genannt.
Känna-kamüi^ der Donnergott.
Der Berggott (nüburi-kamid) wird für einen beinahe ebenso
grossen Gott wie der Gt)tt der Lichter (6uw-kämui) gehalten.
Man hält ihn auch ftir einen gleich grossen.
Der Erdgott (toi-kamti) wohnt in Pöchna-kotkn ,in der
Unterwelt', doch ist nicht bekannt, in welcher Unterwelt, ob in
Unterauchungen über Aintt-OegetisUlnde. 3^0
derjenigen der Menschen, oder in einer besonderen. Wenn
er auch nur den Finger bewegt, bersten die Felsen und die
ganze Insel zittert. Dabei zittern auch die Häuser. Dieser
Gott wird ein grosser Gott ('porb-kamid) genannt.
Einer der Meergötter tibei*wacht die Seefischerei, deren
Erfolg einzig von ihm abhängt. Man bringt ihm die untere
Kinnlade des kleinen Lachses (Hräi) zum Opfer. Atüi-hamid
jMeergott* werden auch alle grossen Seethiere, die Seelöwen,
Robben, Walfische, Delphine, u. s. w. genannt.
Tutiü-dinu oder tu8Ü-kui'ili heisst ein Schamane. Von tunü
,die Schamanenkunst üben^
Tvsii'öinu kamüiy ein Schamanengott, der Gott der Scha-
manen. Derselbe heisst auch kosümpu oder kommbu,
Tu8Ü-kamüi, die von den Schamanen herbeigerufenen Götter.
Von dem Dasein der Götter, ihrem Leben und ihren
wechselseitigen Beziehungen sagen die Äinu nicht ein Wort.
Nur die Schamanen behaupten kühn, dass sie Götter sehen, ihre
Stimme hören, und die Ainu glauben ihnen vollkommen.
Von einem Schamanen vorgerufen, erscheinen die Scha-
manengötter und beginnen mit einem Geräusch ähnlich dem-
jenigen, welches durch eine in der Luft geschwungene Gerte
hervorgebracht wird, zu fliegen. Dieses Geräusch ist ihre Sprache,
welche nur von den Schamanen verstanden wird. Hierauf macht
der Schamane dem Kranken das von den Göttern bezeichnete
Heilmittel, oder irgend Jemandem sein Schicksal, gewöhnlich
ein günstiges, bekannt.
Bei dem Schamanen P<iputu war einst mit dem Schamanen
Chi-ich\ ein Streit, bei welchem P^putu immer zwei Schamanen-
götter sah, welche auf ihn mit Pfeilen schössen und von
welchen der eine traf. Der Pfeil fiel hierauf von selbst heraus
und er blieb am Leben.
Wenn ein Schamanengott auf Befehl eines Schamanen auf
einen Nichtschamanen schiesst, so kann ein anderer Schamane
den Pfeil herausziehen, sonst ist der Mensch auf der Stelle
todt. Die Pfeile der Schamanengötter verursachen keine Wun-
den. Ausser solchen Pfeilen ziehen die Schamanen auch aus
den Eingeweiden der Kranken verschiedene Krankheiten heraus.
Tose heisst eine Rolle aus Hobelspänen des Ini-u. Der
Schamane Kochko nahm eine solche Rolle Hobelspäne aus dem
Siunagsber. d. phü.-bUt. Cl. CUI. Bd. U. Hfl. 23
346 Pfiinaler.
Brustfleische des Ainu Tsi^kajänke heraus und zeigte, dass
dieses ein Oift (s&ruku) sei. Indem er es herausnahm, Hess
er keine Wunde zurück. Die Schamanengötter theilten Kochkö
mit*, dass der Ainu Üiruke dieses Gift hineingelegt habe.
Die Verwandten begehrten desswegen von Uiruke das Blut-
geld ((X8lmpe).
Von dem Schamanen Sir&busis aus Kusün-kotkn wurde
erzählt, er habe ein todtes Mädchen zum Leben erweckt, nach-
dem er ihr an dem Halse in einer Schale kalten Wassers ihre
Seele ausgegossen. Nach einer anderen Angabe habe er ihr
hinter dem Rücken ihre Seele in einer Schale kalten Wassers
ausgegossen. Das Mädchen habe anfänglich die Finger, dann
die Arme und die Füsse bewegt und sei zuletzt lebendig ge-
worden. Dieser Schamane läugnete vor Herrn Dobrotwörski
diese ihm zugeschriebene Erweckung eines todten Mädchens.
Die Seele sehen nur einige Schamanen. Sie sagen, dieselbe
sei von der Gestalt eines ganz kleinen Vogels, der in dem
Herzen lebt.
Namen von Schamanengöttern sind:
ChStsire-kamüi, der spielende Gott.
N'äbiuru-kamüi, der kunstverständige Gott.
Chetstre-kosümbu, der spielende Schamanengott.
Diese drei Namen bezeichnen Götter der Gaukelwerite.
ChMsire-kamiii karä atnw, der den spielendien Gott vor-
stellende Ainu. So heisst der den Göttern der Gaukelwerke
gebietende Schamane.
Chet8ire-tu8Ü-dinu, der spielende Schamane. Dieses Wort
hat die Bedeutung des vorhergehenden.
Öimuß-kamüi'karä, die anbindenden Götter vorstellen, d. i-
Gaukelwerke aufführen. Cimuß ist so viel als mujly anbinden.
Chetsire-kamüi-kardj die spielenden Götter vorstellen. Hat
die Bedeutung des vorhergehenden Wortes.
Ein Mensch, der einen Schamanengott sieht, stirbt augen-
blicklich. Sonst sind nur die Schritte dieser Götter hörbar.
Als Gaukelwerke der Schamanen wurden bekannt:
Der Schamane Cherökki-eku wurde gebunden und band
sich im Finstem los.
Der Schamane P^putu verwandelte Glasperlen aus der
Rinde der Sandweide (silsü) in echte Glasperlen oder in Tabak.
üntenachnngeD &ber Ainn-Oegenfct&nde. 347
Der Schamane P6putu sog ferner Krankheiten ans den
Eingeweiden in Gestalt rothen Fleisches aus.
Die Götter gaben ihm Glaskorallen und Tabak. Er ver-
theilte dieses unter die Anwesenden.
Er liess auf sich mit Pfeilen schiessen. Die Götter
nahmen die Eisenspitzen (kdni) der Pfeile heraus, so dass ein
Pfeilschaft auf die Erde fiel. P^putu hob einen der anwesenden
Ainu empor y und die Eisenspitze fiel diesem zwischen die
FüBse aus dem Gewände heraus.
Pöputu liess Feuer aus dem Munde heraus. Er zerschlägt
eine kupferne Pfeife mit einem Hammer^ steckt sie in den
Mund und nimmt sie als eine ganze Pfeife heraus. Er zerbricht
eine Nadel, steckt sie in den Mund und nimmt sie als eine
ganze Nadel heraus.
Man bindet ihn, doch die Schamanengötter binden ihn los,
indem sie zu ihm bei einem erloschenen Feuer herabsteigen.
Er schöpft in einen leeren, mit keinem Boden versehenen
Zuber (Hntoko) Wasser, welches alle Anwesenden trinken. Das
Wasser läuft aber nicht aus.
Die Ainu gedenken des Schutzgottes (sikdima-kamüi) der
Niederlassung beim Trinken. Vor der ersten Schale Sakfe sagen
sie ein stiDes Gebet her, indem sie über der Schale den Trink-
stiel (ikÜ7iü) fest halten. Hierauf fahren sie über der Schale
mit diesem kleinen Spatel zweimal in die Luft, bringen damit
einen Tropfen Saki zum Opfer fiir den Schutzgott der Nieder-
lassung hin und wenden die Hand nach der Seite, unbekümmert,
ob das Tröpfchen in den Trinkstiel läuft oder nicht. Indem
sie endlich den Schnurrbart emporhalten, trinken sie die Schale
aus. Die letzten Tropfen jedoch wischt man mit dem Zeige-
finger ab und beleckt diesen. Nachdem man zum Schlüsse den
kleinen Spatel auf die Schale gelegt, erhebt man diese zum
Zeichen der Dankbarkeit gegen den Wirth zur Stirn und gibt
sie dem Nächstfolgenden weiter.
IkdnU ,Trinkstiel' ist ein kleiner Spatel, mit welchem man
den Schnurrbart zur Zeit des Trinkens emporhebt. Derselbe
hat oft Verzierungen von Einschnitten. Das Wort ist aus ikü
ytrinken^ und nii ,StieP zusammengesetzt.
In Bezug auf den erwähnten Gebrauch, den^ Zeigefinger
2U belecken, ist ikemümpe ein Name des Zeigefingers. Das
340 Pfismaier.
Wort ist aus Vc^m flecken' und mümpe .Finger^ zusammenge-
setzt. In demselben Sinne sagt man auch itanki-kembe ,der
Trinkschalenfinger*.
Den bösen Göttern bringt man keine Opfer dar. Dem
Donnergotte (kännq-kamiU) desswegen nicht, weil er heftig
zankt (ukoiki-porb).
Kdnna-kamüi ,der Donnergott' bedeutet wörtlich: der obere
Gott. Von kdnna ,ober, oben befindlich', welches mit dem bei
kamüi angeführten japanischen kami übereinstimmt. Davon
kanTia-kamui'fumif die Stimme des oberen Gottes, der Donner,
für welches 9 wie angegeben wird, in der Wörtersammlung
Ptudkin's die Verbindung rUta-kamiti hummi gesetzt ist.
Riäta-karnüi ist jedoch der Himmelsgott, ein besonderer
Gott, nicht der Donnergott, obgleich riita ebenfalls ,ober, oben
befindlich* bedeutet. Für rüta wird auf Jezo dialectisch riki'4a
gesagt. Dasselbe bedeutet sowohl ,ober' als auch ^Himmel',
wie in meinem Wörterbuche zu sehen.
Zu den Opfern für die guten Götter gehört noch die
Sitte, häufig Stäbchen mit Vogelköpfen in die Wände einzu-
fügen. Wenn man über einen Berg geht, wirft man dem
Berggotte einen Finger voll Tabak hin. Sonst werden Thiere
des Waldes dem Berggotte, Vogelköpfe dem Meergotte zum
Opfer gebracht.
Saninä'Ud ist eine Häufung von Flaggen an dem Meerufer.
Man stellt sie an einem hohen und steilen Meerufer (kiserij
und auf Sandbänken (mdsara) zum Opfer für den Meergott auf.
Das Wort stammt von dem einfachen inä-u-si ,eine Häufung von
lAä-u'. Das vorgesetzte san ist von ungewisser Bedeutung.
Die Dämonen (ojdsi) sind die Urheber aller Krankheiten
und gehören zu den bösen Göttern. Da die bösen Gatter von
den guten unabhängig sind, erdachten die Ainu verschiedene
Mittel, um sich vor Schaden zu bewahren.
Ein Dämon, der von Gestalt einem Ainu ähnlich ist, geht
in der Nacht um die Dörfer herum. In dem Dorfe, zu welchem
er gelangt, kommen dann allerlei schwere Krankheiten, vor-
züglich Krankheiten der Brust, zum Vorschein. Die Ainu
nennen ihn auch den Hustengott (önke-kamäi). Das Nahen des
Ojäsi ist jedoch von einem eigenthümlichen Geräusch (ojäM-
chum, Geräusch des Dämons) begleitet. Wenn die Ainu dieses
Untersuchungen Aber Ainn-Gegenst&nde. 349
hören, werfen sie sogleich in das Feuer einen Stein, der bei
den Ind-u des Herdes liegt, und der Ojäsi entflieht.
Der erwähnte Stein, den man als Mittel gegen die Dä-
monen braucht, ist eine Steinkohle (dnH). Dieser Stein, der
von den Ainu von Aniwa nicht verwendet wird, flihrt bei den
übrigen Ainu den Namen ündi-kü8uri jFeuerarznei^
Der böse Dämon (wen-cjäsi), auch der böse Gott (wen-
katnid) genannt, lenkt die Reisenden von dem Wege ab und
bewirkt, dass sie herumirren und vor Hunger sterben. Wenn
man die Stimme dieses bösen Dämons hört, welcher einen
Menschen beim Namen ruft und ihn von dem Wege abin^en
macht, so muss man die beschwörenden Worte chdnka kerndte-
eck küni-nu lä ,8chrecke nicht in der Nacht'! vorbringen, und
der böse Dämon entflieht.
Dieser Dämon macht den Menschen auf zweierlei Weise
wahnsinnig, indem er entweder in der Nacht auf dem Wege
ein Feuer anzündet, oder den Menschen von rückwärts berührt.
Ein Ainu, der in der Nacht auf dem Wege das Feuer des
bösen Dämons gesehen, schlitzt einem Hunde das Ohr auf und
bestreicht sich mit dem Blute das Gesicht. Das Feuer ver-
schwindet hierauf. Dennoch läuft ein furchtsamer Ainu zu der
ersten besten Jurte in einem solchen Schrecken, dass er sich
oft auf der Erde wälzt und man ihn mit kaltem Wasser be-
giesst, oder selbst ihm am Arme einen Aderlass macht.
Wenn ein Ainu in der Nacht hinter sich auf dem Wege
das Geräusch der Schritte des bösen Dämons hört, nimmt er
von sich das untere Leinenzeug weg, entblösst seine zwei
Messer und geht gebückt imd mit seinem Messerchen nach rück-
wärts fahrend daher. Der böse Dämon entflieht, indem er sich
vor den Ainumessern ftirchtet, vielleicht aber auch über dieses
Bild sich schämt.
Der Wahnsinn ist für die Ainu schrecklich, besonders
desswegen, weil sie diese Krankheit zu den unheilbaren imd
schnell zum Tode ftlhrenden zälilen. Die Wahnsinnigen leben
nicht in den Häusern und kommen, in dem Walde herumirrend,
schnell durch Selbstmord oder Hunger um.
Der Ainu Ciwokänke sah im Winter das Feuer des bösen
Dämons nahe dem Dorfe Ai, als es finster wurde, in Gestalt
einer grossen Leuchte. Als er das Ohr des Hundes aufschlitzte
350 Pfizmaier.
und Torbeifuhr, verschwand das Feuer des bösen DämonB,
doch darauf zeigte es sich wieder und war von vom an ver-
schiedenen Orten, dicht bis zu dem Flusse Otoskn sichtbar.
Ein besonderer Gott bringt die Bilder in den Wolken, Thiere,
Berge u. s. w. hervor. Diese Bilder nennt man nUockt8i-kard. Von
niäocJita ,an dem HimmeP, welches so viel als nüora-ocfUä.
Citukdnni ist eine Birke, nach welcher die alten Ainn
und Giläken mit Pfeilen schössen, indem sie die Pfeile zum
Opfer für die Götter in der Nähe der Häufungen der Flaggen
{ind'U-si) aufstellten. Eine solche Birke befand sich vor nicht
sehr langer Zeit unfern von dem Berge Sir&tsi6, einem Orte zum
Ueberwintem an der Ueberfahrt zynischen Käsunai und Mdnuja.
Die Ainu glauben an die Unsterblichkeit der Seele und
nehmen an, dass nach dem Tode die Seelen nach Pächno-kotkn
gehen. Die Seele heisst tramäch oder tramdtri. Das letztere Wort
ist bei den südlichen Ainu üblich. In Pdchno-kotkn geniessen die
guten Menschen alle Freuden. Die bösen Menschen werden
zugleich mit den bösen Göttern gequält. Einige sind aufgehängt,
Andere stehen in heissem Wasser u. s. f.
Aus der Zahl der Thiere leben in Pächo-kotkn nur Hunde.
Für den Bären hat man nach dem Tode einen Wohnsitz in
dem Walde (jamä-kotäny Niederlassung des Waldes), für die
Seehunde und die Seelöwen einen in dem Meere (aüld'kotdny
Niederlassung des Meeres) angewiesen. Die übrigen Thiere be-
sitzen kein Leben nach dem Tode.
Wenn ein Ainu von einem Abwesenden Böses spricht, so
niest derjenige, von welchem man spricht, mit einem Schmerz
in der Nase. Wenn man aber Gutes spricht, so niest derselbe
ohne einen Schmerz in der Nase. Der mit einem Schmerz
Niesende sagt: chimctta $etä koiarurwen ,welcher Hund redet
übel nach?^ Man sagt auch cMmata setä wempe^dniy oder chSmata
setä esdm-pij oder chemata setä sdni-püH ^welcher Hund redet
übel nach?*
Ko6aru-wen , wempesdni, esdmpi und sdni-piA bedeuten
gleichmässig: übel nachreden. Wempesdni steht ftir wen-peadnij
von wen , schlechte In sani-pisi hat piiü allein die Bedeutung
,fragen^
Etü-kiimay sich bei der Nase nehmen. Wenn die Frauen
der Söja-untara Jemanden grüssen, reiben sie sich die Hände,
UntersnchnogeD Aber Alaa-GegeoBtAnd«. 351
erheben sie zum Angesicht, und fahren mit der Hand zur
Oberlippe. Wenn die Söja-äntara und Saruntara sich ver-
wundem, rufen sie O! und nehmen sich bei der Nasenspitze.
Die Sitte, sich bei der Nase zu nehmen (etdrkUma) wird
bei den Ainu von Sachalin selten beobachtet. Wenn sie sich
verwundem, rufen sie gewöhnlich nur 0! ho! sitamare ,Oho!
wunderbarM oder sitamar^na ,wunderbar!^
Wie der Ainu Ciwokänke sagte , gibt es eine Art zu
grÜBsen, welche urankarabarh genannt wird. Der Gruss besteht
darin y dass man sich, gerade wie bei der Danksagung (Jäi-
irdtkere) einmal über den Bart streicht. Ausserhalb des Hauses
entbietet man ihn kauernd, da man sich nicht setzen kann.
Wörter, welche die Art des Grusses bezeichnen, sind noch
umturdipa und indnukarachie.
Urdnkarahare oder urdnkarapare ist dem Sinne nach zu
u-ran-kara-ba-re abzutheilen. Von rdmu ,Gemüth' und karä
,thun^ mit den Endsylben ba re. U-ramu ist soviel als tiko-ramu,
oder das in meinem Wörterbuche verzeichnete iramu ,kennen^
Zu vergleichen hiermit turdnkara-kara ,sich nähern, sich ver-
söhnen' und das ebenfalls bei mir verzeichnete i-ramu-kambare
,eine ängstliche, erschrockene Miene^
Umurdipa ist u-mu-ra^pa abzutheilen. Dabei hat mu die
muthmassliche Bedeutung von mui ybinden, zusammenbinden^
Indnukarachte ist i-nanu-karcuJite abzutheilen. Von nänu
,Ange8icht', karä ,thun' und te ,Hand^ Dass indnukarachte in
japanischer Schreibung durch jangarapte ausgedrückt zu sein
scheint, ist in meiner Abhandlung ,EIrörterungen und Auf-
klärungen über Aino' (S. 1082) zu sehen.
Bei dem Grusse Umuräipa legen die Grüssenden alle vier
Hände wechselweise zusammen. Es kommt zuerst die Hand des
Einen, dann des Anderen, hierauf wieder die Hand des Einen,
dann des Anderen, und zwar so, dass die Daumen Beider
an den Enden einander berühren. Nachdem auf diese Weise
die Hände zusammengelegt, schüttelt man sie oberflächlich.
Wie der Ainu öiwokinke sagte, ist der Gruss Urdnkara-
hare soviel als der Gruss InAnukarachte. Bei dem Grusse
Urinkarabare kauern die Ainu einander gegenüber, reiben sich
zweimal die Hände und erheben sie zum Angesicht, womit die
Sache ein Ende bat. Die Ainu stehen auf und fUUen einander
352 ?fixni»ier.
die Pfeife an, ein Jeder eine fremde mit seinem eigenen Tabak.
Der kauernd entbotene Gruss Uränkarabare findet dort statt,
wo kein Platz zum Sitzen ist, da die Ainu es fttr unschicklich
halten^ stehend zu grüssen.
Der Ainu Ciwokdnke versicherte, dass der oben genannte
Gruss Umuräipa nur unter Verwandten gebräuchlich sei.
Kasäj das japanische kaaa ,SchirmS ist ein Stroh- oder
Bambushut flir Festtage. Derselbe hat breite, mit Fischbein
besetzte Krampen, deren vier Streifchen quer über die Krampe
bis zu einem über dem Hute befindlichen kleinen Kreise, mordphu
genannt, gehen.
Möinma kann als moi-zirna, von moi ,wenig' und dem
japanischen nma ,die Streifen eines Tuches*, betrachtet werden.
Es ist eine Art gemodelter Ueberärmel, welche von Männern
im Winter, besonders bei Schlittenfahrten und der Kälte wegen
getragen werden.
Opömpe ,weite Beinkleider, Kniestück' kann von pompe
,kleine Sache* abgeleitet sein. Dieses Kleidungsstück reicht
nur bis zu der Mitte der Hüften. Man unterscheidet poi-opömpe
,Kniestück aus grober Leinwand^ und setä-opiimpe ^Kniestück
aus Hundsfell'.
Cirapai ,Hemd' ist ein bis zu den Knieen gehendes Kleid
ohne Unterfatter, mit einem Bande zum Zubinden an dem Halse.
Ekaje ist ein gemodelter Saum rings um die Aermel des
Kleides. Von ekäi ,rings umher^ Man sagt auch tusä-ekaji von
tifsä ,Aermel'.
Kdfke ist ein Ledergürtel, an welchem sich gegen siebzig
Schnallen und Ringe befinden. Die Ainu erhalten diesen Gürtel
von den Giläken.
ArtuS heisst der Rock der Ainu. Es gibt vier Arten
dieses Rockes.
Kardnni'drtui ist ein Rock aus dem Baste des Baumes
kardnni oder karä-ni. Derselbe ist ein rother Rock.
Opiwni'drtvA ist ein Rock aus dem Baste des Baumes
opiw oder opiw-ni. Derselbe ist ein gelber Rock.
Kdäco'karä'drtai ist ein bunter Rock mit einem Au&ug aus
Brennesseln und einem Einschlag aus dem Bast des Baumes Opiw.
Tetardpe bedeutet »weisses Kleide Von Utara »weiss*.
Das Wort^ in Mo-siwo-gusa nicht enthalten, hat in der Wörter-
üntenvcbnDf^en Aber Aioa-Oe^eDBt&Dde. öu3
Sammlung Lapeyrouße die Schreibung tetarapi imd wird er-
klärt: Sorte de chemUe d* Hoffe groasiire, et om6 d'wn liB4ri de
nankin bleu au has, ainsi qu'au coUet. Durch ,wei88' würde
somit der ungefärbte Stoff bezeichnet werden.
Hdmpald ist das japanische Fahaki, eine Art Strümpfe.
Man bedient sich deren auf Reisen, damit die Schienbeine von
Gräsern und Aesten nicht geritzt werden.
Mose-kahü ist Brennesselhaut. Die Ainu verfertigen aus
Brennesselhaut Zwirn des Aufzuges zum Weben von Doppel-
matten und bunten Röcken, femer Nähzwirn und ganze weisse
Röcke. Mose ,BrennesseP heisst japanisch ito-wo toru kusa ,die
Spinnpflanze^
Chai ist ein Spinnrockenvoll Brennesseln oder Brennessel-
haut. Chai-ka ist Brennesselzwirn. Von ka, Zwirn. Brennessel-
zwim ersetzt bei den Ainu das Leingam und die Seidenfkden.
Man zieht von der Brennessel die Haut an Ort und Stelle ab,
wenn die Brennessel noch steht.
Ckai-karä ,den Brennesselrocken bereiten*. Dieses bedeutet,
dass man der Brennessel die Haut abzieht.
Chai-kirl ,den Brennesselrocken kratzen*. Dieses bedeutet,
dass man die Brennesselhaut mit dem Messer schabt.
Chajüf-karä ist muthmasslich die Zusammenziehung von
chai-jüfke-karä ,den Brennesselrocken fest machend Es bedeutet,
dass man die geschabte Brennesselhaut anfeuchtet. Dieses ge-
schieht im ganzen Monate September. Im Monate October
hängt man die Brennesselhaut auf Stangen und trocknet sie.
Onka, ein Wort unbekannten Ursprunges, bedeutet: See-
hundfell für Stiefel bearbeiten. Es wird hier die Seehundart
Poröch genannt. Man schabt das Haar mit dem Messer ab
und hängt das Fell auf Böden, wo es unter der Einwirkung
des Regens weiss und zur Anfertigung von Stiefeln tauglich wird.
Etü'korb'kirb, ,mit Nasen versehene Stiefel*. So heissen
Stiefel mit langen und dünnen, nach oben gekrümmten Spitzen.
Dieselben dienen zum häuslichen Gebrauche und für blinde
Greise, welche nicht weit vom Hause weggehen und folglich
nicht anstossen können.
Onnäi'kita 6i an mondkia Üwinte »innerlich schwitzen und
schnell verderben' sagt man von den Ainustiefeln, bei welchen
dieses der Fall sein soll, wenn man sie in der Wärme anbehält.
354 Pfiimaier.
Könko ySchelle^ Kinderklapper' stammt von dem japani-
schen kon-gb ,Diamant^ Der Gegenstand wird statt der Schellen
bei Schlittenfahrten verwendet. Die Kinder tragen ihn häufig
an dem Gürtel.
Öchkew, ökke-u oder öchke-Uf der Kragen, öchkeio-he oder
drtti4 ochkeW'he^ ist ein in den Kragen rückwärts eingenähter
Fleck. Derselbe hat die Gestalt einer Raute mit einer abge-
stampften Ecke. Ochkew-Sntem ist ein diesen eingenähten Fleck
umschliessendes schwarzes Zwimband.
Die Ainu tragen an der rechten Hüfte zwei Messer. Die-
selben heissen i4üd-maldH und sormaMri.
Cüki-maMri ist ein Messer zum Verfertigen der Inä-o, ein
Messer für die Hobelspäne.
Sa-makiri ist das zweite Messer^ welches die Ainu tragen.
Die Bedeutung von sa ist ungewiss. Dieses Messer soll auch
porb-maJäri ^grosses Messer^ und inäsaku heissen. Die ursprüng-
liche Bedeutung des letzteren Wortes ist ebenfalls ungewiss.
Nebstdem tragen die Ainu an der rechten Hüfte den
Gegenstand Öchkita, ein Hörnchen zum Auflösen der Knoten.
Epirike ist ein Messer^ welches die Frauen rückwärts an
dem Gürtel tragen.
Oköre-epirike ist das zweite kleinere Messer, welches die
Frauen an dem Gürtel tragen. Viele tragen es nicht. Der Ainu
Öiwokdnke verwarf dieses Wort und sagte, dass die Frauen
nur ein Messer, das oben genannte Epiriki tragen.
Das Messer Porö-makiri oder In&saku dient zur Bereitung
von Speisen. Das Messer Sa-makiri dient zur Zeichnung von
Mustern, auch zum Zerkrümeln, Zerschneiden u. s. w. Das
Messer C^iki-makiri dient zur Zubereitung der Fische, zum
Schneiden der Hobelspäne der Ini-u und zu allen anderen
Arbeiten in Holz.
Mirh ist ein an der linken Hüfte getragenes Täschchen
fltr Feuerschwamm, Feuerstein und Stahl. Es ist aus Seehund-
fell verfertigt und besteht aus zwei Hälften, von denen die
eine in die andere sich hineinschiebt. Man sagt auch käroma.
Sdchka sind Essstäbchen. Es gibt hölzerne und beinerne,
gefUrbte und ungeförbte. ,
Iph-ki'ku-ä ist ein Stock zum Ausgraben essbarer Wurzeln.
Von tpfe ,e8sen' ki ,thun' und ku-ä ,Stock^
Untennebnngon fib«r Ainn-Gegenstinde. 355
Märe oder mdri ist ein Werkzeug zum Fangen der Wal-
fische oder der an den Ursprüngen der Flüsse befindlichen
Hausen. Es ist eine an einem Ende mit einem Widerhaken
▼ersehene Stange. Man hakt damit den Fisch einfach an.
Mokamcd ist der Name einer essbaren Muschel. Um sie zu
erlangen; durchgräbt man den Meeresboden mit einer Hacke,
welche man nach der einen und der anderen Seite dreht,
wenn man die Muschel nicht erreicht. In der Wörtersammlung
Lapeyrause findet sich : Moeomaie, grand oame d/espice commune,
coquüle bivalve,
Itaänoi oder iödnoi ist der frühzeitige Buckellachs, der
weisse Buckellachs mit kurzer Schnauze. Das Wort ist die Ab-
kürzung von tUän-hembi oder üsän-emibi ^geschmackloser Buckel-
lachs^ Derselbe heisst auch tumäporo. Es ist ein von den
Ursprüngen der Flüsse zurückkehrender, am Leibe mit Wunden
und rothen Streifen bedeckter Fisch mit grossem Kopfe und
grossen Zähnen.
Ödhvjeku heisst das Meerschwein. Man sagt auch ettUpe
kdiki, chümpe kdUd-ääciste ,die den Seelöwen fangende, die den
Walfisch fangende Pfeilspitze^ In dem sonst nirgends vor-
kommenden Ausdrucke äHdete scheint leiste für kSchto ,Spitze
der eisernen Pike^ zu stehen. Die Ainu nennen das Meer.
Schwein auch dim^uneinu ,mit dem Ainu gleich^, weil die von
dem Meerschwein getödteten Walfische und Seelöwen den
Menschen zur Nahrung zu Theil werden.
Chümpe-kemä ^Walfischfiiss' heissen die Schweifflossen des
Walfisches. Man trocknet sie und bindet sie zu zweien zusammen.
Man siedet sie in der Suppe und hält sie ftir sehr schmackhaft.
Ärakbi heisst ein Fisch» der für eine Art Stint gehalten
wird. Derselbe streicht in den Monaten Mai und November in
ungeheuren Mengen. Die Ainu fangen ihn mit Hamen.
Kerö oder atuppi heisst eine essbare Muschel. Die Ainu
verzehren sie roh.
Nipdpo heisst eine Schüssel. Dieselbe dient zum Dar-
reichen von nicht flüssiger Speise.
Von Pilzen (karüi) essen die Ainu bloss eine Art Erd-
schwämme (agaricus piperatiis).
Otäru oder otdruf heissen die Hagebutten. Man trocknet sie
auf den Herden im Winter und isst sie zerrieben mit Fischrogen.
356 Pfiznaier.
Ctpoku oder chvre-kinä ,die rothe Pflanze' ist der Name
einer essbaren Pflanze. Man isst sie getrocknet.
Charä ist das Mark der Pflanze Siturü-kink. Ainn tmd
Japaner trocknen es im Winter und essen es mit Fisch. Nach
einer Angabe essen sie es in der Supp^ Das genannte Mark
wird öchkaju genannt.
AjüS'kinä heisst eine andere essbare Pflanze. Man brät
sie am Feuer.
Toma-rä heisst eine Frühlingsblume mit zwiebelartiger
Wurzel. Die blaue Blume selbst heisst Mpentra, Ra bedeutet
das Mark, auch die Röhre oder der Stengel einer Pflanze und
wird dem Namen der Bltlthe oder der Wurzel angehängt.
Tomä heisst die essbare zwiebelartige Wurzel der oben
genannten Pflanze. Die Zwiebeln an dieser Wurzel sind von der
Grösse einer Haselnuss und gleich Perlen von Bernstein an ein-
ander gereiht. Sie 'sind eine Lieblingsspeise der Ainu und werden
in gekochtem Zustande zugleich mit FlUnderrogen gegessen.
Küh heisst der Waldknoblauch. Derselbe ist ebenfalls eine
Lieblingsspeise der Ainu. Er wird in trockenem und rohem
Zustande , gebraten und gekocht, gegessen und ist zugleich
ein Heilmittel gegen den Scorbut.
Mit dem Safte der Sandweide {jmsu-vX) bestreicht man
im Frühlinge frische Wunden. Die Heilung erfolgt schnell.
Ein Pulver aus dem Holze der Sandweide, genannt susu-m-ko
jPulver der Sandweide', legt man im Winter auf Wunden.
IkSma heisst die heilkräftige Wurzel einer gewissen Ge-
birgspflanze. Sie ist ein vorzügliches Mittel gegen Verletzungen.
Otä-kinä ,Sandpflanze' oder otä-kinahd heisst eine der
Erbse ähnliche Pflanze. Die Ainu gebrauchen sie zu Umschlägen
auf Wunden.
Bamoköwpe heisst eine unter dem Magen der Fische be-
findliche Drüse, welche man als Heilmittel bei Brustkrankheiten
verwendet. Sie dient zu Einreibungen.
lldsach'^h jPfriemenfisch' heisst ein kleiner achteckiger,
kegelförmiger Fisch mit einer mehr länglichen unteren Kinn-
lade. Die aus ihm bereitete Suppe ist ein Heilmittel bei ste-
chenden Brustschmerzen.
Irure oder erikf heisst eine dem Pferdeampfer ähnliche
essbare Pflanze. Man gebraucht sie bei Durchfall und als Speise.
j
Üntonochungan über AinQoOegentt&nde. 3ö7
Rärapa oder iöärapo ist eiae Pflanze mit vielfach zertheilten
Blättern gleich der Schafgarbe. Ihr Stengel hat einen Anflug
von unangenehmen Geruch und Geschmack. Sie wird von Ainu
und Japanern roh und getrocknet gegessen. Die Ainu essen
die Pflanze wider den Scorbut.
Mekiüm ist ein venöser Ausfluss bei Fischen. Derjenige
des kleinen Lachses {6iräi) dient zu Einreibungen der Brust
bei Brustkrankheiten. Die Sache ist dunkel und wird dabei an
die Milz gedacht. Es ist etwas gleich dem obigen Ramokikope,
NüchÖa ist eine aromatische Arzneipflanze. Ihre Blätter
sind auf einer Seite sammtartig und die Bltithen moderig. Sie
wächst an feuchten Orten. Die Ainu bereiten aus ihr einen
Absud, den sie gegen den Husten trinken.
Der Biss der Schlangen von Sachalin, von welchen die
Ainu selten, die Hunde jedoch häufig gebissen werden, läuft
glücklich auch ohne das Schlangenkraut (ojäw-kinä) ab.
P<ird-kinä ist die Bärenklau, eine an morastigen Orten
wachsende Pflanze mit weissen tippigen Blumen, welche einen
kegelförmigen gelben Boden von der Länge eines Fingers be-
sitzen. Von dieser Pflanze nähren sich fast ausschliesslich die
Bären, wenn es keine kleinen Häringe gibt. Sie ist ein Heil-
mittel gegen Wunden. Man legt sie auch auf die Finger bei
Nagelgeschwüren.
SürtJcu ist der Eisenhut. Mit der zerweichten Wurzel
desselben besti*eichen die Ainu ihre Pfeile, welche ftlr sehr
giftig gehalten werden. Nicht selten vergiften die Ainu damit
aus Unkenntniss sich selbst. Bei Kopfschmerzen reibt man
mit der Wurzel des Eisenhutes den Leib ein.
Taräma-ni ist ein strauchartiges, inwendig rothes Nadel-
holz. Man legt es (welchen Theil desselben?) in Umschlägen
auf die Brust bei Husten.
Ckdra-toen-kinä ^die übelriechende Pflanze' oder chüra-wen-
öipoku ,die übelriechende Pflanze Cipoku^* Die Wurzel wird
von den Ainu als ein Mittel gegen den Husten gebraucht.
Cetbi ^weisser Thon', ein mit toi ,Erde' zusammengesetztes
Wort. Derselbe wird bei Brandwunden aufgelegt und dient
auch als Brechmittel.
* Die Pflanie Hpoku wurde oben veneichnet.
358 Pfizmaier.
Toi^hirä'pe bezeichnet, wie DobrotwiJrgki angibt, vielleicht
den Regenwurm. Das Wort ist aus toi ,Erde' und ukwfyßtpe
oder ihurüpe ,Bhiüge\, Fadenwurm' zusammengesetzt. Wie der
Ainu Ciwokänke sagte, essen die Ainu diesen Wurm bei Augen-
krankheiten. Nach Anderen sei sein G^eschmack angenehm.
Wen-kamüt-kisara-pui ,die Ohröffiiung des bösen Gottes' ist
eine Art weicher Muscheln. Diese Muschel dient dem Einsiedler-
krebse zum Wohnorte und ist einem Ohre ähnlich. Man gebraucht
sie bei allen Ohrenkrankheiten. Man giesst auf sie Wasser auf
und bestreicht mit diesem Wasser das Ohr, oder verbrennt sie
und bestreicht mit der in Wasser aufgelösten Asche das Ohr.
Otä-kuru ,Sand anlegend' ist die Wurzel einer gewissen
Pflanze. Pirikarä-kinä ,die Pflanze der Verwundung', aus pit^
,Wunde' und karä ,machen' zusammengesetzt. Man legt beides
auf Wunden.
Ajüstonko ist ein kleiner Fluss- und Teichfisch von der
Länge eines Werschök. Die aus ihm gekochte Suppe ist ein
Mittel gegen Seitenstechen.
Mit dem Safte einer Pflanze, welche die Pflanze phini-
kinä ,die männliche Pflanze' zu sein scheint, bestrich der Ainu
M&sochte die Augen bei Augenlider- und Bindehautentzündung.
Von IhSma, der Wurzel einer unbekannten Gebirgspflanze,
ist nachzutragen, dass diese Pflanze nur in dem südlichsten
Theile von Sachalin wächst. Sie sei im vollen Sinne des Wortes
die Panacee der Ainu, nach Art des chinesischen Ginseng oder
des russischen Zarenkrautes (der gelben Wolfswurz). Sie helfe
gegen alle Krankheiten, besonders diejenigen der Brust. Ausser-
dem verwende man sie auf der Jagd zum Herbeiziehen der
Zobel, Fischottern und Bären. Man brauche sie bloss ein wenig
zu kauen, dann auszuspucken, und die Wirkung sei, dass kein
einziges Thier weggeht, so lange man es nicht tödtet.
Das oben genannte Wort öetbi wird auch ketbi ,Fetterde'
geschrieben. Es ist aus ke ,Fett, Oel, Salbe' und toi ,Erde* zu-
sammengesetzt. Es ist weisser fetter Thon. Derselbe werde von
den Ainu zu Speise verwendet und diene, in Wasser umgerührt,
in grösseren Gaben als Brechmittel.
Bei trockener und weisser Zunge zur Zeit der AnftLlle
von Wechselfieber legt man auf die Zunge Fett und reibt
dieses auf die Zunge mit einem Stäbchen ein.
Untersachnogen über Aina-GegMtt&nde. 359
Sirdtte oder aumpüf bedeutet ,rauh, belegt', von der Zunge
der Kranken gesagt.
Bei Nierenkrankheiten (kinöpi^arakä) essen die Ainu
Hundenieren.
Das oben genannte Schlangenkraut (cjäw-ldnä) wird bei
Schlangenbiss in Umschlägen aufgelegt.
U-räi-ne-kinä ist eine Arzneipflanze. Sie ist essbar, jedoch
isst man sie wenig. Man trinkt einen Absud von ihr bei Syphilis.
Bei Wunden legt man das geschabte Holz des rothen
Johannisbeerstrauches (äneka-nt) oder die zerstossene Rinde der
Sandweide (suau-m) auf. Die Heilung erfolgt nach der Angabe
der Ainu schnell.
Aiieka-ni ,der rothe Johannisbeerstrauch^
Aneka-tur^p oder dneka-ni-tur^ ,rothe Johannisbeeren^
Entzündliche Geschwüre bestreut man mit dem Pulver
des löcherigen Kalksteines, welcher häufig an das Meerufer
nahe bei Kusunki ausgeworfen wird. Die regelmässig cylin-
drischen Löcher dieses Kalksteines, welche von der Tiefe
eines Fingers sind, werden von den Ainu den Blutigeln (vka-
rüpe) zugeschrieben. Die entzündlichen Geschwüre heissen bei
ihnen ukurüpe-chuf ,Blutigelgeschwüre' und werden ebenfalls
dem Bisse der Blutigel zugeschrieben.
Soß'8U7nä ,der Stein in welchen man Löcher bohrt' ist
der löcherige Kalkstein. Von aoß ,Löcher bohren' und sumä
,Stein^ Derselbe heisst auch ukurüpe-tumä ,der Blutigelstein^
Ukurüpe-chuf ist aus vJcurüpe ,BlutigeP und ckuf oder
huf ,entzündliche8 Geschwür' zusammengesetzt.
Sikdchka heisst ein Augenleder, welches man bei Augen-
entzündungen trägt.
SU'kamä ist ein bei Doppelsichtigkeit gebrauchtes Augen-
leder fbr ein einziges Auge. Von sU |Auge' und kamü ,bedecken'.
K&nke-ni oder k&nkeh ist das Beinholz, ein Strauch mit
rothen Blüthen. Könkefh-^ach ist der Bast des Beinholzes. Mit
oeA ^Lindenbast, Bast^ zusammengesetzt. Bei Kopfschmerzen
verbindet man sich das Haupt mit dem Baste dieses Strauches,
was durch könkefi-ach dni sabä muß ,mit Beinholzbast das Haupt
binden' ausgedrückt wird.
KüW'kinä ,Gürtelpflanze' ist die giftige weisse Nieswurz.
Von küw oder kuf ^Gürtel' und kinä ,Pflanze'. Man reibt
360 PfUmaier.
juckende Stellen des Körpers mit dem Safte dieser Pflanze
ein. Der Saft bringt starken Reiz an den juckenden Stellen
hervor. Gegen Jucken gebraucht man auch die Asche dieser
Pflanze mit Oel.
Inkara-kdni ,Sehmetall' ist ein Spiegel. Derselbe ist zu-
weilen einfach ein an einer Seite mit Russ bestrichenes und in
einen Rahmen hineingelegtes Glas.
Irantrdüd ist der Name einer Pflanze mit gelben Blüthen.
Die Ainu bestreichen mit dem Safte dieser Pflanze die Fisch-
gabel, wenn man den Fisch nicht &ngt. Mit trdüd ,tödten'
zusammengesetzt.
Tokösa ^Schachtelhalm^ Von dem japanischen Uhlaua
, Schachtelhalm'. Die Ainu glätten mit dieser Pflanze ihre Holz-
arbeiten.
Eööaro oder döoro ist eine Winterfalle fiir Zobel. Kdma
ist eine FrühUngsfalle. Man legt auf diese Falle einen kleinen
Häring.
Opispe ist soviel als wan-ka ^sechs Stricket Es sind
Stricke zum Zobelfange. Sne-opüpe ,em Opispe' sind sechs
solche Stricke. Tu-opUpe ,zwei OpiÄpe* sind deren zwanzig.
Tdnku sind hundert solcl^e Stricke. Im Winter stellt jeder
Zobelfanger einhundert bis zweihundert Stricke auf.
Durchsicht der Aiuu-Flora.
Die von H. de Charencey verfasste Schrift Recherches tur
la Flore A'ino (Actes de la Societi pkUologique, Tome II. Janvier
1873) enthält, nach den botanischen Namen geordnet , eine
Zusammenstellung sämmtlicher aus den vorhandenen spärlichen
Quellen geschöpfter Ainunamen für Pflanzen. Diese Quellen sind :
1. Martin Gerv, V^^ieSf Reis naar de Eilanden ten N. en 0.
van Japan.
2. Pfizmaier, Vocabularium der Aino-Sprache,
3. Vocabulaire des habitans de Vüe Tchoca in dem Werke
Voyage de La Perouse autour du monde (Paris 1797),
4. Dawydowy Wörtersammlung aus der Sprache der Aino's.
Herausgegeben von A. I. von Krusenstem.
Von der letztere^i, ursprünglich in russischer Sprache
verfassten Schrift gibt es nur eine sehr fehlerhafte deutsche
UntenuchaDgen ftber Aina-QegeDst&nde. 36 1
üebersetzung; welche von Klaproth in seiner Ana polyglotta
mit allen Fehlem wiedergegeben wurde.
Der in das oben erwähnte Reisewerk aufgenommene Ka-
talog ist ein besonderer botanischer Katalog.
Hinsichtlich meines Vocabulariums sagt H. de Charencey:
La traduction en allemandy jpar Pßzmazer, du manud aino-japonais,
intihiU: Mosiwo-Gousa, nous a fait connaitre les myma ainos de
ban nombre de pkmtes non indiquSea dans Vouarage hoUandais.
Ce derrUer se trouvaü par lä m&me ne plus rSpondre aux besoins
de la ecience aetuelle.
Die in der Wörtersammlimg Lapeyrouse vorkommenden
Ainunamen für Pflanzen sind indessen nicht mehr als sechs
an der Zahl.
Unter den in dem Verzeichnisse angeführten botanischen
Namen sollen ungefkhr sechzig^ sowohl was das Oentuf als die
Species betrifft, vollkommen gewiss sein. Bei vielen wird die
Speeies als ungewiss betrachtet^ während bei anderen in ver-
schiedenen Quellen verschiedene botanische Namen angegeben
werden. Unter den verzeichneten 304 Pflanzen erscheint bei
41 auch das Oenus ungewiss.
Fast bei jedem Ainunamen ist das japanische Synonymum
in Parenthese gesetzt. Ich muss jedoch bemerken, dass diese
Synonyma, mit wenigen Ausnahmen, nicht von Vries oder einem
Anderen beigefügt, sondern meinem Yocabularium, wo ich sie
nach dem Mo-siwo-gusa gewöhnlich mit den Ainuwörtem
brachte, entlehnt sind. H. de Charencey bringt nur nach
Thunberg, von Siebold, Hoffmann und Schulz die wahren oder
mnthmasslichen für japanische Pflanzen aufgestellten botanischen
Namen. In meinem Vocabularium erklärte ich sie durch
deutsche oder sonst allgemein gebräuchliche Namen.
In der nachfolgenden Durchsicht berichtige ich die in
dem Verzeichnisse entdeckten Irrthümer auf Grund eigener For-
schungen sowie der sehr zuverlässigen Angaben DoBrotwörski's,
wobei ich zugleich die in meinem Vocabularium enthaltenen
Ainunamen und japanischen Synonyma durch Vorsetzung der
Anüftngsbuchstaben meines Namens kennbar mache. Letzteres
thue ich hauptsächlich in Rücksicht dessen, dass die hier be-
sprochene Schrift vielleicht erst zwanzig Jahre nach Vollendung
meiner Arbeiten ttber Ainu zu Stande gekommen und auch
Sittnngiber. d. phil.-hitt. CI. CUI. B4. U. Hft. 24
362 Pfismaier.
die Entzifferung und Lesung der japanischen Zeichen damab
nicht leicht einem Anderen möglich war.
Die zur Andeutung der benützten Quellen dienenden Ab-
kürzungen bieten auf den ersten Blick nicht Elarheit genug.
Ich ersetze sie daher durch folgende:
Vries, d. i. Martin Gervais Vries statt M. V.
Pfizm., d. i. Pßzmaier statt PF.
Daw., d. i. Datüjfdow statt KL. (Klaproth). Die Ursache
davon erhellt aus dem oben Angegebenen. .
P4r., d. i. La Perouse statt PR.
Sieb.f d. i. t. Siebold statt SD.
Die mit Anführungszeichen rersehenen Stellen sind, bis
auf die veränderten Abkürzimgen und die Nennung meines
Vocabulariums als Quelle, der Wortlaut der einzelnen Nummern.
Ainu - Flora.
A.
1. ,{Vrie8.) Abies hifda. Sunk. Sieb. Syung^ siehe A.
Yezoemie (Vries momi. Sieb, übersetzt durch Abies)*.
In meinem Vocabularium steht sijunku mit den japanischen
Synonymen kara-matsu und je-zo-matsu^ welche ^chinesische
Fichte' und ,Fichte von Jezo* bedeuten^ wofllr ich jedoch ein-
fach ^Fichte' setzte. Dobrotwörski hat dafür suku ^Tanne' und
süku-ni ^Tannenbaum' (CdU). Ni ^Baum'. ijj^ (momC) wird als
ein Baum mit dem Laub der Fichte und dem Stamm der
Pistazie beschrieben. Sunk und Syung scheint willkürliche Aus-
sprache der Japaner zu sein.
2. y{ßieb) Abies hjomolepsis. Fup., fupp {Pßem, aisa^ toio,
Vries. Yezo mats, siehe A. Yezoensis,y
Die von mir aus dem Mosivo-gusa aufgenommenen Syn«
onyma aiso und toto kommen als Namen von Bäumen in den
Wörterbüchern nicht vor. Ich erklärte daher einfach: der Name
eines Baumes.
3. y(Sid>n) Abies leptolqns. KüL Pßzm. Oui {Kara fnais).
Vries und Pßzni., siehe Larix, Piniis larix.*
Bei mir: Gui (jap. kara-matsu), ein Lärchenbaum. Bei
Dobrotwörski hd ^Lärchenbaum' (aHCTBCEHBi^a).
Untennclinngen ftber Ainv-Gegenst&nde. 363
4. y Abtes Yezoensis. Vriea. Fup.^ S. A. homolepaü. Sieb.
Sir ob e^.
Das angeführte Ainuwort sirobe kommt nirgends sonst vor.
5. j(Vrie8,) Acer saccharinum. To bim, wörtl. lactia ctquae
arbor. {Pfiam. Itaya. Vries. Kaide.y
Itaya hat in Mosivo-gusa die Schreibung i^ ^ {itu-ja)
yBretterhaus^ Es kommt als japanischer Name eines Baumes
sonst nicht vor. Kaide bedeutet ^Ahom^
6. yiVries) Acer. Spec. Buch ni. Vriea Futai ni; wörtl.
phareircte arbor [Pfizm. Oho gaaiva, s. TereÜnthi^ indica).
Bei mir: Busi-ni (jap. wowo-gamoa) »eine Art Pistazien-
baum^ Bud oder pas ^Köcher^ Die Form futai ni wurde nicht
aufgefunden.
7. ^(^Vriea) Aconitum KamschcUkaicum. Syosino chUrk.
Pfissm. Syonno churk] wörtl. aagittae venenmn, {Udzu.y
Bei mir: SiJonnO'SJv/ruku (jap. u-dzu\ eine Art Eisenhut.
Syoaino wurde nirgends gefunden. Chwrk ist aijtfruku ^Eisenhut'^
auch ,Gift*. Bei Dobr. aüruku,
8. ,(Fne9) Aconitum ainenae. Sita churk] wörtl. catiia
venenum. {Pfissm. 6twt« Vriea. Tori Kabuto)/
Bei mir: Seta-ajuruku (jap. bu-at), Eisenhut. U-dzii^ bu-ai
und tori'kabuto sind japanische Synonyma.
9. ^(Vriea) Aconitum tenuifolium. Pon churk'j wörtl. partmm
venenum, Pon-iüruku ^kleiner Eisenhut^
10. Adonia aibirica. Kunau, Kumaubo, Vriea Kumaubi
(Pßsm. Fuk zyn ao)'.
Bei mir: Kuna-u und Kuma-ubo (beides jap. faku-ziü-ab)
der Name einer Pflanze. Das japanische Wort wird ^ ^ iSt
(fuku'ziit'aö) ^Pflanze des Segens und der Langjährigkeit' ge-
schrieben.
11. yAeaculua turbinataf Beroni{Tota, tofa no ki, Vriea
Nara? S. Q^ercua.y
Bei mir: Bero-ni (jap. totd), der Name eines Baumes.
Der Baum ist jedoch j^ (totai) yE8che^ Richtig ist daher fotai
yEsehe' und totai-mo ki ^Eschenbaum' zu lesen. Der Baum fj^
(nara) soll Aehnlichkeit mit dem Eichbaum haben.
12. f{Vriea) Agaruma. Species ungewiss. Auf dem Baume
Larix Jepto^. Wachsende Esswaare. Vriea: ^buriko. Klaproth:
Tiburiko,'
24*
364 Pfizmaior.
Liess sich nicht erklären. Der Pilz wird sonst karh^ ge-
nannt. Ipere-ko würde heissen: nährendes Mehl.
13. ^(^Vries) Atroclytrum japonicvm^ Ikidara? (Sasakusa).
S. ArundinariaJ
Bei mir: Ikidara (jap. sasa)^ ^junge (essbare) Bambas-
blätter.'
14. y{Vries) Alga. Species ungewiss. Ikk'e konfu\ wörtl.
Fucus mu8C08U8, dorsi fucus ; von dem japanischen Konfü oder
Kovnbu, fucus (Wakam^y,
Ikke-u oder ikki ,da8 Rückgrats ^ ^ {kan-bu) ,See-
gras, fucus (jap. Wort). Waka-me ,das Hornblatt' (jap. Wort).
Das Ainuwort ftir ,Moos* ist sintrui,
15. yAllium c&pe. Kina cAit; Chu kina] wörÜ. flava herha
(Niray.
Bei mir: Kina siju (jap. nirä), eine Zwiebel. Von kinä
jPflanze* und si-u ,gelb^ Daher: Pflanzengelb. Syu-kina kommt
bei mir nicht vor. Bei Dobr. findet sich: Si-u-kinä ,eine ftir
Menschen giftige Pflanze*.
16. ,{Vries) Allium sativum. Ninnik (Fuksa).^
Nin-niku ^Knoblauch' ist ein japanisches Wort. Fukäa nicht
zu erklären.
17. ,(Vrie8) Allium uUginosum. Hironi, S. Qaercus (Nira).
Fitni (hiru) ,Enoblauch% ein japanisches Wort, welches
gleich dem obigen nin-nihi durch das Zeichen ^^ ausgedrückt
wird. Ihm entspricht das hier gesetzte Ainuwort heroni, in
welchem vielleicht ni ^aum' angehängt sein könnte. Auf
Quercus (mray richtig nara) wird mit Unrecht hingewiesen^ weil
das Wort von heroni (Nr. 11) verschieden ist.
18. Allium, Species ungewiss? (Daw, kido).
Bei Daw. kido ;Bärenknoblauch^ Bei Dobr. kith ,Bären-
knoblauch' (^epeinna).
\2,y Allium Species ungewiss. MemhirOjVOXk dem jap. M&irJ^
Bei mir: Memhiro ^Knoblauch^ Von dem jap. me-biru.
20. ,(Vrie8) Alnas (genus). K6n6 (Fan no ki)J
Bei mir : Kene (jap. fan-no kX)^ der Name eines Baumes.
Das jap. Synonynum wird (jj^ + -^) fan-no-ki geschrieben
und ist die Erle (alnus japonica).
21. ,(Vries) Alnus incana. Nitats K4ne; wörtl. capuli
arbor (Fan no ki),'
rnt«r$«ck«Bf«B AVer Ainii-0^en»tind«. 3(>l>
Bei mir: Nitakk^ne (jap. fan-no fei), der Name einos
Baumes. Also als gleichbedeatend mit kene ,Erle' bezeichnet
Nitats wurde fbr sich aUein oder in der Bedeutung «Handhabe'
nicht gefunden. Doch steht bei mir nüsu ,OrüF^ Handhabe*.
22. y{Vrie8) Älnxu japonica. Yanyan kini; wörtl. Uvis
alnu$ {Fan no fei)/
Bei mir: Yayan-kene (jap. fan-no ki)y der Name eines
Baumes. Also ebenfalls ^Erle^ Yayan (jap. karusi), leicht von
Gewicht
23. y(Vries) Atndanchierf (Mispelbaum.) Imot$it$. (Yama
nasi)y S. PyrusJ
Bei mir: Imotsi-imotsi (jap. erklärt yama-ntm-no gofoku)^
eine Art Holzbirnen.
24. /Vriea) Anacyclusf Species ungewiss. Ota niaik;
wörtl. arenarum juglans/
Ota ,Sand*. Nesiko ,ein Wallnussbaum'.
25. yAndrömeda. (Azemi, V. Carduu$),^
Der Ainuname nicht angegeben. Bei mir u-ei-muni (jap.
ctzami) ,eine Distel.
26. ,(Vrie8) Andropogonf Species ungewiss. Nino (Ka^e
gousay.
Der Ainuname nicht zu ermitteln, ebensowenig das Syno-
nymum kase-gusa. Jedoch findet sich kasa-kuaa als Name einer
Pflanze^ welche auch suzu-kusa ^Schellenpfianze' genannt wird.
27. f Anemone altaica. Üb4u (Tokiy,
Bei mir : Ube-u (jap. tb^ki), der Name einer Pflanze. Tb-ki
wird ^ ^ (ib'ki) geschrieben und ist der Name einer Pflanze,
welche auch jama-zeri ,wilde Petersilie* genannt wird,
28, /Vries) Anemone. Species ungewiss. Futab4ra; wörtl.
operadae cocMear\
Das Ainuwort richtiger putä-perä auszusprechen. Es kommt
jedoch als Pflanzenname sonst nicht vor.
29. y(Vries) Anemone, Species ungewiss. Mokkarbi; wörtl.
tuboA res}
Der Ainuname sonst nicht vorgekommen. In dem Index :
Mukkarbe. Was die Uebersetzung tubae res anbelangt, so flndet
sich bei mir mvkkuri (jap. kutsi-bi'wd), eine Art Maultrommel.
30. /Lap4rouse) Angelicaf Species un gewiss. PechkoutoUy
Dialect von Krafto. S. Polygonum cusptdatum/
366 Pfiinaier.
Bei Dobrotwörski : pScJihäu ,wilder Sauerampfer^ (BOHCsilt
ii];aBeJLB). Die Pflanze sei mehr als mamishoch.
31. ,(Vrie8) AfUhistiria japonica. Um s. LolUum (harkayay
Bei mir: Umu (jap. invrhtrje)^ der Lolch.
32. ^Afium palustre. Itchari-bo; wörtl. qui agit intds
(Yab sirami, Ko syak). (Vries) S. AraUa edulü*.
Bei mir: Itacha-ri-bo (jap. jabu-sirami , ko-ziaku), der
Name einer Pflanze; wilder Celeri oder Liebstöckel. Abgeleitet
von iUcha-ri (jap. 8aT%jb) ein Tragkorb. Von üscha, innerhalb.
Bei Dobrotwörski iSäri oder üidrij ein Sieb (pimero).
33. ,(LapSroit8e) Apiumf Species ungewiss. Tsiboko,'
Bei Lap^rouse: Tsiboko, ache ou dUri sauvage.
Bei Dobrotwörski Ölpokuj eine essbare Pflanze (c%A06hu
TpaBa). Synonymum: chüre hinä ,Aie rothe Pflanzet
34. ,(Vrie8) Apocynwm venetum, Baskuro muni; wörti.
corvi planta^. '
BcuJcuro-muni ^Rabenpflanze' ist bei mir nicht verzeichnet.
35. ,Aralia eduUa. Itchari kina; wörtl. herba gti/oe intus
agit (Vries) lichariboy S. Apium palustre (udOy ko eyaky.
Bei mir: Taima-kina (jap. U'do\ Liebstöckel.
36. y(Vries) Aralia eduiia (die Wurzel). Tsima kina (udo).
Vries S. Heradeum*.
Bei Dobrotwörski: Tsimäkina oder ^ünäktna^ eine gewisse
essbare Pflanze. Wenn man aber viel von ihr isst, so erbricht
man sich.
37. ,(Vries) Aralia pentaphylla. Horokayosi (ükogiy.
In dem Index: Horokayusi. Bei mir nicht verzeichnet.
U'ko-gij jap. der Name einer unbekannten Pflanze.
38. jAraUa, Species ungewiss. Siva (Udoy.
Bei mir: Sewa (jap. w-doj, Liebstöckel.
Bei Dobrotwörski: Sewä-ni, ein hohler Baum (AyiUHCTOe
AepcBo).
39. /Vries) Archemoraf Species ungewiss. Ota kina;
wörtl. arenas herba^,
Otä kinäy Sandpflanze.
Bei Dobrotwörski: Otä-kinä oder otä-kinahlb, eine den&bsen
ähnliche Pflanze. Sie wird zu Umschlägen auf Wunden gebraucht.
40. ,(Vries) Arisaema japonicum* Ura-ura. Vries. Rau-rau
(Ten nan syo)'.
Untersachangen über Aina-Oegentt&nde. 367
Bei mir: Ura-ura (jap. ten-nan-nb), der Name einer Pflanze.
^ ^ £ (^en-nann9io)y arum triphyUunif Drachenvurzel.
41. jArtendaia (genug). Miya. Vrie9, S. Nehmbivm^,
Bei mir: Meya (jap. yoniogi)y Beifuss.
^SpecieB: Noya (Yovnogi)^.
Bei Dobrotwörski: Kamurusä, eine Art Beifuss. Syn. no/d.
42. jArtemida capillarü. Betar noya, Word, alba artemisia
(Kavara yomogiy.
Bei mir: Betaru-noya (jap. kcoßara'yomogi), Wermuth.
43. jArtemisia. Species ungewiss. Taikorbi (Yomogiy,
Bei mir: Tmkwru-he (jap. yomogi), Beifuss.
44. ^(Vries) Artemisia. Species ungewiss. Kamoi noya.
Wörtl. domina artemisia (siro yomogiy,
Kamoi-noja, Götterbeifuss. Siro-jornogi, weisser Beifuss^
weisser Wermuth.
45. ^(Vriee) Arundinaria japonica. Korbe; wörtl. hominis
res {Taiay.
Korbe findet sich als Pflanzenname nirgends verzeichnet.
Koru-be, Besitz, Eigenthum. Take, jap. Bambus.
46. Arundinaria japonica; die Blätter? Ikidara. Vries S.
Phyüostachys und Airodytrum; Futtaky furach (easay.
Bei mir: Ikidara (jap. easajy junge Bambusblätter. Futtaku
oder fvi/roM, (jap. sa;sa)y junge Bambusblätter.
47. , Arundinaria japonica] der Stengel? Top, topp (Takdy.
' Bei mir: topp top (jap. take), das Bambusrohr.
48. yfVries) Arundo nißda. ChukkV.
Bei Dobrotwörski: Suchkif grosses ausgewachsenes Ried-
gras (ocOKa). Das kleine noch grüne heisst toköki oder ki.
49. , Arundo. Species ungewiss Chariki (Yoeiy.
Bei mir: Schari-ki (jsLip. josi), Riedgras.
50. yAster. Species ungewiss. Chamono; wörtl. (Magnus)
sicut Homo (No kiky No giky.
Bei mir: Schamo-no, der Name einer der chinesischen
Sternblume (no-giku) ähnlichen Pflanze. No-giku, die wilde
Goldblume.
51. ,(Vries) Betula. Species ungewiss. Beitats (Kabay.
Bei mir: Bd-tats (jap. kaba), der Name eines Baumes.
368 Pficmaier.
ij^ (Kaha) ist eine Art Kirschbaum, der nur BlUthen trägt.
52. ,(Vrie8) Behda, Species ungewiss. Pfizm. Si itatsu.
Vries, Si tatsu] wörtl. Magna arbor (Kaba)*.
Bei mir: Si-i-tcU^u (jap. kaba). eine Birke.
Bei Dawydow: ,die Birke karimbanü*.
Bei mir: Karimba-ni (jap. sakura), ein Kirschbaum. WörÜ.
Doppelpfeilbaum. Von karimba (jap. kasane-ja), Doppelpfeil.
Im Japanischen wird das Ainuwort fiir ,Birke* durch
Wörter, welche ^Kirschbaum' bedeuten, erklärt. Siri-taUu wörtl.
grosse Birke.
Bei Dobrotwörski : Sitdchniy die schwarze Birke (betula
daurica),
53. jBetula. Species ungewiss. Tats, Tats ni (Kabay,
Bei mir: Tats und Tatsu-ni (jap. kaba), der Name eines
Baumes. Richtig tats ,Birke'^ tats^ ,Birkenbaum^
Bei Dobrotwörski: Tdchni^ die weisse Birke (6epe3a 6^aA).
Davon tdchni-wakka oder tdchm-to-pe, Birkensaft.
: 54. fBetula. Species ungewiss. Ats, Atsni (Vo fio). S.
Broussonetiaf .
Bei mir: Atsu, ats (jap. wo-fib-kawa), Birkenbast. Ats^ni
(jap. wo'fib), eine Birke.
0-fib und sina wird in der gemeinen Sprache des nördlichen
Japan der Papierbaum (kadzi oder kbzo) genannt.
55. jBetula, Species ungewiss. Ki 6rufp ni; Ki irupp-
nSri (Asaday,
Bei mir: Ki-erupp-ne und fei-eritpp-ne-ri (jap. asada), der
Name eines Baumes.
56. jBetula, Species ungewiss. Sei Kabara; Sei Kabarka
(Asaday,
Bei mir: Schei-kabara und schei-kabaru-ka (jap. asada),
der Name eines Baumes.
57. yBoletus igniarius, Species ungewiss. Esswaare von
einer Eichenart (Kormay.
Kormaj in dem Index kurma, soll ein Ainuwort sein,
wurde jedoch nirgends aufgefunden. Es dürfte statt kappara
oder karusi ,Schwamm' gesetzt sein.
58. ,( Vries) Broussonetia^ Species ungewiss. Ats ni, S.
Betvla\
Das obige Atsti-ni, Birke.
ünt«rsachiiiig«a 1kb«r Alnn-Oegenstiode. 369
Ö9. jBuergeria steUata, Maukuch ni (Ko hikts; Gyok ran)
Pfizm. S. MagnoUa ; Wistaria japonica'.
Bei mir: Ma-uhm-ni (jap. ko-busi, gioku-ran), der Name
einer Pflanze^ eine Art Magnolia.
C.
60. ,(Vrie$) Cacalia ddfinifolia. Ihän Zami (Momitsi
hagumay.
Das Ainuwort ihän zami wurde nirgends aufgefunden. Mo-
midzi ,rothe Blätter'. Faguma^ der Name einer Gebirgspflanze.
61. /Vries) Cacalia hastaiaf Komuliadf^
Das Ainuwort homulisd wurde nieht aufgefunden. Vielleicht
japanisch so viel als Jctmuri-sd ,Mützenpflanze^
62. /Vries) Calamagrostisf Species ungewiss. Muri (Mund-
art von Krafto). S. Cerealia'.
Bei mir: Muri (jap. /ama-&ato-no mugi-no gotoku- yone),
eine Art Reis, gleich dem Meeruferweizen (fama-bata-no mugi).
63. ^(Vries) Calendula offidnalis, Ura yini Kina (Kin
sen Kway,
Bei Dobrotwörski : Urdinekina, eine heilkräftige Pflanze.
Sie ist essbar. aber man isst sie wenig.
Kin-sen-kua (die Blume der goldenen Schale), Calendula
offidnalis. Syn. o-guruma.
64. fCampanula. Species ungewiss. Muki kack. (Vries)
Ki keo. Pfizm. Arino firagi^.
Bei mir: Muke-kagi (jap. ari-nofiragi, richtig ari-no fi/uki),
eine blaue Glockenblume (campanula glauca). Syn. ki-kib.
66. y( Vries) Camphora offidnarum, Tsura or (Kosuno
ki) S. Pachyrrhiza^.
Das Ainuwort tswra or ist nirgends vorgekommen.
Kusu^ ki, jap. der Eampherbaum.
66. ,T%unberg, Cannabia ma, Untcha Kina, S. Graaninea*.
Bei mir: Untscha-kina (jap. ma'komo),AßT Name einer ge-
treideartigen Pflanze.
67. fCannabis sativa. Asakara, von dem jap. Asagara^
Hanfstengel, oder nach Hoffm. Pterostyrax Corymbosum (Asay,
Bei mir: Asorkara (jap. asa) Hanf. Von dem jap. asa-
gara, Hanfstengel.
370 Pfizmaier.
68. yTTiunberg. Carduus acaulü. Wei Muni (Azami). S.
Andromeda*.
Bei mir: U-e-i-muni (jap. azami)^ eine DisteL
69. fCarex caespitosa. Imakottuts {Sug£)'.
Bei mir: Imakkotuts (jap. atige), eine Art Riedgras.
70. ,(Fne«) Carex variegcUa, Firachne Kina (ßugiy.
Bei mir: Firaai'ne'kina (jap. suge), eine Art Riedgras.
71. yCarex. Species ungewiss. Chariki {Yod). S. Arundo\
Bei mir: Schari-ki (jap. yosi), Riedgras.
72. y(Vrie8) Carex. Species ungewiss. Irrap (Tsimoy,
Ein Ainuwort irrap konnte von mir nicht auj^efimden
werden. Einige Aehnlichkeit hat das bei Dobrotwörski vor-
kommende irupe oder erüf^ eine essbare, dem wilden Sauer-
ampfer ähnliche Pflanze.
^ -^ (Tsi-mo) ist eine dem Calmus ähnliche Gbbii^-
pflanze.
73. jTTitmberg, Cartkamus tinctoriua, Kuttsi {Ni Kio; Ko
Kwa), S. Spiraea callo&xf.
Bei mir: Kuttd (jap. ko-kwa^ ni-kiö), der Name einer
Pflanze. *
74. yCastanea ve$ca, Yan (Kiri)*.
Bei mir : Yam (jap. kuri), ein Kastanienbaum. Das obige
kiri ist unrichtig.
75. ^(Vries) Catalpaf Ayuch; Ni; wörtl. Sagittas pomdens
arbor (ob formam fructuum). Sin£ {Yartut Kiriy.
Bei mir Apisi-m (jAf, jama-kiri)^ der Name eines Baumes.
Ajud ist als Zusammenziehung von ai-usi ,zu dem Pfeile ge-
hörend' zu betrachten.
Sini als Ainuwort fUr jama-kiri ^wilder Stinkbaum^ (ster-
culia) ist mir nicht vorgekommen.
76. jCercidiphyüum japonicum. Ran Ko (Kaisura no kiy.
Bei mir: Ranko (jap. kaiswra-no ki)y ein Zimmtbaum.
77. yCerealia, Oryza. Kami tats, Vries, S. OenHana. Kima
KochnS Kam, wörtl. Caro qtiae levemfadt sanguinem. S. Oryza.
Muri. Vries. S. Ccdamagrostis, Tsimo Komo Kippd*.
Bei mir: Kamitatsi, Reis^ auch Getreide.
Bei mir: Kema-koschine-kam (jap. käme), der Reis, das
Getreide. Wörtl.: das leichtfüssige Fleisch.
Bei mir: Muri, eine Art Reis.
Untersnclinngea Aber Aina-OegensUnde. 371
Bei mir: TsimokumO'kippij der Name einer Getreidcart.
Kippi (jap. Jdbi), Roggen.
78. yCkenopodium cäbum, vd rubrum» Chiruch Kina
{Akaaay.
Aka-zay jap. Chenopodium aUmm.
Chiruch Kina in Verbindung wurde von mir nicht auf-
gefunden. Es könnte entweder fUr siriU-kina ,Schimmelpflanze^
oder fikr HntuS-kinä yMoospfianze' stehen.
Bei Dobrotw<Sr8ki: StrhS^ Schimmel, Kahm (n^'^ceHs).
Bei Daw^dow: Das Moos schinrusch.
Bei Dobrotwörski : 3(ntu6 {sfntrui), das Moos (auf Bäumen
oder zum Bau der Häuser).
79. y{Vrie$) Oicuta. Species ungewiss. Kamot tdsina*.
Das Ainuwort fUr Cicuta ist mir bisher nicht vorgekommen.
80. ,Ci89ua. Species ungewiss. Bungara, Bungari. Vries.
Fungar a, (Vries. Tauta, I^ssm, Tauta mono)'.
Bei mir: Bungari und Bungara (jap. t9uta'mono)j das
Geschlecht der epheuartigen Pflanzen.
81. j0i$9us. Species ungewiss. Aha, iha, (Pfizm. Dem
Ci88U8 Thunbergü nahestehende und der Erbse ähnliche Species^.
Bei mir: Aha und Iha, der Name einer epheuartigen^ der
Erbse ähnlichen Pflanze (tsuta-mono-nite rname-no gotoku),
82. ,(Frtw) CochUaria. Species ungewiss. Tai, Eise sSri.
S. Raphanua sativus^
Bei mir: Tsi (jap. woiabi), der Meerrettig. Kise-seri (jap.
tcasabi)y der Meerrettig.
83. y^Vries) Convaüaria majalis, Seta Kito {KimthakesSy.
Seta-kitOy wörtlich: Hundeknoblauch.
Bei Dobrotwörski : Kitö, Bärenknoblauch, Waldknoblauch
(HepeMma).
Das jap. kimikakesS ist mir nicht vorgekommen.
84. flTiunherg. Convoltmlua eduUs, S. Dioacorea*,
Das Ainuwort nicht angegeben. Dioscorea ist die lange
Kartoffel (naga-imo).
85. y^Vries) Comtis aUms. Ukanniy Tokorochni?
(Ißdzgiy.
Bei mir: Ukkanni und tokorosi-ni (jap. midzuki), der
Name eines Baumes.
b6. ,{Vrie8) Comus Canadenda, Kakka {Gozen, lata hanoy.
372 Pfizmaier.
Weder das Ainuwort, noch die japanischen Synonyma
wurden von mir aufgefunden.
87. ,(Vrie8) CorydaUs. Species ungewiss. Toma {Vries.
Yezo yen gd sak. Pfizm. Zen-bu)',
Bei mir: Toma (jap. zen-bu), der Name einer Pflanze.
Yen-go-sakUy caUha paltiftris?
Bei Dobrotwörski : Tomäj die essbare zwiebelartige Wurzel
der Pflanze tomarä (tomaträ). Die Lilienzwiebel (capaHa), in
welcher diese Wio-zel besteht, ist aufgereihten Bemsteinperlen
ähnlich.
Tomarä (tomairä), eine Frühlingsblume mit zwiebelartiger
Wurzel. Die blaue Blüthe allein heisst Mpentrai
88. y^Vries) Corylus americana. Ohoba {Hon-bami)^,
Das Ainuwort und das japanische Synonymum sind nicht
mit Gewissheit zu bestimmen.
89. ,(Vries) Crinum mariUmum. Imaki bar, S. LiUium
ccäXowm (Yama-Yuri)',
Bei mir: Imaki-baru (jap. fama-yuri und fime-yuri^ der
Name einer der Lilie ähnlichen Pflanze. Wörtlich: der ge-
zähnte Mund.
90. yCryptomeria japonica. Rabuch ni (jap. Tsugi Mf.
Bei mir: Rabuschi-m (jap. tsugi-Jd), der Name eines Baumes.
91. ^Cympedium vireacens, Imais matta (Yama ran. Var.
Fara ran)*.
Der Ainuname nicht vorgekommen und nicht zu erklären.
Li dem Index: Faru ran statt Fara ran.
92. y{Vrie8) Cypripedium macranihmi. Sita nok\] wörtl.
Canis colsa^.
Das Wort bei mir nicht verzeichnet. Aus aeta ,Hund'
und noki ,Ei' zusammengesetzt.
D.
93. ,( Vries) Dioscorea opposita (die Wurzel). KosOj tsyurip,
onkotsU'ibi {Naga-imoy.
Bei mir: Kosa (jap. naga-imo) eine lange Art Yamwurzeln,
auch unter den Namen der unerklärten Pflanzen.
Bei mir: Tsi-wrip (jap. naga-imo)^ eine lange Art Yam-
wurzeln.
Untersachnngcn Über Aina-Gegenst&ade. 378
£.
94. ,(Vrie8) EleagniLS? Species ungewias. Syu simau
Der Ainuname nicht vorgekommen. Ungewiss^ ob siü-st-
ma-Uj wörtl.: gelbe grosse Rose. Gu-mi (jap.) Oleaster.
95. (Vries). Eleusine c<yi*acana vd indiea, Aira syayam,
Biyaha (FiyS). S. Polygonum fagopyrum.
Bei mir: Äircui-amamu {js,f.ßje), Buchweizen. Mit amamu
(jap. kome) ^Reis^ zusammengesetzt.
Bei mir: Biyc^ha ( jap. jS/ej Buchweizen.
96. /Klapr,) Empetrum. Species ungewiss. Itchku müma
(kamtschadalische Mundart)*.
In dem Index : mumo statt müma, • Bei Elapr. Empetrum,
Apenbeere. Der Ainuname nicht zu erklären, wenn nicht etwa
durch die jap. Zusammensetzung: Idzäcu mamo (Feigenpfirsich).
97. yEquisetum, Species ungewiss. Tchup-Tchup. Vries.
Tchip'Tchip. (To Kusa)'.
Bei mir: Tschup-tackup (jap. to-kusa)^ der Name eiaer
Pflanze, eine Art Equisetum.
98. ,{ Vries) Erianthus, Species ungewiss. Um. S. AntkisHria
Lollium (Kayafy.
Bei mir: Umu (jap. inii-bi-je), der Lolch.
Kaya, langes Gras.
99. ,(Vrtes) Euphorbia latyris. Ikakka (Kan svi). S.
Glycirrhiza^ .
Bei mir : Ikakka, der Name einer dem Sttssholze (ama-ki)
ähnlichen Pflanze mit rother Frucht.
Kan-zui (jap.) die süsse Pflanzenfrucht.
1(X). ;7%un6. Evonymus japonicus vel Europaeus. Konke
ni (Mayumiy.
Bei mir : Konke-ni (jap. mayumi), der Name eines Baumes.
Bei Dobrotwörski : Könkenif das Geissblatt , Beinholz,
(SHMOiLOCTb). Ein Strauch, dessen Holz zur Verfertigung von
Bogen dient.
Mayumi (jap.), der Spindelbaum.
101. yEvcnymus japonicus. Vries. Macha (Masaki) js,^. Wort*.
Bei mir: McucAa (jap. masa-kt), der Name eines Baumes,
eine Art Liyustrum.
374 Pfizmaier.
102. ,(Vnes) Evonymus Sieboldianus. Ukepp; wörtl. Ugneae
cochlearis arbor (Mayvmiy.
Bei mir : Ukep-ni (jap. maywmi), der Name eines Baumes.
Mit vkep (jap. siahi^-si) ,ein hölzerner Löffel' zasammengesetzt.
103. j(VviM) Evonymus subtriflorus. Kachup ni; wörtl.
Cochlearis arbor (MayunUy.
Bei mir : Kaachiup-m (jap. mayurni), der Name eines
Baumes. Mit kaschivp (jap. tiaku-H) ^ein Löffel zum Wasser-
schöpfen^ zusammengesetzt.
104 yEoonymtis. Species ungewiss. Vries, Bunko] Pfizm.
Fungau (Vries). Mayu/mi; Pfizm. der Name eines dem jap.
Mayurni ähnlichen, jedoch grösseren Baumes. Es werden daraus
Ueberschuhe verfertigt'.
Die Form Bunko, kommt bei mir nicht vor.
F.
105. ,Fagu8 pumila, Pira ni (Buna, Bima no ki)'.
Bei mir: Pira-ni (jap. buna)^ der Name eines Baumes.
106. ^(Vries) Fütx, Toha, Tsep ma kina. S. Pterii',
Bei mir: Toha (jap. warabi), der Name einer Art Famkraut.
Bei mir : Taep-ma-kina (jap. warabi) j eine Art Famkraut.
Mit ts&p ,Fisch' zusammengesetzt.
107. fFimbristylis aestivalis (AmanS). S. Gagea^,
Die Pflanze tsikapp toma, eine Frtthlingspflanze mit zwie-
belartiger Wurzel (jap. ama-ne).
108. y(Vrie8) Fragraria indica. Bunki kama furepp
(F£bi itsigoy.
Bei mir : Bunki-ka-ma furepp (jap. febi-itsigo), eine Erd-
beere oder Erdbeeren. Febi-itsigOy wörtl.: Schlangenerdbeere.
109. ,Fragraria veaca. ImarS furepp. Wörtl. Fructus den-
dibue utilis (Itrigo)*,
Bei mir: Ima-re-furepp (jap. itsigo), eine Eirdbeere. Von
tma, Zahn. Wörtl.: die gezähnte Beere.
110. fFritülaria kamschaktaica. Arirakor^ Har, Chirakor
(Kuro yuri), Vriea. S. Sarana\
Bei mir: Are-ra-koru (jap. kuro-yuri), der Name einer
lilienartigen Pflanze von schwarzer Farbe» Dieselbe Erklärung
haben bei mir haru und schira-koru.
üntonuchnngen über Amv-Geg«nBtftnde. 376
Kuro-yurty jap. die schwarze Lilie.
111. ,(Vrie8) Fucus, Species ungewiss. Komfu^ von dem
jap. Kombinf.
Kon-hu, jap. essbares Seegras.
112. ,Fungu8, Species ungewiss. Kappara (TdkSy.
Bei mir: Kappara (jap. take), ein Schwamm^ ein Pilz.
113. ^ungus. Species angewiss. Karst (TaM)',
Bei mir: Karusi (jap. take)^ ein Schwamm, ein Pilz.
114. ,(Vrie8) Fungus, Species ungewiss. Yuku karsi;
wörtl. Cervi figaricas (Mai takiy.
Yuku-lcarusi bei mir nicht verzeichnet. Mit yüku ^Hirsch'
zusammengesetzt.
Mai'take^ jap. ^tanzender Pilz' bei mir ebenfalls nicht
verzeichnet.
G.
IIb. y(Vr{es) Oagealutea. Tsikapp tomat (Amana, Amane)
S. Fimbrütilis aestivalis',
Tsikapp-toma, wörtl. Vogelzwiebel. Bei mir nicht verzeichnet.
Ama-na, ama-ne (jap.), Name verschiedener Pflanzen.
116. ,(Vries) Gautiera yezoensis, Kotokoni*.
Kotokoni ist bei mir nicht verzeichnet.
Bei Dobrotwörski: Kötoko, ein Dreifuss (Taram). Japani-
sches Wort.
Das zu Grunde liegende japanische Wort ist ^ ^
(go-toku) yDreifuss, dreifiissiger EesseP. Hierzu das Ainuwort Ni
yBftum' angehängt, bedeutete daher kötoko-ni wörtl. Dreifussbaum.
117. ,(Vries) Gentianaf Species ungewiss. Kamitats (Sasa
Bin d6), S. Cereaiia, Oryza^.
Bei mir: Kami-taisiy Reis, auch Getreide.
Scua-rin-db, jap. Enzian.
118. (Pfizm.) Glycirrhizaf Species ungewiss. Mit rothen
Früchten. Ikakka. S. Euphorbia.
Bei mir: Ikakküf der Name einer dem Süssholze (ama-ki)
ähnlichen Pflanze, mit rother Frucht.
119. fGongranema. Species ungewiss. Penup; wörtl. ex aqua
nascens (Ikima, Vries. UrosUlmay,
Bei mir: Penup (jap. ikema), der Name einer Pflanze.
Mit pe yWasser' und nu ^hervorbringen' zusammengesetzte
376 Pfizmaier.
Ikema (jap.), Mechoacana (weisse Rhabarber).
120. yQossypium herbaceum, Diba, Chenkaki (Ei wata,
Wata no kiy.
Bei mir: Deba (jap. ki'WaJta)^ eine Baumwoilenpflanze,
go88ypium herbaceum.
SchenkaMy ebenso erklärt.
121. ,(Vrie8) äVamin^a ? Species ungewiss. leyo; Pfizm.
layo kina; wörtl. usUaJta herba (Yama kusa/.
Bei mir: hio-kina, der Name einer Pflanze^ wörd. die
gewöhnliche Pflanze.
Jama-gusay jap. der Name einer Pflanze^ wörtl. die Berg-
pflanze.
122. ,(Vrie8) Graimneai Species ungewiss. Siki (Otii kaya)*.
Bei mir: Schi-kina (jap. gama), eine Binse.
Oni-kaja, jap. die Dämonenbinse.
123. yGramineaf Species ungewiss. Untscha] Pfizm.
Untscha kina (Makomo; Thumb, Camiaim may\
Bei mir: Untscha-kina (jap. ma-komo), der Name einer
getreideartigen Pflanze.
124. ,(Klapr,) HeUeboras, Species ungewiss. Techukup
(kamtschadalische Mundart)^
Dobrotwörski verzeichnet: Suküp, weisse Niesswurz (qeiie-
pHAa).
125. ,(Vrie8) Hera^umf Species ungewiss. Tsima. S.
Aralia',
Bei mir: Tsima-kina (jap. u-do), Liebstöckel.
126. /Vries) Heracleum. Species ungewiss. Bit^,
Büf als Ainuname für eine Pflanze nicht au£sufinden.
127. ,(Vrie8) Hordeum vulgare., Pfizm. MengurOy (Vries),
Menkuro (Mugi/.
Bei mir: Mengu/ro (jap. mugi), der Weizen.
128. y(Vrie8) Hydrangea acuminata. Kikin ni; wörtl.
fricans arbor, Pfizm. Eine der BotUera japonic^ ähnliche Art
mit Frucht. S. Boiüera'.
Bei mir : Kikm-ni, der Name eines dem Japan. Ädzuia
ähnlichen Fruchtbaumes. Mit kiki (jap. nd-wo kaku) ^sich kratzen'
zusammengesetzt.
Untersachnng&n über Ainu-üegenstände. 377
I.
129. ,(Vr%es) llex crispa. YSto kator^ni (Yama yadomeY,
Die Richtigkeit sowohl des Ainunamens als des japanischen
Namens iiicht zu bestimmen.
130. yfVries) llex integra. Lyamun, wahrscheinlich für
rya muni, wörtl. planta procrastinatrix (motsi no kiy.
Das Ainuwort aus Bija (jap. tosi-wo suguru)^ ,die Jahre
zurücklegen* und muni ,Pflanze* zusammengesetzt.
Motsi-no ki, wörtl. Kuchenbaum.
131. yUlicium, Species imgewiss, mit rothen Früchten.
Uttoba kina*.
Bei mir: Uttoba-kinuy der Name einer fruchttragenden
Pflanze, ähnlich dem japanischen sikimi.
Sfücimi (jap.), Illicium anisatumf
132. ,(Vine8) ImpercUa pedicdlatu. Nupkauch^ wörtl. agros
possidens (Pfizm. Inu biye, 8. Lollium. Vries. Tsi gaya)*.
Bei mir: Nupka-usch (jap. inu-bi-je) , der Lolch. Mit
nvpka ,Feld' zusammengesetzt.
Tsi-gaja, jap. Riedgras.
133. ,(Vrie8) Iris japonica. Bittoki] Chuve (Syakay,
Bei mir: Bittoki (jap. siaku), der Name einer Pflanze.
Siu-u-e (jap. daku), der Name einer Pflanze.
134. ,(Vrie8) Iris Kaempferi. Sit au (Kaki tsvhatay.
Bei mir: Schita-u (jap. kaki-tsubcda), der Name einer Pflanze.
Kaki'tmibatft (jap.), Iris sibimca?
J.
135. yJuglans nigra, Nechko (Kurmi). — Die Frucht,
Enum, Enomi, Ninomi (Kurmi no miy.
Bei mir: Nesiko (jap. kurumi), ein Wallnussbaum.
Bei mir: Ninvmu (jap. kurtimi-no mi) , eine Wallnuss.
Auch ninomi, enumu, enumiy enomi.
136. yJuncus ejffusus, Opkikina; wörtl. hastaeherba (Okoiy.
Oho-m, jap. die grosse Binse.
137. yJuncm, Species ungewiss. Pfizm. S. Typha*.
Das Ainuwort ist schi-kina (jap. gama), eine Binse. Wörtl.
grosse Binse.
SitzungBber. d. pliil.-hist. Cl. CHI. Bd. II. Hft. 25
378 Pfixmaier.
L.
138. ,(Vries) Lappa ? Species ungewiss. Sik bechoro
(Yama kobo). S. Phytolacca octandraK
Unter den Namen der Fische, aber nicht der Pflanzen,
wurde von mir gefunden: Schiki-be-schioro , der Name eines
dem jap. taika ähnlichen Fisches.
Jama-gO'bb (jap.), die Bergklette oder wilde Klette.
139. ,(Vrie8) Lappa edulis, Sita Korokoni (die Wurzel),
wörtl. canis nardosmia. S. Nardosmia (Koboy die Pflanze/.
Bei mir: Koru-ko-ni (jap. fugt), der Name einer Pflanze.
Vorgesetzt aeta ,Hund*.
Go-bb (jap.), die Klette.
140. /Vries) Larix europaea» Gui. Ö. Abies leptolqpis,
Pinus densißora'.
Bei mir: Gui (jap. kara-matsu), ein Lärchenbaum.
141. ^(Vries) Laurinaea. Species ungewiss. Binni, wahr-
scheinlich für Binni ni, wörtl. mascuLua arbor (Tamo no ki).
Thunb. tibersetzt Tamo durch Laurus indica'.
Binne-ni wörtl. der männliche Baum. Tamo als Name
eines Baumes, ist ein Wort der gemeinen jap. Sprache und in
keinem Wörterbuche enthalten.
142. y(Vrie8) Laurinaea, Species ungewiss. Tsikicha ni
(Adza iamay.
Bei mir: Tsikischa-ni (jap. akchtamo) , der Name eines
Baumes.
Aka-tamo (jap.), rothe Lorbeerpflanze. Adza tama ist ein
Druckfehler.
143. ,(Vrie8) Lespedeza. Species ungewiss. Pflzm. Singepf.
( Vries) Sinkepf (fagi), Tkunb, Lythrum aalicaria, S. Lythrum^.
Bei mii': Schingep (jap. fagi), der Name einer Pflanze.
Fagi (jap.), der Weiderich (Lythrum salicaria).
144. ,Pfizm. Liehen, Species ungewiss. Nip kapvy wörtl.:
arbonim peUis, (Haf Aehnlichkeit mit der Haut des Boletus
igniaHusy.
Bei mir: Nip kapüy eine dem Moose auf verfaulten Bäumen
ähnliche Pflanze, eine Flechtenart. Von nip ,HoIe im Allgemeinen'
und kapüy Haut, Rinde.
145. fLtgtdaria Kaempferi. 0 in am ata (Tauva bukt)*.
Üntenochangen flb«r Aian-Oegenst&nde. 379
Bei mir: O-inamatsu (jap. tsuwa-hvki), der Name einer
Pflanze. Tsmoa-huki (jap.) Ligidaria, ÄHchenkraut? Bei Kämpfer
ist tsuwa-buki nicht zu finden.
146. ,(Vrie9) LigusHcumf Species ungewiss. S4ta ubeu.
Wörtlich: canis anemone^.
Bei mir: Ube-u (jap. tö-ki), der Name einer Pflanze.
Gleichbedeutend mit jama-zeriy wilde Petersilie. Vorangesetzt
seta, Hund.
147. ,Ligib8trum obtusifoUum, Ni rui, wörtl. : lignum
cr(M8um (Ima kiy.
Bei mir: Ni rui (jap. iwa-ki)j der Name eines Baumes.
Iwa-ki, Felsenbaum.
Ni-nd, dick von Holz.
148. ylÄllhim callosum. Ni yokai; Imaki bar, wörtlich:
bneca dentibus mitnita, 8. Crinum maritimum; Thure, turep, S.
Lillium poviponiacum. (Firne *juri, Bata yuri, Yama yuriy.
Bei mir : Niyokai (jap. fime-yuri), eine Lilie. Fime-yuri,
eine rothe Lilienart (liliwtn pomponiwn).
Bei mir: Ima-ki-bai^ (j&^.fama-yurij fime-yuri), der Name
einer der Lilie ähnlichen Pflanze. Wörtl. : der gezähnte Mund.
Fama-yurij wörtl. die Meeruferlilie.
Türe wird bei mir nicht verzeichnet. Turep {j&p. fime-yuri)
der Name einer Lilienart.
Bei Dobrotwörski : Turep, eine Beere (avojifi,). Davon
tur^p-kem, Beerenblut (zum Färben ji:ebrauchter Saft rother
Beeren).
Bata yuri d. i, fama-bafa-yuri ,^l{iGni{erlili& ^r fama-yuri
gesetzt.
149. ,{Vrie») Lilliuju cauadetise, imakiant^ wörtl.: denn
miuHta (Knruma yuri)*.
Bei mir: Ima-ki-ane (jap. kuruma-yuri), der Name einer
der Lilie ähnlichen Pflanze. Wörtl.: dünnzähnig.
Kuruma-yuri (jap.), wörtl. : die Wagenlilie.
150. ffVriim) Lillium partheneionf (Firne yuri), S. Lillium
rallosum*.
Das Ainuwort ist furep, eine rothe Lilienart.
151. j(Thunb, oAQvSiebJ) Lillium pomponiacumf Turep;
(Vries) Thure p. (Firne yuri, S. Lillium caUosum; (Vriei) Bata
yuriy.
25»
380 Pfismaier.
Turep (jap. fime-yuri), eine rothe Lilienart.
152. jUllium. Species ungewiss. Binnera. ( Vries). S. LH-
lium canadense (Kuruma yv/riy.
Kwnima-yuri (jap.), die Wagenlilie.
Binne-ra, wörtlich: männliches Mark, männliche Röhre.
Mit hinne ^männlich' und ra ^Mark^ zusammengesetzt.
Bei Dobrotwörski : Ra, das Mark (crepaeHL) einer Pflanze,
der Stengel oder die Röhre (cTBOiii») einer Pflanze. Dieses Wort
werde dem Namen der Blüthe oder der Wurzel hinzugefügt.
153. ,(Vrie8) Linaria. Species ungewiss. Yukkatomabak
(Yükf, Cermsy.
Das Ainuwort lässt sich mit keiner Gewissheit erklären.
Es mag aus yuku ,Hirsch', ka ,Zwirn', tomu ,Farbe', bake ^opf
zusammengesetzt sein.
154. ^Pfizm. Lollium temuientumf Um (Inu biyS). Vries,
S. Antkistria, Ei*ianthus^,
Bei mir: Umu (jap. inu-bi-je)^ der Lolch.
155. ,(Vrie8) Lonicera nigra, Tonkayu (Biyotambok), S.
Xyloateum^.
Sowohl das Ainuwort als das japanische Wort sind mir
nicht vorgekommen.
156. yLuzida campestris. Vries. Riten muni, wörtUch:
nitida planta (Suzumeno yuriy.
Bei mir : Riten-muni, der Name einer dem Riedgras (suge,
Binse) ähnlichen dünnen Pflanze. Mit riten ,rein, lauter, klar*
zusammengesetzt.
Suzume-no yuri (jap.) wörtl. : die Lilie des Sperlings.
157. ,Thunb. Lythrum salicaria, S. Lespedeza.
Das Ainuwort ist singep ,der Weideriche
M.
158. yMagnolia acuminataf Buch ni, Fuch ni, wörtl.:
pharetrae arbor, (Oho gasiwa), Pfizm. S. Terebinthus indicaf
(Vries) S. Acer^.
Bei mir: Busi-ni (jap. wowo-gasiwa), eine Art Pistazien-
baum. Mit btisi (jap. ja-bako) ,Köcher^ zusammengesetzt.
159. ,(Vi'ie8) Magnolia hypoleuca, Ikayup ni, wörtl.:
pharetrae arbor. (Pfizm. Oho gasiwa, S. Terebinthus indica;
Vries, Höno kijt.
üntomicbongen (kb«r Ainn-Gegenstfnde. 38 1
Bei mir: Ikajup-ni (jap. wowo-gasiwa), ein grosser Croton-
baum. Mit ikajup (jap. ja-bako) ,Köcher^ zusammengesetzt.
Fd-no ki ,der Baum des rohen Stoffes* (jap.), der Name
eines Baumes. Auch fowo-gasitoa ,der Pistazienbaum des rohen
Stoffes^ genannt.
160. y(Vries) Magnoliacaf Species ungewiss. Mau-kuch
ni (Ko hutSy S. Buergeria stdlata; Gydk ran)'.
Bei mir: Moruhm-ni (jap. ko-busi, gtoku-ran), der Name
einer Pflanze, einer Art Magnolia. Mit mc^ukuri (jap. towdru)
^durchdringen' zusammengesetzt.
161. ,(Vrie8) MicropteUa parviflora oder parvifolia, Opcha
ni, Kine ni. (Nird; Sabita; Pfizm., S. ülmusy.
Bei mir: Opscha-ni (jap. nire, sabita), eine Ulme. Syn. ki-ne-ni.
162. ,Milliumf Species ungewiss. T^tfen ^mam; wörtlich:
nitida aryza (Mots ava) S. Panicumf.
Bei mir: Riten-amamu (jap. motsi-awa), der Name einer
Art Hirse.
Amamu (jap. käme), Reiss, Getreide überhaupt.
163. ,(Vriea) Morus indica. Techma (Kuva)^,
Bei mir: Tesima-ni (jap. kuwa), ein Maulbeerbaum. Mit
tesima (jap. kandziki) ^Stelzschuh' zusammengesetzt.
164. ,(Vrie8) Mulgediumf Species ungewiss. Vavahal
(Mundart von Krafto)'.
Dieses Ainuwort ist offenbar fehlerhaft imd lässt sich
nicht berichtigen.
165. ,{Vries) Muscus edtdis, Species ungewiss. IkkS mal
mal (Kok6 no miy.
Bei mir: Ikki-mai-mai (jap. koke-no mi), eine Moosbeere.
Wörtlich: Frucht des Mooses.
166. ,(Vries) Muscust, Species ungewiss, i^ur/cama; Pfizm.
Furkamal (Kokiy.
Bei mir: Furvkamai, der Name einer ungenannten Pflanze.
167. yKlapr. Muscu». Species ungewiss. Chinruch; kam-
tschadalische Mundart, Odop*.
Bei Dawydov: Schinrusch, das Moos.
Bei Dobrotwörski : Sintv4 (sintniS) das Moos (auf Bäumen
oder zum Bau der Häuser).
168. /Vriea) Myosotis apulaf ? Kavara kSna, (Der Name
vielleicht jap.)^
382 Pfizmaier.
Kawara-kena (jap.), der Name einer Pflanze (prenanthesf).
169. ,(Vries) Myosotis. Species ungewiss. Kappara, wahr-
scheinlich kavara, 8. Fungus^.
Kappara (jap. take), ein Schwamm, ein Pilz.
Kaioara erinnert an das obige Kaioara-kena.
BT.
170. ,(Vrie8) Nardosmia japonica. Maka yo; Korkoni;
Vries. S. Lappa edulis (Fugi; Fuki no to)*.
Bei mir : Maka-yo (jap. fvid-no t6), der Name einer Pflanze.
Bei mir: Koru-ko-ni (jap. fugi)j der Name einer Pflanze.
171. ^(Vries) Ndumbium gpeciosum (die Wurzel). Miya,
S. Artemisia (Haitis)',
Meya ^Wasserlilie' scheint in dem Mo-siico-gusa mit Noyn
Beifuss^ verwechselt worden zu sein, wozu daö einander ähnliche
Kata-kana von me und no Anlass gab.
Hat»{8u (jap.), Wasserlilie.
Bei Dobrotwörski ist Nojä ein Synonymum von kaimmisä
(kamuti^usä), eine Art Beifass (nepHOÖEiJibHnsi).
172. ,Nicotiana tabaccum. Tambako, von dem jap. TaAako*,
Bei Dobrotwörski: Tämbaku, Tabak.
173. ,(Vrie8) Nyphar japonicum. Kabato (Kava baue; ko
boniy.
Bei mir : Kabato (jap. kawa-bone), der Name einer Wasser-
pflanze.
Kawa-bone (jap.), die Seeblume (nympkaea Itttea), Syn. kb-
boniy kawa-na-gusa .
O.
174. y(VHe8) OrcJiis. Species ungewiss. Likon kamu'i kina;
wörtlich : domini cervi herba^.
Zu lesen : Ri-kon-karnui-kina, die Pflanze des verständigen
Gottes.
Bei mir: Rikon kanwi, der Name eines einer Hirschkuh
ähnlichen Thieres von der Grösse eines Hundes. Ofi^enbar das
jap. 5IHI >|fi (rl-kon) ,verständig' zu Grunde liegend.
175. yOryza sativa, Amnm^ Fu am am, Bunma, Numi-
Numippi, Kema kochni Kam, S. Gentiana. (Korne)',
Bei mir: Anuimu (jap. kome), Reiss, auch Getreide über-
haupt. Syn. Amama, Fu-amamu, Bunma, Numi-numippe,
UnterBaehnngen ftber Ainn-Gegenstinde. 383
Bei mir: Kema-koachine-kam (jap. kome), Reiss, auch Ge-
treide. Wörtlich; das leichtflissige Fleisch.
176. yOryza. Species imgewiBs. Muri (Fama batano mugino
gotoku yondy.
Bei mir: Muri, der Name einer dem Uferweizen (faTna-
bata-no mugi) ähnlichen Reissart.
P.
177. ,(Vries) Pachyrrhizus Thunbergianus, O-'ikara (Kudz
kadzura; Pfizm. übersetzt auch Ftlasse). S. Camphora^.
Bei mir: O-ikara (jap. kadzura), Flachs. Kudzu oder
kudzu'kadzura (jap.), Flachs.
In dem Mo-sitvo-gusa wurde die jap. Erklärung unrichtig
gelesen. Es soll offenbar kusu ^Eampherbaum' heissen.
178. jPanicum italicum vel milliaceum, Kiten amam, wört-
lich : furcae piscatoriae (yryza ; Mudjiro ; Muri kunni, wörtlich :
nitida oryza; Tsipski (Awa; [Vries] Kibi), S. Cerealia, Oryza\
Bei mir: Ki-U^na-amamu (jap. awa), Hirse. Wurde die Zu-
sammensetzung mit ki-te (der Körper, eigentlich die Rinne des
zum Fischfange bestimmten gabelförmigen Holzes) angenommen.
Bei Dobrotwörski : JKf^, eine eiserne Lanze mit eisernen
Spitzen und einem Riemen. An diesen Gegenstand wird ein
Aufeatz, eine lange Lanze (tunä) gebunden. Man filngt damit
Seehunde und Seelöwen.
Bei mir: Mudschiro (jap. awa), Hirse. Syn. Muri-kunne,
aipusi'ke.
Kibi (jap.), Roggen.
179. /Vries) Peucedanum japonicum, Kenia poro (Bofö)'.
Bei mir: Kenta-poroy der Name einer dem jap. bo-fü, der
,Ufermalve' ähnlichen Pflanze.
180. ,(Vrie8) Pevcedanumf Species ungewiss. Uraibauch
(Po rü ni nitey.
Bei mir: U-rai-ba-usi, der Name einer Pflanze, ähnlich
dem jap. bo-fHy der ,Ufermalve*.
181. /Vries) Phaseolus mungo. Ätaki , von dem jap.
Anthuki*,
Bei mir: AnivJd (jap. ko-mnme)^ Bohnen. Von dem jap.
adzuki, Bohnen. Verwechslung des Ainuwortes mit dem jap.
Worte.
384 Pfizmaier.
182. ,(Vrie8) Phyllostachys? Species ungewiss. Saea (Iki-
tara). S. Arundinaria japonica, deren Blättert
Bei mir: Ikidara (jap. sosa), junge Bambusblätter. "Ver-
wechslung des Ainuwortes mit dem jap. Worte.
183. ,Phytolacca octandra, SSta kor okoni, wörtlich: canis
nardoamia (Yama go hu), S. Lappa^.
KorU'ko-ni (jap. fuki), nardosmia japonica,
184. yPinus densiflora. Kui (Aza mats). S. Äbies hptolepig'.
Bei mir: Gui (jap. kara-matsu), ein Lärchenbaum.
Äka-matsu (jap.), die rothe Fichte.
185. jPinus larix, S. Larix europaea. (Vries) Pinus parvi-
flora vel pauciflora» Ine k4re ni, TsUcapp fvpp, wörtlich: avi»
abies (Go yo no matsy.
Bei mir: Ine-kere-ni (jap. go-yo-no matsu), die iiinf blätterige
Fichte. Syn. fdkapp-fuppy die Vogeltanne.
186. ^(Vriea) Pisum sativum, Pasitkara (Yen ddy.
Bei mir: Pasikufara, der Name einer der flachen Erbse
(yen-do) ähnlichen Pflanze.
187. ,Pfizm. Pisum, Species ungewiss. Menachiyar (Ibi,
No yen dOy,
Bei mir : Mena^chi-yaru (jap. ibi und no-yen-do), wilde Erbsen.
188. ,(Vries) Plantago kamschatkaica» Y4rum kina (Yezo
obako^.
Yerumu-kina, wörtlich: Rattenpflanze.
Ye-zo owO'bakOf der grosse Wegerich von Jezo.
189. y( Vries) Podocarpus maki, Tsik ni. Pfizm. übersetzt
durch ,Holz' (Mi/.
Bei mir: Tsiku-ni, tsigu-ni, das Holz. Inwiefern dieses
ein Fehler ist, lässt sich augenblicklich nicht untersuchen.
190. ,(Vries) Polygonatum latifolimn? Beben kina'.
Der Ainuname ist bei mir nicht verzeichnet.
191. ,( Vries) Polygonatum, Species ungewiss. Isui'.
Der Ainuname ist bei mir nicht verzeichnet.
192. ,Thunb, Polygonum barbatumf Kapai (Äi/.
Bei mir: Ka-pai (jap. ai), Indigo.
193. y Polygonum cuspidatum. Chikkut (Itadori) ; Pfizm.
tibersetzt durch Polygonum sinense'.
Bei mir: Schikkutu (jap. ita-dw^i), der Name einer Pflanze,
das Polygonum chinense.
üntersnchongen ftber AinQ-6«genat&nde. 385
194. yPolygonum fagopyrum. Airach amam ; Tunach
cimamy wörtlich: cder oryza, (Fiyi, Biyaba [Vries], S. Eleusiney.
Bei mir: Airan-amamu (jap. ^'e), Buchweizen.
Tunaschi-amamu (jap. ßje), Buchweizen. Wörtlich : früh-
zeitiger Reiss.
Bija-ba (jap. ßje)y Buchweizen.
1 95. , Polygonummultiflorum. Pfizm. Hekutut ; ( Vriea) Ko kuth,
Ikokuth, S. Angdica ; Sikkwä (Pfizm. Ktca im; (Vries) Inu itadoriy.
Bei mir : HekuktUu (jap. kwa-tai), der Name einer Pflanze.
Ikokutu (jap. itU'dori), der Name einer Pflanze (poly-
gonum chinense),
Sikkutu (jap. ita-dori), Polygonvm ckinense,
196. ^Pfizm. Polygonum sinense. S. Polygonum caspidatvm'.
Das Ainuwort ist Sckikkutu (jap. ita-dori).
197. fKlapr. Populus alba. Syh nyh (kamtschadalische
Mundart). Wörtlich: magna arbor^.
Scki-niy wörtlich: grosser Baum.
198. y(Vrie8) Popvdua, Species ungewiss. D&roK
Das Ainuwort dcro bei mir nicht verzeichnet.
199. jPorophyllum japonicam, Popkikina, wörtlich: cale-
fadens arbor (san-sifsuy.
Bei mir : Popke-kina (jap. san-süsi) , der Name einer
Pflanze. Mit popke ,warm, heiss' zusammengesetzt.
Die Pflanze aan-sitsi heisst auch yama-urusiy wörtlich:
Bergpech.
200. j^Vries) Potentilla, Kizi muziro'.
In dem Index: Kizi rnusiro. Wird als Ainuwort von mir
nicht verzeichnet. Als japanisches Wort betrachtet, kann es
kisd-rmisnro ,Fasanenmatte' sein.
201. ,( Vries) Primula farinosa, Konzumui (YvJcoari so)',
Konzumui wird von mir unter den Ainuwörtem nicht ver-
zeichnet. Als japanisches Wort betrachtet, könnte es für ko-
zumai ^kleiner Wohnort* stehen, ähnlich dem obigen kizi-musiro.
Das jap. Synonymum, welches bei mir fehlt, kann als
juM-tcare-sb ,die schneegetheilte Pflanze' betrachtet werden.
202. yPruntia csrasus. Karimba ni, wörtlich: dnplicis
sagittae arbor (Zakray.
Bei mir: Karimba-ni (jap. saJcura), ein Kirschbaum. Mit
karimba (jap. kaaane-jd) ^Doppelpfeil' zusammengesetzt.
386 Pfizmaier.
203. yPrunus. Species ungewiss. Oma ukuch ni (Füd
zakray.
Bei mir: Oma-ukusi-ni (jap. fikizakwra), der Name eines
Baumes.
Füd'Zahira, wörtlich: die Ziehkirsche.
204. yPrunus. Species ungewiss. Opk4nig wörtlich: crepUiU
ventris arbor, (Fik zakra)*.
Bei mir: Opke-ni (jap. Jüd-zakura) , der Name eines
Baumes.
205. yPteria aquilina. Tsepp ma kina; wörtlich: pisds herba.
Toha (warahi)^ eine essbare Art. S. Filix^
Bei mir: Toha (jap. warahi), der Name einer Art Fam-
kraut. Syn. Taep-ma-kina (jap. loarabi).
206. jPfizm. Pterocarpys flamis, Tsikire bdni (Ki fada).
S. Gossypium^,
Bei mir: Schikere-be-ni (jap. ki-fada) , der Name eines
zum Färben gebrauchten Baumes^ Pterocarpus flavus.
Davon Schtkere-be-ni furepp (jap. ki-fada-no mi), die
Frucht (Beeren) des Pterocarpus flavus.
207. ,Pfizm. Pyrus. Species ungewiss. Imotsits (Yama
nasi) ^
Bei mir: Imotsi-imotsi, eine Art Holzbirnen (jama-nasi).
208. ,Pfizm. Pyrus. Species ungewiss. (Vries) Ri"»
Ri ist bei mir nicht verzeichnet. S. das Folgende.
209. ,Pfizm. Pyrus. Species ungewiss. Die wilde Art.
Scheta ri, wörtlich: canis pyrus^.
Bei mir: Scheta-ri (jap. jama-nasi), eine Holzbirne. Wört-
lich: Hundsbirne, in der Voraussetzung, dass das obige Ri
wirklich das nur in Zusammensetzungen gebrauchte jap. ^
(ri) ,Birne' ist.
Q.
210. ,( Vries) Quercus dentata. Gom ni (Kasiva). Pfizm.
tibersetzt durch TerebinÜius indica^.
Bei mir: Gomurui (jap. kasivoa), ein Pistazienbaum.
211. ,( Vries) Quei*cus. Species ungewiss? Bero ni (Naray,
Bei mir: Bero-ni (jap. tofsi), der Name eines Baumes.
Totsi, eine Art Esche (aesctdvs).
Nara, nara-no ki, der Name einer Eichenart. 8. Aesculm.
ünterBadrangen ftb*r AiDn-Gegenstftnde. 387
B.
212. ,(Vrie8) Ranuncidus japonicus, Bui (Kin foki)*.
Der Ainimame Bui ist bei mir nicht verzeichnet. Es findet
sich nur JoAo, der Name einer ungenannten Pflanze.
Kin-fd-ke (jap.) Ranuncvlus asiaticus?
213. yRaphanus sativus, Tsi (wasahi) Vries. S. Cochlearia^.
Bei mir: Tsi (jap. wasabi)^ der Meerrettig.
214. yRaphanus, Species ungewiss. KiaS siriy von dem jap.
Seri. Petroadinum (waaahi) Vries. S. Cocklearia^.
Bei mir: Kische-scheri (jap. wasahi), der Meerrettig. Von
dem jap. «m, Petersilie.
215. ^(Vries) Retinosporaf S. Thuyaf
Das Ainuwort ist Syungu (schiunku).
Bei Dobrotwörski : Sünku und sünku-ni, die Tanne, Roth-
tanne (eJLB).
216. y(Vrie8) Rheum. Species ungewiss. Chonaba
(Dai vdy.
In dem Index: Chunaha, Das Ainuwort ist bei mir nicht
verzeichnet. Es kann aus achiü oder achio ,gelb^ und naha oder
namha ^langer Pfeffer' (auch Pilz?) zusammengesetzt sein.
217. ,(Vrie8) Rhododendron, Species ungewiss. N4ta ndi
(Nino ehaku nanejSy,
Das Ainuwort ist bei mir nicht verzeichnet. Als jap. Syno-
nymum nur Siakunagi ,rhododendronf bekannt.
218. y(Vrie8) Rhus toxicodendron, Utchi muni; wörtlich:
paleae herba; Vries, Uttsi (Tsuta uruchy.
Bei mir : Utuschi-murd , der Name einer ungenannten
Pflanze. Mit utuschi (jap. wara) ,Stroh, strohartige Pflanzen*
zusammengesetzt.
Bei Daw^dow: Stroh wattes. Auf Jezo: wattesch,
Tsuta-urusiy wörtlich: ,Epheupech, Epheufimiss'.
219. y{ Vries) Rosa rugosa. Mau (Hama nasiy.
Bei mir: Ma-u (jap. fama-nasu), eine Hagerose.
Fama-nasu (jap.) rosa rugosa,
220. jRottlera japonica, Iwakich ni (Adunsa, Konko),
S. Hydrangea',
Bei mir: Iwakisi-ni (jap. adzusa, konkb), der Name eines
Baumes.
388 Pfizmaicr.
221. ,Pfizm. Rottlera, Species ungewiss. Mit rothen
Früchten. Tsikappo seta ni^.
Bei mir: TsikappO'Schetanniy der Name eines Baomes, ähn-
lich dem jap. Adzusa (Hartriegel) mit rother Frucht.
222. ,(Vrie8) Rvhvs palmatusf ImarS ßtrepp (Itngo). S.
Fragaria vesca'.
Bei mir: Ima-re-furepp (jap. itngo), eine Erdbeere.
223. ,(Vrie8) Rumex crispusf Seta kamaro. Pfizm. Sita
kai maro (Kitsi gitsy.
Bei mir : Schäa-kama-ro, der Name einer unerklärten Pflanze.
Gin-gisi (jap.), rumex crispus.
224. y(Vrie8) Sagittaria sagütaefolia, Tokaop (Omo dakay.
Bei mir: Tokorop (jap. omo-daka), der Name einer Pflanze,
Schlangenwurzel.
225. jSalixf Salix babylonicaf Chuchu (Yanagiy,
Bei mir: Schiü-achiü (jap. J^anaji), ein Weidenbaum.
226. ySalix babylonica (die Rinde). Miromai, Nikauma
(Yanagi kavay.
Bei mir: Meromai (jap. janagi-no kawa), Weidenrinde.
Ein Wort der Mundart von Soja.
Bei mir: Nika-unai (jap, janagi-gatoa), Weidenrinde.
227. ySalix. Species ungewiss. Toi chuchu; wörüich: terrae
Salix (Inokoro yanagiy.
Bei mir: Toi-schiü-achiü (jap. inokoro-janagi), der Name
einer Art Weidenbäume. Mit toi ,Erde' zusammengesetzt.
228. ,( Vries) Salix, Species ungewiss. Toppikara (Ko y anagiy,
Ko-janagi (jap.), der kleine Weidenbaum.
Das Ainuwort toppikara findet sich bei mir unter den
Namen der Fische, was einer Untersuchung noch vorbehalten
bleibt.
229. ySambticuB ebuLoides, Ochpara ni (Niwa tokoy.
Bei mir: osipara-ni (jap. niwa-toko), ein HoUunderbaum
(sambucua nigra).
230. y(Vrie8) Sarana kamachatkaica. Anrakol, Har, Si-
rakor. S. Fritillaria^.
Bei mir: Are-ra-koru (jap. kuro-juri), der Name einer
lilienartigen Pflanze von schwarzer Farbe. Syn. Itaru, Schira-koru.
UntersQchnDgen über Ainu-Gegenst&nde. 389
Kuro-juri (jap.) wörtlich: die schwarze Lilie.
231. ,(Vrie8) Senecio. Species ungewiss. (Mundart von
Krafto): Poro ya, wörtlich: magntmi rete'.
Poro-ja ,das grosse Netz' ist ein Name flir das Kreuz-
kraut (senecio),
232. ^Sinapis japonica vel integrifolia, Turanup (Karasiy,
Bei mir: Taranup (jap. karasi), der Senf. Turarmp ist
unrichtig.
233. ,(Vrie8) Sinapis Sinensü. Kurasuf, wahrscheinlich
für Turanup (Karasi). S. Sinapis japonica*.
Kurasuf ist offenbar nur ein durch den Gebrauch von
Katakanaschrift veranlasster Schreibfehler fUr taranup^ nämlich
bei leicht zu verwechselnden Zeichen Setzung von ^ 7 >^ 7
(kurasuf) statt ^ y J^ ^ (taranup).
234. ,Smilacine racemoaa. Yuk sasa; wörtlich: cervi arun-
dinaria. (Vriea) Smiladne. Species ungewiss. Fira yoma*.
Die Richtigkeit der bei mir nicht vorkommenden Wörter
YnJc sasa und Fira yoma ist sehr zweifelhaft.
235. ,Soja hispida. Marne, jap. Wort^
Bei mir: Marne (jap. mame), Bohnen oder Hülsenfrüchte
im Allgemeinen.
23ff. ,(Vries) Solanum caroliniense? Rata kina; wörthch:
vicina herba. Pfizm. Katamf*
Das Ainuwort kataMna kommt bei mir nicht vor.
Bei mir: Katamu, der Name einer ungenannten Pflanze.
Kina ist ein generiHcher Name für grössere oder strauch-
artige Pflanzen.
Bei mir: Kata (jap. kataje), auf, gegen. Von dem jap.
kcUttf Seite.
Bei Dobrotwörski : Kdta, ein Spielball (iiflH^b).
Ebenda: Kata, ein Zwirnknäuel (B^yÖGRi hhtor'b).
Bei mir: Kina (jap. toma), Dachstroh.
Bei Dobrotwörski : Kinä, das unechte Bärenklau, Hera-
cleum (nyHKa).
237. j(Vries und Ptizm.) Sophora japonica. (Hoffm,, Sty-
phnolobium japonicum. Tokb^ni, Tsikbini. (Vries) Tsikbd
(Yen zyu)'.
Bei mir: Tokube-ni (jap. yen-ziü), der Name eines Baumes,
sophora japonica.
390 Pfismsier.
Ebenda : Tnkuie-ni (jap. yen-ziü), sophora japonica.
238. ,TTiujib, Spirctea caUosa. Kuttsi (Nikio, Kokica). S.
Carihamus'.
Bei mir: Kuttsi (jap. ko-kwa, ni-kibj, der Name einer
Pflanze.
239. ,Styphonolobium japonicum. S. Sophora^,
Das Ainuwort ist tokvbe-ni und tstkube-ni.
T.
240. j(VrieB) Taraxacvm dens leords. Ine muni; wörtlich:
quadripartita herba (Tampöy,
Bei mir: Ine^muni (jap. fampo}, Löwenzahn, eine Pflanze.
241. ,Pfizm. Taxiis. Species imgewiss. Ipitap (Mondy.
Bei mir: Ipitap (jap. momi), der Name eines Baumes.
eine Art Taxus. Aus der Mundart des Gebietes Schari.
Momi (jap.), Taocus bacccUaf
242. /Vries) Taxus cuspidata, Tanna ni, Rar via ni
(Kiu ra bok, Onkoj Araraki/.
Bei mir: Taruma-ni (jap. kia-ra-hokUy wonko) , der Ca-
lambae, eine Art Weihrauchbaum. Davon Taruma-ni-furepp
(jap. wonko-no mi), die Beeren des Calambac. *
Ebenda : Rarurma-ni, verschiedene Aussprache des Wortes
Taru-ma-ni,
Kija-ra-boku (jap.), Aloeholz, Calambac.
Araragi (jap.), Taxus cuspidata.
Wonko j ein Wort der gemeinen jap. Sprache. In den
Wörterbüchern nicht enthalten.
243. ,Pfizm. Terebinthtis indica, S. Magnolia'.
Das Ainuwort ist Busi-ni (jap. wowo-gasiiva) , eine Art
Pistazienbaum.
244. /Vrie») Thermopsis fabacea. Konti kina (Sendoi
hagiy.
Das Ainuwort ist bei mir in dieser Form nicht verzeichnet
und gleich dem jap. Synonymum nicht mit Sicherheit zu er-
klären. Das jap. hagi kann fagi (Weiderich, Lespedsza) sein.
245. ,Thunb, Thuya dolabrata, Otach kibera (Ibtiki)\
Bei mir: Otasikebera (jap. ibuki), der Name eines Baume«.
Ein Wort der Mundart von Schari.
Untersuchungen fiber Ainn-GegenstiLnde. 391
Urnki (jap.)^ Juinperus communü. S. Biaku-sin.
246. y(Vries) Tliuyaf retino^poraf Syungu. S. Ahiea bifida
(Kara Mbay,
Siimku (jap. kara-^nuxtsu, je'Zo-fnatm)^ ein Lärchenbaum,
die Jezofichte.
Fiha (jap.) Thujapsis dolahrata. Vorgesetzt: kara, chinesisch.
247. ,Tilla parviflora. Kobirigep (Sina, Sinano kiy.
Bei mir : Kobe-re-gep (jap. mia), der Name eines Baumes.
Sina ist in der gemeinen Sprache des nördlichen Japan
der Papierbaum (hbzo). Das Wort fehlt in den Wörterbüchern.
248. jTrapa incisa, Bekambi (Fiuy,
Bei mir : Be-kanbe (jap. fisi), der Name einer Wasserpflanze.
Fisi (jap.), Stachelnuss (trapa natans, trapa incisa).
249. Trülium grandiflorum. Hero ara (Mikado 86).
Hero ara als Ainuwort mir nicht bekannt. Mtkado-so, die
Mikadopflanze.
250. y(Vrie8) TroUius adaticus {Churk buiy.
Schiuruku ,Gift, Eisenhut^ Bui, bei mir nicht verzeichnet,
steht unter Banunculus japonicus. Der Name wörtlich : die
giftige Ranunkel.
251. /Vries) Typha angustifolia, Chikina; wörtlich: magna
herba ((xama). S. Juncus'.
Bei mir: Schi-kina (jap. gama), eine Binse. Wörtlich: die
grosse Pflanze.
U.
252. yUlmus. Species ungewiss. Kine ni; Rachpa nick
kots (Nir4, Sabita. S. Microptdeay.
Bei mir: ki-ne-ni (nire, sabita), eine Ulme.
Ebenda: RascMupa-rmi-kotsu (nire, sabita), eine Ulme.
253. ,(V7ies) UmbelUfera. Species ungewiss. Kamol diu
kina, wörtlich: dominus cepa, S. Allium cepa'.
Bei mir: Schiü-kina (jap. nira), eine Zwiebel. Wörtlich:
die gelbe Pflanze.
Kamoi'Schiü'kina, wörtlich : die göttliche gelbe Pflanze.
254. ,(Thunb, und Vries) Umiellifera. Species ungewiss.
Orapp (Kava vots gusa; Vries, Sen kyu)'.
O-rapp (jap. kawa-wotsi-gusa), der Name einer Pflanze.
392 Pfizmaier.
Sen-Jciü (jap.), das Synonymum von kawa-wotd-gusa.
255. ,(Vrie8) Urtica? Species ungewiss. Mosl, Utarpef
(siro mavoy.
Statt Mosl zu lesen : Mose. Utarpe wurde nicht aufgefunden.
Bei mir: Mose (jap. ito-wo toru kusa), der Name einer
Pflanze. Ito-wo toru kusa, wörtlich: die Spinnpflanze.
Bei Dobrotwörski : Mose, die Brennessel (BpanHBa). Die
Ainu verfertigen aus dieser Pflanze das Nesseltuch.
Davon: Möse-tsikapp (jap. ted), ein Schmetterling. Wört-
lich: der Brennesselvogel. Ferner: Möse-kabü ^Brennesselhaut*.
Die zur Verfertigung von Zwirn gebrauchte dünne Haut der
Brennessel.
Siro-ma-wo (jap.), weisser Hanf.
V.
(256.) 257. ,(Vries) Vaccinium Chamissonisf Isu suka.
Dieses Ainuwort ist nicht zu ermitteln. Nr. 256 fehlt.
258. ,(Vries) Viola, Species ungewiss. Moto kina\
Moto kiTia wird bei mir nicht verzeichnet.
Bei Dobrotwörski: Motb, ein Eingeborner, ein Einheimi-
scher, Davon Motb-kotän, das Geburtsdorf, der Geburtsort.
Motb-kinä bedeutete daher wörtlich: die Heimatspflanze.
259. ,(Vries) Vitis yezoensis. Hats bedeutet auch »Wein-
traube* (Yezo butoy.
Bei mir: Hats (jap. byrdb)^ eine Traube, Weintraube.
Bei DawydoV: Chaz, Johannisbeeren (cMOpo>^lHa).
Ye-zo'bu'db (jap.), die Weinrebe von Jezo.
X.
260. ,(Vries) Xylosteum, S. Lonicera\
Das bei Lonicera gesetzte Ainuwort tonkayu ist mir nicht
vorgekommen.
W.
261. ,(Vries) Wistnria japonica, Kutsuts (Ko ßUs), S.
Buergeria steUata*.
Bei mir: Kuttsi (jap. ko-hva, ni-kib), der Name einer
Pflanze.
ünterauchnngen fiber AiDu-GegenBt&Dde. 393
262. ,Zanthoxylum piperitwm. Kantskamani (Kama fad-
kamt); Vries. San syo'.
Bei mir: Kant^ikama-ni (^eip, jarna-fazikami), wilder Pfeffer.
San-sed (jap.), Bergpfeffer.
Statt kama-fazikami soll yama-fazikami gesetzt werden.
263. /Vries) Zanihoaylumf Species ungewiss. Obak, Si-
kSrSbS (JK vada, S. Oossypivm).
Bei mir: Schikere-be-ni (jap. ki-fada), der Name eines
zum Färben gebrauchten Baumes, Pterocarpita flavu^.
Obak ist das jap. wb-baku^ das Koje von ki-fada {Ptero-
cnrpus flavtbs). Es ist kein Ainuwort.
Oossypivm wird mit Unrecht angedeutet. Es ist Ver-
wechslung von ki-fada ,gelbe Flügelfrucht' mit ki-wata 3aum-
woUpflanze^
Bftnme von nngewisser Synonymik.
264. ^Apnini (M, C), der Name eines Fruchtbaumes'.
Fehlt bei mir und anderswo. Unbekannt, welche Autorität
durch M. C. bezeichnet werden soll.
Bei mir: Ap-ninifurepp^ der Name einer Beere.
Ebenda: Ap-nini-seiy der Name einer Muschelart.
Ap (jap. t8uri-bari)f ein Angelhaken.
265. fKaba taJts (Yane kaba), S. BetuW.
Bei mir: Kaba-tats (jap. ja-ne-kaba), der Name eines
Baumes.
Ja-ne-kaba (jap.), Kirschbaum der Dachwurzel. Durch
kaba ,Kirschbaum' werden von den Japanern die Ainunamen
für ,Birke' {tats, tats-ni u. s. w.) wiedergegeben.
266. yTsipere kep (Kava kui'mi, Yas), S. Tilla^.
Bei mir: Tsibere-kep (jap. kawa-kurumi und yasu), der
Name eines Baumes.
^ (kawa)-kuTumi, wörtlich: der Bastwallnussbaum. Der
Name konmit, so wie ya^suy anderswo nicht vor.
Bei Tilla parviflora: Koberigep (Sina, Stnano ki).
Bei mir: Kobe-re-gepp (jap. sina), der Name eines Baumes.
Sina oder sina-no ki ist der volksthümliche Name des
Papierbaumes.
SUioDfftber. d. phil.-hiit. Cl. CHI. Bd. 11. Hft. 26
394 Pfizmaier.
Ko'beregep ist mit here-kep ^spalten' zusammengesetzt.
267. yTfnMsirani (Kaia sogiy.
Bei mir: Tsikedra-ni (jap. kata-so-gi), der Name eines
Baumes.
Der Ainuname nicht zu erklären. Kata-so-gi (jap.) ^feste
Abschneidung' bedeutet sonst nur die Dachspitze eines Tempels.
268. yTftiri nii; wörtl. parva anrbor^.
Bei mir: Tsiri-ni-i, ein Baum. Das Wort kommt unter
den unerklärten Namen vor. Es dürfte ,breiter Baum' bedeuten
und mit tsiri (jap. ßroi) ^breit' zusammengesetzt sein.
269. yTokS ayuch ni (Tarahuy.
Bei mir: Toke-ajusi-ni (jap. tarabu), der Name eines Baumes.
Das japanische tarabu, ein Wort der gemeinen Sprache,
ist in den Wörterbüchern nicht enthalten.
Bei mir: Ajusi-ni {jsup. jama-kiri)^ der Name eines Baumes.
Die Bedeutung des vorangesetzten toke ist ungewiss. Jama-
kiriy der wilde Stinkbaum (stercidia).
270. yUen ni; wörtl. mala arbor^.
Bei mir: u-en-ni-furepp^ der Name einer ungenannten
Beere. Wörtlich: die Beere des bösen Baumes. U-en-ni ,bö8er
Baum' allein ist bei mir nicht verzeichnet.
271. ,Ydi m (Doroy.
Bei mir: Yai-ni (jap. doro), der Name eines Baumes.
Doro (jap.), ein Wort der gemeinen Sprache, fehlt in den
Wörterbüchern.
Bei Dobrotwörski: Jdini, an das Ufer gespülte Baum-
stämme (nJLaBHHB'B). Syn,janni. Mit jan ,an das Ufer auswerfen*
und ni ,Baum' zusammengesetzt. Die Richtigkeit des zweiten
von Dobrotwörski angeführten Synonymums mönni kann nicht
dargethan werden.
Pflanzen von Ungewisser Synonymik.
272. yAkia betsi'.
Bei mir: Akke-be-td, der Name einer imerklärten Pflanze.
273. yAtturi'.
Bei mir: ^Atiuri% der unerklärte Name einer Pflanze.
274. yBittokiy Syuve (SyaJcuy.
Untersncliiingren ftber Ainii-G«genst&nde. 395
Bei mir: BUtoJd (jap. siaku), der Name einer Pflanze.
Ebenda: Schü-u-e (jap. siaJcu), der Name einer Pflanze.
Siaku als japanischer Pflanzenname ist ein Wort der ge-
meinen Sprache mid kommt in den Wörterbüchern nicht vor.
Beide Ainuwörter, das letztere fehlerhaft ^ sind bei Iris
japanica verzeichnet.
275. ,Ä>Äo'.
Bei mir: Boho, der Name einer ungenannten Pflanze.
276. .Eni, S. Hmi\
Bei mir: Honi'U-eni'fwreppj der Name einer ungenannten
Beere. Das Wort steht fUr honi-U'en'fwepp ^ die Beere des
Bauchwehs.
277. yEnwmi tannS; wörtl. juglans extenm^.
Bei mir: Enumi-tanney der Name einer unerklärten Pflanze.
Aus enwni ^WaUnuss' und tonne ,lang' zusammengesetzt.
278. yFuts koch par'.
Bei mir : Futsurhoktbsi-paru, der Name einer ungenannten
Pflanze.
Paru jMund'. Hierzu vielleicht hokusiy der Name eines
ungenannten Fisches.
279. yllara tets^.
Bei mir: Hara-tetsu, der Name einer ungenannten Pflanze.
280. ,H(mi, Eail (M. C./
Unbekannt, welche Autorität durch M, C. bezeichnet
werden soll. Offenbar ein einziges Wort, nämlich das Nr. 276
angeführte honi-vreni'ßirepp, Beere des Bauchwehs.
281. ,Ibapk^-repp*.
Bei mir: Lhopke-repp, der Name einer ungenannten Pflanze.
Das Wort ist mit hopke (jap. atataka) ,warm' zusammen-
gesetzt.
282. Jtakira'.
Bei mir: Itakira, der Name einer ungenannten Pflanze.
Bei Dobrotwörski : Kira, das Mark einer Pflanze (cTcpsHB
TpaBs). Dieselbe Bedeutung hat charä, S. Hara tetsu (Nr. 279).
283. jltsitchar, Species mit rothen Früchten*.
Bei mir: lisiUcharu (jap. erklärt mi-akaku), der Name
einer ungenannten Pflanze mit rother Frucht.
284. ylturap, eine der Erdbeere ähnliche Species mit an
den Wurzeln hervorkommenden Früchten'.
26*
396 Pfizmaier.
Bei mir: Itu-rap, eine der Erdbeere ähnliche^ bei der
Wurzel hervorkommende Beere.
Das Wort ist aus üu ,Nase' und rap ,Feder, Flügel' zu-
sammengesetzt.
285. yKotan okoima (Nari firay.
Bei mir: Kotan-o-koi-ma (jap. nari-fira), der Name einer
Pflanze.
Das Wort ist aus kotan ,Dorf* und okoima ^Ham lassen'
zusa mmengesetzt.
Das japanische nari-ßra ist als Pflanzenname ein Wort der
gemeinen Sprache und kommt in den Wörterbüchern nicht vor.
286. yMukut^, In dem Index: Makut,
Bei mir: Makutu, der Name einer ungenannten Pflanze.
287. jMochi (Itoro tor gousay,
Mose (jap. ÜO'WO toru-guaa jSpinnpflanze') ist die Brennessel
(S. Nr. 255).
288. ,Moch korib4 (Totokif)'.
Bei mir: Moschi-karu-ibe (jap. totoki), der Name einer
Pflanze.
Totoki ist eine an feuchten Orten wachsende Pflanze^ welche
auch 8una-gtb9a ,die Sandpflanze' genannt wird.
289. ,Muk',
Bei mir: Muku, der Name einer ungenannten Pflanze.
290. yNimakiotiuk (Sasa fa kuriy.
Bei mir: Kimakkotuku (jap. sasa-fa-kuri), der Name einer
Pflanze.
Das Ainuwort kann aus nimdki ,Zähne' oder nima ,Trog*
und kötuku ,Dreifuss' zusammengesetzt sein.
Sasa-fa-kuri bedeutet: Kastanie mit jungen Bambusblättem.
291. ,Onkots il&.
Dieser Name ist bei Dioscorea opposita vorgekommen.
292. yOromukkut, Oromokkut, eine dem Blatte (feuiUef)
des Porophyllum japonicum ähnliche Pflanze'.
Bei mir: OromiikkuiUy der Name einer ungenannten Pflanze.
293. ,PdV.
Bei mir: Pai^ der Name einer ungenannten Pflanze.
Bei Daw^dow: Pai, dickes Schilfrohr.
294: yPukch (Ai bakamay.
Bei mir: Pukusa (jap. ai-bakama), der Name einer Pflanze.
üntorsQchnngeD Aber Aina-Ge^enst&nde. 397
Ai'hakama (jap.), blaue Beinkleider. Ein Pflanzenname.
Ein Wort der gemeinen Sprache ; welches in den Wörter-
büchern fehlt.
295. ßinkatz'.
Bei mir: SchinhUs, der Name einer unerklärten Pflanze.
296. ,si7mts (my.
Bei mir: Schimitsu (jap. ne), eine Wurzel.
297. ySyoromS (Zen mäiy.
Bei mir: Schioro-ma (jap. zen-mai), der Name einer Pflanze.
Zen-mai (jap.) ist eine Art Famkraut. Dasselbe wird
auch intirwarabi ,Hundefamkraut^ genannt.
Bei Dobrotwörski: Soi^öma^ das wollige Farnkraut (nano-
pOTHHKb nymHCTHfl). Davon soröma-waia, Famkrautbaumwolle.
So heissen die Härchen dieses Famkrautes ^ welche von den
Ainu als Zunder gebraucht werden.
Arten von Famkraut sind noch toha und tsep-ma-kina.
S. Filix und Pteris aquiUna.
298. jSyuvej S. Bittoki. S. Iris japonica^.
Der Gegenstand wurde bei Nr. 274 berührt.
299. yTokina; wörtl. lactis herba (Firumo/.
Bei mir: To-kina (jap. firumo), der Name einer Pflanze.
To'kina kann ^Milchpflanze^ oder ,Teichpflanze' bedeuten.
Das japanische Firumo ist ein Wort der gemeinen Sprache
und fehlt in den Wörterbüchern. Es kann aus firu ,Blutigel',
auch ,Knoblauch^ und mo ^Hornblatt' zusammengesetzt sein.
300. ,Toppits'.
Bei mir: ToppiU, der Name einer Pflanze.
Die Pflanze unbestimmbar und der Ainuname nicht mit
Sicherheit zu erklären.
301. yTnri muts\
Bei mir: Tstri-mutsuy der Name einer ungenannten Pflanze
Das Ainuwort lässt sich nicht mit Gewissheit erklären.
Ttiri ,Vogel* auch ,breit^ Mutsu (jap. fvsagu) ^verstopfend
302. Tdse no muni; wörtl. domiU plantar Muss tsise-ne
muni geschrieben werden.
Bei mir: Tsise-ne-mum, der Name einer Pflanze. Wörtl.:
die Hauspflanze.
303. yUttoba kina. Eine Pflanze^ deren Frucht an die-
jenige des lUicium rdiffiosum erinnerte
398 Pfizmaier.
Bei mir: UUoba-kinaj der Name einer fruchttragenden
Pflanze, ähnlich dem japanischen dkimi.
Die Pflanze wird mit dem Baume sikimi (lUicium), dessen
Früchte sehr giftig sein sollen, verglichen. Da Kinä nur eine
grössere Pflanze bezeichnet, dürfte die Setzung von Uttoba-kina
bei Ulicium (Nr. 131) nicht begründet sein.
304. yWakka kuJcuts'.
Bei mir: Wakka-kukutsu, der Name einer ungenannten
Pflanze.
Mit wakka , Wasser^ zusammengesetzt. Kukutm ( ^ ^ ^ )>
der zweite Theil des Wortes, wurde sonst nirgends aufgefunden.
Es scheint, dass es kutsu ,GürteP heissen müsse , wobei ku aus
Versehen doppelt gesetzt worden. Für kutsu ,Gürtel* wird auch
kuch, kuf und kutsi gesetzt. Das letztere ist nach Dobrotwörski
ein schlechtes Wort.
Nachtrag.
Als diese Abhandlung bis hierher geschrieben war, erhielt
ich von Herrn J. M. Dixon, Professor an dem kaiserlichen Col-
legium der Ingenieure zu T6-kiö, einige für mich sehr werth-
volle Mittheilungen über Ainu-Gegenstände. Herr Dixon hatte
drei Sommer auf Jezo unter Ainu verbracht und daselbst eine
Anzahl Geräthschaften, welche er in der Monatschrift ^The Chry-
santhmium^ abbilden liess, gesammelt. Darunter befanden sich
auch drei Inäu, gewisse oft erwähnte Opfergaben, von denen
man sich, da Abbildungen fehlten, bisher keine ganz richtige
Vorstellung machen konnte.
Die abgebildeten Indu sind Stangen, an welchen sich ein
buschiger oder verzierter, mit einer Art E^rone versehener Eopf-
theil und ein entweder glatter oder verzierter Halstheil unter-
scheiden lassen. Von dem Halstheile fallen sehr lange, bis za
dem Fusstheile reichende Ringeln herab, welche wohl die in
der Beschreibung genannten Hobelspäne sind.
Diese drei Bildnisse sind:
OpiUa'kamvij der allgemeine Gott.
Tschup'kamwij der Sonnengott.
Tombe'kamviy die Mondgöttin. Dieselbe habe einen ver
zierten Stamm, wodurch gezeigt werden solle, dass sie eine
Göttin sei. Bei den Ainu von Sachalin ist der Mondgott ein Mann.
Untannchnngen über Ainn-Gegenst&nde. 399
Das Wort ind-u hat auf Jezo die Aussprache inawo
oder inao.
Es gibt indessen, wie aus dieser Abhandlung zu ersehen^
sehr viele Arten der gewiss auch nach den Gegenden verschie-
denen Inä-Uy jedoch genügen , um sich einen Begriff von der
Sache machen zu können, die genannten drei Abbildungen.
Ein Ainu scheine, wie Herr Dixon sagt, einem Ini-u keine
besondere Heiligkeit beizumessen, denn er schnitze einen solchen
fUr einen Fremden bereitwillig aus einem frisch abgeschnittenen
und seiner Rinde beraubten Aste.
Die übrigen Gegenstände sind an sich und zum Theil
auch durch ihre Namen, deren Anflihrung zur Kenntniss der
sehr abweichenden Mundarten beiträgt, bemerkenswerth. Ich
verzeichne sie hier mit sprachlichen Erklärungen.
Die folgenden elf Gegenstände erwarb Herr Dixon von
den Tsuischikari, einem Ainustamme, welcher ganz vor Kurzem
aus Sachalin nach Jezo gekommen. Es sind vorerst drei Werk-
zeuge, mit welchen die Frauen das einheimische Tuch aus der
Rinde (dem Baste) des Baumes oMOf einer Art Ulme, weben.
Ich bemerke hierzu, dass o-fib (o-hib) im Norden Nippons eine
öfters erwähnte Art des Papierbaumes ist. Es ist ein Wort der
gemeinen Sprache und in den Wörterbüchern nicht enthalten.
Nr. 1. fPera oder der Stab (staff/.
Bei Dobrotwörski: Peräy der Weberkamm (6epA0), ein
Bretchen zum Weben des Rockes (drtui),
Nr. 2. jWosa oder Kamm (comby.
Bei mir: Osa^ der Einschlag für den Faden der Webe.
Japanisches Wort.
Nr. 3. jAffunnü oder Weberschiffchen (Shuttle)*.
Bei Dobrotwörski: AchhünniS, das Weberschiffchen (zum
Weben). Aus achhün ,hineingehen' und nU ,Stiel* (TOpeni) zu-
sammengesetzt.
Bei Daw^dow: Afungini, das Weberschiffchen (^aiHOBi
TBaUHOfi). Aus afungiy d. i. afunJce ^hineingehen machen' und
ni ,Holz^ zusammengesetzt.
Nr. 4. fKite, ein zum Seehundfang gebrauchter Wider-
haken (barb) oder eine Harpune^
Bei mir: Ki-te, der Körper des zum Fischfange be-
stimmten gabelförmigen Holzes.
400 Pfiimaier.
Bei Dobrotw6rski: Kit^, eine eiserne Pike mit Eisenspitzen
und einem Riemen.
Nr. 5. ,Yot6p, ein Haken, um grosse Fische ans Land zu
ziehend
Bei Dobrotwörski : Jouma oder jöma, eine Pike. Yotep
wurde nirgends sonst aufgefunden.
Nr. 6, 7. yOtski. Tragen, Speisetragen (trays) aus Sapporo.
Sie zeigen die Art der Auszierung, welche die Ainu lieben'.
Es sind viereckige Teller mit Rändern und einigen einfachen
Verzierungen.
Bei Dobrotwörski: Öch£iki oder ö6üci, ein Präsentirteller
(nOAHOCii) von japanischer Arbeit.
Nr. 8. yShikaribachoyene, eine Reissschüssel (rice-bowl)',
Sikdrimba-ioöine, rundes Geftlss. Aus sikdnmba ,nind'
und öoötne ,6eftlss* zusammengesetzt.
Nr. 9. jChebechoyene, eine Fischschtissel (fish-howlY.
Cebe-Soöine, Fischschüssel. Aus Seb ,Fisch' und Mine ,Ge-
fUss' zusammengesetzt.
Die letzteren zwei Gegenstände schienen nur dem Ainu-
stamme Tsuischikari eigen zu sein, wenigstens hätten die Ainu
von Jezo, denen man sie zeigte, sie nicht nennen gekonnt und
gesagt, dass sie solche Sachen in ihren Häusern nicht haben.
Nr. 10, 11. ^Kasüp oder Löffel (spoonsy.
Bei Dobrotwörski: Ka§ü, auch kctiüw oder kaihchy ein
grosser flacher LöflFel, um etwas damit aus dem Kessel zu
nehmen. Pon-koM, ein kleiner Löffel, ein Tischlöflfel.
Es sei bemerkenswerth, dass die Ainu einen Stolz darein
setzen, ihre Geräthe, selbst diejenigen, welche aus mehreren
Thcilen bestehen, aus einem einzigen Stücke Holz zu schneiden.
In der Abbildung sind es gestielte Löffel.
Nr. 12. yTsikiribi, ein verzierter Ainurock (omamented
Aino coaty. Derselbe ist aus blauem, weissem und rothem
japanischen Baumwollenzeug, aber von Ainuhand verfertigt.
Das Wort tsikiribi findet sich sonst nirgends verzeichnet.
Es kann aus dem japanischen tsi-kiri ,Weberbaum' und dem
Ainuworte bi oder be ,Sache' zusammengesetzt sein.
Nr. 13. fMaitare. Eine Schürze (aprony. Ein viereckiges,
etwas verziertes Stück Tuch mit zwei Bändern.
Maitare ist das japanische Wort maje-dare, Schürze.
UntersDchangen Aber Ainn-Gegenitinde. 401
Nr. 14. jHetomt^e, der Kopfputz eines Mädchens*. Der
Gegenstand ist eine einfache niedrige und runde Kappe.
Das Wort hetomoye wird sonst nirgends verzeichnet, und
lässt sich darüber, selbst ob es Ainu oder japanisch ist, nichts
Bestimmtes vermuthen. Als japanisch betrachtet könnte es fe-
fomoje ,vorbeigehendes Blumenmuster Tomoje* sein.
Nr. 15. ,Ho8j das Beinkleid (legging) eines Mannest
Ist in der Zeichnung ein kleines beinahe unförmiges Vier-
eck mit kaum einigen Zierathen.
Bei Dobrotwörski : OioSy Stiefelschaft (ro^esHii^e). Plural
chösihi,
Nr. 16 a, 16 b, 16 c sind die oben besprochenen Inä-u
oder Ainubilder.
Nr. 17 ist eine doppelte Abbildung des von mir (S. 347)
angeführten Trinkstieles ikünii. Er wird hier ikönit genannt,
was Aussprache von Jezo sein wird.
Bei mir: Iku-basi. Aus iku ,trinken* und beut (jap. fast)
jEssstab* zusammengesetzt.
Nr. 18. yMakiri, ein Messer (knifeY,
Die Abbildung einer etwas gekrümmten kleinen Schwert-
scheide.
Nr. 19. jKisheri, eine Tabakpfeife aus weissem Holze,
mit einer mit Blei besetzten Kugel (bowl). Die Frauen rauchen
sie beständig*.
Nr. 50. ,Mokuni, eine hölzerne Maultromme^. Der Gegen-
stand soll aus der Mandschurei (Santan) stammen.
Bei mir: Mukkuri (jap. kutsi-bi-wa) , eine Art Maultrommel.
Zu vergleichen bei Nr. 29 der Ainu-Flora:
Anemone, Species unbekannt. MokkarbS, wörtlich: tubae
res. In dem Index auch : Mukkarbe, Dieser Name wäre wirklich
aus mokkari oder mvkkari ,Maultrommel* und be ,Sache* zu-
sammengesetzt.
Ob mokuni vielleicht ein Druckfehler statt mokuH, lässt sich
nicht bestimmen. Das Wort ist bei Dobrotwörski nicht zu finden.
fTokari, eine fünfsaitige Lautet Die Saiten sind an dem
schmalen Ende der Laute an ein Stück Lachshaut befestigt
und quer über zwei Stege gelegt.
Das Wort tokari, welches übrigens auf Jezo nicht un-
bekannt zu sein scheint, wurde von mir nirgends sonst ge-
402 Pfizmaier.!
funden, auch nicht im Japanischen. Altf japanisches Wort
betrachtet; könnte es togari ^scharf, gespitzt^ bedeuten. Das
Werkzeug ist auch wirklich an dem unteren Ende, wo die
Lachshaut sich befindet, zugespitzt.
Nr. 21 a. ,Ku, ein Bogen^ Derselbe ist aus dem Holze
der farbigen Eibe (iro-mcJci).
Nr. 21 b. yAiy ein Pfeile Derselbe hat einen Widerhaken
von sogenanntem Santanmetall. Der Mann, der ihn verkaufte^
wollte damit drei Bären getödtet haben.
Später erhielt ich weitere Mittheilungen, deren ich hier
so viele, als der Raum zulässt, der Reihe nach anfllhre und
mit einigen sprachlichen und anderen Bemerkungen begleite.
Tsuischikari ist ein Weiler in der Ebene von Sapporo
und etwa zwölf Miles östlich von dieser Stadt gelegen. Die
Bewohner, eingewanderte Ainu aus Sachalin, hatten vor unge-
fähr acht Jahren über Einladung der japanischen Behörden ihre
Heimat verlassen. Die alten Leute sprechen mit Bedauern
von den Zeiten vor dem Jahre 1875. Sie sagen, die Flüsse
und Ufer von Sachalin hätten Ueberfluss an grösseren und
schöneren Fischen, als man in den Gewässern und in der Bucht
des Ischikari finden könne.
Japan hatte von 1863 bis 1875 mit Russland über eine
Gränze auf Sachalin verhandelt und war endlich dahin gekom-
men, seinen Antheil an dieser Insel gegen die nördlichen Ku-
rilen zu vertauschen. Im Jahre 1875 bewilligte es einer Anzahl
seiner Ainu-Unterthanen in Sachalin, welche sich auf japani-
schem Gebiete ansässig machen wollten, Ländereien an den
Ufern des Ischikari. Es kamen sieben- bis achthundert Ainu
und bauten ihre Strohhütten an dem Zusammenflusse des Tojo-
hira und Ischikari, gegen zwölf Miles von der Mündung des
letzteren.
Der Name ihres Aeltesten (ot4na) ist Öikobiru. Derselbe
ist jetzt ein alter Mann und von Leid um die früheren Zeiten
erfüllt. Sein Haus sei beinahe ebenso einfach wie die übrigen
Hütten seines Stammes, nur etwas grösser. Eine Art Thorweg
(jap. toTi'i ,Vogel8itz') sei das Einzige, wodurch es sich aus-
zeichne.
Otena ist das japanische ot&na ,Aeltester^ Auf Sachalin
sagt man otdna. In Batchelor's Vocabularium wird otUna gesetzt.
IJntenaehanKen flb«r Ainu-OegenatiBde. 403
Die Ainu von Tschaischikari sind hauptsächlich Fischer,
und ihre Nahrung besteht beinahe ausschliesslich aus Fischen,
Reiss und den zerstossenen Wurzeln der Lilie Kiü.
Der Pflanzenname kiu wurde nur bei Langsdorff wieder-
gefunden, wo kiü einfach ,Gras' bedeutet.
Rothwild befinde sich nicht in ihrer unmittelbaren Nähe,
und dieser Ainustamm verbrächte daher nicht, gleich den Ainu
von SarUy die Zeit mit der Jagd auf dasselbe. Dagegen jage
man mit Vorliebe den Bären, der in den nahen Bei^n in
Menge vorhanden sei. Ein solcher Bär, beinahe von dem Aus-
masse eines Ochsen, werde in dem Museum von Sapporo auf-
bewahrt. Er sei wenige Jahre vorher erlegt worden, nachdem
er mehrere Menschen verzehrt und noch ehe er seine letzte Beute,
ein Kind, ganz verdaut hatte. Die Ainu konnten oder wollten
Herrn Dixon nicht das in ihrer Sprache übliche Wort für
Feigling (cotoard) nennen, indem sie sagten, dass es bei ihnen
kein solches Wort gebe. Es solle indessen ein diesen Sinn
bezeichnendes Wort in der Mundart von Saru geben.
In der That finden sich fUr ,feige' die drastischen Aus-
drücke üikui osk, üSkui parb und vielleicht noch andere.
Ohne Zweifel seien diese Ainu ein furchtloses Geschlecht.
Sie gehen auf die Jagd mit einem nicht sehr mächtigen Bogen,
und wenn sie einmal einen Pfeil losgelassen, werden sie mit
dem Bären handgemein und gebrauchen ihr rohes Messer mit
Vortheü.
Einige derselben werden als Lastträger (cooUes) bei der
neuen Eisenbahn nach Poronai verwendet. Einige Wenige
werden als Pferdeknechte oder zu einzelnen unbedeutenden
Arbeiten gemiethet. Doch die grosse Masse hängt vom Fisch-
fang als ihrem Erwerbe ab.
Der am meisten von Fröhlichkeit wiederstrahlende Mann,
welchen Herr Dixon jemals gesehen, sei der Ainu gewesen,
der ihm bei seinem ersten Besuche in Tsuischikari als Cice-
rone diente. Viele Männer seien sehr schön, mit hohen, gut-
geformten Stirnen und offenen Gesichtern. Die Männer scheren
femer ihre Augenbrauen und schneiden ihr Haar rücklings an
dem Nacken. Ihr Kopf scheint somit zurückgeworfen zu sein.
Sie wandeln mit stolzen und freien Schritten. Lange Barte
seien die Regel, besonders unter den älteren Leuten, doch der
404 Pfizmaier.
Volkestamm sei im Durchschnitt nicht haariger als Menschen,
welche in der (europäischen) Heimat ein Leben im Freien
führen.
Die Frauen seien keineswegs ohne anziehende Eigen-
schaften. Von Benehmen schüchtern und befangen^ hätten sie
sehr angenehme klagende Stimmen und dunkle ausdrucksvolle
Augen. Unter den Kindern, besonders den Mädchen, finde man
Augen so hell und funkelnd, dass sie beinahe Licht auszu-
senden scheinen. •
Das Tättowiren des Mundes, welches bei Mädchen und
Frauen noch immer im Gebrauche ist, beginne mit dem sechsten
oder siebenten Lebensjahre, und zwar zuerst mit einem kleinen
Flecke, welcher an den Lippen angebracht wird und dann all-
mälig sich ausdehnt, bis das blaue Maalzeichen völlig zu jedem
Ohre reicht. Zum Färben bediene man sich der Rinde des
Baumes haha, welcher entweder eine Art Bergbirke oder ein
Blüthenkirschbaum sei.
Unter haha ist wohl der japanische Baum kaba ,wüder
Blüthenkirschbaum', auch als Uebersetzung des Ainunamens
tatsu ,Birke' gebraucht, zu verstehen. Zu vergleichen in dieser
Abhandlung bei der Ainu-Flora das Wort Bettda,
Auf Sachalin geschieht das Färben der Lippen auf andere
Weise. Dobrotwörski sagt: Die Ainumädchen beginnen, von
dem zehnten Lebensjahre angefangen, sich die Lippen mit dem
öligen Russe der zum Aussieden des Fettes der Häringe die-
nenden japanischen Kessel zu färben. Man macht zu diesem
Behufe zuerst Einschnitte in die Lippen. Die Lippen schmer-
zen nach dem Einschmieren heftig und schwellen in dem Masse
an, dass das Ainumädchen oft nicht den Mund öffnen kann
und durch drei bis vier Tage genöthigt ist, sich ausschliesslich
mit flüssiger Speise vermittelst einer kleinen Röhre zu nähren.
Man färbt sich ein- bis viermal im Jahre, je jünger man ist,
desto öfter. Man färbt anfänglich nur die Mitte der Oberlippe
und geht dann stufenweise zu dem Anstrich der Lippen über.
Die alten Frauen färben sich nicht, doch von den alten
schwach angestrichenen Narben bekommen die Lippen eine
Bleifarbe.
Das Färben der Lippen bezeichnet man auf Sachalin durch
sinuß, ein Wort, welches aus nuß ,schreiben^ malen', mit Vor-
Untennchangen Über Aina-O^enst&nde. 405
Setzung von si (d. i. sui) ^nochmals' gebildet ist. Sonst ist
kambe-nufi ,Bchreiben'^ wörtl. ,auf Papier schreiben' allgemein
üblich.
Herr J. Batchelor^ derzeit Missionär in Piratoru, bringt
eine etwas abweichende Schilderung. Er sagt : Die Ainufrauen
tättowiren sich den Mund, die Arme und mitunter die Stirne.
Man sagt, es sei ein sehr schmerzliches Verfahren, weswegen
man es stufenweise verrichten müsse. Es geschieht folgender-
massen : Ein Topf wird über ein Feuer aus Birkenrinde gestellt
und daselbst so lange gelassen, bis er tüchtig geschwärzt ist.
Die mit der Ausführung sich befassende Frau nehme dann ein
scharfes Messer und schneide Linien in den zu tättowirenden
Theil. Hierauf nehme sie von dem aus der Wunde fliessenden
Blute etwas auf ihren Finger, reibe es in die an dem Topfe
haftende Schwärze und verarbeite es dann gut an der geschnit-
tenen Stelle. Das Mädchen sei so lebenslänglich gezeichnet.
Das Tättowiren beginne in der Eandheit und ende nach
nach der Heirat. Sowohl Oberlippe als Unterlippe würden zu
gleicher Zeit tättowirt.
Die japanischen Behörden hätten den Gebrauch verboten,
doch das Verbot werde von den Ainu gänzlich missachtet, indem
sie sagen : Unsere angestammte Mutter Okikurumi Ture& Maöi
wurde so tättowirt und befahl uns, den Gebrauch beizubehalten.
Ein Ainurock sei gleich dem japanischen Kimono, ausser
dass er viel kürzer ist und die Aermel eng gegen das Hand-
gelenk zulaufen. Das einheimische, aus der Rinde einer Art
Ulme (ohio) verfertigte Tuch sei sehr stark und dauerhaft.
Seine Farbe .wechsle zwischen blass und röthlichbraun. Der
Ainu sei jedoch immer bereit, prachtvolle Röcke aus Stückchen
fremden Tuches, welches ihm in die Hände kommt, zu verfer-
tigen. Solche Röcke nenne man tsJdribi (tsikiribi).^
Der Gürtel der Männer (kut) sei oft von beträchtlicher
Länge, gegen zwei bis drei Zoll breit und häufig an den Enden
mit Glasperlen verziert, welche, wenn auch werthlos, sehr ge-
schätzt zu sein scheinen. Eine Schürze (maitare) wird unter
dem Rocke (artrus) getragen und Schäfte (hos) aus Tuch be-
1 Von diesem Gegenstande wurde bereits bei der Erwähnung der Abbil-
dungen (Nr. 12) gesprochen.
406 Pfizmaier.
decken die Waden. Schuhe aus Lachshaut und Handschuhe
aus demselben Stoflte, mit Pelz verbunden, trägt man im Winter.
Die Kleidung der Frauen sei nicht wesentlich von der-
jenigen der Männer verschieden. Der mit Metallringen und
Münzen beschwerte Ledergürtel sei ein auffallender Schmuck.
Er diene als eine Art Geldbeutel, und der Arzt werde daraas
bezahlt, wenn er seine Rechnung schickt.
Der Kopfputz hetenoye (hetomoyef) , der sich unter den
Abbildungen findet, ist wenig von der Mütze (senkaki) der
Männer verschieden. Die Wintermütze mit Lappen wird von
beiden Geschlechtem getragen und heisst hachka (haghkd).
Bei Dobrotwörski: Chächka oder hdchka, Mütze (mama,
<&ypasBa).
Davon: Chächka asifikej die Mütze abnehmen.
Chächka korby die Mütze aufsetzen, aufbehalten.
Chächka nötekarüy die Ohrlappen der Mütze.
Chächka ömjmSy die Köpfchen an der Mütze (zur Ver-
zierung).
Chächka tebä, der Aufschlag, die Verbrämung an der
Mütze.
Der Bogen der Ainu wird aus dem Holze des Baumes
konke-ni ,Beinholz' oder iro-maki verfertigt. Vergiftung der
Pfeile mit Eisenhut wurde nicht beobachtet.
Emi)L§ heisst das Schwert. MaMri ist ein Messer. Es
wurde davon S. 354 gesprochen.
Der Seehund wird mit der Harpune kiti gejagt. Sowohl
Männer als Frauen rauchen Tabak, die letzteren fortwährend.
Die Pfeifen (küeri), ein einheimisches Product, werden aus
einem einzigen Stücke weissen Holzes geschnitten, der Kopf
wird mit weichem MetaU überzogen.
Musikwerkzeuge scheinen ausschliesslich bei Frauen in
Gebrauch zu sein. Es giebt zwei Arten von Maultrommeln
(mokuni), die eine von Holz, die andere von Santan-MetaD.
Man bringe daraus sehr angenehme Töne hervor.
Was das Wort mökuni betrifft, so findet sich sonst nur
mokkuri (jap. kutsi-bt-tva) , eine Maultrommel. In Batchelor's
Vocabularium: Mvkku, a musical Instrument
Tonkare oder Tokariy schon unter den Abbildungen er-
wähnt, ist eine Laute von der Gestalt eines Schiffes, mit flüif
ünteranchnngen über Ainn-Gegenst&nde. 407
Saiten und zwei Stegen. Das Spiel auf dieser Laute scheine
Husserst einfach zu sein. Ein Aina sagte^ dass man russische
Lieder dazu singe.
Die Hütten der Ainu bestehen aus einem Dache von
Strohmatten y welche einen rohen Bau von Holzklötzen über-
decken. Sie haben gewöhnlich ein Vorhaus oder einen Eingang,
welcher gross genug ist, um daselbst Wassereimer und andere
BLausgeräthe hinstellen zu können. Das hier und dort von einem
Fenster (puyara) erleuchtete Innere hat einen gedielten Fuss-
boden und riecht von Rauch. In der Mitte befindet sich der
Herd, wo ein Holzfeuer brennt, dessen Rauch durch eine Dach-
öfinung (ebenfalls puyara ,Fenster* genannt) hinausgeht. Ein
russiges altes Weib sieht man an dem Herde ihre Pfeife rauchen
und Alles, was vorgeht, tiberwachen.
In der fernen Ecke zur Linken seien die Familiengüter,
die gefimissten Kästen (skindoko) und andere Erbstücke des
Hauses. Vor diesen befinde sich der Ehrenplatz flir einen
Gast. Um den Herd herum seien einige wenige Inä-u (inawo)
in den Boden eingestochen.
Sintoko oder sintoku (jap. oke) ,Zuber' ist ein japanisches
gefimisstes Fässchen, mit einem Deckel verdeckt und von Ge-
stalt einem Korbe ähnlich, welches zur Aufbewahrung von
Reiss und anderen Gegenständen dient.
Kemä koru sintoko^ eine Kufe mit Füssen.
Kemä o sintoko, ein Reisszuber, ein Zuber, an welchem man
Füsse angebracht hat. 0 ist die Abkürzung von Ofnäre, ein-
gehen machen, einlegen.
Porh sintokUf ein grosser Zuber.
Amäm sintoku, ein Reiss- oder Brodzuber.
SaJc^ karä stntoku, ein Zuber zur Weinbereitung.
Ein alter Ainu erzählte, vor langer Zeit habe sein Stamm
die Gewohnheit gehabt, auf Sachalin in unterirdischen Häusern,
welche toichisei hiessen, zu leben.
Toi-tüi bedeutet: Erdhaus. Für tue oder tisi ,Haus^ sagt
man auch tsiSi^ SUi, auf Jezo ^üei.
Im Frühlinge verliess man diese Häuser und lebte über
der Erde, bis Frost und Schnee die Menschen wieder zwangen,
in diesen unterirdischen Wohnplätzen Schutz zu suchen. Diese
Wohnorte seien überdachte Gruben, keine Höhlen gewesen.
408 Pfizmaier.
Ueberbleibsel ähnlicher Gruben finde man noch immer in der
Nähe des neuen Museums zu Sapporo, doch wisse man nicht,
ob diese Gruben von den Ainu oder von einem früheren Volks-
stamme gegraben wurden.
Die Ainu hätten sehr wenig Töpferwaare im Gebrauche,
und dieses Wenige hätten sie von den Japanern bezogen.
Ihre einheimischen Geräthe seien von Holz und von der rohesten
Form. Löffel, Schöpflöffel, Fisch- und Reissschiisseln, Tragen,
eine grosse Mörserkeule und ein Mörser zum Zerstossen der
Lilienwurzeln seien fast Alles, was sie besitzen.
Ihre Vorrathshäuser (pu) seien mehrere Fuss über der
Erde auf Pfilhlen aufgeführte Schuppen. Unter dem Vorraths-
hause liege ein Hundeschlitten (shikeni) fUr den Winter bereit
Derselbe sei sehr eng und von leichter Bauart. Die Ausläufer
seien mit Bein beschlagen.
Pu ist das japanische /j^ (fu) ,Vorrathshaus^
Bei Dobrotwörskl : SiJc4ni, ein Hundeschlitten (ohne Hunde),
ein Schlitten überhaupt. Das Wort ist aus sik4 ,Last' und m
,Holz^ zusammengesetzt.
Bärenkäfige (üochüei), gleich dem Vorrathshause (pu)
wenige Schuhe über dem Boden aufgeführt, baut man^ um
darin junge Bären aiifzuziehen , welche, wenn sie sehr jung
sind, von ihren Herrinnen, den Ainufrauen, gesäugt werden.
Die einheimischen Bären werden bei dem Bärenfeste im
September getödtet.
Isb'tüe, wörtlich: Bärenhaus.
Isb ,Bär' sagt man hauptsächlich auf Sachalin fUr das
auf Jezo allgemein gebräuchliche hokujuku oder hokojuk. Zu
bemerken sind die Wörter:
lab-kotän, das Bärendorf, der Aufenthaltsort der Bären
nach dem Tode.
lab'kuff Bärengürtel, der Gürtel, den man dem Bären an
dem ersten Tage des Bärenfestes anlegt.
hb'oipe, ein länglicher enger Trog, aus welchem der Bär
gefüttert wird.
hbu-dinuy ein auf der Bärenjagd glücklicher Mensch.
Die Namen der Verwandtschaften stimmen mit anderen
Angaben nicht ganz überein.
Das Familienhaupt sei der Gross vater (a^Sa),
Untersuchnngen Aber Ainn-Oegpnst&nde. 409
Bei Dawj^dow: Atschay Oheim (mm)- ^ Mo-siwo-gusa
steht aUcha unter den Bedeutungen für ^Vater' (j^P- tsitsi).
Der Sohn des Gbossvaters (a6a) heisse aöabo ^das Kind
des Greises^
Bei Dobrotwörski: Aöabo oder äSapOy der Oheim (jißAfl)*
KvrdöaiOy mein Oheim.
In Mo-Biwo-gusa: Ätscha-po (jap. nd), eine Verwandtschaft.
Der Elnkel des Gbossvaters (aöa) heisse: bo ^Eand^
Statt aXa sage man auch onna ,Vater^
Onna soll onne heissen. Onne (jap. Um-jorujy alt, bejahrt.
Die Grossmutter heisse sfutscki. Die Mutter heisse unu,
FvMschi (jap. 8o-bo)y die Grossmutter. SfiUsc/d ist nicht
vorgekommen.
' tlnu ist gleichbedeutend mit habo oder habuy auch cJiabUy
chapu ,Mutter'. Scheint auch den Wörtern unarabe, undrachpe,
unarpe, üruichpe ^Amme' zu Grunde zu liegen.
Ein Urgrossvater oder entfernterer Vorfahr heisse ekäs,
und sfutschi ^Grossmutter' sei ein allgemeiner Name fUr ^Ahnfrau':
Ekdsi (jap. 80'bu), der Grossvater. Bei Dobrotwörski:
Ekäi, der Grossvater. In Mo-siwo-gusa auch tkasi.
Der Grossvater und die Grossmutter von mütterlicher
Seite des Enkels (bo) würden von diesem und seinem Vater
beziehungsweise mit den Namen henki und unarabe benannt.
Henge (jSL^-fu-daiJy die Abstammung von väterUcher Seite.
Unara-be (jap. viajy ein altes Weib; auch Gbx>s8mutter.
Bei den Ainu werde ebenso wie in Japan zwischen den
Benennungen für ältere und jüngere Geschwister ein Unter-
schied gemacht. Der ältere Bruder heisse yuhö, der jüngere
Bruder oder die jüngere Schwester heisse aldd. Die älteste
der jüngeren Schwestern heisse turesh.
Jubi oder j''lipiy älterer Bruder. Man sagt auch jiibu und
jupuy ingleichen ^*i2pi-^t. Als Adjectivum: der älteste.
Davon jüpu-kamüi, der älteste Gott. Derselbe heisst auch
tül jüpi kamtti ^der älteste Hausgott^ oder karnüi-pinnisamy wo-
bei pinnüam von ungewisser Bedeutung.
Der jüngere Hausgott heisst ün^kamüi ^Feuergott' und
tsiare-guÜi,
Aki (jap. iroto) ist blos Jüngerer Bruder', nicht zugleich
jüngere Schwester'.
Sitaangiber. d. pkil.-hiit. Cl. CHI. Bd. U. Hfl. 27
410 Pfizroaier.
TuriS (tureij turiS), jüngere Schwester. JapaniBch hnoto.
Früher, vor dem Verkehr mit Japanern, sei es auf Jeso
Sitte gewesen, dass der Sohn den Namen des Grossvaters fbhrte.
Gegenwärtig pflegten Viele einen Namen, welcher nur eine
Sylbe des Namens des Vaters enthält, zu geben; z. B. TcneiUy
Yanosuke, Yataro, In dem angeführten Beispiele sei Yaichi ein
Japaner, welcher eine Ainufrau heiratete, gewesen. Sein Sohn
Yanosuke heiratete ebenfalls eine Ainufrau, und ihr Kind Ya-
taro werde als ein ächter Ainu auferzogen werden. Der Name
werde dem Kinde nach Vollendung des ersten Lebensjahres
gegeben.
Die oben genannten drei Namen sind sämmtlich japanisch.
Yaichi ist ^ — ■ (ja-itsi) oder ^ "jIJ (j^'^^)-
Yanosuke ist ^ ffy (ja-no suke),
Yaiaro ist ^ ^ ^ (ja-ta-rb).
Die Männer heiraten in der Regel mit zwan2sig, die
Frauen gewöhnlich mit achtzehn Jahren. Geld werde von
keiner Seite gegeben oder genommen. Die Frau solle jedoch
ihre Kleidung, Schmuckgegenstände und die kleineren Haus-
geräthe^ wie Fischschüsseln (chebechoyene) und Reissschüsseln
(schtka^'ibachojene) mitbringen. Sie bringe auch einige wenige
Matten. Den mit Metallringen und Münzen verzierten Leder-
gürtel (kut) erbe sie meistentheils von ihrer Mutter. Ausser-
dem werde flir sie ein neuer verfertigt.
Die Wörter ^ebe-öojene und Sikariba-Öojene sind bei den
Abbildungen (Nr. 8 und 9) erklärt worden. Sie sind bei dem
Ainustamm Tsuischikari gebräuchlich.
Wenn ein Mann stirbt, werde seine Witwe] gewöhnlich
das Weib eines seiner Brüder, oder es heirate sie, wenn keine
Brüder da sind, der nächste Verwandte. Vielweiberei gebe es
nicht, doch sei es nichts Ungewöhnliches, ein zweites oder so-
genanntes kleines Weib (pon-ma^i) zu haben. Es gebe in
Tsuischikari vieraehn oder flinfzehn solche kleine Frauen.
Zwischen der grossen Frau (poro-maH) und der kleinen Frau
werde kaum ein Unterschied gemacht und scheine es, dass die
Kinder derselben keine andere Behandlung erfahren.
Die bei den Japanern übliche Annahme an Kindesstatt
sei früher wenig bekannt gewesen ; jetzt sei sie allgemeiner und
VntßranchQngfen üb«r Aina-Oegenst&nde. 41 1
i^erde von der Regierang begünstigt, indem man die nördliche
Insel gut bevölkert sehen möchte, um eine Schutzwehr gegen
rassische Uebergriffe zu haben.
Die AinU; ein sehr gesimdes Volk, hätten wenig von Krank-
heiten zu leiden, obgleich bei ihrer Unreinlichkeit Viele von
einer Art Räude befallen werden, nach welcher das Haupt kahl
werde. Zu Zehrkrankheiten nicht geneigt, litten sie doch an
starker Bronchitis (tan), welche oft tödtlich verlaufe.
Tan ist das japanische ^ (tan), Verstopfung der Brust.
Wassersucht (nüobakißip), woran ihre Trunkenbolde leiden,
und die genannte Bronchitis (tan) betrachte man als die schwersten
Krankheiten.
Netöpaki, der Leib^ der Körper. Auch nidohaJdy nefobake
und nidobagi. Fup oder fifpp, Geschwulst.
Minder gefährlich seien die Erkältungen (onkikara) und
die Fieber (nitobakaraka),
Onke, husten, der Husten. Hierzu karä, thun. Man sagt
auch ongi und omki.
Davon 6nke arakä , die Krankheit des Hustens. Unke
kamäi, der Hustengott.
Nitobakaraka ist netöpaki arakä, der Leib krank. Man sagt
auch emüiki netöpaki arakä, der ganze Leib krank.
Beulen (fvppe)^ welche vorkommen, seien etwas lästig.
Fuppe ist aus fup ,Geschwul8t' und pe ,Sache' zusammen-
gesetzt.
Die Heilmittel seien hauptsächlich vegetabilische. Ab-
kochungen zum inneren Gebrauche werden aus den einheimi-
schen Gräsern fushkina und kamuikina bereitet.
tushkvna kann fusiko-kina ,alte Pflanze' bedeuten.
Kamüi'kinä, Götterpflanze.
Eine Art getrockneter Auster legt man in laues Wasser,
welches dann abgeseiht und getrunken wird. Die Austern
wdka und ashketa werden auf diese Weise gebraucht. Bei
Wassersucht trinkt man blos die Hälfte dieser Flüssigkeit, die
andere Hälfte wird in Form von Bähung angewendet.
Die Wörter wäka und ashketa wurden sonst nirgends
gefunden.
Es gibt einen kleinen Fisch, Namens ikieatscheppo. Der-
selbe wird von den Ainu sehr als ein Mittel gegen Seiten-
27«
412 Pfizmaier. Uniersuchnngen Aber Ainu-Oeg^enst&nde.
stechen geschätzt. Er wird calcinirt und dann in Form eines
Teiges aufgelegt.
Bei Dobrotwörski: IkisachShb^ ein achtflächiges kegelför-
miges Fischchen. Aus ikisach ,Pfrieme, Bohrer* und 6eb ,Fi8ch*
zusammengesetzt. In ikisatcheppo HinzufUgung des Diminati-
vums po.
Die Ainu von Tsuischikari versichern^ dass sie die Sprache
der Ainu von Oschima nicht verstehen und umgekehrt auch
von diesen nicht verstanden werden. Man glaube jedoch^ dass
es nur einen geringen dialektischen Unterschied zwischen der
Sprache dieser zwei Volksstämme gebe. Er möge sich auf
einige gewöhnliche Wörter und auf die Aussprache beziehen.
Dem gegenüber lässt sich annehmen, dass allen Beobach-
tungen zufolge die Mundarten der Ainusprache^ besonders
wenn Sachalin in Betracht gezogen wird, bedeutend von ein-
ander abweichen, und dass die Behauptung der Ainu von Tsui-
schikari wahr ist. Uebrigens ist die Sprache von Jezo bisher
noch weit weniger bekannt als diejenige von Sachalin, welche
durch die Arbeiten Dobrotwörski's beinahe vollständig zugäng-
lich geworden.
Hiklosich. Ober Goethe's .Klaggesang von der edlen Fraaen des Asan Aga*. 413
über Goethe's ,Klaggesaiig von der edlen Frauen
des Asan Aga'.
Geschichte des Originaltextes und der Übersetzungen.
Von
Dr. Frans Miklosioh,
irirkl. Mitgliede der kaiserl. Akademie der Wissenschaften.
Einleitung.
In dem 1774 in Venedig gedruckten ,Viaggio in Dal-
mazia^ des Abate Alberto Fortis ist ein ^morlackisclies^ Lied
V
veröffentliclit: ,Zalo8tna pjeaarica plenienite Asanaginice/ Es ist
ein wahres Volkslied, zwar nicht das ,erste serbische Volkslied*,
das Gutenberg's Erfindung aus seiner weltvergessenen Heimat
in die weite Welt getragen^ da früher schon von Andrija
Kaöi6 Miosis (1690 bis 1760) in dem 1756 > in Venedig er-
schienenen fRazgovor ugodni naroda shvinskoga* einige wirk-
liche Volkslieder aus der Heimat der Kroaten und Serben
durch den Druck bekannt gemacht worden sind, wenn auch
keines in unveränderter nationaler Fassung: «dies gilt auch
von dem Liede vom Vojvoden Janko und von dem von Sekula.
Die Asanaginica wurde von keinem Geringeren als Goethe
deutsch übersetzt und in dieser Uberti-agung von Herder
1778 in seine Volksliedersammlung aufgenommen. Das Lied
steht nun in Goethe's Werken und ist dadurch ein Theil der
Weltliteratur geworden.
Der Werth des Liedes , dessen eigenthümliche Ge-
schichte und der der Kritik gar sehr bedürftige Text haben
* Eine frühere Ausgabe soll in Ofen gedruckt worden sein. I. Kukuljevid,
Bibliografia hryatska. I. 62.
414 Miklosich.
mich bestimmt dasselbe zum Gegenstande einer Studie zu
machen: dieselbe handelt I. vom Originaltext, 11. von den
Übersetzungen.
I. G^eschiehte des Originaltextes.
Wir besitzen von der Asanaginica einen dreifachen Text:
1. den von Fortis bekannt gemachten , 2. den Vuk'schen und
3. den uns in einer Spalatiner Handschrift aus der Mitte des
vorigen Jahrhunderts erhaltenen.
1. Der Text von Fortis.
DeritalienischeNaturforscherAbate Alberto Fortis (1741 bis
1803) schöpfte seinen Text unzweifelhaft aus der angeführten
Spalatiner Handschrift: der sla vischen Sprache unkundig, ver-
dankte er die Übersetzung der Mittheilung halbgelehrter Ein-
gebornen.
Nicht ohne Interesse ist die Frage, wie der italienische
Naturforscher dazu kam, sich um slavische Lieder zu kümmern,
die Niemand der Beachtung werth hielt. Wohl gab es schon
vor Herder Männer, die den göttlichen Funken der Poesie auch
in den Schöpfungen des Volkes erkannten. Man wird jedoch
Fortis kaum Unrecht thun durch die Annahme, dass irgend
eine äussere Veranlassung ihn bestimmt hat, einer Poesie nach-
zuforschen, die mit der italienischen seiner Zeit so wenig als
möglich gemein hat : die italienische Volkspoesie hat erst in un-
serem Jahrhundert die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich ge-
zogen. Man hat in der That diese äussere Veranlassung in der Be-
kanntschaft mit Percy's Relics of ancient english poetry zu finden
geglaubt. Sie ist jedoch i^ohl zunächst in Ossian zu suchen,
der dem Mineralogen Fortis durch den Verkehr seiner Mutter
mit Cesarotti nahegerückt wurde. Fortis selbst sagt I. 89: ,Io ho
messe in italiano parecchi canti eroici de' Morlacchi, uno de' quaü,
che mi sembra nel tempo medesimo ben condotto e interessante,
unirö a questa mia lunga diceria. Non pretenderei di fame con-
fronto coUe poesie del celebre bardo scozzese, cui la nobiltk dell'
animo vostro (gemeint ist Giovanni Stuart, Conte di Bute) donö all'
Italia in piü completa forma, facendone ripubblicare la versione
über Goethe's ,Kl;i^ge8ang von der edlen Frauen des Asan Aga'. 415
del eh. abate Cesarotti: ma mi lusingo^ che la finezza del vostro
gusto vi ritroverk iin' altra spezie di merito^ ricordante la sem-
plicitk de' tempi Omerici e relativo ai costumi della nazione/
Fortis verdient fUr die Veröffentlichung des Liedes den
Dank aller Freunde der Volkspoesie und muss gegen die
hämische Kritik von Giovanni Lovrich in dessen ,Osservazioni
sopra diversi pezzi del Viaggio in Dalmazia del signor abate
A. Fortis, Venezia, 1776/ in wesentlichen Punkten, namentlich
in dem hier in Betracht kommenden Theile, in Schutz ge-
nommen werden.
Xalostna pjesanza plemenite Asan-Aghinisje.
Scto 86 Ijdi u gorje zdenojf
Al'SU snjezi, cd-m labutovef
Da-su anjezij vech-bi okopnuli;
Uibutove vech'bi poletjelu
6 Ni'SU mjezif nit-su lahutove;
nego sdatar Aghie Asan-Aghe.
On holvje u ranami gliudmu
Oblassiga mater i sestriza;
a gUubovza od stida ne mogla.
to Kad li-mu-je ranam' boglie bilo,
ter poruga vjemoi gUvhi wojcj:
,Ne gekai-me u dvoru bjdomu,
,fd u dvoru, ni u rodu monrn,'
Kad kaduna rjed razumjela,
16 jo9C'je jadna u toj miaU stala.
Jeka Stade kogna oko dvora:
i pobjexe Asan-Aghiniza,
da wdt lomi kuie niz, penxere,
Za gnom tenpi dve ckiere djeooiks:
20 ,Vrati'nam'$e, müa majko nasda;
,nij6 000 babo Asan-Ago,
,vech daixa PLniorcvich beace/
I vrätiae Asan-Aghiniza,
ter se tjjeeda bratu oko vrdta.
26 ,Da! moj brate, vdike aramotef
ygdi-me eaglie od petero dize!'
416
Miklosich.
Bexe mugi: ne gavori nista,
vech $e mäsda u xepe svione,
i vadirgnqj kgnigu oprosckienja,
30 da uzimglie podpunno vjenganje,
da gre «' gnime majd u zatraghe.
Kad kaduna kgnigu prougäa,
dva-je Ana u celo glivhilaj
a due chiere u rumena liza:
36 a s' malahnim u beaicje sinkom
odjeliti nikako ne mogla.
Vech-je brataz za ruke uzeo,
i jedva-je sinkom raztavio:
ter-je mechie k' sebi na kogniza,
40 s' gnome grede u dvaru bjelomu.
U rodu'je malo vrjeme stäla,
malo vrjeme^ ne nedjegliu dana,
dobra kado, i od roda dobra,
dobru kadu prose sa 8t>i strana;
46 da nuzjvechie Imoski kadia,
Kaduna-se bratu svomu moli:
,Aj, tako te ne xelila, brcUzo!
,ne moi mene davat za nOcoga,
jda TM puza jadno serze moje
60 ,gledajuchi airotize svoje/
Ah bexe ne fiaja^ce nista,
vech-gnu daje Imoskomu kadü,
Jose kaduna bratu-se mogliasce,
da gnoj^ pisce listak bjele kgnighe,
66 da-je eaglie Imoskomu kadii,
,Djevoika te Ijepo pozdravgliasce,
,a u kgmzi Ijepo te mogliasce,
,kad pokupisc gospodu svatove,
ydugh podkliuvaz nosi na djevojku;
60 ,kada bude aghi mimo dvora,
fneg-ne vidi sirotize svcje/
Kad kadii bjela kgniga doge, '
gospodu'je svate pokupio,
Svate kuppi, grede po djevoiku.
66 Dobro svati dosli do djeooike,
über Ooethe's .Klaggesang tod der edlen Franen des Aean Aga'. 417
i zdravO'Se povratäi s* gnome,
A kad bat aghi ndmo dvora,
dve-je chierze s' penxere ghdaßi,
a dva mna prid-gnu izhogiaju,
70 tere svojoi maj^ govoriaju.
yVrati'nam'Se, müa majko nascia,
,da mi tebe uxinati damoJ
Kad to ^ula Asan-Aghiniza,
stariacini Bvatov govorüa:
76 ,Bogom brate^ svatov starisdna,
ftistavi mi kogne uza dvora,
,da darujem sirotize moje/
Ustamse kogne uza dvora,
Svojti dizu Ijepo darovala:
80 avaJcom' sinku nozve pozla^chene,
svakoj chieri gohu da pogliane:
a malomu u besicje sinku
gnemu saglie uboske hagline,
A to gleda junak Asan-Ago;
86 fer dozivglie do dva 8ina svoja:
,Hodte amo, sirotize mojsj
,kad'8€ nechie müovati na va8
,mojka vascia, serza argiaskoga/
Kad to gtda Asan-Aghiniza,
90 bjdim ligem u zemgliu ttdarila;
u püt-se-je s' dusdom raztavila
od xalosti gledajuck sirota.
30. L' originale: Affinchfe prenda con piena libertk coro-
nazione (da sposa novella), dopo che sark ita con esso della
madre ne' vestigj.
36. Dovrebbe dire odjeliti «e, separarsi; ma la misura
del verso decasillabo non lo permette^ quantunque lo richieda
la buona sintassi.
45. Imoskiy V Emota dei bassi geografi greci^ luogo forte,
tolto a' Turchi neir ultima guerra.
47. L' originale: ,Deh! cosi non debba io desiderarti!^ che
vale a dire ^cosl viva tu a lungo, ond' lo non ti desideri dopo
d' averti perduto!'
418 Miklosich.
72. Uxinati non significa propriamente ,cenare% ma ,üt
merenda^; il che mi sarebbe stato difficile da esprimere non
ignobUmente.
92. La mancanza di caratteri adattati mi ha costretto a
usare della lettera z nostra, in luogo della slavonica^ ch' equi-
vale al C greco; lo hanno per6 fatto molti altri prima di me
senza scrupolo^ nel che mi h sembrato di doverli seguire a
preferenza di quelli^ che usano della lettera s alta. Non ho
raddoppiato lettere, per uniformarmi aU' ortografia de' mano-
scritti slavonici piü antichi.
a. Der Vuk'sohe Text.
Der Vuk'flche Text beruht auf dem von Fortis, von dem
er sich durch eine nicht geringe Anzahl von grossentheils
unberechtigten Änderungen unterscheidet. Vuk, der bei
seinen Reisen in Dalmatien von diesem Liede beim Volke keine
Spur auffinden konnte, hat den Text von Fortis serbisirt.
Dass das Lied den Serben von jeher als ein VolksUed bekannt
gewesen sei, ist eine grundlose Behauptung.
Hasanaginica.
Sta S6 Vjdi u gori zdenojf
AI' je snijeg, aV 9U labudovif
Da je Mtjeg^ ve6 bi okopfdo^
Uzbudovi ve6 bi poletjeU.
5 Nit* je snijeg, nit' »u labudovif
nego Sator age Hasan-age.
On bohije od Ijutijeh rana.
Oblazi ga mati i sestrica,
a Ijnbovea od stida ne mogla,
10 Kad li mu je ranam* bolje büoy
on poruÜ vjemoj IjM svojoj:
,Ne öekqj me u dvoru Vjdomu,
,ni u dvorUy ni u rodu momu/
Kad kaduna r'jeÜ razmajday
16 joi je jadna u toj misli atala,
über Qoeihe's «Kluggesang Ton der edlen Franen des Asan Aga*. 419
jeka Stade konja oko dvora;
tad pohjeie Hasanaginica,
da vrat lomi hüe niz pendiere ;
za njom trie dv^je 6ere djevcjke:
20 ^Vrati nam se, nUla majko naia!
,Nije ovo babo Hasan-aga,
^ve6 daidSa Pintorovid be^eJ
I vrati 86 Hasanaginica,
ter 86 vje$a bratu oko vrata:
26 ,Da moj brate, velike sramote!
ygdje me ScJje od petero djecel^
Beie muÜ^ nüta ne govori,
ve6 86 ma$a u dSepe svione,
t vadi joj knjigu oproSöenjq,
30 da uzimlje potpuno vjenSanje,
da gre 8 njime majci u natrage,
Kad kaduna knjigu prouöüa,
dva je 8ina u i^do Ijubüa,
a dv'je 6ere u rumena lica,
S5 a 8 rrudahnim u beSici sinkom
odjdü* 86 nikako ne mogla,
ved je bratac za ruke uzeo ,
i jedva je 8' sinkom rastavio^
ter je mede k sebi na konjica,
40 8 njome grede dvoru bijelomu,
U rodu je malo vrjeme 8tala,
maio vr^jeme, ni nedjdju dana,
dobra kada i od roda dobray
dobru kadu prose 8a smh strana,
46 a najvi§6 Imoski kadija.
Kaduna 86 bratu womu moli:
jAj iaJeo te ne ieUlaj braeol
,nemoj mens daoat* ni za koga,
,da ne puca jadno srce moje
60 ,gUdaju6i siroüee svoje.*
Ali beie niäta ne hajaie,
ve6 nju daje ImoJcom kadiju
JoS kaduna bratu se moljaie,
da napüe listak Vjde knjige,
420 MikloBieh.
66 da je Salje Imoskam kadiji:
fDjevojka ts Vjepo pozdravljaie,
,a u knjid Vjepo te moljaJ^e:
,Kad pokupü gospodu svatove,
,i kad podjeä njenom Vjelu dvoru,
60 jdug p6kriv(i6 nosi na djevojku,
ßcada bude ojfi mimo dvora,
,da ne vidi sirotice svoje/
Kad kadiji Vjela knjiga dodje,
gospodu je svate pokupio,
66 svaie Tcwpi, grede po djevojku.
Dohro svati doili do djevojke,
i zdravo ae povratäi 8 njome;
a hfd Uli agi mimo dvora,
dv'je je 6erce s pendiera gledahu,
70 a dva sina pred nju izhodjahu,
tere svojoj majci govorahu:
ySvrati nam se, mila majko naia!
,da mi Übe uünati damo/
Kad to 6ula Hasanaginicaj
76 starjeHni svata govorüa:
fBogom brate, svata starjeiinal
,U8tavi mi konje uza dvora,
,da darujem sirotice moje/
UstaviSe konje uza dvora.
80 Svoju djecu Vjepo darovala:
svakom sinu noie poda6ene,
svakoj 6eri iohu do poljane;
a malomu u beäici sinku,
njemu Salje uioSke haljine.
86 A to gleda junak Hasan-aga,
pak dozivlje do dva sina svoja:
,Hod'te amo, sirotice moje!
^d se ne 6e smilovaH na vas
,majka va^a srca kamenoga/
90 Kad to 6ula Hasanaginica,
VjeUm licem u zendju vd'rila,
vput se je s duSoni rastamla,
od ialosU gledaju6^ sirote.
über Qoethe'R «Kluggesftng von der edlen Frauen des Asan AgaS 421
Noch viel einschneidender und noch weniger zu recht-
fertigen sind Vuk's Änderungen in der Pesnarica vom Jahre
1814. Vers 15: JoH stajaie u tugi velikof, 26. ,gdi me tera od
petoro dece'. 30. 31. ^da ocUazi »oojoj atarcj majci, i da s'opet
mo£e preudaii' usw.
8. Der Text der Spalatiner Handschrift.
Herrn Professor L. Zore in Ragusa verdanke ich die
MittheÜung einer aus dem vorigen Jahrhundert stammenden
Handschrift von sechs Octavblättem, auf welche der Text von
Fortis zurückzuführen ist. Diese Handschrift, die wahrscheinlich
im Gebiete von Spalato entstanden ist^ die man daher füglich
die Spalatiner Handschrift nennen kann, bietet einen Text, an
dem der Conjecturalkritiker seine Kunst zu üben keine Ver-
anlassung hat. Über diesen Text kann nicht hinausgegangen
werden: er ist fUr uns die letzterreichbare Form des Liedes, in
welchem wir allerdings einiges dunkel finden und es zu erklären
suchen werden. Daran, dass Fortis das Lied aus dem Munde
des Volkes aufgezeichnet habe, ist nicht zu denken: dies ist wohl
geraume Zeit vor seiner dalmatinischen Reise von einem Unge-
nannten geschehen. Noch weniger statthaft wäre die Annahme, der
Spalatiner Text beruhe auf einer Übersetzung aus Fortis. Die
Handschrift ist Eigenthum des Herrn Dujam Sre6ko Earaman.
Sto 86 bili u gori zdenojf
al 8U snizi^ al su labutomf
da 8U smzi, ved bi okopnüiy
lahutom ve6 bi potetili:
6 ni 8u smzif nü su labutovi,
nego iator age Asan age.
On boluje u ranami IpUim;
oblazi ga majka i sestrica,
a Ijubovca od stida ne mogla.
10 K(zd li mu je ranam bolje büo,
ter poruZa vimoj Ijvbi svojoj:
,Ne 6ekaj me u dvoru büotnu,
,m u dvoru, ni u rodu momu/
Kad kaduna rüi raaumila,
15 joi je jadna u tcj miili slala,
422 Miklosich.
jeka Stade konja oho dvora,
i pobüe Asanagirdca,
da vrat lonu kide niz peniere;
za njom tröu dm 6ere divojke:
20 ,Vrati nam se, mäa majko naia,
,ni je ovo habo Äsan ago,
yve6 daüa Pintoromö beie/
I vrati se Asanaginica,
ter se wXa bratu oko vrata:
25 ,Da moj hraiOy velike sramote,
ydi me Salje od petero dice/
BeSe mvXi, ne govori niSta,
ve6 se maSa u iepe svume,
i vadi njoj knjigu oproi6enja,
30 da uzvmlje podpuno vin6anjey
da gre s nßme majci uza irage.
Kad kaduna knjigu prou6äa,
dva je sinka u Selo Ijubüa,
a dm 6ere srid rumena Uca;
36 a 0 malakntm u beäici sinkom
odilit se nikako ne mogla,
ve6 je bratac za ruke uzeo,
i jedva je s sinkom raMavio,
ter je me6e k seht na konjica^
40 s njome grede k dvoru hijdomu,
U rodu je malo vrime Meda,
malo vrime, ni nedilju dana,
dobra kado i od roda dobra,
dobru kadu prosu sa svi strana,
45 ja najve6e imoski kadija,
Kaduna se bratu svomu moli:
,Aj tako te ne £elila, braco,
yne moj mene davat za nikoga,
fda ne puca jadno sree mojey
60 ygledaju6i strotice svoje/
Ali beie ne ajaie mita,
ve6 je daje imoskom kadiji.
JoS kaduna bratu se moljaie,
da njoj püe listak bUe knjige,
über Goethe*» ,KUgge8ang ron der edlen Frauen des Asan Aga*. 423
55 da je Salje imoskom kadiß:
fEHvcjha te lipo pozdravljciSe,
,a u knjizi lipo se moljaSe,
^kad pokupiS goBpodu avatove,
,dug podtduvak nosi na divcjku;
60 Jcada bude agi mimo dvore,
,nek ne vidi sirotice svoje/
Kad kadiß hHa knjiga dodje,
gospodu je svtUe pohupio,
svate kupi, grede po divojku,
65 dug podJduvak nosi na divojku»
Dobro 9vaH doSli do divojke,
i zdravo se povratäi s njome;
a kad büi agi mimo dvore,
dvi je 6ere 8 peniere gledaju,
70 a dva nna prid nju izodjaju,
tere svojoj majd govoraju:
,Vrati nam se, müa majko naSa,
,da mi Uibi uftna^* damo,*
Kad to ^ula Asanaginica,
75 starüini svatov govoräa:
,Bogom brate! svatov HarMnaf
,U9tavi mi konje uza dvore,
,da darujem sirotice moje/
Ustavüe konje uza dvore,
80 8V0JU dicu lipo darovala,
evakom sinku noeve pozla6ene,
svakoj 6eri 6ohu do poljane,
a maiefnu u beäici sinku
njemu äalje uboiku alßnu,
85 A to gleda junak Asan ago,
ter dozivlje do dva sinka svoja:
yOte amo, sirotice moje!
,kad se ne6e smilovati na vas
,majka vaSa srca ardjaskoga/
90 Kad to öida Asanaginica,
bilim licem tevnlji udarila,
u ptU se je duiom rastavHa
od £cdosti gledaju6 sirota.
424 Miklosich.
Anhang.
Auf den folgenden Blättern erscheinen die in der Spala-
tiner Handschrift enthaltenen drei Lieder abgedruckt, und
zwar in der Schreibung des Originals. Es geschieht dies,
damit der Leser die Richtigkeit meiner Transscription der Asana-
ginica beurtheilen könne. Es bietet ferner der Text dieser
Lieder einige nicht uninteressante sprachliche Eigenthlimlich-
keiten. Schliesslich ist das erste der Lieder eine beachtens-
werthe Variante eines durch Vuk bekannt gemachten Liedes.
Vor allem ist zu bemerken, dass die Handschrift EtLrzen
und Längen, wenn auch nicht alle, bezeichnet.
Die Kürze " und ' wird durch Verdopplung des folgenden
Consonanten ausgedrückt: alU, braUa. broMzu, brattia, braecMa»
kadda. Tncdh. padde. svatte. etto. jeccha sonus. nebbo, neggo.
sebbe, tebbe, tehbi, trecchi, vecchie, vecch, zette. ieppe. dizzu. inno.
knjiggu, müla. millos. püti, aitti. svittom, vtddi. griottcu morre
potest. onni. roddu (rhdu). sramoUa. ioddor. togga. owo. bvdde,
didla. drugga, duggu, kuppi coUigit Abweichend ist kofitto
(Jcbpüo).
Die Länge eines Vocals wird durch - bezeichnet, a) In
den Stämmen: bäho, bräto. drägcu gräda. ndäde. päsa, säma.
stäla (aus stojala). vrcU. büe, dite, llca, jpir. püta. svite lucent.
kü8, pfUe, b) In der Declination und Conjugation. a) In der
Declination: sg. gen. f. dice. knjige. sramote. pl. gen. dänä.
divojäka, iljöda, pi^jateljä, sirötä, stränä. wäia, ustä. Ijudh Man
beachte svaiöv und svatöva, Numeralia: dvä, dvh M. Prono-
mina: ml, m, nä8, väs. njü, ovo. Zusammengesetzte Adjectiv-
formen: iarkö, jadnö, miUä. vüe, teikS. drugü. müi. pl. gen.
goleml, svl, jednah,, sa sm stränä. ß) In der Conjugation: praes.
bill, moll, mudi. oblazl, vell, vidi. puccU vüä. kunü, kunnü: serb.
künü, cme. imäde, ne6e. Durch den Accent erkennt man gle-
däju m, 69 und izodjäju 70 als Imperfecta. Abweichungen:
Jon m. 1. niä§a IH. 28. mäSi I. 188. 202. näi I. 46. vödi
ducit I. 213. divojkee L 2 ist divcjks.
Das partic. praet. act. H. lautet auf o und auf a aus:
napravia, nauöia, pasa (pciah). poloÜa. poaidnuja, privaria. udria,
zania (zanesh) usw.
Ober Goothe's «Klaggesang ton der odlen Frauen Aas Asan Aga'. 42Ö
Man beachte Formen wie besidkajo I. 199. posidnuja 81.
poznavajo 89. uzUgnujo 110. 111. und izniSe I. 171. zanio 103.
zania 87.
Praefixe werden regelmässig von den Verben durch-
getrennt: od-govara. Ebenso za-uimca usw.
Pisma 1.
Prario-je sarHsdU czar stipane
u Legenu divojchee Rasanche.
devet godin pod prstenom stcda.
eadse 9vrd deveta godtna,
6 cgnigu pisu legensca gaspoda,
ierje sagliu grblseom czar-stipanu:
yDa naa zette, milachi ezar-gtipano,
jCwppi sväta, coUcoti drago,
,alli ne-moj dvä tvoja nechtaca,
10 ,dvä neckiaca, dvä Vomomchia:
,u mnu-9U varle varavize,
,u juncistvu varle intJidxijey
fG brsz crvi nechiB pitH vina,^
Cad'li czaru bila cgniga dogie,
15 8am govori, a sam od-gavara:
fDoj^mi, boxe, tiginit veeeglia,
fpogubi-chiu dvä mcja neckiaca,
,u Vugaju dvä Vainavichia/
Cuppi svatte, znane i ne-znane,
20 al ne zove dvä 9V0Ja neckiaca.
Onni svojoj majei govorise:
,0 Starice, müla majco nasa^
,ovvöy majco, bit mani nemore,
^da näe ujqe ne-ckie na veeeglie:
26 ,niccO'na8'je o-mraeio s-gnims/
A gnimaje govorüa majca:
,Sinci fnoji, ludovat ne-mofte,
,da ne-ckieie ujzu na veseglie:
jbi'llx bila od boga griotta,
SO ,a od gUndl vdica aramoUa,'
A onm-8u govorili majci:
SUzoopber. d. phil.-hitt. Cl. CHI. Bd. n. Hft. 28
426 Miklosich.
fCaeo-chiemo mi oi-ichi, majco,
yne-ssove-naa na pir m u svatU,
,a sto-bi-nam recao dcaxa^
86 ,da'8mo dodi k-gnemu na veseglie
jZa CÜ8 Uba i za qamk vinaf
jjer ne-znanu nigdi miata ne-jma/
JoS'je sincom majca govarüa:
, Vamtni sind jesti arickia ddbra,
40 ^tü tmate braUa % trechiega,
,pr% ovzani'je u Vugjcg ptanini.
,SvaC'ga hfali, da-je dobar junak,
,za tri copja da u nebbo 9ca/ge.^
To-9u nnd majcu poshisali,
46 bTa;ttm »vomu pisu cgnigu tancu:
,Aj MUloM, näs milk hraine,
,08tav af>ze, oddi dvoru 9vome,
fbile-smo-ti sagradiU dvare/
Cad MiUosu büa cginga dogie,
60 MiUoa rujno vince üpiase
samo trista avoizi gobana;
gobanom-je avoim govcrio:
,Vince pijte, % ovze pazite,
,a ja gredem bilu dvoru mome;
66 ,od braochie-mi bila cgniga dogie,
yda-au bile duore aagmdäi/
I po-aide dobra cogna avoga,
ter ot'igie büu dvoru avoTne.
Ne-umide po-znavaH dvore,
60 al prida-gne braMa iz-aeteue,
u bile-ga dvore u^vedoae,
MiUoau-au bracchia govorüa:
yAj Milloau, naac müli brajene,
jnaa daixa po-cupi avtUove.
66 ,Oddij brato, da aagliemo tebbe,
ftebbe ne-^hie po-znaH daixa,
jer-te nicad ni vidio ni-je/
Müloa bracchi avojoj odrgovara:
yJa-chiu ot-ich, milla bracchio mojaJ
70 Sedlaju-mu cogna po-tajnoga,
über Ooelhe*8 «Klaggesanff von der edlen Franen des Asan Aga». 427
sedlaju-ga sedlom arsbrnime,
za-mdaju uzdom po-zkuAienani;
pocroise mttom do copitta,
varhu toga mrcom medindinwn,
76 da-se dchra i ne-vidi cogna,
Tiec-ae cognu pod-gnam ocd cme;
a norbraza scherlet i cadifuy
na bedrizu chiordu o-cavanü;
po-criju-ga dtiggom eabamzzom,
80 dvä arsina po-zemgli-ae vuge.
Millos dobra cogna po-ndnuja,
pO'CognU'je copje po-loaia,
a u rvAihe od zlata buzdovan,
Mälosorau braccMa svitovala:
85 ^Cad budeie croz Mragaj planinu,
fda-te nebbi sanac pri-varia,
fda-te nebbi dobar cogn za-nia,
,a pod onni czarev alaj-barjac,
fda^te nebbi czare po-znavajoJ
90 Od'tole-ee zdravo pO'digo8e.'\
A cad biae croz Mragaj planine,
iz'ogioas viachi ccdauzi,
mrdom tiochzorn bez jaana miaeza.
Veli taco czare goapodare:
96 ,Azna-daref otvor aznu moju,
,ter izvadi dvä camena draga^
,jeda biamo püte u-praväiJ
Scoqüoae mlado azna-darfe,
czarevurje aznu o-tvorio,
100 dvä camena dräga izvadio,
po-gnim avati püte u^aviae,
Müloea-je aanae pri-vario,
biaae-ga dobar cogn za-nio,
a pod onm czarev alaj-iariac.
105 Veli taco czare goapodare:
,Dobra cogna da loaa junaca,
,ni-aam cogna vidio ovaca,
,vech acco-aam u Voinomchia/
To'je Milha croz aanac chiutio,
28»
428 Miklosich.
110 golema-je cogna uz-tegnujo,
coUco-ga laco uz-tegnujo;
modar plamen iz tistä udrio.
Cognem doode dtt delie mlade:
,Prodaj cog9ia, hugarine jedan,
116 fdacchiemoti dvä dttcata zc^gne/
MiUos mu^, ne^govori nista,
vech'ji bije zlatnim buzdovanam,
colicfhji laco udarcLse,
udigl czamoj zemgli sagtavase,
120 MolemU'Se dm delie mlade:
fNe-udaraj, müli gospodare,
,jer mdimo, daje cogniz za-te/
Svusu »vatH sttti i piani,
aUi ni-je Millos dUe ndadOy
125 vecchie igie po voj(8)ci czarevoj,
a ischiudii ajqSbase mläde:
jDaj-mi jiati, ajgibasa mladiJ
Ggnemu vell czarev ajfibasa:
,Bi8 od-tolem, hudalino jedna,
130 ffii-je ovde tasa darvenoga,
fiz'ita-si-se jisti na-u^,
,vech'8U ovde sve erebami eaani,
^iz-sta jidu svattovi gospoda/
To Millosu varlo xao bilo,
136 iLz ohraz-ga ruc&m vdario,
colico-ga udario laco,
dvä cutgnamu poletise zuba
i dva vi'tUca crvi iz obraza^
Plta pitH Mälo8 dUe mlado:
140 fDaj-mi pitti, czarev ajgibaeaJ
Gnemu veli czarev ajgihasa:
,Bix od-tolem, hudalino jedna,
,ni'je ovde vlaache bundurie,
,8tono-8i'8e pitH na vgia,
145 /vecch-j^ ovdu slaiche malvasie,
^sfonno piju svattovi goepoda/
To Millosu varlo xcu) bilo,
udara-ga e-zlainim buzdovanom,
über Ooethe's «Klaggesang von der edlen Frauen des Asan Aga*. 429
moUmU'Se czarev ajgihasa:
150 ,Ne-udaraj, miüi gospodare,
,dacchiemO'H pitti, sto-ti drago,
,i pro-mmü vino svacojaco/
Cad'SU do8li ka Legenu gradu,
iz'Setala Ugenaca ddia:
166 fCo-je ovdi 8rbl(8)chi czar-Stipane,
ffie-dcano mu divojche Rosanche,
fdo-^im h-meni na mejdan iz-age/
Od dvanajest igliada svattöva
ne-nage-se golema ddia,
160 vech-se acocci Miüos düe mlädo,
gge-mu veli Ugenaca ddia:
,Bix O'tolem, budaUno jedna^
^ne-plasi-mi dobra cogna moga
,8'tome tvcjom duggom cabanizom/
165 Mülos dobra cogna na-pustio,
8V0JU sviüu chiordu po-vadio,
za-tagnicu glavu odBicao,
ter-je nosi czaru päd gadore:
yEtto, czare, glava za-tognica/
170 Jos-gnim drugghi zacon postavise:
iznise-gnim na copju jahucu:
,Co-je ovdi 8rbl(8)chi czar-Stipane,
,ne'damomu divojche Roaanche,
jdoc U'8trüi na copju jahucu,,
176 ,i pade mu u nidarza eämaJ
Od dvanajest igliäda svatova
ne-nagieae golema ddia,
vech'8e scoggi Müloe dito ndado,
brzo svidu strüu na-pravia,
180 i ustrili na copju jahucu,
i padde-mu u nidarza säma,
Jos gnim trecchi zaxxm postavise:
iZ'Vedu-gnim devet divcjäca,
8Vi jedtiachi, u jednim aglinam,
185 ter govore legensca goapoda:
,Co je ovde mhlschi czar-Stipane,
,nech u-zimglie divojcu Rosaneu;
430 Miklosieh.
,al accO'Se coje drugghe niä»i,
ffiü-che ot'ich ni od-veat divojche/
190 Od dvanajest igliäda svattova
ne-nage-se golema deUa,
coji'hi'Se tome do-misliOj
vecch-ae scog^ Mülos dUe nrdado,
S'Sebbe baza duggu cabanizu,
196 vaS'On sinu cao mime xarco,
ter prostire aarene azdije,
po-gncj pro9U spemu i prstenche,
S'bedrisseje chiordu po-vadio,
divojcam-je ndadim besidcajo:
200 fCoja-je ovdi divcjca Sosanca,
,nec U'sdmglie apefnzu i prstenche;
^al aceose coja drugga märi,
fOHa-che-joj na azdiji rttca/
PoniznO'Se zemgli na-smiala,
206 pri-stupüa, a-cuppi prstenove,
a asam-ß bigne ka Legenu,
a za gnima MiUos düe mladoy
ter do-ziva svatte vitezove:
,Tu imäde golerra ddia,
210 ,a coj'Se ni'SU o-xenüi,
ySad-ee ovde o-xenü morete
,na veeegliu czara gestUoga/
Ujrm vödi czaru pod gculore:
,EttOy czare, lipota divojca/
215 Czar-ga zove za divera ndada,
a on svome ujzu od-govara:
,N%'8am togga gujOy ni viddio,
yda-je nechiac ujzu za divera;
yettO'ti ujna, a ne-tribovala-ti!
220 Jer-bi boglie, da-je gliuba moja,
Jere-sanuje junaatvom do-bto,
,Vedi oddimo büu dvoru momu,
jesti onde Palasco vojvoda:
yCad'jä ea-mnom büe ovze pasa,
225 ,daleccomi odmetnu camenom,
,pobogli'je on od mene junac**
über Oo«the*B ,Kl»ggeianf von d«r cidleo Frauen dei Asan Aga'. 431
Pisma 2.
Hfalia-^e begh FUipotkhu
u Glamogu svaim priategUem:
ßto-mi hfale Toddor Latininay
,8togga hfale, da-je dobar junac!
6 fkaddorga-sam ja jvaiac udria
,na 9rid gräda Zadra hidoga^
,a uz obraz s-xeMcom za-umizorn/
ü Toddora dosta pruxtegliä,
priategUä, vecchie pobratima,
10 ter Toddoru bilu cgtdggu pisu:
,A ne-znaa-U, Toddor Latinine,
yda 96 hfaU beg filifpovickiuy
,da-je tebbe junac udaria
,na'8rid Zadra grada bidoga,
\b ,a uzrobraz 8'Xen90om zorUtnizomJ
Cad Toddoru bila cgnigga dogie,
onnu 9tije, brxje d/ruggu piae,
ter 'je saglie beg^Filippomchiu:
,Qujo jesam, dc^ei-ee hf(dio,
20 ,da'9i junac udario mene,
,a uz obraz s-xenecom za-uanizom.
jNec bog znade, vidio-te nieam,
,a ead velie, da-ei doba/r junac,
,za'zivam'te na jimaechi mejdan,
26 ,^ecackiu'te viee Zadra grada,
,a cod bila tuma Mestromckia/
Cad'li begu bila cgnigga dogie,
viddi, da-ee na inno ne morre,
od-pravglia-se na junaedhi mydan.
30 Mlada begga zadignala majca:
,A taco te ne-xdila, tinco,
,cojem vlahu padnee na conacu,
,ne'^ni'mu nicacva zuluma,
,da ne<unü vlaei siromasi,
36 jeda-bi-te pri-gecala majca/
A'li bexe i ne mari nista:
cojem vlahu padde na conache,
432 Miklosieh.
onim coglie ovce iz pod evona
i bide janze cod ovaza,
40 i glmbi'im na og^ divojchey
a da vlasi bUim mv/mmom 9vUe.
Vrlo cunnü vUm aironuisi:
jOddi tamoy begh FUippoviddu,
,ti mejdana toga ne d(hbio,
46 ,nit-1s tvoja prigecala majca!*
Cadsu dosli k4wmu Mestrovichia,
Jims gini beg-FtUppovichm^
ter d(hzivgUs Toddor LcUinina:
fDrxi'me-SBf Toddor Latinine,
60 ,a mcjega zlatna buzdovana
,meggiu ogfi u gdo junasco,^
I udarä beg-FUippovichiuj
udarao Toddor Latinina,
al^mu nije tesda rane dao,
55 ^ini jv/ris Toddor LaHnine^
ter dO'Zivglie beg-FUippovichia:
fDarxi-me-eef beg-Füippovichiu,
,a mojega dcUna buzdovana
,nixe päeapo vieB svitgnaca/
60 / vrdari Toddor LaJtinine,
u-dario beg-FUippovichia
nixe päsa po viaB svitgnaca,
Mrtav bexe k-cemoj zemgli padde,
dostixe-ga cletva airomasca.
Pisma 3. (Asanaginica.)
Sto-ee bü% u göri zdenojf
alrsu snizi, al-su lahtUovif
dorsu mizif vech-bi o-copaili,
labutovi vech-bi poletili:
5 ni'iu snizi, nit-su labutoviy
neggo gaior aghe Äean-aghe,
On boluje u ranami gliutim;
oblazi-ga majca i sestriza,
a glivbovza od stida ne^mogla.
über Goethe's «Klaggesang voo der edlen Frauen des Asan Ag»'. 433
10 Cad-li'fnU'je ranam boglie bilo^
ter po-ruga vimoj glitibi svojoj:
jNe gecaj-me u dvaru bilomu,
,m u dvcru, ni u rodu momuJ
Cad ccbduna rigi razumila,
15 joB'je jadna u tcj ndsli stdla,
jecdva stadde cogna occo dvora,
i pobixe Äsan-aghiniza,
da vrcU lomi cule niz penxere;
za gnam trga dm chiere divojche:
20 fVrcUt'Tuim'Se, miUä majco ncua,
ffii-je owo bäbo Asan-ago,
,vech daixa Pintorovich bexe/
i vratise Asan-aghiniza,
ter-se visä bratu occo vräta:
25 ,Da moj bräto, vdiche sramote,
fdime saglie od petero dize/
Bexe mtigi, ne govori nista,
vech'Se mäsa u xejppe svioney
i vadi-gticj cgniggu oprosckienja,
30 da uzimglie podpuno vingagne,
da gre s-gnime majci uzortraghe.
Cad caduna cgnigu pro-tigüa,
dva-je ainca u gelo gliubüa,
a dvi chiere erid rumena llza;
36 a s-malacnim u besid sincom
od-dilitse nicaco ne^mogla,
vedi-je brataz za ruche uzeo,
i jedva-je e-sincom rastavio,
ter-je mecckie k-sebi na cogniza,
40 8-gnome grede k-dvoru bielomu,
U roddvrje malo vrime stcUa,
maUo vrime, ni nediglitc dänä,
dobra cado i od roda dobra,
dobru cadu proeu sa «vi ^ränä,
45 ja naj'VecMe imoschi cadija.
Cadunase bratu 8Vomi(> moli:
,Aj tacO'te ne-xdila, brazo^
,ne-moj mene davat za-nicoga,
434 MikloBich.
,da ne-puzzä jadnö aarze moje,
60 ,gledajucki sirotize svoje/
Ali hexe na ajase ni9tay
vech^je daje imoscom cadij.
Jos caduna bratu-se moglicue,
da gnoj pise Ostac bile cgnighs,
56 da-je saglie imoscom cadij:
jDivojcarte Upo pozdravgUase,
,a u cgnid lipo-se mogliase,
,cad pO'Cuppis gospodu svatave,
fdugh podduva^c nosi na divcjcu;
60 fCadda budde agghi mimo dvare,
,nec ne-vidi nroUce svofe/
Cad cadji hüa cgniga dogisy
gospodu-je svatte po-cuppio,
svatte cuppi, grede po divojeu,
65 dttg podduvac nosi na divcjcu.
Dobro svatti dosU do divojche,
i zdravo-se po-vratili s-^nome;
a cad hüi agghi mimo dvore,
dvi'je dUere s-pevixere gledäjUy
70 a dvä sina prid gnü iz-ogiäju,
terre svcjoj majci govoraju:
fVrati'nam-se, miüa majco nasa,
,da ml tebhi uxinati damo/
Cad to guUa Äsan^aghiniza,
75 starisini svattöv govorila:
jBogom brattel svattöv staridna!
fUStavimi cogne uza dvore,
,da darujem siroHce moje^
Ustavise cogne uza dvore,
80 svoju dizeu lipo darovala,
svacom sincu nozve pozlachsne,
svacoj chieri gohu do pogliane,
a maUenu u besici sincu
gnemu saglie uboscu aglinu.
85 A to gleda junac Asan-ago,
ter do-zivglie do dvä sinca svoja:
,Otte amo, sirotice moje,
über Goethe's ,KIaggeMng von der edlen Frauen des Ann Ag»'. 435
fCctdae nec/de s^milovaii na väs
majea vcua erza argiaacogaJ
90 Cad to gida Asan-aghiniza,
büim licem zemgli udarüa,
u put-se-je dutam raz-ftavUa
od xalosH gUdajxuih rirötä.
Anmerkungen.
Pisma 1.
Lieder von ähnlichem Inhalte sind: Zenidia DuSanova,
Vuk 2. 132. Maijanovid 14. Kaöi6 119 usw. Müad. 73.
1. 6. 9rbl$ki: vergl. sribünh, sriMi (sribh) Daniöid, Rje6-
nik 3. 147.
2. Legen ^ d. i. Ledjen , sonst Ledjan. Der Roeanka ent-
spricht bei Vuk 2. 132. Roksanda, bulg. bei Kadanovskij 237.
Rokeana, bei Milad. 309. Rusanta.
11, u vinu 8U vrle varavice ist falsch; bei Vuk v. 44: u
fi6u SU teüke pijanice; bei Marjan. v. 92: ne6e vina da piju
rvjnoga, dokle 6orde krvlju ne napoje. Kaöi6 v. 14: i^ vinu ga
kabgadtijom kaiu.
12. u junaittm vrle inadüje; bei Vuk v. 45: au kavzi
Ijute kavgad£ije. inadÜje, bei Vuk. inat Zank; inadüja Zänker:
tttrk. ^nadi^.
23. ovo, majko, bit mani ne more. Türk. mani ist Hinder-
niss Zenker 802. 3^ daher: ^dass wir nicht geladeii sind, das
kann kein Hindemiss sein, dass wir dennoch hingehend Vuk's
mani hiti kamu, Jemand neidisch sein^ passt hicht.
29. li in bi li bilo ist mir nicht klar.
51. samo trieta svojizi öobana ist wohl: er mit seinen
Hirten, zusammen dreihundert. Vergl. samdrugi, sarntredi,
59. ne umide steht fehlerhaft für ne unide non intravit.
kanja potajnoga : sigvo'aSe dobre konje evoje, koji e' bili do devet
godina \ u potaji u toplom podrumu^ \ a za koje nüko znao nije
Volkslied. (Jconj) niti vidja aunca niC mjeeecay ' van da Usu mlada
u podrumu Volkslied, konj, kojino ti stoji u potaji Kaöi6 119.
73. pokroise ist wohl: bedeckten. Vergl. 79.
438 Miklosich.
divojkam I. 199. ovcam I. 41. ranam III. 10; den Plural gen.
svatov, godin I. 3.
9. a Ijubovca od stida ne mogla. Die Frau konnte die
Scheu vor männlicher Begegnung selbst in diesem Falle nicht
überwinden. Einem Mädchen wird in einem Volksliede nach-
gerühmt: mibike glave nigda ni vidila sie hat nie ein männlich
Haupt gesehen.
10. ranam h. ranam* f. v.
11. ter h. f. an v. poruda h. f. poruÜ v. PonUaU fährt
Stulli aus einem glag. Brevier an: aslov. portf6ati.
15. Kroat. und ragus. für stajala. atäla III. 15. siala I. 3.
aus *8tojala,
18. kule h. f. V. Man erwartet kidi: pojdi hdi na prozore.
i iSli 8u Radvlu na dvore. kroat. Volkslied. Vergl. 24. 60. 68.
peniere h. pendiere v. türk. pendäere. Mit peniera vergl. 69. s
p&nxere, bulg. pendiera-ta Milad. 398.
19. tr^ h. f. dialektisch für ^rÄe. Vergl. prosu 44. dvi iert
h. dü'je (fere v. Ebenso 34. 68. Vergleichende Grammatik 2. 216.
21. ago h. f. aga v.
22. daiia h. I. 34. 64. daid£a v. serb. daidia. Vergl.
türk. daj^, Onkel mütterlicher neben amud2a Onkel väterlicher
Seits ; für beides russ. djadja, Dass dccüa, nicht daidta zu lesen
ist^ ergibt sich aus hexe m. 22. 51. hoxe I. 16. hrxje U. 17.
dostixe n. 64. uxinaÜ UI. 73. xarco I. 195. xao I. 134. 147.
xelila II. 31. III. 47. oxenili I. 210. xeppe HI. 28: serb. dUpe,
di wird durch dx bezeichnet: inadxije I. 12.
26. di h. gdi f. gdje v.
27. ne govori nüta h. f. Die gewöhnliche Wortfolge nUta
ne govori v. nüta ne divani Marjan. 90. nüta ne badira 130. 131.
Doch 716 govori nüta I. 116. t na mari nüta 11. 36. ne tgaSe
nüta in. 51. a on toga nüta ne hajaie, Volkslied.
29. oproschienja h.^ d. i. oproi6en-ja neben vingagne 30;
d. i. vinia'Ae; oproschienja, vjencanje f. : ü bezeichnet die Hand-
schrift durch gn: kogna, gnoj, kgnigu, kogmca. Vergleichende
Grammatik 1. 407.
30. da uzimlje podpuno vinüanje. Der Vers besagt nicht:
dass die Frau frei sei sich einem andern zu ergeben , zu ver-
mählen, ,ond' ella ricoronarsi pienamente possa'^ sondern^ wie
Vuk richtig lehrt, dass die Frau jene Summe erhalte, welche
über Ooethe's ,KlKggMan{|f ron der edlen Fraaen des As&n Ag^a*. 437
Pisma 3. (Asanaginica).
f. bedeutet Fortis; v. Yak; h. die Handschrift. Mit I. II. m werden die
im Anhange abgedruckten Lieder beeeichnet.
1. Ho f. h. äta V.: nirgends 6a.
2. cd 8U snjezi f. al su anizi h. aV je snijeg v. : v. wollte
den auch in 3. und 5. vorkommenden Plural von snig, mijeg
vermeiden und wurde dadurch zu einschneidenden Ände-
rungen gedrängt. Zum Schutze des Plurals kann angeführt
werden it. nevi und fz. neiges in den Übersetzungen dieser
Stellen, lat. nives usw. Auch die slavischen Sprachen kennen
den Plur. von mefft: öech. sn&iy jungm., pol. .Sniegi Linde, oserb.
8t%ehi Schneemassen Pfuhl. laJmtovi h. lahutove f. labvdovi v.
3. okopnidi f. okopnüi h. okopnio v.
6. Mor h. Sator f. v. Das serb. kennt iador neben Sator
Marjan. 8. türk. dad^r. ^dor I. 168. Age Asan-age: ebenso
aga Beür-aga, agi Beär-agi Volkslied, beg Ali-beg Juki6 494.
Einen ähnlichen Eingang bietet ein Lied in der Sammlung von
Juki6 350: Sta V procvili jutrom na uranku \ nasred Sefija grada
bijeloga \ pred 6emerli Iva novam kulomf \ Da je vüa, u gori bi
bila; \ da je zmija, u stjenam bi bila. \ Ve6e cmli nudi Radojica usw.
460. m grmi, iü se zemlja tresef , iT se ore mz planine 8t'jene^\
iV planine u debelo moref \ iV se vozi po krSu djemijaf \ Niti grmi,
nit- se zemlja trese, \ ni£ se ore niz planine et jene ^ \ nit' planine
u debelo more, \ nü^ ee voze po krSu djemije: \ ve6 pucaju topi
na ostrogu. Bulg. bei Miladin 10 usw.
7. u ranami IjuHm h. u ranami Ijutimi f. od Ijutijeh rana v.
Kroat. lautet der Plural loc. u ranah Ijvüh, serb. u ranama
Ijutima, Ijutimj der Plural instr. kroat. ranami Ijutimi, serb.
ranama Ijutima, Ijutim. Im kroatischen Sprachgebiete wird von
der alten Regel häufig abgewichen, indem das serbische gegen
Westen vordringt; man liest: u jednim cUjinam I. 184. grob niu
turekim glavam naJdtio Maijan. 34. ujala je (zmiju) s büima
rukami, zaklcda je 8 noÜm si'ebmima, Volkslied. Selbst im Norden
hört man z bütmi nogami neben z bilimi rukama, cmima otima,
bdima ruJcania, junaSkim rukama Hrvatske narodne pjesme 11.
8. 36. Man beachte den Plural dat vami I. 39. njim I. 170. 171.
182. iobanom svojim I. 52. sinkom I. 38. evoßm prijateljem II. 2,
440 MikloBich.
Es mag dem ttirk. öad^r entsprechen in der Bedeutung ,em den
ganzen Leib bedeckender Frauenschleier' Zenker 339. 2.
61. nek ne vidi h. da ne vidi v. ndc findet sich so auch L
76. 187. 201. U. 22. 68. sepovratili sie traten die Rückreise an,
ne pi^^ir, nicht : ^glücklich kamen sie mit ihr vom Hause wieder'.
69 — 71. gledaju, izodjaju, govoraju h. gledahu, izhodjahUj
gavorahu v.
73. tebi h. tebe f. v.
76. svatov h. f. svaia v.
77. ibza dvore h. tiza dvora f. uza dvora mjesto uz dvor
da 86 ispuni stih v. dvor im plur. ist bekanntlich sehr häufig:
ima u (im* u) ku6i dvore devetere. konje jaJhij i dvorima idv
kroat. Volkslied. Vergl. I. 48. 56.
81. sinku h. f. sinu v. nozve h. f. noBe v. • Das sonst an-
bekannte nozve ist cotumi bei f., Halbstiefel bei dem Über-
setzer von 1775, Stiefel bei Goethe, Lederstrümpfchen bei
Talvj. Vuk denkt an nazuve, wofür im Wörterbuch nazuviee,
verwirft jedoch diese Vermuthung, da türkische Herren der-
gleichen nicht trügen. An nozve ist wohl nichts zu ändern,
obgleich wir das Wort nicht kennen. Es scheint mit nhz (nez),
woher auch nizati und noSh, zusammen zu hangen und kann
,Mes8erscheide^ bedeuten.
83. malenu h. mdlomu f. v.
84. uhosku aglinu h. , d. i. wohl vioSku alßnu, uboike
haljine v. ; f. übei*setzt: ,ma al picciolo bambin^ che giacea in
culla, da poverello un giubbettin mandava;' der Übersetzer von
1775 bietet: ,dem schickte sie ein Röcklein'; Goethe: ,gab sie
für die Zukunft auch ein Röckchen'; Talvj: ^sendete sie auch
ein seidnes Kleidchen.' UboSki fehlt bei Vuk; Stulli hat aus
Ranjina vhoäki als Adverb in der Bedeutung ,poveramente'.
vhoScu kann nicht gelesen werden; auch würde durch Er-
setzung des uboSku durch uboScu die Wortfolge sehr ungewöhn-
lich werden. Der in der Handschrift stehende Vers ist zu
übersetzen: ,und dem kleinen Söhnchen in der Wiege, dem
sendet sie ein ärmliches Kleid.' Also dem Theuersten die ge-
ringste Gabel
88. smilovaH h. v. milovati f. Man vergleiche ne hi V
mi 86 mladoj 8milovao neben na njeg 8e je smäovala Mate,
Volkslied.
über Ooeihe's ,Klaggesang von der edlen Fraacn des Ann Aga*. 441
89. 8rca ardjaskoga h. srca kamenoga v.: arrugginito cor
bei f. lässt rdjavoga vermuthen^ dem jedoch die Handschrift
entgegensteht. Der Übersetzer von 1775 hat ,Bru8t von Eisen',
Goethe dasselbe, Talvj ,von Stein ein Herz^ Der Handschrift
entspricht noch am besten orjaUki, horjaUki, im Wörterbuch
nebulonum; orjat, orjatkinja Marjan. 11., bulg. horijcUski, ttirk.
horijat^ griech. xwptotTtj;.
91. zendji udarUa h. u zemlju vdrila f. v.
93. od ialo9ti gehört zu se je rastaväa , allerdings gegen
die Regel, was vielleicht durch die grössere Pause nach ialosti
gerechtfertigt werden kann.
sirota f. sirötä h. nrote v. Vergl. 50. Der Genetiv ist hier
zu erklären nach Vergl. Grammatik 4. 492. Man beachte
a Ü6a6i ajHhaJ^e rrdade I. 126. den jungen Hauptkoch suchend.
prosio je divojke Ro9anke L 2. ter prostire Sarene azdije I. 196.
er breitet aus das bunte Oberkleid, pa da vidiS budimske kra-
Ijice Juki6 143.
Vuk hat in seinem Text dem altslovenischen % statt des
kroatischen durchgängig den serbischen Reflex gegenüber ge-
stellt, daher djece 26. djecu 79. pred 69. starjeHna 74. 75. ftlr
dice, dicu, pridy eiariiina bei Fortis und in der Handschrift. Dass
die Volkslieder die Formen nicht streng festhalten, ist bekannt,
daher bijelomu HL, 40. für hihmai. Ebenso bijehga H. 6. 14.
bijele II. 39. Diese Mengung der lautlichen Formen findet
sich auch sonst in kroatischen Volksliedern: ni ulisti u bijele
dvore, ufaii je za bijele ruke neben t od sobah i od bilih dvora.
In einem Liede aus der Umgebung von Spalato liest man
dijete neben dvi, prid, priko neben preko usw. Pamjatniki i
obrazcy I — IV. 281. dvoru bijelomu neben obesite, svetlo, izgo-
rela und obisiSe, dviy tilo^ virovala^ umrit usw. 195. krvavije
kljuna do oöijUy i krvavi nogu do koljena bei Vuk. Man ver-
gleiche die interessanten Bemerkungen von L. Marjanovi6 II.
Kein kroatische Texte sind nicht sehr häufig. Auch die gram-
matischen Formen wechseln ab : svatov 74. 75, wofür Vuk evata
setzt, neben konja 16.
SitxiiDgsber. d. pbiL-hiit. Ol. CHI. Bd. II. Üft. 29
442 Hiklosich.
II. O^eschlchte der Übersetzunj?en.
1. Übersetzung von Fortia.
CANZONE DOLENTE
DELLA NOBILE
SPOSA D'ASAN AGA.
Che mai biancheggia Ik nel verde bosco?
Son nevi, o cigni? Se le fosser nevi,
Squagliate omai sarebbonsi; se cigni,
Mosso avrebbero il volo. Ah! non son bianche
6 Nevi, o cigni colk; sono le tende
D' Asano, il duce. Egli fe ferito, e duolsi
Acerbamente. A visitarlo andaro
La madre e la sorella. Anche la sposa
Sarebbev' ita, ma rossor trattienla.
10 Quindi allorch' ei delle ferite il duolo
SenÜ alleggiarsi, alla fedel mogliera
Co8\ fece intimar: ,Non aspettarmi
,NeI mio bianco cortil; non nel cortile,
,N6 fra' parenti miei/ Neil' udir queste
16 Dure parole pensierosa e mesta
L' infelice rimase. Ella d' intorno
AI maritale albergo il calpestio
Di cavalli ascoltö; verso la torre
Disperata fuggio^ per darsi morte,
io Dalla finestra rovinando al basso.
Ma i di lei passi frettolose, ansanti
Le due figlie seguir: ,Deh! cara madre,
,Deh! non fuggir; del genitore Asano
,Non h gik questo il calpestio; ne viene
26 ,11 tuo fratello, di Pintoro il figlio/
Addietro volse a questo dire i passi
D'Asan la sposa, e le braccia distese
AI collo del fratello. ,Ahi! fratel mio,
,Vedi vergogna! e' mi repudia, madre
30 ,Di cinque figlil^ II begh nulla risponde;
Ma dalla tasca di vermiglia seta
über Ooeihe's ^Klaggesang von dor edlen Frauen des Asan Aga^ 443
Un foglio trae di libertade^ ond' ella
Ricoronarsi pienamente possa,
Dopo che avrk con lui fatto ritomo
35 AUa casa matema. Allor che vide
L' afflitta donna il doloroso scritto.
De' suoi due figliuolin' baciö le fronti;
E delle due fanciulle i rosei volti:
Ma dal bambino, che giaceva in culla^
40 Staccar non si poteo. Seco la trasse
II severo fratello a viva forza;
Sul cavallo la pose, e fe ritomo
Con essa insieme alla magion patema.
Breve tempo restovvi. Ancor passati
45 Sette giomi non erano^ che intomo
Fu da ogni parte ricercata in moglie
La giovane gentil d'alto legnaggio;
E fra i nobili proci era distinto
L' imoskese cadi. Prega piagnendo
50 Ella il fi*atel: ,Deh! non voler di nuovo
yDarmi in moglie ad alciui; te ne scongiuro
yPella tua vita, o mio fratello amato;
,Onde dal petto il cor non mi si schianti
^Nel riveder gli abbandonati figlit^
55 n begh non bada alle sue voci; k fisso
Di darla in moglie al buon cadi d' Imoski.
Allor di nuovo ella pregö: ^Dehl almeno,
;(Poich6 pur cos\ vuoi) manda d' Lnoski
,A1 cadi un bianco foglio. A te salute
60 jinvia la giovinetta, e vuol pregarti
yPer via di questo scrittO; che allor quando
jVerrai per essa co' signori svati^
,Un lungo velo tu le rechi, ond' ella
yPossa da capo appie tutta coprirsi^
65 yQuando dinanzi alla magion d'Asano
yPassar d'uopo le fia, nh veder deggia
yl cari figli abbandonati/ Appena
Giunse al cadi la lettera^ ei raccolse
Tutti gli svati, e pella sposa andiede,
70 II lungo veloy cui chiedea, portando.
29*
444 Miklotieh.
Felicemente giunsero gli svati
Sino alla casa della sposa; e insieme
Felicemente ne partir con essa.
Ma allor, ehe presso alla magion d'Asano
75 Furo airivati, dal balcon miromo
La madre lor le due fanciuUe^ e i figli
Usciro incontro a lei. ,Deh, cara madre,
^Tomane a noi; dentro alle nostre soglie
;A cenar vienne.' La dolente sposa
80 Del duce AsanO; allor che i figli udio,
Yolsesi al primo degli svati: ;0 vecchio
yFratello mio^ deh ferminsi i cavalli
^PresBO di questa casa, ond' io dar possa
;Qualche pegno d'amore agli orfanelli
85 ,Figli del grembo mio/ Stettersi fermi
Dinanzi alla magion tutti i cavalli;
Ed ella porse alla diletta prole
I doni suoi; scesa di sella. Diede
Ai due fanciulli bei cotumi, d'oro
90 Tutti intarsiati, e due panni alle figlie^
Onde dal capo ai pi6 furon coperte:
Ma al picciolo bambin, che giacea in culla.
Da poverello un giubbettin mandava.
Tutto in disparte il duce Askn vedea;
95 E a se chiamö i figliuoli. ,A me tomate,
,Cari orfanelli miei, da che non sente
;Piü pietade di voi la crudel madre
,Di arrugginito cor.' Udillo; e cadde
L' afflitta donna, col pallido volto
100 La terra percuotendo; e a un punto istesso
Del petto uscille Tanima dolente^
GU orfani figli suoi partir veggendo.
2. Übersetzung vom Jahre 1776.
Klaggesang von der edlen Braut des Asan Aga.
Was ist im grünen Wald dort jene Weisse?
Schnee? oder Schwäne? sei es Schnee: er müsste
geschmolzen endlich sein, und Schwäne wären
über Goethe's .Klaggesang Ton der edlen Franen des Asan Aga». 445
davon geflogen. Weder Schnee noch Schwäne,
6 es sind die Zelten Asans, unsers Herzogs.
Verwundet ächzt er drinnen; ihn zu sehen
kömmt zu ihm seine Mutter, seine Schwester;
die Gattin säumt aus Scham zu ihm zu kommen.
Als er zuletzt die Pein an seinen Wunden
10 gelindert fühlte, Hess er seiner treuen
Gemahlin künden: ,Harr' auf mich nicht länger
,in meinem weissen Hofe, noch bei meinen
,Verwandten!' Als das harte Wort die treue
Gemahl vernommen, stand sie starr und schmerzvoll.
16 Schon hört sie um des Gatten Burg den Hufschlag
von Rossen schallen, springt verzweifelnd
den Thurm hinauf, und will vom Fenster stürzend
dem Tod sich geben. Aber ängstlich folgten
zwo zarte Töchter ihrer raschen Mutter,
20 und riefen weinend: »Mutter, liebe Mutter!
,Ach, fliehe nicht! Es sind nicht unsers Vaters,
^nicht Asans Rosse; komm zurück, dein Bruder,
,der Erbe des Pintoro wartet deiner.^
Die Gattin Asans kömmt zurück und windet
2ß die Arme um den Hals von ihrem Bruder:
,0 Bruder, sieh die Schande deineo* Schwester!
,Mich zu Verstössen, mich, die arme Mutter
,von fünf Unglücklichen!' Er schweigt und ziehet
hervor von rother Seide aus der Tasche
30 den Freiheitsbrief, der ihr das Recht ertheilet,
in ihrem mütterlichen Hause wieder
zurückgekehrt ein neues Ehebündniss
zu knüpfen. Als die bange Fürstin sähe
das traurige Blatt, so küsste sie die Stirne
35 von ihren beiden Söhnlein und von ihren
zwo'n Töchterchen die zarten Rosen wangen;
ach, aber von dem Säugling in der Wiege
vermag die Arme nicht sich loszureissen.
Er reisst sie los, der unbarmherzige Bruder,
40 hebt sie zu sich aufs Ross, und kehret eilig
mit ihr zurück zur väterlichen Wohnung.
446 Miklosieh.
Nach kurzer Zeit, es waren sieben Tage
noch nicht verflossen, als von allen Seiten,
schön und erhabener Herkunft, zur Gemahlin
45 das schöne Fräulein schon erkieset wurde.
Der edlen Freier war der angesehenste
der Cadi von Imosky. Aber weinend
bat sie den Bruder: ,Ach! bei deinem Leben
^beschwör' ich dich, du mein geliebter Bruder!
50 ,mich keinem andern mehr zur Frau zu geben,
,damit das Wiedersehen meiner lieben
^verlassenen Kinder mir das Herz nicht breche!'
Er achtet ihre Reden nichts, entschlossen
die Schwester dem Cadi zur Frau zu geben.
55 Sie fleht aufs neu: ,Ach, bist du unerbittlich,
,80 wollest dem Cadi zum mindesten senden
,ein weisses Blatt: ,Dich grüsst die junge Wittib,
,imd will durch dieses Blatt, wenn dich die Suaten
,zu ihr begleiten, einen langen Schleier
60 ,dich bitten ihr zu reichen, dass in diesen,
,wenn Asans Wohnung sie vorüber komme,
,vom Haupt zu'n Füssen sie sich hüllen könne,
,um ihre lieben, ach! verlassenen Kinder
,nicht seh^n zu müssen!* Der Cadi beäugte
65 das Schreiben kaum, als er die Suaten sammelt,
und seiner schönen Braut entgegen eilet,
den langen Schleier, den sie heischte, tragend.
Zum Haus der jungen Fürstin kamen glücklich
die Suaten, und von ihrem Hause kehrten
70 mit ihr sie glücklich wieder: aber näher
als Asans Wohnung sie gekommen waren,
so sah'n vom Erker ihre liebe Mutter
die zarten Töchter und die jungen Söhne,
und eilten zu ihr: ,Liebe, liebe Mutter!
75 ,Komm wieder zu uns, komm in deiner Halle
,mit uns das Abendbrod zu essen!* Seufzend,
als sie das Sprechen ihrer Kinder hörte,
wandt* sich des Herzog Asans bange Gattin
zum ersten von den Suaten: ,0 mein alter
über Goethe's «Klaggesang Ton der edlen Fnoen des Asan Aga'. 447
80 ^geliebter Bruder, lass vor diesem Hause
^die Bosse harren, dass ich diesen Waisen,
,den Kindern meines Busens, noch ein Zeichen
,der Liebe geben kannl' Die Rosse harrten
an Asans traurigem Haus, und abgestiegen
85 vom Boss gab sie den Kindern ihres Busens
Geschenke: gab mit Gold beblümte schöne
Halbstiefel beiden Söhnlein und den Töchtern
zwei Kleider, die vom Kopf zu Fuss sie deckten;
dem Säugling aber, welcher in der Wiege
90 noch hilflos lag, dem schickte sie ein Röcklein.
Der Vater, alles in der Feme sehend,
rief seinen Kindern: ,Liebe Kleine, kehret
,zu mir zurück, der fUhllos wordenen Mutter
^verschlossene Brust von Eisen weiss von keinem
96 ,Mitleiden mehr/ Die jammervolle Gattin
hört Asans Wort, und stürzt, mit blassem Antlitz
die Erde schütternd, und die bange Seele
entfloh dem bangen Busen, als, die Arme!
sie ihre Kinder sah von ihr entfliehen.
Die Sitten der Morlacken aus dem Italienischen über-
setzt. Mit Kupfer. Beni, bei der typographischen Gesellschaft
1775, Seite 90. Dtintzer (Goethe's Lyrische Gedichte I. 127)
citirt eine andere Ausgabe : Die Sitten der Morlacken. Auszug
aus dem Französischen (von Abbate Fortis). (Abbate Alberto
Fortis, Reise in Dalmatien. Aus dem Italienischen. Bern. 1776.
I. Seite 153).
Dass der Übersetzer nicht aus dein ,morlacki8chen* Original,
sondern aus dem Italienischen von Fortis übersetzt hat, zeigen
jene Stellen, die, ihm mit Fortis gemeinsam, im Original nicht
zu finden sind.
i
3. FraDBÖsiflche Überaetsang.
Schon 1775 erschien in Bern ein Büchlein unter dem
Titel: ,Die Sitten der Morlacken', welches, mit Übergebung
der geographischen und naturhistorischen Partien, eine Über-
setzung desjenigen Theiles des genannten italienischen Werkes
448 Miklosieh.
ist, welcher in sechzehn Paragraphen von den Sitten der Mor-
lacken handelt: ,De costumi de' Morlacchi/ Seite 43—105.
Das Büchlein ,Die Sitten der Morlacken' erschien auch 1792
in Bern und in Lausanne unter verändertem Titel: ,Rcise zu
den Morlacken. Von Albert Fortis/ Wir begegnen derselben
Übersetzung in der vollständigen Übertragung von Fortis' Werk:
,Abbate Alberto Fortis, Reise in Dalmatien. Bern, bei der
typographischen Gesellschaft. 1776/ Damit wird wohl Fortis,
Reise nach Dalmatien. Bern. 1792, identisch sein. Es ist mehr
als wahrscheinlich, dass der Übersetzer des Capitels von den
Sitten der Morlacken auch den Rest des Fortis'schen Werkes
übertragen hat. Das Reisewerk des italienischen Gelehrten
erschien auch in französischer Übersetzung 1778. in Bem:,Voyage
en Dalmatie par M. Tabb^ Fortis.' Bern. 1778. In demselben
Jahre ward in London eine englische Übersetzung gedruckt.
A. Fortis, Lettres sur les Morlaques. Beme. s. a., kenne ich
nur aus den Bibliographien: das Buch enthält wahrscheinlich
aus Fortis nur die Partie über die Sitten der Morlacken : damit
stimmt der geringe Preis überein. Es ist unzweifelhaft identisch
mit dem Bern. 1788. chez la soci^te typographique erschienenen
Büchlein: Lettre de M. Fabbe Fortis k Mylord Comte de Bute
sur les moeurs et usages des Morlaques, appeläs Montenögrins.
Avec figures. 85 Seiten. Man wird wohl kaum irren, wenn man
annimmt, dass beim Interesse, welches die Welt an den vorher
kaum je genannten Morlacken nahm, Rousseau's Ideen von dem
Naturzustand der Völker im Spiele waren. Selbst der nüch-
terne italienische Naturforscher sagt 67 : ,L'innocenza e la
libertk naturale de' secoli pastorali mantiensi ancora in Morlac-
chia, o almeno vene rimangono grandissimi vestigj ne' luoghi
piü rimoti da' nostri stabilimenti^ usw., und in der Vorrede zu
,den Sitten der Morlacken' liest man, ,dass dieselben der an-
gebomen Güte unserer Natur das Wort zu reden scheinend
In einer Oper: Les Morlaques. Opera en deux actes, musique
du baron de Lannoy (italienischer Text von Rossi). Graz. 1817,
ziehen die ,Morlackcn' zum letzten Male die Aufmerksamkeit
der Welt auf sich.
über Ooeih6*8 ,KUggenng von 4er edlen Frauen des Asaa Aga*. 449
Chanson sur la mort de rillustre äpouse
d'Asan- Aga.
Quelle blancheur brille dans ces for^ts vertes? Sont ce
des neiges ou des cygnes? Les neiges seroient fondues aujour-
d'liui, et les cygnes se seroient envol^s. Ce ne sont ni des neiges
ni des cygnes, mais les tentes du guerrier Asan-Aga. D y de-
meure blessö et se plaignant am^rement. Sa m^re et sa soBur
sont allöes le visiter: son öpouse seroit yenue aussi, mais la
pudeur la retient.
Quand la douleur de ses blessures s'appaisa^ il manda h.
sa femme fidMe: ,Ne m'attends pas ni dans ma maison blanche,
ni dans ma cour, ni parmi mes parens/ En recevant ces durcs
paroles, cette malheureuse reste triste et affligöe. Dans la mai-
son de son äpoux, eile entend les pas de chevaux, et d^ses-
p^r^e eile court sur une tour pour finir ses jours en se jetant
par les fcnStres. Ses deux fiUes ^pouvantöes suivent ses pas
incertains, en lui criant: ,Ah, chfere mfere, ah! ne fuis pas: ces
chevaux ne sont pas ceux de notre pfere Asan; c'est ton frfere,
le Beg Pintorovich qui vient te voir' usw.
La triste veuve d'Asan, entendant le cris de ses enfans,
se tourne vers le premier Svati: ,Pour Tamour de Dieu, eher
et vön^rable, arrete les chevaux pres de cette maison, afin que
je donne k ces orphelins quelque gage de ma tendresse/ Les
chevaux s'arretent devant la porte, eile descend et ofFre des
pr^sens k ses enfans: eile donne aux fils des brodequins d'or,
et de beaux voiles aux filles. Au petit innocent qui couche
dans le berceau, eile envoie une robe.
Asan voyant de loin cette scfene, rappelle ses fils: ,Revenez
k moi, mes enfans; laissez cette cruelle m6re, qui a un coeur
d'airain, et qui ne resscnt plus pour vous aucune pitiö.'
Entendant ses paroles, cette affligöe veuve pälk et tombe
par terre. Son ame quitte son corps au moment qu'elle voit
partir ses enfans.
Aus: Voyage en Dalmatie par M. TAbbö Fortis, traduit
de Titalien. Beme, chez la sociötö typographique. 1778. I.
Seite 143—149.
450 Miklosich.
4. Ooethe's Übersetzung.
Die Übertragung Goethe's ist so leicht zugänglich, dass
ein Abdruck derselben nicht nöthig ist.
Die öfters citirte Anmerkung zu diesem Liede lautet in
der Originalausgabe von Herder's Volksliedern I. 1778, S. 330
wörtlich: ,S. Fortis Reise Th. 1. S. 150 oder die Sitten der
Moriachen, Bern 1775. S. 90. Die Übersetzung dieses edlen
Gesanges ist nicht von mir; ich hoffe in der Zukunft derselben
mehrere zu liefern.^ Die Angabe der Quelle fehlt in späteren
Ausgaben.
Es ist zweckmässig von dem Berichte des Dichters über
die Entstehung des Elaggesanges aus dem Jahre 1825 vor-
läufig abzusehen.
Die erste Frage , die nach der Vorlage, ist dahin zu
beantworten, dass Goethe's Übersetzung auf der oben abge-
druckten Verdeutschung von 1775. beruht, die sich auch in
der Übersetzung der Fortis'schen Reise von 1776. findet. Die
Richtigkeit dieser Ansicht, die auch von Düntzer 1. 312. und
vom Freiherm von Biedermann 2. 309 getheilt wird, ergibt
sich mit Sicherheit aus der Vergleichung beider Texte. Mit I.
bezeichne ich den Text von 1775, mit H. den von Goethe,
mit ni. das Original ; in der Verszählung folge ich dem letz-
teren. 9. I. Die Gattin säumt aus Scham zu ihm zu kommen.
IL schamhaft säumt sein Weib zu ihm zu kommen, in. doch
die Gattin konnte nicht vor Scham, ma rossor trattienla Fortis.
10. I. als er zuletzt die Pein von seinen Wunden gelindert
fühlte. II. als nun seine Wimde linder wurde. III. als es nun
mit seinen Wunden besser wurde, allorch' ei delle ferite il duolo
senti allegiarsi Fortis. 14. I. als das harte Wort die treue
Gemahl vernommen, stand sie starr und schmerzvoll. 11. als
die Frau dies harte Wort vernommen, stand die Treue starr
und voller Schmerzen. HI. als die Frau die Worte ver-
nommen, stand die Arme noch da in dem Gedanken (an die
vernommene Botschaft), neir udir queste dure parole Fortis.
19. I. aber ängstlich folgten zwo zarte Töchter. 11. ängst-
lich folgen ihr zwei liebe Töchter. HI. ihr eilen nach zwei
Töchter. Fortis ,ansanti' wurde nach dem lateinischen anxios
als ,ansio*, ,ängstlich^ aufgefasst. 21. I. es sind nicht unsers
über Goethe'B «Klaggesang von der edlen Frauen des Asan Aga*. 451
VaterS; nicht Asan's Rosse. IE. sind nicht unsers Vaters Asan
Rosse, m. es ist nicht der Vater Asan Aga. Del genitore
Asano non h questo il calpestio. 28. I. ziehet hervor von
rother Seide aus der Tasche den Freiheitsbrief. 11. ziehet
aus der Tasche, eingehüllt in hochrothe Seide, den Brief der
Scheidung. III. sondern greift in die Tasche von Seide. Die
im Original fehlende ,hochrothe Seide' mtisste nach einem der
Erklärer, K. L. Kannegiesser 9 (Vorträge über eine Auswahl
von Goethe's lyrischen Gedichten. Breslau 1835) ,auf eine
morlackische Sitte gehend di vermiglia seta Fortis. 37. 1. er
reisst sie los, der unbarmherzige Bruder. IE. reisst sie los
der ungestüme Bruder. III. es ergreift sie der Bruder bei
den Händen, il severe fratello Fortis. 41. I. nach kurzer
Zeit. n. kurze Zeit war*s. m. bei den Ihren (u rodu) weilte
sie kurze Zeit, breve tempo restovvi Fortis. Nach 60. I. dass
in diesen (Schleier) vom Haupt zu'n Füssen sie sich hüllen
könne. H. dass ich mich vor Asan's Haus verhülle. HI. fehlt,
ond' ella possa da capo appi^ tutta coprirsi Fortis. 65. fehlt
durch ein Versehen bei Fortis im Original ; der Vers steht in
der Spalatiner Handschrift und bei Fortis in der Übersetzung.
65. I. den langen Schleier, den sie heischte, tragend. II. mit
den Schleier, den sie heischte, tragend. lU. dug podkluvak
iwsi na divojku, trägt den langen Schleier fllr die Braut.
II lungo velo, cui chiedea, portando. 85. I. alles in der
Ferne sehend. H. dies beiseit sah Vater Asan Aga. III.
Und dies sieht der Held Asan Aga. tutto in disparte il duce
Asan vedea Fortis. 91. I. und stürzt, mit blassem Antlitz die
Erde schütternd. IL stürzt sie bleich, den Boden schüt-
ternd, nieder. HL stürzt sie mit bleichem Antlitz nieder. E
cadde, col pallido volto la terra percuotendo Fortis. Goethe
gebraucht das etwas seltene ,schüttem*, wie es scheint, nur
noch in »Deutscher Parnass': »schüttert er des Berges Wipfel*.
93. I. als sie ihre Kinder vor ihr fliehen sah. H. als sie ihre
Kinder von sich fliehen sah. HI. ak sie die Waisen sah. Gli
orfani figli suoi partir veggendo Fortis. Ich glaube nach
dem Gesagten nicht, dass die Übereinstimmung des Über-
setzers von 1775 und Goethe's auf Rechnung einer gemein-
schaftlichen Vorlage zu setzen sei. Es könnten noch an-
dere Stellen angeführt werden; doch dürfte das Beigebrachte
452 Miklosich.
vollkommen gentigen. Nach dieser Darlegung kann von einer
französischen Vorlage Goethe's nicht die Rede sein. Die
Gräfin Rosenberg, der man die französische Übersetzung zn-
zuschreiben scheint, kann Niemand anderer sein als die Ver-
fasserin des Buches ,Les MorlaquesS (Italien) 1788: J. Wynne,
Comtesse des Ursins et Rosenberg. Abgesehen davon, dass
Goethe's Übertragung im ersten Bande von Herder's Volks-
liedern aus dem Jahre 1778 steht, ist zu bemerken, dass das
Buch der Gräfin den Klaggesang gar nicht enthält.
Hat Goethe'n die Übersetzung von 1775 als Vorlage gedient,
dann kann der Klaggesang schon in diesem Jahre entstanden
sein. Für die Zeit nach 1775 könnte der Umstand angeAihrt
werden, dass Bernays' ,Junger Goethe^ das Stück nicht ent-
hält, daher von demselben nach 1775 angesetzt wird. Goethe-
Jahrbuch 2. 131. Wenn Düntzer's Vermuthung (Goethe's Lyri-
sche Gedichte, 1858), Goethe sei durch Herder auf den Stoff
und das Buch aufmerksam gemacht worden, richtig ist, dann
ist der Klaggesang erst in dem Spätherbst 1776 entstanden,
da Herder erst im October dieses Jahres nach Weimar kam.
Goethe-Jahrbuch 2. 132. Düntzer hat jedoch in der zweiten
Ausgabe des angeführten Werkes 1. 126. die recht ansprechende
Vermuthung geäussert, Goethe'n sei in der Schweiz 1775 (am
7. November war er in Weimar) die kleine in Bern in diesem
Jahre erschienene Schrift; ,Die Sitten der Morlacken' in die
Hände gekommen; es kann daher das von Eckermann und
Riemer angegebene Jahr 1775 stehen bleiben. In metrischer
Hinsicht ist das Gedicht vom 11. September 1776 ,Seefahrt' zu
vergleichen. Später wird von Goethe der serbische Trochäus
häufig angewandt: Liebesbedürfniss. Morgenklagen. Der Be-
such. Der Becher. Nachtgedanken. Amor als Landschaftsmaler.
Was nun das Metrum des Klaggesangs anlangt, so wird
wohl zugegeben werden, dass der Rhythmus bei einer unbe-
kannten Sprache nicht erkannt werden kann, dass es daher
nicht angeht anzunehmen, es könne der Übersetzer, ohne die
Sprache des Originals zu verstehen, sich diesem nach dem
Gehör anschmiegen. Der Vers des serbischen Heldenliedes be-
steht aus zehn Silben mit einem Ruhepunkt nach der vierten
und nach der zehnten Silbe, welche zehn Silben im Gesänge
fUnf Trochäen bilden. Goethe's Vers im Klaggesange ist der
über Goethe'a «Klaggesang Ton der edlen Franen des Asan Aga'. 453
angeführten Regel; abgesehen von dem Ruhepunkte nach der
vierten Silbe, entsprechend, und man könnte meinen, die ser-
bische Regel sei Goethe irgendwie bekannt geworden: diese
Meinung wäre unrichtige da das metrische Gesetz des serbischen
Heldenliedes erst, im Jahre 1824 von Vuk dargelegt; vor ihm
von Niemand auch nur geahnt worden ist; so einfach auch die
Sache für den Sprachkundigen ist. Die Behauptung; das Metrum
sei errathen worden, schliesst keine Lösung in sich. Auf den
der serbischen Sprache unkundigen Fortis; mit dem Herder in
brieflichem Verkehr gestanden zu haben scheint, da er erzählt;
er habe serbische Lieder aus einem ungedruckten Manuscript
desselben übertragen, worüber der Anhang 1. nachzusehen ist,
kann man sich nicht berufen. Unter diesen Umständen bleibt
nichts übrig als eine Hypothese aufzustellen; die der Prüfung
der Sachkundigen vorgelegt wird. Dass der Vers aus zehn
Silben besteht (decasillabo bei Fortis 1. 105); das zu sehen
erforderte keine Kenntniss der Sprache; wollte man nun die
Silbenzahl in der Nachdichtung bewahren, dann; so scheint es,
war es natürlich, dass man nicht zu dem fünfflissigen Jambus,
sondern zu dem bequemeren Trochäus griff; bequemer, weil
eine Sprache, die die Wurzelsilbe, nicht das Suffix betont; den
trochäischen Versschluss begünstigt Tonlose einsilbige Wörter
im Versanfange kann Goethe entbehren: 21. Sind nicht unsers
Vaters Asan Rosse. Vergl. 27. Auch das epische Metrum der
Serben beruht darauf; dass das Serbische die Endsilben nicht be-
tont. Vergleichende Grammatik 1.406: daraus schliesse ich; dass
der Trochäus des bulgarischen Epos serbischen Ursprungs ist
1. 376. Man könnte geneigt sein anzunehmen, der Trochäus
sei gewählt worden, weil der langsamere Gang des Trochäus
der epischen^ bei den einzelnen Stadien der Handlung mit
Li^be verweilenden Darstellung angemessener sei. Auch Herder
wandte, wohl nach Goethe's Beispiel; den sogenannten serbi-
schen Trochäus in den drei von ihm übertragenen und unter
die Volkslieder aufgenommenen Dichtungen an:
1. Gesang vom Milos Cobilich und Vuko Brankowich:
Schön zu schauen sind die rothen Rosen | in dem weissen
Pallast des Lazaro.
2. Radoslaus: Kaum noch; dass am Himmel Morgen-
röthe ' und der Morgenstern am Himmel glänzte.
454 Uiklosieh.
3. Die schöne Dolmetscherin : Über Qravo fiel der Bascha
Mustaj, I und rings um die hohe Mauer sanken usw.
Der serbische Trochäus wurde nach Goethe's Vorgange
auch von jener trefflichen Frau angewandt^ der das serbische
Volkslied sein Bekanntwerden in der Welt, verdankt. Dass
Goethe und Herder bei ihren Verdeutschungen serbischer
Lieder dem Vers jene Form gaben^ die man als die dem Me-
trum des Originals entsprechendste ansehen muss, beruht, wie
bemerkt, nicht auf einer Erkenntniss des serbischen Metrums,
das nur im Singen erkennbar wird, beim Lesen und Recitiren
nicht hervortritt. Gesungen wird I pönSsS \ tri tövärä blägä^
recitirt hingegen l pon^S \ tri tövärä blägäy wobei natüriich
- betonte, u unbetonte Silben bezeichnet.
Nach einer anderen Hypothese könnte man den serbischen
Trochäus als Erweiterung des vierfUssigen Trochäus ansehen,
den Herder bei der Verdeutschung spanischer Romanzen an-
wendet: die Erweiterung wäre durch den reicheren Inhalt des
serbischen Verses hervorgerufen.
Einer andern Ansicht, bei der jede Hypothese über-
flüssig wird, huldigt Düntzer, der in seinem Werke: Goethe'a
lyrische Gedichte, zweite Auflage, 2. Seite 464, sich folgender-
massen ausspricht: ,Goethe bemerkt selbst, er habe den EJag-
gesang ,mit Ahnung des Rhythmus und Beachtung des (bei-
gefügten) Originals^ ^ übertragen. Verstand er auch nicht die
serbische Sprache, in der das Gedicht geschrieben ist, so zeigte
ihm doch die Vergleichung der Übersetzung mit der Urschrift,
in welcher dasselbe Wort häufig wiederkehrt, welche Freiheiten
sich der Abbate Fortis bei seiner französischen ^ Übertragung,
von der Goethe eine deutsche Übersetzimg vorlag, genommen
hatte, wie dieser vielfach den einfachen Ausdruck ungebührlich
ausgeschmückt, auch manche Übergänge und Erweiterungen
eingeschoben. Einiges dieser Art schaffte er wohl nach Ver-
gleichung mit der Urschrift weg; hätte er diese sorgfältiger
angestellt, so würde er wohl leicht noch andere ausflickende
1 Goethe*8 Worte lauten: ,Ich übertrug ihn (den Rlaggesang) nach dem
beigefügten Französischen mit Ahnung des Rhythmus und Beachtung
der Wortstellung des Originals.*
' Richtig: ,italieni8chen*.
über Gocthc's «Klagg^esang Ton der edlen Frunen des Asan Aga*. 455
Zusätze entdeckt haben: an anderen Stellen leitete den Dichter
sein natürlicher^ den Volkston ahnender und sich lebendig
hinein versetzender Sinn. Das ursprüngliche Versmaass funf-
fUssiger Trochäen erkannte er richtig, während er in der deut-
sehen Übersetzung jambische Verse von 5 7.2 Fuss fand. Hatte
der Übersetzer nicht Vers für Vers sich entsprechen lassen,
so folgte hier Goethe in richtiger Würdigung genau der Ur-
schrift, wodurch er nur zu einzelnen Auslassungen veranlasst
ward; auch der kleinen durch den Vers geforderten Zusätze
sind wenige. Besonders glücklich ist die einfache Satzver-
bindung und die bezeichnende Wortstellung^
Wenn Goethe auch nicht das Gesetz von der Pause nach
der vierten Silbe beobachtete (29. 49. 54. 71. 90.), wie es auch
Talvj nicht gelingen wollte dasselbe durchzuführen, wenn sie
nicht wesentlichere Dinge opfern wollte, so finden wir doch
die viel wichtigere Regel von dem Ruhepunkte nach der
zehnten Silbe festgehalten. Dies ist jedoch nicht specifisch
serbisch, es wird vielmehr auch von deutschen Metrikem ge-
fordert, dass bei längeren Versen das Ende des einen Verses
dem Sinne nach nicht gar zu eng mit dem Anfang des nächsten
verknüpft werde, dass nach jedem Verse eine Art Pause ein-
trete, wodurch derselbe sich gewissermassen als ein Ganzes dar-
stellt. Diesem Gesetze folgt Goethe in allen seinen Schöpfungen
Platen hat sich in seinen in serbischen Trochäen gedichteten
,Abassiden' von beiden Regeln emancipirt.
Wenn man Goethe's Nachdichtung mit seiner Vorlage ver-
gleicht, so sieht man, wie er dem Geiste des Volksliedes ahnend
näher tritt und dessen Schönheiten in unvergleichlicher Weise
wiedergibt. Nur in der Übertragung Bern, 1775 vorhanden, wäre
das Lied wohl längst vergessen, während ihm in Goethe's
Nachdichtung ein unvergängliches Dasein beschieden ist.
Goethe sagt über den EJaggesang 1825 in ,KunBt und
Alterthum' V. 2. 53: ,Schon sind es fünfzig Jahre, dass ich
den Elaggesang der edlen Frau Asan-Aga übersetzte, der sich
in des Abbate Fortis Reisen, auch von da in den morlackischen
Notizen der Gräfin Rosenberg finden liess. Ich übertrug ihn
nach dem beigefügten Französischen mit Ahnung des Rhythmus
und Beachtung der Wortstellung des Originals.' Der Leser
wolle beurtheilen^ wie viel sich von dem von Goethe nach
456 Miklosich.
einem halben Jahrhundert gegebenen Berichte wird retten
lassen. Mit den angefochtenen fllnfzig Jahren kann es, wie
schon angedeutet wurde, seine Richtigkeit haben, da Qoethe's
Aufzeichnung aus dem Jahre 1826 stammt und die der Nach-
dichtung zu Grunde liegende Verdeutschung 1775 gedruckt wurde.
Ich gehe vom Jahre 1825 aus, da Goethe am 18. Jänner dieses
Jahres den in der Mitte des Jahres 1824 verfassten Entwurf
in mehr ausgearbeiteter Gestalt Eckermann vorlas. Freiherr von
Biedermann 2. 31-2.
6. ÜbersetBung von Talvj.
Hassan-Aga's Gattin.
Was ist Weisses dort am grünen Bergwald?
Ist es Schnee wohl, oder sind es Schwäne?
War* es Schnee, er wäre weggeschmolzen,
wären's Schwäne, wären weggeflogen,
5 weder ist es Schnee, noch sind es Schwäne,
's ist das Zelt des Aga Hassan -Aga,
wo er niederliegt an schlimmen Wunden;
ihn besucht die Mutter und die Schwester,
doch vor Scham vermag es nicht die Gattin.
10 Als er nun genas von seiner Wunde,
da entbot er seiner treuen Gattin:
,Harre meiner nicht im weissen Hofe,
,nicht im Hofe und nicht bei den Meinen.^
Als die edle Frau dies Wort vernommen,
15 blieb erstarrt sie stehn vor grossem Leide.
Als sie Rosseshufschlag hört am Hofe,
da entflieht des Hassan • Aga Gattin,
will sich aus des Thurmes Fenster stürzen;
folgen eilend ihr zwei liebe Töchter:
20 ,Kehr' zu uns zurücke, liebe Mutter,
,nicht der Vater ist es, Hassan -Aga,
,ist der Beg Pintorowitsch, der Oheim 1^
Und es kehret Hassan -Aga's Gattin,
hängt sich jammernd um den Hals dem Bruder:
25 ,0 mein Bruder, o der grossen Schande!
,Von fiinf Kindern will er mich vertreiben!*
über Qoethe's ,KIftgg«8fin^ von der edlen Fronen das Atan Aga^ 457
Schweigt der Beg und redet keine Silbe^
und er greift in seine seid'ne Tasche,
zieht daraus hervor den Brief der Scheidung,
30 dass sie frei ssur greisen Mutter kehre,
einem Anderen sich zu vermählen.
Als die edle Frau den Brief durchlesen^
küsst sie auf die Stirn die beiden Söhne,
auf die rothen Wangen beide Töchter;
36 aber von dem Elleinsten in der Wiege,
nicht vermag sie's, sich von ihm zu trennen.
Bei der Hand nimmt sie der Bruder endlich,
reisst sie mühsam los vom zarten Knaben,
lässt sie hinter sich das Ross besteigen,
40 reitet mit ihr nach dem weissen Hofe.
Kurze Zeit nur weilt sie bei den Ihren,
kurze Zeit, noch keiner Woche Tage,
ward die edle' Frau von edlem Stamme,
ward die Frau begehrt von allen Seiten,
46 auch vom grossen Kadi von Imoschki.
Bittet sehr die edle Frau den Bruder:
,Ich beschwöre dich bei deinem Leben,
,wolle keinem Andern mich vermählen,
,da8S mir nicht das Herz, das arme, breche,
60 ,wenn ich meine Waisen wiedersehe!*
Doch der Bruder achtet nicht ihr Flehen,
sagt sie zu dem Kadi von Imoschki.
Und noch einmal bat die Frau den Bruder,
dass ein weisses Briefblatt er beschreibe,
66 und es senden solle an den Kadi:
,Es begrüsst die junge Frau dich freundlich,
,bittet dich mit diesem Briefe schönstens,
,wenn du edle Hochzeitsleute ladest
,und nach ihrem weissen Hofe ziehest,
60 ,woir ihr einen langen Schleier bringen,
,das8 sie drin ihr Angesicht verhülle,
,wenn sie vor des Aga Hof vorbeikommt,
,dass sie ihre Waisen nicht mehr schaue!'
Als das weisse Schreiben kam zum Kadi,
65 sammelte er edle Hochzeitsleute,
SiUiuft^r- d. pbil.-biet. Cl. CHI. Bd. H. Hft. 30
458 Mfkloaieli.
zog mit ihnen^ heim die Braut zu fahren;
glücklich kamen sie zu ihrer Wohnung,
glücklich kehrten sie mit ihr zurücke.
Aber als sie vor des Aga Hofe
70 sah'n die beiden Töchter aus dem Fenster,
vor die Thüre traten beide Söhne,
und sie riefen an die liebe Mutter:
,Kehr' zu uns zurücke, liebe Mutter,
,dass das Mittagsmahl wir mit dir theilen!^
75 Als dies hörte Hassan -Aga's Gattin,
sprach zum Alt'sten sie des Hoohzeitszuges:
, Altester, o du in Gbtt mein Bruder!
,La8s' die Rosse hier am Hofe halten,
,dass ich meine Waisen noch beschenke!^
80 Und die Rosse hielten vor dem Hofe,
schön beschenkte sie die lieben Kinder,
gab den Söhnen gold'ne Lederstrümpfchen,
gab den Töchtern ungeschnittnes Laken,
und dem kleinsten Enäblein in der Wiege
85 sendete sie auch ein seidnes Kleidchen.
Als der Held dies sähe, Hassan -Aga,
rief er zu sich seine beiden Söhne:
,Kommt zu mir, ihr meine armen Waisen,
,nicht Erbarmen wird sie mit euch flihlen,
90 ,denn von Stein ein Herz hat eure Mutter!'
Als dies Hassan -Aga's Gattin hörte,
schlug zu Boden sie mit weissem Antlitz,
und urplötzlich riss sich los die Seele
bei dem Schmerzensanblick ihrer Waisen.
6. Andere Übersetzungen.
_ • • __^
Die Übersetzung W. Gerhardts, Herausgebers der ,WiIa',
abgedruckt im ,Archiv f\ir das Studium der neueren Sprachen
und Literaturen^ XHI. Jahrgang, 23. Band, Seite 211, kann
nach Talvj nicht als ein Fortschritt bezeichnet werden.
Walter Scott's Übersetzung der Goethe'schen Nachdichtung
ist verschollen: sie wurde in W. Scott's Apology for tale of
wonder mit anderen Übersetzungen in zwölf Exemplaren ge-
Übw Goeth6*a ,inaggetftng tod der edlen Fnnen des Aean Aga*. 459
druckt. Goethe-Jahrbuch 3. 50. Auf diese Schrift bezieht sich
folgende Stelle in J. G*. Lockhart's Memoirs 1. 315: ^aving
again given a week to Liddisdale, Walter Scott speht a few
days at Rosebank, and was preparing to retum to Edinburgh
for the Winter^ when James BallantTne called on him one
moming, and begged him to supply a few paragraphs on some
legal question of the day for his newspaper. Scott complied;
and carrying his article himself to the printing-office, took with
him also some of his recent pieces, designed to appear in
Lewis's collection. With these, especially^ as his Memorandum
saysy the Morlachian fragment after Goethe. Ballantyne was
charmed^ and he expressed his regret that Lewis's book was
so long in appearing.^ Die Stelle bezieht sich auf den Decem-
ber 1799.
In das Uechische wurde der Elaggesang übertragen von
S. R. Sloväk in Nejedl^'s Hlasatel.
In das Magyarische endlich hat nach Goethe die Dichtung
Kazinczy übersetzt.
Andrö; Hesperus 1821. XXX. Seite 31.
In A. N. Pypin's und V. D. Spasowicz's Geschichte der
slavischen Literaturen I. 270 wird von einer Übersetzung
Ch. Nodier's geprochen, die nicht zu existiren scheint: in
seinen Werken ist sie nicht zu finden.
Anhang,
1. Über die ^morlackischen^ Dichtungen in Herder's
^Volksliedern^
Herder's ,Volkslieder' 1778, 1779, später ,Stimmen der
Völker', enthalten ausser dem yElaggesang' noch drei ,mor-
lackische' Dichtungen. Diese sind jedoch keine Volksdichtungen
im eigentlichen Sinne des Wortes, d. h. aus dem Volksmunde
aufgezeichnete Lieder, wie dies vom ,Klaggesang', nach meiner
Ansicht mit Recht; vorausgesetzt wird ; es sind vielmehr
Lieder, welche von Andrija Ea(i6-Miodiö über volksthümliche
Themen im Ton der Volkslieder gedichtet sind, der jedoch
nicht immer getroffen ist (man vergleiche ,Radoslaus'). I. »Ein
Gesang von Milos Cobilich und Vuko Brankowich. Morlackisch.'
30»
460 MiVlosioh.
I. Seite 130 der Originalausgabe steht bei Ka6i6 in der Aus-
gabe Venedig 1801. Seite 45: ,Plsm/i od Cibüichia i Vuka
BrankovichiaJ Lipe ti su rumene ruüce \ u hijelu dvoru LazarovUj
niko nezna, koja hiSe lipSa^ | koja viSa, koja V ramenija usw. Die
Anmerkung Seite 321 lautet: ,Aus Fatis (Fortis) Osserrazioni
sopra l'isola di Cherso ed Osero. Venet. 1771. 4. nach seiner
italienischen Übersetzung daselbst p. 162/ 11. ^Radoslaus. Eine
morlackische Geschichte.' IL Seite 161. Das Lied bietet Kaöi6:
yPisma od Radoslava.' JoS zorica ni zabijelüa \, ni damca po-
molüa lica \, lastavica tica zapivcUa \, Radoslavu kralju pripivala,
usw. Über diese und die nachfolgende Dichtung sagt die An-
merkung Seite 308: ,B6ide Stücke sind aus einem ungedruckten
italiänischen Manuscripte des Abbt Fortis, des bekannten Ver-
fassers der Osservaz. sopra Chesso (Cherso) ed Osera (Osero)
und der Reise nach Dalmatien. Die Anzeige dieser Quelle ist
nicht Dichtung, sondern Wahrheit.' III. ,Die schöne Dol-
metscherin. Eine morlackische Geschichte.' H. Seite 167. Bei
Kaöi6, Seite 120: ,Pisma od Sekule Jankova netjaka, dtvoßce
dragomana i passe Mustaj bega.' Sino6 paSa pade na Gfraovo^ \
paSalije okolo Graova, | i ostale paSine delije \ u Ntkole Kneza od
Oraova usw. Am Schlüsse bemerkt KaÖid: ,Ovo se ptva od
naSega naroda, ko 6e virovat, neka viruje, ko ne <fe, neka miruje,*
2. Über die Gräfin Rosenberg.
Die Gräfin Rosenberg spielt in der Geschichte Goethe's
eine kleine Rolle: der Dichter selbst erwähnt 1825 ^morlackische'
Notizen von ihr, und die Stelle ist geeignet die Vermuthung
zu erregen, als ob die französische Übersetzung, die Goethe
als seine Vorlage bezeichnet, ihr zu danken wäre. Andere
halten die in Herder's Volksliedern von 1778, 1779 als Quelle
des Klaggesangs erwähnten ,Sitten der Morlacken 1775* für
ihr Werk. Goethe -Jahrbuch 2. 132. Diese Angaben sind un-
richtig. Es gibt kein Werk, das man als ,morlacki8che' Notizen
der Gräfin Rosenberg bezeichnen könnte; es gibt ebenso wenig
eine französische Übersetzung des Klaggesangs von ihr ; es
sind endlich ,die Sitten der Morlacken' von 1775 etwas der
genannten Gräfin vollkommen Fremdes: ihr Name kommt in
Herder's Volksliedern von 1778 nicht vor. Die litterarische
Üb«r Ooethe's «KlaggeMog von der edlen Franen des Asan Aga*. 461
Thätigkeit der Gräfin Rosenberg fUllt in die Jahre 1787 und
1788: Pikees morales et sentimentales. Londres 1787; Alticchiero.
Padoue (Beschreibimg einer Villa bei Padua) 1787; Les Mor-
laques (£n Italie) 1788. Dieses hier allein in Betracht kommende
ziemlich seltene (nach Ch. Kodier ist es extraordinairement rare)
Werk der Gräfin oder nach anderen de son ami ou sigisbö; le
Comte Benincasa; zerfUUt, trotz fortlaufender Pagina^ in zwei
Theile^ indem Seite 183 als Anfang des Vol. 11. bezeichnet wird.
Es ist Katharina 11. gewidmet. Auf dem Widmungsblatt nennt
sich die Verfasserin J. (Justine, wofür der italienische Über-
setzer Giustiniana hat) Wynne, Comtesse des Ursins et Rosen-
berg. Das Buch wird von Kodier in den Mölanges üriB d'une
petite biblioth^quC; Paris 1829. Seite 187, als le tableau le
plus piquant et le plus vrai des moeurs les plus originales de
TEurope gerühmt: Kodier meint, qu'il n'existe rien d'aussi
complet en aucune langue sur cette mati^re. Les Morlaques,
bemerkt Kodier, ont des moeurs aussi tranch^es, aussi singu-
lifcres; aussi pittoresques, si Ton peut s'exprimer ainsi, et cepen-
dant mille fois moins connues que celles des peuples sauvages
de la mer du sud.
Die morceaux de po^sie esclavonne sind nach Kodier bien
choisis et le style de la traduction a quelque chose de la nai-
vet^, du nerf et de la couleur de Toriginal. Dieser aus zehn
Liedern bestehende Schatz slavischer Poesie sind die eigenen
Schöpfungen der Verfasserin, obgleich sie ausdrücklich ver-
sichert: on n'a pas cru avoir besoin de recourir au romanes-
que et au merveilleux. Die Lieder sind f\ir die Eenntniss der
nationalen Eigenthümlichkeiten und der Dichtung der Mor-
lacken von keinem hohem Werth als die Mystification von
Prosper Merimee in seiner Guzla ou choix de poösies lyriques
recueillies dans la Dalmatie, la Bosnie, la Croatie et THer-
zegowine. Paris 1827.
Während M^rim^e's Dichtungen von Goethe, Kunst und
Alterthum VI. 2. 327, als ein geistreicher Scherz erkannt
wurden, wurde dessen Prosa von W. Gerhard in deutsche
Verse übertragen, ,eine Übertragung, die ihm bei seiner Ver-
trautheit mit dem Periodenbau des serbischen Rhythmus leicht
gewesen sei^ Wenn Kodier die Meinung eines anderen Ge-
lehrten, der in dem Werke der Gräfin nichts als une para-
462 Miklosieli.
phrase nn peu ^tendue d'un chapitre du Viaggio in Dalmazia
sieht, bekämpft, so bekämpft er ein vollkommen begründete«
Urtheil. Auf Rousseau's Standpunkt stehend erinnert die Ver-
fasserin in ihrer Beschreibung an die «ixuiJLOvei; Aiöioici}e(;, deren
Land nach Herodot die grössten, schönsten und langlebendstcn
Männer hervorbringt, was vom Lande der Morlacken nicht
unwahr ist. Das Buch hat einen italienischen Übersetzer ge-
funden, dessen Werk 1798 unter dem Titel: Costumi dei Mor-
lacchi in Padua erschienen ist. Wenn man bedenkt, dass die
Morlaques zehn Jahre nach den VolksKedem Herder's erschienen
sind und dass in denselben der Klaggesang nicht vorkommt,
so begreift man schwer, wie es geschehen konnte, dass der
Verfasserin jenes Buches in der Geschichte Qt)ethe'8cher Dich-
tung eine Rolle zugewiesen wurde.
Das Buch ist fiir Ethnographie ebenso werthlos wie f^
die Geschichte des Volksliedes.
•
3. Aus den Briefen von Talvj an B. Eopitar.
Talvj ist der Schriftstellemame von Therese Albertine
Luise von Jacob. Am 26. Januar 1797 zu Halle a. S. geboren
starb Talvj am 13. April 1870 zu Hamburg. Sie vermählte
sich 1828 mit dem amerikanischen Professor der Theologie
und Palästinaforscher Edward Robinson, der ihr am 27. Januar
1863 durch den Tod entrissen wurde. Von 1830—1837 lebte
sie in Amerika, Anfangs zu Andover, dann zu Boston, die
Jahre 1837 — 1840 brachte sie in Deutschland, ,ihrer geistigen
Heimat^ zu; 1840—1863 lebte sie in New York. Von da an
finden wir sie abwechselnd in Berlin, Italien, Strassburg, Karh-
ruhe und Hamburg.
Dass an dieser Stelle, am Schluss einer einem ,morlacki-
schen' Liede gewidmeten Abhandlung, Auszüge aus den Briefen
dieser hochbegabten und durch herrliche Charaktereigenschaften
hervorragenden Frau mitgetheilt werden, hat seinen Grund in
ihrem durch unermüdliche Arbeit bethätigten Interesse an der
serbischen Volksdichtung. Lange Jahre hindurch beruht fast
alle Kunde der gebildeten Welt von den serbischen Volks-
liedem auf ihren im ganzen vortrefflichen Übertragungen.
Und wenn Kopitar's genaue Bekanntschaft mit der Sprach^
über 6oet]ie*t ,Kligge8ang tob d«r «dien Fzmnen des Ann Aga*. 463
und den Sitten sowie der Geschichte des Serbenvolkes manches
Bäihsel löste; wenn Jakob Grimm's alle 2ieiteii und Räume
umfassender Blick uns die Bedeutung des serbischen Volks-
gesanges in ihrem ganzen Umfange kennen lehrte, so muss
doch anerkannt werden, dass um die Bekanntmachung dieser
Lieder, nach dem berühmten Sammler derselben^ Talvj das
grösste Verdienst Air sich in Anspruch nehmen darf Und
ich glaube nur eine Pflicht der Dankbarkeit gegen eine halb-,
w«nn nicht ganz vergessene Frau zu erfüllen, indem ich diese
Auszüge veröffentliche, die so viele Beweise fUr den Ernst
bieten, mit dem sie ihrer Aufgabe gerecht zu werden bestrebt
war. Es ward jedoch meist nur das aufgenommen, was lite-
rarisch von Interesse zu sein schien. Einzelne Stellen werden
auch zeigen, mit welcher Entschiedenheit Talvj an ihren Über-
zeugungen festhielt: die Frau widerstand einer Autorität, vor
der sich so mancher Mann beugte.
Talvj erzählt von der ungewöhnlichen Theilnahme, die
die serbische Volkspoesie in den zwanziger und dreissiger
Jahren unseres Jahrhunderts im Norden von Deutschland er-
regte: Talvj's Werk ,genoBs des Interesses und des Beifalls
der Edelsten und Ausgezeichnetsten der deutschen Nation^
Diese Theilnahme werden heutzutage nur wenige begreifen.
Dem demokratischen Zeitalter gelten die Schöpfungen des
Volkes gar wenig: sie sind so naiv, gar nicht witzig und
piquant. Hat sich doch selbst Goethe, wie Eckermann (3. Oc-
tober 1828) mittheilt, von diesen Liedern, denen er früher
ein lebhaftes Interesse entgegen gebracht hatte, abgewandt,
sie abgethan und hinter sich liegen lassen: der durch seine
Leidenschaften und Schicksale verdüsterte Mensch bedürfe der
Klarheit und der Aufheiterung. Und wenn Grillparzer, L 155 ^,
mit Volkspoesie und — Mittelhochdeutsch nichts zu machen weiss
und beides mit Wegspur und Lachen vergleicht — und meint,
der Pöbel erzeuge das Schöne nicht, noch gebe er dem Schönen
Gesetze, so muss man annehmen, er habe edle Volksdichtung
nicht kennen gelernt. Weim er femer Homer der Volksdichtung,
dem Volksepos entgegensetzt, so hat er, was Dichtem nicht
selten begegnet, übersehen, dass die hierin allein competente
' Weniger ablehnend äoBsert lich OrillpArzeir 9, |90,
464 Hikloticli.
Alterthumsforschung in den bewunderten Gesängen Homer*s
Volkslieder erkannt hat: nur der Volksgeist schafft durch in
seinem Banne stehende Sänger Werke» die als ,Kanon der
Naturwahrheit' gelten: jedes Volkslied ist von einem Individaum
ausgegangen. Wenn endlich Turgenev einen seiner Helden
sagen lässt, ohne (die von Volk zu Volk wandernde) Civiliaa*
tion gebe es keine Poesie, so erinnert dieser Ausspruch an die
Behauptung, die Dichtkunst sei in Qriechenland erfunden
worden \ aus der folgen würde, die Poesie sei wie die Dampf-
maschine von einem Volk zum andern gewandert. Die von
Niemand in Abrede gestellte Rohheit der Helden des russiBchen
Volksepos soll uns die Poesie desselben verleiden: dann wire
die Verworfenheit mancher Gestalten Turgenev's, z. B. des
Polozov imd seines Weibes, ebenfalls geeignet uns seine Schö*
pfungen ungeniessbar zu machen.
Wer die Volksdichtung hoch hält, wer in ihr die wahre,
die ursprüngliche Poesie, sowie in der Volkssprache die wahre
Sprache erblickt, wird sich in dem Cultus derselben durch die
Aussprüche selbst eines Goethe nicht beirren lassen — der wohl-
feile Spott A. L. Schlözer's und F. Ch. Nicolai's ist längst
wirkungslos geworden — er wird mit der ausgezeichneten Frau,
deren Andenken die folgenden Blätter geweiht sind, fest halten
an Montaigne's goldenen Worten: ,La poäsie populaire et pure-
ment naturelle a des naifvetös et gräces par oü eile se com-
pare ä la principale beaut^ de la po^sie parfaicte, seien Tart^
Halle, 1834. 23. Mai.
Ew. Wohlgeboren mögen gütigst die Freimüthigkeit ent-
schuldigen, mit welcher eine Ihnen völlig Fremde den Versuch
macht eine Correspondenz anzuknüpfen^ von welcher sie sich
wesentlichen Nutzen verspricht. Die Unmöglichkeit, hier in der
Nähe mir Rathes über die serbische Sprache und die ims durch
Herrn Vuk mitgetheilten Poesien erholen zu können, die Be-
schränktheit der Hülfsmittel, das lebhafte IntereÜe, welches
1 Graeci apud se exortam poSticam autumant, ut totis viribus affirmat
Leontias; in quam credulitatem et ego paululum trahor, iDemor ali-
qaando ab inclito praeceptore meo (Petrarca) audiisse penes priscos grae-
cos tale huic fuisse principium Boccaccio.
über Qoethe'B «KlftggoBang ▼•!! der edlen Frauen des Asan Ag»'. 46ö
mir der Gegenstand eingeflößt — alles dieß giebt mir den Muth
dazu^ und die thÄtige Theilnahme, welche Ew. Hochwohlgeboren
dem Unternehmen des Herrn Vuk bewiesen , läßt mich hoffen^
daß Sie auch meinen Übersetzungen Ihre gütige Aufmerk-
samkeit nicht ganz versagen werden. Habe ich auch den
rechten Ton getroffen? Man täuscht sich so leicht über eigne
Arbeit! Ihrem Brief an meinen Vater zufolge, sende ich bei-
liegende Blätter an Sie, indem ich Sie ersuche, sie Herrn Vuk,
dem ich diese öffentliche Mittheilung mündlich versprochen habe,
baldmöglichst zuzustellen. Was die eingerückten poetischen Über-
setzungen anbetrifft, so finde ich selbst jetzt manches beym
nochmaligen Bearbeiten zu Ändernde (jedoch nichts Wesent-
liches). Die Sache scheint in Norddeutschland großes Aufsehen
zu machen, aber freilich ist die Originalsprache gänzlich unbe-
kannt, und selbst berühmte slavische Sprachkenner vermögen,
wie vertraut sie immer mit dem grammatischen Theil der
Sprache seyen, mir nicht den mindesten Beistand zu geben,
wo es ihre Feinheiten gilt. Ich habe demnach, durch eine
geringe Kenntniß des Rußischen und lebhafte Wißbegierde
unterstützt, die Sache ganz allein unternehmen müßen, und
ein ganzes Heft metrischer, treuer Übersetzungen sind bereits
in Goethe's Händen, der sich im hohen Grade für den Gegen-
stand intereßirt. Er fordert mich wiederholt auf in meinen
Bemühungen fortzufahren, und sein Wunsch allein würde mir,
einer seiner wärmsten Verehrinnen, hinreichend seyn, wenn nicht
schon eigne Lust genugsam ermuthigte es mit so mannichfachen
Schwierigkeiten aufzunehmen. Ich bin jetzt mit dem epischen
Cyclus vom Königssohne Marko beschäftigt, aber ich sehe schon
aus der Feme allerley Hindernisse mich drohend anblicken:
sprüchwörtliche Redensarten, Localitäten etc., über die mir
kein Lexicon, am wenigsten des Vukische, das mich unbarm-
herzig oft im Stich läUt, Auskunft giebt; und nun — um
endlich zum Resultat dieses weitläuftigen Berichts zu kommen:
Herr Vuk ist allzufern, und wenn eine Correspondenz nach
Wien schon ihre Schwierigkeiten hat, fllrcht' ich, würde eine
nach Serbien von hier aus fast unmöglich seyn ; darf ich daher,
hochwohlgebomer Herr! Sie Selbst um Auskunft bei bedenk-
lichen Stellen ersuchen und Sie im Nothfall mit einem ganzen
Heer von Fragen überschütten?
466
[iklotieh.
Halle, 1824. 10. August.
Nichts hätte mir erfreulicher sein köimen als Ew. Hodi-
wohlgeboren gütiges Anerbieten, die letzte Durchsicht meines
Manuscriptes zu übernehmen. Ich hatte nicht den Muth Sie
darum zu ersuchen, da ich theils nicht wußte, ob Ihre Mufie
es Ihnen verstattete, theils auch fltrchten mußte, Ihnen mit der
Zumuthung eine — ziemlich flüchtige — Handschrift zu durch-
lesen, beschwerlich zu fallen, wie sehr ich auch sonst von Ew.
Hochwohlgeboren Interesse für den Gegenstand überzeugt seyn
kann. Nur um Aufklärungen über Einzelnes, Notizen etc. wagte
ich zu bitten. Mit um so gri^sserem Eifer habe ich mich aber
nun dazugehalten, und ich würde schon in wenigen Wochen
im Stande seyn Ihnen ein Manuscript zu schicken, was hinreicht,
einen massigen Octavband zu fbllen, weim nicht Goethe mich
so eben brieflich ersucht, es ihm, vordem es nach Wien abgeht,
zu übersenden, damit er nach seinem Ausdrucke ,6ich den
Werth der Gedichte noch tiefer einprägen, und unterdeßen
seine Gedanken darüber sammeln könne, um zuletzt sich im
Einklang mit mir gegen das Publicum zu erklärend Seine, mir
natürlich höchst wichtige, Theilnahme verzögert demnach die
Sache um eine, wie ich hoffe, nur kurze Zeit.
Leider ist es mir trotz aller meiner Bemühungen unmög-
lich gewesen das Stück des Hormayr'schen Archivs, welches
die serbischen Gedichte enthält, zu bekommen. Nicht genug
ist überhaupt die grosse literarische Spaltung zwischen Nord*
und Süddeutschland zu beklagen !
Was den Druck anbetrifft, so räth mir Goethe mich deß-
halb nach Wien zu wenden, wo er ein regeres Intereße fttr
die Sache voraussetzt, und da es mir daselbst ganz an Con-
nexionen mangelt, so nehme ich mir die Freiheit auch hier um
Ihre gütige Vermittlung zu bitten. Wären Sie so gütig» diesen
oder jenen soliden Buchhändler zu fragen, ob er geneigt
sey die Sache zu übernehmen, und mir dann die Erklärung
deßelben zu melden, so würde ich Sie gern mit den weitern
Verhandlungen verschonen. Die thätige Theilnahme, zu welcher
mir Goethe Hoffnung macht, wird auch bey einem Buchhändler
gewiss nicht ohne Gewicht seyn.
Ihre Anfrage wegen der griechischen Gedichte beantworte
ich zum Schluß mit Folgendem : Goethe schreibt mir darüber:
über Goethe*« ,KlftggeMng von der edlen Frenea des Äsen Age*. 467
Die griechiBchen Gedichte hat mir Herr von H[axthau8en] im
Jahre 1816 in Wiesbaden zum Theil vorgelesen, wo ich ihn
dann zur Heraui^abe sehr ermunterte und Theil zu nehmen
▼ersprach. Da er mir in der Folge ganz aus dem Auge kam,
rief ich ihn auf (Kunst und Alterthum IV. Band, S. 168), worauf
er sich wieder hören ließ, und ^war in einem Briefe, in wel-
chem er sich ganz als Herausgeber solcher Gedichte legitimirt
und qualifizirt; auch war die Rede davon, daß sie zu Michael
voriges Jahr bey Cotta herauskommen und der französischen
Ausgabe den Schritt abgewinnen sollten. Jedoch dieß geschah
nicht, und die Erklärung des Räthsels scheint mir in der
Unentschlossenheit des wertben Mrawfl m liegen; ihm schwebt
zu vieles vor^ er etc.
Halle, 1824. 6. Oktober.
Der Umstand, daß mir noch vor sechs und einem halben
Monat die öerbische Sprache völlig fremd war, die wenigen
Bülfsmittel, deren ich mich zu ihrer Erlernung bedienen konnte
— alles dieß giebt mir ein Recht auf Ihre Nachsicht. Rußisch
habe ich immer nur nothdtirftig verstanden, und es in den sieben
Jahren, seitdem ich es nicht mehr sprechen gehört habe, vol-
lends vergeßen. Bey so geringen Kenntnissen würde ich eine
so schwierige Sache gewiß nie unternommen haben, in der
Hoffnung, daß schon ein Kundigerer sich damit befassen würde,
wenn nicht Goethe's Dringen und Vertrauen, daß eine glückliche
Gabe der Auffassung fremder Individualität und Volksthümlich-
keit mich dazu berufe, mich dazu bestimmt hätte. Eben so
unzweifelhaft wird Ihnen vieles höchst unzulänglich wieder-
gegeben, verfehlt ausgedrückt, viele eigenthtimliche Schön-
heiten werden Ihnen vernichtet erscheinen. Bey dem so total
verschiedenen Geist der beyden Sprachen mußte viel Einzelnes
geopfert werden. Es lag mir daran, die Verse deutschen Lesern
mundrecht, deutschen Lesern wohlklingend zu machen, darum
habe ich von Namen, Titeln etc. übersetzt, was sich nur
irgend übersetzen ließ. Ihre genaue Bedeutung habe ich in
Anmerkungen hinter dem Text angegeben : man kann sie lesen,
wenn man will. Der Eindruck des Ganzen bleibt dadurch
ungeschwächt; während Noten unter dem Text, wie sie zur
Erklärung durchaus nothwendig sind, wenn ich in ihrer eigensten
468 UikloBieh.
Bedeutung unUbertragbare Wörter beibehalte, einem bejm L^en
den Genuß durch die beständigen Unterbrechungen yerkümmem
würden. Die fremdklingenden Laute würden den Fall der Verse
unvermeidlich hölzern , schwer, unfließend machen, und Sie
wissen, daß der grösste Theil, selbst des gebildeten Publikums
wohllautende Verse fiir Poesie hält. Und wie beschränkt
auch diese Ansicht ist, darin hat es Recht, wenn es verlangt,
daß die deutschen Verse dem deutschen Ohre grade so vertraut
klingen sollen, wie die serbischen dem serbischen: Vossens
Übersetzungen, Ahlwardt's Ossian etc. sind darum fast bloß in
den Händen der Gelehrten. Wir wollen von ihren Verdeutschun-
gen den Eindruck empfangen, den Griechen, Lateiner, Eng-
länder, Schotten von den Originalen empfiengen und noch er-
halten; daAir laßen sie uns keinen Augenblick vergessen, daß
wir Übersetzungen lesen. Aus allzu grosser Treue gegen das
Einzelne werden sie dem Charakter des Ganzen untreu. —
Diesen Grundsatz wünsch' ich fest zu halten. Sonst gebe ich
Ihnen dieß Manuscript ganz Preiß: streichen Sie, was Ihnen
ungehörig scheint, deuten Sie unbedenklich an, was
Ihnen mißfällt. Ich werde Ihnen für Ihren Tadel wahrhaft
erkenntlich seyn. — Weglassungen habe ich nur sehr wenig,
Zusätze gar nicht, Änderungen nur, wenn sie mir durchaus
nothwendig schienen. Ihrer Einsicht vertrau' ich, daß Sie
diese Stellen von den mißverstandenen unterscheiden werden.
Durch die Enthaltsamkeit, mit welcher ich Goethe's Aufforderung
,den Poeten die Köpfe zurechtzusetzen^ »alles hübsch in Fluß
zu bringen* — Folge geleistet, habe ich mir bei Ihnen gewiß
Lob verdient. Nicht?
Mit noch grösserem Zagen übergebe ich Ihnen die histo-
rische Einleitung. Es ist der allererste historische Versuch, den
ich wage, und nicht einmal die kleinste Schularbeit vorange-
gangen. Bey der gänzlichen Unwissenheit unseres Publikums
über serbische Geschichte schien mir eine solche Einführung
durchaus nothwendig. Wie gern hätte ich gesehen, wenn ein
andrer Sachkundigerer mich in dieser Arbeit unterstützt hätte:
aber wem hätte ich dieß ohne Unbescheidenheit zumuthen
können ? Ich verlasse mich darauf, daß Sie, der Sie Sich einmal
mir beyzustehen anheischig gemacht, auch diese Einleitung einer
Durchsicht würdigen werden. Aus den breiten Rändern, die ich
über Goetho's «Klftggesiu); tod der edlen Frauen dee Asan Aga'. 469
überall gelassen, sehen Sie, wie sehr ich zu Verbesserungen
geneigt bin. Ich habe mancherley darüber gelesen, und dann,
unter vielem Seufzen, diesen Abriss entworfen. — Was die
Anmerkungen anbetrifft, so erröthe ich, wie oft ich mich darin
gewißermaßen mit fremden Federn schmücken muß, als Lehrerin
auftrete in Sachen, die ich selbst eben erst gelernt. Sollten in
dem, was Sie ihnen gütigst hinzufügen wollen, vielleicht gelehrte
Anmerkungen, griechische Citate etc. vorkommen, so erlauben
Sie mir wohl, sie von den meinen gesondert, mit dem Anfangs-
buchstaben Ihres Namens, zu unterzeichnen? —
Zu einer Vorrede erklärt mir Goethe nicht Kenntniss genug
von der Sache zu haben: er schreibt aber eine weitläuftige,
motivirte Empfehlung, wahrscheinlich für sein Heft f)ir Kunst
und Alterthum. Sonst interessirt er sich vor wie nach dafür.
Das Manuscript hat er mir mit einigen wenigen Bemerkungen
und einigen Beylagen zurückgeschickt, die ich hier anfüge.
Die bloß chronologische Anordnung, die ich, und zwar mit seiner
Beystimmung, gewählt, schlägt er mir vor, mit einer zwar viel
geistreichern, aber doch wohl weniger natürlichen zu vertau-
schen. Was meinen Sie dazu? Er versichert zwar wiederholt,
mich nicht geniren zu wollen u. s. w. Indessen ich ehre und
liebe ihn so, daß ich ihm gern in Allem willfahren möchte.
Überdem sehe ich jetzt ein, daß meine chronologische Ordnung
auch nicht ganz richtig ist.
Dem Herrn, welcher sich für mich mit der Übersetzung
bemüht, bitte ich meinen ergebensten Dank abzustatten. Für
meinen Zweck ist sie vollkommen gut. Ich will nun sehen,
wie ich damit fertig werde.
Halle, 1825. 6. Januar.
Für die Beybehaltung der serbischen Wörter: kum,
dever etc. bin ich durchaus nicht. Noten unter dem Text, die
doch schlechterdings zur Erklärung noth wendig wären, ver-
derben immer den reinen Eindruck des Poetischen. Auch
Ooethe ist hier ganz meiner Meinung, und wenn er selbst Swaten
beibehielt, so war dieß offenbar nur darum, weil er die Bedeu-
tung nicht recht verstand ; er würde sonst nicht Stari svat durch
Fürst der Svaten übersetzen, wobey er bloß das principe des
Fortis im Auge hatte. Ohne Zweifel hielt er die Suaten für
470 Miklosieh.
einen Stamm^ ein eigenes Geschlecht. — Wie Groethe sonst von
jener pünktlichen Genauigkeit entfernt ist^ beweist wohl, dafi
er in demselben Gedicht Beg^ Dahia ohne alle Unoustände gani
weglässt.
Noch muß ich bemerken, daß Ew. Hochwohlgeboren mir
allzuwenig Übersetzungsfreiheit verstatten. Sollte mir nicht
die Veränderung eines Übergangs, einer Wendung erlaubt seyn?
— Ich denke wunder wie treu ich gewesen, wie genau ich mich
dem Original angeschmiegt — aber die vielen rothen Kreuachen
und Strichelchen bey der leisesten Abweichung haben mich
erschreckt. Wenn ich z. B. sage:
Also war das Kriegsheer vorbereitet,
Als die Türken auf das Schlachtfeld fielen —
statt : kaum war das Heer vorbereitet, scheint es mir im Wesent-
lichen dasselbe, da der Leser schon weiß, daß Kossowo das
Schlachtfeld ist; — kaum ist im Deutschen matt, und scheint
mir durch jenes also — als ersetzt.
In der bist. Einleitung verweisen Sie mich einigemal auf
Engel und Stritter, aber grade diese Schriftsteller sind es, die
ich hauptsächlich benutzt habe. Namentlich sagt der Erste,
daß es die Awaren gewesen, welche von den Serbiem aus den
Ländern, welche sie jetzt inne haben, vertrieben worden seyn.
Für die Lieder, welche mir Herr W. zusendete, sa^
ich ihm meinen besten Dank; einige davon habe ich aufge-
nommen, andere (die Gelegenheitsgedichte) nur darum unüber-
setzt gelassen, weil mir es bedeutend schien, daß die deutsche
Lesewelt erst durch die Kenntniss des ihr verwandteren Ge-
müthslebens jener fremden Völkerschaften fUr die Beziehun-
gen und Verhältnisse seines äussern Lebens Interesse gewänne,
und sie mir deOhalb für eine etwannige folgende Lieferung auf-
zusparen. Was aber einen dritten Theil der übersandten Lieder
anbelangt, so wundere ich mich, muß ich gestehen, nicht wenig,
wie Herr W. oder irgend jemand auf den Gedanken konuneii
kann, ein Frauenzimmer, und noch dazu ein noch ziemlich
junges, könne diese Produkte einer, wenn auch nicht unpoeti-
schen, doch theils höchst frivolen, leichtfertigen, theils rohen
Laune in einer von ihr veranstalteten Sammlung aufnehmen
wollen. Wenn ich mich, um die Schönheit des Ganzen willen.
Üb«r Ooetbe't .Klafgtiang Ton d«r«dl6a Fraura dei kwx Aga*. 471
entscUoßen babe^ einige grössere Gedichte mit zu übersetzen,
in denen manches, trotz aller Zartheit des Wiedergebens, unzart
blieb, so glaube ich schon den äussersten Schritt gethan zu
haben.
Noch habe ich einige Fragen auf dem Herzen, um deren
Beantwortung ich Sie angelegentlich bitte. Nemlich: wie geht
es zu, daß in der Behandlung der Liebe zwischen den grossen
und kleinen Gedichten ein so greller, schneidender Unterschied
ist, als gehörten sie gar nicht einem Volk an? In den Helden-
gedichten die laueste, unzulänglichste, eigennützigste Keigung*,
in den kleinen Liedern wechselweise die zarteste und glühendste,
die geistigste, und sinnlich heftigste Empfindung? — Dichtet der
Sänger der Heldenlieder niemals Liebeslieder? Liegt es daran,
daß die Heldensänger Greise, die Dichter der andern Jünglinge
und Mädchen sind? — Die andre Frage hängt damit zusammen,
und Herr W. wird die vollständigste Antwort darauf geben
können : wie ist das Verhältniss der Frauen der Serben ? — Aus
den Hochzeitceremonien, aus tausend andern Dingen geht hervor,
daß es demüthigend genug ist; doch scheint es mir nach Allem,
was ich in Pouqueville über die Lage der Albanierinnen, in For-
tis, Townson und Andern über die der Morlakinnen [lese], wenn
ich diese mit den Liedern vergleiche, wo ich die Serbinnen sich
ziemlich frei bewegen sehe, mit ihren Männern zu Tische sitzen,
(z. B. die Zarin Militza) mit Stickereyen beschäftigt etc., als
wäre das Verhältniss bey weitem nicht in dem Grade herab-
würdigend und empörend, wie das jener unglücklichen, ver-
wahrlosten Frauen. Oder werden sie auch behandelt wie Last-
thiere? Müssen sie auch die schweren Hausarbeiten verrichten?
— Sehr verbinden würden Sie mich, wenn Sie beyde Fragen
umständlich beantworteten.
Leider ist es mir ganz unmöglich gewesen über die Sitten
der eigentlichen Serben und Bosnier etwas Genügendes zu lesen,
da kein Mensch mir ein brauchbares Buch darüber zu nennen
wusste. Über die ihnen verwandten Völker, die dalmatinischen
Slaven etc. habe ich gelesen, was ich nur habe aufbringen
können; femer auch das Sclavonien und Croatien von Herrn v.
Czaplowitz, ein Buch, das mich freilich wenig erbauen konnte.
Ezistirt nichts fUr mich zu meinen Anmerkungen Brauchbares
über Sitten, Gebräuche etc. der Serben?
472 iriVlosieh.
Ich muß diesem langen Brief noch einige Worte zufiigen :
Goethe hat die kleinste Meinung von den bewussten Griechen-
liedem. ^Schlagt ihn todt^ schlagt ihn todt! Lorbeem her! Blat!
BlutM — sagt er, ,da8 ist noch keine Poesie^ — Ob er ge-
recht ist, kann ich nicht beurtheilen, da ich die Sachen nicht
kenne. Gegen den Übersetzer aber war er es nicht. — Goedie
schenkt meiner Beschäftigung unausgesetst den lebhaftesten
Antheil; zu einer Vorrede scheint er indeßen nicht mehr auf-
gelegt zu sejn, und es widersteht meinem Gefbhi durchauB deO-
wegen einen zweiten Schritt zu thun. Er scheint anfiinglich
selbst die Idee gehabt zu haben, ich habe indeßen aus ge-
wissen Gründen nie fest darauf gerechnet.
Halle, 1825. 2. Jnnios.
Wenn ich es länger als billig versäumte, Ew. Hochwohl-
geboren auf Ihre beyden verbindlichen Schreiben zu antworten,
so geschah es, weil ich von Tag zu Tag hoffen durfte, bey-
folgendes Buch, das ich Ihnen zugleich tibersenden wollte, be-
endigt zu sehn. Von Neujahr bin ich aus Ursachen, die lieber
hier unerwähnt bleiben mögen, hingehalten bis jetzt. Sie werden
das Manuscript bedeutend verringert, statt des vielen Weg-
gelaßenen einiges Neue hinzugefligt finden. Nehmen Sie es
mit Güte und Nachsicht auf! Vieles Mangelhafte ist mir jetzt
schon deutlich; andres ahnde ich dunkel. Da Sie nicht wollten,
daß ich mich des Schildes Ihres gelehrten Namens bediente,
mich vor manchem zu erwartenden Angriff zu schützen; da
auch Herr Wuk es fUr besser hielt, wenn ich mich nicht auf
seine Autorität berief; so habe ich, wiewohl nur ungern, des
Antheils, den Sie beyde an der Correktheit des Werkes haben,
gar nicht erwähnt. Möge es denn allein sich seinen Weg bahnen!
Goethe's Aufsatz wird Sie wahrscheinlich so wenig be-
friedigt haben als mich. Er enthält auch durchaus nichts
Bedeutendes. Die wunderliche Ansicht von der Wila, die
durchaus mit der Eule zusammenhängen soll, habe ich ihm
schon einmal mündlich auszureden gesucht: ich sehe, er ist
wieder darauf zurückgekommen. Die kurze Charakteristik,
die er von den kleinem Liedern giebt, ist nach den Nummern
meines Manuscriptes geordnet. Sie erscheinen gedruckt in
andrer, beßrer Folgenreihe.
über Goethe'8 ,Klaggenng von der edlen Frauen des Asan Aga*. 473
Fast vollständig liegen in meinem Pulte Materialien zu
einem zweyten Bande voiräthig. Sie würden mich sehr ver-
binden^ wenn Sie mir mit der Zeit noch mehrere wörtliche
Übersetzungen zusendeten, wie Sie gütigst mich bis jetzt mit
einigen versehen haben.
Was Sie mir an Leetüre zur Benutzung vorschlugen, so
hatte ich Fortis schon mit IntereÜe gelesen, durch die Mor-
lacken der Gräfin Wynne Rosenberg hatte ich mich ebenfalls
schon durchgearbeitet, sowie durch ein Paar andre nicht weniger
langweilige Bücher der Art. Da Alles^ was darin über Sitten
etc. der Moriachen steht, aus Fortis genommen ist, so beach-
tete ich den Roman gar nicht, und hielt mich ausschliesslich
an jenen. Vialla las ich später auf Ihre Empfehlung.
Halle, 1826. 10. Januar.
In Bezug auf Ihr letztes Schreiben Folgendes: Sie werfen
mir zu wenig Liebe Air den Gegenstand vor — aber, daß ich
diese Liebe nicht zur Schau trage, nicht in Noten und An-
merkungen durch Exclamationen und Fingerzeige auf die ein-
zelnen Schönheiten des Textes aufmerksam mache^ das kann
ich unmöglich für einen gültigen Gegenstand des Vorwurfs
halten. Nichts verkümmert mir bey verwandten Dingen den
Genuss mehr als dieß ewige Hervortreten der Persönlichkeit
des Herausgebers, Sammlers u. s. w. Mich dünkt, den gleich-
gültigen Leser wird es nicht empfänglich machen; den ungünstigen
muss es zur Opposition aufregen. Es geht mir mit Kunstwerken
wie mit einer schönen Gegend: ich mag es nicht leiden, daü
einer neben mir steht und mich auf den Farbenschmelz, die
Beleuchtung etc. aufmerksam machen will, während die Sache
für sich redet, und mein Gefühl diese Sprache versteht.
Für die gütige Mittheilimg Ihrer Anzeige in den Wiener
Jahrbüchern sage ich Ihnen meinen besten Dank. Leider ist
diese Zeitschrift beynah gar nicht hier in Norddeutschland zu
bekommen. Auch Hofrath W. Müller, der uns gestern von
Dessau besuchte, kannte den Aufsatz noch gar nicht: ich habe
das Heftchen, welches ich durch Ihre Güte erhielt, ihm auf
einige Wochen mitgegeben, da es ihm von besonderem Inter-
esse seyn mußte.
SiUangab^r. d. phU.-hiet. Cl. CHI. Bd. II. Hft. 31
474 MikloBiGh.
Die neugriechischen Lieder kenne ich nun auch gut
genug, und finde sie weit über meiner Erwartung. Goethe
hatte mir eine fast kleine Meinung von ihnen eingeflösst. Unter
den romantischen Liedern sind doch gar zu herrliche Sachen.
Ihre Verwandtschaft mit den serbischen hat mich auf das leb-
hafteste frappirt, besonders einzelner Stücke!
Es freut mich übrigens Ihnen sagen zu können, daß
unsere Serbenlieder bey uns eine ungewöhnliche Theilnahme
erregen; in Berlin und Dresden weiß ich, sind sie in den
Kreisen der ausgezeichnetsten Männer mit ungetheiltem Beyfall
vorgelesen worden. Ich habe manche angenehme Erfahrung
darüber gemacht.
Halle, 1826. 21. Februar.
Alle Sünden wider die Sprache werde ich gewiß mit der
grössten Aufmerksamkeit gut zu machen suchen. Auf der
andern Seite aber nehmen Sie es oft genug viel zu streng mit
mir! Häufig muthen Sie mir offenbare Unmöglichkeiten zu! Es
giebt in unserer Sprache Worte genug, die auf keine Weise in
ein trochäisches Metrum zu bringen sind, und die daher um*
gangen oder umschrieben werden müßen. Kann einem das
unselige Wort Brautführer, was gar nicht vermieden werden
kann, und doch nicht einmal den Sinn genügend ausdrückt,
nicht allein schon in Verzweiflung setzen? Was die Nach-
ahmung der eingestreuten Reime anbelangt, so glaubte ich
darin das MögUche gethan zu haben — dennoch quälen Sie
mich jedes Mal mit einer Bemerkung ,daß hier im Original
Reime stünden' — wenn mich einmal meine Sprache nöthigte
es zu unterlassen. Mache ich einmal, es zu erreichen, aus
einem Vers zweye, so geht mir das auch nicht ungerügt hin!
— Wirklich glaube ich in diesem zweyten Theile auch in der
Form um Vieles treuer als im ersten Theile gewesen zu seyn;
aber mich vor stolpernden Versen, vor Häufung abgebißner
Worte zu hüten, scheint mir ebenfalls wesentlich zur Treue der
Form, da das Original grade auch so ausgezeichnet in Hinsicht
des Wohllauts, der Musik der Sprache ist, ja oft genug deut-
lich die Lust am melodischen Klange oder am Reim in den
kleinen Liedern den Gedanken herbeyflLhrt. Haben wir doch
schon genug mit unserer härtern Sprache zu kämpfen! — Sie
über Goot1ie*8 «Klaggetang Ton der edlen Franen des Asan Aga'. 475
wollen mir ferner Verwandtschaft für rod nicht passiren
lassen. Aber wer könnte in der Poesie von Familie reden
hören, ohne zu lächeln! — Für Knabe als junger Mensch vor
den reifern Mannesjahren habe ich so viel Autoritäten, als es
Dichter giebt. Bub ist provinziell, Bursche unschön. Erinnern
Sie sich nur Schiller's:
An der Qnelle saß der Knabe etc.
oder Goethe's:
Und sag ihr bald, und sag ihr oft,
V^as still der Knabe wünscht und hofft!
Der Junggesell und der Bach.
Oder ydes erstaunt erzürnten Knaben' in ,der Müllerin
Reue*. — Nein, nein, hier hab' ich offenbar Recht! — Glauben
Sie aber nicht, daß ich Sie darum schon wieder mit einem
Briefe behellige^ um Ihnen dieß zu beweisen. Ich habe Ihrer
Güte noch einige Fragen vorzulegen, die ich, eilig wie ich bey
meinem vorigen war, da ich meine Reise im Kopfe hatte, ver-
gass. — Was diejenigen Lieder anbelangt, wo Sie meinen, ich
hätte über der Delicatesse die pointe verloren, so mögen Sie
Recht haben, und ich will sie daher lieber ganz und gar weg-
lassen, nemlich die Lieder, und hab' es verschworen, mich
wieder mit dergleichen abzugeben.
Der beste Beweiss fhr meine Liebe zur bewußten Sache
ist wohl meine fleißige Beschäftigung damit selbst; zumal da
ich so geringe Hülfsmittel und so schwache Kenntnisse habel
Was hätte mich wohl dazu bestimmen sollen, weim ich ihren
Werth und Gehalt nicht lebhaft empfunden hätte? — Auch
sind Sie gänzlich im Irrthum, wenn Sie meinen, daß die ,alt-
adlichen Griechen' hier den ,neuen' Serben den Rang abgelaufen
hätten, in der Meinung. Mich dünkt, alle unsre Blätter sprechen
deutlich die Anerkennung aus, die sie gefunden. Schon daß
sie so schnell überall angezeigt worden, ist fast unerhört bey
dem schläfrig trägen Gange unserer allgemein seyn sollenden
Litteraturzeitungen. Welches Aufsehen sie in den Kreisen der
ausgezeichnetsten Männer Berlins gemacht, habe ich noch jetzt,
und zwar sehr zu meinem Gunsten erfahren. Es hat sich in
Berlin vor Kurzem eine Gesellschaft gebildet, welche fast aus
lauter vorzüglichen Köpfen besteht: Hitzig, Raupach, (W.Alexis)
Häring, Streckfuss, Stägemann, Houwald, Vamhagen, Fouqu^ etc.
31*
476 iriklosteh.
In solchem Kreise wiederholt Yorgelesen, zweifeln Sie nicht,
daß unsere Lieder eine enthusiastische Würdigung gefunden
haben! Kommen Sie nur einmal nach Berlin und zu uns und
überzeugen Sie Sich davon!
Halle, 1826. 13. JuliuB.
Weßely's Hochzeitlieder sind in Leipzig immer noch nicht
aufzutreiben, was mich umso mehr wundert, da sie im Literari-
schen Conversationsblatt (seit Anfang dieses Monats: Blätter
für literarische Unterhaltung umgetauft) bereits angezeigt sind.
Ich hätte wohl gewünscht, diejeiiigen, die Sie in der Einlei-
tung finden, damit vergleichen zu können.
Denken Sie in Ihren nun nahenden Herbstferien nicht
etwa eine Reise zu machen? Es wäre doch schön, wenn Ihr
Weg Sie einmal zu uns fUhrte! Halle ist eine halbe Tagereise
von Dessau, wo ja W. Müller Sie intereßirt, Leipzig nur ein
Paar Stunden, und Weimar auch nicht weit. Wollen Sie Qt)ethe
noch sehen, so eilen Sie, wie ich höre, geht es mit ihm niit
starken Schritten bergab. Oder kennen Sie ihn vielleicht
schon von Karlsbad her?
Halle, 1826. 8. August.
Daß Sie meinen, Müller's Herz verrathe sich in seiner
Recension, machte mich erst zu lachen, dann verdroß es mich,
weil ich daraus den bestimmten Schluß machen zu müßen
glaubte y Sie fknden sie unverdient günstig , und hegten
eine unvortheilhaftere Meinung von dem, was ich, freilich nur
mangelhaft, leistete. Aber antworten Sie mir, bitt' ich, lieber
gar nicht auf diese Stelle: Sie könnten denken, ich wollte
Ihnen eine Galanterie abnöthigen, und doch will ich das gewiß
nicht! — Müller ist übrigens schon seit mehreren Jahren mit
einer Frau versehn , und zwar mit einer sehr reizenden,
schwarzäugigen, voller Feuer und Leben, die ihm allenfalla
eine Griechin von den Inseln repräsentiren kann. Mit:
Augen, schwüre und grol^T
Eingetaucht in Milch! etc.
Sie ist Enkelin des bekannten Basedow. An ihrer Liebe
darf Müller ja nicht zweifeln! denn sie brach um seinetwillen
mit einem jungen, freilich fast weniger als unbedeutenden
über Goethe *8 , Klaggesang tod der edlen Franen des Asan Aga*. 477
Menschen, mit dem sie sich, eh jener sich um sie bewarb,
zum Zeitvertreibe verlobt hatte. MtLller selbst ist übrigens auch
persönlich nicht grade liebenswürdig zu nennen.
In diesen Tagen haben wir uns, und zwar in besondrer
Beziehung, sehr viel mit den serbischen Frauenliedern be-
schäftigt. Mein Schwager (der Vater meines kleinen Pfleg-
lings); ein sehr tüchtiger und ausgezeichneter Musiker [der
Componist Carl Löwe], war aus Stettin zum Besuch bey uns.
Schon lange hatte er den Wunsch geäußert einige aus dem
ersten Bande zu componiren, imd nur durch manche Äußerlich-
keiten sich stören lassen. Jetzt theilte ich ihm, als einzige zu
benutzende Grundlage, die Melodien mit, welche uns Hr.
Vuk in der ersten Auflage gegeben. Er ward im höchsten
Grade erbaut davon, fand sie höchst originell und eignete sich
den Gegenstand mehr und mehr an. Aber leider war es mir
ganz unmöglich einige der bezeichneten Lieder den mitgetheilten
Melodien anzupassen, Metrum und Takt wollte sich auf keine
Weise vereinigen lassen! Demohnerachtet prüften wir alle
Frauenlieder sorgfältig, inwiefern sie musikalisch seyen, und
fanden einen ganzen Cyclus heraus. Mein Schwager ist be-
sonders glücklich hinsichtlich der Charaktermusik. Eben
jetzt hat er die hebräischen Gesänge von Lord Byron com-
ponirt, und es ist als wehten uns aus dem Oriente selbst die
Töne zu, als wiederhallten die Wellen die Seufzer der unglück-
lichen Israeliten, die ,an den Waßem Babylons^ weinten! Von
einem Philologen und Grammaticus kann ich kaum erwarten,
daß er musikalisch seyn soll. Aber gewiß wird es Ihnen und
Vuk etwas Leichtes seyn mir noch mehrere serbische National-
melodien mitzutheilen. Sie würden mich sehr dadurch ver-
binden, und ich kann Sie versichern, daß sie in keine beßem
Hände kommen können. Im Fall Sie meine Bitte gewähren,
ersuch' ich den Aufschreibenden die Worte des Textes unter
die Koten zu setzen, daß wir uns ein wenig in die eigen-
thümliche Singweise der Serben finden lernen.
Halle, 1826. 4. November.
In Cassel machte ich J. Grimmas persönliche Bekannt-
schaft, und obwol er mir zuerst etwas herbe erschien, und er
mit solchem Eigensinn an seinen Ansichten festhält, daß er
478 Miklosich.
sicherlich an meiner Auffassung der Serbenlieder mehr Argemiss
als Freude hat, so hoffe ich doch in ihm, während der drey
Tage Zusammenseyns, mir einen Freund erworben zu haben.
Ooethen fand ich fast verjüngt, ungemein gütig und freundlich
— bis jetzt hatte er mir nur imponiH, zum ersten Mal flößte
er mir eine Art Zutrauen ein, und wäre ich nur noch einen
Tag geblieben, wäre ich vielleicht nach und nach dazu gelangt,
ohne Herzpochen mit dem großen Meister reden zu können.
Intereßant war es mir Grillparzer bey Goethe zu finden. Ich
schätze ihn so sehr, daß ich es ihm gern bezeigt hätte, aber
leider scheint seine Gegenwart in unserem Norden nur äusserst
flüchtig gewesen zu seyn. Mein Gespräch mit ihm ward durch
Kommende und Vorzustellende unterbrochen, und ich kann
kaum sagen, daß ich ihn kennen gelernt habe.
Es macht mir Freude Ihnen von dem Eindrucke zu reden,
den unsre Lieder in unsern Gegenden gemacht haben, und ich
versage es mir nicht Ihnen mitzutheilen, daß er nach der all-
gemeinen Versicherung lebhafter und tiefer ist, als in neuerer
Zeit einer empfangen worden. Besonders haben junge kräftige
Männer sie mit wahren Enthusiasmus aufgenommen; ich kenne
einen, der sie halb auswendig und schön zu recitiren weiß.
Habe ich doch sogar erfahren, daß strenge Juristen, die sonst
die schöne Literatur ziemlich an den Nagel gehängt haben,
wie z. B. Savigny — sich innig mit ihnen befreundet haben
und sie wiederholt lesen. Von manchem hohen preussischen
Staatsbeamten, den ich ganz den Musen abgestorben wähnte,
habe ich schon Dank ftir ihre Mittheilung empfangen! Glauben
Sie mir aber, daß ich den geringen Antheil, welchen ich
daran habe, recht gut abzuwägen weiß und gewiß nicht über-
schätze.
Halle, 1827. 28. Februar.
Während meiner Abwesenheit ist Herr S. Milutinowitsch
hier gewesen, was mir in jeder Hinsicht sehr leid thut, umso-
mehr, da er gar keinen anderen Bekannten hier hat.
Ich weiß nicht, ob Sie von seinem — oder vielmehr von
W. Gerhard's Unternehmen schon unterrichtet sind. — Mich
dünkt, ich darf voraussetzen, nein. Irr' ich, so überschlagen
Sie diese Stelle. . Milutinowitsch hat Gerhard auf dessen drin-
über Ooethe's «KlaggesAng toq der edlen Frauen des Aean Aga*. 479
gendes Verlangen eine wörtliche Übersetzung sämmtlicher
von mir nicht übersetzten Lieder der Vuk'schen Samm-
lung in die Feder diktirt. Gerhard hat sie bearbeitet und
wird sie auch nächstens herausgeben. Gerhard hat ein ange-
nehmes lyrisches Talent^ aber ich kann kaum glauben, daß er
den Grad der poetischen Urtheilskraft besitze, der dazu nöthig
wäre, hier das Gehörige zu finden. Ich habe ihn wenigstens
persönlich als einen gar zu schwachen, seichten und taktlosen
Menschen kennen lernen, als daß ich sie ihm zutrauen könnte.
Doch will ich nicht in Voraus urtheilen, es ist wunderbar, was
manchmal ein glücklicher Instinkt thut ! Aus Gerhardts Liedern
spricht eine Fülle von Liebes- und Weinlaune, und daher zweifle
ich nicht, daß ihm alles, was in den serbischen Liedern Ana-
creontisches ist, sehr gelingen wird. Wenigstens wird er
etwas Hübsches geben — es kommt nur darauf an, ob er das
NationeUe zu respectiren weiß! — Ich bin begierig, was Sie
dazu sagen werden? — Gewiß ist's, daß Gerhard recht von
Herzen bey der Sache ist; leider giebt er eich aber auch mit
gelehrten Dingen ab, wozu sich weder der Leinewandshändler
noch der Herzogl. sächs. hildburghäusische Legationsrath qua-
lificirt. Er will nemlich durchaus der Verwandtschaft der nor-
dischen und serbischen Mythologie recht auf den Grund kommen.
Vei^ebens sag' ich ihm mit der möglichsten Höflichkeit, daß er,
um in diesem Felde Entdeckungen zu machen, sich wohl vor Allem
mit dem Zusammenhang der slav. Völker und ihren verschiedenen
Götterlehren untereinander bekannt machen müße; daß wohl
eine Kenntniss mehrerer slav. Dialekte dazu gehöre, hier nicht
zu schnelle Schlüße zu machen, und alles, was sich dem Den-
kenden von selbst darbietet: er hält sich mit unerschütterUcher
Gläubigkeit an ein Paar zufällige Namensähnlichkeiten, und
fUhlt sich glücklich herausgefunden zu haben, z. B. daß Bogdan
ungefähr wie Wodan klinge, Radischa wie Radegost etc.ü!
Der Ljutiza Bogdan soll auch durchaus ein übernatürliches
Wesen sejoi und Marko's Furcht vor ihm etwas von Gespenster-
furcht an sich haben. — Hierbey fkUt mir ein, daß — ich
brauche wohl nicht hinzuzusetzen: sans comparaison — auch
Goethe sich mit dieser Furcht durchaus nicht versöhnen konnte:
Marko, sagte er, sey ein absoluter Held und dürfe nicht
fliehen. Und doch ist diese Gemüthsbewegung so gar nichts
480 Mikloaioh.
Neues, und so echt menschlich ! Die stärksten Helden fliehen,
wenn der Stärkere ihnen begegnet — Diomed vor Hektor,
Hektor vor Achill — wenn sie bloß Menschen sind und nicht
ausserdem noch Chevaliers etc.
Auch flieht ja Marko nicht wirklich, sondern eben eine
Idee, eine den Ideen ritterlicher Ehre so eng verwandte, die
des gegebenen Wortes hält ihn zurück.
Bey meiner Zuriickkunft fand ich den zweyten Theil der
Wiener Ausgabe, den Sie mir gütigst durch Schwetschke über-
sandt. Ich danke bestens dafür, gestehe Ihnen aber, daß ich
die angehängten Melodien schon besaß, sie sehr merkwürdig,
aber nicht genügend fand, besonders aber mit dem Unterlegen
des Textes nicht recht fertig werden konnte. Giebt es die
Gelegenheit, so senden Sie mir, was Sie von serbischer Mofiik
finden können, ungern würde ich dadurch Ihnen irgend Mühe
machen.
Halle, 1828. 2. Februar.
Bowrings Werk ist nun allerdings längst in meinen Hän-
den. Mich dünkt, es war Anfang Oktober, als ich es von
Heidelberg aus empfieng — es war nach seiner Behauptung
das dritte Exemplar, das er an mich absendete: was aus den
beiden ersten geworden ist, weiß Gott! So mußt' ich denn schon
die zwey Thaler Postgeld verschmerzen, die der galante Elng-
länder mich dafür bezahlen ließ ! Er schrieb mir, er habe vor-
gehabt, mit seiner Reise nach Deutschland eine nach Serbien
zu verbinden, doch fUrchte er, die Umstände, die man dem
Reisenden im Österreichischen mache, werden ihn daran hin-
dern. Ich gestehe, nach seinen Briefen zu urtheilen, kann ich
einem meiner Freimde nicht unrecht geben, der ihn a literary
dandy nannte. Auch ist diese Sucht, im slavischen Gebiete
nicht allein, sondern überhaupt in der Fremde universell zu
seyn, bey seinen oberflächlichen Sprachkenntnissen wirklich
lächerlich. Ich bin so nachlässig gewesen ihm noch nicht zu
antworten. Und in der That, ich weiß nicht recht was. Daß
er mehr aus dem Deutschen übersetzte als aus dem Serbischen,
ist wohl ganz unzweifelhaft; auch gesteht er dieß in seinen
Briefen ganz unumwunden ein, und verschweigt es nur im Buche
wohlweislich. Ich finde, die Lieder lesen sich recht hübsch —
über Ooethe*8 ^Klaggesan; von der edlen Frauen des Asan Ags*. 481
übrigens miflfallen uns unsre Fehler erst recht, wenn Sie ein
Andrer nachahmt, und daran fehlt es nicht. Manche Stellen
z. B. wo er: oj snaiice, rumena ruüce! was ich, um den
Seim nachzuahmen, übersetzte:
Brudersweibchen, süßes schönes Täubchen!
ganz treuherzig wiedergiebt:
Brothers wife! thou sweet aod lovely dovelet!
machten mich wirklich zu lachen. Hier und an tausend andern
Stellen scheint er das Original gar nicht einmal angesehen zu
haben. Bowring wünscht eifrig, ich möchte sein Werk an-
zeigen, allein ich habe das Recensiren ein fUr allemal aufge-
geben und darum auch über SchafFarick's Buch, obwohl dieß
letztere von hohem Intereße fUr mich war, geschwiegen. Ich
fürchte immer, ich könnte noch einmal Verdruß daran haben,
denn die Männer vergeben uns allenfalls, ein Paar Verschen zu
machen, allein die Kritik ist nun einmal ,unweiblich', ,mit den
Orazien unverträglich' imd weiß der Himmel was alles! wahr-
scheinlich, weil dazu mehr klarer Verstand gehört als dunkles
Gefühl! — Theils weil ich von Natur etwas furchtsam bin und
vor dem Gedanken erschrecke, etwa hämische Antikritiken zu
erfahren, worin vielleicht gar mein Name öffentlich genannt
würde, theils aus andern Gründen beschränk' ich mich auf die
Kritiken am Theetisch, imd so gewinn' ich, während niemand
verliert.
Übrigens muß ich hinzufügen, daß meine enge literarische
Laufbahn bis jetzt vollkommen domenlos war. Das Einzige,
was mir vielleicht je in dieser Beziehung einigen Arger gemacht
hat, ist ein Buch, welches ich vor Kurzem zugeschickt bekam,
ebenfalls Volkslieder der Serben betitelt^ von P. v. Götze. Ohne
Zweifel ist es auch in Ihren Händen. Ich kann es nicht anders
als wie ein höchst imbescheidenes Plagiat betrachten. Ohne
meiner Übersetzung auch nur mit einer Sylbe zu erwähnen,
lautet die seine oft wörtlich eben so; mit sehr wenigen Aus-
nahmen sind auch die nenüichen Stücke gewählt, und alle
historischen und literarischen Notizen sind mitgetheilt, als würde
dem Publicum etwas ganz Neues gesagt. Meine Sünde Dva se
draga vrlo milovala durch ,Herzlich liebten sich ein Ejiab' und
482 Miklosich.
Mädchen^ zu übersetzen, muß ihm besser gefallen haben als
mir, denn hier heißt es ebenfalls:
Knab^ und Mädchen liebten sich von Herzen.
Überhaupt habe ich mir keine Freiheit genommen, die er nicht
zehnfach überboten hätte, und ich müßte wirklich, da er schon
1819 übersetzt haben wiU, eine geheime Sympathie zwischen
uns fürchten, wenn ich nicht zum Glück wüßte, wie diese
wunderbare Sache mit natürlichen Sachen zusammenhieng. £in
Freund, der auch ein genauer Bekannter von Grötze ist, schrieb
mir schon vorlängst: ,Ihre Übersetzung hat mir Grötze schon
vor einem halben Jahre abgeborgt, und trotz alles Mahnens
kann ich sie nicht wiederbekommen. Er versichert, daß Ihre
beyden Arbeiten bewunderungswürdig zusammentreflFen.* —
Der Freund versäumt nicht diese letzten Worte mit Unter-
streichungen und Ausrufungen zu versehen, und deutet dadurch
genugsam an, was es von dieser bewunderungswürdigen Über-
einstimmung denkt. Überhaupt ist doch das Unwesen in unserer
Literatur jetzt entsetzlich! Nicht leicht hat mich etwas mehr
empört als des erbärmlichen Herlosssohn Unverschämtheit gegen
Frl. Tieck. Wenn ein vollkommen unbescholtenes, gebildetes
Frauenzimmer, das noch dazu nie öffentlich aufgetreten ist^
wenigstens nie unter ihrem Namen, nicht einmahl mehr sicher
ist öffentlich angegriffen oder gar verhöhnt zu werden, welches
sollte es denn sejn? Schützt davor bey uns nur entschiedene
Unbedeutenheit? — Sie haben vielleicht von dem Machwerke:
,Löschpapier des Satans^ gar keine Notiz genommen, allein hier
in Norddeutschland, wo man mit dem zwar allerdings einseitigen
und anmaßenden, aber immer geistreichen Treiben der Tieck-
sehen Schule besser bekannt ist, verstanden wir leicht alle Be-
ziehungen. Unter solchen Verhältnißen muß man W. Müller*s
und Hauffs Tod doppelt beklagen. Um beyde junge, so aus-
gezeichnete Männer that es mir unbeschreiblich leid, besonders
um Müller.
S. 1. et a.
Vor einigen Monaten habe ich mit grossem Nutzen und
theilweise auch grossem Vernügen Schaffarick's treffliches Bach
gelesen. Um indeßen des Verfassers Enthusiasmus fUr slavische
über Goethe*s ,Klagge8sng von der edlen Frsnen des Asan Aga'. 483
Völkerschaften, der in ihnen mehr Tugenden als eigentliche
Charakterzüge sehn lässt, und seine wunderliche Animosität
gegen die Deutschen nicht tlbel zu nehmen, muß man grade
80 tolerant seyn, als wir Deutsche es sind. Wäre nicht seine
gehamischte Vorrede, ich würde mir ein Vergnügen daraus
machen, das Buch, insoweit ich es als Laihin kann, d. h. nicht
seinen wissenschaftlichen Werth, den ich nicht beurtheilen
kann, sondern seinen Geist in einem unsrer norddeutschen
Blätter zu wtbrdigen und zu preisen. Aber wer behielte da
den Muth?
Schreibt denn Ihr Grillparzer nicht wieder etwas? Ich
habe eine besondere Vorliebe für seine Produktionen, unsre
Recensenten mögen sagen was sie wollen. Er ist doch ein echter
Dichter! Ich lernte ihn vor dem Jahre bei Goethe flüchtig
kennen, und es war so etwas Megisch-poetisches in seiner ganzen
Erscheinung ! Ich weiß nicht ob er mich kannte -— ich glaube
kaum, da Fr, v. Goethe mir ihn, mich aber nicht ihm vorsteUte.
[Grillparzer spricht in sedier Selbstbiographie, Sämmtliche
Werke 10. 169. von seiner Begegnung mit Talvj: ,Gegen
Abend ging ich zu Goethe. Ich fand im Salon eine ziemlich
große Gesellschaft, die des noch nicht sichtbar gewordenen
Herrn Geheimeraths wartete. Da sich darunter — und das
waren eben die Gäste, die Gt)ethe Mittags bei sich hatte —
ein Hofrath Jacob oder Jacobs mit seiner eben so jungen als
schönen und eben so schönen als gebildeten Tochter befand,
derselben, die sich später unter dem Namen Talvj einen lite-
rarischen Ruf gemacht hat, so verlor sich bald meine Bangig-
keit, und ich vergaß im Gespräche mit dem liebenswürdigen
Mädchen beinahe, daß ich bei Goethe war.' GriUparzer spricht
noch einmahl, 173, von der ,liebenBwürdigen Talvj'.]
Andover, 1832. 21. Februar.
Seitdem ich Europa vcrlaüen, ist es von den ungeheuer-
sten Bewegungen erschüttert worden. Ihre Stadt ist auch von
der fürchterlichen Cholera heimgesucht worden: möchten Sie,
verehrter Freund!- doch persönlich nichts davon gelitten haben.
Aber schon rings um sich Elend und Untergang zu sehen, ist
entsetzlich. Man wünscht mir von Deutschland aus Glück der
Gefahr entgangen zu seyn: ach! ich glaube wirklich, die Angst;
484 Miklosioh.
sie in der Nähe zu wissen; kann nicht größer seyn, als die
seine Lieben in der Feme dem schrecklichsten aller voriian-
denen Übel täglich ausgesetzt zu wissen! Für den Fall, daß
Sie meinen früheren Brief nicht erhalten haben sollten, wieder-
hol' ich hier, daß wir 1830^ Anfang May, uns in Bremen ein-
schifften, nach einer langwierigen und beschwerlichen Reise
den 2. Juli New York erreichten, und die ersten Monate hier
damit zubrachten, Freunde und Verwandte meines Mannes
zu besuchen, was mir die günstigste Gelegenheit gab, die ver-
schiedenen Verhältnisse und Sitten des Landes kennen zu
lernen und nach der Reihe großstädtische, kleinstädtische und
ländliche Lebensart der Amerikaner zu beobachten. Seit dem
1. November 1830 leben wir in Andover, einige Meilen von
Boston, eine nach amerikanischer Weise über eine breite Strecke
Landes hingestreute Ortschaft (town) mit einem theologischen
Seminarium^ an welchem mein Mann Professor und Bibliothekar
ist. Er findet hier den Kreis des Wirkens, den er sich wünscht,
und vorzüglich Muße zu schriftstell^erischen Arbeiten. Darunter
gehört die Herausgabe einer Vierteljahrsschrift: Repository for
biblical literature, eine der wenigen hiesigen reinwissenschaft-
lichen Publicationen. Denn daß die Amerikaner im Allge-
meinen die Wissenschaft ziemlich cavali^rement behandeln, ist
nur zu gewiß, und kann Ihnen nicht neu seyn. Besonders
aber die Kunst. Einer Wissenschaft kann man doch, sie
heiße wie sie wolle, einen gewißen praktischen Nutzen abge-
winnen, aber die Kunst, die sich anmaßt, als solche, ftlr sich
bestehen zu wollen, mehr zu seyn als Dienerin — das ist ein
Begriff, ftlr den nicht leicht ein amerikanisches Gemüth empfäng-
lich ist. Tiock's Kernspruch , wann hat sich das Große und Schöne
je so tief erniedriget, um zu nützen^ den ich manchmal in
scherzhafter Übertreibung anflihre, hat hier schon manchem
recht guten Kopfe die Haare zu Berge getrieben.
Was mich selbst anbelangt, so könnte vielleicht in der
ganzen Welt kein Ort gefunden werden, wo ich weniger am
Platze wäre als Andover. Zwey große Intereßen bewegen die
Gesellschaft dieses Landes ausschließlich: das politische und
das religiöse. Letzteres ist's, das hier allein herrscht, aber in
der engherzigsten, beschränkendsten, alles Schöne vernichten-
den Form, das Princip der alten Covenanter und Puritaner,
über Ooethe's ,Klaggesftn^ Ton d«r «dien Fnraen det Asan Ag»'. 485
denen die harmloseste Freude sündhafte Lust am Weltlichen
ist, voller geistlichen Dünkel und Hochmuth. Oft ist mir's, als
sähe ich mich in das siebzehnte Jahrhundert versetzt. Schon
in früher Jugend ist mein Sinn auf den Ernst des Lebens ge-
richtet gewesen, und seit einer Reihe von Jahren hat Verlust
auf Verlust meinen Blick nach dem Jenseits gelenkt, wo ein
Wiederfinden des Verlornen unser harret, und auf den, der in
seiner Weisheit giebt und nimmt. So fiel mir den oft der
frivole Leichtsinn, mit welchem die meisten Menschen dahin
leben, ohne sich je ihres Zusammenhanges mit ihrem Schöpfer
recht klar bewußt zu werden, und in welchem ich mich selbst
häufig genug befangen sah, schwer auf das Herz, und wenn
ich bedachte, wie wenig, namentlich in protestantischen Län-
dern, unsere Erziehung daftlr sorgt, uns einen Verkehr mit
Gott zur Gewohnheit zu machen, und wie schwer äußere
Anregungen und Mahnungen dazu mit unseren Sitten und Ge-
bräuchen in Einklang zu bringen sind, so schien mir Alles,
was dazu dienen könnte, unsere Verbindung mit dem Höchsten
zu unterhalten (die Sitte des häufigen Eirchengehens , Haus-
andachten, Tischgebete etc.) fast eine Wohlthat. Allein wenn
ich nun hier sehe, wie das alles zum Mechanismus wird, und
mit welcher Geist tödtenden, am Buchstaben klebenden Sinnes-
beschränktheit dieß in diesem Lande der Sekten getrieben
wird, dann sagt mir sowohl GefUhl als Einsicht auf das Deut-
liebste, das könne nicht das Wahre seyn. — Ich will übrigens
damit nicht sagen, daß neben diesem Formenwesen nicht auch
viel wahrhafter christlicher Sinn hier herrsche, ja zum Theil
von jenem genährt werde. Auf der andern Seite aber ist
nichts geeigneter die Opposition zu wecken. So starb neulich
ein reicher Mann in Philadelphia und setzte eine sehr große
Summe zur Gründung eines Erziehungs- und Waisenhauses
aus, mit der ausdrücklichen Bedingung^ daß es nie einem
Geistlichen irgend einer Glaubensparthey vergönnt seyn sollte,
damit in dem geringsten Zusammenhang zu stehen, ja nie
einer das Haus oder den Bezirk des Hauses nur als Besuchen-
der betreten dürfe ! ! I Aus Obigem werden Sie leicht schließen
können, daß mir die Gesellschaft hier nicht gefallen kann,
und so hab' ich mich denn freiwillig ganz zurückgezogen, und
lebe ausschließlich für meine Kinder. Seit vorigem Herbst
486 Miklosich.
hab' ich nemlich neben ineinem allerliebsten^ in Deutschland
geborenen, nun dritthalbjährigen Mädchen einen prächtigen
kleinen Jungen, voller Lust und Leben, Max mit Namen.
Diese beyden holdseligen Geschöpfe machen meine Welt ans!
Nebenbey hab' ich viel Zeit zur Lektüre, die ich natürlich
jetzt besonders in Beziehung auf das Land einrichte ^ dem
Mann und Kinder angehören, imd von dessen Beschaffenheit
Geschichte, Ureinwohnern, Sprache, Literatur etc. ich mir gern
die genauste Kenntniss verschaffen möchte.
Nachrichten aus dem geliebten Vaterlande erhalte ich
regelmäßig jeden Monat von meinem theuren Bruder, und oft
noch dazwischen, aber er scheint auch fast der Einzige von
meinen Freunden zu seyn, der mich nicht vergessen hat. Und
wie erfreut und bewegt mich doch jedes gute Wort von dort
her! Wie herzlich werd' ich mich Ihnen verbunden fühlen,
wenn Sie mir von Zeit zu Zeit ein Zeichen geben, daß dort, wohin
sich unaufhörlich Gedanken und Gefühle in wehmütiger Sehn-
sucht richten, manchmal auch meiner freundlich gedacht wird!
Indem ich meinen Brief flüchtig überblicke, seh* ich,
daß eine gewiße Unzufriedenheit daraus spricht, die ich jedoch
nicht mißverstanden wünschte. Ich bin nichts weniger als
eingenommen gegen das Land, in dem ich lebe. O es ist ein
glückUches Land! Die Amerikaner vereinigen die ernsthafte
Verständigkeit des Alters mit der frischen Tüchtigkeit der
Jugend, aber freilich nicht mit dem Feuer, mit der Anmuth,
der innem Poesie der Jugend.
,Die Grazien sind leider ausgeblieben^,
als dieß Volk von den Göttern ausgestattet wurde mit der
Freiheit und dem rechten Sinn dafür und derjenigen Mäßi-
gung, die das wahre Fundament eines dauernden Glückes
ist. Auch ist nichts ungerechter als die Amerikaner im All-
gemeinen des Egoismus und eines engen selbstischen Krämer-
geistes zu beschuldigen. Nirgends in der Welt herrscht mehr
Bürgersinn, mehr Gemeingeist (freilich auch Partheygeist), mehr
Sinn für die Wahrheit, daß der Einzelne nur ein Glied des
Ganzen ist. Es ist erstaunlich, wie viel Großes und Vortreff-
liches hier durch Gesellschaften geschieht! Aber Sie finden
hier auch societies für Alles, für Großes und ELleinesI Und es
über Ooetlie'ft ,KlaggeMng toq der edlen Frsnen dea Asan Aga'. 487
ist wieder, als könnte der Einzelne fUr sich gar nichts, am
allerwenigsten seine eigene Meinung haben. Es ist sichtlich,
daß in dem scharf ausgesprochenen National- und Socialsinn
die IndividuaUtät ganz verloren geht. Dieß ist das Land der
Freiheit, aber sicherlich nicht der Freiheit des Gedankens. Die
Meinung, die Sitte, die Mode herrschen mit eisernerem Scep-
ter als alle Despoten und Autokraten Europa's zusammenge-
nommen. Wie beyunsdie Geniesucht herrscht, die Original-
Bucht, so hier die Nachahmungssucht. Alles baut gleich, kleidet
sich gleich, beträgt sich gleich, und wenn man fragt warum?
— it is the custom. — Auch die Beschuldigung der Unfreund-
lichkeit gegen Fremde scheint mir ganz ungerecht. Es herrscht
hier im Gegentheil ein gewißes allgemeines Wohlwollen, das
natürliche Resultat des eignen Wohlbefindens.
Auch hier ist bey dem harten Winter viel über Armuth
geklagt worden, aber die Leute nennen sich hier arm, wenn sie
nicht ihre Kuchen zum Thee oder ihre Butter auf das Weißbrodt
haben. In den großen Städten giebt es freilich viel Elend, aber
fast nur unter den neuen Ankömmlingen aus Europa, die entweder
nicht arbeiten wollen, oder zu unbehülflich sind Arbeit aufzu-
suchen. Daß die Amerikaner von dem Gesindel, das hierher kommt
sein Glück zu machen, nicht zum Besten denken, ist natürlich.
Nehmen Sie mein herzUches Lebewohl und erfüllen Sie
meine Bitte mir bald zu schreiben. Was macht Herr Vuk
und hören Sie von Milutinowitsch? Ist Grillparzer noch in
Wien? Ich sah ihn vor mehreren Jahren bey Goethe, wo er
einen sehr angenehmen Eindruck auf mich machte, nachdem
er mir schon lange als Dichter sehr werth gewesen.
' Halle. 1837. 28. September.
Was sagen Sie zu Goethe's Urtheil über Milutinowitsch's
Epos [Serbianka. 1826.]? Vielleicht bekomme ich bey dieser
Gelegenheit auch Ihr eignes über dasselbe zu hören, warum ich
Sie, dünkt mich, schon einige Mal gebeten.
Dresden, 1838. 28. Juli.
Wie manche bekannte Gestalt hat sich mir seit meinem
Hierseyn wieder gezeigt. Besonders erfreute mich eines Tages
J. Grimmas Besuch. Auch ergriff mich die unverkennbare Weh-
488 Milrlosich.
muthy mit der er von der Unterbrechung seiner gelehrten Thfi-
tigkeit sprach. Er gieng nach Jena zum Besuch auf ein Paar
Wochen und dachte dann in Cassel sich niederzulassen und
zusammen mit seinem Bruder ein deutsches Wörterbuch auf-
zuarbeiten. Leider soll der etymologische Theil nur Nebensacke
seyn, da es besonders für das grosse Publicum bestimmt ist.
Berlin, 1839. 12. August.
Auch ich bin vorigen Winter recht fleißig gewesen und
80 habe ich bereits vor acht Tagen ein Manuscript an Brock-
haus absenden können, und werde das Vergnügen haben Ihnen
in ein Paar Monaten ein Werkchen zu überschicken mit dem
Titel: Versuch einer geschichtlichen Charakteristik der Volks-
lieder germanischer Nationen u. s. w. Obwohl der Gedanke
des Buches, so viel ich weiß, ganz neu ist, und noch kein
ähnliches Werk existirt, so bilde ich mir doch keineswegs ein,
darin neue Entdeckungen imd Forschungen an's Licht zu
bringen. Im Gegentheil ist es nur meine Absicht gewesen, das
bereits Vorhandene, zerstreut umher Liegende, in einen Rahmen
zu fassen, und so dem, der weder Zeit noch Neigung hat, sich
eine vollständigere Kenntniss des Gegenstandes aus einer be-
deutenden Anzahl von Büchern zusammen zu suchen, und doch
ihm einiges Intereße widmet, eine gedrängte Übersicht des
Ganzen zu geben. Auf ein großes Publikum kann ein solches
Buch wohl nie rechnen. Und doch wird es zum Theil darauf
ankommen, ob ich meinen Vorsatz ausfuhren imd eine Fort-
setzung anknüpfen werde, die die slavischen Volkslieder eben
so behandelt. Den Vorstudien dazu denk' ich nächsten Winter
zu widmen.
Stettin. S. a. [Der Brief fällt in die Zeit von 1837 bis 1840.]
17. November.
Was den vierten Theil der Volkslieder [Vuk's] anbelangt —
um noch einmal darauf zurückzukommen — so ist er mir bei Aus-
arbeitung eines englischen Werkchens über Volkspoesie, womit
ich eben beschäftigt war, und das, obwohl es anfknglich durch die
Geburt meines jetzt gerade vierzehnmonatlichen Knaben, dann
durch unsem Umzug nach New York, dann durch unsre Reise
nach Europa unterbrochen worden, doch wilFs Gott! noch
über Goethe*8 ,Klaggesang von der edlen Frauen de« Asan Aga*. 489
einmal das Licht der Welt erblicken soll, von ganz beson-
derem Nutzen gewesen. Denn was lebendige Volkspoesie ist
in ihrem Entstehen, Fortdauern und Wirken, kann man ja doch
nur in Serbien lernen. Die Aufschlüsse und Nachweisungen,
die er [Vuk] über die historische Entstehung seiner Sammlung
giebt, waren mir daher höchst bedeutend, und ich möchte
darüber noch eine ganze Reihe Fragen thun.
Zusätze.
1. Zu den Anmerkungen zu Pisma 3. ist dasjenige hinzuzufügen,
was Professor A. Pavid gegen Vuk's Änderungen einwendet Rad jugosla-
yenske akademije XLVII. Seite 98.
2. Der Ausdruck ,8erbischer Trochäus' rührt nicht etwa von mir her.
Man findet ihn unter Anderm in E. KleinpauPs Poetik I. 76. Die Bezeichnung
ist nicht ganz passend, da der s. g. serbische Trochäus von Goetlie, wie mir
scheint, nicht aus dem Serbischen entlehnt wurde und da derselbe an die
Regeln des epischen Verses der Serben nicht gebunden ist. Die Übersetzer
vernachlässigen meist nicht nur den Einschnitt nach der vierten Silbe sondern
auch die syntaktische Selbständigkeit des Verses: nur einer beobachtet zwar
diß erste Regel, lässt jedoch das Hinübergreifen des Gedankens in den fol-
genden Vers häufig eintreten.
3. Saani Pisma 1. v. 132 ist türk. Mahn, vulg. tahart. Schale, Schüssel
aus dem arab.
4. Über Talvj hat Fr. Löher einen lesenswerthen Nekrolog geschrieben,
der in der Allgemeinen Zeitung vom 9. und 10. Juni 1870 gedruckt ist.
.«^itznngaber. d. phil.-hist. Cl. CHI. Bd. H. Hft. 32
490 M i k 1 0 s i c k. tiber Ooethe^s ,Klagge8a&g von der edlen Frauen des As«n Agft\
Inhalt.
Seiu
Einleitung^ 413
I. Geschichte des Originaltextes 414
1. Der Text von Fortis —
2. Der Vuk'sche Text 418
3. Der Text der Spalatiner Handschrift 421
Anhang. Pisma 1 424
Pisma 2 431
Pisma 3. (Asanaginica) 43:i
Anmerkungen 436
II. Qeschichte der Übersetzungen 442
1. Übersetzung von Fortis — >■
2. Deutsche Übersetzung vom Jahre 1776 444
3. Französische Übersetzung 447
4. Goethe^s Übersetzung 450
5. Übersetzung von Talvj 456
6. Andere Übersetzungen 458
Anhang. 1. Über die ,morlackischen* Dichtungen in Herder^s
.Volksliedern* 459
2. Über die Gräfin Rosenberg 460
3. Aus den Briefen von Talvj an B. Kopitar .... 4C2
Petschenig. Textkr. Grundlagen itd zweiten Tiieile y. Cassians Oonlationes. 491
Ueber die textkritisehen Grundlagen im zweiten
Theile von Cassians Oonlationes.
Von
Dr. Michael Fetsohenig.
Unter den vielen Ausgaben Cassians gibt es nur zwei,
welche als kritische Recensionen gelten können. Die erste er-
schien, besorgt von dem Niederländer Cuyckius, Professor in
Löwen, 1578 zu Antwerpen. Derselbe gründete den Text der
Institutionen auf fiinf , den der Oonlationes auf zwölf Hand-
schriften, die er sämmtlich belgischen Klöstern entnahm. Aber
diese Codices waren oflFenbar meist jungen Ursprungs und viel-
fach verderbt und interpolirt. In der That ist der Text dieser
Ausgabe für die angeführten Schriften ohne besonderen Werth.
Nur für die Bücher contra Nestorium hatte Cuyckius einen
vortrefflichen, jetzt verschollenen codex ,Coloniensium Augu-
stinianorum' zur Verfügung. Besser ist die zweite Revision,
welche auf Grund von acht vaticanischen Handschriften von
dem spanischen Priester Ciacconius veranstaltet wurde, aber
die Schrift gegen Nestorius, für welche die Vaticana keine Hand-
schrift bot, nicht mit enthält. Sie erschien 1588 zu Rom.
Leider war der Benedictiner Alardus Gazaeus, der 1616 eine
neue, mit theologischen Commentarien reich ausgestattete Aus-
gabe erscheinen Hess, ein so durchaus unkritischer Kopf, dass
er seinen Text fast ganz an den des Cuyckius anschloss und
von dem höheren Werthe der editio Romana durchaus keine
Ahnung hatte. Da nun die neueren Drucke, wie der Leipziger
1733 und Mignes Patrologie, Bd. 49, ausschliesslich diese Aus-
gabe wiedergeben, ist der Theologe wie der Philologe heute
noch auf einen Text angewiesen, der fast auf jeder Seite einige
Unrichtigkeiten enthält. Dass dem so sei, hatte schon A. R ei ff er-
scheid bei der Durchforschung der italienischen Handschriften
32*
492 Petschenig.
erkannt und gelegentlich ' geäussert, dass die Ausgabe des
Gazaeus ,einer durchgreifenden Revision bedarf, die
den Text erheblich umgestalten wird^ Diese Aeussenmg
trifft vor Allem fiir die Conlationes zu, jenes Werk Cassian&
welches im Mittelalter am meisten gelesen wurde ^ und dem
entsprechend auch die einschneidendsten Aenderungen und
Interpolationen im Texte erfahren hat. Im neunten Jahrhundert
bestanden bereits zwei wesentlich verschiedene Recensionen
neben einander, welche nicht blos in den bisher verglichenen
Handschriften deutlich sich ausprägen, sondern oflFenbar anch
in die Ausgaben tibergegangen sind. So stimmt der Text der
editio Basileensis von 1485 im ersten Theile des Werkes (Conl.
I bis X) vollkommen mit dem Sangallensis 574 s. IX. Die
editio Romana nähert sich dem Texte dieses codex hie und da,
zeigt aber an den meisten Stellen starke Abweichungen. Der
Ausgabe des Cuyckius und Grazaeus hingegen lag oflFenbar eine
ganz andere Recension zu Grunde, flir welche sich ein Vertreter
in dem Parisinus 13384 s. IX gefunden hat. Ganz ähnlich ist im
dritten Theile (Conl.XVin bis XXIV) das Verhältnis zwischen
zweiMonacenses s.VIII und IX einerseits und dem Sangallensis 575
s. IX andrerseits. Die nächste Aufgabe des neuen Herausgebers
— und wahrlich keine leichte — wird nun die sein mtissen^ fest-
zustellen; welche Fassung die echte, welche die überarbeitete ist.
Bekanntlich hat Cassian die XXIV Conlationes nicht auf
einmal; sondern in drei Abschnitten erscheinen lassen. Der
erste umfasst Conl. I bis X; der zweite XI bis XVH, der dritte
XVin bis XXrV. Dem entsprechend pflegen auch alle älteren
Handschriften bis zum zehnten Jahrhundert nur einen dieser
Theile zu enthalten. Als Ausnahme ist mir bisher nur der
•Parisinus N. A. L. 2170 s. IX bekannt. Es zerfallen daher die
überhaupt in Betracht kommenden Handschriften zu diesem
Werke naturgemäss in drei Gruppen, von denen jede im Laufe
der Jahrhunderte verschiedene Schicksale erlitten und in ihrem
Texte verschiedene Wandlungen durchgemacht hat. Daraus
folgt, dass jede Handschriftengruppe in Bezug auf die oben
bezeichnete Aufgabe flir sich besonders untersucht werden muss.
< BPI I, S. 125.
' Noch jetzt sind mindestens löO Handwhriften erhalten.
Textkritisehe Gnmdlagen im zweiten Theile von Cassians Conlationes. 493
Tvobei allerdings in Fragen des Sprachgebrauches oder wo es
sich um den Wortlaut einer Bibelstelle handelt — manche finden
sich nämlich wiederholt imd in verschiedenen Schriften citirt
— auch die anderen Partien sowie die Institutionen und die
Bücher contra Nestorium zu berücksichtigen sind. Ausserdem
erscheint es geboten, gleich von vorne herein festzustellen^
welche Bedeutung die Ausgaben, oder, wenn man will, die von
den Herausgebern benutzten Handschriften gegenüber den jetzt
zu Grunde gelegten beanspruchen können. Es ist dies um so
nothwendiger, da weder bei Cuyckius noch bei Ciacconius irgend
welche Andeutungen über das Alter, den Werth und die Classen*
Verschiedenheit der von ihnen verglichenen Codices sich vorfinden.
Für die Kritik des zweiten Theiles der Conlationes sind
folgende Hülfsmittel benutzt worden:
S = cod. Sessorianus LV s. B = ed. Basileensis 1485
Vn-Vni C = ed. Cuyckii 1578
n =: cod. Petropolitanus (aus R = ed. Romana 1588
Corbie) O. I. 4 s. VH— VHI E = BCR
X = cod. Sangallensis 576 s. IX
Die Handschriften zerfallen in zwei Classen. Die eine ist
durch 2, die andere durch OT vertreten. Der Sangallensis stimmt
übrigens nicht selten gegen 11 mit dem Sessorianus und hat eine
Masse von Sonderlesarten, welche mit wenigen Ausnahmen
ganz wcrthlos sind. Er ist ausserdem noch stark intcrpolirt.
Fragen wir zuerst nach dem Verhältnisse, in welchem die
oben angeführten Handschriften zu den Ausgaben stehen, so
ist vor Allem zu constatiren, dass die letzteren an einigen
Stellen einen erweiterten Text bieten. Der Anfang des 9.
cap. der XVH. Conl. lautet nach den Handschriften: Quod
utrumque liquidiasime sancti apostoli Petri et Herodis exempla
testantwr. äle enim quia discessit a deßnüione senteniiaej quam
udut scuyramento firmatterat diceiis: non mihi lauabis pedea in
aeternum, inmortale Christi consortium promeretur, absddendus
proeul dtthio ab huiua heatitudinis gratia, si in semionis 9ui
obstinatione m^^isisset Die Ausgaben hingegen lassen utrumque
weg, welches mit Bezug auf den Schluss von cap. 8 gewiss
richtig ist; und lesen ludae traditoris statt Herodia. Was sonst
494 Fetschenig.
noch geändert ißt, tibergehe ich. Der Zweck dieser Aendening
wird klar, wenn wir das Folgende beachten. Während nämlich
die Manuscripte mit Bezug auf Herodia hinter niansisset fort-
fahren hie uero ßdem inconsulti retinens sacramenti cruentisnmMi»
praecursai'is domini exstitit inter&mptor u. s. w., folgt in den
Ausgaben eine lange Stelle über Judas und über die Parabel
von den zwei Söhnen , welche der Vater im Weinberge arbeiten
heisst (Matth. 21, 28 ff.), woran sich folgender Text schlies^t:
necnon et Herodis ci^uentissimi regis exemplum, qui ßdem inoonsuUi
retinetis sacramenti u. s. w., wie in den Manuscripten. Die Er-
wägung des Gedankeninhaltes ergibt nun mit Sicherheit, <lasi«
der Text der Ausgaben auf einer Interpolation beruht. Cassian
will, wie er am Schlüsse des achten Capitels sagt, durch Bei-
spiele zeigen: quam multis etiam letaliter cesseint statuta con-
plesse y et e confraHo quam multis eadem refugisse conmodum fuerii
ac salubre (so die Manuscripte). Das eine wird nun an dem
Beispiele des Petrus nachgewiesen, welcher gleichsam unter
einem Eide geäussert hatte ,Du wirst mir in Ewigkeit die Fiisse
nicht waschen*, aber diesen Entschluss sofort wieder aufgab
und hiermit der Gemeinschaft mit Christus theilhaftig wurde;
das andere an Herodes, der seinen Schwur hielt, aber dadurch
der ewigen Verdammnis anheim fiel. Bei Judas trifft dies nun
nicht zu, da er ja nicht unter einem Eide oder Gelöbnisse
(sponsio) sich zum Verrath an Christus entschlossen hatte, noch
weniger aber bei den Söhnen der Parabel, wo es sich nicht
um Seligkeit und Verdammnis handelt, sondern nur gezeigt
werden soll, dass es besser sei, den anfUnglichen Ungehorsam
durch Reue wieder gut zu machen, als Gehorsam zuzusagen
und die Zusage nicht zu halten. — Hinter immersit pag. 1055 A*
haben die Ausgaben wiedenim folgendes längere Einschiebsel:
Primum etenim est optima stattiere: quod et si aliter cesserit,
sequens est in melius ea quae sunt statuta mutare, ordifiationibusque
nostris iam iacentihus , ut ita dixerim, manum dexteramque'^
porrigere. Ubi piHncipia consilii non approhantur, prudeiitia est,
ut utili addita prouisione reparentur, Si Claudicat ad prima
statuta dispositiOy adhiheatur ad secunda correctio. Hier ist drei-
* Da manche Capitel sehr lang sind, citire ich nach den Seitenzahlen und
Marginalbuchstaben des Migne^schen Druckes, Patrol. Lat. t. XLIX.
2 m. dexteram B, dtxteram ni. R.
Textkritische Ornndlagen im zweiten Theile von Cassiana Conlationes. 49ö
mal dasselbe gesagt, was in den folgenden echten Schlussworten
des Capitels enthalten ist, und der sprachliche Ausdruck
derart, dass diese Worte unmöglich von Cassian herrühren
können. — Interpolirt ist femer die zweite Hälfte des vier-
zehnten Capitels pag. 1060 A von den Worten non enim ex
hac immtUatione angefangen. — Pag. 930 A — B lesen lüYB
übereinstimmend: praeuenü ergo hominis uoluntatem, quin dicitur:
deu8 meu8, misericordia etus praeueniet me, nur dass II
voluntasy X quia qui dicä liest. CR hingegen schieben ein uolim-
tatem (misericordia domini de) qua dicitur. Aber das Subject zu
praeuenit lässt sich leicht aus dem folgenden deus meue und
deum remorantem (dominum E), wie auch aus der vorhergehenden
Erörterung, in welcher viel von der gratia dei die Rede ist,
ergänzen. — P. 933 A— B lesen die Ausgaben rurmm quod
peccatum suum humüiatua agnoscit, propriae libertatis est opus,
die Manuscripte hingegen agnoscit, suum est, was mit Bezug
auf David ganz entsprechend ist.
Noch mehr springt der Unterschied zwischen den Aus-
gaben und den Handschriften ins Auge, wenn wir einzelne
Lesarten in Betracht ziehen. Die Handschriften erweisen sich
hier als weitaus vortrefflicher und die Uebereinstimmung der-
selben oder auch von III sichert fast überall den echten Text.
Ich beschränke mich auf die Vorführung einiger markanten
Stellen. — Pag. 847 A haben CR in Scythica (Sdthica R) eremo,
B in scytiiiotica heremo, die Manuscripte in scitiotica heremo. Die
Schreibung mit y ist sicher falsch. Bei Ptolemäus IV, 5 pag. 280
Wilb. lesen wir: rcüvtarai xal Dpo^oSTtaK, (xsO' oO^ i^ Z)ua6av) x^P^;
?5; O^ffi? 5 To ^ «' (600 4(y^ 300 lO')
xat Ol MacTtiat* xa hk £i( )jLEOif))JLßptv(i)tepa vd(Acyrat Nixpiäiat xal OoEcrt-
Toi. Vgl. pag. 262 ev tv) Zxia6ixfJ x<^P? ^>u<3^^* Die früheren Aus-
gaben lasen, wie Wilberg anmerkt, vielleicht richtiger IxiBioxi)
und Zxt6taxf|. Bei Parthey, Vocabularium Coptico-Latinum et
Latino-Copticum pag. 544 sind die Formen ScetSy SceHs (IIxi^tt],
Zx/|ti(;), dann die Sdthiojca regio angeführt. ^rx{Zi%^ SvopA tonou
erwähnt Suidas, und Sokrates meint Hist. Eccles. IV, 23, 12
mit Ix(T6(t)^ 5po^ wohl dasselbe. In des Rufinus Hist. monach.
heisst der Ort Scithium. Wenn aber Hist. Eccles. H, 8 bei Migne
m Scyti steht und Rosweyd in den Vitae patrum Scythi, Scythim,
Scyihiae u. s. w. drucken liess, so beruht dies wohl auf dem-
496 PetBchenig.
selben Fehler, den die Herausgeber Cassians begingen. Zweifel-
haft ist nur noch die Aspiration des t. Die späten griechischen
Schriftsteller scheinen sie nicht anzuerkennen. Unter den drei von
Parthey a. a. O. pag. 544 angegebenen koptischen Formen ^k^kt,
^iKT, vgi^HT haben zwei dieselbe zwischen den zwei I-Lauten,
keine beim Dental. Es bleibt also nur noch übrig, die Schreibung
der bisher bekannten Cassian-Handschriften zu Rathe zu ziehen.
Inst. V, 40 sciiü Augustodunensis s. VIT und Sangallensis s. IX
(von erster Hand), scvthii Laudunensis s. IX. XI, 15 sd^ Sang.
und Land. (Augustod. fehlt hier). Praefatio zu Conl. I (pag. 479 A)
ac^ti^ Paris, s. IX (es ist wahrscheinlich i verwischt), scHthü Sang.
s. IX. Conl. I, 1 im titulus sdtij Paris., scythii Sang. Conl. I, 1 scüi
Paris., schithi^ (t radirt) Sang. Conl. HI, 1 scitii Paris., schitii Sang.
Conl. IV, 1 scitii Paris., scküHi Sang. Conl. VI, 1 scitii Paris, n.
Sang. Conl. X, 2 scitii Paris., schitHi Sang. Conl. XV, 3 schythioticae
S, scitioticae IIT. Conl. XVII, 30 sdtioticae 2 (IIT fehlen). Conl.
XVni, 15 sdthioticae Benedictoburanus s. VIH — IX, Frisin-
gensis s. IX, scitioticae Sang. s. IX. Conl. XVHI, 17 sciti¥: Bened.,
sdtiiFnB,, sdttii Sajig. m. 1. Conl. XX, 11 «ciYAio^tcae Bened., Fris.,
sdtiik^^oticae Sang. Conl. XXIV, 4 sdthie Bfened., sdtkii Fris.
(Sang, fehlt). Ebendort sd^thiotica Bened., sdthiotica Fris. (Sang,
fehlt). Es überwiegt somit die Schreibung ohne h in den Hand-
schriften ganz bedeutend. — Im ersten Capitel der XI. Con-
latio (pag. 847 B) lesen wir: ad oppidum Aegypti, cui Thennesu»
nomen esty peruenimus. Dem entsprechend heisst es in der
Ueberschrift dieses Capitels in R descriptio Thenned oppidi,
aber SIITB lesen thenneseos oppidi. Bei Parthey pag. 491 ist
ThennesuSf ödwifjao;, Qirficoq^ als Bischofsitz angeführt. Die kop-
tischen Namen der Deltastadt sind (ebendort pag. 548) ^^ennec,
«&HKCI, «eiieci, «enncci, »ennKci. Damach ist es wahrscheinlich,
dass neben ö^vviQffo? eine griechische Nebenform Bewr^aK; bestand
und dass somit Thenneseos richtig ist. — Pag. 854 A ist die Rede
vom Empfange des verlornen Sohnes durch den Vater: Sed
ad istam hurnüis poenitentiae uocem in occursum dus pater pro-
sUiens maiore quam emissa ßjberat pietate suscepit, eumque non
contentüs minora concedere utroque gradu si7ie dHatione transcurso
pristinas filiorum restittdt dignitati. So YBC, R übergehe ich,
da dort der Text ganz schlecht ist. Iin lassen ad weg, womit
die Stelle in Ordnung ist. In den Ausgaben beginnt femer mit
Textkritische Grandlagen im zweiten Theile *von Cassians Conlationes. 497
4
den Worten Sed ad istam ganz ungehöriger Weise ein neues^
das achte Capitel, während die Handschriften den Text nicht
unterbrechen. Nach der Capitulatio, welche jeder Conlatio vor-
ausgeht, * ist die Zusammenziehung von cap. 7 und 8 zu einem
Capitel durchaus nothwendig. Daflxr muss aus demselben Grunde
das jetzige 10. Capitel nach den Manuscripten in zwei, nämlich
9 und 10, getheilt werden; letzteres beginnt pag. 860 B mit
den Worten Cum ergo qwis hunc, — Pag. 857 B Per hanc ita-
qiLe caritatem quisquis u. s. w. SHT lesen quisque, und dieses
Pronomen findet sich auch sonst sehr häufig in allen Schriften
Cassians in dem Sinne von quisquis gebraucht. — Pag. 859 A
nisi 86 in bonos et malos, ivstos et imustos ad imitationem dei
plaäda semper sui cordis extenderit carliate. Nach den Manu-
scripten ist zu lesen nisi si in bonos . . . placidam . . . extenderit
caritatem. — Pag. 860 A Impossibile namqus est quemUbet sanc-
torum non in istis minutis . . . incurrere. Mit IX (11 hat minutis,
aber s in Rasur) ist jedenfalls minutiis zu lesen. Conl. XXII, 3
pag. 1219 B überliefern die zwei Monacenses sordidarum cogi-
tatUmum minutiös, XXIII, 7 pag. 1257 A steht auch in den
Ausgaben ndnutias multarum sordium, — in ist in 21 ausgelassen.
So vorzüglich auch diese Handschrift sonst ist, hier vermag
ich ihr aus dem Grunde nicht zu folgen, weil sich in nach den
Ausgaben wie nach der handschriftlichen Ueberlieferung an
unzähligen Stellen mit dem Ablativ verbunden findet, wo man
den Accusativ erwartet. So ist Conl. XXHI, 13 pag. 1269 A
nach den besten Manuscripten zu lesen peccati . . . lege in qua
iugiter nolentes incurrere coguntur, Conl. IV, 15 pag. 603 B — C
steht in den Ausgaben wie in den Manuscripten in ceteris gme-
rüms uitiorum . . . soleamus incurrere, — Pag. 885 B lesen die
Ausgaben dvlcedinis ud pinguredinis (unguedinis XB)y aber ZQ
bieten das viel gewähltere unguinis. — Pag. 890 A in Israel
autem, id est in eo qui uidet deum, siue ut quidam interpretantur
1 Die Capitelfibenchriften rühren unzweifelhaft von Cassian selbst her.
Ich beg^ifige mich, auf die Ueberachrift zu Conl. XVII, 3 zu verweisen,
welches Capitel Cassians Antwort auf die Frage des Germanus enth<.
Dieselbe lautet nach ItUXBR: Quid mihi ad hoc uitum »it. So konnte
sich nur der Verfasser der Schrift selbst ausdrücken. Cuyckius lässt in
v{$lliger Verkennung des Ursprunges dieser Capitula drucken: Ccusiani
eoruilium et retporuio ad interrogationetn abbati» Qermani.
498 * Fetschenig.
rectisnmus dei est. So TE. Das richtige uidens deura steht in SD. —
Pag. 894 B lesen die Manuscripte und BR In Ms igitwr omnibus
quantum (quanto C) mens ad subtiliorem profecerit puritaUm,
tanto sublimius intuehitar deum, quantum mens liesse sich aller-
dings aus quanto{m)nien8 leicht erklären, aber der SprachgebFauch
Cassians beweist, dass ersteres richtig ist. Es findet sich qu^m-
tum — tantum zum Positiv gesetzt, aber auch Stellen wie Inst.
I, 12 (cap. 11 und 12 fehlt beiMigne!) tantum namqtte fertten-
tior . . . quanto . . . deuotior Sang. s. IX, Inst. IV, 1 pag. 151 C
quantum numero populosius, tanto . . . distinctius Sang, und Laud.
— Pag. 896 B paximaeiis BC, paxamaciis R, Y hat paxmatiis, Sil
das richtige J9aa7ama^ii8. Es ist xa^a(xa(;, Sticupo^ opTo; bei Soidas,
nach niqafJLO«; benannt, der ein Werk OC/OEpiuxtxa schrieb^ xa^a(Aa2iov
bei Galenos. — Pag. 910 C Satis congrue, quoniam lerusalem
adulterae comparauerat a suo coniuge discedenti, amorem quoque
ac perseuerantiam beiiignüatis suae uiro qui a femina deseritur
comparauit] so BC. R: qui feminam deserit] ZOT: qui feminam
deperitf was natürlich allein richtig sein kann. Für Hierusalem
(so nr) hat übrigens Z fälschlich ifrl, was sich leicht aus
einem Misverständnisse des Compendiums um erklärt. Die an-
geführten Worte sind nämlich keinesfalls auf die unmittelbar
vorausgehende Bibelstelle, in der allerdings domus Israel steht,
zu beziehen, sondern auf den Anfang des Capitels sub figura
meretricis Hierusalem und auf die dort aus Osee citirte Stelle.
Wohl aber ist mit S adtdteratae zu schreiben. Vgl. Vulg. Ezeefa.
23, 37 qiiia adulteratas sunt = 5ti e)jLotx<«>vTO. — Pag. 923 A Si
enim dixerimus nostrum esse bonae principium u^luntatisj quid
fuit in perseciUore Paulo, quid in publicano Matthaeo, qaorum
unus cruori ac supplicüs innocentum, alter moUntiis a^i rapinis
publicis incubans attrahvtur ad salutem. quod fuit ZII', quod in
Zirr. Ich halte quod für richtig und erkläre qu^d principiumy
ipsorum an dei^ fuit in persecutore Paulo u. s. w. — Pag.
971 B lesen lUX übereinstimmend absorta statt aisorpttu Da
diese Form in allen bisher bekannten Manuscripten sich über-
all ausnahmslos findet, ist sie jedenfalls richtig. Auch Zange-
meister liest im Orosius pag. 662, 4 nach allen Handschriften
Absorta est mors. — Pag. 974 B beginnt cap. 9 in XBCR Ger-
manus: Ad haec ego. In 11 fehlt der Name, in ^ ist nesthares
geschrieben, aber von erster Hand wieder getilgt. Selbstver-
Textkritische Grundlagen im zweiten Tbeile von Cassians Conlationes. 499
stündlich ist Germanus zu streichen und unter ego Cassian zu
verstehen, der mit Grermanus als interlocutor abwechselt. —
Pap. 979 A lautet die Ueberschrift zu cap. 13 in BCR Responsio,
quo pacto memoriam eoi'um (nämlich saectdarium carminum)
possimus abluere. Nach iO muss es heissen memoriae fucum
(fmigum Y) posdmus a. — Pag. 1000 A Quid etiam abbatis
Abrahae gesta commemorem, qui %diq (paisB), id est simplex pro
simplicitate morum et innocentia cognominatur. So die Ausgaben^
nur fehlen in R die Worte id est simplex. In ZUY steht richtig
An\OyS. — Pag. 1022C: sol non occidat super iracundiam
uestram BCR, Auch T liest uestramy in 11 ist es weggelassen;
^ aber bietet tuam. Jedoch pag. 1031 C hat in derselben Stelle
(Ephes. 4, 26) nur Y neben den Ausgaben usstram, Sil lesen
tuam. Das Citat findet sich ausserdem noch Inst. Vin,8, wo neben
den Ausgaben auch Augustod., Land, und Sang, uestram lesen,
und pag. 528 A, wo die Manuscripte mit den Ausgaben gleich-
falls in der Lesart uestram übereinstimmen. Trotzdem ist an-
zunehmeU; dass ZU, das Richtige bieten, da Cassian häufig theils
aus dem Gedächtnisse citirt^ theils auch das Citat seiner Dar-
stellungsform anpasst. So ist z. B. auch pag. 986 A mit 1 zu
lesen et panis frugum terrae tiiae erit tibi uberrimus et
pinguis. Denn wenn auch tibi in IlT nach dem Wortlaut der
Stelle Esai. 30, 23 fehlt, so ist es doch wahrscheinlich^ dass es
Cassian selbst hinzufügte, mit Bezug auf die vorhergehenden
Worte pag. 985 B kabebis . . . non sterilem nee inertem, sed uividam
fructvosamque doctrinam, semenque salutaris uerbij qu4}d a te
fuerit audientium cordibus conmendatum, subsequens Spiritus sancti
imber largissimus fecundabit, ac secundum id quod propheta pol-
licitus est dabitur pluuia semin i tuo (Alles nach den Manu-
Scripten). — Pag. 1023 B Nam quemadmodum camcdes adhuc
et imbecilles fratres ob uilem terrenamque substantiam cito inmicus
nie (üle om. B) disiungit] so BCR, Nach den Manuscripten
ist zu schreiben inhecillos fratres cita inimicus bile disiungit, —
Pag. ;1076B— C. In der Ueberschrift des 24. Capitels liest B
pyamouy C Pianion, R Piammon, 11 hat piamon, ZX piamun. Im
Capitel selbst haben XII' piamun, W^Y piamon. Aufzunehmen ist
die von der besten Ueberliefening gebotene, echt koptische
Namensform Piamun j welche aus dem männlichen Artikel QI
und dem Worte «tMotrii = gloria, sublimis zusammengesetzt ist.
500 Petschenig.
Dass die Griechen misbräuchlich ^AfApudv statt 'A(i^uy sagten,
bezeugt Plut. de Is. et Osir. cap. 9. Noch sei bemerkt^ dass
die beiden vorzüglichen Mtinchener Handschriften s. VlJI — IX,
die den dritten Thoil der Conlationes enthalten, diesen dort
öfters vorkommenden Namen regelmässig richtig überliefern.
Bei dieser Gelegenheit mag auch die Schreibung des Namens
Pinuphius erledigt werden. Alle guten Manuscripte schreiben
PinufiuSy was nach dem koptischen ni -f- hotcji, * pi-nuß 6 afoftbc,
5 xpYjarb; richtig ist.
Wie wenig Verlass auf die Ausgaben ist, zeigt sich be-
sonders auch in den Bibelcitaten. Wenn nicht die Heraus-
geber selbst daran herumgeändert haben, müssen ihre Hand-
schriften schon arg interpolirt gewesen sein. Auch hier will
ich mich auf einige Beispiele beschränken. Pag. 853B lesen
BCR nach der Vulg. Luc. 15, IV quanti mercemiarti in
domo patris mei abundant panibus, ZWC lassen in domo
nach dem griechischen Text 7:6901 (xbOioi tcu Tuorpo; picu mit Recht
weg. — Pag. 863B ist mit SU ssu lesen beatus seruus ille,
quem cum uenerit dominus suus inueniet (ebp-^aei: inuenerii
E Vulg.) sie facientem, Pag. 866 C haben E und die Vulgata
in der Stelle Rom. 8, 15 spiritum adoptionis ßliorum; 'LUX lassen
filiorum mit Recht weg, da das griechische oloOeaCoc^ schon durch
adoptionis wiedergegeben ist. — P. 879 B lesen TE Vulg. in der
Stelle Ps. 29, 8 auertisti faciem tuam a me; £ n lassen
a me nach der LXX diueorpsil/a? hi to ^pocwiccv aoü weg. —
Pag. 884 B wird Prov. 19, 3 angefiihrt. E: insipientia uiri cor-
rumpit Utas eiua, deum autem causatur in corde suo. Nach den
Manuscripten muss uias suas und cavsatur corde 9U0 geschrieben
werden (LXX tyj xapSta aurou). — Pag. 887 A steht in E et nox
iUuminatio mea in ddiciis meisy in den Manuscripten ist mea mit
Recht weggelassen. LXX: xal vu^ 9b)Ttofj^{ ev tv) Tpu^iJ (aou. —
Pag. 935 A. E: numquid gratis colit lob deumf nonne tu ual-
lasti eum ac domum eius et uniuersam subsiantiam eiusi
Nach inr muss ac domum eius entfallen; femer ist mit
IXR lob colit ('I(i>ß o^ßsTat) umzustellen. Dass dieselbe Stelle
^ Parthey p. 112 führt nur nOTrq« an. Nach einer gütigen Mittheilung
des Herrn Dr. Krall gehört diese Form dem oberägyptischen, HOv*qi
dagegen dem anterägyptischen Dialect an.
Teztkritische Grandlagen im zweiten Theile ron CusiAns Conlationes. 501
(Job 1, 9-10) Conl. rV, 6 citirt wird nonne tu uallaati eum
ac domum eius untuersamque aubstantiam eius, beweist
nur die Richtigkeit der schon früher aufgestellten Behauptung^
dass Cassian die Bibelstellen an verschiedenen Orten mit ver-
schiedenem Wortlaut citirt. — Pag. 943 B quid est faciliuSy
dicere: remittuntur tibi peccata, aut dicere: surge et
ambula (Matth. 9, 4 — 5). Neben £hat noch 11 remittuntur, Sr
aber lesen dimittuntur^ was schon dadurch sich als richtig er
weist, dass auf derselben Seite das d^tevai des EuangeUums
noch zweimal mit dimittere tibersetzt erscheint. — Pag. 1026 A.
Y£Vulg. : si quod solacium caritatis, ai qua uiacera miae-
rationia (Phil. 2, 1). 20 uiacera et miseratianea = oTzXdrf/yoL
xat oixTtpjjio'!. Man beachte, dass Cassian die Worte ei xt^ xoiva)v(oc
in/eu{i^io^ auslässt.
ZuConjecturen gibt die handschriftliche Ueberheferung
nur an sehr wenigen Stellen Anlass. Pag. 890 C ist zu lesen:
quod autem per hoc ineuitabilem eaae conmotionem camis adaeritis,
quod urina, cum uesicam iugi atiüatione repleuerit, quieta su-
scitet membra: licet ueria aectatoribua puritatia ad obtinendam
eam nihil praeiudicet iata conmotio, quam haec aola interdum et
tan tum (tarnen codd. und E) per aoporem neceaaitaa excitarit,
aeiendum tarnen est u. s. w. Vgl. pag. 898 A aed cum dormienti
tan tum per aopifae mentis incuriam conmofio camia obrepaerit. —
Pag. 894 A schreibe ich illam caelestem infuaionem la^titiae spi-
ritalia, qua deiectua animu8 inapirati gaudii cdacritate austollitur,
illoa ignitoa cordis excessua et tarn ineffahilia quam inaudita aolacia
gaudiorum. S liest mit E insperati, U inapiti, T inapirata. — illoa
ignitoa steht richtig in S für ad illoa ignotoa der Ausgaben. —
Pag. 905 A ist zu lesen nam cum intuena eum quidam ^ujto-
Yvuijjuav dixisaet 2(ji(xaTa ^atBepoeoTou; hoc eat, oculi corruptoina pue-
rorum, et inruentea in eum diacipuli inlatum magiatro uellent
ulium ire conuidum. Die Manuscripte: inlatum magistro (magi-
atrum 11) uellent ultu ire (ulum 11, ultuiri Y von zweiter Hand in
Rasur). — Pag. 973 A-B. YE: ut acilicet non aolum a caeremoniia
idolorum, aed etiam ab omni auperstitione gentilium et auguriorum
omniumque signorum et dierum ac temporum obaeruatione diacedat
2 liest auguriorum atque omniumqui atgnorum, U adq; ^ ^ ^ ^ om-
nium ^. Dass in dieser Handschrift ursprünglich adque omniwm
omniumqvs gestanden hat, dafUr möchte ich einstehen. Zu
502 Petsclienlg.
schreiben aber ist auguriorum atque ominum omniumque si-
gnorum. — Pag. 1010 A. Paphnutius hat sich beim Kochen die
Hand verbrannt und ist untröstlich darüber, dass das irdische
Feuer noch Gewalt über ihn habe. Wie werde es ihm erst
dem ewigen Feuer gegenüber ergehen: aut quemadrnodum me
in illo mettiendo examinis die per se transitarwm ille ignis inex-
stinguihiLis et inquisitor meritorum omnivmi mm tenebit, cm nunc
extrinsecus hie temporaUa ac paruvlus non pepercit? So IIY-E. Z
aber Uest die pertransiturus si ille. Nimmt man an, dass si
durch Dittographie zwischen 8 imd i entstand, so ist die Stelle
in schönster Ordnung. Nicht Paphnutius wird das Feuer durch-
schreiten, sondern dieses wird als inquisitor meritorum omnium
ihn durchdringen. Man beachte auch, dass ptrtransiturus einen
angemessenen Gegensatz zu extrinsecus darbietet. — Pag 1036 A-B
ist zu schreiben: siquidem dominus noster atque scduator ad
proßmdam nos instruens paiientiae lenitatisque uirtutem, td est
non ut labiis eam tantummodo prasferamus , sed ut in intimis
animae nostrae adytis recondamus^ istam nohis perfectionis euan-
geliccte formulam dedit dicens: si quis te percusserit in dex-
tera maxilla tua, praehe Uli et alter am (subauditur sine
dubio ,dexteram/ quae alia dextera nisi (in) interioris hominis
ut ita dixerim fade non potest accipi)^ per hoc omnem penitus
iracundiae fomitem de profundis citpiens animae penefralibv^ ex-
tirpare, id est, ut si exterior dextera tua impetum ferientis ex-
ceperit, interior quoque homo per humilitatis adsensum dexteram
suam praebeat uerberandam, conpatiens exterioris hominis passioni
et quodammodo succumbens atque subiciens suum corpus ferientis
iniuriaCy ne exterioris hominis caede uel tacitus intra se moueatur
inteiiov. Auf die Verkehrtheiten der Ausgaben im Wortlaut
wie in der Interpunction einzugehen, würde zu weit fuhren.
Was ich schrieb, steht in den Handschriften^ nur dass ich in
vor intenoris einfügte.
Schon oben wurde gesagt, dass die Handschriften in zwei
Classen zerfallen, deren eine durch S, die andere durch IIV
vertreten ist. Die Ausgaben stimmen fast durchwegs mit der
letzteren. Am meisten prägt sich der Classenunterschied in
der XVn. Conlatio aus, welche die Ueberschrift De deßniendo
Textkritiscke Grundlagen im zweiten Theile von Cassi&n« Conlationes.
503
trägt. Cassian will in derselben nachweisen, dass man keine
vorschnellen Entschlüsse fassen, keine unbesonnenen Gelöbnisse
und Versprechungen machen solle (wofür die Ausdrucke fto-
misaio, aponsioy deßnitio, statuium, sacramentum, iuaiurandum ge-
braucht werden). Habe man aber ein Versprechen gegeben,
das sich hinterher als schädUch oder gefährlich fUr das Seelen-
heil herausstelle, so sei es besser, dasselbe nicht einzuhalten
(die Nichteinhaltung wird als mendacium • bezeichnet) . Diese
Ansicht wird durch Beispiele aus dem alten und neuen Testa-
mente zu erhärten gesucht. Ich theile nun jene Stellen, an denen
der Classenunterschied markant hervortritt, in Uebersicht mit.
A. In der Capitulatio
V
cap. 10 Interrogatio nostra de metu praebiti
in coenobio Syriae sacramenti
„ 13 extgerit sacramentum
„ 17 Quod u tili t er mendacio sancti im
8int
„ 19 Quod Ucentia mendadi probahili-
ter a multis fuerit imirpata
„ 20 Quod utile plei'umqm mendacium
etiam apostoli esse censuerint
nr
praebitae
sponsionis
e. sponsionem
ueniabiliter
ueniabiliter
ueniabile
pag-
n
B. Im Texte
V
1047 A de sacramenti fide
1049 A postponere sacramenta, ab-
rupta m^endacii atque pe-
riurii
1049 B iuris iurandi candicio
1059 A sacramenti uinculo
1063 A sanctoa ac probatissimos deo
uiros utiliter legimtu u80S
fuisse msndacio
1065 A non mirum est has dispensa-
tiones ifi ueteri testaniento
probabiliter usurpatas ac
nr
de sponsionis f.
p, pactionem
atque periurii
fehlt.
sponsionis c.
sponsionis u,
ueniabiliter
licentius
504 Petfichenig.
2 nr
nonnumqtiam uiros sanctos laudabiliterutl
laudabiliter uel certe certe fehlt
vsniabäiter fuiase mentUos
pag. 1067 B tunc demum id probabiliter ueniabiliter
diximus uswrpcUum
Der Unterschied der beiden Classen ist in die Augen
springend. Z hat oft sacramentumy einmal ins iwrandum^ in nr
wird der Begriff ^Eid^ ängstlich gemieden, daflir »ponsio und
pactio gesetzt, periurium weggelassen. Nach dem Texte von Z
haben sich die heihgen Männer der Lüge tUiliier, laudabiliter
und probahüiter bedient^ die Apostel selbst halten sie mitunter
für nützUch; in Iir wird nur ueniabäe und ueniabüitery einmal
sogar Ucentius gebraucht. Es ist also eine der beiden Hand-
schriften-Familien systematisch interpoUrt und zwar, wie sich
leicht erweisen lässt, die durch ITT vertretene. Cassian's An-
sicht von der Gestattung der Lüge widerspricht nämlich der
Lehre Augustins und der Kirche, wie Ciacconius in seinen
Observationes in Cassianum kurz bemerkt, Cuyckius aber
pag. 253 ff. weitschweifig nachgewiesen hat. Letzterer zählt
noch pag. 260 acht sententiae perniciosae auf, die er in dieser
Conlatio gefunden hatte. Nun erwäge man, dass diesen Heraus-
gebern der Text in der abschwächenden Recension von IIV
vorlag. Wie würden sie sich erst mit Gegenbeweisen bemüht
haben, wenn ihnen nur die weit entschiedenere und schärfere
Fassung von 2 bekannt gewesen wäre. Eine ähnliche Absiebt
wie sie diese beiden Theologen und Gazaeus in den Vorreden
zu ihren Ausgaben aussprechen, nämlich den Autor vor einer
entschiedenen Verurtheilung und Versetzung unter die Hae-
retiker zu retten, indem seine Irrthümer theils in Anmerkungen
richtig gestellt, theils nicht auf seine, sondern auf Rechnung
seiner ägyptischen Anachoreten gesetzt werden, scheint auch
demjenigen vorgeschwebt zu haben, der es, offenbar schon in
sehr früher Zeit, unternahm, die ursprüngliche, der katholischen
Lehre schnurstracks widersprechende Fassimg zu mildem. Er
mochte auch wohl den Zweck verfolgen, die zahlreichen Leser
der Schriften Cassians vor einer Ansteckung durch haeretische
Lehrmeinungen zu bewahren. Denn die Institutiones und nament-
Textimtitclie Ornndlagen im zweiten Theile von Cassians Conlationen. 505
lieh die Conlationes bildeten in den Klöstern des Mittelalters
eine sehr beliebte, durch Benedict und Cassiodorius warm em-
pfohlene Leetüre. So stelle ich mir also die Entstehung des Textes
von nr vor. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wohl die
Fassung in UY aus der des Sessorianus hervorgehen, aber nicht
das Umgekehrte eintreten konnte. Denn welcher Haeretiker
würde sich die Mühe genommen haben, den Gegensatz der
Lehre Cassians zu der des Augustinus und der Kirche noch
durch Interpolation zu verschärfen? Ueberdies bietet die Con-
latio selbst an einigen Stellen positive Anhaltspunkte dafür,
dass IIT einen überarbeiteten Text bieten. Der Bearbeiter hat
nämlich seine Sache so oberflächlich gemacht, dass er einiges
übersah, was nur mit der Fassung von 2 in Einklang gebracht
werden kann. Das Wort sacramentumy welches sonst vom Ur-
heber der Recension IIT überall geändert wurde, ist pag. 1053 B
und 1054 A stehen gelassen worden ; vgl. oben S. 493 bis 494.
Wenn es dort von Petrus heisst quta düceasit a definitiane sententia^,
quam velut aacramento firmauerat dicena, und von Herodes
fidem incanauüi retinens sacramenti, so ist es doch offenbar,
dass Cassian den ,Eidbruch' unter Umständen eben so für
angemessen hält, wie den Bruch eines Gelöbnisses oder blossen
Versprechens. — Pag. 1079, wo Beispiele aus der heiligen
Schrift angeführt werden, heisst es von David cum iuris iu-
randi deßnitione decreuit , , , et continuo intercedente Ahigaü . . .
muuult tranagreasorpropositi ivdicari quam sacramenti sui fidem
cum crudelitatis exsecutioiie aeruare, ferner von Paulus Corinthiia
acribena rediiv/m auum abaoluta definitione praniitüt . . . aed
auperueniente aaluhriore conaüio nequaquam ae id quod promiaerat
exaecutwm evidefitiaaime canfitetur . . . Denique cur maluerit de-
finitionem aui praeterire aermonia quam cuiuentu auo oneroaam dia-
cipulia inferre triatitiam, etiam cum aacramenti obteataHone de--
ciarat, — Pag. 1084 A Nee illiua praecepti utilitaa eat aüenda,
quod etiam ai inatigante ira . . . aacramento noa aliquo uinxe-
rimua . . . comparanda eat tlla rea quam atatuimua huic ad quam
tranaire compellimur^ aiqae ad eam eat trana&andum, quae • . .
iuatior fuerit iudicata, rectiua enim eat noatrum noa praeterire
aermonem quam rei aalubrioria aubire iacturam. Darnach unter-
liegt es keinem Zweifel, dass Cassian auch den Eid tmter die
deßnitianea rechnet, deren Uebertretung unter Umständen noth-
Sitiangtb^T. d. phil.-hist. Cl. CHI. Bd. II. Rft. 33
506 Petsobonig.
wendig werde. Dass er aber diese Uebertretung (=: mendacüun)
nicht bloB fUr ^entschuldbar/ sondern auch für nützlich und
iöbUch hält^ dies bezeugen ganz unzweideutig einige von dem
Ueberarbeiter übersehene Stellen. Eine derselben wurde schon
oben S. 494 mitgetheilt. Man vgl. femer pag. 1062 B Itaguß
taUter de mendacio sentiendvm cUque ita eo utendum ett, queui
nahi/ra et inait dlebori: guod si imnUnente exitiaU morbo mmpiwm
fuerü, fit aalubre. So beginnt das 17. Capitel; dessen lieber-
schrif); nach UTE lautet: Quod ueniabiliter mendado aancti
tamquam ellebaro tui Hnt. Dieser titulus gibt natürlich keinen
Sinn und steht im Widerspruch mit dem im Text Gesagt^
wenn man nicht mit Z utiliter liest. — Pag. 1067 B — C ei iddrco
düpensationes hos (d. i. die alttestamentalischen Vorbilder) . . .
in tanJbum nos quoque . . . non fosmimma abdicare, ut ns ipm»
quidem apostolos, ubi consideratio alieuiua utilitatia exegit,
ab eis dedinasae cemamus. — Pag. 1071 A führt Cassian, nach-
dem er vorausgeschickt^ dass lacobus omnesque ülius eocUrnoß
prindtiuae prckecipui principes apoetoltwi Paulum ad nnudaiiofdi
figmenta descend&i^e pro imbecillüate inßrmarUum cohartantur, fort:
non enim tantum aipoetolo Paulo lucrvm ex hac eius juerat diitric-
tüme colUxtmn, guantum celeri eius exitio uniuergis gerUibus detri-
mentum. Quod sine dubio vmuersae tunc euenisset ecclesiae, tnd
iUum haec utilis ac salubris hypocrisis praedicationi euange-
licae reseruoMet. — Pag. 1058 A Ideoque iiutissimus iudex excu-
sahilem, immo laudabilem talis mendacii cenmdt praesum-
ptorem, quia sine eo ad benedicHonem priTnitiuorum non poterat
peruenire, — Pag. 1059 B Ita igitur et in hac parte emendatio
dispositionis improuidae non spiritalis uoti est iudicanda
transgressio. Quidquid enim pro caritate dei et pietatis arnors
perfidtur, . . . tametsi duris atque aduersis uideaiur prindpüs
inchoari, non solum nuUa reprehensione, sed etiam laude dignis-
simum est — Pag. 1064 B Ad quem finem etiam lacob patri-
areha respidens hispidam fratemi corporis spedem obuolutiime
pdlium dmulare non timuit et instiganti ad hoc mendacium
matri laudabiliter adquieuit — Pag. 1078 A (es ist von
Josephs Verstellung gegenüber seinen Brüdern die Rede). Non
ergo tarn reprehensUnle fuü Tnetum fratribus incussisse mendado^
quam sanctum atque laudabile occasione ficti periculi
inhnicos ac uenditores suos sd salutarem poenitentiam compuUsse.
Teztkritiselie Grundlagen im sweiton Theile Ton CuBians Conlationes. 507
Der Bearbeiter dieser Conlatio hat aber nicht nur inter-
polirt, sondern auch eine ihm sehr anstössige Stelle ganz ge-
strichen. Ich theile dieselbe nach £ einerseits and QT anderer-
seits vollständig mit; sie findet sich pag. 1063 A.
2 nr
Ita namque eiiam sanctos ac Ita namque etiam sanctoa ac
probc^simos deo uiros utiliter probaHssitnoBdeotUroauenia'-
legimua uso» fuisse menclacio, {ut biliter legimtu usaa fuiwe
non solum nuUum ex hoc peccati mendado, sicut Raaby cuhis
crimen incu/rrerirU, uerum etiam cum non eolvm u. s. w.
swmmam eint iuetitiam consecuti:
quibue ei glariam potidt conferre
faüada, quid eie e contrario niei
condemnaHanem uerUae intulde-
eetf) eicut Raab, cuiue cum nan
solum rmUa uirtutum, eed etiam
if^^uddcitiae monumenta ecriptura
conmemoret, pro eolo^ mendado, ta li mendado
qm exploratores maluit occvl-
tare quam prodere, adniisceri
populo dd aetema benedictione
promeruit.
Erwähnenswerth ist auch, dass der echte Wortlaut der
Stelle nur durch Zufall erhalten ist. Der Schreiber von S irrte
nämlich von dem ersten nan eolum auf das zweite ab, so dass
die Worte nullum . . . cuiu^ cum non eolum erst von dem
allerdings fast gleichzeitigen Corrector bemerkt imd hinzugefügt
wurden.
X hat sich somit ab diejenige Handschrift erwiesen, welche
in einer wichtigen Partie allein den echten und unverfälschten
Text erhalten hat. Auch sonst ist nirgends ein Anlass vorhanden,
den Text derselben fiir absichtlich geändert und interpolirt zu
halten. Wohl aber lässt sich dies an den beiden andern auch
* Vgl. Conl. VI, 3, p. 661 A: Cuitu (Lazari) cum ntUla alia uirtutum me-
rita 9cripiura commemoretf pro hoc »olo quod ege»tatcm . . . toUrauÜ^
tnm» Ahrahae po99idere promeruU,
38»
508 Petschenig.
sonst nachweisen. Ich will dies vorwiegend an ö zeigen, da
es nicht der Mühe werth ist, den willkürlichen Aendenmgen
in dem jüngeren und weitaus schlechteren Cod. T nachzugehen.
Pag. 866 C lesen DTE de hoc etiam meta cum illam sepHf armem
Spiritus sancti gratiam propheta describeret, quem in homine tflo
dominico . . . descendisse non dubivm est. Z aber bietet äbtm
s^f^formem spiritum propheta describeret, was mit Rticksicht
auf das unmittelbar folgende Citat Esai. 11, 2 — 3 et requieseet
super eum spiritus domini u. s. w. allein richtig ist. — P«g-
874B wird gesagt, die Liebe des Mönches zur Keuschheit müsse
so gross sein wie die höchste irdische Gewinnsucht, der höchste
Ehrgeiz, die höchste irdische Liebe. Anstatt qui intolerabili
pulchrae mvlieris amore raptatv/r liest nun n qui int. sanctae
caritatis amore raptatwr, — Pag. 946 B — C lesen die Ausgaben
non enim fidem ex inteüectu, sed inteUechim ex fide misremur.
sicut scriptum est: nisi credideritis^ non intelligetis^ quia
quemadmodum et deus omnia operetur in nobis et totwm Ukero
ascribatwr arbitrio, cui dicitur: si uolueritis et audieritis me,
quae bona sunt terrae manducabitis, ad plenum humano sensu
ac ratione non potest (ut arbitror) comprehendi. Zunächst sind
die Worte tit arbitror zu entfernen, da sie in keiner Hand-
schrift stehen. Die Worte cui dicitur . . . manducabitis finden
sich nur in U, aber diese Handschrift liest cum für cui. R hat
vor cui ein Kreuz und hinter mandvxxibitur eine eckige Klanuner;
am Rande ist bemerkt: haec absunt. Somit stand der Passus auch
nicht in den vaticanischen Handschriften. Ich halte die Worte aus
folgenden Gründen fiir interpolirt. Im neunten Capitel der XTÜ.
Conlatio erörtert Cassian, dass es der menschlichen Vernunft
schwer werde zu begreifen, wie einerseits die göttliche Gnade
den Menschen, andrerseits der Mensch die Gnade aufsuche.
Unter den zahlreichen Stellen, die dort ftlr diesen Widerspruch
zwischen gratia dei und liberum arbitrium angeftlhrt werden,
befindet sich auch die hier von 11 gebotene. Cassian sagt: cui
autem facile pateat, quomodo salutis summa nostro tribuatur
arbitrio, de quo dicitur: ,si uoltieritis et audieritis me, quae
bona sunt terrae manducabitis^ , et quomodo ,non uolentis neque
currentisy sed miserentis sit dei' (Rom. 9, 16). Hier ist das Citat
ganz am Platze, während es an der oben angeftihrten Stelle
nur stört, da ihm hinter den Worten deus omnia operetur i$i
Textkrititche Orandlagen im iweitan Tbeile ron CusisiiB ConUfeiones. 509
nobü kein Gegenstück gegenübersteht. Auch sieht man nicht
ein^ weshalb Cassian gerade am Schlüsse seiner Erörterung, wo
es auf eine kurze, präcise Fassung des Resultates ankam,
ein schon am passenden Orte verwendetes Citat nochmals habe
anbringen wollen. — Pag. 1032 B lesen UTE qiKui uero apud
deum tisrba tantummodo et non prizecipue uoluntas uoc&tar in
culpam, et opus solum peccati et non etiam uotum ac propositum
habeatur in crimine, aiU hoc tantum quid (quod EJ unusqydsque
fecerit per loquelam (pro loqvüla U 9 et non quid (quod E) etiam
per tadtumitatem facere studtierit , in iudido sit qtuierendum»
£: aut hoc tantum quid unuequieque fecerit et non quid etiam
facere dispoeuerit, in iudicio eit q., welchen Text ich abgesehen
von seiner prägnanten Deutlichkeit auch deshalb flir richtig
halte, weil Cassian hier ganz allgemein That und Vorsatz ein-
ander gegenüberstellt. Die Beziehung auf dasjenige, wovon in
diesem Capitel speciell gesprochen wird^ dass nämlich manche
Mönche ihre Mitbrüder durch ein provocirendes Schweigen zum
Zorne reizen und sich dabei flLr sündlos halten^ weil sie ja
jedes iurgium vermeiden, ist schon durch die Worte uerba
tantummodo et non praecipue u^oluiitas uocetur in culpam hin-
länglich hergestellt. IIT sind also interpolirt; ausserdem steht
in n anstatt culpam et seltsamer Weise pertvrbatione. Man ver-
gleiche auch noch die Parallelstelle pag. 1064 A. — Pag. 1064B,
nVE: ßnie operis et affectus considerandus est perpetrantis, quo
potuerunt quidam, ut supra dicttmk est, etiam per mendadum
iustificari et alü per ueritatis assertionem peccatum perpetuae mortis
ineu/rrere. Z liest potest quis und alius. Die Interpolation in
nY rührt von dem Ueberarbeiter dieser Conlatio her^ welcher
das per mendadum iustificari und per ueritatis (zssertümem peccatum
ineurrere auf das alte Testament beschränken wollte^ was Cassian
selbst ganz ferne liegt. Vgl. die oben S. 506 citirte Stelle
pag. 1067 B—C. — Pag. 1073 A ist von des Paulus Predigt zu
Athen die Rede. IIVE lesen cumque de eorum superstitione ser-
monem fuisset orditus; £ lässt sermonem weg, gewiss mit Recht,
da auch Cicero ordiri de gebraucht.
Wie nv gegenüber von S durch Einschiebsel entstellt er-
scheinen, so sind sie auch dort, wo die Lesart unbedeutend
variirt, an Güte nicht entfernt dieser Handschrift gleichzu-
stellen. Da hierin der Unterschied der beiden Classen ein weit-
510 PetBChenig.
greifender ist, will ich eine möglichst grosse Zahl von Stellen
erledigen. Dadurch wird es auch möglich werden, hie und da
auf andere Partien der Conlationes und auf die Institutione«
hinüberzugreifen. — Pag. 843 B bietet 2 allein die Genetivform
Archebiy welche der alte Augustodimensis der Institutiones con-
sequent hat. — Pag. 850 B liest Z allein oppida emtnentioränu
tumuUs collocata fugatis habitatoribiia suis eluvies illa udut in-
svias fedt, — Pag. 851 B hat S iuuentas, DT iuuentm. Vgl. pag. 884 B
iuuentatis ZU, pag. 939 A iuuentatis ZW, pag. 962 A iuuentatis SD.
— Pag. 854 B liest S genau nach dem griechischen Original
estote, inquit, uos perfecti (laeaOs \}\LElq TiXeioi); UTE schieben
et vor vos ein. — Pag. 856 C circumferens arbitram non sohtm
actuum sed etiam cogitationum suarum cpnsdentiam iUi potissimum
stvdere contendit, quem nee circumveniri nee faUi nee subterfugers
se posse cognosdt BCR. ü liest contendit quam drcumuenirx, T
contendet quem nee, Z allein richtig contendet quam (nämlich
consdentiam) nee, — Pag. 857 B filius honofat patrem et
seruus dominum suum timet, et si pater ego sum, ubi est
honor meusf et si dominus ego sum, ubi est timor meusf
(Malach. 1, 6). Unter den Manuscripten hat nur 2 timei; ilT
lassen es weg und auch in der Septuaginta fehlt der Begriff.
Aber pag. 866 B lesen doch in demselben Citat ZUXE üborein-
stimmend timebit. Jedenfalls ist daher timet zu halten. —
Ebendort liest Bi necesse est enim eum timere qui seruus est,
quia seruus sd&ns uoluntatem domini sui et non feusiens digne
uapulabit pla^fis multis, C: quia sdens uoluntatem domini sui, si
non feceritj digne. Nach den Manuscripten ist zunächst timere
eum umzustellen und dann mit Z zu schreiben qiUa si sdens
uoluntatem domini suifecerit digna plagis, uapulabit multis.
So auch Ry nur hat diese Ausgabe qui statt si, UX hingegen
lesen sui non und in 11 fehlt si. — Pag. 860 A liest Z in der
Bibelstelle Matth. 5^ 16 genau nach dem Griechischen petet, et
dabit ei uitam, peccantibus non ad mortem. Q hat dabitur
d vita¥: und so liest auch Y, allerdings von zweiter Hand. D^
hat zwar peccantibus, aber D^Y peccanti. — Ebendort wird
I loh. 1, 8 citirt si dixerimus , quoniam peccatum non
habemus, ipsi nos seducimus. So IIVE; Z liest dedpimus.
Obwohl die beiden Monacenses Conl. XXIII^ 21 auch sedudtnus
lesen, ist doch die Lesart von Z offenbar der Vulgata gegen-
Toxtimtische GnindlageQ im zweiten Theile ron Cassians Conlstiones. 511
über vorzuziehen. ^ decipimua liest man bei Cjprian I pag. 156, 9
und 375; 9, dann bei Ennodius pag. 323, 4. Femer ist mit I
qtda statt guoniam zu schreiben, guia hat Cyprian an beiden
Stellen imd die Monacenses Conl. XXIII; 21. — Pag. 861 A.
UYBC lesen implebitis legem Christi^ ^R ctdimplebitis. Dieselbe
Stelle ist pag. 1038 A wieder citirt; dort lesen IIT abermals im-
plebüisy ZE aber adimplebitis. — Pag. 862 A ist mit ZT zu lesen
quomodo ergo imperfecta esse credenda sunt (est UE), mit Bezug
auf den Anfang des 11. Capitels timorem dei et spem retrOmtwms
aetemcte imperfecta esse dixistL — Pag. 865 B (tit. zu cap. 13)
de timare qui de caritatis magnitudine generatur lässt 11 de vor
caritate weg, ebenso in der Ueberschrift; zu cap. 5 pag. 875
vor incentiiLorum aestibus generatur. Aber de hat in dieser Ver-
bindung durchaus nichts Auffallendes. — Ebendort lesen DTE
quisquis igitur in huius fuerit caiitatis perfecHone fundatus ; Z
lässt in weg. Cassian gebraucht bei fundari weit häufiger den
blossen Ablativ als in. In diesem Theile der Conlationes steht
in nur einmal; pag. 960 A ist nämlich nach inr zu lesen in
iUa . . . professione fundati. Dagegen steht pag. 877 A mens
leniteUe fimdata, pag. 895 A qua uirtuie ftmdatasy pag. 1019 A
parili uirtute fundatis. — Pag. 874 B tanta autem erga acquisi-
tionem castimoniae desiderio atque amore inflamnietury quanto qms
pecuniarum cupidissimus appetitor ud qm summa honorum ambi-
tione distenditur. Zunächst ist mit II flammetw zu lesen (flamme-
mwr V)j dann auidissimus mit I. Vgl. Conl. XVIII, l^patientiae
uirtutem tanta auiditate sectata est; pag. 980 A ea cordi tuo Uta
atdditate commendes, pag. 980 B tanto auidius audiet Ferner
I CaMOAii kennt die Valgata, welche er Conl. XXin> 8 als emendaiiar
tran$latio bezeichnet, citirt aber gewöhnlich nicht nach derselben, son-
dern nach anderen ,ezemplaria^ Vgl. Inst. Xu, 31 »eeundum exemplaria,
quae Hebraieam exprimunt ueritcUem (voraus geht ein nicht der Vulgata
entnommenes Citat). Inst. VIII, 20 licet a quibusdam hoc iptum quod
dieitur »ine eauta Ua interpretari »eiam . . . meUua tarnen eat ita tenere^
ui ei nouella exemplaria multa et antiqua omnia inueniuntur
e»»e perBcripta. Daraus erklären sich die Verschiedenheiten im Wort-
laute eines und desselben Citates. Zugleich rechtfertigt sich hierdurch
das Verfahren, an jeder Stelle in erster Linie die beste und älteste
Ueberlieferung zu berücksichtigen. Je jünger eine Handschrift ist, desto
mehr nähert sie sich der Vulgata, weil die Abschreiber im Laufe der
Zeit sich zahlreiche willkürliche Aenderungen erlaubten.
512 Peis-obenig.
schreibe ich mit Z iiel si qui. Vgl. Salvian. ad Eccles. ni, 22
si qui non penäus domu eliminantur et quibus tum omnino
extorrihus quasi aqua et igni interdidtur. — Pag. 876 A iunc uer-
sictdi üliu8 affectum experientia docente concipiet, quem amnes . . .
concinimus y uirtutem uero eiua non nidpaud eacpertiqve percipümt.
Z: percipiet. Wenn auch das folgende perdpiunt einigermassen
stört (aber vgl. pag. 896 B comparav^rit . . . comparaidt) ^^ so
erachte ich dies doch nicht für genügend , um von 1 abzugehen.
Vgl. pag. 894 B ut uim la^tüiae hums inexpertus mente non ualet
perdpere, Conl. XIX, 13 init. argumenta . . . ludde satis aperie-
que percepim/as. Anders zu fassen ist pag. 925 B cancepU Adam
post prasuaricationem quam non habusrat sdentiam nudi, —
Pag. 876 C omnem intuitum suum, omne studivm, omnem curam.
Z allein liest omnemque cwram, was dem Gebrauche Cassians
entspricht. Vgl. 915 A petenühua tribuaty a quaerentihus inueniaiur
aperiatque paUantibua; pag. 924 B occwrrit, dirigit atque con-
fortat; pag. 932 A adiuuai, protsgit ac defendit, — Pag. 878 A
et 8cuta comburat igni. Z liest hier igne'^ pag. 893 B ist in der-
selben Bibelstelle zwar zuerst igni geschrieben, aber dies von
erster Hand zu igne corrigirt. Ich gebe Z den Vorzug, weil
igni leicht aus der Vulgata eindringen konnte. — Pag. 884 A
lesen in der Stelle Hebr. 4, 12 UTE compagum quoque ac me-
duLlarum, £ hat 6f. Dasselbe Citat findet sich auch Conl. 11, 4.
Vn, 5. Vn, 13. An der ersten Stelle haben die Ausgaben nebst
dem Sang, ei, der Paris, ac, an der zweiten die Handschriften
und Ausgaben ei, an der dritten oc. Demnach kann man hier
2 folgen. — Pag. 898 C ist mit Yä ahha Germanus zu schreiben.
{ahhas IXT). Die beiden Formen wechseln. In dieser Partie
erscheint ahha noch pag. 960 C in 2, pag. 1001 A (Vocativ) und
pag. 1012 A in SIIT, in der Ueberschrift von Conl. XVI. 1 und
pag. 1046 A in III. Koptisch «^n«^, senior^ pater, «^n&.c antiquus,
uetua, — Pag. 899 A lesen DE progressus ceUulay X p. cella, 1
richtig p. cellam. Inst. H, 15 liest der Sangallensis allerdings cella
suaprogredi, aber IH, 4 celluUis progredd, IV, 10 cellam progredi\^
^ Noch auffallender ist Conl. X, 10 p. 835 D: tantaque me Mentio HenU"
tatis huiu» ariditate conatrictum, ut nullat oninino spiritalium »enauum gent-
raHone» parturire me tentiam.
3 In diesen Constructionen stimmt der Laudunensis, aber nicht in den
Wortformen ceÜa und ceütUa.
TexikriftiBch« Grundlagen im zweiten Tbeile ron CMsisns ConUftiones. 513
Vgl. auch egressi cdlam pag. 1045 A (bo 21T; eeUviam 11). —
Pag. 909 B lesen UTE in der Stelle Ezech. 33, 11 moriemini,
Z richtig morimini nach dem griechischen dhcoOvi^oxeT€. —
Pag. 91 6 A wird Ezech. 11, 19 f. citirt dabo eis cor nouum et
»pirüum nouum tribuam in uiscerihua eorum UTE, 1 und die
Vulgata lesen cor unurriy die Septuaginta Scocro) aurotq xapSiov CT^pocv
xal icvsu(xa xatvov Scocro). Ich entscheide mich aus dem Grunde ftlr
2, weil auch Conl. III, 18 der Paris, s. IX, welcher auch sonst
die Bibelcitate voi-ti^efflich überliefert, von erster Hand unvm
hat. — Pag. 921 A bieten die Ausgaben ScUomon qmque ait:
inclinet cor da noatra ad se (LH Reg. 8, 58), IDT Saloman
quoque: inclinet , inquity dominus cor da nostra ad scy 2
8€damon quoque: hiclinet dominus* Es ist also mit den Manu-
Scripten dominus einzuschalten, welches zwar nicht in dem citir-
ten Verse steht, aber der Deutlichkeit wegen aus dem 57. Verse
herüber genommen ist. Dagegen ist inquii nach 1 zu tilgen.
Cassian lässt nämlich mitunter das ankündigende Verbum vor
einem Citate aus. Vgl. pag. 87 IB in Dmteronomio quoque: si
fuerit inter uos homOy wo die Ausgaben inquit hinter fuerit
haben; pag. 974 A de qua idem beatus apostolus: ego scio u. s. w.,
wo T hinter scioy die Ausgaben hinter ego ein inquit einschieben.
— Pag. 921 B liest 2 audimus in euangelio dominum conuo-
mniemy nr£ audiuimus. Das Praesens ist richtig, da in diesem
ganzen Capitel die Citate sonst nur mit diesem Tempus ein-
geleitet werden. — Pag. 922 A apostolus liberum arbitrium nostrum
incitat dicefis. Wie aus der Gegenüberstellung sed infirmitatem
eius loannes Baptista testatur cum ait erhellt, kann nur das
von 2 gebotene indicat richtig sein. — Pag. 924B ist die Stelle
Ps. 49, 15 so herzustellen inuoea me in die tribulationis et eripiam
te et glorißcabis me. Nur 2 lässt tu^ie hinter tribulaHonis nach
der Septuaginta ev i^fidpa 6X(i)/e(i)^ weg. — Pag. 934 A liest S fur
turae retributionis pary UTE haben retribufioni. Der Genetiv bei
par steht auch noch Conl. XXIV, 8 a. E. uirtutis pares nach den
Münchener Handschriften und Instit. V, 12 parem uirMis nach
dem Augustodunensis, Laudunensis imd Sangallensis. -- Pag. 935 A
liest £ allein euietum, nVE uictum ; vgl. pag. 956 A qui non euicerit
planiara. — Pag. 936 B bieten IITE non enim illam fidem quam
ei dominus inspirabat, sed iUam quam uocatus semel atque ülumi-
natus a damino per arbitrii libertatem poterat exhibere, experiri
514 Potschenig.
uolmt diuina iuatitia, 2 hingegen liest j>6r lihertatis arbitrtum.
Allerdings steht sonst arhiträ libertas, doch halte ich die Les-
art von Z für möglich. So heisst es pag. 946 A ähnlich tä in
alterutram partem plenum sit liberae uoluntatis arbitrium
und pag. 946B beweist der Satz ut captüdtatem libertaa addieta
non sentuU, dass libertaa von Cassian auch in dem Sinne von
libera uoluntas gebraucht wird. Man vgl. noch Salvian. ad EIccIes.
I^ 50 iiti enim seueritatis arbitrio ivdex tum potesty quando rtu»
iam non austinet iudicari, — Pag. 943 B. ^ : aurge^ tMe lectuan
tuumy riT: awrge et tolle. Das griechische EY^pOet; ap6v aou xr^'t
xXCvYjv gibt keine Entscheidung. Da aber in der Schrift contra
Nestor. VII, 19 die beste Handschrift nebst den Ausgaben liest:
aurge, inquü paralytico, tolle grabatum tuum, wird man sich ftr
S zu entscheiden haben. — Pag. 944 B liest 2 in der Stelle Rom.
11; 33 und 34 ininueatigabiUa uiae eiua, WCE mueatigäbüe». Wenn
auch pag. 939 B alle Manuscripte inueatigabäea lesen und dies
auch bei Cypr. I, pag. 155, 18 (Hartel) steht, entscheide ich mich
doch für Z, da inintieatigcibüia aus Tertullian citirt wird. Ebenso
lese ich pag. 955 B mit Z apiritua namque dei odit fictum (Sap. 1,
4 und 5), obwohl IFIT pag. 983A effugiet bieten und die LXX
fsu^eiat liest. — Pag. 957 A bietet 21 quidam erga inatilutumem
frcUrum omnem atudii aollicUudinem dediderunt, und dieses
Verbum ist entschieden gewählter als die Lesart von UT dede-
runL — Pag. 963 A wird Gal. 4, 22 und 23 citirt acriphum eat
enim quia Abraham duoa JUioa habuit, unum de anciUa ei cUumi
de libera. Statt aliumy wie neben E auch T liest, hat H wwm
(gva). Aber in FI stehen die Worte et wnum de libera von
zweiter Hand über der Zeile, und der Corrector hat einfach das
unwn der Vulgata genommen. Z bietet cdterum^ sicher richtig. —
Pag. 965 A et mortui qui in Chriato aunt reaurgent primi (I Thess.
4, 15). 2 liest richtig primo nach dem griechischen icpdxov. —
Pag. 965 B entscheide ich mich in der Stelle I Corinth. 15, 4
für die Lesart aurrexit {ix^y^piai) von 2Y: reawrrexit lesen IIJ?.—
Pag. 983 B geht inquü in lYE dem Citate voran aed pnua inquü :
beati immaculati in uia. Dass die Umstellung in II priua beaii
inquit auf Willkür beruht, beweist Instit. V, 8 apoatolua inquit: et
carnia cur am u. s.w. nach dem Augustodunensis, Laudunensis
und Sangallensis. — Pag. 986 B liest S aed dicea foraitan, VIXE
dicia. Ich entscheide mich für 2, da auch in der Schrift gegen
Textkritiscli« Grundlagen im zweiten Theile Ton Caseians Conlationes. 515
Kestorius die älteste Handschrift in dieser Wendung mehrmals
das Futurum bietet. — Pag. 1007 A lesen UYE daemonia ei
stibiecta sint, 2 richtig aubdita. Vgl. Conl. XVIII, 7 aenionmi
mbduntur tmperio (so die Monacenses, sviiiciuntur E) ; ebendort
se coenobiarum prciepoaüis subdiderunt; XVIII; 8 mbdiqvs se-
morwn imperio; XIX, 1 «« coenobio suididerat; XXI, 21 ad rebel-
Itoneim mibdüa membra compdlere ; XXII, 1 1 peccato subditua, —
Pag. 1012 A huc usque abba Nesteros arationem de uera charis-
Tnatum operatione consummana. Z liest rationem und dies halte
ich in dem Sinne von ,Lehre, Theorie' für richtig. Vgl. Conl.
XIX, 13 rationem discemendaruni aegrüudinum, id est quo pacta
uitia quae celantur in nobis xialeant deprehendi, lucide satis aper-
teque percepimtLs. Demnach dürfte auch Conl. V, 7 mit dem
Sangallensis und mit B zu lesen sein ut de rfßdentia cete-
rarum quoque passionum, quarum rationem (narrationem Paris.
CR) intercidere nos expositio gastrimargiae . . . compulit, . . ,
disseramus. — Pag. 1024 B liest S vortreflFUch cum me adhuc
adhaerere consorti aetas iunior hortaretur. 11 ^ hat conaorda,
n^T consortio fratrvm. — Pag. 1029 B de quibtis et cUibi didtwr:
diligens suos qui erant in mundo , usque in finem di-
lexit eos, sed haec unius düectio non erga reliquos teporem ca-
riiatis . . . expressit. Z allein liest Ate, was in adverbialem
Sinne = hoc loco ganz entsprechend ist. Vgl. Conl. XXI, b hie
autwa (d. i. in euangelio) pro excellentia et sublimüate manda-
torum didtur: qui potest capere, capiat — Pag. 1034 A liest
Z in der Bibelstelle Ps. 54, 13 et si isy qui oderat me, aduer-
8U8 ms magna locuius faisset nach der LXX di:' lyJk i[>.f^akO'
ppij|jt6'/tj(j€v. IIXE haben mit der Vulgata super me. — Pag. 1039 A
ist nach Z zu schreiben dumi consistit pecccUor aduersum me
(Ps. 38, 2). 11' bietet amsisterit, ll^X E consisteret, Instit. IV,
41 lesen allerdings die Ausgaben und der Sangallensis mit der
Vulgata cum conststerei, aber der Lauduncnsis mit Z überein-
stimmend dum consistit, Vergl. auch Conl. XVUI, 6 dum tem-
pore persecutioms affinium suorum deuitat insidias, — Pag.
1042 A lesen IIT E kaec enim est natura (natura est E) irae^
ut dilata languescat et pereai, prolata uero rnagis magisque con-
ßagret, £ aber dilatata, Dass nur letzteres richtig sein könne,
lehrt der ganze Tenor des Capitels. Ich begnüge mich, auf den
Anfang zu verweisen, wo es heisst: iotam iram suam profert
516 Petsohenig.
inpius (so ^U.)^ sapiens autem dispensat per partes (d. h.
düaiat): id est . . , sapiens paulatim eam matwitate consüU . . .
extenuat et expellit .... ab apostolo ditsUur: date locum
irae , . . hoc est, non sint corda vsstra . . . ptmllanimitatis an-
gustiis coartata, sed dilatamini in cordibus uestris u. b. w.
— Pag. 1081 C praslegenda ac praeferenda esse meliora et ad
illam quae utüior diiudicata fuerit partem sine cunctcUione aliqua
transeundum, Z: iudicata, DaBS daB auch in IIT stehende
diiudicata doch nicht nothwendig ist^ beweist die Stelle pag.
928 A restat ergo ut et bona et ex homine fuisse credatar (cogi-
tatio regis Dauid), in quem modum etiam nostrcis quotidie cogi-
tationes possumus iudicare, wo man gleichfalls diivdicare erwartet
Die Zahl der Stellen, an denen DT den besseren Text
bieten, ist unbeträchtlich. Pag. 850 A coUapsis ferme ommbus
uicis, 2 allein liest fere. In den Institutiones und den beiden
anderen Theilen der Conlationes notirte ich mir ferme an zehn,
hingegen fere an keiner Stelle. In unserer Partie steht XV, 10
ferme, XVII, 1 fere. Demnach ist höchst wahrscheinlich ferme
richtig. — Pag. 877 B Uest 2 docet, UXE edocet. Vgl. pag. 887 B
edoceri ZIIT/ pag. 936 A docemur IX, edocemur U, pag. 873 B
edocet lU, docet Y, pag. 946 A edocemur lUX, pag. 1042 B edo-
cemur inr. Ich ziehe überall das gewähltere Compositum vor,
welches auch im dritten Theile der Conlationes und sonst häufig
erscheint. — Pag. 890 B sicut non est in coüuctcUione continentiae,
sed in castitatis pace locus domini, Z: in castvtate. Ich gebe OV
den Vorzug, da das vorausgehende in colluctatione cantinentiae
nothwendig den vollen Gegensatz in castitatis pace verlangt.
Man vgl. auch B init. et f actus est, inquit, in pace locus eius,
id est non in conßictu certaminis et colluctatione uitiorum,
sed in castimoniae pace, — Pag. 937 A liest Z quia Hmes
dominum tuum, UTE tu, was nach dem griechischen Text foßf)
cu Tov Öebv Gen. 22, 12 richtig ist. — Pag. 996 A. S: quem cum
haereticus arte dicdectica fuisset aggressiv et Aristotdicas igno-
rantem spinas uellet abducere. IIT ad Ar, ign. sp. u, adducere.
Da ein absoluter Gebrauch von abducere in dem Sinne ,in die
Irre führen^ kaum möglich ist, muss mit UX ad gelesen werden.
Aber abducere ist zu halten, da darin der Begriff »seitwärts,
vom rechten Wege wegflihren* enthalten ist. Vgl. Conl. XXm,
15 a. E. quia se pro conditione fragilitatis humanae senserat cap-
Texikriiiscbe Ornndlagen im sweiten Tbeile yod CssBiaD Coolationes. 517
tiuattmiy id est abductum ad solUcüudines cu/rasqtie camcdes. —
Pag. 1044AAaee de amidtia beatus Joseph disseruit nosque cid
custodiendam sodalitatis perpehuim carüatem ardentius incvtauit.
£ inuxtavit, nicht richtig. Vgl. pag. 944 A ad maiarem indtare
(inuitare BC) flagrantiam; Conl. XV 111; 4 assequi dtscipUnam
et ad exercendam eam ardentius incitari.
Häufig bieten die beiden Handschriftenclassen nur eine
verschiedene Wortstellung. Da sich 2 als der weitaus
beste codex erwiesen hat, ist seine Lesart überall zu halten^
80 lange nicht zwingende Gründe gegen dieselbe sprechen.
Hier will ich nur jene Fälle behandeln, in denen 2 entschieden
falsches oder zweifelhaftes bietet. Pag. 929 A manet in homine
semper Uberum arbitrium ZBC. Dagegen IIA liberum semper
arbürium, Y liberum arbitrium semper. Da Prospers Citat in
der Schrift contra CoUatorem mit WR stimmt und Cassian ftlr
diese Verschränkung überall eine besondere Vorliebe zeigt,
halte ich die Stellung liberum semper arbitrium ftlr richtig. Aus
dem gleichen Grunde ist pag. 935 A mit WXE und Prosper zu
schreiben sine eum suis mecum uiribus decertare {uiribus me-
cum S) und pag. 970 A si ad ueram sanptararum uis scientiam
peruenire nach UYB (scientiam uis SC, scripturarum scientiam
peruenire desideras R). — Pag. 930 A inde est quod etiam Co-
rinihiis scribens hortatur UYE, 2: inde est etiam quod. Vgl. pag.
937 B tale est et illud quod = pag. 1040 B. Salvian. de gub.
in, 39 unde est Hlud etiam quod, Ep. IX, 13 ea? quo etiam
illud est quod. Ich sehe daher keinen Grund, von 2 abzugehen. —
Pag. 987 B (tit. zu cap. 18) lesen WYE quibus de causis spiritalis
doctrina infructuosa sity 2 doctinna spiritalis. In der Conlatio
selbst findet sich neunmal die Stellung spiritalis sdentia, zehn-
mal die umgekehrte sdetitia spiritalis. Demnach verharre ich
bei der Leseart von 2. — Pag. 988 B haben UYE in der Stelle
1 Tim. 2, 4 die Wortstellung qtd omnes homines uult saluos ßeri,
2 hingegen saJuos uultj nicht richtig. Conl. IX, 20 lesen die
Handschriften und Ausgaben uult saluos und auch der grie-
chische Text hat O^Xsc (7b)6t;vat.
Schliesslich mögen noch einige Stellen besprochen werden,
an denen 2 gegenüber von IIT lückenhaft erscheint. Es ist
nämlich nicht überall, wo in 2 ein oder mehrere Wörter fehlen,
was häufig der Fall ist, gleich von vorne herein der Text
VII. SITZUNG VOM 7. MÄRZ 1883.
Von dem w, M, Herrn Hofrath Ritter v. Miklosich wird
seine in zweiter Auflage erschienene Schrift : ,Subjectlose Sätze'
der Classe übergeben; femer wird von Herrn Professor G. Wolf
in Wien das Buch : ^Historische Skizzen aus Oesterreich-Ungam'
ftlr die akademische Bibliothek übersendet.
Herr Prof. Dr. J. Loserth in Czernowitz theilt eine
mit einem kritischen und sachlichen Commentar versehene Ab-
schrift eines Nekrologs des Olmützer Minoritenklosters mit, die
aus einer Handschrift der Olmützer Studienbibliothek genommen
wurde, und ersucht imi deren Aufiiahme in das Archiv fiir
österreichische Geschichte.
Die Mittheilung geht an die historische Commission.
Das w. M. Herr Prof. Th. Gomperz legt eine fiir die
Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: ,Herodotei8che Stu-
dien H' vor.
An Druoksohrifben wurden vorgelegt:
Annuario marittimo per Tanno 1883. XXXIU. Annata. Trieste, 1883; 8«.
De Ceuleneer, Adolphe: Les tetes ail^es de Satyre, trouv^es a Angleur.
BruxeUes, 1882; 80.
Gesellschaft, k. k. geographische in Wien: Mittheilnngen. Band XXVI,
Nr. 1. Wien, 1883; 8«.
Heidelberg, Universität: Akademische Schriften pro 1882. 8 Stücke 8^
Institut, R. G.-D. de Luxembourg: Publications de la section historiqoe.
Ann^e 1883. XXXVI. (XIV). Luxembourg, 1883; 8^.
Lonvain, Universität: Annuaires. 1882 et 1883. 46« et 47'' ann^e. Louvain,
1882-1883; 8«.
Museum KrÄlovstvf ^eskeho: Öasopis. 1882. RoSnik LVI, svazek ti^ti a ^tvrty.
V Praze; 8«.
— Novo^eska Biblioth^ka. ßislo XXV. W Praze, 1883; 8«.
Society, the Asiatic of Bengal: Proceedings. Nr. XI. November, 1882. Cal-
cutta, 1882; 8».
Verein fiir Erdkunde zu Halle a/S.: Mittheilungen. HaUe a/S., 1882; 8^
Gomperz. Herodoteische Stndien U. 521
Herodoteische Studien IL
Ton
Th. Gomperz,
wirkl. Mitgliede der kais. Akademie der Wissenschaften.
ich beflirchte keinen Widerspruch, zum Mindesten keine
Widerlegung, wenn ich behaupte, dass die Partikel iv I, 144,
19 in einer Weise gebraucht wird, für welche weder Herodot
noch irgend ein anderer Schriftsteller eine ausreichende Parallele
zu bieten vermag. Krüger's Verweisung auf I, 69, 22 ist unzu-
treffend, denn dort wird äv imconsecutiven Sinne angewendet
(= opa): ,Ihr steht, wie wir vernehmen, an der Spitze von
Griechenland; Euch rufen wir somit an^ u. s. w. Auch rück-
sichtlich der Anmerkung Krüger's zur letztgenannten Stelle
,wv nach der Parenthese wie ouv öfter; zu Xen. Anab. I, 5, 14'
thut eine Unterscheidung Noth. Den eigentlich epanaleptischen
Gebrauch der Partikel — und diesen hat doch wohl Krüger im
Auge, — d, h. die Hervorhebung eines durch Dazwischen-
getretenes verdunkelten imd darum wieder aufgenommenen Be-
gri£fes oder einer aus vorher zerstreuten Einzel -Vorstellungen
gewonnenen Gesammt- Vorstellung^ vermag ich auch nicht in
all den Stellen der Anabasis, auf welche Rehdantz (zu I, 5, 14)
verweist, zu erkennen. An der letztgenannten Stelle ist die An-
wendung von ouv durch den begründenden Zwischensatz, IV,
7, 2 durch den temporalen Vordersatz bedingt, VI, 6, 15
findet sich o^v bereits vor dem Zwischensatz imd wird nach
demselben blo» wiederholt; nur DI, 1, 20: ta l' a3 töv otpaTWi)-
Twv iwoTS 6vOüjji.oi|jLY)v 5ti — — Taut' ouv XoYiC6|ji.6vo(; gehört
streng hieher, und hier fehlt auch nicht das Moment, welches
für diese Redefigur unerlässlich ist, dass nämlich der (gele-
gentlich durch CUV hervorgehobene) Begriff wieder aufge-
nommen werde, d. h. also im Vorhergehenden entweder als
Sitsonfffber. d. phil.-hist. Cl. Cm. Bd. U. Hft. 34
522 Gompcrz.
solcher oder in seine Bestandtheile aufgelöst bereits einmal
ausgesprochen sei. ^ Von alle dem ist in unserem Falle keine
Rede; man schreibe und interpungire daher wie folgt: Die
lonier der Zwölf- Städte halten an ihrem Nationalheiligthum
(dem Panionion) mit eifersüchtiger Ausschliesslichkeit fest, €ß«>-
XsücavTO 8e aurou [xetaSoüvat {jLy^3a[xoXfft oXXowi 'Icl)vwv (oü5' eSeijÖijcr/
51 ouBajJLot pLETac/eXv oit [jly) SfjLUpvotot), xora zep oi ex rf^^ TSVtcnzS'kxo^
vüv '/jijüpr,<; Aü)ptdE(;, wporepov Se k^oLZÖXioq Ttj? outt;? touttj? xaXeopLEvr^;'
^uXiffcovrat y^^ (Jiif;$a[JLOu^ sa^^^acOoet tcüv xepiotx(i>v Acopt^ojv e^ ts
TpicTCixbv Ip6v, aXXa xat coiwv auröv tou^ xepi tb ipbv ayo{Jt.i{7av?2;
65e>tXT(5icav -nj? [xeToxY;;. Die Partikel ^ou'f wird hier genau so an-
gewendet wie z. B. bei Thukyd. VI, 59, 3, wo Hertlein (bei
Krüger) also erklärt: ,Dies — lässt sich wenigstens daraus
schliessen, dass' u. s. w. Die in xaTct xep ot — Awpiis^ liegende
allgemeine Behauptung wird durch das Folgende zugleich be-
gründet imd ermässigt (von einer ^Ermässigung der vorher-
gehenden Behauptimg' spricht Arnold Hug in einem gleichartigen
Falle, zu Plato, Sympos. 195 D). Herodot deutet mit kurzen
Worten das an, was er in ausführlicherer Darlegung etwa also aus-
gedrückt hätte: Von einem gleichartigen Beschluss der Derer
(eßouXeu^ovTo) vermag ich freilich nichts zu melden; dennoch
vergleiche ich sie in diesem Betracht mit den loniem (xaToE irsp),
weil ihre Handlungsweise eine derartige Gesinnung unzwei-
deutig bekimdet. (Man vergleiche ausserdem, was Bäumlein,
Griech. Partikeln 188—189, zusammenstellt, etwa auch Thukyd.
n, 65, 6; Plato, Sympos. 194E)
I, 155, 2-3: — \krfii zoXiv apxaitjv i^ovacri^ov)^ avaptipti^Tsy
eouaov xoti xcov xp^repov xal Tb)v vuv iate(i>T(i)v. Das allerdings un-
gewöhnlich gebrauchte eoTe(ji>TU)v, welches man immer und immer
wieder in svecTe(i)Tü)v verändern will, wird meines Erachtens
genügend geschützt durch Sophokl. Trachin. 1271: t3[ ^k vuv
^cttwt' — .
Ein Emblem lässt sich I, 169 mit Sicherheit erkennen,
weil es nicht nur eine überflüssige , sondern zugleich eine
1 Anf solche Fälle verweist jetzt mit bestem Fug die Anm. sn I, 69
in Krüger^s zweiter Ausgabe. Man vergleiche sie mit unserer Stelle
and der Unterschied kann Niemandem verborgen bleiben (es sind V, 99;
VI, 76); theils folgernd, theils einfach die Erzählung fortführend (= apa)
ist jedoch wv VU, 137, IX, 26 und 87.
Herodotelsehe Stadien 11. 523
falsche Erklärung des Gedankens unseres Geschichtschreibers
enthält. Von Phokäem sowohl als Teiem hatte er nicht gesagt,
dass sie sich in offener Feldschlacht mit dem persischen Er-
oberer gemessen hatten. Ihre höhere Freiheitsliebe gab sich
dadurch kund, dass sie lieber die Heimat verliessen , ehe sie
das Joch der Fremdherrschaft zu tragen sich entschlossen. Man
lese also: OuTot [xev vuv 'I(I)V(i)v jjiouvot tyjv BouXoouvyjv oux avex^-
jjievot eS^ntov xa? xorcpCSai;- oi S* dcXXoi "Iwve^ 8ta [xoexy]; jx^v otcixovto
*ApxatYCi) [xaxa Tcep ol 6xXew6vTe(;] xal av5pe<; evivovxo 070601 — , eccxw-
O^vre^ 8e xol <iX6vT6q l{Aevov xoto x^P^^ SitacTOt xoi to 6i:tTaffc6[jLeva
exer^Xeov.
Nicht ganz so streng erweisbar, aber doch in hohem
Grade wahrscheinlich ist das folgende Emblem: I, 174, 6 ff:
%a\ Stj icoXXyj XEipi ipYol^c[J!.iv(i>v töv KvtStwv, (xoXXov ^op ti x.al
OeiÖrepov e^oivovro TtxpdbaxeoOot [ot epYa?6{JLevo:] xou eix6xo? xöE xe oXXo
xou 9a)pLoxo(; — , exepLwov E(; AeX^ou? %iL Wie überfltLssig und
pedantisch scheint doch der von uns eingeklammerte Zusatz,
wie ungeschickt seine, das eng Zusammengehörige aus ein-
ander reissende, Stellung, und wie viel leichter lässt sich ohne
denselben das zu sxsfxxov zu denkende Subject (oi Rvfötot) aus
dem Vorangehenden entnehmen! Die Nothwendigkeit von der
Gesammtheit der Knidier, welche das Orakel zu Delphi beschickt,
den mit ier Durchstechung der Landenge beschäftigten Theil
derselben zu unterscheiden, trotzdem es soeben erst hiess: zoXXiJ
XSipC epYa^o[JLsvo)v xwv KvjSiwv — wem sonst mochte sie wohl
einleuchten als einem Schulmeister? Oder sagen wir lieber:
als dem Schtdmeister, dem wir im Folgenden so oft begegnen
werden, sofort auch cap. 185 in den Worten : exo(ee hk ojA^öxspo
Touxo, [xcv xe iroxopwv cxoXtbv y.at xb Spu^ixo xov 2Xo?J, ü>^ 5 xe TroxojJLb?
ßpa86x6p5^ ett; — xot oi xX6ot Iw« cxoXiol xxl. Wie geschmackvoll
ist dies doch ausgedrückt : (Nitokris) machte den Strom krumm,
damit die Schifffahrt krumm sei ! Und wie sinngemäss : sie
machte das cp'jv{jLo ganz und gar zu einem Sumpf, als ob sie
es schon vorgeftmden und nicht, wie soeben erzählt ward,
(wpüooe SXuxpov Xtpivt;), erst geschaffen hätte ! Allein der entschei-
dende Beweis ftlr die Unechtheit des Zusatzes liegt in seiner
Unwahrheit. Denn von einem Sumpfe ist hier ganz und gar
nicht die Rede, sondern von einem mit Wasser erftlllten Becken,
dessen Verwandlung in einen Morast mittelst der Zurück-
34*
524 OompArs.
leitung der anßtnglich in ihn gelenkten Wassermassen erst am
Schluss des nächsten Capitels erzählt wird! ' — Derlei, man
möchte sagen proleptische Embleme werden uns noch mehr-
fach begegnen. Doch verweilen wir zunächst noch im wasser-
reichen Mesopotamien , welches gleich Aegypten nach allen
Seiten hin von Canälen durchschnitten war, von Canälen, aber
doch nicht in solche, wie der gegenwärtige Text uns glauben
machen will (193, 3 — 5): ii y^P BaßüXwviri x*^P^ 'Käaa xaxd ^ep t,
AiYurciTi xaTaTeTjJLYjTat [iq 5iu)pü/a(;]. Vgl. II, 108 und 109: xa-
xiTajjLve Se touBe eTvsxiz Tt)v xa)pY;v 6 ßacjtXeu^ und toutwv |jiv ^^ swexa
xaTSTixTjOy; ii Ai^fmzoq,^ — Auch die Darstellung der fkiphrat-
Schifffahrt leidet noch an einem kleinen Textesfehler. Von
dem daselbst bis heute gebräuchlichen ,auf Schläuchen schwim-
menden Strauchgeflechte' (Puchstein in Berlin. Sitzgsb. 1883, 4n
heisst es nämlich (194, 12): — ouie xpifjivtjv onroxptvovte? outs rp<ipip»
auvotYOVTS^, dXX' atmZoq xpöxov xuxXoispea TCOiiQffavTe? xai xaXapiiQ^ wXiJaonrct;
TCov To xXoiov, oÖTti) dcTTtetce xaTOi tov xoTapiov ^epeffBat, ^opTfwv icXi^avT£;.
Die Ersetzung des überlieferten völlig müssigen touto (der Vindob.
hat, um nichts besser, toutck;) durch das in solcher Verbindung
allein übliche oütw bedarf keiner Rechtfertigung, wie denn
angesichts der fortwährenden Verwechslung von o3to<;, outs*.,
o&TO), TOUTO u. dgl. nur Sinn und Zusammenhang unsere Wahl
bestimmen können. So lese ich II, 28 fin. (diesmal tnit SVR) :
ouTO(; (statt oliTCü) [jl^v 5y) 6 ^pa[t.[LomGx^q xtS. ; 11, 156 in. (mit
Bekker): oütoi; (gleichfalls statt o&tw) \f,iy vuv b vtjb? xt£.:
m, 138 fin.: ourot hk irpwTot ix -nj^ 'Aair^q iq t^ 'EXXidot amxovTS
Uipaai, xal oOtw (statt ouxoi), Bt3c totövSe xpYJYf**? xxcioxoxot eY^vovro:
' Woher weiss Übrigens Stein, dass diese ^grossen Strom- nnd Canalbauten'
nur zu Zwecken der Flussregulirung und der Bodenbewässerung, nicht
aber, wie Herodot behauptet, auch zu Befestigungs zwecken dien-
ten? Eines Besseren konnte ihn wohl Ritter's Erdkunde, West- Asien,
B. III, Abth. 3 belehren. Wie gefährlich zum Mindesten dem Heer
Kaiser Julians nebst der medischen Mauer auch die Canäle, die MoriL^te
und die künstlichen ITeberschwemraungen wurden, ist bekannt genug.
Und gilt nicht von air diesen Wasserbauten dasselbe, was Ritter über
die von den Persern im unteren Euphratlauf angelegten Katarakte
oder Hemmungen bemerkt, das» sie ,zu Bewässerungszwecken, ebenso
wie zu denen der Vertheidigung* dienten (a. a. O. S. 34)?
2 In jedem Betracht unwahrscheinlicher ist die Annahme Krüger's (2. Aufl.i,
dass nur zi vor $i(upuya; eingeschoben sei.
> Herodoteische Sindien ü. 52ö
Vn, 170 fin.: — dzeöavov TptoxiXtot ouxoi, autöv 8e Tapovrtvwv oux
i^rfjv apiöiJLoq. (An dieser Stelle hat das überlieferte oütw zum
Mindesten Anstoss erregt und allerlei Vorschläge erzeugt; vgl.
auch IV, 44 in.: 8^ xpoxoBsiXoüq Seuispo; outc? 'jcotapAv icivrwv
xap^y etai, oder VIII, 45: l8vo? I6vt6? ouxot Acopixbv omh Kop{vöou).
Ebenso wenig bezweifle ich, dass IX, 102, 27 zu schreiben ist:
Siowajjtevot y^P '^^ Y^P*^ oötw (statt ouxot) <pep6[X6vo{ eaiweffov aXse?
€(; Toui; Uipaa^, Einige andere Fälle sollen später besprochen
werden. Für die Verwirrung, die in diesem Betracht in den
Handschriften herrscht, verweise ich noch (ohne jeden An-
spruch auf Vollständigkeit) auf I, 170 fin., wo Schäfer, wie auf
vn, 154 in., wo Stein gebessert hat, gleichwie auf den kriti-
schen Apparat Gaisford's zu I, 2 g), I, 14 ej, 111,62/), III, 136
in., IV,44ä;, IV,86i), VI,83e;, IX, 102 Ä;;.
I, 204, 13 hat die augenscheinlich fehlerhafte Ueber-
lieferung tou wv 5y) xeBicu tcu [LS'^akou oux i\cc/J.(jvrt^ jjLoTpav [Lvsiypofji o\
MoKKjaveTai zu verschiedenen Herstellungsversuchen Anlass ge-
geben, unter denen Steines frühere Aenderung: toutou Syj &v lueBtoü
To5 [AeyiXoü wohl der schlechteste, Herold's (jetzt auch VQn Stein
angenommene) Schreibung: tou wv 8^^ weStou toutou tou [xcYaXou
die beste, zum Mindesten eine völlig sprachgemässe ist. Doch
scheint man nicht beachtet zu haben, dass der Zusatz (jisy^^^^
nicht nur ganz und gar entbehrlich, sondern nach dem unmittel-
bar Vorangehenden kaimi erträglich ist. Wer pflegt denn eine
Ebene , unabsehbar' {%krfioi; axeipov iq oexo^i't) und sogleich
darauf nur einfach ,gross' zu nennen? Dieser Abschwächung
des Gedankens begegnen wir und erklären zugleich die Ent-
stehung des Fehlers, wenn wir annehmen, Herodot habe ge-
schrieben: tou iv 8^ weätou toutou oüx i'koc/JiaTq^ xts., durch den
Ausfall eines TOY (in lOYTOYTOY) sei aus dem Pronomen der
Artikel geworden und dieser habe seinerseits wieder die Ein-
Bchiebung des Adjectivs verursacht.
Zweites Buch.
Dort, wo Herodot die Meinung der lonier, d. h. seines
Vorgängers Hekatäus, der Nil bilde die Grenze zwischen Asien
und Libyen, ad absurdum führen will, leidet der Text an einem
Gebrechen, in Betreff" dessen ich immer von Neuem erstaune,
dass dasselbe nicht längst erkannt und geheilt worden ist.
526 Oonpexk.
Der Schluss des Cap. 16 muss nämlich unweigerlich also lauten:
•fl (nicht ou) Y«p Sy; 6 NetXi^ y^ ^^* '*^*^* xoötov -bv Xovov 6 vr;*
'Aa{T]v oup(l^(i>v Tijq Aiß6r|^' tou AeXxa §i toutou xaia tb 6§> icspcpp^-
Yvurai 6 NeTXo?, öore ev xw pLexa^u 'Amr^^ xe xocl Aißurj? Yivotx'* xv.
,Denn es ist ja doch der Nil^ der nach dieser Ansicht Asien
von Libyen scheidet; nun spaltet sich aber* der Nil an der
Spitze des Delta ^ so dass dieses zwischen Asien und Libyen
mitten innen zu liegen käme/ (Lange gibt den sinnlosen Text
ebenso sinnlos wieder, Stein» greift zu willkürlicher Umdeutung,
und Rawlinson, der allein klar zu sehen scheint, fasst den Satz
als Frage auf , wogegen jedoch die asseverirende Ejraft der
Partikel -Verbindung ou y«? H entschiedene Einsprache erhebt.)
Die Schuld der Verderbniss möchte ich nicht dem Zufall bei-
messen, sondern dem Vorwitz jenes antiken Correctors, dem
wir unablässig begegnen und der es sich hier beikommen liess,
die stillschweigend gezogene Conclusion des Historikers (,der
Nil bildet nicht die Grenze der zwei Erdtheile*) in den Ober-
satz der hypothetischen Beweisführung hinein zu emendiren. ^
n, 23 : 6 ik Tuept xou 'Qxeovou Xi^oLq iq o^ocv^^ xbv (&u6ov avsvEou^
oüx ly&i eXeYXOv • ou -^ip xtva eY^Ye olZa •rcoxaiJi.bv 'Qxeovbv edvxo,
"OfATQpov Se ^ xtva xöv (f^ xwv xiva?) xp6x£pov y^voia^vcüv ?cotv2x£u)v Soxiu
xb ouvofjia eupovxa £^ xyjv xoiiQatv eaeveixaoOai. Das Verständniss dieser
hochwichtigen Sätze liegt freilich nicht mehr ganz so sehr im
Argen wie vor ein paar Jahrzehnten, da Krüger ^Xeyx^v zweifelnd
durch ^Grund^ (mit Lange) oder jBeweiskraft' wiedergab und Stein
die Phrase ,oux, l^^t iXerf/P^^ ^^ ,bietet nicht Grund, Veranlassung
zur Widerlegung^ übersetzte. Jetzt weiss zum mindesten auch
Stein aus Thukyd. IQ, 53 (er hätte auch Lysias XII, 31 anführen
können; von Babrius 81, 4 sehe ich lieber ab), dass der letzt-
genannte Satz so viel heisst als ,ist nicht zu widerlegen^ besser
,entzieht sich jeder Widerlegung*; doch macht weder seine
noch Rawlinson's Uebertragung und Erklärung der Stelle (oder
soll ich sagen, der Mangel jeder Erklärung?) den Eindruck,
als ob die ganze Bedeutung derselben bereits ausgeschöpft
* Das Set* des vorangehenden Satzes (welches Stein jedenfalls mit Kr%er
in Ihti verändern musste) fehlt in der ersten Handschriftenclasse und
dürfte somit auf Interpolation beruhen. Es hiess vielleicht : T^raptov
HerodoteUelM Stadien II. 527
wttre. Sollte ich mithin auch Kennern nur das sagen, was sie
sich selbst schon gesi^ haben^ so lohnt es doch der Mühe^
dasselbe — so bündig als die Sache es nur irgend zulässt —
einmal auszusprechen. — Unter den verschiedenen Versuchen
die Nilschwelle zu erklären^ behandelt Herodot keinen mit so
wegwerfender Geringschätzung als jenen des Hekatäus. Er gilt
ihm als eine jener zwei Erklärungen, die er kaum einer Er-
wähnung werth erachtet (oi)$' ä^m (AViQffOiivat ei [ay) 59oy ar^[iJfyfai
ßouXc|Aevo^ [Aouvcv)^ und zwar ,als die unverständigere von beiden,
wenn sie gleich wunderbarer klingen mag^. ^ Wenn er nun
hier von diesem Erklärungsversuche sagt: , Jener aber, der den
Okeanos herbeizieht und so die Sache auf das Gebiet des Un-
ergründlichen spielt, entzieht sich jeder Widerlegung* — will
er damit die Frage nach der Richtigkeit dieser Theorie für
eine unlösbare erklären und seinerseits nur ein bescheidenes
i%ix^ äussern? Keineswegs; denn wie stimmte dazu die im
Vorigen ausgesprochene Missachtung und wie der herbe Spott
der unmittelbar folgenden Worte : ,Denn ich weiss ja gar nichts
von einem wirklichen Strome dieses Namens, sondern ich halte
ihn für eine Erfindung der Dichter'? Vielmehr kann er gar
nichts Anderes sagen wollen als dieses: eine Hypothese, die
sich so gänzlich aus dem Bereich des Wahrnehmbaren und
Sinnfklligen entfernt, dass sie der Widerlegung nicht einmal
eine Handhabe bietet, ist eben dadurch gerichtet. Sein oux S/^ei
tkvf/o^ (welches wohl verdient hätte ein geflügeltes Wort zu
werden) ist ein unbedingtes Verdammungsurtheil. Er verlangt
von einer Hypothese, damit sie der Beachtung werth, oder, reden
wir immerhin imsere Sprache, damit sie wissenschaftlich berech-
tigt sei, dass sie im letzten Grunde erweisbar, dass ihr Object
(um mit Newton zu sprechen) eine vera causa sei. Er steht
> Nor dies kann der Sinn der allgemein miwverBtandenen Worte sein:
avc}ct9n)|JioveaWpv) {jitfv — ^^T^ ^^ ÜKivt 6<üU{M9i(iiWpv). Letzteres ist gleich
einem axoOaai hl 0(tfU|idi9t(üWpil, etwa wie Pindar Pyth. I, 60 von einem
zip^ OautMEOiov JcpoatSMat, 6aupia tk xoX icape^vnov axouaai spricht. Die
Wirkung auf den nüchtern prüfenden Verstand und jene auf die Phan-
tasie werden einander schroff gegenüber gesteUt Ein abschwächendes Xi^ta
EtRtTv =s cüc Xoycü e^jcEiv ist nicht am Platze und der Gegensatz yon (i^v
und U wird von dieser, der gangbaren Auffassung ignorirt. Stein's Er-
klftrung in der vierten Auflage seiner commentirten Ausgabe nfthert sich
dieser Anffassung der Stelle, ohne jedoch mit ihr znsammenzufiUlen.
528 Oomperz.
diesmal auf rein positivem, wir hätten fast gesagt auf positi-
vistischem Boden. Zu dem schneidenden Hohn, mit welchem
er hier die Flucht des wissenschaftlichen Erklärers in das
Wolkenreich des a«>av^? oder d'BrjXov behandelt , passt gar 'wohl
die helle Lache, die er ein andermal gegenüber diesen und
ähnlichen Willkür -Erfindungen aufschlägt (,Ich muss lachen,
wenn ich sehe, . . . wie sie den Okeanos rings um die Erde
fliessen lassen und diese kreisrund machen, als ob sie von der
Drechselbank käme/ IV, 36). Sein Standpunkt ist dies eine
Mal, wo die Kivalität mit seinem Vorgänger seinen Witz schärft,
der des streng wissenschaftlichen Forschers, den eine nicht
auszufüllende Kluft von dem Dichter, von dem Erfinder schein-
barer und geftllliger Fictionen scheidet. * Wie hätte er vor
den Consequenzen seiner eigenen Denkart zurückgeschaudert,
wäre ihm der volle Umfang derselben zum Bewusstsein ge-
kommen ; wie schwer hätte er sich andererseits gekränkt geftihlt,
hätte er es ahnen können, dass ihn die Nachwelt nicht glimpf-
licher behandeln würde, als er selbst hier seinen Vorläufer be-
handelt : man denke an die offen oder verhüllt ausgesprochenen
Urtheile des Ktesias, des Thukydides,^ des Aristoteles, des
1 In ähnlicher Weise verweist Hippokrates (de prisc. med. cap. 20) die Lehren
des Empedokles und Anderer Über die Entstehung des Menschen u. dgl.
aus dem Reich der Naturwissenschaft in jenes — der schOnen Künste
(^jaaov votJ.{C<J^ ttJ ?TjTpix^ "f^X.^ i:poGni(xEiv ?j t^ ypa^ixj).
2 Geradezu tragisch — oder soll ich sagen wie die Sühnung einer tragi-
schen Schuld? — berührt es mich, wenn ich bei diesem auf Herodot bezüg-
liche Aeusserungen lese, wie sie das zwanzigste und einundzw^ansigste
Capitel des ersten Buches enthalten: oQtco; aTaXaficcopo; rot; TroXXoii; i,
Ci{T7]ai{ TT]; KX7)0E{a{ xal inX t« Irorjjia {jiSXXov ip^novrai (man denkt an
Baco^s ,ez iis quae praesto sunt!^) und o8tc toc Koti}tat up.vi{xa9t . . .
Itci to [XEt^ov xo9{iouvTE$ (vgl. uuser X^yca Sk s^icsTv 6au{iaai<üT^-
p7]!) . . . oliTS u>( Xoyofpd^^oi ^uv^Os^av iitX to npovaytoYdtepov
ifj ixpodSvei 9j aXiijO^aiEpov, ovia avE^AEfxiot!! Thukydides ist eben
nicht minder darauf erpicht, dem Herodot etwas am Zeuge zu flicken, er
ist ebenso tadelsttchtig und — offen gesagt — ebenso unbillig gegen
seinen Vorgänger wie dieser gegen Hekatäus. Daher die sahireichen
malititJsen Anspielungen, auf deren Verstftndniss er übrigens nnr dann
rechnen konnte, wenn das Werk des Vaters der Geschichte sich noch
in allen Händen befand — ein SachTerhalt, der mir von Kirchhoff (mit
aller Ehrerbietung vor dem hervorragenden Forseher sei es gesagtl
keineswegs nach Gebühr gewürdigt scheint (Abfassungsseit u. s. w. 8. 9)
H«rodot«iselie Studien II. 529
Strabo oder Diodor! Doch dem sei wie ihm wolle; Herodot
ist schwerlich der erste und wahrlich nicht der letzte Denker,
der einen methodischen Grundsatz ausspricht^ zu dessen rück-
haltsloser Durchführung er hoch keineswegs vorbereitet ist; auch
von ihm gilt Deg^rando's tiefsinniges Wort, man gehe den
alten Philosophen gegenüber nie sicherer fehl ,qu'en leur pr^tant
les consöquences de leurs principes ou les principes de leurs
cons^quences/ — Allein irren wir nicht, begehen wir nicht
einen groben Anachronismus^ wenn wir unserem Historiker auch
nur als gelegentlichen Lichtblick eine Ansicht über die Berech-
tigung wissenschaftlicher Hypothesen zutrauen, die nahezu iden-
tisch ist mit der Lehre eines Comte oder eines Mill: eine
Hypothese (die mehr sein will als eine vorläufige Hilfe unseres
Vorstellungsvermögens) muss in letzter Instanz der Verification
zugänglich sein ? Konnte er etwas von dem Unterschied ,l®6rer'
und müssiger Hypothesen, d. h. derartiger, die ihrer Natur nach
ewig unbeweisbar bleiben müssen, und solcher wissen, von denen
dies nicht gilt? Statt unser möge sein grosser Zeitgenosse
Hippokrates antworten , der diese Lehre nicht etwa nur
ahnungsweise und in rudimentärer Gestalt, sondern mit voller
Klarheit und in ihrem ganzen Umfange kannte und aussprach.
Dort nämlich, wo der Vater der Medicin gegen die natur-philo •
sophischen Theorien seiner Zeit zu Felde zieht und es so bitter
beklagt^ dass man sich ihrer auch in Betreff der Heilkunst
bediene, einer wirklichen und nicht blos einer Schein-Kunst,
deren erspriesslicher Betrieb fUr das Wohl und Wehe der Men-
schen von so unaussprechlicher Bedeutung sei (afji^t tsx^y); eouffrj?,
^ Yjpiorzzi xe icivie? ext towi |ji.£YicTota( 'atL), an dieser hochwichtigen
Stelle des Buches ,von der alten Medicin' fkhrt er wie folgt fort
(I, 572 Littr^ — die geringen Abweichungen meines Textes
von demjenigen Littrö's und Ermerins* bedürfen kaum einer
RechtfertigUDg) : Atb oux T^<$touv i^iii^t xstvij*; auitiv uTCoOeato? BewOat,
torep ta df av^a xe xal ixopcöpieva ' icepl m dcvoYXT], ^v tc^ iicixtipiri
X^Y^tv, 'JKoHat xp^^^^h o^ov icepl toiv (Aexecopüiv i) tcov (mo ^"i * £ et
tt? \i^oi xal Ytv(«)ffxoi (5)? ^X-^ ^^'^^ *^ «ötw tco Xc^ovri oute
ToTit a-AOuoü(7i BrjXa Äv ett) efxs OLkrfiitx iaxi svze [xt^i ' oü ykp Im
'::po^ 5 Tt xp^ £i:av6viY^«^'f« stBivai tb ü(X(^i<;. Eine wunderbare,
von sonnenheller Geistesklarheit durchleuchtete Aeusserung,
deren Werth es wenig mindert, dass ihr Urheber ganz so wie
530 6omp»ri.
Bein intellectueller Zwillingsbruder Sokrates zeitweilige Erkennt-
nissgrenzen mit ewigen verwechselt (indem er die lAetii^pa fibr
dtÖTQXa schlechtweg hielt, während es doch nur icpb; xaipbv s^Xa
waren!) und die bei Lichte besehen nur die Entfaltung eines
Keimes ist, welchen schon der unsterbliche Begründer aller
skeptischen Denkrichtungen ^ Xenophanes .von Kolophon, ge-
pflanzt hatte; indem er ausrief:
XÄi xb \Lh o3v aatfk^ ou xi? dv^p ^tttx' ouSe xi? §oxai
eiBü)^ afji^i Sewv xe xal iaaa Xsyü) wspl icivxwv
et Y«? >t«'t 'Pa fJidXtffxa x6)rot xexeXeafxdvov eticcav,
ai)xbq SfjLW? oux oTSe, Soxo^ B' diel icäfft xexuxxai.
Man darf wahrscheinlich eine ganz directe Filiation der Ideen
annehmen und vermuthen; dass diese Verse (bei deren Auslegong
Sextus Empir. 200, 53 Bk. a^^i öeöv xxi. ganz richtig durch {wco5etY-
[Aaxtxd)( xepi x(V9(; xo>v d$ii{Xa)v wiedergibt) Hippokrates wohlbekannt
und seinem Geiste gegenwärtig waren, als er jene bedeutungs-
vollen Sätze niederschrieb. Doch es ist Zeit inne zu halten, so ver-
lockend es auch wäre, andere Anklänge an das herodoteische
Dictum und insbesondere Nachklänge desselben zu verfolgen. •
^ Als ein solcher darf vielleicht wegen des ähnlichen Zusammenhanges, in
dem sie auftaucht, die nachstehende Aeusserung Diodor*8 gelten (I, cap.
40):tcüV S* iv M^fx^ei ttvk; ^iXoa^^cov m'/tipiiaw aitCov ^tfpsiv x^c ii^i2p<&oc«K
ave^^Eyxxov [xSXXov ü) iciOaviJv, und weiter unten: xaO^ou (tb yop
avcS^XcYxxov dbc^aviv E?9y)Yo6|jievoi . . . Sia^eu^eaOai xou^ oxpißcti
^X^YX^^^ vo(Ji(|^ou9i* S{xaiov tk Tob( nep\ xivuv 8(aßsßaiou|A^vouc 9^ ti^v Iv-
apfsiav TCap^^£a6flti 9j xa; affoSEJ^ei« Xap.ßd[v6tv i^ «PX^C avYxeycopui-
(jiivac (1. 9UYXEX(»pv]H^^VT){). Zum Gedanken und Ausdruck vgl. Galen VI,
836 K.: Xtflnio^t 8^ xavxauOa 6{jioXoyou{jl^vt]v apx^v, oder Proclus comment in
Euclid. p. 58 Basil: (i^OoSoi 8K . . napaS^ovrai, xaXX{cm] (iK jj . . . oc"
apX^v 6p.oXoYOU(A^vY]v avdtfouaa xb Cv)to6(uvov, oder Hipparch. ap. Stra*
hon. 11,89 = I, 117 — 118 Mein.: — oazo p.;^ au^^copoup^vou XijpfAato;
xaTa9XEua!^^[jisvov. Desgleichen Aristo tel. de gener. anim. n. 8 (747 b, 5):
— oCO^ oXu>; EX Yvtop{{jiu>v TcotoOfuvo« xa; apx^C oder Oiocles Caryst. ap.
Galen. VI, 466 K. : — Stapapxovouaiv 2v{oxe, otov oqfvoo6pEva xat [k^ opioXo-
foiupEva xai flbcraava Xa[xßavovxE( lxavä>( ot^viat X^yciv x^v a^xfotv. Einige
Zeilen weiter iat eu schreiben: oxov (lAXv) nap« xouxo [statt ncpl toOxou]
YVcoptp-coTEpov 9^ icicrx^xfpov fsv^aOai tb XeY^iiEvov. Vgl. auch Aristozenoa,
Die harmon. Fragmente (S. 46 fin. Marquardt) : i^^is?« $^ op/ac xe ]cc(P«o|ae6«
XaßsTv 9atvo[jivac Saziaa^ (1. Sncavi) xoi; ip-icE^poic pouaixijc xai xot £x xo6ttt>v
au|ißa{vovxa a9co8ttxv^vat. Ein schwerlich ganz zufKlliger Anklang be-
gegnet uns bei Antiphon, Fragm. X. Blass. — Zur Beleuchtung der
HerodoteiMhe Stndiui n. 531
Nicht ohne gewaltiges Staunen wird man (cap. 25) aus
Stein's Ausgaben und Uebersetzung die wundersame Mähr ent-
nehmen^ dass in Ober-Libyen das ganze Jahr hindurch ,die
kalten Winde blasen'; imd das soll Herodot in demselben
Satze berichten, in welchem er von dem dort nie getrübten
Sonnenschein und der daselbst beständig herrschenden Hitze
spricht; ja die kalten Winde sollen in dem Lande des ewigen
Sommers (cap. 26) dazu beitragen^ dass die Sonne dort das
ganze Jahr hindurch das bewirke^ was sie anderswo nur zur
Sommerszeit bewirkt: ärce 8ia icavtb^ tou xp^vou octOpCou xe eovto^
Tou i^ipoq Tou xora xoeka xa xtjipia xal diXeeev^^ vf^^ X^P^< iodor^ %a\
dve|ji.ü)v ^^XP^^^f 8ie|((i)v noiiei oiov icep xai tö 6ipo{ d(i>6ec xot^etv
tii>y xb (jLiaov toO oupavou * ^xei y^P ^^ ^courbv xb f>$(i>p xx^. Der Un-
sinn dieser Textes -Ueberlieferung nöthigt uns zu der Annahme,
dass im Archetypus einige Worte (vielleicht eine Zeile) aus-
gefaUen sind und die fragliche Stelle ungefähr so zu schreiben
ist : xaj dvifjuov (ouBa|xa dicex^vxwv) <|/uxpwv — . (Die analoge Schrei-
bung des Sancroftianus und des Parisinus 1634 : oux 5vx(i)v oder
Tragweite des Herodoteischen Ausspruchs und der Geistesverfassung, aus
der er hervorgegangeni mögen schliesslich ein paar moderne ParaUelen
dienen: ,Auch hätte wohl durch ein leichtes vergleichendes Experiment
eonstatirt werden kOnnen, dass in den Raum wirklich verdünnter Luft
nicht nur Eisen, sondern auch andere Körper hineingetrieben werden;
allein gerade der Umstand, dass man solche Einwände er-
heben kann, zeigt, dass der Erklärungsversuch einen frucht-
baren Boden betritt, während mit der Annahme verborgener Kräfte,
specifischer Sympathien und ähnlichen Auskunftsmitteln gleich alles
weitere Nachdenken niedergeschlagen wird* (Lange, Geschichte des
Materialismus I^, 122). — ,Chercher ce fait' (das Uebematttrliche) ,avant
la cr^tion de Thomme; pour se dispenser de constater des miracles
historiques fair au del& de Thistoire, k des ^poques o& toute consta-
tation est impossible; c^est se r^fugier derri^re le nuage,
c'est prouver une chose obscure par une autre plus obscure,
contester une loi connue k cause d*un fait que nous ne connaissons pas*
(Renan, Les Apotres p. XL VII). — ,But Mr. Casaubon*s theory* (von
einer Ur-Offenbarung) ,wa8 not likely to brnise itself unawares
against discoveries: it floated among flexible conjectnres . . . it
was a method of interpretation which was not tested by the neces-
sity of forming anything which had sharper coUisions than an
elaborate notion of Gog and Magog: it was aa free from Interruption as
a plan for threading the stars together* (George Eliot, Middlemarch III,
92^93 (Tauchn. edit.).
532 Oompars.
iovTwv dlve[jL(i)v ^uyipia^ statt xal divdfjLwv ^j^uxpwv besitzt zwar keinerlei
Autorität, da sie auch dem Vindobonensis und, wie es scheint,
dem Vaticanus fremd ist; doch hätte die sinngemässe, wenn-
gleich allzu gewaltsame Conjectur, der die neueren Herausgeber
und Uebersetzer (etwa von Lange abgesehen, der die Worte
einfach auslässt!) einmüthig gefolgt sind, wohl eine Erwähnung
verdient. Stein's tiefes Stillschweigen muss den Leser zu der An-
nahme verleiten, der traditionelle Widersinn sei allezeit gläubig
hingenommen worden.
Wie hier, so hat Herr Stein auch in seiner Behandlung
von cap. 33 fin. das Kind mit dem Bade verschüttet. Dort heisst
es: TsXeirca 8s 6 "loTpoq e<; öiXaadav pewv tyjv tcu Eu^s^voü ttovtcd Bti
TCotciQ? EupwTCY)^, vfi 'I(rcpit)v Ol MtXiQfffwv ofxsouot airstxoc. Valckenaer
wies darauf hin, dass die durchschossenen Worte den ,eben-
mässigen Fluss der herodoteischen Rede^ störend unterbrechen,
und er fand sie um so anstössiger, da ja wenige Zeilen vorher
mit jJLeoTfjv ayJCwv tyjv Eupü)Tnrjv genau dasselbe gesagt sei. Qie Be-
merkung war nur halb wahr, denn die Wortverbindung TsXe'jri
— jiewv ist um nichts auffälliger und sicherlich eben so echt wie
das gleichartige äpyjxn ^ewv cap. 22 fin. Im Uebrigen hat es
mit der (von Stein in Bausch und Bogen verworfenen) Athetese
gewiss seine volle Richtigkeit. Die erste Handhabe zur Ii^ter-
polation bot das missverstandene und darum als bezuglos er-
achtete ^iiay , weiter gefördert hat sie das schulmeisterliche Be-
streben, den von Herodot vorausgesetzten Parallelismus zwischen
Donau und Nil (von welch' letzterem im Folgenden gesagt wird:
8ox6ü) 8ia TCöicr^^ vf^^ Aißurj^ Sis^iövia e^icjouaOai tw "luTpo)) auch sprach-
lich bis zum Aeussersten durchzuführen. Auch brauchte der
Interpolator die fraglichen Worte (wenn es wirklich dessen be-
durfte) nicht erst, wie Valckenaer annahm, aus IV, 49 herbei-
zuholen, da er sie weit näher — cap. 56 fin. — in gleicher
Anwendung vorfand. *
1 Abicht's Umstellung (teXsuts 3k 6 IvTpoc i^ OiXaaaav t^v tou EO^Ivo-^
jcdvTou ^^(ov Sta na<jr\i Edpcunr]«) zerrt das eng Zasammengehtfrende (nXcurf —
^^(üv) auseinander, ohne doch den von Valckenaer richtig empfundenen
Anstoss zu beheben. — Irre ich nicht, so sind auch IX, 61 fin. die Worte
IX Tou Kt6aipö>vo; aus dem Vorangehenden (9)^iC^fjievoc o icoTapuo; £v<i>Oiv h
Tou RiOatpwvo; ^iti xdixtn H xo iceSfov) wiederholt und neptax^^ctai ^^ouos
ebenso zu yerstehen wie Sp^cTat ^^(ov und iiXsura ^^cov an den oben
HerodotetBch« Stadien II. 533
Auch von solchen aus naher und nächster Nachbarschaft
eingeschmuggelten Emblemen ist unser Text noch überfüllt;
und es wäre unbillige hier in jedem einzelnen Falle das zu
verlangen, was sich in vielen Fällen mit einer jeden Zweifel
auBschliessenden Sicherheit leisten lässt: die Erbringung eines
strengen Beweises f)lr die Unmöglichkeit der Ueberlieferung.
Die Macht der durch eben diese Fälle geschaffenen Prae-
sumtion, der Analogieschlüsse in letzter Reihe auch das
geübte Sprachgefühl und das Ohr haben gleichfalls ein Wort
mitzureden^ und gefehlt wird nur — allzu häufig! — dadurch^
dass diese untergeordneten Factoren sich eine Stellung anmassen,
die ihnen nicht zukommt. ^ Endlich dürfen wir auch auf minder
zwingende Indicien hin eine Mehrheit von Emblenien dort an-
erkennen, wo die Hand des Interpolators einmal ergriffen
worden ist. Wer möchte uns z. B. Unrecht geben, wenn wir
IX, 91 in. also schreiben wollen : wq Zh xoXXb(; ijv Xt(yff6|x6vo? [6
^eivo^ 6 Xd|jLto^], sTpsTo AeuxuxtSY]^, ette %krfi6^o^ e^exev 6^Xa>v icuOlaOo»
siT£ xal xorca ouvTU)r{v)v [6sou xoteimo^]* y& ^eive Zipite, tt xoi ib
oüvojA«^; 6 ih elice ^'Ryr^naxponoq,^. b 8e uxapwaaog töv ewtXowcov Xo^ov,
et Tiva &p[Lrfco Xd^eiv b *HYv;ff(oTpaTO?, eTite* ,S6xo[jLai tov oicDvbv [xbv
•HTTifffarpaTOv] , & §eTv6 Sijxte' — . Das letzte dieser Embleme
ist bereits von Valckenaer erkannt und als solches erwiesen
besprochenen Stellen, zu denen sich noch l^n ^^cuv (I, 72, 21), ebctxv^crat
(titasf (I, 185, 23) und ijxst ^iovoa (n, 127, 5—6) gesellen. Mit ähnlicher
Fttlle des Ausdrucks heisst es II, 182 in.: ave0Y]xc h\ xst ovoOijpiaTa iä\L'^a<i
(add. SVR) b "Atxaai« h t^v 'EXkitöcu
* Wie missUch es ist, der Stimme des rhythmischen Gefühls allein zu
▼ertrauen, das mag ein Beispiel zeigen. An der von uns im Obigen
(S. 165 [27]) so ausführlich besprochenen Stelle 1, 32 haben Mehler (Mne-
mos. 1856, p. 66) und Cobet (bei Bfthr I, p. X) das Wort £vouao{ für
▼erdächtig erklärt. Nun wüsste ich zwar kein anderes Verdachtsmo-
ment zu nennen, denn dass dort eine zu der gehobenen Diction der
Stelle sehr wohl passende Redefülle, aber keinerlei eigentliche Tauto-
logie vorliegt, kann unsere Uebertragung derselben lehren; wohl aber
empfahl sich jener Tilgungsvorschlag mit der sich dann ergebenden Sym-
metrie des Doppelpaares ann)po( . . . obcaOr^^ xaxcov, itiicai; £uct8i{c dem Ohre
ungemein. Wer jedoch von unserer Darlegung überzeugt ward, dem
muss es nicht nur begreiflich, sondern nothweudig scheinen, dass einer
Mehrzahl negativer Bestimmungen, der die ganze sprachliche Ge-
staltung des Satzes angepasst ist, nur eine Minderheit von positiven
gegenüberstehe: «n)poc, £vou9oc, avcaOTj; xaxiav — ttiTcai^, f\S(i$i)c.
Ö34 Gomperz.
worden; nackt zeigen es die Handschriften der ersten Classe,
während die .übrigen durch Uöiwandlmig des Accusativs in den
Genetiv es dem Zusammenhang anzupassen suchen. Platterdings
unmöglich scheinen mir die Worte 6 ^s^voq 6 ld[uoq; denn
^Fremdling aus Samos^ ist als Anrede so passend und üblich,
wie unzulässig im Munde des Erzählers. Und da darf man
denn schliesslich wohl auch fragen, warum in dem Dilemma
eiTs — efue xa»! durch den Zusatz öeoö xoieuvto? die Möglichkeit,
dass die Frage eine rein zufällige sei, geradezu ausgeschlossen
werden soll, während doch der von Herodot gewählte Ausdruck
(wvTüxt'»;) eben hierfür die ganz eigentliche Bezeichnung ist (vgl.
z. B. DI, 121 : eiT' ex Tcpovoir^i; — eixe %a\ ffüVTuxit; xiq toigutv;
exe^^vsTo) , und ihm , wollte er von einer göttlichen Fügung
reden, andere und minder plumpe Wendungen, wie 6e{tj Tujri;
Xpe(i)|Ji.evo(; (III, 139) u. dgl. zu Gebote standen. *
n, 13 spricht Herodot die Befürchtung aus, die Bewohner
von Unter -Aegypten und insbesondere des Delta würden im
Laufe der Zeit der Vortheile der Nilschwelle verlustig gehen,
falls anders ihr Land in demselben Masse wie bisher zu wachsen
fortfahre. Nur von der Erhöhung des Terrains kann hier
die Rede sein, nicht von der Zunahme seiner Masse nach der
Seeseite hin;^ was soll also neben den allein sinngemässen
1 Man dürfte mir entgegnen, dass für den frommen Sinn, welcher in jedem
folgenreicheren Vorgang die Hand der Vorsehung erblickt, die Kate-
gorie des Zufalls so gut als nicht vorhanden sei. Qanz richtig; aber
damit ist die Sache nicht abgethan. Denn auf diesem Standpunkte isd
die Scheidung aller Begebenheiten in jene, die menschlichen Absichten
entspringen, und in solche, die scheinbar zufällig sind, aber auf gött-
licher Einwirkung beruhen, erst recht unmöglich. Denn warum sollte
das gläubige Gemüth dem Walten der Gottheit so enge Grenzen ziehen?
Warum sollte diese nicht auch menschliche Plane und Absichten beein-
flussen und hervorrufen können? Dass dem Halikamassier zum Minde-
sten jede derartige Sondemng fremd ist, dies können vielleicht unsere
Bemerkungen zu VII, 1*87 darthun helfen.
2 In der letzten (vierten) Auflage seiner commentirten Ausgabe versucht
Stein die angezweifelten Worte durch die folgende Erwägung zu recht-
fertigen: ,Denn sowohl die Vergrösserung als die Erhöhung des . . .
Areals vermindert allmälig die Wassermenge, die sich bei der KU-
schwelle über je einen Acker ergiesst/ Dass Herodot jedoch hienm
nicht denkt, sondern nur den Zeitpunkt ins Auge fasst, in welchem
die Nilfluthen jene Aecker überhaupt nicht mehr erreichen wer-
Herodotoisoli« Studien n. 535
Worten: ^^v olirci) i^ yß^i «^tr^ y.«ta X670V eiccSiBcp e<; 5^? noch der
Zusatz: %a\ tb 5[jloiov ohroS'.^co e^ a55t)ffcv? Ich vermag — gleich
Valckenaer und Krüger — in ihm nichts Anderes zu erkennen
als eine (mit Hilfe der sogleich in cäp. 14 vorkommenden
Sätze: ainrj yö^ scrt 1^ dcu^avc{jLivv; [sc. yßprl] und ei a^i iHXoi —
£{ ^q au^ivsaOai angefertigte) Marginalerklärung^ die durch
ein hinzugeftigtes xa{ mit dem Text verschmolzen ward. (Der
einsichtsvolle Rawlinson nimmt zu der dem Original keineswegs
entsprechenden pleonastischen Wendung seine Zuflucht : ^if the
land goes on rising and growing at this rate^) Sollte nicht
auch der Beisatz : xbv eirtXowov zu den Worten xetceoOat tov icovra
Xp6vov AlYinrrtot eine fremde Zuthat sein? Dass die Worte in S
fehlen (aber nicht in R und V) beweist freilich nichts gegen ihre
Echtheit. Allein sie sind nicht nur völlig entbehrUch; da Tbv
xovra yjpoyo'f allein ;die ganze Zukunft' bedeutet, 1 sondern sie
machen auch den Eindruck eines Strebens nach peinhcher und
pedantischer Genauigkeit, das unserem Autor ebenso fremd
wie seinem antiken Interpolator geläufig ist.
Ich kehre zu der Reihenfolge der Capitel zurück. Zu 11,
65, 17 flF. :* tb 8' av tt(; xwv 6iQp{a>v to6t(dv (der heiligen Thiere)
dnroxTeCvt), ^ [Jbiv sxcov, Oivoro^ 1^ ^v2(A('^ x*^^- bemerkt Stein: ,Die
Worte To 8' dtv ti? sind verdächtig, weil dem neutralen Relativ
keinerlei Beziehung im Nachsätze entspricht. Herodot schrieb
don, geht aus dem Wortlaut seiner Aeasserungen anzweideatig hervor:
[jL^ xftTaxXu^ovTO^ aui7]v Tou Ne{Xou und weiter unten: p-i^te 0
icoTttfibc oTo( T^ Iviat ec t«; clpoOpac 6icEpßalveiv. Mit Letronne,
der Schftfer's und Schweighäuser^s übergewaltsame Aenderungsvorschläge
mit Recht zurflckweist, in dem Satze eine statthafte Tautologie zu er-
kennen (Joum. d. sav. 1817, 49), dazu wird sich heute schwerlich Je-
mand entschliessen. Vielleicht rühren auch die Worte ^c &4^( an beiden
SteUen von der Hand des Interpolators her.
1 Bei Herodot (denn Oichterstellen wie Sophocl. fragm. 515 N. kOnnen
allerdings nichts beweisen) begegnet uns (falls mir nichts entgangen
ist) dieselbe Phrase noch zwOlfmal, theils auf die Vergangenheit, theils
auf die Zukunft bezogen, darunter zweimal mit dem durch den Zu-
sammenhang gebotenen einschränkenden Zusatz tf); K^l^ (ly B5 fin. und
VI, 52 fin.), sonst ohne jeden Beisatz (H, 178; IH, 65; HI, 75; IV, 187;
VI, 62; VI, 123; Vffl, 140; IX, 27; IX^ 73; IX, 106).
2 Beiläufig, II, 65, 5 genügt es yollständig, den, wie so häufig, fälschlich
eingesetzten Artikel mit Valckenaer zu tilgen : Ta>v o^ cTvexcv ftvETiat
la] tpa — .
536 Gomperi.
wohl ^; 8* Äv tiq u. 8. w. und so hat Diodor^ Ich würde diese
Bemerkung durch Krüger's Verweisung auf seine Sprachlehre
§. 51; 13, 12 als erledigt erachten , wenn der treffliche Gram-
matiker diese Ausdrucksweise auch aus Herodot selbst völlig aus-
reichend illustrirt hätte. Man vergleiche vor Allem III., 99, 12 :
Towt avSpiat icoieuat, wo die Verkennung dieser Construction zur
Schreibung 9)v ^k -^^tr^ icafAY] (in allen Handschriften ausser
in SVFK nach Gaisford^ nur in der Aldina und [mit leichter
Modification] im Parisin. d nach Stein) gefUhrt hat. Ebenfalls
hieher gehört IV, 99, 25 — ^26. Gewählt aber ward hier diese
Sprach weise (die, nebenbei, so alt ist wie Od. a 285 — 286)
wohl darum, weil der Historiker sagen wollte : ,welche8 immer
dieser Thiere Einer tödten mag, es erwartet ihn dieselbe —
harte — Strafe, der Tod^ nicht viel anders als wie Strabo
(p. 733 = 1022, 16 Mein.) sagt; Stw S' äv Ouacoai Oeej), xpcoTio tw
^pl e^xoviat.i — Einem ähnlichen Missverständniss ist offenbar
die leichte Trübung der Ueberlieferung entsprungen, der man
H, 115, 24 begegnet: ey^ ^^ i^^i ^^P^ icoXXou i^y^6)i.iqv (jLi]8eva ^eivcDv
(1. SeTvov) xTetveiv, 5ffot Cwc' wi\L(ii^ Tffiri diroXafiifOivTe; ijXOov e? X^^PJ"*
-riiv dfXT^v — . Der gen. plur. ward hier gewiss von einem Schreiber
oder Corrector eingeführt, der die Stelle nicht minder unrichtig
als Rawlinson verstand: , — that no stranger driven to my
country by adverse winds should ever be put to death', während
^ Dafür, dass ovti^ von Herodot mehrfach gleich o; und ebenso o; gleich
oanc gebraucht wird (hier kommt noch die Verbindung lo o*Sn ti( in
Betracht), vergleiche man Krüger 61, 8, 4 (auch Dialekt. Sjnt.) und für
das erstere insbesondere Struve's herrliche Untersuchung, Opusc. II , 256
sqq. Einen -weiteren Beleg sowohl für diese Gebrauchsweise, als für
die in den Handschriften (des herodoteischen Werkes, wie der Hippo*
kratischen Schriften, z.B. II, 74 fin.; VI, S4 fin.; VI, 99, Z. 7 v. n. L.)
stereotype Art der Verderbniss liefert IV, 149, 24, wo neben dem sjv.
QU der Vulgata der erste Parisinus obc^ ou, der Vatic. und Vindob. aber
ATCO Tou (der Sancroft. aazo io6tou!) darbieten, mithin sicherlich zn
schreiben ist: 0?oX6xou 8k ^{vEtai A?Ye6(, aic^ oreu A^yEt^at xaXeuvTst — .
Auch wenige Zeilen vorher ist auf Grund der Autorität dieser Hand-
schriftenclasse an die Stella des iizl unseres Textes das sprachlich gani
ebenso zulässige (Struve p. 262) ebcd aus SVR zu entnehmen: t^ ^l
viijaco anb lou o2xi9t^ü> Oijpa ii e;cu>vu(i{i) sy^vcto und di)cb tou Eicio^ touiou
0&VO(ia Tb> VC7)v{9xa> TOUTb) OMXuxo( iy^VCTO.
HerodoteUeb« Stadien II. 537
doch Proteus nur seinen Abscheu vor dem ^stvoxToveetv (wie
es bei der Recapitulation des G-edankens im Folgenden heisst)
ausdrücken will und der Satz ocot — x(i)p7]v ttjv ipii^v ebenso zu
verstehen ist wie die ganz gleichartigen Satzglieder IX, 2ß, 11:
Saai "JSSyj s^öBot xotvai e-f^vovTo txL oder I, 214 in. : 5(jai S^ ßapßapwv
In der von Späteren, insbesondere von Aristoteles, so viel
benutzten Beschreibung des Krokodils heisst es 11, 68, 9: Ixei
X6yov toü c(i>(ji.aToq. Die letzten Worte halte ich aus folgenden
Gründen für unecht.
1. Sie fehlen bei Aristoteles (Hist. anim. II, 10 fin. =
502% 9 — 10), wo sie Niemand vermisst.
2. Ihre Stellung ist eine ungeschickte, da sie augen-
scheinlich zu [Ki'fd'kou^ gehören und doch davon getrennt sind.
3. Sie sind thatsächlich unwahr.
4. Solch ein Marginalzusatz konnte durch das vorangehende
xal 6 v60(jffb<; xora Xo^ov toj ciou y^''^"^^' leicht veranlasst werden.
Die Wortverbindung xora Xi^ov hat (von I, 134 und der
daselbst einst von Stein richtig erkannten Interpolation: xori
Tov owTov 8^ Xovov xai ol Uipa(x{ ti[ji.u>(J'. abgesehen) in unserem Text
mehrfache Irrungen und Miss Verständnisse erzeugt. TL, 109, 7
sollte es bei der von Krüger vorgenommenen Ausscheidung ,de8
falschen Glossems^ sein Bewenden haben: 2x(i>^ tou Xoncou xor^c
X6yov [ttj? T£TaY[A^vr<<; a^co^opYJ;] TsX^ot. Das Urtheil des Verstandes
wird diesmal durch das Ohr bestätigt. Ebenso bedeutet die
Phrase schlechtweg ^verhältnissmässig^ VIT, 36, 1 (wo Stein das
Richtige hat. Lange und Krüger mit ihrem ,der Natur der Sache
nach% ,natürlich' arg irren). Mit , Verhältnisse ist Xcvo^ auch
I, 186, 4 (im Hinblick auf den regelmässigen Wechsel der Rohr-
und Ziegelschichten); 11, 13, 14; II, 14, 1 ; V, 8, 4 wiederzu-
geben, während Vlll, 111, 11 x-aToe Xf^ov allerdings =: xaia xb
ol%o^ (so Stein) zu setzen ist. Was soll es aber heissen, wenn
VII, 95, 15 von den vt;ffiwTat gesagt wird, sie seien ursprünglich
Pelasger gewesen, später aber lonier genannt worden xa'za tov
auTOv Xöyov xai oi BuwSexonrdXieg Hwve^ ol ol'k 'AOt;v^(i)v? Hier soll
xari Tbv ourbv Xcyov y.a( mit einem Male nicht mehr als ein
blosses xora tout« x.ai, , ebenso wie' bedeuten (Krüger nach Valcke-
naer), was weder mit dem Sprachgebrauch, noch mit irgend
Sitsunftbar. d. phiL-hist. C1. CHI. Bd. II. Hft. 30
538 Gompers.
einer der Bedeutungen von Xö^oq in Einklang zu bringen ist.
Stein übersetzt ,au8 demselben Grunde', ,mit demselben Rechte^
und erblickt in dem Satze eine Fortsetzung der I, 142 gegen
die ausschliesslichen Prätensionen der Zwölf-Städte-Ionier ge-
führten Polemik, die m. E. kein Grieche aus den Worten
herauslesen konnte, um so weniger als dieser vermeintliche
Gedanke hier mit keiner Silbe begründet wird. Dass femer die
$(i>$exonc6X(e; Icove; nicht mit den von Athen aus Angesiedelten
zusammenfallen, hatte zu allem Ueberfluss unser Historiker
I, 147 gesagt. Somit waf Valckenaer sicherlich auf richtigem
Wege, als er den Schluss des Satzes aus einer Marginalglosse
herleitete. Nur muss man aus sprachlichen wie aus sachlichen
Gründen den ganzen Satz dahin verweisen. Es ist der echt-
bürtige Bruder des Schlusssatzes von I^ 134.
Drei Irrthtimer Krüger's erwähne ich, weil sie sich auf
demselben Blatt vereinigt vorfinden, vrfid^ (ü, 84 fin.) ist nicht
nur ,poetisch% sondern auch ionisch (vgl. Ps. Hippocr. de
arte pass.); bei Herodot begegnet es ausser II, 37 (worauf
Krüger allein verweist) auch III, 42; IV, 71. — Der Dativ
in der Phrase: piiaSb) ^i^sX^vsovie^ 86, 5 ist keineswegs in den
Genetiv zu verwandeln, sondern mit Absicht gewählt, weil
die ägyptischen Einbalsamirer ,fixe Preise^ und die Auf-
traggeber nur die Wahl zwischen den drei Begräbnissciassen
hatten, mithin kein Feilschen um den Preis und kein Handel-
einswerden stattfand ; vgl. Lysias I, §. 29 : ey*^ ^^ '<?> l*^'* ex£iva>
TtjjLiflJiaTc oü 5^vexwpouv. — Endlich zu 86, 8—9 (bei der Be-
schreibung des Einbalsamirungs- Verfahrens) hat der treffliche
Grammatiker in kaum glaublicher Weise geirrt, indem er in
dem Satze: ta jji^v oörw ' e^flfYOvre?, Ta Ik sY/iovts^ ^xpyLMia
1 Mich erinnert dieser Gebranch von o^tco im Sinne von ,so, ohne Weiteres,
ohne etwas Weiteres zu thun* an die verwandte Bedeutnng- der Partikel :
,so, ohne dass es weiter etwas zu bedeuten hätte*, die ich bei Plato
in einer vielbehandelten Stelle des Symposion (21 7 D) wiederfinde. Ich
mOchte dieselbe n&niUch, jedenfalls unter Anwendung gelinderer Mittel
als bisher versucht wurden, also ordnen: opirs yxp ort Stoxpin;; spcartxoic
8(ax£iTai ttuv xaXtov x«i «ci ;c£pi toOto«; sttiv xai IxnsiiXijxTat, xa? aS ayvosT
itavT« xat ov>Slv oTötv, fi»^ to oyijiia av»7oii to3to [oü], aiXT,VfT)8c;. v^poopa yi
Touto yap (1. v^>06pa ykp touto yt) ouio; (1. ourtu;) IJeuSfv rsptß^XijTxt
tMortp 0 ffXu{i.(JLi>N>{ 9iXi]vo; * lv6o6ev $i xtI. Natfirlich ist f^hi oTdc oiXi^vtkidc;
die Worte zx Ik mit ciz'tLVLx verband , wie steine Verwei-
sung auf Dicht. Synt. 50, 3, 2 beweist ! Richtig erklärt Stein :
,Ti 5s, sc. £;iYsvT£^. Dem zFxm des ersten Gliedes entspricht hier
hf/izr^zz ^iz\L3X3^. Nur moss eben dämm, ich denke noth wendig,
i^X^*^*^-^ geschrieben werden; sonst wäre die Verbindung eine
ebenso wenig angemessene wie Vlll, 105 sxTi^xvwv i^tvEiüv sxcüXse
i; üf^!?, wo mir Naber mit der Verbesserung ixTa^xiov zuvor-
gekommen ist (lilnemos. 1854, pag. 48 1\ Eine gleichartige
Corruptel werden wir zu III, 110 fin. mit Hilfe der bes:>eren
Handschriftenfamilie berichtigen können.
Ich übergehe mancheriei EJeinigkeiten und komme zu
n, 104, wo, beiläufig bemerkt, die von unserem Historiker offen
gelassene Frage nach dem Ursprung der Beschneidnng jetzt
wohl dahin entschieden werden kann, dass die Sitte sicherlich
nicht von den Aegyptem zu den Negern, eher umgekehrt von
diesen zu jenen gelangt ist.' Denn wie unwahrscheinlich ist
es doch, dass äquatoriale Negervölker wie die Monbuttu und
Akka (vgl. Schweinfurth, Im Herzen von Afrika II, 17)3) von
ägyptischen (^dtureinfltissen berührt worden seien. Am Ende
jenes lehrreichen Abschnittes ist aber meines Erachtens ein
Elmblem auszuscheiden in den Worten : 4>stvtTwv cxirst ti; 'E/./isi
II, 107, 2: -rbv Ik i^ jjuÄsTv tcuts, xrr!xa r-»|x^s'jA£J£3^j! rf,
so gremeint, wie die Dichter xv".-*» E^oitat u. dgl. gebrmochen [ygi. Soph.
Phil«K-t. 960 oder Nani-k zn Antiar. 301 ; rielleicht ist anch Antig-. 71 so
zn venrtehen). — (Dääi ein VaticÄims [1030 in Bekker's Ap|Mmitl o-jT'o;
statt o'to; bietet, hat wahrscheinlich wenie «n bedeuten.)
* Wenn man nicht vielmehr, wie bei den Rew«>hnem der Fidji - Inseln
fTylor. Eariy hist. uf mank. 216) «>der bei den Katfem (Backte, Com-
mon Place BiHfk n. 4 im Index) von jedem ins<«eren Zusammenhang«
absehen darf.
' Die richtitre Wortstellung zum Minderten ist anch \TIL, 129, 9 gestört
worden und nach SVR herzustellen: ra; jxrv oSo (lotsa«. Eine gnTse^ere
Zahl vun Fäulen, in welchen die Partikel u£v im hen»doteis«chen Texte
aui^iallen ist, hat Naber zusammengestellt 'Mnemon. I*<ri4, p. l*<2i.
Sollte nicht auch Ul, 31, !i2 hieher gehören: ■•co;j:'*«j »ov tov K3u^J7£o>,
'^xsxptvwTo auTu outoc xat O'xxta za* x^^aAEa, ^zti^vot vo|aov -'u?/ ouO£vx
S6»
540 Gomp«rs.
TO xat6{i.evov , auTOuq Ik e^' IxeCvcov sTcißaivovra^ 6xa(dl^£o6at. Toika irocijcaK
Tov SicTworptv, %ou 8uo jA^v Tü)v 7ua{B(i)v xaiooco^vai Tp6ini> ToioOtw, to'j^
§^ Xoi'^roüq aico 7(1)0^ vat £|i.a T(p xocTpi. vo9r)f)ca^ $e 6 Zeaioorpt^ ec
ty;v At'YW'^o^ >^a'i Tisajxsvo? xbv dScX^eöv, tw jacv 6|ji£Xa) töv iizru^fdcxs^
TU)V Ta? X***P*? x.aTeaTpe<]^«TO, to6t(i) [a^v TiBe ixpi^corco. — Die
Worte Töv — xaT£aTpd^l;aTo sind vormals von Stein mit Recht als
eine ungehörige (auch durch ihre Unvollständigkeit, wie
ich meine, als Emblem gekennzeichnete) Wiederholung aus
dem Anfang des Capitels: toSv eövewv twv t^c? X^P^^ xöcrcoTpol^aro,
erkannt worden. In dem Satzglied tou^ — -rcorpi hat Krüger
die Erwähnung der Gemahlin des Sesostris vermisst, und er
schlug zweifelnd vor , xal rf^ jAYjTp{ ergänzend hinzuzufügen. Der
Anstoss scheint mir wohl begründet, das Heilmittel verfehlt.
Ich halte die Worte gleichfalls für ein Emblem, welches sich
durch seine Entbehrlichkeit und seine Unvollständigkeit eben
als solches verräth. Die Handhabe dazu mochte die Verkennung
des [xdv solitarium bieten, ein Umstand, der auch 121 e, 14 min-
destens die Einschaltung eines (dem Zusammenhang widerstrei-
tenden) H in mehreren Handschriften bewirkt hat
n, 116 heisst es von Homer, er habe den ägyptischen
Aufenthalt der Helena zwar gekannt, aber für die dichterische
Darstellung des trojanischen Krieges minder geeignet befunden
und darum bei Seite gelassen, BirjXcixjai; w; x.ai toütov iidfnouxo tov
Xö^ov 8^Xov (1. StjXoT) ^k yjxvol 'rcap6TCo(r,a6 (so Bekk.) ev 'IXti3t — .
Meine Aenderung erheischt der allgemein herrschende Sprach-
gebrauch.' Die Schreiber haben hier gerade so geirrt wie
E(eup{ax£tv o( xeXeuei a8EX9£bv auvotx^Eiv a8sX9£^, aXXov (x^vtoi i^Evpijxivsi
vo{jLov xtI. ? Die Schärfe des Gegensatzes lässt hier (anders als z. B. YIII.
42 fin.) die Concessivpartikel vor [ji^vroi kaum als entbehrlich erscheinen.
* Auf die Schlussworte des Capitels: ev To^ioiai Totai Ijcsai Sr^Xot x-ri. kann
man sich gleichfalls insofern berufen, als sie augenscheinlich das Obige
wieder aufzunehmen bestimmt sind. Ob sie übrigens von Herodot's
eigener Hand herrühren oder die Grenzen der hier längst erkannten
Interpolation sich weiter erstrecken, als man gemeiniglich annimmt, dies
ist eine der vielen derartigen Fragen, in Betreff deren ich mir yorlänfig
Zurückhaltung auferlege. Mit erträglichem Geschick durchgeführte antike
Interpolationen lassen sich oft nicht mit voller Sicherheit als solche er>
weisen, und man thut vielleicht bei einem so vielfach verunstalteten
Texte, wie es der herodoteische ist, besser daran, sich zunächst auf die
Besprechung solcher Verderbnisse zu beschränken, die streng erweisbar
H«rodotoische Studien 11. 541
mehrere neuere Herausgeber, welche 117 in. xora touTa Ik t«
licea xal xoSe [xb x^P^o^ s^d« Valcken.] oux f^xiOT« dXXa (jiaXtdTa
BijXov schreiben, während die Handschriften einstimmig StjXoT
(,e8 erhellt') darbieten. Der impersönliche oder subjectlose Ge-
brauch von Jt;Xot aber ist meines Erachtens wie hier von Val-
ckenaer und seinen Nachfolgern (s. jedoch schon Schweighäuser's
Berichtigung im Lexic. herod.), so auch HI, 82, 5 seit jeher
verkannt worden in den Worten: xat ev toutw JtjXoi xal outo; w;
1^ ixoüvapxdf] xpiitoTov. Mein Einwand freilich: ,nicht der aus der
Pöbelherrschaft auftauchende Monarch, sondern der Kreislauf
der Dinge^ der auch auf diesem Wege wieder zur Monarchie
zurückfuhrt, ist der Beweis fiir die Güte dieser Regierungsform'
möchte leicht als übersubtil verworfen werden. Allein jeden
Widerspruch schlägt der Rückblick auf den kurz vorangehenden
Parallelsatz nieder: xal ev touto) Bi^Se^s Saw eaii touto dtpiorov.
Man schreibe daher mit einer Aenderung, die uns schon so
häufig als nöthig erschienen ist, auch hier : xal ev xouro) SiqXoT
xal oiiTb) üx; 1^ (JLOuvap^iT; xpariaiov.
n, 124, 3: epvdl^ovto ik xstBc S^xa {xuptaBa^ avOp(i>x(i)v oiei, tt)v
xpijiTjVov SxaffToi. So ist nothwendig zu interpungiren und zu
schreiben, wenngleich diesmal schon im Archetypus derselbe
Fehler sich vorfand (ixaatiQv), der H, 168, 18 (KaXadtpiwv yCMoi
xai *Ep(AOTuß{(i)v e^opu^opeov iviouTov exaaTCi xbv ßaciX^a) in Hand-
schriften der ersten Classe und IX, 93, 9 (ouroi fuXicaoüat eviauibv
ixaoTo?) in solchen der zweiten Classe angetroffen wird; an
ersterer SteUe bieten nämlich R und S, an letzterer der Mediceus
von erster Hand Sxaorov. Dieselbe unwillkürliche Assimilirung
benachbarter Worte hat auch H, 156 in. eine bisher nicht be-
merkte Irrung erzeugt in dem Satze: outo; (Aev vuv 6 vt;b^ xcov
9avep(i5v jaoi tcov xept toüxo to lp6v eort OcjuixaaicoTato^, tcov Se 8euT6ph)v
vfj9o< il Xi[L\u^ xaXeujJb^vY]. Oder sollte Herodot wirklich, nachdem
er die Hauptmerkwürdigkeit des Ortes genannt hat, fortfahren :
,unter den Dingen zweiten Ranges aber ist die Insel Chemmis
iind oder ohne Beweis Jedermann einleuchten, und dadurch den We(^
zu ebnen für die Erkenntniss und schliessHche Ausmerzung auch der
tiefer Heftenden Schiden. Nur so viel wird man mir vielleicht ohne
Weiteres zugeben, dass, falls auf 116, 19 xat euc e; SiScöva ttj^ <l>otv{xr^;
aazbuxo unmittelbar folgte 117 xara tauTa t\ ta hztoL xtI., der Text keine
Einbusse erlitte, die nicht leicht zu verschmerzen wäre.
542 (iomperz.
die merkwürdigste?' Warum führt er doch von diesen Bsutepa im
Folgenden kein einziges an, und weshalb sollte er, der Meister
planer und natürlicher Darstellung, diesmal eine so gewundene
Ausdrucks weise gewählt haben? Er schrieb vielmehr sicher-
lich: Twv hk SeuTspov — ,the next greatest marveP, wie Raw-
linson völlig sinngemäss übersetzt. Wer sich aber daran stossen
sollte, dass die Adversativpartikel nicht bei SeuTspcv steht (Beixspsv
5s TouTwv), der sei auf Stellen verwiesen wie III, 128 in. : Astpsbr
[A^v TaOra eireipcoTa, tw Se d'vSpe^ Tpii^^vta uTtdffTYjcav — ; V, 81 :
Tou? [xev AiaxiSai; a^i a-eTTSfjupav, twv Se avSpöv eBeovTo (mit Krügers
Anm.); VII, 36 in.: xal ol fjiev toöt« ewoieov, — Taq 5s oXy^ot opyj-
T^x.TovE^ el^su^vucov. Herodot liebt es eben Personalpronomina so-
wohl als den sie vertretenden Artikel an die Spitze des Satzes
zu stellen und die Adversativpartikel unmittelbar daran zu
knüpfen, eine Eigenthümlichkeit, von welcher der Gebrauch von
6 8s = aXXa (s. Krüger zu I, 17, §. 2) ein bekannter Special-
fall ist.i
1 Wie diese Eigenthümlichkeit der herodoteischen Syntax hier an einer
leichten Trübung der Ueberlieferung mitschuldig ist, so hat sie Vm, 25
ein grobes Missverständniss und eine schwere Interpolation erzeugen
und verdecken helfen. Ich meine die Einschiebung der aas YII, 228
entnommenen Worte Teaaspe^ ^^iXtaos;, die von C. Heraeus (Jahrb. 1868,
507 — 510) in vollständig überzeugender Weise erwiesen worden ist. Da
Gründe hier ihre Kraft erschöpft zu haben scheinen (Stein zum Min-
desten ist durch jene Darlegung, die man fUr eine endgiltige halten
sollte, von dem alten Wahne nicht geheilt worden), so darf ich viel-
leicht ausnahmsweise das bemerken, was ich so häufig zu bemerken
unterlasse, dass ich schon lange vor Heraeua durch genau dieselbe Be-
weisführung zu genau demselben Resultate gelangt war und auch heute
(nach fast dreissig Jahren) an jener Argumentation und ihrem Ergeb-
niss unerschüttert festhalte. — Nur in einer Kleinigkeit hat Heraens
geirrt (und darum allein komme ich auf die Sache zurück), nämlich
darin, dass er twv in twv [jl^v y\Xio\. s^afvovro xE{[jL£vot vExpof für ,demon-
strativ* gebraucht hielt. Es ist vielmehr, denn in jenem Falle würde
man ein yip vermissen, das Relativ und g^lt einem louicuv yip gleich,
wie so oft bei Herodot, z. B. I, 210, U; VII, 154, 12 oder UI, U,
19: To 81 Tou haipoli 7:i0o( (diese Yulgat-Lesart und nicht das niv8o; der
besten Handschriften wird von Sinn und Zusammenhang gebieterisch ge-
fordert) yjv a^iov §axpu(ov, o; ex tioXaöjv ts xai £OBai|Jidv(ov ixT^earov i; :;t'u-
j^Tjfijv antxTai 67:1 yr^pao; oö8ü). Dieser Gebrauch ist mehrfach verkannt
worden und hat wiederholt die Einschaltung eines yip in der zweiten
Handschriftenclasse veranlasst, so: VH, 137: oi [yap om. 8VR] jujisöiv-
Herodotoische Stadien 11. 543
Jene Verderbniss von ixaatoi erinnert mich aber an die
analoge Comiptel III, 18, 12 (in der Schilderung des sogenannten
Sonnentisches der Aethiopen) : eg tbv xa^ [xev v6x.Ta; iTzirrfieüorca^
TiO^vat Ta xpi« Toy? ev TdXeV ^xactou^ eoviaq, wofUr man nothwendig
schreiben muss: tou(; ev teXei ixiatoie sovra^, gerade so wie es
IV, 180, 21 heisst: xotvi) -rcopOevov 'njv xaXXtoreGouaov exadtoxe — .
(Anders geartet und unanstössig ist IV, 33, 9: azo ^k ZxuOsb>v
ffiri — Tou; xXtjJtoxwpoui; ixdaroü^.) Kaum der Erwähnung werth
scheint es, dass die entgegengesetzte vVerderbniss (ixaTcote statt
sxaaroiat) II, 174, 3 in SVR begegnet.
II, 134 fin. lautet in allen mir bekannten Herodot- Ausgaben
(von einer abgesehen, von welcher später die Rede sein soll)
wie folgt : STcei t6 -^ap icoXXaxi^ xTjpuaaovrwv AeX^v ex Oeoicporciou Iq
'laBfjiovo? 5^ xatSb? xoi; oXXo^ laSixcov avetXeto. Stein geht (oder
ging doch in den ersten Auflagen seines Commentars) über die
wundersame, ja beispiellose Construction stillschweigend hin-
weg; er scheint es daher mit Lhardy und der grossen Mehr-
zahl der Herausgeber fUr statthaft zu halten, dass mit laBpiovo^
Ik der Nachsatz beginne; Krüger meint, dass dies ,nicht fUg-
lich^ der Fall sein könne und glaubt dadurch Hilfe zu bringen,
dass er nach avetXero einen Beistrich setzt und die nachfolgenden
Worte oI/ra> xal A?9a>ico^ laSpicvo^ eY^vsto als Nachsatz ansieht, —
eine Annahme, deren UnmOgUchkeit sofort erhellt, wenn man
die Stelle im Zusammenhange liest. Mir ward dieses Satz-Un-
gethüm, welches sich freilich durch eine ebenso leichte als
sichere Aenderung berichtigen lässt, der Anlass, die Frage nach
der Zulässigkeit des li in apodosi einer umfassenden (auch
auf Homer sich erstreckenden) Untersuchung zu unterziehen.
Ich konnte mich dieser Nothwendigkeit um so weniger ent-
schlagen, als ich zwar auf mancherlei nützUche Zusammen-
stellungen und richtige Einzelbeobachtungen, hingegen auf
keinen einzigen Versuch traf, diese anomale Spracherscheinung
in ihrer Totalität bei diesem oder bei einem andern Schrift-
steller zu behandeln, die Grenzen, innerhalb deren sie sich
bewegt^ und die Bedingungen, welchen sie unterworfen ist,
lEC u3cb AatxESaipiov{<üv xre., oder VI, 15, 5, wo nicht nur "^ap eingeschoben,
sondern auch oT getilgt ward (Zeitschr. für Osten-* Gymn. 1859, 8. 828).
544 Gomp«rc.
in erschöpfender Weise zu ermitteln. Die den herodoteischen
Sprachgebrauch betreffenden Ergebnisse sind in Ktbrze die fol-
genden. Vor allem Andern ist jene Construction bei unserem
Historiker an eine ausnahmslose Regel gebunden: de im
Nachsatz lehnt sieh immer an ein Personal-Pronomen
an oder an den als ein solches gebrauchten Artikel. — (Anders
ist es bei Homer, bei dem nicht selten Zeitpartikeln und auch
andere Wortarten an der Spitze derartiger Sätze erscheinen,
und welchen daher Krüger, Di. Synt. 50, 1, 11, in diesem Be-
tracht nicht mit Herodot auf eine Stufe stellen durfte.) Ferner zer-
fUllt die Gesammtheit der authentischen Fälle in drei Gruppen,
die sich in Kürze wie folgt charakterisiren lassen:
A. Wiederholung des apodotischen Bs aus dem Vorder-
satze.
B. Auftreten desselben in Nachsätzen einer Doppel-
periode (deren beide Hälften jedoch nicht stets gleich-
massig ausgeführt sind).
C. Eigentlich anakoluthischer , durch begrifflichen
Gegensatz motivirter Gebrauch des li = einem
aXXi.
Nachdem Werfer (acta philol. monac. I, 88 sqq.) und Buttmann
(im 12. Excurs zur Midiana) die Frage vielseitig und grund-
legend behandelt, Lhardy und Stein (insbesondere zu I, 112
und n, 39) nützliche Bemerkungen und Sammlungen hinzu-
gefügt hatten, habe ich vor Jahren das Gesammtmateri&I
zusammenzustellen versucht, wobei mir hoffentlich nichts, jeden-
falls nichts Erhebliches, entgangen sein dürfte. Ich ordne die
Stellen also:
A, I, 138 in. Taut« Se (Se add. Vindob.); 163 5 (ein Satz der
alles UngefUge verlöre, wenn wir statt dx; [Z. 2j l<; schreiben
dürften [man vgl. HI, 120 6 oder IV, 52 2 fUr otrrw $< ti
mit folgendem Relativ]); 171 fin.j H, 50 17, 61 3, 111 i9,
120 10; m, 37 11 ; IV, 66 fin.; IV, 81 7? (ich vermuthe
nämlich : (iyÄ) 8^) wSe aTjAwaü), vgl. IH, 37 und IV, 99) 99 l,
204 8; V, 37 16; VI, 16 u, 58 21, 157 17; VIÜ, 115 28;
IX, 63 8, 85 9.
B, I, 13 4*, 173 3*, 196 i; H, 26 22, 39 10*, 42 in., 102 6,
149 7*, 174 5; m, 36 21*, 69 0, 133 24; IV, 3 2*, 61 u,
Hwodoteitcha Stadien 11. 545
65 21*, 68 11*, 94 10*, 126 4*, 165 in * (wo, nebenbei be-
merkt, Stein das t^coi; der Handschriften in Itoq verändert^
während er im ganz gleichen P^'alle J, 173 3 diese Aen-
derung vorzunehmen unterlässt. Dass t£od^ mehrfach re-
lativ angewendet wird, erhellt zumeist aus einer Anzahl
hippokratischer Stellen [s. Thes.], am deutlichsten aus de
morb. sacr. c. 16, wo man sinnwidrig liest: w; Äv [f.i'tiyri
Toö T^ipo^, die besten Handschriften aber — darunter der
Vindob. und Marcian. — t6 ox; bieten d. h. t^w^; auch bei
PlatoSymp. 191 E würde ich die alterthümliche Form nicht
wegcorrigiren); V, 1 6*, 73 8*; VI, 52 i*; VII, 159 24,
160 9*, 188 4*; IX, 6 in .*, 48 18*, 63 9*, 70 lO. (Derartige
Doppelperioden ohne H in apodosi erscheinen z. B. ü,
121 6; m, 108 13; HI, 158 16, wo ouroi jxiv aus SVR zu
entnehmen ist, halb ausgeführt I, 184 — 185 u. s. w.)
C. 1, 112 18 (vgl. aXXa in IX, 42 23); HI, 68 16; V, 40 15;
Vn, 51 9, 103 18 (Gegensatz der Personen wie bei aXXa
Vn, 11 2 oder IX, 48 15);> VUI, 22 ii; IX, 60 24.
Aus dem Rahmen von B tritt scheinbar heraus VI, 30 in. ;
eine Ausnahme, welche jedoch in Wahrheit die Regel bestätigt:
denn die Doppelperiode ist nur darum nicht zur Ausführung
gelangt, weil die eine Alternative zwar hypothetisch, die andere
aber wirklich ist. Viele ähnliche Fälle (über welche Werfer
pag. 94 zu vergleichen ist) mussten wir unter A stellen. Des-
gleichen steht von dem Gros der unter C vereinigten Stellen
ein wenig abseits HI, 108 l : cteov b (nL6iJLvo<; — «PXI'^*^ 3ia>tiv6Ö|jL€vo^
— b Ik aixuaaei xa? M-T^tpa^, wo das Unerwartete der Thatsache,
dass das Junge im Mutterleib diesen theilweise zerstört, die
Wahl des ungewöhnlich lebhaften Ausdrucks augenscheinlich
veranlasst hat. Endlich tritt in kaum merkhcher Weise aus
dieser dritten Reihe heraus IV, 189, 17 — 20: xXtjv yap Sit — xa
Ik iXX« -KctnoL^ wo Steins Aenderung des 3ä in y« schwerlich be-
rechtigt ist und die — leichte — Anomalie nur darin besteht,
dass der Artikel als solcher und nicht pronominal gebraucht ist.
^ Ist nicht auch Vm, 140«, 19 zu schreiben: (ol>.X*) SXXij rMpioxan Ko\Xca:\i\'
a{i), gleichwie (nach Krfiger's Überaus ansprechender Vermuthung) VI,
13, 6 : (oXX^ oXXo 99t lunpiaxaLi TCCVTflncXvJortov ?
546 Qompers.
Man sieht^ dass diese anomale Gebrauchsweise sich bei
Herodot in sehr engen Grenzen bewegt. A und C sind Special-
fklle allgemeinerer ; weit umfassenderer Sprachphänomene —
der Wiederholung oder Epanalepsis einerseits, die ja ebenso
bei anderen Partikeln (wie eben hier bei jx^v) und desgleichen bei
anderen Wortarten und ganzen Satzgliedern auftritt und bei li
selbst auch ausserhalb der Apodosis^ — der ebenso gelinden
als wohl motivirten Anakoluthie andererseits, die bei Schrift-
stellern, welche nicht Herodot's Vorliebe für die VoransteUung
des Personal-Pronomens theilen, durch ein die Construction kaum
störendes aXXa bewirkt wird (et |x^ -repÖTcpov, aXXot vi5v). So
bleibt denn als etwas Eigenthümliches und der Erklärung Be*
dürftiges nur B zurück, oder genauer gesprochen — denn das
8e im Nachsatz der zweiten Periode kann, streng genommen,
auch als ein Specialfall von A gelten — jene neunzehn Fälle,
die wir durch ein Sternchen ausgezeichnet haben. Ueber diese
ist einfach zu sagen, dass unser Autor aus der imgleich weiteren
aber freilich auch nicht imbegrenzten Gebrauchssphäre Homer's
diesen Rest der ursprünglichen Parataktik als ein Kunstmittel
übernommen hat, welches dazu dient, eine Doppelperiode durch
scharf pointirende Hervorhebung ihrer einzelnen Bestandtheile
innerlich zu gliedern. Sehr bezeichnend ist in diesem Betracht
die Beifügung von tots (i^ Je tots ü, 149 7, wofUr es bei Homer
To^pa Be geheissen hätte), gleichwie das Fehlen des Si bei jenen
Nachsätzen, deren Inhalt aus dem Vordersatze wie etwas Selbst-
verständliches hervorgeht (z. B. H, 174 6), und seine Hinzu-
fügung dort, wo die Apodosis als etwas Unerwartetes und
Ueberraschendes sich der Protasis gegenüberstellt (vgl. insbe-
sondere in, 36 21 5 in, 133 24 [denn das Geheimhalten einer
Krankheit ist die Ausnahme, die Herbeirufung des Arztes die
Regel]; IV, 61 U; VI, 52 15 VII, 159 24.) Doch die Anerken-
nung dieser drei Gebrauchsweisen ist nicht neu (wenngleich
Buttmann's feine Unterscheidungen von Späteren wieder viel-
fach in Verwirrung gebracht wurden), wohl aber die Ver-
bindung dieser Normen mit der zuerst erwähnten imd die
Einsicht, dass die unserem Doppelkanon widerstrebenden Fälle
bei Herodot ausnahmslos auf Textesfehlem oder auf falscher
Erklärung beruhen, wie die nachfolgende Musterung derselben
lehren soll.
Herodoteische Stadien II. . 547
1. n, 32 14: eicei iv lob^ veiQviou; diroTcsfAxojJiivoüg urco twv i^X(-
x(i)v, l>SaT{ T6 xai atxtetat eu 65Tr;pTujii^voü<;, Uvai Ta zpCdxa [jiev 8ia rf^q
otxeo|AdvYj<;, Ta6TTQV ^l Jie^eXOovra; ei; tt)v 0Y2pUi>Sea ixixicOai, ex 5i
Sis^eXOövTai; 8e x^pov xoXXbv <]/aix(ji.b>S£a — . Diese Stelle muss
hier darum Erwähnung finden^ weil kein Geringerer als Gottfried
Hermann zu Viger. (n. 241, pag. 784) den Nachsatz mit den
Worten Sis^sXOovxa^ §£ beginnen liess, — eine Annahme, die
ganz unabhängig von der Frage nach der Zulässigkeit eines
derartig gebrauchten apodotischen Be unbedingt zurückzuweisen
und in der That wohl von sämmtlichen Interpreten vor und
nach Hermann verworfen worden ist; denn (um mit Matthiae
zu sprechen) ,in protasi commemorari, tamquam aliunde vel
per se satis nota, non possunt ea quae et nondum commemorata
sunt et Caput narrationis continent*. Dabei muss es nothwendig
sein Bewenden haben, man mag nun welches immer der bisher
vorgeschlagenen Heilmittel (unter denen Reiske's Verwandlung
von ixei in sixetv oder sTicai [so auch Stein] den meisten An-
klang gefunden hat) in Anwendung bringen oder es mit Herold
flir das Wahrscheinlichste halten, dass der Sitz des Fehlers in
aÄOW6|XTCOfji.evoü? zu suchen und durch die Herstellung des Infinitivs
ÄTCOTC^jAXEoOai zu heben ist. ' Vgl. die Beispiele dieser Construction,
welche Lhardy zu I, 24 zusammengestellt hat, auch III, 50 4-5:
£xe(T6 ii a^eaq axez^iJLxeTo.
2. Noch schlimmer steht es mit der nach Gaisford und
Stein jeder handschriftlichen Grundlage entbehrenden
Vulgat-Lesart IH, 26 3 in dem Satze : exeiSt) ex. tSJ? Dfle9io<; laOrr;?
Uva». Sia -nj; t]/i|A|i.oü irt d^e«?, Y^^^aOai Te [autou;?] jJieTa^u xsu (xa-
Xiora ouTtov xe xai tyj^ Dolaioq, deptcTOv aipsojAevoiai auxoT« eicixveü-
ffai v6tov [ki-^ON Te xal e5a*'(Jiov xts. Hier hat der Herausgeber
der Aldina und die Mehrzahl seiner Nachfolger (jedoch nicht
mehr Schweighäuser und Gaisford, wenngleich auf fHiliger Weise
wieder Bekker) ein 8e zwischen apiorov und a'tpeoiASvoiai ein-
< Dies schlugt Herold , wenngleich zweifelnd vor emend. herod. II, 6,
indem er auch auf die gleiche Verderbniss im cod. Flor.' (I, 2, 2)
hinwies, Hermann^s Irrthum vielleicht noch besser als Blatthiae wider-
legte und Bredow's missverst&ndliche Auffassung von IV, 10, 19 (de
dial. herod. 107) endgiltig beseitigte.
548 Oomperz.
geschoben, augenscheinlich in der Absicht, den Satz deutlicher
zu gliedern, wobei die Meisten wohl gleich Kj-Üger den Nach-
satz bei Ysvd(j6at xe beginnen lassen wollten, sicherlich nur Wenige
mit Lhardy diese Verwendung des apodotischen Se fiir möglich
oder zulässig hielten.
3. Der erstaunliche Irrthum, den ein hervorragender Gram-
matiker hier begangen und hartnäckig festgehalten hat, nöthigt
uns zu einer kurzen Bemerkung über die nachfolgende Stelle
(IV, 72 4): Tü)v 8s 5y) veT)vi(j>uov twv a-iroTcexviflAevwv twv zem^xavTi
Sva sxarrov dvaßißal^oufft iid tcv Tttiuov (1. ii:' Txtcov, vgl. S. 572), iBe
dvaßißdel^ovTe? • eitsav vexpou £x.aaTO'j wapa t7)v oxavOav ^Xov cp6bv 8t-
sXacwffi |x^pi Tou TpaxT^Xou* xaxwOsv Se uTcepexei "cou ^'jXou xtI. Hierzu
bemerkt Krüger, auch in der letzten, nach seinen handschrift-
lichen Aufzeichnungen vervollständigten Auflage seines Com-
mentars: ,Hier liegen Fälschungen vor. Denn abgesehen von
dem 8^, das Herodot im Nachsatze so nicht zu gebrauchen
pflegt, fehlt auch die Darstellung des dvaßißaJ^eiv selbst. . . .
Eine Lücke nach ipoc^-fiko^j annehmend lese ich jetzt (in 2. Aufl.) :
xoTcoOev i-fi oder to (5) xätwOsv urcspexsi fou §6Xoü toutou iq — . Die
Worte exedv — Tpa/T^Xoü bilden natürlich (wie auch Stein richtig
erkannt hat) keineswegs die Protasis zum Folgenden, sondern
die an wSe unmittelbar sich anschliessende Erklärung, die He-
rodot allerdings gewöhnlicher durch einen Participialsatz liefert.
Er hätte sagen können: wSe dvaßißal^ouai* SieXadavie; xts., gerade
wie er (und darauf verweist Krüger selbst zu IV, 48) H, 2 2
sagt: 8(8(i>ai TCoipievi tpe^Etv i? xd icoifxvCa Tpo^i^v tiv« Toti^vÄe' ev-
TetXd|i.evo<; jjLTjS^va y.zL Doch ermangelt auch die vorliegende
Ausdnicksweise nicht einer genau zutreffenden Parallele; VTI,
15 fin. lesen wir: eöpiaxw 8^ ä8' äv Y'^o|xeva lauta* et Xoßoi^ t^jv
4. rV, 76 19: TouTo jasv ^ä^P 'Avi^op^i? Ixeixe y^v woXXtjv Oeo)-
pi^ff«? xal dbco8£5a[A6vo? xor' outtjv ao^iTjV -rcoXXtjv Ix.o[jl{I^6to e^ iffita ti
2x.uÖ6(i)v, 7:Xi(i)v 8t' *EXXr,{jTr6vTou wpoffioxe« ^? K6i;tx.ov xtI. Hier
bieten mehrere Handschriften, darunter jedenfalls der Mediceus
und Florentinus: * xXewv Ik 8t' 'EXXtjctcovtoü, der Sancroflianas
^ Wenn ich mich nicht bestimmter ausdrücke, so ist daran der Widerstreit
der Angaben Schuld. Nach Stein fehlt dieses U in P (d. h. Parisin. 1633),
während Qaisford das Gegentheil behauptet.
Herodotoiaeha Stadien II. 549
und Vindobonensis hingegen statt Se 5t' nur V ', der Vatieanus
nur li, der Parisinas 1633 (?) und die Aldina nur 3t\ Der letzteren
ist ein Theil der Herausgeber ohne Weiteres gefolgt, während
Andere (wie Krüger) Zweifel an der Richtigkeit der angeb-
liehen Ueberlieferung äusserten, wieder Andere (gleich Bekker)
die Interpunction änderten^ um den Nachsatz nicht mit jenem
i:X^b>v §1 beginnen zu lassen, und wohl der einzige Lhardy das
,ii in apodosi' unanstössig fand, indem er sich auf unsere Nr. 3
berief! Die unserem Doppelkanon und zugleich aller und
jeder Analogie widersprechende Instanz kann mithin schon durch
das Schwanken der handschriftlichen Ueberheferung, durch
das ihr wenig günstige Zeugniss der besseren Famihe und zu-
gleich durch das nahezu einstimmige Urtheil aUer einsichtigeren
Herausgeber als beseitigt gelten.
5. VI, 76 in. liest man: iizti-ct 8s SwapTiiixa? dt^wv dx(xeTO
&k\ TCOTafji^v 'Epacivov, Iq X^etai ^eetv ex vf^q SxufjL^aXiSo^ X{{ji.vr^q (t^v
Y^p ^ XCpivtjv TouTiQV e^ x^^P^ o^av^^ exSiBouoov dva^aCvecOat ev \p*{e'i,
xb fivSciiTev ^k xh öSwp ^8yj toötc utc' 'Ap^cCiuv 'EpacXvov xaX^eoOÄt),
di7tx6(ievo^ S' (i>v b KXeotiivY]^ eicl xbv icotaixbv toOtov x.t^. Innere
und äussere Gründe vereinigen sich hier um die Unhaltbarkeit
dieses ,$£ in apodosi' und im schlimmsten Falle seine totale
Unbrauchbarkeit als Stütze anderer Anomalien zu erweisen.
Vor Allem, die Partikel fehlt, nicht nur (wie Krüger bemerkt^
der mir in der Tilgung derselben* vorangegangen ist) ,in meh-
reren Handschriften^ sondern in SVR, womit die Sache fUr
Jeden, der über die Grundlagen der Herodot-Kritik mit uns
übereinstimmt, abgethan ist, — es wäre denn, dass gewichtige
innere Gründe zu Gunsten der Lesart sprächen. Davon ist
jedoch das gerade Gegentheil der Fall, da ,ü)v^ (nicht S' Av,
dessen Begriffsnüance eine sehr verschiedene ist) ^nach einer
Parenthese' (Krüger) die übliche und regelmässig zur Anwen-
dung gelangende Partikel ist. (Vgl. unsere Erörterungen zu
I, 144, desgleichen zu HI, 97.) Wer jedoch endlich diesen
' Gaisford^s unrichtige Angabe, der Vindobonensis biete Zi\ ist leicht be-
greiflich. Man muss Stellen, in welcher o* und St* nebeneinander vor-
kommen, vergleichen, um zu erkennen, dass die Wiener Handschrift die
beste Lesart hier nicht darbietet, wohl aber eine solche, die von ihr nur
schwer zu unterscheiden ist.
550 öomperi.
Erwägungen sich verschliessen wollte, der müsste die Behaup-
tung aufstellen, dass die Verbindung 5' wv nicht weniger als
das einfache cLv das geeignete Vehikel sei, um die durch einen
längeren Zwischensatz aus dem Geleise gekommene Constniction
wieder aufzunehmen und weiter fortzuführen; womit selbst-
verständlich für andere Gebrauchsweisen des apodotischen li
nicht das Mindeste bewiesen wäre.
6. In der dritten und vierten Auflage seiner commentirten
Ausgabe versucht es Stein, die ,anakoluthe Fügung* in 11^ 134
durch eine vermeintliche Parallele zu stützen, die er VIII, 135
wahrzunehmen glaubt. Er schreibt nämlich daselbst wie folgt:
iq TouTo To ipbv exEiTS 'JcapsXOeTv tov xocXedpievov tourov Muv, feresdat
Se Ol T(j>v di^Tcov atpexob^ avSpo^ TpeT^ anzh toO xocvou u)^ 3n:o^poe^yLS>tz\f^
Tflt ÖEoxieTv e{Ji.eXX£, xai TcpoxorcE tov 7cp6|AavTiv ßapßojpw y^^wooyj /pov.
Auch hier erhält, so meint er, ,der Satz fTzeoOat Ik — ijjisXAS'
durch Veränderung der ursprünglich beabsichtigten Constniction
,die Geltung eines Nachsatzes und die ganze Periode w^ird
anakoluth^ Dagegen ist zu erwidern, dass SVR jenes Be nicht
kennen und wir nur (mit Gaisford, Bekker, Krüger, Abicht
u. s. w.) die Partikel auszulassen brauchen um eine vollkommen
regelrechte Fügung zu gewinnen. Herodot will sagen : Sobald
die in dem Gefolge des Mys einherschreitenden Drei -Männer
das Heiligthum betreten hatten, begann der Promantis sofort
in fremdländischer Sprache zu weissagen. Er verwendet hier-
bei nuxi in der bekannten (beispielsweise von Nauck zu OeA
Tyr. 717 illustrirten) Weise zur Markirung des betreffenden
Zeitpunktes, und die Coordinirung der beiden Sätze (2ff£c6ai — xii
7cp6x(XTe-ypav) erhellt deutlich genug aus der Wahl des gleichen
Tempus, des Praesens. Allein auch wenn man jenes Se fUr echt
halten wollte, so wäre man dadurch keineswegs genöthigt die
befremdliche, durch nichts motivirte Anakoluthie anzuerkennen;
denn der Nachsatz könnte sehr wohl mit xal Trpoxate beginnen,
indem x.a( — wie so oft, auch bei Herodot (s. Eltz pag. 129
und Stein selbst zu II, 45) — steigernde Kraft besÄsse und
%ai 7:p6viaT£ gleichzusetzen wäre einem */,ai auxixa, wie es uns bei
Plato Sympos. 220 A begegnet (toutou |jl6v ouv jaoi SoxcT xai xjiua
[,alsbald^ LehrsJ 6 zkef/P^ i'csaOai). Ein xai an der Spitze des Nach-
satzes erscheint auch VII, 128, 15 oder VIII, 64, 5, anders als
das homerische xai xdie i^Krüger^ Di. Synt. 65, 9, 1 und 69, 18, 1).
Herodoteische Studien II. 551
Wir kehren endlich wieder zu dem Ausgangspunkt unserer
Untersuchung, zu 11, 134 zurück. Wie wahrscheinlich muss es
uns nunmehr von vornherein erscheinen, dass an der einzigen
Stelle, an welcher die Annahme eines unserem Doppelkanon
widerstreitenden ,^6 in apodosi' noch allseitige Billigung findet,
dieselbe gleichfalls auf irriger Auffassung oder falscher Ueber-
lieferung beruht. Diese Wahrscheinlichkeit wird jedoch dadurch
zur Gewissheit erhoben, dass wir anderenfalls noch eine weitere
Anomalie mit in den Kauf nehmen mtissten, von der (um das
Greringste zu sagen) bei Herodot, in der griechischen Prosa über-
haupt und in der nach-homerischen Poesie keine sichere Spur zu
entdecken ist ' und die in der ausgebildeten Sprache einem Wunder
* Hieher rechnet man freilich Thocyd. III, 98 in. und Plato Le^g. X, 898 C.
Allein die erstere Stelle gehOrt in die Kategorie der Doppelperioden
(nach dem Schema {i^v, ^i: hiy oCtcu 8i) gebildet, wo das {liv der ersten
Protasis natürlich dem ^i der zweiten entspricht); die letztere enthält,
wie Jeder, der darauf aufmerksam gemacht ist, erkennen muss, die Prä-
missen eines Schlusses, nicht diesen selbst. Kleinias fällt dem Athener
ins Wort, zieht aus jenen Prämissen die richtige Conclusion und wird
dafür von diesem aufs Wärmste belobt. Man setze daher nach r^v ivav-
T^av einen Gedankenstrich statt eines Schlnsspunktes und die vermeint-
liche Anomalie ist beseitigt. Dasselbe Heilmittel glaube ich im hymn.
in Apoll. Del. v. 169 anwenden zu dürfen, ja zu müssen. Ein Beistrich
nach loy^iaipw gesetzt, so dass mit (xvyjoatjLevai der Nachsatz beginnt (G. Her-
mann Hess ihn nach (ivr^^afAEvat beginnen), bewirkt eine ungleich passen-
dere Gedankenfolge als die jetzt Übliche Interpunction; auf Hymnen zu
Ehren Apolls, dann der Leto und Artemis folgen weltliche Gesänge;
statt ß|AVov V. 160 lese ich o?|iov, dieselbe Aendorung, welche Nauck 6 429
vornehmen will und auf die ich auch an letzterer Stelle verfallen war. (In
Nanck*8 überreichem Beweismaterial, Krit. Bemerk. V, 21 fehlt nur das
Nächstliegende, 0 74.) Somit bleiben mir die hieher geh<)rigen Anoma-
lien in Ilias und Odyssee bbrig, die Niemand ohne Weiteres auf andere
Sprachperioden und Redegattnngen wird Übertragen wollen. Hier mahnt
aber noch Mehreres zu besonderer Vorsicht. Die Instanzen, in denen
man solch* eine Responsion von (jl^v und ^i erkennen will, bilden eine
verschwindend kleine Minderheit in der Gesammtzahl der Fälle des apodo-
tischen o^ (3 unter 114, wenn man die Doppelperioden ausschliesst, zu
denen auch T 321 geh^Irt). Diese drei Fälle schliessen sich aber wieder
nicht zu einer Gattung zu.^ammen, sondern bilden vereinzelte Singulari-
täten, Über welche die Kritik und Interpretation noch nicht ihr letztes
Wort gesprochen haben. In zwei von den drei Fällen erscheint et im
Vordersatz (W 658 und o 831), an letzterer Stelle auch im Nachsatz in
der Phrase e? o" oys, wobei — falls wir an der alten elliptiflchen Er-
552 Qomperi.
gleich zu achten wäre: ein [xev in der Protasis, welches einem
li der Apodosis entspräche, d. h. also ein Satz^ der nicht mittelst
einer Anakoluthie von der Subordination in die Coordination
übergeht^ sondern von Haus aus zugleich parataktisch und
hypotaktisch angelegt ist! Und endlich — es bedarf zur Au&-
merzung dieses Rattenkönigs von völlig analogiewidrigen Ab-
normitäten so wenig eines gewaltsamen Eingriffs^ dass es viel-
mehr gentigt, ein Wort durch Conjectur herzustellen, welches
bei Herodot nicht nur häufig, sondern (falls Bredow, de dialect.
herodot. pag. 107, nicht irrt) ausnahmslos verderbt, und zwar
immer in derselben Weise verderbt worden ist. Es handelt
sich um das ionische nnd nach des Aelius Dionysius aus-
drücklicher Angabe herodoteische sTuecTev, welches jedes-
mal, wo es richtig verstanden ward, in das attische ezeixa ver-
wandelt und nur dort, wo es unverstanden blieb, unter der
durchsichtigen Hülle siref te oder iizeke erhalten ward, — ein
Process, in den uns die handschriftlichen Varianten zu H, 52;
klärung festhalten — hi nicht zum Nachsatz gehOrt; die neue Lange^sche
Auffassung ist mir aber überhaupt nicht verständlich ; denn wenn st so-
wohl als ocys auffordernde Kraft besitzen sollen, so begreift man nicht
warum die zwei Worte regelmässig durch die Adversativpartikel getrennt
sind. ESs wird wohl einfach hier (und vielleicht auch anderwärts) Et* a^E
(einst Ha Sye geschrieben) zu lesen sein. Vgl. Theocrit. II, 95 (wo die
Handschriften schwanken) oder Aristoph. Bau. 394 : oy^ eTot. (H^ 558 — 559
erinnert so auffallend an o 546 — 546, wo (i^v fehlt, dass ich nicht umbin
kann zu denken, Beides sei Nachbildung eines älteren Vorbilds.) In a
385 — 387 endlich gilt mir V im Nachsatz (falls nicht mit Nauck i[Xu6
statt ^X6e V zu schreiben oder der Ausfall eines Verses anzunehmen
ist) als Wiederaufnahme des aurap an der Spitze des Vordersatzes, das
[jiv aber müsste dann als [x^v solitarium betrachtet werden. — Nebenbei
bemerkt, die Untersuchung dieses sprachlichen Phänomens bei Homer
wird ungemein vereinfacht, wenn man die Fälle, in welchen das U
des Nachsatzes nur dieselbe oder eine andere Adversativ-Partikel des
Vordersatzes wieder aufnimmt, aus der Gesammtheit der Instanzen
aussondert. Dass diese Unterscheidung keine willkürliche ist, erhellt
wohl zur Genüge daraus, dass die homerischen Hymnen aus-
schliesslich, die hesiodeischen Gedichte nahezu ausschliesslich, diese
Art von M in apodosi kennen. Die vollständige Ignorirung dieses Ge-
sichtspunktes bildet meines Erachtens einen Hauptmangel der unge-
mein fleissigen, als vollständige Stellensammlung überaus schätzbaren
Monographie L. Lahmeyer's (de apodotico qui dicitur particolae 8^ in
carmiuibus homericis usu, Lips. 1879). S. Excurs I.
Herorlotf^inch» Stadien U. 553
VI, 83; VI, 91 u. 8. w. (s. Bredow a. a. O. oder Schweighäußer's
lex. herod.) die sicherste Einsicht eröffnen. Man schreibe daher
(im Hinblick auf SteUen wie VQ, 7 fin. xp^vw ixei^wetTev; VII, 197 in.
lAer^TTEtTev Se; I, 146 fin. xal Sretxev Toura xon^ffovre^; IE, 52 in.
eiceiTev Se XP^^^^ xoXXou Bie^eXOovro^) auch IE, 134: — u)q dti^e^e
vffit oux ^xiora* l'iceiTev y^P TroXXixtq XTjpuaaovTüiv AeX^&v 2x 6eO'
Tzpo^ou l^ ßo6XotTO ico(VY)v -Hjq AioYiMcou ^'ux^C «vcXioBai, deXXo^ |jiv
oudel^ ^9^v), IdSjAOvo«; 3e xaiBb^ xon^'oXXo^ ld§[JLü>v av£iXero. (Ich
muss dieser langwierigen Erörterung noch die Bemerkung bei-
fügen, dass die Schreibung eicecTev bereits bei Abicht sich vor-
findet, jedoch nicht nur ohne ein Wort der Motivirung, sondern
auch ohne dass diese Neuerung als eine solche bezeichnet wäre.
Weder das Verzeichniss der Abweichungen von Dietschens Aus-
gabe in der Teubner'schen, noch die adnotatio critica der Tauch-
nitz'schen Edition mit ihrer Aufzählung der Discrepanzen von
Stein's Text enthält irgend eine hierauf bezügliche Aeusserung.
Sollte wirklich der Setzer diesmal die Rolle des emendirenden
Kritikers gespielt haben?) —
Im folgenden Capitel bestreitet Herodot die irrige An-
nahme mancher Griechen, die schöne Hetäre Rhodopis habe
eine Pyramide erbaut, mit dem folgenden Argumente: rr^q ^ap
•CTiV SexoDQv Tü)V xp^it^tT^^ iBficOat loxi ^Tt xal e? ToSe icovri tw ßouXo-
pievci), oüSev Set [xevdXa oi y^pi^[La':a avaOeivai. Hat wirklich
noch Niemand an dieser unerhörten Logik Anstoss genommen :
,Denn da noch heute Jedermann den Zehnten ihres Vermögens
sehen kann, darf man ihr kein grosses Vermögen zuschrei-
ben.' In der That? Doch nur kein grösseres^ als sie wirklich
besass, und ebenso wenig ein kleineres! Und als wäre es an
dem formalen Fehlschluss noch nicht genüge widerstreitet auch
die materielle Conclusion schnurstracks demjenigen, was der
Geschichtschreiber in dem unmittelbar vorangehenden Satze
geäussert hatte: oütw Syj f^ ToBumci^ eXeu0ep(i>6r| >wtl xatTSfxeive t£ ev
Ai'pKT<{> >wtt >wcpTa fiicafpoBiTo; Y^^opievTi [xe^aXa exxii^caTo xp^f*«'f«>
u)^ av (L |iiv) * slvat ToSükci, atap ov>y. /Ix; y^ ^? xupajjitBa xotoüiTiV
1 Die Unstotthaftigkeit de« av in dieser Verbindun(^ haben Lhardy und
Krfl^r gut erkannt. (Stein's Bemerkung zur Stelle wird, soweit sie einer
Widerlegung bedarf, durch seine ebendaselbst zu c. 135, Z. 11 erfolgend«*
Verweisung auf VIII, 88, 9 und das dort Zusammengestellte bestens wider-
SiUQDftber. d. pbü.-hUt. Cl. CHI. Bd. U. Hft. 86
554 Ooinperc.
i^txeoOat. Ich denke ^ wenn jemals eine Interpolation mit un-
bedingter Sicherheit als solche zu erkennen war, so ist dies
hier der Fall. Schuld an derselben trägt zweierlei : die Ver-
kennung des demonstrativen Gebrauchs des Artikels (der
genau so angewendet ist wie z. B. I, 172 xotci ^dp] II, 124 'tr^^
ydp] n, 148 TOü Yccp) und der durch ^dp eingeführte begründende
Satz, dessen Bezug nicht richtig verstanden wurde. Es ist, als
ob Herodot einen skeptischen Leser vor Augen hätte, der ihm
die Frage entgegenhält: woher weisst du denn über das Ver-
mögen der blonden Thrakerin so genauen Bescheid, dass du
zu sagen vermagst, es sei zwar gross gewesen fiir eine Person
ihres Standes^ aber doch nicht gross genug um die Erbauung
solch' einer Pyramide zu ermöglichen. Diesem Einwurf beg^net
die Berufung auf die Autopsie in dem Satze: t^? ^äp ttjV dexdcn^v
Tü)v xp^tO'^t«)^ i3ea6at lori Ixi %ai iq To^e ^avTi T(d ßouXofiivu). Nicht
allzu selten sind die FäUe , in welchen ein durch '^dp eingeleiteter
Begründungssatz nicht den Inhalt der vorangehenden Aus-
sage, sondern das Stattfinden derselben und das ihr zu Grunde
liegende Wissen erklärt (vgl. z. B. Lysias I, 11: 6 ^ap avOpoKrs;
evSov ^v ö^epov y«P Ä^avT« exu66|jLY)v oder Aeschyl. Pers. 341
Dind.: Hep^j Se, xat ^äp oTSa, yCKia^ {a&v fjv xt^.). Die schlagendste
Parallele bietet aber unser Schriftsteller selbst dort, wo er von
legt!) Was a>( av bedeuten würde, magEuripid. frg. 689 lehren: — xoO t8-
7:6ivb{ o^h"* aYav{{£l>oYxo( cu^av BoüXo( — . Auffallender Weise hat übrigens
nicht nur Stein die sämmtlichen hieher gehörigen Fälle, sondern auch
Krüger zwei derselben m. £. vollständig missverstanden, n, 8 : oux^Tt iMX>.bv
ya>p(ov (o( ETvai AiyuTiTou heisst: ,nicht mehr viel Baum, für ein
Land wie Aegypten nämlich' ; IV, 81: xai oX{you( (ü( SxuOa^ eivat ,und
wenige, für ein Volk wie es die Skythen sind', deren Zahl mit jener der
Thraker und Inder verglichen wird. An beiden Stellen dient also genau wie
an unserer (oder wie bei Thucyd. I, 21 : co; 7:aXaia eTvai oder, worauf Krüger
selbst verweist, wie Gorgias 617 B) der in co( liegende Begriff der ideellen
Abhängigkeit dazu, an die Stelle eines absoluten Massstabes
einen relativen zu setzen. (Beiläufig, den von Krüger als ,seltsam und
verdächtig' bezeichneten seemäni sehen Ausdruck xai Iv IvBexa opyudjai
lasai n, 5 wendet sehr ähnlich auchPolybius an IV 40 [1,340,29— 30 Bekk.]:
TO •>[dp TOI TsXeioTov aOri); [»-ipoi ev lirra xai 7:^vt£ opyuiati; iorCv — , wo vdeder
Hultsch mit Unrecht, wie man sieht, ändern wollte.) Dam es aber dem nach-
folgenden ordlp gegenüber räthlicher scheint, av in (x^v zu verändern, als es
einfach zu tilgen, dies dilrfte Jedem, der darauf aufinerksam gemacht ist,
von selbst einleuchten.
Herodoteische Stadien Tl. 555
den angeblich goldgrabenden riesigen Ameisen Indiens sagt:
sie sind kleiner als Hunde^ aber grösser als Füchse, und den
über die Genauigkeit dieser Angabe befremdeten Leser durch
die Bemerkung beschwichtigt: man braucht ja nicht jene in-
dische Wüstenei aufzusuchen um diese wunderbaren Thiere zu
sehen; es gibt deren auch am Hoflager zu Susa (III; 102): ev
Sv) <!>v TV) epi^fxü) (dies, nämlich ep^ifjLO) [sie] bieten R und V statt
ipr,fjLiYj) Ta6'n) %a\ ttJ 4^a|JL|JLCi> Ytvovrat fxupfjLiQxe*; [le.'^cx^ea l^ovre? xuvo)v
(lev eXaaaova, dXuiuexiov $£ (xe^ova* ehi yap ouTiavxai T:apk ßociXei
[twv Utpaidis],^ ev6eüT6v 6Y}p€üöevT6^. Ob übrigens Herodot hier
durch den Bericht eines Persers getäuscht ward, oder — was
der Wortlaut seiner Aeusserung und sein durch Matzat's Unter-
suchung so gut als sichergestellter Aufenthalt in Susa (Hermes
VI, 449) weitaus wahrscheinlicher macht — jene tibetanischen
Murmelthiere (s. Bahr, Stein, Rawlinson ad loc.) im persischen
Schönbrunn selbst gesehen hat, aber in Fragen der zoologischen
Classification so ungeübt war^ um vierfüssige Thiere nicht nur in
Betreff ihrer Lebensweise (was ja zutreffen soll), sondern auch
,in Rücksicht ihres Ansehens^ Ameisen , höchst ähnlich '^ zu
finden , dies wage ich nicht mit voller Sicherheit zu entscheiden.
— Der im Obigen erbrachte Nachweis einer groben, wenngleich
alterthümlich klingenden und wahrscheinlich auch alten Inter-
polation darf uns künftig aufstossenden Exemplaren derselben
Gattung gegenüber einigermassen zuversichtlicher stimmen.
Dieser erhöhten Zuversicht bedarf es freilich nicht, um (diesmal
mit Stein) in den alsbald folgenden Worten touxo dvaOeTvai iq
l€Afo6^ ein durch keinerlei Art von Epanalepsis zu entschul-
digendes, aller Analogie widerstreitendes Einschiebsel zu er-
kennen. (Ich erwähne die Sache nur darum, weil Stein diesen
wohlbegründeten Verdacht zwar vor und nach Veröffentlichung
seiner kritischen Ausgabe ausgesprochen, aber in dieser irgend-
wie zum Ausdruck zu bringen versäumt hat.)
< S. ZeitBchr. für ötfterr. Gvmn. 1859, 825.
' etat tk xai aOiof (991) xh eToo; ojxoioTatot dürfte die richtige, auf Ver-
Hchmelzung der Lesarten beider Handschriftenclasseu beruhende Schreibung
sein, wobei oOro^ im Untenichied zu der vorher geschilderten S(aita (dem
Hauptpunkt der Uebereinstimmung mit den ,helleni0chen Ameisen') ge-
sagt ist. Ueber V berichtet Gaisford diesmal richtig.
36*
566 Qomperi.
n, 143, 15: *E>wrca{(i) Bfe ^vtsrikoff^aocrzi Icourbv XÄt a^cAfysacm z^
Xi^Tj^ov 5^ S)8e' — .
Was sollen hier die Worte iiA vf^ apiOfAi^aet (diese und
nicht die ionische Form des Wortes bieten alle Handschriften'^?
Die thebanischen Priester hatten dem Hekatäus gegenüber
genau dasselbe gethan, was sie Herodot gegenüber thaten
(eiroiYjffav — oi6v xi xal ifxol ou Y^veYjXoYT^ffavTt), d. h. sie hatten
ihm die 345 Standbilder der Hohenpriester vorgewiesen und
behauptet, jeder derselben sei der Sohn seines Vorgängers ge-
wesen. Der Unterschied bestand nur in der polemischen
Wendung, welche diese Darlegung der Prätension des Hekatäus
gegenüber gewann, sein sechzehnter Ahn sei ein Gott gewesen.
Dies bedeutet avxsYeveiQXiYYjffav, ohne weiteren Zusatz. Nur
ein zugleich einsichtsloser und pedantischer Leser konnte diese
Unterscheidung nicht flir erheblich genug halten und sie durch
jenen ungeschickten und dem Sachverhalt widersprechenden
- Zusatz verstärken zu müssen glauben. Rawlinson übersetzt die
Stelle so, als ob jene drei Worte nicht vorhanden wären: ,the
priests opposed their genealogy to his^ etc. Stein's Ueber-
tragung aber: , rechneten sie dagegen bei jener Zählung
ihre Geschlechter vor^ wird den Worten nicht völlig gerecht
(denn e^i t^ dpcOfxi^aei hiesse ,over and above their enumeration')
imd macht doch den Eindruck einer »Unterscheidung ohne
Unterschied*. >
n, 154: TOüTwv 8e oixio^ivxwv sv Aif^icTU), ol ''EXXiQveq owtw
^ Beruhen nicht auch die Worte touji svu^{oi9i 141, 21 auf Interpolatton?
Oder kann der Plural das eine Traumgesicht, oder, falls wir anf den
Inhalt desselben blicken, die eine Traumgestalt, von der die Rede ist (cm-
axJpixoL Tov 6ebv), bezeichnen? Vielleicht vermag mich hierüber Jemand m
belehren. to6io((7i Bi{ ^iv 3c(auvov (vgl. VII, 153 toutoivi V cov ;c{auvo^ ia>v)
bedarf jedenfalls keiner solchen Zuthat, wir i^ögen nun das Pronomen
als Neutrum auffassen (vgl. VII, 10, 11: tcü 8^ xat i;(auvoc icuv) nnd auf
den geschilderten Vorgang oder es auf die von dem Gk>tte versprochenen
Ti(iiopo( beziehen. Dass Stein in dem vorangehenden Satze das allein
sprachgemftsse ni(x4'Siv der besseren Handschriftenclasse wieder in id^^i
verändert, kann ebenso als ein Curiosum gelten, wie seine Vertheidigang
des aus der vorangehenden Zeile mechanisch wiederholten, von Krüger
mit Recht als Einschiebsel erkannten (jlct^ Icoutou 162 fin. (vgl. m, 51).
Herodoteische Studien II. 557
apSajASvot, icdvTa (lies: lauT«) xal xk üorepov IrcorapieBa drpex^bx;- — .
Diese Verbesserung dürfte wohl durch sich selbst einleuchten.
Die Verderbniss, welche hier der Archetypus erlitt, ist ein
anderes Mal auf den Parisinus 2933 beschränkt geblieben
[in, 48 i Gaisford]. Eine andere Verwechslung von w und x
wird uns zu IV, 88 beschäftigen. Ist nicht umgekehrt frg.'
trag, adesp. 426 (Nauck) xoEvxa zu taura entstellt worden in
den Versen:
TCflCVTWV Tupavvo^ 1^ T^TQ ^^l tö*' öswv,
xa 8' aXV ive|JLaxa xauxa 7:p6cxetxai |xaxr|V — ?
Einen erstaunlichen Uebersetzungsfehler Stein's würde ich
unerwähnt lassen, wenn er nicht zu einer allgemeineren Be-
merkung Anlass gäbe. Die Worte 172, 16: |JL6xa 84 coff-g oindix;
b *A|ji.oKJi^, oux dYVü)|ji.offuv7j TCpocYjYfltfexo bedeuten nämlich nicht:
er gewann sie ,auf eine kluge, gar nicht unfeine Art', sondern :
durch geschmeidige Klugheit, nicht durch rücksichts-
lose Härte. Für diese Bedeutung von dYvwixoauvr^, Srf^[uay
(z. B. Xen. Cyrop. IV, 5, 9: o)[xb<; eTvat xai diY^(6|JKi)v) wie für die
entgegengesetzte von suYvwfxwv (aequus, s. Nauck zu Trach. 473),
euYV(i)[jLoo6vv) u. s. w. genügt es auf die Wörterbücher (auch auf
Schweighäuser's lex. herod. !) zu verweisen; hat doch Stein
selbst die Phrasen irpb^ d^voiAoo^VTiV xp^7?ea6ai, drYvcofjioauvY] 8taxpao6a(
rV, 93 oder VI, 10 keineswegs missverstanden. Was ihn diesmal
irrte, war augenscheinlich der Gegensatz ao^tti. Und darum
mag es nicht überflüssig sein daran zu erinnern, dass auch
bei Theognis v. 218 (P. L. G. 11^, 140) nahezu genau die-
selbe Gegenüberstellung sich findet: xp£wo6v xot ao^iY) y'^^*^*^
axpoic^Tj^. Dem Griechen, zu dessen Nationalhelden Odysseus der
xoXuxpoxo^ gehörte, bedeutete die praktische Intelligenz eben in
erster Reihe und oft nur allzu ausschliesslich jene vielgewandte
imd aalglatte Geschmeidigkeit, die sich in alle Verhältnisse zu
schicken, jeder Anforderung anzupassen, in Alles zu fügen und
zu schmiegen weiss; das Sinnbild dieser ao9{a ist der seine
Farben wechselnde Polyp, das Chamäleon der Alten (vgl. Theo-
gnis a. ^. O. und was sonst Athenäus VII, 317 und Xu, 513
zusammengestellt hat) ; nichts natürlicher daher, als dass Worte,
die ursprünglich nur Mangel an Einsicht bedeuteten, dahin ge-
langt sind, die Rücksichtslosigkeit, die Härte, die Starrheit, ja
558 Gompers.
wohl auch die blosse Kraft zu bezeichnen, wie denn jene» i:^;
aYVü)[ji.ootivY)v Tporcofxevot (IV, 93) sich von einem xpb? aXx^v hpdnamo
(IV, 125) kaum merklich unterscheidet.*
II, 173, 20 wird der Uebergang vom Vergleichsobject zum
Verglichenen durch das Satzglied bewirkt: o^tw 8^ xal dcvOpoH
xou xati(rraa«;. Es ist dies, falls ich nicht irre, gegenwärtig das
einzige Beispiel dieser missbräuchlichen Anwendung der betref-
fenden Partikelverbindung in unserem Texte, während ein
derartiger Uebergang regelmässig durch ouiw 5^, ö; li (dies be-
vorzugt unser Autor) oder waaiTux; ^i eingeleitet zu werden
pflegt. Bei späteren Prosaikern mag solch' eine Verwirrung
immerhin glaubhaft scheinen, nicht so bei Schriftstellern, die
lebendiges Sprachgeflihl besitzen. Bei Plato schwindet diese
Irrung allmälig aus den Texten, so Gorgias 514 £ (wo erst Schanz
gebessert hat) oder Protagoras 313 D, wo Stephanus ebenfalls
ojTo) 8i^ las, was seither der richtigen Lesart der besseren
Handschriften gewichen ist; Meno 87 B scheint mir oStw 8ij
gleichfalls unzulässig. Bei Hippokrates, de prisca medic. c. 9,
liest man noch heute (auch bei Littrö und Ermerins): cutu) Bij
xal ol xaxo( xe xal xXetTCoi tY)Tpoi, während der Parisinus A (und,
wie ich hinzuftlgen kann, auch der Marcianus) das allein an-
^ In Betreff des hieher gehörigen Bruchstücks der sophokleischen Iphigenie
(frg. 286 N.) bin ich mit Nauck der Meinung, dass dasselbe durch Porson^s
und Bergk's Bemühungen noch keineswegs geheilt ist. Völlig sicher scheint
mir nur Eines: dass im ersten Vers v^ei izpo^ avdpa (nicht av8pi) zu schreiben
ist, da npeic c. acc. für die hier erforderte Bedeutung des Sich-Anpassens
und Anbequemens der ganz eigentliche Ausdruck ist; vgl. ausser den,
was Krüger 68, 39, 5 anführt, noch insbesondere Thucyd. II, 64: — npb; x
?7:aa)^ov ttjv {xvtjjxtjv et^oiouvto (,sie accommodirten ihre Erinnerung ihren
Erlebnissen*). Da sich nun der zweite Vers nicht ohne übergewaltsame
Aenderungen mit der Annahme vereinigen lässt, jene drei Worte ent-
halten einen in sich abgeschlossenen Gedanken (== rotoutov tjB t^v voOv,
oto« 5v ij 6 £VTUYx«vü)v <joi), so bleibt kaum etwas Anderes übrig als die
Schreibung:
N^£i npb( avBpa XP^i*-^ nouXunou( onco;
TC^Tpav Tpa::^a6ai Yvyjafou ^poV7{[AaTO(.
(D. h. ^aöi xb T^? Siavo^a? XP^K-^ '^P®? "^^^ IxiaroTE EVTuyxdJvovT« a{u{ߣ96xi
xaOanep b noX^Tcou; Kpo^ ixaan]v TzhpoM a^efpEiac.) Der also erwachsende
Anklang an Shakespeare's ,native hue' of resolution ist merkwürdig
genug.
Herodotflitebe Studien n. 569
gemessene outü) Be darbieten.-' Und dies hat man ohne Zweifel
auch hier herzustellen, gleichwie dieselbe Corruptel VII, 10 e, 7
(wo sie nur an einer kleinen Zahl von Handschriften haftet)
und Vn, 135, 17 (wo die Aldina, nach Stein, ihr einziger
Träger ist) bereits beseitigt wurde.
So oft oyiü) 8i5 bei Herodot consecutive. Bedeutung hat,
drückt es eine thatsächliche Folge aus; ein Schluss, eine
logische Folgerung hingegen wird durch o&t(d oder o^to) äv
eingefiihrt, z. B. I, 32 : o&tu> &v & KpoTae xov iav. avOpunco^ ouiA^opif
oder n, 134: o&tco xal Atmoico^ 'IiS(Aovo^ ir(i:9^'zo (,so ergibt sich
denn hieraus, dass Aesop^ u. s. w.). Daher that Stein wohl
daran, in, 16, 12 mit den älteren Herausgebern (und gegen
SVR) zu schreiben: oDto) (nicht ot^rco di}) Me'zipovsi vo[iL(2^6(jL6va
eveTeXXexo xoteetv 6 KaiAßvor;^, denn dies ist ein aus dem Voran-
gehenden abgeleiteter Schluss, nicht eine daraus fliessende that-
sächliche Folge. Ganz dasselbe gilt aber von VH, 152, 15, wo
Sinn und Sprachgebrauch gebieterisch die Schreibung heischen:
oÜTW ou5* 'ApY6tot(ji aXoyiiaiOL xexotYjrai (oIjtü) statt oörio ÄiJ mit SVR,
doV statt oux mit Eoüger).^ Richtig liest man auch bereits bei
Bekker IV, 13 fin. : oütw ouSe o5to^ ffuji-^^pexai xcpi xfj^ yj^pt^^ todivf^^
SxuOtjae, wo Wesseling, angeblich mit SV, irrthUmlich oDto) l-^
> Eine analoge Irrung erscheint in den meisten Handschriften des hippo-
kratischen No|xoc (§. 1 = IV, 638 L.), wo man mit der fttr diese Schrift
massgebenden Handschrift sa schreiben hat: ofiotÖToroi ykp q\ coioföc Totvi
Tzaipiiaayo\t,i>foi(Si izpoataiwiQi iv T^ai TpaY(i>B(i}(7i iiai ' xai (nicht d»;) ysp ixsfvoi
9y(rj\uL \t,h xai (ttoXtjv xal np^(7b>]:ov ujcoxpiTou ?x.^u9i, oux ilaX tk uKoxptTaf*
oDito 8 k (nicht oCico) x«i ?7)Tpo( • 9i{(at) jxIv ttoXXo^, Ipyü) Sc ««yx^ ßaiof. Ob
die Ersetzung des xa( durch a>( auch diesmal in der jüngst wieder von
M. Schanz so reichlich illustrirten Weise stattfand (Rhein. Mus. 38, 142),
bleibe dahingestellt.
2 Warum haben doch die Herausgeber bisher die Besserung verschmäht,
welche die Handschriften der ersten Classe zu I, 75, 22 darbieten? Es gilt
dort eine Steigerung des Unglaubens auszudrücken, eine Aufgabe,
der die gegenwärtigen Textesworte ganz und gar nicht genügen. Wollte
Herodot nicht schreiben: aXka, touto (jl^v oO izpoaU^i {ip/r^>t) (vgl. IV 25*,
V, 106 ; VI, 121 und 123), so musste er mindestens das sagen, was SVR,
(freilich mit dem leichten Buchstabenfehler Tcpoativai statt 7:po9{e{xat) ihn
sagen lassen: oXXs touto (jlIv ouSk npoQU^u (Die Behauptung, dass
Thaies den Halys zeitweilig aus seinem alten Bette abgeleitet habe,
hält der Historiker für wenig glaubhaft; die zweite Behauptung, das
alte Bett sei für immer trocken geworden, gilt ihm aus inneren Gründen
560 Gompers.
schrieb (V hat in Wahrheit oütw U), während VI, 69, 22 der-
selbe Fehler 'einst von mir ausgemerzt worden istJ Es ist kaum
mehr als ein Zufall, wenn wir uns hier fortwährend im Kreise
handschriftlicher Lesarten bewegen; denn entschieden werden
derartige Fragen nicht durch die Zeugnisse der Codices, weder
indem wir dieselben zählen, noch selbst indem wir sie wägen.
Es genügt, meines Erachtens, wenn wir aus einer Anzahl wohl-
beglaubigter Fälle die Ueberzeugung gewinnen, dass der Schrift-
steller verschiedene Ausdrucksweisen mit Bewusstsein zum
Vehikel verschiedener Begriffsnüancen gewählt hat. Ist er
kein Stümper und kein Wirrkopf, so können wir nahezu gewiss
sein, dass er sich des einmal errungenen Vortheils nicht wieder
muthwillig wird begeben haben. Und diese annähernde Gewiss-
heit wird zu einer vollkommenen, wenn das Schwanken der
Handschriften uns eine Gegenströmung offenbart, welche jene
Absicht verhindern musste, zu völlig reinem und unzweideutigem
Ausdruck zu gelangen.
n, 178: — xat $yj ym xowt dxixveufjievoiat e^ AtYuirrcv ISunu
Nauxpomv TcoXtv evoi^f^aat' tcTai ^k [xv) ßouXo{ji.evo(9i oturäiv oixeeiv, outcO
ik vauTiXXo)JLevotai eB(i)xe x^P^^< evi3p6aao6ai ßu>(xou^ xat T£[ii.ev€a Oeiiiv.
Ich wüsste nicht, dass man im Griechischen ein ,dort^ bei olxitn
eher entbehren könnte, als dies im Deutschen zulässig ist
Sollen wir also etwa cvOauxa oder outou (letzteres mit dem cod.
Remiger.) einschalten ? Ich denke, wir würden damit nur den
Process der Anpassung eines Marginal-Zusatzes an seine Um-
gebung einen Schritt weiter führen; denn begonnen hat der-
selbe (wie ich glaube) schon mit der Ersetzung der Schrei-
bung der ersten Handschriftenclasse durch die Vulgat-Lesart.
Jene lautet nämlich evotxeetv (in SVR) und verräth deutlich
genug ihre Abstammung von dem vorangehenden evoix^aai. Von
derartigen, theils erklärenden, theils ergänzenden Randbemer-
als ganz und gar unglaublich.) Mass nicht auch IX, 42 oofi^ an die
Stelle von oux treten in dem Satze: ^{xeT; to{vuv aOib touto e^ciTTst^vot
oÖTE 1i[JL6v EJti ib Ipbv [touto om. SVR] oCte enixcip^^wjiEv Biapjcd^etv, tsuti);
TE eTvExa tt)^ ahlri^ oux oa:okt6\Li^% (,und aus diesem Grunde werden
wir auch nicht zu Grande gehen*) ?
1 Zeitschr. für tfsterr. Gjmn. 1859, S. 828. Si) fehlt nach Gaisford in 8F bc,
wozu jedenfalls noch V kommt. Nach Stein, der in der ersten Anf läge
seiner commentirten Ausgabe die Partikel duldete, wftre sie eine hin»«
Zuthat der Aldina.
Herodoteiselie Stadien n. 561
kungen werden uns noch gar viele begegnen. Hieher gehört
z. B. in, 22, 14: l^tjfWfxivwv Ik to>v 'lyßoG(f(t{(ay xbv x6c[jiov owtou
'^tkdaaq b ßaaiXeu^ xat ^o[t.iaaz shai a^ea iriSa^ eTice 0)^ nap' Icoutouk
eicn ^(i)[ii.aX€<i>T6pat Touriwv [iceBat]. Oder IV, 23: xa». dicb t^q -tuoe/utTi-
Toq «uTOü [xTJ^ TpüYb<;] xotXaOa^ ffuvitOetat (denn der nach Abfluss
des Fruchtsaftes übrig bleibende Rückstand heisst im gewöhn-
lichen Griechisch Tp65 und wird hier von Herodot xax'^'"?? ge-
nannt ; die Verbindung beider Worte — von ihrer wenig ange-
messenen Stellung abgesehen — schlösse die falsche Voraus-
setzung in sich, dass die xpj^ auch nicht dicke Bestandtheile
enthält. [Die zwei Worte will, wie ich erst jetzt sehe, schon
Reiske tilgen, dessen Mahnung aber ungehört verhallt ist]).
Und sicherlich auch das Folgende: VI, 69, 1: tov xp6vov y«P
[xohq ^i%a jxijvaq] ouSixo) i^xeiv — ; wenige Zeilen später heisst
es zu allem Ueberfluss: Tixiou^t yap Yuvaixeq xai ivveifjLYjva xai
£7CTol[JLr|Va, xa( oü xaaai $^xa (xi}va<; i%zekiaaaai. Gelehrtem Vorwitz
entstammt (meines Bedünkens) die Zuthat, die ich 11, 47, 19 an
der totalen Entbehrlichkeit einer der zwei verbundenen Bestim-
mungen und an der ganz und gar unberechtigten Emphase der
asyndetischen Nebeneinanderstellung erkenne in dem Satze:
Totai (iiv vuv aXXo(9t Ceolat 66e(v u^ cu Stxateuai A(*jwcioi, SeXn^vY] ds
xai AiovuffO) (jLOuvotat tou outou xp6vou [vfi auti} xccvaeXi^vo) tou^] ^ u^
' Wie man hier den Artikel zu rechtfertigen vermag, ist mir nnerfindlich.
(Die zwei Worte xob^ Z^ tilgt jetzt Stein, Commeni. Ausg. 4). Er ist so
wenig zu dulden wie z. B. III, 21, wo selbstverständlich auch ohne das
Zeugniss von SVR zu schreiben wäre: Imav oCrb) cureWo); IXxcovi [xa]
td^« n/p9ai |xeYd^6£a ToaouTa, oder V, 27 fin.: tou; dk afvEaOat tov AapE^ou
OTpsTov [tov om. ABC d] arb SxuO^cuv oizhta a]:oxo(Ai|^^(jiEvov, ,das Heer des
Dariuii auf seinem Rückzug aus dem Skythenland', wo schon Schäfer ge-
bessert hatte; oder VII, 6: outoc (jl/v ot [6 om. SV] \6yoi ^v Tt|i(op^(
(= ToiiTO jxrfv xtL) ; oder VIII, 69 in. : rptv ?j tov EupußidtST)V xpoOstvai [t^v]
X^yov Tüiv eTvexä ouviJYayE tou; OTpaTTjyou; (was Cobet Var. lect. 363 be-
richtigt hat); oder VII, 34, wo ich wenigstens nicht erst das Zeugniss
von SVR abgewartet habe, um die Sprachwidrigkeit des gangbaren Textes:
djv 8' iripr^yf tiJv ßußX{v3]v zu erkennen. Es war ja vorher (c. 26) zwar
die Austh eilung von Flachs- und Basttauen an Phtfniker und Aegypter,
nicht aber deren Verwendung fUr je eine Brücke gemeldet worden. Zu
schreiben ist aber die Stelle auf Grund jenes Zeugnisses also: EYE9upouv
Totvi Tcpov^xciTO, TTjv (jiK XeuxoX{vou <t>o{vtx£; TTjv S^ ßußX{v7)v A^yurTioi, ,die
Brücken errichteten Jene, denen dies pblag, die eine — aus Weiasflachs
— die Phönizier, die andere — aus Papymsbast — die AegypterS Dass
562 Gomperz.
66ffavTe? Tcateoviai xwv xpewv. Das Ohr allein entscheidet^ ich denke
ohne Appell, über die Unechtheit der Schlussworte in dem Satze
(VII, 73): o\ Ik 4>puYeq, (5)q MaxeB6ve? Xe^ouat, ixaX^ovro Bp{-f£^
ypövov 8aov EüpüMcvjtoi d6vT6<; (jüvotxot 9Jaav MaxeSoot, lAEraßfltvre? Ss e^
x^v 'Act(yjv £|jia TT] x^PTl ^^'^ "^'^ oüvo|jLa iJietsßaXov [e? 4>p6Ya5]. Vgl.
sogleich c. 74 : ol §^ AuSol My](cv£(; exaXsuvro 'icaXai, dm hk AuSou tou
''Atuo? lo/ov TYjv 6Wü)Vü[jLiy)v, fjLSxaßaXovTE? xb oüvo|jLa. — Doch kann
auch bei richtig erklärenden oder ergänzenden Zusätzen wohl
mitunter ein Zweifel in Betreff ihrer Unechtheit zurückbleiben,
so gilt das nicht von jenen Fällen, in welchen der Glossator
selbst die Meinung des Autors vollständig verfehlt hat. So V,
29 fin., wo die von den Pariern bewirkte Neuordnung der Ver-
hältnisse zu Milet erzählt wird. ,Jene Wenigen, deren Aecker
die parischen Abgesandten wohl gepflegt fanden, bestellten sie
zu Hütern des Gemeinwesens', tou(; 8e a>vXou^ MtXiQdtoü^ [ivjq ^pw
cxaffiiljovxa;] xo6t(i)v Ixa^av xe{6e(;0a(. Die einen sollten gebieten,
die anderen gehorchen; das Kriterium war die Sorgfalt und die
Sorglosigkeit, mit der sie ihre Privatinteressen verwaltet hatten,
nicht aber das Mass ihrer Theilnahme an der allgemeinen, zwei
Menschenalter hindurch währenden Zerrüttung des Staates. • —
Wie aber, wenn der fremde Eindringling mit dem Boden,
auf dem er sich eingenistet hat, zusammengewachsen und gleich-
sam eins geworden ist? Dann mag der befreiende Schnitt nur
gelingen, wenn ein glückliches Ungefähr uns seinen kaum zu
erhoffenden Beistand leiht.
der Artikel als das nächstliegende aller Verdeutlichungsmittel gar hfiufig
eingeschoben ward, dies weiss ja auch Herr Stein, der denselben mehr-
fach mit Recht g^gen die Autorität der Handschriften getilgt hat, oder auch
(was für ihn auf dasselbe hinauskommt) auf die Autorität der ersten
Handschriftenclasse hin, wie HI, 9, 10 : ^at|>i|iEvov [tcov] (o[ioßo^u>v xa\ [töjv]
aXX(i>v Sepiaoctcov 6)^ETbv (j.7{x£i* e(ixvs6|ievov ec t^v SvuSpov, ayayEtv — wo man
sich nur wundert, dass ihn nicht, wenn schon nicht der ständige Sprach-
gebrauch, so doch dieselbe Autorität (SV) veranlasst hat, bei der Wieder-
aufnahme des Satzes zu schreiben: avaYEtv tk {itv (statt Styii^i), Auch IV,
136, 4 scheint mir der von SVR ausgelassene Artikel keine Rechtferti-
gung zuzulassen in dem Satzglied &axt oO TSTfiLij^iEv^cDV [iu>v] o^tov. —
^ Wird nicht auch YHI, 41 zum Mindesten der Schwerpunkt des Ge-
dankens verrttckt durch die überlieferte Schreibung: loTcsuaav §k toutx
un£x6^a6at statt lansuaav tk Taura ,sie betrieben dies (das Rettungawerk)
eiffigS ,sie beeilten sich damit'? &]:Ex6ia0ai macht ganz und gar den Ein-
druck einer aus dem folgenden ure^^xeito entnommenen Ergänzung.
Herodoteische Studien n. 563
Ehe Herodot daran geht, die so erstaunliche Aufspeiche-
rung von Wasservorräthen und dem dazu gehörigen Geschirre
in der syrischen Wüste zu schildern, bemüht er sich vorerst,
die Neugier seiner Leser aufs Aeusserste zu spannen. Er steUt
daher der Unmasse von Weingeschirr, die jahraus jahrein nach
Aegypten wandert, die überraschende Thatsache gegenüber,
dass ,sozusagen nicht ein einziges leeres Weinfass im Lande
zu sehen ist^ ,Wohin — so mag wohl Jemand fragen —
kommt dies Alles?' Worauf die systematische Einsammlung
und Fortschaffung all' dieses Geschirres mitgetheilt wird. Nun
lautet der betreffende Satz in unseren Texten (III, 6 in.) also :
— i^ AXyjTnoy Ix tyj? '*EXXot8o? icioT)? xai zpoq ex 4>otv{xY;q YApa[i.o<;
eaflcY^Tat wXKJpyjq otvou 81^ xoö eteo? ixoEffTou, xal Sv xspa{ji.iov
otvY)pbv (ipt8|j.(p xetfxevov oux lort wq Xd^w eJicetv fSdoOai. xou ÖYJxa xtL
Wozu Herr Stein das Folgende anmerkt: ,81; xou Iteo;, wahr-
scheinlich, weil die Kauffahrer nur zweimal im Jahre die Tour
von Hellas nach Aegypten machten. Von phönikischen
Häfen aus konnte sie schon öfter im Jahre wiederholt
werden.' Die letztere Bemerkung ist vollkommen richtig; nur
dünkt es uns ein wenig verwunderlich, dass der Historiker dies
nicht sollte eingesehen haben, dies und noch einiges Andere.
Denn wenn jenes ,8l(; tou exeo; ^xa^rcou' in Betreff Phöniziens
völlig sinnlos ist, ist es mit Rücksicht auf Griechenland etwa
besonders verständig? Es mag wahr sein oder nicht, dass der
einzelne Schiffer die Tour in der Regel nur zweimal im Jahre
zurücklegte, kann man darum fliglich sagen, dass die Wein-
einfuhr in Aegypten nur ,jedes Jahr zweimal^ stattfand? Und
wenn man es sagen konnte, welchen Grund hatte Herodot es
zu sagen, — es eben hier zu sagen, wo er uns von der Grösse
jener Einfuhr die möglichst stärkste Vorstellung beibringen will
und auf behutsame Einschränkungen so wenig bedacht ist, dass
er die Weineinfuhr aus ,ganz (Griechenland' stattfinden
lässt, ohne etwa jene Landstriche ängstlich auszunehmen, denen
der Bacchussegen versagt blieb ? ,Aus allen Theilen Griechen-
lands und überdies noch aus Phönizien' — und »das ganze
Jahr hindurch', das stimmt zu einander, und das schrieb
unser Geschichtschreiber. Denn jenes 51; xou heoq £xaoxou
ist nur die Lesart der einen Handschriftenclasse. Die andere,
die so oft allein das Ursprüngliche bewahrt hat, bietet ganz
564 Oompers.
Anderes. R und S freilich mit ihrem 8i' Iteoc exicroü lassen das
Richtige nur ahnen; der Vindobonensis aber legt uns die LGsung
des Räthsels in die flache Hand durch seine Schreibung: 2f
eroui; sTco^ e/aaiou! Also Glossem und Glossirtes nebeneinander
(wie in aUen Handschriften touxou sTvexa neben %p6q lauia steht,
I, 165); nur hefert das Glossem diesmal eine falsche Elrklä-
rung : ^alljährlich' (lieo? ^xdoroü) statt ,das ganze Jahr hindurch^
was hl £T6o? (bereits im Archetypus zu IC ixouq verschrieben,
gleichwie z. B. VI, 75, 4 «po^ßatve in den meisten Handschriften
zu irpoußatve geworden ist) allein bedeutet. Man vergleiche 11,
22, 4: aitvoi hk xal x^XtWve^ 8t' £T6oq [eövxe??] oux aicoXeiicoüai — ;
ebenso St3t ß(ou, Sia vujttöi;, hC evtaurou, St' VspiQ? (letzteres bei un-
serem Autor I, 97, 21; H, 173, 14; VI, 12, 9; VH, 210, 6—7).
Wie aber aus der Verschmelzung des Erklärten und der Er-
klärung, durch Veränderung und Tilgung je eines Buchstabens,
der Unsinn der Vulgat-Lesart entstehen konnte, während die
minder naiven Vertreter der ersten Handschriftenfamilie das
scheinbar überschüssige Itoo; einfach über Bord warfen, wem
müssen wir dies erst weitläufig erklären?^
Doch ich erschrecke über den Umfang, welchen meine
Erörterungen anzunehmen drohen, wenn ich in der bisherigen
Weise fortfahre. Ich beschränke mich daher fortan mehr und
mehr auf das Wichtigste und befleissige mich so grosser Kürze,
als die Sache nur immer zulässt.
Drittes Buch.
HI, 1 1 fin. : [>.ixfi^ ^s y£vo[x£vy)(; xapTSpij^ xal Tceaovtwv i^ aji^s-
lepwv Twv GTpaToxeSüJV äXt^OeV tcoXXwv ^TpixovTO ot AiYuxrtoi. Grewiss
konnte Herodot sich also ausdrücken, wenngleich er in allen
> Dass Herodot auch mit noch grösserem Nachdruck gesagt haben könnte:
,Jahr für Jahr das ganze Jahr hindurch*, so dass die Lesart des Vindo-
bonensis unverkürzt in den Text zu setzen wäre, diese Möglichkeit ist
mir freilich auch in den Sinn gekommen und sie wird der Wahrschein-
lichkeit um einen Grad n&her gebracht durch den analogen Ansdnick
des Komikers Amphis (frg. com. gr. IQ, 319): 7:(vou9^ Ixd(7t92c 4(i./pa(
hC ;^[i£pa;, der mir nachträglich zufällig aufstösst (obgleich ich ihn Val-
ckenaer's Anm. zu VI, 12 entnehmen konnte). Ob aber diese Ausdrucks-
weise für unseren Historiker nicht allzu epigrammatisch zugespitzt and
darum die oben ausgeführte Vermuthung doch wohl die wahrscheinlichere
ist, mögen Andere entscheiden.
Herodoteisch« Studien IL 565
anderen derartigen Fällen eine verschiedene Ausdrucksweise ge-
wählt hat. So 1, 76 fin. : Iaocx'")? ^^ xapiepfi? ^e^oyLirri<; xa\ tc6(j6 vtw v afx^o-
T6po)v xoaXwv. I, 80 fin.: yjpovf^ Ik zeaovTWv afx^oT^pcov -juoXXöv
expocicovro oi AuBoi — . IV, 201 in.: XP^*'®'^ ^^ ^^ icoXXbv Tpißofxevcov
xal xiwt6vtü)v ÄjjL^oTipwv icoXXöv. VI, 101 med.: TCpoffßoXijq 8^
YtvofjL^vr;? xapTspi}^ icpbq to tsTx®? stcitttov sxl S^ iQ(A^po(^ zoXXoi [asv
d[A90Tepa>v — . Allein stutzig werden darf angesichts solcher
fast stereotyper Gleichmässigkeit des Autors wohl auch der am
wenigsten nivellirungssüchtige Kritiker, insbesondere wenn er
zweierlei erwägt: erstens, dass gerade an unserer Stelle die
Worte afjupoTßpwv twv arpaToxdScüv wenige Zeilen vorher vorkommen
— und zweitens, dass in den Handschriften der ersten Familie
s5 fehlt (e§ om. SVR; das Wort tilgt auch Eaüger 2). Ist es nicht,
als ob wir die Interpolation schrittweise vor unseren Augen er-
wachsen sähen?
HI; 15, 9 — 11: TToXXoTci [xev vüv xat dcXXoiai lort 9TaO|JL(i>9aa6a(
OTi Toiko ouTw vevofJLixaffi woteetv, ev ik %a\ tw ts Ivdpco xatSi 6av-
v6pa, S? dbciXaße n^v ol b xaxrjp eT^e dpXT^v, xal tw 'AjAupTafou Ilauoipi — ^.
Wenn der vortreflFliche Reiske den herodoteischen Sprachge-
brauch nicht eingehend genug erforscht hatte, um das über-
lieferte ev 8s xal TwSe* 'Tvapo) xt£. richtig zu verstehen, so wird
dies Niemand befremden. . Wohl aber darf es uns Wunder
nehmen, wenn auch Stein Reiske's ,f(ortasse) tco ts' sich ange-
eignet und diese grundlose Aenderung in den Text gesetzt hat. >
Man vergleiche vor Allem VI, 53 in., wo Herr Stein (nach
meinem Vorgang, Zeitschr. f. österr. Gymn. 1859, S. 828) die
Lesart der ersten Handschriftenclasse mit Recht angenommen
hat: TflESe hk maxa xi Xevofxeva ut:' 'EXXkJvwv eyci) ypä?w touxou^ tou?
Aa)p(i(i)V ßaotXeac; xtI., wo beiläufig auch das grobe ,proleptische'
Emblem touOcOÖ aTC66vTO? zu tilgen war. Denn so drückt sich
* Ob InaroB* Sohn BavvtSpac oder M0aw6pa( geheissen hat, darüber fehlt uns
meines Wissens jede weitere Kunde. Auf Grund der nahezu überein-
stimmenden Lesarten von SVR schreibe ich die Worte: Mvapco tou A(ßuo(
ÄÄiBi MBawups — . (V bietet: 8v 8k xal xt^ht (sie), 'Ivapto (sie) tü> (sie) A(ßuo;
natSt '*l6aw6pa, (ü( (sie) xrl.) — Dass Inaros schon c. 12 (wo, beil&ufig
Stein das treffliche (von V und R gebotene) 8iapa^cia; wieder ausgemerzt
hat und wo ttipa; sicherlich ein aus VII, 61 stammendes Glossem zu
7:(Xou( ist) ,der Libyer* genannt ward, kann doch wahrlich kein Grund
sein, die zwei Worte hier für verdächtig zu halten.
566 OoiuperK.
kein verständiger Schriftsteller aus, wohl aber entspricht die
im Hinblick auf das unmittelbar folgende: eXe^a Be plsxp^ IIspoeG^
TouSe eivex(z %xk, erfolgte Anfertigung dieses Zusatzes ganz und
gar der uns wohlbekannten Manier des Interpolators. (Besser,
aber auch nicht völlig genügend behandeln Krüger und Abicht
die obige Stelle.)
m, 20 fin. — 21 musste ein in der ersten Handschriften-
classe fehlender Zusatz aus dem Text entfernt werden : — xa:
Syj xai xora itiv ßaaiXvjCijv ToicdSe* ibv äv töv acxcov xftW^i jji€Y15tcy
Te £tvai xat xara to (xe^aOo^ ly(^ev^ tvjv i^x^v, toutov [a^touot om. SVR]
ßaotXe6etv. Denn was ist, so frage ich jeden Unbefangenen,
wahrscheinlicher: dass ein Schreiber oder Redacteur jene echt
herodoteische Brachylogie in den Text hineingefälscht, oder
dass die Unkenntniss derselben die Ergänzung veranlasst hat?
Man vergleiche HI, 84: luepi Se tyj? ßacjtXriiVi? eßouXeucovTo TotovBe-
oreu ov 6 wwco? tqXi'oü sxavaxeiXavxo?^ 7:po)T0{ ^irfiti'zai — toötcv e/try
TTjv ßaaiXYjiYjv.
HI, 52, 6 : T€TapTT) Ss T^l^ept) tScov (jliv o IleptavSpo^ aXouctvjot t£ xal
oaiTiYjct (jufjLTCcUTwxöxa oixxeipc — .2 Diese einfachen Worte sind,
so unglaublich es scheinen mag, von Uobersetzem und Heraus-
gebern (ja auch von den Verfassern des Thesaurus) um die Wette
misBverstanden worden. Lhardy, Stein, Krüger, Abicht setzen
GU[A:;e7CT(ox6T<x einem nepticeTcrtoxoTa gleich; Rawlinson geht dem ver*
fUnglichen Worte klüglich aus dem Wege, und nur der gerad-
* Dass mit SVR so und nicht sTcavat^XovTo« zu schreiben ist (vgl. auch VII,
223 in.), kann Jedermann eine kurze Ueberlegung lehren. Es galt hier
doch den Zeitpunkt so genau als irgend möglich zu tixiren (,after
the sun was up^ übersetzt bestens der einsichtige Rawlinson). — Wie oft
hat doch jene Haiidschriftenclasse das richtige Tempus allein bewahrt,
so III, 25, 16, a)( Tjxouae (statt ^'xouc) oder 67 in. eßaatXsuE statt eßa9{Xiua£
(der falsche Smerdis setzte ja nur seine schon begonnene l'surpatoren-
herrschaft fort; er begann sie nicht zu jenem Zeitpunkt).
2 Im Vorangehenden c. 50 fin. ist nach Schweighäuser^s und Wesseliug*»
Hinweia auf II, 162 fin.: nEptOu(i(i>( £X°via (vgl. auch II, 45, 13 mi^i
l/£tv oder IV, 95 9 TzavTtX^co^ ityi) von Abicht sepiOujAco; I/^uiv sweifel-
los richtig hergestellt worden. Dass Stein, um nur nicht die Lesart der
ersten Handschriftenclasse (r:sptOu(jL(o$ SVR) annehmen zu müssen, lieber
auf Schäfer 's zipi Ou(aü> e/opvo^ zurückgreift und selbst sein ,coniectabam
Ktpi Ou(jL(o ayOd|jievo(^ der Erwähnung werth achtet, darüber darf man fQg-
lieh erstaunt sein.
Herodoteiwhe Studien 11. 567
sinnige alte Lange übersetzt saöh- und sprachgemäss, wenngleich
nicht allzu zierlich: ;ZU8anlmengefallen^ Diese Auffassung ist
natürlich allein richtig. Wir erwarten hier, wo das Herz des
Fürsten durch den Anblick des unglücklichen Prinzen gerührt
wird, die Wirkungen der von ihm erduldeten Entbehrungen,
des Hungers und der mangelnden Körperpflege bezeichnet zu
finden. Da es nöthig scheint, fiige ich den wenigen von den
Wörterbüchern angefllhrten Belegen dieses Qebrauches von
oufjizCxrti) einige weitere hinzu : Erasistratus ap. Aul. Gell. (Noct.
att. 16, 3 = n, 150 Hertz): iXo-^i^Siu^a o3v «apa tSjv to/üpav cüfji-
WTwaiv Ti}? x,oiXta^ elvat ttjv (eTvat nva?) ofoSpa daiTiav x-xi. —
Genesis (LXX) 4, 5 — 6: cüv^xeae xb wpöaowccv coü. — Plutarch.
de curiosit. c. 2 (624, 42 Dübn.) : olnta^ ^[aicoOco^ iax&f (Aristipp
nämlich, als er vor Begier brannte, Sokrates kennen zu lernen),
&axe T(j> otb[kaxi aupLxeaeTv xat -yeveoOat navrobcaaev (i)xpb^ xai toxvo^.
AehnUch ist der Gebrauch von ouvn^xsaOac. Zur Sache vergleiche
man auch Eurip. Orest. 226: cb^ i^ypicocat iik (AOExpa^ aXouaio^.
Der unglückliche Vater lässt kein Mittel, unversucht, um
den harten Sinn des zürnenden Jünglings zu beugen oder zu
erweichen. Er schlägt den Ton ernster Ermahnimg an und
gleich darauf jenen des zärtlichen, gemüthvollen Zuspruchs:
et Y«P "f'? ffüfJL^optj Iv ecoüToTat* Y^T^ve, e§ f^q utcoiI/itjv iq i[i,k ex^i?,
e|jiot TS atjT») 'xi'^o^t xat eya) aui^? xb wXeuv [xeTox«? eipit. Dies
sind ungemein wohlgewählte, überaus sorgfältig abgewogene
Worte. Sie schliessen ein halbes Schuld- und Reuebekenntniss
in sich, aber doch nur ein halbes. Und die dichten Schleier
der kunstvoll gewobenen doppelsinnigen Rede dämpfen den
Eindruck auch dessen, was kein Missverständniss zulässt. Wie
ein ^verletzend greller Lichtstrahl fUhrt aber in diese wohlberech-
nete Dämmerung das nunmehr folgende Satzglied: Sau) ouri;
a^ea e^epYOGafjiYjv ! Was soU dieses uniimwundene, unverblümte
Geständnis»? Was kann Periander bewegen, ein solches abzu-
' ,Deiin wenn ein Unglück unter uns geschehen ist* — dies ist der vom
Zusammenhang geforderte Gedanke. Und mit Recht lässt uns Eltc
(Jahrb. iiupp. Bd. IX, 127) nur die Wahl, diese Bedeutung in den über-
lieferten Worten (iv auTor^i) zu finden oder dieselben durch ev ItouToiai
zu ersetzen. FUr die erstere Auffassung liefert er kaum genügende, fUr
die letztere vollkommen ausreichende Belege, auch aus unserem Autor
(insbesondere V, 20, 4).
568 Gomper«.
legen? Warum sprach er eben 'erst von dem , Argwohn', den
der Sohn gegen ihn hegen mag^ wenn er entschlossen war, ihm
selbst die vollC; zweifellose Gewissheit zu geben^ das Entsetz-
liche nackt und ohne jede Bemäntelung mit wahrhaft verblüf-
fender Offenheit auszusprechen? Und wie stimmt dieses un-
verhüllte Armensünder- Bekenn tniss zum Folgenden, wo uns
nicht etwa der Ausdruck reumüthigster Zerknirschung, sondern
der Appell an die väterliche Autorität entgegentritt, (5xoi6v t. s^
-zdiiq zoY.ioL(; xal tou^ xpecoova^ TeOufxtoaOai) ? Ich kann es nicht
glauben, dass diese Worte echt sind und dass Herodot sich in
einem Athein als einen Meister und als einen Stümper in der
Kunat psychologischer Berechnung erwiesen hat. Wohl aber
ist es unschwer begreiflich, dass die absichtliche Zweideutig-
keit des schliessenden Satzgliedes (,und ich habe daran den
grösseren AntheiP) die ergänzende Thätigkeit eines alten Inter-
polators herausgefordert hat.
TouToo ^k [JLV]xeTi e6vTo^, ^euTspx tcjv Xoitccjv u[mv & Qepffat y*-~
vetai (AOi avorpcai^TOTOv evxeXXeaOai Ta OeXo) [xoi Y^veoOai TeXeuxäv tsv
ßiov (in, 65, 15). Hier haben die zwei durchschossenen Worte
bisher keinerlei befriedigende Erklärung gefunden. Denn Stein* s,
Abicht's und Bjrüger's übereinstimmender Vorschlag, den Genetiv
von avorpcaioTaTOv abhängen zu lassen : ,das Dringendste von dem
Uebrigen', ,unter dem Uebrigen, was ich noch zu sagen habe',
,den übrigen Aufträgen', ist augenscheinlich verfehlt. Weder
begegnet uns im Folgenden die leiseste Hindeutung auf derartige
weitere Aufträge (oder auch auf die Unmöglichkeit, dieselben
vorzubringen), noch findet hier überhaupt — und dies ist ent-
scheidend — der Uebergang zu einem neuen Thema
statt. Nicht von einem Gegenstand zu einem andern wendet
sich Kambyses, sondern von einer Person zu anderen, von dem
ermordeten Smerdis zui* Gesammtheit der Perser. Er spricht
vorher wie nachher von dem einen Anliegen, das seine ganze
Seele ausfüllt und den einzigen Inhalt seines letzten Willens
ausmacht: von der Nothwendigkeit, dem Usui'pator die ange-
masste Herrschaft zu entreissen. Soeben hatte er den verhäng-
nissvollen Irrthum beklagt, welchem derjenige ztun Opfer fiel,
,dem es am meisten zukam, die von den Magern erlittene
Schmach zu rächen*. Da der Bruder — so fährt er fort —
nicht mehr unter den Lebenden weilt, so seid — in zweiter
Herodoteisehtt Studien II. 569
Reihe — unter allen Uebrigen Ihr Perser diejenigen, die mir am
nächsten stehen, mit mir durch das engste und stärkste Band
{oL'idirfß.ri) verknüpft sind und an die mithin mein Auftrag ergehen
muss. (Eine wortgetreuere Uebertragung scheitert an der Unmög-
lichkeit, den in avoYxaiiTorov liegenden Doppelsinn im Deutschen
wiederzugeben.) Total unzulässig ist die alte Auffassung, ver-
möge welcher tcov Xoticcov von Seuiepa abhängen soll. Von der
Unzulänglichkeit des also zu gewinnenden Gedankens abgesehen,
(der wieder ein verschiedener ist bei Valla: ,secundum ex re-
liquis' und bei Lhardy: ,an zweiter Stelle unter den Uebrigen',
wobei die Uebrigen ,alle Perser nach Abrechnung des Smer-
dis' sein sollen !) spricht der herodoteische Sprachgebrauch, der
nur ein absolut gebrauchtes oder ein im Sinne von
ü9T£pov mit einem Genetiv verbundenes SeutEpa kennt,*
peremptorisch dagegen. Wer die zwei Worte nicht tilgen will
(und dazu würde, meines Erachtens, nicht die Berufung auf
Vin, 5 oder VI, 123 genügen, wo dieselben oder ganz ähnliche
Worte anerkanntermassen unecht sind), der wird sich wohl bei
unserer Auslegung derselben beruhigen müssen. Zur Ungleich-
artigkeit der verglichenen Begriffe vgl. unsere Bemerkungen
und Verweisungen zu IX, 82, 8.
III, 69 fin. : [xoOou^a ik oh xake'K(a^ dXX* eurex^o)^ oux ^ovxa
[tov dfv8pa?| Ato, d)^ ^(^^pv) Ti)ri<rra ^6-)f6v66, TciiK^^aooi ioi^fjivjve tco xaipi
[t2 Yev6(4.6va]. Die letzten zwei Worte sind nicht nur vollkom-
men entbehrlich (vgl. IV, 76, 9 — 10: xat töv tc? SxuOdcov Mxa-
^pOLobtiq ourbv tauta xoieuvr« ^oi^fAigve reo ßaariX^i £auX((i)), sie sind
auch, da es dem Otanes um den ermittelten Sachverhalt weit
mehr als um den Vorgang der Ermittelung zu thun ist, so
wenig passend, dass die Uebersetzer ihr Vorhandensein ein-
müthig ignoriren (,and of this — she sent word to her father'
> Zur ersten Kategorie gehören, falls mir nichts entgangen ist, die folgen-
den Fälle: I, 112 16, 126 9; n, 137 18, 168 n; in, 14 18, 22 13, 81 U,
53 9, 68 16, 74 1, 80 II (wo Stein in kaum glaublicher Weise irrt, indem
er to6t(i>v von Bi6tfpa abhängen lässt, statt von dem folgenden oi^^),
186 17; IV, 76 i», 146 is (ti Scurcpov); V, 36 19, 38 83; VII, 63 in.,
136 6, 141 15 und 10, 209 fin.; IX, 42 ö, 99 in. (wobei wir den prädic&tiven
Gebrauch des Wortes von dem adverbialen nicht gesondert haben). Von
Fällen der sweiteu Art kenne ich nur 1, 91 21 (Scuxepa 8k toutwv xato|jivcii
a^rih i7:^plxt9t) und VII, 112 in. (SiuTcps toutcüv ;capa|Ac{ßrro xtixt* xa Ili^paiv);
lur letzteren Stelle mag man Krüger's Verweisungen vergleichen.
SiUvapbtr. d. phil.-hitt. Cl. CUl. Bd. U. Hfl. 87
570 Gompera.
Rawlinson ; ,uiid that ihm die Sache kund' Stein ; * ,und sagt' es
ihm an' Lange). Das Wort YevopiEva verdankt auch ein anderes
Mal (VI, 75, 9, Zeitschr. f. österr. Gymn. 1859, 828) dem gleichen
Ergänzungsbestreben des Interpolators sein Dasein. So trefflich
femer der Artikel an seinem Platze ist Z. 5 af aaov ourou la &xa oder
Z. 13 xk ixa a-rcsTajjLS, so unpassend dünkt er mir in dem Satz-
glied Z. 9, das ich im Uebrigen mit einem Theil der Hand-
schriften (zum Theil nach Bekker) also schreiben möchte : st vip
Bt] |x^ I/wv tuYXö^vei [xa] ixa — . (Der Vindobonensis hat st mit
SR, TüY/avet mit Medic. und Pass., und die Wortstellung wie
S und R.)
Wer nur Stein's Ausgabe benützt und einiges kiitische Ver-
mögen besitzt, der läuft fortwährend Gefahr, Emendationen zu
finden und als neue vorzubringen, die bereits in einigen, in
vielen oder auch in den meisten Ausgaben ^verzeichnet sind. Mit
genauer Noth bin ich dieser Fährlichkeit in Betreff des Schlusses
von m, 73 entgangen. Gobryes endigt seine Rede mit dem
Rathe, so lange beisammen zu bleiben, bis man darüber einig
geworden ist, den Pseudo-Smerdis schnurstracks anzugreifen und
zu tödten: |Jly) SiaXusGÖai h. tou cuXXoyou touSs aXX' (tj) tivTo^ sxi tev
MflCYOv IHtix;, Diese vorzügliche, zu dem kraft- und schwung-
vollen Ton der Rede trefflich stimmende Lesart der ersten
Handschriftenclasse (statt der Vulgata: aXXoöt lovra? ^) ist —
sammt der selbstverständlichen kleinen Ergänzung — schon von
Palm und von Dindorf angenommen worden; ich erwähne dies,
weil nicht nur Stein gewohnter Weise darüber schweigt, sondern
auch die anderen neuen Herausgeber die Besserung nicht zu
kennen scheinen (vgl. IX, 109, 8: toü sixeXXe ouSei? ap^siv aXX'^J
ixstvY). Empfiehlt sich nicht auch IV, 131, 10 die Schreibung:
1 Steines Deutung der Worte in der commentirten Ausgabe (,den wahren
Sachverhalt^) wird durch die von ihm herbeigezogenen Stellen keines-
wegs ausreichend erhärtet.
3 Dass selbst dies keine Uebertreibung ist, mag ein ergötzliches Beispiel
lehren. Cobet, der nur Steines Textausgabe vor Augen hat, glaubt (Mnemos.^
XI, 88) die ,vera lectio' (jlouvo; (jlouvöOev (I, 116, 4) zum ersten Male zu er-
mitteln. Dieselbe steht jedoch schon bei Jacob Gronov im Texte, des-
gleichen in fast all den Ausgaben, die mir zur Hand sind, so bei Gais-
ford, Bekker, Dindorf, Dietsch, Lhardy und (was nicht am mindesten
bemerkenswerth ist) bei Stein selbst (Ausgabe m. deutsch. Anm., 1. Aufl.).—
Herodotoische Stndien II. 571
6 Sfi oü8b sfYj ol iTceoraXOai, aXX' tj [codd. oXXo fj] 86vTa xijv TaxtaTT)v
flncaXXa99€a6ai ?). ^
m, 97, 7 hat die Restitution der in Folge des missverstan-
denen Zwischensatzes (s. oben I, S. 172) arg geschädigten Stelle
natürlich von der trefflichen Lesart der ersten Handschriften-
classe ](h^ exa^avTo SR, Ik eTd^avio V) auszugehen: Kokyoi ik -ca
iTa^ovTO [i^ Ty]v 3a)p£V]v] xal ol xpo9e'/le^ V-^X9^ Kauxaato; 5peoi; (e^ xovho
Yop TO ipoq uTub n^poYjffi dep/exat, Ta ^k %po^ ßop^r^v avc{Jiov toü Kauxol-
9(oq üepaecov cuS^v Ixt ^povril^ec), outoi i^v 8ü)pa Ta ^To^avco Sti xal e^
ept^ Bti zevTeTTQpiSs; aYiveov xx^. Sehr bemerkenswerth ist es, dass
schon Reiske (von der nothwendigen Ausscheidung der drei
interpolirten Worte '^ abgesehen) diese Herstellung fand, obgleich
ihm nur die schlechte Lesart der zweiten Handschriftenclasse
(V exa^iv o») vor Augen lag. Die Phrase iq xyjv Bcopei^v begegnet
n, 140, 2, wo sie ganz wohl an ihrem Platze ist; hingegen er-
scheint sie ni, 135 fin. in einem nicht nm* völlig entbehrlichen,
sondern durch den Widerspruch mit dem Vorangehenden auch
verdächtigen Satzglied : XY)y {xevxot 6XxiSa, vfyf oi Aapeio; iicorffiXXexo
[1^ xt)v Sü)peY)v xoTat aSeX^eoTai], $£xeoOai I^tq. Vorher heisst es-
So>pa ii [Aiv x^ xaxpi xai xoTai ^SeX^eotct ixdXeue nivxa xa Ixeivou
hQt%ka Xaßövxa OYeiv, ^ a^ oXXa ol xoXXoncXifaia divxt3(i>9£tv * xpb^ S^ [£^
xa Sfa>pa ?] iXxaSa ol If Tj 9U(iißaXe£96at xxl. Die Verbindung xi99£oOai
et^ XY)v 3(i)p£i4v müsste als grammatisch möglich erwiesen werden,
wenn man sich bei Stein's Conjectur : KöX/ot ik xa^fli{Ji£vot Iq xt)v
iiop&fyt beruhigen sollte.
Die Anschaulichkeit der Erzählung gewinnt allezeit durch
scharfe Scheidung der auf einander folgenden Zeitmomente.
Wie lässt es sich daher bezweifeln, dass UI, 110 fin. mit
1 Sollen wir tthrigens in diesem kleinen MeiBteretück der Redekunst, wo
Alles Feuer, Ungestüm, kraftvolle Gedrungenheit ist, einen so matten
und abschwächenden Zusatc dulden müssen, wie er uns sogleich in den
Anfangsworten begegnet: SvSpe; ^{Xoi, i^(itv xdti xdlXXiov icap^ei avavcDoaoBai
T^v ipx^'^1 ^ ^^ T' ¥'^ ^^^ '^^ C9^(ie6a [aurJjv ävaXoßetv], ahcoGaveiv (m, 73 in.)?
Die (Fülle des Ausdrucks* bei Herodot hat sehr weite Grenzen, aber
doch Grenzen; ausserhalb derselben liegt, meines Erachtens, auch
•EXX^vwv IX, 72, 3 (vgl. IV, 63 in.) oder i^jJLrfpi) I, 32, 4.
> ,Als ihr pflichtmXssiges Geschenk* erklärt Stein und verweist zugleich
auf n, 140 wo er dieselben Worte ganz richtig und ganz anders (,zu
dieser Gabe*) ttberseUt hatte.
37»
572 Oomper«.
der ersten Handschriftenclasse zu schreiben ist: ':a 5sT ix-
afxuvapi^vou? (SV statt axa[Xüvo|jL^voü;) dcxb twv 590aX(i.ti>v c^ma
Spexeiv vfyf xaaCiQv, und sogleich wieder 111, 15: taq 8£ cpve6s^
x,aTaxTa[xiva^ (SVR statt xofconr6TO|jL^va; outwv, das letzte Wort
tilgt auch Stein mit Anderen) «va^opeeiv i%\ Ta<; veoaciig? Bin
ich allzukühn, wenn ich auch die vollkommen entbehrlichen,
in den zwei Handschriftenfamilien verschieden angeordneten,
aus dem Vorangehenden wiederholten Worte -ci twv uicov^üyiwv
[Kikta oder la pL^Xea töv md^irfitii^ ebenso für eine schon im Arche-
typus vorhandene Objectsergänzung halte, wie dies z. B. V, 92 -^f
15 sicherlich die in der ersten Classe fehlenden Worte tc ic«5isv
sind (tov 7:pü)Tov ourcov Xaßövxa xpocouSiaai , vgl. dort Z. 11 und
Z. 17)?
m, 113, 9: i{Jia^föot(; ^ap icoisuvte; uiccS^ouac outa^ TV}7t oi»pi^u
Ivb«; iitdloTOü xTT^veo^ 'rijv oup^v Iw' i(j.a^(Sa xaiaS^ovre«;. Hier bieten
die sämmtlichen Handschriften den sinnwidrigen, aber bisher
nicht angefochtenen Zusatz ^xiotr^v nach afJia^lSa, etwa wie jene
der zweiten Classe IV, 72, 6 das einfache Itc' Ttcxov (so SVR)
nicht geduldet haben in dem Satze: Tä)v ^k 3^ vsT^vtoxcov wv oxc-
«eiuviY[xev(i)v töv xevn^xovra Sva Sxaarov dvaßißaljoüat 6x1 tbv Vxicov — .
Denn gezwungen wäre die Erklärung ,auf das zum Jüngling
gehörige Pferd'; ist doch im Vorangehenden zwar von (Unfzig
JüngUngen und fünfzig Rossen, nicht aber von ihrer Zusammen-
gehörigkeit die Rede gewesen, die eben mit diesen Worten
ausgesprochen wird: ,Von den fUnfzig erdrosselten Jünglingen
setzten sie je einen auf ein Pferd/
HI, 1 15 in. : Auiai [x^v vuv h te tyj 'Acttj e^x^t^i swt xat h
T^ AißuY)* xept Ik TÖV £V T?i EupoVicv) [töv xpb^ doxspr^v] e^xariectiv
e^ü) jx^v Oüx dTpexeux; X^ysiv oute yop l^uiYe cvB^xofxai 'Hpt5av6v tivj
(add. SVR) xaXeecOai xpb? ßapßipwv xoTafjibv exJiScvT« iq SocXos^av
TTjV Xpb^ ßopäKJV aV6(JL0V, ix' 5t€U TO iJXeXTpOV ^OlTOV Xo^eg ETO, C'JT£
vt^aou«; oIBa Ka9C(T£p{Ba; eouaa«; [ex töv b xaaotTepoc i^fxtv foiT«]. Diesmal
hat der Interpolator seine Sache schlecht gemacht. So wenig
Hcrodot bei Asien und Libyen blos an den Osten denkt und
denken kann, sondern neben diesem (106 in. xpb(; Ttjv i^^ö) auch
den Süden (107 in. 'Kphq S' au {i.£aa{JißpiiQ;) und den Südwesten
(114 in. oxoxXtvofxevY)^ hk {Jieffapißptric; — i:poq Sivovra f|Xiov) im
Auge hat, ebenso wenig kann er hier den Norden ignoriren.
Und er ignorirt ihn auch thatsächlich nichts da er ja sofort
Herodoteinclie Stadien 11. 573
vom Nordmeer und alsbald auch vom nordischen Festland
spricht (116 in. izpo^ Ik apxtou vfi^ Eüpcj^^ x,t4.)! Genannt aber hat
er an der Spitze des Capitels gewiss keine dieser Weltgegenden^
sondern sich damit begnügt^ den zwei schon behandelten Erd-
theilen den dritten gegenüberzustellen, das Uebrige der Ein-
sicht seiner Leser überlassend. Zu 'HpiSav6v Tiva und oute ^aoug
oT8a Kananipilaq iodaa^ vergleiche man den uns so wohlbekannten
Satz: Ol) ydp tiva lYcoye olZa icoxafjibv 'Qxeovbv s6vTa (ü, 23), wo
auch die Fortsetzung , der Hinweis auf den poetischen Ursprung
des Wahnglaubens^ zu dem hier Folgenden stimmt (ikb :roiY)Tiu)
Bs Tivoc; T:oiT)6iv). ,Und was die Zinninseln betrifft, so weiss ich
auch nichts von wirklichen Inseln dieses Namens' — wie kann
sich hieran der von uns eingeklammerte Satz anschliessen, da
doch aus dem Nicht-Seienden weder das Zinn, noch sonst etwas
herstammen kann? Einen blossen Glauben oder eine Sage
weiss aber Herodot sehr wohl auch sprachlich von der Wirklich-
keit zu unterscheiden; warum sagte er nicht auch hier, falls
er dies ausdrücken wollte, ^oitäv \6^o<; im, oder (wenn er vor
der Wiederholung der soeben gebrauchten Wendung zurück-
scheute) fotiav ^afft oder X^^ouai? Der Name der ,Zinninseln'
sprach eben deutlich genug und bedurfte keines Commentars;
es genügte, wenige Zeilen nachher den realen Sachverhalt, von
allem Problematischen geschieden, festzustellen: e? e^xaTTi; 8' wv
5 TS xaaffiTepo^ Vjpuv ^orca %a\ tb ^SXexTpov.
Seltsamer Weise scheint noch kein Herodot- Forscher be-
merkt zu haben, dass die Schlussworte von HI, 143 an ihre
gegenwärtige Stelle passen wie die Faust auf das Auge. Maian-
drios hat die namhaftesten seiner Widersacher in den Kerker
geworfen; er erkrankt und schwebt in Lebensgefahr; sein Bruder
Lykaretos tödtet die Gefangenen, um sich nach dem Ableben des
Bruders der Herrschaft um so leichter bemächtigen zu können.
Was soll da der begründende Satz: ,Denn sie wollten eben,
wie es scheint, ganz und gar nicht frei sein?' Hingegen wären
diese Worte an einer früheren Stelle sehr wohl an ihrem Platze,
dort wo dem Maiandrios, als er ,der gerechteste der Menschen'
sein imd den Samiem ihre Freiheit wiedergeben wiU, statt
freudigen Entgegenkommens und begeisterten Dankes nur
Anklagen und Chicanen zu Theil werden und die Ausführung
seines edlen Vorhabens vereiteln. Hier (143 in.) möchte ich
074 OomperB.
die wohl einst zufällig ausgelassenen, am Rande beigeschrie-
benen und am unrechten Orte eingesetzten Worte einschalten,
wie folgt: MaiovBpio^ ^k v6(i) XaßoW, b>^ et {jLSD^aet xfyf opxV aX>^
Ti^ dvr' oüTOü Tupavvo? xaraan/jaeTat (ou fo^ ^^> <«>? oixaai, eßouXovts
etvat eXeuOepoc), ouS' In ^ iv voco eT^e |JL£Ti^vai oeuti^v, aXX* ciK cevex<Vvf9£ e^
Viertes Buch.
Wer an den Rhythmus der herodoteischen Sprache gewohnt
ist, der wird bei den Worten IV, 9, 4 — 5 : syci) y«P e^ ^£^ 'f?-^
xaiBoE«; l^^*' sofort einen Anstoss empfinden. Denselben räumt
die Lesart der ersten Handschriftenclasse (die Bekker auf-
nahm) aus dem Wege: 1/^ W ^^ ^^^ voHiaq TpeT?. Dass dies
Stein nicht fühlt und nicht auch durch derartige, an sich
kleine, aber durch ihre unaufhörliche Wiederkehr bedeutsame
Mahnungen zu einer richtigeren Würdigung dieser Familie
geflihrt ward, dünkt uns gar befremdlich — um so befremd-
licher , da er, der Macht der Wahrheit widerwillig gehorchend,
eben in diesen Partien nicht selten Lesarten von SV oder SVR
annimmt, die wahrlich keinem noch so geschickten antiken
Corrector ihr Dasein verdanken können, so SiaXefeeiv (statt Sta-
XiTCciv) in, 155, 18, die Auslassung von toT(; neporjai HI, 156, 15,
von dpxovTwv rV, 5, 20.
Ueber die so schwierige als vielbehandelte Stelle FV, 11
will ich (von den Abenteuerlichkeiten der neuesten Herausgeber
absehend) nur so viel bemerken, dass selbstverständlich von
der völlig sinngemässen Lesart der ersten Handschriftenclasse aus-
1 Zur Rechtfertigung; dieser trefflichen, wenngleich nur von S dargebotenen
(von Schweighäuser, Gaisford, Bekker u. s. w. angenommenen, von Stein
jedoch wieder verschmähten) Besserung (statt ou $ij ti) genügt der Hin-
weis auf den Qedankenzusammenhang und allenfalls auf Stellen wie
VI, 133, 2 : o\h\ Ilaptoi oxto; [jl^v ti 8a>9ou9t MiXrtaBT] [apyjplou secl. Kriiger]
oOSk dievoEuvTo, ol Sl oxco; Sia^uXdciouot Tfjv icAtv [touto om. SV] e{i?)X^avtfovTo
xti. Hier wie dort deutet oOB^ auf die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit
der Ausführung hin, neben dem Nichtvorhandensein (beziehungsweise
Nichtmehrvorhandensein) der betreffenden Absicht. Dass diese allein
sinngemässe Lesart (die an letzterer Stelle Steines ABC und S dar-
bieten) in VR durch ouSiv verdrängt ward, sollte uns nicht hindern,
sie in den Text zu setzen.
Herodoteische Stodi«ii II. ö75
zugehen und das von Valckenaer so freiFlich gefundene, durch
die schlagendsten Parallelen gesicherte (Aivsvxo«; anzunehmen ist
(vgl. insbesondere VI, 22, 7—8 ; VE, 173, 9—1 1 ; VIII, 74, 20—22 ;
IX, 55, 24), wodurch wir zu Bredow's (pag. 29) und Herold's
(emend. herod. I, pag. 6) Schreibung gelangen: ax; oxaXXaaaedOai
xp^Yfia eiY) [ixfik 7:po^ xoXXob? |ji.6vov(Ta<;) xiv^uveuetv. Und dabei
könnte man sich beruhigen, wenn nicht einerseits die drei Buch>
Stäben A60 vor MGNON eine Erklärung, beziehungsweise Ver-
wendung heischten, andererseits das blosse zpb^ tcoXXou; einen
unzureichenden Gedanken enthielte. Denn sich mit ,Vielen^
schlechtweg zu schlagen, dies schliesst nicht nothwendig eine Ge-
fahr, am wenigsten eine solche in sich, die man, ohne fUr feige
zu gelten (ivT^vouc; [t.h apifOTspa;!), zu vermeiden fUr räthlich
und geboten halten kann. Passend wäre 'xpo^ xoXXa3cXv;9tou; oder
xpbq xoXXoix; iXt^cü^ e6vTa(; (vgl. I, 176 in.); allein wenn wir Ge-
waltsamkeiten scheuen und methodisch vorgeben wollen, so
bleibt kaum etwas Anderes übrig, als in jenem Lautüber-
schuss die Deckung dieses Gedankenabganges zu suchen.
Daher glaube ich auch Gebhardt's (emendat. herodot. m, pag. 9)
Stafx^vevTo? zurückweisen und vermuthen zu dürfen: — tJiiQ8e izpot;
«oXXoü? 2)86 [jievov(Ta^) xivSüveöeiv — . (Ueber Verwechslungen von
0 und (D im Archetypus unseres Textes vgl. Herold a. a. O«
pag. 5 und specim. pag. 9; die Nachstellung von &8e begegnet
mehrfach, zum Mindesten bei den Tragikern.)
Sicherer ist es, dass wir IV, 18, 19 statt: -^Bti ik xorc6icepO£
ToOtwv if epv;{xo^ ecrt e-sct tcoXXöv mit SVR (denen Gaisford und
neuestens Abicht, nicht aber Stein und Krüger gefolgt sind)
zu schreiben haben : ii hh xorfcepOe tojtwv (sc. ^ s. x^P**)) ^flV^Z
ecni izi xoXXov. Ich fUhre dies als einen weiteren Beleg fiir die
seltsame Verblendung derjenigen an, welche die Ueberlegenheit
der ersten Handschriftenclasse beharrlich leugnen.
IV, 36 in.: — tsv y^P t^so^ 'Aßipw? Xoyov tou Xe^ofAsvou eTvai
Txspßopio) Ol) Xe^ü), XsY^^ <*>^ '^^^ oicrov Trspie^epe xori Tcacov f^v,
OüB^v ctTeopievo^. — Das durchschossene Wort lässt sich weder
durch die von Wesseling angeführten, unzutreffenden Parallelen
stützen, noch thut es Noth, dasselbe mit Reiskc (dem Stein folgt)
zu tilgen, noch endlich frommt die von Schweighäuser zweifelnd
vorgebrachte, von Krüger angenommene Aenderung zu Ki-^o'^za,
Minder gewaltsam und zugleich sinngemässer scheint es, zu
576 Ooraper«.
schreiben: Xe-fü) Se cSx; xt£. Vgl. IV, 99, 24: >iY«»> ^^ «^ ^Iv«
Toura xtI. Häufiger allerdings wird diese Phrase im Sinne von
,ich meine, ich will sagen^ mit dem Accusativ verbunden;
doch fehlt es auch nicht an Beispielen, die unserem Falle genau
entsprechen, wie Aristot. Rhet. III, c. 11 (1413» 12): X^y« ^
rV, 46 in. : '0 U U6y:o<; b Eö5eivo<;, ex' 5v EffTporreuCTO 6 Aap £«;,
Xu>p^(i)v xa7ia)V xop^x^iat S^fa) tcu ZxuOotou eOvea äjxaOeffTärra. aiT£
fotp 56voq Twv evTO^ tou Q6vtou ouB^v Ix^piev xpoßaX^oOat dOfirj^ :ri?t
oQt£ avSpa Xö^iov oiSapLcv Yevojjievov xfl^e^ tou ts (xe add. Herodian.
X. pLOVnip. XeS- p. 88 Lehrs.) SxuOixoü eOvso^ %ai 'Avaxapcrio^. to 5£
StcuOixc^ Y^vei ^v (jl^v to [JieYiCTOV twv dvOpWTnjCwv xprjYixiKDV ao^urraTJ
xivTwv l^s^p'J'^«' *«»>'' ^P^si? ßjjiev, Ta (xivrot dfXXa oüx ayaiiiai* rb [Bs
om. SVR und Flor.] ^ ixä^t^yrov (toöto) oi>«i) 2 a^i aveupTQrai, Äcrre xts.
Hatte es Herodot wirklich so eilig, den Skythen, unter
denen er doch nur einen Weisen zu nennen und von denen er
sonst blos 2SU rühmen weiss, dass sie sich gegen Eroberer besser
als jedes andere Volk zu vertheidigen verstehen — konnte er
es in der That so wenig erwarten, ihnen einen Platz unter den
gebildeten Nationen anzuweisen, dass er darüber den logisch-
grammatischen Faden aus der Hand verlor und es unterliess.
sich so auszudrücken, wie jeder gute Schriftsteller sich in
gleichem Falle ausdrücken würde: ,Die Pontusgestade, gegen
welche jetzt Darius zu Felde zog, beherbergen unter aDen
Ländern die ungebildetsten Völker. Denn ich kenne kein Volk
^ Unser Schriftsteller liebt es nämlich, an eine Ankündigung (und zwar nicht
nur wenn diese durch oSe, ojSe u. dgl. eingeführt wird, worüber Herold zu
vergleichen ist, der jedoch die widerstrebenden Stellen nicht ändern durfte'
den Gegenstand derselben asyndetisch anzureihen. So ist sichertich
III, 12 in. yap mit der ersten Handschriftenclasse, die auch in diesem Be-
tracht 80 oft allein das Ursprüngliche bewahrt hat, zu tilgen in dem
Satze: 6(ou{ia 8k {i^ya eTSqv 77u0o(jlevo( ;:apa tojv E7:iycopf(j>y * tcüv [yap] oaTs'r.».
7:£pix£)^u{jiva)V xtI. Dahin gehört es auch, dass IV, 47, 11 auf die Worte
TouTou; ovo[jLdev^a> ohne weitere Vermittlung die Aufzählung beginnt: Ivtpo;
\Lh KEvraoTOfio; xtI. (anders Stein, der den Ausfall eines Satzgliedes vor
aussetzt). Man vgl. IV, 119 in. ioybOvjaav aX yvoSiJLai* 6 (ikv PeXcavo; zri,
wo man früher gleichfalls gegen das Zeugniss der Haupthandschriften
beider Familien 6 (jlIv yap las. Desgleichen tilge ich fdcp mit SV II, 161, \X
2 Vgl. Vin, 98 in.: oCtcü totai Ilfpffyjai EScuprjTai toiSro. Verschieden ist IV.
200 fin. : Touto pikv Svj olSttt) (hoc modo) E^Eup^6i].
Herodoteisoha Studien n. 577
ausser dem skytfaischen' u. s. w. Die Worte I5w xou Sxudtxou
sind, wenn nicht Alles täuscht, eines jener ^proleptischen' Em-
bleme^ die der Ungeduld, nicht des Autors, sondern eines vor-
witzigen Lesers entsprungen sind, der hier Regel und Aus-
nahme durch einander wirft.
IV, 61, 14 haben, so viel ich sehen kann, sämmtliche
neuere Herausgeber mit Reiz (nicht mit Gronov, wie Gaisford,
Stein, Krüger irrig berichten) der nicht ganz regelmässigen
Construction dadurch aufzuhelfen gesucht, dass sie zwischen
Tux««>^t Ix^^*^^? ^^^ XdßrjTa? die Präposition i^ einschoben. Ein
Blick auf die in jedem Betracht vollständig analoge Stelle 11,
39, 14 ff. genügt, um die Entbehrlichkeit dieser Aenderung zu
erweisen. Wohl aber ist nach eiceixa (richtiger IweiTsv) mit R
und V 8e einzusetzen (S hat S'). Dass Stein im Folgenden den
sinnwidrigen Artikel in den Worten ijv ^k [k-^ o<pi xapt) 6 Xißr^^ (5 om.
SVR) aus den Handschriften der zweiten Classe eingeschaltet
hat, gehört zu den Seltsamkeiten, die uns immer von Neuem
in Erstaunen setzen.
rV, 88 in.: Aap€To(; Be jAEra ToO-ca i^oOet^ vfi ^sZiri tbv ai^ni'
xTOva MovBpoxX^a TovZifjieov i^iaprf^aono ^cofac S^xa* ax* cov $^ MavBpo-
%kiri<; öhcapxYjv — . So lange wir der Vernunft in kritischen Din-
gen nicht Valet sagen, wird es bei der (von uns Zeitschr. ftlr
österr. Gymn. 1859, 811 ff. eingehend begründeten, ^ vorher
schon von Krüger [zur Stelle] und von Mehler, Mnemos. 1856,
pag. 69 geäusserten) Meinung sein Bewenden haben, dass die
Wortverbindung waci Bcxa an dieser Stelle völlig unverständlich
und darum unmöglich ist. So begreiflich nämlich diese Rede-
weise dort erscheint, wo es sich um ,je zehn', ,je hundert^ u. s. w.
Beutestücke, Opferthiere, Rinder, Schafe u. dgl. handelt,
so undenkbar ist die Anwendung einer Zahlenbestimmung in
einem Zusammenhang, der uns über die Natur der zu zählen-
den Gegenstände vollständig im Unklaren lässt. Auch der
Ausweg, dass es sich um eine uns unbekannte persische Sitte
^ Dem dort zusammengestellten Materiftle kann ich jetzt ein paar neue
Belegstellen, wie n^a x^i« bei Porphyr, de abstin. 11, 60 (120, 27—28
Nauck) oder izivxa Ixotrov bei Parthenius IX fin. (10, 23 Hercher), aber
nichts hinzufügen, was das dort erzielte Ergebniss zu modificiren ver-
mochte.
578 Ooinp«rz.
handle, bleibt verschlossen, da der Geschiehtschreiber seine
Leser in solchen Dingen keineswegs fbr wohl unterrichtet hftit
und sie daher ausreichend zu belehren niemals verabB&amt
Somit erübrigt uns nichts als ein kritischer Eingriff, und schwer-
lich ein anderer als jener, den ich damals nur darum unaus-
gesprochen Hess, weil ich der Hoffnung nicht entsagte, ein ge-
linderes Heilmittel zu finden. Statt 'k&si wird man taXircotr.
zu schreiben und den Fehler durch ein Compendium wie TOlCI
oder TACI veranlasst glauben müssen (vgl. z. B. I, 50, 13 xa-
Xorna Htm und Gardthausen S. 257, mittl. Col.).
IV, 176 lesen wir: fl 5' äv icXeiata IxTl? ^^'^''J «piffTij Sc-
Boxtat sTvat — und ähnlich I, 32: "^ B^ g^^ t« xXeTcxa Ixtj, apiorr,
OL^TTf, Nur IV, 64 heisst es mit einer Schwerfälligkeit, die schier
als unerträglich gelten darf: Iq Y^tp i2v xXeiora lipikotia. x^^P^
{jLaxTpa exY), «v^p apiffto^ outoi; xdxpixat sTvai. Von dem ersten der
beiden Worte befreit uns die bessere Handschriftenfamilie
(om. SVR); von dem zweiten und noch weniger passenden
dürfen wir uns wohl selbst befreien.^
Es wäre nicht schwer, jeden Unsinn und jede Fälschung
der Ueberlieferung zu rechtfertigen, wenn es uns freistünde,
den Worten und Phrasen jedesmal ad hoc besondere und an-
erhörte Bedeutungen beizulegen. Etwas Derartiges versuchen die
Interpreten zu IV, 68, 7 — 8: cnriYiJi.^vov Ik iXtf/pnai oi (xclvrie^ u^
ewiopx.i^j(ja<; ^aivetai evTYJfAavTixfj xa^ ^aaCkriiaq loxtaq. Das Wort jxav-
^ Nebenbei sei auch auf die kleine Interpolation hingewiesen IV, 65 in.:
x«i Ijv {xiv tJ Tzivri^ — ?jv ok ß om. SVR] js^ouaio;. Vgl. 196, 6: xai ?jv p.^>
9ot{v7]Ta( a^i a^io; 6 ypuob; Ttov cpopiftov — 9jy 8^ |jltj £^to;, wo Stein die-
selbe Interpolation vielleicht gleichfalls angenommen hKtte, wenn nicht
seine ABC sich hier zwiefach vergriffen hätten : in der Wahl des Verbnms
(eTvsi statt 9a{yea6ai) und in der Wortform (eti) statt ^). Doch da jenes
Blatt aufgeschlagen vor mir liegt, so will ich eine andere, durch fremde
Zuthaten schwer entstellte Satzreihe zu ordnen versuchen (199, 11): rpüjxa
{iN yoLp TS TcapaOaXaaaia [rbiv xapjccuv] öpyae a|JLa90a{ TC xal TpuySoOat * toutwv
TE Svj (niYX£xo[jLi9{jL^v(i>v TS (iKlp Tü)v SaXavaiStuv yc&pcov [ra \kiaa om. SVR]
opY« auYxo{i{Cc90ai , tat ßouvou^ xaX^ouai * (TuyxcxdfJLiatat tc ouio{ o [x^ao;
xapjcb; xi£. Dieselbe Sprachwidrigkeit, die hier in t« TcapocOaXttvoia Tb>v
xapiciijv (siehe den verunglückten Erklärungsversuch bei Krüger) begegnet
ist V, 58, 9 (ts noXXa tcSv x^P^^) durch Wesseling's Conjectur (x(k>p'«»v
statt yitaptu^) beseitigt worden; gerathener scheint es auch dort (mit
Krüger') zu schreiben: ;cEpioUcov h£ a^c«; toc jcoXXa [iü>v x<^pb>v] toutov
xiv xpdvov 'EXX^vwv "Itovt;.
Herodoteiscbe Studien ü. 579
TixT^i sei hier ,concret zu fassen^ (Stein). Doch gentigt diese Aus-
flucht nicht, um den sich unabweislich aufdrängenden Zweifel an
der Echtheit dieses Zusatzes hinwegzuräumen. Es bedarf noch
der weiteren, nicht minder gewagten Annahme, dass eiciop-
xi^ffo^ oaivexat einen solchen Beisatz gestattet. Dies widerstreitet
jedoch vollständig dem Sprachgebrauch Herodot's und enthält
zugleich eine durch den Zusammenhang keineswegs nahegelegte
Abschwächung des Gedankens. 9atvo{jLat mit einem Particip ver-
bunden steht nämlich nach der bekannten^ flir unseren wie für
jeden anderen griechischen Schriftsteller giltigen Regel völlig
gleich einem St)X6<; eorrt, ^oc^&pbq xaöiaTarat, wenn es nicht gar wie
JI, 97 in. al x6Xte^ [jLouvai ^oeCvovtai Cncep^x^uoat (,man sieht die
Städte allein hervorragen*) nur die Geltung einer Periphrase
besitzt (^aivovtat uxepdxou^at = urcepdxouoi). Man vergleiche bei-
spielsweise: ü; 79 ^atvovrae ^k atst xore toutov deeiSovreq; UI, 116
xoXXo) Te TcXetoTO^ (paCvexai yjpochq eAv; IV, 12 ^aCvovtat — ^su^ovre?
und daneben ganz gleichwerthig fovepol li eiat — S((i)^avT6(; ; IV, 45 fin.
i% rfi^ 'Aaft;q te ^aCvetat eoikja; FV, 53 faCvsTai Ik ^dwv hC epi^jjwü;
V, 9 in. Ipr^iAO^ X^P^ foCvetai eouaa; VT, 121 ^atvovtat {jLtaoT6pavvoi
iovTS^; Vni, 120 in. jjl^y* ^^ — [AapTupipv f aivexat yip S£p§Yj? —
dxix6pievo^; Vlll, 142 otTive<; — 9aiv6cöe tcoXXouc; eXeuOepciaavre? — .
Der Process der Weissagung gilt den Wahrsagern als ein ebenso
vollwichtiges Beweismittel wie dem Cyrus sein Traumgesicht,
auf Grund dessen er zu Hystaspes spricht (I, 209) : Toiq ao^ —
i^tßouXe6(i)v lofXcoxe, gerade wie es von wirklich überRihrten
Verschwörern heisst (Vlll, 132): extßoüXsOovre; Ik dx; ^avepoi
i^i'io'fxo — . Der Zusatz iv tyj [jiavTa^ ist ganz ebenso auszu-
scheiden wie (mit Abicht) jenes ev toT^i Sp^otct 11, 126, wo weder
Valckenaer's Vorschlag (über welchen gemeiniglich falsch be-
richtet wird) 6v zu tilgen, noch Werfer's Conjectur ixt (statt ev)
die rechte Hilfe bringen; denn auch ein e; ra Ip^a wäre im-
zulässig, da von den ipY« im Vorhergehenden noch gar nicht
die Rede war. Die Königstochter, so heisst es, wollte auch
ihrerseits ein {Jivr^(jL6auvov zurücklassen (was an sich ein ganz
unbestimmter Ausdruck ist; man vergleiche, wenn es Noth
thut, n, 135 oder IV, 81 fin.); darum bat sie jeden ihrer Be-
sucher um einen Stein, und aus diesen Steinen hat sie eine
Pyramide erbaut. (Stein freilich gibt die Worte deutsch so
wenig sinngemäss wieder, wie sie griechisch lauten: ,er möge
580 Oompers.
ihr bei ihrem Bau einen Stein schenkend) — Von demselben
Kaliber ist zweifelsohne auch der wenige Zeilen später folgende
gleichartige Zusatz: xat fjy (x^v xat ourot eaop£ovT£<; [i; tT|V jjlovtixijv]
xataSi^ffioai exeopxvjaai , wo man nach der Analogie von itnltay i^ xk
\pa (Vn, 219 in.) im Gedanken ein s; xkq ^ißSoo^, iq toI>^ ^cod-
Xouq ergänzen mag. ^
Wenn Männer Frauenrollen spielen, so wählt man hiezu
allezeit bartlose JüngHnge (av5pa<; Xeto^evetoo;, wie es in ähnlichem
Falle bei unserem Autor heisst V, 20) ; und wenn ein Amazonen-
heer irrthümlich für ein Männerheer gehalten ward, so konnte
man in den streitbaren Frauen nur jugendliche^ unbärtige Krieger
erblicken. Dies muss noth wendig auch Herodot dort sagen
wollen, wo ihn unsere Handschriften so verkehrt als möglich
sprechen lassen (TV, 111): eSoxeov B' ahxctq elvai ovdpxg tyjv auttjv
T^XwTiV iyovra;, was die Interpreten einstimmig etwa also er-
klären: ,alle von gleichem Alter, nämlich gleich jung und
bartlos^ Ebenso gut könnte man sagen: wir hielten einen
Trupp Zigeuner ftir Mulatten, denn sie waren insgesammt von
gleicher (nämlich von dunkler) Farbe. Nicht die Gleichheit,
die ja ebenso wohl die Gleichheit des Greisenalters sein könnte,
^ In der Scbilderuu^ der skythischeu Mantik bleibt nach allen Bemühun-
gen der Kritiker nnd Exegeten noch manche Dunkelheit zurück. Dass
Steins* Versuch, die Phrase im \lUl>* §xdt9T9)v ^dlßdoy ti6^vte( nach der Ana-
logie taktischer Ausdrücke (gleichsam als einen Stab hoch) zu erklären,
nicht geglückt ist, zeigen die von ihm selbst angeführten Parallelstellen
deutlich genug; es müsste doch zum Mindesten heissen hu (i^ocv xkq ^aßoou^
TiOevTs^. Ob mit Krüger (x{av et:! {x^av oder nicht vielmehr (nach I, 9, 5 oder
m, 11, 14) xara \Llcpt l/.a7TT]v tcov ^aßS<ov zu schreiben sei, will ich nicht
entscheiden. Für sicher halte ich jedoch, dass der Schlnss des Satzes
zu lauten hat: nuiX auTi( xora [i{«v [cruvJTtOerai und dass der Zusatz ans
dem vorangehenden auveiX^ouai gerade so mechanisch wiederholt ist, wie
III, 36, 17 iXafxßavE in SVR durch Einwirkung des benachbarten E;:tXa-
ßfidOai zu £i:EXa{Aßav£ geworden ist. Und ist nicht eben dasselbe auch IV,
114 in. geschehen? Oder was ist wahrscheinlicher (denn so muss man
die Frage stellen): dass Herodot den geschlechtlichen Verkehr, den er
sonst immer durch {JL^ayEaOai ausdrückt, an dieser einen Stelle durch das
(bei anderen Autoren allerdings nachweisbare) (TU(jL(jt{<r]f£90at wiedergibt,
oder dass die Präposition aus dem gerade hier vorangehenden au(ip.f-
iavTE^ (xa orpaTOTCEBa) den Schreibern unwillkürlich in die Feder kam
und er auch diesmal geschrieben hatte: Yu^ot^^^ lytoy Ixa^ro; TatuT7]v i^ to
)epc5tov fi(ji()r6ii)?
Herodoteische Studien II. o81
sondern die Jugendlichkeit muss hier zum Ausdruck gelangen.
Man schreibe (wie, irre ich nicht, bereits Dietsch einmal irgend-
wo vorschlug) TTjv wpcotr^v iqXixitqv und denke sich die Corruptel
aus einer Abbreviatur wie AT H N oder AH N (g. Gardthausen,
Palaeogr. 248 oder z. B. Hermes 17, 181) entstanden. Eine
derartige Annahme hat bereits einmal einer trefflichen Ver-
besserung unseres Textes (I, 59 ipirixoafou; statt to6toü; ,nempe
utrumque per t scribebatur addita terminatione ou;', Naber
Mnemos. 1855, pag. 10) * zur Grundlage gedient. (Verwandte,
minder überzeugende Vermuthungen 'desselben Kritikers und des
scharfsinnigen Mehler sieh ibid. 1854, pag. 482 und 1856, pag. 72.)
Dieselbe Schreibung von xpw-njv mag die seltsame Variante der
ersten Handschriftenclasse in 11, 79 fin. veranlasst haben («ut^iV
SVR statt ToiTTiV xpü)TT)v.)^ TJud ist nicht endlich auch ein Zahl-
zeichen einzusetzen lH, 11, 11: Jjaav tw <I>fltvYj TcalSe^ ev Aiyütctw
xorcaXeXetiJLfjiivoc (i), wo mir wenigstens die Anschaulichkeit der
Erzählung unter dem Mangel einer solchen Angabe erheblich
zu leiden scheint? Man beachte, dass die Zahl jener Söhne
des Phanes jedenfalls eine beträchtliche war (darauf weisen die
Ausdrücke 8ia icavxwv 8e 8ie§6X66vT6? und xaTa 5va Sxaorov twv
xaCScjv unverkennbar hin), und dass es sich um das Schicksal
eines Halikarnassiers handelt, in Betreff dessen unserem
* VII, 205 5 ist meines Erachtens nothwendig^ zu lesen : o; t^te ^le ii Bep {lo-
ToSXa; i^nXE^ajjLEvo; avSpa; le [xo^;] xaTE9Tea>Ta( Tpiir]xo9{ou( xst Tot9i iTtSyxavov
KoXBi^ eovte;, ^dreihundert Mftnner von gesetztem Alter* (vgl. Thucyd.
n, 36) ,ttnd die schon Kinder hatten*, wie Lange vollkommen sachgemäss
übersetzt. Sollte der Artikel, der jedenfalls weichen muss, weil er mit
£;ciXc^a{i£vo; unbedingt unvereinbar ist (man müsste denn Krüger's ge-
wundene Erklärung billigen : ,die bestehende organisirte Sohaar, die
er sich wählte, nicht einzeln, sondern im Ganzen*), vielleicht aus
eben jenem Compendium entsprungen sein, welches diesmal seine richtige
Auflösung gleichsam überlebt hätte?
' Täuscht mich nicht Alles, so hilft dieselbe Annahme eine auch vom jüng-
sten Herausgeber nicht geheilte Corruptel bei Marc Aurel (comment. IV,
33 fin.) beseitigen : — xal StdEOtoi; &oKa^o|jL^vT] izon to oufjLßsivov, co^ avaf xatov,
a>; Y^(opi(Aov, cü; oaz* apyfiq toi Kptoxri^ (statt toisöit);) xai lai'fiic ^im. Vgl.
insbesondere Vlil, 23: au{tßa(vEi xl (tot; 8^^o|iai, inX toI>( Ocou^ ova^^pcov,
x«i TTjv TcivTfov icv^T^^f ^9* ^^ ff^vTs Tot YiW(xcva 9u{i(iii)p'SETai. Oder auch
VI, 36: jiflivT« cxeTOev Ipyi^tx ai — xai xb X^(^' °^^ "^ XfovToc — xai
izOLQa xaxoupYfa — exe^vcjv S3CiYeyvT{(xaTa tojv 9E{jlv(uv xai xaXöSv. |jljj ouv aura
aXX^Tpta TO'jTou, ou a/ßct(, ^avrdE^ou * aXXa t^v nivTcav Ri^Y^v EmXoY^ou.
082 Gomperz.
Historiker gewiss die genauesten Informationen zu Gebote
standen. Durch den Ausfall eines oder mehrerer Zahlzeichen
erklärt sich auch am leichtesten die Lücke, die ich (mit Dobree)
IV, 153, 6 annehmen zu müssen glaube.
rV, 119, 14: -fSv [jL£VTOi eiciYj xai iiA itjv i^(jL6TäpY)v ap5tj xe aSi-
x.eoi)v, xat ii[».€iq oh iceiaofxeOa — . Da die Conjecturenfluth, die
sich von Alters her (schon der Sancroftianus , aber freilich
weder V [der oü ^etccopieOa hat] noch R, bietet oux oiffC{jLftOa) über
diese Worte ergossen hat, noch immer anschwillt, so scheint es
nöthig daraufhinzuweisen, dass Letronne ^ (Joum. des sav. 1817,
pag. 90) dieselben bereits vollkommen ausreichend erklärt hat
als ,une tournm*e negative qui äquivaut . . . k une affirniation
^nergique', = evavTi(i)0t;a6[j.60a oder [jkaxea6{JLe0a. Ich verweise
ausser auf die von Letronne angeführten schlagenden Parallelen
im Heliasten-Eid bei Demosth. 24, 149; Xenoph. Cyropaed.
IV, 5, 22; VII, 4, 1; VH, 4, 10 — auch auf die aUbekannte
analoge Gebrauchsweise von oux eav, oux eicixpe^cEiv (im Siime
von ,verhindem, verbieten'), oi) ^^[jli = nego, oux wocxvoöfiut
,ich schlage ab' u. s. w. (s. Krüger 67, 1, 2).
Ich berühre im Folgenden nur mehr eine Anzahl wichti-
gerer Stellen aus den letzten drei Büchern.^
1 Bahr hat bereits auf Letronne hingewiesen und seine Ansicht gebilligt
Da er jedoch die zuerst erwähnte, vielleicht überzeugendste Parallelstelle
aus Xenophon (^roi (jia)(^ou(jiivouf ye ^ 7:€iGro(j.^vou^ übergangen und jeden-
falls keinerlei Wirkung erzielt hat, so schien es nöthig, dem eingewurzel-
ten Irrthum von Neuem entgegenzutreten. Beiläufig, £ltz hat nicht,
wie Stein berichtet, ,vel ol sicoi9^fi.60a vel S7cei9^(j.e0a* zur Auswahl vor-
gelegt, sondern die letztere Conjectur nur als eine solche vorgebracht,
,quae quidem in proclivis est, sed probari non potest*. Das izptizot
tj^EuSo^ seiner langwierigen, aber diesmal unfruchtbaren Erörterung w&r
die wohl von den meisten Kritikern stillschweigend getheilte Voraus-
setzung, dass 7:£(ao(i.ai hier das Futur von ndtv/o), nicht von icE{0o(jLfti sei.
3 lieber die Bücher V und VI habe ich einst (Zeitschrift für österr. Gymn.
1859, 824 —829) ausführlich gehandelt. Au der grossen Mehrzahl meiner
damaligen Vorschläge halte ich noch heute fest, obgleich die Heraus-
geber selbst die evidentesten derselben, wie zu V, 113 in.: [Aa/^opL^vcov oi xat
luv aXXa>v {tl) ST7)aiJva)p xxL (vgl. auch II, 169 in.) nicht einmal einer
Erwähnung werth erachtet haben. Die Jugend ist vertrauensvoll, und so
Herodotoische Studien II. 583
Xerxes spendet bei seinem Besuche von Akanthos den
Bewohnern der Stadt Lob^ Anerkennung und Geschenke, ip^uiv
aÜTOu^ 7:po66|i.ou^ eovTo^ £^ tov icöXefxov toi xo ip\)^[ML (airEuBcvTaq)
ay.ouu>v (VII, 116). So glaube ich den Satz, dessen Lücken-
haftigkeit schon von Valla erkannt ward, am leichtesten und
sinngemässesten vervollständigen zu können. Krüger's Vorschlag,
dbio6ü>v zu tilgen, macht die Rede [xuoupc^, während Stein (der,
nebenbei, die treffliche Lesart aurou; [so SVR] in vm verwandelt,
welches er aus dem xac tou^ der anderen Handschriften ent-
nimmt) der Ergänzungskraft des Lesers Unmögliches zumuthet.
Dass uns dieses Supplement auch von einer völlig vereinzelten
sprachlichen Singularität befreit^ kann nur zu ihren Gunsten
sprechen; die sämmtUchen angeblichen Parallelen zu lo Spu^ixa
axo6u>v^ auf welche Stein verweist, sind nämlich unzutreffend ;
glaubte icli damals, was mir nacli reif Heilster Ueberleg-ung als zweifellos
sicher erschien, nicht erst weitläufig begründen zu müssen. Es schien
mir genügend, die Aufmerksamkeit der Interpreten auf einen von den-
selben nicht wahrgenommenen Anstoss zu lenken und denselben in plau-
sibler Weise zu beseitigen. Ebenso wenig ahnte ich zu jener Zeit, dass
die selbstverständlichsten Bessenmgen seit Jahrhunderten gefunden und
doch für moderne Herausgeber so gut als niclit vorhanden sein können.
Gelang mir eine Emendation, von der die neueren Ausgaben, die ich zur
Hand hatte, nichts wussten, so schloss ich eben hieraus, dass Niemand
vor mir auf dieselbe verfallen war. So war denn meine damalige Literatur-
kenntniss eine recht unvollständige und benütze ich diesen Anlass gerne
um zu bemerken, dass meine Athetese zu V,5ö,6 von Jacobs (nach Abicht's
Angabe in letzter Auf läge), ebenso mein Vorschlag VI, 35, 16 aus dem t^ der
schlechteren Handschriftenfamilie ^i zu gewinnen, schon von Reiske vor-
weggenommen war, gleichwie derselbe das von mir aus dem Vindobonensis
entnommene icpcorcov statt ;cp<i>Tov (VI, 57, 3) bereits vermnthet and ebenso
die Richtigkeit der Ueberlieferang in VI, 75 8 — 9 angezweifelt, aber die
SteUe in anderer (ich denke, minder überzeugender Weise) zu ord-
nen versucht hatte. Ebenso übersah ich es, dass schon Jac. Gronov die
Echtheit von VI, 98 4 — 6 bezweifelt und dass jedenfalls Kiepert (wenn
nicht anch Andere) vor mir die Unhaltbarkeit des überlieferten Textes
in V, 62, 1 erkannt and zum Mindesten in ähnlicher Weise cm berich-
tigen versucht hat (siehe Hermes VI 454). Mich von derartigen Ver-
sehen frei zu halten, ist mir Angesichts der Unübersehbarkeit insbeson-
dere der Adversarien-Literatnr, des Mangels einer neueren Ausgabe cum
notis variorum und der in diesem Betracht wenig zulänglichen Be-
schaffenheit der Stein^schen Ausgabe auch diesmal schwerlich vollständig
gelangen.
584 Gomper«.
es sind ausnahmslos Verba des Fragens ^ Forschens, Nicht-
wissens, die mit derartigen Aceusativen verbunden erscheinen.
Eine der merkwürdigsten Stellen unseres Werkes, die uns
in die theologischen Ansichten des Geschichtschreibers den
tiefsten und überraschendsten Einblick eröffnet, ist noch von
einer kleinen interpolatorischen Zuthat zu befreien, die den im
Uebrigen (was auch Stein sagen mag) sonnenhellen Gedanken
in bedauerlichster Weise verdunkelt hat. Zwei vornehme Spar-
taner, Bulis und Sperthias, hatten sich als freiwillige Opfer
dargeboten, um den einstmals an den Abgesandten des Darius
verübten Frevel ihres Volkes zu sühnen und so endlich die
unablässig fortwirkende (j.y}vi^ des Talthybios, des Ahnherrn der
lacedämonischen Herolde, zu beschwichtigen. Xerxes weigerte
sich das Sühnopfer anzunehmen und so die Spartaner von ihrer
Schuld und deren nachwirkender Strafe zu erlösen. Allein die
Söhne jener Männer erlitten im zweiten Jahre des peloponnesi-
sehen Krieges, in Folge des Verraths des thrakischen Königs
Sitalkes, der sie an die Athener auslieferte, von der Hand der
letzteren den schon von ihren Vätern erstrebten Opfertod. Hier
zeigt sich, so ruft; Herodot aus, das unverkennbare Walten
der strafenden Gottheit! Er imterscheidet nämlich in der Ge-
sammtheit dieser Vorgänge einen gewissermassen natürlichen
und einen (wie er meint) zweifellos übernatürlichen Theil.
Die göttliche Gerechtigkeit, die keinen Frevel ungeahnt lässt,
gilt ihm als ein Bestandtheil der natürlichen Ordnung
der Dinge, so sehr, dass er sich verwundert fragt, was denn
den Athenern als Entgelt ftir die gleiche Missethat ,Unerfreu-
Uches zu Theil ward* (VH, 133). Gleichwie es dem Griechen
in ähnlichen Fällen nur wie eine natürliche und unvermeidliche
Wirkimg der üebelthat erscheint, dass die Opfer nicht gelingen,
(c. 134), dass die Frauen, die Heerden, das Land selbst seine
Fruchtbarkeit einbüsst, so findet auch unser Historiker es ,nur
recht und natürlich' (ib ^ixoiov oOto) e^eps), dass der Zorn des
Talthybios nicht zur Ruhe kam, ehe er seine Opfer gefordert
hatte, und desgleichen, dass er sich, da es einen an ,Boten'
begangenen Frevel zu rächen galt, wieder auf ,Boten* entlud.
Allein, dass dies gerade die Söhne jener zwei Männer waren,
die ohne dem Geschlecht der Herolde anzugehören, freiwillig
den Opfertod gesucht hatten, dass die Spartaner eben sie, Nikolas
Herodotoisehe Studien II. 585
und Aneristos, als ^^^^^^ i^&<^h Asien sandten, dass der Thraker-
könig wieder eben sie an den Feind verrieth — darin, dass alle
diese zu ganz anderen Zwecken unternommenen menschlichen
Willenshandlungen sich als Glieder in der Kette des göttUchen
Strafgerichtes erwiesen, in diesem wunderbaren Zusammentreffen
(tb Ik oufAiceaeKv), in dieser über die Massen kunst- und planvollen
Veranstaltung nimmt der gläubige Sinn des Geschichtschreibers
den jFinger der Vorsehung' so deutlich wahr wie nur in wenigen
anderen Begebenheiten {iddnä [ua ev Towe Beiötotrov ^orfvETat Y^v^aSot).
(Man vergleiche den verwandten, wenn auch schwächeren
Ausdruck bei ähnlichem Anlass IX, 100: d^Xa d^ TcoXXoTai Tex[xv]-
pCoioi 60TC ik OeTa to)v rpiQYt^^^^) ^^ ^^^ '^^^ '^^ aurc^ ^t^^pt}^ ^u^x-
icCxTovTO^ [so, zweifellos richtig, Reiske] xtI.) Und so fasst er
denn schliesslich (VII, 1 37, 25) seinen Glauben an ein unmittelbares
absichtliches Eingreifen der Gottheit in den Ausruf zusammen :
BijXov » &v |jLOi, Srt OeTov to xpi3YiJi.a eY^veto. (Diese vortreffliche
Wortstellung, statt Iy^vsto to Tzpri^a, bieten V und S dar.) —
Die nunmehr folgenden Worte Ix ttj^ jxi^vco«; aber tilge ich als
ein sinnstörendes, den Gedanken gründlich verderbendes Ein-
schiebsel; denn nicht der erst wenige Zeilen vorher (8i3c tt)v
jjLijvxv) erwähnte Zorn des Talthybios, der unserem Autor viel-
mehr als eine Art von Natur kraft gilt, kann ihm als das
allwissende und allvermögende, jeder Berechnung spottende,
menschliche Pläne und Absichten in seinen Dienst zwingende,
strafende und rächende Princip erscheinen, dessen Walten er
hier ehrfürchtend bewundert.
Den Orakelspruch von der ,hölzemen Mauer' deuteten
manche ältere Leute auf die athenische Akropohs, Vj y^P i^^^-
woXu; Tb iciXai xwv 'AOtjv^wv ^r,x<5> eicsfpontTO* ol fxev 8^ [xori xbv ^poYixbv]
ouveßiXXovTo toüto ib 56Xtvov teix©? ewai (VII, 142). Mir wenigstens
erscheint diese Athetese ungleich weniger gewaltsam als die
Interpretationskünste, welche hier Stein zur Anwendung bringt :
,dieser Ausdruck, hölzerne Mauer, beziehe sich auf die
Umzäunung*. (Krüger und Abicht wollen nur xorcdc tilgen).
' Die leicht« Anakolnthie erklärt »ich vollständig aus der Gemüthsbewegung
des Schriftstellers. Wer dieselbe mitemp6ndet, müsste es fast verwun-
derlich finden, wenn derselbe mit kahler und kalter Correctheit gesagt
hätte: TO Si 9M\uztatX^ — Tcx|i4ptov |ioi xxi.
Sitmngfbtf. d. phil.-hltt. Ol. CTH. Bd. H. Hft. S8
686 Oomperz.
Zwei Zeilen später heisst es: tou^ (ov üi za^ ^iaq X^ovto^ eivat
To 5'iXivov Tet^o^.
Vn, 143 fin. schreibe ich tö ik otjfAicov elnai (statt eTvae).
Denn die nur hier erscheinende Phrase , in deren Auffassung
die Erklärer weit auseinander gehen (vgl. z. B. Kühner's
handgreiflich unmögliche Auslegung: ^summam rei in eo verti
aiebant'), lässt sich durch keinerlei zutreffende Analogien stützen,
da die bekannten Verbindungen xb vCv eTvoct, xfjv «pciATyjv £tvae,
lx(i>v elvaty %axk toOto eTvat durchaus einschränkende Kraft
besitzen (vgl. Ast lex. plat. I, 625 oder Dobree adv. 25). Der
Gedankenzusammenhang heischt hier vielmehr einen Ausdruck
wie cb^ ouXXi^iß^iQV eiireTv, h\ ik Ixet ouXXoßövra eticetv (dies TTT^
82, 6) u. dgl. Nun lesen wir 11, 91 in. : xh ik cOpucov eliceTv, gerade
wie bei Thucyd. I, 138 xal Tb ^Ojjltcov elwsTv. Femer hat genau
dieselbe Corruptel VI, 37, 22 (wo mir Abicht zuvorgekommen
ist) in der Phrase tb OdXei Tb Ixog zlvai stattgefunden (vgl. Stein's
Zusammenstellung zu VII, 162); und wenn endlich die Form
eTicai in den Handschriften seltener begegnet — die sie jedoch
mitunter, wie VII, 133, 14 oder Vm, 118, 13, fast einstimmig
darbieten (gleich darauf Z. 16 zum Mindesten SR, und V zu eT^e
entstellt) — so mochte sie eben darum Irrungen veranlassen
(s. unsere Erörterung zu I, 31 in.)
Vn, 220, 12: TflßiTjj xal (xdcXXov tij y^^I*71 ^Xeiori^ eJjAt. —
Valckenaer's Vorschlag, nach der Analogie von I, 120, 14:
xal «urb^ co Mdrfoi toOt^j xXsToto^ Yvcifjitjv el\L{, aujch hier den Ac-
cusativ mit oder ohne Artikel an Stelle des Dativs zu setzen,
hätte vielleicht überzeugender gewirkt, wäre man sich der in
derartigen Fällen fast mit der Stärke eines Naturgesetzes wal-
tenden Assimilirungs-Tendenz bewusst gewesen. Man vergleiche
die Lesart der Aldina : lij yvwjjiy), auch an der zweitgenann-
ten Stelle ; desgleichen die handschriftliche Ueberlieferung von
Sophocl. Philoct. 1448: xdr^w yvc&ijly) TauTt) tWeixat, oder Ari-
stoph. Eccles. 658: nuairfui Ta6TiQV yv(o(J^iqv v.^e\Mu. Beide Male hat
Toup das allein mögliche YV(i)[jLr|V Ta6TY) und tauTirj x^i^"^ beige-
stellt. S. die erschöpfende Erörterung des Gegenstandes beiBonitz,
,Beiträge zur Erklärung des Sophokles' (Wien, 1856), I, 66-68.
Zu den daselbst angeführten elliptischen Wendungen ist noch hin-
zuzuftigen Plato Theaet. 202 C: apdoxet ouv ae xat TCOecat xaüxii
(sc. ^^0^ oder •p»(i)[jLrjv), — eine Stelle, an welcher seltsamer
Herodotetsehe Stndien II. 687
Weise auch Stallbaum's wortreicher Commentar stillschweigend
vorübergeht^ desgleichen Ast's lexic. Platonicum. ^
Vn, 237 fin. : oIjtu) wv [icepi] xontoXoYiiQ? vfi<; iq AT](AcepY;Tov,
kivzoq 6[jiou ^eivou T^ipif lx^o6a{ T(va xou Xoiicou xeXe6(i). Die wunderbar
krause Redeweise entstammt nur Stein's Wunsch, keinen Bro-
sam von der Ueberlieferung der zweiten Handschriftenclasse
unter den Tisch fallen zu lassen. Die treffliche, von Kiilger
adoptirte, Lesart ixecrOat (in SVR, nicht in R allein !) sollte nicht
angenommen werden, Tcepi^ecrOae war und blieb unverständlich ;
so kam es denn zu jener kritischen Missgeburt! Tiefer Sinn läge
übrigens in Stein's Verweisung auf VIII, 77 fin. dvTtXoYiij? XP^^^I^v
nipi, wenn sie besagen sollte, dass hier wie dort die Hand eines
Fälschers gewaltet hat. Angesichts der Langmuth jedoch, die der
neueste Herodot-Herausgeber gegen jene von Krüger ausgeschie-
denen Abschnitte: VH, 238, Vm, 77, IX, 83-84 an den Tag
legt, will ich nur meine Ueberzeugung aussprechen, dass der
letztgenannte Kritiker im Ganzen wie im Einzelnen vollkommen
richtig geurtheilt hat, und dass die das herrliche Geschichtswerk
geradezu schändenden, theils blödsinnigen, theils arglistigen
Fälschungen schleunigst aus demselben zu entfernen sind. Auch
an einer anderen Stelle ist die Präposition xepi aus dem Texte
auszuschliessen, YIII, 26 fin. in dem Satze: xoncac MopSövce, xoiou^
iio' ÄvSpoc; fijxag ^JY^^?) oi ou zipi xpY]{JiiTCi)v ibv «y^^* icoteuvrai aXXa
zepl äpexTj?. Denn obgleich diese Verbindung weder sinn- noch
sprachwidrig ist (vgl. Thucyd. V, 101 : ou y^p ^ep't avBpoYaOta^ 6
dYci)v xtL), so wird man doch der Autorität der ersten Hand-
schriftenclasse Folge leisten müssen (icepc om. SVR) ; zu dieser
Wendung bieten die Verse der sophokleischen Elektra 1491 —
1492 eine genau zutreffende Parallele: Xoywv y«P ou ;| vuv ioriv
i^wv, dXXa aij^ ^^/M 7:^1. Irre ich nicht, so ist einige Zeilen
vorher das Wortaiei .einzusetzen und zu schreiben: ol S' elicov vf^q
iXaiTj^ Tov (aiel) 8t$6(jLevcv cre^ovov. Den Ausfall desselben Wortes
vor derselben Silbe hat Valckenaer (mit vollem Rechte, wie ich
^ Ein schwer zu lösendes Räthsel gibt uns übrigens hier die Lesart der
ersten Handschriftenclasse auf (ox^o; nach Et)x( SVR). Sollte darin ein
mit [AoXXov EU verbindendes roXX^c stecken, welches durch xXEiaTo^ yer-
driisgt ward? Auch der Comparativ begegnet in derselben Redensart bei
Lncian. Demosth. encom. §. 4: it xai nXc^uiv i{{it t^v yvco|U)v (worauf
Valckenaer verwiesen hat).
38*
588 Oompers.
denke) IV, 162, 4 vermuthet: i% ^k Xafjißtivoüaa Tb (atel) 8t86iJLevov
x.aXbv |iiy 1^ xtI.
Vm, 53 in. : — XP^^V ^' ^* '^^^ dhcopwv i^ivYj Bij tk; laoSo^ toTit!
ßapßfltpotffc xxi. Hier liegt, wenn mieh nicht Alles täuscht, dieselbe
uralte Buchstabenverwechslung vor (von ^ und I), vermöge
welcher Vn, 130, 12 Saw, wie Schäfer erkannte, in l^o) oder bei
Sophokles Oed. R. 1483 (Nauck) wpoüadXTjaov in xpou^eviQaav ver-
wandelt ward. Denn wenngleich im Folgenden die Entdeckung
und Benützung eines unbewachten Zuganges zur Akropolis er-
zählt wird, so kann dies doch nicht mit einem ganz verschiedenen
Gedanken : der Befreiung der Belagerer aus den Nöthen und
Verlegenheiten, die sie ringsum wie ein Wall oder eine hem-
mende Fessel umgaben, in der Weise verschmolzen werden, wie
es durch die gegenwärtige Textgestalt geschieht. Man vergleiche
das unmittelbar Vorangehende : — SepStiv kiA xp^vov au^vbv Sltzo-
p{t)9t Iv^xc^^oce, oh 2uvoc(xev6v (apeo^ ^XeTv mit der unbildlichen
Anwendung desselben Ausdrucks IV, 43, 22 : tb wXoTov xo 'Kp6ma
cü) Jüvatbv hl eTvai wpoßafveiv dXX' k^ifj^tobaiy oder mit den ver-
wandten Stellen: IV, 131 in.: xi'koq AapeTö^ te iv äxopitjai eTjreTO
und I, 190 fin. : Köpo<; 8s aitopir^ct dve(xeto xp^^o^ ^^ ^ff^vojAevou
ou/voO avcotdpci) xe ouS^v twv xpTQVfxirwv irpoxoTtTOfjLevwv — (auch I, 24
8 : dbreiXrjO^vT« Ik xbv 'Apiova iq axopiYjv). Mit dem von uns ver-
mutheten: — ix xöv d7c6pu)v I^aev») 8i^ ti? 15© 8 o? >^f^« vergleiche
man aber Eurip. Helen. 1022 (Nauck): auxoc [jl£v ouv tcv' e$o86v Y
6up{cx.eTe (= [XTQXov^v (7ü)TY]p(a(; 1034) oder auch Aeschyl. Prometh.
59 (Dind.): 5eivb? yap eupeiv xa^ diAYjxo^vwv x6poug.
ViJUL, 83, 24 ff. glaube ich, wie folgt schreiben zu müssen: —
wpoYJY^peye eS lyorza |xb ex tcocvtwv öefxioroxXer^^. xa 8^ l^rea ijv irivTa
(xa) xpeacci) Totct Ijccoffi dt*^iTiOi[jL6va, oca [8yj]* ev dvOpuizou ^uci xa:
xaTaoract if^^'^^'f**^* irapatv^c«? S^^ to6t(i)v la xpsaau) alpe£cOat %xi.
1 Die, von der zweiten Hand des Mediceus abgesehen, einstimmig Ueber-
liefemng der Handschriften bietet hier 8^, das ans falscher Auffassung des
Zusammenhanges entsprungen scheint und mithin besser getilgt als ver-
ändert wird. Das BiJ nach Tcapaiv^aa; aber mit dem Passion, und Florent.
in M zu verwandeln und hierdurch das eng Verbundene zu trennen,
scheint keineswegs räthlich. toc nach navta setzt, wie ich nachträglich
sehe, auch Dobree ein (advers. 41), der im Uebrigen die Stelle meines
Erachtens nicht richtig verstanden hat.
Herodotoisehe Studien II. 591
(At) TCapeövre^ tcJ) orpaxoxdSo) ti veoxi^^^ xocdocev. Ich halte ihn für
einen erklärenden Zusatz, der aus dem Rande in den Text
gedrungen istJ
Ebendort (cap. 104) begegnet uns m. E. eine andere derartige
Zuthat in dem Satze: xal 'ziXoq aa/coi c^i sy^^o^o [xTsivovre^] xoXe-
}ji.tu>TaToi. Das eingeklammerte Wort ist, wenn es nur erklären
soD, zuviel und, wenn es anschaulich schildern soll, zu wenig.
Mich dünkt es räthlicher, dasselbe zu tilgen, als etwa (denn
auch daran könnte man denken) zu schreiben : — TCoXe}ji.ia>TaToi
xrefvovTe^ (x.al S((a>xovts^).
Im Folgenden: {jly] xac Tcpev xareixal^ouaY) (xaT£ix.al^ouaa die
Hss.) t3c Ytvöfxeva o&io) eneupeOY) 7cpT}99ü>v, halte ich es nicht für zuläs-
sig, mit der Aldina und der Mehrzahl der neueren Herausgeber
(worunter Bekker, Stein, Krüger, Abicht, Dindorf, aber nicht
Gaisford) ein Anakoluth wegzuemendiren, welches nicht erstaun-
licher ist als jenes, das DI, 16, 6 — 7 von den Handschriften
I Im Beginn des folgenden Capitels ist die unpersönliche Constniction
(oc tk apa napeaxcuaoTO totai ''EXXt^vi (so, wenngleich zweifelnd, Reiske
und Bekker) vor Alters missverstanden und durch das zum Behufs dar
Erklärung beigeschriebene TcapcoxeuaSaTO (sc. ol 'EXX7]V£c) verdrängt worden.
Dass dies der thatsächliche Hergang war, erhellt aus der von keinem
Herausgeber, wohl aber von Miklosich (Subjectlose Sätze, 61) angefUhrten
Parallele aus Thucydides I, 46, 1 (siehe daselbst Krüger): huih^ aOrotc
TcapioxfuaoTo. Stein glaubt die Ueberlieferung dadurch retten zu können,
dass er auf den Plural — nicht des Verbum, sondern der Adjectiva
in ähnlicher Constniction (Thucyd. H, 3 tizti h\ — ItoT^i« ^v) hinweist!
Wie oft Bul>jectlose Sätze von den Interpreten noch heute missverstanden
werden, dies kOnnen Stein*8 Anmerkungen zu m, 80 in. oder zu IH,
113 in. lehren, wonach in dem Satze: aicö^ei h\ rijc x^P^^ — OeoTr^aiov tu;
ifid das letzte Wort das Subject sein soll! — IX, 33 in. lesen wir: (ü(
hl Spa navTE« ol ixtxiiOLXo %«ti (te SVK) Bves xai xikta. In SVR fehlt
jedoch KxHXt^f was den Gedanken nahe legt, es m0ge auch hier eine sub-
jectlose Constniction zuerst missverstanden, dann verdrängt und schliess-
lich in der zweiten Handschriftenclasse bis auf die letzte Spur verwischt
worden sein, genau so, wie dies an der oben besprochenen Stelle ge-
schehen wäre, wenn etwa Beiske's Altematiworschlag, icc^via einzusetzen,
von einem alten Corrector anticipirt und ausgeführt worden wäre« Ist
diese Combination richtig, so fehlt dem also gewonnenen: co^ hl £pa ot
it^TaxTo auch nicht eine genau zutreffende Parallele in dem (gleichfalls
von Miklosich ebendas. angeführten) Satze: coc hi 991 SifTlxaxTo — .
(Vif 112 in.) Man erinnere sich auch unseres Besserungsvonchlages zu
m, 82.
590 Oomperi.
IX, 79, 24 schreibe und interpungire man wie folgt:
Aewvß^ 5i, TW [JL6 /^Xsuetq Ttfxwp^aat, 9Y)[jlI [Ae^iXo)^ TSTtjJLwp^oOai- 4*^-
XV^ Y^ ("f^ di® Hßs.) Ti^ffi TövSe avopiöfJi.'ifjToifft TexifjLiQTai xts. Ver-
wunderlicher Weise haben die Herausgeber, so viel ich sehen
kann, an der überlieferten Fassung des Satzes keinen Anstoss
genommen, die Uebersetzer hingegen die Verbindungspartikel
entweder ignorirt (Stein), oder dxirch ,denn^ ,nam', RawliiLson
sogar durch ,surely' wiedergegeben. Ebenso ist IX, 42, 22 das
von SVR dargebotene t^ in ^i zu verwandeln: auro^ yz MapiSmcq
IXeye (vgl. was Eltz a. a. 0. 128 und 129 zusammengestellt hat.)
IX, 82, 8 : üouaaviiQV iv 6pdovTa xeXeuaai to6? xe ipiorj^r^ou^ xai
xdbq h^oi:o{.oh^ xora louia [xaOo)^] MapSovico Seinvov ^apaoxeuil^stv. Das
der herodoteischen Sprache fremde xaOu>^ haben Schäfer, Bredow,
Stein in verschiedener Art zu emendiren versucht. Räthlicher
scheint es, die Partikel (mit Abicht) zu tilgen und die Verbindung
xaxa xauTa MapSoviü) in der bekannten brachylogischen Weise zu
verstehen, in der man auch von einem SetTtvov 5jjloiov M<zpSov{ci>
oder yfswffov MapSoviou sprechen konnte. Vgl. Krüger 48, 13, 9 ;
47, 27, 5 imd 28, 7, wozu sich eben aus Herodot noch gar
Manches beibringen liesse, wie z. B. IV, 46 in. : x^p^^^ icaaiwv
icapä)^eTae SOvea difjLoOäoraTa oder ebenda (so^iji':az(x xavTcov i^eäpTQxat
Twv T^jxeT? ßjjLev. (Vgl. auch unsere Erklärung von III, 65, 15, oder
Steines Nachweise zu I, 172 und 11, 127.)
IX 94, 8 : — o\^k 'A.'7coXXo)vt^Tat aic6pprjTa i:oir,aa[JL£vot TCpoiÖeaav
Twv aoTwv avBpaci (Tpicl) SionrpfiSat. — Eine quantitative Bestimmung
ist hier schwerUch zu entbehren, während eine grössere Zahl
durch den geheimen Betrieb der Angelegenheit unwahrschein-
lich gemacht und durch den Fortgang der Erzählung (eXOövTe;
ol wapiliovTo und oi Ik irapeSpoc) ausgeschlossen wird. Vgl. IV, 68 in.
Twv [jLavTiwv avSpa^ ipeic; oder VIEL, 135, 2 — 3: twv doTojv alpetou;
avBpa^ xpeTg — .
IX, 99, 14 — 15: dwoieüv ^k to6tou eYvexev, ha Ixto? tou
ffTpoTOTcdSou ^'wat. Der durch die UnvoUständigkeit und Aerm-
lichkeit des Ausdrucks gleichwie durch den ganz unmotivirten
Subjectswechsel auf fällige Satz erweist sich nicht nur als vöUig
entbehrlich (zwischen <5)<; ewioraiAivocffi 8^6£v [xiXcora itjv yßpri^ und
TouTOü(; [x^v 'I(t)V(i)v — upoEipuXiffaovTO ol lldpaai!), sondern er
widerspricht auch dem, was cap. 104 gesagt wird : eTaxOt;aav
[JL6V vuv eTcl TouTo tb TcpTjYIJ''« «l MiXi^ciot TOUTOu T6 sTvexEv xat tva
HerodotoiMhe Stadien II. 591
[At] icapeövre^ tcJ) oTpaxoic^$ci> ti veoxH>bv ^oi^otev. Ich halte ihn für
einen erklärenden Zusatz, der aus dem Rande in den Text
gedrungen istJ
Ebendort (cap. 104) begegnet uns m. E. eine andere derartige
Zuthat in dem Satze: %a\ tsXo? owtoC ofi eYivovro [xTeivovre^] icoXe-
}ji.uii>TaToi. Das eingeklammerte Wort ist^ wenn es nur erklären
solly zu viel und, wenn es anschaulich schildern soll, zu wenig.
Mich dünkt es räthlicher^ dasselbe zu tilgen, als etwa (denn
auch daran könnte man denken) zu schreiben : — xoXepuiOTOToi
Im Folgenden: (jly) xal npiv xaT£(xal^o69Y) (xaT6ix.i2^ou9a die
Hss.) t3c YtvöfAeva o&to) eiceupeOY] icptjacrcov, halte ich es nicht für zuläs-
sig, mit der Aldina und der Mehrzahl der neueren Herausgeber
(worunter Bekker, Stein, Krüger, Abicht, Dindorf, aber nicht
Gaisford) ein Anakoluth wegzuemendiren, welches nicht erstaun-
licher ist als jenes, das DI, 16, 6 — 7 von den Handschriften
I Im Beginn des folgenden CupiteU ist die unpersönliche Construction
a>c Si op« napE9XE^aato lotai 1EXXi)9i (so, wenngleich zweifelnd, Reiske
und Bekker) vor Alters missverstanden und durch das zum Behufe dar
Erklärung beigeschriebene ;capiaxEuaSaTO (sc. ot 'EXX7]Vec) verdrängt worden.
Dass dies der thatsächliche Hergang war, erhellt aus der von keinem
Herausgeber, wohl aber von Miklosich (Subjectlose Sätze, 61) angefahrten
Parallele aus Thucydides I, 46, 1 (siehe daselbst Krüger): eiceiS^ «OtoT^
napfoxfOaoTo. Stein glaubt die Ueberlieferung dadurch retten zu kennen,
dass er auf den Plural ~ nicht des Verbum, sondern der Adjectiva
in ähnlicher Construction (Thucyd. H, 3 iizti hl — ItoT^i« ^v) hinweist!
Wie oft flu'bjectlose Sätze von den Interpreten noch heute missverstanden
werden, dies können Stein*s Anmerkungen zu m, 80 in. oder zu IH,
113 in. lehren, wonach in dem Satze: aicö^Ei tk rij« x^P^^ — OEOTz^aiov coc
ifid das letzte Wort das Subject sein solll — IX, 33 in. lesen wir: co(
hl Spa navTEt ol ETfitd^ato xaxi (te SVR) fOvEa xai zikta. In SVR fehlt
jedoch TiavTEc, was den Gedanken nahe legt, es mOge auch hier eine sub-
jectlose Construction zuerst missverstanden, dann verdrängt und schliess-
lich in der zweiten Handschriftenclasse bis auf die letzte Spur verwischt
worden sein, genau so, wie dies an der oben besprochenen Stelle ge-
schehen wäre, wenn etwa Reiske's Altematiworschlag, ic^via einzusetzen,
von einem alten Corrector anticipirt und ausgeführt worden wäre. Ist
diese Combination richtig, so fehlt dem also gewonnenen: cu« hl £pa ot
ixixaxto auch nicht eine genau zutreffende Parallele in dem (gleichfalls
von Miklosich ebendas. angeführten) Satze: coc hi 991 SiEtlTaxTo — .
(Vif 112 in.) Man erinnere sich auch unseres Besserungsvorschlages zu
m, 82.
592 Oomperc.
dargeboten und von den Interpreten nicht mehr angefochten
wird: üdpaTjfft [xev St' ÖTüep eTprjtat, Oei c6 Btxoiov eTvai XefOVTS?
(wo die Aldina gleichfalls X^youcti herstellte; vgl. daselbst Steines
und Kxtiger's Hinweise, insbesondere auf IV, 132, 15 und VIII,
74, 19-20).
Artayktes setzt sich durch betrügerische Vorspiegelungen
in den Besitz des schätzereichen Heroon des Protesilaos
(IX, 116, 19): Xi^cüV Se TOidBe Sep&rjv BießaXeTO. ,8eoTCOTa, ecTt
oTxo? avBpb? *'EXXtqvo? evOaura, 5<; siel -pjv o^v crpareüffflEpLevo? dtxi}«;
itupi^aa^ diceOove* to6toü [xoi Bb? tov oIx.ov, Tva %(xi xiq jjLaÖTj ext "p3^
TT)V OT)V [JLYj aTpaT66ecöat'. TOtöra Xe^wv eweT^ox; IfJLsXXe dvaiceCastv S^p^TJ^
[Souvai avSpb^ ol>wv], ouB^v irtroronQÖdvTa töv exeivo; l^pövee. Wer den
bisherigen Ausführungen nicht ohne Billigung gefolgt ist, Air
den bedarf es keines Beweises, dass dieser Stelle durch unsere
Athetese und nicht durch irgend welche Anwendung kritischer
Kleinkunst (,§ouva{ oi tou Mpoq?^ Stein) aufzuhelfen ist.
IX, 119: Oioßal^ov jxdv vuv sx^eö^ovia (1. ^x^üvovra mit SVR,
Schäfer u. A.) e? tv)v 6piQixY)v 6pi^(X€^ 'At^ivOtoi XaßovTeg eOuffov OXe:-
aTb>p(i) exixü)p(({) Oeco Tp6icü) tco ff^eiäpü), xou^ 2^ (xei" exetvou aXX(i>
Man fragt sich hier zunächst, warum denn die Gefangenen,
die nicht geopfert wurden, alle auf gleiche Weise sollen getödtet
worden sein; und femer, weshalb Herodot diese Art der Hin-
richtung nicht, wenn sie kein besonderes Interesse darbot, un-
erwähnt liess, andernfalls aber, wenn sie durch ihre Grausam-
keit oder irgend einen anderen Umstand bemerkenswerth war,
nicht klar und deutlich bezeichnet hat (durch toüq Ik [jlst' excCvou
(ivscrx.oX6xiffav oder etwas Aehnliches). Die zwei Worte entstam-
men meines Erachtens dem Ergänzungsbestreben eines Lesers,
der den wahren Sinn der Stelle nicht verstand : ,die Thraker
opferten den persischen Flüchtling einem einheimischen Gotte,
und zwar nach den Bräuchen ihres Volkes, seine Begleiter aber
tödteten sie (schlechtweg)*.*
> Da68 im Folgenden xai vor cu; xaTeXajAßdtvovto zu tilgen ist, scheint mir
selbstverständlich; der die Gonstmction stOrende Zusatz ist hier eben
bereits in den Archetypus eing^rungen, wie V, 87, 17 in den Stamm-
codex der schlechteren Familie, Zeitschr für 0sterr. Gymn. 1859, 826.
Auch bei Abicht fehlt die Partikel im Texte, man weiss nicht, ob ab-
sichtlich oder zuimiig, da das Variantenverzeichniss darüber schweigt.
Rerodoteitohe Stadien II. 593
IX, 122 in. spricht Artembares zu Cyrus: jdwet Zeug üip-
arpi T^e|4Äv{t;v 81801, dvBpoJv hk aol Köpe, xaxeXwv 'AaiüaYiQv, ^fpe,
Yt;v Yötp dx-p^iJLeOa JXiytqv xt^.' Der Schicksalsumschwung, welcher
die Perser zum führenden und herrschenden Volk erhoben hat,
wird begreiflicher Weise der Gottheit oder dem obersten Gotte
zugeschrieben ; dass aber auch der Sturz des Astyages nicht
dem Cyrus als dem unmittelbaren Urheber dieses speciellen
Ereignisses, sondern der entfernten obersten Ursache aller irdi-
schen Vorgänge beigelegt wird, dünkt mich in hohem Masse
befremdend. Dieser Anstoss würde beseitigt, wenn wir mit S
und einem Palatinus (denen Abicht folgt) uu an die Stelle von
col setzen dürften. Und in der That scheint uns nur die Wahl
zu bleiben zwischen der Annahme dieser alten Conjectur (denn
etwas Anderes ist sie nicht) und der Athetese jener zwei Worte,
die sehr wohl von einem male sedulus lector (mit oder ohne
Rücksicht auf VIT, 8a: exeiTs TcapeXotßofjiev ttjv VjYejjLOVitjv -n^vBs
%apa MyJScov, Kupou xaTeX6vT0? 'AffTuaY^Jv) an den Rand ge-
schrieben sein können. Ich ziehe die letztere Alternative vor,
weil es dem Sprechenden, der von Cyrus nichts Geringeres
verlangt, als dass er den Persem neue Wohnsitze anweise,
mehr darum zu thim sein muss, die Grösse seiner Macht
als jene seines Verdienstes hervorzuheben.* Statt sx^iasv
und ax^vTß? im Folgenden bieten SVR ax<*>{Aev und exovre^ dar,
zwei sinngemässere Lesarten, von denen auffälliger Weise nur
die erstere bisher (bei Krüger und vormals bei Stein) Billigung
gefunden hat.
> Sprachlich ist die eine Auffassuiig und Schreibung so zulässig wie die
andere; denn durch ovSpcuv kennen ebensowohl die Einzelnen im Gegen -
satze zur Kation wie die Menschen im Unterschiede von G Ottern
bezeichnet werden. Vgl. Herod. IV, 46, 19 — 20: oöts yotp ?0vo< — oCte
av8pa KtL VTn, 93 in. : — ^xouaav *EXX^vü>v apt^ra Atviv^rai, hz\ fife ^AOfivaioi,
avfipcov Sk noXäxpiT^c tc xtI. IX, 71 in.: ^HpfarsuoE tk tcov ßapßapcov heCo^
|ilv 0 Utpoitii^j tirncoc tl Sax^cov, «v^p Zk X^]feTai MotpMvioc. Hingegen A 761:
icavTE( V eO^cttfcüVTO Occuv Ai{, N^9Top{ t^ avSpcov.
594 Oomperz.
Excnrs I.
A^ in apodosi bei Homer.
Bei der Behandlung derartiger Probleme ist die sachgemäasse Classi-
ficirung der Einzelfalle mehr als die halbe Lösung. Ich glaube, das bei
Lahmeyer (s. oben S. 552) vollständig zusammengestellte Material nach gprossen-
theils verschiedenen Gesichtspunkten wie folgt gruppiren zu müssen.
Ilias.
I. ^{ im Nachsatz als Wiederholung derselben oder einer
anderen Adversativpartikel des Vordersatzes: A 68, 137, 324 (= 137);
B 718; A 212 (vorher mittelst hi angereihter Zwischensatz, nach Nikanor's
wohl richtiger Auffassung); E 439;'Z 476; H 149, 314; I 167 (gehOrt kaum
hieher, wie denn Bekker die Stelle parataktisch auf fasst und interpungirt ; ist
nicht £v in [i^v zu verändern: il B^ oyE, tou( fiiv e^ojv E)ct^t|^o(i.ai * ol hl jctO^aOtov ?),
301; A 268, 409, 714; M 146 (wenn nicht vielmehr aio^p — als Wiederholung
von OL^xip der Protasis — den Nachsatz beginnt); 0 321 (vorher mit ^i an-
gereihtes Satzglied), 746; n 199, 264, 706; P 733; 1 646; T 66; Y 448;
«I» 660; Y 868; Q 16, 446 (vorher Zwischensatz mit ^i).
n. Temporale Perioden: A 194 (vorher mittelst ^i angereihter
Schluss der Protaais); A 221 (wo Kauck in den Addend. ändern will); K 607
(nahezu = A 193—194 und P 106—107); M 376 (vorher Zwischensatz mit h();
N 779 (wenn anders nicht tou$' [Wolf,Nauck] zu lesen ist); 0 343 (wo Nauck
ändern wiU), 640; P 107 (106 = A 193 und 107 = A 221); Z 268 (wo Nauck
gleichfalls ändern will); ^ 66 (nach längerem Zwischensatz).
III« Temporale und relative Doppelperioden: B 189; I 609,
611; K 419 (die Doppelperiode zwar verschrumpft, aber als einziger Fall
einer Relativperiode doch wohl besser hieher, als unter II zu stellen), 490;
M 12 ; r 42 (falls die Lesart x6<^pu 8' die richtige ist), 48.
IV. Gleichnisse oder analoge Wendungen: Z 146;' Y 91 (wenn
nicht etwa Bekker's Interpunction den Vorzug verdient).
1 Die Schreibung Tofv) 81, welche Lahmeyer pag. 36 n. ,pro vulgato hucus-
que toi^8e^ empfiehlt, steht schon in Bekker^s erster Ausgabe ; es war,
wie die Schollen lehren, Aristarch's Lesart. Befremdlich ist es, dass
Lahmeyer ebendaselbst (pag. 37) die lange Reihe der mit auxap Imi
beginnenden Stellen anführt, ohne zu erkennen, dass das apodotische ti
durch a^xdp bedingt ist.
Hwodoleitehe Btndien n. 595
V. Eigentliches Anakolnth, durch begrifflichen Gegenmts (^i
SS akXd) oder die Constmction stOrende Zwischensätze veranlasst: A 161 (U
= akXij nach etreep, wenn anders die Conjectur U statt zi begründet ist),
262 (gleichfalls nach stncp, vgl. aXXi anakoluthisch nach c2 oder e^tp, z. B.
A 82 oder M 349); M 246 (desgleichen); <!> 53 (scheint eher hieher als unter
I zu geboren); Y 463.
VI. Zweifelhafte oder doch vOllig vereinzelte Fälle: B 322
(fällt weg, wenn Nanck 821 mit Recht athetirt bat); E 261 (mag reine Para-
taxis sein, nach al) ; X 381 (gehört S' jedenfalls nicht zum Nachsatz, auch
wenn man es nicht mit uns fUr unerlässlich hält zu schreiben tta £yci\ wie
6 832, 8. S. 651); H^ 321 (würde unter m geboren, wenn nicht der Sinn, wie
ich denke, Nauck*s Aenderung: &XXoc \kh erheischte), 559 (s. ebend.).
Odyssee.
I. Y 474; E 444 (falls niclit Bekker's und Nauck*8 Interpunction Bil-
ligung verdient); ^ 100 (wenn rat 8' 5p — gegen Bekker und Nanck — zu
lesen ist); t) 47, 185, 341 (falls tSipuvov S* — wieder gegen die zwei letzten
Herausgeber — zu lesen ist); 6 26; t 182, 311 » 344; x 112, 366, 571; X 36,
387 (falls die Stelle in Ordnung, s. S. 652); {jl 54 (kann auch zu V gezogen
werden), 164 (mit 54 fast identisch), 182; v 144; o 304, 439, 502; k 274
(lässt sich auch zu V ziehen) ; a 60 (falls nicht mit Nauck und einem Theil
der Handschriften 8^ oder mit Bekker die Protasis zu tilgen ist) ; ^ 255, 261,
274; X 433 (wenn nicht hi mit Nauck zu beseitigen ist; ich möchte den
Nachsatz erst mit 461 beginnen lassen); co 205, 422, 490.
n. f 10 (nach ^i im letzten Theile der Protasis); Z 121 (120= A 193);
E 366 (365 = A 193), 425 (424 = A 193); 0 540 (wenn nicht, mit Nauck,
Tou8^ ZU schreiben ist); x 126; p 359 (wenn die Verse nicht mit Nauck zu
athetiren sind); u 57 (u 56 = T 62; der Gegensatz der Personen und der
Handlung kommen vielleicht gleichfalls in Betracht), 77 (wo auch der Zwi-
schensatz nicht wirkungslos sein mag).
III. i 57; X 148, 149; t 330 (wenn niclit tü>8e mit Nauck zu lesen ist).
IV. 71 109.
V. X 592 (Ausdruck getäuschter Erwartung); ^78 (desgleichen), 405;
0 546 (erinnert an die herodoteische Gebrauchsweise); a 62; / 187 (Hesse
sich auch unter II stellen, doch entscheidend wirkten wohl die Zwischen-
sätze), 217.
VI. 8 832 (8. S. 551); |x 42 (vielleicht tcüB' zu lesen, sonst tcu §' nach
ooTi^, wie sonst nur in Doppel perioden.)
Man sieht, wie sehr nach Ausscheidung unserer Classe I die Zahl der
Fälle zusammenschwindet, wie viel auch von dem Rest auf formelhaft wieder-
holte Wendungen fällt und wie zahlreich die speci eilen Entschuldigungen,
insbesondere bei den Instanzen unserer (vielleicht am wenigst feststehenden)
Nr. II sind. Doch diesen Gegenstand hier weiter zu verfolgen, liegt mir
ferne. Nur gegenüber Lahmeyer's mir völlig unglaubhafter Annahme fii par-
ticulam in apodosi positam respondere particulae |jiiv in protasi* (p^g* 13)
möchte ich darauf hinweisen, dass in vier von den sechs Fällen, die derselbe
596 Oomperc.
namhaft macht — über die zwei räthselhaften, auch durch die Verwendung
anderer Partikeln aus dem Rahmen der Normalfälle heraustretenden Instanzen
8. S. 551 — dem [jl^v der Protasis sicherlich nicht das hi der Apodosis, sondern
ein nachfolgendes aXX' ote S^ (I 553), aurocp ^et (M 13), vOv U (L 261) und ^ilo^ o'
(t 57) entspricht. Dass dies sich wirklich so verhält und die Aufeinanderfolge
keine zufällige ist, kann das Fehlen jenes [jl^v in den sonst genau analogen
Temporalperioden lehren. Und verlangt endlich Jemand nach einer geradezu
entscheidenden Crudalinstanz, so findet er auch diese in A 84 ff. :
o^pa |jlIv i^(o; ^v xal dcE^eto tspov ^{Aap,
T^9pa [k&V ocjjL^oTEpwv pAe' fiKxtzOy kXktz 5k Xaos •
^|JL0^ 81 Bpur(^{jLO^ rep av^p OTcXtaararo Setnvov xtI.
verglichen mit i 56 ff.:
o^pa [jL^v i^b>; ^v xat a^^Ero Upbv ^(lap,
T^'^pa B^ oXc^ocpLEvot [jl^vo(j.£V nXioyid^ nip i^vra^*
?S[jLo; 8' T^Aios [letev^aasTO ßouXuTOvSs xtI.
Von den zehn hesiodeischen Stellen, die Lahmejer gesammelt hat, fallen
sechs (6 58, 609, 800; ixi^ 284, 333, 363) unter unsere Rubrik I, eine (6 600}
unter IV, eine (ix:^ 681) unter V — indem, wie ich meine, die zu einer
Periode erweiterte Protasis das Fallenlassen der subordinirten Construction
veranlasst hat — zwei endlich (6 155 und ixfi 323) sind in kritischer Be-
ziehung ebenso anfechtbar wie angefochten. Die zwei gesicherten Instanzen
aus EUegikern und Jambikern endlich vertheilen sich auf I (T/rtaeus 12, 27)
und IV (Theogn. 357 — wo die Wiederholung des hi aus der Protasis ge-
rade wie bei Hesiod die alterthümliche Kühnheit mildem hilft — ); dahin
gehört schliesslich auch Archüoch. 32, falls die Anführung bei Athenäus X 447 ^
ein abgeschlossenes Satzgebilde darbietet.
£xcnrs II.
Ermangelt Herodot's Werk einer absohliessenden Bedactionf ^
lieber diese im Laufe der letzten Jahre viel behandelte Controverse
mögen hier noch einige kurze Bemerkungen Raum finden. Eis kommen hierbei
insbesondere die nachfolgenden Punkte in Frage:
1. Die Wiederholung von I, 75 in. in VIII, 104 (S. Rawlinson I»,
33). Die meines Erachtens richtige und endgiltige Lösung dieser Schwierigkeit
hat schon Yalckenaer gegeben: die letztere Stelle ist interpolirt. Zu
den diesmal wohlbegründeten Bemerkungen Steines (zu VIII, 104 comm.
Ausg.) tritt noch als vielleicht entscheidendstes Argument die Thatsache,
dass die bessere Ueberlieferung (SVR) statt aufi^^pEtai das blosse 9£peTai
1 Ich fasse hier Kirchhoff*s stillschweigende Voraussetzung, das nicht zum
Abschluss gediehene Geschichtswerk entbehre auch der letzten styli-
stischen Feile, und Heinrich Stein*8 ungleich anspruchsvolleren Versuch,
Spuren des ursprünglichen Werdeprocesses oder einer späteren Neu-
bearbeitung des Werkes aufzuweisen, in eine Besprechung zusammen.
HerodotdMlie Stadien n. 597
bietet (=» feitnr), eine Gebrauchsweise, die — nach dem Ausweis der Wörter-
bücher wenigstens und soweit auch meine Kenntniss reicht — der Alteren
Sprache durchaus fremd ist.
2. Kirchhofs Folgerungen (Abfassungszeit >, 3 ff.) aus 1, 106 und 1, 184:
Herodot soll in Folge einer längeren Unterbrechung der Arbeit seine dort
gegebenen Versprechungen einzulösen yergessen und — wie wir hinzufügen
müssen — diesen Widerspruch niemals bemerkt und berichtigt haben. Hier
wünschte man zu wissen, wie sich Kirchhoff mit einem Einwurf abgefunden bat,
der viel zu naheliegend ist, als dass er einem so scharfsinnigen Forscher hfttte
entgehen können. Wenn wir eine liegen gelassene Arbeit wieder aufnehmen,
pflegen wir doch zumeist das vorher Geschriebene durchzulesen; wie konnte
der Verfasser eines Geschichtswerkes, dessen Composition eine so überaus ver-
schlungene ist, dies zu thun unterlassen? Und wenn er sich wunderbarer
Weise dieser Unterlassungssünde schuldig gemacht hatte, wie kann das noch
grossere Wunder glaubhaft werden, dass er in seiner ganzen weiteren Lebens-
zeit nicht dazu gelangt ist, jene Partie seines Werkes anzusehen und sein
voreilig gegebenes Versprechen mit einem Federstrich zu tilgen? Anstatt
diese und andere kaum geringere Unwahrscheinlichkeiten hinzunehmen, glaube
ich vielmehr mit Stein (Einleitung \ S. XLV — XLVI) und Anderen, insbe-
sondere mit Rawlinson (zu I, 106) an die Abfassung und selbständige Ebdstenz
der ^Aao^ptoi Xoyot.
3. Nicht haltbarer erscheinen mir die Consequenzen, die Kirchhoff
a. a. O. aus I, 130 ableitet. Denn es heisst, wie ich meine, nicht, ,den Ge-
schichtschreiber . . einer thörichten und durch nichts gerechtfertigten Willkür
zeihen*, wenn wir annehmen, er habe den Aufstand der Meder gegen den
ersten Darius zwar einer beiläufigen Erwähnung, nicht aber einer ausführ-
lichen Schilderung werth erachtet. Beruht doch der ganze Plan seines Werkes
auf einer fortwährend mit vollem Bewusstsein (vgl. VII, 96 und 99) geübten
strengen Sonderung des Wesentlichen von dem Unwesentlichen, auf sorgfäl-
tiger Auslese des Wichtigsten und Wissenswürdigsten aus der unübersehbaren
Fülle des ihm unaufhörlich zuströmenden Stoffes. Hat er doch beispielsweise
— und dies ist, wenn ich nicht irre, schon längst bemerkt worden — aus den
vielen Kriegszügen des Cjrus nur drei zu eingehender Schilderung ausgewählt.
4. Weit berechtigter ist die Verwunderung darüber, dass der Historiker
es unterlassen hat, die VH, 213 in Aussicht gestellte genauere Belehrung
über die TOdtung des Ephialtes durch den Trach inier Athenades seinen
Lesern zu ertheilen. Es ist dies, so viel ich sehen kann, der einzige Punkt,
der die Aufwerfung jener Bedactions- oder Revisionsfrage überhaupt ermög-
licht. Allein ehe wir aus solch' einem ganz vereinzelten Vorkommnisse so
weitgehende Folgerungen ziehen, werden wir gut daran thun, der Möglichkeit
zu gedenken, dass eine Lücke des Geschichtswerkes jene wahrscheinlich sehr
kurze Mittheilung verschlungen hat. Und eine solche Lücke zum Mindesten
(im Ausmass von zwanzig Zeilen) ist VUI, 120 handschriftlich bezeugt, worauf
Stein in diesem Zusammenhang verständiger Weise hingewiesen hat.
5. Dennoch hat eben derselbe Gelehrte - und nach ihm Andere, wie
BOse in einem GiessenerGymnasial-Programm vom Jahre 1879: Hat Herodot
598 Gomp«ri.
sein Werk selbst herausgegeben? — von jener auf so schwanker Qmndlage
ruhenden Hypothese einen Gebrauch gemacht, gegen den man nicht entachie*
den genug Einsprache erheben kann. Ich will mich die Mühe nicht Ter-
driessen lassen, zum Mindesten die sftmmtlichen von Stein selbst vorge-
brachten und zu IX, 83 zusammengestellten Behauptungen einer, wenngleich
summarischen, Beurtheilung zu unterziehen. Derselbe glaubt nämlich nach-
trägliche Zusätze Herodot^s zu seinem Gteschichtswerke an folgenden
Stellen zu erkennen:
I, 18, 4 (comment. Ausg.), wo die Worte xa (liv vuv — npoaeTxe cvrrca-
^^vu>( einen ,der nicht wenigen Znsätze' bilden sollen, ,womit der Autor den
fertigen Text seines Werkes nachträglich berichtigte oder ergänzte*. Der
unbefangene Leser möge selbst entscheiden, ob meine in weit eiigere Grenzen
eingeschlossene Athetese (s. I, 160) nicht ausreicht, jeden wirklichen Anstoas
zu entfernen, und ob andererseits die von mir hervorgehobenen AnstOsse
durch Steines Voraussetzung wirklich beseitigt werden. Ich frage hier nur:
angenommen, jener Process habe wirklich stattgefunden, wie kann es mOgltch
sein, ihn mit einiger Sicherheit zu erkennen? Denn Herodot wollte (falls
Stein*8 Annahme überhaupt richtig ist) diesen Zusatz mit dem Texte ver-
schmelzen — man beachte die Anfügung mit toc {x^v vuv und femer die
Worte (t>( xai Tcp^TEpov (xoi SESiJXtjjTai — und doch soll ihm das so wenig
gelungen sein, dass der Kritiker seinen Finger auf jene Zuthaten legen
und von ihnen sagen kann : sie ,heben in Überraschender Weise das bisher . . .
Erzählte zum Theil wieder auf und unterbrechen überdies* u. s. w. u. s. w.
— Und damit haben wir wohl den wundesten Fleck dieser ganzen Hypothese
berührt. In der That: blosse Marginalznsätze lassen sich oft genug als
solche erkennen (und mögen in einzelnen, wenngleich seltenen Fällen auch
ihren Urheber verrathen), desgleichen doppelte Recensionen und andererseits
eigentliche, absichtliche Interpolationen. Doch von alle dem ist hier nicht
die Rede; vielmehr gilt es in der Mehrzahl der Fälle, von der Hand des
Verfassers herrührende Uöberarbeitungen herauszufinden, womit dem
menschlichen Scharfsinn eine, so viel ich sehen kann, schier unlösbare Auf-
gabe zugemuthet wird. Müssten doch dergleichen Stücke des Be-
fremdlichen eben genug enthalten, um nicht für ursprüngliche
Aufzeichnungen des Autors, und nicht genug, um für Interpola-
tionen zu gelten! Wo ist der Kritiker, dessen Luchsauge diese haar-
scharfe Linie mit Gewissheit oder auch nur mit annähernder Wahrschein-
lichkeit zu erspähen vermöchte? In Wahrheit entpuppen sich denn auch
alle diese angeblich nachträglichen Zusätze zum Theil als verderbte und
interpolirte Stellen, zum andern Theil aber als völlig unverdächtige Stacke,
deren Verknüpfung mit dem Vorangehenden oder Nachfolgenden nur bisweilen
einen Anstrich von Gewaltsamkeit besitzt, — ein Eindruck, der in der Ge-
sammtanlage des herodoteischen Werkes tief begründet ist und bei der schein-
bar absichtslosen Verbindung so vielartiger Stoffe nicht leicht ganz zu ver-
meiden war. Man erinnere sich doch der so häufig wiederkehrenden, auf
Abschweifungen von dem ins Auge gefassten Ziele und auf die Rückkehr zu
demselben bezüglichen Wendungen (6noEvct|At hk im tov Tcp^tcpov ^t« X^v
Herodoteiiche Stadien 11. 599
Xdyov a. dgl. m.) und auch des principiellen Ausspruchs unseres Autors
(TV, SO): icpooOijxpcc yap 8i{ {xoi 6 X6yoi (i ^PX^^ iB{2^7]To, den doch kaum ii^pend
Jemand mit einem neueren Herodot-Forscher so verstehen wird, als wollte
der Halikamassier sagen : ich bin von Anfang an darauf ausgegangen, mein
Werk durch nachträgliche Zusätze 2u erweitern!
I, 125 hat Stein das Verdienst, die Stelle fem 8k Ilepa^cüv — ZajipxKoi
als anstössig bezeichnet zu haben. Allein den bedeutendsten Anstoss, der
für mich wenigstens in der Phrase l^xi hl xdBt liegt (was heissen soll: die
▼on Cyrus berufenen Stämme waren diese), insbesondere nach dem sprachlich
so gleichartigen und sachlich so verschiedenen Satze fori tl ~ y^vsa, räumt
die Vermuthung nicht hinweg, der Autor habe diese Bemerkungen ,er8t
später', ,ohne strenge Rücksicht auf den Zusammenhang des Textes*
hinzugef>. Auch der Übel gewählte Aorist ov^nstac — als ob der weiterhin
erzählte Erfolg hier schon bekannt wäre — bleibt auf diese Weise unerklärt.
Die Stelle gilt mir als das Machwerk eines nicht kenntnisslosen, aber wenig
sprachkundigen Interpolators.
n, 68 wird zu IX, 83 mit aufgeführt; doch unterlässt es Stein, zur Stelle
selbst etwas Derartiges zu bemerken. Man sieht: wenn nicht das Werk des
Historikers, so scheint doch jenes seines Herausgebers einer endgiltigen und
einheitlichen Redaction zu ermangeln.
n, 127 hätte schon das in jenem Fall ganz bezuglose yip in oSte ykp
uTccTTt Stein vor der Anwendung seiner LieblingshTpothese bewahren sollen.
Nur die Annahme einer kleinen Lücke (mit Abicht), etwa (aXXco; 8k evSseot^-
p7]v), nach tpcut« — i[XETpiiiaa{X£v, thut den Bedingungen des Falles ein volles
Genüge.
n, 166 fin. wird das Zusammengehörige nicht erst ,dureh die später
eingefügte Bemerkung über Aeschylos*, sondern bereits durch die zwei, auf
die Verwandtschaftsverhältnisse und Benennungen ägjrptischer Gottheiten
bezüglichen Sätze getrennt. Sollen auch diese auf späterer Zuthat beruhen?
Man kann das Eine so gut wie das Andere behaupten ; nur dürfte es einiger-
massen schwierig sein, auf dieser abschüssigen Bahn zu rechter Zeit inne
zu halten.
HI, 89 mag man einen Augenblick darüber stutzig werden, dass die
Ankündigung xarra xiht hiiikt erst nach mehr als zehn Zeilen zu ihrem
Rechte gelangt. Allein wie sollten die Mittheilungen über die Hohe der
persischen Tribute dem griechischen Leser verständlich werden, ehe er über
die Bedeutung der dabei angewandten Massgewichte aufgeklärt ist? Und da
nun die Darstellung einmal — nothwendiger Weise, wie auch Stein anzu-
erkennen scheint — aus ihrem Geleise gekommen ist, was Wunder, dass der
Geschichtschreiber nicht sofort wieder in die gerade Strasse einbiegt, sondern
eine Bemerkung hier einschaltet, für die er sonst nicht leicht eine ange-
messene Stelle gefunden hätte? Das mag nicht übermässig kunstvoll sein,
aber es ist der echte und rechte Herodot Nicht viel anders steht es um
m, 98, eine Stelle, die auf den ersten Blick mehr als irgend eine
andere zu Gunsten der Stein^achen Hypothese zu sprechen scheint. Hier
wird die Ankündigung einer Schilderung (xpinta Toi(j>8t xi«>vTat) von dieser
600 Oomperx.
selbst durch nahezu fünfzig Zeilen getrennt. Aber der Uebergang yon einem
Thema zum anderen ist jedesmal ein völlig sach- und naturgemSaser, und
während der Historiker von seinem Gegenstande abzuschweifen scheint, liest
er unterwegs alle Elemente seiner späteren Darstellung wie zufällig' auf:
die Sandwüste an den Grenzen Indiens, die ^streitbarsten' Inder, welche eben
die goldgewinnenden sind (im Unterschied yon und im Zusammenhang;' mit
den übrigen Stämmen des weiten Landes, ihren Sitten und Bräuchen), end-
lich jene Riesenameisen , welche bei der Gewinnung des Gk>ldes in der
Sandwüste eine so bedeutende Rolle spielen. Wer hier etwas als ,8p£teren
Zusatz' ausscheiden will, kann wieder nicht einfache Randbemerkungen aas-
schalten, sondern er muss eine vollständige Umarbeitung der Stelle voraus-
setzen, beziehungsweise vornehmen. Und welche unübersteigliche Hinder-
nisse solch einem Beginnen entgegenstehen, glauben wir bereits sattsam ge-
zeigt zu haben. Bei
III, 131, 12 — 15 brauchen wir uns um so weniger anzuhalten, da
Steines eigene Bemerkungen: ,eine gelehrte chronologische Notiz', ,okne
klaren Bezug zum Vorhergehenden' (aber doch an dieses geknüpft, daher
keine blosse Marginalglosse , können wir hinzufügen!), ,eine unleidliche
Tautologie' u. s. w., nur dazu dienen können, die Stelle als Interpolation zu
kennzeichnen (so schon Abicht), womit wir von Herzen einverstanden sind.
Zur Zeit, da Herodot, ,jedenfalls erst nach Vollendung des Ganzen', diese
und ähnliche Stellen seinem Werke einfügte (was übrigens Herr Stein dies-
mal nicht mit voller Zuversicht behaupten will), muss seine Geisteskraft
bereits erheblich gelitten haben.
rv, 2 überhebt uns der Wortlaut von Steines Anmerkung jeder Ent-
gegnung. ,Das sowohl seinem Inhalte nach sehr problematische, als
in den Zusammenhang schlecht passende Capltel scheint erst nach-
träglich vom Verfasser eingesetzt zu sein.' Man lese: scheint interpolirt
zu sein, und man hat aus den diesmal sehr wohlbegründeten Prämissen den
allein angemessenen Schluss gezogen. (Krüger und Abicht halten die Stelle
für lückenhaft.^
9
IV, 14 und 15 ,werden erst nachträglich hinzugekommen sein', weil
— nun, weil Herodot^s Herausgeber es verwunderlich findet, dass dieser nach
Abschluss einer Episode mittelst der in diesem Falle ganz gewöhnlichen
Redewendungen (^ApioTEb) [x^v vuv rc^pt Toaauta E2pi{a6(o. tijc 81 "pj^ t^c Tt^pt
o8s 6 Xdyo; (op|jL7)Tai Xf)f£a6ai xtl. c. 15 — 16) zu seinem Hauptthema zurück-
kehrt. Die zuversichtliche Diagnose, vermöge welcher
rv, 86 fin. der parenthetische Satz TZd^ifjxpLX %\ xal — fi^Ti]p tou
ndviou für ,eine nachträglich zugefügte Notiz' erklärt wird, darf mit Fug unser
Staunen erregen. Wieder handelt es sich nicht etwa um eine abgerissene,
unverbundene Randbemerkung, sondern um öinen Satz, der echt oder unecht
sein mag, dem aber wahrlich Niemand die nachträgliche HinzufÜgnng vom
Gesichte ablesen kann. Doch was soll man erst zu jener Musterleistung
kritischer Mantik sagen, die uns zu
V, 27 begegnet? In dieser allerdings schwer beschädigten Stelle (die
jedenfalls zugleich lückenhaft und interpolirt ist) erkennt Stein nicht weniger
Herodoteiscbe Studien ü. 601
als Tier verschiedene Schichten: den ursprünglichen Text, eine nachträgliche
fRandnote' des Autors, welche dieser ,später mit dem Context zu ver-
schmelzen* beabsichtigte, die aber eine ungeschickte Hand ^unpassend' in den
Text ,eingefügt' hat, und endlich die Zuthat eines noch Späteren, der ,den
hierdurch zerstörten Zusammenhang* wieder ,herzu8tellen* bemüht war. Thut
es wirklich Noth, über diese Art von Textes-Geologie ein Wort zu verlieren?
VI, 59 und 60 (zwei auf die Uebereinstimmung einiger spartanischer
mit persischen und ägyptischen Einrichtungen bezügliche Capitel) sollen,
,wenn sie auch vom Verfasser herrühren, doch wohl erst nachträglich in den
Text gekommen' sein. Warum? Weil sie , nebensächliche Bemerkungen'
enthalten. Herr Stein scheint also von der nicht eben gewöhnlichen Voraus-
setzung auszugehen, dass ein Autor bei der ersten Abfassung seines Werkes
kritischer und wählerischer verfährt als bei der Revision oder Neubearbeitung
desselben. Nebenbei wird ein formales Bedenken, nicht g^g^n die beiden
Abschnitte, sondern gegen die letzten zwei Zeilen des zweiten derselben er-
hoben, welches mir wenig begründet scheint. Es ist von der Erblichkeit
gewisser Berufszweige in Sparta die Rede, und da scheint es denn Herodot
besonders bemerkenswerth, dass über die Wahl von Herolden nicht, wie
anderwärts, die Stimmbegabung, sondern nur die Abstammung entscheidet.
Ich kann nicht im Entferntesten finden, dass in den Worten oO xara Xapicpo^b)-
v{7]v e9CtTt6^[JL€voi oXXoi 9fia^ rapoxXTjfouat, dcXXa xaxa ra norpta cictTeX^ouai ,das
Asyndeton' (an der Spitze des das Vorangehende weiter ausführenden Satzes)
oder ,der lose' (soll wohl heissen ausschliessliche) ,Bezug auf den einen
Stand der Herolde' (mit ol xijpuxe^ begann die Aufzählung jener Stände, mit
x7{puS xi^puxo; schliesst sie wieder ab) ,den flüchtigen Anmerker verrathen.
Die zwei Capitel geben meines Erach'tens zu kritischen Anfechtungen irgend
welcher Art nicht den allermindesten Anlass.
VI, 79. Die parenthetische, auf die Hohe des im Peloponnes üblichen
Lösegeldes für Gefangene bezügliche Notiz mag man als nicht zur Sache
gehörig immerhin beanstanden und demgemäss athetiren. Allein Steines
Lieblingsauskunft ist unbedingt unanwendbar ; denn die Art der Anknüpfung
ist die beste, welche die Sache Irgend zuliess, und Herodot hätte die Notiz,
falls er sie vom Rande in den Text zu verpflanzen beabsichtigte, wieder
genau so fassen müssen, wie wir sie bereits jetzt in diesem lesen.
Zu VI, 98 fin. (dem Versuch einer Wiedergabe dreier persischer Königs-
namen) lesen wir: ,Die Stelle ist verdächtig, nicht ihres Inhaltes oder ihrer
Sprache wegen, sondern weil sie nur einen zufälligen Zusammenhang mit
dem Vorhergehenden hat und wie eine gelehrte Randnote aussieht. Dennoch
mag sie von Herodot henrühren.' Wenn freilich unser Historiker die leidige
Gewohnheit hatte, den Rand seines Handexemplars mit allerhand ungehörigen
Auslassungen anzufüllen, so ist die Aufgabe seiner Herausgeber eine recht
missliche geworden. Weniger conservative und minder phantasievolle Kritiker
werden allerdings Wesseling's Athetese mit beiden Händen unterschreiben
und sich auch des Umstandes erinnern, dass die unmittelbar vorangehenden,
in einem Theil der Handschriften fehlenden Zeilen einmüthig verurtheilt
werden. Die Bemerkung zu
!4Uiung«b«r. d. phil.-hUt. Cl. ClU. fid. II. Uft. 89
602 Gomperz.
VII, 20, 5 scheint uns so vollständig aus der Luft gegriffen, dass man
sich wohl der Mühe enthoben erachten kann, sie eingehend zu widerlegen.
Wo konnte wohl Herodot diesen ,Excurs über das Yerhältniss des Xerxessuged
zu früheren Expeditionen' besser unterbringen, als an der Stelle, wo er von
den riesigen, vier volle Jahre in Anspruch nehmenden Vorbereitungen zu
diesem Kriegszuge gesprochen haitte? Wie man hier von einem ,losen sach-
lichen Verbände' sprechen kann, ist mir ein Räthsel, und auch die sprachliche
Anknüpfung : ,Xerxes zog ingenti copiarum manu (Stein's eigene Uebertragong)
ins Feld: denn fürwahr einen gewaltigeren Eriegszug hat es nie gegebeu'
u. s. w. bedarf keiner Rechtfertigung.
Vn, 96 in. soll das Sätzchen eiceßaTEuov — Zdbcai ,später nachgefügt'
sein. Dass eine auf die gesammte Flotte bezügliche Angabe nirgends besser
am Platze ist als am Ende der Aufzählung der einzelnen Schiffscontingente,
dürfte Niemand leugnen. Doch ist ein Mangel an Concinnität hier sowohl
wie in den nächsten Sätzen (to^tcov h\ — . ToOtoiai izaai — .), die auch
Stein nicht für spätere Zuthaten hält, nicht zu verkennen. Der Grund dieses
stylistischen Mangels ist meines Erachtens ein sachlicher: er lieg^ in der
Schwierigkeit, mehrere von einander unabhängige thatsächliche Einzelan-
gaben in angemessener Weise zu verbinden.
vn, 106, 4. Die auf diese Stelle bezügliche Bemerkung (zu Z. 11)
habe ich zu wiederholten Malen gelesen, ohne mich doch des Verständnisses
völlig sicher zu fühlen. Es mag mir daher erlaubt sein, dies eine Mal, wo ein
missbilligendes Urtheil so leicht einem Missverständniss entspringen könnte,
Stillschweigen zu üben.
vn, 113, 4 nennt Stein die Worte Iri fwo{ ecüv nicht mit Unrecht ,f ür
das Verständniss mehr als entbehrlich'. Da nun in demselben Satze
auch eine sprachliche Absonderlichkeit sich findet: X^yov noieraOai, wo Herodot
sonst [jLvi{[xY]v rroiEiaOat zu sagen pflegt, so liegt die Annahme nahe, diese
anstössigen Worte seien eingeschoben und des Geschichtschreibers einfache
Angabe t^; ^pyij. B^yT); sei von einem übereifrigen Leser, der sich des vor-
her erzählten Todes jenes Persers (c. 107) und zugleich einer ähnlichen, aber
doch auch verschiedenen Wendung (IV, 16) erinnerte, zu dem wenig ge-
schickten Satz erweitert worden, der uns jetzt vor Augen liegt. Warum aber
der sein Werk revidirende Autor das an den Rand geschrieben haben soll,
was ,für das Verständniss mehr als entbehrlich ist', dies ist mir mindestens
wenig begreiflich. Zu
vn, 137, 12 wird der den Aneristos, Sohn des Sperthias, näher bezeich-
nende Satz o; eiXe — TcXiipei avdpäJv als ein ,überflüssiger, notizenartiger
Zusatz' bezeichnet. Dieser Einwand kann sich nur gegen den Inhalt des
Satzes richten und müsste, falls er (was meine Meinung nicht ist) begründet
wäre, seine Tilgung zur Folge haben. Die Form ist völlig anstandslos;
sie ist eben diejenige, in welcher Herodot ihn schliesslich in den Text zu
setzen gewillt sein musste ; wozu kann also die Muthmassung dienen, dass er
ihn vorerst am Rand verzeichnet habe? Zu
VU, 162, 7 nennt Herr Stein die Worte ib leAci X^ygiv (mit ElU,
p. 332—333) ,die erklärende Randnote eines Lesers'. So hat denn
Herodoteische Stadien II. 603
offenbar nur ein lapsus memoriae die Anführung dieser Stelle zu IX, 83
veranlasst und somit den Schein erzeugt, als halte Herr Stein den sein Werk
revidirenden Autor selbst für eben den Le^er, der die Worte oüro; oe 6 vooc
rou ^Yi|jLaio( durch die am Rand verzeichnete Phrase xb sO^ei Xiyivt zu
glossiren für gut befunden hat. Bei
yn, 191 jedoch gibt es keine derartige Zweideutigkeit. Hier erfahren
wir, dam die Sätze ursprünglich anders und besser zusammenhingen und
dass — dies wird uns mit einer Zuversicht mitgetheilt, die uns füglich. ver-
blüffen darf — ,erst nachträglich Herodot die Episode von Ameinokles
eingeschoben und jenen Zusammenhang gelockert* hat. Mit an-
deren Worten : der Herausgeber findet eine Stelle nicht in wünschenswerther
Ordnung und weiss dafür keine glaubhaftere Erklärung als die Annahme,
dass der Verfasser sein eigenes Werk nachträglich verdorben hat! Warum
freilich der treffliche Schriftsteller ein so linkischer Revisor gewesen sein solf,
dieses Räthsel bleibt hier und anderwärts ungelöst. Denn, wohlgemerkt, nicht
den Mangel einer letzten Redaction, sondern eine vom Autor selbst verschul-
dete Verballhomung seines Textes meint Herr Stein und muss er meinen;
sieht doch jene Episode einem blossen vorläufigen Marginalzusatz so unähnlich,
dass sie weit eher ein Zuviel als ein Zuwenig von Ausarbeitung aufweist und
durch einen — von der Umgebung sich merklich abhebenden — eigenthüm-
lich gespreizten und prätentiösen Ton den Verdacht einer, freilich uralten,
Interpolation wachruft. Und dieser Argwohn wird allerdings dadurch erheb-
lich ' verstärkt, dass die Ausscheidung des Stückes eng Zusammengehöriges
näher aneinander rückt. Ganz ebenso wenig wird Herr Stein behaupten
wollen, dass
VU, 193 der von ihm anstössig gefundene Participialsatz IIoaEiBscavo;
— vo^(^ovi£( eine Randnotiz des Autors sei. ,Der Zusatz ist wohl erst später
vom Autor nachgetragenS — diese Bemerkung kann auch hier nur besagen
wollen, daas Herodot sein Werk mit so beispiellosem Ungeschick revidirt
hat, dass wir auf Schritt und Tritt seine nicht bessernde, sondern ver-
schlechternde Hand erkennen. Wem der brachylogische Ausdruck für
sprachwidrig gilt, dem bleibt nichts Übrig als die Auskunft der Athetese;
uns freilich scheint der Umstand, dass der Subjectbegriff des Participialsatzes
ein einigermassen weiterer ist als jener des Hauptsatzes (,sie benannten und
man benennt noch heute'), keinerlei kritischen Eingriff zu rechtfertigen (vgl.
Krüger ö7, 9, 1—2). — Zu
VII, 210 macht Stein mit vollem Recht darauf aufmerksam, dass der
herbe Tadel über die Untüchtigkeit der persischen Truppen (SfJXov ci^ iiwUM"*
— oXt'yoi tk avSps;) zur , Schilderung des rastlosen Angriffs* derselben durchaus
nicht stimmen will. Allein heisst es diese Schwierigkeit hinwegräumen,
wenn wir annehmen, dass der Autor die Worte ,wohl erst später eingefügt*
hat, ,an nicht eben passender Stelle*? Ich kann nur mein Unver>
mögen eingestehen, dieser Bemerkung irgend einen verständlichen Sinn ab-
zugewinnen; denn (so bemerkt dies eine Mal auch HerrToumier, Exercices
critiques pag. 140) ,comment il a pu echapper k Herodote que cette addi-
tion le mettait en contradiction avec lui-meme, c^est ce qu^il u'eCit pas
39*
604 Qompflr«.
M superflu d^expIiquerS Das kritische EQlfsmittel, zu welchem wir
immer dann greifen müssen, wenn ein an sich vortrefflicher Sats ,An nicht
ehen passender Stelle' erscheint, «ist die Transposition; nnd so darf man
wohl vermnthen, dass die Darstellnng* des erfolglosen I^ampfes der feind-
lichen Ueberzahl mit dem wunderbar tapferen Häuflein der Griechen durch
eben diesen emphatischen Ausspruch abgeschlossen wurde. Am Schltu» des
c. 212 (unmittelbar vor den Worten: dtTwpiovTO^ hl ßavtX lb< xtI.) dürfte seine
ursprüngliche Stelle gewesen sein. (Dazwischen liegen 29 Zeilen der Stein*-
sehen Ausgabe, das Vierfache des Zwischenraumes, den wir bei der einsigen
anderen von uns als nOthig erachteten Umstellung — m, 143 — an-
nehmen mussten. Darf man hierin einen auf die Einrichtung des Arche-
typus bezüglichen Wink erblicken?)
VTI, 223 liegt ohne Zweifel ein Textesschaden vor. Mit der Verlegung
des Kampfplatzes auf den freieren Raum vor der Passenge {h to cdpurepov
Tou au^/vo() mussten die Verluste auf beiden Seiten wachsen. Allein während
der Geschichtschreiber den Vorgang im Einzelnen auch thatsächlich so dar-
stellt, so gilt doch seine darauf bezügliche allgemeine Bemerkung (&n:rrov
nXi^OeV 3:oXXo) tcov ßapßapcov) nur dem einen Theil, und zwar demjenigen, auf
welchen dieselbe jedenfalls geringere Anwendung fand. Da nun femer in
den Worten rcoXXoi p-kv Srj — xnz* dcXXijXcov noch von den Barbaren die Rede
ist, die unmittelbar folgenden ^v hl Xoyo; oOSei; tou obcoXXupivou aber (wie
die Begründung Sxi yap xii. zeigt) sich auf die Griechen beziehen und es an
jedem vermittelnden Uebergange fehlt, so lässt sich — wie Dobree (advers.
pag. 40) einsah — kaum an dem Ausfall eines Sätzchens zweifeln, welches dieser
zwiefachen Anforderung Genüge leistete, und das, wie der soeben genannte
Kritiker vermuthet hat, etwa also lautete: (IntTctov Bk xdtpra noXXol xai Tb>v
*EXXi{vü)v). Diese Annahme erledigt alle Schwierigkeiten, denn in dem Sub-
jectswechsel : t^te Bk au|jL{x{aYovTE( — Intjrrov xtI. vermag ich keine solche zu
erblicken; bereits das Particip bezeichnet ja eine beiden Theilen gemein-
same Handlung, nnd ist es doch, als ob Herodot sagen wollte: t^te hl 9U[x-
;jL{aYovTEc — &ci7rrov i^jt^diEpoi icXyIOeV tcoXXo^, eine Ausdrucksweise, die nur
um des bequemeren Ueberganges zur Einzeldarstellung willen in ihre beiden
einander folgenden Bestandtheile zerlegt wird. (Vgl. auch die Znsammen -
Stellungen der Herausgeber zu I, 33 und was wir zu I, 31 bemerkt haben.)
Stein's Vermuthung einer nachträglichen Abfassung von Z. 10 — 16 aber
unterliegt nicht nur unseren nunmehr bereits so oft wiederholten Einwen-
dungen, sondern überdies noch einem speciellen, an sich kaum abzuweisenden
Einwurf: wie über alle Massen unwahrscheinlich ist es doch, daas der Histo-
riker den integrirenden Theil eines Gesammtvorganges — und zwar an einem
Höhepunkte seiner Geschichtsdarstellung 1 — erst nachträglich erfahren, oder
wenn er ihn schon früher kannte, nicht sofort in die Erzählung verwoben
hat! — Doch es ist nicht immer leicht, über diese Willkürannahmen mit
ernster Miene zu verhandeln, am allerschwersten vielleicht zu
VII, 238. Xerxes lässt dem todten Leonidas den Kopf abschlagen und
der Geschichtschreiber bemerkt dazu, dieser an einem Leichnam verübte
Frevel sei wohl der stärkste Beweis dafür, dass der Perserkönig keinen an-