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Full text of "Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften"

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SITZUNGSBERICHTE 


•■ 

DER  ^         ,     '^     C        C 


PHILOSOPHISCH-HISTORISCHEN  CLASSE 


DER  KAISERLICHEN 


AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


HUNDERTDRITTER    BAND. 


WIEN,  1883. 


IN   COMMISSrON   BEI    CARL   GEROLD'8  SOHN 

BDCHHAlinLIR  DIR  KAIS.  AKADBMfB  DBR  WISBRNBCHAPTRM. 


Druck  von  Adolf  Holsbansen. 
k.  k.  H*f«  und  UnlTenitäta'Buclidrocker  in  Wioa. 


INHALT. 


Seite 

I.  SItsuir  ▼om  3.  Jinner  1883 t 

Schnchardt:   Kreolische   Stadien.    IIL    Ueber  das   Indoportn- 

giesische  you  Dia 3 

II*  Sttnair  ▼om  10.  Jiniier  1883 19 

Schachardt:  Ueber  die  Bengaelasprache 21 

Weihrich:  Das  Specalam  des  h.  Aa^astinas  and  seine   hand- 
schriftliche Ueberlieferang 33 

III.  Sitzuif  vom  17.  Jänner  1883 65 

Zimmermann:  Ueber  Hamens  Stellang^  sa  Berkeley  and  Kant  67 

Gomperx:  Herodoteische  Stadien.  1 141 

IT.  Sitsuiir  vom  31.  Jänner  1883 179 

Kremer:  Beiträge  sar  arabischen  Lexikographie 181 

Hir Sehfeld:  Gallische  Stadien 271 

T.  Sitzniig  Tom  14.  Febraar  1883 329 

Tl.  Sitzung  vom  28.  Febraar  1883 330 

Pfizmaier:  Untersachnngen  über  Ainn-Gegenstände  ....  333 
Miklosich:  Ueber  Goethe^s  ,Klaggesang  von  der  edlen  Frauen 

des  Asan  Aga' 413 

Petschenig:  Ueber  die   textkritischen  Grundlagen  im  sweiten 

Theile  von  Cassians  Conlationes 491 

TIL  Sitzang  vom  7.  März  1883 520 

Gomperz:  Herodoteische  Stadien.  II 521 


I.  SITZUNG  VOM  3.  JÄNNER  1883. 


Herr  Regierungsrath  Dr.  C.  Ritter  von  Wurzbach  er- 
stattet den  Dank  fUr  die  dem  46.  Theil  des  ^Biographiscken 
Lexikons   des  Kaiserthums  Oesterreich^  bewilligte  Subvention. 


Der  Ausschuss  der  akademischen  Lesehalle  in  Lemberg 
übersendet  den  Rechenschaftsbericht  für  das  Studienjahr  1881/2. 


Von  dem  Director  des  k.  bayr.  Reichsarchivs  zu  München, 
Herrn  Geheimrath  Dr.  von  Löher^  wird  der  VH.  Band  der 
yArchivalischen  Zeitschrift'  für  die  akadenÜBche  Bibliothek  ein- 
gesendet. 

Das  c.  M.  Herr  Regierungsrath  Dr.  Beda  Dudik,  Capi- 
tularpriester  des  Benedictiner  -  Stiftes  Raigem,  legt:  ,  Aus- 
züge aus  dem  RathsprotokoUe  des  k.  k.  Tribunals  in  Mähren 
vom  Jahre  1683'  zur  Veröffentlichung  in  den  akademischen 
Schriften  vor* 


Von  dem  c.  M.  Herrn  Professor  Dr.  Hugo  Schuchardt 
in  Graz  wird  eine  Abhandlung  unter  dem  Titel:  ^Kreolische 
Studien  HI.  Ueber  das  Indoportugiesische  von  Diu'  flir  die 
Sitzungsberichte  überreicht. 


Siteufiber.  d.  phU.-kitt  OL    cm.  Bd.  1.  Hft. 


An  Druoksohriften  wurden  vorgelegt: 

Acad^mie  royale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts  de  Belgique: 
Bulletin.  50«  ann^e,  3*  s^rie,  Tome  ü,  Nos.  9  et  10.  Braxelles,  1881;  8«. 
51«  ann^e,  3«  s^rie  Tome  ELI,  No.  6.  Bruxelles,  1882;  8».  —  51«  ann^, 
3«  s^rie,  Tome  IV,  No.  11.  Bmxelles,  1882;  8». 

Akademie  der  Wissenschaften,  königliche:  öfversigt  af  Ftfrhandlingar.  39:  de 
Arg.  Nr.  5  o.  6.  Stockholm,  1882;  80. 

Central-Commission,  k.  k.  statistische:  Ausweise  über  den  auswärtigen 
Handel  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie  im  Jahre  1881.  ,Waaren- 
einfuhr  in  das  allgemeine  Österreichisch-ungarische  Zollgebiet^  II.  Ab- 
theilung, XLn.  Jahrgang.  Wien,  1882;  gr.  4». 

—  zur  Erforschung  und  Erhaltung  der  Kunst-  und  historischen  Denkmale. 
Vni.  Band,  3.  und  4.  Heft.  Wien,  1882;  gr.  4\ 

Gesellschaft,  kroatisch -archäologische:  Viestnik.  Godina  IV,  Br.  2 — 4. 
U  Zagrebu,  1882;  S^. 

—  geschichts-  und  alterthumsforschende  des  Osterlandes:  Mittheilungen. 
Vm.  Band,  2.-4.  Heft.  Altenburg,  1879—1882;  8».  —  IX.  Band,  1.  Heft. 
Altenburg,  1882;  8«. 

Handels-  und  Gewerbekammer  in  Linz:  Statistischer  Bericht  Über  die 
gesammten  wirthscfaaftlichen  Verhältnisse  Oberösterreichs  in  den  Jahren 
1876-1880.  Linz,  1882;  8^. 

Heidelberg,  Universität:  Akademische  Schriften  pro  1881—1882;  21  Stücke 
8^  und  40. 

Johns  Hopkins  University:  Seventh  annnal  Report.  Baltimore,  1882;  8<^. 

—  University  Circulars.  No.  3.  Baltimore,  1880;  4».  Vol.  II,  Nr.  19.  Balti- 
more, 1882;  4", 

Journal  the  American  of  Philology.  Vol.  IH,  No.  11.  Baltimore,  1882;  B^. 

Mittheilungen  aus  Justus  Perthes'  geographischer  Anstalt  von  Dr.  A.  Peter- 
mann.   XXVni.  Band,  1882,  XH.     Gotha,  1882;  4«. 

Müller,  F.  Max:  The  sacred  books  of  the  East.  Vols.  XIV  et  XVIII. 
Oxford,  1882;  8». 

Society,  the  royal  goographical :  Proceedings  and  monthly  Record  of  Geo- 
graphie. Vol.  IV,  Nr.  12.  December  1882.  London;  d«. 

Verein  fOr  Landeskunde  von  NiederOsterreich:  Topographie  von  Nieder- 
österreich. II.  Band,  10.  Heft.  Wien,  1882;  4». 

Wissenschaftlicher  Club  in  Wien:  Monatsblätter.  IV.  Jahrgang,  Nr.  3. 
Wien,  1882;  40. 


Schuchardt.  KreolUche  Studien,  ni. 


Kreolische  Studien. 

Von 

Hugo  Sohuohardt, 

corr.  Mitglied  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften. 


III. 

Ueber  das  Indoportoglesische  von  Dia. 

■ 

J  ulien  Vinson  im  Dictionnaire  des  sciences  anthropologi- 
ques  Art.  Cr^oles  (Linguistique)  S.  335 f.  bemerkt,  dass  das 
Indoportugiesische  nicht  bloss  auf  Ceylon,  sondern  auch  in  dem 
ganzen  dravidischen  Land,  d.  h.  auf  der  Südspitze  Indiens 
gesprochen  werde.  Nach  der  Mittheilung  Sr.  Hochwtirden  des 
apostolischen  Vicars  von  Pondich^ry,  Herrn  F.  X.  Corbet,  wäre 
das  Indoportugiesische  von  Pondich^ry  und  überhaupt  von  der 
Ostküste  ausgeschlossen.  Anderseits  kommt  es  auch  im  Norden 
vor,  wie  mir  bezüglich  Thanä's,  Bassein's  und  der  Nachbar- 
schaft ein  berühmter  Bombayer  Gelehrter  versichert,  der  aber 
wiederum  meint,  dass  in  den  portugiesischen  Besitzungen,  näm- 
lich Diu,  Damäo  und  Goa,  ausschliesslich  das  reine  Portu- 
giesisch herrsche.  Diese  Behauptung  wird  mir  nur  bezüglich 
Goa's  von  Herrn  Advocaten  Antonio  Felix  Pereira  in  Nova 
Goa  bestätigt,  und  ich  selbst  bin  im  Stande  sie  gerade  mit 
Hinsicht  auf  den  nördlichsten  der  angegebenen  Punkte  zu 
widerlegen. 

S.   Excellenz    der    Gouverneur   von    Diu,    Herr   Pedro 

Francisco  d'O.  Ferry  da  Camara,  ist  meinem  Wunsche  nach 

Proben  des  dort  volksthümlichen  Portugiesisch  mit  besonderer 

Liebenswürdigkeit  nachgekommen,  als  Einer  von  denen,  welche 

den  Denkmälern  und  Erinnerungen,  die  ihre  Vorfahren  an  den 

1* 


Schuchardt. 


africaniscUen   und   indischen   Gestaden    zurückgelassen   haben, 
ein  warmes  und  förderndes  Interesse  entgegenbringen; 

,Que  hum  ergue  Dio,  outro  o  defende  erguido/ 

Die  Proben,  welche  er  mir  geliefert  hat,  stammen  aus 
einer  doppelten  Quelle  und  damit  hängt  ihr  verschiedener 
Sprachcharakter  zusammen.  Die  zuerst  gesandten  Materialien 
(jB),  besonders  die  Gespräche,  sind  gewiss  aus  dem  Volks- 
munde geschöpft;  aber  theils  scheinen  die  Personen  selbst^ 
denen  sie  abgehört  wurden,  in  verschiedenen  Graden  das  eigent- 
liche Kreolisch  mit  dem  Portugiesischen  gemischt  zu  haben, 
theils  ist  die  Aufzeichnung  flir  das  Befremdliche  und  Mannich- 
faltige  verantwortlich  zu  machen.  Indem  ich  die  etwas  ver- 
altete Ansicht  hege,  dass  die  Uebersetzung  eines  Bibelcapitels, 
z.  B.  des  Gleichnisses  vom  verlorenen  Sohn,  auf  einem  gewissen 
Standpunkt  sprachlichen  Studiums  einen  Vortheil  gewährt,  der 
anderswie  kaum  zu  erreichen  ist,  bemühte  ich  mich  einen 
solchen  Beitrag  aus  Diu  zu  erhalten  und  erhielt  ihn  in  der 
That.  In  diesem  Texte  (A)  herrscht  eine  fast  vollkommene 
Consequenz;  der,  welcher  ihn  niedergeschrieben  hat,  beant- 
wortet auch  einzelne  von  mir  an  B  angeknüpfte  Fragen  und 
es  ergibt  sich,  dass  ihm  hier  Ein  und  das  Andere  fremd  ist. 
In  der  Schreibung  habe  ich  Nichts  geändert  was  irgendwie 
von  Wichtigkeit  sein  könnte.* 


^  Ich  glaabe,  dass  auch  der  fol^nde  Brief  eines  dortigen  Eingeborenen  die 
Oeffentlichkeit  verdient;  Phonetisches  ist  daraus  mit  Sicherheit  nicht  zn 
entnehmen  (vgl.  fager  =  fazer,  jitgado  =  zangado),  Ueberhanpt  lehr- 
reich ist  das,  regelmässige  -o  für  das  weibliche  -a  {»iUtismo  =  exeeüentif- 
aimaf,  famüho,  vido,  dis/eüo  u.  s.  w.)  und  daneben  »ua  für  seu  (s.  Kreo- 
lische Studien  II,  S.  812),  und  als  tiefeinge wurzelt  zeigt  sich  das  para 
bei  directem  und  indirectem  Object,  dem  vielleicht  sogar  das  kaphol- 
ländische voor  entstammt  (obwohl  sich  in  der  Lingfua  franca  und  im 
Rumänischen  ein  entsprechendes  per  und  pre  finden). 

Ill»»  Snr  !•  Sargente 

istamareio  a  bom  saude  de  VG*  e  do  siletismo  a  famiiho  deus 
deis  vido  saude  par  VG*  e  par  famiiho  que  a  VG'  perdoi  par  sua  Pobre 
Criado  nao  leve  disfeito  do  pobre  Criado  vaa  mador  esta  resebo  que  nao 
VG'  fici  jagado  heu  fici  do  falar  para  a  VG*  que  par  heu  fager  o 
serviso  com  Arvorado  tei  a  hevige  a  tndo  soldo  anda  fazendo  a  meu 
quixos  par  madar  desnomiar  ellos  dormo    ate  no    sentinello   vai  meio 


Kreolische  Studien,  m. 


Diese  Proben  werden  ausdrücklich  als  solche  des  portu- 
guez  criovlo  oder  ccistigo  von  Diu  bezeichnet.  Das  Wort  casti90 
scheint  hier  eine  Bedeutung  zu  haben  ^  welche  mit  seiner  ur- 
sprünglichen im  Widerspruch  steht.  Nach  den  portugiesischen 
Wörterbüchern  isjt  ein  casti90  ein  in  Indien  von  portugiesischen 
Eltern  Geborener;  an  die  Stelle  des  Gegensatzes  zum  Einge- 
borenen trat  wohl  schon  früh  der  Gegensatz  zu  dem  europäi- 
schen Portugiesen,  dem  reinol;  s.  J.  Long  The  Portuguese  in 
North  India,  Calcutta  Review  V,  255  (June  1846).  Ob  dieser 
Ausdruck  noch  weiter  im  Werth  gesunken  ist  und  etwa,  wie 
sonst  in  Indien  der  Name  topaz,  sich  auf  einen  Mischling  oder 
gar  einen  portugiesirten  Indier  bezieht,  vermag  ich  nicht  zu 
sagen.  Jedenfalls  ist  das  portuguez  casti90  weit  davon  ent- 
fernt, vorzugsweise  die  Sprache  der  Leute  von  rein  portugie- 
sischem Blute  zu  sein. 

Das  KreoUsche  von  Diu  unterscheidet  sich,  wie  ich  später 
im  Einzelnen  zeigen  werde,  weit  mehr  von  dem  von  Ceylon  als 
das  von  Cochim.  Zur  Vergleichung  setze  ich  die  bewusste 
Parabel  auch  im  Ceylonportugiesischen  (O  Novo  Testamente, 
Londres  1826)  her. 


A. 


Kreolisch  von  Ceylon. 
A  Parabola  de  o  ftlho  prodigo. 

11.  Per  hum  certo  hörnern  tinha 
dous  ßlhos: 

12.  E  0  mais  mogo  d'elles  ja 
falla  per  o  pai,  Pai^  da 
par  mi  a  quinhaö  de  a  fa- 
zenda  que  par  mi  te  compete. 
E  eile  ja  reparti  per  ellotros 
seus  Bens. 


Kreolisch  von  Diu. 
Barah  d^utn  ßlh  estravagant» 

Um  komm  tinh  doiz  ßlh : 

Ja  fallou  par  au  pai  aquel  mais 
piquirij  que  da-cd^  8U  quiäo 
que  ta  pertence  a  eil.  E  eil  ja 
repartiu  por  tud  doiz  filh  tud 
quant  tinh. 


horras  lises  recoi  as  5  horras  i  dipois  quando  fa^i  micrico  a  dianto  Sr. 
fimher  qne  ello  ficou  para  madar  disnomiar  a  sua  pobre  Criado 
Govinde  Pungia. 

^  Vgl.  Cuervo  Leng.  Bogot.'  S.  143. 


Schnchardt. 


13.  j?  naö  muitos  dias  despois  o 
filho  mais  mogo  ajuntando 
tudo,  ja  parti  per  huä  terra 
longe,  e  ali  ja  desperdiga 
8ua  fazenda  vivendo  disso- 
lutamente, 

14.  E  quando  d'elle  tinha  gas- 
tado  tudo^  huä  grande  fomi 
ja  sucede  n'aquella  terra;  e 
eile  ja  comega  pera  padege 
necessidade. 

15.  E  eile  ja  foi  e  ja  ajunta  st 
mesmo  per  hum  de  os  cida- 
diads  d'aquella  terra;  e  eile 
ja  manda  per  eile  per  seus 
varzes  pera  paatia  os  per- 

COS. 

16.  E  eile  tinha  desejado  pera  en- 
cht  seu  barriga  de  os  moti- 
daduras  que  os  porcasja  co- 
m4: e  ninguem  nunca  ja  da 
per  eile. 

n.  E  tomando  em  si  mesmo,  eile 

ja  falla,  Quantas  jorncdei- 

ras  de  meu  pai  tem  ohun- 

dangia  de  paö,  e  eu  te  pe- 

rege  de  fome! 

18.  Eu  lo  irgue  e  lo  anda  per 
meu  pai^  e  per  eile  lo  fdüa, 
Pai,  eu  ja  pecca  contra  ceos, 
e  diante  de  ti, 

19.  £  mais  naö  tejn  digno  pera 
ser  chomado  teuJUho:faze 
par  mi  como  hum  de  teus 
jomaleiros. 

20.  E  eüe  irguindo,  ja  foi  per 
seu  pai.  E  quando  ainda 
eile  tinha  de  longe,  seu  pai 
ja  olha  par  eile,  e  ja  senti 


Depois  de  passd  algum  temp  fez 
um  imbrui de  tud  su  fat  aquSll 
rapaz  piquin  e  ja  foi  jlcd 
n'um  terr  hastant  lonje  estranh 
e  aUjd  deu  cah  de  tud,  fazend 
munt  estragagäo. 

E  depois  de  ter  dad  cab  de  tud, 
sucedeu  vi  iC  aquill  tei-r  grand 
caristi  e  eil  prinspiou  ter  pri- 
cizäo. 

Ja  sahiu  d*  ali  e  ja  jicou  com 
um  homm  d'  CLquell  terr.  Mais 
est  ja  mandou  par  aquell  par 
um  quintal  d'  eU  par  tomd  cui- 
dad  de  su  criagäo  deporc  porc. 

Nest  lugar  tinh  buscd  SU  inche 
SU  barrig  com  comer  d'aquell 
porc  porc,  mais  ninguem  nä 
tinh  da. 

Atd  qui  ja  pensou  e  ja  fallou: 
na  caz  de  mim  pai  te  bastant 
criad  qui  te  munt  comer  e  eu 
ctqui  td  morre  fom ! 

Eu  had  lavantd  e  had  vai  buscd 
par  mim  pai  e  hadfalld:  Pai^ 
eu  jd  pecou  contr  Cio  e  diant 
de  ÖS. 

Jd  nä  ta  merce  nom  de  su.  JUh: 
faze  de  mim  como  de  6s  criad 
criad. 

Ell  jd  levantou  e  jd  foi  buscd 
SU  pau  E  quand  tinh  ind  lonj, 
SU  pai  olhou  par  eil  ejdjlcou 
com  pen  qui  jd  cotTcu  e  bu- 


Kreolisch«  Stadien.  III. 


grande  compaixäOy  e  corref^- 
doj  ja  cahi  sobre  aeu  pescogo, 
e  ja  beija  per  eile. 

21.  E  o  JUho  ja  falla  per  eile, 
Pai,  eu  ja  pecea  contra  ceos, 
e  diante  de  tiy  e  mais  naö 
tem  digno  pera  ser  chamado 
teu  filho. 

22.  Mas  o  pai  ja  falla  per  seue 
servidorsy  Trize  aqui  o  me- 
Ihor  vestido^  e  vesti  per  eUe; 
e  bota  hvm  anela  em  8ua 
maöj  e  sapatoe  em  oa  pes  ; 

23.  E  trize  aqui  o  vaccinha  gour- 
day  e  mala;  e  eomemos,  e 
alegramos  noe: 

24.  Videque  este  meu  filko  tinha 
mortOf  e  toma  tem  vida;  eile 
ttnha  perdidoj  e  tem  achado. 
E  eUotros  ja  comega  pera 
ahgra. 

25.  E  seuJUho  o  maia  velho  ti^ 
nha  ne  o  varze:  e  como  que 
eile  ja  vi  e  ja  ckega  per  a 
caaa^  die  ja  ouvi  o  mvsico 
e  as  dangas, 

26.  E  chamando  huma  de  os  ser- 
vidors,  eile  ja  enculca  que 
tinha  istol 

27.  E  eile  ja  falla  per  eile, 
vosso  irmad  ja  vi  tem;  e 
vosso  pai  ja  mata  a  va- 
ccinha gourda,  videque  eile 
ja  recebe  per  eile  em  bom 
Saude, 

28.  E  eile  tinha  irado  e  nada 
entra:  Videaquel  seu  pai  ja 
sahi,  eja  roga  com  eile  pera 
entra. 


tou  mäo  na  su  gargant  par 
akragd  e  jd  bijou. 

E  SU  filh  jd  fallou :  Pai,  eu  jd 
pecou  contr  Ceo  e  diant  de  ös, 
ja  nä  td  mercS  nom  de  ös  filh. 


Entäo  jd  fallou  su  pai  par  su 
criad:  Tird  de  press  su  me- 
Ihor  r6p  e  da  visii  par  eil  e 
butd  um  anel  na  su  ded  e 
sapat  na  su  p4. 

Trase  tamem  um  vaquinh  bem 
gord  e  matd  par  nös  come  e 
par  nös  regald: 

Parqui  est  mim  filh  er  mdrt  e 
agor  jd  Jicou  viv:  tinh  per- 
did  e  jd  achou,  E  tud  jd  co- 
megou  fase  banquSt, 

E  SU  filh  mais  grand  tinh  an- 
dad  na  camp  e  quand  veo  e 
chegoupert  de  su  caz,  jd  ouvio 
muzic  e  cant, 

E  jd  chamou  um  criad  e  jd 
perguntou  qui  couz  er  aquelL 

E  criad  jd  fallou:  Jd  veo  6s 
irmäo,  e  ös  pai  jd  inandou 
matd  um  vaquinh  parqui  eil 
jd  chegou  com  saud. 


Ell  entäo  jd  Jicou  zangad  e  näo 
queri  entrd,  Mais  su  pai  jd 
sahiu  e  jd  rogou  par  eil  par 
entrd. 


8 


Sehnehardt. 


29.  E  elie  repostando  ja  falla 
per  seu  pai,  Olha^  estes  tan- 
tos  annos  eu  ja  servi  per 
tiy  nem  eu  nehum  tempo 
nunca  traspasaa  teu  man- 
damento:  e  ainda  nehum 
tempo  tu  nunca  ja  da  par  mi 
ati  hum  cabrito,  que  eu  pode 
alegra  com  meus  amizades: 

30.  Maa  este  teu  filho  quem  ja 
desperdiga  tua  fazenda  com 
mudanas  quandoja  vi,  tu  ja 
mata  por  eile  o  vaccinha 
gourda. 

31.  E  elleja  falla  per  eile,  FühOj 
vosse  sempre  tem  com  mi,  e 
todas    minhas    cousas    tem 

V098a8. 

32.  Tinha  competido  que  nos  ja 

Jica  alegrados,   e  ja  folga : 

videque  este  vosso  trmaö  f t- 

nha  mortOy  e  toma  tem  vida; 

e  tinha  perdidoj  e  tem  aehado. 


Mais  eU  ja  deu  est  repost  par 
SU  pai:  Ja  passou  bastant  ann 
que  eu  ta  servi  sem  nunc 
deixd  de  respetd  ös  manda- 
ment  e  ös  nunc  par  mim  na 
deu  um  cahrit  par  eu  regald 
com  mim  amig; 


Mais  log  que  veo  est  ös  ßlh  qfie 
ja  gastou  lud  quant  tinh  com 
mulher  mtdher  de  md  vidj  log 
ja  mandou  matd  cahrit  gord, 

Entäo  SU  pai  ja  faUou:  Filhj 
ÖS  sempr  tem  junt  de  mim  e 
tud  de  mim  d  de  ös: 

Er  preciz  faxe  banquet  e  fun^äo 
parqui  est  ös  trmäo  tinh  mor- 
rid  e  agor  jd  Jicou  viv:  tinh 
perdid  e  achou. 


B. 


I. 


Portugiesisch. 

Frage.   Como  estil  seu  papä, 

menina? 
A  senhora  conceda  Üceiifa  para 

eu  me  retirar,  porque  tenho 
5     doente  meu  filho. 
Gasta-se    muito    dinheiro    nas 

guami9oes  d'um  vestido. 


Kreolisch  von  Diu. 

Antwort.   Meu  pay  tem  que- 

brad^  seu  corp  näo  prest. 
A  senhara  dd  par  mim  licenqx 

par  vai  casa,  porque  minh  ßlh 

td  corpo  näo  prest, 
Muito  dinheir  gastd  quand  butd 

puty  ^  e  ßtinh  no  vestids. 


^  A  bemerkt:  ,E8  giebt  Nfchta,  was  pub^  heisst*.  Rind.  |)a^,  ,B*od*? 


Kreolische  Studien,  m. 


9 


Na  viagem  que  fiz  de  Göa  para 
aqui,  corri  muito  risco. 

Muito  me  assustei  na  viagem. 

Eu  vim  para  aqai  n'um  vapor. 

Morrea  o  infeliz  Custodio  sem 
nada  legar  il  familia. 

A    senhora  .  comprou    hoje    o 

peixe  ? 
Participo   a  V.  Sr.*  que  pelas 

nove  horas   de  noite   minha 

mulher  teve  o  seu  feliz  buc- 

cesso  dando  &  luz  uma  me- 

nina. 
A   senhora  visinha    sabe   pre- 

parar  o  doce  bibinca? 
Frage.   A  senhora  para  onde 

vai? 
Frage.  AsdiscipulasdeV.Ex.» 

aprendem  bem? 


Jantei  e  vim  para  aqui. 

A  senhora  de  por  mim  um  bei- 

jinho  ao  menino. 
O  meu   cora9ao  näo  supporta 

mais  desgostos. 
Ab  crian9a8  fazem  travesBuras 

e  desordens. 


Quando   veu  de   Gda  par  qai, 

minh  vid  pvligaoa, 
Muito  8tMt  tomd  meu  corp  na  viaz.  10 
Eu  veu  par  qm  nü  vum  vapor. 
Murre  v4  infelix   Cuaiodj   näo 

deixd  nem  bibsurucam  par  8Ü 

famil. 
A  senhdra  ja  mercd  dt  de  hoj  15 

pamird^f 
Particip  Voss  Senhori  que  honte 

noo    vor   noiti  minh   mulher 

ja  fem  patidj  e  da  par  luz 

vuma  bahy'chocory,'  20 

Senhdra  visinh  sabe  prepard  vü 

doci  bibinc^f 
Antwort.  Eu  oufazeminh  vid. 

25 

Antwort.  Duvds  temcabeg  brut, 

voutras  nad  prendy  eu  minh 

cust  gast  tud,  dd  par  ellotres, 

mos  näo  prend. 
Eu  agora  mesmo  jantdy  e  t;Su30 

par  qui. 
A  senhdra  dd  vüm  boecö  ^  a  sü 

hahasinh^y  hamf 
Meu  cor^äo  td  madureddy  com 

disgost  ja  näo  td  mechi.         35 
As  crians   id  faze  datanagäo^ 

e  estäo  gerreand. 


*  Ä :  ,p{»mhird  ist  ein  Fisch,  welcher  der  muffem  llhnelt^  Unter  den  Namen 
Ton  Aber  60  gewöhnlichen  Fischen  bei  D.  Forbes  Dict.  Engl.  Hind.  S.  108^ 
finde  ich  keinen  ähnlichen.  Nach  Herrn  Professor  G.  Btthler  würde  es 
der  in  Indien  viel  gegessene  pdmelo  {bamelo)  sein. 

'  Hind.  backt  {ch  s=  ti)  ,weibl.  Kind',  chho/cH  ,Mädchen^ 

3  Bibinca,  s.  Kreolische  Studien  II,  8.  806. 

^  Ai  um  bde\  vgl.  deutsch  ^äulchen'  ftir  ,Ku88'. 

^  Deminutiv  von  habd  (unten  IV,  2),  hind.  habä,  häbu  ,KiQd^ 

0  Nach  A  mu88  es  heissen  dayyujjao  (damn.J, 


10 


Sehnekardt. 


Ellas  mutaamente  se  deBoom- 

pöem. 
40  A  mim  me  bateu. 

O  cavallo  deu  um  couce  que 

acertounobei90  do  meu  filho. 
O  seu  filho  DomingOB  e  muito 

travesso. 
46  Eu  vou  para  a  egreja  e  deixo 

ficar  com  a  senhora  a  minfaa 

filha  Paschda. 
Ao   apear-me    do    cavallo    dei 

uma   quMa   que    magou-me 
50     um  bra90. 

O  cavallo  tem  bom  passo. 
Näo  deixe  ahi  a  crian9a,  qfue 

Ihe  pode  maguar  no  assento 

alguma  formiga. 
^ö  Näo  empresto  o  beryo  do  meu 

filho,  porque  estragam-no. 
A   visinha   comeu   hoje   peixe 

guisado? 
E  facil  arranjar-se  este  prato, 
^^     i  por-lhe  azeite,  alhos,  e  a9a- 

fräo. 
Assim  preparado  toma-se  mag- 

nifico. 
Visinha,    saiba    que   eu   estou 
65     muito   sentida    com    aquella 

nossa  visinha^  olha  que  tem 

cora9ao  duro,    e  lingoa  que 

nem  o  Christo  poupa. 

70  Senhor,  eu  vou  hoje  para  Mu- 
chuvard;  volto  amanhä  e  co- 


Estavi  dand  rundad  ^  vum  para 

votro. 
Par  mim  jd  td  da. 
Vou  cavall  jd  td  da  vum  ponpS 

que  acertd  nohossö  du  minh  ßllu 
Vü  8Ü  ßlh  Damingui  std  muit 

traquin, 
Eu  vai  egrej  e  deixd  ßear  junto 

se  minh  ßlh  Pasquin, 

Quand  eu  disembarc  du  cavaUj 
cahiu  e  davou  minh  bra^. 

0.  cavall  fdz  bom  pass. 
Näo  deixd  ald  a  babesinh,  que 
macurd  podS  ruvi  culat,^ 

Nd  td  da  doldol  ^  du  minh  ßlh, 

porque  levd  e  estragd. 
Visinh  cume  di  d'hcje  bafß  du 


peix 


4f 


Näo  vS  fiad  par  faze^  butd  pi- 
cinh  azeU,  picinh  alh,  pidnh 
aafräo. 

Asei  faxend  ßcd  vum  prat  que 
näo  ta  podS  largd  du  bocc, 

Visinhj  sabi  que  td  eentid  muit 
com  aqueüe  outr  visinh  de 
cor^o  dury  aquella  eu  lingu 
dur  näo  quebr  porque  eetd 
cumund,    nem    par      Christ 

poupds 
Senhor,  eu  td  vai  hoje  par  Mu- 
chuvardy   aminhä  ad  vif   de- 


t  =  ndndetde. 
'  =  cuUUra  für  cu, 

'  Kinderausdruck  =  dorme-Aorme]  8.  unten  IV,  2,  1. 
*  A:  ,baßd  de  peix  ^gesottener  Fisch'.  Wie  Herr  Professor  G.  Bühler  mir 
gütigst  mittheilt,  von  gudsch,  bdf^  ,DMnpf . 


Kreolische  Studien.  III. 


11 


me90  com  o  servi^o  dos  con- 

certos  da  caza  de  Malila. 
Meu  filfao  estä   incommodado, 

apresentou-se-lhe  um  queixal. 
Estaphanca  mude-se  para  este 

lugar. 
Meu  papa  foi  hoje  para  a  horta 

Dangravaddy. 
De-me    um    peda90   d'aquelle 

objecto. 
Estou  augmentando  com  o  su- 

stento  da  minha  filha  familia^ 

tenho  alem  de  pagar  os  ope- 

rarioB  que  trabalhäo  c&  em 

casa. 
Quanta  i  a    terra    que    aqui 

existe? 


poi8  Maldia  vaij   tud  concert 

fasS. 
Mi  filh   td  incommod,   porqtie 

veu  no  8Ü  bocc  vüm  preg.       75 
Eataphand     d^  aqueUe     inand  * 

müde. 
Me  pay  td  foi  dt  de   hoj  par 

hört  Dangravary, 
Da  par  mim  um  pidnh  d'  aquel  80 

coiz.' 
Sobre  minh   cabeg   td  cahi  au- 

Stent  du  tud  minh  famil,  tem 

€u  de  pagd  tambem  os  operes 

que  trabalhäo  casa,  85 

Quant  male  tem  aquif 


n. 

1.  Fapägai  verd 

Com  bicc  du  lacre, 
Levai  est  cart 
Aquell  ingrat. 

Coro ; 

Oh!  bahy  cur-cü-ry 

Pentid  cabel  pela  manh  ced. 


2.  Amarai  chendö^  grand 
Com  ping  du  azeite, 
8e  näo  tem  azeite, 
Butä  sangue  do  meu  peit. 


*  Wohl  für  mao, 

'  Ä  erklärt:  yamarrai  a  traw^a  (das  senhonu)  em  f6miR  senii- effpherica 
em  ponto  grande  por  trae  da  cabe^^  Man  könnte  an  franz.  chignon 
denken ;  aber  das  Wort  ist  ein  einheimisches ;  R.  Drummond  Illustrations 
of  the  grammatical  part  of  the  Gnzerattee,  Mahratta  and  English  lan- 
gua^es  (Bombay  1808)  im  unpaginirten  Glossar:  ,Cho(lo  Guz:  and  Shendq 


12  Sohveliardt. 

3.  Noibo  com  noibinh, 
Oalinh  com  pentinh 
Baix  de  janeil 

J&  trucä  amiel. 

4.  Debaix  du  ramad 
J&  naceu  lavar, 
lA  ve  SU  noibo 
De  chap^  annad. 

5.  CumSm  arec  betle, 
Näo  cuspi  nu  cham^ 
CuBpi  nu  m6  peit^ 
Regai  mi  cor9äo. 

in. 

Raminh,  raminh, 
Fegi  na  mäo, 
Se  querß  amor, 
Largd  nu  chäo. 

Coro: 

Oh!  r£  manhäy 
Oh!  T%  manhä^ 
R£  manhä. 
Com  vidrinh 
Mandi  panhi 
Vuruvalh  du  manha. 

IV.  Kindenrene. 

1. 

Oh!  boiÄ,«  oh!  boiA, 
Oh!  boiA,  que  i  de  leit? 


Mah:  the  hair  tied  in  a  buncb  on  the  back  of  the  head  hj  Indian  women, 
and  some  yonng  beanx.  —  It  gives  a  comeliness  to  the  face  and  there- 
fore  the  widows,  who  are  forbidden  to  look  on  men,  cut  it  off.* 
<  Nach  Ä:  «Fuhrmann*.  Vgl.  Drummond  a.  a.  O.  ,Bhoee  or  Bhooee  (Gui.) 
Bearing  on  the  Shoulder,  Palankeen  6o^,  Chairmao', 


Krttolischt  Stadien,  m.  13 

Nao  vi  leit; 
Näo  vi  leit^ 
Vacc  fiigi  oiteir. 


2. 


1.  Doly  hah&j  doly 
Babi  querS  col^ 
Ni-nim,  babi,  ni-nim, 
Babä  piquinin. 

2.  AmbU-indö, 
Amblä-indö, 

Babä  porque  chor? 
Mama,  papä  quer^  babi, 
A  mä  butä  för. 


V.  Negerlieder. 

1. 

Capitao  forma  companhia, 
Marche  Qt>-go-l&, 
Go-go-lä,  Go-go-U, 
Marche  Go-go-Ii, 
Gogo-li,  Go-go-U. 

2. 

Sam  Paulo,  ji  batä  eine, 
Meia  noite,  ji  nacd  minino, 
Meia  noite,  ja  nacS  minino. 

3. 

AventoUa  ji  pedi  vento 
Para  nosso  casamento, 
Casamento  du  senhara, 
Du  senhara  D.  Ritta. 


14  Schuchardt 


VI.  Sprichwort. 

Vo  caläo  vai  qui  vai  par  pu9u  qui  vum  di  da  mergulh. 

vn.  Anfang  des  G-laubensbekenntnisBea. 

Creu  meu  Deu  firmamento  qui  s^u  un  sua  Deu  du  tudo 
m^  cor9äo  u.  s.  w. 

Ob  das  Hindustani  und  das  Gudscherati  das  Indoportu- 
giesische von  Diu  —  abgesehen  vom  Lexikalischen  —  irgend- 
wie beeinflusst  haben  ^  vermag  ich  noch  nicht  mit  Sicherheit 
zu  bestimmen.  Das  Verhalten  des  v,  das  vor  labialem  Vocal^ 
bald  entsteht  (vurny  vurna,  vuy  vou^  vo,  vor,  voutras,  votro  B  I, 
11.  12.  18.  20.  22.  27.  32.  38.  39.  41.  43.  62.  75.  VI,  dovou 
B  I,  49),  bald  schwindet  {6s  A  18.  19.  21.  27.  29.  30.  31.  32, 
iu  B  I,  24)  macht  durchaus  den  Eindruck,  als  ob  es  aus 
einheimischer  Spracheigenheit  stamme.  Mit  den  neuarischen 
Sprachen  Indiens  stimmt  unser  Kreolisch  in  der  Vorliebe  für 
consonantischen  Auslaut  überein  (vgl.  Beames,  Comp,  gramm. 
I,  181).  A  zufolge  fkllt  jeder  unbetonte  auslautende  Vocal  (in 
mehrsilbigen  Wörtern)  ab ;  offenbar  drückt  B  denselben  Sprach- 
zustand aus,  gleitet  nur  vielfach  in  die  portugiesische  Schrei- 
bung hinüber,  so  dass  manche  Wörter  in  doppelter  Form 
erscheinen  (corpo  corp,  mnito  muUy  para  par).  E  für  a,  o 
{aquelle,  mate)  weist  indirect  ebendahin.  Man  könnte  glauben, 
dass  in  aeiihdra  (B)  das  a  lautbar  ist;  eher  aber  beruht 
wohl  der  Unterschied  von  senhor  auf  dem  ersten  a  allein, 
das  sich  aus  regressiver  Assimilation  erklärt  (auch  cap- 
verd.  sinhdray  abgekürzt  nhd).  Selbst  nach  Muta  cum  liquida 
fehlt  der  Vocal,  so  contr  {A  18.  21),  aempr  (A  31),  oiUr  (Ä 
I,  65),  quebr  (B  I,  67);  vgl.  ellotrea  {B  I,  28)  mit  voutras 
(B  I,  27).     Beispiele   vom   Schwund  der  Nasalvocale:   homm^ 


^  Auch  nach  einem  solchen:  luvar  B  H,  A. 

-  Das  mm  deutet  nur  an,  dass  hier  keine  Nasalimng  des  Vocals  stattfindet. 


Kreolische  Stadien.  III.  15 

(4  11.  15),  viaz  {B  I,  10).  Zwei  unbetonte  Vocale  sind  ab- 
geworfen in  Cusiod  (B  I,  12),  famil  (B  I,  14.  83),  parab  {A  Tit.), 
welches  wohl  zunächst  für  paraboa  steht  (altport.  paravoa  = 
palavra).  Aber  lingu  B  I,  66.  Von  den  sonstigen  Lauterschei- 
nungen ist  keine  besonders  charakteristisch:  Uebergang  von 
Ihf  7Üi  in  i  (imbrui,  quiäo)^  Schwund  vortoniger  Vocale  (prins' 
piau,  mercey  corgäo)^  a  für  e  vor  a  {lavantd,  vgl.  curaz.  la- 
manid),  i  fUr  a  vor  n  (aminhä^,  vgl.  caringuejo  Kreolische 
Studien  11,  S.  801),  u,  o  fbr  e,  ei  nach  labialem  Consonanten 
(puUgavay  hossö),  Nasalirung  des  Vocals  nach  Nasal  {cumund, 
eumem)  u.  s.  w.  Manches  davon  ist  aus  dem  Mutterland 
herübergebracht  worden. 

Da  im  Auslaut  die  Vocale  schwinden,  so  lautet  z.  B. 
filka  und  ßlho  im  Kreolischen  gleich :  ßlh.  Ob  im  Nothfall  das 
verschiedene  Geschlecht  hier  wie  anderswo  (s.  Kreolische  Stu- 
dien I,  S.  904)  durch  Zusammensetzung  wiedergegeben  wird, 
weiss  ich  nicht;   meine  Texte  bieten  mir  kein  Beispiel   da^. 

Ausdrücklich  bezeugt  A,  dass  der  Plural  der  Substantiva 
durch  Wiederholung  gebildet  wird:  cäo  cäo  ,Hunde'.  Dasselbe 
ist  im  Macaistischen  der  Fall.  Aber  nur  wo  auf  Hervorhebung 
des  Plurals  etwas  ankommt  und  derselbe  nicht  auf  andere  Weise 
sich  kennzeichnet,  wird  dieses  Mittel  in  Anwendung  gebracht, 
so  porc  porc  A  15.  16,  aiad  criad  A  19,  mulher  mulher  A  30. 
Hingegen  doiz  filh  A  12,  bastant  criad  A  lly  sapat  na  8U  pe 
A  22,  com  mim  amig  A  29.  B  gewährt  keinen  Beleg  fllr  plu- 
ralische Verdoppelung;  wo  Bezeichnung  nothwendig  erscheint, 
dient  derselben  das  flexivische  -«,  entweder  an  dem  das  Sub- 
stantiv begleitenden  Artikel  (oder  sonstigen  attributiven  Form) 
allein  (s.  Kreolische  Studien  II,  S.  814):  as  man«  I,  36  (wenn 
nicht  etwa  hier  ci'tans  lautlich  dem  criangas  entspricht),  oder 
am  Substantiv :  no  vestids  I,  7,  oder  an  beiden :  os  opirea  I,  84. 
Ebenso  an  substantivischen  Pronominen :   duvas,  voutras  I,  26  f. 

Die  Personalpronomina  bieten  nichts  Bemerkenswerthes 
dar;  in  der  2.  P.  S.  wird  ös,  in  der  2.  P.  PL  dwutr,  in  der 
3.  P.  PL  eUauir  gebraucht.  Junto  se  (=  vastef)  ,bei  Ihnen*  B  I, 
46.  Die  port.  Possessivpronomina  dauern  fort:  ös  (vosso^  -a), 
»u  (seu,  8ua),    Wie  aber  dies  su  auf  die  weibliche  Form   9ua 


^  B  II,  1  manh  für  manha  befremdet. 


16  Schachardt. 

zurückgeht  (vgl.  Kreolische  Studien  II,  S.  813  und  oben  S.  4), 
so  scheint  auch  fQr  die  1.  P.  S.  minha  zu  Grunde  zu  liegen; 
mink  finden  wir  in  B  (neben  dem  rein  portugiesischen  miu; 
mS  Jy  74.  78,  mS  II,  ö.  VII),  aber  A  hat  dafür  mm,  so  dass 
hier  das  Possessivpronomen  sich  an  das  Personalpronomen  an- 
geglichen haben  würde,  wie  beide  in  ös  lautlich  zusammen- 
gefallen sind.  Was  duvdä  ,d\e  Einen'  (B  I,  26)  anlangt,  meint 
Ay  so  sage  man  in  Diu  nicht.  Man  bemerke  den  Gebrauch 
von  aqtid  im  Sinne  des  Artikels  A  12;  im  spanischen  Jargon 
der  Philippinen  ist  derselbe  ganz  gewöhnlich.  Der  portugie- 
sische Artikel  tritt  in  A  nii'gends  auf,  wohl  aber  in  B  und  zwar 
sehr  häufig,  auch  vor  dem  Possessivpronomen  und  sogar  in 
Fällen,  wo  er  ganz  unportugiesisch  ist,  so  I,  57.  83  (zu  letz- 
terem vgl.  du  smhara  Y,  3).  Na  gilt  in  A  für  em ;  B  scheint  dem 
männlichen  no,  nu  den  Vorzug  zu  geben  (nu  vum  =  n'um  I,  11). 

In  Bezug  auf  die  Umschreibung  der  Zeitformen  unter- 
scheidet sich  das  Kreolische  von  Diu  in  höchst  beachtens- 
werther  Weise  von  dem  von  Ceylon  und  Cochim.  Ich  folge 
zunächst  der  klaren  Darstellung  von  A. 

Dem  Präsens  dient  hier  nicht  te^  sondern  ta  (auch  cap- 
verd.  td):  eu  td  vat,  eu  td  murre  ^  eu  td  mafd.  Von  einigen 
Verben  hat  sich  die  3.  P.  S.  Ind.  Präs.  und  zwar  in  der  zeit- 
lichen Function  erhalten;  so  eu  pöd,  eu  sab,  natürlich  auch  eu 
td  für  sich.  Vor  Allem  te,  ,hat*  und  ,i8t'  (Beides  17);  die  Form 
tem  31  unterscheidet  sich  davon  wohl  nur  graphisch  (vgl.  na 
29,  jB  I  55  neben  näOy  nä),     Ist  c  31  echt  kreolisch? 

Das  Imperfectum  wird  mit  tinh  gebildet :  tinh  huscd,  tinh 
dd  16.  Neben  dem  präsentischen  ta  hätte  man  hier  tav  er- 
warten sollen,  welches  aber  nur  selbständig  vorkommt,  wie 
übrigens  auch  tinh  (,hatte'  11.  30;  ,war'  20.  24).  Andere  orga- 
nische Imperfectformen :  er  (24.  26.  32),  queri  (28),  podie  d.  i. 
pädia.   Aber  tinh  sähe. 

Im  Präteritum  verbindet  sich  jd  nicht  mit  der  aus  dem 
Infinitiv  abgeleiteten  in  den  andern  Zeiten  verwandten  Form, 
sondern  mit  dem  portugiesischen  Perfectum :  eu  jd  comeuy  eu 
jd  ßz.  Im  Texte  fehlt  das  jd  nicht  selten  (13.  14.  20.  25.  29); 
ob  unter  besondem  Bedingungen  (z.  B.  neben  der  Negation: 
na  deu)f  vermag  ich  nicht  zu  ergründen.  AcJum  32  =  jd  aehou 


Kiaolisohe  Studien.  III.  17 

24.  Als  Präteritum  von  $ab$  wird  mir  sSb  angefUhrt  (vielleicht 
ist  die  Weglassung  des  jd  hier  zufkllig).  Haben  wir  nun  hi^r 
eine  Vermischung  zwischen  dem  portugiesischen  Perfectum 
und  dem  rein  kreolischen:  eomeu  -\-  jd  comef  Oder  hat  man  in 
Diu  das  Letztere  früher  nie  (s.  unten)  gebraucht  und  ist  also 
das  jd  von  Anfang  an  pleonastisch,  nur  verstärkend  gewesen? 

Das  portugiesische  Plusquamperfectum  hat  sich  auch  hier 
erhalten:  eu  tinh  andad,  eu  tinh  aabid^  eu  tinh  podid. 

Für  das  Futurum  wird  nicht  lo  verwandt;  sondern  hcui 
(capverd.  al) :  eu  had  vai,  eu  had  sabe,  eu  had  pod^,  eu  had  vi 
(estarei).  Schon  im  Portugiesischen  hat  ha-de  grossentheils 
rein  futuralen  Sinn  angenommen.  Im  Süden  ist  diese  Form 
nur  in  Verschmelzung  mit  der  Negation  (nade)  geblieben;  s. 
KreoUsche  Studien  11,  S.  812. 

In  B  (wo  im  Folgenden  keine  römische  Ziffer  steht,  ist  I 
gemeint)  herrscht  im  Ausdruck  der  Zeiten  grosse  Verwirrung. 
Das  Präsens  mit  td  findet  sich  35.  36.  55.  82 ;  ebenso  oft  steht 
der  blosse  Infinitiv:  6.  45.  56.  62.  Statt  sabe  :  aabe  22; 
statt  pöd  :  pode  53  und  sogar  ta  pode  63.  Anderseits  particip 
17,  gast  28  =  gcutd  6,  prend  27  (apr.),  faz  51,  quebr  67.  Ja 
eu  du  24  neben  eu  vai  45,  eu  td  vai^  70.  Von  organischen 
Imperfectformen :  pidigava  9.  Das  Perfectum  erscheint  zuweilen 
in  seiner  portugiesischen  Gestalt:  veu  8.  11,  cahiuj  davdu  49; 
öfter  bloss  durch  die  Hauptform  wiedergegeben,  z.  B.  tomd  10, 
murri  12.  Seltener  mit^a:  jd  mercd  15,  jd  tem  19.  Sehr  be- 
fremdlich ist  jd  td  dc£  40.  41,  wo  wir  jd  dd  erwarteten;  ebenso 
td  foi  78.  Diaembarc  (desembarquei)  48 ;  man  beachte  neben- 
bei hier  einen  von  den  Seemannsausdrücken,  wie  sie  in  allen 
kreolischen  Mundarten,  mit  erweiterter  Bedeutung,  sich  finden. 
Futurum:  ad  vi  71;  daneben  vai,  fcue.  Eigenthümlich  ist  vi, 
,es  gibt'  59;  vgl.  vd  IV,  1.  Nicht  wenig  rein  portugiesische 
Formen,  wie  estäOy  trabalhäOy  munde,  levai,  regai,  haben  sich 
eingeschmuggelt. 

Mai8  für  nuis  (wie  altport.)  A  15.  16.  28.  29.  30. 
Die  Wortstellung  weicht  nicht  selten  von  der  in  den 
kreolischen  Mundarten  gewöhnlichen  ab;  nicht  nur,  dass  das 
Subject  dem  Verbum  nachsteht,  wie  A  12,  es  steht  auch  das 
Object  dem  Verbum  voran,  so  B  I,  10.  28.  35.  68.  72  (depois 
Maidia  vai%   ,dann  werde  ich  nach  MaUla  gehen'),    selbst  der 

Sitsanfsbfr.  d.  pkil.-hist.  Gl.    Cm.  Bd.  I.  Hfl.  2 


18  Schaeliardt.    KreolUehe  Stadien,  m. 

Infinitiv  vor  dem  ihn  regierenden  Verbum  {maeurd  pode  ruvi 
culat,  ,weh  thun  kann  eine  Ameise  dem  H.'  B  ly  53).  Im  Hindo- 
stani  ist  die  Stellung  des  Objects  (und  auch  des  abhängigen  Infi- 
nitivs) vor  dem  Verbum  die  durchaus  regelmässige,  während 
das  Subject  an  der  Spitze  des  Satzes  zu  stehen  pflegt  (J.  Platts, 
A  grammar  of  the  Hindüstäni,  S.  228),  so  dass  man  z.  B.  so 
ordnen  würde :  ^Die  Leute  grosse  Steine  in  das  Boot  zu  werfen 
begannen^ 


n.  SITZUNG  VOM  10.  JÄNNER  1888. 


Die  Leitung  des  Vereines  für  Landeskunde  von  Nieder- 
österreich übermittelt  ein  Prachtexemplar  der  von  dem  ge- 
nannten Vereine  in  Verbindung  mit  dem  Alterthums- Vereine, 
dem  heraldisch-genealogischen  Vereine  ^Adler'  und  der  numis- 
matischen Gesellschaft  herausgegebenen  Festschrift  zur  sechs- 
himdertjährigen  Gedenkfeier  der  Belehnung  des  Hauses  Habs- 
burg mit  Oesterreich. 

Das  c.  M.  Herr  Director  Dr.  Conze  in  Berlin  stellt 
schriftlich  einen  die  Nachlese  zu  der  Sammlung  der  attischen 
Ghrabrehefs  betreffenden  Antrag. 


Von  dem  c.  M.  Herrn  Professor  Dr.  Hugo  Schuchardt 
in  Graz  wird  eine  Abhandlung:  ^Ueber  die  Benguelasprache^ 
mit  dem  Ersuchen  um  ihre  Aufnahme  in  die  Sitzungsberichte 
tibersendet. 

Die  Kirchenväter-Commission  legt  zur  Aufnahme  in  die 
Sitzungsberichte  eine  Abhandlung  des  Herrn  Professor  Dr. 
We  ihr  ich  in  Wien  vor,  welche  den  Titel  führt:  ,Das  Spe- 
culum  des  heiligen  Augustinus  und  seine  handschriftliche  Ueber- 
lieferung^ 


An  Druckschriften  wurden  vorgelegt: 

Acad^mie  des  sciences,  inscriptions  et  belles-lettres  de  Toalonse:  M6- 
moires.  8«  ß^rie,  Tome  II.  —  1«^  semestre.  Toulouse,  1880;  8«.  Tome  III.  — 
l**"  semestre.  Toulouse,  1881;  8^  —  Table  alphab^tique  des  mati^res 
contenues  dans  les  dix  volumes  de  la  septi^mo  s^rie  (1869—1878).  Tou- 
louse, 1880;  80. 

2* 


20 

Acad^mie  royale  de  Copenhag^e:  Oyeraigt  over  Forh&ndlinger  og^  dets  Me- 
dlemmera  Arbejder  i  Aaret  1882.  Nr.  2.  Kj^benham;  8^^. 

Akademie  der  Wiasenschaften,  k.  bayr.  zu  München:  Sitzungsberichte  der 
philosophiflch-philologischen  und  historischen  Classe  1882.  Band  II,  Heft  IL- 
Manchen,  1882;  80. 

Biblioteca  e  Mnseo  comonale  di  Trento:  Archivio  Trentino.  Anno  I.  Fa- 
scicolo  10.  Trento,  1882;  8». 

Bonn,  Universit&t:  Akademische  SehriAen   pro   1881.  60  Stücke  4»  und  8®. 

Commission,  Wünaer  archäographische:  Buch  der  Wirthschaft  in  Grodnoi 
I.  und  II.  Theil.  Wilna,  1881  und  1882;  4«.  —  Beschreibung  der  Hand- 
schriften der  Öffentlichen  Bibliothek  zu  Wilna,  von  F.  Dobrjanskj. 
Wilna,  1882 ;  8«. 

Societas  regia  scientiaram  danica:  Reg^ta  diplomatiea  historiae  danicae. 
Series  secunda,  Tomas  prior.  II.  Ab  anno  1349  ad  annum  1419.  KjO- 
benhayn,  1882;  4«. 


Schuchardt.    üeber  die  B«ngaelMpncke^  21 


lieber  die  Benguelasprache. 


Von 


Hugo  Sohuchardt, 

corNipondiitndein  Mitglied«  d«r  kait.  Akadeaiie  dar  Wissenscliaftexi. 


Auf  Kreolisches  fahndend,  erhielt  ich  von  Herrn  Constaneio 
de  Almada  Gaerra  in  Benguela  Mittheilungen  über  die  Bengnela- 
sprache,  für  welche  i(^h  ihm  auch  an  dieser  Stelle  meinen  ver- 
bindlichsten Dank  sage.  Sie  beziehen  sich  auf  das  reine 
Benguela,  wie  es  im  Hinterland  (port.  sertdk>,  afr.  nano)  ge- 
sprochen wird,  nicht  auf  das  durch  die  Berührung  mit  dem 
Portugiesischen  und  mit  anderen  afrikanischen  Idiomen  ziemlich 
stark  modificirte,  wie  es  in  der  Stadt  Benguela  üblich  ist. 
Zwei  Individuen,  welche  jenes  vollständig  mächtig  sind,  haben 
als  Autoritäten  gedient. 

Nach  Cannecattim'  (Obs.  gramm.  sobre  a  Lingua  Bunda 
S.  XV)  ist  das  Öenguela  vom  Bundu '  so  verschieden,  dass  es 
Personen,  denen  das  letztere  Muttersprache  ist,  nur  mit  Mühe 
lernen;  seine  Herrschaft  reicht  bis  zum  Quanza,  indem  es  sich 
über  die  Quisama  erstreckt,  während  deren  östliche  Nachbarn, 
die  Libolo,  eine  Bundu-Mundart  reden.  So  viel  ich  sehen  kann, 
hält  das  Benguela  zwischen  dem  Bundu  und  dem  Hererö  etwa 
die  Mitte;  am  aUemächsten  verwandt  scheint  es  mit  dem  Bondu 
und  dem  Vanda  zu  sein,  aus  denen  Hahn  in  seiner  ,Grammatik 
des  Hererö'  eine  Reihe  von  Substantivformen  mittheilt. 

Bleek  sammelte  ein  Vocabular  und  einige  Gresänge  in  der 
Benguelasprache,  und  zwar  der  Nano-Varietät  (A  comp,  gramm. 
§.  41.   496).    Er  konnte  eine  ziemlich  lange  Reihe  von  Sub- 

1  Mein  Gewährsmann  nennt  swar  das  Idiom,  über  welches  er  mich  unter- 
richtet, ka9nlnmdo'y  es  ist  aber  zn  bedenken,  dass  dieser  Ausdruck  ur- 
■prtlnglich  eine  sehr  weite  Bedeutung  hat;  im  Angolensischen  oder  Bundu 
heisst  omu'bundu  ,der  Neger*. 


22 


Sehnoh^rdt. 


stantivformen  aufstellen ^  von  denen  er  meint;  dass  sie  im 
Wesentlichen  mit  den  Nano- Wörtern  in  Rath's  Handschrift  der 
Grey  Library  übereinstimmen.  Sein  und  mein  Material  lassen 
nur  in  wenigen  Punkten  eine  Vergleichung  zu,  wobei  einige 
Verschiedenheit  wahrnehmbar  ist. 

Bei  meiner  nur  oberflftchlichen  Kenntniss  von  den  Bantu- 
sprachen  imd  meinen  äusserst  dürftigen  Hilfsmitteln  sind  meine 
Versuche,  das  Dunkle  aufzuhellen,  mit  Nachsicht  zu  betrachten; 
gerade  auf  diesem  Gebiete  würde  die  Heranziehung  von  räumlich 
sehr  Entferntem  Öfters  besonderen  Nutzen  gewähren.  Ich  halte 
es  ftir  angezeigt,  die  portugiesische  Uebersetzung,  die  ein- 
gestandener- und  offenkimdigermassen  eine  wenig  wörtliche 
ist,  tmverändert  wiederzugeben.' 

Qeaprftohe. 


Uaripöf 

3i,     Uatunda  pif 

Co  nano. 

Co  onghira  oeasti  tchiudf 
sSif  ungana,  ocaari  tdiiuä. 

Endemdi  buapitaret 

Date,  ungana,  capitare;   nwlui 
baiucoi'B  andi, 

Umbere  uiroea  andif 
10  Si,  ungana,  opaari  yatcho  paa- 
aelena  an4ne. 

Uambatere  cnhSf 

Diambata  ^  epungo,  cuenda  ecupa, 
cuenda  onuuaa, 
15  Po  ocuiandiBsaf 

Si. 

Diangola  oculanda. 

Ulanda  ya* 

Epungo  tehinganaf 
20  Oiangolo  [-a?]  ouanga. 


Est^  bom? 

Estou  sim.     D'onde  vens? 

Venho  do  nano  (sertao). 

O  caminho  esti  bom? 

Sim,  senhor,  esti  bom. 

As  chuvas  ]&  passaram? 

Nao,  senhor,  näo  passaram;  os 

rios  ainda  väo  cheios. 
Ainda  cae  chuva? 
Sim,  senhor,  o  chäo  ainda  tem 

muita  lama. 
O  que  trazes  tu? 
Trage  milho  c  ginguba  e  mos- 

samballa  [Felderzeugnisse]. 
Isso  i  para  yender? 
Sim. 

Quero  eu  comprar. 
Entao  compra  ja. 
O  milho  custa  muito  caro? 
Eu  quero  fazenda. 


>  DtM  die  Niedenchrift  der  Bengaelatoxte  nach  portugiesiBchen  Principien 
erfolgt  ist,  mnss  Überall,  besonders  bei  einigen  Inoonsequenzen  im  Ange 
behalten  werden.  O  und  o  sind  in  der  Hds.  oft  nicht  su  unterscheiden. 

'  3n.  cu-embdta  ,traser^  Cann. 


Veber.die  BAngmlMprsehe. 


23 


Oango    onh4f    ohrin  ^   oangola, 
oeanj0nga,  onheobe  uangolaf 

Diangola  obrin. 
Uichingana  obüif 

Bitano. 

TchiHud;  n-angola, 

Tehicare,  ungana;  diende  c'olo- 

tchindere,     Tchindere  ufeta  ^ 

te/utuL 
Cuende. 

Saripö,  ungana. 
Saripö. 


Q116  fkzenda?  algodäO;  pano  da 

coata,  ten^OB)  canjinga  ou  0 

que  queres  tu? 
Quero  algodao. 
QuantoB  bitis  [ein  Längenmass]  26 

queres? 
CÜnco. 

E  caro;  nao  quero. 
Pais  deixe,  sehher;  vou  ter  com 

0  branco.  0  branco  paga  bem.  30 

Vai-te  d'aqui. 
Adeus,  senhor. 
Adeus. 


Iiiedehen. 


Umbi,  umbi  yangue 
Yerera  tuende 
Caguere  catchimbombo 
Ososserd  powi. 


Os  meuB  paasarinhoB  fugiraniy35 
pousaram  alem  no  chao^  lä 
estao  a  daii9ar. 


Eti  müisei  ungande,  eti  mitissi 

ungande: 
üendepif  Diendecotchipa  longo. 

Uringa  onhSf  Oeutenda  oloango, 
Oango    onkef     Oango    tchicola 

omuenho. 
Otchi  andi  pulare: 
OH  oeulalare  co  amen. 


Um  certo  sujeito  perguntou: 


40 


Onde  vais?  Vou  falar  ä  miiiha 

amante. 
Dizer  0  que?   Vou  conversar. 
Qual  conversa?    Dizer  tolices 

(causas  m^).  45 

Replicou  entao  0  sujeito: 
Vem  antes  estar  commigo. 


Caombo  queto  ocumola  cosema, 
Ocuende  carire  poaula; 
Ociienje  eto  ocumola  c'uacayno^ 

Ocuende  carir  angola. 


Ob  noBsoB  cabritos  veem  a  farinha, 
Desejam  ir  para  o  pö  do  piläo; 
Os  nossos  rapazes  veem  as  rapa-  50 

rigas, 
Desejam  ir  para  jimto  d'ellas. 


1  He.  oeu-nUa,  Ba.  cu-ßUa,  Congo  curßUa,  eu-fita  Cann.  ,zahlen^  Nach  Bleek 
§.  143  würde,  wie  im  Hererö,  so  auch  im  Nano  /  fehlen ;  dies  wird  jedoch 
durch  Formen,  die  er  selbst  citirt  {(hgu-fa  S.  188,  o-fda  S.  219),  widerlegt. 


24 


Bokuekard«. 


Binselne  S&tiM. 
Tvlangareeo    catchuMebare    eo     Fallemos  baixinho   (ou  em  Be- 


muno.     Da  umue  uacupulay 
56      urimhica. 

Amen  Baquerfyo,  am»ii  dapwnha. 

Dacuiangola  uiangola^  cai4  da- 

eujuäta. 

60  Datehuanda  9anda,  caU  datchv- 

mola. 

üfigande  tuocupula  uatehirumba. 


gredo)  paraqueninguemper' 
ceba.  Seatguemtepergontar, 
dize-lhe  outra  (mente-lhe). 

Ausentei-me,  e  entao  perdi. 

Tanto  quiz  que  consegui. 

Tanto  procurei  qne  aehei. 


Aquelle    individuo    (ou    certo 

individuo)  eetA  descontente. 

Folgende  Belege  für  die  einzelnen    Classen  der  Sub- 

Btantiva  stehen  mir  zu  Gebote: 

I.  0-,  Bl.  omu-,  u-  (He.  Bu.  omu-,     U.  ud-,  Bl.  ava-,  oma-  (He.  wa-, 


Bu.  oa-,  Ro.  a-): 
uä'Cayu  ,die  Frauen^ 


ud'lume  ,die  Männer^  Bl.  ova- 
lome. 


Ro.  u-,  Va.  0-): 
O'cayu   ,die   Frau'   (He.   otnu- 

caze[ndu]y  Bu.  amu<agi,  Ro. 

u-^Mt/a). 
fhlume  ,der  Mann',  Bl.  u-lome 

(He.  oiMirrvme[niu]^  Ro.  u- 

lume[n]f  Va.  o-lume), 
O'cuenje  ,der  Jüngling',  50  (das 

Deminutiv  nach  der  XIH.  Cl. 

o-ga-cuendye  BL). 

ud-quemba  ,die  Lüge'  (Lügen?); 

vgl.  uemhi  ^lügenhaft'. 

ud'Cayno  ,die  Mädchen'  50  (He. 

ova-cazona,  Bayeiye  ba-cand). 

m.  0-,  Bl.  «WIM-,  t*.  (He.  Bu.  Ro.     IV.  obi-,  Bl.  omi-,  ort-  (He.  Bu. 

omu):  ofni-f  Ro.  ovi-): 

O'tnuine  ,der  Finger'  (He.  omu-     obi-muine  ,die  Finger'. 

nt<6^  Ro.  omu-ene). 

Hier  ist   das    Singularpräfix   ganz    mit   dem    Substantiv 
verwachsen  (vgl.  Kreolische  Studien  I,  S.  29,   Anm.  1). 

obi-ti  ,die  Ellen'  25  (He.  omiti, 
Bu.  omi'xi  ,Hölzer,  Bäume*). 
Die  Portugiesen  haben  wie  es 
scheint  die  häufiger  vorkom- 


ü«b«r  die  B«iig«el»ipnck«. 


25 


V.  e-,  a-,  BL  e-,  f-  (He.  c-,  Bu. 

ori',  Ro.  €"): 
&fepe  ydie  Schulter'  (Sindonga 

e-pepS,  He.  e-vam&t,  Congo  ^ 

vemho  Bastian  H,  314). 
trcupa  ydie  Qinguba'  13. 
e-pungo  ,die  Hirse'  13.  19  (auch 

Bl.   yMais';     Sindonga  oma- 

pungu  jMais'). 
a-io  ,,der  Zahn',  Bl.  e-yo  (He. 

Ro.  e-yOf  Bu.  ori-ju), 

Vn.  fojteÄi-,  Bl.  o<yi-  (He.  Va. 

Ro.  otyi-,  Bu.  öj'tti-): 
ichi andere     ,der    Weisse'    30. 

Bl.  otyi-ntere  (Bu.  omii-ndeZ«). 

IX.  o(ri)-,  tt(^nj-  (He.  Bu.  Ro. 
Va.  o[n]-): 

om-bua  ,der  Hund'  (He.  om-hua, 

Bu.  oim-hua), 
um-bere  ,der  Regen*  9,  Bl.  om- 

6^2»   (He.  om-hura,  Bu.  on- 

tTuZa^  Ro.  am-bera). 
on-ghira  ,der  Weg'  4  =  Bl.  on- 

dyilla  (He.  on-^yira^  Bu.  on- 

on^gombe  ,der  Ochse'  (He.  Bu. 

Ro.  Va.  oti-gombe). 
un-gana  ,der  Herr'  7.  10.   33 

(Bu.  on-gana). 


mende  Pluralform  adoptirt 
(biti)^  so  wie  wir  der  Baauto, 
der  Betechuane  sagen. 

obi-pando  ,die  Ruder*. 

VI.  o-,  obd-  Bl.  (WO-,  OD-  (He. 
Bu.  oma-^  Ro.  o-,  ova-): 

o-pepe  ,die  Schultern'  (Congo  ma- 
&em&tia  Cann.,  Loango  ma- 
vembo  Bastian  H,  272). 


obd'io  ydie  Zähne',  Bl.  ovä-yo 
(Ro.  ova-yo). 


ovi-fitere  Bl. 

X.  olo(nJ-,  Bl.  ozo(n)-^  (He. 
ozofnj'y  Bu.  ojt[n]'f  Ro. 
olofn]',  Va.  ozi[n]-): 


olon-gombe  ,die  Ochsen'. 


I  Es  ist  hier,  wie  im  Herer6,  mit  z  die  gelispelte,  d.  h.  interdentale  Fri- 
cativa  gemeint,  für  welche  Bleek  6'  schreibt.  Er  sagt  §.  150:  ,The 
softer  sound  0'  which  is  also  found  in  the  Nano  language,  sounds  some- 
times  mach  like  V 


26  8cli«ebardt. 

o-8angueydB»Hviin^{Bn,o-8angi,     olo-aangue  ;die  Hühner^ 

Va.  o-santye). 
o-massa  »Mossamballa^  14  (Bu. 

o-masaa  ydie  Hirse'). 
Dahin   gehören  wohl  auch   9- 

angola,  o^rin  u.  s.  w. 
Xni.  (o)ca',  oco'f  Bl.  occt-,  oga- 

(He.  Bu.  oca-): 
ca-ombo  ^das  Zicklein'  48.   Das 

Wort  für  ,Ziege'  lautet  sonst 

consonantisch    an:    He.   on- 

gombOf  Bu.  Ro.  o^xomboy  Va. 

om-hondyo, 
oco-njo  ydsLß  Haus'  =  Bl.  oca- 

ndyu  ydas  kleine  Haus?'  (He. 

Ro.  Va.  on-dyuo,  Bu.  on-zo 

,das  Haus^). 
XVI.  Bleek  sagt  (§.  531),  das 

Vorkommen    des    Praefixes 

pa-  im   Nano  sei    unsicher. 

Vielleicht   haben   wir  einen 

Beleg  dafür  in 
opa-ssi  ,der  Boden'  10,  welches. 

doch  sicher  mit  Tette  pa-nsi, 

Indu parm  ,Erde,  Land'  iden- 
tisch ist.  Ob  hier  der  gleiche 

Stamm  vorliegt,  wie  im  gleich- 

bed.  Fem.  e-tchi  XHI,  Nika 

tsi  IX,  Pokomo  n-si,  Kamba  n- 

di,  Suaheli  n-tt,  Bu.  o-cAt,  He. 

ocu-^tu.  s.  w.,muss  ich  dahin- 
gestellt lassen. 
Es  ist  indessen  nicht  unmöglich, 

dass  im  Nano  jxi  durchaus  mit 

dem  Stamm  verwachsen  und 

das  Wort  der  IX.  Classe  zu- 
zuzählen   ist;    Kele  pSndshe 

,Erde,  Land'  gehört  zu  dieser 

(Plur.  ma-pindahe). 


lieber  die  BengnelMprache.  27 

Eine  Reihe  von  Substantivformen  weisB  ich  nicht  zu  be- 
stimmen, so  sande  ^BlutS  aturi  ^Blutegel^  Co-pianga  ^RaubS 
8.  S.  31.  Sind  endemdi  ,die  Regengüsse'  6,  molui  ^die  Flüsse*  7, 
umbi  ,die  Vöglein*  35  wirklich  Plurale?  Bleek  hat  o-rut  ,der 
Fluss*  (Ro.  Va.  o*lui)y  Plur.  ozo-rui.  Sollte  in  mo4ui  das  XVIII. 
nur  im  Hererö  nachgewiesene  Präfix  mo-  stecken?  Vgl.  übrigens 
Loango  cu-Ue  ^Fluss',  Plur.  ma-Uu  Bastian  U,  273. 

Die  Geschlechter  werden,  wo  dies  erforderlich  ist,  durch 
Beifügung  der  Wörter  für  ,Mann'  und  ,Frau*  unterschieden, 
z.  B.  om-bua  o-lume  ,der  Hund^  om-bua  o-cay  ,die  Hündin'; 
on-^ombe  o-lume  ,der  Ochs*,  on-gombe  o-cay  ,die  Kuh*. 

Adjectivische  Präfixe  kann  ich  nicht  mit  Sicherheit 
nachweisen ;  man  bemerke  [pcisselena]  e-nene  (V)  11  {onene  wird 
mit  ,Gro8ses'  übersetzt;  He.  nene,  Bu.  honene  ,gross'). 

Ein  Numeralpräfix  liegt  vor  in  [oM-ftTI  bi-tano  (IV) 
25.  27  (He.  m-tano). 

Wenigstens  einen  besondern  Comparativ  kennt  das  Ben- 
guela:  bare  ,mehr'  zu  maene  ,viel'  (Loango  btala  zu  bäne  Bas- 
tian n,  294.  304). 

Demonstrativ-,  Frage- und  unbestimmte  Pronomina 
sind:  u  ,dieser',  iü  ,der  dort^,  aiü  ,jener*,  4tch  ,dies^  (He.  otyiy 
Loango  atchij  otcko  Bastian  H,  298.  300),  erief  ,wer?'  o-nhSf 
,was?^  ungande  oder  umue  , Jemand^  muno  ^Niemand^ 

Die  absoluten  Personalpronomina  lauten: 
Sing.  1 .  amen  ^  (He.  ami^  Bu.  emme), 

2.  obe  (He.  ove,  Bu.  ei6)y 

3.  eie  I.  (He.  eye,  Bu.  muene)y 
Plur.  1.  eto  (He.  ete,  Bu.  etu), 

2.  eno  (He.  «ne,  Bu.  enu\ 

3.  obo  n.  (He.  ot?o,  Bu.  ene). 

Eine  Nebenform  von  amen,  nämlich  angue,  wird  im  Genitiv- 
verhältniss  verwendet:  tchi-angue  oder  tchi-ang  ,mein^  Für 
tchi-eie  ,sein^  finde  ich  angegeben  tch-ay. 

Die  Possessivpronomina  werden  natürlich  durch  die 
Personalpronomina  mit  Genitivpräfixen  dargestellt ;  ich  kann  nur 
wenige  Belege  geben.  Ich  weiss  nicht,  weshalb  man  das  der 
Vn.  Classe  so  bevorzugt.   Wie  Cannecattim  ,mein^  mit  quiami 

1  Das  auslautende  n  erklärt  sich  aus  der  Wirkung  des  vorausgehenden  m, 
ganz  wie  das  zweite  m  in  port.  mim. 


28  Schmchardt. 

übersetzt^  so  mein  Gewährsinaiin  mit  tehianguey  und  er  nimmt 
da  wo  das  PoBsessivurn  anders  anlautet,  eine  euphonische  Ver- 
änderung an^  80  in  c&njo  i-ohe  ,dein  Haus^;  vgl.  He.  on-dyw> 
y-a-vSy  Bu.  an-sso  i-e.  Ein  anderes  Beispiel  von  vermeintlichem 
i'  fbr  tchi-:  cambar  y-angue  (die  Uebersetzung  ist  nicht  beigefügt). 
Cc^ombo  qvreto  48,  Xm.  Classe. 

Die  pronominalen  Verbalpräfixe  subjectiver  Func- 
tion sind  diese: 

Sing.  1.  di  (He.  dyi,  Bu.  nghC)y 

2.  u  (He.  u,  Bu.  ti), 

3.  u  I.  (He.  Uy  Bu.  u)y 
Plur.  1.  tu  (He.  tuy  Bu.  in), 

2.  mu^  (He.  mu,  Bu.  nu)y 

3.  ba  n.  (He.  ve,  Bu.  a). 

Präfixe  anderer  Classen  als  der  beiden  ersten  kann  ich 
mit  Sicherheit  nicht  nachweisen.  Statt  u-iroca  9  erwartete  ich 
y^aroca  (He.  ocu-roca,  Bu.  cu-noea  ,regnenO,  da  das  vorher- 
gehende um*&6r6 der  IX.  Classe  angehört;  vgl.  [opassi^y-atcho  10. 
Die  Grundform  des  Verbums  liegt  vor  im  Imperativ, 
z.  B.  landa  oder  nachdrücklich  landa  iobe  ,kaufe'  (He.  randa)] 
hier  vermag  ich  das  i  vor  dem  Personalpronomen  nicht  zu  er- 
klären. Eine  indicativische  (oder  conjunctivische)  Form  an 
Stelle  einer  imperati vischen:  u-landa  18,  Urrimbica  55  (vgl.  He. 
ocvr-rimbica  ,den  Athem  an  sich  halten'). 

Das  Präsens   wird  gebildet    durch    die    einfache   Ver- 
bindung der  Subjectspraefixa  mit  der  Grundform: 

amen  di-landa  ,ich  kaufe', 
obe  U'landa, 
eU  u-landay 
eto  tU'landay 
eno  mu-landay 
obo  ba-landa. 
Die   vollen  Pronomina   werden  hier,   wie  überhaupt,   nur 
selten   angewandt;   ja   sogar  die   Präfixe    fehlen    öfter,    z.  B. 
tchingana  19,  welches  so  viel  heissen  muss  wie  ,du  verlangst  ^7; 
vgl.  u-tchingana  25. 

Das  Präteritum  wird  auf  dreifiiche  Weise  gebildet: 


1  Mu  für  ntt  in  Folg^  der  labialen  Wirkung  des  u. 


17«b«r  die  B«iifu«lftipnelie.  39 

1.  ein  imperfectisches  Präfix  a-  und  ein  perfectischeB 
Suffix  -rej  welche  in  anderen  BantuBprachen  eine  getrennte 
Anwendung  finden  (s.  Fr.  Müller  ^  Grundriss  I,  u,  S.  259), 
wirken  hier  gemeinsam: 

amen  d-a-landa-re  ^ich  kaufte^, 
obe  u-a-landa-re, 
eie  u-a-landa-rej 
eto  tu-a-landa^rey 

■ 

eno  mu-a-landa-re, 
oho  bu-a-landa-re. 

Man  bemerke  bu-a,  während  man  erwarten  sollte  b-a 
(He.  v-a,  Bu.  a)  =  ba  +  a:  es  hat  wohl  die  Analogie  der  1. 
und  2.  P.  Plur.  sich  geltend  gemacht.  Aber  b-a-iuca-^e  8  (vgl. 
He.  ocu-yuca  ^auswerfen  und  ausstossen' ?).  Das  Hererö  und 
Bundu  imterscheiden  sich  noch  darin  vom  Benguela,  dass  das 
a,  mit  welchem  die  Grundform  schliesst,  vor  -re  (-fe)  regel- 
mässig zu  e  oder  i  wird  (z.  B.  He.  tu-a-rande-re) ,  während 
dies  im  Benguela  nur  bei  einigen  Verben  zu  geschehen  scheint 
(s.  unten). 

Diese  Form  ist  gewissermassen  die  Hauptform ;  alle  Verba 
können  sie  bilden,  manche  bilden  nur  sie.  Am  häufigsten  ge- 
braucht wird  jedoch 

2.  diejenige,  in  welcher  das  a  der  unveränderten  Gmnd- 
form  präfigirt  ist  (im  Hererö:  imperfectes  Präsens): 

amen  d-a-possuca  ,ich  wachte  auf  ^, 

obe  u-a-possucay 

eie  Vra-possucay 

eto  tu-a-posmca, 

eno  mu-a-possuea, 

obo  buro-poBsuca, 

3.  endlich  tritt,  und  dieses  Mittel  scheint  verhältniss- 
mässig  jung  zu  sein,  neben  das  a  ein  tchiy  welches  dem  tyi 
des  Hererö  (arire  ,e8  geschah^  -|-  tyi  +  imperf.  Präs.  = 
Präteritum,  Hahn  §.  204)  und  dem  qui  des  Bundu  {qui  +  Pro- 
nominalpräf.  -\-  Grundform  =  Conj.  Fut.  2  nach  Cann. ;  Prono- 

*  Ich  glaube  das  port.  acordar,  welches  dies  Verbum  übersetzt,  in  der 
intransitiTeii,  nicht  in  der  transitiven  Bedeutnng  nehmen  su  müssen; 
das  Snffiz  -uoa  pflegt  Intransitiva  abznleiten  (s.  Hahn  §.  163). 


30  Schaohtrdt. 

minalpräf.  +  qui  -f  Grundform  =  Ind.  und  Conj.  Fut.  1  und 
2  nach  SA.;  Pronominalpräf.  +  a  -|-  qui  +  Perfectform  auf 
'le  =  Conj.  Prät.  nach  SA.)  entspricht: 

amen  d-a-tchi-sanda  ,ich  trachtete^ 
obe  Ura-tchi'Sanda, 
eie  u-a^tchi'Sanday 
eto  tu-a-tchi^sanda, 
eno  mu-'€htch%'8a7ida^ 
obo  bu-a-tchusanda. 
Das  Futurum   enthält  in  seiner  zweiten  Hälfte  den  In- 
finitiv; die  erste  areca  muss  daher  ein  Verbum  mit  einer  Be- 
deutung wie  ,wollen*,  »wünschen^,  ,gehen'  sein  (vgl.  He.  fiara, 
womit  ein  Optativ  gebildet  wird:  b-a-hara  ocu-aruca  ,ich  wünsche 
heimzugehen'  Hahn  §.  213): 

amen  d-areca  ocu-landa  ^ich  werde  kaufen'^ 
obe  u-areca  ocu-landa, 
eie  u-areca  ocu-landa, 
eto  tu-areca  ocu-landa, 
eno  mu-areca  ocu-landa, 
obo  bu-areca  ocu-landa. 
Im  Conditionalis  bemerken   wir  vor  dem  Infinitiv  das 
von  den  beiden  Partikeln  da  und  a  eingeschlossene  Pronominal- 
präfix. Da  wird  eine  hypothetische  Partikel  sein  (da  ,wenn'  54) 
vielleicht  identisch   mit   dem   verbalen  nda   des  Hererö  (,wäh- 
rend',    ,indem';   nda-cuzu,   ebenso  wie  tya-cuzu,   ,wenn'   Hahn 
§.  291);  a  kann  hier  nicht  präterital^  sondern  nur  futural  sein, 
Abkürzimg  von  ya  ,gehen': 

amen  da^nd-a  ocu-landa  ^ich  würde  kaufen', 
obe  da'-ura  ocu^landa^ 
eie  da^u-a  ocu-landa 
eto  da-tu^a  ocu-landa, 
eno  da^mu-<i  ocu-landa 
obo  da-bu-a  ocu-landa. 
Der  Infinitiv  besteht,   wie  im  HerercJ,  ßundu  u.  s.  w., 
aus  der  Grundform   mit  dem  Nominalpräfix  der  XV.  Classe: 
ocu-landa,  ocu-posenca,  ocu-nhana  ,  rauben',   ocn-tapura  ,mdem*. 
Es  zeigen  sich  bei  einzelnen  Verben  Unregelmässigkeiten. 
Statt  des  Infinitivpräfixes  ocv-  findet  sich  blos  o-,   so  in  o-cassi 
,sein'  (estar,  ser),  Präs.  di-cassi,  o-tunda  ,sich  entfemen^^  Imp. 


Ueber  die  BengnelMpnoh«.  31 

tumda.  Daher  kami  es  gescliehen,  dass  das  »cu-  von  ocu-  als 
stammhaft  betrachtet  wird  (vgl.  oben  a-mulne  =  omu-ine) :  o-cur 
pula  =  oeurpula  (He.  oOürpwra,  Bu.  cuibuhi),  Imp.  2.  PI.  cupula 
6110,  Prät.  d'€hcupulare  (vgl.  u-^-^eupida  54^  das  der  Form,  nicht 
der  Bedeutung  nach  ein  Prät.  der  2.  Bildung  ist).  Doch  scheint 
auch  pula  als  Grundform  verwandt  zu  werden.  Auch  pulissa  wird 
angegeben  in  der  Bed.  »frage^,  obwohl  mit  dem  SufiELx  -iasa 
Causativa  gebildet  werden  (so  ocu-landa  17  ^kaufen',  ocu- 
landiasa  lö  ^verkaufen') ;  umgekehrt  pulare  46  ^antwortetet 
Ouende  ,geh'  enthält  infinitivisches  cur]  vgl.  He.  oeu-enda 
(für  ocih'yenda),  Bu.  cu-enda  ^gehen^.  Im  Loango  minu  yendi 
und  minu  cuenda  ,ich  gehe^  Bastian  H,  288.  297;  tuenda  und 
yendu  ^geh^  ebenda  303.  Mit  o-  für  ocu-  ist  identisch  u  in  u-afa 
ySterben^  (nach  Bleek  im  Nano  o-gurfa  S.  188  Anm.,  wo  die 
Formen  der  verwandten  Sprachen,  meist  -fa  oder  -fua,  ver- 
zeichnet sind;  statt  Congo  cu-fua  hat  Cann.  cu-Hiff&a.\  Präs. 
dirafa,  Prät.  d-^i-fare  (für  d-ärafare).  Manche  Infinitive  finde 
ich  ohne  jedes  Präfix,  so  tambula  ,nehmen'  (He.  ocu-camhuray 
Bu.  cfj^-tambula)  y^  capa  ,setzen^,  Präs.  di-tamhulay  di-capa.  Bei 
tuara  ^bringen'  ist  es  schwer,  die  Grundform  zu  ermitteln: 
Präs.  duara,  Prät.  duarerey  Cond.  da-ndara  (wo  zu  erwarten 
gewesen  wäre:  da-nd-a  tuara),  —  Das  Präteritum  geht  zu- 
weilen statt  auf  -are  auf  -ere  oder  -ire  (dies  nach  i  und  n  in 
der  vorhergehenden  Silbe)  aus,  wie  das  regelmässig  geschieht 
im  Hererö  und  Bundu  (hier  -e/e,  -ile)]  so  das  eben  erwähnte 
duarere,  u-a-mbatere  12  (vgl.  di-a-mbata  13,  Präteritum  der 
2.  Bildungsweise)  und  d-a-tundü^e  zu  tunda.  Merkwürdige  Er- 
weiterungen der  Präteritalendung  zeigen  sich  in  d-a-tunderiare 
neben  d-a-tundire  und  in  d-a-tckicapaebare  zu  capa.  Von  der 
Gbnndform  weicht  im  Stamme  ab  d-a-^narare  zu  ocu-mola  ,sehen^ 
(He.  ocu-manay  Bu.  cu-mona).  Zu  o-caad  ,sein'  lautet  das  Prä- 
teritum: d^-earere  (He.  ocu-caray  Bu.  cu-cala,  Loango  käl^,  käre 
Bastian  H,  279,  ,8ein^,  eig.  ,sitzen^). 

Die  verbale  Negation  erscheint  in  Gestalt  von  ca  (dies 
ist  das  gewöhnliche  Wort  in  den  Bantusprachen)  neben  dem 
Perfectum :  ca-pitare  7  (vgl.  bu-a-pitare  6 ;  He.  ocu-pita  ,heraus- 
gehen^y  Bu.  ocu-bita  ^hinübergehen^) ;  neben  dem  Präsens  als  «? 
in  si-angola  28  (vgl.  saquerSpo  57 ?) ;  si,  .,co  mit  häufig  unter- 
drücktem n  verneint  im  Lpango  (Bastian  H,  275.  290).  Haben 


32  Scbuchardt.   Ueber  die  B«iign«lMpraelie. 

wir  dieses  co  (auch  im  He.  ca ,  . .  co)  in  tu-langareco  53  wieder- 
zufinden ? 

Den  äussern  Anschein  einer  verbalen  Partikel  hat  -po 
in  u-aripö  1,  aarvpö  33.  34  (übt  hier  s-  Optative  Function?), 
scLqiMre'po  57 ;  aber  in  Bezug  auf  den  Sinn  weichen  diese  drei 
Fälle  untereinander  und  die  beiden  letzten  wenigstens  vom 
fragenden  po  des.Hererö  ab. 

Was  die  Adverbien  anlangt,  so  erscheinen  sie  im  Hererö 
und  Bundu  vielfach  mit  dem  Präfix  tyi-^  [bez.  qui-;  aber  es 
ist  das  kein  speciell  adverbiales,  sondern  das  Präfix  der  VII.  CL, 
welches  viele  substantivirte  Adjectiva  (bes.  mit  neutralem  Sinne) 
tragen  und  sogar  einige  abhängige  Adjectiva,  indem  sie  sich 
von  dem  Substantiv,  zu  dem  sie  gehören,  emancipiren.  Im  Ben* 
guela  wird  in  entsprechender  Weise  tchi-  verwandt :  tchretito 
heisst  ,Kleines^  und  ,wemg^  Wenn  für  ,Kleines^  auch  etito  an- 
geführt wird,  so  ist  daa  wohl  die  Form  des  eigentlichen  Adjectivs 
(vgl.  He.  oka-titi  ,klein').  Adverbium  ist  tchi-tui  ,gut'  4.  5.  31 
(He.  ua  ,gut%  wohl  auch  tchi-tiue  28.  Von  Ortsadverbien  kann 
ich  anftkhren :  papa  ,hier^  (Bu.  boba,  Congo  bava  Cann.,  Loango 
ava  Bastian  n,  302),  vpapa  ,von  hier^,  upopo  ,von  dort'  (d'alli; 
Loango  ovo  ,dort'  Bastian  a.  a.  O.),  oco  ,dort'  (acolä),  pi?  ,wo?' 
(He.  pif  Bu.  hebif).  Von  sonstigen:  date  ,nein'  7;  andi  ,noch' 
8.  9,  vgl.  46  (Bu.  kangi).  Ist  otchi  46  =  He.  otyi  ,so'  ?  St  2. 
10.  16  (Bu.  chim\  ,ja'  ist  Lehnwort  =  port.  sim;  ebenso  ya  18. 

Präpositionen  sind :.co  ,von'  (He.  Bu.  cm),  />o  ,ftir'  (He. 
pH,  Bu.  iu),  la  ,mit'  (He.  na,  Bu.  ni,  Sotho  le). 

Wie  schon  erwähnt,  behauptet  mein  Gewährsmann,  dass 
zur  Vermeidung  von  Hiatus  und  Elakophonie  mancherlei  Ver- 
änderungen vorgenommen  würden.  Wenn  das  z.  B.  einleuchtet 
bei  danda  'carere  oder  dand'ocarere  für  danda  ocarere  und  bei 
da  'ndai'e  oder  dJendare  für  da-endare  (diesen  Worten  ist  keine 
Uebersetzung  beigegeben,  s.  ähnliche  Formen  auf  der  vorher- 
gehenden Seite),  so  vermag  ich  eine  solche  Wirkung  nicht  zu 
erkennen  in :  cotchipa  lango  für  otchipa  ango,  noch  in :  ocuUnda 
oloango  für  ocutenda  ango. 


Wei brich'.  Das  Specnlnm  des  h.  Angnstinns  n.  seine  hsndschr.  Ueberlieferung.         33 


Das  Speeulum  des  h.  Augustinus  und  seine 
handschriftliehe  üeberiieferung. 


Von 

Prof.  Dr.  F.  Weihrioh. 


L 

1.  -oLugustinus  beschäftigte  sich  in  den  letzten  Jahren 
seines  Lebens  mit  der  Abfassung  des  Speculums  und  hinterliess 
die  Schrift  in  unvollendetem  Zustande.  In  der  kritischen 
Revue,  welche  er  um  426 — 427  über  die  bis  dahin  veröffent- 
lichten Werke  schrieb,  ist  das  Speeulum  nicht  angeflihrt,  aber 
der  Bischof  Possidius  von  Calama,  der  innige  Freund  und 
Biograph  des  grossen  Mannes,  erwähnt  in  der  Vüa  nach  Be- 
sprechung jenes  Werkes  de  recensione  librorum  und  unmittelbar 
vor  dem  Berichte  über  die  kriegerischen  Ereignisse  des  Jahres 
428  die  genannte  Schrift  als  das  bemerkenswertheste  der- 
jenigen Werke,  die  in  Folge  von  des  Verfassers  vorzeitigem 
Ableben  nicht  mehr  vollendet  wurden.  Possidius  bemerkt  dabei, 
Augustinus  habe  als  ein  Mann,  der  bemüht  war^  Allen  in  jeder 
Beziehung  zu  nützen,  seine  schriftstellerische  Thätigkeit  auch 
darauf  ausgedehnt,  dass  er  zu  dem  Zwecke,  den  Leser  zu  sitt- 
licher Selbsterkenntniss  zu  flihren,  aus  dem  Alten  und  Neuen 
Testamente  Sittengesetze  auszog  und  zu  einem  Buche  vereinigte, 
eine  Vorrede  voranschickte  und  die  Bezeichnung  ^Speculum^ 
als  Titel  bestimmte.^    Es  wird  zwar  in  dieser  Bemerkung  des 


^  Possidius  de  vüa  S.  AugutUni  c.  28:  Imperfecta  eiiam  quaedam  wo- 
rum librorum  praeuentu»  morle  dereliguU,  Quique  prodeste  omnUnu 
uolenij  tt  ualentibus  multa  Ubroi-um  legere  et  non  ualentibuef  ex  utroque 
diuino  teeiamerUOf  uetere  et  nouo,  praemieea  prae/atione  praecepla 
diuina  eeu  uetita  ad  uUae  regulam  pertinentia  excerpeit  atque  ex  hie  unum 

Sitrangtber.  d.  phil-hitt.  Gl.    an.  Bd.  I.  Hft.  8 


34  Weihrich. 

Biographen  eine  Andeutung  über  die  Art  und  den  Umfang  der 
UnvoUkommenheiten  dieser  Schrift  vermisst,  so  dass  man  in 
dieser  Frage  ausschliesslich  auf  den  überlieferten  Zustand  und 
Inhalt  der  Schrift  selbst  angewiesen  ist.  Die  Arbeit  muss  aber 
zu  einem  solchen  Abschluss  gediehen  sein,  dass  sie  veröffentlicht 
und  von  Possidius  in  dem  Verzeichnisse  der  Schriften  noch 
aufgeführt  zu  werden  verdiente.  Um  die  Wende  des  fünften 
und  sechsten  Jahrhunderts  erfreute  sich  das  Werk  der  beson- 
deren Anerkennung  von  Seiten  des  gelehrten  Staatsmannes 
Cassiodorus  Senator,  der  es  als  eine  Art  Moralphilosophie 
bezeichnete  und  der  aufmerksamen  Leetüre  nachdrücklich 
empfahl.^ 

Diese  beiden  Zeugnisse  über  die  Entstehung  und  Ver- 
breitung der  Schrift  stimmen  in  der  Angabe  des  Inhalts,  den 
sie  bot,  und  in  der  Bezeichnung  des  Zweckes,  dem  sie  diente, 
vollkommen  überein;  es  ist  aber  ein  Moment  von  nicht  un- 
erheblicher Bedeutung,  wenn  Possidius  noch  die  äussere  Eigen- 
schaft hervorhebt,  dass  sie  eine  'praefatio  besessen  habe,  und 
die  Möglichkeit  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  auf  Composition 
und  Formgebung  Cassiodorus  hindeuten  will,  wenn  er  sie  einen 
liber  quasi  philosophiae  moralü  nennt. 

2.  Das  überlieferte  handschriftliche  Material  bietet  uns 
zwei  Werke,  welche  Stoff  und  Zweck  im  Allgemeinen  mitein- 
ander gemein  haben,  aber  durch  die  Auswahl  der  Bibelstellen 
und  den  Wortlaut  des  Textes,  durch  Anlage  und  Gliederung 


eodieem  fedt^  ut  qui  ueUel  Ugeret  <U^e  in  eo  uel  quam  oboedien»  Deo  tn- 
oboedienaue  eiset  agnoacerety  et  hoe  opu»  uoluit  apectklum  appeUari,  Der 
durch  quique  angedeutete  ZusAmmenhang  zwischen  beiden  Stttzen  ist 
ein  solcher,  dass  der  zweite  nur  ein  specielles  Beispiel  von  dem  anführt, 
was  im  ersten  allgemein  durch  imperfecta  quaedam  ntorum  librorum  be- 
zeichnet ist:  ,und  so  hat  er  auch  —  —  Sittengesetze  ausgezogen*.  In 
uoluit  hegt  nicht  die  Bedeutung  der  blossen  Absicht,  sondern  das  Ver- 
bum  hat  den  in  der  amtlichen  Sprache  des  römischen  Curialstiles  ge- 
läufigen Sinn  von  beatimmerif  feataetzen,  so  dass  appeUari  uoltät  so  viel 
heisst  als  tnacripait, 
^  Cassiodorus  de  inatit,  diu.  aeript,  c.  16:  Liber  eiuadem  Äuguatini  quaai 
philoaophiae  mof*a/t«,  quem  pro  vioribtia  inatUuendia  atque  eorrigendia 
ex  diuina  aueioritate  coUegit  apeculumque  nominauit,  magna  intentione 
Ugendua  eat 


Da«  Specnlum  des  h.  Angustinas  and  seine  handscHr.  üeberliefernng.  35 

sich  wesentlich  von  einander  unterscheiden.^  Beide  Schriften 
sind  eine  Sammlung  von  ausgewählten  Bibelstellen,  die  geeignet 
sind,  den  Menschen  durch  das  unvermittelte  göttliche  Wort 
zur  Selbsterkenntniss  und  Selbstbeurtheilung  zu  führen ;  die 
eine  aber,  ,Qww  ignorat'j  besteht  in  einer  einfachen  Aneinander- 
reihung der  Stellen  in  der  Folge  der  biblischen  Bücher  nach 
dem  hieronymianischen  Texte  und  besitzt  eine  Vorrede,  die 
andere,  ,Audi  lerahd^y  fasst  die  Sittengebote  unter  höheren 
Gesichtspunkten  in  Capiteln  zusammen,  die  mit  entsprechenden 
Ueberschriften  versehen  sind,  sie  folgt  dem  Texte  einer  älteren 
und  zwar  afrikanischen  Bibelübersetzung  und  entbehrt  der 
Vorrede. 

3.  Alle  Ausgaben,  sowohl  die  der  gesammten  Werke  von 
der  Baseler  ^  aus  dem  Jahre  1506  bis  zu  der  der  Benedictiner 
von  St.  Maur,  als  auch  die  römische  Sonderausgabe  von  1679,  ^ 
brachten  nur  das  Speculum  ,QaiB  ignoraif  zum  Druck,  während 
die  andere  Redaction  bis  in  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  im- 
beachtet  blieb.  Im  Jahre  1654  veröffentlichte  Hieronymus 
Vignier,  Priester  des  Oratoriums  zu  Paris,  das  Speculum  ,2lt^^i 


^  Die  Unechtheit  der  beiden  kleineren  Schriften,  die  gleichfalls  den  Titel 
Speculum  S.  Augtutini  führen,  ist  so  unzweifelhaft,  dass  dieselben  von 
aller  Discussion  ausgeschlossen  sind.  Das  eine:  fAdetto  mihi*  (Migne 
40,  967 — 984)  ist  betitelt  Speculum  oder  Manuale  oder  Libellus  catho- 
Kcae  fidei  und  enthält  selbst  Excerpte  aus  Alcuins  Schriften;  das 
zweite:  tQuoniam,  eari^aime,  in  uia  huius  saeculi  fugientit  sumus*  (Migpae 
40,  983 — 992),  in  der  Begel  Speculum  Peccatoris  betitelt,  kann  nicht 
vor  dem  zehnten  Jahrhundert  abgefasst  sein.  Dieselben  werden  hier  nur 
erwähnt,  weil  Montfaucon  (Biblioth.  bibl.  II,  728—729  und  Palaeogr. 
gr.  326)  die  Mittheilung  macht,  dass  sich  in  einem  Pariser  Codex  des 
Kicetas  Choniates  Acominatus  ein  griechisches  Fragment  fände 
EX  Tf}C  Sidrrpa^  toü  [xoxopfou  aOyouffTJvou.  Dieses  Fragment  entstammt 
nämlich  dem  erstgenannten  Speculum  ^Adeato  mihi*  und  ist  die  griech. 
Uebertragang  von  Cap.  17  und  des  Anfangs  von  Cap.  18  bei  Migne  40, 
976.  Die  Handschrift,  der  Codex  Parisinus  gr.  1234,  saec.  XIY.,  von 
loannes  Scutariotes  geschrieben,  394  Blätter  in  Folio,  enthält  Nicetae 
Choniafae  AeommaH  Panoplia  dogmatica  und  bietet  das  Fragment  auf 
Fol.  5  in  der  Mitte.  Es  dtlrfte  nicht  ohne  Interesse  sein,  dasselbe  in 
seinem  ganzen  Umfang  in  dem  Excurse  folgen  zu  lassen. 

'  D.  Attgustini  opera.   Basileae  apud  Joannem  Amerbachium.   1506. 

'  Dini  Aurelii  Augustini  episcopi  Hipponensis  Speculum.  Romae.  Ex  typo- 
graphia  Josephi  Vanaccii.  1679.  (Ed.  J.  M.  Thomasios.) 

8* 


36  Wethrich. 

Israhd^y  das  er  in  der  aus  der  Bibliothek  der  Herren  deMesmes 
stammenden  und  jetzt  in  der  Nationalbibliothek  zu  Paris  auf  be- 
wahrten Theodulfbibel  entdeckte.  <  Es  war  jedoch  ein  eigenes  Miss- 
geschickt  dass  der  Herausgeber  nur  aus  demjenigen  Manuscripte 
schöpfen  konnte,  in  welchem  der  Text  unter  Beibehaltung  der 
wesentlichen  Eigenschaft  der  Capiteleintheilung  in  den  Wortlaut 
der  Vulgata  umgesetzt  erscheint  und  dass  er  bei  der  Herstellung 
des  Druckes  mit  einem  Ungeschick  und  einer  Sorglosigkeit 
verfahr,  die  nach  heutiger  Anschauung  allen  Tadel  verdiente. 
Die  Benedictiner  zollten  der  neuen  Erscheinung  so  wenig  Aner- 
kennung, dass  sie  in  ihrer  Gesammtausgabe  von  1679 — 1700  das 
Werk  nicht  einmal  unter  die  unechten  Schriften  aufnahmen. 
In  unserem  Jahrhunderte  ward  die  Aufmerksamkeit  von  Neuem 
auf  diese  Schrift  gelenkt.  In  der  Bibliothek  des  Cistercienser- 
klosters  von  Sta  Croce  di  Gerusalemme  zu  Rom  fand  sich 
der  Codex  Sessorianus,  in  welchem  das  neue  Speculum  in  einer 
ursprünglicheren  Gestalt  erschien.  Der  Cardinal  Wiseman 
benützte  die  Handschrift  und  entnahm  ihr  1832  das  vielbe- 
sprochene Citat  für  seine  Erörterungen  über  das  Comma 
Johanneum,^  und  der  Cardinal  Angel o  Mai  gab  Aufschluss 
über  den  Umfang  und  die  Bedeutung  des  Manuscriptes  ^  und 
liess  1852  das  Speculum  daraus  vollständig  abdrucken.^  Durch 
die  neue  Form  des  Bibeltextes,  sowie  durch  eine  Reihe  sprach- 
licher Erscheinungen  erweckte  die  Publication  Mai's  das  Interesse 
der  biblischen  Exegese  und  der  historischen  Sprachwissenschaft; 
einer  kritischen  Untersuchung  aber^  deren  sie  dringend  bedarf, 
ward  sie  bisher  nicht  unterzogen. 

4.  In  der  Praefatio  des  Speculum  ,Qww  ignorat^  spricht 
sich  der  Verfasser  über  den  Zweck  seiner  Schrift  in  einer 
Weise  aus^    dass  in   diesem   Punkte   mit  Possidius'   Angaben 

^  S.  Aurelii  Augastint  HipponensiB  episcopi  operam  omnium  ante  annam 
M.  DC.  XIV.  editorum  supplementam  Hteronymas  Vignier  ex  codicibus 
mas.  eniit.  t.  I.  Parisiis,  Sim.  Pig^t,  1664.  Fol.,  p.  515—646. 

3  Wiseman,  Two  letters  on  some  parts  of  the  controveny  conceming  I. 
Joh.  6,  7 :  Catholic  Magazin,  1832  und  1833.  Essays  on  various  subjects. 
London  1853.  I,  24.  Abhandlangen  über  verschiedene  Oegenstinde.  A.  d. 
Engl.  Regensbarg,  1854.  I,  11—36. 

3  Mai,  Spicilegium  Romanum.  t.  IX.  p.  II,  1 — 88. 

«  Nova  Patrum  Bibliotheca.  Romae  1862.  vol.  I,  part.  11,  p.  1^117. 


Daa  Speenlnm  des  h.  Angnstinus  und  seine  handschr.  Ueberlieferung.  37 

vollste  UebereinBtimmang  hcrrBcht/  und  er  stellt  noch  die  Ab-» 
fasBung  eines  die  Schwierigkeiten  in  den  Q-egensätzen  einzelner 
Sittengebote  commentirenden  zweiten  Theiles  in  Aussicht, 
der  nicht  mehr  zu  Stande  kam,^  so  dass  wir  hieraus  zunächst 
verstehen,  weshalb  Possidius  die  Schrift  als  Beispiel  der  quae- 
dam  imperfecta  anführt.  Auch  der  Umstand,  dass  die  Bibel- 
citate  dieses SpeculumB  dem  hieronymianischen  Texte  folgen, 
stimmt  vollkommen  zu  der  Thatsache,  dass  Augustinus  um  die 
Zeit,  in  welche  die  Abfassung  des  Speculums  fallen  muss 
(426  -  427),  den  neuen  Text  adoptirt  hatte  und  der  Verbreitung 
desselben  Vorschub  leistete.  Qegen  das  Jahr  426  sieht  er  sich 
nämlich  zu  der  Erklärung  veranlasst,  dass  er  jetzt  der  Ueber- 
Setzung  des  Hieronymus  folge.  ^  Es  musste  ihm  die^  Annahme  der 
neuen  Vulgata  auch  leicht  fallen,  da  ihr  seine  ,Itala'  näher  stand 
als  die  älteren  afrikanischen  Texte.  Dieses  Speculum  war  femer 
von  der  Anerkennung  des  sechsten  Jahrhunderts  getragen ;  denn 
der  Abt  Eugippius  benützte  es  fUr  seine  Augustinus-Excerpte 
und  entnahm  aus  der  Vorrede  die  einleitenden  Worte:  ,Quis 
ignorat'  bis  ,apeTta  fastidiunV^  Die  Eintheilung  des  Ganzen  der 
vier  Evangelien  in  einen  activen  (Matthäus,  Marcus  und  Lucas) 
und  einen  contemplativen  (Johannes)  TheiP  entspricht  genau 

'  lligne  34,  889:  no9  autem  in  hoc  opere  nee  infidelem  uel  adducimuä  uel 
aedifieamut  ad  fidem^  nee  exercemut  quibuadam  aeUuhribu»  dij^icultati- 
bu9  ingeniuin  inienüanemque  diseeniium,  »ed  eum  qui  iam  creden»  oboedire 
Deo  uohterUf  tU  hie  se  mtpidatf  admonemut^  quantumque  in  bonU  moribut 
openbtuque  pro/eeerü  et  quantum  sibi  desüf  attendat. 

'  Ibid.  —  in  hU  autem  omnibu*  quae  inspieienda  ponere  instüui  quaeeumque 
inter  se  uidebuntur  eate  eontraiia,  pottea  propoiüU  quaettionibus  exponenda. 
aique  iduenda  sunt,     Sane  aupplieia  male  faetorum  et  praemia  rede  fa- 
etorum,  quamuie  nonnulla  emnmemoranda   exUtimauerim  ^   tarnen  in  nouo 
teetamento  dieeimüia  ueteribue  eue  quis  neeeiatf 

*  An  gast,  de  doctr.  christ.  4,  7  in  Bezug  auf  eine  Stelle  ans  Arnos  (7, 14. 
16):  Non  autem  »ecundum  septuaginta  inierpretea  —  —  — ,  »ed  sieut  ex 
hebraeo  in  latinum  doquium,  preebytero  Hieronymo  utriusque  linguae  perüo 
interpreiantef  translata  eunt, 

*  Engippins  Ezc,  c.  322:  Ex  Speeuh  Sancti  Äugwtini.  Qui»  ignorat  — 
aperta  faetidiunt, 

*  Angost.  Specul.,  Migne  34,  993:  ubi  intellegi  pUeat^  tres  euangdletaa^ 
MaUhaeum  acUieet  ei  Mareum  et  Lueam,  ideo  nobi»  plura  dedieee  praecepta 
uiuendi,  quia  eam  maanme  aeeuU  sunt  partem^  quae  aetiua  dieitur:  quia 
uerö  lohannee  eontemplatiuam  magi»  tenuit  —  -^  — »  multo  pauciora 
tarnen  in  eo  snorum  praeeepta  eompertmue. 


38  Woihirich. 

den  Erörterungen,   in   denen  Augustinus   schon   um   400   diese 
Scheidung  vornahm  und  näher  begründete.^ 

5.  Die  Benedi  ctiner  hatten  sich  also  von  einem  richtigen 
Gesichtspunkte  leiten  lassen,  indem  sie  mit  den  früheren  Heraus- 
gebern tibereinstimmend  Augustinus  für  den  Verfasser  dieser 
Schrift  hielten.  Als  sie  aber  das  Speculum  ,Audi  Israhel^  aus 
inneren  Gründen  zu  verwerfen  unternahmen,  so  war  das  ihnen 
vorliegende  Material  der  Ueberlieferung  nicht  geeignet,  ihnen 
einen  Blick  in  die  Fundstätten  derjenigen  Argumente  zu  er- 
möglichen, deren  eine  erfolgreiche  Beweisführung  bedurfte  und 
mit  denen  wir  heute  die  Zweifel  an  der  Echtheit  dieser  Schrift 
zu  begründen  vermögen.  Es  erregte  ihnen  die  Meinung  Be- 
denken, dass  nicht  alle  Capitel  ethischen  Inhaltes  seien,  was 
man  doch  nach  der  von  Possidius  gegebenen  Charakteristik 
der  Schrift  zu  erwarten  berechtigt  ist,^  eine  Erwägung,  die  von 
Tillemont  mit  grösserer  Schärfe  wiederholt  wurde. 3    Einige 


^  de  consensu  euangelistarnm  I,  6,  §.8:  Proinde  cum  duae  uirhUes  propo- 
aüae  sitU  animae  humanaef  vnia  aetiua^  altera  eonlemplaiiua:  —  — 
illa  ett  in  praeceptU  extrcendae  uitae  huiui  temporalUy  isla  in  doctrina 
uitae  illiua  aempiternae,  —  —  —  Ex  qtto  intellegi  datur^  si  diligenter 
adtiertatj  trt»  euangeliattu  temporalia  facta  damini  et  dicta  qnue  ad  in- 
formandos  mores  uitae  praesentit  maxime  uaUrent^  copioHut  perae- 
cutoa,  drca  illam  aciiuam  uirtutem  fuiaac  ueraatos:  lohannem  uero  facta 
domini  muUo  pauciora  narrantenif  dida  uero  dua^  ea  praeaertim  quae 
tnnitcUia  unitatem  et  uitae  aeternae  felicitcUem  inainuarent,  dil^entiua  et 
uberiua  conacribentem,  in  uirtute  coalempleUiua  commendanda  auam  intentio- 
nem  praedicationemque  tenuiaae, 

>  Aliud  non  ita  pridem  Hieronymi  Vignerii  cura  prodiit  apeculum  auh  Augu^ 
atini  nomine^  in  quo  aententiae  aeriplurarum  reuocantur  ad  eerta  quaedam 
capita  inatituta  uariia  de  rebua  aacram  doctrinam  apectantibuSf  adeo  ut  non 
tarn  uitae  inatituendae  conailio,  quam  erudiendi  animi  oauaa 
comparatam  eaae  uideatur,  Quodrca  iatud  minua  cum  eo  conuenit  apeado^ 
quod  et  Poandii  uerbia  et  Auguatini  prae/atione  deacribUur:  planeque 
oportet  aieutt  noatrum  hoc  genninum^  ita  Vignerianum  iüud  apurium  fiabeamua, 

3  Tillemont,  Lexuun  de,  M^moires  pour  servir  k  Thistoire  eccl^&Ustique 
des  six  Premiers  siöcles.  t.  XIIL  Venise,  Pitteri,  1732.  Art.  336,  p.  896: 
Le  Phre  Vignier  noua  a  donni  un  recueil  dea  paaaagea  de  l'Eeriiure  fait 
par  matikrea  et  aana  priface.  11  VeUtribue  auaail  ä  S,  Auguatin  et  luy 
donne  le  meame  titre  de  Miroir,  — ;  Ce  recueil  eat  aur  toutea  lea  matih^a 
de  la  religion  (eine  Uebertreibang),  auaai  bien  aur  la  foy  que  aur  le» 
mceura,    Ainai  ce  n*eat  paa  eelui  qui  eat  prcmia  dana  la  pr^face  que  noM 


Das  Specalnm  des  h.  AngustiniiB  und  seine  handschr.  Ueberliefening.  39 

Capitel  erscheinen  nämlich  in  der  That,  wenn  man  nur  aus 
den  Ueberschriften  auf  den  Inhalt  derselben  schliesst,  theils 
dogmatischen,  theils  exegetischen  Charakters.  Allein  bei  näherer 
Betrachtung  findet  man,  dass  sie  nur  solche  Belehrungen  ent- 
halten, die  der  Moral  zur  Grundlage  dienen  und  ethische  Zwecke 
verfolgen.  Die  dogmatischen  Capitel  handeln  von  der  Wesen- 
heit und  Persönlichkeit  Gottes  als  der  höchsten  Auctorität  der 
Sittengebote  und  als  der  Quelle  der  Rechtfertigung  und  Gnade 
(Cap.  1,  2,  3,  104,  134,  144),  von  der  Allgegenwart,  Allwissen- 
heit^ Allmacht  der  strafenden  und  lohnenden  Gerechtigkeit. 
(8,  9,  54,  56,  57,  131,  132);  die  exegetischen  citiren  die 
mystischen  und  allegorischen  Bezeichnungen  der  Menschen  in 
ihren  Beziehungen  zu  dem  Reiche  Gottes  an  den  Stellen,  in 
denen  sie  einzeln  und  in  der  Gemeinschaft  der  Kirche  bezüglich 
ihrer  fruchtbringenden  Werke  mit  Erscheinungen  oder  Gegen- 
ständen der  Natur  verglichen  werden,  und  in  denen  gezeigt 
wird,  wie  die  Bösen  Unheil  stiften  und  die  Guten  Nutzen 
bringen,  wie  die  Bösen  Schaden  leiden  und  untergehen,  die 
Guten  zu  Ehren  kommen  und  im  Glänze  des  Lichtes  erscheinen 
(112,  113,  114,  116,  117,  121,  124,  135,  138).  Die  moralische 
Bedeutung  dieser  Abschnitte  ist  offenbar.  Sie  erwecken  in  dem 
Leser  Furcht  und  Vertrauen  und  mahnen  ihn  an  seine  hohe 
Berufung,  so  dass  sie  unter  den  schlichten  Geboten  eine  er- 
hebende und  erbauende  Abwechslung  bieten.  Die  so  gesichtete 
und  geordnete  Auswahl  der  Bibelstellen  ist  uns  so  wenig  ein 
Beweisgrund  der  Unechtheit,  dass  sie  vielmehr  als  das  Werk 
eines    denkenden    und    wohlunterrichteten    Mannes    erscheint.^ 


avons  ä  la  teiU  du  Mirair  qui  est  dam  le  troisthnie  tome  de  S.  Auguatin. 
Or  ceUö  prifoct  a  un  tel  raport  avee  ee  que  dU  Posaide  qu*on  ne  peut 
douter  qu'eUe  ne  aoU  de  8.  Augtutin.  Airui  9%  le  Miroir  du  P,  Vignier 
en  eatoU  auaaiy  ü  faudroit  que  8.  Augustin  dans  les  deux  ann^ea  qu*il  a 
vicu  depuü  se»  Retraeiation»,  euat  fail  deux  reeueUs  differena  de  VEcri- 
ture,  qu'ü  leur  euet  donni  ä  iou»  deux  le  metme  türej  et  un  tUre  aeaez 
extraordmairet  et  que  Poaaide  en  parlant  de  tun  avee  aaaex  d'Üendue  euat 
negligi  de  parier  de  Vautre,  qui  est  et  plua  ample  et  plus  travailU.  Ceat 
ce  qui  n'a  aueune  apparenee:  et  mnai  il  ne  faut  point  heiter  ä  dire  que 
ce  Miroir  donni  par  le  P,  Vignier  n'eat  point  de  S.  Auguatin. 
1  Schon  in  der  Verwendung  der  Stelle  Oen.  1,  6—7  und  1,  26—27  für 
die  Trinitätslehre  läast  der  Verfasser  eine  tiefe  Auffassung  des  Bibel- 
teztes  und  eine  grosse  Gewandtheit  in  der  Exegese  erkennen. 


40  Weihrteh. 

Eane  systematische  Anlage  aber  durch  Zusammenfassung  der 
ausgehobenen  Stellen  unter  einheitliche  Gesichtspunkte  ist  eher 
eines  Geistes  wie  Augustinus  würdig,  und  man  ist  leicht 
versucht,  zu  glauben,  dass  ein  Werk  von  solcher  Eigenschaft 
es  gewesen  sein  müsse ,  welches  Cassiodor  eine  Art  Moral- 
philosophie nannte.*  Auffallend  ist  es  freilich,  dass  zusammen- 
gehörige und  nahe  verwandte  Capitel  weit  auseinander  liegen^ 
während  ganz  heterogene  bunt  aufeihander  folgen.  Man  vermisst 
in  der  Anordnung  noch  die  letzte  Hand,  und  der  vorliegende 
Zustand  macht  den  Eindruck,  als  ob  der  Verfasser  bei  dieser 
Thätigkeit  der  Sichtung  unterbrochen  worden  wäre.  Es  ist 
dies  eine  Eigenschaft,  durch  welche  auch  dieses  Speculum  in 
besonderer  Weise  zu  der  Angabe  des  Possidius  stimmt,  dass 
dem  fraglichen  Werke  die  Vollendung  gemangelt  habe. 

Unter  diesen  Umständen  ist  es  verzeihlich,  dass  die  ge- 
lehrten Cardinäle  Wiseman  und  Mai  strenger  Rücksicht  auf  die 
von  den  Benedictinern  geltend  gemachten  Bedenken  sich  ent- 
schlagen zu  dürfen  glaubten,  als  sie  fbr  die  Echtheit  des 
Speculum  Sessorianum  eintraten.  Beide  Eminenzen  aber  ver- 
fügten bei  ihren  mit  Scharfsinn  entwickelten  Ausführungen  in  Be- 
treff der  Urheberschaft  des  Werkes  über  kein  zwingendes  Argu- 
ment, so  dass  die  von  ihnen  vorgetragene  Meinung  auch  nicht 
zur  Reife  wissenschaftlicher  Ueberzeugung  gedeihen  konnte.^ 
Wiseman  sah  sich  vielmehr,  da  er  die  besonderen  Eigenschaften 
dieses  Werkes  nur  aus  mündlichen  Mittheilungen  kannte,  auf 
Combinationen  allgemeiner  Natur  angewiesen  und  nahm  zu  der 


1  Vgl.  Miller,  E.,  Journal  des  Savants.  Ann^e  1863,  p.  574:  Si  Von  com- 
pare  ce  Speculum  avee  celui  qui  #6  trouve  dan»  VMition  de»  BMdieUn$, 
on  voÜ  que  le  premier  ii*accorde  bien  mieux  avee  la  d^nition  que  Caeauh' 
dore  noua  en  donne,  en  appelarU  eet  ouvrage  un  reeueÜ  de  phHoeophie 
morale. 

3  Mai,  Praef.  XI,  p.  VI :  Sed  iam  hone  comparatianeni  non  proeequar^  primo 
quidetn  quia  muUia  tempori»  anguetUe  premor;   deinde  quia  uix  spero  rem 

mihi  ex  eententia  euccetturam.    Nam Verumlamerty  ui  »emel  iterum- 

que  dixiy  niUlam  ego  mordicue  opinionem  circa  Speeuli  huiu*  naturam 
de/endendam  nucepi.  Femer  p.  III:  Igitur  hoc  nottrum  Speculum  siue 
Augustinum  auetorem  habeat  Hue  a^tuirt,  »ed  certe  antiquum  neque  eexfo 
foeculo  iv/eriorem,  ad  ueterem  quidetn  bibliofum  textum  quod  atUnely  per' 
inde  est.  Wiseman,  a.  a.  O.,  S.  31:  wenn  wir  auch  annehmen,  ein  minder 
berühmter  Schri/Uleller  »ei  der  Verfa»»er, 


Du  Speculam  des  h.  Angastinas  und  8«Ine  h&ndBchr.  Ueberliefernng.  41 

äuBBersten  Annahme  Beine  Zuflucht,  dass  Augustinus  in  diesem 
Speculum  der  afrikanischen  Uebersetzung  gefolgt  sei,  während 
er  allerdings  in  den  übrigen  Schriften  den  italischen  Bibeltext 
verwendet  habe.  Angelo  Mai  konnte  bei  seiner  vielseitigen 
Thätigkeit  sich  der  zeitraubenden  Mühe  nicht  unterziehen,  die 
von  ihm  nur  berührte  Methode  der  Vergleichung  der  Citate 
durchzuführen  und  so  einen  Weg  völlig  zu  durchwandern,  auf 
welchem  die  Gewähr  für  die  richtige  Erkenntniss  in  der  vor- 
liegenden Frage  sich  gefunden  hätte.  Das  hohe  Interesse, 
welches  die  aufgefundene  Handschrift  erregt  haben  musste, 
und  die  günstige  Aussicht  auf  die  neue  Stütze,  welche  die 
Auctorität  des  grossen  Kirchenlehrers  dem  Comma  Johanneum 
(I,  Joh.  5,  7)  gewähren  konnte,  mochten  wohl  die  Zuversicht 
bewirkt  haben,  mit  welcher  Se.  Eminenz  in  der  für  die  Edi- 
tion gewählten  Titelüberschrift  die  Urheberschaft  des  heiligen 
Augustinus  wie  eine  sichere  Thatsache  zum  Ausdrucke  brachten. 

Einem  unbefangenen  Blicke  ergibt  sich  vielmehr,  dass 
die  in  Rede  stehende  Schrift  aus  dem  Grunde  nicht  von 
Augustinus  herrühren  könne,  da  ein  unausgleichbarer  Unter- 
schied besteht  zwischen  der  Bibel,  aus  welcher  die  Stellen  des 
Speculum  Sessorianum  excerpirt  sind,  und  derjenigen  Bibel,  die 
als  das  ,Itala^  bezeichnete  Exemplar  des  Augustinus  voraus- 
gesetzt werden  muss.  Dies  beweisen  zunächst  die  vielen  aUzu 
bedeutenden  und  allzu  umfangreichen  Abweichungen  des 
Textes  von  den  Anführungen  der  gleichen  Stellen  in  den 
übrigen  Schriften,  eine  Erscheinung,  auf  die  der  verdienstvolle 
Italaforscher  Herr  Leo  Ziegler  in  München  hingewiesen  hat. 
Es  genügt  eine  Vergleichung  nur  folgender  Stellen: 

2  Paralip.  15,  2,  Septuag.  (Tischendorf  1,  549): 
xüpiog    ix£0'  u{i.(i5v    ev    Tu)   elvat    byLoq    [xeV    ourou  *  xac    ediv    exl^YjTi^jOTiTe 
flwTov,  eupeSi^aeixt  ujaTv  •  xal  eav  e-ptaTaXetWTfjTe  outov,    6YxaTaXetf];6t  upiag. 

Speculum  cap.  29  (Mai  p.  43) : 
dominus  deus   uester    uobücum    est,   quamdiu  uos   estis  cum  eo. 
quodsi  dereUqueritü  eum,  derdinquet  uos.  ^ 

1  Eine  Aberratio,  die  wohl  schon  im  griechischen  Texte  vorkam  und  jeden- 
falls auch  in  der  von  Cyprian  benützten  Uebersetzung  vorlag.  Cyprian. 
ad  Fortnnat.  8  (Hartel  1,  329):  dominut  uobiacum  tat,  quamdiu  estis  uos 
cfim  ipso,  si  mUem  derdiquerilis  eum,  derdinquet  uos.  Vgl.  testim.  3,  27 
(R  1,    142).  Sabat.  1,  664.  Ziegler,    Die  lat.  Bibelübersetxungen  vor 


42  Weihrioh. 

August,  de  grat.  et  lib.  arb.  11  (Migne  44,  888): 
dofninus  uobiscum,   cum  uos  estis  cum  so,  et  si  qu€tesisrüia  eum, 
inuenietü:  si  autem  reUqueritia  eum,  dereUnquet  uoa. 

Mich,  6,  8,  Septuag.  (Tischendorf  2,  233) : 
£1  acrriY^iXr^  aci  avdpoMce  ti  xaXov^  i)  ti  xwpio^  exl^tjTet  rrapa  ccu  iXX'  fj 
lou  irotE^v  xpi(jLa  x.al  dYoscov  eXeov  xal  eTO({ACV  slvat  xou  icopeusoOou  lAexa 
xupiou  Oeou  90u; 

Speculum  c.  5  (Mai  p.  13): 
adnuntiatum  est  tibi,  hämo,    quid  sit  bonum,  aut  quid  qwwrat  a 
te  aliud  dominus  nisi  ut  fadas  aequitatem  et  diligas  miset'tUionem 
et  paratus  sis  ut  eas  cum  domino  deo  tuo.  > 

August,  de  ciuit.  dei  10,  5  (Dombart  1,  409): 
si  adnuntiatum  est  ttbi^  homo,  bonum  f  aut  quid  dominus  eocquirat 
a   te  nisi  facere  iudidum  et  diligere  misericordiam  et  paratum 
esse  ire  cum  domino  deo  tv/o.^ 

1  Timoth.  6,  7—10: 
cü^iv  vap  eioif)v^*pia{JLev  etg  töv  x6a(JLov  *  S^Xov  &ci  oüSe  ^eve*f  k£iv  ti  ^uvapieOa  * 
l'/O'ntq  ^k  licnpo^ctq  %oi  axEiCaajjLocTa  toutoi^  apx£o6v)96{AeOa.  ol  Se  ßouX6- 
|Ji£Voi  9cXcuT€Tv  €(Aniirrouoiv  ei(  lueipaapLbv  xat  'xarf.ioL  ytax  iizi^iulaiq  ttoXXo^ 
ayoif^iTOU(;  xal  ßXaßepoci;,  aitiveg  ßuOi^ou^t  loug  av6puMcou;  v,q  5Xe8pov  xai 
a7:u)Xeiav.  ^i^a,  '^ap  icavicov  lüiv  xax<i)v  eotIv  ii  ^(kapfjpioLy  ^;  xv^k^  6peY^(A6voc 
omt'KkQrdfir^oa^  on:o  xf^^  ziaxeid^  xai  eoturou^*  iceptiiceipotv  68uvx(^  icoXXat^. 

Speculum  c.  98  (Mai  p.  92): 
nihä  intulimus  in  hunc  mundum:  uerum  quia  nee  auferre  possu- 
mus.  habentes  autem  uichim  et  v^estitum  his  contenti  simus.  nam 
qui  uolunt  diuites  fieri  incidunt  in  temptationem  et  laqueum  dia- 
buli  et  desideria  multa  quae  nihil  prosunt  ^  et  nocent,  quae  demer- 
gunt  hominem  in  interitum  et  perditionem.^  radix  enim  omnium 
mcdorum  est  cupiditas.  quam  quidam  appetentes  naufragauerufd  a 
fide  et  inseruerunt  se  doloribus  multis,^ 


HieronyxnuB  und  die  Itala  des  Augustinus.  München,  1879.  S.  41.  Itala- 

fragmente.  Marburg,  1876.  S.  7. 
1  Cjprian.  testim.  3,   20   (H.  1,    137):    renuntiatum  ut   tAi,   Aomo,   quad 

bonumj   aut  quid  dominu»  exquirat  aÜud  niH  mi  fada»  mdiemm  et  tiw<t- 

tiam  et  diligat  miaericordiam  et  paratu»  eis  ut  eae  cum  domino  deo  tuo, 
)  SaUt.  2,  961. 
>  avoyi{TO'j$. 

«  cf.  Salvian.  ad  eccles.  2,  61,  59  (Paulj  264). 
^  Cyprian.  de  domin.  orat.  19  (H.  1,  281):  nihil  uUuUmue  »n  hune  mumdum: 

«enffii  nee  attferre  poeeumue»  habeiUea  1(09110  exMbUiouem  et  tegumentum 


Das  Specolnm  des  h.  Augustinus  und  seine  handschr.  üdberliefemng.  43 

August,  de  ciu.  dei  1,  10  (Dombart  1,  17): 
nihil  enim  intulimys  in  hunc  mundum,  sed  nee  auferre  aliquid 
pos9umu8,  habentes  autem  uictum  et  tegumentum  hie  contenti  aumus. 
nam  qui  udunt  dimtes  ßeri  inddunt  in  temptationem  et  laqueum 
et  desideria  multa  etvlta^  et  noxia,  quae  mergunt  komines  in 
intmitum  et  perditionem.  radix  est  enim  omnium  malorum  auaritia 
quam  qvidam  adpetentes  a  fide  pererrauerunt  et  insertierunt  se 
dohribvs  mtUtie.'^ 

2  Timoth.  3,  1—7: 

£90VTat  Y^P  ^^  dty6pu>7:ot  f iXauTOC,  9iXap*|a>po(,  aXai^ovs^,  u?C€pi^favoi,  ßXa- 
G^[tJ0i,  Yovei3atv  a?cei6eT(;,  a^iptoroi,  avoaiot,  aoropYoi,  av^ovSot,  SiißoXoi, 
oxpaTeti;,  avi^oepot,  o^iXaYaOoi,  '^po§6Tat,  icponexei^,  TeTUffa)(i.€voty 
f  iXi^Sovot  pLaXXov  ^  (piXoOsot,  Ix^vre^  (jL6p^ü)9iv  eüoeßeia;,  tvjv  de  $6va(jLiv 
oojvfiq  T^pvTQix^vot  •  xal  toutou^  awoTps-sroü  •  ex  toütwv  Y^tp  swtv  ol  evBuvovTe^ 
ei^  Tag  oixiag  xal  aixiAotXcoTiCovTeq  Y^vaixapta  ae9fa)p£U[jL£va  apLapiCatg, 
dY^lx£va  exiOüjjLtat^;  xotxiXaiq,  ^rdtVTOte  |Aav6ivovTa  xal  [JLYjSeicoTe  etg  ewt- 
YV<i>a(v  akrfi&ia^  eXOeiv  Buvi[i.eva. 

Speculum  c.  50  (Mai  p.  62): 
Hoc  autem  8 cito  quoniam  in  nouissimis  temporibue  aduenient 
tempora  periculosa.  ertmt  homines  se  ipsos  amantes,  cwpidi,  su- 
perbi,  fastidiosiy  blasfemi,  parentibus  non  oboedientes,  ingrati, 
scelesti,  inßdeles,  sine  affectione,  pactum  custodientes  detractare, 
incontinentes,  inmites,  sine  benignitate,  proditoreSy  proterui,  tu  midi, 
uoluntatum  amatores  magis  quam  dei,  habentes  formam  pietatis, 
uirtutem  autem  eius  negantes,  et  hos  deuita.  ex  Ms  sunt  qui 
penetrant  domos  et  captiuas  ducunt  mvlierculas  oneratas  peccaüs, 
quas  ducuntuT  uariis  desideriis,  semper  discentes  et  numqvxim  ad 
scientiam  ueritatis  peruenientes.  ^ 

hi§  eorUenti  mmus,  qui  autem  uolunt  diuUea  fieri  inddunt  in  temptationem 
ei  muedpuku  et  desideria  mtäia  et  nocentia  quae  mergunt  hominem  in 
perditionem  et  in  interüum,  radix  enim  omnium  malorum  eet  eupidüa» 
quam  quidam  adpeientee  nau/ragauerunt  a  fide  et  inserueruni  se  doloribu* 
muUie.  Vgl.  testim.  3,  61.  de  op.  et  eleem.  10  (H.  1,  165.  381).  Sa- 
bat.  3,  877. 

1  avoiJTOUC. 

>  cf.  August,  serm.  14,  7.  39,  2  (Migne  38,  114.  242);  ferner  epist.  130, 
6,  12.  in  psalm.  6,  12.    136,  14  (Mign^  33,  498.    36,  96.    37,  1769). 

'  Cyprian.  de  catbol.  eccles.  unitate  16  (H.  1,  224):  —  in  nouiteimie  die- 
bue  aderunt  tempora  moUsto,  erunt  hominee  eiU  placenteif  euperbi^  tumidi^ 


44  W«ikHcfa. 

August,  epißt.  199,  8,  22  (Migne  33,913): 
H(>c  autem  scitote^  quoniam  in  nouüsimü  diebus  inttcAunt  tem- 
pora  saeua,  et'unt  enim  homines  se  ipeos  amantes,  amaiores  pecu- 
niae,  '^  elati,  superbi,  blasphend,  parentibus  non  oboedientes,  ingratiy 
scelesH,  irreUffiosiy  sine  affectione,  detractorea,  incontinenteSj  in- 
mites,  sine  benignitate,  proditores,  procaces,  caecati,^  uoluptatum 
amatares  magis  quam  dei^  habentes  spedem  ptetatia^  nirttUem  autem 
eius  abnegantes.  et  hos  deuita.  ex  Jus  enim  sunt  qui  penetrant 
domos  et' captiuas  ducunt  mulierculas  — 

1  Petr.  3,  1—4: 

swceiOoudi  TW   X6yC}),   hk  tij?  xöv  y^vökxöv   ivaarpo^^  «veu  Xö'foo  xep- 
Br|0/j9a)VTa(,^  2xoxts6aavTe^  vfjy  £v  ^oßci)  a-i^v  ävaorpofriV  u|jui&v.  <!»v  loru 

xd9|jbo^,  dXX'  6  xpuircbg  t^^  xopSiot^  avOp(i>T:o(;  dv  xco  a^Oapra)  toO  icpa^o; 
xal  i^9u;^iou  icve^iAoro^,  3  iortv  evcoxeov  toO  Oeou  xoXureXI^. 

Speculum  c.  81  (Mai  p.  80): 
midieres  subditae  estote  uiris  uestris:  ex  quibus  si  qui  non  cre- 
dunt  huic  u^rbo,  per  mulierum  suarum  conuersationem  sine  uerbo 
lucrifiant,  considerantes  uestram  in  timore  castam  conuersationem, 
quarum  sit  non  extrinsecus  cnpillorum  inplicaius,  aut  auri  ctrcum- 
positio,  aut  habitus  uestimentorum  aut  omatus,  sed  ille  abseonsus 
cordis  hämo  incorruptus,  mansueti  et  modesti  Spiritus,  quod  est 
magrUficum  in  conspectu  dei. 

August,  de  bon.  coniug.  12,  14  (Migne  40,  383) : 
sinuliter  mtdieres  obaudientes   maritis   suis:  ut  et  si  qui  non  cre- 
dunt  uerbo,  per  mulierum  conusrsationem  sine  loqueUa  lucrifieri 
possint ,   uidenfes   timorem  et  castam  conuersationem  uestram:  ut 
sint  non  quae  a  foi*is   ovnantur    captUorum    incrispationibus   aut 

cupidi,  bUuphemif  parentUm»  in  diclo  non  andiente»,  ingnUi,  impii,  sine 
atffeetUy  »me  foedere,  delatorea^  ineontinente»,  inmUes,  bonum  non  a$nanle», 
proditorte,  procace»,  stupore  inflati,  uoluptaie»  magie  quam  deum  dili- 
gentea^  habente»  deformationem  religionia,  uirttUem  autem  eiua  tümegantee. 
ex  hie  euni  qui  repuni  in  domos  et  praedantur  muliereulas  oneratae  peo- 
caüe  quae  dueuntur  uariis  desideriis^  semper  discentes  ei  numquam  ad 
»eientiam  uerUalis  peruenientes. 

3  cf.  de  ciu.  d.  14,  7. 

*  T£Tu9Xü>(x^vo'..    cf.  in  Job.  ea.  tract.  123,  5  (Migne  35,  1968):  non  intelU" 
gant  neque  quae  loquunluPf  neque  de  quibue  aJjßrmasU  eieut  eaeeati. 


Das  Specnlnm  des  h.  An^stinns  und  seine  handsclir.  Ueberliefernng.  45 

circumdatae  awro  aut  ueste  decora,  sed  iUe  abscAmdüus  cardü 
tiesiri  homo  in  illa  perpetuitaie  quieti  et  modesH  spiritua,  qid  et 
apud  dominum  locuples  est  ^ 

Ein  weiterer  Beweisgrund  der  Unechtheit  der  in  Rede 
stehenden  Schrift  i^t  die  Verwendung  des  apokryphen  Briefes 
an  die  Laodicenser,  welcher  in  dem  von  Augustinus  selbst  auf- 
gestellten Canon  der  heiligen  Schrift'^  nicht  angeführt  ist. 
Endlich  spricht  noch  gegen  die  Echtheit  die  in  der  Bibel  dieses 
Speculums  vorauszusetzende  Reihenfolge  der  Schriften, 
nach  welcher  beispielsweise  die  Evangelien  in  der  Reihe  Mat- 
thäuS;  Johannes^  Lucas,  Marcus  folgen.-^  während  Augustinus 
sonst  den  grössten  Nachdruck  auf  die  Folge  Matthäus^  Marcus, 
Lucas,  Johannes  legt,  indem  er  die  drei  ersteren  in  ein  Ganzes 
fasst  und  gegen  das  Evangelium  Johannes  in  entschiedenen 
Gegensatz  briugt.  * 

6.  Sicher  ist  nun,  dass  der  grosse  Bischof  von  Hippo 
die  Idee  der  Anlegung  eines  solchen  Sammelwerkes  hervor- 
brachte und  in  der  Schrift  ,Q:uis  ignoraV  unter  dem  Titel  ySpe- 
culum',  einer  Bezeichnung,  die  er  sonst  auch  von  der  ganzen 
Bibel  gebrauchte,  zu  verwirklichen  unternahm,  dass  er  aber 
durch  den  Tod  verhindert  wurde,  dieselbe  in  dem  beabsich- 
tigten Umfange  durchzuführen.  Andererseits  steht  auch  fest, 
dass  die  unter  dem  gleichen  Namen  und  Titel  überlieferte 
systematische  Zusammenstellung  nach  der  mehrfachen  Ueberein- 
stimmung  des  benützten  Bibeltextes  mit  den  Citaten  bei  anderen, 
besonders  afrikanischen  Earchenschriftstellem  in  Afrika  ent- 
standen ist  und  nach  dem  Wortlaut  der  Bibelcitate  wie  nach 
der  Beschaffenheit  des  ältesten  Codex  ein  hohes  Alter  bean- 
sprucht, indem  sie  jedenfalls  bis  an  die  Grenze  des  5.  Jahr- 
hunderts hinanreicht.  Es  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass 
dieses  Werk  zwar  von  unbekannter  anderer  Hand  entworfen 
ist,  doch  auf  Augustinus  indirecten  Einäuss  zurückgeht. 
In  dieser  Combination  liegt  die  Rechtfertigung,  wenn  in  der 
bevorstehenden   Veranstaltung    eiüer    kritischen    Ausgabe    des 


1  cf.  Sabat.  3,  950. 

'  August,  de  doctr.  christ.  II,  8,  13. 

'  Mai,  a.  a.  O.,  p.  VII  (cap.  XIII:  Aliae  laudes  huius  Speculi^. 

*  August,  de  consensu  evang.  I,  2,  §.  3. 


46  Weihrieh. 

Speculum  das  Spec.  Sess.  in  die  Bearbeitung  einbezogen  und 
insbesondere  wegen  der  Bedeutung  der  vorliegenden  Frage 
bezüglich  seiner  handschriftlichen  Ueberlieferung  im  Folgenden 
zunächst  besprochen  werden  soll. 

II. 

Dem  durch  die  Publication  Mai^s  bekannt  gewordenen 
Codex  Sessorianus  stehen  noch  sechs  Handschriften  zur  Seite, 
die  sich  sämmtlich  in  Frankreich  befinden.  Von  diesen  sechs 
ist  nur  das  Speculum  in  der  Pariser  Bibel  des  Theodulf  mit 
dem  Vulgatatext  durch  Vignier's  Edition  ans  Licht  gezogen 
worden,  während  die  anderen  fünf  mit  dem  älteren  Texte  bis 
jetzt  noch  nicht  ausgebeutet  sind.  Ich  habe  dieselben  während 
meines  Aufenthaltes  in  Frankreich  alle  verglichen  und,  wo  es 
die  Natur  der  Sache  erforderte,  abgeschrieben,  und  es  gilt  nun, 
das  verwandtschaftliche  Verhältniss  der  sämmtlichen  Codices 
untereinander  und  den  Werth  jedes  einzelnen  für  die  kritische 
Gestaltung  des  Textes  zu  erforschen.  Dieser  Untersuchung, 
welche  auf  Grund  einer  Reihe  von  Beobachtungen  über  die 
Beschaffenheit  der  Handschriften  vorzunehmen  ist,  soll  eine 
kurze  beschreibende  Uebersicht  über  die  der  neuen  Textes- 
gestaltung zu  Grunde  liegenden  Handschriften  vorangeschickt 
werden. 

1.  Codex  Sessorianus  58  in  Sta  Croce  (S)  in  Halb- 
uncialen  des  8.  oder  9.  Jahrhunderts,  enthält  noch  Cyprians 
drei  Bücher  (Testimonia)  ad  Quirinum  und  ist  aus  früheren 
Beschreibungen  bekannt.  Ich  verdanke  der  kaiserlichen  Aka- 
demie eine  genaue  Abschrift  dieses  Codex,  welche  Herr 
August  O.  Fr.  Lorenz  vor  mehreren  Jahren  veranstaltete. 
Auf  dem  ersten  Blatte  stehen  von  einer  Hand  des  11.  Jahr- 
hunderts  zunächst   folgende   zwei  Zeilen: 

de  testimoniis  scripturarü  .  aug. 
contra  donatistas 
worunter  eine  andere  Hand  derselben  Zeit  anfügte: 

libri  de  speculo 

1  Reifferacheid,  Aug.,  Biblioth.  patrum  lat.  ital.  I,  p.  129.  Corpus  scr. 
eccles.  lat.  vol.  III,  8.  Thasci  Caecili  Cypriani  opera  ex  recensione 
G.  Hartem.    P.  HI.    Append.,  p.  XXV. 


Das  Specvlnm  des  h.  Angustinns  nnd  sein«  handsclir.  üeberUefening.  47 

Darauf  folgt  dann  von  der  zierlichen  Hand  des  11.  Jahrhimderts, 
die  auf  Fol.  6'  und  Fol.  154^  das  bei  Reifferscheid  Angege- 
bene schrieb,  folgende  Bemerkungen: 

Beati  augustini  .  de  testimoniis  scripturarü 

primas 

contra  donatistas  .  &  idola  .  hie  Über  esse  dinoscit 

ceteri  tres  .  qui  subter  adnexi  sunt  .  de  sacraiiito 
xpi  .  cum  duabus  epistolis  .  ad  quirinum .  beati 
cjrpriani  epi .  ac  martiris  esse  noscuntur. 
Auf  der   folgenden   Seite  desselben    Blattes    auf   dem   oberen 
Rande  von  einer  Hand  des  11.  Jahrhunderts: 

hie  est  liber  ****  +  **********  q 
mit  starker  Rasur  von  zwölf  bis  fUnfzehn  Buchstaben.  Darauf 
in  grosser  rother  Schrift: 

IN  NOMINE  Din  Nl  lÖÜ  XPl . 
IN(5¥  ORDO  CAPITULO 
RUM  •  DE  DIUINIS  SCRIP 
TURIS  •  "S  •  CXL  •  Ulli  •  SIT 
Die  Zahl  ist  mit  schwarzer  Tinte  nachgezogen  und  weil  das 
zweite  I  des  Rubricators  in  ein  Loch  kam,  noch  ein  I  von  der 
nachziehenden    Hand    hinzugefügt.     Es   folgt    das   Capitelver- 
zeichniss;  die  Zahlen  alle  roth: 
I  de  uno  deo 
Fol.  6*  Zeile  15  und  folgende: 

15  CXTiTTTT  quod  dns  fons  uitae  sit. 

16  Iste  est  liber  unus  beati   augusti  contra  donatistas  &  idola 

17  — ^-— 

18  de  testimoniis  scripturarum 

19  I  DE  UNO  DEO 
20 

21  IN  DEUTERO  NOMIO 

wo  Zeile  16  und  18  von  der  Hand  des  11.  Jahrhunderts  ge- 
schrieben ist,  Zeile  17  eine  verzierte  Trennungslinie  von  der 
ersten  Hand  bildet  und  Zeile  19  und  21  in  grosser  rother 
Schrift  der  ersten  Hand  die  Ueberschriften  enthält,  während 
Zeile  20  blank  gelassen  ist. 

Fol.  154^  Zeile  6: 
6  uidebimus  lume. 


^^^h^»^  ^'^^^^^^^ 


48  Wtihrieh. 

8  EXPLICIT  TESTIMONIORUM 

Liber  beati  augusti  cont  donatistas  *  &  ydola 

9 

It«  Liber  beati  cypriani  epi  ac  martyris  '  de  sacramtis  xpi  * 

10  INCIPIT  AD  QUIRINUM 

Das  zwischen  die  Zeilen  8  und  9,  9  und  10  Geschriebene  von 
der  jüngeren  Hand  des  11.  Jahrhunderts. '  Zwei  gleichzeitige 
Hände  haben  das  Werk  geschrieben:  die  eine,  mit  ganz 
schwarzer  Tinte  und  ziemlich  plumpen  Buchstaben,  geht  von 
Fol.  V  bis  34^  incl.  und  macht  von  1^  bis  16^  inclusive  nur 
26  Zeilen  auf  jeder  Seite,  sodann  von  llS*"  bis  128^  inclusive 
mit  wieder  je  26  Zeilen;  die  andere,  mit  braunerer  Tinte, 
schlankeren  und  zierlicheren  Buchstaben,  geht  von  34^  bis 
112^ ,  sodann  von  129'^  bis  zum  Ende  und  macht  stets  29  Zeilen 
auf  jeder  Seite. 

Ich  darf  mir  schon  an  dieser  Stelle  erlauben,  eine  An- 
zahl Fehler  zu  berichtigen,  welche  der  Edition  des  Cardinais 
Mai  unterlaufen  sind  und  die  richtige  Beurtheilung  der  Hand- 
schrift beeinträchtigen  können.  Es  musste  heissen: 
Mai  p.  3,  16  aput,  3,  20  müericordiae  tuae  qui  fcuds  omnia, 
8,  5  Item  de  spu  sco  quod,  13,  17  et  suscipiet  te  sicut, 
17,37  quia  amo  te,  18,33  h^sdr^  X  20,24  red\de8  ei  est 
enim  et  hoc  solum       20,  33  entitrieretur       22^  17  maledices 

23,  3  duplici  corr.  m.  1.      24  Anm.  b)  peccauis      24  Anm.  g) 

Bfefanum       25,  19  habit  m.  1.        2b,  33  timorem  mortis:  seito 

quoniam  26,  27  refrigerat  27  Anm.  k)  possione  corr.  m.  2. 
29,  3  erit  et  cor     30,  7  memores  estote  horum     31,  18  corda  ueatra 

et  non      31,  23  erant  in  memonam      32,  30  et  non  derelijiquaa 

b 

37,  26  ex8ecrahiliu8  corr.  m.  1.  39,  14  seminatur  interitum 
41,4  inteUectos  41,  14  redarguitto  \  ne  42,  26  in  concUio  et 
in  synagogis  44,  19  adueraus  frcUrem  fuum  47  32  intdlegen» 
52  5  nohi  esse  52  lo  non  mentium  (in  der  Ueberschrift  zu 
Cap.  43)  54,  23  astaroth  56,  18  FÜioli  60,  30  canUn- 
tione  (in  der  Ueberschrift  zu  Cap.  49)  61  29  Dens 
(df)  autem  pacis  conterat  (so  haben  übereinstimmend  mit  8 
auch   alle   französischen   Handschriften,   so   die  Vulgata,   und 


'  Vgl.  Reifferscheid,  a.  a.  O.,  bei  dem  jdola  wohl  nur  ein  Dmckfehler  ist. 


Dm  Specttlnm  des  h.  Aaguatinni  and  seine  liandachr.  ÜeberHeferang.  49 

auch  im  Griechischen  heisst  es  6  8e  Oeb?  Tij?  e'-pijvY)?,  Rom.  16,  20) 

64,  Zeile  3  von  unten  et  tar\du8  loqui  (Jac.  1,  19),  also  richtig; 

65,  4  (s.  Anm.  b)  navss  quiaetam  inmenaae  sunt  65  Anm.  c) 
notum  m.  1  (der  Buchstabe  n  ist  radirt)  66,  6  ad  corinthioa  ^  non 
auari  66,  19  (Anm.  d)  palphe  \  bis  66,  27  adsiduus  67,  12 
grandines  niuea  (in  der  Ueberschrift  zu  Cap.  54)  69  Anm.  b) 
mdens  sdtOy  also  richtig;  71,  Zeile  2  von  unten  luuenis  qui 
cum  SCO  est  directa  est  uia  eins  12 y  11  caput  tuum  74,  18 
in\\quiet(  et  in  uigiins  74,  11  stupebant  80,  Anm.  f)  subrios 
81,  21  gctzoßlacio  s.  Anm.  m)  Öl,  31  und  Anm.  o)  saxa  genta, \ 
qu^  81,  ^2  pedes  88,  6  diaholi  90,  31  und  Anm.  h)  haec^di- 
centes  corr.  m.  1  94,  10  quod  autein  uiuit  uiuit\dö  (so  ganz 
richtig)  96,  18  sperare  in  düo  97,  26  ad  timoiheum  quae 
98,  30  in  (sata  pf,  Vinea\\  136^  enim  dni  sabotk.  domus  est  istra- 
hd  et  Äomoj.  Das  ganze  Stück  von  Nunc  autein  bis  in  concvl- 
cationem  Item  illic  hat  Mai  willkürlich  hier  eingesetzt;  er  hat 
es,  ohne  ein  Wort  darüber  anzumerken,  von  Fol.  137^  aus 
einer  in  Verwirrung  gerathenen  Stelle  hergenommen,  weil  er 
dort  den  Zusammenhang  nicht  verstanden  hatte. 

99,  29  Schluss  der  Ueberschrift  und  Anfang  des  Cap.  113 
sint  uocati  Item  in  qsaia  j>f;  Nunc  |  autem  nuntiaho  uohis  quid 
faciam  vineae  |  mecte  auferä  macheriam  eius  et  erit  \  in  direptione 
et  distruam  parietem  eius  et  \  erit  **  conculcatione;  ItS  iUic  et  in 
nuhtbus  \  mandabo  ne  pluant  svp  eam  pluuiä  Item  \  in  deutero 
nomio;  expectetv/r  sicut  pluuia\  u.  s.  f.  sup  faenum;  Item  in 
fscda  pf;  ddec  \  ietur. 

103,  34  quando  uenicU  105,  31  in  \  cadum  uident  fadem 
105,  39  angdus  eius  est  et  \  legem  mandatorum  sententiis 
euacuauit  ut\duos  conderet  in  semetipso  in  uno  nouo  ho- 
mtne:\  Item  in  apocalipsi.  Das  Wort  et  und  die  beiden  fol- 
genden Zeilen  (Zeile  15  und  16  von  Fol.  144^)  gehören  aller- 
dings nicht  hierher;  sie  sind  von  Fol.  145,  wo  dieselben  Worte 
in  Zeile  21  beginnen  und  in  Zeile  23  schliessen  (Mai  S.  106, 
Zeile  17;  Eph.  2,  15)  irrthümlich  hieher  gerathen;  allein  es 
hätte  dies  angemerkt  werden  müssen.  107,  17  In  psalmo  XVl 
107,  20  In  psalmo  CXXX^  108,  12  singnaculum  108,  13 
paradysi  110,  29  in  psalmo  tu  posuisti  (om:  CVI)  110, 
Anm.  h)  padule  112,  13  aeream  suam  113,  3  advlterium  facit\ 
Iti  illic  et  qui  dimissam        113,  16  sendenti  Uli       113,  33  tra- 

Sitiwigtber.  d.  phil.-hiit.  Gl.    Cm.  Bd.  1.  Hft  4 


50  •  Weihlich. 

dederet  eum  m.  1       114  lO  nominS  (Ueberschrift  zu  Cap.  142) 

114  12   colosenses        114;   Zeile    2    von    unten   memores    esses 

115  6  qifi  ue  h^c  duo  m.  1       115  12  erit  fonuB. 

2.  Codex  Michaelinus  (M)  aus  der  Benedictinerabtei 
von  Moni  St.  Michel  au  peril  de  la  mer,  seit  1793  in  der  Stadt- 
bibliothek zu  Avranches  unter  Nr.  87,^  eine  Handschrift  des 
9.  Jahrhunderts  von  132  Pergamentblättern  in  der  Grösse  von 
255  auf  170—175™  mit  23  Zeilen  auf  jeder  Seite. 

Fol.  1: 

IN  NOMINE  DiTl  NKI 
iffV  XFl  IN  HOC 
CORPORE  CONTINETUR 
SPECULUM  STPI  AGVS 
TINI  :  TAM  DE  UETUS 
QUAM  DE  NOUO  TESTA 
MENTUM 

I       de  uno  do 
n       de  distinetione  pfonaru  .  patrif .  &  filii  &  fpf  fei 

Auf  dem  oberen  Rande  von  modemer  Hand:  Ex  Mona- 
sterio  ä'*  Michaelis  in  periculo  maria;  auf  dem  unteren  Rande 
ist  ein  kleiner  Zettel  aufgeklebt  mit  der  Aufschrift:  Specuiü 
S'*'  August,  super  uet'  et  nouü  testam.  Auf  dem  äusseren  Rande : 
w.  64,  und  ein  Zettel  mit:  A  8. 

Fol.  4: 
CXLIin  quod  dnf  fonf  uitae  eft. 

CXLV  (mit  dieser  Ziffer  ist  der  Schreiber  über  sein  Ziel  hin- 
ausgerathen). 

EXPLICIUNT  CAPITULA 
Fol.  4': 

INCIPIT  TEXTUM 
Audi  Isrl.  dns  ds  tuus 
Fol.  132':  in  lumine  ,  tuo  uidebimuf  lumen. 

EXPLICIT  IN  NOMINE 
XPI  IHÜ  D^I  NUI 
AMEN. 

*  Catalogue   g^ndral  des   mss.   des  biblioth^ques  publ.  des  d^partements. 
Paris,  1849.  I,  467. 


Dm  Specnlum  des  h.  AngastinuB  und  selDS  haadschr.  Uebcrliefernng.  51 

Auf  dem  oberen  Rande  von  Fol.  40'  Bclirieb  eine  Hand 
deB  11.  Jahrhanderts :  IM  fd  michaelif  qui  fwraiuf  fuerü  mit 
der  Fortsetzung  auf  der  gegenüberstehenden  Seite  Fol.  41  ana- 
th&ma  fit. 

Eine  ebenso  späte  Hand  Aigte  Fol.  132'  unten  die  Be- 
merkung bei :  Audite  &  inteUigite  tradicdonef  qua/  dfif  dedU  nobif 
Die  fUnf  ersten  Quatemionen  sind  je  auf  der  letzten  Seite  unten 
bezeichnet  Q  /  Fol.  8'  bis  Q  V  Fol.  40',  jedoch  nicht  von 
erster  Hand. 

Vorne  sind  drei  Papierblätter  vorgesetzt;  auf  deren  erstem 
von  modemer  Hand  die  Aufschrift:  Ex  numaßerio  S*^  Michaelis 
in  perieido  maria  und  darunter  die  Bemerkung:  Speculum  Tom, 
Primi  Supplementi  \  cUtamen  in  mtdtiß  differt  ma.,^  auf  dem  dritten : 

173 

Hie  habetur 

Speculum  S.  Auguetini  tarn  t/Meris 

quam  novi  teatamsnti  diuersum 

in  aliquibue  ah  ediiis. 

Die  alte  Katalognummer  173  steht  auch  noch  auf  der  Innen- 
seite des  vorderen  Deckels. 

Da  die  Handschrift  nicht  versendet  wird,  so  habe  ich 
dieselbe  in  Avranches  collationirt,  und  ich  gedenke  mit  Dank- 
barkeit der  Liberalität;  mit  welcher  der  Conservateur  Herr  Du- 
prateau  mir  die  Benützung  an  Tagen  und  Stunden  gestattete, 
an  welchen  die  Stadtbibliothek  fllr  das  Publicum  geschlossen  ist. 

Der  Codex  ist  schön  geschrieben  und  gut  erhalten.  Die 
richtige  Orthographie  ist  in  Fällen  wie  (Melum  maeatitia  eicio 
abicio  inteäego  milia  cotidie  durchgeftihrt,  während  ein  Schwanken 
zu  bemerken  ist  in  paciens  patientia  ittditium  neben  iudicium 
mendatium,  aduleacens  neben  adolescens.  In  dem  Wechsel  von 
ae  und  e  herrscht  entschiedene  Vorliebe  flir  das  erstere,  so 
dass  der  Diphthong  meist  richtig  geschrieben  ist  und  selbst 
das  Gebiet  des  e  im  Auslaut  überwuchert;  selten  sind  Fälle 
wie:  egrotans  plage  uite,  dagegen  häufiger  solche  wie  die 
Schreibung  der  Adverbia  maximae  iniquae  nimiae  iniuatae  do- 
losae,  des  Vocativs  timothee  und  des  neutralen  Adjectivs  grauae. 
Verhältnissmässig  selten  ist  die  Unterdrückung  der  Aspiration 


^  Es  ist  hiennit  Vig^er*«  Ausgabe  gemeint. 

4* 


52  Weihrieh. 

wie  in  adaeaü  exortare  und  in  der  Regel  treu  bewaMrt  die 
überlieferte  Setzung  derselben  wie  in  danihd,  tniacAel.  Im  Aus- 
laut findet  sich  oft  unorganisches  m,  besonders  vor  folgendem 
m  wie  omnem  malunty  und  vereinzelt  die  dentale  Media  in  tuiud, 
quotquod  reliquid.  In  der  Vertauschung  einzelner  Buchstaben 
verdient  der  besondere  Fall  hervorgehoben  zu  werden,  wo  t 
und  t  verwechselt  sind,  so  uicancer  (ut  cancer)^  v/t  deberef  (ut- 
deb&i^)y  delictia  (delicna),  ut  a  (uia),  aportamur  (aporiamur). 
Einzelne  Verschreibiingen  kommen  noch  vor  wie  urü  (uirum) 
emi  (mihi). 

Interessant  ist  die  enge  Verbindung  zusanmiengehöriger 
Satztheile :  inmperbia  amalis  deore  nedefidas  offiiü  ßratrimeo 
eduxite  seocädit  memoresto  benefiicito  itaut  quantoTnagis,  sowie 
die  grösseren  Abstände  zwischen  solchen  Verbindungen  an 
Stelle  der  Interpunction,  z.  B.  Cap.  CX  qui  indeliciis  est  apuero 
aeruvserit       Nouissime  aut  \  dolebit  supse  (Prov.  29,  21). 

3.  Codex  Lemovicensis  (L) ,  eine  Handschrift  des 
11.  oder  12.  Jahrhunderts  aus  Saint-Martial  de  Limoges,  von 
wo  sie  nebst  den  tibrigen  Manuscripten  von  .St.  Martial  ^  im 
Jahre  1730  durch  Kauf  in  die  königliche  Bibliothek  zu  Paris 
gelangte.  In  dem  ftlr  die  Gelegenheit  dieses  Ankaufes  an- 
gefertigten  Kataloge*'^  ist  sie  unter  Nr.  127  angefUhrt;  gegen- 
wärtig trägt  sie  in  der  Pariser  Nationalbibliothek  die  Signatur 
2977  A.  Es  sind  143  Pergamentblätter  von  180  auf  120»"- 
Auf  dem  ersten  dreier  unnummerirten  Umschlagblätter  von  mo- 
demer Hand  Sti  Augustini  Specvlum,  das  folgende  ist  leer,  auf 
dem  dritten  uerso  steht  127  du  Cataiogue  imprimiy  itnter  dieser 
Notiz  ein  aufgeklebter  Papierzettel  mit  der  Angabe: 

Cod.  X  et  XU  saeculi 

Fragmentum  varianmi  sententiarum  et  exemplorum 

ex  Historia  Ecclesiastica.  Vide 

Fol.  5.  8.  et  9.   Hoc  fragmentum 

videtur  esse  scriptum  X.  saeculo. 


>  Delisle,  L^op.,  Le  Cabinet  des  manuscrito  (Hintoire  g^n^rale  de  PaziB). 

Paris  1868.   I,  387. 
'  Bibliotheca  insi^nis  et  renalis  ecclesiae  Sanctissiini  Martialis  LemovicenBu. 

Parisiis,  apad  fratres  Barbou,  1730,  p.  18:  127  Saneli  Avguatini  Speculum, 

in  octavOf  arm,  600, 


Da8  Specnlam  de«  h.  Angnitiniu  und  stine  handtcbr.  ütberliefarnng.  53 

Speculom  quod  dr  Sti  AuguBtim 
ex  varÜB  locis  Sacrae  Scripturae 
^  Xn  Baeciüi.     Fol.  68  Lamenta 

^  tiones  Jeremiae  referuntur  aliter 

©  ac  in  Vulgata. 

^      Ex  aliquot  lineis  pene  erasis  Fol. 
143  liquet  hoc  yolumen  datum 
fuiBBe   cuidam   monasterio  a 
Regnolfo  sacerdote  et  monacho. 
fol.  uerso  medicina  contra  dolorem  capitis. 
Fol.  1  und  2  sind  noch  Schutzblätter^  in  welche  der  Codex 
ursprünglich  gebunden  war,    und  bieten  umgedreht  ein  Frag- 
ment von  Lucanus;  ^   auf  dieselben  folgen  noch  Reste   von 
zwei  ausgeschnittenen  Blättern  desselben  Lucanus-Codex.    Auf 
der  Mitte  von  Fol.  1  recto  ein  kleiner  Papierzettel   aufgeklebt 
mit  der  Inhaltsangabe  der  beiden  Bestandtheile  der  Handschrift: 

Elenchus  Rerum  \  Specidum  SancH  Äugastini, 
Der  erste  Theil  erstreckt  sich  nur  über  Fol.  3  bis  10  und  ist 
von  einer  Hand  des  10.  Jahrhunderts  geschrieben.^  Den  Haupt- 
theil  bildet  das  Speculum,  das  die  Fol.  11  bis  143  umfasst. 
Fol.  11: 

gro..  roth:  INCIPIUNT  CAPITVLA  LIBRI  • 
.chwarz:  SPECVCV  ^I  AGVSTINI  YPPO 
roth:  NEREGENSIS  EPISCOPI 
I      de  uno  do 
In  dem  folgenden  Capitelverzeichniss  die  Zahlen  roth. 

Mit  diesem  Blatt  beginnt  die  Quatemionenzählung.  Fol.  11 
bis  18  macht  Quat.  1, 19  bis  26  Quat.  H,  und  so  fort  bis  Quat.  XVI, 
der  mit  Fol.  138  abgeschloBsen  ist,  worauf  noch  5  Blätter  folgen. 


»  Lncan.  VI,  661—743. 

2  Fol.  3  Atictor  igitur  dh  iudex  omnium  deiu  \  liedb  ab  iUa  paradyti  feli- 
cita  I U  gentu  nostrum  iu»le  repulerit ,  «u«  |  tarnen  bonitatia  memor  .  .  . 
11  fol.  5'  De  mulierib;  Sc«  german'  ad  ge  |  nouepha  int  alia.  8i  inquid  tcti 
Attt*  I  %ut  eoßiguue  deeor  ttui  iuperauerit  ßU^  |  .  .  .  deinde  ü  db  illut  eon  ]  stat 
quia  nihil  nllra  permUtsre  po5$,  ntn  quanJtu  «e«  be  \  nedietui  ad  eu9tendand<i 
natureneeesnta^ permint  ||  fol.  6  Memoriale.  Prima  damnacio  e  ut  Auguatin^ 
dig'orrenda  profundittu  ignorande  .  .  .  fol.  10'  .  .  .  (6  U*  diapexietia  omne 
«ttfttt  meu  I  db  uoeaui  <ft  renuiaHa,  Ego  quoq;  in  inU\ritu  uro  rtcte^.  eü 
inruerit  repeniina  \  ealamitaa  gtiando  ueneril  euper  uoe  tri\bulaeio  et  ari" 
ptatiO'   tune  uffcßbunt  me  et  f^  exaudiS, 


54  We  ihr  ich. 

Das  Capitelverzeichniss  schliesst  Fol.  14',  wo  sich  der 
Text  sofort  anschliesst.    CXLIIII  quod  dna  fons  uitae  e. 

roth:      EXPLICIUNT  CAPITULA 
roth:       INCf?  TEXTV"  INDEüTR  . 
Audi  israhel  .  dns  ds  tuus 

Fol.  143  .  .  .  uidebimus  lumen. 

EXPLICIT  LIBER  SPECULUM 

t 
RegnolfuB  lic&  exiguus  sei*  in  xpi  no  •!<•!<•!<  4*  sacer 
dos  &  monachus  .  sacro  huic  loco  >i<4**i<*i'*i'4*4*4<4*4*4*'iini 
monasterio  deuotus  istum  *  <¥  didit  librum  quem 
si  quis  hinc  abstulerit  uel  *<¥*'¥ uerit  anathema  sit 
Si^d  •i<4*4<4*«4<*i<4<lector  4«4*4*otiens  poteris  lectione  huius 
lib  4«  4*  *  *  *  ando  prae  4.**4.**4.***  regnolfi. 

• 

Die  Handschrift  ist  sorgfältig  geschrieben,  nur  an  wenigen 
Stellen  sind  Verbesserungen,  manchmal  zum  Schlimmen,  von 
einer  zweiten  Hand  vorgenommen.  Was  die  Orthographie  be- 
trifft, so  bietet  sie  regelmässig  die  richtigen  Schreibimgen  cadum 
paenitentia  oboedire  neglegere  intellegere.  Dagegen  findet  sich 
auch  die  herkömmliche  Confusion  im  Gebrauche  der  Vocale  e 
und  i,  0  und  u,  der  Consonanten  b  und  u,  in  der  Setzung  und 
Auslassung  der  Aspiration  im  Anlaut. 

Der  Punkt  auf  der  Linie  dient  zur  kleineren,  der  Punkt 
über  der  Linie  zur  grösseren  Interpunktion;  das  Fragezeichen 
ist  selten  angewendet.  Häufig  findet  sich  die  Verschlingung 
des  r  mit  t  und  das  Zeichen  ^  für  est 

Es  war  der  gelehrte  Jean  Le  Beuf/  der  mit  eigener 
Hand  die  oben  mitgetheilte  Notiz  auf  den  Zettel  schrieb  und 
auf  die  Bedeutung  des  in  dieser  Handschrift  gebotenen  Bibel- 
textes hinwies,  indem  er  auf  die  Differenzen  mit  der  Vulgata 
aufmerksam  machte.  Einer  öffentlichen  Erwähnung  dieses  Codex 
begegnen  wir  erst  um  die  Mitte  unseres  Jahrhunderts,  da 
E.  Miller^  gelegentlich  der  Anzeige  von  Mai's  Ausgabe  seine 


1  lieber  ihn  vgl.  M^moires  de  TAead«  des  iuBcr.,  t  29.,  und  Delisle,  Le 
Cabinet  des  manuscrits  I,  397. 

^  Jonmal  des  Savants.   Ann^e  1B63.    Paris,  p.  574 — 576. 


Dm  Specnlam  des  h.  Augustintis  und  aeine  bandschr.  Ueberliefernng.  55 

Verwandtachaft  mit  dem  Sessorianus  nachwies  und  seine  Wichtig- 
keit für  die  Constituirung  des  Textes  betonte.' 

4.  Codex  Parisinus  15082  aus  der  Abtei  von  St.  Victor 
(V),  eine  Sammelhandschrift  von  204  Pergamentblättem  in  Quart 
von  240  auf  150"»"»  aus  dem  12.  Jahrhundert.^ 

Auf  der  Innenseite  des  vorderen  Deckels  die  durch  ein 
aufgeklebtes  kleines  Pergamentsttick  ^  zum  Theil  verdeckte 
Aufschrift : 


LM 


AVGVS 
TINI 

Fol.  1:  Iste  Hb*  e  sei  Victoris  Par  q*cq:  eu  furat*  fuerit  1  celauerit 
1  titulü  istü  deleu*it  anathema  sit.     CC  13.     S.  Victor  906. 
Fol.  1':  Tabulam  hie  contentorum  reperies  Folio  204. 
Fol.  2:  Aristotehs  Über  de  secretis  secretorum  etc.^ 

Das  Speculum  beginnt  auf  Fol.  152  ohne  Titelüber- 
schrift mit  dem  Verzeichniss  der  Capitel,  das  gleichfalls  keine 
Ueberschrift  trägt. 

I  de  uno  do 
n  de  distinctione  psonar. 

Diese  Handschrift,  von  der  unten  mehr  zu  sagen  ist,  nimmt 
eine  eigene  Stellung  in  der  Gruppe  der  französischen  Codices 
ein.  An  mehr  als  100  Stellen  sind  ganze  Citate  oder  mehrere 
Citate  zusammen  ausgelassen;  der  Text  aber  geht  auf  eine 
sehr  alte  Quelle  zurück.  Was  der  Sandschrift  aber  ein  ganz 
besonderes  Interesse  verleiht,  ist  die  Manus  secunda,  welche 
nicht  blos  nach  dem  in  anderen  Codices  gebotenen  Texte  und 


^  a.  a«  O.,  p.  676:  nou»  pentotu  que  la  eomparaison  de  ce  nu,  avec  Vidüion 
dm  rUlustre  Cardinal  ne  petU  manquer  d*Hre  uHle  ei  de  foumir  des  iU- 
ntenU  nouveaux  pour  la  con$lütUian  du  texte  de  Vancietme  version  üalique. 

>  Miller,  £.,  a.  a.  O. 

'  Der  Deckel  ist  an  dieser  Stelle  darchbohrt  in  Folge  der  ehemaligen 
Befeetigang  eines  Hakens.  Die  Hs.  muss  ein  Codex  concatenatus  ge- 
wesen sein. 

^  Delisle,  Inventaire  des  mss.  latins  conservÄs  k  la  Biblioth^ne  Na- 
tionale 3,  71.  Biblioth.  de  T^cole  des  chartes.  t  30,  p.  71. 


56  Weihrioli. 

nach    der    Yulgata    corrigirt,    sondern    vielfach     ganz    neue 
Varianten  darbietet. 

5.  Codex  Parisinus  256  der  nouv,  acqu,  (C)  aus  dem 
12.  Jahrhundert,  146  Pergamentblätter  von  250X180"»",  jede 
Seite  in  zwei  Colunmen  zu  30  Zeilen.  Diese  erst  in  neuester 
Zeit  von  der  Nationalbibliothek  angekaufte  Handschrift  bespricht 
Delisle  in  seinem  neuen  Werke, ^  wobei  er  an  die  Manuscripte 
von  St.  Martial  und  St.  Victor  erinnert,  und  äussert  die  Ver^ 
muthung,  dass  dieselbe  aus  einer  Cistercienserabtei  stamme. 

Fol.  1:   De  immortalüate  anim^  UV  fhri  ....   Auf  dem 
unteren  Rande  von  moderner  Hand:    /S.  Augustini  MisceUanea. 
R,  7004^    Das  Speculum  beginnt  Fol.  58'  col.  a. 
Toth:  In  hoc  corpore  continetur\8pc£m  8  Aug.  De  uno  deo 

Atuii  isrt, 

Fol.  118'  col.  a,  Zeile  11: 
uite  7  in  lumine  tuo  uidebimus  lumen 

^^M       ^Efl        t^U       ^Efl       ^Efl       ^^H       ^^^       ^^M       ^^^      ftSd      ^^H      fl^M       ^^^       ^^M       ^^M       ^^M       ^^M 

^^n       ^V^        ^^P       ^M^       ^W^       ^m^      ^i^       ^I^       ^^.  ^^t         ^I^      ^^^       ^^k  ^I^       ^I^       ^I^       ^I^ 

Eine  starke  Rasur,  durch  welche,  wie  es  scheint,  der 
Name  des  Klosters  getilgt  ist.  Hierauf  blank  bis  unten,  wo 
die  Ueberschrift  zu  dem  auf  der  folgenden  Seite  beginnenden 
Capitelverzeichniss  folgt : 

roth:  Capta  libH  pcedentis 

Fol.  118'  col.  b,  das  Verzeichniss  der  Capitel  ohne  Ziffern: 
De  uno  dd 
de  stinctione  paonar  pat*s  7  /.  7  «.  8, 


1  DelislOi  L^op.,  M^langes  de  paUographie.  Paris,  Champion,  1880. 
p.  366—369. 

'  Fol.  8'b  Expfic  \  Ub^  tci  Änguttini  de  immortalUtUe  aU,  IneipU  pfaUo  de 
anima  <&  eitu  origine,  fol.  9  b  Explicü  prologtu,  Ineipit  liber  9aneti  Augu- 
stini  epi  ad  Vincentiu  Victore  de  natura  &  origine  anime,  Quod  mihi 
fol.  81 'a  Explicü  lib*  sei  Aug^istini  epi  de  natura  <&  origine  antme  ||  b  /n- 
eipU  liber  saneti  Augustini  ^iscopi  de  quantitate  anime  fol  68'  b  incorporea 
giomnis  e  anima  ||  Nach  dem  Specolnm  folg^ :  fol.  120  a  Liber  AureUi 
Augustini  de  uidendo  do  tuL  Paulinam  \  Memor  debUi  .  .  .  fol.  133 'a 
Aurelius  Augustinus  ad  Italica  Dfie  eximie  .  .  .  fol.  135  a  Augustinus  ad 
Fortunatianum  commonitoriti  .  .  .  fol.  139  b  Hylarius  ad  Augvstinum  epm 
Dno  «CO  .  .  .  fol.  139'b  Augustinus  episcopus  ad  Bylarum  •  .  .  fol.  146 'b 
qd*  eni  hoih*  impossibVe  e  Ü  ipsis  ||  Darauf  folgten  noch  drei  Blätter,  die 
herausgeschnitten  sind. 


Dm  Bpeeuluoi  des  h.  AugnstioM  und  Mine  handtchr.  üeberliefernng.  57 

Fol.  119'  col.  a 
qd'  <ü  fans  uüe  ut. 

Auf  den  übrigen  freien  Raum  dieser  Columne,  sowie  auf 
den  Anfang  von  Col.  b  hat  eine  spätere  Hand  zwei  Heilungs- 
und  Segnungsformeln  notirt. 

Die  Q.natemionen  sind  rückwärts  unten  bezeichnet^  Fol.  1 19 
ist  das  vorletzte  Blatt  von  Quat.  XV,  dessen  letztes  heraus- 
geschnitten ist.  Mit  Fol.  120  beginnt  eine  neue  Quatemionen- 
Zählung  120  bis  127  Quat.  I,  136  bis  143  Quat.  in. 

6.  Codex  Aniciensis  (a),  die  Bibel  des  Bischofs  Theo- 
dulf  von  Orions,  die  sich  in  dem  Schatz  der  Kathedrale  von  Le 
Puy  befindet.  Die  Handschrift,  ein  Prachtwerk  der  Kalligraphie 
aus  der  2jeit  Karls  des  Qrossen  in  der  Grösse  von  385™™  auf 
230™™;  enthält  die  Bibel  in  der  Eintheilung  nach  den  sechs 
Ordines  und  als  exegetische  Beigaben  Isidors  Chronographie, 
Eucherius'  Lib&r  de  TionUnibua  hebraicis,  Meliton's  Clami»  und 
auf  Fol.  338  bis  344  in  zwei  Columnen  zu  je  62  Zeilen  Augu- 
stins  Specuhim.  Letzteres  steht  durch  den  vorhieronymianischen 
Bibeltext  in  naher  Verwandtschaft  zu  den  erwähnten  Manu* 
Scripten,  unterscheidet  sich  aber  äusserlich  dadurch^  dass  die 
Bibelstellen  entweder  nur  mit  den  Anfangs-  und  Schlussworten 
citirt  sind,  indem  ein  sie  verbindendes  uaqvs  die  mittleren 
Worte  ersetzt,  oder  nur  mit  den  ersten  Worten  angeftlhrt  sind, 
wie  die  Verse  aus  den  Psalmen  und  ähnliche  kürzere  Ab* 
schnitte.  Es  verdient  Beachtung,  dass  auch  dieses  Speculum 
keine  Ueberschrift  besitzt;  denn  dieser  Umstand  erinnert  an 
den  Mangel  der  Ueberschrift  im  Sessorianus  von  erster  Hand 
und  im  Speculum  von  St.  Victor,  und  ihm  ist  es  zuzuschreiben, 
dass  dieser  Theil  des  Codex  so  lange  Zeit  unerkannt  blieb. 
Man  wusste  zwar  längst  von  der  Existenz  des  verborgenen 
Schatzes  in  Le  Puy,<  allein  das  Speculum  ward  erst  in  unseren 
Tagen  durch  die  Vergleichung  mit  der  Schwesterhandschrift  in 
Paris  erkannt.     Es  waren  die  zwischen  die  Purpurpergament- 

>  Gallia  ehr  ist.  11,  692:  Circa  ttmpxu  epiieopatua  Roricii  Theodulftu 
AurelianenMU  epi$eopu»  obitdü,  tU  aiunt,  iruignem  eodieem  ecdetiae  Ani- 
denn  quo  ewuHnenUtr  uetu»  et  novum  teitamentum  muUaquB  alia.  In 
fronU  Hbri  . .  .  H&enel,  Ghut.,  Catalogi  libr.  mannscr.  Lips.  1880,  p.  888. 
Pitra,  J.  B.,  SpicUegiam  Solesmense.  t.  II.    Paris  1866,  p.  647. 


58  Weihrich. 

blätter  zum  Schutze  der  Gold-  und  Silberschriffc  eingelegten 
Gewebe  von  Seide  und  Wolle,  welche  das  Interesse  der  ein- 
heimischen Gelehrten  erweckten  und  zu  näheren  Erörterungen 
tkber  die  Handschrift  Anlass  gaben J  Auf  die  Aehnlichkeit  mit 
dem  Pariser  Manuscripte  aber,  dem  schon  früher  bekannten 
Codex  Mesmianus,  welchen  bereits  Vignier^  zur  Ausgabe  des 
Speculums,  Sirmond  ^  zur  Sammlung  von  Theodulfs  Gedichten 
und  Pitra^  zur  Edition  von  Meliton's  Clavis  benützt  hatten, 
machte  Bourquelot^  durch  Mittheilung  einer  aus  Le  Puy  an 
ihn  gelangten  Zuschrift  aufmerksam.  Zu  einer  gründlichen  und 
umfassenden  Analyse  des  Codex  kam  es  jedoch  erst,  als  in 
Folge  eines  glücklichen  Umstandes  die  beiden  prächtigen  Werke 
einander  nahe  gebracht  waren  und  dem  competentesten  Beur- 
tbeiler,  Herrn  Leopold  Delisle,®  nebeneinander  vor  Augen 
lagen.  In  dem  Vortrage,  welchen  Delisle  bei  der  Weltaus- 
stellung in  der  feierlichen  Sitzung  des  Institut  vom  3.  Juli  1878 
über  die  beiden  im  Trocadero  ausgestellten  Bibeln  Theodulfs 
hielt,  ward  zum  ersten  Male  die  Erkenntniss  ausgesprochen,  dass 
der  ohne  Ueberschrift  gelassene  Theil  der  Handschrift  von  Le 
Puy,  der  dem  in  dem  Pariser  Manuscripte  als  Speculum  Augu* 
stini  ausdrücklich  bezeichneten  Abschnitte  entspricht,  eine 
abermalige  unter  Theodulfs  Leitung  besorgte  Fassung  des  Spe- 
culums  sei,  und  aus  der  von  Delisle  mitgetheilten  Probe  ergab 
sich  einerseits  die  Verschiedenheit,  die  zwischen  dem  Texte  der 
beiden  Specida  Theodulfs  besteht,  andererseits  die  nahe  Bezie- 
hung des  Speculums  von  Le  Puy  zu  dem  Texte  des  Sessorianus. 


<  Annales  de  la  Soci^t^  d*agriculture,   des  sciences,    arts  et  commerce  du 

Puy  pour  1836.  Au  Puy,  p.  126,  141. 
'  8.  oben. 
'  Sirmondi  opera  varia.  t.  H.  Paris  1696,  p.  914—1128.  Jetst  ist  hierüber 

zu  vergleichen  Dum  ml  er,  E.,  Die  handschriftl.  Ueberlieferung  der  lat. 

Dichtungen  aus  der  Zeit  der  Karolinger.    11.  Theodulfus  von  Orleans: 

Neues  Archiv  der  Qesellsch.  für  ältere  deutsche  Geschichtsknnde.  IV, 

239—260.     Li  er  seh,   K.,   Gedichte    Theodulfs.     Halle   1880.     Po6tae 

latini  aevi  Carolini  Rec.  £.  Dttmmler.  t.  I,  p.  prior. 
^  Pitra,  J.  B.,  Spicilegium  Solesmense.  t.  11.    Paris  1866,  p.  XIX,  p.  647. 
^  M^moires  de  la  Soci^t^  imperiale  des  antiquaires  de  France.  3e  s^r., 

t.  IV,    1869,  p.  109. 
B  Delisle,    Läop.,    Les    bibles    de   Th6odulfe.     Paris,    Champion,    1879 

(=  Bibliothique  de  T^cole  des  chartes.  t.  40.  Paris,   1879,  p.  6—47). 


Dm  Speenlnm  dts  h.  Aasfastinus  und  8«iDe  handsohr.  I7eberli«f«ning.  59 

Wie  die  Handschrift  nach  Le  Pny  kam,  ist  unbekannt. 
Eine  locale  Ueberlieferong,  die  man  in  Le  Pny  nicht  leicht 
atifgibt,  <  meint ,  dass  sie  von  Theodulf  bei  einer  Wall&hrt 
nach  dem  Puy  d'Anis,  die  er  in  Folge  eines  während  seiner 
Gefangenschaft  in  Angers  gemachten  Gelübdes  unternommen 
habe,  der  Kirche  von  Notre-Dame  du  Puj  zum  Geschenk  ge- 
macht worden  sei.  Diese  von  Localhistorikem  stets  nur  mit 
aller  Reserve  mitgetheilte  Meinung  entbehrt  der  Belege  und 
ist  dem  ältesten  Landeschronisten  unbekannt.  Da  Petrus 
Rostaing,  Miles  ^  der  Kirche  St.  Jean  in  Lyon  und  Canonicus 
der  Kathedrale  von  Le  Puj,  seinen  Namen  mit  der  Jahreszahl 
1511  auf  das  letzte  Blatt  eingetragen  hat  und  seine  Versetzung 
von  Lyon  nach  Le  Puy  gemäss  einer  geistreichen  Combination 
des  Herrn  Augustin  Chassaing,  Richters  am  Civiltribunal 
in  Le  Puy,  dessen  Bekanntschaft  ich  zu  machen  die  Ehre 
hatte,  und  dem  ich  lehrreiche  Aufschlüsse  verdanke,  um  eben 
diese  Zeit  erfolgt  sein  muss,  so  hat  die  Vermuthung  der 
Herren  Chassaing  und  Delisle^  hohe  Wahrscheinlichkeit,  dass 
eben  dieser  Rostaing,  der  aus  einflussreicher  adeliger  Familie 
entstammt  ^  und  als  Freund  von  Büchern  bekannt  ist,  das 
Manuscript  ursprünglich  besessen  und  aus  Anlass  seiner  lieber- 
Siedlung  nach  Le  Puy  in  die  dortige  Kathedrale  gestiftet 
habe.  Ueber  die  früheren  Schicksale  des  T^rkes  aber  fehlen 
noch  alle  Aufschlüsse. 

Die  eigenartige  Gestaltung  des  Textes  liess  eine  Collation 
nicht  zu,  sondern  machte  eine  vollständige  Abschrift  nothwendig. 

7.  Codex  Mesmianus  (fji),  jetzt  Parisinus  9380,  die 
zweite  Bibel  des  Theodulf,   eine  Zierde  der  Nationalbibliothek 


>  Gallia  Christ.  II,  692.  Histoire  Htt^r.  de  la  France.  tlV.  Paris  1738, 
p.  467.  Hedde,  Phil.,  Notice  sor  le  Manuscrit  de  Th^odnlfe.  Avec 
2planches.  Annales  de  la  Soci^tS  d'a^culture  du  Pny  pour  1837 — 1838. 
An  Pny  1839,  p.  168—224.  Echo  du  Velaj,  Oct.  1877.  Hedde,  Isi- 
dore,  Pal^ographie  des  tissns:  Bible  de  Th^odnlfe.  Le  Monitenr  des 
soles  N.  876.  Lyon  1879,  p.  5— 12.  Bevne  retrospective,  p.  IS — 32. 

^  Galgen e,  M.  0.,  Obitnarinm  Lugdunensis  ecclesiae.  Lyon  1867,  p.  XXVII 
nnd  XXVni. 

*  Delisle,  a.  a.  O.,  p.  9  und  10. 

*  Histoire  g^nMog^que  et  chronologique  .  .  .  par  le  P.  Anselme.  Paris 
1726,  t  Vni,  p.  940—943.  Ouithermy,  M.  de,  Inscriptions  de  la 
France  du  Ve  au  Vllle  siicle.   Diocise  de  Paris  I,  p.  468—473. 


60  Weilirioh. 

in  Paris.  Aus  dem  gleichen  Inhalte  zusammengesetzt,  in  der 
gleichen  fast  mikroskopischen  Schrift  ausgeführt  und  mit  der 
nämlichen  Pracht  ausgestattet,  ist  dieses  Werk  aus  derselben 
Schreibstube  hervorgegangen  wie  das  ManuBcript  von  Le  Puy^ 
das  ihm  nahezu  zum  Verwechseln  ähnlich  sieht.  Um  so  auf** 
fallender  erscheint  es,  dass  unser  Speculum  zwar  nach  derselben 
Art  der  Behandlung  des  Textes  in  der  durch  Anwendung  jenes 
U9que  verkürzten  Gestalt  der  Citate  sich  darbietet  wie  das  von 
Le  Puy,  aber  von  allen  Manuscripten  durch  die  volIkommMi 
durchgeführte  Umwandlung  des  Textes  in  den  der  Vulgata 
sich  unterscheidet  und  bezüglich  seines  Umfanges  Merkmale 
besitzt,  durch  die  es  sich  von  allen  übrigen  französischen  Hand- 
Schriften  entfernt  und  wieder  dem  Codex  Sessorianus  nähert 
Im  IL  Jahrhundert  muss  sich  diese  Handschrift  noch 
im  Domschatz  zu  Orleans  beftmden  haben.  Auf  Fol.  346  ist 
nämlich  von  einer  Hand  des  IL  Jahrhunderts  die  Abschrift 
einer  Urkunde  eingetragen,  durch  welche  der  Bischof  Odolricus 
die  gegen  das  Jahr  1025  erfolgte  Rückgabe  einer  von  dem 
Canonicus  Azinerius  im  Besitz  gehaltenen  Kirche  bestätigt.  Da 
Odolricus  die  Urkunde  für  seine  Nachfolger  auf  dem  bischöf* 
liehen  Stuhle  abfasste,  so  war  eine  Abschrift  derselben  gut 
angebracht  in  einem  Bibelwerk,  das  im  Gebrauche  der  BiBchöfe 
war;  und  Delisle  vermuthet  daher  mit  Recht,  dass  diese  Bibel 
von  Theodulf  zu  eigenem  Gebrauch  angefertigt  und  auf  seine 
Nachfolger  vererbt  worden  sei.  Im  17.  Jahrhunderte  war  das 
Manuscript  in  der  Bibliothek  der  Famiüe  de  Mesmes.  Aus 
dieser  Epoche  datiren  die  ersten  Versuche  wissenschaftlicher 
Behandlung.  Der  gelehrte  Jacob  Sirmond'  ist  als  der  Erste 
bekannt,  der  in  der  Bibliothek  der  berühmten  Familie  dieses 
Bibelwerk  studirte  und  die  hohe  Bedeutimg  desselben  er- 
kannte. Um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  nahm  der  Jesuit 
Philipp  Labbe^  Einsicht  in  die  Handschrift  imd  verzeichnete 
sie  in  seinem  bibliographischen  Werke.  Die  Benedictiner 
sahen  sie  noch,  ohne  sie  ftlr  ihre  Arbeiten  zu  verwerthen, 
und  Vignier  veranstaltete  daraus  die  Editio  princeps  des  Spe- 
culums  im  Jahre  1654.    Als  nach  dem  Ableben  des  Parlaments- 


1  Siimondi  opera  11,  1046. 

>  Labbe,  Ph.,  Nova  bibliotheca  mannscriptoram  libroram.    Paris,  1663, 
p.  21-22. 


Dm  Speonlum  des  h.  Augustinus  und  seine  handsehr.  Üeberliefernng.  61 

Präsidenten  Jean-Antoine  de  Mesmes  Comte  d'Avaux  (1723) 
der  Rest  der  Bibliothek  von  den  Erbinnen  an  die  Pariser 
Bibliothek  abgelassen  wurde  (1731),  ward  diese  Theodulfbibel 
noch  zurückbehalten  und  scheint  erst  gegen  Ende  des  vorigen 
Jahrhunderts  der  Nationalbibliothek  einverleibt  worden  zu  sein. 
Auch  sie  hat  eine  würdige  Beschreibung  und  Zergliederung 
durch  Delisle  an  der  angegebenen  Stelle  erhalten. 

Vor  mehreren  Jahren  nahm  Herr  Rudolf  Prinz  im  Auftrage 
des  Herrn  Professor  R.  von  Hartel  eine  Collation  vor,  die  mir 
zu  Grebote  steht  und  in  Paris  von  mir  selbst  revidirt  wurde. 

Indem  ich  hiermit  die  Aufzählung  und  äussere  Beschrei- 
bung der  Handschriften  schliesse,  drängt  es  mich,  an  dieser 
Stelle  dem  Generaldirector  und  Administrator  der  National- 
biblioihek  zu  Paris,  Herrn  Leopold  Delisle,  für  die  wesent- 
lich fördernde  Unterstützung,  deren  ich  mich  von  seiner  Seite 
zu  erfreuen  hatte,  sowie  dem  Bischof  von  Le  Puy,  Monseigneur 
Lebretouy  für  die  Grüte,  mit  der  er  mir  das  kostbare  Juwel  des 
Domschatzes  anvertraute,  meinen  aufrichtigsten  und  herzlichsten 
Dank  auszusprechen.  Auch  der  kaiserlichen  und  königUchen 
Botschaft  in  Paris  sage  ich  wärmsten  Dank  für  die  wiederholten 
gütigen  Vermittelungen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


62  Weihrioh. 


EXCURS. 

(Za  Seite  36,  Anmerkung  1). 


Fragment  einer  grieehisehen  Uebersetzong  des  pseudo« 
angustinisclieii  Speenlnm  ^Adesto  mihi,  nernm  Inmeii^ 


Cod.  ParisinuB  gr.  N.  1234  saec.  XIV.  394  Blfttter  orient 
Pap.  in-folio.  *  Fol.  5^  medio. 

ex  Tij^  Siorrpo^  loO  {Jiaxoeptou  auYOuorivou. 

UfAoXoYci^  9^  Tov  "Konipa  %a\  xbv  u&v  %m  xb  icveö(jia  tb  ^tov,  iv 
xpooiiMcoig  tptrcbv,  ev  x^  ouoia  Iva,  dikrfi^  6ebv  9cavTo36ya|jLOV,  ipotTüiv  xol 
dppoitci>v|  ^SifjpLioupYbv,  ol»  adifjia  f)  ev  ff(i)|Aorri  xsifuvov,  o^  ix  8taf6p»y 
siSäv  ^  j^e!^£iv  f)  |AeX(5v  ouvdiopbo^  stxoviqAivov  *  dXX^c  luSq  dicXf^ 
xal  aou>|i.itou  |  'xai  aopixou  xal  oncepiYpiicxcu  f6ceia){.  ck  Brmq  dXiQOcvbv 
icoxdpa  dfxpotc  «Y^Oirvjxog  xal  5Xiq{  xi);  0e6xv]xog  ^^^  9  dbcepcypixxou  | 
^xal  arfvirf^xou  \u^akei6vrjf:Q^  Oeov,  i^  oud^tvo^  d^fovTa  apx^)  ÄXXdi 
icaatv  opxV  ^^^cma,  ictoxeuo)  xal  6{mXoy(<^  oü  aopx ' '  |  ^  ^tvnf^tt^  oim 
£Sa>6ev,  oux  •  e^  ovcrpcr^g  ouxe  OeXi^jaeot^,  dXXdi   ^et  xbv  ulbv  y^v^vto. 

Migne,  Patrol.  lat.  XL,  p.  976. 

XVn.  Confiteorte  Patrem  et  Filium  et  Spiritum  sanctum  in 
personis  trinum,  in  substantia  ununi;  uerum  Deum  omnipotentem^ 
uisibilium  et  inuisibilium  conditorem,  non  corpus  aut  in  corpore 
positum,  neque  ex  diuersis  speciebus  admixtum^  aut  membrorum 
conpaginibuB  effigiatum,  sed  unius  simplicis  et  incorporeae, 
inuisibilis  et  incircumscriptae  naturae.  Te  quidem  uerum  Patrem 
summae  bonitatis  et  totius  deitatis  principium,  incircumscriptae 
et  ingenitae  maiestatis  Deum,  ex  nullo  ducentem  initium,  sed 
Omnibus  initium  dantem^  credo  et  confiteor  non  corporali  progenie 
neque  extrinsecus ,  non  necessitate  neque  uoluntate,  sed  natura 
Filium  generantem.  Confiteor  et  uerum  te  Filium  ex  Patre  sine 


>  CaUlogus  codd.  mss.  bibliothecae  reg^ae.  II,  p.  260.  Herr  Dr.  Anton 
Kunz  war  letzten  Sommer  00  g^tig,  auf  meine  Bitte  das  Fragment  in 
Paris  zu  copiren,  wofllr  ich  hier  nooh  besten  Dank  sage. 


Dill  SpMuIii»  des  h.  Aafuatiniis  nnd  seine  handselir.  üeberlieferun^.  63 

c|JLoXoYo>  xot  ak  tov  deXiQ6tvbv  ex  tou  icorpo^  |  ^  a^d^iii^  d^paoTh)^  -f ^^^~ 
6^a,  ÄXv]6i)  6«bv  [agvo^sv^,  8«'  o5  t3c  T:ivza  ivsvovto  •  *tva  [Ai^xe  aurb? 
TO^Ei  f)  iuvflEjuc  S6vy;  |  ^  elvai  xornoTepoq  *  tö^ov  ff£  elvot  6|jioXoyci>  tov 
ysrrrfiivxa,  &o<  eoriv  oörb^  6  yvhHioaq  •  o?)X  Srt  Bi  \t{ia  ^s^Ytixo^  ix 
toö  woTpb^  xbv  ülbv,  I  ®TiJ  6€ia  xaJ  a^pdoru)  y^^^^^^  "^'^^  XP^vov  £w 
"YpifU),  dXX'  oÖTe  tov  Tcaxipa  Xir^t»)  xot^  dp^aaOat,  oQte  ae  tov  autou 
ulbv '  5tc  j  V  Gtel  f)v  iroTVjp,  9J  yap  dv  ouS*  5XfO{  f)o6a  Mq ;  ou  -f op  oXXco^ 
6(mXoy6iv  SuvdfJieOa  dfö(ov  tov  ?cax€pa,  idv  [ay]  6(JioXo'^aü)[jLev  {  ^^  xat  a^ 
ouvottSiov  xbv  ülbv  •  dncb  tou  üIoü  ^^  ^  woTTjp  X^^^*^*'  '  ^'  ^'^^^  ^^  ^^ 
icoT^ip,  dee  x6xXv)98ae  ulbv  dva{ji9{ßoX6v  eort. 

9^1  ^i5vT(i>(  TCi9re6io  Tb  rveujjia  Tb  dyiov,  dcXr|Ov)  Bebv,  ou  7r9tT]Tbv, 
ou  xTtrbv,  oßre  Y6Wt)Tbv  oöre  arftirri'vo'f  -  aXX'  ex  xorcpb?  uiöu  Te  dvexSitj- 
y/jTCiK  I  '2  icpox(i>pouv ,  xal  iv  vonpi  &\i,a  T€  ulc!)  ouat(i)3o){  [ji^ov  *  o&cü) 
ToCvuv  e^  dt&fotv  fcpoxcopel^ ,  Tva  dxo)ptaT(i>(  ev  ixa  .  .  .  |  ^^  l^^viQq  *  xac 
ha  o&T(i>  xord  xovra  Ijq  Tb>  Oecii  xal  xorpl  xal  ul£>  Taov,  ouvatScov,  6(ao- 
ouoiov,  C^  [Lif^e  OeXifoee  {JH^Te  |  ^^  8uvd(Ae(  |jii^e  d't3(6tv)T(  (Jii^Te  ouoia 
Siof  ^etv  ae  26vaa6a(  die*  auT(ü>v  i)  exxoirreoOat  d(p'  ü>v  T:pox<«>p€t(  *  to  .  .  .  | 
^^  d(8(ov  TOV  icttT^pa  dveu  y^^^^^c*^^?  ^^^^  '^^  icorepa  ev  t(3  ulca  xal  ev  va 

initio  ineffabiliter  natum,  uerum  Deum  unigenitum,  per  quem 
omnia  facta  sunt^  et  uerum  Patrie  Verbum,  non  factvm,  non 
creatum,  nm  adoptaUuum:  sed  genüum  et  unius  cum  Patre 
substantide ,  atque  üa  per  omnia  aequalem  Deo  Patri,  ut  nee 
tempore^  nee  gradu,  nee  potestate  esse  possis  inferior.  Tantum- 
que  te  esse  confiteor  qui  genitus  es,  quantus  est  ipse  qui  te 
genuit.  Non  autem  quia  dico  genitum  a  Patre  Filiuni;  diuinae 
et  ineffabili  generationi  aliquod  tempus  ascribo:  sed  nee  Pa- 
trem  dico  aliquando  coepisse,  nee  te  eins  Filium.  Quia  seinper 
fuit  Pater ;  nunquam  igitur  non  fuisti  Filius.  Non  enim  aliter 
confiteri  possumus  aetemum  patrem,  nisi  confiteamur  etiam 
coaeternum  filium.  £x  filio  enim  pater  dieitur:  et  quia  semper 
Pater  fuit,  semper  habuisse  Filium  dubium  non  est. 

XVin.  Te  quoque  credo  Spiritum  sanctum  uerum  Deum, 
non  factum,  nee  creatum,  nee  genitum,  neque  ingenitum :  sed  ex 
Patre  Filioque  inenarrabiliter  procedentem,  et  jn  Patre  simul- 
que  Filio  substantialiter  permanentem.  Sic  igitur  ab  utroque 
procedis,  ut  inseparabiliter  in  utroque  maneas:  atque  ita  per 
omnia  Deo  Patri  et  Filio  aequalem,  coaeternum,  consubstan- 
üalem,   ut  neque  potestate  neque   uoluntate  neque   aetemitate 


64        Weihrich.  Das  Specvlum  des  h.  An8;Qstii»is  u.  seine  handschr.  Ueberliefetung. 

^e6(jL3Ti  T(5  obfici),  5Xov  tov  utbv  h  tu)  icotpi  %a\  iv  tu)  7cve6(jLaeTe  tu>  .  .  . 
*•  5Xov  TO  wveO|jLa  ib  &y^ov  4v  t<5  ^orpl  xal  tü)  ulu)  Sia(i.evov  •  tov 
TCOT^pa  xal  TOV  utbv  xal  xb  icveuiAot  to  Sviov  §va  Oebv  ^covtoSuv  .  .  .  .  { 
^^  |jLiaq  e^ouoia;,  [udu;  ßa^iXeio«;,  |jL(ä{  {JLSYaXetÖTYjTO^,  fito^  aVSt^TiQTO^, 
aicb  TOTS  xal  vuv  %a\  ael  icocvtoxou  ßaoiXeuovra  |  i^ict9Te6a>,  ot6|xocxi 
61J1.0X0YU)  xat  vol  aYoncdi. 

icpbq  Toihov  tbv  zr^q  Tciorecoq  xovova  xaTeu66vb>v  xbv  oxoicöv  |aou, 
Tcooov  [Ji£  S6v  .  .  .  .  I  ^®.  €':coiT)xa{  6  6cö{  (xou  •{*•{••{• 

ai:pntecedi]neque  substantia  di£Ferri  possis  ab  eis  vel  praeddi  a  quibus 
procedis.  Igitur  aetemum  Patrem  sine  natiuitate,  aetemum 
Filium  cum  natiuitate,  aetemum  Spiritum  sanctum  cum  proceS' 
sione  sine  natiuitate:  totum  Patrem  in  Filio  et  Spiritu  sancto 
totum  Filium  in  Patre  et  Spiritu  sancto ,  totum  Spiritum 
sanctum  in  Patre  et  Filio  permanentem:  et  Patrem  et  Filium 
et  Spiritum  sanctum  unum  Deum  omnipotentem,  una  potestate, 
unoque  regno,  ima  maiestate^  una  aetemitate,  ex  tunc  et 
nunc  et  semper  ubique  regnantem  cor  de  credo,  ore  confiteor 
et  mente  diligo. 

Ad  lianc  fidei  regulam  dirigens  intentionem  meam,  quan- 
tum  me  posse  fecisti  deus  mens,  quaenui  te  et  desideraui  intel- 
lectu  uidere  quod  credidi» 


III.  SITZUNG  VOM  17.  JÄNNER  1883. 


Das  k.  u.  k.  Ministerium  des  Aeussem  übermittelt  die 
TOD  der  königl.  niederländischen  Regierung  der  Akademie  ge- 
widmeten beiden  ersten  Lieferungen  eines  mit  Unterstützung 
des  Ministers  der  Colonien  von  Professor  Dr.  Schlegel  in 
Lejden  herausgegebenen  ,Nederlandsch-chineesch  Woordenboek 
met  de  transcriptie  der  chineesche  karakters  in  het  Tsiang- 
Tsiu  dialekt*. 

Von  dem  k.  k.  mUitär-geographischen  Institute  werden 
weitere  siebzehn  Blätter  der  Specialkarte  der  österreichisch- 
imgarischen  Monarchie  übergeben. 


Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Robert  Zimmermann  legt  eine 
ftir  die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung  vor^  welche 
den  Titel  führt:  ,Ueber  Hume's  Stellung  zu  Berkeley  und  Kant^ 


Das  w.  M.  Herr  Professor  Th.  Gomperz  legt  eine  fUr 
die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung  vor  \mter  dem 
Titel:  ,Herodoteische  Studien^ 


Ad  Druoksohriften  wurden  vorgelegt: 

Akademie  der  Wissenschaften,  k.  bayr.  zu  München:  Sitzungsberichte  der 

philosophisch -philologischen    und    historischen    Classe,    läb2.    Band  II, 

Heft  L  München,  1882;  80. 
Archaeological  Survey  of  Southern  India.  Nr.  3.   Kotes  on  the  Amarä- 

vata  StQpa,  hy  Jas.  Burgess,  L.  L.  D.,  F.  R.  6.  S.,  M.  R.  A.  S.,  etc. 

Madras,  1882;  4'\ 
SitsvBKtber.  d.  phil.-hitt.  Cl.    CHI.  Bd.  1.  Btt.  6 


66 

Erlangen,  Universität:  Akademische  Schriften  vom  Jahre  1881;  17  Stücke 

80  und  40. 
Facult^  des  lettres  de  Bordeaux:    Annales.    4*  ann^e,    No.   6.   D^cembre 

1882.  Bordeaux,  Londres,  Berlin,  Paris,  Toulouse;  S^, 
Gesellschaft,  kOnigl.  nordische  für  Alterthumskunde:  AarbOger  for  nordisk 

Oldkyndighed   og  Historie,    1882.   2.   und  3.  Heft.  KjObenhayn;  80.    -^ 

Tillaeg  til   AarbOger   for  nordisk    Oldkyndighed  og  Historie.     Aargäng 

1881.  KjObenhayn,  1882;  8». 
Society  the  Asiatic  of  Bengal:  Proceedings.  Nos.  YII  et  YHI.   Juli  und 

August  1882.  Calcutta;  8^. 
Verein,   historischer    von    Oberbayern:    Oberbayerisches    Archiv    für   vater- 
ländische Geschichte.  XL.  Band,  1.  Heft.  München,    1882;  80.  —  XLH. 

und  XLIII.    Jahresbericht    für   die   Jahre    1879    und    1880.     München, 

1881;  80. 
—  historischer   zu  Bamberg:    44.  Bericht    über    Bestand    und  Wirken   im 

Jahre  1.881.  Bamberg,  1882;  8». 


.« 


Zimmermann.    Ueber  Hume*8  Stellnng  zu  Berkeley  und  Kant.  67 


üeber  Hume's  Stellung  zu  Berkeley  und  Kant. 

Von 

Bobert  Zinunerxnann, 

wirkl.  Mitgliede  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften 


A.n  der  Geschichte  der  neueren  deutschen  Philosophie  ist 
es  rühmend  hervorgehoben  worden,  dass  dieselbe  von  Kant' 
bis  Hegely  der  sich  selbst  als  den  Vollender  des  Eriticismus 
bezeichnete^  eine  in  sich  geschlossene  Entwicklungsreihe  bilde. 
Eine  ähnliche  stellt  sowohl  die  Entwicklung  des  continentalen 
Rationalismus  von  Descartes  bis  Leibnitz,  wie  die  parallel 
laufende  des  englischen  Empirismus  von  Bacon  bis  Hume  dar. 
Wie  aus  Kant's  Halbidealismus  der  zuerst  als  subjectiver^  dann 
als  transscendentaler,  zuletzt  als  absoluter  sich  entwickelnde 
ganze  Idealismus,  wie  aus  Descartes'  Dualismus  der  Gegensatz 
des  Monismus  und  monadischen  Pluralismus ,  so  entwickelte  sich 
aus  Bacon's  und  Locke's  Empirismus,  aus  jenem  des  ersteren 
Hobbes'  Materialismus,  aus  jenem  des  letzteren  Berkelej's  Idea- 
lismus, aus  beiden  zusammengenommen  Hume's  Skepticismus. 
Beide,  die  continentale  und  die  insulare  Strömung,  sind  dann 
in  Kant  zu  einer  neuen,  aus  Rationalismus  und  Empirismus  zu 
gleichen  Theilen  gemischten  Geistesrichtung  zusammengeflossen. 

Wie  der  Rationalismus,  so  dreht  der  Empirismus  in  seiner 
Entwicklung  sich  um  ein  bestimmtes  Problem,  der  eine  um 
ein  metaphysisches,  der  andere  um  ein  erkenntniss- theoretisches. 
Jenes,  das  Problem  der  Unio  corporis  atque  animae,  hat  nach 
einander  die  Lösungsversuche  durch  die  assistentia  divina,  den 
Occasionalismus,  die  Identitätslehre  und  die  prästabilirte  Har- 
monie hervorgerufen.    Dieses,  die  Frage  nach  der  Möglichkeit 

einer  Vermittlung  zwischen  dem  erkennenden  Subject  und  dem 

6* 


68  2imraerttiaiiti. 

ZU  erkennenden  Object,  hat  von  dem  ursprünglichen  Gegensatz 
des  materialistischen  Objects  und  des  spiritualistischen  Subjects 
aus,  durch  die  entgegengesetzten  Standpunkte  der  einerseits 
materialistischen^  andererseits  spiritualistischen  Identität  beider 
hindurch,  sowohl  bezüglich  des  Objects  wie  des  Subjects  zum 
Nihilismus  und  in  Folge  dessen  zum  absoluten  Skepticismus 
geflihii;. 

Letzterer  Standpunkt  ist  in  der  Geschichte  der  Philosophie 
mit  Hume's  Namen  verknüpft,  welcher  dadurch  seinen  englischen 
Vorgängern,  insbesondere  Berkeley,  wie  seinem  deutschen  Nach- 
folger Kant,  der  seine  Erweckung  durch  ihn  aus  dogmatischem 
Schlummer  selbst  eingeräumt  hat,  gegenüber  eine  zugleich  nach 
rückwärts  imd  vorwärts  deutende  Janusstellung  behauptet.  Wie 
er  in  rückwärts  gekehrtem  Sinne  als  Vollender  von  Berkeley, 
so  erscheint  er  in  nach  vorwärts  blickender  Kichtung  durch 
seinen  Zweifel  an  der  Gewissheit  aller  nicht  analytischen  oder 
identischen  Urtheile  als  die  Veranlassung,  dass  Kant,  um  zu- 
gleich die  Gewissheit  und  die  synthetische  Natur  der  mathe- 
matischen Urtheile  zu  retten,  den  Apriorismus  der  Zeit-  und 
Raumanschauung^  die  transscendentale  Aesthetik  und  damit  die 
Wurzel  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  erfand. 

Hume's  Einfluss  auf  Kant  steht  als  von  diesem  selbst 
bezeugte  Thatsache  fest;  dagegen  ist  gegen  die  Behauptung 
ernstlich  gemeinter  Abhängigkeit  seiner  Lehre  von  Berkeley's 
Idealismus  oder  vielmehr  ,Immateriali8mus^  von  einer  Seite  her 
Einspruch  erhoben  worden,  welcher  umsomehr  Beachtung  ge- 
bührt, als  der  Urheber  desselben,  Thomas  CoUyns  Simon,  zu 
den  berufensten  Kennern  und  wärmsten  Verehrern  des  englischen 
Idealisten  gehört,  imd  des  letzteren  Wiederbelebung  im  heutigen 
England  beinahe  ausschliesslich  dessen  seit  Jahren  fortgesetzten 
ebenso  uneigennützigen  als  erfolgreichen  Bemühungen  zuzu- 
schreiben ist.  Derselbe  bildet  den  Gegenstand  einer  zuerst 
in  Mamiani's  philosophischer  Kevue  ,La  philosophia  delle  scuole 
italiane^  (XV.  Bd.,  Nr.  1)  erschienenen  philosophischen  Studie 
,über  Hume's  angebliche  Folgerungen  aus  Berkeley  und  Kant's 
vermeintliche  Widerlegung  derselben',  welche  der  Verfasser  in 
englischer  Uebersetzung  seiner  sorgfältigen  Wiederherausgabe 
von  Berkeley's  Hauptwerk  ,The  principles  of  human  knowledge' 
(London  1878)  als  Anhang  beigefügt   hat.    Der  Untersuchung 


Ueber  Hnme^s  Stelloog  sn  Berkeley  und  Kant.  69 


\ 


seiner  Berechtigung  und  damit  dem  Versuche  zur  Feststellung 
des  Verhältnisses  Hume's  zu  Berkeley  und  Kant  einen  Beitrag 
zu  leisten;  ist  diese  Abhandlung  gewidmet. 


Durch  die  gesammte  rationalistische  Strömung  der  neueren 
Philosophie^  deren  Problem,  wie  oben  erwähnt,  die  Unio  corporis 
atque  animae  ausmacht^  geht  stillschweigend  oder  laut  die  Vor- 
aussetzung hindurch,  dass  nur  Gleiches  auf  Gleiches  wirken, 
durch  die  ganze  empiristische  Strömung,  deren  Angelpunkt  das 
Erkenntnissproblem  bildet,  ebenso  die  Annahme,  dass  Gleiches 
nur  durch  Gleiches  erkannt  werden  könne.  Aus  dem  Axiom, 
dass  die  Erkenntniss  der  Wirkung  jene  der  Ursache  einschliesse, 
dass  demnach  Ursache  und  Wirkung  etwas  gemein  haben 
müssen  und  folglich  dasjenige,  was  nichts  mit  einem  Anderen 
gemein  habe,  auch  weder  Ursache  noch  Wirkung  dieses  Anderen 
sein  könne,  ist  die  Behauptung  des  Cartesianischen  Dualismus 
von  der  Unmöglichkeit  der  Wechselwirkung  zwischen  Sub- 
stanzen, die,  wie  die  denkende  (Geist)  und  die  ausgedehnte  (Ma- 
terie), nichts  mit  einander  gemein  haben,  hervorgegangen.  Aus 
dem  Axiom,  dass  dasjenige,  durch  welches  ein  Anderes  erkannt 
oder  welches  durch  ein  Anderes  erkannt  werden  solle,  diesem 
Anderen  dem  Wesen  nach  gleichartig  sein  müsse,  ist  sowohl 
die  (materialistische)  Behauptung,  dass  der  Geist,  um  zur  Er- 
kenntniss der  (materiellen)  Eörperwelt  zu  gelangen,  selbst 
körperlicher  (materieller),  wie  die  entgegengesetzte  (idealistische) 
Behauptung,  dass  die  Materie  (die  Körperwelt),  um  vom  Geiste 
erkannt  werden  zu  können,  selbst  geistiger  (immaterieller)  Natur 
sein  müsse^  entsprungen. 

Weil  die  Erfahrung  durch  die  Sinne  als  Quelle  der  Er- 
kenntniss eine  Einwirkung  der  äusseren  (materiellen)  auf  die 
innere  (Geistes-)  Welt  bedingt,  welche  nach  der  Voraussetzung, 
dass  ungleichartige  Substanzen  (wie  Leib  und  Seele)  auf  ein- 
ander nicht  einzuwirken  vermögen,  unmöglich  ist,  darum  schliesst 
der  Rationalismus  von  Descartes  bis  Leibnitz  die  äussere  Er- 
fahrung als  Erkenntnissquelle  von  der  strengen  Wissenschaft 
aus.  Weil  die  Erfahrung  nur  unter  Voraussetzung  qualitativer 
Gleichartigkeit  des  Erfahrenen  (Objects)  und  des  Erfahrenden 


70  Zimmermann. 

(Subjects)  möglich  ist,  schliesst  der  Empirismus  von  Bacon  bis 
Hume,  dessen  einzige  Erkenntnissquelle  die  Erfahrung  ist,  die 
Folgerung,  dass  Subjeet  und  Object  der  Erfahrung  einander 
gleichartig ,  also  entweder  beide  körperlich  (materiell)  oder 
beide  unkörperUch  (immateriell)  sein  müssen,  ein. 

Folge  des  ersteren  ist,  dass  der  Rationalismus  zum  Aprio- 
rismus,  Folge  des  letzteren,  dass  der  Empirismus  entweder 
zum  Materialismus  oder  zum  (empirischen)  Idealismus  wird. 
Jener  entsteht,  indem  der  Mangel  der  Erfahrung  durch  die 
selbstschöpferische  Kraft  der  reinen  Vernunft  ersetzt  d.  h.  der 
Inhalt  der  ersteren  aus  dem  Innern  der  letzteren  als  selbstge- 
wobenes Gewand  herauszuspinnen  versucht  wird.  Diese  bestehen 
darin,  dass  der  eine  der  beiden  Erkenntnissfactoren  zum  Phä- 
nomen des  anderen  gemacht,  also  entweder  (materialistisch) 
der  Geist  zum  ,Phänomen  der  Materie'  herabgesetzt,  oder 
(idealistisch)  die  Materie  als  blosses  ,Phänomen  des  Geistes' 
begriffen  wird.  Erstere  Consequenz,  welche  das  Ganze'  der 
Wissenschaft  nach  dem  Vorbilde  der  reinen  Mathematik  vor 
und  unabhängig  von  aller  Erfahrung  durch  Deduction  aus  einer 
oder  einigen  Grundvoraussetzungen  (Grundbegriffen  und  Grund- 
Sätzen)  zu  deduciren  verlangt,  haben  diejenigen  zu  mildem 
gesucht,  welche,  wie  Leibnitz,  den  Unterschied  von  nothwendigen 
imd  zufälligen  Wahrheiten  (veritates  aetemae  und  ex  contin- 
gentia),  von  welchen  die  letzteren  durch  Freiheit  (Sittengesetz), 
die  ersteren  durch  Nothwendigkeit  (Naturgesetz)  bedingt  seien, 
in  die  Philosophie  einführten  und  den  sogenannten  ewigen 
Wahrheiten  das  Gebiet  aUes  desjenigen,  was  weder  anders  sein, 
noch  anders  gedacht  werden  könne,  als  es  ist,  dagegen  den 
sogenannten  zufälligen  Wahrheiten  das  Gebiet  aUes  desjenigen 
zuwiesen,  was  an  sich  auch  nicht  sein  oder  anders  sein  könnte, 
als  es  ist,  und  dessen  Sein  und  So-Sein,  wie  es  ist,  sein  Dasein 
der  Rücksicht  auf  dadurch  zu  erreichende  Zwecke  d.  i. 
einer  Wahl  aus  mehreren  an  sich  gleich  Möglichen  verdankt. 
Ersteres  als  Nothwendiges  vermag  die  Vernunft  aus  sich,  letz- 
teres als  Nicht -Nothwendiges,  sondern  aus  mehreren  gleich 
Möglichen  Gewähltes  vermag  die  Vernunft  nur  insofern  zu 
erkennen,  als  sie  den  Ausfall  der  getroffenen  Wahl  selbst 
erkennt.  Da  nun  dieser  vom  wählenden  Willen  abhängig,  dieser 
als  Wille    aber    nicht    selbst    nothwendig    (dem  Naturgesetz), 


Ueber  Hame's  StaUiing  m  Berkeley  und  Kant.  71 

sondern  frei  (dem  Freiheitsgesetz  unterworfen)  ist,  so  vermag 
die  Vernunft  das  vom  Willen  Gewählte  nur  aus  der  Thatsache 
zu  erkennen;  dass  dieser  so  und  nicht  anders  gewählt  hat, 
woraus  sich  ergibt,  dass^  da  jede  Thatsache  als  solche  nicht 
anders  als  durch  Erfahrung  erkannt  zu  werden  vermag;  der 
Gegensatz  zwischen  sogenannten  reinen  Vernunft-  und  Erfah- 
rungswahrheiten und  damit  die  Erfahrung  selbst  als  Erkennt- 
nissquellC;  wenn  auch  in  verschämter  Weise,  in  den  strengen 
Bationalismus  sich  eingeschlichen  hat. 

Der  Consequenz  des  Materialismus  auf  der  einen,  des 
Idealismus  auf  der  anderen  Seite  suchen  diejenigen  Empiristen 
zu  entgehen,  welche  entweder,  wie  Bacon,  zwar  die  menschliche 
Seele  (anima)  flir  einen  ,dtinnen  warmen  Körper^  aber  den 
,Geist'  (spiraculum)  fUr  immateriell  ansahen,  oder,  wie  Locke, 
die  Natur  des  Objects  der  Erkenntniss  (des  Körpers)  in  einer 
Weise  aufklärten,  dass  dieselbe  von  jener  des  in  der  Regel 
als  körperUch  Bezeichneten  sich  entfernt  und  jener  des  Un- 
körperlichen  bedenklich  nahe  kommt,  aber  dennoch  den  ,Geist^, 
das  Subject  derselben,  für  nicht  nothwendiger  Weise  immateriell 
erklärten,  da  ,Gott  auch  die  Materie  mit  der  Fähigkeit  zu 
denken  begabt  haben  könnet 

Wie  der  consequente  Materialismus  im  englischen  Empi- 
rismus durch  den  Namen  von  Hobbes,  so  ist  der  consequente 
Immaterialismus  (Idealismus)  in  demselben  durch  jenen  von 
Berkeley  bezeichnet.  Während  Bacon  demjenigen,  was  nicht 
körperlich  ist,  wie  Gott  und  der  menschliche  Geist,  zwar  Er- 
kennbarkeit, aber  nicht  Existenz  abspricht,  erklärt  Hobbes  aus- 
drücklich alles,  was  existirt,  fhr  körperUch.  Von  den  drei 
Objecten  (Obiectum  triplex),  welche  Bacon  der  Philosophie  zu- 
weist, trifft. nur  das  eine,  die  Natur,  den  menschlichen  Intellect 
im  directen  (directo),  dagegen  Gott  denselben  wegen  des  ungleich- 
artigen Mittels  (propter  medium  inaequale)  nur  im  gebrochenen 
(refracto),  der  Mensch  im  zurückgeworfenen  Strahl  (reflexo 
radio).  Während  der  menschliche  Intellect  als  Subject  der 
Erkenntniss  der  Natur  als  Object  derselben  gleichartig,  ist  er 
Gott  und  dem  Menschen,  insofern  dieser  ,Geist^  d.  h.^  ,Hauch 
Gottes^  (spiraculum)  ist,  ungleichartig.  Insofern  der  Intellect 
der  Natur  gleichartig,  also  selbst  natürlich  ist,  erkennt  er  die 
Natur;  insofern  Gott  und  Geist  übernatürlich,  also   dem  In* 


72  Zimmtrmann. 

tellect  ungleichartig  sind,  erkennt  dieser  beide  nicht  ihrem 
Wesen,  sondern  höchstens  ihrer  durch  die  Natur  des  Intellects 
als  des  Mediums  bedingten  {Erscheinung  für  diesen  nach.  Voll- 
kommene Erkenntniss  des  Uebematürlichen  gewährt  daher 
nur  eine  übernatürliche,  dagegen  eine  blos  natürliche  Erkennt- 
nissquelle  Erkenntniss  nur  des  Natürlichen.  Jene  weist  daher 
Bacon  der  Theologie,  welche  aus  der  Offenbarung  der  Schrift, 
die  Erkenntniss  der  Natur  dagegen  der  Philosophie  zsu, 
welche  aus  der  Offenbarung  der  Sinne  schöpft.  Die  theo- 
logische Erkenntniss  ist  zwar  vollkommen,  aber  nicht  Wissen, 
sondern  Glauben,  die  philosophische  zwar  Wissen,  aber  nur  in 
Bezug  auf  die  Natur  vollkommenes,  in  Bezug  auf  Gott  und 
Geist  dagegen  unvollkommenes  Wissen.  Die  sogenannte  natür^ 
liehe  Theologie  d.  i.  das  natürliche  oder  philosophische  Wissen 
von  Gott  begründet  zwar  eine  negative,  aber  keine  affirma- 
tive Erkenntniss  desselben  d.  h.  reicht  zwar  hin,  die  Behaup- 
tung des  Atheismus,  dass  kein  Gott  sei,  zu  widerlegen,  nicht 
aber  jene  des  Theismus,  dass  und  was  Gott  sei,  zu  erweisen. 
Da  sonach  die  Natur  der  einzige  einer  vollkommenen 
Erkenntniss  durch  die  Philosophie  fähige  Gegenstand,  der 
einzige  Inhalt  der  Natur  aber  Körper  und  ihre  Beziehungen 
auf  imd  unter  einander  sind,  so  folgt,  da  der  menschliche 
Intellect,  um  zur  Erkenntniss  der  Natur  zu  gelangen,  derselben 
gleichartig  d.  h.  selbst  Natur  sein  soll,  consequent,  dass  derselbe 
körperlich,  weil  natürlich,  gedacht  werden  müsse.  Damit 
stimmt  es  überein,  dass  Bacon  einerseits  die  Philosophie,  welche 
als  natürliche  Wissenschaft  von  der  Natur  nichts  anderes  als 
Naturphilosophie  sein  kann,  nicht  nur,  je  nachdem  sie  von  dem 
allen  Körpern  Gemeinschaftlichen  handelt,  oder  sich  auf  das 
einer  gewissen  Classe  von  Körpern  Eiigenthümliche  einschränkt, 
in  einen  allgemeinen  und  besonderen  Theil,  sondern  diesen 
letzteren  selbst,  je  nach  der  besonderen  Gattung  der  Körper 
(Naturkörper,  Himmelskörper,  menschlicher  Körper)  in  weitere 
Unterabtheilungen  (Physik,  Astronomie,  Anthropologie)  sondert, 
andererseits  die  menschliche  Seele,  die  Trägerin  des  Intellects, 
für  einen  dünnen,  warmen  Körper  erklärt  d.  h.  selbst  unter 
das  Körperliche  überhaupt  einreiht.  Sonach  ist  alles,  was 
Object  einer  wirklichen  Erkenntniss  durch  den  Intellect  werden 
kann,  die  Seele  selbst  eingeschlossen,  körperlich,  die  Philosophie, 


üeber  Hvme*8  StolliiDg  s«  Berkftlej  und  Kant.  73 

soweit  ihr  Charakter  durch  jenen  ihres  Erkenntnissgegenstandes 
beatimmtwird,  durchwegs  Materialismus.  Dass  neben  den  Körpern 
eine  Welt  unkörperlicher  Wesen  (spiracula)  und  ein  gleichfalls 
unkörperlicher  Gott  existire,  wird  nicht  geläugnet,  aber  die 
Fähigkeit,  dieselben  zu  erkennen,  eben  um  ihrer  Unkörper* 
Hchkeit  willen  der  Philosophie  ab-  imd  einer  anderen  Wissen- 
schaft, der  Theologie^  zugesprochen  d.  h.  die  Identität,  was 
das  Erkenntnissobject  betrifft,  des  Materialismus  mit  Philosophie, 
des  Immaterialismus  mit  Theologie  (Nicht-  oder  Un- Philosophie) 
behauptet. 

Wissenschaft  von  der  körperUchen  und  solche  von  einer 
geistigen  Welt,  Materialismus  und  Immaterialismus,  Philosophie 
und  Theologie,  treten  nach  Bacon  als  zwei  zwar  zusammenge- 
hörige, aber  von  einander  abgekehrte  Hemisphären  auseinander, 
die  sich  zum  ganzen.  Wissen  und  Glauben  umfassenden  System 
der  Erkenntniss,  zum  ,gIobus  intellectualisS  ergänzen.  Beide 
stehen  einander  gegenüber  wie  feindliche  Brüder,  die  sich 
in  das  Erbe  getheilt  haben,  und  von  welchen  jeder  innerhalb 
des  eigenen  Gebietes  auf  seinem  Rechte  besteht,  ohne  auf 
jenes  des  anderen  innerhalb  des  seiuigen  eifersüchtig  zu  sein. 
Materialismus  und  Immaterialismus  machen,  von  diesem  Ge- 
sichtspunkte aus  betrachtet,  keinen  Gegensatz  innerhalb  und 
auf  der  philosophischen  Halbkugel,  sondern  sie  machen  den 
G^ensatz  zwischen  dieser  selbst  und  ihrer  Antipodin,  der 
theologischen  Halbkugel,  aus.  Der  Streit  zwischen  diesen 
endet  entweder  mit  dem  Siege  der  Philosophie,  durch  welche 
die  Theologie,  oder  mit  jenem  der  letzteren,  durch  welche  die 
erstere  vernichtet  wird.  Der  philosophische  Streit  zwischen 
Materialismus  und  Immaterialismus  dagegen  beginnt  erst  dann, 
wenn  diese  bisher  mit  den  einander  ausschliessenden  Gebieten 
der  Philosophie  und  Theologie  zusammengefallenen  Gegenpole 
auf  eines  derselben,  das  philosophische,  ausschliesslich  über- 
tragen und  innerhalb  dieses  letzteren  nicht  wie  bisher  als  zwei 
verschiedene  Wissenschaften,  sondern  als  verschiedene  Auf- 
fassungsweisen derselben  Wissenschaft  ins  Feld  geführt  werden. 

Dieser  Fall  tritt  ein,  wenn  einerseits  nicht  nur  die  soge- 
nannte natürliche  Wissenschaft  (Philosophie)  für  die  einzige 
wirkliche  Wissenschaft  erklärt,  die  sogenannte  übernatürliche 
Wissenschaft  (Theologie)  aus  dem  Gebiete  der  Wissenschaften 


74  Zimmermann. 

ausgeschloBsen,  sondern  zugleich  als  die  einzig  wahre  Form 
der  natürlichen  Wissenschaft  der  Materialismus  anerkannt, 
andererseits,  wenn  zwar  die  übernatürliche  Wissenschaft  (Theo- 
logie) als  eine  von  der  natürlichen  (Philosophie)  wesenhaft  ver- 
schiedene bestehen  gelassen,  der  Begriff  der  Philosophie  auf 
die  natürliche  Wissenschaft  eingeschränkt,  jedoch  der  zuvor 
von  der  Theologie  ausschliesslich  eingenommene  Standpunkt 
des  Immaterialismus  auch  als  einzig  berechtigter  in  der  Philo- 
sophie anerkannt  wird.  Wenn  es  für  ersteren  Standpunkt  nur 
einerlei  Wissenschaft,  die  philosophische,  und  nur  eine  Philo- 
sophie, den  Materialismus,  so  gibt  es  für  letzteren  zwar  zweierlei 
Wissenschaften,  aber  nur  eine  Philosophie:  den  Immaterialismns. 
Repräsentant  des  ersteren  ist  Hobbes,   des  letzteren  Berkeley. 

Zu  der  Ausschliessung  der  Theologie  aus  dem  Umkreise 
der  Wissenschaft  hat  Bacon  insofern  selbst  die  Veranlassung 
gegeben,  als  er  die  Frucht  übernatürlicher  d.  i.  aus  der  gött- 
lichen Offenbarung  geschöpfter  Erkenntniss  als  Glauben,  jene 
dagegen  der  natürlichen  d.  i.  aus  der  Erfahrung  durch  die 
Sinne  geschöpften  Erkenntniss  als  Wissen  bezeichnet.  Wem 
nur  um  das  letztere  d.  i.  um  Wissenschaft,  keineswegs  um 
den  ersteren,  das  Dogma,  zu  thun  ist,  ist  daher  vollkommen 
berechtigt,  sich  auf  die  natürliche  ErkenntnissqueUe  (Elrfahrung 
durch  die  Sinne)  zu  beschränken,  dagegen  die  übemattlrliche 
Erkenntnissquelle  (göttliche  Offenbarung)  als  überhaupt  nicht 
oder  doch  wenigstens  nicht  ftLr  die  Wissenschaft  vorhanden 
anzusehen.  Wem  aber,  einmal  auf  diesem  Standpunkt  an- 
gelangt, um  wirkliches,  nicht  blos  um  scheinbares  Wissen  d.  i. 
um  Erkenntniss  der  zu  erkennenden  Objecto,  wie  sie  (ihrem 
Wesen  nach)  sind,  nicht  blos,  wie  sie  dem  erkennenden  Sub- 
jecte  (seinem  Wesen  nach)  erscheinen  müssen,  zu  thun  ist, 
der  wird  nur  diejenige  Erkenntniss  als  vollkommene  d.  i.  als 
Wissen  gelten  lassen,  bei  welcher  das  erkennende  Subject  dem 
zu  erkennenden  Object  gleichartig,  dagegen  diejenige  als  un- 
vollkommen d.  i.  als  Scheinwissen  (Illusion)  verwerfen,  bei 
welcher  das  Subject  dem  Object  ungleichartig  ist. 

Bacon  selbst  hat  ,unsem  Intellect*  (nostrum  intellectum) 
als  ,imgleichartige8  Mittel'  (medium  inaequale)  sowohl  der  Gott- 
heit als  dem  Menschen,  dessen  geistigem  Kerne  nach,  gegen- 
über bezeichnet.   Während  das  Wissen  ,unseres  Intellects'  von 


Ueber  Hume's  Stellnng  zo  Berkeley  und  Kant.  75 

diesen  beiden  Erkenntnissobjecten  nur  ein  unvollkommenes 
sein  kann,  ist  dasselbe  ein  vollkommenes  von  der  Natur  d.  i. 
von  der  Körperwelt,  flir  welche  derselbe  ein  ,medium  aequale* 
d.  i.  als  Ausfluss  seines  Organs,  der  ^physischen  Seele',  dieser 
und  dadurch  der  Natur  selbst  wesensverwandt  ist.  Wird  daher 
alles  unvollkommene  Wissen  als  blosses  Scheinwissen  bei  Seite 
gelassen  und  der  Begriff  des  Wissens  auf  das  von  Bacon  als 
solches  anerkannte  vollkommene  Wissen  eingeschränkt,  so 
folgt,  dass  wirkliches  Wissen  sich  überhaupt  nur  auf  die  Natur 
d.  i.  auf  die  Körperwelt,  beschränke,  und  weder  ausser  noch 
über  derselben  ein  wirklich  Gewusstes  existire. 

Der  Satz  des  Hobbes,  dass  ,ftLp  die  Philosophie'  nur 
Körper  existiren,  ist  damit  gegeben.  Denn  da  es  einerseits 
keine  andere  Wissenschaft  gibt  als  natürliche  und  keine  an- 
dere natürliche  Wissenschaft  als  Philosophie,  und  da  anderer- 
seits was  nicht  auf  vollkommenes  Wissen  sich  stützt  keine 
Wissenschaft  und  das  Einzige,  von  dem  ein  vollkommenes 
Wissen  möglich  ist,  die  Natur,  also  der  Inbegriff  der  Körper- 
welt ist,  so  folgt,  dass  die  letztere  sowohl  der  ausschliessliche 
Gegenstand  der  Philosophie,  wie  dass  diese  ausschliesslich 
Wissenschaft  von  Körpern  sei.  An  die  Stelle  des  Gegen- 
satzes des  Körperlichen  (Materiellen)  und  Unkörperlichen  (Im- 
materiellen) tritt  jener  eines  gröberen  und  feineren  Körper- 
lichen. Auf  die  Seite  des  letzteren  filllt  das  Subject,  auf 
die  Seite  des  ersteren  das  Object  der  Naturerkenntniss ;  jenes 
(die  Seele)  ist  nur  ein  feinerer,  dieses  (der  im  engeren  Sinn 
sogenannte  Naturkörper)  ein  gröberer  Körper.  An  die  Stelle 
des  Gegensatzes  zwischen  Vereinigungen  von  materiellen  (körper- 
lichen) Substanzen  zu  einem  körperUchen,  und  von  immateriellen 
(geistigen)  Substanzen  zu  einem  unkörperlichen  Ganzen  tritt 
bei  Hobbes  der  Gegensatz  zwischen  sogenannten  natürlichen 
und  künstlichen  Körpern.  Jene  sind  solche,  welche  auf  natür- 
lichem d.  i.  mechanischem,  diese  dagegen  solche,  welche  auf 
künstlichem  d.  i.  vom  Willen  abhängigem  Wege  hervorgebracht 
sind.  Elemente  der  ersteren  sind  wiUensimfkhige,  solche  der 
letzteren  dagegen  mit  Willen  begabte  Körper,  also  im  Gegen- 
satz zu  den  im  engeren  Sinne  sogenannten  seelenlosen  Körpern 
sogenannte  ,Seelen'  d.  i.  beseelte  Körper,  wie  es  z.  B.  die 
lebenden  Menschen    sind.     Wie    die   natürlichen    Körper   aus 


76  Zimmermann. 

kleinsten  Eörperchen  (Korpuskeln),  so  sind  die  künstlichen, 
unter  welchen  der  Staatskörper  der  vornehmste  ist,  aus  Indivi- 
dualwillen  d.  i.  den  kleinsten  unter  den  mit  Willen  begabten 
Körpern  (der  Staatskörper  aus  Staatsbttrgem)  zusammen- 
gesetzt. Folgerichtig  zerfallt  die  von  Körpern  handelnde 
natürliche  Wissenschaft  (philosophy)  in  zwei  Theile,  deren 
einer  (natural  philosophy)  von  den  natürlichen,  der  andere 
(civil  philosophy)  von  den  künstlichen  Körpern,  der  letztere 
insbesondere  von  dem  wichtigsten  derselben,  dem  Staatskörper, 
handelt. 

Auch  fUr  diese  Unterordnung  der  Staats-  unter  die  all- 
gemeine Körperlehre  findet  sich  der  Keim  schon  in  Bacon's 
f^ntheilung  der  Wissenschaften.  Was  die  natürliche  Wissen- 
schaft (Philosophie)  vom  Menschen  erkennt,  beschränkt  sich 
auf  dessen  natürliches  d.  i.  nicht  geistiges  Wesen,  da  letzteres 
ebenso  wie  das  Wesen  der  Gottheit  auf  natürlichem  Wege 
unerkennbar  bleibt.  Das  natürliche  Wesen  des  Menschen 
aber  sowohl,  was  dessen  Leib,  als  was  dessen  ,Seele'  betrifft, 
ist  nach  Bacon  ,körperlich',  die  sogenannte  ^Seele'  nur  ein 
,dünner,  warmer  Körper^  Der  Mensch  als  Object  der  Philo- 
sophie ist  daher  nichts  weiter  als  ein  Körper  und  fällt  unter 
die  aUgemeine  Körperlehre;  folgerichtig  bildet  daher  die  philo- 
sophische Lehre  vom  Menschen  neben  der  philosophischen 
Lehre  von  den  Himmelskörpern  imd  jener  von  den  Natur- 
körpem  im  engeren  Sinne  einen  Theil  der  philosophischen  Natur- 
lehre überhaupt  und  hat,  wie  jede  der  beiden  anderen,  sowohl 
einen  speculativen,  auf  die  Erkenntniss,  wie  einen  operativen, 
auf  die  Anwendung  der  die  jeweilige  Gattung  von  Körpern 
beherrschenden  Naturgesetze  gerichteten  Theil.  Lisofem  die- 
selbe den  Menschen  d.  i.  nach  Obigem  den  aus  dem  körper- 
lichen Leibe  und  der  gleichfalls  körperlichen  Seele  zusammen- 
gesetzten beseelten  Menschenkörper  als  Einzelnen  betrachtet, 
ist  sie  Anthropologie  (philosophia  humana),  je  nachdem  sie 
denselben  jedoch  als  Glied  einer  durch  Vereinigung  mehrerer 
seines  Gleichen  gebildeten  Gesellschaft  in  Betrachtung  zieht, 
aber  PoUtik  (philosophia  civilis).  Erstere  ftlUt,  wie  man  sieht, 
als  Lehre  vom  Menschen  als  beseeltem  Naturkörper  in  den 
Umfang  der  von  Hobbes  als  Naturphilosophie  bezeichneten  Lehre 
von  den  natürlichen   Körpern;    letztere   aber   Mit   als  Lehre 


üeber  Home's  Stellung  tu  Berkeley  nnd  Kant.  77 

von  der  durch  Vereinigung  Mehrerer  entstehenden  Menschen- 
gesellschaft mit  der  von  Hobbes  als  civil  philosophy  bezeichneten 
Lehre  vom  künstlichen  oder  Gesellschaftskörper  (Corporation) 
zusammen. 

Bacon's  Lehre,  soweit  sie  den  Anspruch  erhebt,  natür- 
liche Wissenschaft  d.  i.  Philosophie  zu  sein,  ist,  was  das  Wesen 
sowohl  des  Subjects,  wie  des  Objects  der  Erkenntniss,  den 
Menschen  und  die  Natur,  betrifft;,  von  jener  des  Hobbes  nicht 
verschieden,  da  sie  das  eine  ebenso  wie  das  andere  gleich 
dieser  für  körperlich  (materiell)  ansieht.  Die  Möglichkeit 
der  Erkenntniss  der  Natur  durch  den  Menschen  beruht  für 
beide  auf  der  Wesensgleichheit  d.  i.  Körperlichkeit  beider, 
die  Wirklichkeit  d.  i.  Wahrheit  derselben  jedoch  für  beide 
auf  der  Uebereinstimmung  des  im  Object  mit  dem  im  Subject 
der  Erkenntniss  Vorhandenen  d.  i.  in  der  treuen  Wiedergabe 
des  ersteren  durch  das  letztere  (seien tia  veritatis  imago). 

Je  nachdem  bei  dieser  Bestimmung,  dass  die  Ueberein* 
Stimmung  des  Inhalts  des  im  Subject  enthaltenen  Bildes  mit 
dem  Inhalt  des  Objects  d.  h.  der  in  jenem  abgebildeten 
Wirklichkeit  Ek'kenntniss  sei,  von  der  Seite  des  Subjects  oder 
von  jener  des  Objects  ausgegangen  wird,  treten  entgegen- 
gesetzte Forderungen  zu  Tage.  Geht  man  von  Seite  des  Sub- 
jects aus,  so  wird  verlangt,  dass  von  diesem  in  den  Inhalt  des 
Bildes  nichts  hineingetragen  werde,  was  nicht  im  Inhalt  des 
Abzubildenden  gelegen  ist.  Geht  man  dagegen  von  der  Seite 
des  Objects  aus,  so  wird  verlangt,  dass  alles,  was  im  Inhalt 
des  Abzubildenden  gelegen  ist,  aber  auch  nur  dieses  im  Inhalt 
des  Bildes  wiederzufinden  sei.  Erstere  Forderung  geht  von 
der  Voraussetzung  aus,  dass  das  Subject  der  Erkenntniss 
Eigenes,  also  mehr  enthalte  als  im  Objecto,  letztere  dagegen 
von  der  entgegengesetzten  Annahme ,  dass  das  Object  der 
Erkenntniss  weniger  enthalte  als  im  Bilde  d.  i.  dass  in  diesem 
Fremdes  anzutreffen  sei. 

Erstere  Forderung  entspricht  dem.  Verlangen  Bacon's,  dass 
der  menschliche  Intellect,  um  die  Natur  getreu  zu  interpretiren, 
sich  solcher  VorsteUungen,  die  nicht  aus  der  Natur  der  zu 
erkennenden  Objecto,  sondern  aus  seiner  eigenen  geflossen 
und  daher  in  Bezug  auf  jene  ,Idole*  (Trugbilder)  seien,  ent- 
ledigen  mtlsse.    Letzterer  Forderung  entspricht  die  Lehre  des 


78  ZimmermaDn. 

HobbeB;  dasB  die  sogenannten  Empfindungsqualitäten  (Farbe 
Ton  u.  B.  w.)  als  solche  nicht  in  den  Körpern  d.  i.  in  den  Ob- 
jecten,  sondern  nur  in  dem  dieselben  empfindenden  Wesen 
d.  i.  dem  Subject  der  Erkenntniss  vorhanden  seien.  Subject 
und  Object  der  Erkenntniss,  obgleich  beide  körperlich,  ver- 
halten sich  doch  zu  einander  wie  feinere  und  gröbere  Körper- 
lichkeit. Die  Vorgänge  im  ersteren,  die  intellectuellen,  nehmen 
an  dessen  feinerer,  dagegen  die  Eigenschaften  des  letzteren, 
die  reellen,  an  dessen  gröberer  Körperlichkeit  Theil;  jene 
können  daher  im  Verhältniss  zu  diesen  ihrer  Körperlichkeit 
unbeschadet  als  gleichsam  unkörperlich,  diese  müssen  im  Ver- 
hältniss zu  jenen,  ihrer  gröberen  Körperlichkeit  halber,  im 
verstärkten  Grade  als  materiell  bezeichnet  werden.  Auf  diesem 
Wege  entsteht  inmitten  der  allgemeinen  Körperlichkeit,  sowohl 
der  Vorgänge  im  Subject  wie  jener  in  den  Objecten  der  Er- 
kenntniss, ein  neuer  Gegensatz  zwischen  den  als  unkörperlich 
in  weiterem  Sinne  vorgestellten  Vorgängen  im  Subject  und  den 
als  körperlich  in  engerem  Sinne  vorgestellten  Vorgängen  in 
den  Objecten  der  Erkenntniss,  von  denen  die  ersteren  als 
relativ  immateriell,  die  letzteren  als  gleichsam  in  zweiter  Potenz 
materiell  angeseheA  werden. 

Gelten  in  Folge  dessen  alle  im  menschlichen  Intellect 
sich  vollziehenden  Vorgänge  im  Vergleich  und  im  VerhältniBS 
mit  den  Körpern,  ihren  Eigenschaften  und  Bewegungen  für 
^relativ  immateriell^,  so  lassen  sich  in  dieser  ihrer  Immaterialität 
zwei  weitere  Grade  unterscheiden,  je  nachdem  dieselben  aus 
der  Natur  der  Erkenntnissobjecte  oder  aus  jener  des  Erkennt- 
nisssubjects  selbst  geflossen  sind.  Denn  da  nach  dem  er- 
kenntnisB-theoretischen  Grundsatz,  welcher  durch  die  ganze 
Entwicklungsgeschichte  des  englischen  Empirismus  hindurch- 
wirkt, das  Erkennende  dem  Erkannten  gleichartig  sein  muss, 
80  muss  der  intellectuelle  Vorgang  im  Subject,  welcher  aus 
der  Natur  des  (materiellen)  Objects  geflossen  ist,  eine  diesem 
Ursprung  entsprechende  Materialität  an  sich  tragen,  welche 
demjenigen  intellectuellen  Vorgang,  welcher  ausschliesslich  auB 
der  Natur  des  erkeimenden  Subjects  stammt,  noth wendiger 
Weise  abgehen  muss.  Ersterer  mit  letzterem  verglichen  ist 
daher  gleichsam  in  seiner  Immaterialität  materieller,  letzterer 
dagegen  in  vervielfachtem  Grade  immaterieller  Natur,   gleich- 


Üeber  Hnme*8  Stellung  cn  Berkeley  und  Kant.  79 

sam  immateriell  in  zweiter  Potenz.  Werden  die  ersteren, 
die  aus  der  Natur  des  Erkenntnissobjects  fliessen.  mit  Bacon 
Ideen  d.  i.  Abbilder  ^  dagegen  die  letzteren ;  weil  sie  aus  der 
Natur  des  Erkenntnisssubjeets  allein  stammen^  mit  demselben 
Idole  d.  i.  Trugbilder  genannt ,  so  verhalten  sich  beide ,  auf 
ihren  Erkenntnisswerth  hin  angesehen,  wie  wahre  und  falsche 
Vorstellungen  (Erkenntnisse  und  Illusionen),  dagegen  auf  ihre 
physische  Natur  hin  angesehen,  insofern  beide  Vorgänge  inner- 
halb der  jSeele*  d.  i.  des  ,dünnen  warmen  Körpers^  sind,  welchen 
Bacon  mit  diesem  Namen  auszeichnet,  wie  ,IIimbilder'  zu  blossen 
yHii'iig^'^püi^^stenS  von  welchen  die  ersten  als  ,Abdrtlcke^  durch 
die  Dinge  selbst  im  Hirne  hervorgebracht,  die  letzteren  dagegen 
als  ,wunderbare  Blasen^  vom  Hirne  selbst  »aufgeworfen'  werden. 

Gelten  in  Folge  des  Obigen  *die  Körper,  ihre  Eigen- 
schaften und  Vorgänge,  verglichen  mit  den  im  InteUect  sich 
vollziehenden  relativ  immateriellen  Processen,  im  verstärkten 
Grade  für  »materiell',  so  lassen  sich  innerhalb  der  an  ihnen 
haftenden  Eigenschaften  zwei  Gattungen  unterscheiden,  von 
welchen  die  eine  ihnen  wirklich,  dagegen  die  andere  nur 
scheinbar  ihnen  zukommt.  Zu  den  ersteren  gehören  diejenigen, 
welche  den  Körpern  absolut  d.  i.  ohne  Beziehung  auf  ein  den- 
selben gegenüberstehendes  und  auf  ihre  Erkenntniss  ausgehen- 
de« Subject  innewohnen.  Als  letztere  werden  diejenigen  be- 
zeichnet, welche  den  Körpern  nur  relativ  d.  i.  in  Bezug  auf 
ein  denselben  gegenüberstehendes  wahrnehmendes  Subject  an- 
haften oder  richtiger  gesagt  von  diesem  auf  dieselben  über- 
getragen werden.  Hobbes  betrachtet  als  solche  die  Farbe,  den 
Klang  u.  s.  w.,  welche  als  solche  nur  im  und  vom  Subjecte 
empfunden  werden^  in  und  an  den  Körpern  aber  nichts  weiter 
als  blosse  Bewegungen  sind.  Während  die  absoluten  Eigen- 
schaften wirkliche,  sind  die  relativen  denselben  nur  angedich- 
tete Eigenschaften  der  Körper,  die  sich  zu  jenen  innerhalb 
des  Erkenntnissobjects  auf  dieselbe  Weise  verhalten  wie  Idole 
zu  Ideen  innerhalb  des  Erkenntnisssubjeets  und  daher  gleich- 
sam innerhalb  der  Materialität  der  körperlichen  Welt  ein  Im- 
materielles, wie  die  Ideen  innerhalb  der  Immaterialität  der  in- 
tell^ctuellen  Welt  das  Materielle  ausmachen. 

Wie  Bacon's  Erkenntnisstheorie  in  die  immaterielle  Ge* 
dankenwelt  ein  materielles,  so  führt  des  Hobbes'  Körpertheorie 


80  Zimmermann. 

in  die  materielle  Körperwelt  ein  immaterielles  Element  ein. 
Was  in  der  Vorstellung  des  Körpers  nicht  ans  dessen  Ein- 
wirkung auf  den  Intellect  selbst  entsprungen,  sondern  von  diesem 
in  dieselbe  hineingelegt  worden  ist^  ist  nach  Bacon  nicht  Er- 
kenntniss;  sondern  Fiction.  Was  am  Körper  nicht  diesem  an 
sichy  sondern  nur  in  Folge  seiner  Beziehung  auf  das  empfin- 
dende Subject  durch  dieses  zukommt  ^  ist  nach  Hobbes  nicht 
Eigenschaft  des  Körpers^  sondern  des  empfindenden  Subjects. 
Wie  nach  Abzug  desjenigen;  was  in  der  Vorstellung  des  Körpers 
Idee  d.  i.  Erfahrung  ist;  das  hohle  Idol,  so  bleibt  vom  Körper 
nach  Abzug  dessen,  was  von  seinen  Eigenschaften  Erscheinung 
d.  i.  durch  dessen  Beziehung  auf  das  empfindende  Subject  in 
diesem  hervorgerufener  Schein  ist,  dessen  wirkliches  Wesen 
als  Rest  zurück.  Wie  das  Idol  als  solches  ,Himgespinnst';  so 
ist  das  Wesen  des  Körpers  als  solches  ^Materialität^ ;  wie  die 
Idee  als  solche  ; Abbild^  im  Hirne,  so  ist  die  Erscheinung  als 
solche;  mit  dem  Wesen  verglichen;  ,Immaterialität^  Zu  den 
Ideen  gehören  alle  sinnlichen  Empfindungen;  welche  als  solche 
die  Grundlage  alles  auf  sinnlicher  Wahrnehmung  beruhenden 
(empirischen)  Wissens  bilden;  zur  Erscheinung  des  Körpers 
gehören  die  sogenannten  yEmpfindungsqualitäten^  welche  ak 
ySinnesphänomene'  (Farbe  EJang  Geruch  Geschmack  Härte 
Weichheit  u.  s.  w.)  den  materiellen  Kern  der  Körperwelt  mit 
dem  Illusionen  weckenden  Schleier  der  Sinnlichkeit  umhüllen. 
Weil  die  sinnlichen  Empfindungen  die  einzigen  Ideen ;  wird 
das  auf  solche  sich  gründende  Wissen  sensualistisch;  weil  das 
Wesen  des  Köi*pers  materiell;  wird  die  von  demselben  aus- 
gehende Körperlehre  materialistisch  genannt.  Jene  Bezeichnung 
entfiele;  wenn  es  sich  herausstellte;  dass  es  noch  andere  Ideen 
als  ausschliesslich  die  sinnlichen  Empfindungen  gebe;  auf  diese 
müsste  verzichtet  werden;  wenn  es  sich  herausstellte;  dass  die 
Materialität  des  Wesens  des  Körpers  kein  Gegenstand  der  Er- 
kenntniss  sein  könne. 

Beides  zusammengenommen  ist  Locke's  Fall  und  bezeichnet 
die  Stelle;  an  welcher  dieser  sowohl  den  Sensualismus,  wie  den 
Materialismus  seiner  Vorgänger  hinter  sich  lässt.  Ersteren, 
indem  er  neben  den  einfachen  IdeeU;  welche  durch  den  äus- 
seren Sinn  (Sensation);  auch  solche  anerkennt;  welche  durch 
einen  sogenannten  inneren  Sinn  (refiection)  hervorgebracht  werden ; 


üeber  Hnroe's  Stellung  zu  Berkeley  and  Kant.  81 

letzteren,   indem    er   zwar  die  Annahme   eines  Subsistirenden 
(einer  Substanz)  als  Wesen  des  Körpers  und  Trägers  der  körper- 
lichen Eigenschaften  flir  unvermeidlich,  das  Wesen  dieser  Sub- 
stanz selbst  (deren  Materialität  oder  Immaterialität)  aber  nicht 
nur  für  unbekannt,    sondern  für  (dem  menschlichen  Intellect) 
unerkennbar    erklärt.     Während     nach    Bacon    alle    Vorstel- 
lungen,   welche  nicht  aus  der  Natur  des  (äusseren)  Objects, 
sondern    aus    jener    (innem)    des    Subjects    stammen,    nicht 
Ideen,  sondern  blosse  ,Idole'  sein  sollen,  räumt  Locke  ein,  dass 
alle   diejenigen   einfachen   Vorstellungen,    welche   nicht   durch 
ySensation^,   sondern   durch  ,Reflection'  entstehen,   obgleich  ihr 
Object  demzufolge  kein  äusseres  (ausserhalb),   sondern  inneres 
(innerhalb    des    erkennenden    Subjects    selbst   gelegenes)    ist, 
demungeachtet   nicht   ,Idole^ ,    sondern   wirklich  ,Ideen^  seien. 
Unter   Voraussetzung    des    erkenntniss-theoretischen    Axioms, 
dass  Subject  und  Object   der  Erkenntniss  einander  gleichartig 
sein  müssen,   bedeutet  diese   durch   Locke  herbeigeführte   Er- 
weiterung  des    Umfangs    der   ,Idee^    so    viel,    dass,    während 
nach   Bacon   die   Vorgänge   im    Subject,    um    ,Ideen'    heissen 
zu   dürfen,   mit  der  Natur  des   äusseren  (materiellen)  Objects 
wesensverwandt,    also    selbst   ,materiell<    sein   mussten,    die- 
selben  jetzt,    um  ,Ideen'  zu  sein,   auch   blos   der  Natur  eines 
,inneren'  (d.  h.  innerhalb   des  Subjects   selbst  gelegenen),   also 
der    (vergleichsweise    ,immateriellen')    Natur    dieses    letzteren 
gleichartig   sein,   also   aus   dessen,   nicht   aus   der  Natur  eines 
von   ihm   verschiedenen  Objects   stammen   können.     Während 
Bacon's  Erkenntnisstheorie  nur  zweierlei,   kennt  jene  Locke's 
dreierlei    Gattungen    von   Vorstellungen.     Nach  jener  werden 
nur  solche  Vorstellungen  unterschieden,   welche  entweder   aus 
der  Natur  des  Objects   (Ideen),   oder  aus  jener   des   Subjects 
stammen   (Idole).     Nach    dieser   werden   Vorstellungen    unter- 
schieden, welche  entweder  ein  ausserhalb  des  Subjects  gelegenes 
Object  oder  ein  innerhalb  des  Subjects  gelegenes  Object  oder 
gar  kein  Object  haben.  Vorstellungen  der  beiden  erstgenannten 
Arten  werden   von  Locke  ,Ideen^   genannt,  gleichviel  ob   sie 
aus   der  Natur  eines   ausserhalb   oder   innerhalb   des  Subjects 
gelegenen  Objects,   wenn    sie   nur  überhaupt   aus    der  Natur 
irgend  eines  Objects  geflossen  d.  h.  durch  ein  solches  gegeben, 
nicht,  wie  es  bei  Vorstellungen  ohne  alles  Object  der  Fall  ist, 

Sitanngsber.  d.  phiL-hist.  Cl.    CUI.  Bd.  I.  Hft.  6 


82  Zimmermann. 

(vom  Subject)  frei  d.  i.  aus  seiner  eigenen  Natur  heraus  er- 
funden sind.  Locke's  erste  Gattung  von  Ideen  fUlt  mit  Bacon's 
Ideen  überhaupt,  des  letztei^en  Idole  fallen  mit  Locke's  objeet- 
losen  Vorstellungen  (Imaginationen)  zusammen.  Die  zweite 
Gattung  von  Ideen^  die  Locke  eigenthUmlich  ist^  umfasst  ein 
Gebiet  von  Vorstellungen^  welche  im  Sinne  der  Bacon'schen 
Erkenntnisstheorie^  welche  nur  äussere  Objecte  zulässt^  sub- 
jectiv  (Idole),  dagegen  mit  den  ^objectlosen^  Vorstellungen  ver- 
glichen objectiv  (Ideen),  also  zugleich  (wenn  auch  in  verschie- 
dener Hinsicht)  das  eine  und  das  andere,  weder,  wie  Bacon's 
Ideen,  äussere  Erfahrungen,  noch,  wie  dessen  Idole,  blosse 
,Himge8pinn8te^  (Träume),  sondern  innere  Erfahrungen  sind. 

Verhalten  sich  nach  der  Annahme  sowohl  des  Sensualismus 
wie  des  Materialismus  Subject  und  Object  der  Erkenntniss 
(intelligente  Seele  und  Körperwelt)  wie  feinere  und  gröbere 
Materialität,  oder  wie  relative  Immaterialität  und  ebensolche 
Materialität  zu  einander,  so  verhalten  sich  nun  auf  dem  Stand- 
punkte des  Empirismus,  der  nicht  Sensualismus,  und  des  Rea- 
lismus, der  nicht  Materialismus  sein  mag,  die  beiden  Gattungen 
von  Ideen,  deren  eine  ausserhalb,  die  andere  innerhalb  des 
Subjects  gelegene  Objecte  hat,  obgleich  als  Vorgänge  innerhalb 
des  relativ  immateriellen  Subjects  beide  relativ  immateriell, 
doch  zu  einander  selbst,  wie  mehr  und  minder  immaterielle, 
beziehungsweise  minder  und  mehr  materielle  Vorgänge.  Denn 
da  die  äussere  Erfahrung  (Sensation)  ein  äusseres,  relativ 
materielles,  die  innere  Erfahrung  (Reflection)  ein  inneres,  relativ 
immaterielles  Object  besitzt,  jene  daher  ihrer  relativen  Im- 
materialität unbeschadet  einem  relativ  materiellen  Object  gleich- 
artig sein  soll,  während  die  letztere  ihrer  relativen  Immaterialität 
halber  ihrem  gleichfalls  relativ  immateriellen  Object  von  Haus 
aus  wesensverwandt  ist,  so  stellt  die  erstere  als  Materialität  in 
der  Immaterialität  im  Verhältniss  zur  letzteren  als  in  doppelter 
Hinsicht  reiner  Immaterialität,  gleichsam  das  gröbere,  jene  das 
feinere  Eletnent  in  der  Ideenwelt  und  stellen  die  beiden  Gebiete 
der  durch  äussere  und  der  durch  innere  Wahrnehmung  ent- 
standenen Ideen,  in  welche  dieses  letztere  zerfkllt,  zwei  ge- 
schiedene Reiche  von  Ideen  dar,  die  sich  zu  einander  ähnlieh 
wie  innerhalb  des  Umfangs  der  Wirklichkeit  das  Reich  des 
Körperlichen  (sinnlich  Wahrnehmburen)  zu  jenem  des  Geistigen 


Ueber  Hnme's  Stellnog  sa  £erk«l«j  und  Kant.  83 

(den  Sinnen  Unzugänglichen)  verhalten  und  daher  passend  als 
sinnliche  und  nichtsinnliche  Ideen  unterschieden  werden  können. 

Hängen  nach  Bacon's  Erkenntnisstheorie  Subjectivität 
d.  i.  relative  Immaterialität;  und  Wahrheit  der  Vorstellung  in 
dem  Sinne  von  einander  ab,  dass  mit  der  zunehmenden  Im- 
materialität  derselben  deren  Anspruch  auf  Wahrheit  sich  ver- 
mindert, so  zeigt  die  Erkenntnisstheorie  Locke's  an  der  Glaub- 
würdigkeit der  durch  innere  Ei*fahrung  gegebenen  Ideen,  dass 
eine  Vorstellung  an  Subjectivität  d.  i.  Immaterialität  (mit  der 
äusseren  Erfahrung  verglichen)  zu  wachsen  und  doch  ihren 
Anspruch  auf  Wahrheit,  gleich  dieser,  zu  behaupten  vermag. 
Lautet  dieses  Ergebniss,  mit  jenem  der  sensualistischen  Er- 
kenntnisstheorie verglichen,  für  die  äussere  d.  i.  auf  der  Gleich- 
artigkeit der  Vorstellung  mit  dem  äusseren  (materiellen)  Object 
beruhende  Erfahrung  insofern  ungünstig,  als  es  dieselbe  des  An- 
spruchs, als  ausschliessliche  Erkenntnissquelle  zu  gelten,  beraubt, 
so  fkllt  das  Urtheil  Locke's  über  das  vermeintliche  Recht  des 
Materialismus,  den  Kern  und  das  Wesen  der  körperlichen  Welt 
als  Materie  bezeichnen  zu  dürfen,  nichts  weniger  als  vortheil- 
haft  filr  diesen  aus. 

Zwar  die  Unterscheidung  Locke's  zwischen  secundären 
und  primären  Eigenschaften  der  Körper  (secundary  and  primary 
qualities),  von  welchen  die  ersteren  nur  in  der  Seele  und  nur 
die  letzteren  in  den  Körpern  selbst  sein  sollen,  fällt  mit  der 
Unterscheidung  des  Hobbes  zwischen  relativen,  dem  Körper 
nur  in  Bezug  auf  das  Subject,  und  absoluten  d.  i.  demselben 
an  sich  zukommenden  Eigenschaften  dem  Inhalt  nach  zu- 
sammen. Jene,  welche  Locke  auch  abgeleitete  nennt,  sind 
Farben  Töne  u.  s.  w.,  diese,  die  von  ihm  auch  als  ursprüng- 
liche (original)  oder  reale  Eigenschaften  bezeichnet  werden, 
sind  Grösse  Gestalt  Zahl  Lage  Bewegung  oder  Ruhe  ihrer 
dichten  (raumerfUllenden)  Theile.  Die  letztgenannten  Eigen- 
schaften sind  in  den  Körpern  selbst  wirklich  und  von  ihnen 
in  jedem  Zustande  unzertrennlich,  die  erstgenannten  dagegen 
nicht  in  ihnen,  sondern  nur  in  dem  wahrnehmenden  Subject 
wirklich  und  daher  von  den  Körpern  selbst  nicht  nur  ab- 
trennlich ,  sondern  thatsächlich  getrennt.  Die  Farbe  der 
Körper  besteht  nur  insofern  sie  gesehen,  ihr  Klang  nur  inso- 
fern  sie   gehört,   ihre  Härte   oder  Weichheit   nur   insofern   sie 

6* 


84  ZimmermaDa. 

getastet  werden^  und  zwar  nur  für  das  Auge  das  Ohr  die 
Hand,  welches  und  welche  dieselben  sieht  hört  und  tastet. 
Wird  das  Vorgestelltwerden  der  Körper  von  diesen  getrennt, 
so  verschwinden  alle  Farben  Töne  Härte-  und  Weichheitsgrade 
und  es  bleibt  nichts  übrig  als  eine  gewisse  Gestalt  Grösse, 
Bewegung  und  Lage  der  Körper  und  Körpertheile. 

Wie    des   Hobbes    relative,    so  sind  Locke's   secundäre 
Körpereigenschaften  solche,  welche  dem  Körper  nicht  wirklich, 
sondern  nur  dem  Scheine  nach  zukommen,  wirklich  d.  i.  nicht 
blos  dem  Scheine   nach  in  dem  wahrnehmenden  Subject  d.  i. 
in  der  Seele  sind.    Dieselben  können  demnach,  was  ihre  Natur 
betriffi;,  von  der  Natur  des  Subjects,  in  welchem  sie  sind,  nicht 
wesenhaft  verschieden   d.  h.   sie  mtlssen  von  derselben  Natur 
wie   die  ,Seele^  sein.    Wird  dieselbe,   wie   es  von  Bacon  und 
Hobbes  geschieht,   als  ein  Körper,  jedoch  als  ein   solcher  von 
grösserer  Feinheit  vorgestellt,  als  die  sogenannten  eigentlichen 
Körper  (im  engeren  Sinn   des  Wortes)   sind,   so  werden  auch 
jene  Eigenschaften  als  körperlich,  aber  von  einer  feineren  Körper- 
lichkeit, als   es   die  von   dem   eigentlichen  Körper  unabtrenn- 
lichen,   absoluten  oder  ursprünglichen  Eigenschaften  derselben 
sind,  gedacht  werden  müssen.     Dieselben  gelten  sodann  zwar 
für  materiell^  aber  im  Verhältniss  zu  den  ursprünglichen  Eigen- 
schaften ftlr  relativ  immateriell  d.  h.  der  völligen  UnkörperUch- 
keit    bei    weitem    näher    stehend    als    diese.     Wird    dagegen 
die   Seele,   wie   es   von   Locke  geschieht,   zwar   nicht  als   im- 
materiell,   aber    ebenso   wenig    als    materiell   vorgestellt   d.  h. 
zwar  dieselbe  als  existirend  (real)  anerkannt,  auf  eine  Erkenntniss 
ihrer  Natur  (ihres  Quäle)  aber  verzichtet,  so  gelten  dieselben  als 
Wesensverwandte  der  Seele   zwar   ebensowenig  wie  diese  für 
immateriell,    aber  auch    ebensowenig  für   materiell   d.   h.    sie 
werden   als   in   der  Seele   seiend    und   derselben   dem   Wesen 
nach,  wie  auch  dasselbe  beschaffen  sei,   gleichartig  anerkannt, 
aber   es  wird   auf  die  Erkenntniss   ihres  Wesens  ebenso   und 
aus   demselben   Grunde   wie   auf  jene   des  Wesens   der  Seele 
.Verzicht  geleistet. 

Während  Hobbes  mit  Bacon  die  Materialität  der  Seele  für 
wirklich,  hält  Locke  dieselbe  nur  für  möglich.  Während 
Bacon  die  Existenz  unkörperlicher  Wesen  auf  philosophischem 
Wege   für  unerweislich,    auf  theologischem   dingen   für  ans- 


üeber  Hnme's  Stellung  zu  Berkeley  und  Kant.  85 

gemacht,  Hobbes  für  schlecbterdings  unmöglich^  hält  Locke 
dieselbe  fUr  möglich.  Letzterer  steht  daher  der  Anerkennung 
immaterieller  Existenzen  als  Thatsache  insofern  näher  als  HobbeS; 
als  er  dieselbe  nicht  ausschliesst,  aber  auch  näher  als  Bacon^ 
insofern  er  nicht  wie  dieser  die  ,Seele^  vom  ^Geiste'  trennt^ 
also  zugibt,  dass,  wenn  sich  die  Immaterialität  des  Geistes 
philosophisch'  erweisen  liesse,  damit  auch  die  der  Seele  er- 
wiesen wäre. 

Wie  die  abgeleiteten  Eigenschaften,  weil  sie  in  der  Seele 
sind,  dieser,  so  müssen  die  ursprünglichen,  weil  sie  im  Körper 
sind,  diesem  wesensverwandt  sein.  Ist  daher  dieser,  wie 
Bacon  und  Hobbes  lehren,  seinem  Wesen  nach,  materiell,  so 
sind  es  auch  dessen  ursprüngliche  Eigenschaften.  Ist  da- 
gegen, wie  Locke  lehrt,  der  Körper  zwar  ,reaP  d.  h.  liegt 
demselben  ein  Substrat  zu  Grunde,  bleibt  aber  das  Wesen 
dieses  letzteren  selbst  für  den  Intellect  unzugänglich  d.  i. 
unerkennbar,  so  sind  auch  die  demselben  wesensverwandten 
Eigenschaften  zwar,  wie  das  Substrat,  real  und  ihrem  Wesen 
nach  dem  Wesen  desselben  verwandt,  aber  gleich  unerkennbar 
wie'  dieses.  Dieselben  werden,  wenn  das  Substrat  materiell 
ist,  materiell,  wenn  es  dagegen  immateriell  sein  sollte,  selbst 
gleichfalls  immateriell  sein,  und  da  Locke  die  Existenz  des 
Immateriellen  ebenso  wenig  wie  jene  der  Materialität  des  Exi- 
stirenden  ftlr  unmöglich  hält,  so  ist  es  an  sich  nicht  aus- 
geschlossen, dass  die  Materialität  der  ursprünglichen  Eigen- 
schaften blosser  Schein  d.  h.  diese  selbst  Erscheinung  eines 
Immateriellen  und  als  solche  den  in  der  möglicher  Weise 
gleichfalls  immateriellen  Seele  seienden  secundären  Eigenschaften 
gleichartig,  ursprüngliche  und  abgeleitete  E^genschafl;en  der 
Körper  daher  beide  immateriell  wären. 

Wie  in  Bezug  auf  die  Seele,  so  in  Bezug  auf  den 
Körper  steht  Locke's  Realismus,  welcher  die  Realität  eines 
sowohl  der  einen  wie  dem  andern  zu  Grunde  liegenden  Sub- 
strates anerkennt,  aber  die  Unerkenn  barkeit  der  Qualität  des- 
selben behauptet,  dem  Immaterialismus  d.  i.  der  Behauptung 
der  Immaterialität  alles  Existirenden  um  einen  Schritt  näher 
als  Hobbes  mit  seiner  Behauptung  der  Unmöglichkeit  der 
Existenz  eines  Immateriellen.  Letztere  schliesst  mit  dessen 
Möglichkeit  von  selbst  dessen  Wirklichkeit  aus.     Locke  lässt 


86  ZimmermaDn. 

mit  der  Anerkennung  seiner  Möglichkeit  die  Frage  von  dessen 
Wirklichkeit  offen. 

Secundäre  und  primäre  Eigenschaften  der  Körper  nach 
Locke,  wie  relative  und  absolute  Eigenschaften  derselben  nach 
Hobbes  verhalten  sich  zu  einander  wie  Schein  zu  Wirklichkeit, 
Subjectives  zu  Objectivem,  Phänomene  zu  Realitäten.  Dabei 
wird  den  letzteren  ebenso  als  Eigenschaften^  welche  als  solche 
einen  Träger,  wie  jenen  als  Phänomenen,  welche  als  solche 
ein  Subject  erfordern,  ein  Substnit  untergelegt,  welches  als 
Träger  von  Eigenschaften  ebensowenig  eine]  blosse  Eigen- 
schaft, wie  als  Träger  von  Phänomenen  selbst  blos  ein  Phä- 
nomen sein  kann,  daher  in  jenem  Fall  als  Subsistirendes  (Sub- 
stanz d.  i.  Wesen,  das  Eigenschaften  hat),  in  diesem  als  ,Seele^ 
(Subject  d.  i.  Wesen,  das  Vorstellungen  hat)  bezeichnet  wird. 
Wie  der  Begriff  der  ,Sub8tanz'  nichts  anderes  *  enthält  als  den 
Oedanken  eines  übrigens  unbekannten  Etwas,  welches  den 
Eigenschaften,  die  wir  dem  Körper  zuschreiben,  zu  Grunde 
liege,  so  bedeutet  der  Begriff  ,Seele*  (Subject)  in  diesem  Zu- 
sammenhang nichts  anderes  als  den  Gedanken  eines  übrigens 
gleichfalls  unbekannten  Etwas,  in  welchem  die  Phänomene,'  die 
wir  Empfindungsqualitäten  nennen  (Färbe  Klang  Härte  Weich- 
heit u.  8.  w.),  vor  sich  gehen.  Wie  die  Annahme  der  Sub- 
stanz nur  durch  die  Eigenschaften,  so  wird  jene  der  Seele  nur 
durch  die  Phänomene  nothwendig  gemacht,  weil  die  ersteren, 
wenn  sie  vorhanden  sind,  nicht  ohne  Träger,  die  letzteren, 
wenn  sie  gegeben  sind,  nicht  ohne  Subject  gedacht  werden 
können.  Wären  daher  keine  Eigenschaften,  so  fiele  die 
Nothwendigkeit  der  Annahme  einer  denselben  zu  Grunde  liegen- 
den Substanz,  wären  keine  Phänomene,  die  gleiche  der  An- 
nahme eines  Subjects,  dessen  Scheinw^lt  sie  ausmachten,  von 
selbst  hinweg. 

Ersterer  Fall  tritt  ein,  wenn  die  sogenannten  primären 
oder  ursprünglichen  Eigenschaften  der  Körper ,  welche  als 
solche  real  und  den  sogenannten  secundären  oder  abgeleiteten 
Eigenschaften  derselben,  welche  blosse  »Phänomene'  sind,  ent- 
gegengesetzt sein  sollen,  sich  gleichfalls  als  nicht  real  d.  i., 
wie  die  secundären,  als  blosse  Phänomene  erweisen  sollten. 
Denn  da  die  secundären  Eigenschaften,  wie  oben  erwähnt, 
nicht  in  den  Körpern,   sondern,  weil  , Phänomene',   nur  in  der 


üeber  Hnme^s  Stellaog  tu  Borlreley  und  KAnt.  87 

Seele^  also  keine  Eigenschaften  der  Körper  sind^  so  sind;  so- 
bald die  bisher  sogenannten  primären  d.  i.  in  den  Körpern 
befindlich  gedachten  Eigenschaften  sich  gleichfalls  als  *Phäno- 
mene  d.  i.  als  nur  in  der  Seele  befindlich  erwiesen  haben 
sollten,  überhaupt  keine  Eigenschaftien;  die  in  den  Körpern  sein 
könnten,  mehr  vorhanden,  und  die  Annahme  eines  Trägers 
ftir  (nicht  mehr  vorhandene)  Eigenschaften  wird  Überflüssig. 

Dieser  Fall  ist  derjenige  Berkeley's  und  wird  durch 
dessen  Nachweis,  dass  die  sogenannten  primären  Eigenschaften 
(Ghrösse  Gestalt  Zahl  Lage  Bewegung  oder  Ruhe  der  raum- 
erftlUenden  Theile)  ebenso  gut  wie  die  secundären  (Farbe 
Klang  Härte  Weichheit  u.  s.  w.)  blosse  ,Phänomene^,  und  als 
solche  nur  in,  aber  nicht  ausser  der  Seele  seien,  herbeigeführt. 
Da  nach  Locke  dasjenige,  was  wir  Körper  nennen,  ein 
Ganzes  ist,  welches  aus  (realen)  Eigenschaften  und  deren 
(gleichfalls  realem)  Träger  (der  Substanz)  besteht,  welche 
letztere  nur  durch  die  Realität  der  Eigenschaften  nothwendig 
gemacht  wird,  ein  Ganzes  aber  imaginär  wird,  sobald  seine 
Theile  imaginär  geworden  sind,  so  verwandelt  sich  durch  den 
Nachweis,  dass  die  Realität  der  Eigenschaften  eine  Imagination, 
die  nur  um  ihrer  Realität  willen  unvermeidliche  Annahme  einer 
Substanz  somit  grundlos  sei,  der  Glaube  an  die  Realität  des- 
jenigen, was  wir  Körper  nennen,  selbst  in  eine  blosse  Imagi- 
nation, und  die  vermeintliche  Körperwelt  stellt  sich  als  blosse 
Scheinwelt  heraus. 

Folge  davon  ist,  dass  der  Körper  als  ein  Ganzes  von 
Eigenschaften,  von  welchen  jede,  sie  sei  nun  in  der  von  Locke 
festgestellten  Bedeutung  eine  ursprüngliche  oder  eine  abgeleitete, 
blosses  ,Phänomen'  ist,  als  Ganzes  von  blossen  Phänomenen 
selbst  blosses  Phänomen  und  als  solches,  wie  alle  die  Eigen- 
schaften, aus  denen  er  besteht,  nicht  ausser,  sondern  in  der 
,Seele'  vorhanden  sein  kann. 

Von  den  beiden  Gegensätzen,  dem  Körper  als  Object 
und  der  Seele  als  Subject,  bleibt  sonach,  da  der  Körper  sich 
in  ein  blosses  Phänomen  in  der  Seele  aufgelöst  hat,  nur  die 
,Seele'  als  Realität  d.  i.  Nicht-Phänomen,  obgleich  Sitz  und 
Schauplatz  von  Phänomenen,  übrig.  Indem  durch  die  Ver- 
wandlung der  vermeintlich  realen  Eigenschaften  der  Körper  in 
blosse  (subjective)  Phänomene  die  Nöthigung,  denselben  eine 


SB  Zinmerinann. 

reale   Substanz   als   Grundlage  unterzuschieben,   aufhört,   ver- 
schwindet  umsomehr  die  weitergehende^   diese  letztere   selbst 
als  materielle  (körperliche)   Substanz   zu   denken.     Realismus 
d.  i.  die  Lehre,  dass  der  erscheinenden  Eörperwelt  reale  Sub- 
stanzen (mehrere  oder  eine),  ebenso  und  noch  mehr  der  Materia^ 
lismus   d.  i.  die  Lehre,   dass  der  Erscheinung  der  Körperwelt 
materielle    (körperliche)    Substanzen    (mehrere   oder   eine)   zu 
Grunde  lägen,  hat  seine  Berechtigung  eingebUsst;  an  die  Stelle 
des  ersteren  tritt  der  IdeaHsmus   d.  i.   die  Lehre,    dass  der 
Erscheinung  der  Körperwelt   keine  reale,    an  die  Stelle   des 
letzteren   der  Immaterialismus  d.  i.   die  Lehre,   dass   der  Er- 
scheinung der  Körperwelt,  weil  Überhaupt  keine  reale,   umso- 
mehr keine  materielle  Substanz  zu  Ghrunde  liege.     Beide  Be- 
griffe haben  zunächst  nur  einen  negativen,  die  Behauptungen 
ihrer    beziehungsweisen    Gegensätze    verneinenden   Sinn:    der 
Idealismus,  insofern  er  die  Unwahrheit  des  Realismus,  der  Im- 
materialismus,   insofern   er  jene   des  Materialismus  behauptet, 
keineswegs  aber  etwas  anderes  als  Wahrheit  an  dessen  Stelle 
setzt.     Letzteres    thut  erst  der   ,Phänomenalismus'   d.  i.    die 
Lehre,  dass  die  Erscheinung  der  Körperwelt  blosses  Phänomen 
d.  i.   das  Wesen  des  Körpers  Phänomenalität  sei.     Während 
der  Idealismus  das  Was  der  körperlichen  Erscheinung  negativ 
durch  die  Bestimmung  definirt,   dass  ihr  eine  reale  Substanz 
nicht  zu  Grunde  liege,  definirt  der  Phänomenalismus  dasselbe 
positiv   durch    die   Bestimmung,    dass    der  Körper  Phänomen 
sei.     Beides    fkllt  zwar    der  Sache    nach,    indem    dasjenige, 
dem  nichts  Reales  zu  Grunde  liegt,   nichts   anderes  als  ,Phä- 
nomen'   (Illusion)   sein  kann,    keineswegs  aber  dem   Begriffe 
nach    zusammen.     Phänomenalismus    und  IdeaUsmus    in    den 
oben  angegebenen  Bedeutungen   sind  Wechselbegriffe,  welche 
als  solche  zwar  denselben  Umfang,  keineswegs  aber  denselben 
Inhalt    haben.     Ersteres   in  dem  Sinne,    dass  alles  dasjenige, 
dem   kein  vom   Subject  verschiedenes   Object   als  Reales  zu 
Grunde  liegt,  nur  Phänomen  im  Subject  d.  h.  insofern  dasselbe 
auf  ein  vom  Subject  verschiedenes   reales  Object  von  jenem 
bezogen  wird,   ,Illusion^  sein   kann.     Letzteres  in  dem  Sinne, 
dass  der  Inhalt  des  einen  aus  positiven,    jener  des  anderen 
aus  negativen  Merkmalen  zusammengesetzt  ist.    Phänomenalis- 
mus und  Immaterialismus,    beide   in  den   oben  angegebenen 


Ueber  Hame's  Stellung  zn  Berkeley  und  Kant.  89 

Bedeutungen  genommen,  sind  dagegen  nicht  Wechselbegriffe, 
denn  dasjenige ,  welchem  keine  vom  Subject  verschiedene 
materielle  Substanz  zu  Grunde  liegt,  muss  darum  noch 
keineswegs  ,Illusion^  d.  h.  ein  ^Phänomen'  sein,  dem  über- 
haupt kein  vom  Subject  unterschiedenes  Object  zu  Grunde 
liegt,  indem  es  ja  auch  ein  Phänomen  sein  könnte,  dem  eine 
vom  Subject  verschiedene  aber  immaterielle  Substanz  zu 
Ghrunde  läge.  Beide  Begriffe  decken  einander  dem  Umfange 
nach  nicht,  dagegen  ist  der  Umfang  des  Begriffs  Immaterialis- 
mus  in  dem  des  Begriffs  Idealismus  eingeschlossen,  denn  dem- 
jenigen, welchem  überhaupt  kein  reales  Object  zu  Grunde 
liegt,  kann  umsoweniger  ein  materielles  Object  als  Substrat 
dienen.  Daraus  folgt ,  dass  der  Phänomenalismus  immer 
sowohl  Idealismus  als  Immaterialismus,  aber  nicht  umgekehrt 
der  Immaterialismus  immer  Phänomenalismus  (im  obigen  Sinne) 
sein  wird,  oder,  was  dasselbe  ist,  dass  es  zwei  Gattungen  des 
ImmateriaUsmus  geben  wird,  je  nachdem  den  Phänomenen  (im 
Subjecte)  entweder  überhaupt  kein  vom  Subject  verschiedenes, 
oder  nur  kein  vom  Subject  verschiedenes  materielles  Object 
zu  Grunde  liegt.  Nur  die  erstere  Gattung  flült  mit  dem 
Phänomenalismus  und  dem  demselben  gleich  geltenden  Idealis- 
mus, insofern  dieser  das  Gegentheil  des  Realismus  ausmacht, 
zusammen.  Die  zweite  Gattung  des  Immaterialismus  stellt 
vielmehr  eine  Art  des  Realismus,  und  zwar  diejenige  dar,  nach 
deren  Lehre  den  Phänomenen  (im  Subject)  zwar  kein  mate- 
rieUes,  aber  ein  immaterielles,  vom  Subject  verschiedenes  Object 
zu  Grunde  liegt. 

Berkeley's  Lehre  nun  ist,  was  ihre  negative  Seite  betrifft, 
Idealismus  und  Immaterialismus ,  was  ihre  positive  betrifft, 
Phänomenalismus.  In  ersterer  Hinsicht  bildet  sie  den  voll- 
kommenen Gegensatz  sowohl  zu  Locke's  Realismus,  wie  zu 
Hobbes'  Materialismus,  insofern  ihr  zufolge  als  Grundlage  der 
körperlichen  Welt  weder  überhaupt  eine  reale,  noch  insbe- 
sondere eine  materielle  Substanz  (Materie)  existirt.  In  letzterer 
Hinsicht  besteht  ihr  Kern  in  der  Behauptung,  dass  die  körper- 
liche Welt  ,Phänomen^  d.  i.  Vorstellung  im  vorstellenden  Subject 
sei.  Dieselbe  hat  daher  ihr  zufolge  ausserhalb  des  vorstellen- 
den Subjects  keine,  innerhalb  desselben  eine  nur  phänomenale 
Existenz,   gerade   wie    die    im  Traume   gesehene  Welt   nicht 


90  Zimmermann. 

ausserhalb  9  sondern  innerhalb  des  Traumes  existirt.  Ur- 
sprüngliche wie  abgeleitete  Eigenschaften  der  Körper^  deren 
Grösse  Gestalt  Lage  und  Ehitfemung  im  Räume  Bewegung 
und  Dauer  in  der  Zeit,  Farbe  Klang  Geruch  GeschnuK^ 
Härte  und  Weichheit  u.  s.  w.^  sowie  die  Körper  selbst  als 
beharrende  oder  wechselnde  Vereinigungen  ursprünglicher  und 
abgeleiteter  Eigenschaften  sind  nur  insofern  vorhanden,  als  sie 
vorgestellt  werden^  oder  was  dasselbe  ist,  sie  sind  nur  aLs  Vor- 
stellungen, deren  Inhalt  Ghrössen  Gestalten  Entfernungen  und 
Bewegungen,  Farben  Klänge  u.  s.  w.  ausmachen ,  vorhanden. 
Von  einem  Verhältniss  der  im  Snbject  vorhandenen  ^Phänomene' 
zu  einem  ausserhalb  des  Subjects  befindlichen  realen  (materieUen 
oder  immateriellen)  Object  zu  reden,  gleichviel  ob  dasselbe  als 
ein  solches  der  Causalität  oder  der  blossen  Congruenz  oder 
Incongruenz  des  beiderseitigen  Inhalts  verstanden  werde,  ist 
daher  unstatthaft,  weil  es  dieser  Lehre  zufolge  ein  vom  Subject 
verschiedenes  reales  (sei  es  materielles,  sei  es  immaterielles) 
Object  überhaupt  nicht  gibt,  also  auch  weder  von  demselben 
auf  das  Subject  oder  umgekehrt  von  diesem  auf  jenes  eingewirkt, 
noch  dessen  Inhalt  mit  jenem  des  .Phänomens'  irgendwie  ver- 
glichen,  also  auch  weder  als  diesem  entsprechend  noch  als 
nicht  entsprechend  bezeichnet  werden  kann.  Ebensowenig 
kann  von  Beziehungen  zwischen  angeblich  ausserhalb  des  Sub- 
jects vorhandenen  realen  (materiellen  oder  immateriellen)  Ob- 
jecten  zu  und  unter  einander  z.  B.  von  einem  Causalverhältniss 
zwischen  denselben  die  Rede  sein  aus  dem  gleichen  Grunde, 
weil  derartige  Objecto  nach  obigem  überhaupt  ebensowenig 
als  angebliche  ursprüngliche  oder  abgeleitete  Eigenschaften  der- 
selben (Grösse,  Gestalt,  Entfernung,  Bewegung,  Farbe,  Klang 
u.  6.  w.)  anders  denn  als  ,Phänomene',  daher  real  nicht  exi- 
stiren.  Da  sowohl  Körper  als  ihre  Eigenschaftien  ,Phänomene', 
abgesehen  von  dieser  phänomalen  Existenz  derselben  aber  weder 
Körper  noch  Eigenschaften  von  solchen  vorhanden  sind,  so 
können  schlechterdings  alle  zwischen  Körpern  und  deren  Eigen- 
schaften obwaltenden  Beziehungen  und  Verhältnisse  nichts 
anderes  als  Beziehungen  imd  Verhältnisse  zwischen  Phänomenen 
sein,  welche  das  einzige  thatsächlich  ,Gegebene^  aber  weder 
durch  ausserhalb  des  Subjects  befindliche  Objecto  (die  es  nicht 
gibt)   erzeugt  sind,   noch   auf   solche,   da  es  dergleichen  nicht 


üeber  Hnme's  Stellung  sn  Berkeley  nnd  Kant.  91 

gibt,  bezogen  werden  dürfen.  Was  vom  Standpunkt  des 
Materialismus  und  Realismus  angesehen  z.  B.  die  Beziehung 
der  Lage  d.  i.  eines  wirklichen  Körpers  zu  dem  wirklichen 
Räume;  das  ist  in  den  Augen  des  Phänomenalismus  die  Beziehung 
des  Phänomens  eines  Körpers  zu  dem  Phänomen  eines  Raumes. 
Ebenso  kann  das  Causalverhältniss^  das  vom  Gesichtspunkt  der 
beiden  erstgenannten  Welttheorien  als  ein  Verhältniss  zwischen 
wirklichen  Dingen  (realen  Substanzen  oder  materiellen  Körpern) 
gedacht  wird,  nach  den  Grundsätzen  des  Phänomenalismus  nur 
als  ein  zwischen  Phänomenen  stattfindendes  Verhältniss  gelten, 
was  für  dieses  die  Folge  hat,  dass  alle  diejenigen  Auffassungen 
der  Causalität,  welche  die  reale  oder  körperliche  Natur  des 
Verursachenden  und  Bewirkten  voraussetzen,  von  demselben 
ausgeschlossen  werden  müssen.  Von  dieser  Art  ist  der  so* 
genannte  Influxus  physicus,  welcher  entweder,  wie  der  Ma- 
terialismus den  Vorgang  sich  vorstellt,  in  einer  materiellen 
Ausströmung  aus  dem  materiellen,  Ursache,  in  den  gleichfalls 
materiellen,  Wirkung  genannten  Theil  oder^  wie  der  Realismus 
sich  den  Process  denkt,  in  einer  realen  Vermittlung  der  realen, 
Ursache,  und  der  gleichfalls  realen,  Wirkung  genannten  Substanz 
besteht.  Es  leuchtet  ein,  dass,  wenn  sowohl  der  vom  Materia- 
lismus als  Ursache  wie  der  von  ihm  als  Wirkung  angesehene 
Körper  und  ebenso,  wenn  sowohl  die  vom  Realismus  als  Ursache 
wie  die  von  ihm  als  Wirkung  angesehene  reale  Substanz,  wie  es 
nach  den  Principien  des  Phänomenalismus  gar  nicht  anders 
sein  kann,  blos  ,Phänomene'  bedeuten,  weder  von  einer  mate- 
riellen ,Ausströmung^  noch  von  einer  realen  ,Vermittlung' 
zwischen  denselben  gesprochen,  der  BegriiF  der  Causalität  in 
dem  Sinne,  in  welchem  sowohl  Materialismus  als  Realismus 
sich  desselben  bedienen,  demnach  gar  nicht  angewendet  werden 
kann.  Derselbe  muss  entweder  gänzlich  hinwegfallen  oder 
in  einer  Weise  umgestaltet  werden,  dass  er  mit  der  Grundlehre 
des  Phänomenalismus,  dass  Körper  und  körperliche  Eigenschaften 
bloB  Phänomene  seien,  verträglich  wird. 

Ebensowenig  als  die  dem  Materiatismus  und  Realismus 
geläufige  Form  der  Causalität,  kann  das  im  Sensualismus  aus- 
schliesslich übliche  materiale  Kriterium  der  Wahrheit  vor 
dem  veränderten  Gesichtspunkte  des  Phänomenalismus  Bestand 
haben.     Dasselbe  geht  davon  aus,   dass  (nach  Bacon's  Aus- 


92  Zinmerinann. 

druck)  scientia  veritatis  imago  d.  h.  der  Inhalt  des  im  Subject 
vorhandenen  Gedankens  ^Abbild'  des  ausserhalb  desselben  in 
der  Wirklichkeit  gegebenen  Inhalts,  oder  (nach  Locke's  Aus- 
druck), dass  die  Vorstellung  (im  Subject)  ^Zeichen^  für  das 
ausser-  oder  innerhalb  desselben  befindliche  Object  sei.  Er- 
stere  Ansicht  bedingt,  dass  der  Inhalt  der  Vorstellung  jenem 
des  (äusseren)  Gegenstandes  ähnlich  sei;  letztere  räumt  ein, 
dass  er  diesem  auch  unähnlich  sein  könne,  wie  es  bei  den 
meisten  der  ,sinnUchen^  Vorstellungen  der  Fall  sei,  und  ,wie 
es  die  Worte  den  durch  sie  bezeichneten  Vorstellungen  sind'. 
Beide  jedoch  kommen  darin  überein,  dass  die  Vorstellung,  um 
für  glaubenswürdig  zu  gelten,  durch  das  ihr  entsprechende 
Object  erzeugt  oder  verursacht  sein  müsse,  wobei  Bacon  als 
selbstverständlich  betrachtet,  dass  die  erzeugte  Vorstellung  dem 
sie  erzeugenden  Objecto  ähnlich  sein  werde,  während  Locke 
zugibt,  dass  sie,  obgleich  durch  das  Object  erzeugt,  diesem 
demungeachtet  unähnlich  sein  könne.  Das  eigentliche  Kri- 
terium liegt  daher  nicht  sowohl  in  der  Aehnlichkeit  der  Vor- 
stellung und  ihres  Objects,  welche  auch  fehlen  kann,  als  vielmehr 
in  dem  Erzeugtsein  der  Vorstellung  durch  das  Object,  welches 
niemals  fehlen  darf,  wenn  dieselbe  fUr  gegeben  d.  i.  für  Er- 
fahrung (äusssere  bei  Bacon,  äussere  oder  innere  bei  Locke) 
gelten  soll.  Da  vom  Standpunkt  des  Phänomenalismus  aus 
nun  das  äussere  Object  (die  Körperwelt)  die  vom  Materialismus 
und  Realismus  ihr  beigelegte  reale  Existenz  eingebüsst  hat, 
das  Object,  welches  der  Erkenntnisstheorie  beider  zufolge  eine 
ihm  correspondirende  (ähnliche  oder  unähnliche)  Vorstellung 
im  Subject  verursachen  soll,  somit  nicht  mehr  existirt,  so  kann 
der  Unterschied  glaubwürdiger  und  unglaubwürdiger  Vorstel- 
lungen auch  nicht  mehr  darauf  basirt  werden,  dass  die  einen 
durch  real  existirende  Dinge  erzeugt,  die  anderen  nicht  durch 
solche  hervorgerufen,  sondern  auf  irgend  eine  andere  Art  im 
vorstellenden  Wesen  entstanden  sind. 

Wie  an  die  Stelle  der  Beziehungen  zwischen  den  Körpern, 
so  treten  an  jene  der  Beziehungen  zwischen  diesen  und  dem 
Vorstellenden  solche  zwischen  blossen  Phänomenen.  Nur  dass 
diejenigen  Beziehungen  zwischen  den  Phänomenen ,  welche 
innerhalb  der  Welt  der  Phänomene  jene  Stelle  ausfüllen,  welche 
innerhalb  der  Welt  der  Körper  z.  B.  das  Causalitätsverhältniss 


üeber  Hame*s  Stellung  zu  Berkeley  und  Kant.  93 

und  Aehnlicfaes  einnehmen,  andere  sind  als  jene^  welche  in  der 
Welt  der  Phänomene  an  die  Stelle  derjenigen  treten,  welche 
nach  den  Erkenntnisstheorien  des  Sensualismus  und  Empirismus 
zwischen  der  Vorstellung  und  ihi-em  (erzeugenden)  Object  statt- 
finden. Wie  in  ersterer  Hinsicht  die  sogenannte  Generations- 
folge in  der  Körperwelt,  vermöge  welcher  das  Erzeugte  nicht 
blos  später  als  das  Erzeugende,  sondern  zugleich  aus  dessen 
Stoffe  erzeugt  d.  h.  ein  Theil  desselben  ist^  durch  die  blosse 
Zeitfolge  in  der  Welt  der  Phänomene  ersetzt  wird,  vermöge 
welcher  die  sogenannte  Wirkung  keineswegs  stofflich  aus  der 
sogenannten  Ursache  erzeugt,  sondern  eben  nur  als  Phänomen 
später  als  diese  ist,  so  tritt  in  letzterer  Hinsicht  an  die  Stelle 
der  Beziehung  zwischen  dem  Inhalt  der  Vorstellung,  welche 
als  solche  Phänomen  und  dem  Inhalt  des  Objects,  welches  als 
solches  real  (Nicht -Phänomen)  ist,  die  Beziehung  zwischen  dem 
Inhalt  eines  Phänomens,  welches  als  Vorstellung,  und  dem  Inhalt 
eines  andern  Phänomens,  welches  als  deren  Vorgestelltes  fun- 
girt.  Wie  dort  das  blosse  Nacheinander  der  Phänomene  als 
CansalverhältnisB ,  so  muss  hier  die  blosse  Uebereinstimmung 
der  Phänomene  mit  und  unter  einander  als  (formales)  Kriterium 
der  Wahrheit  ausreichen. 

Wie  in  dem  Ersatz  der  realen  Körperwelt  durch  blosse 
Phänomene  ein  nihilistisches,  so  liegt  in  der  Ersetzung  des 
materialen  Kriteriums  der  Wahrheit  durch  ein  blos  formales 
ein  skeptisches  Element.  Wenn  das  Phänomen,  hinter  dem 
ein  reales  Wesen  existirt,  Erscheinung,  so  ist  ein  solches,  hinter 
dem  keinerlei  Realität  verborgen  ist,  blosser  Schein.  Jene, 
insofern  sie  Erscheinung  eines  Wesens  d.  i.  eines  Was  ist,  ist 
selbst  Etwas,  dieser  dagegen,  insofern  er  zwar  scheint,  aber 
Nichts  in  ihm  erscheint,  ist,  mit  einem  Erscheinenden  verglichen, 
Nichts.  Der  Phänomenalismus,  von  dessen  Gesichtspunkt 
aus  Körper  nur  Phänomene,  ist  daher  sowohl  dem  Realismus, 
flir  welchen  die  Körper  ihrer  substantiellen  Grundlage  nach 
Realitäten,  wie  dem  Materialismus  gegentlber,  fUr  welchen  die- 
selben ihrem  Wesen  nach  Materialitäten  sind,  als  Idealismus 
und  Immaterialismus  in  der  That  Nihilismus,  insofern  den 
Körpern  eine  reale ,  geschweige  denn  materiale  Grundlage  nicht, 
abo  im  buchstäblichen  Sinne  Nichts  zu  Grunde  liegt.  Er- 
scheinung und  blosser  Schein,   von  welchen  die  erste  an  der 


94  Zimmermann. 

Realität  des  in  ihr  erscheinenden  Wesens  theihiimmt  und  da- 
durch selbst  eine  von  dieser  abhängige,  also  abgeleitete  Realität 
erlangt,  während  der  letztere  ein  in  ihm  erscheinendes  Wesen, 
an  dessen  Realität  er  Theil  haben  könnte ,  überhaupt  nicht 
besitzt;  also  ebenso  wesensleer,  als  die  Erscheinung  wesensvoU 
ist,  verhalten  sich  zu  einander,  von  Seite  des  Wesens  angesehen, 
wie  Position  und  Negation,  wie  Sein  zu  Nichtsein,  wie  Etwas 
zu  Nichts.  In  den  Augen  desjenigen,  ftir  welchen,  wie  es 
bei  dem  Materialismus  der  Fall  ist,  jede  nicht  materielle,  oder, 
wie  es  beim  Realismus  der  Fall  ist,  jede  nicht  auf  reale  Sub- 
stanzen gestützte  Körperwelt  eine  nichtige  d.  i.  nichtsseiende 
Welt  ist,  ist  die  Körperwelt  des  Phänomenalismus  in  der  That 
eine  solche,  ein  pures  Nichts,  weniger  selbst  als  der  Schatten 
einer  Körperwelt,  weil  eben  dasjenige,  was  diesen  werfen  müsste, 
die  schattende  Welt,  nicht  vorhanden  ist.  Wie  die  Körper- 
welt im  Ganzen,  so  ist  jeder  Theil  derselben,  jeder  grössere 
oder  kleinere  Körper  als  solcher  Nichts,  sind  die  Beziehungen 
und  Verhältnisse  der  Körper  auf  und  zu  einander  solche  zwischen 
Nichtsen  nnd  daher  nichtig,  wie  diese  selbst.  Das,  mit  dem 
Sein  vergUchen,  Nichtige  kann  als  Schein  zwar  mannigfaltig, 
das  Mannigfaltige  des  Scheins,  mit  dem  Sein  verglichen,  aber 
nicht  anders  als  nichtig  sein;  die  phänomenale  räumlich -zeit- 
lich sinnliche  Welt  ist  ein  buntes  Nichts,  das  an  die  Stelle  der 
räumlich -zeitlich  materiellen  oder  der  räumlich -zeitlich  realen 
Welt  getreten  ist. 

Wie  derjenige,  der,  wie  der  Materialismus  und  Realismus, 
zwar  Erscheinungen,  aber  nicht  blossem  'Schein  eine,  wenn 
auch  abgeleitete  Realität  einräumt,  durch  den  Phänomenalismus, 
dessen  Phänomene  nur  Schein  sind,  zum  Nihilismus,  so  wird  der- 
jenige, der,  wie  der  Sensualismus  und  Empirismus,  nur  in  der 
Erzeugung  der  Vorstellung  durch  das  Object  die  Bürgschaft 
für  die  Wahrheit  der  ersteren  erblickt,  durch  denselben,  der 
das  Object  in  Schein  verkehrt,  zum  Skepticismus  geführt 
werden.  Wird  die  Vorstellung  als  Wirkung  ihres  Objects, 
dieses  als  Ursache  jener  angesehen,  so  verhalten  sich  beide, 
sie  seien  einander  ähnlich  oder  nicht,  wie  Erscheinung  zum 
Wesen,  so  dass  aus  der  ersteren  der  Rückschluss  auf  letzteres 
möglich,  dieses  in  jener  (adäquat  oder  inadäquat)  offenbar 
wird.     Fällt   mit  der  Aufhebung    nicht    blos   der   materiellen, 


üabar  Hume^s  Stellung  su  Berkeley  und  Kant.  95 

sondern  der  auf  reale  Substanzen  gestützten  Eörperwelt  die 
Möglichkeit  hinweg,  die  Vorstellung  als  erzeugt  durch  das  Ob- 
ject  d.  h.  als  Erscheinung  des  letzteren  anzusehen,  oder,  was 
dasselbe  ist,  wird  die  Vorstellung  (das  Phänomen)  in  blossen 
Schein  verwandelt,  so  tritt  mit  der  Unmöglichkeit,  dass  sie 
ein  Object,  auch  die  Unmöglichkeit  ein,  dass  sie  in  Bezug  auf 
ein  solches  einen  Erkenntnisswerth  habe,  und  dieselbe  ver- 
wandelt sich  aus  einem  ,Abbild^  (imago)  in  eine  blosse  ,£in- 
bildung^  (imaginatio).  Während  die  durch  das  Object  erzeugte 
Vorstellung  als  dessen  Erscheinung  und  ,Abbild'  Erfahrung  und 
als  solche  Grundlage  des  (im  Sinne  des  Sensualismus  und  Em- 
pirismus) allein  wirklichen  Wissens,  des  empirischen,  ist  dagegen 
die  nicht  durch  ein  solches  erzeugte  Vorstellung,  der  Schein 
als  blosse  ,Einbildung^  auch  nicht  Erfahrung  und  das  sich  auf 
solche  stützende  auch  kein  auf  Erfahrung  gestütztes^  also  wirk- 
liches (empirisches),  sondern  nur  vermeintliches  Wissen  (Wahn). 

Letztere  Folge  wird  dadurch  nicht  aufgehoben,  dass  der 
Inhalt  sämmtlicher  Phänomene  unter  einander  sich  in  Ueber- 
einstimmung  befindet.  Wenn  jedes  derselben,  einzeln  fUr 
sich  betrachtet,  eine  blosse  ^Einbildung'  ist,  so  ist  nicht  abzu- 
sehen, wie  das  Ganze  zusammengenommen  als  Summe  durch- 
gängiger Einbildungen  selbst  etwas  anderes  sein  sollte  als 
Einbindung.  Als  solche  wird  dasselbe,  falls  die  einzelnen 
Theile  ihrem  Inhalte  nach  einander  widersprechen  d.  h.  sich 
unter  einander  ausschliessen  sollten,  nicht  nur  nicht  Wahrheit 
(weil  es  sonst  nicht  ,Einbildung'  wäre),  sondern  nicht  einmal 
den  Anschein  derselben  besitzen  d.  h.  das  in  demselben  Ein- 
gebildete (Imaginirte)  wird  nicht  nur  nicht  wirklich,  sondern 
nicht  einmal  möglich  (,imaginär'),  dagegen,  falls  die  einzelnen 
Theile  sich  nicht  nur  unter  einander  vertragen  (einander  nicht 
widersprechen),  sondern  sich  unter  einander  sogar  gegenseitig 
bestätigen  sollten,  zwar  (als  Einbildung)  noch  immer  nicht  wahr, 
aber,  wenn  das  erstere  der  Fall  ist,  doch  nicht  unmöglich, 
wenn  das  letztere  der  Fall  ist,  sogar  wahrscheinlich  sein. 

Vorstehendes  zeigt  den  Weg,  wie  ein  Ganzes,  das  seiner 
Natur  nach  nicht  ,ErfahrungS  sondern  ,Wahn'  ist,  doch  den 
Schein  einer  solchen  sich  zu  geben  vermag.  Denn  da  die 
Erfahrung  als  ,imago  veritatis'  dieser  letzteren  gleichen  muss, 
diese  aber  als  Ganzes  nicht  nur  keinen  Widerspruch  der  Theile 


96  Zimmermann. 

unter  einander  duldet,  sondern  deren  harmonische  Ueberein* 
Stimmung  mit  einander  fordert,  so  dar£  die  Erfahrung  (wenn 
sie  dieses  Namens  werth  sein  soll)  nicht  nur'  keine  unter 
einander  im  Widerspruch  stehenden  Sätze  einschliessen,  sondern 
ihre  sämmtlichen  Sätze  müssen  sich  unter  einander  in  Ueber- 
einstimmung  befinden  imd  gegenseitig  bestätigen.  Findet  aber 
dieses  letztere  bei  jeder  wirklichen  Erfahrung  statt  und 
wird  es  dadurch  zum  Kennzeichen  einer  solchen,  so  erlangt, 
wenn  sich  dasselbe  irgend  einmal  auch  bei  einer  blos  ver- 
meintlichen Erfahrung  (einem  ,Wahn')  einstellt,  diese  dadurch 
den  Anschein  einer  wirklichen  Erfahrung. 

Hieraus  ergibt  sich  zweierlei.  Der  Phänomenalismus, 
indem  er  das  Dasein  einer  realen  Körperwelt  negirt,  kann 
keine  ,Erfahrung'  im  Sinne  einer  durch  solche  erzeugten,  wohl 
aber  im  Sinne  einer  nicht  nur  widerspruchsfreien,  sondern  in 
sich  übereinstimmenden  und  sich  in  ihren  Theilen  gegenseitig 
bestätigenden  Vorstellungswelt  besitzen.  Von  den  beiden  Merk- 
malen ,  welche  der  Sensualismus  und  Empirismus  als  zum 
Begriff  der  Erfahrung  gehörig  ansieht,  und  von  welchen  das 
eine  derselben  ausschliesslich,  das  andere  derselben  gemeinsam 
mit  der  sogenannten  poetischen  Welt  zukommt,  kann  seine 
Vorstellungswelt  nur  das  letztere  an  sich  tragen.  Dieselbe 
kann  nie  in  dem  Sinne  Erfahrung  sein,  dass  irgendwelche 
ihrer  Theile  durch  denselben  correspondirende  reale  Objecte 
erzeugt  werden;  dagegen  steht  nichts  im  Wege,  dass  sämmt- 
liehe  Theile  derselben^  wie  es  in  einem  poetischen  Kunstwerk 
der  Fall  ist,  unter  einander  in  vollkommener  Harmonie  und 
gesetzlich  geordnetem  Zusammenhange  sich  befinden. 

In  letzterem  Falle  wird  dieselbe  in  den  Augen  des  Sensua- 
listen  und  Empirikers,  mit  der  durch  reale  Objecte  erzeugten 
Erfahrung  verglichen,  zwar  ein  ,WahnS  aber  um  ihrer  nicht 
blos  gesetzlich  geordneten,  sondern  harmonisch  zusammenstimmen- 
den Gestalt  willen,  wie  das  dichterische  Kunstwerk  der  Phantasie 
(der  ,schöne^  Wahn),  ein  ,wahr^  scheinender  Wahn,  demnach 
der  wirklichen  Erfahrung  zwar  nicht  dem  Ursprung,  aber  der 
Wirkung  nach  ähnlich  sein. 

Wer  durch  den  Phänomenalismus  von  der  Nichtigkeit 
der  (realen,  umsomehr  der  materiellen)  Welt  überführt,  zu- 
gleich aber  durch  die  Erkenntnisstheorie  des  Sensualismus  und 


üeber  Home*!  Stdlimg  zu.  Barkalej  und  Käst.  97 

Empirismus  nach  wie  vor  in  dem  Vorortheil  befangen  ist,  dass 
nur  die  durch  reale  Objeote  erzengte  VorsteUung  (Eirfahmng) 
Wissen  nnd  nur  das  auf  solche  gestützte  Gedankengebäude 
Wissenschaft  sei,  muss  daher  nothwendig  Skeptiker,  von  der 
Unmöglichkeit  wirklichen  Wissens,  weil  von  der  Unmöglichkeit 
wirklicher  Erfahrung  überzeugt  und  nicht  nur  in  Bezug  auf 
die  Körperwelt  zu  dem  Glauben  geführt  werden,  dass  er  es  an 
deren  Stelle  mit  einer  blossen  Vorstellungswelt,  sondern  zu 
dem  weiteren,  dsAs  er  es  in  dieser  an  der  Stelle  einer  Welt 
wahrer,  mit  einer  solchen  blosser  Wahnvorstellungen  zu  thun 
habe.  Dies  ist  Hume's  Fall  und  bezeichnet  dessen  Stellung 
zu  Beikeley  einer- ,  zu  Locke  andererseits.  Mit  jenem  ver- 
bindet ihn  die  Ueberzeugung,  die  er  durch  denselben  ge- 
wonnen hat,  dass  sowohl  der  Materialismus  im  Unrecht  sei, 
die  Existenz  materieller  Körper,  wie  der  Sealismus,  die  Exi- 
stenz realer  Substanzen  zu  behaupten.  Mit  diesem  hat  er  den 
Grundsatz  gemein,  dass  die  Ekfahrung  die  einige  Quelle  wahren 
Wissens,  diese  selbst  aber  ohne  Erzeugung  der  Vorstellung 
durch  das  ihr  correspondirende  (wenn  auch  derselben  noch 
so  unähnliche)  Object  unmöglich  sei.  Beide  zusammen  haben 
zur  Folge,  dass  Hume,  weil  er  weder  an  die  Existenz  materieller 
Körper,  noch  an  die  realer  Substanzen,  auch  an  die  Möglichkeit 
einer  Erfahrung  nicht  glauben  kann,  ihm  daher  jede  vermeint- 
liche Erfahrung  und  folglich  jedes  vermeintliche  Wissen  (mit 
Ausnahme  deqenigen,  welches  aus  blosser  Wiederholung  oder 
Zerghederung  eines  schon  Ghewussten  besteht,  also  eigentlich 
kein  Wissen  ist)  zweifelhafi:  wird. 

Wie  das,  was  in  Folge  des  Phänomenalismus  an  die 
Stelle  der  realen  Welt  tritt,  in  den  Augen  des  Realisten  (und 
Materialisten)  ein  pures  ,Nichts^,  so  ist  dasjenige,  was  durch 
diesen  an  die  Stelle  der  Erfahrung  tritt,  in  den  Augen  des 
Sensualisten  (und  Empiristen)  ein  purer  ,Wahn'.  Jener  Con- 
sequenz  sucht  der  Phänomenalismus  dadurch  zu  entgehen,  dass 
er  darauf  hinweist,  dass  das  ,Phänomen'  der  Körperwelt,  wenn 
auch  nicht  ausser  dem  vorsteUenden  Wesen  (im  objectiven 
Sinne),  doch  in  demselben  (im  subjectiven  Sinne)  vorhanden 
sei,  also  zwar  keine  (materielle  oder  reale)  Substanz,  aber  doch 
,dM  VorsteUen^  selbst  zur  Voraussetzung  habe.  Wie  der 
Materialismus  und  Realismus  von  dem  Grundsatze   ausgehen: 

Sltniiftber.  d.  p1ul.-Ust.  Cl.    Cm.  Bd.  I.  Hfl.  7 


98  Ziameraami. 

WO  keine  (reale  oder  materielle)  SubBtanz^  da  ist  kein  Phä- 
nomen, 60  geht  der  Phänomenalismas  von  dem  Axiom  ans: 
wo  kein  Vorstellen,  da  ist  kein  Phänomen.  Während  aber 
die  ersteren  beiden  das  Vorstellen  selbst  als  ein  Phänomen, 
der  Materialismus  als  ein  solches ,  dem  eine  materielle,  der 
Realismus  als  ein  solches,  demeine  überhaupt  reale  (imUebrigen 
ihrer  Qualität  nach  unbekannte)  Substanz  asu  Grunde  fiegt, 
betrachtet  der  Phänomenalismus  dasselbe  nicht  nur  als  ein 
solches,  das  nicht  mehr  ,Phänomen^  sondern  zugleich  als  das 
Einzige,  was  mehr  ist  als  ein  Phänomen  d.  h.  als  dasjenige, 
was  nicht  blos,  wie  dieses,  accidentelle ,  sondern,  wie  die 
Materie  für  den  Materialismus,  die  reale  Substanz  fär  den 
Realismus,  substantielle  Wirklichkeit  (Subsistenz)  besitzt 
Wie  der  Materialismus  von  dem  Satze  ausgeht,  dass  da« 
Einzige,  was  wirkKch  d.  h.  im  eminenten  Sinne  des  Wortes 
ist,  die  Materie,  der  Realimnus  von  dem  Satze,  dass  dieses 
Selbe  der  Qualität  nach  unbekannte  Substanz  sei,  so  geht  der 
PhänomenalismuB  von  dem  Satze  aus,  dass  das  einzige  im 
eminenten  Sinn  Wirkliche  das  Vorstellen  sei.  In  Folge 
dieser  Ausschliesslichkeit  erklärt  es  sich  nicht  nur,  dass  der 
Materialismus  dem  Vorstellen  selbst  nur  insofttn  Realität  zu- 
erkennt, als  es  selbst  ein  materieller  Voi^^ang  (etwa  wie  die 
Verdauung  im  Magen  oder  nach  dem  bekannten  uropoetischen 
Gleichniss  die  Harnabsonderung  in  den  Nieren),  der  Realismus 
nur  insofern,  als  dasselbe  ein  Vorgang  im  Innern  einer  realen 
(gleichviel  wie  im  Uebrigen  beschaffenen)  Substanz  ist,  sondern 
auch,  dass  der  Phänomenalismus  sowohl  der  ,Materie^  des 
einen,  wie  der  realen  Substanz  des  andern  nur  insofern  Rea* 
lität  zuschreibt,  als  jene  wie  diese  ,Vor8teliung^  d.  i.  eine  be* 
sondere  Art  und  Weise  des  (allein  realen)  Vorstellens  sind. 

Wie  fUr  den  Materialismus  das  Vorstellen  ein  ,Phänomen^ 
der  Materie,  so  ist  fiir  den  Phänomenalismus  die  Materie 
ein  ,Phänomen'  des  Vorstellens.  Wie  unter  den  Phänomenen 
der  Materie  neben  den  physikalischen  chemischen  und  physio- 
logischen auch  das  ,psychologi8che%  so  hat  unter  den  Phär 
nomenen  des  VorsteUens  neben  Farbe  Klang  Glanz  Härte 
Grösse  Gestalt  Bewegung  Ausdehnung  u.  s.  w.  aach  die 
Materie  ihren  Platz.  Den  Phänomenalismus  als  ,Nihilismus^ 
zu  bezeichnen  hat  daher  zwar  der  Materialismus  von  seinem. 


lieber  Hnme'e  SCelloiig  sn  Berkelej  und  Kant.  99 

wie  der  ReaUsmuB  von  dem  ihm  eigenen  Gesichtspunkt  aus 
das  Recht,  weil  nach  ersterem  das  Vorstellen,  insofern  es  kein 
Phänomen  der  Materie  ist,  überhaupt  nicht  ist,  insofern  es 
aber  jenes  ist^   das  eigentliche  Seiende  die  Materie  ist;   und 
weil  nach  letzterem  das  Vorstellen,   insofern  es  nicht  Vorgang 
im  Innern   einer  realen  Substanz  ist,  überhaupt  nicht  ist,   in- 
sofern es  aber  ein  solcher  ist;   das  wahrhaft  Seiende  die  reale 
Substanz  ist.     Soll  aber  damit  gemeint  sein,  dass  der  Phäno- 
menalismus ein  Etwas,  das  seinerseits  nicht  Phänomen,  aber 
Voraussetzung   aller  Phänomene   und   daher   mit   diesen   ver- 
glichen,  ,reaP   (nicht   ^phänomenal')   sei,   überhaupt  nicht  be- 
sitze, so  ist  es  ein  Irrthum,  denn  als  ein  solches  gilt  demselben 
das  Vorstellen.    Wie   für  den  MateriaUsmus   die  körperliche, 
für  den  Realismus  die  (ihrer  Qualität  nach  unbekannte)  reale 
Substanz,    so   stellt  ßir  den  Phänomenalismus   das  Vorstellen 
den  ,NageP  dar,   an  dem  das  Phänomen  der  Körperwelt  ,auf- 
gehängt'  werden  soll;   allerdings  läuft    derselbe   Gefahr  (nach 
Herbart's  treffendem  Ausdruck)  ,in  die  Luft  geschlagen  zu  sein^ 
Inwiefern  i|om  Gesichtspunkte  des  Phänomenalismus  aus 
die  Materie  unter  den  Phänomenen  des  Vorstellens,  also   nicht 
dieses  bedingend,   sondern  umgekehrt  durch  dasselbe  bedingt 
auftritt,  hat  derselbe  ein  Recht  daa  Vorstellen  als  immateriell 
und  daher  sich  selbst,  ftlr  welchen  das  Vorstellen  alles  ist,  was 
ist,  als  ,Immaterialismus'  zu  bezeichnen.    Inwiefern  nach  den^ 
Sprachgebrauch  Locke's  Idee  mit  Vorstellung  (notio)  gleichbe- 
deutend ist,  hat  der  Phänomenalismus,  fUr  welchen  das  Vorstellen 
alles  in  allem   ist,    das  Recht,    sich  ,Idealismus'  zu  nennen. 
Eine    Bestimmung    des    ,Immateriellen'    d.   i.    des  Vorstellens 
ist  dadurch  nur  insofern  gegeben ,  als  alle  diejenigen  Beschaffen- 
heiten,  welche  als  Phänomene   zusammengenommen  das  Phä- 
nomen  der   Materie   ei^eben,    von   demselben   ausgeschlossen 
werden.     Insofern  zu  denselben  nach   den  Einen  Ausdehnung, 
nach  den  Anderen  überdies  Schwere  gehört,  werden  dem  Vor- 
stellen sowohl  die  eine  als  die  andere  abgesprochen.    Insofern 
jedoch   sowohl  ,Ausdehnung'    als   ,Schwere'  Phänomene   sind, 
werden  beide  als  Besondenmgen  des  Vorstellens  im  Allgemeinen 
betrachtet,  welches  letztere  in  der  einen   das  Phänomen  des 
Ausgedehntseins,   in  der  anderen  das  Phänomen  des  Schwerseins 

hervorruft.     Ebensowenig   wie   von   einer   Ausdehnung,    kann 

7» 


100  Kimmertnann. 

beim  Vorstellen  als  solchem  von  einem  Orte  oder  von  einer 
Lage  im  Baume,  sowie  von  einem  Punkte  in  der  Zeit  gesprochen 
werden^  da  ebenso  wie  die  Ausdehnung,  der  Raum  mit  seinen 
Orten  Entfernungen  und  Lageverhältnissen  (so  wie  die  Zeit  mit 
den  ihrigen)  ein  Phänomen  des  Vorstellens,  also  nicht  vor  und 
unabhängig  von  diesem,  sondern  erst  mit  und  in  diesem 
gegeben  ist. 

Ebensowenig  als  die  Materie  etwas  von  den  Körpern, 
deren  Wesen  sie  ausmacht,  oder  die  reale  Substanz  etwas  von 
den  realen  Substanzen,  die  unter  ihren  Begriff  fallen,  ist  das 
Vorstellen  etwas  von  den  Vorstellungen,  in  die  es  zerftllt,  in 
dem  Sinne  Verschiedenes,  dass  die  Materie  als  solche  eine  von 
der  Existenz  der  materiellen  Körper,  die  reale  Substanz  eine 
von  der  Existenz  der  unter  ihren  Begriff  fallenden  individuellen 
Substanzen,  das  Vorstellen  als  solches  ausser  den  Vorstellungen 
eine  abgesonderte  Existenz  besässe.  Wie  die  Materie  als  Vielheit 
von  Körpern,  die  Substanz  als  Vielheit  von  Substanzen,  so 
existirt  das  Vorstellen  als  Vielheit  von  Vorstellungen  (Phäno- 
menen), so  dass  diese  das  Vorstellen  zwar  zu  ikrer  gemeinsamen 
Basis  und  Voraussetzung  haben,  ein  Vorstellen  aber,  das  nicht 
zugleich  Vorstellung  d.  i.  speciflsch  geartetes  durch  einen  ge- 
wissen  Inhalt  charakterisirtes  Vorstellen  wäre,  nicht  existirt. 
Ungeachtet  daher  der  Phänomenalismus  ohne  eine  den  Phäno- 
menen zu  Grunde  liegende  Basis ,  welche  selbst  nicht  Phänomen 
ist,  ebenso  wenig  bestehen  kann,  wie  nach  der  Ansicht  des 
Materialismus  die  einzelnen  Körper  bestehen  können  ohne  Vor> 
aussetzung  einer  Grundlage,  welche  selbst  nicht  ein  einzelner 
Körper,  oder  nach  der  Ansicht  des  Realismus  die  realen  Sub- 
stanzen ohne  reale  Grundlage,  welche  selbst  nicht  eine  Elinzel- 
Substanz  ist,  so  geht  doch  jene  sämmtlichen  Phänomenen 
gemeinsame  nicht  phänomenale  Grundlage,  das  Vorstellen  in 
der  Totalität  der  Einzelphänomene  ebenso  auf,  wie  die  Materie 
des  Materialismus  in  der  Totalität  der  Einzelkörper  und  die 
Substanz  des  Realismus  in  der  G^sammtsumme  der  realen 
Einzelsubstanzen.  Daraus  folgt,  dass  die  Phänomene  des 
Phänomenalismus  im  Verhältniss  zu  ihrer  gemeinsamen  Basis, 
dem  Vorstellen,  dieselbe  Rolle  spielen  wie  die  Einzelkörper 
des  Materialismus  im  Verhältniss  zu  ihrer  gemeinsamen  Basis, 
der  Materie,  und  die  realen  Einzelsubstanzen  des  Realismus  im 


üeber  Hume's  Stallang  za  Berkeley  and  Kant.  101 

Verhältniss  zu  ihrer  gemeinsamen  Basis;  der  substantiellen  Rea- 
lität. Wie  fUr  den  Materiatismus  jeder  Einzelkörper  eine 
Individualisation  der  allgemeinen  Materie,  wie  im  Realismus 
die  Einzelsubstanz  eine  solche  der  allgemeinen  substantiellen 
Realität,  so  stellt  sich  für  den  Phänomenalismus  jedes  einzelne 
Phänomen  als  Individualisation  des  Vorstellens  im  Allgemeinen 
d.  i.  als  individuaUsirtes  Vorstellen,  als  Vorstellimgsindividuum 
dar,  welches  dem  Körperindividuum  (Individualisation  der  Ma- 
terie) des  Materialismus  und  dem  Substanzindividuum  (Indivi- 
dualisation der  Substanz)  des  Realismus  entspricht. 

Zur  Erläuterung  diene  das  Beispiel  des  Raumes.  Derselbe 
kann,  vom  materialistischen  Gesichtspunkte  aus  gesehen,  nicht 
anders  denn  materiell,  vom  realistischen  aus  nicht  anders  denn 
real,  vom  phänomenalistischen  aus  nichts  anderes  als  ein  Phänomen 
sein.  Ersteres  insofern,  als  das  Ausgedehntsein  eine  Eigen- 
schaft ist,  welche  zum  Wesen  der  Materie  gehört,  wenn  sie 
auch  nicht  (wie  im  Cartesianismus  und  Spinozismus)  dieses 
erschöpft.  Das  zweite,  weil  die  räumlichen  Eigenschaften  der 
Körper,  deren  Gestalt  Lage  Begrenzung  zu  den  ursprüng- 
lichen Eiigenschaften  derselben  gehören,  die  so  real  sind  wie 
diese  selbst,  und  deren  Realität  jene  des  Raumes  bedingt,  von 
dem  diese  Gestalten  Entfernungen  begrenzten  Flächen  und 
Köiper  Theile  ausmachen.  Das  dritte,  weil  unter  den  ihrem 
Inhalt  nach  mannigfaltigen  Aeusserungen  des  Vorstellens  d.  i. 
den  verschiedenen  Vorstellungen  sich  auch  solche  befinden,  die 
sich  unter  einander  ausschliessen  d.  h.  deren  Objecte  so  be- 
schaffen sind,  dass  sie  nicht  mit  einander  d.  i.  weder  in  einander, 
noch  zugleich  als  wirklich  gedacht  werden  können^  also  als 
ausser  einander,  und  zwar  entweder  als  neben  einander  (in  der 
Form  der  Räumlichkeit)  befindlich^  oder  als  nach  einander  (in 
der  Form  der  ZeitUchkeit)  sich  einfindend  vorgesteUt  werden 
müssen.  Letztere  beide  sind  daher  nichts  als  Vorstellungsweisen 
(Phänomene),  welche  durch  die  Beschaffenheit  gewisser  anderer 
Vorstellungen  (Phänomene)  nothwendig  gemacht  und  daher 
ebenso  wenig  ,real'  oder  gar  ,materiell^,  wie  diese  selbst,  sind. 
Wie  im  Materialismus  der  Raum  gleichsam  die  ,verdttnnte', 
mit  Ausschluss  aller  übrigen  Eigenschaften  auf  jene  des  ,Aus- 
gedehntseins'  reducirte  Materie,  im  Realismus  die  Räumlichkeit 
die  nach  Ausschluss  aller  übrigen  ursprünglichen  Eigenschaften 


102  ZimmermftBB. 

zurückgebliebene  Gestalt  Lage  und  Begrenzung  der  Körper, 
so  ist  derselbe  für  den  Phänomenalismus  die  nach  Abzug  des 
besonderen  Inhalts  des  als  im  Nebeneinander  befindlich  Vor* 
gestellten  allein  zurückbleibende  Form  des  Im-Nebeneinander- 
VorsteUens  selbst.  Im  Materialismus  stellt  daher  der  Raum 
als  dasjenige,  was  übrig  bleibt,  wenn  von  allen  Eigenschaften 
derselben  mit'  Ausnahme  der  Ausdehnung  abstrahirt  wird, 
gleichsam  eine  Materie  zweiter  Ordnung,  das  von  seinem  In- 
halt entleerte  Gef^  des  gröberen  Stoffes,  im  Realismus  stellt 
die  Räumlichkeit  die  nach  Abzug  aller  übrigen  ursprünglichen 
Eigenschaften  erhaltene  ,hohle^  Gestalt  und  Begrenzungsober- 
fläche des  Körpers,  im  Phänomenalismus  die  Raumform  den 
selbst  phänomenalen  Rahmen  dar,  innerhalb  dessen  die  Bunt- 
heit der  Phänomene  im  Vorstellen  angeordnet  ist. 

Es  wäre  nun  eines  der  gröbsten  Missverständnisse  zu 
meinen,  dass  der  auf  diese  Weise  in  ein  blosses  Phänomen 
verwandelte  Raum  von  dem  des  Materialismus  und  Realismus 
gänzlich  verschieden  sei.  Nur  das  metaphysische  Wesen  desselben 
verwandelt  sich^  wie  dieses  ja  schon  im  Realismus  ein  anderes 
als  im  MateriaUsmus  ist;  die  geometrischen  Eigenschaften  des- 
selben bleiben  unter  allen  drei  angeftlhrten  Auffassimgen  die 
nämlichen.  Der  Raum  als  Phänomen  besitzt  ebenso  gut  wie 
der  materielle  oder  der  reale  Raum  Dreidimensionalität  d.  h. 
die  Phänomene,  welche  in  der  Form  des  Nebeneinander- 
befindlich  vorgestellt  werden,  werden  in  dieser  im  Nebeneinander 
nach  drei  (und  nicht  mehr)  auf  einander  senkrechten  Richtungen 
befindlich  vorgestellt.  Daher  bleiben  auch  die  räumlichen 
Bestimmungen  der  Körper,  deren  Lage  gegen  und  Entfernungen 
von  einander  dieselben,  gleichviel,  ob  diese  wie  im  materiellen 
Räume  als  materiell  oder  wie  im  realen  als  real  oder  wie  im 
phänomenalen  als  phänomenal  angesehen  werden.  Die  als 
blos  phänomenal  betrachtete  Körperwelt  ist  daher  ungeachtet 
der  Phänomenalität  ihres  Raumes  als  räumlich  bestimmte  der 
ftlr  materiell  oder  real  ausgegebenen  Körperwelt,  der  behaup- 
teten Materialität  oder  Realität  des  Raumes,  in  welchem  diese 
sich  ausbreiten  sollen,  ungeachtet,  in  allen  geometrischen  Eigen- 
schaften und  Gesetzen  völlig  analog.  Das  Maass  der  Ent- 
fernung bleibt  dasselbe,  ob  zwei  als  Phänomene  vorgestellte 
Körper  als  von  einander  in  dieser  Distanz  befindlich  gedacht 


lieber  Hiime*s  Stellang  su  Berkeley  and  K»nt.  105 

Erfahrung  leidet,  zu  entfichädigen  gesacht,  daeis  er  dieselbe  im 
selben  Sinne,  wie  der  Theismus  die  wirkliche  Welt,  fttr  eine 
Schöpfiing  Gottes  und  zwar,  da  die  sogenannte  Materie  unter 
seinen  Händen  sich  gleichfalls  in  ein  blosses  Phänomen  ver- 
wandelt hat,  ftar  eine  solche  ,aus  Nichts'  erklärt.  Wie  die 
weltsehaffende  Gottheit  der  theologiseben  Creationslehre  sowohl 
das  Material  wie  die  Formen  der.  wirklichen  Welt,  so  bringt 
Gottes  Schöpferthätigkeit  nach  Berkeley's  Darstellung  des  Phä- 
nomenalismus  sowohl  diejenigen  Phänomene  (Vorstellungen), 
welche  (wie  Farbe  Klang  Geruch  Geschmack  Härte  Weich- 
heit u.  8.  w.)  das  Material,  wie  diejenigen  Phänomene  (Vor- 
stellungen), welche,  wie  Räumlichkeit  (Neben-)  und  Zeitlichkeit 
(Nacheinander)  die  Form  der  phänomenalen  Welt  abgeben,  im 
Vorstellen  hervor.  Die  so  entstandene  Vorstellungswelt  hat  als 
Werk  Gottes  vor  der  Erfahrung  als  der  durch  die  realen  Objecto 
erzeugten  Vorstellungswelt  das  voraus,  dass  sie  nicht  blos  wie 
diese  (besten  Falls)  ,imago  veritatis',  sondern  als  Werk  des  wahr- 
haftigen Gottes  die  ,veritas'  selbst  ist.  Dieselbe  ist,  obgleich 
blos  phänomenal,  seit  dem  Verschwind^^i  der  sogenannten  realen 
Welt  nicht  nur  die  einzige,  sondern  verm($ge  ihrer  Verursachung 
durch  Gott  nothwendiger  Weise  eine  wahrhaftige  Welt.  Erstere 
Eigenschaft  macht  sie  derjenigen,  welche  der  Materialismus,  wie 
derjenig^i,  welche  der  Realismus  fUr  die  einzige  erklärt  (der  so- 
genannten ,materiellen'  und  der  ,realen'),  letztere  derjenigen  Vor- 
stellungswelt, in  welcher  nach  der  Ansicht  des  Sensualismus  und 
Empirismusallein  Wahrheit  enthalten  ist,  der  Erfiahrung  ebenbürtig. 
Sucht  diese  Form  des  Phänomenalismus  ihre  Vorstellungs- 
welt der  in  den  Augen  des  Sensualismus  und  Empirismus  allein 
berechtigten  Empirie  dadurch  gleichzustellen,  dass  sie  der- 
selb^i  einen  überempirischen  Ursprung  (aus  Gott)  zuschreibt 
so  kann  dieser  Grund  fbr  diejenigen,  welche  wie  Hume  der 
Meinung  sind,  dass  einerseits  (mit  Locke)  Erfahrung  die  einzige 
Quelle  des  Wissens,  andererseits  (mit  Bacon)  die  Gottheit  kein 
Gegenstand  der  Erfahrung  sei,  keine  Beweiskraft  besitzen. 
Wenn  Gott  überhaupt  kein  Gegenstand  der  Erkenntniss,  so 
auch  der  Ursprung  der  (Berkeley  zufolge  phänomenalen) 
aus  Gott  kein  solcher  sein  und  der  Grund,  um  dess- 
\  derselben  ,Wahrhaftigkeit^  und  dadurch  Aehnlichkeit 
er  I^ahrung  zukommen  soll,  wird  hinfällig.    Die  Welt 


104  Zimmermann. 

Neben-  und  Nacheinander  der  Objecte  selbst  ^erzeugt^  d.  h. 
ebenso  wie  das  im  Neben-  und  Nacheinander  Befindliche  (sinn- 
lieh)  ^wahrgenommen'  würde.  Während  daher  der  Umfitand, 
dass  in  der  durch  reale  Objecte  erzeugten  Vorstellungswelt 
nicht  blos  die  einzelnen  Vorstellungen  durch  ihnen  entsprechende 
Objecte^  sondern  auch  deren  räumliches  Neben-  und  zeitliches 
Nacheinander  durch  ein  entsprechendes  Neben*  und  Nachein- 
ander ihrer  Objecte  erzeugt  sein  soUen,  dieselbe  zur  ^Erfah- 
rung' macht,  kann  die  phänomenale  Welt  des  Phänomenalis- 
mus  gerade  darum^  weil  weder  ihre  einzelnen  Elemente,  noch 
deren  Neben-  und  Nacheinander  durch  reale  Objecte  und 
deren  Neben-  und  Nacheinander  hervorgebracht  sein  kann, 
auch  niemals  ^ErÜEthrung';  obgleich  sowohl  um  ihrer  Sinnlich- 
keit wie  um  ihrer  Räumlichkeit  und  Zeitlichkeit  willen  ein 
Analogon  der  Erfahrung  heissen. 

Wie  darin,  dass  das  so  entstandene  Analogon  der  Er- 
fahrung keine  Erfahrung,  der  Gegensatz,  so  verräth  sich  darin, 
dass  dasselbe  Analogon  der  Erfahrung  ist,  die  verwandtschaft- 
liche Beziehung  des  Phänomenalismus  zum  Empirismus.  Da 
derselbe  in  Folge  der  gewonnenen  Ueberzeugung  von  der  Phä- 
nomenalität  der  Körperwelt  weder  SensuaUsmus  noch  Empiris- 
mus bleiben  kann,  aber  doch  seiner  Herkunft  aus  beiden  halber 
deren  Ergebnissen  dem  Inhalt  nach  möglichst  nahe  bleiben 
möchte,  so- sucht  er  den  Inhalt  seiner  Vorstellungswelt  jenem 
der  eigentlichen  (und  einzig  diesen  Namen  verdienenden)  Er- 
fahrung dem  Material  und  der  Formgebung  nach  so  ähnlich 
als  möglich  zu  gestalten  d.  h.  derselben  nicht  blos  den  Stoff» 
sondern  auch  die  Formen  der  wirklichen  ErfahruQg,  so  weit 
dies  thunlich  ist,  zu  geben.  Dabei  ist  vorauszusehen,  dass, 
je  ähnlicher  auf  diesem  Wege  das  Analogon  der  Erfahrung 
dem  Stoff  und  der  Form  nach  der  wirklichen  Edkhi^ung  ge- 
worden sein  wird,  um  so  leichter  die  Möglichkeit  eintritt,  das- 
selbe  um  dieser  Aehnlichkeit  willen  mit  der  letzteren  selbst 
zu  verwechseln  d.  h.  an  die  Stelle  wirklicher  Erfahrung  ein 
blosses  Trugbild  derselben  als  vermeintliche  Erfahrung  untei^ 
zuBchieben. 

Berkeley  selbst  hat  die  phänomenale  Welt  dadurch  zu 
höherem  Range  emporzuheben  und  ftlr  die  Einbusse,  welche 
dieselbe    durch    die    Entziehung    des    Charakters    wirklicher 


üeber  Hame*8  Stellaug  zn  Berkeley  and  Kant.  105 

Erfahrung  leidet,  zu  entfichädigen  gesucht,  dass  er  dieselbe  im 
selben  Sinne,  wie  der  Theismus  die  wirkliche  Welt,  fUr  eine 
Schöpfimg  Gottes  und  zwar,  da  die  sogenannte  Materie  unter 
seinen  Händen  sich  gleichfalls  in  ein  blosses  Phänomen  ver- 
wandelt hat,  ftar  eine  solche  ,auB  Nichts^  erklärt.  Wie  die 
weltsohaffende  Oottheit  der  theologischen  Creationslehre  sowohl 
das  Material  wie  die  Formen  der.  wirklichen  Welt,  so  bringt 
Gottes  Schöpferthätigkeit  nach  Berkeley's  Darstellung  des  Phä- 
nomenalismus sowohl  diejenigen  Phänomene  (Vorstellungen), 
welche  (wie  Farbe  Klang  Geruch  Geschmack  Härte  Weich- 
heit u.  8.  w.)  das  Material,  wie  diejenigen  Phänomene  (Vor- 
stellungen), welche,  wie  Räumlichkeit  (Neben-)  und  Zeitlichkeit 
(Nacheinander)  die  Form  der  phänomenalen  Welt  abgeben,  im 
Vorstellen  hervor.  Die  so  entstandene  Vorstellungswelt  hat  als 
Werk  Gottes  vor  der  Erfahrung  als  der  durch  die  realen  Objecte 
erzeugten  Vorstellungswelt  das  voraus,  dass  sie  nicht  blos  wie 
diese  (besten  Falls)  ,imago  veritatis',  sondern  als  Werk  des  wahr- 
haftigen Gottes  die  ,veritas'  selbst  ist.  Dieselbe  ist,  obgleich 
blos  phänomenal,  seit  dem  Verschwinden  der  sogenannten  realen 
Welt  nicht  nur  die  einzige,  sondern  vermöge  ihrer  Verursachung 
durch  Gott  nothwendiger  Weise  eine  wahrhaftige  Welt.  Erstere 
Eigenschaft  macht  sie  derjenigen,  welche  der  Materialismus,  wie 
derjenigen,  welche  der  Realismus  fUr  die  einzige  erklärt  (der  so- 
genannten ,materiellen'  und  der  ,realen^),  letztere  derjenigen  Vor- 
stellungsweit, in  welcher  nach  der  Ansicht  des  Sensualismus  und 
Empirismusallein  Wahrheit  enthalten  ist,  der  Erfiahrungebenbürtig. 
Sucht  diese  Form  des  Phänomenalismus  ihre  Vorstellungs- 
welt  der  in  den  Augen  des  Sensualismus  und  Empirismus  allein 
berecht^en  Empirie  dadurch  gleichzustellen,  dass  sie  der- 
selben einen  überempirischen  Ursprung  (aus  Gott)  zuschreibt 
so  kann  dieser  Grund  für  diejenigen,  welche  wie  Hume  der 
Meinung  sind,  dass  einerseits  (mit  Locke)  Erfahrung  die  einzige 
Quelle  des  Wissens,  andererseits  (mit  Bacon)  die  Gottheit  kein 
Gegenstand  der  Erfahrung  sei,  keine  Beweiskraft  besitzen. 
Wenn  Gott  überhaupt  kein  Gegenstand  der  Erkenntniss,  so 
kann  auch  der  Ursprung  der  (Berkeley  zufolge  phänomenalen) 
Welt  aus  Gott  kein  solcher  sein  und  der  Grund,  um  dess- 
willen  derselben  ,Wahrhaftigkeit'  und  dadurch  Aehnlichkeit 
mit  der  f^ahrung  zukommen  soll,  wird  hinfällig.    Die  Welt 


106  Zinattraaiiii. 

des  Phänomenalismus  und  die  EMahnmg  haben  swar  das  mit- 
einander gemein,  dass  sie  beide  Vorstellungswelten  sind,  unter- 
scheiden sich  aber  dadurch;  dass  die  erste  ,Illasion'y  die  zweite 
^Spiegelbild^  d.  h.  dass  ausser  (praeter)  der  ersten  keine, 
ausser  (extra)  der  zweiten  dagegen  eine  andere  Welt,  die  der 
sogenannten  realen  Objecte,  vorhanden  ist.  Wer  daher  Ber- 
keley in  Betreff  des  phänomenalen  Charakters  der  Weh  zu- 
stimmt, den  von  ihm  behaupteten  Ursprung  derselben  aus 
Gk>tt  aber  fhr  unerweislich  hält,  kann  nicht  umhin,  dieselbe 
nicht  nur  als  ,nicht  wirklich'  d.  i.  als  ,Phänomen',  sondern 
auch  als  ,nicht  wahr'  d.  i.  als  ,Illusion'  zu  betrachten  d.  h. 
dieselbe  sowohl  im  metaphysischen  als  im  erkenntnisstheorisohen 
Sinne  als  ,nichtig'  anzusehen. 

Hume  zieht  diese  Consequenz  und  darauf  beiuht  der 
Charakter  einerseits  des  Nihilismus  andererseits  des  Skepti- 
cismus,  welchen  der  Phänomenalismus  (Berkeley's)  unter  seinen 
Händen  annimmt.  Jener  äussert  sich  darin,  dass  er  in  Folge 
des  Phänomenalismus  nicht  nur  dem  materiellen  Universum 
(material  Universe)  als  Object,  sondern  auch  dem  ,Ich'  (Ego) 
als  dem  Subject  des  Vorstellens  die  Existenz  abspricht,  dieser 
darin,  dass  er  in  Folge  des  Phänomenalismus  die  vermeintliche 
Verknüpfung  der  Phänomene  als  Ursachen  und  Wirkungen  auf 
eine  vermöge  ihrer  zeitlichen  Aufeinanderfolge  entstandene  und 
durch  häufige  Wiederholung  zur  Gewohnheit  gewordene  Asso* 
ciation  derselben  zurückführt. 

,Wenn,'  so  lautet  Hume's  Argumentation,  ,da8  materielle 
Universum  altf  solches  nicht  existirt,  so  existirt  erstens  auch 
kein  solches  Ding,  was  man  Ursache  von  etwas  nennt  (no 
such  thing  as  the  Cause  of  anything);  so  existirt  zweitens 
auch  kein  mit  der  Anordnung  des  Universums  verknapfter 
Gedanke  (no  Thought  connected  with  the  Arrangement  of  ike 
Universe);  so  existirt  drittens  auch  kein  Ich  (no  Ego  at  all)^ 
Die  erste  und  zweite  dieser  Folgerungen  sind,  da  sie  nur  auf 
das  materielle  Universum,  welches  der  Voraussetzung  zufolge 
nicht  existirt,  Bezug  haben,  selbstverständlich;  die  dritte  dagegen 
ist  eine  wirkliche  und  wie  nicht  zu  leugnen  scharfsinnige 
Erweiterung  des  von  Berkeley  aufgestellten  Princips,  Die 
erste  der  beiden  Folgerungen  ist  insofern  interessant,  als  sie 
ein  Licht  wirft  auf  Hume's  Verhältniss  zum  CausaUtätsbegriff, 


tleber  Hnme's  Stollnng  in  Berkelej  und  Kant.  107 

dessen  Theorie  den  Hauptanspruch  auf  seine  SteDung  in  der 
Oeschichte  der  Philosophie  ausmacht;  die  zweite  charakterisirt 
seine  Stellung  zu  den  Theologen  und  Vertheidigem  einer  in 
der  Natur  nach  Zweckmässigkeitsgründen  verfahrenden  InteUi- 
genz  und  in  der  Geschichte  waltenden  Vorsehung;  die  dritte 
bildet  die  Vorläuferin  zu  Eant's  berühmtem  ^Paralogismus', 
welcher  der  rationalen  Psychologie  ihr  reales  Object,  die  Seele 
entziehen  sollte.  Da  in  Hume's  Augen  mit  der  Existenz  des 
materiellen  Universums  auch  die  Existenz  eines  Dinges ,  welches 
^Ursache  von  etwas'  sein  kann,  hinwegfallen  soll,  so  ist  klar, 
dasB  sich  Hume  das  ursachliche  Verhältniss  so  eng  mit  der 
Materialität  verbunden  denkt,  dass  wo  die  letztere  fehlt  auch 
von  jener  nicht  die  Rede  sein  und  folglich  die  von  ihm  später 
behauptete  angebliche  Causalität  zwischen  blossen  »Phänomenen* 
mit  der  wirklichen  Causalität  nichts  als  den  Namen  gemein 
haben  kann.  Die  zweite  Folgerung  stützt  sich  darauf,  dass  die 
teleologische  Weltauffassung  auf  dem  ursprünglichen  Gegen- 
satz des  materiellen  Universums  und  einer  ausserweltlichen 
Intelligenz  beruht,  von  welchem  nach  dem  Hinwegfallen  des 
ersteren  nicht  mehr  gesprochen  werden  kann.  Die  dritte 
Folgerung  ergibt  sich,  meint  Hume,  unmittelbar  aus  Berkeley's 
eigenem  Princip.  Denn  wie  nach  Berkeley  das  materielle  Uni- 
versum keine  Existenz  hat,  weil  dasselbe  einzig  aus  solchem 
besteht,  was  unmittelbar  wahrgenommen  werden  kann  (since 
it  consists  only  of  what  can  be  perceived  immediately),  so 
hat  gleicher  Weise  das  Ich  oder  das  Selbst  (Seif)  keine  wie 
immer  beschaffene  Existenz,  weil  dieses  Ich  seibstbewusst  ist 
d.  i.  sich  selbst  unmittelbar  wahrnimmt  und  folglich  darum 
aoBBchUesslich  aus  solchem  besteht,  was  unmittelbar  wahrge- 
nommen werden  kann  (consists  only  of  what  can  be  perceived 
immediately).  Der  Nerv  dieses  Beweises  liegt  darin,  dass  was 
wahrgenommen  wird  Wahrnehmung,  also  nicht  das  Wahrge- 
nommene selbst  sei,  und  da  es  kein  anderes  Mittel  gibt  zum 
Wahrgenommenen  zu  gelangen,  als  durch  die  Wahrnehmung, 
zu  jenem  überhaupt  gar  nicht  gelangt  werden  könne  und  daher 
das  einzige,  was  wirklich  besessen  wird,  die  Wahrnehmung  sei. 
Intofem  nun  das  Wahrgenommene  wahrgenommen  wird,  ist  es 
nicht  Wahrgenommenes,  sondern  Wahrnehmung;  insofern  es  nicht 
wahrgenommen  wird,    ist  Wahrgenommenes  überhaupt  nicht. 


108  Zimmarmann. 

Wie  daher  kein  materielles  UniverBum  neben  und  ausser  dem 
phänomenalen;  so  existirt  kein  reales  Ich  ausser  und  neben 
dem  phänomenalen  und  wie  die  phänomenale  Welt  ein  Schein 
isty  der  uns  zu  dem  falschen  Glauben  verleitet^  dass  neben 
und  ausser  demselben  eine  wirkliche  Welt  existire,  so  ist  das 
phänomenale  Ich  ^eine  Art  optischer  Illusion  unsererseits,  welche 
uns  dazu  bringt  anzunehmen,  dass  wir  selbst  existiren'  (a  sort 
of  optical  illusion  upon  our  part  which  leads  us  to  suppose 
that  even  we  are  ourselves  existing). 

Die  richtige  Consequenz  des  Phänomenalismus  wäre  daher, 
meint  Hume,  gewesen,  nicht  nur  wie  Berkeley  thut  der  mate- 
riellen Eörperwelt,  sondern  auch,  wie  er  nicht  thut  aber 
eigentlich  thun  müsste,  dem  eigenen  Ich  die  reale  Grundlage 
abzusprechen.  Hume  dehnt  die  PhänomenaUtät,  welche  Berkeley 
auf  das  Object  des  Vorstellens  (das  Voi^estellte)  beschränkt, 
auch  auf  das  Subject  des  Vorstellens  (das  Vorstellende)  aus, 
welches  letztere  ihm  zufolge  ebenso  illusorisch  d.  i.  blosse 
Vorstellung  ist  wie  das  erstere.  Während  Berkeley  der  mate- 
riellen Körperwelt  als  Object  das  vorstellende  Ich  als  Subject, 
stellt  Hume  im  Ich  selbst  dieses  als  Vorstellendes  sich  selbst 
als  Vorgestelltem  gegenüber  und  behandelt  das  Verhältniss 
letzterer  beiden  auf  dieselbe  Weise,  wie  Berkeley  das  Verhalten 
des  Ichs  zur  Aussenwelt  darstellt.  Wie  sich  die  letztere  Air 
das  Ich  in  Vorstellung,  so  löst  sich  fUr  das  Ich  als  Vorstellendes 
das  Ich  als  Vorgestelltes  gleichfalls  in  solche  auf;  wie  fbr  das 
Ich  die  Aussenwelt,  so  verwandelt  sich  fUr  das  Ich  als  Vor- 
stellendes das  Ich  als  Vorgestelltes  in  eine  ,optische  Täuschung/ 

Der  Schluss  von  dem  Schein  einer  Eörperwelt  auf  das 
Sein  einer  solchen  ist  nach  Berkeley,  der  Schluss  von  dem 
Schein  unseres  Ich  auf  das  Sein  dieses  Ich  wäre  nach  Hume 
ein  Fehlschluss.  Wie  nach  Berkeley  das  Vorgestellte,  die 
Körperwelt,  so  ist  nach  Hume  der  Vorstellende,  das  individuelle 
Ich,  ein  blosses  ,Phänomen^;  die  Materie  und  der  ,GeistS  inso- 
fern er  individualisirt  (Einzelgeist,  Seelenindividuum)  ist,  sind 
beide  nicht  existent;  die  Anihilation,  welche  nach  Berkeley  die 
materiale  sowie  jede  reale  Grundlage  der  phänomenalen  Eörper- 
welt traf ,  erstreckt  sich  nach  Hume  nunmehr  auch  auf  jedes 
real-individualistische  Substrat  der  phänomenalen  Geistesindivi- 
dualität. Wenn  nach  Berkeley  nur  Geister,  nicht  aber  Materie, 


Ueber  Hamens  Siellung  bq  Bdrkaley  und  Kant.  109 

80  existiren  nach  Hume  weder  Materie  noch  Geister ;  der  anti- 
materialistische PhänomenalismuB  hat  einen  weiteren  Schritt  in 
der  Richtung  gegen  den  Nihilismus  zu  gethan^  indem  er  als 
antiindividualistischer  nicht  blos  wie  jener  die  Materialität  der 
Körper-,  sondern  überdies  die  Individualität  der  Geisterwelt  zu 
blossem  Scheine  herabsetzt. 

Dass  Hume  bei  dieser  Folgerung  aus  Berkeley's  Theorie 
wirkHch  die  Aufhebung  der  Existenz  des  Individualgeistes 
(nicht  des  Geistes  überhaupt)  im  Auge  hat,  geht  daraus  hervor, 
dass  er  unmittelbar  an  die  ArgumentatioD,  dass  die  Existenz 
des  Ich  eine  Selbsttäuschung  sei,  die  Bemerkung  hinzufügt, 
,da  nun  kein  Ich  sei,  so  sei  auch  weder  Raum  noch  Verwand 
fiir  die  UnsterbUchkeitsfrage^  (as  there  is  no  Ego,  there  is  no 
room  here  nor  pretext  for  the  question  of  Immortality).  Diese 
so  ausdrücklich  auf  das  Ich  bezogen  kann  nur  die  ewige 
Fortdauer  des  Individuums  als  solchen,  ihre  Leugnung  daher 
nur  die  Fortdauer  des  Geistes  als  Individuum  betreffen,  wo- 
durch die  Fortdauer  des  individualitätslosen  Geistes  ebenso 
wenig  als  durch  die  Aufhebung  der  Existenz  individueller 
Geister  die  Existenz  des  (individualitätslosen)  Geistes  ausge- 
schlossen ist. 

Letztere  wird  vielmehr  durch  den  Nachweis,  dass  das 
individuelle  Ich  ein  blosses  Phänomen  sei,  nothwendig  voraus- 
gesetzt. Indem  der  Phänomenalismus  dasjenige,  was  dem  Mate- 
rialismus und  ReaHsmus  fiir  Wirklichkeit  gilt,  in  ein  blosses 
Phänomen  verwandelt,  kommt  er  dazu,  diesem  letzteren  einen 
Träger  unterzulegen,  der  selbst  nicht  wieder  .Phänomen^  ist. 
Dieses  selbst  nicht  Phänomenale,  dessen  Phänomen  die  gesammte 
KOrperwelt  ist,  ist  nach  Berkeley  der  Vorstellende,  nach  Hume 
dagegen,  für  den  auch  der  Vorstellende  (das  Ich)  ein  blosses 
,Phänomen'  ist,  das  (individualitätslose)  Vorstellen  selbst.  Wie 
nach  Berkeley  die  einzelnen  Körper  Phänomene  des  Vor- 
stellenden, so  ist  nach  Hume  dieser  Vorstellende  selbst  nur  ein 
(weiteres)  Phänomen  des  Vorstellens,  sowie  das  Geträumte  dem 
Traum,  dieser  selbst  aber  schliesslich  dem  Träumer  zugehört. 
Während  daher  die  phänomenale  Körperwelt  mit  der  realen 
verglichen,  so  erscheint  die  phänomenale  Geisterweit  mit  dem 
Geist  selbst  verglichen  als  ,nichtig*.  Wie  fUr  den  consequenten 
Realisten  nur  das  Gesetztsein  ohne  Gesetztwerden,   so   hat  ftUr 


110  ZimmermanD. 

den  consequenten  Idealisten  nur  das  Setzen  ohne  Oesetztsein 
wirkliche  (nicht  phänomenale)  Existenss. 

Liegt  in  dieser  Aufhebung  der  Existenz  des  individuellen 
Ich  eine  Erweiterung  des  nihilistischen,  so  liegt  darin  zugleich 
eine  Verstärkung  des  skeptischen  Elements  des  Phänomenalismus. 
Wie  aus  der  Phänomenalität  der  Körperwelt  die  UmnögUchkeit 
einer  Erfahrung  von  denselben,  so  folgt  aus  der  Phänomenalität 
des  Ich  die  Unmöglichkeit  einer  Erfahrung  nicht  blos  von  dem 
eigen^i  sondern  auch  von  fremden  Ichen.  Jene  setzt  als 
yimago  veritatis'  die  Existenz  der  realen  Körperwelty^diese,  sie 
sei  nun  ^unmittelbar'  (wie  es  nach  Berkeley  die  Erkenntniss 
des  eigenen)  oder  mittelbar  (wie  es  nach  demselben  die  Er- 
kenntniss  eines  fremden  Selbst  sein  soll),  setzt  die  Existenz, 
sei  es  des  eigenen  sei  es  des  fremden  Ich,  als  eine  reale 
voraus.  Wer  daher  wie  der  Empirismus  die  Erfahrung  für  die 
einzige  Quelle  des  Wissens  hält,  verliert  nicht  nur  mit  der 
Aufhebung  der  realen  Existenz  der  Körperwelt  den  Boden  für 
alles  auf  eine  solche,  sondern  mit  der  Aufhebung  der  realen 
Existenz  des  individuellen  Ichs  zugleich  die  Basis  eines  auf 
individuelle  Geister  (den  eigenen  und  fremde)  bezüglichen 
Wissens  unter  den  Füssen.  Für  einen  solchen  gibt  es  unter 
diesen  Umständen  kein  Wissen,  weil  es  keine  Erfahrung,  und 
es  gibt  diese  nicht,  weil  es  nach  Vernichtung  der  realen  Körper- 
und  individuellen  Geisterwelt  nichts  mehr  zu  erfahren  gibt 
Das  Einzige,  was  nach  Verwandlung  sowohl  der  Körper-  wie 
der  individuellen  Geisterwelt  in  eine  lediglich  phänomenale  übrig 
bleibt,  sind  Vorstellungen  d.  i.  Acte  des  Vorstellens,  die  sich 
von  den  Vorstellungen,  aus  welchen  die  Erfahrung  besteht, 
dadurch  unterscheiden,  dass  sie  sich  nicht  auf  etwas  ausser 
und  neben  ihnen  Existirendes  als  dessen  ,Erscheinungen'  be- 
ziehen, sondern  umgekehrt  den  Schein,  als  sei  ein  ihnen  Ent- 
sprechendes ausser  und  nebst  ihnen  real  vorhanden,  ihrerseits 
erzeugen  d.  h.  nicht  wie  jene  »Abspiegelungen'  sondern  blosse 
,Vorspiegelungen'  sind.  Wie  nach  Berkeley  die  Materie  und  die 
aus  solcher  bestehende  Körperwelt,  so  ist  nach  Hume  das  Ich  und 
die  aus  solchen  bestehende  Geisterwelt  eine  ,optische  Täuschung' 
(optical  illuai<m),  mit  welcher  das  Vorstellen  sich  selbst  täuscht 

Nicht  nur  die  reale  Körperwelt  d.  i.  dasjenige,  dessen 
Inbegriff  die  Natur,   sondern  auch  die  individuelle  Geisterwell 


U«b«r  Hame*a  StUlmif  in  Btrketoj  nnd  Kant.  111 

d.  i.  dasjenige  y  dessen  Inbegriff  den  Inhalt  der  Geschichte 
ausmacht,  verwanddt  sich,  aus  diesem  Gesichtspunkt  gesehen, 
in  dne  ihrem  Material  nach  ebenso  bunte  als  immerfort 
wechselnde  Phantasmagorie ,  deren  Formen ,  das  rttumliche 
Neben-  das.  zeittiche  Nach-  und  das  causale  Auseinander,  nicht 
weniger  illusorisch  sind  als  dieser  Inhalt  selbst  Dieselbe 
gleicht  einem  Gewebe,  dessen  Stoff  das  V<H«tellen,  dessen 
Muster  die  bunte  Mannigfaltigkeit  der  Körper-  und  indivi- 
duellen Geisterwelt  ausmacht.  Urheber  dieses  Musters,  soweit 
es  Darstellung  einer  Welt  materieller  Körper  ist,  soll  nach  Ber- 
keley Gott,  nach  Hume  kann  es  sowohl  was  den  Schein  einer 
materiellen  Körper-  wie  was  den  einer  individuellen  Geister- 
welt betrifft,  nur  das  Vorstellen  selbst  sein.  Dasselbe  ist  als 
einnge  nicht  phänomenale  Ghrundlage  des  Gtesammtphänomens 
einer  zeitlich-  rttumlich-cansalen  Natur-  und  Geisterwelt  Stoff 
Musterzeichner  und  Weber  zugleich. 

Durch  diese  seine  positive  Seite  ist  der  englische  Phä- 
nomenalismus mit  dem  deutsch^i  Idealismus  Kant's  und  seiner 
idealistischen  Nachfolger  von  Fichte  bis  Hegel  verwandt;  von 
Hume  ist  derselbe  nach  seiner  negativen  antimetaphysischen 
und  insbesondere  antitheologischen  Seite  hin  ausgebeutet  wor- 
den. Jene  Verwandtschaft  besteht  darin,  dass  an  die  Stelle 
der  sogenannten  wirklichen  materialen  oder  realen  Welt  so- 
wohl im  Phänomenalismus  wie  in  diesem  Idealismus  eine  phä- 
nomenale tritt,  entweder,  wie  im  Halbidealismus,  als  ,£lrscheinungs- 
welt',  neben  welcher  die  wirkliche  als  ihrem  Dass  nach  anerkannte, 
ihrem  Was  nach  jedoch  unbekannte  noumenale  (intelligible) 
Welt  (,Ding  an  sich^  fortexistirt,  oder,  wie  im  Ganzidealismus, 
als  ,Scheinwelt^,  aber  zugleich  einzige  Welt,  in  welcher  statt 
der  Natur  des  Vorgestellten  (des  Objects)  jene  des  Vorstellens 
(des  Subjects  der  Vorstellung)  als  des  einzigen  Seins  zum  Vor- 
sehein kommt.  Diese  Ausbeutung  besteht  darin,  dass  Hume 
ans  der  Phänomenalität  sowohl  der  Körperwelt  wie  des  indivi- 
duellen Ich  die  Folgerung  zieht,  dass  es  weder  Seiendes  Über- 
haupt noch  Ursachen  von  irgend  etwas  gebe,  demnach  eine 
letzte  sowohl  wie  eine  intelligente  Ursache  der  Welt  ebensowenig 
als  eine  individuelle  Seele  existire,  von  der  Unsterblichkeit  der 
letzteren  sonach,  nicht  geredet  werden  könne.  Der  erste 
Theil  dieser  Folgerung  macht  der  Ontologie  d.  i.  der  philo- 


112  ZimmerinftnD. 

sophischen  WUsensehaft  vom  Seienden,  der  zweite  Theil  der 
natürlichen  Theologie  und  eben  solchen  Psychologie  d.  i.  den 
philosophischen  Wissenschaften  Yon  Gott  und  von  der  Seele, 
als  Wissenschaft  ein  Ende. 

Dass  es  dem  ^Skeptiker'  Hume  mit  diesen  Folgerungen 
aus  der  Natur  des  Phftnomenalismus  sowie  mit  dieser  selbst 
völliger  Ernst  gewesen  sei,  ist  bisher  von  dessen  Freunden 
und  Gegnern,  einheimischen  und  fremden ,  übereinstimmend 
angenommen  und  es  sind  die  versuchten  Widerlegungen,  die 
seine  Lehre  von  den  verschiedensten  Seiten  her,  vornehmlich 
aber  durch  Reid  in  England  und  Elant  in  Deutschland  erfahren 
hat,  auf  diese  Annahme  gestützt  worden.  Nur  ein  einziger 
Schriftsteller,  der  Wiedererwecker  des  Phänomenalismus  in 
England  und  Herausgeber  wie  Commentator  seines  Haupt^ 
Werkes  ,über  die  Principien  der  menschlichen  Erkenntniss', 
CoUyns  Simon,  macht  davon  eine  Ausnahme.  Er  bezeichnet 
(a.  a.  0.  S.  194)  als  eines  der  merkwürdigsten  Missverständ- 
nisse,  denen  man  in  der  Geschichte  der  Philosophie  beg^pne, 
merkwürdig  nicht  blos  rücksichtlich  ihrer  Grösse  sondern  auch 
ihrer  Verbreitung,  die,  wie  er  selbst  sagt,  ,in  der  Gegenwart 
ganz  allgemeine'  (now  almost  universal)  Annahme,  Hume's 
philosophische  Schriften  seien  von  ihm  als  ,emsthafte  meta* 
physische  Auseinandersetzungen'  (serious  metaphysical  expo- 
sitions)  gemeint  gewesen.  Er  sagt:  ^Allgemein  wird  gegen- 
wärtig vorausgesetzt,  dass  Hume  in  diesen  Schriften  nicht 
Scherz  trieb  (was  not  in  jest),  dass  er  sich  selbst  als  einen 
Metaphjsiker  ansah  und  als  ein  solcher  schrieb  mit  derselben 
Ernsthaftigkeit  (gravity),  mit  der  er  später  seine  Geschichte 
Englands  abfasste.  Man  sagt  uns,  er  habe  natürlicher  Weise 
erwartet,  dass  alle,  die  etwas  von  der  Sache  verstehen,  es  ihm 
anmerken  würden,  dass  er  im  Elmst  rede,  wenn  er  auf  solche 
erleuchtete  Principien  hin  die  Existenz  des  mat^ellen  Uni- 
versums leugne,  weder  die  Wissenschaft  der  Metaphysik,  wie 
manche  Neuere,  als  eine  Wissenschaft  des  Unsinns  (science  of 
nonsense)  lächerlich  machen,  noch  sich  auf  Kosten  der  Meta- 
physiker  unter  seinen  Zeitgenossen  in  einer  Phantasmagorie 
der  bittersten  Sarkasmen  lustig  machen  wolle.  Die  Ueber^ 
Zeugung  vieler,  besser  gesagt,  der  meisten  Neueren  ist,  dass, 
wenn  Hume  von  jenem  obigen  zu  seinen  weiteren  berühmten 


Uober  Hnme^s  Stellang  zu  Borkaley  und  Kant.  113 

drei  Grundsätzen  kam,  es  auf  diesem  ernsthaften  Wege  des 
Kachdenkens  und  der  Logik  geschah,  und  wir  werden  noch 
ganz  besonders  aufgefordert  (invited);  die  majestätische  Gravi- 
tät zu  bewundern,  mit  welcher  dieser  tiefe  Denker  zu  diesen 
feinen  (quaint)  Schlussfolgerungen  fortschreitet/ 

Diese  Folgerungen  sind  im  Vorhergehenden  angeführt 
worden.  Dass  Hume,  wenn  er  einmal  von  der  Annahme  aus- 
ging, dass  das  materielle  Universum  nicht  existire,  sehr  rasch 
(very  rapidly)  zu  der  weiteren  Folgerung  gelangen  konnte, 
dass  überhaupt  nichts  existire,  räumt  dessen  Gegner  selbst  ein 
und  das  Ilrgebniss  der  vorangegangenen  Darstellung  der  Ent- 
wicklungsgeschichte des  Phänomenalismus  scheint  dem  zu  ent- 
sprechen. Weder  ist  die  ausschliessliche  Phänomenalität  der 
Materie  und  der  aus  dieser  bestehenden  Körperwelt  mit  deren 
gleichzeitiger  Realität,  noch  ist  die  Aufhebung  der  realen 
Körperwelt  mit  dem  Bestände  eines  realen  Causalverbandes 
oder  mit  der  Beherrschung  eines  realen  Universums  durch  eine 
nach  Zwecken  handelnde  Intelligenz  verträglich.  Was  aber 
die  Leugnung  der  Realität  des  Ichs  betrifft ,  so  leitet  Hume 
dieselbe  unter  ausdrücklicher  Berufung  auf  Berkeley  auf  einem 
demjenigen  ganz  ähnlichen  Wege  ab,  auf  welchem  jener  selbst 
die  Nichtexistenz  der  Materie  oder  überhaupt  jedweder  dem 
Phänomen  einer  solchen  zu  Grunde  gelegten  realen  Substanz 
darthut. 

Warum  soll  nun  Hume  den  Phänomenalismus  und  seine 
Folgerungen  daraus  nicht  ernst  gemeint  haben?  Der  Beweis 
soll  nach  Simon  in  der  Art  und  Weise  liegen,  wie  er  über 
denselben  spricht  und  die  der  Anhänger  Berkeley's  als  ,attacks^ 
auf  dessen  Lehre  und  als  ,eine  Phantasmagorie  der  bittersten 
Sarkasmen'  bezeichnet.  .Das  ganze  Ding,'  sagt  Hume,  ,ist 
falsch y  ja  noch  mehr,  es  ist  ungereimt  (absurd).  Ich  für 
meine  Person  wenigstens,  ich  kann  davon  nicht  anders  denken 
als  von  dem  reinsten  Unsinn  (purest  nonsense).  Was  mich 
selbst  betrifft,  ich  könnte  die  Lehre  niemals  annehmen;  noch 
halte  ich  es  fUr  möglich,  dass  irgend  ein  Mensch,  der  bei 
Sinnen  ist  (in  his  senses),  im  Ernst  und  auf  die  Dauer  (seriously 
and  steadily)  eine  solche  Lehre  festhalten  könnte.  Der  Philo- 
soph in  seiner  Studirstube  mag  vielleicht  auf  eine 
halbe  Stunde  so  von  dem  materiellen  Universum  und 

Sitmngih'T.  d.  phiL-bitt.  Ol.    Cm.  Bd.  I.  Hf«.  8 


114  SSinmermann. 

von  dem  menschlichen  Körper  denken;  aber  sobald  er 
auf  die  Strasse  geht  und  mit  anderen  Menschen  verkehrt,  wird 
er  bald  der  Ungereimtheit  alles  dessen  gewahr  werden,  was  er 
denkt  und  sagt  über  den  G-egenstand/ 

Dass  dieser  erste  ,Angriff^  (wenn   es  einer  war)  in  der 
wissenschaftlichen  Welt  keinen  Erfolg  gehabt  habe,  gibt  Simon 
(nicht  ohne  Befriedigung)  zu.  ,Berkeley's  Lehre,^  sagt  er,  ^fuhr 
trotzdem  fort,  unter  den  wissenschaftlichen  Denkern  diejenigen 
Fortschritte  zu  machen,  welche  die  klare  Wahrheit  (clear  truth) 
jedesmal  macht  unter  jenen,  die  sich  auf  den  Gegenstand  ver- 
stehen/   Dass   es  aber  ein  Angriff  auf  die  Lehre  Berkeley's, 
insofern  dieselbe  als  wissenschaftliche  Meinung  von  Männern 
der  Wissenschaft  und  im  Kreise  derselben  festgehalten  würde, 
auch   gar  nicht  sein  sollte,  geht  klar  aus   dem  Zugeständniss 
des  vermeintlichen  Angreifers  hervor,   ,dass   der  Philosoph   in 
seiner  Studirstube*,   wenn  auch  nur  in  dieser  und  nur  für  die 
Dauer   seiner   wissenschaftlichen   Betrachtung    diese    Meinung 
wirklich  nicht  nxu*  hege,  sondern  hegen  möge  d.  h.  dass  dieselbe 
nur  mit  dem  gemeinen  Bewusstsein  und  der  Praxis  des  täglichen 
Lebens  im  Widerspruch,   an  sich  wissenschaftlich  aber  unan- 
fechtbar sei.  Hume  befindet  sich  Berkeley's  Lehre  von  der  Nicht- 
existenz  des  materiellen  Universums  gegenüber  in  einer  ähnlichen 
Lage,    wie   sich   die  Denkenden  unter  den  Zeitgenossen   dem 
Paradoxon  Zeno's  von  der  Nichtexistenz  der  Bewegung  gegenüber 
befiinden  haben  mögen.  Wie  Diogenes  dasselbe  dadurch  wider- 
legt zu  haben  meinte,  dass  er  aufstand  und  über  das  Zimmer 
ging,  so  gibt  sich  Hume  den  Anschein,  als  glaube  er,  die  Lehre 
von  der  blossen  Phänomenalität  der  Materie  lasse  sich  dadurch 
widerlegen,    dass   der  Philosoph   selbst   die  Strasse   beschreitet 
und   mit  Anderen   verkehrt,    als   ob   diese   wirklich   existirten. 
Berkeley's  Vertheidiger  hat  richtig  gesehen,  dass  obige  Stelle 
Hume's  einen  Scherz  (jest)  einschliesst,  nur  ist  derjenige,  über 
den   der   ironische   Schriftsteller   sich   lustig  macht,   nicht   der 
Philosoph,    der   in    seiner   Studirstube,    wie   Berkeley,    durch 
wissenschaftliche  Gründe   zur  Einsicht   in   die  Nichtigkeit  des 
materiellen  Universums  gefiihrt  wird,  sondern  der  kurzsichtige 
Laie  und  Weltmann,  der  ein  wissenschaftlich  begründetes  Para- 
doxon mit  den  wohlfeilen  Argumenten  des  Augenscheins  und 
der  Praxis  entkräften  zu  können  wähnt. 


Ueber  Bnme^s  Stellnng  n  Berkeley  and  Kant.  Il5 

In  seinem  zweiten  vermeintlichen  ^attack'  auf  Berkeley's 
Lehre  folgt  Hnme,  wie  CoUyns  Simon  meint,   einem  entgegen- 
gesetzten Angriffsplan.     Trat  er  in   dem   ersten   angeblich  als 
offener  Gkgner,  so  tritt  er  in  diesem  als  (angeblich  nur  schein- 
barer) 6(kiner  des  Phänomenalismus  auf.     ^Berkeley/  lässt  er 
ihn  sagen,  ,i8t  im  vollen  Recht  (right)^  seine  Lehre  ist  klärlich 
wahr  (clearly  true),  kein  Mensch^  der  nur  das  geringste  Urtheil 
besitzt  9   kann   das  leugnen.     Aber  anstatt  uns   Skeptiker  zu 
widerl^en,    wie    unser   junger   Student    (Collegian)    vorhatte 
(Berkeley  war  24  Jahre   alt,   als  er  sein  System  erfand)  und 
wie  die  werthen  Herren  von  der  Kirche  geglaubt  haben,   dass 
er  es  gethan  habe^  kommt  diese  wunderliche   (stränge)   Lehre 
von  der  Phftnomenalität  der  Materie  unserer  lustigen  Bruderschaft 
(jocose  Sect)  zu  Hilfe  und  rechtfertigt  sie  auf  die  wundervollste 
Weise  in  ihren  Theorien.      Obgleich  gar  kein  Zweifel  darüber 
herrschen  kann^  dass  Berkeley  nicht  die  Absicht  hatte^  Skepti- 
cismoB  zu  lehren,  so  lehrt  er  ihn  doch^  und  zwar  auf  bewunde- 
rungswürdige  Weise    (admirably).      Lasst    uns    ihm    Glauben 
schenken  in  beidem,   in  dem,   was  er  thut,   und  in  dem,   was 
er  wollte.     Obgleich  er,   daran  ist  nicht  zu  zweifeln,   ein  ganz 
anderes  Ziel  im  Auge  hatte  bei  der  Aufstellung  dieses  seltsamen 
kleinen  Systems  und  sein  Verdienst  nicht  gering  ist,  dasselbe 
aufgerichtet  zu  haben  auf  einer  so  vollkommen  unwider- 
leglichen Basis  (upon  a  basis  so  completely  irrefragable),  so 
ertheilt  er  uns  dabei  nichtsdestoweniger  einige  so  vortreffliche 
Lectionen  in  skeptischer  Philosophie^  als  wir  sie  je  von  irgend 
einem  Schriftsteller  erhalten  haben,  viel  besser  als  meine  arme 
Feder  je  eine  zu  liefern  im  Stande  war.  Er  zeigt  uns  klärlich, 
dass  wir  an  nichts,  was  es  auch  immer  sei,  glauben  dürfen, 
nicht  einmal  an  unsere  eigene  Existenz,  und  dass  wenn  wir  es 
doch  thun,   wir  ,Narren'  sind  (fools).     Er  erweist   mit  grosser 
Klarheit   und   grosser   Schönheit  der  Rede,  dass  das  materielle 
Universum  real  nicht  existire;   dass  die  Voraussetzung  seiner 
Existenz   eine   reine  Einbildung   (mere  illusion)   und  Selbstbe- 
rttckung  (delusion)  ist,   denn  alles,  wovon  wir  als  Materie  und 
materiellem  Weltall  sprechen,  besteht  einzig  aus  solchem,   was 
durch  die  Sinne  wahrnehmbar  d.  i.  aus  solchem,  was  unmittelbar 
(immediately)  wahrnehmbar  ist.  Dieser  Wink  (hint)  reicht  hin 
als  erleuchtender  Blitz   (lightning  glance)  für  den    Skeptiker. 

8» 


116  Zimmermann. 

Wir  können  aus  diesem  allein  mit  Leichtigkeit  (easilj)  ableiten 
die  Nicht-Existenz  alles  Uebrigen  (the  non-existence  of  all  the 
rest)/ 

Dieses  ^Uebrige'  ist  die  Causalität  (physical  causation), 
das  immaterielle  Ich  (immaterial  E^o)  und  ;G-ott'  (S^)-  »D^u^ 
da  Materie  und  ein  materielles  Weltall  überhaupt  nicht  ezistiren, 
so  ist;  wie  Berkeley  so  treffend  (well)  zeigt;  auch  keine  physische 
Verursachung  je  möglich :  kein  materielles  Ding  kann  Ursache 
sein  von  etwas  (no  material  thing  can  be  the  cause  of  anything). 
Weil  aber  physische  Verursachung  eine  Unmöglichkeit  (impos- 
sibility)  und  eine  Ungereimtheit  (absurdity)  ist;  ist  es  klar, 
dass  es  kein  solches  Ding  wie  eine  Ursache  von  etwas  geben 
kann;  auch  gibt  eS;  wie  zu  seheU;  kein  immaterielles  Ich,  denn 
dieses  ist  ein  Ding;  ebenso  unmittelbar  wahrnehmbar  wie  die 
Materie  selbst.  Endlich;  da  es  so  klar  ist  (evident),  dass  es 
eine  Ursache  von  irgend  etwas  nicht  gibt;  wie  können  wir 
mit  unserem  Verstände  so  spielen  (trifle),  dennoch  anzunehmen 
es  sei  Gott?' 

Diese  Worte  enthalten  ;die  Substanz  von  Hume's  zweitem 
Angriff'  und  ;die  Substanz  von  allem  dem,  was  Hume  schliess- 
lieh  (ultimately)  gelehrt  hat'.  ;Was  soll  maU;'  filhrt  Col- 
lyns  Simon  fort;  ;nun  von  jenen  Schriftstellern  denken,  die 
uns  sagen;  dass  Hume  in  alledem  klärlich  die  Wahrheit  und 
Vemunftmässigkeit  (reasonableness)  der  Lehre  Berkeley's  ge- 
sehen und  dieselbe  frank  und  frei  (francly)  als  ein  wissen- 
schaftliches Factum  (scientific  fact)  angenommen  habe,  an 
welchem  für  die  Person;  die  sie  begreift;  kein  Zweifel  möglich 
sei?'  Was  solle  man  denken  von  CommentatoreU;  die  uns  in 
langen  Commentaren  versichern;  dass  Hume  hier  nicht  ;im 
Spass'  (in  jest)  mit  eitel  ;Hohn  und  Spott'  (with  sneers  and 
derision)  rede  und  all  diese  ;Hochschätzung'  (estimate)  von 
Berkeley's  Lehre  und  deren  Folgerungen  weder  ironisch  (ironial) 
noch  .sarkastisch  (sarcastic)  gemeint  sei;  mit  einem  Wort,  dass 
Hume  diese  seine  ;philosophiBchen'  Schriften  (»philosophicaP 
papers)  mit  genau  der  nämlichen  Enthaltsamkeit  von  Scherz 
und  Trug,  genau  mit  dem  nämlichen  geziemenden  Anstand 
(becoming  gravity)  und  dem  Elmst  bei  Feststellung  von 
Thatsachen  abgefasst  habe  wie  etwa  seine  Geschichte  von 
England? 


Üeber  Hnme's  Stellaag  zu  B«rkoley  nnd  Kant.  117 

Wenn  der  vortreflfliche  Herausgeber  Berkeley'ß  mit  den 
letzten  Worten  nichts  anderes  gemeint  hat,  als  dass  der  Styl 
der  philosophifichen  Schriften  Home's  ein  anderer  ah  der  seiner 
historischen  sei^  und  dass  sich  derselbe  in  jenen  gelegentlich 
die  Einmischung  eines  nicht  blos  scherzhaften,  sondern  satiri- 
schen und  spöttischen  Tones  gestatte,  die  er  in  diesen  sich 
versage^  so  wird  man  ihm  Recht  geben  müssen.  Sowohl  der 
erste  wie  dieser  zweite  angebUche  ^Angriff"  ist  in  einem  Tone 
gehalten,  dass  man  deutlich  fühlt,  der  angebliche  Angreifer 
habe  einem  inneren  Bedttrfniss  Ghentige  gethan,  sich  über  ein 
Object,  das  seine  Lachlust  herausforderte,  lustig  zu  machen; 
keineswegs  aber  folgt  daraus  ebenso  gewiss,  als  es  Simon  zu 
sein  scheint,  dass  dieser  fragliche  Gegenstand  eben  die  Ber- 
keley'sche  Lehre  sei.  Wie  im  ersten  ,Angriff*,  wo  er  nach 
Simon's  Versicherung  sein  wahres  Gesicht,  so  hat  er  im  zweiten, 
wo  er  nach  dieser  eine  Maske  zeigt,  für  die  Lehre  Berkeley's 
als  wissenschaftliche  Meinung  nieht  nur  Anerkennung,  sondern 
(nach  Simon's  eigenem  Ausdruck)  sogar  ,Hochschätzung'  (esti- 
mate)«  Dort  räumt  er  ein,  dass  der  Philosoph  in  seiner  Studir- 
stube  ein  Recht  habe  zu  denken  und  zu  lehren,  wie  Berkeley 
denkt  und  lehrt,  hier  nennt  er  die  Lehre  desselben  nicht  nur 
,wahr',  sondern  deren  Basis  geradezu  ,unwiderleglich^  (irrefra- 
gable).  Wenn  letzterer  Ausdruck  Verstellung  heissen  soll,  so 
muss  entweder  obiges  Zugeständniss,  dass  der  Philosoph  in 
seiner  Studirstube  Recht  behalte,  auch  Maske  heissen,  oder, 
wenn  Hume  an  jener  Stelle  im  Ernste  spricht,  so  ist  kein 
Grrund  abzusehen,  warum  seine  Versicherung,  die  Lehre  sei 
wahr,  kein  Mensch  von  nur  ein  bischen  Urtheil  könne  sie 
leugnen  (least  discemment),   hier  ironisch  gemeint  sein  sollte. 

Dass  nun  Hume,  der  in  dem  ersten  ,Angriff^  Berkeley's 
Lehre  von  dem  Augenblicke  an  für  augenscheinlich  falsch,  ja 
absurd  erklärt,  sobald  der  Philosoph  auf  die  Strasse  hinaustritt 
und  mit  Anderen  verkehrt,  an  demselben  Ort  und  in  demselben 
Sinne  deren  Falschheit  und  Ungereimtheit  behauptet  habe,  so- 
lange der  Philosoph  in  seiner  Studirstube  bleibt  und  sich  aus- 
schliesslich der  Ikwägung  und  Betrachtung  wissenschaölieher 
Schlussfolgerungen  hingibt,  hat  Simon  selbst  nicht  statnirt; 
andererseits  hat  Hume  dort,  wo  er  Berkeley's  Lehre  für  wahr 
nnd  deren  Fundament  für  unwiderleglich  erklärt,  nicht  gesagt, 


118  Zinmermann. 

daBB  sie  dies  anders  denn  als  wissenschafitiiche  Meinung  und 
aus  wissenschaftlichen  Gründen  (für  die  »Studirstube^,  and 
dass  sie  weder  mit  dem  Augenschein,  noch  mit  der  Praxis  des 
täglichen  Lebens  im  Widerstreit  sei.  Hat  mm  Hume  in  seinem 
ersten  ,attack'  zugegeben  (was  Simon  nicht  leugnet),  dass 
Berkeley*s  Lehre,  ihrem  Widerstreit  gegen  die  Anschauungs- 
weise des  gemeinen  Bewusstseins  und  des  praktischen  Lebens 
zum  Trotz,  vom  rein  philosophischen  Genchtspunkt  aus  be- 
trachtet, richtig  sei  oder  doch  sein  könne,  so  braucht  seine 
ausdrückliche  Behauptung  im  zweiten  ,attackS  dass  dieselbe 
,wahr^,  ja  ,unwiderlegUch'  sei,  nicht  (wie  Simon  annimmt)  eine 
,Maske',  seine  Zustimmung  zu  derselben  weder  ,ironisch'  noch 
,sarka8tisch'  d.  h.  der  vermeintliche  zweite  ,attack'  braucht 
ebensowenig  wie  der  erste  als  , Angriff'  auf  Berkeley's  Lehre, 
wenn  auch  vielleicht,  wie  es  sich  zeigen  kann,  auf  Berkeley*» 
Person  gemeint  zu  sein. 

Dass  der  scharfsinnige  Denker  und  scharfsichtige  Satiriker 
zwischen  letzteren   beiden   einen  Unterschied   werde  gemacht 
haben,   lässt  sich   voraussetzen.     Wie   im  ersten   sogenannten 
,attack'  Hume  zwischen  der  wissenschaftlichen  Denkweise  des 
Philosophen,   welcher  an  der  Bestätigung  durch   den  Augen- 
schein ebensowenig  wie  an  der  Brauchbarkeit  derselben  fbr 
das   gemeine  Leben   gelegen  ist,   und  jener  des   sogenannten 
gesunden  Menschenverstandes  unterscheidet,  der  alles  dasjenige, 
was  dem  Augenschein  widerstreitet  oder  den  Air  unumgänglich 
erachteten  Voraussetzungen  des   praktischen  Alltagslebens   zu- 
wider  läuft,    als  ,falsch*    und   ,absurd'   verwerfen   zu   dürfen 
glaubt:  so  unterscheidet  derselbe  im  zweiten  ,attack'  zwischen 
der  Lehre  Berkeley's,   die,   wie  Hume  überzeugt  ist  und  dar- 
thut,  zum*  Skepticismus  fllhrt,  und  dem  Urheber  der  Lehre  d.  i. 
Berkeley  selbst,  der  den  Skepticismus  nicht  wiU  und  denselben 
durch  jene  Lehre  unmöglich  gemacht  zu  haben  wähnt.    Für 
den,  der  wie  Hume  selbst  die  wissenschaftliche  Denkweise  am 
höchsten  stellt,  muss  der  gemeine  Menschenverstand,  der  seinen 
(unzureichenden)  Maassstab  an  jene  legt,  thöricht  und  daher  in 
den  Augen  des  Besserwissenden  lächerlich  erscheinen.    Ebenso 
bietet  für  denjenigen,  der  wie  Hüme  aus  wissenschaftlichen 
Gründen  überzeugt  ist,    dass   die    unausbleibliche  Folge    des 
Phänomenalismus  der  Skepticismus  sein  müsse,  derjenige,  der 


üeber  Hum«*!  Stellung  zu  B«rk«l«7  und  Kant.  119 

nicht  nur  das  Gegentheil  glaubt,  sondern  vielmehr  den  Phäno- 
menalismus  flir  ein  BoUwerk  gegen  den  Skepticismus  ansieht, 
um  dieser  seiner,  mit  der  eigenen  (wahren  oder  vermeinten) 
Scharfsichtigkeit  verglichen,  in  die  Augen  fallenden  Blödsichtig- 
keit  willen,  einen  komischen  Anblick  dar.  Dieser  Eindruck 
steigert  sich,  wenn,  wie  im  vorliegenden  Falle,  der  in  Bezug 
auf  die  Consequenzen  einer  gewissen  Denkweise  so  äugen- 
scheinlich  Kurzsichtige  zugleich  der  Erfinder  und  erste  Be- 
gründer  dieser  Denkweise  selbst  ist  und  folglich,  wie  Berkeley 
in  den  Augen  Hume's,  zugleich  als  Entdecker  einer  von  diesem 
ftir  ^unwiderleglich^  gehaltenen  Weltansicht  als  sehend  und 
filr  die  unvermeidlichen  aber  von  ihm  ungeahnten  Consequenzen 
derselben  als  blind  sich  herausstellt. 

Der  Jünger  Berkeley's  hat  richtig  gesehen.  Sowohl  in 
der  ersten  wie  in  der  zweiten  Stelle  hat  Hume  seinen  Hang 
zur  Ironie,  zum  Sarkasmus  und  zur  Satire  freien  Lauf  gelassen, 
aber  der  Gegenstand  derselben  ist  Berkeley's  Lehre  nicht. 
CoUyns  Simon  erbhckt  in  der  ersten  Stelle  einen  ironisirenden 
Angriff  auf  den  Phänomenahsmus,  aber  nicht  dieser,  sondern 
der  Angriff  wird  ironisirt.  Wie  Sokrates  als  der  Wissende  dem 
Unwissenden  gegenüber  selbst  den  Unwissenden  spielt,  so  stellt 
sich  Hume^  der  die  Grundlage  des  Phänomenalismus  für  unwider- 
leglich hält,  zum  Schein  auf  die  Seite  des  gemeinen  d.  i.  un- 
wissenschafdichen  Bewusstseins,  um  in  dessen  Namen  und  mit 
dessen  vermeintlichen  Argumenten  Berkeley's  Lehre  zum 
Schein  Air  widerlegt  gelten  zu  lassen.  In  der  zweiten  Stelle 
hftlt  CoUyns  Simon  Hume's  Anerkennung  der  Wahrheit  und 
UnwiderlegUchkeit  des  Phänomenalismus  fbr  ,Ironie^  aber  der- 
jenige, der  nicht  wissentlich  wie  der  Ironiker  den  Unwissenden 
spielt,  sondern  unwissentlich  wie  die  komische  Person  der 
Unwissende  ist,  ist  hier  Berkeley  selbst.  ,Der  gute  Bischof 
(the  good  bishop)  von  Cloyne  geräth  durch  die  ,unwiderleg* 
liche^  Entdeckung,  die  er  gemacht,  und  die  für  die  Gegen- 
stände des  Glaubens  der  Kirche,  deren.  Glied  er  ist^  geradezu 
vernichtenden  Folgerungen  daraus,  welche  (nach  Hume)  unver^ 
meidlich  sind  und  die  er  übersehen  hat,  in  die  fatale  Lage, 
in  Hume's  Augen  entweder  &Xt  einen  beschränkten  Kopf,  wel- 
cher die  Tragweite  seiner  eigenen  Principien  nicht  zu  über- 
schauen vermag,  oder,  was  schlimmer  wäre,  fUr  einen  Heuchler 


120  Zimmermann. 

ZU  gelten,  der  sie  verleugnet.  Ersiere  Annahme,  bei  welcher 
nur  eine  Schwäche  des  Verstandes  blossgelegt  würde,  könnte 
nicht  verfehlen,  von  Seite  des  Klügeren  den  Spott,  und  weil 
der  Verstand,  der  sich  in  Anbetracht  der  Folgerungen  so  schwach 
zeigt,  derselbe  ist^  der  sich  in  Anbetracht  der  Grundlegung  so 
stark  erwiesen  hat,  die  beissendste  Form  desselben,  den  Sar- 
kasmus,  letztere  Annahme,  bei  welcher  vielmehr  eine  mora- 
lische Schwäche  offenbar  würde,  müsste  dahin  fiihren,  von 
Seite  des  Bessergesinnten  moralischen  Unwillen,  und  zwar,  da 
die  wirksamste  aber  zugleich  für  den  Bestraften  unschädlichste 
Bestrafung  darin  besteht,  dessen  üble  Willensbestrebungen 
dadurch  zu  vereiteln,  dass  man  sie  blosslegt,  die  Satire  heraus- 
zufordern. 

Scherz,  Hohn  und  Spott  also  finden  sich  in  beiden  Stellen 
reichlich  aufgehäuft,  in  der  ersten  über  die  Unphilosophie,  welche 
den  Philosophen,  in  der  zweiten  über  den  schwachherzigen 
Denker,  der  die  Vernunft  (in  Hume's  Sinn)  meistern  will.  In 
beiden  Stellen  wird  nicht  Berkelej's  Philosophie,  sondern  in 
der  ersten  deren  unphilosophischer  Angreifer,  in  der  zweiten 
Berkeley  selbst,  deren  schwachsichtiger  oder  schwachmüthiger 
Verleugner,  angegriffen.  Nicht  Hume's  Bekenntniss  zum  Phä- 
nomenalismus, sondern  gerade  umgekehi*t  dessen  scheinbare 
Bekämpfung  desselben  ist  Ironie.  Mit  der  Anerkennung  der- 
selben  und  noch  mehr  ihrer  Folgerungen  ist  es  ihm  völliger 
Ernst. 

Und  warum  sollte  auch  Hume  jenen  und  dessen  Folgen 
nicht  ernst  gemeint  haben  ?  Etwa  darum,  weil  der  Inhalt  dieser 
Folgerungen  von  der  Art  sei,  dass  sie  von  einem  ernsthaften 
Denker  überhaupt  nicht  festgehalten  werden  könnten?  Oder 
weil  diese  Folgerungen  von  der  Art  sind,  dass  sie  Berkeley 
niemals  als  Consequenzen  seiner  Lehre  würde  zugegeben  haben? 
In  ersterer  Hinsicht  muss  daran  erinnert  werden,  dass  kein 
noch  so  paradox  scheinender  Inhalt  eines  Lehrsatzes,  zu 
welchem  ein  Denker  auf  dem  Wege  ernsten  Nachdenkens  mit 
logischer  Nothwendigkeit  gelangt  zu  sein  versichert,  zu  dem 
Verdachte  berechtigt,  derselbe  habe  sich  mit  dem  wissenschaft- 
lichen Publicum  einen  irreführenden  Scherz  zu  treiben  erlaubt. 
In  letzterer  Hinsicht  muss  zugestanden  werden,  dass  die  Kurz- 
sichtigkeit des  Urhebers  eines  Princips,  dessen  «reitere  Folgen 


Ueber  Hnme^s  Stelluog  za  Berkeley  und  Kant.  121 

ZU  überBchanen^  oder  die  Abneigung  eines  solchen  sich  dieselben 
gefallen  zu  lassen,  diese  Folgerungen  selbst  weder  zu  verhüllen, 
noch  zu  verhindern  vermag. 

In  ersterer  Hinsicht  wtkrde  der  Verdacht,  dass  eine  paradox 
scheinende  Lehre  von  ihrem  Urheber  nicht  ernst  gemeint  sei, 
in  erster  Linie  den  Phänomenalismus  selbst  d.  i.  Berkeley's 
eigene  Lehre  treffen.  Denn  was  kann  in  den  Augen  des  soge- 
nannten gemeinen  Menschenverstandes  und  der  mit  diesem  mehr 
oder  weniger  in  diesem  Punkte  harmonirenden  materialistischen 
und  selbst  der  realistischen  Philosophie  Paradoxeres  behauptet 
werden,  als  dass  die  Materie,  welche  derselbe  mit  Händen 
greifen  zu  können  wähnt,  ein  blosses  ,Phänomen',  ein  Gaukelspiel 
sei,  worin  doch  nach  Simonis  eigenen  Worten  der  Kern  der 
Lehre  Berkeley's,  die  specifisch  ,Berkeley'sche  Doctrin'  (Berke- 
leian  Doctrine)  besteht?  Wenn  Berkeley  ein  Recht  hat  zu 
fordern,  dass  seine  Lehre  von  der  Phänomenalität  der  Materie, 
so  sehr  dieselbe  der  herkömmlichen  Ansicht  widerstreitet  und 
die  allgemein  verbreitete  nicht  blos  unter  Laien,  sondern  unter 
fast  allen  (englischen)  Philosophen,  ihn  allein  ausgenommen, 
übliche  Auffassung  derselben  als  eines  ,gänzlich  Unphänomenalen 
und  den  Sinnen  Unzugänglichen^  (entirely  unphenomenal  and 
inaccessible  to  the  senses)  auf  den  Kopf  stellt,  von  Männern 
der  Wissenschaft  in  wissenschaftlichem  Ernste  genommen  und 
als  Ergebniss  ernsten  wissenschaftlichen  Nachdenkens  respectirt 
werde,  so  kann  Hume  das  gleiche  Recht  bezüglich  der  von 
ihm  aus  dieser  Lehre  gezogenen  Folgerungen,  so  sehr  dieselben, 
wie  z.  B.  die  Leugnung  der  Realität  des  Ich,  nicht  blos  dem 
DafUrhalten  des  gemeinen  Bewusstseins,  sondern  auch  dem 
philosophisch  gebildeter  Geister  und  unter  diesen  vor  allem  des 
B^ründers  und  des  Jüngers  des  Berkeley'schen  Phänomena- 
lismuB  selbst  zuwiderlaufen  mögen,  unmöglich  verweigert  werden, 
umsoweniger,  da  Hume,  wie  das  von  CoUyns  Simon  selbst,  wenn 
auch  zu  entgegengesetztem  Zweck  angezogene  Beispiel  seiner 
einstigen  Vorliebe  und  vertrauten  Freundschaft  fUr  und  mit 
Rousseau  beweist,  nicht  der  Mann  war  von  Wahrheiten,  die 
(nach  Jean  Paul)  ,um  ein  Jahrhundert  zu  früh  kommen^  um 
ihrer  scheinbaren  Abenteuerlichkeit  willen  sich  abschrecken  zu 
lassen.  Näher  läge  es  ihn  zu  beschuldigen,  dass  vermöge  der 
ganzen  Anlage  seiner  Natur  gerade  das  auffällige  Paradoxale 


122  Zimmermann. 

und  vom  Herkömmlichen  Abweichende  für  ihn  einen  besonderen 
Reiz  besessen  und  auf  ihn  eine  bestrickende  Anziehungskraft 
ausgeübt  habe,  womach  sich  denn  eher  eine  geheime  auf  Wahl- 
verwandtschaft gegründete  Hinneigung  zu  der  ihren  Zeitgenossen 
und  Landsleuten  paradox  erschienenen  und  darum  von  diesen 
fast  gänzhch  bei  Seite  geschobenen  und  vergessenen  Lehre 
Berkeley's,  als  eine  zum  Spott  über  dieselbe  um  ihrer  schein- 
baren Curiosität  und  Seltsamkeit  willen  aufgelegte  feindselige 
Gesinnung  bei  ihm  voraussetzen  liesse. 

War  Hume  kein  Mann,  vor  einem  Paradoxon,  wie  die 
Lehre  von  der  Phänomenalität  der  Materie  eines  war,  zurück* 
zuschrecken,  so  war  er  es  noch  weniger,  um  Folgerungen,  wie 
jene  waren,  die  sich  ihm  mit  unvermeidlicher  Kothwendigkeit 
daraus  zu  ergeben  schienen,  aus  dem  Wege  zu  gehen.  Dieselben 
machen  nach  Collyns  Simon's  eigenem  Ausdruck  die  Substanz 
dessen  aus,  was  Hume  schliessUch  lehrte,  und  welches  darin 
besteht,  dass  er  die  Nicht -Existenz  nicht  nur  der  materiellen, 
sondern  auch  der  immateriellen  Welt,  sowohl  eines  individuellen 
endlichen  wie  eines  unendlichen  Geistes  behauptete.  Letztere 
schien  ihm  mit  ersterer  so  eng  verbmiden,  dass  erstere  nicht 
ohne  letztere  behauptet,  letztere  dagegen  von  ersterer  so  unab- 
hängig, dass  sie  auch  ohne  die  erstere  gelehrt  werden  könne. 
Wer  von  der  Phänomenalität  (d.  i.  von  der  Nicht -Existenz) 
der  Materie  überzeugt  ist,  kann  seiner  Meinung  nach  nicht 
umhin,  auch  von  der  Phänomenalität  (d.  i.  Nicht -Existenz)  des 
Immateriellen  (sowohl  des  menschlichen  wie  des  göttlichen  Geistes) 
überzeugt  zu  werden.  Wer  dagegen  von  der  Nicht-Existenz 
des  Immateriellen  überzeugt  ist,  kann  daneben  immer  noch  an 
die  (und  zwar  sodann  ausschliessUche)  Existenz  der  Materie 
glauben.  Wem  daher  an  dem  Glauben  an  die  Nicht- Existenz 
des  Immateriellen  gelegen  ist,  für  den  bietet  dem  Vorangehenden 
zufolge  die  Ueberzeugung  von  der  Phänomenalität  der  Materie 
unter  allen  denkbaren  das  sicherste  Mittel  dar,  um  dadurch 
auch  der  Nicht -Existenz  des  Immateriellen  gewiss  zu  werden, 
und  dies  ist  der  Dienst,  welchen  Berkeley  (sehr  wider  seinen 
Willen)  nach  Hume's  Meinung  der  ,lustigen  Secte^  (jocose  Sect), 
zu  der  sich  dieser  zählt,  geleistet  hat. 

Schon  dieser  Ausdruck  weist  darauf  hin,  wer  unter  den 
,Skeptikem*    (sceptics)   verstanden    sei.     Offenbar   hat    Hume 


üeb«r  Haine*«  Stellung  za  B«rkel«y  und  Kant.  123 

dabei  diejenigen  im  Auge,  welchen  vor  allem  an  der  Leugnung 
der  Wahrheiten  der  sogenannten  natürlichen  Religion  d.  i.  der 
Eizisienz  Gottes  und  der  Unsterblichkeit  der  Seele  gelegen  ist. 
Diese  Secte,  die  er  die  , lustige^ '(jocose)  nennt,  weü  sie,  um 
das  Leben  nach  Art  der  Epikuräer  zu  gemessen,  wie  diese 
den  Glauben  an  ein  künftiges  Leben  und  eine  überweltliche 
Macht  zu  beseitigen  sucht,  bedarf  zu  diesem  Zwecke  einer  Meta- 
physik, die  so  beschaffen  ist,  dass  sie  den  Glauben  an  die 
Existenz  dieser  beiden  unmöglich  macht.  Dieselbe  hat  sich, 
meint  Hume,  bisher  dem  Materialismus  angeschlossen  aus  dem 
Ghnunde,  weil  die  Ueberzeugung  von  der  AusschUesslichkeit  der 
Existenz  der  Materie  die  Möglichkeit  des  Glaubens  an  die 
Existenz  und  Unsterblichkeit  der  Seele  und  das  Dasein  Gottes 

m 

von  selbst  aufhebt.  Dieselbe,  fährt  er  fort,  könnte  sich  aber  aus 
demselben  Grrunde  ebenso  gut  dem  Phänomenalismus  anschliessen, 
weil  die  Ueberzeugung  von  der  Phänomenalität  der  Materie 
den  Glauben  an  die  Phänomenalit&t  des  loh  und  Gt)ttes  noth- 
wendiger  und  logischer  Weise  im  Gefolge  hat.  Berkeley's 
Phänomenalismus  hebe  daher  zwar  den  Materialismus,  aber  er 
hebe  die  Folgen  desselben,  die  Ueberzeugung  von  der  Nicht- 
Existenz des  Immateriellen  so  wenig  auf,  dass  er  vielmehr 
seinerseits  dazu  wesentUch  beitrage^  dieselben  zu  befestigen. 
Materialismus  und  Phänomenalismus,  die  Lehre  von  der  Realität 
vaid  jene  von  der  blossen  Phänomenalität  der  Materie  stünden, 
was  den  Inhalt  der  natürlichen  Religion,  die  Lehre  von  der 
Existenz  und  Unsterblichkeit  der  menschlichen  Seele  und  von 
dem  Dasein  Gottes  angehe,  auf  ganz  derselben  Stufe;  keine 
von  beiden  habe  in  diesem  Punkt  auch  nur  das  Geringste  vor 
der  anderen  voraus.  Die  Nichtigkeit  des  Inhalts  der  natürUchen 
Religion,  die  Nicht- Existenz  des  menschlichen  wie  des  göttlichen 
Geistes  folge  aus  der  einen  wie  aus  der  anderen  mit  gleicher 
Unwiderstehlichkeit 

Wo  ist  in  diesem  ganzen  Raisonnement  etwas,  was  Hume 
nicht  ernst  gemeint  haben  könnte?  Davon,  dass  es  Hume  mit 
seinem  Unglauben  an  die  Existenz  der  Unsterblichkeit  der  Seele 
sowie  an  das  Dasein  Gottes  ernst  gewesen,  ist  wohl  Collyns 
Simon  selbst  überzeugt.  Da  er  nun  in  Berkeley's  Phänomena- 
lismas eine  Lehre  erblickt  hat,  welche  ihm  diesen  Unglauben 
wissenschaftlich  zu  begründen  schien,  wie  sollte  er  dieselbe 


124  ZinmermanB. 

nicht  ernsthaft  genommen  haben  und  seine  Versicherung,  die- 
selbe sei  wahr,  blosse  VersteUnng  gewesen  sein?  Wenn  wir  in 
Betracht  ziehen,  dass  neben  den  beiden  einander  ausschliessen- 
den  Fällen  der  Realität  od^r  der  blossen  Phänomenalität  der 
Materie  kein  dritter  möglich  ist,  aber  einer  von  beiden  noth- 
wendig  stattfinden  muss,  so  wird,  wenn  sich  heransstellt,  dass 
sowohl  in  dem  einen,  wie  in  dem  anderen  Falle  die  Elxistenz 
der  menschlichen  Seele  und  Gottes  ausgeschlossen  bleibt,  die- 
selbe schlechterdings  und  ein-  fttr  allemal  unmöglich  gemacht 
Darin  bestand  der  grosse  Dienst,  den  Berkeley  in  Home's 
Augen  den  Gegnern  der  Existenz  und  Unsterblichkeit  der  Seele 
und  des  Daseins  Gottes  erwies.  Bisher  hatten  denselben  zu 
diesem  Zwecke  nur  die  Materialisten  gedient;  Hume  glaubte 
bewiesen  zu  haben ,  dass  auch  die  Immaterialisten  zu  dem  E}nde 
verwendbar  seien. 

V  Allerdings  ,wider  Willen^  und  das  ist  der  Punkt,  über 
den  sich  Hume  lustig  macht.  Keinem  Leser  der  ,Principle8  of 
human  knowledge'  kann  es  entgehen,  dass  der  Urheber  der 
neuen  Lehre  von  der  Phänomenalität  der  Materie  nicht  nur 
bemüht  ist,  deren  völlige  Ungefährlichkeit  fUr  den  Inhalt  der 
Lehre  der  natürlichen  Religion,  sondern  auch  deren  Brauch- 
barkeit zur  entscheidenden  Vernichtung  der  dem  Inhalt  dieser 
letzteren  entgegengesetzten  Lehre  der  Gottes-  und  Seelen- 
leugner in  volles  Licht  zu  setzen.  Nicht  nur  die  Existenz  des 
eigenen  Ich,  sammt  dessen  Unsterblichkeit  oder  wenigstens  Jn- 
corruptibilität'  (incorruptibility)  ist  nach  Berkeley's  Theorie  a 
priori,  sondern  auch  die  Existenz  anderer  Geister  und  die 
Gottes  selbst  ist,  wenn  auch  nur  a  posteriori  (by  inference), 
durch  ihre  Wirkungen  oder  die  von  ihnen  in  uns  erzeugten 
Ideen  (by  their  Operations,  or  the  ideas  by  them  excited  in  us), 
aber  mit  Evidenz  gewiss.  Durch  den  Erweis,  dass  die  Materie 
als  solche  keine  Realität  habe,  sondern  ein  blosses  Phänomen 
sei,  aber  sei  der  Behauptung  des  Materialismus,  dass  dieselbe 
das  ausschliessend  Existirende,  und  was,  wie  Geist  und  Qott 
nicht  materieU,  auch  nicht  existirend  sei,  von  vorneherein  der 
Boden  unter  den  Füssen  entzogen.  Welcher  Triumph  nun  Air 
Hume,  wenn  er  erweisen  zu  können  glaubt,  dass  die  zum 
Verderben  der  Gottes-  und  Seelenleugner  auszuschlagen  be- 
stimmte Lehre  die  der  Absicht  ihres  Urhebers  gerade  entgegen- 


Ueber  Hüne*!  Stellung  so  Berkeley  und  Kant.  1 25 

gesetzte  Wirkung  übt  und  durch  ihre  ungewoUten  aber  unver- 
meidlichen Consequenzen  die  schlimmsten  Theorien  der  letzteren 
,aufs  wunderbarste  rechtfertigt'  (justifies  most  wonderfully)  I  Ber- 
keley haty  sagt  Hume,  der  ^lustigen  Secte'  der  Gottes-  und  Seelen- 
Verächter  und  Unsterblichkeitspötter  die  »beste'  Methode,  viel 
besser  als  irgend  einer  von  ihnen  und  als  Hume  selbst,  au  die 
Hand  und  durch  den  ^unwiderleglichen'  Nachweis,  dass  die 
Materie  nicht  existire,  einen  unschätzbaren  ,Wink^  gegeben, 
wie  sich  beweisen  lasse»  dass  auch  sowohl  Seele  als  Gott  keine 
Realität  besitzen!  Der  gegen  die  Gottes-  und  Seelenleugner 
abgeschossene  Pfeil  springt  auf  den  Schützen  zurück;  der  zur 
Vernichtung  des  Materialismus  ersonnene  Phänomenalismus  ver- 
wandelt Gott  und  Geist,  wie  dieser,  in  blosse  Phänomene  I 

Nicht  mit  der  Lehre  Berkelej's  trieb  Hume  Spott:  mit 
dem  Spott  über  Berkeley  war  es  ihm  bitterer  Ernst.  Für 
Berkeley,  den  Gottesmann,  kann  es  beinahe  als  ein  tragikomi- 
sches Verhängniss  gelten,  durch  sein  System  den  Gegnern 
Waffen,  die  zu  ihrer  Vernichtung  bestimmt  waren,  zur  Selbst* 
vertheidigung  in  die  Hand  zu  geben.  Hume  der  Gottesleugner 
mochte  eine  Art  diabolischen  Vergnügens  darüber  empfinden, 
dass  der  zur  Parirung  des  Angreifers  geführte  Hieb  dem  zu 
Beschützenden  selbst  die  tödtliche  Wunde  versetzt  habe.  Ob- 
gleich, sagt  er,  nicht  der  mindeste  Zweifel  darüber  herrschen 
kann,  dass  Berkeley  nicht  der  Meinung  war,  den  Skepticismus 
zu  lehren,  so  thut  er  es  und  thut  es  in  bewunderungswürdiger 
Weise  (admirably).  Oder  kann  der  Skepticismus  überhaupt 
weiter  getrieben  werden  als  bis  zum  Zweifel  an  der  eigenen 
^Existenz?  Letztere  nun  leugnet  er  zwar  nicht  selbst  und  nicht 
mit  ausdiücklichen  Worten;  ja  mit  solchen  behauptet  er  vielmehr 
das  Gegentheil  und  erklärt  die  Gewissheit  der  eigenen  Existenz 
für  eine  Erkenntniss  a  priori  d.  i.  eine  unmittelbare;  aber  diese 
Enthaltsamkeit  ist  nur  die  Folge  einer  Inconsequenz  im  Denken, 
und  wenn  er  folgerichtig  verführe,  so  müsste  er  sie  leugnen. 
Durch  den  »Wink',  den  er  uns  gibt,  und  der  darin  besteht, 
dass  alles,  von  dem  wir  als  Materiellem  und  Materie  reden, 
blosse  VorsteUung,  und  eine  Materie,  die  mehr  oder  etwas 
anderes  als  Vorstellung  wäre,  gar  nicht  vorhanden  sei,  zeigt 
er  ^Järlich'  (clearly),  dass  dasjenige,  von  dem  wir  als  unserem 
Ich  reden,  auch  nichts  weiter  als  Vorstellung  und  ein  Ich,  das 


126  Zimmermaiiii. 

mehr  oder  etwas  anderes  wäre  als  blosse  Vorstellung;  nicht 
vorhanden  sein  könne.  Da  wir  daher  nach  seiner  eigenen  Ver- 
sicherimg;  wenn  wir  an  die  Existenz  der  Materie  glaubten^ 
uns  einer  Selbsttäuschung  (delusion)  hingäben  d.  i.  nach  Art 
Geistesgestörter  Wahn  fllr  Wahrheit,  Inhalt  einer  Hallucination 
für  Wirklichkeit  nehmen  würden  ^  so  hätte  er  folgerichtig  hin- 
zufügen müssen,  dass,  wenn  wir  an  die  Existenz  des  Ich  d.  i. 
des  eigenen  Selbstes  glaubten,  wir  gleichfalls  unter  dem  Einfloss 
einer  optischen  Täuschung,  eines  zwar,  wie  es  bei  der  Materie 
der  Fall  ist,  unvermeidlichen,  aber  grundfalschen  Selbstbetrugs 
ständen,  also  wie  der  Hallucinant  einfach  ,Narren'  (fools)  seien. 
Wer  um  des  Vorstehenden  willen  der  Ansicht  wäre,  Hume 
könne  die  Versicherung,  dass  er  den  Phänomenalismus  ftkr  un- 
widerleglich und  wahr  halte,  nicht  im  Ernste  gemeint  haben, 
würde  dadurch  behaupten,  dass  der  Skepticismus  an  der  Ge- 
wissheit der  eigenen  Existenz  seine  Grenze  finden  müsse. 
Descartes  hat  gezeigt,  dass  das  Gegentheil  der  Fall  ist.  Die 
Gewissheit  des  eigenen  Seins  ist  weder  unmittelbare  noch  die 
letzte  Gewissheit,  von  der  alle  übrige  abhängt.  Dieselbe  setzt 
als  Bedingung  die  Gewissheit  des  eigenen  Denkens,  die  Ge- 
wissheit des  sum  jene  des  cogito  voraus.  Indem  Hume  die 
Existenz  des  eigenen  Ich  für  aufgehoben,  den  Glauben  an 
dieselbe  für  Selbsttäuschung  erklärt,  wird  von  ihm  zwar  der 
Inhalt  der  Ich -Vorstellung  als  von  dieser  unterschiedenes  reales 
Object  verneint,  aber  die  Thatsache  der  Ich -Vorstellung  als 
Act  des  Vorstellens  und  dadurch  dieses  selbst  als  Thatsache 
bejaht.  Mit  anderen  Worten:  das  Ich  d.  i.  das  vorstellende 
Individuum  als  solches  ist  zwar  ein  blosses  Phänomen,  aber 
das  Vorstellen,  dessen  Phänomen  d.  i.  dessen  Vorstellung  es 
ist,  selbst  ist  kein  Phänomen.  Wie  die  Skepsis  des  Cartesia- 
nismus  bei  dem  cogito,  so  macht  die  Skepsis  Hume's  bei  dem 
Vorstellen  als  solchem  Halt.  So  wenig  nach  dem  ersteren  das 
cogito,  so  wenig  kann  nach  dem  letzteren  das  Vorstellen  be- 
zweifelt werden.  Jenes  wie  dieses  sind  Thatsachen,  welche 
durch  den  Versuch  der  Leugnung  derselben  nur  Bestätigung 
erfahren  könnten:  das  cogito,  weil  das  dessen Thatsächlichkeit 
bezweifelnde  dubito  selbst  ein  Denken,  das  Vorstellen,  weil 
jedes  dessen  Facticität  bestreitende  Zweifeln  selbst  ein  Vorstellen 
wäre.     Weder  Descartes  noch  Hume  haben  dadurch,    dass  ihr 


lieber  Hiime*8  Stelloiig  xn  Berkeley  and  Kmnt.  127 

Zweifel  sich  auch  auf  die  Realität  des  eigenen  Seins  erstreckt^ 
den  Anspruch  verwirkt^  ihr  Denken  als  ernst  und  sich  selbst 
als  ernste  Denker  betrachtet  zu  sehen.  Weder  der  auf  die  That- 
sache  cogito  sich  stützende  Rationalismus  des  einen^  noch  der 
auf  die  Thatsache  des  Vorstellens  gebaute  Phänomenalismus  des 
anderen  kann,  weil  die  Qmndlage  des  einen  nicht  die  Gewissheit 
des  eigenen  Seins  und  die  Basis  des  anderen  das  noch  nicht 
zum  vorstellenden  Individuum  krystallisirte  Vorstellen  ausmacht, 
der  (im  ersten  Fall)  logischen  Halt-  oder  (im  zweiten)  der  meta- 
physischen Bodenlosigkeit  beschuldigt  und  ebensowenig  dürfen 
deren  Urheber  um  deswillen  verdächtigt  werden,  mit  der  wissen- 
schaftlichen Wahrheit  frivoles  ,Spi^l'  getrieben  zu  haben. 

Kaum  wird  die^  wie  Collyns  Simon  selbst  einräumt,  all- 
gemein herrschende  Meinung,  dass  Hume  Berkeley  gegenüber 
ernsthaft  zu  nehmen  sei^  durch  die  im  Vorstehenden  gewürdigten 
Ai^umente  erschüttert  worden  sein.  Indem  Hume,  wie  oben 
gezeigt,  die  unphilosophischen  Gegner  der  Berkeley 'sehen  Lehre 
verspottet  und  die  aus  derselben  seiner  Ansicht  nach  mit 
logischer  Nothwendigkeit  sich  ergebenden  Folgerungen  sich 
aneignet,  erscheint  er  so  wenig  als  Gegner  des  Phänomenalismus, 
dass  er  vielmehr  als  dessen  auch  vor  den  äussersten  Conse- 
quenzen  nicht  zurückweichender  Fortsetzer  und  (im  wissen- 
schaftlichen Sinne)  dreister  Vollender  gelten  muss.  Sowohl  das 
nihilistische  Element  wie  das  skeptische  des  Phänomenalismus 
erreicht  durch  ihn  seinen  Gipfelpunkt:  jenes  dadurch,  dass  zu 
der  Nicht-Existenz  der  Materie  die  Nicht-Existenz  des  indivi- 
duellen Geistes,  des  menschlichen  wie  des  göttlichen,  sich 
gesellt,  dieses  dadurch,  dass  zu  der  Einsicht  in  die  Unmöglichkeit 
einer  Erfahrung  dem  Stoffe,  die  weitere  der  Unmöglichkeit 
derselben  der  Form  nach  hinzutritt.  Die  Erweiterung  des 
nihilistischen  Elements  durch  Hume  bedarf  nach  den  vorange- 
gangenen Erörterungen  keines  Beweises  mehr;  die  Erstarkung 
des  skeptischen  aber  zeigt  sich  in  unwiderleglicher  Weise  in 
den  Hume  allein  angehörigen  Untersuchungen  über  die  Causa- 
litätsform  in  der  Erfahrung,  die  seinen  Ruhm  begründet  hat. 

Dass  die  Causalität,  den  Gesichtspunkt  des  Phänomena- 
lismus einmal  als  giltig  angenommen,  nicht  mehr  eine  ,phyBische^ 
sein  kann,  sagt  er  in  der  ersten  seiner  drei  Folgerungen 
deutlich.   fSne  solche  setzt  sowohl  von  Seite  des  Verursachenden 


128  ZiiDineriii»no. 

wie  des  VerurBachten  eine  Materialität  oder  mindestens  Bealitftt 
voraus,  welche  blosse  ^Phänomene'  eben  nicht  besitzen.  Daraus 
folgte  dasB,  wenn  zwischen  Phänomenen  ein  Causalverband 
übei;haupt  stattfinden  soll,  derselbe  nur  in  einer  Weise  beschaffen 
sein  könnC;  wie  es  die  blos  phänomenale  Natur  des  dadurch 
Zusammenhängenden  gestattet.  Phänomene  nun  vermögen  ein* 
ander  nicht  zu  ^erzeugenS  denn  dieses  würde  erfordern,  dass 
sie  mehr  als  Phänomene  d.  h.  dass  sie  Wirklichkeiten,  also 
nicht  blos  fkhig  Wirkungen  hervorzubringen,  sondern  wirkend 
seien.  Wohl  aber  können  sie  (wie  dies  z.  B.  bei  den  Phänomenen 
des  Bewusstseins  der  Fall  ist)  das  eine  das  andere  ,nach  sich 
ziehen',  so  dass  mit  dem  Eintreten  des  einen  das  Eintreten  des 
anderen  erfolgt,  ohne  dass  doch  das  eine  durch  das  andere  im 
strengen  Sinne  des  Wortes  hervorgebracht,  sondern  lediglich 
das  Auftreten  des  einen  durch  das  Auftreten  des  anderen 
herbeigeführt  wäre.  Der  Unterschied  beider  Fälle  besteht  darin, 
dass  bei  der  Erzeugung  das  Erzeugende  und  das  Erzeugte 
dem  Stoffe  nach  identisch  sein  müssen,  dagegen  bei  dem 
blossen  Nachsich-Ziehen  das  Nachziehende  und  das  Nachge- 
zogene ihrem  Inhalt  nach  völlig  verschieden  sein  können.  Daher 
lässt  sich  wohl  aus  dem  Inhalt  des  Erzeugenden  auf  den  des 
Erzeugten,  nicht  aber  aus  dem  des  Nachsichziehenden  auf  den 
des  Nachgezogenen  jedesmal  mit  Sicherheit  schliessen.  Letzteres 
ist  nur  dann  der  Fall,  wenn  der  Inhalt  des  Nachgezogenen  dem 
des  Nachsichziehenden  gleich  oder  in  demselben  eingeschlossen, 
dagegen  nicht,  wenn  er  demselben  völlig  ungleich  ist. 

Da  nun  das  Erzeugtwerden  die  Materialität  oder  mindestens 
Realität  des  Erzeugenden  und  des  Erzeugten  voraussetzt,  eine 
solche  im  Phänomenalismus,  welcher  die  Realität  sowohl  der 
Materie  als  der  Objecte  leugnet,  ausgeschlossen  wird,  so  bleibt 
fUr  die  Welt  der  Phänomene  als  einzig  mögliche  Art  eines 
Verbandes  derselben  unter  einander  nur  diejenige  übrig,  durch 
welche  das  Nachgezogenwerden  des  einen  oder  mehrerer  durch 
eines  oder  andere  herbeigeführt  wird.  Diese  Art  des  Verbandes 
ist  aber  keine  andere  als  die  Association,  von  welcher  die 
sogenannte  Ideenassociation  in  Bezug  auf  die  Phänomene  des 
individuellen  Bewusstseins  ein  Beispiel  gibt.  Wie  in  diesem 
die  Ideen  nach  dem  sogenannten  Gesetze  der  Aehnliohkeit^ 
des   Contrastes.,   der  Gleichzeitigkeit  und  der  Suocession  sich 


üeber  Hnme's  Stdlnng  so  Berkeley  nnd  Kant  129 

unter  einander  in  der  Weise  und  mit  dem  Erfolge  verbinden^ 
dass  die  gleiche  die  gleiche^  oder  die  entgegengesetzte  die 
entgegengesetzte^  die  angleiche  die  angleiche  aber  mit  ihr 
gleichzeitig  gewesene  oder  auf  sie  gefolgte  nach  sich  zieht;  so 
associirt  sich  in  der  Welt  der  Phänomene  das  gleiche  mit  dem 
gleichen^  das  imgleiche  mit  dem  ungleichen  aber  gleichzeitigen 
oder  darauf  folgenden  Phänomen,  was  zur  Folge  hat,  dass  mit 
dem  gleichen  das  gleiche,  mit  dem  ungleichen  das  ungleiche 
aber  gleichzeitige  gleichzeitig,  oder  das  darauf  gefolgte  nach 
demselben  eintritt.  Das  gleiche  Phänomen  wird  daher  sein 
gleiches  immer,  das  imgleiche  aber  das  ihm  ungleiche  nur 
dann  mit  sich  führen,  wenn  dasselbe  mit  ihm  gleichzeitig 
gewesen  oder  auf  dasselbe  gefolgt  ist.  Auch  hängt  die  Ver- 
knüpfung des  gleichen  mit  dem  gleichen  nicht  von  einem  be- 
stimmten Zeitpunkt  d.  i.  überhaupt  nicht  von  der  Zeit  ab,  da 
das  gleiche  mit  dem  gleichen  stets  gleichzeitig  ist;  dagegen 
beginnt  die  Association  des  ungleichen  mit  dem  ungleichen 
erst  im  demjenigen  Zeitpunkt,  in  dem  beide  gleichzeitig  waren 
oder  auf  den  das  andere  gefolgt  ist.  Während  daher  gleiche 
Phänomene  auf  eine  von  der  *Zeit  unabhängige,  sind  dagegen 
ungleiche  auf  eine  von  der  Zeit  abhängige  Weise  unter  einander 
verknüpft,  oder  mit  anderen  Worten:  die  Verkntipfang  gleicher 
Phänomene  ist  eine  zeitlose  (ewige),  die  ungleicher  Phänomene 
eine  zeitliche  (in  der  Zeit  entstandene);  jene  eine  solche,  von 
der  sich,  da  sie  von  der  Zeit  unabhängig  ist,  nicht  sagen  lässt, 
dass  sie  zu  irgend  einer  Zeit  nicht  gewesen  sei  und  ebensowenig, 
dass  sie  zu  irgend  einer  Zeit  nicht  sein  werde,  diese  eine 
solche,  die,  weil  sie  in  der  Zeit  entstanden  ist,  mindestens  vor 
dieser  Zeit  nicht  war.  Verbindungen  der  ersten  Art  sind  aus- 
nahmslos, weil  sie  die  Annahme  eines  Zeitpunkts,  in  welchem 
sie  nicht  stattfinden,  ausschliessen ;  Verbindungen  der  zweiten 
Art  dagegen  lassen  Ausnahmen  zu,'  weil  sie  die  Annahme  einer 
2^it,  zu  der  sie  noch  nicht  bestanden,  einschliessen.  Jene 
können  daher  mit  Fug  und  Recht  nothwendige,  diese  dürfen 
nicht  anders  denn  zufkUige,  weil  durch  den  Zufall  der  Gleich- 
zeitigkeit oder  der  Aufeinanderfolge  (ohne  welchen  sie  gar  nicht 
entstanden  wären),  herbeigeführte  Verknüpfungen  heissen. 

Der  Gegensatz   apriorischer  d.  i.   von   dem   Eintritt  was 
immer  fUr  einer  an  irgend  einen  Zeitpunkt  geknüpften  Thatsache 

SiUungaber.  d.  phil.-hiat.  Cl.    CUI.  Bd.  I.  Hft.  9 


130  ZimmermAnn. 

unabhängiger^  und  empirischer  d.  i.  durch  eine  Thatsache.  die 
auch  nicht  oder  anders  als  sie  erfolgt  ist^  hätte  erfolgen  können, 
geknüpfter  Gesetze  in  der  materiellen  Körper-  oder  realen  Sub- 
stanzenwelt kommt  als  Gegensatz  nothwendiger  und  zufälliger 
Verbindungen  unter  den  Phänomenen  in  der  phänomenalen  Welt 
wieder  zum  Vorschein.  Wie  die  Naturgesetze  das  bleibende, 
die  Freiheitsgesetze  das  veränderliche  Element  in  der  materiellen 
und  realen,  so  bilden  die  nothwendigen  Zusammenhänge  der  Phä- 
nomene das  apriorische^  deren  zufidlige  das  empirische  Element 
der  phänomenalen  Welt.  Wie  jene  zusammengenommen  die 
Form  der  materiellen  oder  realen  Welt,  deren  Material  im  ersten 
Fall  die  Materie,  im  zweiten  die  realen  Substanzen  ausmachen, 
so  bestimmen  die  letzteren  zusammengenommen  die  Form  der 
phänomenalen  Welt,  deren  Material  die  (noch  unverbondenen) 
»Phänomene'  d.  i.  singulären  Acte  des  Vorstellens  ausmachen. 
Von  diesen  Verbindungen  von  Phänomenen  sind  die  noth- 
wendigen mit  Verbindungen  gleicher  (identischer),  die  zubilligen 
mit  jenen  ungleicher,  entweder  in  Folge  von  Gleichzeitigkeit 
oder  von  Succession  mit  einander  associirter  Phänomene  gleich- 
bedeutend. Beide  Arten  sind  sd  beschaffen^  dass  in  Folge  der 
Association  das  eine  (als  antecedens)  das  andere  (als  consequens) 
nach  sich  zieht.  Ungeachtet  daher  das  Band  der  Phänomene 
in  jedem  der  beiden  Fälle  ein  anderes,  in  dem  einen  die  Gleich- 
heit oder  Aehnlichkeit,  in  dem  anderen  die  blosse  Gleichzeitigkeit 
oder  Succession  der  Phänomtoe  ist,  so  werden  dieselben  doch  in 
Folge  der  Association  sämmtlich  in  succedirende  verwandelt, 
indem  sowohl  das  gleiche  das  gleiche,  wie  das  ungleiche  das 
ungleiche  nach  sich  zieht  d.  h.  dasselbe  als  späteres  sich  als 
dem  früheren  nachfolgen  macht.  Diese  Aufeinanderfolge  selbst 
aber  erzeugt  abermals  eine  neue  Art  der  Association  unter  den 
beiden  auf  einander  gefolgten  Phänomenen  nach  dem  Gesetze 
der  Succession,  in  deren  Folge  das  vorangegangene  Phänomen 
bei  seinem  Wiedererscheinen  umsomehr  das  ihm  gefolgte  aber- 
mals als  folgendes  nach  sich  ziehen  wird,  ein  Process,  der 
mit  jeder  erneuerten  Wiederholung  die  Stärke  der  Association 
und  dadurch  den  Grad  der  Kraft,  mit  dem  das  vorangehende 
Phänomen  das  nachfolgende  nach  sich  zieht,  erhöht,  so  dass 
jene  zuletzt  unzerreissbar  und  diese  unwiderstehlich  wird,  wie 
es  bei  jeder  durch  häufige  Wiederholung  allmälig  erleichterten 


Ueb«r  Haine*s  Stellung  zu  Berkeley  und  Kant.  131 

und  durch  Uebung  und  Gewöhnung  bis  zur  unvermeidlichen 
Gewohnheit  sich  steigernden  Denk-,  Gefühls-  und  Handlungs- 
weise der  Fall  ist. 

Ein  Verband  dieser  Art  zwischen  Phänomenen  ist  es  nun^ 
der  von  Hume  als  Causalverband  bezeichnet  wird.  Derselbe 
hat  mit  der  ^physischen^  Causation  das  gemein,  dass  das  eine 
Phänomen  jedesmal  als  vorangehendes,  das  andere  jedesmal  als 
nachfolgendes  auftritt ,  und  diese  Ordnung  niemals  umgekehrt 
wird,  sowie  in  der  physischen  Welt  die  Ursache  stets  früher 
als  die  Wirkung  erscheint  und  diese  Ordnung  immer  dieselbe 
bleibt.  Dagegen  unterscheidet  sich  dieselbe  von  jener  dadurch, 
dass  sie  ein  Band  zwischen  blossen  Phänomeneü,  diese  dagegen 
ein  solches  zwischen  materiellen  Körpern  oder  doch  realen  Sub- 
stanzen ausmacht,  also  in  jener  das  spätere  auf  das  frühere  zwar 
folgt,  aber  nicht  durch  dieses  erzeugt  wird,  in  dieser  dagegen 
das  spätere  durch  das  frühere  erzeugt  wird  und  daher  auf  das- 
selbe folgt.  Hume  selbst  ist  sich  dessen,  dass  die  von  ihm  so- 
genannte Causalität  von  dem,  was.  in  der  Naturansicht  der 
Materialisten  und  Realisten  mit  diesem  Namen  belegt  wird, 
von  Grund  aus  verschieden  sei,  vollkommen  bewusst;  jede  Art 
physischer  Causation,  sowie  die  Existenz  irgend  eines  im  physi- 
schen Sinn  des  Wortes  als  Ursache  anzusehenden  Etwas  ist  der 
ersten  seiner  drei  Folgerungen  nach  aus  dem  System  des  Phäno- 
menalismus ein-  iUr  allemal  ausgeschlossen.  Zwar  stellt  die  Welt 
der  Phänomene  ebenso  wie  jene  der  materiellen  Körper  oder 
der  realen  Wesen  ein  im  Fortschritt  der  Zeit  sich  veränderndes 
Ganzes  dar,  allein  mit  dem  Unterschiede,  dass  in  der  ersteren 
das  ,Neue'  (d.  i.  die  neuen  Phänomene)  auf  das  ,Alte'  (d.  i. 
auf  die  alten)  nur  folgt,  in  diesen  dagegen  das  ,Neue'  (d.  i.  die 
neuen  Körper  und  neuen  Realitäten)  durch  das  ,Alte'  (d.  i.  die 
vorangegangenen  Körper  und  vorangegangenen  Realitäten)  er- 
zeugt wird.  Der  Scenenwechsel  ist,  um  ein  Beispiel  aus  der 
poetischen  Welt  heranzuziehen,  in  der  Welt  des  Phänomenalismus 
ein  epischer,  in  jener  des- Materialismus  und  Realismus  ein  dra- 
matischer. In  jener  verläuft  derselbe  einfach  am  Faden  der 
Zeitlinie,  in  dieser  treibt  die  vorangehende  Scene  die  nachfol- 
gende mit  innerer  Nothwendigkeit  aus  sich  hervor,  daher 
SchiUer  in  diesem,  nicht  aber  im  Hume'schen  Sinne  die  Cau- 
salität flir  die  Kategorie  des  Pramas  erklärt  hat. 

9* 


132  Zimmer  mann. 

Folge  dieser  Verschiedenheit  des  Verhältnisses^  in  welchem 
das  Spätere  zum  Früheren  in  der  phänomenalen,  von  demjenigen, 
in  welchem  es  in  der  materialen  und  realen  Welt  steht,  ist  nun 
die  Verschiedenheit  des  G-rades  der  Zuversicht,  mit  welcher 
das  künftige  Eintreten  des  Späteren  auf  Grund  des  Eingetreten- 
seins des  Früheren  erschlossen  und  vorhergesagt  zu  werden 
vermag.  Dasselbe  erfolgt  in  der  materialen  und  realen  Welt 
auf  Grund  des  Vorhandenseins  der  ,phy8ischen' ,  d.  i.  der  er- 
zeugenden Ursachen,  deren  Erzeugtes,  die  Wirkung,  nicht  aus- 
bleiben kann,  und  der  Grad  der  Zuversicht,  mit  welcher  das 
Eintreten  des  Künftigen  erwartet  werden  darf,  ist  folglich 
der  höchste,  der  überhaupt  sich  denken  lässt.  Dagegen  er- 
folgt dasselbe  in  der  phänomenalen  Welt  auf  Grund  der  durch 
wiederholte  Erneuerung  im  directen  Verhältniss  zu  der  Zahl 
der  Wiederholungen  eingetretenen  Verstärkung  der  Association 
zwischen  den  Phänomenen  mit  demjenigen  Grade  der  Zuver- 
sicht, welcher  der  eingetretenen  Verstärkung  proportional  und 
daher  wie  diese  einer  stetigen  Zunahme  fähig  ist.  Erstere 
heisst,  da  sie  nicht  vermehrt  werden  kann,  absolute,  diese,  da 
sich  stets  ein  höherer  Grad  von  Zuversicht,  als  der  ihrige  ist, 
deüken  lässt,  relative  Zuversicht;  jene  gewährt  apodiktische, 
diese  nur  problematische  Gewissheit  (Wahrscheinlichkeit). 

Wie  in  der  Aufhebung  der  Existenz  des  individuellen, 
sei  es  endlichen,  sei  es  unendlichen  Geistes  die  Erweiterung 
des  nihilistischen,  so  liegt  in  der  Ausschliessung  apodiktischer 
und  alleinigen  Zulassung  problematischer  Gewissheit  die  Ver- 
stärkung des  skeptischen  Elements,  welche  der  Phänomenalismus 
durch  Hume  erfahren  hat.  Letztere  wird  dadurch,  dass  die 
Phänomene,  deren  eines  das  andere  nach  sich  zieht,  ursprünglich 
sowohl  gleiche  als  ungleiche  gewesen  sein  können,  zwar  modi- 
ficirt,  aber  nicht  aufgehoben.  Die  Verbindung  gleicher  Phäno- 
mene ist  zwar  eine  nothwendige,  insofern  als  der  Grund,  in 
Folge  dessen  das  eine  das  andere  nach  sich  zieht,  nicht  deren 
Gleichzeitigkeit,  sondern  deren  Gleichheit  ist;  allein  die  Zuver- 
sicht, mit  welcher  nach  dem  Eintreten  des  einen  das  Eintreten 
des  anderen  erwartet  werden  darf,  bleibt  nichtsdestoweniger 
der  Menge  der  Fälle  proportional,  in  welchen  durch  den  wirk- 
lichen Eintritt  die  Association  beider  Phänomene  verstärkt  und 
dadurch  die  Kraft  des  vorangehenden,   das  nachfolgende  nach 


üeber  Hnm«'»  Stellnng  zu  Barkeley  nnd  Kant.  133 

sich  zu  ziehen^  erhöht  worden  ist.  Verbindungen  ungleicher 
Phänomene  aber  sind  an  sich  schon  zufkUig  und  der  Grad  der 
Zuversicht,  mit  welchem  nach  dem  Eintreten  des  einen  jenes 
des  andern  erwartet  werden  darf,  kann  daher  gar  nicht  anders 
als  der  Zahl  der  Wiederholungen  proportional  sein,  in  welchen 
der  wirkliche  Eintritt  des  einen  Phänomens  nach  dem  andern 
das  Band  der  Succession  zwischen  beiden  befestigt  und  dadurch 
die  Kraft  des  vorangehenden,  das  nachfolgende  abermals  nach 
sich  zu  ziehen,  zum  Wachsen  gebracht  hat.  Der  Unterschied 
der  verschiedenen,  obgleich  unter  beiden  Voraussetzungen  nie- 
mals anders  als  problematischen  Gewissheit  in  dem  einen  und 
in  dem  anderen  Falle  besteht  darin,  dass,  sobald  die  Phänomene 
gleiche  sind,  ihre  Verbindung  unter  einander  daher  von  der 
Zeit  unabhängig  ist,  ein  Zeitpunkt,  zu  welchem  dieselbe  nicht 
stattfand,  niemals  angegeben  werden  kann,  folglich  dieThatsache, 
dass  das  eine  das  andere  nach  sich  zieht,  sich  so  oft  wieder* 
holen  muss,  als  überhaupt  Momente  in  der  Zeit  gegeben  sind ; 
während,  sobald  die  Phänomene  ungleiche,  ihre  Verbindung 
eine  erst  in  der  Zeit  entstandene  ist,  sich  jedesmal  eine  Zeit 
angeben  lässt,  in  welcher  dieselbe  nicht  vorhanden  war,  folglich 
die  Anzahl  der  möglichen  Wiederholungen  obiger  Thatsache 
nothwendiger  Weise  kleiner  sein  muss  als  jene  der  in  der 
ganzen  Zeit  enthaltenen  Momente.  Wie  daher,  gegen  die  abso- 
lute d.  i.  einer  Vermehrung  unfähige  Gewissheit  gehalten,  die 
relative  comparativ  d.  i.  jederzeit  der  Vermehrung  fkhig  ist, 
80  ist  von  obigen  beiden  relativen  Gewissheiten  die  eine  um 
80  viel  grösser  als  die  andere,  als  die  Menge  der  Zeitpunkte 
überhaupt  grösser  als  die  der  von  einem  gegebenen  an  ablau- 
fenden ist. 

Wie  durch  die  Phänomenalität  der  Materie  das  Material 
der  Natur,  so  geräth  durch  die  ausschliessliche  Relativität  der 
Gewissheit  deren  Form,  die  Naturgesetzlichkeit  des  Zusammen- 
hanges ihrer  Theile,  ins  Schwanken.  Jene  ersetzt  die  materiellen 
Körper  oder  doch  realen  Substanzen  durch  blosse  Phänomene, 
diese  führt  an  der  Stelle  apodiktischer  d.  i.  von  der  Zahl  der 
sie  bestätigenden  Fälle  unabhängiger  Zusammenhänge,  welche 
die  Möglichkeit  der  Nichtbestätigung  ausschliessen,  und  der- 
gleichen allein  den  Namen  von  Naturgesetzen  führen  und 
verdienen,  problematische  d,  i.  mit  der  Zahl  der  bestätigenden 


134  Zimmermann. 

Fälle  an  Vertrauenswürdigkeit  wachsende,  aber  auch  die  Mög- 
lichkeit der  Nichtbestätigung  zulassende  Zusammenhänge  d.  i. 
blosse  Naturregeln  ein.  Wie  in  Folge  des  ersteren  an  die 
Stelle  wirklicher  der  blosse  Schein  einer  Materie,  so  tritt  durch 
das  letztere  an  die  Stelle  wirklicher  der  Schein  von  Natur- 
gesetzen, durch  beides  zusammengenommen  dem  Material  und 
der  Form  nach  an  die  Stelle  wirklicher  der  blosse  Schein 
einer  Natur. 

Dieser  Punkt,  der  äusserste,  zu  welchem  der  Phänome- 
nalismus durch  Hume  über  dessen  Vorgänger  und  seinen  ur- 
sprttnglichen  Urheber ,  Berkeley ,  hinausgeftlhrt ,  bezeichnet 
zugleich  denjenigen,  von  welchem  an  Hume's  Nachfolger  Kant 
von  diesem  abgeflihrt  worden  ist.  Aus  der  Verwandlung  der 
Materie  wie  der  realen  Substanz  in  Schein  ist  schliesslich  eine 
solche  der  natürlichen  in  eine  Scheinwelt  geworden.  In  der 
Rückverwandlung  dieser  in  eine  naturgesetzlich  geordnete  Er- 
scheinungswelt besteht  die  Umbildung,  welche  Kant  an  Hume's 
Lehre  vollzogen  hat.  Jene  beginnt  mit  dem  Material  der  Natur 
und  erstreckt  sich  zum  Schlüsse  auch  auf  deren  Form.  Diese 
beginnt  mit  der  Form  der  in  Schein  verwandelten  Natur  und 
erstreckt  sich  zum  Schlüsse  auch  auf  deren  Material.  Während 
der  Phänomenalismus  durch  Berkeley  das  reale  Substrat  der 
phänomenalen  Welt  in  ein  blos  vermeintliches  auflöst,  durch 
Hume  die  Naturgesetze  zu  blossen  Naturregeln  herabsetzt, 
geht  Kant  darauf  aus,  nicht  nur  die  letzteren  wieder  zu  Natur- 
gesetzen zu  erhöhen,  sondern  auch  der  phänomenalen  (sensiblen) 
wieder  eine  noumenale  (inteUigible)  Welt  als  reales  Substrat 
(,Ding  an  sich*)  unterzulegen.  Ersteres  Bestreben,  das,  wie 
man  sieht,  die  Form  der  in  Schein  verwandelten  Natur  betrifft, 
macht  dasjenige  aus,  was  man  die  Widerlegung  Hume's  durch 
Kant,  letzteres,  welches  durch  Wiederherstellung  einer  realen 
Grundlage  des  Scheins  mit  dem  Material  der  in  Schein  ver- 
wandelten Natur  sich  zu  thun  macht,  begreift  dasjenige  in  sich, 
was  man  die  Wiederlegimg  Berkeley's  durch  Kant  zu  nennen 
ein  Recht  hat. 

Kant's  Mittel  zur  Erreichung  des  Erfolges  in  ersterer  Rich- 
tung besteht  darin,  den  Grund  gewisser  Zusammenhänge  unter 
den  Phänomenen  statt,'  wie  Hume,  in  deren  Association,  in  das 
Vorstellen  selbst   oder  vielmehr  in  eine  diesem  eigenthümliche 


Ueber  Hnme's  Stellnog  ca  Berkeley  and  Kant.  135 

Disposition  zu  y erlegen.  Treten  nach  Hume  gewisse  Phänomene 
in  Folge  der  Association,  so  bringt  sie  nach  Kant  das  Vorstellen, 
dessto  Phänomene  sie  sind,  vermöge  einer  ihm  innewohnenden 
Disposition  in  einen  solchen  Verband,  dass  sie  nicht  mehr  von 
einander  getrennt  werden  können.  Während  daher  nach  Hume 
jener  Verband  der  Phänomene  mit  der  Association  steht  und 
fiült,  mit  deren  Eintreten  beginnt,  mit  der  Zahl  ihrer  Wieder- 
holungen an  Stärke  wächst,  also  zwar  sich  steigernde,  aber 
niemals  mehr  als  relative  (problematische)  Grewissheit  zu  erlangen 
vermag,  steht  und  fkUt  er  nach  Kant  mit  der  Natur  des  Vor- 
stellens  selbst,  dessen  Phänomene  sie  sind,  und  da  mit  dem 
Wegfallen  des  ersteren  auch  die  Phänomene  selbst  hinwegfallen 
würden,  so  besteht  er  so  lange  imd  so  oft,  als  diese  selbst  be- 
stehen, also  mit  absoluter  (apodiktischer)  d.  i.  von  der  Zahl  der 
bestätigenden  Fälle  unabhängiger,  weder  einer  Vermehrung  noch 
einer  Verstärkung  fähiger  Gewissheit. 

Verbände  dieser  Art  unter  Phänomenen,  welche  von  einer 
dem  Vorstellen  eigenen  Disposition  geschaffen  werden,  haben 
daher  diejenige  Gewissheit,  welche  wahren  Natuj^esetzen  eigen 
and  dadurch  über  jene  in  Folge  blosser  Association  entstandenen 
Naturregeln  so  weit  erhaben  ist,  als  das  Unbedingte  jeder  Art 
über  Bedingtes,  Apodiktisches  über  Problematisches  sich  erhebt. 
Gerade  den  Üüt  den  naturgesetzlichen  Zusammenhang  einer 
Welt,  mag  sie  im  Uebrigen  phänomenal  oder  real  sein,  wich- 
tigsten Verband,  den  Causalverband,  welchen  Hume  als  einen 
blos  in  Folge  der  Association  (ex  post)  entstandenen  (a  poste- 
riorischen)  betrachtet,  rechnet  Kant  zu  denjenigen,  welche  in 
Folge  einer  dem  Vorstellen  innewohnenden  Disposition  durch 
dieses  selbst  zwischen  gewissen  Phänomenen  desselben  herge- 
steUt,  also  diesen  gleichsam  ,von  Haus  aus^  (a  priori)  angeschaffen 
werden.  Die  Aufeinanderfolge  gewisser  Phänomene  in  der  Ord- 
nung, dass  jedesmal  dasselbe  vorhergeht  und  dasselbe  nachfolgt, 
besitzt  unter  dieser  Voraussetzung,  aber  auch  nur  unter  dieser, 
die  nämliche  Unverbrüchlichkeit  und  Ausnahmslosigkeit,  welche 
im  Sinne  des  Materialismus  und  Realismus  die  ,phy6ische'  Cau- 
sation  d.  i.  der  Erzeugungsprocess  oder  die  Auseinanderfolge  der 
Zeitfolge  des  Erzeugten  auf  das  Erzeugende  verleiht,  und  die 
dadurch  zum  Kennzeichen  eines  Naturgesetzes  wird.  Wenn 
daher  Kant  dasjenige,  was  in  seiner  Auflassung  als  Causalverband 


136  Zimmcrmftnn. 

zwischen  gewissen  Phänomenen  figurirt,  die  unverbrüchliche 
und  ausnahmslose  Aufeinanderfolge  derselben  in  gleichbleiben- 
der  Ordnung  des  Vorher  und  Nachher  in  der  Zeit,  ungeachtet 
dieselbe  nur  eine  Auf-  und  keine  Auseinanderfolge  ist,  als 
Naturgesetz  bezeichnet,  so  hat  er  dazu  insofern  ein  Recht,  als 
jene  Unverbrüchlichkeit  und  Ausnahmslosigkeit  wenigstens  eines 
und  zwar  ein  wesentliches  derjenigen  Merkmale  ausmacht, 
welche  zum  Begriff  eines  solchen  gehören,  jedenfalls  ein  grösseres 
Recht  als  Hume,  die  nur  in  Folge  immer  wiederkehrender 
Association  allmälig  entstandene  Gewohnheit  der  Aufeinander- 
folge gewisser  Phänomene,  welche  bei  ihm  Causalverband 
zwischen  denselben  heisst,  mit  jenem  Namen  zu  belegen. 

Diese  Unverbrüchlichkeit  und  Ausnahmslosigkeit  gewisser 
Zusammenhänge  unter  den  Phänomenen  des  Voi*stellens  war 
es,  welche  Kant  der  durch  Hume's  Associationsprincip  herbei- 
geführten Lockerung  aller  Bande  zwischen  denselben  in  den 
Weg  zu  stellen  sich  bemühte.  Nicht  nur  der  Causalverband 
zwischen  Phänomenen  sollte  dem  durch  Hume's  Theorie  be- 
günstigten Verdacht,  dass  derselbe  der  Unterbrechung  durch 
Ausnahms&Ue  jederzeit  fähig  sei,  entrissen  d.  h.  der  Satz, 
dass  keine  Wirkung  ohne  Ursache  sei,  zu  einem  wirklichen 
Naturgesetz  erhoben  werden,  sondern  auch  andere  G^anken- 
zusammenhänge,  welche  in  Folge  des  Hume'schen  Skepticismus 
einer  nur  problematischen  Gewissheit  anheimfielen,  sollten  der 
nämlichen,  deren  wahre  Naturgesetze  sich  erfreuen,  d.  i.  der 
absoluten  Gewissheit  theilhaftig  werden.  Unter  den  letzteren 
lagen  Kant  die  Zusammenhänge  der  mathematischen  Gedanken 
(d.  i.  der  Phänomene  der  reinen  Mathematik)  am  nächsten  am 
Herzen,  deren  apodiktische  Geltung  gewahrt  und  vor  dem  in 
Folge  der  Hume'schen  Theorie  drohenden 'Schicksal  einer  blos 
problematischen  für  immer  geschützt  werden  sollte.  Zwar  hatte 
Hume  dieselben  für  analytische  Verbände  d.  i.  für  Verbindungen 
gleicher  (identischer)  Phänomene  erklärt  und  ihnen  dadurch 
vor  von  ihm  sogenannten  synthetischen  Verbänden  d.  i.  vor 
Verbindungen  ungleicher  (nicht  identischer)  Phänomene  insofern 
einen  Vorzug  eingeräumt,  als,  wie  an  vorangegangenem  Orte 
gezeigt  worden  ist,  ersteren  jederzeit  eine  grössere  (wenngleich 
ebenfalls  nur  problematische)  Gewissheit  zukommen  muss  als 
letzteren.  Kant  aber  war  weder  gewillt,  sich  betreffs  der  Geltung 


TJeber  Hnme*«  Stellung:  sn  Berkeley  und  KftDt.  137 

der  Mathematik  überhaupt  mit  einer  nur  problematischen  Ge- 
wissheit zu  begnügen,  noch  war  er  im  Stande,  seinerseits  zu 
deren  Gunsten  von  dem  analytischen  Gedankenverbänden  durch 
Hume  eingeräumten  relativen  Vorzug  Gebrauch  zu  machen,  da 
seinem  (von  Schreiber  dieses  an  anderem  Orte:  Sitzungsberichte 
LXVn,  p.  7  dargelegten)  ^mathematischen  VorurtheiP  zufolge 
dieselben  nicht  (wie  Hume  gemeint  hatte)  analytischer,  sondern 
synthetischer  Natur  sein  sollten.  Kant  befand  sich  daher  vor 
der  Alternative,  entweder  die  ihm  vor  allen  anderen  Wissen- 
schaften theure  Mathematik  dem  Lose  nur  problematischer, 
und  zwar  jener  zweifelhafteren  problematischen  Gewissheit 
welches  nach  Hume  sämmtliche  auf  synthetischen  Gedanken- 
verbänden beruhende  Wissenschaften  treffen  müsste,  auszu- 
liefern, oder  Mittel  und  Wege  zu  schaffen,  durch  welche  die 
Verbände  mathematischer  Gedanken  ihrer  synthetischen  Natur 
zum  Trotz  die  Unverbrüchlichkeit  und  Ausnahmslosigkeit  wahrer 
Naturgesetze  zu  erlangen  fkhig  würden.  Er  erreichte  diesen 
Zweck  auf  dieselbe  Weise,  wie  er  es  Hume  gegenüber  bei  der 
Verwandlung  des  Causalverbandes  aus  einer  blossen  Naturregel 
in  ein  echtes  Naturgesetz  gethan  hatte,  indem  er  den  Grund 
der  Synthese  der  mathematischen  wie  dort  der  als  Ursache 
und  Wirkung  verknüpften  Phänomene,  statt  wie  Hume,  in  die 
Association  dieser  Phänomene  selbst,  in  eine  ursprüngliche  Dis- 
position des  Vorstellens,  dessen  Phänomene  sie  sind,  verlegte. 
Wie  die  ursprüngliche  Disposition  des  VorsteUens,  welche  dem 
Causalverbande  zu  Grunde  liegt,  in  der  transscendentalen  Ana- 
lytik der  ,Kritik  der  reinen  Vernunft^  als  apriorische  Urtheils- 
form  des  reinen  Verstandes ,  so  erscheint  die  ursprüngliche 
Disposition,  welche  der  mathematischen  Synthese  den  Charakter 
der  Unverbrüchlichkeit  und  Ausnahmslosigkeit  eines  echten 
Naturgesetzes  verleiht,  in  der  transscendentalen  Aesthetik  der- 
selben als  apriorische  Anschauungsform  der  reinen  Sinnlichkeit. 
Das  Vorstellen,  das  im  Phänomenalismus  der  Träger 
sämmtlicher  Phänomene,  aber  bei  Berkeley  und  Hume  nach 
Bacon's  und  Locke's  Vorgang  selbst  tabula  rasa  d.  i.  als  solches 
ohne  ursprüngliche  (angeborene)  sowohl  Ideen  als  Anlagen  und 
Dispositionen  ist,  nimmt  durch  Kant  den  Charakter  einer  nach 
verschiedenen  Seiten  hin  bestehenden  Prädisposition  ftir  be- 
stimmte Verbände  und  Zusammenordnungen  der  dasselbe  er- 


140  ZimiDermann.  üeber  Hnme's  Stellung  zu  Berkelej  und  Kuit. 

ZU  Berkelej;  so  glaubt  sie  durch  die  Darstellung  der  Umbildung 
welche  Hume's  Phänomenalismus  von  Seite  Kant's  durch  die 
EinftOirung  apriorischer  anstatt  ausschliesslich  aposteriorischer 
Synthesen  erfahren  hat,  die  Stellung  Hume's  zu  Kant  in  ähn- 
licher Weise  klargestellt  zu  haben,  wie  es  Schreiber  dieses  an 
anderem  Orte  (Sitzungsberichte  LXVÜI,  p.  713)  bezüglich  der 
Stellung  Kant's  zu  Berkeley  versucht  hat.  In  die  Erörterung 
des  Missverständnisses  näher  einzugehen,  das  dem  Vertheidiger 
Berkeley's  begegnet,  wenn  er  Kant's  behauptete  Unerkenn- 
barkeit  jenseits  der  Grenzen  der  Erfahrung  gelegener  Dinge 
für  eine  Leugnung  derselben  ansieht,  und  welches  auf  einer 
Verwechslung  des  Standpunkts  kritischer  Enthaltsamkeit  mit 
jenem  dogmatischer  Verneinung  beruht,  ist  in  dieser  Abhandlung 
nicht  der  Ort.  Ihr  Zweck  ist  erreicht,  wenn  es  gelungen  ist  zu 
zeigen,  dass  nicht  nur  Hiune's,  sondern  auch  Elant's  phänomenale 
Welt  eine  natürliche  Tochter  des  Phänomenahsmus  und  des 
letzteren  Erscheinungswelt  (xb  fatvdixevcv),  wie  von  der  Schein- 
weit  Berkeley 's  durch  ihr  reales  Substrat  (xc  vcoutACvov,  Ding 
an  sich),  so  von  jener  Hume's  durch  den  Apriorismus  ihrer 
Formen  (Zeit  Raum  Causalität)  unterschieden  sei. 


Oomperz.  Herodoteiiche  Studien  I.  ]41 


Herodoteische  Studien  L 

Von 

Prof.  Dr.  Th.  Gomperz, 

wirkl.  Mitgliede  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften. 


1. 

Die  Frage  nach  dem  Abschluss  des  herodoteischen 

Geschlehtswerkes. 

Oerodot  beginnt  sein  Werk  mit  einer  Ankündigung; 
deren  Wortverstand  zwar  zumeist  richtig  aufgefasst,  deren 
Tragweite  jedoch  kaum  nach  Gebühr  gewürdigt  worden  ist. 
Er  will  —  so  sagt  er  uns  —  ,was  von  Menschen  geschehen 
ist'  der  Vergessenheit  entreissen  und  gleichzeitig  verhindern, 
dass  ^grosse  und  wunderwürdige  Thaten ,  welche  Griechen 
sowohl  als  Nicht -Griechen  vollbracht  haben,  des  ihnen  ge- 
bührenden Ruhmes  verlustig  gehend  Er  will  —  dies  ist  augen- 
scheinlich der  Sinn  seiner  Worte  —  einerseits  das  Andenken 
der  geschichtlichen  Vergangenheit  überhaupt  erhalten,  dieselbe 
vor  pietätloser  Nichtachtung  und  Geringschätzung  bewahren 
helfen,  andererseits  der  Mit-  und  Nachwelt  hohe  Vor-  und 
Musterbilder,  Gegenstände  der  Nachahmung  und  Nacheiferung 
vor  Augen  halten.  Er  will,  mit  einem  Worte,  nicht  nur  be- 
lehren,  sondern  zugleich  erheben  und  erbauen.  Darum  und 
nur  darum  stellt  er  neben  das  allgemeine  Object  seiner  Ge- 
schichtsdarsteUung  ,t3(  e^  ovOpcü^cDv  Y6v6(xeva^  noch  das  besondere, 
die  ,lpYa  \t£'^£ka  te  xal  6ü>u(xa9Ti'  —  die  ,haut8  faits  et  gestes 
merveilleux',  wie  Paul  Louis  Courier,  die  ,gro8sen  Wunder- 
thaten',  wie  Friedrich  Lange,  die  ,great  and  wonderful  actions', 
wie  George  Rawlinson  übersetzt.^ 

*  Heinrich  Stein's  Wiedergabe  der  fyyoL*  durch  ,WerkeS  »daaemde  Denk- 
mSler*  (s.  seine  Uebersetzung  nnd  commentirte  Ausgabe)  richtet  sich 


142  Gompers. 

Wäre  man  sich  dieser  Doppelabsicht  des  Vaters  der 
Geschichte  allezeit  vollständig  bewusst  gebheben,  schwerlich 
hätte  die  Ansicht,  sein  Werk  liege  uns  in  unvollendeter  Gestalt 
vor,  so  weite  Verbreitung  gewinnen  können.  Mir  erscheint 
diese  Meinung,  wie  ich  schon  vor  geraumer  Zeit  erklärt  habe 
(Zeitschr.  für  österr.  Gymn.  1859,  S.  820),  als  völlig  grundlos, 
nicht  nur  in  jener  weiteren  Fassung,  nach  welcher  ,die  ur- 
sprüngliche Disposition  .  .  nicht  zur  Ausführung^  gelangt  und 
,da8  ganze,  grossartig  angelegte  Werk  .  .  ein  Torso^  geblieben 
ist  (Kirchhoff,  Ueber  die  Entstehungszeit  ^  u.  s.  w.,  27),  sondern 
auch  in  jener  Einschränkung,  mit  welcher  Rawlinson  dieselbe 
vorträgt:  der  Geschichtschreiber  habe  zwar  das  ursprünglich 
ins  Auge  gefasste  Ziel  seiner  Erzählung  erreicht,  jedoch  sein 
Werk  nicht  zu  einem  äusserlichen  Abschlüsse  gebracht  (I^  33 
und  114).  Sprechen  wir  von  der  erstgenannten  Hypothese 
zuerst. 

Herodot  würde  —  so  meint  Dahlmann  —  ,auch  Kimon's 
Züge,  den  grossen  egyptischen  Krieg  der  Athener,  er  möchte 
selbst  das  Eingreifen  Persiens  in  den  peloponnesischen  Krieg 
geschildert  haben,  wenn  das  Leben  ausgereicht  hätte'  (Herodot, 
aus  seinem  Buche  sein  Leben,  S.  137 — 138).  Und  Adolf  Kirch- 
hoff ist  der  Ueberzeugung,  ,da8s  es  das  Vorhaben  Herodot's 
war^  (an  dessen  Ausführung  ihn  vielleicht  nicht  sowohl  der 
Tod,  als  ,die  trüben  Erfahrungen  gleich  der  ersten'  Jahre  des 
peloponnesischen  Krieges  gehindert  haben),  ,die  Darstellung  des 
Kampfes  zwischen  Barbaren  luid  Hellenen  bis  zur  Schlacht  am 
Eurymedon  oder  bis  zum  Tode  Kimon's  herabzufUhren  und 
diese   Darstellung   in    eine   Verherrlichung   Athens   und   seines 

selbst.  Denn  weder  spielt  die  Schilderung  der  Bau-  und  sonstigen 
Knnstdenkmale  in  unserem  Geschichtswerke  eine  derartige  Rolle,  dass 
sie  an  so  hervorragender  Stelle  erw&hnt  werden  durfte,  noch  konnte 
ein  Hauptabsehen  des  Historikers  dahin  gehen,  Dinge  zu  verherrlichen, 
welche  ihre  Herrlichkeit  laut  genug  selbst  verkünden  und  mithin  seines 
Heroldsamtes  am  ehesten  entrathen  mochten.  Will  man  das  Sinnwidrige 
dieser  Auslegung  und  Uebertragung  gleichsam  mit  Händen  greifen,  no 
braucht  man  blos  an  die  Stelle  des  Genus  eine  oder  die  andere  der 
Species  zu  setzen,  also  etwa:  ,Herodot  von  Halikamass  hat  dies  erkundet 
und  aufgezeichnet,  damit  weder  was  von  Menschen  geschehen  mit  der 
-  Zeit  verklinge,  noch  auch  —  die  egyptischen  Pyramiden,  die  Tempel 
von  Theben  u.  s.  w.  ihres  Ruhmes  verlustig  gehen.* 


Herodoteische  Studien  I.  143 

grossen  Staatsmannes  auslaufen  zu  lassen'  (a.  a.  O.,  S.  28). 
Woraus  erschliesst  man  diese  Absichten  des  Historikers?  Doch 
wohl  nur  aus  der  Thatsache^  dass  er  Griechenland  im  Kampfe 
mit  Persien  schildert,  indem  man  nunmehr  meint,  er  müsse, 
was  er  also  begonnen,  bis  zum  letzten  Ende  haben  durchführen 
wollen.  Allein  dies  heisst,  unseres  Erachtens,  die  tiefste  Eigen- 
thümlichkeit  herodoteischer  Geschichtsdarstellung,  die  Tendenzen, 
von  welchen  sie  getragen,  die  Antriebe,  aus  denen  sie  entsprungen 
ist,  vollständig  missverstehen.  Zwei  dieser  Impulse  haben  wir 
kennen  gelernt.  Zu  ihnen  gesellen,  mit  ihnen  verschwistem 
sich  andere,  deren  das  knappe  Vorwort  keine  Erwähnung  thut. 
Denn  gleichwie  dieses  in  Betreff  des  ersten  Hauptzweckes,  der 
Befriedigung  berechtigter  Wissbegier,  nur  auf  historische  ,Ge- 
schehnisse^  oder  Begebenheiten  Bezug  nimmt,  hingegen  der 
Zustände  der  Völker,  ihrer  Sitten  und  Bräuche,  ihrer  Ver- 
theilung  imd  ihrer  Wohnsitze,  kurz  des  ganzen  im  Verlaufe  des 
Werkes  so  reich  entfalteten  ethnographisch-geographischen 
Hintergrundes  mit  keinem  Worte  gedenkt,  so  müssen  wir  uns 
auch  den  zweiten  —  den  ethischen  —  Hauptantrieb  durch 
mannigfache  andere  Einflüsse  verstärkt,  beschränkt,  indivi- 
duell ausgestaltet  denken.  Herodot  ist  nicht  nur  ein  für  alles 
Grosse  und  Erhabene  im  höchsten  Masse  emp&nglicher  Mensch, 
er  ist  auch  Grieche,  und  zwar  ein  trotz  seiner  beispiellosen  Ge- 
rechtigkeit gegen   Barbaren  ^    national   und   ungeachtet  seiner 

^  Kein  Grieche  war  jemals  freier  von  Racenhochmuth  und  nationalem 
Dünkel  als  Herodot.  Schweres  Unrecht  erweist  man  ihm,  wenn  man  mit 
Bemays  (Phokion,  S.  25)  annimmt,  er  erwähne  die  phönikische  Abknnft  des 
Thaies  (I,  170),  um  ihm  dieselbe  vorzuwerfen.  Man  muss  fttrwahr  über- 
scharf sehen,  um  ans  einem  Satze,  welcher  das  unumwundenste  Lob  des 

grossen  Milesiers  enthält  (xp^^  ^^  [sc*  T^<^H-^]  ^^^^  •  -  *  ^^^^^  avSpo; 
MiXY)a{ou  iyevETo;  man  beachte  auch  die  Zusammenstellung  mit  Bias: 
ouTOt  |iiv  $i{  09t  yvcüfia^  xts.),  zugleich  eine  ,genealogische  Malice^  heraus- 
zulesen. Birgt  jene  Zwischenbemerkung  (rb  av^xa6£v  y^vo;  covto^  <t>o{vixo<) 
in  der  That  eine  polemische  Spitze,  so  kann  sich  diese  nur  gegen 
die  ZwOlf- Städte- Jonier  richten,  welche  der  Halikamassier  ja  auch  ein 
anderes  Mal  (ihrer  nationalen  Exclusivität  wegen)  scharf  aufs  Korn 
nimmt  (I,  146).  Dann  würde  jener  Hinweis  etwa  besagen  sollen:  erst 
ein  Mann  von  fremdländischer  Herkunft  musste  den  Joniem  einen  Rath 
ertheilen,  der  sie  zu  retten  vermocht  hätte,  wären  sie  anders  weitsichtig 
und  grossherzig  genug  gewesen,  denselben  anzunehmen.  —  War  übrigens 
Herodot  selbst  von  jeder  Beimischung  fremden  Blutes  frei?  Man  möchte  es 


144  Ooraperi. 

ausgesprochenen  Vorliebe  für  Athen  panhellenisch  gesinnter 
Grieche;  er  ist  femer  ein  warmer  Volks-  und  Freiheitsfreund, 
der  die  asiatische  Gewalt-  und  WiUkührherrschaft  aus  dem 
Grunde  seiner  Seele  verabscheut;  er  ist  endlich  eine  gläubige 
und  tiefreligiöse  Natur ,  welche  in  der  Niederlage  des  über- 
müthigen  Nationalfeindes  ein  göttliches  Strafgericht  erblickt. 
Der  Zusammenfluss  all'  dieser  Motive  hat  es  bewirkt;  dass  er 
zum  Ziel-  und  Kernpunkt  seines  unerhört  grossartig  angelegten 
Weltgemäldes  nicht  irgendwelche  andere  ^Grossthaten^,  sondern 
den  heroischen  Kampf  seines  Volkes  mit  der  persischen 
Uebermacht  erhob.  Darum  fliesst  der  Strom  seiner  Erzählung, 
der  in  den  früheren  Büchern  so  häufig  stockt^  sich  in  Episoden 
wie  in  Nebenarme  spaltet  und  zu  weitläufigen  zuständlichen 
Schilderungen  wie  zu  Landseen  verbreitert^  in  den  letzten  drei 
Büchern  mächtig  und  ungetheilt  dahin  —  daher  die  Fülle  der 
Vorzeichen  und  Traumgesichte,  der  Reichthum  an  tiefsinnigen 
Aussprüchen  und  an  ergreifenden  Einzelscenen ,  welche  der 
riesengrosseU;  der  schicksalsschweren  Entscheidung  vorangehen. 
Mit  vollstem  Rechte  nennt  einer  der  wenigen  Herodot  eben- 
bürtigen Geschichtschreiber,  welche  die  Welt  gesehen  hat, 
den  Zug  des  Xerxes  ,und  die  endgiltige  Niederlage 
seiner  Streitkräfte^  nicht  nur  ,das  ausschliessliche  Thema 
der  drei  letzten  Bücher^  sondern  ;den  Hauptgegenstand 
des  ganzen  Werkes',  ,die  Vollendung  von  Herodot's  histo- 
rischem Plane',  (,the  consummation  of  his  historical  scheme' 
Grote,  bist,  of  Greece,  V*,  7).  Und  in  der  That,  der  Höhe- 
punkt der  Wirkung  ist  erreicht,  ein  nicht  mehr  zu  überbieten- 
der Eindruck  ist  hervorgebracht,  der  Vorhang  rauscht  nieder 
—  und  nun  sollten  wir  annehmen  dürfen,  dass  es  die  eigent- 
liche,   nur   durch    zufkUige    Umstände   vereitelte   Absicht    des 


bezweifeln,  wenn  man  sich  des  unzweifelhaft  karischen  Namens  seines 
Oheims  Panyassis  erinnert  (vgl.  die  Zusammenstellung  der  gleichartigen 
Namen  Bull,  de  corr.  hell.  IV,  318  und  VI,  193,  auch  A.  MilchhOfer,  Die 
AnfKnge  der  Kunst  in  Griechenland,  S.  112,  Anm.  1).  Beiläufig  sei  bemerkt, 
dass  der  alten,  jüngst  mit  allzu  weitgehendem  Skepticismus  angefochtenen 
Tradition  über  Herodot*s  Familie  neuerlich  eine  nicht  unerhebliche  Stütze 
erwachsen  ist  durch  das  Auftauchen  des  Namens  Lyxes  (so  hiess  nach 
Suidas  der  Vater  des  Historikers)  auf  einer  halikamassischen  Inschrift 
(BuU.  de  corr.  hell.  VI,  192). 


Berodoteisck«  Stadien  I.  145 

gewaltigen  Künstlers  war^  der  markerscfaüttemden  Tragödie 
ein  Nachspiel  folgen  zu  lassen^  das  ssum  Allermindesten  den 
EflEect  nicht  zu  steigern  vermocht  hätte  und  darum  allein  schon 
ihn  nothwendig  abschwächen  musste?  Allein  dies  ist  nicht 
Alles.  Nicht  nur  hatte  unser  Historiker^  der  ja  keineswegs 
gleich  Thukydides  zum  Behuf  pragmatisch-politischer  Belehrung 
Geschichte  schrieb;^  keinerlei  Grund  über  diesen  Punkt  hinaus- 
zuschreiten,  er  hatte  die  allerstärksten  Gründe^  eben  hier  Halt 
zu  machen.  ELätte  er  doch  —  und  dies  scheint  bisher  nicht 
erwogen  zu  sein  —  nicht  die  Ereignisse  der  nächsten  Monate 
erzählen  können,  ohne  den  Lorbeerkranz  des  Siegers  von 
Platää  Blatt  für  Blatt  zu  zerpflücken;  hätte  er  doch  nicht  die 
Voi^änge  des  folgenden  Jahres  schildern  können ;  ohne  mit 
der  athenischen  Mauerbau  -  Angelegenheit  den  ersten  Anlass 
und  die  früheste  Aeusserung  jenes  Zwiespalts  der  beiden  Gross- 
staaten zu  berühren,  welchen  der  panhellenische  Patriot  als 
den  Fluch  seines  Zeitalters  empfinden  musste  und  dem  das 
erhebende  Gegenbild  griechischer  Einigkeit  und  griechischer 
Grösse  entgegenzuhalten  eine  der  Hauptaufgaben  seines  Le- 
bens gewesen  ist.  Und  endlich:  sieht  die  Eingangs  in  den 
Nebel  der  Urzeit  tauchende  Darstellung  etwa  so  aus,  als  ob 
sie  in  eine  ^Geschichte  der  neuesten  Zeit^  ausmünden,  in  einer 
ganz  eigentlich  ^zeitgenössischen  Geschichte^  ihren  Abschluss 
finden  sollte?  Erforderte  eine  solche  nicht  eine  wesentlich  an- 
dere, eine  minder  poetische  und  mehr  staatsmännische  Anlage, 
als  es  diejenige  Herodot's  war?  Konnte  seine  Neigung  zu 
novellistischer  Färbung^  zu  theologischer  Motivirung  auf  diesem 
Felde  ausreichende  Nahrung  und  Befriedigung  finden?  Oder 
war  es  seinem  Genius  nicht  ungleich  gemässer,  nur  solche 
Stoffe  zu  behandehi,  über  welche  der  Duft  der  Sage  sich  zu 
lagern  zum  Mindesten  bereits  begonnen  hatte? 

Dass  jedoch  das  Werk  wenigstens  nicht  zu  einem  äusser- 
lichen  Abschluss  gediehen  sei,  dies  soll  angebhch  ,schon  aus 
dem  plötzlichen  und  unbefiriedigenden  Ende^  (Stein,  S.  XLV), 

I  HXUe  man  doch  immer  Otfried  Müller*8  goldene  Worte  beherzigt:  ,Herodot 
ist  wirklich  ebenso  sehr  ein  Theolog  and  Dichter,  wie  er  Historiker  ist. 
.  .  .  Das  blosse  Wiedergeben  einer  gewöhnlichen  Erfabrang  in  den 
Kreisen  des  Menschenlebens  ist  nicht  seine  Aufgabe^  (Qeschichte  der 
griech.  Literatur  I>,  492—493). 

SiU«ngsber.  d.  phU.-hiit.  Cl.    CUI.  Bd.  I.  Hft.  10 


146  Ooraperz. 

aus  der  ^Ungeschicklichkeit  des  Schlusses  und  dem  jähen  Ab> 
brach  der  Elrzählung^  (^the  awkwardness  and  abruptness  of  its 
close'y  Rawlinson,  a.  a.  O.)  unwidersprechlich  hervorgehen.  Eb 
trifft  sich  glücklich ,  dass  wir  hier  wenigstens  zwei  unserer 
Gegner  als  Zeugen  wider  die  von  ihnen  vertretene  These  an- 
rufen können.  Denn  ebenderselbe  Rawlinson,  der  sich  in  der 
Einleitung  zu  seiner  Herodot-Uebersetzung  in  der  angefiihrten 
Weise  ausspricht^  kann  sich  in  seiner  letzten  Anmerkung 
(IV"*,  466)  des  Eindrucks  nicht  erwehren,  dass  das  Ghesammt- 
werk  ^geschichtlich  sowohl  ahs  künstlerisch'  wohl  abgeschlossen 
sei:  ^geschichtlich^  denn  die  Handlung  endigt  mit  der  sieg- 
reichen Heimkehr  der  athenischen  Flotte  von  der  Kreuzfahrt, 
in  welcher  sie  die  letzten  Ueberreste  des  Angreifers  vernichtet 
und  durch  die  Einnahme  von  Sestos  den  Schlüssel  ihres  Con- 
tinents,  der  sich  nach  allen  Niederlagen  des  Feindes  noch  in 
seinen  Händen  befand,  zurückgewonnen  hatte;  künstlerisch, 
indem  das  Ende  durch  das  Sohlusscapitel  wieder  an  den  An- 
fang  geknüpft,  .  .  .  der  Orundton  der  ganzen  Erzählung  von 
Neuem  angeschlagen  und  auf  ihre  Moral  hingewiesen  wird, 
dass  der  Sieg  nämlich  den  kraftvollen  Insassen  rauher  Berg- 
lande  gehört'  [wer  denkt  hier  nicht  an  das  Kernwort:  tij  'KXXidt 
TcsWi)  {jLsv  aUt  KOT€  ouvrpoföc  ioti  VII,  102  ?],  ,die  Niederbtge  den 
verweichlichten  Bewohnern  fruchtbarer  Ebenen,  welche  ihrer 
alten  kriegerischen  Sitten  vergessen  und  in  Trägheit  und  Ueppig- 
keit  versinken'.*  Und  wenig  anders,  freilich  nicht  minder  sich 
selber  widersprechend,  urtheilt  Otfried  Müller  (Gr.  Lit. -Gesch. 


^  Ein  neckiflcher  Zafall  bat  es  so  ^ftl^  dass  der  Vorwurf  der  Inconse- 
quenz,  welcher  hier  Rawlinson  mit  Recht  trifft,  von  eben  diesem  geg^n 
Dabimann  erhoben  wird  ~  auf  Omnd  der  anriohtigen  Wiedergabe 
einiger  deutschen  Worte  durch  einen  englischen  Uebersetaer.  Dahlmann 
schrieb  n&mlich  (a.  a.  O.,  8.  138):  ,Die  Alexandriner  theilten  in  neun 
Musenbücher  ein,  was  sie  ausgearbeitet  vorfanden;  seitdem  gilt  die 
unvollendete  Schrift  für  ein  in  allen  Gliedern  abgerundetes,  mit  Bedacht 
geschlossenes  Kunstwerk.*  In  der  englischen  Uebertragung  fehlt  jedoch 
das  WOrtchen  ^seitdem*,  und  ,gilt*  wird  mit  ,has  all  the  value'  über 
setitl  S.  Rawlinson  I,  114,  wo  man  übrigens  eine  Reihe  der  treffend- 
sten Bemerkungen  über  den  Plan  und  Umfang  des  herodoteischen 
Werkes  findet,  eine  Aniahl  weiterer  Beweisgründe  gegen  die  Dahlmann- 
Kürehhoff'sche  Ansicht,  die  wir  rollinhalftlich  billigen,  jedoch  ans  Scheu 
vor  übermässiger  Breite  nicht  ausdrücklich  wiederholen. 


Herodoteitehe  Stadien  I.  147 

P,  490):  jObgleich  daeWerk  unvollendet  ist,  schliesst  es 
doch  mit  einem  G^danken^  der  nicht  ganz  zufällig  an  das 
Ende  gekommen  zu  sein  scheint^   dass,  wie  der  grosse  Eyros 
gesagt  haben  soll,  nicht  gerade  das  fruchtbarste^  reichste  Land 
auch    die    tüchtigsten    Männer   hervorbringe/     Doch    es    fehlt 
nicht  an  anderen,    ganz  ebenso  deutlichen  Anzeichen,   welche 
darauf  hinweisen,    dass   Herodot    an  eben   dieser  Stelle   sein 
Lebenswerk  beenden  und  beschliessen  wollte.     Wenn    irgend 
etwas    das  HochgeAihl,   mit  welchem    der  Grieche   von    den 
wunderbaren    Siegen   seines   Volkes    las,     zu    steigern,    seine 
Freiheitsliebe  zu  entflammen,   die  Freude  an  den  staatlichen 
Einrichtungen   seiner  Heimat   zu   erhöhen  vermochte,  so  war 
dies  die  Einsicht  in  die   zerrüttenden  Wirkungen,    welche  der 
Bcfarankenlose  Despotismus  seines  Gegners  bis  in  den  innersten 
Familienkreis    des  Herrschers  hinein    zu  üben  geeignet  war. 
Und  da  sollte  es  ein  Zufall  sein,  dass  dem  hellen  Glänze  von 
Salamis  und  Artemision,  von  Mykale  und  Platää  in  den  Wirren 
und   Gräueln   am   persischen   Hofe    eine   Folie   gegenübertritt, 
wie  sie  dunkler  nicht  gedacht  werden  kann?     Zufall  sollte  es 
sein,     dass  uns   gerade  in  einigen  der  letzten  Abschnitte  (IX, 
108 — 113)  der  Einblick   in  jenes  Pandämonium  tobender  Lei- 
denschaften gewährt  wird,  denen  kein  göttliches  oder  mensch- 
liches Gesetz,    kein  verwandtschaftliches   Band,    selbst  nicht 
das  geschwisterliche  oder  das  elterliche,   Zaum  und  Zügel  an- 
legt —  ein  Kreis,  in  dessen  Mitte  Xerxes,  ein  echter  ,Purpur- 
gebomer',  durch  den  knabenhaften  Unbestand  seiner  Begierden 
noch  mehr  die  Verachtung,  als  durch  deren  Masslosigkeit  den 
Unwillen   herausfordert?     Und  ganz  ebensowenig  wird  es   zu- 
{UKg  sein,   dass  der  in  den  Eingangs-Capiteln  ausgesprochene 
Gedanke  von    dem   uralten  Gegensatz    zwischen  Morgen-    und 
Abendland  hier  wieder  aufgenommen  (IX,  116  greift  unmittel- 
bar auf  I,  4  zurück)  und  durch  die  Erinnerung  an  Protesilaoß 
(den    ersten   Griechen,    der  in  feindlicher   Absicht   asiatischen 
Boden  betrat!)  nachdrücklich   aufgefrischt  wird,    dass   an   der 
Begräbnissstätte  eben  dieses  Heros  ein  Perser  sich  versündigt 
und  dafür  entsetzliche  Strafe  erleiden  muss.  Wie  ein  leuchtendes 
Symbol  der  vollendeten  Befreiung  Europas  von  der  drohenden 
fVemdherrschaft   endlich   —   und    dies    ist    das    eigentlichste 
Thema  des  ganzen  Werkes  —  erscheint  das   in   den  letzten 

10* 


148  Oomper». 

Worten  der  öeschichtserzählung »  (IX,  121)  erwÄhnte  Weih- 
geschenk,  welches  die  rückkehrenden  Athener  in  die  hämischen 
Heiligthümer  mitbringen,  die  Taue  von  den  Brücken,  welche 
der  Eroberer  geschlagen  hatte  um  die  occidentalische  Griechen- 
welt unter  sein  Joch  zu  beugen! 

Allein  warum  —  so  mag  man  uns  entgegnen  —  hat 
Herodot  den  Schluss  seines  Werkes  nicht  ausdrücklich  und 
unzweideutig  als  solchen  bezeichnet?  Ich  antworte  mit  einer 
Gegenfrage:  Warum  ist  das  Proömium  so  überaus  wortkai^? 
Warum  ist  es  zugleich  so  knapp  und  so  vieldeutig?  Warum 
verräth  es  von  des  Autors  Absichten  so  wenig,  von  Inhalt 
und  Aufbau  des  Werkes  so  gut  als  gar  nichts?  Warum  sagt 
es  uns  nicht  mit  dürren  Worten:  Ihr  werdet  die  Erzählung 
der  griechischen  Freiheitskriege  vernehmen  und  zugleich  das 
Wissenswürdigste  aus  der  Natur*  und  Volkerkunde,  aus  der 
Erdbeschreibung  und  der  Geschichte  der  Vorzeit?  Warum 
gedenkt  der  Geschiohtschreiber  ebendort  mit  keinem  Sterbens- 
w(>rtchen  seiner  persönlichen  Umstände,  seiner  langjährigen 
und  mühevollen  Vorbereitungen,  seiner  Studien  und  Reisen? 
Warum  versagt  er  es  sich,  auch,  nur  den  bedeutsamen  Aus- 
spruch über  den  , Wechsel  alles  Irdischen^  den  er  Capitel  5 
vorbringt,  wie  einen  Lock*  und  Weckruf  an  die  Spitze  des 
Buches  zu  stellen?  Warum  taucht  er  unverweilt  in  seinem 
Stoffe  unter,  um  nur  gelegentlich  und  immer  nur  für  Augen- 
blicke aus  demselben  emporzutauchen  ?  Warum  legt  er  seine 
weitreichendsten  Gedanken  fast  durchwegs  den  Personen  seiner 
Erzählung  in  den  Mund  und  verschwindet  hinter  diesen  so 
schleimig  und  nahezu  so  vollständig,  wie  Aristoteles  dies  von 
dem  epischen  Dichter  verlangt?  Man  nenne  dies  Alles  wie 
man  wolle :  ,edle  Selbstvorgessenheit' ,  strengen  und  vornehmen 
Kunststyl,  schriftstellerische  Keuschheit,  antike  Naivetät,  künst» 
lerische  Objectivität,  Scheu  vor  platter  Ueberdeutlichkeit;  nur 


^  Es  folgt  nur  mehr  das  S&tscfaen:  ,ii]id  in  diesem  Jahre*  (es  ist  das 
Jahr  der  Siege  von  Platftä  und  Mykale!)  ,begab  sich  nichts  Weiteres*, 
worauf  das  Werk  mit  dem  scheinbar  absichtslos  und  darum  nur  um  so 
kunstvoller  angeknüpften  Rathschlag  des  Artembares  und  der  vielsagen* 
den  Antwort  des  Cynis  wie  mit  einer  sinnvollen  Gnome  abschliesst.  Wie 
man  hier  von  ,plOtslichem  AbbniohS  von  ,Ungeschioklichkeif  o.  s.  w. 
sprechen  kann,  ist  mir  schwer  verst&ndlich. 


Herodoteische  Studien  I.  149 

▼ergesse  man  nicht,  dass  unser  Autor  in  diesem  Betracht  genau 
Bo  verftlhrt  wie  viele  andere  und  nicht  die  mindest  hervor- 
ragenden unter  seinen  Zeit-  und  Volksgenossen.  An  die  epische 
Dichtung  hahen  wir  bereits  erinnert;  aber  auch  ein  Pindar 
und  ein  Sophokles  unterlassen  es  gar  häufige  die  inneren  Be- 
züge zwischen  verschiedenen  Theilen  einer  Ode  oder  eines 
Strophenpaares  durch  wegweisende  Winke  klarzulegen:  sie 
heischen  die  thätige  Mitarbeit  des  Lesers.  Und  in  wie  hohem 
Masse  dies  bei  Plato  der  Fall  ist,  der  an  individueller  Selbst- 
entäusserung  noch  über  unseren  Geschichtschreiber  hinausgeht^ 
dies  weiss  nachgerade  Jedermann. 

Dabei  wird  es  denn  hoffentlich  wohl  sein  Bewenden  haben. 
Die  Worte:  ,und  sie  zogen  es  vor  ein  kärgliches  Land  als 
Herren  zu  bewohnen,  statt  im  Besitz  eines  firuchtbaren  Saat- 
gefildes Anderen  zu  dienen^)  bilden  den  echten  und  rechten 
Schluss  des  herodoteischen  Geschichtswerkes.  Die  Muthmassung, 
der  Halikamassier  habe  jemals  eine  Fortsetzung  desselben  bis 
zur  Zeit  des  peloponnesischen  E^rieges  herab,  oder  bis  zu 
Kimon's  Tod,  oder  auch  nur  bis  zur  Schlacht  am  Eurymedon 
geplant,  ist  nicht  nur  eine  unerweisliche,  es  ist  eine  dem  In- 
halt der  SchlusBcapitel;  der  Anlage  des  Werkes,  der  Neigung 
und  Begabung  seines  Urhebers  gleich  sehr  widerstreitende 
Annahme. 

2. 

Ueber  das  Werthferhältnlss  der  Handschriften,  insbeson- 
dere des  Codex  Yindobonensis^  des  Sancroftianas  und  des 

Yaticanns  (123). 

S[aum  in  Betreff  eines  anderen  Schriftstellers  des  Alter- 
thums  schwankt  das  Urtheil  über  die  handschriftliche 
€h*undlage  so  sehr  als  bei  Herodot.  Fast  jeder  neue  Heraus- 
geber bringt  hier  eine  besondere  Ansicht  zu  Markte,  wenn  er 
nicht  gar  (wie  dies  bei  Heinrich  Stein  der  Fall  ist)  im  Laufe 
der  Jahre  deren  zwei,  einander  schnurstracks  widersprechende 
za  Tage  fördert.  Wenn  ich  hier  von  Neuem  auf  diese  Frage 
eingehe,  so  geschieht  dies  nicht,  weil  ich  das  Urtheil^  das  ich 
vor  bald  einem  Vierteljahrhundert  geäussert  habe  (Zeitschr. 
f.  österr.   Gymn.,   1859,   S.   811,  Vgl.   S.    824  ff.),    irgendwie 


150  Oorapers. 

ZU  modificiren  mich  yeranlaast  sehe.     Ich  halte  noch  heute  wie 
ehemals  daran  fest,    dass  die  durch  den   SancroftianuB ^    den 
Vindobonensis,   den  Codex  des  Lorenzo  Valla  und  (wie  wir 
seither  durch  Stein's  Mittheilungen  erfiübren  haben)  auch  durch 
den  Vaticanus  und  Urbinas,   gleichwie   durch  mehrere  andere 
von  Abicht  und  Stein  namhaft  gemachte,  aber  bisher  nicht 
genauer  bekannt  gewordene  Codices  vertretene  Handschnften* 
classe  die  treuere  Bewahrerin  der  Ueberliefernng  ist  —  die 
treuere  insofern  ^  als  sie  trotz  zahlreicher  Lücken  und  Buch- 
stabenfehler,  trotz  des  mehrfachen  Eindringens  von  G-lossemen 
in   den   Text  und   ungeachtet   der   bekannten  Kürzungen   im 
ersten  Buche  doch  im  Grossen  und  Ganzen  von  willkürlichen 
Eingriffen   ungleich   freier   ist  als  die  andere  Familie.  Ver- 
dunkelt ward  dieser  Sachverhalt  —  für  welchen  es  vorläufig 
genügt,  auf  die  classische  Stelle  V  91  (vgl.  a.  a.  O.  S.  826, 
und  Cobet  in  Variae  lectiones,  p.  419)  zu  verweisen  —  durch 
den  Umstand^   dass  jene  andere,  vornehmlich  durch  den  Me- 
diceus^  den  Florentinus  oder  Schellersheimianus  und  den  Passio- 
neus  vertretene  Familie  in  weitaus  älteren   und  daher  von 
absichtslosen  Irrungen  freieren  Elxemplaren  vor  uns  liegt;  und 
weiters  ward  der  also  erzeugte   falsche   Eindruck  noch  durch 
andere  Thatsachen,  von  denen  sogleich  die  Rede  sein  soll,  er- 
heblich verstärkt.    Auf  diese  Fragen  in  ihrem  vollen  Umfange 
einzugehen   versage   ich  mir  aus  mehrfachen  Gründen,  haupt- 
sächlich   darum,    weil    Cobet    kürzlich   die   Stein -Abicht'sche 
These   von   der   Superiorität   der   Handschriftenclasse ,   die  ich 
fortan   die   zweite   nennen   will,   in   umfassendster  Weise  zu 
bekämpfen   unternommen   hat  und  weitere  Erörterungen  über 
diesen  Gegenstand  in  Aussicht  stellt  (Mnemos.  N.  S.  X,  p.  400 
sqq.).  *  Gleichzeitig  ist  jedoch  der  holländische  Kritiker  in  einen 
Irrthum  verfallen,   den  die  unvollkommene  Beschaffenheit  des 
Stein' sehen  Apparates  erzeugt  hat  und  welchen  ungesäumt  zu 
berichtigen  ich  mich  berufen  glaube.    Er  nennt  den  Vaticanus 
123   (Stein's  R)  den   ^besten  und  ältesten'   Vertreter  der  von 
ihm    gleichwie    von    mir   bevorzugten    Handschriften -Familie 
(^Optimum  omnium  et  antiquius  ceteris  .  .  .  exemplum',  a.  a.  O., 

'  Einen  neuen  Bandesgenosaen  in  diesem  Streit  vermag  ich  eben  noch  in 
einer  Correctar-Mote  m  begrüssen:  M.Wehrmftnn,  de  herodotei  codicis 
romani  auctorilate  (Halle,  Decemb.  1882). 


Herodofteische  Stadien  I.  151 

p.  405).  Er  folgt  hierbei  nicht  nur  der  ausdrücklichen  Be- 
hauptung Steines  (angefilhrt  ebend.  p.  403)  ^  sondern  er  zieht 
auch  aus  des  Letzteren  Einzelangaben  dasjenige  Facit^  welches 
sich  aus  ihnen  mit  Noth wendigkeit  ergeben  musste.  Allein 
jene  Behauptung  ist  falsch  und  diese  Angaben  sind 
unvollständig.  Was  das  Alter  der  Handschrift  betrifft^  die 
Stein  selbst  dem  14.  Jahrhundert  zuweist  (p.  XI),  so  sei  zu- 
nächst nur  daran  erinnert  ^  dass  die  augenscheinUch  und  an- 
erkanntermassen  zu  derselben  Familie  gehörige  Wiener  Hand- 
schrift von  demselben  Stein  gleichfalls  dem  14.  Jahrhundert 
zugesprochen  wird  (p.  XIV).  Was  aber  die  Güte  des  Codex 
und  seine  Rangordnung  innerhalb  seiner  Sippe  anlangt ,  so 
muss  der  Leser  der  Stein'schen  Ausgabe  dieselbe  aus  Angaben 
erschUessen,  deren  Methode  ich  —  trotz  meines  lebhaften 
Wunsches,  jeden  ungerechten  oder  auch  nur  herben  Ausdruck 
zu  vermeiden  —  nicht  anders  als  ungeheuerHch  nennen  kann. 
Es  wird  nämüch  B  an  geradezu  zahllosen  Stellen  als  die 
alleinige  Quelle  von  Varianten  genannt;  die  sich  völlig  identisch 
auch  im  Sancroftianus  und  Vindobonensis  (in  beiden  oder  in 
einem  derselben)  und  fast  sicherUch  auch  in  andern  Vertretern 
derselben  Classe  vorfinden.  Und  nicht  nur  indirect  wird  hie- 
dnrch  der  falsche  Eindruck  von  der  ausserordenthchen  Superio- 
ritftt  der  vaticanischen  Handschrift  erzeugt,  der  Cobet  zu  dem 
Ausspruch  verleitete,  ,alle  anderen  Handschriften'  (d.  h.  sämmt- 
liche  Herodot-Codices  ausser  Stein's  A,  B  als  Vertreter  der 
einen  und  R  als  Repräsentant  der  andern  Classe)  seien  werth 
ins  Feuer  geworfen  zu  werden,  (a.  a.  O.,  p.  400) ;  auch  ganz 
unmittelbar,  nicht  mehr  durch  blosses  Stillschweigen  über  die 
gleichartigen  Lesarten  der  verwandten  Handschriften,  sondern 
durch  ein  ausdrückliches  ,ceteri'  oder  »reliqui'  wird  die  Aus- 
schliesslichkeit jener  Lesungen  geradezu  versichert !  Ich  schlage 
fast  aufs  Gerathewohl  ein  Blatt  der  Stein'schen  Ausgabe  auf 
(I  250 — 251)  und  merke  von  falschen  Angaben  der  zweiten  Art 
(denn  jene  der  ersten  ELategorie  aufzählen  wollen,  hiesse  so 
ziemlich  jede  zweite  oder  dritte  Variante  berichtigen)  die  fol- 
genden an:  Zu  II,  174,  4  bemerkt  Stein :  ,nM  iQXtoxeio  Valcke- 
naer:  xoraXtaxeTo  R,  xanfjXioxsxo  ceteri*.  In  Wahrheit  findet  sich 
x<xxaXiax£To  auch  in  S(ancroftianus)  und  V(indobonensis) !  —  Zu 
175,  6;   ,xat  dxOojuvov  R:   xotaxWiAevo;  z,    xoroxööiAevov   ceteri^ 


1Ö2  Gomperz. 

R'ß  Lesart  wird  ebenso  von  SV  dargeboten!    —   Zu   177,  24: 
,ie  Rz:   "^hk  F,  hk  reliqui'.     Mit  Rz  stimmt  auch   diesmal  SV 
vollständig  überein.   —  Ich  suche   nach  Argumenten,   welche 
irgendwie  zur  Erklärung  oder  Entschuldigung  dieses  monströsen 
Verfahrens  dienen  können,  und  ich  glaube  deren  zwei  zu  ent- 
decken.    Einmal  dürfte  Herr  Stein   uns  erwidern ,   dass  er  ja 
selbst  (Praef.  p.  XIV)  den  Leser  darauf  vorbereitet  habe,   die 
Varianten  der  geringeren  Handschriften  (oder  jener,  die  er  ab 
solche  ansieht)  nur  gelegentlich  und  aushilfsweise  erwähnt  zu 
finden.  Uns  erscheint  solch'  ein  Voi^ang  überhaupt  als  unstatt- 
haft^ denn  Mittheilungen  von  so  sporadischer  Art,  dass  sie  uns 
keinerlei  Einblick  in  die  ,indoles'   einer   Handschrift  eröffnen, 
sind  schlimmer  als  nutzlos ;  F.  A.  Wolfs  Wort  von  den  ,surda 
oracula  nisi  constanter  consulentibus'  darf  wohl  noch  nicht  als 
veraltet  gelten.     Doch  man   denke  darüber,  wie  man  wolle ;  ^ 
eine  Lesart  nicht  erwähnen  und  ihre  Existenz  leugnen  ist  jeden- 
falls   zweierlei;    das   letztere    thut  jedoch    unser  Herausgeber 
durch  sein  ,ceteri^  und  ,reliqui',  und  er  erzeugt  dadurch  einen 
Schein,  der  von  der  Wahrheit  so  weit  als  irgend  möglich  ab- 
liegt.  Zweitens  jedoch  mag  Herr  Stein  uns  vielleicht  erwidern, 
dass  er  unter  R  nicht  immer  blos  die  eine  Handschrift,   son- 
dern mitunter   auch   den  angeblichen  Corrector  verstehe,   der 
nach  seiner  Meinung  in  dem  Stammcodex  jener  ganzen  Classe 
gewaltet  habe.    Etwas  Derartiges  scheint  wenigstens  aus  zwei 
Stellen  seiner  Vorrede  hervorzugehen  (p.  XXVH) :  ,nam  praeter 
correctorem  extitit  alter  quidam,  quem  dico  R^,  desgleichen 
(p.  XXVni):  ,hoc  vero  dubium  admodum,   ab  eodem  illo  qui 
correxit,   quem  R  appello,   etiam  decurtationem  coeptam  an 
ab  alio  aliquo  credamus^  Sollten  wir  mit  dieser  Erklärung  des 
sonst  Unerklärlichen  seine  Meinung  getroffen  haben,  so  bedarf 
es  kaum   wieder  der  ausdrücklichen  Bemerkung,    dass  auch 
dieses  Verfahren  ein  völlig  unzulässiges  ist.     Denn  nach  dem 
,index  codicum'  (p.  LXXVI)   bedeutet  die  Sigle  R  so  viel  als 
Vaticanus;    und    hiesse  es   nicht   wie    absichtlich    Verwirrung 
stiften  und  fortpflanzen,   wenn   man    den  ungewamten  Leser 
durch  den  doppelsinnigen  Gebrauch  eines  und  desselben  Aub- 

'  Galt  es  an  Raum  zu  sparen,  so  war  es  doch  nicht  allzu  schwierig,  die  Les- 
arten, welche  alle  oder  die  meisten  Handschriften  derselben  Familie  geroein- 
sam darbieten,  durch  eine  besondere  Sigle  als  solche  kenntlich  zu  machen. 


Herodoteische  Studien  I.  153 

dmcks  (und  nun  gar  eines  zum  Behufe  der  Orientirung  er- 
sonnenen  Zeichens!)  wiUkürlich  irreführte?  und  femer:  seit 
wann  gilt  denn  der  kritische  Apparat  als  eine  Stätte^  an  der 
man  constructiven  Gebilden  gleich  jenem  vermeintlichen  Cor- 
rector  und  seinen  muthmassUchen  Leistungen  Aufnahme  ge- 
währen darfy  anstatt  dem  Leser  den  objectiven  Thatbestand  treu, 
nackt  und  scharf  vor  Augen  zu  stellen?  So  vermag  ich  denn 
trotz  redlichsten  Bemühens  keine  irgend  stichhältige  Recht- 
fertigung für  ein  Verfahren  ausfindig  zu  machen,  welches  in  der 
philologischen  Literatur  ebenso  vereinzelt  dasteht,  wie  es  Herrn 
Stein  eigenthümlich  ist.  Hat  doch  eine  ganz  gleichartige  Pro- 
Cedur  schon  vorlängst  (es  galt  die  zweite  Auflage  der  commen- 
tirten  Herodot- Ausgabe)  Herrn  Abicht  bittere  Klagen  entlockt.  * 

Die  zu  erwartenden  Folgen  sind  nicht  ausgeblieben.  Herr 
Cobet  vor  Allem  —  in  dessen  Arbeitsgewohnheiten  es  liegt, 
meist  nur  eine  Ausgabe  eines  Autors  zur  Hand  zu  nehmen 
—  ist  durch  Stein's  unzulängliche  Angaben  getäuscht  worden. 
Sein  Urtheil  über  den  Werth  jener  vaticanischen  Handschrift 
entbehrt  mithin  jedes  sicheren  Fundamentes.  Die  Frage  nach 
der  Rangstellung  von  R  innerhalb  seiner  Sippe  bedarf  einer 
neuen  Erörterung.  Wir  erweitem  dieselbe  zu  der  Frage  nach 
dem  WerthverhältnisS;  in  welchem  S,  V  und  R  zu  einander 
stehen,  indem  wir  von  den  übrigen  Vertretern  derselben  Classe, 
über  welche  uns  jede  sichere  Kunde  fehlt,  nothgedrungen  ab- 
sehen müssen,  darunter  leider  auch  von  dem  sogenannten  Codex 
Mureti,  welcher  nach  Abicht's  Mitdieilung  und  Fascimile  (a.  a.  O., 
p.  36 — 37)  der  weitaus  älteste  Sprössling  dieses  Geschlechtes 
ist.  Allein  auch  innerhalb  dieser  unvermeidlichen  Beschrän- 
kung dürfte  die  Untersuchung,  die  wir  mit  aller  nur  irgend 
erreichbaren  Kürze  ftlhren  wollen,  eine  für  die  Hauptfragen 
der  herodoteischen  Textkritik  keineswegs  ergebnisslose  sein. 

Die  Güte  einer  Handschrift  bedeutet  zweierlei :  ihre 
relative  Fehlerlosigkeit  und  die  relative  Naivetät  oder  Absichts- 
losigkeit  der  ihr  anhaftenden  Fehler.  In  ersterem  Betrachte 
gilt  es  zunächst  jene  Fälle  ins  Auge   zu   fassen,   in  welchen 

'  ,Deinde  vero  etiam  Steiniam  iragari  patet,  in  adnotatiooe  critica  haud 
raro  scribentem  „die  Handflchriften  ausser  T"  [so  hie«  die  damals  bevor- 
zugte Handschrift],  id  quod  fere  nbivis  fictnm  atque  commentieium  est' 
(De  codicum  Herodoti  fide  atque  auctoritate,  p.  36). 


154  0omp«rz. 

Cobet  ganz  ausdrücklich  von  den  ^antiquae  et  verae  lectioneB 
ab  Herodoti  manu  profectae^  spricht^  welche  ,in  solo  Vaticano 
codice'  erhalten  seien  (p.  409).  In  dem  ersten  derselben 
(IV,  3;  wofür  es  irrthümlich  III,  1  heisst)  ist  der  hoUändische 
Kritiker  selbst  von  dem  Vorwurf  der  Flüchtigkeit  ^  nicht  6rdi- 
zusprechen;  denn  hier  hatte  Stein^  sicherlich  richtig;  angegeben, 
dass  die  —  von  ihm  freilich  erstaunlicher  Weise  verschmfthte, 
aber  schon  Yon  Oaisford^  Bekker  u.  s.  w.  aufgenommene  und 
natürlich  allein  wahre  —  Schreibung  itcexptd^ni  (statt  erpofv)) 
sich  im  Vaticanus  (und^  wie  Graisford  lehrt^  im  Sancroftianus, 
desgleichen,  wie  ich  aus  Autopsie  versichern  kann,  auch  im 
Vindobonensis)  nur  in  leichter  Entstellung  (als  iiceotpi^v))  er- 
halten hat.  Hier  ist  also  der  Vaticanus  nicht  nur  nicht  der 
einzige,  sondern  überhaupt  kein  Bewahrer  des  Ursprünglichen! 
Im  zweiten  Falle:  VI,  128,  wo  die  gute,  bereits  von  Schäfer 
und  Krüger  in  den  Text  gesetzte  Lesart  ouvsttoi  dem  PassioneoB 
(Stein's  B)  entnommen  war  (in  welchem  dieselbe  nach  des 
Genannten  Angabe  jedoch  nur  von  zweiter  Hand  und  nicht 
ohne  die  leise  Trübung  zu  ouvsroi  vorfindlich  sein  soll),  ist,  wie 
ich  wieder  vorbürgen  kann,  neben  dem  Vaticanus  gleichfaUs 
der  Vindobonensis  Zeuge  der  echten  Ueberlieferung.  —  Die 
dritte  Instanz  ist  VH,  21,  wo  ebenfalls  nicht  nur  ,optime  romanus 
Über  omittit  tai  et  v.  et  xpoff  in  xpocY^vötuvote',*  sondern  S,  V 
und  zum  Theil  auch  andere  Handschriften  in  diesen  Auslas- 
sungen (gleichwie  in  der  fehlerhaften  Ersetzung  von  al  durch  ou) 
mit  demselben  übereinstimmen.  Und  in  der  That  ist  die  Stelle  — 
bis  auf  die  von  Cobet  mit  Recht  vorgeschlagene  Tilgung  von 
oux  vor  <£^iat  —  genau  so,  wie  er  sie  schreiben  will,  bereits  bei 
Bekker   zu    lesen^   der   von  jenem   Vaticanus   niemals   etwas 

I  Einer  Uebereilung  bat  sich  wohl  Cobet  auch  dort  schuldig  gemacht,  wo 
er  R's  (und  SV 's)  Lilcke  in  VI,  105  durch  den  Verlust  eines  Blattes  (unum 
folium  periit)  im  Stammcodex  erklären  will.  Dann  müssten  I,  77 — 79, 
wo  die  drei  Handschriften  gleichfalls  eine  gemeinsame,  und  zwar  genau 
doppolt  so  grosse  Lücke  aufweisen  (31*— 82  Zeilen  der  Stein^aohen 
Ausgabe  neben  16—16  im  ersten  Fall),  zwei  Blätter  verloren  gegaagen 
sein.  Ungleich  wahrscheinlicher  ist  es,  dass  die  VI,  105  fehlenden 
40  Zeilea  (an  16 — 18  Buchstaben,  wie  Cobet  gans  richtig  ermittelt  hat) 
eine  Seite  und  diel,  77—79  verlorenen  SO  Zeilen  einBlalt,  noch  wahr- 
scheinlicher, dass  die  ersteren  eine,  die  le^teren  swei  Colamnen  (oder 
eine  Seite)  ausgemacht  haben. 


HerodotoiMhe  Stadien  I.  155 

vernommen  hatte:  ourai  at  icaoat  ov»8'  ixepctt  xpb^  TOBurgat  f^K^vai 
oxponiQXaaiat  [ur^q  Tilade  o!m  d|cau  <  —  Endlich^  viertenB,  in  dem 
Satze  (IX^  39):  ol  n^jpg«  dupetSdb^.i^^veuov,  [oü]  feiB6|i£yoc  oQte 
u9co2;uY(o^  oUevb^  oure  avOpcSncou  konnte  man  das  überschüssige  «ou 
lAngst  nach  ß  al/  (so  Gaisford,  desgleichen  fehlt  es  ^^  V) 
tilgen,  und  es  bedurfte  auch  hier  nicht  des  neuen  Lichtes,  das 
angeblich  vom  Vatioanus  ausgegangen  ist.  (Wohl  aber  hat 
Cobet  das  Verdienst,  diese  Besserung,  die  auch  ich  vor  Jahr- 
zehnten in  meinem  Handexemplar  angemerkt  hatte,  zuerst 
ausgesprochen  und  ab  zweifellos  richtig  erwiesen  zu  haben.) 

In  Betreff  all'  der  anderen  so  überaus  z^üreiohen  Varianten, 
die  Cobet  zwar  keineswegs  insgesammt  B  allein  beimisst, 
von  denen  er  aber  doch  annehmen  muss,  dass  ein  grosser 
Theil  nur  dieser  Handschrift  eigen  sei,  da  ja  sonst  sein  Urtheil 
(,optimus  omnium  et  idem  pessimus  testis^  etc.  404  —  405) 
ganz  und  gar  in  der  Luft  schweben  würde,  —  in  Bücksicht 
all'  dieser  Lesarten,  Lücken,  Zusätze  u.  s.  w.  können  wir  uns 
weit  kürzer  fassen.  Sie  sind,  von  ein  paar  nichtssagenden 
Buchstabenfehlem  (wie  e§c(iiv£To,  (A^Xeva  oder  Tcpoorr^eev)  und 
von  mehreren  durch  Homoioteleuton  entstandenen  Lücken  ab- 
gesehen, durchwegs  B  mit  SV,  oder  doch  mit  einem  von  beiden 
oder  auch  mit  anderen  Handschriften  gemein.  Und  obgleich 
diese  nicht  von  uns  gewählten  Stichproben  genügen  dürften, 
ao  will  ich  doch  noch  die  Erklärung  beifügen^  daSs  B  meines 
Wissens  überhaupt  keine  nennenswerthen ,  im  guten  oder  ita 
schlimmen  Sinne  charakteristischen  Varianten  darbietet,  die  ihm 
allein  eigenthümlieh  sind.  Besteht  nun  keinerlei  tief  greifende 
Verschiedenheit  zwischen  den  Bepräsentanten  dieser  Hand- 
schriften-Familie? Gilt  es  gleich  viel,  welchen  Sprossen  der- 
selben man  —  falls  wir  nicht  aUe  gleichmässig  berücksichtigen 
woUen  oder  können  —  zu  ihrem  typischen  Vertreter  erhebt? 
Ich  antworte:  Ganz  und  gar  nicht;  es  war  vielmehr  ein  fUr 
den 'Fortschritt  der  Herodot-Eritik  geradezu  verhängnissvoller 
Umstand,   dass  der  am  frühesten  und  bis  vor  Kurzem  alldn 


'  Beiläufig  bemerkt,  in  dem  analogen  Fall  IV,  28:  i^j[a{ovoi  8k  ouSe  ovoi  [oOx] 
av^)^ovTat  eip)(^ijv,  war  das  oOx,  welches  Stein  wieder  in  den  Text  gesetzt 
hat  nnd  Cobet  mit  Tollstem  Recht  von  Neuem  tilgen  will,  bereits  in  der 
Aldina  (Gaiaford  nennt  es  die  Vnlgat-Lesart)  nnd  desgleichen  von  Bekker 
beseitigt  worden. 


156  Oompers. 

genau  gekannte  Repräsentant  dieser  Classe  einer  ihrer  schleck- 
testen, wenn  nicht  gar  ihr  schlechtester  Ableger  ist  —  der 
SancroftianuB,  eine  Handschrift,  welche  gar  oft  die  Spuren 
einer.  Willkür  zeigt,  die  anderen  Gliedern  desselben  Ge- 
schlechtes fremd  gebliebeuMSt  und  mithin  nicht  der  Familie 
als  solcher  und  ihrem  Stammvater  zur  Last  fällt.  Der  Schreiber 
dieses  Codex  oder  seiner  unmittelbaren  Vorlage  —  und  damit 
wenden  wir  uns  zum  zweiten  Theile  unserer  Betrachtung  — 
hat  nicht  selten  zufällig  entstandene  Lücken  ausgefüllt  oder 
verkleistert,  Glosseme  und  das  Glossirte  mit  einander  ver- 
schmolzen ,  Textesschäden  übertüncht  und  dadurch  bis  ins 
Ungeheuerliche  vergrössert  —  kurz,  er  hat  mehr  als  einmal  den 
Pfad  verschüttet,  der  zur  Urgestalt  des  Textes  zurückfuhren 
konnte.  Ihm  gegenüber  sind  der  Vindobonensis  und  Vaticanus 
die  ungleich  treueren  und  naiveren  Bewahrer  der  Ueberiieferung, 
und  Stein  hat  sich  durch  die  Mittheilung  der  Lesarten  des 
ersteren  ebenso  sehr  ein  Verdienst  erworben,  wie  er  (wenngleich 
in  entschuldbarer  Weise,  da  er  einmal  über  die  Bedeutung  der 
ganzen  Classe  eine  falsche  Ansicht  gewonnen  hatte)  darin  ge- 
fehlt hat,  dass  er  sich  mit  der  unglaublich  unzulänglichen  Col- 
lation  des  Wiener  Codex  zufrieden  gab,  welche  ein  Unbekannter 
vor  mehr  als  einem  Jahrhundert  fbr  Wesseling  angefertigt  hat 
(vgl.  Schweighäuser's  Ausgabe  I,  2,  XHI).  Und  fragen  wir 
endUch  nach  dem.  WerthverhältniBS  von  V  zu  R,  so  muss  die 
Antwort  also  lauten:  V  ist  der  naivere  und  unbefangenere,  mithin 
der  verlässlichere  und  werthvoUere  der  beiden  Zeugen.  Alle 
diese  Behauptungen  wollen  wir  nunmehr  durch  eine  Beihe  von 
nicht  sowohl  zahlreichen,  als  zugleich  typischen  und  durch 
sich  selbst  einleuchtenden  Belegen  zu  erhärten  suchen: 

1.  Willkürliche  Verschmelzung  eines  Glossems  mit  dem 
Text:  In  den  Worten  %a\  713^  l|A^p<i),  wpooxti^aoOai  wpb^  tijv  £<iiutou 
jfcoipav  ßoüX6|jL6vo^  (I,  73,  5 — 6)  war  IfJLipu»  durch  ^iR6u[i,dv  erklärt 
worden.  Die  Randglosse  ist  im  Stammcodex  der  Classe  in 
den  Text  gedrungen  und  hatte  die  leichte  Verderbniss  von 
•pj?  zu  "rtv  ("pjv  dx(^{jLüiv  l(Aep<i>  VR)  veranlasst.  In  S  jedoch 
liest  man  "piv  Ii7i0u{jl(i)v  ^[jiepov! 

2.  Verkleisterung  einer  Lücke  in  S:  IQ,  148  fin.  hatte 
eine  durch  Homoioteleuton  entstandene  Lücke  den  Abschluss 
eines  Satzes  und  den  Beginn  eines  andern  verschlungen.  R  und 


Herodoteitebe  Studien  I.  157 

V  zeigen  .die  Lücke  nackt,  während  S  den  Abgang  (wie  man 
bei  Gaisford  nachlesen  mag)  aus  eigenen  Mitteln  zu  decken 
bestrebt  ist.    Dasselbe  geschieht 

3.  ein  anderes  Mal  IV,  183,  2—3.  Hier  waren  in  der 
S  und  V  gemeinsamen  Mutter-Handschrift  die  Worte  zwischen 
AtObira^  und  AiO^orceg  ausgefallen.  V  bietet  vollkommen  treu  und 
vollkommen  sinnlos:  AlOCoica^.  ic6dag  xixjdaxoi^  S  hingegen  mit 
dreister  Interpolation:  ASOCotc«^  ftvzo^süoitsi,  of  ic6Sa^  T^xt^^t  — • 

4.  Willkürliche  Fortbildung  eines  geringen  Buchstaben- 
fehlers: I,  111,  15  ist  i(i)6(ix;  in  B  zu  ecopO^»^,  in  V  zu  sjtapbS^ 
(sie)  geworden,   in  S  hingegen  zu  6p0ü»^I  —  Ebenso  erscheint 

5.  pi6Ts{6iQ  I,  114,  24  (das  auch  im  Florentinus  zu  (AenfOri 
verschrieben  und  nur  nachträglich  berichtigt  ward)  in  V  als 
(xrr^Or),  in  B  als  iiAereCx^,  in  S  dagegen  ist  das  Wort,  offenbar 
mit  Bttcksicht  auf  das  fast  unmittelbar  vorangehende  (Aaffrqfifov^ 
zu  iiAooiCx^  verschlimmbessert  worden,  desgleichen  wurden 

6.  die  Worte  iq  ^&tai«9  Ipr/ovzoa.  (H,  106,  11)  leicht  ent- 
stellt (zu  &;  9c2mat  dcv^px^vtai  in  B,  zu  iq  ^xai  av^ovroee  in  V), 
in  S  aber  ward  daraus:  if  &  xal  dvip^ovrat.    Nicht  viel  anders  ist 

7.  eWs  «Y^^  (in>  6^;  3)  in  VB  zu  ekdr^m  verschrieben,  in 
S  jedoch,  wo  man  augenscheinlich  das  nunmehr  fehlende  Ver- 
bum  zu  ersetzen  trachtete,  weiter  zu  etai^et  verderbt  worden; 
gerade  so  wie 

8.  x<i^<:  (n,  154,  10)  in  all'  den  drei  Hiandschriften  zu 
Xp^vou^  entstellt,  nur  in  S  aber  das  unmittelbar  folgende  xp^^v 
nun  auch  (wie  zum  Ersatz)  in  x(a^  geändert  ward. 

Sind  so  die  I^lle  überaus  zahlreich,  in  welchen  V  und  B 
die  erste  Stufe  der  Verderbniss  darstellen,  während  die 
Corruptel  in  S  mit  unheilvollem  Scharfsinn  weiter  und  weiter 
fortgebildet  ward,  so  kenne  ich  wenigstens  keinen  Fall,  wo  sich 
von  V  Aehnliches  behaupten  liesse.  Freilich  steht  auch  dieser 
Codex  gelegentlich  gegen  B  zurück  —  so  durch  Ausfall  eines 
Wortes,  welches  in  der  Mutter-Handschrift  von  SV  ausgelassen 
ward  (wie  3^ov  nach  ouSiv  DI,  65,  6,  das  in  S  durch  Jjooov  er- 
setzt ward,  in  V  hingegen  unersetzt  blieb),  oder  durch  Weg- 
lassung  von  ein  paar  Buchstaben  (wie  denn  HI,  63,  10  eiceSifAevov 
in  B  zu  c?C(^(uvov,  in  V  zu  eicc^ov  zusammenschwand,  während  in 
S  der  Text  bis  zur  Unkenntlichkeit  entstellt  ward).  In  diesen 
und  ähnlichen  Fällen  ist  jedoch  in  V  keine  Spur  von  Willkür 


158  Oomperi. 

oder  mala  fides  zu  erkennen;  hingegen  fehlt  es  nicht  an  Bei« 
spielen,  in  welchen  V  allein  einen  Textesschaden  in  seiner 
primitivsten  Gestalt  darbietet ,  B  und  S  jedoch  (in  gleicher 
oder  auch  in  verschiedener  Weise)  das  Bestreben  verrathen, 
den  Fehler  in  gleissnerischer  Weise  zu  verdecken.  Zwei  In> 
stanzen  mögen  vorläufig  genügen: 

m,  4;  19  sind  die  Worte  oicoarsfXac  tpcifpeV  xax"  aüt^v  in  B 
und  S  35U  dhcooxaCXoe;  xptifpsV  ei^  taut6v  verderbt  woirden.  Nur  in 
V  kann  man  den  Ursprung  des  Fehlers  gleichsam  mit  B&nden 
greifen.  Im  Stammcodex  der  Classe  war  €IC  Über  KAT  als 
Erklärung  beigeschrieben  worden,  und  V  zeigt  uns  mit  einer 
wahrhaft  rührenden  Naivetät  das  Glossem,  wie  es  sich  mitten 
in  den  Text  hineinschiebt  —  ohne  den  leisesten  Versuch  einer 
Vertuschung  oder  Verhüllung  — :  tpiiipetxa  (sie)  ri^  xacM^. 

n,  117,  8—9  waren  im  Stammcodex  ein  oder  zwei  Striche 
unkenntlich  geworden  und  somit  lesen  wir  statt  obap  C|i.xpocOey 
(ecdOeaov  y(fi&(j^)  in  V:  ol  Tip^ai  xp6o6cv  (aus  Oin€P6M  ward 
OinePCAl),  in  B  jedoch  nur  mehr  olicsp  irp6o0evy  in  S  endlich 
gar  blos  ol  icpioOev  —  ein  Textesschwund,  von  dem  aus  es 
ohne  fremde  Hilfe  unmöglich  gewesen  wäre  das  Ursprüngliche 
jemals  wieder  zu  gewinnen. 

Ich  v^zichte  darauf,  an  dieser  Stelle  auch  solche  Fälle 
namhaft  zu  machen,  in  denen  die  Lesart  von  V  allein  auf 
die  richtige  Fährte  und  zur  Verbesserung  des  noch  immer 
verdorbenen  Textes  AÜiren  kann;  denn  damit  müsste  ich  einen 
Boden  betreten,  auf  welchem  Meinungsverschiedenheiten  zum 
Mindesten  möglich  wären.  Ich  fasse  vielmehr  die  Engebnisse  dieser 
Erörterung  wie  folgt  zusammen:  Um  die  Lesarten  der  besseren 
Handschrifien-Classe  in  jedem  einzelnen  Falle  mit  voUer  Sicher- 
heit beurtheilen  zu  können,  ist  es  unbedingt  nothwendig,  den 
Archetypus  derselben  zu  k*econstmiren.  Die  bisher  erreichbare 
Annäherung  an  dieses  Ziel  ist  genügend  um  uns  die  Grundlosig- 
keit weitaus  der  meisten  Anklagen  erkennen  zu  lassen,  welche 
vordem  (insbesondere  von  Abicht)  gegen  die  Handschriften-Familie 
als  solche  erhoben  wurden  und  die  in  Wahrheit  (insofern  es  sich 
dabei  nicht  um  naive  und  zufällige  Irrungen  handelt)  zumeist 
nur  einen  ihrbr  werthlosesten  Abkömmlinge  tre£Pen.^   B  ist  einer 

>  Wie  miflslich  die  La^  Derjenigen  geworden  ist,  welche  die  Superiorit&t 
der  ersten  Handnchriften-Classe  noch  immer  hartnäckig  bestreiten,  kann 


Herodoteitehe  Stadien  I.  159 

der  besseren  Vertreter  der  ersten  Handschriften-ClasBe^  aber 
keineswegs  ein  so  ^guter^  dass  seine  Kenntniss  die  Vertrautheit 
mit  den  übrigen  Sprossen  der  Sippe  überflüssig  machte.  Höher 
steht  durch  unbefangene  Treue  V^  dessen  Lesarten  bislang  von 
den  Herausgebern  so  gut  als  gar  nicht  berücksichtigt  wurden. 
Noch  höher  mögen  andere  ELandschriften  stehen,  von  denen 
wir  zur  Zeit  kaum  mehr  als  die  Namen  kennen.  Ehe  von 
einer  wahrhaft  kritischen  Ausgabe  Herodot's  die  Rede  sein 
kann,  müssen  alle  Repräsentanten  der  ersten  Handschriften- 
Classe  vollständig  ausgebeutet  und  verwerthet  werden.  Stein's 
einseitige  Bevorzugung  von  R  war  ebenso  grundlos,  als  sein 
systeuMitisches  Stills<Aiweigen  über  die  Mehrzahl  der  Lesungen 
auch  jener  Codices,  welche  er  genauer  gekannt  und  gelegent- 
lich benützt  hat,  seine  Nachfolger  (wie  Cobet's  Beispiel  lehrt) 
irrezuführen  geeignet  war. 


3. 
Zar  Kritik  und  Erklärung. 

Erstes  Buch. 

I,  2,  21  hatte  Stein  früher  mitGaisford,  Bekker,  Krüger 
die  Lesart  von  V  und  S  pr.  m.  tbv  RoX^ov  statt  tov.  R6Xxci>v 
ßa^iX^a,  wie  es  sich  gebührte^  in  den  Text  aufgenommen  und 
durch  die  Verweisung  auf  vieles  Aehnliche  bei  Herodot  (wie 

uns  Stein*8  Beispiel  leluren.  Derselbe  sieht  sich  zu  Concessionen  ge- 
nOthigt,  die  seine  Stellung  vollständig  unterhöhlen,  ohne  doch  den  An- 
griff KU  entwaffnen.  Er  muss  —  um  unabweisbaren  Thatsachen  auch  nur 
einigermassen  gerecht  zu  werden  —  das  Walten  eines  Correctors  an- 
nehmmi,  welcher  in  vielen  und  bedeutsamen  FftUen  das  Richtige  ex 
ingenio  gefunden  und  der  sogar  (ein  im  Alterthum  und  Mittelalter  uner- 
hörter Fall  t)  die  Zeugnisse  späterer  Schriftsteller  methodisch  verwerthet 
hat  —  und  zugleich  soll  doch  dieser  eminente  Kritiker  den  Text  vielfach 
muthwillig  bis  ins  Sinnlose  entstellt  haben  I  Und  trotz  dieser  weittra- 
genden und  widerspruchsvollen  Zugeständnisse  sieht  sich  Herr  Stein 
mehr  als  eininal  vor  die  Alternative  gestellt,  entweder  seine  Theorie 
fiber  Bord  zu  werfen  oder  (und  dies  ist  es,  was  er  meistentheils  vorzieht) 
sonnenklare,  von  den  stimmfähigsten  Beurtheilem  längst  gutgeheissene 
Verbesserungen  (so  zu  IV,  73,  14—16  oder  zu  V,  91,  9—10)  wieder  aus 
dem  Text  zu  treiben  und  durch  die  sinn*  und  sprachwidrige  Vnlgata  zu 
ersetzen  (vgl.  Cobet*s  mehrfach  angefahrten  Aufsatz). 


160  Oompers. 

0  iVu86<,TcdTup{(i>,T£>'Apaßu()yiII^poY]^u.  s.  w.)  ausreichend  begründet. 
In  seiner  grossen  Ausgabe  ist  er  jedoch  zur  Lesart  der  Vulgata 
zurückgekehrt  und  findet  jene  Variante  nicht  einmal  mehr 
einer  Erwähnung  werth!  —  Ich  verzeichne  diese  charakteri- 
stische Thatsache,  um  an  sie  die  Bemerkung  zu  knUpfen^ 
dass  ich  mit  derartigen  Rttckbesserungen  mich  im  Folgenden 
zu  befassen  nicht  beabsichtige.  Auch  zahllose  andere  Verbesse- 
rungen^ welche  Niemand  Terfehlen  kann,  der  über  das  Werthver- 
hftltniss  der  Handschriften  eine  richtige  Ansicht  gewonnen  hat, 
können  füglich  einem  künftigen  Herausgeber  überiassen  bleiben. 

Der  Schluss  von  Cap.  5,  der  so  viele  Irrungen  erzeugt 
hat,  ist  augenscheinlich  also  zu  verstehen:  ^da  sie  (lo)  sich 
aber  schwanger  fUhlte  und  die  Eltern  scheute,  da  sei  sie  frei- 
willig, damit  es  nicht  ruchbar  werde,  mit  den  Phönikem  davon 
gefahren^  Die  —  schon  bei  Gaisford  und  Bekker  mit  Recht 
in  Beistriche  eingeschlossenen  —  Worte  ai3eo(4ivv)  Touq  toxio^ 
können  nur  die  Empfindung  bezeichnen,  welche  die  Wahr- 
nehmung ihres  Zustandes  begleitet;  denn  unmöglich  ist  es,  vor 
otrno  S^  den  Nachsatz  beginnen  zu.  lassen,  auch  dann  unmöglich, 
wenn  man  mit  Herold  und  Krüger  aiSeopi^ni]  in  at3eo(iiviQv  ver- 
ändert. Ein  Uebriges  in  sinnwidriger  Uebertragung  der  Worte 
thut  übrigens  Stein:  ,und  wie  sie  ihre  Schwangerschaft  gemerkt, 
sei  sie  aus  Scheu  vor  ihren  Eltern  und  aus  eigenem  Willen' 
(als  ob  dies  zwei  Motive  wären)  u.  s.  w.  —  Doch  auch 
solche  Uebersetzungs-  und  Interpunctionsfehler  gedenke  ich 
nur  ganz  ausnahmsweise  zu  berühren. 

Eine  grobe  Interpolation  in  Cap.  18  scheint  bisher  nicht 
bemerkt  worden  zu  sein:  ta  jxiv  vüv  l^  Its«  twv  evSex«  SaJuocmQ^ 
h  "ApSuo^  ext  AuS(i5v  v^XS  [^  ^^  eaßaXXu>v  TiQVtxaGTa  iq  ttiV  McXiqoCvjv 
T^y  OTpaTiifv-  ZaSuflcm;^  outo^  y^P  ^'  ^  ^^  i:6Xs(ibov  ^  auvdK|ia<]  >  T3t 
ik  TC^VTS  Töv  etifov  [xät  licdpieva  roiat  l^]  'AXüarcY)?  6  SaSuinew  iicoXi- 
(jiee  xtI.  Verrätherisch  ist  hier  die  unangemessene  Anwendung 
der  Zeitpartikel  irjvtxauTor,  die  aus  Cap.  17  (Sxu>{  |ji^v  tXr^  ev  tfj 
Y^  xapicb;  aSp6;,  ngvoutuia  £9^ßaXXe  t^v  axpacivfy*)  gedankenlos  herüber- 
genommen ist,  und  der  einmal  rege  gewordene  Verdacht  darf 
wohl  *  an    der  Überdeutlichen  Breite    der  völlig  entbehrlichen 


•I 


1  Die  \yort6  SaSuatti)(  —  auva*|ftc  wollte  aucb  Gobet  tilgen;  b.  Bfthr^B  He- 
rodot  ed.  alt.  I,  p.  X*  Vgl.  auch  Excars  11  unserer  e weiten  Abhandlung. 


Herodoteitehe  Stndien  I.  161 

Zusätze,  sowie  an  der  schwankenden  Ueberliefening  eines  Theils 
der  Worte  neue  Nahrung  finden,  sowie  schliesslich  und  vor- 
nehmlich daran,  dass  jene  Rückbeziehung  eine  unrichtige  ist, 
da  an  der  soeben  angeführten  Stelle  nicht  von  dem  Vater, 
sondern  von  dem  Sohne  die  Rede  isL^ 

Der  Weg,  der  zur  Herstellung  von  27,  8 — 10  führt,  ist 
schon  mehrmals  betreten,  aber  nicht  bis  zu  seinem  Ziele  ver- 
folgt worden.  Schneidewin  (Philolog.  X,  330)  und  nach  ihm  Cobet 
(Var.  lect.  413)  haben  erkannt,  dass  die  in  mehreren  Hand- 
schriften vorfindliche  Lesart  opäoOat  das  Ursprüngliche  und 
e5xeo62(  ein  fremder  Zusatz  ist.  Allein  weder  konnten  sie  es 
wahrscheinlich  machen,  dass  das  von  dem  angeblichen  ,Glossem 
euxeo6ai^  verdrängte  apaa6ai  nun  auch  ,an  verkehrte  Stelle  ge- 
rathen'  sei,  noch  vermochten  sie  femer  die  Ersetzung  des  In- 
finitivs durch  das  Particip  (apo)[Aevoe)  zu  erklären,  noch  endlich 
that  ihre  Herstellung  dem  Ohr  (und  bei  einem  so  rhythmischen 
Schriftsteller,  wie  Herodot  es  ist,  darf  man  auch  daran  erinnern) 
ein  volles  Genüge.  Der  Qeschichtschreiber  schrieb  weder: 
VT^ouitta^  ^k  Tt  Soxeetq  euxea6ai  äXXo  "ij,  eic€txe  tdc^njLTva  ei:6dovT6  ae 
(liXXovTa  &A  a^iai  vauirv]Y^eo6ai  v^ou;,  XaßeTv  ^(Ofjisvoi  AuSoü^  sv  6a« 
Xocor,  — ;  (Stein  mit  der  Vulg.) 

noch  auch:  w)9(a>Ta^  8e  ti  Boxiec^  dipäo6at  aXXo  i|  —  Xaßeiv 
Ai>3ou{  ev  6aXie9V)  — ;  (Schneidewin,  Cobet) 

sondern:  vri^uota^  ^kxi  doxeet^  oXXo  9^  —  Xaßstv  dipaoOai  Au3ob^ 
iv  OaXaaov)  — ; 

Zur  elliptischen  Ausdrucksweise  —  welche  die  Wirmisse 
der  üeberlieferung  vollständig  erklärt  ^  —  vei^leiche  man  bei 

>  Vielleicht  vermiaste  der  Interpolator  eben  eine  Angabe  über  die  Methode 
der  Kriegführung  des  Sadyattes  gegen  Milet  und  wollte  diesem  Mangel 
durch  den  Zusatz  abhelfen:  ,auch  dieser  hat  gleichfalls  in  der  tlber 
Alyattes  berichteten  Weise  Krieg  gefQhrtS  was  nur  zu  sehr  undeutlichem 
Ausdruck  gelangt  ist. 

^  Die  Verkennung  der  Ellipse  hat  nämlich  die  Einschiebung  des  Infinitivs 
eC/EsOat  und  diese  die  Ersetzung  des  nach  und  neben  et>;^Ea6at  unmöglich 
erscheinenden  apSaOai  durch  apcufAEvot  zur  Folge  gehabt.  Der  glückliche 
Zufall,  welcher  die  Lesart  apaoOai  in  einigen  Handschriften  erhalten  hat 
(im  cod.  Bemiger.  und  in  den  Parisini  c  und  a,  in  letzterem  neben  der 
Marginalvariante  apto^uvot,  nach  Wesseling,  Schweighäuser  und  Gaisford ; 
nur  im  Paris,  a  und  im  Florent.  von  zweiter  Hand  nach  Stein),  eröffnet 
uns  den  sicheren  Einblick  in  einen  Process,  den  sonst  kein  menschlicher 
Seharfeinn  aufzudecken  vermocht  hätte. 

SitsongtUr.  d.  phU.-hist.  Cl.    Cm.  Bd.  I.  Hft.  11 


163  Gomp«r«. 

Herodot  selbst  II,  14,  2 — 3:  oXXo  tt  f)  ot  toOttt)  oixeovre;  Aituxciwv 
icer/ijcoüoi  — ;  und  VII  168,  11 — 13:  ij^  ykp  ^^aXfj,  a^sT?  y*  o'J^sv 
oXXo  i)  BouXsuwjffi  xYj  Tzpihrri  twv  tjfAepifov  (ferner  viel  Derai*tiges  bei 
Krüger  62,  3,  5  und  7  oder  auch  Xenoph.  Anab.  V,  7,  26:  rat 
TouTou<;  V,  SoxsTts;  oder  Plato  Meno  80  A:  ott  ob  oüSev  aX>»o  i)  outp^ 
TS  axopeT^  x.ts.). 

lieber  Solons  Gespräch  mit  Krösus,  dessen  legendenhafter 
Charakter  in  alter  wie  in  neuer  Zeit  vergeblich  bestritten 
worden  ist,  wäre  in  sachlicher  wie  in  kritischer  und  sprach- 
licher Rücksicht  gar  Vieles  zu  sagen;  ich  beschränke  mich 
auf  wenige  Bemerkungen.  Den  Widerspruch,  der  darin  liegt, 
dass  die  ,Lu8t  die  Welt  zu  sehen^  zuerst  als  Vorwand  (xati 
6e(i)p'!Y];  xpo^aotv,  tva  St)  (xy^  xts.  29,  3)  und  gleich  darauf  als 
ein  realer  Beweggrund  (owTüiv  8y]  wv  tsutwv  xat  tij^  OecopiT]^  — 
sTvexev  30,  7 — 8)  bezeichnet  wird,  löst  die  folgende  Erwägung. 
Es  war  ein  Theilmotiv,  welches  von  Selon  als  alleiniger  Beweg- 
gi*und  geltend  gemacht  wurde;  insofern  und  im  Gegensatz  zu 
dem  gewichtigeren,  aber  unausgesprochenen  Motiv,  der  Hintan- 
haltung von  Verfassungsänderungen  zu  Athen,  durfte  es  ein 
Vorwand  heissen.  Mit  ähnlicher  Ungenauigkeit  drückt  sich 
einmal  W.  v.  Humboldt  aus  (Briefwechsel  mit  Goethe,  S.  257): 
, —  wo  ich  unter  der  Ursache  und  dem  Verwände  der 
Geschäfte  jede  Gesellschaft  mied'.  —  Eine  crux  interpretum 
bilden  seit  jeher  die  Anfangsworte  des  Cap.  31:  o);  Se  ta  xora 
Tov  TeXXov  TCpo6Tp€t|;aTO  6  ZoXcov  tov  KpoTdov  eizaq  roXXa  te 
xat  5Xß(a,  eiueipcüta  Tiva  deurepov  \ux^  exeTvov  iBoi,  Sox£U)v  Tzirf/y 
SöiTspeta  7<ov  ofoec6at.  Dass  hier  eine  Textesstörung  vorliegt, 
dies  lassen  uns  schon  die  ebenso  gewagten  als  weit  ausein- 
ander gehenden  Uebertragungsversuche  der  Uebersetzer,  gleich- 
wie die  verzweifelten  Auskunftsmittel  der  Erklärer  erkennen. 
In  der  That  entziehen  sich  die  Worte  jedem  sprachlichen 
Verständnisse  und  jeder  vernünftigen  Auslegung.  Denn  weder 
ist  es  erlaubt,  mit  Stein  zu  izpotzpi^oczo  ein  ,sc.  etpu)Tav'  hinzuzu- 
denken oder  besser  zu  dichten,  noch  konnte  (wie  schon  Herold 
dargethan  hat)  die  Schilderung  jenes  schlichten  BUrgerglücks 
den  stolzen  König  von  Lydien  ,immer  begieriger*  machen 
weiter  zu  fragen  (Lange),  noch  lässt  sich  Krtiger's  Deutung: 
,als  Selon  die  Vorzüge  des  Teiles  dem  Krösus  einleuchtend 
gemacht    hatte*   mit    den   überlieferten   Worten    irgendwie    in 


Herodotoiiek«  Bt^di«n  I.  168 

Einklang  bringen;  RawHnson  endlich  (;thas  did  Solon  ad* 
moniah  Croeaus  by  the  example  of  Tellua,  enmnerating  the' 
manifold  particulara  of  bis  happiness;  when  he  had  ended^  etc.) 
vermeidet  zwar  einige  der  Klippen^  an  denen  seine  Vorgänger 
gescheitert  waren;  ohne  jedoch  seinerseits  in  den  sicheren  Port 
einer  befriedigenden  Uebertragung  einzulaufen J 

Ich  verändere  mit  G.  Herold  (Jahrb.  f.  Philol.  1857,  S.  424) 
e?xa?  in  cTirai,*  will  aber  keineswegs  mit  dem  trefflichen  Gelehrten 
Solon  und  Krösus  ihre  Stellen  vertauschen  lassen,  sondern  den 
Satz  wie  folgt  verstanden  wissen:  ,Als  nun  Krösus  nothge- 
drungen  das  Loos  des  Tellos  hoch  und  glücklich  gepriesen 
hatte,  da*  u.  s.  w.  War  es  denn  —  so  frage  ich  —  denkbar, 
dass  ein  Meister  der  Darstellung,  wie  Herodot  es  ist,  uns  von 
der  Art,  wie  Krösus  die  Mittheilung  des  Solon  aufnimmt,  kein 
Sterbenswörtchen  berichtet?  Nahm  der  König  dieselbe  starr  und 
stumm  wie  ein  Steinbild  entgegen,  ohne  ein  Wort  der  Zustim- 
mung oder  auch  des  Widerspruchs  zu  finden?  Jedenfalls  musste 
ein  guter  Erzähler  uns  auch  dies  ausdrücklich  sagen  und  durfte 
es  nicht  blos  zwischen  den  Zeilen  lesen  lassen.  Wenn  nun 
aber  (nach  meiner  Auffassung  der  Stelle)  der  steinreiche  lydi- 
sche  Fürst  das  Loos  des  einfachen  athenischen  Bürgers  mit 
vollen  Backen  preist,  halb  aus  HöfUchkeit  gegen  den  gefeierten 
Gastfreund,  und  zur  grösseren  Hälfte  um  fien  Ausspender  des 
zweiten  Glückspreises  bei  guter  Laune  zu  erhalten  (Soxeiov 
'Kdy/y  BsütepsTa  ^wv  orffeo6d«I)  —  wie  heiter  musste  dies  doch  den 
antiken  Leser  stinunen  und  mit  welchem  schmunzelnden  Behagen 

*  RpoTp^rEaOat  heisst  nicht  schlechtweg  ,ermahnen'  (und  auch  dieser  Be- 
griff würde  dem  Znsammenhang  nicht  wohl  entsprechen,  sondern  besten- 
falls jener  des  Belehrena),  sondern  ,antreiben,  drängen,  nOthigen',  sei 
es  man,  dass  ein  nachfolgender  Infinitiv  oder  dasa  ein  Aecosativ  mit 
9Cpd(  oder  fr{  die  erforderliche  Oedankenergänzung  bietet  (vgl.  Herold 
a.  a.  O).  —  Auch  EinEiv  Ttva  izoXXa  ie  xal  oXßia  kann  nicht  das  bedeuten, 
was  Rawlinson  es  bedeuten  lässt.  Man  vergleiche  beispielsweise  Sophocl. 
Electr.  523:  xaxro;  hi  az  Xiyto^  frg.  trag,  adesp.  447:  ouSei;  Sv  etnot  xetvov 
&vOpa>n(t>v  xax£<,  Chaeremo  frg.  24:  ov^  cu{  vofJi(CEic  tb  ^poveTv  tlna^  naat&i 
und  daneben  Aristoph.  Eecles.  435:  xht^  (ilv  Yuvatxa«  nokV  ayaO«  Xsyei,  0^ 
SijljcoXXa  xaxa.  Und  hieran  vermag  das  Hendiadjoin  jcoXXat  ie  xai  oXßt« 
nichts  zu  lindem ;  s.  Krüger  69,  32,  3  und  (worauf  Stein  verweist) 
Herod.  VIÜ,  61,  9—10;  IX,  107,  15—16. 

'  Mehrfkche  Beispiele  derselben  Buchstabenverwechsinng  eben  in  den 
Herodot-Handschriften  habe  ich  Krit.  Beiträge  m,  14  snsammengesteUt. 

11* 


164  Oonperi. 

mochte  er  aus  dem  nächsten  Abschnitt  ersehen,  dass  der  Liebe 
MtLhen  umsonst  gewesen,  dass  die  dem  griechischen  Lebens- 
ideal  widerwillig  dargebrachte  Huldigung  unbelohnt  geblieben 
war.  —  Der  Wechsel  des  grammatischen  Subjects  kann  ange- 
sichts der  weit  grelleren  Fälle,  wie  sie  uns  insbesondere  1, 33, 
I,  114,  21—22,  VI,  30  in.,  VH,  208,  18—19  aufstossen,  ni^t 
im  Mindesten  befremden.  Die  Phrase  icoXXd  te  xat  5Xßta  endlich 
gewinnt  einen  eigenthümlich  ironischen  Beigeschmack,  wenn 
man  sich  der  ganz  anders  gearteten,  auf  Fürstenmacht  und 
Herrseherglanz  bezttgUchen  Anwendung  dieser  Wortverbindung 
erinnert,  welche  uns  in  der  allbekannten  Sardanapal-Orabschrift 
begegnet  (Choeril.  Samii  quae  supers.,  ed.  Näke,  p.  196): 

xepTv'  iTCaOov,  xa  8^  xoXXä  xal  5Xßia  icavia  XeXsiTTcai. 

Cap.  32,  12  erörtert  Selon  die  Frage  nach  dem  Werth 
des  Reichthums  und  gelangt  hierbei  zu  folgendem  Ergebniss: 
Der  Steinreiche,  aber  im  Uebrigen  vom  Glücke  nicht  Begün- 
stigte  besitzt  vor  dem  massig  Bemittelten,  aber  sonst  Glück- 
lichen zwei,  dieser  aber  vor  jenem  vielerlei  Vorzüge.  Die  zwei 
Vortheile  des  Ersteren  bestehen  in  der  Fähigkeit,  einen  schweren 
Schicksalsschlag  leichter  zu  ertragen  und  eine  Begierde  leichter 
zu  befriedigen.  Die  vielerlei  Vorzüge  des  Letzteren  aber  setzen 
sich  aus  all'  den  Segnungen  zusammen,  die  das  GUick  seinen 
Günstlingen  gewährt  und  über  welche  der  Besitz  von  Geld 
und  Gut  keinerlei  Macht  verleiht.  Dieser  klare  und  so  weit  er 
reicht,  richtige  Gedanke  ist  aber  durch  ein  altes  Missverständ- 
niss,  welches  die  Interpunction  verderbt  und  die  Einschaltung 
der  Adversativ-Partikel  Be  am  unrechten  Orte  veranlasst  hat, 
bis  zar  Unkenntlichkeit  entstellt  worden.  Man  verstand  und 
versteht  nämlich  die  Worte  laOra  Ik  ilj  euxuxiifj  o\  dii:ep6xet  dahin, 
als  ob  der  wenig  begüterte  eutu^i^c;  auch  von  jederlei  Schicksals- 
schlag und  vor  jedem  Verlangen  bewahrt  bliebe.  Wäre  aber 
dies  richtig,  dann  hätte  ja  der  [Ur^a  xXou^io^  dLvdXßeo^  li  vor  seinem 
Widerpart  nicht  etwa  ,nur  zwei  Vorzüge*  (SuoTm  «poexei  — 
[jLouvov),  sondern  überhaupt  keinen  voraus!  Denn  wenn  dem  A 
ein  Heilmittel  gegen  eine  Krankheit  eignet,  B  hingegen  das 
Heilmittel  entbehrt,  aber  von  der  Krankheit  ohnehin  verschont 
wird,  wo   bleibt  dann  A's  Vorzag?  Man  übersetze  die  Stelle 


H«rodotei86he  Studien  I.  165 

(und  schreibe  die  fraglichen  Worte)  vielmehr  also:  ,Der  gewaltig 
Beiche,  aber  im  Uebrigen  Unglückselige  besitzt  nur  zwei 
Vorzüge  vor  Jenem,  welchem  das  Glück  hold  ist,  dieser  aber 
Tor  dem  Reichen  und  Unglückseligen  gar  viele.  Der  Letztere 
ist  vermögender  eine  Begierde  zu  befriedigen  und  einen  Schick- 
salsschlag, der  ihn  trifft,  zu  ertragen ;  Jener  aber  hat  Folgendes 
vor  ihm  voraus.  Einen  Schicksalsschlag  freilich  und  eine  Be* 
gierde  zu  tragen  ist  er  nicht  gleich  vermögend,  allein  vor  dem 
was  ich  nunmehr  nennen  will^  bewahrt  ihn. sein  günAtiges  Ge* 
schick:  er  ist  frei  von  Gebrechen,  von  Siechlhum  und  von 
Leiden  —  mit  Kindern  gesegnet  und  mit  Schönheit  (Taura  8s 
IQ  euTux^i]  o\  oeTcepuxet'  anjpo^  [bk]  eori  drvouffo^  dica6^  xoou5y,  eCxat^ 
euetBif«;).  Wenn  er  nun  überdies  noch  sein  Leben  wohl  be* 
schliessen  wird,  dann  hast  du  den  Mann  gefunden,  den  du 
suchst;*  er  verdient  es,  glückselig  zu  heissen.'  —  Zweierlei,  so 

1  Die  Worte  oÜio;  ixEtvo;  r^v  au  (7)t^£i;  bilden  ein  in  sich  ab^scMossenes 
8atEgp1ied,  indem  die  Copnla  zn  oüro;  exetvo«  (genan  so  wie  zu  oV  cyeS, 
t^S^  exeivo,  9u  xeivo(  u.  dgl.)  hhiaugedacht  wird.  Vgl.'AiiBt.  Poet,  c  4 
(1448**,  16—17):  —  (MivOatveiv  xat  9uXXof^ioO«t  xl  exavtov,  oTov  oti  oIjtoc 
exEivo{.  Lucian.  Somn.  c.  11:  —  txoLvxoi  tov  3:Xy]a{ov  xivi)««;  dsf^ei  ve  T<j> 
SotxTuXo),  ov>TO{  exeTvo;  X^ycov.  Derselb.  Herodot.  s.  Aktion  §.2:  —  Ed€{xvuto 
Sv  TW  BaxTuXw*  o^To;  IxeTvo;,  *Hpo5oToc  eaiiv,  6  Ta$  p-ax^C  ^'^^'  Man  sieht, 
wie  nnmotivirt  Steines  Bemerknng'  ,ET:f  ist  von  seinem  Bezage  gesperrt' 
und  wie  grundlos  seine  angebliohe  Beasemng  o  oXßto;  statt  oXßio;  ist.  — 
«jn)po(  (in  den  meisten  und  besten  Handschriften  zu  ooKipoc  rersohrieben 
und  von  Heinsius  wieder  hergestellt)  bezeichnet  —  gleich  oX^xXijpo;  — 
den  im  Vollbesitz  seiner  Gliedmassen  und  im  Vollgenuss  seiner  geistigen 
und  leiblichen  Fähigkeiten  befindlichen  Menschen  und  ist  somit  das  an 
der  Spitze  dieser  Anfs&hlung  man  mOchie  sagen  allein  mögliche  Wort, 
das  man  sehr  mit  Unrecht  um  seiner  Seltenheit  willen  angefochten  hat. 
anaO^(  xaxuv  muss  man,  damit  es  eine  Species  neben  anderen  Speciea 
und  nicht  ein  allumfassendes  Genus  bedeute,  in  eingeschränkterem  Sinne 
als  z.  B.  n,  119,  13;  V,  19,  2;  VII,  184  in.  oder  bei  Plato  Phaedr.  250C 
verstehen,  wohl  von  Körperleiden  (vgl.  p,  384:  iidcvriv  üj  2Y]tf(pa  xaytjv). 
Der  Widerspruch,  der  darin  zu  liegen  scheint,  dass  der  Eijiu)fi{(  dennoch 
von  einer  gelegentlichen  atv)  getroffen  wird,  ist  mehr  sprachlicher  als 
sachlicher  Art.  In  Wahrheit  vergleicht  Herodot  nicht  sowohl  den  TsXouato^ 
mit  dem  euiu^iJ^,  als  den  :cXo-jto;  mit  der  zuxMyfJix.  Dass  die  letztere  in 
keinem  einzelnen  Falle  zu  vollständiger  Verwirklichung  gelangt,  dies 
gesteht  er  ja  alsbald  selbst  in  der  rückhaltlosesten  Weise  (ta  Ka^xa  (i.^v 
vuv  tauTa  vuXXaßEtv  av6po>7rov  e^vt«  «fiuvaT^v  laxi)*  Im  höchsten 
Grade  ungereimt  wHre  es  hingegen,  dem  eutu/tj;  —  wie  die  gegnerische 
Auffassung  dies  erheischt  —  jede  e;;iOu|jli*  {abzusprechen«  (Bereits  Werfef 


163  Oomperi. 

scheint  es,  hat  den  uralten,  schon  in  der  AnfUhrung  bei  Stobäus 
(Floril.  105,  63)  erkennbaren  Missverstand  verschuldet:  die 
minder  gewöhnliche,  aber  durch  eine  Fülle  von  Beispielen  auch 
bei  Herodot  gesicherte  Verwendung  von  ,o3to;'  mit  Bezug  auf 
Folgendes  (vgl.  Stein  zu  I,  137),  und  die  unerwartete  Wen- 
dung, mittelst  welcher  statt  der  Güter,  deren  der  Glückliche 
theilhaft  wird,  die  Uebel  genannt  werden,  vor  welchen  er 
bewahrt  bleibt,  woran  die  zwei  positiven  Glücksfactoren ,  die 
Solon  namhaft  macht,  nicht  ohne  eine  kleine  Unregelmässig- 
keit sich  anschliessen. 

Die  ganze  Stelle  ist  auch  darum  so  interessant,  weil  sie 
wohl  die  älteste  Anwendung  der  von  J.  St.  Mill  so  genannten 
Di£Perenz-Methode  auf  moralische  Gegenstände  enthält.  Herodot 
inll  die  damals  viel  verhandelte  Frage  über  den  relativen  Werth 
der  Lebensgüter  (man  vergleiche  vor  Allem  die  auffallend  ähnliche 
Erörterung  bei  Euripides  ftg.  287)  durch  ein  ideales  Experi- 
ment entscheiden.  Auf  der  einen  Seite  steht  der  Reichthum, 
zur  höchsten  Potenz  erhoben  und  von  seinen  natürlichen  Con- 
Sequenzen  begleitet,  aber  losgelöst  von  allen  sonstigen  Glücks- 
gütern; auf  der  anderen  Seite  der  Inbegriff  der  übrigen  Glücks- 
gaben :  leibliche  und  geistige  Integrität,  Gesundheit^  Schönheit, 
Kindersegen  (nicht  blos  der  quantitative)  —  und  nun  wird  aus 
dieser  Gegenüberstellung  die  Bilanz  gezogen.  In  methodischer 
Beziehung  mag  man  Piatos,  freilich  ungleich  geist-  und  lebens- 
volleres Experiment  mit  dem  unsichtbar  machenden  Bing  des 
Gyges  in  der  Republik  vergleichen. 

Die  der  irrigen  Auffassung  des  Zusammenhanges  entstam- 
mende Einschiebung  eines  hi  lässt  sich  in  unserem  Texte,  falls 
ich  nicht  irre,  noch  mehrmals  nachweisen,  am  sichersten  wohl 
Vm,  137 :  ^Jaov  ^ap  to  itaXat  x«t  aü  TupovvfSe^  twv  avOptizwv  «o6e- 
v^e^  XP^Ixa«,  Oü  jxoövov  b  l9i\t.o^*  ilj  [^k]  vuvtj  toö  ßaciXso?  aux^i  toi  ama 
9fi  Jicsovs.  Stein  hat  hier  durch  eine  Umstellung  helfen  wollen, 
welche  eine  der  hervorstechendsten  Eigenthümlichkeiten  des 
herodoteischen  Sprachgebrauchs  einfach  wegwischt :  die  Voran- 
stellung des  begründenden  Nebensatzes,  gleichviel  ob  der  Haupt- 
satz  mit   einem  xai,    hi  oder   dXXol   an  das   frühere  angeknüpft 

wollte,  wie  seine  Andeutung  Acta  monac.  I,  98—99  lehrt,  xaSt«  auf 
das  folgende  beziehen;  doch  hat  er  diese  Auffassung  weder  begründet 
noch  in  ihre  Consequenzen  verfolgt.) 


Herodoteische  Stadien  I.  167 

wird,  oder  ob,  wie  an  unserer  Stelle,  jede  solche  Verbindung 
mangelt  (vgl.  Valckenaer  ad  loc).  Beispiele  des  letzteren  und 
selteneren  Falles  bieten  IV,  162,  2:  toöro  lici  wovtt  -yitp  T(p  8t86- 
fisvw  IXsY«,  TeXsütaTov  o\  e^dTcejA^e  Scopov  xxi  oder  VIII,  94,  24: 
TOUTa  XeYÖvTidv  dxtorseiv  -y^p  fbv  'A^effJtovTov,  aih'.^  TölSe  Xs^eiv  xtI.  *  — 
Missverstanden  ward  m.  E.  diese  Construction,  ohne  dass  jedoch 
mehr  als  die  Interpunction  darunter  gelitten  hätte,  auch  I,  112, 
17  ff.,  wo  ich  die  Sätze  wie  folgt  zu  verbinden  empfehle:  iiceX 
TOivuv  oh  $uva{Aai  ae  Tcei'Osiv  (jly]  exOetvat,  ob  ^k  (oSe  'tuoitjocv*  ei  3^  irdcaa 
Y«  (ys  Oaisf. ,  Bekk.  mit  den  besten  Handschriften)  ovöIyxij 
i^^vat   dxxcCfAevoVj^  xitoxa  ^ap  xat  eyci),  tsTOxa   5e  xeOveöq,   Toiho  jx^v 

tp^f<i)(JL£V. 

I,  38  spricht  Krösus  zu  Atys:  et?  ^ötp  |xot  jjioövo?  w^xaveic 
e«i)v  Tcot;'  TOV  yatp  Byj  Itepov  Sie^öapjjisvov  t^v  dcxo^v  oux  eTva(  (AOt 
XoYtCopwt.  Es  ist  traurig,  dass  man  wieder  die  Feder  ergreifen 
muss,  um  die  von  Reiz  vorgeschlagene  Tilgung  der  durch- 
schossenen Worte  von  Neuem  zu  empfehlen.  Freilich  brauchte 
,die  Sage^  es  nicht  zu  achten,  dass  ,der  bisher  taubstumme 
Sohn'  des  Krösus  bei  der  Einnahme  von  Sardis,  als  er  vor 
Schreck  und  Aufregung  die  Sprache  gewinnt,  ,Bofort  dem 
Perser  verständhch  spricht  und  den  Namen  seines  Vaters'  weiss 
(Stein  zu  I,  85).  Allein  Herodot  kennt  ihn  eben  nur  als  stumm. 
Er  nennt  ihn  I,  84  Ta  (4.ev  aXXa  £i7teixi4(;,  dt^covog  $e  und 
wieder  85  6  $e  icoi?  outo?  6  a^fovo?,  desgleichen  34  tü)v  oikepo? 
|i4v  Ji^^OapTo,   ijv  Y«P  ^^  xwfö?,    was    (wie  der  Orakelvers ^ 


^  Andere  Beispiele  siehe  bei  Melander,  De  anacoluthis  Herodoteis  p.  64 — 65. 

*  An  der  Stelle,  wo  der  Hirt  den  Befiehl  empfSngt,  das  Leben  des  kleinen 
Cyms  unter  keinen  Umständen  zn  verschonen,  liest  man  (I,  110  fin.): 
)lv  {x^  a3:oxTE(vif)(  'aOrb  aXXa  iecu  zpoizta  ;:£piicoiij7T)  — .  Nicht  quodam 
modo,  sondern  quocunque  modo  verlangt  jedoch  der  Zusammenhang 
(anjhow  übersetzt  Bawlinson  mit  Recht).  Also:  aXX^  oteo)  xp^nu)  wie 
II,  121,  3:  OT£ü)  ipoTio)  Sivaiai  — . 

'  Als  ein  Curiosum  mag  es  gelten,  dass  Stein  auch  bei  dieser  Stelle  an 
der  Bedeutung  taubgeboren,  d.  h.  taubstumm,  festhält  und  den  Vers 
nunmehr  wirklich  so  übersetzt,  wie  ich  Zeitschr.  f.  Österr.  Gymn.  1867, 
445,  um  seine  Auffassung  ad  absurdum  zu  führen,  scherzhaft  empfohlen 
hatte.  Oder  vielmehr  womöglich  noch  verkehrter,  nämlich  nicht:  ,Und 
den  Tauben  vernehm  ich*  —  sondern:  ,Merk'  den  Gedanken  des 
Tauben  und  hOre  die  Sprache  des  Stummen.*    In  Wahrheit  bedeutet 


168  Gomperz. 

y.a'.  xii>fou  (7uviv](At  xat  ou  9<ovEuvto{  axo6(i>  Cap.  47,  3  lelut)  auch 
bei  Herodot  wie  sonst  mehrfach  ,8tummS  nicht  ,taub'  be- 
deutet; und  endlich  musste  denn  der  Vater  dem  Sohne  erst 
sagen,  welches  das  Gebrechen  seines  Bruders  sei,  ja  kam  es 
denn  in  diesem  Zusammenhange  überhaupt  darauf  an  und  nicht 
vielmehr  blos  darauf,  dass  der  unglückliche  Prinz  Bie^Oopii^vo^ 
und  nicht  6X6xXiQpo^  sei?  Nicht  weil  er  taub  oder  stumm  oder 
auch  taubstumm,  sondern  weil  er  ein  Krüppel  und  somit  zur 
Uebemahme  der  Regierung  unfähig  ist,  darum  zählt  er  dem 
königlichen  Vater  so  wenig,  als  ob  er  nicht  vorhanden  wäre. 
Der  Satz,  in  welchem  Herodot  sein  Befremden  über  die 
plumpe  List  ausspricht,  mittelst  welcher  Peisistratos  seine  Rück> 
kehr  nach  Athen  bewerkstelligt  hat,  60,  10  ff.,  scheint  sich 
mir  ohne  Annahme  einer  Lücke  jeder  verständlichen  Deutung 
zu  entziehen.  Denn  die  geistige  Ueberlegenheit  der  damaligen 
Griechen  über  Nichtgriechen  und  der  Athener  über  die  sonsti- 
gen  Griechen  macht  jenen  Vorgang  zwar  erstaunlicher  oder 
wenn  man  will  unbegreiflicher,  aber  nicht  einfältiger'  als  er 
an  sich  ist,  und  somit  vermag  ich  nicht  abzusehen,  wie  der 
Hinweis  auf  jene  Thatsachen  das  Urtheil  eüigSsoraTov  —  [Aaxf<j>  irgend 
zu  begründen  im  Stande  ist.  Und  pflegt  sich  denn  unser  Gre- 
schichtschreiber  sonst  so  unbeholfen  auszudrücken ,  wie  es  hier 
der  Fall  ist:  |JLt;xav60VTai  —  TcpiiYjxa  cur^ösaropcov  —  €•  xal  Tore  — 
(AiQXA^^ovTai  toioiSe?  Es  muss  ein  kleines  Satzglied  ausgefallen 
sein,  welches  eben  der  Verwunderung  des  Historikers  directen 
Ausdruck  Heh.  Ich  setze  ein  solches  beispielsweise  ein:  —  iaij- 
5^av£0VTat  Bt]  stci  -nj  xaröBo)  Tcp^Yixa  euijOeararov,  ox;  s^u)  eOpivxü),  [ka- 
xpc^.  (6(i)u[Jia  Y<xp  (JLOt),  erei  ve  a7;sxpi6Y]  £x  icaXatT^pou  toO  ßotpßdpdu  [i6- 


der  Orakel vers,  ohne  jeden  Pleonasmus:  ,Ich  verstehe  das  Lallen 
des  Stummen  und  ich  höre  den,  der  keinen  Ton  von  sich  gibt.*  Ebenso 
werden  (juv{Tjji.i  und  axouto  verbunden  bei  Hippocr.  VIII,  671  Littr^: 
—  xai  [L^  axoucüv,  fi7]$k  ^uvieU,  OavaTtod?}; ;  oder  bei  Demosth.  Mldian. 
§.  50:  Et  lauT^  axouaaiEv  xat  9uve?ev  ol  ßdtpßapoi.  Die  unarticulirten 
Laute  des  Stummen  sind  ebenso  wenig  ouvet«,  wie  es  die  articulirte  Rede 
eines  Fremdsprachigen  ist;  vgl.  Herod.  ü,  57,  8. 

^  Freilich  mag  man  eine  Speculation  auf  die  Unbildung  oder  Leichtgläubig- 
keit eines  Volkes  um  so  einfaltiger  und  abgeschmackter  nennen,  je  wentjrer 
jene  Voraussetzung  zutrifft.  Doch  kann  dies  nur  dann  geschehen,  wenn 
der  Versuch  erfplglos  geblieben  war»  was  hier  eben  nicht  der  Fall  ist 


Herodotoische  ■Qtii<!i<>Q  I.  169 

veog]  *  TÖ  *EXXr|Vixbv  eöv  xal  SeJtüJTepov  xai  Eur|6aiT;(;  i^XtOtou  dmQXXoYjAevov 
(jLoXXov,  et  TKoi  t6t6  fe  ourot  ev  ^A6r^vaio(9t  toici  xpcitotOt  Xv(0\Lt>ovsi 
eTvai  *EXXi5^^^  ffo^^rjv  |jLT)xav60VTat  totaSe.  Vgl.  IX,  65,  4:  6o)0{Jia  8e  [aoi 
5x<ix;  —  oh^k  et?  e^i^/fi  töv  Oepaecüv  xie.  (oder  VI,  123,  17  OcouiJia  iv 
{jLoi  XT£.)  .  Zur  Verbindung  von  OüjujjloII^ü)  und  dergleichen  mit  et 
(z.  B.  Vin,  8,  1  6(i)up.al^o)  S^  et  xk  XeYOfxevd  eori  ceXiQS^a)  mag 
man  die  analogen  Wendungen  der  englischen  Sprache  ver- 
gleichen :  I  marvel  oder  l  wonder  how,  why  u.  s.  w.,  was  ebenfaUs 
heisst:  ich  staune  und  frage  mich  wie,  warum  u.  s.  w.  Diese 
Ausdrucksweise  ist  bei  Herodot  mehrfach  verkannt  worden, 
so  IV,  30  in. :  Ocoufxd^u)  ^k  —  Sti  (lies  o  ti)  ev  ttj  'HXeiyj  icatot]  x^PT) 
oü  Büvdflcrat  y^'veaöat  t^jjiCovoi.  Denn  die  Verbindung  6ü)U{Aal^ü)  Stt  wird 
man  bei  unserem  Autor  vergebens  suchen,  hingegen  entspricht 
dieser  Stelle  aufs  Genaueste  VHI,  65,  15:  ditoOwuiJLfltl^etv  t^  ofea? 
tbv  xoviopTov  5Teh)v  xore  ew)  dv6po)TCU)v.  —  Ueblere  Folgen  als  hier 
hat  das  Missverständniss  Vü,  125  fin.  gehabt,  wo  es  die  Inter- 
punction  gestört  und  (irre  ich  nicht)  auch  eine  Interpolation 
veranlasst  hat.  Ich  lese :  6(i)u[jLaZ^(i>  ^k  xb  ahiov  b  xt  xoxe  )Jv,  x(i>v 
aXXcov  [xb  avorptaljov]  axexopi^voüq  xob?  Xdovxac;  xi^at  xapLijXotffi  eiti- 
TiÖ6ff6at  — .  ,Ich  frage  mich  verwundert,  was  wohl  die  Ursache 
gewesen  sein  mag,  dass'  u.  s.  w.  Gleichfalls  sprachwidrig 
oder  doch  dem  herodoteischen  Sprachgebrauch  zuwiderlaufend 
ist  die  Verbindung  von  bm\t.a  Trotesaöat  mit  icepi  c.  gen.,  wie  sie» 
an  einer  mehrfach  interpolirten  und  irrig  gelesenen  Stelle  be- 
gegnet^ die  ich  daher  lieber  zum  grösseren  Theil  hieher  setze; 
m,  22  fin.  sqq. :  i:po<;  xauxa  6  AtOio^^  ouS^v  1^  (so  statt  e^r] 
ou3ev  SVR)  6a)u|JLal^etv  et  a(xe6[Aev9t  xcrcpov  Ixea  okv^a  !^(i>9U9i'  ohhk  ^op 
Sy  xoffouxa  l^d^etv  SuvooOat  o^eac;  (statt  $.  1^.  97.  SVR),  et  piTi  x^  ic6- 
IMTci   ovi^epcv,   9pdCo)v    [xoist    ''Ix^ooforfovsi   secl.    Krüger]    xbv  oTvov 

1  xb  ßapßapov  eOvo;  kann  anm{$glich  das  gesammte  barbarische  Wesen  be- 
zeichnen, welches  hier  dem  ganzen  hellenischen  (ib  'FXXyjvixov  z.  B. 
I,  4  fin.;  I,  68  in.  u.  s.  w.,  ebenso  xb  neXaaYtxov  I  57,  6)  entgegengesetzt 
wird,  xb  ßapßapov  gebraucht  genau  so  unser  Autor  VIII,  19,  18,  des« 
gleichen  Dionjs.  Halic.  (Antiquit.  rom.  I,  12  ss  I,  15,  22  KiessL) ,  der 
Nachahmer  Herodots,  der  I,  29  ein  Stück  aus  den  unmittelbar  vorher- 
gehenden Capiteln  57 — 58  anfuhrt.  Beil&ufig,  Sauppe's  Yerbessening  der 
wichtigen  Stelle  I,  58,  15—16,  lässt  sich  wohl  zugleich  etwas  sprach- 
gemXsser  und  minder  gewaltsam  also  gestalten:  —  au^xat  1;  7:Xi{0o< 
löv^wv  KoXXtüV,  xuiv  (OfiXaTifüiv)  {jiaXioxa  npo^Ksytoprixotto^  xxl.  Zu  r^ffio^ 
Wv^wv  JcoXXwv  vj^l.  I,  66,  15 ;  xai  zXifiii  ovx  pXfywv  ()iv$p<ü»v, 


170  Gomperi. 

TouTo  ^  Y^P  ^<*>'^ol)^  ^^  Il6pa£ü)v  69aoua6a(.  avreipotAdvcoy  ^k  [töv  ßocaiXda 
om.  SVR]  tGv  *Ix^'"^®?*Y*»^^  —  — •  Öwujj.«  Bs  ?:otsu(A^vu>v  twv  xara- 
ax6TCü)v  [xepi  twv  etdwv]  xt^. 

Doch  ich  kehre  von  dieser  Abschweifung  zurück.  I,  73, 
21:  o\  li  Toi/ra  icpbq  Kua^apecu  TzMrQeqj  &9T6  dva^ta  a^icov  otuTöv 
iceicovöore?,  ^ßoüXeucov  xt§.  Nicht  ein  Urtheil  des  Historikers  über 
die  den  Skythen  widerfahrene  Unbill  —  und  nur  dieses  könnte 
Äffte  (=  ÄTs)  aussprechen  —  sondern  ihre  eigene  Empfin- 
dung muss  hier  zum  Ausdruck  gelangen,  um  die  daraus  ent- 
springende Handlung  zu  motiviren.  Man  lese  also  &<;  fe,  wie 
es  in  ganz  ähnlichem  Zusammenhange  heisst:  6  Ih  eicsCte  (xerei^ 
tixi^rca,  o)?  ^e  8yj  ovaSi«  ^wutoü  itoOciv,  xtd.  (I,  114,  24,  vgl.  auch 
IX,  37,  17  und  Schweighäuser's  Besserung  zu  II,  10,  8).  Dass 
T  und  r  in  der  Ur-Handschrift  leicht  verwechselt  wurden,  kann 
auch  eine  andere  Stelle  lehren,  die  bis  auf  ein  Wort  bei  Stein 
in  Ordnung  gebracht  ist,  nämlich  H,  22,  19 — 21:  xö(;  wv  8^ 
^^01  dv  aitb  xi6^o^  (der  Nil),  dixb  töv  SepfjioTaKOv  ^eu>v  i^  ta  ^^jr^njpmpoi 
Ywv  ti  TToXXi  eoTt;  Ich  stelle  y<*^^  *^^8  "^«^^  l^^r,  welches  Stein 
tilgt,  obgleich  es  von  beiden  hier  weit  auseinander  gehenden 
Handschriften  -  Classen  dargeboten  wird  und,  da  es  die  Con- 
struction  nur  verwirrt,  nicht  wohl  absichtlich  eingeschoben  sein 
kann.  Die  abschwächende  Partikel  ist  hingegen  sehr  wohl 
an  ihrem  Platz:  ,Wie  sollte  der  Nil  von  Schnee  her  fliessen, 
da  er  aus  den  allerheissesten  Erdstrichen  in  solche  fliesst,  die 
(zwar  nichts  weniger  als  kalt,  aber)  mindestens  doch  zum 
grossen  Theile  kälter  (und  nichts  destoweniger  völlig  schneelos) 
sind?*  Man  bedenke,  dass  vonNubien  und  Egypten  die  Rede  ist.* 

I,  77,  15  erscheint  in  der  Handschriften-Familie,  welche 
ich  die  erste  nenne,  eine  jener  vollständig  sinnlosen  Lesarten, 
unter  denen  sich  so  oft  das  Ursprüngliche  zu  verbergen  liebt. 
Krösus    und    Cyrus    hatten  in   heissem ,    aber    ergebnisslosem 

*  Nach  Gaisford  wird  das  minder  elegante  touto»  nur  von  drei  Hand- 
schriften, dem  Schellershemianufl  oder  Florentinus  (Stein*8  C)  und  zwei 
Parisini  geboten,  nach  Stein  hingegen  (dessen  wunderliche  Methode  der 
Varianten-Angabe  wir  sattsam  kennen  lernten)  ist  touto  vom  Vaticanus 
und  der  Aldina  allein  bezeugt.    Jedenfalls  bietet  es  der  Vindobonensis. 

3  Verwechslungen  von  te  und  ye  sind  in  unserem  Text  schon  vielfach 
nachgewiesen  worden.  Sollte  nicht  auch  III,  35,  17  zu  schreiben  sein: 
(o;  |jL^v  iytü  T£  (so  Dobree  und  Bekk.  statt  ^^yi)  ou  (xaNopiat  ye  (ts  SV) 


Herodoteischt  Stadien  I.  171 

Kampfe  mit  einander  gerungen,  bis  die  einbrechende  Nacht 
die  Streitenden  trennte.  Am  nächsten  Tage  trat  Kr^tsus  in 
der  Absicht,  seine  unzulänglichen  Streitkräfte  zu  verstärken, 
den  Rtickzug  an,  da  Cyrus  ihn  nicht  angriff.  Nein!  —  da  er 
ihn  ,nicht  wieder  angriff*^  (Stein),  ,nicht  wieder  herankam' 
(Lange),  ,did  not  repeat  the  attack'  (Rawlinson),  wie  die 
Natur  der  Sache  zu  übersetzen  zwingt;  allein  der  gangbare 
Text  erhebt  dagegen  Einsprache,  denn  aus  seinem  A;  tyJ  üorrepaiTj 
oux  eicsiporo  6xi(j>v  6  KOpo;  lässt  sich  unmöglich  etwas  Derartiges 
herauslesen.  In  SVR  hingegen  liest  man  statt  iwfbv  vielmehr 
Sn  [Jisvetv,  d.  h.,  wenn  nicht  Alles  täuscht:  eicaveXöeiv!  (Aus 
€nAN€Ae€IN  ward  CTIM€N€IN;  die  falsche  Lesung  671  statt 
€n  begegnet  in  der  ersten  Handschriften-Classe  auch  III,  78, 
13,  wo  R  und  S  Iti  ^(rceo);,  V  mit  ausnahmsweise  weiter  greifen- 
der Verderbniss  Scrct  iffTEG);  bieten  statt  sTreateo)?;  desgleichen  zeigt 
der  öfter  vorgekommene  Ausfall  einzelner  Buchstaben,  dass 
der  Stammcodex  gedrängt  geschrieben  war  und  die  Lesart 
ixiejii.6vov  [in  R]  statt  eiciO^jxevov  [III,  63,  10]  weist  auf  eben  das 
schmale  6  hin,  welches  unsere  Voraussetzung  hier  erfordert.) 
Schliesslich  mag  Schweighäuser's  Lexikon  lehren,  dass  die 
Verbindung  von  xsipaiöj».  mit  dem  Infinitiv  bei  Herodot  nicht 
seltener  ist  als  jene  mit  dem  Particip.  Dass  aber  der  Redacteur 
des  Textes  der  zweiten  Handschriften-Classe  ohne  Rücksicht  auf 
die  wirren  Zeichen,  die  der  Archetypus  darbieten  mochte,  das 
halbwegs  passende  e7rt(i)v  schrieb,  dies  stimmt  vortrefflich  zu 
der  Vorstellung,  die  wir  uns  von  diesem  dreisten,  aber  keines- 
wegs imgeschickten  Kritikaster  bilden  müssen. 

I,  94  fin. :  avTt  ^k  AuBwv  [jLeTovo[jLa90i}va(  ouTouq  ewl  tou  ßaatX£o; 

[ivo|xao6r;vai]  Tuptyirjvou;.  Dass  der  Satz  so  zu  interpungiren  ist, 
hat  Herold  (a.  a.  O.  S.  436)  in  einer  Darlegung  erwiesen,  die 
darum  nicht  weniger  überzeugend  iöt,  weil  sie  die  jüngsten 
Herausgeber  nicht  überzeugt  hat.  Dieselben  gehen  wieder 
hinter  Herold  zurück  —  indem  sie  den  einheitlichen  Satz  durch 
stärkere  Interpunction  hinter  dvi^va^e  in  zwei  Hälften  zerreissen 
—  statt  über  denselben  hinauszuschreiten.*  Denn  5vc[ji.ac0^vai  ist 
sicherlich  zu  tilgen,  da  es  das  eng  zusammengehörige  dvrl  Ss  AuBcjv 
)ASTovo{Aaa6i)vat  TupoY;vo6^  ,8tatt  Lyder  zu  heissen,  hiessen  sie  nun- 
mehr   Tyrrhener*   auseinander    zerrt  und    jede  legitime  Cou- 


17^  Gompers. 

struction  unmöglich  macht.  Man  vergleiche  IV,  155,  10:  Botto?  Ik 
)ji€Tu>vo|AoeffOv],  was  ja  gleichfallB  besagt  ,er  wurde  zu  Battos  um- 
getauft', oder  Vni,  44,  27  (worauf  Herold  selbst  verwies): 
*A8Y)vaToi  {jLet(i>vo(Aao6Y)aav  ,sie  veränderten  ihren  Namen  und  hiessea 
fortan  Athener^  oder  auch  Antiochos  von  Syrakus  bei  Dionys. 
Halic.  Antiquit.  rom.  I,  12  (1, 15,  25  Kiessl.):  a^'  ou  (AeTcovoii^aoOiyrcEv 
iTaXo'!.^  In  ähnlich  brachylogischer  Weise  werden  auch  andere 
Verba  gebraucht,  wie  sTCovopOoucööti,  {jLetorriOeoOat,  eX^^x^^^  (vgl-  Stall- 
baum zu  Plato's  Euthyphro  9D).  An  aU'  diesen  Irrungen  ist  der 
kleine  Zwischensatz  3^  o^eaq  ä'rfy^oc^e  allein  schuld,  da  er  ,die 
nachdrückliche  Wiederholung  des  Satzgliedes^  zu  dessen  näherer 
Bestimmung  er  dient,  durch  das  Demonstrativum'  veranlasste^ 
(Herold).  Die  gleiche  Ursache  und  die  gleiche  Wirkung  wird 
uns  noch  einmal  (zu  HI,  97)  begegnen. 

Habe  ich  Unrecht,  einen  Scrupel  nicht  verwinden  zu 
können,  der  mir  bei  der  Leetüre  von  I,  105  (fin.)  immer 
wieder  von  Neuem  aufsteigt?  Die  Erzählung  von  der  Plünde- 
rung des  uralten  Heiligthums  zu  Askalon  durch  die  Skjrthen 
und  der  göttlichen  Ahndung  dieses  Frevels,  der  Verhängung 
der  ^\ea  voüao(;  über  die  Plünderer  und  ihre  Nachkommen, 
schliesst  mit  den  Worten:  üxrce  &[kOL  "ktfowi  xe  oi  SwjOat  2ta  tout6 
Q^eoL^  vo(7^etv  xal  6pav  7:ap'  IcouToTai  tou^  aictxv£0|Aevou^  e^  t^iV  SxuOtx^v 
X(opt;v  b)^  Biix^oToci  Tob^  xaXeouai  'Evapea^  ol  ZxuOai.  Ich  komme 
über  das  folgende  Dilemma  nicht  hinaus:  Entweder  Herodot 
hält  seine  skythischen  Berichterstatter  für  vollkommen  verläss- 
liche und  auch  seinen  Lesern  gegenüber  Rlr  ausreichende 
Zeugen;  warum  legt  er  ihnen  dann  jenen  Appell  an  das  Zeug- 
niss  der  ihr  Land  besuchenden  Fremden  in  den  Mund?  Oder 
es  steht  anders;  warum  beruft  er  sich  dann,  da  er  ja  doch 
Skythien  selbst  bereist  hat  (vgl.  insbesondere  IV,  81 — 82)  und 
überdies  am  Pontus  die  reichhaltigsten  und  genauesten  Erkundi- 
gungen über  Land  und  Leute  einziehen  konnte,  nicht  auf  die 
eigene  Autopsie  oder  auf  das  directe  Zeugniss  seiner  Lands- 
leute? Kurz^  was  soll  diese  Bekräftigung,  die  keine  solche  ist 
—  was  die  mittelbare  Beglaubigung  einer  Nachricht  dort,  wo 

^  Beiläufig,  ebendaselbst  Z.  28  muss  man  lesen:  oZxbi  S^  (nicht  Sk,  da  aus 
dem  Vorhergehenden  das  Facit  gezogen  wird)  SixeXoi  x«\  ^Upr^tt^  rf^vovto 
xtl.;  desgleichen  ist  Z.  21  nach  ra  r.\T:6xaLZ0L  xal  9a^i<nxvoi  offenbar  ein 
particip  ausgefallep,   etwa  9uvO«((  pd^r  c»Xc{d(|Asvo(. 


Herodoteiach«  Studien  I.  17  S 

eine  unmittelbare  so  leicht  zu  erreichen  war?  Und  nicht  nur 
erreichbar  war  dieselbe^  sondern  Herodot  hat  sie  zweifelsohne 
wirklich  erreicht,  da  er  an  einer  späteren  Stelle  (IV,  67)  die 
Enareer  nicht  im  Mindesten  als  problematische  Wesen  betrachtet 
und  über  ein  Detail  ihrer  Lebensweise  ganz  und  gar  nicht  wie 
nach  unsicherem  Hörensagen  berichtet.  Ich  vermuthe  daher, 
dass  der  Text  hier  schweren  Schaden  gelitten  und  ursprünglich 
wie  folgt  gelautet  hat:  &axe  &\La  Xe^ouai  xe  cl  ZxuOae  Bca  touto  c^taq 
voaiecv  %a\  6pav  icapeaTi  toTai  d?r(xveo(Jt.€VO(a(  iq  tv)V  ZxuOex.Y)v 
X<<*pTQv  %xi.  Die  Aussage  der  Skythen  über  die  einstige  Ent- 
stehung der  Krankheit  und  der  Augenschein,  welcher  ihr 
gegenwärtiges  Dasein  bekundet,  treten  —  sich  wechselseitig 
stützend  und  erklärend  —  neben  einander.  <  Wie  überrascht 
war  ich  einstens,  aus  Rawlinson's  Uebertragung  zu  ersehen, 
dass  er  die  Stelle  fast  genau  so  wiedergegeben  hat,  als  stünde 
sie  ihm  in  der  von  mir  vermutheten  Gestalt  vor  Augen  (vgl. 
Zeitschr.  ftlr  österr.  Qymn.  1859,  820),   nämlich   also:    ,They 


*  Ich  berafe  mich  zur  Bestätigung  meiner  Yermuthung  nicht  auf  die 
Stelliing  von  t^  nach  X^oum,  denn  an  Beispielen  derartiger  Hyperbata 
fehlt  es  keineswegs  bei  Herodot  (vgl.  Stein  zu  I,  207).  Wohl  aber  war  es 
an  sich  wenig  wahrscheinlich,  dass  der  Relativsatz  tou;  xoX^ouvi  ^Evipeac 
oX  £xu6at  von  einem  Hauptsatze  abhängen  sollte,  in  welchem  oi  IxuOai 
gleichfalls  das  Subject  ist:  ,die  Skythen  sagen  .  .  .  dass  man  bei  ihnen 
jene  Menschen  antrifft,  welche  die  Skythen  Enareer  nennend  Und  dieser 
sprachliche  Anstoss,  den  ich  wenigstens  nicht  wegzuräumen  weiss,  nOthigt 
mich  an  meiner  Hypothese  festzuhalten,  während  meine  sonstigen  a;:op{ai 
sich  vielleicht  (wie  ich  nicht  verhehlen  will)  durch  eine  noch  weniger 
gewaltsame  X6ai;  beseitigen  Hessen.  Man  könnte  nämlich  im  Uebrigen 
die  fiberlieferte  Textesgestalt  durch  eine  nicht  allzu  gewagte  Annahme 
am  rechtfertigen  versuchen.  Man  brauchte  blos  vorauszusetzen,  dass  He- 
rodot, als  er  jene  Worte  schrieb,  seine  Pontusreise  noch  nicht  gemacht 
hatte  und  es  späterhin  nicht  der  Mühe  werth  fand,  die  Stelle  zu  ändern. 
Verfasste  er,  wie  ich  mit  Kirchhoff  glaube,  die  ersten  Bücher  zu  Athen, 
so  mochte  etwa  die  dortige  Polizei- Wachtstube  der  Ort  sein,  wo  er  seine 
ersten  Erkundigungen  über  Skythien  einzog,  und  Mitglieder  des  Corps 
der  Speusinier  könnten  es  gewesen  sein,  welche  die  Wahrheit  ihrer  Er- 
sählung  von  dem  göttlichen  Strafgericht  zu  Askalon  durch  die  Versiche- 
rung besiegelten:  man  brauche  nur  ihr  Land  zu  besuchen,  um  sich 
von  dem  wirklichen  Vorhandensein  der  Enareer  zu  überzeugen.  Unter 
dieser  oder  einer  ähnlichen  Voraussetzung  verlöre  unser  Einwurfe  ,i{ 
{AapT6p(ov  II  SXXcuv  oxouEiv  hii  \i*  &  y*  E?<7opav  xapa;'  (Orest.  632 — 533)  aller- 
dings seine  Geltung. 


174  Gompart. 

themselves  coufess  that  tliey  are  afflicted  with  the  disease 
for  this  reason,  and  travellers  who  visit  Scythia  can  see 
what  a  sort  of  disease  it  is.  Those  who  suffer  from  it  are 
calied  Enarees/ 

Und  da  ich  einmal  der  skythischen  Enareer  gedenken 
muBste,  so  will  ich  nicht  von  ihnen  scheiden,  ohne  die  alte 
Mähre,  dass  das  skythische  Wort  ,von  Hippokrates  durch 
ovavJpiKJ^  übersetzt'  sei  (so  Stein,  aber  auch  viele  Andere), 
hoffentlich  für  immer  zu  beseitigen.  avovSpni^j;  ist  weder  ein 
griechisches  Wort,  noch  in  irgend  welcher  zulässigen  Weise 
gebildet;  und  seit  wann  bedient  man  sich  denn  zu  lieber- 
Setzungszwecken  einer  Neubildung,  auch  einer  statthaften, 
dort  wo  der  gangbare  Sprachschatz  uns  mit  einer  vollkommen 
ausreichenden  Bezeichnung  versieht?  Warum  übertrug  der  Vater 
der  Heilkunst  das  skythische  Wort  nicht  durch  avavBpoi  statt  zu 
dem  abenteuerlichen  avor^Spiet*;  zu  greifen?  Aber  er  wollte  über^ 
haupt  nicht  übersetzen,  sondern  die  fremdländische  Benennung, 
wie  er  mit  sonnenklarer  Deutlichkeit  sagt  (xaXsuvrai  xe),  seinen 
Lesern  mittheilen.  Woher  stammen  also  die  ovavSptsl;,  die  man 
im  hippokratischen  Texte  findet?  Auf  richtiger  Fährte  war  einzig 
und  allein  Karl  Neumann,  als  er  die  Vermuthung  aussprach,  ,die 
Abschreiber'  hätten  ,da8  ihnen  unbekannte  barbarische  Wort 
dem  Sinne  nach  gräcisirt,  ohne  ihm  eine  vollkommen  griechische 
Form  zu  geben'  (Die  Hellenen  im  Skythenlande  162,  Anm.  2). 
Was  steht  aber  in  Wahrheit  in  den  besten  unter  den  wenigen 
Handschriften,  durch  welche  uns  das  Buch  iztpi  deepcov,  uSorcuv 
%a\  Toitwv  überliefert  ist?  Der  Parisinus  2146,  der  Vaticanus 
276  und  der  Monacensis  71  (über  den  ersten  berichte  ich  nach 
Littr^,  über  den  zweiten  nach  Autopsie  und  über  den  dritten 
nach  W.  Meyers  freundlicher  Mittheilung)  —  also  drei  Ver- 
treter der  besseren  Handschriften-Familie  (vgl.  Kühlewein  im 
Hermes  18,  17)  —  bieten  überhaupt  nicht  dvav5pi£Tq,  sondern 
avSpiei?.  Man  schreibe  dvapt£i?  und  die  Finsterniss  ist  in 
Licht  verwandelt!  Der  nur  im  Ausgang  leicht  gräcisirte  arische 
Name  der  skythischen  ,Unmänner^  —  vielleicht  der  klarste 
Beleg  fUr  die  Richtigkeit  von  Müllenhoff's  Skythen-Hypothese 
— .  tritt  hier  vermöge  des  unversehrten  privativen  ,a'  noch 
deutlicher  hervor  als  in  der  bei  Herodot  erhaltenen  Wertform 
(vgl.   Zeuss    bei   Keumann,   S.    163).     Der  für   die   Sprachge- 


Herodoteiteke  Stedien  I.  175 

schichte  und  Ethnographie  so  belangreiche  Satz  des  Hippe- 
krates  aber  mufts,  wie  ich  denke,  also  gelesen  werden  (de  aer. 
aqu.  et  loc.  §.  22  in.):  "Ett  te  Tcpb^  Touxctct  euvouj^iai  •^(vovxai  ol 
TwXeToTct  SV  2x66Y)ai,  xal  -fuvasxTjiat  epvii^ovTZi,  yiai  u>^  cA  Y^vaixe^  (Siae- 
Tsovrai),  ^laXeYOvrat  ts  b\tjou»iq'  xocAsuviat  ts  ol  xotouioi  'AvapieT^. 

I,  122  fin.:  ol  Se  xoxee;  —  xatsßaXov  ^ativ,  d)^  e3UK£t{jievov 
Kupov  timy  eqeOpe^e.  Nicht  ohne  Kopfschütteln  kann  man  die 
Bemerkungen  neuerer  Erklärer  zu  dieser  Stelle  lesen.  Krüger: 
,x(2TcßaXov,  begründeten,  ungewöhnlich  so';  Stein:  , legten 
den  Grund  zu  der  Sage,  waren  ihre  Urheber,  xocre^i^R^^oV. 
Was  mag  wohl  diese  Interpreten  bewogen  haben  von  der  alten, 
dem  Zusammenhange  allein  gemässen  Auffassung  abzuweichen 
(Valla:  divulgarunt;  Schweighäuser:  sparserunt  famam;  Lange: 
verbreiteten  das  Gerücht;  aber  auch  Rawlinson:  spread  the 
report)  ?  Offenbar  nichts  Anderes  als  die  mangelnde  Einsicht  in 
den  Process,  durch  welchen  /.aTaßäXXü)  die  hier  erforderliche 
Bedeutung  erlangt  hat.  Und  doch  ist  die  Sache  einfach  genug, 
obgleich  auch  die  Wörterbücher  hierüber  hartnäckig  schweigen. 
Das  Lexicon  Vindobon.  (pag.  105,  17  Nauck)  bemerkt  zu  un- 
serem Verbum:  XÄTaßdXXet  toy  ::oX6|jlicv  xal  xaTaßdXXei  t«  axep* 
(Aata,  eine  Gebrauchsweise,  für  welche  der  Thesaurus  allerdings 
nur  eine  einzige  Stelle  eines  Kirchenschriftstellers  anführt,  die 
in  Wahrheit  jedoch  in  allen  Epochen  der  griechischen  Sprache 
nachweisbar  ist.  Ich  citire  das  Wenige,  was  mir  eben  zur 
Hand  ist: 

Plato  Theaetet.    149  E:    eiq  xoi'av  ^^v   woTov   g/Utov  te  xal  aicipixot 

xaTaßXY)T60v   — . 

Arist.  Problem,  x,  12  (924*3):  xoXXol  y^P  ^s'^s'-pavTat  xa!  ^i^ai; 
jjLSTa^epovTc^  xal  cTreppiaTa  xataßaXXovteq   — . 

Pseudo- Arist.  de  mirab.  auscult.  80(836*20 — 21):  xal  tou? 
xapwj^  auToT^  ty;v  "pjv  ::oXXazXaa{oü^  dviccOai  täv  xaxaßaX- 
Xo[Aev(i)v  — . 

Theopomp.  frg.  143  (C.  Müller):  u)^  sxeivsu;  xbv  xapwbv  tov 
AY;{xi^Tpiov  [txt  avopüTTSiv  xaTaßXiQOsvTa  et^  Ttjv  "pä^  — . 

Demosthen.  c.  Timocrat.  §.  154:  aikW  ob^k  aicepiia  ^et  xaT«- 
ßiXXeiv  Twv  TOto*jTu>v  i^paYPLaxcav  — . 

Telephus  Pergam.  (te/v.  cuvoy.  211  Speng.):  xal  Sri  *0|Jir^po?  la 
c-jc^piAata  TTi*;  t£)<vr,?  xaxEßaXcv  — . 


176  Oomperz. 

Clem.   Alex.   Strom.   II,   23   (p.    506   Pott.):    xaTaßaXXc|A^yuv 

aicepiAGCTcov  —  —  x,aTaßätXXoüat  t«  aicep|A«Ta  ol  '^&fapr(oi. 
LongUB  Pastoral.   III,  30  (165,  26  Herch.):     Sit  ixtxpoü  8eiv  6Xi- 

Y(OTspa  ^v  Twv  xoctaßXiQOävTcov  aicspixoETCdv  — . 

Ist  es  da  zu  verwundern,  wenn  an  dem  Verbum  die  Bedeu- 
tung des  Ausstreuens,  Verbreitens  haften  blieb,  so  dass 
Aristoteles  von  xaTaß6ßXiQ[jLeva(  pLoO^oei^,  x,arcaßeßXv](Aeva  ^ae$e6(Aarra 
im  Sinne  der  allgemein  verbreiteten,  Jedermann  geläufigen 
Kenntnisse  und  Bildungsmittel  spriclit  (siehe  Bonitzen's  Index)^ 
und  Plato  von  dem  was  alle  Welt  las  und  kannte,  von  den 
populärsten  Büchern  seiner  Zeit,  den  protagoreischen  Gelegen- 
heitsschriften sagt:  $eSY]}JL0(7iu)[jLeva  1C0U  xaraßeßATjtat  (Sophist  232  D), 
wo  übrigens  Schleiermacher  mit  seinem  ,das  liegt  öffentlich  be- 
kannt gemacht  ...  da*,  desgleichen  H.  Müller  (,in  veröffent- 
hebten  Schriften  niedergelegt^)  die  Bedeutungs-Nüance  ganz 
erstaunUch  verfehlt  haben. 

Thut  es  Noth  daran  zu  erinnern,  dass  oiceipo)  in  diesen 
und  ähnUchen  Verbindungen  genau  so  gebraucht  wird  wie  oxsSiv- 
vujjLi?  Man  vergleiche,  falls  dies  erforderUch  scheint,  Xen.  Cyrop. 
V,  2,  30:  xai  outo^  b  Xö^o?  %okhq  •J^Stj  lawapTat  mit  Herod.  IV, 
147 :  i9X£8a9(jiivo'j  $s  ^By]  toO  Xd^ou  oder  Plato  Minos  320  D :  ouxi; 
1^  9i^j(AT)  xocTsoxeSaatai  mit  Eurip.  frg.  229:  o)^  6  ^Xetoro^  eaicapxat 
XoYcx;  (vgl.  auch  Herod.  VII,  107,  18  oder  Sophocl.  frg.  587 
und  Electr.  642,  gleichwie  Aristot.  Poet.  1457  ^  26  ff.).  Eine 
vollständig  zutreffende  Parallele  zu  unserer  Stelle  bietet  endlich 
ein  Scholion  zu  Pindar  Nem.  VIII,  20  =  32  Böckh:  icoXXai  o5v, 
9Y]a{,  ^ept  ToO  Kiv6pou  xataßsßXriVtai  loxopiai  xal  Bii^opoi. 

I,  139,  16:  TOE  ouv5|i.aTa  991  eovTa  5|jLota  Toiat  ciJJiJLaai  xac 
TTJ  (leYaXoTCpexeiY)  TeXeutöjai  Tcoivxa  e^  twüto  YpoifX[jLa  xts.  Von  dem 
ersten  Theil  dieser  Bemerkung  gilt  noch  immer  das  Wort,  mit 
welchem  Schweighäuser  seine  weitläufige  Erörterimg  der  Stelle 
beschliesst:  ,caeterum  uberiorem  etiam  nunc  lucem  locus  hie  vi- 
detur  desiderare'.  Denn  die  bisherigen  Erläuterungen  derselben 
stellen  unsere  Glaubenskraft  auf  eine  gar  harte  Probe.  Herodot 
soll  hier  —  dies  ist  die  gemeinsame  Voraussetzung  aller  Ueber- 
setzer  und  Erklärer  —  von  der  etymologischen  Bedeutung 
der  persischen  Personennamen  sprechen.  Nun  frage  ich  nicht, 
ob  es  von  vornherein  wahrscheinlich  ist,  dass  unser  Geschicht- 
schreiber eine  so  tiefe  Kenntniss  der  persischen  Sprache  besass 


Herodoteiiche  Studien  t.  177 

oder  auch  nur  zu  besitzen  glauben  konnte,  um  solch'  einen 
etymologischen  Versuch  zu  wagen,  er,  der  durch  seine  un- 
mittelbar folgende  Aeusserung  über  den  gleichen  Ausgang  aller 
Persemamen  (wie  man  jetzt  allgemein  annimmt)  den  Beweis 
liefert,  dass  er  dieselben  nur  in  ihrer  gräcisirten  Gestalt  ge- 
kannt hat.*  Ich  frage  nur,  was  der  Satz  unter  jener  Voraus- 
setzung bedeuten  soll.  Und  da  trifft  es  sich  jedenfalls  seltsam, 
dftss  die  Uebertragung  dieser  Worte  um  so  ungereimter  ausfällt, 
je  getreuer  sie  ist,  und  einen  Schein  von  Sinn  und  Berechtigung 
nur  dann  gewinnt,  wenn  man  sich  mit  ihnen  ganz  und  gar 
unzulässige  Freiheiten  gestattet.  Zur  ersten  Kategorie  gehört 
Lange's  Uebersetzung :  ,die  da  hergenommen  sind  von  dem 
Leibe  oder  der  PrachtM  Am  andern  Ende  der  Reihe  steht 
Rawlinson's  Deutungsversuch:  ,their  names  which  are  expressive 
of  some  bodily  or  mental  excellence'.  Und  doch  muss  auch 
Kawlinson  sofort  in  einer  Anmerkung  bekennen,  dass  die  Ge- 
walt, die  er  der  Sprache  anthut,  der  Sache  wenig  frommt; 
denn  nur  ^selten'  sei  es  der  Fall,  ,that  the  etymologj  can  be 
traced  to  denote  physical  or  mental  quaUties^  Und  Stein's 
Wiedergabe  mehrerer  persischer  Namen  durch  ihre  griechischen 
Aequivalente  (wie  <l>tXaYaöo;,  Kt/iffiTrico;,  *HXt6$ü>po;,  <l>iXiinco^)  be- 
weist nur  das  Eine  was  sie  sicherlich  nicht  beweisen  soll :  dass 
jene  Namen  durch  ihren  Bedeutungsgehalt  Herodot's  Erstaunen 
unmöghch  erregen  und  weder  zu  der  uns  vorliegenden  noch 
zu  irgend  einer  Bemerkung  Anlass  geben  konnten !  —  Von 
all'  diesen  Irrwegen  fUhrt  uns  die  einfache  Wahrnehmung  zu- 
rück, dass  5|jiota  iovxa  keineswegs  das  besagt,  was  die  Inter- 
preten es  besagen  lassen:  ,die  da  hergenommen  sind'  oder 
die  ,in  ihrer  Bedeutung  entsprechen^  u.  s.  w.,  sondern:  welche 
ähnlich  sind.  Und  wie  können  Namen  ähnlich  sein  ToTai  acoiJLaai 
xai  Ti}  [ji€YaAoxp6X6iY;?  Doch  wohl  nur,  indem  sie  einen  gleich- 
artigen Eindruck  hervorbringen.  Kurz,  Herodot,  der  von  den 
persischen  Namen  wenig  mehr  kennt  als  ihren  Klang  (und 
von    ihrer    äusseren    Gestalt    handelt  ja    auch    die   Haupt- 

'  Vgl.  Matzat  im  Hermes  VI,  447.  —  Auch  an  das  seltsame  Versehen, 
▼ermOge  dessen  er  den  Gott  Mithra,  durch  den  scheinbar  weiblichen 
Namensausgang  getäuscht,  für  eine  Göttin  hielt  (I,  131),  darf  erinnert 
werden.  Vgl.  Br^al,  De  Persicis  nominibus  apud  scriptores  g^aecos  (Paris, 
1863)  p.  6—8. 

8ilmiftb«r.  d.  phU.-Ust.  Ol.    Cm.  Bd.  I.  Hft  12 


178  Oomperz.  Herodotcisuho  Siodion  I. 

bemerkung;  an  welche  unsere  Notiz  als  eine  durchaus  beiläa- 
fige  und  nebensächliche  sich  anschliesst^  wird  durch  diesen  an 
andere  Eigenthümlichkeiten  der  Perser  erinnert.  Auf  sein  Ohr, 
welches  an  die  lispelnde  Sprache  seines  Volkes  gewöhnt  ist, 
machen  Kamen  wie  Ariaramnes^  Artabazanos^  Artaxerxea, 
Milhrobarzanes  9  Tanyoxarkes  u.  s.  w.  mit  ihrem  Vocalreich- 
thum  und  ihrer  ConsonantenfUlle  einen  ähnlichen  Eindruck 
wie  auf  uns  die  Namen  spanischer  Hidalgos.  Und  er  gibt  diesen 
Eindruck  durch  eine  Bemerkung  wieder  ^  welche  buchstäblich 
also  zu  übersetzen  ist:  ^Ihre  Namen^  welche  ähnlich  sind  ihrem 
stattlichen  Eörperwuchs  und  ihrer  sonstigen  Pracht,  endigen 
alle  auf  denselben  Buchstaben^  u.  s.  w.,  oder  (in  freierer 
Wiedergabe):  ^Ihre  Namen,  deren  voller  Klang  ihrem  statt- 
lichen Wuchs  und  ansehnlichen  Wesen  entspricht'  u.  s.  w. 
(Die  Worte  toToi  acopiafft  xai  Tt)  (UYaXo9cpe?cetT)  bilden  ein  Hendia- 
dyoin  in  dem  einzigen  Sinne,  in  welchem  ich  diese  Redefigur 
überhaupt  anzuerkennen  vermag,  nämlich  als  eine  Verbindung 
zweier  coordinirter  Begriffe,  deren  einer  auf  den  andern  be- 
stimmend einwirkt,  ohne  jedoch  in  dieser  Einwirkung  seine 
volle  Kraft  zu  erschöpfen.)  Dass  die  Perser  in  der  Regel  höher 
gewachsen  waren  als  die  Griechen,  sagt  uns  Herodot  selbst 
(VII  103),  und  wie  sie  ihr  stattliches  Ansehen  noch  durch 
lange  herabwallende  Gewänder,  ^  durch  Stöckel  und  hohe  Filz- 
mützen zu  steigern  wussten,  darüber  brauche  ich  ebenso  wenig 
etwas  zu  bemerken  wie  über  die  sonstige  Pracht  der  EJeidung^ 
der  Rüstung,  der  Pferde  und  Wagen  und  des  Hausgeräthes 
dieses  damals  weltbeherrschenden  Volkes  und  seiner  vornehmen 
Häupter  im   Gegensatz  zu  Hellas,  welchem  ,7cev(v]  (uv  atct  xot£ 


1  Darüber  und  über  die,  das  grieohiBche  Auge  sugleich  blendende  und 
schreckende  (s.  Her.  VI,  112  fin.),  medische  Tracht  überhaupt  vgl.  nebst 
Xenoph.  Cyrop.  VIII,  1,  40—41  die  reichlichen  Zusammenstellungen  bei 
Brisson,  de  regio  Persarum  principatu  p.  245  sqq. 


IV.  SITZUNG  VOM  31.  JÄNNER  1883. 


Von  der  k,  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin  wird 
der  IX.  Band  des  Werkes:  ,Politische  Correspondenz  König 
Friedrichs  UJ,  von  Herrn  Dr.  S.  Gelbhaus  in  Karlstadt  seine 
Schrift:  ,Imre  Schefer*  flir  die  akademische  Bibliothek  ein- 
gesendet. 

Von  Herrn  Dr.  Anton  Frank,  Professor  in  Reichenberg, 
vrird  eine  Abhandlung :  ,üeber  den  Begriff  des  Sittlich-Schönen 
und  seine  Bedeutung  flir  Schiller's  Philosophie'  mit  dem  Ersuchen 
um  ihre  Aufnahme  in  die  Sitzungsberichte  übersendet. 

Die  Abhandlung  wird  einer  Commission  zur  Begutachtung 
zugewiesen. 

Das  w.  M.  Herr  A.  Freiherr  von  Krem  er  legt  eine  flir 
die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung  unter  dem  Titel: 
«Beiträge  zur  arabischen  Lexikographie'  vor. 


Das  c.  M.  Herr  Professor  Dr.  Otto  Hirschfeld  über- 
reicht flir  die  Sitzungsberichte:  ^Gallische  Studien.  I.  Die 
civitates  foederatae  im  Narbonensischen  Gallien'. 


Als  Mitglieder  der  Central -Direction  der  Monumenta  Ger- 
maniae  in  Berlin  werden  die  wirklichen  MitgUeder  Hen*  Hofrath 
Sickel  und  Herr  Hofrath  Maassen  mit  einer  vierjährigen 
Functionsdauer  seitens  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissen- 
schaften neuerUch  delegirt. 


Auf  Antrag  der  philosophisch -historischen  Classe  wurde  in 
der  Gesammtsitzung  am  30.  Jänner  d.  J.  von  der  kaiserlichen 
Akademie  die  ihr  flir  das  Jahr  1881  zur  Verfligung  gestellte 

12* 


180 

ZiDsenmasse  des  Savigny-Stiftungs -Vermögens  im  Betrage  von 
4400  Reichsmark  dem  Herrn  Dr.  Paul  Ewald  in  Berlin  zur 
Herstellung  einer  kritischen  Ausgabe  der  sogenannten  Ayellana, 
einer  Sammlung  von  Schreiben  und  Verordnungen  römischer 
Kaiser  und  Päpste^  überwiesen. 


An  Druokaohrlften  wurden  vorgelegt: 

Archaeological    Survey  of  India:    Report  of  Tours  in  the  south-eastem 

Provinces  in  1874—1876  and  1875—1876  by  J.  D.  Bdglar.  Vol.  XHI. 

Calcatta,  1882;  S^,  ~   Report  of  a  Tonr  in  the  Pnnjab  in  1878—1879 

by  Alexander  Cunnin^ham,    C.  S.   J.,    C.  J.  £.   Yol.  XIV.    Calcatta, 

1882;  80. 
Association,    the   American  philological:    Transactions.    1882.    Vol.  XIH. 

Cambridge,  1882;  S\ 
Central-Commission,  k.  k.  statistische:  Ausweise  über  den  auswärtigen 

Handel  der  österreichisch -ungarischen  Monarchie  im  Jahre  1881.  XUI. 

Jahrgang,   I.  Abtheilnng.  Wien,  1882;  40. 

—  Statistisches  Jahrbuch  für  das  Jahr  1880.  m.  und  IV.  Heft  Wien, 
1882;  8^  —  Nachrichten  über  Industrie,  Handel  und  Verkehr.  XXIV. 
Band,  IV.  und  V.  Heft.  Wien,  1882;  8». 

Genootschap,    het  Bataviaasch  van   Künsten  en  Wetenschappen :  Realia. 

Register  op  de  generale  Re8oIuti6n  van  het  Kasteel   Data  via,  1632  bis 

1806.  I.  Deel.  Leiden,  1882;  4». 
Geschichtsyerein    und    naturhistorisches    Landesmuseum     in    Kirnten: 

Carinthia.  Zeitschrift  für  Vaterlandskunde,  Belehrung  und  Unterhaltung. 

72.  Jahrgang,  1882.  Klagenfurt;  80. 
Hamburg:  Verhandlungen  swischen  Senat  und  Bürgerschaft  im  Jahre  1880. 

Hamburg,  1881;  4^. 
Maatschappij  der  Nederlandsche  Letterkunde  te  Leiden:  Handelingen  en 

Mededeelingen  over  het  Jaar  1882.  Leiden,  1882;  8^.  —  Levensberichten 

der  afgestorvene  Medeleden.  Leiden,  1882;  8^. 
Mittheilungen  aus  Justus  Perthes'  geographischer  Anstalt  von  Dr.  A.  Peter- 
mann.  XXIX.  Band,  1888.  L  Gotha;  4*. 
Society,    the  Asiatic  of  Bengal:  Bibliotheca   indica.    Old  series,  Nr.  244. 

Calcutta,  1882;  8«.  —  New  series,  Nrs.  478,  476,  476,  484,  48Ö.  Calcutta, 

1882;  80  und  4<i. 

—  The  oriental  biographical  Dictionary,  edited  under  the  superintendenoe 
of  Henry  George  Keene,  M.  R.  A.  S.  Calcutta,  1881;  4«. 

— -  the  royal  geographica!:  Proceedings  and  monthly  record  of  Geogrmphy. 
Vol.  V,  Nr.  1.  January,  1883.  London;  8°. 
Wissenschaftlicher  Club  in  Wien:  Monatsblätter.  IV.  Jahrgang,  Nr.  4 
und  Ausserordentliche  Beilagen  Nr.  U  und  HI.  Wien,  1883;  4^ 


i 


K  res  er.    B«itrif»  «mr  anbiieheii  Uxikograpkie.  181 


Beiträge  zur  arabischen  Lexikographie. 

Von 

A.  Freiherm  von  Kremer, 

wirUickeai  MitgUcde  der  kais.  Akademie  der  Wineasckiiten. 


JDie  grosse  Arbeit  des  gelehrten  Professors  der  Hochschtde 
zu  Leyden,  R.  Dozj's:  Supplement  aux  dictionnaires  arabes,  hat 
das  bleibende  Verdienst,  einen  wichtigen  Fortschritt  angebahnt 
zu  haben,  indem  zum  ersten  Male  die  Literatur  und  die  Volks- 
dialekte  in  um&ssender  Weise  zur  Bereicherung  des  Lexikons 
herangezogen  und  hiedurch  ein  bisher  ungeahnter  Grad  Ton 
Vollständigkeit  in  der  Beherrschung  des  lexikographischen  Ma- 
terials erreicht  wurde. 

Allerdings  ist  diese  Aufgabe  eine  so  grosse  und  schwie- 
rige,  dass  sie  die  Kräfte  eines  Einzelnen  übersteigt  Nur  der 
gemeinsamen  Arbeit  Vieler  wird  dies  gelingen,  soweit  überhaupt 
bei  der  lexikographischen  Darstellung  einer  Sprache,  und  be- 
sonders einer  so  schwierigen  wie  der  arabischen,  eine  annähernde 
Vollständigkeit  erreicht  werden  kann. 

Den  ersten  Beitrag  in  dieser  Richtung  Ueferte  der  geheime 
Hofrath  und  Professor  in  Leipzig,  Dr.  H.  L.  Fleischer,  durch 
seine  Studien  über  R.  Dozy's  ,SuppUment  aux  dictionnaires 
arabes'  in  den  Berichten  der  philolog.-hist.  Classe  der  Eönigl. 
Sächsischen  Oesellschaft  der  Wissenschaften,  1881. 

Hiedurch  angeregt,  meine  im  Laufe  vieler  Jahre  gesam- 
melten Materialien  zu  sichten,  fand  ich,  dass  hieraus  eine  nicht 
ganz  unbedeutende  Nachlese  sich  zusammenstellen  lasse. 

Dies  geschieht  hier  für  die  erste  Hälfte  des  Wortschatzes, 
indem  eine  grössere  Anzahl  von  Wortformen  gegeben  wird, 
die  entweder  in  den  Wörterbüchern  fehlen,  oder  doch  unge- 
nügend erklärt  worden  sind. 


182  Kremier. 

Diese  Nachträge  erstrecken  sich  auf  das  gesammte  Sprach- 
gebiet von  der  ältesten  classischen  Zeit  der  Sprache  bis  auf  die 
vulgären  Dialekte  der  Gegenwart.  Während  die  ersteren  aus 
den  Literaturwerken  gesammelt  wurden,  sind  die  letzteren  zum 
grossen  Theil  aus  dem  Volksmunde  aufgezeichnet  und  erklärt 
worden. 

Die  Benützung  europäischer  Sammelwerke,  Glossare  u.  s.  w. 
blieb  principiell  ausgeschlossen.  Selbst  de  Goeje's  treffliches 
Glossar  zu  den  arabischen  Geographen,  das  von  Dozy  nur  zum 
kleinen  Theile  herangezogen  werden  konnte,  bleibt  bei  meinen 
Nachträgen  ausgeschlossen.  Es  wird  die  Aufgabe  des  Bear- 
beiters eines  Nachtragsbeftes  zu  Dozy's  Werk  sein ,  das  in 
solchen  Arbeiten  angesammelte  werthvoUe  Material,  das  gerade 
in  den  letzten  Jahren  vielfache  Bereicherung  erfahren  hat, 
zusammenzustellen. ' 

Eine  solche  compilirende  Thätigkeit  war  nicht  meine 
Aufgabe.  Ich  beschränkte  mich  darauf,  meine  eigenen  Samm- 
lungen, von  deren  Inhalte  allerdings  Dozy's  Werk  den  bei 
Weitem  grössten  Theil  entbehrlich  gemacht  hatte,  zu  be- 
nützen. Nur  ein  einziges  arabisches  Sammelwerk  habe  ich 
herangezogen,  nämlich  das  Buch:  Shifi'  alghalyl  fym&  fy 
kal&m  aParab  min  aldachyl  von  Chafägy.  (Ausgabe  von  Kairo 
vom  Jahre  1282  H.) 

Bei  den  aus  gedruckten  oder  handschriftlichen  Werken 
geschöpften  Wortformen  ist  immer  die  bezogene  Stelle  genau 
angegeben  und,  da  viele  dieser  Werke  schwer  zugänglich  sind, 
oft  auch  noch  die  betreffende  Stelle,  wo  das  Wort  vorkommt, 
angeflihrt  worden. 

Ich  lasse  hier  das  Verzeichniss  der  benützten  Werke 
folgen  und  füge  den  Titel  der  im  Druck  herausgegebenen, 
dann  auch  nebst  dem  Druckort  die  Jahreszahl  bei,  da  viele 
seitdem  in  mehreren  Ausgaben  erschienen  sind. 


I  Ich  nenne  nur  Socin's  Arbeiten  über  den  Dialekt  von  üfosul  und  Mardin 
in  der  Zeitschrift  der  Deutschen  morgenlftndischenGesellsobaft,  Bd.  XXXVI 
Q.  ff.  Desselben:  Arabische  Sprichwörter  und  Redensarten.  Tübingein,  1878. 
Spitta-Bey's:  Grammatik  des  arabischen  Vulg&rdialektes  von  Aegypten. 
Leipzig,  1880.  Desselben:  Contes  arabes  modernes.  Leide,  1883.  Huart: 
Notes  sur  quelques  expressions  du  dialecte  arabe  de  Damas.  Journal 
Asiatique.  Janvier,  188S  n.  s.  w. 


Beitr^e  tva  arsbitchen  Lexikographie.  188 

Agh&ny:  Ausgabe  von  Buläk.  1285  H.^ 

Anbäry  (^^CjI):  Nozhat  aPalibbä*  fy  ta^rych  al^odabÄ': 
Lithographie.  Kairo.  1294  H. 

*Antar:  Syrat  'Antar.  Ausgabe  von  Beirut.  1871. 

•Artos:  ^Li^a?  al'anbij&'  von  Ta'laby.  Kairo.  1282.  H.  Die 
Bedaction^  welche  in  dieser  Ausgabe  vorliegt,  enthält  viele  alte 
dialektische  Eigenthümlichkeiten. 

Ihn  'Arabshäh:  Alta'lyf  alzlkhir  fy  shijam  almalik  al^ähir 
Ab]^  Sa*yd  Ga^a]|:.  Manuscript  meiner  Sammlung. 

Ash'&r:  unter  dieser  Aufschrift  citire  ich  der  Kürze  halber 
ein  Manuscript  meiner  Sammlung,  das  eine  Abschrift  aus 
einem  Manuscript  der  Bibliothek  des  Khedive  ist  und  im  Kata- 
loge die  Aufschrift  aU^ü^  Xmj&\  trägt.  Es  ist  in  Wirklichkeit 
der  zweite  Band  eines  Commentars  zum  'Adab  alk&tib  des  Ibn 
^otaibah  und  der  Verfasser  ist  ein  Philologe  der  strengen,  alten 
Schule.     Der  Commentar  des  Gaw&lyj^y  ist  es  nicht. 

Asma'y:  Commentar  zu  den  Gedichten  des  T^a,ra£sih  und 
Zohair.  Manuscript  meiner  Sammlung. 

*Ätar  al'owwal  fy  tartyb  aldowal.  Kairo.  1295  H.  Verfasst 
im  Jahre  708  H. 

Azdy  (Abu  Ism&*yl),  Ausgabe  von  W.  N.  Lees  in  der 
Bibliotheca  Indica.  Calcutta.  1854. 

Bslkurah:  Albäkurat  alsolaimänijjah  fy  kashf  asrär  aldi- 
j&nat  alnofairijjah.  Beirut. 

Bochäry:  l^a^yb  albochäry.  Bulak.  1280  H.  Da  diese 
Traditionssammlung  in  zahlreichen  Ausgaben  erschienen  ist,  so 
bietet  die  Art  iind  Weise  der  Citationen  einige  Schwierigkeit. 
Ich  citire  zuerst  jede  Tradition  nach  der  fortlaufenden  Nummer 
der  einzelnen  Capitel  (bftb),  dann  aber  noch  die  Nummer  der 
Tradition  in  jedem  einzelnen  Buche  (kitab). 

Ibn  Chaldun:  Universalgeschichte,  Ausgabe  von  Bul&V- 
Vn  Bände.  1284  H. 

Ibn  Chaldun:  ProWgomfenes  etc.  Ausgabe  und  lieber- 
Setzung  von  Slane  in  den  Notices  et  Extraits  de  la  Biblio- 
th^ue  Imperiale,  T.  XX  u.  ff. 

1  Mit  besonderem  Danke  muBs  ich  hier  der  Bereitwilligkeit  gedenken,  mit 
welcher  Dr.  Fritz  Hommel,  Secretär  der  Hof-  und  Staatsbibliothek  in 
München,  mehrere  Stellen  des  Kitftb  alagfh&n^  mit  den  Handschriften  der 
Mttnchener  Bibliothek  verglich. 


184  Kremtr. 

Fawät :  Faw&t  alwafajstt  von  Ihn  Sh&kir.  Bul&k.  Ohne  Datam. 

Fihrißt  ed.  Flügel. 

Gabarty :  * Agäib  alät&r  fyltarfigim  warachb&r.  Bul&k.  Ohne 
Datum  (der  Druck  fand  im  Jahre  1880  statt).  Ich  benützte 
flir  diese  Arbeit  den  zuerst  erschienenen  IV.  Band,  den  ich 
mit  einem  eingeborenen  Kairiner  las,  der  alle  die  oft  vorkom- 
menden Localidiotismen  mir  erklärte.  Dort,  wo  ich  Gabarty 
citire  und  eine  arabische  Erklärung  beifüge ,  sind  dies  die 
Worte  meines  Gewährsmannes  von  Kairo. 

Gäliii?:  RasäYl,  gesammelte  Auszüge  aus  den  Briefen  und 
Abhandlungen  desselben.    Manuscript  meiner  Sammlung. 

GUtii?:  Kitäb  al^aiwän.    Manuscript  der  Hofbibliothek. 

G^t^ii^:  Almaliiäsin  wal'a4dftd.  Manuscript  meiner  Sammlung. 

Qadirah:  Specimen  etc.  Alhadirae.  Ed.  Engelmann.  Ley- 
den.  1858. 

Hamad&ny :  RasäYl.  Gedruckt  auf  dem  Rande  der  in  Bul&k 
1291  erschienenen  Ausgabe  des  Werkes:  Chaz4nat  al'adab. 

Ihn  Qamdun:  Tadkirah.  Manuscript  meiner  Sammlung. 

Ibn  H&ni':  DywÄn.  Ausgabe  von  Kairo.  1274. 

^ary^y:  Dorrat  alghawwa§.  Ed.  Thorbecke.  Leipzig.  1871. 

•H:d:  Al'itd  alfaryd  von  Ibn  'Abd  Rabbih.  Bulak.  1293. 

l'läm  alnäs  bimä  wa]^a'  lilbar&mikah  fy  Bany  Tabbäs^  von 
Itlydy.  Kairo.  1280  H. 

I^fahäny:  Moh&4arat  von  R&ghib  ali^fah&ny.    BuUtk.  1287. 

Lata'if:  La^äif  alma*ärif  auctore  at-Tha'&libi,  ed.  de  Jong. 
Leyden.  1867. 

Lozumijj^t  von  Ma'arry.  Manuscript  meiner  Sammlung. 

Mai:i:ary:  Alnafb  altyb.  Ausgabe  von  Kairo.  1279. 

Ma^ryzy:  Chitat.  Kairo.  1270  H. 

Ibn  Mamäty:  i^aw&nyn  aldaw&wyn.  Manuscript  meiner 
Sammlung. 

Mas'udy:  Les  Prairies  d'or.  Ausgabe  von  Barbier  de 
Meynard. 

Mowatta'y  Shar)^  alzorj^äny  'alk  Imowatta',  Zorj^ny's  Com- 
mentar  zur  Traditionssammlung  des  Mälik  Ibn  'Anas.  ELairo. 
1279—1280.  4  Bände. 

'Orwah:  Gedichte  des  'Orwah  Ibn  alward.  Herausgegeben 
von  Th.  Nöldeke  (IX.  Band  der  Abhandlungen  der  Königl. 
Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen). 


Beitrige  zur  anbisclien  LezikognpUe.  185 

Kaby*  al'abr&r^  Auszug  dieses  Werkes  von  Ibn  ^ftsim. 
Kairo.  1279. 

Rashf  ahia^äill;!  etc.  Manuscript  der  Wiener  Hofbibliothek: 

Saif  aljazan:  Sjrat  färis  aljaman  Saif  Ibn  almalik  Dul- 
jazan.  Lithographirte  Ausgabe  aus  Castelli's  Presse,  Kairo.  Nur 
das  erste  Heft  erschien.  Die  spätere^  gedruckte  Ausgabe  enthält 
nicht  so  viele  vulgäre  Formen. 

Sal^t  alzand  von  Ma'arry.  BulÄk.  1286. 

ShaVäny:  KitHb  albabr  almaurud  fjlmaw&tj]^  waFohud. 
Lithographirt  in  Kairo.  1278  H. 

Sha'räny:  Kitäb  aljaw&tyt  walgaw&hir  fy  baj&n  *A\&ld, 
arak&bir.  Kairo.  1277. 

Sha*räny:  Kitäb  alkibryt  al'at^mar  fy  bajän  *olum  alshaich 
al'akbar.  Lithographirte  Ausgabe.  Kairo.  1277. 

Shyräzy:  Jus  Shafiiticum,  at-Tanbih^  auctore  Abu  Isbak 
as-Shirazi.  Ed.  A.  W.  T.  Juynboll.  Lugd.  Batavorum.  1879. 

Sobky:  Mo'yd  alni'am  wa  mobyd  alni^am.  Manuscript 
meiner  Sammlimg. 

Abu  Tammäm:  Gedichtsammlung.  Ausgabe  von  Kairo. 
1292  H. 

Tanbyh:  unter  diesem  Titel  citire  ich  ein  Manuscript 
meiner  Sammlung^   dessen  voller  Titel  lautet  wie  folgt:  i^La^ 

8l^  Jt    tr>    *  ll^l  ^^Jx  oL^aaJüJI.   Der  Verfasser  ist  Abul^äsim 

*Aly  Ibn  I^amzah^  ein  hervorragender  Gelehrter,  der  nach 
Sojuty  (Tftba^^t  alnobah)  im  Jahre  375  H.  starb.  Das  Werk 
enthält  kritische  Bemerkungen  zu  den  folgenden  Schriften: 
1.  Nawftdir  des  Abu  zijäd  alkalby  al'aVäby.  2.  Nawädir  des 
Abu  *Amr  alshaib4ny.  3.  Kitab  alnab&t  des  Abu  Qanyfah 
aldynawary.  4.  Alk&mil  von  Abtd'abb&s  Mohammad  Ibn  al- 
mobarrad.  5.  Alfa^yb  von  Abul'abbfts  Abmad  Ibn  Jabji^  Ta'lab. 

6.  Gharyb   almo§annaf  von  Abu  'Obaid   al^sim  Ibn   Salläm. 

7.  Ifl&b  almanti^  von  Ibn  alsikkyt.  8.  Almai^ur  walmamdud 
von  Abul'abbäs  Ibn  Mohammad  Ibn  Walläd. 

Die  Handschrift;  die  ich  benutze,  ist  aus  einer  sehr  alten 
Handschrift  der  Bibliothek  des  Khedive  abgeschrieben  und 
sorgfältig  coUationirt.  Der  letzte  Abschnitt  ist  nicht  vollständige 
80  dasB  der  Schluss  der  kritischen  Bemerkungen  zur  Schrift 
des  Ibn  Walläd  fehlt. 


186  KremAi'. 

Ta^tyf;   Das  Werk,   welches  ich  hiemit  bezeichne,  fährt 

folgende  Aufschrift:   s-äa^^I  aui  ääj  Lo  --^  ^  JiJ^I  ^'A\ 

(\ A*^  ij^  &JJI  iXxA  ^  ^j>*^\  4X4^1  ^^1  u4Jb  u&j^svJI  y 

^yXwwjiJI.  Es  ist  wie  das  früher  genannte  ausschliesslich  der 
Textkritik  gewidmet.  Der  Verfasser  'Askary  starb  382  H. 
(Vgl.  Ibn  Challikän,  ed.  Wüstenfeld,  Vita  163).  Leider  ist  nur 
der  erste  Theil  erhalten.  Das  Manuscript  meiner  Sammlung  ist 
die  Abschrift  eines  alten,  leider  oft  unpunktirten  Codex  der 
Bibliothek  des  Khedive  in  Kairo.  Ein  anderes  Exemplar  dieses 
Werkes  ist  mir  nicht  bekannt. 

Ibn  alwardy:  Tatimmat  almochta§ar  fy  achbSr  albashar; 
Auszug  und  Fortsetzung  der  Geschichte  des  Abulfeda.  Ausgabe 
von  Kairo.  1285  H. 

Zahar  aFädäb  von  Ho§ry,  gedruckt  auf  dem  Rande  der 
früher  angeführten  Ausgabe  des  *H:d  alfaryd. 


I. 


I 

—  Die   ] 

y 

^     G9  Mt  ^     «•    c 


ftM  —  Die   Fracht  des  Sarb-Baiunes:  ^  i>^,  ^(  JU 

o^Uil  « LTL  c>dx.l  y^;  ^^1  ..^  i W  Ul^ 

ojfiJI  &JuP  ^jf*^yjy  —  Tanbyh,  fol.  106  ^  und  107  •. 

Die  bezogene  Stelle  findet  sich  bei  Ibn  Wall&d: 
KitHb  alma^ur  walmamdud  fol.  1.  Das  Wort  kommt 
nur  in  der  oben  angeführten  Stelle  des  Zohair  (I, 
V.  16.  ed.  Ahlwardt)  und  in  einer  Tradition  vor, 
die  im  Täg-ararus  sub  voce  citirt  wird. 

^fwl  —  (jV?^-  Trog,  Kufe,  Badewanne.  Agh&ny  V,  32,  Z.  7 ; 
XVni,  143,  Z.  6  V.  u.,  147,  Z.  16;  XIX,  51,  Z.  11. 

Persisch  ^V?'» 


B«itri^e  snr  urablidhen  L«zikoKraphl6.  187 

—  (jCLj\  auch  ijd^l  =  y^^yJ^^  die  Zeit.  Ibn  Doraid 
S.  153,  Z.  1.  Generalog.  etymolog.  Handwörterbuch, 
herausgegeben  von  Wüstenfeld. 

^i  --  ltM  ;^'  =  ^l-^l^  Shifä  S.  36.  —  &3^  ^1, 
ein  giftiges  Insekt,  die  Tarantel.  Fawät  I,  135, 
Z.  11:  Journal  asiatique,  1854.  Aout-Septembre, 
S.   225. 

dbl    —  Der  Saum  des  Gewandes:  y^  dUUJi  ^1  v:;^J^I 
L^K.     Türkisch:  etek.  Saif  aljazan,  S.  56. 

^i\    —   sjyl  nächtliche  Erscheinung,   Gespenst.   Ma|^^:ary 

I,  198,  Z.  4  V.  u.:  Hj-^ ^  ^Jf^  ^^^  »^Q  J^^ 
J^yi  ^iUöL  s^b  Jca.5l  V.AAJLÄ  oiiö^l.  Vgl.  Ibn 
•Ad4ry  H,  S.  288,  Z.  14. 

*i1    —    %jf,   der  für    eine   oder  mehrere    Pflanzenarten 
geeignete  Culturboden.     Ibn  Mamaty,  S.  45:   ^'LJI 

^ aJ:^I  dUUJI,  der  Aetherhimmel.  Ma^ry  11,  740, 

Z.  1  V.  u. 

^^^1    —  iüL^I  grosse  Schüssel:  Mas'udy  VIII,  270.    Chi- 
nesische Vase:  Ma^ryzy  I,  415,  Z.  14. 

"  •  t 
\0\    —   8^4>l,  Elephantiasis,  Hodengeschwulst,  sehr  ver- 

breitet  in  Aegypten^  auch  xwü?  genannt.  Gabarty 
IV,  275,  Z.  15. 

vsjuf    —  aüy,  die  Grube,    worin  Feuer  angemacht  wird: 

^\y_  iJ  p;b  L^  Juu2  gyi*  L^l  y^5n  i  U|,*S«, 

v&>p'l  ««4>S  ^^'  ''^y  ^<^*  Tanbjh  fol.  80*. 
^y   —  eine  Art  Stoff:  Agh&nj  V,  173,  Z.  12  v.  u.:  ye^ 


188  Kr«in«r. 

^\\    —   ^\U    In  einem   Gedichte  des  'A'shk  heiflst  es: 

^ßn  ^iX^l  ^^  läjj  ^.     Aber  Abu  'Obaidah  und 

A^ma'y  überliefern  die  Lesart  ^\\  als  Plural   von 

&3U,  das  die  Bedeutung  von  JuIJum;  Unglücksfalle, 
haben  soU  und  sie  erklären  ^\l  als  gleichbedeutend 
mit  «y,  Bedrängniss.  Von  andern  jedoch  wird  die 
Lesart  ^jl  beibehalten,  und  zwar  soll  &3jl,  Plural 
{j)^y  folgende  Bedeutungen  haben :  Unglück ,  die 
Linie  auf  dem  Kopfe  des  Chamäleons^  und  endlich 
im  Dialekte  von  Bagdad :  frische  Käse.  Ta^bj^» 
fol.  128». 

^sl    —  V.  sich  um  etwas  bekümmern: 

,Er  kümmert  sich  nicht  um  das,  was  in  dem  Kessel 
seiner  wartet,  und  es  nagt  nicht  an  seinem  Einge- 
weide der  Hunger/  Der  Vers  ist  aus  einem  Gedichte 
des  'A'shk  B&hilah.  Ash'ftr,  fol.  b\ 

8 J,  Die  Ghrube,   in   der  Feuer  gemacht  und  dann 

das  Brod  gebacken  wird.    ^^}  ^)l  ^  vJ^  SjiäLl 

U**  pi  (52?»  (5»3  ^i  J^,'.Ta9hyf,  fol.  56  f. 

j\l    —  )rh^  ^^®  Hüfte,  Jjrf?  In  einem  Verse  des  Abul* 
Nagm  al'igly: 

JppI  I^U  ^1  ^^  l'yL    ^  ^  L^A^  ^  i>  .Uaj 

Ash'Ar.  fol.  198*. 

v£>K^\Le  =  "S^K^S^  in  dem  von  Qarjry,  Dorrah 
S.  52  angeführten  Ausspruch  des  Propheten. 

^\l    —  ^y  oder  iü\l  =  iUxl,  Unglück,  Schicksalsschlag, 

Widerwärtigkeit.    Ta9iyf,  fol.  128^    Vgl.  ^^  J. 

^\l  —  ^  iM,  indisches  Rohr  als  Lanzenschaft. 
'Orwah  p.  40,  Z.  11,  aber  auch  gleichbedeutend  mit 

^U^  gebraucht  Aghäny  XVm,  161,  Z.  6. 


Beitiige  znr  umbisehen  Lezikographi«.  189 

fMi\  —  ^vM't  ^t4>,  ein  Haus  aus  Ziegeln  und  Qyps  er- 
baut, Aghftny  XVI,  43,  Z.  1.  So  auch  in  den  Mün- 
chener Handschriften,  472,  fol.  16  r«,  495,  fol.  9  v». 

»>lj4XjLftiwt    —  eine  Speise,  sauer  eingemachte  Rebhühner.  Agh&ny 
X,  125,  Z.  7.  Persisch:  b  Juju«- 

^JL*S  —  auch  ^jSiM*^  der  Wein  der  Nichtaraber  (j%j^Lfcl), 
oder  auch  ein  aus  Negerkom(Hx6)  bereitetes  Getränk 
der  Abessinier.  Mowatta'  IV,  27,  Z.  9. 

S%LmI  —  pl.  ^L&l,  Derwischbrüderschaft,  religiöser  Verein, 
Qesammtbezeichnung  flir  die  Bettelderwische.  Ga- 
barty  IV,  120,  Z.  17;  165,  Z.  22. 

c^o^l  —  der  Blinde,  im  syrischen  Dialekt.  Shifit  S.  38. 
Das  Wort  ist  sonst  nicht  zu  belegen  und  denmach 
sehr  zweifelhaft. 

J^l    —  JloU^I  sich  aneignen.   Gabarty  IV,  299,  Z.  14. 

^\    —  ^Lif  der  Bock.    Aghftny  XVH,  30,  Z.  9:  ^J*^\ 

^^u^\    —  eine  Art  Jagdfalken.  At4r-alowwal  S.  140,  Z.  5  v.  u. 

(jÄjjW  —  pl.  von  ji^—jj^  (türkisch),  Klepper,  Lastpferd. 
Gabarty  IV,  p.  226,  Z.  13  v.  u. 

J5f  —  Vr^9  *6^  yöJJI  oS\i  sprichwörtliche  Redens- 
art: er  genoss  lange  Zeit  Essen  und  Trinken.  Kämil 
S.  125,  Z.  11.  Ed.  Wright. 

^\  —  jüidi  p^Lue.  MatryzyI,416,Z.17  v.u.  Silberne 
Eoiöpfe  oder  Knäufe. 

i(^^t  —  gestreifter  Stoff  aus  Baumwolle  und  Seide,  türkisch 
Alageh  genannt.  Gabarty  IV,  223,  Z.  5  v.  u. 

JmIjJI    —  pl.  v;;»LMl4XJi)  Name  einer  Söldnertruppe:    r-^^ 

I*    d^^^  e^5  J^  t,i;'  45!-*^»  (fjr**'^  «^*>J'  ^^'^ 
^^  K^yi  ^y  Gabarty  IV,  127,  Z.  16. 


190  Kremer. 


f,\  —  ^1^1  ^\  die  Flamme,  das  Feuer.  Sa*:»  X  159,  Z.  3. 

Jkx*^  |ll  die  Welt.  IsfaMny  11,  217,  Z.  10. 

*L4^  l»l  der  Verrath,    Eidbruch  (ösJL^)  Aghäny 
V,  157,  Z.  11. 

(jJ^  |ll  Hyäne.  Meid.  m.  S.  1 18.  Z.  8  v.  u. 

^^A^l   ^1  Hyäne.  Ta§byf,  fol.  59. 

^  Ä  ^^  ^ 

yo\    —  yjoiS  sich  verhalten,  sich  benehmen,  thon  wie  ein 
Emyr.  Gabarty  IV,  307,  Z.  3  v.  u. 


0  a. 


yjolf  pl.  v:L>lyo|,   terrassenartige   Anhöhen.  a~ *6\yji 

^jJh^jJI^  viyUi^y,.   Ta^byf,  fbl.  158,  wo  als  Beleg 
der  folgende  Vers  angeführt  wird: 

2ü%^i,  Befehlshaberschaft,  Emyrat.  Gabarty  IV,  11, 
Z.  11  V.  u. 

^    —  iU^U,  das  Feuer.  Shifit  S.  210. 

%^l  wuot    —  Stallmeister;  jICim  wajoI,  Jägermeister;   |%Jx  uu«! 
General  (Mirlivä).  Sobky,  fol.  13. 

n^l    -- -  VÄ)L^i[f  vieJI^   Imhät,  eine  Dattelart.  Ma^jyzy 
n.  24,  Z.  8.  Kremer:  Aegypten  I,  214. 

^^t    —  pl.  v:i»LfOl,  die  Mangofrucht,  aus  dem  indischen, 

^       auch   ins  Persische  übergegangenen  auj|.     I§tachry 

S.  173,  176;  Taaliby;  Lajätf  S.  110.     Conserven  im 

Allgemeinen:  Shifä  S.  36.  Mangoconserven:  Kremer: 

Culturgeschichte  I,  S.  301. 

^L^l    —  ein  grober,  einfarbiger  Kleiderstoff  ohne  Dessins. 
Mowatta'  I,  182,  Z.  16;  Bochäry  254 (KitÄb  al§al&h  14). 

lP'  —  vj'^'?  61^6  Art  Stoff  von  Gewändern.  Ma^^ary 
n,  1200,  Z.  10. 

^y\  —  i^^^l  (jM^lj  P"*  (5-»*'l;'i  ^^^^  'A.rt  von  Gründen, 
die  in  Betreff  der  Steuer  einer  besonderen  Stellung 
sich  erfreuen.  Gabarty  IV,  93,  Z.  3  v.  u.;  95,  Z.  6; 
123,  Z.  2v.  u.;28l,  Z.  9v.  u. 


Q     «  .     ^    g^ 


BeitriLge  xvr  arabischen  Lexikographie.  19 1 

J^l    —  ^jli  ^^i,   nach  and  nach.    Ihn  Mamäty  p.  34. 

Vulgär:  J^b    J^l. 
jl    —  väajI  oder  ool,  eine  Interjection,  welche  die  Ver- 


wunderung ausdrückt,  w^kaJJ  und  mit  ^  construirt 
wird,  wie  in  folgendem  Verse: 

wozu  der  Ueberlieferer  noch  die'Bemerkung  beifügt: 

Lä^l  *;45r  Taebyf,  fol.  127». 

J4I    —  Slj^,  Stützpfeiler.  Ibn  Doraid  p.  104,  Z.  10  v.  u. 


^«*^ 


«   .      >    .-' 


Jijl  —  )u^l  c^t^,  Name  einer  Schlange  in  einer  alten 
Legende:  va^ttnatv-ftJLJf  ^^ül  ^vaöl^&A&>&JL;tcjtj 
kM^^  O-^'  J^-  Sakt  I,  197,  Z.  14  V.  u. 

^1   < —  eine  Art  Tanz:  ^^\  &^ J^  ^jju  v^Lc^ t  O^j^^ 

ik ^ül  ^^1  JüUx^jjl  ^  oai^l.   Aghäny  XIX, 

139,  Z.  3. 

l^t    =  ^1,  was,  was  für  ein:  aJÜI  Jux  b  ö\juo  &J  JUi 

cUa-p  Ijü»  Jli  Ijüö  ^\  ^j^  ^1  Bochäry  2218 
(Kit&D  almagh&zy  61).  Hiezu  bemerkt  der  Com- 
mentar:  cLjyl  ^j^  H^'^  '^  W'  ^>^*   ^g^*  übrigens 

Lane  ad  vocem  »jI* 
LU    —  der  Flecksieder,  Fleckausbringer.  Sobky,  fol.  49  o. 

v^UÜI  SL.1^  iJiy  J^  ^^  ^1  ^U  ^y  ÜUI 

ilUo^^.  Der  Barbier  ^)Ji-  Shifä  S.  48. 

(jM^L    —   ein  Kosewort  für  kleine  Bender.    Bochary  763: 
^1  ^1^  Jli  d^l  ^  o-^L  U  JU 

«^Lj    —  Verzehrungssteuer,  Zoll  auf  Lebensmittel.    Shifä 
^      S.  43.  Türkisch:  -.b- 


6f. 


192  Kremer. 

^U    —  j^,  das  in  die  Erde  gegrabene  Loch,  worin  das 

Fleisch  gebraten  wird,  wie  im  folgenden,  von  Sok- 
kary  überlieferten  Verse: 

Ikd^U  s-illll  jJ^öJ  ^1  ^JL^qÜJI 

Das  Wort  Lox   hat  hier  die  Bedeutung  von  4>LLo, 
Bratspiess.   Ta^byf,  fol.  92  b. 
»U^b    —  Persisch:  »L^b.  Shifä  S.44. 

^b  —  Vni.  In  der  Tradition  bei  Bochäiy  (3904  Kitab 
altaubyd  36)  überliefert  IJatädah  die  Lesart  ^UjI 
statt  jljül  mit  der  Bedeutung:  aufsammeln,  anhäufen 

JJLXi)b    —   Gfit^iz:   RasäYl,   fol.  68^   wo  es  von  den  Türken 
heisst:  ^j^^^  ^Ikjül  C>yXjJ\y  sJ^4^l  J^AkJt   LÜ^ 

—  Im  Persischen  bedeutet  ^^^^X»Kb  den  rückwärts 
bis  über  die  Schultern  herabhängenden  Besatz  des 
Mantelkragens.  Es  handelt  sich  also  um  ein  eigen* 
thümhches  Kleidungsstück.  Vgl.  de  Goeje:  Biblio- 
theca  Qeogr.  Arab.  IV,  S.  278. 

v:i)ljuJLM#b    —  Wurf  ketten  zum  Entern,  auf  den  Kriegsschiffen. 

'Atär  al'owwal  S.  196,  Z.  1.  Es  heisst  dort  bei  der 
Beschreibung  der  Ausrüstung  der  arabischen  Kriegs- 
schiffe, S.  195:  ^jiX 11^  C^fi\y  J^yb  LfJL^  1^' 

^  V äJ^*^S  (»•  196)  ^1^  ^Uyi^   ^)yXS\y 

ö^iXe^  iüCo^  \^^^^  vJ  (5'*^*^  J-wiL«  ^^  vä*Läa-L«IJI 

Jtb   —  oUtLJt,  Eisenfesseln,  (jm  JyÜi  ^1  Ij  (jt;^^  Jl^ 
JliüÜI  vidUUII^  J^I^I  »  Jü6.  Antar,  Heft  89,  S.  549, 

Ibid.,  S.  550,  Z.  7. 


Beitr&g«  zur  arabischen  Lexikographie.  193 

JL    —  Vni.  sich  stützen,  sich  verlassen  ((X«>A£t).  Tanbyh, 

IM 

fol.  14":     ^  ^  ^y&AüJI  (J^^)  v*A  ^1  4XÄj|, 
—  ^bl,  stolzer,   hochmtithiger.    Meid.  I,  195,  Z.  6. 


s5^ 


jb,  die  Schleussen,  sonst  gewöhnlich  die 
Kanalöffnungen,  Abflussstellen.  Ihn  Atyr  IX,  413, 
Z.  6;  n,  331,  Z.  3. 

äJ    —  ^,  der  Weih  oder  der  Sperber.  Kremer:  Aegyp- 
ten  I^  S.  150. 

ya^    —  w— xa^.,    eine   Schindmähre,   schlechter  Klepper. 

Joyö  ^^  ^  J^  ^Li  ^  äaIä  J^U.     Aghftny 
XIV,  167,  Z.  12.  Vgl  MeiS.  II,  81,  Z.  14  v.  u. 


6   ^^ 


^j^,    —  J-i,  Spalt,  Riss.  Gabarty  IV,  312,  Z.  10.  ,j*äL? 
pl.  (jA^lo)  fliessend.  K&mil  p.  153,  Z.  17. 

y^    —  ^,  von  der  Seekrankheit  ergriffen  werden.  Ibn 

Doraid,  p.  118,  Z.  10  v.  u. 

yAi\  A^U?  bequem  zum  Sitzen,  vom  Reitsattel.  Atar 

al'owwal  p.  156,  Z.  3. 

^«^ü  •»(>   =   v^ü  |»i>.    Ibn  Doraid  p.  118,  Z.  11. 

lü  JuUb  iü>2^  eine  Art  Jagdfalken  (aus  Balangar 
im  Lande  der  Chazaren).  'Atär  al'owwal  S.  141,  Z.  1. 
%^^ÜI  jaül,  Byruny  S.  268,  Z.  3;  die  heissesten  Tage 
im  Monat  Juli.    Shifä,  S.  45. 

—  i<5i*^?  ®^^®  -^  Hühner  mit  befiederten  Füssen 
(Jjj^).  Aghäny  XVH,  101,   Z.  13.     ssAxi?,   vom 

Glücke  begünstigt.  —  Ebenso:  vaAJgyo.  Mal^^ry 
m,  101,  Z.  16  V.  u. 

M^.   —   Gärtner,   vom   türkischen   ^^lj.:gVf  U«   Gabarty 
IV,  308,  Z.  14  V.  u. 

SiUan(,'8ber.  d.  phil.-hist.  Cl.    CHI.  Bd.  1.  hti.  13 


9  ^  ^  o^ 


194  Kremer. 

jjjo  —  ^v^^'  lüJuJf,  ein  besonderes  Ebrengewand,  für 
Prinzessinnen,  wie  es  scheint.  TahsiTy  III,  iv,  S.  1083, 
Zeile  2. 

Ijo    —   stob,   die  Wüste   im   Dialekte  der  Banu  Tajji  • 
Tashyf,  fol.  IIP. 

abiju,  plur.  ci^Ulju«  Gabarty  IV,  64,  Z.  15  v.  u. 
(^Ut  JuJI^  ^UJjtll  |»ggJli»  c^^*  Scheint  zu  bedeuten: 
die  Zöglinge  eines  Derwisch-Scheichs.  Mein  Gewährs- 
mann in  Kairo  konnte  das  Wort  nicht  erklären  und 
ist  es  nicht  mehr  im  Gebrauch. 

o    —  8\o,  plur.  von   %U.  Ueber  die  besondere  Bedeu- 
tung dieses  Wortes:  Ibn  Atyr  11,  304,  Z.  13. 

vjI,  frömmer,  der  frömmste.   Kllmil  135,  Z.  19. 

v:y|ljjo,  Localitäten  =  ^Ul.  Aghäny  III,  184,  Z.  9 

V.  u.  Vielleicht  ist  zu  lesen  c^t^uo.  —  Der  Mün- 
chener Codex,  473,  fol.  142^,  hat  v:y|^. 

2üu^o    —  Ackerboden  dritter  Qualität.  Ibn  Mamaty  S.  46. 

giÄvJ    —  kitzeln,   ausstöbern,  aufkratzen.   Syrisch^  vulgär. 

4>v?    —   *J4X:>;J  «>^!4-     Aghäny  XI,  161,  Z.  11  v.  u.  ist 

fehlerhaft  für  iüjow)  t^yy^i  also  Mäntel  der  Leute 
vom  Stamme  Jazyd,  die  sich  eines  grossen  Rufes 
erfreuten.  Sie  waren  roth  gefUrbt  und  deshalb  sagt 
ein  alter  Dichter  (Ta§byf,  fol.  149^): 

,Sie  straucheln,  von  der  Spitze  der  Schwerter  ge- 
troffen, als  wären  mit  (rothen)  Mänteln  von  Jazyd 
bekleidet  worden  die  Panzer.'  Nach  dem  Verfasser 
des  Ta^tyf  (1-  !•)  sind  die  Jazyd  Kaufleute  in  Mekka, 
welche  diese  rothen  Mäntel  verkaufen.  :Die  Lesart 
4>ow>  statt  Juyj  ist  falsch. 

jjloo,  der  Vorhang.  s^Lcui  im  Dialekte  von  Bag- 
dad. Shifö  S.  39.  Vgl.  abli>^. 

^  ,JL-s.tt>o^  poetischer  Ausdruck,  um  den  Anbruch 
des    Morgens   anzudeuten,    weil    der   Schmuck^  den 


Beitr^e  zur  arabischen  Lexikographie.  195 

die  Frau  trägt,  dann  kühl  geworden  ist.  ^^^  *^r? 
—  (j^IvaJI  4>>J7  poetische  Wendungen,  um  die  sorg- 

lose  Ruhe  anzudeuten.    Shifä  S.  49.  —  v-ftx^"  ^y^ 

kühles  (Wasser).  Labyd  S.  52,  Z.  2.  —  §ol^.  Die 
Beschreibung,  die  Lane  giebt,  ist  ganz  richtig,  aber 
es  scheint,  dass  auch  eine  besondere  Vorrichtung 
zum  Kühlen  des  Wassers  mit  diesem  Wort  bezeichnet 
wird,  wobei  die  Wassergefasse  in  Bewegung  gesetzt, 
oder  ein  künsthcher  Luftzug  erzeugt  wurde,  was  mit 
Geräusch  verbunden  war.  Denn  nur  so  ist  die  fol- 
gende Stelle  (Atär  al'owwal  S.  114,  Z.  7)  zu  ver- 
stehen: ^j  ^Lü  ^1^  ÄJ^  ^  iü^tUf  <X*flX  ^1  ^^ 

5^ a.1  Jüu  äJLJ  JuJUI  s^^  8  J>I  IJI  »iiyö-      Vor- 


züglich  passen  hiezu  die  Erläuterungen  Dozy*»  zum 
Worte 


jo  —  erbeutete  Griechenmädchen,  weisse  Sklavinnen. 
Das  Wort  findet  sich  in  einem  Gedichte  des  *Aggäg, 
von  dem  Ibn  l^otaibah  folgende  Bruchstücke  anführt: 

\ ö.Jüy  J,^  Äiiy  I a^^.  ^^-  t^UxÄ  JlJ^ 


^•«>i  »J  ,>«^  cK^       ' — =?•r^»  '-ä^  SILo  juujü 


■^    o>  ^^  ^     ^Ü^ 


I — *^l  ^  ^I;i^  cj        U.y:äil  ^,;*ij  iu^f  oiX:^ 

Hiezu  wird   folgende   Erklärung  gegeben:    rLjuüül 

^yj,  UjAiAÄ  Ji«J  JJiV  »^4^  äÜÄa^pi  MJ« 

8  JuJI  jJ^  r)^S  ^5^'  &Ua^  ^>J  2ü»yMJ  U.ya; 

W      ^  IQ»        "^ 


196  Kremer. 


>^^ 


aüJUjÜu^t^  LTT^'  <J^^  <^'  '^  ^'Z'  V^>J^  JüoLaJI 

-.1^  j?^  oyül.  Ash'&r,  fol.  148S  149». 

jlwo    —   Ackerboden,    der    besonders    für    Gemüsezucht 
geeignet  ist.  Ibn  Mamäty,  S.  46. 

aLp^    —  ^Jb^^,  Mostatrif;  Ausgabe  von  Kairo,  1268  H. 

II,  S.  56,  Z.  13.  Betrüger,  Schwindler/ 

|m1o^    —  Holzbalken,  Pfosten,  plur.  «aIoIo.    Gabarty  IV, 
258,  Z.  13;  300,  Z.  13. 

\^^yi   —  eine  Art  Schiff.  Ibn  Mamäty,  S.  24. 

|.^   —  ,^^,  ein  Fussring,  JL4BJLä..     Agh&ny  VIII,  98, 

Zeile  2.  Ä4JW    —  Stoppelzieher,  tire-bouchon. 

^^uo   oder  ^^««üo,     Factura,     Waarenverzeichniss.     Mo- 
wattaHlI,  138,  Z.  1. 

^^^  --  plur.  iüCtflo',  Zigeuner.   Gabarty  IV,  198,  Z.  12. 

Kremer:  Aegypten  I,  S.  141. 

J^^yi  —  Tabary  III,  iv,  S.  1169,  Z.  14.  Nach  dem  Shift 
Z.  36  ist  die  Bedeutung  von  sl^v^  auch  \y^^  also: 
das  Anhängsel,  der  Zusatz,  das  Hinzugefügte.  In 
der  oben  angeführten  Stelle  würde  es  also  den  Be- 
satz, oder  die  aufgenähte  Einsäumung  bedeuten. 

^^  —  III  =  «U  oder  Jb.  Aghany  XIU,  103,  Z.  9. 

%w    —  statt  ^\y      j  8ji  bei  Freytag  ist  zu  verbessern 

^  ^  >»     « 
^jW   S^7    und   hat   das   Wort   den   Sinn  gewaltig, 

reichlich.  Shifa  S.  57.  —  ^)'v^)  ^^^  Markt  der  Lein- 
ölhändler,  oder  der  Leinsamenhändler.    Shifa  S.  57. 


Beiträge  rar  arabitclieii  Lexikographie.  197 

0»^^Uyj   —  eine  Art  Backwerk^  Aghäny  IV,  97,  Z.  11;  154, 
Z.  7  V.  u.;  IX,  63,  Z.  1.   Ibn  ^Jarndun  II,  fol.  185\ 

Vgl.  ösyLoy  Persisch:  J^^Lo^j. 


^O  ^f 


yM*j   —  y>  m^MiyjuOj    mit  Hämorrhoiden  behaftet.     Vulgär. 
Shifä  S.  42. 

SJ^JULmo   —  eine  Speise.   Ibn  ^amdun  I,  fol.  136^.  Persisch: 

{JiJ^    —   ^^Ij«)-"  jSU^gJt,    die   göttliche   Huld.     Kibryt. 
S.  226,  Z.  8  V.  u. 

&3U^  —  plur.  vfi^bli^,  der  Vorhang.  'Ilam-alnäs  S.  134, 
Z.  6;  S.  135,  Z.  9  v.  u.  Das  Mückennetz.  Shifö  S.  55, 
jetzt  &Lm«jcU  genannt. 

Mj^   —  V.  hässlich  finden:  i^-^JüLuLo*  ^^amlÖj  ^ü.  Aghäny 
XIX,  137,  Z.  4. 


o   ^ 


dUi^   —    ein    Fünfpiasterstück.     Türkisch:   Gabarty   IV, 
312,  Z.  6  V.  u. 

f^Mi^   —  j»L^*,  pl.  [.xwLye,  von   starkem  Ekel    ergriffen. 
Hädirah  p.  4,  Z.  11. 

{jCLi   —   (ja  AJ,    Vulg.  sehen,   schauen.     Aegypt.  Syr.  — 

^Loj,  Spion,  Polizeiagent.  Vulg.  Aegypt. 

^   =   iySdJj   ein  Zettel,    ein  Briefchen.     Gabarty  IV, 
61,  Z.  1  V.  u. 

AJtÄJ   —  V.  =  8 Jul^  ^ti-ttj,   zerspringen,   von   der  Haut. 

Ta§byf,  fol.  148»>.  —  ÄjLdj,   Teppich  ioLo.  Ta9byf, 

fol.   149».  —    P^*^7    ein    Kleinhändler,    Hausierer. 
Vulgär. 

Jaj    —  ii^i  pl-  w^i^i  grosses  Geftlss  aus  Leder:  Lw^ 

jJLi-J  ^;;j»  8*4*^     Gabarty  IV,   202,   Z.  12.    Shift, 
S.  43.  Schmalztiegel. 

yx»  —  ^flal  =  Ja^.    Ibn  Chaldun  III,  35,  Z.  U  v.  u. 


198  Kiemer. 

fjtJoj  —  u**^'  grosses  Kriegsschiflf.  Atllr  aFowwal  p.  197, 
Zeile  4. 

yiiaj  —  SLmJoj,  grosses  Kriegsschiff.  Makryzy:  I,  480. 
Z.  16  V.  u.  —  ijiioL^  =  \J*yiaLuo^  zu  Boden  ge- 
worfen. BocMry,  3900  (Bab  altau^yd  31). 

silioj    —  Register,  Verzeichniss.  Makryzy  I,  415,  Z.  9. 

JlIoj    —    Jl-J^?  ein  Spassmacher,  Possenreisser.    &J  Jli^ 

jJCLä)^  xjüo  v,>jiJLj.    'AräYs  p.  195,  Z.  3  v.  il  — 

JlkLJ  =  ^ItXj;  Lügner.     Gabarty  IV,  249,  Z.  14. 

aÄIoj   —  Nüsse  des  wilden  Pistazienbaumes.    Russell:  Na- 
tural History  of  Aleppo. 

^jJoj  —  »^Liflj,  Unterfutter,  Unterkleid,  Hemd.  Gabarty 
IV,  228, "Z.  15;  255,  Z.  5;  283,  Z.  13.    Der  vertrau- 

teste  Freundeskreis,  aüCäLbj  ^^  ^^^  Juw^t.  Tläm 
alnas  p.  163,  Z.  2.    Boehäry  3813  (Kitab  alabkam 

41).    Futter  des  Helmes.    *Antar,   Heft   94,   p.  121, 

«  i"  >- 

Z.  12.  —   X*;in),    ein  rauher  Stoff  aus  Schafwolle, 

weiss  oder  grau,  auch  mit  rothcn  oder  braunen 
Streifen  am  Rande  verziert,  dessen  sich  die  Be- 
duinen der  libyschen  Wüste  bedienen,  um  eich 
darin  einzuhüllen,  vorzüglich  in  Tunis  verfertigt.  — 

aUloAX,    ein    gefüttertes  Oberkleid:   xlhiA^  ^  J^cJu 

üLjäaJI  ^\  Jjuo  ^LmJjJo^,  er   trat  herein  in  einem 

gefütterten  Oberkleide  und  eingehüllt  in  einen  Shawl 
wie  die  Rechtsgelehrten.   Aghäny  V,  109,  Z.  9. 

l»Jaj  —  n.  grossthim,  prahlen.  So  im  folgenden  Verse 
des  Abu  Tammdm: 

,Als  mir  klar  ward  an  dir  die  Gemeinheit,  um 
welche  sich  drängt  eine  Seh  aar  (von  Schwindlern), 
bei  welcher  Grossthuerei  als  Regel  gilt.'  Dywan. 
S.  198,   wo   »^>Ä.  jedenfalls    emendationsbedürftig 


>•   *»  o  ^ 


^  rf'O*' 


Beitn^e  zur  arabischen  Lexikographie.  199 

ist.   Vgl.  auch  den  Vers  im  Journal  Asiatiquc  1854, 
Mars-Avril  S.  300,  Z.  1  v.  u. 

—  unzüchtige  Bewegungen  machen.  1001  N.  I,  S.  47, 
Z.  10  V.  u.  Ausgabe  von  Bulak  vom  Jahre  1252. 

Aou    —  galoppiren   (vom  Kameel).     1001  N.   I,  S.  303, 

Z.  6.  —  &3'jjwO  ßJkM^    er  veränderte   sein   Aussehen, 

verkleidete   sich,    2uiLM  v^A.<flfc<  aüJL^  c^^^iü  JJ»« 

; — *^S  r^''  *^^^  C?*^^  *^^**^'^  ^^  »^'^^^ 

^Ui^iH,  ».l/wi"-  Antar,  Heft  108,  S.  76,  Z.  10. 

—  ■••'!  '1**1  EntsenduDgen.  Gabarty  IV,  269, 
Z.  11  V.  u. 

^ju    —    AjtAX),    der  Schlupfwinkel  der  Eidechse.     Meid. 

II,  19. 


—  sich  versammeln.    Ibn  Doraid  S.  99,  Z.  4. 

Lju   —  rV.   Bei   Freytag   ist  zu   lesen   LiM%i  sLsul    i.  q. 
xJL^t  statt  aJLd.i. 

^\«xLo    —  chinesisches  Porcellan.     Gabarty  IV,  223,   Z.  9. 

jLij  —  ÄjJüüJI  jf KjJI,  eine  Art  Silbermtinzen,  die  alten 
unter  den  Sasaniden  geschlagenen  Silberstücke.  — 
äJUb)  pl.  v:;^^Üü,  eine  Art  von  Sklavinnen,  aus  ge- 
mischten Ehen  von  europäischen  Sklaven  mit  afri- 
kanischen oder  anderen  Sklavinnen  entsprossen.  So 
nach  Gabi?  in  Shifa  S.  51. 


—  (jäUj  ÄJLÄ^,  ein  ganzes  Stück  Kattun.    Fawat  I, 
21,  Z.  3  V.  u. 

^•U    —  Ackerboden  erster  Qualität.   Ibn  Mamaty  S.  45. 

aLijeUb    —   Ackerboden  vierter  Qualität.    Ibn  Mamaty  S.  46. 
Hiezu  findet  sich  eine  Kandnote  wie  folgt:  j^g*'»*»M 

—  ni.  anschreien,  schmähen.  Gabarty  IV,  27,  Z.  12. 


200  Kremer. 


^      das   Pferd   mit   dem  Zügel   bewältigen,   bezwingen. 
Vgl.  ^  'AraiB  212,  Z.  13. 

s\(^»SyjS<i    —    Obertschokadar,    Hausoffizier     der     türkischen 
Grossen  oder  des  Sultans.  Gabarty  FV,  249,  Z.  3. 

äJUo    —  pl.  J^,  Portion  (einer  Speise).  Makryzy  I,  493, 

Z.  17:  2L-o^l  JX?  —    idX^  ^^  J^^. 

^    —  v^^Lä  ^5^13  =  »-.lH.  LabydS.  120,  Z.  8.  —  SUSb, 

ein  Bogengewölbe,   8^.    Gabarty   IV,  190,   Z.  14. 

juXJb    —  Gefkss,  Korb,  Tasche.    AghÄny  Xu,  167,  Z.  10. 

—  abbrechen,  ein  Gespräch,  im  folgenden  Verse 
des  ^^)^l  vfyA^^: 

,Es  ist,  als  suche  sie  auf  der  Erde  etwas  Vergessenes, 
das  sie  verfolgt  in  ihren  Gedanken,  und  wenn  sie 
mit  dir  spricht,  bricht  sie  plötzlich  ab.*  Der  Vers 
schildert  ein  Mädchen,  das  vor  Bescheidenheit  die 
Augen  auf  den  Boden  senkt.  Ash'är,  fol.  144*. 


&^  Jb    —  grosses  Weingefilss,  Amphore.    Makryzy  I,  416, 
Zeile  2. 

^o    —  Dieses  Wort,  das  bei  Freytag  in  der  Bedeutung 
von   vultur    senescens   erscheint,    ist    nach   Ta§tyf, 

fol.  35,  durch  Schreibfehler  aus  ^ö  hervorgegangen. 

Das  Wort  ^J  erscheint  in    einem   alten,   von  dem 
Philologen  Tawwazy  tiberlieferten  Verse: 


^  ^  f  ^  »  o     ^     e  ^ 


ui;*5  fr**"  '^  "^^^^  «^ 
^3*i»l  ^ir  ^i»  iJjl, 

Hiezu  wird  bemerkt^  dass  i»^  ,.  ,gAM  das  Weibchen 
des  Adlers,  ^%£  das  Männchen  und  ^  den  jungen 

Adler  bedeute.     Der  Plural   ist  ^^"^^  oder  ^y^» 
Ta§byf  1*  1*  Im  Tag  aParus  findet  sich  aber  nur  die 


B«iftrftge  zur  anbtaolien  Lezikographie.  201 

"   9 

Form  ^o  und,  wie  bei  andern  Lexikographen,  auch 
die  Form  ^-J^S  und  so  dürfte  die  angeführte  Stelle 
zu  berichtigen  sein. 
C^aJb    —   die  Bestechung   :=   Sj»^s.     Sha'räny:    Albabr 
S.  94,  Z.  10. 

iftJb    —  in.  Aghäny  Vm,    110,  Z.  13  ist  zu  verbessern 
in  iaJLo. 

kXj    —   2>^AJb,  gelbe  Lederpantoffel,   Fussbekleidung  der 

untern  Volksclasse  in  Aegypten.  PI.  AJLj.  Ibn  Chal- 
dun  V,  475,  Z.  11.  gibt  Gabarty  IVr95,  Z.  16. 

^j^yoXi  —  pl.  ^^dioJUb  soll  ein  Wort  sein,  das  aus  einem  ge- 
fälschten Verse  stammt.  Das  Wort  selbst  findet  sich 
bei  Byruny  S.  254,  Z.  17,  dann  im  Tanbyh,  fol.  108^ 
wo  die  vorhergehende  Bemerkung  gemacht  wird  und 
bei  Ibn  WallÄd  im  Kitab  alma^sur,  fol.  7  *,  der  aber 
gegen  die  Echtheit  nichts  vorbringt,  sondern  sogar 
aus  einem  Gedichte  eine  Belegstelle  anführt.  Im 
Mogmal  aber  fehlt  das  Wort,  während  Gauhary  es 
aufgenommen  hat. 

äü JCJLj    —  eine  Art  Jagdfalken,  siehe  Jb%^. 

.^IJjftl    -  Ibn  Atyr  II,  391,  Z.  6  v.  u.:  404,  Z.  1. 

^t^jJo  —  Mal^^ry  I,  184,  Z.  13,  ein  spanisches  Kleidungs- 
stück (vielleicht  polaina,  Kamaschen). 


iü%l  Jüü  Xhjjifc   —  Extrapostsendung,  Reservatdepesche.  Tabary  HI, 

IV,  1130,  Z.  17;  31,  Z.  1. 


—  Gefilss,  Riechfläschchen?  Makryzy  I,  415,  Z.  10. 

Lü  —  iLJjiH,  Name  der  Anhänger  des  Amyn,  sind 
identisch  mit  der  Truppe,  die  den  Namen  5ar- 
bijjah   führt.     Ibn   Atyr  VI,   200,  Z.  4  v.  u.;   208, 

Z.  7;  223,  Z.  10.  —  JJLJ  cyLü  —  edle  Pferde. 
Lojum,  fol.  240  r*.  JJlby  ist  der  Name  einer  be- 
rühmten Stute.    —   >i  va>Uj   =  J^  <yLjo,   weisse 


202  Kremer. 

weisse  Wolken,    die   vor  Eintritt   der   Sommerhitze 
sich  zeigen.     Tanbyh,  fol.  85.  —  \^)^^  ^^^^j  auf- 

gewärmte   Suppe.     Shifa  S.  54,  —  o^f  c^vjü,  eine 
Pflanze.  Meid.  II,  709. 

ia^j  —  iäiöL.  In  dem  Verse  des  Shabyb  Ibn  albarsä 

Tanbyh,  fol.  11». 

(34^'  —  L>4^'  U^'?  sßlir  weiss.  Ibn  Atyr  III,  41,  Z.  6. 
Vgl.   <3äj  odxjl. 

JilpLjj  —  Athlete.  Gabarty  IV,  309,  Z.  4  v.  u. 


^  o  >  >  o  ^ 


|V^  —  l»g*^,  1»^  (^ *.<o^  südarab.  behauen,  ausgemeisselt. 
Iklyl  nach  Müller:  Die  Burgen  und  Schlösser  Süd- 
arabiens, in  den  Sitzungsberichten  der  Wiener  Aka- 
demie 1879,  S.  390,  Note. 

&JÜ  —   Gattung,   Art  =  c^;    dann   das   Schattenspiel, 

von  dem  zwei  Arten  (äbL)  angeführt  werden:  JLa^ 
ua»t Jl  Ji9j>,  und  dann  «>i\^t  JLaS..  Bäbah  ist  der 
Name  des  koptischen  Monats,  in  dem  die  Nilschwelle 
eintritt.  Shifä  S.  50. 

d^MJu  ^U  Jyü  ^1  ;L^ifl^  »^yi:)^.  Aghäny  I, 
53,  Z.  1. 

,j^  —  V.  Aghany,  Xm,  131,  Z.  8.  Ü^  viLijlö.    Die 
entsprechende  Bedeutung  fehlt  in  den  Wörterbüchern. 

—  &iy  dJü3.  Isfahäny  II,  371,  Z.  2  v.  u.  Ein  Igel 
besonderer  Art. 

—  i^y^^  (^y^^^N  oine  Art  Birne.  Ibn  Mamäty 
Seite  45. 


0-»  ^B-' 


oder  &— AO,  Wasserabfluss,   Rinnsal.     Ibn 
Doraid  S.  44,  Z.  9;  147,  Z.  5  v.  u. 

—  II.  einfügen,  einsetzen.  öy^\jLi\  ^\s  ä^^  x3t  0^ 
fti^  ^  '^^«^  ^^^7^  ^^^^  ^^^^  '^'^  oUlmJI  ^.  Saif 


Beiir&ge  zur  arabischen  Lexikographie.  203 

aljazan  S.  77.  —  ä^LIj,  die  Nachtwache,  die  Nacht- 
wächter. Mafc-yzy  11,  200,  Z.  14  v.  u.  Es  ist  von  der 
Nachtronde  um  den  Palast   des  Sultans   die  Rede: 


äjLJI^  Jydo^^y  Jl&U^I^  vr^'^'  ^y^y 

uugu  —  pl.  vaä-Uj,  Lastpferd,  Wallache,  von  dem  türki- 
schen yi^^i  das  bejgir  ausgesprochen  wird.  Gabarty 

IV,  202,  Z.  1. 

^j  -  ^lli,  Dünger,  pl.  v:yUlL.    Aghany  XVin,  11, 
^     Z.  8  V.  u.;  12,  Z.  5.    K&mil  S.  245,  Z.  13,  wo  sich 

die  Anmerkung  findet,  das  Wort  ^Iaj  bedeute  dl«^ 

,Fisch^  und  ^)^Laj  sei  das,  womit  man  den  Fisch 
fängt.  Hiezu  stimmen  aber  nicht  die  oben  ange- 
führten Textstellen. 

,j  Jüu  oder  ,jJuu  —  ier  fUr  die  Jagd  abgerichtete  Weiher 
oder  Sperber  (^J-&b).  Atär  al'owwal  S.  138,  Z.  3 
v.u.  Es  ist  wohl  (JfJuo  das  Richtige.  Vgl.  Shifa,  S.41. 

iÜmüu  —  eine  Ai*t  feiner  Trinkschalen:  ..>A^LLaJt  ..ho   c%j 
^yi  JIjÜI.    Gabarty  IV,  224,  Z.  2. 

y^j&tj^  —  yXAxjJ\  v..JoJt,  eine  Art  Datteln.  Ibn  yamdun, 
fol.  187. '* 

^Lo   —  Weisswaare,   Leinwand.    Gabarty  IV,  206,  Z.  1 

V.  u.  Die  ägypt.  Aussprache  ist  ^jöLaj. 

—  *Löli  ,11,  der  Kessel.  'Orwäh  S.  35,  Z.  15. 

s:J^  —  Wasseruhr.  Zahr  aFadab  I,  S.  363,  Z.  7.  Vgl. 
persisch  ^1^^/   Vulgär  r^Kjo  oder  u^Kjue. 

^ÜLo  —  Meissel,   Grabstichel.     1001  Nacht  I,  247,  Z.  1 

V.  u.  v>h^^  xijJaJ  'isJofO^  ö^yAi\  ^jjo  K(Co  oa»%^t 


204  Kremar. 


8\Ü  —  frisch  =  (5>^*  Türkisch-persisch.  Syrisch-aegyp- 
tisch  vulgär. 

yju  —  n.  vergolden,   ausschmücken:  Lozum,  fol.  107^: 

^  o^  ^^  ,yij-i  v«M^   pi^^  ^  ^^  ^5t>Ji  tM^ 


^^9     >  o*» 


Aö  —  Py^^    ^^^  einem   Geiste  (/•^l^*)   heimgesucht. 
Aghany  IH,  189,  Z.  17. 


9  0^ 


^^^*  —   (jH^I  V)^'  ^^®  Milchstrasse.  B&kurah  S.  9. 
^  —  ^j^,  vulgär  statt  .^*.  Ihn  Doraid  S.  120,  Z.  9  v.  u. 
vüAi^  —  pl.  c^^)  Kisten.  Koffer,  WaarenbaUen.   AghAny 

V,  63,  Z.  6:   8^— Aä^   (^Lyy't^  V?  c^^  ^^*  ^«-f-^^ 


«M         .^9 


^y^  —  CS^'t^'  Spitzname  der  Anhänger  'Aly's,   der  den 
Beinamen  ^^lö  ^1  führte.  Ihn  Atyr  III,  397,  Z.  18. 

•ikd  n,  301,  z.  lo; 

i>jj  —  ^y^'i  Binsenkörbe  oder  Fischreusen.    Makryzy 
I,  494,  Z.  18  V.  u.   siUiJI  L4Ai  ^1  öjbj\y 

^J>  —  U*7^^   Schimpfwort:    Elender,   Wicht.     Syrisch, 

Aegyptisch.  Vulgär.  —  ^jj^jJS^  Eseltreiber,  welche 
Erde,  Schutt  oder  Getreide  auf  ihren  Thieren  in 
Körben  transportiren.  Gabarty  IV,  31,  Z.  13;  273, 
Z.  8  V.  u.;  281,  Z.  8  v.  u.;  dann  1001  Nacht  T,  75, 
Z.  2v.  u.;  76,  Z.  1. 


^  o  ^ 


&:^y3'  —  pl.  v:Dl^y>,   Hobelbank,   aus  dem  türk.  sKi^miO. 
Gabarty  IV;291,  Z.  2  v.u. 

^j*sJLi  —  ^j**yüuo,   unglücklich,   dem  Untergange   geweiht. 
Dorrah  S.  82. 

syÄkj  —  Der  Kaiser  von  Byzanz.  Aus  dem  Armenischen: 
takavur.  Aghany  XVII,  45,  Z.  5  und  7. 


Beitr&ge  snr  anbiachen  Lexikographie.  205 

Jj  —  Jb  i34i>l,  sehr  einfeltig.  Meid.  III,  117,  Z.  9. 

»>^  -     '^ 

j^Jü)  —  der  innere  Sudan,  Centralafrika;  davon  ^^^%xj, 

pl.  ^jl^')  einer  der  aus  dem  Sudan  stammt.  Mal^^ary 
m,  li3,  Z.  4.  Kremer:  Aegypten  11,  280. 

aJu*  —   /JJuuMüO,  hoch   emporragend.  Nöldeke:  Beiträge 
S.  139. 


—  c^U^'l,  zusammen  mit  s  a  "i^Lfc  gebraucht. 
Sportein,  Naturalbezüge.  Gabarty  IV,  171,  Z.  15. 
Vgl.  zu  viyliiül.  5am&8ah,  S.  380,  Z.  5. 

iL)  — -  v^',  pl.  ^LIJU),  (telj)  im  Dialekte  der  Beduinen 
von  Qig&z    das  Lamm.     Es  entspricht  dem  hebräi- 

sehen  Hpip  und  dem  altarabischen  iÜ0,  pl.  ^LJio, 
Nach  mündlicher  Mittheilung  des  Professors  Dr.  Ro- 

bertson  Smith.  —  «^  auch  Jc>  ausgesprochen :  der 

Draht.  Türkisch:  Ja.  Gabarty  IV,  314,  Z.  10. 

JL«J*  —  immer,  andauernd.  Adverbial  gebraucht.  Syrisch, 
ägyptisch.  Vulgär.  Vom  türkischen  ^JULjJf. 

I43  —  ^b  =  aJl^S  stolz,  hochmüthig.  Meid.  III,  53, 
Z.  6  V.  u. 

v:l9L)  —  J^Y^I  vs^lj)  sich  in  sein  Kleid  verhüllen,  sich  damit 
bedecken :  ^yiS^  ^^ä^sü^I  1 61 .  Ibn  Doraid  S.  59,  Z.  8. 

oü)  —  n.  >\y^\  *i^S  schwächen,    entnerven.   Mas'udy 

V,  94.  Es  ist  wahrscheinlich  zu  verbessern  &j  «J. 

Jüüü  —  tetal,  vulgär  statt  JüOj,  der  Steinbock,  ibex. 

--U  —  ft^^i   sehnsüchtig.     Diese  Bedeutung   giebt  Ibn 

Doraid  S.  1G2  mit  Anführung  eines  Verses  als  Be- 
legsteUe.  Sie  ist  von  den  späteren  Lexikographen 
übergangen  worden. 

^Ü  —  RjumaJI  c^KLaJI,    Erklärung    dieses   Ausdruckes. 
Dorrah  S.  7. 


206  Kremer. 


ijt^y^  —  Vulgäres  Schimpfwort:  Syrisch,  ägyptisch.  Es 
ist  das  altarabische  ^yJO  in  modemer  Aussprache. 
In  demselben  Sinn  wird  (jmuu  gebraucht.  Shifa'  al- 
ghalyl  S.  62. 


^^ 


wÄJ  —   vA^p^')  pl.    w-Aö^ÜI,  .die   Trebem    oder  Trester 

(Hülsen   von   ausgepressten   Datteln,   Trauben   oder 
andern  Früchten),  Aghäny  XIII,  28,  Z.  12  v.  u.  — 


99       IM 


n.  &^yAJ  =  «üuiOjX,  breit  machen,  erweitem.  Ibn 
DoraidS.  120,  Z.  10  v.u. 

Jläj  —  VII.  bei  Dozy  nach  Ibn  Doraid.  (Wright)  S.  25, 
hängt  offenbar  mit  der  Wurzel  >*sp^  zusammen  in 
der  Bedeutung  sich  erweitern,  sich  ausbreiten. 

Vo  —  Jü^-,  eine  Pflanze  der  Wüste.  Agh&ny  XIV,  95, 
Z.  1  ,j6;ilb  iüuD  ü  ,jy I  &JLJU  ^UäoJI  kÄASO  äJLaj 

—  zur  Schlange  werden.  Mak|^ary  II,  766,  Z.  16  v.  u. 

j-ftj  —   X.   ^AaxamI    =  jUl,    in   Bewegung  setzen,   auf- 
wühlen. Aghäny  VIII,  68,  Z.l  v.u.  ^^^L  cjLqaa^jo 

Lftj   —   (5*^7  ®5°^  Frau,  welche  drei  Gatten  hatte.  Dieser 

Bedeutung  liegt  aber  eine  andere,  ältere  zu  Grunde, 
und  diese  deutet  auf  die  alte  Polyandrie  hin,  indem 
das  Wort  eine  Frau  bezeichnete,  die  drei  Ehe- 
männer hat.  Den  Beweis  hiefür  finde  ich  in  ein 
paar  alten  Reimen,  die  anlässlich  einer  lexikalischen 
Erörterung  im  Tanbyh,  fol.  76  r®  angeflihrt  werden. 
Ich  lasse  sie  hier  folgen,  indem  ich  nur  beifüge, 
dass  man  sie  dem  weisen  Lokmän  zuschreibt.  Die 
Stelle  lautet: 


Beiträge  zur  arabischen  Lexikographie.  207 


^^ 


,0  du  Besitzer  des  schwarzen  Oberkleides  —  und 
der  gemeinschaftlichen  Gattin  —  sie  kommt  nicht 
dem  zu,  der  nicht  dir  (befreundet)  ist/  —  Wie 
immer  man  den  letzten  Vers  verstehen  mag  —  denn 
der  Sinn  ist  dunkel  —  so  zeigen  doch  die  beiden 
ersten  deutlich  das  polyandrische  Verhältniss,  das 
später   in   volle  Vergessenheit  gerieth,    so   dass  der 

ursprüngliche  Sinn  des  Wortes  ^ — Üjo  ganz  verdun- 
kelt ward. 

iuaSI,  pl.  ^jÜI  und  oLSl;  ausser  der  gewöhnlichen  Be- 
deutung wird  der  Plural  gebraucht  zur  Bezeichnung 
einer  Gruppe  von  drei  Sternen  in  der  Nähe  des  mit 
dem  Namen  ^d^^   bezeichneten   Sternbildes.     So 

sagt  Bofetory: 

^Ü5I|^  ^  ;UJI  ^  ^  ^i  li  L4J  ::^\  0ÜI5 
Shifä'  alghalyl  S.  27.  ' 

S  —  vlsli  =  ^^yüüo.   Tanbyh,  foL  38^   ZM^  be- 
» deutet    sowohl   ,durchbohrt',   als   auch  ,angezündet', 
und   in   letzterer  Bedeutung   findet  es  sich  Agh&ny 


^      .^•^     6  o     ^^  if 


XV,  71,  Z.  1.   LäLo  UI^  ^^  v:;^^^  Uit  Vgl.  Lane. 

Jju  —  Jäwo,   ein   beladenes   Kiimeel.    Tastyf,  fol.  17«* 
und  86 ^ 

Jlj  —  JaIÜIj  pl.  von  J^ijl,  veinnuthlich  Schreibfehler 

für  JuJLS,  pl.  von  jy^-.   'Arais  S.  166,  Z.  11  v.  u. 

Ji  —  ^^  Sicherheit,  Gemüthsruhe:  ,5jJI  ^jj^\  JJÜI 

ÄAi  ÄJu^.  Mowatta'  IV,  71,  Z.  4  v.  u.;  vgl.  Lane 
sub  voce.  BalÄdory  214  c^mJÜI  und  die  Bemerkung 
von  de  Goeje  zu  dieser  Stelle. 

1^  —  l»iJu:/>,  poetisch  für  \jdys^^  d.  i.  der  steinerne  Trog 
am  Brunnen.  Labyd  S.  64,  Z.  2  v.  u. 


208  Kremer. 


Oo" 


Jl^i*  —  cl^*,  dauerhaft,  beständig.  Zohair  S.  90,  V.  26 
(Ahlwardt). 

^  —  kl^Ujl.  Isfahany  H,  205,  Z.  11  v.  u.    Die  acht 

Kurflirsten  von  Jemen,  welche  den  Oberkönig  wähl- 
ten. Vgl.  Kremer:  Südarab.  Sage  S.  125. 

^yo  —  ^^)^)  pl.  ^y^i  der,  welcher  nach  dem  Opfer- 
feste in  Mink  noch  zwei  Nächte  dort  verweilt;  das 
Wort  findet  sich  im  folgenden  Verpe  des  Dü-lrommah: 

Tanbyh,  fol.  23». 


v^tä  —  v„^A^ü,   eine   Reiterschaar   (poetisch).     Hamäsah 
S  526,  Z.  8  V.  u. 

^U  —  wui^  ^LoU.    'Antar,  Heft  114,  S.  286,  Z.  17: 

grosser  Vorhang  griechischer  Arbeit,  mit  aufgenähten 
Flecken  (oder  runden  Ausschnitten)  von  Gt)ldbrokat. 
—  In  der  Bedeutung  Becher  ist  das  Wort  schon 
früh  aus  dem  Persischen  herübergenommen  worden. 
Vgl.  Bochary  1739  (Kitäb  alwa^äja  36).  Das  Worfr 
hat  auch  die  Bedeutung:  Tasse,  Platte:  va^l  a\s^ 
J^\y}^  mehrere   Tassen   mit  Mandorlate.     Mas'udy 

Vin,   270.  —  |*^L^  yjj,  ein  mit  runden  Flecken 
benähtes  Kleid.  Ma^a-yzy  I,  410,  Z.  10. 

wÄ  —  wÄ'  ^^®  Vertiefung,  der  Trog,  in  dem  der  Färber 

die  Wolle   f&rbt.    'Ar4is  S.  423,  Z.  13.  ^.Ä^yj  Z^ 
=  i.vOJi  S« öj,    das   Grübchen   am  Kinn.     Shifä 

Seite  70.  —  o^xä?  —  9jS£\  ^jO  »Jo  w^6  ^ JJI. 
Sobky,  fol.  13»>. ' 

^^:>  —  ^ffe>"i  pl.  ^L«^7  Bienennester.  Mal^l^ary  11,  696, 
Zeile  IH. 


•     ^. 


B«itrifs  s«r  »nbiseken  Lczikographie.  209 

—  in  Kairo  CoUectivbezeichnung  der  Leute  von  der 
ostafrikanischen  Küste. 

\j*j^  —  LTH^)  GypsBtampfer.  Gabarty  IV,  198,  Z.  2  v.  u. 

Li^  —  n.    iuaAJI,   verkehrt,   mit   dem   Gesichte   nach 

rückwärts    (wie    die   Verurtheilten)    jemand   reiten 

lassen.  Boch&ry  3606  (Kitftb  almob&ribyn  10)  vl^^l 

L»-y^*-*-  —  \J^^  ^S^  =  jj^'  V^^-   scharf- 
sehend.  AghÄny  XI,  142,  Z.  7  ^U.  ^Uä.  Ju.1  ^ 

<^  v5<^  v:^^^  wozu  bemerkt  wird:  ^^^j^I  ^^^L^ 
yjiJI  JoiXÄ  ^^^jüJI  v^U^.  -  *Uil  bU^,  Wasser- 
behälter.  Ibn  'Adäry  108,  Z.  5. 


-o^ 


,%ia.  —  IV.  =  n.  Kämil  223,  Z.  12.  —  j^-Jü^l,  fest, 
schwellend  (vom  Busen).  N&bighah  VIi,  30. 

J3^  —  ein  Thier^  das  der  Heuschrecke  ähnlich  ist  und 
auch  fliegt.  Ibn  Doraid  S.  29. 

l^  —  ^^*^s  auch  L^  oder  ,^«  der  arabische  Eulen- 
Spiegel,  Witzbold,  Spassvogel.  Hiezu  macht  l^aljuby 
in  seinem  Nawädir  S.  81  (Ausgabe  von  W.  N.  Lees, 
Calcutta,    1856)   die  Bemerkung:  |^l  la^  ^1  |JUt^ 

^\  aJUI^  1^  I,ä4  La?.    • 

iX^  —  ^<J^)  kleine  Kupfermünzen,  Para:  Gabarty  IV, 
313,   Z.  12»    Im  Singular  JoJ^.  —  Ein  Para  = 

10  Gadyd. 
4>lJi^  —  Fetzen,   zerrissene  Kleider,   angeblich  vom  per- 
sischen (>lj^.  Shifä  S.  68. 

sd^  —  *^\  \ib^^  eine  ungerade  Zahl,  eine  Zahl,  die  nicht 
durch  Multiplication  hergestellt  werden  kann.  Shifä 
Seite  77. 

e  J^  —  £^^9  P"*  \J^^^  (gAtl'^i^)  9  iii^  ägyptischen  Dia- 
lekt  wird  p4)^  b  ja  gada'  gebraucht  im  Sinne  von 
^^i  L,  he  Junge,  Bursche! 

SlUangsber.  d.  phil.-Utt.  Ol.    Cm.  Bd.  I.  Hft.  14 


210  Kremer. 

^ys^  —  ^sys^y  eine  Art  Steine  (Jemen)  Ü^^-mm  S 

v^j^l  ^^^-^aJI  Jj^I.  Mos4mer&t  I,  183.  —  ^f^  in 
der  Bedentuifg:  Heerde  von  wilden  Eseln,  gehört 
nach  einer  Angabe  des  Jä|i:ut  dem  Dialekte  des 
Eanänahstammes  an.  Mard^id  V,  S.  48. 

L^^aj^  —  Meid.   UI,   69;    siehe   Frejrtag   sab:  SL-Jiojuajj^ 


jbjub^  —  Jagdtasche.     Saif  aljasan  11,  12.     Patrontasche, 
Aegypt. 

^^U?^  —  Aghäny  V,  158,  Z.  13. 

a.1^  —  Aghäny  XVI,  76,  Z.  4:  ,f  Uä  ^  JJI  ^y:^\  yL> 

H^L^  g^Uifl  *i^b^  .U.ifl  ^L  ^^, 

jUs^I^I  |»UJb^  iüo^Läi.1  8^^^  S^^UI^I.  Diese 

Angaben  sind  ungenau^  denn  der  Name  Garägimah 
bezeichnet  die  in  den  gebirgigen  Theilen  Syriens 
erhaltenen  Reste  der  alten,  nicht  arabischen  Be- 
völkerung.   Kremer:  Culturgeschichte  II,  S.  163. 

«>*^   —  II.  einschreiben  (in  den  Register  der  Löhnungs-  • 

berechtigten):  &jju^  ^  &4«amI  4>^,  Aghäny  XVIII, 

23,  Z.  14.  —  S*^*^,  eine  Tnippenabtheilung.  Gabarty 
IV,  225,  Z.  2  V.  u.  —  Jol^l  Jjöl,  glebae  adscripti. 
Aman:    Storia  dei   Musulmani  in  Sicilia  III,  1,  238. 


^o* 


—  «^>^l)  Milch,  deren  Schaum  abgeschöpft  ist,  die 
keinen  Schaum  hat,  Buttermilch.  Ash'&r,  fol.  192*". 
Der  Vers  des  'A'shk  Bakr,  wo  das  Wort  vorkommt, 
lautet: 


'^        f    >  C6      >    >,    ^**    •        .       O     - 


,Ea  geben  uns  BUrgscliaft  ihre  Hüften  (der  Kameele) 
ftlr   das    Fleisch   in   unseren   Kochtöpfen,   und   ihre 


Beitrftge  snr  anbiMliMi  Lexikographi«.  21 1 

Eater  (verbürgen)  uns  reine  Milch/  In  der  Hand- 
schrift der  Wiener  Hofbibliothek  Nr.  241  (in  Flügers 
Katalog)  ist  eine  andere,  theilweise  fehlerhafte  Re- 
daction  dieser  Verse  erhalten,  und  zwar  fol.  172^. 
—  Joyag,  militärische  Expedition.  Gabarty  IV^  305, 

ZeUe  4. 


•  •  >» 


^,0^  =  ^Oytf.  Ibn  Atjrr  V,  11,  Z.  12. 
-bo-a.  —  Agh&ny  X,  136,  Z.  17. 

Der  letzte  Halbvers  lautet   an   einer  andern  Stelle: 
^^^juUläJI    ^Ur^    ^^^7=^^-     Agh&ny  XHI,   130, 
Z.  13.  Persisch  L^4>^  ein  Braten.     Siehe  ^Iaa^ 
^^  -  n.  udiy^.  AghÄny  XV,  18,  Z.  7. 

oy>>  —  n.  Rinnsale  ziehen,  zum  Zwecke  der  Bewässe- 
rung. Vulgär.  Gabarty  IV,  112,  Z.  2.  —  o^^, 
Rinnsale,  Furchen  (franz.  rigoles);  o%^,   das   Ufer, 

der  Rand  =  JLä.    Gabarty  IV,  116,  Z.  8. 

^)y^  —   ein  Gebäck   in   Damascus,   dem   dljiS-Zwieback 
sehr  ähnlich.  Türkisch  ^jm^- 

—  n.  Geld  erpressen,  mit  Accusativ   der   Person; 
1^^,  Gelderpressung.     Gabarty  IV,   307,   Z.  8  = 

f^^y^  —  ^uuy^»  pl.  iüUl%£^,  Name  der  alten,  nicht  ara- 
bischen  Bevölkerung    in   Irak.     Kremer:    Culturge- 

schichte  H,  S.  164.  ^&mus:  ^Üul^. 

y>^  —   ^Sj^i  Diminutiv  von  ^*ä^.  Meid.  II,  817. 

v5^  —  v^XJnJI  Kxix  ^Sys^  ^jjo ;  wer  von  liegendem  Besitz- 
thum   ein   fixes  Einkommen  hat.    Ibn  Atyr  H,  392, 

Z.  8.  —  (5^(-4')  der  fixe  Gehalt.  —  <5jl^l  n^äLö, 
der  Zahlmeister,  pl.  <5^l^l.    Agh4ny  III,  95,  Z.  7. 

Ibn  Mamäty  p.  33.  —  v5^t^i   leichtes  Gewicht,   im 

14» 


«■        ^9  ^ 


212  Kremer. 

Q^gensatz  zum  schweren  (^v*a4*  Ibn  Mam&ty  p.  37, 
49,  57. 

La.  —  ils^^  Koranabtheilung.  PawÄt  11,  109,  Z.  4;  160, 
Z.  12.  Collegienheft.  Faw&t  11,  163,  Z.  5. 

cy^  —  ^y^t  Futteral  eines  Buches.   Aegyptisch. 

Jy^  —   &J^,  ein  Stück.  1001  Nacht  I,  73,  Z.  11  v.  u. 
dU^  &J^  =  75,  Z.  11  dU^  uiLij. 

—  Jüum^)  roth  ge&rbt  sein.  Ibn  H&ni'  p.  30. 


M^  —  IV.  =  I.,  gefrässig  sein.  Aghäny  VI,  25,  Z.  6. 
Vgl.  Ibn  Atyr  HI,  382,  Z.  6,  wo  die  V.  Form:  schwer 
ertragen,  scheuen,  vermeiden  wollen  zu  bedeuten 
scheint. 

—  eine  Speise,  eine  Platte  von  einer  Speise.  Aghftny 
XIV,  113,  Z.  7  V.  u.  Aber  die  Münchener  Hand- 
schrift 470,  fol.  189^  hat  an  dieser  Stelle  ^^y^ 
Der  Codex   der  Wiener  Hofbibliothek   hat 


IM  , 

(jto^  —  eine   besondere  Krankheit   der  Falken.    Atär  al- 
'owwal  S.  143,  Z.  7  v.  u.  Vgl.  Jo^ 

—  v^>>>7  Kameelmist:  Freytag  bemerkt  aber  nicht, 
dass  das  Wort  ausschliesslich  dem  Dialekte  des 
Stammes  'Azd  angehört.  Agh&ny  XH,  50,  Z.  5  v.  u. 

^  —  yMj^:^)  die  Hyäne.  Vgl.  JIac>,  ausschliesslich  jetzt 
im  Gebrauche  bei  dem  TaV:yf-  und  Hodailstamme. 
Mündliche  Mittheilung  des  Professors  W.  Robertson 
Smith. 

Jhju^.  —  ^Jguu>,  dick,  plump.    Ta^byfi   fol.   89^  nach 
'A^ma'y. 

lb^ÄJu>  —  eine  Art  Schiff.  G&biz:  Kitäb  al|]iaiwän,  fol.  196. 
Die  bezügliche  Stelle  ist  abgedruckt  in  meiner  Ab- 
handlung: Ibn  Chaldun  und  seine  Culturgeschichte. 
Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie,  XUIU.  Bd. 
Seite  636. 

—  ^,  der  Pfeilköcher.    Ibn  Doraid  S.  198,  Z.  9. 


BeitrAge  zur  arabischen  Lexikographie.  2 15 


J(X^^  —  türk.  y«>x5^,  Kammerdiener^  Hausofficier  im 
Haushalte  der  türklBchen  Grossen  oder  des  Sultans. 
Gabarty  IV,  249,  Z.  6. 

—  n.  iaiLl  Ju^\  Schönschreibekunst.  Fawat  11, 
23,  Z.  5.  O^ÄöP  iaä..  Gabarty  IV,  95,  Z.  2. 

—  s^y^^f>",  Masdarform,  abweichen,  abschwenken, 
J^Jlc.  In  einem  Verse  des  *Aggäg: 

"  *         ^  "  ^   ^^    ^  '  «.^         «^?^*' 

,Allmälig  entfernt  sie  (die  Barke)  von  der  Abschwen- 
kung  (in    das   imrichtige  Fahrwasser)  das  Anziehen 

der  Taue   (ZS')    durch  die  Matrosen,   wenn  da  bläst 

in  ihr  aufgespanntes  Segel  eine  irische  Brise  (i^I^Jl^), 
die  da  kommt  von  den  Bergen  des  Sinai/  Ash'ar, 
fol.  216'*.  In  dem  Manuscript  der  Wiener  Hofbiblio- 
thek  Nr.  241  finden  sich  folgende  Varianten:  xjoÜü 

v»Ä.  —  IV.  --LÜsxLä-I,  die  feierliche  Entlassung  der 
Pilger  am  Pilgerfeste.  Vgl.  Caussin  de  Perceval: 
Essai  sur  l'histoirc  des  Arabes  ü,  262.  Aghany  III, 
4,  Z.  17.  —  \Lä.I  =  V4d^l.  Mit  Unrecht  hat  Lane 
diese  schon  von  Freytag  gegebene  Bedeutung  nicht 
aufgenommen.  Sie  ist  alt.  Vgl.  Tabaiy  II,  i,  S.  225, 

Z.  19.  —  ^)r?^J  grosser,  doppelt  gewundener  Turban. 
Gabarty  IV,  164,  Z.  4  v.  u. 

|fty>.  —  1*3  •  Vt^^  ^^^  mit  runden  Flecken  benähtes  oder 
gemustertes  Kleid.   Makryzy  I,  410,  Z.  10.  Vgl.  |aL^. 

ay^l^  —  pl.  ol^l^.     Aghany   XII,   167,   Z.  13   v.  u. 
k^^duQ  i^^l^^  juLO^  JoU  iU^  |*5ki,  das  junge 

Huhn.  Persisch  £yo  jLä,  arabisirt  in  d^L&,  Vgl 
Damyry  sub  voce. 


216  Kremer. 


^y^  —  (jy^'  ^^®  Grube,  Bodenvertiefdng.  'I*l&m  S.  306, 

(bis),  ^jy^  (jfljuo^,  eine  Speise.  Aghänj  XVH,  81, 
Z.  15   V.  u.  —  va>IJo^:    Sha'r&ny:    Albafer  S.  72, 

Z.  9  V.  u.:  Ä   Ljjl^t    lu3  J,li  vidLo^^I  cUId  lil^ 

ij**«.ftJLJI:  Schwelgerei.  Vgl.  (j^  bei  Freytag. 

»L^  —  IV.  =  Ja^mI  oder  Jl^I,  herabhängen  la&sen. 
Labyd  S.  132,  133.  Aber  sicher  ist  dieses  Wort 
nicht;  denn  eine  andere  Lesart  gibt  an  dieser  Stelle 

t  statt  ^Wt. 


••    •  • 


.>x>  —  X.  «^L^umI,  nehmen,  rauben,  einsacken;   in  der 
Diebssprache.  Shifa  S.  75. 

=   ^L&oa»  ^(XS)  ein  grosser  Becher.  Aghany  Xm, 
112,  Z.  4  V.  u.     Codex   der  Wiener  Hofbibliothek: 

O    9 

ix^  =   o^jtf,  verdorben  (vom  Fleische).  Syrisch,  vulgär 
migwif  ausgesprochen. 

c 

—  ^Jai\  vJio.,  die  Krätze.  Shifa  S.  79. 

—  Gaukler,  Poseenreisser.  Gabarty  IV,  198,  Z.  11. 

r*Ä.  —  ^j^  SwM>&.  Aghany  XIV,  30,  Z.  7  v.  u.,  dürfte 
zu  lesen  sein:  ..yjc^  S«jui^«   und   so   schreiben  die 

Codd.  in  München  und  Wien.  —  8)^-*^y  die  Ober- 
priesterwürde (bei  den  Juden).  'Ar&is  S.  230,  Z.  2 

V.  u.  —  yAjtf,  verziert,  geschmückt.  Labyd  S.  80,Z.l. 

—  loA^,  von  kurzer  Gestalt.  Ibn  Doraid  S.  6,  Z.  12. 

—  Ll^,   Possenreisser.     Sha*r&ny:  Alba^r  S.  189, 

Z.  12.    ^j»  ,1  8^1  ^^  ^  ^jy^üJ  y-Ul  ^^ 


B«iirlge  s«r  arftbuchM  Lexikographie.  217 

^ÜUJU  Loy&  yS  Usu^  jfJ^I  ^^.  VglDozy  zum 

Wort  üfl-ZafiP. 

y^kj^  —  I.  heften,   binden   (ein   Buch).     Sobky,   fol.  40*. 

(auch  modern  ägyptisch).  —  ^U^,  ein  Hefter.  Ga- 
barty  IV,  198,  Z.  4  v.  u. 

L^  —  u^,  pl.  v'"^'  ^^^  ^^  ^^  jemand  hockt,  und 
die  Spur  im  Sande,  die  er  zuriicklässt,  wenn  er  auf- 
steht. AghÄny  XI,  147,  Z.  1  v.  u. 


yjs^  —   Jütf  =  Ü^^i  f®^*^  ^®s*  gemacht.  Labyd  S.  77, 
Z.  3  V.  u. 

x^  —  lU?^,  Thürhüter,  Kämmerer.     Sobky,  fol.  14». 

3t>  —  y^'^?  der  Fuss,  der  Rand  des  Berges  JusLi  jLftjM#t. 
Gabarty  IV,  29,  Z.  17. 

^  —  VÄ^UV'  v^L4'7  'Antar,  Heft  114,  S.  276,  an 
beiden  Seiten  mit  Schildern  behangene  Streitrosse 
oder  Kameele. 

—  ^^?  nach  Frey  tag:  male  nutritus  infans,  ist  ein- 
fach zu  streichen,  indem  es  irrthümlich  für  ^j3t 
steht.  Hiemach  ist  auch  die  Stelle  in  Nöldeke:  Bei- 
träge zur  Kenntniss  der  altarabischen  Poesie  S.  128 


—  Q^ 


richtig  zu  steUen.  —  ^>^Ä3t,  Schilf  =  yj^y^-  Gabarty 
IV,  300,  Z.  14;  309,  Z.  iö. 

—  v:^lcX^I.  lieber  die  Bedeutung  dieses  Wortes  habe 
ich  in  meiner  Culturgeschichte  I,  S.  200,  Note,  ein- 
gehend mich  geäussert  und  ganz  unabhängig  davon 
Dozy  in  seinem  Supplement.  Nach  seiner  Ansicht 
bedeutet  der  Ausdruck  v^tüL.^^!  ^^1^  so  viel  als: 
Polizeipräfekt ,  und  in  der  That  lässt  es  sich  an 
vielen  Stellen  nur  so  übersetzen,  aber  anderseits  be- 
deutet das  Wort  c^l  Jl^I?  wie  ich  schon  in  der  be- 
zogenen Stelle  hervorhob,  auch  ein  Einkommen  und 
die  Aufgabe  des  v^tj^ft  ^^1^  war  die  Einhebung 
dieser  Einnahmen.  Wenn  ich  damals  dies  nur  als 
Vermuthung  aussprach,   so  kann  ich  nun  einen  Be- 


218  Kremer. 

weis  hieftir  vorbringen.  In  den  gesammelten  Briefen 
des  Hamadäny  findet  sich  ein,  wie  es  scheint,  an 
einen  höheren  Beamten  gerichtetes  Schreiben,  worin 
sich  die  folgende  Stelle   findet   (Hamadäny:   Briefe, 

S.  545):  ,j0^jü3if  ^b  ^LkJLyy  ^  v^ÜcTdLJU  4>^^ 

I^jU^  ^^^I  v;:^J^*  ^  v^liX^yi  JLo  ^^  \Juqj^\  ^JLc 

vÄiqJlH  v:;aj3I^  ^'-«all  v:>XAäjoU  v^tjjL4JI  JL«  ^.  Hier- 
aus erhellt;  dass  die  A^dät  eine  Abgabe  von  den 
Erbschaften  sind,  also  eine  Art  Erbschaftssteuer. 
Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  aber  auch  andere 
Einnahmsqnellen  ebenfalls  hiezu  gerechnet  wurden. 
—  v32lyJI^  ol Jka^ifl  VÄ>^.  Mawardy  S.  306,  Z.  2. 
Diese  Stelle,  die  von  Dozy  nicht  besprochen  wird, 
bietet  grosse  Schwierigkeit.  Im  Texte  ist  statt  ^^aaj, 
wie  die  Ausgabe  von  Enger  hat,  mit  einer  sehr  alten 
Handschrift  in  meinem  Besitze  zu' lesen  ^«^^  wonach 
zu  tibersetzen  wäre:  ,und  es  erfordern  die  Häuser 
für  die  jungen  Männer  und  Mädchen  zehn  Millionen  • 
Dirham^  Enger  (S.  32)  versteht  hierunter  Waisen- 
häuser. Mit  Sicherheit  lässt  sich  nichts  sagen,  so 
lange  nicht  andere  hierauf  bezügliche  Stellen  bei 
den  Schriftstellern  aufgefunden  sein  werden.  —  JjftI 
öujjk^l,  die  juridische  Schule  von  Irak  im  Gegen- 
satze zu  den  \S^ji\  J^'?  der  juridischen  Schule  von 
Qig&z.  Shahrastäny:  Haarbrücker  I,  S.  39. 

yy^  —   )^^  =  )^ — *^  ij^T^'   ^^^^  Krankheit   (nicht 
vulgär-ägyptisch).  Gabarty  IV,  22,  Z.  11. 

JiX^  —  Ji^"^)  Saum,  Rand  des  Zeltes,  wo  es  am  Boden 
befestigt  wird.  Ibn  Chaldun  V,  441,  Z.  11  v.  u. 
Vgl.  JtXa.. 

icX^  —  iülcX^,  der  Weih,  Sperber.  Plur.  ^jljL^  (vulg. 
ägypt.).  Sha'räny:  Albabr  S.  255,  Z.  1. 

»iX»  —    ij'^X^t  PI-  pl.  von  yiX^i  sing.  üj^Jl»..  Aghäny 
IV,  126,  Z.  16. 


Beitrflge  snr  arabisclifln  Lexikographie.  219 


'    o 


—  o cX%)  pl.  o6L^,  der  Wurfstock,  die  Schleuder. 
Ibn  Doraid  S.  51,  Z.  9. 

(4X2^    —  S^tijL^,  die  äussere  Erscheinung;  das  Aussehen: 

^i^Lojf  g^fiXÄ.  IJüö  g^lj^  loy    Aghäny  XX,  102, 

Z.  8.  (^jLtf.  Abu  Nowas,  ed.  Ahlwardt  IX,  v.  2  ist 

fehlerhaft  statt  ^Jl^). 

^   —  ^1^1  ooül,  Oel   aus   Saflorsamen:   auch   sa^.,  ^\ 

^Lä  genannt.  Gabarty  IV,  291,  Z.6.  Kremer:  Aegyp- 

ten  I,  210,  211.  —  ^^jtf,  adscriptus,  geweiht  =  >^4X3- 

•Ar&is  S.  403,  Z.  16.  Jto  JjJ^  ^J:^  161  ^^aJI  ^I^^ 

—  2LAj^i  (ijJLS.     Vgl.   Kremer:    Culturgeschichtc 
I.  236." 

vaij^ö.  —  &3I^,  coitus   =  gUa^.  Ihjä*  H,  S.  333,  Z.  8. 

(jmÜ^  —  ein  Beiname  des  Löwen.  Ibn  Doraid  S.  154,  Z.  9. 

^Jf^  —   VIII.  J     AJ.H  ^yCÄ.1,    die   Nilüberschwemmung 
nahm  ab,  reichte  nicht  aus.   Gabarty  IV,  153,  Z.  8. 

^Ud  J^t,  CoUectivbezeichnung  für  die  beiden  Stämme 

Banu  Sa'd   und  Banu  Taim.     Taa^yf,  fol.  136^,  wie 
auch  im  ^ämus. 


•  X  »— 


(a*Ä.  —  (jL^^I  *^r^i  das  Schnupftuch  der  Begnadigung. 
Gabarty  IV,  129,  Z.  5  v.  u. 


>•  .  -»    o^   ^ 


^iiX^ji^  —  pl.  Ci»üt  Jüo^,  Erker,  vorspringendes,  vergittertes 
Fenster.  Gabarty  IV,  28,  Z.  8. 

*».  —  '')'y^^  ®^^  Schnitt,  eine  Schnittwunde.    Aghany 
XIV,  173,  Z,  8. 

>!*».  —  ^jr^i  pl-  ji')^i  Jahrescyclns.     Byruny  S.  291, 
Z.  1 :  295,  Z.  n  und  12. 


^O  ^9 


\Jjr^  —  O;/^'  eingekerkert.  Aghäny  II,  31,  Z.  17.  Vgl. 
{^')y^'  Diese  letztere  Aussprache  soll  die  richtige 
sein.   'Ash'är,  fol.  153. 


A       •> 


220  Kremer. 

Jli^  —  oLvLMy^.!  9  sinnliche  Wahrnehmungen.  'I^j&  IV, 
144,  Z.  7  V.  u. 

^-A.Mo'v  —  xjula»!  frommer  Duldersinn:  «  %■  a^H  xju«^I 
(H^JLjJI.  Mowatta'  ü,  25,  Z.  2. 

Juam»>  —  n.  die  Formel  aJÜI  LüJmii^  aussprechen.  Oabartj 
IV,  225,  Z.  5  V.  u. 

^ji^Mkd»  —  SUaw^,  das  Mal^  Schönheitsmal.  ^Lum^^I,  Kup- 
pelei. ^^^wM*j0uMüO,  Kuppler.  Aegyptisch,  vulgär.  Shifil 
S.  37,  84. 

—  U.  sich  aufmachen  (zur  Reise).  Aedj  S.  32,  Z.  12. 

—  vomL^,  Agent  der  Finanzverwaltung.  Ihn  Mam&tj 
S.  15:  ^  ^^UaJI^^ÄJJL  JU^iff  ^y  «üo^b  y^\AS 

lUjJI.  —  Sjy^,  eine  kräftige  Kameeistute.  'AsVär 
fol.  143^ 

—  wOi^,  Enge,  Beengung  (^>Adid))  von  Palmen  ge- 
sagt, bedeutet  es  die  zu  enge  Anpflanzung:  wie  in 
dem  Verse  des  Labyd  (Labyd  S.  53).  Es  ist  nämlich 
eine  alte  Regel  der  Palmenzüchter,  dass  zwischen 
den  einzelnen  Bäumen  ein  hinreichender  Raum  ge- 
lassen werden  müsse.  Abu  ^&tim  in  seiner  Schrift 
üder  bie  Palmen  ftlhrt  eine  Stelle  aus  Afma'y  an, 
wo  er  sagt:  ,eine  Parabel  der  Perser  und  Nabatäer 
lautet,  dass  die  Palme  zu  ihrem  Schwesterbaume 
sagt:  halte  dich  ferne  von  mir,  so  trage  ich  meine 
Last  (von  Früchten)  und  die  deine  noch  dazu.'  Von 

Palmen  gesagt,   bedeutet  yo^  die  geringe  Distanz 

zwischen  den  Stämmen  (J^--oill  ^jju  L«  k^XSj). 
Die  Regel  ist,  dass  die  Stämme  zwanzig  Ellen  ent- 
fernt sein  müssen,  wenn  auf  das  Erträgniss  der 
Palmen,  anderer  Baumarten  und  des  Bodens  ge- 
rechnet wird;  fUnfzehn  Ellen,  wenn  man  nui^  auf 
die  Palmen  und  anderen  Bäume  rechnet ;  zwölf  Ellen, 
wenn  man  ausschliesslich   die  Dattelemte  im  Auge 

hat.  Tanbyh,  fol.  38\  39*.  -  ^v>LIä  >eö^  ^^i  Dozy 


Beitrige  cur  urabitchea  LezikognpUe.  221 

bedeutet:  'Abadfiny-Stroh-  oder  Binsenmatten.  Vgl. 
Kremer:  Colturgeschichte  11^  298. 

&y<^'^  —  It^usrum  in  der  modernen  Aussprache:  der  aus 
unreifen  Trauben  gepresste  Saft,  den  man  in  man- 
chen Theilen  Syriens  statt  des  Essigs  gebraucht. 
Russell:  Natural  History  of  Aleppo. 

Jl^vc^  —   J^iVTtfy  pl.  JüuoLdP,  Gerichtstaxen.  Gabarty  IV^ 

249,  Z.  7  V.  u.  JuuöIäJI  j^l  ^  Ij^aJI^JjLa.. 

—  S^jÄ^,  die  Residenz.  üy/cM  JU^t,  die  zum  Ge- 
biete der  Residenz  gehörigen  Bezirke.  Ibn  ChaUikän, 
Vita  \\\  (ed.  Wüstenfeld). 

—  Vin.  sich  nähern.     Aghäny  VH,  162,  Z.  13.  — 

Jjüaa.,  Verfertiger  der  Stoffe  &-Llii^l  v*^''* 
^hb  alna§aib,  fol.  71. 

—  ftlili^  =   «IJ'^-  Ibn  Chaldun  V,  463,  Z.  12; 


f  •>' 


473,  Z.  18.  —  o^ia^,  poet.  =  r'^y^'*  Mo'allakah 
des  Labyd,  ed.  Arnold,  S.  95. 

O  0    9 

—  JajüaLyjo,   in   der   Türkei  jetzt  die   Reserve,   in 
Aegypten  die  Gendarmerie. 

—  bJÄtf,  ein  Pedant,  Sylbenstecher.  'AjÄ4  Taiit^wy: 
Traitä  de  la  langue  arabe  vulgaire  I. 

fj<^  —  ^^Jt^  1^^^'  J^^  ^^  Spiel,  wo  der  Verlierende 
sich  verpflichtet,  den  Wunsch  des  Gewinnenden  zu 
erfüllen.  T14m  S.  236,  Z.  16. 

J^  —  Jyi^i  pl.  JuJLtf,  frei,  erledigt,  ohne  Inhaber: 

&^^-,l  ^^^jOäm  ^yXxAyiX»x)\  v^Ub,  JuJUtf.  Gabarty 
IV,  249,  Z.  8. 

i_aJI».  —  ibÜLL»,  Pantoffel  aus  Binsengeflechte.   Sha'r&ny: 
Albatr  S.  221,  Z.  2  v.  u. 

(3^  —  v^  L$^^  monopolisiren,  sequestriren.    Gabarty 
IV,  279,  Z.  7  V.  u.  —  Ä&JL^,   der  von  der  Behörde 


222  Kremer. 

bestimmte  Verkaufsplatz  fUr  gewisse  Lebensmittel, 
von    denen    die   Regierung   eine   Verzebrungssteuer 

einhebt,  z.  B.  \*l  4m*H  &aJL^,  der  Fischmarkt  (in 
Kairo).  —  ^Xa^^  mit  einer  Krankheit  am  Gliede 
behaftet:  Shifä  S.  80  v>Ui  »^6  ^  ^5 jJI.  Vgl.  Agh&ny 

XII,   107,   Z.  7.  -  ^Libl  ^^  =  ^f  f^,  das 

Opferfest  von  Mink.  Agh&ny,  ed.  Kosegarten,  S.  224. 
Agh&ny  (Bulak)  I,  150.  Der  Name  kommt  daher, 
weil  unmittelbar  nach  der  Ceremonie  der  Steinigung 
des  Teufels  am  grossen  Opferfeste  in  Mink  die  Wall- 
fahrtsceremonie  als  beendet  gilt,  demnach  jeder 
Pilger  das  Wallfahrercostüme  ablegt  und  sich  den 
Bart  scheeren  lässt.  Vgl.  Burton:  Pilgrimage  III,  284. 

—  SU«Uii,  Fehde,  Kampf.  Agh&ny  XVI,  49,  Z.  9. 

—  va^l  <n  ♦  -^P,  Agrumen.  Ibn  Mam&ty  S.  44. 
Jk*»  —  \jXi  cM^   =  KÄaä,  Kronleuchter  aus  Glas.  Ga- 

barty   IV,  245,  Z.  11.    -   >a»iiU«i,    Gepäck.     Ibid. 

S.  122,  Z.  10;  123,  Z.  13.  üi^  S.  74,  Z.  1  v.  u. 

U»  —  ^(a]»»!  t^ldPl,  solche,  die  sich  in  strenger  Diät 
befinden,  Reconvalescenten.  Abdallatif,  ed.  Sacy, 
1810,  S.  316. 

,j*^   —  u)"^^    C^'   ^^  ^^^  Bedeutung  von  ^^^7  gerade 


«9  S   9 

SO  wie  man  sagt:  ,^j>j^^  yj^***^  oder  *»j^  |%^^.  Solche 
Wörter  heissen  ^Lol    Vgl.  Agh&ny  XI,  121,  Z.  9. 

m  m 

Ueber  f^yy  |%^  vgl.  Tanbyh,  fol.  121. 

Jux^  —  J^Uä'?  Maytarj'  II,  1200.  Vgl.  Dozy  ad  vocem. 

—  vaAAÄÄA,  das  Rhinoceros  (taAby^)^  dessen  Hom 
die  Eigenschaft  haben  soll,  das  Gift  auszuscheiden. 
•Antar,  Heft  122,  S.  52. 

*'  *-    —  die  Bedeutung  propulit  bei  Freytag  ist  zu  strei- 
chen,  wie  schon  Lane   gethan  hat.     Es  ist,  wie  im 


Beitr&ge  znr  aimbitchen  Lexikographie.  223 

Tanbyh,  fol.  90*  bemerkt  wird,  der  Fehler  dadurch 
entstanden,  dass  jma^  verschrieben  ward  in 


•    9  f     O    9 


O  9 


oder   y^  hjLflfc ,  ein  Reptil  oder  Insekt.     Ibn   Doraid 
S.  75,  Z.  14. 

—  das  Männchen  der  Heuschrecke.  Ibid. 


—  ^fll^,  pl.  ^La^I,   Angehörige   der   Schule   des 

Abu   ?anyfah,    Hanefiten.     Gabarty   IV,    S.    260, 
Z.  4  V.  u. 

—  (V'^)  pl-  ^^^  ^^}    Schenke.    Ibn  Atyr  11, 
369,  Z.  5. 


w^  —  %2l^,  Schrannenschreiber,  ^1«^^!^^  V^aX^v^'I^ 

mÄty  S.  14.  (Statt  ^^1  lese  ich  yj^^).  —  y^, 
der  Posten  des  Einnehmers  der  Armentaxe  ^J^  ^i^ 
y^ojo  y^.     Mowatta'  11,  51,  Z.  2  v.  u.  d^^j  a^ 

J«Ä  —   ^1^,  einjährig.  Ibn  Mam&ty  S.31.  Von  Thieren 
gesagt:  ^S^^  ^^y^y  ^yjo\M. 

f^y^  —  {Sy-^i  pl-  ^'y^t  SchlangenfUnger,  Gaukler.  Meid. 
I,  419.     Gabarty  IV,  198,   Z.  11;   309,   Z.  4  v.  u. 

—  v5^^i  verzaubert,  gegen  die  Schlangen  gefeit. 
D.  H.  Müller:  Sitzungsberichte  der  Wiener  Aka- 
demie, 1879,  Bd.  XCIV,  S.  50  (nach  dem  Iklyl). 

i^>  Glückwunschschreiben.'    Aghäny   IX,   87, 

Z.  4  V.  u.  JuJJI  oIa^,  die  Nacht  stets  im  Gebete 
zubringend.  Ibn  Atyr  HI,  345,  Z.  3  v.  u. 

Ju»  —  Juf^,  pl.  von  Ju^l,   sich  abwendend:  \^\^  \J^ 

^''j|.  Ta§byf,  fol.  153^ 


—  *^U.,  nicht  vollgewichtig.  Shifä  S.  87. 


224  Kr«B«r. 


Albabr  130,  Z.  17;  218,  Z.  18. 
y^jL*  —  ^I2l   =  JüLjJI.  Mo'aU,  ed.  Arnold,  S.  182. 

c 

—  SH^)  Tafeidecker,  der  Diener,  welcher  bei  der 
Tafel  bedient.  Ifcd  IH,  S.  7,  Z.  21.  Ibn  Atyr  H, 
365,  Z.  11. 

ucui^  —  üoju^,  pl.  lLajks^\.  Ibn  Atyr  ET,  336,  Z.  1.  Aghäny 
XVn,  102,  Z.  6. 

loAÄ.  —  IoLä,  Verwirrung.  Ibn'Arabshäh,  fol.  110,  112^ 

—  SJLuX,  das  Geschenk  =  klkjüf.  Ta§byf,  fol.  123*. 
Nach  Abu  *Obaidah. 


-^     Stempeltaxe.  Gabarty  IV,  95,  Z.  16. 


—  SJütf.  Shifä  S.  222  fUhrt  hiezu  die  sprichwört- 
liche Redensart  an:  SJitf  |%Xm«K  ssa^  ^^«Jl^  und 
erklärt  sie  für  eine  versteckte  Androhung  eines  bald 
zu  erwartenden  Unglücks. 

iX^J^    —   OL^Jl^,  Becher: 

Aghiny  VIH,  40,  Z.  2  v.  u. 

—  r»<>^)  Eunuche:  |»(>l^  a3I  |f^  \J^y  ™^^  ^^^~ 
muthete,  er  sei  ein  Eunuche  gewesen.  Mas*udy  VHI, 
43.  Aber  diese  Bedeutung  hat  das  Wort  nicht  aus- 
schliesslich.  Vgl.  Aghäny  XVHI,  184,  Z.  10. 

—  ^^y^t  niit  dem  Schwerte  verwundet.  Das  Wort 
kommt  in  einem  Verse  des  Abu  Do'aib  vor:  L^^^ 
cji?  »LaJüt  JJoj,  wo  aber  eine  andere  Lesart  lautet 


B«itr&fe  xnr  urabiscben  Lexikographie.  225 

c  jLi^,   d.  i.  in   den   Kriegslisten   erfahren.     Ta^byf; 
fol.  148^ 


^Jk^  —  SjuJ^y  wohl  richtiger  äJbcX^^  Dame,  hohe  FraU; 

iert:  das  türkische  ^4>Lj  oder  ^^l^i..     Ihn  Chaldun 

m,   80.   Z.  12:   oH^J»   ab;  aüUiDjJf  ^^   SLJojLä.. 
LatHYf  S.  30. 

o9  o'i.*'  ■  w.ftoy 


.#?^^ 


,^^Ä.  —  ^j^i   iXJiXil   i^Ä.  —  ^l      <nüf   i^«^,    ScoriO; 
Schlacken.  Gabarty  IV,  312,  Z.  2. 

>y^  —  der  Abtritt,  die  Retirade.  Faw&t  I,  82,  Z.  7  y.  u. 


>»    0^9^ 


sJUü^  —  Eseltreiber.  Aghä.nyIV,174,  Z.2.  Auch -.JUü^. 
Raby*  alabrär,  S.  261,  Z.  8.  ^ 

f^y^  —  *^7^>  pl-  ^'^T^i  vorspringende  Fenster,  Erker, 
Balkon.  Gabarty  IV,  28,  Z.  8.  —  va*^l  -.^^  = 
o^l^.  Shift  S.  92.  —  J^dB3u,/ifiyv>,  Steuer- 
einhebungsamt. Arifcd  I,  179,  Z.  15.  —  frf^  ~ 
X.>Jütf,   Eameele,   die   den   baktrischen   Kameelen 

ähnlich  sind   (Juifl  ^  vsxäJI  JlTLä  Lo).    'Aräis, 
S.  70,  Z.  14. 

^5(>f4>«^  —  Weinpokal.  Makryzy:  I,  414,  Z.  14. 

)^  —   ^)7^'  Steinplatte,  welche  die  Brunnenöffhung  um- 
schliesst   oder   einfasst.  «jlJI   ^  J^  g^*^»H  ^l. 

Gabarty  IV,  162,  Z.  18.  —  )^,  pl.  ^^liff,  die  Naht. 

Labyd  S.  96,  Z.  1.  —  S^ji?,  die  Näherin.  Lozumijj&t 
fol.  244^ 

lt;^  —  LTr*"'  C5^l>^'  ^^  >9^''  unbebaute,  brachliegende 
Grttnde.  Gabarty  IV,  156,  Z.  13  v.  u. 

u^T^  —  C>ai7^7  pl.  J^/i^'  Sa\\  n,  84,  Z.  2.  —  (>u^ 
=  (>uP>.«>.  Shift  S.  59. 

^/^  —  XII.  Jd^^^l,  diese  Form  findet  sich  nur  im 
Aghäny  XI,  25,  Z.  2,  und  zwar  in  einer  Stelle,  die 

Silxnnpber.  d.  phii.-hist.  Cl.    CHI.  Bd.  1.  Hft.  15 


326  Kremer. 

auch  in  andern  Werken  wiederholt  wird^  nämlich 
der  Beschreibung  des  Löwen  durch  Abu  Zabjd, 
aber  sowohl  bei  Gd.l9ii?:  Malt^äsin,  fol.  95^  als  in  den 
Mosftmarät  des  Ibn  'A*rd.by  II;  94  liest  man  h^j^U 

8«l^»H  hyi\  vfJLoUjÜI,  aus  gedrechseltem  Holz 
augefertigte  Fenstergitter^  in  Kairo:   Masharabijjeh 

genannt.  Gabarty  IV,  28,  Z.  10.  —  ätsi^^,  Couvert 
eines  Briefes,  Umschlag,  Umhüllung  desselben.  Agh&ny 
VI,  76,  Z.  14.  Tasche,  Portefeuille.  Ibid.  90,  Z.  17; 

Depesche  (amtliche)  iajt%ill  ijdi  y^yXj  Jli^I  ^^yi 
Ahmed  hatte  die  Depeschen  ssu  ersähen.  AgbAny 
XIV,  37,  Z.  11-,  PostfeUeisen.  Isfahany  H,  301,  Z,  5. 

(Joy^  —  n.  (J^y^)  mit  J^^  sich  überheben,   sich  in  die 
Brust  werfen.  Agh&ny  Xm,  83,  Z.  10  v.  u. 


^ßSy^  —  U«^r=^)  rauh,  uneben,  grobkörnig.    Gabarty  IV, 
305,  Z.  10;  312,  Z.  2.  —  ^ßJu>^^  der  Hahn.  Tan- 

•    byh,  fol.  85^-  vafiLJI  jÄuo^^  J^f^j  ^HH^^I  JU^ 

JJkXj\  IjI  sdbjJf  JiMj^\  Ul^,    also   der  Hahn, 

wenn  er  die  Federn  sträubt.  —  Das  Wort  \J*jOj^ 
fehlt  auch  in  den  Wörterbüchern,  hingegen  hat  Frey- 
tag nach  dem  ^^ämus  qmjo^I  oder  uax^l  in  der 
Bedeutimg:  schweigen. 

jCijOwa»  —  jÄjuol^Ä.,  Pfotenhiebe  der  Katze  oder  Kratzwunden, 
die  sie  macht.  Meid.  HI,  S.  477. 


Cy^  —   *\Iä,^^,  geronnene  Milch.     AghÄny  VIH,    74 
Z.  4  V.  u.  Das  Wort  ist  ein  Schreibfehler  oder  eine 


dialektische  Variante  statt  oL^  ^^. 
iu4).s^  —  ein  Gewand :  4X*^  Jl  ^j^^^^  ^f  v^Lo  v^ 

^U^kif  vi  -L-^  4Xjw^^  iuA)Ä.  ^juAj.    Tasbyf, 


fol.  22\ 


j»yÄ.   —  *^^>^>  eine   besondere   Art  von  Registern,  hn 
Kanzleistyl.  Shif&  S.  88. 


Beitrftge  z  nr  unblsehMi  Lexikographie.  327 

^'y^  —    jUb  *Aj^>  eine  Classe  von  steuerfreien  Grund- 
stücken. Gabarty  IV,  94,  Z.  17. 

—  v.jLyM^,  Flechtwerk  aas  Palmblättem:  ^1   jj^ol^ 

Umi^  S;Jj^  ^gJ^  J^t  \jOy£^  xJ  1^43^.     Saif  al- 
jazan  S.  20. 

^jAMto^  —  das   Segel  {p}r^)'    N&bighah,  Commentar  der 
Ausgabe  von  Kairo  S.  26.  Das  Wort  als  Variante 
angeftihrt  zu  V,  46  der  Ausgabe  der  sechs  Dichter 
von  Ahlwardt  für  HaUyx^. 

J^  —  ji^liÜ  =   s-4t^'-     ShaV&ny:  Albafer  S.  128, 
Z.  9  V.  u. 


—  w^Liff.  Ahlwardt:   The  Divans  S.  170,  V.  33 

ist  wahrscheinlich  eine  falsche  Lesart.  In  dem  Gam- 
harat  al*arab  von  ^orashy,  fol.  34^,  Manuscript 
meiner  Sammlung  liest  man  statt  s^^\jff  LjJue   — 


—  Jli4>^>  y^  LaC)  ein  eiserner  Stab.  Ibn  Chaldun 
IV,  57,  Z.  10,  eine  Art  Speer:  ^Lo;  m<il\  ^"ify^y 

cL^^^ä^  ^  Ju  lU^y^  ^  Lo.  Ma^yzy:  Chitat  I,  412, 
Z.  15.  'Antar,  Heft  111,  S.  196.  Wurfspeere,  Heft  134, 
S.  461. 

jitljLA^  —  pl.  ^^juybljLM^,  Freunde,  Kameraden  (von  den 
Mameluken  unter  einander  gesagt).  Vgl.  Dozy.  Ga- 
barty IV,  22,  Z.  15;  27,  Z.  11;  196,  Z.  9. 

^yM  ^lA^   —   ein   Kleiderstoff.     (5^  ^^iL^^^  «^M  oder  nach 

anderer  Lesart  ^^Xla^.  Agh&ny  H,  124,  Z.  8  v.  u. 

oder  dbUC&^.  Mas'udy  VHI,  230.  Gabarty  IV,  137, 
Z.  9  V.  u.  Vgl.  Dozy. 

-  ^^-fl^  =^  »y«>  ^,^*>  »LuÜl  wUDi  ^iUI.  Sobky, 
fol.  13\ 


i%   A  L. 


^         X 


—  ^^^4^  v5*^^N  grüne,  d.  i.  frische,  unvergessene 
Wohlthaten.  l%m  S.  202,  Z.  4  v.  u.  —  LdlT,  grün. 


schwarz,  aber  auch:  himmelblau,   ^t  ^y^^  ^^  ^ji 


228  Kreiii«r. 

S.  230,  Z.  5  V.  u. 

v,aJl<n7»  —  v.AJLdiS&Jl  (j^JeJ\f  Dattelpalme,  die  nur  verküm- 
merte Frucht  tr&gt.  Nach  dem  Buche  Naw4dir  von 
Abu  'Amr.  Tanbyh,  fol.  142^ 

^j..i6^  —  I.  kokettiren  (J^).  Ta§byf,  fol.  152*. 


iJL 


S9o^      e>>      ,-'-'  .     j*,.         ^^  C    ^^ 


«•  IM 

JaÄ^  —  au^t  4^  io^t  den  Namen  (im  Register)  strei- 
chen. Aghäny  XI,  164,  Z.  14  v.  u.  —  &LL,  Stadt- 
viertel. Gabarty  IV.  256,  Z.  16  v.  u.  —  SWisÄ., 
pl.  langfUssig,  lange  Beine  habend.  'Antar,  Heft  107, 

S.  60:  ,J,  ^L^l  »^  uiSf,  ye  ^^su,  ^t^l  ^, 

JI^J«  kfelLil  ^  ^jir  «a5l;^3»  y^  ;-« ^^  (JLxä: 

,und  stürzte  auch  das  Ross,  so  kam  er  auf  den  Boden 
zu   stehen  und   nichts  konnte   ihm   ein  Leid  verur- 

« 

Sachen:  denn  er  war  einer  der  Langbeinigen,  Hoch- 
gewachsenen' —  Das  Wort  scheint  eine  vulgäre 
Fortbildung  der  Wurzel  Uo^  zu  sein. 

Lää.  —  III.  verbergen.  T^'rafah  XHI.  v.  11.  Ahlwardt. 
Aber  sicher  ist  das  Wort  nicht,  denn  bei  Zohfur 
XV,  V.  13  findet  sich  die  IV.  Form.  Keiner  der 
alten  Lexikographen  hat  die  III.  Form  aufgenommen, 
obgleich  sie  nach  Ahlwardt  in  allen  Handschriften 
erscheint. 

Jlä.  —  Jj^)  adverbial  =  ^yxi^  zwischen.  Labyd,  S.  70, 
104.     Tarafah   (Ahlwardt)   S.  65,  v.  11;  S.  66,  v.  2. 

—  Jl^  —  ,^ib  Jlä.  ^jjo  ye  Lo;  es  ist  nicht  der 
Essig  fUr  meinen  Salat.  Volksthümliche  Redensart. 
Shifa  S.  91. 


Beitrüge  zur  arabischen  Lexikographie.  229 

As^  —  Xn.  Xyi^^'  Zohair  XX,  v.  25  (Ahlwardt).  Diese 

Fonn  fehlt  bei  den  alten  Lexikographen,  demnach  ist 
wahrscheinlich  die  überlieferte  Lesart  falsch,  oder  der 
Vers  unecht.  Letzteres  dürfte  in  der  That  der  Fall 
sein.  Vgl.  Kremer:  Culturgeschichte  II,  S.  385,  Note. 

UoJL^  -*•  (joil^,  im  modernen  ägyptischen  Dialekte  in 
adverbialem  Sinn  zur  Verstärkung  der  Bedeutung 
eines  yorhergehenden  Eigenschafti^ortes  gebraucht, 

so   wie  IJLä   oder  ^y^y   z.  B.  uaJlL  ^LjjiS,    sehr 

ermüdet^  uaiL>  {j^y^i  sehr  schön  u.  s.  w. 

^Iä.  —  rV.  mit  JLä,  schenken.   *Antar.  Heft  137,  S.  64, 
Z.  2:  aJI^I^  ^(iUo  sJui.  s^JLÄ  ^  Vr^^  tf  ^^ 

v^fl.ls   —   aLiXs,  Zuckerrohr  schlechter  Qualität.     Ibn  Ma- 

maty  S.  48, 49.  —  SUjJLä»,  Officier  über  fiinfzig  Mann, 
zur  Zeit  des  Chalifen  Mosta*yn.  Ibn  Chaldun  HI, 
299.  Vgl.  Kremer:  Culturgeßchichte  I,  S.  237.  — 
uiuJLitf,  die  Eingeweide,  die  AbfllUe?,  wahrscheinlich 
im  Sing.  y^yXiff.  Das  Wort  kommt  zur  Bezeichnung 
einer  besonderen  Art  Fleisch  nur  einmal  vor,  und 
zwar  bei  der  Beschreibung  der  Nahrung,  die  dem 
Falken,  wenn  er  maust,  gegeben  werden  soll:  A^^ 

i»L>t  mju(m  Ü&x^LoJu  (uLJU^I  iWtisLj«.  Atar  al'owwal 
Seite  143. 

(3JL^  —  V.  mit  ^^,   sUmen  auf  jemand.    Gabarty   IV, 

116,  Z.  2.  viJÜö  v_M-«j  p-jJU  (3lil,.  -  .[iXL, 
poetisch:  die  Wolke.  Labyd  S.  85,  Z.  4  v.  u.  — 
xjLäJLä.,  ein  Fetzen,  ein  Lappen.    Mochta^ar  Raby' 

al'abrär  S.  9,  Z.  11:  iüliOillj   l^j)^  vaiai  Ju>. 

^Lä.'  —   Lj^  ^^  ^Lä.  Jo  »IjjoI,  eine  Frau,  die  im  Alter 
vorgeschritten  war.  AghÄny  D,  196,  Z.  10.  lieber  diese 

Redensart  vgl  Lane,  wo  LjJuo  ^»^  in  derselben  Be- 


230  Kromer. 

deutung  angeführt  wird.  —  s^L^^  mit  jemimd  ge- 
heim sprechen.  Aghäny  XV,  137,  Z.  11.  Vgl.  Lane. 

—  ^Ui^)  das  Wort  ist  von  den  alten  Lexikographen 

nicht  aufgenommen  worden.  Wie  es  scheint,  auch 
mit  Recht.  Es  kommt  zweimal  in  einem  dem  N&- 
bighah  fälschlich  zugeschriebenen  Gedichte  vor.  Ahl- 
wardt:  The  Divans  8.  170,  V.  17  und  26.  Die  Be- 
deutung ist:  berauschend,  betäubend. 

—  Jüy  dMjf»,  Ftinfparastück,  eine  Kupfermünze.  Gk- 
barty  IV,  312,  Z.  6  v.  u;  313,  Z.  12  v.  u. 

—  U*;,»T»,  vox,  strepitus  bei  Frejtag  ist  zu  streichen, 


denn  es  ist  verschrieben  fUr  \J*^kS^* 

So»  ?""' 

=   cMß.     K&mil   S.  66,  Z.  6,   nach  einer 


9  O  t 


vereinzelten  Lesart.  Vgl.  v'aJ^,  das  an  dieser  Stelle 
am  passendsten  scheint 

^^Jvik.  ^  ssUä^.  Vgl.  hierllber:  Culturgeschichte  I,  S.  46, 
47.  Es  kommt  auch  das  Femininum  vor:  Aghany 
n,  174,  Z.  15. 

^Ä  —  ein  Kleiderstoff.  MaJ^ta^y  I,  168,  Z.  6  v.  u.  ^ 


—   cjll^,  schlechte  Nachrede.  A^gJ!  «OLCII,  nach 
einem  Verse  des  Azdy,   der  hier  folgt: 

goLill  »1^1  ^j^  ^^AaLb  ^i5    j^  J^  ,gf^  ^  ^2^«  ^d1  il 

Als  Varianten  werden  hiezu  angefahrt  die  Formen: 

^<>ll>)  y>\SL.  Ta^byf;  fol.  16P. 

^JUÄ.  —  das  befestigte  Lager.    Gk>eje:  Fragmenta  Histor. 
I,  188,  Z.  2. 

,»«U^  -^  MdjAS  ij^.  Agh&ny  VI,  93,  Z.  4  v.  u.  Dieselbe 
Lesart  auch  im  MUnchener  Codex  478 

^  —  hinken.    Ma^^paty  U,  1182,  Z.  19:  ^  v>*^OJ>) 
*^  sIsj  i^  ^  ^  }UmSo  KAÄ*J5^cV*f.    Viel- 


Beitrig«  znr  arabisclien  Lexikographie.  231 

leicht  verschrieben  für  ^^t  denn  es  fehlen  andere 
Belege  fUr  diese  Bedeutung. 


—  ^*U^)  der  Ejragen  (des  Kleides).  Gabarty  IV, 
33,  Z.  12  (vulgär). 

>XX^    —  musiciren,  musikalisch  sich  produciren.     Agh&ny 

V,  15,  Z.  2  V.  u.  Vgl.  Doay.  —  ^Uaä.,  Musikant. 
Sänger.  Agh4ny  V,  64,  Z.  7  v.  u.  PI.  ^J\jJ^. 
Aghäny  XVII,  123,  Z.  18.  Persisch:  y/Uil.. 

8p*.   =   gy».l,  Bruderschaft.  Shifä  S.  88. 

^y£^  —  I.  sich  abwenden,  ablassen  von,  mit  dem  Accusativ 

der  Person.  Aghäny  VI,  63,  Z.  12.  ü»;^'  vJl^l  if, 
wozu  der  Commentar  bemerkt;  Lgir  ^>aj  ^jjj^* 

sl^,  der  Wildstier,  das  Männchen  der  Wildkuh, 
poetisch  so  genannt  in  dem  Verse  des  Dulrommah: 

Es  wird  eine  verlassene  Wohnstätte  (^^4>)  geschildert, 
wo  nur  der  Wildstier,  der  Strauss  und  die  alten 
Wildkühe  mit  ihren  Kälbern  sich  herumtummeln. 
Ash'&r,  fol.  182^ 

m  9 

\£\f^  —  ein  Eiogeborener  von  Chuzistän  (Susiana).     Der 

Name  wird  als  Schimpfwort  gebraucht.  Aghäny  VUI, 
174,  Z.  8  V.  u. 

j£Uä^  —  pl.  iUÄL£&y^.  Fawät  I,  109,  Z.  17  =  ^^IJlää. 

^joy^  —  spärlich   geben:    Lui  ^y^   ^'^  ^s^-^^^^   J^ 

I^A^  L&  ^^   ^1^  161  LUojJI.  Tartyf,  fol.  142». 

—  J%— ^)  pl.  v;:^^^)  die  als  Frauen  gekleideten 
Tänzer,   die  in   Kairo  den  Namen  Chawal  führen. 

Gabarty  IV,   101,   Z.   11:   ^^jucIäJI  ^  f^^^y 

oi;jl  ^L  ^,J^  ^H^  «^"^  cH^^/*^' 
v^Ulo^  o^«>  |^4«^^'    Vgl.   Lane:    Modem   Egyp- 


232  Kremer. 

c 

tian«,  unter  dem  Worte  khowal.  —  <i^)  pl-  *^^ 

oder  aÜI^,  der  Gärtner.  Gabarty  IV,  195,  Z.  9; 
275,  Z.  6  (modern  ägyptisch:  ch6Iy  ausgesprochen). 
Nach  einer  Note  in  der  Ausgabe  des  Shifä'  alghalyl 
ist  die  moderne  Bedeutung  des  Wortes:  Obergärtner. 
Vorstand  der  Gärtner  und  der  ländlichen  Arbeiter, 
S.  87.  Zur  Zeit  des  Verfassers  dieses  Werkes  hatte 
es  vorwiegend  die  Bedeutung:  Schafhirte. 

^y£^  —  dasselbe  wie  ^JLa..  lOOl  Nacht  I,  222,  Z.  8  v.  u. 

^Lsü^y  dasselbe  wie  ^^LfiXSy  daraus  zubereitetes 
Wasser.  ^jIäJ^I  .Lo.     1001  Nacht  I,  138,  Z.  15. 

—  SJJ^,  pl.  v:L>t<>3^,  Dame,  hohe  Frau.  Gabarty 
IV,  S.  92,  Z.  1  V.  u. 

—  8«jkil.  Ueber  die  Bedeutung  dieses  Ausdrucks 
vgl.  Ihn  Atyr  ü,  304,  Z.  13. 

—  ^gjU^  ia**  =  ^.  ia**.  Ibn  Atyr  IH,  124, 
Z.  19;  163,  Z.  19.  Tabary  III,  iv,  1095,  Z.  14. 

JoÄ.  —  i}Jä}\  JLa.  v^,  das  Schattenspiel.  Shifa  S.  50. 
Vgl.  das  zu  dem  Worte  iüL  Gesagte. 


*^if|j  —  siehe  ^^  —  8^«>, 

^Lol«>  —  eine  Art  Aepfel.  ShifÄ  S.  101. 

S^fo  —  pl.  VÄ>l^lv>,  Frachtschiff  (im  Rothen  Meer).     Ga- 
barty IV,  53,  Z.  2  V.  u.;  103,  Z.  2;  126,  Z.  12  v.  u. 

V*^   -•    ^^^   pl-  isi^'^^    Satteldecke,    ein  Tuch    oder 
Teppich,  der  über  den  Sattel  der  Reitesel  gebreitet 

wird.     Sha'räny:   Albafer  S.  HO,  Z.  6:  aüül«>  y^JJ 

(«>aj4>  —  Partei  nehmen,  für  oder  gegen  jemand,  im  Spiele. 
AtÄr  al'owwal  S.  131,  Z.  12,  wo  von  dem  Verhalten 


B«itrftg«  zur  aMbischen  Lezikogrmphie.  233 


im  Schachspiele  die  Rede  ist^  wenn  man  mit  dem 
Sultan  spielt:  sU  ^^  ^^j  y:^4^  "^J^^ULI  JU^  ^y 
^ji  M>\^  oiJJ^  öU^lolo  ÜL  »U  JUrf  Ut^  oU 

^yßO^    S!>\y    (l     &Ä^)    lU^    3     £T^    ^5^^    '^'^    V5^ 

|w«aill  v!)yUo^  aud^Ltf  JüU^  auJt  Ifi  ^^.  —  An 
einer  andern  Stelle  auf  derselben  Seite:  >i)J  \^iXj(Xf 
ij^^  er  nimmt  Partei  flir  dich  gegen  mich. 

(jmJ4>  —  jMb^ot,  fem.  »LmU4>;  man  sagt:  (jMi^O  ^^^ 

was  so  viel  bedeutet  als  ^\yjJ\.  So  nach  A^ma'j. 
Tanbyh,  fol.  87^  Vgl.  ^j^^ 

jM^4>   —  (j^«>9   Bruchstein   (moällon)^   unbehanener  Bau- 
stein. So  in  Kairo,  Gabarty  IV,  253,  Z.  16. 

JfX^O  —  die  Truhe,  worin  feine  Leinwand  aufbewahrt 
wird  und  davon  die  Leinwand  selbst.  Das  Wort 
kommt  in  einem  Verse  des  Abu  Do'Ad  arijädy  vor, 
wo  ein  Pferd  geschildert  wird,  dem,  nachdem  es 
sorgfältig  zum  Rennen  vorbereitet  worden,  die  Decke 
abgenommen  wird: 

jfj^Ailff  K»4falH  ^  Ju.  L^jOft  J^l  Ü^^ 
Hiezn  bemerkt  der  Commentar:  >w^»><AS  Jl^UJ  Jjb 

ssi^  yD^  8 Jjkä^  IgjCialj  ^1  xjLu  aLJü  aj  a^ 

v^LiJf.  Ash'är,  fol.  154\  Vgl.  Aghany  H,  24,  Z.  2 
V.  u.;  41,  Z.  9.  Der  oben  citirte  Vers  findet  sich 
auch  im  Divan  der  Hodail  (ed.  Kosegarten)  S.  249. 

jjjÄO  —  «;L^-     Tabary  III,  iv,  S.  1169.     Vermutblich 

statt  {jQj^X^f^* 

jLa.J  —  Jys.J   =  st^f  ^^f,,,^  Shia,  8.  92. 


236 


Kremer. 


-•  o    ^ 


KigU^O  —  Fläschchen.  Anbäry  S.  121 :  ^  ^UsyXMiC>  auuo^ 

vä:   er  hatte   zwei   Fläschchen  Tinte  mit  sich.  — 
JuLo  XäZ^v>,  Weinflasche  V,  170,  Z.  7  v.  u. 
^yXA^f>  —  das  Original,  das  Autograph.  Fihrist  S.  151,  Z.  7: 
&^  ^üliU  i2r*^t  Äj|^  3  Jisyt  ^yX^C>  ssoi^  Jüf^. 
Ibid.  S.  346,  Z.  13:  ^^jJ»  »a^  * UI  IJü»  ^K^. 

^4>  —  j-iw4>jo,   zusammengehalten,  befestigt,   verbunden. 
•Ar&is  S.  298,  Z.  6  v.  u. 

^t>  —  8^U<XJI  Jliöl,  Räuber,  Strolche  ((^jJaJI   plii*). 
Sat:t  n,  46,  Z,  8.  Aghiny  XVI,  61,  Z  9  v.  u. 

^*>  —  ,j5^Lc4>   (türkisch),    eine  Art  Gnadengabe  für 

die  Armen.  Gabarty  IV,  211,  Z.  18:  LöjI  »^JL^fJ^ 

^^LejJI^  s^oLmJL    aLi^uLjt    ILLäauoLii  o>^  ^i 

L^i^  (S^J^^i  JUUlII^   .lyuJÜ. 

cJlcO  —   £OLDt>,  pl.  von  &£4\xi>,  Gemüthsaufregung.  Ma- 
wätif  S.  226,  Z.  9. 

Oi>  —  ÄA>4>,  pl.  ^Uo  =r  \Jyc  Ä:>U&)   ein  Oberkleid 

nach  Art   der  'Ab&jeh,  aus  Schafwollstoff.    Gabarty 
IV,  283,  Z.  1. 

Jv>  —  itfv>,  Tribüne,  Schaffet.    Ghorar  S.  214,  Z.  16: 

^<>f  sy^  iutU:>y  (J-a;^!  JLoJI  ^  &5b  i^Uo  ^1^ 

vJ^Lä.  ^  (*4J^;S  1^-44^'  ^>*faiLi  L^julfi  \yiXJuo\  fj. 
dl?*>  —  Taschenspieler,  Gaukler.  Shifa  S.  125. 

\i*>  —  VI.  sich   drücken,   sich  drängen.     Labyd  S.  27, 
Zeile  5. 

yjSf>  —   £7^  yj^^^'i  poetisch:  der  Wasserschlauch.  Ha- 
dirah  S.  8,  Z.  9. 

Jo   —  Jny^t^t  ein  Regierungsschreiber.  Ibn  Mamäty  S.  14: 


Beitrige  zur  anbiachen  Lexikographie.  237 

wJ^4>  —  I.  sich  wenden,   umkehren.     Ibn  Doraid  S.  140, 
Z,  8  V.  u.  Aghiny  VI,  5,  Z.  9. 

Wo  —  l»winH  aJ4>)  widerlich  oder  fade  von  Geschmack. 
1001  Nacht,  I,  S.  242,  Z.  9. 

^0  —  85>v>  oder  iUj5H4>,  im  sing,  ^^^ifl^^  Gabarty  IV, 
3,  Z.  18;  214,  Z.  13;  229,  Z.  2  v.  u.  Name  der  irre- 
gulären Reiter,  die  im  Türkischen  /c^L»  ^ö  heissen. 

Ihre  Kopfbedeckung  bestand  in  einer  fast  einen 
Meter  hohen,  schwarzen  Filzröhre  ohne  Krampe, 
unten  mit  einem  Tuche  umwunden.  Sie  waren  mit 
Lanze,  Schwert  und  Gewehr  oder  Tromblon  be- 
waflfhet.  'Äbbäs-Pascha  flihrte  sie  wieder  in  Aegyp- 
ten  ein,  musste  aber  diese  Truppe  in  Folge  der 
Einsprache  der  Consuln  auflösen,  indem  sie  sehr  in- 
disciplinirt  war  und  wegen  ihres  Fanatismus  die 
Sicherheit  der  Europäer  gefährdete.  Vgl.  über  die 
Delybashy  Mouriez:  Histoire  de  M^h^met  AH.  Paris^ 
1855,  Vol.  I,  S.  192. 


w         O  ^    9 


y04>  —  fJ5j^^  (i^  ägyptischen  Dialekt),  Name  einer 
vorzüghchen  Qualität  von  Wassermelonen,  so  benannt 

nach  dem  Dorfe  SwueO. 

,j^4>  —  fj^i>^    Stallmist    (^j-j^L    io^JLitf    (^Lj^Jt  Jüiv). 
Gabarty  IV,  125,  Z.  8. 

>Äv>  —  ^l^^7  in  der  modernen  Sprache  wird  es  oft  ge- 
braucht in  dem  Sinn  von:  Kopf  {{jt*U)'  &£L04>  J^. 
seinen  Sinn  ändern.  Gabarty  IV,  1 12,  Z.  5  v.  u. 

^4>  —  X.  =  rV.  bluten  machen.  Agh&ny  XVI,  107.  Z.  21. 

ijj^^  —  ein  abführender  Trank.  Shifä  S.  190. 

^i^  —  1L^«>,   der  Schmutz.    'Antar,   Heft    108,   S.  76. 
Siehe 


238  Kremer. 

^Jm^  —  bUjUO  c^Jla».     Mas  udj  V,   24.     Die   Lesart 
scheint    fehlerhaft.     Die    Ausgabe    von   Kairo    hat 

bUje  J.  Vgl.  yäÄ4>.  Ihn  Doraid  S.  326,  Z.  3. 

(3^0  —  n.    ^3a>JJ,    sparen^  knausern.     Gd^bi?:   Rasäil, 

fol.  209,  Vgl.  Lane. 

s 

ye4>  —  ^yjlv>,   Genosse,   Gefährte.     Abu  Nowäs  XII, 

V.  5  (Ählwardt). 

jMp4>  —  I.  mit  den  Füssen   treten  (ltI^).     Gabarty  IV, 
163,  Z.  5  V.  u. 

yxli&J   —  V^^^^  ui  der  modernen  Aussprache,   der  allge- 
meine, feierliche  Empfang  bei  Hofe,  jetst  in  Indien 

Durbar,  d.  i.  ;^)*>  genannt.  Fawät  I,  195,  Z.  10: 
yjJjojJf  A»4>  Juu  ,nach  Aufhebung  der  allgemeinen 
Audienz^  Statt  >04>  ist  besser  zu  lesen  a*«. 

^O  —  »i^^l  (fXjl.  Ibjä'in,  141,  Z.  9  V.  u.  Schwarze 
Rosse,  <Ue  angebunden  im  Stalle  stehen.  Vgl.  Lane. 

yj*^^  —  I.  überlisten,  überrumpeln  wollen.   Sha'rUny:  Al- 
babr   S.  92,   Z.    18:   Uü   Juio:^   &AJLxt   Uä^«>   131 

.yD4>  —  IT.  sich  ungestüm  benehmen.  Fihrist  S.  190,  Z.  21. 

-^j4>  —  V.  Byruny  S.  4,  Z.  5;  es  ist  an  dieser  Stelle  zu 

lesen  N..^;cX}t  Ssd3  statt  s..>lXJI  ^IcU,  denn  für  den 


Gebrauch   der  V,  Verbalform   der  Wurzel  ^^ö  ist 

sonst  keine  sichere  Belegstelle  zu  finden.  Vgl.  übri- 
gens Dozy  sub  voce. 

4>^4>  —  «^^4X5,   Futterstand,   Krippe,   im   Stalle,   vulgär 

statt    4>5Jl;.  Gabarty  IV,  159,  Z.  7.  lOOl  Nacht  I, 
5,  Z.  9  V.  u. 

j^t>  —  yi^i    Name    eines    Gefilngnisses    in   Jamlimah. 
Kämil   S.  91,  Z.  9.  —  lyAö^   die  Mühle,   wo. der 

Reis  enthülst  wird:  \j^\   aui   ^Jo   ^JJI   Jl^Jt. 


Beiträge  znr  arabischen  Lexikographie.  239 

Gabarty  IV,  154,  Z,  20.  —  ^«^dJI,  die  Ringe  des 
Helmes,  mit  welchen  dieser  vor  dem  Gefechte  am 
Panzer  festgemacht  wird,  damit  er  nicht  herabfalle. 
Der  Verfasser  des  Tanbyh,  fol.  62*»  flihrt  dies  des 
Näheren  aus,  indem  er  gegen  Mobarrad,  den  Ver- 
fasser des  Kämil  polemisirt:  ^juyJLi  ^  (jmLIiÜI.^1  J\jy 

4I5 JJI  (XÄ£  dJi»  ÖS  y.MS:f  y»\       liXÄ  tot  ijyif^  J^  v«U  ^ 

4Ui>  JjU  j5^  t6t  u«pUJt  ^Li  £,;tXit  ^\yO  Juo 
^J«^UJt   ^j<^,Jj  «J  x»,  5t  ^  »^  «X».t   xiib    (J  IJüO^ 

•hi,  g^jJL?  jLij  iUi^t  Lil,  ^t^  LfSL?  ^;jJt 

j^yC&uJt    Jisuit   JLS   «XSj   ^j«^UJt   ydjj  tot  ia&»ö 

Der  oben  angeft&hrte  Vers  des  *Orwah  findet  sich 
im  Kämil  (ed.  Wright)  S.  349,  wo  die  schlechte  Les- 
art wl^(>  zu  beseitigen  ist.  Das  Bruchstück  aus 
einem  Gedichte  des  Monachchal  findet  sich  in  der 
^am&8ah  S.  264,  wo  gleichfalls  die  falsche  Lesart 
zu  berichtigen  ist.  Das  Wort  5ol4>,  pl.  >^\^^  wird 
bei  den  alten  Dichtem  in  der  Bedeutui^:  Hinter- 
theil  des  Hufes  gebraucht.  Vgl.gädirah  S.  12,  Mo'aU. 
Labyd  (ed.  Arnold)  S.  101.  Es  passt  fiir  den  Helm 
um  so  weniger,  da  er,  wenn  nur  hinten  befestigt,  um 
so  leichter  herabgefallen  wäre.  Das  altarabische 
Panzerhemd  ward  über  den  Kopf  gezogen,  dann 
der  Helm  daraufgesetzt  und  derselbe  an  den  Ringen 
.  des  Panzerhemdes  sowohl  von  vom  ab  rückwärts 

befestigt.     Die  Lesart  >^l^«>  ist  also  falsch,    o^ljuo 

=   \JI   5*5lo,   die  Tenne,   wo   der  Reis  gereinigt 


238  Kremer. 

^JM*>  —  ÜLäJüO  v£iJuu.    Mas'udy  V,    24.     Die   Lesart 
scheint    fehlerhaft.     Die    Ausgabe    von    Kairo    hat 

bUje4>,  Vgl.  fßMjO.  Ihn  Doraid  S.  326,  Z.  3. 

(3^i>   —  n.    (3a^J3,    sparen^   knausern.     Gr^^i?:    Ras&tl, 

fol.  209.  Vgl.  Lane. 
s 
yS^<y  —   sSy^^^'i   Genosse,   Gef&hrte.     Abu  Nowäs  XU, 

V.  5  (Ählwardt). 

jMp4>  —  I.  mit  den  Füssen   treten  (L^t^)*     Gabarty  IV, 
163,  Z.  5  V.  u. 

ytJ^^  —  y^^^^  üi  der  modernen  Aussprache,   der  allge- 
meine, feierliche  Empfang  bei  Hofe,  jetst  in  Indien 

Durbar,  d.  i.  ^^)i>  genannt.  Fawät  I,  195,  Z.  10: 
yjjjojjf  MiO  Juu  ,nach  Aufhebung  der  allgemeinen 
Audienz^  Statt  ^i>  ist  besser  zu  lesen  a*j. 

^j  —  f^yS^\  ^0J\.  Xbj&'m,  141,  Z.  9  V.  u.  Schwarze 
Rosse,  die  angebunden  im  Stalle  stehen.  Vgl.  Lane. 

jM^4>  —  I.  überlisten,  überrumpeln  wollen.   Sha'räny:  Al- 
batir  S.  92,   Z.    18:    Uü   Juo:^   a^   Uä^«>   tol 

jyD4>  —  n.  sich  ungestüm  benehmen.  Fihrist  S.  190,  Z.  21. 

.  ^4>  —  V.  Byruny  S.  4,  Z.  5;  es  ist  an  dieser  Stelle  zu 

lesen  y^^fSS3\  ^\iX^  statt  s,^JjCJi  ^9<X>)  denn  für  den 

Gebrauch   der  V.  Verbalform   der  Wurzel  ^^4>  ist 

sonst  keine  sichere  Belegstelle  zu  finden.  Vgl.  übri- 
gens Dozy  sub  voce. 

o 

t>^(>  —  Oy^y^^   Futterstand,   Krippe,   im   Stalle,   vulgär 

statt  i^yduo.  Gabarty  IV,  159,  Z.  7.  lOOl  Nacht  I, 
5,  Z.  9  V.  u. 

j^4>  —  y^^)    Name    eines    Gefilngnisses    in   Jamämah. 
K&mil  S.  91,  Z.  9.  —  8^1 0,   die  MüUe,   wo  der 

Reis  enthülst  wird:  \y^\   aui   ^Jo   ^dJ\   J^^l. 


Beitrftge  zur  arabischen  Lexikographie.  239 

Gaharty  IV,  154,  Z.  20.  —  ^«,dJI,  die  Ringe  des 
Helmes,  mit  welchen  dieser  vor  dem  Gefechte  am 
Panzer  festgemacht  wird,  damit  er  nicht  herabfalle. 
Der  Verfasser  des  Tanbyh,  fol.  6^  flihrt  dies  des 
Näheren  aus,  indem  er  gegen  Mobarrad,  den  Ver- 
fasser des  Kämil  polemisirt:  ^jumaS  3  (jmLIiÜI.^1  Jli^ 

düo  Jüb  ^j^  161  u-pUil  ^Li  g,^jJI  ^f^4>  joo 

,j«^IjÜI    jjKy^  «i  «^5  ^  y  iy*^    <X».|    xiü     ,J  I  Jl*B^ 

Der  oben  angeft&hrte  Vers  des  *Orwah  findet  sich 
im  Eämil  (ed.  Wri^t)  S.  349,  wo  die  schlechte  Lies- 
art  wl^4>  zu  beseitigen  ist.  Das  Bruchstück  aus 
einem  Gedichte  des  Monachchal  findet  sich  in  der 
^am&8afa  S.  264,  wo  gleichfalls  die  falsche  Lesart 
zu  berichtigen  ist.  Das  Wort  8>jl4>,  pl.  ^t^«>  wird 
bei  den  alten  Dichtern  in  der  Bedeutung:  Hinter- 
theil  des  Hufes  gebraucht.  Vgl.Qsldirah  S.  12,  Mo*aU. 
Labyd  (ed.  Arnold)  S.  101.  Es  passt  für  den  Helm 
um  so  weniger,  da  er,  wenn  nur  hinten  befestigt,  um 
so  leichter  herabgefallen  wäre.  Das  altarabische 
Panzerhemd  ward  über  den  Kopf  gezogen,  dann 
der  Helm  daraufgesetzt  und  derselbe  an  den  Ringen 
des  Panzeibemdes  sowohl  von  vom  ab  rückwärts 

befestigt.    Die  Lesart  wt^^  ist  also  falsch,  yi^^ 

=   \JI   8jSt^,   die  Tenne,   wo   der  Reis  gereinigt 


4  -*    C  *  .  CB  «,      «^  ^^ 


240  Kremfir. 

und  enthülst  wird.     Gabarty  IV,  265,  Z.  11.    V^. 

9 

JJüo  bei  Dozy. 

J^t>   —  J^l4>  (südarabisch),   derjenige,    der  die  Verthei- 

lang  des  Wassers  zur  Bewässerung  der  Saaten  über- 
wacht. Iklyl  nach  D.  H.  Müller:  ,Die  Burgen  und 
Schlösser  Südarabiens^  in  den  Sitzungsberichten  der 
Wiener  Akademie,  Bd.  XCIV,  S.  393. 

C^O  —  Lol^<>i  die  Erde.  Tanbyh,  fol.  18^. 


v^.3  —  v-)n3I,  schärfer,  schneidender: 

Ta^byf,  fol.  164^ 
S'ä  —  ^toO,  pl.  ^^jO  6f  Gedächtnissfest  eines  christ- 
lichen Heiligen.     Byruny  S.  288,  Z.  18,  19.  ,lf<L;, 
^KI-  ^yL.  Ibn  Atyr  III,  89,  Z.  11. 

J^  —  jU,J6,  Rüssel  (des  Elephanten).  'Antar,  Heft  72, 
S.  622,  Z.  3.  Vgl.  X*yü^. 

vyJDJ  —  i«*ljt(i,  Vergoldung.     Sobky,  fol.  \T".  Ju  5>  «SU 

^  wü&(>  ^   s^^  j't^^   uiaüue   Jo  3 — vyJ&l6 

(3^1,  auf  der  einen  Seite  verkrüppelt  (von   einem 
Kinde).  Ibn  Atyr  III,  93,  Z.  12. 

s^^i>  —  wl43üo,  Becher,  Trinkgefkss.  Mas'udy  VÜI,  243. 

^^  —  II;  bei  Freytag  in  der  Bedeutung:  vilem  reddidit 

ist  falsch,  indem  einfach  zu  schreiben  ist  ^(>*  Im 
Tanbyh,  fol.  77**  und  78*  wird  hicEU  folgendes  ge- 
sagt: JIJu  lUi^O  «a^^i^  IUJJ<>^^1  ^S>^  ^^ 
JÜb  Jo  ^1  ^\ö  ^  *Xä.^4>  süJiXS^  1U4^  jAk 
'^   iü:S.^(>.  Vgl.  auch  T&g  ararus  sub  voce. 


Beiträge  xvr  anbisehen  Lezikograplile.  341 


^t^  —  L«lJ,   vollständig   =   LoUS'.     Gabarty   IV,  313, 
Z.  8  jj^l  Jt  s^^fijidS  oder  auch  (j*'UI,  das  Zuckerrohr 

bester  Qualität.  Ibn  Mamäty  S.  48,  49:  JLJ^  v^^a.*« 

^Lj*>  ^j«4X^^  uft-oi^  ^^'^    Vj';^*^   «Äiilf^  ;^bt> 

<iJ^i^  U^t )  <1(  /«>;7  vulgär  statt  aJL»^  Lr^^j«  Shifä 
S.  108:  iumK  v^aS^7  forteilen,  entfliehen.  Aghäny  XII, 

127,  Z.  13:  vom  Wege  abweichen  uäIjü.  Shifä 
S.  110:  auwK  <^A^  entschieden  (fUr  eine  Sache)  sich 

aussprechen.  Ja'kuby  S.  86,  Z.  7 :  ^.äASj  UiU.  ^^1 

o^L^  *-«l;;  S.90,  Z.l  v.u.:  oLäJo  ,JU^^^I 

aui  JUwK.  —  «^Lm^JI  u**ajj)  Staatssekretär.  Sacy: 
Abdallam:  Relation  de  TE^pte  S.  480.  Grosswezyr 
unter  den  Chalifen.  Ibn  alwardy  I,  357,  363.  Diese 
Benennung  erscheint  zum  ersten  Mal  unter  dem 
Chalifen  ?&to.  Ibn  Chaldun  III,  458,  Z.  2  v.  u.; 
460,  Z.  10  und  6  v.  u. 

6L5l^  —  ein  Getränk.  Agh&ny  X,  S.  102,  Z.  12. 

^\  —  V  .)*  ^®^  Makryzy  11,  233,  Z.  1  v.  u.  kommt 
das  Wort  in  einer  eigenthUmlichen  Bedeutung,  als 
Name  eines  Schiffes  vor.  Es  wird  erzählt,  dass  jemand 

zwei  Schriftstücke  in  den  Nil  wirft:  ^^y»  Ui^j^^li 

c^^  ü^  c^^T^c^^  V^/'^  *^r=^'  «^r^  cs^ 

*^)^  pJ-  V^J  (^*^  Schreibart  äbj  bei  Dozy  ist  irrig), 

Silranftber.  d.  pbii-bist.  Cl.    CIU.  Bd.  I.  Hft.  16 


242  Kreraer. 

der  frische,  in  Blüthe  stehende  junge  Klee,  im  Gegen- 
sätze zum  ausgewachsenen  (^/*Jj4>)«  Gabarty  IV, 
52,  Z.  1. 

k^^s  —  II.  sich  schämen,  beschämt  den  Kopf  senken. 
So  in  einem  Verse  des  *Agg4g: 

Tanbyh,  fol.  78». 

Jo*  — -   \^d^\i  die  Bogensehne  (poetisch).  Kämil  S.  193, 

Z.  7;  195,  Z.  18.  Bei  Freytag  ^JuJ  dürfte  zu  strei- 
chen sein,  eben  so  wie  bei  Dozy  die  Bedeutung: 
rapide. 

uoj^  —  SLioiJ  =  ILcly     Tanbyh,  fol.  76»:  ^^JU-obll   JU 

&£iojJ^  &^'4Xajü»^  &yyt^  aaltb  ^^  jO't^t  J^Jt  aüa^ 

IM  

äj^  —  iS^)'^  ^^°^  Stamme  Raby'ah  angehörig.  Ihn 
Atyr  m,  398,  Z.  2.  —  *^fjJ,  Taglöhner.  1001  N. 
I,  373,  Z.  11  V.  u.  Gabarty  IV,  156,  Z.  12  v.  u. 

yjjs  —  vJ  -^I'  iiachlassen,  sich  abschwächen.  Shifä  S.  33. 
Aus   einer  Tradition. im   Mot^tadib   des  Ibn   Sajjid. 

Es  dürfte  übrigens  ^^X»^  zu  lesen  sein. 
y^s  —  IV.  wird  in  der  Bedeutung  von  ü  sl  gebraucht: 
verweilen  =  *UI — ^^UlII  ^^7  ein  Findling  (wört- 
lich: der,  den  der  Ortsrichter  aufgezogen  hat).  Shifft, 
Seite  65. 


T*^)  —  V^' 5'  vollständig  erwachsen,  von  Kühen,  Büffeln 

u.  s.w.  Ibn  Mamäty  S.  31:  v^'^^  C^)i^^  u*'^^' 
V^-jtyi  \^^^  ^Ja^iUI  ^3^.51^  4>^4XaJI  VÄiUJLxftf^ 
wöK^  —  2UjK  KAxIb^)  fixes  Einkommen.  Aghäny 
XV,  37,  Z.  14. 

-p^  —  ^^J'  Verbalnomen  von  —  x.  'Arais  S.  41,  Z.  10 
von  unten. 


Beiträge  xnr  arabischen  Lexikographie.  243 

Jl^%  —  J^K-    Vtilgär  syrisch  und  ägyptisch  statt  J^^^ 

denn  letzteres  Wort  ist  in  der  Volkssprache   nicht 
üblich. 

Je>.j  —  I.  zum  Sattel  nehmen,  als  Reitthier  besteigen.  Abu 

Now&s   (Ahlwardt)    XXIV,  v.  3.  —  J^;,   vulgär, 

Lesepult  (für  den  Koran).    ShifH  S.  109.  —  Jda.«^ 
FrachtschiflF.  Gabarty  IV,  114,  Z.  17. 


^  o  ^^ 


y*>^^)  —  n.   ^j-^^y^t  sich  geistlichen  Uebungen  ergeben. 
Gabarty  IV,  195,  Z.  11  v.  u. 


U^  —  XjU.^,  Mühle.  Lozumijjät,  fol.  310\ 
8>ijufl»j  —  eine  Speise.  Ta§)^yf,  fol.  28^. 


e  ^ 


sjÄs  —  ov^JI  v^Iaj  jmxJ)    er  zog  die  Festkleider   an. 
•Antar,  Heft  62,  S.  282,  Z.  6. 

fiv>^  —  V.  v^AxtaJLj  p*^p^  sich  mit  Salben  und  Wohlge- 
rüchen parfÜmiren.  Ash'är,  fol.  101^. 


^   ^^ 


o«>j  —  ^^Ij?  pl-  '^«^'^J'  Collectivbezeichnung  jener 
arabischen  Stämme^die  erst  nach  den  beiden  Schlachten 
von  Jarmuk  und  Ij[fidisijah  sich  an  den  Eroberungs- 
kriegen betheiligten  und  deshalb  geringere  Jahres- 
dotationen aus  dem  Staatsschatze  erhielten  als  die 
Moh&girs  und  die  An^ärs.  Ma^ayzy:  I,  93,  Z.  12.  — 


9«^  9 


O(>w09    hinter    dem  Eameelreiter    sitzend.     Labyd 
Seite  13ä. 


•  ^ 


|a4>p  —  y^)jujü0f  Ajiöy    Aghäny  XVI,  96,  Z.  8,  abge- 
rundete, volle  Fersen  habend. 


^^^ 


y^\\  —  iüfVj,  ein  Grundstück,  das  jemand  zur  Nutzniessung 


^      o  f 


besitzt.    ShifSt  S.  109.  —  2ü|^^,  die  Söldner,  Sold- 
tnippen.  Kremer:  Culturgeschichte  S.  236. 

^j|\^  —  Vin.  =  I.  Aghäny  XVm,  186,  Z.  8  v.  u. 

dJ^s  —   iXxÄ*,    volljährig.     Shyräzy:   Glossar  —   ^^^^^ 

der  Erstgeborene:  Ulk  iXJLo  &Jü(Xjt  sjjt^  v^;5^t 

16* 


244  Kram  er. 

sdAjj6  ^  (X^yki  ^iXxjy  dÜ    Saif  aljazan  S.  24, 

Zeile  15. 


v-ft^^  —  vjLä^  =  v-Ä^I^.  Labyd  S.  90:  JläUJI  vjU>^ 
JL&p  —  eine  Art  Zuckerwerk.  Gabarty  IV,  213,  Z.  9. 
Jl*ö^  —  IV.  flir  immer  festmachen    'Aräis  S.  447,   Z.  2: 

•^Ä^^  —  vyJft3  iUiLöj,  eine  Goldrosette. 'Antar^.lSGjS.SS: 
v^jJf  Heft  138,  S.  79:    Ju*l    61  JJtXf  ^  L-»JUo 

^^j-os    —  tätowiren,  bei  Labyd  S.  62,  Z.  6,  wozu  der  Com- 


o    ^   ^  o     ^   ^^ 

mentar  bemerkt:  <a^4^%  \a*JuCy 


»j6\  —  /*^^))  ^^  Lamm  im  ersten  Jahre.  Ibn  Mamäty 
S.  31:  ^5*5  &JL*  ^^Ü^  o,^  L56^J>  yAUJI  (.Uiifl 

Jaj^^  —  Schlamm,  Koth.  ^^1  J^pl.  Gabarty  IV,  202, 
'       Zeile  1. 


^  9 


•Je*    —   c^lüo|«je,  Schwanke,  Schnurren.    Fihrist  S.  151, 
Z.  3  V.  u. 


n  ^    O    9 


.\  —  jjüüt  w^^JuM^)  weites  Schrittmaass  haltend  (vom 
Pferde).  Ahlwardt:  Chalef  alahmar  S.  126. 
:>i^   —  II  aus  dem  Dienst  entlassen,  vom  Amte  absetzen, 

türkisch    ^^JUjüI  oJ^   —    ^H^)?    Passierschein,    ftlr 
Waaren,  welche  den  Zoll  entrichtet  haben. 

jLi.   -   »3Li.,  das  Helmfutter.  'Antar,  Heft  120,  S.  517: 
5t>liJtv'AwtrtV  L^^.  —  Kopfpolster  unter  dem  Helm. 


Boitr&ge  zur  arabischen  Lexikographie.  245 

•Antar,  Heft  109,  S.  129:  'ioli^  lu.!^  JLa  J^  J6^ 

2Üi>lx  Tii^y^    ^^^   J^4^^    O^AamJI   y^  J^^   k«JL^£ 

•i.  —  Vi^Lwybil  Äi*,  Summiren,  addiren.  Shifä  S.  109, 110. 
AAip,  vulgär:  /*>^))  fein,  dünn,  zart.  Ibid.  S.  109. 
üiLjc,  Steuererhöhung.    Ma^ryzy:  II,  291,   Z.  14: 

wLm^I  Pf^y^i  die  Summe,  der  Totalbetrag.  Shifa 
S.  109.  py^)^i  ^fts  Einkommen,  Erträgniss  eines 
Gutes.  Fawätl,  157:  ^jücf  gU^^f  L^J  aJCJLo  ^  Xjuuö. 

>w*  —  ^^,  feine,  weiche  Erde.  Aghäny  VI,  62,  Z.  17: 

,jlJLJI  ^Jut-^aJI  vl^l  ^yi.  —  äLiSj,  Niederlage, 
Platz,  wo  das  Getreide  zum  Verkaufe  aufgeschichtet 

wird.  Gabarty  IV,  63,  Z.  14:  ^  J^UII  l^^t^ 
a3' Jl^  vs^LdyJI .  S.  92,  Z.  1:  es  wird  vom  Getreide 
gesagt:  vajLgUiJt.yt^  ^P'^  ^^^^  r^^* 

l%jj  —  Man  sagt:  *UJI  ^j  jvifw  ^^  von  dem,  der  in 
einer  Handarbeit  sehr  gewandt  ist.  Ihn  Doraid  S.  45. 

yfs  —  T^T^'  ^^®  Hauptstadt,  der  Hauptort  eines  Landes 
oder  eines  Distriktes.  —  ')^r^f  ®^^®  ^^^  Bratwürste 
(^jliü.  Shifa,   S.  211.     Im  afrikanischen   Dialekte. 

uafs  —  (joK^J,  als  Verbalnomen.  Aghäny  XV,  46,  Z.  14. 

1^  —  (Sy^f  aufgehäuft,  aufgestaut.  Kämil  S.  168,  Z.  5. 

yjf^\  —   *^^i    ein  Aßt,   ein   starker  Zweig,   im  südarabi- 
schen Dialekte.  Ibn  Doraid  S.  54,  Z.  6. 

^\  —  plündernd  durchstreifen  (eine  Gegend).    Gabarty 
^       IV,  S.  174,  Z.  16:  I^J^I^  %yJ.\  ^L?  1^^^  Syoxi 

Vordertheil  des  Pferdes,  der  Bug,  der  Rist.  Zu  Zo- 
hair  XV,  v.  29  sagt  A§ma*y  in  seinem  Commentar 
(S.  189):  yD,  ^yj\  Sj^  ^jJJu  ^^I  ^^  ».y^ 


246  Krdmtr. 

Ein  Vers  des  Shamm&ch  lautet: 

^yjJi!\  ob?  ^  ^p<  ^l<i     LI;  ^^  ^1^1  ti  f  6f 
wozu  A§ma*y  bemerkt:  ^Kjo  x^^.ai.Ag»  ^^   Klutciy 

^yj\  vOil  Äj  o^^'  f 31  ^yt-     Ta9tyf;  fol.  147^ 

Es  beschreibt  der  oben  angeführte  Vers  den  Wild- 
esel;  der  die  Stuten  beriecht,  während  diese  aus- 
schlagen und  ihn  auf  den  Yordertheil  des  Nackens 
treflFen  und  zwar  auf  dieselbe  Stelle,  .welche  der 
Lanzenschaft  trifft,   wenn  mit  demselben  das  Ross 

geschlagen  wird.  Das  Wort  c^jJ  hat  die  Bedeutung 
von  P^y^-  —  r^y^)  ^T^)  ^^^  gewaltiger  Lanzen- 
stoss.    Labyd   S.  134,.  Zeile  3.   —  ülk^w  ^I  ^Mp? 

die  Krücke  S^6^.  Satt  H,  189,  Z.  11.  —  ^f^  das 
Wettrennen,  das  Gerydspiel.  Gabarty  IV,  173,  Z.  11. 

ä^yXs  —  ^7*))  Gemurmel.  Bochäry  1642  (Kitab  alsha- 
hädUt  3),  1899  (Kitäb  alwa§&j&  158),  3287  (Kitab 
aladab  96). 

jMjoj  —  0*^)1   das  Lamm  (weiblich),   im  ersten  Jahre* 

(Statt  ^jäjuo^  ^^7^  tei  Ibn  Taghrybardy  ü,  382 
ist  demnach  zu  verbessern  {j»^^\  o^v^).  Ibn  Ma- 
mäty  S.  31. 

ü^)  ~~T  u^^')7  pl-  {J*^^^)f  Musikanten,  Sänger.  Persisch 
yJlÄuof^.  Abu  Nowks  m,  V.  8.  Agh&ny  XVII,  S.  154, 

Z.  3  V.  u. 

Im  Text   steht   fehlerhaft   ^^^JyuoK   und   xJLAüoK.   — 

LÄuyol^,  das  Myrthenblatt  ^\  äü>^^.   Shifa,  S.  108. 

^%  —  ^^;)  Zuschlag  zu  den  Steuern,  Erhöhung  der- 
selben. Gabarty  IV,  68,  Z.  1  v.  u. 


Beitrige  nur  »nbiMdien  Lexik<^^phi6.  247 


\^s  —  V^'r^9  P^*  ^^^  v^r^  ^^  ^^)y*  ^^^ighah  I^  v.  12. 

^)  '^  ^^J^'  V^p')  ^^^^  ^^^^  ^SHf^)i  ®i^^  ^^^  ^of~ 
musikbande  am  Hofe  der  ägyptischen  Sultane.  Mak- 
ryzy  I,  446,  Z.  9;  452,  Z.  12  v.  u.;  Z.  7  v.  u.; 
453,  Z.  15  V.  u.;  475,  Z.  15. 


■^  f»  ^ 


i^\  —  u'^^'  Passgänger  (Pferd,  Esel  oder  Maulthier). 
Gabarty  IV,  121,  Z.  1  v.  u. 


^      0  ^ 


^•t  —   tLa^^yi)  eine  Taxe  auf  den  Verkauf  der  Waaren. 

Gabarty  IV,  100,  Z.  2  Xa^^^  *-y  ya*)  ;^*äj  ^I, 

iSo,JiÜI,   4S;AJI,   »iykJf^  &4^l  ^*isl  ^ 

)5J  —  j2K,  der  Schiffspatron.  Nach  dem  Werke  'Asäs 
(albaläghah).  Shifä  S.  111. 

^^)%  ~  ^^^  Taglöhner.    Ibn  Chaldun  HI,  197,  Z.  15. 

&oU\^^  —  ^^^  Pensionsregister  (im  ägyptischen  Kanzlei- 
styl). Davon  ^^\^\^y  der  Pensionist,  der  in  diesem 
Register  eingeschrieben  ist.  Gabarty  IV,  50,  Z.  6. 

^^s  —  pA.M»JLft  \J^^^y%  poetisch,  d.  i.  der  Behälter,   das 
Gefäss  des  Zephins,  für:  ^J&oL,   Windfang,  Ven- 

tilationsvorrichtung.  Shifa  S.  110. 

i»t«  —  altpersisches  Fest,  das  am  21.  jedes  Monates 
gefeiert  ward.  ShifSsl  S.  109.  Das  Wort  kommt  bei 
Abu  Now&s  vor. 

v5^J  —  ^'  ®*^^  besprechen.  Gabarty  IV,  3,  Z.  5  v.  u :  JLüi 


m   >• 


^5j,  Ländereien,  die  von  der  Nilüberschwemmung 
erreicht  werden  und  künstliche  Bewässerung  nicht 
erfordern,  im  Gegensätze  zu  ^^*L^  oder  (Jjlv^? 
Ländereien,   die  künstliche  Bewässerung  erfordei*n. 


«» >• 


Bo-emer:  Aegypten  I,  S.  179.  —  ^\yäJ\  ^sj  Acker- 
gründe zweiter  Qualität  in  Aegypten.    Ibn  MamÄty 

S.  45:  U^U^I  uftJLA^*  ^^1  )^0<i^  aL^l^yi  ^^ 


248  Kremar. 

iuj^^5  ^^sl^l  ^^;,  Jü  L^  Jüui  L^Jlys»«  o:*j3.L? 

Ä-,^  \JÜ,  J.^,  j«^  (Ja,  (fifJyX^)  ^yX^y  »»U«^ 

Ju\  —  V.  Juö',  auf  besondere  Art  singen  (technischer 
Ausdiiick).  Aghäny  VI,  81,  Z.  6. 

^s   —  ^K,  der  Schmutz,   der  Rost.  Ihjä'  DI,  15,  Z.  1 
V.  u.:  Li6  JluJI   v^6f  161  ^jl^  ^  Ur^  '^'^ 

^y  1^  äJj  ^  ^^  LjAi  4Xj^  4>U  ^I^.  Hiemit 


O  y. 


scheint  das  Wort  ^^  ^  synonym  zu  sein.     Ibj&'  IV, 
385,  Z.  5. 


u.     9 


v^\  —  Jh^^  V)'   Greisel  oder  Ochsenziemer  aus  Rhino- 
ceroshaut.  Gabarty  IV,  68,  Z.  6  v.  u. 

(Xj^   —   au  j4^;?   pl-   ^^.^y  Sänfte,  Palankin.  Agh&ny 
V,  29   Z.  13  V.  u.     Aber  auch   Tasse,  kleine,   ver- 

tiefte  Schüssel,  jetzt  au Ju\  ausgesprochen,  pl.  ^^ v)- 
Aghäny  XVin,  185,  Z.  6  v.  u. 

^\   —    -.l^jJL  ^Ul  Vr^:?>    >®^  trinkt   den   Wein   in 

einem  gläsernen  Becher';  eine  sprichwörtliche  Re- 
densart, die  so  viel  bedeutet,  als:  ,er  kann  sein 
Geheimniss  nicht  bewahren*.  Shißl  S.  134. 


Q^  o   ^ 


^v   »Y^v    ^^^   Augurium,   eine  Vorhersagung  nach 

dem  Vogelfluge.  Kamil  S.  84,  Z,  5.  —  r^vi  ^^^ 
Wahrsager  nach  dem  Vogelfluge  besonders  erfahren, 
KÄmil  1.  1.  Z.  4. 


-    9 


^y^')  —  V)^J7    schwach,   hohl  uUjl/^I   oy^^l.     Ihn 
Doraid  S.  326,  Z.  7. 


Beifarige  zur  anbiBchen  Lezikognphie.  249 


A^\  —  Ä^i^M  ein  mit  einem  Holzgriffe  versehener  kurzer 
Riemen,  womit  die  kleine  Handtrommel  geschlagen 
wird,  öabarty  IV,  S.  191,  Z.  11  v.  u. 

i>ys  —  «>jA,  gelb,  persisch  i>jy  Eämil  S.  335,  Z.  13. 

O^v  _  Saffran  ^i-^OÄ.    Shifä  S.  112.   ^f>y^  bei  Dozy. 

ij^f>)\  —  ein  Kleiderstoff  aus  Seide  und  Baumwolle :  v>— ^' 

jjys^y^jinS^  frr**^-  G^^^arty  IV,  82  Z.  2,  223, 
ZeÜe  19.  ^ 

^i>y^  —  Reihe,  Linie.  Agh&ny  IX,  25,  Z.  11  Ls5jj  illSy 

Ash'ir,  fol.  151 '^  152*,  wo  es  in  einem  Verse  des 
Aus  Ibn  Qogr  heisst: 

,f^  lunfasste  sie  (d.  i.  den  Strauss  und  sein  Junges) 
in  ihrem  Laufe  eine  breitgetretene  Karawanenstrasse, 
die  aber  dort  wo  Bergvorsprünge  sie  einengten,  wie 
eine  Linie  war*.  Vgl.  GawWyJiy  S.  71. 

^yy  —  H  belügen,  betrügen.  ShiÄ  S.  117.  Vgl.  übrigens 
Dozy.  —  Ov)'  Wahrsager,  Sterndeuter:  davon  das 
Sprichwort:  ^jl^^  ^j^S><^'-  SW*»  S.  117. 
v^^  —  ,j-ÜI  ySiy  der  Flaum,  Bartanflug.  Shifa  S.  116. 


im 

^\  —  stechen,  stossen,  mit  der  Lanze.  *Antar,  Heft  100, 
Seite  382. 

Jl»*  —  JhH^I^S)  ein  syrischer  Volksstamm.  Ibn  Atyr  VI, 
178,  Z.  13;  de  Goeje:  Fragmenta  Historicorum  Ära- 
bicorum  S.  328,  Z.  11. 

^^'^  —  ^1  ermattet,  abgemagert.   Labyd  S.  44,  Z.  15. 

3;  —  J>  Teppich  =  45;-  Ibn  Atyr  VIH,  13,  Z.  17. 

iaj^  —  ilfaJ^,  pl.  ie^'i'y   Kupfermünze,   Scheidemünze. 

Gabarty  IV,  156,  Z.  8.  iaSiJ^  Ly   ^^y^^  &ju»ö 

1**^)  —  &— ^yJ^,  der  Rüssel  des  Elephanten.  'Antar, 
Heft  77,  S.  151;  Heft  112,  S.  236;  Heft  139,  S.  116, 
Schnauze.  Vgl.  iU^6  und  Dozy  zu  ^y^y 


250  Kr«mer. 

v-«J\  —  o^4>\l,  im  Kanzleistyl,  bedeutet  die  Umrechnung 

des  mohammedanischen  Mondjahres  in  das  Sonnen- 
jahr, sonst  auch  Jo^  genannt.  In  der  ersten  Zeit 
des  Islam  pflegte  man  nach  je  32  arabischen  Mond- 
jahren ein  Jahr  abzuziehen,  lun  mit  der  Rechnung 
in  Sonnenjahren  in  Uebereinstimmung  zu  bleiben 
und  dies  nannte  man  o^4>y*  Shifä  S.  28,  116. 

^jjj  —  ÄSiJ^,  Pflasterweg.  Gabarty  IV,  104,  Z.  9.  Damm 
wie  bei  Ibn  Mamäty  S.  51:  SuJuc  aÜLo  ^jjo  <aU»r  161 

*xi  .Ul^l  XjyLi.1  iüjyp  Jix»  li3^]  ^  i'  ^ 

Ajj&^  Uuö  3Ü^  JüjCi^iM  ilL^U.  —  ^JJJyo,  schiefe 
Ebene,  Böschung.  Gabarty  IV,  162,  Z.  13. 

I»\  —  äUbv,  Controlor,  Aufseher.  Tabary  III,  iv,  S.  1183, 
Z.  15,  16.     Aber  es  ist  nicht  ganz  sicher,   ob  nicht 

LoLo\  zu  lesen  sei.  Vgl.  Dozy  sub  voce. 

Jüo^  —  J^Co,  mit  Geflecht  tiberspannt.     Ibja'  IV,  290, 

Z.  2:  nKM»i  Jyjoyjo  yJty^  tj^  f^^  y^y  ^^  schlief 
auf  einem  Ruhebette,  das  mit  Palmstricken  tiber* 
flochten  war.  Andere  Belegstellen  fehlen. 

Jk^^  —  *^)i  Sammelbuchse,  Almosenschale  der  Bettler. 
Ua^ryzj  n,  318,  Z.  2  v.  u. 

^jJLaij  —  die   Glocke  oder   das  Tamtam.     Fihrist  S.  339, 
^         Z.  25.  Persisch  &JSjy 


ü\  —  v^\,  ein  Räucherwerk.  Lozumijjät,  foL  190*: 

^•\  —  die  von  Dozy   angeiiihrte  IX.  Form  \y\\  findet 
sich  in   der  Bulaker  Ausgabe  der   1001   Nacht  I, 

S.  75,  Z.  11  ersetzt  durch  s^y  welches  offenbar  so 
viel  bedeutet  als :  ,durch  den  Schlund  hinabwürgen*. 

Lane  übersetzt  syji:  he  was  choked« 


Beitrftge  rar  arabiBChen  Lexikographie.  251 

^y^  —  'Antar,  Heft  148,  S.  483 :  fL^\  yXJ^  ^  UU 

ydX^\.  Die  Bedeutung  ist  mir  unbekannt. 

^fv  —  ein  hartes  Holz:  <X-^Lil  ^^.^4.1.  Gabarty  IV, 
297,  Z.  6. 

yj\  —  o\,  in  Aegypten,  grosser  Filtrirkrug  aus  porö- 
sem 'fhon. 

^Jj\  —  *Äj)?  eüie  Art  Kleider  aus  Zyk,  einem  Orte  bei 

Naisäbur.  Nach  andern  ein  grober,  schlechter  Kleider- 
stoflF  aus  Oberägypten.  Mowatta'III,  S.  131,  Z.  7  v.  u. 

^\  —  was  Dozy  sagt,  passt  auf  viLov,  und  ich  glaube, 
dass  auch  dort,  wo  ^\  in  der  Bedeutung  verzieren, 
schmücken  vorkommt,  überall  >djo\  zu  lesen  ist. 


LT 

{}kXMt  —  X.  bei  Dozy  in  der  Bedeutung:  ,sich  dem  Tode 
weihen'  scheint  mir  aus  einem  Schreibfehler  ent- 
standen und  ist  dafür  zu  lesen  Jumaa^I. 

A^M>  —  ib^.LliM,   eine  indische  Völkerschaft.    Vgl.  Bala- 
^  *      dory  S.^375,  376.  Gawäly^y  S.  82. 

^^  —  ^L^^l^  ^LuaJt)   das  Forte  und  das  Piano  im 

Gesänge.  Agh&ny  V,  102,  Z.  9  v.  u.  ^\^^\  -.1^1, 
pianissimo  IX,  51,  Z.  5  v.  u. 


fi^  f 


y^  —  T^^)   ®iß   Stoff,  in  welchem  Zeichnungen  von 
Bäumen  gestickt  sind:  I^ajüd   J^   n.^43JU  rY**^ 

%^^JI.  Gabarty  IV,  179,  Z.  8,  wozu  noch  bemerkt 
werden  muss,  dass  statt  j^,  Baum,  die  ägyptische 
vulgäre  Aussprache  ^  lautet. 

—  v^yc^,  pl.  lül^,  kleinste  Scheidemünze,  Bruch- 
theil  eines  Para,  jetzt  nicht  mehr  im  Gebrauch.  Ga- 
barty rV,  313,  Z.  13. 


252  Kremer. 


M.^» 


y^  —  7^'  ^^^  ^^  Zwieback:  jIoaJI  ^LaX)!.  Gabarty 
IV,  278,  Z.  14  V.  u.  —  (^jij^tVje,  verdorben,  saaer 
geworden.  Vgl.  Lane  ad  vocem  )y^^^-  Agh&ny  IV, 
99,  Z.  4  V.  u.  jjäUjO  JuLxi^  JoS  u«ty  »äl^ij-f^  »i.L«J 

J^  —  KA^)   ini  ägyptischen  Vulgärdialekt:   die  Eid- 


echBe.  Sha'räny:  Albal^  S.  235,  Z.  1. 

ä^  —  ts^''*^'?    dunkel  in  der  Farbe  des  Körpers,  tief 
braun.  Ibn  Doraid  S.  62,  Z.  1  v.  u. 

JSf  —  J^— ^'   verhöhnend,   betrügerisch.  , Lozumijjat, 
fol.  105\ 

^^w^  —  ^iJl^^  \£Mifi^)  dein  Auge  möge  heiss  werden;  eine 
Verwünschung.  Aghäny  XVEI,  S.  59,  Z.  4;  XX, 
156,  Z.  3  V.  u. 

s(Xj^  —  vi^G^Juwu,  Töpfe,  Schmalztiegel.  Gabarty  IV,  279, 
Z.  1  =  ^jk4^l  ^^^^Ij-*» 

c)  Jum  —  vjl  Juw,  ein  grosser  Korb  ^iAxCII  JjloÜI.  Aghany 
XVII,  98,  Z.  1  und  4. 


y-  *»  ^ 


^  wwy  —   k^yMt^  die  Reise,  das  Herumziehen  s^m^^XJ  ^^jSkJi\ 

Gabarty  IV,  144,  Z.  3;  235,  Z.  11  v.  u.  —  -.Ij^, 

ein  Hausirer,  ein  wandernder  Händler.  Gabarty  IV, 
252,  Z.  17. 

jLmJwm   —  Zügel,  Zaum.  Fawat  I,  127,  Z.  1  v.  u.     Persisch 

s^y***  '—  eine  Art  berauschendes  Getränk.  Kremer:  Cultur- 
geschichtliche  Streifzüge  S.  68. 


•  -<• 


iül^  —  pl.  ^^\yM,*i  Palast,   türkisch  ^Sy^*  Gabarty  IV, 

183,  Z.  4  V.  u.  —  '^^^^»^  Reptilien  oder  Insekten, 
die  nur  Nachts  aus  den  Löchern  kriechen:  Ibn  Do- 
raid S.  108,  Z.  9. 


Beitrfige  zur  arabltohen  Lexikographie.  253 

^  h<M  —  ^  h  kMj  pl.  ^^ixutf,  d|t8  platte  Dach^  die  Terrasse : 
in  der  Viilgärspraehe  wird  der  Plural  statt  des  Sin- 
gulars gebraucht.  Gabarty  IV,  92,  Z.  8 :  ^yi  «J  g jö 
^  Jk^JI)  eine  sprichwörtliche  Redensart,  die  so  viel 
bedeutet  als:  jemand  durch  schöne  Worte  beruhigen. 

JJom  —  JJolam,  ein  Bettler,  der  sich  blind  stellt,  um  Mit- 

leid  zu  erregen.  Shifil,  S.  125.  —  JjJöuyuo,  im  ägypt. 
Dialekt:   derjenige,   der  dem  Genüsse  des  Hashysh 

ergeben  ist.  Shifil  S.  119,  125.  —  JjaxL[  durch  den 
Genuss  des  Qashysh  sich  berauschen  1. 1. 

fJoMt  —  «Üa«»!,   der  Vordertheil   des  Schiffes.     Atär  al- 
'owwal  s!  197 : 

JuLdM  —  JuLdM  ^1,   ein   Beiname,   womit  ein   hinfälliger, 
entkräfteter  Greis   bezeichnet  wird.    Shifä  S.  35.  — 


si\  JüLm,  in  übertragener  Bedeutung:   die  Lüge. 
SUfil  S.  95. 

iaJUM  —   io  «jumuo  au^^7   ein   verzerrtes,   hässliches  Gesicht. 
1001  Nacht  I,  47,  Z.  18. 

Jum  —  f^y***'i   ^^TL^-  ^r^^   ^^^^    )^^9  Posaune    oder 
das    hiezu   verwendete-  Widderhom.    Byruny    275, 

z.  16:  erLXll  ^^^  v5^^/'r*^S  or^^*^  '^  ^• 

—  g^lül,  pl.  ^Iju*.,  Flöte.  Gabarty  IV,  73,  Z.  15. 

^^a^MJ^  —   Kfl.M»g.»M.  Ibn  Chaldun  IV,  S.  31,  Z.  12  v.  u.  sUXi 

^  -  •  "    ^  * 

•Ka.^,fl^^  Ui'ldLIo.    Hiernach  scheint  die  von  Slane 


254  Kren  er. 

gegebene  Bedeutung:  iBetrug^  Schlechtigkeit^  ge- 
rechtfertigt. Vgl.  Dozy  ad  vocem. 

Sül^Iaw  —  eine  türkische  Truppengattung.  Gabarty  IV,  177, 
Z.  1;  auch  zu  Pferde,  212,  Z.  1:  aÜLsl'   »^äLäiJI. 

(3-ÄuftA«  —  Gürtel  (eines  Kleides).     Balädory  S.  308,  Z.  18 

und  19:  «SLo  (J-Afl,M>  ^küüLi.  —  ^Jjdji,  be- 
deutet im  modernen  Vulgärdialekt  von  Mosul:  das 
Hosenband.    Vgl.  Socin :  Sprichwörter,  Nr.  460.  Es 

dürfte  also  zu  lesen  sein:  {^^^JJl&i. 
MMi  —  £^^^9  ^^^  heftig  blasender,  heisser  Wind.    Nöl- 
decke:  Beiträge  S.  111,  Z.  4.  —  kMJLmjo^    Nach  Ibn 
Doraid  S.  82,  Z.  17,  ein  südarabisches  Wort  in  der 

Bedeutung:  &!&JI  ^1  g^l  &Jt. 
^JLui  —  bei  Freytag  ist  irrig,   die  richtige  Schreibart  ist 

^  B  Hf  Vgl.  Kämus,  Gauhary  und  Mot;tyt. 
s^jJjM  —  »U^aaJI  v^AiLw.   Dieser  Ausdruck,   der  in  einem 

Verse  des  'Al^^mah  Ibn  ^Abdah   vorkommt  (L-e;j 

»LmmJI  \^a£^  f^^\  bezieht  sich  auf  die  Legende 
der  Tftiiiuditen  und  das  Kameel  des  Propheten  ^alih. 
Vgl.  Koran  Sur.  VH  und  Sur.  XI.  Ta^byf,  fol.  164»». 

^yU  —  ^-^j   der  LöflFel.    'Antar,  Heft  142,  S.  217:  ' 

KaJLm  »Idu|p  Jr^  4X0.Ü. 

JjLmi  —  IÜIäam,  pl.  c^H^Lm')  Schiffstreppe,  Brett  das  vom 

Schiffe  aufs  Ufer  fUhrt.  Aus  dem  italienischen  scala. 
—  JjuILa^I,  die  Leitern,  das  Gerüste  bei  einem  Bau. 
Ma^ryzy:  H,  407,  Z.  12  v.  u. 

siXMi  —  &Cur9  pl.  viLXdM,  Poststation.  Sprenger:  Post-  und 
Reiserouten  S.  2. 


>,  kleine  Stechmücke,   Muskito,   die  beim 
Fliegen  nicht  summt,    aber  sehr  empfindlich  sticht; 


Beitrife  xur  ara^teck«»  Lexikograpbie.  3&& 

deshalb  auch  oXmo^  J^^^  genannt.  Aegyptisch. 
Vulgär. 

jIJJCmI  —  Name  des   Registera  der  im   Postamte   (^)t^*> 

JuwJf)  eingeschriebenen  Briefe.  Aus  dem  persischen 

^J«^  x5\l.  Dieser  Register  enthielt  also  die  Angabe 

der  Provenienz  jedes  Briefes.  Sprenger:  Die  Post- 
und  Reiserouten  des  Orients  S,  159.  Diese  Bedeutung 
eines  Vormerkregisters  scheint  das  Wort  auch  in  der 
Stelle  zu  haben,  wo  es  im  Aghftny  V,  61,  Z.  6  ge- 
braucht wird. 

JLm  —   &JUlo  ^jl  Ju«7    vulgäre   Ausdrucksweise ,    die   so 
viel  bedeutet  als:  vollständig  betrunken.  Shift,  S.  47 

126.  —  tJ**"^  assecuriren^  jiy^^j^^  assecurirt,  vom 
italienischen:  assicurare;  vulgär. 

aJUCimI  —  pl.  Ji^Lwl,  Hafenplatz,  Hafenstadt.  Gabarty  IV, 
126,  Z.  11  V.  u.  Französisch:  öchelle. 

yjS^u^  —  &AAAX.W  &«^,  eine  in  die  Mode  gekommene  Fri- 
sur, nicht  blos  für  Damen^  sondern  auch  flir  Herren, 
so  genannt  nach  der  Gattin  IJusains^  deiei  Enkels  des 
Propheten.  Aghäny  XIV,  165,  Z.  3  und  2  v.  u. 

»7  Seil  ans  Palmbast  Gabarty  IV,  252, 
Z.  12.  —  ^1  SJLi^,  Brannenseil.  1001  Nacht  I, 
356,  Z,  15.  —  ^LXw,  ein  Musikinstrument.  Mas'udy 

vm,  91. 

—  ^^Lm»7  pL  Kl  .njJLmj  Bcttlcr,  in  der  Ganner- 
sprache. Shifä  S.  125. 

o 

i>AiMiHJLiM  —  die  Fontäne,  der  Springbnmn,  |#L^«Jt  ^^  JUamJLw« 

Gabarty  IV,  28,  Z.  12,  der  at»  Marmor  gehauene 
mittlere  Aufsatz  der  Fontäne,  von  dem  das  Wasser 
herabfliesst. 

IbJLm»  —  loA^im^j  Name  Gottes  bei  dem  Dichter  'Omajjah. 
Ihn  Abykalt.  Agh4ny  HI,   187,  Z.  13. 


256  Krämer. 

^Lm  —  ^^iLyw,  ein  gelber  SeidenstoflF  Gabarty  IV,  223, 

7ä,  5  V.  u. 
^^Mi  —  ^y^MiJi,  Dotation,  Geldanweisung.    Gabarty  IV, 

68,  Z.  15  V.  u.;  311,  Z.  12. 

^4-AM  —   >i^^   der  ZuhörerkreiB:   ^jjo  S^IjJI  ^I  iUliLl 

^  v5^Ü.I  J^  ^\ji\.  Gabarty  IV,  69,  Z.  8.  Vgl. 
Lane.  ÜtyoLiM^  u^)^'  t^^  ^o  ^oLm  als  Fttllwort 
in  der  Bedeutung  von  woL&)  verödet,  gebraucht  wird. 
Müller :  Die  Burgen  und  Schlösser  Südarabiena. 
Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie,  Bd.  XCVH, 


^1  •  -^ 


S.  1035.  Nach  dem  IklyL  —  8  «IZam  &JjJ,  eine  im  Gb- 
spräche  zugebrachte  Nacht,  so  sagt  Zohair:      « 


4>Üt  ^;U^t  ^  t<^t  ^^      gpl iU'  &JLJ  oJL»^  Üb 

Ta^byf,  fol.  69«.  Statt  ciob  ist  wohl  vsöb  zu  lesen. 
Der  Vers  fehlt  übrigens  in  den  Gedichten  des  Zohair. 

—  'iSsyJLy  ein  Zobelpelz.  Aghäny  XIII,  25,  Z.  9  v.  u. 
yit>M>  —   lajLMw,  pl.  ULmwI,  eine  Art  Zwieback.    Gabarty 


"'•^.. 


IV,  309,  Z.  3  V.  u.  Vgl.  Ju*-*.. 

^^  J^y  (jl-^'i  die  Altersklassen  der  Kameele,  in 

welche  sie  zum  Behufe  der  Besteuerung  mit  der 
Armentaxe  (^ada^ah)  eingetheilt  waren.  Bocb&ry, 
3846.  (Eitäb  al'i'tisäm  bilkitäb  walsonnah  6). 

—  Fuchspelz,  Shift  S.  120. 


y  ^ 


-  va^yL»**  =  vsajO^.  Mas*udy  VIII,  37 :  vsy^  &^U. 

^A^Mt^  j^bO)   mit   der  Jahreszahl  versehene  Gx>ld- 
stücke.  Aghftny  X,  164,  Z.  4. 

<XUm  —  dJ^M^\   s^M'i    Redensart,   die   so   viel   bedeutet 
als:  eine  schöne  Handschrift  schreiben.  Shifä  S.  213. 


O  ^   ^  ^  jß 


zJKm  —  zJkm  iLLm^  in  der  Tradition,  als  vom  Propheten 
gebraucht  angeführt;  Ausruf  der  Bewunderung. 
Boch&ry  3207   (Kitäb  aladab  17),  an  einer  anderen 


Beitrige  snr  arabitcben  Lez!kofl^r»pbie.  257 

Stelle  3109  (Bat&b  allib&s  22)  kommt  das  Wort  in 
der  Form  sLU;  vor.  Es  soll  nach  dem  Commentar 
abessynisch  sein  und  schön  bedeuten. 

y^ju^  —  ^^L^dM,  die  Zeit  der  Nachtwache,   die  Zeit,  wo 

man  wacht.  Gabarty  IV,  215,  Z.  5.  Diese  Form  ist 
vulgär  ägyptisch.  Vgl.  Spitta:  Contes  arabes,  Leide, 

1883,  S.  37:  ^^l^H^  i  ,am  selben  Tage^     Saif  al- 

jazan   S.  59:  ^  1-4^1  ^^L...«ae   ,in   der  Nachmittags- 

standet  Der  Singular  ist  2Ü%^g  u.  s.  w. 

s\i>j^Mt  —  roth  (persisch);  bei  der  Beschreibung  eines  Fal- 
ken. Abu  Nowäs.  Manuscript  der  Hofbibliothek, 
fol.  60: 

Jl^  —  Infinitivform  JL^jmo.    Imra'  al|:ais:  Dywän   LH, 
V.  17  fehlt  bei  Lane. 

f^.^  —  f^-^t  pl.  &y^}  Stange,  langes  Holzstück.     Ga- 
barty IV,  258,  Z.  12;  300,  Z.  13.  Die  dicken  Balken 

heissen  i»  J0O. 

dyM»  —  kji>|^,  die  Bevölkerung  des  Landstriches  t>i  m«. 
Ibjft  I,  47,  Z.5;  112,  Z.  8. 

9 

yyA^  —   syu^  das  Hochzeitsfest.    Shifä  S.  120.     Ibn  Ma- 
mäty  S.  24:  J^LJf  ^^1  (persisch). 

\LiM   —  stimmen  (ein  Musikinstrument).  Tläm  alnäs  S.  135, 

Z.  6:  oOft.^   &SjLli  i>yX^\  ILmj^  ^  <>^  1^(Xaj^ 


1^^   —   Jot*^M«)  der  Zubereiter  der  sehr  zähen  Teigmasse^ 

die  den  Namen  ««JJbu  trägt  und  eine  beliebte  süsse 

Speise  ist.  Aghäny  V,  125,  Z.  8  v.  u.  Dieser  Teig 
muss  nämlich  lange  geschlagen,  gezogen  und  ge- 
knetet werden. 

äitznngtber.  d.  phil.-hitt.  Ol.    CHI.  Bd.  I.  Hfl.  17 


358  Kr«im«r. 

—  IV.  \^/xwf,  frei  lassen,  laufen  lassen«  'Antar,  Heft 


93,  S.  84,  Z.  16.  ^A^iM  vx«,»^. 

wu^  —   »JLm,  eine  Art  Gehalt:  Gabarty  IV,  211,  Z.  18: 

s^LJL  äi^uLiJl  xlCoLll  o«.o  ^  Ldjf  5^.j[^|«i' 
^^.^LdJJI^  —  im  ägyptischen  Kanzleistyl:  S««iiJI 
»*5LmJI,  die  fortlaufende  Nummer  der  Register  oder  der 

Aktenstücke.  —  '^y-^t^i  Procession,  feierlicher  Um- 
zug.    Grabarty  IV,  190,  Z.  8.    Ejremer:  Mittelsyrien 

und  Damascus  S.  133.  —  jt^^^  £7^'^  ^^^^  ^^ 
länglicher  Kürbisse.  Gabarty  IV,  223,  Z.  15. 

—  ^r^^  ^^^y  Sesamöl.  Aegyptisch. 
*j^  —  eine  Art  unechten  Golddrahtes.    Bei  den  ägypti- 
schen Zigeunern  ist  ajlm«  die   Benennung  der  unter 

ihnen  gebräuchlichen  Diebssprache.  Ejremer:  Aegyp- 
ten  I,  144. 

yj^xM*  —  Name   des   Mondes   bei   den   Sabiem.     Bynmy, 

S.  205,  Z.  18.  —  iüLL.,  Zelte.  Vgl.  ^\y^'  Gabarty 
IV,  122,  Z.  1. 


LT 


^«.•J^Lm  —  Das  Wort  ist  offenbar  verschrieben  ftlr  ^LjoLm, 
das  junge  Huhn.  Aghäny  XX,  57,  Z.  1.  Ueber 
letzteres  Wort  vgl.  Damyry. 

s^LAA^  —  s^JuÄ  ^t)  die  Tarantel.  Aegyptisch. 

yjuyi  —  Rappe,   Pferd  von  dunkler  Farbe.    Shifä  S.  129. 
Aus  dem  persischen  W(Xy^* 
yj^  —  S^^Lä,  die   Schläfe,   die  Wange.     AghÄny  VC, 
33,  Z.  13  V.  u.  L^l^  au  v/^^  ^<J^  O^  *^y^'  ^^ 

(jäwA-&   —  I.  ins  Netz   locken   (den  Vogel,  abfangen).   So 
heisst  es  in  einem  Gedichte: 


Beitr&^e  zur  araMsebpn  Lexikogreplii^.  259 

A    o        ...        «w  9  f      ^  o^^^ 


Shif&  S.  139.  —  Es  ist  von  dem  Worte  ji»bU  ab- 
geleitet, welches  die  Laiidleute  in  Nordsyrien  zu 
rufen  pflegen,  wenn  sie  einen  Fremden  sehen,  wo- 
bei sie  sein  Pferd  oder  Reitthier  anhalten  und  die 
Hand  ausstrecken,  um  ein  kleines  Geschenk  zu  em- 
pfangen. Vgl.  Russell:  Natural  History  of  Aleppo, 
der  die  Sitte  recht  gut  schildeii;. 

x-ä  —  in.  Aghäny  XII,  130,  Z.  19.  Die  Bedeutung  ist 
vermuthlich:  mit  gekrümmtem  Rücken  sitzen,  einen 

Buckel  machen  wie  der  icyJii^  ein  im  Euphrat  vor- 
kommender Fisch  (vgl.  Aghäny  XIII,  18,  Z.  9)  oder 
die  darnach  'benannte  Laute  iAAjLu£jl  ..JcV— *tll. 
Aghäny  V,  24,  Z.  6.  —  JoLcÄ^  -^U^^  Geschrei  und 
Gezanke.  Gabarty  IV,  138,  Z,  7  v.  u. 

dL^  —  V.  sich  an  einander  fügen.  'Aräis  S.  213,  Z.  5: 
c^Ka-ä  ^Ut^Uai  ^jXIäö  JiX^S  JU>il  aJUl  ^^Li 
^^^Ulioil  ^'A^^  Diese  Stelle  bezieht  sich  auf  den 
Durchzug  der  Israeliten  durch  das  Rothe  Meer. 

—  c^bUjcr,  eine  zum  Zwecke  der  Besteuerung  auf- 
gestellte Altersklasse  für  BüfiEel,  indem  nach  den 
verschiedenen  Altersstufen  der  Thiere  die  Steuer 
sich  änderte.  Ibn  Mamaty  S.  31 :  diese  Klassen  führen 

folgende  Namen:  v^'K  ^3^^  v^i^ULjw  ^ys^  /^^J 
(3^^t  (3^^*  Vermuthlich  ist  cjÜLLcw  zu  schreiben. 

—  sU^t^  an  der  Sonne  getrocknete  (^j-jJ)  oder  ge- 
brannte (jJIaJ)  Ziegel.  Labyd  S.  112,  Z.  8. 

^jüä*   —    |VajLäjo,  pl.  vom   sing.  |»IJuw&üo,  einer,    der  heftig 
beschimpft  oder  schmäht.  Hädirah  S.  4,  Z.  11. 


.y^  —   Äjoy:^,  Ackerboden   fünfter  Qualität.     Ibn  Ma- 
\sAX\  S.  45,  46.  An  beiden  Stellen  steht  ^^^i^  und 


17* 


260  Kremer. 

nicht  iüyjuM'    Vgl.  Dozy  ^^Ixär,   woraus   trotzdem 

die  Lesart  inyj^  als  die  richtigere  erscheint. 

^  —  JkA»:^!  Jub£  &ä^)  sprichwörtlicher  Ausdruck  fUr 
ein  Gebrechen,  das  die  Schönheit  des  Betreffenden 
erhöht,  wie  die  Narbe  des  *Abd  al^amyd  ihn  noch 
schöner  erscheinen  Hess  als  früher.  Shif&  S.  136. 

j^  —  sSl^,  daA  Betteln,  die  Bettelei.    Ibn  *Arabshäh 
fol.  114.  Shifä  S.  133.  Vulgär  kSL^  oder  &jL^. 

ia^  —  V.   selten   werden,   sich  verringern.  ioA^jJI  = 
»JUJI.  Gabarty  IV,  158,  Z.  6:  vsaSoj^  diö  s^jj^^y 

{joSt   —  n.   in  Wirklichkeit  vorweisen,   tbatsftchlich  vor- 


••  A 


zeigen  oder  herbeibringen.  Shifä  S.  134.  — 

von   Geldmünzen  gesagt:   effectiv,   baar,   comptant. 

Gabarty  IV,  117,  Z.  1  u.  a.  a.  O. 

iXj&t  —  Lo  Ju&,  Ausruf  der  Verwunderung  statt:  5  JläI  Lt. 
Shift  S.  134. 


i&  —  v^4>^)    im  Dialekt   von  Kairo:   der   Begleiter 
der  Sängerin  oder  Tänzerin,  der  zu  applaudiren  hat, 

w^enn  sie  sich  producirt,  auch  wlti^  genannt.  Sha*- 
rftny,   Albafcr   S.   189:  ^   {J^/^-    LT^'   \J^  j^ 

U^^    ^\     ÜbLA^     fd^\    ^^    J  ^\    8^1     ^     y^ 

%4>Uu  —  pl.  >ol^,  Verkaufsstätten  des  Holzes,  Holznieder- 
lagen (v«AdMMill  M^  jLrtf)  in  Bulak  bei  Kairo.  Ga- 
barty  IV,  11,  Z.  7  v.  u.  Vermuthlich  vom  türkischen 
si^lLj  Zelt. 

K^yJi  —  JsJj^^^  Scherbetverkäufer.  Gabarty  IV,  198, 
Z.  5  V.  u. 


9  •  »  -' 


l%j^w&  —  lang  von  Gestalt,  gross.   Ibn  *AVAby  Mosämar&t 
I,  308,  Z.  3  V.  u.  =  v^^  und  v*y^,   V^/-^- 


B«itrif«  zur  anMMben  Lexikographie.  Sol 


^^  —  2k — s^yl.    pl.   py^i  r'^)^'  f^'/*^'   Glastafeln 
(-.1^0-  Gabarty  IV,  28,  Z.  10. 

iöyj&t  —   »ytnjj  M>  J^  =  aüuo5  ^^,  auf  seine  Verantwort- 
lichkeit,   auf  seine   RecBnung.     Gabarty   IV,    236, 


•      9 


Z.  10  V.  u.  —  ^yy^t  der  Notar.  Sobky,  fol.  21*». 
Aucli  ic^yjSiJ\  \^\SP\^  im  Iklyl.  Mtüler:  Die  Burgen 
und  Schlösser  Stldarabiens,  in  den  Sitzungsberichten 
der  Wiener  Akademie,  XCVII.  Bd.,   DI,  S.  1035. 

—  ^\^y^\,  vgl.  KÄmil  S.  449,  Z.  10  und  13. 

y^wÄ  —  y^^yjSitjo  =  ^^^yj&t.  Lnra'  alfeais  IV,  v.  57,  nach 
einer  Variante,  dann  E&mil  S.  87,  Z.  9,  gestreift  (wie 
die  KleiderstoflFe  von  Shar'ab).  Agh&nv  XIV,  88, 
Z.  4,   wo  das  Wort  erklärt  wird:  hu*aI  v.^^JLJI 

\J^Y&»  —  o't^  U^^'  ^^  (S^S**^'  Ländereien,  die  zu  hoch 
liegen,  um  von  der  Nilüberschwemmung  erreicht  zu 
werden,  die  also  künstlich  bewässert  werden  müssen. 

Aegyptisch.  Es  wird  davon  das  Verbum  ^J)Vä  und 
das  Verbalnomen  ^^^^ÄJ  gebildet.  —  o't^'  Zünd- 
holz  zum  Feuer  machen.  Aegyptisch.  Auch  >^t^g» 
^•1^1.  Gabarty  IV,  309,  Z.  3.  Aber  die  gewöhn- 
liche  Aussprache   ist   \J^y^*  —  c^L-^I^J^I,    weisse 

Sklaven  oder  Sklavinnen,  die  aus  dem  Hause  eines 
Grossen  ausgemustert  oder  entlassen  werden.  Ga- 
barty IV,  266. 

^y&»  —  ^)^9  pl'  ^}y^^  Segment,  Ausschnitt  in  der 
Form  eines  Dreieckes,  wie  bei  den  einzelnen  Stücken 
eines  Zeltdaches  oder  Sonnenschirmes.  Ma^yzy  I, 
448,  Z.  11,  wo  von  dem  Sonnenschirm  des  Chalifen 

gesagt  wird:  ^\j^  J^Jüum  (j^y»  ^sym^ätA  Lol  ^^ 

^y  ^  J;^t  yJ,  .&WÜ,  g;i>f  «aü  JJ^, 


262  Kr^HMr. 


I Jca.  v3*»^.  —  te^yt'  J^.    Agh&ny  XIX^^  137 
Z.  3;  vielleicht  ist  zu  lesen  «»^1  |>Za«>.' 


o    >- 


1»^  —  «VM,  ein  kleiner  Wasserweg.    Gabarty  IV>  121, 
Z.  7  V.  U.5  311,  Z.  8. -Die  Abzweigung  eines  Kanalea. 


.-'     y 


\ym  —   *:?'^,   die   Irrlehre   der   Sekte  üU--ä,   d.  i.  der 
Azrakiten.  Aghany  XVI,  153,  Z.  2;  157,  Z.  13  v.  u. 

wJxi^  —  V.  sich   zerschneiden,   sich  verwunden.     Saif  al- 

jazan  11,  41.  —  x*tn  A,  der  Federstrich  (um  ein  Wort 
zu  tilgen).     Shifit  S.  138. 

^  tn  M >  —  I.  sich  entfernen,  abweichen.  Sha'rany:  Jawalyt 
^         n,  116,  Z.  7:  &JU^I  yöLfc  ^  ^Ja^  ^  ^^^^i^, 

,alle,   die  von  dem  äusseren  Sinne  aer  Offenbarung 
sich  entfernen.^  —  Sich  überheben,  sich  emanzipiren: 

Sha'räny :  Kibryt  S.  173,  Z.  10:  ^SaS  J^  ^ia-Ä  ^^ 
adUl  ^J^  2JLM   jLxt  JLr.  ^Ja^  ^  Lol  ysTl    aJLM 


aüüudJ  o>^^^t  o^  auu^  ^>Jx^l  Joib 

Jo^   —  vajU*lfl.a>,  Schnitten,  eine  Speise.    Aghäny  VlU, 
185,  Z.  5  V.  u.  Vgl.  Dozy:  vKä. 

u,a,tr>^;>  —  kiloM»,  ein  gi*tlnes  Band,  das  die  Nachkommen 
des  Propheten,  die  Sheryfe,  um  den  Turban  zu  tragen 
pflegen.  Shifa  S.  139. 

^n.^  —  w^^   ein   Felsriff.     Gabarty   IV,    142,   Z.   16. 

viAJ  ,cAÄ-Ä  =  dijüjo,  also  ein  Ausruf  wie:  Gott  er- 
halte dich.  Shifa  S.  134.  Nach  dem  Werke:  Tahdyb. 

(Xaju&i  —  SJlulmJuo  slyol  =  ä^^L»,  unbekleidet,  unver- 
hüllt. Aghany  XVII,  121,  Z.  8;  das  Wort  ist,  so 
lange  nicht  andere  Stellen  nachgewiesen  sind,  zwei- 

felhaft.  Vielleicht  ist  zu  lesen  KxmJjJJo. 

yMM  —   ^;Ia4i  die  Ziegen.  Ibn  Mamaty  S.  31 :  ^^IaAJI 

^Li«x  &JUM  oJU'^  ^tiXXft  ÜD^^O^  sLu«.   —  y«x 


.*',«»>' 


**    -" 


Beiträge  zur  arabischen  Lexikographie.  263 

'i%  \jL&y  die  Beduinen  des  Stammes  Sha*&rah,  welche 
der  ägyptischen  Pilgerkarawane  das  Geleit  geben. 
ShaVÄny:  Albabr  S.  218. 

«Ä  —  y^^AJuit^  die  Flechsen,  die  Muskeln,  die  feine  Haut^ 
die  auf  dem  Fleische  sitzt    Gabarty  IV,  257,  Z.  8: 

iJI^    Jo^mJ!,    wozu   mir  mein  Gewährsmann   in 

Kairo  folgende  Erkläi-ung  gab:  ,jjJl»>JI^  u«!  Jl Io^mJ! 

|v^l  J^   ^gXi\  IJL»  JUuSJi  SJJU-I  oJLiJI^. 

JLÄ  —  jÜvaI^,  Kameeltreiber.  Gabarty  IV,  5,  Z.  8. 
^3dÄ  —  (j«M^   (3^?  ^^^  -^^  Ackerland.     Ibn   Mamaty 
S.  46:  yc^  <>^^  ^T^^W ^  ^^)  U^HsUx  jMb4>^  (3dM 

g^yi  s^ü  .^^ '^1^1  i;,  jjUi  ^^  ^^. 

jüi,  Zelt,  ^Lfe  &li.  Lozumijj&t,  fol.  108».  Ma- 
^zy  n,  200,   Z.21:  äU^ä^  ^^^  üääJI   JI  Jl^xJ, 

^UÜ  —  pl;  ^jjuLjuÄ,  eine  Art  Wildpret.  ,jjuIJLäJI  '  L^. 

Aghany  X,  136,  Z.  17:  XIH,  130,  Z.  13.  Der  Text 
ist  an  beiden  Stellen  zu  berichtigen. 

Aj  Hebel,  Hebebaum.  Atar  al'owwal  S.  192, 

Z.  7.  Es  ist  von  einer  schweren  Belagerungsmaschine 
die  Rede  und  wird  die  Art  und  Weise  erklärt,  wie 

sie  in  Bewegung  gesetzt  wird:  wJ^J^Lol  aü5l^  y^^^^ 

L^  ^iXj  {jaSLiL^  ^\  ,man  setzt  sie  in  Bewegung 
entweder  durch  eine  Welle  oder  durch  Hebel,  wo- 
mit sie  vorwärts  geschoben  wird.* 


A 


ßüL&t  —   aurUiA^  oLaJ)    eine  Art  Kleider.     Hamadäny : 
Rasail  S.  156. 


ülmw  —  va>UgA,<o,   eine   Art   Kleidungsstacke.     Ma|i:]^ary 
II,  1200,  Z.  12. 

iJU  —  stechen,  kitzeln.  1001  Nacht  1, 96,  Z.  lO.Il.Waaren 
auf  Credit  nehmen  und  dann  (ohne  fkinächtigung) 


264  Krem  er. 

an  einen  Dritten  abgeben.  Sha'riny:  Albabr  S.  105. 
Z.  7  V.  u:  yjj  ^JLJI  sdJLXlÄi  il  ^1  i>^f  LjuJU  iU.! 

IjüD  L^dMuJL).  —  ^>^J^)  die  vollständige  Rüstung,  mit 
Einschluss  der  WaflFen.  Aghiny  XX,  132,  Z.  17. 

Ä^yjCÄ  —  eine  Art  Nilschiff,  mit  Rudern.    Öabarty  IV,  8, 
Z.  10  V.  u.  Jetzt  ist  das  Wort  nicht  mehr  üblich. 

JCm  —  ^*5Lä,  pl.  &>^Lä,  arabische  Soldtruppe.  Ere- 
mer:  Culturgeschichte  I,  238. 

JXä  —  JJCä,  elegant  =  v-oj^.  AghÄny  XVII,  8,  Z.  14. 

XX,  114,  Z.  12  V.  u.    Vgl.  auch  Agh&ny  IX,  140, 
Z.  10  V.  u.:  uftj^  JJCä  jJL^. 

|JC.Ä  —  iH^J^t)  Ledergürtel  der  Mönche.    Ma^yzy  11, 
508,  Z.  9  V.  u:  s^^xLcKAi  tV-U.^^ye^  (vaCä^' 

(^JLä  —  I.  besprengen^  bespritzen  (mit  Wasser).  B&kurah 
S.  33:  äL-Jv^lVI  X:>;Ul  Xj\  sjüö  Jl  ^Ju  v^iLo 

iUloLi  il  83*^  i'  '^J'^  ü^  ^)  "^'^^  v5^^'  ^4X4JI 

JLä  v^JL^-  ^x^JI  ^^ajl:?.  J^  kiO-ä  s^JiLs^  JyDpI 

^^,  Jagdtasche.  Vgl.  \^yc  bei  Dozy.  Faw4t  I, 
195,  Z.  13. 

v;;^UjJUm  —  eine   Art  kleinerer  Kriegsschiffe.     Gabarty  IV, 
259,  Z.  3. 

^X&  —  türkisch  ^iLUL*..     Gabarty  IV,  56,  Z.  4.     Auch 
<iLJL&  wie  bei  Dozy. 


*»  o  -* 


,j«M^  -<  lU^^,  Rosette,  Medaillon.  ShiAS.lSS.  — 
Sonnenschirm.  Tabary  III,  iy,  S.  U83,  Z.  18. 


B«itrig«  inr  arabUehen  L«zikogTapbie.  385 

jL«dÄ  —  &X4«ä)   ein  Tuch,  worin  etwas  eingehüllt  wird. 
Fachry  S.  361.  Nach  Lane:  Arabian  Night»  m,  570: 

ein  Mantel^  ein  Uebervnirf.  —  &a^  =  äa:^,  Ober- 
kleid. Gabarty  IV,  105,  Z.  15  v.  u. 

—  IüoUam,  Ackerboden  vierter  Qualität.    Ibn  Ma- 
m&ty  S.  47. 

—  Aghäny  XH,  130,  Z.  2.  Die  Wiener  Handschrift 
schreibt  JuJum.    Bedeutung  unsicher. 

^Uä  —  eine  Art  SchiflFe.    Gabarty  IV,  298,  Z.  13.    Aus 
dem  türkischen 


ÄJLÄ  —  n.  emporsteigen,  sich  erhöhen.    Ta^tyf,  fol.  32»: 
es  wird  dort  ein  alter  Dichter  angefahrt,  der  sagte: 

AAJuä  1^7^'  \J^y  '^^^^  ^^^  ^^^  ^^^  erhaben^  Aus 
einem  andern  alten   Gedichte   wird  angeführt:   161 


k^  I^Äil  ^  ^^ÜJI  y^yS3\  ,wenn  sich  der  nächst- 
folgende Stern  von  den  Plejaden  aus  in  die  Höhe 
bewegt*. 

•^Uä  —  Tabary  HI,  iv,  S.  1170,  Z.  8.  Bedeutung  unsicher. 

—  pl.  v£bLL&,  aus  dem  türkischen  vlLLL&,  Volksfest, 
Beleuchtung.  Gabarty  IV,  81,  Z.  1;  173,  Z.  11.  Hier- 
nach ist  Dozy  ad  vocem  sdLcw  zu  berichtigen. 

4X4^  —  JjöLä,  der  Assistent,  Adjunkt  im  Kanzleidienste. 

Ibn  Mamaty  S.  14.  —  JüJÜI  Jü&t^,  poetisch:  die 
Gestirne.  Shifa  S.  135. 

y^Mii  —  II.  an  den  Pranger  stellen  =  j^vä..  Shifa  S.  136. 

—  iLsjöLä,  eine  Pomade.  ShüGa,  S.  165.  —  8>4Aje, 
ein  Kennzeichen,  Merkmal.  Kämil  682,  Z.  4. 

0tr^  —  pl-  ffy^^^  oder  ka.^Lj^,  eine  aus  der  Zeit  des 
persischen  Reiches  stammende  Classe  von  Landedel- 
leuten  oder  Grundbesitzern,  die  sich  noch  bis  in  die 
Chalifenzeit  hinein  erhielten,  sich  selbst  mit  Stolz 
,Söhne  der  Dikh&ns  (Agh&ny  XH,  176,  Z.  3  v.  u.) 
nannten  und  besonders  im  nördlichen  Mesopotamien 


266  Krener. 

am  längsten  ihi^n  Einfluss  sich  wahrten.  Sie  be- 
kannten sich  daselbst  Torwiegend  zum  Christenthum. 
Vgl.  Ihn  ^au{}:al;  ed.  de  Goeje  S.  146.  Ihn  Atyr  ü, 
407.  Nöldeke:  Geschichte  der  Perser  und  Araber 
nach  Tabary  S.  102,  Note  2. 

s^4^  =  sty^U,  Reichsstrasse.  Shifä  S.  139. 

c^4-Ä  —  II.  expediren,  befördern,  Vorschub  leisten.  Doey 
ist  hienach  zu  berichtigen.  Vulgär,  aber  auch  im 
Eanzleistyl  üblich. 

^^j^Lä  —  ein  Musikinstrument,  das  geschlagen  wird.  Hj&' 
n,  319,  Z.  1  V.  u.  Vermuthlich  eine  Art  Handtrom- 
mel. Das  Zünglein  der  Wage.  Shi&  S.  137. 

LfÄ  —  lUf-ä,  Appetit,   Begierde.     1001  Nacht  I,  S.  3, 
Z,  13;  S.  70,  Z.  5. 

»La  —  ^jf  J  SLm,  poetisch:  der  Wildstier,  das  Männchen 
der  wilden  Kuh,  einer  Antilopen&rt.     Labyd  S.  66, 
ZeUe  7. 
V*-*^  —  V»*>4^^  gemischt  =^  io^JLitiP.  So  in  einem  Verse 
des  Solaik: 

Ash'Ar,  fol.  212^  ,e8  wird  dir  Ersatz  geben  fiir  die 
saure  Milch  deines  Stammes  das  auf  Kohlen  gebra- 
tene Fleisch  und  die  Suppe  der  Kessel,  die  in  den 
Schüsseln  gemischt  wird^  (Variante:  ^j^pw). 

va)LllfluuÄ  —  eine  Art  SchiflFe.  Gabarty  IV,  298,  Z.  13.     Ver- 
gleiche Dozy. 

v:;^ULuä  —  Augenwasser.  Ma%:ryzy  II,  406,  Z.  2  v.  u. 
Ju^  —  Jvy^)  Lastträger  =  JLx^  oder  Ju>. 

^  —  U^ui,  Wirbel  im  Wasser,  pl.  ^.  Shift  S.  133, 

wo  nur  für  die  Pluralform  eine  Belegstelle  ange- 
ftthrt  wird. 


Z.  7  V.  u. 


I,    schöner,   herrlicher.     Agh&ny  XVI,   124, 


Beitr&^e  zur  arftbischen  Lexikognpliie.  So? 

y*li  —  eS^  sl^.  Aghany  VII,  43,  Z.  9.  —  8^,  der 
B{dl«st^  vom  italienischeii  BavoiTA-  Shifa  S.  126-,  eben 
Bo  m  derselben  Bedeutung  8%^Lö.  Shift  S.  126,  143. 


^  e  >  *^  9 


—  &A^,  pl.  w^ifi^7  Leuchter  mit  mehreren  Kerzen. 

Gabarty  IV,  28,  Z.  13  v.  u.  •—  ^^s^Ljojo^  Diener, 
Lakai.  Gabarty  IV,  111,  Z.  10  v.  u.  Sie  werden  un- 
mittelbar nach  den  äaä»  siL-A^  angefahrt. 

—  ^JiiisP  ^^  =  («AA^ <ii  wegen  mir,  meinethalber. 
Gabarty  IV,  224,  Z.  5. 


fi  tf 


ÖJgp  —  <X^I  yLd^Jl.     Nabighah  VII,  28  erklärt  der 
Commentar  als:  ,glatte  FekUöcke^ 


6.    .     e   «*    6. 


nJl*^  —  &I3KJL0  ^t(>,  ein  fürstliches  Haus,  einem  Manne 

gehörig,  der  xJL»ö  ist.  Vgl.  über  dieses  Wort  Dozy. 

Tl&m  S.  161,  Z.  9.  —  ya^  ^ijJaS*  gJy  Faw&t  11, 
215,  Z.  2  V.  u.  scheint  zu  bedeuten;  er  stand  in  An- 
sehen in  Kairo. 


s    9  ^ 


cjL*d  —  £^^^)  entscheidend,  das  Urtheil  sprechend.  Vgl. 
Lane:  (3-^W  F,^^^'^'     ^^^  Ismä*yl  alazdy   S.  29, 
Z.  12:  (3ib  g;J^. 
juj6t  yxjic^yc  —  die  Ohrläppchen.  Saif  aljazan  II,  54. 

f^yc  —  y^y^i  pl.  fr^^  rother  Schuh.  Aegypt.  —  ^\jsyc^ 
Schuster.  Gabarty  IV,  71,  Z.  9. 

äi  Joidt  —  aus  dem  italienischen  stoffa,  eine  Art  Seidenzeug. 
Gabarty  IV,  223,  Z.  6  v.  u. 

jL:&^f  —  tXAifl^,  in  der  Beschreibung  des  Löwen.  Gabi?*' 
Mabäßin»  fol.  97^: 

^U  ^jyi-U  ^'^;^l  v^  vS/^     LT^I^  iXÄ-orf  (jM^^  u^y^ 

Im   Aghäny  XI,   25,   wo   dieselbe   Schilderung  des 
Löwen  gegeben  wird,  fehlen  diese  Verse.  Die  Form 

J^^i^l  fehlt  in  den  Wörterbüchern.     Vgl.   üdev^l, 


268  Krftfli«r. 

das  aber  im  $abab  nicht  aufgenommen  i&t.  Hingegen 

ist  öJujc^  zu  belegen  aus  Aghanj  VII,  182,  Z.  18. 
—  In  einer  Handschrift  desselben  Werkes  auf  der 
Wiener  Hof  bibHothek  (Mixt.  94,  fol.  48»)  iSadet  man 

die  Lesart 


k^i>\Juo  —  Possenreisser  =  SLJLäIjLo.     Fihrist   S.  3,   Z.  8; 
S.  140,  Z.  8. 

jÄ^  —  'ijtjA^^  pL  ^^Iäo,  der  Zeltriiig,  der  auf  dem 
Tragpfeiler  sitzt  und  die  Spitze  des  Zeltes  trägt. 
Mai^zy  n,  419,  Z.  12;  125,  33. 


<^  ■  " 


•t   I  •• 


^flJuo  —  gj&XJ^   A^i   vulgäre  Redensart:  stehlen.     Shifii 

S.  144.  —  ^[jLSuojo.  Ma^tary  H,  878,  Z.  17,  ein 
Schmähwort,  das  einen  bezeichnet,  der  immer  Schläge 
erhält. 

—  eine  Art  türkischer  Truppen  oder  Polizeisoldaten. 
Gabarty  IV,  129,  Z.  15.  Auch  xxAlia^M  geschrieben. 

—  IL  lüdbaj,  Liquidation  einer  Concursmasse.  \ — 
iLoji,  pl.  Töpfe.  Gabarty  IV,  312,  Z.  11. 

—  eine  Art  Soldaten  oder  Regierungsbedienstete. 
Gabarty  IV,  177,  Z.  1.  Sie  werden  daselbst  zusam- 
men  mit  den    iU,^li^   angeführt:   ot^^l    m^y^ 

SU  iüLit  yjL^\.  Das  Wort  iAsuc  entspricht 
dem  türkischen   JüUuo. 

—  KAAJL>to,  Vollblut,  von  ungemischter  Abstammung. 
Aghany  XVH,  9,  Z.  16:  iüJLo  aif^oUe^l  ^Jl, 

ty^j^  ü^  7*^  ^  ^  ^^  ^'^^'  ^-  *• 


A,jc  —  &i&wia^,  Administration,  z.  B.  J^\  JL^wio«,  die 
Administration  des  Salzes.  Modern  ägyptisch.  Vgl. 
Gabarty  IV,  10,  Z.  8  v.  u. 


Beitrtc^  zvr  ar»biaeb«n  L«zikofr»phi«.  269 

Ju&Le  —  I.  kneten.  Boch&ry  1997  (Kitäb  bad'alchalk  18): 
jLioJLiai   Jüeo  lais  <^>^  JLoJLo  iO^^(>^  |»(>l  (jJi^ 

uaJLd  —  kkLöy  Prahlerei,   Dtokel,  OrosBinutb.     Mostatrif 
I,  S.  18,  Z.  8  V.  u.:  JJiÄ  J^   aÜifjJI  ^   ^^  51^ 

dULo  —  yi)yX^,  die  Armuth.     Ibn   Doraid   S.  170,   Z.  5. 
Vgl.  J^yJjuö. 

^^  —  n*  {S^H^  J^^^.  y^t  sprichwörtliche  Redensart  für 
^ISjy  Jb^.  Shift  S.  142.  —  m.  =  JloI^  oder 
v^xU,  ein  Büdarabisches  Wort,  das  bei  Hamdäny 
sowohl  im  Iklyl  als  in  seiner  Beschreibung  von  Ara- 
bien öfters  vorkommt,  in  der  Bedeutung  angränzen, 
anstossen,  z.  B.  L^JLoj^I  L4JU0  u^ü^  ^ItXi-  Müller, 
Die  Burgen  und  Schlösser  u.  s.  w.  in  den  Sitzungs- 
berichten der  Wiener  Akademie,  Bd.  XCIV,  S.  383. 
—  ^Lö,  vulgär  im  Dialekte  von  Damascus  und 
Qom^  mit  der  Bedeutung:  abwartend,  aufpassend. 
Shift  S.  143. 

f^  —  fJo\  =  ^\  oder  J^.  Aghany  VI,  129,  Z.  7  v.  u. 

%«M9  —  >yy,  4din,  der  Mann,  welcher  die  Palme  durch 
Uebertragung  des  Blüthenstaubes  der  männlichen 
auf  die  weibUche  Blüthe  befruchtet.  Ash'dx,  fol.  192. 
In  einer  Handschrift  der  Wiener  Hofbibhothek  (Flü- 
gel: Katalog  Nr.  241,  fol.  173)  findet  sich  aber  hie- 
filr  )^r4io  und  wird  das  Wort  erklärt  als :  ausge- 
trocknetes Holz.  Das  Wort  kommt  in  einem  Gedichte 
des  'Omajjah  Ibn  Abyl^alt  vor,  von  dem  ich  ein 
Bruchstück  bekannt  machte  in  der  Abhandlung: 
Ueber  die  Gedichte  des  Labyd  (Sitzungsberichte 
der  Wiener  Akademie,  Bd.  XOVin,  S.  576). 


^•-  ^ 


^^ßC  —  ^i^^f^?  das  Normalgewicht.     Ibn  Mamäty  S.  41, 


270  •        Kremftr.    B«itrig«  znr  anbiseben  L6xik«flfr*pbie. 

s.j^^  —  ^14^,  vom  Weine  gesagt:  roth;   in  emem  Ge- 
dichte deB  Ibn  Mo^bil': 

J^' ^U2iÄ  ^^^iJj  Lo  ^     3L-5b^O  t^L^oj  ^gÄxk^ 

Ash'är,  fol.  118*.  Bei  Mas'udy  Vm,  328  wird  es  in 
der  Bedeutung:  kalt,  frostig  gebraucht. 

syö   —  v-^LJI  oLö  =  vM  ^J^'i  die  ThüröflFnung.  Bo- 


e«       ^ 


ehäry   2202   (Kitab   almaghäzy  45).  —  s. «o,   ein 


dichtes  Palmengehölze  (so  nach  Abu  Qätim),  nicht 
blos:  junge  Palmen.  Der  Plural  lautet  )l^'«  Tan- 
byh,  fol.  16^  Vgl.  AghÄny  XIEt,  123,  Zu  1  v.  u.  — 

^  ^L-^ö,  der  Matrose,  der  Schiffer,  in  einem  alten  von 
Matryzy  IT,  121,  Z.  14  v.  u.  angeführten  Verse.  Es 

ist  wohl  \Syy^  zu  lesen. 

Ayc  —  VII.  -^  A't*''    *^®^   umwenden,   sich   entfernen. 
•Aräis  S.  484,  Z.  5. 

^5n*«o  —  ^Hy5?  ^^^  Forte  im  Gesänge  im  Gegensatze  zum 
Piano.  Aghäny  V,  98,  Z.  15;  102,  Z.  9  v.  u. 


*"  **  0  *• 


t       • 


^Ju-iö  —  »Jjuyö,  Apothekergeschäft.  Fihrist  S.  317,  Z.  11. 

—  ^5*^*0,  pl.  ^jHyö?   die    Sommersaaten.    Ibn   Ma- 
mäty  S.  48,  52. 


Anmerkung.  Alle  jene  Wörter,  bei  welchen  die  Quelle 
nicht  angegeben  ist,  sind  aus  dem  Volksmunde  aufgezeichnet. 
Zu  S.  187  u.  199  muss  ich  einen  Schreibfehler  berichtigen:  es  ist 
ä^liü  zu  verbessern  in  lii&UiL^.  Mit  Xlolloc»  S.  228  ist  zu  ver- 
gleichen (jmLmJ  von  yuS^  nach  Dozy.  Von  Nachträgen  habe 
ich  nur  zwei  beizufügen:  Soyi^  im  ägyptischen  Dialekt  in 
derselben  Bedeutung^  die  Freytag  zu  Vij^^  gibt.  —  ^50^,  der 
Bajazzo,  Spassmacher,  ähnlich  dem  als  ^U  yj^\  bei  den  Hoch- 
zeitsfesten in  Kairo  auftretenden  Komiker. 


Hirvchfold.  <HUiiebe  Studien.  371 


Gallische   Studien. 

Von 

Br.  Otto  Hirsohfeld, 

eerrMpondirendeiB  Vitf^iede  der  bii.  Afaidemie  der  Wieeensebaften. 


JJie  Bearbeitung  der  lateinischen  Inschriften  von  Gallien 
hat  mir  Veranlassung  geboten,  verschiedene  historische  und 
epigraphische  Fragen  zu  untersuchen,  die  innerhalb  der  engen 
Grenzen  des  Corpus  Inacripiianum  nur  andeutungsweise  berührt 
werden  können.  £s  schien  daher  angemessen,  einige  wichtigere 
Punkte  in  einer  Beihe  von  Aufsätzen  einem  weiteren  Leserkreise^ 
als  ihn  die  Folianten  des  grossen  Inschriftenwerkes  beanspruchen 
können,  an  dieser  Stelle  vorzulegen.  Dass  diese  Ausführungen 
vorläufig  einer  systematischen  Anordnung  entbehren^  ist  durch 
die  Natur  des  Materials  bedingt;  vielleicht  wird  mir  nach  Ab- 
schluBs  der  Inschriftenarbeit  vergönnt  sein,  die  anscheinend 
nicht  in  engem  Zusammenhange  stehenden  Einzelforschungen 
zu  einem  organischen  Ganzen  zu  verbinden.  —  Da  der  Ab- 
schluss  des  zwölften  Bandes  des  Corpus,  welcher  die  Inschriften, 
der  narbonensischen  Provinz  umfassen* wird,  in  nächster  Zeit 
noch  nicht  erfolgen  dtLrfte,  werde  ich  bei  AnfUhrung  der  In- 
schriften neben  der  Nummer  des  Corpus  noch  eine  und  die 
andere  zugängUche  Publication  citiren ;  von  einer  Volldtändigkeit 
der  bibUographischen  Angaben,  so  leicht  dieselbe  sich  bewerk- 
stelligen liesse,  ist  hier  selbstverständlich  Abstand  genommen 
worden. 

I.  IMe  Ciritates  Foederatae  im  narbonensischen  Gallien. 

Mit  der  Eroberung  GalHen's  ist  von  Julius  Caesar  der 
erste  und  entscheidende  Schritt  gethan  worden,  die  Besitzer- 
greifung des  Westens  durch  die  Römer  aus  der  engen  Begrenzt- 


272  HirsehfaU. 

heit  einer  rein  militärischen  Occupation,  wie  sie  bis  dahin  in 
Spanien  und  dem  südlichen  Frankreich  angestrebt  war,  zu  einer 
Herrschaft  des  römischen  Geistes  und  Wesens  über  die  Ton 
civiUsatorischen  Einflüssen  noch  wenig  berührten  Barbarenländer 
umzugestalten  und  zu  veredeln.  Die  Romanisirung  des  westlichen 
Europa  hat  dem  hohen  Geiste  Caesar's  als  grosse  dem  römischen 
Volke  vom  Schicksal  beschiedene  Aufgabe  nicht  etwa  nur  in 
unbestimmten  Umrissen  vorgeschwebt,  sondern  ist  von  ihm  mit 
kraftvoller  und  sicherer  Hand  energisch  in  Angriff  genommen 
worden.  Der  Mann,  der  die  Worte  niederschrieb,  »Cicero  habe 
einen  um  so  viel  schöneren  Lorbeer,  als  ihn  alle  Triumphe 
gewähren  könnten,  errungen,  um  wie  viel  grösser  das  Verdienst 
sei,  die  Grenzen  des  Geistes^  als  die  des  Reiches  erweitert 
zu  haben,'  hat  sicherlich  auch  seine  Siege  nur  als  Mittel  zu 
dem  hohen  Ziele  angesehen,  die  durch  die  Waffen  eroberte 
Welt  durch  römische  Cultur  zu  einem  einheitlichen  Ganzen  zu 
verschmelzen.  Es  war  ihm  vom  Schicksal  nicht  beschieden, 
dies  Werk  in  dem  Lande,  das  er  selbst  dem  römischen  Reiche 
gewonnen  hatte,  zu  beginnen;  nur  in  dem  Süden  Galliens  ist 
ihm  zu  zeigen  vergönnt  gewesen,  in  welchem  Sinne  und  mit 
welchen  Mitteln  er  an  die  Durchfllhrung  dieser  Aufgabe  zu 
gehen  gedachte,  und  es  ist  ihm  in  unglaublich  kurzer  Zeit  ge- 
lungen,  diesem  reichen  und  schönen  Lande  unauslöschlich  den 
römischen  Stempel  aufzudrücken.  Durch  die  Gründung  zahl- 
reicher Colonien  an  der  Küste  des  Meeres  und  an  den  Ufern 
der  Rhone  ist  Südfrankreich  römisch  geworden,  während  es  bis 
auf  diese  Zeit  theils  gfiechisch,  theils  keltisch  war,  denn  die 
einzige  Colonie  Narbo  —  Aquae  Sextiae  hatte  wohl  aus  Rück- 
sicht auf  das  benachbarte  Massalia  noch  nicht  Stadtrecht  er- 
halten —  hat^  so  weit  wir  sehen  können,  auf  die  Romanisirung 
selbst  des  westlichen  Theils  der  Provinz  nicht  den  mindesten 
Einfluss   geübt  oder  auch   nur  angestrebt.*     Es  musste  zuvor 


^  Dass  Efthlreiche  rOmische  Kauf  leute  sich  schon  vor  Caesar  in  der  ProTins 
Qeach&fte  halber  aufhielten,  wie  aus  den  bekannten  Worten  Cioero*i 
{pro  Fonteio  §.11 — 12):  referta  0<Ulia  negotkUorum  eit^  pletia  eivium  Roma- 
norumf  nemo  Gailorvm  \iint  eivt  Romano  guieguam  negotii  ggrit;  mtmmu9  in 
Qaüia  nvüu»  nne  eivium  Romanorum  tabfilii  eommovetur  ersichtlich  ist, 
Hpricht  natürlich  nicht  dagegen,  denn  bekanntlich  sind  rOmische  Kaufleute 
auch  im  mittleren  Gallien  bereits  während  der  Feldzüge  Caesar's  massen- 


OaUisehe  Studien.  273 

das  Emporium  griechischen  Handels  und  griechischer  Cultur : 
das  mächtige  Massalia  niedergeworfen  werden^  ehe  Rom  hier 
seine  civilisatorische  Mission  beginnen  konnte.  Die  Eroberung 
Massalias  durch  Caesar  bildet  den  Wendepunkt  der  römischen 
Politik  im  Süden  von  Gallien:  ein  Blick  auf  die  Vorgeschichte 
dieser  Stadt,  die  eine  so  bedeutungsvolle  Rolle  in  der  Ge- 
schichte der  Civilisation  zu  spielen  berufen  gewesen  ist,  wird 
den  Abstand  zwischen  dem  machtvollen  alten  Massalia  und 
dem  Schattenbilde,  das  seinen  Namen  in  der  Kaiserzeit  trägt, 
darzuthun  geeignet  sein. 

Die  Gründung  Massalias^  f&Ut  in  das  Jahr  600  vor 
unserer  Zeitrechnung:  Seefahrer  aus  dem  ionischen  Phokaea 
waren  es,  die  an  dieser  fiir  eine  Handelsstation  unvergleichlich 
günstigen  Stelle  ^  im  Gebiete  der  ligurischen  Salyer  dem  Grie- 
chenthum  die  erste  Stätte  bereiteten.  Einen  Zuwachs  erhielt  die 
junge  Colonie  etwa  sechzig  Jahre  nach  ihrer  Gründung  durch 
flüchtige  Landsleute,  die  nach  Eroberung  ihrer  Vaterstadt 
durch  Harpagos  den  heimatlichen  Boden  verliessen,  um  sich 
neue  Wohnsitze  im  Westen  zu  suchen.^  Die  Fehden j  in  welche 


haft  vorhanden  gewesen  und  daher  regelmässig  zuerst  der  Wnth  der  GaHier 
zum  Opfer  gefallen,  so  in  Cenabum  (b.  G.  VII,  3,  1),  in  Cabillonum 
(Vn,  42,  5),  in  Noviodunum  (VII,  65,  5).  Dagegen  geht  aus  Cicero^s 
Worten  (a.  a.  O.  §.  12)  über  die  genera  hominum  et  dvitcUum,  welche 
sämmtllch  den  RtJmern  offen  feindlich  seien,  klar  hervor,  dass  abgesehen 
von  der  Colonie  Narbo  (colonia  nostrorum  eivium,  speeula  populi  Romani 
ae  propugnaeulum  itti»  ipai»  nationibu»  oppoaitum  et  obiec- 
ium)  und  Massalia  die  Römer  keine  moralischen  Eroberungen  in  der 
Provinz  gemacht  hatten. 

1  Die  Geschichte  Massalia's  ist  vielfach  behandelt  worden,  allerdings  wesent- 
lich mit  Rücksicht  auf  die  ältere  Zeit;  vgl.  die  Literatur  bei  K.  Fr. 
Hermann,  Griechische  StaatsalterthÜmer,  fünfte  Aufl.,  §.  78  Anm.  28. 

'  Vgl.  Kiepert,  Alte  Geographie  §.  436:  ,Massalia  umfasste  ein  von  Hohen 
eingeschlossenes  sicheres  Hafenbecken,  hinreichend  entfernt  von  den 
Mündungen  des  Rhodanus,  um  der  Alluvion  des  Flusses  nicht  ausgesetzt 
zu  sein,  nahe  genug,  um  sich  den  ausgezeichneten  Handels  weg  nach 
dem  Norden,  welchen  der  Fluss  darbietet,  zu  sichern.*  lieber  die  Lage 
der  alten  Stadt  vgl.  de  Villeneuve,  Statulique  du  dipartement  de»  Bouche»- 
du-Rhdne  H  8.  209. 

•  Die  Gründung  der  Stadt  wird  bekanntlich  von  mehreren  Schriftstellern 
erst  in  die  Zeit  nach  der  Einnahme  Phokaeas  gesetzt;  wir  folgen  mit 
den  meisten  Neueren  den  Angaben  des  Aristoteles  (bei  Harpocration 
8.  V.  Mat(jaaX(*)  und  des  Timaeus  (I  p.  201  Fragm.  40  Müller). 

8itsiing8b«r.  d.  phil.-liist.  Gl.    GUI.  Bd.  I.  Hft.  18 


274  flirtchfeU. 

die  Stadt  mit  den  umwohnenden  Barbarenstämmen  nothwendig 
verwickelt  werden  musste,  vermochten  nicht  ihr  raaches  Anf- 
blühen  zu  hindern  und  als  sie  dann  später  den  unvermeidlichen 
Kampf  mit  den  an  der  spanischen  und  gallischen '  Küste  seas- 
haften  Karthagern  zu  bestehen  hatte^  zeigte  sie  sich  dem  mäch- 
tigen Nebenbuhler  nicht  allein  gewachsen,  sondern  ging  siegreich 
aus  dem  gefährlichen  Kampfe  hervor.'    Verbindungen  mit  den 
Iberern,    die   wahrscheinlich   mit  Massalia  gegen   den   gemein- 
samen Feind  gekämpft  hatten,  wurden  angeknüpft;  aber  auch 
nach  Süden   hin   finden  wir  die  Stadt  im  vierten  Jahrhundert 
bereits    in    reger  Wechselbeziehung.      Denn    so    wenig    auch 
die  Angabe  des  Galliers  Pömpeius  Trogus^  Glauben  verdient, 
dass  die  Freundschaft  mit  Rom  schon  unter  Tarquinius  Pnacos 
von    den   auf  der  Fahrt  nach   Gallien   begriffenen  Phokaeem 
geschlossen    worden    sei,    so    spricht   doch    die    imverdächtige 
Nachricht    Diodor's,^    es    sei    im    Jahre   358   d.  St.   nach  der 
Einnahme  von  Veji  das  von  den  Römern  nach  Delphi  gesandte 
Weihgeschenk  in  dem  Schatzhause  der  Massalioten  niedergelegt 
worden,   fUr  freundschaftliche   Beziehungen    zwischen    beiden 
Städten.  Wenige  Jahre  später  ward  Rom  ein  Opfer  der   galli- 
schen Horden:   wohl  mochten  mit  Theilnahme  und  nicht  ohne 
Sorge  die  Massalioten  von  dem   gallischen  Brande  hören,  viel- 
leicht selbst  durch  materielle  Unterstützung  ihr  Mitgefühl  be- 
thätigen,*  und  es  mag   seit  jener  Zeit  sich   ein  näheres  Ver- 

^  lieber  die  phönikischen  NiederlaMungen  an  der  Südküste  Galliens  t^I. 
Desjardins,  Qiographie  de  la  Garde  II  p.  131  ff.  Auch  der  Name  Massa- 
lia wird  in  neuerer  Zeit  als  phOnikisch  erklärt,  vgl.  Schroeder,  Die 
phOnikische  Sprache  (Halle  1869)  S.  241:  ,Der  Name  MaaaoXU  ist  offenbar 
nicht  g^echischen,  sondern  phönizischen  Ursprunges  und  bedeutet  Woh- 
nung, Niederlassung*,  und  Kiepert,  Alte  Geographie  §.  436,  n.  2;  andere 
Ableitungen  bei  Dederich  Rhein.  Museum  für  Fhilol.  4,  1836,  S.  104. 

'  Justinus  1.  43  c.  6:  Carlhoffinieneium  quoque  eocereitue,  cum  bellum  eaplu 
pieclUortnn  navilme  ortutn  ettet,  »aepe  fuderunt  paeemqu/e  victü  dedenuU; 
cum  Hiepanie  amicUiam  iunxerunt.  Vgl.  Müllenhoff,  Deutsche  Alterthums- 
kunde  I  S.  179  ff. 

'  Justinus  1.  43,  c.  3. 

«  Diodor  1.  14,  c.  93. 

*  Justinus  1.  43  c.  5:  MauHiefuium  legaU  .  .  .  audwerant  urhem  Romanam  a 
OaUU  captam  inceneamque,  Qtia  re  domi  nuntiaia  (so  lesen  nach  freund- 
licher Mittheilung  Rührs  die  Transalpinen  Handschriften,  quam  rem  domi 
nuntiatam   die  Italischen)  publico  funere  ider  Gebrauch  von  /«mit«  fOr 


Oalliseh«  Studien.  275 

hältniss  zu  Rom  gebildet  haben^  möglicherweise  sogar  damals 
bereits  ein  Bündniss  abgeschlossen  sein.^  Jedesfalls  finden  wir 
bei  Ausbrach  des  hannibalischen  Krieges  die  Massalioten  als 
Bundesgenossen^  auf  Seiten  der  Römer  und  treu  haben  sie  in 
jenem  Wechsel  vollen  Kampfe^  wie  auch  in  den  folgenden  Zeiten' 
zu  ihnen  gestanden.  Wenn  Hannibal  den  tollkühnen  und  ftir  ihn 
selbst  im  Gelingen  fast  verhängnissvoUen  Zug  über  die  Alpen 
wagte ,  anstatt  längs  der  leicht  zu  passirenden  Küste  in  Italien 
einzufallen,  so  bewog  ihn  dazu  in  erster  Linie  wohl  die  Erwägung, 
dass  der  Marsch  auf  einem  von  massaliotischen  Colonien  bedeck- 
ten Gebiete  dem  römischen  Heere  entgegen^  mit  der  mäch- 
tigen Stadt  im  Rücken,  ein  noch  grösseres  Wagniss  sein  würde. ^ 
Hing  doch  an  der  Entscheidung  dieses  Kampfes  auch  die  Zu- 
kunft Massaliasy  ja  des  ganzen  Westens;  blieb  Hannibal  in 
Italien  Sieger^  so  war  auch  Gallien  den  Karthagern  rettungslos 

IwUu»  ist  meines  Wissens  nnerhOrt,  vielleicht  ist  eq  schreiben  munere  eam, 
n&mlich  ttrhetn  üamanam;  fibrig^ns  liest,  wie  mir  soeben  Professor  Kühl 
mittheilt,  der  den  fibri^n  Classen  selbständig  ^g<enflberstehe&de  Codex 
Casinas  pubUco  muuere)  MoMinlienMes  proMeuH  tuni  aummqtte  et  argen' 
tum  fmbUcum  pritxUumque  contulerunt  ad  explendum  pomdm»  OalUs,  a  guibuM 
redemplam  pacem  eognoverant.  Auf  diese  Nachricht  ist  freilich  nicht  viel 
zu  geben,  denn  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  Trog^  durch  starke 
Hervorhebung  der  alten  und  in  schweren  Zeiten  bew&hrten  Freundschaft 
Massalia^s  su  Gunsten  der  zu  seiner  Zeit  so  schwer  getroffenen  Stadt 
Stimmung  zu  machen  suchte. 

I  Auch  auf  diese  Angabe  des  Trogns  bei  Justinns  a.  a.  O.:  ob  quod  me- 
riium  et  immunitae  Ulis  decreta  et  locua  tpeetaeulorum  in  tenatu  datu*  et 
foeduM  aeqtio  iure  percuteum  ist  wenig  Gewicht  zu  legen;  jedoch  nimmt 
auch  Mommsen  (R.  G.  I*  S.  416  und  S.  462)  an,  dass  die  Graecostasis 
in  Bom  im  vierte|&  Jahrhundert  sunichst  (Ur  die  Massalioten  errichtet 
worden  sei.  Vgl.  Strabo  IV,  1,  5  p.  180:  (ot  IMaaootAtctfTat)  ^cpotcpov  (liv 
«^  EtiTu^ouv  dta9Ep<SvTci>(,  TCEpi  Tt  tSaX«  Xtfl  iccpl  ij^v  i^po^  *P«i»{iLa(oUC  ^ikloM, 
^^  lOoXka  Sn  tt«  Xoßoi  9r\\itXa.  x«i  ^  xolX  io  (tfavov  xi\^  *ApW(<.i(o{  Tijc  ev  tcä> 
!\ßevT{fa>  ot  'Pci>{&aiot  djv  airJjv  (idEScatv  Ij^ov  t(o  icap«  xot^  MaaootXuuTai« 
«v^Of 90CV,  und  dazu  Herzog,  GalL  Narbon.  p.  38  f. 

'  Livius  XXI,  20,  7 — 8 :  nee  höepUale  quiequam  pacatumve  eatiepriu*  amditum 
quam  MaeeiUaim  venere;  Un  amnia  ab  eociie  inquitita  cum  eura  aeßde  cognita» 

'  Polybius  III,  95,  7 :  tOyivcü«  yoip,  el  xa(  tivc;  IrEpot,  XEXo(vo>v^xaai  'Pci>(Mibi( 
;;pay(MtTft>v  xai  MaooaXibiTai,  )coXXaxi$  alv  xat  (Uta  tauta,  t^^icrcc  31  xara 
t^  ''Awtßaaov  3:oXs(jiov. 

*  Anders  Mommsen  (R.  G.  I^  S,  579):  ,abgesehen  von  dem  Küsteaweg, 
den  Hannibal  nicht  einschlug,  nicht  weil  die  ROmer  ihn  sperrten, 
sondern  weil  er  ihn  von  seinem  Ziele  abgeführt  haben  wttrde.* 

18* 


276  Hirtc1if«ld. 

ausgeliefert.  Nach  der  Niederwerfung  des  furchtbaren  Feindes 
hatte  Massalia  hier  keinen  Nebenbuhler  mehr  zu  fürchten;  es 
stand  auf  dem  Höhepunkte  seiner  Entwicklung.^  Seine  Handels- 
Stationen  zogen  sich  längs  der  Meeresküste  von  Monoecus  (Mo- 
naco) bis  nach  Emporiae  (Ampurias)  in  Spanien,  am  linken  Rhdne- 
ufer  bis  Avennio  (Avignon)  hin;^  der  gesammte  Handel  nach 
dem  Norden  lag  in  seinen  Händen;'  massaliotische  Münzen 
fanden  ihren  Weg  weit  über  die  Grenzen  Galliens  hinaus.^ 
Griechische  Sprache  und  griechische  Schrift  waren  nicht  allein 
in  dem  von  seinen  Ansiedelungen  besetzten  Gebiete  heimisch^^ 
sondern  auch  die  Kelten  fingen  allmälig  an^  sich  des  griechi- 
schen Alphabets  für  ihre  sparsamen'  Aufzeichnungen  zu  be- 
dienen, ^  und  wohl  darf  man  für  die  spätere  Zeit  bis  zu  einem 


1  Ich  kann  daher  den  Worten  Müllenhoff^s  (Deutache  Alterthumskunde  I, 
S.  178):  ^offenbar  f&llt  die  höchste  BlÜthe  von  Massilia  in  das  vierte  Jahr- 
hundert' nicht  zustimmen ,  denn  wenn  auch  bereits  zur  Zeit  des  kühnen 
massaliotischen  Seefahrers  Pjtheas  das  Ansehen  und  die  Macht  der  Stadt 
bedeutend  gewesen  sein  muss,  so  hat  doch  sicherlich  erst  die  Yerdrängung 
der  Karthager  aus  Spanien  den  Handel  Massalia*s  zu  voller  Blfithe  gebracht 

>  Vgl.  die  Zusammenstellung  derselben  bei  Desjardins,  Geographie  II  S.  185  ff. 
und  die  Karte  zu  S.  224,  auf  der  die  massaliotischen  Orte  mit  rother 
Farbe  bezeichnet  sind. 

'  Ueber  den  Transport  des  Zinns  von  Britannien  durch  Gallien  nach 
Massalia  Fgl.  Diodor  V,  38,  5;  Thierry,  HUioire  d&t  Qauloit  I,  S.  642; 
Friedländer,  Deutsche  Rundschau  1877,  S.  399. 

^  Ueber  die  Funde  massaliotischer  oder  nach  massaliotischem  Master  ge- 
prigter  Münsen  in  Oberitalien,  Tirol  und  dem  Alpengebiet  vgl.  Momm- 
sen.  Romisches  Mtlnzwesen  S.  397. 

^  Ueber  den  Namen  OreHa  auf  der  Peutinger*schen  Tafel  vgl.  Detjardins, 
Table  de  Peuänger,  OaüU  (Paris  1869),  introduetioif  p.  XXIX,  und  Q4th 
graphie  11  p.  146. 

^  Bezeugt  wird  dies  von  Caesar  b.  G.  I,  29:  in  autm  Hdtetiorum  tabtäae 
repertae  Munt  liUerit  öraeeit  (aber  gewiss  in  keltischer  Sprache)  eof\feetae^ 
nnd  VI,  14  :  (Druide»)  cum  in  reliquie  fere  re6tM,  pubUdt  privatüque  rtUumi- 
bue  Oraeci»  liUerit  utantur;  Strabo  IV,  1,  6  p.  181:  iFj  jcoXic  (Ma99aX{a) . . . 
9iXAXi)va(  xatcaxiuaCc  xouc  FaXara^,  u>are  xai  x«  au{AßoXaia  'EXXijvivrl  YpcEfciv. 
Vgl.  auch  die  Bronzehand  unbekannten  Fundortes,  die  sich  jetzt  im  Pariser 
Cabinet  de  midaiüei  n.  3884  befindet  (C.  I.  Gr.  n.  6778  =  Herzog  n.  616) 
mit  der  Aufschrift:  SrMBoAoN  {  nPoS  {  Ort:AArMlor£.  Im  Norden  GaUiens 
scheint  dagegen  noch  zu  Caesar's  Zeit  die  griechische  Sprache  und  Schrift 
unbekannt  gewesen  zu  sein,  da  er  an  den  im  Lande  der  Nervier  ein- 
geschlossenen  Q.  Cicero  einen  Brief  sendet:  Oraedä  eoneoriptam  liUeri$,  me 
intereepta  epiattUa  noHra  ob   hotübue  eontilia  eognoeeaniur  (b.  G.  V,  48). 


GaUitelie  8ta«i«ii.  277 

gewissen  Grade  die  Worte  des  Trogus  ^  gelten  lassen :  ,aft  hü 
igäur  GaÜi  et  tisum  vüae  ciätioris  deposita  ac  manmefacta  bar- 
baria  et  agrorum  cuUvs  et  urbes  moenihus  cingere  didicerunt, 
Tunc  et  legibtis,  nan  armis  vivere,  tunc  et  vitem  putare,  tunc  oli- 
vam  serere  consuerunty  adeoque  magnus  et  homirubtu  et  rebtis 
impogitus  est  nitor,  ut  non  Graecia  in  GaUiam  emigrcuse,  sed 
Gallia  in  Graedam  translata  videretur^. 

Das  Verhältniss  Massalia's  zu  Rom  hatte  sich  nach  dem 
hannibalischen  Kriege  noch  inniger  gestaltet.  Der  Gedanke, 
dass  die  Römer,  die  im  Osten  immer  grossartigere  Erfolge  er- 
rangen, über  Spanien  hinaus  ihren  Blick  auf  Gallien  werfen 
könnten,  scheint  den  leichtblütigen,  vor  Allem  auf  Handels- 
gewinn und  Lebensgenuss  bedachten  Massahoten  wenig  Sorge 
gemacht  zu  haben.  Man  fing  an  die  eigene  Wehrkraft  zu 
vernachlässigen  iind  verliess  sich  auf  den  starken  Arm  des 
mächtigen  Freundes;  man  war  sogar  unbesonnen  genug,  die 
Römer  selbst  ins  Land  zu  rufen,  um  sich  der  unbequemen 
Angriffe  der  benachbarten  Barbaren,  die  bereits  die  massalioti- 
schen  Orte  Nicaea  und  Antipolis  einzunehmen  drohten,  zu 
erwehren.  Wie  aus  diesen  Römerzügen  nach  GalHen  sich  bald 
genug  der  blutige  Kampf  entwickelte,  in  dem  die  überlegene 
Kraft  der  Legionen  über  die  mächtigen  Stämme  der  Allobroger 
und  Arvemer  triumphirte,  wie  Rom  dann  von  dem  reichen 
Lande  selbst  Besitz  ergriff,  Aquae  Sextiae  im  Osten  in  un- 
mittelbarer Nähe  von  Massalia  gründete  und  nahe  der  spani- 
schen Grenze  die  feste  Colonie  Narbo  und  Tolosa  zu  Stütz- 
punkten der  neuen  römischen  Provinz  machte,  durch  Anlage 
der  via  Domitia  die  Communication  mit  Spanien  sofort  gesichert 
ward,  ist  sattsam  bekannt;  der  dominirenden  Stellung  Massalias 
war  in  der  That  damit  bereits  ein  Ende  gemacht,  wenn  auch 
Rom  vorläufig  die  alte  Bundesstadt  nicht  nur  schonte,  sondern 

Bs  ist  eine  bemerkenswerthe  und  von  Villefosse  (an  dem  unten  citirten 
Orte)  hervorgehobene  Thatsache,  dass  die  erhaltenen  keltischen  In- 
schriften im  Süden  von  Frankreich  in  griechischer,  in  Mittel-  und  Nord- 
frankreich in  lateinischer  Schrift  eing^hauen  sind;  vgl.  die  Zusammen- 
stellung, die  Übrigens  bereits  aus  neuen  Funden  vermehrt  werden  kann, 
bei  H^ron  de  Villefosse,  Itueription*  de  St-Bemtf  et  des  Baux  (Separat- 
abdruck ans  dem  BmUeiin  monumental  1878  und  1879)  8.  24 ff.;  Serrure 
4iudea  Qatämte»,  premiere  parfte,  Bmxelles  1883. 
^  Jnstinns  1. 48  c.  4. 


278  Hiracbfeld. 

sogar  ihr  Gebiet  ans  Erkenntlichkeit  flir  alte  und  nene  Dienste 
vergrösserte. '  Doch  die  Tage  ihrer  Herrlichkeit  waren  gezählt: 
in  dem  Kampfe  zwischen  Caesar  und  Pompeius,  der  über  das 
Schicksal  der  Welt  entschied,  ward  auch  der  Massalioten  Ge- 
schick besiegelt.  Wohl  mochten  sie,  die  beiden  Männern  zu 
Dank  verpflichtet  waren,  die  Neutralität  zu  wahren  wünschen: 
aber  sei  es,  dass  sie,  wie  Caesar  es  darstellen  will,  während 
der  Verhandlungen  den  Pompejaner  Domitius  in  die  Stadt 
einliessen,  oder  dass  Caesar  selbst,  der  sich  mit  .einer  Neutra- 
litätserklärung nicht  zufrieden  geben  wollte,  sie  zu  offener 
Parteinahme  fUr  den  Feind  zwang,  ^  sie  wurden  in  den  Wirbel 
des  Kampfes  hineingezogen  und  nach  langer  und  heldenmüthiger 
Vertheidigung  mussten  sie  sich  dem  aus  Spanien  zurückkeh- 
renden Sieger  auf  Gnade  und  Ungnade  ergeben.  Caesar  gab 
zwar  die  Stadt  nicht  der  Rache  und  der  Raubgier  seiner  Sol- 
daten preis, ^  aber  ihre  Waffen,  ihre  Schiffe,*  ihren  Schatz  Hess 

I  So  haben  sie  bereits  von  SextiuN  Calvinus  den  westlichen  von  den 
Salyern  bewohnten  Küstenstrich  erhalten  (Strabo  IV,  1,  5  p.  180); 
Marias  überliess  ihnen  den  Hafenzoll  ans  den  von  ihm  von  den  Rhdne* 
mündungen  zum  Meere  gegrabenen  Canal,  den  sogenannten  fowae  Maria' 
nae  (Strabo  IV,  1,  8  p.  183);  schliesslich  haben  dann  Pompeins  und  Caesar 
ihnen  Theile  des  Gebietes  der  Salyer,  der  Volcae  Arecoroici  und  der 
Hei  vier  genchenkt:   Caesar,  b.  c.  I,  35  mit  Anmerkung  Nipperdey's. 

^  Vgl.  Florus  II,  13,  23:  mUera  dum  eiipit  paeem^  hellt  mein  in  bellum  tn- 
cidit.  Die  Darstellung  Caesar^s  über  das  Verhalten  Massalia's  (b.  c.  I, 
35—36)  ist,  wie  die  ganze  Schrift  über  den  Bürgerkrieg,  mit  Vorsicht 
aufzunehmen*,  Dio  41,  19,  dem  hier  wohl  Livius  als  Quelle  gedient  hat, 
weiss  weder  von  der  Aufnahme  des  Domitius  in  die  Stadt  während  der 
Verhandlungen,  noch  von  dem  schmählichen  Ausfall  der  Massalioten 
während  des  Waffenstillstandes  (Caesar,  b.  c.  II,  14)  zu  berichten,  sondern 
behauptet  vielmehr,  dass  die  ROmer  die  Angreifer  gewesen  seien  (1.  41 
c.  26):  Tov  TE  AofA^Ttov  uTC£E^7:£|Ji4>av,  xat  tou;  atpatuot«^  e:ciOt[i/vou(  o^biv 
SV  Tat;  onovSaif  vuxib;  oQko  Bt^Oeaav  eoaiE  [iifih  Ixt  toX[j.i{9a'..  Offenbar 
ist  Caesar^s  Bestreben  darauf  gerichtet,  die  harte  und  in  Rom  viel- 
fach gemissbilligfte  Bestrafung  der  Massalioten  durch  ihren  Treubruch  zu 
motiviren. 

^  Er  sagt  kurz  (b.  c.  U,  22,  6):  magit  eos  pro  nomine  et  veltutaie  quam 
pro  meriii»  in  ae  civitatit  eon§ervanM;  dass  er  zuerst  der  Stadt  mit  Plünde- 
rung gedroht  hatte,  scheint  aus  Cicero^s  Worten  {Philipp.  8,  6,  19)  her- 
vorzugehen :  Caetar  ipse^  qui  iUi$  fuerat  irati»$imugj  tarnen  propter  wnffU' 
larem  eiu»  oivUati*  gravitafem  et  fidem  eotidie  eUiquid  iraeundiae  remiiteltal. 

*  Ueber  die  Reste  zweier  im  Jahre  1864  in  der  Nähe  der  Kirclie  Saint- 
FerrM  gefundenen  Galeeren  (eine  befindet  sich  im  Museum  voa  Marteille) 


Gallische  Studien.  279 

er  sich  sofort  ausliefern;  fast  das  gesammte  massaliotische  Ge- 
biet ward  confiscirt,  um  mit  ihm  die  römischen  und  latinischen 
Colonien,  die  dem  Dictator  ihre  Entstehung  verdanken :  Forum 
Jtdii,  Arelate,  Baeterrae,  Antipolis^  Grlanum,  Avennio,  Cabellio, 
Nemausus(?),  auszustatten;^  auch  das  Münzrecht  ist  vielleicht 
damals  bereits  der  Stadt  entzogen  worden  ^  und  das  Bild  Massa- 
lia's  prangte  zum  Schmerze  Cicero's  und  seiner  Gesinnungs- 
genossen' in  Caesar's  Triumphzug.  Mit  einem  Schlage  war 
an  Stelle  der  griechischen  Oberhoheit  im  südlichen  Gallien 
die  römische  Herrschaft  getreten,  und  wenn  man  sich  auch 
unmittelbar  nach  dem  Tode  des  Dictators  in  römischen  Aristo- 
kratenkreisen mit  dem  Gedanken  getragen  hat,  der  befreundeten 
Stadt  das  Geraubte  wiederzugeben,^  so  hat  doch  Augustus,  vne 
seine  Nachfolger,  auch  in  dieser  Hinsicht  die  von  Caesar  vor- 
gezeichnete Bahn  nicht  verlassen.  Nur  der  kleine  östliche 
Küstenstrich  bis  Athenopolis  nebst  den  davorliegenden  Stoe- 
chadischen  Inseln  ^  (Ues  d'Hylres)  blieb  Massalia  erhalten,  dazu 
das  Gebiet  von  Nicaea  jenseits  des  Varus- Flusses,  das  noch  im 


▼gl.  Penon  et  Saurel,  Le  mu»4B  (Tareheologie  de  Marseille  (MarseiUe  1876) 
8.  3t  und  S.41  n.  6:  ^det  midaüle»  antirieurea^  eontemporainea  oupeu  poate- 
rUures  (f)  h  Julea  daar^  4taient  arr^t^  et  comme  ineruaUea  dana  le  bda.^ 

>  Vielleicht  ist  die  Einziehung  des  Landes  erst  einige  Jahre  später,  als 
der  Vater  des  Kaisers  Tiberius  im  Auftrage  Caesar's  die  Colonieg^ündungen 
in  Gallia  Narbonensis  vollzog  (Sueton.  Tiber,  c.  4),  durchgeführt  worden ; 
daranf  scheint  auch  Dio  (41,  25)  hinzudeuten:  xai  S^  exe^vcüv  tote  \t.h  zi 
TS  onXa  xai  xetq  vau^  Tdt  tc  )(p^(iata  a96fXcTO.  CaiEpov  8k  xat  toc  Xovkol  ;ravTa. 

'  Dies  nimmt  Mommsen  ROm.  Münzwesen  S.  675,  an,  während  de  la  Saus- 
saye,  NumumtUiqtie  de  la  Qatde  Narbonnaiae  S.  78  ff.,  der  Meinung  ist 
(8.  81):  ^que  le  motmayoffe,  quoique  fort  reatreinty  aubaiata  juaqu'  aux  tempa 
de  la  dieadenee  eompUte  dea  arta\  vgl.  auch  Lenormant,  La  monnaie  dana 
Vantiquiti  TL  8.  191:  ,la  viüe  libre  et  autonome  de  Maaaalie  .  .  cotUinue 
juaque  dana  le  11*  aikeU  la  fabrieation  de  aea  petita  quadrana*, 

»  Cicero,  de  offie.  H,  8,  28,  PhUipp,  VIH  6,  18. 

*  Das  wirft  Antonius  (Cicero,  PhiUpp,  18,  15,  32)  der  Senatspartei  vor: 
MaaaUienaihua  iure  belli  adempta  reddituroa  voa  polUcemini ,  vgl.  auch 
Cicero,  adAtäc,  XJV,  14,  6  (Ende  April  710  geschrieben):  tu  autem  quaai 
iam  reeuperata  rqmbUca  vteniit  tuia  MaaaiUenaibua  aua  reddia ;  haec 
armia,  quae  quam  firma  habeamua  ignoroy  reatitui  fortaaae  poaaunt^  aueiori- 
tate  non  poaaunt. 

^  Plinius,  n.  A.  3,  36:  in  ora  autem  AthenopoUa  Maaaüienaium  (am  Golfe 
de  St-Tropes,  vgl.  Desjardins,  Odographie  TL  p.  174)  und  Tacitus,  hiat,  3, 
48:  Stoechadaa  Maaailienaium  inaulaa. 


280  Hiriclifeld. 

zweiten  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  als  massaliotische  EncLave 
von  einheimischen  Beamten  verwaltet  worden  ist,  während  da- 
gegen Antipolis  bereits  ausserhalb  ihres  Gebietes  lag '  und  ia 
dem  Hafen  von  Forum  Julii  eine  römische  Flottille  ankerte. 
Auch  sein  Handel  erlitt  einen  starken  Stoss  nicht  allein  durch 
die  Concun*enz  von  Arelate  und  Narbo^  das  bereits  in  der 
Zeit  des  Augustus  den  Höhepunkt  seiner  Entwicklung  erreicht 
zu  haben  scheint,^  sondern  mehr  noch  durch  die  beispiellos 
rasche  Blüthe  der  neuen  Hauptstadt  Gralliens  Lugudunum,  das 
bald  nach  seiner  Gründung  den  Handel  nach  dem  Norden  an 
sich  gerissen  haben  dürfte.^ 

Aber   auch   nach   seiner   politisctien   und    commerciellen 
Depossedirung  hat  Massalia  sich  eine  Sonderstellung  bewahrt 


1  Strabo  lY,  1,  9,  p.  184:  ^  Ntxaia  rfj^  ItaXia;  y^veiai  xaTa  tov  vuv 
Seiyt^^vov  opov  xalntp  ouva  MaaooiXia>t(ov  .  .  .  vuv{  ti  tovoutov  ;:poo6eT^ov 
oTi  Tii;  jjilv  'AvtiäoXeojs  iv  xor^  t^;  NapßtovdiSo^  [Uptai  xetfi^w);,  ifl;  5i 
Nixa{a;  ev  toi;  t^(  ^iTaXta;,  ii  [ikv  NUaia  &7cb  xot;  MaaaaXi(uTai(  [x^ei  xaX 
ttJ;  iizapyloL^  (&7cap)^{a(  die  Handschriften)  iaifv,  ^  $^  ^AvifiroXtc  tcüv  '*lTaXtb>- 
t{8ü>v  E^eioCETai^  xpiOEtaa  7:pb;  tou;  MaaaaXiu>Toic  (man  erwartet  etwa  «co- 
xpiOstoa  tbjv  MaooaXiiotbjv)  xat  iXsudEpcoOfitaa  tüSv  nop^  cxefvüiv  icpooraYiiorw. 
Dementsprechend  findet  sich  ein  massaliotischer  Beamter  als  ipiteopus 
Nicaenaium  in  der  S.  284  besprochenen  Inschrift:  C.  J.  L.  V  n.  7914, 
der  freilich  im  dritten  Jalirhundert  durch  einen  kaiserlichen  proc(wtUorJ 
Aug(u»torum)  n(ottrorum)^  item  ducenaritu  epUcepseot  ehorae  inferiorU  (C.  J. 
L.  V  n.  7870,  vgl.  Mommsen  ebendas.  p.  916)  ersetzt  worden  ist.  Dass 
qoch  im  Beginn  des  dritten  Jahrhunderts  dieser  Besitz  den  Massalioten 
geblieben  war,  bezeugt  die  in  Vence  auf  zwei  zusammengehörigen  Säulen 
gefundene  Inschrift  (C.  J.  L.  XII  n.  7  =  Herzog  n.  610):  [rt»  publicaf] 
MatsUiensium  curante  ac  dedieante  Jid(io)  HonortUo  proc(uratore)  Aug(u$t%) 
ex  p(rimi)p(Uo)  pr€k€9id(e)  Alpfium)  Maritimarum;  derselbe  Mann  kehrt 
wieder  auf  zwei  im  Jahre  213  von  Caracalla  g^esetzten  und  in  der  N&he  von 
Yence  gefundenen  Meilensteinen  (Blanc,  Epigraphie  anlique  du  d^Mtrtt- 
ment  dea  Alpet  maritimes  1  n.  62  und  63),  in  denen  einer  Restitution  der 
Brücken  und  Strassen  durch,  den  damals  übrigens  gerade  in  Qallien  be< 
findlichen  Kaiser  gedacht  wird,  und  es  ist  denkbar,  dass  aus  diesem 
Aulass  von  Massalia,  das  vielleicht  für  die  Erhaltung  derselben  mitzu- 
sorgen  verpflichtet  war,  das  oben  erwähnte  Monument  errichtet  worden  ist 

>  Das  bezeugen  die  wahrhaft  monumentalen  Inschriften,  die  grOsstentheils 
dem  ersten  Beginne  der  Kaiserzeit  angehören. 

'  Schon  Strabo  (IV,  3,  2  p.  192)  sagt  von  Lugudunum:  EuavSpEr  $k  [loXivra 
Ttov  SXXcov  jcX^v  Napßcovof  xai  ^^p  6(At:op{u>  ypwvTai.  lieber  die  Bedeutung 
von  Narbo  als  Handelsplatz  vgl.  auch  Strabo  IV,  1,  12  p.  186;  Fried- 
länder,  Deutsche  Rundschau  1877,  S.  402. 


Oftllisehe  Stadien.  281 

und   eg  ist  nicht  ohne  Interesse,  die  ferneren  Geschicke  der 
Griechenstadt  in  der  römischen  Provinz  zu  verfolgen. 

Der  Ehrenname  einer  »freien  und  verbündeten*  Stadt  nebst 
der  Unabhängigkeit  von  dem  römischen  Statthalter'  und  dem 
Exih^echt'  ist  Massalia  dauernd  belassen  worden,  und  selbst 
die  wahrscheinlich  bei  und  nach  der  caesarischen  Belagerung 
zerstörten  Mauern  sind  unter  der  Regierung  des  griechenfreund- 
lichen Kaisers  Nero  von  einem  reichen  und  patriotischen  Mit- 


1  Florus  n,  13:  mox  dedentibus  ae  omnia  ahlata  praeter  quam  potiorem 
omnibtuf  habebant  libertatem.  Dio  41,  25:  a^efXEto  .  .  .  la  Xoiica  :;avta, 
n)k^v  Tou  T7](  iXEoSepCa;  ovo{j.aro(.  Orosius  VI,  15:  Caesar  Maaailiam  re- 
diens,  obaidione  domitam,  vita  tantum  et  libertate  coneeaaa,  ceteria  rebua 
abraait.  Für  den  Beginn  der  Kaiserzeit  wird  diese  auf  Livius  zurück- 
gehende Angabe  bestätigt  von  Strabo,  IV  1,  5  p.  181:  xai  o  Kaiasp  hl 
xat  ol  [is?^  exEivov  ^^y^H'^^^t  ^9^i  "^^^  ^^  "^^  7coXs(jl(i)  yzvrfltloA^  afiaptta^ 
ctJLETpfaaov,  ^Ep.yY][jL/vo(  t^;  9tX{a(  xai  ti^v  a^iovojxfav  tp^Xa^sv,  9)v  e^  ^PX^^ 
ttyv*  -fi  7:^1$,  wffTE  [i^j  önaxo^Eiv  twv  e?;  "rijv  inapy  (av  7:E(X7:o{jivtüv  aTpanrjyüiv 
[jLiJTE  ai^TJjv  (jLi^TE  tou(  bwr\x6o\j^j  und  Plinius,  n.  h,  8,  34:  in  ora  Maaailia 
Oraecorum  Pkopaeenaium  foedereUa. 

'  Dass  Massalia  dies  Recht  vor  Caesar  besessen  hat,  ist  selbstverständlich 
und  durch  den  bekannten  Fall  des  Milo  überdies  bezeugt.  Aber  noch 
zum  J.  58  n.  Chr.  berichtet  Tacitus,  ann,  13,  47:  Comeliua  Sulla  .  .  . 
proindet  quasi  convietua  eaaet^  eedere  patria  et  Maaailienaium  moenibua 
eoerceri  iubefur.  In  eine  etwas  frühere  Zeit  (25  n.  Chr.)  gehört  die 
Nachricht  des  Tacitus,  ann.  4,  43 :  traelatae  MaaaiUenaium  precea,  pro- 
hatumque  P.  ButiUi  exemplum.  Namque  eum  legibus  pulaum  civem  aibi 
Zmymaei  addiderant.  Quo  iure  Volcaciua  Moachua  exul  in  Maaailienaea 
reeeptua  bona  aua  rei  publieae  eov'um  ut  patriae  reliquerat.  Es  ist  dies 
übrigens,  beiläufig  bemerkt,  unzweifelhaft  der  zu  August's  Zeit  be- 
rühmte Rhetor  aus  Pergamum,  dessen  Process  Horaz  {epp.  I,  5,  9,  vgl. 
Porphyr,  z.  d.  St.)  erwähnt  und  der  nach  seiner  Verurtheilung  seine 
Lehrthätigkeit  in  Massalia  fortsetzte,  vgl.  Seneca  controv.  11,5,  13:  nom 
declamatorea  poat  Moachum  ApoUodoreum^  qui  reua  venefieii  fuU  et  a  Pol- 
fione  Aainio  de/enaua^  damnatua  MaasHiae  docuit;  aber  auch  der  angeb- 
liche Rhetor  Oscus  in  Massalia  bei  Seneca,  controv.  X  pfaef,,  §.  10  und 
VII,  3,  8  (in  der  letzteren  Stelle  lesen  alle  Handschriften  noacttm)^  ist 
allem  Anscheine  nach  mit  demselben  identisch.  —  Der  Kieselstein  mit 
der  Inschrift  Ma(7ai(>.{a)  [<l>(oi]x(a^cov)  59uX(o()  aOr(^vop.o$) ,  zuerst  ver- 
Offentlicht  von  Caylus,  recueil  VI  p.  130  tab.  39  n.  3,  ist  bereits  von 
Anderen  (Franz  zu  C.  J.  Gr.  III  n.  6766;  Herzog  G.  N.  8.  163  Anm.  28), 
wie  auch  neuerdings  von  dem  jetzigen  Besitzer  Herrn  Th^denat  {Revue 
arcMoL  40,  1880,  S.  229  ff.)  als  unzweifelhafte  Fälschung  bezeichnet 
worden. 


282  HirKchfeU. 

biü^er  ^  wieder  erbaut  worden.  Vor  Allem  blieb  Mafisalift  seine 
einheimische  von  Cicero  ^  hochgepriesene  aristocratische  Ver- 
fassung, die  spätestens  im  vierten  Jahrhundert  an  Stelle  der 
ursprünglichen  oligairchischen  getreten  war."*  Ein  wenigstens 
in  den  Hauptzügen  ausgeföhrtes  Bild  derselben  verdanken  wir 
Strabo,  ^  dessen  Angaben  theilweise  wenigstens  aus  Aristoteles 
geschöpft  sein  mögen. 

^  Plinius,  fi.  h.  29,  9:  OHno»  Mtuailieruü  (medicuaj  .  .  nuper  HS  |c,  reli- 
quü  j  muris  patriae  tnoenibtuque  aliis  (wohl  die  Hafenbefestigungen)  paene 
non  minore  »umma  exstructia;  den  Namen  Kpiva;  trägt  übrigens  ein  Hassa- 
liote  in  der  Inschrift  bei  Wescher-Foucart,  Imcr.  de  Delphes  n.  18.  Noch 
in  dem  gewöhnlich  unter  dem  Namen  des  Eumenius  gehenden  Pane- 
gyricus  auf  Constantinus  wird  (c.  19)  die  starke  Befestigung  der  Stadt 
und  des  Hafens,  wenn  auch  nicht  ohne  rhetorische  Uebertreibung, 
gerühmt. 

2  Cicero,  pro  Flacco  26,  63:  MaasiUa  .  .  .  quae  tarn  proeul  a  Oi'oecorum 
omnium  regionibu9f  ditdplinia  Unguaque  diviaa,  cum  in  ultimit  Urrit  eincta 
Qaüorum  gentibua  harhariae  fluctibu»  adluettur^  nc  opUmaUtan  coiuiUo 
gubematur,  iU  omne»  eins  iruHtuta  laudare  faeüiu»  potnnt  quam  oemMtlari, 
Vgl.  de  repuhL  I,  27,  43. 

3  Aristoteles,  polit,  V,  6  p.  1305  b:  otav  oXlyoi  a^o^pa  b^viv  ol  ev  xaX^  xi\u,Ui 
oTov  &v  Ma99aX{a  xai  iv  ^laTpco  xat  sv  'HpaxX£{a  .  .  .  xai  Iv6a  p^v  roXitixo)- 
xipa  £Y^v£TO  1^  oXiyap'/^ta,  iv  "laTpüi  8**  £t(  $ij)Aov  aTrcisXeuTvjaev,  iv  *UpaxXE{s 
0^  i^  iXaTTov(üv  ci;  lEaxoafou;  ^XOcv.  Wahrscheinlich  ist  zu  Ende  an 
Stelle  Yon  'üpaxXtia  zu  schreiben  MavoaXJa  und  der  erste  Satz  IvOa  — 
okr(QiLpyiJ.a  auf  Heracleia  zu  beziehen,  wenn  nicht  ev6a  aus  iv  'HpaxXc{a 
verdorben  ist;  der  Variante  cv  K(5  für  evO«  in  dem  Codex  des  Wilhelm 
von  Moerbeke  ist  gewiss  keine  Bedeutung  beizumessen,  da  nach  dem 
Vorhergehenden  die  Nennung  derselben  drei  St&dte  nothwendtg  erwartet 
wird.  Susemihl  (ed.  1879)  schreibt  ev  Mft99aX{a  an  erster  Stelle  für 
KvOa,  aber  einerseits  passen  die  Worte  icoXiTixtoWpa  ly^veTo  i^  oXiyopx^Ja 
wenig  zu  der  nachweislich  streng  aristokratischen  Ver&ssung  Massalias, 
andererseits  wissen  wir  zwar  von  Massalia,  aber  nicht  von  Heracleia, 
das0  es  einen  Regierungsausschuss  von  600  besessen  habe.  W&re  aber 
das  auch  in  Heracleia  der  Fall  gewesen,  so  hätte  Aristoteles  wenigstens 
beide  Städte  zusammen  nennen  müssen.  —  Aristoteles  hatte  übrigens 
die  Verfassung  Massalia's  in  seinen  Politien  geschildert  (Athenaeas  Xm, 
36  p.  576;  Harpocration  s.  v.  Ma9aaX{oi,  vgl.  die  Fragmente  bei  Rose  in 
der  Ausgabe  der  Berliner  Akademie  V  p.  1561  n.  508).  Dass  Strabo  in 
seiner  Darstellung  sich  hieran  anlehne,  ist  eine  wahrscheinliche  Ver< 
muthung  von  Rose,  AriitoUlea  ptendepigraphun  p.  499 ;  doch  ist  dabei  im 
Auge  zu  behalten,  dass  diese  Institutionen  offenbar  noch  zu  Strabo^s  Zeit 
in  Kraft  waren. 

«  Strabo  IV,  1,  5  p.  179. 


OaUiMh»  Studien.  283 

Der  Rath  der  Massalioten  ist  aus  sechshundert  auf  Lebens- 
zeit besteUten  Timuchen  zusammengesetzt,  die  mindestens  im 
dritten  Gliede  Bürger  und  im  Besitze  von  Kindern  sein  müssen. 
Als  Ausfbhrer  der  Rathsbeschlüsse  fungirt  ein  Vorstand  von 
fünfzehn  Männern,  dieselben,  mit  denen  Caesar  vor  Eröffnung 
der  Belagerung  die  Unterhandlungen  führt,  die  jedoch  nur  die 
Beschlüsse  des  Rathes  einzuholen  und  auszurichten  haben.  ^ 
Aus  ihnen  ist  dann  ein  engerer  Ausschuss  von  drei  Männern 
mit  ausgedehnter  Vollmacht,  von  denen  einer  das  oberste  Prä- 
sidium fuhrt,  bestellt.  Das  Volk  nimmt  offenbar  eine  ganz 
untergeordnete  Stellung  ein  und  scheint  von  jeder  Mitwirkung 
an  der  Regierung  ausgeschlossen  gewesen  zu  sein.^  Sicherlich 
ist  dieses  Verfassungsschema  nach  phokäischem  oder  vielleicht 
allgemein  ionischem  Muster  gestaltet^  wie  das  von  den  eigen- 
thtlmlichen  G-esetzen  und  Vorschriften,  aus  denen  einige  inter- 
essante Züge  ein  römischer  Schriftsteller  mittheilt,  '  ausdrück- 
lich Strabo  hervorhebt*  und  durch  analoge  Einrichtungen 
anderer  ionischer  Städte   bestätigt  wird.^    Auch   auf  sacralem 


I  Caesar,  b,  c,  I,  36:  evocat  ad  #e  Caetar  MaasiUa  quindecim  pnmo9,  Cfum 
hi»  eufU,  fie  inilium  inferendi  belU  ab  MMnUentibus  oriatur.  .  .  .  Cuiua 
oraHonma  legaU  domum  referunt  atque  ex  auetoritate  haee  Claetari 
renunHant.  Wahrscheinlich  hat  auch  das  Recht,  Todesstrafen  su  ver- 
hängen, nur  den  600  zugestanden,  wenigstens  deutet  darauf  die  eigen- 
thümliche  Nachricht  bei  Valerius  Maximus  (II,  6,  7),  dass  in  ihrer 
Obhut  sich  Schierlingsgift  befunden  habe,  das  sie  Selbstm()rdem,  die 
ihnen  hinreichende  Oründe  zur  Motivirung  ihres  Entschlusses  angaben, 
auszufolgen  befugt  waren. 

'  Cicero,  de  republ,  I,  27,  43:  si  Mtunliense»  per  deleetos  et  principe^  cives 
anrnma  iuitüia  regunlur  (vgl.  §.  44  Afa««i7t«n#ittm  p€mcorum  et  prineipum 
adminiftratiimij,  ine§i  tarnen  in  ea  eondicione  pcpuli  tinuUtudo  quaedam 
•t¥xUtui».  Ein  solches  Eingestftndniss  wiegt  doppelt  schwer  in  Cicero's 
Munde. 

s  Valerius  Maxirous  II,  6,  7. 

«  8trabo  IV,  1,  6  p.  179:  ol  l\  v^tioi  'ItuvtxoL 

^  Timuchen  in  anderen  Jonischen  Stfidten:  Athenaens  IV  c.  13  p.  149 
(Naucratis);  C.  J.  Gr.  n.  3044  ▼.  29:  Ti|AOux^ovTct  und  n.  3059,  3060  (Teos); 
n.  2162  eine  Frau  (Thasos).  Derselbe  Name  findet  sich  übrigens  auch  bei 
den  Messeniem :  Suidas  s.  v.  ^E]c{xoupo(  und  Ti|jiou)^oc.  Vgl.  Brückner, 
Hiätcria  reipiä>lieae  MaBMÜienHttfn  8.  42  f. ;  Geisow  De  Maseiliennum  repu- 
bUea  8.  35.  —  Die  l^ax^aiot  kehren  wieder  in  Lampsakos  (vgl.  das 
neuerdings  gefundene  Beeret  aus  dem  Jahre  196  v.  Chr.:  Lolling  in  Mit- 
theilungen  des   deutschen   archäolog.  Instituts   in  Athen   1881    8.  96); 


284  Hirsclifeld. 

Gebiete  tritt  der  enge  Anschluss  und  Zusammenliang  mit  der 
Mutterstadt  noch  in  der  Kaiserzeit  deutlich  zu  Tage,*  wenn 
sich  auch  früh  zu  den  heimischen  Göttern^  der  Kaisercult  und 
zu  den  griechischen  Priestern  die  römischen  Diener  des  all- 
mächtigen und  überall  verehrten  Kaisergottes  gesellt  haben.* 
Jedoch  bereits  unter  Marc  Aurel  begegnet  in  Massalia  ein  augur 
perpetuvs*  und  in  einer  schwerlich  viel  späteren  Inschrift, 
deren  Echtheit  früher  fälschlich  in  Zweifel  gezogen  worden 
ist,  treten  die  römischen  Colonialämter :  Quaestur,  Duovirat 
und   Quinquennalität  auf,^   die  ausser  Zweifel   stellen,   dass  in 

nicht  damit  zusammenzustellen  ist  der  Bath  der  600  in  Athen.  Auch  bei 
den  Nerviern  werden  übrigens  600  Senatoren  von  Caesar  (6.  G,  II,  28) 
erwähnt,  vgl.  Waitz,  Deutsche  Verfassungsgeschichte  I'  S.  225  Anm.  1. 

1  Vgl.  die  in  Phokaea  gefundenen  Inschriften  eines  ripuiavi;  ots^avY^^dpo;  xst 
Upeu(  TfJ(  Ma9aoiX(a$  t6  y^  und  einer  irpuTavt^  OTE^owj^po;  St^  xai  Uptta 
Ti)(  MaoaaX(ft(  ayo^voO^i^:  C.  J.  Gr.  II,  n.  3413  und  3415;  letztere  ist  die 
Tochter  eines  Moschus,  vielleicht  verwandt  mit  dem  oben  (S,  281.  Anm.  2) 
erwähnten.     Beide  Inschriften  gehören  wohl  in  die  Kaiserzeit. 

^  Ueber  die  Verehrung  der  Artemis  Ephesia,  des  Apollo,  der  Athena  und 
ihre  Darstellung  auf  massalio tischen  Mtlnzen  vgl.  Brückner  a.  a.  O. 
S.  47  ff.,  und  Geisow  a.  a.  O.  S.  41  ff.  In  den  lateinischen  Inschriften 
finden  sich  nur  Apollo  (auch  als  Belenus),  Jupiter  Optimus  Maximus 
und  Dolichenus  und  die  Mater  Magna  mit  dem  DendrophorencoUeg ; 
über  die  66a  ^txTua  vgl.  Franz  zu  C.  J.  Gr.  III  n.  6764. 

3  Dedication  an  Germanicus  aus  dem  Jahre  19,  wohl  unmittelbar  nach 
seinem  Tode,  von  drei  metgUtri  Larum  AugfuatorumJ :  XII  n.  406  ^ 
Herzog  n.  607;  zwei  »eviri  AuffuHaleM  corporoH:  XII  n.  400  =  Herzog 
n.  612  und  XH  n.  409  =  Murat.  704,  9.  —  Betreffs  der  griechischen 
Priester  vgl.  C.  J.  Gr.  n.  6771,  wo  der  UpEu;  AEuxo6^as  und  der  itpo^rjtij« 
sich  auf  Massalia  zu  beziehen  scheinen:  Ein  prophetet  scheint  auch 
in  einer  im  Museum  von  Marseille  befindlichen ,  stark  verwitterten 
lateinischen  Inschrift  aus  der  Zeit  Marc  AnreFs  (XII  n.  410  =:  Herzog 
n.  613)  genannt  zu  werden;  npo^TfTai  in  anderen  griechischen  Städten: 
Roehl,  Index  zu  C.  J.  Gr.  p.  39  s.  v.  und  Kaibel  im  BuUett,  ddC  Inatituto 
archeolog.  1878,  S.  36. 

*  C.  J.  L.  XII  n.  410  =  Herzog  n.  613. 

'  C.  J.  L.  V  n.  7914:  C.  Memmio  Macrino  q(uae$tori)y  fduoj  virfoj  Afo»- 
tilfieruiumjf  [duo]  wr(o)  q(uin)q(uennali)  ^  item  praefecto  pro  duoviro 
q(uin)q(uennalij,  agonothelae,  epiacopo  Nicaetmum.  —  Ein  decurio  C.  J.  L. 
XU  n.  407  =  Penon,  Catahgue  du  muaee  p.  60  n.  102.  Die  Bemerkung  von 
Jung,  Die  romanischen  Landschaften  des  rKmisohen  Reiches  8.  211: 
,Die  Bedeutung  der  Stadt  zeigt  sich  nicht  zum  wenigsten  in  dem  Um- 
stände, dass  die  Regierung  die  municipale  'Autonomie  hier,  wie  sonst 
nur  in  den  Hauptstädten  des  Reiches  beschränkte  und  die  Verwaltung 


QaUiscIia  Stadien.  285 

jener  Zeit,  unter  oder  kurz  vor  Marc  Aurel,  die.  einheimische 
Verfassung  durch  das  römische  Colonialschema  ersetzt  worden 
istJ  Damals  mag  auch  Massalia,  das  als  freie  griechische 
Stadt  ausserhalb  des  Tribusverbandes  stand,  in  die  Tribus  Qui- 
rina,  die  in  zwei  massaliotischen  Ehreninschriften  dieser  Zeit^ 
sich  findet,  aufgenommen  worden  sein,  wenn  auch  das  Fehlen 
derselben  in  den  zahlreichen  Grabschriften  eher  darauf  hinzu- 
weisen scheint,  dass  jene  Männer  entweder  persönlich  diese 
Tribus  erhalten  haben,  oder  nicht  aus  Massalia  selbst,  sondern 
vielleicht  aus  den  benachbarten,  der,  Quirina  zugetheilten 
Alpenprovinzen  stammten.  Aber  von  einer  eigentlichen  Rp- 
manisirung  der  Stadt,  die  trotz  der  zahlreichen  römischen, 
keltischen-^  und  phönikischen  Elemente ^  doch  durchaus  ihren 
griechischen  Charakter  zu  bewahren  gewusst  hat,  kann  keines- 
wegs  gesprochen  werden,^  und   obschon  die   griechischen  In- 

duroh  Reichabeamte  führen  liessS  iat  wohl  auf  eine  Verwechslung  mit 
Logadanum  zurückzuführen. 

*  Eine  ganz  analoge  Wandlung  ist  jetzt  für  Tomi  bezeugt,  vgl.  Tocilescu 
in  ArchJ&ologtsch-epigraphische  Mittheilnngen  aus  Gestenreich  VI,  1882, 
S.  16  n.  29. 

2  C.  J.  L.  Xn  n.  410  t=  Herzog  n.  613:  Cn,  ValCenoJ  Cn.  f.  QuirfinaJ 
FompfeiofJ  Valeriano  und  C.  J.  Gr.  UI,  n.  6771:  T.  IXopxfo)  nopx((ou)  Aouxt- 
Xutvou  iSox<i>tdrcou  avBpbc  xai  repo^i^Tou  ula>  Kupefya  Kopvi2Xiavu>.  —  Der  zur 
Tribus  Voltinia  gehörige  L.  Dudistius  Novanus  (XII  n.  408  =  Herzog 
n.  609)  war  wohl  aus  Aquae  Sextiae  gebürtig. 

'  Varro  (bei  Hieronjmns,  eamment.  in  epistul.  ad  Galatat  cap.  III  lib.  2 
und  Isidoms  origg,  XV,  1,  63)  nennt  die  Massilienser:  trüingueM,  quod  ei 
OroBce  logtumtar  et  Latine  et  Oaüiee,  Keltische  Inschriften  haben  sich 
in  Marseille  bis  jetzt  nicht  gefunden. 

4  Ueber  die  grosse  im  Jahre  1845  in  Marseille  gefundene  phOnikische 
Inschrift  und  ihre  zahlreichen  Bearbeiter  vgl.  Desjardins  QiographU  II 
S.  136 — 136:  ^eUe  wnu  faü  eonnaUre  Um  pretcriptioM  religieuMes  envoySe* 
de  Carlhage j  de  la  mh'e  palrie;  lee  caracthre$  n«  dMoncent  qu^une  4poque 
ofMs  5a««e,  probaUemerU  le  II*  eihcle  avant  notre  hre .  .  .  EUe  prouverait 
•  .  .  gue  let  Phinicien»  avaient  im  eampt&ir  et  peut^etre  leur  quartier 
rieervi  dans  la  ville  phoeienne^^  Ueber  phOnikische  Funde  in  Marseille 
vgl.  Lenth^ric,  La  Orhee  et  r Orient  en  Provence  (Paris  1878)  S.  382  ff. 

^  Für  die  ältere  Kaiserzeit  mag  der  Hinweis  auf  die  Worte  des  Pomponius 
Mela  Uf  6  genügen:  nunc  ut  pacatit,  ita  dieeimülimis  tarnen  vieina  genti- 
InUf  mirum  quam  /aeüe  et  tunc  eedem  aUenam  eq^erit  et  adhuc  morem 
»uum  teneat.  Aber  noch  in  dem  um  das  Jahr  400  abgefassten  Staats- 
handbnch  (Notü,  Dignü.  Oecid.  c.  42,  16)  heisst  die  Stadt  Mateilia  Orae- 
eorum. 


286  RirsebfeU. 

Schriften  an  Zahl  weit  hinter  den  allerdings  meist  kurzen  und 
inhaltleeren  römischen  Inschriften^  zurückstehen  und  auch  die 
römische  Namengebung  in  Massalia  früh  an  Stelle  der  griechi* 
sehen  getreten  zu  sein  scheint,  so  zeigen  doch  schon  die  nur 
Massalia  eigenthümlichen  gräcisirenden  Buchstabenformen  in 
den  lateinischen  Inschrift;en,  dass  die  lateinische  Schrift  den 
heimischen  Steinmetzen  stets  eine  fremde  geblieben  ist.  War 
doch  Massalia,  wie  einst  in  den  Zeiten  seiner  Grösse,^  noch 
lange  nach  seinem  Fall  eine  Pflegstätte  griechischer  Wissen- 
schaft und  Literatur  geblieben,  in  der  nicht  allein  gallische  Jüng- 
linge, sondern  auch  vornehme  junge  Römer,  deren  Väter  den  Auf- 
enthalt in  der  einfachen  und  sittenstrengen  Provinzialstadt  dem 
Leben  in  den  üppigen  griechischen  und  kleinasiatischen  Städten 
vorziehen  mochten, '  ihren  Studien  oblagen.     Freilich  hat  sich 


^  Es  sind  etwa  100  römische  Inschriften,  besonders  in  der  auch  f&r 
christliche  Inschriften  ergiebigen  Gegend  bei  dem  sogenannten  biu*in 
du  Carittage  am  Hafen  nahe  der  Kirche  St. -Victor  g^efünden  worden, 
während  die  Zahl  der  griechischen  Inschriften  kanm  den  vierten  Theil 
betragen  dürfte.  Uebrigens  sind  aas  diesem  Zahlenverhältniss  keine 
Schlüsse  zu  ziehen,  da  die  in  Marseille  zu  Tage  getretenen  inschrift- 
lichen wie  monumentalen  Reste  in  Folge  der  mannigfachen  Verände- 
rungen der  Stadt  im  Alterthum,  Mittelalter  und  Neuzeit  im  Verhftitniss 
zu  ihrer  einstigen  Bedeutung  ausserordentlich  gering  sind,  vgl.  de  Ville- 
neuve,  SiatiiHque  du  dipartement  de*  Bouehet'du'RhSne  II  p.  384  tf. 

2  Ich  verweise  auf  die  bei  Brückner  S.  61  ff.  und  Geisow  S.  30  ff.  zu* 
sammengestellten  Notizen.  Ueber  die  Bedeutung  der  geographischen 
Stadien  des  Pytheas  vgl.  jetzt  besonders  MüUenhoff,  Deutsche  Alter- 
thumskunde  I  S.  307 ff.;  Über  die  massaliotische  Reeension  der  homeri- 
schen Gedichte,  die  unter  den  alten  Editionen  xo^a  n^si^  am  h&ufigsten 
eitirt  wird,  vgl.  Seng^busch  Honier,  ditaerL  prior.  S.  188  ff.  und  S.  197. 

'  Strabo  FV,  1,  6  p.  181 :  dijXot  Sl  ra  xaOsatvjxtfta  wv(  *  jt&m^  yap  ot  /a- 
pi^vTEc  ;:po(  tb  X^tiv  Tp^novr«  xai  oiXovo^ctv,  &90^  i)  xtfXic  (lucpbv  ^ 
icp^TCpov  Toic  ßapßdipotc  aveito  icaiSEvnJpiov  xal  9iXAXy)voi(  xarcaxeuaCt  ^rou^ 
roXirac,  ^^re  xa\  ra  oufipöXaia  *£XXi)viaTl  yP^<^^  *  tv  2k  tcö  Kop^t  xai 
Tol)(  Y^^P^K'^'^'^^^C  *Pcü{JLa{a>v  «tfjcEtxcv,  ovrl  t^;  e?c  **AOi{va(  ai:o$i]{i.{a(  ixeiai 
^itov,  9iXo(&aOEt;  ovra^.  6ptt>VTC(  dk  to6tou(  ol  FdiXdbat  xai  jfjjia  etpijviiv  ayovrc;, 
djv  o)^oX^v  aajuvoi  Tifo^  Touc  ToioOxou;  8iaT{6£VTai  ß{ou(  oO  xat^  5v^a  f^vov,  oXX« 
xat  dii)p.09{a  *  oo^iota;  yoCv  &nodExovTai  tou(  (aIv  2${a,  rouc  ^^  [xdtra?]  noXEt{ 
xoivi]  (AiaOot&{i£vot,  xaOa;:Ep  xa\  2aTpo6c.  Tacitus,  ann,  4,  44:  L.  ÄnUmium 
aqpontU  Äugu9iU9  in  eivitatem  Maaaüientem,  tthi  tpedt  »huüorum  nomeii 
exUü  tegeretur.  Tacitus,  AgrieoL  c.  4:  arcebal  eum  ab  iUeeeMB  peeeantnim 
praeter  ipeiu*  boitam  iniegramqfie  naiuratn^  quod  »toHm  'parvuime  aedem 
ae  magiatram  atudiorum  Maaailiam  habuit^  locum  Oraeca  camÜat^  ei  pro- 


GaUiiche  Studien.  287 

die  einst  sprichwörtliche  massaliotische  Sittenstrenge  ^  bereits  im 
Laufe  des  zweiten  Jahrhunderts  in  ihr  Gegentheil  verkehrt, ^  und 
wahrscheinlich  hat  auch  sein  wissenschaftlicher  Ruf  nicht  die 
späteren  Jahrhunderte  überdauert,  denn  unter  den  ^berühmten 
Städten'  des  Ausonius  hat  MassaUa  keine  Stelle  gefunden. 

Inwieweit  das  Eindringen  des  Christenthums  beigetragen 
hat,  die  antik -heidnische  Bildung  zu  verdrängen,  lässt  sich 
hier,  wie  überall,  kaum  feststellen.  Dass  in  einer  mit  Eleinasien 
in  so  enger  Verbindung  stehenden  griechischen  Seestadt  sich 
frühzeitig  eine  grössere  Christengemeinde,  wie  sie  in  Vienna 
und  Lugudunum  bereits  zu  Marc  Aureis  Zeit  bestanden  hat, 
gebildet  habe,  ist  jedoch  eine  an  und  iUr  sich  sehr  wahrscheinliche 
Annahme,  die  durch  eine  spätestens  dem  dritten  Jahrhundert  ange- 


vineiaH  parnmonia  mixtum  ac  hen»  compatilum,  Agricola  war  bekanntlich 
in  dem  benachbarten  Fomm  lalii  geboren  und  nach  Massalia  in  die 
Schule  geschickt;  doch  blieb  er  dort  offenbar  bis  er  erwachsen  war,  denn 
Tacitus  füg^  hinzu:  memoria  teneo  golilwn  ^nan  narrare  »e  prhna  in 
itiventa  »Uiäium  phüoiophioe  ocrtia  täira  quam  eonceatum  R&mano  ae 
tmuaiari  AaicmM.  In  griechischen  in  Biarseille  gefundenen  Inschriften 
findet  sich  ein  ^AOi)va$T}(  AiovxouptSou  Ypa[jL[i«Tixo(  *P(a[iaixö;  (B4pwU>ire 
de  la  »odäd  de  sialisHque  de  Marseille  m,  1839,  S.  469),  und  ein  T.  Fla- 
vius  Nicostratus  wird  als  xa8T]77)-nj(  bezeichnet:  Bulletin  de  la  aocUte 
de»  antiquaire»  de  France  1877,  S.  113.  lieber  die  Anstellung  von 
(grossentheils  wohl  massaliotischen)  Sophisten  und  Aerzten  in  Gallien 
berichtet  Strabo  a.  a.  O.;  der  Khetor  Agroetas  aus  Mafwalia  scheint  in 
Rom  docirt  zu  haben  (Seneca,  eon4nH7.  II,  6,  12) ;  ft-emde  Rhetoren,  wie 
Moschus  (s.  o.)  und  wohl  auch  Pacatus  (Seneca,  controv,  X  prtte/,  §.  10) 
wirkten  wiederum  in  Massalia. 

*  Plautus,  Caiina  5,  4,  1:  ubi  tu  e»,  qui  colere  mores  MaeaiUenae»  postulaef 
Cicero,  pro  Flaeeo  26,  43:  MaetiUa  .  .  .  adu»  ego  civitati»  dieciplinam 
alque  gravitaiem  non  solum  Oraeeiae,  »ed  haud  »cio  cm  eunetis  gentHnu  ante* 
ponendam  dicam.  Strabo  IV,  1,  6,  p.  181  führt  als  Zeugniss  für  die 
XtT^ni«  T(ov  ßfcüv  an,  dass  die  h^Jchste  Mitgift  bei  ihnen  hundert  Gold- 
stücke betrage  und  dazu  fünf  Goldstücke  für  die  Kleidung  und  ebenso 
viel  für  den  Goldschmuck,  lieber  die  Einfachheit  der  mit  Spreu  und  Erde 
gedeckten  Häuser:  Vitruv.  II,  1,  5.  Die  ditdplinae  granita»  und  prieei 
morie  oheeroavUia  rühmt  Valerius  Maximus  II,  6,  7  und  berichtet,  dass  in 
dieser  ovttot  Mveritafie  euato$  aeerrima  die  Aufführung  von  Mimen  ver- 
boten sei.  Vgl.  auch  die  eben  angeführten  Worte  des  Tacitus. 

>  Athenaeus  XII,  o.  26  p.  523c  (also  am  Anfang  des  dritten  Jahrhunderts) : 
MoaaoXiiaTai  V  eOi)XuvOi]9av  ol  tov  autov  ^'Ißi^pat  Ti{(  e96y{to(  ^opouvtEc  xovfiov  * 
ao*/^i)|AOvowat  youv  dia  TJjv  ev  tat(  ^ytyiaX^  |iaXax£atv,  dta  tpu9ijv  yuvaixoica- 
OouvTt«  *  o6ev  xai  Tsapotji/a  isopjjXOe  ,nAeu9eia^  ei«  Ma09aX{av\ 


288  Hiricbfeld. 

hörige  Inschrift,  welche  freilich  möglicherweise  von  Rom  nach 
Marseille  verschleppt  sein  könnte/  auch  eine  äussere  Bestäti- 
gung zu  erhalten  scheint.  Jedesfalls  dürfte,  wenn  man  der 
Schilderung  in  den  allerdings  wenig  zuverlässigen  Acten  des 
heiUgen  Victor,^  in  denen  Massalia  als  ,sehr  eifrige  Verehrerin 
der  römischen  Dämonen^  bezeichnet  wird,  Grlauben  schenken 
kann,  das  Christenthum  nicht  ohne  heftigen  Kampf  hier  Einlast 
gefunden  haben.  Der  Bischof  von  Massalia  erscheint  bereits  in 
den  Acten  des  arelatensischen  Concils  vom  Jahre  314,  während 
die  in  der  Nähe  des  früh  zu  hoher  Berühmtheit  und  grossem  Um- 
fang erwachsenen  Klosters  des  heiligen  Victor  imd  in  der  Krypta 
der  Kirche  selbst  zu  Tage  getretenen  christlichen  Inschriften 
grossentheils  ^  erst  dem  fünften  und  sechsten  Jahrhundert  an- 
zugehören scheinen,  also  einer  Zeit,  in  der  Massalia  bereits 
in  Folge  der  erfolgreichen  Thätigkeit  des  Johannes  Cassianus, 
der  hier  zwei  Klöster  gründete,  und  des  an  derselben  Stätte  in 
seinem  Geiste  wirkenden  Salvianus,  ein  Hauptsitz  des  Christen- 
thums  und  insbesondere  der  sogenannten  semipelagianischen 
Richtung  in  GaUien  geworden  war.  —  Mit  der  Besitzergreifung 
der  Provence  durch  die  Franken  ist  auch  Massalia  nach  dem 
Zeugniss  eines  Schriftstellers  jener  Zeit  aus  einer  helleni- 
schen zu  einer  barbarischen  Stadt  geworden  und  hat  an  SteUe 
der  heimischen  die  Gesetze  seiner  neuen  Herren  angenom- 
men.^    Aber    ein    Funken    griechischen    Geistes    scheint   sich 


1  XII  n.  489  =  Leblant  II  n.  548  •  (nach  meiner  Copie):  /Valjerio  Vo- 
lunano  ,  .  .  Eutychetis  filio  [et  ,  .  ,  Jo  Forbuncdo  qui  vim  ff  ignij*  paui 
sunt.  Die  Ergänzung  rührt  von  Leblant  her,  der  mit  Recht  die  Inschrift, 
Über  deren  Fundort  leider  nichts  bekannt  ist,  bezeichnet  als  ^contem' 
poraine  des  plus  vieux  marbres  de  la  Rome  aouterraine*.  Derselbe  fügt 
hinzu:  ^devant  une  teile  anliquUi^  les  mota  PÄSSI  SVNT^  la  mention  du 
genre  de  mort,  prerment,  oii  le  conqoitf  une  haute  importance,  Si,  par  une 
riaerve  peut-itre  exeeaaive ,  je  noae  toulefoia  ajyirmer  que  noua  aoyofia  en 
face  d^une  tonihe  de  martyra,  nul  ne  penaera^  je  croisy  h  nier  la  poaaihüUi 
de  ee  fait.*  Vgl.  seine  pr^/ace  p.  XXXIII. 

2  Vgl.    Tillemont,    M^oirea  pour  aervir  ä  Vhiat,  eccUa,  (ed.   1706)  IV,  3, 
p.  1165  und  1346. 

>  Aelter  (nach  Leblant  wohl  dem  vierten  Jahrhundert  angehOrig)  ist  XII 
n.  490  =  Leblant  II  n.  490. 

^  Agathias,  hiatoi\  I,  2:    vCv  cf  *KX^i]vföo{  hx\  ßa(>ßaptx:{  *  T?jv  yap  ndkptov 

flticoßcßXvjxuta  TcoXiteJav,  io?(  Tb>v  xpatouvKov  'XpTjrat  vop.{tJLO(c  *  ^a^vctat  8^  7ta\ 


Öftlliscke  Stndiea.  289 

noch  bis  in  das  Mittelalter  in  der  phokäischen  Stadt  erhalten 
zu  haben/  die  Jahrhunderte,  bevor  Rom,  auf  den  von  ihr  ge- 
ebneten Wegen  fortschreitend^  seine  civilisatorische  Mission  im 
Westen  begonnen,  griechische  Sprache  und  Cultur  auf  den 
gallischen  Boden  verpflanzt  hat.  — 

Ein  eigenthümliches  Gegenbild  zu  der  griechischen  Han- 
delsstadt bietet  die  zweite  verbündete  Gemeinde  der  narbonen- 
sischen  Provinz :  die  civitcu  Vocontiorum,  deren  Gebiet  zwischen 
den  Flüssen  Is^re,  Rhone,  Durance  und  den  cottischen  Alpen 
liegend,  einen  Theil  der  Departements  Drome,  Vaucluse,  Basses- 
Alpes,  Hautes -Alpes  und  Is^re  umfasst.^  Erst  mit  der  Unter- 
werfung unter  die  Herrschaft  Roms  treten  die  Vocontier  in 
unseren  Gesichtskreis^  und  auch  dann  begegnet  uns  ihr  Name 
nur  selten  in  den  Annalen  jener  Zeit.  In  dem  Kampfe  der 
Römer  gegen  ihre  nördlichen  Nachbarn:  die  Allobroger,  traf 
sie  der  erste  Stoss,  dem  sie  wol  ohne  ernstlichen  Widerstand 
erlagen.^  Zu  einer  wirklichen  Occupation  des  zum  Theil  rauhen 


vuv  oO  (jLfläa  T^(  äiia^  tcuv  noXaicov  o(xr,TOpu>v  xaraSEETT^pa  *  e?9i  fap  o\ 
4>pe^oi  oO  vo(idl2E(  etc. 
*  Kiepert,  Alte  Geographie  §.  436,  Anm.  4:  ,Ab8chriften  griechischer  Werke 
sind  hier  noch  im  früheren  Mittelalter  gemacht  worden  (worauf  diese 
Angabe  beruht,  habe  ich  übrigens  nicht  ermitteln  können),  und  der  Name 
Oraecia  war  damals  für  die  Landschaft,  mare  graecum  für  den  Meer- 
busen noch  in  Gebrauch.*  Ueber  Massalia  zur  Zeit  Gregors  von  Tours 
vgl.  Longnon,  Geographie  de  la  Oaule  au  VI*  tihcU  S.  447 ff.;  die  Ein- 
fuhr des  Papyrus  aus  Aegypten  bezeugt  Gregorius,  HUt,  Franc.  V,  5, 
vgl.  auch  über  den  Handel  mit  Aegypten  ebendas.  VI,  6  und  Jung 
Romanische  Landschaften  S.  210. 

3  Betreffs  der  im  Einzelnen  nicht  ganz  sicheren  Begrenzung  des  Gebietes 
vgl.  Desjardins,  Geographie  II  S.  228  ff.,  und  Florian  Vallentin,  BuUeUn 
de  la  9ocaU  d'äudea  de*  Hautet- Alpu  I,  1882,  8.  22  ff.,  und  die  soeben 
erschienene  Schrift  desselben  Verfassers:  Lea  Alpes  OoUienne»  et  Graten 
(Paris,  1883)  S.  24  ff.  Die  angrenzenden  kleineren  gallischen  Stämme, 
wie  die  Vulgieptes,  Memini  u.  a.  m.  dürften  in  älterer  Zeit  den  Vocon- 
tiern  botmässig  gewesen  sein,  vgl.  Desjardins  a.  a.  O.  S.  232:  ^Vimpor' 
tanee  asset  seeondaire  de  tous  ces  petqdea  .  •  .  avait  dC  lei  faire  abtorber 
dan»  la  dierUkle  des  VoeontU*,  Ueber  das  Fortbestehen  der  gallischen 
dvUaUs  in  ihren  wesentlich  unveränderten  Grenzen  in  römischer  Zeit  vgl. 
£.  Kuhn,  Ueber  die  Entstehung  der  Städte  der  Alten  (Leipzig  1878)  S.  443. 

'  Gelegentlich  des  Zuges  Hannibak  nennt  sie  Livius  21,  31, 

4  Ihr  Name  erscheint  in  den  Jahren  631  und  632  in  den  capitolinlschen 
Triumphalfasten:  C.  J.  L.  I  p.  460. 

SiUnngtber.  d.  phil.-hiflt.  Cl.    Cm.  Bd.  I.  Hit  19 


390  Hi'rsclifoU. 

und  unwegsamen  Gebirgslandes  hat  aber  die  in  Folge  dieses 
Krieges  beschlossene  Errichtung  der  narbonensischen  Provinz 
sicherlich  nicht  gefuhrt:  die  gewaltigen  Kämpfe  gegen  die 
Cimbem  und  Teutonen  ^  gegen  die  Italiker  und  Mithradates 
haben  ein  halbes  Jahrhundert  hindurch  Rom  nicht  zur  Ruhe 
kommen  lassen  und  eine  energische  Occupation  und  Organisa- 
tion der  gallischen  Provinz  hinausgeschoben.  Eine  Erhebung 
der  gallischen  Stämme,  die  kein  gemeinsames  Band  verknüpfte, 
war  freilich,  so  lange  Rom  hier  auf  Ausübung  seiner  Oberhoheit 
verzichtete  imd  Gallien  dem  Kriegsschauplatz  fem  blieb,  nicht 
zu  befürchten.*  Erst  der  kühne  und  gross  angelegte  Versuch 
des  genialen  Sertorius,  den  Westen  zu  gemeinsamer  Erhebung 
gegen  die  Aristokratenpartei  in  Rom  in  die  Schranken  zu  rufen, 
rüttelte  auch  die  gallischen  Stämme  aus  ihrer  apathischen  Un- 
zufriedenheit zu  offenem  Kampf  gegen  die  Unterdrücker  auf. 
Als  Pompeius  über  den  Mont-Öenfevre  in  das  Land  der  Vo- 
contier  einrückte,  fand  er  hier  den  ersten  heftigen  Wider- 
stand;*^ die  Beendigung  des  Kampfes  musste  er,  da  ihn  immer 
dringendere  Hilferufe  der  von  Sertorius  bedrängten  Städte  zur 
Eile  mahnten,  dem  Statthalter  von  Gallien  Marcus  Fonteius 
überlassen.  Die  arge  Verstümmelung  der  gerade  ftir  gallische 
Verhältnisse  so  wichtigen  Rede  Cicero's  für  Fonteius  hat  uns 
näherer  Nachrichten  über  den  Verlauf  des  Krieges  beraubt; 
nur  aus  der  erhaltenen  Ueberschrift  de  hello  Vocontiorum^ 
können  wir  schUessen,  dass  es  hier  zu  ernsten  Kämpfen  ge- 
kommen ist.  Jedoch  darf  man  nach  der  bekannten  Tactik 
der  Römer  erwarten,  dass  auch  in  diesem  gallischen  Stamme 
neben  der  nationalen  eine  römische  Partei  nicht  gefehlt 
haben  wird,  eine  Annahme  die  sowohl  durch  die  Angabe 
des    Vocontiers   Pompeius    Trogus,^    dass   sein   Gross vater   im 

1  Vgl.  über  die  Stellung  von  Narboneosis  in  dieser  Zeit  Herzog,  O.  N. 
S.  ö9flf. 

3  Epist,  On,  Fompei  ad  senaiuvi  §.  4  (Sallust.  p.  118  Jordan):  dielnu  qua- 
drtiginta  exercUum paravi  hoatisque  in  cervicibu»  iam  Ilaliae  agentis 
ab  Älpibu»  in  ffitpaniam  ntbmovi;  per  eaa  (über  die  Alpes  Oottiae)  iter 
alitui  atque  Hannibal^  nobiä  opp&riuniut  p<Ue/eci,  Recepi  Galliam  etc. 

3  Auch  die  neugefundenen  Fragmente  des  Kicolaus  von  Cues  haben  zur 
Ausfüllung  dieser  Lücke  (§.  20)  keinen  Ertrag  gewährt 

*  Der  keltische  Name  Trogu»'(=:  minr,  cf  Zeuss,  ffrämm.  celt,  ed.  II,  p.  23 
und  1057)  ist  sonst  in  dieser  Gegend  nicht  nachweisbar;  das  davon  ab- 


GaUisehe  Shidian.  29  i 

sertorianischen  Kriege  das  römbche  Bürgerrecht  erhalten  habe 
und  im  mithradatischen  sein  Oheim  ReiterofSzier  unter  Pompeius 
gewesen  sei,'  als  durch  das  auf  Bürgerrechtsyerleihungen  im 
weiteren  Umfange  deutende  mehrfache  Auftreten  des  Namens 
PompeiuB  in  den  Inschriften  des  Gebietes  der  Vocontier  und 
der  benachbarten  Vulgienter  eine  Bestätigung  findet.  Mit  der  Be- 
seitigung des  Sertorius  und  der  Auflösung  der  nur  durch  seine 
geniale  Persönlichkeit  zusammengehaltenen  Banden  war  auch  der 
Widerstand  in  Gallien  hoffnungslos  geworden;^  imd  seit  jener 
Zeit  haben  die  Vocontier  keinen  neuen  Versuch  gewagt,  das 
römische  Joch  abzuschütteln:  Caesar,  bei  dem  der  Vater  des 
Trogtts  eine  Vertrauensstellung  einnimmt,^  zieht  bei  dem  Ein- 
marsch in  Gallien  ungehindert  durch  ihr  Gebiet^  und  wenn 
Plancus  im  Jahre  711  an  Cicero  meldet,  dass  der  Weg  durch 
das  Land  der  Vocontier  zuverlässig  offen  stehe,  ^  so  ist  daraus 
nicht  auf  eine  Parteinahme  derselben  gegen  Marcus  Antonius^ 
sondern  wohl  nur  auf  vollständige  Passivität  in  diesem  Kampfe 
zu  schliessen.  So  haben  sie  auch  nach  der  definitiven  Gestal- 
tung Galliens  durch  Augustus  als  Theil  der  narbonensischen 
Provinz  eine  stille,  von  den  gewaltigen  Erschütterungen  des 
römischen  Reiches  kaum  berührte  Existenz  geführt. 


geleitete  gentile  TVogiuB  findet  sich  in  einer  Inschrift  von  Nemausns 
(Mnrat.  1663,  12),  ebendaselbst  und  in  der  Umgegend  die  Formen  Tro- 
eiu$  und  Troeciua  (Murat  1411,  4  und  1779,  10). 

^  Justinas  43,  5,  11:  in  poatremo  libro  Trogua  maioret  »uo$  a  Vocontiu  ort- 
ginem  dueere:  avum  auum  Trogum  Pompeium  Sertoriano  hello  civÜatem 
a  On.  Pompeio  pereepUse  dicit,  patruuni  Mithridalico  hello  turm<u  equitum 
9ub  eodem  Pompeh  duxiste, 

^  Betreffs  der  verunglttckten  Rebellionsversuche  der  Allobroger  (Cicero, 
in  Catilin,  III,  9,  22:  ex  civitate  male  pacala,  guae  gen»  %na  rectal,  quae 
bellum  populo  Romano  facere  poate  et  non  noüe  videaturj  vgl.  Herzog, 
O,  N.  S.  68;  ein  Bild  der  verzweifelten  Lage  derselben  nach  der  Nieder- 
werfung der  EmpOrung  gibt  Sallust,  Caiilina  c.  40. 

3  Justinus  43,  5,  12:  (Trogua  dicU)  patrem  quoque  aub  Oaio  Caeaare  mili- 
taaae  epiatularumque  et  legalionum^  aimtd  et  anuli  euram  habuiaae, 

*  Caesar,  6.  O,  I,  10,  5 :  ab  Oeelo,  guod  est  citerioria  provmciae  extremumy 
in  finea  Vocontiorum  uUerioria  protnneiae  die  aeptimo  pervenU:  inde  in 
Ällobrogum  ßnea,  ab  AUobrogibua  in  Seguaiavoa  exercUum  ducU, 

^  Plauens  bei  Cicero,  ad  famü,  X,  23,  2 :  VoeanHi  aub  marw  ut  eaaenty  per 
quorum  loca  fideliier  mihi  pateret  iter, 

19» 


392  Miricbfeia. 

Und  doch,  so  wenig  dieser  Stamm  im  gewöhnlichen  Sinne 
des  Wortes  historisch  interessant  ist,  bieten  die  Vocontier  ein 
eigenartiges,  allerdings  bis  jetzt  kaum  beachtetes  ^  Bild  in  dem 
anscheinend  so  gleichförmigen  Gewebe  des  römischen  Kaiser- 
reiches. Abseits  von  dem  grossen  Getriebe  hat  sich  hier  eine 
in  den  Hauptztigen  alte  nationale  Verfassung  erhalten,  die  in 
merkwürdiger  Weise  sich  von  dem  alles  Individuelle  verwischen- 
den Schema  der  römischen  Municipalordnung  abhebt.  Wie  der 
griechischen  Stadt  der  MassaUoten,  so  ist  dem  keltischen  Stamme 
der  Vocontier,  ohne  Zweifel  als  Lohn  für  geleistete  Dienste 
und  bewiesene  Treue,  vielleicht  schon  vor  Caesar  die  privilegirte 
Stellung  einer  verbündeten  Gemeinde  zuerkannt  worden.  Wenn 
irgendwo,  so  darf  man  daher  hier  hoffen,  ein  nach  heimischer 
Sitte  organisirtes  Gemeinwesen  erhalten  zu  finden,^  und  in  der 
That  haben  die  staatlichen  Institutionen  hier  eine  stärkere 
Widerstandsfähigkeit  bewiesen  als  die  heimische  Sprache,  die, 
wenn  auch  vielleicht  nur  im  schriftlichen  Gebrauch,  von  der  römi- 
schen fast  vollständig  verdrängt  worden  ist.^  Bei  unserer  geringen 


*  Sowohl  in  der  Abhandlung  über  die  Vocontii  von  Moreau  de  V^rone  im 
Bvlletin  de  la  toeiiti  de  MtatUtique  de  la  Drdme  I,  1887,  S.  70  ff.  und 
S.  129  ff.,  als  auch  in  der  werthvoUen  Monographie  von  Jean-Denis  Long : 
Recherche»  nar  lea  antiquiUM  Eomames  du  paya  des  Vocontiens  (in  Mi- 
moire»  pr^aenlis  par  diver»  »avanU  ä  Vacad6m%e  dea  Itucr^Mons  et  Bellea^ 
Lettre;  //«  airie,  t.  II,  1849,  S.  278  ff.  mit  Karte)  ist  auf  die  Verfassung 
der  Vocontier  kaum  Rücksicht  gpenommen.  Auch  die  Ausführungen 
Herzog's  in  seinem  sehr  verdienstlichen  Buche  über  Gallia  Narbonensis 
sind  gerade  betreffs  der  Verfassung  der  Vocontier,  da  wichtige  Zeugnisse 
erst  später  zu  Tage  getreten  sind,  in  wesentlichen  Punkten  verfehlt. 
Eine  kurze  Uebersicht  über  die  Beamten  und  Priester  der  Vocontier 
hat  zuerst  AUmer  gegeben  im  Bulletin  de  la  SoeUti  d^  archiologie  et  de 
atatiatique  de  la  DrSme  X,  1876,  S.  81  ff.  Vgl.  auch  Kuhn,  Entstehung 
der  Städte  der  Alten  S.  488. 

>  Mommsen,  Schweizer  Nachstudien  im  Hermes  XVI,  S.  486  (über  die 
zum  römischen  Bürgerrecht  gelangten  fDderirten  Gemeinden) :  ,Eine  römi- 
sche Bürgergemeinde  dieser  Art  .  .  .  behielt  billig  in  ihrer  inneren  Ein- 
richtung den  nationalen  gallischen  Zuschnitt^ 

3  Nur  eine  einzig^  keltische  Inschrift  mit  schlecht  und  oberflächlich  ein- 
gehauenen griechischen  Buchstaben  ist  in  dem  ganzen  Vocontier-Gebiete 
gefunden  worden  (Herzog  n.  446  =  AUmer,  Inaeriptünu  de  Vieime  TU, 
n.  467).  In  dem  benachbarten  Gebiete  von  Apta  sind  neuerdings  noch 
vier   keltische,    ebenfalls   griechisch   geschriebene  Inschriften    so  Tage 


Gftllifche  Stadien.  293 

Kenntniss  der  politischen  Verfassung  der  Gallier,  über  welche 
Caesar  selbst  da,  wo  er  von  ihrer  Religion  und  ihren  Sitten  in 
grossen  Umrissen  ein  Bild  entwirft,  fast  gänzliches  Schweigen 
beobachtet  und  Zeugnisse  anderer  Schriftsteller  kaum  in  Be- 
tracht kommen, «  sind  wir  um  so  mehr  darauf  hingewiesen, 
die  inschriftlichen  Documente  heranzuziehen  und  diejenigen 
nationalen  Züge  auszuscheiden,  welche  unter  der  römischen 
Tünche  noch  erkennbar  hindurchschimmern. 

Dass  die  Stellung  der  Vocontii  zu  Rom,  wie  die  Massalias 
und  mehrerer  gallischer  Stämme  diesseits  und  jenseits  der 
Alpen'  auf  Grund  eines  Foedus  geregelt  war,  bezeugt  Plinius, 
der  zweimal  von  der  cimtas  oder  gens  foedertxta^  der  Vocontier 
spricht.  Ueber  die  näheren  Bestimmungen  desselben  haben 
wir  keine  Kunde;  dass  jedoch  darin  die  nach  Cicero  in 
einzelnen  dieser  Bündnisse  befindliche  Clausel,  es  solle  keiner 
der  Föderirten  in  das  römische  Bürgerrecht  aufgenommen 
werden  dürfen,^  enthalten  gewesen  sei,  ist  wohl  sicher  zu 
verneinen,  wenn  auch  die  Bürgerrechtsverleihung  an  den  Gross- 
vater  des  Trogus  vor  dem  Abschluss  des  Foedus  erfolgt  sein 
dürfte.  Ueberhaupt  ist  der  Fortbestand  einer  solchen  Bestim- 
mimg in  der  Eaiserzeit  für  die  zum  römischen  Reichsverbande 
gehörigen  Gemeinden  schwer  denkbar,  vielmehr  müssen,  so  weit 
nicht  an  Stelle  des  Foedus  das  römische  Bürgerrecht  mit  oder 
ohne  das  ivs  honorum  getreten  ist^  diese  föderirten  Gemeinden 

getreten,  vgl.  Villefosse,  BuÜelin  de»  antiquaires  1879,  S.  128,  und  Mowat, 
ebendas.  1880,  S.  245;   Allmer,  Revue  ^pigraphique  I,  S.  333  u.  367. 

'  Bemerkenswerth  ist,  was  Strabo  (IV,  1,  12  p.  186)  von  der  Bomani- 
sirung  der  den  Vocontiem  benachbarten  Cavares  bemerkt:  ou8l  ßapßopou; 
Ixi  ovTotc,  akXk  [jiEToueei|Aivou(  to  tcX^ov  lU  tov  tü>v  'Pcupafcov  TtSnov  xai  ttj 
yXcorn)  xal  Tot;  ß{ot(,  itvac  h\  xai  ifj  nokixilix. 

2  Cicero,  pro  Balbo  14,  32:  etenim  quaedam  foedera  exstant^  ut  Cenoma- 
norunif  Inettbrium,  HeLvetiorum^  Japydum^  nonmiUorum  item  ex  OaUia 
barbarammf  qu&rum  in  foedenbus  exceptum  eet,  ne  qui»  eorum  a  nobie 
eMe  reeipiatur,  Ueber  die  fMerirten  Llngones,  Remi,  Haedui,  Carnuteni 
(Plinins,  n.  h,  4,  106-- 107)  ygl.  Mommsen  im  Hermes  XVI,  S.  486  mit 
Anm.  1  nnd  S.  478  ff.  über  Aventicnm. 

'  Plinins,  ti.  h,  3,  37 :  Voconliorum  eivitati»  foederatae  und  n.  k.  7, 
78:  equUem  Bomamum  lutium  VitUorem  e  Voc<mUorftm  gente  foederata^ 
was  Des|ardins  {Giographie  ü,  S.  228)  ganz  unrichtig  auf  das  Clientel- 
▼erhftltniss  der  angrenzenden  kleineren  St&mme  bezieht. 

^  Vgl.  darüber  Mommsen  a.  a.  O.  8.  447  ff. 


294  Hirschfeld. 

im  Wesentlichen  die  Stellung  der  mit  latinischem  Recht  aus- 
gestatteten Städte  erhalten  haben,  ^  vor  denen  ihnen  jedoch  die 
Existenz  des  Bündnisses  mit  Rom  und  unter  Umständen 
bestimmte  darin  zugesicherte  Privilegien  einen  Vorrang  sichern 
mochten.  Dem  entspricht  auch  das  Rechtsverhältniss  der 
Vocontier;  römische  Auxiliartruppen  sind  nach  ihnen  benannt^  ^ 
also  ohne  Zweifel  ursprünglich  aus  ihnen  recrutirt  worden, 
und  wenn  sich  einzelne  Vocontier  in  den  Prätorianercohorten 
und  Legionen  finden, ^  so  können  diese,  ebenso  wie  die  in 
den  Inschriften  zuweilen  mit  der  Tribus  Voltinia  versehenen 
Vocontier,  füglich  entweder  virüim  das  Bürgerrecht  erhalten 
haben,  oder  ihre  Vorfahren  durch  Aemterbekleidung  kraft 
der  Bestimmungen  des  latinischen  Rechtes  dazu  gelangt  sein. 
Möglich  ist  freilich,  dass  im  Laufe  der  Kaiserzeit  auch  hier 
an  Stelle  des  Foedus  das  römische  Bürgerrecht  getreten  ist, 
wie  dasselbe  bereits  unter  Augustus  der  zweiten  Hauptstadt 
des  Landes:  Lucus  Augusti  verliehen  zu  sein  scheint.*  Wie 
lange  sie    das  Recht  der   Münzprägung   ausgeübt   haben, ^  ist 

*  Cicero,  pro  Balbo  24,  64:  Latinis  id  est  foederatisy  vgl.  Mommsen,  ROm. 
Mttnzwesen  S.  323. 

2  Eine  ala  AugCusiaJ  VooontiofrCumJJ :  C.  J.  L.  VH,  n.  1080;  ein  n(t 
Voc(ontiorum):  Ephem.  epigr.  IV  p.  207  n.  698  (Huebner  zweifelt 
der  meines  Erachtens  richtigen  Ergänzung),  vgl.  Trebell.  Poll.,  vUa  Po- 
stumi^.  11:  Posiumo  IribuncUum  Vocontiorum  dedi,  —  Vgl.  die  aus  dem 
heutigen  Wallis  ausgehobene  ala  Vallennum:  Brambach,  Inacr.  Rhenan, 
n.  1631  und  die  cohors  I  Hdvetiorum :  Brambach,  Index  S.  386. 

'  Ein  Veteran  der  7.  Prätorianercohorte  aus  Vasio:  C.  J.  L.   VI  n.  2623 
und  der  6.  Cohorte  in  einer  Inschrift  von  Ventavon  im  Vocontier-Gebiet : 
XII    n.   5*29   =:  Herzog  n.  489.     Ein    Soldat  der    legio  I  Minervia  in 
einer  Inschrift  aus  Dea  Augnsta:  XII  n.  1576  =s  Herzog  n.  463. 

^  Dies  schliesst  Mommsen  (nach  brieflicher  Mittheilung)  gewiss  mit  Recht 
ans  dem  Umstände,  dass  zahlreiche  Legionare  in  Inschriften  der  ersten 
Kaiserzeit  (C.  J.  L.  III  n.  1653;  Ephem.  epigr.  H  n.  496;  Brambach, 
Imcr.  Rhenan.  n.  940,  1065,  1223,  1247;  Mommsen,  Inscr.  Helvet,  n.  251; 
Renier,  Revue  des  SocUUs  savantes  ser.  H,  3,  1860,  p.  42)  Lucus  Augusti 
als  ihre  Heimat  angeben ;  dass  nicht  die  gleichnamige  Stadt  in  Gallaecia 
gemeint  ist,  beweist  die  Tribus  Voltinia,  da  das  spanische  Lucus  der 
Galeria  angehört  (C.  J.  L.  H  p.  359).  Dass  Tacitus  an  der  S.  296 
Anm.  2  mitgetheilten  Stelle  die  Stadt  als  munietpium  bezeichnet,  würde 
allerdings  nicht  entscheidend  sein. 

^  lieber  die  Münzen  mit  der  Aufschrift  VOOC  und  die  vielieicbt  nicht 
hierher  gehörigen  mit  ROW  und  VOCVN"  vgl.  de  La  Saussaye,  Numis- 
mtUiqut  de  la  Gaule  Narbonnaise  S.  132  ff. 


Gallische  Stadien.  295 

fraglich,  sicherlich  nicht  über  Augustus'  Zeit  hinaus;  dagegen 
bezeugt  Strabo,  dass  sie,  ebenso  wie  Massalia  und  die  Volcae 
Arecomici,  von  der  Gewalt  des  narbonensischen  Proconsul 
eximirt  gewesen  seien.*  Gewiss  darf  man  nicht,  wie  das  ge- 
meinhin geschieht^  2  darin  ein  allen  latinischen  Colonien  auch 
der  späteren  römischen  Kaiserzeit  zustehendes  Recht  erblicken. 
Wie  wäre  denn  überhaupt  eine  Verwaltung  denkbar  gewesen, 
wenn  z.  B.  in  Gallia  Narbonensis  die  zahlreichen  Städte  latini- 
schen Rechts  der  Ingerenz  des  Statthalters  entzogen  gewesen 
wären,  oder  gar  in  Spanien,  nachdem  Vespasian  das  latinische 


*  Strabo  IV,  6,  4,  p.  203:  'AXXoßptyg?  [lev  oiv  xat  Alyxtei  uno  toi?  atpanjYoi; 
Torcovrat  Tot;  a^ixvoujjivott  £?;  -djv  NapßcDvtnv,  Ouoxdvrtoi  hl,  xaOobcsp  tou^ 
OuoXxa;  l^aixEv  tou;  r,ip\  N^[xauarov,  Ta-rrovr«  xkO^  aurou^. 

>  So  sagt  Marquardt,  Staatsverwaltung  I^  S.  62:  ,Die  neue  (latinische) 
Gemeinde  bildet  einen  souveränen  Staat  .  .  .,  ist  keinem  römischen 
Magistrate  unterworfen  und  besitzt  das  Münzrecht,  dessen  die  Bürgercolo- 
nien  entbehren',  und  beruft  sich  dafür  auf  Strabo,  der  IV,  1,  12  p.  187 
von  der  latinischen  Gemeinde  Nemausus  sagt:  $ta  $e  tou7o  o^di*  6no  toTc 
icpooToyfxaat  tu>v  ex  ri\q  'P«j{it}c  arpaTnjY^^  ^^^^  '^^  t^'to^  touto.  Die  Worte 
Ol«  Sc  TouTo  schliessen  allerdings  unmittelbar  an  ^e  Bemerkung  an: 
iy^o^aai  (so  ist  die  handschriftliche  Ueberlieferung,  nicht  l;^ou7a)  xai  xo 
xaXoupiEVov  AccTioVy  daxe  xou;  a^icoO^vTa;  aYopavo[x{a(  xai  TajxiEJa;  iv  NEjiauato 
Tci)[jLafou;  U7:apx£iv,  aber  so  wenig  auch  an  der  Thatsache  zu  zweifeln 
erlaubt  ist,  so  rtthrt  die  Motivirung  doch  blos  von  dem  mit  dem  römi- 
schen Staatsrecht  nur  oberflächlich  vertrauten  griechischen  Schriftsteller 
her.  Ueber  die  Stellung  der  Colonie  Nemausus  wird  an  einem  anderen  Orte 
zu  sprechen  sein;  hier  sei  nur  bemerkt,  dass  die  Volcae  Arecomici  (von 
dem  Volk,  nicht  von  der  Colonie  spricht  Strabo  hier,  wie  in  der  in  vor. 
Anm.  angefahrten  Stelle)  offenbar,  wie  sich  aus  der  S.  309  Anm.  3  bespro- 
chenen Inschrift  (XII  n.  1028)  und  aus  den  Angaben  des  Plinius  (III,  37)  und 
Strabo  ergibt,  ursprünglich  ganz  ähnlich  den  Vocontii  organisirt  gewesen 
sind  und  daher  vielleicht  ebenfalls  auf  Grund  eines  Foedus  eine  privilegirte 
Stellung  eingenommen  haben  mögen,  woraus  sich  auch  die  Ertheilung 
des  MUnzrechtes  an  Nemausus  erklären  würde;  wenigstens  von  ihren 
Nachbarn,  den  Volcae  Tectosages,  ist  überliefert,  dass  sie  das  ihnen  ge- 
währte Foedus  durch  ihre  Haltung  im  Cimbernkriege  verscherzt  haben, 
vgl.  Dio  Cassins,  fragm,  90:  ToXoaav  TrpoTspov  (xev  fvarovSov  o\Saav  tot? 
Ta>{jiafoi(,  oraaiaaaaav  oe  npo^  la^  icov  K^^ißpcüV  iXTcfBa^,  vgl.  Herzog,  G. 
N.  S.  52.  Eine  Generalisirung  für  sämmtliche  latinische  Provinzialge- 
melnden  der  Kaiserzeit  aber  aus  dem  Suc  touto  des  Strabo  herzuleiten, 
ist  nicht  gestattet,  und  sicherlieh  ist  bereits  in  der  ersten  Kaiserzeit, 
wohl  schon  durch  Augustus,  das  Recht  der  Latini  coloniarii  we9entllch 
beschränkt  worden. 


296  Hirsehfeld. 

Recht  der  ganzen  Provinz  verliehen  hatte?  Vielmehr  wird  man 
hier  ein  specielles  Privileg,  das  wohl  ausser  den  föderirten  Ge- 
meinden 1  nur  wenigen  latinischen  Colonien  und  seit  Augostus 
überhaupt  nicht  mehr  eingeräumt  sein  dürfte,  zu  erkennen 
haben,  und  das  möglicherweise  auch  den  Vocontiem  im  Laufe 
der  späteren  Zeit  entzogen  worden  ist. 

Werfen  wir  zunächst  einen  Blick  auf  die  im  Vocontier- 
Lande  gelegenen  Städte,  so  werden  wir  von  der  Angabe  des 
PUnius  (n.  h.  3,  37)  auszugehen  haben:  Vocontiorum  civitatis 
fo&deratize  duo  capüa  Vcudo  et  Lucas  Augfosti,  appida  vero  igno- 
hilia  XVIIII  sicat  XXIIIl  Nemauaensibus  adtributa.  Ob  das  an 
zweiter  Stelle  genannte  Lucus  Augusti  seinen  Namen  von  dem 
Kaiser  Augustus  erhalten  hat,  oder  ob  der  Ort  schon  in  kelti- 
scher Zeit  als  »heiliger  Hain'  (wohl  der  in  der  Nähe  verehrten 
Göttin  Andarta,  über  die  sofort  zu  sprechen  sein  wird)  be- 
nannt und  sein  römischer  Name  als  lateinische  Umgestaltung 
des  keltischen  anzusehen  ist,  muss  dahingestellt  bleiben.  Wahr- 
scheinlich wollte  man  neben  der  damals  noch  ganz  kelti- 
schen Hauptstadt  Vasio  einen  mehr  römische  Elemente  enthal- 
tenden und  an  der  grossen  Strasse  gelegenen  Ort  schaffen,  dem 
durch  Verleihung  des  Bürgerrechtes  künstlich  eine  gewisse  Be- 
deutung gegeben  werden  sollte.  Jedoch  scheint  dieser  Zweck 
nicht  erreicht  worden  zu  sein,  denn  ausser  bei  Plinius  und 
Tacitus,  der  bei  Gelegenheit  des  Raubzuges  des  Fabius  Valens 
durch  Gallien  die  Stadt  erwähnt,^  erscheint  der  Name  nur  noch 
in  den  oben  erwähnten  Soldateninschriften  der  früheren  Kaiser- 
zeit  und  später  als  Station  der  Strasse,  die  von  Mediolanum 
her  über  die  cottischen  Alpen  durch  das   vocontische  Gebiet 


1  Daa  Recht  der  föderirten  Gemeinden  definirt  Marqnardt,  R()m.  Staatsver- 
waltung I'  S.  45  (im  Anschloas  an  Mommsen,  Rom.  Münzwesen,  S.  322  ff.) 
folgendermassen:  ,Sie  sind  autonome  Staaten;  als  solche  haben  sie  das 
Münzrecht,  Befreiung  yom  Dienste  in  den  Legionen  gegen  Stellung  yon 
Hilfstruppen  oder  Schiffen  und  Matrosen,  eigene  städtische  Verwaltung 
und  eigene  Gerichtsbarkeit*. 

2  Tacitus,  hUL  I,  66:  lento  deinde  agmine  per  finea  ÄUohrogum  ac  VoeonHo- 
mm  dueiui  eoßereUtUf  ipaa  itinerum  tpatia  et  ataHvorum  mtUaUonee  vendi' 
tarUe  duee^  foedis  paetionibua  adverau»  poaaeaeoree  €igrertim  et  magiHnUui 
ehüahim^  adeo  mtnactter,  ut  Luco  (munieipkLm  id  VoeorUunvm  eti)  faioe» 
admwerU^  donee  pecuma  müi^areinr. 


Gallisch«  Stadien.  297 

an  die  Rhone  führt,  ^  und  zwar  lässt  die  Bezeichnung  maimo  in 
dem  JeruBalemer  Itinerar,  wie  das  Fehlen  des  Ortes  in  der 
Notitia  Galliarum  keinen  Zweifel  darüber,  dass  Lucus  Augusti  in 
der  späteren  Kaiserzeit  aus  der  Reihe  der  Städte  verschwunden 
und  zu  einer  einfachen  Wegstation  herabgesunken  ist.  Auch 
die  auffallend  geringe  Zahl  der  dort  gefundenen  Inschriften  ^ 
und  der  gänzliche  Mangel  antiker  Ruinen^  in  dem  kleinen  Ort 
Luc-en-Diois^  der  noch  den  alten  Namen  bewahrt  hat,  sprechen 
für  die  kurze  Zeit  der  Blüthe  von  Lucus  Augusti. 

Nur  wenige  Meilen  von  Luc  entfernt,  in  gebirgiger  Ge- 
gend liegt  auf  dem  rechten  Ufer  der  Drome  am  Fusse  eines 
Hügels  das  Städtchen  Die,  das  alte  Dea  Augusta,  das  ohne 
Zweifel  der  keltischen  Sitte  gemäss  sich  oberhalb  der  heutigen 
Stadt  an  dem  Hügel  hingezogen  hat.^  Der  Name  erscheint 
weder  bei  Plinius,  noch  bei  irgend  einem  älteren  Schriftsteller ; 
dagegen  finden  wir  ihn  in  den  Itinerarien^  als  Station  der 
obenerwähnten  Strasse  von  Italien  nach  Gallien,  zwölf  Miglien 
von  Lucus  entfernt,  und  da  in  der  Notitia  Galliarum  die  civitas 
Deenstum^  unter  den  civUates  der  provinda  Viennensis  vertreten 
ist^    so  muss   sie,    wahrscheinlich   nach   dem  Niedergang  von 


^  Itiner.  Anton,  p.  357:  Lueo;  itiner.  Hierosol.  p.  554:  maruio  Ijueo, 

3  Es  sind  nur  sieben,  die  jüngste  (XII,  1692  =  Allmer,  Bull,  de  la  Drdtne 

1873,  S.  257)  allerdings  noch  aus  dem  Jahre  514. 
3  Dass  dieselben  sich  in  einem  See,  der  im  Jahre  1442  einen  Kilometer  von 
Luc  entfernt  sich  durch  einen  Bergsturz  gebildet  hat,  befinden  und  noch 
sichtbar  seien,  bezeichnet  der  genaueste  Kenner  dieser  Gegend,  Long, 
in  der  oben  angeführten  Abhandlung  S.  409  als  eine  Fabel:  jM.  Walcke- 
naer  et  plusieur*  auteuvM  placenl  V  ancien  Lucus  dan9  ce  lae,  S(ü' 
vaing  de  BoUsieu  et  Charter  croyaietU  votr  dam  »e»  eaux  U»  ruine»  de 
eetle  ville.  .  .  .  Ce$  pritenduei  ruinea  dans  le  lac  de  Lfic  appartenaient  ä 
de»  rette»  d^habUation»  rurcdea  qui  avaient  dl£  engfoutie»/ 

*  Long  a.  a.  O.  S.  374:  yÜne  partie  de  Paneienne  tnüe  itaü  bdtie  »ur  le 
pfaieau  eompri»  dan»  Tencemte  de  »e»  rempart»:  depui»  longtemp»  eet  em^ 
plaeement  e»t  cuUivL  Die  i^itendaU  »ur  le  penehant  de  la  eoUine  oh  »e 
trouve  cette  partie  hahiUe  appeUe  Chaetd  (Castellum),  et  »e  diveleppaü 
dan»  la  plaine,* 

^  Itiner.  Anton,  p.  357:  Dea  Boeantiorum;  itiner.  Hierosol.  p.  554:  civita» 
Dea  Voeontianim;  tabul.  Peuting.:  ad  Deam  Boeontiorum. 

*  Notit  Gall.  XI,  7;  der  Bischof  von  Dea  erscheint  seit  dem  Jahre  517 
oft  in  den  Concilienacten  des  sechsten  Jahrhunderts.  —  Als  ic^t(  lioXCa^ 
bezeichnet  die  Stadt  flüschlich  Stephan.  Bjaant.  s.  v.  üia. 


298  Hirschfeld. 

Lucus  Augußti,  Stadtrecht  erhalten  haben J  Aber  beredter 
als  diese  mageren  Notizen  spricht  für  die  Blüthe  und  verhalt- 
nissmässige  Bedeutung  der  alten  Stadt  die  Fülle  von  Inschrifteiiy 
die  hier  und  in  der  nächsten  Umgebung  gefunden  oder  aus 
den  im  frtthen  Mittelalter  aufgeführten  Wällen^  zum  Vorschein 
gekommen  sind.  Allerdings  hat  Dea  niemals  eine  politische 
Rolle  gespielt;  aber  es  war  sicherlich  schon  in  keltischer  Zeit 
das  religiöse  Centrum  des  Vocontier- Gebietes  und  hat  diese 
Stellung  bis  in  die  späte  Eaiserzeit  bewahrt.  Hier  war  die 
Cultstätte  der  keltischen  Göttin  Andarta,^  nach  welcher  der 
Ort  ohne  Zweifel  seinen  Namen  Dea  Augusta  (so  wird  auch 
die  Andarta  regelmässig  in  den  Inschriften  genannt),  oder 
ursprünglich  vielleicht  ad  Deam  Auguatam  Vocontiorum^  fiihrt. 
In  späterer  Zeit  scheint  der  Cult  der  phrygischen  Göttermutter  * 
an  die  Stelle  getreten  zu  sein,  der  hier  noch  in  der  Mitte  des 
dritten  Jahrhunderts  der  Kaiserzeit  unter  Assistenz  der  Priester 


1  In  einer  Inschrift  von  Arles  (XII  n.  690  ==  Henzen  n.  5223)  führt  sie 
sogar  den  Titel  col(onia),  vielleicht  aber  nur  durch  ein  Versehen  des 
Concipienten  der  Inschrift,  da  dieser  Titel  ihr  weder  in  den  sonst^en 
Inschriften  beigelegt  wird,  noch  derselbe  überhaupt  zu  dem  Yerfas- 
sung^chema  der  Vocontier  passt. 

2  Vgl.  Artaud,  Voyage  ä  DU,  bei  Miliin,  ÄnnaU»  encydop^diquea  1818,  1, 
S.  180 ;  Long  a.  a.  O.  S.  393 :  ,La  conatruclion  dea  remparta  remonte  plu» 
haut  aux  dSveutcUions  des  peuplea  du  Nord,  dea  Lombarda  et  dea  Sarraains, 
,  ,  .  On  relire  aouvent  dea  remparta  en  ruinea  dea  inacr^tuma.^  Florian 
Vallentin,  Dicouvertea  arehMogiquea  faUea  en  Dauphini  pendant  Vannfe 
1879  (Grenoble  1880),  p.  27  ff.:  ,La  plupart  dea  monumerUa  de  Vipoque 
romaine  provenant  de  Die  .  .  .  orU  6U  extraüa  dea  remparta  de  eette  müe^ 
oü  Von  n'a  jamau  rencontri  de  fragmenta  du  moyen  dge.  .  .  .  Lea  rem- 
parta  de  Die  aubaiatent  encore  en  grande  partie  au  nord-eat  de  la  viüe^ 
le  quartier  a'appeüe  Chaalel,^ 

3  Der  Name  ist  nicht  mit  Sicherheit  zu  erklären,  vgl.  Zeuss,  Gramm,  cell. 
2.  Aufl.,  S.  859  und  867.  Ehrklärungsversuche  sind  zusammengestellt  bei 
Florian  Vallentin:  Eaaai  aur  lu  dioiniiia  indigkea  du  VoeonUum  (Gre- 
noble 1877)  S.  28  ff. 

*  So  heisst  sie  in  der  Peutinger'schen  Tafel:  ad  Deam  Boeontioruwn^  vgl. 
Xn  n.  1529  «=  Hersog  n.  489:  ßamfinia)  Aug(u$ti)  et  muükerfiaj  pubUd 
curatforiaj  ad  Deam  Aug(uatam)  Voe(ontiarum), 

^  Dass  Andarta,  wie  Einige  angenommen  haben  (vgl.  dagegen  Vallentin 
a.  a.  O.  S.  29  ff.),  mit  Cybele  zu  identificiren  sei,  soll  damit  natttrlich 
nicht  behauptet  werden. 


Gallische  Studien.  299 

aus  den  umliegenden  Städten  Valentia,  Arausio,  Alba  Helvia* 
blutige  Taurobolienopfer  dargebracht  wurden.  —  Neben  dem 
Göttereult  hat  nur  der  Kaisercult  Einlass  gefunden,  von  dem 
die  hier  gefundenen  Inschriften  der  Flamines.  Flaminicae  und 
Seviri  Augustales  i',  in  denen  nicht  selten  der  Name  der  Stadt 
dem  Titel  hinzugefügt  wird,^  zeugen,  während  Denkmäler  von 
Beamten  in  Dea  gar  nicht  zu  Tage  getreten  sind.*  Im  Verein  mit 
den  religiösen  Festen  sind  femer  selbstverständlich  die  von  ihnen 
unzertrennlichen  Gladiatorenspiele  und  Thierhetzen  gefeiert 
worden,  *  und  es  ist  für  den  exclusiven  Festcharakter  der  Stadt 


»  C.  J.  L.  XII  n.  1567  =  Herzog  n.  450  vom  J.  245;  andere  Tauro- 
bolieninschriften  XII  n.  1568— 1569  =  Herzog  n.  451— 452;  in  dem  Garten 
des  Doctor  Long  (jetzt  Lamorte-F^lines),  der  gewissermassen  das  epigra- 
pfaisehe  Museum  von  Die  bildet,  befindet  sich  ausserdem  noch  ein  Tauro- 
bolienaltar  ohne  Inschrift,  aber  mit  dem  Opfermesser  und  den  anderen 
üblichen  Instrumenten,  lieber  die  in  Die  gefundenen  Taurobolienaltäre 
vgl.  Delacroix,  StatUtique  du  cUpartemenl  de  la  Drome  S.  477.  Beachtung 
verdient,  dass  ein  Vialor  Sahini  filiiu  ein  Taurobolium  in  Lactora  in 
Aquitanien,  dem  Hauptsitz  des  Tauroboliencultus  in  Gallien,  vollzieht 
(Grut.  30,  3  SS  Memoire»  dea  antiquairea  de  France  XIII,  tab.  3  n.  12 
p.  142;  der  Schrift  nach  gehört  die  von  mir  gesehene  Inschrift  wohl 
noch  dem  ersten  Jahrhundert  an),  der  mit  dem  Vialor  SMni  /(iliusj 
einer  Sepulcralinschrift  aus  dem  Vocontier-Gebiet  (XII  n.  1516  =  Herzog 
n.  494)  identisch  sein  dfirfte.  Vielleicht  darf  man  demnach,  die  Identität 
vorausgesetzt,  die  Vermuthung  wagen,  dass  die  religiösen  Centren  des 
Tauroboliencultns  in  Gallien  in  enger  Beziehung  zu  einander  gestanden 
haben. 

3  Es  möge  hier  genügen,  auf  die  Zusammenstellung  in  C.  J.  L.  XII  zu 
verweisen. 

3  C.  J.  L.  Xn  n.  690  (Herzog  460),  n.  1371  (Allmer,  BuU.  de  la  Drome 
18^6,  p.'210),  n.  1529  (Herzog  489),  n.  1581  (Yallentin,  Divin.  indig, 
S.  34  Anm.  1).  Vgl.  die  Inschrift  von  Nimes  bei  Herzog  n.  194. 

*  Dass  ein  Grabmonumetlt  von  einem  praetor  und  flamen  hier  seiner  Gattin 
errichtet,  ist  (XII  n.  1586  =  Herzog  n.  457),  spricht  natürlich  nicht 
dagegen. 

^  C.  J.  L.  ^IT  n.  1529  (Herzog  489):  muneria  puhlici  curatfor)  ad  Deam 
Äugfuatam)  VoefontiorumJ ;  n.  1590  (Herzog  468) :  coUfegiumJ  venatorfum) 
Deenaium  gut  miniaterio  arenario  fungunt  (vgl.  8neton,  Nero  c.  12: 
confectorea  ferarum  et  aaria  harenae  miniateria  und  C.  J.  L.  VII  n.  830: 
venatorea  BamieaeaJ',  XH  n.  1596  (Long,  p.  404):  Inschrift  einee  aeetUor-^ 
n.  1586  (Herzog  n.  453)  ein  curator  muneria  gladiatori(i)  VWiani,  dem 
der  ordo  Voeontior(um)  ex  corutnau  et  poatulalione  populi  ein  Monument 
in  Dea  setzt:  o6  praecipuam  eiua  in  edendia  apeetaeuUa  liberatiteUem. 


300  HirBchfeld. 

bezeichnend,  dass  die  spärlich  in  den  Inschriften  auftretenden 
Gewerbetreibenden  oflfenbar  nur  solche  sind,  die  zur  Zurüstong 
der  Opfer  und  für  die  Bedürfnisse  der  fremden  Festbesucher 
erforderlich  waren:  ein  Fleischhändler,  eine  Salbenverkäuferin, 
ein  Geldwechsler,  ein  Schreiber.  *  Auch  die  öffentlichen  Sclaven 
der  Vocontii,  die  nur  an  diesem  Orte  vertreten  sind,  werden 
zur  Dienstleistung  bei  den  Opfern'  und  Festlichkeiten  verwendet 
worden  sein  ;  so  fehlen  nur  noch  die  Händler  mit  Heiligenbildern 
und  Reliquien,  um  die  Analogie  mit  unseren  modernen  Wall- 
fahrtsorten vollständig  zu  machen. 

Wie  Dea  das  religiöse  Centrum  der  Vocontier  gebildet  hat, 
so  ist  Vasio,  das  Plinius  an  erster  Stelle  als  Hauptort  derselben 
bezeichnet,  offenbar  der  politische  Mittelpunkt  gewesen  und 
dauernd  geblieben.  Der  Name  vielleicht  hergeleitet  von  dem 
Flüsschen  (heute  VOuveze)^  an  dessen  rechtem  Ufer  die  alte 
Stadt  sich  befand,^  während  das  heutige  Vaison  auf  dem  linken 
Ufer  der  Ouvfeze  an  einem  Hügel  sich  hinzieht,  bezeugt  gleich 
den  ähnlich  auslautenden  Städtenamen  Arausio  und  Avennio 
den  keltischen  Ursprung,  und  wahrscheinlich  hat  Vasio,  begün- 
stigt durch  seine  Lage  in  fruchtbarer  und  lieblicher  Gegend, 

1  C.  J.  L.  XII  n.  1593  (ined,):  maeeUarius;  n.  1594  (Herzog  472):  unguen- 
taria;  n.  1597  (Herzog  470):  argentariu»;  n.  1592  (Herzog  471):  Ubra^ 
riiM  (die  im  Text  gegebene  Uebersetzung  des  auch  in  anderen  Bedeu- 
tungen gebrauchten  Wortes  liegt  wohl  am  nächsten). 

2  C.  J.  L.  XII  n.  1595  (Herzog  461):  Vocfontiorum)  Hn^m»);  n.  1598 
(AUmer,  BiJJL  de  la  DrSme  1871/72,  p.  359):  Vocfontiorum)  $eHu  (sie) 
fvictimajntu;  die  von  mir  gegebene  Ergänzung  (Allmer*s  Vorschlag 
arenarius  ist  nicht  zulässig)  scheint  mir  für  den  Charakter  des  Ortes 
am  angemessensten. 

'  Vgl.  Courtet,  Dictiormaire  du  dipaHement  de  Vauduae  (2.  Aufl.,  Ayignon 
1876)  S.  3415  s.  v.  Vtuion:  jLapartie  sur  la  rive  gauche  est  bdtie  en  amphi' 
thSdtre  sur  Um  fiatm  dkune  eoUvM  e$carp4e:  c^est  la  nouvdle  vtUe,  qui 
aera  bientSt  la  vieiUe  ä  aon  tour.  OeUe  de  la  rive  droUe  eat  IfäUe  en  pUnme, 
9ur  Vemplaeement  de  Vaneierme  eiti  gaUo^romaine.  Ct  quartier  a  etmHroi 
le  nom  de  la  VilUuae  ou  vieille  vüle*;  cf.  Suaresins,  Chorogr,  dioece»,  Vaato- 
netu,  y.  3  ff.:  vaattUaque  Herum  a  Gothü  Ärabieque  Mupremum  |  Raifmundus 
prineepe  intutit  txitium;  |  atque  uhi  aurgebtU  fani*  ae  turribu»  attt«,  |  hihiü 
Megetet  isreictmt,  ViUatieimque  vocarU.  Ueber  die  ZersUSrung  der  alten 
Stadt  durch  Raymund  V.  Grafen  von  Toulouse  vgl.  Courtet,  Revue 
archiol.  8,  1851,  8.  312  ff.  Ursprünglich  dürfte  allerdings  das  keltische 
Oppidum  auf  dem  Hügel  gelegen  und  erst  in  römischer  Zeit  in  die 
Ebene  hinabgestiegen  sein. 


Oalluehe  StadieD.  30 1 

Bchon  lange  vor  der  römischen  Occupation  den  Vorort  der 
Vocontier  gebildet^  ähnlich  wie  Vienna  als  Metropole  und  Sitz 
der  vornehmen  AUobroger  bezeichnet  wirdJ  Diese  Stellmig 
der  Stadt  tritt  äusserlich  darin  deutlich  zu  Tage,  dass  unter 
dem  Namen  Vcisiensea  Vocontii  nicht  die  Bewohner  des  städ- 
tischen Territoriumi ;  sondern  die  Bürger  des  ganzen  Gebietes 
der  Vocontier  bezeichnet  werden,^  ebenso  wie  der  Name 
Viennenses  auch  im  officiellen  Gebrauch  in  der  Kaiserzeit  voll- 
ständig an  die  Stelle  der  AUobroges  getreten  ist  und  die  civäas 
Viennenaium  das  gesammte  Gebiet  von  der  Rhone  bis  zu  den  Alpen 
und  dem  Genfersee  in  sich  begreift.'  Daher  wird  man,  wie  später 
noch  gezeigt  werden  soll,  unter  den  Beamten  der  Vasiefises  Vo- 
contii Beamte  des  ganzen  Gebietes  zu  verstehen  haben,  während 
der  Stadt  Vasio,  die  den  Beinamen  lulia,^  vielleicht  schon  seit 
Caesar,  gefUhrt  zu  haben  scheint,  ein  eigener  Präfect,  vergleichbar 


1  Strabo  IV,  1,  11  p.  186:  'AXX(^ßpiY£(  ot  ^  aUoi  x(D(i.7)8bv  («^viv,  ot  S'eici- 
9av^9tocTot  TTJv  05{evvav  Ij^ovre^,  x(ü[jly]v  7cp^T£pov  o^aav,  (jLYjip^noXiv  d*  o|x(i>(  tou 
IBvouc  Xr]fO[iivif]v  xdtTEaxEudSxxai  noXiv.  Vgl.  Kuhn,  Entstehung  der  Städte 
S.  193. 

'  Vgl.  was  S.  308  über  den  praetor  Vafientium  Vocontiorum  und  S.  306 
Anm.  5  über  die  Priester  gesagt  ist.  Bemerkens werth  ist,  dass  diese 
Bezeichnung  sich  bis  jetzt  nur  in  Inschriften  von  Vasio  selbst  ge- 
funden hat;  es  mOgen  daher  streng  genommen  nur  die  in  Vasio 
ansässigen  Gemeindebürger  so  bezeichnet  und  nur  abusiv  in  den 
Magistrats-  und  Priestertiteln  der  Name  in  weiterem  Sinne  verwendet 
worden  sein.  Aehnlich,  wenn  auch  nicht  ganz  identisch,  ist  die  Stel- 
lung von  Aventicnm,  vgl.  Mommsen  im  Hermes  XVI  S.  480. 

'  C.  J.  L.  XII  n.  113  (AUmer,  Intcriplian»  de  Vienne  I  n.  10)  im  Jahre  74 
n.  Chr.:  0»,  Pinarius  Cornef(nuJ  CUmens  .  .  .  inter  Vtennense»  et  Ceti- 
irofia»  terminavU;  ein  duovir  Viennennum  in  einer  Lyoner  Inschrift: 
AUmer  II  n.  172.  Vgl.  über  diesen  Gebranch  Benier,  Revue  arehiologique 
16,  1859,  S.  363  ff.;  AUmer  II  p.  110  ff.;   Kuhn  a.  a.  O.  S.  193  und  439. 

*  Nur  unter  dieser  Voraussetzung  scheint  mir  die  in  Vado  gefundene  In- 
schrift, die  der  Schrift  nach  ins  erste  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  zu  ge- 
hören seheint,  C.  J.  L.  XII  n.  1357  (Herzog  433)  zu  erklären:  Va- 
nensfeaj  Voefanlii)  C.  Sappio  C.  JUio  Vol/ftnia)  Flavo  praffeet(o)  Mien- 
Hmn  ...  gut  H8  \3^\  rei  pubÜcae  lulieiuium  quod  ad  JI8  \XXXX\ 
ueturie  perdueereiur  tettamento  reUquüy  idem^  H8  Z  ad  porlieum  ante  ther- 
ma»  marmiaribuM  omandam  hgaoU,  Denn  weder  wird  man  bei  der  re9 
pulHca  luUensium  mit  Henzen  (zu  n.  6948)  an  Forum  lulii  denken  dürfen, 
noch  mit  Herzog  (zu  n.  433),  der  übrigens  sonst   richtig  die  lalienses 


302  Hirsclifeld. 

den  später  zu  besprechenden  praefedi  pagorum,  vorgesetzt  ist.* 
Dass  die  Stadt  aber  auch  das  Cognomen  Augusta  gehabt  habe, 
ist  dagegen  eine  ebenso   unrichtige  Behauptung^  ^   als  dass  sie 


als  die  EUnwohner  von  Yasio  erklärt,  die  preiefectura  Julieruium  als  eine 
praefectura  cohortii  Vocontiorum  fassen,  noch  schliesslich  mit  Renier  (bei 
Desjardins,  Table  de  Peutinger  S.  439)  die  Julienses  für  Bewohner  eines 
pagus  oder  viöua  der  Yocontier  halten  dürfen.  Abgesehen  von  dem  Fund- 
ort in  der  Hauptstadt  selbst  spricht  dagegen  die  Höhe  der  geschenkten 
Summen  (1,200.000  Sesterzen,  die  durch  Zinsen  auf  vier  Millionen  ge- 
bracht werden  sollen)  und  die  Bestimmung  des  Legates  yon  60.000  Se- 
sterzen, wonach  bereits  Thermen  mit  einem  Forticus  vorhanden  waren, 
was  offenbar  auf  einen  nicht  ganz  unbedeutenden  Ort  hinweist.  Auf  ähn- 
liche Benennungen,  wie  Segini  luliensesy  hat  bereits  Herzog  a.  a  O.  hin- 
gewiesen; Tgl.  auch  DeÜefsen,  Index  zu  Plinius  S.  215  s.  y.  lulienses  vluS. 
die  coloni  luUeiue» .  in  der  eohnia  Opsequen»  lulia  Pisana  bei  Wilmanns 
n.  883. 
*  Ausser  dem  praefecttu  lulienfium  findet  sich  ein  allem  Anschein  nach 
mit  demselben  identischer  praefecltu  Vaaiennum  (über  den  pra^fectuM 
Vocontiorum  vgl.  S.  310  Anm.  2)  in  einer  im  Jahre  1860  zu  Vasio  im 
alten  Theater  gefundenen  Marmorinschrift,  die  sich  jetzt  in  Avignon  im 
Mus6e  Calvet  befindet  und  meines  Wissens  nicht  publicirt  ist.  Ich  theile 
sie  nach  meiner  Copie  mit  (XH  n.  1375): 


UV 

RVF  VS 
praef.  /FABR^PRAEF/^ 


^ 


«a  S  I  fe  N  S  •  II      Ä  E  DVOC 
p%OSCÄE  r^WMRMORfe 

O  RN  A  R  I  •  ■£  STÄMENI VSST 
V  E  T  V  STATE-  CONSVMPT-RPREST 

Die  Inschrift  gehört  der  schönen  Schrift  nach  spätestens  dem  zweiten 
Jahrhundert  an,  und  da  es  am  Ende  heisst:  vetuitate  conntmptfum)  r(e») 
pfublica)  re9t(Un\t),  so  wird  der  erwähnte  praefectu»  Vanentium^  nach 
dessen  testamentarischer  Bestimmung  das  Proscaenium  des  Theaters  mit 
Marmor  ausgeschmückt  worden  ist,  wohl  in  die  erste  Kaiserzeit  zu  setzen 
sein;  dass  daher  diese  Präfectur  auch  in  späterer  Zeit  noch  fortbestanden 
hat,  ist  vorläufig  nicht  zu  erweisen.  Dass  es  sich  hier  um  das  (in  der 
Stadt)  höchste  Amt  handelt,  wird  durch  die  Iteration  desselben  wahr- 
scheinlich; ob  der  aedfili»)  VocfonlioruvO  als  Landesbeamter  jedoch  im 
Range  höher  gestanden  hat,  ist  nicht  sicher,  wenn  auch  die  prarfeeüira 
fahr^im,  in  der  Regel  frühzeitig  bekleidet  zu  werden  pflegt  und  man  daher 
die  Aemterfolge  für  eine  aufsteigende  zu  halten  geneigt  sein  möchte. 
3  Dieselbe  beruht  nur  auf  der  falschen  Erklärung  der  Abkürzungen  in  der 
Inschrift    einer  flam(imca)  lul(iae)  Äug(u$taeJ   (also    der  Livia  vor  der 


OaUische  Stadien.  303 

den  Titel  einer  Colonie  besessen  habe ;  vielmehr  wird  sie  nur, 
abgesehen  von  der  allgemeinen  Bezeichnung  reapublicay^  in  einer 
allerdings  nicht  ganz  unverdächtigen  Inschrift  ^  dmtas  V(M(ie7i8iym) 
genannt.  Unter  den  blühendsten  Städten  des  narbonensischen 
Gallien  führt  sie  ein  Schriftsteller  der  ersten  Kaiserzeit  ^  auf  und 
sie  allein  erwähnt  im  Vocontier-Gebiete  der  Geograph  Ptolemaeus; 
später  erscheint  sie  nur  bei  Sidonius,  in  der  Notitia  Galliarum  -* 
und  in  den  Concilacten ;  auch  die  zahlreichen  in  und  bei  der 
Stadt  gefundenen  Inschriften  bieten  für  die  Stadtgeschichte  kaum 
einen  £rtrag  imd  die  Seltenheit  der  in  ihnen  erwähnten  Hand- 
werkergilden (fahrt  centonarü  imd  opifices  lapidarii)  spricht 
nicht  für  eine  bedeutende  Entwickelung  der  Industrie.  Ohne 
Zweifel  ist  Vasio,  das  entfernt  von  den  grossen  Strassen  weder 
politisch,  noch  commerciell  eine  Rolle  spielen  konnte^  stets  eine 
von  der  römischen  Cultur  kaum  berührte,  ackerbautreibende 
Landstadt  geblieben. 

Das  Gebiet  der  Vocontier  zerfiel  nach  gallisch -germani- 
scher* Sitte  in  eine   Anzahl   von  Gauen   (pagi),  deren  Namen 


Apotheonrnng  durch  Claudius)  Vaa(iennuin)  VoefonUarumJt  XII  n.  1363  = 
Henzen  u.  5222)  wo  die  Neueren,  obgleich  Henzen  bereits  die  richtige  £r- 
klftrung  gegeben  hat,  ItU(ia)  Auß(u»ta)  Vtufione)  Voc(orUiorumJ  ergänzen. 

1  C.  J.  L.  XU  n.  1282  (Herzog  n.  439)  und  n.  1376  (tnecf.);  über  die  res 
publica  luliermum  s.  oben  S.  301  Anm.  4. 

3  C.  J.  L.  Xn  n.  1381  (Moreau  de  V^rone  Voeaneea  p.  130). 

'  Fomponius  Mela  II,  76. 

*  Ptolemaeus  IX,  10,  7;  Sidonius  epp.  V,  6  und  VII,  4:  Vcuioneme  oppi- 
dum;  Notitia  Galliarum  XI,  10:  eivitaa  Vatiennum, 

^  Vgl.  die  Zusammenstellung  der  pagi  in  Gallien  aus  Schriftstellern  und 
Inschriften  bei  Deloche  Etüde»  tur  la  giogt'ophie  hUtorique  de  la  Oaule 
in  Memoire»  de  Vaead.  dee  inscr,  sir,  II  t.  4,  1860,  S.  346  ff.  und  besonders 
8.  373  ff.  Longnon,  Qiographie  dela  Oaule  au  Vh  tikcU^.  24  ff.  Waitz, 
Deutsche  VerfassungsgeschichteyP  S.222  und  die  dort  angeführten  Schriften. 
Baumstark,Urdeutsche  Staatsalter thOmer  S.  330 ff.  Mommsen  im  Hermes  16 
S.  460  ff.  und  S.  483  ff.,  dessen  Worten  (S.  460):  ,wo  sonst  (ausser  in  den 
helvetischen)  in  den  gallischen  Inschriften  pagi  begegnen,  scheint  das 
Wort  in  dem  eigentlich  italischen,  von  jenem  gallischen  wesentlich  ver- 
schiedenen Sinn  gesetzt  zu  seinS  ich  jedoch  betreffs  der  pagi  bei  den 
Vocontiem  und  Allobrogem  nicht  beipflichten  kann.  Wo  der  pagus,  wie 
hier,  als  eine  unter  eigenen  Beamten  stehende  Unterabtheilung  der  Civitas 
auftritt,  entspricht  er  ohne  Rücksicht  auf  seine  Grösse  durchaus  dem  Be- 
griffe des  keltisch-germanischen  <3raus,  wie  ihn  Waitz  a.  a.  O.  Anm.  1  mit 
Recht  definirt:  Jede  civitas  hat  die  pagi  als  Unterabtheilungen;   diese 


304  Hirschfeia. 

noch  grossentheils  erhalten  sind.  So  nennt  Plinius  Aenpagus  Veiten 
comacorumf^  vielleicht  eines  ursprünglich  unabhängigen^  später 
zum  Vocontier-Gebiet  geschlagenen  Stammes.  Dieser^  wie  die 
übrigen  inschriftlich  bezeugten  pagi,  ^  sind  als  grössere  Unterab- 
theilungen und  Verwaltungsbezirke  der  dmtas  zu  fassen,  welche 
von  freigeborenen  Präfecten^  und  von  ihnen  im  Range  unter- 
geordneten Aedilen  ^  verwaltet  werden^  die  in  ihren  Befugnissen 


m()geii  an  Grösse  verschieden  gewesen  sein*  (vgl.  ebendas.  S.  223  Anm.  1); 
anch  gibt  Mommsen  (a.  a.  O.  Anm.  1)  selbst  zu,  dass  der  Unterschied  mehr 
quantitativ  als  qualitativ  sei;  aber  auch  an  GrOsse  hat  vielleicht  s.  B.  der 
pagus  Vertacomacorum  den  helvetischen  nicht  nachgestanden.  —  Heimat»- 
bezeichnung  n&ch  pcigua  und  vicut  findet  sich  in  Cemenelum  an  der  Grenze 
der  Narbonensis:  C.  J.  L.  V  n.  7923,  vgl.  add.  p.  931  (darnach  ist  allem 
Anschein  nach  gefälscht  die  Inschrift  bei  E.  Blanc,  EpigraphU  de»  Alpes 
MariHme9 1  p.  94)  und  in  Pannonien  (C.  J.  L.  VI  n.  3297,  vgl.  Voigt,  Drei 
epigraphische  Constitutionen  ü,  lll)t  wofür  in  Moesien,  Thracien,  Syrien 
regio  und  vicut  eintritt  (vgl.  Marini,  Ärvali  S.  476;  Archliol.-epigr.  Mit- 
theilungen aus  Oesterreich  IV,  S.  127).  Ganz  eigenthümlich  ist  der  Ge- 
brauch von  pagu»  (für  conipctganif)  in  zwei  britannischen  Inschriften : 
C.  J.  L.  Vn  n.  1072 :  pagua  VeUoM»  milüfanäj  coh(orU)  U  Twng(rwmm) 
und  n.  1073:  pagu9  CondruttU  mUi{t(<nuJJ  in  cohforte)  II  Tvmgrorum, 

*  Plinius,  n.  h.  UI,  124:  oria  Novaria  ex  Verlamaeoris,  VocanHonnn  kodier 
que  pagOf  non  (ut  Calo  exUHmaf)  Ligurum;  der  beste  Codex  Leidensis 
(A)  hat  nach  Detlefsen  uertamoeoriä ,  der  Riccardianus:  uertaeonuicori» ; 
ob  Detlefsen  im  Text  und  Index  mit  Recht  Vertamaeoria  schreibt,  ist 
mir  zweifelhaft.  Gegen  die  gewöhnliche  Identification  dieses  pagua  mit 
dem  heutigen  Vercora  im  Norden  des  Vocontier- Landes  erklärt  sich 
Longnon,  Geographie  S.  25  Anm.  4. 

^  Ueberliefert  sind  folgende  Namen:  Aleianua,  Bag,y  Bo.  .  .  .,  DeobemaiU^ 
EpoliuSf  luniua  (vgl.  die  folgenden  Anmerkungen). 

3  C.  J.  L.  Xn  n.  1529  (Herzog  n.  498):  praef,  pagi  EpoH-,  n.  1376  (BevM 
archioU  n.  »,  19,  1869,  p.  301):  prwf,  vigintivirorum  pctgi  Deobenaia; 
n.  1307  (LongpMer,  Bull,  archiol.  de  VÄUiinaeum  frangaia  I,  p.  16, 
unsicheren  Fundortes,  aber  wahrscheinlich,  wofür  auch  die  Dedication 
Malria f  deren  Cult  hier  sehr  verbreitet  war,  spricht,  aus  dieser  Gegend): 
praefectua  pagi  luni;  n.  1371  (Allmer,  Buü,  de  la  Drdme  1876  p.  210): 
pfutef.  Bo  ,  ,  ,  iiory  wo  schwerlich  Bo/con/tior  zu  ergänzen  ist;  n.  1708 
{ined.f  gefunden  in  Le  Pögue):  praef.  pafgi  .  .  .,  der  Name  ist  verloren. 

«  C.  J.L.Xn,  n.  1377  (Herzog  n.  447):  aed(il%aJpag(iJBag.;  n.  1711  (Herzog 
448):  aedUi  pagi  Aletani  (vielleicht  schon  ausserhalb  des  Gebietes  der 
Vocontier);  n.  1564  (Allmer,  ßulL  de  la  Drdme  1873  p.  183):  aed(iUa) 
iler(umj  ohne  Zusatz,  wahrscheinlich,  da  die  Inschrift  fem  von  den 
städtischen  Territorien  gefunden  ist,  ebenfalls  auf  einen  pagua  oder  viel- 
leicht vicua  zu  beziehen. 


Omilisoke  StadMO.  305 

durchaus  dem  römischen  Vorbilde  entsprochen,  ^  aber  allem 
Anschein  nach  keine  CoUegen  zur  Seite  gehabt  haben.^  Auch 
bei  den  benachbarten  Allobrogem  hat  sich  diese  nationale 
Eüntheilung  des  Landes  erhalten ,  jedoch  nur,  was  Beachtung 
verdient,  in  dem  östlichen  gebii^gen  Theile  ihres  Territoriums : 
in  Savoyen,'  während  dieselbe  in  dem  der  Colonie  Vienna 
näher  gelegenen  Gebiete  schon  frühzeitig  geschwunden  sein 
dorfie.  Die  grösseren  und  kleineren  Ortschafiten  (vici)  der  Yocon- 
tier,  die  Plinius  unter  den  neunzehn  oppida  ignobäia  versteht 
und  von  denen  nicht  wenige  sich  mit  grösserer  oder  geringerer 

^  Vgl.  die  interessante  Inschrift,  ron  der  ich  einen  guten  Abklatsch  der 
freundlichen  Intervention  des  Herrn Tribnoalrathes  Accariasin  Grenoble 
Tordanke,  C.  J.  L.  XII  n.  1377  (Herzog  n.  447):  L.  Veraäut  RtuticuM  aed(i' 
U»)  P^ftj   Bog,  leg.  hmn^fieiaria  ex  rnuifü»)  et   aere  fraeto,   d.  h.  eine 
Widmong  ans  den  8tra%eldem  (muUae  =  ae»  muUaiieium)  und  den  als 
nicht  richtig  befundenen  and  daher  von  den  Aedilen  kraft  ihrer  Amts- 
gewalt zerbrochenen  Maassen  nnd  Grewichten  (framgere  ist  der  technische 
Ausdruck  dafftr,    vgl.  die  Beispiele    bei  Mommsen   8t.  E.  11  >   8.   4S9 
Anm.  2).  Ganz  entsprechend  dem  aere  frado  heisst  es  in  anderen  Aedilen- 
insehriften  bei  Wümanns    n.  724:  ptmarioe  fobrieandoe  ex  metr felis  et 
ponderihju»  migni»  ...  cwaioenmf,  und  n.  2113:    ex  iniquUatibne  men- 
Mmranam.  et  ponder(tattJ .  .  .  aed(iUtJ  dateram  aereo(m)  et  pendera  <Ueret(o) 
deemrfkmmmj  ponenda  curavenmt.    Die  Ergfaznng  von  Ug.  bleibt  zweifel- 
haft; Mommsen  {AnmaU  ddV  InaHhUo  1854  8.  43  ff.  und  8tadtrechte  von 
Salpensa  und  Malaca    8.  460  Anm.  175)  erklärt  leg(ata  et)  hen^tdaria: 
fOMto,   comg  cretfo^  i  danarj  ripoed  mel  iempio  eia  per  doncaUone  te»tamen- 
taria.  Ha  per  aUro  heai^iaMif';  mir  scheint  die  Eigiazung  Ug(e)  benefidaria 
vorzuziehen,  worunter  vielleicht  (obschon  der  Ausdruck  ben^Uiaria  auf- 
fiUlig  ist)  eine  allgemeine  Yorschiift  betreffiB  der  Verwendung  der  fOr 
Öffentliche  Wohlthaten  bestimmten  Gelder  zu  verstehen  ist. 
'  Sowohl  die  Priiecten,  als  die  Aedilen  treten  in  den  bis  jetzt  bekannten  In- 
schriften durchaus  ohne  Ck>llegen  auf,  und  besonders  spricht  die  in  der 
vor.  Anm.  erörterte  Stiftung  aus  Offientlichen  Stra%eldem  gegen  die  Col- 
legialitit,  da  man  sonst,  wie  in  anderen  ahnlichen  Insehrifteo,  bei  einem 
solchen  offidellen  Act  beide  Aedilen  vertreten  zu  sehen  erwarten  mOsste. 
>  Frht^tm  mnd  drei  pagi,  deren  Namen  jedoch  in  den  Inschriften  simmtlich 
abgekürzt   sind,  nebst  ihren  Prifeeten:   pagm»  Dia.   (Allmer  tnwr.  de 
Viemme  11  n.  219,  in  HauteviUe  bei  Bomillj  gefunden),  pagm»  Ott.  (Allmer 
n  n.  221 :  Aoste  auf  der  Grenze  von  Is^«  und  Bavoie),  pagu»  Valer.  (Allmer 
n  n.  220:  St-Sigismond  bei  Albertville);  die  beiden  letzteren  Namen  sind 
wohl  von  den  GentUnamen  Oetaivims  und  Vaieriu»  abgeleitet,  der  erste  viel- 
leicht zu  eigiazen  DiitCnetuie).  Dass  auch  hier  die  vid  Unterabtheilungen 
des  pagmt  bilden,  wird  durch  die  zweite  Inschrift  bestitigt,  in  der  der 
prae/feetaej  pagi  OeL  den  vioamfi  Aujguslami,  d.  h.  den  Bewohnern  von 
flitBWipWr.  d.  yluL-Ust.  GL    Cm.  Bd.  L  Hft.  20 


306  Hirschfeld. 

Wahrscheinlichkeit  benennen  und  localisiren  lassen^  <  haben 
keine  eigene  oder  doch  nur  untergeordnete  Localbehörden  ^ 
gehabt. 

Blicken  wir  nun  auf  die  Verfassung  des  gesammten  Ge- 
bietes der  Yocontier,  so  ergibt  sich  sofort^  dass  dasselbe  als 
eine  einzige  dvitas  im  gallischen  Sinne  fortbestanden  hat  und 
verwaltet  worden  ist.  Schon  äusserlich  tritt  dies  darin  zu 
Tage,  dass  abgesehen  von  den  Militärinschriften  die  Bewohner 
des  Gebietes  schlechthin  als  Vocontier  bezeichnet  werden ;  ^ 
deutlicher  noch  in  der  Existenz  der  oben  erwähnten  servi  Vo- 
contiorum,  am  schärfsten  aber  in  der  Thatsache,  dass  sowohl 
der  Gemeinderath,  als  auch  die  Beamten  und  Priester*  durch- 
aus als  der  ganzen  Civitas,  nicht  als  einem  bestimmten  Orte 
derselben   zugehörig   bezeichnet   werden.^     Angaben   über  die 


Aoste  ein  Geschenk  macht.  —  Der  angebliche  pagua  Luminu  (Allmer 
III  n.  775)  ist  allem  Anscheine  nach  dem  Namen  des  Fundortes  Limonj 
fd4p.  de  VArdhehe)  zu  Liebe  gefälscht. 

'  Plinius,  n.  ^.3^  37:  oppida  vero  ignohilia  XIX,  tieut.  XXIV  Nemautemsi- 
bus  adtHhuta.  Wahrscheinlich  haben  dazu  gehört  S^gustero  (Sitteronjy 
Mons  Selencus  (Mont-ScU^on) ,  Alaunium  (AulunJ]  andere  sind  nicht  so 
sicher  zu  localisiren,  vgl.  Vallentin,  Bull,  de»  Hauten- Alpe»  1  S.  24  ff. 

'  Dahin  gehören  wohl  die  vielleicht  sacralen  curatorea  in  der  im  Vocontier- 
Gebiete  gefundenen  Mars-Inschrift  (XII  n.  1566  =  Long  p.  371),  wenn  sie 
nicht  nur  für  diesen  bestimmten  Fall  bestellt  worden  sind.  —  Ueber  die 
deeem  lecti  in  Aquae  (Aix-en-Savoie),  vergleichbar  den  in  einigen  CoUegien 
vorkommenden  decemprimi,  vgl.  meine  Restitution  der  Inschrift  bei  Allmer, 
Revtte  4pigr,  du  Midi  I  S.  351.  Selbst  die  bedeutenden  Orte  Cularo  und 
Genava  stehen  bekanntlich,  so  lange  sie  vici  von  Vienna  sind,  d.  h.  bis 
ins  vierte  Jahrhundert,  unter  viennenirtschen  Beamten,  nur  ist  in  Genava, 
wie  auch  in  italischen  Vici,  die  Aedilität  als  Vicanalamt  nachweisbar: 
Allmer  II  n.  225. 

3  Justinus  43,  6,  11;  Plinius,  n,  h.  7,  78  und  29,  64;  C.  J.  L,  V  n.  7822; 
Herzog  n.  178;   Allmer  III  n.  371. 

*  Dies  ist  bereits  von  Long  und  A^lni^  hervorgehoben  worden. 

°  Dass  als  Functionsort  der  Priester  der  Name  Dea  Augusta  zuweilen 
hinzugefügt  wird,  kann  nach  unseren  obigen  Ausführungen  nicht  da- 
gegen geltend  gemacht  werden.  Abgesehen  davon  führen  die  Gotter- 
wie  die  Kaiserpriester  oder  Priesterinnen  entweder  keinen  Zusatz  oder 
werden  sogar  ausdrücklich  als  Priester  der  Vocontii  oder  Vusiefue»  Vo- 
cofUii  bezeichnet,  vgl.  Xn  n.  1362  =  Deloye,  ^!cole  de»  charte»,  sir.  II 
vol.  4  p.  308:  flamimc(a)  Voifieruium)  VocContiorum) ;  n.  1363  =  Henzen 
n. 5222, s.S.  302  Anm.2;  n.  1366  =  Herzog  nAS6:ßafninic(a)VocConeiorum); 
n.  1667    =    Herzog  n.  460:    »acerdfosj  civitatis  VocContiorumJ.     Nur  der 


GalUfch«  Studien.  307 

Competenz  des  ordo  Vocontiorum^  dessen  Mitglieder  in  der 
älteren  Zeit  den  ehrenvolleren  Namen  Senator  geführt  zu  haben 
scheinen^^  nnd  über  die  Mitwirkung  des  Volkes  bei  der  Gesetz- 
gebung und  den  Wahlen  fehlen  leider  vollständig,^  wahrschein- 
lich war  jedoch  die  Verfassungsform^  wie  überhaupt  in  den 
gallischen  Civitates  nach  Abschaffung  des  Königsthums,  eine 
durchaus  aristokratische.^  Neben  dem  Qemeinderath  oder  rich- 
tiger wohl  als  engerer  Executivausschuss  desselben  findet  sich, 
etwa  vergleichbar  den  Fünfzehnmännem  in  Massalia  und  den 
3exflhcp(i)T0(  in  asiatischen  Städten/  aber  durchaus  abweichend 
von   römisch -municipalen  Verfassungsformen   und   daher   wohl 

»exfvirj  Aug(uataU9)  Va»,  (XII  n.  1370  =  Herzog  n.  438)  hat  Vielleicht 
zum  Unterschied  von  den  in  Dea  befindlichen  Sexviri  den  Zusatz  Vtuione 
geführt;  doch  ist  die  Richtigkeit  der  Copie  dieser  verlorenen  Inschrift 
nicht  zweifellos. 

^  In  einer  nur  von  Peiresc  handschriftlich  Überlieferten  Inschrift  (XII 
n.  1614)  aus  Manosque  wird  ein  T.  VtriaHtL»  PrUeui  Mti.  Voe,  genannt, 
was,  die  Richtigkeit  der  Copie  vorausgesetzt,  eine  andere  Deutung  kaum 
zulässt.  Dazu  kommt  eine  fragmentirte  Inschrift  von  Die  (XII  n.  1591 
=  Long  p.  467):  LDDSV,  die  wohl  l(0coj  d(ato)  dfecretoj  s(enatu»J 
V (ocf/ntiorum)  aufzulösen  sein  wird,  und  die  analoge  Formel  in  der  In- 
schrift des  coU(tgium)  venator(um)  Deentium  (XII  n.  1590  =  Herzog 
n.  468):  [l(oco)]  d(ato)  ex  d(ecreto)  ifenatusj  V(ocontu>rumJy  denn  die  von 
Henzen  (n.  7209)  vorgeschlagene  und  von  Herzog  angenommene  Er- 
gänzung ex  d(ecreto)  s(olutoJ  v(oto)  ist  nicht  zulässig.  —  Später  tritt 
dann  der  Titel  decurio  auf  (Herzog  n.  456  und  wohl  auch  in'  einigen 
nicht  ganz  sicher  zu  ergänzenden  Fragmenten).  —  Senattu  wird  der 
Rath  der  gallischen  Civitates  bekanntlich  oft  von  Caesar  genannt,  vgl. 
die  mir  während  des  Druckes  durch  die  Freundlichkeit  des  Verfassers 
zugegangene  gründliche  Abhandlung  von  Gustav  Braumann:  Die  Prin- 
cipes  der  Gallier  und  Germanen  bei  Caesar  und  Tacitus,  Berlin  1883, 
S.  17  und  dazu  Cicero,  Catil.  UI,  5,  10 ff.;  ebenso,  um  von  italischen 
Städten  zu  schweigen ,  in  der  ciüU<u  foedercUa  Boeckorüanorum :  C.  J.  L. 
n  n.3696,  vgl.  ebenda»,  n.  1343.  1669  undC.  J.  L.  X  n.  10525. 

3  Kaum  angeführt  zu  werden  verdient  in  dieser  Hinsicht,   dass  der  ordo 
Voconliorum  in  Dea  ein  Monument  setzt  ex  eoneeneu  et  poHulatione  po- 
ptdi:  XII  n.  1585  =  Herzog  n.  453. 

3  Caesar,  b,  O,  VI,  13,  1:  in  omni  Gallia  eorum  kominumj  qui  aUquo  eunt 
numero  iUque  hanore,  genera  »unt  duo  (vgl.  §.  3:  alterum  ett  druidunty 
alterum  equUum);  nam  plebes  paene  eeroorum  habetur  loco,  quae  nihil 
audet  per  <e,  nuüo  adhibetur  eoneilio.  Vgl.  dagegen  Braumann  a.  a.  O . 
S.  16  ff.,  dessen  Ausführungen  ich  jedoch  betreffs  der  Volkssouveränität 
nicht  beipflichten  kann. 

*  Harquardt,  Staatsverwaltung  I'  S.  214. 

20» 


308  Hirschf«Id. 

ebenso  wie  die  undecemviH  in  Nemausus  als  national -keltische 
Institution  anzusprechen ,  ein  CoUegium  von  zwanzig  Männern/  zu 
deren  Befugnissen  gewiss  nicht  allein  die  Bestellung  der  proe- 
fecti  pagorum,^  sondern  wahrscheinlich  die  gesammte  Executive 
gehört  hat  und  die,  wie  alle  Oberbeamten  der  civitas  Vb- 
conüorum  ihren  Sitz  in  Vasio  gehabt  haben  werden.  Ducvirn 
oder  Quattuorvim,  wie  sie  den  römischen  Colonien  und  Muni- 
cipien  eigen  sind,  fehlen  hier  durchaus;  an  ihrer  Statt  finden 
sich  Prätoren,  mit  und  ohne  den  Zusatz  Vasiensium  oder  Vcuien- 
8%um  Vocontiorumy^  die  bekanntlich  auch  sonst,  abgesehen  von 
Italien,  in  verschiedenen  Städten  des  narbonensischen  Gallien^ 
und  vereinzelt  auch  in  Spanien  ^  in  der  ersten  Kaiserzeit  nach- 

*  Am  nächsten  stehen  diesen  Zwansigmftnnem  die  undeeimviri  in  Kemansiia 
(Herzog  n.  109:  ////  vir(umj  et  XI  virfumj  {rgl.  anch  die  cirtensische 
Inschrift  C.  J.  L.  VIII  n.  7041:  prineep»  ei  undecimprimus  genii»  Saboi' 
dumjf  während  die  in  einigen  spanischen  Städten  vor  Ertheilung  des 
latinischen  Rechts  auftretenden  decemviri  (C.  J.  L.  II  n.  1953  mit  Anm. 
nnd  add.  n.  5048:  X  v(irj  tnaxiniua)  andere  Beamte  wohl  fiberhanpt 
nicht  neben  sich  gehabt  haben.  Dass  die  Zwanzigcahl  bei  den  Yocontieni 
in  Zusammenhang  mit  den  19  oppida  ignohüia  nebst  Vasio  stehe,  ist, 
wenn  auch  der  einundzwanzigste  Ort  Lucus  Aug^sti  vielleicht  erst  romi- 
schen Ursprunges  sein  dflrfte,  sicherlich  nicht  anzunehmen. 

2  C.  J.  L.  XII  n.  1376  (Bertrand,  Revue  archSoL  n,  t.  19,  1869  p.  301:  ge- 
funden bei  S^guret  in  der  Nähe  ron  Vaison,  jetzt  im  Museum  von  St- 
Germain) :  Valeri(i)  Maximi  .  .  .  pra/ef(eeti)  vigintioircrum  pagi  De6benti9^ 
der  demnach  Ton  den  Zwanzigmännern  bestellt  sein  muss.  Dass  der 
Zusatz  bei  den  Präfecten  sonst  fehlt,  beweist  nicht,  dass  diese  Bestell 
lung  nur  ausnahmsweise  erfolg^  ist. 

'  C.  J.  L.  XII  n.  1369  (Herzog  n.  432):  prfaetori)  Va»(ien»ium)  y  ob  am 
Schlüsse  Voi  (otUiorum)  ausgefallen  ist,  bleibt  fraglich,  ebenso  bei  n.  1371 
(Allmer,  BulL  de  la  DrÖme  1876  S.  210:  py(aetor%)  Vfan  .  .  ./.  Ohne  Zu- 
satz n.  1586  (Herzog  n.  457,  in  Die  gefunden):  praetor,  flamen,  vgl.  n.  1584 
(Allmer,  Bull,  de  la  Dr$me  1873  S.187  mit  Ergänzung):  fpraet/arf /tarnen/. 

^  Vgl.  Herzog,  de  praeiorünu  Oalliae  Narhoneruis  municipaltbue  (Leipzigs 
1862)  und  Hietoria  öaiUae  Narbonentü  S.  56  £f.  und  S.  213  £f.;  Pritoren 
sind  nachweisbar  in  Narbo,  Nemausus,  Carcaso,  Aquae  Sextiae  (Avennio 
ist  zu  streichen,  vgl.  S.  309  Anm.  3),  also  mit  Ausnahme  von  Narbo  nur  in 
Städten  latinischen  Rechtes.  Die  praetore»  dwnnri  in  Narbo  und  die 
praeloree  quattuoroiri  in  Nemausus  bilden  deutlich  die  Uebergangsstufe 
von  den  Prätoren  zu  den  gewöhnlichen  Magistratsnamen.  —  Ueber  die 
Prätoren  in  Latium  vgl.  Henzen,  Anuali  delt  inatituto  1859  S.  196  £f.; 
Marquardt,  Staatsverwaltung  I^  S.  148. 

s  Bis  jetzt  nur  sicher  nachweisbar  in  dem  oppidmn  /oederatmm  Bocekorita- 
norum:  C.  J.  L.  II  n.  3695  vom  Jahre  6  n.  Chr.;  wahrscheinlieh  sind  aber 


Oalliteh«  StBdien.  309 

weisbar  sind.  Gewiss  ist  der  Grund  fiir  das  häufige  Auftreten 
dieses  Titels  in  Gallien  nicht  mit  Herzog  ^  darin  zu  suchen^  dass 
man  die  Institutionen  der  übrigen  Städte  nach  dem  Beispiel 
von  Narbo,  wo  Prätoren  sich  finden,  gestaltet  hat,  sondern 
vielleicht  darin,  A&sq  praetor  als  der  passendste  Titel  für  den  Nach- 
folger des  obersten  gallischen  Beamten :  des  vergohretus,  wie  er 
wenigstens  bei  den  Aeduern  heisst,^  erscheinen  musste.  Dem- 
nach dürfte  vielmehr  umgekehrt  der  Titel  praetor  in  Narbo, 
wo  er  nur  in  Verbiiftlung  mit  duovir  erscheint,  den  obersten 
Magistraten  beigefügt  sein,  um  sie  den  gallischen  Municipal- 
beamten  zu  assimiliren.  Vollständig  analog  diesen  Prätoren  der 
Vocontier  ist  der  Prätor  der  in  vielfacher  Hinsicht  den  Yocon- 
tiem  nahestehenden  Volcae  Arecomici,^  der  wohl  noch  der 
Zeit  vor  der  Erhebung  von  Nemausus  zur  latinischen  Colonie  ^ 


auch  in  Celsa  auf  Münzen  der  Triomyiralzeit  pr(aetor9t)  duoviri  und 
pr(attoru)  quinqummalea  mit  Lenormant,  La  monnaiit  dana  VanHquiU  HL 
8.  227  ff.  anzunehmen.  Auch  in  CalagurriB  haben  unter  Augustus  vielleicht 
praetorei  duomri  fungirt,  vgl.  die  Mttnze  C '  MAB '  M  VAL  *  P£  *  IIVIR  ' 
Eekhel,  d.  n.  I  p.  40  =  Cohen  m^aüUä  imp^ialet  V  p.  156  n.  677. 

1  Herzog,  de  praetoribu*  p.  34:  ,u2  tanium  peculiare  huie  provinciae  est, 
ul  quo  tempore  alibi  praetorum  nomen  prope  aboUtum  erat,  eodem  in  OalUa 
novi  imtUuti  eint  praetoree.  Quod  nuUa  alia  ex  eaui»a  factum  eaee  cenaeo 
quam  ex  Narbonie  MaHii  exemplo*. 

2  Caesar,  b.  0,  I,  16,  6;  ,RechtAwirker*  übersetzt  Mommsen,  R.  G.  III* 
8.  235,  vgl.  Zeuss,  Gramm,  celt.  2.  Aufl.  8.  857:  ,iudieio  e/fieazV 

'  C.  J.  L.  XII  n.  1028  (Herzog  n.  403):  T.  Cariaiue  T(üi)  f(iUua)  pr(aetor) 
Voicarfum)  dat.  Die  Ton  Mommsen  bei  Herzog  vorgeschlagene  Ergänzung 
Volefano)  arfamj  dal  iBt,  wie  bereits  von  Anderen  hervorgehoben  ist  (vgl. 
Garrucd,  Bull  deü*  instituto  archeoL  1860  S.  220,  aylloge  inaer.  Latin. 
TL  2221),  nicht  zulässig,  da  zwischen  VOLC  und  AB  auf  dem  (auch  von 
mir  gesehenen)  Stein  kein  Punkt  steht  und  derselbe  auf  dieser  sehr  sorg- 
fältig eingehauenen  Inschrift  nicht  fehlen  dürfte ;  eher  konnte  man  sonst, 
was  aber  ebenfalls  nicht  zulässig  erscheint,  geneigt  sein,  nach  Analogie 
der  Mttnzau&chriften  VOLC  |  AB  (de  la  Saussaye,  Numiamatique  de  la  Gaule 
Narbannaiae  8. 149,  vgl.  Herzog,  G.  N.  8.  53  Anm.  38)  Volefarum)  Ar(e- 
eamieorum)  zu  ergänzen. 

*  Die  Zeit  der  Verleihung  des  latinischen  Bechtes  an  Nemausus  ist 
nicht  sicher;  Mommsen  (BOm.  Gesch.  III*  8.  553  und  BOm.  Münzwesen 
8.  675)  schreibt  sie  Caesar  zu,  jedoch  ist  sie  vielleicht,  worüber  an 
einem  anderen  Orte  zu  handeln  sein  wird,  erst  später  vollzogen  worden. 
Nach  der  schOnen  und  alten  8chrift  gehört  die  Inschrift  von  Avignon 
(Facsimile  bei  Garrucci  ayUog.  Taf.  2  n.  9),  wozu  das  Fehlen  des  Cog- 
nomen  passt,  wahrscheinlich  noch  der  republikanischen  Zeit  an.  —  Auf 


310  Hirsehfeld. 

angehören  wird,  und  hier,  wie  bei  den  Vocontiera,  möchte  ich 
annehmen,  dass  abweichend  von  dem  in  den  Colonien  und 
Munieipien  sonst  durchgeführten  römischen  Princip  der  Colle- 
gialität  nur  ein  Prätor  an  Stelle  des  einstigen  Fürsten  oder 
Oberbeamten  an  die  Spitze  der  civitcu  getreten  sei.'  Wie 
lange  diese  Prätoren  fortbestanden  haben ,  ist ,  da  die  be- 
treffenden Inschriften  sämmtlich  der  älteren  Kaiserzeit  ange- 
hören, nicht  festzustellen,  und  möglicherweise  sind  später  an 
ihre  Stelle  praefecti  Vocontiorum  getreten,  von  denen  uns  ein 
Beispiel  in  einer  fragmentirten  und  verlorenen  Inschrift  ^  er- 
halten ist.  Aber  wahrscheinlicher  erscheint  mir  die  Annahme, 
dass  beide  Magistrate  in  der  Weise  nebeneinander  fungirt  haben, 
dass    den   Präfecten   als   einer    den   Prätoren    untergeordneten 


nähere  Beziehangen  zwischen  den  Vocontiem  und  Nemausas  deutet 
übrigens  die  in  Vaison  gefundene  keltische  Inschrift:  C6rOMAPOG| 
OriAAON€OC  I  TOOmorC  l  NAMArCAIIC  I  €!ÖPOr  BHAH  (  GAMICOGIN  | 
NeMHTON,  nach  Pictet's  Erklärung  {Revue  arehM.  n.  #.  16, 1867  S.  385 ff.): 
Segomaroe  ViÜoneo»  (fiUueJ  ni€tgittratue  Netnaueenn»  ^ffeeit  Belieamae 
hoece  fanum  (über  Minerva  Bdieama  vgl.  Orelli  n.  1431).  Die  Inschrift 
dürfte  trotz  der  schlechten  und  oberflächlich  eingehauenen  Schrift  doch 
spätestens  unter  Augustus  gesetzt  worden  sein. 

1  Mit  Sicherheit  ist  darüber  freilieh  bei  der  geringen  Zahl  der  Inschriften 
nicht  zu  entscheiden,  aber  sowohl  der  Umstand,  dass  die  Dedication  in  der 
Inschrift  von  Avignon  nur  von  einem  Prätor  vollzogen  wird,  als  auch, 
was  S.  305  Anm.  2  über  die  Beamten  der  pagi  bemerkt  ist,  und  vor  Allem 
die  von  Caesar  (6.  G,  VII,  32,  3)  und  von  Strabo  (IV,  4,  3  p.  197)  betonte 
NichtcoUegialität  bei  den  Beamten  der  Gallier  (vgl.  Braumann  a.  a.  O. 
S.  22)  empfiehlt  diese  Annahme.—  Die  Angabe  GaesarV(&.  69^.  VI,  23,  5):  tn 
paee  ntUlu»  est  communi»  mtiffietrahu,  »ed  prindpee  regionum  atque  pago- 
rum  inier  9uoa  tu«  dicunt  eontrovertiatque  minuunt,  wird  man  keineswegs 
von  den  Germanen  auf  die  in  Cultur,  wie  staatlicher  Entwicklung  weit 
htJher  stehenden  Kelten  übertragen  dürfen,  wenn  auch  Spuren  grosser 
Selbstständigkeit  der  pagi,  z.  B.  in  dem  Auszug  des  pagua  THgtirifnfu  bei 
den  Helvetiern  (Caesar,  h,  G.  I,  12)  hervortreten  und  im  Norden  Galliens 
der  staatliche  Verband  ein  sehr  lockerer  gewesen  sein  dürfte,  vgl.  Caesar, 
b.  G.  IV,  22,  5  und  dazu  Braumann  a.  a.  O.  S.  13. 

2  C.  J.  L.  Xn  n.  1578  (Herzog  n.  474,  gefunden  in  Luc;  nach  Angabe 
älterer  Abschreiber  war  die  Schrift  schon,  also  wohl  aus  guter  Zeit) :  FeUx 
praef(ectu8)  Voc(ontiorum),  Gb  der  oben  (S.  302  Anm.  1)  besprochene 
prete/ectu»  Vtuiennum  mit  dem  praefectus  Vocontiorum  identisch  ist,  lässt 
sich  aus  dem  bis  jetzt  vorliegenden  Material  nicht  entscheiden.  Die  Prae- 
fecten  etwa  als  Stellvertreter  der  Praetoren  (entsprechend  den  municipalen 
praefecti  pro  duovirit  oder  quattuorvirut)  zu  fassen,  halte  ich  fUr  uniulässig. 


GftUJMk«  Staaten.  311 

MagiBtratur  die  Aufsicht  über  die  Sicherheit  des  Landes  ob- 
gelegen habe.  In  einer  verlorenen  Inschrift  ans  Le  Rastean 
bei  Vaison^  die  uns  nur  handschrifUich  in  einer  Copie  aus  dem 
finde  des  sechzehnten  Jahrhunderts  überliefert  ist,  >  kehrt  der  Titel 
pra^ectusy  aber  in  ausführlicherer  Fassung  wieder.  Die  Inschrift 
ist  folgendermassen  überliefert: 

D     •  M  • 

L  •  LAELI  •  FORTVNATI 
PRAEF  •  PRAESIDIO,  ET 
PRIVAT  •  VOC  FLA 
MINI  AVGPONTI 
FICl  LLAELIVS 
OLYMPVS  FILIO 
P    I    I    S    S    I    M    O 

Wahrscheinlich  stand  in  der  dritten  Zeile  an  Stelle  des  mit 
Nachsetzung  einer  Art  von  Komma  überlieferten  PRAESIDIO,  auf 
dem  Original  eine  von  dem  Abschreiber  missverstandene  Ligatur 
PRAESIDICR*  d.  h.  fraesidior(um)y^  ein  singulärer,  nur  hier  auf- 
tretender Titel,  der  aber  eine  passende  Illustration  in  den  das 
benachbarte  helvetische  Gebiet  betreffenden  Worten  des  Tacitus 
fiildet:  rapuerant  pecuniam  mUsam  in  gdpendtum  casteUi,  quod 
olim  HdvetU  suis  mäitibus  ae  stipendiis  tuebantur.^  Denmach  hat 
es  solche  casteUa  oder  praesidia  auch  im  Gebiete  der  Vocontier 
gegeben,  und  man  wird  in  dem  praefectus  praesidiorum^  wie 
bereits  Allmer  richtig  gesehen  hat,  den  Commandanten  der 
Municipalmiliz  zu  erkennen  haben,  vergleichbar  Aem.  praefectus 


I  C.  J.  L.  Xn  n.  1368  (AUmer,  B^L  de  la  DrSme,  1876  S.  S92). 

'  Daas  prae/eeim$f  wo  es  als  militärischer  Titel  auftritt,  in  der  Regel 
den  GenetiT  bei  sich  f&hrt,  ist  bekannt. 

'  Tacitus  kisicr.  I,  67,  Tgl.  Mommsen,  Die  Schweia  in  römischer  Zeit 
S.  21:  yBemerkenswerth  ist  es,  dass  noch  zn  6alba*s  Zwt  es  den  HeWe- 
tiem  gestattet  war,  im  eigenen  Lduide  von  ihnen  selbst  organisirte  and 
besoldete  Truppen  zu  halten,  was  yermathlich  zosammenh&ngt  mit  der 
grossen  durch  ihren  Gau  geführten  Militarstrasse,  deren  Sicherung  ihnen 
obgelegen  haben  wird/  Das  olim  bei  Tacitus  soll  übrigens  nicht  besagen, 
da«  SU  seiner  Zeit  diese  Sitte  bereits  abgekommen  war,  sondern  ist  in 
der  in  der  silbernen  Latinit&t  nicht  seltenen  Bedeutung  (vgl.  Hand,  Tur- 
sellin.  IV.  S.  370,  6;  Heraens  zu  Tacitus  hütor.  I,  60)  ,seit  langer  Zeif 
zu  fassen. 


312  Hirachfeld. 

arcendü  latrociniü  bei  den  Helvetiern,^  dem  mckgitter  hagdfe- 
rorum  in  Vienna, -^  dem  praefectus  vigäum  et  armorum  in 
Nemausus^  und  anderen  ausserhalb  von  Gallia  Narbonensie 
erscheinenden  ähnlichen  municipalen  Commandanten.  *  Dement- 
sprechend  möchte  ich  den  zweiten  Theil  des  Titels  ergänzen: 
et  privatforum)  und  danmter  die  manus  privatay  d.  h.  die 
Municipalmiliz  der  Vocontier  verstehen. 

Den  Prätoren  und  Präfecten  standen  ohne  Zweifel  an  Rang 
die  aedües  Vocontiorum  nach/  die  nicht  mit  den  in  den  einzelnen 
pagi  fungirenden  Aedilen  zu  verwechseln  sind.  Fügt  man  zu  den 
genannten  Beamten  schliesslich  noch  einen  Vaafiensium  sermu)  ta- 
buLarius  ^  hinzu,  so  ist,  abgesehen  von  den  oben  besprochenen  «am 
VoconbUyrum  in  Dea,  der  ganze  Beamtenapparat  der  Vocontier,  so 
weit  er  ims  bis  jetzt  bekannt  ist,  erschöpft:  eine  Organisation, 
die,  abgesehen  von  den  Aedilen,  durchaus  unrömisch  ist  und  allem 
Anschein  nach  als  Bild  einer  keltischen  Civitas  mit  ihren  pagi 
und  ihren  theils  für  das  Gesammtgebiet,  theils  für  die  einzelnen 
Gauen  bestellten  Beamten  wesentlich  unverändert  sich  bis  in 
die  Kaiserzeit  erhalten  hat.  Sicherlich  wird  es  im  mittleren 
und  besonders  in  dem  von  römischer  Cultur  wenig  berührten 
nördUchen  Gallien  nicht  an  Beispielen  einer  ähnUchen  Conser- 
virung  nationaler  Verfassungsformen  gefehlt  haben,'  aber  leider 

1  Mommsen,  Inner,  Helvet.  n.  119. 

2  C.  J.  L.  Xn  n.  1814  (Allmer  H  n.  211). 
«  Vgl.  Herzog  G.N.  8.  223 ff. 

<  Vgl.  Jung,  Die  Militärrerhältnisse  der  provincioB  inermea  in  der  Zeitschiift 
für  die  österr.  Gymnasien  25,  1874  S.  668 ff.;  Marqoardt,  Staatsverwal- 
tung n  S.  520. 

5  C.  J.  L.  xn  n.  1375  (ined,),  n.  1514  (intd.),  n.  1579  (Allmer.  BulL  de  la 
Dröme,  1876  S.  307).  In  der  Inschrift  n.  1371  (Allmer,  a.  a.  O.  8.  210) 
ist  wohl  eher  ein  Aedil  eines  Pagus,  als  der  Vocontii  anzunehmen. 

^  C.  J.  L.  XU  n.  1283  (Bertrand,  Rwue  archSol  n.  «.  19,  1869,  8.  301). 
—  Der  angebliche  ab  tierfarioj  bei  Long  8.  305  ^  Herzog  n.  462  ist 
verlesen  aus  FRAER. 

^  Selbst  der  keltische  Priestertitel  guluater  ist  noch  in  zwei  InBchriften 
von  Le  Puy-en-Velay  und  M&con  erhalten:  Desjardins,  Oiographiel  8.  415 
Anm.  2,  vgl.  H  8.  511  Anm.  3:  ,il  seraU  posnble  qu'Hirlnu  (6.  O.  VÜI, 
38,  3)  eüt  pris  U  titre  »(icerdotal  de  ee  per§onnage  pour  un  nom  propre^ 
Dass  bei  Hirtius  für  das  in  den  Ausgaben  recipirte  OtUrualum  vielmehr 
Outuatrum  einzusetzen  ist,  erhellt  schon  aus  der  handschriftlichen 
Ueberlieferung,  vgl.  Duebner  (edü.  1867)  zu  der  Stelle:  fGutuairum 
hie  A  (das  sind  Faris.  5763,  Vat,   3864,    Moytiacerma)   praeter  B  {Bon- 


Oallitchc  Studien.  315 

auf  keltischen  Gebrauch  hinweist.  Auch  deuten  manche  An- 
zeichen darauf  hin^  dass  man  sich  nicht  ganz  leicht  und  nicht 
ohne  Missverständnisse  an  die  römische  Art  der  Namengebung 
gewöhnt  hat:  so  der  Gebrauch  eines  abgekürzten  Pränomens, 
das  die  Stelle  des  Namens  überhaupt  vertritt/  so  die  Benen- 
nung Pwpus  und  Pupa^  die  in  römischen  Inschriften  bekannt- 
lich nur  kleinen  Kindern  eigen  ist,  hier  aber  auch  für  ältere 
Personen  sich  mehrfach  '^  verwendet  findet.  Bemerkenswerth  ist 
femer  der  zwar  auch  in  anderen  Gegenden  vorkommende^  aber 
bei  den  Vocontiem  und  in  dem  benachbarten  Territorium  von 
Apta  besonders  häufige  Gebrauch,  die  drei  Namen  des  Dedi- 
canten  oder  des  Bestatteten  nur  mit  den  Initialen  zu  bezeichnen/ 
oder  sogar  auf  den  Grabsteinen  den  Namen  des  Todten  gar 
nicht  zu  erwähnen,  sondern  sich  einzig  und  allein  auf  die  An- 
gabe der  Maasse  des  zu  dem  Grabmal  gehörigen  Terrains  zu 
beschränken.^  Damit  dürfte  die  ganz  eigenthtimliche  Form  der 
Grabsteine  in  dieser  Gegend,  besonders  in  und  bei  Vaison,  zu- 
sammenhängen, die  mehr  Terminalcippen,  als  Grabsteinen  ähn- 
lich sehen  "^  und  offenbar  nicht  so  sehr  zu  dem  Zwecke  errichtet 
sind,  das  Andenken  an  den  Verstorbenen  zu  erhalten,  als  viel- 
mehr als  Grenzsteine  und  Documente  flir  den  Umfang  der  area 


des  Vaters  (v^l.  Hettner,  a.  a.  O.  S.  7)  abgeleitet  wird.  Ein  Mann  wird  als 
Sohn  der  Mutter  bezeichnet  s.  B.  in  einer  bei  Alais  {d4part,  du  Qard)  ge- 
fundenen Inschrift  (Germer-Durand,  Äead6mie  du  Qard,  1868/69  S.  143): 
/ttttwis  Mariaejüi. 

1  C.  J.  L.  Xn  n.  1296  (Long  S.  476):  L(uciu»)  CeUmi  ffiUuaJ;  n.  1314 
(Deloye,  Eeole  de»  eharta,  #^.  II,  t  4,  S.  316):  8ex(tu9)  Marcelli 
libfertM),'  n.  1322  (Deloye,  ibid,  S.  326):  Mareut  ausgeschrieben,  ohne 
Zusatz. 

a  C.  J.  L.  XU  n.  1640  (Grnt.  695,  3):  Seeundino  Pupi  filio;  n.  1678 
(Long  8.  466):  /VJerino  Pupi  ffilio),  Vera  Pupi /(ilia)',  n,  1727  (Orelli 
n.  2840):  Pupa  cimftjubemali», 

'  So  in  dem  Vocontier-Gebiete  Xu  n.  1287  (inedj:  M.  L  F.;  n.  1419 
(ined.J:  Q.  L.  B.;  n.  1446  (Long  8.  447;  das  Pränomen  ist  zerstört): 
8,  S.;  n.  1468  (Bertrand,  Bemte  archeoL  n.  s.  19,  1869  S.  301):  C  V.  R.; 
n.  1633  (VaUentin,  Visite  au  musde  de  Oap  S.  4):  [CJn,  H.  8.  Bei  an- 
deren ist  Pränomen  und  Qentile  nur  mit  den  Initialen  bezeichnet,  aber 
das  Cognomen  ausgeschrieben. 

*  C.  J.  L.  XII  n.  1476—1489. 

^  Zwei  sehr  häufige  Typen  dieser  Gattung  sind  nach  einer  Zeichnung 
Allmer*8  im  C.  J.  L.  XH  S.  162  in  Holzschnitt  mitgetheilt. 


314  Hirschfeld. 

und  inhaltleeren  lateinischen  in  grossen  Massen  vertreten  sind ;  ^ 
ein  Beweis  gegen  die  Fortdauer  der  Muttersprache  im  mündlichen 
Verkehre  ist  aber,  wie  Hettner  in  seinem  interessanten  Auf- 
satz: ,Zur  Cultur  von  Germanien  und  Gallia  Belgica'^  mit  Recht 
bemerkt;  aus  der  geringen  Anzahl  keltischer  Inschriften  gewiss 
nicht  zu  entnehmen.  Dagegen  haben  sich  keltische  Namen  hier 
noch  vielfach  erhalten,'  wie  auch  die  durchgängige  Hinzufugung 
des  Vaternamens,    bisweilen    selbst    ohne    den   Zusatz  fiUus,^ 


1  Ueber  die  keltische  Inschrift  aus  Vaison  s.  S.  S09  Anm.  4;  über  dia 
keltischen  Inschriften  von  Apta:  S.  292  Anm.  3.  Die  von  Becker  und  Pictet 
für  keltisch  oder  für  aus  keltischen  und  lateinischen  Worten  gemischt 
gehaltene  Inschrift  aus  Malauc^ne  bei  Vaison  (sie  ist  rechts  unToIl- 
st&ndig)?  SVBRON  |  8VMELI  |  VORETO  |  VIRIVSF  (XH  n.  1351  == 
Deloye,  EcoU  des  chartes  sÄr.  II  yoI.  4  p.  326;  besser  bei  Allmer,  Buü. 
de  la  Dr6me  1876  S.  208)  ist  gewiss  römisch;  w&re  sie  keltisch,  würde 
sie  in  griechischer  Schrift  eingehauen  sein.  —  Griechische  Inschriften 
bei  den  Vocontiern:  C.  J.  Gr.  III  n.  6780;  Long  S.  356;  Deloye,  Cangrh 
arcMol.  1855  S.  439  ff.;  AUmer  IV  n.  2032.  Die  Zahl  der  in  dem 
Vocontier-Gebiete  gefundenen  lateinischen  Inschriften  beträgt  etwa  450. 

3  Westdeutsche  Zeitschrift  II,  1883  8.  7.  Wenn  Hettner  übrigens  6.  25 
Anm.  2  dagegen  polemisirt,  dass  ich  in  meinem  Aufsatz  über  ,Lyon  in 
der  Römerzeit'  die  Intensivität  der  Romanisirung  in  Gallien  im  Vergleich 
zu  Germanien  zu  hoch  angeschlagen  habe,  so  bemerke  ich,  dass  ich, 
wie  aus  dem  Zusammenhange  hervorgeht,  dabei  nur  den  Süden  Galliens 
im  Auge  gehabt  habe.  Ueber  den  Gebrauch  der  keltischen  Sprache  in 
Gallien  während  der  Kaiserzeit  vgl.  Diefenbach,  Ofigines  Europaeae 
S.  157  ff.  und  Budinszkj :  die  Ausbreitung  der  lateinischen  Sprache 
(Berlin  1881)  S.  114  ff. 

'  So,  um  von  einigen  nicht  mit  Sicherheit  als  keltisch  zu  bezeichfieaC 
Namen  abzusehen:  AdciiUua,Adm<Uius  (wohl  auch  Ädrwiietwt)^  AfnMltr 
Caretuty    DaveriuSf    Coddonus^    lovincatua  (wohl   auch  das  zweimal 
kommende    loventius),    Licnua,    Lüugenus^    Lutemu,    Matto^    Afn. 
MogetuSf  Vaaaatu»  (f)^   Vcuatdo^   Vercatua,  Frauennamen :    Epato,  S 
Rütica. 

«  C.  J.  L.  XII  n.  1310  (Vallenün,  Bulletin  6pigraphique  I  S.  187):  /■ 
Solimuti;  n.   1348  (Procha  verhaux  de  VAcad.   du    Gard^   lS.07;6fi 
SedatuM  Sacrini.   —   Eigenthümlich  ist  bei   zwei  Frauen   (wohl 
und  Tochter)  die  Angabe  des  Namens  der  Mutter  an  Stelle  d* 
XII  n.    1433  (Allmer,  BuU.  de  la  I)r6nut  1876  S.  305):  Mod^^• 
ß(ia)  und   n.  1435   (Miliin   IV    S.    154):    Namuta  if-     ' 
finden  sich  ähnliche  Beispiele  auch  bei  den  Volcae 
nard,  Ntme»  VII  S.  401 :  Caauniae  Ccisunae  f(iliae)  S 
tile  der  Tochter  aus  dem  Namen  der  Mutter  gebilde 
Nordgallien   oft   das  Gentile  des   Sohnes  aus  dem 


Oilliich*  Bndioii.  316 

auf  keltiecheß  Gebrauch  hinweiet.  Aucb  deuten  manche  An- 
zeichen darauf  hin,  dass  man  eich  nicht  ganz  leicht  und  nicht 
ohne  MisBTerBt&ndnieBe  an  die  römische  Art  der  Namengebung 
gewöhnt  hat:  so  der  Gebrauch  eines  abgekürzten  Pränomeos, 
das  die  Stelle  des  Namens  überhaupt  vertritt,'  so  die  Benen- 
nung I^ipm  und  I\ipa,  die  in  rSmischen  Inschriften  bekannt- 
lich nur  kleinen  Kindern  eigen  iBt,  hier  aber  auch  fUr  ältere 
Personen  Bich  mehrfach  ^  verwendet  findet,  Bemerkenswerth  ist 
femer  der  zwar  auch  in  anderen  Gegenden  vorkommende,  aber 
bei  den  Vocontiem  und  in  dem  benachbarten  Territorium  von 
Apta  besonders  häufige  Gebrauch,  die  drei  Namen  des  Dedi- 
canten  oder  des  Bestatteten  nur  mit  den  Initialen  zu  bezeichnen,' 
oder  sogar  auf  den  Grabsteinen  den  Namen  des  Todten  gar 
nicht  zu  erwähnen,  sondern  sich  einzig  und  allein  auf  die  An- 
gabe der  Maasse  des  zu  dem  Grabmal  gehörigen  Terrains  zu 
beschränken.*  Damit  dürfte  die  ganz  eigenthUmliche  Form  der 
Grabsteine  in  dieser  Gegend,  besonders  in  und  bei  Yaison,  zu- 
sammenhängen, die  mehr  Terminalcippen,  als  Grabsteinen  ähn- 
lich sehen  ^  und  offenbar  nicht  bo  sehr  zu  dem  Zwecke  errichtet 
sind,  das  Andenken  an  den  Verstorbenen  zu  erhalten,  als  viel- 
mehr als  Grenzsteine  und  Documente  für  den  Umfang  der  area 


des  Vaters  (vgl.  Hettiier,  a.  a.  O.  8.  T)  abgeleitet  wird.  Ein  Hann  wird  als 
fiohn  der  Mutter  bezeichnet  i.  B.  io  einer  bei  AUa  (dipart.  du  Oard)  ge- 
Inichrift  (Germer-Donnd,  Aeaäimü  da  Oard,  1868/66  8.  143): 
Jffl.-iae  ßli. 
L.  Xn  Q.  Vi'JH  (LoDg  S.  -llj):  LfueiuiJ  Ceioni  j7iU»*^i  "■  131* 
Etole  des  rharta,  net.  II,  t.  1,  B.  SIS):  8ex(liu)  MaretlU 
ti.  132S  (Deloye,  ihitl.  ,S.  3^6):   Marctit   klugeHchiieben ,   ohne 

:f)      S«eundino    Pttpi  filio;    a.  1678 
.   Vitra  Pupi  y(Uia);   a.  1727  (Orelli 

1-287  finad.):  M.  I.  F.;  n.  U19 
,  -117;  da«  PritDomen  Ut  leratört): 
oL  n.  B.  19,  1869  8.  301):  C  V.  R.; 
U  llap  8.  4):  [CJn.  H.  S.  Bei  an- 
-  mit  den  IniUalen  beieicbnet,  aber 


Tj-peu    dieser   fiaitiing  and    Dach   einer   Zeichnung 
\U   -.  1><J  in  Ilolirtehnitt  mitgetheilt. 


.11  «. 

l«40    (Grill,   (i9ö. 

m):  , 

'  Vjerino  Pupi  f(\Uo 

*V" 

co„(tluhemali,. 

\     Vnr 

onlier-debiete  XII 

/( 

'. ;     11.    1145  (LuQfT   * 

iiitirnnd,  Rcciif.  orrh 

:„, 

in.    V'uite  au    munt' 

ii»n     nnA    Hnntjln    ni' 

wf  geschrieben. 

316  Hirsehfeld. 

sqpulcri  zu  dienen.  >  Die  Maasse  sind  zwar  nach  römischer  Weise 
in  Fassen  ausgedrückt,  aber  doch  hat  sich  noch  auf  einer  in 
Die  gefundenen  Inschrif);  das  gallisch -hispanische  Feldmaass: 
der  arepenrns  (daher  der  französische  Name  arpent)  erhalten.^ 
Auch  die  sacralen  Inschriftien  zeugen  von  der  zähen  Con* 
servirung  des  heimischen  Cultes.  Abgesehen  von  zahlreichen 
Dedicationen  an  die  von  Caesar  als  gallische  Nationalgötter 
bezeichneten  Mercurius,  Jupiter,  Mars  (mit  verschiedenen  Bei- 
namen), Minerva*^  und  an  andere  auch  sonst  überall  wieder- 
kehrende Gottheiten,  wie  Diana,^  die  Lares,  die  Nymphae,  Sil- 

1  Vgl.  auch  C.  J.  L.  Xn,  n.  1680  (Goirimand,  Aeod.  Delphinale  1876 
S.  126):  soium  Hpul(cr%)  8ex(H)  VtarviTU  Lepidi  itUra  termino9  longfum) 
p(ede»J  LX  latfum)  pfedes)  XX 

'  C.  J.  L.  Xn  n.  1667  (Herzog  n.  473):  dfu)  m(anibut)  liberarum  ae  eofWH- 
gitmt  (sie)  PuMieifi)  OaliiH  ei  ipnuet  eoneecrtUum  cum  het(9)e  vineae  arepfen- 
ni$X  ca?  cuttM  reditu  omnib(uä)  annu  proUbari  volo  ne  minui  XV  v(im) 
BefxtariisfJ,  Bfie)  tfumtäuäf)  hferedem)  n(<m)  sfequetur),  lieber  die  Be- 
zeichnung des  ac^iw  oder  setnüufferum  in  Baetica  und  Gallien  durch 
ar^tennia  (oder  c^rapennis)  vgl.  Hultsch,  Griechische  und  rOmische  Me> 
trologie,  zweite  Bearbeitung,  1882  S.  689  und  S.  692,  der  jedoch  diese 
Inschrift  nicht  erw&hnt. 

s  Caesar  6.  G.  VI,  17,  1  (vgl.  auch  die  S.  309  Anm.  4  erwähnte  keltische 
Dedication  an  die  BeUsama).  An  den  von  Caesar  ebenfalls  unter  den  zumeist 
verehrten  GOttem  genannten  Apollo  ist  in  diesem  Gebiete  nur  eine  In- 
schrift (Xn  n.  1276  =  Allmer,  Buü.  de  la  Dr6me  1876  S.  204)  gerichtet. 
Dass  übrigens  die  keltischen  Namen  dieser  Hauptgötter  in  den  Inschriften 
von  Gallien  kaum  nachweisbar  sind  (über  den  Altar  der  nauiae  Parifiaei 
vgl.  Mowat  hulL  ipigr,  1  &.  49  ff.  und  S.  111  ff.),  ist  gewiss  nicht  allein  aus 
der  Schnelligkeit  und  Intensivität  des  Assimilationsprocesses  zu  erkl&ren, 
sondern  vielmehr  durch  staatliche  Einwirkung  auf  die  Bomanisirung  des 
nationalen  Cultus  herbeigeführt  worden. 

*  Auch  Luna  ist  auf  drei  in  und  bei  Vaison  gefundenen  Dedicationen  ver- 
treten: xn  n.  1292  (V6rone,  Voecncea  S.  129)  und  in  den  bisher  unedirten 
Inschriften  n.  1293  und  1294.  —  Sol  und  Luna  sind  ohne  Zweifel  unter 
den  Igneg  aeUmi  in  einer  Inschrift  aus  dem  Ende  des  dritten  Jahrhunderts 
(Xn  n.  1551  =  Herzog  n.  564)  zu  verstehen  (vgl.  Jahn,  Arch&ologische 
Beitrüge  S.89;  Preller,  BOm.  Mythologie,  3.  Auflage,  8.326),  die  fälsch- 
lich von  Einigen  auf  die  in  der  Nähe  des  Fundortes  befindliche  F<m- 
taine  ardenU  bezogen  wird.  Eine  interessante  Parallele  bietet,  was  Caesar 
von  den  Germanen  sagt  (6.  G.  VI,  21,  2,  anders  Tacitus,  Gsmum.  c.  9): 
deorvm  numero  eo«  wlot  dwMtnt,  quoi  eemutU  et  quorum  tgperte  opilmt 
iuvantur:  Sclem  et  Vulcanum  et  lAtnam,  reliquo»  ne  fama  quidem  aece- 
perunt;  der  Cult  der  Luna  ist  demnach  hier  sicher  nicht  auf  orienta- 
lischen EinfluBS  zurückzuführen,  sondern  als  kelto-germanisch  anzusehen. 


OallUolie  Stadi«n.  317 

vanus,  Volcanus,  Victoria  nebst  den  orientalischen  Göttern  Isis, 
Magna  Mater,  Mithras  und  Belus,'  treten  Localgottheiten,  wie 
Vasio^  Alaunius,  Andarta,  Dullovius  ^  und  die  auch  in  janderen 
Gegenden  Galliens  nachweisbaren  Bormanus  und  Bormana^ 
die  Fatae,  die  Matres  und  die  Proxumae^  nicht  selten  in  dieser 
Gegend  auf.  Erst  spät  mag  hier  das  siegreich  vordringende 
Christenthum  die  alten  Götter  vollständig  verdrängt  haben  und 
wenn  auch  bereits  zu  Constantins  Zeit  in  den  Acten  des  ersten 
Arelatensischen  Concils  Vasio  als  Bischofssitz  genannt  wird,^  so 
sind  doch  christliche  Inschriften  wenigstens  in  dem  von  Vasio 
and  Dea  entfernteren  Gebiete  der  Vocontier  nur  ganz  ver- 
einzelt zum  Vorschein  gekommen.  — 

In  den  vorstehenden  Erörterungen  ist  der  Versuch  ge- 
macht worden,  auf  Grund  der  monumentalen,  leider  sehr  zer- 
trümmerten Ueberlieferung  ein  Bild  der  beiden  ^verbündeten 
Gemeinden'  der  narbonensischen  Provinz  in  der  Römerzeit  zu 
geben,  die  beide  ein  eigenartiges  Interesse  in  Anspruch  zu 
nehmen  geeignet  sind.  Auf  der  einen  Seite  die  glänzende 
phokäische  Meeresstadt,  griechische  Cultur  im  Westen  ver- 
breitend, lange  bevor  Roms  Name  nach  diesem  Theile  des 
Erdkreises  gedrungen  war,  und  selbst  nach  ihrer  politischen 
Vernichtung  ein  bedeutsamer  Träger  hellenischer  Bildung  in 
Gallien;  auf  der  anderen  Seite  ein  keltischer  Stamm,  der, 
kaum  in  den  Annalen  der  Geschichte  genannt,  fem  und  unbe- 


1  C.  I.  L.  Xn  n.  1277  =r  Renier,  Melange*  cP^pigropkU  S.  129  ff.,  der  g^e- 
wiM  mit  Unrecht  in  dem  Dedicaoten  den  Vater  des  Elagabal:  Sextus 
VarioB  Marcellas  erkennen  will. 

>  Ygl.  die  Zusammenstellung  bei  Allmer,  BulL  de  la  Drßme  1876,  S.  86  ff.; 
Florian  Vallentin,  E$9ai  9ur  lu  diviniUM  indigHes  du  Vocontium  (Grenoble 
1877),  der  auch  S.  13  einiger  ^tierrea  dnddique$*  im  Vocontier-Gebiete 
Erwfthnnng  thut. 

'  Vgl.  über  diese  besonders  im  Gebiete  von  Nemansns  verehrten  Göttinnen 
Signier  m^otr.  de  Vacad,  de  Dijon  I  1769  8.  442 ff.;  Aur^  mim,  de 
Vaead.  du  Gard  1869/70  S.  105 ff.;  Lndovic  Vallentin,  Bull,  de  ta  Dr6me^ 
1876  8.  316;  Florian  Yallentin,  Le  euUe  dea  Matrae  dam»  la  tiU  deeVo- 
eoneea  (Paris  1880)  8.  22  ff.  —  lieber  die  Fata  oder  Fatae:  Grimm, 
Deutsche  Mythologie  I<  S.  340. 

*  Ob  freilich  das  beigefügte  Yerzeichniss  der  nomina  epieeoporvm  cum 
clericu  euie  authentisch  ist,  scheint  mir  zweifelhaft.  Ueber  8.  Albinns, 
der  lur  Zeit  des  Alamannen-Ein£üles  in  Vasio,  Bischof  gewesen  sein 
soU,  ygl  Gallia  Chriatiana  (ed.  H)  Bd.  I  8.  921. 


318  Hirselifeld. 

rührt  von  dem  grossen  Getriebe,  sein  nationales  Gepräge  unter 
römischer  Hülle  mit  merkwürdiger  Zähigkeit  bewahrt  hat.  Der 
gewöhnliche  Bieschauer,  dessen  Blick  nur  durch  blendende^  auf 
der  Oberfläche  liegende  Erscheinungen  gefesselt  wird,  geht 
wohl  theilnahmlos  an  solchen  stillen  Existenzen  vorüber.  Aber 
gleichwie  der  Naturforscher  mit  Hilfe  des  Mikroskops  die  klein- 
sten^ dem  unbewaffneten  Auge  nicht  erfassbaren  Oi^anismen 
zu  ergründen  sich  bestrebt^  um  aus  ihrer  Erkenntniss  die  sicht- 
baren Erscheinungen  der  Natur  und  ihre  Gesetze  zu  erschliessen, 
so  wird  auch  der  Historiker^  der  nicht  daran  ein  Genüge  findet^ 
die  Berichte  seiner  antiken  Vorgänger  über  Krieg  und  grosse 
Staatsactionen  in  moderne  Form  zu  kleiden,  aus  der  Betrach- 
tung der  unscheinbaren,  aber  unmittelbaren  2ieugni88e  der  Ver- 
gangenheit den  Weg  zu  den  verborgenen  Schachten  zu  finden 
suchen,  in  denen  sich  der  ernsten  Forschung  ein,  wenn  auch 
nicht  unversehrtes,  so  doch  echtes  und  ungetrübtes  Bild  der 
antiken  Welt  erschliesst.  Eine  Geschichte  des  römischen  Kaiser- 
reiches hat  in  erster  Linie  die  Romanisirung  der  antiken  Welt 
in  allen  ihren  mannigfachen  Abstufungen  und  Verschiedenheiten 
zu  verfolgen,  den  Spuren  nationaler  Sitte  sorgsam  nachzu- 
gehen und  die  Widerstandskraft  derselben  gegenüber  dem 
Eindringen  fremder  Bräuche  und  Institutionen  zu  prüfen.  Viel- 
leicht nirgends  ist  diese  Aufgabe  so  lohnend  als  in  Gallien, 
wo  der  Romanisirungsprocess  erst  begonnen  hat,  als  das  kel- 
tische Volk  bereits  eine  lange  Bahn  durchmessen,  möglicher- 
weise sogar  bereits  erreicht  hatte,  was  ihm  auf  dem  Gebiete  des 
Staatswesens  zu  leisten  beschieden  warJ  Wohl  treten  in  den 
nördlicheren  Gebieten  Galliens  die  Ueberreste  nationaler  Eigenart 
deutlicher  zu  Tage  als  in  dem  von  römischer  Cultur  über- 
flutheten  Süden,  der  nach  Plinius'  bekanntem  Ausspruch  nicht  als 
Provinz,  sondern  als  ein  Theil  von  Italien  anzusehen  sei.  Aber 
doch  gilt  dieses  Wort  in  vollem  Sinne  nur  von  den  bedeutenden 
städtischen  Centren,  wie  Aquae  Sextiae,  Arelate,  Nemausus, 
Narbo  und  den  blühenden  Städten  längs  dem  Ufer  der  Rhdne 
bis  nach  Vienna  hinauf:  in  die  abseits  der  grossen  Strasse 
befindlichen  Gegenden  ist  nur  ein  vielfach  gebrochener  und 
abgeschwächter  Strahl  römischer  Cultur  gedrungen  und  in  den 


1  Vgl.  Mommsen,  Rom.  Gesch.  III«  8.  241. 


Gallische  Studien.  319 

stillen  Tfaälem  der  Berge  haben  noch  Jahrhunderte  lang  die 
heimischen  Götter  und  nationale  Sitte  eine  sichere  Zufluchts- 
stätte vor  dem  Römerthum,  wie  vor  dem  Christenthum  ge- 
funden. Wer  der  ebenso  schwierigen,  als  lohnenden  Aufgabe^ 
eine  Culturgeschichte  des  römischen  Reiches  zu  schreiben  ge- 
recht werden  soll,  wird  vor  Allem  diesen  Resten  einer  ver- 
schwundenen Welt  seine  Aufmerksamkeit  zuwenden  müssen: 
als  ein  Beitrag  zu  einer  in  solchem  Sinne  unternommenen 
Darstellung  der  Kaiserzeit  wünscht  die  hier  versuchte  Schilde- 
rung der  griechischen  und  keltischen  Gemeinde  auf  römischem 
Boden  angesehen  zu  werden. 


E  X  C  U  R  S. 

.    Die  Yerbreitnng  des  latinischen  Rechts  im  romiseben 

Reich. 

In  der  vorstehenden  Abhandlung  habe  ich  mehrfach  Ge- 
legenheit gehabt,  dankbar  der  fruchtbaren  und  zu  weiteren 
Forschungen  anregenden  ^Schweizer  Nachstudien'  Mommsen's 
zu  gedenken  und  an  sie  meine  in  vieler  Beziehung  verwandte 
Untersuchung  anzuknüpfen.  Absichtlich  habe  ich  dabei  eine 
wichtige  Frage  vorläufig  bei  Seite  gelassen,  der  Mommsen  eine 
eingehende  Betrachtung  gewidmet  hat:  die  Frage  nach  der 
Rechtsqualität  der  helvetischen  Colonie,  die  zugleich  entschei- 
dend ist  fUr  die  Rechtsqualität  zahlreicher  anderer  Colonien 
und  t\lr  die  Bestimmung  der  Grenzen  des  latinischen  Rechtes. 
Es  erscheint  mir  umsomehr  geboten,  die  von  Mommsen  vor- 
getragene neue  und  der  früheren  Anschauung  entschieden 
widerstreitende  Theorie  hier  einer  Prüfung  zu  unterziehen,  als 
ich  selbst  an  einem  anderen  Orte  mit  dieser  Frage  mich  be- 
schäftigt habe  und  dabei  zu  Resultaten  gelangt  bin,^  die,  wenn 
Mommsen's  Ansicht  sieh  als  richtig  erweisen  würde,  als  unbe- 


1  ,Znr  Geschichte  des  latinischen  Rechts*  in  der  Festschrift  zar  fQnfzig- 
jfthrigen  Grfindangsfeier  des  Archäologischen  Instituts  in  Rom.  Wien  1879. 


320  Hir«chf«ld. 

dingt  verfehlt  bezeichnet  werden  mUssten.  Aber  auch  abgesehen 
von  diesem  persönlichen  Moment  erheischt  die  Bedeutung  der 
Frage,  der  von  Mommsen  gebotenen  Anregung  zu  einer  er- 
neuten Prüfung  derselben  nachzukommen. 

Aus  dem  Umstände^  dass  ein  Helvetier^.und  zwar  nach  der 
Ertheilung  des  Colonialrechtes  an  Aventicum,  unter  den  equiites 
singulares  gedient  hat,  zieht  Mommsen  den  Schluss,  dass  Aren- 
ticum  wahrscheinlich  nicht  römisches,  sondern  nur  latinisches 
Colonialrecht  erhalten  habe,  weil  jene  Truppe  nachweislich  nicht 
aus  römischen  Bürgern,  sondern  aus  Peregrinen  oder  nach 
Mommsen's  Ansicht  aus  Latinern  zusammengesetzt  war.  Daran 
knüpft  Mommsen  (Hermes  16  S.  471)  die  allgemeine  Consequenz, 
;daBs  diejenige  Gemeinde,  welche  Soldaten  zu  einem  latinischen 
Truppenkörper  stellte,  entweder  peregrinisches  oder  latinisches, 
also  das  römische  Bürgerrecht  nicht  besessen  hat',  und  fügt 
selbst  hinzu:  ,es  ist  dies  allerdings  ein  Satz  von  der  grössten 
Tragweite  und  geeignet,  die  bisherige  Anschauung  dieser  Ver- 
hältnisse in  weitem  Umfange  zu  modificiren,  zunächst  also 
wohlbegründetes  Bedenken  zu  erwecken*.  —  In  der  That,  wäre 
dieser  Schluss  richtig,  so  würden  wir  genöthigt  sein,  eine  statt- 
liche Reihe  von  Städten  —  Mommsen  (S.  472)  zählt  deren  selbst 
neunzehn  auf  —  die  wir  gewohnt  waren  als  Bürgercolonien 
anzusehen,  fortan  als  latinische  zu  betrachten;  wir  würden 
ferner  die  Ausbreitung  des  latinischen  Rechtes,  von  dem  sich 
Spuren  bis  jetzt  nur  in  Sicilien,  den  Alpenländem,  Gallien, 
Spanien  und  Afrika,  also  in  den  wesentlich  romanisirten  Pro- 
vinzen nachweisen  Hessen, <  auf  das  ganze  römische  Reich, 
den  Orient  nicht  ausgeschlossen,  erstrecken  müssen.'  Gewiss 
wird  man  ohne  durchaus  zwingende  Gründe  sich  zu  einer 
solchen  Annahme  nicht  entschliessen.  Ob  nun  die  von  Mommsen 
hervorgehobene  Thatsache  wirklich  die  Beweiskraft  besitzt,  die 
er  ihr  beilegt,  oder  ob  dieselbe  nicht  vielleicht  in  anderer  Weise 
erklärt  werden  kann,  werden  wir  später  erörtern;  zunächst 
dürfte  es  sich  empfehlen  zu  prüfen,  ob  die  von  Mommsen  selbst 
angeführten  Beispiele  mit  seiner  Theorie  sich  in  Einklang  brin- 
gen und  als  Probe  für  die  Richtigkeit  oder  Unrichtigkeit  der- 
selben verwenden  lassen. 


1  Vgl.  S.  16  der  anf  S.  319  Anm.  1  citirten  Abhandlung. 


OalliMhe  Stadton.  321 

Mommsen  nennt  (S.  472)  in  erster  Linie  drei  Colonien: 
^auBclrücklich  werden  in  den  fraglichen  Inschriften  selbst  als 
Colonien  bezeichnet  Claudia  Ara^  die  colonia  Malvensis  und 
Sarmizegetusa  in  Dacien,  ausserdem  Apri,  Beroea  in  Thra- 
kien, Brigetio,  Caesarea  in  Mauretanien,  Mursa,  Pafanyra,  Sa- 
varia,  Scupi,  Serdica,  Sirmiuni;  Siscia,  Traiana,  Traianopolis, 
die  Treverer,  Virunum  und  schliesslich  die  colonia  Helvetiorum*. 
yWenn  unsere  Ausfiihrung  richtig  ist/  fügt  er  hinzu,  ,wird  allen 
diesen  Gemeinden  das  römische  Büi^errecht  ab-  und  soweit 
sie  als  Colonie  erweislich  sind,  ihnen  das  Kecht  der  latinischen 
Colonie  zugesprochen  werden  müssen  .  .  .  Wenn  Plinius  Siscia 
Colonie  nennt  und  die  Inschriften  Sarmizegetusa,  warum  soll 
dabei  nicht  an  eine  Colonie  latinischen  Rechtes  gedacht  wer- 
den können?' 

Was  zunächst  diese  letzte  Frage  betrifft,  so  wird  fUr  die 
Beantwortung  derselben  der  Sprachgebrauch  des  Plinius   ent- 
scheiden müssen.     Wenn  man  nun  die  Fälle  prüft,    in  denen 
Plinius  von  coloniae  spricht,    so   ergibt   sich,    dass  Plinius  die 
sogenannten  latinischen  Colonien  überall  mit  dem  ihnen  eigent- 
lich zukommenden  Namen  oppida  LaÜna  (3,  35  oppidum  Lati- 
num AntipoUe;  3,  77:  oppida  .  .  Latina  Cinium  et  TWm;  5,  29: 
oppidum  Latinum  uiwm  üzalttanum)   oder  oppida  Ixxtinorum  (3, 
15  und  3,  23,  wo   oppida  unmittelbar  vorhergeht;  3,  20,  wo 
oppidum  unmittelbar  folgt;   3,  32;   5,  20)  bezeichnet, ^  während 
die  Municipia  oppida  civium  Romanorum  heissen,  dagegen  unter 
colomae^  soweit  wir  überhaupt  ihre  Qualität  kennen,  nachweis- 
lich   nur    römische    Bürgercolonieen    von   Plinius    verstanden 
werden.  Es  wird  genügen,  auf  die  in  Jan's  Index  s.  v.  coloniae 
zusammengestellten  Fälle  zu  verweisen  und  hier  nur  einige  mar- 
cante  Beispiele  hervorzuheben.  So  werden  in  Gallia  Narbonen- 
sis  (n.  ti,  3,  36)  die  coloniae  Arelate,  Baeterrae,  Arausio,  Valen- 
tia,  Vienna  gegenübergestellt  den  oppida  Latina  Aquae  Sextias, 
Avennio  u.  a.  m.;  in  Afrika  (n.  h,  5,  29)  die  Bex  coloniae  (nämlich 


<  Die  ffemie§  werden  als  LaHnae  ecndieUmU  (3,  91),  oder  Latini  iuru  (6, 
ISS)  oder  als  Lo^to  donatae  (8,  7  and  135;  6,  29)  beeeichnet.  lieber 
die  Bezeichnung  der  spaniBchen  Städte  aU  oppida  LaÜi  anUqvi  oder 
vtietit  oder  LaÜo  arUiquiUu  danafa  vgl.  Detleften  in  Commentcd.  Momm- 
mman.  8.  29  ff. 

ai«ataii(ib«r.  d.  phil.-hUt.  Cl.    Cm.  Bd.  1.  Hft.  21 


322  Hirschfeld. 

civium  Romanorum)  den  oppida  civium  Romanorum  XV  (d.  h. 
den  Munieipien)  und  den  oppida  Latina,  stipendiaria,  libera. 
Dasselbe  gilt  für  Spanien  (n.  ä.  3,  7  und  18;  4,  117),  und 
ebenso  heisst  es  bei  Besprechung  Mauretaniens  von  den  Städten, 
die  unmittelbar  vorher  einfach  als  cohniae  bezeichnet  worden 
sind  (5;  12):  quinque  sunt  (ut  diximus)  Romanae  coloniae  in 
ea  provincia.    Allerdings  hat  Mommsen  schon   früher  (C.  J.  L. 

V  S.  83)*  betrej9fs  Aquileia  nachzuweisen  versucht,  dass  Plinius, 
der  diese  Stadt  als  colonia  bezeichnet  (n.  h.  3,  126),  darunter 
eine  latinische  Colonie  verstanden  wissen  wollte.  Aber  es  spricht 
kein  Zeugniss  dagegen,  dass  Aquileia  zu  Plinius'  Zeit,  ja  sogar 
schon  in  der  ersten  Elaiserzeit  römische  Colonie  gewesen  sei. 
Denn  Vitruv,  der  es  munidpium  nennt,  hat  etwa  um  das 
Jahr  740  geschrieben  und  die  Inschriften,  die  Mommsen  als  ein- 
zige sonstige  Instanz  (aus  der  Nichterwähnung  der  flrhebung  zur 
Colonie  ist  bei  dem  Stande  unserer  Tradition  ein  Schluss  nicht 
zulässig)  gegen  die  Colonialqualität  anflihrt,  da  in  ihnen  Aqui- 
leia als  munidpium  und  die  Bürger  als  munidpes  bezeichnet 
werden,  gehören  der  Schrift  nach  (n.  903:  ,litteris  optimig'] 
n.  968:  flitteris  magnis  et  antiquis')  ebenfalls  wohl  kaum  einer 
späteren.  Zeit  an.  Aus  dem  verstümmelten  Fragment  (C.  J.  L. 

V  add,  n.  8267)  endlich,  in  dem  Mommsen  [colonia  S]epti[mia 
Severa  Clodia  AJUnna  [Aquileia]  zweifelnd  ergänzt,  ist,  wenn 
die  Ergänzung  auch  das  Richtige  treffen  sollte,  ftar  die  Zeit 
der  Erhebung  zur  Colonie  nichts  zu  entnehmen,  da  z.  B.  hdia 
oder  Claudia  oder  Flavia  vor  Septimia  ausgefallen  sein  könnte. 
Demnach  spricht  auch  dieses  Beispiel  nicht  gegen  den  con- 
stanten  Gebrauch  des  Wortes  colonia  bei  Plinius  und  schon 
daher  wird  meines  Erachtens  auch  Siscia,  wie  allen  von  Plinius 
als  coZomoe  bezeichneten  Städten,  der  Charakter  als  römische 
Colonie  nicht  abgesprochen  werden  können. 

Wie  steht  es  nun  mit  der  Colonialqualität  der  von  Momm- 
sen an  erster  Stelle  genannten  Städte  Claudia  Ära  und  Sarmi- 


1  y^l.  jetzt  Mommsen  im  Hermes  18,  1883»  S.  195:  ,es  ist  nicht  anmOg- 
lich  die  Inschriften  (die  Aquileia  als  mumdpitan  bezeichnen)  vor  die 
flavische  Epoche  zu  setzen;  Plinius  Ansetzung  der  Stadt  als  Colonie 
kann  also  vertheidigt  werden,  wenn  man  die  Ertheilung  ^»^  Colonial* 
rechts  etwa  auf  Vespasian  zurückfuhrt.   Wahrscheinlicher  aber  flUIt  die 


GftUiBChe  Studien.  323 

zegetofia?^  Von  der  ereteren^  die  unter  dem  Ifamen  colonia 
AgrippmensiB  (das  heutige  Cöln)  allbekannt  ist,  sagt  Tacitus 
ausdrücklich,  dass  sie  als  Veteranen-,  d.  h.  als  römische  Bürger- 
colonie  gegründet  worden  sei,  vgl.  aunal,  12,  27 :  Agrippina .  .  . 
inappidum  übiorum,  in  quo  genita  ercUy  veteranos  coloniamque 
dedud  impetrat,  cui  nomen  inditum  e  vocabtdo  ipsiui;  demnach 
spricht  dieses  Beispiel  auf  das  Entschiedenste  gegen  die  Richtig- 
keit der  Mommsen'schen  Hypothese.  Aber  auch  von  Saimize- 
getusa  kann  man  wenigstens  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit 
behaupten,  dass  sie  von  Traianus  nicht  latinisches  Recht  erhalten 
hat,  sondern  als  Veteranencolonie  mit  römischem  Büi^errechte 
gegründet  worden  ist.  Schon  aus  militärisch-politischen  Gründen 
war  es  geboten,  die  Hauptstadt  des  eroberten  barbarischen 
Landes  zu  einer  Militärcolonie  zu  machen,  umsomehr  als 
die  einheimischen  Bewohner  bekanntlich  mit  furchtbarer  Härte 
aus  Dacien  ausgetrieben  wurden  und  das  entvölkerte  Land 
mit  neuen  Colonisten,  also  neben  den  besonders  aus  dem  Orient 
dorthin  verpflanzten  Kauf  leuten  in  erster  Linie  doch  mit  aus- 
gedienten Soldaten  besiedelt  werden  musste.  Dass  aber  über- 
haupt in  der  Kaiserzeit  bei  solchen  Neugründungen  in  den 
Provinzen,  deren  militärischer  Charakter  auch  durch  die  be- 
kannte Gründungsinschrift  von  Sarmizegetusa^  bezeugt  wird, 
jemals  das  latinische  Recht  anstatt  des  Bürgerrechtes  verliehen 
worden  sei,  ist  nicht  nur  nicht  nachweisbar,  sondern  auch  an 
und  für  sich  höchst  unwahrscheinlich.  Dazu  kommt,  dass  Sar- 
mizegetusa,  ebenso  wie  die  colonia  Agrippinensia ,  zu  Ulpian's 
Zeit  bereits  eine  Colonie  italischen  Rechtes  war,^  also  ohne 
Zweifel  bereits  vorher  römische  Bürgercolonie  gewesen  ist.  Die 
Lischrift  dagegen,  auf  deren  alleiniges  Zeugniss  hin  Mommsen 
der  Stadt  die  Qualität  als  römische  Bürgercolonie  absprechen 
will,  gehört  unzweifelhaft  dem   dritten  Jahrhundert,   vielleicht 


Umwandlung  erst  sp&ter,  möglicher  Weise  erat  unter  Severus  (vgl.  C. 
J.  L.  V.  n.  8267)  und  hat  PliniuB  die  latinische  Colonie  Aquileia  aus 
Versehen  seiner  Liste  eingereiht/ 

*  Ueber  die  Qualität  der  colonia  MalvenM  ist  nichts  N&heres  bekannt. 

3  C.  J.  L.  m  n.  U43. 

>  Digg.  50,  16,  1  §  9  aus  der  Bchrift  de  eeruibtUj  die  unter  Caracalla 
abgefasst  ist,  vgl.  Fitting,  Ueber  das  Alter  der  Schriften  römischer  Ju- 
risten 8.  37. 

21* 


324 


Hirschfeld. 


erst  der  Zeit  des  Seyeras  Alexander  an/  in  der  bereits  Sar- 
mizegetusa  die  höchste  Bürgerqualität  ^  das  itaUsche  Recht  er- 
halten hatte.  —  Heben  wir  nun  aus  den  übrigen  von  Mommaen 
aufgezählten  Städten  noch  Caesarea  in  Mauretanien  hervor,  so 
ergeben  sich  auch  hier  die  schwersten  Bedenken  gegen  Mpinin- 
sen's  Ansicht.  Denn  aus  den  Worten  des  Plinius  (w.  A.  5,  20): 
Cartenna  cohnia  Atigtistiy  legio  secunda;  üem  colonia  einsdmn 
deducta  cohorte  praetoria  Gv^nugu,  Promontorium  ApoUinis  appi- 
dumque  ibi  celeberrimum  Caesarea^  antea  vocitatum  161,  lubae 
regia,  a  divo  Claudio  coloniae  iure  donatay  eitudem  iu8$u 
deductia  veteranis  Oppidum  Novum  geht  deutlich  hervor,  dass 
er  unter  coloniae  iv/re  donata  nicht  an  ErtheUung  des  latini- 
schen Rechtes  gedacht  hat,  besonders  wenn  man  damit  die 
unmittelbar  folgenden  Worte  vergleicht:  et  Latio  dato  Tipata, 
itemque  a  Ve»paAano  imperaiore  eodem  munere  dovuttum  leo- 
»iwni.  Aber  selbst  abgesehen  von  diesem  Zeugniss  scheint  es 
mir  undenkbar,  dass  die  Hauptstadt  der  barbarischen  Provinz 
Mauretania  bis  in  die  späte  Kaiserzeit  nur  latinisches  Recht 
gehabt  haben  sollte,  während  zahlreiche  Colonien  derselben 
Provinz  schon  unter  Augustus,  Oppidum  Novum  durch  Clau- 
dius, Sitifis  durch  Nerva  römisches  Bürgerrecht  erhalten  haben.^ 
Vielmehr  muss  nach  Constituirung  der  Provinz  und  Erhebung 
von  Caesarea  zur  Hauptstadt  derselben  ihr  auch  das  in  dieser 
Stellimg  geradezu  unumgänglich  nothwendige  römische  Bürger- 
recht verliehen  worden  sein. 

Wenn  demnach  Städte,  die  als  Heimatsort  von  equiU» 
singulares  (respective  von  Flottensoldaten  seit  Hadrian)  ange- 
geben werden,  einerseits  als  coloniae,  d.  h.  als  römische  Bürger- 
colonien  von  Plinius  bezeichnet  werden,  andererseits  entweder 
sicher  oder  doch  allem  Anscheine  nach,  wie  die  eben  be- 
sprochenen Städte,  römische  Bürgercolonien  gewesen  sind,  so 
geht  daraus  meines  Erachtens  hervor,  dass  die  Heimatsangabe 
sowohl  bei  diesem,  wie  bei  anderen  Truppencorps  überhaupt 


1  C.  J.  L.  VI  n.  3175;  envähnt  werden  die  eaatra  priora^  demnach  miiasen 
damals  bereits  die  caatra  nova  Severiana  gebaut  gewesen  sein,  die  viel- 
leicht erst  von  Severus  Alexander  herrühren,  aber  keineswegs  &Iter  ab 
Septimius  Severus  sind,   vgl.  Marquardt,   Staatsverw.  II  S.  475  Anm.  1. 

3  Vgl.  Marquardt,  Staatsverwaltung  I'  S.  487. 


OaUlMhe  Stadien.  325 

nicht  zur  Bestimmung  der  städtischen  Qualität  verwendet  wer- 
den kann.  Aber  auch  die  Art  und  Weise,  wie  diese  Heimats- 
angaben auftreten,  muss  gegen  derartige  Schlüsse  bedenklich 
machen.  Denn  in  den  von  Mommsen  selbst  flir  die  equitea  angu- 
lares  und  die  Flottensoldaten  zusammengestellten  Beispielen  > 
findet  sich  nur  ganz  ausnahmsweise  in  zwei  Inschriften^  der 
Soldat  als  dvis  bezeichnet,  während  sonst  der  blosse  Ablativ  oder 
Genetiv  der  Stadt  (respective  einmal  das  Adjectiv  Palmyrenvs), 
nur  hin  und  wieder  mit  dem  Zusatz  domo  sich  findet,  in  vielen 
Fällen  aber  noch  dazu  ruUione  mit  folgendem  Ländernamen 
gefUgt  wird,  zuweilen  sogar  natione  oder  tuxtus  direct  dem  Stadt- 
namen vorausgeschickt  erscheint.  ^  Daraus  scheint  mir  hervorzu- 
gehen, dass  es  sich  bei  diesen  Angaben  nicht  so  sehr  um  einen 
Nachweis  der  Heimatsberechtigung  oder  der  rechtlichen  Zuge- 
hörigkeit als  Bürger  zu  der  betreffenden  Colonie  gehandelt  hat, 
als  um  eine  Herkunftsangabe,  die  zu  einer  etwaigen  Iden- 
tification in  den  Qrabschriften  dieser  fern  von  der  Heimat  ver- 
storbenen Soldaten  erwünscht  und  ohne  Zweifel  auch,  wie  das 
regelmässige  Auftreten  derselben  erweist,  gesetzlich  vorge- 
schrieben war.  Aber  aus  derartigen  Angaben  ist  selbst  in  offi- 
ciellen  Documenten,  wie  den  Militärdiplomen,  keineswegs  der 
SchlusB  auf  die  Zugehörigkeit  als  Bürger  der  Heimatsstadt  zu 
ziehen :  denn  auf  dem  Diplom  n.  34  aus  dem  Jahre  134  (C.  J. 
L.  HI  p.  877)  wird  Stobi,  das  bereits  Plinius  (n.  h,  4,  34)  als 
oppidum  civivm  Romanomm  bezeichnet,  als  Heimat  eines  Cohor- 
tensoldaten,  in  zwei  Diplomen  (n.  53  und  n.  Ö6:  C.  J.  L.  UI 
p.  896  und  899)  die  römischen  Bürgercolonien  Misenum  und 
Ateste   als  Heimat  von  Flottensoldaten  ^  bezeichnet. 


1  Eine  Untersuchung  der  Heimatsangaben  sämmtlicher  Auxiliartruppen 
w&re  sehr  noth wendig  und  jetzt  nach  Abschluss  der  hauptsächlich  dafür 
in  Betracht  kommenden  Bände  des  Corpus  (mit  Ausnahme  von  Ger- 
manien) ohne  Schwierigkeit  zu  bewerkstelligen. 

2  C.  J.  L.  VI  n.  3196:  nai(U)neJ  Trox  civU  Berofejnns  und  n.  3241:  natum(e) 
Pannon(io)  elvi  FauaHanOf  vgl.  auch  n.  3300,  wo  die  Herausgeber  cfivi») 
8avari(enHj9  ergänzen,   vielleicht  aber  CflaudiaJ  SavarifaJ  zu  lesen  ist. 

3  Vgl.  fttr  die  equüei  Hngulare»  C.  J.  L.  VI  n.  3311:  not.  aCaueUa)  Ära; 
n.  3192:  nai,  SawtrU;  n.  3287  (vgl.  n.  8291)  fnaUjone  €H(audia)  Savaria; 
n,  3314:  natu»  Ülpia  8erdie<u. 

<  Dazu  kommen  zwei  Inschriften,  in  denen  Formiae  and  Mola  als  Heimath 
von  Flottensoldaten  angegeben  werden:  Ferrero  L^ordiaametUo  delle  artnate 


326  Hirsehfeld. 

Die  Erklärung  dieser  Thatsachen  ist  meines  Eracfatens  darin 
zu  suchen,  dass  es  einestheils  in  jeder  Colonie  zahlreiche  Ein- 
wohner gab,  die  nicht  als  Vollbürger  der  Qemeinde  angehörten, 
die  aber  trotzdem  mit  gutem  Recht  als  ihren  Geburtsort  diese 
Stadf  nennen  durften,  andererseits,  wie  Mommsen  selbst  (a.  a.  O. 
S.  475)  hervorhebt,  dass  den  Colonien  in  den  Provinzen  vielfach 
Gemeinden  peregrinischen  Rechtes  attribuirt  waren,  die  in 
ähnlichem  Verhältniss  zu  denselben  gestanden  haben  werden,  wie 
die  Camer  und  Cataler  zu  Tergeste,  oder  die  Anauni  Tulliasses 
und  Sinduni  zu  Tridentum.^  Schwerlich  wird  man  nun  in  diesen 
Soldatengrabschriften  Anstand  genommen  haben,  an  Stelle  des 
kleinen  obscuren  vicus,  dessen  barbarischer  Name  oft  gewiss 
selbst  den  die  Inschrift  setzenden  Erben  oder  Commilitonen 
unbekannt  war,^  die  Hauptgemeinde,  welcher  derselbe  attribuirt 
war,  einzusetzen,  woraus  sich  dann  auch  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  der  fUr  Städtenamen  unpassende  Zusatz  nntions  erklärt.' 
Wenn  sich  daher,  um  zu  dem  Ausgangspunkt  der  Mommsen- 
sehen  Untersuchung  zurückzukehren,  ein  eqvss  singuiaris  ganz 
allgemein  als  natione  Hdvetius  bezeichnet,  so  braucht  derselbe  kei- 
neswegs als  Angehöriger  der  colonia  Pia  Flavia  Constans  Ems- 
rita  ^  Helvetwrum  Foederata  angesehen  zu  werden,  da  sicherlich 
auch  nach  der  Ertheilung  der  Colonialqualität  an  Aventicmn, 
den  Vorort  der  Helvetier,   einzelne  helvetische,  wahrscheinlich 


Romant  n.  48 :  On,  Arriu»  Myro  n(<Uione)  Formiantu  und  n.  85 :  P,  SexiiUo 
Marcdlo  n((U%one)  Italua  domu  Nol(a).  Dem  von  Mommsen  a.  a.  O.  S.  477 
daraus  gezogenen  Schluss:  ,vielleicht  wird  der  Satz,  dass  für  die  Flotten- 
conscription  die  Latinität  gefordert  wird,  dahin  zu  beschränken  sein, 
dass  man  seit  Caracalla  daneben  einzelne  römische  Bürger  zugelassen 
hat',  möchte  ich  mich  nicht  anschliessen. 

1  Vgl.  Über  dieses  Verhältniss  Mommsen  im  Hermes  4  S.  112  ff. 

^  Genaue  derartige  Angaben  sind  in  diesen  Inschriften  nicht  häufig,  vgl. 
jedoch  z.  B.  C.  J.  L.  VI  n.  3297  und  3300. 

3  Aehnliche  Angaben  finden  sich  in  Gladiatoreninschriften,  vgl.  z.  B.  die 
Inschrift  eines  ret(%ariu9j  in  Ntmes:  nfationej  Viannesna  (das  ist  FwMtien- 
m)  bei  AUmer  revue  ^pigraphique  1  8.  172;  ähnlich  C.  J.  L.  VI»  2 
n.  10184. 

^  Schon  dieser  Beiname  deutet  auf  eine  Veteranencolonie;  vgl.  über  die 
colonia  Avguata  Emerita  in  Lusitania:  Huebner  C.  J.  L.  II  p.  52.  Der 
noch  im  zweiten  Jahrhundert  nachweisbare  eurator  cimtim  Romanorum 
conventuB  Helvetici,    auf   dessen    Vorkommen   Mommsen   Gewicht   legt. 


Galliich«  Stadien.  327 

der  Colonie  attribuirte  Gebiete  minderen  Rechtes  geblieben 
sind.^  Gewiss  hat  es  solche  Gemeinden  auch  in  den  tres  0aUia4 
noch  in  späterer  Zdit  gegeben^^  da  ja  auch  das  weit  mehr 
romanisirte  Spanien  erst  durch  Vespasian  das  latinische  Recht 
erhielt^  und  wenn,  wie  Mommsen  (a.  a  O.  S.  470)  betont^  Gallier 
und  Spanier  unter  den  egtdtes  singuiares  und  den  Flottensoldaten 
vollständig  fehlen,  so  wird  das  ohne  Zweifel  auf  einer  kaiser- 
lichen Verfügung  beruhen,  nach  der  diese  Provinzen  als  Aus- 
hebungsbezirke für  dicBC  Truppengattungen  nicht  dienen  sollten. 
Vielmehr  werden  die  in  diese  Corps  eingereihten  Soldaten  aus- 
schliesslich aus  Gemeinden  peregrinischen  Rechtes  ausgehoben 
sein  imd  in  der  Regel  erst  beim  Eintritt  in  den  Dienst,  woflir 
sowohl  die  häufigen  Doppelnamen  bei  den  Flottensoldaten  (vgl. 
Mommsen  a.  a.  0.  S.  466  Anm.  2),  als  auch  die  zahlreichen 
Kaisergentilicia  bei  den  equites  singvlares  sprechen,  römische  Na- 
men an  Stelle  der  barbarischen  und  in  Verbindimg  damit  eine 
der  latinischen  ähnliche,  wenn  auch  nicht  identische  Rechts- 
stellung erhalten  haben.  ^ 

Aus  den  Angaben  der  Herkunft  dieser  Soldaten,  wenn 
dieselben  nicht  ausdrücklich  als  Bürger  der  betreffenden  Ge- 
meinden bezeichnet  werden,  einen  Schluss  auf  die  Colonial- 
qualität  der  Heimatsstädte    zu   ziehen,    scheint  mir  demnach 


scheint  mir  ^e^en  diese  Annahme  nicht  zu  sprechen;  denn  die  eives 
Bamanij  wohl  meist  Italiker,  die  als  Kaufleute  in  Helvetien  sich  auf- 
hielten, waren  den  Behörden  der  Colonie  sicher  nicht  unterstellt,  und 
ganz  entsprechend  erscheint  in  dem  benachbarten  lugdunensischen  Ge- 
biet der  summiu  curator  efimum)  RfomanorumJ  provine(iaeJ  Lug(udunenns) : 
Wilmanns  n.  2224. 

1  Betreffs  der  benachbarten  Banraci  hebt  Mommsen  selbst  Hermes  16, 
S.  482  Anm.  1  eine  ähnliche  Thatsache  herror. 

'  Mommsen  Hermes  16  S.  471  sagt:  ,das8  die  drei  Gallien  bereits  unter 
Claudius  das  römische  Bürgerrecht  besassen,  ist  durch  Tacitus  sicher 
bezeugt';  aber  Tacitus  (annal.  11,  23)  spricht  nur  von  den  primore* 
Oalliae,  guae  comata  appeUatuVf  foedera  et  ewUatem  Bomanam  pridem 
oaMecuti. 

'  Vgl.  die  Bemerkungen  von  Marini,  ArvaLi  S.  436  ff.  und  S.  477  zu  Ari- 
stides  p.  352  Dindorf  und  besonders  zum  Biartyrium  S.  Tarraconis 
(5.  October) :  Td^a^o^  napk  tuv  -^vtrriQdrzfa^  (i£  xaXoufxai,  ev  h\  tu>  oipa- 
Tcuca6a{  |u  BUxcop  exXi^Oiijv,  femer  vüa  Maximini  c.  1  §5  ff.  Vgl.  Mommsen 
a.  a.  O.  S.  474   mit  Anm.  1. 


328  Hirschfeld.   OftlliMhe  Stadien. 

nicht  gestattet^  und  so  glaube  ich  an  der  von  mir  früher '  aus- 
gesprochenen Ansicht  festhalten  zu  müssen^  dass  das  latinische 
Recht  auf  die  ganz  oder  theilweise  romanisirten  Provinzen  be- 
schränkt geblieben  sei  und  weder  in  den  rein  militärischen  Occu- 
pationsgebieten  am  Rhein  und  in  Britannien,  noch  in  dem 
griechisch  redenden  Orient  Gemeinden  latinischen  Rechtes  be- 
standen haben. 


^  Zur  Oescfaichte -des  Latinischen  Rechts  S.  16  ff. 


V.  SITZUNG  VOM  14.  FEBRUAR  1883. 


Die  gräflich  von  Chambord'sche  Güterverwaltung  zu 
Eatzelsdorf  übersendet  zur  Copiatur  für  die  Weisthümer-Samm- 
lung  ein  Pantaiding  von  Lejding  aus  dem.  Jahre  1546. 


Die  corresp.  Mitglieder  Herr  Professor  Dr.  Benndorf 
und  Herr  Professor  Dr.  Hirsch feld  in  Wien  übermitteln  flir  die 
akademische  Bibliothek  das  zweite  Heft  des  VI.  Jahrganges  der 
^Archäologisch-epigraphischen  Mittheilungen  aus  Oesterreich'. 


Von  Herrn  Dr.  Fr.  Martin  Mayer,  k.  k.  Professor  in  Graz, 
wird  eine  Abhandlung,  betitelt:  ,Der  innerösterreichische  Bauern- 
krieg des  Jahres  1515  nach  älteren  und  neuen  Quellen'  mit  dem 
Ersuchen  des  Herrn  Verfassers  um  Veröffentlichung  derselben 
in  dem  Archiv  vorgelegt. 

Die  Abhandlung  wird  der  historischen  Commission  über- 
geben. 

An  DTUokacliriften  wurden  vorgelegt: 

Ackerbau-Ministerium,  k.  k.:  Statistisches  Jahrbuch  fttr  1881.  HI.  Heft, 

2.  Ldeferang.  Wien,  1882;  8^. 
Bern,  Uniyersit&t:   Akademische  Schriften  pro  1881.  28  Stücke  8»  und  4«. 
Central-Commission,   k.   k.  statistische:   Statistisches  Jahrbuch  fOr  das 

Jahr  1880.  V.  Heft.  Wien,  1882;  8«. 
Oenootschap,   Bataafsch  der    proefonderrindelijke  Wijsbegeerte:  Nieuwe 

Verhandelingen;  tweede  reeks,  deel  III,  4x«  Stuk.  Rotterdam,  1882;  8^. 
Oesellschaft,  deutsche  morgenländische:  Zeitschrift.  XXXVL  Band,  3.  und 

4.  Heft.  Leipzig,  1882;  8". 
—  kOnigl.  s&chsische  der  Wissenschaften  zu  Leipzig:   Berichte.  1881.  I.  H. 

Leipzig,  1882;  8^. 
SitannKsber.  d.  pliil.-hist.  Cl.    CHI.  Bd.  U.  Hit  22 


330 

Gesellschaft,  köni^I.  sächsische  der  Wissenschaften  zu  Leipzif^:  Abhand- 
ln ngen  des  VIII.  Bandes  Nr.  IV.  Beiträge  zur  Kenntnis«  der  melan*- 
sischeUf  mikronesischen  und  papuanischen  Sprachen,  ein  erster  Nach- 
trag zu  Hans  Conon's  yon  der  Gabelentz  Werke  ,Die  melanesischen 
Sprachen*  von  Georg  von  der  Gabelentz  und  Adolf  Bernhard  Meyer. 
Leipzig,  1882;  8». 

Harz -Verein  für  Geschichte  und  Alterthumskunde:  Zeitschrift.  XV.  Jahr- 
gang, 1882.  Wernigerode,  1882;  S^.  —  Register  über  die  ersten  zwOlf 
Jahrgänge  der  Zeitschrift  des  Harz -Vereines  für  Geschichte  und  Alter- 
thumskunde (1868—1879).  Wernigerode,  1882;  8^ 

Instituut,  het  koninklgk  voor  de  Taal-,  Land-  enVolkenkunde  van  Neder- 
Iandsch-Indi6:  Bijdragen.  IV.  Volgreeks,  VI.  Deel.  —  2*  Stuk.  's  Gra- 
venhage,  1882;  8». 

Kriegs-Archiy  k.  k.,  Direction:  Büttheilungen.  Jahrgang  1882.  I— IV. 
Wien,  1882;  8«. 

Mittheilungen  aus  der  livländischen  Geschichte.  XIH.  Band,  2.  Heft 
Riga,  1882;  8^ 

Soci^t^  d'histoire  Qt  d'archäologie  de  G^n^ve:  M^moirea  et  Documenta. 
2*  s^rie,  Tome  premier.  G^n^ve,  Paris,  1882;  8^. 

Society,  the  Asiatic  of  Bengal:  Journal.  N.  S.  Vol.  LI,  Part  I,  Nos.  m 
und  IV,  1882.  Calcutta,  1882;  8". 
—  the  royal  of  New  South  Wales  in  1881:  being  a  brief  Statistical  and 
descriptive  account  of  the  Colony  up  to  the  end  of  the  year,  extracted 
ochiefly  from  fficial  records,  by  Thomas  Richards,  Esquire.  2^  issne. 
Sydney,  1882;  8^. 

Verein,  historischer  für  den  Regierungsbezirk  Marienwerder:  Zeitschrift. 
V.  Heft,  l.  und  2.  Abtheilung.  Marienwerder,  1881—1882;  8^ 


VI.  SITZUNG  VOM  28.  FEBRUAR  1883. 


In  der  Gesammtsitzung  der  Akademie  am  22.  Februar 
gedachte  Se.  Excellenz  der  Präsident  des  Verlustes,  den  die 
Akademie  durch  den  am  20.  d.  M.  erfolgten  Tod  des  w.  M. 
Eduard  Freiherm  von  Sacken  erlitten  hat,  und  die  Anwesenden 
gaben  ihr  Beileid  durch  Erheben  von  den  Sitzen  kund. 


Das  k.  u.  k.  Ministerium  des  Aeussem  Übermacht  das  ron 
dem  k.  italienischen  Unterrichtsministerium  der  Akademie  ge- 
widmete Exemplar  der  vierten  Lieferung  des  IV.  Bandes  des 
^Vocabolario  degli  Accademici  della  Crusca'. 


331 

Das  k.  k.  Reichs -KriegsminiBterium  übersendet  die  im 
Drucke  erschienene  amtliche  Zusammenstellung,  betreffend  ,die 
Verluste  der  im  Occupations- Gebiete  und  in  Süd-Dalmatien 
befindlichen  Truppen  im  Jahre  1882^ 


Von  Herrn  Hofrath  M.  A.  Ritter  von  Becker  wird  das 
achte  Heft  seiner  ^Topographie  von  Niederösterreich*  für  die 
akademische  Bibliothek  eingeschickt. 


Von  dem  w.  M.  Herrn  Dr.  Pfizmaier  wird  eine  flir  die 
Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung:  ^Untersuchungen  über 
Ainu*<}egenstände'  voi^elegt. 


Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Miklosich  legt  eine  flir 
die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung  vor  unter  dem 
Titel:  über  Goethe's  ^Elaggesang  von  der  edlen  Frauen 
des  Asan  Aga'. 

Die  Kirchenväter  Commission  überreicht  zur  Aufnahme 
in  die  Sitzimgsberichte  eine  Abhandlung  des  Herrn  Professor 
Dr.  Petschenig  in  Graz:  ,Ueber  die  textkritischen  Grund- 
lagen im  zweiten  Theile  von  Cassian's  Conlationes^ 


Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Zimmermann  theilt  mit,  dass 
das  für  das  laufende  Triennium  constituirte  Preisgericht  der 
Grillparzer- Stiftung  an  Stelle  des  verstorbenen  Preisrichters 
Hofrath  Hettner  in  Dresden  das  c.  M.  Herrn  Professor  Dr.  Wil- 
helm Scherer  in  Berlin  cooptirt  und  dieser  die  Wahl  an- 
genommen habe. 

▲n  BruciLBohriften  wurden  vorgelegt: 

Acad^mie   royale  des  sciences,  des  lettres  et  des  beaux-arts  de  Belgique: 
Balletin.  61*  ann^e,  3*  s^rie,  Tome  IV,  No.  12.  Bruxelles,  1882;  8<». 

Annaaire,  1883.  49«  ann^e.  Brnzelles,  1888;  kl.  8« 

Aecademia   della  Crusca:  Vocabolario  degli  Aceademici.    Quinta  impres- 
sione.  Vol.  IV.  Fascicolo  IV  ed  ultimo.  Firenze,  1882;  Folio. 

22» 


332 

Bureau,  k.  statistisGh-topegrapiiiflches:  Württembergische  Yierteljahnhefte 
far  Laudesgeschichte.  Jahrgang  Y,  1882.  Hefte  I— IV.  Stuttgart, 
1882;  40. 

Gesellschaft,  k.  k.  geographische  in  Wien:  Mittheilungen.  Band  XXV 
(N.  F.  XV),  Nr.  10,  11  und  12.  Wien,  1882;  S\ 

—  für  Schleswig-Holstein-Lauenburgische  Geschichte:  Zeitschrift.  XIL  Band. 
Kiel,  1882;  8». 

—  kais.  königl.  mährisch-schlesisohe,  zur  Beförderung  des  Ackerbaues,  der 
Natur-  und  Landeskunde  zu  Brunn:  Mittheilungen,  1882.  LXH.  Jahr- 
gang. Brunn;  4t^. 

Institute,  the  anthropological  of  Great-Britain  and  Ireland:  The  JoumaL 
Vol.  Xn,  Nr.  III.  London,  1888;  8«. 

Ministerium  cultus  et  pnblicae  institutionis :  Monuinenta  graphica  medii 
aevi  ex  archivis  et  bibliothecis  imperii  Austriaci  collecta.  Faseiculus  X. 
Vindobonae,  1882;  Folio. 

Mittheilungen  aus  Justus  Perthes*  geographischer  Anstalt,  von  Dr.  A.  Peter- 
mann. XXIX.  Band,  1883.  II  und  III.  Gotha;  4^ 

Society,  the  American  gpeographical :   Bulletin,  1882.  Nr.  2.  New- York;  8*. 

—  the  royal  Asiatic  of  Great  Britain  et  Ireland:  The  Jonmal.  N.  S.  VoL 
XIV,  Part  IV.  October,  1882.  London,  1882;  80.  —  N.  S.  Vol.  XV. 
Part  I.  Januaiy,  1883.  London;  8^. 

—  the  royal  geographical:  Proceedings  and  monthly  record  of  Geography. 
Vol.  V,  Nr.  2.  February,  1883.  London;  8°. 

Tübingen,    Universität:    Akademische    Schriften    pro    1882.    36   Stdcke, 

40  und  80. 
Verein,  historischer  für  Schwaben  und  Neuburg:  Zeitschrift  IX.  Jahigang, 

1.  und  3.  Heft.  Augsburg,  1882;  8". 

—  für  Hamburgische  Geschichte:  Mittheilungen.  V.  Jahrgang.  Hambuig, 
1883;  80. 

Wissenschaftlicher  Club:  Monatsblätter.  IV.  Jahrgang,  Nr.  6.  Wien, 
1883;  40.  —  Jahresbericht  1882—1883.  VII.  Vereinsjahr.  Wien,  1883;  8«. 


Pfizmaier.  Untersuchungen  Aber  Ainn-Gegenstftnde.  33«3 


Untersuchungen  über  Ainu-Gegenstände, 

Von 

Dr.  A.  Pfizmaier, 

wirkl.  Hitglied  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften. 


JJie  in  dieser  Abhandlung  untersuchten  Gegenstände  be- 
ziehen sich  vorerst  auf  Glaube  und  Sitten  der  Ainu^  was  auf 
Grund  der  von  M.  M.  Dobrotwörski  zur  Kenntniss  gebrachten 
Nachrichten  aus  Sachalin  geschah.  Bas  Verständniss  dieser  sehr 
werthvoDen  (posthumen)  Nachrichten  war  indessen,  besonders 
in  Rücksicht  auf  manche  Lücken  und  bei  den  Eigenthümlich- 
keiten  des  russischen  Textes,  im  Ganzen  nur  in  Verbindung 
mit  Erläuterungen  und  fortwährenden  Hinweisen  auf  die  Ainu- 
sprache  vollkommen  möglich. 

Gegenstand  weiterer  Untersuchung  ist  femer  die  von  H,  de 
Charencey  theilweise  aus  meinem  Wörterbuche  zusammenge- 
stellte Ainu-Flora,  indem  ich  die  in  dieser  Schrift  vorkommen- 
den botanischen  Namen,  auch  die  japanischen  und  Ainunamen, 
nach  ihrer  Richtigkeit  prüfe  und,  wenn  nöthig,  verbessere. 

Bemerkt  werde  noch,  dass  ich  in  dieser  Abhandlung  den 
bisher  gebrauchten  Volksnamen  Aino  überall  durch  das  mehr 
angemessene  Ainu  ersetzt  habe.  Ueber  den  Unterschied  beider 
Wörter  wurde  schon  in  meinen  ,Erörterungen  imd  Aufklärungen 
über  Aino'  S.  48—49  (1068—1069)  Einiges  gesagt. 

Glaube  nnd  Sitten. 

yDie  Sar&ntara  verehren  den  Sitöri^  den  Onnew,  den 
EAmporo.    Sie  ziehen  den  Bären  und  den  Fuchs  auf.' 

Sarü  iflt  ein  Ainudorf  an  dem  Flusse  Sikari  auf  Jezo. 
Sikari  ist  ein  grosser  Fluss  im  Inneren  von  Jezo. 


334  Pfizroaier. 

Sarüntara  oder  sarun-ütara  ist  soviel  als  sarü-un-utara 
,em  Mensch  des  Dorfes  Sarü*.  Man  sagt  auch  sarun-kuru,  d.  i. 
sarü'Un-kuru  ,ein  Mensch  von  Sarü^  So  heissen  die  Bewohner 
der  Ostseite  von  Jezo.  Sie  wohnten  früher  auf  der  Insel  Sikoch. 

Sitöriy  ein  grosser  Vogel  mit  langem  Halse.  Als  der 
schwarze  Storch  betrachtet.  Derselbe  verschlingt  einen  ganzen 
kleinen  Häring.  Syn.  no. 

Onnew  ,ein  Adler^ 

KdmporOy  eine  schwarze  Krähe  mit  etwas  dünnem  Schnabel. 

,Die  Cuwka-untara  drücken  den  HaJs  des  zu  Tödtenden 
(yMepin;B^fleMaro)  Urai  kinihe(ani)  XV  zusammen  imd  ersticken 
ihn  mit  diesem  Werkzeuge.  Die  Üpifer  sind  ihre  eigene  Leute 
und  Fremde,  vorzüglich  jedoch  Kranke  und  Feinde.* 

Vor  Allem  ist  hier  Uraiki  nihe  abzutheilen  und  dabei 
richtig  zu  sagen:  die  Cuwka-untara  drücken  den  Hals  des  zu 
Tödtenden  mit  dem  Urai-ki  nihe  zusammen. 

Cüwka'üntarUy  ein  Bewohner  des  östlichen  Theiles  von 
Jezo.     Auch  Cup-  katä'ütare, 

Uraiki  niJA  ani  ,mit  dem  tödtenden  Pfeifenstiele^  Der  Name 
des  Werkzeuges  uraiki  nihe,  dessen  Abbildung  nebenan  steht, 
ist  aus  uraiki  ^tödten^  und  nih^  ,Pfeifenstier  zusammengesetzt. 

;Zu  dem  Cohujeku  betet  man  wie  zu  einem  Gotte.  Zu 
dem  Delphin  Oköm  betet  man  ebenfalls  und  wirft  ihm  zum 
Opfer  Seeflaggen  für  eine  glückliche  Schiffahrt  hin.* 

Ööhujeku  ,ein  Meerschwein'. 

Oköm,  ein  kleines  Cetaceum  von  schwarzer  Farbe,  ein 
kleinflossiger  Delphin. 

Ind'U  ^Baumopfer^  eine  Flagget  Im  Japanischen  durch 
nigi-te  ,gefaltete  Papierstücke  als  Opfer  für  die  Götter'  erklärt. 

,Wenn  der  Töki-köuna  bemerkt  hat,  dass  der  Ipöje  den 
kleinen  Häring  verzehrt,  und  nicht  den  Rogen,  so  geht  er  zu 
dem  Ööhujeku  und  erzählt  ihm  davon.  Der  Cohujeku  kommt 
dann  und  tödtet  desswegen  den  Ipöje.* 

Das  Wort  tiki-kSuna  wurde  von  mir  nirgends  aufgefunden. 
Es  scheint  jedoch  soviel,  als  das  in  meinem  Wörterbuche  ver- 
zeichnete tekina  ,der  Name  einer  grossen  Walfischart*  zu  sein. 

Ip(}je,  ein  magerer  Walfisch,  der  mit  dem  kleinen  Häring 
ankommt  und  dessen  Rogen  er  verzehrt.  Er  hat  nach  der 
Erzählung  der  Ainu  keine  Zitzen. 


Untonachnngen  ttber  Ainn-Oegenstinde.  335 

C6ku,jekuy  wie  oben  ,ein  Meerschwein^ 

,£in  Ainusarg  (porö-ni)  besteht :  aus  niedrigUegenden 
Seitenbretem  (sokom  itä),  Haupt-  und  Fussbretem  (ettiwsu)  und 
Deckeln  (inumbita).  Er  hat  keinen  Boden.  Dieser  wird  durch 
das  Qrab  selbst  gebildet.^ 

Porö-ni  ;Sarg'  bedeutet  wörtlich:  grosses  Holz.  Auf  ähn- 
liche Weise  sagt  man  im  Japanischen  fitstb-gi  und  ßto-ki  ,Men- 
schenholz/  in  der  alten  Sprache  auch  owo-gi  ^grosses  Holz'. 

Sokom-üay  ein  Wort  theilweise  ungewissen  Ursprungs.  Itä 
^Bret'  ist  ein  japanisches  Wort.  Sokom  könnte  als  das  japani- 
sche aoko  yBoden'  betrachtet  werden^  jedoch  wurde  die  Zusam- 
mensetzung 8oko-ita  von  mir  nicht  verzeichnet. 

Etüwm  dürfte  von  etüwso  ^Seite,  Wand'  nicht  verschie- 
den sein. 

Inimbiia  lässt  sich  nicht  mit  Gewissheit  erklären  Ita  ist 
ita  ^Bret'.  Sonst  sind  von  ähnlichem  Laute  inun  ^beten'  und 
mwnhe  ,Wärmofen,  Herd'. 

fi^i  den  Ainu  geht  die  Seele  nicht  zugleich  mit  dem 
Leibe  in  das  Grab,  sondern  sie  geht  nach  Pochna-Siri  oder 
Pochna-kotan  durch  eine  OeflEhung  im  Walde,  welche  Iwäsui 
genannt  wird.  In  Pochna-Siri  ist  es  Sommer,  wenn  es  bei  uns 
Winter  ist,  und  umgekehrt.  In  Pochna-Siri  lebt  blos  der  Gott, 
der  Erschaffer,  welcher  Kotan-karape  genannt  wird.' 

Pöchnchsiri  (in  meinem  Wörterbuche  bokt-na-Siri)  ,die 
untere  Erde'. 

Pöchna-kotän  ,die  untere  Niederlassung'. 

Itcä-mi  ,eine  Felsenhöhle'. 

Kotän-karappk  ,der  Gründer  einer  Ansiedlung'. 

Kamiii-m6aka^o  ,die  Glaubenslehre'.  Bis  zu  dem  fUnften 
oder  zehnten  Lebensjahre  beten  die  Ainukinder  nicht.  Aber 
dann  beginnen  die  alten  Leute  sie  zu  den  verschiedenen  Göttern 
beten  zu  lehren. 

Kamdi'i&ikaSno  ,die  göttliche  Lehre'.  Von  iMkahio  ,lehren 
oder  lemen^ 

Das  japanische  nigi-te^  und  das  ind-u  der  Ainu,  beides 
,Handopfer',   sind   nach   ihrer  äusseren  Gestalt  zwei  sehr  ver- 


<  Auch  mit  anderen  vemchiedenen  Namen  wie  nusa^  mi-ntua,  fei,  go-fei^ 
wan^bei,  fei^/aku,  te»gura,  mi^U^gura  benannt. 


336  Pfizmaier. 

schiedene  Dinge.  Der  japanische  Gegenstand  waren  tirspiüng- 
lieh  Stücke  fUnffarbigen  Tuches,  ungewebter  Baumwolle  oder 
Hanfes,  welche  man  den  Göttern  zum  Opfer  brachte.  Gregen- 
wärtig  sind  es  gefaltete  Papierstücke.  Das  Ainuwort  ind-u 
wird  von  den  Japanern  5(5p  ^  (nigi-te)  geschrieben.  Ueber 
das  ind'U  der  Ainu's  gibt  Dobrotwörski  mehrfache  Auf- 
klärung. 

Die  Inä-u  als  Opfer  von  Bäumen  oder  als  Flagge  be- 
trachtet, sind  Stäbe  und  Stäbchen  mit  Hobelspänen.  Man  bringt 
sie  verschiedenen  Göttern  und  bei  verschiedenen  Gelegenheiten 
dar,  z.  B.  bei  Beginn  einer  Krankheit  und  bei  Befreiung  von 
ihr.  Die  Ind-u  unterscheiden  sich  je  nach  den  Göttern,  welchen 
man  sie  zum  Opfer  bringt.  So  werden  die  Feuer-Inä-u  (unH- 
ind-u)  den  Göttern  des  Feuers,  die  Berg-Inä-u  (nuburi-tnä-u) 
den  Göttern  der  Berge,  die  Haus-Inäru  (tiSl-ind-u)  dem  alten 
Hausgotte  dargebracht. 

Isb-ind'U  ,Bärenflagge^  sind  Stäbe,  welche  für  den  zum 
Opfer  herbeigeführten  Bären  bestimmt  sind. 

Tdkusa  oder  wSre'tdkusa  ist  eine  Flagge  der  Zaubertrommel, 
eine  Flagge  für  die  Götter  der  Schamanen.  Die  Bedeutung 
dieser  zwei  Wörter  ist  ungewiss. 

Die  Theile  der  Flagge  sind: 

EfpusU  ,das  Blumenauge^  oder  iTid'Vrsabä  ,da8  Flaggen- 
haupt^  Dazu  gehören  Stochko  ,der  WirbeP,  ind-u-sabarü  ,da8 
Haupthaar  der  Flagge*  und  bisweilen  ninkari  ,die  Ohrringe*.  Die 
letzteren  sind  Ringe  aus  angehobelten  Bindfaden. 

ijpuaU  steht  für  epui-iiä  ,Blumenauge^ 

£tochko  oder  etbch  ,das  Ende^ 

NiAkari  ,ein  Ring  oder  Ohrring^  Man  sagt  auch  nWcar 
korb  und-u  ,eine  Flagge  mit  Ohrringen^ 

Femer  treküf  ,der  Hals'  und  tM  ,die  Hände*. 

Kotorb  ,die  Vorderseite  des  Rumpfes*. 

Nusa-kotorhe,  auch  ntim-kotorb,  nusa-kotorohe,  nusci-kotorckt 
und  nvsa-kotoro-ka,  grosse  Hobelspäne.  Dieselben  stellen  die 
Haare  des  Rumpfes  dar. 

Töchpa  ,Einschnitte'.  Dieselben  stellen  das  Aufschlitzen 
des  Bauches  dar. 

Kickpa-keckpa  etwas  kurze  Anhobelungen  (soporeHBKie 
3aCTpysKH).  Dieselben,  von  den  Einschnitten  (tödipa)  aufwärts 


Untennchnngen  ttber  Ainn->Gefenstftnde.  337 

und  abwärts  gehend,  stellen  die  nach  oben  und  unten  abge- 
wendeten weichen  Theile  der  vorderen  Bauchwand  dar. 

NiHmpa  oder  nf^'it  ,der  Stiel'.  Derselbe  ist  die  Hand- 
habe des  Fusses  (qepeH'b  hofh). 

Dobrotwörski  glaubt,  dass,  nach  diesen  Theilen  zu  schlies- 
sen,  die  Inä-u  unzweifelhaft  Ueberbleibsel  der  Sitte  der  Men- 
schenopfer seien. 

Ungeachtet  der  Umständlichkeit  der  obigen  Beschreibungen 
kann  man  sich,  solange  eine  Abbildung  fehlt,  von  der  Gestalt 
der  Inä-u  keine  richtige  Vorstellung  machen.  Noch  einige  Auf- 
klärung, welche  nachträglich  gefunden  wurde,  folgt  jedoch 
weiter  unten. 

Das  Ainulied,  welche  bei  dem  im  Monate  November,  an 
den  drei  ersten  Tagen  des  Vollmondes  stattfindenden  Bärenfeste 
von  drei  Mädchen  gesungen  wird,  lautet: 

Uwa'Uworuwa-nUj  Uwa-nnwa-uwa-nu, 

Uwa-uwa-nuioa-nu,  Uwa-urwa-uwa-nu, 

Uwa-uwa-urwa-nUf  Uwa-nurwa-utoa-nu, 

Uwa'Uwa-nwrwa-nu,  Uwa-nuwa-nuwa-nu, 

Nwoa-uwa-uwa-nUy 
Urworuwa-uwa-nu, 
Nurwa-uwa-uwornu, 
Nutca-uwa-urwa-nu. 

u.  8.  f.  ins  Unendliche.  Es  konnte  flir  diese  Wörter  nicht  ein 
bestimmter  Sinn  gefunden  werden.  Ein  Ainu  Namens  Ciwokdnke 
bemerkte  gegen  Herrn  Dobrotwörski,  dieses  Lied  werde  ma- 
chnekü-ch^tsire  ,Frauenspielen'  genannt.  Es  seien  nicht  die 
Lieder  Jäkara,  Sinochtä  oder  Chäuki. 

Nachrichten  von  dem  Bärenfeste: 

Kamäi-agWce  ,daB  Herausführen  des  Gottes^  KamHi-omänte 
,das  Fortschicken  des  Gottes' .  Kamäi  ,Grott^  bezeichnet  auch 
ein  geisterhaftes  oder  wildes  Thier.  Beide  Wörter  bedeuten 
das  Fest  des  Herausfbhrens  des  Bären.  Zu  diesem  Feste  laden 
die  Ainu  die  Bewohner  der  benachbarten  Dörfer,  Verwandte 
und  Bekannte.  Sie  laden  auch  japanische  und  russische  An- 
gestellte ein^  in  der  Hoffnung,  von  ihnen  sake  (japanischen 
Wein  oder  russischen  Branntwein)  und  Geschenke  zu  erhalten . 


338  Pfizmaier. 

Nüman-nijdto  ,der  Vorabende  Diesen  Tag,  sowie  die  ganze 
ihm  vorangehende  Nacht  verbringt  man  im  Reigentanze.  Bei 
diesem  Tanze  trennen  sich  die  Reigen  der  Männer  von  den 
Reigen  der  Frauen.  Bei  dem  Tanze  der  Männer  ist  die  un- 
gewöhnliche Kunst,  die  Laute  des  Bären,  dessen  Brummen  und 
Brüllen  nachzuahmen,  bemerkenswerth.  Der  Tanz  der  Frauen 
lächert,  selbst  bei  den  Ainu  durch  starkes  Zurückziehen  der 
Hintern  (cHtmHTb  dUbHUMi  OTOfl^HBameirB  3aAHHi^%)..An  diesem 
Tage  trinkt  man  Sakfe,  aber  nicht  viel. 

Osiri  kotonu  ukurän  ,die  schlaflose  Nacfat^.  So  heisst  die 
Nacht  vor  dem  Feste.  In  dieser  Nacht  schläft  man  nicht,  man 
verbringt  sie  ganz  mit  Tanz  und  Tanzliedern  in  der  Nähe  des 
Bärenkäfigs  und  nicht  zu  Hause,  wie  auch  die  vorhergegangene 
Nacht.  Sak^  trinkt  man  nur  wenig,  und  selbst  dieses  thuen 
nur  die  geehrtesten  Gäste.  Den  Uebrigen  gibt  man  keinen 
Sakfe.  Gegen  Morgen  hören  Singen  und  Tanzen  auf,  und  die 
Ainu  beginnen  den  Bären  zu  beweinen,  indem  sie  vor  ihm 
kauern,  niederknieen  oder  in  gekrümmter  Stellung  mit  dem 
Angesicht  auf  der  Erde  liegen.  Dabei  fliessen  bei  ihnen  häufig 
eine  Menge  Thränen,  und  bei  Männern  gefrieren  die  Nasen- 
tropfen in  Gestalt  von  Eiszapfen  auf  dem  Barte.  Man  weint  um 
den  Bären,  welcher  getödtet  wird,  aber  nicht  über  Sünden. 

Kamüi-oHin-to  ,der  Tag  des  HerausfÜhrens  des  Gottes'.  An 
diesem  Tage  wird  der  Bär  herausgeführt.  Am  Meißen  gegen 
neun  oder  zehn  Uhr  legt  man  an  den  Bären  eine  doppelte 
Schlinge,  welche  ihm  den  Bauch  oder  die  Brust  umfasst.  Man 
zieht  fingerdicke  Riemen  aus  Seelöwenhaut  von  zwei  Seiten 
des  Käfigs  zwischen  einem  oberen  Balken  der  vier  Wände  und 
einem  der  Balken,  welche  die  Decke  ersetzen,  hindurch.  So- 
dann springen  zwei  Ainu  hinauf  und  beginnen  die  Decke 
hinimter  zu  werfen.  Sie  sind  kaum  zu  der  letzten  Reihe  der 
Deckenbalken  gekommen,  als  der  Bär  wie  ein  Pfeil  sich  hinauf 
wirft,  die  letzte  Reihe  selber  hinunter  wirft  und  aus  dem  Käfig 
so  schnell  herausspringt,  dass  die  auf  dem  Käfig  Stehenden 
kaum  Zeit  haben  herabzuspringen  und  die  Riemenhalter  kaum 
Zeit  haben,  ihn  zurückzuhalten,  indem  sie  die  Riemen  der- 
jenigen Seite,  von  welcher  er  sich  entfernt,  anziehen. 

Ein  schlauer  Bär  betrügt  zuweilen  dabei  die  Aiiiu.  Wenn 
er  den  Widerstand  von  der  einen  Seite  bemerkt,  wirft  er  sich. 


üntersQchnngen  Aber  Ainn-Gegenst&nde.  339 

ehe  man  an  der  entgegengesetzten  Seite  noch  Zeit  hat,  die 
Riemen  anzuziehen,  plötzlich  nach  dieser  Seite  und  es  geliingt 
ihm  mitunter,  irgend  wen  zu  packen,  zu  beissen  und  zu  kratzen. 
Doch  gelingt  es,  indem  man  ihn  neckt,  ihm  einen  Stock  in 
den  Mund  zu  stecken,  und  während  er  diesen  Stock  erfasst 
und  ihn  zu  zernagen  beginnt,  bringt  es  einer  von  den  Behen- 
deren dahin,  den  Bären  beim  Halse  zu  packen.  In  einem  Augen- 
blicke Wlt  der  ganze  Haufe  der  Ainu  über  den  Bären  her, 
erfasst  ihn  bei  den  Ohren,  bei  den  Füssen  u.  s.  w. 

Hierauf  legt  man  dem  Bären  einen  aus  der  Sumpfpflanze 
Orikön  verfertigten  Gürtel  an.  Dieses  nennt  man  ish-ekuf-kdnte 
,den  Bärengürtel  gebend  Dieser  Gürtel  wird  mit  dem  rothen 
Safte  gewisser  Früchte,  z.  B.  der  Beere  Hu-turip  oder  Enönuka, 
bunt  gefärbt.  Hernach  schmückt  man  den  Bären  mit  Ohr- 
ringen, welche  aus  Hobelspänen  der  Sandweide  (sibsu-nl)  zu- 
sammengedreht sind.  Man  nennt  dieses  öihUncch  honte  ,Ohr' 
ringe  aus  Hobelspänen  gebend  Man  flihrt  den  auf  diese  Weise 
geschmückten  Bären  an  Riemen  zu  dem  Inä-u-6ubo,  einem 
Halbkreise  aus  Flaggen  (tna-u),  welche  zu  Ehren  des  als  Opfer 
dargebrachten  Bären ,  aber  nicht  zu  Ehren  des  Berggottes , 
verfertigt  wurden.  Man  nennt  sie  deshalb  xsh-ind-u  ,Bären- 
flaggen'.    Andere  Flaggen  gibt  es  in  diesem  Halbkreise  keine. 

An  den  Flaggen  hängt  man  ausserdem  Sachen  von  Seide, 
Gold-  und  SilberstofF,  sowie  mandschurische  Säbel  (ca6^H)  aus- 
einander. Auf  dem  Gaukelwerke  (*OEyc'B)^  Inä-u-öubo  wird  an 
demselben  Tage  des  Festes  ein  nach  oben  gabelförmig  zer- 
theilter  Baum  ohne  Aeste  aufgestellt.  Derselbe  ist  an  den  Gabeln 
mit  Hobelspänen  geschmückt  und  wird  T&kusi  ,Pfahl'-  oder 
Tükusi-un^-u  ,Pfah]flagge'  genannt.  Das  Führen  des  Bären  zu 
dem  Halbkreise  Inä-u-öubo  >  nennt  man  tUü-ämpa  ,zu  den  Banden 
bringen'.  Hier  bindet  man  den  Bären  an  den  Pfahl.  Daher 
heisst  täkun-odUä-muß  ,an  den  Pfahl  binden'. 

Einer  der  Ainu,  welcher  gut  mit  dem  Bogen  zu  schiessen 
versteht,  nimmt  Bogen  und  Pfeil  und  tödtet  gewöhnlich  mit 
einem  einzigen  Schusse  den  Bären,  der  nur  noch  den  ein- 
dringenden Pfeil  zerbeissen  kann.  Alsdann  nimmt  Einer  der 
Aeltesten    unter  den   Anwesenden,   oder   ein  Schamane   einen 


t  Nach  einer  anderen  Angabe  zu  dem  Pflocke  Tükiisi. 


340  Ffizmaler. 

langen  Stab^  d.  i.  einen  geschmückten  Inä-u,  Namens  Jöritako- 
iniL-u,  welchen  er  über  dem  erschossenen  Bären  schwingt,  iro- 
bei  er  halblaut  ein  Gebet  murmelt.  Man  nennt  dieses  jorüdku 
,ein  Gebet  über  dem  getödteten  Bären  hersagend 

Hierauf  legen  sich  drei  oder  vier  Ainu,  nachdem  sie  sich 
durch  Betasten  und  Zupfen  überzeugt^  dass  der  Bär  wirklich 
gestorben  7  um  ihn  mit  dem  Gesichte  zur  Erde  und  beweinen 
ihn  zum  letzten  Male.  Dann  zieht  man  dem  Bären  das  Fell 
ab  (man  sagt  üh  trije  ,dem  Bären  das  Fell  abziehen^);  zeriheilt 
ihn  in  Stücke  (man  sagt  ish  trukümpa  ,den  Bären  zertheilen') 
mit  dem  Messer,  nicht  mit  dem  Beile ^  und  trägt  ihn  zum 
Kochen.  Das  abgetrennte  Haupt  bringt  man  dabei  in  das  Hauß 
des  Wirthes  und  legt  es  an  der  vorderen  Seite  (ruruw9o)  nieder. 
RüruwBO  ist  die  der  Thüre  gegenüberliegende  Seite.  Hernach 
verzehrt  man  das  Fleisch  des  Bären,  trinkt  den  ganzen  Tag 
Sak^  und  tanzt. 

Der  zweite  Tag  des  Bärenfestes  heisst  rui-kara-to  ,Tag 
des  Herrichtens  des  Felles^  Von  rv^  yFell^  karä  ^machen,  in 
Ordnung  bringen^  und  to  ^Tag^  Man  reinigt  das  FeU  und 
das  Haupt  des  Bären.  Auch  diesen  Tag  verbringt  man  in 
Trunkenheit. 

Der  dritte  Tag  des  Bärenfestes  heilst  $aba-mahdnkt'io 
yTsg  des  Ausspannens  des  Hauptes'.  Von  sabä  ,Haupt'  und 
makdnke  ^ausspannend  Man  sagt  auch  kei-makänke-to  ^Tag  des 
Ausspannens  der  Hirnschale',  von  hei  ,Himschale^  An  diesem 
Tage  trinkt  man  bis  Mittag  Sak^  und  trägt  um  Mittag  die 
Hirnschale  des  Bären  in  den  Wald  in  der  Richtung  der  Berge.  ^ 
Die  Trunkenheit  hat  jetzt  gänzlich  ein  Ende,  weil,  wie  der 
Ainu  Ciwokänke  bemerkte,  kein  Sak^  vorhanden  ist. 

Dieses  Fest  feiern  auch  die  den  Ainu  benachbarten 
Volksstämme,  die  Olök  und  die  Amurischen  Giläken.  Die  01& 
machen  dabei  auch  von  der  Flagge  {md-u)  Gebrauch.  In  Siika, 
nahe  der  Mündung  des  Flusses  Su  findet  sich  eine  eben 
solche,  sehr  grosse  Aufstellung  von  Flaggen  (tnd-u-#t)  wie  bei 
den  Ainu.  Dieselbe  gehört  den  016k,  aber  nicht  den  Ainu. 
Ind'Vrgi   bedeutet  eine  Sammlung  oder  Aufstellung  von  Ini-n. 


*  Nach  einer  anderen  Angabe  trägt  man  sie  nach  dem  Laufe  des  Flusses 
hinauf. 


UntersQchuogeD  Über  Ainn-Gegenttinde.  341 

Die  Giläken  führen  jährlich  von  Sachalin  an  den  Amur  Bären, 
welche  zu  diesem  Zwecke  gefangen  oder  bei  den  im  Bärenfang 
geschickteren  und  kühneren  Ainu  gekauft  wurden. 

Der  mit  Dobrotwörski  befreundete  Ainu  Öiwokänke  gestand^ 
er  selbst  habe  durch  die  Söja-äntara  (Bewohner  des  nördlichen 
JesBo)  erfahren,  dass  die  Cüwka-üntara  (Bewohner  des  östlichen 
Theiles  von  Jezo)*,  vor  den  Japanern  es  geheim  (pinufydne) 
haltend,  in  den  Wäldern  an  dem  Ursprung  der  Flüsse  noch 
jetiEt  Menschen  braten. 

Ueber  die  Ini-u  finden  sich  bei  Dobrotwörski  noch 
mehrere  Angaben.  Es  wird  vorerst  gesagt,  dass,  wie  in  den 
Schriften  der  sibirischen  Abtheilung  der  russischrgeographischen 
Gesellschaft  (Jahrgang  1864)  zu  sehen,  gelehrte  Reisende  er- 
klären, das  Opfer  InA-u  bestehe  in  Stäbchen  mit  krausen  An- 
hobelungen (naaoHKE  cb  sjapabhhh  sacTpysicaMH).  Wenn  man 
eine  solche  Benennung  als  Ausdruck  für  die  Ini-u  der  Ainu 
annehme,  Verstösse  man  stark  gegen  die  Wahrheit  Die  Ind-u 
verfertige  man  sowohl  aus  Stäbchen  als  aus  grossen  Stäben, 
aus  langen  Stangen  und  selbst  aus  ganzen  Bäumen.  Die  Hobel- 
späne (crpysBH)  an  ihnen  seien  gekrauste  und  ungekrauste. 
Endlich  brauchen  die  Inä-u  gar  keine  Anhobelungen  zu  haben 
und  alle  würden  doch  Inä-u  genannt. 

Ausserdem,  wenn  man  alle  Theile  der  Inä-u  aufmerksam 
betrachte,  sehe  man  in  ihnen  eine  Aehnlichkeit  mit  dem  mensch- 
lichen Körper.  Denn  es  gebe  an  den  Ini-u  ein  Haupt,  einen 
Hak,  Hände  u.  s.  w.  Desswegen  seien  die  Hobelspäne,  welche 
das  Haar  an  verschiedenen  Körpertheilen  vorstellen,  bloss  ein 
Theil  der  Inä-u.  Somit  passe  auf  diese  Baumopfer,  höchst 
wahrscheinlich  Ueberbleibsel  der  Sitte  der  Menschenopfer, 
keineswegs  die  Benennung:  .Stäbchen  mit  krausen  Anho- 
belungen%  während,  wenn  man  bei  vorläufiger  Beschreibung 
das  Wort  Ini-u  gebrauche,  man  uch  kurz,  deutlich,  und  in 
der  Hauptsache  richtig  ausdrücken  werde. 

Die  Ainu  bringen  alljährlich  im  Monate  November  dem 
Berggotte  ein  Sühnopfer,  indem  sie  den  Bären  tödten,  den  sie 
fbr  einen  Sohn  des  Berggottes  halten.   Es  wird  noch  bemerkt, 


^  Von  den  ,Ciiwka-antara'  wurde  oben  gesagt,   dasB   sie   den  Hals  der 
Menschen  mit  einem  gewissen  Werkzeuge  zusammendrücken. 


342  Pfizmaier. 

das8  man  den  aus  dem  Käfig  befreiten  Bären  mit  Blumen- 
gewinden bekränzt.  Dobrotwörski  heilte  einen  Ainu  Namens 
SAmbakus-ainu  aus  Näjero.  welchem  der  Bär  an  dem  Festtage 
zur  Zeit  der  Bekränzong  mit  Blumengewinden  die  Fingerspitze 
abgebissen  hatte. 

Der  Richtplatz,  auf  welchen  man  den  Bären  führt  (tiMf-ti- 
öubu)y  wird,  so  heisst  es,  in  halbkreisförmiger  Gestalt  aas 
einer  Menge  InA-u  gebildet  und  mit  reichen  Teppichen,  Schärpen, 
Tüchern  und  Zobelfellen  geschmückt.  In  der  Mitte  dieses  Halb- 
kreises binde  man  den  Bären  an  zwei  mit  einer  Menge  Ini-n 
geschmückte  und  oben  gabelförmig  endende  Pfähle  >  und 
erschiesse  ihn  mit  einem  Bogen. 

Das  gebräuchlichste  und  häufigste  Opfer  bei  den  Ainn 
sei  ein  mit  krausen  Hobelspänen  geschmückter  Stock  yon 
verschiedener  Grösse.  Es  sei  der  Inä-u.  Die  Grösse  der  Ini*a 
schwanke  zwischen  zwei  Werschök  und  anderthalb  EJafbem. 
Den  verschiedenen  Göttern  bringe  man  verschieden  heige- 
richtete  InA-u  zum  Opfer.  Doch  bei  allen. Ini-u  treffe  man 
Theile  des  menschlichen  Körpers.  Als  Dobrotwörski  aufmerk-- 
sam  einen  kopflosen  Inä-u  betrachtete,  argwöhnte  er,  dass  eine 
solche  Art,  InA-u  zu  bilden,  ein  Ueberbleibsel  der  Sitte  der 
Menschenopfer  sei. 

Die  Gestalt  eines  See-Inä-u  (atü%'ind^u)y  der  zur  Zeit  der 
Stürme  in  das  Meer  geworfen  wird,  desen  ausgestreckte  Arme 
und  zerhackter  Bauch  erinnerten  stark  an  die  biblische  Er* 
Zählung  von  dem  ausgeworfenen  Jonas.  Die  Ainu  selbst,  heisst 
es,  schämen  sich,  davon  zu  reden  und  versichern,  dass  unter 
allen  Ainustämmen  nur  die  Cuwka-äntara  in  der  alten  Zeit 
Menschenfresser  (ünkaju)  gewesen  seien. 

Von  dem  Halse  der  Ini-u  (ind-Vrtreküf)  gehen  nach  oben 
kurze  Anhobelungen,  welche  zeigen,  dass  kein  einziger  Leib 
^anfknglich^  (nepBOHa^ajBHo)  sich  der  ,Aufdeckung^  (cxpwfie) 
unterwerfen  konnte.     Das  Gesagte  ist  nicht  gut  verständlich. 

Die  Feuer-Ini-u  (imSi'ind'U)  stellt  man  auf  die  vordere 
Ecke  des  Herdes.  Ihre  Zahl  belauft  sich  bis  auf  zwölf.  Die 
alten  trägt  man  zu  der  gewöhnlichen  Zusammenlegung  hinaus. 

1  Nach  der  früheren  Angabe  ist  es  ein  nach  oben  gabelförmig  getheilter 
Banm  ohne  Aeste,  welcher  Tiiknsi  ,Pfahl'  oder  Tüknsi-nnA-n  ,PfahUUni-n' 
genannt  wird. 


UntcrsQchangen  fiber  Ainn-Gegentt&ndc.  343 

Indem  man  in  dieser  Abhandlung  zu  gottesdienstlichen 
Gegenständen  übergeht,  möge  vorerst  über  das  Wort  kaniüi, 
welches  ursprünglich  ,Gott^  bedeutet,  Einiges  gesagt  werden. 
Herr  Dobrotwörski  kommt  mit  Recht  zu  dem  Schlüsse,  dass 
der  Gottesglaube  der  Ainu  anfänglich  in  der  Vergötterung 
sinnlicher  Gegenstände  bestand,  sagt  aber,  dass  das  Wort  kamüi 
von  kamu  ,Fleisch*  und  trui  ,stark^  abgeleitet  werde  und  somit 
,ein  an  Fleisch  reiches  Wesen'  bedeute.  Dass  es  höchst  wahr- 
scheinlich einige  Wirbelthiere  gewesen,  welche  von  den  Ainu 
vergöttert  wurden,  mag  ebenfalls  unbestritten  bleiben. 

Es  ist  indessen  unzweifelhaft^  dass  das  japanische  kami 
und  das  Ainu  kamüi  in  der  Bedeutung  ,Gott'  ein  und  dasselbe 
Wort  sind,  dass  jedoch  beide  Wörter,  wo  man  sie  auf  Menschen 
bezieht,  nichts  mit  dem  Sinne  von  ,Gott'  gemein  haben.  Obgleich 
sich  eigentlich  nicht  nachweisen  liesse,  ob  das  fragliche  Wort 
japanischen  oder  Ainu-Ursprungs  ist,  steht  es  doch  fest,  dass 
von  dem  japanischen  kami  ^oben'  alle  übrigen  Bedeutungen 
des  Wortes  stammen,  zumal  das  Ainu- Wort  für  ,oben'  nicht 
koTni  oder  ein  ähnliches  Wort,  sondern  kdske,  auch  rikta  ist. 
Was  die  Japaner  über  die  Ableitung  sagen,  ist  grundlos,  wider- 
sprechend und  kindisch. 

Als  Ainu-Ausdrücke,  in  welchen  kamiii  nicht  ,Gott'  be- 
deutet, sondern  das  veränderte  japanische  kami  ,älteste  Obrigkeit, 
Statthalter'  ist,  mögen  genannt  werden  mösiri-karnüi  .Statthalter 
der  Insel,  König  des  Reicjies'  und  die  hinsichtlich  des  ersten 
Theiles  der  Zusammensetzung  noch  immer  unerklärbaren  zwei 
Wörter  Tsmdjeri-kamäi  ,Himmel8Sohn'  und  Tsidnhi-kamüi  ,der 
Heerführer  von  Japan,  der  Siögun'. 

Die  Zusammensetzungen,  in  welchen  kamüi  ursprünglich 
,Gott*  bedeutet,  sind  sehr  zahlreich.  Besonders  bemerkens- 
werth  sind: 

Porb-atüi'kamüi  ,der  grosse  Meergott',  der  Seelöwe. 

Pon-aiüi'kamüi  ,der  kleine  Meergott',  der  Seehund. 

Kamüi'tiäi  ,das  göttliche  Haus',  der  Bärenkäfig. 

Pon-kamUd  ,der  kleine  Gott',  ,das  Sommerjunge  des  Robben'. 

önnew'kamtd  ,der  Adlergott',  ,das  im  Winter  geborene 
Junge  des  Robben'. 

Cuw'kamtd  ,der  Sonnengott',  ,das  Junge  des  Robben, 
welches  im  Herbste  getödtet  wird'. 


344  Pfismaier. 

Janiä'kamm  ,der  Waldgott',  ein  Thier  des  Waldes. 

Die  Götter  der  Ainu's  sind  eine  unzählige  Menge  und  es 
gibt  deren  für  jedes  Land  und  jeden  Ort.  So  sagt  man  tan 
mösiri  sikdSma  kamui  ,die  Schutzgötter  dieser  Insel',  tan  kotän 
sikahna  kamüi  ,die  Schutzgötter  dieses  Dorfes'.  Es  gibt  gote 
und  böse  Götter.     Die  vorzüglichsten  guten  Götter  sind: 

CnW'kamidj  die  Lichtgötter. 

N&buri'kamüi^  der  Berggott. 

Atid-kamüi,  die  Meergötter. 

UniSi'kamüi,  die  Feuergötter,  die  Götter  des  Herdes. 

Tüh-kamüi^  die  Hausgötter. 

Toi'kamüi,  der  Erdgott. 

Tusü'kamüif  die  Schamanengötter. 

Kotän-karapp^,  der  Gründer  der  Niederlassung. 

K6iki'kamilij  die  Jagdgötter. 

SikdSma-kamüi,  die  Schutzgötter. 

Besonders  die  Schutzgötter  sind  unzählige,  da  jede  Gegend, 
jede  Insel,  jeder  Hügel,  jedes  Dorf  u.  s.  f.  einen  eigenen 
Schutzgott  hat. 

Das  Aeussere  dieser  Götter  ist  den  Ainu's  unbekannt. 
Bios  der  Herdgott  kommt  nächtlich  aus  der  Asche  in  Gestalt 
eines  hübschen  Knaben  hervor  und  das  Angesicht  des  Licht- 
gottes kann  man  in  einer  hellen  Nacht  an  dem  Monde  sehen. 
Der  Mond  der  Lichter,  oder  der  Mondgott  lebt  in  dem  Monde. 
In  jedem  Neumond  wird  er  geborgen,  wächst  dann  auf,  wird 
ein  Knabe,  ein  Mann  und  stirbt  am  Ende  der  Abnahme  des 
Mondes  als  hochbetagter  Greis.  Unter  allen  Göttern  hat  blos 
der  Mondgott  ein  Weib  unÄ  einen  Hund  bei  sich,  welche  er 
fing,  als  er  in  den  Mond  fortging. 

Zu  den  bösen  Göttern  gehören: 

Ojä»iy  der  Dämon. 

Wen-ojdsiy  der  böse  Dämon.  Auch  toen-kamüt  ,der  böse 
Gott'  genannt. 

Känna-kamüi^  der  Donnergott. 

Der  Berggott  (nüburi-kamid)  wird  für  einen  beinahe  ebenso 
grossen  Gott  wie  der  Gt)tt  der  Lichter  (6uw-kämui)  gehalten. 
Man  hält  ihn  auch  ftir  einen  gleich  grossen. 

Der  Erdgott  (toi-kamti)  wohnt  in  Pöchna-kotkn  ,in  der 
Unterwelt',  doch  ist  nicht  bekannt,  in  welcher  Unterwelt,  ob  in 


Unterauchungen  über  Aintt-OegetisUlnde.  3^0 

derjenigen  der  Menschen,  oder  in  einer  besonderen.  Wenn 
er  auch  nur  den  Finger  bewegt,  bersten  die  Felsen  und  die 
ganze  Insel  zittert.  Dabei  zittern  auch  die  Häuser.  Dieser 
Gott  wird  ein  grosser  Gott  ('porb-kamid)  genannt. 

Einer  der  Meergötter  tibei*wacht  die  Seefischerei,  deren 
Erfolg  einzig  von  ihm  abhängt.  Man  bringt  ihm  die  untere 
Kinnlade  des  kleinen  Lachses  (Hräi)  zum  Opfer.  Atüi-hamid 
jMeergott*  werden  auch  alle  grossen  Seethiere,  die  Seelöwen, 
Robben,  Walfische,  Delphine,  u.  s.  w.  genannt. 

Tutiü-dinu  oder  tu8Ü-kui'ili  heisst  ein  Schamane.  Von  tunü 
,die  Schamanenkunst  üben^ 

Tvsii'öinu  kamüiy  ein  Schamanengott,  der  Gott  der  Scha- 
manen.    Derselbe  heisst  auch  kosümpu  oder  kommbu, 

Tu8Ü-kamüi,  die  von  den  Schamanen  herbeigerufenen  Götter. 

Von  dem  Dasein  der  Götter,  ihrem  Leben  und  ihren 
wechselseitigen  Beziehungen  sagen  die  Äinu  nicht  ein  Wort. 
Nur  die  Schamanen  behaupten  kühn,  dass  sie  Götter  sehen,  ihre 
Stimme  hören,  und  die  Ainu  glauben  ihnen  vollkommen. 

Von  einem  Schamanen  vorgerufen,  erscheinen  die  Scha- 
manengötter  und  beginnen  mit  einem  Geräusch  ähnlich  dem- 
jenigen, welches  durch  eine  in  der  Luft  geschwungene  Gerte 
hervorgebracht  wird,  zu  fliegen.  Dieses  Geräusch  ist  ihre  Sprache, 
welche  nur  von  den  Schamanen  verstanden  wird.  Hierauf  macht 
der  Schamane  dem  Kranken  das  von  den  Göttern  bezeichnete 
Heilmittel,  oder  irgend  Jemandem  sein  Schicksal,  gewöhnlich 
ein  günstiges,  bekannt. 

Bei  dem  Schamanen  P<iputu  war  einst  mit  dem  Schamanen 
Chi-ich\  ein  Streit,  bei  welchem  P^putu  immer  zwei  Schamanen- 
götter sah,  welche  auf  ihn  mit  Pfeilen  schössen  und  von 
welchen  der  eine  traf.  Der  Pfeil  fiel  hierauf  von  selbst  heraus 
und  er  blieb  am  Leben. 

Wenn  ein  Schamanengott  auf  Befehl  eines  Schamanen  auf 
einen  Nichtschamanen  schiesst,  so  kann  ein  anderer  Schamane 
den  Pfeil  herausziehen,  sonst  ist  der  Mensch  auf  der  Stelle 
todt.  Die  Pfeile  der  Schamanengötter  verursachen  keine  Wun- 
den. Ausser  solchen  Pfeilen  ziehen  die  Schamanen  auch  aus 
den  Eingeweiden  der  Kranken  verschiedene  Krankheiten  heraus. 

Tose  heisst  eine  Rolle  aus  Hobelspänen  des  Ini-u.  Der 
Schamane  Kochko  nahm  eine  solche  Rolle  Hobelspäne  aus  dem 

Siunagsber.  d.  phü.-bUt.  Cl.    CUI.  Bd.  U.  Hfl.  23 


346  Pfiinaler. 

Brustfleische  des  Ainu  Tsi^kajänke  heraus  und  zeigte,  dass 
dieses  ein  Oift  (s&ruku)  sei.  Indem  er  es  herausnahm,  Hess 
er  keine  Wunde  zurück.  Die  Schamanengötter  theilten  Kochkö 
mit*,  dass  der  Ainu  Üiruke  dieses  Gift  hineingelegt  habe. 
Die  Verwandten  begehrten  desswegen  von  Uiruke  das  Blut- 
geld ((X8lmpe). 

Von  dem  Schamanen  Sir&busis  aus  Kusün-kotkn  wurde 
erzählt,  er  habe  ein  todtes  Mädchen  zum  Leben  erweckt,  nach- 
dem er  ihr  an  dem  Halse  in  einer  Schale  kalten  Wassers  ihre 
Seele  ausgegossen.  Nach  einer  anderen  Angabe  habe  er  ihr 
hinter  dem  Rücken  ihre  Seele  in  einer  Schale  kalten  Wassers 
ausgegossen.  Das  Mädchen  habe  anfänglich  die  Finger,  dann 
die  Arme  und  die  Füsse  bewegt  und  sei  zuletzt  lebendig  ge- 
worden. Dieser  Schamane  läugnete  vor  Herrn  Dobrotwörski 
diese  ihm  zugeschriebene  Erweckung  eines  todten  Mädchens. 
Die  Seele  sehen  nur  einige  Schamanen.  Sie  sagen,  dieselbe 
sei  von  der  Gestalt  eines  ganz  kleinen  Vogels,  der  in  dem 
Herzen  lebt. 

Namen  von  Schamanengöttern  sind: 

ChStsire-kamüi,  der  spielende  Gott. 

N'äbiuru-kamüi,  der  kunstverständige  Gott. 

Chetstre-kosümbu,  der  spielende  Schamanengott. 

Diese   drei  Namen   bezeichnen   Götter  der  Gaukelwerite. 

ChMsire-kamiii  karä  atnw,  der  den  spielendien  Gott  vor- 
stellende Ainu.  So  heisst  der  den  Göttern  der  Gaukelwerke 
gebietende  Schamane. 

Chet8ire-tu8Ü-dinu,  der  spielende  Schamane.  Dieses  Wort 
hat  die  Bedeutung  des  vorhergehenden. 

Öimuß-kamüi'karä,  die  anbindenden  Götter  vorstellen,  d.  i- 
Gaukelwerke  aufführen.    Cimuß  ist  so  viel  als  mujly  anbinden. 

Chetsire-kamüi-kardj  die  spielenden  Götter  vorstellen.  Hat 
die  Bedeutung  des  vorhergehenden  Wortes. 

Ein  Mensch,  der  einen  Schamanengott  sieht,  stirbt  augen- 
blicklich.    Sonst   sind   nur   die  Schritte   dieser  Götter  hörbar. 

Als  Gaukelwerke  der  Schamanen  wurden  bekannt: 

Der  Schamane  Cherökki-eku  wurde  gebunden  und  band 
sich  im  Finstem  los. 

Der  Schamane  P^putu  verwandelte  Glasperlen  aus  der 
Rinde  der  Sandweide  (silsü)  in  echte  Glasperlen  oder  in  Tabak. 


üntenachnngeD  &ber  Ainn-Oegenfct&nde.  347 

Der  Schamane  P6putu  sog  ferner  Krankheiten  ans  den 
Eingeweiden  in  Gestalt  rothen  Fleisches  aus. 

Die  Götter  gaben  ihm  Glaskorallen  und  Tabak.  Er  ver- 
theilte  dieses  unter  die  Anwesenden. 

Er  liess  auf  sich  mit  Pfeilen  schiessen.  Die  Götter 
nahmen  die  Eisenspitzen  (kdni)  der  Pfeile  heraus,  so  dass  ein 
Pfeilschaft  auf  die  Erde  fiel.  P^putu  hob  einen  der  anwesenden 
Ainu  empor  y  und  die  Eisenspitze  fiel  diesem  zwischen  die 
FüBse  aus  dem  Gewände  heraus. 

Pöputu  liess  Feuer  aus  dem  Munde  heraus.  Er  zerschlägt 
eine  kupferne  Pfeife  mit  einem  Hammer^  steckt  sie  in  den 
Mund  und  nimmt  sie  als  eine  ganze  Pfeife  heraus.  Er  zerbricht 
eine  Nadel,  steckt  sie  in  den  Mund  und  nimmt  sie  als  eine 
ganze  Nadel  heraus. 

Man  bindet  ihn,  doch  die  Schamanengötter  binden  ihn  los, 
indem  sie  zu  ihm  bei  einem  erloschenen  Feuer  herabsteigen. 

Er  schöpft  in  einen  leeren,  mit  keinem  Boden  versehenen 
Zuber  (Hntoko)  Wasser,  welches  alle  Anwesenden  trinken.  Das 
Wasser  läuft  aber  nicht  aus. 

Die  Ainu  gedenken  des  Schutzgottes  (sikdima-kamüi)  der 
Niederlassung  beim  Trinken.  Vor  der  ersten  Schale  Sakfe  sagen 
sie  ein  stiDes  Gebet  her,  indem  sie  über  der  Schale  den  Trink- 
stiel (ikÜ7iü)  fest  halten.  Hierauf  fahren  sie  über  der  Schale 
mit  diesem  kleinen  Spatel  zweimal  in  die  Luft,  bringen  damit 
einen  Tropfen  Saki  zum  Opfer  fiir  den  Schutzgott  der  Nieder- 
lassung hin  und  wenden  die  Hand  nach  der  Seite,  unbekümmert, 
ob  das  Tröpfchen  in  den  Trinkstiel  läuft  oder  nicht.  Indem 
sie  endlich  den  Schnurrbart  emporhalten,  trinken  sie  die  Schale 
aus.  Die  letzten  Tropfen  jedoch  wischt  man  mit  dem  Zeige- 
finger ab  und  beleckt  diesen.  Nachdem  man  zum  Schlüsse  den 
kleinen  Spatel  auf  die  Schale  gelegt,  erhebt  man  diese  zum 
Zeichen  der  Dankbarkeit  gegen  den  Wirth  zur  Stirn  und  gibt 
sie  dem  Nächstfolgenden  weiter. 

IkdnU  ,Trinkstiel'  ist  ein  kleiner  Spatel,  mit  welchem  man 
den  Schnurrbart  zur  Zeit  des  Trinkens  emporhebt.  Derselbe 
hat  oft  Verzierungen  von  Einschnitten.  Das  Wort  ist  aus  ikü 
ytrinken^  und  nii  ,StieP  zusammengesetzt. 

In  Bezug  auf  den  erwähnten  Gebrauch,  den^  Zeigefinger 
2U   belecken,   ist  ikemümpe   ein  Name   des   Zeigefingers.     Das 


340  Pfismaier. 

Wort  ist  aus  Vc^m  flecken'  und  mümpe  .Finger^  zusammenge- 
setzt. In  demselben  Sinne  sagt  man  auch  itanki-kembe  ,der 
Trinkschalenfinger*. 

Den  bösen  Göttern  bringt  man  keine  Opfer  dar.  Dem 
Donnergotte  (kännq-kamiU)  desswegen  nicht,  weil  er  heftig 
zankt  (ukoiki-porb). 

Kdnna-kamüi  ,der  Donnergott'  bedeutet  wörtlich:  der  obere 
Gott.  Von  kdnna  ,ober,  oben  befindlich',  welches  mit  dem  bei 
kamüi  angeführten  japanischen  kami  übereinstimmt.  Davon 
kanTia-kamui'fumif  die  Stimme  des  oberen  Gottes,  der  Donner, 
für  welches 9  wie  angegeben  wird,  in  der  Wörtersammlung 
Ptudkin's  die  Verbindung  rUta-kamiti  hummi  gesetzt  ist. 

Riäta-karnüi  ist  jedoch  der  Himmelsgott,  ein  besonderer 
Gott,  nicht  der  Donnergott,  obgleich  riita  ebenfalls  ,ober,  oben 
befindlich*  bedeutet.  Für  rüta  wird  auf  Jezo  dialectisch  riki'4a 
gesagt.  Dasselbe  bedeutet  sowohl  ,ober'  als  auch  ^Himmel', 
wie  in  meinem  Wörterbuche  zu  sehen. 

Zu  den  Opfern  für  die  guten  Götter  gehört  noch  die 
Sitte,  häufig  Stäbchen  mit  Vogelköpfen  in  die  Wände  einzu- 
fügen. Wenn  man  über  einen  Berg  geht,  wirft  man  dem 
Berggotte  einen  Finger  voll  Tabak  hin.  Sonst  werden  Thiere 
des  Waldes  dem  Berggotte,  Vogelköpfe  dem  Meergotte  zum 
Opfer  gebracht. 

Saninä'Ud  ist  eine  Häufung  von  Flaggen  an  dem  Meerufer. 
Man  stellt  sie  an  einem  hohen  und  steilen  Meerufer  (kiserij 
und  auf  Sandbänken  (mdsara)  zum  Opfer  für  den  Meergott  auf. 
Das  Wort  stammt  von  dem  einfachen  inä-u-si  ,eine  Häufung  von 
lAä-u'.  Das  vorgesetzte  san  ist  von  ungewisser  Bedeutung. 

Die  Dämonen  (ojdsi)  sind  die  Urheber  aller  Krankheiten 
und  gehören  zu  den  bösen  Göttern.  Da  die  bösen  Gatter  von 
den  guten  unabhängig  sind,  erdachten  die  Ainu  verschiedene 
Mittel,  um  sich  vor  Schaden  zu  bewahren. 

Ein  Dämon,  der  von  Gestalt  einem  Ainu  ähnlich  ist,  geht 
in  der  Nacht  um  die  Dörfer  herum.  In  dem  Dorfe,  zu  welchem 
er  gelangt,  kommen  dann  allerlei  schwere  Krankheiten,  vor- 
züglich Krankheiten  der  Brust,  zum  Vorschein.  Die  Ainu 
nennen  ihn  auch  den  Hustengott  (önke-kamäi).  Das  Nahen  des 
Ojäsi  ist  jedoch  von  einem  eigenthümlichen  Geräusch  (ojäM- 
chum,  Geräusch  des  Dämons)  begleitet.  Wenn  die  Ainu  dieses 


Untersuchungen  Aber  Ainn-Gegenst&nde.  349 

hören,  werfen  sie  sogleich  in  das  Feuer  einen  Stein,  der  bei 
den  Ind-u  des  Herdes  liegt,  und  der  Ojäsi  entflieht. 

Der  erwähnte  Stein,  den  man  als  Mittel  gegen  die  Dä- 
monen braucht,  ist  eine  Steinkohle  (dnH).  Dieser  Stein,  der 
von  den  Ainu  von  Aniwa  nicht  verwendet  wird,  flihrt  bei  den 
übrigen  Ainu  den  Namen  ündi-kü8uri  jFeuerarznei^ 

Der  böse  Dämon  (wen-cjäsi),  auch  der  böse  Gott  (wen- 
katnid)  genannt,  lenkt  die  Reisenden  von  dem  Wege  ab  und 
bewirkt,  dass  sie  herumirren  und  vor  Hunger  sterben.  Wenn 
man  die  Stimme  dieses  bösen  Dämons  hört,  welcher  einen 
Menschen  beim  Namen  ruft  und  ihn  von  dem  Wege  abin^en 
macht,  so  muss  man  die  beschwörenden  Worte  chdnka  kerndte- 
eck  küni-nu  lä  ,8chrecke  nicht  in  der  Nacht'!  vorbringen,  und 
der  böse  Dämon  entflieht. 

Dieser  Dämon  macht  den  Menschen  auf  zweierlei  Weise 
wahnsinnig,  indem  er  entweder  in  der  Nacht  auf  dem  Wege 
ein  Feuer  anzündet,  oder  den  Menschen  von  rückwärts  berührt. 
Ein  Ainu,  der  in  der  Nacht  auf  dem  Wege  das  Feuer  des 
bösen  Dämons  gesehen,  schlitzt  einem  Hunde  das  Ohr  auf  und 
bestreicht  sich  mit  dem  Blute  das  Gesicht.  Das  Feuer  ver- 
schwindet hierauf.  Dennoch  läuft  ein  furchtsamer  Ainu  zu  der 
ersten  besten  Jurte  in  einem  solchen  Schrecken,  dass  er  sich 
oft  auf  der  Erde  wälzt  und  man  ihn  mit  kaltem  Wasser  be- 
giesst,  oder  selbst  ihm  am  Arme  einen  Aderlass  macht. 

Wenn  ein  Ainu  in  der  Nacht  hinter  sich  auf  dem  Wege 
das  Geräusch  der  Schritte  des  bösen  Dämons  hört,  nimmt  er 
von  sich  das  untere  Leinenzeug  weg,  entblösst  seine  zwei 
Messer  und  geht  gebückt  imd  mit  seinem  Messerchen  nach  rück- 
wärts fahrend  daher.  Der  böse  Dämon  entflieht,  indem  er  sich 
vor  den  Ainumessern  ftirchtet,  vielleicht  aber  auch  über  dieses 
Bild  sich  schämt. 

Der  Wahnsinn  ist  für  die  Ainu  schrecklich,  besonders 
desswegen,  weil  sie  diese  Krankheit  zu  den  unheilbaren  imd 
schnell  zum  Tode  ftlhrenden  zälilen.  Die  Wahnsinnigen  leben 
nicht  in  den  Häusern  und  kommen,  in  dem  Walde  herumirrend, 
schnell  durch  Selbstmord  oder  Hunger  um. 

Der  Ainu  Ciwokänke  sah  im  Winter  das  Feuer  des  bösen 
Dämons  nahe  dem  Dorfe  Ai,  als  es  finster  wurde,  in  Gestalt 
einer  grossen  Leuchte.  Als  er  das  Ohr  des  Hundes  aufschlitzte 


350  Pfizmaier. 

und  Torbeifuhr,  verschwand  das  Feuer  des  bösen  DämonB, 
doch  darauf  zeigte  es  sich  wieder  und  war  von  vom  an  ver- 
schiedenen Orten,  dicht  bis  zu  dem  Flusse  Otoskn  sichtbar. 

Ein  besonderer  Gott  bringt  die  Bilder  in  den  Wolken,  Thiere, 
Berge  u.  s.  w.  hervor.  Diese  Bilder  nennt  man  nUockt8i-kard.  Von 
niäocJita  ,an  dem  HimmeP,  welches  so  viel  als  nüora-ocfUä. 

Citukdnni  ist  eine  Birke,  nach  welcher  die  alten  Ainn 
und  Giläken  mit  Pfeilen  schössen,  indem  sie  die  Pfeile  zum 
Opfer  für  die  Götter  in  der  Nähe  der  Häufungen  der  Flaggen 
{ind'U-si)  aufstellten.  Eine  solche  Birke  befand  sich  vor  nicht 
sehr  langer  Zeit  unfern  von  dem  Berge  Sir&tsi6,  einem  Orte  zum 
Ueberwintem  an  der  Ueberfahrt  zynischen  Käsunai  und  Mdnuja. 

Die  Ainu  glauben  an  die  Unsterblichkeit  der  Seele  und 
nehmen  an,  dass  nach  dem  Tode  die  Seelen  nach  Pächno-kotkn 
gehen.  Die  Seele  heisst  tramäch  oder  tramdtri.  Das  letztere  Wort 
ist  bei  den  südlichen  Ainu  üblich.  In  Pdchno-kotkn  geniessen  die 
guten  Menschen  alle  Freuden.  Die  bösen  Menschen  werden 
zugleich  mit  den  bösen  Göttern  gequält.  Einige  sind  aufgehängt, 
Andere  stehen  in  heissem  Wasser  u.  s.  f. 

Aus  der  Zahl  der  Thiere  leben  in  Pächo-kotkn  nur  Hunde. 
Für  den  Bären  hat  man  nach  dem  Tode  einen  Wohnsitz  in 
dem  Walde  (jamä-kotäny  Niederlassung  des  Waldes),  für  die 
Seehunde  und  die  Seelöwen  einen  in  dem  Meere  (aüld'kotdny 
Niederlassung  des  Meeres)  angewiesen.  Die  übrigen  Thiere  be- 
sitzen kein  Leben  nach  dem  Tode. 

Wenn  ein  Ainu  von  einem  Abwesenden  Böses  spricht,  so 
niest  derjenige,  von  welchem  man  spricht,  mit  einem  Schmerz 
in  der  Nase.  Wenn  man  aber  Gutes  spricht,  so  niest  derselbe 
ohne  einen  Schmerz  in  der  Nase.  Der  mit  einem  Schmerz 
Niesende  sagt:  chimctta  $etä  koiarurwen  ,welcher  Hund  redet 
übel  nach?^  Man  sagt  auch  cMmata  setä  wempe^dniy  oder  chSmata 
setä  esdm-pij  oder  chemata  setä  sdni-püH  ^welcher  Hund  redet 
übel  nach?* 

Ko6aru-wen ,  wempesdni,  esdmpi  und  sdni-piA  bedeuten 
gleichmässig:  übel  nachreden.  Wempesdni  steht  ftir  wen-peadnij 
von  wen  , schlechte  In  sani-pisi  hat  piiü  allein  die  Bedeutung 
,fragen^ 

Etü-kiimay  sich  bei  der  Nase  nehmen.  Wenn  die  Frauen 
der  Söja-untara  Jemanden  grüssen,  reiben  sie  sich  die  Hände, 


UntersnchnogeD  Aber  Alaa-GegeoBtAnd«.  351 

erheben  sie  zum  Angesicht,  und  fahren  mit  der  Hand  zur 
Oberlippe.  Wenn  die  Söja-äntara  und  Saruntara  sich  ver- 
wundem,  rufen  sie  O!    und  nehmen  sich  bei  der  Nasenspitze. 

Die  Sitte,  sich  bei  der  Nase  zu  nehmen  (etdrkUma)  wird 
bei  den  Ainu  von  Sachalin  selten  beobachtet.  Wenn  sie  sich 
verwundem,  rufen  sie  gewöhnlich  nur  0!  ho!  sitamare  ,Oho! 
wunderbarM  oder  sitamar^na  ,wunderbar!^ 

Wie  der  Ainu  Ciwokänke  sagte ,  gibt  es  eine  Art  zu 
grÜBsen,  welche  urankarabarh  genannt  wird.  Der  Gruss  besteht 
darin y  dass  man  sich,  gerade  wie  bei  der  Danksagung  (Jäi- 
irdtkere)  einmal  über  den  Bart  streicht.  Ausserhalb  des  Hauses 
entbietet  man  ihn  kauernd,   da  man  sich  nicht  setzen  kann. 

Wörter,  welche  die  Art  des  Grusses  bezeichnen,  sind  noch 
umturdipa  und  indnukarachie. 

Urdnkarahare  oder  urdnkarapare  ist  dem  Sinne  nach  zu 
u-ran-kara-ba-re  abzutheilen.  Von  rdmu  ,Gemüth'  und  karä 
,thun^  mit  den  Endsylben  ba  re.  U-ramu  ist  soviel  als  tiko-ramu, 
oder  das  in  meinem  Wörterbuche  verzeichnete  iramu  ,kennen^ 
Zu  vergleichen  hiermit  turdnkara-kara  ,sich  nähern,  sich  ver- 
söhnen'  und  das  ebenfalls  bei  mir  verzeichnete  i-ramu-kambare 
,eine  ängstliche,   erschrockene  Miene^ 

Umurdipa  ist  u-mu-ra^pa  abzutheilen.  Dabei  hat  mu  die 
muthmassliche  Bedeutung  von  mui  ybinden,   zusammenbinden^ 

Indnukarachte  ist  i-nanu-karcuJite  abzutheilen.  Von  nänu 
,Ange8icht',  karä  ,thun'  und  te  ,Hand^  Dass  indnukarachte  in 
japanischer  Schreibung  durch  jangarapte  ausgedrückt  zu  sein 
scheint,  ist  in  meiner  Abhandlung  ,EIrörterungen  und  Auf- 
klärungen über  Aino'  (S.  1082)  zu  sehen. 

Bei  dem  Grusse  Umuräipa  legen  die  Grüssenden  alle  vier 
Hände  wechselweise  zusammen.  Es  kommt  zuerst  die  Hand  des 
Einen,  dann  des  Anderen,  hierauf  wieder  die  Hand  des  Einen, 
dann  des  Anderen,  und  zwar  so,  dass  die  Daumen  Beider 
an  den  Enden  einander  berühren.  Nachdem  auf  diese  Weise 
die  Hände  zusammengelegt,    schüttelt  man  sie  oberflächlich. 

Wie  der  Ainu  öiwokinke  sagte,  ist  der  Gruss  Urdnkara- 
hare soviel  als  der  Gruss  InAnukarachte.  Bei  dem  Grusse 
Urinkarabare  kauern  die  Ainu  einander  gegenüber,  reiben  sich 
zweimal  die  Hände  und  erheben  sie  zum  Angesicht,  womit  die 
Sache  ein  Ende  bat.   Die  Ainu  stehen  auf  und  fUUen  einander 


352  ?fixni»ier. 

die  Pfeife  an,  ein  Jeder  eine  fremde  mit  seinem  eigenen  Tabak. 
Der  kauernd  entbotene  Gruss  Uränkarabare  findet  dort  statt, 
wo  kein  Platz  zum  Sitzen  ist,  da  die  Ainu  es  fttr  unschicklich 
halten^  stehend  zu  grüssen. 

Der  Ainu  Ciwokdnke  versicherte,  dass  der  oben  genannte 
Gruss  Umuräipa  nur  unter  Verwandten  gebräuchlich  sei. 

Kasäj  das  japanische  kaaa  ,SchirmS  ist  ein  Stroh-  oder 
Bambushut  flir  Festtage.  Derselbe  hat  breite,  mit  Fischbein 
besetzte  Krampen,  deren  vier  Streifchen  quer  über  die  Krampe 
bis  zu  einem  über  dem  Hute  befindlichen  kleinen  Kreise,  mordphu 
genannt,   gehen. 

Möinma  kann  als  moi-zirna,  von  moi  ,wenig'  und  dem 
japanischen  nma  ,die  Streifen  eines  Tuches*,  betrachtet  werden. 
Es  ist  eine  Art  gemodelter  Ueberärmel,  welche  von  Männern 
im  Winter,  besonders  bei  Schlittenfahrten  und  der  Kälte  wegen 
getragen  werden. 

Opömpe  ,weite  Beinkleider,  Kniestück'  kann  von  pompe 
,kleine  Sache*  abgeleitet  sein.  Dieses  Kleidungsstück  reicht 
nur  bis  zu  der  Mitte  der  Hüften.  Man  unterscheidet  poi-opömpe 
,Kniestück  aus  grober  Leinwand^  und  setä-opiimpe  ^Kniestück 
aus  Hundsfell'. 

Cirapai  ,Hemd'  ist  ein  bis  zu  den  Knieen  gehendes  Kleid 
ohne  Unterfatter,  mit  einem  Bande  zum  Zubinden  an  dem  Halse. 

Ekaje  ist  ein  gemodelter  Saum  rings  um  die  Aermel  des 
Kleides.  Von  ekäi  ,rings  umher^  Man  sagt  auch  tusä-ekaji  von 
tifsä  ,Aermel'. 

Kdfke  ist  ein  Ledergürtel,  an  welchem  sich  gegen  siebzig 
Schnallen  und  Ringe  befinden.  Die  Ainu  erhalten  diesen  Gürtel 
von  den  Giläken. 

ArtuS  heisst  der  Rock  der  Ainu.  Es  gibt  vier  Arten 
dieses  Rockes. 

Kardnni'drtui  ist  ein  Rock  aus  dem  Baste  des  Baumes 
kardnni  oder  karä-ni.    Derselbe  ist  ein  rother  Rock. 

Opiwni'drtvA  ist  ein  Rock  aus  dem  Baste  des  Baumes 
opiw  oder  opiw-ni.  Derselbe  ist  ein  gelber  Rock. 

Kdäco'karä'drtai  ist  ein  bunter  Rock  mit  einem  Au&ug  aus 
Brennesseln  und  einem  Einschlag  aus  dem  Bast  des  Baumes  Opiw. 

Tetardpe  bedeutet  »weisses  Kleide  Von  Utara  »weiss*. 
Das  Wort^  in  Mo-siwo-gusa  nicht  enthalten,  hat  in  der  Wörter- 


üntenvcbnDf^en  Aber  Aioa-Oe^eDBt&Dde.  öu3 

Sammlung  Lapeyrouße  die  Schreibung  tetarapi  imd  wird  er- 
klärt: Sorte  de  chemUe  d* Hoffe  groasiire,  et  om6  d'wn  liB4ri  de 
nankin  bleu  au  has,  ainsi  qu'au  coUet.  Durch  ,wei88'  würde 
somit  der  ungefärbte  Stoff  bezeichnet  werden. 

Hdmpald  ist  das  japanische  Fahaki,  eine  Art  Strümpfe. 
Man  bedient  sich  deren  auf  Reisen,  damit  die  Schienbeine  von 
Gräsern  und  Aesten  nicht  geritzt  werden. 

Mose-kahü  ist  Brennesselhaut.  Die  Ainu  verfertigen  aus 
Brennesselhaut  Zwirn  des  Aufzuges  zum  Weben  von  Doppel- 
matten und  bunten  Röcken,  femer  Nähzwirn  und  ganze  weisse 
Röcke.  Mose  ,BrennesseP  heisst  japanisch  ito-wo  toru  kusa  ,die 
Spinnpflanze^ 

Chai  ist  ein  Spinnrockenvoll  Brennesseln  oder  Brennessel- 
haut. Chai-ka  ist  Brennesselzwirn.  Von  ka,  Zwirn.  Brennessel- 
zwim  ersetzt  bei  den  Ainu  das  Leingam  und  die  Seidenfkden. 
Man  zieht  von  der  Brennessel  die  Haut  an  Ort  und  Stelle  ab, 
wenn  die  Brennessel  noch  steht. 

Ckai-karä  ,den  Brennesselrocken  bereiten*.  Dieses  bedeutet, 
dass  man  der  Brennessel  die  Haut  abzieht. 

Chai-kirl  ,den  Brennesselrocken  kratzen*.  Dieses  bedeutet, 
dass  man  die  Brennesselhaut  mit  dem  Messer  schabt. 

Chajüf-karä  ist  muthmasslich  die  Zusammenziehung  von 
chai-jüfke-karä  ,den  Brennesselrocken  fest  machend  Es  bedeutet, 
dass  man  die  geschabte  Brennesselhaut  anfeuchtet.  Dieses  ge- 
schieht im  ganzen  Monate  September.  Im  Monate  October 
hängt  man   die  Brennesselhaut  auf  Stangen   und   trocknet  sie. 

Onka,  ein  Wort  unbekannten  Ursprunges,  bedeutet:  See- 
hundfell für  Stiefel  bearbeiten.  Es  wird  hier  die  Seehundart 
Poröch  genannt.  Man  schabt  das  Haar  mit  dem  Messer  ab 
und  hängt  das  Fell  auf  Böden,  wo  es  unter  der  Einwirkung 
des  Regens  weiss  und  zur  Anfertigung  von  Stiefeln  tauglich  wird. 

Etü'korb'kirb,  ,mit  Nasen  versehene  Stiefel*.  So  heissen 
Stiefel  mit  langen  und  dünnen,  nach  oben  gekrümmten  Spitzen. 
Dieselben  dienen  zum  häuslichen  Gebrauche  und  für  blinde 
Greise,  welche  nicht  weit  vom  Hause  weggehen  und  folglich 
nicht  anstossen  können. 

Onnäi'kita  6i  an  mondkia  Üwinte  »innerlich  schwitzen  und 
schnell  verderben'  sagt  man  von  den  Ainustiefeln,  bei  welchen 
dieses  der  Fall  sein  soll,  wenn  man  sie  in  der  Wärme  anbehält. 


354  Pfiimaier. 

Könko  ySchelle^  Kinderklapper'  stammt  von  dem  japani- 
schen kon-gb  ,Diamant^  Der  Gegenstand  wird  statt  der  Schellen 
bei  Schlittenfahrten  verwendet.  Die  Kinder  tragen  ihn  häufig 
an  dem  Gürtel. 

Öchkew,  ökke-u  oder  öchke-Uf  der  Kragen,  öchkeio-he  oder 
drtti4  ochkeW'he^  ist  ein  in  den  Kragen  rückwärts  eingenähter 
Fleck.  Derselbe  hat  die  Gestalt  einer  Raute  mit  einer  abge- 
stampften  Ecke.  Ochkew-Sntem  ist  ein  diesen  eingenähten  Fleck 
umschliessendes  schwarzes  Zwimband. 

Die  Ainu  tragen  an  der  rechten  Hüfte  zwei  Messer.  Die- 
selben heissen  i4üd-maldH  und  sormaMri. 

Cüki-maMri  ist  ein  Messer  zum  Verfertigen  der  Inä-o,  ein 
Messer  für  die  Hobelspäne. 

Sa-makiri  ist  das  zweite  Messer^  welches  die  Ainu  tragen. 
Die  Bedeutung  von  sa  ist  ungewiss.  Dieses  Messer  soll  auch 
porb-maJäri  ^grosses  Messer^  und  inäsaku  heissen.  Die  ursprüng- 
liche Bedeutung  des  letzteren  Wortes  ist  ebenfalls  ungewiss. 

Nebstdem  tragen  die  Ainu  an  der  rechten  Hüfte  den 
Gegenstand  Öchkita,  ein  Hörnchen  zum  Auflösen  der  Knoten. 

Epirike  ist  ein  Messer^  welches  die  Frauen  rückwärts  an 
dem  Gürtel  tragen. 

Oköre-epirike  ist  das  zweite  kleinere  Messer,  welches  die 
Frauen  an  dem  Gürtel  tragen.  Viele  tragen  es  nicht.  Der  Ainu 
Öiwokdnke  verwarf  dieses  Wort  und  sagte,  dass  die  Frauen 
nur  ein  Messer,  das  oben  genannte  Epiriki  tragen. 

Das  Messer  Porö-makiri  oder  In&saku  dient  zur  Bereitung 
von  Speisen.  Das  Messer  Sa-makiri  dient  zur  Zeichnung  von 
Mustern,  auch  zum  Zerkrümeln,  Zerschneiden  u.  s.  w.  Das 
Messer  C^iki-makiri  dient  zur  Zubereitung  der  Fische,  zum 
Schneiden  der  Hobelspäne  der  Ini-u  und  zu  allen  anderen 
Arbeiten  in  Holz. 

Mirh  ist  ein  an  der  linken  Hüfte  getragenes  Täschchen 
fltr  Feuerschwamm,  Feuerstein  und  Stahl.  Es  ist  aus  Seehund- 
fell verfertigt  und  besteht  aus  zwei  Hälften,  von  denen  die 
eine  in  die  andere  sich  hineinschiebt.     Man  sagt  auch  käroma. 

Sdchka  sind  Essstäbchen.  Es  gibt  hölzerne  und  beinerne, 
gefUrbte  und  ungeförbte.  , 

Iph-ki'ku-ä  ist  ein  Stock  zum  Ausgraben  essbarer  Wurzeln. 
Von  tpfe  ,e8sen'  ki  ,thun'  und  ku-ä  ,Stock^ 


Untennebnngon  fib«r  Ainn-Gegenstinde.  355 

Märe  oder  mdri  ist  ein  Werkzeug  zum  Fangen  der  Wal- 
fische oder  der  an  den  Ursprüngen  der  Flüsse  befindlichen 
Hausen.  Es  ist  eine  an  einem  Ende  mit  einem  Widerhaken 
▼ersehene  Stange.  Man  hakt  damit  den  Fisch  einfach  an. 

Mokamcd  ist  der  Name  einer  essbaren  Muschel.  Um  sie  zu 
erlangen;  durchgräbt  man  den  Meeresboden  mit  einer  Hacke, 
welche  man  nach  der  einen  und  der  anderen  Seite  dreht, 
wenn  man  die  Muschel  nicht  erreicht.  In  der  Wörtersammlung 
Lapeyrause  findet  sich :  Moeomaie,  grand  oame  d/espice  commune, 
coquüle  bivalve, 

Itaänoi  oder  iödnoi  ist  der  frühzeitige  Buckellachs,  der 
weisse  Buckellachs  mit  kurzer  Schnauze.  Das  Wort  ist  die  Ab- 
kürzung  von  tUän-hembi  oder  üsän-emibi  ^geschmackloser  Buckel- 
lachs^  Derselbe  heisst  auch  tumäporo.  Es  ist  ein  von  den 
Ursprüngen  der  Flüsse  zurückkehrender,  am  Leibe  mit  Wunden 
und  rothen  Streifen  bedeckter  Fisch  mit  grossem  Kopfe  und 
grossen  Zähnen. 

Ödhvjeku  heisst  das  Meerschwein.  Man  sagt  auch  ettUpe 
kdiki,  chümpe  kdUd-ääciste  ,die  den  Seelöwen  fangende,  die  den 
Walfisch  fangende  Pfeilspitze^  In  dem  sonst  nirgends  vor- 
kommenden Ausdrucke  äHdete  scheint  leiste  für  kSchto  ,Spitze 
der  eisernen  Pike^  zu  stehen.  Die  Ainu  nennen  das  Meer. 
Schwein  auch  dim^uneinu  ,mit  dem  Ainu  gleich^,  weil  die  von 
dem  Meerschwein  getödteten  Walfische  und  Seelöwen  den 
Menschen  zur  Nahrung  zu  Theil  werden. 

Chümpe-kemä  ^Walfischfiiss'  heissen  die  Schweifflossen  des 
Walfisches.  Man  trocknet  sie  und  bindet  sie  zu  zweien  zusammen. 
Man  siedet  sie  in  der  Suppe  und  hält  sie  ftir  sehr  schmackhaft. 

Ärakbi  heisst  ein  Fisch»  der  für  eine  Art  Stint  gehalten 
wird.  Derselbe  streicht  in  den  Monaten  Mai  und  November  in 
ungeheuren  Mengen.    Die  Ainu  fangen  ihn  mit  Hamen. 

Kerö  oder  atuppi  heisst  eine  essbare  Muschel.  Die  Ainu 
verzehren  sie  roh. 

Nipdpo  heisst  eine  Schüssel.  Dieselbe  dient  zum  Dar- 
reichen von  nicht  flüssiger  Speise. 

Von  Pilzen  (karüi)  essen  die  Ainu  bloss  eine  Art  Erd- 
schwämme (agaricus  piperatiis). 

Otäru  oder  otdruf  heissen  die  Hagebutten.  Man  trocknet  sie 
auf  den  Herden  im  Winter  und  isst  sie  zerrieben  mit  Fischrogen. 


356  Pfiznaier. 

Ctpoku  oder  chvre-kinä  ,die  rothe  Pflanze'  ist  der  Name 
einer  essbaren  Pflanze.  Man  isst  sie  getrocknet. 

Charä  ist  das  Mark  der  Pflanze  Siturü-kink.  Ainn  tmd 
Japaner  trocknen  es  im  Winter  und  essen  es  mit  Fisch.  Nach 
einer  Angabe  essen  sie  es  in  der  Supp^  Das  genannte  Mark 
wird  öchkaju  genannt. 

AjüS'kinä  heisst  eine  andere  essbare  Pflanze.  Man  brät 
sie  am  Feuer. 

Toma-rä  heisst  eine  Frühlingsblume  mit  zwiebelartiger 
Wurzel.  Die  blaue  Blume  selbst  heisst  Mpentra,  Ra  bedeutet 
das  Mark,  auch  die  Röhre  oder  der  Stengel  einer  Pflanze  und 
wird  dem  Namen  der  Bltlthe  oder  der  Wurzel  angehängt. 

Tomä  heisst  die  essbare  zwiebelartige  Wurzel  der  oben 
genannten  Pflanze.  Die  Zwiebeln  an  dieser  Wurzel  sind  von  der 
Grösse  einer  Haselnuss  und  gleich  Perlen  von  Bernstein  an  ein- 
ander gereiht.  Sie  'sind  eine  Lieblingsspeise  der  Ainu  und  werden 
in  gekochtem  Zustande  zugleich  mit  FlUnderrogen  gegessen. 

Küh  heisst  der  Waldknoblauch.  Derselbe  ist  ebenfalls  eine 
Lieblingsspeise  der  Ainu.  Er  wird  in  trockenem  und  rohem 
Zustande ,  gebraten  und  gekocht,  gegessen  und  ist  zugleich 
ein  Heilmittel  gegen  den  Scorbut. 

Mit  dem  Safte  der  Sandweide  {jmsu-vX)  bestreicht  man 
im  Frühlinge  frische  Wunden.  Die  Heilung  erfolgt  schnell. 
Ein  Pulver  aus  dem  Holze  der  Sandweide,  genannt  susu-m-ko 
jPulver  der  Sandweide',  legt  man  im  Winter  auf  Wunden. 

IkSma  heisst  die  heilkräftige  Wurzel  einer  gewissen  Ge- 
birgspflanze.  Sie  ist  ein  vorzügliches  Mittel  gegen  Verletzungen. 

Otä-kinä  ,Sandpflanze'  oder  otä-kinahd  heisst  eine  der 
Erbse  ähnliche  Pflanze.  Die  Ainu  gebrauchen  sie  zu  Umschlägen 
auf  Wunden. 

Bamoköwpe  heisst  eine  unter  dem  Magen  der  Fische  be- 
findliche Drüse,  welche  man  als  Heilmittel  bei  Brustkrankheiten 
verwendet.   Sie  dient  zu  Einreibungen. 

lldsach'^h  jPfriemenfisch'  heisst  ein  kleiner  achteckiger, 
kegelförmiger  Fisch  mit  einer  mehr  länglichen  unteren  Kinn- 
lade. Die  aus  ihm  bereitete  Suppe  ist  ein  Heilmittel  bei  ste- 
chenden Brustschmerzen. 

Irure  oder  erikf  heisst  eine  dem  Pferdeampfer  ähnliche 
essbare  Pflanze.  Man  gebraucht  sie  bei  Durchfall  und  als  Speise. 


j 


Üntonochungan  über  AinQoOegentt&nde.  3ö7 

Rärapa  oder  iöärapo  ist  eiae  Pflanze  mit  vielfach  zertheilten 
Blättern  gleich  der  Schafgarbe.  Ihr  Stengel  hat  einen  Anflug 
von  unangenehmen  Geruch  und  Geschmack.  Sie  wird  von  Ainu 
und  Japanern  roh  und  getrocknet  gegessen.  Die  Ainu  essen 
die  Pflanze  wider  den  Scorbut. 

Mekiüm  ist  ein  venöser  Ausfluss  bei  Fischen.  Derjenige 
des  kleinen  Lachses  {6iräi)  dient  zu  Einreibungen  der  Brust 
bei  Brustkrankheiten.  Die  Sache  ist  dunkel  und  wird  dabei  an 
die  Milz  gedacht.  Es  ist  etwas  gleich  dem  obigen  Ramokikope, 

NüchÖa  ist  eine  aromatische  Arzneipflanze.  Ihre  Blätter 
sind  auf  einer  Seite  sammtartig  und  die  Bltithen  moderig.  Sie 
wächst  an  feuchten  Orten.  Die  Ainu  bereiten  aus  ihr  einen 
Absud,  den  sie  gegen  den  Husten  trinken. 

Der  Biss  der  Schlangen  von  Sachalin,  von  welchen  die 
Ainu  selten,  die  Hunde  jedoch  häufig  gebissen  werden,  läuft 
glücklich  auch  ohne   das  Schlangenkraut  (ojäw-kinä)  ab. 

P<ird-kinä  ist  die  Bärenklau,  eine  an  morastigen  Orten 
wachsende  Pflanze  mit  weissen  tippigen  Blumen,  welche  einen 
kegelförmigen  gelben  Boden  von  der  Länge  eines  Fingers  be- 
sitzen. Von  dieser  Pflanze  nähren  sich  fast  ausschliesslich  die 
Bären,  wenn  es  keine  kleinen  Häringe  gibt.  Sie  ist  ein  Heil- 
mittel gegen  Wunden.  Man  legt  sie  auch  auf  die  Finger  bei 
Nagelgeschwüren. 

SürtJcu  ist  der  Eisenhut.  Mit  der  zerweichten  Wurzel 
desselben  besti*eichen  die  Ainu  ihre  Pfeile,  welche  ftlr  sehr 
giftig  gehalten  werden.  Nicht  selten  vergiften  die  Ainu  damit 
aus  Unkenntniss  sich  selbst.  Bei  Kopfschmerzen  reibt  man 
mit  der  Wurzel  des  Eisenhutes  den  Leib  ein. 

Taräma-ni  ist  ein  strauchartiges,  inwendig  rothes  Nadel- 
holz. Man  legt  es  (welchen  Theil  desselben?)  in  Umschlägen 
auf  die  Brust  bei  Husten. 

Ckdra-toen-kinä  ^die  übelriechende  Pflanze'  oder  chüra-wen- 
öipoku  ,die  übelriechende  Pflanze  Cipoku^*  Die  Wurzel  wird 
von  den  Ainu  als  ein  Mittel  gegen  den  Husten  gebraucht. 

Cetbi  ^weisser  Thon',  ein  mit  toi  ,Erde'  zusammengesetztes 
Wort.  Derselbe  wird  bei  Brandwunden  aufgelegt  und  dient 
auch  als  Brechmittel. 


*  Die  Pflanie  Hpoku  wurde  oben  veneichnet. 


358  Pfizmaier. 

Toi^hirä'pe  bezeichnet,  wie  DobrotwiJrgki  angibt,  vielleicht 
den  Regenwurm.  Das  Wort  ist  aus  toi  ,Erde'  und  ukwfyßtpe 
oder  ihurüpe  ,Bhiüge\,  Fadenwurm'  zusammengesetzt.  Wie  der 
Ainu  Ciwokänke  sagte,  essen  die  Ainu  diesen  Wurm  bei  Augen- 
krankheiten.   Nach  Anderen  sei  sein  G^eschmack  angenehm. 

Wen-kamüt-kisara-pui  ,die  Ohröffiiung  des  bösen  Gottes'  ist 
eine  Art  weicher  Muscheln.  Diese  Muschel  dient  dem  Einsiedler- 
krebse zum  Wohnorte  und  ist  einem  Ohre  ähnlich.  Man  gebraucht 
sie  bei  allen  Ohrenkrankheiten.  Man  giesst  auf  sie  Wasser  auf 
und  bestreicht  mit  diesem  Wasser  das  Ohr,  oder  verbrennt  sie 
und  bestreicht  mit  der  in  Wasser  aufgelösten  Asche  das  Ohr. 

Otä-kuru  ,Sand  anlegend'  ist  die  Wurzel  einer  gewissen 
Pflanze.  Pirikarä-kinä  ,die  Pflanze  der  Verwundung',  aus  pit^ 
,Wunde'  und  karä  ,machen'  zusammengesetzt.  Man  legt  beides 
auf  Wunden. 

Ajüstonko  ist  ein  kleiner  Fluss-  und  Teichfisch  von  der 
Länge  eines  Werschök.  Die  aus  ihm  gekochte  Suppe  ist  ein 
Mittel  gegen  Seitenstechen. 

Mit  dem  Safte  einer  Pflanze,  welche  die  Pflanze  phini- 
kinä  ,die  männliche  Pflanze'  zu  sein  scheint,  bestrich  der  Ainu 
M&sochte  die  Augen  bei  Augenlider-  und  Bindehautentzündung. 

Von  IhSma,  der  Wurzel  einer  unbekannten  Gebirgspflanze, 
ist  nachzutragen,  dass  diese  Pflanze  nur  in  dem  südlichsten 
Theile  von  Sachalin  wächst.  Sie  sei  im  vollen  Sinne  des  Wortes 
die  Panacee  der  Ainu,  nach  Art  des  chinesischen  Ginseng  oder 
des  russischen  Zarenkrautes  (der  gelben  Wolfswurz).  Sie  helfe 
gegen  alle  Krankheiten,  besonders  diejenigen  der  Brust.  Ausser- 
dem verwende  man  sie  auf  der  Jagd  zum  Herbeiziehen  der 
Zobel,  Fischottern  und  Bären.  Man  brauche  sie  bloss  ein  wenig 
zu  kauen,  dann  auszuspucken,  und  die  Wirkung  sei,  dass  kein 
einziges  Thier  weggeht,  so  lange  man  es  nicht  tödtet. 

Das  oben  genannte  Wort  öetbi  wird  auch  ketbi  ,Fetterde' 
geschrieben.  Es  ist  aus  ke  ,Fett,  Oel,  Salbe'  und  toi  ,Erde*  zu- 
sammengesetzt. Es  ist  weisser  fetter  Thon.  Derselbe  werde  von 
den  Ainu  zu  Speise  verwendet  und  diene,  in  Wasser  umgerührt, 
in  grösseren  Gaben  als  Brechmittel. 

Bei  trockener  und  weisser  Zunge  zur  Zeit  der  AnftLlle 
von  Wechselfieber  legt  man  auf  die  Zunge  Fett  und  reibt 
dieses  auf  die  Zunge  mit  einem  Stäbchen  ein. 


Untersachnogen  über  Aina-GegMtt&nde.  359 

Sirdtte  oder  aumpüf  bedeutet  ,rauh,  belegt',  von  der  Zunge 
der  Kranken  gesagt. 

Bei  Nierenkrankheiten  (kinöpi^arakä)  essen  die  Ainu 
Hundenieren. 

Das  oben  genannte  Schlangenkraut  (cjäw-ldnä)  wird  bei 
Schlangenbiss  in  Umschlägen  aufgelegt. 

U-räi-ne-kinä  ist  eine  Arzneipflanze.  Sie  ist  essbar,  jedoch 
isst  man  sie  wenig.  Man  trinkt  einen  Absud  von  ihr  bei  Syphilis. 

Bei  Wunden  legt  man  das  geschabte  Holz  des  rothen 
Johannisbeerstrauches  (äneka-nt)  oder  die  zerstossene  Rinde  der 
Sandweide  (suau-m)  auf.  Die  Heilung  erfolgt  nach  der  Angabe 
der  Ainu  schnell. 

Aiieka-ni  ,der  rothe  Johannisbeerstrauch^ 

Aneka-tur^p  oder  dneka-ni-tur^  ,rothe  Johannisbeeren^ 

Entzündliche  Geschwüre  bestreut  man  mit  dem  Pulver 
des  löcherigen  Kalksteines,  welcher  häufig  an  das  Meerufer 
nahe  bei  Kusunki  ausgeworfen  wird.  Die  regelmässig  cylin- 
drischen  Löcher  dieses  Kalksteines,  welche  von  der  Tiefe 
eines  Fingers  sind,  werden  von  den  Ainu  den  Blutigeln  (vka- 
rüpe)  zugeschrieben.  Die  entzündlichen  Geschwüre  heissen  bei 
ihnen  ukurüpe-chuf  ,Blutigelgeschwüre'  und  werden  ebenfalls 
dem  Bisse  der  Blutigel  zugeschrieben. 

Soß'8U7nä  ,der  Stein  in  welchen  man  Löcher  bohrt'  ist 
der  löcherige  Kalkstein.  Von  aoß  ,Löcher  bohren'  und  sumä 
,Stein^     Derselbe  heisst  auch  ukurüpe-tumä  ,der  Blutigelstein^ 

Ukurüpe-chuf  ist  aus  vJcurüpe  ,BlutigeP  und  ckuf  oder 
huf  ,entzündliche8  Geschwür'  zusammengesetzt. 

Sikdchka  heisst  ein  Augenleder,  welches  man  bei  Augen- 
entzündungen trägt. 

SU'kamä  ist  ein  bei  Doppelsichtigkeit  gebrauchtes  Augen- 
leder fbr  ein  einziges  Auge.  Von  sU  |Auge'  und  kamü  ,bedecken'. 

K&nke-ni  oder  k&nkeh  ist  das  Beinholz,  ein  Strauch  mit 
rothen  Blüthen.  Könkefh-^ach  ist  der  Bast  des  Beinholzes.  Mit 
oeA  ^Lindenbast,  Bast^  zusammengesetzt.  Bei  Kopfschmerzen 
verbindet  man  sich  das  Haupt  mit  dem  Baste  dieses  Strauches, 
was  durch  könkefi-ach  dni  sabä  muß  ,mit  Beinholzbast  das  Haupt 
binden'  ausgedrückt  wird. 

KüW'kinä  ,Gürtelpflanze'  ist  die  giftige  weisse  Nieswurz. 
Von   küw   oder  kuf  ^Gürtel'    und   kinä   ,Pflanze'.    Man    reibt 


360  PfUmaier. 

juckende  Stellen  des  Körpers  mit  dem  Safte  dieser  Pflanze 
ein.  Der  Saft  bringt  starken  Reiz  an  den  juckenden  Stellen 
hervor.  Gegen  Jucken  gebraucht  man  auch  die  Asche  dieser 
Pflanze  mit  Oel. 

Inkara-kdni  ,Sehmetall'  ist  ein  Spiegel.  Derselbe  ist  zu- 
weilen einfach  ein  an  einer  Seite  mit  Russ  bestrichenes  und  in 
einen  Rahmen  hineingelegtes  Glas. 

Irantrdüd  ist  der  Name  einer  Pflanze  mit  gelben  Blüthen. 
Die  Ainu  bestreichen  mit  dem  Safte  dieser  Pflanze  die  Fisch- 
gabel, wenn  man  den  Fisch  nicht  &ngt.  Mit  trdüd  ,tödten' 
zusammengesetzt. 

Tokösa  ^Schachtelhalm^  Von  dem  japanischen  Uhlaua 
, Schachtelhalm'.  Die  Ainu  glätten  mit  dieser  Pflanze  ihre  Holz- 
arbeiten. 

Eööaro  oder  döoro  ist  eine  Winterfalle  fiir  Zobel.  Kdma 
ist  eine  FrühUngsfalle.  Man  legt  auf  diese  Falle  einen  kleinen 
Häring. 

Opispe  ist  soviel  als  wan-ka  ^sechs  Stricket  Es  sind 
Stricke  zum  Zobelfange.  Sne-opüpe  ,em  Opispe'  sind  sechs 
solche  Stricke.  Tu-opUpe  ,zwei  OpiÄpe*  sind  deren  zwanzig. 
Tdnku  sind  hundert  solcl^e  Stricke.  Im  Winter  stellt  jeder 
Zobelfanger  einhundert  bis  zweihundert  Stricke  auf. 

Durchsicht  der  Aiuu-Flora. 

Die  von  H.  de  Charencey  verfasste  Schrift  Recherches  tur 
la  Flore  A'ino  (Actes  de  la  Societi  pkUologique,  Tome  II.  Janvier 
1873)  enthält,  nach  den  botanischen  Namen  geordnet ,  eine 
Zusammenstellung  sämmtlicher  aus  den  vorhandenen  spärlichen 
Quellen  geschöpfter  Ainunamen  für  Pflanzen.  Diese  Quellen  sind  : 

1.  Martin  Gerv,  V^^ieSf  Reis  naar  de  Eilanden  ten  N.  en  0. 
van  Japan. 

2.  Pfizmaier,   Vocabularium  der  Aino-Sprache, 

3.  Vocabulaire  des  habitans  de  Vüe  Tchoca  in  dem  Werke 
Voyage  de  La  Perouse  autour  du  monde  (Paris  1797), 

4.  Dawydowy  Wörtersammlung  aus  der  Sprache  der  Aino's. 
Herausgegeben  von  A.  I.  von  Krusenstem. 

Von  der  letztere^i,  ursprünglich  in  russischer  Sprache 
verfassten  Schrift  gibt   es   nur   eine    sehr  fehlerhafte   deutsche 


UntenuchaDgen  ftber  Aina-QegeDst&nde.  36 1 

üebersetzung;   welche   von  Klaproth   in   seiner  Ana  polyglotta 
mit  allen  Fehlem  wiedergegeben  wurde. 

Der  in  das  oben  erwähnte  Reisewerk  aufgenommene  Ka- 
talog ist  ein  besonderer  botanischer  Katalog. 

Hinsichtlich  meines  Vocabulariums  sagt  H.  de  Charencey: 
La  traduction  en  allemandy  jpar  Pßzmazer,  du  manud  aino-japonais, 
intihiU:  Mosiwo-Gousa,  nous  a  fait  connaitre  les  myma  ainos  de 
ban  nombre  de  pkmtes  non  indiquSea  dans  Vouarage  hoUandais. 
Ce  derrUer  se  trouvaü  par  lä  m&me  ne  plus  rSpondre  aux  besoins 
de  la  ecience  aetuelle. 

Die  in  der  Wörtersammlimg  Lapeyrouse  vorkommenden 
Ainunamen  für  Pflanzen  sind  indessen  nicht  mehr  als  sechs 
an  der  Zahl. 

Unter  den  in  dem  Verzeichnisse  angeführten  botanischen 
Namen  sollen  ungefkhr  sechzig^  sowohl  was  das  Oentuf  als  die 
Species  betrifft,  vollkommen  gewiss  sein.  Bei  vielen  wird  die 
Speeies  als  ungewiss  betrachtet^  während  bei  anderen  in  ver- 
schiedenen Quellen  verschiedene  botanische  Namen  angegeben 
werden.  Unter  den  verzeichneten  304  Pflanzen  erscheint  bei 
41  auch  das  Oenus  ungewiss. 

Fast  bei  jedem  Ainunamen  ist  das  japanische  Synonymum 
in  Parenthese  gesetzt.  Ich  muss  jedoch  bemerken,  dass  diese 
Synonyma,  mit  wenigen  Ausnahmen,  nicht  von  Vries  oder  einem 
Anderen  beigefügt,  sondern  meinem  Yocabularium,  wo  ich  sie 
nach  dem  Mo-siwo-gusa  gewöhnlich  mit  den  Ainuwörtem 
brachte,  entlehnt  sind.  H.  de  Charencey  bringt  nur  nach 
Thunberg,  von  Siebold,  Hoffmann  und  Schulz  die  wahren  oder 
mnthmasslichen  für  japanische  Pflanzen  aufgestellten  botanischen 
Namen.  In  meinem  Vocabularium  erklärte  ich  sie  durch 
deutsche  oder  sonst  allgemein  gebräuchliche  Namen. 

In  der  nachfolgenden  Durchsicht  berichtige  ich  die  in 
dem  Verzeichnisse  entdeckten  Irrthümer  auf  Grund  eigener  For- 
schungen sowie  der  sehr  zuverlässigen  Angaben  DoBrotwörski's, 
wobei  ich  zugleich  die  in  meinem  Vocabularium  enthaltenen 
Ainunamen  und  japanischen  Synonyma  durch  Vorsetzung  der 
Anüftngsbuchstaben  meines  Namens  kennbar  mache.  Letzteres 
thue  ich  hauptsächlich  in  Rücksicht  dessen,  dass  die  hier  be- 
sprochene Schrift  vielleicht  erst  zwanzig  Jahre  nach  Vollendung 
meiner  Arbeiten  ttber  Ainu  zu  Stande  gekommen  und   auch 

Sittnngiber.  d.  phil.-hitt.  CI.    CUI.  B4.  U.  Hft.  24 


362  Pfismaier. 

die  Entzifferung  und  Lesung  der  japanischen  Zeichen  damab 
nicht  leicht  einem  Anderen  möglich  war. 

Die  zur  Andeutung  der  benützten  Quellen  dienenden  Ab- 
kürzungen bieten  auf  den  ersten  Blick  nicht  Elarheit  genug. 
Ich  ersetze  sie  daher  durch  folgende: 

Vries,  d.  i.  Martin  Gervais  Vries  statt  M.   V. 

Pfizm.,  d.  i.  Pßzmaier  statt  PF. 

Daw.,  d.  i.  Datüjfdow  statt  KL.  (Klaproth).  Die  Ursache 
davon  erhellt  aus  dem  oben  Angegebenen.  . 

P4r.,  d.  i.  La  Perouse  statt  PR. 

Sieb.f  d.  i.  t.  Siebold  statt  SD. 

Die  mit  Anführungszeichen  rersehenen  Stellen  sind,  bis 
auf  die  veränderten  Abkürzimgen  und  die  Nennung  meines 
Vocabulariums  als  Quelle,  der  Wortlaut  der  einzelnen  Nummern. 


Ainu  -  Flora. 
A. 

1.  ,{Vrie8.)  Abies  hifda.  Sunk.  Sieb.  Syung^  siehe  A. 
Yezoemie  (Vries  momi.  Sieb,  übersetzt  durch  Abies)*. 

In  meinem  Vocabularium  steht  sijunku  mit  den  japanischen 
Synonymen  kara-matsu  und  je-zo-matsu^  welche  ^chinesische 
Fichte'  und  ,Fichte  von  Jezo*  bedeuten^  wofllr  ich  jedoch  ein- 
fach ^Fichte'  setzte.  Dobrotwörski  hat  dafür  suku  ^Tanne'  und 
süku-ni  ^Tannenbaum'  (CdU).  Ni  ^Baum'.  ijj^  (momC)  wird  als 
ein  Baum  mit  dem  Laub  der  Fichte  und  dem  Stamm  der 
Pistazie  beschrieben.  Sunk  und  Syung  scheint  willkürliche  Aus- 
sprache der  Japaner  zu  sein. 

2.  y{ßieb)  Abies  hjomolepsis.  Fup.,  fupp  {Pßem,  aisa^  toio, 
Vries.  Yezo  mats,   siehe  A.  Yezoensis,y 

Die  von  mir  aus  dem  Mosivo-gusa  aufgenommenen  Syn« 
onyma  aiso  und  toto  kommen  als  Namen  von  Bäumen  in  den 
Wörterbüchern  nicht  vor.  Ich  erklärte  daher  einfach:  der  Name 
eines  Baumes. 

3.  y(Sid>n)  Abies  leptolqns.  KüL  Pßzm.  Oui  {Kara  fnais). 
Vries  und  Pßzni.,  siehe  Larix,   Piniis  larix.* 

Bei  mir:  Gui  (jap.  kara-matsu),  ein  Lärchenbaum.  Bei 
Dobrotwörski  hd  ^Lärchenbaum'  (aHCTBCEHBi^a). 


Untennclinngen  ftber  Ainv-Gegenst&nde.  363 

4.  y Abtes  Yezoensis.  Vriea.  Fup.^  S.  A.  homolepaü.  Sieb. 
Sir  ob  e^. 

Das  angeführte  Ainuwort  sirobe  kommt  nirgends  sonst  vor. 

5.  j(Vrie8,)  Acer  saccharinum.  To  bim,  wörtl.  lactia  ctquae 
arbor.  {Pfiam.  Itaya.  Vries.  Kaide.y 

Itaya  hat  in  Mosivo-gusa  die  Schreibung  i^  ^  {itu-ja) 
yBretterhaus^  Es  kommt  als  japanischer  Name  eines  Baumes 
sonst  nicht  vor.  Kaide  bedeutet  ^Ahom^ 

6.  yiVries)  Acer.  Spec.  Buch  ni.  Vriea  Futai  ni;  wörtl. 
phareircte  arbor  [Pfizm.  Oho  gaaiva,  s.  TereÜnthi^  indica). 

Bei  mir:  Busi-ni  (jap.  wowo-gamoa)  »eine  Art  Pistazien- 
baum^  Bud  oder  pas  ^Köcher^  Die  Form  futai  ni  wurde  nicht 
aufgefunden. 

7.  ^(^Vriea)  Aconitum  KamschcUkaicum.  Syosino  chUrk. 
Pfissm.  Syonno  churk]  wörtl.  aagittae  venenmn,  {Udzu.y 

Bei  mir:  SiJonnO'SJv/ruku  (jap.  u-dzu\  eine  Art  Eisenhut. 
Syoaino  wurde  nirgends  gefunden.  Chwrk  ist  aijtfruku  ^Eisenhut'^ 
auch  ,Gift*.  Bei  Dobr.  aüruku, 

8.  ,(Fne9)  Aconitum  ainenae.  Sita  churk]  wörtl.  catiia 
venenum.  {Pfissm.  6twt«  Vriea.  Tori  Kabuto)/ 

Bei  mir:  Seta-ajuruku  (jap.  bu-at),  Eisenhut.  U-dzii^  bu-ai 
und  tori'kabuto  sind  japanische  Synonyma. 

9.  ^(Vriea)  Aconitum  tenuifolium.  Pon  churk'j  wörtl.  partmm 
venenum,  Pon-iüruku  ^kleiner  Eisenhut^ 

10.  Adonia  aibirica.  Kunau,  Kumaubo,  Vriea  Kumaubi 
(Pßsm.  Fuk  zyn  ao)'. 

Bei  mir:  Kuna-u  und  Kuma-ubo  (beides  jap.  faku-ziü-ab) 
der  Name  einer  Pflanze.  Das  japanische  Wort  wird  ^  ^  iSt 
(fuku'ziit'aö)  ^Pflanze  des  Segens  und  der  Langjährigkeit'  ge- 
schrieben. 

11.  yAeaculua  turbinataf  Beroni{Tota,  tofa  no  ki,  Vriea 
Nara?  S.  Q^ercua.y 

Bei  mir:  Bero-ni  (jap.  totd),  der  Name  eines  Baumes. 
Der  Baum  ist  jedoch  j^  (totai)  yE8che^  Richtig  ist  daher  fotai 
yEsehe'  und  totai-mo  ki  ^Eschenbaum'  zu  lesen.  Der  Baum  fj^ 
(nara)  soll  Aehnlichkeit  mit  dem  Eichbaum  haben. 

12.  f{Vriea)  Agaruma.   Species  ungewiss.  Auf  dem  Baume 

Larix  Jepto^.  Wachsende  Esswaare.  Vriea:  ^buriko.  Klaproth: 

Tiburiko,' 

24* 


364  Pfizmaior. 

Liess  sich  nicht  erklären.  Der  Pilz  wird  sonst  karh^  ge- 
nannt. Ipere-ko  würde  heissen:  nährendes  Mehl. 

13.  ^(^Vries)  Atroclytrum  japonicvm^  Ikidara?  (Sasakusa). 
S.   ArundinariaJ 

Bei  mir:  Ikidara  (jap.  sasa)^  ^junge  (essbare)  Bambas- 
blätter.' 

14.  y{Vries)  Alga.  Species  ungewiss.  Ikk'e  konfu\  wörtl. 
Fucus  mu8C08U8,  dorsi  fucus ;  von  dem  japanischen  Konfü  oder 
Kovnbu,  fucus  (Wakam^y, 

Ikke-u  oder  ikki  ,da8  Rückgrats  ^  ^  {kan-bu)  ,See- 
gras,  fucus  (jap.  Wort).  Waka-me  ,das  Hornblatt'  (jap.  Wort). 
Das  Ainuwort  ftir  ,Moos*  ist  sintrui, 

15.  yAllium  c&pe.  Kina  cAit;  Chu  kina]  wörÜ.  flava  herha 
(Niray. 

Bei  mir:  Kina  siju  (jap.  nirä),  eine  Zwiebel.  Von  kinä 
jPflanze*  und  si-u  ,gelb^  Daher:  Pflanzengelb.  Syu-kina  kommt 
bei  mir  nicht  vor.  Bei  Dobr.  findet  sich:  Si-u-kinä  ,eine  ftir 
Menschen  giftige  Pflanze*. 

16.  ,{Vries)  Allium  sativum.  Ninnik  (Fuksa).^ 
Nin-niku  ^Knoblauch'  ist  ein  japanisches  Wort.  Fukäa  nicht 

zu  erklären. 

17.  ,(Vrie8)  Allium  uUginosum.  Hironi,  S.  Qaercus  (Nira). 
Fitni  (hiru)  ,Enoblauch%   ein  japanisches  Wort,   welches 

gleich  dem  obigen  nin-nihi  durch  das  Zeichen  ^^  ausgedrückt 
wird.  Ihm  entspricht  das  hier  gesetzte  Ainuwort  heroni,  in 
welchem  vielleicht  ni  ^aum'  angehängt  sein  könnte.  Auf 
Quercus  (mray  richtig  nara)  wird  mit  Unrecht  hingewiesen^  weil 
das  Wort  von  heroni  (Nr.  11)  verschieden  ist. 

18.  Allium,    Species  ungewiss?  (Daw,  kido). 

Bei  Daw.  kido  ;Bärenknoblauch^  Bei  Dobr.  kith  ,Bären- 
knoblauch'  (^epeinna). 

\2,y  Allium  Species  ungewiss.  MemhirOjVOXk  dem  jap.  M&irJ^ 
Bei  mir:  Memhiro  ^Knoblauch^  Von  dem  jap.  me-biru. 

20.  ,(Vrie8)  Alnas  (genus).     K6n6  (Fan  no  ki)J 

Bei  mir :  Kene  (jap.  fan-no  kX)^  der  Name  eines  Baumes. 
Das  jap.  Synonynum  wird  (jj^  +  -^)  fan-no-ki  geschrieben 
und  ist  die  Erle  (alnus  japonica). 

21.  ,(Vries)  Alnus  incana.  Nitats  K4ne;  wörtl.  capuli 
arbor  (Fan  no  ki),' 


rnt«r$«ck«Bf«B  AVer  Ainii-0^en»tind«.  3(>l> 

Bei  mir:  Nitakk^ne  (jap.  fan-no  fei),  der  Name  einos 
Baumes.  Also  als  gleichbedeatend  mit  kene  ,Erle'  bezeichnet 
Nitats  wurde  fbr  sich  aUein  oder  in  der  Bedeutung  «Handhabe' 
nicht  gefunden.     Doch   steht   bei   mir  nüsu  ,OrüF^  Handhabe*. 

22.  y{Vrie8)  Älnxu  japonica.  Yanyan  kini;  wörtl.  Uvis 
alnu$  {Fan  no  fei)/ 

Bei  mir:  Yayan-kene  (jap.  fan-no  ki)y  der  Name  eines 
Baumes.  Also  ebenfalls  ^Erle^  Yayan  (jap.  karusi),  leicht  von 
Gewicht 

23.  y(Vries)  Atndanchierf  (Mispelbaum.)  Imot$it$.  (Yama 
nasi)y  S.  PyrusJ 

Bei  mir:  Imotsi-imotsi  (jap.  erklärt  yama-ntm-no  gofoku)^ 
eine  Art  Holzbirnen. 

24.  /Vriea)  Anacyclusf  Species  ungewiss.  Ota  niaik; 
wörtl.  arenarum  juglans/ 

Ota  ,Sand*.  Nesiko  ,ein  Wallnussbaum'. 

25.  yAndrömeda.  (Azemi,   V.  Carduu$),^ 

Der  Ainuname  nicht  angegeben.  Bei  mir  u-ei-muni  (jap. 
ctzami)  ,eine  Distel. 

26.  ,(Vrie8)  Andropogonf  Species  ungewiss.  Nino  (Ka^e 
gousay. 

Der  Ainuname  nicht  zu  ermitteln,  ebensowenig  das  Syno- 
nymum  kase-gusa.  Jedoch  findet  sich  kasa-kuaa  als  Name  einer 
Pflanze^  welche  auch  suzu-kusa  ^Schellenpfianze'  genannt  wird. 

27.  f Anemone  altaica.   Üb4u  (Tokiy, 

Bei  mir :  Ube-u  (jap.  tb^ki),  der  Name  einer  Pflanze.  Tb-ki 
wird  ^  ^  (ib'ki)  geschrieben  und  ist  der  Name  einer  Pflanze, 
welche  auch  jama-zeri  ,wilde  Petersilie*  genannt  wird, 

28, /Vries)  Anemone.  Species  ungewiss.  Futab4ra;  wörtl. 
operadae  cocMear\ 

Das  Ainuwort  richtiger  putä-perä  auszusprechen.  Es  kommt 
jedoch  als  Pflanzenname  sonst  nicht  vor. 

29.  y(Vries)  Anemone,  Species  ungewiss.  Mokkarbi;  wörtl. 
tuboA  res} 

Der  Ainuname  sonst  nicht  vorgekommen.  In  dem  Index : 
Mukkarbe.  Was  die  Uebersetzung  tubae  res  anbelangt,  so  flndet 
sich  bei  mir  mvkkuri  (jap.  kutsi-bi'wd),  eine  Art  Maultrommel. 

30.  /Lap4rouse)  Angelicaf  Species  un gewiss.  PechkoutoUy 
Dialect  von  Krafto.     S.  Polygonum  cusptdatum/ 


366  Pfiinaier. 

Bei  Dobrotwörski :  pScJihäu  ,wilder  Sauerampfer^  (BOHCsilt 
ii];aBeJLB).     Die  Pflanze  sei  mehr  als  mamishoch. 

31.  ,(Vrie8)  AfUhistiria  japonica.  Um  s.  LolUum  (harkayay 
Bei  mir:  Umu  (jap.  invrhtrje)^  der  Lolch. 

32.  ^Afium  palustre.  Itchari-bo;  wörtl.  qui  agit  intds 
(Yab  sirami,  Ko  syak).     (Vries)  S.  AraUa  edulü*. 

Bei  mir:  Itacha-ri-bo  (jap.  jabu-sirami ,  ko-ziaku),  der 
Name  einer  Pflanze;  wilder  Celeri  oder  Liebstöckel.  Abgeleitet 
von  iUcha-ri  (jap.  8aT%jb)  ein  Tragkorb.     Von  üscha,   innerhalb. 

Bei  Dobrotwörski  iSäri  oder  üidrij  ein  Sieb  (pimero). 

33.  ,(LapSroit8e)  Apiumf  Species  ungewiss.  Tsiboko,' 
Bei  Lap^rouse:  Tsiboko,  ache  ou  dUri  sauvage. 

Bei  Dobrotwörski  Ölpokuj  eine  essbare  Pflanze  (c%A06hu 
TpaBa).  Synonymum:  chüre  hinä  ,Aie  rothe  Pflanzet 

34.  ,(Vrie8)  Apocynwm  venetum,  Baskuro  muni;  wörti. 
corvi  planta^.    ' 

BcuJcuro-muni  ^Rabenpflanze'  ist  bei  mir  nicht  verzeichnet. 

35.  ,Aralia  eduUa.  Itchari  kina;  wörtl.  herba  gti/oe  intus 
agit  (Vries)  lichariboy  S.  Apium  palustre  (udOy  ko  eyaky. 

Bei  mir:  Taima-kina  (jap.  U'do\  Liebstöckel. 

36.  y(Vries)  Aralia  eduiia  (die  Wurzel).  Tsima  kina  (udo). 
Vries  S.  Heradeum*. 

Bei  Dobrotwörski:  Tsimäkina  oder  ^ünäktna^  eine  gewisse 
essbare  Pflanze.  Wenn  man  aber  viel  von  ihr  isst,  so  erbricht 
man  sich. 

37.  ,(Vries)  Aralia  pentaphylla.    Horokayosi  (ükogiy. 
In  dem  Index:    Horokayusi.     Bei  mir   nicht  verzeichnet. 

U'ko-gij  jap.  der  Name  einer  unbekannten  Pflanze. 

38.  jAraUa,    Species  ungewiss.     Siva  (Udoy. 
Bei  mir:  Sewa  (jap.  w-doj,  Liebstöckel. 

Bei  Dobrotwörski:  Sewä-ni,  ein  hohler  Baum  (AyiUHCTOe 
AepcBo). 

39.  /Vries)  Archemoraf  Species  ungewiss.  Ota  kina; 
wörtl.  arenas  herba^, 

Otä  kinäy  Sandpflanze. 

Bei  Dobrotwörski:  Otä-kinä  oder  otä-kinahlb,  eine  den&bsen 
ähnliche  Pflanze.  Sie  wird  zu  Umschlägen  auf  Wunden  gebraucht. 

40.  ,(Vries)  Arisaema  japonicum*  Ura-ura.  Vries.  Rau-rau 
(Ten  nan  syo)'. 


Untersachangen  über  Aina-Oegentt&nde.  367 

Bei  mir:  Ura-ura  (jap.  ten-nan-nb),  der  Name  einer  Pflanze. 
^    ^    £    (^en-nann9io)y  arum  triphyUunif  Drachenvurzel. 

41.  jArtendaia  (genug).  Miya.   Vrie9,  S.  Nehmbivm^, 
Bei  mir:  Meya  (jap.  yoniogi)y  Beifuss. 

^SpecieB:  Noya  (Yovnogi)^. 

Bei  Dobrotwörski:  Kamurusä,  eine  Art  Beifuss.  Syn.  no/d. 

42.  jArtemida  capillarü.  Betar  noya,  Word,  alba  artemisia 
(Kavara  yomogiy. 

Bei  mir:  Betaru-noya  (jap.  kcoßara'yomogi),  Wermuth. 

43.  jArtemisia.     Species  ungewiss.     Taikorbi  (Yomogiy, 
Bei  mir:  Tmkwru-he  (jap.  yomogi),  Beifuss. 

44.  ^(Vries)  Artemisia.  Species  ungewiss.  Kamoi  noya. 
Wörtl.  domina  artemisia  (siro  yomogiy, 

Kamoi-noja,  Götterbeifuss.  Siro-jornogi,  weisser  Beifuss^ 
weisser  Wermuth. 

45.  ^(Vriee)  Arundinaria  japonica.  Korbe;  wörtl.  hominis 
res  {Taiay. 

Korbe  findet  sich  als  Pflanzenname  nirgends  verzeichnet. 
Koru-be,  Besitz,  Eigenthum.     Take,  jap.  Bambus. 

46.  Arundinaria  japonica;  die  Blätter?  Ikidara.  Vries  S. 
Phyüostachys  und  Airodytrum;  Futtaky  furach  (easay. 

Bei  mir:  Ikidara  (jap.  easajy  junge  Bambusblätter.  Futtaku 
oder  fvi/roM,  (jap.  sa;sa)y  junge  Bambusblätter. 

47.  ,  Arundinaria  japonica]  der  Stengel?  Top,  topp  (Takdy. 
'    Bei  mir:  topp  top  (jap.  take),  das  Bambusrohr. 

48.  yfVries)  Arundo  nißda.     ChukkV. 

Bei  Dobrotwörski:  Suchkif  grosses  ausgewachsenes  Ried- 
gras (ocOKa).     Das  kleine  noch  grüne  heisst  toköki  oder  ki. 

49.  , Arundo.     Species  ungewiss     Chariki  (Yoeiy. 
Bei  mir:  Schari-ki  (jsLip.  josi),  Riedgras. 

50.  yAster.  Species  ungewiss.  Chamono;  wörtl.  (Magnus) 
sicut  Homo  (No  kiky  No  giky. 

Bei  mir:  Schamo-no,  der  Name  einer  der  chinesischen 
Sternblume  (no-giku)  ähnlichen  Pflanze.  No-giku,  die  wilde 
Goldblume. 


51.  ,(Vries)  Betula.     Species  ungewiss.    Beitats  (Kabay. 
Bei  mir:  Bd-tats  (jap.  kaba),   der  Name   eines  Baumes. 


368  Pficmaier. 

ij^  (Kaha)  ist  eine  Art  Kirschbaum,  der  nur  BlUthen  trägt. 

52.  ,(Vrie8)  Behda,  Species  ungewiss.  Pfizm.  Si  itatsu. 
Vries,  Si  tatsu]  wörtl.  Magna  arbor  (Kaba)*. 

Bei  mir:  Si-i-tcU^u  (jap.  kaba).  eine  Birke. 

Bei  Dawydow:  ,die  Birke  karimbanü*. 

Bei  mir:  Karimba-ni  (jap.  sakura),  ein  Kirschbaum.  WörÜ. 
Doppelpfeilbaum.     Von  karimba  (jap.  kasane-ja),   Doppelpfeil. 

Im  Japanischen  wird  das  Ainuwort  fiir  ,Birke*  durch 
Wörter,  welche  ^Kirschbaum'  bedeuten,  erklärt.  Siri-taUu  wörtl. 
grosse  Birke. 

Bei  Dobrotwörski :  Sitdchniy  die  schwarze  Birke  (betula 
daurica), 

53.  jBetula.     Species   ungewiss.     Tats,   Tats  ni  (Kabay, 
Bei  mir:    Tats  und  Tatsu-ni  (jap.  kaba),  der  Name  eines 

Baumes.     Richtig  tats  ,Birke'^  tats^  ,Birkenbaum^ 

Bei  Dobrotwörski:  Tdchni^  die  weisse  Birke  (6epe3a  6^aA). 

Davon  tdchni-wakka  oder  tdchm-to-pe,  Birkensaft. 

:    54.  fBetula.     Species  ungewiss.     Ats,  Atsni  (Vo  fio).  S. 

Broussonetiaf . 

Bei  mir:  Atsu,  ats  (jap.  wo-fib-kawa),  Birkenbast.  Ats^ni 

(jap.  wo'fib),  eine  Birke. 

0-fib  und  sina  wird  in  der  gemeinen  Sprache  des  nördlichen 

Japan  der  Papierbaum  (kadzi  oder  kbzo)  genannt. 

55.  jBetula,  Species  ungewiss.  Ki  6rufp  ni;  Ki  irupp- 
nSri  (Asaday, 

Bei  mir:  Ki-erupp-ne  und  fei-eritpp-ne-ri  (jap.  asada),  der 
Name  eines  Baumes. 

56.  jBetula,  Species  ungewiss.  Sei  Kabara;  Sei  Kabarka 
(Asaday, 

Bei  mir:  Schei-kabara  und  schei-kabaru-ka  (jap.  asada), 
der  Name  eines  Baumes. 

57.  yBoletus  igniarius,  Species  ungewiss.  Esswaare  von 
einer  Eichenart  (Kormay. 

Kormaj  in  dem  Index  kurma,  soll  ein  Ainuwort  sein, 
wurde  jedoch  nirgends  aufgefunden.  Es  dürfte  statt  kappara 
oder  karusi  ,Schwamm'  gesetzt  sein. 

58.  ,( Vries)  Broussonetia^  Species  ungewiss.  Ats  ni,  S. 
Betvla\ 

Das  obige  Atsti-ni,  Birke. 


ünt«rsachiiiig«a  1kb«r  Alnn-Oegenstiode.  369 

Ö9.  jBuergeria  steUata,  Maukuch  ni  (Ko  hikts;  Gyok  ran) 
Pfizm.  S.  MagnoUa ;  Wistaria  japonica'. 

Bei  mir:  Ma-uhm-ni  (jap.  ko-busi,  gioku-ran),  der  Name 
einer  Pflanze^  eine  Art  Magnolia. 

C. 

60.  ,(Vrie$)  Cacalia  ddfinifolia.  Ihän  Zami  (Momitsi 
hagumay. 

Das  Ainuwort  ihän  zami  wurde  nirgends  aufgefunden.  Mo- 
midzi  ,rothe  Blätter'.    Faguma^  der  Name  einer  Gebirgspflanze. 

61.  /Vries)  Cacalia  hastaiaf  Komuliadf^ 

Das  Ainuwort  homulisd  wurde  nieht  aufgefunden.  Vielleicht 
japanisch  so  viel  als  Jctmuri-sd  ,Mützenpflanze^ 

62.  /Vries)  Calamagrostisf  Species  ungewiss.  Muri  (Mund- 
art von  Krafto).     S.  Cerealia'. 

Bei  mir:  Muri  (jap. /ama-&ato-no  mugi-no  gotoku-  yone), 
eine  Art  Reis,  gleich  dem  Meeruferweizen  (fama-bata-no  mugi). 

63.  ^(Vries)  Calendula  offidnalis,  Ura  yini  Kina  (Kin 
sen  Kway, 

Bei  Dobrotwörski :  Urdinekina,  eine  heilkräftige  Pflanze. 
Sie  ist  essbar.  aber  man  isst  sie  wenig. 

Kin-sen-kua  (die  Blume  der  goldenen  Schale),  Calendula 
offidnalis.     Syn.  o-guruma. 

64.  fCampanula.  Species  ungewiss.  Muki  kack.  (Vries) 
Ki  keo.     Pfizm.     Arino  firagi^. 

Bei  mir:  Muke-kagi  (jap.  ari-nofiragi,  richtig  ari-no fi/uki), 
eine  blaue  Glockenblume  (campanula  glauca).     Syn.  ki-kib. 

66.  y(  Vries)  Camphora  offidnarum,  Tsura  or  (Kosuno 
ki)  S.  Pachyrrhiza^. 

Das  Ainuwort  tswra  or  ist  nirgends  vorgekommen. 

Kusu^  ki,  jap.  der  Eampherbaum. 

66.  ,T%unberg,  Cannabia  ma,  Untcha  Kina,  S.  Graaninea*. 
Bei  mir:   Untscha-kina  (jap.  ma'komo),AßT  Name  einer  ge- 
treideartigen Pflanze. 

67.  fCannabis  sativa.  Asakara,  von  dem  jap.  Asagara^ 
Hanfstengel,  oder  nach  Hoffm.  Pterostyrax  Corymbosum  (Asay, 

Bei  mir:  Asorkara  (jap.  asa)  Hanf.  Von  dem  jap.  asa- 
gara,  Hanfstengel. 


370  Pfizmaier. 

68.  yTTiunberg.  Carduus  acaulü.  Wei  Muni  (Azami).  S. 
Andromeda*. 

Bei  mir:  U-e-i-muni  (jap.  azami)^  eine  DisteL 

69.  fCarex  caespitosa.  Imakottuts  {Sug£)'. 

Bei  mir:  Imakkotuts  (jap.  atige),  eine  Art  Riedgras. 

70.  ,(Fne«)  Carex  variegcUa,  Firachne  Kina  (ßugiy. 
Bei  mir:   Firaai'ne'kina  (jap.   suge),   eine    Art  Riedgras. 

71.  yCarex.  Species  ungewiss.  Chariki  {Yod).  S.  Arundo\ 
Bei  mir:  Schari-ki  (jap.  yosi),  Riedgras. 

72.  y(Vrie8)  Carex.  Species  ungewiss.  Irrap  (Tsimoy, 
Ein  Ainuwort  irrap   konnte  von   mir  nicht  auj^efimden 

werden.  Einige  Aehnlichkeit  hat  das  bei  Dobrotwörski  vor- 
kommende irupe  oder  erüf^  eine  essbare,  dem  wilden  Sauer- 
ampfer ähnliche  Pflanze. 

^  -^  (Tsi-mo)  ist  eine  dem  Calmus  ähnliche  Gbbii^- 
pflanze. 

73.  jTTitmberg,  Cartkamus  tinctoriua,  Kuttsi  {Ni  Kio;  Ko 
Kwa),  S.  Spiraea  callo&xf. 

Bei  mir:  Kuttd  (jap.  ko-kwa^  ni-kiö),  der  Name  einer 
Pflanze.  * 

74.  yCastanea  ve$ca,  Yan  (Kiri)*. 

Bei  mir :  Yam  (jap.  kuri),  ein  Kastanienbaum.  Das  obige 
kiri  ist  unrichtig. 

75.  ^(Vries)  Catalpaf  Ayuch;  Ni;  wörtl.  Sagittas  pomdens 
arbor  (ob  formam  fructuum).  Sin£  {Yartut  Kiriy. 

Bei  mir  Apisi-m  (jAf,  jama-kiri)^  der  Name  eines  Baumes. 
Ajud  ist  als  Zusammenziehung  von  ai-usi  ,zu  dem  Pfeile  ge- 
hörend' zu  betrachten. 

Sini  als  Ainuwort  fUr  jama-kiri  ^wilder  Stinkbaum^  (ster- 
culia)  ist  mir  nicht  vorgekommen. 

76.  jCercidiphyüum  japonicum.  Ran  Ko  (Kaisura  no  kiy. 
Bei  mir:  Ranko  (jap.  kaiswra-no  ki)y  ein  Zimmtbaum. 

77.  yCerealia,  Oryza.  Kami  tats,  Vries,  S.  OenHana.  Kima 
KochnS  Kam,  wörtl.  Caro  qtiae  levemfadt  sanguinem.  S.  Oryza. 
Muri.   Vries.  S.  Ccdamagrostis,  Tsimo  Komo  Kippd*. 

Bei  mir:  Kamitatsi,  Reis^  auch  Getreide. 
Bei  mir:  Kema-koschine-kam  (jap.  käme),  der  Reis,   das 
Getreide.  Wörtl.:  das  leichtfüssige  Fleisch. 
Bei  mir:  Muri,  eine  Art  Reis. 


Untersnclinngea  Aber  Aina-OegensUnde.  371 

Bei  mir:  TsimokumO'kippij  der  Name  einer  Getreidcart. 
Kippi  (jap.  Jdbi),  Roggen. 

78.  yCkenopodium  cäbum,  vd  rubrum»  Chiruch  Kina 
{Akaaay. 

Aka-zay  jap.   Chenopodium  aUmm. 

Chiruch  Kina  in  Verbindung  wurde  von  mir  nicht  auf- 
gefunden. Es  könnte  entweder  fUr  siriU-kina  ,Schimmelpflanze^ 
oder  fikr  HntuS-kinä  yMoospfianze'  stehen. 

Bei  Dobrotw<Sr8ki:  StrhS^  Schimmel,  Kahm  (n^'^ceHs). 

Bei  Daw^dow:  Das  Moos  schinrusch. 

Bei  Dobrotwörski :  3(ntu6  {sfntrui),  das  Moos  (auf  Bäumen 
oder  zum  Bau  der  Häuser). 

79.  y{Vrie$)  Oicuta.  Species  ungewiss.  Kamot  tdsina*. 
Das  Ainuwort  fUr  Cicuta  ist  mir  bisher  nicht  vorgekommen. 

80.  ,Ci89ua.  Species  ungewiss.  Bungara,  Bungari.  Vries. 
Fungar a,  (Vries.  Tauta,  I^ssm,  Tauta  mono)'. 

Bei  mir:  Bungari  und  Bungara  (jap.  t9uta'mono)j  das 
Geschlecht  der  epheuartigen  Pflanzen. 

81.  j0i$9us.  Species  ungewiss.  Aha,  iha,  (Pfizm.  Dem 
Ci88U8  Thunbergü  nahestehende  und  der  Erbse  ähnliche  Species^. 

Bei  mir:  Aha  und  Iha,  der  Name  einer  epheuartigen^  der 
Erbse  ähnlichen  Pflanze  (tsuta-mono-nite  rname-no  gotoku), 

82.  ,(Frtw)  CochUaria.  Species  ungewiss.  Tai,  Eise  sSri. 
S.  Raphanua  sativus^ 

Bei  mir:  Tsi  (jap.  woiabi),  der  Meerrettig.  Kise-seri  (jap. 
tcasabi)y  der  Meerrettig. 

83.  y^Vries)  Convaüaria  majalis,  Seta   Kito  {KimthakesSy. 
Seta-kitOy  wörtlich:  Hundeknoblauch. 

Bei  Dobrotwörski :  Kitö,  Bärenknoblauch,  Waldknoblauch 
(HepeMma). 

Das  jap.  kimikakesS  ist  mir  nicht  vorgekommen. 

84.  flTiunherg.  Convoltmlua  eduUs,  S.  Dioacorea*, 

Das  Ainuwort  nicht  angegeben.  Dioscorea  ist  die  lange 
Kartoffel   (naga-imo). 

85.  y^Vries)  Comtis  aUms.  Ukanniy  Tokorochni? 
(Ißdzgiy. 

Bei  mir:  Ukkanni  und  tokorosi-ni  (jap.  midzuki),  der 
Name  eines  Baumes. 

b6.  ,{Vrie8)  Comus  Canadenda,  Kakka  {Gozen,  lata  hanoy. 


372  Pfizmaier. 

Weder  das  Ainuwort,  noch  die  japanischen  Synonyma 
wurden  von  mir  aufgefunden. 

87.  ,(Vrie8)  CorydaUs.  Species  ungewiss.  Toma  {Vries. 
Yezo  yen  gd  sak.   Pfizm.  Zen-bu)', 

Bei  mir:    Toma  (jap.  zen-bu),  der  Name  einer  Pflanze. 

Yen-go-sakUy  caUha  paltiftris? 

Bei  Dobrotwörski :  Tomäj  die  essbare  zwiebelartige  Wurzel 
der  Pflanze  tomarä  (tomaträ).  Die  Lilienzwiebel  (capaHa),  in 
welcher  diese  Wio-zel  besteht,  ist  aufgereihten  Bemsteinperlen 
ähnlich. 

Tomarä  (tomairä),  eine  Frühlingsblume  mit  zwiebelartiger 
Wurzel.  Die  blaue  Blüthe  allein  heisst  Mpentrai 

88.  y^Vries)  Corylus  americana.  Ohoba  {Hon-bami)^, 
Das  Ainuwort  und  das  japanische  Synonymum  sind  nicht 

mit  Gewissheit  zu  bestimmen. 

89.  ,(Vries)  Crinum  mariUmum.  Imaki  bar,  S.  LiUium 
ccäXowm  (Yama-Yuri)', 

Bei  mir:  Imaki-baru  (jap.  fama-yuri  und  fime-yuri^  der 
Name  einer  der  Lilie  ähnlichen  Pflanze.  Wörtlich:  der  ge- 
zähnte Mund. 

90.  yCryptomeria  japonica.   Rabuch  ni  (jap.   Tsugi  Mf. 
Bei  mir:  Rabuschi-m  (jap.  tsugi-Jd),  der  Name  eines  Baumes. 

91.  ^Cympedium  vireacens,  Imais  matta  (Yama  ran.  Var. 
Fara  ran)*. 

Der  Ainuname  nicht  vorgekommen  und  nicht  zu  erklären. 
Li  dem  Index:  Faru  ran  statt  Fara  ran. 

92.  y{Vrie8)  Cypripedium  macranihmi.  Sita  nok\]  wörtl. 
Canis  colsa^. 

Das  Wort  bei  mir  nicht  verzeichnet.  Aus  aeta  ,Hund' 
und  noki  ,Ei'  zusammengesetzt. 

D. 

93.  ,( Vries)  Dioscorea  opposita  (die  Wurzel).  KosOj  tsyurip, 
onkotsU'ibi  {Naga-imoy. 

Bei  mir:  Kosa  (jap.  naga-imo)  eine  lange  Art  Yamwurzeln, 
auch  unter  den  Namen  der  unerklärten  Pflanzen. 

Bei  mir:  Tsi-wrip  (jap.  naga-imo)^  eine  lange  Art  Yam- 
wurzeln. 


Untersachnngcn  Über  Aina-Gegenst&ade.  378 

£. 

94.  ,(Vrie8)    EleagniLS?     Species  ungewias.    Syu  simau 

Der  Ainuname  nicht  vorgekommen.  Ungewiss^  ob  siü-st- 
ma-Uj  wörtl.:  gelbe  grosse  Rose.   Gu-mi  (jap.)  Oleaster. 

95.  (Vries).  Eleusine  c<yi*acana  vd  indiea,  Aira  syayam, 
Biyaha  (FiyS).     S.  Polygonum  fagopyrum. 

Bei  mir:  Äircui-amamu  {js,f.ßje),  Buchweizen.  Mit  amamu 
(jap.  kome)  ^Reis^  zusammengesetzt. 

Bei  mir:  Biyc^ha  ( jap.  jS/ej  Buchweizen. 

96.  /Klapr,)  Empetrum.  Species  ungewiss.  Itchku  müma 
(kamtschadalische  Mundart)*. 

In  dem  Index :  mumo  statt  müma,  •  Bei  Elapr.  Empetrum, 
Apenbeere.  Der  Ainuname  nicht  zu  erklären,  wenn  nicht  etwa 
durch  die  jap.  Zusammensetzung:  Idzäcu  mamo  (Feigenpfirsich). 

97.  yEquisetum,  Species  ungewiss.  Tchup-Tchup.  Vries. 
Tchip'Tchip.  (To  Kusa)'. 

Bei  mir:  Tschup-tackup  (jap.  to-kusa)^  der  Name  eiaer 
Pflanze,  eine  Art  Equisetum. 

98.  ,{  Vries)  Erianthus,  Species  ungewiss.  Um.  S.  AntkisHria 
Lollium  (Kayafy. 

Bei  mir:  Umu  (jap.  inii-bi-je),  der  Lolch. 
Kaya,  langes  Gras. 

99.  ,(Vrtes)  Euphorbia  latyris.  Ikakka  (Kan  svi).  S. 
Glycirrhiza^ . 

Bei  mir :  Ikakka,  der  Name  einer  dem  Sttssholze  (ama-ki) 
ähnlichen  Pflanze  mit  rother  Frucht. 

Kan-zui  (jap.)  die  süsse  Pflanzenfrucht. 

1(X).  ;7%un6.  Evonymus  japonicus  vel  Europaeus.  Konke 
ni  (Mayumiy. 

Bei  mir :  Konke-ni  (jap.  mayumi),  der  Name  eines  Baumes. 

Bei  Dobrotwörski :  Könkenif  das  Geissblatt ,  Beinholz, 
(SHMOiLOCTb).  Ein  Strauch,  dessen  Holz  zur  Verfertigung  von 
Bogen  dient. 

Mayumi  (jap.),  der  Spindelbaum. 

101.  yEvcnymus  japonicus.  Vries.  Macha  (Masaki)  js,^.  Wort*. 

Bei  mir:  McucAa  (jap.  masa-kt),  der  Name  eines  Baumes, 
eine  Art  Liyustrum. 


374  Pfizmaier. 

102.  ,(Vnes)  Evonymus  Sieboldianus.  Ukepp;  wörtl.  Ugneae 
cochlearis  arbor  (Mayvmiy. 

Bei  mir :  Ukep-ni  (jap.  maywmi),  der  Name  eines  Baumes. 
Mit  vkep  (jap.  siahi^-si)  ,ein  hölzerner  Löffel'  zasammengesetzt. 

103.  j(VviM)  Evonymus  subtriflorus.  Kachup  ni;  wörtl. 
Cochlearis  arbor  (MayunUy. 

Bei  mir :  Kaachiup-m  (jap.  mayurni),  der  Name  eines 
Baumes.  Mit  kaschivp  (jap.  tiaku-H)  ^ein  Löffel  zum  Wasser- 
schöpfen^  zusammengesetzt. 

104  yEoonymtis.  Species  ungewiss.  Vries,  Bunko]  Pfizm. 
Fungau  (Vries).  Mayu/mi;  Pfizm.  der  Name  eines  dem  jap. 
Mayurni  ähnlichen,  jedoch  grösseren  Baumes.  Es  werden  daraus 
Ueberschuhe  verfertigt'. 

Die  Form  Bunko,  kommt  bei  mir  nicht  vor. 

F. 

105.  ,Fagu8  pumila,  Pira  ni  (Buna,  Bima  no  ki)'. 

Bei  mir:   Pira-ni  (jap.  buna)^  der  Name   eines  Baumes. 

106.  ^(Vries)  Fütx,  Toha,  Tsep  ma  kina.  S.  Pterii', 
Bei  mir:  Toha  (jap.  warabi),  der  Name  einer  Art  Famkraut. 
Bei  mir :  Taep-ma-kina  (jap.  warabi) j  eine  Art  Famkraut. 

Mit  ts&p  ,Fisch'  zusammengesetzt. 

107.  fFimbristylis  aestivalis  (AmanS).     S.  Gagea^, 

Die  Pflanze  tsikapp  toma,  eine  Frtthlingspflanze  mit  zwie- 
belartiger Wurzel  (jap.  ama-ne). 

108.  y(Vrie8)  Fragraria  indica.  Bunki  kama  furepp 
(F£bi  itsigoy. 

Bei  mir  :  Bunki-ka-ma  furepp  (jap.  febi-itsigo),  eine  Erd- 
beere  oder  Erdbeeren.     Febi-itsigOy  wörtl.:  Schlangenerdbeere. 

109.  ,Fragraria  veaca.  ImarS  furepp.  Wörtl.  Fructus  den- 
dibue  utilis  (Itrigo)*, 

Bei  mir:  Ima-re-furepp  (jap.  itsigo),  eine  Eirdbeere.  Von 
tma,  Zahn.    Wörtl.:  die  gezähnte  Beere. 

110.  fFritülaria  kamschaktaica.  Arirakor^  Har,  Chirakor 
(Kuro  yuri),   Vriea.  S.  Sarana\ 

Bei  mir:  Are-ra-koru  (jap.  kuro-yuri),  der  Name  einer 
lilienartigen  Pflanze  von  schwarzer  Farbe»  Dieselbe  Erklärung 
haben  bei  mir  haru  und  schira-koru. 


üntonuchnngen  über  Amv-Geg«nBtftnde.  376 

Kuro-yurty  jap.  die  schwarze  Lilie. 

111.  ,(Vrie8)  Fucus,  Species  ungewiss.  Komfu^  von  dem 
jap.  Kombinf. 

Kon-hu,  jap.  essbares  Seegras. 

112.  ,Fungu8,     Species  ungewiss.     Kappara  (TdkSy. 
Bei  mir:  Kappara  (jap.  take),  ein  Schwamm^  ein  Pilz. 

113.  ^ungus.    Species  angewiss.     Karst  (TaM)', 
Bei  mir:  Karusi  (jap.  take)^  ein  Schwamm,  ein  Pilz. 

114.  ,(Vrie8)  Fungus,  Species  ungewiss.  Yuku  karsi; 
wörtl.  Cervi  figaricas  (Mai  takiy. 

Yuku-lcarusi  bei  mir  nicht  verzeichnet.  Mit  yüku  ^Hirsch' 
zusammengesetzt. 

Mai'take^  jap.  ^tanzender  Pilz'  bei  mir  ebenfalls  nicht 
verzeichnet. 

G. 

IIb. y(Vr{es)  Oagealutea.  Tsikapp  tomat  (Amana,  Amane) 
S.  Fimbrütilis  aestivalis', 

Tsikapp-toma,  wörtl.  Vogelzwiebel.  Bei  mir  nicht  verzeichnet. 
Ama-na,  ama-ne  (jap.),  Name  verschiedener  Pflanzen. 

116.  ,(Vries)  Gautiera  yezoensis,     Kotokoni*. 
Kotokoni  ist  bei  mir  nicht  verzeichnet. 

Bei  Dobrotwörski:  Kötoko,  ein  Dreifuss  (Taram).  Japani- 
sches Wort. 

Das  zu  Grunde  liegende  japanische  Wort  ist  ^  ^ 
(go-toku)  yDreifuss,  dreifiissiger  EesseP.  Hierzu  das  Ainuwort  Ni 
yBftum'  angehängt,  bedeutete  daher  kötoko-ni  wörtl.  Dreifussbaum. 

117.  ,(Vries)  Gentianaf  Species  ungewiss.  Kamitats  (Sasa 
Bin  d6),  S.  Cereaiia,  Oryza^. 

Bei  mir:  Kami-taisiy  Reis,  auch  Getreide. 
Scua-rin-db,  jap.  Enzian. 

118.  (Pfizm.)  Glycirrhizaf  Species  ungewiss.  Mit  rothen 
Früchten.     Ikakka.  S.  Euphorbia. 

Bei  mir:  Ikakküf  der  Name  einer  dem  Süssholze  (ama-ki) 
ähnlichen  Pflanze,  mit  rother  Frucht. 

119.  fGongranema.  Species  ungewiss.  Penup;  wörtl.  ex  aqua 
nascens  (Ikima,  Vries.  UrosUlmay, 

Bei  mir:  Penup  (jap.  ikema),  der  Name  einer  Pflanze. 
Mit  pe  yWasser'  und  nu  ^hervorbringen'  zusammengesetzte 


376  Pfizmaier. 

Ikema  (jap.),  Mechoacana  (weisse  Rhabarber). 

120.  yQossypium  herbaceum,  Diba,  Chenkaki  (Ei  wata, 
Wata  no  kiy. 

Bei  mir:  Deba  (jap.  ki'WaJta)^  eine  Baumwoilenpflanze, 
go88ypium  herbaceum. 

SchenkaMy  ebenso  erklärt. 

121.  ,(Vrie8)  äVamin^a  ?  Species  ungewiss.  leyo;  Pfizm. 
layo  kina;  wörtl.  usUaJta  herba  (Yama  kusa/. 

Bei  mir:  hio-kina,  der  Name  einer  Pflanze^  wörd.  die 
gewöhnliche  Pflanze. 

Jama-gusay  jap.  der  Name  einer  Pflanze^  wörtl.  die  Berg- 
pflanze. 

122.  ,(Vrie8)  Graimneai  Species  ungewiss.  Siki  (Otii  kaya)*. 
Bei  mir:  Schi-kina  (jap.  gama),  eine  Binse. 

Oni-kaja,  jap.  die  Dämonenbinse. 

123.  yGramineaf  Species  ungewiss.  Untscha]  Pfizm. 
Untscha  kina  (Makomo;  Thumb,  Camiaim  may\ 

Bei  mir:  Untscha-kina  (jap.  ma-komo),  der  Name  einer 
getreideartigen  Pflanze. 


124.  ,(Klapr,)  HeUeboras,  Species  ungewiss.  Techukup 
(kamtschadalische  Mundart)^ 

Dobrotwörski  verzeichnet:  Suküp,  weisse  Niesswurz  (qeiie- 
pHAa). 

125.  ,(Vrie8)  Hera^umf  Species  ungewiss.  Tsima.  S. 
Aralia', 

Bei  mir:  Tsima-kina  (jap.  u-do),  Liebstöckel. 

126.  /Vries)  Heracleum.     Species  ungewiss.  Bit^, 
Büf  als  Ainuname  für  eine  Pflanze  nicht  au£sufinden. 

127.  ,(Vrie8)  Hordeum  vulgare.,  Pfizm.  MengurOy  (Vries), 
Menkuro  (Mugi/. 

Bei  mir:  Mengu/ro  (jap.  mugi),  der  Weizen. 

128.  y(Vrie8)  Hydrangea  acuminata.  Kikin  ni;  wörtl. 
fricans  arbor,  Pfizm.  Eine  der  BotUera  japonic^  ähnliche  Art 
mit  Frucht.  S.  Boiüera'. 

Bei  mir :  Kikm-ni,  der  Name  eines  dem  Japan.  Ädzuia 
ähnlichen  Fruchtbaumes.  Mit  kiki  (jap.  nd-wo  kaku)  ^sich  kratzen' 
zusammengesetzt. 


Untersachnng&n  über  Ainu-üegenstände.  377 

I. 

129.  ,(Vr%es)  llex  crispa.   YSto  kator^ni  (Yama  yadomeY, 
Die  Richtigkeit  sowohl  des  Ainunamens  als  des  japanischen 

Namens  iiicht  zu  bestimmen. 

130.  yfVries)  llex  integra.     Lyamun,   wahrscheinlich   für 
rya  muni,  wörtl.  planta  procrastinatrix  (motsi  no  kiy. 

Das  Ainuwort   aus  Bija  (jap.  tosi-wo   suguru)^   ,die  Jahre 
zurücklegen*  und  muni  ,Pflanze*  zusammengesetzt. 
Motsi-no  ki,  wörtl.  Kuchenbaum. 

131.  yUlicium,     Species  imgewiss,   mit  rothen  Früchten. 
Uttoba  kina*. 

Bei   mir:    Uttoba-kinuy  der  Name   einer  fruchttragenden 
Pflanze,  ähnlich  dem  japanischen  sikimi. 
Sfücimi  (jap.),  Illicium  anisatumf 

132.  ,(Vine8)  ImpercUa  pedicdlatu.  Nupkauch^  wörtl.  agros 
possidens  (Pfizm.  Inu  biye,  8.  Lollium.   Vries.   Tsi  gaya)*. 

Bei    mir:    Nupka-usch    (jap.    inu-bi-je) ,    der    Lolch.     Mit 
nvpka  ,Feld'  zusammengesetzt. 
Tsi-gaja,  jap.  Riedgras. 

133.  ,(Vrie8)  Iris  japonica.  Bittoki]    Chuve  (Syakay, 
Bei   mir:    Bittoki  (jap.  siaku),   der   Name   einer  Pflanze. 

Siu-u-e  (jap.  daku),  der  Name  einer  Pflanze. 

134.  ,(Vrie8)  Iris  Kaempferi.  Sit  au  (Kaki  tsvhatay. 

Bei  mir:  Schita-u  (jap.  kaki-tsubcda),  der  Name  einer  Pflanze. 
Kaki'tmibatft  (jap.),  Iris  sibimca? 

J. 

135.  yJuglans   nigra,    Nechko   (Kurmi).   —   Die   Frucht, 
Enum,  Enomi,  Ninomi  (Kurmi  no  miy. 

Bei  mir:  Nesiko  (jap.  kurumi),  ein  Wallnussbaum. 
Bei   mir:    Ninvmu   (jap.   kurtimi-no   mi) ,    eine    Wallnuss. 
Auch  ninomi,  enumu,  enumiy  enomi. 

136.  yJuncus  ejffusus,  Opkikina;  wörtl.  hastaeherba  (Okoiy. 
Oho-m,  jap.  die  grosse  Binse. 

137.  yJuncm,  Species  ungewiss.  Pfizm.  S.  Typha*. 

Das  Ainuwort  ist  schi-kina  (jap.  gama),  eine  Binse.  Wörtl. 
grosse  Binse. 

SitzungBber.  d.  pliil.-hist.  Cl.    CHI.  Bd.  II.  Hft.  25 


378  Pfixmaier. 


L. 


138.  ,(Vries)  Lappa  ?  Species  ungewiss.  Sik  bechoro 
(Yama  kobo).  S.  Phytolacca  octandraK 

Unter  den  Namen  der  Fische,  aber  nicht  der  Pflanzen, 
wurde  von  mir  gefunden:  Schiki-be-schioro ,  der  Name  eines 
dem  jap.  taika  ähnlichen  Fisches. 

Jama-gO'bb  (jap.),  die  Bergklette  oder  wilde  Klette. 

139.  ,(Vrie8)  Lappa  edulis,  Sita  Korokoni  (die  Wurzel), 
wörtl.  canis  nardosmia.  S.  Nardosmia  (Koboy  die  Pflanze/. 

Bei  mir:  Koru-ko-ni  (jap.  fugt),  der  Name  einer  Pflanze. 
Vorgesetzt  aeta  ,Hund*. 

Go-bb  (jap.),  die  Klette. 

140.  /Vries)  Larix  europaea»  Gui.  Ö.  Abies  leptolqpis, 
Pinus  densißora'. 

Bei  mir:  Gui  (jap.  kara-matsu),  ein  Lärchenbaum. 

141.  ^(Vries)  Laurinaea.  Species  ungewiss.  Binni,  wahr- 
scheinlich für  Binni  ni,  wörtl.  mascuLua  arbor  (Tamo  no  ki). 
Thunb.  tibersetzt  Tamo  durch  Laurus  indica'. 

Binne-ni  wörtl.  der  männliche  Baum.  Tamo  als  Name 
eines  Baumes,  ist  ein  Wort  der  gemeinen  jap.  Sprache  und  in 
keinem  Wörterbuche  enthalten. 

142.  y(Vrie8)  Laurinaea,  Species  ungewiss.  Tsikicha  ni 
(Adza  iamay. 

Bei  mir:  Tsikischa-ni  (jap.  akchtamo) ,  der  Name  eines 
Baumes. 

Aka-tamo  (jap.),  rothe  Lorbeerpflanze.  Adza  tama  ist  ein 
Druckfehler. 

143.  ,(Vrie8)  Lespedeza.  Species  ungewiss.  Pflzm.  Singepf. 
( Vries)  Sinkepf  (fagi),  Tkunb,  Lythrum  aalicaria,  S.  Lythrum^. 

Bei   mii':    Schingep  (jap.  fagi),   der  Name   einer  Pflanze. 
Fagi  (jap.),  der  Weiderich  (Lythrum  salicaria). 

144.  ,Pfizm.  Liehen,  Species  ungewiss.  Nip  kapvy  wörtl.: 
arbonim  peUis,  (Haf  Aehnlichkeit  mit  der  Haut  des  Boletus 
igniaHusy. 

Bei  mir:  Nip  kapüy  eine  dem  Moose  auf  verfaulten  Bäumen 
ähnliche  Pflanze,  eine  Flechtenart.  Von  nip  ,HoIe  im  Allgemeinen' 
und  kapüy  Haut,  Rinde. 

145.  fLtgtdaria  Kaempferi.   0  in  am  ata  (Tauva  bukt)*. 


Üntenochangen  flb«r  Aian-Oegenst&nde.  379 

Bei  mir:  O-inamatsu  (jap.  tsuwa-hvki),  der  Name  einer 
Pflanze.  Tsmoa-huki  (jap.)  Ligidaria,  ÄHchenkraut?  Bei  Kämpfer 
ist  tsuwa-buki  nicht  zu  finden. 

146.  ,(Vrie9)  LigusHcumf  Species  ungewiss.  S4ta  ubeu. 
Wörtlich:  canis  anemone^. 

Bei  mir:  Ube-u  (jap.  tö-ki),  der  Name  einer  Pflanze. 
Gleichbedeutend  mit  jama-zeriy  wilde  Petersilie.  Vorangesetzt 
seta,  Hund. 

147.  ,Ligib8trum  obtusifoUum,  Ni  rui,  wörtl. :  lignum 
cr(M8um  (Ima  kiy. 

Bei  mir:  Ni  rui  (jap.  iwa-ki)j  der  Name  eines  Baumes. 
Iwa-ki,  Felsenbaum. 

Ni-nd,  dick  von  Holz. 

148.  ylÄllhim  callosum.  Ni  yokai;  Imaki  bar,  wörtlich: 
bneca  dentibus  mitnita,  8.  Crinum  maritimum;  Thure,  turep,  S. 
Lillium  poviponiacum.     (Firne  *juri,  Bata  yuri,  Yama  yuriy. 

Bei  mir :  Niyokai  (jap.  fime-yuri),  eine  Lilie.  Fime-yuri, 
eine  rothe  Lilienart  (liliwtn  pomponiwn). 

Bei  mir:  Ima-ki-bai^  (j&^.fama-yurij  fime-yuri),  der  Name 
einer  der  Lilie  ähnlichen  Pflanze.  Wörtl. :  der  gezähnte  Mund. 

Fama-yurij  wörtl.  die  Meeruferlilie. 

Türe  wird  bei  mir  nicht  verzeichnet.  Turep  {j&p.  fime-yuri) 
der  Name  einer  Lilienart. 

Bei  Dobrotwörski :  Turep,  eine  Beere  (avojifi,).  Davon 
tur^p-kem,  Beerenblut  (zum  Färben  ji:ebrauchter  Saft  rother 
Beeren). 

Bata  yuri  d.  i,  fama-bafa-yuri  ,^l{iGni{erlili&  ^r  fama-yuri 
gesetzt. 

149.  ,{Vrie»)  Lilliuju  cauadetise,  imakiant^  wörtl.:  denn 
miuHta  (Knruma  yuri)*. 

Bei  mir:    Ima-ki-ane  (jap.  kuruma-yuri),    der  Name    einer 
der  Lilie  ähnlichen  Pflanze.    Wörtl.:  dünnzähnig. 
Kuruma-yuri  (jap.),  wörtl. :  die  Wagenlilie. 

150.  ffVriim)  Lillium  partheneionf  (Firne  yuri),  S.  Lillium 
rallosum*. 

Das  Ainuwort  ist  furep,  eine  rothe  Lilienart. 

151.  j(Thunb,  oAQvSiebJ)  Lillium  pomponiacumf  Turep; 
(Vries)  Thure p.  (Firne  yuri,  S.  Lillium  caUosum;  (Vriei)  Bata 
yuriy. 

25» 


380  Pfismaier. 

Turep  (jap.  fime-yuri),  eine  rothe  Lilienart. 

152.  jUllium.  Species  ungewiss.  Binnera.  ( Vries).  S.  LH- 
lium  canadense  (Kuruma  yv/riy. 

Kwnima-yuri  (jap.),  die  Wagenlilie. 

Binne-ra,  wörtlich:  männliches  Mark,  männliche  Röhre. 
Mit  hinne  ^männlich'  und  ra  ^Mark^  zusammengesetzt. 

Bei  Dobrotwörski :  Ra,  das  Mark  (crepaeHL)  einer  Pflanze, 
der  Stengel  oder  die  Röhre  (cTBOiii»)  einer  Pflanze.  Dieses  Wort 
werde  dem  Namen  der  Blüthe   oder   der  Wurzel   hinzugefügt. 

153.  ,(Vrie8)  Linaria.  Species  ungewiss.  Yukkatomabak 
(Yükf,  Cermsy. 

Das  Ainuwort  lässt  sich  mit  keiner  Gewissheit  erklären. 
Es  mag  aus  yuku  ,Hirsch',  ka  ,Zwirn',  tomu  ,Farbe',  bake  ^opf 
zusammengesetzt  sein. 

154.  ^Pfizm.  Lollium  temuientumf  Um  (Inu  biyS).  Vries, 
S.  Antkistria,  Ei*ianthus^, 

Bei  mir:  Umu  (jap.  inu-bi-je)^  der  Lolch. 

155.  ,(Vrie8)  Lonicera  nigra,  Tonkayu  (Biyotambok),  S. 
Xyloateum^. 

Sowohl  das  Ainuwort  als  das  japanische  Wort  sind  mir 
nicht  vorgekommen. 

156.  yLuzida  campestris.  Vries.  Riten  muni,  wörtUch: 
nitida  planta  (Suzumeno  yuriy. 

Bei  mir :  Riten-muni,  der  Name  einer  dem  Riedgras  (suge, 
Binse)  ähnlichen  dünnen  Pflanze.  Mit  riten  ,rein,  lauter,  klar* 
zusammengesetzt. 

Suzume-no  yuri  (jap.)  wörtl. :    die   Lilie   des    Sperlings. 

157.  ,Thunb.  Lythrum  salicaria,  S.  Lespedeza. 
Das  Ainuwort  ist  singep  ,der  Weideriche 

M. 

158.  yMagnolia  acuminataf  Buch  ni,  Fuch  ni,  wörtl.: 
pharetrae  arbor,  (Oho  gasiwa),  Pfizm.  S.  Terebinthus  indicaf 
(Vries)  S.  Acer^. 

Bei  mir:  Busi-ni  (jap.  wowo-gasiwa),  eine  Art  Pistazien- 
baum.    Mit  btisi  (jap.  ja-bako)  ,Köcher^  zusammengesetzt. 

159.  ,(Vi'ie8)  Magnolia  hypoleuca,  Ikayup  ni,  wörtl.: 
pharetrae  arbor.    (Pfizm.    Oho  gasiwa,    S.    Terebinthus  indica; 

Vries,  Höno  kijt. 


üntomicbongen  (kb«r  Ainn-Gegenstfnde.  38 1 

Bei  mir:  Ikajup-ni  (jap.  wowo-gasiwa),  ein  grosser  Croton- 
baum.     Mit  ikajup  (jap.  ja-bako)  ,Köcher^  zusammengesetzt. 

Fd-no  ki  ,der  Baum  des  rohen  Stoffes*  (jap.),  der  Name 
eines  Baumes.  Auch  fowo-gasitoa  ,der  Pistazienbaum  des  rohen 
Stoffes^  genannt. 

160.  y(Vries)  Magnoliacaf  Species  ungewiss.  Mau-kuch 
ni  (Ko  hutSy  S.  Buergeria  stdlata;  Gydk  ran)'. 

Bei  mir:  Moruhm-ni  (jap.  ko-busi,  gtoku-ran),  der  Name 
einer  Pflanze,  einer  Art  Magnolia.  Mit  mc^ukuri  (jap.  towdru) 
^durchdringen'  zusammengesetzt. 

161.  ,(Vrie8)  MicropteUa  parviflora  oder  parvifolia,  Opcha 
ni,  Kine  ni.  (Nird;  Sabita;  Pfizm.,  S.   ülmusy. 

Bei  mir:  Opscha-ni  (jap.  nire,  sabita),  eine  Ulme.  Syn.  ki-ne-ni. 

162.  ,Milliumf  Species  ungewiss.  T^tfen  ^mam;  wörtlich: 
nitida  aryza  (Mots  ava)  S.  Panicumf. 

Bei  mir:  Riten-amamu  (jap.  motsi-awa),  der  Name  einer 
Art  Hirse. 

Amamu  (jap.  käme),  Reiss,  Getreide  überhaupt. 

163.  ,(Vriea)  Morus  indica.  Techma  (Kuva)^, 

Bei  mir:  Tesima-ni  (jap.  kuwa),  ein  Maulbeerbaum.  Mit 
tesima  (jap.  kandziki)  ^Stelzschuh'  zusammengesetzt. 

164.  ,(Vrie8)  Mulgediumf  Species  ungewiss.  Vavahal 
(Mundart  von  Krafto)'. 

Dieses  Ainuwort  ist  offenbar  fehlerhaft  imd  lässt  sich 
nicht  berichtigen. 

165.  ,{Vries)  Muscus  edtdis,  Species  ungewiss.  IkkS  mal 
mal  (Kok6  no  miy. 

Bei  mir:  Ikki-mai-mai  (jap.  koke-no  mi),  eine  Moosbeere. 
Wörtlich:  Frucht  des  Mooses. 

166.  ,(Vries)  Muscust,  Species  ungewiss,  i^ur/cama;  Pfizm. 
Furkamal  (Kokiy. 

Bei  mir:  Furvkamai,  der  Name  einer  ungenannten  Pflanze. 

167.  yKlapr.  Muscu».  Species  ungewiss.  Chinruch;  kam- 
tschadalische  Mundart,  Odop*. 

Bei  Dawydov:  Schinrusch,  das  Moos. 
Bei  Dobrotwörski :  Sintv4  (sintniS)  das  Moos  (auf  Bäumen 
oder  zum  Bau  der  Häuser). 

168.  /Vriea)  Myosotis  apulaf  ?  Kavara  kSna,  (Der  Name 
vielleicht  jap.)^ 


382  Pfizmaier. 

Kawara-kena  (jap.),  der  Name  einer  Pflanze  (prenanthesf). 

169.  ,(Vries)  Myosotis.  Species  ungewiss.  Kappara,  wahr- 
scheinlich kavara,  8.  Fungus^. 

Kappara  (jap.  take),  ein  Schwamm,  ein  Pilz. 
Kaioara  erinnert  an  das  obige  Kaioara-kena. 

BT. 

170.  ,(Vrie8)  Nardosmia  japonica.  Maka  yo;  Korkoni; 
Vries.  S.  Lappa  edulis  (Fugi;  Fuki  no  to)*. 

Bei  mir :  Maka-yo  (jap.  fvid-no  t6),  der  Name  einer  Pflanze. 
Bei  mir:  Koru-ko-ni  (jap.  fugi)j  der  Name  einer  Pflanze. 

171.  ^(Vries)  Ndumbium  gpeciosum  (die  Wurzel).  Miya, 
S.  Artemisia  (Haitis)', 

Meya  ^Wasserlilie'  scheint  in  dem  Mo-siico-gusa  mit  Noyn 
Beifuss^  verwechselt  worden  zu  sein,  wozu  daö  einander  ähnliche 
Kata-kana  von  me  und  no  Anlass  gab. 

Hat»{8u  (jap.),  Wasserlilie. 

Bei  Dobrotwörski  ist  Nojä  ein  Synonymum  von  kaimmisä 
(kamuti^usä),  eine  Art  Beifass  (nepHOÖEiJibHnsi). 

172.  ,Nicotiana  tabaccum.  Tambako,  von  dem  jap.  TaAako*, 
Bei  Dobrotwörski:   Tämbaku,  Tabak. 

173.  ,(Vrie8)  Nyphar  japonicum.  Kabato  (Kava  baue;  ko 
boniy. 

Bei  mir :  Kabato  (jap.  kawa-bone),  der  Name  einer  Wasser- 
pflanze. 

Kawa-bone  (jap.),  die  Seeblume  (nympkaea  Itttea),  Syn.  kb- 

boniy  kawa-na-gusa . 

O. 

174.  y(VHe8)  OrcJiis.  Species  ungewiss.  Likon  kamu'i  kina; 
wörtlich :  domini  cervi  herba^. 

Zu  lesen :  Ri-kon-karnui-kina,  die  Pflanze  des  verständigen 
Gottes. 

Bei  mir:  Rikon  kanwi,  der  Name  eines  einer  Hirschkuh 
ähnlichen  Thieres  von  der  Grösse  eines  Hundes.  Ofi^enbar  das 
jap.     5IHI    >|fi  (rl-kon)  ,verständig'  zu  Grunde  liegend. 

175.  yOryza  sativa,  Amnm^  Fu  am  am,  Bunma,  Numi- 
Numippi,  Kema  kochni  Kam,  S.  Gentiana.  (Korne)', 

Bei  mir:  Anuimu  (jap.  kome),  Reiss,  auch  Getreide  über- 
haupt. Syn.  Amama,  Fu-amamu,  Bunma,  Numi-numippe, 


UnterBaehnngen  ftber  Ainn-Gegenstinde.  383 

Bei  mir:  Kema-koachine-kam  (jap.  kome),  Reiss,  auch  Ge- 
treide. Wörtlich;  das  leichtflissige  Fleisch. 

176.  yOryza.  Species  imgewiBs.  Muri  (Fama  batano  mugino 
gotoku  yondy. 

Bei  mir:  Muri,  der  Name  einer  dem  Uferweizen  (faTna- 
bata-no  mugi)  ähnlichen  Reissart. 

P. 

177.  ,(Vries)  Pachyrrhizus  Thunbergianus,  O-'ikara  (Kudz 
kadzura;  Pfizm.  übersetzt  auch  Ftlasse).  S.  Camphora^. 

Bei  mir:  O-ikara  (jap.  kadzura),  Flachs.  Kudzu  oder 
kudzu'kadzura  (jap.),  Flachs. 

In  dem  Mo-sitvo-gusa  wurde  die  jap.  Erklärung  unrichtig 
gelesen.  Es  soll  offenbar  kusu  ^Eampherbaum'  heissen. 

178.  jPanicum  italicum  vel  milliaceum,  Kiten  amam,  wört- 
lich :  furcae  piscatoriae  (yryza ;  Mudjiro ;  Muri  kunni,  wörtlich : 
nitida  oryza;  Tsipski  (Awa;  [Vries]  Kibi),  S.  Cerealia,  Oryza\ 

Bei  mir:  Ki-U^na-amamu  (jap.  awa),  Hirse.  Wurde  die  Zu- 
sammensetzung  mit  ki-te  (der  Körper,  eigentlich  die  Rinne  des 
zum  Fischfange  bestimmten  gabelförmigen  Holzes)  angenommen. 

Bei  Dobrotwörski :  JKf^,  eine  eiserne  Lanze  mit  eisernen 
Spitzen  und  einem  Riemen.  An  diesen  Gegenstand  wird  ein 
Aufeatz,  eine  lange  Lanze  (tunä)  gebunden.  Man  filngt  damit 
Seehunde  und  Seelöwen. 

Bei  mir:  Mudschiro  (jap.  awa),  Hirse.  Syn.  Muri-kunne, 
aipusi'ke. 

Kibi  (jap.),  Roggen. 

179.  /Vries)  Peucedanum  japonicum,  Kenia poro  (Bofö)'. 
Bei  mir:  Kenta-poroy  der  Name  einer  dem  jap.  bo-fü,  der 

,Ufermalve'  ähnlichen  Pflanze. 

180.  ,(Vrie8)  Pevcedanumf  Species  ungewiss.  Uraibauch 
(Po  rü  ni  nitey. 

Bei  mir:  U-rai-ba-usi,  der  Name  einer  Pflanze,  ähnlich 
dem  jap.  bo-fHy  der  ,Ufermalve*. 

181.  /Vries)  Phaseolus  mungo.  Ätaki ,  von  dem  jap. 
Anthuki*, 

Bei  mir:  AnivJd  (jap.  ko-mnme)^  Bohnen.  Von  dem  jap. 
adzuki,  Bohnen.  Verwechslung  des  Ainuwortes  mit  dem  jap. 
Worte. 


384  Pfizmaier. 

182.  ,(Vrie8)  Phyllostachys?  Species  ungewiss.  Saea  (Iki- 
tara).  S.  Arundinaria  japonica,  deren  Blättert 

Bei  mir:  Ikidara  (jap.  sosa),  junge  Bambusblätter.  "Ver- 
wechslung  des  Ainuwortes  mit  dem  jap.  Worte. 

183.  ,Phytolacca  octandra,  SSta  kor okoni,  wörtlich:  canis 
nardoamia  (Yama  go  hu),  S.  Lappa^. 

KorU'ko-ni  (jap.  fuki),  nardosmia  japonica, 

184.  yPinus  densiflora.  Kui  (Aza  mats).  S.  Äbies  hptolepig'. 
Bei  mir:   Gui  (jap.  kara-matsu),  ein  Lärchenbaum. 
Äka-matsu  (jap.),  die  rothe  Fichte. 

185.  jPinus  larix,  S.  Larix  europaea.  (Vries)  Pinus  parvi- 
flora  vel  pauciflora»  Ine  k4re  ni,  TsUcapp  fvpp,  wörtlich:  avi» 
abies  (Go  yo  no  matsy. 

Bei  mir:  Ine-kere-ni  (jap.  go-yo-no  matsu),  die  iiinf blätterige 
Fichte.  Syn.  fdkapp-fuppy  die  Vogeltanne. 

186.  ^(Vriea)  Pisum  sativum,     Pasitkara  (Yen  ddy. 

Bei  mir:  Pasikufara,  der  Name  einer  der  flachen  Erbse 
(yen-do)  ähnlichen  Pflanze. 

187.  ,Pfizm.  Pisum,  Species  ungewiss.  Menachiyar  (Ibi, 
No  yen  dOy, 

Bei  mir :  Mena^chi-yaru  (jap.  ibi  und  no-yen-do),  wilde  Erbsen. 

188.  ,(Vries)  Plantago  kamschatkaica»  Y4rum  kina  (Yezo 
obako^. 

Yerumu-kina,  wörtlich:  Rattenpflanze. 

Ye-zo  owO'bakOf  der  grosse  Wegerich  von  Jezo. 

189.  y(  Vries)  Podocarpus  maki,  Tsik  ni.  Pfizm.  übersetzt 
durch  ,Holz'  (Mi/. 

Bei  mir:  Tsiku-ni,  tsigu-ni,  das  Holz.  Inwiefern  dieses 
ein  Fehler  ist,  lässt  sich  augenblicklich  nicht  untersuchen. 

190.  ,(Vries)  Polygonatum  latifolimn?  Beben  kina'. 
Der  Ainuname  ist  bei  mir  nicht  verzeichnet. 

191.  ,( Vries)  Polygonatum,     Species  ungewiss.  Isui'. 
Der  Ainuname  ist  bei  mir  nicht  verzeichnet. 

192.  ,Thunb,  Polygonum  barbatumf  Kapai  (Äi/. 
Bei  mir:  Ka-pai  (jap.  ai),  Indigo. 

193.  y Polygonum  cuspidatum.  Chikkut  (Itadori) ;  Pfizm. 
tibersetzt  durch  Polygonum  sinense'. 

Bei  mir:  Schikkutu  (jap.  ita-dw^i),  der  Name  einer  Pflanze, 
das  Polygonum  chinense. 


üntersnchongen  ftber  AinQ-6«genat&nde.  385 

194.  yPolygonum  fagopyrum.  Airach  amam ;  Tunach 
cimamy  wörtlich:  cder  oryza,  (Fiyi,  Biyaba  [Vries],  S.  Eleusiney. 

Bei  mir:  Airan-amamu  (jap.  ^'e),  Buchweizen. 

Tunaschi-amamu  (jap.  ßje),  Buchweizen.  Wörtlich :  früh- 
zeitiger Reiss. 

Bija-ba  (jap.  ßje)y  Buchweizen. 

1 95. ,  Polygonummultiflorum.  Pfizm.  Hekutut ;  (  Vriea)  Ko  kuth, 
Ikokuth,  S.  Angdica ; Sikkwä  (Pfizm.  Ktca im;  (Vries)  Inu  itadoriy. 

Bei  mir :  HekuktUu  (jap.  kwa-tai),  der  Name  einer  Pflanze. 

Ikokutu  (jap.  itU'dori),  der  Name  einer  Pflanze  (poly- 
gonum  chinense), 

Sikkutu  (jap.  ita-dori),  Polygonvm  ckinense, 

196.  ^Pfizm.  Polygonum  sinense.  S.  Polygonum  caspidatvm'. 
Das  Ainuwort  ist  Sckikkutu  (jap.  ita-dori). 

197.  fKlapr.  Populus  alba.  Syh  nyh  (kamtschadalische 
Mundart).  Wörtlich:  magna  arbor^. 

Scki-niy  wörtlich:  grosser  Baum. 

198.  y(Vrie8)  Popvdua,  Species  ungewiss.  D&roK 
Das  Ainuwort  dcro  bei  mir  nicht  verzeichnet. 

199.  jPorophyllum  japonicam,  Popkikina,  wörtlich:  cale- 
fadens  arbor  (san-sifsuy. 

Bei  mir :  Popke-kina  (jap.  san-süsi) ,  der  Name  einer 
Pflanze.    Mit  popke  ,warm,  heiss'  zusammengesetzt. 

Die  Pflanze  aan-sitsi  heisst  auch  yama-urusiy  wörtlich: 
Bergpech. 

200.  j^Vries)  Potentilla,  Kizi  muziro'. 

In  dem  Index:  Kizi  rnusiro.  Wird  als  Ainuwort  von  mir 
nicht  verzeichnet.  Als  japanisches  Wort  betrachtet,  kann  es 
kisd-rmisnro  ,Fasanenmatte'  sein. 

201.  ,( Vries)  Primula  farinosa,  Konzumui  (YvJcoari  so)', 
Konzumui  wird  von  mir  unter  den  Ainuwörtem  nicht  ver- 
zeichnet.   Als  japanisches  Wort  betrachtet,   könnte  es  für  ko- 
zumai  ^kleiner  Wohnort*  stehen,  ähnlich  dem  obigen  kizi-musiro. 

Das  jap.  Synonymum,  welches  bei  mir  fehlt,  kann  als 
juM-tcare-sb  ,die  schneegetheilte  Pflanze'  betrachtet  werden. 

202.  yPruntia  csrasus.  Karimba  ni,  wörtlich:  dnplicis 
sagittae  arbor  (Zakray. 

Bei  mir:  Karimba-ni  (jap.  saJcura),  ein  Kirschbaum.  Mit 
karimba  (jap.  kaaane-jd)  ^Doppelpfeil'  zusammengesetzt. 


386  Pfizmaier. 

203.  yPrunus.    Species   ungewiss.    Oma  ukuch   ni    (Füd 
zakray. 

Bei  mir:  Oma-ukusi-ni  (jap.  fikizakwra),  der  Name  eines 
Baumes. 

Füd'Zahira,  wörtlich:   die  Ziehkirsche. 

204.  yPrunus.  Species  ungewiss.  Opk4nig  wörtlich:  crepUiU 
ventris  arbor,     (Fik  zakra)*. 

Bei  mir:  Opke-ni  (jap.  Jüd-zakura) ,  der  Name  eines 
Baumes. 

205.  yPteria  aquilina.  Tsepp  ma  kina;  wörtlich:  pisds  herba. 
Toha  (warahi)^  eine  essbare  Art.  S.  Filix^ 

Bei  mir:  Toha  (jap.  warahi),  der  Name  einer  Art  Fam- 
kraut. Syn.   Taep-ma-kina  (jap.  loarabi). 

206.  jPfizm.  Pterocarpys  flamis,  Tsikire  bdni  (Ki  fada). 
S.  Gossypium^, 

Bei  mir:  Schikere-be-ni  (jap.  ki-fada) ,  der  Name  eines 
zum  Färben  gebrauchten  Baumes^  Pterocarpus  flavus. 

Davon  Schtkere-be-ni  furepp  (jap.  ki-fada-no  mi),  die 
Frucht  (Beeren)  des  Pterocarpus  flavus. 

207.  ,Pfizm.  Pyrus.  Species  ungewiss.  Imotsits  (Yama 
nasi)  ^ 

Bei   mir:   Imotsi-imotsi,   eine  Art  Holzbirnen  (jama-nasi). 

208.  ,Pfizm.  Pyrus.  Species  ungewiss.  (Vries)  Ri"» 
Ri  ist  bei  mir  nicht  verzeichnet.    S.  das  Folgende. 

209.  ,Pfizm.  Pyrus.  Species  ungewiss.  Die  wilde  Art. 
Scheta  ri,  wörtlich:  canis  pyrus^. 

Bei  mir:  Scheta-ri  (jap.  jama-nasi),  eine  Holzbirne.  Wört- 
lich: Hundsbirne,  in  der  Voraussetzung,  dass  das  obige  Ri 
wirklich  das  nur  in  Zusammensetzungen  gebrauchte  jap.  ^ 
(ri)  ,Birne'  ist. 

Q. 

210.  ,( Vries)  Quercus  dentata.  Gom  ni  (Kasiva).  Pfizm. 
tibersetzt  durch   TerebinÜius  indica^. 

Bei  mir:  Gomurui  (jap.  kasivoa),  ein  Pistazienbaum. 

211.  ,( Vries)  Quei*cus.  Species  ungewiss?  Bero  ni  (Naray, 
Bei   mir:  Bero-ni  (jap.  tofsi),   der  Name   eines   Baumes. 

Totsi,  eine  Art  Esche  (aesctdvs). 

Nara,  nara-no  ki,  der  Name  einer  Eichenart.  8.  Aesculm. 


ünterBadrangen  ftb*r  AiDn-Gegenstftnde.  387 


B. 


212.  ,(Vrie8)  Ranuncidus  japonicus,     Bui  (Kin  foki)*. 
Der  Ainimame  Bui  ist  bei  mir  nicht  verzeichnet.  Es  findet 

sich  nur  JoAo,  der  Name  einer  ungenannten  Pflanze. 
Kin-fd-ke  (jap.)  Ranuncvlus  asiaticus? 

213.  yRaphanus  sativus,   Tsi  (wasahi)  Vries.  S.  Cochlearia^. 
Bei  mir:   Tsi  (jap.  wasabi)^  der  Meerrettig. 

214.  yRaphanus,  Species  ungewiss.  KiaS  siriy  von  dem  jap. 
Seri.  Petroadinum  (waaahi)  Vries.  S.  Cocklearia^. 

Bei  mir:  Kische-scheri  (jap.  wasahi),  der  Meerrettig.  Von 
dem  jap.  «m,  Petersilie. 

215.  ^(Vries)  Retinosporaf  S.  Thuyaf 
Das  Ainuwort  ist  Syungu  (schiunku). 

Bei  Dobrotwörski :  Sünku  und  sünku-ni,  die  Tanne,  Roth- 
tanne (eJLB). 

216.  y(Vrie8)  Rheum.  Species  ungewiss.  Chonaba 
(Dai  vdy. 

In  dem  Index:  Chunaha,  Das  Ainuwort  ist  bei  mir  nicht 
verzeichnet.  Es  kann  aus  achiü  oder  achio  ,gelb^  und  naha  oder 
namha  ^langer  Pfeffer'  (auch  Pilz?)  zusammengesetzt  sein. 

217.  ,(Vrie8)  Rhododendron,  Species  ungewiss.  N4ta  ndi 
(Nino  ehaku  nanejSy, 

Das  Ainuwort  ist  bei  mir  nicht  verzeichnet.  Als  jap.  Syno- 
nymum  nur  Siakunagi  ,rhododendronf  bekannt. 

218.  y(Vrie8)  Rhus  toxicodendron,  Utchi  muni;  wörtlich: 
paleae  herba;  Vries,   Uttsi  (Tsuta  uruchy. 

Bei  mir :  Utuschi-murd ,  der  Name  einer  ungenannten 
Pflanze.  Mit  utuschi  (jap.  wara)  ,Stroh,  strohartige  Pflanzen* 
zusammengesetzt. 

Bei  Daw^dow:  Stroh  wattes.    Auf  Jezo:  wattesch, 
Tsuta-urusiy  wörtlich:  ,Epheupech,  Epheufimiss'. 

219.  y{  Vries)  Rosa  rugosa.  Mau  (Hama  nasiy. 
Bei  mir:  Ma-u  (jap.  fama-nasu),  eine  Hagerose. 
Fama-nasu  (jap.)  rosa  rugosa, 

220.  jRottlera  japonica,  Iwakich  ni  (Adunsa,  Konko), 
S.  Hydrangea', 

Bei  mir:  Iwakisi-ni  (jap.  adzusa,  konkb),  der  Name  eines 
Baumes. 


388  Pfizmaicr. 

221.  ,Pfizm.  Rottlera,  Species  ungewiss.  Mit  rothen 
Früchten.     Tsikappo  seta  ni^. 

Bei  mir:  TsikappO'Schetanniy  der  Name  eines  Baomes,  ähn- 
lich dem  jap.  Adzusa  (Hartriegel)  mit  rother  Frucht. 

222.  ,(Vrie8)  Rvhvs  palmatusf  ImarS  ßtrepp  (Itngo).  S. 
Fragaria  vesca'. 

Bei  mir:  Ima-re-furepp  (jap.  itngo),  eine  Erdbeere. 

223.  ,(Vrie8)  Rumex  crispusf  Seta  kamaro.  Pfizm.  Sita 
kai  maro  (Kitsi  gitsy. 

Bei  mir :  Schäa-kama-ro,  der  Name  einer  unerklärten  Pflanze. 
Gin-gisi  (jap.),  rumex  crispus. 

224.  y(Vrie8)  Sagittaria  sagütaefolia,   Tokaop  (Omo  dakay. 
Bei  mir:   Tokorop  (jap.  omo-daka),  der  Name  einer  Pflanze, 

Schlangenwurzel. 

225.  jSalixf  Salix  babylonicaf  Chuchu  (Yanagiy, 
Bei  mir:  Schiü-achiü  (jap.  J^anaji),  ein  Weidenbaum. 

226.  ySalix  babylonica  (die  Rinde).  Miromai,  Nikauma 
(Yanagi  kavay. 

Bei  mir:  Meromai  (jap.  janagi-no  kawa),  Weidenrinde. 
Ein  Wort  der  Mundart  von  Soja. 

Bei  mir:  Nika-unai  (jap,  janagi-gatoa),  Weidenrinde. 

227.  ySalix.  Species  ungewiss.  Toi  chuchu;  wörüich:  terrae 
Salix  (Inokoro  yanagiy. 

Bei  mir:  Toi-schiü-achiü  (jap.  inokoro-janagi),  der  Name 
einer  Art  Weidenbäume.     Mit  toi  ,Erde'  zusammengesetzt. 

228. ,(  Vries)  Salix,  Species  ungewiss.  Toppikara  (Ko  y  anagiy, 

Ko-janagi  (jap.),  der  kleine  Weidenbaum. 

Das  Ainuwort  toppikara  findet  sich  bei  mir  unter  den 
Namen  der  Fische,  was  einer  Untersuchung  noch  vorbehalten 
bleibt. 

229.  ySambticuB  ebuLoides,  Ochpara  ni  (Niwa  tokoy. 
Bei   mir:   osipara-ni  (jap.  niwa-toko),   ein  HoUunderbaum 

(sambucua  nigra). 

230.  y(Vrie8)  Sarana  kamachatkaica.  Anrakol,  Har,  Si- 
rakor.  S.  Fritillaria^. 

Bei  mir:  Are-ra-koru  (jap.  kuro-juri),  der  Name  einer 
lilienartigen  Pflanze  von  schwarzer  Farbe.  Syn.  Itaru,  Schira-koru. 


UntersQchnDgen  über  Ainu-Gegenst&nde.  389 

Kuro-juri  (jap.)  wörtlich:  die  schwarze  Lilie. 

231.  ,(Vrie8)  Senecio.  Species  ungewiss.  (Mundart  von 
Krafto):  Poro  ya,  wörtlich:  magntmi  rete'. 

Poro-ja  ,das  grosse  Netz'  ist  ein  Name  flir  das  Kreuz- 
kraut (senecio), 

232.  ^Sinapis  japonica  vel  integrifolia,   Turanup  (Karasiy, 
Bei  mir:    Taranup  (jap.  karasi),   der  Senf.     Turarmp  ist 

unrichtig. 

233.  ,(Vrie8)  Sinapis  Sinensü.  Kurasuf,  wahrscheinlich 
für  Turanup  (Karasi).  S.  Sinapis  japonica*. 

Kurasuf  ist  offenbar  nur  ein  durch  den  Gebrauch  von 
Katakanaschrift  veranlasster  Schreibfehler  fUr  taranup^  nämlich 
bei  leicht  zu  verwechselnden  Zeichen  Setzung  von  ^  7  >^  7 
(kurasuf)    statt    ^  y  J^  ^   (taranup). 

234.  ,Smilacine  racemoaa.  Yuk  sasa;  wörtlich:  cervi  arun- 
dinaria.  (Vriea)  Smiladne.  Species  ungewiss.  Fira  yoma*. 

Die  Richtigkeit  der  bei  mir  nicht  vorkommenden  Wörter 
YnJc  sasa  und  Fira  yoma  ist  sehr  zweifelhaft. 

235.  ,Soja  hispida.  Marne,  jap.  Wort^ 

Bei  mir:  Marne  (jap.  mame),  Bohnen  oder  Hülsenfrüchte 
im  Allgemeinen. 

23ff.  ,(Vries)  Solanum  caroliniense?  Rata  kina;  wörthch: 
vicina  herba.  Pfizm.  Katamf* 

Das  Ainuwort  kataMna  kommt  bei  mir  nicht  vor. 

Bei  mir:   Katamu,   der  Name  einer  ungenannten  Pflanze. 

Kina  ist  ein  generiHcher  Name  für  grössere  oder  strauch- 
artige Pflanzen. 

Bei  mir:  Kata  (jap.  kataje),  auf,  gegen.  Von  dem  jap. 
kcUttf  Seite. 

Bei  Dobrotwörski :  Kdta,  ein  Spielball  (iiflH^b). 

Ebenda:  Kata,  ein  Zwirnknäuel  (B^yÖGRi  hhtor'b). 

Bei  mir:  Kina  (jap.  toma),  Dachstroh. 

Bei  Dobrotwörski :  Kinä,  das  unechte  Bärenklau,  Hera- 
cleum  (nyHKa). 

237.  j(Vries  und  Ptizm.)  Sophora  japonica.  (Hoffm,,  Sty- 
phnolobium  japonicum.  Tokb^ni,  Tsikbini.  (Vries)  Tsikbd 
(Yen  zyu)'. 

Bei  mir:  Tokube-ni  (jap.  yen-ziü),  der  Name  eines  Baumes, 
sophora  japonica. 


390  Pfismsier. 

Ebenda :  Tnkuie-ni  (jap.  yen-ziü),  sophora  japonica. 

238.  ,TTiujib,    Spirctea  caUosa.    Kuttsi  (Nikio,  Kokica).  S. 
Carihamus'. 

Bei   mir:    Kuttsi  (jap.   ko-kwa,   ni-kibj,   der   Name    einer 
Pflanze. 

239.  ,Styphonolobium  japonicum.  S.  Sophora^, 
Das  Ainuwort  ist  tokvbe-ni  und  tstkube-ni. 


T. 

240.  j(VrieB)  Taraxacvm  dens  leords.  Ine  muni;  wörtlich: 
quadripartita  herba  (Tampöy, 

Bei  mir:  Ine^muni  (jap.  fampo},  Löwenzahn,  eine  Pflanze. 

241.  ,Pfizm.   Taxiis.  Species  imgewiss.  Ipitap  (Mondy. 
Bei   mir:   Ipitap  (jap.  momi),   der  Name   eines   Baumes. 

eine  Art  Taxus.     Aus  der  Mundart  des  Gebietes  Schari. 
Momi  (jap.),   Taocus  bacccUaf 

242.  /Vries)  Taxus  cuspidata,  Tanna  ni,  Rar  via  ni 
(Kiu  ra  bok,   Onkoj  Araraki/. 

Bei  mir:  Taruma-ni  (jap.  kia-ra-hokUy  wonko) ,  der  Ca- 
lambae,  eine  Art  Weihrauchbaum.  Davon  Taruma-ni-furepp 
(jap.  wonko-no  mi),  die  Beeren  des  Calambac.  * 

Ebenda :  Rarurma-ni,  verschiedene  Aussprache  des  Wortes 
Taru-ma-ni, 

Kija-ra-boku  (jap.),  Aloeholz,  Calambac. 

Araragi  (jap.),   Taxus  cuspidata. 

Wonko  j  ein  Wort  der  gemeinen  jap.  Sprache.  In  den 
Wörterbüchern  nicht  enthalten. 

243.  ,Pfizm.   Terebinthtis  indica,  S.  Magnolia'. 

Das  Ainuwort  ist  Busi-ni  (jap.  wowo-gasiiva) ,  eine  Art 
Pistazienbaum. 

244.  /Vrie»)  Thermopsis  fabacea.  Konti  kina  (Sendoi 
hagiy. 

Das  Ainuwort  ist  bei  mir  in  dieser  Form  nicht  verzeichnet 
und  gleich  dem  jap.  Synonymum  nicht  mit  Sicherheit  zu  er- 
klären.    Das  jap.  hagi  kann  fagi  (Weiderich,    Lespedsza)  sein. 

245.  ,Thunb,  Thuya  dolabrata,  Otach  kibera  (Ibtiki)\ 
Bei  mir:  Otasikebera  (jap.  ibuki),  der  Name  eines  Baume«. 

Ein  Wort  der  Mundart  von  Schari. 


Untersuchungen  fiber  Ainn-GegenstiLnde.  391 

Urnki  (jap.)^  Juinperus  communü.  S.  Biaku-sin. 

246.  y(Vries)  Tliuyaf  retino^poraf  Syungu.  S.  Ahiea  bifida 
(Kara  Mbay, 

Siimku  (jap.  kara-^nuxtsu,  je'Zo-fnatm)^   ein  Lärchenbaum, 
die  Jezofichte. 

Fiha  (jap.)  Thujapsis  dolahrata.  Vorgesetzt:  kara,  chinesisch. 

247.  ,Tilla  parviflora.  Kobirigep  (Sina,  Sinano  kiy. 
Bei  mir :  Kobe-re-gep  (jap.  mia),  der  Name  eines  Baumes. 
Sina  ist  in  der  gemeinen  Sprache  des  nördlichen  Japan 

der  Papierbaum  (hbzo).  Das  Wort  fehlt  in  den  Wörterbüchern. 

248.  jTrapa  incisa,  Bekambi  (Fiuy, 

Bei  mir :  Be-kanbe  (jap.  fisi),  der  Name  einer  Wasserpflanze. 
Fisi  (jap.),  Stachelnuss  (trapa  natans,  trapa  incisa). 

249.  Trülium  grandiflorum.  Hero  ara  (Mikado  86). 
Hero  ara  als  Ainuwort  mir  nicht  bekannt.    Mtkado-so,  die 

Mikadopflanze. 

250.  y(Vrie8)  TroUius  adaticus  {Churk  buiy. 
Schiuruku  ,Gift,  Eisenhut^  Bui,  bei  mir  nicht  verzeichnet, 

steht  unter   Banunculus  japonicus.     Der  Name   wörtlich :    die 
giftige  Ranunkel. 

251.  /Vries)  Typha  angustifolia,  Chikina;  wörtlich:  magna 
herba  ((xama).  S.  Juncus'. 

Bei  mir:  Schi-kina  (jap.  gama),  eine  Binse.  Wörtlich:  die 
grosse  Pflanze. 

U. 

252.  yUlmus.    Species  ungewiss.    Kine  ni;  Rachpa  nick 
kots  (Nir4,  Sabita.  S.  Microptdeay. 

Bei  mir:  ki-ne-ni  (nire,  sabita),  eine  Ulme. 

Ebenda:  RascMupa-rmi-kotsu  (nire,  sabita),  eine  Ulme. 

253.  ,(V7ies)   UmbelUfera.    Species  ungewiss.  Kamol  diu 
kina,  wörtlich:  dominus  cepa,  S.  Allium  cepa'. 

Bei  mir:    Schiü-kina  (jap.  nira),   eine  Zwiebel.  Wörtlich: 
die  gelbe  Pflanze. 

Kamoi'Schiü'kina,  wörtlich :  die  göttliche  gelbe  Pflanze. 

254.  ,(Thunb,  und   Vries)   Umiellifera.     Species  ungewiss. 
Orapp  (Kava  vots  gusa;  Vries,  Sen  kyu)'. 

O-rapp  (jap.  kawa-wotsi-gusa),  der  Name  einer  Pflanze. 


392  Pfizmaier. 

Sen-Jciü  (jap.),  das  Synonymum  von  kawa-wotd-gusa. 

255.  ,(Vrie8)  Urtica?  Species  ungewiss.  Mosl,  Utarpef 
(siro  mavoy. 

Statt  Mosl  zu  lesen :  Mose.  Utarpe  wurde  nicht  aufgefunden. 

Bei  mir:  Mose  (jap.  ito-wo  toru  kusa),  der  Name  einer 
Pflanze.  Ito-wo  toru  kusa,  wörtlich:  die  Spinnpflanze. 

Bei  Dobrotwörski :  Mose,  die  Brennessel  (BpanHBa).  Die 
Ainu  verfertigen  aus  dieser  Pflanze  das  Nesseltuch. 

Davon:  Möse-tsikapp  (jap.  ted),  ein  Schmetterling.  Wört- 
lich: der  Brennesselvogel.  Ferner:  Möse-kabü  ^Brennesselhaut*. 
Die  zur  Verfertigung  von  Zwirn  gebrauchte  dünne  Haut  der 
Brennessel. 

Siro-ma-wo  (jap.),  weisser  Hanf. 

V. 

(256.)  257.  ,(Vries)   Vaccinium  Chamissonisf  Isu  suka. 
Dieses  Ainuwort  ist  nicht  zu  ermitteln.    Nr.  256  fehlt. 

258.  ,(Vries)   Viola,     Species  ungewiss.     Moto  kina\ 
Moto  kiTia  wird  bei  mir  nicht  verzeichnet. 

Bei  Dobrotwörski:  Motb,  ein  Eingeborner,   ein  Einheimi- 
scher,    Davon  Motb-kotän,  das  Geburtsdorf,  der  Geburtsort. 
Motb-kinä  bedeutete   daher  wörtlich:   die  Heimatspflanze. 

259.  ,(Vries)  Vitis  yezoensis.  Hats  bedeutet  auch  »Wein- 
traube* (Yezo  butoy. 

Bei  mir:  Hats  (jap.  byrdb)^  eine  Traube,  Weintraube. 
Bei  DawydoV:  Chaz,  Johannisbeeren  (cMOpo>^lHa). 
Ye-zo'bu'db  (jap.),  die  Weinrebe  von  Jezo. 

X. 

260.  ,(Vries)  Xylosteum,  S.  Lonicera\ 

Das  bei  Lonicera  gesetzte  Ainuwort  tonkayu  ist  mir  nicht 
vorgekommen. 

W. 

261.  ,(Vries)  Wistnria  japonica,  Kutsuts  (Ko  ßUs),  S. 
Buergeria  steUata*. 

Bei  mir:  Kuttsi  (jap.  ko-hva,  ni-kib),  der  Name  einer 
Pflanze. 


ünterauchnngen  fiber  AiDu-GegenBt&Dde.  393 

262.  ,Zanthoxylum  piperitwm.  Kantskamani  (Kama  fad- 
kamt);  Vries.  San  syo'. 

Bei  mir:  Kant^ikama-ni  (^eip,  jarna-fazikami),  wilder  Pfeffer. 

San-sed  (jap.),  Bergpfeffer. 

Statt  kama-fazikami  soll  yama-fazikami  gesetzt  werden. 

263.  /Vries)  Zanihoaylumf  Species  ungewiss.  Obak,  Si- 
kSrSbS  (JK  vada,  S.   Oossypivm). 

Bei  mir:  Schikere-be-ni  (jap.  ki-fada),  der  Name  eines 
zum  Färben  gebrauchten  Baumes,  Pterocarpita  flavu^. 

Obak  ist  das  jap.  wb-baku^  das  Koje  von  ki-fada  {Ptero- 
cnrpus  flavtbs).     Es  ist  kein  Ainuwort. 

Oossypivm  wird  mit  Unrecht  angedeutet.  Es  ist  Ver- 
wechslung von  ki-fada  ,gelbe  Flügelfrucht'  mit  ki-wata  3aum- 
woUpflanze^ 

Bftnme  von  nngewisser  Synonymik. 

264.  ^Apnini  (M,  C),   der  Name  eines  Fruchtbaumes'. 
Fehlt  bei  mir  und  anderswo.  Unbekannt,  welche  Autorität 

durch  M.  C.  bezeichnet  werden  soll. 

Bei  mir:  Ap-ninifurepp^  der  Name  einer  Beere. 
Ebenda:  Ap-nini-seiy  der  Name  einer  Muschelart. 
Ap  (jap.  t8uri-bari)f  ein  Angelhaken. 

265.  fKaba  taJts  (Yane  kaba),  S.  BetuW. 

Bei  mir:  Kaba-tats  (jap.  ja-ne-kaba),  der  Name  eines 
Baumes. 

Ja-ne-kaba  (jap.),  Kirschbaum  der  Dachwurzel.  Durch 
kaba  ,Kirschbaum'  werden  von  den  Japanern  die  Ainunamen 
für  ,Birke'  {tats,  tats-ni  u.  s.  w.)  wiedergegeben. 

266.  yTsipere  kep  (Kava  kui'mi,  Yas),  S.   Tilla^. 

Bei  mir:  Tsibere-kep  (jap.  kawa-kurumi  und  yasu),  der 
Name  eines  Baumes. 

^  (kawa)-kuTumi,  wörtlich:  der  Bastwallnussbaum.  Der 
Name  konmit,  so  wie  ya^suy  anderswo  nicht  vor. 

Bei   Tilla  parviflora:  Koberigep  (Sina,  Stnano  ki). 

Bei  mir:  Kobe-re-gepp  (jap.  sina),  der  Name  eines  Baumes. 

Sina  oder  sina-no  ki  ist  der  volksthümliche  Name  des 
Papierbaumes. 

SUioDfftber.  d.  phil.-hiit.  Cl.    CHI.  Bd.  11.  Hft.  26 


394  Pfizmaier. 

Ko'beregep  ist  mit  here-kep  ^spalten'  zusammengesetzt. 

267.  yTfnMsirani  (Kaia  sogiy. 

Bei  mir:  Tsikedra-ni  (jap.  kata-so-gi),  der  Name  eines 
Baumes. 

Der  Ainuname  nicht  zu  erklären.  Kata-so-gi  (jap.)  ^feste 
Abschneidung'  bedeutet  sonst  nur  die  Dachspitze  eines  Tempels. 

268.  yTftiri  nii;  wörtl.  parva  anrbor^. 

Bei  mir:  Tsiri-ni-i,  ein  Baum.  Das  Wort  kommt  unter 
den  unerklärten  Namen  vor.  Es  dürfte  ,breiter  Baum'  bedeuten 
und  mit  tsiri  (jap.  ßroi)  ^breit'  zusammengesetzt  sein. 

269.  yTokS  ayuch  ni  (Tarahuy. 

Bei  mir:  Toke-ajusi-ni  (jap.  tarabu),  der  Name  eines  Baumes. 

Das  japanische  tarabu,  ein  Wort  der  gemeinen  Sprache, 
ist  in  den  Wörterbüchern  nicht  enthalten. 

Bei  mir:  Ajusi-ni  {jsup.  jama-kiri)^  der  Name  eines  Baumes. 
Die  Bedeutung  des  vorangesetzten  toke  ist  ungewiss.  Jama- 
kiriy  der  wilde  Stinkbaum  (stercidia). 

270.  yUen  ni;  wörtl.  mala  arbor^. 

Bei  mir:  u-en-ni-furepp^  der  Name  einer  ungenannten 
Beere.  Wörtlich:  die  Beere  des  bösen  Baumes.  U-en-ni  ,bö8er 
Baum'  allein  ist  bei  mir  nicht  verzeichnet. 

271.  ,Ydi  m  (Doroy. 

Bei  mir:  Yai-ni  (jap.  doro),  der  Name  eines  Baumes. 

Doro  (jap.),  ein  Wort  der  gemeinen  Sprache,  fehlt  in  den 
Wörterbüchern. 

Bei  Dobrotwörski:  Jdini,  an  das  Ufer  gespülte  Baum- 
stämme (nJLaBHHB'B).  Syn,janni.  Mit  jan  ,an  das  Ufer  auswerfen* 
und  ni  ,Baum'  zusammengesetzt.  Die  Richtigkeit  des  zweiten 
von  Dobrotwörski  angeführten  Synonymums  mönni  kann  nicht 
dargethan  werden. 


Pflanzen  von  Ungewisser  Synonymik. 

272.  yAkia  betsi'. 

Bei  mir:  Akke-be-td,  der  Name  einer  imerklärten  Pflanze. 

273.  yAtturi'. 

Bei  mir:  ^Atiuri%  der  unerklärte  Name  einer  Pflanze. 

274.  yBittokiy  Syuve  (SyaJcuy. 


Untersncliiingren  ftber  Ainii-G«genst&nde.  395 

Bei  mir:  BUtoJd  (jap.  siaku),  der  Name  einer  Pflanze. 

Ebenda:  Schü-u-e  (jap.  siaJcu),  der  Name  einer  Pflanze. 

Siaku  als  japanischer  Pflanzenname  ist  ein  Wort  der  ge- 
meinen Sprache  mid  kommt  in  den  Wörterbüchern  nicht  vor. 

Beide  Ainuwörter,  das  letztere  fehlerhaft  ^  sind  bei  Iris 
japanica  verzeichnet. 

275.  ,Ä>Äo'. 

Bei  mir:  Boho,  der  Name  einer  ungenannten  Pflanze. 

276.  .Eni,  S.  Hmi\ 

Bei  mir:  Honi'U-eni'fwreppj  der  Name  einer  ungenannten 
Beere.  Das  Wort  steht  fUr  honi-U'en'fwepp ^  die  Beere  des 
Bauchwehs. 

277.  yEnwmi  tannS;  wörtl.  juglans  extenm^. 

Bei  mir:  Enumi-tanney  der  Name  einer  unerklärten  Pflanze. 
Aus  enwni  ^WaUnuss'  und  tonne  ,lang'  zusammengesetzt. 

278.  yFuts  koch  par'. 

Bei  mir :  Futsurhoktbsi-paru,  der  Name  einer  ungenannten 
Pflanze. 

Paru  jMund'.  Hierzu  vielleicht  hokusiy  der  Name  eines 
ungenannten  Fisches. 

279.  yllara  tets^. 

Bei  mir:  Hara-tetsu,  der  Name  einer  ungenannten  Pflanze. 

280.  ,H(mi,  Eail  (M.  C./ 

Unbekannt,  welche  Autorität  durch  M,  C.  bezeichnet 
werden  soll.  Offenbar  ein  einziges  Wort,  nämlich  das  Nr.  276 
angeführte  honi-vreni'ßirepp,  Beere  des  Bauchwehs. 

281.  ,Ibapk^-repp*. 

Bei  mir:  Lhopke-repp,  der  Name  einer  ungenannten  Pflanze. 
Das  Wort  ist  mit  hopke  (jap.  atataka)  ,warm'  zusammen- 
gesetzt. 

282.  Jtakira'. 

Bei  mir:  Itakira,  der  Name  einer  ungenannten  Pflanze. 
Bei  Dobrotwörski :  Kira,  das  Mark  einer  Pflanze  (cTcpsHB 
TpaBs).  Dieselbe  Bedeutung  hat  charä,  S.  Hara  tetsu  (Nr.  279). 

283.  jltsitchar,  Species  mit  rothen  Früchten*. 

Bei  mir:  lisiUcharu  (jap.  erklärt  mi-akaku),  der  Name 
einer  ungenannten  Pflanze  mit  rother  Frucht. 

284.  ylturap,  eine  der  Erdbeere  ähnliche  Species  mit  an 
den  Wurzeln  hervorkommenden  Früchten'. 

26* 


396  Pfizmaier. 

Bei  mir:  Itu-rap,  eine  der  Erdbeere  ähnliche^  bei  der 
Wurzel  hervorkommende  Beere. 

Das  Wort  ist  aus  üu  ,Nase'  und  rap  ,Feder,  Flügel'  zu- 
sammengesetzt. 

285.  yKotan  okoima  (Nari  firay. 

Bei  mir:  Kotan-o-koi-ma  (jap.  nari-fira),  der  Name  einer 
Pflanze. 

Das  Wort  ist  aus  kotan  ,Dorf*  und  okoima  ^Ham  lassen' 
zusa  mmengesetzt. 

Das  japanische  nari-ßra  ist  als  Pflanzenname  ein  Wort  der 
gemeinen  Sprache  und  kommt  in  den  Wörterbüchern  nicht  vor. 

286.  yMukut^,  In  dem  Index:  Makut, 

Bei  mir:   Makutu,   der  Name  einer  ungenannten  Pflanze. 

287.  jMochi  (Itoro  tor  gousay, 

Mose  (jap.  ÜO'WO  toru-guaa  jSpinnpflanze')  ist  die  Brennessel 
(S.  Nr.  255). 

288.  ,Moch  korib4  (Totokif)'. 

Bei  mir:  Moschi-karu-ibe  (jap.  totoki),  der  Name  einer 
Pflanze. 

Totoki  ist  eine  an  feuchten  Orten  wachsende  Pflanze^  welche 
auch  8una-gtb9a  ,die  Sandpflanze'  genannt  wird. 

289.  ,Muk', 

Bei  mir:  Muku,  der  Name  einer  ungenannten  Pflanze. 

290.  yNimakiotiuk  (Sasa  fa  kuriy. 

Bei  mir:  Kimakkotuku  (jap.  sasa-fa-kuri),  der  Name  einer 
Pflanze. 

Das  Ainuwort  kann  aus  nimdki  ,Zähne'  oder  nima  ,Trog* 
und  kötuku  ,Dreifuss'  zusammengesetzt  sein. 

Sasa-fa-kuri  bedeutet:  Kastanie  mit  jungen  Bambusblättem. 

291.  ,Onkots  il&. 

Dieser  Name  ist  bei  Dioscorea  opposita  vorgekommen. 

292.  yOromukkut,  Oromokkut,  eine  dem  Blatte  (feuiUef) 
des  Porophyllum  japonicum  ähnliche  Pflanze'. 

Bei  mir:  OromiikkuiUy  der  Name  einer  ungenannten  Pflanze. 

293.  ,PdV. 

Bei  mir:  Pai^  der  Name  einer  ungenannten  Pflanze. 

Bei  Daw^dow:  Pai,  dickes  Schilfrohr. 

294:  yPukch  (Ai  bakamay. 

Bei  mir:  Pukusa  (jap.  ai-bakama),  der  Name  einer  Pflanze. 


üntorsQchnngeD  Aber  Aina-Ge^enst&nde.  397 

Ai'hakama  (jap.),  blaue  Beinkleider.  Ein  Pflanzenname. 
Ein  Wort  der  gemeinen  Sprache ;  welches  in  den  Wörter- 
büchern fehlt. 

295.  ßinkatz'. 

Bei  mir:   SchinhUs,   der  Name  einer  unerklärten  Pflanze. 

296.  ,si7mts  (my. 

Bei  mir:  Schimitsu  (jap.  ne),  eine  Wurzel. 

297.  ySyoromS  (Zen  mäiy. 

Bei  mir:  Schioro-ma  (jap.  zen-mai),  der  Name  einer  Pflanze. 

Zen-mai  (jap.)  ist  eine  Art  Famkraut.  Dasselbe  wird 
auch  intirwarabi  ,Hundefamkraut^  genannt. 

Bei  Dobrotwörski:  Soi^öma^  das  wollige  Farnkraut  (nano- 
pOTHHKb  nymHCTHfl).  Davon  soröma-waia,  Famkrautbaumwolle. 
So  heissen  die  Härchen  dieses  Famkrautes  ^  welche  von  den 
Ainu  als  Zunder  gebraucht  werden. 

Arten  von  Famkraut  sind  noch  toha  und  tsep-ma-kina. 
S.  Filix  und  Pteris  aquiUna. 

298.  jSyuvej  S.  Bittoki.  S.  Iris  japonica^. 
Der  Gegenstand  wurde  bei  Nr.  274  berührt. 

299.  yTokina;  wörtl.  lactis  herba  (Firumo/. 

Bei  mir:    To-kina  (jap.  firumo),  der  Name  einer  Pflanze. 

To'kina  kann  ^Milchpflanze^  oder  ,Teichpflanze'  bedeuten. 

Das  japanische  Firumo  ist  ein  Wort  der  gemeinen  Sprache 
und  fehlt  in  den  Wörterbüchern.  Es  kann  aus  firu  ,Blutigel', 
auch  ,Knoblauch^  und  mo  ^Hornblatt'  zusammengesetzt  sein. 

300.  ,Toppits'. 

Bei  mir:   ToppiU,  der  Name  einer  Pflanze. 
Die  Pflanze  unbestimmbar  und  der  Ainuname   nicht  mit 
Sicherheit  zu  erklären. 

301.  yTnri  muts\ 

Bei  mir:  Tstri-mutsuy  der  Name  einer  ungenannten  Pflanze 
Das  Ainuwort  lässt   sich   nicht   mit  Gewissheit   erklären. 
Ttiri  ,Vogel*  auch  ,breit^    Mutsu  (jap.  fvsagu)  ^verstopfend 

302.  Tdse  no  muni;  wörtl.  domiU  plantar  Muss  tsise-ne 
muni  geschrieben  werden. 

Bei  mir:  Tsise-ne-mum,  der  Name  einer  Pflanze.  Wörtl.: 
die  Hauspflanze. 

303.  yUttoba  kina.  Eine  Pflanze^  deren  Frucht  an  die- 
jenige des  lUicium  rdiffiosum  erinnerte 


398  Pfizmaier. 

Bei  mir:  UUoba-kinaj  der  Name  einer  fruchttragenden 
Pflanze,  ähnlich  dem  japanischen  dkimi. 

Die  Pflanze  wird  mit  dem  Baume  sikimi  (lUicium),  dessen 
Früchte  sehr  giftig  sein  sollen,  verglichen.  Da  Kinä  nur  eine 
grössere  Pflanze  bezeichnet,  dürfte  die  Setzung  von  Uttoba-kina 
bei  Ulicium  (Nr.  131)  nicht  begründet  sein. 

304.  yWakka  kuJcuts'. 

Bei  mir:  Wakka-kukutsu,  der  Name  einer  ungenannten 
Pflanze. 

Mit  wakka , Wasser^  zusammengesetzt.  Kukutm  (  ^  ^  ^  )> 
der  zweite  Theil  des  Wortes,  wurde  sonst  nirgends  aufgefunden. 
Es  scheint,  dass  es  kutsu  ,GürteP  heissen  müsse ,  wobei  ku  aus 
Versehen  doppelt  gesetzt  worden.  Für  kutsu  ,Gürtel*  wird  auch 
kuch,  kuf  und  kutsi  gesetzt.  Das  letztere  ist  nach  Dobrotwörski 
ein  schlechtes  Wort. 

Nachtrag. 

Als  diese  Abhandlung  bis  hierher  geschrieben  war,  erhielt 
ich  von  Herrn  J.  M.  Dixon,  Professor  an  dem  kaiserlichen  Col- 
legium  der  Ingenieure  zu  T6-kiö,  einige  für  mich  sehr  werth- 
volle  Mittheilungen  über  Ainu-Gegenstände.  Herr  Dixon  hatte 
drei  Sommer  auf  Jezo  unter  Ainu  verbracht  und  daselbst  eine 
Anzahl  Geräthschaften,  welche  er  in  der  Monatschrift  ^The  Chry- 
santhmium^  abbilden  liess,  gesammelt.  Darunter  befanden  sich 
auch  drei  Inäu,  gewisse  oft  erwähnte  Opfergaben,  von  denen 
man  sich,  da  Abbildungen  fehlten,  bisher  keine  ganz  richtige 
Vorstellung  machen  konnte. 

Die  abgebildeten  Indu  sind  Stangen,  an  welchen  sich  ein 
buschiger  oder  verzierter,  mit  einer  Art  E^rone  versehener  Eopf- 
theil  und  ein  entweder  glatter  oder  verzierter  Halstheil  unter- 
scheiden lassen.  Von  dem  Halstheile  fallen  sehr  lange,  bis  za 
dem  Fusstheile  reichende  Ringeln  herab,  welche  wohl  die  in 
der  Beschreibung  genannten  Hobelspäne  sind. 

Diese  drei  Bildnisse  sind: 

OpiUa'kamvij  der  allgemeine  Gott. 

Tschup'kamwij  der  Sonnengott. 

Tombe'kamviy  die  Mondgöttin.  Dieselbe  habe  einen  ver 
zierten  Stamm,  wodurch  gezeigt  werden  solle,  dass  sie  eine 
Göttin  sei.  Bei  den  Ainu  von  Sachalin  ist  der  Mondgott  ein  Mann. 


Untannchnngen  über  Ainn-Gegenst&nde.  399 

Das  Wort  ind-u  hat  auf  Jezo  die  Aussprache  inawo 
oder  inao. 

Es  gibt  indessen,  wie  aus  dieser  Abhandlung  zu  ersehen^ 
sehr  viele  Arten  der  gewiss  auch  nach  den  Gegenden  verschie- 
denen Inä-Uy  jedoch  genügen ,  um  sich  einen  Begriff  von  der 
Sache  machen   zu  können,   die  genannten   drei  Abbildungen. 

Ein  Ainu  scheine,  wie  Herr  Dixon  sagt,  einem  Ini-u  keine 
besondere  Heiligkeit  beizumessen,  denn  er  schnitze  einen  solchen 
fUr  einen  Fremden  bereitwillig  aus  einem  frisch  abgeschnittenen 
und  seiner  Rinde   beraubten  Aste. 

Die  übrigen  Gegenstände  sind  an  sich  und  zum  Theil 
auch  durch  ihre  Namen,  deren  Anflihrung  zur  Kenntniss  der 
sehr  abweichenden  Mundarten  beiträgt,  bemerkenswerth.  Ich 
verzeichne  sie  hier  mit  sprachlichen  Erklärungen. 

Die  folgenden  elf  Gegenstände  erwarb  Herr  Dixon  von 
den  Tsuischikari,  einem  Ainustamme,  welcher  ganz  vor  Kurzem 
aus  Sachalin  nach  Jezo  gekommen.  Es  sind  vorerst  drei  Werk- 
zeuge, mit  welchen  die  Frauen  das  einheimische  Tuch  aus  der 
Rinde  (dem  Baste)  des  Baumes  oMOf  einer  Art  Ulme,  weben. 
Ich  bemerke  hierzu,  dass  o-fib  (o-hib)  im  Norden  Nippons  eine 
öfters  erwähnte  Art  des  Papierbaumes  ist.  Es  ist  ein  Wort  der 
gemeinen  Sprache  und  in  den  Wörterbüchern  nicht  enthalten. 

Nr.  1.  fPera  oder  der  Stab  (staff/. 

Bei  Dobrotwörski:  Peräy  der  Weberkamm  (6epA0),  ein 
Bretchen  zum  Weben  des  Rockes  (drtui), 

Nr.  2.  jWosa  oder  Kamm  (comby. 

Bei  mir:  Osa^  der  Einschlag  für  den  Faden  der  Webe. 
Japanisches  Wort. 

Nr.  3.  jAffunnü  oder  Weberschiffchen  (Shuttle)*. 

Bei  Dobrotwörski:  AchhünniS,  das  Weberschiffchen  (zum 
Weben).  Aus  achhün  ,hineingehen'  und  nU  ,Stiel*  (TOpeni)  zu- 
sammengesetzt. 

Bei  Daw^dow:  Afungini,  das  Weberschiffchen  (^aiHOBi 
TBaUHOfi).  Aus  afungiy  d.  i.  afunJce  ^hineingehen  machen'  und 
ni  ,Holz^  zusammengesetzt. 

Nr.  4.  fKite,  ein  zum  Seehundfang  gebrauchter  Wider- 
haken (barb)  oder  eine  Harpune^ 

Bei  mir:  Ki-te,  der  Körper  des  zum  Fischfange  be- 
stimmten gabelförmigen  Holzes. 


400  Pfiimaier. 

Bei  Dobrotw6rski:  Kit^,  eine  eiserne  Pike  mit  Eisenspitzen 
und  einem  Riemen. 

Nr.  5.  ,Yot6p,  ein  Haken,  um  grosse  Fische  ans  Land  zu 
ziehend 

Bei  Dobrotwörski :  Jouma  oder  jöma,  eine  Pike.  Yotep 
wurde  nirgends  sonst  aufgefunden. 

Nr.  6,  7.  yOtski.  Tragen,  Speisetragen  (trays)  aus  Sapporo. 
Sie  zeigen  die  Art  der  Auszierung,  welche  die  Ainu  lieben'. 
Es  sind  viereckige  Teller  mit  Rändern  und  einigen  einfachen 
Verzierungen. 

Bei  Dobrotwörski:  Öch£iki  oder  ö6üci,  ein  Präsentirteller 
(nOAHOCii)  von  japanischer  Arbeit. 

Nr.  8.  yShikaribachoyene,  eine  Reissschüssel  (rice-bowl)', 

Sikdrimba-ioöine,  rundes  Geftlss.  Aus  sikdnmba  ,nind' 
und  öoötne  ,6eftlss*  zusammengesetzt. 

Nr.  9.  jChebechoyene,  eine  Fischschtissel  (fish-howlY. 

Cebe-Soöine,  Fischschüssel.  Aus  Seb  ,Fisch'  und  Mine  ,Ge- 
fUss'  zusammengesetzt. 

Die  letzteren  zwei  Gegenstände  schienen  nur  dem  Ainu- 
stamme  Tsuischikari  eigen  zu  sein,  wenigstens  hätten  die  Ainu 
von  Jezo,  denen  man  sie  zeigte,  sie  nicht  nennen  gekonnt  und 
gesagt,   dass  sie  solche  Sachen  in  ihren  Häusern  nicht  haben. 

Nr.  10,  11.  ^Kasüp  oder  Löffel  (spoonsy. 

Bei  Dobrotwörski:  Ka§ü,  auch  kctiüw  oder  kaihchy  ein 
grosser  flacher  LöflFel,  um  etwas  damit  aus  dem  Kessel  zu 
nehmen.  Pon-koM,  ein  kleiner  Löffel,  ein  Tischlöflfel. 

Es  sei  bemerkenswerth,  dass  die  Ainu  einen  Stolz  darein 
setzen,  ihre  Geräthe,  selbst  diejenigen,  welche  aus  mehreren 
Thcilen  bestehen,  aus  einem  einzigen  Stücke  Holz  zu  schneiden. 
In  der  Abbildung  sind  es  gestielte  Löffel. 

Nr.  12.  yTsikiribi,  ein  verzierter  Ainurock  (omamented 
Aino  coaty.  Derselbe  ist  aus  blauem,  weissem  und  rothem 
japanischen  Baumwollenzeug,  aber  von  Ainuhand  verfertigt. 

Das  Wort  tsikiribi  findet  sich  sonst  nirgends  verzeichnet. 
Es  kann  aus  dem  japanischen  tsi-kiri  ,Weberbaum'  und  dem 
Ainuworte  bi  oder  be  ,Sache'  zusammengesetzt  sein. 

Nr.  13.  fMaitare.  Eine  Schürze  (aprony.  Ein  viereckiges, 
etwas  verziertes  Stück  Tuch  mit  zwei  Bändern. 

Maitare  ist  das  japanische  Wort  maje-dare,  Schürze. 


UntersDchangen  Aber  Ainn-Gegenitinde.  401 

Nr.  14.  jHetomt^e,  der  Kopfputz  eines  Mädchens*.  Der 
Gegenstand  ist  eine  einfache  niedrige  und  runde  Kappe. 

Das  Wort  hetomoye  wird  sonst  nirgends  verzeichnet,  und 
lässt  sich  darüber,  selbst  ob  es  Ainu  oder  japanisch  ist,  nichts 
Bestimmtes  vermuthen.  Als  japanisch  betrachtet  könnte  es  fe- 
fomoje  ,vorbeigehendes  Blumenmuster  Tomoje*  sein. 

Nr.  15.  ,Ho8j  das  Beinkleid  (legging)  eines  Mannest 

Ist  in  der  Zeichnung  ein  kleines  beinahe  unförmiges  Vier- 
eck mit  kaum  einigen  Zierathen. 

Bei  Dobrotwörski :  OioSy  Stiefelschaft  (ro^esHii^e).  Plural 
chösihi, 

Nr.  16  a,  16  b,  16  c  sind  die  oben  besprochenen  Inä-u 
oder  Ainubilder. 

Nr.  17  ist  eine  doppelte  Abbildung  des  von  mir  (S.  347) 
angeführten  Trinkstieles  ikünii.  Er  wird  hier  ikönit  genannt, 
was  Aussprache  von  Jezo  sein  wird. 

Bei  mir:  Iku-basi.  Aus  iku  ,trinken*  und  beut  (jap.  fast) 
jEssstab*  zusammengesetzt. 

Nr.  18.  yMakiri,  ein  Messer  (knifeY, 

Die  Abbildung  einer  etwas  gekrümmten  kleinen  Schwert- 
scheide. 

Nr.  19.  jKisheri,  eine  Tabakpfeife  aus  weissem  Holze, 
mit  einer  mit  Blei  besetzten  Kugel  (bowl).  Die  Frauen  rauchen 
sie  beständig*. 

Nr.  50.  ,Mokuni,  eine  hölzerne  Maultromme^.  Der  Gegen- 
stand soll  aus  der  Mandschurei  (Santan)  stammen. 

Bei  mir:  Mukkuri  (jap.  kutsi-bi-wa) ,  eine  Art  Maultrommel. 

Zu  vergleichen  bei  Nr.  29  der  Ainu-Flora: 

Anemone,  Species  unbekannt.  MokkarbS,  wörtlich:  tubae 
res.  In  dem  Index  auch :  Mukkarbe,  Dieser  Name  wäre  wirklich 
aus  mokkari  oder  mvkkari  ,Maultrommel*  und  be  ,Sache*  zu- 
sammengesetzt. 

Ob  mokuni  vielleicht  ein  Druckfehler  statt  mokuH,  lässt  sich 
nicht  bestimmen.  Das  Wort  ist  bei  Dobrotwörski  nicht  zu  finden. 

fTokari,  eine  fünfsaitige  Lautet  Die  Saiten  sind  an  dem 
schmalen  Ende  der  Laute  an  ein  Stück  Lachshaut  befestigt 
und  quer  über  zwei  Stege  gelegt. 

Das  Wort  tokari,  welches  übrigens  auf  Jezo  nicht  un- 
bekannt zu   sein   scheint,   wurde  von   mir  nirgends   sonst  ge- 


402  Pfizmaier.! 

funden,  auch  nicht  im  Japanischen.  Altf  japanisches  Wort 
betrachtet;  könnte  es  togari  ^scharf,  gespitzt^  bedeuten.  Das 
Werkzeug  ist  auch  wirklich  an  dem  unteren  Ende,  wo  die 
Lachshaut  sich  befindet,  zugespitzt. 

Nr.  21  a.  ,Ku,  ein  Bogen^  Derselbe  ist  aus  dem  Holze 
der  farbigen  Eibe  (iro-mcJci). 

Nr.  21  b.  yAiy  ein  Pfeile  Derselbe  hat  einen  Widerhaken 
von  sogenanntem  Santanmetall.  Der  Mann,  der  ihn  verkaufte^ 
wollte  damit  drei  Bären  getödtet  haben. 

Später  erhielt  ich  weitere  Mittheilungen,  deren  ich  hier 
so  viele,  als  der  Raum  zulässt,  der  Reihe  nach  anfllhre  und 
mit  einigen  sprachlichen  und  anderen  Bemerkungen  begleite. 

Tsuischikari  ist  ein  Weiler  in  der  Ebene  von  Sapporo 
und  etwa  zwölf  Miles  östlich  von  dieser  Stadt  gelegen.  Die 
Bewohner,  eingewanderte  Ainu  aus  Sachalin,  hatten  vor  unge- 
fähr acht  Jahren  über  Einladung  der  japanischen  Behörden  ihre 
Heimat  verlassen.  Die  alten  Leute  sprechen  mit  Bedauern 
von  den  Zeiten  vor  dem  Jahre  1875.  Sie  sagen,  die  Flüsse 
und  Ufer  von  Sachalin  hätten  Ueberfluss  an  grösseren  und 
schöneren  Fischen,  als  man  in  den  Gewässern  und  in  der  Bucht 
des  Ischikari  finden  könne. 

Japan  hatte  von  1863  bis  1875  mit  Russland  über  eine 
Gränze  auf  Sachalin  verhandelt  und  war  endlich  dahin  gekom- 
men, seinen  Antheil  an  dieser  Insel  gegen  die  nördlichen  Ku- 
rilen zu  vertauschen.  Im  Jahre  1875  bewilligte  es  einer  Anzahl 
seiner  Ainu-Unterthanen  in  Sachalin,  welche  sich  auf  japani- 
schem Gebiete  ansässig  machen  wollten,  Ländereien  an  den 
Ufern  des  Ischikari.  Es  kamen  sieben-  bis  achthundert  Ainu 
und  bauten  ihre  Strohhütten  an  dem  Zusammenflusse  des  Tojo- 
hira  und  Ischikari,  gegen  zwölf  Miles  von  der  Mündung  des 
letzteren. 

Der  Name  ihres  Aeltesten  (ot4na)  ist  Öikobiru.  Derselbe 
ist  jetzt  ein  alter  Mann  und  von  Leid  um  die  früheren  Zeiten 
erfüllt.  Sein  Haus  sei  beinahe  ebenso  einfach  wie  die  übrigen 
Hütten  seines  Stammes,  nur  etwas  grösser.  Eine  Art  Thorweg 
(jap.  toTi'i  ,Vogel8itz')  sei  das  Einzige,  wodurch  es  sich  aus- 
zeichne. 

Otena  ist  das  japanische  ot&na  ,Aeltester^  Auf  Sachalin 
sagt  man  otdna.   In  Batchelor's  Vocabularium  wird  otUna  gesetzt. 


IJntenaehanKen  flb«r  Ainu-OegenatiBde.  403 

Die  Ainu  von  Tschaischikari  sind  hauptsächlich  Fischer, 
und  ihre  Nahrung  besteht  beinahe  ausschliesslich  aus  Fischen, 
Reiss  und  den  zerstossenen  Wurzeln  der  Lilie  Kiü. 

Der  Pflanzenname  kiu  wurde  nur  bei  Langsdorff  wieder- 
gefunden, wo  kiü  einfach  ,Gras'  bedeutet. 

Rothwild  befinde  sich  nicht  in  ihrer  unmittelbaren  Nähe, 
und  dieser  Ainustamm  verbrächte  daher  nicht,  gleich  den  Ainu 
von  SarUy  die  Zeit  mit  der  Jagd  auf  dasselbe.  Dagegen  jage 
man  mit  Vorliebe  den  Bären,  der  in  den  nahen  Bei^n  in 
Menge  vorhanden  sei.  Ein  solcher  Bär,  beinahe  von  dem  Aus- 
masse eines  Ochsen,  werde  in  dem  Museum  von  Sapporo  auf- 
bewahrt. Er  sei  wenige  Jahre  vorher  erlegt  worden,  nachdem 
er  mehrere  Menschen  verzehrt  und  noch  ehe  er  seine  letzte  Beute, 
ein  Kind,  ganz  verdaut  hatte.  Die  Ainu  konnten  oder  wollten 
Herrn  Dixon  nicht  das  in  ihrer  Sprache  übliche  Wort  für 
Feigling  (cotoard)  nennen,  indem  sie  sagten,  dass  es  bei  ihnen 
kein  solches  Wort  gebe.  Es  solle  indessen  ein  diesen  Sinn 
bezeichnendes  Wort  in  der  Mundart  von  Saru  geben. 

In  der  That  finden  sich  fUr  ,feige'  die  drastischen  Aus- 
drücke üikui  osk,  üSkui  parb  und  vielleicht  noch  andere. 

Ohne  Zweifel  seien  diese  Ainu  ein  furchtloses  Geschlecht. 
Sie  gehen  auf  die  Jagd  mit  einem  nicht  sehr  mächtigen  Bogen, 
und  wenn  sie  einmal  einen  Pfeil  losgelassen,  werden  sie  mit 
dem  Bären  handgemein  und  gebrauchen  ihr  rohes  Messer  mit 
Vortheü. 

Einige  derselben  werden  als  Lastträger  (cooUes)  bei  der 
neuen  Eisenbahn  nach  Poronai  verwendet.  Einige  Wenige 
werden  als  Pferdeknechte  oder  zu  einzelnen  unbedeutenden 
Arbeiten  gemiethet.  Doch  die  grosse  Masse  hängt  vom  Fisch- 
fang als  ihrem  Erwerbe  ab. 

Der  am  meisten  von  Fröhlichkeit  wiederstrahlende  Mann, 
welchen  Herr  Dixon  jemals  gesehen,  sei  der  Ainu  gewesen, 
der  ihm  bei  seinem  ersten  Besuche  in  Tsuischikari  als  Cice- 
rone diente.  Viele  Männer  seien  sehr  schön,  mit  hohen,  gut- 
geformten Stirnen  und  offenen  Gesichtern.  Die  Männer  scheren 
femer  ihre  Augenbrauen  und  schneiden  ihr  Haar  rücklings  an 
dem  Nacken.  Ihr  Kopf  scheint  somit  zurückgeworfen  zu  sein. 
Sie  wandeln  mit  stolzen  und  freien  Schritten.  Lange  Barte 
seien  die  Regel,  besonders  unter  den  älteren  Leuten,  doch  der 


404  Pfizmaier. 

Volkestamm  sei  im  Durchschnitt  nicht  haariger  als  Menschen, 
welche  in  der  (europäischen)  Heimat  ein  Leben  im  Freien 
führen. 

Die  Frauen  seien  keineswegs  ohne  anziehende  Eigen- 
schaften. Von  Benehmen  schüchtern  und  befangen^  hätten  sie 
sehr  angenehme  klagende  Stimmen  und  dunkle  ausdrucksvolle 
Augen.  Unter  den  Kindern,  besonders  den  Mädchen,  finde  man 
Augen  so  hell  und  funkelnd,  dass  sie  beinahe  Licht  auszu- 
senden scheinen.       • 

Das  Tättowiren  des  Mundes,  welches  bei  Mädchen  und 
Frauen  noch  immer  im  Gebrauche  ist,  beginne  mit  dem  sechsten 
oder  siebenten  Lebensjahre,  und  zwar  zuerst  mit  einem  kleinen 
Flecke,  welcher  an  den  Lippen  angebracht  wird  und  dann  all- 
mälig  sich  ausdehnt,  bis  das  blaue  Maalzeichen  völlig  zu  jedem 
Ohre  reicht.  Zum  Färben  bediene  man  sich  der  Rinde  des 
Baumes  haha,  welcher  entweder  eine  Art  Bergbirke  oder  ein 
Blüthenkirschbaum  sei. 

Unter  haha  ist  wohl  der  japanische  Baum  kaba  ,wüder 
Blüthenkirschbaum',  auch  als  Uebersetzung  des  Ainunamens 
tatsu  ,Birke'  gebraucht,  zu  verstehen.  Zu  vergleichen  in  dieser 
Abhandlung  bei  der  Ainu-Flora  das  Wort  Bettda, 

Auf  Sachalin  geschieht  das  Färben  der  Lippen  auf  andere 
Weise.  Dobrotwörski  sagt:  Die  Ainumädchen  beginnen,  von 
dem  zehnten  Lebensjahre  angefangen,  sich  die  Lippen  mit  dem 
öligen  Russe  der  zum  Aussieden  des  Fettes  der  Häringe  die- 
nenden japanischen  Kessel  zu  färben.  Man  macht  zu  diesem 
Behufe  zuerst  Einschnitte  in  die  Lippen.  Die  Lippen  schmer- 
zen nach  dem  Einschmieren  heftig  und  schwellen  in  dem  Masse 
an,  dass  das  Ainumädchen  oft  nicht  den  Mund  öffnen  kann 
und  durch  drei  bis  vier  Tage  genöthigt  ist,  sich  ausschliesslich 
mit  flüssiger  Speise  vermittelst  einer  kleinen  Röhre  zu  nähren. 
Man  färbt  sich  ein-  bis  viermal  im  Jahre,  je  jünger  man  ist, 
desto  öfter.  Man  färbt  anfänglich  nur  die  Mitte  der  Oberlippe 
und  geht  dann  stufenweise  zu  dem  Anstrich  der  Lippen  über. 
Die  alten  Frauen  färben  sich  nicht,  doch  von  den  alten 
schwach  angestrichenen  Narben  bekommen  die  Lippen  eine 
Bleifarbe. 

Das  Färben  der  Lippen  bezeichnet  man  auf  Sachalin  durch 
sinuß,  ein  Wort,  welches  aus  nuß  ,schreiben^  malen',  mit  Vor- 


Untennchangen  Über  Aina-O^enst&nde.  405 

Setzung  von  si  (d.  i.  sui)  ^nochmals'  gebildet  ist.  Sonst  ist 
kambe-nufi  ,Bchreiben'^  wörtl.  ,auf  Papier  schreiben'  allgemein 
üblich. 

Herr  J.  Batchelor^  derzeit  Missionär  in  Piratoru,  bringt 
eine  etwas  abweichende  Schilderung.  Er  sagt :  Die  Ainufrauen 
tättowiren  sich  den  Mund,  die  Arme  und  mitunter  die  Stirne. 
Man  sagt,  es  sei  ein  sehr  schmerzliches  Verfahren,  weswegen 
man  es  stufenweise  verrichten  müsse.  Es  geschieht  folgender- 
massen :  Ein  Topf  wird  über  ein  Feuer  aus  Birkenrinde  gestellt 
und  daselbst  so  lange  gelassen,  bis  er  tüchtig  geschwärzt  ist. 
Die  mit  der  Ausführung  sich  befassende  Frau  nehme  dann  ein 
scharfes  Messer  und  schneide  Linien  in  den  zu  tättowirenden 
Theil.  Hierauf  nehme  sie  von  dem  aus  der  Wunde  fliessenden 
Blute  etwas  auf  ihren  Finger,  reibe  es  in  die  an  dem  Topfe 
haftende  Schwärze  und  verarbeite  es  dann  gut  an  der  geschnit- 
tenen Stelle.     Das   Mädchen  sei  so  lebenslänglich  gezeichnet. 

Das  Tättowiren  beginne  in  der  Eandheit  und  ende  nach 
nach  der  Heirat.  Sowohl  Oberlippe  als  Unterlippe  würden  zu 
gleicher  Zeit  tättowirt. 

Die  japanischen  Behörden  hätten  den  Gebrauch  verboten, 
doch  das  Verbot  werde  von  den  Ainu  gänzlich  missachtet,  indem 
sie  sagen :  Unsere  angestammte  Mutter  Okikurumi  Ture&  Maöi 
wurde  so  tättowirt  und  befahl  uns,  den  Gebrauch  beizubehalten. 

Ein  Ainurock  sei  gleich  dem  japanischen  Kimono,  ausser 
dass  er  viel  kürzer  ist  und  die  Aermel  eng  gegen  das  Hand- 
gelenk zulaufen.  Das  einheimische,  aus  der  Rinde  einer  Art 
Ulme  (ohio)  verfertigte  Tuch  sei  sehr  stark  und  dauerhaft. 
Seine  Farbe  .wechsle  zwischen  blass  und  röthlichbraun.  Der 
Ainu  sei  jedoch  immer  bereit,  prachtvolle  Röcke  aus  Stückchen 
fremden  Tuches,  welches  ihm  in  die  Hände  kommt,  zu  verfer- 
tigen.    Solche  Röcke  nenne  man  tsJdribi  (tsikiribi).^ 

Der  Gürtel  der  Männer  (kut)  sei  oft  von  beträchtlicher 
Länge,  gegen  zwei  bis  drei  Zoll  breit  und  häufig  an  den  Enden 
mit  Glasperlen  verziert,  welche,  wenn  auch  werthlos,  sehr  ge- 
schätzt zu  sein  scheinen.  Eine  Schürze  (maitare)  wird  unter 
dem  Rocke  (artrus)  getragen  und  Schäfte  (hos)  aus  Tuch  be- 

1  Von  diesem  Gegenstande  wurde   bereits  bei  der  Erwähnung  der  Abbil- 
dungen (Nr.  12)  gesprochen. 


406  Pfizmaier. 

decken  die  Waden.     Schuhe   aus  Lachshaut  und  Handschuhe 
aus  demselben  Stoflte,  mit  Pelz  verbunden,  trägt  man  im  Winter. 

Die  Kleidung  der  Frauen  sei  nicht  wesentlich  von  der- 
jenigen der  Männer  verschieden.  Der  mit  Metallringen  und 
Münzen  beschwerte  Ledergürtel  sei  ein  auffallender  Schmuck. 
Er  diene  als  eine  Art  Geldbeutel,  und  der  Arzt  werde  daraas 
bezahlt,  wenn  er  seine  Rechnung  schickt. 

Der  Kopfputz  hetenoye  (hetomoyef) ,  der  sich  unter  den 
Abbildungen  findet,  ist  wenig  von  der  Mütze  (senkaki)  der 
Männer  verschieden.  Die  Wintermütze  mit  Lappen  wird  von 
beiden  Geschlechtem  getragen  und  heisst  hachka  (haghkd). 

Bei  Dobrotwörski:  Chächka  oder  hdchka,  Mütze  (mama, 
<&ypasBa). 

Davon:  Chächka  asifikej  die  Mütze  abnehmen. 

Chächka  korby  die  Mütze  aufsetzen,  aufbehalten. 

Chächka  nötekarüy  die  Ohrlappen  der  Mütze. 

Chächka  ömjmSy  die  Köpfchen  an  der  Mütze  (zur  Ver- 
zierung). 

Chächka  tebä,  der  Aufschlag,  die  Verbrämung  an  der 
Mütze. 

Der  Bogen  der  Ainu  wird  aus  dem  Holze  des  Baumes 
konke-ni  ,Beinholz'  oder  iro-maki  verfertigt.  Vergiftung  der 
Pfeile  mit  Eisenhut  wurde  nicht  beobachtet. 

Emi)L§  heisst  das  Schwert.  MaMri  ist  ein  Messer.  Es 
wurde  davon  S.  354  gesprochen. 

Der  Seehund  wird  mit  der  Harpune  kiti  gejagt.  Sowohl 
Männer  als  Frauen  rauchen  Tabak,  die  letzteren  fortwährend. 
Die  Pfeifen  (küeri),  ein  einheimisches  Product,  werden  aus 
einem  einzigen  Stücke  weissen  Holzes  geschnitten,  der  Kopf 
wird  mit  weichem  MetaU  überzogen. 

Musikwerkzeuge  scheinen  ausschliesslich  bei  Frauen  in 
Gebrauch  zu  sein.  Es  giebt  zwei  Arten  von  Maultrommeln 
(mokuni),  die  eine  von  Holz,  die  andere  von  Santan-MetaD. 
Man  bringe  daraus  sehr  angenehme  Töne  hervor. 

Was  das  Wort  mökuni  betrifft,  so  findet  sich  sonst  nur 
mokkuri  (jap.  kutsi-bt-tva) ,  eine  Maultrommel.  In  Batchelor's 
Vocabularium:  Mvkku,  a  musical  Instrument 

Tonkare  oder  Tokariy  schon  unter  den  Abbildungen  er- 
wähnt,  ist  eine  Laute  von  der  Gestalt  eines  Schiffes,  mit  flüif 


ünteranchnngen  über  Ainn-Gegenst&nde.  407 

Saiten  und  zwei  Stegen.  Das  Spiel  auf  dieser  Laute  scheine 
Husserst  einfach  zu  sein.  Ein  Aina  sagte^  dass  man  russische 
Lieder  dazu  singe. 

Die  Hütten  der  Ainu  bestehen  aus  einem  Dache  von 
Strohmatten  y  welche  einen  rohen  Bau  von  Holzklötzen  über- 
decken. Sie  haben  gewöhnlich  ein  Vorhaus  oder  einen  Eingang, 
welcher  gross  genug  ist,  um  daselbst  Wassereimer  und  andere 
BLausgeräthe  hinstellen  zu  können.  Das  hier  und  dort  von  einem 
Fenster  (puyara)  erleuchtete  Innere  hat  einen  gedielten  Fuss- 
boden  und  riecht  von  Rauch.  In  der  Mitte  befindet  sich  der 
Herd,  wo  ein  Holzfeuer  brennt,  dessen  Rauch  durch  eine  Dach- 
öfinung  (ebenfalls  puyara  ,Fenster*  genannt)  hinausgeht.  Ein 
russiges  altes  Weib  sieht  man  an  dem  Herde  ihre  Pfeife  rauchen 
und  Alles,  was  vorgeht,  tiberwachen. 

In  der  fernen  Ecke  zur  Linken  seien  die  Familiengüter, 
die  gefimissten  Kästen  (skindoko)  und  andere  Erbstücke  des 
Hauses.  Vor  diesen  befinde  sich  der  Ehrenplatz  flir  einen 
Gast.  Um  den  Herd  herum  seien  einige  wenige  Inä-u  (inawo) 
in  den  Boden  eingestochen. 

Sintoko  oder  sintoku  (jap.  oke)  ,Zuber'  ist  ein  japanisches 
gefimisstes  Fässchen,  mit  einem  Deckel  verdeckt  und  von  Ge- 
stalt einem  Korbe  ähnlich,  welches  zur  Aufbewahrung  von 
Reiss  und  anderen  Gegenständen  dient. 

Kemä  koru  sintoko^  eine  Kufe  mit  Füssen. 

Kemä  o  sintoko,  ein  Reisszuber,  ein  Zuber,  an  welchem  man 
Füsse  angebracht  hat.  0  ist  die  Abkürzung  von  Ofnäre,  ein- 
gehen machen,  einlegen. 

Porh  sintokUf  ein  grosser  Zuber. 

Amäm  sintoku,  ein  Reiss-  oder  Brodzuber. 

SaJc^  karä  stntoku,  ein  Zuber  zur  Weinbereitung. 

Ein  alter  Ainu  erzählte,  vor  langer  Zeit  habe  sein  Stamm 
die  Gewohnheit  gehabt,  auf  Sachalin  in  unterirdischen  Häusern, 
welche  toichisei  hiessen,  zu  leben. 

Toi-tüi  bedeutet:  Erdhaus.  Für  tue  oder  tisi  ,Haus^  sagt 
man  auch  tsiSi^  SUi,  auf  Jezo  ^üei. 

Im  Frühlinge  verliess  man  diese  Häuser  und  lebte  über 
der  Erde,  bis  Frost  und  Schnee  die  Menschen  wieder  zwangen, 
in  diesen  unterirdischen  Wohnplätzen  Schutz  zu  suchen.  Diese 
Wohnorte  seien  überdachte   Gruben,   keine  Höhlen  gewesen. 


408  Pfizmaier. 

Ueberbleibsel  ähnlicher  Gruben  finde  man  noch  immer  in  der 
Nähe  des  neuen  Museums  zu  Sapporo,  doch  wisse  man  nicht, 
ob  diese  Gruben  von  den  Ainu  oder  von  einem  früheren  Volks- 
stamme gegraben  wurden. 

Die  Ainu  hätten  sehr  wenig  Töpferwaare  im  Gebrauche, 
und  dieses  Wenige  hätten  sie  von  den  Japanern  bezogen. 
Ihre  einheimischen  Geräthe  seien  von  Holz  und  von  der  rohesten 
Form.  Löffel,  Schöpflöffel,  Fisch-  und  Reissschiisseln,  Tragen, 
eine  grosse  Mörserkeule  und  ein  Mörser  zum  Zerstossen  der 
Lilienwurzeln  seien  fast  Alles,  was  sie  besitzen. 

Ihre  Vorrathshäuser  (pu)  seien  mehrere  Fuss  über  der 
Erde  auf  Pfilhlen  aufgeführte  Schuppen.  Unter  dem  Vorraths- 
hause  liege  ein  Hundeschlitten  (shikeni)  fUr  den  Winter  bereit 
Derselbe  sei  sehr  eng  und  von  leichter  Bauart.  Die  Ausläufer 
seien  mit  Bein  beschlagen. 

Pu  ist  das  japanische  /j^  (fu)  ,Vorrathshaus^ 

Bei  Dobrotwörskl :  SiJc4ni,  ein  Hundeschlitten  (ohne  Hunde), 
ein  Schlitten  überhaupt.  Das  Wort  ist  aus  sik4  ,Last'  und  m 
,Holz^  zusammengesetzt. 

Bärenkäfige  (üochüei),  gleich  dem  Vorrathshause  (pu) 
wenige  Schuhe  über  dem  Boden  aufgeführt,  baut  man^  um 
darin  junge  Bären  aiifzuziehen ,  welche,  wenn  sie  sehr  jung 
sind,  von  ihren  Herrinnen,  den  Ainufrauen,  gesäugt  werden. 
Die  einheimischen  Bären  werden  bei  dem  Bärenfeste  im 
September  getödtet. 

Isb'tüe,  wörtlich:  Bärenhaus. 

Isb  ,Bär'  sagt  man  hauptsächlich  auf  Sachalin  fUr  das 
auf  Jezo  allgemein  gebräuchliche  hokujuku  oder  hokojuk.  Zu 
bemerken  sind  die  Wörter: 

lab-kotän,  das  Bärendorf,  der  Aufenthaltsort  der  Bären 
nach  dem  Tode. 

lab'kuff  Bärengürtel,  der  Gürtel,  den  man  dem  Bären  an 
dem  ersten  Tage  des  Bärenfestes  anlegt. 

hb'oipe,  ein  länglicher  enger  Trog,  aus  welchem  der  Bär 
gefüttert  wird. 

hbu-dinuy  ein  auf  der  Bärenjagd  glücklicher  Mensch. 

Die  Namen  der  Verwandtschaften  stimmen  mit  anderen 
Angaben  nicht  ganz  überein. 

Das  Familienhaupt  sei  der  Gross vater  (a^Sa), 


Untersuchnngen  Aber  Ainn-Oegpnst&nde.  409 

Bei  Dawj^dow:   Atschay   Oheim   (mm)-    ^  Mo-siwo-gusa 
steht  aUcha  unter  den  Bedeutungen  für  ^Vater'  (j^P-  tsitsi). 

Der  Sohn  des  Gbossvaters   (a6a)   heisse  aöabo   ^das  Kind 
des  Greises^ 

Bei  Dobrotwörski:   Aöabo  oder  äSapOy  der  Oheim  (jißAfl)* 
KvrdöaiOy  mein  Oheim. 

In  Mo-Biwo-gusa:  Ätscha-po  (jap.  nd),  eine  Verwandtschaft. 

Der  Elnkel  des  Gbossvaters  (aöa)  heisse:  bo  ^Eand^ 

Statt  aXa  sage  man  auch  onna  ,Vater^ 

Onna  soll  onne  heissen.    Onne  (jap.  Um-jorujy  alt,  bejahrt. 

Die  Grossmutter  heisse  sfutscki.    Die  Mutter  heisse  unu, 

FvMschi  (jap.  8o-bo)y  die  Grossmutter.  SfiUsc/d  ist  nicht 
vorgekommen. 

'  tlnu  ist  gleichbedeutend  mit  habo  oder  habuy  auch  cJiabUy 
chapu  ,Mutter'.  Scheint  auch  den  Wörtern  unarabe,  undrachpe, 
unarpe,  üruichpe  ^Amme'  zu  Grunde  zu  liegen. 

Ein  Urgrossvater  oder  entfernterer  Vorfahr  heisse  ekäs, 
und  sfutschi  ^Grossmutter'  sei  ein  allgemeiner  Name  fUr  ^Ahnfrau': 

Ekdsi  (jap.  80'bu),  der  Grossvater.  Bei  Dobrotwörski: 
Ekäi,  der  Grossvater.     In  Mo-siwo-gusa  auch  tkasi. 

Der  Grossvater  und  die  Grossmutter  von  mütterlicher 
Seite  des  Enkels  (bo)  würden  von  diesem  und  seinem  Vater 
beziehungsweise  mit  den  Namen  henki  und  unarabe  benannt. 

Henge  (jSL^-fu-daiJy  die  Abstammung  von  väterUcher  Seite. 

Unara-be  (jap.  viajy  ein  altes  Weib;  auch  Gbx>s8mutter. 

Bei  den  Ainu  werde  ebenso  wie  in  Japan  zwischen  den 
Benennungen  für  ältere  und  jüngere  Geschwister  ein  Unter- 
schied gemacht.  Der  ältere  Bruder  heisse  yuhö,  der  jüngere 
Bruder  oder  die  jüngere  Schwester  heisse  aldd.  Die  älteste 
der  jüngeren  Schwestern  heisse  turesh. 

Jubi  oder  j''lipiy  älterer  Bruder.  Man  sagt  auch  jiibu  und 
jupuy  ingleichen  ^*i2pi-^t.    Als  Adjectivum:  der  älteste. 

Davon  jüpu-kamüi,  der  älteste  Gott.  Derselbe  heisst  auch 
tül  jüpi  kamtti  ^der  älteste  Hausgott^  oder  karnüi-pinnisamy  wo- 
bei pinnüam  von  ungewisser  Bedeutung. 

Der  jüngere  Hausgott  heisst  ün^kamüi  ^Feuergott'  und 
tsiare-guÜi, 

Aki  (jap.  iroto)  ist  blos  Jüngerer  Bruder',  nicht  zugleich 
jüngere  Schwester'. 

Sitaangiber.  d.  pkil.-hiit.  Cl.    CHI.  Bd.  U.  Hfl.  27 


410  Pfizroaier. 

TuriS  (tureij  turiS),  jüngere  Schwester.     JapaniBch  hnoto. 

Früher,  vor  dem  Verkehr  mit  Japanern,  sei  es  auf  Jeso 
Sitte  gewesen,  dass  der  Sohn  den  Namen  des  Grossvaters  fbhrte. 
Gegenwärtig  pflegten  Viele  einen  Namen,  welcher  nur  eine 
Sylbe  des  Namens  des  Vaters  enthält,  zu  geben;  z.  B.  TcneiUy 
Yanosuke,  Yataro,  In  dem  angeführten  Beispiele  sei  Yaichi  ein 
Japaner,  welcher  eine  Ainufrau  heiratete,  gewesen.  Sein  Sohn 
Yanosuke  heiratete  ebenfalls  eine  Ainufrau,  und  ihr  Kind  Ya- 
taro werde  als  ein  ächter  Ainu  auferzogen  werden.  Der  Name 
werde  dem  Kinde  nach  Vollendung  des  ersten  Lebensjahres 
gegeben. 

Die  oben  genannten  drei  Namen  sind  sämmtlich  japanisch. 

Yaichi  ist    ^    — ■  (ja-itsi)  oder  ^    "jIJ   (j^'^^)- 
Yanosuke    ist  ^    ffy   (ja-no  suke), 

Yaiaro  ist  ^    ^    ^  (ja-ta-rb). 

Die  Männer  heiraten  in  der  Regel  mit  zwan2sig,  die 
Frauen  gewöhnlich  mit  achtzehn  Jahren.  Geld  werde  von 
keiner  Seite  gegeben  oder  genommen.  Die  Frau  solle  jedoch 
ihre  Kleidung,  Schmuckgegenstände  und  die  kleineren  Haus- 
geräthe^  wie  Fischschüsseln  (chebechoyene)  und  Reissschüsseln 
(schtka^'ibachojene)  mitbringen.  Sie  bringe  auch  einige  wenige 
Matten.  Den  mit  Metallringen  und  Münzen  verzierten  Leder- 
gürtel (kut)  erbe  sie  meistentheils  von  ihrer  Mutter.  Ausser- 
dem werde  flir  sie  ein  neuer  verfertigt. 

Die  Wörter  ^ebe-öojene  und  Sikariba-Öojene  sind  bei  den 
Abbildungen  (Nr.  8  und  9)  erklärt  worden.  Sie  sind  bei  dem 
Ainustamm  Tsuischikari  gebräuchlich. 

Wenn  ein  Mann  stirbt,  werde  seine  Witwe]  gewöhnlich 
das  Weib  eines  seiner  Brüder,  oder  es  heirate  sie,  wenn  keine 
Brüder  da  sind,  der  nächste  Verwandte.  Vielweiberei  gebe  es 
nicht,  doch  sei  es  nichts  Ungewöhnliches,  ein  zweites  oder  so- 
genanntes kleines  Weib  (pon-ma^i)  zu  haben.  Es  gebe  in 
Tsuischikari  vieraehn  oder  flinfzehn  solche  kleine  Frauen. 
Zwischen  der  grossen  Frau  (poro-maH)  und  der  kleinen  Frau 
werde  kaum  ein  Unterschied  gemacht  und  scheine  es,  dass  die 
Kinder  derselben  keine  andere  Behandlung  erfahren. 

Die  bei  den  Japanern  übliche  Annahme  an  Kindesstatt 
sei  früher  wenig  bekannt  gewesen ;  jetzt  sei  sie  allgemeiner  und 


VntßranchQngfen  üb«r  Aina-Oegenst&nde.  41 1 

i^erde  von  der  Regierang  begünstigt,  indem  man  die  nördliche 
Insel  gut  bevölkert  sehen  möchte,  um  eine  Schutzwehr  gegen 
rassische  Uebergriffe  zu  haben. 

Die  AinU;  ein  sehr  gesimdes  Volk,  hätten  wenig  von  Krank- 
heiten zu  leiden,  obgleich  bei  ihrer  Unreinlichkeit  Viele  von 
einer  Art  Räude  befallen  werden,  nach  welcher  das  Haupt  kahl 
werde.  Zu  Zehrkrankheiten  nicht  geneigt,  litten  sie  doch  an 
starker  Bronchitis  (tan),  welche  oft  tödtlich  verlaufe. 

Tan  ist  das  japanische  ^   (tan),  Verstopfung  der  Brust. 

Wassersucht  (nüobakißip),  woran  ihre  Trunkenbolde  leiden, 
und  die  genannte  Bronchitis  (tan)  betrachte  man  als  die  schwersten 
Krankheiten. 

Netöpaki,  der  Leib^  der  Körper.  Auch  nidohaJdy  nefobake 
und  nidobagi.     Fup  oder  fifpp,  Geschwulst. 

Minder  gefährlich  seien  die  Erkältungen  (onkikara)  und 
die  Fieber  (nitobakaraka), 

Onke,  husten,  der  Husten.  Hierzu  karä,  thun.  Man  sagt 
auch  ongi  und  omki. 

Davon  6nke  arakä ,  die  Krankheit  des  Hustens.  Unke 
kamäi,  der  Hustengott. 

Nitobakaraka  ist  netöpaki  arakä,  der  Leib  krank.  Man  sagt 
auch  emüiki  netöpaki  arakä,  der  ganze  Leib  krank. 

Beulen   (fvppe)^   welche  vorkommen,   seien    etwas   lästig. 

Fuppe  ist  aus  fup  ,Geschwul8t'  und  pe  ,Sache'  zusammen- 
gesetzt. 

Die  Heilmittel  seien  hauptsächlich  vegetabilische.  Ab- 
kochungen zum  inneren  Gebrauche  werden  aus  den  einheimi- 
schen Gräsern  fushkina  und  kamuikina  bereitet. 

tushkvna  kann  fusiko-kina  ,alte  Pflanze'  bedeuten. 

Kamüi'kinä,  Götterpflanze. 

Eine  Art  getrockneter  Auster  legt  man  in  laues  Wasser, 
welches  dann  abgeseiht  und  getrunken  wird.  Die  Austern 
wdka  und  ashketa  werden  auf  diese  Weise  gebraucht.  Bei 
Wassersucht  trinkt  man  blos  die  Hälfte  dieser  Flüssigkeit,  die 
andere  Hälfte  wird  in  Form  von  Bähung  angewendet. 

Die  Wörter  wäka  und  ashketa  wurden  sonst  nirgends 
gefunden. 

Es  gibt  einen  kleinen  Fisch,  Namens  ikieatscheppo.  Der- 
selbe   wird   von    den   Ainu   sehr   als   ein    Mittel  gegen    Seiten- 

27« 


412  Pfizmaier.  Uniersuchnngen  Aber  Ainu-Oeg^enst&nde. 

stechen  geschätzt.    Er  wird  calcinirt  und  dann  in  Form  eines 
Teiges  aufgelegt. 

Bei  Dobrotwörski:  IkisachShb^  ein  achtflächiges  kegelför- 
miges Fischchen.  Aus  ikisach  ,Pfrieme,  Bohrer*  und  6eb  ,Fi8ch* 
zusammengesetzt.  In  ikisatcheppo  HinzufUgung  des  Diminati- 
vums  po. 

Die  Ainu  von  Tsuischikari  versichern^  dass  sie  die  Sprache 
der  Ainu  von  Oschima  nicht  verstehen  und  umgekehrt  auch 
von  diesen  nicht  verstanden  werden.  Man  glaube  jedoch^  dass 
es  nur  einen  geringen  dialektischen  Unterschied  zwischen  der 
Sprache  dieser  zwei  Volksstämme  gebe.  Er  möge  sich  auf 
einige  gewöhnliche  Wörter  und  auf  die  Aussprache  beziehen. 

Dem  gegenüber  lässt  sich  annehmen,  dass  allen  Beobach- 
tungen zufolge  die  Mundarten  der  Ainusprache^  besonders 
wenn  Sachalin  in  Betracht  gezogen  wird,  bedeutend  von  ein- 
ander abweichen,  und  dass  die  Behauptung  der  Ainu  von  Tsui- 
schikari wahr  ist.  Uebrigens  ist  die  Sprache  von  Jezo  bisher 
noch  weit  weniger  bekannt  als  diejenige  von  Sachalin,  welche 
durch  die  Arbeiten  Dobrotwörski's  beinahe  vollständig  zugäng- 
lich geworden. 


Hiklosich.  Ober  Goethe's  .Klaggesang  von  der  edlen  Fraaen  des  Asan  Aga*.      413 


über  Goethe's  ,Klaggesaiig  von  der  edlen  Frauen 

des  Asan  Aga'. 

Geschichte  des  Originaltextes  und  der  Übersetzungen. 

Von 

Dr.  Frans  Miklosioh, 

irirkl.  Mitgliede  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Einleitung. 

In  dem  1774  in  Venedig  gedruckten  ,Viaggio  in  Dal- 
mazia^  des  Abate  Alberto   Fortis  ist  ein   ^morlackisclies^   Lied 

V 

veröffentliclit:  ,Zalo8tna  pjeaarica  plenienite  Asanaginice/  Es  ist 
ein  wahres  Volkslied,  zwar  nicht  das  ,erste  serbische  Volkslied*, 
das  Gutenberg's  Erfindung  aus  seiner  weltvergessenen  Heimat 
in  die  weite  Welt  getragen^  da  früher  schon  von  Andrija 
Kaöi6  Miosis  (1690  bis  1760)  in  dem  1756  >  in  Venedig  er- 
schienenen fRazgovor  ugodni  naroda  shvinskoga*  einige  wirk- 
liche Volkslieder  aus  der  Heimat  der  Kroaten  und  Serben 
durch  den  Druck  bekannt  gemacht  worden  sind,  wenn  auch 
keines  in  unveränderter  nationaler  Fassung:  «dies  gilt  auch 
von  dem  Liede  vom  Vojvoden  Janko  und  von  dem  von  Sekula. 

Die  Asanaginica  wurde  von  keinem  Geringeren  als  Goethe 
deutsch  übersetzt  und  in  dieser  Uberti-agung  von  Herder 
1778  in  seine  Volksliedersammlung  aufgenommen.  Das  Lied 
steht  nun  in  Goethe's  Werken  und  ist  dadurch  ein  Theil  der 
Weltliteratur  geworden. 

Der  Werth  des  Liedes ,  dessen  eigenthümliche  Ge- 
schichte und  der  der  Kritik  gar  sehr  bedürftige   Text  haben 

*  Eine  frühere  Ausgabe  soll  in  Ofen  gedruckt  worden  sein.  I.  Kukuljevid, 
Bibliografia  hryatska.  I.  62. 


414  Miklosich. 

mich  bestimmt  dasselbe  zum  Gegenstande  einer  Studie  zu 
machen:  dieselbe  handelt  I.  vom  Originaltext,  11.  von  den 
Übersetzungen. 

I.  G^eschiehte  des  Originaltextes. 

Wir  besitzen  von  der  Asanaginica  einen  dreifachen  Text: 
1.  den  von  Fortis  bekannt  gemachten ,  2.  den  Vuk'schen  und 
3.  den  uns  in  einer  Spalatiner  Handschrift  aus  der  Mitte  des 
vorigen  Jahrhunderts  erhaltenen. 

1.  Der  Text  von  Fortis. 

DeritalienischeNaturforscherAbate  Alberto  Fortis  (1741  bis 
1803)  schöpfte  seinen  Text  unzweifelhaft  aus  der  angeführten 
Spalatiner  Handschrift:  der  sla vischen  Sprache  unkundig,  ver- 
dankte  er  die  Übersetzung  der  Mittheilung  halbgelehrter  Ein- 
gebornen. 

Nicht  ohne  Interesse  ist  die  Frage,  wie  der  italienische 
Naturforscher  dazu  kam,  sich  um  slavische  Lieder  zu  kümmern, 
die  Niemand  der  Beachtung  werth  hielt.  Wohl  gab  es  schon 
vor  Herder  Männer,  die  den  göttlichen  Funken  der  Poesie  auch 
in  den  Schöpfungen  des  Volkes  erkannten.  Man  wird  jedoch 
Fortis  kaum  Unrecht  thun  durch  die  Annahme,  dass  irgend 
eine  äussere  Veranlassung  ihn  bestimmt  hat,  einer  Poesie  nach- 
zuforschen, die  mit  der  italienischen  seiner  Zeit  so  wenig  als 
möglich  gemein  hat :  die  italienische  Volkspoesie  hat  erst  in  un- 
serem Jahrhundert  die  Aufmerksamkeit  der  Forscher  auf  sich  ge- 
zogen. Man  hat  in  der  That  diese  äussere  Veranlassung  in  der  Be- 
kanntschaft mit  Percy's  Relics  of  ancient  english  poetry  zu  finden 
geglaubt.  Sie  ist  jedoch  i^ohl  zunächst  in  Ossian  zu  suchen, 
der  dem  Mineralogen  Fortis  durch  den  Verkehr  seiner  Mutter 
mit  Cesarotti  nahegerückt  wurde.  Fortis  selbst  sagt  I.  89:  ,Io  ho 
messe  in  italiano  parecchi  canti  eroici  de'  Morlacchi,  uno  de'  quaü, 
che  mi  sembra  nel  tempo  medesimo  ben  condotto  e  interessante, 
unirö  a  questa  mia  lunga  diceria.  Non  pretenderei  di  fame  con- 
fronto  coUe  poesie  del  celebre  bardo  scozzese,  cui  la  nobiltk  dell' 
animo  vostro  (gemeint  ist  Giovanni  Stuart,  Conte  di  Bute)  donö  all' 
Italia  in  piü  completa  forma,  facendone  ripubblicare  la  versione 


über  Goethe's  ,Kl;i^ge8ang  von  der  edlen  Frauen  des  Asan  Aga'.  415 

del  eh.  abate  Cesarotti:  ma  mi  lusingo^  che  la  finezza  del  vostro 
gusto  vi  ritroverk  iin'  altra  spezie  di  merito^  ricordante  la  sem- 
plicitk  de'  tempi  Omerici  e  relativo  ai  costumi  della  nazione/ 
Fortis  verdient  fUr  die  Veröffentlichung  des  Liedes  den 
Dank  aller  Freunde  der  Volkspoesie  und  muss  gegen  die 
hämische  Kritik  von  Giovanni  Lovrich  in  dessen  ,Osservazioni 
sopra  diversi  pezzi  del  Viaggio  in  Dalmazia  del  signor  abate 
A.  Fortis,  Venezia,  1776/  in  wesentlichen  Punkten,  namentlich 
in  dem  hier  in  Betracht  kommenden  Theile,  in  Schutz  ge- 
nommen werden. 

Xalostna  pjesanza  plemenite  Asan-Aghinisje. 

Scto  86  Ijdi  u  gorje  zdenojf 

Al'SU  snjezi,  cd-m  labutovef 

Da-su  anjezij  vech-bi  okopnuli; 

Uibutove  vech'bi  poletjelu 
6  Ni'SU  mjezif  nit-su  lahutove; 

nego  sdatar  Aghie  Asan-Aghe. 

On  holvje  u  ranami  gliudmu 

Oblassiga  mater  i  sestriza; 

a  gUubovza  od  stida  ne  mogla. 
to        Kad  li-mu-je  ranam'  boglie  bilo, 

ter  poruga  vjemoi  gUvhi  wojcj: 

,Ne  gekai-me  u  dvoru  bjdomu, 

,fd  u  dvoru,  ni  u  rodu  monrn,' 

Kad  kaduna  rjed  razumjela, 
16  jo9C'je  jadna  u  toj  miaU  stala. 

Jeka  Stade  kogna  oko  dvora: 

i  pobjexe  Asan-Aghiniza, 

da  wdt  lomi  kuie  niz,  penxere, 

Za  gnom  tenpi  dve  ckiere  djeooiks: 
20  ,Vrati'nam'$e,  müa  majko  nasda; 

,nij6  000  babo  Asan-Ago, 

,vech  daixa  PLniorcvich  beace/ 
I  vrätiae  Asan-Aghiniza, 

ter  se  tjjeeda  bratu  oko  vrdta. 
26  ,Da!  moj  brate,  vdike  aramotef 

ygdi-me  eaglie  od  petero  dize!' 


416 


Miklosich. 


Bexe  mugi:  ne  gavori  nista, 
vech  $e  mäsda  u  xepe  svione, 
i  vadirgnqj  kgnigu  oprosckienja, 

30  da  uzimglie  podpunno  vjenganje, 
da  gre  «'  gnime  majd  u  zatraghe. 
Kad  kaduna  kgnigu  prougäa, 
dva-je  Ana  u  celo  glivhilaj 
a  due  chiere  u  rumena  liza: 

36  a  s'  malahnim  u  beaicje  sinkom 
odjeliti  nikako  ne  mogla. 
Vech-je  brataz  za  ruke  uzeo, 
i  jedva-je  sinkom  raztavio: 
ter-je  mechie  k'  sebi  na  kogniza, 

40  s'  gnome  grede  u  dvaru  bjelomu. 
U  rodu'je  malo  vrjeme  stäla, 
malo  vrjeme^  ne  nedjegliu  dana, 
dobra  kado,  i  od  roda  dobra, 
dobru  kadu  prose  sa  8t>i  strana; 

46  da  nuzjvechie  Imoski  kadia, 
Kaduna-se  bratu  svomu  moli: 
,Aj,  tako  te  ne  xelila,  brcUzo! 
,ne  moi  mene  davat  za  nOcoga, 
jda  TM  puza  jadno  serze  moje 

60  ,gledajuchi  airotize  svoje/ 
Ah  bexe  ne  fiaja^ce  nista, 
vech-gnu  daje  Imoskomu  kadü, 
Jose  kaduna  bratu-se  mogliasce, 
da  gnoj^  pisce  listak  bjele  kgnighe, 

66  da-je  eaglie  Imoskomu  kadii, 
,Djevoika  te  Ijepo  pozdravgliasce, 
,a  u  kgmzi  Ijepo  te  mogliasce, 
,kad  pokupisc  gospodu  svatove, 
ydugh  podkliuvaz  nosi  na  djevojku; 

60  ,kada  bude  aghi  mimo  dvora, 
fneg-ne  vidi  sirotize  svcje/ 
Kad  kadii  bjela  kgniga  doge,   ' 
gospodu'je  svate  pokupio, 
Svate  kuppi,  grede  po  djevoiku. 

66  Dobro  svati  dosli  do  djeooike, 


über  Ooethe's  .Klaggesang  tod  der  edlen  Franen  des  Aean  Aga'.  417 

i  zdravO'Se  povratäi  s*  gnome, 
A  kad  bat  aghi  ndmo  dvora, 

dve-je  chierze  s'  penxere  ghdaßi, 

a  dva  mna  prid-gnu  izhogiaju, 
70  tere  svojoi  maj^  govoriaju. 

yVrati'nam'Se,  müa  majko  nascia, 

,da  mi  tebe  uxinati  damoJ 

Kad  to  ^ula  Asan-Aghiniza, 

stariacini  Bvatov  govorüa: 
76  ,Bogom  brate^  svatov  starisdna, 

ftistavi  mi  kogne  uza  dvora, 

,da  darujem  sirotize  moje/ 

Ustamse  kogne  uza  dvora, 

Svojti  dizu  Ijepo  darovala: 
80  avaJcom'  sinku  nozve  pozla^chene, 

svakoj  chieri  gohu  da  pogliane: 

a  malomu  u  besicje  sinku 

gnemu  saglie  uboske  hagline, 
A  to  gleda  junak  Asan-Ago; 
86  fer  dozivglie  do  dva  8ina  svoja: 

,Hodte  amo,  sirotize  mojsj 

,kad'8€  nechie  müovati  na  va8 

,mojka  vascia,  serza  argiaskoga/ 
Kad  to  gtda  Asan-Aghiniza, 
90  bjdim  ligem  u  zemgliu  ttdarila; 

u  püt-se-je  s'  dusdom  raztavila 

od  xalosti  gledajuck  sirota. 

30.  L' originale:  Affinchfe  prenda  con  piena  libertk  coro- 
nazione  (da  sposa  novella),  dopo  che  sark  ita  con  esso  della 
madre  ne'  vestigj. 

36.  Dovrebbe  dire  odjeliti  «e,  separarsi;  ma  la  misura 
del  verso  decasillabo  non  lo  permette^  quantunque  lo  richieda 
la  buona  sintassi. 

45.  Imoskiy  V  Emota  dei  bassi  geografi  greci^  luogo  forte, 
tolto  a'  Turchi  neir  ultima  guerra. 

47.  L' originale:  ,Deh!  cosi  non  debba  io  desiderarti!^  che 
vale  a  dire  ^cosl  viva  tu  a  lungo,  ond'  lo  non  ti  desideri  dopo 
d'  averti  perduto!' 


418  Miklosich. 

72.  Uxinati  non  significa  propriamente  ,cenare%  ma  ,üt 
merenda^;  il  che  mi  sarebbe  stato  difficile  da  esprimere  non 
ignobUmente. 

92.  La  mancanza  di  caratteri  adattati  mi  ha  costretto  a 
usare  della  lettera  z  nostra,  in  luogo  della  slavonica^  ch'  equi- 
vale  al  C  greco;  lo  hanno  per6  fatto  molti  altri  prima  di  me 
senza  scrupolo^  nel  che  mi  h  sembrato  di  doverli  seguire  a 
preferenza  di  quelli^  che  usano  della  lettera  s  alta.  Non  ho 
raddoppiato  lettere,  per  uniformarmi  aU'  ortografia  de'  mano- 
scritti  slavonici  piü  antichi. 


a.  Der  Vuk'sohe  Text. 

Der  Vuk'flche  Text  beruht  auf  dem  von  Fortis,  von  dem 
er  sich  durch  eine  nicht  geringe  Anzahl  von  grossentheils 
unberechtigten  Änderungen  unterscheidet.  Vuk,  der  bei 
seinen  Reisen  in  Dalmatien  von  diesem  Liede  beim  Volke  keine 
Spur  auffinden  konnte,  hat  den  Text  von  Fortis  serbisirt. 
Dass  das  Lied  den  Serben  von  jeher  als  ein  VolksUed  bekannt 
gewesen  sei,  ist  eine  grundlose  Behauptung. 


Hasanaginica. 

Sta  S6  Vjdi  u  gori  zdenojf 
AI'  je  snijeg,  aV  9U  labudovif 
Da  je  Mtjeg^  ve6  bi  okopfdo^ 
Uzbudovi  ve6  bi  poletjeU. 

5  Nit*  je  snijeg,  nit'  »u  labudovif 
nego  Sator  age  Hasan-age. 
On  bohije  od  Ijutijeh  rana. 
Oblazi  ga  mati  i  sestrica, 
a  Ijnbovea  od  stida  ne  mogla, 

10  Kad  li  mu  je  ranam*  bolje  büoy 
on  poruÜ  vjemoj  IjM  svojoj: 
,Ne  öekqj  me  u  dvoru  Vjdomu, 
,ni  u  dvorUy  ni  u  rodu  momu/ 
Kad  kaduna  r'jeÜ  razmajday 

16  joi  je  jadna  u  toj  misli  atala, 


über  Qoeihe's  «Kluggesang  Ton  der  edlen  Franen  des  Asan  Aga*.  419 

jeka  Stade  konja  oko  dvora; 

tad  pohjeie  Hasanaginica, 

da  vrat  lomi  hüe  niz  pendiere ; 

za  njom  trie  dv^je  6ere  djevcjke: 
20  ^Vrati  nam  se,  nUla  majko  naia! 

,Nije  ovo  babo  Hasan-aga, 

^ve6  daidSa  Pintorovid  be^eJ 

I  vrati  86  Hasanaginica, 

ter  86  vje$a  bratu  oko  vrata: 
26  ,Da  moj  brate,  velike  sramote! 

ygdje  me  ScJje  od  petero  djecel^ 

Beie  muÜ^  nüta  ne  govori, 

ve6  86  ma$a  u  dSepe  svione, 

t  vadi  joj  knjigu  oproSöenjq, 
30  da  uzimlje  potpuno  vjenSanje, 

da  gre  8  njime  majci  u  natrage, 

Kad  kaduna  knjigu  prouöüa, 

dva  je  8ina  u  i^do  Ijubüa, 

a  dv'je  6ere  u  rumena  lica, 
S5  a  8  rrudahnim  u  beSici  sinkom 

odjdü*  86  nikako  ne  mogla, 

ved  je  bratac  za  ruke  uzeo , 

i  jedva  je  8'  sinkom  rastavio^ 

ter  je  mede  k  sebi  na  konjica, 
40  8  njome  grede  dvoru  bijelomu, 

U  rodu  je  malo  vrjeme  8tala, 

maio  vr^jeme,  ni  nedjdju  dana, 

dobra  kada  i  od  roda  dobray 

dobru  kadu  prose  8a  smh  strana, 
46  a  najvi§6  Imoski  kadija. 

Kaduna  86  bratu  womu  moli: 

jAj  iaJeo  te  ne  ieUlaj  braeol 

,nemoj  mens  daoat*  ni  za  koga, 

,da  ne  puca  jadno  srce  moje 
60  ,gUdaju6i  siroüee  svoje.* 

Ali  beie  niäta  ne  hajaie, 

ve6  nju  daje  ImoJcom  kadiju 

JoS  kaduna  bratu  se  moljaie, 

da  napüe  listak  Vjde  knjige, 


420  MikloBieh. 


66  da  je  Salje  Imoskam  kadiji: 
fDjevojka  ts  Vjepo  pozdravljaie, 
,a  u  knjid  Vjepo  te  moljaJ^e: 
,Kad  pokupü  gospodu  svatove, 
,i  kad  podjeä  njenom  Vjelu  dvoru, 

60  jdug  p6kriv(i6  nosi  na  djevojku, 
ßcada  bude  ojfi  mimo  dvora, 
,da  ne  vidi  sirotice  svoje/ 
Kad  kadiji  Vjela  knjiga  dodje, 
gospodu  je  svate  pokupio, 

66  svaie  Tcwpi,  grede  po  djevojku. 
Dohro  svati  doili  do  djevojke, 
i  zdravo  ae  povratäi  8  njome; 
a  hfd  Uli  agi  mimo  dvora, 
dv'je  je  6erce  s  pendiera  gledahu, 

70  a  dva  sina  pred  nju  izhodjahu, 
tere  svojoj  majci  govorahu: 
ySvrati  nam  se,  mila  majko  naia! 
,da  mi  Übe  uünati  damo/ 
Kad  to  6ula  Hasanaginicaj 

76  starjeHni  svata  govorüa: 

fBogom  brate,  svata  starjeiinal 
,U8tavi  mi  konje  uza  dvora, 
,da  darujem  sirotice  moje/ 
UstaviSe  konje  uza  dvora. 

80  Svoju  djecu  Vjepo  darovala: 
svakom  sinu  noie  poda6ene, 
svakoj  6eri  iohu  do  poljane; 
a  malomu  u  beäici  sinku, 
njemu  Salje  uioSke  haljine. 

86  A  to  gleda  junak  Hasan-aga, 
pak  dozivlje  do  dva  sina  svoja: 
,Hod'te  amo,  sirotice  moje! 
^d  se  ne  6e  smilovaH  na  vas 
,majka  va^a  srca  kamenoga/ 

90  Kad  to  6ula  Hasanaginica, 
VjeUm  licem  u  zendju  vd'rila, 
vput  se  je  s  duSoni  rastamla, 
od  ialosU  gledaju6^  sirote. 


über  Qoethe'R  «Kluggesftng  von  der  edlen  Frauen  des  Asan  AgaS  421 

Noch  viel  einschneidender  und  noch  weniger  zu  recht- 
fertigen sind  Vuk's  Änderungen  in  der  Pesnarica  vom  Jahre 
1814.  Vers  15:  JoH  stajaie  u  tugi  velikof,  26.  ,gdi  me  tera  od 
petoro  dece'.  30.  31.  ^da  ocUazi  »oojoj  atarcj  majci,  i  da  s'opet 
mo£e  preudaii'  usw. 

8.  Der  Text  der  Spalatiner  Handschrift. 

Herrn  Professor  L.  Zore  in  Ragusa  verdanke  ich  die 
MittheÜung  einer  aus  dem  vorigen  Jahrhundert  stammenden 
Handschrift  von  sechs  Octavblättem,  auf  welche  der  Text  von 
Fortis  zurückzuführen  ist.  Diese  Handschrift,  die  wahrscheinlich 
im  Gebiete  von  Spalato  entstanden  ist^  die  man  daher  füglich 
die  Spalatiner  Handschrift  nennen  kann,  bietet  einen  Text,  an 
dem  der  Conjecturalkritiker  seine  Kunst  zu  üben  keine  Ver- 
anlassung hat.  Über  diesen  Text  kann  nicht  hinausgegangen 
werden:  er  ist  fUr  uns  die  letzterreichbare  Form  des  Liedes,  in 
welchem  wir  allerdings  einiges  dunkel  finden  und  es  zu  erklären 
suchen  werden.  Daran,  dass  Fortis  das  Lied  aus  dem  Munde 
des  Volkes  aufgezeichnet  habe,  ist  nicht  zu  denken:  dies  ist  wohl 
geraume  Zeit  vor  seiner  dalmatinischen  Reise  von  einem  Unge- 
nannten geschehen.  Noch  weniger  statthaft  wäre  die  Annahme,  der 
Spalatiner  Text  beruhe  auf  einer  Übersetzung  aus  Fortis.  Die 
Handschrift  ist  Eigenthum  des  Herrn  Dujam  Sre6ko  Earaman. 

Sto  86  bili  u  gori  zdenojf 

al  8U  snizi^  al  su  labutomf 

da  8U  smzi,  ved  bi  okopnüiy 

lahutom  ve6  bi  potetili: 
6  ni  8u  smzif  nü  su  labutovi, 

nego  iator  age  Asan  age. 

On  boluje  u  ranami  IpUim; 

oblazi  ga  majka  i  sestrica, 

a  Ijubovca  od  stida  ne  mogla. 
10  K(zd  li  mu  je  ranam  bolje  büo, 

ter  poruZa  vimoj  Ijvbi  svojoj: 

,Ne  6ekaj  me  u  dvoru  büotnu, 

,m  u  dvoru,  ni  u  rodu  momu/ 

Kad  kaduna  rüi  raaumila, 
15  joi  je  jadna  u  tcj  miili  slala, 


422  Miklosich. 


jeka  Stade  konja  oho  dvora, 
i  pobüe  Asanagirdca, 
da  vrat  lonu  kide  niz  peniere; 
za  njom  tröu  dm  6ere  divojke: 

20  ,Vrati  nam  se,  mäa  majko  naia, 
,ni  je  ovo  habo  Äsan  ago, 
yve6  daüa  Pintoromö  beie/ 
I  vrati  se  Asanaginica, 
ter  se  wXa  bratu  oko  vrata: 

25  ,Da  moj  hraiOy  velike  sramote, 
ydi  me  Salje  od  petero  dice/ 
BeSe  mvXi,  ne  govori  niSta, 
ve6  se  maSa  u  iepe  svume, 
i  vadi  njoj  knjigu  oproi6enja, 

30  da  uzvmlje  podpuno  vin6anjey 
da  gre  s  nßme  majci  uza  irage. 
Kad  kaduna  knjigu  prou6äa, 
dva  je  sinka  u  Selo  Ijubüa, 
a  dm  6ere  srid  rumena  Uca; 

36  a  0  malakntm  u  beäici  sinkom 
odilit  se  nikako  ne  mogla, 
ve6  je  bratac  za  ruke  uzeo, 
i  jedva  je  s  sinkom  raMavio, 
ter  je  me6e  k  seht  na  konjica^ 

40  s  njome  grede  k  dvoru  hijdomu, 
U  rodu  je  malo  vrime  Meda, 
malo  vrime,  ni  nedilju  dana, 
dobra  kado  i  od  roda  dobra, 
dobru  kadu  prosu  sa  svi  strana, 

45  ja  najve6e  imoski  kadija, 
Kaduna  se  bratu  svomu  moli: 
,Aj  tako  te  ne  £elila,  braco, 
yne  moj  mene  davat  za  nikoga, 
fda  ne  puca  jadno  sree  mojey 

60  ygledaju6i  strotice  svoje/ 
Ali  beie  ne  ajaie  mita, 
ve6  je  daje  imoskom  kadiji. 
JoS  kaduna  bratu  se  moljaie, 
da  njoj  püe  listak  bUe  knjige, 


über  Goethe*»  ,KUgge8ang  ron  der  edlen  Frauen  des  Asan  Aga*.  423 

55  da  je  Salje  imoskom  kadiß: 

fEHvcjha  te  lipo  pozdravljciSe, 

,a  u  knjizi  lipo  se  moljaSe, 

^kad  pokupiS  goBpodu  avatove, 

,dug  podtduvak  nosi  na  divcjku; 
60  Jcada  bude  agi  mimo  dvore, 

,nek  ne  vidi  sirotice  svoje/ 

Kad  kadiß  hHa  knjiga  dodje, 

gospodu  je  svtUe  pohupio, 

svate  kupi,  grede  po  divojku, 
65  dug  podJduvak  nosi  na  divojku» 

Dobro  9vaH  doSli  do  divojke, 

i  zdravo  se  povratäi  s  njome; 

a  kad  büi  agi  mimo  dvore, 

dvi  je  6ere  8  peniere  gledaju, 
70  a  dva  nna  prid  nju  izodjaju, 

tere  svojoj  majd  govoraju: 

,Vrati  nam  se,  müa  majko  naSa, 

,da  mi  Uibi  uftna^*  damo,* 

Kad  to  ^ula  Asanaginica, 
75  starüini  svatov  govoräa: 

,Bogom  brate!  svatov  HarMnaf 

,U9tavi  mi  konje  uza  dvore, 

,da  darujem  sirotice  moje/ 

Ustavüe  konje  uza  dvore, 
80  8V0JU  dicu  lipo  darovala, 

evakom  sinku  noeve  pozla6ene, 

svakoj  6eri  6ohu  do  poljane, 

a  maiefnu  u  beäici  sinku 

njemu  äalje  uboiku  alßnu, 
85  A  to  gleda  junak  Asan  ago, 

ter  dozivlje  do  dva  sinka  svoja: 

yOte  amo,  sirotice  moje! 

,kad  se  ne6e  smilovati  na  vas 

,majka  vaSa  srca  ardjaskoga/ 
90  Kad  to  öida  Asanaginica, 

bilim  licem  tevnlji  udarila, 

u  ptU  se  je  duiom  rastavHa 

od  £cdosti  gledaju6  sirota. 


424  Miklosich. 


Anhang. 

Auf  den  folgenden  Blättern  erscheinen  die  in  der  Spala- 
tiner  Handschrift  enthaltenen  drei  Lieder  abgedruckt,  und 
zwar  in  der  Schreibung  des  Originals.  Es  geschieht  dies, 
damit  der  Leser  die  Richtigkeit  meiner  Transscription  der  Asana- 
ginica  beurtheilen  könne.  Es  bietet  ferner  der  Text  dieser 
Lieder  einige  nicht  uninteressante  sprachliche  Eigenthlimlich- 
keiten.  Schliesslich  ist  das  erste  der  Lieder  eine  beachtens- 
werthe  Variante  eines  durch  Vuk  bekannt  gemachten  Liedes. 

Vor  allem  ist  zu  bemerken,  dass  die  Handschrift  EtLrzen 
und  Längen,  wenn  auch  nicht  alle,  bezeichnet. 

Die  Kürze  "  und  '  wird  durch  Verdopplung  des  folgenden 
Consonanten  ausgedrückt:  alU,  braUa.  broMzu,  brattia,  braecMa» 
kadda.  Tncdh.  padde.  svatte.  etto.  jeccha  sonus.  nebbo,  neggo. 
sebbe,  tebbe,  tehbi,  trecchi,  vecchie,  vecch,  zette.  ieppe.  dizzu.  inno. 
knjiggu,  müla.  millos.  püti,  aitti.  svittom,  vtddi.  griottcu  morre 
potest.  onni.  roddu  (rhdu).  sramoUa.  ioddor.  togga.  owo.  bvdde, 
didla.  drugga,  duggu,  kuppi  coUigit  Abweichend  ist  kofitto 
(Jcbpüo). 

Die  Länge  eines  Vocals  wird  durch  -  bezeichnet,  a)  In 
den  Stämmen:  bäho,  bräto.  drägcu  gräda.  ndäde.  päsa,  säma. 
stäla  (aus  stojala).  vrcU.  büe,  dite,  llca,  jpir.  püta.  svite  lucent. 
kü8,  pfUe,  b)  In  der  Declination  und  Conjugation.  a)  In  der 
Declination:  sg.  gen.  f.  dice.  knjige.  sramote.  pl.  gen.  dänä. 
divojäka,  iljöda,  pi^jateljä,  sirötä,  stränä.  wäia,  ustä.  Ijudh  Man 
beachte  svaiöv  und  svatöva,  Numeralia:  dvä,  dvh  M.  Prono- 
mina: ml,  m,  nä8,  väs.  njü,  ovo.  Zusammengesetzte  Adjectiv- 
formen:  iarkö,  jadnö,  miUä.  vüe,  teikS.  drugü.  müi.  pl.  gen. 
goleml,  svl,  jednah,,  sa  sm  stränä.  ß)  In  der  Conjugation:  praes. 
bill,  moll,  mudi.  oblazl,  vell,  vidi.  puccU  vüä.  kunü,  kunnü:  serb. 
künü,  cme.  imäde,  ne6e.  Durch  den  Accent  erkennt  man  gle- 
däju  m,  69  und  izodjäju  70  als  Imperfecta.  Abweichungen: 
Jon  m.  1.  niä§a  IH.  28.  mäSi  I.  188.  202.  näi  I.  46.  vödi 
ducit  I.  213.  divojkee  L  2  ist  divcjks. 

Das  partic.  praet.  act.  H.  lautet  auf  o  und  auf  a  aus: 
napravia,  nauöia,  pasa  (pciah).  poloÜa.  poaidnuja,  privaria.  udria, 
zania  (zanesh)   usw. 


Ober  Goothe's  «Klaggesang  ton  der  odlen  Frauen  Aas  Asan  Aga'.  42Ö 

Man  beachte  Formen  wie  besidkajo  I.  199.  posidnuja  81. 
poznavajo  89.  uzUgnujo  110.  111.  und  izniSe  I.  171.  zanio  103. 
zania  87. 

Praefixe  werden  regelmässig  von  den  Verben  durch- 
getrennt:  od-govara.     Ebenso  za-uimca  usw. 

Pisma  1. 

Prario-je  sarHsdU  czar  stipane 
u  Legenu  divojchee  Rasanche. 
devet  godin  pod  prstenom  stcda. 
eadse  9vrd  deveta  godtna, 
6  cgnigu  pisu  legensca  gaspoda, 
ierje  sagliu  grblseom  czar-stipanu: 
yDa  naa  zette,  milachi  ezar-gtipano, 
jCwppi  sväta,  coUcoti  drago, 
,alli  ne-moj  dvä  tvoja  nechtaca, 
10  ,dvä  neckiaca,  dvä  Vomomchia: 
,u  mnu-9U  varle  varavize, 
,u  juncistvu  varle  intJidxijey 
fG  brsz  crvi  nechiB  pitH  vina,^ 

Cad'li  czaru  bila  cgniga  dogie, 
15  8am  govori,  a  sam  od-gavara: 

fDoj^mi,  boxe,  tiginit  veeeglia, 

fpogubi-chiu  dvä  mcja  neckiaca, 

,u  Vugaju  dvä  Vainavichia/ 

Cuppi  svatte,  znane  i  ne-znane, 
20  al  ne  zove  dvä  9V0Ja  neckiaca. 

Onni  svojoj  majei  govorise: 

,0  Starice,  müla  majco  nasa^ 

,ovvöy  majco,  bit  mani  nemore, 

^da  näe  ujqe  ne-ckie  na  veeeglie: 
26  ,niccO'na8'je  o-mraeio  s-gnims/ 

A  gnimaje  govorüa  majca: 

,Sinci  fnoji,  ludovat  ne-mofte, 

,da  ne-ckieie  ujzu  na  veseglie: 

jbi'llx  bila  od  boga  griotta, 
SO  ,a  od  gUndl  vdica  aramoUa,' 

A  onm-8u  govorili  majci: 

SUzoopber.  d.  phil.-hitt.  Cl.    CHI.  Bd.  n.  Hft.  28 


426  Miklosich. 


fCaeo-chiemo  mi  oi-ichi,  majco, 
yne-ssove-naa  na  pir  m  u  svatU, 
,a  sto-bi-nam  recao  dcaxa^ 

86  ,da'8mo  dodi  k-gnemu  na  veseglie 
jZa  CÜ8  Uba  i  za  qamk  vinaf 
jjer  ne-znanu  nigdi  miata  ne-jma/ 
JoS'je  sincom  majca  govarüa: 
,  Vamtni  sind  jesti  arickia  ddbra, 

40  ^tü  tmate  braUa  %  trechiega, 
,pr%  ovzani'je  u  Vugjcg  ptanini. 
,SvaC'ga  hfali,  da-je  dobar  junak, 
,za  tri  copja  da  u  nebbo  9ca/ge.^ 
To-9u  nnd  majcu  poshisali, 

46  bTa;ttm  »vomu  pisu  cgnigu  tancu: 
,Aj  MUloM,  näs  milk  hraine, 
,08tav  af>ze,  oddi  dvoru  9vome, 
fbile-smo-ti  sagradiU  dvare/ 
Cad  MiUosu  büa  cginga  dogie, 

60  MiUoa  rujno  vince  üpiase 
samo  trista  avoizi  gobana; 
gobanom-je  avoim  govcrio: 
,Vince  pijte,  %  ovze  pazite, 
,a  ja  gredem  bilu  dvoru  mome; 

66  ,od  braochie-mi  bila  cgniga  dogie, 
yda-au  bile  duore  aagmdäi/ 
I  po-aide  dobra  cogna  avoga, 
ter  ot'igie  büu  dvoru  avoTne. 
Ne-umide  po-znavaH  dvore, 

60  al  prida-gne  braMa  iz-aeteue, 
u  bile-ga  dvore  u^vedoae, 
MiUoau-au  bracchia  govorüa: 
yAj  Milloau,  naac  müli  brajene, 
jnaa  daixa  po-cupi  avtUove. 

66  ,Oddij  brato,  da  aagliemo  tebbe, 
ftebbe  ne-^hie  po-znaH  daixa, 
jer-te  nicad  ni  vidio  ni-je/ 
Müloa  bracchi  avojoj  odrgovara: 
yJa-chiu  ot-ich,  milla  bracchio  mojaJ 

70  Sedlaju-mu  cogna  po-tajnoga, 


über  Ooelhe*8  «Klaggesanff  von  der  edlen  Franen  des  Asan  Aga».  427 

sedlaju-ga  sedlom  arsbrnime, 

za-mdaju  uzdom  po-zkuAienani; 

pocroise  mttom  do  copitta, 

varhu  toga  mrcom  medindinwn, 
76  da-se  dchra  i  ne-vidi  cogna, 

Tiec-ae  cognu  pod-gnam  ocd  cme; 

a  norbraza  scherlet  i  cadifuy 

na  bedrizu  chiordu  o-cavanü; 

po-criju-ga  dtiggom  eabamzzom, 
80  dvä  arsina  po-zemgli-ae  vuge. 

Millos  dobra  cogna  po-ndnuja, 

pO'CognU'je  copje  po-loaia, 

a  u  rvAihe  od  zlata  buzdovan, 

Mälosorau  braccMa  svitovala: 
85  ^Cad  budeie  croz  Mragaj  planinu, 

fda-te  nebbi  sanac  pri-varia, 

fda-te  nebbi  dobar  cogn  za-nia, 

,a  pod  onni  czarev  alaj-barjac, 

fda^te  nebbi  czare  po-znavajoJ 
90  Od'tole-ee  zdravo  pO'digo8e.'\ 

A  cad  biae  croz  Mragaj  planine, 

iz'ogioas  viachi  ccdauzi, 

mrdom  tiochzorn  bez  jaana  miaeza. 

Veli  taco  czare  goapodare: 
96  ,Azna-daref  otvor  aznu  moju, 

,ter  izvadi  dvä  camena  draga^ 

,jeda  biamo  püte  u-praväiJ 

Scoqüoae  mlado  azna-darfe, 

czarevurje  aznu  o-tvorio, 
100  dvä  camena  dräga  izvadio, 

po-gnim  avati  püte  u^aviae, 

Müloea-je  aanae  pri-vario, 

biaae-ga  dobar  cogn  za-nio, 

a  pod  onm  czarev  alaj-iariac. 
105  Veli  taco  czare  goapodare: 

,Dobra  cogna  da  loaa  junaca, 

,ni-aam  cogna  vidio  ovaca, 

,vech  acco-aam  u  Voinomchia/ 

To'je  Milha  croz  aanac  chiutio, 

28» 


428  Miklosich. 


110  golema-je  cogna  uz-tegnujo, 
coUco-ga  laco  uz-tegnujo; 
modar  plamen  iz  tistä  udrio. 
Cognem  doode  dtt  delie  mlade: 
,Prodaj  cog9ia,  hugarine  jedan, 

116  fdacchiemoti  dvä  dttcata  zc^gne/ 
MiUos  mu^,  ne^govori  nista, 
vech'ji  bije  zlatnim  buzdovanam, 
colicfhji  laco  udarcLse, 
udigl  czamoj  zemgli  sagtavase, 

120  MolemU'Se  dm  delie  mlade: 
fNe-udaraj,  müli  gospodare, 
,jer  mdimo,  daje  cogniz  za-te/ 
Svusu  »vatH  sttti  i  piani, 
aUi  ni-je  Millos  dUe  ndadOy 

125  vecchie  igie  po  voj(8)ci  czarevoj, 
a  ischiudii  ajqSbase  mläde: 
jDaj-mi  jiati,  ajgibasa  mladiJ 
Ggnemu  vell  czarev  ajfibasa: 
,Bi8  od-tolem,  hudalino  jedna, 

130  ffii-je  ovde  tasa  darvenoga, 
fiz'ita-si-se  jisti  na-u^, 
,vech'8U  ovde  sve  erebami  eaani, 
^iz-sta  jidu  svattovi  gospoda/ 
To  Millosu  varlo  xao  bilo, 

136  iLz  ohraz-ga  ruc&m  vdario, 
colico-ga  udario  laco, 
dvä  cutgnamu  poletise  zuba 
i  dva  vi'tUca  crvi  iz  obraza^ 
Plta  pitH  Mälo8  dUe  mlado: 

140  fDaj-mi  pitti,  czarev  ajgibaeaJ 
Gnemu  veli  czarev  ajgihasa: 
,Bix  od-tolem,  hudalino  jedna, 
,ni'je  ovde  vlaache  bundurie, 
,8tono-8i'8e  pitH  na  vgia, 

145  /vecch-j^  ovdu  slaiche  malvasie, 
^sfonno  piju  svattovi  goepoda/ 
To  Millosu  varlo  xcu)  bilo, 
udara-ga  e-zlainim  buzdovanom, 


über  Ooethe's  «Klaggesang  von  der  edlen  Frauen  des  Asan  Aga*.  429 

moUmU'Se  czarev  ajgihasa: 
150  ,Ne-udaraj,  miüi  gospodare, 

,dacchiemO'H  pitti,  sto-ti  drago, 

,i  pro-mmü  vino  svacojaco/ 

Cad'SU  do8li  ka  Legenu  gradu, 

iz'Setala  Ugenaca  ddia: 
166  fCo-je  ovdi  8rbl(8)chi  czar-Stipane, 

ffie-dcano  mu  divojche  Rosanche, 

fdo-^im  h-meni  na  mejdan  iz-age/ 

Od  dvanajest  igliada  svattöva 

ne-nage-se  golema  ddia, 
160  vech-se  acocci  Miüos  düe  mlädo, 

gge-mu  veli  Ugenaca  ddia: 

,Bix  O'tolem,  budaUno  jedna^ 

^ne-plasi-mi  dobra  cogna  moga 

,8'tome  tvcjom  duggom  cabanizom/ 
165  Mülos  dobra  cogna  na-pustio, 

8V0JU  sviüu  chiordu  po-vadio, 

za-tagnicu  glavu  odBicao, 

ter-je  nosi  czaru  päd  gadore: 

yEtto,  czare,  glava  za-tognica/ 
170  Jos-gnim  drugghi  zacon  postavise: 

iznise-gnim  na  copju  jahucu: 

,Co-je  ovdi  8rbl(8)chi  czar-Stipane, 

,ne'damomu  divojche  Roaanche, 

jdoc  U'8trüi  na  copju  jahucu,, 
176  ,i  pade  mu  u  nidarza  eämaJ 

Od  dvanajest  igliäda  svatova 

ne-nagieae  golema  ddia, 

vech'8e  scoggi  Müloe  dito  ndado, 

brzo  svidu  strüu  na-pravia, 
180  i  ustrili  na  copju  jahucu, 

i  padde-mu  u  nidarza  säma, 

Jos  gnim  trecchi  zaxxm  postavise: 

iZ'Vedu-gnim  devet  divcjäca, 

8Vi  jedtiachi,  u  jednim  aglinam, 
185  ter  govore  legensca  goapoda: 

,Co  je  ovde  mhlschi  czar-Stipane, 

,nech  u-zimglie  divojcu  Rosaneu; 


430  Miklosieh. 


,al  accO'Se  coje  drugghe  niä»i, 
ffiü-che  ot'ich  ni  od-veat  divojche/ 

190  Od  dvanajest  igliäda  svattova 
ne-nage-se  golema  deUa, 
coji'hi'Se  tome  do-misliOj 
vecch-ae  scog^  Mülos  dUe  nrdado, 
S'Sebbe  baza  duggu  cabanizu, 

196  vaS'On  sinu  cao  mime  xarco, 
ter  prostire  aarene  azdije, 
po-gncj  pro9U  spemu  i  prstenche, 
S'bedrisseje  chiordu  po-vadio, 
divojcam-je  ndadim  besidcajo: 

200  fCoja-je  ovdi  divcjca  Sosanca, 
,nec  U'sdmglie  apefnzu  i  prstenche; 
^al  aceose  coja  drugga  märi, 
fOHa-che-joj  na  azdiji  rttca/ 
PoniznO'Se  zemgli  na-smiala, 

206  pri-stupüa,  a-cuppi  prstenove, 
a  asam-ß  bigne  ka  Legenu, 
a  za  gnima  MiUos  düe  mladoy 
ter  do-ziva  svatte  vitezove: 
,Tu  imäde  golerra  ddia, 

210  ,a  coj'Se  ni'SU  o-xenüi, 
ySad-ee  ovde  o-xenü  morete 
,na  veeegliu  czara  gestUoga/ 
Ujrm  vödi  czaru  pod  gculore: 
,EttOy  czare,  lipota  divojca/ 

215  Czar-ga  zove  za  divera  ndada, 
a  on  svome  ujzu  od-govara: 
,N%'8am  togga  gujOy  ni  viddio, 
yda-je  nechiac  ujzu  za  divera; 
yettO'ti  ujna,  a  ne-tribovala-ti! 

220  Jer-bi  boglie,  da-je  gliuba  moja, 
Jere-sanuje  junaatvom  do-bto, 
,Vedi  oddimo  büu  dvoru  momu, 
jesti  onde  Palasco  vojvoda: 
yCad'jä  ea-mnom  büe  ovze  pasa, 

225  ,daleccomi  odmetnu  camenom, 
,pobogli'je  on  od  mene  junac** 


über  Oo«the*B  ,Kl»ggeianf  von  d«r  cidleo  Frauen  dei  Asan  Aga'.  431 

Pisma  2. 

Hfalia-^e  begh  FUipotkhu 

u  Glamogu  svaim  priategUem: 

ßto-mi  hfale  Toddor  Latininay 

,8togga  hfale,  da-je  dobar  junac! 
6  fkaddorga-sam  ja  jvaiac  udria 

,na  9rid  gräda  Zadra  hidoga^ 

,a  uz  obraz  s-xeMcom  za-umizorn/ 

ü  Toddora  dosta  pruxtegliä, 

priategUä,  vecchie  pobratima, 

10  ter  Toddoru  bilu  cgtdggu  pisu: 

,A  ne-znaa-U,  Toddor  Latinine, 

yda  96  hfaU  beg  filifpovickiuy 

,da-je  tebbe  junac  udaria 

,na'8rid  Zadra  grada  bidoga, 
\b  ,a  uzrobraz  8'Xen90om  zorUtnizomJ 

Cad  Toddoru  bila  cgnigga  dogie, 

onnu  9tije,  brxje  d/ruggu  piae, 

ter 'je  saglie  beg^Filippomchiu: 

,Qujo  jesam,  dc^ei-ee  hf(dio, 
20  ,da'9i  junac  udario  mene, 

,a  uz  obraz  s-xenecom  za-uanizom. 

jNec  bog  znade,  vidio-te  nieam, 

,a  ead  velie,  da-ei  doba/r  junac, 

,za'zivam'te  na  jimaechi  mejdan, 
26  ,^ecackiu'te  viee  Zadra  grada, 

,a  cod  bila  tuma  Mestromckia/ 

Cad'li  begu  bila  cgnigga  dogie, 

viddi,  da-ee  na  inno  ne  morre, 

od-pravglia-se  na  junaedhi  mydan. 
30  Mlada  begga  zadignala  majca: 

,A  taco  te  ne-xdila,  tinco, 

,cojem  vlahu  padnee  na  conacu, 

,ne'^ni'mu  nicacva  zuluma, 

,da  ne<unü  vlaei  siromasi, 
36  jeda-bi-te  pri-gecala  majca/ 

A'li  bexe  i  ne  mari  nista: 

cojem  vlahu  padde  na  conache, 


432  Miklosieh. 


onim  coglie  ovce  iz  pod  evona 
i  bide  janze  cod  ovaza, 

40  i  glmbi'im  na  og^  divojchey 
a  da  vlasi  bUim  mv/mmom  9vUe. 
Vrlo  cunnü  vUm  aironuisi: 
jOddi  tamoy  begh  FUippoviddu, 
,ti  mejdana  toga  ne  d(hbio, 

46  ,nit-1s  tvoja  prigecala  majca!* 
Cadsu  dosli  k4wmu  Mestrovichia, 
Jims  gini  beg-FtUppovichm^ 
ter  d(hzivgUs  Toddor  LcUinina: 
fDrxi'me-SBf  Toddor  Latinine, 

60  ,a  mcjega  zlatna  buzdovana 
,meggiu  ogfi  u  gdo  junasco,^ 
I  udarä  beg-FUippovichiuj 
udarao  Toddor  Latinina, 
al^mu  nije  tesda  rane  dao, 

55  ^ini  jv/ris  Toddor  LaHnine^ 
ter  dO'Zivglie  beg-FUippovichia: 
fDarxi-me-eef  beg-Füippovichiu, 
,a  mojega  dcUna  buzdovana 
,nixe  päeapo  vieB  svitgnaca/ 

60  /  vrdari  Toddor  LaJtinine, 
u-dario  beg-FUippovichia 
nixe  päsa  po  viaB  svitgnaca, 
Mrtav  bexe  k-cemoj  zemgli  padde, 
dostixe-ga  cletva  airomasca. 

Pisma  3.  (Asanaginica.) 

Sto-ee  bü%  u  göri  zdenojf 
alrsu  snizi,  al-su  lahtUovif 
dorsu  mizif  vech-bi  o-copaili, 
labutovi  vech-bi  poletili: 
5  ni'iu  snizi,  nit-su  labutoviy 
neggo  gaior  aghe  Äean-aghe, 
On  boluje  u  ranami  gliutim; 
oblazi-ga  majca  i  sestriza, 
a  glivbovza  od  stida  ne^mogla. 


über  Goethe's  «Klaggesang  voo  der  edlen  Frauen  des  Asan  Ag»'.  433 

10  Cad-li'fnU'je  ranam  boglie  bilo^ 

ter  po-ruga  vimoj  glitibi  svojoj: 

jNe  gecaj-me  u  dvaru  bilomu, 

,m  u  dvcru,  ni  u  rodu  momuJ 

Cad  ccbduna  rigi  razumila, 
15  joB'je  jadna  u  tcj  ndsli  stdla, 

jecdva  stadde  cogna  occo  dvora, 

i  pobixe  Äsan-aghiniza, 

da  vrcU  lomi  cule  niz  penxere; 

za  gnam  trga  dm  chiere  divojche: 
20  fVrcUt'Tuim'Se,  miUä  majco  ncua, 

ffii-je  owo  bäbo  Asan-ago, 

,vech  daixa  Pintorovich  bexe/ 

i  vratise  Asan-aghiniza, 

ter-se  visä  bratu  occo  vräta: 
25  ,Da  moj  bräto,  vdiche  sramote, 

fdime  saglie  od  petero  dize/ 

Bexe  mtigi,  ne  govori  nista, 

vech'Se  mäsa  u  xejppe  svioney 

i  vadi-gticj  cgniggu  oprosckienja, 
30  da  uzimglie  podpuno  vingagne, 

da  gre  s-gnime  majci  uzortraghe. 

Cad  caduna  cgnigu  pro-tigüa, 

dva-je  ainca  u  gelo  gliubüa, 

a  dvi  chiere  erid  rumena  llza; 
36  a  s-malacnim  u  besid  sincom 

od-dilitse  nicaco  ne^mogla, 

vedi-je  brataz  za  ruche  uzeo, 

i  jedva-je  e-sincom  rastavio, 

ter-je  mecckie  k-sebi  na  cogniza, 
40  8-gnome  grede  k-dvoru  bielomu, 

U  roddvrje  malo  vrime  stcUa, 

maUo  vrime,  ni  nediglitc  dänä, 

dobra  cado  i  od  roda  dobra, 

dobru  cadu  proeu  sa  «vi  ^ränä, 
45  ja  naj'VecMe  imoschi  cadija. 

Cadunase  bratu  8Vomi(>  moli: 

,Aj  tacO'te  ne-xdila,  brazo^ 

,ne-moj  mene  davat  za-nicoga, 


434  MikloBich. 


,da  ne-puzzä  jadnö  aarze  moje, 

60  ,gledajucki  sirotize  svoje/ 
Ali  hexe  na  ajase  ni9tay 
vech^je  daje  imoscom  cadij. 
Jos  caduna  bratu-se  moglicue, 
da  gnoj  pise  Ostac  bile  cgnighs, 

56  da-je  saglie  imoscom  cadij: 
jDivojcarte  Upo  pozdravgUase, 
,a  u  cgnid  lipo-se  mogliase, 
,cad  pO'Cuppis  gospodu  svatave, 
fdugh  podduva^c  nosi  na  divcjcu; 

60  fCadda  budde  agghi  mimo  dvare, 
,nec  ne-vidi  nroUce  svofe/ 
Cad  cadji  hüa  cgniga  dogisy 
gospodu-je  svatte  po-cuppio, 
svatte  cuppi,  grede  po  divojeu, 

65  dttg  podduvac  nosi  na  divcjcu. 
Dobro  svatti  dosU  do  divojche, 
i  zdravo-se  po-vratili  s-^nome; 
a  cad  hüi  agghi  mimo  dvore, 
dvi'je  dUere  s-pevixere  gledäjUy 

70  a  dvä  sina  prid  gnü  iz-ogiäju, 
terre  svcjoj  majci  govoraju: 
fVrati'nam-se,  miüa  majco  nasa, 
,da  ml  tebhi  uxinati  damo/ 
Cad  to  guUa  Äsan^aghiniza, 

75  starisini  svattöv  govorila: 

jBogom  brattel  svattöv  staridna! 
fUStavimi  cogne  uza  dvore, 
,da  darujem  siroHce  moje^ 
Ustavise  cogne  uza  dvore, 

80  svoju  dizeu  lipo  darovala, 
svacom  sincu  nozve  pozlachsne, 
svacoj  chieri  gohu  do  pogliane, 
a  maUenu  u  besici  sincu 
gnemu  saglie  uboscu  aglinu. 

85  A  to  gleda  junac  Asan-ago, 
ter  do-zivglie  do  dvä  sinca  svoja: 
,Otte  amo,  sirotice  moje, 


über  Goethe's  ,KIaggeMng  von  der  edlen  Frauen  des  Ann  Ag»'.  435 

fCctdae  nec/de  s^milovaii  na  väs 
majea  vcua  erza  argiaacogaJ 
90  Cad  to  gida  Asan-aghiniza, 
büim  licem  zemgli  udarüa, 
u  put-se-je  dutam  raz-ftavUa 
od  xalosH  gUdajxuih  rirötä. 


Anmerkungen. 

Pisma  1. 

Lieder  von  ähnlichem  Inhalte  sind:  Zenidia  DuSanova, 
Vuk  2.  132.  Maijanovid  14.  Kaöi6  119  usw.  Müad.  73. 

1.  6.  9rbl$ki:  vergl.  sribünh,  sriMi  (sribh)  Daniöid,  Rje6- 
nik  3.  147. 

2.  Legen  ^  d.  i.  Ledjen ,  sonst  Ledjan.  Der  Roeanka  ent- 
spricht bei  Vuk  2.  132.  Roksanda,  bulg.  bei  Kadanovskij  237. 
Rokeana,  bei  Milad.  309.  Rusanta. 

11,  u  vinu  8U  vrle  varavice  ist  falsch;  bei  Vuk  v.  44:  u 
fi6u  SU  teüke  pijanice;  bei  Marjan.  v.  92:  ne6e  vina  da  piju 
rvjnoga,  dokle  6orde  krvlju  ne  napoje.  Kaöi6  v.  14:  i^  vinu  ga 
kabgadtijom  kaiu. 

12.  u  junaittm  vrle  inadüje;  bei  Vuk  v.  45:  au  kavzi 
Ijute  kavgad£ije.  inadÜje,  bei  Vuk.  inat  Zank;  inadüja  Zänker: 
tttrk.  ^nadi^. 

23.  ovo,  majko,  bit  mani  ne  more.  Türk.  mani  ist  Hinder- 
niss  Zenker  802.  3^  daher:  ^dass  wir  nicht  geladeii  sind,  das 
kann  kein  Hindemiss  sein,  dass  wir  dennoch  hingehend  Vuk's 
mani  hiti  kamu,  Jemand  neidisch  sein^  passt  hicht. 

29.  li  in  bi  li  bilo  ist  mir  nicht  klar. 

51.  samo  trieta  svojizi  öobana  ist  wohl:  er  mit  seinen 
Hirten,  zusammen  dreihundert.  Vergl.  samdrugi,  sarntredi, 

59.  ne  umide  steht  fehlerhaft  für  ne  unide  non  intravit. 
kanja  potajnoga :  sigvo'aSe  dobre  konje  evoje,  koji  e'  bili  do  devet 
godina  \  u  potaji  u  toplom  podrumu^  \  a  za  koje  nüko  znao  nije 
Volkslied.  (Jconj)  niti  vidja  aunca  niC  mjeeecay  '  van  da  Usu  mlada 
u  podrumu  Volkslied,  konj,  kojino  ti  stoji  u  potaji  Kaöi6    119. 

73.  pokroise  ist  wohl:  bedeckten.  Vergl.  79. 


438  Miklosich. 

divojkam  I.  199.  ovcam  I.  41.  ranam  III.  10;   den  Plural  gen. 
svatov,  godin  I.  3. 

9.  a  Ijubovca  od  stida  ne  mogla.  Die  Frau  konnte  die 
Scheu  vor  männlicher  Begegnung  selbst  in  diesem  Falle  nicht 
überwinden.  Einem  Mädchen  wird  in  einem  Volksliede  nach- 
gerühmt: mibike  glave  nigda  ni  vidila  sie  hat  nie  ein  männlich 
Haupt  gesehen. 

10.  ranam  h.  ranam*  f.  v. 

11.  ter  h.  f.  an  v.  poruda  h.  f.  poruÜ  v.  PonUaU  fährt 
Stulli  aus  einem  glag.  Brevier  an:  aslov.  portf6ati. 

15.  Kroat.  und  ragus.  für  stajala.  atäla  III.  15.  siala  I.  3. 
aus  *8tojala, 

18.  kule  h.  f.  V.  Man  erwartet  kidi:  pojdi  hdi  na  prozore. 
i  iSli  8u  Radvlu  na  dvore.  kroat.  Volkslied.  Vergl.  24.  60.  68. 
peniere  h.  pendiere  v.  türk.  pendäere.  Mit  peniera  vergl.  69.  s 
p&nxere,  bulg.  pendiera-ta  Milad.  398. 

19.  tr^  h.  f.  dialektisch  für  ^rÄe.  Vergl.  prosu  44.  dvi  iert 
h.  dü'je  (fere  v.  Ebenso  34.  68.  Vergleichende  Grammatik  2.  216. 

21.  ago  h.  f.  aga  v. 

22.  daiia  h.  I.  34.  64.  daid£a  v.  serb.  daidia.  Vergl. 
türk.  daj^,  Onkel  mütterlicher  neben  amud2a  Onkel  väterlicher 
Seits ;  für  beides  russ.  djadja,  Dass  dccüa,  nicht  daidta  zu  lesen 
ist^  ergibt  sich  aus  hexe  m.  22.  51.  hoxe  I.  16.  hrxje  U.  17. 
dostixe  n.  64.  uxinaÜ  UI.  73.  xarco  I.  195.  xao  I.  134.  147. 
xelila  II.  31.  III.  47.  oxenili  I.  210.  xeppe  HI.  28:  serb.  dUpe, 
di  wird  durch  dx  bezeichnet:  inadxije  I.  12. 

26.  di  h.  gdi  f.  gdje  v. 

27.  ne  govori  nüta  h.  f.  Die  gewöhnliche  Wortfolge  nUta 
ne  govori  v.  nüta  ne  divani  Marjan.  90.  nüta  ne  badira  130.  131. 
Doch  716  govori  nüta  I.  116.  t  na  mari  nüta  11.  36.  ne  tgaSe 
nüta  in.  51.  a  on  toga  nüta  ne  hajaie,  Volkslied. 

29.  oproschienja  h.^  d.  i.  oproi6en-ja  neben  vingagne  30; 
d.  i.  vinia'Ae;  oproschienja,  vjencanje  f. :  ü  bezeichnet  die  Hand- 
schrift durch  gn:  kogna,  gnoj,  kgnigu,  kogmca.  Vergleichende 
Grammatik  1.  407. 

30.  da  uzimlje  podpuno  vinüanje.  Der  Vers  besagt  nicht: 
dass  die  Frau  frei  sei  sich  einem  andern  zu  ergeben ,  zu  ver- 
mählen, ,ond'  ella  ricoronarsi  pienamente  possa'^  sondern^  wie 
Vuk  richtig  lehrt,  dass  die  Frau  jene  Summe  erhalte,   welche 


über  Ooethe's  ,KlKggMan{|f  ron  der  edlen  Fraaen  des  As&n  Ag^a*.  437 


Pisma  3.  (Asanaginica). 

f.  bedeutet  Fortis;  v.  Yak;  h.  die  Handschrift.  Mit  I.  II.  m  werden  die 

im  Anhange  abgedruckten  Lieder  beeeichnet. 

1.  Ho  f.  h.  äta  V.:  nirgends  6a. 

2.  cd  8U  snjezi  f.  al  su  anizi  h.  aV  je  snijeg  v. :  v.  wollte 
den  auch  in  3.  und  5.  vorkommenden  Plural  von  snig,  mijeg 
vermeiden  und  wurde  dadurch  zu  einschneidenden  Ände- 
rungen gedrängt.  Zum  Schutze  des  Plurals  kann  angeführt 
werden  it.  nevi  und  fz.  neiges  in  den  Übersetzungen  dieser 
Stellen,  lat.  nives  usw.  Auch  die  slavischen  Sprachen  kennen 
den  Plur.  von  mefft:  öech.  sn&iy  jungm.,  pol.  .Sniegi  Linde, oserb. 
8t%ehi  Schneemassen  Pfuhl.   laJmtovi  h.  lahutove   f.   labvdovi  v. 

3.  okopnidi  f.  okopnüi  h.  okopnio  v. 

6.  Mor  h.  Sator  f.  v.  Das  serb.  kennt  iador  neben  Sator 
Marjan.  8.  türk.  dad^r.  ^dor  I.  168.  Age  Asan-age:  ebenso 
aga  Beür-aga,  agi  Beär-agi  Volkslied,  beg  Ali-beg  Juki6  494. 
Einen  ähnlichen  Eingang  bietet  ein  Lied  in  der  Sammlung  von 
Juki6  350:  Sta  V  procvili  jutrom  na  uranku  \  nasred  Sefija  grada 
bijeloga  \  pred  6emerli  Iva  novam  kulomf  \  Da  je  vüa,  u  gori  bi 
bila;  \  da  je  zmija,  u  stjenam  bi  bila.  \  Ve6e  cmli  nudi  Radojica  usw. 
460.  m  grmi,  iü  se  zemlja  tresef  ,  iT  se  ore  mz  planine  8t'jene^\ 
iV  planine  u  debelo  moref  \  iV  se  vozi  po  krSu  djemijaf  \  Niti  grmi, 
nit-  se  zemlja  trese,  \  ni£  se  ore  niz  planine  et  jene  ^  \  nit'  planine 
u  debelo  more,  \  nü^  ee  voze  po  krSu  djemije:  \  ve6  pucaju  topi 
na  ostrogu.  Bulg.  bei  Miladin  10  usw. 

7.  u  ranami  IjuHm  h.  u  ranami  Ijutimi  f.  od  Ijutijeh  rana  v. 
Kroat.  lautet  der  Plural  loc.  u  ranah  Ijvüh,  serb.  u  ranama 
Ijutima,  Ijutimj  der  Plural  instr.  kroat.  ranami  Ijutimi,  serb. 
ranama  Ijutima,  Ijutim.  Im  kroatischen  Sprachgebiete  wird  von 
der  alten  Regel  häufig  abgewichen,  indem  das  serbische  gegen 
Westen  vordringt;  man  liest:  u  jednim  cUjinam  I.  184.  grob  niu 
turekim  glavam  naJdtio  Maijan.  34.  ujala  je  (zmiju)  s  büima 
rukami,  zaklcda  je  8  noÜm  si'ebmima,  Volkslied.  Selbst  im  Norden 
hört  man  z  bütmi  nogami  neben  z  bilimi  rukama,  cmima  otima, 
bdima  ruJcania,  junaSkim  rukama  Hrvatske  narodne  pjesme  11. 
8.  36.  Man  beachte  den  Plural  dat  vami  I.  39.  njim  I.  170.  171. 
182.  iobanom  svojim  I.  52.  sinkom  I.  38.  evoßm  prijateljem  II.  2, 


440  MikloBich. 

Es  mag  dem  ttirk.  öad^r  entsprechen  in  der  Bedeutung  ,em  den 
ganzen  Leib  bedeckender  Frauenschleier'  Zenker  339.  2. 

61.  nek  ne  vidi  h.  da  ne  vidi  v.  ndc  findet  sich  so  auch  L 
76.  187.  201.  U.  22.  68.  sepovratili  sie  traten  die  Rückreise  an, 
ne  pi^^ir,  nicht :  ^glücklich  kamen  sie  mit  ihr  vom  Hause  wieder'. 

69 — 71.  gledaju,  izodjaju,  govoraju  h.  gledahu,  izhodjahUj 
gavorahu  v. 

73.  tebi  h.  tebe  f.  v. 

76.  svatov  h.  f.  svaia  v. 

77.  ibza  dvore  h.  tiza  dvora  f.  uza  dvora  mjesto  uz  dvor 
da  86  ispuni  stih  v.  dvor  im  plur.  ist  bekanntlich  sehr  häufig: 
ima  u  (im*  u)  ku6i  dvore  devetere.  konje  jaJhij  i  dvorima  idv 
kroat.  Volkslied.  Vergl.  I.  48.  56. 

81.  sinku  h.  f.  sinu  v.  nozve  h.  f.  noBe  v.  •  Das  sonst  an- 
bekannte nozve  ist  cotumi  bei  f.,  Halbstiefel  bei  dem  Über- 
setzer von  1775,  Stiefel  bei  Goethe,  Lederstrümpfchen  bei 
Talvj.  Vuk  denkt  an  nazuve,  wofür  im  Wörterbuch  nazuviee, 
verwirft  jedoch  diese  Vermuthung,  da  türkische  Herren  der- 
gleichen nicht  trügen.  An  nozve  ist  wohl  nichts  zu  ändern, 
obgleich  wir  das  Wort  nicht  kennen.  Es  scheint  mit  nhz  (nez), 
woher  auch  nizati  und  noSh,  zusammen  zu  hangen  und  kann 
,Mes8erscheide^  bedeuten. 

83.  malenu  h.  mdlomu  f.  v. 

84.  uhosku  aglinu  h. ,  d.  i.  wohl  vioSku  alßnu,  uboike 
haljine  v. ;  f.  übei*setzt:  ,ma  al  picciolo  bambin^  che  giacea  in 
culla,  da  poverello  un  giubbettin  mandava;'  der  Übersetzer  von 
1775  bietet:  ,dem  schickte  sie  ein  Röcklein';  Goethe:  ,gab  sie 
für  die  Zukunft  auch  ein  Röckchen';  Talvj:  ^sendete  sie  auch 
ein  seidnes  Kleidchen.'  UboSki  fehlt  bei  Vuk;  Stulli  hat  aus 
Ranjina  vhoäki  als  Adverb  in  der  Bedeutung  ,poveramente'. 
vhoScu  kann  nicht  gelesen  werden;  auch  würde  durch  Er- 
setzung des  uboSku  durch  uboScu  die  Wortfolge  sehr  ungewöhn- 
lich werden.  Der  in  der  Handschrift  stehende  Vers  ist  zu 
übersetzen:  ,und  dem  kleinen  Söhnchen  in  der  Wiege,  dem 
sendet  sie  ein  ärmliches  Kleid.'  Also  dem  Theuersten  die  ge- 
ringste Gabel 

88.  smilovaH  h.  v.  milovati  f.  Man  vergleiche  ne  hi  V 
mi  86  mladoj  8milovao  neben  na  njeg  8e  je  smäovala  Mate, 
Volkslied. 


über  Ooeihe's  ,Klaggesang  von  der  edlen  Fraacn  des  Ann  Aga*.  441 

89.  8rca  ardjaskoga  h.  srca  kamenoga  v.:  arrugginito  cor 
bei  f.  lässt  rdjavoga  vermuthen^  dem  jedoch  die  Handschrift 
entgegensteht.  Der  Übersetzer  von  1775  hat  ,Bru8t  von  Eisen', 
Goethe  dasselbe,  Talvj  ,von  Stein  ein  Herz^  Der  Handschrift 
entspricht  noch  am  besten  orjaUki,  horjaUki,  im  Wörterbuch 
nebulonum;  orjat,  orjatkinja  Marjan.  11.,  bulg.  horijcUski,  ttirk. 
horijat^  griech.  xwptotTtj;. 

91.  zendji  udarUa  h.  u  zemlju  vdrila  f.  v. 

93.  od  ialo9ti  gehört  zu  se  je  rastaväa ,  allerdings  gegen 
die  Regel,  was  vielleicht  durch  die  grössere  Pause  nach  ialosti 
gerechtfertigt  werden  kann. 

sirota  f.  sirötä  h.  nrote  v.  Vergl.  50.  Der  Genetiv  ist  hier 
zu  erklären  nach  Vergl.  Grammatik  4.  492.  Man  beachte 
a  Ü6a6i  ajHhaJ^e  rrdade  I.  126.  den  jungen  Hauptkoch  suchend. 
prosio  je  divojke  Ro9anke  L  2.  ter  prostire  Sarene  azdije  I.  196. 
er  breitet  aus  das  bunte  Oberkleid,  pa  da  vidiS  budimske  kra- 
Ijice  Juki6  143. 

Vuk  hat  in  seinem  Text  dem  altslovenischen  %  statt  des 
kroatischen  durchgängig  den  serbischen  Reflex  gegenüber  ge- 
stellt, daher  djece  26.  djecu  79.  pred  69.  starjeHna  74.  75.  ftlr 
dice,  dicu,  pridy  eiariiina  bei  Fortis  und  in  der  Handschrift.  Dass 
die  Volkslieder  die  Formen  nicht  streng  festhalten,  ist  bekannt, 
daher  bijelomu  HL,  40.  für  hihmai.  Ebenso  bijehga  H.  6.  14. 
bijele  II.  39.  Diese  Mengung  der  lautlichen  Formen  findet 
sich  auch  sonst  in  kroatischen  Volksliedern:  ni  ulisti  u  bijele 
dvore,  ufaii  je  za  bijele  ruke  neben  t  od  sobah  i  od  bilih  dvora. 
In  einem  Liede  aus  der  Umgebung  von  Spalato  liest  man 
dijete  neben  dvi,  prid,  priko  neben  preko  usw.  Pamjatniki  i 
obrazcy  I — IV.  281.  dvoru  bijelomu  neben  obesite,  svetlo,  izgo- 
rela  und  obisiSe,  dviy  tilo^  virovala^  umrit  usw.  195.  krvavije 
kljuna  do  oöijUy  i  krvavi  nogu  do  koljena  bei  Vuk.  Man  ver- 
gleiche die  interessanten  Bemerkungen  von  L.  Marjanovi6  II. 
Kein  kroatische  Texte  sind  nicht  sehr  häufig.  Auch  die  gram- 
matischen Formen  wechseln  ab :  svatov  74.  75,  wofür  Vuk  evata 
setzt,  neben  konja  16. 


SitxiiDgsber.  d.  pbiL-hiit.  Ol.    CHI.  Bd.  II.  Üft.  29 


442  Hiklosich. 


II.  O^eschlchte  der  Übersetzunj?en. 

1.  Übersetzung  von  Fortia. 

CANZONE   DOLENTE 

DELLA   NOBILE 
SPOSA   D'ASAN   AGA. 

Che  mai  biancheggia  Ik  nel  verde  bosco? 
Son  nevi,  o  cigni?  Se  le  fosser  nevi, 
Squagliate  omai  sarebbonsi;  se  cigni, 
Mosso  avrebbero  il  volo.  Ah!  non  son  bianche 
6  Nevi,  o  cigni  colk;  sono  le  tende 
D'  Asano,  il  duce.  Egli  fe  ferito,  e  duolsi 
Acerbamente.  A  visitarlo  andaro 
La  madre  e  la  sorella.  Anche  la  sposa 
Sarebbev'  ita,  ma  rossor  trattienla. 

10      Quindi  allorch'  ei  delle  ferite  il  duolo 
SenÜ  alleggiarsi,  alla  fedel  mogliera 
Co8\  fece  intimar:  ,Non  aspettarmi 
,NeI  mio  bianco  cortil;  non  nel  cortile, 
,N6  fra'  parenti  miei/  Neil'  udir  queste 

16  Dure  parole  pensierosa  e  mesta 
L'  infelice  rimase.  Ella  d'  intorno 
AI  maritale  albergo  il  calpestio 
Di  cavalli  ascoltö;  verso  la  torre 
Disperata  fuggio^  per  darsi  morte, 

io  Dalla  finestra  rovinando  al  basso. 
Ma  i  di  lei  passi  frettolose,  ansanti 
Le  due  figlie  seguir:  ,Deh!  cara  madre, 
,Deh!  non  fuggir;  del  genitore  Asano 
,Non  h  gik  questo  il  calpestio;  ne  viene 

26  ,11  tuo  fratello,  di  Pintoro  il  figlio/ 

Addietro  volse  a  questo  dire  i  passi 
D'Asan  la  sposa,  e  le  braccia  distese 
AI  collo  del  fratello.  ,Ahi!  fratel  mio, 
,Vedi  vergogna!  e'  mi  repudia,  madre 

30  ,Di  cinque  figlil^  II  begh  nulla  risponde; 
Ma  dalla  tasca  di  vermiglia  seta 


über  Ooeihe's  ^Klaggesang  von  dor  edlen  Frauen  des  Asan  Aga^  443 

Un  foglio  trae  di  libertade^  ond'  ella 

Ricoronarsi  pienamente  possa, 

Dopo  che  avrk  con  lui  fatto  ritomo 
35  AUa  casa  matema.  Allor  che  vide 

L'  afflitta  donna  il  doloroso  scritto. 

De'  suoi  due  figliuolin'  baciö  le  fronti; 

E  delle  due  fanciulle  i  rosei  volti: 

Ma  dal  bambino,  che  giaceva  in  culla^ 
40  Staccar  non  si  poteo.  Seco  la  trasse 

II  severo  fratello  a  viva  forza; 

Sul  cavallo  la  pose,  e  fe  ritomo 

Con  essa  insieme  alla  magion  patema. 
Breve  tempo  restovvi.  Ancor  passati 
45  Sette  giomi  non  erano^  che  intomo 

Fu  da  ogni  parte  ricercata  in  moglie 

La  giovane  gentil  d'alto  legnaggio; 

E  fra  i  nobili  proci  era  distinto 

L'  imoskese  cadi.  Prega  piagnendo 
50  Ella  il  fi*atel:  ,Deh!  non  voler  di  nuovo 

yDarmi  in  moglie  ad  alciui;  te  ne  scongiuro 

yPella  tua  vita,  o  mio  fratello  amato; 

,Onde  dal  petto  il  cor  non  mi  si  schianti 

^Nel  riveder  gli  abbandonati  figlit^ 
55        n  begh  non  bada  alle  sue  voci;  k  fisso 

Di  darla  in  moglie  al  buon  cadi  d'  Imoski. 

Allor  di  nuovo  ella  pregö:  ^Dehl  almeno, 

;(Poich6  pur  cos\  vuoi)  manda  d'  Lnoski 

,A1  cadi  un  bianco  foglio.  A  te  salute 
60  jinvia  la  giovinetta,  e  vuol  pregarti 

yPer  via  di  questo  scrittO;  che  allor  quando 

jVerrai  per  essa  co'  signori  svati^ 

,Un  lungo  velo  tu  le  rechi,  ond'  ella 

yPossa  da  capo  appie  tutta  coprirsi^ 
65  yQuando  dinanzi  alla  magion  d'Asano 

yPassar  d'uopo  le  fia,  nh  veder  deggia 

yl  cari  figli  abbandonati/  Appena 

Giunse  al  cadi  la  lettera^  ei  raccolse 

Tutti  gli  svati,  e  pella  sposa  andiede, 
70  II  lungo  veloy  cui  chiedea,  portando. 

29* 


444  Miklotieh. 

Felicemente  giunsero  gli  svati 

Sino  alla  casa  della  sposa;  e  insieme 

Felicemente  ne  partir  con  essa. 

Ma  allor,  ehe  presso  alla  magion  d'Asano 

75  Furo  airivati,  dal  balcon  miromo 

La  madre  lor  le  due  fanciuUe^  e  i  figli 
Usciro  incontro  a  lei.   ,Deh,  cara  madre, 
^Tomane  a  noi;  dentro  alle  nostre  soglie 
;A  cenar  vienne.'  La  dolente  sposa 

80  Del  duce  AsanO;  allor  che  i  figli  udio, 
Yolsesi  al  primo  degli  svati:  ;0  vecchio 
yFratello  mio^  deh  ferminsi  i  cavalli 
^PresBO  di  questa  casa,  ond'  io  dar  possa 
;Qualche  pegno  d'amore  agli  orfanelli 

85  ,Figli  del  grembo  mio/  Stettersi  fermi 
Dinanzi  alla  magion  tutti  i  cavalli; 
Ed  ella  porse  alla  diletta  prole 
I  doni  suoi;  scesa  di  sella.  Diede 
Ai  due  fanciulli  bei  cotumi,  d'oro 

90  Tutti  intarsiati,  e  due  panni  alle  figlie^ 
Onde  dal  capo  ai  pi6  furon  coperte: 
Ma  al  picciolo  bambin,  che  giacea  in  culla. 
Da  poverello  un  giubbettin  mandava. 
Tutto  in  disparte  il  duce  Askn  vedea; 

95  E  a  se  chiamö  i  figliuoli.  ,A  me  tomate, 
,Cari  orfanelli  miei,  da  che  non  sente 
;Piü  pietade  di  voi  la  crudel  madre 
,Di  arrugginito  cor.'  Udillo;  e  cadde 
L'  afflitta  donna,  col  pallido  volto 

100  La  terra  percuotendo;  e  a  un  punto  istesso 
Del  petto  uscille  Tanima  dolente^ 
GU  orfani  figli  suoi  partir  veggendo. 

2.  Übersetzung  vom  Jahre  1776. 

Klaggesang  von  der  edlen  Braut  des  Asan  Aga. 

Was  ist  im  grünen  Wald  dort  jene  Weisse? 
Schnee?  oder  Schwäne?  sei  es  Schnee:  er  müsste 
geschmolzen  endlich  sein,  und  Schwäne  wären 


über  Goethe's  .Klaggesang  Ton  der  edlen  Franen  des  Asan  Aga».  445 

davon  geflogen.  Weder  Schnee  noch  Schwäne, 
6  es  sind  die  Zelten  Asans,  unsers  Herzogs. 
Verwundet  ächzt  er  drinnen;  ihn  zu  sehen 
kömmt  zu  ihm  seine  Mutter,  seine  Schwester; 
die  Gattin  säumt  aus  Scham  zu  ihm  zu  kommen. 

Als  er  zuletzt  die  Pein  an  seinen  Wunden 

10  gelindert  fühlte,  Hess  er  seiner  treuen 

Gemahlin  künden:  ,Harr'  auf  mich  nicht  länger 
,in  meinem  weissen  Hofe,  noch  bei  meinen 
,Verwandten!'    Als  das  harte  Wort  die  treue 
Gemahl  vernommen,  stand  sie  starr  und  schmerzvoll. 

16  Schon  hört  sie  um  des  Gatten  Burg  den  Hufschlag 
von  Rossen  schallen,  springt  verzweifelnd 
den  Thurm  hinauf,  und  will  vom  Fenster  stürzend 
dem  Tod  sich  geben.     Aber  ängstlich  folgten 
zwo  zarte  Töchter  ihrer  raschen  Mutter, 

20  und  riefen  weinend:  »Mutter,  liebe  Mutter! 
,Ach,  fliehe  nicht!  Es  sind  nicht  unsers  Vaters, 
^nicht  Asans  Rosse;  komm  zurück,  dein  Bruder, 
,der  Erbe  des  Pintoro  wartet  deiner.^ 

Die  Gattin  Asans  kömmt  zurück  und  windet 
2ß  die  Arme  um  den  Hals  von  ihrem  Bruder: 

,0  Bruder,  sieh  die  Schande  deineo*  Schwester! 

,Mich  zu  Verstössen,  mich,  die  arme  Mutter 

,von  fünf  Unglücklichen!'  Er  schweigt  und  ziehet 

hervor  von  rother  Seide  aus  der  Tasche 
30  den  Freiheitsbrief,  der  ihr  das  Recht  ertheilet, 

in  ihrem  mütterlichen  Hause  wieder 

zurückgekehrt  ein  neues  Ehebündniss 

zu  knüpfen.    Als  die  bange  Fürstin  sähe 

das  traurige  Blatt,  so  küsste  sie  die  Stirne 
35  von  ihren  beiden  Söhnlein  und  von  ihren 

zwo'n  Töchterchen  die  zarten  Rosen wangen; 

ach,  aber  von  dem  Säugling  in  der  Wiege 

vermag  die  Arme  nicht  sich  loszureissen. 

Er  reisst  sie  los,  der  unbarmherzige  Bruder, 
40  hebt  sie  zu  sich  aufs  Ross,  und  kehret  eilig 

mit  ihr  zurück  zur  väterlichen  Wohnung. 


446  Miklosieh. 

Nach  kurzer  Zeit,  es  waren  sieben  Tage 
noch  nicht  verflossen,  als  von  allen  Seiten, 
schön  und  erhabener  Herkunft,  zur  Gemahlin 

45  das  schöne  Fräulein  schon  erkieset  wurde. 
Der  edlen  Freier  war  der  angesehenste 
der  Cadi  von  Imosky.   Aber  weinend 
bat  sie  den  Bruder:  ,Ach!  bei  deinem  Leben 
^beschwör'  ich  dich,  du  mein  geliebter  Bruder! 

50  ,mich  keinem  andern  mehr  zur  Frau  zu  geben, 
,damit  das  Wiedersehen  meiner  lieben 
^verlassenen  Kinder  mir  das  Herz  nicht  breche!' 

Er  achtet  ihre  Reden  nichts,  entschlossen 
die  Schwester  dem  Cadi  zur  Frau  zu  geben. 

55  Sie  fleht  aufs  neu:  ,Ach,  bist  du  unerbittlich, 
,80  wollest  dem  Cadi  zum  mindesten  senden 
,ein  weisses  Blatt:  ,Dich  grüsst  die  junge  Wittib, 
,imd  will  durch  dieses  Blatt,  wenn  dich  die  Suaten 
,zu  ihr  begleiten,  einen  langen  Schleier 

60  ,dich  bitten  ihr  zu  reichen,  dass  in  diesen, 
,wenn  Asans  Wohnung  sie  vorüber  komme, 
,vom  Haupt  zu'n  Füssen  sie  sich  hüllen  könne, 
,um  ihre  lieben,  ach!  verlassenen  Kinder 
,nicht  seh^n  zu  müssen!*  Der  Cadi  beäugte 

65  das  Schreiben  kaum,  als  er  die  Suaten  sammelt, 
und  seiner  schönen  Braut  entgegen  eilet, 
den  langen  Schleier,  den  sie  heischte,  tragend. 

Zum  Haus  der  jungen  Fürstin  kamen  glücklich 
die  Suaten,  und  von  ihrem  Hause  kehrten 

70  mit  ihr  sie  glücklich  wieder:  aber  näher 
als  Asans  Wohnung  sie  gekommen  waren, 
so  sah'n  vom  Erker  ihre  liebe  Mutter 
die  zarten  Töchter  und  die  jungen  Söhne, 
und  eilten  zu  ihr:  ,Liebe,  liebe  Mutter! 

75  ,Komm  wieder  zu  uns,  komm  in  deiner  Halle 
,mit  uns  das  Abendbrod  zu  essen!*  Seufzend, 
als  sie  das  Sprechen  ihrer  Kinder  hörte, 
wandt*  sich  des  Herzog  Asans  bange  Gattin 
zum  ersten  von  den  Suaten:  ,0  mein  alter 


über  Goethe's  «Klaggesang  Ton  der  edlen  Fnoen  des  Asan  Aga'.  447 

80  ^geliebter  Bruder,  lass  vor  diesem  Hause 
^die  Bosse  harren,  dass  ich  diesen  Waisen, 
,den  Kindern  meines  Busens,  noch  ein  Zeichen 
,der  Liebe  geben  kannl'  Die  Rosse  harrten 
an  Asans  traurigem  Haus,  und  abgestiegen 

85  vom  Boss  gab  sie  den  Kindern  ihres  Busens 
Geschenke:  gab  mit  Gold  beblümte  schöne 
Halbstiefel  beiden  Söhnlein  und  den  Töchtern 
zwei  Kleider,  die  vom  Kopf  zu  Fuss  sie  deckten; 
dem  Säugling  aber,  welcher  in  der  Wiege 

90  noch  hilflos  lag,  dem  schickte  sie  ein  Röcklein. 

Der  Vater,  alles  in  der  Feme  sehend, 
rief  seinen  Kindern:  ,Liebe  Kleine,  kehret 
,zu  mir  zurück,  der  fUhllos  wordenen  Mutter 
^verschlossene  Brust  von  Eisen  weiss  von  keinem 
96  ,Mitleiden  mehr/     Die  jammervolle  Gattin 

hört  Asans  Wort,  und  stürzt,  mit  blassem  Antlitz 
die  Erde  schütternd,  und  die  bange  Seele 
entfloh  dem  bangen  Busen,  als,  die  Arme! 
sie  ihre  Kinder  sah  von  ihr  entfliehen. 

Die  Sitten  der  Morlacken  aus  dem  Italienischen  über- 
setzt. Mit  Kupfer.  Beni,  bei  der  typographischen  Gesellschaft 
1775,  Seite  90.  Dtintzer  (Goethe's  Lyrische  Gedichte  I.  127) 
citirt  eine  andere  Ausgabe :  Die  Sitten  der  Morlacken.  Auszug 
aus  dem  Französischen  (von  Abbate  Fortis).  (Abbate  Alberto 
Fortis,  Reise  in  Dalmatien.  Aus  dem  Italienischen.  Bern.  1776. 
I.  Seite  153). 

Dass  der  Übersetzer  nicht  aus  dein  ,morlacki8chen*  Original, 
sondern  aus  dem  Italienischen  von  Fortis  übersetzt  hat,  zeigen 
jene  Stellen,  die,  ihm  mit  Fortis  gemeinsam,  im  Original  nicht 
zu  finden  sind. 

i 

3.  FraDBÖsiflche  Überaetsang. 

Schon  1775  erschien  in  Bern  ein  Büchlein  unter  dem 
Titel:  ,Die  Sitten  der  Morlacken',  welches,  mit  Übergebung 
der  geographischen  und  naturhistorischen  Partien,  eine  Über- 
setzung desjenigen  Theiles  des  genannten  italienischen  Werkes 


448  Miklosieh. 

ist,  welcher  in  sechzehn  Paragraphen  von  den  Sitten  der  Mor- 
lacken  handelt:  ,De  costumi  de'  Morlacchi/  Seite  43—105. 
Das  Büchlein  ,Die  Sitten  der  Morlacken'  erschien  auch  1792 
in  Bern  und  in  Lausanne  unter  verändertem  Titel:  ,Rcise  zu 
den  Morlacken.  Von  Albert  Fortis/  Wir  begegnen  derselben 
Übersetzung  in  der  vollständigen  Übertragung  von  Fortis' Werk: 
,Abbate  Alberto  Fortis,  Reise  in  Dalmatien.  Bern,  bei  der 
typographischen  Gesellschaft.  1776/  Damit  wird  wohl  Fortis, 
Reise  nach  Dalmatien.  Bern.  1792,  identisch  sein.  Es  ist  mehr 
als  wahrscheinlich,  dass  der  Übersetzer  des  Capitels  von  den 
Sitten  der  Morlacken  auch  den  Rest  des  Fortis'schen  Werkes 
übertragen  hat.  Das  Reisewerk  des  italienischen  Gelehrten 
erschien  auch  in  französischer  Übersetzung  1778.  in  Bem:,Voyage 
en  Dalmatie  par  M.  Tabb^  Fortis.'  Bern.  1778.  In  demselben 
Jahre  ward  in  London  eine  englische  Übersetzung  gedruckt. 
A.  Fortis,  Lettres  sur  les  Morlaques.  Beme.  s.  a.,  kenne  ich 
nur  aus  den  Bibliographien:  das  Buch  enthält  wahrscheinlich 
aus  Fortis  nur  die  Partie  über  die  Sitten  der  Morlacken :  damit 
stimmt  der  geringe  Preis  überein.  Es  ist  unzweifelhaft  identisch 
mit  dem  Bern.  1788.  chez  la  soci^te  typographique  erschienenen 
Büchlein:  Lettre  de  M.  Fabbe  Fortis  k  Mylord  Comte  de  Bute 
sur  les  moeurs  et  usages  des  Morlaques,  appeläs  Montenögrins. 
Avec  figures.  85  Seiten.  Man  wird  wohl  kaum  irren,  wenn  man 
annimmt,  dass  beim  Interesse,  welches  die  Welt  an  den  vorher 
kaum  je  genannten  Morlacken  nahm,  Rousseau's  Ideen  von  dem 
Naturzustand  der  Völker  im  Spiele  waren.  Selbst  der  nüch- 
terne italienische  Naturforscher  sagt  67 :  ,L'innocenza  e  la 
libertk  naturale  de'  secoli  pastorali  mantiensi  ancora  in  Morlac- 
chia,  o  almeno  vene  rimangono  grandissimi  vestigj  ne'  luoghi 
piü  rimoti  da'  nostri  stabilimenti^  usw.,  und  in  der  Vorrede  zu 
,den  Sitten  der  Morlacken'  liest  man,  ,dass  dieselben  der  an- 
gebomen  Güte  unserer  Natur  das  Wort  zu  reden  scheinend 
In  einer  Oper:  Les  Morlaques.  Opera  en  deux  actes,  musique 
du  baron  de  Lannoy  (italienischer  Text  von  Rossi).  Graz.  1817, 
ziehen  die  ,Morlackcn'  zum  letzten  Male  die  Aufmerksamkeit 
der  Welt  auf  sich. 


über  Ooeih6*8  ,KUggenng  von  4er  edlen  Frauen  des  Asaa  Aga*.  449 

Chanson  sur  la  mort  de  rillustre   äpouse 

d'Asan- Aga. 

Quelle  blancheur  brille  dans  ces  for^ts  vertes?  Sont  ce 
des  neiges  ou  des  cygnes?  Les  neiges  seroient  fondues  aujour- 
d'liui,  et  les  cygnes  se  seroient  envol^s.  Ce  ne  sont  ni  des  neiges 
ni  des  cygnes,  mais  les  tentes  du  guerrier  Asan-Aga.  D  y  de- 
meure  blessö  et  se  plaignant  am^rement.  Sa  m^re  et  sa  soBur 
sont  allöes  le  visiter:  son  öpouse  seroit  yenue  aussi,  mais  la 
pudeur  la  retient. 

Quand  la  douleur  de  ses  blessures  s'appaisa^  il  manda  h. 
sa  femme  fidMe:  ,Ne  m'attends  pas  ni  dans  ma  maison  blanche, 
ni  dans  ma  cour,  ni  parmi  mes  parens/  En  recevant  ces  durcs 
paroles,  cette  malheureuse  reste  triste  et  affligöe.  Dans  la  mai- 
son de  son  äpoux,  eile  entend  les  pas  de  chevaux,  et  d^ses- 
p^r^e  eile  court  sur  une  tour  pour  finir  ses  jours  en  se  jetant 
par  les  fcnStres.  Ses  deux  fiUes  ^pouvantöes  suivent  ses  pas 
incertains,  en  lui  criant:  ,Ah,  chfere  mfere,  ah!  ne  fuis  pas:  ces 
chevaux  ne  sont  pas  ceux  de  notre  pfere  Asan;  c'est  ton  frfere, 
le  Beg  Pintorovich  qui  vient  te  voir'  usw. 

La  triste  veuve  d'Asan,  entendant  le  cris  de  ses  enfans, 
se  tourne  vers  le  premier  Svati:  ,Pour  Tamour  de  Dieu,  eher 
et  vön^rable,  arrete  les  chevaux  pres  de  cette  maison,  afin  que 
je  donne  k  ces  orphelins  quelque  gage  de  ma  tendresse/  Les 
chevaux  s'arretent  devant  la  porte,  eile  descend  et  ofFre  des 
pr^sens  k  ses  enfans:  eile  donne  aux  fils  des  brodequins  d'or, 
et  de  beaux  voiles  aux  filles.  Au  petit  innocent  qui  couche 
dans  le  berceau,  eile  envoie  une  robe. 

Asan  voyant  de  loin  cette  scfene,  rappelle  ses  fils:  ,Revenez 
k  moi,  mes  enfans;  laissez  cette  cruelle  m6re,  qui  a  un  coeur 
d'airain,  et  qui  ne  resscnt  plus  pour  vous  aucune  pitiö.' 

Entendant  ses  paroles,  cette  affligöe  veuve  pälk  et  tombe 
par  terre.  Son  ame  quitte  son  corps  au  moment  qu'elle  voit 
partir  ses  enfans. 

Aus:  Voyage  en  Dalmatie  par  M.  TAbbö  Fortis,  traduit 
de  Titalien.  Beme,  chez  la  sociötö  typographique.  1778.  I. 
Seite  143—149. 


450  Miklosich. 

4.  Ooethe's  Übersetzung. 

Die  Übertragung  Goethe's  ist  so  leicht  zugänglich,  dass 
ein  Abdruck  derselben  nicht  nöthig  ist. 

Die  öfters  citirte  Anmerkung  zu  diesem  Liede  lautet  in 
der  Originalausgabe  von  Herder's  Volksliedern  I.  1778,  S.  330 
wörtlich:  ,S.  Fortis  Reise  Th.  1.  S.  150  oder  die  Sitten  der 
Moriachen,  Bern  1775.  S.  90.  Die  Übersetzung  dieses  edlen 
Gesanges  ist  nicht  von  mir;  ich  hoffe  in  der  Zukunft  derselben 
mehrere  zu  liefern.^  Die  Angabe  der  Quelle  fehlt  in  späteren 
Ausgaben. 

Es  ist  zweckmässig  von  dem  Berichte  des  Dichters  über 
die  Entstehung  des  Elaggesanges  aus  dem  Jahre  1825  vor- 
läufig abzusehen. 

Die  erste  Frage ,  die  nach  der  Vorlage,  ist  dahin  zu 
beantworten,  dass  Goethe's  Übersetzung  auf  der  oben  abge- 
druckten Verdeutschung  von  1775.  beruht,  die  sich  auch  in 
der  Übersetzung  der  Fortis'schen  Reise  von  1776.  findet.  Die 
Richtigkeit  dieser  Ansicht,  die  auch  von  Düntzer  1.  312.  und 
vom  Freiherm  von  Biedermann  2.  309  getheilt  wird,  ergibt 
sich  mit  Sicherheit  aus  der  Vergleichung  beider  Texte.  Mit  I. 
bezeichne  ich  den  Text  von  1775,  mit  H.  den  von  Goethe, 
mit  ni.  das  Original ;  in  der  Verszählung  folge  ich  dem  letz- 
teren. 9.  I.  Die  Gattin  säumt  aus  Scham  zu  ihm  zu  kommen. 
IL  schamhaft  säumt  sein  Weib  zu  ihm  zu  kommen,  in.  doch 
die  Gattin  konnte  nicht  vor  Scham,  ma  rossor  trattienla  Fortis. 
10.  I.  als  er  zuletzt  die  Pein  von  seinen  Wunden  gelindert 
fühlte.  II.  als  nun  seine  Wimde  linder  wurde.  III.  als  es  nun 
mit  seinen  Wunden  besser  wurde,  allorch'  ei  delle  ferite  il  duolo 
senti  allegiarsi  Fortis.  14.  I.  als  das  harte  Wort  die  treue 
Gemahl  vernommen,  stand  sie  starr  und  schmerzvoll.  11.  als 
die  Frau  dies  harte  Wort  vernommen,  stand  die  Treue  starr 
und  voller  Schmerzen.  HI.  als  die  Frau  die  Worte  ver- 
nommen, stand  die  Arme  noch  da  in  dem  Gedanken  (an  die 
vernommene  Botschaft),  neir  udir  queste  dure  parole  Fortis. 
19.  I.  aber  ängstlich  folgten  zwo  zarte  Töchter.  11.  ängst- 
lich folgen  ihr  zwei  liebe  Töchter.  HI.  ihr  eilen  nach  zwei 
Töchter.  Fortis  ,ansanti'  wurde  nach  dem  lateinischen  anxios 
als  ,ansio*,   ,ängstlich^  aufgefasst.     21.  I.   es  sind   nicht  unsers 


über  Goethe'B  «Klaggesang  von  der  edlen  Frauen  des  Asan  Aga*.  451 

VaterS;  nicht  Asan's  Rosse.  IE.  sind  nicht  unsers  Vaters  Asan 
Rosse,  m.  es  ist  nicht  der  Vater  Asan  Aga.  Del  genitore 
Asano  non  h  questo  il  calpestio.  28.  I.  ziehet  hervor  von 
rother  Seide  aus  der  Tasche  den  Freiheitsbrief.  11.  ziehet 
aus  der  Tasche,  eingehüllt  in  hochrothe  Seide,  den  Brief  der 
Scheidung.  III.  sondern  greift  in  die  Tasche  von  Seide.  Die 
im  Original  fehlende  ,hochrothe  Seide'  mtisste  nach  einem  der 
Erklärer,  K.  L.  Kannegiesser  9  (Vorträge  über  eine  Auswahl 
von  Goethe's  lyrischen  Gedichten.  Breslau  1835)  ,auf  eine 
morlackische  Sitte  gehend  di  vermiglia  seta  Fortis.  37. 1.  er 
reisst  sie  los,  der  unbarmherzige  Bruder.  IE.  reisst  sie  los 
der  ungestüme  Bruder.  III.  es  ergreift  sie  der  Bruder  bei 
den  Händen,  il  severe  fratello  Fortis.  41.  I.  nach  kurzer 
Zeit.  n.  kurze  Zeit  war*s.  m.  bei  den  Ihren  (u  rodu)  weilte 
sie  kurze  Zeit,  breve  tempo  restovvi  Fortis.  Nach  60.  I.  dass 
in  diesen  (Schleier)  vom  Haupt  zu'n  Füssen  sie  sich  hüllen 
könne.  H.  dass  ich  mich  vor  Asan's  Haus  verhülle.  HI.  fehlt, 
ond'  ella  possa  da  capo  appi^  tutta  coprirsi  Fortis.  65.  fehlt 
durch  ein  Versehen  bei  Fortis  im  Original ;  der  Vers  steht  in 
der  Spalatiner  Handschrift  und  bei  Fortis  in  der  Übersetzung. 
65.  I.  den  langen  Schleier,  den  sie  heischte,  tragend.  II.  mit 
den  Schleier,  den  sie  heischte,  tragend.  lU.  dug  podkluvak 
iwsi  na  divojku,  trägt  den  langen  Schleier  fllr  die  Braut. 
II  lungo  velo,  cui  chiedea,  portando.  85.  I.  alles  in  der 
Ferne  sehend.  H.  dies  beiseit  sah  Vater  Asan  Aga.  III. 
Und  dies  sieht  der  Held  Asan  Aga.  tutto  in  disparte  il  duce 
Asan  vedea  Fortis.  91.  I.  und  stürzt,  mit  blassem  Antlitz  die 
Erde  schütternd.  IL  stürzt  sie  bleich,  den  Boden  schüt- 
ternd,  nieder.  HL  stürzt  sie  mit  bleichem  Antlitz  nieder.  E 
cadde,  col  pallido  volto  la  terra  percuotendo  Fortis.  Goethe 
gebraucht  das  etwas  seltene  ,schüttem*,  wie  es  scheint,  nur 
noch  in  »Deutscher  Parnass':  »schüttert  er  des  Berges  Wipfel*. 
93.  I.  als  sie  ihre  Kinder  vor  ihr  fliehen  sah.  H.  als  sie  ihre 
Kinder  von  sich  fliehen  sah.  HI.  ak  sie  die  Waisen  sah.  Gli 
orfani  figli  suoi  partir  veggendo  Fortis.  Ich  glaube  nach 
dem  Gesagten  nicht,  dass  die  Übereinstimmung  des  Über- 
setzers von  1775  und  Goethe's  auf  Rechnung  einer  gemein- 
schaftlichen Vorlage  zu  setzen  sei.  Es  könnten  noch  an- 
dere Stellen  angeführt  werden;   doch  dürfte  das  Beigebrachte 


452  Miklosich. 

vollkommen  gentigen.  Nach  dieser  Darlegung  kann  von  einer 
französischen  Vorlage  Goethe's  nicht  die  Rede  sein.  Die 
Gräfin  Rosenberg,  der  man  die  französische  Übersetzung  zn- 
zuschreiben  scheint,  kann  Niemand  anderer  sein  als  die  Ver- 
fasserin des  Buches  ,Les  MorlaquesS  (Italien)  1788:  J.  Wynne, 
Comtesse  des  Ursins  et  Rosenberg.  Abgesehen  davon,  dass 
Goethe's  Übertragung  im  ersten  Bande  von  Herder's  Volks- 
liedern aus  dem  Jahre  1778  steht,  ist  zu  bemerken,  dass  das 
Buch  der  Gräfin  den  Klaggesang  gar  nicht  enthält. 

Hat  Goethe'n  die  Übersetzung  von  1775  als  Vorlage  gedient, 
dann  kann  der  Klaggesang  schon  in  diesem  Jahre  entstanden 
sein.     Für  die  Zeit  nach  1775  könnte  der  Umstand  angeAihrt 
werden,   dass  Bernays'  ,Junger  Goethe^  das  Stück  nicht  ent- 
hält, daher  von  demselben  nach  1775  angesetzt  wird.   Goethe- 
Jahrbuch  2.  131.  Wenn  Düntzer's  Vermuthung  (Goethe's  Lyri- 
sche Gedichte,  1858),   Goethe  sei  durch  Herder  auf  den  Stoff 
und  das  Buch  aufmerksam  gemacht  worden,   richtig  ist,  dann 
ist  der  Klaggesang  erst  in   dem   Spätherbst  1776  entstanden, 
da  Herder  erst  im  October  dieses  Jahres  nach  Weimar  kam. 
Goethe-Jahrbuch  2.   132.     Düntzer  hat  jedoch  in  der  zweiten 
Ausgabe  des  angeführten  Werkes  1.  126.  die  recht  ansprechende 
Vermuthung  geäussert,   Goethe'n  sei  in  der  Schweiz  1775  (am 
7.  November  war  er  in  Weimar)  die  kleine  in  Bern  in  diesem 
Jahre  erschienene  Schrift;  ,Die   Sitten   der  Morlacken'   in  die 
Hände  gekommen;    es   kann   daher   das   von  Eckermann  und 
Riemer  angegebene  Jahr   1775  stehen  bleiben.     In  metrischer 
Hinsicht  ist  das  Gedicht  vom  11.  September  1776  ,Seefahrt' zu 
vergleichen.    Später  wird  von  Goethe  der   serbische  Trochäus 
häufig  angewandt:   Liebesbedürfniss.   Morgenklagen.    Der  Be- 
such. Der  Becher.  Nachtgedanken.  Amor  als  Landschaftsmaler. 

Was  nun  das  Metrum  des  Klaggesangs  anlangt,  so  wird 
wohl  zugegeben  werden,  dass  der  Rhythmus  bei  einer  unbe- 
kannten Sprache  nicht  erkannt  werden  kann,  dass  es  daher 
nicht  angeht  anzunehmen,  es  könne  der  Übersetzer,  ohne  die 
Sprache  des  Originals  zu  verstehen,  sich  diesem  nach  dem 
Gehör  anschmiegen.  Der  Vers  des  serbischen  Heldenliedes  be- 
steht aus  zehn  Silben  mit  einem  Ruhepunkt  nach  der  vierten 
und  nach  der  zehnten  Silbe,  welche  zehn  Silben  im  Gesänge 
fUnf  Trochäen  bilden.    Goethe's  Vers  im  Klaggesange  ist  der 


über  Goethe'a  «Klaggesang  Ton  der  edlen  Franen  des  Asan  Aga'.  453 

angeführten  Regel;  abgesehen  von  dem  Ruhepunkte  nach  der 
vierten  Silbe,  entsprechend,  und  man  könnte  meinen,  die  ser- 
bische Regel  sei  Goethe  irgendwie  bekannt  geworden:  diese 
Meinung  wäre  unrichtige  da  das  metrische  Gesetz  des  serbischen 
Heldenliedes  erst,  im  Jahre  1824  von  Vuk  dargelegt;  vor  ihm 
von  Niemand  auch  nur  geahnt  worden  ist;  so  einfach  auch  die 
Sache  für  den  Sprachkundigen  ist.  Die  Behauptung;  das  Metrum 
sei  errathen  worden,  schliesst  keine  Lösung  in  sich.  Auf  den 
der  serbischen  Sprache  unkundigen  Fortis;  mit  dem  Herder  in 
brieflichem  Verkehr  gestanden  zu  haben  scheint,  da  er  erzählt; 
er  habe  serbische  Lieder  aus  einem  ungedruckten  Manuscript 
desselben  übertragen,  worüber  der  Anhang  1.  nachzusehen  ist, 
kann  man  sich  nicht  berufen.  Unter  diesen  Umständen  bleibt 
nichts  übrig  als  eine  Hypothese  aufzustellen;  die  der  Prüfung 
der  Sachkundigen  vorgelegt  wird.  Dass  der  Vers  aus  zehn 
Silben  besteht  (decasillabo  bei  Fortis  1.  105);  das  zu  sehen 
erforderte  keine  Kenntniss  der  Sprache;  wollte  man  nun  die 
Silbenzahl  in  der  Nachdichtung  bewahren,  dann;  so  scheint  es, 
war  es  natürlich,  dass  man  nicht  zu  dem  fünfflissigen  Jambus, 
sondern  zu  dem  bequemeren  Trochäus  griff;  bequemer,  weil 
eine  Sprache,  die  die  Wurzelsilbe,  nicht  das  Suffix  betont;  den 
trochäischen  Versschluss  begünstigt  Tonlose  einsilbige  Wörter 
im  Versanfange  kann  Goethe  entbehren:  21.  Sind  nicht  unsers 
Vaters  Asan  Rosse.  Vergl.  27.  Auch  das  epische  Metrum  der 
Serben  beruht  darauf;  dass  das  Serbische  die  Endsilben  nicht  be- 
tont. Vergleichende  Grammatik  1.406:  daraus  schliesse  ich;  dass 
der  Trochäus  des  bulgarischen  Epos  serbischen  Ursprungs  ist 
1.  376.  Man  könnte  geneigt  sein  anzunehmen,  der  Trochäus 
sei  gewählt  worden,  weil  der  langsamere  Gang  des  Trochäus 
der  epischen^  bei  den  einzelnen  Stadien  der  Handlung  mit 
Li^be  verweilenden  Darstellung  angemessener  sei.  Auch  Herder 
wandte,  wohl  nach  Goethe's  Beispiel;  den  sogenannten  serbi- 
schen Trochäus  in  den  drei  von  ihm  übertragenen  und  unter 
die  Volkslieder  aufgenommenen  Dichtungen  an: 

1.  Gesang  vom  Milos  Cobilich  und  Vuko  Brankowich: 
Schön  zu  schauen  sind  die  rothen  Rosen  |  in  dem  weissen 
Pallast  des  Lazaro. 

2.  Radoslaus:  Kaum  noch;  dass  am  Himmel  Morgen- 
röthe  '  und  der  Morgenstern  am  Himmel  glänzte. 


454  Uiklosieh. 

3.  Die  schöne  Dolmetscherin :  Über  Qravo  fiel  der  Bascha 
Mustaj,  I  und  rings  um  die  hohe  Mauer  sanken  usw. 

Der  serbische  Trochäus  wurde  nach  Goethe's  Vorgange 
auch  von  jener  trefflichen  Frau  angewandt^  der  das  serbische 
Volkslied  sein  Bekanntwerden  in  der  Welt,  verdankt.  Dass 
Goethe  und  Herder  bei  ihren  Verdeutschungen  serbischer 
Lieder  dem  Vers  jene  Form  gaben^  die  man  als  die  dem  Me- 
trum des  Originals  entsprechendste  ansehen  muss,  beruht,  wie 
bemerkt,  nicht  auf  einer  Erkenntniss  des  serbischen  Metrums, 
das  nur  im  Singen  erkennbar  wird,  beim  Lesen  und  Recitiren 
nicht  hervortritt.  Gesungen  wird  I  pönSsS  \  tri  tövärä  blägä^ 
recitirt  hingegen  l  pon^S  \  tri  tövärä  blägäy  wobei  natüriich 
-  betonte,  u  unbetonte  Silben  bezeichnet. 

Nach  einer  anderen  Hypothese  könnte  man  den  serbischen 
Trochäus  als  Erweiterung  des  vierfUssigen  Trochäus  ansehen, 
den  Herder  bei  der  Verdeutschung  spanischer  Romanzen  an- 
wendet: die  Erweiterung  wäre  durch  den  reicheren  Inhalt  des 
serbischen  Verses  hervorgerufen. 

Einer  andern  Ansicht,  bei  der  jede  Hypothese  über- 
flüssig wird,  huldigt  Düntzer,  der  in  seinem  Werke:  Goethe'a 
lyrische  Gedichte,  zweite  Auflage,  2.  Seite  464,  sich  folgender- 
massen  ausspricht:  ,Goethe  bemerkt  selbst,  er  habe  den  EJag- 
gesang  ,mit  Ahnung  des  Rhythmus  und  Beachtung  des  (bei- 
gefügten) Originals^  ^  übertragen.  Verstand  er  auch  nicht  die 
serbische  Sprache,  in  der  das  Gedicht  geschrieben  ist,  so  zeigte 
ihm  doch  die  Vergleichung  der  Übersetzung  mit  der  Urschrift, 
in  welcher  dasselbe  Wort  häufig  wiederkehrt,  welche  Freiheiten 
sich  der  Abbate  Fortis  bei  seiner  französischen  ^  Übertragung, 
von  der  Goethe  eine  deutsche  Übersetzimg  vorlag,  genommen 
hatte,  wie  dieser  vielfach  den  einfachen  Ausdruck  ungebührlich 
ausgeschmückt,  auch  manche  Übergänge  und  Erweiterungen 
eingeschoben.  Einiges  dieser  Art  schaffte  er  wohl  nach  Ver- 
gleichung mit  der  Urschrift  weg;  hätte  er  diese  sorgfältiger 
angestellt,   so  würde  er  wohl  leicht  noch  andere  ausflickende 


1  Goethe*8  Worte  lauten:  ,Ich  übertrug  ihn  (den  Rlaggesang)  nach  dem 
beigefügten  Französischen  mit  Ahnung  des  Rhythmus  und  Beachtung 
der  Wortstellung  des  Originals.* 

'  Richtig:  ,italieni8chen*. 


über  Gocthc's  «Klagg^esang  Ton  der  edlen  Frunen  des  Asan  Aga*.  455 

Zusätze  entdeckt  haben:  an  anderen  Stellen  leitete  den  Dichter 
sein  natürlicher^  den  Volkston  ahnender  und  sich  lebendig 
hinein  versetzender  Sinn.  Das  ursprüngliche  Versmaass  funf- 
fUssiger  Trochäen  erkannte  er  richtig,  während  er  in  der  deut- 
sehen  Übersetzung  jambische  Verse  von  5  7.2  Fuss  fand.  Hatte 
der  Übersetzer  nicht  Vers  für  Vers  sich  entsprechen  lassen, 
so  folgte  hier  Goethe  in  richtiger  Würdigung  genau  der  Ur- 
schrift, wodurch  er  nur  zu  einzelnen  Auslassungen  veranlasst 
ward;  auch  der  kleinen  durch  den  Vers  geforderten  Zusätze 
sind  wenige.  Besonders  glücklich  ist  die  einfache  Satzver- 
bindung und  die  bezeichnende  Wortstellung^ 

Wenn  Goethe  auch  nicht  das  Gesetz  von  der  Pause  nach 
der  vierten  Silbe  beobachtete  (29.  49.  54.  71.  90.),  wie  es  auch 
Talvj  nicht  gelingen  wollte  dasselbe  durchzuführen,  wenn  sie 
nicht  wesentlichere  Dinge  opfern  wollte,  so  finden  wir  doch 
die  viel  wichtigere  Regel  von  dem  Ruhepunkte  nach  der 
zehnten  Silbe  festgehalten.  Dies  ist  jedoch  nicht  specifisch 
serbisch,  es  wird  vielmehr  auch  von  deutschen  Metrikem  ge- 
fordert, dass  bei  längeren  Versen  das  Ende  des  einen  Verses 
dem  Sinne  nach  nicht  gar  zu  eng  mit  dem  Anfang  des  nächsten 
verknüpft  werde,  dass  nach  jedem  Verse  eine  Art  Pause  ein- 
trete, wodurch  derselbe  sich  gewissermassen  als  ein  Ganzes  dar- 
stellt. Diesem  Gesetze  folgt  Goethe  in  allen  seinen  Schöpfungen 
Platen  hat  sich  in  seinen  in  serbischen  Trochäen  gedichteten 
,Abassiden'  von  beiden  Regeln  emancipirt. 

Wenn  man  Goethe's  Nachdichtung  mit  seiner  Vorlage  ver- 
gleicht, so  sieht  man,  wie  er  dem  Geiste  des  Volksliedes  ahnend 
näher  tritt  und  dessen  Schönheiten  in  unvergleichlicher  Weise 
wiedergibt.  Nur  in  der  Übertragung  Bern,  1775  vorhanden,  wäre 
das  Lied  wohl  längst  vergessen,  während  ihm  in  Goethe's 
Nachdichtung  ein  unvergängliches  Dasein  beschieden  ist. 

Goethe  sagt  über  den  EJaggesang  1825  in  ,KunBt  und 
Alterthum'  V.  2.  53:  ,Schon  sind  es  fünfzig  Jahre,  dass  ich 
den  Elaggesang  der  edlen  Frau  Asan-Aga  übersetzte,  der  sich 
in  des  Abbate  Fortis  Reisen,  auch  von  da  in  den  morlackischen 
Notizen  der  Gräfin  Rosenberg  finden  liess.  Ich  übertrug  ihn 
nach  dem  beigefügten  Französischen  mit  Ahnung  des  Rhythmus 
und  Beachtung  der  Wortstellung  des  Originals.'  Der  Leser 
wolle   beurtheilen^    wie  viel   sich  von   dem   von   Goethe   nach 


456  Miklosich. 

einem  halben  Jahrhundert  gegebenen  Berichte  wird  retten 
lassen.  Mit  den  angefochtenen  fllnfzig  Jahren  kann  es,  wie 
schon  angedeutet  wurde,  seine  Richtigkeit  haben,  da  Qoethe's 
Aufzeichnung  aus  dem  Jahre  1826  stammt  und  die  der  Nach- 
dichtung zu  Grunde  liegende  Verdeutschung  1775  gedruckt  wurde. 
Ich  gehe  vom  Jahre  1825  aus,  da  Goethe  am  18.  Jänner  dieses 
Jahres  den  in  der  Mitte  des  Jahres  1824  verfassten  Entwurf 
in  mehr  ausgearbeiteter  Gestalt  Eckermann  vorlas.  Freiherr  von 
Biedermann  2.  31-2. 

6.  ÜbersetBung  von  Talvj. 

Hassan-Aga's  Gattin. 

Was  ist  Weisses  dort  am  grünen  Bergwald? 
Ist  es  Schnee  wohl,  oder  sind  es  Schwäne? 
War*  es  Schnee,  er  wäre  weggeschmolzen, 
wären's  Schwäne,  wären  weggeflogen, 
5  weder  ist  es  Schnee,  noch  sind  es  Schwäne, 
's  ist  das  Zelt  des  Aga  Hassan -Aga, 
wo  er  niederliegt  an  schlimmen  Wunden; 
ihn  besucht  die  Mutter  und  die  Schwester, 
doch  vor  Scham  vermag  es  nicht  die  Gattin. 

10        Als  er  nun  genas  von  seiner  Wunde, 
da  entbot  er  seiner  treuen  Gattin: 
,Harre  meiner  nicht  im  weissen  Hofe, 
,nicht  im  Hofe  und  nicht  bei  den  Meinen.^ 
Als  die  edle  Frau  dies  Wort  vernommen, 

15  blieb  erstarrt  sie  stehn  vor  grossem  Leide. 
Als  sie  Rosseshufschlag  hört  am  Hofe, 
da  entflieht  des  Hassan  •  Aga  Gattin, 
will  sich  aus  des  Thurmes  Fenster  stürzen; 
folgen  eilend  ihr  zwei  liebe  Töchter: 

20  ,Kehr'  zu  uns  zurücke,  liebe  Mutter, 
,nicht  der  Vater  ist  es,  Hassan -Aga, 
,ist  der  Beg  Pintorowitsch,  der  Oheim  1^ 
Und  es  kehret  Hassan -Aga's  Gattin, 
hängt  sich  jammernd  um  den  Hals  dem  Bruder: 

25  ,0  mein  Bruder,  o  der  grossen  Schande! 
,Von  fiinf  Kindern  will  er  mich  vertreiben!* 


über  Qoethe's  ,KIftgg«8fin^  von  der  edlen  Fronen  das  Atan  Aga^  457 

Schweigt  der  Beg  und  redet  keine  Silbe^ 

und  er  greift  in  seine  seid'ne  Tasche, 

zieht  daraus  hervor  den  Brief  der  Scheidung, 

30  dass  sie  frei  ssur  greisen  Mutter  kehre, 
einem  Anderen  sich  zu  vermählen. 

Als  die  edle  Frau  den  Brief  durchlesen^ 
küsst  sie  auf  die  Stirn  die  beiden  Söhne, 
auf  die  rothen  Wangen  beide  Töchter; 

36  aber  von  dem  Elleinsten  in  der  Wiege, 
nicht  vermag  sie's,  sich  von  ihm  zu  trennen. 
Bei  der  Hand  nimmt  sie  der  Bruder  endlich, 
reisst  sie  mühsam  los  vom  zarten  Knaben, 
lässt  sie  hinter  sich  das  Ross  besteigen, 

40  reitet  mit  ihr  nach  dem  weissen  Hofe. 

Kurze  Zeit  nur  weilt  sie  bei  den  Ihren, 
kurze  Zeit,  noch  keiner  Woche  Tage, 
ward  die  edle'  Frau  von  edlem  Stamme, 
ward  die  Frau  begehrt  von  allen  Seiten, 

46  auch  vom  grossen  Kadi  von  Imoschki. 
Bittet  sehr  die  edle  Frau  den  Bruder: 
,Ich  beschwöre  dich  bei  deinem  Leben, 
,wolle  keinem  Andern  mich  vermählen, 
,da8S  mir  nicht  das  Herz,  das  arme,  breche, 

60  ,wenn  ich  meine  Waisen  wiedersehe!* 
Doch  der  Bruder  achtet  nicht  ihr  Flehen, 
sagt  sie  zu  dem  Kadi  von  Imoschki. 

Und  noch  einmal  bat  die  Frau  den  Bruder, 
dass  ein  weisses  Briefblatt  er  beschreibe, 

66  und  es  senden  solle  an  den  Kadi: 

,Es  begrüsst  die  junge  Frau  dich  freundlich, 
,bittet  dich  mit  diesem  Briefe  schönstens, 
,wenn  du  edle  Hochzeitsleute  ladest 
,und  nach  ihrem  weissen  Hofe  ziehest, 

60  ,woir  ihr  einen  langen  Schleier  bringen, 
,das8  sie  drin  ihr  Angesicht  verhülle, 
,wenn  sie  vor  des  Aga  Hof  vorbeikommt, 
,dass  sie  ihre  Waisen  nicht  mehr  schaue!' 
Als  das  weisse  Schreiben  kam  zum  Kadi, 

65  sammelte  er  edle  Hochzeitsleute, 

SiUiuft^r-  d.  pbil.-biet.  Cl.    CHI.  Bd.  H.  Hft.  30 


458  Mfkloaieli. 

zog  mit  ihnen^  heim  die  Braut  zu  fahren; 
glücklich  kamen  sie  zu  ihrer  Wohnung, 
glücklich  kehrten  sie  mit  ihr  zurücke. 
Aber  als  sie  vor  des  Aga  Hofe 

70  sah'n  die  beiden  Töchter  aus  dem  Fenster, 
vor  die  Thüre  traten  beide  Söhne, 
und  sie  riefen  an  die  liebe  Mutter: 

,Kehr'  zu  uns  zurücke,  liebe  Mutter, 
,dass  das  Mittagsmahl  wir  mit  dir  theilen!^ 

75  Als  dies  hörte  Hassan -Aga's  Gattin, 

sprach  zum  Alt'sten  sie  des  Hoohzeitszuges: 
, Altester,  o  du  in  Gbtt  mein  Bruder! 
,La8s'  die  Rosse  hier  am  Hofe  halten, 
,dass  ich  meine  Waisen  noch  beschenke!^ 

80        Und  die  Rosse  hielten  vor  dem  Hofe, 
schön  beschenkte  sie  die  lieben  Kinder, 
gab  den  Söhnen  gold'ne  Lederstrümpfchen, 
gab  den  Töchtern  ungeschnittnes  Laken, 
und  dem  kleinsten  Enäblein  in  der  Wiege 

85  sendete  sie  auch  ein  seidnes  Kleidchen. 
Als  der  Held  dies  sähe,  Hassan -Aga, 
rief  er  zu  sich  seine  beiden  Söhne: 
,Kommt  zu  mir,  ihr  meine  armen  Waisen, 
,nicht  Erbarmen  wird  sie  mit  euch  flihlen, 

90  ,denn  von  Stein  ein  Herz  hat  eure  Mutter!' 
Als  dies  Hassan -Aga's  Gattin  hörte, 
schlug  zu  Boden  sie  mit  weissem  Antlitz, 
und  urplötzlich  riss  sich  los  die  Seele 
bei  dem  Schmerzensanblick  ihrer  Waisen. 

6.  Andere  Übersetzungen. 

_  •  •  __^ 

Die  Übersetzung  W.  Gerhardts,  Herausgebers  der  ,WiIa', 
abgedruckt  im  ,Archiv  f\ir  das  Studium  der  neueren  Sprachen 
und  Literaturen^  XHI.  Jahrgang,  23.  Band,  Seite  211,  kann 
nach  Talvj  nicht  als  ein  Fortschritt  bezeichnet  werden. 

Walter  Scott's  Übersetzung  der  Goethe'schen  Nachdichtung 
ist  verschollen:  sie  wurde  in  W.  Scott's  Apology  for  tale  of 
wonder  mit  anderen  Übersetzungen  in  zwölf  Exemplaren  ge- 


Übw  Goeth6*a  ,inaggetftng  tod  der  edlen  Fnnen  des  Aean  Aga*.  459 

druckt.  Goethe-Jahrbuch  3.  50.  Auf  diese  Schrift  bezieht  sich 
folgende  Stelle  in  J.  G*.  Lockhart's  Memoirs  1.  315:  ^aving 
again  given  a  week  to  Liddisdale,  Walter  Scott  speht  a  few 
days  at  Rosebank,  and  was  preparing  to  retum  to  Edinburgh 
for  the  Winter^  when  James  BallantTne  called  on  him  one 
moming,  and  begged  him  to  supply  a  few  paragraphs  on  some 
legal  question  of  the  day  for  his  newspaper.  Scott  complied; 
and  carrying  his  article  himself  to  the  printing-office,  took  with 
him  also  some  of  his  recent  pieces,  designed  to  appear  in 
Lewis's  collection.  With  these,  especially^  as  his  Memorandum 
saysy  the  Morlachian  fragment  after  Goethe.  Ballantyne  was 
charmed^  and  he  expressed  his  regret  that  Lewis's  book  was 
so  long  in  appearing.^  Die  Stelle  bezieht  sich  auf  den  Decem- 
ber  1799. 

In  das  Uechische  wurde  der  Elaggesang  übertragen  von 
S.  R.  Sloväk  in  Nejedl^'s  Hlasatel. 

In  das  Magyarische  endlich  hat  nach  Goethe  die  Dichtung 
Kazinczy  übersetzt. 

Andrö;  Hesperus  1821.  XXX.  Seite  31. 

In  A.  N.  Pypin's  und  V.  D.  Spasowicz's  Geschichte  der 
slavischen  Literaturen  I.  270  wird  von  einer  Übersetzung 
Ch.  Nodier's  geprochen,  die  nicht  zu  existiren  scheint:  in 
seinen  Werken  ist  sie  nicht  zu  finden. 


Anhang, 

1.  Über  die  ^morlackischen^  Dichtungen  in  Herder's 

^Volksliedern^ 

Herder's  ,Volkslieder'  1778,  1779,  später  ,Stimmen  der 
Völker',  enthalten  ausser  dem  yElaggesang'  noch  drei  ,mor- 
lackische'  Dichtungen.  Diese  sind  jedoch  keine  Volksdichtungen 
im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes,  d.  h.  aus  dem  Volksmunde 
aufgezeichnete  Lieder,  wie  dies  vom  ,Klaggesang',  nach  meiner 
Ansicht  mit  Recht;  vorausgesetzt  wird ;  es  sind  vielmehr 
Lieder,  welche  von  Andrija  Ea(i6-Miodiö  über  volksthümliche 
Themen  im  Ton  der  Volkslieder  gedichtet  sind,  der  jedoch 
nicht  immer  getroffen  ist  (man  vergleiche  ,Radoslaus').  I.  »Ein 
Gesang  von  Milos  Cobilich  und  Vuko  Brankowich.  Morlackisch.' 

30» 


460  MiVlosioh. 

I.  Seite  130  der  Originalausgabe  steht  bei  Ka6i6  in  der  Aus- 
gabe Venedig  1801.  Seite  45:  ,Plsm/i  od  Cibüichia  i  Vuka 
BrankovichiaJ  Lipe  ti  su  rumene  ruüce  \  u  hijelu  dvoru  LazarovUj 
niko  nezna,  koja  hiSe  lipSa^  |  koja  viSa,  koja  V  ramenija  usw.  Die 
Anmerkung  Seite  321  lautet:  ,Aus  Fatis  (Fortis)  Osserrazioni 
sopra  l'isola  di  Cherso  ed  Osero.  Venet.  1771.  4.  nach  seiner 
italienischen  Übersetzung  daselbst  p.  162/  11.  ^Radoslaus.  Eine 
morlackische  Geschichte.'  IL  Seite  161.  Das  Lied  bietet  Kaöi6: 
yPisma  od  Radoslava.'  JoS  zorica  ni  zabijelüa  \,  ni  damca  po- 
molüa  lica  \,  lastavica  tica  zapivcUa  \,  Radoslavu  kralju  pripivala, 
usw.  Über  diese  und  die  nachfolgende  Dichtung  sagt  die  An- 
merkung Seite  308:  ,B6ide  Stücke  sind  aus  einem  ungedruckten 
italiänischen  Manuscripte  des  Abbt  Fortis,  des  bekannten  Ver- 
fassers der  Osservaz.  sopra  Chesso  (Cherso)  ed  Osera  (Osero) 
und  der  Reise  nach  Dalmatien.  Die  Anzeige  dieser  Quelle  ist 
nicht  Dichtung,  sondern  Wahrheit.'  III.  ,Die  schöne  Dol- 
metscherin. Eine  morlackische  Geschichte.'  H.  Seite  167.  Bei 
Kaöi6,  Seite  120:  ,Pisma  od  Sekule  Jankova  netjaka,  dtvoßce 
dragomana  i  passe  Mustaj  bega.'  Sino6  paSa  pade  na  Gfraovo^  \ 
paSalije  okolo  Graova,  |  i  ostale  paSine  delije  \  u  Ntkole  Kneza  od 
Oraova  usw.  Am  Schlüsse  bemerkt  KaÖid:  ,Ovo  se  ptva  od 
naSega  naroda,  ko  6e  virovat,  neka  viruje,  ko  ne  <fe,  neka  miruje,* 

2.  Über  die  Gräfin  Rosenberg. 

Die  Gräfin  Rosenberg  spielt  in  der  Geschichte  Goethe's 
eine  kleine  Rolle:  der  Dichter  selbst  erwähnt  1825  ^morlackische' 
Notizen  von  ihr,  und  die  Stelle  ist  geeignet  die  Vermuthung 
zu  erregen,  als  ob  die  französische  Übersetzung,  die  Goethe 
als  seine  Vorlage  bezeichnet,  ihr  zu  danken  wäre.  Andere 
halten  die  in  Herder's  Volksliedern  von  1778,  1779  als  Quelle 
des  Klaggesangs  erwähnten  ,Sitten  der  Morlacken  1775*  für 
ihr  Werk.  Goethe -Jahrbuch  2.  132.  Diese  Angaben  sind  un- 
richtig. Es  gibt  kein  Werk,  das  man  als  ,morlacki8che'  Notizen 
der  Gräfin  Rosenberg  bezeichnen  könnte;  es  gibt  ebenso  wenig 
eine  französische  Übersetzung  des  Klaggesangs  von  ihr ;  es 
sind  endlich  ,die  Sitten  der  Morlacken'  von  1775  etwas  der 
genannten  Gräfin  vollkommen  Fremdes:  ihr  Name  kommt  in 
Herder's  Volksliedern   von    1778   nicht  vor.     Die   litterarische 


Üb«r  Ooethe's  «KlaggeMog  von  der  edlen  Franen  des  Asan  Aga*.  461 

Thätigkeit  der  Gräfin  Rosenberg  fUllt  in  die  Jahre  1787  und 
1788:  Pikees  morales  et  sentimentales.  Londres  1787;  Alticchiero. 
Padoue  (Beschreibimg  einer  Villa  bei  Padua)  1787;  Les  Mor- 
laques  (£n  Italie)  1788.  Dieses  hier  allein  in  Betracht  kommende 
ziemlich  seltene  (nach  Ch.  Kodier  ist  es  extraordinairement  rare) 
Werk  der  Gräfin  oder  nach  anderen  de  son  ami  ou  sigisbö;  le 
Comte  Benincasa;  zerfUUt,  trotz  fortlaufender  Pagina^  in  zwei 
Theile^  indem  Seite  183  als  Anfang  des  Vol.  11.  bezeichnet  wird. 
Es  ist  Katharina  11.  gewidmet.  Auf  dem  Widmungsblatt  nennt 
sich  die  Verfasserin  J.  (Justine,  wofür  der  italienische  Über- 
setzer Giustiniana  hat)  Wynne,  Comtesse  des  Ursins  et  Rosen- 
berg. Das  Buch  wird  von  Kodier  in  den  Mölanges  üriB  d'une 
petite  biblioth^quC;  Paris  1829.  Seite  187,  als  le  tableau  le 
plus  piquant  et  le  plus  vrai  des  moeurs  les  plus  originales  de 
TEurope  gerühmt:  Kodier  meint,  qu'il  n'existe  rien  d'aussi 
complet  en  aucune  langue  sur  cette  mati^re.  Les  Morlaques, 
bemerkt  Kodier,  ont  des  moeurs  aussi  tranch^es,  aussi  singu- 
lifcres;  aussi  pittoresques,  si  Ton  peut  s'exprimer  ainsi,  et  cepen- 
dant  mille  fois  moins  connues  que  celles  des  peuples  sauvages 
de  la  mer  du  sud. 

Die  morceaux  de  po^sie  esclavonne  sind  nach  Kodier  bien 
choisis  et  le  style  de  la  traduction  a  quelque  chose  de  la  nai- 
vet^,  du  nerf  et  de  la  couleur  de  Toriginal.  Dieser  aus  zehn 
Liedern  bestehende  Schatz  slavischer  Poesie  sind  die  eigenen 
Schöpfungen  der  Verfasserin,  obgleich  sie  ausdrücklich  ver- 
sichert: on  n'a  pas  cru  avoir  besoin  de  recourir  au  romanes- 
que  et  au  merveilleux.  Die  Lieder  sind  f\ir  die  Eenntniss  der 
nationalen  Eigenthümlichkeiten  und  der  Dichtung  der  Mor- 
lacken  von  keinem  hohem  Werth  als  die  Mystification  von 
Prosper  Merimee  in  seiner  Guzla  ou  choix  de  poösies  lyriques 
recueillies  dans  la  Dalmatie,  la  Bosnie,  la  Croatie  et  THer- 
zegowine.  Paris  1827. 

Während  M^rim^e's  Dichtungen  von  Goethe,  Kunst  und 
Alterthum  VI.  2.  327,  als  ein  geistreicher  Scherz  erkannt 
wurden,  wurde  dessen  Prosa  von  W.  Gerhard  in  deutsche 
Verse  übertragen,  ,eine  Übertragung,  die  ihm  bei  seiner  Ver- 
trautheit mit  dem  Periodenbau  des  serbischen  Rhythmus  leicht 
gewesen  sei^  Wenn  Kodier  die  Meinung  eines  anderen  Ge- 
lehrten,  der  in   dem  Werke   der  Gräfin   nichts   als  une   para- 


462  Miklosieli. 

phrase  nn  peu  ^tendue  d'un  chapitre  du  Viaggio  in  Dalmazia 
sieht,    bekämpft,    so  bekämpft  er  ein  vollkommen  begründete« 
Urtheil.    Auf  Rousseau's  Standpunkt  stehend  erinnert  die  Ver- 
fasserin in  ihrer  Beschreibung  an  die  «ixuiJLOvei;  Aiöioici}e(;,    deren 
Land  nach  Herodot  die  grössten,  schönsten  und  langlebendstcn 
Männer  hervorbringt,  was  vom   Lande   der  Morlacken  nicht 
unwahr  ist.     Das  Buch  hat  einen  italienischen  Übersetzer  ge- 
funden, dessen  Werk  1798  unter  dem  Titel:  Costumi  dei  Mor- 
lacchi  in  Padua  erschienen  ist.   Wenn  man  bedenkt,  dass  die 
Morlaques  zehn  Jahre  nach  den  VolksKedem  Herder's  erschienen 
sind  und  dass  in   denselben  der  Klaggesang  nicht  vorkommt, 
so  begreift  man  schwer,   wie  es  geschehen   konnte,    dass  der 
Verfasserin  jenes  Buches  in  der  Geschichte  Qt)ethe'8cher  Dich- 
tung eine  Rolle  zugewiesen  wurde. 

Das  Buch  ist  fiir  Ethnographie   ebenso   werthlos  wie  f^ 
die  Geschichte  des  Volksliedes. 

•  

3.  Aus  den  Briefen  von  Talvj  an  B.  Eopitar. 

Talvj  ist  der  Schriftstellemame  von  Therese  Albertine 
Luise  von  Jacob.  Am  26.  Januar  1797  zu  Halle  a.  S.  geboren 
starb  Talvj  am  13.  April  1870  zu  Hamburg.  Sie  vermählte 
sich  1828  mit  dem  amerikanischen  Professor  der  Theologie 
und  Palästinaforscher  Edward  Robinson,  der  ihr  am  27.  Januar 
1863  durch  den  Tod  entrissen  wurde.  Von  1830—1837  lebte 
sie  in  Amerika,  Anfangs  zu  Andover,  dann  zu  Boston,  die 
Jahre  1837 — 1840  brachte  sie  in  Deutschland,  ,ihrer  geistigen 
Heimat^  zu;  1840—1863  lebte  sie  in  New  York.  Von  da  an 
finden  wir  sie  abwechselnd  in  Berlin,  Italien,  Strassburg,  Karh- 
ruhe  und  Hamburg. 

Dass  an  dieser  Stelle,  am  Schluss  einer  einem  ,morlacki- 
schen'  Liede  gewidmeten  Abhandlung,  Auszüge  aus  den  Briefen 
dieser  hochbegabten  und  durch  herrliche  Charaktereigenschaften 
hervorragenden  Frau  mitgetheilt  werden,  hat  seinen  Grund  in 
ihrem  durch  unermüdliche  Arbeit  bethätigten  Interesse  an  der 
serbischen  Volksdichtung.  Lange  Jahre  hindurch  beruht  fast 
alle  Kunde  der  gebildeten  Welt  von  den  serbischen  Volks- 
liedem  auf  ihren  im  ganzen  vortrefflichen  Übertragungen. 
Und  wenn  Kopitar's  genaue  Bekanntschaft   mit  der  Sprach^ 


über  6oet]ie*t  ,Kligge8ang  tob  d«r  «dien  Fzmnen  des  Ann  Aga*.  463 

und  den  Sitten  sowie  der  Geschichte  des  Serbenvolkes  manches 
Bäihsel  löste;  wenn  Jakob  Grimm's  alle  2ieiteii  und  Räume 
umfassender  Blick  uns  die  Bedeutung  des  serbischen  Volks- 
gesanges in  ihrem  ganzen  Umfange  kennen  lehrte,  so  muss 
doch  anerkannt  werden,  dass  um  die  Bekanntmachung  dieser 
Lieder,  nach  dem  berühmten  Sammler  derselben^  Talvj  das 
grösste  Verdienst  Air  sich  in  Anspruch  nehmen  darf  Und 
ich  glaube  nur  eine  Pflicht  der  Dankbarkeit  gegen  eine  halb-, 
w«nn  nicht  ganz  vergessene  Frau  zu  erfüllen,  indem  ich  diese 
Auszüge  veröffentliche,  die  so  viele  Beweise  fUr  den  Ernst 
bieten,  mit  dem  sie  ihrer  Aufgabe  gerecht  zu  werden  bestrebt 
war.  Es  ward  jedoch  meist  nur  das  aufgenommen,  was  lite- 
rarisch von  Interesse  zu  sein  schien.  Einzelne  Stellen  werden 
auch  zeigen,  mit  welcher  Entschiedenheit  Talvj  an  ihren  Über- 
zeugungen festhielt:  die  Frau  widerstand  einer  Autorität,  vor 
der  sich  so  mancher  Mann  beugte. 

Talvj  erzählt  von  der  ungewöhnlichen  Theilnahme,  die 
die  serbische  Volkspoesie  in  den  zwanziger  und  dreissiger 
Jahren  unseres  Jahrhunderts  im  Norden  von  Deutschland  er- 
regte: Talvj's  Werk  ,genoBs  des  Interesses  und  des  Beifalls 
der  Edelsten  und  Ausgezeichnetsten  der  deutschen  Nation^ 
Diese  Theilnahme  werden  heutzutage  nur  wenige  begreifen. 
Dem  demokratischen  Zeitalter  gelten  die  Schöpfungen  des 
Volkes  gar  wenig:  sie  sind  so  naiv,  gar  nicht  witzig  und 
piquant.  Hat  sich  doch  selbst  Goethe,  wie  Eckermann  (3.  Oc- 
tober  1828)  mittheilt,  von  diesen  Liedern,  denen  er  früher 
ein  lebhaftes  Interesse  entgegen  gebracht  hatte,  abgewandt, 
sie  abgethan  und  hinter  sich  liegen  lassen:  der  durch  seine 
Leidenschaften  und  Schicksale  verdüsterte  Mensch  bedürfe  der 
Klarheit  und  der  Aufheiterung.  Und  wenn  Grillparzer,  L  155  ^, 
mit  Volkspoesie  und  —  Mittelhochdeutsch  nichts  zu  machen  weiss 
und  beides  mit  Wegspur  und  Lachen  vergleicht  —  und  meint, 
der  Pöbel  erzeuge  das  Schöne  nicht,  noch  gebe  er  dem  Schönen 
Gesetze,  so  muss  man  annehmen,  er  habe  edle  Volksdichtung 
nicht  kennen  gelernt.  Weim  er  femer  Homer  der  Volksdichtung, 
dem  Volksepos  entgegensetzt,  so  hat  er,  was  Dichtem  nicht 
selten  begegnet,   übersehen,   dass   die  hierin  allein  competente 


'  Weniger  ablehnend  äoBsert  lich  OrillpArzeir  9,  |90, 


464  Hikloticli. 

Alterthumsforschung  in  den  bewunderten  Gesängen  Homer*s 
Volkslieder  erkannt  hat:  nur  der  Volksgeist  schafft  durch  in 
seinem  Banne  stehende  Sänger  Werke»  die  als  ,Kanon  der 
Naturwahrheit'  gelten:  jedes  Volkslied  ist  von  einem  Individaum 
ausgegangen.  Wenn  endlich  Turgenev  einen  seiner  Helden 
sagen  lässt,  ohne  (die  von  Volk  zu  Volk  wandernde)  Civiliaa* 
tion  gebe  es  keine  Poesie,  so  erinnert  dieser  Ausspruch  an  die 
Behauptung,  die  Dichtkunst  sei  in  Qriechenland  erfunden 
worden  \  aus  der  folgen  würde,  die  Poesie  sei  wie  die  Dampf- 
maschine von  einem  Volk  zum  andern  gewandert.  Die  von 
Niemand  in  Abrede  gestellte  Rohheit  der  Helden  des  russiBchen 
Volksepos  soll  uns  die  Poesie  desselben  verleiden:  dann  wire 
die  Verworfenheit  mancher  Gestalten  Turgenev's,  z.  B.  des 
Polozov  imd  seines  Weibes,  ebenfalls  geeignet  uns  seine  Schö* 
pfungen  ungeniessbar  zu  machen. 

Wer  die  Volksdichtung  hoch  hält,  wer  in  ihr  die  wahre, 
die  ursprüngliche  Poesie,  sowie  in  der  Volkssprache  die  wahre 
Sprache  erblickt,  wird  sich  in  dem  Cultus  derselben  durch  die 
Aussprüche  selbst  eines  Goethe  nicht  beirren  lassen  —  der  wohl- 
feile Spott  A.  L.  Schlözer's  und  F.  Ch.  Nicolai's  ist  längst 
wirkungslos  geworden  —  er  wird  mit  der  ausgezeichneten  Frau, 
deren  Andenken  die  folgenden  Blätter  geweiht  sind,  fest  halten 
an  Montaigne's  goldenen  Worten:  ,La  poäsie  populaire  et  pure- 
ment  naturelle  a  des  naifvetös  et  gräces  par  oü  eile  se  com- 
pare  ä  la  principale  beaut^  de  la  po^sie  parfaicte,  seien  Tart^ 

Halle,  1834.  23.  Mai. 

Ew.  Wohlgeboren  mögen  gütigst  die  Freimüthigkeit  ent- 
schuldigen, mit  welcher  eine  Ihnen  völlig  Fremde  den  Versuch 
macht  eine  Correspondenz  anzuknüpfen^  von  welcher  sie  sich 
wesentlichen  Nutzen  verspricht.  Die  Unmöglichkeit,  hier  in  der 
Nähe  mir  Rathes  über  die  serbische  Sprache  und  die  ims  durch 
Herrn  Vuk  mitgetheilten  Poesien  erholen  zu  können,  die  Be- 
schränktheit  der  Hülfsmittel,   das   lebhafte   IntereÜe,   welches 


1  Graeci  apud  se  exortam  poSticam  autumant,  ut  totis  viribus  affirmat 
Leontias;  in  quam  credulitatem  et  ego  paululum  trahor,  iDemor  ali- 
qaando  ab  inclito  praeceptore  meo  (Petrarca)  audiisse  penes  priscos  grae- 
cos  tale  huic  fuisse  principium  Boccaccio. 


über  Qoethe'B  «KlftggoBang  ▼•!!  der  edlen  Frauen  des  Asan  Ag»'.  46ö 

mir  der  Gegenstand  eingeflößt  —  alles  dieß  giebt  mir  den  Muth 
dazu^  und  die  thÄtige  Theilnahme,  welche  Ew.  Hochwohlgeboren 
dem  Unternehmen  des  Herrn  Vuk  bewiesen ,  läßt  mich  hoffen^ 
daß  Sie  auch  meinen  Übersetzungen  Ihre  gütige  Aufmerk- 
samkeit nicht  ganz  versagen  werden.  Habe  ich  auch  den 
rechten  Ton  getroffen?  Man  täuscht  sich  so  leicht  über  eigne 
Arbeit!  Ihrem  Brief  an  meinen  Vater  zufolge,  sende  ich  bei- 
liegende Blätter  an  Sie,  indem  ich  Sie  ersuche,  sie  Herrn  Vuk, 
dem  ich  diese  öffentliche  Mittheilung  mündlich  versprochen  habe, 
baldmöglichst  zuzustellen.  Was  die  eingerückten  poetischen  Über- 
setzungen anbetrifft,  so  finde  ich  selbst  jetzt  manches  beym 
nochmaligen  Bearbeiten  zu  Ändernde  (jedoch  nichts  Wesent- 
liches). Die  Sache  scheint  in  Norddeutschland  großes  Aufsehen 
zu  machen,  aber  freilich  ist  die  Originalsprache  gänzlich  unbe- 
kannt, und  selbst  berühmte  slavische  Sprachkenner  vermögen, 
wie  vertraut  sie  immer  mit  dem  grammatischen  Theil  der 
Sprache  seyen,  mir  nicht  den  mindesten  Beistand  zu  geben, 
wo  es  ihre  Feinheiten  gilt.  Ich  habe  demnach,  durch  eine 
geringe  Kenntniß  des  Rußischen  und  lebhafte  Wißbegierde 
unterstützt,  die  Sache  ganz  allein  unternehmen  müßen,  und 
ein  ganzes  Heft  metrischer,  treuer  Übersetzungen  sind  bereits 
in  Goethe's  Händen,  der  sich  im  hohen  Grade  für  den  Gegen- 
stand intereßirt.  Er  fordert  mich  wiederholt  auf  in  meinen 
Bemühungen  fortzufahren,  und  sein  Wunsch  allein  würde  mir, 
einer  seiner  wärmsten  Verehrinnen,  hinreichend  seyn,  wenn  nicht 
schon  eigne  Lust  genugsam  ermuthigte  es  mit  so  mannichfachen 
Schwierigkeiten  aufzunehmen.  Ich  bin  jetzt  mit  dem  epischen 
Cyclus  vom  Königssohne  Marko  beschäftigt,  aber  ich  sehe  schon 
aus  der  Feme  allerley  Hindernisse  mich  drohend  anblicken: 
sprüchwörtliche  Redensarten,  Localitäten  etc.,  über  die  mir 
kein  Lexicon,  am  wenigsten  des  Vukische,  das  mich  unbarm- 
herzig oft  im  Stich  läUt,  Auskunft  giebt;  und  nun  —  um 
endlich  zum  Resultat  dieses  weitläuftigen  Berichts  zu  kommen: 
Herr  Vuk  ist  allzufern,  und  wenn  eine  Correspondenz  nach 
Wien  schon  ihre  Schwierigkeiten  hat,  fllrcht'  ich,  würde  eine 
nach  Serbien  von  hier  aus  fast  unmöglich  seyn ;  darf  ich  daher, 
hochwohlgebomer  Herr!  Sie  Selbst  um  Auskunft  bei  bedenk- 
lichen Stellen  ersuchen  und  Sie  im  Nothfall  mit  einem  ganzen 
Heer  von  Fragen  überschütten? 


466 


[iklotieh. 


Halle,   1824.  10.  August. 

Nichts  hätte  mir  erfreulicher  sein  köimen  als  Ew.  Hodi- 
wohlgeboren  gütiges  Anerbieten,  die  letzte  Durchsicht  meines 
Manuscriptes  zu  übernehmen.  Ich  hatte  nicht  den  Muth  Sie 
darum  zu  ersuchen,  da  ich  theils  nicht  wußte,  ob  Ihre  Mufie 
es  Ihnen  verstattete,  theils  auch  fltrchten  mußte,  Ihnen  mit  der 
Zumuthung  eine  —  ziemlich  flüchtige  —  Handschrift  zu  durch- 
lesen, beschwerlich  zu  fallen,  wie  sehr  ich  auch  sonst  von  Ew. 
Hochwohlgeboren  Interesse  für  den  Gegenstand  überzeugt  seyn 
kann.  Nur  um  Aufklärungen  über  Einzelnes,  Notizen  etc.  wagte 
ich  zu  bitten.  Mit  um  so  gri^sserem  Eifer  habe  ich  mich  aber 
nun  dazugehalten,  und  ich  würde  schon  in  wenigen  Wochen 
im  Stande  seyn  Ihnen  ein  Manuscript  zu  schicken,  was  hinreicht, 
einen  massigen  Octavband  zu  fbllen,  weim  nicht  Goethe  mich 
so  eben  brieflich  ersucht,  es  ihm,  vordem  es  nach  Wien  abgeht, 
zu  übersenden,  damit  er  nach  seinem  Ausdrucke  ,6ich  den 
Werth  der  Gedichte  noch  tiefer  einprägen,  und  unterdeßen 
seine  Gedanken  darüber  sammeln  könne,  um  zuletzt  sich  im 
Einklang  mit  mir  gegen  das  Publicum  zu  erklärend  Seine,  mir 
natürlich  höchst  wichtige,  Theilnahme  verzögert  demnach  die 
Sache  um  eine,  wie  ich  hoffe,  nur  kurze  Zeit. 

Leider  ist  es  mir  trotz  aller  meiner  Bemühungen  unmög- 
lich gewesen  das  Stück  des  Hormayr'schen  Archivs,  welches 
die  serbischen  Gedichte  enthält,  zu  bekommen.  Nicht  genug 
ist  überhaupt  die  grosse  literarische  Spaltung  zwischen  Nord* 
und  Süddeutschland  zu  beklagen ! 

Was  den  Druck  anbetrifft,  so  räth  mir  Goethe  mich  deß- 
halb  nach  Wien  zu  wenden,  wo  er  ein  regeres  Intereße  fttr 
die  Sache  voraussetzt,  und  da  es  mir  daselbst  ganz  an  Con- 
nexionen  mangelt,  so  nehme  ich  mir  die  Freiheit  auch  hier  um 
Ihre  gütige  Vermittlung  zu  bitten.  Wären  Sie  so  gütig»  diesen 
oder  jenen  soliden  Buchhändler  zu  fragen,  ob  er  geneigt 
sey  die  Sache  zu  übernehmen,  und  mir  dann  die  Erklärung 
deßelben  zu  melden,  so  würde  ich  Sie  gern  mit  den  weitern 
Verhandlungen  verschonen.  Die  thätige  Theilnahme,  zu  welcher 
mir  Goethe  Hoffnung  macht,  wird  auch  bey  einem  Buchhändler 
gewiss  nicht  ohne  Gewicht  seyn. 

Ihre  Anfrage  wegen  der  griechischen  Gedichte  beantworte 
ich  zum  Schluß  mit  Folgendem :  Goethe  schreibt  mir  darüber: 


über  Goethe*«  ,KlftggeMng  von  der  edlen  Frenea  des  Äsen  Age*.  467 

Die  griechiBchen  Gedichte  hat  mir  Herr  von  H[axthau8en]  im 
Jahre  1816  in  Wiesbaden  zum  Theil  vorgelesen,  wo  ich  ihn 
dann  zur  Heraui^abe  sehr  ermunterte  und  Theil  zu  nehmen 
▼ersprach.  Da  er  mir  in  der  Folge  ganz  aus  dem  Auge  kam, 
rief  ich  ihn  auf  (Kunst  und  Alterthum  IV.  Band,  S.  168),  worauf 
er  sich  wieder  hören  ließ,  und  ^war  in  einem  Briefe,  in  wel- 
chem er  sich  ganz  als  Herausgeber  solcher  Gedichte  legitimirt 
und  qualifizirt;  auch  war  die  Rede  davon,  daß  sie  zu  Michael 
voriges  Jahr  bey  Cotta  herauskommen  und  der  französischen 
Ausgabe  den  Schritt  abgewinnen  sollten.  Jedoch  dieß  geschah 
nicht,  und  die  Erklärung  des  Räthsels  scheint  mir  in  der 
Unentschlossenheit  des  wertben  Mrawfl  m  liegen;  ihm  schwebt 
zu  vieles  vor^  er  etc. 

Halle,   1824.  6.  Oktober. 

Der  Umstand,  daß  mir  noch  vor  sechs  und  einem  halben 
Monat  die  öerbische  Sprache  völlig  fremd  war,  die  wenigen 
Bülfsmittel,  deren  ich  mich  zu  ihrer  Erlernung  bedienen  konnte 
—  alles  dieß  giebt  mir  ein  Recht  auf  Ihre  Nachsicht.  Rußisch 
habe  ich  immer  nur  nothdtirftig  verstanden,  und  es  in  den  sieben 
Jahren,  seitdem  ich  es  nicht  mehr  sprechen  gehört  habe,  vol- 
lends vergeßen.  Bey  so  geringen  Kenntnissen  würde  ich  eine 
so  schwierige  Sache  gewiß  nie  unternommen  haben,  in  der 
Hoffnung,  daß  schon  ein  Kundigerer  sich  damit  befassen  würde, 
wenn  nicht  Goethe's  Dringen  und  Vertrauen,  daß  eine  glückliche 
Gabe  der  Auffassung  fremder  Individualität  und  Volksthümlich- 
keit  mich  dazu  berufe,  mich  dazu  bestimmt  hätte.  Eben  so 
unzweifelhaft  wird  Ihnen  vieles  höchst  unzulänglich  wieder- 
gegeben, verfehlt  ausgedrückt,  viele  eigenthtimliche  Schön- 
heiten werden  Ihnen  vernichtet  erscheinen.  Bey  dem  so  total 
verschiedenen  Geist  der  beyden  Sprachen  mußte  viel  Einzelnes 
geopfert  werden.  Es  lag  mir  daran,  die  Verse  deutschen  Lesern 
mundrecht,  deutschen  Lesern  wohlklingend  zu  machen,  darum 
habe  ich  von  Namen,  Titeln  etc.  übersetzt,  was  sich  nur 
irgend  übersetzen  ließ.  Ihre  genaue  Bedeutung  habe  ich  in 
Anmerkungen  hinter  dem  Text  angegeben :  man  kann  sie  lesen, 
wenn  man  will.  Der  Eindruck  des  Ganzen  bleibt  dadurch 
ungeschwächt;  während  Noten  unter  dem  Text,  wie  sie  zur 
Erklärung  durchaus  nothwendig  sind,  wenn  ich  in  ihrer  eigensten 


468  UikloBieh. 

Bedeutung  unUbertragbare  Wörter  beibehalte,  einem  bejm  L^en 
den  Genuß  durch  die  beständigen  Unterbrechungen  yerkümmem 
würden.  Die  fremdklingenden  Laute  würden  den  Fall  der  Verse 
unvermeidlich  hölzern ,  schwer,  unfließend  machen,  und  Sie 
wissen,  daß  der  grösste  Theil,  selbst  des  gebildeten  Publikums 
wohllautende  Verse  fiir  Poesie  hält.  Und  wie  beschränkt 
auch  diese  Ansicht  ist,  darin  hat  es  Recht,  wenn  es  verlangt, 
daß  die  deutschen  Verse  dem  deutschen  Ohre  grade  so  vertraut 
klingen  sollen,  wie  die  serbischen  dem  serbischen:  Vossens 
Übersetzungen,  Ahlwardt's  Ossian  etc.  sind  darum  fast  bloß  in 
den  Händen  der  Gelehrten.  Wir  wollen  von  ihren  Verdeutschun- 
gen den  Eindruck  empfangen,  den  Griechen,  Lateiner,  Eng- 
länder, Schotten  von  den  Originalen  empfiengen  und  noch  er- 
halten; daAir  laßen  sie  uns  keinen  Augenblick  vergessen,  daß 
wir  Übersetzungen  lesen.  Aus  allzu  grosser  Treue  gegen  das 
Einzelne  werden  sie  dem  Charakter  des  Ganzen  untreu.  — 
Diesen  Grundsatz  wünsch'  ich  fest  zu  halten.  Sonst  gebe  ich 
Ihnen  dieß  Manuscript  ganz  Preiß:  streichen  Sie,  was  Ihnen 
ungehörig  scheint,  deuten  Sie  unbedenklich  an,  was 
Ihnen  mißfällt.  Ich  werde  Ihnen  für  Ihren  Tadel  wahrhaft 
erkenntlich  seyn.  —  Weglassungen  habe  ich  nur  sehr  wenig, 
Zusätze  gar  nicht,  Änderungen  nur,  wenn  sie  mir  durchaus 
nothwendig  schienen.  Ihrer  Einsicht  vertrau'  ich,  daß  Sie 
diese  Stellen  von  den  mißverstandenen  unterscheiden  werden. 
Durch  die  Enthaltsamkeit,  mit  welcher  ich  Goethe's  Aufforderung 
,den  Poeten  die  Köpfe  zurechtzusetzen^  »alles  hübsch  in  Fluß 
zu  bringen*  —  Folge  geleistet,  habe  ich  mir  bei  Ihnen  gewiß 
Lob  verdient.    Nicht? 

Mit  noch  grösserem  Zagen  übergebe  ich  Ihnen  die  histo- 
rische Einleitung.  Es  ist  der  allererste  historische  Versuch,  den 
ich  wage,  und  nicht  einmal  die  kleinste  Schularbeit  vorange- 
gangen. Bey  der  gänzlichen  Unwissenheit  unseres  Publikums 
über  serbische  Geschichte  schien  mir  eine  solche  Einführung 
durchaus  nothwendig.  Wie  gern  hätte  ich  gesehen,  wenn  ein 
andrer  Sachkundigerer  mich  in  dieser  Arbeit  unterstützt  hätte: 
aber  wem  hätte  ich  dieß  ohne  Unbescheidenheit  zumuthen 
können  ?  Ich  verlasse  mich  darauf,  daß  Sie,  der  Sie  Sich  einmal 
mir  beyzustehen  anheischig  gemacht,  auch  diese  Einleitung  einer 
Durchsicht  würdigen  werden.  Aus  den  breiten  Rändern,  die  ich 


über  Goetho's  «Klftggesiu);  tod  der  edlen  Frauen  dee  Asan  Aga'.  469 

überall  gelassen,  sehen  Sie,  wie  sehr  ich  zu  Verbesserungen 
geneigt  bin.  Ich  habe  mancherley  darüber  gelesen,  und  dann, 
unter  vielem  Seufzen,  diesen  Abriss  entworfen.  —  Was  die 
Anmerkungen  anbetrifft,  so  erröthe  ich,  wie  oft  ich  mich  darin 
gewißermaßen  mit  fremden  Federn  schmücken  muß,  als  Lehrerin 
auftrete  in  Sachen,  die  ich  selbst  eben  erst  gelernt.  Sollten  in 
dem,  was  Sie  ihnen  gütigst  hinzufügen  wollen,  vielleicht  gelehrte 
Anmerkungen,  griechische  Citate  etc.  vorkommen,  so  erlauben 
Sie  mir  wohl,  sie  von  den  meinen  gesondert,  mit  dem  Anfangs- 
buchstaben Ihres  Namens,  zu  unterzeichnen?  — 

Zu  einer  Vorrede  erklärt  mir  Goethe  nicht  Kenntniss  genug 
von  der  Sache  zu  haben:  er  schreibt  aber  eine  weitläuftige, 
motivirte  Empfehlung,  wahrscheinlich  für  sein  Heft  f)ir  Kunst 
und  Alterthum.  Sonst  interessirt  er  sich  vor  wie  nach  dafür. 
Das  Manuscript  hat  er  mir  mit  einigen  wenigen  Bemerkungen 
und  einigen  Beylagen  zurückgeschickt,  die  ich  hier  anfüge. 
Die  bloß  chronologische  Anordnung,  die  ich,  und  zwar  mit  seiner 
Beystimmung,  gewählt,  schlägt  er  mir  vor,  mit  einer  zwar  viel 
geistreichern,  aber  doch  wohl  weniger  natürlichen  zu  vertau- 
schen. Was  meinen  Sie  dazu?  Er  versichert  zwar  wiederholt, 
mich  nicht  geniren  zu  wollen  u.  s.  w.  Indessen  ich  ehre  und 
liebe  ihn  so,  daß  ich  ihm  gern  in  Allem  willfahren  möchte. 
Überdem  sehe  ich  jetzt  ein,  daß  meine  chronologische  Ordnung 
auch  nicht  ganz  richtig  ist. 

Dem  Herrn,  welcher  sich  für  mich  mit  der  Übersetzung 
bemüht,  bitte  ich  meinen  ergebensten  Dank  abzustatten.  Für 
meinen  Zweck  ist  sie  vollkommen  gut.  Ich  will  nun  sehen, 
wie  ich  damit  fertig  werde. 

Halle,     1825.  6.  Januar. 

Für  die  Beybehaltung  der  serbischen  Wörter:  kum, 
dever  etc.  bin  ich  durchaus  nicht.  Noten  unter  dem  Text,  die 
doch  schlechterdings  zur  Erklärung  noth wendig  wären,  ver- 
derben immer  den  reinen  Eindruck  des  Poetischen.  Auch 
Ooethe  ist  hier  ganz  meiner  Meinung,  und  wenn  er  selbst  Swaten 
beibehielt,  so  war  dieß  offenbar  nur  darum,  weil  er  die  Bedeu- 
tung nicht  recht  verstand ;  er  würde  sonst  nicht  Stari  svat  durch 
Fürst  der  Svaten  übersetzen,  wobey  er  bloß  das  principe  des 
Fortis  im  Auge  hatte.     Ohne   Zweifel  hielt   er  die  Suaten  für 


470  Miklosieh. 

einen  Stamm^  ein  eigenes  Geschlecht.  —  Wie  Groethe  sonst  von 
jener  pünktlichen  Genauigkeit  entfernt  ist^  beweist  wohl,  dafi 
er  in  demselben  Gedicht  Beg^  Dahia  ohne  alle  Unoustände  gani 
weglässt. 

Noch  muß  ich  bemerken,  daß  Ew.  Hochwohlgeboren  mir 
allzuwenig  Übersetzungsfreiheit  verstatten.  Sollte  mir  nicht 
die  Veränderung  eines  Übergangs,  einer  Wendung  erlaubt  seyn? 
—  Ich  denke  wunder  wie  treu  ich  gewesen,  wie  genau  ich  mich 
dem  Original  angeschmiegt  —  aber  die  vielen  rothen  Kreuachen 
und  Strichelchen  bey  der  leisesten  Abweichung  haben  mich 
erschreckt.     Wenn  ich  z.  B.  sage: 

Also  war  das  Kriegsheer  vorbereitet, 

Als  die  Türken  auf  das  Schlachtfeld  fielen  — 

statt :  kaum  war  das  Heer  vorbereitet,  scheint  es  mir  im  Wesent- 
lichen dasselbe,  da  der  Leser  schon  weiß,  daß  Kossowo  das 
Schlachtfeld  ist;  —  kaum  ist  im  Deutschen  matt,  und  scheint 
mir  durch  jenes  also  —  als  ersetzt. 

In  der  bist.  Einleitung  verweisen  Sie  mich  einigemal  auf 
Engel  und  Stritter,  aber  grade  diese  Schriftsteller  sind  es,  die 
ich  hauptsächlich  benutzt  habe.  Namentlich  sagt  der  Erste, 
daß  es  die  Awaren  gewesen,  welche  von  den  Serbiem  aus  den 
Ländern,  welche  sie  jetzt  inne  haben,  vertrieben  worden  seyn. 

Für  die  Lieder,  welche  mir  Herr  W.  zusendete,  sa^ 
ich  ihm  meinen  besten  Dank;  einige  davon  habe  ich  aufge- 
nommen,  andere  (die  Gelegenheitsgedichte)  nur  darum  unüber- 
setzt  gelassen,  weil  mir  es  bedeutend  schien,  daß  die  deutsche 
Lesewelt  erst  durch  die  Kenntniss  des  ihr  verwandteren  Ge- 
müthslebens  jener  fremden  Völkerschaften  fUr  die  Beziehun- 
gen  und  Verhältnisse  seines  äussern  Lebens  Interesse  gewänne, 
und  sie  mir  deOhalb  für  eine  etwannige  folgende  Lieferung  auf- 
zusparen. Was  aber  einen  dritten  Theil  der  übersandten  Lieder 
anbelangt,  so  wundere  ich  mich,  muß  ich  gestehen,  nicht  wenig, 
wie  Herr  W.  oder  irgend  jemand  auf  den  Gedanken  konuneii 
kann,  ein  Frauenzimmer,  und  noch  dazu  ein  noch  ziemlich 
junges,  könne  diese  Produkte  einer,  wenn  auch  nicht  unpoeti- 
schen, doch  theils  höchst  frivolen,  leichtfertigen,  theils  rohen 
Laune  in  einer  von  ihr  veranstalteten  Sammlung  aufnehmen 
wollen.    Wenn  ich  mich,  um  die  Schönheit  des  Ganzen  willen. 


Üb«r  Ooetbe't  .Klafgtiang  Ton  d«r«dl6a  Fraura  dei  kwx  Aga*.  471 

entscUoßen  babe^  einige  grössere  Gedichte  mit  zu  übersetzen, 
in  denen  manches,  trotz  aller  Zartheit  des  Wiedergebens,  unzart 
blieb,  so  glaube  ich  schon  den  äussersten  Schritt  gethan  zu 
haben. 

Noch  habe  ich  einige  Fragen  auf  dem  Herzen,  um  deren 
Beantwortung  ich  Sie  angelegentlich  bitte.  Nemlich:  wie  geht 
es  zu,  daß  in  der  Behandlung  der  Liebe  zwischen  den  grossen 
und  kleinen  Gedichten  ein  so  greller,  schneidender  Unterschied 
ist,  als  gehörten  sie  gar  nicht  einem  Volk  an?  In  den  Helden- 
gedichten die  laueste,  unzulänglichste,  eigennützigste  Keigung*, 
in  den  kleinen  Liedern  wechselweise  die  zarteste  und  glühendste, 
die  geistigste,  und  sinnlich  heftigste  Empfindung?  —  Dichtet  der 
Sänger  der  Heldenlieder  niemals  Liebeslieder?  Liegt  es  daran, 
daß  die  Heldensänger  Greise,  die  Dichter  der  andern  Jünglinge 
und  Mädchen  sind?  —  Die  andre  Frage  hängt  damit  zusammen, 
und  Herr  W.  wird  die  vollständigste  Antwort  darauf  geben 
können :  wie  ist  das  Verhältniss  der  Frauen  der  Serben  ?  —  Aus 
den  Hochzeitceremonien,  aus  tausend  andern  Dingen  geht  hervor, 
daß  es  demüthigend  genug  ist;  doch  scheint  es  mir  nach  Allem, 
was  ich  in  Pouqueville  über  die  Lage  der  Albanierinnen,  in  For- 
tis,  Townson  und  Andern  über  die  der  Morlakinnen  [lese],  wenn 
ich  diese  mit  den  Liedern  vergleiche,  wo  ich  die  Serbinnen  sich 
ziemlich  frei  bewegen  sehe,  mit  ihren  Männern  zu  Tische  sitzen, 
(z.  B.  die  Zarin  Militza)  mit  Stickereyen  beschäftigt  etc.,  als 
wäre  das  Verhältniss  bey  weitem  nicht  in  dem  Grade  herab- 
würdigend und  empörend,  wie  das  jener  unglücklichen,  ver- 
wahrlosten Frauen.  Oder  werden  sie  auch  behandelt  wie  Last- 
thiere?  Müssen  sie  auch  die  schweren  Hausarbeiten  verrichten? 
—  Sehr  verbinden  würden  Sie  mich,  wenn  Sie  beyde  Fragen 
umständlich  beantworteten. 

Leider  ist  es  mir  ganz  unmöglich  gewesen  über  die  Sitten 
der  eigentlichen  Serben  und  Bosnier  etwas  Genügendes  zu  lesen, 
da  kein  Mensch  mir  ein  brauchbares  Buch  darüber  zu  nennen 
wusste.  Über  die  ihnen  verwandten  Völker,  die  dalmatinischen 
Slaven  etc.  habe  ich  gelesen,  was  ich  nur  habe  aufbringen 
können;  femer  auch  das  Sclavonien  und  Croatien  von  Herrn  v. 
Czaplowitz,  ein  Buch,  das  mich  freilich  wenig  erbauen  konnte. 
Ezistirt  nichts  fUr  mich  zu  meinen  Anmerkungen  Brauchbares 
über  Sitten,  Gebräuche  etc.  der  Serben? 


472  iriVlosieh. 

Ich  muß  diesem  langen  Brief  noch  einige  Worte  zufiigen : 
Goethe  hat  die  kleinste  Meinung  von  den  bewussten  Griechen- 
liedem.  ^Schlagt  ihn  todt^  schlagt  ihn  todt!  Lorbeem  her!  Blat! 
BlutM  —  sagt  er,  ,da8  ist  noch  keine  Poesie^  —  Ob  er  ge- 
recht ist,  kann  ich  nicht  beurtheilen,  da  ich  die  Sachen  nicht 
kenne.  Gegen  den  Übersetzer  aber  war  er  es  nicht.  —  Goedie 
schenkt  meiner  Beschäftigung  unausgesetst  den  lebhaftesten 
Antheil;  zu  einer  Vorrede  scheint  er  indeßen  nicht  mehr  auf- 
gelegt zu  sejn,  und  es  widersteht  meinem  Gefbhi  durchauB  deO- 
wegen  einen  zweiten  Schritt  zu  thun.  Er  scheint  anfiinglich 
selbst  die  Idee  gehabt  zu  haben,  ich  habe  indeßen  aus  ge- 
wissen Gründen  nie  fest  darauf  gerechnet. 

Halle,   1825.  2.  Jnnios. 

Wenn  ich  es  länger  als  billig  versäumte,  Ew.  Hochwohl- 
geboren  auf  Ihre  beyden  verbindlichen  Schreiben  zu  antworten, 
so  geschah  es,  weil  ich  von  Tag  zu  Tag  hoffen  durfte,  bey- 
folgendes  Buch,  das  ich  Ihnen  zugleich  tibersenden  wollte,  be- 
endigt zu  sehn.  Von  Neujahr  bin  ich  aus  Ursachen,  die  lieber 
hier  unerwähnt  bleiben  mögen,  hingehalten  bis  jetzt.  Sie  werden 
das  Manuscript  bedeutend  verringert,  statt  des  vielen  Weg- 
gelaßenen  einiges  Neue  hinzugefligt  finden.  Nehmen  Sie  es 
mit  Güte  und  Nachsicht  auf!  Vieles  Mangelhafte  ist  mir  jetzt 
schon  deutlich;  andres  ahnde  ich  dunkel.  Da  Sie  nicht  wollten, 
daß  ich  mich  des  Schildes  Ihres  gelehrten  Namens  bediente, 
mich  vor  manchem  zu  erwartenden  Angriff  zu  schützen;  da 
auch  Herr  Wuk  es  fUr  besser  hielt,  wenn  ich  mich  nicht  auf 
seine  Autorität  berief;  so  habe  ich,  wiewohl  nur  ungern,  des 
Antheils,  den  Sie  beyde  an  der  Correktheit  des  Werkes  haben, 
gar  nicht  erwähnt.  Möge  es  denn  allein  sich  seinen  Weg  bahnen! 

Goethe's  Aufsatz  wird  Sie  wahrscheinlich  so  wenig  be- 
friedigt haben  als  mich.  Er  enthält  auch  durchaus  nichts 
Bedeutendes.  Die  wunderliche  Ansicht  von  der  Wila,  die 
durchaus  mit  der  Eule  zusammenhängen  soll,  habe  ich  ihm 
schon  einmal  mündlich  auszureden  gesucht:  ich  sehe,  er  ist 
wieder  darauf  zurückgekommen.  Die  kurze  Charakteristik, 
die  er  von  den  kleinem  Liedern  giebt,  ist  nach  den  Nummern 
meines  Manuscriptes  geordnet.  Sie  erscheinen  gedruckt  in 
andrer,  beßrer  Folgenreihe. 


über  Goethe'8  ,Klaggenng  von  der  edlen  Frauen  des  Asan  Aga*.  473 

Fast  vollständig  liegen  in  meinem  Pulte  Materialien  zu 
einem  zweyten  Bande  voiräthig.  Sie  würden  mich  sehr  ver- 
binden^  wenn  Sie  mir  mit  der  Zeit  noch  mehrere  wörtliche 
Übersetzungen  zusendeten,  wie  Sie  gütigst  mich  bis  jetzt  mit 
einigen  versehen  haben. 

Was  Sie  mir  an  Leetüre  zur  Benutzung  vorschlugen,  so 
hatte  ich  Fortis  schon  mit  IntereÜe  gelesen,  durch  die  Mor- 
lacken  der  Gräfin  Wynne  Rosenberg  hatte  ich  mich  ebenfalls 
schon  durchgearbeitet,  sowie  durch  ein  Paar  andre  nicht  weniger 
langweilige  Bücher  der  Art.  Da  Alles^  was  darin  über  Sitten 
etc.  der  Moriachen  steht,  aus  Fortis  genommen  ist,  so  beach- 
tete ich  den  Roman  gar  nicht,  und  hielt  mich  ausschliesslich 
an  jenen.     Vialla  las  ich  später  auf  Ihre  Empfehlung. 

Halle,  1826.   10.  Januar. 

In  Bezug  auf  Ihr  letztes  Schreiben  Folgendes:  Sie  werfen 
mir  zu  wenig  Liebe  Air  den  Gegenstand  vor  —  aber,  daß  ich 
diese  Liebe  nicht  zur  Schau  trage,  nicht  in  Noten  und  An- 
merkungen durch  Exclamationen  und  Fingerzeige  auf  die  ein- 
zelnen Schönheiten  des  Textes  aufmerksam  mache^  das  kann 
ich  unmöglich  für  einen  gültigen  Gegenstand  des  Vorwurfs 
halten.  Nichts  verkümmert  mir  bey  verwandten  Dingen  den 
Genuss  mehr  als  dieß  ewige  Hervortreten  der  Persönlichkeit 
des  Herausgebers,  Sammlers  u.  s.  w.  Mich  dünkt,  den  gleich- 
gültigen Leser  wird  es  nicht  empfänglich  machen;  den  ungünstigen 
muss  es  zur  Opposition  aufregen.  Es  geht  mir  mit  Kunstwerken 
wie  mit  einer  schönen  Gegend:  ich  mag  es  nicht  leiden,  daü 
einer  neben  mir  steht  und  mich  auf  den  Farbenschmelz,  die 
Beleuchtung  etc.  aufmerksam  machen  will,  während  die  Sache 
für  sich  redet,  und  mein  Gefühl  diese  Sprache  versteht. 

Für  die  gütige  Mittheilimg  Ihrer  Anzeige  in  den  Wiener 
Jahrbüchern  sage  ich  Ihnen  meinen  besten  Dank.  Leider  ist 
diese  Zeitschrift  beynah  gar  nicht  hier  in  Norddeutschland  zu 
bekommen.  Auch  Hofrath  W.  Müller,  der  uns  gestern  von 
Dessau  besuchte,  kannte  den  Aufsatz  noch  gar  nicht:  ich  habe 
das  Heftchen,  welches  ich  durch  Ihre  Güte  erhielt,  ihm  auf 
einige  Wochen  mitgegeben,  da  es  ihm  von  besonderem  Inter- 
esse seyn  mußte. 

SiUangab^r.  d.  phU.-hiet.  Cl.    CHI.  Bd.  II.  Hft.  31 


474  MikloBiGh. 

Die  neugriechischen  Lieder  kenne  ich  nun  auch  gut 
genug,  und  finde  sie  weit  über  meiner  Erwartung.  Goethe 
hatte  mir  eine  fast  kleine  Meinung  von  ihnen  eingeflösst.  Unter 
den  romantischen  Liedern  sind  doch  gar  zu  herrliche  Sachen. 
Ihre  Verwandtschaft  mit  den  serbischen  hat  mich  auf  das  leb- 
hafteste frappirt,  besonders  einzelner  Stücke! 

Es  freut  mich  übrigens  Ihnen  sagen  zu  können,  daß 
unsere  Serbenlieder  bey  uns  eine  ungewöhnliche  Theilnahme 
erregen;  in  Berlin  und  Dresden  weiß  ich,  sind  sie  in  den 
Kreisen  der  ausgezeichnetsten  Männer  mit  ungetheiltem  Beyfall 
vorgelesen  worden.  Ich  habe  manche  angenehme  Erfahrung 
darüber  gemacht. 

Halle,   1826.  21.  Februar. 

Alle  Sünden  wider  die  Sprache  werde  ich  gewiß  mit  der 
grössten  Aufmerksamkeit  gut  zu  machen  suchen.  Auf  der 
andern  Seite  aber  nehmen  Sie  es  oft  genug  viel  zu  streng  mit 
mir!  Häufig  muthen  Sie  mir  offenbare  Unmöglichkeiten  zu!  Es 
giebt  in  unserer  Sprache  Worte  genug,  die  auf  keine  Weise  in 
ein  trochäisches  Metrum  zu  bringen  sind,  und  die  daher  um* 
gangen  oder  umschrieben  werden  müßen.  Kann  einem  das 
unselige  Wort  Brautführer,  was  gar  nicht  vermieden  werden 
kann,  und  doch  nicht  einmal  den  Sinn  genügend  ausdrückt, 
nicht  allein  schon  in  Verzweiflung  setzen?  Was  die  Nach- 
ahmung der  eingestreuten  Reime  anbelangt,  so  glaubte  ich 
darin  das  MögUche  gethan  zu  haben  —  dennoch  quälen  Sie 
mich  jedes  Mal  mit  einer  Bemerkung  ,daß  hier  im  Original 
Reime  stünden'  —  wenn  mich  einmal  meine  Sprache  nöthigte 
es  zu  unterlassen.  Mache  ich  einmal,  es  zu  erreichen,  aus 
einem  Vers  zweye,  so  geht  mir  das  auch  nicht  ungerügt  hin! 
—  Wirklich  glaube  ich  in  diesem  zweyten  Theile  auch  in  der 
Form  um  Vieles  treuer  als  im  ersten  Theile  gewesen  zu  seyn; 
aber  mich  vor  stolpernden  Versen,  vor  Häufung  abgebißner 
Worte  zu  hüten,  scheint  mir  ebenfalls  wesentlich  zur  Treue  der 
Form,  da  das  Original  grade  auch  so  ausgezeichnet  in  Hinsicht 
des  Wohllauts,  der  Musik  der  Sprache  ist,  ja  oft  genug  deut- 
lich die  Lust  am  melodischen  Klange  oder  am  Reim  in  den 
kleinen  Liedern  den  Gedanken  herbeyflLhrt.  Haben  wir  doch 
schon  genug  mit  unserer  härtern  Sprache  zu  kämpfen!  —  Sie 


über  Goot1ie*8  «Klaggetang  Ton  der  edlen  Franen  des  Asan  Aga'.  475 

wollen  mir  ferner  Verwandtschaft  für  rod  nicht  passiren 
lassen.  Aber  wer  könnte  in  der  Poesie  von  Familie  reden 
hören,  ohne  zu  lächeln!  —  Für  Knabe  als  junger  Mensch  vor 
den  reifern  Mannesjahren  habe  ich  so  viel  Autoritäten,  als  es 
Dichter  giebt.  Bub  ist  provinziell,  Bursche  unschön.  Erinnern 
Sie  sich  nur  Schiller's: 

An  der  Qnelle  saß  der  Knabe  etc. 
oder  Goethe's: 

Und  sag  ihr  bald,  und  sag  ihr  oft, 
V^as  still  der  Knabe  wünscht  und  hofft! 

Der  Junggesell  und  der  Bach. 

Oder  ydes  erstaunt  erzürnten  Knaben'  in  ,der  Müllerin 
Reue*.  —  Nein,  nein,  hier  hab'  ich  offenbar  Recht!  —  Glauben 
Sie  aber  nicht,  daß  ich  Sie  darum  schon  wieder  mit  einem 
Briefe  behellige^  um  Ihnen  dieß  zu  beweisen.  Ich  habe  Ihrer 
Güte  noch  einige  Fragen  vorzulegen,  die  ich,  eilig  wie  ich  bey 
meinem  vorigen  war,  da  ich  meine  Reise  im  Kopfe  hatte,  ver- 
gass.  —  Was  diejenigen  Lieder  anbelangt,  wo  Sie  meinen,  ich 
hätte  über  der  Delicatesse  die  pointe  verloren,  so  mögen  Sie 
Recht  haben,  und  ich  will  sie  daher  lieber  ganz  und  gar  weg- 
lassen, nemlich  die  Lieder,  und  hab'  es  verschworen,  mich 
wieder  mit  dergleichen  abzugeben. 

Der  beste  Beweiss  fhr  meine  Liebe  zur  bewußten  Sache 
ist  wohl  meine  fleißige  Beschäftigung  damit  selbst;  zumal  da 
ich  so  geringe  Hülfsmittel  und  so  schwache  Kenntnisse  habel 
Was  hätte  mich  wohl  dazu  bestimmen  sollen,  weim  ich  ihren 
Werth  und  Gehalt  nicht  lebhaft  empfunden  hätte?  —  Auch 
sind  Sie  gänzlich  im  Irrthum,  wenn  Sie  meinen,  daß  die  ,alt- 
adlichen  Griechen'  hier  den  ,neuen'  Serben  den  Rang  abgelaufen 
hätten,  in  der  Meinung.  Mich  dünkt,  alle  unsre  Blätter  sprechen 
deutlich  die  Anerkennung  aus,  die  sie  gefunden.  Schon  daß 
sie  so  schnell  überall  angezeigt  worden,  ist  fast  unerhört  bey 
dem  schläfrig  trägen  Gange  unserer  allgemein  seyn  sollenden 
Litteraturzeitungen.  Welches  Aufsehen  sie  in  den  Kreisen  der 
ausgezeichnetsten  Männer  Berlins  gemacht,  habe  ich  noch  jetzt, 
und  zwar  sehr  zu  meinem  Gunsten  erfahren.  Es  hat  sich  in 
Berlin  vor  Kurzem  eine  Gesellschaft  gebildet,  welche  fast  aus 
lauter  vorzüglichen  Köpfen  besteht:  Hitzig,  Raupach,  (W.Alexis) 
Häring,  Streckfuss,  Stägemann,  Houwald,  Vamhagen,  Fouqu^  etc. 

31* 


476  iriklosteh. 

In  solchem  Kreise  wiederholt  Yorgelesen,  zweifeln  Sie  nicht, 
daß  unsere  Lieder  eine  enthusiastische  Würdigung  gefunden 
haben!  Kommen  Sie  nur  einmal  nach  Berlin  und  zu  uns  und 
überzeugen  Sie  Sich  davon! 

Halle,  1826.   13.  JuliuB. 

Weßely's  Hochzeitlieder  sind  in  Leipzig  immer  noch  nicht 
aufzutreiben,  was  mich  umso  mehr  wundert,  da  sie  im  Literari- 
schen Conversationsblatt  (seit  Anfang  dieses  Monats:  Blätter 
für  literarische  Unterhaltung  umgetauft)  bereits  angezeigt  sind. 
Ich  hätte  wohl  gewünscht,  diejeiiigen,  die  Sie  in  der  Einlei- 
tung finden,  damit  vergleichen  zu  können. 

Denken  Sie  in  Ihren  nun  nahenden  Herbstferien  nicht 
etwa  eine  Reise  zu  machen?  Es  wäre  doch  schön,  wenn  Ihr 
Weg  Sie  einmal  zu  uns  fUhrte!  Halle  ist  eine  halbe  Tagereise 
von  Dessau,  wo  ja  W.  Müller  Sie  intereßirt,  Leipzig  nur  ein 
Paar  Stunden,  und  Weimar  auch  nicht  weit.  Wollen  Sie  Qt)ethe 
noch  sehen,  so  eilen  Sie,  wie  ich  höre,  geht  es  mit  ihm  niit 
starken  Schritten  bergab.  Oder  kennen  Sie  ihn  vielleicht 
schon  von  Karlsbad  her? 

Halle,  1826.  8.  August. 

Daß  Sie  meinen,  Müller's  Herz  verrathe  sich  in  seiner 
Recension,  machte  mich  erst  zu  lachen,  dann  verdroß  es  mich, 
weil  ich  daraus  den  bestimmten  Schluß  machen  zu  müßen 
glaubte  y  Sie  fknden  sie  unverdient  günstig ,  und  hegten 
eine  unvortheilhaftere  Meinung  von  dem,  was  ich,  freilich  nur 
mangelhaft,  leistete.  Aber  antworten  Sie  mir,  bitt'  ich,  lieber 
gar  nicht  auf  diese  Stelle:  Sie  könnten  denken,  ich  wollte 
Ihnen  eine  Galanterie  abnöthigen,  und  doch  will  ich  das  gewiß 
nicht!  —  Müller  ist  übrigens  schon  seit  mehreren  Jahren  mit 
einer  Frau  versehn ,  und  zwar  mit  einer  sehr  reizenden, 
schwarzäugigen,  voller  Feuer  und  Leben,  die  ihm  allenfalla 
eine  Griechin  von  den  Inseln  repräsentiren  kann.     Mit: 

Augen,  schwüre  und  grol^T 
Eingetaucht  in  Milch!  etc. 

Sie  ist  Enkelin  des  bekannten  Basedow.  An  ihrer  Liebe 
darf  Müller  ja  nicht  zweifeln!  denn  sie  brach  um  seinetwillen 
mit    einem  jungen,    freilich    fast  weniger  als   unbedeutenden 


über  Goethe  *8  ,  Klaggesang  tod  der  edlen  Franen  des  Asan  Aga*.  477 

Menschen,  mit  dem  sie  sich,  eh  jener  sich  um  sie  bewarb, 
zum  Zeitvertreibe  verlobt  hatte.  MtLller  selbst  ist  übrigens  auch 
persönlich  nicht  grade  liebenswürdig  zu  nennen. 

In  diesen  Tagen  haben  wir  uns,  und  zwar  in  besondrer 
Beziehung,  sehr  viel  mit  den  serbischen  Frauenliedern  be- 
schäftigt. Mein  Schwager  (der  Vater  meines  kleinen  Pfleg- 
lings);  ein  sehr  tüchtiger  und  ausgezeichneter  Musiker  [der 
Componist  Carl  Löwe],  war  aus  Stettin  zum  Besuch  bey  uns. 
Schon  lange  hatte  er  den  Wunsch  geäußert  einige  aus  dem 
ersten  Bande  zu  componiren,  imd  nur  durch  manche  Äußerlich- 
keiten sich  stören  lassen.  Jetzt  theilte  ich  ihm,  als  einzige  zu 
benutzende  Grundlage,  die  Melodien  mit,  welche  uns  Hr. 
Vuk  in  der  ersten  Auflage  gegeben.  Er  ward  im  höchsten 
Grade  erbaut  davon,  fand  sie  höchst  originell  und  eignete  sich 
den  Gegenstand  mehr  und  mehr  an.  Aber  leider  war  es  mir 
ganz  unmöglich  einige  der  bezeichneten  Lieder  den  mitgetheilten 
Melodien  anzupassen,  Metrum  und  Takt  wollte  sich  auf  keine 
Weise  vereinigen  lassen!  Demohnerachtet  prüften  wir  alle 
Frauenlieder  sorgfältig,  inwiefern  sie  musikalisch  seyen,  und 
fanden  einen  ganzen  Cyclus  heraus.  Mein  Schwager  ist  be- 
sonders glücklich  hinsichtlich  der  Charaktermusik.  Eben 
jetzt  hat  er  die  hebräischen  Gesänge  von  Lord  Byron  com- 
ponirt,  und  es  ist  als  wehten  uns  aus  dem  Oriente  selbst  die 
Töne  zu,  als  wiederhallten  die  Wellen  die  Seufzer  der  unglück- 
lichen Israeliten,  die  ,an  den  Waßem  Babylons^  weinten!  Von 
einem  Philologen  und  Grammaticus  kann  ich  kaum  erwarten, 
daß  er  musikalisch  seyn  soll.  Aber  gewiß  wird  es  Ihnen  und 
Vuk  etwas  Leichtes  seyn  mir  noch  mehrere  serbische  National- 
melodien mitzutheilen.  Sie  würden  mich  sehr  dadurch  ver- 
binden, und  ich  kann  Sie  versichern,  daß  sie  in  keine  beßem 
Hände  kommen  können.  Im  Fall  Sie  meine  Bitte  gewähren, 
ersuch'  ich  den  Aufschreibenden  die  Worte  des  Textes  unter 
die  Koten  zu  setzen,  daß  wir  uns  ein  wenig  in  die  eigen- 
thümliche  Singweise  der  Serben  finden  lernen. 

Halle,  1826.  4.  November. 

In  Cassel  machte  ich  J.  Grimmas  persönliche  Bekannt- 
schaft, und  obwol  er  mir  zuerst  etwas  herbe  erschien,  und  er 
mit  solchem  Eigensinn   an  seinen  Ansichten  festhält,   daß   er 


478  Miklosich. 

sicherlich  an  meiner  Auffassung  der  Serbenlieder  mehr  Argemiss 
als  Freude  hat,  so  hoffe  ich  doch  in  ihm,  während  der  drey 
Tage  Zusammenseyns,  mir  einen  Freund  erworben  zu  haben. 
Ooethen  fand  ich  fast  verjüngt,  ungemein  gütig  und  freundlich 
—  bis  jetzt  hatte  er  mir  nur  imponiH,  zum  ersten  Mal  flößte 
er  mir  eine  Art  Zutrauen  ein,  und  wäre  ich  nur  noch  einen 
Tag  geblieben,  wäre  ich  vielleicht  nach  und  nach  dazu  gelangt, 
ohne  Herzpochen  mit  dem  großen  Meister  reden  zu  können. 
Intereßant  war  es  mir  Grillparzer  bey  Goethe  zu  finden.  Ich 
schätze  ihn  so  sehr,  daß  ich  es  ihm  gern  bezeigt  hätte,  aber 
leider  scheint  seine  Gegenwart  in  unserem  Norden  nur  äusserst 
flüchtig  gewesen  zu  seyn.  Mein  Gespräch  mit  ihm  ward  durch 
Kommende  und  Vorzustellende  unterbrochen,  und  ich  kann 
kaum  sagen,  daß  ich  ihn  kennen  gelernt  habe. 

Es  macht  mir  Freude  Ihnen  von  dem  Eindrucke  zu  reden, 
den  unsre  Lieder  in  unsern  Gegenden  gemacht  haben,  und  ich 
versage  es  mir  nicht  Ihnen  mitzutheilen,  daß  er  nach  der  all- 
gemeinen Versicherung  lebhafter  und  tiefer  ist,  als  in  neuerer 
Zeit  einer  empfangen  worden.  Besonders  haben  junge  kräftige 
Männer  sie  mit  wahren  Enthusiasmus  aufgenommen;  ich  kenne 
einen,  der  sie  halb  auswendig  und  schön  zu  recitiren  weiß. 
Habe  ich  doch  sogar  erfahren,  daß  strenge  Juristen,  die  sonst 
die  schöne  Literatur  ziemlich  an  den  Nagel  gehängt  haben, 
wie  z.  B.  Savigny  —  sich  innig  mit  ihnen  befreundet  haben 
und  sie  wiederholt  lesen.  Von  manchem  hohen  preussischen 
Staatsbeamten,  den  ich  ganz  den  Musen  abgestorben  wähnte, 
habe  ich  schon  Dank  ftir  ihre  Mittheilung  empfangen!  Glauben 
Sie  mir  aber,  daß  ich  den  geringen  Antheil,  welchen  ich 
daran  habe,  recht  gut  abzuwägen  weiß  und  gewiß  nicht  über- 
schätze. 

Halle,   1827.  28.  Februar. 

Während  meiner  Abwesenheit  ist  Herr  S.  Milutinowitsch 
hier  gewesen,  was  mir  in  jeder  Hinsicht  sehr  leid  thut,  umso- 
mehr,  da  er  gar  keinen  anderen  Bekannten  hier  hat. 

Ich  weiß  nicht,  ob  Sie  von  seinem  —  oder  vielmehr  von 
W.  Gerhard's  Unternehmen  schon  unterrichtet  sind.  —  Mich 
dünkt,  ich  darf  voraussetzen,  nein.  Irr'  ich,  so  überschlagen 
Sie  diese  Stelle.  .  Milutinowitsch  hat  Gerhard  auf  dessen  drin- 


über  Ooethe's  «KlaggesAng  toq  der  edlen  Frauen  des  Aean  Aga*.  479 

gendes  Verlangen  eine  wörtliche  Übersetzung  sämmtlicher 
von  mir  nicht  übersetzten  Lieder  der  Vuk'schen  Samm- 
lung in  die  Feder  diktirt.  Gerhard  hat  sie  bearbeitet  und 
wird  sie  auch  nächstens  herausgeben.  Gerhard  hat  ein  ange- 
nehmes lyrisches  Talent^  aber  ich  kann  kaum  glauben,  daß  er 
den  Grad  der  poetischen  Urtheilskraft  besitze,  der  dazu  nöthig 
wäre,  hier  das  Gehörige  zu  finden.  Ich  habe  ihn  wenigstens 
persönlich  als  einen  gar  zu  schwachen,  seichten  und  taktlosen 
Menschen  kennen  lernen,  als  daß  ich  sie  ihm  zutrauen  könnte. 
Doch  will  ich  nicht  in  Voraus  urtheilen,  es  ist  wunderbar,  was 
manchmal  ein  glücklicher  Instinkt  thut !  Aus  Gerhardts  Liedern 
spricht  eine  Fülle  von  Liebes-  und  Weinlaune,  und  daher  zweifle 
ich  nicht,  daß  ihm  alles,  was  in  den  serbischen  Liedern  Ana- 
creontisches  ist,  sehr  gelingen  wird.  Wenigstens  wird  er 
etwas  Hübsches  geben  —  es  kommt  nur  darauf  an,  ob  er  das 
NationeUe  zu  respectiren  weiß!  —  Ich  bin  begierig,  was  Sie 
dazu  sagen  werden?  —  Gewiß  ist's,  daß  Gerhard  recht  von 
Herzen  bey  der  Sache  ist;  leider  giebt  er  eich  aber  auch  mit 
gelehrten  Dingen  ab,  wozu  sich  weder  der  Leinewandshändler 
noch  der  Herzogl.  sächs.  hildburghäusische  Legationsrath  qua- 
lificirt.  Er  will  nemlich  durchaus  der  Verwandtschaft  der  nor- 
dischen und  serbischen  Mythologie  recht  auf  den  Grund  kommen. 
Vei^ebens  sag'  ich  ihm  mit  der  möglichsten  Höflichkeit,  daß  er, 
um  in  diesem  Felde  Entdeckungen  zu  machen,  sich  wohl  vor  Allem 
mit  dem  Zusammenhang  der  slav.  Völker  und  ihren  verschiedenen 
Götterlehren  untereinander  bekannt  machen  müße;  daß  wohl 
eine  Kenntniss  mehrerer  slav.  Dialekte  dazu  gehöre,  hier  nicht 
zu  schnelle  Schlüße  zu  machen,  und  alles,  was  sich  dem  Den- 
kenden von  selbst  darbietet:  er  hält  sich  mit  unerschütterUcher 
Gläubigkeit  an  ein  Paar  zufällige  Namensähnlichkeiten,  und 
fUhlt  sich  glücklich  herausgefunden  zu  haben,  z.  B.  daß  Bogdan 
ungefähr  wie  Wodan  klinge,  Radischa  wie  Radegost  etc.ü! 
Der  Ljutiza  Bogdan  soll  auch  durchaus  ein  übernatürliches 
Wesen  sejoi  und  Marko's  Furcht  vor  ihm  etwas  von  Gespenster- 
furcht an  sich  haben.  —  Hierbey  fkUt  mir  ein,  daß  —  ich 
brauche  wohl  nicht  hinzuzusetzen:  sans  comparaison  —  auch 
Goethe  sich  mit  dieser  Furcht  durchaus  nicht  versöhnen  konnte: 
Marko,  sagte  er,  sey  ein  absoluter  Held  und  dürfe  nicht 
fliehen.    Und  doch  ist  diese  Gemüthsbewegung  so  gar  nichts 


480  Mikloaioh. 

Neues,  und  so  echt  menschlich !  Die  stärksten  Helden  fliehen, 
wenn  der  Stärkere  ihnen  begegnet  —  Diomed  vor  Hektor, 
Hektor  vor  Achill  —  wenn  sie  bloß  Menschen  sind  und  nicht 
ausserdem  noch  Chevaliers  etc. 

Auch  flieht  ja  Marko  nicht  wirklich,  sondern  eben  eine 
Idee,  eine  den  Ideen  ritterlicher  Ehre  so  eng  verwandte,  die 
des  gegebenen  Wortes  hält  ihn  zurück. 

Bey  meiner  Zuriickkunft  fand  ich  den  zweyten  Theil  der 
Wiener  Ausgabe,  den  Sie  mir  gütigst  durch  Schwetschke  über- 
sandt.  Ich  danke  bestens  dafür,  gestehe  Ihnen  aber,  daß  ich 
die  angehängten  Melodien  schon  besaß,  sie  sehr  merkwürdig, 
aber  nicht  genügend  fand,  besonders  aber  mit  dem  Unterlegen 
des  Textes  nicht  recht  fertig  werden  konnte.  Giebt  es  die 
Gelegenheit,  so  senden  Sie  mir,  was  Sie  von  serbischer  Mofiik 
finden  können,  ungern  würde  ich  dadurch  Ihnen  irgend  Mühe 
machen. 

Halle,   1828.  2.  Februar. 

Bowrings  Werk  ist  nun  allerdings  längst  in  meinen  Hän- 
den. Mich  dünkt,  es  war  Anfang  Oktober,  als  ich  es  von 
Heidelberg  aus  empfieng  —  es  war  nach  seiner  Behauptung 
das  dritte  Exemplar,  das  er  an  mich  absendete:  was  aus  den 
beiden  ersten  geworden  ist,  weiß  Gott!  So  mußt'  ich  denn  schon 
die  zwey  Thaler  Postgeld  verschmerzen,  die  der  galante  Elng- 
länder  mich  dafür  bezahlen  ließ !  Er  schrieb  mir,  er  habe  vor- 
gehabt, mit  seiner  Reise  nach  Deutschland  eine  nach  Serbien 
zu  verbinden,  doch  fUrchte  er,  die  Umstände,  die  man  dem 
Reisenden  im  Österreichischen  mache,  werden  ihn  daran  hin- 
dern. Ich  gestehe,  nach  seinen  Briefen  zu  urtheilen,  kann  ich 
einem  meiner  Freimde  nicht  unrecht  geben,  der  ihn  a  literary 
dandy  nannte.  Auch  ist  diese  Sucht,  im  slavischen  Gebiete 
nicht  allein,  sondern  überhaupt  in  der  Fremde  universell  zu 
seyn,  bey  seinen  oberflächlichen  Sprachkenntnissen  wirklich 
lächerlich.  Ich  bin  so  nachlässig  gewesen  ihm  noch  nicht  zu 
antworten.  Und  in  der  That,  ich  weiß  nicht  recht  was.  Daß 
er  mehr  aus  dem  Deutschen  übersetzte  als  aus  dem  Serbischen, 
ist  wohl  ganz  unzweifelhaft;  auch  gesteht  er  dieß  in  seinen 
Briefen  ganz  unumwunden  ein,  und  verschweigt  es  nur  im  Buche 
wohlweislich.    Ich  finde,  die  Lieder  lesen  sich  recht  hübsch  — 


über  Ooethe*8  ^Klaggesan;  von  der  edlen  Frauen  des  Asan  Ags*.  481 

übrigens  miflfallen  uns  unsre  Fehler  erst  recht,  wenn  Sie  ein 
Andrer  nachahmt,  und  daran  fehlt  es  nicht.  Manche  Stellen 
z.  B.  wo  er:  oj  snaiice,  rumena  ruüce!  was  ich,  um  den 
Seim  nachzuahmen,  übersetzte: 

Brudersweibchen,  süßes  schönes  Täubchen! 

ganz  treuherzig  wiedergiebt: 

Brothers  wife!  thou  sweet  aod  lovely  dovelet! 

machten  mich  wirklich  zu  lachen.  Hier  und  an  tausend  andern 
Stellen  scheint  er  das  Original  gar  nicht  einmal  angesehen  zu 
haben.  Bowring  wünscht  eifrig,  ich  möchte  sein  Werk  an- 
zeigen, allein  ich  habe  das  Recensiren  ein  fUr  allemal  aufge- 
geben und  darum  auch  über  SchafFarick's  Buch,  obwohl  dieß 
letztere  von  hohem  Intereße  fUr  mich  war,  geschwiegen.  Ich 
fürchte  immer,  ich  könnte  noch  einmal  Verdruß  daran  haben, 
denn  die  Männer  vergeben  uns  allenfalls,  ein  Paar  Verschen  zu 
machen,  allein  die  Kritik  ist  nun  einmal  ,unweiblich',  ,mit  den 
Orazien  unverträglich'  imd  weiß  der  Himmel  was  alles!  wahr- 
scheinlich, weil  dazu  mehr  klarer  Verstand  gehört  als  dunkles 
Gefühl!  —  Theils  weil  ich  von  Natur  etwas  furchtsam  bin  und 
vor  dem  Gedanken  erschrecke,  etwa  hämische  Antikritiken  zu 
erfahren,  worin  vielleicht  gar  mein  Name  öffentlich  genannt 
würde,  theils  aus  andern  Gründen  beschränk'  ich  mich  auf  die 
Kritiken  am  Theetisch,  imd  so  gewinn'  ich,  während  niemand 
verliert. 

Übrigens  muß  ich  hinzufügen,  daß  meine  enge  literarische 
Laufbahn  bis  jetzt  vollkommen  domenlos  war.  Das  Einzige, 
was  mir  vielleicht  je  in  dieser  Beziehung  einigen  Arger  gemacht 
hat,  ist  ein  Buch,  welches  ich  vor  Kurzem  zugeschickt  bekam, 
ebenfalls  Volkslieder  der  Serben  betitelt^  von  P.  v.  Götze.  Ohne 
Zweifel  ist  es  auch  in  Ihren  Händen.  Ich  kann  es  nicht  anders 
als  wie  ein  höchst  imbescheidenes  Plagiat  betrachten.  Ohne 
meiner  Übersetzung  auch  nur  mit  einer  Sylbe  zu  erwähnen, 
lautet  die  seine  oft  wörtlich  eben  so;  mit  sehr  wenigen  Aus- 
nahmen sind  auch  die  nenüichen  Stücke  gewählt,  und  alle 
historischen  und  literarischen  Notizen  sind  mitgetheilt,  als  würde 
dem  Publicum  etwas  ganz  Neues  gesagt.  Meine  Sünde  Dva  se 
draga  vrlo  milovala  durch  ,Herzlich  liebten  sich  ein  Ejiab'  und 


482  Miklosich. 

Mädchen^   zu  übersetzen,   muß   ihm   besser  gefallen  haben  als 
mir,  denn  hier  heißt  es  ebenfalls: 

Knab^  und  Mädchen  liebten  sich  von  Herzen. 

Überhaupt  habe  ich  mir  keine  Freiheit  genommen,  die  er  nicht 
zehnfach  überboten  hätte,  und  ich  müßte  wirklich,  da  er  schon 
1819  übersetzt  haben  wiU,  eine  geheime  Sympathie  zwischen 
uns  fürchten,  wenn  ich  nicht  zum  Glück  wüßte,  wie  diese 
wunderbare  Sache  mit  natürlichen  Sachen  zusammenhieng.  £in 
Freund,  der  auch  ein  genauer  Bekannter  von  Grötze  ist,  schrieb 
mir  schon  vorlängst:  ,Ihre  Übersetzung  hat  mir  Grötze  schon 
vor  einem  halben  Jahre  abgeborgt,  und  trotz  alles  Mahnens 
kann  ich  sie  nicht  wiederbekommen.  Er  versichert,  daß  Ihre 
beyden  Arbeiten  bewunderungswürdig  zusammentreflFen.*  — 
Der  Freund  versäumt  nicht  diese  letzten  Worte  mit  Unter- 
streichungen und  Ausrufungen  zu  versehen,  und  deutet  dadurch 
genugsam  an,  was  es  von  dieser  bewunderungswürdigen  Über- 
einstimmung denkt.  Überhaupt  ist  doch  das  Unwesen  in  unserer 
Literatur  jetzt  entsetzlich!  Nicht  leicht  hat  mich  etwas  mehr 
empört  als  des  erbärmlichen  Herlosssohn  Unverschämtheit  gegen 
Frl.  Tieck.  Wenn  ein  vollkommen  unbescholtenes,  gebildetes 
Frauenzimmer,  das  noch  dazu  nie  öffentlich  aufgetreten  ist^ 
wenigstens  nie  unter  ihrem  Namen,  nicht  einmahl  mehr  sicher 
ist  öffentlich  angegriffen  oder  gar  verhöhnt  zu  werden,  welches 
sollte  es  denn  sejn?  Schützt  davor  bey  uns  nur  entschiedene 
Unbedeutenheit?  —  Sie  haben  vielleicht  von  dem  Machwerke: 
,Löschpapier  des  Satans^  gar  keine  Notiz  genommen,  allein  hier 
in  Norddeutschland,  wo  man  mit  dem  zwar  allerdings  einseitigen 
und  anmaßenden,  aber  immer  geistreichen  Treiben  der  Tieck- 
sehen  Schule  besser  bekannt  ist,  verstanden  wir  leicht  alle  Be- 
ziehungen. Unter  solchen  Verhältnißen  muß  man  W.  Müller*s 
und  Hauffs  Tod  doppelt  beklagen.  Um  beyde  junge,  so  aus- 
gezeichnete Männer  that  es  mir  unbeschreiblich  leid,  besonders 
um  Müller. 

S.  1.  et  a. 

Vor  einigen  Monaten  habe  ich  mit  grossem  Nutzen  und 
theilweise  auch  grossem  Vernügen  Schaffarick's  treffliches  Bach 
gelesen.   Um  indeßen  des  Verfassers  Enthusiasmus  fUr  slavische 


über  Goethe*s  ,Klagge8sng  von  der  edlen  Frsnen  des  Asan  Aga'.  483 

Völkerschaften,  der  in  ihnen  mehr  Tugenden  als  eigentliche 
Charakterzüge  sehn  lässt,  und  seine  wunderliche  Animosität 
gegen  die  Deutschen  nicht  tlbel  zu  nehmen,  muß  man  grade 
80  tolerant  seyn,  als  wir  Deutsche  es  sind.  Wäre  nicht  seine 
gehamischte  Vorrede,  ich  würde  mir  ein  Vergnügen  daraus 
machen,  das  Buch,  insoweit  ich  es  als  Laihin  kann,  d.  h.  nicht 
seinen  wissenschaftlichen  Werth,  den  ich  nicht  beurtheilen 
kann,  sondern  seinen  Geist  in  einem  unsrer  norddeutschen 
Blätter  zu  wtbrdigen  und  zu  preisen.  Aber  wer  behielte  da 
den  Muth? 

Schreibt  denn  Ihr  Grillparzer  nicht  wieder  etwas?  Ich 
habe  eine  besondere  Vorliebe  für  seine  Produktionen,  unsre 
Recensenten  mögen  sagen  was  sie  wollen.  Er  ist  doch  ein  echter 
Dichter!  Ich  lernte  ihn  vor  dem  Jahre  bei  Goethe  flüchtig 
kennen,  und  es  war  so  etwas  Megisch-poetisches  in  seiner  ganzen 
Erscheinung !  Ich  weiß  nicht  ob  er  mich  kannte  -—  ich  glaube 
kaum,  da  Fr,  v.  Goethe  mir  ihn,  mich  aber  nicht  ihm  vorsteUte. 
[Grillparzer  spricht  in  sedier  Selbstbiographie,  Sämmtliche 
Werke  10.  169.  von  seiner  Begegnung  mit  Talvj:  ,Gegen 
Abend  ging  ich  zu  Goethe.  Ich  fand  im  Salon  eine  ziemlich 
große  Gesellschaft,  die  des  noch  nicht  sichtbar  gewordenen 
Herrn  Geheimeraths  wartete.  Da  sich  darunter  —  und  das 
waren  eben  die  Gäste,  die  Gt)ethe  Mittags  bei  sich  hatte  — 
ein  Hofrath  Jacob  oder  Jacobs  mit  seiner  eben  so  jungen  als 
schönen  und  eben  so  schönen  als  gebildeten  Tochter  befand, 
derselben,  die  sich  später  unter  dem  Namen  Talvj  einen  lite- 
rarischen Ruf  gemacht  hat,  so  verlor  sich  bald  meine  Bangig- 
keit, und  ich  vergaß  im  Gespräche  mit  dem  liebenswürdigen 
Mädchen  beinahe,  daß  ich  bei  Goethe  war.'  GriUparzer  spricht 
noch  einmahl,  173,  von  der  ,liebenBwürdigen  Talvj'.] 

Andover,  1832.  21.  Februar. 

Seitdem  ich  Europa  vcrlaüen,  ist  es  von  den  ungeheuer- 
sten Bewegungen  erschüttert  worden.  Ihre  Stadt  ist  auch  von 
der  fürchterlichen  Cholera  heimgesucht  worden:  möchten  Sie, 
verehrter  Freund!-  doch  persönlich  nichts  davon  gelitten  haben. 
Aber  schon  rings  um  sich  Elend  und  Untergang  zu  sehen,  ist 
entsetzlich.  Man  wünscht  mir  von  Deutschland  aus  Glück  der 
Gefahr  entgangen  zu  seyn:  ach!  ich  glaube  wirklich,  die  Angst; 


484  Miklosioh. 

sie  in  der  Nähe  zu  wissen;  kann  nicht  größer  seyn,  als  die 
seine  Lieben  in  der  Feme  dem  schrecklichsten  aller  voriian- 
denen  Übel  täglich  ausgesetzt  zu  wissen!  Für  den  Fall,  daß 
Sie  meinen  früheren  Brief  nicht  erhalten  haben  sollten,  wieder- 
hol' ich  hier,  daß  wir  1830^  Anfang  May,  uns  in  Bremen  ein- 
schifften, nach  einer  langwierigen  und  beschwerlichen  Reise 
den  2.  Juli  New  York  erreichten,  und  die  ersten  Monate  hier 
damit  zubrachten,  Freunde  und  Verwandte  meines  Mannes 
zu  besuchen,  was  mir  die  günstigste  Gelegenheit  gab,  die  ver- 
schiedenen Verhältnisse  und  Sitten  des  Landes  kennen  zu 
lernen  und  nach  der  Reihe  großstädtische,  kleinstädtische  und 
ländliche  Lebensart  der  Amerikaner  zu  beobachten.  Seit  dem 
1.  November  1830  leben  wir  in  Andover,  einige  Meilen  von 
Boston,  eine  nach  amerikanischer  Weise  über  eine  breite  Strecke 
Landes  hingestreute  Ortschaft  (town)  mit  einem  theologischen 
Seminarium^  an  welchem  mein  Mann  Professor  und  Bibliothekar 
ist.  Er  findet  hier  den  Kreis  des  Wirkens,  den  er  sich  wünscht, 
und  vorzüglich  Muße  zu  schriftstell^erischen  Arbeiten.  Darunter 
gehört  die  Herausgabe  einer  Vierteljahrsschrift:  Repository  for 
biblical  literature,  eine  der  wenigen  hiesigen  reinwissenschaft- 
lichen Publicationen.  Denn  daß  die  Amerikaner  im  Allge- 
meinen die  Wissenschaft  ziemlich  cavali^rement  behandeln,  ist 
nur  zu  gewiß,  und  kann  Ihnen  nicht  neu  seyn.  Besonders 
aber  die  Kunst.  Einer  Wissenschaft  kann  man  doch,  sie 
heiße  wie  sie  wolle,  einen  gewißen  praktischen  Nutzen  abge- 
winnen, aber  die  Kunst,  die  sich  anmaßt,  als  solche,  ftlr  sich 
bestehen  zu  wollen,  mehr  zu  seyn  als  Dienerin  —  das  ist  ein 
Begriff,  ftlr  den  nicht  leicht  ein  amerikanisches  Gemüth  empfäng- 
lich ist.  Tiock's  Kernspruch , wann  hat  sich  das  Große  und  Schöne 
je  so  tief  erniedriget,  um  zu  nützen^  den  ich  manchmal  in 
scherzhafter  Übertreibung  anflihre,  hat  hier  schon  manchem 
recht  guten  Kopfe  die  Haare  zu  Berge  getrieben. 

Was  mich  selbst  anbelangt,  so  könnte  vielleicht  in  der 
ganzen  Welt  kein  Ort  gefunden  werden,  wo  ich  weniger  am 
Platze  wäre  als  Andover.  Zwey  große  Intereßen  bewegen  die 
Gesellschaft  dieses  Landes  ausschließlich:  das  politische  und 
das  religiöse.  Letzteres  ist's,  das  hier  allein  herrscht,  aber  in 
der  engherzigsten,  beschränkendsten,  alles  Schöne  vernichten- 
den Form,   das  Princip   der  alten  Covenanter   und  Puritaner, 


über  Ooethe's  ,Klaggesftn^  Ton  d«r  «dien  Fnraen  det  Asan  Ag»'.  485 

denen  die  harmloseste  Freude  sündhafte  Lust  am  Weltlichen 
ist,  voller  geistlichen  Dünkel  und  Hochmuth.  Oft  ist  mir's,  als 
sähe  ich  mich  in  das  siebzehnte  Jahrhundert  versetzt.  Schon 
in  früher  Jugend  ist  mein  Sinn  auf  den  Ernst  des  Lebens  ge- 
richtet gewesen,  und  seit  einer  Reihe  von  Jahren  hat  Verlust 
auf  Verlust  meinen  Blick  nach  dem  Jenseits  gelenkt,  wo  ein 
Wiederfinden  des  Verlornen  unser  harret,  und  auf  den,  der  in 
seiner  Weisheit  giebt  und  nimmt.  So  fiel  mir  den  oft  der 
frivole  Leichtsinn,  mit  welchem  die  meisten  Menschen  dahin 
leben,  ohne  sich  je  ihres  Zusammenhanges  mit  ihrem  Schöpfer 
recht  klar  bewußt  zu  werden,  und  in  welchem  ich  mich  selbst 
häufig  genug  befangen  sah,  schwer  auf  das  Herz,  und  wenn 
ich  bedachte,  wie  wenig,  namentlich  in  protestantischen  Län- 
dern, unsere  Erziehung  daftlr  sorgt,  uns  einen  Verkehr  mit 
Gott  zur  Gewohnheit  zu  machen,  und  wie  schwer  äußere 
Anregungen  und  Mahnungen  dazu  mit  unseren  Sitten  und  Ge- 
bräuchen in  Einklang  zu  bringen  sind,  so  schien  mir  Alles, 
was  dazu  dienen  könnte,  unsere  Verbindung  mit  dem  Höchsten 
zu  unterhalten  (die  Sitte  des  häufigen  Eirchengehens ,  Haus- 
andachten, Tischgebete  etc.)  fast  eine  Wohlthat.  Allein  wenn 
ich  nun  hier  sehe,  wie  das  alles  zum  Mechanismus  wird,  und 
mit  welcher  Geist  tödtenden,  am  Buchstaben  klebenden  Sinnes- 
beschränktheit dieß  in  diesem  Lande  der  Sekten  getrieben 
wird,  dann  sagt  mir  sowohl  GefUhl  als  Einsicht  auf  das  Deut- 
liebste,  das  könne  nicht  das  Wahre  seyn.  —  Ich  will  übrigens 
damit  nicht  sagen,  daß  neben  diesem  Formenwesen  nicht  auch 
viel  wahrhafter  christlicher  Sinn  hier  herrsche,  ja  zum  Theil 
von  jenem  genährt  werde.  Auf  der  andern  Seite  aber  ist 
nichts  geeigneter  die  Opposition  zu  wecken.  So  starb  neulich 
ein  reicher  Mann  in  Philadelphia  und  setzte  eine  sehr  große 
Summe  zur  Gründung  eines  Erziehungs-  und  Waisenhauses 
aus,  mit  der  ausdrücklichen  Bedingung^  daß  es  nie  einem 
Geistlichen  irgend  einer  Glaubensparthey  vergönnt  seyn  sollte, 
damit  in  dem  geringsten  Zusammenhang  zu  stehen,  ja  nie 
einer  das  Haus  oder  den  Bezirk  des  Hauses  nur  als  Besuchen- 
der betreten  dürfe ! !  I  Aus  Obigem  werden  Sie  leicht  schließen 
können,  daß  mir  die  Gesellschaft  hier  nicht  gefallen  kann, 
und  so  hab'  ich  mich  denn  freiwillig  ganz  zurückgezogen,  und 
lebe   ausschließlich   für   meine  Kinder.     Seit  vorigem  Herbst 


486  Miklosich. 

hab'  ich  nemlich  neben  ineinem  allerliebsten^  in  Deutschland 
geborenen,  nun  dritthalbjährigen  Mädchen  einen  prächtigen 
kleinen  Jungen,  voller  Lust  und  Leben,  Max  mit  Namen. 
Diese  beyden  holdseligen  Geschöpfe  machen  meine  Welt  ans! 
Nebenbey  hab'  ich  viel  Zeit  zur  Lektüre,  die  ich  natürlich 
jetzt  besonders  in  Beziehung  auf  das  Land  einrichte  ^  dem 
Mann  und  Kinder  angehören,  imd  von  dessen  Beschaffenheit 
Geschichte,  Ureinwohnern,  Sprache,  Literatur  etc.  ich  mir  gern 
die  genauste  Kenntniss  verschaffen  möchte. 

Nachrichten  aus  dem  geliebten  Vaterlande  erhalte  ich 
regelmäßig  jeden  Monat  von  meinem  theuren  Bruder,  und  oft 
noch  dazwischen,  aber  er  scheint  auch  fast  der  Einzige  von 
meinen  Freunden  zu  seyn,  der  mich  nicht  vergessen  hat.  Und 
wie  erfreut  und  bewegt  mich  doch  jedes  gute  Wort  von  dort 
her!  Wie  herzlich  werd'  ich  mich  Ihnen  verbunden  fühlen, 
wenn  Sie  mir  von  Zeit  zu  Zeit  ein  Zeichen  geben,  daß  dort,  wohin 
sich  unaufhörlich  Gedanken  und  Gefühle  in  wehmütiger  Sehn- 
sucht richten,  manchmal  auch  meiner  freundlich  gedacht  wird! 

Indem  ich  meinen  Brief  flüchtig  überblicke,  seh*  ich, 
daß  eine  gewiße  Unzufriedenheit  daraus  spricht,  die  ich  jedoch 
nicht  mißverstanden  wünschte.  Ich  bin  nichts  weniger  als 
eingenommen  gegen  das  Land,  in  dem  ich  lebe.  O  es  ist  ein 
glückUches  Land!  Die  Amerikaner  vereinigen  die  ernsthafte 
Verständigkeit  des  Alters  mit  der  frischen  Tüchtigkeit  der 
Jugend,  aber  freilich  nicht  mit  dem  Feuer,  mit  der  Anmuth, 
der  innem  Poesie  der  Jugend. 

,Die  Grazien  sind  leider  ausgeblieben^, 

als  dieß  Volk  von  den  Göttern  ausgestattet  wurde  mit  der 
Freiheit  und  dem  rechten  Sinn  dafür  und  derjenigen  Mäßi- 
gung, die  das  wahre  Fundament  eines  dauernden  Glückes 
ist.  Auch  ist  nichts  ungerechter  als  die  Amerikaner  im  All- 
gemeinen des  Egoismus  und  eines  engen  selbstischen  Krämer- 
geistes zu  beschuldigen.  Nirgends  in  der  Welt  herrscht  mehr 
Bürgersinn,  mehr  Gemeingeist  (freilich  auch  Partheygeist),  mehr 
Sinn  für  die  Wahrheit,  daß  der  Einzelne  nur  ein  Glied  des 
Ganzen  ist.  Es  ist  erstaunlich,  wie  viel  Großes  und  Vortreff- 
liches hier  durch  Gesellschaften  geschieht!  Aber  Sie  finden 
hier  auch  societies  für  Alles,  für  Großes  und  ELleinesI  Und  es 


über  Ooetlie'ft  ,KlaggeMng  toq  der  edlen  Frsnen  dea  Asan  Aga'.  487 

ist  wieder,  als  könnte  der  Einzelne  fUr  sich  gar  nichts,  am 
allerwenigsten  seine  eigene  Meinung  haben.  Es  ist  sichtlich, 
daß  in  dem  scharf  ausgesprochenen  National-  und  Socialsinn 
die  IndividuaUtät  ganz  verloren  geht.  Dieß  ist  das  Land  der 
Freiheit,  aber  sicherlich  nicht  der  Freiheit  des  Gedankens.  Die 
Meinung,  die  Sitte,  die  Mode  herrschen  mit  eisernerem  Scep- 
ter  als  alle  Despoten  und  Autokraten  Europa's  zusammenge- 
nommen. Wie  beyunsdie  Geniesucht  herrscht,  die  Original- 
Bucht,  so  hier  die  Nachahmungssucht.  Alles  baut  gleich,  kleidet 
sich  gleich,  beträgt  sich  gleich,  und  wenn  man  fragt  warum? 
—  it  is  the  custom.  —  Auch  die  Beschuldigung  der  Unfreund- 
lichkeit gegen  Fremde  scheint  mir  ganz  ungerecht.  Es  herrscht 
hier  im  Gegentheil  ein  gewißes  allgemeines  Wohlwollen,  das 
natürliche  Resultat  des  eignen  Wohlbefindens. 

Auch  hier  ist  bey  dem  harten  Winter  viel  über  Armuth 
geklagt  worden,  aber  die  Leute  nennen  sich  hier  arm,  wenn  sie 
nicht  ihre  Kuchen  zum  Thee  oder  ihre  Butter  auf  das  Weißbrodt 
haben.  In  den  großen  Städten  giebt  es  freilich  viel  Elend,  aber 
fast  nur  unter  den  neuen  Ankömmlingen  aus  Europa,  die  entweder 
nicht  arbeiten  wollen,  oder  zu  unbehülflich  sind  Arbeit  aufzu- 
suchen. Daß  die  Amerikaner  von  dem  Gesindel,  das  hierher  kommt 
sein  Glück  zu  machen,  nicht  zum  Besten  denken,  ist  natürlich. 

Nehmen  Sie  mein  herzUches  Lebewohl  und  erfüllen  Sie 
meine  Bitte  mir  bald  zu  schreiben.  Was  macht  Herr  Vuk 
und  hören  Sie  von  Milutinowitsch?  Ist  Grillparzer  noch  in 
Wien?  Ich  sah  ihn  vor  mehreren  Jahren  bey  Goethe,  wo  er 
einen  sehr  angenehmen  Eindruck  auf  mich  machte,  nachdem 
er  mir  schon  lange  als  Dichter  sehr  werth  gewesen. 

'   Halle.  1837.  28.  September. 

Was  sagen  Sie  zu  Goethe's  Urtheil  über  Milutinowitsch's 
Epos  [Serbianka.  1826.]?  Vielleicht  bekomme  ich  bey  dieser 
Gelegenheit  auch  Ihr  eignes  über  dasselbe  zu  hören,  warum  ich 
Sie,  dünkt  mich,  schon  einige  Mal  gebeten. 

Dresden,  1838.  28.  Juli. 

Wie  manche  bekannte  Gestalt  hat  sich  mir  seit  meinem 
Hierseyn  wieder  gezeigt.  Besonders  erfreute  mich  eines  Tages 
J.  Grimmas  Besuch.  Auch  ergriff  mich  die  unverkennbare  Weh- 


488  Milrlosich. 

muthy  mit  der  er  von  der  Unterbrechung  seiner  gelehrten  Thfi- 
tigkeit  sprach.  Er  gieng  nach  Jena  zum  Besuch  auf  ein  Paar 
Wochen  und  dachte  dann  in  Cassel  sich  niederzulassen  und 
zusammen  mit  seinem  Bruder  ein  deutsches  Wörterbuch  auf- 
zuarbeiten. Leider  soll  der  etymologische  Theil  nur  Nebensacke 
seyn,  da  es  besonders  für  das  grosse  Publicum  bestimmt  ist. 

Berlin,  1839.   12.  August. 

Auch  ich  bin  vorigen  Winter  recht  fleißig  gewesen  und 
80  habe  ich  bereits  vor  acht  Tagen  ein  Manuscript  an  Brock- 
haus absenden  können,  und  werde  das  Vergnügen  haben  Ihnen 
in  ein  Paar  Monaten  ein  Werkchen  zu  überschicken  mit  dem 
Titel:  Versuch  einer  geschichtlichen  Charakteristik  der  Volks- 
lieder germanischer  Nationen  u.  s.  w.  Obwohl  der  Gedanke 
des  Buches,  so  viel  ich  weiß,  ganz  neu  ist,  und  noch  kein 
ähnliches  Werk  existirt,  so  bilde  ich  mir  doch  keineswegs  ein, 
darin  neue  Entdeckungen  imd  Forschungen  an's  Licht  zu 
bringen.  Im  Gegentheil  ist  es  nur  meine  Absicht  gewesen,  das 
bereits  Vorhandene,  zerstreut  umher  Liegende,  in  einen  Rahmen 
zu  fassen,  und  so  dem,  der  weder  Zeit  noch  Neigung  hat,  sich 
eine  vollständigere  Kenntniss  des  Gegenstandes  aus  einer  be- 
deutenden Anzahl  von  Büchern  zusammen  zu  suchen,  und  doch 
ihm  einiges  Intereße  widmet,  eine  gedrängte  Übersicht  des 
Ganzen  zu  geben.  Auf  ein  großes  Publikum  kann  ein  solches 
Buch  wohl  nie  rechnen.  Und  doch  wird  es  zum  Theil  darauf 
ankommen,  ob  ich  meinen  Vorsatz  ausfuhren  imd  eine  Fort- 
setzung anknüpfen  werde,  die  die  slavischen  Volkslieder  eben 
so  behandelt.  Den  Vorstudien  dazu  denk'  ich  nächsten  Winter 
zu  widmen. 

Stettin.  S.  a.    [Der  Brief  fällt  in  die  Zeit  von  1837  bis  1840.] 

17.  November. 

Was  den  vierten  Theil  der  Volkslieder  [Vuk's]  anbelangt  — 
um  noch  einmal  darauf  zurückzukommen  —  so  ist  er  mir  bei  Aus- 
arbeitung eines  englischen  Werkchens  über  Volkspoesie,  womit 
ich  eben  beschäftigt  war,  und  das,  obwohl  es  anfknglich  durch  die 
Geburt  meines  jetzt  gerade  vierzehnmonatlichen  Knaben,  dann 
durch  unsem  Umzug  nach  New  York,  dann  durch  unsre  Reise 
nach   Europa    unterbrochen  worden,    doch    wilFs  Gott!    noch 


über  Goethe*8  ,Klaggesang  von  der  edlen  Frauen  de«  Asan  Aga*.  489 

einmal  das  Licht  der  Welt  erblicken  soll,  von  ganz  beson- 
derem Nutzen  gewesen.  Denn  was  lebendige  Volkspoesie  ist 
in  ihrem  Entstehen,  Fortdauern  und  Wirken,  kann  man  ja  doch 
nur  in  Serbien  lernen.  Die  Aufschlüsse  und  Nachweisungen, 
die  er  [Vuk]  über  die  historische  Entstehung  seiner  Sammlung 
giebt,  waren  mir  daher  höchst  bedeutend,  und  ich  möchte 
darüber  noch  eine  ganze  Reihe  Fragen  thun. 


Zusätze. 

1.  Zu  den  Anmerkungen  zu  Pisma  3.  ist  dasjenige  hinzuzufügen, 
was  Professor  A.  Pavid  gegen  Vuk's  Änderungen  einwendet  Rad  jugosla- 
yenske  akademije  XLVII.  Seite  98. 

2.  Der  Ausdruck  ,8erbischer  Trochäus'  rührt  nicht  etwa  von  mir  her. 
Man  findet  ihn  unter  Anderm  in  E.  KleinpauPs  Poetik  I.  76.  Die  Bezeichnung 
ist  nicht  ganz  passend,  da  der  s.  g.  serbische  Trochäus  von  Goetlie,  wie  mir 
scheint,  nicht  aus  dem  Serbischen  entlehnt  wurde  und  da  derselbe  an  die 
Regeln  des  epischen  Verses  der  Serben  nicht  gebunden  ist.  Die  Übersetzer 
vernachlässigen  meist  nicht  nur  den  Einschnitt  nach  der  vierten  Silbe  sondern 
auch  die  syntaktische  Selbständigkeit  des  Verses:  nur  einer  beobachtet  zwar 
diß  erste  Regel,  lässt  jedoch  das  Hinübergreifen  des  Gedankens  in  den  fol- 
genden Vers  häufig  eintreten. 

3.  Saani  Pisma  1.  v.  132  ist  türk.  Mahn,  vulg.  tahart.  Schale,  Schüssel 
aus  dem  arab. 

4.  Über  Talvj  hat  Fr.  Löher  einen  lesenswerthen  Nekrolog  geschrieben, 
der  in  der  Allgemeinen  Zeitung  vom  9.  und  10.  Juni  1870  gedruckt  ist. 


.«^itznngaber.  d.  phil.-hist.  Cl.    CHI.  Bd.  H.  Hft.  32 


490      M  i  k  1 0  s  i  c  k.  tiber  Ooethe^s  ,Klagge8a&g  von  der  edlen  Frauen  des  As«n  Agft\ 


Inhalt. 


Seiu 

Einleitung^ 413 

I.  Geschichte  des  Originaltextes 414 

1.  Der  Text  von  Fortis — 

2.  Der  Vuk'sche  Text 418 

3.  Der  Text  der  Spalatiner  Handschrift 421 

Anhang.  Pisma  1 424 

Pisma  2 431 

Pisma  3.  (Asanaginica) 43:i 

Anmerkungen 436 

II.  Qeschichte  der  Übersetzungen 442 

1.  Übersetzung  von  Fortis — >■ 

2.  Deutsche  Übersetzung  vom  Jahre  1776 444 

3.  Französische  Übersetzung 447 

4.  Goethe^s  Übersetzung 450 

5.  Übersetzung  von  Talvj 456 

6.  Andere  Übersetzungen 458 

Anhang.    1.   Über   die  ,morlackischen*    Dichtungen  in  Herder^s 

.Volksliedern* 459 

2.  Über  die  Gräfin  Rosenberg 460 

3.  Aus  den  Briefen  von  Talvj  an  B.  Kopitar  ....  4C2 


Petschenig.  Textkr.  Grundlagen  itd  zweiten  Tiieile  y.  Cassians  Oonlationes.      491 


Ueber  die  textkritisehen  Grundlagen  im   zweiten 
Theile  von  Cassians  Oonlationes. 


Von 

Dr.  Michael  Fetsohenig. 


Unter  den  vielen  Ausgaben  Cassians  gibt  es  nur    zwei, 
welche  als  kritische  Recensionen  gelten  können.    Die  erste  er- 
schien,  besorgt  von  dem  Niederländer  Cuyckius,  Professor  in 
Löwen,  1578  zu  Antwerpen.    Derselbe  gründete  den  Text  der 
Institutionen  auf  fiinf ,    den   der  Oonlationes   auf  zwölf  Hand- 
schriften, die  er  sämmtlich  belgischen  Klöstern  entnahm.  Aber 
diese  Codices  waren  oflFenbar  meist  jungen  Ursprungs  und  viel- 
fach verderbt  und  interpolirt.  In  der  That  ist  der  Text  dieser 
Ausgabe  für  die  angeführten  Schriften  ohne  besonderen  Werth. 
Nur   für   die   Bücher   contra  Nestorium    hatte  Cuyckius   einen 
vortrefflichen,  jetzt   verschollenen   codex  ,Coloniensium  Augu- 
stinianorum'   zur  Verfügung.     Besser  ist  die   zweite   Revision, 
welche   auf  Grund  von   acht  vaticanischen  Handschriften  von 
dem  spanischen  Priester  Ciacconius  veranstaltet  wurde,  aber 
die  Schrift  gegen  Nestorius,  für  welche  die  Vaticana  keine  Hand- 
schrift  bot,    nicht    mit   enthält.     Sie   erschien   1588   zu   Rom. 
Leider  war  der  Benedictiner  Alardus  Gazaeus,  der  1616  eine 
neue,  mit  theologischen  Commentarien  reich  ausgestattete  Aus- 
gabe erscheinen  Hess,   ein  so  durchaus  unkritischer  Kopf,  dass 
er  seinen  Text   fast  ganz  an  den  des  Cuyckius  anschloss  und 
von  dem   höheren  Werthe   der   editio  Romana  durchaus  keine 
Ahnung  hatte.  Da  nun  die  neueren  Drucke,  wie  der  Leipziger 
1733  und  Mignes  Patrologie,  Bd.  49,  ausschliesslich  diese  Aus- 
gabe wiedergeben,    ist   der  Theologe  wie  der  Philologe   heute 
noch  auf  einen  Text  angewiesen,  der  fast  auf  jeder  Seite  einige 
Unrichtigkeiten  enthält.  Dass  dem  so  sei,  hatte  schon  A.  R  ei  ff  er- 
scheid bei  der  Durchforschung  der  italienischen  Handschriften 

32* 


492  Petschenig. 

erkannt  und   gelegentlich  '    geäussert,   dass    die   Ausgabe    des 
Gazaeus    ,einer    durchgreifenden  Revision    bedarf,    die 
den  Text  erheblich  umgestalten  wird^  Diese  Aeussenmg 
trifft  vor  Allem   fiir   die  Conlationes  zu,  jenes  Werk  Cassian& 
welches   im  Mittelalter  am   meisten   gelesen   wurde  ^  und  dem 
entsprechend    auch    die    einschneidendsten   Aenderungen    und 
Interpolationen  im  Texte  erfahren  hat.  Im  neunten  Jahrhundert 
bestanden    bereits    zwei   wesentlich   verschiedene  Recensionen 
neben  einander,  welche  nicht  blos  in  den   bisher  verglichenen 
Handschriften    deutlich  sich  ausprägen,   sondern  oflFenbar  anch 
in  die  Ausgaben  tibergegangen  sind.    So  stimmt  der  Text  der 
editio  Basileensis  von  1485  im  ersten  Theile  des  Werkes  (Conl. 
I   bis  X)  vollkommen   mit   dem  Sangallensis  574  s.  IX.     Die 
editio  Romana  nähert  sich  dem  Texte  dieses  codex  hie  und  da, 
zeigt  aber  an  den  meisten  Stellen  starke  Abweichungen.    Der 
Ausgabe  des  Cuyckius  und  Grazaeus  hingegen  lag  oflFenbar  eine 
ganz  andere  Recension  zu  Grunde,  flir  welche  sich  ein  Vertreter 
in  dem  Parisinus  13384  s.  IX  gefunden  hat.  Ganz  ähnlich  ist  im 
dritten  Theile  (Conl.XVin  bis  XXIV)  das  Verhältnis  zwischen 
zweiMonacenses  s.VIII  und  IX  einerseits  und  dem  Sangallensis  575 
s.  IX  andrerseits.  Die  nächste  Aufgabe  des  neuen  Herausgebers 
—  und  wahrlich  keine  leichte  —  wird  nun  die  sein  mtissen^  fest- 
zustellen; welche  Fassung  die  echte,  welche  die  überarbeitete  ist. 
Bekanntlich  hat  Cassian  die  XXIV  Conlationes  nicht  auf 
einmal;    sondern   in  drei  Abschnitten   erscheinen   lassen.    Der 
erste  umfasst  Conl.  I  bis  X;  der  zweite  XI  bis  XVH,  der  dritte 
XVin  bis  XXrV.  Dem  entsprechend  pflegen  auch  alle  älteren 
Handschriften   bis   zum  zehnten  Jahrhundert  nur  einen  dieser 
Theile   zu   enthalten.    Als   Ausnahme   ist  mir  bisher   nur  der 
•Parisinus  N.  A.  L.  2170  s.  IX  bekannt.   Es  zerfallen  daher  die 
überhaupt  in   Betracht   kommenden   Handschriften   zu   diesem 
Werke  naturgemäss  in  drei  Gruppen,  von  denen  jede  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  verschiedene  Schicksale  erlitten  und  in  ihrem 
Texte  verschiedene  Wandlungen    durchgemacht   hat.     Daraus 
folgt,    dass  jede  Handschriftengruppe   in  Bezug  auf  die  oben 
bezeichnete  Aufgabe  flir  sich  besonders  untersucht  werden  muss. 


<  BPI  I,  S.  125. 

'  Noch  jetzt  sind  mindestens  löO  Handwhriften  erhalten. 


Textkritisehe  Gnmdlagen  im  zweiten  Theile  von  Cassians  Conlationes.  493 

Tvobei  allerdings  in  Fragen  des  Sprachgebrauches  oder  wo  es 
sich  um  den  Wortlaut  einer  Bibelstelle  handelt  —  manche  finden 
sich  nämlich  wiederholt  imd  in  verschiedenen  Schriften  citirt 
—  auch  die  anderen  Partien  sowie  die  Institutionen  und  die 
Bücher  contra  Nestorium  zu  berücksichtigen  sind.  Ausserdem 
erscheint  es  geboten,  gleich  von  vorne  herein  festzustellen^ 
welche  Bedeutung  die  Ausgaben,  oder,  wenn  man  will,  die  von 
den  Herausgebern  benutzten  Handschriften  gegenüber  den  jetzt 
zu  Grunde  gelegten  beanspruchen  können.  Es  ist  dies  um  so 
nothwendiger,  da  weder  bei  Cuyckius  noch  bei  Ciacconius  irgend 
welche  Andeutungen  über  das  Alter,  den  Werth  und  die  Classen* 
Verschiedenheit  der  von  ihnen  verglichenen  Codices  sich  vorfinden. 
Für  die  Kritik  des  zweiten  Theiles  der  Conlationes  sind 
folgende  Hülfsmittel  benutzt  worden: 

S  =  cod.   Sessorianus   LV    s.  B  =  ed.  Basileensis  1485 

Vn-Vni  C  =  ed.  Cuyckii  1578 

n  =:  cod.  Petropolitanus  (aus  R  =  ed.  Romana  1588 

Corbie)  O.  I.  4  s.  VH— VHI  E  =  BCR 

X  =  cod.  Sangallensis  576  s.  IX 

Die  Handschriften  zerfallen  in  zwei  Classen.  Die  eine  ist 
durch  2,  die  andere  durch  OT  vertreten.  Der  Sangallensis  stimmt 
übrigens  nicht  selten  gegen  11  mit  dem  Sessorianus  und  hat  eine 
Masse  von  Sonderlesarten,  welche  mit  wenigen  Ausnahmen 
ganz  wcrthlos  sind.  Er  ist  ausserdem  noch  stark  intcrpolirt. 

Fragen  wir  zuerst  nach  dem  Verhältnisse,  in  welchem  die 
oben  angeführten  Handschriften  zu  den  Ausgaben  stehen,  so 
ist  vor  Allem  zu  constatiren,  dass  die  letzteren  an  einigen 
Stellen  einen  erweiterten  Text  bieten.  Der  Anfang  des  9. 
cap.  der  XVH.  Conl.  lautet  nach  den  Handschriften:  Quod 
utrumque  liquidiasime  sancti  apostoli  Petri  et  Herodis  exempla 
testantwr.  äle  enim  quia  discessit  a  deßnüione  senteniiaej  quam 
udut  scuyramento  firmatterat  diceiis:  non  mihi  lauabis  pedea  in 
aeternum,  inmortale  Christi  consortium  promeretur,  absddendus 
proeul  dtthio  ab  huiua  heatitudinis  gratia,  si  in  semionis  9ui 
obstinatione  m^^isisset  Die  Ausgaben  hingegen  lassen  utrumque 
weg,  welches  mit  Bezug  auf  den  Schluss  von  cap.  8  gewiss 
richtig  ist;  und  lesen  ludae  traditoris  statt  Herodia.  Was  sonst 


494  Fetschenig. 

noch  geändert  ißt,  tibergehe  ich.  Der  Zweck  dieser  Aendening 
wird  klar,  wenn  wir  das  Folgende  beachten.  Während  nämlich 
die  Manuscripte  mit  Bezug  auf  Herodia  hinter  niansisset  fort- 
fahren hie  uero  ßdem  inconsulti  retinens  sacramenti  cruentisnmMi» 
praecursai'is  domini  exstitit  inter&mptor  u.  s.  w.,  folgt  in  den 
Ausgaben  eine  lange  Stelle  über  Judas  und  über  die  Parabel 
von  den  zwei  Söhnen ,  welche  der  Vater  im  Weinberge  arbeiten 
heisst  (Matth.  21,  28  ff.),  woran  sich  folgender  Text  schlies^t: 
necnon  et  Herodis  ci^uentissimi  regis  exemplum,  qui  ßdem  inoonsuUi 
retinetis  sacramenti  u.  s.  w.,  wie  in  den  Manuscripten.  Die  Er- 
wägung des  Gedankeninhaltes  ergibt  nun  mit  Sicherheit,  <lasi« 
der  Text  der  Ausgaben  auf  einer  Interpolation  beruht.  Cassian 
will,  wie  er  am  Schlüsse  des  achten  Capitels  sagt,  durch  Bei- 
spiele zeigen:  quam  multis  etiam  letaliter  cesseint  statuta  con- 
plesse  y  et  e  confraHo  quam  multis  eadem  refugisse  conmodum  fuerii 
ac  salubre  (so  die  Manuscripte).  Das  eine  wird  nun  an  dem 
Beispiele  des  Petrus  nachgewiesen,  welcher  gleichsam  unter 
einem  Eide  geäussert  hatte  ,Du  wirst  mir  in  Ewigkeit  die  Fiisse 
nicht  waschen*,  aber  diesen  Entschluss  sofort  wieder  aufgab 
und  hiermit  der  Gemeinschaft  mit  Christus  theilhaftig  wurde; 
das  andere  an  Herodes,  der  seinen  Schwur  hielt,  aber  dadurch 
der  ewigen  Verdammnis  anheim  fiel.  Bei  Judas  trifft  dies  nun 
nicht  zu,  da  er  ja  nicht  unter  einem  Eide  oder  Gelöbnisse 
(sponsio)  sich  zum  Verrath  an  Christus  entschlossen  hatte,  noch 
weniger  aber  bei  den  Söhnen  der  Parabel,  wo  es  sich  nicht 
um  Seligkeit  und  Verdammnis  handelt,  sondern  nur  gezeigt 
werden  soll,  dass  es  besser  sei,  den  anfUnglichen  Ungehorsam 
durch  Reue  wieder  gut  zu  machen,  als  Gehorsam  zuzusagen 
und  die  Zusage  nicht  zu  halten.  —  Hinter  immersit  pag.  1055  A* 
haben  die  Ausgaben  wiedenim  folgendes  längere  Einschiebsel: 
Primum  etenim  est  optima  stattiere:  quod  et  si  aliter  cesserit, 
sequens  est  in  melius  ea  quae  sunt  statuta  mutare,  ordifiationibusque 
nostris  iam  iacentihus ,  ut  ita  dixerim,  manum  dexteramque'^ 
porrigere.  Ubi  piHncipia  consilii  non  approhantur,  prudeiitia  est, 
ut  utili  addita  prouisione  reparentur,  Si  Claudicat  ad  prima 
statuta  dispositiOy  adhiheatur  ad  secunda  correctio.  Hier  ist  drei- 

*  Da  manche  Capitel  sehr  lang  sind,  citire  ich  nach  den  Seitenzahlen  und 

Marginalbuchstaben  des  Migne^schen  Druckes,  Patrol.  Lat.  t.  XLIX. 
2  m.  dexteram  B,  dtxteram  ni.  R. 


Textkritische  Ornndlagen  im  zweiten  Theile  von  Cassiana  Conlationes.  49ö 

mal  dasselbe  gesagt,  was  in  den  folgenden  echten  Schlussworten 
des  Capitels  enthalten  ist,  und  der  sprachliche  Ausdruck 
derart,  dass  diese  Worte  unmöglich  von  Cassian  herrühren 
können.  —  Interpolirt  ist  femer  die  zweite  Hälfte  des  vier- 
zehnten Capitels  pag.  1060  A  von  den  Worten  non  enim  ex 
hac  immtUatione  angefangen.  —  Pag.  930  A — B  lesen  lüYB 
übereinstimmend:  praeuenü  ergo  hominis  uoluntatem,  quin  dicitur: 
deu8  meu8,  misericordia  etus  praeueniet  me,  nur  dass  II 
voluntasy  X  quia  qui  dicä  liest.  CR  hingegen  schieben  ein  uolim- 
tatem  (misericordia  domini  de)  qua  dicitur.  Aber  das  Subject  zu 
praeuenit  lässt  sich  leicht  aus  dem  folgenden  deus  meue  und 
deum  remorantem  (dominum  E),  wie  auch  aus  der  vorhergehenden 
Erörterung,  in  welcher  viel  von  der  gratia  dei  die  Rede  ist, 
ergänzen.  —  P.  933  A— B  lesen  die  Ausgaben  rurmm  quod 
peccatum  suum  humüiatua  agnoscit,  propriae  libertatis  est  opus, 
die  Manuscripte  hingegen  agnoscit,  suum  est,  was  mit  Bezug 
auf  David  ganz  entsprechend  ist. 

Noch  mehr  springt  der  Unterschied  zwischen  den  Aus- 
gaben und  den  Handschriften  ins  Auge,  wenn  wir  einzelne 
Lesarten  in  Betracht  ziehen.  Die  Handschriften  erweisen  sich 
hier  als  weitaus  vortrefflicher  und  die  Uebereinstimmung  der- 
selben oder  auch  von  III  sichert  fast  überall  den  echten  Text. 
Ich  beschränke  mich  auf  die  Vorführung  einiger  markanten 
Stellen.  —  Pag.  847  A  haben  CR  in  Scythica  (Sdthica  R)  eremo, 
B  in  scytiiiotica  heremo,  die  Manuscripte  in  scitiotica  heremo.  Die 
Schreibung  mit  y  ist  sicher  falsch.  Bei  Ptolemäus  IV,  5  pag.  280 
Wilb.  lesen  wir:  rcüvtarai  xal  Dpo^oSTtaK,  (xsO'  oO^  i^  Z)ua6av)  x^P^; 

?5;  O^ffi?  5  To  ^  «'  (600  4(y^  300  lO') 
xat  Ol  MacTtiat*  xa  hk  £i(  )jLEOif))JLßptv(i)tepa  vd(Acyrat  Nixpiäiat  xal  OoEcrt- 
Toi.  Vgl.  pag.  262  ev  tv)  Zxia6ixfJ  x<^P?  ^>u<3^^*  Die  früheren  Aus- 
gaben lasen,  wie  Wilberg  anmerkt,  vielleicht  richtiger  IxiBioxi) 
und  Zxt6taxf|.  Bei  Parthey,  Vocabularium  Coptico-Latinum  et 
Latino-Copticum  pag.  544  sind  die  Formen  ScetSy  SceHs  (IIxi^tt], 
Zx/|ti(;),  dann  die  Sdthiojca  regio  angeführt.  ^rx{Zi%^  SvopA  tonou 
erwähnt  Suidas,  und  Sokrates  meint  Hist.  Eccles.  IV,  23,  12 
mit  Ix(T6(t)^  5po^  wohl  dasselbe.  In  des  Rufinus  Hist.  monach. 
heisst  der  Ort  Scithium.  Wenn  aber  Hist.  Eccles.  H,  8  bei  Migne 
m  Scyti  steht  und  Rosweyd  in  den  Vitae  patrum  Scythi,  Scythim, 
Scyihiae  u.  s.  w.  drucken  liess,  so  beruht  dies  wohl  auf  dem- 


496  PetBchenig. 

selben  Fehler,  den  die  Herausgeber  Cassians  begingen.  Zweifel- 
haft ist  nur  noch  die  Aspiration  des  t.  Die  späten  griechischen 
Schriftsteller  scheinen  sie  nicht  anzuerkennen.  Unter  den  drei  von 
Parthey  a.  a.  O.  pag.  544  angegebenen  koptischen  Formen  ^k^kt, 
^iKT,  vgi^HT  haben  zwei  dieselbe  zwischen  den  zwei  I-Lauten, 
keine  beim  Dental.  Es  bleibt  also  nur  noch  übrig,  die  Schreibung 
der  bisher  bekannten  Cassian-Handschriften  zu  Rathe  zu  ziehen. 
Inst.  V,  40  sciiü  Augustodunensis  s.  VIT  und  Sangallensis  s.  IX 
(von  erster  Hand),  scvthii  Laudunensis  s.  IX.  XI,  15  sd^  Sang. 
und  Land.  (Augustod.  fehlt  hier).  Praefatio  zu  Conl.  I  (pag.  479  A) 
ac^ti^  Paris,  s.  IX  (es  ist  wahrscheinlich  i  verwischt),  scHthü  Sang. 
s.  IX.  Conl.  I,  1  im  titulus  sdtij  Paris.,  scythii  Sang.  Conl.  I,  1  scüi 
Paris.,  schithi^  (t  radirt)  Sang.  Conl.  HI,  1  scitii  Paris.,  schitii  Sang. 
Conl.  IV,  1  scitii  Paris.,  scküHi  Sang.  Conl.  VI,  1  scitii  Paris,  n. 
Sang.  Conl.  X,  2  scitii  Paris.,  schitHi  Sang.  Conl.  XV,  3  schythioticae 
S,  scitioticae  IIT.  Conl.  XVII,  30  sdtioticae  2  (IIT  fehlen).  Conl. 
XVni,  15  sdthioticae  Benedictoburanus  s.  VIH  — IX,  Frisin- 
gensis  s.  IX,  scitioticae  Sang.  s.  IX.  Conl.  XVHI,  17  sciti¥:  Bened., 
sdtiiFnB,,  sdttii Sajig.  m.  1.  Conl.  XX,  11  «ciYAio^tcae Bened.,  Fris., 
sdtiik^^oticae  Sang.  Conl.  XXIV,  4  sdthie  Bfened.,  sdtkii  Fris. 
(Sang,  fehlt).  Ebendort  sd^thiotica  Bened.,  sdthiotica  Fris.  (Sang, 
fehlt).  Es  überwiegt  somit  die  Schreibung  ohne  h  in  den  Hand- 
schriften ganz  bedeutend.  —  Im  ersten  Capitel  der  XI.  Con- 
latio  (pag.  847  B)  lesen  wir:  ad  oppidum  Aegypti,  cui  Thennesu» 
nomen  esty  peruenimus.  Dem  entsprechend  heisst  es  in  der 
Ueberschrift  dieses  Capitels  in  R  descriptio  Thenned  oppidi, 
aber  SIITB  lesen  thenneseos  oppidi.  Bei  Parthey  pag.  491  ist 
ThennesuSf  ödwifjao;,  Qirficoq^  als  Bischofsitz  angeführt.  Die  kop- 
tischen Namen  der  Deltastadt  sind  (ebendort  pag.  548)  ^^ennec, 
«&HKCI,  «eiieci,  «enncci,  »ennKci.  Damach  ist  es  wahrscheinlich, 
dass  neben  ö^vviQffo?  eine  griechische  Nebenform  Bewr^aK;  bestand 
und  dass  somit  Thenneseos  richtig  ist.  —  Pag.  854  A  ist  die  Rede 
vom  Empfange  des  verlornen  Sohnes  durch  den  Vater:  Sed 
ad  istam  hurnüis  poenitentiae  uocem  in  occursum  dus  pater  pro- 
sUiens  maiore  quam  emissa  ßjberat  pietate  suscepit,  eumque  non 
contentüs  minora  concedere  utroque  gradu  si7ie  dHatione  transcurso 
pristinas  filiorum  restittdt  dignitati.  So  YBC,  R  übergehe  ich, 
da  dort  der  Text  ganz  schlecht  ist.  Iin  lassen  ad  weg,  womit 
die  Stelle  in  Ordnung  ist.  In  den  Ausgaben  beginnt  femer  mit 


Textkritische  Grandlagen  im  zweiten  Theile  *von  Cassians  Conlationes.  497 

4 

den  Worten  Sed  ad  istam  ganz  ungehöriger  Weise  ein  neues^ 
das  achte  Capitel,  während  die  Handschriften  den  Text  nicht 
unterbrechen.  Nach  der  Capitulatio,  welche  jeder  Conlatio  vor- 
ausgeht, *  ist  die  Zusammenziehung  von  cap.  7  und  8  zu  einem 
Capitel  durchaus  nothwendig.  Daflxr  muss  aus  demselben  Grunde 
das  jetzige  10.  Capitel  nach  den  Manuscripten  in  zwei,  nämlich 
9  und  10,  getheilt  werden;  letzteres  beginnt  pag.  860 B  mit 
den  Worten  Cum  ergo  qwis  hunc,  —  Pag.  857  B  Per  hanc  ita- 
qiLe  caritatem  quisquis  u.  s.  w.  SHT  lesen  quisque,  und  dieses 
Pronomen  findet  sich  auch  sonst  sehr  häufig  in  allen  Schriften 
Cassians  in  dem  Sinne  von  quisquis  gebraucht.  —  Pag.  859  A 
nisi  86  in  bonos  et  malos,  ivstos  et  imustos  ad  imitationem  dei 
plaäda  semper  sui  cordis  extenderit  carliate.  Nach  den  Manu- 
scripten ist  zu  lesen  nisi  si  in  bonos  .  .  .  placidam  .  .  .  extenderit 
caritatem.  —  Pag.  860  A  Impossibile  namqus  est  quemUbet  sanc- 
torum  non  in  istis  minutis  .  .  .  incurrere.  Mit  IX  (11  hat  minutis, 
aber  s  in  Rasur)  ist  jedenfalls  minutiis  zu  lesen.  Conl.  XXII,  3 
pag.  1219  B  überliefern  die  zwei  Monacenses  sordidarum  cogi- 
tatUmum  minutiös,  XXIII,  7  pag.  1257 A  steht  auch  in  den 
Ausgaben  ndnutias  multarum  sordium,  —  in  ist  in  21  ausgelassen. 
So  vorzüglich  auch  diese  Handschrift  sonst  ist,  hier  vermag 
ich  ihr  aus  dem  Grunde  nicht  zu  folgen,  weil  sich  in  nach  den 
Ausgaben  wie  nach  der  handschriftlichen  Ueberlieferung  an 
unzähligen  Stellen  mit  dem  Ablativ  verbunden  findet,  wo  man 
den  Accusativ  erwartet.  So  ist  Conl.  XXHI,  13  pag.  1269  A 
nach  den  besten  Manuscripten  zu  lesen  peccati  .  .  .  lege  in  qua 
iugiter  nolentes  incurrere  coguntur,  Conl.  IV,  15  pag.  603  B — C 
steht  in  den  Ausgaben  wie  in  den  Manuscripten  in  ceteris  gme- 
rüms  uitiorum  .  .  .  soleamus  incurrere,  —  Pag.  885  B  lesen  die 
Ausgaben  dvlcedinis  ud  pinguredinis  (unguedinis  XB)y  aber  ZQ 
bieten  das  viel  gewähltere  unguinis.  —  Pag.  890  A  in  Israel 
autem,  id  est  in  eo  qui  uidet  deum,  siue  ut  quidam  interpretantur 


1  Die  Capitelfibenchriften  rühren  unzweifelhaft  von  Cassian  selbst  her. 
Ich  beg^ifige  mich,  auf  die  Ueberachrift  zu  Conl.  XVII,  3  zu  verweisen, 
welches  Capitel  Cassians  Antwort  auf  die  Frage  des  Germanus  enth&lt. 
Dieselbe  lautet  nach  ItUXBR:  Quid  mihi  ad  hoc  uitum  »it.  So  konnte 
sich  nur  der  Verfasser  der  Schrift  selbst  ausdrücken.  Cuyckius  lässt  in 
v{$lliger  Verkennung  des  Ursprunges  dieser  Capitula  drucken:  Ccusiani 
eoruilium  et  retporuio  ad  interrogationetn  abbati»  Qermani. 


498  *    Fetschenig. 

rectisnmus  dei  est.  So  TE.  Das  richtige  uidens  deura  steht  in  SD.  — 
Pag.  894  B  lesen  die  Manuscripte  und  BR  In  Ms  igitwr  omnibus 
quantum  (quanto  C)  mens  ad  subtiliorem  profecerit  puritaUm, 
tanto  sublimius  intuehitar  deum,  quantum  mens  liesse  sich  aller- 
dings aus  quanto{m)nien8  leicht  erklären,  aber  der  SprachgebFauch 
Cassians  beweist,  dass  ersteres  richtig  ist.  Es  findet  sich  qu^m- 
tum  —  tantum  zum  Positiv  gesetzt,  aber  auch  Stellen  wie  Inst. 
I,  12  (cap.  11  und  12  fehlt  beiMigne!)  tantum  namqtte  fertten- 
tior  .  .  .  quanto  .  . .  deuotior  Sang.  s.  IX,  Inst.  IV,  1  pag.  151 C 
quantum  numero  populosius,  tanto  . . .  distinctius  Sang,  und  Laud. 
—  Pag.  896  B  paximaeiis  BC,  paxamaciis  R,  Y  hat  paxmatiis,  Sil 
das  richtige  J9aa7ama^ii8.  Es  ist  xa^a(xa(;,  Sticupo^  opTo;  bei  Soidas, 
nach  niqafJLO«;  benannt,  der  ein  Werk  OC/OEpiuxtxa  schrieb^  xa^a(Aa2iov 
bei  Galenos.  —  Pag.  910  C  Satis  congrue,  quoniam  lerusalem 
adulterae  comparauerat  a  suo  coniuge  discedenti,  amorem  quoque 
ac  perseuerantiam  beiiignüatis  suae  uiro  qui  a  femina  deseritur 
comparauit]  so  BC.  R:  qui  feminam  deserit]  ZOT:  qui  feminam 
deperitf  was  natürlich  allein  richtig  sein  kann.  Für  Hierusalem 
(so  nr)  hat  übrigens  Z  fälschlich  ifrl,  was  sich  leicht  aus 
einem  Misverständnisse  des  Compendiums  um  erklärt.  Die  an- 
geführten Worte  sind  nämlich  keinesfalls  auf  die  unmittelbar 
vorausgehende  Bibelstelle,  in  der  allerdings  domus  Israel  steht, 
zu  beziehen,  sondern  auf  den  Anfang  des  Capitels  sub  figura 
meretricis  Hierusalem  und  auf  die  dort  aus  Osee  citirte  Stelle. 
Wohl  aber  ist  mit  S  adtdteratae  zu  schreiben.  Vgl.  Vulg.  Ezeefa. 
23,  37  qiiia  adulteratas  sunt  =  5ti  e)jLotx<«>vTO.  —  Pag.  923  A  Si 
enim  dixerimus  nostrum  esse  bonae  principium  u^luntatisj  quid 
fuit  in  perseciUore  Paulo,  quid  in  publicano  Matthaeo,  qaorum 
unus  cruori  ac  supplicüs  innocentum,  alter  moUntiis  a^i  rapinis 
publicis  incubans  attrahvtur  ad  salutem.  quod  fuit  ZII',  quod  in 
Zirr.  Ich  halte  quod  für  richtig  und  erkläre  qu^d  principiumy 
ipsorum  an  dei^  fuit  in  persecutore  Paulo  u.  s.  w.  —  Pag. 
971  B  lesen  lUX  übereinstimmend  absorta  statt  aisorpttu  Da 
diese  Form  in  allen  bisher  bekannten  Manuscripten  sich  über- 
all ausnahmslos  findet,  ist  sie  jedenfalls  richtig.  Auch  Zange- 
meister liest  im  Orosius  pag.  662,  4  nach  allen  Handschriften 
Absorta  est  mors.  —  Pag.  974 B  beginnt  cap.  9  in  XBCR  Ger- 
manus:  Ad  haec  ego.  In  11  fehlt  der  Name,  in  ^  ist  nesthares 
geschrieben,   aber  von   erster  Hand  wieder  getilgt.    Selbstver- 


Textkritische  Grundlagen  im  zweiten  Tbeile  von  Cassians  Conlationes.  499 

stündlich  ist  Germanus  zu  streichen  und  unter  ego  Cassian  zu 
verstehen,  der  mit  Grermanus  als  interlocutor  abwechselt.  — 
Pap.  979  A  lautet  die  Ueberschrift  zu  cap.  13  in  BCR  Responsio, 
quo  pacto  memoriam  eoi'um  (nämlich  saectdarium  carminum) 
possimus  abluere.  Nach  iO  muss  es  heissen  memoriae  fucum 
(fmigum  Y)  posdmus  a.  —  Pag.  1000  A  Quid  etiam  abbatis 
Abrahae  gesta  commemorem,  qui  %diq  (paisB),  id  est  simplex  pro 
simplicitate  morum  et  innocentia  cognominatur.  So  die  Ausgaben^ 
nur  fehlen  in  R  die  Worte  id  est  simplex.  In  ZUY  steht  richtig 
An\OyS.  —  Pag.  1022C:  sol  non  occidat  super  iracundiam 
uestram  BCR,  Auch  T  liest  uestramy  in  11  ist  es  weggelassen; 
^  aber  bietet  tuam.  Jedoch  pag.  1031 C  hat  in  derselben  Stelle 
(Ephes.  4,  26)  nur  Y  neben  den  Ausgaben  usstram,  Sil  lesen 
tuam.  Das  Citat  findet  sich  ausserdem  noch  Inst.  Vin,8,  wo  neben 
den  Ausgaben  auch  Augustod.,  Land,  und  Sang,  uestram  lesen, 
und  pag.  528  A,  wo  die  Manuscripte  mit  den  Ausgaben  gleich- 
falls in  der  Lesart  uestram  übereinstimmen.  Trotzdem  ist  an- 
zunehmeU;  dass  ZU,  das  Richtige  bieten,  da  Cassian  häufig  theils 
aus  dem  Gedächtnisse  citirt^  theils  auch  das  Citat  seiner  Dar- 
stellungsform anpasst.  So  ist  z.  B.  auch  pag.  986 A  mit  1  zu 
lesen  et  panis  frugum  terrae  tiiae  erit  tibi  uberrimus  et 
pinguis.  Denn  wenn  auch  tibi  in  IlT  nach  dem  Wortlaut  der 
Stelle  Esai.  30,  23  fehlt,  so  ist  es  doch  wahrscheinlich^  dass  es 
Cassian  selbst  hinzufügte,  mit  Bezug  auf  die  vorhergehenden 
Worte  pag.  985  B  kabebis  .  .  .  non  sterilem  nee  inertem,  sed  uividam 
fructvosamque  doctrinam,  semenque  salutaris  uerbij  qu4}d  a  te 
fuerit  audientium  cordibus  conmendatum,  subsequens  Spiritus  sancti 
imber  largissimus  fecundabit,  ac  secundum  id  quod  propheta  pol- 
licitus  est  dabitur  pluuia  semin i  tuo  (Alles  nach  den  Manu- 
Scripten).  —  Pag.  1023  B  Nam  quemadmodum  camcdes  adhuc 
et  imbecilles  fratres  ob  uilem  terrenamque  substantiam  cito  inmicus 
nie  (üle  om.  B)  disiungit]  so  BCR,  Nach  den  Manuscripten 
ist  zu  schreiben  inhecillos  fratres  cita  inimicus  bile  disiungit,  — 
Pag.  ;1076B— C.  In  der  Ueberschrift  des  24.  Capitels  liest  B 
pyamouy  C  Pianion,  R  Piammon,  11  hat  piamon,  ZX  piamun.  Im 
Capitel  selbst  haben  XII'  piamun,  W^Y  piamon.  Aufzunehmen  ist 
die  von  der  besten  Ueberliefening  gebotene,  echt  koptische 
Namensform  Piamun  j  welche  aus  dem  männlichen  Artikel  QI 
und  dem  Worte  «tMotrii  =  gloria,  sublimis  zusammengesetzt  ist. 


500  Petschenig. 

Dass  die  Griechen  misbräuchlich  ^AfApudv  statt  'A(i^uy  sagten, 
bezeugt  Plut.  de  Is.  et  Osir.  cap.  9.  Noch  sei  bemerkt^  dass 
die  beiden  vorzüglichen  Mtinchener  Handschriften  s.  VlJI — IX, 
die  den  dritten  Thoil  der  Conlationes  enthalten,  diesen  dort 
öfters  vorkommenden  Namen  regelmässig  richtig  überliefern. 
Bei  dieser  Gelegenheit  mag  auch  die  Schreibung  des  Namens 
Pinuphius  erledigt  werden.  Alle  guten  Manuscripte  schreiben 
PinufiuSy  was  nach  dem  koptischen  ni  -f-  hotcji,  *  pi-nuß  6  afoftbc, 
5  xpYjarb;  richtig  ist. 

Wie  wenig  Verlass  auf  die  Ausgaben  ist,  zeigt  sich  be- 
sonders auch  in  den  Bibelcitaten.  Wenn  nicht  die  Heraus- 
geber selbst  daran  herumgeändert  haben,  müssen  ihre  Hand- 
schriften schon  arg  interpolirt  gewesen  sein.  Auch  hier  will 
ich  mich  auf  einige  Beispiele  beschränken.  Pag.  853B  lesen 
BCR  nach  der  Vulg.  Luc.  15,  IV  quanti  mercemiarti  in 
domo  patris  mei  abundant  panibus,  ZWC  lassen  in  domo 
nach  dem  griechischen  Text  7:6901  (xbOioi  tcu  Tuorpo;  picu  mit  Recht 
weg.  —  Pag.  863B  ist  mit  SU  ssu  lesen  beatus  seruus  ille, 
quem  cum  uenerit  dominus  suus  inueniet  (ebp-^aei:  inuenerii 
E  Vulg.)  sie  facientem,  Pag.  866 C  haben  E  und  die  Vulgata 
in  der  Stelle  Rom.  8,  15  spiritum  adoptionis  ßliorum;  'LUX  lassen 
filiorum  mit  Recht  weg,  da  das  griechische  oloOeaCoc^  schon  durch 
adoptionis  wiedergegeben  ist.  —  P.  879 B  lesen  TE  Vulg.  in  der 
Stelle  Ps.  29,  8  auertisti  faciem  tuam  a  me;  £  n  lassen 
a  me  nach  der  LXX  diueorpsil/a?  hi  to  ^pocwiccv  aoü  weg.  — 
Pag.  884  B  wird  Prov.  19,  3  angefiihrt.  E:  insipientia  uiri  cor- 
rumpit  Utas  eiua,  deum  autem  causatur  in  corde  suo.  Nach  den 
Manuscripten  muss  uias  suas  und  cavsatur  corde  9U0  geschrieben 
werden  (LXX  tyj  xapSta  aurou).  —  Pag.  887  A  steht  in  E  et  nox 
iUuminatio  mea  in  ddiciis  meisy  in  den  Manuscripten  ist  mea  mit 
Recht  weggelassen.  LXX:  xal  vu^  9b)Ttofj^{  ev  tv)  Tpu^iJ  (aou.  — 
Pag.  935  A.  E:  numquid  gratis  colit  lob  deumf  nonne  tu  ual- 
lasti  eum  ac  domum  eius  et  uniuersam  subsiantiam  eiusi 
Nach  inr  muss  ac  domum  eius  entfallen;  femer  ist  mit 
IXR  lob  colit  ('I(i>ß  o^ßsTat)  umzustellen.     Dass  dieselbe  Stelle 


^  Parthey  p.  112  führt  nur  nOTrq«  an.  Nach  einer  gütigen  Mittheilung 
des  Herrn  Dr.  Krall  gehört  diese  Form  dem  oberägyptischen,  HOv*qi 
dagegen  dem  anterägyptischen  Dialect  an. 


Teztkritische  Grandlagen  im  zweiten  Theile  ron  CusiAns  Conlationes.  501 

(Job  1,  9-10)  Conl.  rV,  6  citirt  wird  nonne  tu  uallaati  eum 
ac  domum  eius  untuersamque  aubstantiam  eius,  beweist 
nur  die  Richtigkeit  der  schon  früher  aufgestellten  Behauptung^ 
dass  Cassian  die  Bibelstellen  an  verschiedenen  Orten  mit  ver- 
schiedenem Wortlaut  citirt.  —  Pag.  943 B  quid  est  faciliuSy 
dicere:  remittuntur  tibi  peccata,  aut  dicere:  surge  et 
ambula  (Matth.  9,  4 — 5).  Neben  £hat  noch  11  remittuntur,  Sr 
aber  lesen  dimittuntur^  was  schon  dadurch  sich  als  richtig  er 
weist,  dass  auf  derselben  Seite  das  d^tevai  des  EuangeUums 
noch  zweimal  mit  dimittere  tibersetzt  erscheint.  —  Pag.  1026 A. 
Y£Vulg. :  si  quod  solacium  caritatis,  ai  qua  uiacera  miae- 
rationia  (Phil.  2,  1).  20  uiacera  et  miseratianea  =  oTzXdrf/yoL 
xat  oixTtpjjio'!.  Man  beachte,  dass  Cassian  die  Worte  ei  xt^  xoiva)v(oc 
in/eu{i^io^  auslässt. 

ZuConjecturen  gibt  die  handschriftliche  Ueberheferung 
nur  an  sehr  wenigen  Stellen  Anlass.  Pag.  890 C  ist  zu  lesen: 
quod  autem  per  hoc  ineuitabilem  eaae  conmotionem  camis  adaeritis, 
quod  urina,  cum  uesicam  iugi  atiüatione  repleuerit,  quieta  su- 
scitet  membra:  licet  ueria  aectatoribua  puritatia  ad  obtinendam 
eam  nihil  praeiudicet  iata  conmotio,  quam  haec  aola  interdum  et 
tan  tum  (tarnen  codd.  und  E)  per  aoporem  neceaaitaa  excitarit, 
aeiendum  tarnen  est  u.  s.  w.  Vgl.  pag.  898  A  aed  cum  dormienti 
tan  tum  per  aopifae  mentis  incuriam  conmofio  camia  obrepaerit.  — 
Pag.  894  A  schreibe  ich  illam  caelestem  infuaionem  la^titiae  spi- 
ritalia,  qua  deiectua  animu8  inapirati  gaudii  cdacritate  austollitur, 
illoa  ignitoa  cordis  excessua  et  tarn  ineffahilia  quam  inaudita  aolacia 
gaudiorum.  S  liest  mit  E  insperati,  U  inapiti,  T  inapirata.  —  illoa 
ignitoa  steht  richtig  in  S  für  ad  illoa  ignotoa  der  Ausgaben.  — 
Pag.  905  A  ist  zu  lesen  nam  cum  intuena  eum  quidam  ^ujto- 
Yvuijjuav  dixisaet  2(ji(xaTa  ^atBepoeoTou;  hoc  eat,  oculi  corruptoina  pue- 
rorum,  et  inruentea  in  eum  diacipuli  inlatum  magiatro  uellent 
ulium  ire  conuidum.  Die  Manuscripte:  inlatum  magistro  (magi- 
atrum  11)  uellent  ultu  ire  (ulum  11,  ultuiri  Y  von  zweiter  Hand  in 
Rasur).  —  Pag.  973  A-B.  YE:  ut  acilicet  non  aolum  a  caeremoniia 
idolorum,  aed  etiam  ab  omni  auperstitione  gentilium  et  auguriorum 
omniumque  signorum  et  dierum  ac  temporum  obaeruatione  diacedat 
2  liest  auguriorum  atque  omniumqui  atgnorum,  U  adq;  ^  ^  ^  ^  om- 
nium  ^.  Dass  in  dieser  Handschrift  ursprünglich  adque  omniwm 
omniumqvs   gestanden   hat,   dafUr  möchte   ich   einstehen.    Zu 


502  Petsclienlg. 

schreiben  aber  ist  auguriorum  atque  ominum  omniumque  si- 
gnorum.  —  Pag.  1010  A.  Paphnutius  hat  sich  beim  Kochen  die 
Hand  verbrannt  und  ist  untröstlich  darüber,  dass  das  irdische 
Feuer  noch  Gewalt  über  ihn  habe.  Wie  werde  es  ihm  erst 
dem  ewigen  Feuer  gegenüber  ergehen:  aut  quemadrnodum  me 
in  illo  mettiendo  examinis  die  per  se  transitarwm  ille  ignis  inex- 
stinguihiLis  et  inquisitor  meritorum  omnivmi  mm  tenebit,  cm  nunc 
extrinsecus  hie  temporaUa  ac  paruvlus  non  pepercit?  So  IIY-E.  Z 
aber  Uest  die  pertransiturus  si  ille.  Nimmt  man  an,  dass  si 
durch  Dittographie  zwischen  8  imd  i  entstand,  so  ist  die  Stelle 
in  schönster  Ordnung.  Nicht  Paphnutius  wird  das  Feuer  durch- 
schreiten, sondern  dieses  wird  als  inquisitor  meritorum  omnium 
ihn  durchdringen.  Man  beachte  auch,  dass  ptrtransiturus  einen 
angemessenen  Gegensatz  zu  extrinsecus  darbietet.  —  Pag  1036  A-B 
ist  zu  schreiben:  siquidem  dominus  noster  atque  scduator  ad 
proßmdam  nos  instruens  paiientiae  lenitatisque  uirtutem,  td  est 
non  ut  labiis  eam  tantummodo  prasferamus ,  sed  ut  in  intimis 
animae  nostrae  adytis  recondamus^  istam  nohis  perfectionis  euan- 
geliccte  formulam  dedit  dicens:  si  quis  te  percusserit  in  dex- 
tera  maxilla  tua,  praehe  Uli  et  alter  am  (subauditur  sine 
dubio  ,dexteram/  quae  alia  dextera  nisi  (in)  interioris  hominis 
ut  ita  dixerim  fade  non  potest  accipi)^  per  hoc  omnem  penitus 
iracundiae  fomitem  de  profundis  citpiens  animae  penefralibv^  ex- 
tirpare,  id  est,  ut  si  exterior  dextera  tua  impetum  ferientis  ex- 
ceperit,  interior  quoque  homo  per  humilitatis  adsensum  dexteram 
suam  praebeat  uerberandam,  conpatiens  exterioris  hominis  passioni 
et  quodammodo  succumbens  atque  subiciens  suum  corpus  ferientis 
iniuriaCy  ne  exterioris  hominis  caede  uel  tacitus  intra  se  moueatur 
inteiiov.  Auf  die  Verkehrtheiten  der  Ausgaben  im  Wortlaut 
wie  in  der  Interpunction  einzugehen,  würde  zu  weit  fuhren. 
Was  ich  schrieb,  steht  in  den  Handschriften^  nur  dass  ich  in 
vor  intenoris  einfügte. 


Schon  oben  wurde  gesagt,  dass  die  Handschriften  in  zwei 
Classen  zerfallen,  deren  eine  durch  S,  die  andere  durch  IIV 
vertreten  ist.  Die  Ausgaben  stimmen  fast  durchwegs  mit  der 
letzteren.  Am  meisten  prägt  sich  der  Classenunterschied  in 
der  XVn.  Conlatio  aus,  welche  die  Ueberschrift  De  deßniendo 


Textkritiscke  Grundlagen  im  zweiten  Theile  von  Cassi&n«  Conlationes. 


503 


trägt.  Cassian  will  in  derselben  nachweisen,  dass  man  keine 
vorschnellen  Entschlüsse  fassen,  keine  unbesonnenen  Gelöbnisse 
und  Versprechungen  machen  solle  (wofür  die  Ausdrucke  fto- 
misaio,  aponsioy  deßnitio,  statuium,  sacramentum,  iuaiurandum  ge- 
braucht werden).  Habe  man  aber  ein  Versprechen  gegeben, 
das  sich  hinterher  als  schädUch  oder  gefährlich  fUr  das  Seelen- 
heil herausstelle,  so  sei  es  besser,  dasselbe  nicht  einzuhalten 
(die  Nichteinhaltung  wird  als  mendacium  •  bezeichnet) .  Diese 
Ansicht  wird  durch  Beispiele  aus  dem  alten  und  neuen  Testa- 
mente zu  erhärten  gesucht.  Ich  theile  nun  jene  Stellen,  an  denen 
der  Classenunterschied  markant  hervortritt,   in  Uebersicht  mit. 


A.  In  der  Capitulatio 

V 

cap.  10  Interrogatio  nostra  de  metu  praebiti 

in  coenobio  Syriae  sacramenti 
„    13  extgerit  sacramentum 
„    17  Quod  u tili t er  mendacio  sancti  im 

8int 
„    19  Quod  Ucentia  mendadi  probahili- 

ter  a  multis  fuerit  imirpata 
„    20  Quod  utile  plei'umqm  mendacium 

etiam  apostoli  esse  censuerint 


nr 

praebitae 
sponsionis 
e.  sponsionem 
ueniabiliter 

ueniabiliter 

ueniabile 


pag- 


n 


B.  Im  Texte 

V 

1047  A  de  sacramenti  fide 

1049  A  postponere  sacramenta,  ab- 

rupta    m^endacii   atque  pe- 

riurii 
1049  B  iuris  iurandi  candicio 
1059  A  sacramenti  uinculo 
1063  A  sanctoa  ac  probatissimos  deo 

uiros  utiliter  legimtu  u80S 

fuisse  msndacio 
1065  A  non  mirum  est  has  dispensa- 

tiones   ifi    ueteri    testaniento 

probabiliter  usurpatas  ac 


nr 

de  sponsionis  f. 
p,  pactionem 
atque     periurii 

fehlt. 
sponsionis  c. 
sponsionis  u, 

ueniabiliter 


licentius 


504  Petfichenig. 

2  nr 

nonnumqtiam    uiros    sanctos         laudabiliterutl 
laudabiliter     uel     certe  certe  fehlt 

vsniabäiter  fuiase   mentUos 
pag.  1067  B  tunc  demum  id  probabiliter         ueniabiliter 

diximus  uswrpcUum 

Der  Unterschied  der  beiden  Classen  ist  in  die  Augen 
springend.  Z  hat  oft  sacramentumy  einmal  ins  iwrandum^  in  nr 
wird  der  Begriff  ^Eid^  ängstlich  gemieden,  daflir  »ponsio  und 
pactio  gesetzt,  periurium  weggelassen.  Nach  dem  Texte  von  Z 
haben  sich  die  heihgen  Männer  der  Lüge  tUiliier,  laudabiliter 
und  probahüiter  bedient^  die  Apostel  selbst  halten  sie  mitunter 
für  nützUch;  in  Iir  wird  nur  ueniabäe  und  ueniabüitery  einmal 
sogar  Ucentius  gebraucht.  Es  ist  also  eine  der  beiden  Hand- 
schriften-Familien systematisch  interpoUrt  und  zwar,  wie  sich 
leicht  erweisen  lässt,  die  durch  ITT  vertretene.  Cassian's  An- 
sicht von  der  Gestattung  der  Lüge  widerspricht  nämlich  der 
Lehre  Augustins  und  der  Kirche,  wie  Ciacconius  in  seinen 
Observationes  in  Cassianum  kurz  bemerkt,  Cuyckius  aber 
pag.  253  ff.  weitschweifig  nachgewiesen  hat.  Letzterer  zählt 
noch  pag.  260  acht  sententiae  perniciosae  auf,  die  er  in  dieser 
Conlatio  gefunden  hatte.  Nun  erwäge  man,  dass  diesen  Heraus- 
gebern der  Text  in  der  abschwächenden  Recension  von  IIV 
vorlag.  Wie  würden  sie  sich  erst  mit  Gegenbeweisen  bemüht 
haben,  wenn  ihnen  nur  die  weit  entschiedenere  und  schärfere 
Fassung  von  2  bekannt  gewesen  wäre.  Eine  ähnliche  Absiebt 
wie  sie  diese  beiden  Theologen  und  Gazaeus  in  den  Vorreden 
zu  ihren  Ausgaben  aussprechen,  nämlich  den  Autor  vor  einer 
entschiedenen  Verurtheilung  und  Versetzung  unter  die  Hae- 
retiker  zu  retten,  indem  seine  Irrthümer  theils  in  Anmerkungen 
richtig  gestellt,  theils  nicht  auf  seine,  sondern  auf  Rechnung 
seiner  ägyptischen  Anachoreten  gesetzt  werden,  scheint  auch 
demjenigen  vorgeschwebt  zu  haben,  der  es,  offenbar  schon  in 
sehr  früher  Zeit,  unternahm,  die  ursprüngliche,  der  katholischen 
Lehre  schnurstracks  widersprechende  Fassimg  zu  mildem.  Er 
mochte  auch  wohl  den  Zweck  verfolgen,  die  zahlreichen  Leser 
der  Schriften  Cassians  vor  einer  Ansteckung  durch  haeretische 
Lehrmeinungen  zu  bewahren.  Denn  die  Institutiones  und  nament- 


Textimtitclie  Ornndlagen  im  zweiten  Theile  von  Cassians  Conlationen.  505 

lieh  die  Conlationes  bildeten  in  den  Klöstern  des  Mittelalters 
eine  sehr  beliebte,  durch  Benedict  und  Cassiodorius  warm  em- 
pfohlene Leetüre.  So  stelle  ich  mir  also  die  Entstehung  des  Textes 
von  nr  vor.  Ich  möchte  noch  darauf  hinweisen,  dass  wohl  die 
Fassung  in  UY  aus  der  des  Sessorianus  hervorgehen,  aber  nicht 
das  Umgekehrte  eintreten  konnte.  Denn  welcher  Haeretiker 
würde  sich  die  Mühe  genommen  haben,  den  Gegensatz  der 
Lehre  Cassians  zu  der  des  Augustinus  und  der  Kirche  noch 
durch  Interpolation  zu  verschärfen?  Ueberdies  bietet  die  Con- 
latio  selbst  an  einigen  Stellen  positive  Anhaltspunkte  dafür, 
dass  IIT  einen  überarbeiteten  Text  bieten.  Der  Bearbeiter  hat 
nämlich  seine  Sache  so  oberflächlich  gemacht,  dass  er  einiges 
übersah,  was  nur  mit  der  Fassung  von  2  in  Einklang  gebracht 
werden  kann.  Das  Wort  sacramentumy  welches  sonst  vom  Ur- 
heber der  Recension  IIT  überall  geändert  wurde,  ist  pag.  1053  B 
und  1054  A  stehen  gelassen  worden ;  vgl.  oben  S.  493  bis  494. 
Wenn  es  dort  von  Petrus  heisst  quta  düceasit  a  definitiane  sententia^, 
quam  velut  aacramento  firmauerat  dicena,  und  von  Herodes 
fidem  incanauüi  retinens  sacramenti,  so  ist  es  doch  offenbar, 
dass  Cassian  den  ,Eidbruch'  unter  Umständen  eben  so  für 
angemessen  hält,  wie  den  Bruch  eines  Gelöbnisses  oder  blossen 
Versprechens.  —  Pag.  1079,  wo  Beispiele  aus  der  heiligen 
Schrift  angeführt  werden,  heisst  es  von  David  cum  iuris  iu- 
randi  deßnitione  decreuit  ,  ,  ,  et  continuo  intercedente  Ahigaü .  .  . 
muuult  tranagreasorpropositi ivdicari  quam  sacramenti  sui  fidem 
cum  crudelitatis  exsecutioiie  aeruare,  ferner  von  Paulus  Corinthiia 
acribena  rediiv/m  auum  abaoluta  definitione  praniitüt  .  .  .  aed 
auperueniente  aaluhriore  conaüio  nequaquam  ae  id  quod  promiaerat 
exaecutwm  evidefitiaaime  canfitetur  .  .  .  Denique  cur  maluerit  de- 
finitionem  aui  praeterire  aermonia  quam  cuiuentu  auo  oneroaam  dia- 
cipulia  inferre  triatitiam,  etiam  cum  aacramenti  obteataHone  de-- 
ciarat,  —  Pag.  1084  A  Nee  illiua  praecepti  utilitaa  eat  aüenda, 
quod  etiam  ai  inatigante  ira  .  .  .  aacramento  noa  aliquo  uinxe- 
rimua  .  .  .  comparanda  eat  tlla  rea  quam  atatuimua  huic  ad  quam 
tranaire  compellimur^  aiqae  ad  eam  eat  trana&andum,  quae  •  .  . 
iuatior  fuerit  iudicata,  rectiua  enim  eat  noatrum  noa  praeterire 
aermonem  quam  rei  aalubrioria  aubire  iacturam.  Darnach  unter- 
liegt es  keinem  Zweifel,  dass  Cassian  auch  den  Eid  tmter  die 
deßnitianea  rechnet,  deren  Uebertretung  unter  Umständen  noth- 

Sitiangtb^T.  d.  phil.-hist.  Cl.    CHI.  Bd.  II.  Rft.  33 


506  Petsobonig. 

wendig  werde.  Dass  er  aber  diese  Uebertretung  (=:  mendacüun) 
nicht  bloB  fUr  ^entschuldbar/  sondern  auch  für  nützlich  und 
iöbUch  hält^  dies  bezeugen  ganz  unzweideutig  einige  von  dem 
Ueberarbeiter  übersehene  Stellen.  Eine  derselben  wurde  schon 
oben  S.  494  mitgetheilt.  Man  vgl.  femer  pag.  1062  B  Itaguß 
taUter  de  mendacio  sentiendvm  cUque  ita  eo  utendum  ett,  queui 
nahi/ra  et  inait  dlebori:  guod  si  imnUnente  exitiaU  morbo  mmpiwm 
fuerü,  fit  aalubre.  So  beginnt  das  17.  Capitel;  dessen  lieber- 
schrif);  nach  UTE  lautet:  Quod  ueniabiliter  mendado  aancti 
tamquam  ellebaro  tui  Hnt.  Dieser  titulus  gibt  natürlich  keinen 
Sinn  und  steht  im  Widerspruch  mit  dem  im  Text  Gesagt^ 
wenn  man  nicht  mit  Z  utiliter  liest.  —  Pag.  1067  B — C  ei  iddrco 
düpensationes  hos  (d.  i.  die  alttestamentalischen  Vorbilder)  .  .  . 
in  tanJbum  nos  quoque  .  .  .  non  fosmimma  abdicare,  ut  ns  ipm» 
quidem  apostolos,  ubi  consideratio  alieuiua  utilitatia  exegit, 
ab  eis  dedinasae  cemamus.  —  Pag.  1071 A  führt  Cassian,  nach- 
dem  er  vorausgeschickt^  dass  lacobus  omnesque  ülius  eocUrnoß 
prindtiuae  prckecipui  principes  apoetoltwi  Paulum  ad  nnudaiiofdi 
figmenta  descend&i^e  pro  imbecillüate  inßrmarUum  cohartantur,  fort: 
non  enim  tantum  aipoetolo  Paulo  lucrvm  ex  hac  eius  juerat  diitric- 
tüme  colUxtmn,  guantum  celeri  eius  exitio  uniuergis  gerUibus  detri- 
mentum.  Quod  sine  dubio  vmuersae  tunc  euenisset  ecclesiae,  tnd 
iUum  haec  utilis  ac  salubris  hypocrisis  praedicationi  euange- 
licae  reseruoMet.  —  Pag.  1058  A  Ideoque  iiutissimus  iudex  excu- 
sahilem,  immo  laudabilem  talis  mendacii  cenmdt  praesum- 
ptorem,  quia  sine  eo  ad  benedicHonem  priTnitiuorum  non  poterat 
peruenire,  —  Pag.  1059 B  Ita  igitur  et  in  hac  parte  emendatio 
dispositionis  improuidae  non  spiritalis  uoti  est  iudicanda 
transgressio.  Quidquid  enim  pro  caritate  dei  et  pietatis  arnors 
perfidtur,  .  .  .  tametsi  duris  atque  aduersis  uideaiur  prindpüs 
inchoari,  non  solum  nuUa  reprehensione,  sed  etiam  laude  dignis- 
simum  est  —  Pag.  1064  B  Ad  quem  finem  etiam  lacob  patri- 
areha  respidens  hispidam  fratemi  corporis  spedem  obuolutiime 
pdlium  dmulare  non  timuit  et  instiganti  ad  hoc  mendacium 
matri  laudabiliter  adquieuit  —  Pag.  1078  A  (es  ist  von 
Josephs  Verstellung  gegenüber  seinen  Brüdern  die  Rede).  Non 
ergo  tarn  reprehensUnle  fuü  Tnetum  fratribus  incussisse  mendado^ 
quam  sanctum  atque  laudabile  occasione  ficti  periculi 
inhnicos  ac  uenditores  suos  sd  salutarem  poenitentiam  compuUsse. 


Teztkritiselie  Grundlagen  im  sweiton  Theile  Ton  CuBians  Conlationes.  507 

Der  Bearbeiter  dieser  Conlatio  hat  aber  nicht  nur  inter- 
polirt,  sondern  auch  eine  ihm  sehr  anstössige  Stelle  ganz  ge- 
strichen. Ich  theile  dieselbe  nach  £  einerseits  and  QT  anderer- 
seits vollständig  mit;  sie  findet  sich  pag.  1063 A. 

2  nr 

Ita  namque  eiiam  sanctos  ac         Ita  namque  etiam  sanctoa  ac 
probc^simos  deo  uiros  utiliter         probaHssitnoBdeotUroauenia'- 
legimua  uso»  fuisse  menclacio,  {ut         biliter    legimtu    usaa  fuiwe 
non  solum  nuUum  ex  hoc  peccati         mendado,  sicut  Raaby   cuhis 
crimen  incu/rrerirU,  uerum  etiam         cum  non  eolvm  u.  s.  w. 
swmmam  eint  iuetitiam  consecuti: 
quibue  ei  glariam  potidt  conferre 
faüada,  quid  eie  e  contrario  niei 
condemnaHanem  uerUae  intulde- 
eetf)  eicut  Raab,  cuiue  cum  nan 
solum  rmUa  uirtutum,  eed  etiam 
if^^uddcitiae  monumenta  ecriptura 
conmemoret,  pro eolo^  mendado,         ta li  mendado 
qm  exploratores  maluit  occvl- 
tare   quam  prodere,    adniisceri 
populo  dd  aetema  benedictione 
promeruit. 

Erwähnenswerth  ist  auch,  dass  der  echte  Wortlaut  der 
Stelle  nur  durch  Zufall  erhalten  ist.  Der  Schreiber  von  S  irrte 
nämlich  von  dem  ersten  nan  eolum  auf  das  zweite  ab,  so  dass 
die  Worte  nullum  .  .  .  cuiu^  cum  non  eolum  erst  von  dem 
allerdings  fast  gleichzeitigen  Corrector  bemerkt  imd  hinzugefügt 
wurden. 

X  hat  sich  somit  ab  diejenige  Handschrift  erwiesen,  welche 
in  einer  wichtigen  Partie  allein  den  echten  und  unverfälschten 
Text  erhalten  hat.  Auch  sonst  ist  nirgends  ein  Anlass  vorhanden, 
den  Text  derselben  fiir  absichtlich  geändert  und  interpolirt  zu 
halten.    Wohl  aber  lässt  sich  dies  an  den  beiden  andern  auch 


*  Vgl.  Conl.  VI,  3,  p.  661 A:  Cuitu  (Lazari)  cum  ntUla  alia  uirtutum  me- 
rita  9cripiura  commemoretf  pro  hoc  »olo  quod  ege»tatcm  .  .  .  toUrauÜ^ 
tnm»  Ahrahae  po99idere  promeruU, 

38» 


508  Petschenig. 

sonst  nachweisen.  Ich  will  dies  vorwiegend  an  ö  zeigen,  da 
es  nicht  der  Mühe  werth  ist,  den  willkürlichen  Aendenmgen 
in  dem  jüngeren  und  weitaus  schlechteren  Cod.  T  nachzugehen. 
Pag.  866  C  lesen  DTE  de  hoc  etiam  meta  cum  illam  sepHf  armem 
Spiritus  sancti  gratiam  propheta  describeret,  quem  in  homine  tflo 
dominico  .  .  .  descendisse  non  dubivm  est.  Z  aber  bietet  äbtm 
s^f^formem  spiritum  propheta  describeret,  was  mit  Rticksicht 
auf  das  unmittelbar  folgende  Citat  Esai.  11,  2 — 3  et  requieseet 
super  eum  spiritus  domini  u.  s.  w.  allein  richtig  ist.  —  P«g- 
874B  wird  gesagt,  die  Liebe  des  Mönches  zur  Keuschheit  müsse 
so  gross  sein  wie  die  höchste  irdische  Gewinnsucht,  der  höchste 
Ehrgeiz,  die  höchste  irdische  Liebe.  Anstatt  qui  intolerabili 
pulchrae  mvlieris  amore  raptatv/r  liest  nun  n  qui  int.  sanctae 
caritatis  amore  raptatwr,  —  Pag.  946  B — C  lesen  die  Ausgaben 
non  enim  fidem  ex  inteüectu,  sed  inteUechim  ex  fide  misremur. 
sicut  scriptum  est:  nisi  credideritis^  non  intelligetis^  quia 
quemadmodum  et  deus  omnia  operetur  in  nobis  et  totwm  Ukero 
ascribatwr  arbitrio,  cui  dicitur:  si  uolueritis  et  audieritis  me, 
quae  bona  sunt  terrae  manducabitis,  ad  plenum  humano  sensu 
ac  ratione  non  potest  (ut  arbitror)  comprehendi.  Zunächst  sind 
die  Worte  tit  arbitror  zu  entfernen,  da  sie  in  keiner  Hand- 
schrift stehen.  Die  Worte  cui  dicitur  .  .  .  manducabitis  finden 
sich  nur  in  U,  aber  diese  Handschrift  liest  cum  für  cui.  R  hat 
vor  cui  ein  Kreuz  und  hinter  mandvxxibitur  eine  eckige  Klanuner; 
am  Rande  ist  bemerkt:  haec  absunt.  Somit  stand  der  Passus  auch 
nicht  in  den  vaticanischen  Handschriften.  Ich  halte  die  Worte  aus 
folgenden  Gründen  fiir  interpolirt.  Im  neunten  Capitel  der  XTÜ. 
Conlatio  erörtert  Cassian,  dass  es  der  menschlichen  Vernunft 
schwer  werde  zu  begreifen,  wie  einerseits  die  göttliche  Gnade 
den  Menschen,  andrerseits  der  Mensch  die  Gnade  aufsuche. 
Unter  den  zahlreichen  Stellen,  die  dort  ftlr  diesen  Widerspruch 
zwischen  gratia  dei  und  liberum  arbitrium  angeftlhrt  werden, 
befindet  sich  auch  die  hier  von  11  gebotene.  Cassian  sagt:  cui 
autem  facile pateat,  quomodo  salutis  summa  nostro  tribuatur 
arbitrio,  de  quo  dicitur:  ,si  uoltieritis  et  audieritis  me,  quae 
bona  sunt  terrae  manducabitis^ ,  et  quomodo  ,non  uolentis  neque 
currentisy  sed  miserentis  sit  dei'  (Rom.  9,  16).  Hier  ist  das  Citat 
ganz  am  Platze,  während  es  an  der  oben  angeftihrten  Stelle 
nur   stört,    da   ihm   hinter   den  Worten  deus  omnia  operetur  i$i 


Textkrititche  Orandlagen  im  iweitan  Tbeile  ron  CusisiiB  ConUfeiones.  509 

nobü  kein  Gegenstück  gegenübersteht.  Auch  sieht  man  nicht 
ein^  weshalb  Cassian  gerade  am  Schlüsse  seiner  Erörterung,  wo 
es  auf  eine  kurze,  präcise  Fassung  des  Resultates  ankam, 
ein  schon  am  passenden  Orte  verwendetes  Citat  nochmals  habe 
anbringen  wollen.  —  Pag.  1032  B  lesen  UTE  qiKui  uero  apud 
deum  tisrba  tantummodo  et  non  prizecipue  uoluntas  uoc&tar  in 
culpam,  et  opus  solum  peccati  et  non  etiam  uotum  ac  propositum 
habeatur  in  crimine,  aiU  hoc  tantum  quid  (quod  EJ  unusqydsque 
fecerit  per  loquelam  (pro  loqvüla  U  9  et  non  quid  (quod  E)  etiam 
per  tadtumitatem  facere  studtierit ,  in  iudido  sit  qtuierendum» 
£:  aut  hoc  tantum  quid  unuequieque  fecerit  et  non  quid  etiam 
facere  dispoeuerit,  in  iudicio  eit  q.,  welchen  Text  ich  abgesehen 
von  seiner  prägnanten  Deutlichkeit  auch  deshalb  flir  richtig 
halte,  weil  Cassian  hier  ganz  allgemein  That  und  Vorsatz  ein- 
ander gegenüberstellt.  Die  Beziehung  auf  dasjenige,  wovon  in 
diesem  Capitel  speciell  gesprochen  wird^  dass  nämlich  manche 
Mönche  ihre  Mitbrüder  durch  ein  provocirendes  Schweigen  zum 
Zorne  reizen  und  sich  dabei  flLr  sündlos  halten^  weil  sie  ja 
jedes  iurgium  vermeiden,  ist  schon  durch  die  Worte  uerba 
tantummodo  et  non  praecipue  u^oluiitas  uocetur  in  culpam  hin- 
länglich hergestellt.  IIT  sind  also  interpolirt;  ausserdem  steht 
in  n  anstatt  culpam  et  seltsamer  Weise  pertvrbatione.  Man  ver- 
gleiche auch  noch  die  Parallelstelle  pag.  1064  A.  —  Pag.  1064B, 
nVE:  ßnie  operis  et  affectus  considerandus  est  perpetrantis,  quo 
potuerunt  quidam,  ut  supra  dicttmk  est,  etiam  per  mendadum 
iustificari  et  alü  per  ueritatis  assertionem  peccatum  perpetuae  mortis 
ineu/rrere.  Z  liest  potest  quis  und  alius.  Die  Interpolation  in 
nY  rührt  von  dem  Ueberarbeiter  dieser  Conlatio  her^  welcher 
das  per  mendadum  iustificari  und  per  ueritatis  (zssertümem  peccatum 
ineurrere  auf  das  alte  Testament  beschränken  wollte^  was  Cassian 
selbst  ganz  ferne  liegt.  Vgl.  die  oben  S.  506  citirte  Stelle 
pag.  1067  B—C.  —  Pag.  1073  A  ist  von  des  Paulus  Predigt  zu 
Athen  die  Rede.  IIVE  lesen  cumque  de  eorum  superstitione  ser- 
monem  fuisset  orditus;  £  lässt  sermonem  weg,  gewiss  mit  Recht, 
da  auch  Cicero  ordiri  de  gebraucht. 

Wie  nv  gegenüber  von  S  durch  Einschiebsel  entstellt  er- 
scheinen, so  sind  sie  auch  dort,  wo  die  Lesart  unbedeutend 
variirt,  an  Güte  nicht  entfernt  dieser  Handschrift  gleichzu- 
stellen. Da  hierin  der  Unterschied  der  beiden  Classen  ein  weit- 


510  PetBChenig. 

greifender  ist,  will  ich  eine  möglichst  grosse  Zahl  von  Stellen 
erledigen.  Dadurch  wird  es  auch  möglich  werden,  hie  und  da 
auf  andere  Partien  der  Conlationes  und  auf  die  Institutione« 
hinüberzugreifen.  —  Pag.  843  B  bietet  2  allein  die  Genetivform 
Archebiy  welche  der  alte  Augustodimensis  der  Institutiones  con- 
sequent  hat.  —  Pag.  850  B  liest  Z  allein  oppida  emtnentioränu 
tumuUs  collocata  fugatis  habitatoribiia  suis  eluvies  illa  udut  in- 
svias  fedt,  —  Pag.  851 B  hat  S  iuuentas,  DT  iuuentm.  Vgl.  pag.  884  B 
iuuentatis  ZU,  pag.  939  A  iuuentatis  ZW,  pag.  962  A  iuuentatis  SD. 
—  Pag.  854  B  liest  S  genau  nach  dem  griechischen  Original 
estote,  inquit,  uos  perfecti  (laeaOs  \}\LElq  TiXeioi);  UTE  schieben 
et  vor  vos  ein.  —  Pag.  856  C  circumferens  arbitram  non  sohtm 
actuum  sed  etiam  cogitationum  suarum  cpnsdentiam  iUi  potissimum 
stvdere  contendit,  quem  nee  circumveniri  nee  faUi  nee  subterfugers 
se  posse  cognosdt  BCR.  ü  liest  contendit  quam  drcumuenirx,  T 
contendet  quem  nee,  Z  allein  richtig  contendet  quam  (nämlich 
consdentiam)  nee,  —  Pag.  857  B  filius  honofat  patrem  et 
seruus  dominum  suum  timet,  et  si  pater  ego  sum,  ubi  est 
honor  meusf  et  si  dominus  ego  sum,  ubi  est  timor  meusf 
(Malach.  1,  6).  Unter  den  Manuscripten  hat  nur  2  timei;  ilT 
lassen  es  weg  und  auch  in  der  Septuaginta  fehlt  der  Begriff. 
Aber  pag.  866  B  lesen  doch  in  demselben  Citat  ZUXE  üborein- 
stimmend  timebit.  Jedenfalls  ist  daher  timet  zu  halten.  — 
Ebendort  liest  Bi  necesse  est  enim  eum  timere  qui  seruus  est, 
quia  seruus  sd&ns  uoluntatem  domini  sui  et  non  feusiens  digne 
uapulabit  pla^fis  multis,  C:  quia  sdens  uoluntatem  domini  sui,  si 
non  feceritj  digne.  Nach  den  Manuscripten  ist  zunächst  timere 
eum  umzustellen  und  dann  mit  Z  zu  schreiben  qiUa  si  sdens 
uoluntatem  domini  suifecerit  digna  plagis,  uapulabit  multis. 
So  auch  Ry  nur  hat  diese  Ausgabe  qui  statt  si,  UX  hingegen 
lesen  sui  non  und  in  11  fehlt  si.  —  Pag.  860  A  liest  Z  in  der 
Bibelstelle  Matth.  5^  16  genau  nach  dem  Griechischen  petet,  et 
dabit  ei  uitam,  peccantibus  non  ad  mortem.  Q  hat  dabitur 
d  vita¥:  und  so  liest  auch  Y,  allerdings  von  zweiter  Hand.  D^ 
hat  zwar  peccantibus,  aber  D^Y  peccanti.  —  Ebendort  wird 
I  loh.  1,  8  citirt  si  dixerimus ,  quoniam  peccatum  non 
habemus,  ipsi  nos  seducimus.  So  IIVE;  Z  liest  dedpimus. 
Obwohl  die  beiden  Monacenses  Conl.  XXIII^  21  auch  sedudtnus 
lesen,  ist  doch  die  Lesart  von  Z  offenbar  der  Vulgata  gegen- 


Toxtimtische  GnindlageQ  im  zweiten  Theile  ron  Cassians  Conlstiones.  511 

über  vorzuziehen.  ^  decipimua  liest  man  bei  Cjprian  I  pag.  156,  9 
und  375;  9,  dann  bei  Ennodius  pag.  323,  4.  Femer  ist  mit  I 
qtda  statt  guoniam  zu  schreiben,  guia  hat  Cyprian  an  beiden 
Stellen  imd  die  Monacenses  Conl.  XXIII;  21.  —  Pag.  861 A. 
UYBC  lesen  implebitis  legem  Christi^  ^R  ctdimplebitis.  Dieselbe 
Stelle  ist  pag.  1038  A  wieder  citirt;  dort  lesen  IIT  abermals  im- 
plebüisy  ZE  aber  adimplebitis.  —  Pag.  862  A  ist  mit  ZT  zu  lesen 
quomodo  ergo  imperfecta  esse  credenda  sunt  (est  UE),  mit  Bezug 
auf  den  Anfang  des  11.  Capitels  timorem  dei  et  spem  retrOmtwms 
aetemcte  imperfecta  esse  dixistL  —  Pag.  865 B  (tit.  zu  cap.  13) 
de  timare  qui  de  caritatis  magnitudine  generatur  lässt  11  de  vor 
caritate  weg,  ebenso  in  der  Ueberschrift;  zu  cap.  5  pag.  875 
vor  incentiiLorum  aestibus  generatur.  Aber  de  hat  in  dieser  Ver- 
bindung durchaus  nichts  Auffallendes.  —  Ebendort  lesen  DTE 
quisquis  igitur  in  huius  fuerit  caiitatis  perfecHone  fundatus ;  Z 
lässt  in  weg.  Cassian  gebraucht  bei  fundari  weit  häufiger  den 
blossen  Ablativ  als  in.  In  diesem  Theile  der  Conlationes  steht 
in  nur  einmal;  pag.  960 A  ist  nämlich  nach  inr  zu  lesen  in 
iUa  .  .  .  professione  fundati.  Dagegen  steht  pag.  877  A  mens 
leniteUe  fimdata,  pag.  895  A  qua  uirtuie  ftmdatasy  pag.  1019  A 
parili  uirtute  fundatis.  —  Pag.  874  B  tanta  autem  erga  acquisi- 
tionem  castimoniae  desiderio  atque  amore  inflamnietury  quanto  qms 
pecuniarum  cupidissimus  appetitor  ud  qm  summa  honorum  ambi- 
tione  distenditur.  Zunächst  ist  mit  II  flammetw  zu  lesen  (flamme- 
mwr  V)j  dann  auidissimus  mit  I.  Vgl.  Conl.  XVIII,  l^patientiae 
uirtutem  tanta  auiditate  sectata  est;  pag.  980  A  ea  cordi  tuo  Uta 
atdditate  commendes,    pag.  980  B   tanto  auidius  audiet    Ferner 


I  CaMOAii  kennt  die  Valgata,  welche  er  Conl.  XXin>  8  als  emendaiiar 
tran$latio  bezeichnet,  citirt  aber  gewöhnlich  nicht  nach  derselben,  son- 
dern nach  anderen  ,ezemplaria^  Vgl.  Inst.  Xu,  31  »eeundum  exemplaria, 
quae  Hebraieam  exprimunt  ueritcUem  (voraus  geht  ein  nicht  der  Vulgata 
entnommenes  Citat).  Inst.  VIII,  20  licet  a  quibusdam  hoc  iptum  quod 
dieitur  »ine  eauta  Ua  interpretari  »eiam  .  .  .  meUua  tarnen  eat  ita  tenere^ 
ui  ei  nouella  exemplaria  multa  et  antiqua  omnia  inueniuntur 
e»»e  perBcripta.  Daraus  erklären  sich  die  Verschiedenheiten  im  Wort- 
laute eines  und  desselben  Citates.  Zugleich  rechtfertigt  sich  hierdurch 
das  Verfahren,  an  jeder  Stelle  in  erster  Linie  die  beste  und  älteste 
Ueberlieferung  zu  berücksichtigen.  Je  jünger  eine  Handschrift  ist,  desto 
mehr  nähert  sie  sich  der  Vulgata,  weil  die  Abschreiber  im  Laufe  der 
Zeit  sich  zahlreiche  willkürliche  Aenderungen  erlaubten. 


512  Peis-obenig. 

schreibe  ich  mit  Z  iiel  si  qui.  Vgl.  Salvian.  ad  Eccles.  ni,  22 
si  qui  non  penäus  domu  eliminantur  et  quibus  tum  omnino 
extorrihus  quasi  aqua  et  igni  interdidtur.  —  Pag.  876  A  iunc  uer- 
sictdi  üliu8  affectum  experientia  docente  concipiet,  quem  amnes  .  . . 
concinimus  y  uirtutem  uero  eiua  non  nidpaud  eacpertiqve  percipümt. 
Z:  percipiet.  Wenn  auch  das  folgende  perdpiunt  einigermassen 
stört  (aber  vgl.  pag.  896 B  comparav^rit  .  .  .  comparaidt) ^^  so 
erachte  ich  dies  doch  nicht  für  genügend ,  um  von  1  abzugehen. 
Vgl.  pag.  894  B  ut  uim  la^tüiae  hums  inexpertus  mente  non  ualet 
perdpere,  Conl.  XIX,  13  init.  argumenta  .  .  .  ludde  satis  aperie- 
que  percepim/as.  Anders  zu  fassen  ist  pag.  925  B  cancepU  Adam 
post  prasuaricationem  quam  non  habusrat  sdentiam  nudi,  — 
Pag.  876  C  omnem  intuitum  suum,  omne  studivm,  omnem  curam. 
Z  allein  liest  omnemque  cwram,  was  dem  Gebrauche  Cassians 
entspricht.  Vgl.  915  A  petenühua  tribuaty  a  quaerentihus  inueniaiur 
aperiatque  paUantibua;  pag.  924  B  occwrrit,  dirigit  atque  con- 
fortat;  pag.  932  A  adiuuai,  protsgit  ac  defendit,  —  Pag.  878  A 
et  8cuta  comburat  igni.  Z  liest  hier  igne'^  pag.  893  B  ist  in  der- 
selben Bibelstelle  zwar  zuerst  igni  geschrieben,  aber  dies  von 
erster  Hand  zu  igne  corrigirt.  Ich  gebe  Z  den  Vorzug,  weil 
igni  leicht  aus  der  Vulgata  eindringen  konnte.  —  Pag.  884  A 
lesen  in  der  Stelle  Hebr.  4,  12  UTE  compagum  quoque  ac  me- 
duLlarum,  £  hat  6f.  Dasselbe  Citat  findet  sich  auch  Conl.  11,  4. 
Vn,  5.  Vn,  13.  An  der  ersten  Stelle  haben  die  Ausgaben  nebst 
dem  Sang,  ei,  der  Paris,  ac,  an  der  zweiten  die  Handschriften 
und  Ausgaben  ei,  an  der  dritten  oc.  Demnach  kann  man  hier 
2  folgen.  —  Pag.  898  C  ist  mit  Yä  ahha  Germanus  zu  schreiben. 
{ahhas  IXT).  Die  beiden  Formen  wechseln.  In  dieser  Partie 
erscheint  ahha  noch  pag.  960  C  in  2,  pag.  1001 A  (Vocativ)  und 
pag.  1012  A  in  SIIT,  in  der  Ueberschrift  von  Conl.  XVI.  1  und 
pag.  1046  A  in  III.  Koptisch  «^n«^,  senior^  pater,  «^n&.c  antiquus, 
uetua,  —  Pag.  899  A  lesen  DE  progressus  ceUulay  X  p.  cella,  1 
richtig  p.  cellam.  Inst.  H,  15  liest  der  Sangallensis  allerdings  cella 
suaprogredi,  aber  IH,  4  celluUis  progredd,  IV,  10  cellam  progredi\^ 

^  Noch  auffallender  ist  Conl.  X,  10  p.  835 D:  tantaque  me  Mentio  HenU" 
tatis  huiu»  ariditate  conatrictum,  ut  nullat  oninino  spiritalium  »enauum  gent- 
raHone»  parturire  me  tentiam. 

3  In  diesen  Constructionen  stimmt  der  Laudunensis,  aber  nicht  in  den 
Wortformen  ceÜa  und  ceütUa. 


TexikriftiBch«  Grundlagen  im  zweiten  Tbeile  ron  CMsisns  ConUftiones.  513 

Vgl.  auch  egressi  cdlam  pag.  1045  A  (bo  21T;  eeUviam  11).  — 
Pag.  909  B  lesen  UTE  in  der  Stelle  Ezech.  33,  11  moriemini, 
Z  richtig  morimini  nach  dem  griechischen  dhcoOvi^oxeT€.  — 
Pag.  91 6  A  wird  Ezech.  11,  19  f.  citirt  dabo  eis  cor  nouum  et 
»pirüum  nouum  tribuam  in  uiscerihua  eorum  UTE,  1  und  die 
Vulgata  lesen  cor  unurriy  die  Septuaginta  Scocro)  aurotq  xapSiov  CT^pocv 
xal  icvsu(xa  xatvov  Scocro).  Ich  entscheide  mich  aus  dem  Grunde  ftlr 
2,  weil  auch  Conl.  III,  18  der  Paris,  s.  IX,  welcher  auch  sonst 
die  Bibelcitate  voi-ti^efflich  überliefert,  von  erster  Hand  unvm 
hat.  —  Pag.  921  A  bieten  die  Ausgaben  ScUomon  qmque  ait: 
inclinet  cor  da  noatra  ad  se  (LH  Reg.  8,  58),  IDT  Saloman 
quoque:  inclinet ,  inquity  dominus  cor  da  nostra  ad  scy  2 
8€damon  quoque:  hiclinet  dominus*  Es  ist  also  mit  den  Manu- 
Scripten  dominus  einzuschalten,  welches  zwar  nicht  in  dem  citir- 
ten  Verse  steht,  aber  der  Deutlichkeit  wegen  aus  dem  57.  Verse 
herüber  genommen  ist.  Dagegen  ist  inquii  nach  1  zu  tilgen. 
Cassian  lässt  nämlich  mitunter  das  ankündigende  Verbum  vor 
einem  Citate  aus.  Vgl.  pag.  87 IB  in  Dmteronomio  quoque:  si 
fuerit  inter  uos  homOy  wo  die  Ausgaben  inquit  hinter  fuerit 
haben;  pag.  974  A  de  qua  idem  beatus  apostolus:  ego  scio  u.  s.  w., 
wo  T  hinter  scioy  die  Ausgaben  hinter  ego  ein  inquit  einschieben. 
—  Pag.  921  B  liest  2  audimus  in  euangelio  dominum  conuo- 
mniemy  nr£  audiuimus.  Das  Praesens  ist  richtig,  da  in  diesem 
ganzen  Capitel  die  Citate  sonst  nur  mit  diesem  Tempus  ein- 
geleitet werden.  —  Pag.  922  A  apostolus  liberum  arbitrium  nostrum 
incitat  dicefis.  Wie  aus  der  Gegenüberstellung  sed  infirmitatem 
eius  loannes  Baptista  testatur  cum  ait  erhellt,  kann  nur  das 
von  2  gebotene  indicat  richtig  sein.  —  Pag.  924B  ist  die  Stelle 
Ps.  49,  15  so  herzustellen  inuoea  me  in  die  tribulationis  et  eripiam 
te  et  glorißcabis  me.  Nur  2  lässt  tu^ie  hinter  tribulaHonis  nach 
der  Septuaginta  ev  i^fidpa  6X(i)/e(i)^  weg.  —  Pag.  934  A  liest  S  fur 
turae  retributionis  pary  UTE  haben  retribufioni.  Der  Genetiv  bei 
par  steht  auch  noch  Conl.  XXIV,  8  a.  E.  uirtutis  pares  nach  den 
Münchener  Handschriften  und  Instit.  V,  12  parem  uirMis  nach 
dem  Augustodunensis,  Laudunensis  imd  Sangallensis.  --  Pag.  935  A 
liest  £  allein  euietum,  nVE  uictum ;  vgl.  pag.  956  A  qui  non  euicerit 
planiara.  —  Pag.  936  B  bieten  IITE  non  enim  illam  fidem  quam 
ei  dominus  inspirabat,  sed  iUam  quam  uocatus  semel  atque  ülumi- 
natus  a  damino  per  arbitrii  libertatem  poterat  exhibere,    experiri 


514  Potschenig. 

uolmt  diuina  iuatitia,  2  hingegen  liest  j>6r  lihertatis  arbitrtum. 
Allerdings  steht  sonst  arhiträ  libertas,   doch  halte  ich  die  Les- 
art von  Z  für  möglich.    So  heisst  es  pag.  946  A  ähnlich   tä  in 
alterutram  partem  plenum  sit   liberae  uoluntatis  arbitrium 
und  pag.  946B  beweist  der  Satz  ut  captüdtatem  libertaa  addieta 
non  sentuU,  dass   libertaa  von  Cassian   auch  in  dem  Sinne  von 
libera  uoluntas  gebraucht  wird.  Man  vgl.  noch  Salvian.  ad  EIccIes. 
I^  50  iiti  enim  seueritatis  arbitrio  ivdex  tum  potesty  quando  rtu» 
iam  non  austinet  iudicari,    —   Pag.  943  B.  ^ :  aurge^  tMe  lectuan 
tuumy   riT:    awrge  et  tolle.     Das  griechische    EY^pOet;  ap6v  aou  xr^'t 
xXCvYjv  gibt  keine  Entscheidung.    Da  aber  in  der  Schrift  contra 
Nestor.  VII,  19  die  beste  Handschrift  nebst  den  Ausgaben  liest: 
aurge,  inquü  paralytico,  tolle  grabatum  tuum,  wird  man  sich  ftr 
S  zu  entscheiden  haben.  —  Pag.  944  B  liest  2  in  der  Stelle  Rom. 
11;  33  und  34  ininueatigabiUa  uiae  eiua,  WCE  mueatigäbüe».  Wenn 
auch  pag.  939  B  alle  Manuscripte  inueatigabäea   lesen  und  dies 
auch  bei  Cypr.  I,  pag.  155,  18  (Hartel)  steht,  entscheide  ich  mich 
doch  für  Z,  da  inintieatigcibüia  aus  Tertullian  citirt  wird.  Ebenso 
lese  ich  pag.  955  B  mit  Z  apiritua  namque  dei  odit  fictum  (Sap.  1, 
4  und  5),  obwohl  IFIT  pag.  983A  effugiet  bieten  und  die  LXX 
fsu^eiat  liest.  —  Pag.  957  A  bietet  21  quidam  erga  inatilutumem 
frcUrum  omnem  atudii  aollicUudinem   dediderunt,    und   dieses 
Verbum  ist  entschieden  gewählter  als  die  Lesart  von  UT  dede- 
runL  —  Pag.  963  A  wird  Gal.  4,  22  und  23  citirt  acriphum  eat 
enim  quia  Abraham  duoa  JUioa  habuit,   unum  de  anciUa  ei  cUumi 
de  libera.    Statt  aliumy  wie  neben  E  auch  T  liest,  hat  H  wwm 
(gva).     Aber  in   FI   stehen   die   Worte  et   wnum  de   libera  von 
zweiter  Hand  über  der  Zeile,  und  der  Corrector  hat  einfach  das 
unwn  der  Vulgata  genommen.  Z  bietet  cdterum^  sicher  richtig.  — 
Pag.  965  A  et  mortui  qui  in  Chriato  aunt  reaurgent  primi  (I  Thess. 
4,  15).  2  liest  richtig  primo  nach  dem  griechischen  icpdxov.  — 
Pag.  965  B  entscheide  ich  mich  in  der  Stelle  I  Corinth.  15,  4 
für  die  Lesart  aurrexit  {ix^y^piai)  von  2Y:  reawrrexit  lesen  IIJ?.— 
Pag.  983  B  geht  inquü  in  lYE  dem  Citate  voran  aed  pnua  inquü  : 
beati  immaculati  in  uia.  Dass  die  Umstellung  in  II  priua  beaii 
inquit  auf  Willkür  beruht,  beweist  Instit.  V,  8  apoatolua  inquit:  et 
carnia  cur  am  u.  s.w.  nach  dem  Augustodunensis,  Laudunensis 
und  Sangallensis.  —  Pag.  986  B  liest  S  aed  dicea  foraitan,  VIXE 
dicia.  Ich  entscheide  mich  für  2,  da  auch  in  der  Schrift  gegen 


Textkritiscli«  Grundlagen  im  zweiten  Theile  Ton  Caseians  Conlationes.  515 

Kestorius  die  älteste  Handschrift  in  dieser  Wendung  mehrmals 
das  Futurum  bietet.  —  Pag.  1007  A  lesen  UYE  daemonia  ei 
stibiecta  sint,  2  richtig  aubdita.  Vgl.  Conl.  XVIII,  7  aenionmi 
mbduntur  tmperio  (so  die  Monacenses,  sviiiciuntur  E) ;  ebendort 
se  coenobiarum  prciepoaüis  subdiderunt;  XVIII;  8  mbdiqvs  se- 
morwn  imperio;  XIX,  1  ««  coenobio  suididerat;  XXI,  21  ad  rebel- 
Itoneim  mibdüa  membra  compdlere ;  XXII,  1 1  peccato  subditua,  — 
Pag.  1012  A  huc  usque  abba  Nesteros  arationem  de  uera  charis- 
Tnatum  operatione  consummana.  Z  liest  rationem  und  dies  halte 
ich  in  dem  Sinne  von  ,Lehre,  Theorie'  für  richtig.  Vgl.  Conl. 
XIX,  13  rationem  discemendaruni  aegrüudinum,  id  est  quo  pacta 
uitia  quae  celantur  in  nobis  xialeant  deprehendi,  lucide  satis  aper- 
teque  percepimtLs.  Demnach  dürfte  auch  Conl.  V,  7  mit  dem 
Sangallensis  und  mit  B  zu  lesen  sein  ut  de  rfßdentia  cete- 
rarum  quoque  passionum,  quarum  rationem  (narrationem  Paris. 
CR)  intercidere  nos  expositio  gastrimargiae  .  .  .  compulit,  .  .  , 
disseramus.  —  Pag.  1024  B  liest  S  vortreflFUch  cum  me  adhuc 
adhaerere  consorti  aetas  iunior  hortaretur.  11  ^  hat  conaorda, 
n^T  consortio  fratrvm.  —  Pag.  1029  B  de  quibtis  et  cUibi  didtwr: 
diligens  suos  qui  erant  in  mundo ,  usque  in  finem  di- 
lexit  eos,  sed  haec  unius  düectio  non  erga  reliquos  teporem  ca- 
riiatis  .  .  .  expressit.  Z  allein  liest  Ate,  was  in  adverbialem 
Sinne  =  hoc  loco  ganz  entsprechend  ist.  Vgl.  Conl.  XXI,  b  hie 
autwa  (d.  i.  in  euangelio)  pro  excellentia  et  sublimüate  manda- 
torum  didtur:  qui  potest  capere,  capiat  —  Pag.  1034  A  liest 
Z  in  der  Bibelstelle  Ps.  54,  13  et  si  isy  qui  oderat  me,  aduer- 
8U8  ms  magna  locuius  faisset  nach  der  LXX  di:'  lyJk  i[>.f^akO' 
ppij|jt6'/tj(j€v.  IIXE  haben  mit  der  Vulgata  super  me.  —  Pag.  1039  A 
ist  nach  Z  zu  schreiben  dumi  consistit  pecccUor  aduersum  me 
(Ps.  38,  2).  11'  bietet  amsisterit,  ll^X  E  consisteret,  Instit.  IV, 
41  lesen  allerdings  die  Ausgaben  und  der  Sangallensis  mit  der 
Vulgata  cum  conststerei,  aber  der  Lauduncnsis  mit  Z  überein- 
stimmend dum  consistit,  Vergl.  auch  Conl.  XVUI,  6  dum  tem- 
pore persecutioms  affinium  suorum  deuitat  insidias,  —  Pag. 
1042  A  lesen  IIT  E  kaec  enim  est  natura  (natura  est  E)  irae^ 
ut  dilata  languescat  et  pereai,  prolata  uero  rnagis  magisque  con- 
ßagret,  £  aber  dilatata,  Dass  nur  letzteres  richtig  sein  könne, 
lehrt  der  ganze  Tenor  des  Capitels.  Ich  begnüge  mich,  auf  den 
Anfang  zu  verweisen,  wo  es  heisst:  iotam  iram  suam  profert 


516  Petsohenig. 

inpius  (so  ^U.)^  sapiens  autem  dispensat  per  partes  (d.  h. 
düaiat):  id  est  .  .  ,  sapiens  paulatim  eam  matwitate  consüU  .  .  . 
extenuat  et  expellit  ....  ab  apostolo  ditsUur:  date  locum 
irae  ,  .  .  hoc  est,  non  sint  corda  vsstra  .  .  .  ptmllanimitatis  an- 
gustiis  coartata,  sed  dilatamini  in  cordibus  uestris  u.  b.  w. 
—  Pag.  1081  C  praslegenda  ac  praeferenda  esse  meliora  et  ad 
illam  quae  utüior  diiudicata  fuerit  partem  sine  cunctcUione  aliqua 
transeundum,  Z:  iudicata,  DaBS  daB  auch  in  IIT  stehende 
diiudicata  doch  nicht  nothwendig  ist^  beweist  die  Stelle  pag. 
928  A  restat  ergo  ut  et  bona  et  ex  homine  fuisse  credatar  (cogi- 
tatio  regis  Dauid),  in  quem  modum  etiam  nostrcis  quotidie  cogi- 
tationes  possumus  iudicare,  wo  man  gleichfalls  diivdicare  erwartet 
Die  Zahl  der  Stellen,  an  denen  DT  den  besseren  Text 
bieten,  ist  unbeträchtlich.  Pag.  850  A  coUapsis  ferme  ommbus 
uicis,  2  allein  liest  fere.  In  den  Institutiones  und  den  beiden 
anderen  Theilen  der  Conlationes  notirte  ich  mir  ferme  an  zehn, 
hingegen  fere  an  keiner  Stelle.  In  unserer  Partie  steht  XV,  10 
ferme,  XVII,  1  fere.  Demnach  ist  höchst  wahrscheinlich  ferme 
richtig.  —  Pag.  877  B  Uest  2  docet,  UXE  edocet.  Vgl.  pag.  887  B 
edoceri  ZIIT/ pag.  936  A  docemur  IX,  edocemur  U,  pag.  873  B 
edocet  lU,  docet  Y,  pag.  946  A  edocemur  lUX,  pag.  1042  B  edo- 
cemur inr.  Ich  ziehe  überall  das  gewähltere  Compositum  vor, 
welches  auch  im  dritten  Theile  der  Conlationes  und  sonst  häufig 
erscheint.  —  Pag.  890  B  sicut  non  est  in  coüuctcUione  continentiae, 
sed  in  castitatis  pace  locus  domini,  Z:  in  castvtate.  Ich  gebe  OV 
den  Vorzug,  da  das  vorausgehende  in  colluctatione  cantinentiae 
nothwendig  den  vollen  Gegensatz  in  castitatis  pace  verlangt. 
Man  vgl.  auch  B  init.  et  f  actus  est,  inquit,  in  pace  locus  eius, 
id  est  non  in  conßictu  certaminis  et  colluctatione  uitiorum, 
sed  in  castimoniae  pace,  —  Pag.  937  A  liest  Z  quia  Hmes 
dominum  tuum,  UTE  tu,  was  nach  dem  griechischen  Text  foßf) 
cu  Tov  Öebv  Gen.  22,  12  richtig  ist.  —  Pag.  996  A.  S:  quem  cum 
haereticus  arte  dicdectica  fuisset  aggressiv  et  Aristotdicas  igno- 
rantem  spinas  uellet  abducere.  IIT  ad  Ar,  ign.  sp.  u,  adducere. 
Da  ein  absoluter  Gebrauch  von  abducere  in  dem  Sinne  ,in  die 
Irre  führen^  kaum  möglich  ist,  muss  mit  UX  ad  gelesen  werden. 
Aber  abducere  ist  zu  halten,  da  darin  der  Begriff  »seitwärts, 
vom  rechten  Wege  wegflihren*  enthalten  ist.  Vgl.  Conl.  XXm, 
15  a.  E.  quia  se  pro  conditione  fragilitatis  humanae  senserat  cap- 


Texikriiiscbe  Ornndlagen  im  sweiten  Tbeile  yod  CssBiaD  Coolationes.  517 

tiuattmiy  id  est  abductum  ad  solUcüudines  cu/rasqtie  camcdes.  — 
Pag.  1044AAaee  de  amidtia  beatus  Joseph  disseruit  nosque  cid 
custodiendam  sodalitatis  perpehuim  carüatem  ardentius  incvtauit. 
£  inuxtavit,  nicht  richtig.  Vgl.  pag.  944  A  ad  maiarem  indtare 
(inuitare  BC)  flagrantiam;  Conl.  XV 111;  4  assequi  dtscipUnam 
et  ad  exercendam  eam  ardentius  incitari. 

Häufig  bieten  die  beiden  Handschriftenclassen  nur  eine 
verschiedene  Wortstellung.  Da  sich  2  als  der  weitaus 
beste  codex  erwiesen  hat,  ist  seine  Lesart  überall  zu  halten^ 
80  lange  nicht  zwingende  Gründe  gegen  dieselbe  sprechen. 
Hier  will  ich  nur  jene  Fälle  behandeln,  in  denen  2  entschieden 
falsches  oder  zweifelhaftes  bietet.  Pag.  929  A  manet  in  homine 
semper  Uberum  arbitrium  ZBC.  Dagegen  IIA  liberum  semper 
arbürium,  Y  liberum  arbitrium  semper.  Da  Prospers  Citat  in 
der  Schrift  contra  CoUatorem  mit  WR  stimmt  und  Cassian  ftlr 
diese  Verschränkung  überall  eine  besondere  Vorliebe  zeigt, 
halte  ich  die  Stellung  liberum  semper  arbitrium  ftlr  richtig.  Aus 
dem  gleichen  Grunde  ist  pag.  935  A  mit  WXE  und  Prosper  zu 
schreiben  sine  eum  suis  mecum  uiribus  decertare  {uiribus  me- 
cum  S)  und  pag.  970  A  si  ad  ueram  sanptararum  uis  scientiam 
peruenire  nach  UYB  (scientiam  uis  SC,  scripturarum  scientiam 
peruenire  desideras  R).  —  Pag.  930  A  inde  est  quod  etiam  Co- 
rinihiis  scribens  hortatur  UYE,  2:  inde  est  etiam  quod.  Vgl.  pag. 
937  B  tale  est  et  illud  quod  =  pag.  1040  B.  Salvian.  de  gub. 
in,  39  unde  est  Hlud  etiam  quod,  Ep.  IX,  13  ea?  quo  etiam 
illud  est  quod.  Ich  sehe  daher  keinen  Grund,  von  2  abzugehen.  — 
Pag.  987  B  (tit.  zu  cap.  18)  lesen  WYE  quibus  de  causis  spiritalis 
doctrina  infructuosa  sity  2  doctinna  spiritalis.  In  der  Conlatio 
selbst  findet  sich  neunmal  die  Stellung  spiritalis  sdentia,  zehn- 
mal die  umgekehrte  sdetitia  spiritalis.  Demnach  verharre  ich 
bei  der  Leseart  von  2.  —  Pag.  988  B  haben  UYE  in  der  Stelle 

1  Tim.  2,  4  die  Wortstellung  qtd  omnes  homines  uult  saluos  ßeri, 

2  hingegen  saJuos  uultj  nicht  richtig.  Conl.  IX,  20  lesen  die 
Handschriften  und  Ausgaben  uult  saluos  und  auch  der  grie- 
chische Text  hat  O^Xsc  (7b)6t;vat. 

Schliesslich  mögen  noch  einige  Stellen  besprochen  werden, 
an  denen  2  gegenüber  von  IIT  lückenhaft  erscheint.  Es  ist 
nämlich  nicht  überall,  wo  in  2  ein  oder  mehrere  Wörter  fehlen, 
was  häufig  der  Fall   ist,  gleich   von   vorne  herein  der  Text 


VII.  SITZUNG  VOM  7.  MÄRZ  1883. 


Von  dem  w,  M,  Herrn  Hofrath  Ritter  v.  Miklosich  wird 
seine  in  zweiter  Auflage  erschienene  Schrift :  ,Subjectlose  Sätze' 
der  Classe  übergeben;  femer  wird  von  Herrn  Professor  G.  Wolf 
in  Wien  das  Buch :  ^Historische  Skizzen  aus  Oesterreich-Ungam' 
ftlr  die  akademische  Bibliothek  übersendet. 


Herr  Prof.  Dr.  J.  Loserth  in  Czernowitz  theilt  eine 
mit  einem  kritischen  und  sachlichen  Commentar  versehene  Ab- 
schrift eines  Nekrologs  des  Olmützer  Minoritenklosters  mit,  die 
aus  einer  Handschrift  der  Olmützer  Studienbibliothek  genommen 
wurde,  und  ersucht  imi  deren  Aufiiahme  in  das  Archiv  fiir 
österreichische  Geschichte. 

Die  Mittheilung  geht  an  die  historische  Commission. 


Das  w.  M.  Herr  Prof.  Th.  Gomperz  legt  eine  fiir  die 
Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung:  ,Herodotei8che  Stu- 
dien H'  vor. 

An  Druoksohrifben  wurden  vorgelegt: 

Annuario  marittimo  per  Tanno   1883.  XXXIU.  Annata.  Trieste,   1883;  8«. 
De  Ceuleneer,  Adolphe:   Les  tetes  ail^es  de  Satyre,  trouv^es  a  Angleur. 

BruxeUes,  1882;  80. 
Gesellschaft,  k.  k.  geographische  in  Wien:    Mittheilnngen.    Band   XXVI, 

Nr.  1.  Wien,    1883;  8«. 
Heidelberg,  Universität:  Akademische  Schriften  pro  1882.  8  Stücke  8^ 
Institut,   R.   G.-D.  de  Luxembourg:  Publications  de  la  section  historiqoe. 

Ann^e  1883.  XXXVI.  (XIV).  Luxembourg,  1883;  8^. 
Lonvain,  Universität:  Annuaires.  1882  et  1883.  46«  et  47''  ann^e.  Louvain, 

1882-1883;  8«. 
Museum  KrÄlovstvf  ^eskeho:  Öasopis.  1882.  RoSnik  LVI,  svazek  ti^ti  a  ^tvrty. 

V  Praze;  8«. 
—  Novo^eska  Biblioth^ka.  ßislo  XXV.  W  Praze,  1883;  8«. 
Society,  the  Asiatic  of  Bengal:  Proceedings.  Nr.  XI.  November,  1882.  Cal- 

cutta,  1882;  8». 
Verein  fiir  Erdkunde  zu  Halle  a/S.:  Mittheilungen.  HaUe  a/S.,  1882;  8^ 


Gomperz.  Herodoteische  Stndien  U.  521 


Herodoteische  Studien  IL 

Ton 

Th.  Gomperz, 

wirkl.  Mitgliede  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften. 


ich  beflirchte  keinen  Widerspruch,  zum  Mindesten  keine 
Widerlegung,  wenn  ich  behaupte,  dass  die  Partikel  iv  I,  144, 
19  in  einer  Weise  gebraucht  wird,  für  welche  weder  Herodot 
noch  irgend  ein  anderer  Schriftsteller  eine  ausreichende  Parallele 
zu  bieten  vermag.  Krüger's  Verweisung  auf  I,  69,  22  ist  unzu- 
treffend, denn  dort  wird  äv  imconsecutiven  Sinne  angewendet 
(=  opa):  ,Ihr  steht,  wie  wir  vernehmen,  an  der  Spitze  von 
Griechenland;  Euch  rufen  wir  somit  an^  u.  s.  w.  Auch  rück- 
sichtlich der  Anmerkung  Krüger's  zur  letztgenannten  Stelle 
,wv  nach  der  Parenthese  wie  ouv  öfter;  zu  Xen.  Anab.  I,  5,  14' 
thut  eine  Unterscheidung  Noth.  Den  eigentlich  epanaleptischen 
Gebrauch  der  Partikel  —  und  diesen  hat  doch  wohl  Krüger  im 
Auge,  —  d,  h.  die  Hervorhebung  eines  durch  Dazwischen- 
getretenes verdunkelten  imd  darum  wieder  aufgenommenen  Be- 
gri£fes  oder  einer  aus  vorher  zerstreuten  Einzel -Vorstellungen 
gewonnenen  Gesammt- Vorstellung^  vermag  ich  auch  nicht  in 
all  den  Stellen  der  Anabasis,  auf  welche  Rehdantz  (zu  I,  5,  14) 
verweist,  zu  erkennen.  An  der  letztgenannten  Stelle  ist  die  An- 
wendung von  ouv  durch  den  begründenden  Zwischensatz,  IV, 
7,  2  durch  den  temporalen  Vordersatz  bedingt,  VI,  6,  15 
findet  sich  o^v  bereits  vor  dem  Zwischensatz  imd  wird  nach 
demselben  blo»  wiederholt;  nur  DI,  1,  20:  ta  l'  a3  töv  otpaTWi)- 
Twv  iwoTS  6vOüjji.oi|jLY)v  5ti  —  —  Taut'  ouv  XoYiC6|ji.6vo(;  gehört 
streng  hieher,  und  hier  fehlt  auch  nicht  das  Moment,  welches 
für  diese  Redefigur  unerlässlich  ist,  dass  nämlich  der  (gele- 
gentlich durch  CUV  hervorgehobene)  Begriff  wieder  aufge- 
nommen  werde,   d.   h.   also  im  Vorhergehenden   entweder  als 

Sitsonfffber.  d.  phil.-hist.  Cl.    Cm.  Bd.  U.  Hft.  34 


522  Gompcrz. 

solcher  oder  in  seine  Bestandtheile  aufgelöst  bereits  einmal 
ausgesprochen  sei.  ^  Von  alle  dem  ist  in  unserem  Falle  keine 
Rede;  man  schreibe  und  interpungire  daher  wie  folgt:  Die 
lonier  der  Zwölf- Städte  halten  an  ihrem  Nationalheiligthum 
(dem  Panionion)  mit  eifersüchtiger  Ausschliesslichkeit  fest,  €ß«>- 
XsücavTO  8e  aurou  [xetaSoüvat  {jLy^3a[xoXfft  oXXowi  'Icl)vwv  (oü5'  eSeijÖijcr/ 
51  ouBajJLot  pLETac/eXv  oit  [jly)  SfjLUpvotot),  xora  zep  oi  ex  rf^^  TSVtcnzS'kxo^ 
vüv  '/jijüpr,<;  Aü)ptdE(;,  wporepov  Se  k^oLZÖXioq  Ttj?  outt;?  touttj?  xaXeopLEvr^;' 
^uXiffcovrat  y^^  (Jiif;$a[JLOu^  sa^^^acOoet  tcüv  xepiotx(i>v  Acopt^ojv  e^  ts 
TpicTCixbv  Ip6v,  aXXa  xat  coiwv  auröv  tou^  xepi  tb  ipbv  ayo{Jt.i{7av?2; 
65e>tXT(5icav  -nj?  [xeToxY;;.  Die  Partikel  ^ou'f  wird  hier  genau  so  an- 
gewendet wie  z.  B.  bei  Thukyd.  VI,  59,  3,  wo  Hertlein  (bei 
Krüger)  also  erklärt:  ,Dies  —  lässt  sich  wenigstens  daraus 
schliessen,  dass'  u.  s.  w.  Die  in  xaTct  xep  ot  —  Awpiis^  liegende 
allgemeine  Behauptung  wird  durch  das  Folgende  zugleich  be- 
gründet imd  ermässigt  (von  einer  ^Ermässigung  der  vorher- 
gehenden Behauptimg'  spricht  Arnold  Hug  in  einem  gleichartigen 
Falle,  zu  Plato,  Sympos.  195  D).  Herodot  deutet  mit  kurzen 
Worten  das  an,  was  er  in  ausführlicherer  Darlegung  etwa  also  aus- 
gedrückt hätte:  Von  einem  gleichartigen  Beschluss  der  Derer 
(eßouXeu^ovTo)  vermag  ich  freilich  nichts  zu  melden;  dennoch 
vergleiche  ich  sie  in  diesem  Betracht  mit  den  loniem  (xaToE  irsp), 
weil  ihre  Handlungsweise  eine  derartige  Gesinnung  unzwei- 
deutig bekimdet.  (Man  vergleiche  ausserdem,  was  Bäumlein, 
Griech.  Partikeln  188—189,  zusammenstellt,  etwa  auch  Thukyd. 
n,  65,  6;  Plato,  Sympos.  194E) 

I,  155,  2-3:  — \krfii  zoXiv  apxaitjv  i^ovacri^ov)^  avaptipti^Tsy 
eouaov  xoti  xcov  xp^repov  xal  Tb)v  vuv  iate(i>T(i)v.  Das  allerdings  un- 
gewöhnlich gebrauchte  eoTe(ji>TU)v,  welches  man  immer  und  immer 
wieder  in  svecTe(i)Tü)v  verändern  will,  wird  meines  Erachtens 
genügend  geschützt  durch  Sophokl.  Trachin.  1271:  t3[  ^k  vuv 
^cttwt'  — . 

Ein  Emblem  lässt  sich  I,  169  mit  Sicherheit  erkennen, 
weil    es   nicht    nur   eine   überflüssige ,    sondern    zugleich   eine 

1  Anf  solche  Fälle  verweist  jetzt  mit  bestem  Fug  die  Anm.  sn  I,  69 
in  Krüger^s  zweiter  Ausgabe.  Man  vergleiche  sie  mit  unserer  Stelle 
and  der  Unterschied  kann  Niemandem  verborgen  bleiben  (es  sind  V,  99; 
VI,  76);  theils  folgernd,  theils  einfach  die  Erzählung  fortführend  (=  apa) 
ist  jedoch  wv  VU,  137,   IX,  26  und  87. 


Herodotelsehe  Stadien  11.  523 

falsche  Erklärung  des  Gedankens  unseres  Geschichtschreibers 
enthält.  Von  Phokäem  sowohl  als  Teiem  hatte  er  nicht  gesagt, 
dass  sie  sich  in  offener  Feldschlacht  mit  dem  persischen  Er- 
oberer gemessen  hatten.  Ihre  höhere  Freiheitsliebe  gab  sich 
dadurch  kund,  dass  sie  lieber  die  Heimat  verliessen ,  ehe  sie 
das  Joch  der  Fremdherrschaft  zu  tragen  sich  entschlossen.  Man 
lese  also:  OuTot  [xev  vuv  'I(I)V(i)v  jjiouvot  tyjv  BouXoouvyjv  oux  avex^- 
jjievot  eS^ntov  xa?  xorcpCSai;-  oi  S*  dcXXoi  "Iwve^  8ta  [xoexy];  jx^v  otcixovto 
*ApxatYCi)  [xaxa  Tcep  ol  6xXew6vTe(;]  xal  av5pe<;  evivovxo  070601  — ,  eccxw- 
O^vre^  8e  xol  <iX6vT6q  l{Aevov  xoto  x^P^^  SitacTOt  xoi  to  6i:tTaffc6[jLeva 
exer^Xeov. 

Nicht  ganz  so  streng  erweisbar,  aber  doch  in  hohem 
Grade  wahrscheinlich  ist  das  folgende  Emblem:  I,  174,  6 ff: 
%a\  Stj  icoXXyj  XEipi  ipYol^c[J!.iv(i>v  töv  KvtStwv,  (xoXXov  ^op  ti  x.al 
OeiÖrepov  e^oivovro  TtxpdbaxeoOot  [ot  epYa?6{JLevo:]  xou  eix6xo?  xöE  xe  oXXo 
xou  9a)pLoxo(;  — ,  exepLwov  E(;  AeX^ou?  %iL  Wie  überfltLssig  und 
pedantisch  scheint  doch  der  von  uns  eingeklammerte  Zusatz, 
wie  ungeschickt  seine,  das  eng  Zusammengehörige  aus  ein- 
ander reissende,  Stellung,  und  wie  viel  leichter  lässt  sich  ohne 
denselben  das  zu  sxsfxxov  zu  denkende  Subject  (oi  Rvfötot)  aus 
dem  Vorangehenden  entnehmen!  Die  Nothwendigkeit  von  der 
Gesammtheit  der  Knidier,  welche  das  Orakel  zu  Delphi  beschickt, 
den  mit  ier  Durchstechung  der  Landenge  beschäftigten  Theil 
derselben  zu  unterscheiden,  trotzdem  es  soeben  erst  hiess:  zoXXiJ 
XSipC  epYa^o[JLsvo)v  xwv  KvjSiwv  —  wem  sonst  mochte  sie  wohl 
einleuchten  als  einem  Schulmeister?  Oder  sagen  wir  lieber: 
als  dem  Schtdmeister,  dem  wir  im  Folgenden  so  oft  begegnen 
werden,  sofort  auch  cap.  185  in  den  Worten :  exo(ee  hk  ojA^öxspo 
Touxo,  [xcv  xe  iroxopwv  cxoXtbv  y.at  xb  Spu^ixo  xov  2Xo?J,  ü>^  5  xe  TroxojJLb? 
ßpa86x6p5^  ett;  —  xot  oi  xX6ot  Iw«  cxoXiol  xxl.  Wie  geschmackvoll 
ist  dies  doch  ausgedrückt :  (Nitokris)  machte  den  Strom  krumm, 
damit  die  Schifffahrt  krumm  sei !  Und  wie  sinngemäss :  sie 
machte  das  cp'jv{jLo  ganz  und  gar  zu  einem  Sumpf,  als  ob  sie 
es  schon  vorgeftmden  und  nicht,  wie  soeben  erzählt  ward, 
(wpüooe  SXuxpov  Xtpivt;),  erst  geschaffen  hätte !  Allein  der  entschei- 
dende Beweis  ftlr  die  Unechtheit  des  Zusatzes  liegt  in  seiner 
Unwahrheit.  Denn  von  einem  Sumpfe  ist  hier  ganz  und  gar 
nicht  die  Rede,  sondern  von  einem  mit  Wasser  erftlllten  Becken, 

dessen    Verwandlung   in   einen    Morast    mittelst    der   Zurück- 

34* 


524  OompArs. 

leitung  der  anßtnglich  in  ihn  gelenkten  Wassermassen  erst  am 
Schluss  des  nächsten  Capitels  erzählt  wird!  '  —  Derlei,  man 
möchte  sagen  proleptische  Embleme  werden  uns  noch  mehr- 
fach begegnen.  Doch  verweilen  wir  zunächst  noch  im  wasser- 
reichen Mesopotamien ,  welches  gleich  Aegypten  nach  allen 
Seiten  hin  von  Canälen  durchschnitten  war,  von  Canälen,  aber 
doch  nicht  in  solche,  wie  der  gegenwärtige  Text  uns  glauben 
machen  will  (193,  3 — 5):  ii  y^P  BaßüXwviri  x*^P^  'Käaa  xaxd  ^ep  t, 
AiYurciTi  xaTaTeTjJLYjTat  [iq  5iu)pü/a(;].  Vgl.  II,  108  und  109:  xa- 
xiTajjLve  Se  touBe  eTvsxiz  Tt)v  xa)pY;v  6  ßacjtXeu^  und  toutwv  |jiv  ^^  swexa 
xaTSTixTjOy;  ii  Ai^fmzoq,^  —  Auch  die  Darstellung  der  fkiphrat- 
Schifffahrt  leidet  noch  an  einem  kleinen  Textesfehler.  Von 
dem  daselbst  bis  heute  gebräuchlichen  ,auf  Schläuchen  schwim- 
menden Strauchgeflechte'  (Puchstein  in  Berlin.  Sitzgsb.  1883,  4n 
heisst  es  nämlich  (194,  12):  —  ouie  xpifjivtjv  onroxptvovte?  outs  rp<ipip» 
auvotYOVTS^,  dXX'  atmZoq  xpöxov  xuxXoispea  TCOiiQffavTe?  xai  xaXapiiQ^  wXiJaonrct; 
TCov  To  xXoiov,  oÖTti)  dcTTtetce  xaTOi  tov  xoTapiov  ^epeffBat,  ^opTfwv  icXi^avT£;. 
Die  Ersetzung  des  überlieferten  völlig  müssigen  touto  (der  Vindob. 
hat,  um  nichts  besser,  toutck;)  durch  das  in  solcher  Verbindung 
allein  übliche  oütw  bedarf  keiner  Rechtfertigung,  wie  denn 
angesichts  der  fortwährenden  Verwechslung  von  o3to<;,  outs*., 
o&TO),  TOUTO  u.  dgl.  nur  Sinn  und  Zusammenhang  unsere  Wahl 
bestimmen  können.  So  lese  ich  II,  28  fin.  (diesmal  tnit  SVR) : 
ouTO(;  (statt  oliTCü)  [jl^v  5y)  6  ^pa[t.[LomGx^q  xtS.  ;  11,  156  in.  (mit 
Bekker):  oütoi;  (gleichfalls  statt  o&tw)  \f,iy  vuv  b  vtjb?  xt£.: 
m,  138  fin.:  ourot  hk  irpwTot  ix  -nj^  'Aair^q  iq  t^  'EXXidot  amxovTS 
Uipaai,  xal  oOtw  (statt  ouxoi),  Bt3c  totövSe  xpYJYf**?  xxcioxoxot  eY^vovro: 

'  Woher  weiss  Übrigens  Stein,  dass  diese  ^grossen  Strom-  nnd  Canalbauten' 
nur  zu  Zwecken  der  Flussregulirung  und  der  Bodenbewässerung,  nicht 
aber,  wie  Herodot  behauptet,  auch  zu  Befestigungs zwecken  dien- 
ten? Eines  Besseren  konnte  ihn  wohl  Ritter's  Erdkunde,  West- Asien, 
B.  III,  Abth.  3  belehren.  Wie  gefährlich  zum  Mindesten  dem  Heer 
Kaiser  Julians  nebst  der  medischen  Mauer  auch  die  Canäle,  die  MoriL^te 
und  die  künstlichen  ITeberschwemraungen  wurden,  ist  bekannt  genug. 
Und  gilt  nicht  von  air  diesen  Wasserbauten  dasselbe,  was  Ritter  über 
die  von  den  Persern  im  unteren  Euphratlauf  angelegten  Katarakte 
oder  Hemmungen  bemerkt,  das»  sie  ,zu  Bewässerungszwecken,  ebenso 
wie  zu  denen  der  Vertheidigung*  dienten  (a.  a.  O.  S.  34)? 

2  In  jedem  Betracht  unwahrscheinlicher  ist  die  Annahme  Krüger's  (2.  Aufl.i, 
dass  nur  zi  vor  $i(upuya;  eingeschoben  sei. 


>  Herodoteische  Sindien  ü.  52ö 

Vn,  170  fin.:  —  dzeöavov  TptoxiXtot  ouxoi,  autöv  8e  Tapovrtvwv  oux 
i^rfjv  apiöiJLoq.  (An  dieser  Stelle  hat  das  überlieferte  oütw  zum 
Mindesten  Anstoss  erregt  und  allerlei  Vorschläge  erzeugt;  vgl. 
auch  IV,  44  in.:  8^  xpoxoBsiXoüq  Seuispo;  outc?  'jcotapAv  icivrwv 
xap^y etai,  oder  VIII,  45:  l8vo?  I6vt6?  ouxot  Acopixbv  omh  Kop{vöou). 
Ebenso  wenig  bezweifle  ich,  dass  IX,  102,  27  zu  schreiben  ist: 
Siowajjtevot  y^P  '^^  Y^P*^  oötw  (statt  ouxot)  <pep6[X6vo{  eaiweffov  aXse? 
€(;  Toui;  Uipaa^,  Einige  andere  Fälle  sollen  später  besprochen 
werden.  Für  die  Verwirrung,  die  in  diesem  Betracht  in  den 
Handschriften  herrscht,  verweise  ich  noch  (ohne  jeden  An- 
spruch auf  Vollständigkeit)  auf  I,  170  fin.,  wo  Schäfer,  wie  auf 
vn,  154  in.,  wo  Stein  gebessert  hat,  gleichwie  auf  den  kriti- 
schen Apparat  Gaisford's  zu  I,  2  g),  I,  14  ej,  111,62/),  III,  136 
in.,  IV,44ä;,  IV,86i),  VI,83e;,  IX,  102  Ä;;. 

I,  204,  13  hat  die  augenscheinlich  fehlerhafte  Ueber- 
lieferung  tou  wv  5y)  xeBicu  tcu  [LS'^akou  oux  i\cc/J.(jvrt^  jjLoTpav  [Lvsiypofji  o\ 
MoKKjaveTai  zu  verschiedenen  Herstellungsversuchen  Anlass  ge- 
geben, unter  denen  Steines  frühere  Aenderung:  toutou  Syj  &v  lueBtoü 
To5  [AeyiXoü  wohl  der  schlechteste,  Herold's  (jetzt  auch  VQn  Stein 
angenommene)  Schreibung:  tou  wv  8^^  weStou  toutou  tou  [xcYaXou 
die  beste,  zum  Mindesten  eine  völlig  sprachgemässe  ist.  Doch 
scheint  man  nicht  beachtet  zu  haben,  dass  der  Zusatz  (jisy^^^^ 
nicht  nur  ganz  und  gar  entbehrlich,  sondern  nach  dem  unmittel- 
bar Vorangehenden  kaimi  erträglich  ist.  Wer  pflegt  denn  eine 
Ebene  , unabsehbar'  {%krfioi;  axeipov  iq  oexo^i't)  und  sogleich 
darauf  nur  einfach  ,gross'  zu  nennen?  Dieser  Abschwächung 
des  Gedankens  begegnen  wir  und  erklären  zugleich  die  Ent- 
stehung des  Fehlers,  wenn  wir  annehmen,  Herodot  habe  ge- 
schrieben: tou  iv  8^  weätou  toutou  oüx  i'koc/JiaTq^  xts.,  durch  den 
Ausfall  eines  TOY  (in  lOYTOYTOY)  sei  aus  dem  Pronomen  der 
Artikel  geworden  und  dieser  habe  seinerseits  wieder  die  Ein- 
Bchiebung  des  Adjectivs  verursacht. 

Zweites  Buch. 

Dort,  wo  Herodot  die  Meinung  der  lonier,  d.  h.  seines 
Vorgängers  Hekatäus,  der  Nil  bilde  die  Grenze  zwischen  Asien 
und  Libyen,  ad  absurdum  führen  will,  leidet  der  Text  an  einem 
Gebrechen,  in  Betreff"  dessen  ich  immer  von  Neuem  erstaune, 
dass   dasselbe   nicht    längst  erkannt    und  geheilt  worden   ist. 


526  Oonpexk. 

Der  Schluss  des  Cap.  16  muss  nämlich  unweigerlich  also  lauten: 
•fl   (nicht   ou)  Y«p  Sy;  6  NetXi^  y^   ^^*  '*^*^*  xoötov   -bv   Xovov  6   vr;* 
'Aa{T]v  oup(l^(i>v  Tijq  Aiß6r|^'    tou  AeXxa  §i  toutou  xaia  tb   6§>   icspcpp^- 
Yvurai   6  NeTXo?,   öore  ev  xw  pLexa^u  'Amr^^  xe  xocl  Aißurj?   Yivotx'*    xv. 
,Denn  es   ist  ja  doch  der  Nil^   der  nach  dieser  Ansicht  Asien 
von  Libyen   scheidet;    nun   spaltet  sich   aber* der  Nil   an    der 
Spitze   des  Delta  ^   so  dass  dieses  zwischen  Asien   und  Libyen 
mitten  innen  zu  liegen  käme/  (Lange  gibt  den  sinnlosen  Text 
ebenso  sinnlos  wieder,  Stein»  greift  zu  willkürlicher  Umdeutung, 
und  Rawlinson,  der  allein  klar  zu  sehen  scheint,  fasst  den  Satz 
als  Frage  auf ,    wogegen  jedoch  die  asseverirende  Ejraft   der 
Partikel -Verbindung  ou  y«?  H  entschiedene  Einsprache  erhebt.) 
Die  Schuld  der  Verderbniss  möchte  ich  nicht  dem  Zufall  bei- 
messen,  sondern  dem  Vorwitz  jenes  antiken  Correctors,  dem 
wir  unablässig  begegnen  und  der  es  sich  hier  beikommen  liess, 
die  stillschweigend  gezogene  Conclusion  des  Historikers  (,der 
Nil  bildet  nicht  die  Grenze  der  zwei  Erdtheile*)  in  den  Ober- 
satz der  hypothetischen  Beweisführung  hinein  zu  emendiren.  ^ 
n,  23 :   6  ik  Tuept  xou  'Qxeovou  Xi^oLq  iq  o^ocv^^  xbv  (&u6ov  avsvEou^ 
oüx  ly&i    eXeYXOv  •    ou   -^ip   xtva   eY^Ye   olZa  •rcoxaiJi.bv  'Qxeovbv    edvxo, 
"OfATQpov  Se  ^  xtva  xöv  (f^  xwv  xiva?)  xp6x£pov  y^voia^vcüv  ?cotv2x£u)v  Soxiu 
xb  ouvofjia  eupovxa  £^  xyjv  xoiiQatv  eaeveixaoOai.    Das  Verständniss  dieser 
hochwichtigen  Sätze  liegt   freilich  nicht  mehr  ganz  so  sehr  im 
Argen  wie  vor  ein  paar  Jahrzehnten,  da  Krüger  ^Xeyx^v  zweifelnd 
durch  ^Grund^  (mit  Lange)  oder  jBeweiskraft'  wiedergab  und  Stein 
die  Phrase  ,oux,  l^^t  iXerf/P^^  ^^  ,bietet  nicht  Grund,  Veranlassung 
zur  Widerlegung^  übersetzte.    Jetzt  weiss  zum  mindesten  auch 
Stein  aus  Thukyd.  IQ,  53  (er  hätte  auch  Lysias  XII,  31  anführen 
können;  von  Babrius  81,  4  sehe  ich  lieber  ab),  dass  der  letzt- 
genannte Satz  so  viel  heisst  als  ,ist  nicht  zu  widerlegen^  besser 
,entzieht  sich  jeder  Widerlegung*;  doch    macht  weder    seine 
noch  Rawlinson's  Uebertragung  und  Erklärung  der  Stelle  (oder 
soll  ich  sagen,    der  Mangel  jeder  Erklärung?)    den  Eindruck, 
als   ob  die    ganze  Bedeutung  derselben    bereits    ausgeschöpft 

*  Das  Set*  des  vorangehenden  Satzes  (welches  Stein  jedenfalls  mit  Kr%er 
in  Ihti  verändern  musste)  fehlt  in  der  ersten  Handschriftenclasse  und 
dürfte  somit   auf  Interpolation    beruhen.    Es  hiess  vielleicht :    T^raptov 


HerodoteUelM  Stadien  II.  527 

wttre.  Sollte  ich  mithin  auch  Kennern  nur  das  sagen,  was  sie 
sich  selbst  schon  gesi^  haben^  so  lohnt  es  doch  der  Mühe^ 
dasselbe  —  so  bündig  als  die  Sache  es  nur  irgend  zulässt  — 
einmal  auszusprechen.  —  Unter  den  verschiedenen  Versuchen 
die  Nilschwelle  zu  erklären^  behandelt  Herodot  keinen  mit  so 
wegwerfender  Geringschätzung  als  jenen  des  Hekatäus.  Er  gilt 
ihm  als  eine  jener  zwei  Erklärungen,  die  er  kaum  einer  Er- 
wähnung werth  erachtet  (oi)$'  ä^m  (AViQffOiivat  ei  [ay)  59oy  ar^[iJfyfai 
ßouXc|Aevo^  [Aouvcv)^  und  zwar  ,als  die  unverständigere  von  beiden, 
wenn  sie  gleich  wunderbarer  klingen  mag^.  ^  Wenn  er  nun 
hier  von  diesem  Erklärungsversuche  sagt:  , Jener  aber,  der  den 
Okeanos  herbeizieht  und  so  die  Sache  auf  das  Gebiet  des  Un- 
ergründlichen spielt,  entzieht  sich  jeder  Widerlegung*  —  will 
er  damit  die  Frage  nach  der  Richtigkeit  dieser  Theorie  für 
eine  unlösbare  erklären  und  seinerseits  nur  ein  bescheidenes 
i%ix^  äussern?  Keineswegs;  denn  wie  stimmte  dazu  die  im 
Vorigen  ausgesprochene  Missachtung  und  wie  der  herbe  Spott 
der  unmittelbar  folgenden  Worte :  ,Denn  ich  weiss  ja  gar  nichts 
von  einem  wirklichen  Strome  dieses  Namens,  sondern  ich  halte 
ihn  für  eine  Erfindung  der  Dichter'?  Vielmehr  kann  er  gar 
nichts  Anderes  sagen  wollen  als  dieses:  eine  Hypothese,  die 
sich  so  gänzlich  aus  dem  Bereich  des  Wahrnehmbaren  und 
Sinnfklligen  entfernt,  dass  sie  der  Widerlegung  nicht  einmal 
eine  Handhabe  bietet,  ist  eben  dadurch  gerichtet.  Sein  oux  S/^ei 
tkvf/o^  (welches  wohl  verdient  hätte  ein  geflügeltes  Wort  zu 
werden)  ist  ein  unbedingtes  Verdammungsurtheil.  Er  verlangt 
von  einer  Hypothese,  damit  sie  der  Beachtung  werth,  oder,  reden 
wir  immerhin  imsere  Sprache,  damit  sie  wissenschaftlich  berech- 
tigt sei,  dass  sie  im  letzten  Grunde  erweisbar,  dass  ihr  Object 
(um  mit  Newton  zu  sprechen)  eine   vera  causa   sei.    Er   steht 

>  Nor  dies  kann  der  Sinn  der  allgemein  miwverBtandenen  Worte  sein: 
avc}ct9n)|JioveaWpv)  {jitfv  —  ^^T^  ^^  ÜKivt  6<üU{M9i(iiWpv).  Letzteres  ist  gleich 
einem  axoOaai  hl  0(tfU|idi9t(üWpil,  etwa  wie  Pindar  Pyth.  I,  60  von  einem 
zip^  OautMEOiov  JcpoatSMat,  6aupia  tk  xoX  icape^vnov  axouaai  spricht.  Die 
Wirkung  auf  den  nüchtern  prüfenden  Verstand  und  jene  auf  die  Phan- 
tasie werden  einander  schroff  gegenüber  gesteUt  Ein  abschwächendes  Xi^ta 
EtRtTv  =s  cüc  Xoycü  e^jcEiv  ist  nicht  am  Platze  und  der  Gegensatz  yon  (i^v 
und  U  wird  von  dieser,  der  gangbaren  Auffassung  ignorirt.  Stein's  Er- 
klftrung  in  der  vierten  Auflage  seiner  commentirten  Ausgabe  nfthert  sich 
dieser  Anffassung  der  Stelle,  ohne  jedoch  mit  ihr  znsammenzufiUlen. 


528  Oomperz. 

diesmal  auf  rein  positivem,  wir  hätten  fast  gesagt  auf  positi- 
vistischem  Boden.  Zu  dem  schneidenden  Hohn,  mit  welchem 
er  hier  die  Flucht  des  wissenschaftlichen  Erklärers  in  das 
Wolkenreich  des  a«>av^?  oder  d'BrjXov  behandelt ,  passt  gar  'wohl 
die  helle  Lache,  die  er  ein  andermal  gegenüber  diesen  und 
ähnlichen  Willkür -Erfindungen  aufschlägt  (,Ich  muss  lachen, 
wenn  ich  sehe,  .  .  .  wie  sie  den  Okeanos  rings  um  die  Erde 
fliessen  lassen  und  diese  kreisrund  machen,  als  ob  sie  von  der 
Drechselbank  käme/  IV,  36).  Sein  Standpunkt  ist  dies  eine 
Mal,  wo  die  Kivalität  mit  seinem  Vorgänger  seinen  Witz  schärft, 
der  des  streng  wissenschaftlichen  Forschers,  den  eine  nicht 
auszufüllende  Kluft  von  dem  Dichter,  von  dem  Erfinder  schein- 
barer und  geftllliger  Fictionen  scheidet.  *  Wie  hätte  er  vor 
den  Consequenzen  seiner  eigenen  Denkart  zurückgeschaudert, 
wäre  ihm  der  volle  Umfang  derselben  zum  Bewusstsein  ge- 
kommen ;  wie  schwer  hätte  er  sich  andererseits  gekränkt  geftihlt, 
hätte  er  es  ahnen  können,  dass  ihn  die  Nachwelt  nicht  glimpf- 
licher behandeln  würde,  als  er  selbst  hier  seinen  Vorläufer  be- 
handelt :  man  denke  an  die  offen  oder  verhüllt  ausgesprochenen 
Urtheile   des   Ktesias,  des   Thukydides,^    des  Aristoteles,    des 


1  In  ähnlicher  Weise  verweist  Hippokrates  (de  prisc.  med.  cap.  20)  die  Lehren 
des  Empedokles  und  Anderer  Über  die  Entstehung  des  Menschen  u.  dgl. 
aus  dem  Reich  der  Naturwissenschaft  in  jenes  —  der  schOnen  Künste 
(^jaaov  votJ.{C<J^  ttJ  ?TjTpix^  "f^X.^  i:poGni(xEiv  ?j  t^  ypa^ixj). 

2  Geradezu  tragisch  —  oder  soll  ich  sagen  wie  die  Sühnung  einer  tragi- 
schen Schuld?  —  berührt  es  mich,  wenn  ich  bei  diesem  auf  Herodot  bezüg- 
liche Aeusserungen  lese,  wie  sie  das  zwanzigste  und  einundzw^ansigste 
Capitel  des  ersten  Buches  enthalten:  oQtco;  aTaXaficcopo;  rot;  TroXXoii;  i, 
Ci{T7]ai{  TT];  KX7)0E{a{  xal  inX  t«  Irorjjia  {jiSXXov  ip^novrai  (man  denkt  an 
Baco^s  ,ez  iis  quae  praesto  sunt!^)  und  o8tc  toc  Koti}tat  up.vi{xa9t  .  .  . 
Itci  to  [XEt^ov  xo9{iouvTE$  (vgl.  uuser  X^yca  Sk  s^icsTv  6au{iaai<üT^- 
p7]!)  .  .  .  oliTS  u>(  Xoyofpd^^oi  ^uv^Os^av  iitX  to  npovaytoYdtepov 
ifj  ixpodSvei  9j  aXiijO^aiEpov,  ovia  avE^AEfxiot!!  Thukydides  ist  eben 
nicht  minder  darauf  erpicht,  dem  Herodot  etwas  am  Zeuge  zu  flicken,  er 
ist  ebenso  tadelsttchtig  und  —  offen  gesagt  —  ebenso  unbillig  gegen 
seinen  Vorgänger  wie  dieser  gegen  Hekatäus.  Daher  die  sahireichen 
malititJsen  Anspielungen,  auf  deren  Verstftndniss  er  übrigens  nnr  dann 
rechnen  konnte,  wenn  das  Werk  des  Vaters  der  Geschichte  sich  noch 
in  allen  Händen  befand  —  ein  SachTerhalt,  der  mir  von  Kirchhoff  (mit 
aller  Ehrerbietung  vor  dem  hervorragenden  Forseher  sei  es  gesagtl 
keineswegs  nach  Gebühr  gewürdigt  scheint  (Abfassungsseit  u.  s.  w.  8.  9) 


H«rodot«iselie  Studien  II.  529 

Strabo  oder  Diodor!  Doch  dem  sei  wie  ihm  wolle;  Herodot 
ist  schwerlich  der  erste  und  wahrlich  nicht  der  letzte  Denker, 
der  einen  methodischen  Grundsatz  ausspricht^  zu  dessen  rück- 
haltsloser Durchführung  er  hoch  keineswegs  vorbereitet  ist;  auch 
von  ihm  gilt  Deg^rando's  tiefsinniges  Wort,  man  gehe  den 
alten  Philosophen  gegenüber  nie  sicherer  fehl  ,qu'en  leur  pr^tant 
les  consöquences  de  leurs  principes  ou  les  principes  de  leurs 
cons^quences/  —  Allein  irren  wir  nicht,  begehen  wir  nicht 
einen  groben  Anachronismus^  wenn  wir  unserem  Historiker  auch 
nur  als  gelegentlichen  Lichtblick  eine  Ansicht  über  die  Berech- 
tigung wissenschaftlicher  Hypothesen  zutrauen,  die  nahezu  iden- 
tisch ist  mit  der  Lehre  eines  Comte  oder  eines  Mill:  eine 
Hypothese  (die  mehr  sein  will  als  eine  vorläufige  Hilfe  unseres 
Vorstellungsvermögens)  muss  in  letzter  Instanz  der  Verification 
zugänglich  sein  ?  Konnte  er  etwas  von  dem  Unterschied  ,l®6rer' 
und  müssiger  Hypothesen,  d.  h.  derartiger,  die  ihrer  Natur  nach 
ewig  unbeweisbar  bleiben  müssen,  und  solcher  wissen,  von  denen 
dies  nicht  gilt?  Statt  unser  möge  sein  grosser  Zeitgenosse 
Hippokrates  antworten ,  der  diese  Lehre  nicht  etwa  nur 
ahnungsweise  und  in  rudimentärer  Gestalt,  sondern  mit  voller 
Klarheit  und  in  ihrem  ganzen  Umfange  kannte  und  aussprach. 
Dort  nämlich,  wo  der  Vater  der  Medicin  gegen  die  natur-philo  • 
sophischen  Theorien  seiner  Zeit  zu  Felde  zieht  und  es  so  bitter 
beklagt^  dass  man  sich  ihrer  auch  in  Betreff  der  Heilkunst 
bediene,  einer  wirklichen  und  nicht  blos  einer  Schein-Kunst, 
deren  erspriesslicher  Betrieb  fUr  das  Wohl  und  Wehe  der  Men- 
schen von  so  unaussprechlicher  Bedeutung  sei  (afji^t  tsx^y);  eouffrj?, 
^  Yjpiorzzi  xe  icivie?  ext  towi  |ji.£YicTota(  'atL),  an  dieser  hochwichtigen 
Stelle  des  Buches  ,von  der  alten  Medicin'  fkhrt  er  wie  folgt  fort 
(I,  572  Littr^  —  die  geringen  Abweichungen  meines  Textes 
von  demjenigen  Littrö's  und  Ermerins*  bedürfen  kaum  einer 
RechtfertigUDg) :  Atb  oux  T^<$touv  i^iii^t  xstvij*;  auitiv  uTCoOeato?  BewOat, 
torep  ta  df  av^a  xe  xal  ixopcöpieva '  icepl  m  dcvoYXT],  ^v  tc^  iicixtipiri 
X^Y^tv,  'JKoHat  xp^^^^h  o^ov  icepl  toiv  (Aexecopüiv  i)  tcov  (mo  ^"i  *  £  et 
tt?  \i^oi  xal  Ytv(«)ffxoi  (5)?  ^X-^  ^^'^^  *^  «ötw  tco  Xc^ovri  oute 
ToTit  a-AOuoü(7i  BrjXa  Äv  ett)  efxs  OLkrfiitx  iaxi  svze  [xt^i  '  oü  ykp  Im 
'::po^  5  Tt  xp^  £i:av6viY^«^'f«  stBivai  tb  ü(X(^i<;.  Eine  wunderbare, 
von  sonnenheller  Geistesklarheit  durchleuchtete  Aeusserung, 
deren  Werth  es  wenig  mindert,  dass  ihr  Urheber  ganz  so  wie 


530  6omp»ri. 

Bein  intellectueller  Zwillingsbruder  Sokrates  zeitweilige  Erkennt- 
nissgrenzen  mit  ewigen  verwechselt  (indem  er  die  lAetii^pa  fibr 
dtÖTQXa  schlechtweg  hielt,  während  es  doch  nur  icpb;  xaipbv  s^Xa 
waren!)  und  die  bei  Lichte  besehen  nur  die  Entfaltung  eines 
Keimes  ist,  welchen  schon  der  unsterbliche  Begründer  aller 
skeptischen  Denkrichtungen ^  Xenophanes  .von  Kolophon,  ge- 
pflanzt hatte;  indem  er  ausrief: 

XÄi  xb  \Lh  o3v  aatfk^  ou  xi?  dv^p  ^tttx'  ouSe  xi?  §oxai 
eiBü)^  afji^i  Sewv  xe  xal  iaaa  Xsyü)  wspl  icivxwv 
et  Y«?  >t«'t  'Pa  fJidXtffxa  x6)rot  xexeXeafxdvov  eticcav, 
ai)xbq  SfjLW?  oux  oTSe,  Soxo^  B'  diel  icäfft  xexuxxai. 

Man  darf  wahrscheinlich  eine  ganz  directe  Filiation  der  Ideen 
annehmen  und  vermuthen;  dass  diese  Verse  (bei  deren  Auslegong 
Sextus  Empir.  200, 53  Bk.  a^^i  öeöv  xxi.  ganz  richtig  durch  {wco5etY- 
[Aaxtxd)(  xepi  x(V9(;  xo>v  d$ii{Xa)v  wiedergibt)  Hippokrates  wohlbekannt 
und  seinem  Geiste  gegenwärtig  waren,  als  er  jene  bedeutungs- 
vollen Sätze  niederschrieb.  Doch  es  ist  Zeit  inne  zu  halten,  so  ver- 
lockend es  auch  wäre,  andere  Anklänge  an  das  herodoteische 
Dictum  und  insbesondere  Nachklänge  desselben  zu  verfolgen.  • 


^  Als  ein  solcher  darf  vielleicht  wegen  des  ähnlichen  Zusammenhanges,  in 
dem  sie  auftaucht,  die  nachstehende  Aeusserung  Diodor*8  gelten  (I,  cap. 
40):tcüV  S*  iv  M^fx^ei  ttvk;  ^iXoa^^cov  m'/tipiiaw  aitCov  ^tfpsiv  x^c  ii^i2p<&oc«K 
ave^^Eyxxov  [xSXXov  ü)  iciOaviJv,  und  weiter  unten:  xaO^ou  (tb  yop 
avcS^XcYxxov  dbc^aviv  E?9y)Yo6|jievoi  .  .  .  Sia^eu^eaOai  xou^  oxpißcti 
^X^YX^^^  vo(Ji(|^ou9i*  S{xaiov  tk  Tob(  nep\  xivuv  8(aßsßaiou|A^vouc  9^  ti^v  Iv- 
apfsiav  TCap^^£a6flti  9j  xa;  affoSEJ^ei«  Xap.ßd[v6tv  i^  «PX^C  avYxeycopui- 
(jiivac  (1.  9UYXEX(»pv]H^^VT){).  Zum  Gedanken  und  Ausdruck  vgl.  Galen  VI, 
836  K.:  Xtflnio^t  8^  xavxauOa  6{jioXoyou{jl^vt]v  apx^v,  oder  Proclus  comment  in 
Euclid.  p.  58  Basil:  (i^OoSoi  8K  .  .  napaS^ovrai,  xaXX{cm]  (iK  jj  .  .  .  oc" 
apX^v  6p.oXoYOU(A^vY]v  avdtfouaa  xb  Cv)to6(uvov,  oder  Hipparch.  ap.  Stra* 
hon.  11,89  =  I,  117 — 118  Mein.:  —  oazo  p.;^  au^^copoup^vou  XijpfAato; 
xaTa9XEua!^^[jisvov.  Desgleichen  Aristo tel.  de  gener.  anim.  n.  8  (747  b,  5): 
—  oCO^  oXu>;  EX  Yvtop{{jiu>v  TcotoOfuvo«  xa;  apx^C  oder  Oiocles  Caryst.  ap. 
Galen.  VI,  466  K. :  —  Stapapxovouaiv  2v{oxe,  otov  oqfvoo6pEva  xat  [k^  opioXo- 
foiupEva  xai  flbcraava  Xa[xßavovxE(  lxavä>(  ot^viat  X^yciv  x^v  a^xfotv.  Einige 
Zeilen  weiter  iat  eu  schreiben:  oxov  (lAXv)  nap«  xouxo  [statt  ncpl  toOxou] 
YVcoptp-coTEpov  9^  icicrx^xfpov  fsv^aOai  tb  XeY^iiEvov.  Vgl.  auch  Aristozenoa, 
Die  harmon.  Fragmente  (S.  46  fin.  Marquardt) :  i^^is?«  $^  op/ac  xe  ]cc(P«o|ae6« 
XaßsTv  9atvo[jivac  Saziaa^  (1.  Sncavi)  xoi;  ip-icE^poic  pouaixijc  xai  xot  £x  xo6ttt>v 
au|ißa{vovxa  a9co8ttxv^vat.  Ein  schwerlich  ganz  zufKlliger  Anklang  be- 
gegnet uns  bei  Antiphon,   Fragm.  X.  Blass.  —  Zur  Beleuchtung  der 


HerodoteiMhe  Stndiui  n.  531 

Nicht  ohne  gewaltiges  Staunen  wird  man  (cap.  25)  aus 
Stein's  Ausgaben  und  Uebersetzung  die  wundersame  Mähr  ent- 
nehmen^  dass  in  Ober-Libyen  das  ganze  Jahr  hindurch  ,die 
kalten  Winde  blasen';  imd  das  soll  Herodot  in  demselben 
Satze  berichten,  in  welchem  er  von  dem  dort  nie  getrübten 
Sonnenschein  und  der  daselbst  beständig  herrschenden  Hitze 
spricht;  ja  die  kalten  Winde  sollen  in  dem  Lande  des  ewigen 
Sommers  (cap.  26)  dazu  beitragen^  dass  die  Sonne  dort  das 
ganze  Jahr  hindurch  das  bewirke^  was  sie  anderswo  nur  zur 
Sommerszeit  bewirkt:  ärce  8ia  icavtb^  tou  xp^vou  octOpCou  xe  eovto^ 
Tou  i^ipoq  Tou  xora  xoeka  xa  xtjipia  xal  diXeeev^^  vf^^  X^P^<  iodor^  %a\ 
dve|ji.ü)v  ^^XP^^^f  8ie|((i)v  noiiei  oiov  icep  xai  tö  6ipo{  d(i>6ec  xot^etv 
tii>y  xb  (jLiaov  toO  oupavou  *  ^xei  y^P  ^^  ^courbv  xb  f>$(i>p  xx^.  Der  Un- 
sinn dieser  Textes -Ueberlieferung  nöthigt  uns  zu  der  Annahme, 
dass  im  Archetypus  einige  Worte  (vielleicht  eine  Zeile)  aus- 
gefaUen  sind  und  die  fragliche  Stelle  ungefähr  so  zu  schreiben 
ist :  xaj  dvifjuov  (ouBa|xa  dicex^vxwv)  <|/uxpwv  — .  (Die  analoge  Schrei- 
bung des  Sancroftianus  und  des  Parisinus  1634 :  oux  5vx(i)v  oder 


Tragweite  des  Herodoteischen  Ausspruchs  und  der  Geistesverfassung,  aus 
der  er  hervorgegangeni  mögen  schliesslich  ein  paar  moderne  ParaUelen 
dienen:  ,Auch  hätte  wohl  durch  ein  leichtes  vergleichendes  Experiment 
eonstatirt  werden  kOnnen,  dass  in  den  Raum  wirklich  verdünnter  Luft 
nicht  nur  Eisen,  sondern  auch  andere  Körper  hineingetrieben  werden; 
allein  gerade  der  Umstand,  dass  man  solche  Einwände  er- 
heben kann,  zeigt,  dass  der  Erklärungsversuch  einen  frucht- 
baren  Boden  betritt,  während  mit  der  Annahme  verborgener  Kräfte, 
specifischer  Sympathien  und  ähnlichen  Auskunftsmitteln  gleich  alles 
weitere  Nachdenken  niedergeschlagen  wird*  (Lange,  Geschichte  des 
Materialismus  I^,  122).  —  ,Chercher  ce  fait'  (das  Uebematttrliche)  ,avant 
la  cr^tion  de  Thomme;  pour  se  dispenser  de  constater  des  miracles 
historiques  fair  au  del&  de  Thistoire,  k  des  ^poques  o&  toute  consta- 
tation  est  impossible;  c^est  se  r^fugier  derri^re  le  nuage, 
c'est  prouver  une  chose  obscure  par  une  autre  plus  obscure, 
contester  une  loi  connue  k  cause  d*un  fait  que  nous  ne  connaissons  pas* 
(Renan,  Les  Apotres  p.  XL VII).  —  ,But  Mr.  Casaubon*s  theory*  (von 
einer  Ur-Offenbarung)  ,wa8  not  likely  to  brnise  itself  unawares 
against  discoveries:  it  floated  among  flexible  conjectnres  .  .  .  it 
was  a  method  of  interpretation  which  was  not  tested  by  the  neces- 
sity  of  forming  anything  which  had  sharper  coUisions  than  an 
elaborate  notion  of  Gog  and  Magog:  it  was  aa  free  from  Interruption  as 
a  plan  for  threading  the  stars  together*  (George  Eliot,  Middlemarch  III, 
92^93  (Tauchn.  edit.). 


532  Oompars. 

iovTwv  dlve[jL(i)v  ^uyipia^  statt  xal  divdfjLwv  ^j^uxpwv  besitzt  zwar  keinerlei 
Autorität,  da  sie  auch  dem  Vindobonensis  und,  wie  es  scheint, 
dem  Vaticanus  fremd  ist;  doch  hätte  die  sinngemässe,  wenn- 
gleich allzu  gewaltsame  Conjectur,  der  die  neueren  Herausgeber 
und  Uebersetzer  (etwa  von  Lange  abgesehen,  der  die  Worte 
einfach  auslässt!)  einmüthig  gefolgt  sind,  wohl  eine  Erwähnung 
verdient.  Stein's  tiefes  Stillschweigen  muss  den  Leser  zu  der  An- 
nahme verleiten,  der  traditionelle  Widersinn  sei  allezeit  gläubig 
hingenommen  worden. 

Wie  hier,  so  hat  Herr  Stein  auch  in  seiner  Behandlung 
von  cap.  33  fin.  das  Kind  mit  dem  Bade  verschüttet.  Dort  heisst 
es:  TsXeirca  8s  6  "loTpoq  e<;  öiXaadav  pewv  tyjv  tcu  Eu^s^voü  ttovtcd  Bti 
TCotciQ?  EupwTCY)^,  vfi  'I(rcpit)v  Ol  MtXiQfffwv  ofxsouot  airstxoc.  Valckenaer 
wies  darauf  hin,  dass  die  durchschossenen  Worte  den  ,eben- 
mässigen  Fluss  der  herodoteischen  Rede^  störend  unterbrechen, 
und  er  fand  sie  um  so  anstössiger,  da  ja  wenige  Zeilen  vorher 
mit  jJLeoTfjv  ayJCwv  tyjv  Eupü)Tnrjv  genau  dasselbe  gesagt  sei.  Qie  Be- 
merkung war  nur  halb  wahr,  denn  die  Wortverbindung  TsXe'jri 
—  jiewv  ist  um  nichts  auffälliger  und  sicherlich  eben  so  echt  wie 
das  gleichartige  äpyjxn  ^ewv  cap.  22  fin.  Im  Uebrigen  hat  es 
mit  der  (von  Stein  in  Bausch  und  Bogen  verworfenen)  Athetese 
gewiss  seine  volle  Richtigkeit.  Die  erste  Handhabe  zur  Ii^ter- 
polation  bot  das  missverstandene  und  darum  als  bezuglos  er- 
achtete ^iiay ,  weiter  gefördert  hat  sie  das  schulmeisterliche  Be- 
streben, den  von  Herodot  vorausgesetzten  Parallelismus  zwischen 
Donau  und  Nil  (von  welch'  letzterem  im  Folgenden  gesagt  wird: 
8ox6ü)  8ia  TCöicr^^  vf^^  Aißurj^  Sis^iövia  e^icjouaOai  tw  "luTpo))  auch  sprach- 
lich bis  zum  Aeussersten  durchzuführen.  Auch  brauchte  der 
Interpolator  die  fraglichen  Worte  (wenn  es  wirklich  dessen  be- 
durfte) nicht  erst,  wie  Valckenaer  annahm,  aus  IV,  49  herbei- 
zuholen, da  er  sie  weit  näher  —  cap.  56  fin.  —  in  gleicher 
Anwendung  vorfand.  * 


1  Abicht's  Umstellung  (teXsuts  3k  6  IvTpoc  i^  OiXaaaav  t^v  tou  EO^Ivo-^ 
jcdvTou  ^^(ov  Sta  na<jr\i  Edpcunr]«)  zerrt  das  eng  Zasammengehtfrende  (nXcurf  — 
^^(üv)  auseinander,  ohne  doch  den  von  Valckenaer  richtig  empfundenen 
Anstoss  zu  beheben.  —  Irre  ich  nicht,  so  sind  auch  IX,  61  fin.  die  Worte 
IX  Tou  Kt6aipö>vo;  aus  dem  Vorangehenden  (9)^iC^fjievoc  o  icoTapuo;  £v<i>Oiv  h 
Tou  RiOatpwvo;  ^iti  xdixtn  H  xo  iceSfov)  wiederholt  und  neptax^^ctai  ^^ouos 
ebenso  zu  yerstehen  wie  Sp^cTat  ^^(ov  und  iiXsura  ^^cov  an  den  oben 


HerodotetBch«  Stadien  II.  533 

Auch  von  solchen  aus  naher  und  nächster  Nachbarschaft 
eingeschmuggelten  Emblemen  ist  unser  Text  noch  überfüllt; 
und  es  wäre  unbillige  hier  in  jedem  einzelnen  Falle  das  zu 
verlangen,  was  sich  in  vielen  Fällen  mit  einer  jeden  Zweifel 
auBschliessenden  Sicherheit  leisten  lässt:  die  Erbringung  eines 
strengen  Beweises  f)lr  die  Unmöglichkeit  der  Ueberlieferung. 
Die  Macht  der  durch  eben  diese  Fälle  geschaffenen  Prae- 
sumtion,  der  Analogieschlüsse  in  letzter  Reihe  auch  das 
geübte  Sprachgefühl  und  das  Ohr  haben  gleichfalls  ein  Wort 
mitzureden^  und  gefehlt  wird  nur  —  allzu  häufig!  —  dadurch^ 
dass  diese  untergeordneten  Factoren  sich  eine  Stellung  anmassen, 
die  ihnen  nicht  zukommt.  ^  Endlich  dürfen  wir  auch  auf  minder 
zwingende  Indicien  hin  eine  Mehrheit  von  Emblenien  dort  an- 
erkennen, wo  die  Hand  des  Interpolators  einmal  ergriffen 
worden  ist.  Wer  möchte  uns  z.  B.  Unrecht  geben,  wenn  wir 
IX,  91  in.  also  schreiben  wollen :  wq  Zh  xoXXb(;  ijv  Xt(yff6|x6vo?  [6 
^eivo^  6  Xd|jLto^],  sTpsTo  AeuxuxtSY]^,  ette  %krfi6^o^  e^exev  6^Xa>v  icuOlaOo» 
siT£  xal  xorca  ouvTU)r{v)v  [6sou  xoteimo^]*  y&  ^eive  Zipite,  tt  xoi  ib 
oüvojA«^;  6  ih  elice  ^'Ryr^naxponoq,^.  b  8e  uxapwaaog  töv  ewtXowcov  Xo^ov, 
et  Tiva  &p[Lrfco  Xd^eiv  b  *HYv;ff(oTpaTO?,  eTite*  ,S6xo[jLai  tov  oicDvbv  [xbv 
•HTTifffarpaTOv] ,  &  §eTv6  Sijxte'  — .  Das  letzte  dieser  Embleme 
ist   bereits  von  Valckenaer  erkannt  und   als  solches  erwiesen 

besprochenen  Stellen,  zu  denen  sich  noch  l^n  ^^cuv  (I,  72,  21),  ebctxv^crat 
(titasf  (I,  185,  23)  und  ijxst  ^iovoa  (n,  127,  5—6)  gesellen.  Mit  ähnlicher 
Fttlle  des  Ausdrucks  heisst  es  II,  182  in.:  ave0Y]xc  h\  xst  ovoOijpiaTa  iä\L'^a<i 
(add.  SVR)  b  "Atxaai«  h  t^v  'EXkitöcu 
*  Wie  missUch  es  ist,  der  Stimme  des  rhythmischen  Gefühls  allein  zu 
▼ertrauen,  das  mag  ein  Beispiel  zeigen.  An  der  von  uns  im  Obigen 
(S.  165  [27])  so  ausführlich  besprochenen  Stelle  1, 32  haben  Mehler  (Mne- 
mos.  1856,  p.  66)  und  Cobet  (bei  Bfthr  I,  p.  X)  das  Wort  £vouao{  für 
▼erdächtig  erklärt.  Nun  wüsste  ich  zwar  kein  anderes  Verdachtsmo- 
ment zu  nennen,  denn  dass  dort  eine  zu  der  gehobenen  Diction  der 
Stelle  sehr  wohl  passende  Redefülle,  aber  keinerlei  eigentliche  Tauto- 
logie vorliegt,  kann  unsere  Uebertragung  derselben  lehren;  wohl  aber 
empfahl  sich  jener  Tilgungsvorschlag  mit  der  sich  dann  ergebenden  Sym- 
metrie des  Doppelpaares  ann)po(  . . .  obcaOr^^  xaxcov,  itiicai;  £uct8i{c  dem  Ohre 
ungemein.  Wer  jedoch  von  unserer  Darlegung  überzeugt  ward,  dem 
muss  es  nicht  nur  begreiflich,  sondern  nothweudig  scheinen,  dass  einer 
Mehrzahl  negativer  Bestimmungen,  der  die  ganze  sprachliche  Ge- 
staltung des  Satzes  angepasst  ist,  nur  eine  Minderheit  von  positiven 
gegenüberstehe:  «n)poc,  £vou9oc,  avcaOTj;  xaxiav  —  ttiTcai^,  f\S(i$i)c. 


Ö34  Gomperz. 

worden;  nackt  zeigen  es  die  Handschriften  der  ersten  Classe, 
während  die  .übrigen  durch  Uöiwandlmig  des  Accusativs  in  den 
Genetiv  es  dem  Zusammenhang  anzupassen  suchen.  Platterdings 
unmöglich  scheinen  mir  die  Worte  6  ^s^voq  6  ld[uoq;  denn 
^Fremdling  aus  Samos^  ist  als  Anrede  so  passend  und  üblich, 
wie  unzulässig  im  Munde  des  Erzählers.  Und  da  darf  man 
denn  schliesslich  wohl  auch  fragen,  warum  in  dem  Dilemma 
eiTs  —  efue  xa»!  durch  den  Zusatz  öeoö  xoieuvto?  die  Möglichkeit, 
dass  die  Frage  eine  rein  zufällige  sei,  geradezu  ausgeschlossen 
werden  soll,  während  doch  der  von  Herodot  gewählte  Ausdruck 
(wvTüxt'»;)  eben  hierfür  die  ganz  eigentliche  Bezeichnung  ist  (vgl. 
z.  B.  DI,  121 :  eiT'  ex  Tcpovoir^i;  —  eixe  %a\  ffüVTuxit;  xiq  toigutv; 
exe^^vsTo) ,  und  ihm ,  wollte  er  von  einer  göttlichen  Fügung 
reden,  andere  und  minder  plumpe  Wendungen,  wie  6e{tj  Tujri; 
Xpe(i)|Ji.evo(;  (III,  139)  u.  dgl.  zu  Gebote  standen.  * 

n,  13  spricht  Herodot  die  Befürchtung  aus,  die  Bewohner 
von  Unter -Aegypten  und  insbesondere  des  Delta  würden  im 
Laufe  der  Zeit  der  Vortheile  der  Nilschwelle  verlustig  gehen, 
falls  anders  ihr  Land  in  demselben  Masse  wie  bisher  zu  wachsen 
fortfahre.  Nur  von  der  Erhöhung  des  Terrains  kann  hier 
die  Rede  sein,  nicht  von  der  Zunahme  seiner  Masse  nach  der 
Seeseite   hin;^    was   soll   also  neben   den  allein   sinngemässen 


1  Man  dürfte  mir  entgegnen,  dass  für  den  frommen  Sinn,  welcher  in  jedem 
folgenreicheren  Vorgang  die  Hand  der  Vorsehung  erblickt,  die  Kate- 
gorie des  Zufalls  so  gut  als  nicht  vorhanden  sei.  Qanz  richtig;  aber 
damit  ist  die  Sache  nicht  abgethan.  Denn  auf  diesem  Standpunkte  isd 
die  Scheidung  aller  Begebenheiten  in  jene,  die  menschlichen  Absichten 
entspringen,  und  in  solche,  die  scheinbar  zufällig  sind,  aber  auf  gött- 
licher Einwirkung  beruhen,  erst  recht  unmöglich.  Denn  warum  sollte 
das  gläubige  Gemüth  dem  Walten  der  Gottheit  so  enge  Grenzen  ziehen? 
Warum  sollte  diese  nicht  auch  menschliche  Plane  und  Absichten  beein- 
flussen und  hervorrufen  können?  Dass  dem  Halikamassier  zum  Minde- 
sten jede  derartige  Sondemng  fremd  ist,  dies  können  vielleicht  unsere 
Bemerkungen  zu  VII,  1*87  darthun  helfen. 

2  In  der  letzten  (vierten)  Auflage  seiner  commentirten  Ausgabe  versucht 
Stein  die  angezweifelten  Worte  durch  die  folgende  Erwägung  zu  recht- 
fertigen: ,Denn  sowohl  die  Vergrösserung  als  die  Erhöhung  des  .  .  . 
Areals  vermindert  allmälig  die  Wassermenge,  die  sich  bei  der  KU- 
schwelle  über  je  einen  Acker  ergiesst/  Dass  Herodot  jedoch  hienm 
nicht  denkt,  sondern  nur  den  Zeitpunkt  ins  Auge  fasst,  in  welchem 
die  Nilfluthen  jene  Aecker  überhaupt  nicht  mehr  erreichen  wer- 


Herodotoisoli«  Studien  n.  535 

Worten:  ^^v  olirci)  i^  yß^i  «^tr^  y.«ta  X670V  eiccSiBcp  e<;  5^?  noch  der 
Zusatz:  %a\  tb  5[jloiov  ohroS'.^co  e^  a55t)ffcv?  Ich  vermag  —  gleich 
Valckenaer  und  Krüger  —  in  ihm  nichts  Anderes  zu  erkennen 
als  eine  (mit  Hilfe  der  sogleich  in  cäp.  14  vorkommenden 
Sätze:  ainrj  yö^  scrt  1^  dcu^avc{jLivv;  [sc.  yßprl]  und  ei  a^i  iHXoi  — 
£{  ^q  au^ivsaOai  angefertigte)  Marginalerklärung^  die  durch 
ein  hinzugeftigtes  xa{  mit  dem  Text  verschmolzen  ward.  (Der 
einsichtsvolle  Rawlinson  nimmt  zu  der  dem  Original  keineswegs 
entsprechenden  pleonastischen  Wendung  seine  Zuflucht :  ^if  the 
land  goes  on  rising  and  growing  at  this  rate^)  Sollte  nicht 
auch  der  Beisatz :  xbv  eirtXowov  zu  den  Worten  xetceoOat  tov  icovra 
Xp6vov  AlYinrrtot  eine  fremde  Zuthat  sein?  Dass  die  Worte  in  S 
fehlen  (aber  nicht  in  R  und  V)  beweist  freilich  nichts  gegen  ihre 
Echtheit.  Allein  sie  sind  nicht  nur  völlig  entbehrUch;  da  Tbv 
xovra  yjpoyo'f  allein  ;die  ganze  Zukunft'  bedeutet,  1  sondern  sie 
machen  auch  den  Eindruck  eines  Strebens  nach  peinhcher  und 
pedantischer  Genauigkeit,  das  unserem  Autor  ebenso  fremd 
wie   seinem  antiken  Interpolator  geläufig  ist. 

Ich  kehre  zu  der  Reihenfolge  der  Capitel  zurück.  Zu  11, 
65,  17  flF.  :*  tb  8'  av  tt(;  xwv  6iQp{a>v  to6t(dv  (der  heiligen  Thiere) 
dnroxTeCvt),  ^  [Jbiv  sxcov,  Oivoro^  1^  ^v2(A('^  x*^^-  bemerkt  Stein:  ,Die 
Worte  To  8'  dtv  ti?  sind  verdächtig,  weil  dem  neutralen  Relativ 
keinerlei  Beziehung  im  Nachsätze  entspricht.    Herodot  schrieb 


don,  geht  aus  dem  Wortlaut  seiner  Aeasserungen  anzweideatig  hervor: 
[jL^  xftTaxXu^ovTO^  aui7]v  Tou  Ne{Xou  und  weiter  unten:  p-i^te  0 
icoTttfibc  oTo(  T^  Iviat  ec  t«;  clpoOpac  6icEpßalveiv.  Mit  Letronne, 
der  Schftfer's  und  Schweighäuser^s  übergewaltsame  Aenderungsvorschläge 
mit  Recht  zurflckweist,  in  dem  Satze  eine  statthafte  Tautologie  zu  er- 
kennen (Joum.  d.  sav.  1817,  49),  dazu  wird  sich  heute  schwerlich  Je- 
mand entschliessen.  Vielleicht  rühren  auch  die  Worte  ^c  &4^(  an  beiden 
SteUen  von  der  Hand  des  Interpolators  her. 

1  Bei  Herodot  (denn  Oichterstellen  wie  Sophocl.  fragm.  515  N.  kOnnen 
allerdings  nichts  beweisen)  begegnet  uns  (falls  mir  nichts  entgangen 
ist)  dieselbe  Phrase  noch  zwOlfmal,  theils  auf  die  Vergangenheit,  theils 
auf  die  Zukunft  bezogen,  darunter  zweimal  mit  dem  durch  den  Zu- 
sammenhang gebotenen  einschränkenden  Zusatz  tf);  K^l^  (ly  B5  fin.  und 
VI,  52  fin.),  sonst  ohne  jeden  Beisatz  (H,  178;  IH,  65;  HI,  75;  IV,  187; 
VI,  62;  VI,  123;  Vffl,  140;  IX,  27;  IX^  73;  IX,  106). 

2  Beiläufig,  II,  65,  5  genügt  es  yollständig,  den,  wie  so  häufig,  fälschlich 
eingesetzten   Artikel    mit   Valckenaer  zu    tilgen :   Ta>v   o^  cTvexcv  ftvETiat 

la]   tpa — . 


536  Gomperi. 

wohl  ^;  8*  Äv  tiq  u.  8.  w.  und  so  hat  Diodor^  Ich  würde  diese 
Bemerkung  durch  Krüger's  Verweisung  auf  seine  Sprachlehre 
§.  51;  13,  12  als  erledigt  erachten ,  wenn  der  treffliche  Gram- 
matiker diese  Ausdrucksweise  auch  aus  Herodot  selbst  völlig  aus- 
reichend illustrirt  hätte.    Man  vergleiche  vor  Allem  III.,  99,  12 : 

Towt  avSpiat  icoieuat,  wo  die  Verkennung  dieser  Construction  zur 
Schreibung  9)v  ^k  -^^tr^  icafAY]  (in  allen  Handschriften  ausser 
in  SVFK  nach  Gaisford^  nur  in  der  Aldina  und  [mit  leichter 
Modification]  im  Parisin.  d  nach  Stein)  gefUhrt  hat.  Ebenfalls 
hieher  gehört  IV,  99,  25 — ^26.  Gewählt  aber  ward  hier  diese 
Sprach  weise  (die,  nebenbei,  so  alt  ist  wie  Od.  a  285 — 286) 
wohl  darum,  weil  der  Historiker  sagen  wollte :  ,welche8  immer 
dieser  Thiere  Einer  tödten  mag,  es  erwartet  ihn  dieselbe  — 
harte  —  Strafe,  der  Tod^  nicht  viel  anders  als  wie  Strabo 
(p.  733  =  1022,  16  Mein.)  sagt;  Stw  S'  äv  Ouacoai  Oeej),  xpcoTio  tw 
^pl  e^xoviat.i  —  Einem  ähnlichen  Missverständniss  ist  offenbar 
die  leichte  Trübung  der  Ueberlieferung  entsprungen,  der  man 
H,  115,  24  begegnet:  ey^  ^^  i^^i  ^^P^  icoXXou  i^y^6)i.iqv  (jLi]8eva  ^eivcDv 
(1.  SeTvov)  xTetveiv,  5ffot  Cwc'  wi\L(ii^  Tffiri  diroXafiifOivTe;  ijXOov  e?  X^^PJ"* 
-riiv  dfXT^v  — .  Der  gen.  plur.  ward  hier  gewiss  von  einem  Schreiber 
oder  Corrector  eingeführt,  der  die  Stelle  nicht  minder  unrichtig 
als  Rawlinson  verstand:  , —  that  no  stranger  driven  to  my 
country  by  adverse  winds  should  ever  be  put  to  death',  während 


^  Dafür,  dass  ovti^  von  Herodot  mehrfach  gleich  o;  und  ebenso  o;  gleich 
oanc  gebraucht  wird  (hier  kommt  noch  die  Verbindung  lo  o*Sn  ti(  in 
Betracht),  vergleiche  man  Krüger  61,  8,  4  (auch  Dialekt.  Sjnt.)  und  für 
das  erstere  insbesondere  Struve's  herrliche  Untersuchung,  Opusc.  II ,  256 
sqq.  Einen  -weiteren  Beleg  sowohl  für  diese  Gebrauchsweise,  als  für 
die  in  den  Handschriften  (des  herodoteischen  Werkes,  wie  der  Hippo* 
kratischen  Schriften,  z.B.  II,  74  fin.;  VI,  S4  fin.;  VI,  99,  Z.  7  v.  n.  L.) 
stereotype  Art  der  Verderbniss  liefert  IV,  149,  24,  wo  neben  dem  sjv. 
QU  der  Vulgata  der  erste  Parisinus  obc^  ou,  der  Vatic.  und  Vindob.  aber 
ATCO  Tou  (der  Sancroft.  aazo  io6tou!)  darbieten,  mithin  sicherlich  zn 
schreiben  ist:  0?oX6xou  8k  ^{vEtai  A?Ye6(,  aic^  oreu  A^yEt^at  xaXeuvTst — . 
Auch  wenige  Zeilen  vorher  ist  auf  Grund  der  Autorität  dieser  Hand- 
schriftenclasse  an  die  Stella  des  iizl  unseres  Textes  das  sprachlich  gani 
ebenso  zulässige  (Struve  p.  262)  ebcd  aus  SVR  zu  entnehmen:  t^  ^l 
viijaco  anb  lou  o2xi9t^ü>  Oijpa  ii  e;cu>vu(i{i)  sy^vcto  und  di)cb  tou  Eicio^  touiou 

0&VO(ia  Tb>   VC7)v{9xa>   TOUTb)   OMXuxo(   iy^VCTO. 


HerodoteUeb«  Stadien  II.  537 

doch  Proteus  nur  seinen  Abscheu  vor  dem  ^stvoxToveetv  (wie 
es  bei  der  Recapitulation  des  G-edankens  im  Folgenden  heisst) 
ausdrücken  will  und  der  Satz  ocot  —  x(i)p7]v  ttjv  ipii^v  ebenso  zu 
verstehen  ist  wie  die  ganz  gleichartigen  Satzglieder  IX,  2ß,  11: 
Saai  "JSSyj  s^öBot  xotvai  e-f^vovTo  txL  oder  I,  214  in. :  5(jai  S^  ßapßapwv 

In  der  von  Späteren,  insbesondere  von  Aristoteles,  so  viel 
benutzten  Beschreibung  des  Krokodils  heisst  es  11,  68,  9:   Ixei 

X6yov  toü  c(i>(ji.aToq.  Die  letzten  Worte  halte  ich  aus  folgenden 
Gründen  für  unecht. 

1.  Sie  fehlen  bei  Aristoteles  (Hist.  anim.  II,  10  fin.  = 
502%  9 — 10),  wo  sie  Niemand  vermisst. 

2.  Ihre  Stellung  ist  eine  ungeschickte,  da  sie  augen- 
scheinlich zu  [Ki'fd'kou^  gehören   und  doch  davon  getrennt  sind. 

3.  Sie  sind  thatsächlich  unwahr. 

4.  Solch  ein  Marginalzusatz  konnte  durch  das  vorangehende 
xal  6  v60(jffb<;  xora  Xo^ov  toj  ciou  y^''^"^^'  leicht  veranlasst  werden. 

Die  Wortverbindung  xora  Xi^ov  hat  (von  I,  134  und  der 
daselbst  einst  von  Stein  richtig  erkannten  Interpolation:  xori 
Tov  owTov  8^  Xovov  xai  ol  Uipa(x{  ti[ji.u>(J'.  abgesehen)  in  unserem  Text 
mehrfache  Irrungen  und  Miss  Verständnisse  erzeugt.  TL,  109,  7 
sollte  es  bei  der  von  Krüger  vorgenommenen  Ausscheidung  ,de8 
falschen  Glossems^  sein  Bewenden  haben:  2x(i>^  tou  Xoncou  xor^c 
X6yov  [ttj?  T£TaY[A^vr<<;  a^co^opYJ;]  TsX^ot.  Das  Urtheil  des  Verstandes 
wird  diesmal  durch  das  Ohr  bestätigt.  Ebenso  bedeutet  die 
Phrase  schlechtweg  ^verhältnissmässig^  VIT,  36,  1  (wo  Stein  das 
Richtige  hat.  Lange  und  Krüger  mit  ihrem  ,der  Natur  der  Sache 
nach%  ,natürlich'  arg  irren).  Mit  , Verhältnisse  ist  Xcvo^  auch 
I,  186,  4  (im  Hinblick  auf  den  regelmässigen  Wechsel  der  Rohr- 
und Ziegelschichten);  11,  13,  14;  II,  14,  1 ;  V,  8,  4  wiederzu- 
geben, während  Vlll,  111,  11  x-aToe  Xf^ov  allerdings  =:  xaia  xb 
ol%o^  (so  Stein)  zu  setzen  ist.  Was  soll  es  aber  heissen,  wenn 
VII,  95,  15  von  den  vt;ffiwTat  gesagt  wird,  sie  seien  ursprünglich 
Pelasger  gewesen,  später  aber  lonier  genannt  worden  xa'za  tov 
auTOv  Xöyov  xai  oi  BuwSexonrdXieg  Hwve^  ol  ol'k  'AOt;v^(i)v?  Hier  soll 
xari  Tbv  ourbv  Xcyov  y.a(  mit  einem  Male  nicht  mehr  als  ein 
blosses  xora  tout«  x.ai, , ebenso  wie'  bedeuten  (Krüger  nach  Valcke- 
naer),  was  weder  mit  dem   Sprachgebrauch,   noch  mit  irgend 

Sitsunftbar.  d.  phiL-hist.  C1.    CHI.  Bd.  II.  Hft.  30 


538  Gompers. 

einer  der  Bedeutungen  von  Xö^oq  in  Einklang  zu  bringen  ist. 
Stein  übersetzt  ,au8  demselben  Grunde',  ,mit  demselben  Rechte^ 
und  erblickt  in  dem  Satze  eine  Fortsetzung  der  I,  142  gegen 
die  ausschliesslichen  Prätensionen  der  Zwölf-Städte-Ionier  ge- 
führten Polemik,  die  m.  E.  kein  Grieche  aus  den  Worten 
herauslesen  konnte,  um  so  weniger  als  dieser  vermeintliche 
Gedanke  hier  mit  keiner  Silbe  begründet  wird.  Dass  femer  die 
$(i>$exonc6X(e;  Icove;  nicht  mit  den  von  Athen  aus  Angesiedelten 
zusammenfallen,  hatte  zu  allem  Ueberfluss  unser  Historiker 
I,  147  gesagt.  Somit  waf  Valckenaer  sicherlich  auf  richtigem 
Wege,  als  er  den  Schluss  des  Satzes  aus  einer  Marginalglosse 
herleitete.  Nur  muss  man  aus  sprachlichen  wie  aus  sachlichen 
Gründen  den  ganzen  Satz  dahin  verweisen.  Es  ist  der  echt- 
bürtige  Bruder  des  Schlusssatzes  von  I^  134. 

Drei  Irrthtimer  Krüger's  erwähne  ich,  weil  sie  sich  auf 
demselben  Blatt  vereinigt  vorfinden,  vrfid^  (ü,  84  fin.)  ist  nicht 
nur  ,poetisch%  sondern  auch  ionisch  (vgl.  Ps.  Hippocr.  de 
arte  pass.);  bei  Herodot  begegnet  es  ausser  II,  37  (worauf 
Krüger  allein  verweist)  auch  III,  42;  IV,  71.  —  Der  Dativ 
in  der  Phrase:  piiaSb)  ^i^sX^vsovie^  86,  5  ist  keineswegs  in  den 
Genetiv  zu  verwandeln,  sondern  mit  Absicht  gewählt,  weil 
die  ägyptischen  Einbalsamirer  ,fixe  Preise^  und  die  Auf- 
traggeber nur  die  Wahl  zwischen  den  drei  Begräbnissciassen 
hatten,  mithin  kein  Feilschen  um  den  Preis  und  kein  Handel- 
einswerden stattfand ;  vgl.  Lysias  I,  §.  29 :  ey*^  ^^  '<?>  l*^'*  ex£iva> 
TtjjLiflJiaTc  oü  5^vexwpouv.  —  Endlich  zu  86,  8—9  (bei  der  Be- 
schreibung des  Einbalsamirungs- Verfahrens)  hat  der  treffliche 
Grammatiker  in  kaum  glaublicher  Weise  geirrt,  indem  er  in 
dem    Satze:    ta    jji^v    oörw '    e^flfYOvre?,    Ta   Ik    sY/iovts^    ^xpyLMia 


1  Mich  erinnert  dieser  Gebranch  von  o^tco  im  Sinne  von  ,so,  ohne  Weiteres, 
ohne  etwas  Weiteres  zu  thun*  an  die  verwandte  Bedeutnng-  der  Partikel : 
,so,  ohne  dass  es  weiter  etwas  zu  bedeuten  hätte*,  die  ich  bei  Plato 
in  einer  vielbehandelten  Stelle  des  Symposion  (21 7  D)  wiederfinde.  Ich 
mOchte  dieselbe  n&niUch,  jedenfalls  unter  Anwendung  gelinderer  Mittel 
als  bisher  versucht  wurden,  also  ordnen:  opirs  yxp  ort  Stoxpin;;  spcartxoic 
8(ax£iTai  ttuv  xaXtov  x«i  «ci  ;c£pi  toOto«;  sttiv  xai  IxnsiiXijxTat,  xa?  aS  ayvosT 
itavT«  xat  ov>Slv  oTötv,  fi»^  to  oyijiia  av»7oii  to3to  [oü],  aiXT,VfT)8c;.  v^poopa  yi 
Touto  yap  (1.  v^>06pa  ykp  touto  yt)  ouio;  (1.  ourtu;)  IJeuSfv  rsptß^XijTxt 
tMortp  0  ffXu{i.(JLi>N>{  9iXi]vo;  *  lv6o6ev  $i  xtI.   Natfirlich  ist  f^hi  oTdc  oiXi^vtkidc; 


die  Worte  zx  Ik  mit  ciz'tLVLx  verband ,  wie  steine  Verwei- 
sung auf  Dicht.  Synt.  50,  3,  2  beweist !  Richtig  erklärt  Stein : 
,Ti  5s,  sc.  £;iYsvT£^.  Dem  zFxm  des  ersten  Gliedes  entspricht  hier 
hf/izr^zz  ^iz\L3X3^.  Nur  moss  eben  dämm,  ich  denke  noth wendig, 
i^X^*^*^-^  geschrieben  werden;  sonst  wäre  die  Verbindung  eine 
ebenso  wenig  angemessene  wie  Vlll,  105  sxTi^xvwv  i^tvEiüv  sxcüXse 
i;  üf^!?,  wo  mir  Naber  mit  der  Verbesserung  ixTa^xiov  zuvor- 
gekommen ist  (lilnemos.  1854,  pag.  48 1\  Eine  gleichartige 
Corruptel  werden  wir  zu  III,  110  fin.  mit  Hilfe  der  bes:>eren 
Handschriftenfamilie  berichtigen  können. 

Ich  übergehe  mancheriei  EJeinigkeiten  und  komme  zu 
n,  104,  wo,  beiläufig  bemerkt,  die  von  unserem  Historiker  offen 
gelassene  Frage  nach  dem  Ursprung  der  Beschneidnng  jetzt 
wohl  dahin  entschieden  werden  kann,  dass  die  Sitte  sicherlich 
nicht  von  den  Aegyptem  zu  den  Negern,  eher  umgekehrt  von 
diesen  zu  jenen  gelangt  ist.'  Denn  wie  unwahrscheinlich  ist 
es  doch,  dass  äquatoriale  Negervölker  wie  die  Monbuttu  und 
Akka  (vgl.  Schweinfurth,  Im  Herzen  von  Afrika  II,  17)3)  von 
ägyptischen  (^dtureinfltissen  berührt  worden  seien.  Am  Ende 
jenes  lehrreichen  Abschnittes  ist  aber  meines  Erachtens  ein 
Elmblem  auszuscheiden  in  den  Worten :  4>stvtTwv  cxirst  ti;  'E/./isi 

II,  107,  2:    -rbv   Ik   i^  jjuÄsTv  tcuts,    xrr!xa   r-»|x^s'jA£J£3^j!   rf, 


so  gremeint,  wie  die  Dichter  xv".-*»  E^oitat  u.  dgl.  gebrmochen  [ygi.  Soph. 
Phil«K-t.  960  oder  Nani-k  zn  Antiar.  301 ;  rielleicht  ist  anch  Antig-.  71  so 
zn  venrtehen).  —  (Dääi  ein  VaticÄims  [1030  in  Bekker's  Ap|Mmitl  o-jT'o; 
statt  o'to;  bietet,  hat  wahrscheinlich  wenie  «n  bedeuten.) 

*  Wenn  man  nicht  vielmehr,  wie  bei  den  Rew«>hnem  der  Fidji  -  Inseln 
fTylor.  Eariy  hist.  uf  mank.  216)  «>der  bei  den  Katfem  (Backte,  Com- 
mon Place  BiHfk  n.  4  im  Index)  von  jedem  ins<«eren  Zusammenhang« 
absehen  darf. 

'  Die  richtitre  Wortstellung  zum  Minderten  ist  anch  \TIL,  129,  9  gestört 
worden  und  nach  SVR  herzustellen:  ra;  jxrv  oSo  (lotsa«.  Eine  gnTse^ere 
Zahl  vun  Fäulen,  in  welchen  die  Partikel  u£v  im  hen»doteis«chen  Texte 
aui^iallen  ist,  hat  Naber  zusammengestellt  'Mnemon.  I*<ri4,  p.  l*<2i. 
Sollte  nicht  auch  Ul,  31,  !i2  hieher  gehören:  ■•co;j:'*«j  »ov  tov  K3u^J7£o>, 
'^xsxptvwTo    auTu  outoc  xat   O'xxta  za*    x^^aAEa,    ^zti^vot    vo|aov    -'u?/    ouO£vx 

S6» 


540  Gomp«rs. 

TO  xat6{i.evov ,  auTOuq  Ik  e^'  IxeCvcov  sTcißaivovra^  6xa(dl^£o6at.  Toika  irocijcaK 
Tov  SicTworptv,  %ou  8uo  jA^v  Tü)v  7ua{B(i)v  xaiooco^vai  Tp6ini>  ToioOtw,  to'j^ 
§^  Xoi'^roüq  aico 7(1)0^ vat  £|i.a  T(p  xocTpi.  vo9r)f)ca^  $e  6  Zeaioorpt^  ec 
ty;v  At'YW'^o^  >^a'i  Tisajxsvo?  xbv  dScX^eöv,  tw  jacv  6|ji£Xa)  töv  iizru^fdcxs^ 
TU)V  Ta?  X***P*?  x.aTeaTpe<]^«TO,  to6t(i)  [a^v  TiBe  ixpi^corco.  —  Die 
Worte  Töv  —  xaT£aTpd^l;aTo  sind  vormals  von  Stein  mit  Recht  als 
eine  ungehörige  (auch  durch  ihre  Unvollständigkeit,  wie 
ich  meine,  als  Emblem  gekennzeichnete)  Wiederholung  aus 
dem  Anfang  des  Capitels:  toSv  eövewv  twv  t^c?  X^P^^  xöcrcoTpol^aro, 
erkannt  worden.  In  dem  Satzglied  tou^  —  -rcorpi  hat  Krüger 
die  Erwähnung  der  Gemahlin  des  Sesostris  vermisst,  und  er 
schlug  zweifelnd  vor ,  xal  rf^  jAYjTp{  ergänzend  hinzuzufügen.  Der 
Anstoss  scheint  mir  wohl  begründet,  das  Heilmittel  verfehlt. 
Ich  halte  die  Worte  gleichfalls  für  ein  Emblem,  welches  sich 
durch  seine  Entbehrlichkeit  und  seine  Unvollständigkeit  eben 
als  solches  verräth.  Die  Handhabe  dazu  mochte  die  Verkennung 
des  [xdv  solitarium  bieten,  ein  Umstand,  der  auch  121  e,  14  min- 
destens die  Einschaltung  eines  (dem  Zusammenhang  widerstrei- 
tenden) H  in  mehreren  Handschriften  bewirkt  hat 

n,  116  heisst  es  von  Homer,  er  habe  den  ägyptischen 
Aufenthalt  der  Helena  zwar  gekannt,  aber  für  die  dichterische 
Darstellung  des  trojanischen  Krieges  minder  geeignet  befunden 
und  darum  bei  Seite  gelassen,  BirjXcixjai;  w;  x.ai  toütov  iidfnouxo  tov 
Xö^ov  8^Xov  (1.  StjXoT)  ^k  yjxvol  'rcap6TCo(r,a6  (so  Bekk.)  ev  'IXti3t  — . 
Meine  Aenderung  erheischt  der  allgemein  herrschende  Sprach- 
gebrauch.'    Die   Schreiber    haben    hier    gerade  so   geirrt  wie 


E(eup{ax£tv  o(  xeXeuei  a8EX9£bv  auvotx^Eiv  a8sX9£^,  aXXov  (x^vtoi  i^Evpijxivsi 
vo{jLov  xtI.  ?  Die  Schärfe  des  Gegensatzes  lässt  hier  (anders  als  z.  B.  YIII. 
42  fin.)  die  Concessivpartikel  vor  [ji^vroi  kaum  als  entbehrlich  erscheinen. 
*  Auf  die  Schlussworte  des  Capitels:  ev  To^ioiai  Totai  Ijcsai  Sr^Xot  x-ri.  kann 
man  sich  gleichfalls  insofern  berufen,  als  sie  augenscheinlich  das  Obige 
wieder  aufzunehmen  bestimmt  sind.  Ob  sie  übrigens  von  Herodot's 
eigener  Hand  herrühren  oder  die  Grenzen  der  hier  längst  erkannten 
Interpolation  sich  weiter  erstrecken,  als  man  gemeiniglich  annimmt,  dies 
ist  eine  der  vielen  derartigen  Fragen,  in  Betreff  deren  ich  mir  yorlänfig 
Zurückhaltung  auferlege.  Mit  erträglichem  Geschick  durchgeführte  antike 
Interpolationen  lassen  sich  oft  nicht  mit  voller  Sicherheit  als  solche  er> 
weisen,  und  man  thut  vielleicht  bei  einem  so  vielfach  verunstalteten 
Texte,  wie  es  der  herodoteische  ist,  besser  daran,  sich  zunächst  auf  die 
Besprechung  solcher  Verderbnisse  zu  beschränken,   die  streng  erweisbar 


H«rodotoische  Studien  11.  541 

mehrere  neuere  Herausgeber,  welche  117  in.  xora  touTa  Ik  t« 
licea  xal  xoSe  [xb  x^P^o^  s^d«  Valcken.]  oux  f^xiOT«  dXXa  (jiaXtdTa 
BijXov  schreiben,  während  die  Handschriften  einstimmig  StjXoT 
(,e8  erhellt')  darbieten.  Der  impersönliche  oder  subjectlose  Ge- 
brauch von  Jt;Xot  aber  ist  meines  Erachtens  wie  hier  von  Val- 
ckenaer  und  seinen  Nachfolgern  (s.  jedoch  schon  Schweighäuser's 
Berichtigung  im  Lexic.  herod.),  so  auch  HI,  82,  5  seit  jeher 
verkannt  worden  in  den  Worten:  xat  ev  toutw  JtjXoi  xal  outo;  w; 
1^  ixoüvapxdf]  xpiitoTov.  Mein  Einwand  freilich:  ,nicht  der  aus  der 
Pöbelherrschaft  auftauchende  Monarch,  sondern  der  Kreislauf 
der  Dinge^  der  auch  auf  diesem  Wege  wieder  zur  Monarchie 
zurückfuhrt,  ist  der  Beweis  fiir  die  Güte  dieser  Regierungsform' 
möchte  leicht  als  übersubtil  verworfen  werden.  Allein  jeden 
Widerspruch  schlägt  der  Rückblick  auf  den  kurz  vorangehenden 
Parallelsatz  nieder:  xal  ev  touto)  Bi^Se^s  Saw  eaii  touto  dtpiorov. 
Man  schreibe  daher  mit  einer  Aenderung,  die  uns  schon  so 
häufig  als  nöthig  erschienen  ist,  auch  hier :  xal  ev  xouro)  SiqXoT 
xal  oiiTb)  üx;  1^  (JLOuvap^iT;  xpariaiov. 

n,  124,  3:  epvdl^ovto  ik  xstBc  S^xa  {xuptaBa^  avOp(i>x(i)v  oiei,  tt)v 
xpijiTjVov  SxaffToi.  So  ist  nothwendig  zu  interpungiren  und  zu 
schreiben,  wenngleich  diesmal  schon  im  Archetypus  derselbe 
Fehler  sich  vorfand  (ixaatiQv),  der  H,  168,  18  (KaXadtpiwv  yCMoi 
xai  *Ep(AOTuß{(i)v  e^opu^opeov  iviouTov  exaaTCi  xbv  ßaciX^a)  in  Hand- 
schriften der  ersten  Classe  und  IX,  93,  9  (ouroi  fuXicaoüat  eviauibv 
ixaoTo?)  in  solchen  der  zweiten  Classe  angetroffen  wird;  an 
ersterer  SteUe  bieten  nämlich  R  und  S,  an  letzterer  der  Mediceus 
von  erster  Hand  Sxaorov.  Dieselbe  unwillkürliche  Assimilirung 
benachbarter  Worte  hat  auch  H,  156  in.  eine  bisher  nicht  be- 
merkte Irrung  erzeugt  in  dem  Satze:  outo;  (Aev  vuv  6  vt;b^  xcov 
9avep(i5v  jaoi  tcov  xept  toüxo  to  lp6v  eort  OcjuixaaicoTato^,  tcov  Se  8euT6ph)v 
vfj9o<  il  Xi[L\u^  xaXeujJb^vY].  Oder  sollte  Herodot  wirklich,  nachdem 
er  die  Hauptmerkwürdigkeit  des  Ortes  genannt  hat,  fortfahren : 
,unter  den  Dingen  zweiten  Ranges  aber  ist  die  Insel  Chemmis 


iind  oder  ohne  Beweis  Jedermann  einleuchten,  und  dadurch  den  We(^ 
zu  ebnen  für  die  Erkenntniss  und  schliessHche  Ausmerzung  auch  der 
tiefer  Heftenden  Schiden.  Nur  so  viel  wird  man  mir  vielleicht  ohne 
Weiteres  zugeben,  dass,  falls  auf  116,  19  xat  euc  e;  SiScöva  ttj^  <l>otv{xr^; 
aazbuxo  unmittelbar  folgte  117  xara  tauTa  t\  ta  hztoL  xtI.,  der  Text  keine 
Einbusse  erlitte,  die  nicht  leicht  zu  verschmerzen  wäre. 


542  (iomperz. 

die  merkwürdigste?'  Warum  führt  er  doch  von  diesen  Bsutepa  im 
Folgenden  kein  einziges  an,  und  weshalb  sollte  er,  der  Meister 
planer  und  natürlicher  Darstellung,  diesmal  eine  so  gewundene 
Ausdrucks  weise  gewählt  haben?  Er  schrieb  vielmehr  sicher- 
lich: Twv  hk  SeuTspov  —  ,the  next  greatest  marveP,  wie  Raw- 
linson  völlig  sinngemäss  übersetzt.  Wer  sich  aber  daran  stossen 
sollte,  dass  die  Adversativpartikel  nicht  bei  SeuTspcv  steht  (Beixspsv 
5s  TouTwv),  der  sei  auf  Stellen  verwiesen  wie  III,  128  in. :  Astpsbr 
[A^v  TaOra  eireipcoTa,  tw  Se  d'vSpe^  Tpii^^vta  uTtdffTYjcav  — ;  V,  81 : 
Tou?  [xev  AiaxiSai;  a^i  a-eTTSfjupav,  twv  Se  avSpöv  eBeovTo  (mit  Krügers 
Anm.);  VII,  36  in.:  xal  ol  fjiev  toöt«  ewoieov,  —  Taq  5s  oXy^ot  opyj- 
T^x.TovE^  el^su^vucov.  Herodot  liebt  es  eben  Personalpronomina  so- 
wohl als  den  sie  vertretenden  Artikel  an  die  Spitze  des  Satzes 
zu  stellen  und  die  Adversativpartikel  unmittelbar  daran  zu 
knüpfen,  eine  Eigenthümlichkeit,  von  welcher  der  Gebrauch  von 
6  8s  =  aXXa  (s.  Krüger  zu  I,  17,  §.  2)  ein  bekannter  Special- 
fall ist.i 

1  Wie  diese  Eigenthümlichkeit  der  herodoteischen  Syntax  hier  an  einer 
leichten  Trübung  der  Ueberlieferung  mitschuldig  ist,  so  hat  sie  Vm,  25 
ein  grobes  Missverständniss  und  eine  schwere  Interpolation  erzeugen 
und  verdecken  helfen.  Ich  meine  die  Einschiebung  der  aas  YII,  228 
entnommenen  Worte  Teaaspe^  ^^iXtaos;,  die  von  C.  Heraeus  (Jahrb.  1868, 
507 — 510)  in  vollständig  überzeugender  Weise  erwiesen  worden  ist.  Da 
Gründe  hier  ihre  Kraft  erschöpft  zu  haben  scheinen  (Stein  zum  Min- 
desten ist  durch  jene  Darlegung,  die  man  fUr  eine  endgiltige  halten 
sollte,  von  dem  alten  Wahne  nicht  geheilt  worden),  so  darf  ich  viel- 
leicht ausnahmsweise  das  bemerken,  was  ich  so  häufig  zu  bemerken 
unterlasse,  dass  ich  schon  lange  vor  Heraeua  durch  genau  dieselbe  Be- 
weisführung zu  genau  demselben  Resultate  gelangt  war  und  auch  heute 
(nach  fast  dreissig  Jahren)  an  jener  Argumentation  und  ihrem  Ergeb- 
niss  unerschüttert  festhalte.  —  Nur  in  einer  Kleinigkeit  hat  Heraens 
geirrt  (und  darum  allein  komme  ich  auf  die  Sache  zurück),  nämlich 
darin,  dass  er  twv  in  twv  [jl^v  y\Xio\.  s^afvovro  xE{[jL£vot  vExpof  für  ,demon- 
strativ*  gebraucht  hielt.  Es  ist  vielmehr,  denn  in  jenem  Falle  würde 
man  ein  yip  vermissen,  das  Relativ  und  g^lt  einem  louicuv  yip  gleich, 
wie  so  oft  bei  Herodot,  z.  B.  I,  210,  U;  VII,  154,  12  oder  UI,  U, 
19:  To  81  Tou  haipoli  7:i0o(  (diese  Yulgat-Lesart  und  nicht  das  niv8o;  der 
besten  Handschriften  wird  von  Sinn  und  Zusammenhang  gebieterisch  ge- 
fordert) yjv  a^iov  §axpu(ov,  o;  ex  tioXaöjv  ts  xai  £OBai|Jidv(ov  ixT^earov  i;  :;t'u- 
j^Tjfijv  antxTai  67:1  yr^pao;  oö8ü).  Dieser  Gebrauch  ist  mehrfach  verkannt 
worden  und  hat  wiederholt  die  Einschaltung  eines  yip  in  der  zweiten 
Handschriftenclasse  veranlasst,    so:  VH,  137:  oi  [yap  om.  8VR]  jujisöiv- 


Herodotoische  Stadien  11.  543 

Jene  Verderbniss  von  ixaatoi  erinnert  mich  aber  an  die 
analoge  Comiptel  III,  18, 12  (in  der  Schilderung  des  sogenannten 
Sonnentisches  der  Aethiopen) :  eg  tbv  xa^  [xev  v6x.Ta;  iTzirrfieüorca^ 
TiO^vat  Ta  xpi«  Toy?  ev  TdXeV  ^xactou^  eoviaq,  wofUr  man  nothwendig 
schreiben  muss:  tou(;  ev  teXei  ixiatoie  sovra^,  gerade  so  wie  es 
IV,  180,  21  heisst:  xotvi)  -rcopOevov  'njv  xaXXtoreGouaov  exadtoxe  — . 
(Anders  geartet  und  unanstössig  ist  IV,  33,  9:  azo  ^k  ZxuOsb>v 
ffiri  —  Tou;  xXtjJtoxwpoui;  ixdaroü^.)  Kaum  der  Erwähnung  werth 
scheint  es,  dass  die  entgegengesetzte  vVerderbniss  (ixaTcote  statt 
sxaaroiat)  II,  174,  3  in  SVR  begegnet. 

II,  134  fin.  lautet  in  allen  mir  bekannten  Herodot- Ausgaben 
(von  einer  abgesehen,  von  welcher  später  die  Rede  sein  soll) 
wie  folgt :    STcei  t6  -^ap  icoXXaxi^  xTjpuaaovrwv  AeX^v  ex  Oeoicporciou  Iq 

'laBfjiovo?  5^  xatSb?  xoi;  oXXo^  laSixcov  avetXeto.  Stein  geht  (oder 
ging  doch  in  den  ersten  Auflagen  seines  Commentars)  über  die 
wundersame,  ja  beispiellose  Construction  stillschweigend  hin- 
weg; er  scheint  es  daher  mit  Lhardy  und  der  grossen  Mehr- 
zahl der  Herausgeber  fUr  statthaft  zu  halten,  dass  mit  laBpiovo^ 
Ik  der  Nachsatz  beginne;  Krüger  meint,  dass  dies  ,nicht  fUg- 
lich^  der  Fall  sein  könne  und  glaubt  dadurch  Hilfe  zu  bringen, 
dass  er  nach  avetXero  einen  Beistrich  setzt  und  die  nachfolgenden 
Worte  oI/ra>  xal  A?9a>ico^  laSpicvo^  eY^vsto  als  Nachsatz  ansieht,  — 
eine  Annahme,  deren  UnmOgUchkeit  sofort  erhellt,  wenn  man 
die  Stelle  im  Zusammenhange  liest.  Mir  ward  dieses  Satz-Un- 
gethüm,  welches  sich  freilich  durch  eine  ebenso  leichte  als 
sichere  Aenderung  berichtigen  lässt,  der  Anlass,  die  Frage  nach 
der  Zulässigkeit  des  li  in  apodosi  einer  umfassenden  (auch 
auf  Homer  sich  erstreckenden)  Untersuchung  zu  unterziehen. 
Ich  konnte  mich  dieser  Nothwendigkeit  um  so  weniger  ent- 
schlagen, als  ich  zwar  auf  mancherlei  nützUche  Zusammen- 
stellungen und  richtige  Einzelbeobachtungen,  hingegen  auf 
keinen  einzigen  Versuch  traf,  diese  anomale  Spracherscheinung 
in  ihrer  Totalität  bei  diesem  oder  bei  einem  andern  Schrift- 
steller zu  behandeln,  die  Grenzen,  innerhalb  deren  sie  sich 
bewegt^  und  die  Bedingungen,   welchen  sie  unterworfen  ist, 


lEC  u3cb  AatxESaipiov{<üv  xre.,  oder  VI,  15,  5,  wo  nicht  nur  "^ap  eingeschoben, 
sondern  auch  oT  getilgt  ward  (Zeitschr.  für  Osten-*  Gymn.  1859,  8.  828). 


544  Gomp«rc. 

in  erschöpfender  Weise  zu  ermitteln.  Die  den  herodoteischen 
Sprachgebrauch  betreffenden  Ergebnisse  sind  in  Ktbrze  die  fol- 
genden. Vor  allem  Andern  ist  jene  Construction  bei  unserem 
Historiker  an  eine  ausnahmslose  Regel  gebunden:  de  im 
Nachsatz  lehnt  sieh  immer  an  ein  Personal-Pronomen 
an  oder  an  den  als  ein  solches  gebrauchten  Artikel.  —  (Anders 
ist  es  bei  Homer,  bei  dem  nicht  selten  Zeitpartikeln  und  auch 
andere  Wortarten  an  der  Spitze  derartiger  Sätze  erscheinen, 
und  welchen  daher  Krüger,  Di.  Synt.  50,  1,  11,  in  diesem  Be- 
tracht nicht  mit  Herodot  auf  eine  Stufe  stellen  durfte.)  Ferner  zer- 
fUllt  die  Gesammtheit  der  authentischen  Fälle  in  drei  Gruppen, 
die  sich  in  Kürze  wie  folgt  charakterisiren  lassen: 

A.  Wiederholung  des  apodotischen  Bs  aus  dem  Vorder- 
satze. 

B.  Auftreten  desselben  in  Nachsätzen  einer  Doppel- 
periode (deren  beide  Hälften  jedoch  nicht  stets  gleich- 
massig  ausgeführt  sind). 

C.  Eigentlich  anakoluthischer ,  durch  begrifflichen 
Gegensatz  motivirter  Gebrauch  des  li  =  einem 
aXXi. 

Nachdem  Werfer  (acta  philol.  monac.  I,  88  sqq.)  und  Buttmann 
(im  12.  Excurs  zur  Midiana)  die  Frage  vielseitig  und  grund- 
legend behandelt,  Lhardy  und  Stein  (insbesondere  zu  I,  112 
und  n,  39)  nützliche  Bemerkungen  und  Sammlungen  hinzu- 
gefügt hatten,  habe  ich  vor  Jahren  das  Gesammtmateri&I 
zusammenzustellen  versucht,  wobei  mir  hoffentlich  nichts,  jeden- 
falls nichts  Erhebliches,  entgangen  sein  dürfte.  Ich  ordne  die 
Stellen  also: 

A,  I,  138  in.  Taut«  Se  (Se  add.  Vindob.);  163  5  (ein  Satz  der 
alles  UngefUge  verlöre,  wenn  wir  statt  dx;  [Z.  2j  l<;  schreiben 
dürften  [man  vgl.  HI,  120  6  oder  IV,  52  2  fUr  otrrw  $<  ti 
mit  folgendem  Relativ]);  171  fin.j  H,  50  17,  61  3,  111  i9, 
120  10;  m,  37  11 ;  IV,  66  fin.;  IV,  81  7?  (ich  vermuthe 
nämlich :  (iyÄ)  8^)  wSe  aTjAwaü),  vgl.  IH,  37  und  IV,  99)  99  l, 
204  8;  V,  37  16;  VI,  16  u,  58  21,  157  17;  VIÜ,  115  28; 
IX,  63  8,  85  9. 

B,  I,  13  4*,  173  3*,  196  i;  H,  26  22,  39  10*,  42  in.,  102  6, 
149  7*,  174  5;  m,  36  21*,  69  0,  133  24;  IV,  3  2*,  61  u, 


Hwodoteitcha  Stadien  11.  545 

65  21*,  68  11*,  94  10*,  126  4*,  165  in  *  (wo,  nebenbei  be- 
merkt, Stein  das  t^coi;  der  Handschriften  in  Itoq  verändert^ 
während  er  im  ganz  gleichen  P^'alle  J,  173  3  diese  Aen- 
derung  vorzunehmen  unterlässt.  Dass  t£od^  mehrfach  re- 
lativ angewendet  wird,  erhellt  zumeist  aus  einer  Anzahl 
hippokratischer  Stellen  [s.  Thes.],  am  deutlichsten  aus  de 
morb.  sacr.  c.  16,  wo  man  sinnwidrig  liest:  w;  Äv  [f.i'tiyri 
Toö  T^ipo^,  die  besten  Handschriften  aber  —  darunter  der 
Vindob.  und  Marcian.  —  t6  ox;  bieten  d.  h.  t^w^;  auch  bei 
PlatoSymp.  191 E  würde  ich  die  alterthümliche  Form  nicht 
wegcorrigiren);  V,  1 6*,  73  8*;  VI,  52  i*;  VII,  159  24, 
160  9*,  188  4*;  IX,  6  in .*,  48  18*,  63  9*,  70  lO.  (Derartige 
Doppelperioden  ohne  H  in  apodosi  erscheinen  z.  B.  ü, 
121  6;  m,  108  13;  HI,  158  16,  wo  ouroi  jxiv  aus  SVR  zu 
entnehmen  ist,  halb  ausgeführt  I,  184 — 185  u.  s.  w.) 

C.  1,  112  18  (vgl.  aXXa  in  IX,  42  23);  HI,  68  16;  V,  40  15; 
Vn,  51  9,  103  18  (Gegensatz  der  Personen  wie  bei  aXXa 
Vn,  11  2  oder  IX,  48  15);>  VUI,  22  ii;  IX,  60  24. 

Aus  dem  Rahmen  von  B  tritt  scheinbar  heraus  VI,  30  in. ; 
eine  Ausnahme,  welche  jedoch  in  Wahrheit  die  Regel  bestätigt: 
denn  die  Doppelperiode  ist  nur  darum  nicht  zur  Ausführung 
gelangt,  weil  die  eine  Alternative  zwar  hypothetisch,  die  andere 
aber  wirklich  ist.  Viele  ähnliche  Fälle  (über  welche  Werfer 
pag.  94  zu  vergleichen  ist)  mussten  wir  unter  A  stellen.  Des- 
gleichen steht  von  dem  Gros  der  unter  C  vereinigten  Stellen 
ein  wenig  abseits  HI,  108  l :  cteov  b  (nL6iJLvo<;  —  «PXI'^*^  3ia>tiv6Ö|jL€vo^ 
—  b  Ik  aixuaaei  xa?  M-T^tpa^,  wo  das  Unerwartete  der  Thatsache, 
dass  das  Junge  im  Mutterleib  diesen  theilweise  zerstört,  die 
Wahl  des  ungewöhnlich  lebhaften  Ausdrucks  augenscheinlich 
veranlasst  hat.  Endlich  tritt  in  kaum  merkhcher  Weise  aus 
dieser  dritten  Reihe  heraus  IV,  189,  17 — 20:  xXtjv  yap  Sit  —  xa 
Ik  iXX«  -KctnoL^  wo  Steins  Aenderung  des  3ä  in  y«  schwerlich  be- 
rechtigt ist  und  die  —  leichte  —  Anomalie  nur  darin  besteht, 
dass  der  Artikel  als  solcher  und  nicht  pronominal  gebraucht  ist. 


^  Ist  nicht  auch  Vm,  140«,  19  zu  schreiben:  (ol>.X*)  SXXij  rMpioxan  Ko\Xca:\i\' 
a{i),  gleichwie  (nach  Krfiger's  Überaus  ansprechender  Vermuthung)  VI, 
13,  6 :  (oXX^  oXXo  99t  lunpiaxaLi  TCCVTflncXvJortov  ? 


546  Qompers. 

Man   sieht^   dass   diese   anomale  Gebrauchsweise  sich  bei 
Herodot  in  sehr  engen  Grenzen  bewegt.  A  und  C  sind  Special- 
fklle   allgemeinerer ;   weit  umfassenderer   Sprachphänomene  — 
der  Wiederholung  oder  Epanalepsis  einerseits,    die  ja  ebenso 
bei  anderen  Partikeln  (wie  eben  hier  bei  jx^v)  und  desgleichen  bei 
anderen  Wortarten  und  ganzen  Satzgliedern  auftritt  und  bei  li 
selbst  auch  ausserhalb  der  Apodosis^   —   der  ebenso  gelinden 
als  wohl   motivirten  Anakoluthie  andererseits,  die    bei  Schrift- 
stellern, welche  nicht  Herodot's  Vorliebe  für  die  VoransteUung 
des  Personal-Pronomens  theilen,  durch  ein  die  Construction  kaum 
störendes   aXXa    bewirkt   wird    (et    |x^   -repÖTcpov,    aXXot   vi5v).     So 
bleibt  denn  als  etwas  Eigenthümliches  und  der  Erklärung  Be* 
dürftiges  nur  B  zurück,  oder  genauer  gesprochen  —  denn  das 
8e  im  Nachsatz  der  zweiten  Periode  kann,  streng  genommen, 
auch  als  ein  Specialfall  von  A  gelten  —  jene  neunzehn  Fälle, 
die  wir  durch  ein  Sternchen  ausgezeichnet  haben.    Ueber  diese 
ist  einfach  zu  sagen,    dass  unser  Autor  aus  der  imgleich  weiteren 
aber  freilich  auch  nicht  imbegrenzten  Gebrauchssphäre  Homer's 
diesen  Rest  der  ursprünglichen  Parataktik  als  ein  Kunstmittel 
übernommen  hat,  welches  dazu  dient,  eine  Doppelperiode  durch 
scharf  pointirende  Hervorhebung  ihrer  einzelnen  Bestandtheile 
innerlich  zu  gliedern.  Sehr  bezeichnend  ist  in  diesem  Betracht 
die  Beifügung  von  tots  (i^  Je  tots  ü,  149  7,  wofUr  es  bei  Homer 
To^pa  Be  geheissen  hätte),  gleichwie  das  Fehlen  des  Si  bei  jenen 
Nachsätzen,  deren  Inhalt  aus  dem  Vordersatze  wie  etwas  Selbst- 
verständliches  hervorgeht   (z.  B.   H,  174  6),  und   seine  Hinzu- 
fügung  dort,    wo   die  Apodosis    als   etwas  Unerwartetes   und 
Ueberraschendes  sich   der  Protasis  gegenüberstellt  (vgl.  insbe- 
sondere in,  36  21  5   in,  133  24  [denn  das  Geheimhalten    einer 
Krankheit  ist  die  Ausnahme,   die  Herbeirufung  des  Arztes  die 
Regel];  IV,  61  U;  VI,  52  15  VII,  159  24.)     Doch   die  Anerken- 
nung  dieser   drei  Gebrauchsweisen   ist   nicht   neu   (wenngleich 
Buttmann's  feine  Unterscheidungen  von  Späteren  wieder  viel- 
fach  in    Verwirrung  gebracht   wurden),    wohl    aber   die  Ver- 
bindung  dieser   Normen    mit   der    zuerst  erwähnten   imd    die 
Einsicht,  dass  die  unserem  Doppelkanon  widerstrebenden  Fälle 
bei    Herodot  ausnahmslos  auf  Textesfehlem  oder  auf  falscher 
Erklärung  beruhen,  wie  die  nachfolgende  Musterung  derselben 
lehren  soll. 


Herodoteische  Stadien  II.  .  547 

1.  n,  32  14:  eicei  iv  lob^  veiQviou;  diroTcsfAxojJiivoüg  urco  twv  i^X(- 
x(i)v,  l>SaT{  T6  xai  atxtetat  eu  65Tr;pTujii^voü<;,  Uvai  Ta  zpCdxa  [jiev  8ia  rf^q 
otxeo|AdvYj<;,    Ta6TTQV    ^l   Jie^eXOovra;    ei;   tt)v   0Y2pUi>Sea   ixixicOai,    ex  5i 

Sis^eXOövTai;  8e  x^pov  xoXXbv  <]/aix(ji.b>S£a  — .  Diese  Stelle  muss 
hier  darum  Erwähnung  finden^  weil  kein  Geringerer  als  Gottfried 
Hermann  zu  Viger.  (n.  241,  pag.  784)  den  Nachsatz  mit  den 
Worten  Sis^sXOovxa^  §£  beginnen  liess,  —  eine  Annahme,  die 
ganz  unabhängig  von  der  Frage  nach  der  Zulässigkeit  eines 
derartig  gebrauchten  apodotischen  Be  unbedingt  zurückzuweisen 
und  in  der  That  wohl  von  sämmtlichen  Interpreten  vor  und 
nach  Hermann  verworfen  worden  ist;  denn  (um  mit  Matthiae 
zu  sprechen)  ,in  protasi  commemorari,  tamquam  aliunde  vel 
per  se  satis  nota,  non  possunt  ea  quae  et  nondum  commemorata 
sunt  et  Caput  narrationis  continent*.  Dabei  muss  es  nothwendig 
sein  Bewenden  haben,  man  mag  nun  welches  immer  der  bisher 
vorgeschlagenen  Heilmittel  (unter  denen  Reiske's  Verwandlung 
von  ixei  in  sixetv  oder  sTicai  [so  auch  Stein]  den  meisten  An- 
klang gefunden  hat)  in  Anwendung  bringen  oder  es  mit  Herold 
flir  das  Wahrscheinlichste  halten,  dass  der  Sitz  des  Fehlers  in 
aÄOW6|XTCOfji.evoü?  zu  suchen  und  durch  die  Herstellung  des  Infinitivs 
ÄTCOTC^jAXEoOai  zu  heben  ist. '  Vgl.  die  Beispiele  dieser  Construction, 
welche  Lhardy  zu  I,  24  zusammengestellt  hat,  auch  III,  50  4-5: 
£xe(T6  ii  a^eaq  axez^iJLxeTo. 

2.  Noch  schlimmer  steht  es  mit  der  nach  Gaisford  und 
Stein  jeder  handschriftlichen  Grundlage  entbehrenden 
Vulgat-Lesart  IH,  26  3  in  dem  Satze :  exeiSt)  ex.  tSJ?  Dfle9io<;  laOrr;? 
Uva».  Sia  -nj;  t]/i|A|i.oü  irt  d^e«?,  Y^^^aOai  Te  [autou;?]  jJieTa^u  xsu  (xa- 
Xiora  ouTtov  xe  xai  tyj^  Dolaioq,  deptcTOv  aipsojAevoiai  auxoT«  eicixveü- 
ffai  v6tov  [ki-^ON  Te  xal  e5a*'(Jiov  xts.  Hier  hat  der  Herausgeber 
der  Aldina  und  die  Mehrzahl  seiner  Nachfolger  (jedoch  nicht 
mehr  Schweighäuser  und  Gaisford,  wenngleich  auf  fHiliger  Weise 
wieder  Bekker)    ein    8e   zwischen   apiorov   und    a'tpeoiASvoiai   ein- 


<  Dies  schlugt  Herold ,  wenngleich  zweifelnd  vor  emend.  herod.  II,  6, 
indem  er  auch  auf  die  gleiche  Verderbniss  im  cod.  Flor.'  (I,  2,  2) 
hinwies,  Hermann^s  Irrthum  vielleicht  noch  besser  als  Blatthiae  wider- 
legte und  Bredow's  missverst&ndliche  Auffassung  von  IV,  10,  19  (de 
dial.  herod.  107)  endgiltig  beseitigte. 


548  Oomperz. 

geschoben,  augenscheinlich  in  der  Absicht,  den  Satz  deutlicher 
zu  gliedern,  wobei  die  Meisten  wohl  gleich  Kj-Üger  den  Nach- 
satz bei  Ysvd(j6at  xe  beginnen  lassen  wollten,  sicherlich  nur  Wenige 
mit  Lhardy  diese  Verwendung  des  apodotischen  Se  fiir  möglich 
oder  zulässig  hielten. 

3.  Der  erstaunliche  Irrthum,  den  ein  hervorragender  Gram- 
matiker hier  begangen  und  hartnäckig  festgehalten  hat,  nöthigt 
uns   zu  einer  kurzen  Bemerkung  über  die  nachfolgende  Stelle 
(IV,  72  4):    Tü)v  8s  5y)  veT)vi(j>uov  twv  a-iroTcexviflAevwv  twv  zem^xavTi 
Sva  sxarrov  dvaßißal^oufft  iid  tcv  Tttiuov  (1.  ii:'  Txtcov,  vgl.  S.  572),  iBe 
dvaßißdel^ovTe?  •    eitsav   vexpou  £x.aaTO'j  wapa  t7)v  oxavOav  ^Xov  cp6bv  8t- 
sXacwffi  |x^pi  Tou  TpaxT^Xou*    xaxwOsv  Se  uTcepexei  "cou  ^'jXou  xtI.    Hierzu 
bemerkt  Krüger,  auch  in  der  letzten,  nach  seinen  handschrift- 
lichen Aufzeichnungen  vervollständigten  Auflage    seines  Com- 
mentars:   ,Hier  liegen  Fälschungen  vor.     Denn  abgesehen  von 
dem   8^,    das  Herodot  im  Nachsatze   so   nicht   zu   gebrauchen 
pflegt,   fehlt   auch   die  Darstellung   des   dvaßißaJ^eiv  selbst.  .  .  . 
Eine  Lücke  nach  ipoc^-fiko^j  annehmend  lese  ich  jetzt  (in  2.  Aufl.) : 
xoTcoOev  i-fi  oder  to  (5)  xätwOsv  urcspexsi  fou  §6Xoü  toutou  iq  — .  Die 
Worte  exedv  —  Tpa/T^Xoü  bilden  natürlich  (wie  auch  Stein  richtig 
erkannt  hat)   keineswegs  die  Protasis  zum  Folgenden,  sondern 
die  an  wSe  unmittelbar  sich  anschliessende  Erklärung,   die  He- 
rodot allerdings  gewöhnlicher  durch  einen  Participialsatz  liefert. 
Er  hätte  sagen  können:  wSe  dvaßißal^ouai*  SieXadavie;  xts.,  gerade 
wie  er  (und  darauf  verweist  Krüger  selbst  zu  IV,  48)  H,  2  2 
sagt:    8(8(i>ai  TCoipievi  tpe^Etv  i?  xd  icoifxvCa  Tpo^i^v  tiv«  Toti^vÄe'    ev- 
TetXd|i.evo<;  jjLTjS^va  y.zL     Doch   ermangelt  auch   die  vorliegende 
Ausdnicksweise  nicht  einer  genau  zutreffenden  Parallele;   VTI, 
15  fin.  lesen  wir:   eöpiaxw  8^  ä8'  äv  Y'^o|xeva  lauta*    et  Xoßoi^  t^jv 

4.  rV,  76  19:  TouTo  jasv  ^ä^P  'Avi^op^i?  Ixeixe  y^v  woXXtjv  Oeo)- 
pi^ff«?  xal  dbco8£5a[A6vo?  xor'  outtjv  ao^iTjV  -rcoXXtjv  Ix.o[jl{I^6to  e^  iffita  ti 
2x.uÖ6(i)v,  7:Xi(i)v  8t'  *EXXr,{jTr6vTou  wpoffioxe«  ^?  K6i;tx.ov  xtI.  Hier 
bieten  mehrere  Handschriften,  darunter  jedenfalls  der  Mediceus 
und  Florentinus:  *    xXewv   Ik   8t'  'EXXtjctcovtoü,   der  Sancroflianas 


^  Wenn  ich  mich  nicht  bestimmter  ausdrücke,  so  ist  daran  der  Widerstreit 
der  Angaben  Schuld.  Nach  Stein  fehlt  dieses  U  in  P  (d.  h.  Parisin.  1633), 
während  Qaisford  das  Gegentheil  behauptet. 


Herodotoiaeha  Stadien  II.  549 

und  Vindobonensis  hingegen  statt  Se  5t'  nur  V ',  der  Vatieanus 
nur  li,  der  Parisinas  1633  (?)  und  die  Aldina  nur  3t\  Der  letzteren 
ist  ein  Theil  der  Herausgeber  ohne  Weiteres  gefolgt,  während 
Andere  (wie  Krüger)  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  angeb- 
liehen  Ueberlieferung  äusserten,  wieder  Andere  (gleich  Bekker) 
die  Interpunction  änderten^  um  den  Nachsatz  nicht  mit  jenem 
i:X^b>v  §1  beginnen  zu  lassen,  und  wohl  der  einzige  Lhardy  das 
,ii  in  apodosi'  unanstössig  fand,  indem  er  sich  auf  unsere  Nr.  3 
berief!  Die  unserem  Doppelkanon  und  zugleich  aller  und 
jeder  Analogie  widersprechende  Instanz  kann  mithin  schon  durch 
das  Schwanken  der  handschriftlichen  Ueberheferung,  durch 
das  ihr  wenig  günstige  Zeugniss  der  besseren  Famihe  und  zu- 
gleich  durch  das  nahezu  einstimmige  Urtheil  aUer  einsichtigeren 
Herausgeber  als  beseitigt  gelten. 

5.  VI,  76  in.  liest  man:  iizti-ct  8s  SwapTiiixa?  dt^wv  dx(xeTO 
&k\  TCOTafji^v  'Epacivov,  Iq  X^etai  ^eetv  ex  vf^q  SxufjL^aXiSo^  X{{ji.vr^q  (t^v 
Y^p  ^  XCpivtjv  TouTiQV  e^  x^^P^  o^av^^  exSiBouoov  dva^aCvecOat  ev  \p*{e'i, 
xb  fivSciiTev  ^k  xh  öSwp  ^8yj  toötc  utc'  'Ap^cCiuv  'EpacXvov  xaX^eoOÄt), 
di7tx6(ievo^  S'  (i>v  b  KXeotiivY]^  eicl  xbv  icotaixbv  toOtov  x.t^.  Innere 
und  äussere  Gründe  vereinigen  sich  hier  um  die  Unhaltbarkeit 
dieses  ,$£  in  apodosi'  und  im  schlimmsten  Falle  seine  totale 
Unbrauchbarkeit  als  Stütze  anderer  Anomalien  zu  erweisen. 
Vor  Allem,  die  Partikel  fehlt,  nicht  nur  (wie  Krüger  bemerkt^ 
der  mir  in  der  Tilgung  derselben*  vorangegangen  ist)  ,in  meh- 
reren  Handschriften^  sondern  in  SVR,  womit  die  Sache  fUr 
Jeden,  der  über  die  Grundlagen  der  Herodot-Kritik  mit  uns 
übereinstimmt,  abgethan  ist,  —  es  wäre  denn,  dass  gewichtige 
innere  Gründe  zu  Gunsten  der  Lesart  sprächen.  Davon  ist 
jedoch  das  gerade  Gegentheil  der  Fall,  da  ,ü)v^  (nicht  S'  Av, 
dessen  Begriffsnüance  eine  sehr  verschiedene  ist)  ^nach  einer 
Parenthese'  (Krüger)  die  übliche  und  regelmässig  zur  Anwen- 
dung gelangende  Partikel  ist.  (Vgl.  unsere  Erörterungen  zu 
I,  144,    desgleichen   zu  HI,  97.)    Wer  jedoch   endlich   diesen 


'  Gaisford^s  unrichtige  Angabe,  der  Vindobonensis  biete  Zi\  ist  leicht  be- 
greiflich. Man  muss  Stellen,  in  welcher  o*  und  St*  nebeneinander  vor- 
kommen, vergleichen,  um  zu  erkennen,  dass  die  Wiener  Handschrift  die 
beste  Lesart  hier  nicht  darbietet,  wohl  aber  eine  solche,  die  von  ihr  nur 
schwer  zu  unterscheiden  ist. 


550  öomperi. 

Erwägungen  sich  verschliessen  wollte,  der  müsste  die  Behaup- 
tung aufstellen,  dass  die  Verbindung  5'  wv  nicht  weniger  als 
das  einfache  cLv  das  geeignete  Vehikel  sei,  um  die  durch  einen 
längeren  Zwischensatz  aus  dem  Geleise  gekommene  Constniction 
wieder  aufzunehmen  und  weiter  fortzuführen;  womit  selbst- 
verständlich für  andere  Gebrauchsweisen  des  apodotischen  li 
nicht  das  Mindeste  bewiesen  wäre. 

6.  In  der  dritten  und  vierten  Auflage  seiner  commentirten 
Ausgabe  versucht  es  Stein,    die  ,anakoluthe  Fügung*  in  11^  134 
durch  eine  vermeintliche  Parallele  zu  stützen,  die  er  VIII,  135 
wahrzunehmen  glaubt.   Er  schreibt  nämlich  daselbst  wie  folgt: 
iq  TouTo  To   ipbv  exEiTS  'JcapsXOeTv  tov   xocXedpievov  tourov  Muv,    feresdat 
Se  Ol  T(j>v  di^Tcov  atpexob^  avSpo^  TpeT^  anzh  toO  xocvou  u)^  3n:o^poe^yLS>tz\f^ 
Tflt   ÖEoxieTv   e{Ji.eXX£,   xai  TcpoxorcE  tov  7cp6|AavTiv  ßapßojpw  y^^wooyj  /pov. 
Auch   hier  erhält,   so  meint  er,    ,der  Satz  fTzeoOat  Ik  —  ijjisXAS' 
durch  Veränderung  der  ursprünglich  beabsichtigten  Constniction 
,die  Geltung  eines  Nachsatzes  und  die  ganze  Periode  w^ird 
anakoluth^   Dagegen  ist  zu  erwidern,  dass  SVR  jenes  Be  nicht 
kennen   und  wir   nur    (mit  Gaisford,   Bekker,    Krüger,    Abicht 
u.  s.  w.)  die  Partikel  auszulassen  brauchen  um  eine  vollkommen 
regelrechte  Fügung  zu  gewinnen.     Herodot  will  sagen :  Sobald 
die   in   dem  Gefolge  des  Mys  einherschreitenden  Drei -Männer 
das  Heiligthum  betreten   hatten,   begann   der  Promantis  sofort 
in  fremdländischer  Sprache  zu  weissagen.     Er  verwendet  hier- 
bei nuxi  in   der   bekannten   (beispielsweise  von  Nauck   zu  OeA 
Tyr.  717    illustrirten)    Weise   zur  Markirung   des   betreffenden 
Zeitpunktes,  und  die  Coordinirung  der  beiden  Sätze  (2ff£c6ai  —  xii 
7cp6x(XTe-ypav)  erhellt  deutlich  genug  aus  der  Wahl  des  gleichen 
Tempus,  des  Praesens.  Allein  auch  wenn  man  jenes  Se  fUr  echt 
halten  wollte,    so  wäre  man  dadurch  keineswegs  genöthigt  die 
befremdliche,  durch  nichts  motivirte  Anakoluthie  anzuerkennen; 
denn  der  Nachsatz  könnte  sehr  wohl  mit  xal  Trpoxate  beginnen, 
indem   x.a(  —  wie  so  oft,   auch  bei  Herodot  (s.  Eltz  pag.   129 
und  Stein  selbst  zu  II,  45)  —  steigernde  Kraft  besÄsse  und 
%ai  7:p6viaT£  gleichzusetzen  wäre  einem  */,ai  auxixa,  wie  es  uns  bei 
Plato  Sympos.  220  A  begegnet  (toutou  |jl6v  ouv  jaoi  SoxcT  xai  xjiua 
[,alsbald^  LehrsJ  6  zkef/P^  i'csaOai).  Ein  xai  an  der  Spitze  des  Nach- 
satzes erscheint  auch  VII,  128,  15  oder  VIII,  64,  5,  anders  als 
das  homerische  xai  xdie  i^Krüger^  Di.  Synt.  65,  9,  1  und  69, 18, 1). 


Herodoteische  Studien  II.  551 

Wir  kehren  endlich  wieder  zu  dem  Ausgangspunkt  unserer 
Untersuchung,  zu  11,  134  zurück.  Wie  wahrscheinlich  muss  es 
uns  nunmehr  von  vornherein  erscheinen,  dass  an  der  einzigen 
Stelle,  an  welcher  die  Annahme  eines  unserem  Doppelkanon 
widerstreitenden  ,^6  in  apodosi'  noch  allseitige  Billigung  findet, 
dieselbe  gleichfalls  auf  irriger  Auffassung  oder  falscher  Ueber- 
lieferung  beruht.  Diese  Wahrscheinlichkeit  wird  jedoch  dadurch 
zur  Gewissheit  erhoben,  dass  wir  anderenfalls  noch  eine  weitere 
Anomalie  mit  in  den  Kauf  nehmen  mtissten,  von  der  (um  das 
Greringste  zu  sagen)  bei  Herodot,  in  der  griechischen  Prosa  über- 
haupt und  in  der  nach-homerischen  Poesie  keine  sichere  Spur  zu 
entdecken  ist '  und  die  in  der  ausgebildeten  Sprache  einem  Wunder 


*  Hieher  rechnet  man  freilich  Thocyd.  III,  98  in.  und  Plato  Le^g.  X,  898  C. 
Allein  die  erstere  Stelle  gehOrt  in  die  Kategorie  der  Doppelperioden 
(nach  dem  Schema  {i^v,  ^i:  hiy  oCtcu  8i)  gebildet,  wo  das  {liv  der  ersten 
Protasis  natürlich  dem  ^i  der  zweiten  entspricht);  die  letztere  enthält, 
wie  Jeder,  der  darauf  aufmerksam  gemacht  ist,  erkennen  muss,  die  Prä- 
missen eines  Schlusses,  nicht  diesen  selbst.  Kleinias  fällt  dem  Athener 
ins  Wort,  zieht  aus  jenen  Prämissen  die  richtige  Conclusion  und  wird 
dafür  von  diesem  aufs  Wärmste  belobt.  Man  setze  daher  nach  r^v  ivav- 
T^av  einen  Gedankenstrich  statt  eines  Schlnsspunktes  und  die  vermeint- 
liche Anomalie  ist  beseitigt.  Dasselbe  Heilmittel  glaube  ich  im  hymn. 
in  Apoll.  Del.  v.  169  anwenden  zu  dürfen,  ja  zu  müssen.  Ein  Beistrich 
nach  loy^iaipw  gesetzt,  so  dass  mit  (xvyjoatjLevai  der  Nachsatz  beginnt  (G.  Her- 
mann Hess  ihn  nach  (ivr^^afAEvat  beginnen),  bewirkt  eine  ungleich  passen- 
dere Gedankenfolge  als  die  jetzt  Übliche  Interpunction;  auf  Hymnen  zu 
Ehren  Apolls,  dann  der  Leto  und  Artemis  folgen  weltliche  Gesänge; 
statt  ß|AVov  V.  160  lese  ich  o?|iov,  dieselbe  Aendorung,  welche  Nauck  6  429 
vornehmen  will  und  auf  die  ich  auch  an  letzterer  Stelle  verfallen  war.  (In 
Nanck*8  überreichem  Beweismaterial,  Krit.  Bemerk.  V,  21  fehlt  nur  das 
Nächstliegende,  0  74.)  Somit  bleiben  mir  die  hieher  geh<)rigen  Anoma- 
lien in  Ilias  und  Odyssee  bbrig,  die  Niemand  ohne  Weiteres  auf  andere 
Sprachperioden  und  Redegattnngen  wird  Übertragen  wollen.  Hier  mahnt 
aber  noch  Mehreres  zu  besonderer  Vorsicht.  Die  Instanzen,  in  denen 
man  solch*  eine  Responsion  von  (jl^v  und  ^i  erkennen  will,  bilden  eine 
verschwindend  kleine  Minderheit  in  der  Gesammtzahl  der  Fälle  des  apodo- 
tischen  o^  (3  unter  114,  wenn  man  die  Doppelperioden  ausschliesst,  zu 
denen  auch  T  321  geh^Irt).  Diese  drei  Fälle  schliessen  sich  aber  wieder 
nicht  zu  einer  Gattung  zu.^ammen,  sondern  bilden  vereinzelte  Singulari- 
täten, Über  welche  die  Kritik  und  Interpretation  noch  nicht  ihr  letztes 
Wort  gesprochen  haben.  In  zwei  von  den  drei  Fällen  erscheint  et  im 
Vordersatz  (W  658  und  o  831),  an  letzterer  Stelle  auch  im  Nachsatz  in 
der  Phrase  e?  o"  oys,   wobei   —   falls  wir  an  der  alten   elliptiflchen  Er- 


552  Qomperi. 

gleich  zu  achten  wäre:  ein  [xev  in  der  Protasis,  welches  einem 
li  der  Apodosis  entspräche,  d.  h.  also  ein  Satz^  der  nicht  mittelst 
einer  Anakoluthie  von  der  Subordination  in  die  Coordination 
übergeht^  sondern  von  Haus  aus  zugleich  parataktisch  und 
hypotaktisch  angelegt  ist!  Und  endlich  —  es  bedarf  zur  Au&- 
merzung  dieses  Rattenkönigs  von  völlig  analogiewidrigen  Ab- 
normitäten so  wenig  eines  gewaltsamen  Eingriffs^  dass  es  viel- 
mehr gentigt,  ein  Wort  durch  Conjectur  herzustellen,  welches 
bei  Herodot  nicht  nur  häufig,  sondern  (falls  Bredow,  de  dialect. 
herodot.  pag.  107,  nicht  irrt)  ausnahmslos  verderbt,  und  zwar 
immer  in  derselben  Weise  verderbt  worden  ist.  Es  handelt 
sich  um  das  ionische  nnd  nach  des  Aelius  Dionysius  aus- 
drücklicher Angabe  herodoteische  sTuecTev,  welches  jedes- 
mal, wo  es  richtig  verstanden  ward,  in  das  attische  ezeixa  ver- 
wandelt und  nur  dort,  wo  es  unverstanden  blieb,  unter  der 
durchsichtigen  Hülle  siref  te  oder  iizeke  erhalten  ward,  —  ein 
Process,  in  den  uns  die  handschriftlichen  Varianten  zu  H,  52; 


klärung  festhalten  —  hi  nicht  zum  Nachsatz  gehOrt;  die  neue  Lange^sche 
Auffassung  ist  mir  aber  überhaupt  nicht  verständlich ;  denn  wenn  st  so- 
wohl als  ocys  auffordernde  Kraft  besitzen  sollen,  so  begreift  man  nicht 
warum  die  zwei  Worte  regelmässig  durch  die  Adversativpartikel  getrennt 
sind.  ESs  wird  wohl  einfach  hier  (und  vielleicht  auch  anderwärts)  Et*  a^E 
(einst  Ha  Sye  geschrieben)  zu  lesen  sein.  Vgl.  Theocrit.  II,  95  (wo  die 
Handschriften  schwanken)  oder  Aristoph.  Bau.  394 :  oy^  eTot.  (H^  558 — 559 
erinnert  so  auffallend  an  o  546 — 546,  wo  (i^v  fehlt,  dass  ich  nicht  umbin 
kann  zu  denken,  Beides  sei  Nachbildung  eines  älteren  Vorbilds.)  In  a 
385 — 387  endlich  gilt  mir  V  im  Nachsatz  (falls  nicht  mit  Nauck  i[Xu6 
statt  ^X6e  V  zu  schreiben  oder  der  Ausfall  eines  Verses  anzunehmen 
ist)  als  Wiederaufnahme  des  aurap  an  der  Spitze  des  Vordersatzes,  das 
[jiv  aber  müsste  dann  als  [x^v  solitarium  betrachtet  werden.  —  Nebenbei 
bemerkt,  die  Untersuchung  dieses  sprachlichen  Phänomens  bei  Homer 
wird  ungemein  vereinfacht,  wenn  man  die  Fälle,  in  welchen  das  U 
des  Nachsatzes  nur  dieselbe  oder  eine  andere  Adversativ-Partikel  des 
Vordersatzes  wieder  aufnimmt,  aus  der  Gesammtheit  der  Instanzen 
aussondert.  Dass  diese  Unterscheidung  keine  willkürliche  ist,  erhellt 
wohl  zur  Genüge  daraus,  dass  die  homerischen  Hymnen  aus- 
schliesslich, die  hesiodeischen  Gedichte  nahezu  ausschliesslich,  diese 
Art  von  M  in  apodosi  kennen.  Die  vollständige  Ignorirung  dieses  Ge- 
sichtspunktes bildet  meines  Erachtens  einen  Hauptmangel  der  unge- 
mein fleissigen,  als  vollständige  Stellensammlung  überaus  schätzbaren 
Monographie  L.  Lahmeyer's  (de  apodotico  qui  dicitur  particolae  8^  in 
carmiuibus  homericis  usu,  Lips.  1879).    S.  Excurs  I. 


Herorlotf^inch»  Stadien  U.  553 

VI,  83;  VI,  91  u.  8.  w.  (s.  Bredow  a.  a.  O.  oder  Schweighäußer's 
lex.  herod.)  die  sicherste  Einsicht  eröffnen.  Man  schreibe  daher 
(im  Hinblick  auf  SteUen  wie  VQ,  7  fin.  xp^vw  ixei^wetTev;  VII,  197  in. 
lAer^TTEtTev  Se;  I,  146  fin.  xal  Sretxev  Toura  xon^ffovre^;  IE,  52  in. 
eiceiTev  Se  XP^^^^  xoXXou  Bie^eXOovro^)  auch  IE,  134:  —  u)q  dti^e^e 
vffit  oux  ^xiora*  l'iceiTev  y^P  TroXXixtq  XTjpuaaovTüiv  AeX^&v  2x  6eO' 
Tzpo^ou  l^  ßo6XotTO  ico(VY)v  -Hjq  AioYiMcou  ^'ux^C  «vcXioBai,  deXXo^  |jiv 
oudel^  ^9^v),  IdSjAOvo«;  3e  xaiBb^  xon^'oXXo^  ld§[JLü>v  av£iXero.  (Ich 
muss  dieser  langwierigen  Erörterung  noch  die  Bemerkung  bei- 
fügen, dass  die  Schreibung  eicecTev  bereits  bei  Abicht  sich  vor- 
findet, jedoch  nicht  nur  ohne  ein  Wort  der  Motivirung,  sondern 
auch  ohne  dass  diese  Neuerung  als  eine  solche  bezeichnet  wäre. 
Weder  das  Verzeichniss  der  Abweichungen  von  Dietschens  Aus- 
gabe in  der  Teubner'schen,  noch  die  adnotatio  critica  der  Tauch- 
nitz'schen  Edition  mit  ihrer  Aufzählung  der  Discrepanzen  von 
Stein's  Text  enthält  irgend  eine  hierauf  bezügliche  Aeusserung. 
Sollte  wirklich  der  Setzer  diesmal  die  Rolle  des  emendirenden 
Kritikers  gespielt  haben?)  — 

Im  folgenden  Capitel  bestreitet  Herodot  die  irrige  An- 
nahme mancher  Griechen,  die  schöne  Hetäre  Rhodopis  habe 
eine  Pyramide  erbaut,  mit  dem  folgenden  Argumente:  rr^q  ^ap 
•CTiV  SexoDQv  Tü)V  xp^it^tT^^  iBficOat  loxi  ^Tt  xal  e?  ToSe  icovri  tw  ßouXo- 
pievci),  oüSev  Set  [xevdXa  oi  y^pi^[La':a  avaOeivai.  Hat  wirklich 
noch  Niemand  an  dieser  unerhörten  Logik  Anstoss  genommen : 
,Denn  da  noch  heute  Jedermann  den  Zehnten  ihres  Vermögens 
sehen  kann,  darf  man  ihr  kein  grosses  Vermögen  zuschrei- 
ben.' In  der  That?  Doch  nur  kein  grösseres^  als  sie  wirklich 
besass,  und  ebenso  wenig  ein  kleineres!  Und  als  wäre  es  an 
dem  formalen  Fehlschluss  noch  nicht  genüge  widerstreitet  auch 
die  materielle  Conclusion  schnurstracks  demjenigen,  was  der 
Geschichtschreiber  in  dem  unmittelbar  vorangehenden  Satze 
geäussert  hatte:  oütw  Syj  f^  ToBumci^  eXeu0ep(i>6r|  >wtl  xatTSfxeive  t£  ev 
Ai'pKT<{>  >wtt  >wcpTa  fiicafpoBiTo;  Y^^opievTi  [xe^aXa  exxii^caTo  xp^f*«'f«> 
u)^   av   (L   |iiv)  *   slvat  ToSükci,   atap  ov>y.  /Ix;  y^   ^?  xupajjitBa  xotoüiTiV 


1  Die  Unstotthaftigkeit  de«  av  in  dieser  Verbindun(^  haben  Lhardy  und 
Krfl^r  gut  erkannt.  (Stein's  Bemerkung  zur  Stelle  wird,  soweit  sie  einer 
Widerlegung  bedarf,  durch  seine  ebendaselbst  zu  c.  135,  Z.  11  erfolgend«* 
Verweisung  auf  VIII,  88,  9  und  das  dort  Zusammengestellte  bestens  wider- 

SiUQDftber.  d.  pbü.-hUt.  Cl.    CHI.  Bd.  U.  Hft.  86 


554  Ooinperc. 

i^txeoOat.  Ich  denke  ^  wenn  jemals  eine  Interpolation  mit  un- 
bedingter Sicherheit  als  solche  zu  erkennen  war,  so  ist  dies 
hier  der  Fall.  Schuld  an  derselben  trägt  zweierlei  :  die  Ver- 
kennung des  demonstrativen  Gebrauchs  des  Artikels  (der 
genau  so  angewendet  ist  wie  z.  B.  I,  172  xotci  ^dp]  II,  124  'tr^^ 
ydp]  n,  148  TOü  Yccp)  und  der  durch  ^dp  eingeführte  begründende 
Satz,  dessen  Bezug  nicht  richtig  verstanden  wurde.  Es  ist,  als 
ob  Herodot  einen  skeptischen  Leser  vor  Augen  hätte,  der  ihm 
die  Frage  entgegenhält:  woher  weisst  du  denn  über  das  Ver- 
mögen der  blonden  Thrakerin  so  genauen  Bescheid,  dass  du 
zu  sagen  vermagst,  es  sei  zwar  gross  gewesen  fiir  eine  Person 
ihres  Standes^  aber  doch  nicht  gross  genug  um  die  Erbauung 
solch'  einer  Pyramide  zu  ermöglichen.  Diesem  Einwurf  beg^net 
die  Berufung  auf  die  Autopsie  in  dem  Satze:  t^?  ^äp  ttjV  dexdcn^v 
Tü)v  xp^tO'^t«)^  i3ea6at  lori  Ixi  %ai  iq  To^e  ^avTi  T(d  ßouXofiivu).  Nicht 
allzu  selten  sind  die  FäUe ,  in  welchen  ein  durch  '^dp  eingeleiteter 
Begründungssatz  nicht  den  Inhalt  der  vorangehenden  Aus- 
sage, sondern  das  Stattfinden  derselben  und  das  ihr  zu  Grunde 
liegende  Wissen  erklärt  (vgl.  z.  B.  Lysias  I,  11:  6  ^ap  avOpoKrs; 
evSov  ^v  ö^epov  y«P  Ä^avT«  exu66|jLY)v  oder  Aeschyl.  Pers.  341 
Dind.:  Hep^j  Se,  xat  ^äp  oTSa,  yCKia^  {a&v  fjv  xt^.).  Die  schlagendste 
Parallele  bietet  aber  unser  Schriftsteller  selbst  dort,  wo  er  von 


legt!)  Was  a>(  av  bedeuten  würde,  magEuripid.  frg.  689  lehren:  —  xoO  t8- 
7:6ivb{  o^h"*  aYav{{£l>oYxo(  cu^av  BoüXo(  — .  Auffallender  Weise  hat  übrigens 
nicht  nur  Stein  die  sämmtlichen  hieher  gehörigen  Fälle,  sondern  auch 
Krüger  zwei  derselben  m.  £.  vollständig  missverstanden,  n,  8 :  oux^Tt  iMX>.bv 
ya>p(ov  (o(  ETvai  AiyuTiTou  heisst:  ,nicht  mehr  viel  Baum,  für  ein 
Land  wie  Aegypten  nämlich' ;  IV,  81:  xai  oX{you(  (ü(  SxuOa^  eivat  ,und 
wenige,  für  ein  Volk  wie  es  die  Skythen  sind',  deren  Zahl  mit  jener  der 
Thraker  und  Inder  verglichen  wird.  An  beiden  Stellen  dient  also  genau  wie 
an  unserer  (oder  wie  bei  Thucyd.  I,  21 :  co;  7:aXaia  eTvai  oder,  worauf  Krüger 
selbst  verweist,  wie  Gorgias  617  B)  der  in  co(  liegende  Begriff  der  ideellen 
Abhängigkeit  dazu,  an  die  Stelle  eines  absoluten  Massstabes 
einen  relativen  zu  setzen.  (Beiläufig,  den  von  Krüger  als  ,seltsam  und 
verdächtig' bezeichneten  seemäni sehen  Ausdruck  xai  Iv  IvBexa  opyudjai 
lasai  n,  5  wendet  sehr  ähnlich  auchPolybius  an  IV  40  [1,340,29— 30  Bekk.]: 
TO  •>[dp  TOI  TsXeioTov  aOri);  [»-ipoi  ev  lirra  xai  7:^vt£  opyuiati;  iorCv  — ,  wo  vdeder 
Hultsch  mit  Unrecht,  wie  man  sieht,  ändern  wollte.)  Dam  es  aber  dem  nach- 
folgenden ordlp  gegenüber  räthlicher  scheint,  av  in  (x^v  zu  verändern,  als  es 
einfach  zu  tilgen,  dies  dilrfte  Jedem,  der  darauf  aufinerksam  gemacht  ist, 
von  selbst  einleuchten. 


Herodoteische  Stadien  Tl.  555 

den  angeblich  goldgrabenden  riesigen  Ameisen  Indiens  sagt: 
sie  sind  kleiner  als  Hunde^  aber  grösser  als  Füchse,  und  den 
über  die  Genauigkeit  dieser  Angabe  befremdeten  Leser  durch 
die  Bemerkung  beschwichtigt:  man  braucht  ja  nicht  jene  in- 
dische Wüstenei  aufzusuchen  um  diese  wunderbaren  Thiere  zu 
sehen;  es  gibt  deren  auch  am  Hoflager  zu  Susa  (III;  102):  ev 
Sv)  <!>v  TV)  epi^fxü)  (dies,  nämlich  ep^ifjLO)  [sie]  bieten  R  und  V  statt 
ipr,fjLiYj)  Ta6'n)  %a\  ttJ  4^a|JL|JLCi>  Ytvovrat  fxupfjLiQxe*;  [le.'^cx^ea  l^ovre?  xuvo)v 
(lev  eXaaaova,  dXuiuexiov  $£  (xe^ova*  ehi  yap  ouTiavxai  T:apk  ßociXei 
[twv  Utpaidis],^  ev6eüT6v  6Y}p€üöevT6^.  Ob  übrigens  Herodot  hier 
durch  den  Bericht  eines  Persers  getäuscht  ward,  oder  —  was 
der  Wortlaut  seiner  Aeusserung  und  sein  durch  Matzat's  Unter- 
suchung so  gut  als  sichergestellter  Aufenthalt  in  Susa  (Hermes 
VI,  449)  weitaus  wahrscheinlicher  macht  —  jene  tibetanischen 
Murmelthiere  (s.  Bahr,  Stein,  Rawlinson  ad  loc.)  im  persischen 
Schönbrunn  selbst  gesehen  hat,  aber  in  Fragen  der  zoologischen 
Classification  so  ungeübt  war^  um  vierfüssige  Thiere  nicht  nur  in 
Betreff  ihrer  Lebensweise  (was  ja  zutreffen  soll),  sondern  auch 
,in  Rücksicht  ihres  Ansehens^  Ameisen  , höchst  ähnlich '^  zu 
finden ,  dies  wage  ich  nicht  mit  voller  Sicherheit  zu  entscheiden. 
—  Der  im  Obigen  erbrachte  Nachweis  einer  groben,  wenngleich 
alterthümlich  klingenden  und  wahrscheinlich  auch  alten  Inter- 
polation darf  uns  künftig  aufstossenden  Exemplaren  derselben 
Gattung  gegenüber  einigermassen  zuversichtlicher  stimmen. 
Dieser  erhöhten  Zuversicht  bedarf  es  freilich  nicht,  um  (diesmal 
mit  Stein)  in  den  alsbald  folgenden  Worten  touxo  dvaOeTvai  iq 
l€Afo6^  ein  durch  keinerlei  Art  von  Epanalepsis  zu  entschul- 
digendes, aller  Analogie  widerstreitendes  Einschiebsel  zu  er- 
kennen. (Ich  erwähne  die  Sache  nur  darum,  weil  Stein  diesen 
wohlbegründeten  Verdacht  zwar  vor  und  nach  Veröffentlichung 
seiner  kritischen  Ausgabe  ausgesprochen,  aber  in  dieser  irgend- 
wie zum  Ausdruck  zu  bringen  versäumt  hat.) 


<  S.  ZeitBchr.  für  ötfterr.  Gvmn.  1859,  825. 

'  etat  tk  xai  aOiof  (991)  xh  eToo;  ojxoioTatot  dürfte  die  richtige,  auf  Ver- 
Hchmelzung  der  Lesarten  beider  Handschriftenclasseu  beruhende  Schreibung 
sein,  wobei  oOro^  im  Untenichied  zu  der  vorher  geschilderten  S(aita  (dem 
Hauptpunkt  der  Uebereinstimmung  mit  den  ,helleni0chen  Ameisen')  ge- 
sagt ist.     Ueber  V  berichtet  Gaisford  diesmal  richtig. 

36* 


566  Qomperi. 

n,  143, 15:  *E>wrca{(i)  Bfe  ^vtsrikoff^aocrzi  Icourbv  XÄt  a^cAfysacm  z^ 

Xi^Tj^ov  5^  S)8e'  — . 

Was  sollen  hier  die  Worte  iiA  vf^  apiOfAi^aet  (diese  und 
nicht  die  ionische  Form  des  Wortes  bieten  alle  Handschriften'^? 
Die  thebanischen  Priester  hatten  dem  Hekatäus  gegenüber 
genau  dasselbe  gethan,  was  sie  Herodot  gegenüber  thaten 
(eiroiYjffav  —  oi6v  xi  xal  ifxol  ou  Y^veYjXoYT^ffavTt),  d.  h.  sie  hatten 
ihm  die  345  Standbilder  der  Hohenpriester  vorgewiesen  und 
behauptet,  jeder  derselben  sei  der  Sohn  seines  Vorgängers  ge- 
wesen. Der  Unterschied  bestand  nur  in  der  polemischen 
Wendung,  welche  diese  Darlegung  der  Prätension  des  Hekatäus 
gegenüber  gewann,  sein  sechzehnter  Ahn  sei  ein  Gott  gewesen. 
Dies  bedeutet  avxsYeveiQXiYYjffav,  ohne  weiteren  Zusatz.  Nur 
ein  zugleich  einsichtsloser  und  pedantischer  Leser  konnte  diese 
Unterscheidung  nicht  flir  erheblich  genug  halten  und  sie  durch 
jenen  ungeschickten  und  dem  Sachverhalt  widersprechenden 
-  Zusatz  verstärken  zu  müssen  glauben.  Rawlinson  übersetzt  die 
Stelle  so,  als  ob  jene  drei  Worte  nicht  vorhanden  wären:  ,the 
priests  opposed  their  genealogy  to  his^  etc.  Stein's  Ueber- 
tragung  aber:  , rechneten  sie  dagegen  bei  jener  Zählung 
ihre  Geschlechter  vor^  wird  den  Worten  nicht  völlig  gerecht 
(denn  e^i  t^  dpcOfxi^aei  hiesse  ,over  and  above  their  enumeration') 
imd  macht  doch  den  Eindruck  einer  »Unterscheidung  ohne 
Unterschied*.  > 

n,  154:   TOüTwv   8e   oixio^ivxwv   sv  Aif^icTU),    ol  ''EXXiQveq   owtw 


^  Beruhen  nicht  auch  die  Worte  touji  svu^{oi9i  141,  21  auf  Interpolatton? 
Oder  kann  der  Plural  das  eine  Traumgesicht,  oder,  falls  wir  anf  den 
Inhalt  desselben  blicken,  die  eine  Traumgestalt,  von  der  die  Rede  ist  (cm- 
axJpixoL  Tov  6ebv),  bezeichnen?  Vielleicht  vermag  mich  hierüber  Jemand  m 
belehren.  to6io((7i  Bi{  ^iv  3c(auvov  (vgl.  VII,  153  toutoivi  V  cov  ;c{auvo^  ia>v) 
bedarf  jedenfalls  keiner  solchen  Zuthat,  wir  i^ögen  nun  das  Pronomen 
als  Neutrum  auffassen  (vgl.  VII,  10,  11:  tcü  8^  xat  i;(auvoc  icuv)  nnd  auf 
den  geschilderten  Vorgang  oder  es  auf  die  von  dem  Gk>tte  versprochenen 
Ti(iiopo(  beziehen.  Dass  Stein  in  dem  vorangehenden  Satze  das  allein 
sprachgemftsse  ni(x4'Siv  der  besseren  Handschriftenclasse  wieder  in  id^^i 
verändert,  kann  ebenso  als  ein  Curiosum  gelten,  wie  seine  Vertheidigang 
des  aus  der  vorangehenden  Zeile  mechanisch  wiederholten,  von  Krüger 
mit  Recht  als  Einschiebsel  erkannten  (jlct^  Icoutou  162  fin.  (vgl.  m,  51). 


Herodoteische  Studien  II.  557 

apSajASvot,  icdvTa  (lies:  lauT«)  xal  xk  üorepov  IrcorapieBa  drpex^bx;-  — . 
Diese  Verbesserung  dürfte  wohl  durch  sich  selbst  einleuchten. 
Die  Verderbniss,  welche  hier  der  Archetypus  erlitt,  ist  ein 
anderes  Mal  auf  den  Parisinus  2933  beschränkt  geblieben 
[in,  48  i  Gaisford].  Eine  andere  Verwechslung  von  w  und  x 
wird  uns  zu  IV,  88  beschäftigen.  Ist  nicht  umgekehrt  frg.' 
trag,  adesp.  426  (Nauck)  xoEvxa  zu  taura  entstellt  worden  in 
den  Versen: 

TCflCVTWV  Tupavvo^  1^  T^TQ  ^^l  tö*'  öswv, 

xa  8'  aXV  ive|JLaxa  xauxa  7:p6cxetxai  |xaxr|V  — ? 

Einen  erstaunlichen  Uebersetzungsfehler  Stein's  würde  ich 
unerwähnt  lassen,  wenn  er  nicht  zu  einer  allgemeineren  Be- 
merkung Anlass  gäbe.  Die  Worte  172,  16:  |JL6xa  84  coff-g  oindix; 
b  *A|ji.oKJi^,  oux  dYVü)|ji.offuv7j  TCpocYjYfltfexo  bedeuten  nämlich  nicht: 
er  gewann  sie  ,auf  eine  kluge,  gar  nicht  unfeine  Art',  sondern : 
durch  geschmeidige  Klugheit,  nicht  durch  rücksichts- 
lose Härte.  Für  diese  Bedeutung  von  dYvwixoauvr^,  Srf^[uay 
(z.  B.  Xen.  Cyrop.  IV,  5,  9:  o)[xb<;  eTvat  xai  diY^(6|JKi)v)  wie  für  die 
entgegengesetzte  von  suYvwfxwv  (aequus,  s.  Nauck  zu  Trach.  473), 
euYV(i)[jLoo6vv)  u.  s.  w.  genügt  es  auf  die  Wörterbücher  (auch  auf 
Schweighäuser's  lex.  herod. !)  zu  verweisen;  hat  doch  Stein 
selbst  die  Phrasen  irpb^  d^voiAoo^VTiV  xp^7?ea6ai,  drYvcofjioauvY]  8taxpao6a( 
rV,  93  oder  VI,  10  keineswegs  missverstanden.  Was  ihn  diesmal 
irrte,  war  augenscheinlich  der  Gegensatz  ao^tti.  Und  darum 
mag  es  nicht  überflüssig  sein  daran  zu  erinnern,  dass  auch 
bei  Theognis  v.  218  (P.  L.  G.  11^,  140)  nahezu  genau  die- 
selbe Gegenüberstellung  sich  findet:  xp£wo6v  xot  ao^iY)  y'^^*^*^ 
axpoic^Tj^.  Dem  Griechen,  zu  dessen  Nationalhelden Odysseus  der 
xoXuxpoxo^  gehörte,  bedeutete  die  praktische  Intelligenz  eben  in 
erster  Reihe  und  oft  nur  allzu  ausschliesslich  jene  vielgewandte 
imd  aalglatte  Geschmeidigkeit,  die  sich  in  alle  Verhältnisse  zu 
schicken,  jeder  Anforderung  anzupassen,  in  Alles  zu  fügen  und 
zu  schmiegen  weiss;  das  Sinnbild  dieser  ao9{a  ist  der  seine 
Farben  wechselnde  Polyp,  das  Chamäleon  der  Alten  (vgl.  Theo- 
gnis a.  ^.  O.  und  was  sonst  Athenäus  VII,  317  und  Xu,  513 
zusammengestellt  hat) ;  nichts  natürlicher  daher,  als  dass  Worte, 
die  ursprünglich  nur  Mangel  an  Einsicht  bedeuteten,  dahin  ge- 
langt sind,  die  Rücksichtslosigkeit,  die  Härte,  die  Starrheit,  ja 


558  Gompers. 

wohl  auch  die  blosse  Kraft  zu  bezeichnen,  wie  denn  jene»  i:^; 
aYVü)[ji.ootivY)v  Tporcofxevot  (IV,  93)  sich  von  einem  xpb?  aXx^v  hpdnamo 
(IV,  125)  kaum  merklich  unterscheidet.* 

II,  173,  20  wird  der  Uebergang  vom  Vergleichsobject  zum 
Verglichenen  durch  das  Satzglied  bewirkt:  o^tw  8^  xal  dcvOpoH 
xou  xati(rraa«;.  Es  ist  dies,  falls  ich  nicht  irre,  gegenwärtig  das 
einzige  Beispiel  dieser  missbräuchlichen  Anwendung  der  betref- 
fenden Partikelverbindung  in  unserem  Texte,  während  ein 
derartiger  Uebergang  regelmässig  durch  ouiw  5^,  ö;  li  (dies  be- 
vorzugt unser  Autor)  oder  waaiTux;  ^i  eingeleitet  zu  werden 
pflegt.  Bei  späteren  Prosaikern  mag  solch'  eine  Verwirrung 
immerhin  glaubhaft  scheinen,  nicht  so  bei  Schriftstellern,  die 
lebendiges  Sprachgeflihl  besitzen.  Bei  Plato  schwindet  diese 
Irrung  allmälig  aus  den  Texten,  so  Gorgias  514  £  (wo  erst  Schanz 
gebessert  hat)  oder  Protagoras  313  D,  wo  Stephanus  ebenfalls 
ojTo)  8i^  las,  was  seither  der  richtigen  Lesart  der  besseren 
Handschriften  gewichen  ist;  Meno  87 B  scheint  mir  oStw  8ij 
gleichfalls  unzulässig.  Bei  Hippokrates,  de  prisca  medic.  c.  9, 
liest  man  noch  heute  (auch  bei  Littrö  und  Ermerins):  cutu)  Bij 
xal  ol  xaxo(  xe  xal  xXetTCoi  tY)Tpoi,  während  der  Parisinus  A  (und, 
wie  ich  hinzuftlgen  kann,  auch  der  Marcianus)  das   allein   an- 


^  In  Betreff  des  hieher  gehörigen  Bruchstücks  der  sophokleischen  Iphigenie 
(frg.  286  N.)  bin  ich  mit  Nauck  der  Meinung,  dass  dasselbe  durch  Porson^s 
und  Bergk's  Bemühungen  noch  keineswegs  geheilt  ist.  Völlig  sicher  scheint 
mir  nur  Eines:  dass  im  ersten  Vers  v^ei  izpo^  avdpa  (nicht  av8pi)  zu  schreiben 
ist,  da  npeic  c.  acc.  für  die  hier  erforderte  Bedeutung  des  Sich-Anpassens 
und  Anbequemens  der  ganz  eigentliche  Ausdruck  ist;  vgl.  ausser  den, 
was  Krüger  68,  39,  5  anführt,  noch  insbesondere  Thucyd.  II,  64:  —  npb;  x 
?7:aa)^ov  ttjv  {xvtjjxtjv  et^oiouvto  (,sie  accommodirten  ihre  Erinnerung  ihren 
Erlebnissen*).  Da  sich  nun  der  zweite  Vers  nicht  ohne  übergewaltsame 
Aenderungen  mit  der  Annahme  vereinigen  lässt,  jene  drei  Worte  ent- 
halten einen  in  sich  abgeschlossenen  Gedanken  (==  rotoutov  tjB  t^v  voOv, 
oto«  5v  ij  6  £VTUYx«vü)v  <joi),  so  bleibt  kaum  etwas  Anderes  übrig  als  die 
Schreibung: 

N^£i  npb(  avBpa  XP^i*-^  nouXunou(  onco; 

TC^Tpav  Tpa::^a6ai  Yvyjafou  ^poV7{[AaTO(. 

(D.  h.  ^aöi  xb  T^?  Siavo^a?  XP^K-^  '^P®?  "^^^  IxiaroTE  EVTuyxdJvovT«  a{u{ߣ96xi 
xaOanep  b  noX^Tcou;  Kpo^  ixaan]v  TzhpoM  a^efpEiac.)  Der  also  erwachsende 
Anklang  an  Shakespeare's  ,native  hue'  of  resolution  ist  merkwürdig 
genug. 


Herodotflitebe  Studien  n.  569 

gemessene  outü)  Be  darbieten.-'  Und  dies  hat  man  ohne  Zweifel 
auch  hier  herzustellen,  gleichwie  dieselbe  Corruptel  VII,  10  e,  7 
(wo  sie  nur  an  einer  kleinen  Zahl  von  Handschriften  haftet) 
und  Vn,  135,  17  (wo  die  Aldina,  nach  Stein,  ihr  einziger 
Träger  ist)   bereits  beseitigt  wurde. 

So  oft  oyiü)  8i5  bei  Herodot  consecutive.  Bedeutung  hat, 
drückt  es  eine  thatsächliche  Folge  aus;  ein  Schluss,  eine 
logische  Folgerung  hingegen  wird  durch  o&t(d  oder  o^to)  äv 
eingefiihrt,  z.  B.  I,  32 :  o&tu>  &v  &  KpoTae  xov  iav.  avOpunco^  ouiA^opif 
oder  n,  134:  o&tco  xal  Atmoico^  'IiS(Aovo^  ir(i:9^'zo  (,so  ergibt  sich 
denn  hieraus,  dass  Aesop^  u.  s.  w.).  Daher  that  Stein  wohl 
daran,  in,  16,  12  mit  den  älteren  Herausgebern  (und  gegen 
SVR)  zu  schreiben:  oDto)  (nicht  ot^rco  di})  Me'zipovsi  vo[iL(2^6(jL6va 
eveTeXXexo  xoteetv  6  KaiAßvor;^,  denn  dies  ist  ein  aus  dem  Voran- 
gehenden abgeleiteter  Schluss,  nicht  eine  daraus  fliessende  that- 
sächliche Folge.  Ganz  dasselbe  gilt  aber  von  VH,  152,  15,  wo 
Sinn  und  Sprachgebrauch  gebieterisch  die  Schreibung  heischen: 
oÜTW  ou5*  'ApY6tot(ji  aXoyiiaiOL  xexotYjrai  (oIjtü)  statt  oörio  ÄiJ  mit  SVR, 
doV  statt  oux  mit  Eoüger).^  Richtig  liest  man  auch  bereits  bei 
Bekker  IV,  13  fin. :  oütw  ouSe  o5to^  ffuji-^^pexai  xcpi  xfj^  yj^pt^^  todivf^^ 
SxuOtjae,  wo  Wesseling,  angeblich  mit  SV,  irrthUmlich   oDto)   l-^ 


>  Eine  analoge  Irrung  erscheint  in  den  meisten  Handschriften  des  hippo- 
kratischen  No|xoc  (§.  1  =  IV,  638  L.),  wo  man  mit  der  fttr  diese  Schrift 
massgebenden  Handschrift  sa  schreiben  hat:  ofiotÖToroi  ykp  q\  coioföc  Totvi 
Tzaipiiaayo\t,i>foi(Si  izpoataiwiQi  iv  T^ai  TpaY(i>B(i}(7i  iiai '  xai  (nicht  d»;)  ysp  ixsfvoi 
9y(rj\uL  \t,h  xai  (ttoXtjv  xal  np^(7b>]:ov  ujcoxpiTou  ?x.^u9i,  oux  ilaX  tk  uKoxptTaf* 
oDito  8  k  (nicht  oCico)  x«i  ?7)Tpo(  •  9i{(at)  jxIv  ttoXXo^,  Ipyü)  Sc  ««yx^  ßaiof.  Ob 
die  Ersetzung  des  xa(  durch  a>(  auch  diesmal  in  der  jüngst  wieder  von 
M.  Schanz  so  reichlich  illustrirten  Weise  stattfand  (Rhein.  Mus.  38,  142), 
bleibe  dahingestellt. 

2  Warum  haben  doch  die  Herausgeber  bisher  die  Besserung  verschmäht, 
welche  die  Handschriften  der  ersten  Classe  zu  I,  75,  22  darbieten?  Es  gilt 
dort  eine  Steigerung  des  Unglaubens  auszudrücken,  eine  Aufgabe, 
der  die  gegenwärtigen  Textesworte  ganz  und  gar  nicht  genügen.  Wollte 
Herodot  nicht  schreiben:  aXka,  touto  (jl^v  oO  izpoaU^i  {ip/r^>t)  (vgl.  IV  25*, 
V,  106 ;  VI,  121  und  123),  so  musste  er  mindestens  das  sagen,  was  SVR, 
(freilich  mit  dem  leichten  Buchstabenfehler  Tcpoativai  statt  7:po9{e{xat)  ihn 
sagen  lassen:  oXXs  touto  (jlIv  ouSk  npoQU^u  (Die  Behauptung,  dass 
Thaies  den  Halys  zeitweilig  aus  seinem  alten  Bette  abgeleitet  habe, 
hält  der  Historiker  für  wenig  glaubhaft;  die  zweite  Behauptung,  das 
alte  Bett  sei  für  immer  trocken  geworden,  gilt  ihm  aus  inneren  Gründen 


560  Gompers. 

schrieb  (V  hat  in  Wahrheit  oütw  U),  während  VI,  69,  22  der- 
selbe Fehler 'einst  von  mir  ausgemerzt  worden  istJ  Es  ist  kaum 
mehr  als  ein  Zufall,  wenn  wir  uns  hier  fortwährend  im  Kreise 
handschriftlicher  Lesarten  bewegen;  denn  entschieden  werden 
derartige  Fragen  nicht  durch  die  Zeugnisse  der  Codices,  weder 
indem  wir  dieselben  zählen,  noch  selbst  indem  wir  sie  wägen. 
Es  genügt,  meines  Erachtens,  wenn  wir  aus  einer  Anzahl  wohl- 
beglaubigter  Fälle  die  Ueberzeugung  gewinnen,  dass  der  Schrift- 
steller verschiedene  Ausdrucksweisen  mit  Bewusstsein  zum 
Vehikel  verschiedener  Begriffsnüancen  gewählt  hat.  Ist  er 
kein  Stümper  und  kein  Wirrkopf,  so  können  wir  nahezu  gewiss 
sein,  dass  er  sich  des  einmal  errungenen  Vortheils  nicht  wieder 
muthwillig  wird  begeben  haben.  Und  diese  annähernde  Gewiss- 
heit wird  zu  einer  vollkommenen,  wenn  das  Schwanken  der 
Handschriften  uns  eine  Gegenströmung  offenbart,  welche  jene 
Absicht  verhindern  musste,  zu  völlig  reinem  und  unzweideutigem 
Ausdruck  zu  gelangen. 

n,  178:  —  xat  $yj  ym  xowt  dxixveufjievoiat  e^  AtYuirrcv  ISunu 
Nauxpomv  TcoXtv  evoi^f^aat'  tcTai  ^k  [xv)  ßouXo{ji.evo(9i  oturäiv  oixeeiv,  outcO 
ik  vauTiXXo)JLevotai  eB(i)xe  x^P^^<  evi3p6aao6ai  ßu>(xou^  xat  T£[ii.ev€a  Oeiiiv. 
Ich  wüsste  nicht,  dass  man  im  Griechischen  ein  ,dort^  bei  olxitn 
eher  entbehren  könnte,  als  dies  im  Deutschen  zulässig  ist 
Sollen  wir  also  etwa  cvOauxa  oder  outou  (letzteres  mit  dem  cod. 
Remiger.)  einschalten  ?  Ich  denke,  wir  würden  damit  nur  den 
Process  der  Anpassung  eines  Marginal-Zusatzes  an  seine  Um- 
gebung einen  Schritt  weiter  führen;  denn  begonnen  hat  der- 
selbe (wie  ich  glaube)  schon  mit  der  Ersetzung  der  Schrei- 
bung der  ersten  Handschriftenclasse  durch  die  Vulgat-Lesart. 
Jene  lautet  nämlich  evotxeetv  (in  SVR)  und  verräth  deutlich 
genug  ihre  Abstammung  von  dem  vorangehenden  evoix^aai.  Von 
derartigen,  theils   erklärenden,  theils  ergänzenden  Randbemer- 


als  ganz  und  gar  unglaublich.)  Mass  nicht  auch  IX,  42  oofi^  an  die 
Stelle  von  oux  treten  in  dem  Satze:  ^{xeT;  to{vuv  aOib  touto  e^ciTTst^vot 
oÖTE  1i[JL6v  EJti  ib  Ipbv  [touto  om.  SVR]  oCte  enixcip^^wjiEv  Biapjcd^etv,  tsuti); 
TE  eTvExa  tt)^  ahlri^  oux  oa:okt6\Li^%  (,und  aus  diesem  Grunde  werden 
wir  auch  nicht  zu  Grande  gehen*)  ? 
1  Zeitschr.  für  tfsterr.  Gjmn.  1859,  S.  828.  Si)  fehlt  nach  Gaisford  in  8F  bc, 
wozu  jedenfalls  noch  V  kommt.  Nach  Stein,  der  in  der  ersten  Anf  läge 
seiner  commentirten  Ausgabe  die  Partikel  duldete,  wftre  sie  eine  hin»« 
Zuthat  der  Aldina. 


Herodoteiselie  Stadien  n.  561 

kungen  werden  uns  noch  gar  viele  begegnen.  Hieher  gehört 
z.  B.  in,  22,  14:  l^tjfWfxivwv  Ik  to>v  'lyßoG(f(t{(ay  xbv  x6c[jiov  owtou 
'^tkdaaq  b  ßaaiXeu^  xat  ^o[t.iaaz  shai  a^ea  iriSa^  eTice  0)^  nap'  Icoutouk 
eicn  ^(i)[ii.aX€<i>T6pat  Touriwv  [iceBat].  Oder  IV,  23:  xa».  dicb  t^q -tuoe/utTi- 
Toq  «uTOü  [xTJ^  TpüYb<;]  xotXaOa^  ffuvitOetat  (denn  der  nach  Abfluss 
des  Fruchtsaftes  übrig  bleibende  Rückstand  heisst  im  gewöhn- 
lichen Griechisch  Tp65  und  wird  hier  von  Herodot  xax'^'"??  ge- 
nannt ;  die  Verbindung  beider  Worte  —  von  ihrer  wenig  ange- 
messenen Stellung  abgesehen  —  schlösse  die  falsche  Voraus- 
setzung in  sich,  dass  die  xpj^  auch  nicht  dicke  Bestandtheile 
enthält.  [Die  zwei  Worte  will,  wie  ich  erst  jetzt  sehe,  schon 
Reiske  tilgen,  dessen  Mahnung  aber  ungehört  verhallt  ist]). 
Und  sicherlich  auch  das  Folgende:  VI,  69,  1:  tov  xp6vov  y«P 
[xohq  ^i%a  jxijvaq]  ouSixo)  i^xeiv  — ;  wenige  Zeilen  später  heisst 
es  zu  allem  Ueberfluss:  Tixiou^t  yap  Yuvaixeq  xai  ivveifjLYjva  xai 
£7CTol[JLr|Va,  xa(  oü  xaaai  $^xa  (xi}va<;  i%zekiaaaai.  Gelehrtem  Vorwitz 
entstammt  (meines  Bedünkens)  die  Zuthat,  die  ich  11,  47,  19  an 
der  totalen  Entbehrlichkeit  einer  der  zwei  verbundenen  Bestim- 
mungen und  an  der  ganz  und  gar  unberechtigten  Emphase  der 
asyndetischen  Nebeneinanderstellung  erkenne  in  dem  Satze: 
Totai  (iiv  vuv  aXXo(9t  Ceolat  66e(v  u^  cu  Stxateuai  A(*jwcioi,  SeXn^vY]  ds 
xai  AiovuffO)   (jLOuvotat   tou   outou  xp6vou  [vfi  auti}   xccvaeXi^vo)   tou^]  ^    u^ 


'  Wie  man  hier  den  Artikel  zu  rechtfertigen  vermag,  ist  mir  nnerfindlich. 
(Die  zwei  Worte  xob^  Z^  tilgt  jetzt  Stein,  Commeni.  Ausg.  4).  Er  ist  so 
wenig  zu  dulden  wie  z.  B.  III,  21,  wo  selbstverständlich  auch  ohne  das 
Zeugniss  von  SVR  zu  schreiben  wäre:  Imav  oCrb)  cureWo);  IXxcovi  [xa] 
td^«  n/p9ai  |xeYd^6£a  ToaouTa,  oder  V,  27  fin.:  tou;  dk  afvEaOat  tov  AapE^ou 
OTpsTov  [tov  om.  ABC  d]  arb  SxuO^cuv  oizhta  a]:oxo(Ai|^^(jiEvov,  ,das  Heer  des 
Dariuii  auf  seinem  Rückzug  aus  dem  Skythenland',  wo  schon  Schäfer  ge- 
bessert hatte;  oder  VII,  6:  outoc  (jl/v  ot  [6  om.  SV]  \6yoi  ^v  Tt|i(op^( 
(=  ToiiTO  jxrfv  xtL)  ;  oder  VIII,  69  in. :  rptv  ?j  tov  EupußidtST)V  xpoOstvai  [t^v] 
X^yov  Tüiv  eTvexä  ouviJYayE  tou;  OTpaTTjyou;  (was  Cobet  Var.  lect.  363  be- 
richtigt hat);  oder  VII,  34,  wo  ich  wenigstens  nicht  erst  das  Zeugniss 
von  SVR  abgewartet  habe,  um  die  Sprachwidrigkeit  des  gangbaren  Textes: 
djv  8'  iripr^yf  tiJv  ßußX{v3]v  zu  erkennen.  Es  war  ja  vorher  (c.  26)  zwar 
die  Austh eilung  von  Flachs-  und  Basttauen  an  Phtfniker  und  Aegypter, 
nicht  aber  deren  Verwendung  fUr  je  eine  Brücke  gemeldet  worden.  Zu 
schreiben  ist  aber  die  Stelle  auf  Grund  jenes  Zeugnisses  also:  EYE9upouv 
Totvi  Tcpov^xciTO,  TTjv  (jiK  XeuxoX{vou  <t>o{vtx£;  TTjv  S^  ßußX{v7)v  A^yurTioi,  ,die 
Brücken  errichteten  Jene,  denen  dies  pblag,  die  eine  —  aus  Weiasflachs 
—  die  Phönizier,  die  andere  —  aus  Papymsbast  —  die  AegypterS    Dass 


562  Gomperz. 

66ffavTe?  Tcateoviai  xwv  xpewv.    Das  Ohr  allein  entscheidet^  ich  denke 
ohne  Appell,  über  die  Unechtheit  der  Schlussworte  in  dem  Satze 
(VII,   73):   o\   Ik   4>puYeq,    (5)q  MaxeB6ve?    Xe^ouat,    ixaX^ovro   Bp{-f£^ 
ypövov  8aov  EüpüMcvjtoi  d6vT6<;    (jüvotxot  9Jaav  MaxeSoot,  lAEraßfltvre?    Ss  e^ 
x^v  'Act(yjv  £|jia  TT]  x^PTl  ^^'^  "^'^  oüvo|jLa  iJietsßaXov  [e?  4>p6Ya5].  Vgl. 
sogleich  c.  74 :  ol  §^  AuSol  My](cv£(;  exaXsuvro  'icaXai,  dm  hk  AuSou  tou 
''Atuo?  lo/ov  TYjv  6Wü)Vü[jLiy)v,  fjLSxaßaXovTE?  xb  oüvo|jLa.  —  Doch  kann 
auch  bei  richtig  erklärenden  oder  ergänzenden  Zusätzen  wohl 
mitunter  ein  Zweifel  in  Betreff  ihrer  Unechtheit  zurückbleiben, 
so  gilt  das  nicht  von  jenen  Fällen,    in  welchen   der   Glossator 
selbst  die  Meinung  des  Autors  vollständig  verfehlt  hat.     So  V, 
29  fin.,  wo  die  von  den  Pariern  bewirkte  Neuordnung  der  Ver- 
hältnisse zu  Milet  erzählt  wird.   ,Jene  Wenigen,  deren  Aecker 
die  parischen  Abgesandten  wohl  gepflegt  fanden,  bestellten  sie 
zu  Hütern  des  Gemeinwesens',  tou(;  8e  a>vXou^  MtXiQdtoü^  [ivjq  ^pw 
cxaffiiljovxa;]   xo6t(i)v    Ixa^av   xe{6e(;0a(.     Die  einen  sollten  gebieten, 
die  anderen  gehorchen;  das  Kriterium  war  die  Sorgfalt  und  die 
Sorglosigkeit,  mit  der  sie  ihre  Privatinteressen  verwaltet  hatten, 
nicht  aber  das  Mass  ihrer  Theilnahme  an  der  allgemeinen,  zwei 
Menschenalter  hindurch  währenden  Zerrüttung  des  Staates.  •  — 
Wie  aber,  wenn  der  fremde  Eindringling  mit  dem  Boden, 
auf  dem  er  sich  eingenistet  hat,  zusammengewachsen  und  gleich- 
sam eins  geworden  ist?    Dann  mag  der  befreiende  Schnitt  nur 
gelingen,  wenn  ein  glückliches  Ungefähr  uns  seinen  kaum  zu 
erhoffenden   Beistand  leiht. 


der  Artikel  als  das  nächstliegende  aller  Verdeutlichungsmittel  gar  hfiufig 
eingeschoben  ward,  dies  weiss  ja  auch  Herr  Stein,  der  denselben  mehr- 
fach mit  Recht  g^gen  die  Autorität  der  Handschriften  getilgt  hat,  oder  auch 
(was  für  ihn  auf  dasselbe  hinauskommt)  auf  die  Autorität  der  ersten 
Handschriftenclasse  hin,  wie  HI,  9,  10 :  ^at|>i|iEvov  [tcov]  (o[ioßo^u>v  xa\  [töjv] 
aXX(i>v  Sepiaoctcov  6)^ETbv  (j.7{x£i*  e(ixvs6|ievov  ec  t^v  SvuSpov,  ayayEtv  —  wo  man 
sich  nur  wundert,  dass  ihn  nicht,  wenn  schon  nicht  der  ständige  Sprach- 
gebrauch, so  doch  dieselbe  Autorität  (SV)  veranlasst  hat,  bei  der  Wieder- 
aufnahme des  Satzes  zu  schreiben:  avaYEtv  tk  {itv  (statt  Styii^i),  Auch  IV, 
136,  4  scheint  mir  der  von  SVR  ausgelassene  Artikel  keine  Rechtferti- 
gung zuzulassen  in  dem  Satzglied  &axt  oO  TSTfiLij^iEv^cDV  [iu>v]  o^tov.  — 
^  Wird  nicht  auch  YHI,  41  zum  Mindesten  der  Schwerpunkt  des  Ge- 
dankens verrttckt  durch  die  überlieferte  Schreibung:  loTcsuaav  §k  toutx 
un£x6^a6at  statt  lansuaav  tk  Taura  ,sie  betrieben  dies  (das  Rettungawerk) 
eiffigS  ,sie  beeilten  sich  damit'?  &]:Ex6ia0ai  macht  ganz  und  gar  den  Ein- 
druck einer  aus  dem  folgenden  ure^^xeito  entnommenen  Ergänzung. 


Herodoteische  Studien  n.  563 

Ehe  Herodot  daran  geht,  die  so  erstaunliche  Aufspeiche- 
rung von  Wasservorräthen  und  dem  dazu  gehörigen  Geschirre 
in  der  syrischen  Wüste  zu  schildern,  bemüht  er  sich  vorerst, 
die  Neugier  seiner  Leser  aufs  Aeusserste  zu  spannen.  Er  steUt 
daher  der  Unmasse  von  Weingeschirr,  die  jahraus  jahrein  nach 
Aegypten  wandert,  die  überraschende  Thatsache  gegenüber, 
dass  ,sozusagen  nicht  ein  einziges  leeres  Weinfass  im  Lande 
zu  sehen  ist^  ,Wohin  —  so  mag  wohl  Jemand  fragen  — 
kommt  dies  Alles?'  Worauf  die  systematische  Einsammlung 
und  Fortschaffung  all'  dieses  Geschirres  mitgetheilt  wird.  Nun 
lautet  der  betreffende  Satz  in  unseren  Texten  (III,  6  in.)  also : 
—  i^  AXyjTnoy  Ix  tyj?  '*EXXot8o?  icioT)?  xai  zpoq  ex  4>otv{xY;q  YApa[i.o<; 
eaflcY^Tat  wXKJpyjq  otvou  81^  xoö  eteo?  ixoEffTou,  xal  Sv  xspa{ji.iov 
otvY)pbv  (ipt8|j.(p  xetfxevov  oux  lort  wq  Xd^w  eJicetv  fSdoOai.  xou  ÖYJxa  xtL 
Wozu  Herr  Stein  das  Folgende  anmerkt:  ,81;  xou  Iteo;,  wahr- 
scheinlich, weil  die  Kauffahrer  nur  zweimal  im  Jahre  die  Tour 
von  Hellas  nach  Aegypten  machten.  Von  phönikischen 
Häfen  aus  konnte  sie  schon  öfter  im  Jahre  wiederholt 
werden.'  Die  letztere  Bemerkung  ist  vollkommen  richtig;  nur 
dünkt  es  uns  ein  wenig  verwunderlich,  dass  der  Historiker  dies 
nicht  sollte  eingesehen  haben,  dies  und  noch  einiges  Andere. 
Denn  wenn  jenes  ,8l(;  tou  exeo;  ^xa^rcou'  in  Betreff  Phöniziens 
völlig  sinnlos  ist,  ist  es  mit  Rücksicht  auf  Griechenland  etwa 
besonders  verständig?  Es  mag  wahr  sein  oder  nicht,  dass  der 
einzelne  Schiffer  die  Tour  in  der  Regel  nur  zweimal  im  Jahre 
zurücklegte,  kann  man  darum  fliglich  sagen,  dass  die  Wein- 
einfuhr in  Aegypten  nur  ,jedes  Jahr  zweimal^  stattfand?  Und 
wenn  man  es  sagen  konnte,  welchen  Grund  hatte  Herodot  es 
zu  sagen,  —  es  eben  hier  zu  sagen,  wo  er  uns  von  der  Grösse 
jener  Einfuhr  die  möglichst  stärkste  Vorstellung  beibringen  will 
und  auf  behutsame  Einschränkungen  so  wenig  bedacht  ist,  dass 
er  die  Weineinfuhr  aus  ,ganz  (Griechenland'  stattfinden 
lässt,  ohne  etwa  jene  Landstriche  ängstlich  auszunehmen,  denen 
der  Bacchussegen  versagt  blieb  ?  ,Aus  allen  Theilen  Griechen- 
lands und  überdies  noch  aus  Phönizien'  —  und  »das  ganze 
Jahr  hindurch',  das  stimmt  zu  einander,  und  das  schrieb 
unser  Geschichtschreiber.  Denn  jenes  51;  xou  heoq  £xaoxou 
ist  nur  die  Lesart  der  einen  Handschriftenclasse.  Die  andere, 
die  so  oft  allein   das  Ursprüngliche  bewahrt  hat,   bietet   ganz 


564  Oompers. 

Anderes.  R  und  S  freilich  mit  ihrem  8i'  Iteoc  exicroü  lassen  das 
Richtige  nur  ahnen;  der  Vindobonensis  aber  legt  uns  die  LGsung 
des  Räthsels  in  die  flache  Hand  durch  seine  Schreibung:  2f 
eroui;  sTco^  e/aaiou!  Also  Glossem  und  Glossirtes  nebeneinander 
(wie  in  aUen  Handschriften  touxou  sTvexa  neben  %p6q  lauia  steht, 
I,  165);  nur  hefert  das  Glossem  diesmal  eine  falsche  Elrklä- 
rung :  ^alljährlich'  (lieo?  ^xdoroü)  statt  ,das  ganze  Jahr  hindurch^ 
was  hl  £T6o?  (bereits  im  Archetypus  zu  IC  ixouq  verschrieben, 
gleichwie  z.  B.  VI,  75,  4  «po^ßatve  in  den  meisten  Handschriften 
zu  irpoußatve  geworden  ist)  allein  bedeutet.  Man  vergleiche  11, 
22,  4:  aitvoi  hk  xal  x^XtWve^  8t'  £T6oq  [eövxe??]  oux  aicoXeiicoüai  — ; 
ebenso  St3t  ß(ou,  Sia  vujttöi;,  hC  evtaurou,  St'  VspiQ?  (letzteres  bei  un- 
serem Autor  I,  97,  21;  H,  173,  14;  VI,  12,  9;  VH,  210,  6—7). 
Wie  aber  aus  der  Verschmelzung  des  Erklärten  und  der  Er- 
klärung, durch  Veränderung  und  Tilgung  je  eines  Buchstabens, 
der  Unsinn  der  Vulgat-Lesart  entstehen  konnte,  während  die 
minder  naiven  Vertreter  der  ersten  Handschriftenfamilie  das 
scheinbar  überschüssige  Itoo;  einfach  über  Bord  warfen,  wem 
müssen  wir  dies  erst  weitläufig  erklären?^ 

Doch  ich  erschrecke  über  den  Umfang,  welchen  meine 
Erörterungen  anzunehmen  drohen,  wenn  ich  in  der  bisherigen 
Weise  fortfahre.  Ich  beschränke  mich  daher  fortan  mehr  und 
mehr  auf  das  Wichtigste  und  befleissige  mich  so  grosser  Kürze, 
als  die  Sache  nur  immer  zulässt. 

Drittes  Buch. 

HI,  1 1  fin. :  [>.ixfi^  ^s  y£vo[x£vy)(;  xapTSpij^  xal  Tceaovtwv  i^  aji^s- 
lepwv  Twv  GTpaToxeSüJV  äXt^OeV  tcoXXwv  ^TpixovTO  ot  AiYuxrtoi.  Grewiss 
konnte  Herodot  sich  also  ausdrücken,   wenngleich   er   in  allen 

>  Dass  Herodot  auch  mit  noch  grösserem  Nachdruck  gesagt  haben  könnte: 
,Jahr  für  Jahr  das  ganze  Jahr  hindurch*,  so  dass  die  Lesart  des  Vindo- 
bonensis unverkürzt  in  den  Text  zu  setzen  wäre,  diese  Möglichkeit  ist 
mir  freilich  auch  in  den  Sinn  gekommen  und  sie  wird  der  Wahrschein- 
lichkeit um  einen  Grad  n&her  gebracht  durch  den  analogen  Ansdnick 
des  Komikers  Amphis  (frg.  com.  gr.  IQ,  319):  7:(vou9^  Ixd(7t92c  4(i./pa( 
hC  ;^[i£pa;,  der  mir  nachträglich  zufällig  aufstösst  (obgleich  ich  ihn  Val- 
ckenaer's  Anm.  zu  VI,  12  entnehmen  konnte).  Ob  aber  diese  Ausdrucks- 
weise für  unseren  Historiker  nicht  allzu  epigrammatisch  zugespitzt  and 
darum  die  oben  ausgeführte  Vermuthung  doch  wohl  die  wahrscheinlichere 
ist,  mögen  Andere  entscheiden. 


Herodoteisch«  Studien  IL  565 

anderen  derartigen  Fällen  eine  verschiedene  Ausdrucksweise  ge- 
wählt hat.  So  1, 76 fin. :  Iaocx'")?  ^^  xapiepfi? ^e^oyLirri<; xa\  tc6(j6 vtw v  afx^o- 
T6po)v  xoaXwv.  I,  80  fin.:  yjpovf^  Ik  zeaovTWv  afx^oT^pcov  -juoXXöv 
expocicovro  oi  AuBoi  — .  IV,  201  in.:  XP^*'®'^  ^^  ^^  icoXXbv  Tpißofxevcov 
xal  xiwt6vtü)v  ÄjjL^oTipwv  icoXXöv.  VI,  101  med.:  TCpoffßoXijq  8^ 
YtvofjL^vr;?  xapTspi}^  icpbq  to  tsTx®?  stcitttov  sxl  S^  iQ(A^po(^  zoXXoi  [asv 
d[A90Tepa>v  — .  Allein  stutzig  werden  darf  angesichts  solcher 
fast  stereotyper  Gleichmässigkeit  des  Autors  wohl  auch  der  am 
wenigsten  nivellirungssüchtige  Kritiker,  insbesondere  wenn  er 
zweierlei  erwägt:  erstens,  dass  gerade  an  unserer  Stelle  die 
Worte  afjupoTßpwv  twv  arpaToxdScüv  wenige  Zeilen  vorher  vorkommen 
—  und  zweitens,  dass  in  den  Handschriften  der  ersten  Familie 
s5  fehlt  (e§  om.  SVR;  das  Wort  tilgt  auch  Eaüger  2).  Ist  es  nicht, 
als  ob  wir  die  Interpolation  schrittweise  vor  unseren  Augen  er- 
wachsen sähen? 

HI;  15,  9 — 11:  TToXXoTci  [xev  vüv  xat  dcXXoiai  lort  9TaO|JL(i>9aa6a( 
OTi  Toiko  ouTw  vevofJLixaffi  woteetv,  ev  ik  %a\  tw  ts  Ivdpco  xatSi  6av- 
v6pa,  S?  dbciXaße  n^v  ol  b  xaxrjp  eT^e  dpXT^v,  xal  tw  'AjAupTafou  Ilauoipi  — ^. 
Wenn  der  vortreflFliche  Reiske  den  herodoteischen  Sprachge- 
brauch nicht  eingehend  genug  erforscht  hatte,  um  das  über- 
lieferte ev  8s  xal  TwSe*  'Tvapo)  xt£.  richtig  zu  verstehen,  so  wird 
dies  Niemand  befremden.  .  Wohl  aber  darf  es  uns  Wunder 
nehmen,  wenn  auch  Stein  Reiske's  ,f(ortasse)  tco  ts'  sich  ange- 
eignet und  diese  grundlose  Aenderung  in  den  Text  gesetzt  hat.  > 
Man  vergleiche  vor  Allem  VI,  53  in.,  wo  Herr  Stein  (nach 
meinem  Vorgang,  Zeitschr.  f.  österr.  Gymn.  1859,  S.  828)  die 
Lesart  der  ersten  Handschriftenclasse  mit  Recht  angenommen 
hat:  TflESe  hk  maxa  xi  Xevofxeva  ut:'  'EXXkJvwv  eyci)  ypä?w  touxou^  tou? 
Aa)p(i(i)V  ßaotXeac;  xtI.,  wo  beiläufig  auch  das  grobe  ,proleptische' 
Emblem  touOcOÖ  aTC66vTO?  zu  tilgen  war.     Denn  so  drückt  sich 


*  Ob  InaroB*  Sohn  BavvtSpac  oder  M0aw6pa(  geheissen  hat,  darüber  fehlt  uns 
meines  Wissens  jede  weitere  Kunde.  Auf  Grund  der  nahezu  überein- 
stimmenden Lesarten  von  SVR  schreibe  ich  die  Worte:  Mvapco  tou  A(ßuo( 
ÄÄiBi  MBawups  — .  (V  bietet:  8v  8k  xal  xt^ht  (sie),  'Ivapto  (sie)  tü>  (sie)  A(ßuo; 
natSt  '*l6aw6pa,  (ü(  (sie)  xrl.)  —  Dass  Inaros  schon  c.  12  (wo,  beil&ufig 
Stein  das  treffliche  (von  V  und  R  gebotene)  8iapa^cia;  wieder  ausgemerzt 
hat  und  wo  ttipa;  sicherlich  ein  aus  VII,  61  stammendes  Glossem  zu 
7:(Xou(  ist)  ,der  Libyer*  genannt  ward,  kann  doch  wahrlich  kein  Grund 
sein,  die  zwei  Worte  hier  für  verdächtig  zu  halten. 


566  OoiuperK. 

kein  verständiger  Schriftsteller  aus,  wohl  aber  entspricht  die 
im  Hinblick  auf  das  unmittelbar  folgende:  eXe^a  Be  plsxp^  IIspoeG^ 
TouSe  eivex(z  %xk,  erfolgte  Anfertigung  dieses  Zusatzes  ganz  und 
gar  der  uns  wohlbekannten  Manier  des  Interpolators.  (Besser, 
aber  auch  nicht  völlig  genügend  behandeln  Krüger  und  Abicht 
die  obige  Stelle.) 

m,  20  fin.  —  21  musste  ein  in  der  ersten  Handschriften- 
classe  fehlender  Zusatz  aus  dem  Text  entfernt  werden :  —  xa: 
Syj  xai  xora  itiv  ßaaiXvjCijv  ToicdSe*  ibv  äv  töv  acxcov  xftW^i  jji€Y15tcy 
Te  £tvai  xat  xara  to  (xe^aOo^  ly(^ev^  tvjv  i^x^v,  toutov  [a^touot  om.  SVR] 
ßaotXe6etv.  Denn  was  ist,  so  frage  ich  jeden  Unbefangenen, 
wahrscheinlicher:  dass  ein  Schreiber  oder  Redacteur  jene  echt 
herodoteische  Brachylogie  in  den  Text  hineingefälscht,  oder 
dass  die  Unkenntniss  derselben  die  Ergänzung  veranlasst  hat? 
Man  vergleiche  HI,  84:  luepi  Se  tyj?  ßacjtXriiVi?  eßouXeucovTo  TotovBe- 
oreu  ov  6  wwco?  tqXi'oü  sxavaxeiXavxo?^  7:po)T0{  ^irfiti'zai  —  toötcv  e/try 
TTjv  ßaaiXYjiYjv. 

HI,  52,  6 :  T€TapTT)  Ss  T^l^ept)  tScov  (jliv  o  IleptavSpo^  aXouctvjot  t£  xal 
oaiTiYjct  (jufjLTCcUTwxöxa  oixxeipc  — .2  Diese  einfachen  Worte  sind, 
so  unglaublich  es  scheinen  mag,  von  Uobersetzem  und  Heraus- 
gebern (ja  auch  von  den  Verfassern  des  Thesaurus)  um  die  Wette 
misBverstanden  worden.  Lhardy,  Stein,  Krüger,  Abicht  setzen 
GU[A:;e7CT(ox6T<x  einem  nepticeTcrtoxoTa  gleich;  Rawlinson  geht  dem  ver* 
fUnglichen  Worte  klüglich  aus  dem  Wege,  und  nur  der  gerad- 


*  Dass  mit  SVR  so  und  nicht  sTcavat^XovTo«  zu  schreiben  ist  (vgl.  auch  VII, 
223  in.),  kann  Jedermann  eine  kurze  Ueberlegung  lehren.  Es  galt  hier 
doch  den  Zeitpunkt  so  genau  als  irgend  möglich  zu  tixiren  (,after 
the  sun  was  up^  übersetzt  bestens  der  einsichtige  Rawlinson).  —  Wie  oft 
hat  doch  jene  Haiidschriftenclasse  das  richtige  Tempus  allein  bewahrt, 
so  III,  25,  16,  a)(  Tjxouae  (statt  ^'xouc)  oder  67  in.  eßaatXsuE  statt  eßa9{Xiua£ 
(der  falsche  Smerdis  setzte  ja  nur  seine  schon  begonnene  l'surpatoren- 
herrschaft  fort;  er  begann  sie  nicht  zu  jenem  Zeitpunkt). 

2  Im  Vorangehenden  c.  50  fin.  ist  nach  Schweighäuser^s  und  Wesseliug*» 
Hinweia  auf  II,  162  fin.:  nEptOu(i(i>(  £X°via  (vgl.  auch  II,  45,  13  mi^i 
l/£tv  oder  IV,  95  9  TzavTtX^co^  ityi)  von  Abicht  sepiOujAco;  I/^uiv  sweifel- 
los  richtig  hergestellt  worden.  Dass  Stein,  um  nur  nicht  die  Lesart  der 
ersten  Handschriftenclasse  (r:sptOu(jL(o$  SVR)  annehmen  zu  müssen,  lieber 
auf  Schäfer 's  zipi  Ou(aü>  e/opvo^  zurückgreift  und  selbst  sein  ,coniectabam 
Ktpi  Ou(jL(o  ayOd|jievo(^  der  Erwähnung  werth  achtet,  darüber  darf  man  fQg- 
lieh  erstaunt  sein. 


Herodoteiwhe  Studien  11.  567 

sinnige  alte  Lange  übersetzt  saöh-  und  sprachgemäss,  wenngleich 
nicht  allzu  zierlich:  ;ZU8anlmengefallen^  Diese  Auffassung  ist 
natürlich  allein  richtig.  Wir  erwarten  hier,  wo  das  Herz  des 
Fürsten  durch  den  Anblick  des  unglücklichen  Prinzen  gerührt 
wird,  die  Wirkungen  der  von  ihm  erduldeten  Entbehrungen, 
des  Hungers  und  der  mangelnden  Körperpflege  bezeichnet  zu 
finden.  Da  es  nöthig  scheint,  fiige  ich  den  wenigen  von  den 
Wörterbüchern  angefllhrten  Belegen  dieses  Qebrauches  von 
oufjizCxrti)  einige  weitere  hinzu :  Erasistratus  ap.  Aul.  Gell.  (Noct. 
att.  16,  3  =  n,  150  Hertz):  iXo-^i^Siu^a  o3v  «apa  tSjv  to/üpav  cüfji- 
WTwaiv  Ti}?  x,oiXta^  elvat  ttjv  (eTvat  nva?)  ofoSpa  daiTiav  x-xi.  — 
Genesis  (LXX)  4,  5 — 6:  cüv^xeae  xb  wpöaowccv  coü.  —  Plutarch. 
de  curiosit.  c.  2  (624,  42  Dübn.) :  olnta^  ^[aicoOco^  iax&f  (Aristipp 
nämlich,  als  er  vor  Begier  brannte,  Sokrates  kennen  zu  lernen), 
&axe  T(j>  otb[kaxi  aupLxeaeTv  xat  -yeveoOat  navrobcaaev  (i)xpb^  xai  toxvo^. 
AehnUch  ist  der  Gebrauch  von  ouvn^xsaOac.  Zur  Sache  vergleiche 
man  auch  Eurip.  Orest.  226:  cb^  i^ypicocat  iik  (AOExpa^  aXouaio^. 

Der  unglückliche  Vater  lässt  kein  Mittel,  unversucht,  um 
den  harten  Sinn  des  zürnenden  Jünglings  zu  beugen  oder  zu 
erweichen.  Er  schlägt  den  Ton  ernster  Ermahnimg  an  und 
gleich  darauf  jenen  des  zärtlichen,  gemüthvollen  Zuspruchs: 
et  Y«P  "f'?  ffüfJL^optj  Iv  ecoüToTat*  Y^T^ve,  e§  f^q  utcoiI/itjv  iq  i[i,k  ex^i?, 
e|jiot  TS  atjT»)  'xi'^o^t  xat  eya)  aui^?  xb  wXeuv  [xeTox«?  eipit.  Dies 
sind  ungemein  wohlgewählte,  überaus  sorgfältig  abgewogene 
Worte.  Sie  schliessen  ein  halbes  Schuld-  und  Reuebekenntniss 
in  sich,  aber  doch  nur  ein  halbes.  Und  die  dichten  Schleier 
der  kunstvoll  gewobenen  doppelsinnigen  Rede  dämpfen  den 
Eindruck  auch  dessen,  was  kein  Missverständniss  zulässt.  Wie 
ein  ^verletzend  greller  Lichtstrahl  fUhrt  aber  in  diese  wohlberech- 
nete Dämmerung  das  nunmehr  folgende  Satzglied:  Sau)  ouri; 
a^ea  e^epYOGafjiYjv !  Was  soU  dieses  uniimwundene,  unverblümte 
Geständnis»?    Was  kann  Periander  bewegen,  ein  solches  abzu- 


'  ,Deiin  wenn  ein  Unglück  unter  uns  geschehen  ist*  —  dies  ist  der  vom 
Zusammenhang  geforderte  Gedanke.  Und  mit  Recht  lässt  uns  Eltc 
(Jahrb.  iiupp.  Bd.  IX,  127)  nur  die  Wahl,  diese  Bedeutung  in  den  über- 
lieferten Worten  (iv  auTor^i)  zu  finden  oder  dieselben  durch  ev  ItouToiai 
zu  ersetzen.  FUr  die  erstere  Auffassung  liefert  er  kaum  genügende,  fUr 
die  letztere  vollkommen  ausreichende  Belege,  auch  aus  unserem  Autor 
(insbesondere  V,  20,  4). 


568  Gomper«. 

legen?  Warum  sprach  er  eben 'erst  von  dem  ,  Argwohn',  den 
der  Sohn  gegen  ihn  hegen  mag^  wenn  er  entschlossen  war,  ihm 
selbst  die  vollC;  zweifellose  Gewissheit  zu  geben^  das  Entsetz- 
liche nackt  und  ohne  jede  Bemäntelung  mit  wahrhaft  verblüf- 
fender Offenheit  auszusprechen?  Und  wie  stimmt  dieses  un- 
verhüllte Armensünder- Bekenn tniss  zum  Folgenden,  wo  uns 
nicht  etwa  der  Ausdruck  reumüthigster  Zerknirschung,  sondern 
der  Appell  an  die  väterliche  Autorität  entgegentritt,  (5xoi6v  t.  s^ 
-zdiiq  zoY.ioL(;  xal  tou^  xpecoova^  TeOufxtoaOai)  ?  Ich  kann  es  nicht 
glauben,  dass  diese  Worte  echt  sind  und  dass  Herodot  sich  in 
einem  Athein  als  einen  Meister  und  als  einen  Stümper  in  der 
Kunat  psychologischer  Berechnung  erwiesen  hat.  Wohl  aber 
ist  es  unschwer  begreiflich,  dass  die  absichtliche  Zweideutig- 
keit des  schliessenden  Satzgliedes  (,und  ich  habe  daran  den 
grösseren  AntheiP)  die  ergänzende  Thätigkeit  eines  alten  Inter- 
polators  herausgefordert  hat. 

TouToo  ^k  [JLV]xeTi  e6vTo^,  ^euTspx  tcjv  Xoitccjv  u[mv  &  Qepffat  y*-~ 
vetai  (AOi  avorpcai^TOTOv  evxeXXeaOai  Ta  OeXo)  [xoi  Y^veoOai  TeXeuxäv  tsv 
ßiov  (in,  65,  15).  Hier  haben  die  zwei  durchschossenen  Worte 
bisher  keinerlei  befriedigende  Erklärung  gefunden.  Denn  Stein* s, 
Abicht's  und  Bjrüger's  übereinstimmender  Vorschlag,  den  Genetiv 
von  avorpcaioTaTOv  abhängen  zu  lassen :  ,das  Dringendste  von  dem 
Uebrigen',  ,unter  dem  Uebrigen,  was  ich  noch  zu  sagen  habe', 
,den  übrigen  Aufträgen',  ist  augenscheinlich  verfehlt.  Weder 
begegnet  uns  im  Folgenden  die  leiseste  Hindeutung  auf  derartige 
weitere  Aufträge  (oder  auch  auf  die  Unmöglichkeit,  dieselben 
vorzubringen),  noch  findet  hier  überhaupt  —  und  dies  ist  ent- 
scheidend —  der  Uebergang  zu  einem  neuen  Thema 
statt.  Nicht  von  einem  Gegenstand  zu  einem  andern  wendet 
sich  Kambyses,  sondern  von  einer  Person  zu  anderen,  von  dem 
ermordeten  Smerdis  zui*  Gesammtheit  der  Perser.  Er  spricht 
vorher  wie  nachher  von  dem  einen  Anliegen,  das  seine  ganze 
Seele  ausfüllt  und  den  einzigen  Inhalt  seines  letzten  Willens 
ausmacht:  von  der  Nothwendigkeit,  dem  Usui'pator  die  ange- 
masste  Herrschaft  zu  entreissen.  Soeben  hatte  er  den  verhäng- 
nissvollen Irrthum  beklagt,  welchem  derjenige  ztun  Opfer  fiel, 
,dem  es  am  meisten  zukam,  die  von  den  Magern  erlittene 
Schmach  zu  rächen*.  Da  der  Bruder  —  so  fährt  er  fort  — 
nicht  mehr  unter  den  Lebenden  weilt,    so   seid   —   in  zweiter 


Herodoteisehtt  Studien  II.  569 

Reihe  —  unter  allen  Uebrigen  Ihr  Perser  diejenigen,  die  mir  am 
nächsten  stehen,  mit  mir  durch  das  engste  und  stärkste  Band 
{oL'idirfß.ri)  verknüpft  sind  und  an  die  mithin  mein  Auftrag  ergehen 
muss.  (Eine  wortgetreuere  Uebertragung  scheitert  an  der  Unmög- 
lichkeit, den  in  avoYxaiiTorov  liegenden  Doppelsinn  im  Deutschen 
wiederzugeben.)  Total  unzulässig  ist  die  alte  Auffassung,  ver- 
möge  welcher  tcov  Xoticcov  von  Seuiepa  abhängen  soll.  Von  der 
Unzulänglichkeit  des  also  zu  gewinnenden  Gedankens  abgesehen, 
(der  wieder  ein  verschiedener  ist  bei  Valla:  ,secundum  ex  re- 
liquis'  und  bei  Lhardy:  ,an  zweiter  Stelle  unter  den  Uebrigen', 
wobei  die  Uebrigen  ,alle  Perser  nach  Abrechnung  des  Smer- 
dis'  sein  sollen !)  spricht  der  herodoteische  Sprachgebrauch,  der 
nur  ein  absolut  gebrauchtes  oder  ein  im  Sinne  von 
ü9T£pov  mit  einem  Genetiv  verbundenes  SeutEpa  kennt,* 
peremptorisch  dagegen.  Wer  die  zwei  Worte  nicht  tilgen  will 
(und  dazu  würde,  meines  Erachtens,  nicht  die  Berufung  auf 
Vin,  5  oder  VI,  123  genügen,  wo  dieselben  oder  ganz  ähnliche 
Worte  anerkanntermassen  unecht  sind),  der  wird  sich  wohl  bei 
unserer  Auslegung  derselben  beruhigen  müssen.  Zur  Ungleich- 
artigkeit  der  verglichenen  Begriffe  vgl.  unsere  Bemerkungen 
und  Verweisungen  zu  IX,  82,  8. 

III,  69  fin. :  [xoOou^a  ik  oh  xake'K(a^  dXX*  eurex^o)^  oux  ^ovxa 
[tov  dfv8pa?|  Ato,  d)^  ^(^^pv)  Ti)ri<rra  ^6-)f6v66,  TciiK^^aooi  ioi^fjivjve  tco  xaipi 
[t2  Yev6(4.6va].  Die  letzten  zwei  Worte  sind  nicht  nur  vollkom- 
men entbehrlich  (vgl.  IV,  76,  9 — 10:  xat  töv  tc?  SxuOdcov  Mxa- 
^pOLobtiq  ourbv  tauta  xoieuvr«  ^oi^fAigve  reo  ßaariX^i  £auX((i)),  sie  sind 
auch,  da  es  dem  Otanes  um  den  ermittelten  Sachverhalt  weit 
mehr  als  um  den  Vorgang  der  Ermittelung  zu  thun  ist,  so 
wenig  passend,  dass  die  Uebersetzer  ihr  Vorhandensein  ein- 
müthig  ignoriren  (,and  of  this   —  she  sent  word  to  her  father' 

>  Zur  ersten  Kategorie  gehören,  falls  mir  nichts  entgangen  ist,  die  folgen- 
den Fälle:  I,  112  16,  126  9;  n,  137  18,  168  n;  in,  14  18,  22  13,  81  U, 
53  9,  68  16,  74  1,  80  II  (wo  Stein  in  kaum  glaublicher  Weise  irrt,  indem 
er  to6t(i>v  von  Bi6tfpa  abhängen  lässt,  statt  von  dem  folgenden  oi^^), 
186  17;  IV,  76  i»,  146  is  (ti  Scurcpov);  V,  36  19,  38  83;  VII,  63  in., 
136  6,  141 15  und  10,  209  fin.;  IX,  42  ö,  99  in.  (wobei  wir  den  prädic&tiven 
Gebrauch  des  Wortes  von  dem  adverbialen  nicht  gesondert  haben).  Von 
Fällen  der  sweiteu  Art  kenne  ich  nur  1,  91  21  (Scuxepa  8k  toutwv  xato|jivcii 
a^rih  i7:^plxt9t)  und  VII,  112  in.  (SiuTcps  toutcüv  ;capa|Ac{ßrro  xtixt*  xa  Ili^paiv); 
lur  letzteren  Stelle  mag  man  Krüger's  Verweisungen  vergleichen. 

SiUvapbtr.  d.  phil.-hitt.  Cl.    CUl.  Bd.  U.  Hfl.  87 


570  Gompera. 

Rawlinson ;  ,uiid  that  ihm  die  Sache  kund'  Stein ;  *  ,und  sagt'  es 
ihm  an'  Lange).  Das  Wort  YevopiEva  verdankt  auch  ein  anderes 
Mal  (VI,  75, 9,  Zeitschr.  f.  österr.  Gymn.  1859,  828)  dem  gleichen 
Ergänzungsbestreben  des  Interpolators  sein  Dasein.  So  trefflich 
femer  der  Artikel  an  seinem  Platze  ist  Z.  5  af  aaov  ourou  la  &xa  oder 
Z.  13  xk  ixa  a-rcsTajjLS,  so  unpassend  dünkt  er  mir  in  dem  Satz- 
glied Z.  9,  das  ich  im  Uebrigen  mit  einem  Theil  der  Hand- 
schriften (zum  Theil  nach  Bekker)  also  schreiben  möchte :  st  vip 
Bt]  |x^  I/wv  tuYXö^vei  [xa]  ixa  — .  (Der  Vindobonensis  hat  st  mit 
SR,  TüY/avet  mit  Medic.  und  Pass.,  und  die  Wortstellung  wie 
S  und  R.) 

Wer  nur  Stein's  Ausgabe  benützt  und  einiges  kiitische  Ver- 
mögen besitzt,  der  läuft  fortwährend  Gefahr,  Emendationen  zu 
finden  und  als  neue  vorzubringen,  die  bereits  in  einigen,  in 
vielen  oder  auch  in  den  meisten  Ausgaben  ^verzeichnet  sind.  Mit 
genauer  Noth  bin  ich  dieser  Fährlichkeit  in  Betreff  des  Schlusses 
von  m,  73  entgangen.  Gobryes  endigt  seine  Rede  mit  dem 
Rathe,  so  lange  beisammen  zu  bleiben,  bis  man  darüber  einig 
geworden  ist,  den  Pseudo-Smerdis  schnurstracks  anzugreifen  und 
zu  tödten:  |Jly)  SiaXusGÖai  h.  tou  cuXXoyou  touSs  aXX'  (tj)  tivTo^  sxi  tev 
MflCYOv  IHtix;,  Diese  vorzügliche,  zu  dem  kraft-  und  schwung- 
vollen Ton  der  Rede  trefflich  stimmende  Lesart  der  ersten 
Handschriftenclasse  (statt  der  Vulgata:  aXXoöt  lovra?  ^)  ist  — 
sammt  der  selbstverständlichen  kleinen  Ergänzung  —  schon  von 
Palm  und  von  Dindorf  angenommen  worden;  ich  erwähne  dies, 
weil  nicht  nur  Stein  gewohnter  Weise  darüber  schweigt,  sondern 
auch  die  anderen  neuen  Herausgeber  die  Besserung  nicht  zu 
kennen  scheinen  (vgl.  IX,  109,  8:  toü  sixeXXe  ouSei?  ap^siv  aXX'^J 
ixstvY).    Empfiehlt  sich  nicht  auch  IV,  131,  10  die  Schreibung: 


1  Steines  Deutung  der  Worte  in  der  commentirten  Ausgabe  (,den  wahren 
Sachverhalt^)  wird  durch  die  von  ihm  herbeigezogenen  Stellen  keines- 
wegs ausreichend  erhärtet. 

3  Dass  selbst  dies  keine  Uebertreibung  ist,  mag  ein  ergötzliches  Beispiel 
lehren.  Cobet,  der  nur  Steines  Textausgabe  vor  Augen  hat,  glaubt  (Mnemos.^ 
XI,  88)  die  ,vera  lectio'  (jlouvo;  (jlouvöOev  (I,  116,  4)  zum  ersten  Male  zu  er- 
mitteln. Dieselbe  steht  jedoch  schon  bei  Jacob  Gronov  im  Texte,  des- 
gleichen in  fast  all  den  Ausgaben,  die  mir  zur  Hand  sind,  so  bei  Gais- 
ford,  Bekker,  Dindorf,  Dietsch,  Lhardy  und  (was  nicht  am  mindesten 
bemerkenswerth  ist)  bei  Stein  selbst  (Ausgabe  m.  deutsch.  Anm.,  1.  Aufl.).— 


Herodotoische  Stndien  II.  571 

6  Sfi  oü8b  sfYj  ol  iTceoraXOai,  aXX'  tj  [codd.  oXXo  fj]  86vTa  xijv  TaxtaTT)v 
flncaXXa99€a6ai  ?).  ^ 

m,  97,  7  hat  die  Restitution  der  in  Folge  des  missverstan- 
denen  Zwischensatzes  (s.  oben  I,  S.  172)  arg  geschädigten  Stelle 
natürlich  von  der  trefflichen  Lesart  der  ersten  Handschriften- 
classe  ](h^  exa^avTo  SR,  Ik  eTd^avio  V)  auszugehen:  Kokyoi  ik  -ca 
iTa^ovTO  [i^  Ty]v  3a)p£V]v]  xal  ol  xpo9e'/le^  V-^X9^  Kauxaato;  5peoi;  (e^  xovho 
Yop  TO  ipoq  uTub  n^poYjffi  dep/exat,  Ta  ^k  %po^  ßop^r^v  avc{Jiov  toü  Kauxol- 
9(oq  üepaecov  cuS^v  Ixt  ^povril^ec),  outoi  i^v  8ü)pa  Ta  ^To^avco  Sti  xal  e^ 
ept^  Bti  zevTeTTQpiSs;  aYiveov  xx^.  Sehr  bemerkenswerth  ist  es,  dass 
schon  Reiske  (von  der  nothwendigen  Ausscheidung  der  drei 
interpolirten  Worte  '^  abgesehen)  diese  Herstellung  fand,  obgleich 
ihm  nur  die  schlechte  Lesart  der  zweiten  Handschriftenclasse 
(V  exa^iv  o»)  vor  Augen  lag.  Die  Phrase  iq  xyjv  Bcopei^v  begegnet 
n,  140,  2,  wo  sie  ganz  wohl  an  ihrem  Platze  ist;  hingegen  er- 
scheint sie  ni,  135  fin.  in  einem  nicht  nm*  völlig  entbehrlichen, 
sondern  durch  den  Widerspruch  mit  dem  Vorangehenden  auch 
verdächtigen  Satzglied :  XY)y  {xevxot  6XxiSa,  vfyf  oi  Aapeio;  iicorffiXXexo 
[1^  xt)v  Sü)peY)v  xoTat  aSeX^eoTai],  $£xeoOai  I^tq.  Vorher  heisst  es- 
So>pa  ii  [Aiv  x^  xaxpi  xai  xoTai  ^SeX^eotct  ixdXeue  nivxa  xa  Ixeivou 
hQt%ka  Xaßövxa  OYeiv,  ^ a^  oXXa  ol  xoXXoncXifaia  divxt3(i>9£tv  *  xpb^  S^  [£^ 
xa  Sfa>pa  ?]  iXxaSa  ol  If Tj  9U(iißaXe£96at  xxl.  Die  Verbindung  xi99£oOai 
et^  XY)v  3(i)p£i4v  müsste  als  grammatisch  möglich  erwiesen  werden, 
wenn  man  sich  bei  Stein's  Conjectur :  KöX/ot  ik  xa^fli{Ji£vot  Iq  xt)v 
iiop&fyt  beruhigen  sollte. 

Die  Anschaulichkeit  der  Erzählung  gewinnt  allezeit  durch 
scharfe  Scheidung  der  auf  einander  folgenden  Zeitmomente. 
Wie  lässt   es  sich    daher  bezweifeln,   dass  UI,   110  fin.   mit 


1  Sollen  wir  tthrigens  in  diesem  kleinen  MeiBteretück  der  Redekunst,  wo 
Alles  Feuer,  Ungestüm,  kraftvolle  Gedrungenheit  ist,  einen  so  matten 
und  abschwächenden  Zusatc  dulden  müssen,  wie  er  uns  sogleich  in  den 
Anfangsworten  begegnet:  SvSpe;  ^{Xoi,  i^(itv  xdti  xdlXXiov  icap^ei  avavcDoaoBai 
T^v  ipx^'^1  ^  ^^  T'  ¥'^  ^^^  '^^  C9^(ie6a  [aurJjv  ävaXoßetv],  ahcoGaveiv  (m,  73  in.)? 
Die  (Fülle  des  Ausdrucks*  bei  Herodot  hat  sehr  weite  Grenzen,  aber 
doch  Grenzen;  ausserhalb  derselben  liegt,  meines  Erachtens,  auch 
•EXX^vwv  IX,  72,  3  (vgl.  IV,  63  in.)  oder  i^jJLrfpi)  I,  32,  4. 

>  ,Als  ihr  pflichtmXssiges  Geschenk*  erklärt  Stein  und  verweist  zugleich 
auf  n,  140  wo  er  dieselben  Worte  ganz  richtig  und  ganz  anders  (,zu 
dieser  Gabe*)  ttberseUt  hatte. 

37» 


572  Oomper«. 

der  ersten  Handschriftenclasse  zu  schreiben  ist:  ':a  5sT  ix- 
afxuvapi^vou?  (SV  statt  axa[Xüvo|jL^voü;)  dcxb  twv  590aX(i.ti>v  c^ma 
Spexeiv  vfyf  xaaCiQv,  und  sogleich  wieder  111,  15:  taq  8£  cpve6s^ 
x,aTaxTa[xiva^  (SVR  statt  xofconr6TO|jL^va;  outwv,  das  letzte  Wort 
tilgt  auch  Stein  mit  Anderen)  «va^opeeiv  i%\  Ta<;  veoaciig?  Bin 
ich  allzukühn,  wenn  ich  auch  die  vollkommen  entbehrlichen, 
in  den  zwei  Handschriftenfamilien  verschieden  angeordneten, 
aus  dem  Vorangehenden  wiederholten  Worte  -ci  twv  uicov^üyiwv 
[Kikta  oder  la  pL^Xea  töv  md^irfitii^  ebenso  für  eine  schon  im  Arche- 
typus vorhandene  Objectsergänzung  halte,  wie  dies  z.  B.  V,  92 -^f 
15  sicherlich  die  in  der  ersten  Classe  fehlenden  Worte  tc  ic«5isv 
sind  (tov  7:pü)Tov  ourcov  Xaßövxa  xpocouSiaai ,  vgl.  dort  Z.  11  und 
Z.  17)? 

m,  113,  9:  i{Jia^föot(;  ^ap  icoisuvte;  uiccS^ouac  outa^  TV}7t  oi»pi^u 
Ivb«;  iitdloTOü  xTT^veo^  'rijv  oup^v  Iw'  i(j.a^(Sa  xaiaS^ovre«;.  Hier  bieten 
die  sämmtlichen  Handschriften  den  sinnwidrigen,  aber  bisher 
nicht  angefochtenen  Zusatz  ^xiotr^v  nach  afJia^lSa,  etwa  wie  jene 
der  zweiten  Classe  IV,  72,  6  das  einfache  Itc'  Ttcxov  (so  SVR) 
nicht  geduldet  haben  in  dem  Satze:  Tä)v  ^k  3^  vsT^vtoxcov  wv  oxc- 
«eiuviY[xev(i)v  töv  xevn^xovra  Sva  Sxaarov  dvaßißaljoüat  6x1  tbv  Vxicov  — . 
Denn  gezwungen  wäre  die  Erklärung  ,auf  das  zum  Jüngling 
gehörige  Pferd';  ist  doch  im  Vorangehenden  zwar  von  (Unfzig 
JüngUngen  und  fünfzig  Rossen,  nicht  aber  von  ihrer  Zusammen- 
gehörigkeit die  Rede  gewesen,  die  eben  mit  diesen  Worten 
ausgesprochen  wird:  ,Von  den  fUnfzig  erdrosselten  Jünglingen 
setzten  sie  je  einen  auf  ein  Pferd/ 

HI,  1 15  in. :  Auiai  [x^v  vuv  h  te  tyj  'Acttj  e^x^t^i  swt  xat  h 
T^  AißuY)*  xept  Ik  TÖV  £V  T?i  EupoVicv)  [töv  xpb^  doxspr^v]  e^xariectiv 
e^ü)  jx^v  Oüx  dTpexeux;  X^ysiv  oute  yop  l^uiYe  cvB^xofxai  'Hpt5av6v  tivj 
(add.  SVR)    xaXeecOai  xpb?  ßapßipwv  xoTafjibv   exJiScvT«  iq  SocXos^av 

TTjV    Xpb^    ßopäKJV    aV6(JL0V,     ix'    5t€U    TO    iJXeXTpOV    ^OlTOV    Xo^eg    ETO,      C'JT£ 

vt^aou«;  oIBa  Ka9C(T£p{Ba;  eouaa«;  [ex  töv  b  xaaotTepoc  i^fxtv  foiT«].  Diesmal 
hat  der  Interpolator  seine  Sache  schlecht  gemacht.  So  wenig 
Hcrodot  bei  Asien  und  Libyen  blos  an  den  Osten  denkt  und 
denken  kann,  sondern  neben  diesem  (106  in.  xpb(;  Ttjv  i^^ö)  auch 
den  Süden  (107  in.  'Kphq  S'  au  {i.£aa{JißpiiQ;)  und  den  Südwesten 
(114  in.  oxoxXtvofxevY)^  hk  {Jieffapißptric;  —  i:poq  Sivovra  f|Xiov)  im 
Auge  hat,  ebenso  wenig  kann  er  hier  den  Norden  ignoriren. 
Und  er  ignorirt   ihn  auch  thatsächlich   nichts    da  er  ja  sofort 


Herodoteinclie  Stadien  11.  573 

vom  Nordmeer  und  alsbald  auch  vom  nordischen  Festland 
spricht  (116  in.  izpo^  Ik  apxtou  vfi^  Eüpcj^^  x,t4.)!  Genannt  aber  hat 
er  an  der  Spitze  des  Capitels  gewiss  keine  dieser  Weltgegenden^ 
sondern  sich  damit  begnügt^  den  zwei  schon  behandelten  Erd- 
theilen  den  dritten  gegenüberzustellen,  das  Uebrige  der  Ein- 
sicht seiner  Leser  überlassend.  Zu  'HpiSav6v  Tiva  und  oute  ^aoug 
oT8a  Kananipilaq  iodaa^  vergleiche  man  den  uns  so  wohlbekannten 
Satz:  Ol)  ydp  tiva  lYcoye  olZa  icoxafjibv  'Qxeovbv  s6vTa  (ü,  23),  wo 
auch  die  Fortsetzung ,  der  Hinweis  auf  den  poetischen  Ursprung 
des  Wahnglaubens^  zu  dem  hier  Folgenden  stimmt  (ikb  :roiY)Tiu) 
Bs  Tivoc;  T:oiT)6iv).  ,Und  was  die  Zinninseln  betrifft,  so  weiss  ich 
auch  nichts  von  wirklichen  Inseln  dieses  Namens'  —  wie  kann 
sich  hieran  der  von  uns  eingeklammerte  Satz  anschliessen,  da 
doch  aus  dem  Nicht-Seienden  weder  das  Zinn,  noch  sonst  etwas 
herstammen  kann?  Einen  blossen  Glauben  oder  eine  Sage 
weiss  aber  Herodot  sehr  wohl  auch  sprachlich  von  der  Wirklich- 
keit zu  unterscheiden;  warum  sagte  er  nicht  auch  hier,  falls 
er  dies  ausdrücken  wollte,  ^oitäv  \6^o<;  im,  oder  (wenn  er  vor 
der  Wiederholung  der  soeben  gebrauchten  Wendung  zurück- 
scheute) fotiav  ^afft  oder  X^^ouai?  Der  Name  der  ,Zinninseln' 
sprach  eben  deutlich  genug  und  bedurfte  keines  Commentars; 
es  genügte,  wenige  Zeilen  nachher  den  realen  Sachverhalt,  von 
allem  Problematischen  geschieden,  festzustellen:  e?  e^xaTTi;  8' wv 
5  TS  xaaffiTepo^  Vjpuv  ^orca  %a\  tb  ^SXexTpov. 

Seltsamer  Weise  scheint  noch  kein  Herodot- Forscher  be- 
merkt zu  haben,  dass  die  Schlussworte  von  HI,  143  an  ihre 
gegenwärtige  Stelle  passen  wie  die  Faust  auf  das  Auge.  Maian- 
drios  hat  die  namhaftesten  seiner  Widersacher  in  den  Kerker 
geworfen;  er  erkrankt  und  schwebt  in  Lebensgefahr;  sein  Bruder 
Lykaretos  tödtet  die  Gefangenen,  um  sich  nach  dem  Ableben  des 
Bruders  der  Herrschaft  um  so  leichter  bemächtigen  zu  können. 
Was  soll  da  der  begründende  Satz:  ,Denn  sie  wollten  eben, 
wie  es  scheint,  ganz  und  gar  nicht  frei  sein?'  Hingegen  wären 
diese  Worte  an  einer  früheren  Stelle  sehr  wohl  an  ihrem  Platze, 
dort  wo  dem  Maiandrios,  als  er  ,der  gerechteste  der  Menschen' 
sein  imd  den  Samiem  ihre  Freiheit  wiedergeben  wiU,  statt 
freudigen  Entgegenkommens  und  begeisterten  Dankes  nur 
Anklagen  und  Chicanen  zu  Theil  werden  und  die  Ausführung 
seines  edlen  Vorhabens   vereiteln.    Hier  (143  in.)   möchte  ich 


074  OomperB. 

die  wohl  einst  zufällig  ausgelassenen,  am  Rande  beigeschrie- 
benen  und  am  unrechten  Orte  eingesetzten  Worte  einschalten, 
wie  folgt:    MaiovBpio^  ^k  v6(i)  XaßoW,  b>^  et  {jLSD^aet  xfyf  opxV  aX>^ 

Ti^  dvr'  oüTOü  Tupavvo?  xaraan/jaeTat  (ou  fo^  ^^>  <«>?  oixaai,  eßouXovts 
etvat  eXeuOepoc),  ouS'  In  ^  iv  voco  eT^e  |JL£Ti^vai  oeuti^v,  aXX*  ciK  cevex<Vvf9£  e^ 

Viertes  Buch. 

Wer  an  den  Rhythmus  der  herodoteischen  Sprache  gewohnt 
ist,  der  wird  bei  den  Worten  IV,  9,  4 — 5 :  syci)  y«P  e^  ^£^  'f?-^ 
xaiBoE«;  l^^*'  sofort  einen  Anstoss  empfinden.  Denselben  räumt 
die  Lesart  der  ersten  Handschriftenclasse  (die  Bekker  auf- 
nahm) aus  dem  Wege:  1/^  W  ^^  ^^^  voHiaq  TpeT?.  Dass  dies 
Stein  nicht  fühlt  und  nicht  auch  durch  derartige,  an  sich 
kleine,  aber  durch  ihre  unaufhörliche  Wiederkehr  bedeutsame 
Mahnungen  zu  einer  richtigeren  Würdigung  dieser  Familie 
geflihrt  ward,  dünkt  uns  gar  befremdlich  —  um  so  befremd- 
licher ,  da  er,  der  Macht  der  Wahrheit  widerwillig  gehorchend, 
eben  in  diesen  Partien  nicht  selten  Lesarten  von  SV  oder  SVR 
annimmt,  die  wahrlich  keinem  noch  so  geschickten  antiken 
Corrector  ihr  Dasein  verdanken  können,  so  SiaXefeeiv  (statt  Sta- 
XiTCciv)  in,  155,  18,  die  Auslassung  von  toT(;  neporjai  HI,  156,  15, 
von  dpxovTwv  rV,  5,  20. 

Ueber  die  so  schwierige  als  vielbehandelte  Stelle  FV,  11 
will  ich  (von  den  Abenteuerlichkeiten  der  neuesten  Herausgeber 
absehend)  nur  so  viel  bemerken,  dass  selbstverständlich  von 
der  völlig  sinngemässen  Lesart  der  ersten  Handschriftenclasse  aus- 


1  Zur  Rechtfertigung;  dieser  trefflichen,  wenngleich  nur  von  S  dargebotenen 
(von  Schweighäuser,  Gaisford,  Bekker  u.  s.  w.  angenommenen,  von  Stein 
jedoch  wieder  verschmähten)  Besserung  (statt  ou  $ij  ti)  genügt  der  Hin- 
weis auf  den  Qedankenzusammenhang  und  allenfalls  auf  Stellen  wie 
VI,  133,  2 :  o\h\  Ilaptoi  oxto;  [jl^v  ti  8a>9ou9t  MiXrtaBT]  [apyjplou  secl.  Kriiger] 
oOSk  dievoEuvTo,  ol  Sl  oxco;  Sia^uXdciouot  Tfjv  icAtv  [touto  om.  SV]  e{i?)X^avtfovTo 
xti.  Hier  wie  dort  deutet  oOB^  auf  die  Schwierigkeit  oder  Unmöglichkeit 
der  Ausführung  hin,  neben  dem  Nichtvorhandensein  (beziehungsweise 
Nichtmehrvorhandensein)  der  betreffenden  Absicht.  Dass  diese  allein 
sinngemässe  Lesart  (die  an  letzterer  Stelle  Steines  ABC  und  S  dar- 
bieten) in  VR  durch  ouSiv  verdrängt  ward,  sollte  uns  nicht  hindern, 
sie  in  den  Text  zu  setzen. 


Herodoteische  Stodi«ii  II.  ö75 

zugehen  und  das  von  Valckenaer  so  freiFlich  gefundene,  durch 
die  schlagendsten  Parallelen  gesicherte  (Aivsvxo«;  anzunehmen  ist 
(vgl.  insbesondere  VI,  22, 7—8 ;  VE,  173, 9—1 1 ;  VIII,  74, 20—22 ; 
IX,  55,  24),  wodurch  wir  zu  Bredow's  (pag.  29)  und  Herold's 
(emend.  herod.  I,  pag.  6)  Schreibung  gelangen:  ax;  oxaXXaaaedOai 
xp^Yfia  eiY)  [ixfik  7:po^  xoXXob?  |ji.6vov(Ta<;)  xiv^uveuetv.  Und  dabei 
könnte  man  sich  beruhigen,  wenn  nicht  einerseits  die  drei  Buch> 
Stäben  A60  vor  MGNON  eine  Erklärung,  beziehungsweise  Ver- 
wendung heischten,  andererseits  das  blosse  zpb^  tcoXXou;  einen 
unzureichenden  Gedanken  enthielte.  Denn  sich  mit  ,Vielen^ 
schlechtweg  zu  schlagen,  dies  schliesst  nicht  nothwendig  eine  Ge- 
fahr, am  wenigsten  eine  solche  in  sich,  die  man,  ohne  fUr  feige 
zu  gelten  (ivT^vouc;  [t.h  apifOTspa;!),  zu  vermeiden  fUr  räthlich 
und  geboten  halten  kann.  Passend  wäre  'xpo^  xoXXa3cXv;9tou;  oder 
xpbq  xoXXoix;  iXt^cü^  e6vTa(;  (vgl.  I,  176  in.);  allein  wenn  wir  Ge- 
waltsamkeiten scheuen  und  methodisch  vorgeben  wollen,  so 
bleibt  kaum  etwas  Anderes  übrig,  als  in  jenem  Lautüber- 
schuss  die  Deckung  dieses  Gedankenabganges  zu  suchen. 
Daher  glaube  ich  auch  Gebhardt's  (emendat.  herodot.  m,  pag.  9) 
Stafx^vevTo?  zurückweisen  und  vermuthen  zu  dürfen:  —  tJiiQ8e  izpot; 
«oXXoü?  2)86  [jievov(Ta^)  xivSüveöeiv  — .  (Ueber  Verwechslungen  von 
0  und  (D  im  Archetypus  unseres  Textes  vgl.  Herold  a.  a.  O« 
pag.  5  und  specim.  pag.  9;  die  Nachstellung  von  &8e  begegnet 
mehrfach,  zum  Mindesten  bei  den  Tragikern.) 

Sicherer  ist  es,  dass  wir  IV,  18,  19  statt:  -^Bti  ik  xorc6icepO£ 
ToOtwv  if  epv;{xo^  ecrt  e-sct  tcoXXöv  mit  SVR  (denen  Gaisford  und 
neuestens  Abicht,  nicht  aber  Stein  und  Krüger  gefolgt  sind) 
zu  schreiben  haben :  ii  hh  xorfcepOe  tojtwv  (sc.  ^  s.  x^P**))  ^flV^Z 
ecni  izi  xoXXov.  Ich  fUhre  dies  als  einen  weiteren  Beleg  fiir  die 
seltsame  Verblendung  derjenigen  an,  welche  die  Ueberlegenheit 
der  ersten  Handschriftenclasse  beharrlich  leugnen. 

IV,  36  in.:  —  tsv  y^P  t^so^  'Aßipw?  Xoyov  tou  Xe^ofAsvou  eTvai 
Txspßopio)  Ol)  Xe^ü),  XsY^^  <*>^  '^^^  oicrov  Trspie^epe  xori  Tcacov  f^v, 
OüB^v  ctTeopievo^.  —  Das  durchschossene  Wort  lässt  sich  weder 
durch  die  von  Wesseling  angeführten,  unzutreffenden  Parallelen 
stützen,  noch  thut  es  Noth,  dasselbe  mit  Reiskc  (dem  Stein  folgt) 
zu  tilgen,  noch  endlich  frommt  die  von  Schweighäuser  zweifelnd 
vorgebrachte,  von  Krüger  angenommene  Aenderung  zu  Ki-^o'^za, 
Minder   gewaltsam   und    zugleich  sinngemässer  scheint  es,   zu 


576  Ooraper«. 

schreiben:  Xe-fü)  Se  cSx;  xt£.  Vgl.  IV,  99,  24:  >iY«»>  ^^  «^  ^Iv« 
Toura  xtI.  Häufiger  allerdings  wird  diese  Phrase  im  Sinne  von 
,ich  meine,  ich  will  sagen^  mit  dem  Accusativ  verbunden; 
doch  fehlt  es  auch  nicht  an  Beispielen,  die  unserem  Falle  genau 
entsprechen,   wie  Aristot.  Rhet.  III,  c.  11  (1413»  12):  X^y«  ^ 

rV,  46  in. :  '0  U  U6y:o<;  b  Eö5eivo<;,  ex'  5v  EffTporreuCTO  6  Aap £«;, 
Xu>p^(i)v  xa7ia)V  xop^x^iat  S^fa)  tcu  ZxuOotou  eOvea  äjxaOeffTärra.  aiT£ 
fotp  56voq  Twv  evTO^  tou  Q6vtou  ouB^v  Ix^piev  xpoßaX^oOat  dOfirj^  :ri?t 
oQt£  avSpa  Xö^iov  oiSapLcv  Yevojjievov  xfl^e^  tou  ts  (xe  add.  Herodian. 
X.  pLOVnip.  XeS-  p.  88  Lehrs.)  SxuOixoü  eOvso^  %ai  'Avaxapcrio^.  to  5£ 
StcuOixc^  Y^vei  ^v  (jl^v  to  [JieYiCTOV  twv  dvOpWTnjCwv  xprjYixiKDV  ao^urraTJ 
xivTwv  l^s^p'J'^«'  *«»>''  ^P^si?  ßjjiev,  Ta  (xivrot  dfXXa  oüx  ayaiiiai*  rb  [Bs 
om.  SVR  und  Flor.]  ^  ixä^t^yrov  (toöto)  oi>«i)  2  a^i  aveupTQrai,  Äcrre  xts. 

Hatte  es  Herodot  wirklich  so  eilig,  den  Skythen,  unter 
denen  er  doch  nur  einen  Weisen  zu  nennen  und  von  denen  er 
sonst  blos  2SU  rühmen  weiss,  dass  sie  sich  gegen  Eroberer  besser 
als  jedes  andere  Volk  zu  vertheidigen  verstehen  —  konnte  er 
es  in  der  That  so  wenig  erwarten,  ihnen  einen  Platz  unter  den 
gebildeten  Nationen  anzuweisen,  dass  er  darüber  den  logisch- 
grammatischen Faden  aus  der  Hand  verlor  und  es  unterliess. 
sich  so  auszudrücken,  wie  jeder  gute  Schriftsteller  sich  in 
gleichem  Falle  ausdrücken  würde:  ,Die  Pontusgestade,  gegen 
welche  jetzt  Darius  zu  Felde  zog,  beherbergen  unter  aDen 
Ländern  die  ungebildetsten  Völker.    Denn  ich  kenne  kein  Volk 


^  Unser  Schriftsteller  liebt  es  nämlich,  an  eine  Ankündigung  (und  zwar  nicht 
nur  wenn  diese  durch  oSe,  ojSe  u.  dgl.  eingeführt  wird,  worüber  Herold  zu 
vergleichen  ist,  der  jedoch  die  widerstrebenden  Stellen  nicht  ändern  durfte' 
den  Gegenstand  derselben  asyndetisch  anzureihen.  So  ist  sichertich 
III,  12  in.  yap  mit  der  ersten  Handschriftenclasse,  die  auch  in  diesem  Be- 
tracht 80  oft  allein  das  Ursprüngliche  bewahrt  hat,  zu  tilgen  in  dem 
Satze:  6(ou{ia  8k  {i^ya  eTSqv  77u0o(jlevo(  ;:apa  tojv  E7:iycopf(j>y  *  tcüv  [yap]  oaTs'r.». 
7:£pix£)^u{jiva)V  xtI.  Dahin  gehört  es  auch,  dass  IV,  47,  11  auf  die  Worte 
TouTou;  ovo[jLdev^a>  ohne  weitere  Vermittlung  die  Aufzählung  beginnt:  Ivtpo; 
\Lh  KEvraoTOfio;  xtI.  (anders  Stein,  der  den  Ausfall  eines  Satzgliedes  vor 
aussetzt).  Man  vgl.  IV,  119  in.  ioybOvjaav  aX  yvoSiJLai*  6  (ikv  PeXcavo;  zri, 
wo  man  früher  gleichfalls  gegen  das  Zeugniss  der  Haupthandschriften 
beider  Familien  6  (jlIv  yap  las.  Desgleichen  tilge  ich  fdcp  mit  SV  II,  161,  \X 

2  Vgl.  Vin,  98  in.:  oCtcü  totai  Ilfpffyjai  EScuprjTai  toiSro.  Verschieden  ist  IV. 
200  fin. :  Touto  pikv  Svj  olSttt)  (hoc  modo)  E^Eup^6i]. 


Herodoteisoha  Studien  n.  577 

ausser  dem  skytfaischen'  u.  s.  w.  Die  Worte  I5w  xou  Sxudtxou 
sind,  wenn  nicht  Alles  täuscht,  eines  jener  ^proleptischen'  Em- 
bleme^  die  der  Ungeduld,  nicht  des  Autors,  sondern  eines  vor- 
witzigen Lesers  entsprungen  sind,  der  hier  Regel  und  Aus- 
nahme durch  einander  wirft. 

IV,  61,  14  haben,  so  viel  ich  sehen  kann,  sämmtliche 
neuere  Herausgeber  mit  Reiz  (nicht  mit  Gronov,  wie  Gaisford, 
Stein,  Krüger  irrig  berichten)  der  nicht  ganz  regelmässigen 
Construction  dadurch  aufzuhelfen  gesucht,  dass  sie  zwischen 
Tux««>^t  Ix^^*^^?  ^^^  XdßrjTa?  die  Präposition  i^  einschoben.  Ein 
Blick  auf  die  in  jedem  Betracht  vollständig  analoge  Stelle  11, 
39,  14  ff.  genügt,  um  die  Entbehrlichkeit  dieser  Aenderung  zu 
erweisen.  Wohl  aber  ist  nach  eiceixa  (richtiger  IweiTsv)  mit  R 
und  V  8e  einzusetzen  (S  hat  S').  Dass  Stein  im  Folgenden  den 
sinnwidrigen  Artikel  in  den  Worten  ijv  ^k  [k-^  o<pi  xapt)  6  Xißr^^  (5  om. 
SVR)  aus  den  Handschriften  der  zweiten  Classe  eingeschaltet 
hat,  gehört  zu  den  Seltsamkeiten,  die  uns  immer  von  Neuem 
in  Erstaunen  setzen. 

rV,  88  in.:  Aap€To(;  Be  jAEra  ToO-ca  i^oOet^  vfi  ^sZiri  tbv  ai^ni' 
xTOva  MovBpoxX^a  TovZifjieov  i^iaprf^aono  ^cofac  S^xa*  ax*  cov  $^  MavBpo- 
%kiri<;  öhcapxYjv  — .  So  lange  wir  der  Vernunft  in  kritischen  Din- 
gen nicht  Valet  sagen,  wird  es  bei  der  (von  uns  Zeitschr.  ftlr 
österr.  Gymn.  1859,  811  ff.  eingehend  begründeten,  ^  vorher 
schon  von  Krüger  [zur  Stelle]  und  von  Mehler,  Mnemos.  1856, 
pag.  69  geäusserten)  Meinung  sein  Bewenden  haben,  dass  die 
Wortverbindung  waci  Bcxa  an  dieser  Stelle  völlig  unverständlich 
und  darum  unmöglich  ist.  So  begreiflich  nämlich  diese  Rede- 
weise dort  erscheint,  wo  es  sich  um  ,je  zehn',  ,je  hundert^  u.  s.  w. 
Beutestücke,  Opferthiere,  Rinder,  Schafe  u.  dgl.  handelt, 
so  undenkbar  ist  die  Anwendung  einer  Zahlenbestimmung  in 
einem  Zusammenhang,  der  uns  über  die  Natur  der  zu  zählen- 
den Gegenstände  vollständig  im  Unklaren  lässt.  Auch  der 
Ausweg,  dass  es  sich  um  eine  uns   unbekannte  persische  Sitte 


^  Dem  dort  zusammengestellten  Materiftle  kann  ich  jetzt  ein  paar  neue 
Belegstellen,  wie  n^a  x^i«  bei  Porphyr,  de  abstin.  11,  60  (120,  27—28 
Nauck)  oder  izivxa  Ixotrov  bei  Parthenius  IX  fin.  (10,  23  Hercher),  aber 
nichts  hinzufügen,  was  das  dort  erzielte  Ergebniss  zu  modificiren  ver- 
mochte. 


578  Ooinp«rz. 

handle,  bleibt  verschlossen,  da  der  Geschiehtschreiber  seine 
Leser  in  solchen  Dingen  keineswegs  fbr  wohl  unterrichtet  hftit 
und  sie  daher  ausreichend  zu  belehren  niemals  verabB&amt 
Somit  erübrigt  uns  nichts  als  ein  kritischer  Eingriff,  und  schwer- 
lich ein  anderer  als  jener,  den  ich  damals  nur  darum  unaus- 
gesprochen Hess,  weil  ich  der  Hoffnung  nicht  entsagte,  ein  ge- 
linderes Heilmittel  zu  finden.  Statt  'k&si  wird  man  taXircotr. 
zu  schreiben  und  den  Fehler  durch  ein  Compendium  wie  TOlCI 
oder  TACI  veranlasst  glauben  müssen  (vgl.  z.  B.  I,  50,  13  xa- 
Xorna  Htm  und  Gardthausen  S.  257,  mittl.  Col.). 

IV,  176  lesen  wir:  fl  5'  äv  icXeiata  IxTl?  ^^'^''J  «piffTij  Sc- 
Boxtat  sTvat  —  und  ähnlich  I,  32:  "^  B^  g^^  t«  xXeTcxa  Ixtj,  apiorr, 
OL^TTf,  Nur  IV,  64  heisst  es  mit  einer  Schwerfälligkeit,  die  schier 
als  unerträglich  gelten  darf:  Iq  Y^tp  i2v  xXeiora  lipikotia.  x^^P^ 
{jLaxTpa  exY),  «v^p  apiffto^  outoi;  xdxpixat  sTvai.  Von  dem  ersten  der 
beiden  Worte  befreit  uns  die  bessere  Handschriftenfamilie 
(om.  SVR);  von  dem  zweiten  und  noch  weniger  passenden 
dürfen  wir  uns  wohl  selbst  befreien.^ 

Es  wäre  nicht  schwer,  jeden  Unsinn  und  jede  Fälschung 
der  Ueberlieferung  zu  rechtfertigen,  wenn  es  uns  freistünde, 
den  Worten  und  Phrasen  jedesmal  ad  hoc  besondere  und  an- 
erhörte Bedeutungen  beizulegen.  Etwas  Derartiges  versuchen  die 
Interpreten  zu  IV,  68,  7 — 8:  cnriYiJi.^vov  Ik  iXtf/pnai  oi  (xclvrie^  u^ 
ewiopx.i^j(ja<;  ^aivetai  evTYJfAavTixfj  xa^  ^aaCkriiaq  loxtaq.  Das  Wort  jxav- 


^  Nebenbei  sei  auch  auf  die  kleine  Interpolation  hingewiesen  IV,  65  in.: 
x«i  Ijv  {xiv  tJ  Tzivri^  —  ?jv  ok  ß  om.  SVR]  js^ouaio;.  Vgl.  196,  6:  xai  ?jv  p.^> 
9ot{v7]Ta(  a^i  a^io;  6  ypuob;  Ttov  cpopiftov  —  9jy  8^  |jltj  £^to;,  wo  Stein  die- 
selbe Interpolation  vielleicht  gleichfalls  angenommen  hKtte,  wenn  nicht 
seine  ABC  sich  hier  zwiefach  vergriffen  hätten :  in  der  Wahl  des  Verbnms 
(eTvsi  statt  9a{yea6ai)  und  in  der  Wortform  (eti)  statt  ^).  Doch  da  jenes 
Blatt  aufgeschlagen  vor  mir  liegt,  so  will  ich  eine  andere,  durch  fremde 
Zuthaten  schwer  entstellte  Satzreihe  zu  ordnen  versuchen  (199,  11):  rpüjxa 
{iN  yoLp  TS  TcapaOaXaaaia  [rbiv  xapjccuv]  öpyae  a|JLa90a{  TC  xal  TpuySoOat  *  toutwv 
TE  Svj  (niYX£xo[jLi9{jL^v(i>v  TS  (iKlp  Tü)v  SaXavaiStuv  yc&pcov  [ra  \kiaa  om.  SVR] 
opY«  auYxo{i{Cc90ai ,  tat  ßouvou^  xaX^ouai  *  (TuyxcxdfJLiatat  tc  ouio{  o  [x^ao; 
xapjcb;  xi£.  Dieselbe  Sprachwidrigkeit,  die  hier  in  t«  TcapocOaXttvoia  Tb>v 
xapiciijv  (siehe  den  verunglückten  Erklärungsversuch  bei  Krüger)  begegnet 
ist  V,  58,  9  (ts  noXXa  tcSv  x^P^^)  durch  Wesseling's  Conjectur  (x(k>p'«»v 
statt  yitaptu^)  beseitigt  worden;  gerathener  scheint  es  auch  dort  (mit 
Krüger')  zu  schreiben:  ;cEpioUcov  h£  a^c«;  toc  jcoXXa  [iü>v  x<^pb>v]  toutov 
xiv  xpdvov  'EXX^vwv  "Itovt;. 


Herodoteiscbe  Studien  ü.  579 

TixT^i  sei  hier  ,concret  zu  fassen^  (Stein).  Doch  gentigt  diese  Aus- 
flucht nicht,  um  den  sich  unabweislich  aufdrängenden  Zweifel  an 
der  Echtheit  dieses  Zusatzes  hinwegzuräumen.  Es  bedarf  noch 
der  weiteren,  nicht  minder  gewagten  Annahme,  dass  eiciop- 
xi^ffo^  oaivexat  einen  solchen  Beisatz  gestattet.  Dies  widerstreitet 
jedoch  vollständig  dem  Sprachgebrauch  Herodot's  und  enthält 
zugleich  eine  durch  den  Zusammenhang  keineswegs  nahegelegte 
Abschwächung  des  Gedankens.  9atvo{jLat  mit  einem  Particip  ver- 
bunden steht  nämlich  nach  der  bekannten^  flir  unseren  wie  für 
jeden  anderen  griechischen  Schriftsteller  giltigen  Regel  völlig 
gleich  einem  St)X6<;  eorrt,  ^oc^&pbq  xaöiaTarat,  wenn  es  nicht  gar  wie 
JI,  97  in.  al  x6Xte^  [jLouvai  ^oeCvovtai  Cncep^x^uoat  (,man  sieht  die 
Städte  allein  hervorragen*)  nur  die  Geltung  einer  Periphrase 
besitzt  (^aivovtat  uxepdxou^at  =  urcepdxouoi).  Man  vergleiche  bei- 
spielsweise: ü;  79  ^atvovrae  ^k  atst  xore  toutov  deeiSovreq;  UI,  116 
xoXXo)  Te  TcXetoTO^  (paCvexai  yjpochq  eAv;  IV,  12  ^aCvovtat  —  ^su^ovre? 
und  daneben  ganz  gleichwerthig  fovepol  li  eiat  —  S((i)^avT6(; ;  IV,  45  fin. 
i%  rfi^  'Aaft;q  te  ^aCvetat  eoikja;  FV,  53  faCvsTai  Ik  ^dwv  hC  epi^jjwü; 
V,  9  in.  Ipr^iAO^  X^P^  foCvetai  eouaa;  VT,  121  ^atvovtat  {jLtaoT6pavvoi 
iovTS^;  Vni,  120  in.  jjl^y*  ^^  —  [AapTupipv  f aivexat  yip  S£p§Yj?  — 
dxix6pievo^;  Vlll,  142  otTive<;  —  9aiv6cöe  tcoXXouc;  eXeuOepciaavre?  — . 
Der  Process  der  Weissagung  gilt  den  Wahrsagern  als  ein  ebenso 
vollwichtiges  Beweismittel  wie  dem  Cyrus  sein  Traumgesicht, 
auf  Grund  dessen  er  zu  Hystaspes  spricht  (I,  209) :  Toiq  ao^  — 
i^tßouXe6(i)v  lofXcoxe,  gerade  wie  es  von  wirklich  überRihrten 
Verschwörern  heisst  (Vlll,  132):  extßoüXsOovre;  Ik  dx;  ^avepoi 
i^i'io'fxo  — .  Der  Zusatz  iv  tyj  [jiavTa^  ist  ganz  ebenso  auszu- 
scheiden wie  (mit  Abicht)  jenes  ev  toT^i  Sp^otct  11,  126,  wo  weder 
Valckenaer's  Vorschlag  (über  welchen  gemeiniglich  falsch  be- 
richtet wird)  6v  zu  tilgen,  noch  Werfer's  Conjectur  ixt  (statt  ev) 
die  rechte  Hilfe  bringen;  denn  auch  ein  e;  ra  Ip^a  wäre  im- 
zulässig,  da  von  den  ipY«  im  Vorhergehenden  noch  gar  nicht 
die  Rede  war.  Die  Königstochter,  so  heisst  es,  wollte  auch 
ihrerseits  ein  {Jivr^(jL6auvov  zurücklassen  (was  an  sich  ein  ganz 
unbestimmter  Ausdruck  ist;  man  vergleiche,  wenn  es  Noth 
thut,  n,  135  oder  IV,  81  fin.);  darum  bat  sie  jeden  ihrer  Be- 
sucher um  einen  Stein,  und  aus  diesen  Steinen  hat  sie  eine 
Pyramide  erbaut.  (Stein  freilich  gibt  die  Worte  deutsch  so 
wenig  sinngemäss  wieder,   wie  sie  griechisch  lauten:  ,er  möge 


580  Oompers. 

ihr  bei  ihrem  Bau  einen  Stein  schenkend)  —  Von  demselben 
Kaliber  ist  zweifelsohne  auch  der  wenige  Zeilen  später  folgende 
gleichartige  Zusatz:  xat  fjy  (x^v  xat  ourot  eaop£ovT£<;  [i;  tT|V  jjlovtixijv] 
xataSi^ffioai  exeopxvjaai ,  wo  man  nach  der  Analogie  von  itnltay  i^  xk 
\pa  (Vn,  219  in.)  im  Gedanken  ein  s;  xkq  ^ißSoo^,  iq  toI>^  ^cod- 
Xouq  ergänzen  mag.  ^ 

Wenn  Männer  Frauenrollen  spielen,  so  wählt  man  hiezu 
allezeit  bartlose  JüngHnge  (av5pa<;  Xeto^evetoo;,  wie  es  in  ähnlichem 
Falle  bei  unserem  Autor  heisst  V,  20)  ;  und  wenn  ein  Amazonen- 
heer irrthümlich  für  ein  Männerheer  gehalten  ward,  so  konnte 
man  in  den  streitbaren  Frauen  nur  jugendliche^  unbärtige  Krieger 
erblicken.  Dies  muss  noth wendig  auch  Herodot  dort  sagen 
wollen,  wo  ihn  unsere  Handschriften  so  verkehrt  als  möglich 
sprechen  lassen  (TV,  111):  eSoxeov  B'  ahxctq  elvai  ovdpxg  tyjv  auttjv 
T^XwTiV  iyovra;,  was  die  Interpreten  einstimmig  etwa  also  er- 
klären: ,alle  von  gleichem  Alter,  nämlich  gleich  jung  und 
bartlos^  Ebenso  gut  könnte  man  sagen:  wir  hielten  einen 
Trupp  Zigeuner  ftir  Mulatten,  denn  sie  waren  insgesammt  von 
gleicher  (nämlich  von  dunkler)  Farbe.  Nicht  die  Gleichheit, 
die  ja  ebenso  wohl  die  Gleichheit  des  Greisenalters  sein  könnte, 


^  In  der  Scbilderuu^  der  skythischeu  Mantik  bleibt  nach  allen  Bemühun- 
gen der  Kritiker  nnd  Exegeten  noch  manche  Dunkelheit  zurück.  Dass 
Steins*  Versuch,  die  Phrase  im  \lUl>*  §xdt9T9)v  ^dlßdoy  ti6^vte(  nach  der  Ana- 
logie taktischer  Ausdrücke  (gleichsam  als  einen  Stab  hoch)  zu  erklären, 
nicht  geglückt  ist,  zeigen  die  von  ihm  selbst  angeführten  Parallelstellen 
deutlich  genug;  es  müsste  doch  zum  Mindesten  heissen  hu  (i^ocv  xkq  ^aßoou^ 
TiOevTs^.  Ob  mit  Krüger  (x{av  et:!  {x^av  oder  nicht  vielmehr  (nach  I,  9,  5  oder 
m,  11,  14)  xara  \Llcpt  l/.a7TT]v  tcov  ^aßS<ov  zu  schreiben  sei,  will  ich  nicht 
entscheiden.  Für  sicher  halte  ich  jedoch,  dass  der  Schlnss  des  Satzes 
zu  lauten  hat:  nuiX  auTi(  xora  [i{«v  [cruvJTtOerai  und  dass  der  Zusatz  ans 
dem  vorangehenden  auveiX^ouai  gerade  so  mechanisch  wiederholt  ist,  wie 
III,  36,  17  iXafxßavE  in  SVR  durch  Einwirkung  des  benachbarten  E;:tXa- 
ßfidOai  zu  £i:EXa{Aßav£  geworden  ist.  Und  ist  nicht  eben  dasselbe  auch  IV, 
114  in.  geschehen?  Oder  was  ist  wahrscheinlicher  (denn  so  muss  man 
die  Frage  stellen):  dass  Herodot  den  geschlechtlichen  Verkehr,  den  er 
sonst  immer  durch  {JL^ayEaOai  ausdrückt,  an  dieser  einen  Stelle  durch  das 
(bei  anderen  Autoren  allerdings  nachweisbare)  (TU(jL(jt{<r]f£90at  wiedergibt, 
oder  dass  die  Präposition  aus  dem  gerade  hier  vorangehenden  au(ip.f- 
iavTE^  (xa  orpaTOTCEBa)  den  Schreibern  unwillkürlich  in  die  Feder  kam 
und  er  auch  diesmal  geschrieben  hatte:  Yu^ot^^^  lytoy  Ixa^ro;  TatuT7]v  i^  to 
)epc5tov  fi(ji()r6ii)? 


Herodoteische  Studien  II.  o81 

sondern  die  Jugendlichkeit  muss  hier  zum  Ausdruck  gelangen. 
Man  schreibe  (wie,  irre  ich  nicht,  bereits  Dietsch  einmal  irgend- 
wo vorschlug)  TTjv  wpcotr^v  iqXixitqv  und  denke  sich  die  Corruptel 
aus  einer  Abbreviatur  wie  AT  H  N  oder  AH  N  (g.  Gardthausen, 
Palaeogr.  248  oder  z.  B.  Hermes  17,  181)  entstanden.  Eine 
derartige  Annahme  hat  bereits  einmal  einer  trefflichen  Ver- 
besserung unseres  Textes  (I,  59  ipirixoafou;  statt  to6toü;  ,nempe 
utrumque  per  t  scribebatur  addita  terminatione  ou;',  Naber 
Mnemos.  1855,  pag.  10)  *  zur  Grundlage  gedient.  (Verwandte, 
minder  überzeugende  Vermuthungen  'desselben  Kritikers  und  des 
scharfsinnigen  Mehler  sieh  ibid.  1854,  pag.  482  und  1856,  pag.  72.) 
Dieselbe  Schreibung  von  xpw-njv  mag  die  seltsame  Variante  der 
ersten  Handschriftenclasse  in  11,  79  fin.  veranlasst  haben  («ut^iV 
SVR  statt  ToiTTiV  xpü)TT)v.)^  TJud  ist  nicht  endlich  auch  ein  Zahl- 
zeichen einzusetzen  lH,  11,  11:  Jjaav  tw  <I>fltvYj  TcalSe^  ev  Aiyütctw 
xorcaXeXetiJLfjiivoc  (i),  wo  mir  wenigstens  die  Anschaulichkeit  der 
Erzählung  unter  dem  Mangel  einer  solchen  Angabe  erheblich 
zu  leiden  scheint?  Man  beachte,  dass  die  Zahl  jener  Söhne 
des  Phanes  jedenfalls  eine  beträchtliche  war  (darauf  weisen  die 
Ausdrücke  8ia  icavxwv  8e  8ie§6X66vT6?  und  xaTa  5va  Sxaorov  twv 
xaCScjv  unverkennbar  hin),  und  dass  es  sich  um  das  Schicksal 
eines   Halikarnassiers   handelt,    in  Betreff  dessen   unserem 


*  VII,  205  5  ist  meines  Erachtens  nothwendig^  zu  lesen :  o;  t^te  ^le  ii  Bep {lo- 
ToSXa;  i^nXE^ajjLEvo;  avSpa;  le  [xo^;]  xaTE9Tea>Ta(  Tpiir]xo9{ou(  xst  Tot9i  iTtSyxavov 
KoXBi^  eovte;,  ^dreihundert  Mftnner  von  gesetztem  Alter*  (vgl.  Thucyd. 
n,  36)  ,ttnd  die  schon  Kinder  hatten*,  wie  Lange  vollkommen  sachgemäss 
übersetzt.  Sollte  der  Artikel,  der  jedenfalls  weichen  muss,  weil  er  mit 
£;ciXc^a{i£vo;  unbedingt  unvereinbar  ist  (man  müsste  denn  Krüger's  ge- 
wundene Erklärung  billigen :  ,die  bestehende  organisirte  Sohaar,  die 
er  sich  wählte,  nicht  einzeln,  sondern  im  Ganzen*),  vielleicht  aus 
eben  jenem  Compendium  entsprungen  sein,  welches  diesmal  seine  richtige 
Auflösung  gleichsam  überlebt  hätte? 

'  Täuscht  mich  nicht  Alles,  so  hilft  dieselbe  Annahme  eine  auch  vom  jüng- 
sten Herausgeber  nicht  geheilte  Corruptel  bei  Marc  Aurel  (comment.  IV, 
33  fin.)  beseitigen :  —  xal  StdEOtoi;  &oKa^o|jL^vT]  izon  to  oufjLßsivov,  co^  avaf  xatov, 
a>;  Y^(opi(Aov,  cü;  oaz*  apyfiq  toi  Kptoxri^  (statt  toisöit);)  xai  lai'fiic  ^im.  Vgl. 
insbesondere  Vlil,  23:  au{tßa(vEi  xl  (tot;  8^^o|iai,  inX  toI>(  Ocou^  ova^^pcov, 
x«i  TTjv  TcivTfov  icv^T^^f  ^9*  ^^  ff^vTs  Tot  YiW(xcva  9u{i(iii)p'SETai.  Oder  auch 
VI,  36:  jiflivT«  cxeTOev  Ipyi^tx ai  —  xai  xb  X^(^'  °^^  "^  XfovToc  —  xai 
izOLQa  xaxoupYfa  —  exe^vcjv  S3CiYeyvT{(xaTa  tojv  9E{jlv(uv  xai  xaXöSv.  |jljj  ouv  aura 
aXX^Tpta  TO'jTou,   ou  a/ßct(,  ^avrdE^ou  *  aXXa  t^v  nivTcav  Ri^Y^v  EmXoY^ou. 


082  Gomperz. 

Historiker  gewiss  die  genauesten  Informationen  zu  Gebote 
standen.  Durch  den  Ausfall  eines  oder  mehrerer  Zahlzeichen 
erklärt  sich  auch  am  leichtesten  die  Lücke,  die  ich  (mit  Dobree) 
IV,  153,  6  annehmen  zu  müssen  glaube. 

rV,  119,  14:  -fSv  [jL£VTOi  eiciYj  xai  iiA  itjv  i^(jL6TäpY)v  ap5tj  xe  aSi- 
x.eoi)v,  xat  ii[».€iq  oh  iceiaofxeOa  — .  Da  die  Conjecturenfluth,  die 
sich  von  Alters  her  (schon  der  Sancroftianus ,  aber  freilich 
weder  V  [der  oü  ^etccopieOa  hat]  noch  R,  bietet  oux  oiffC{jLftOa)  über 
diese  Worte  ergossen  hat,  noch  immer  anschwillt,  so  scheint  es 
nöthig  daraufhinzuweisen,  dass  Letronne  ^  (Joum.  des  sav.  1817, 
pag.  90)  dieselben  bereits  vollkommen  ausreichend  erklärt  hat 
als  ,une  tournm*e  negative  qui  äquivaut  .  .  .  k  une  affirniation 
^nergique',  =  evavTi(i)0t;a6[j.60a  oder  [jkaxea6{JLe0a.  Ich  verweise 
ausser  auf  die  von  Letronne  angeführten  schlagenden  Parallelen 
im  Heliasten-Eid  bei  Demosth.  24,  149;  Xenoph.  Cyropaed. 
IV,  5,  22;  VII,  4,  1;  VH,  4,  10  —  auch  auf  die  aUbekannte 
analoge  Gebrauchsweise  von  oux  eav,  oux  eicixpe^cEiv  (im  Siime 
von  ,verhindem,  verbieten'),  oi)  ^^[jli  =  nego,  oux  wocxvoöfiut 
,ich  schlage  ab'  u.  s.  w.  (s.  Krüger  67,  1,  2). 


Ich  berühre  im  Folgenden  nur  mehr  eine  Anzahl  wichti- 
gerer Stellen  aus  den  letzten  drei  Büchern.^ 


1  Bahr  hat  bereits  auf  Letronne  hingewiesen  und  seine  Ansicht  gebilligt 
Da  er  jedoch  die  zuerst  erwähnte,  vielleicht  überzeugendste  Parallelstelle 
aus  Xenophon  (^roi  (jia)(^ou(jiivouf  ye  ^  7:€iGro(j.^vou^  übergangen  und  jeden- 
falls keinerlei  Wirkung  erzielt  hat,  so  schien  es  nöthig,  dem  eingewurzel- 
ten Irrthum  von  Neuem  entgegenzutreten.  Beiläufig,  £ltz  hat  nicht, 
wie  Stein  berichtet,  ,vel  ol  sicoi9^fi.60a  vel  S7cei9^(j.e0a*  zur  Auswahl  vor- 
gelegt, sondern  die  letztere  Conjectur  nur  als  eine  solche  vorgebracht, 
,quae  quidem  in  proclivis  est,  sed  probari  non  potest*.  Das  izptizot 
tj^EuSo^  seiner  langwierigen,  aber  diesmal  unfruchtbaren  Erörterung  w&r 
die  wohl  von  den  meisten  Kritikern  stillschweigend  getheilte  Voraus- 
setzung, dass  7:£(ao(i.ai  hier  das  Futur  von  ndtv/o),   nicht  von  icE{0o(jLfti  sei. 

3  lieber  die  Bücher  V  und  VI  habe  ich  einst  (Zeitschrift  für  österr.  Gymn. 
1859,  824  —829)  ausführlich  gehandelt.  Au  der  grossen  Mehrzahl  meiner 
damaligen  Vorschläge  halte  ich  noch  heute  fest,  obgleich  die  Heraus- 
geber selbst  die  evidentesten  derselben,  wie  zu  V,  113  in.:  [Aa/^opL^vcov  oi  xat 
luv  aXXa>v  {tl)  ST7)aiJva)p  xxL  (vgl.  auch  II,  169  in.)  nicht  einmal  einer 
Erwähnung  werth  erachtet  haben.  Die  Jugend  ist  vertrauensvoll,  und  so 


Herodotoische  Studien  II.  583 

Xerxes  spendet  bei  seinem  Besuche  von  Akanthos  den 
Bewohnern  der  Stadt  Lob^  Anerkennung  und  Geschenke,  ip^uiv 
aÜTOu^  7:po66|i.ou^  eovTo^  £^  tov  icöXefxov  toi  xo  ip\)^[ML  (airEuBcvTaq) 
ay.ouu>v  (VII,  116).  So  glaube  ich  den  Satz,  dessen  Lücken- 
haftigkeit schon  von  Valla  erkannt  ward,  am  leichtesten  und 
sinngemässesten  vervollständigen  zu  können.  Krüger's  Vorschlag, 
dbio6ü>v  zu  tilgen,  macht  die  Rede  [xuoupc^,  während  Stein  (der, 
nebenbei,  die  treffliche  Lesart  aurou;  [so  SVR]  in  vm  verwandelt, 
welches  er  aus  dem  xac  tou^  der  anderen  Handschriften  ent- 
nimmt) der  Ergänzungskraft  des  Lesers  Unmögliches  zumuthet. 
Dass  uns  dieses  Supplement  auch  von  einer  völlig  vereinzelten 
sprachlichen  Singularität  befreit^  kann  nur  zu  ihren  Gunsten 
sprechen;  die  sämmtUchen  angeblichen  Parallelen  zu  lo  Spu^ixa 
axo6u>v^   auf  welche  Stein  verweist,   sind   nämlich   unzutreffend ; 


glaubte  icli  damals,  was  mir  nacli  reif  Heilster  Ueberleg-ung  als  zweifellos 
sicher  erschien,  nicht  erst  weitläufig  begründen  zu  müssen.  Es  schien 
mir  genügend,  die  Aufmerksamkeit  der  Interpreten  auf  einen  von  den- 
selben nicht  wahrgenommenen  Anstoss  zu  lenken  und  denselben  in  plau- 
sibler Weise  zu  beseitigen.  Ebenso  wenig  ahnte  ich  zu  jener  Zeit,  dass 
die  selbstverständlichsten  Bessenmgen  seit  Jahrhunderten  gefunden  und 
doch  für  moderne  Herausgeber  so  gut  als  niclit  vorhanden  sein  können. 
Gelang  mir  eine  Emendation,  von  der  die  neueren  Ausgaben,  die  ich  zur 
Hand  hatte,  nichts  wussten,  so  schloss  ich  eben  hieraus,  dass  Niemand 
vor  mir  auf  dieselbe  verfallen  war.  So  war  denn  meine  damalige  Literatur- 
kenntniss  eine  recht  unvollständige  und  benütze  ich  diesen  Anlass  gerne 
um  zu  bemerken,  dass  meine  Athetese  zu  V,5ö,6  von  Jacobs  (nach  Abicht's 
Angabe  in  letzter  Auf  läge),  ebenso  mein  Vorschlag  VI,  35, 16  aus  dem  t^  der 
schlechteren  Handschriftenfamilie  ^i  zu  gewinnen,  schon  von  Reiske  vor- 
weggenommen war,  gleichwie  derselbe  das  von  mir  aus  dem  Vindobonensis 
entnommene  icpcorcov  statt  ;cp<i>Tov  (VI,  57,  3)  bereits  vermnthet  and  ebenso 
die  Richtigkeit  der  Ueberlieferang  in  VI,  75  8 — 9  angezweifelt,  aber  die 
SteUe  in  anderer  (ich  denke,  minder  überzeugender  Weise)  zu  ord- 
nen versucht  hatte.  Ebenso  übersah  ich  es,  dass  schon  Jac.  Gronov  die 
Echtheit  von  VI,  98  4 — 6  bezweifelt  und  dass  jedenfalls  Kiepert  (wenn 
nicht  anch  Andere)  vor  mir  die  Unhaltbarkeit  des  überlieferten  Textes 
in  V,  62,  1  erkannt  and  zum  Mindesten  in  ähnlicher  Weise  cm  berich- 
tigen versucht  hat  (siehe  Hermes  VI  454).  Mich  von  derartigen  Ver- 
sehen frei  zu  halten,  ist  mir  Angesichts  der  Unübersehbarkeit  insbeson- 
dere der  Adversarien-Literatnr,  des  Mangels  einer  neueren  Ausgabe  cum 
notis  variorum  und  der  in  diesem  Betracht  wenig  zulänglichen  Be- 
schaffenheit der  Stein^schen  Ausgabe  auch  diesmal  schwerlich  vollständig 
gelangen. 


584  Gomper«. 

es  sind  ausnahmslos  Verba  des  Fragens  ^  Forschens,  Nicht- 
wissens, die  mit  derartigen  Aceusativen  verbunden  erscheinen. 
Eine  der  merkwürdigsten  Stellen  unseres  Werkes,  die  uns 
in  die  theologischen  Ansichten  des  Geschichtschreibers  den 
tiefsten  und  überraschendsten  Einblick  eröffnet,  ist  noch  von 
einer  kleinen  interpolatorischen  Zuthat  zu  befreien,  die  den  im 
Uebrigen  (was  auch  Stein  sagen  mag)  sonnenhellen  Gedanken 
in  bedauerlichster  Weise  verdunkelt  hat.  Zwei  vornehme  Spar- 
taner, Bulis  und  Sperthias,  hatten  sich  als  freiwillige  Opfer 
dargeboten,  um  den  einstmals  an  den  Abgesandten  des  Darius 
verübten  Frevel  ihres  Volkes  zu  sühnen  und  so  endlich  die 
unablässig  fortwirkende  (j.y}vi^  des  Talthybios,  des  Ahnherrn  der 
lacedämonischen  Herolde,  zu  beschwichtigen.  Xerxes  weigerte 
sich  das  Sühnopfer  anzunehmen  und  so  die  Spartaner  von  ihrer 
Schuld  und  deren  nachwirkender  Strafe  zu  erlösen.  Allein  die 
Söhne  jener  Männer  erlitten  im  zweiten  Jahre  des  peloponnesi- 
sehen  Krieges,  in  Folge  des  Verraths  des  thrakischen  Königs 
Sitalkes,  der  sie  an  die  Athener  auslieferte,  von  der  Hand  der 
letzteren  den  schon  von  ihren  Vätern  erstrebten  Opfertod.  Hier 
zeigt  sich,  so  ruft;  Herodot  aus,  das  unverkennbare  Walten 
der  strafenden  Gottheit!  Er  imterscheidet  nämlich  in  der  Ge- 
sammtheit  dieser  Vorgänge  einen  gewissermassen  natürlichen 
und  einen  (wie  er  meint)  zweifellos  übernatürlichen  Theil. 
Die  göttliche  Gerechtigkeit,  die  keinen  Frevel  ungeahnt  lässt, 
gilt  ihm  als  ein  Bestandtheil  der  natürlichen  Ordnung 
der  Dinge,  so  sehr,  dass  er  sich  verwundert  fragt,  was  denn 
den  Athenern  als  Entgelt  ftir  die  gleiche  Missethat  ,Unerfreu- 
Uches  zu  Theil  ward*  (VH,  133).  Gleichwie  es  dem  Griechen 
in  ähnlichen  Fällen  nur  wie  eine  natürliche  und  unvermeidliche 
Wirkimg  der  üebelthat  erscheint,  dass  die  Opfer  nicht  gelingen, 
(c.  134),  dass  die  Frauen,  die  Heerden,  das  Land  selbst  seine 
Fruchtbarkeit  einbüsst,  so  findet  auch  unser  Historiker  es  ,nur 
recht  und  natürlich'  (ib  ^ixoiov  oOto)  e^eps),  dass  der  Zorn  des 
Talthybios  nicht  zur  Ruhe  kam,  ehe  er  seine  Opfer  gefordert 
hatte,  und  desgleichen,  dass  er  sich,  da  es  einen  an  ,Boten' 
begangenen  Frevel  zu  rächen  galt,  wieder  auf  ,Boten*  entlud. 
Allein,  dass  dies  gerade  die  Söhne  jener  zwei  Männer  waren, 
die  ohne  dem  Geschlecht  der  Herolde  anzugehören,  freiwillig 
den  Opfertod  gesucht  hatten,  dass  die  Spartaner  eben  sie,  Nikolas 


Herodotoisehe  Studien  II.  585 

und  Aneristos,  als  ^^^^^^  i^&<^h  Asien  sandten,  dass  der  Thraker- 
könig wieder  eben  sie  an  den  Feind  verrieth  —  darin,  dass  alle 
diese  zu  ganz  anderen  Zwecken  unternommenen  menschlichen 
Willenshandlungen  sich  als  Glieder  in  der  Kette  des  göttUchen 
Strafgerichtes  erwiesen,  in  diesem  wunderbaren  Zusammentreffen 
(tb  Ik  oufAiceaeKv),  in  dieser  über  die  Massen  kunst-  und  planvollen 
Veranstaltung  nimmt  der  gläubige  Sinn  des  Geschichtschreibers 
den  jFinger  der  Vorsehung'  so  deutlich  wahr  wie  nur  in  wenigen 
anderen  Begebenheiten  {iddnä  [ua  ev  Towe  Beiötotrov  ^orfvETat  Y^v^aSot). 
(Man  vergleiche  den  verwandten,  wenn  auch  schwächeren 
Ausdruck  bei  ähnlichem  Anlass  IX,  100:  d^Xa  d^  TcoXXoTai  Tex[xv]- 
pCoioi  60TC  ik  OeTa  to)v  rpiQYt^^^^)  ^^  ^^^  '^^^  '^^  aurc^  ^t^^pt}^  ^u^x- 
icCxTovTO^  [so,  zweifellos  richtig,  Reiske]  xtI.)  Und  so  fasst  er 
denn  schliesslich  (VII,  1 37, 25)  seinen  Glauben  an  ein  unmittelbares 
absichtliches  Eingreifen  der  Gottheit  in  den  Ausruf  zusammen : 
BijXov »  &v  |jLOi,  Srt  OeTov  to  xpi3YiJi.a  eY^veto.  (Diese  vortreffliche 
Wortstellung,  statt  Iy^vsto  to  Tzpri^a,  bieten  V  und  S  dar.)  — 
Die  nunmehr  folgenden  Worte  Ix  ttj^  jxi^vco«;  aber  tilge  ich  als 
ein  sinnstörendes,  den  Gedanken  gründlich  verderbendes  Ein- 
schiebsel; denn  nicht  der  erst  wenige  Zeilen  vorher  (8i3c  tt)v 
jjLijvxv)  erwähnte  Zorn  des  Talthybios,  der  unserem  Autor  viel- 
mehr als  eine  Art  von  Natur  kraft  gilt,  kann  ihm  als  das 
allwissende  und  allvermögende,  jeder  Berechnung  spottende, 
menschliche  Pläne  und  Absichten  in  seinen  Dienst  zwingende, 
strafende  und  rächende  Princip  erscheinen,  dessen  Walten  er 
hier  ehrfürchtend  bewundert. 

Den  Orakelspruch  von  der  ,hölzemen  Mauer'  deuteten 
manche  ältere  Leute  auf  die  athenische  Akropohs,  Vj  y^P  i^^^- 
woXu;  Tb  iciXai  xwv  'AOtjv^wv  ^r,x<5>  eicsfpontTO*  ol  fxev  8^  [xori  xbv  ^poYixbv] 
ouveßiXXovTo  toüto  ib  56Xtvov  teix©?  ewai  (VII,  142).  Mir  wenigstens 
erscheint  diese  Athetese  ungleich  weniger  gewaltsam  als  die 
Interpretationskünste,  welche  hier  Stein  zur  Anwendung  bringt : 
,dieser  Ausdruck,  hölzerne  Mauer,  beziehe  sich  auf  die 
Umzäunung*.    (Krüger  und  Abicht   wollen    nur  xorcdc  tilgen). 


'  Die  leicht«  Anakolnthie  erklärt  »ich  vollständig  aus  der  Gemüthsbewegung 
des  Schriftstellers.  Wer  dieselbe  mitemp6ndet,  müsste  es  fast  verwun- 
derlich finden,  wenn  derselbe  mit  kahler  und  kalter  Correctheit  gesagt 
hätte:  TO  Si  9M\uztatX^  —  Tcx|i4ptov  |ioi  xxi. 

Sitmngfbtf.  d.  phil.-hltt.  Ol.    CTH.  Bd.  H.  Hft.  S8 


686  Oomperz. 

Zwei  Zeilen   später  heisst  es:   tou^  (ov  üi  za^  ^iaq  X^ovto^  eivat 
To  5'iXivov  Tet^o^. 

Vn,  143  fin.  schreibe  ich  tö  ik  otjfAicov  elnai  (statt  eTvae). 
Denn  die  nur  hier  erscheinende  Phrase ,  in  deren  Auffassung 
die  Erklärer  weit  auseinander  gehen  (vgl.  z.  B.  Kühner's 
handgreiflich  unmögliche  Auslegung:  ^summam  rei  in  eo  verti 
aiebant'),  lässt  sich  durch  keinerlei  zutreffende  Analogien  stützen, 
da  die  bekannten  Verbindungen  xb  vCv  eTvoct,  xfjv  «pciATyjv  £tvae, 
lx(i>v  elvaty  %axk  toOto  eTvat  durchaus  einschränkende  Kraft 
besitzen  (vgl.  Ast  lex.  plat.  I,  625  oder  Dobree  adv.  25).  Der 
Gedankenzusammenhang  heischt  hier  vielmehr  einen  Ausdruck 
wie  cb^  ouXXi^iß^iQV  eiireTv,  h\  ik  Ixet  ouXXoßövra  eticetv  (dies  TTT^ 
82,  6)  u.  dgl.  Nun  lesen  wir  11,  91  in. :  xh  ik  cOpucov  eliceTv,  gerade 
wie  bei  Thucyd.  I,  138  xal  Tb  ^Ojjltcov  elwsTv.  Femer  hat  genau 
dieselbe  Corruptel  VI,  37,  22  (wo  mir  Abicht  zuvorgekommen 
ist)  in  der  Phrase  tb  OdXei  Tb  Ixog  zlvai  stattgefunden  (vgl.  Stein's 
Zusammenstellung  zu  VII,  162);  und  wenn  endlich  die  Form 
eTicai  in  den  Handschriften  seltener  begegnet  —  die  sie  jedoch 
mitunter,  wie  VII,  133,  14  oder  Vm,  118,  13,  fast  einstimmig 
darbieten  (gleich  darauf  Z.  16  zum  Mindesten  SR,  und  V  zu  eT^e 
entstellt)  —  so  mochte  sie  eben  darum  Irrungen  veranlassen 
(s.  unsere  Erörterung  zu  I,  31  in.) 

Vn,  220,  12:  TflßiTjj  xal  (xdcXXov  tij  y^^I*71  ^Xeiori^  eJjAt.  — 
Valckenaer's  Vorschlag,  nach  der  Analogie  von  I,  120,  14: 
xal  «urb^  co  Mdrfoi  toOt^j  xXsToto^  Yvcifjitjv  el\L{,  aujch  hier  den  Ac- 
cusativ  mit  oder  ohne  Artikel  an  Stelle  des  Dativs  zu  setzen, 
hätte  vielleicht  überzeugender  gewirkt,  wäre  man  sich  der  in 
derartigen  Fällen  fast  mit  der  Stärke  eines  Naturgesetzes  wal- 
tenden Assimilirungs-Tendenz  bewusst  gewesen.  Man  vergleiche 
die  Lesart  der  Aldina :  lij  yvwjjiy),  auch  an  der  zweitgenann- 
ten Stelle ;  desgleichen  die  handschriftliche  Ueberlieferung  von 
Sophocl.  Philoct.  1448:  xdr^w  yvc&ijly)  TauTt)  tWeixat,  oder  Ari- 
stoph.  Eccles.  658:  nuairfui  Ta6TiQV  yv(o(J^iqv  v.^e\Mu.  Beide  Male  hat 
Toup  das  allein  mögliche  YV(i)[jLr|V  Ta6TY)  und  tauTirj  x^i^"^  beige- 
stellt. S.  die  erschöpfende  Erörterung  des  Gegenstandes  beiBonitz, 
,Beiträge  zur  Erklärung  des  Sophokles'  (Wien,  1856),  I,  66-68. 
Zu  den  daselbst  angeführten  elliptischen  Wendungen  ist  noch  hin- 
zuzuftigen  Plato  Theaet.  202  C:  apdoxet  ouv  ae  xat  TCOecat  xaüxii 
(sc.  ^^0^   oder  •p»(i)[jLrjv),  —  eine   Stelle,  an  welcher   seltsamer 


Herodotetsehe  Stndien  II.  687 

Weise  auch  Stallbaum's  wortreicher  Commentar  stillschweigend 
vorübergeht^  desgleichen  Ast's  lexic.  Platonicum.  ^ 

Vn,  237  fin. :  oIjtu)  wv  [icepi]  xontoXoYiiQ?  vfi<;  iq  AT](AcepY;Tov, 
kivzoq  6[jiou  ^eivou  T^ipif  lx^o6a{  T(va  xou  Xoiicou  xeXe6(i).  Die  wunderbar 
krause  Redeweise  entstammt  nur  Stein's  Wunsch,  keinen  Bro- 
sam  von  der  Ueberlieferung  der  zweiten  Handschriftenclasse 
unter  den  Tisch  fallen  zu  lassen.  Die  treffliche,  von  Kiilger 
adoptirte,  Lesart  ixecrOat  (in  SVR,  nicht  in  R  allein !)  sollte  nicht 
angenommen  werden,  Tcepi^ecrOae  war  und  blieb  unverständlich ; 
so  kam  es  denn  zu  jener  kritischen  Missgeburt!  Tiefer  Sinn  läge 
übrigens  in  Stein's  Verweisung  auf  VIII,  77  fin.  dvTtXoYiij?  XP^^^I^v 
nipi,  wenn  sie  besagen  sollte,  dass  hier  wie  dort  die  Hand  eines 
Fälschers  gewaltet  hat.  Angesichts  der  Langmuth  jedoch,  die  der 
neueste  Herodot-Herausgeber  gegen  jene  von  Krüger  ausgeschie- 
denen Abschnitte:  VH,  238,  Vm,  77,  IX,  83-84  an  den  Tag 
legt,  will  ich  nur  meine  Ueberzeugung  aussprechen,  dass  der 
letztgenannte  Kritiker  im  Ganzen  wie  im  Einzelnen  vollkommen 
richtig  geurtheilt  hat,  und  dass  die  das  herrliche  Geschichtswerk 
geradezu  schändenden,  theils  blödsinnigen,  theils  arglistigen 
Fälschungen  schleunigst  aus  demselben  zu  entfernen  sind.  Auch 
an  einer  anderen  Stelle  ist  die  Präposition  xepi  aus  dem  Texte 
auszuschliessen,  YIII,  26  fin.  in  dem  Satze:  xoncac  MopSövce,  xoiou^ 
iio'  ÄvSpoc;  fijxag  ^JY^^?)  oi  ou  zipi  xpY]{JiiTCi)v  ibv  «y^^*  icoteuvrai  aXXa 
zepl  äpexTj?.  Denn  obgleich  diese  Verbindung  weder  sinn-  noch 
sprachwidrig  ist  (vgl.  Thucyd.  V,  101 :  ou  y^p  ^ep't  avBpoYaOta^  6 
dYci)v  xtL),  so  wird  man  doch  der  Autorität  der  ersten  Hand- 
schriftenclasse Folge  leisten  müssen  (icepc  om.  SVR) ;  zu  dieser 
Wendung  bieten  die  Verse  der  sophokleischen  Elektra  1491 — 
1492  eine  genau  zutreffende  Parallele:  Xoywv  y«P  ou  ;|  vuv  ioriv 
i^wv,  dXXa  aij^  ^^/M  7:^1.  Irre  ich  nicht,  so  ist  einige  Zeilen 
vorher  das  Wortaiei  .einzusetzen  und  zu  schreiben:  ol  S'  elicov  vf^q 
iXaiTj^  Tov  (aiel)  8t$6(jLevcv  cre^ovov.  Den  Ausfall  desselben  Wortes 
vor  derselben  Silbe  hat  Valckenaer  (mit  vollem  Rechte,  wie  ich 

^  Ein  schwer  zu  lösendes  Räthsel  gibt  uns  übrigens  hier  die  Lesart  der 
ersten  Handschriftenclasse  auf  (ox^o;  nach  Et)x(  SVR).  Sollte  darin  ein 
mit  [AoXXov  EU  verbindendes  roXX^c  stecken,  welches  durch  xXEiaTo^  yer- 
driisgt  ward?  Auch  der  Comparativ  begegnet  in  derselben  Redensart  bei 
Lncian.  Demosth.  encom.  §.  4:  it  xai  nXc^uiv  i{{it  t^v  yvco|U)v  (worauf 
Valckenaer  verwiesen  hat). 

38* 


588  Oompers. 

denke)  IV,  162,  4  vermuthet:  i%  ^k  Xafjißtivoüaa  Tb  (atel)  8t86iJLevov 
x.aXbv  |iiy  1^  xtI. 

Vm,  53  in. :  —  XP^^V  ^'  ^*  '^^^  dhcopwv  i^ivYj  Bij  tk;  laoSo^  toTit! 
ßapßfltpotffc  xxi.  Hier  liegt,  wenn  mieh  nicht  Alles  täuscht,  dieselbe 
uralte  Buchstabenverwechslung  vor  (von  ^  und  I),  vermöge 
welcher  Vn,  130,  12  Saw,  wie  Schäfer  erkannte,  in  l^o)  oder  bei 
Sophokles  Oed.  R.  1483  (Nauck)  wpoüadXTjaov  in  xpou^eviQaav  ver- 
wandelt ward.  Denn  wenngleich  im  Folgenden  die  Entdeckung 
und  Benützung  eines  unbewachten  Zuganges  zur  Akropolis  er- 
zählt wird,  so  kann  dies  doch  nicht  mit  einem  ganz  verschiedenen 
Gedanken :  der  Befreiung  der  Belagerer  aus  den  Nöthen  und 
Verlegenheiten,  die  sie  ringsum  wie  ein  Wall  oder  eine  hem- 
mende Fessel  umgaben,  in  der  Weise  verschmolzen  werden,  wie 
es  durch  die  gegenwärtige  Textgestalt  geschieht.  Man  vergleiche 
das  unmittelbar  Vorangehende :  —  SepStiv  kiA  xp^vov  au^vbv  Sltzo- 
p{t)9t  Iv^xc^^oce,  oh  2uvoc(xev6v  (apeo^  ^XeTv  mit  der  unbildlichen 
Anwendung  desselben  Ausdrucks  IV,  43,  22 :  tb  wXoTov  xo  'Kp6ma 
cü)  Jüvatbv  hl  eTvai  wpoßafveiv  dXX'  k^ifj^tobaiy  oder  mit  den  ver- 
wandten Stellen:  IV,  131  in.:  xi'koq  AapeTö^  te  iv  äxopitjai  eTjreTO 
und  I,  190  fin. :  Köpo<;  8s  aitopir^ct  dve(xeto  xp^^o^  ^^  ^ff^vojAevou 
ou/voO  avcotdpci)  xe  ouS^v  twv  xpTQVfxirwv  irpoxoTtTOfjLevwv  —  (auch  I,  24 
8  :  dbreiXrjO^vT«  Ik  xbv  'Apiova  iq  axopiYjv).  Mit  dem  von  uns  ver- 
mutheten:  —  ix  xöv  d7c6pu)v  I^aev»)  8i^  ti?  15© 8 o?  >^f^«  vergleiche 
man  aber  Eurip.  Helen.  1022  (Nauck):  auxoc  [jl£v  ouv  tcv'  e$o86v  Y 
6up{cx.eTe  (=  [XTQXov^v  (7ü)TY]p(a(;  1034)  oder  auch  Aeschyl.  Prometh. 
59  (Dind.):  5eivb?  yap  eupeiv  xa^  diAYjxo^vwv  x6poug. 

ViJUL,  83,  24  ff.  glaube  ich,  wie  folgt  schreiben  zu  müssen:  — 
wpoYJY^peye  eS  lyorza  |xb  ex  tcocvtwv  öefxioroxXer^^.  xa  8^  l^rea  ijv  irivTa 
(xa)  xpeacci)  Totct  Ijccoffi  dt*^iTiOi[jL6va,  oca  [8yj]*  ev  dvOpuizou  ^uci  xa: 
xaTaoract  if^^'^^'f**^*  irapatv^c«?  S^^  to6t(i)v  la  xpsaau)  alpe£cOat  %xi. 


1  Die,  von  der  zweiten  Hand  des  Mediceus  abgesehen,  einstimmig  Ueber- 
liefemng  der  Handschriften  bietet  hier  8^,  das  ans  falscher  Auffassung  des 
Zusammenhanges  entsprungen  scheint  und  mithin  besser  getilgt  als  ver- 
ändert wird.  Das  BiJ  nach  Tcapaiv^aa;  aber  mit  dem  Passion,  und  Florent. 
in  M  zu  verwandeln  und  hierdurch  das  eng  Verbundene  zu  trennen, 
scheint  keineswegs  räthlich.  toc  nach  navta  setzt,  wie  ich  nachträglich 
sehe,  auch  Dobree  ein  (advers.  41),  der  im  Uebrigen  die  Stelle  meines 
Erachtens  nicht  richtig  verstanden  hat. 


Herodotoisehe  Studien  II.  591 

(At)  TCapeövre^  tcJ)  orpaxoxdSo)  ti  veoxi^^^  xocdocev.  Ich  halte  ihn  für 
einen  erklärenden  Zusatz,  der  aus  dem  Rande  in  den  Text 
gedrungen  istJ 

Ebendort  (cap.  104)  begegnet  uns  m.  E.  eine  andere  derartige 
Zuthat  in  dem  Satze:  xal  'ziXoq  aa/coi  c^i  sy^^o^o  [xTsivovre^]  xoXe- 
}ji.tu>TaToi.  Das  eingeklammerte  Wort  ist,  wenn  es  nur  erklären 
soD,  zuviel  und,  wenn  es  anschaulich  schildern  soll,  zu  wenig. 
Mich  dünkt  es  räthlicher,  dasselbe  zu  tilgen,  als  etwa  (denn 
auch  daran  könnte  man  denken)  zu  schreiben :  —  TCoXe}ji.ia>TaToi 
xrefvovTe^  (x.al  S((a>xovts^). 

Im  Folgenden:  {jly]  xac  Tcpev  xareixal^ouaY)  (xaT£ix.al^ouaa  die 
Hss.)  t3c  Ytvöfxeva  o&io)  eneupeOY)  7cpT}99ü>v,  halte  ich  es  nicht  für  zuläs- 
sig, mit  der  Aldina  und  der  Mehrzahl  der  neueren  Herausgeber 
(worunter  Bekker,  Stein,  Krüger,  Abicht,  Dindorf,  aber  nicht 
Gaisford)  ein  Anakoluth  wegzuemendiren,  welches  nicht  erstaun- 
licher ist  als  jenes,   das  DI,  16,   6 — 7  von  den  Handschriften 


I  Im  Beginn  des  folgenden  Capitels  ist  die  unpersönliche  Constniction 
(oc  tk  apa  napeaxcuaoTO  totai  ''EXXt^vi  (so,  wenngleich  zweifelnd,  Reiske 
und  Bekker)  vor  Alters  missverstanden  und  durch  das  zum  Behufs  dar 
Erklärung  beigeschriebene  TcapcoxeuaSaTO  (sc.  ol  'EXX7]V£c)  verdrängt  worden. 
Dass  dies  der  thatsächliche  Hergang  war,  erhellt  aus  der  von  keinem 
Herausgeber,  wohl  aber  von  Miklosich  (Subjectlose  Sätze,  61)  angefUhrten 
Parallele  aus  Thucydides  I,  46,  1  (siehe  daselbst  Krüger):  huih^  aOrotc 
TcapioxfuaoTo.  Stein  glaubt  die  Ueberlieferung  dadurch  retten  zu  können, 
dass  er  auf  den  Plural  —  nicht  des  Verbum,  sondern  der  Adjectiva 
in  ähnlicher  Constniction  (Thucyd.  H,  3  tizti  h\  —  ItoT^i«  ^v)  hinweist! 
Wie  oft  Bul>jectlose  Sätze  von  den  Interpreten  noch  heute  missverstanden 
werden,  dies  kOnnen  Stein*8  Anmerkungen  zu  m,  80  in.  oder  zu  IH, 
113  in.  lehren,  wonach  in  dem  Satze:  aicö^ei  h\  rijc  x^P^^ — OeoTr^aiov  tu; 
ifid  das  letzte  Wort  das  Subject  sein  soll!  —  IX,  33  in.  lesen  wir:  (ü( 
hl  Spa  navTE«  ol  ixtxiiOLXo  %«ti  (te  SVK)  Bves  xai  xikta.  In  SVR  fehlt 
jedoch  KxHXt^f  was  den  Gedanken  nahe  legt,  es  m0ge  auch  hier  eine  sub- 
jectlose Constniction  zuerst  missverstanden,  dann  verdrängt  und  schliess- 
lich in  der  zweiten  Handschriftenclasse  bis  auf  die  letzte  Spur  verwischt 
worden  sein,  genau  so,  wie  dies  an  der  oben  besprochenen  Stelle  ge- 
schehen wäre,  wenn  etwa  Beiske's  Altematiworschlag,  icc^via  einzusetzen, 
von  einem  alten  Corrector  anticipirt  und  ausgeführt  worden  wäre«  Ist 
diese  Combination  richtig,  so  fehlt  dem  also  gewonnenen:  co^  hl  £pa  ot 
it^TaxTo  auch  nicht  eine  genau  zutreffende  Parallele  in  dem  (gleichfalls 
von  Miklosich  ebendas.  angeführten)  Satze:  coc  hi  991  SifTlxaxTo  — . 
(Vif  112  in.)  Man  erinnere  sich  auch  unseres  Besserungsvonchlages  zu 
m,  82. 


590  Oomperi. 

IX,   79,   24   schreibe  und  interpungire  man  wie    folgt: 

Aewvß^  5i,  TW  [JL6  /^Xsuetq  Ttfxwp^aat,  9Y)[jlI  [Ae^iXo)^  TSTtjJLwp^oOai-  4*^- 
XV^  Y^  ("f^  di®  Hßs.)  Ti^ffi  TövSe  avopiöfJi.'ifjToifft  TexifjLiQTai  xts.  Ver- 
wunderlicher Weise  haben  die  Herausgeber,  so  viel  ich  sehen 
kann,  an  der  überlieferten  Fassung  des  Satzes  keinen  Anstoss 
genommen,  die  Uebersetzer  hingegen  die  Verbindungspartikel 
entweder  ignorirt  (Stein),  oder  dxirch  ,denn^  ,nam',  RawliiLson 
sogar  durch  ,surely'  wiedergegeben.  Ebenso  ist  IX,  42,  22  das 
von  SVR  dargebotene  t^  in  ^i  zu  verwandeln:  auro^  yz  MapiSmcq 
IXeye  (vgl.  was  Eltz  a.  a.  0.  128  und  129  zusammengestellt  hat.) 

IX,  82,  8 :  üouaaviiQV  iv  6pdovTa  xeXeuaai  to6?  xe  ipiorj^r^ou^  xai 
xdbq  h^oi:o{.oh^  xora  louia  [xaOo)^]  MapSovico  Seinvov  ^apaoxeuil^stv.  Das 
der  herodoteischen  Sprache  fremde  xaOu>^  haben  Schäfer,  Bredow, 
Stein  in  verschiedener  Art  zu  emendiren  versucht.  Räthlicher 
scheint  es,  die  Partikel  (mit  Abicht)  zu  tilgen  und  die  Verbindung 
xaxa  xauTa  MapSoviü)  in  der  bekannten  brachylogischen  Weise  zu 
verstehen,  in  der  man  auch  von  einem  SetTtvov  5jjloiov  M<zpSov{ci> 
oder  yfswffov  MapSoviou  sprechen  konnte.  Vgl.  Krüger  48,  13,  9 ; 
47,  27,  5  imd  28,  7,  wozu  sich  eben  aus  Herodot  noch  gar 
Manches  beibringen  liesse,  wie  z.  B.  IV,  46  in. :  x^p^^^  icaaiwv 
icapä)^eTae  SOvea  difjLoOäoraTa  oder  ebenda  (so^iji':az(x  xavTcov  i^eäpTQxat 
Twv  T^jxeT?  ßjjLev.  (Vgl.  auch  unsere  Erklärung  von  III,  65,  15,  oder 
Steines  Nachweise  zu  I,  172  und  11,  127.) 

IX  94,  8 :  —  o\^k  'A.'7coXXo)vt^Tat  aic6pprjTa  i:oir,aa[JL£vot  TCpoiÖeaav 
Twv  aoTwv  avBpaci  (Tpicl)  SionrpfiSat.  —  Eine  quantitative  Bestimmung 
ist  hier  schwerUch  zu  entbehren,  während  eine  grössere  Zahl 
durch  den  geheimen  Betrieb  der  Angelegenheit  unwahrschein- 
lich gemacht  und  durch  den  Fortgang  der  Erzählung  (eXOövTe; 
ol  wapiliovTo  und  oi  Ik  irapeSpoc)  ausgeschlossen  wird.  Vgl.  IV,  68  in. 
Twv  [jLavTiwv  avSpa^  ipeic;  oder  VIEL,  135,  2 — 3:  twv  doTojv  alpetou; 
avBpa^  xpeTg  — . 

IX,  99,  14  — 15:  dwoieüv  ^k  to6tou  eYvexev,  ha  Ixto?  tou 
ffTpoTOTcdSou  ^'wat.  Der  durch  die  UnvoUständigkeit  und  Aerm- 
lichkeit  des  Ausdrucks  gleichwie  durch  den  ganz  unmotivirten 
Subjectswechsel  auf  fällige  Satz  erweist  sich  nicht  nur  als  vöUig 
entbehrlich  (zwischen  <5)<;  ewioraiAivocffi  8^6£v  [xiXcora  itjv  yßpri^  und 
TouTOü(;  [x^v  'I(t)V(i)v  —  upoEipuXiffaovTO  ol  lldpaai!),  sondern  er 
widerspricht  auch  dem,  was  cap.  104  gesagt  wird :  eTaxOt;aav 
[JL6V  vuv  eTcl  TouTo  tb  TcpTjYIJ''«  «l  MiXi^ciot  TOUTOu  T6  sTvexEv  xat  tva 


HerodotoiMhe  Stadien  II.  591 

[At]  icapeövre^  tcJ)  oTpaxoic^$ci>  ti  veoxH>bv  ^oi^otev.  Ich  halte  ihn  für 
einen  erklärenden  Zusatz,  der  aus  dem  Rande  in  den  Text 
gedrungen  istJ 

Ebendort  (cap.  104)  begegnet  uns  m.  E.  eine  andere  derartige 
Zuthat  in  dem  Satze:  %a\  tsXo?  owtoC  ofi  eYivovro  [xTeivovre^]  icoXe- 
}ji.uii>TaToi.  Das  eingeklammerte  Wort  ist^  wenn  es  nur  erklären 
solly  zu  viel  und,  wenn  es  anschaulich  schildern  soll,  zu  wenig. 
Mich  dünkt  es  räthlicher^  dasselbe  zu  tilgen,  als  etwa  (denn 
auch  daran  könnte  man  denken)  zu  schreiben :  —  xoXepuiOTOToi 

Im  Folgenden:  (jly)  xal  npiv  xaT£(xal^o69Y)  (xaT6ix.i2^ou9a  die 
Hss.)  t3c  YtvöfAeva  o&to)  eiceupeOY]  icptjacrcov,  halte  ich  es  nicht  für  zuläs- 
sig, mit  der  Aldina  und  der  Mehrzahl  der  neueren  Herausgeber 
(worunter  Bekker,  Stein,  Krüger,  Abicht,  Dindorf,  aber  nicht 
Gaisford)  ein  Anakoluth  wegzuemendiren,  welches  nicht  erstaun- 
licher ist  als  jenes,   das  DI,  16,   6 — 7  von  den  Handschriften 


I  Im  Beginn  des  folgenden  CupiteU  ist  die  unpersönliche  Construction 
a>c  Si  op«  napE9XE^aato  lotai  1EXXi)9i  (so,  wenngleich  zweifelnd,  Reiske 
und  Bekker)  vor  Alters  missverstanden  und  durch  das  zum  Behufe  dar 
Erklärung  beigeschriebene  ;capiaxEuaSaTO  (sc.  ot 'EXX7]Vec)  verdrängt  worden. 
Dass  dies  der  thatsächliche  Hergang  war,  erhellt  aus  der  von  keinem 
Herausgeber,  wohl  aber  von  Miklosich  (Subjectlose  Sätze,  61)  angefahrten 
Parallele  aus  Thucydides  I,  46,  1  (siehe  daselbst  Krüger):  eiceiS^  «OtoT^ 
napfoxfOaoTo.  Stein  glaubt  die  Ueberlieferung  dadurch  retten  zu  kennen, 
dass  er  auf  den  Plural  ~  nicht  des  Verbum,  sondern  der  Adjectiva 
in  ähnlicher  Construction  (Thucyd.  H,  3  iizti  hl  —  ItoT^i«  ^v)  hinweist! 
Wie  oft  flu'bjectlose  Sätze  von  den  Interpreten  noch  heute  missverstanden 
werden,  dies  können  Stein*s  Anmerkungen  zu  m,  80  in.  oder  zu  IH, 
113  in.  lehren,  wonach  in  dem  Satze:  aicö^Ei  tk  rij«  x^P^^ — OEOTz^aiov  coc 
ifid  das  letzte  Wort  das  Subject  sein  solll  —  IX,  33  in.  lesen  wir:  co( 
hl  Spa  navTEt  ol  ETfitd^ato  xaxi  (te  SVR)  fOvEa  xai  zikta.  In  SVR  fehlt 
jedoch  TiavTEc,  was  den  Gedanken  nahe  legt,  es  mOge  auch  hier  eine  sub- 
jectlose Construction  zuerst  missverstanden,  dann  verdrängt  und  schliess- 
lich in  der  zweiten  Handschriftenclasse  bis  auf  die  letzte  Spur  verwischt 
worden  sein,  genau  so,  wie  dies  an  der  oben  besprochenen  Stelle  ge- 
schehen wäre,  wenn  etwa  Reiske's  Altematiworschlag,  ic^via  einzusetzen, 
von  einem  alten  Corrector  anticipirt  und  ausgeführt  worden  wäre.  Ist 
diese  Combination  richtig,  so  fehlt  dem  also  gewonnenen:  cu«  hl  £pa  ot 
ixixaxto  auch  nicht  eine  genau  zutreffende  Parallele  in  dem  (gleichfalls 
von  Miklosich  ebendas.  angeführten)  Satze:  coc  hi  991  SiEtlTaxTo  — . 
(Vif  112  in.)  Man  erinnere  sich  auch  unseres  Besserungsvorschlages  zu 
m,  82. 


592  Oomperc. 

dargeboten  und  von  den  Interpreten  nicht  mehr  angefochten 
wird:  üdpaTjfft  [xev  St'  ÖTüep  eTprjtat,  Oei  c6  Btxoiov  eTvai  XefOVTS? 
(wo  die  Aldina  gleichfalls  X^youcti  herstellte;  vgl.  daselbst  Steines 
und  Kxtiger's  Hinweise,  insbesondere  auf  IV,  132,  15  und  VIII, 
74,  19-20). 

Artayktes  setzt  sich  durch  betrügerische  Vorspiegelungen 
in  den  Besitz  des  schätzereichen  Heroon  des  Protesilaos 
(IX,  116,  19):  Xi^cüV  Se  TOidBe  Sep&rjv  BießaXeTO.  ,8eoTCOTa,  ecTt 
oTxo?  avBpb?  *'EXXtqvo?  evOaura,  5<;  siel  -pjv  o^v  crpareüffflEpLevo?  dtxi}«; 
itupi^aa^  diceOove*  to6toü  [xoi  Bb?  tov  oIx.ov,  Tva  %(xi  xiq  jjLaÖTj  ext  "p3^ 
TT)V  OT)V  [JLYj  aTpaT66ecöat'.  TOtöra  Xe^wv  eweT^ox;  IfJLsXXe  dvaiceCastv  S^p^TJ^ 
[Souvai  avSpb^  ol>wv],  ouB^v  irtroronQÖdvTa  töv  exeivo;  l^pövee.  Wer  den 
bisherigen  Ausführungen  nicht  ohne  Billigung  gefolgt  ist,  Air 
den  bedarf  es  keines  Beweises,  dass  dieser  Stelle  durch  unsere 
Athetese  und  nicht  durch  irgend  welche  Anwendung  kritischer 
Kleinkunst  (,§ouva{  oi  tou  Mpoq?^  Stein)  aufzuhelfen  ist. 

IX,  119:  Oioßal^ov  jxdv  vuv  sx^eö^ovia  (1.  ^x^üvovra  mit  SVR, 
Schäfer  u.  A.)  e?  tv)v  6piQixY)v  6pi^(X€^  'At^ivOtoi  XaßovTeg  eOuffov  OXe:- 
aTb>p(i)    exixü)p(({)   Oeco   Tp6icü)  tco   ff^eiäpü),    xou^   2^  (xei"  exetvou    aXX(i> 

Man  fragt  sich  hier  zunächst,  warum  denn  die  Gefangenen, 
die  nicht  geopfert  wurden,  alle  auf  gleiche  Weise  sollen  getödtet 
worden  sein;  und  femer,  weshalb  Herodot  diese  Art  der  Hin- 
richtung nicht,  wenn  sie  kein  besonderes  Interesse  darbot,  un- 
erwähnt liess,  andernfalls  aber,  wenn  sie  durch  ihre  Grausam- 
keit oder  irgend  einen  anderen  Umstand  bemerkenswerth  war, 
nicht  klar  und  deutlich  bezeichnet  hat  (durch  toüq  Ik  [jlst'  excCvou 
(ivscrx.oX6xiffav  oder  etwas  Aehnliches).  Die  zwei  Worte  entstam- 
men meines  Erachtens  dem  Ergänzungsbestreben  eines  Lesers, 
der  den  wahren  Sinn  der  Stelle  nicht  verstand :  ,die  Thraker 
opferten  den  persischen  Flüchtling  einem  einheimischen  Gotte, 
und  zwar  nach  den  Bräuchen  ihres  Volkes,  seine  Begleiter  aber 
tödteten  sie  (schlechtweg)*.* 


>  Da68  im  Folgenden  xai  vor  cu;  xaTeXajAßdtvovto  zu  tilgen  ist,  scheint  mir 
selbstverständlich;  der  die  Gonstmction  stOrende  Zusatz  ist  hier  eben 
bereits  in  den  Archetypus  eing^rungen,  wie  V,  87, 17  in  den  Stamm- 
codex  der  schlechteren  Familie,  Zeitschr  für  0sterr.  Gymn.  1859,  826. 
Auch  bei  Abicht  fehlt  die  Partikel  im  Texte,  man  weiss  nicht,  ob  ab- 
sichtlich oder  zuimiig,  da  das  Variantenverzeichniss  darüber  schweigt. 


Rerodoteitohe  Stadien  II.  593 

IX,  122  in.  spricht  Artembares  zu  Cyrus:  jdwet  Zeug  üip- 
arpi  T^e|4Äv{t;v  81801,  dvBpoJv  hk  aol  Köpe,  xaxeXwv  'AaiüaYiQv,  ^fpe, 
Yt;v  Yötp  dx-p^iJLeOa  JXiytqv  xt^.'  Der  Schicksalsumschwung,  welcher 
die  Perser  zum  führenden  und  herrschenden  Volk  erhoben  hat, 
wird  begreiflicher  Weise  der  Gottheit  oder  dem  obersten  Gotte 
zugeschrieben ;  dass  aber  auch  der  Sturz  des  Astyages  nicht 
dem  Cyrus  als  dem  unmittelbaren  Urheber  dieses  speciellen 
Ereignisses,  sondern  der  entfernten  obersten  Ursache  aller  irdi- 
schen Vorgänge  beigelegt  wird,  dünkt  mich  in  hohem  Masse 
befremdend.  Dieser  Anstoss  würde  beseitigt,  wenn  wir  mit  S 
und  einem  Palatinus  (denen  Abicht  folgt)  uu  an  die  Stelle  von 
col  setzen  dürften.  Und  in  der  That  scheint  uns  nur  die  Wahl 
zu  bleiben  zwischen  der  Annahme  dieser  alten  Conjectur  (denn 
etwas  Anderes  ist  sie  nicht)  und  der  Athetese  jener  zwei  Worte, 
die  sehr  wohl  von  einem  male  sedulus  lector  (mit  oder  ohne 
Rücksicht  auf  VIT,  8a:  exeiTs  TcapeXotßofjiev  ttjv  VjYejjLOVitjv  -n^vBs 
%apa  MyJScov,  Kupou  xaTeX6vT0?  'AffTuaY^Jv)  an  den  Rand  ge- 
schrieben sein  können.  Ich  ziehe  die  letztere  Alternative  vor, 
weil  es  dem  Sprechenden,  der  von  Cyrus  nichts  Geringeres 
verlangt,  als  dass  er  den  Persem  neue  Wohnsitze  anweise, 
mehr  darum  zu  thim  sein  muss,  die  Grösse  seiner  Macht 
als  jene  seines  Verdienstes  hervorzuheben.*  Statt  sx^iasv 
und  ax^vTß?  im  Folgenden  bieten  SVR  ax<*>{Aev  und  exovre^  dar, 
zwei  sinngemässere  Lesarten,  von  denen  auffälliger  Weise  nur 
die  erstere  bisher  (bei  Krüger  und  vormals  bei  Stein)  Billigung 
gefunden  hat. 


>  Sprachlich  ist  die  eine  Auffassuiig  und  Schreibung  so  zulässig  wie  die 
andere;  denn  durch  ovSpcuv  kennen  ebensowohl  die  Einzelnen  im  Gegen - 
satze  zur  Kation  wie  die  Menschen  im  Unterschiede  von  G Ottern 
bezeichnet  werden.  Vgl.  Herod.  IV,  46,  19 — 20:  oöts  yotp  ?0vo<  —  oCte 
av8pa  KtL  VTn,  93  in. :  —  ^xouaav  *EXX^vü>v  apt^ra  Atviv^rai,  hz\  fife  ^AOfivaioi, 
avfipcov  Sk  noXäxpiT^c  tc  xtI.  IX,  71  in.:  ^HpfarsuoE  tk  tcov  ßapßapcov  heCo^ 
|ilv  0  Utpoitii^j  tirncoc  tl  Sax^cov,  «v^p  Zk  X^]feTai  MotpMvioc.  Hingegen  A  761: 
icavTE(  V  eO^cttfcüVTO  Occuv  Ai{,  N^9Top{  t^  avSpcov. 


594  Oomperz. 


Excnrs  I. 

A^  in  apodosi  bei  Homer. 

Bei  der  Behandlung  derartiger  Probleme  ist  die  sachgemäasse  Classi- 
ficirung  der  Einzelfalle  mehr  als  die  halbe  Lösung.  Ich  glaube,  das  bei 
Lahmeyer  (s.  oben  S.  552)  vollständig  zusammengestellte  Material  nach  gprossen- 
theils  verschiedenen  Gesichtspunkten  wie  folgt  gruppiren  zu  müssen. 

Ilias. 

I.  ^{  im  Nachsatz  als  Wiederholung  derselben  oder  einer 
anderen  Adversativpartikel  des  Vordersatzes:  A  68, 137,  324  (=  137); 
B  718;  A  212  (vorher  mittelst  hi  angereihter  Zwischensatz,  nach  Nikanor's 
wohl  richtiger  Auffassung);  E  439;'Z  476;  H  149,  314;  I  167  (gehOrt  kaum 
hieher,  wie  denn  Bekker  die  Stelle  parataktisch  auf  fasst  und  interpungirt ;  ist 
nicht  £v  in  [i^v  zu  verändern:  il  B^  oyE,  tou(  fiiv  e^ojv  E)ct^t|^o(i.ai  *  ol  hl  jctO^aOtov  ?), 
301;  A  268,  409,  714;  M  146  (wenn  nicht  vielmehr  aio^p  —  als  Wiederholung 
von  OL^xip  der  Protasis  —  den  Nachsatz  beginnt);  0  321  (vorher  mit  ^i  an- 
gereihtes Satzglied),  746;  n  199,  264,  706;  P  733;  1  646;  T  66;  Y  448; 
«I»  660;  Y  868;  Q  16,  446  (vorher  Zwischensatz  mit  ^i). 

n.  Temporale  Perioden:  A  194  (vorher  mittelst  ^i  angereihter 
Schluss  der  Protaais);  A  221  (wo  Kauck  in  den  Addend.  ändern  will);  K  607 
(nahezu  =  A  193—194  und  P  106—107);  M  376  (vorher  Zwischensatz  mit  h(); 
N  779  (wenn  anders  nicht  tou$'  [Wolf,Nauck]  zu  lesen  ist);  0  343  (wo  Nauck 
ändern  wiU),  640;  P  107  (106  =  A  193  und  107  =  A  221);  Z  268  (wo  Nauck 
gleichfalls  ändern  will);  ^  66  (nach  längerem  Zwischensatz). 

III«  Temporale  und  relative  Doppelperioden:  B  189;  I  609, 
611;  K  419  (die  Doppelperiode  zwar  verschrumpft,  aber  als  einziger  Fall 
einer  Relativperiode  doch  wohl  besser  hieher,  als  unter  II  zu  stellen),  490; 
M  12 ;  r  42  (falls  die  Lesart  x6<^pu  8'  die  richtige  ist),  48. 

IV.  Gleichnisse  oder  analoge  Wendungen:  Z  146;'  Y  91  (wenn 
nicht  etwa  Bekker's  Interpunction  den  Vorzug  verdient). 


1  Die  Schreibung  Tofv)  81,  welche  Lahmeyer  pag.  36  n.  ,pro  vulgato  hucus- 
que  toi^8e^  empfiehlt,  steht  schon  in  Bekker^s  erster  Ausgabe ;  es  war, 
wie  die  Schollen  lehren,  Aristarch's  Lesart.  Befremdlich  ist  es,  dass 
Lahmeyer  ebendaselbst  (pag.  37)  die  lange  Reihe  der  mit  auxap  Imi 
beginnenden  Stellen  anführt,  ohne  zu  erkennen,  dass  das  apodotische  ti 
durch  a^xdp  bedingt  ist. 


Hwodoleitehe  Btndien  n.  595 

V.  Eigentliches  Anakolnth,  durch  begrifflichen  Gegenmts  (^i 
SS  akXd)  oder  die  Constmction  stOrende  Zwischensätze  veranlasst:  A  161  (U 
=  akXij  nach  etreep,  wenn  anders  die  Conjectur  U  statt  zi  begründet  ist), 
262  (gleichfalls  nach  stncp,  vgl.  aXXi  anakoluthisch  nach  c2  oder  e^tp,  z.  B. 
A  82  oder  M  349);  M  246  (desgleichen);  <!>  53  (scheint  eher  hieher  als  unter 
I  zu  geboren);  Y  463. 

VI.  Zweifelhafte  oder  doch  vOllig  vereinzelte  Fälle:  B  322 
(fällt  weg,  wenn  Nanck  821  mit  Recht  athetirt  bat);  E  261  (mag  reine  Para- 
taxis  sein,  nach  al) ;  X  381  (gehört  S'  jedenfalls  nicht  zum  Nachsatz,  auch 
wenn  man  es  nicht  mit  uns  fUr  unerlässlich  hält  zu  schreiben  tta  £yci\  wie 
6  832,  8.  S.  651);  H^  321  (würde  unter  m  geboren,  wenn  nicht  der  Sinn,  wie 
ich  denke,  Nauck*s  Aenderung:  &XXoc  \kh  erheischte),  559  (s.  ebend.). 

Odyssee. 

I.  Y  474;  E  444  (falls  niclit  Bekker's  und  Nauck*8  Interpunction  Bil- 
ligung verdient);  ^  100  (wenn  rat  8'  5p  —  gegen  Bekker  und  Nanck  —  zu 
lesen  ist);  t)  47,  185,  341  (falls  tSipuvov  S*  —  wieder  gegen  die  zwei  letzten 
Herausgeber  —  zu  lesen  ist);  6  26;  t  182,  311  »  344;  x  112,  366,  571;  X  36, 
387  (falls  die  Stelle  in  Ordnung,  s.  S.  652);  {jl  54  (kann  auch  zu  V  gezogen 
werden),  164  (mit  54  fast  identisch),  182;  v  144;  o  304,  439,  502;  k  274 
(lässt  sich  auch  zu  V  ziehen) ;  a  60  (falls  nicht  mit  Nauck  und  einem  Theil 
der  Handschriften  8^  oder  mit  Bekker  die  Protasis  zu  tilgen  ist) ;  ^  255,  261, 
274;  X  433  (wenn  nicht  hi  mit  Nauck  zu  beseitigen  ist;  ich  möchte  den 
Nachsatz  erst  mit  461  beginnen  lassen);  co  205,  422,  490. 

n.  f  10  (nach  ^i  im  letzten  Theile  der  Protasis);  Z  121  (120=  A  193); 
E  366  (365  =  A  193),  425  (424  =  A  193);  0  540  (wenn  nicht,  mit  Nauck, 
Tou8^  ZU  schreiben  ist);  x  126;  p  359  (wenn  die  Verse  nicht  mit  Nauck  zu 
athetiren  sind);  u  57  (u  56  =  T  62;  der  Gegensatz  der  Personen  und  der 
Handlung  kommen  vielleicht  gleichfalls  in  Betracht),  77  (wo  auch  der  Zwi- 
schensatz nicht  wirkungslos  sein  mag). 

III.  i  57;  X  148,  149;  t  330  (wenn  niclit  tü>8e  mit  Nauck  zu  lesen  ist). 

IV.  71  109. 

V.  X  592  (Ausdruck  getäuschter  Erwartung);  ^78  (desgleichen),  405; 
0  546  (erinnert  an  die  herodoteische  Gebrauchsweise);  a  62;  /  187  (Hesse 
sich  auch  unter  II  stellen,  doch  entscheidend  wirkten  wohl  die  Zwischen- 
sätze), 217. 

VI.  8  832  (8.  S.  551);  |x  42  (vielleicht  tcüB'  zu  lesen,  sonst  tcu  §'  nach 
ooTi^,  wie  sonst  nur  in  Doppel perioden.) 

Man  sieht,  wie  sehr  nach  Ausscheidung  unserer  Classe  I  die  Zahl  der 
Fälle  zusammenschwindet,  wie  viel  auch  von  dem  Rest  auf  formelhaft  wieder- 
holte Wendungen  fällt  und  wie  zahlreich  die  speci eilen  Entschuldigungen, 
insbesondere  bei  den  Instanzen  unserer  (vielleicht  am  wenigst  feststehenden) 
Nr.  II  sind.  Doch  diesen  Gegenstand  hier  weiter  zu  verfolgen,  liegt  mir 
ferne.  Nur  gegenüber  Lahmeyer's  mir  völlig  unglaubhafter  Annahme  fii  par- 
ticulam  in  apodosi  positam  respondere  particulae  |jiiv  in  protasi*  (p^g*  13) 
möchte  ich  darauf  hinweisen,  dass  in  vier  von  den  sechs  Fällen,  die  derselbe 


596  Oomperc. 

namhaft  macht  —  über  die  zwei  räthselhaften,  auch  durch  die  Verwendung 
anderer  Partikeln  aus  dem  Rahmen  der  Normalfälle  heraustretenden  Instanzen 
8.  S.  551  —  dem  [jl^v  der  Protasis  sicherlich  nicht  das  hi  der  Apodosis,  sondern 
ein  nachfolgendes  aXX'  ote  S^  (I  553),  aurocp  ^et  (M  13),  vOv  U  (L  261)  und  ^ilo^  o' 
(t  57)  entspricht.  Dass  dies  sich  wirklich  so  verhält  und  die  Aufeinanderfolge 
keine  zufällige  ist,  kann  das  Fehlen  jenes  [jl^v  in  den  sonst  genau  analogen 
Temporalperioden  lehren.  Und  verlangt  endlich  Jemand  nach  einer  geradezu 
entscheidenden  Crudalinstanz,  so  findet  er  auch  diese  in  A  84  ff. : 

o^pa  |jlIv  i^(o;  ^v  xal  dcE^eto  tspov  ^{Aap, 
T^9pa  [k&V  ocjjL^oTEpwv  pAe'  fiKxtzOy  kXktz  5k  Xaos  • 
^|JL0^  81  Bpur(^{jLO^  rep  av^p  OTcXtaararo  Setnvov  xtI. 
verglichen  mit  i  56  ff.: 

o^pa  [jL^v  i^b>;  ^v  xat  a^^Ero  Upbv  ^(lap, 

T^'^pa  B^  oXc^ocpLEvot  [jl^vo(j.£V  nXioyid^  nip  i^vra^* 

?S[jLo;  8'  T^Aios  [letev^aasTO  ßouXuTOvSs  xtI. 

Von  den  zehn  hesiodeischen  Stellen,  die  Lahmejer  gesammelt  hat,  fallen 
sechs  (6  58,  609,  800;  ixi^  284,  333,  363)  unter  unsere  Rubrik  I,  eine  (6  600} 
unter  IV,  eine  (ix:^  681)  unter  V  —  indem,  wie  ich  meine,  die  zu  einer 
Periode  erweiterte  Protasis  das  Fallenlassen  der  subordinirten  Construction 
veranlasst  hat  —  zwei  endlich  (6  155  und  ixfi  323)  sind  in  kritischer  Be- 
ziehung ebenso  anfechtbar  wie  angefochten.  Die  zwei  gesicherten  Instanzen 
aus  EUegikern  und  Jambikern  endlich  vertheilen  sich  auf  I  (T/rtaeus  12,  27) 
und  IV  (Theogn.  357  —  wo  die  Wiederholung  des  hi  aus  der  Protasis  ge- 
rade wie  bei  Hesiod  die  alterthümliche  Kühnheit  mildem  hilft  — );  dahin 
gehört  schliesslich  auch  Archüoch.  32,  falls  die  Anführung  bei  Athenäus  X  447  ^ 
ein  abgeschlossenes  Satzgebilde  darbietet. 


£xcnrs  II. 

Ermangelt  Herodot's  Werk  einer  absohliessenden  Bedactionf  ^ 

lieber  diese  im  Laufe  der  letzten  Jahre  viel  behandelte  Controverse 
mögen  hier  noch  einige  kurze  Bemerkungen  Raum  finden.  Eis  kommen  hierbei 
insbesondere  die  nachfolgenden  Punkte  in  Frage: 

1.  Die  Wiederholung  von  I,  75  in.  in  VIII,  104  (S.  Rawlinson  I», 
33).  Die  meines  Erachtens  richtige  und  endgiltige  Lösung  dieser  Schwierigkeit 
hat  schon  Yalckenaer  gegeben:  die  letztere  Stelle  ist  interpolirt.  Zu 
den  diesmal  wohlbegründeten  Bemerkungen  Steines  (zu  VIII,  104  comm. 
Ausg.)  tritt  noch  als  vielleicht  entscheidendstes  Argument  die  Thatsache, 
dass  die  bessere  Ueberlieferung  (SVR)  statt    aufi^^pEtai  das  blosse  9£peTai 


1  Ich  fasse  hier  Kirchhoff*s  stillschweigende  Voraussetzung,  das  nicht  zum 
Abschluss  gediehene  Geschichtswerk  entbehre  auch  der  letzten  styli- 
stischen Feile,  und  Heinrich  Stein*8  ungleich  anspruchsvolleren  Versuch, 
Spuren  des  ursprünglichen  Werdeprocesses  oder  einer  späteren  Neu- 
bearbeitung des  Werkes  aufzuweisen,   in  eine  Besprechung  zusammen. 


HerodotdMlie  Stadien  n.  597 

bietet  (=»  feitnr),  eine  Gebrauchsweise,  die  —  nach  dem  Ausweis  der  Wörter- 
bücher wenigstens  und  soweit  auch  meine  Kenntniss  reicht  —  der  Alteren 
Sprache  durchaus  fremd  ist. 

2.  Kirchhofs  Folgerungen  (Abfassungszeit  >,  3  ff.)  aus  1, 106  und  1, 184: 
Herodot  soll  in  Folge  einer  längeren  Unterbrechung  der  Arbeit  seine  dort 
gegebenen  Versprechungen  einzulösen  yergessen  und  —  wie  wir  hinzufügen 
müssen  —  diesen  Widerspruch  niemals  bemerkt  und  berichtigt  haben.  Hier 
wünschte  man  zu  wissen,  wie  sich  Kirchhoff  mit  einem  Einwurf  abgefunden  bat, 
der  viel  zu  naheliegend  ist,  als  dass  er  einem  so  scharfsinnigen  Forscher  hfttte 
entgehen  können.  Wenn  wir  eine  liegen  gelassene  Arbeit  wieder  aufnehmen, 
pflegen  wir  doch  zumeist  das  vorher  Geschriebene  durchzulesen;  wie  konnte 
der  Verfasser  eines  Geschichtswerkes,  dessen  Composition  eine  so  überaus  ver- 
schlungene ist,  dies  zu  thun  unterlassen?  Und  wenn  er  sich  wunderbarer 
Weise  dieser  Unterlassungssünde  schuldig  gemacht  hatte,  wie  kann  das  noch 
grossere  Wunder  glaubhaft  werden,  dass  er  in  seiner  ganzen  weiteren  Lebens- 
zeit nicht  dazu  gelangt  ist,  jene  Partie  seines  Werkes  anzusehen  und  sein 
voreilig  gegebenes  Versprechen  mit  einem  Federstrich  zu  tilgen?  Anstatt 
diese  und  andere  kaum  geringere  Unwahrscheinlichkeiten  hinzunehmen,  glaube 
ich  vielmehr  mit  Stein  (Einleitung  \  S.  XLV — XLVI)  und  Anderen,  insbe- 
sondere mit  Rawlinson  (zu  I,  106)  an  die  Abfassung  und  selbständige  Ebdstenz 
der  ^Aao^ptoi  Xoyot. 

3.  Nicht  haltbarer  erscheinen  mir  die  Consequenzen,  die  Kirchhoff 
a.  a.  O.  aus  I,  130  ableitet.  Denn  es  heisst,  wie  ich  meine,  nicht,  ,den  Ge- 
schichtschreiber .  .  einer  thörichten  und  durch  nichts  gerechtfertigten  Willkür 
zeihen*,  wenn  wir  annehmen,  er  habe  den  Aufstand  der  Meder  gegen  den 
ersten  Darius  zwar  einer  beiläufigen  Erwähnung,  nicht  aber  einer  ausführ- 
lichen Schilderung  werth  erachtet.  Beruht  doch  der  ganze  Plan  seines  Werkes 
auf  einer  fortwährend  mit  vollem  Bewusstsein  (vgl.  VII,  96  und  99)  geübten 
strengen  Sonderung  des  Wesentlichen  von  dem  Unwesentlichen,  auf  sorgfäl- 
tiger Auslese  des  Wichtigsten  und  Wissenswürdigsten  aus  der  unübersehbaren 
Fülle  des  ihm  unaufhörlich  zuströmenden  Stoffes.  Hat  er  doch  beispielsweise 
—  und  dies  ist,  wenn  ich  nicht  irre,  schon  längst  bemerkt  worden  —  aus  den 
vielen  Kriegszügen  des  Cjrus  nur  drei  zu  eingehender  Schilderung  ausgewählt. 

4.  Weit  berechtigter  ist  die  Verwunderung  darüber,  dass  der  Historiker 
es  unterlassen  hat,  die  VH,  213  in  Aussicht  gestellte  genauere  Belehrung 
über  die  TOdtung  des  Ephialtes  durch  den  Trach inier  Athenades  seinen 
Lesern  zu  ertheilen.  Es  ist  dies,  so  viel  ich  sehen  kann,  der  einzige  Punkt, 
der  die  Aufwerfung  jener  Bedactions-  oder  Revisionsfrage  überhaupt  ermög- 
licht. Allein  ehe  wir  aus  solch'  einem  ganz  vereinzelten  Vorkommnisse  so 
weitgehende  Folgerungen  ziehen,  werden  wir  gut  daran  thun,  der  Möglichkeit 
zu  gedenken,  dass  eine  Lücke  des  Geschichtswerkes  jene  wahrscheinlich  sehr 
kurze  Mittheilung  verschlungen  hat.  Und  eine  solche  Lücke  zum  Mindesten 
(im  Ausmass  von  zwanzig  Zeilen)  ist  VUI,  120  handschriftlich  bezeugt,  worauf 
Stein  in  diesem  Zusammenhang  verständiger  Weise  hingewiesen  hat. 

5.  Dennoch  hat  eben  derselbe  Gelehrte  -  und  nach  ihm  Andere,  wie 
BOse  in  einem  GiessenerGymnasial-Programm  vom  Jahre  1879:  Hat  Herodot 


598  Gomp«ri. 

sein  Werk  selbst  herausgegeben?  —  von  jener  auf  so  schwanker  Qmndlage 
ruhenden  Hypothese  einen  Gebrauch  gemacht,  gegen  den  man  nicht  entachie* 
den  genug  Einsprache  erheben  kann.  Ich  will  mich  die  Mühe  nicht  Ter- 
driessen  lassen,  zum  Mindesten  die  sftmmtlichen  von  Stein  selbst  vorge- 
brachten und  zu  IX,  83  zusammengestellten  Behauptungen  einer,  wenngleich 
summarischen,  Beurtheilung  zu  unterziehen.  Derselbe  glaubt  nämlich  nach- 
trägliche  Zusätze  Herodot^s  zu  seinem  Gteschichtswerke  an  folgenden 
Stellen  zu  erkennen: 

I,  18,  4  (comment.  Ausg.),  wo  die  Worte  xa  (liv  vuv  —  npoaeTxe  cvrrca- 
^^vu>(  einen  ,der  nicht  wenigen  Znsätze'  bilden  sollen,  ,womit  der  Autor  den 
fertigen   Text   seines  Werkes   nachträglich  berichtigte  oder  ergänzte*.      Der 
unbefangene  Leser  möge  selbst  entscheiden,  ob  meine  in  weit  eiigere  Grenzen 
eingeschlossene  Athetese  (s.  I,  160)  nicht  ausreicht,  jeden  wirklichen  Anstoas 
zu  entfernen,   und  ob  andererseits  die  von  mir    hervorgehobenen   AnstOsse 
durch  Steines  Voraussetzung  wirklich   beseitigt  werden.    Ich  frage  hier  nur: 
angenommen,  jener  Process  habe  wirklich  stattgefunden,  wie  kann  es  mOgltch 
sein,  ihn  mit  einiger  Sicherheit  zu  erkennen?    Denn  Herodot  wollte   (falls 
Stein*8  Annahme  überhaupt  richtig  ist)    diesen  Zusatz    mit   dem  Texte   ver- 
schmelzen   —    man   beachte   die  Anfügung  mit  toc  {x^v  vuv   und  femer  die 
Worte  (t>(  xai  Tcp^TEpov  (xoi  SESiJXtjjTai  —  und  doch  soll  ihm  das  so  wenig 
gelungen  sein,  dass  der  Kritiker  seinen  Finger  auf  jene  Zuthaten   legen 
und  von  ihnen  sagen  kann :  sie  ,heben  in  Überraschender  Weise  das  bisher . . . 
Erzählte  zum  Theil  wieder  auf  und  unterbrechen  überdies*    u.  s.  w.  u.  s.  w. 
—  Und  damit  haben  wir  wohl  den  wundesten  Fleck  dieser  ganzen  Hypothese 
berührt.    In  der  That:    blosse    Marginalznsätze   lassen   sich    oft  genug  als 
solche  erkennen  (und  mögen  in  einzelnen,  wenngleich  seltenen  Fällen  auch 
ihren  Urheber  verrathen),  desgleichen  doppelte  Recensionen  und  andererseits 
eigentliche,  absichtliche  Interpolationen.     Doch  von  alle  dem  ist  hier   nicht 
die  Rede;    vielmehr   gilt   es  in  der  Mehrzahl  der  Fälle,   von  der  Hand  des 
Verfassers   herrührende  Uöberarbeitungen   herauszufinden,    womit    dem 
menschlichen  Scharfsinn  eine,  so  viel  ich  sehen  kann,  schier  unlösbare  Auf- 
gabe zugemuthet  wird.     Müssten    doch   dergleichen   Stücke   des  Be- 
fremdlichen eben  genug  enthalten,  um  nicht  für  ursprüngliche 
Aufzeichnungen  des  Autors,  und  nicht  genug,  um  für  Interpola- 
tionen   zu   gelten!     Wo    ist  der  Kritiker,    dessen  Luchsauge   diese  haar- 
scharfe   Linie    mit  Gewissheit  oder  auch  nur  mit  annähernder  Wahrschein- 
lichkeit zu  erspähen  vermöchte?      In  Wahrheit    entpuppen  sich  denn  auch 
alle  diese  angeblich    nachträglichen  Zusätze    zum  Theil    als   verderbte    und 
interpolirte  Stellen,   zum  andern  Theil  aber  als  völlig  unverdächtige  Stacke, 
deren  Verknüpfung  mit  dem  Vorangehenden  oder  Nachfolgenden  nur  bisweilen 
einen  Anstrich  von  Gewaltsamkeit  besitzt,  —  ein  Eindruck,  der  in  der  Ge- 
sammtanlage des  herodoteischen  Werkes  tief  begründet  ist  und  bei  der  schein- 
bar absichtslosen  Verbindung  so  vielartiger  Stoffe  nicht  leicht  ganz  zu  ver- 
meiden war.    Man  erinnere  sich  doch  der  so   häufig   wiederkehrenden,   auf 
Abschweifungen  von  dem  ins  Auge  gefassten  Ziele  und  auf  die  Rückkehr  zu 
demselben    bezüglichen  Wendungen   (6noEvct|At    hk  im  tov   Tcp^tcpov  ^t«  X^v 


Herodoteiiche  Stadien  11.  599 

Xdyov  a.  dgl.  m.)  und  auch  des  principiellen  Ausspruchs  unseres  Autors 
(TV,  SO):  icpooOijxpcc  yap  8i{  {xoi  6  X6yoi  (i  ^PX^^  iB{2^7]To,  den  doch  kaum  ii^pend 
Jemand  mit  einem  neueren  Herodot-Forscher  so  verstehen  wird,  als  wollte 
der  Halikamassier  sagen :  ich  bin  von  Anfang  an  darauf  ausgegangen,  mein 
Werk  durch  nachträgliche  Zusätze  2u  erweitern! 

I,  125  hat  Stein  das  Verdienst,  die  Stelle  fem  8k  Ilepa^cüv  —  ZajipxKoi 
als  anstössig  bezeichnet  zu  haben.  Allein  den  bedeutendsten  Anstoss,  der 
für  mich  wenigstens  in  der  Phrase  l^xi  hl  xdBt  liegt  (was  heissen  soll:  die 
▼on  Cyrus  berufenen  Stämme  waren  diese),  insbesondere  nach  dem  sprachlich 
so  gleichartigen  und  sachlich  so  verschiedenen  Satze  fori  tl  ~  y^vsa,  räumt 
die  Vermuthung  nicht  hinweg,  der  Autor  habe  diese  Bemerkungen  ,er8t 
später',  ,ohne  strenge  Rücksicht  auf  den  Zusammenhang  des  Textes* 
hinzugef&gt.  Auch  der  Übel  gewählte  Aorist  ov^nstac  —  als  ob  der  weiterhin 
erzählte  Erfolg  hier  schon  bekannt  wäre  —  bleibt  auf  diese  Weise  unerklärt. 
Die  Stelle  gilt  mir  als  das  Machwerk  eines  nicht  kenntnisslosen,  aber  wenig 
sprachkundigen  Interpolators. 

n,  68  wird  zu  IX,  83  mit  aufgeführt;  doch  unterlässt  es  Stein,  zur  Stelle 
selbst  etwas  Derartiges  zu  bemerken.  Man  sieht:  wenn  nicht  das  Werk  des 
Historikers,  so  scheint  doch  jenes  seines  Herausgebers  einer  endgiltigen  und 
einheitlichen  Redaction  zu  ermangeln. 

n,  127  hätte  schon  das  in  jenem  Fall  ganz  bezuglose  yip  in  oSte  ykp 
uTccTTt  Stein  vor  der  Anwendung  seiner  LieblingshTpothese  bewahren  sollen. 
Nur  die  Annahme  einer  kleinen  Lücke  (mit  Abicht),  etwa  (aXXco;  8k  evSseot^- 
p7]v),  nach  tpcut«  —  i[XETpiiiaa{X£v,  thut  den  Bedingungen  des  Falles  ein  volles 
Genüge. 

n,  166  fin.  wird  das  Zusammengehörige  nicht  erst  ,dureh  die  später 
eingefügte  Bemerkung  über  Aeschylos*,  sondern  bereits  durch  die  zwei,  auf 
die  Verwandtschaftsverhältnisse  und  Benennungen  ägjrptischer  Gottheiten 
bezüglichen  Sätze  getrennt.  Sollen  auch  diese  auf  späterer  Zuthat  beruhen? 
Man  kann  das  Eine  so  gut  wie  das  Andere  behaupten ;  nur  dürfte  es  einiger- 
massen  schwierig  sein,  auf  dieser  abschüssigen  Bahn  zu  rechter  Zeit  inne 
zu  halten. 

HI,  89  mag  man  einen  Augenblick  darüber  stutzig  werden,  dass  die 
Ankündigung  xarra  xiht  hiiikt  erst  nach  mehr  als  zehn  Zeilen  zu  ihrem 
Rechte  gelangt.  Allein  wie  sollten  die  Mittheilungen  über  die  Hohe  der 
persischen  Tribute  dem  griechischen  Leser  verständlich  werden,  ehe  er  über 
die  Bedeutung  der  dabei  angewandten  Massgewichte  aufgeklärt  ist?  Und  da 
nun  die  Darstellung  einmal  —  nothwendiger  Weise,  wie  auch  Stein  anzu- 
erkennen scheint  —  aus  ihrem  Geleise  gekommen  ist,  was  Wunder,  dass  der 
Geschichtschreiber  nicht  sofort  wieder  in  die  gerade  Strasse  einbiegt,  sondern 
eine  Bemerkung  hier  einschaltet,  für  die  er  sonst  nicht  leicht  eine  ange- 
messene Stelle  gefunden  hätte?  Das  mag  nicht  übermässig  kunstvoll  sein, 
aber  es  ist  der  echte  und  rechte  Herodot     Nicht  viel  anders  steht  es  um 

m,  98,  eine  Stelle,  die  auf  den  ersten  Blick  mehr  als  irgend  eine 
andere  zu  Gunsten  der  Stein^achen  Hypothese  zu  sprechen  scheint.  Hier 
wird  die  Ankündigung  einer  Schilderung  (xpinta  Toi(j>8t  xi«>vTat)  von  dieser 


600  Oomperx. 

selbst  durch  nahezu  fünfzig  Zeilen  getrennt.  Aber  der  Uebergang  yon  einem 
Thema  zum  anderen  ist  jedesmal  ein  völlig  sach-  und  naturgemSaser,  und 
während  der  Historiker  von  seinem  Gegenstande  abzuschweifen  scheint,  liest 
er  unterwegs  alle  Elemente  seiner  späteren  Darstellung  wie  zufällig'  auf: 
die  Sandwüste  an  den  Grenzen  Indiens,  die  ^streitbarsten'  Inder,  welche  eben 
die  goldgewinnenden  sind  (im  Unterschied  yon  und  im  Zusammenhang;'  mit 
den  übrigen  Stämmen  des  weiten  Landes,  ihren  Sitten  und  Bräuchen),  end- 
lich jene  Riesenameisen ,  welche  bei  der  Gewinnung  des  Gk>ldes  in  der 
Sandwüste  eine  so  bedeutende  Rolle  spielen.  Wer  hier  etwas  als  ,8p£teren 
Zusatz'  ausscheiden  will,  kann  wieder  nicht  einfache  Randbemerkungen  aas- 
schalten, sondern  er  muss  eine  vollständige  Umarbeitung  der  Stelle  voraus- 
setzen, beziehungsweise  vornehmen.  Und  welche  unübersteigliche  Hinder- 
nisse solch  einem  Beginnen  entgegenstehen,  glauben  wir  bereits  sattsam  ge- 
zeigt zu  haben.    Bei 

III,  131,  12 — 15  brauchen  wir  uns  um  so  weniger  anzuhalten,  da 
Steines  eigene  Bemerkungen:  ,eine  gelehrte  chronologische  Notiz',  ,okne 
klaren  Bezug  zum  Vorhergehenden'  (aber  doch  an  dieses  geknüpft,  daher 
keine  blosse  Marginalglosse ,  können  wir  hinzufügen!),  ,eine  unleidliche 
Tautologie'  u.  s.  w.,  nur  dazu  dienen  können,  die  Stelle  als  Interpolation  zu 
kennzeichnen  (so  schon  Abicht),  womit  wir  von  Herzen  einverstanden  sind. 
Zur  Zeit,  da  Herodot,  ,jedenfalls  erst  nach  Vollendung  des  Ganzen',  diese 
und  ähnliche  Stellen  seinem  Werke  einfügte  (was  übrigens  Herr  Stein  dies- 
mal nicht  mit  voller  Zuversicht  behaupten  will),  muss  seine  Geisteskraft 
bereits  erheblich  gelitten  haben. 

rv,  2  überhebt  uns  der  Wortlaut  von  Steines  Anmerkung  jeder  Ent- 
gegnung. ,Das  sowohl  seinem  Inhalte  nach  sehr  problematische,  als 
in  den  Zusammenhang  schlecht  passende  Capltel  scheint  erst  nach- 
träglich vom  Verfasser  eingesetzt  zu  sein.'  Man  lese:  scheint  interpolirt 
zu  sein,  und  man  hat  aus  den  diesmal  sehr  wohlbegründeten  Prämissen  den 
allein  angemessenen  Schluss  gezogen.  (Krüger  und  Abicht  halten  die  Stelle 
für  lückenhaft.^ 

9 

IV,  14  und  15  ,werden  erst  nachträglich  hinzugekommen  sein',  weil 
—  nun,  weil  Herodot^s  Herausgeber  es  verwunderlich  findet,  dass  dieser  nach 
Abschluss  einer  Episode  mittelst  der  in  diesem  Falle  ganz  gewöhnlichen 
Redewendungen  (^ApioTEb)  [x^v  vuv  rc^pt  Toaauta  E2pi{a6(o.  tijc  81  "pj^  t^c  Tt^pt 
o8s  6  Xdyo;  (op|jL7)Tai  Xf)f£a6ai  xtl.  c.  15 — 16)  zu  seinem  Hauptthema  zurück- 
kehrt.    Die  zuversichtliche  Diagnose,  vermöge  welcher 

rv,  86  fin.  der  parenthetische  Satz  TZd^ifjxpLX  %\  xal  —  fi^Ti]p  tou 
ndviou  für  ,eine  nachträglich  zugefügte  Notiz'  erklärt  wird,  darf  mit  Fug  unser 
Staunen  erregen.  Wieder  handelt  es  sich  nicht  etwa  um  eine  abgerissene, 
unverbundene  Randbemerkung,  sondern  um  öinen  Satz,  der  echt  oder  unecht 
sein  mag,  dem  aber  wahrlich  Niemand  die  nachträgliche  HinzufÜgnng  vom 
Gesichte  ablesen  kann.  Doch  was  soll  man  erst  zu  jener  Musterleistung 
kritischer  Mantik  sagen,  die  uns  zu 

V,  27  begegnet?  In  dieser  allerdings  schwer  beschädigten  Stelle  (die 
jedenfalls  zugleich  lückenhaft  und  interpolirt  ist)  erkennt  Stein  nicht  weniger 


Herodoteiscbe  Studien  ü.  601 

als  Tier  verschiedene  Schichten:  den  ursprünglichen  Text,  eine  nachträgliche 
fRandnote'  des  Autors,  welche  dieser  ,später  mit  dem  Context  zu  ver- 
schmelzen*  beabsichtigte,  die  aber  eine  ungeschickte  Hand  ^unpassend'  in  den 
Text  ,eingefügt'  hat,  und  endlich  die  Zuthat  eines  noch  Späteren,  der  ,den 
hierdurch  zerstörten  Zusammenhang*  wieder  ,herzu8tellen*  bemüht  war.  Thut 
es  wirklich  Noth,  über  diese  Art  von  Textes-Geologie  ein  Wort  zu  verlieren? 
VI,  59  und  60  (zwei  auf  die  Uebereinstimmung  einiger  spartanischer 
mit  persischen  und  ägyptischen  Einrichtungen  bezügliche  Capitel)  sollen, 
,wenn  sie  auch  vom  Verfasser  herrühren,  doch  wohl  erst  nachträglich  in  den 
Text  gekommen'  sein.  Warum?  Weil  sie  , nebensächliche  Bemerkungen' 
enthalten.  Herr  Stein  scheint  also  von  der  nicht  eben  gewöhnlichen  Voraus- 
setzung auszugehen,  dass  ein  Autor  bei  der  ersten  Abfassung  seines  Werkes 
kritischer  und  wählerischer  verfährt  als  bei  der  Revision  oder  Neubearbeitung 
desselben.  Nebenbei  wird  ein  formales  Bedenken,  nicht  g^g^n  die  beiden 
Abschnitte,  sondern  gegen  die  letzten  zwei  Zeilen  des  zweiten  derselben  er- 
hoben, welches  mir  wenig  begründet  scheint.  Es  ist  von  der  Erblichkeit 
gewisser  Berufszweige  in  Sparta  die  Rede,  und  da  scheint  es  denn  Herodot 
besonders  bemerkenswerth,  dass  über  die  Wahl  von  Herolden  nicht,  wie 
anderwärts,  die  Stimmbegabung,  sondern  nur  die  Abstammung  entscheidet. 
Ich  kann  nicht  im  Entferntesten  finden,  dass  in  den  Worten  oO  xara  Xapicpo^b)- 
v{7]v  e9CtTt6^[JL€voi  oXXoi  9fia^  rapoxXTjfouat,  dcXXa  xaxa  ra  norpta  cictTeX^ouai  ,das 
Asyndeton'  (an  der  Spitze  des  das  Vorangehende  weiter  ausführenden  Satzes) 
oder  ,der  lose'  (soll  wohl  heissen  ausschliessliche)  ,Bezug  auf  den  einen 
Stand  der  Herolde'  (mit  ol  xijpuxe^  begann  die  Aufzählung  jener  Stände,  mit 
x7{puS  xi^puxo;  schliesst  sie  wieder  ab)  ,den  flüchtigen  Anmerker  verrathen. 
Die  zwei  Capitel  geben  meines  Erach'tens  zu  kritischen  Anfechtungen  irgend 
welcher  Art  nicht  den  allermindesten  Anlass. 

VI,  79.  Die  parenthetische,  auf  die  Hohe  des  im  Peloponnes  üblichen 
Lösegeldes  für  Gefangene  bezügliche  Notiz  mag  man  als  nicht  zur  Sache 
gehörig  immerhin  beanstanden  und  demgemäss  athetiren.  Allein  Steines 
Lieblingsauskunft  ist  unbedingt  unanwendbar ;  denn  die  Art  der  Anknüpfung 
ist  die  beste,  welche  die  Sache  Irgend  zuliess,  und  Herodot  hätte  die  Notiz, 
falls  er  sie  vom  Rande  in  den  Text  zu  verpflanzen  beabsichtigte,  wieder 
genau  so  fassen  müssen,  wie  wir  sie  bereits  jetzt  in  diesem  lesen. 

Zu  VI,  98  fin.  (dem  Versuch  einer  Wiedergabe  dreier  persischer  Königs- 
namen) lesen  wir:  ,Die  Stelle  ist  verdächtig,  nicht  ihres  Inhaltes  oder  ihrer 
Sprache  wegen,  sondern  weil  sie  nur  einen  zufälligen  Zusammenhang  mit 
dem  Vorhergehenden  hat  und  wie  eine  gelehrte  Randnote  aussieht.  Dennoch 
mag  sie  von  Herodot  henrühren.'  Wenn  freilich  unser  Historiker  die  leidige 
Gewohnheit  hatte,  den  Rand  seines  Handexemplars  mit  allerhand  ungehörigen 
Auslassungen  anzufüllen,  so  ist  die  Aufgabe  seiner  Herausgeber  eine  recht 
missliche  geworden.  Weniger  conservative  und  minder  phantasievolle  Kritiker 
werden  allerdings  Wesseling's  Athetese  mit  beiden  Händen  unterschreiben 
und  sich  auch  des  Umstandes  erinnern,  dass  die  unmittelbar  vorangehenden, 
in  einem  Theil  der  Handschriften  fehlenden  Zeilen  einmüthig  verurtheilt 
werden.     Die  Bemerkung  zu 

!4Uiung«b«r.  d.  phil.-hUt.  Cl.    ClU.  fid.  II.  Uft.  89 


602  Gomperz. 

VII,  20,  5  scheint  uns  so  vollständig  aus  der  Luft  gegriffen,  dass  man 
sich  wohl  der  Mühe  enthoben  erachten  kann,  sie  eingehend  zu  widerlegen. 
Wo  konnte  wohl  Herodot  diesen  ,Excurs  über  das  Yerhältniss  des  Xerxessuged 
zu  früheren  Expeditionen'  besser  unterbringen,  als  an  der  Stelle,  wo  er  von 
den  riesigen,  vier  volle  Jahre  in  Anspruch  nehmenden  Vorbereitungen  zu 
diesem  Kriegszuge  gesprochen  haitte?  Wie  man  hier  von  einem  ,losen  sach- 
lichen Verbände'  sprechen  kann,  ist  mir  ein  Räthsel,  und  auch  die  sprachliche 
Anknüpfung :  ,Xerxes  zog  ingenti  copiarum  manu  (Stein's  eigene  Uebertragong) 
ins  Feld:  denn  fürwahr  einen  gewaltigeren  Eriegszug  hat  es  nie  gegebeu' 
u.  s.  w.  bedarf  keiner  Rechtfertigung. 

Vn,  96  in.  soll  das  Sätzchen  eiceßaTEuov  —  Zdbcai  ,später  nachgefügt' 
sein.  Dass  eine  auf  die  gesammte  Flotte  bezügliche  Angabe  nirgends  besser 
am  Platze  ist  als  am  Ende  der  Aufzählung  der  einzelnen  Schiffscontingente, 
dürfte  Niemand  leugnen.  Doch  ist  ein  Mangel  an  Concinnität  hier  sowohl 
wie  in  den  nächsten  Sätzen  (to^tcov  h\  — .  ToOtoiai  izaai  — .),  die  auch 
Stein  nicht  für  spätere  Zuthaten  hält,  nicht  zu  verkennen.  Der  Grund  dieses 
stylistischen  Mangels  ist  meines  Erachtens  ein  sachlicher:  er  lieg^  in  der 
Schwierigkeit,  mehrere  von  einander  unabhängige  thatsächliche  Einzelan- 
gaben in  angemessener  Weise  zu  verbinden. 

vn,  106,  4.  Die  auf  diese  Stelle  bezügliche  Bemerkung  (zu  Z.  11) 
habe  ich  zu  wiederholten  Malen  gelesen,  ohne  mich  doch  des  Verständnisses 
völlig  sicher  zu  fühlen.  Es  mag  mir  daher  erlaubt  sein,  dies  eine  Mal,  wo  ein 
missbilligendes  Urtheil  so  leicht  einem  Missverständniss  entspringen  könnte, 
Stillschweigen  zu  üben. 

vn,  113,  4  nennt  Stein  die  Worte  Iri  fwo{  ecüv  nicht  mit  Unrecht  ,f  ür 
das  Verständniss  mehr  als  entbehrlich'.  Da  nun  in  demselben  Satze 
auch  eine  sprachliche  Absonderlichkeit  sich  findet:  X^yov  noieraOai,  wo  Herodot 
sonst  [jLvi{[xY]v  rroiEiaOat  zu  sagen  pflegt,  so  liegt  die  Annahme  nahe,  diese 
anstössigen  Worte  seien  eingeschoben  und  des  Geschichtschreibers  einfache 
Angabe  t^;  ^pyij.  B^yT);  sei  von  einem  übereifrigen  Leser,  der  sich  des  vor- 
her erzählten  Todes  jenes  Persers  (c.  107)  und  zugleich  einer  ähnlichen,  aber 
doch  auch  verschiedenen  Wendung  (IV,  16)  erinnerte,  zu  dem  wenig  ge- 
schickten Satz  erweitert  worden,  der  uns  jetzt  vor  Augen  liegt.  Warum  aber 
der  sein  Werk  revidirende  Autor  das  an  den  Rand  geschrieben  haben  soll, 
was  ,für  das  Verständniss  mehr  als  entbehrlich  ist',  dies  ist  mir  mindestens 
wenig  begreiflich.     Zu 

vn,  137,  12  wird  der  den  Aneristos,  Sohn  des  Sperthias,  näher  bezeich- 
nende Satz  o;  eiXe  —  TcXiipei  avdpäJv  als  ein  ,überflüssiger,  notizenartiger 
Zusatz'  bezeichnet.  Dieser  Einwand  kann  sich  nur  gegen  den  Inhalt  des 
Satzes  richten  und  müsste,  falls  er  (was  meine  Meinung  nicht  ist)  begründet 
wäre,  seine  Tilgung  zur  Folge  haben.  Die  Form  ist  völlig  anstandslos; 
sie  ist  eben  diejenige,  in  welcher  Herodot  ihn  schliesslich  in  den  Text  zu 
setzen  gewillt  sein  musste ;  wozu  kann  also  die  Muthmassung  dienen,  dass  er 
ihn  vorerst  am  Rand  verzeichnet  habe?  Zu 

VU,  162,  7  nennt  Herr  Stein  die  Worte  ib  leAci  X^ygiv  (mit  ElU, 
p.   332—333)  ,die    erklärende  Randnote    eines    Lesers'.     So   hat   denn 


Herodoteische  Stadien  II.  603 

offenbar  nur  ein  lapsus  memoriae  die  Anführung  dieser  Stelle  zu  IX,  83 
veranlasst  und  somit  den  Schein  erzeugt,  als  halte  Herr  Stein  den  sein  Werk 
revidirenden  Autor  selbst  für  eben  den  Le^er,  der  die  Worte  oüro;  oe  6  vooc 
rou  ^Yi|jLaio(  durch  die  am  Rand  verzeichnete  Phrase  xb  sO^ei  Xiyivt  zu 
glossiren  für  gut  befunden  hat.    Bei 

yn,  191  jedoch  gibt  es  keine  derartige  Zweideutigkeit.  Hier  erfahren 
wir,  dam  die  Sätze  ursprünglich  anders  und  besser  zusammenhingen  und 
dass  —  dies  wird  uns  mit  einer  Zuversicht  mitgetheilt,  die  uns  füglich. ver- 
blüffen darf  —  ,erst  nachträglich  Herodot  die  Episode  von  Ameinokles 
eingeschoben  und  jenen  Zusammenhang  gelockert*  hat.  Mit  an- 
deren Worten :  der  Herausgeber  findet  eine  Stelle  nicht  in  wünschenswerther 
Ordnung  und  weiss  dafür  keine  glaubhaftere  Erklärung  als  die  Annahme, 
dass  der  Verfasser  sein  eigenes  Werk  nachträglich  verdorben  hat!  Warum 
freilich  der  treffliche  Schriftsteller  ein  so  linkischer  Revisor  gewesen  sein  solf, 
dieses  Räthsel  bleibt  hier  und  anderwärts  ungelöst.  Denn,  wohlgemerkt,  nicht 
den  Mangel  einer  letzten  Redaction,  sondern  eine  vom  Autor  selbst  verschul- 
dete Verballhomung  seines  Textes  meint  Herr  Stein  und  muss  er  meinen; 
sieht  doch  jene  Episode  einem  blossen  vorläufigen  Marginalzusatz  so  unähnlich, 
dass  sie  weit  eher  ein  Zuviel  als  ein  Zuwenig  von  Ausarbeitung  aufweist  und 
durch  einen  —  von  der  Umgebung  sich  merklich  abhebenden  —  eigenthüm- 
lich  gespreizten  und  prätentiösen  Ton  den  Verdacht  einer,  freilich  uralten, 
Interpolation  wachruft.  Und  dieser  Argwohn  wird  allerdings  dadurch  erheb- 
lich '  verstärkt,  dass  die  Ausscheidung  des  Stückes  eng  Zusammengehöriges 
näher  aneinander  rückt.  Ganz  ebenso  wenig  wird  Herr  Stein  behaupten 
wollen,  dass 

VU,   193  der  von  ihm  anstössig  gefundene  Participialsatz  IIoaEiBscavo; 

—  vo^(^ovi£(  eine  Randnotiz  des  Autors  sei.  ,Der  Zusatz  ist  wohl  erst  später 
vom  Autor  nachgetragenS  —  diese  Bemerkung  kann  auch  hier  nur  besagen 
wollen,  daas  Herodot  sein  Werk  mit  so  beispiellosem  Ungeschick  revidirt 
hat,  dass  wir  auf  Schritt  und  Tritt  seine  nicht  bessernde,  sondern  ver- 
schlechternde Hand  erkennen.  Wem  der  brachylogische  Ausdruck  für 
sprachwidrig  gilt,  dem  bleibt  nichts  Übrig  als  die  Auskunft  der  Athetese; 
uns  freilich  scheint  der  Umstand,  dass  der  Subjectbegriff  des  Participialsatzes 
ein  einigermassen  weiterer  ist  als  jener  des  Hauptsatzes  (,sie  benannten  und 
man  benennt  noch  heute'),  keinerlei  kritischen  Eingriff  zu  rechtfertigen  (vgl. 
Krüger  ö7,  9,  1—2).  —  Zu 

VII,  210  macht  Stein  mit  vollem  Recht  darauf  aufmerksam,  dass  der 
herbe  Tadel  über  die  Untüchtigkeit  der  persischen  Truppen  (SfJXov  ci^  iiwUM"* 

—  oXt'yoi  tk  avSps;)  zur  , Schilderung  des  rastlosen  Angriffs*  derselben  durchaus 
nicht  stimmen  will.  Allein  heisst  es  diese  Schwierigkeit  hinwegräumen, 
wenn  wir  annehmen,  dass  der  Autor  die  Worte  ,wohl  erst  später  eingefügt* 
hat,  ,an  nicht  eben  passender  Stelle*?  Ich  kann  nur  mein  Unver> 
mögen  eingestehen,  dieser  Bemerkung  irgend  einen  verständlichen  Sinn  ab- 
zugewinnen; denn  (so  bemerkt  dies  eine  Mal  auch  HerrToumier,  Exercices 
critiques  pag.  140)  ,comment  il  a  pu  echapper  k  Herodote  que  cette  addi- 
tion  le  mettait  en  contradiction  avec  lui-meme,  c^est  ce  qu^il   u'eCit    pas 

39* 


604  Qompflr«. 

M  superflu  d^expIiquerS  Das  kritische  EQlfsmittel,  zu  welchem  wir 
immer  dann  greifen  müssen,  wenn  ein  an  sich  vortrefflicher  Sats  ,An  nicht 
ehen  passender  Stelle'  erscheint, «ist  die  Transposition;  nnd  so  darf  man 
wohl  vermnthen,  dass  die  Darstellnng*  des  erfolglosen  I^ampfes  der  feind- 
lichen Ueberzahl  mit  dem  wunderbar  tapferen  Häuflein  der  Griechen  durch 
eben  diesen  emphatischen  Ausspruch  abgeschlossen  wurde.  Am  Schltu»  des 
c.  212  (unmittelbar  vor  den  Worten:  dtTwpiovTO^  hl  ßavtX lb<  xtI.)  dürfte  seine 
ursprüngliche  Stelle  gewesen  sein.  (Dazwischen  liegen  29  Zeilen  der  Stein*- 
sehen  Ausgabe,  das  Vierfache  des  Zwischenraumes,  den  wir  bei  der  einsigen 
anderen  von  uns  als  nOthig  erachteten  Umstellung  —  m,  143  —  an- 
nehmen mussten.  Darf  man  hierin  einen  auf  die  Einrichtung  des  Arche- 
typus bezüglichen  Wink  erblicken?) 

VTI,  223  liegt  ohne  Zweifel  ein  Textesschaden  vor.    Mit  der  Verlegung 
des  Kampfplatzes  auf  den  freieren  Raum  vor  der  Passenge  {h  to  cdpurepov 
Tou  au^/vo()  mussten  die  Verluste  auf  beiden  Seiten  wachsen.    Allein  während 
der  Geschichtschreiber  den  Vorgang  im  Einzelnen  auch  thatsächlich  so  dar- 
stellt, so  gilt  doch  seine  darauf  bezügliche  allgemeine  Bemerkung  (&n:rrov 
nXi^OeV  3:oXXo)  tcov  ßapßapcov)  nur  dem  einen  Theil,  und  zwar  demjenigen,  auf 
welchen  dieselbe  jedenfalls  geringere  Anwendung  fand.    Da  nun  femer  in 
den  Worten  rcoXXoi  p-kv  Srj  —  xnz*  dcXXijXcov   noch  von  den  Barbaren  die  Rede 
ist,    die  unmittelbar   folgenden  ^v  hl  Xoyo;  oOSei;  tou  obcoXXupivou  aber   (wie 
die  Begründung  Sxi  yap  xii.  zeigt)  sich  auf  die  Griechen  beziehen  und  es  an 
jedem  vermittelnden  Uebergange  fehlt,  so  lässt  sich  —  wie  Dobree  (advers. 
pag.  40)  einsah  —  kaum  an  dem  Ausfall  eines  Sätzchens  zweifeln,  welches  dieser 
zwiefachen  Anforderung  Genüge  leistete,  und  das,  wie  der  soeben  genannte 
Kritiker  vermuthet  hat,  etwa  also  lautete:   (IntTctov  Bk  xdtpra  noXXol  xai  Tb>v 
*EXXi{vü)v).    Diese  Annahme  erledigt  alle  Schwierigkeiten,  denn  in  dem  Sub- 
jectswechsel :  t^te  Bk  au|jL{x{aYovTE(  —  Intjrrov  xtI.  vermag  ich  keine  solche  zu 
erblicken;  bereits  das  Particip  bezeichnet  ja  eine  beiden  Theilen  gemein- 
same Handlung,  nnd  ist  es  doch,  als  ob  Herodot  sagen  wollte:  t^te  hl  9U[x- 
;jL{aYovTEc  —  &ci7rrov  i^jt^diEpoi  icXyIOeV  tcoXXo^,  eine  Ausdrucksweise,  die  nur 
um  des  bequemeren  Ueberganges  zur  Einzeldarstellung  willen  in  ihre  beiden 
einander   folgenden    Bestandtheile  zerlegt   wird.    (Vgl.  auch  die  Znsammen - 
Stellungen  der  Herausgeber  zu  I,  33  und  was  wir  zu  I,  31  bemerkt  haben.) 
Stein's   Vermuthung    einer   nachträglichen   Abfassung  von    Z.   10 — 16   aber 
unterliegt  nicht  nur  unseren   nunmehr  bereits  so  oft  wiederholten  Einwen- 
dungen, sondern  überdies  noch  einem  speciellen,  an  sich  kaum  abzuweisenden 
Einwurf:  wie  über  alle  Massen  unwahrscheinlich  ist  es  doch,  daas  der  Histo- 
riker  den  integrirenden  Theil  eines  Gesammtvorganges  —  und  zwar  an  einem 
Höhepunkte  seiner  Geschichtsdarstellung  1  —  erst  nachträglich  erfahren,  oder 
wenn   er  ihn   schon  früher  kannte,   nicht  sofort  in  die  Erzählung  verwoben 
hat!    —   Doch  es  ist  nicht  immer  leicht,   über  diese  Willkürannahmen  mit 
ernster  Miene  zu  verhandeln,  am  allerschwersten  vielleicht  zu 

VII,  238.  Xerxes  lässt  dem  todten  Leonidas  den  Kopf  abschlagen  und 
der  Geschichtschreiber  bemerkt  dazu,  dieser  an  einem  Leichnam  verübte 
Frevel  sei  wohl  der  stärkste  Beweis  dafür,  dass  der  Perserkönig  keinen  an-